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Full text of "Enzyklopädie des eisenbahnwesens"

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ENZYKLOPÄDIE 


DES 


EISENBAHNWESENS 

HERAUSGEGEBEN  VON 

Dr.  FREIHERR  VON  ROLL 

EHEM.  SEKTIONSCHEF  IM  ÖSTERREICHISCHEN  EISENBAHNMINISTERIUM. 

IN  VERBINDUNG  MIT  ZAHLREICHEN  EISENBAHNFACHMÄNNERN. 


Redaktionsausschuß : 

Staatsbahndirektor  Hofrat  Blaschek,  Villach;  Ministerialdirektor  Breusing,  Berlin;  Ge- 
heimer Baurat  Professor  Cauer,  Berlin;  Geheimer  Regierungsrat  Professor  Dr.-Ing. 
Dolezalek,  Berlin;  Verbandsdirektor  Professor  Dr.-Ing.  Giese,  Berlin;  Wirklicher  Geheimer 
Oberregierungsrat  a.  D.  Herrmann,  Berlin;  Wirklicher  Geheimer  Rat,  Staatsminister  a.  D. 
Hoff,  Berlin;  Geheimer  Oberbaurat  Hoogen,  Berlin;  Wirklicher  Geheimer  Rat  Professor 
D r.  V.  der  Leyen,  Berlin;  Hofrat  Professor  Dr.-Ing.  Melan,  Prag. 

An  den  Redaktionsarbeiten  beteiligt: 

Baurat  Obermayer;    Staatsbahnrat  Pollak; 
Bahnoberkommissär  Dr.  GrUnthal. 


ZWEITE,  VOLLSTÄNDIG  NEUBEARBEITETE  AUFLAGE. 

NEUNTER  BAND. 

Seehafentarife  —   Übergangsbogen. 

Mit  492  Textabbildungen,  9  Tafeln  und  2  Eisenbahnkarten. 


URBAN   &  SCHWARZENBERG 

BERLIN  WIEN 

N.,  FRIEDRICHSTRASSE  105b.  I.,  M  A  X  I  M  I  L  I  A  N  ST  R  A  SS  E  4. 

1921. 


Alle  Reclite,  gleichfalls  das  Recht  der  Übersetzung  in  die  russische  Sprache,  vorbehalten. 


Copyright  1Q20  by  Urban  &  Schwarzenberg,  Berlin. 


\^^^     REMOTE  STORAGE 


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i' 


Mitarbeiter. 

Es  sind  nur  jene  Fachmänner  genannt,  die  für  den  vorliegenden  Band  Beiträge  geliefert  haben. 
Ein  vollständiges  Mitarbeiterverzeichnis  folgt  im  nächsten  Bande. 


Baltzer,  Geh.  Oberbaurat,  ordentlicher  Honorar-Professor  an  der  Technischen  Hochschule  Berlin 

Beyerle,  Finanzrat  bei   der  Generaldirektion  der  wiirttembergischen  Staatseisenbahnen  Stuttgart 

Birk,  Hofrat,  Professor  an  der  Deutschen  Technischen  Hochschule Prag 

Breidsprecher,  Geh.  Baurat,  Professor Wiesbader» 

Breusing,  Ministerialdirektor Berlin 

Cauer,  Geh.  Baurat,  Professor  an  der  Technischen  Hochschule Berlin 

Cimonettt,  Ministerialrat  im  Staatsamt  für  Verkehrswesen     Wien 

Dietler,  Dr.-Ing.,  Direktionspräsident  der  Gotthardbahn  a.  D Luzern 

Dolezal,  Hofrat,  Professor  an  der  Technischen  Hochschule Wien 

Dolezalek,  Dr.-Ing.,  Geh.  Regierungsrat,  Professor  an  der  Technischen  Hochschule  .    .  Berlin 

Enderes,  Sektionschef  im  Staatsamt  für  Verkehrswesen Wien 

Feil,  Dr.-Ing.,  Baurat  im  Staatsamt  für  Verkehrswesen Wien 

Fink,  Geh.  Baurat  a.  D Hannover 

t  Firnhaber,  Dr.,  Oberregierungsrat  a.  D Marburg 

Giese,  Dr.-Ing.,  Professor,  Verkehrsdirektor  des  Verbandes  Qroß-Berlin Berlin 

t  Gölsdorf,  Dr.-Ing.,  Sektionschef  im  Eisenbahnministerium Wien 

Grunow,  Geh.  Oberregierungsrat Berlin 

Grunow,  Oberregierungsrat Bremen 

Guillery,  Baurat München 

Hausmann,  Geh.  Regierungsrat  im  Reichswirtschaftsamt Berlin 

Haußmann,  Geh.  Regierungsrat,  Professor  an  der  Technischen  Hochschule Berlin  ' 

Hoogen,  Geh.  Oberbaurat,  Vortragender  Rat  im  Ministerium  der  öffentlichen  Arbeiten  Beriin 

.    Hoyer,  Baurat,  Professor  an  der  Technischen  Hochschule Hannover 

.» T"  Igel,  Professor  an  der  Technischen  Hochschule Berlin 

■Ic     Jahn,  Professor  an  der  Technischen  Hochschule Danzig 

J,     Januschka,  Senatspräsident  beim  Verwaltungsgerichtshof  a.  D Wien 

^     Kemmann,  Dr.-Ing.,  Geheimer  Baurat Berlin 

Q-     Kleinwächter,  Professor,  Generaldirektor  der  Aussig-Teplitzer  Eisenbahn Teplitz 

t  Launhardt,  Dr.-Ing.,  Geh.  Regierungsrat,  Professor  an  der  Technischen  Hochschule  Hannover 

V.  der  Leyen,  Dr.,  Wirkl.  Geh.  Rat,  ordentlicher  Honorar-Professor  an  der  Universität  Berlin 

Littrow,  Hofrat  im  Eisenbahnministerium  a.  D Wien 

£     Lucas,  Geh.  Hofrat,  Professor  an  der  Technischen  Hochschule Dresden 

1^^     Melan,  Dr.-Ing.,  Hofrat,  Professor  an  der  Deutschen  Technischen  Hochschule  ....  Prag 

_)      Mertens,  Dr.,  Geh.  Regierungsrat Beriin 

</'     Metzeltin,  Regierungsbaumeister Hannover 

"^    Micke,  Dr.,  Regierungsrat,   Direktor  der  Großen  Berliner  Straßenbahn Berlin 

'  .     Obermayer,  Baurat  im  Staatsamt  für  Verkehrswesen     Wien 

U-    Pernt,  Dr.-Ing.,  Oberbaurat  im  Elektrisierungsamt Wien 

■        Pichler,  Sektionschef  im  Staatsamt  für  Verkehrswesen    .    .    .    .• Wien 

~    Pollak,  Staatsbahnrat  im  Elektrisierungsamt Wien 

Rihosek,  Ministerialrat  im  Staatsamt  für  Verkehrswesen Wien 

Sanzin,  Dr.-Ing.,  Professor,  Oberbaurat  im  Staatsamt  für  Verkehrswesen      Wien 

■   Scheibner,  Oberbaurat  a.  D Beriin 

-  Seefehlner,  Direktor  der  Union-Elektrizitätsgesellschaft Wien 

i_  Seidel,  Regierungsrat Beriia 

*^    Spitzner,  ehem.  Sektionschef  im  Eisenbahnministerium Wien 


^tCOo-''^-  -^ 


Seehafentarife  (sea  porf  rates;  tarifs  spe- 
ciaiix  d'exportation  et  d'importation  par  mer; 
tariffc  speciale  d'csportazione  e  d'importazione 
per  marc)  sind  differentiell  gebildete  Tarife, 
die  den  Zweck  verfolgen,  den  Güterverkehr 
über  bestimmte  Seehäfen  zu  fördern.  Sie  sind 
ein  sehr  geeignetes  Mittel  zur  Erzielung 
wirtschaftspolitischer  Wirkungen  und  bilden 
daher  einen  wichtigen  Faktor  der  protektioni- 
stischen  Eisenbahntarifpolitik.  Die  wirtschaft- 
lichen Ziele  sind  im  wesentlichen  zweifacher 
Art.  Vor  allem  soll  durch  diese  Tarife  die 
Ausfuhr  inländischer  Güter  und  die  Einfuhr 
namentlich  von  Rohstoffen  erleichtert  werden, 
deren  die  inländische  Wirtschaft  bedarf.  Durch 
eine  entsprechende  Herabminderung  der  Bahn- 
frachten im  Verkehr  zwischen  den  Seehäfen  und 
den  im  Binnenland  gelegenen  Erzeugungs-  und 
Verbrauchsorten  sollen  dem  in  Betracht  kommen- 
den Güterversand  und  Güterbezug  dieser  Orte 
die  Vorteile  des  billigen  Seewegs  möglichst  unge- 
schmälert zugänglich  gemacht  werden.  Da  durch 
die  S.  die  im  Binnenland  gelegenen  Erzeu- 
gungs- und  Verbrauchsorte  den  Seehäfen 
gleichsam  örtlich  nähergerückt  werden  sollen, 
werden  bei  der  differentiellen  Bildung  dieser 
Tarife  insbesondere  die  Transporte  auf  große 
Entfernungen  eine  vorzugsweise  Behandlung 
zu  erfahren  haben.  Außer  der  Unterstützung 
der  heimischen  Aus-  und  Einfuhr  verfolgen 
die  S.  auch  das  weitere  Ziel,  den  Güter- 
umschlag und  den  Handel  in  den  eigenen 
Häfen  im  Interesse  der  Hebung  des  Volkswohl- 
standes zu  fördern.  Von  diesem  Gesichtspunkt 
ausgehend  wird  bei  der  Erstellung  von  S.  auf 
die  Heranziehung  von  Verkehren  zwischen  aus- 
ländischen Wirtschaftsgebieten  über  die  eigenen 
Seehäfen  und  auf  die  Bekämpfung  des  Wett- 
bewerbs der  über  fremde  Seehäfen  führenden 
Verkehrswege  Bedacht  zu  nehmen  sein.  Der- 
artige Wettbewerbsbestrebungen  können  dazu 
führen,  daß  bezüglich  des  Verkehrs  mit  den 
eigenen  Seehäfen  die  Frachtsätze  für  größere 
Entfernungen  sogar  absolut  niedriger  gehalten 
■werden  als  jene  für  geringere  Entfernungen. 
Die  Hebung  des  Verkehrs  der  eigenen  Seehäfen 
kommt  mittelbar  auch  wieder  der  eigenen 
Aus-  und  Einfuhr  zu  gute,  da  sich  dieser  in- 
folge der  Belebung  der  Seeschiffahrt  im  eige- 
nen Hafen  vermehrte  Verschiffungsgelegen- 
heiten bieten.  Wenn  es  auch  klar  ist,  daß  die 
Aufnahme  des  Wettbewerbs  zwischen  den  See- 
häfen verschiedener  Staaten  zu   großen  finan- 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


ziehen  Einbußen  der  beteiligten  Eisenbahnen 
führen  muß,  so  stellen  sich  doch  den  Bestre- 
bungen, einen  solchen  Wettbewerb  durch  strikte 
Vereinbarungen  auszuschließen,  bei  der  Wichtig- 
keit und  Mannigfaltigkeit  der  in  Frage  kom- 
menden Interessen  große  Schwierigkeiten  ent- 
gegen. Ein  Versuch  in  dieser  Richtung  wurde  im 
Jahre  1874  unternommen;  durch  die  Schaffung 
einer  als  „Seehafenvereinigung"  bezeichneten 
Organisation  und  durch  die  Festsetzung  eines 
bestimmten  Spannungsverhältnisses  zwischen 
den  Frachtsätzen  für  die  einzelnen  deutschen, 
belgischen  und  niederländischen  Häfen  sollte 
damals  der  durch  das  Nebeneinanderbestehen 
von  Staatsbahnen  und  großen  Privatbahnen 
geförderteschrankenloseWettbewerb  der  Bahnen 
bezüglich  des  Verkehrs  der  Nord-  und  Ostsee- 
häfen mit  Österreich-Ungarn  geregelt  werden. 
Nach  verschiedenen  Wandlungen  kam  es  schließ- 
lich zu  der  „Konvention  betreffend  die  Regelung 
der  Verkehrsbeziehungen  zwischen  den  Nord- 
und  Ostseehäfen  einerseits,  Wien,  Prag  und 
Budapest  anderseits",  die  mit  I.August  1882 
in  Kraft  trat.  Bereits  im  Jahre  1884  wurden 
abermalige  Verhandlungen  zwecks  Abänderung 
dieser  Konvention  eingeleitet,  diejedoch  ergebnis- 
los verliefen,  worauf  die  Seehafenvereinigung 
ohne  ausdrückliche  Kündigung  und  ohne  förm- 
liche Auflösung  im  allseitigen  stillschweigenden 
Einverständnis  ihre  Tätigkeit  einstellte.  Die 
vereinbarten  Tarifbildungsgrundsätze  wurden 
jedoch  in  den  einzelnen  SpezialVerbänden,  so  u.a. 
im  deutsch-österreichisch-ungarischen  Seehafen- 
verband, im  niederländisch-österreichisch-unga- 
rischen sowie  im  belgisch-österreichisch-un- 
garischen Eisenbahn  verband  als  „usuelle  Tarif- 
bildung" mit  gewissen,  im  Jahre  1011  beschlosse- 
nen Änderungen  im  wesentlichen  bis  heute 
beibehalten.  Neben  den  erörterten  beiden 
Hauptzielen  kann  mit  den  S.  auch  noch  das 
weitere  Ziel  der  Förderung  der  heimischen 
Seeschiffahrt  verfolgt  werden.  Für  diesen  Fall 
werden  die  S.  an  die  Bedingung  geknüpft, 
daß  die  an  den  Bahntransport  nach  oder  von 
den  heimischen  Seehäfen  anschließende  Be- 
förderung der  Güter  zur  See  mit  Schiffen  be- 
stimmter heimischer  Seeschiffahrtsunterneh- 
mungen zu  erfolgen  habe.  S.  finden  sich  in  den 
Tarifen  der  Eisenbahnen  aller  am  Weltverkehr 
beteiligten  Länder.  Ihr  Aufbau  ist  im  Hinblick 
auf  die  Vielfältigkeit  der  zu  berücksichtigenden 
Verhältnisse  ein  ganz  verschiedener  und  meist 
sehr  umständlicher. 

1 


Sehvermögen.  -   Seilbahnen. 


Sehvermögen  s.  Hör-  und  Sehvermögen. 

Seilbahnen  (ropeways;  cheniins  de  fer  funi- 
culaires;  ferrovic  fnnicularc),  Bahnen,  bei  denen 
die  bewegenden  Kräfte  durch  Seile  auf  die  Fahr- 
zeuge übertragen  werden.  Seile  sind  ein  vorzüg- 
liches Kraftübertragungsmittel,  da  jede  Anspan- 
nung unmittelbar  Zugkräfte  ergibt,  ihr  Gewicht 
verhältnismäßig  gering  ist  und  die  große  Bieg- 
samkeit die  Anpassung  der  Kraftleitung  an  alle 
Verhältnisse  ermöglicht.  Nach  der  Lage  der 
Fahrzeuge  zur  Bahn  unterscheidet  man: 

1.  Seilstandbahnen.  Der  Schwerpunkt  der 
Fahrzeuge  liegt  oberhalb  der  Bahn,  die  in  der 
Regel  zweischienig,  auf  festem  Erd-  oder 
Brückenunterbau  angeordnet  ist. 

2.  Seilhängebahnen.  Der  Schwerpunkt  der 
Fahrzeuge  liegt  unterhalb  der  Bahn,  die  meist 
einschienig,  aber  auch  zwei-  und  mehrschienig 
ist  und  seltener  durch  eine  auf  festem  Gerüst 
gelagerte  Schiene,  zumeist  durch  Seile  (Tragseile 
oder  Laufseile)  gebildet  ist. 

Bei  den  Seilstandbahnen  sind  daher  nur 
Zugseile,  bei  den  Seilhängebahnen  in  der 
Regel  Zug-  und  Tragseile  vorhanden,  wenn 
nicht  Zug-  und  Tragseile  vereinigt  sind.  In 
einigen  Fällen  finden  noch  Gewichts-  und 
Gegenseile,  auch  Brems-  und  Sicherheits- 
seile sowie  Führungsseile  Verwendung. 
Die  sog.  Elektrohängebahnen  werden,  da  der 
Antrieb  nicht  durch  Vermittlung  eines  Seiles 
erfolgt,  nicht  zu  den  Seilhängebahnen  gezählt. 
Der  Antrieb  der  Zugseile  bei  Seilstandbahnen 
und  Seilhängebahnen  erfolgt  durch: 

\.  Schwerkraft, 

2.  Kraftmaschinen. 

Im  zweiten  Fall  wird  bei  geneigten  Bahnen 
auch  die  Schwerkraft  ausgenutzt. 

Als  Seile  werden  Drahtseile  verschiedener 
Bauart  gebraucht. 

Drahtseile. 

1.  Litzenseile, 

2.  Spiralseile  und  Spirallitzenseile, 

3.  verschlossene  Seile. 

1.  Litzenseile. 

Diese  bestehen  aus  mehreren,  5-9  dünnen 
Seilen  (Litzen),  die  durch  schraubenförmige  Win- 
dungen um  eine  Seele  (zumeist  geteerter  Hanf)  ver- 


Abb.  1. 


Abb.  2. 


einigt  werden.  Die  Litzen  bestehen  aus  mehreren, 
zumeist  5-25  Gußstahldrähten  von  etwa  1  bis 


Beanspruchung  schraubenförmig  gewunden 
werden.  Die  Windungen  der  Litzen  im  Seil 
sind  entweder  entgegengesetzt  zu  denen  der 
Drähte  in  der  Litze  Kreuzschlagseile  (Abb.  1) 
-  oder  gleichgerichtet  -  Langschlag-  oder 
Albertschlagseile  (Abb.  2). 

Letztere  haben  den  Vorteil  einer  größeren 
langgestreckten  Arbeitsfläche,  daher  langsamerer 
äußerer  Abnutzung  sowie  größerer  Biegsam- 
keit; dagegen  wird  bei  den  Kreuzschlagseilen 
eine  gleichmäßigere  Beanspruchung  aller  Drähte 
sicherer  erreicht. 

Zur  Vergrößerung  der  Arbeitsfläche  und 
Verteilung  der  Abnutzung  auf  möglichst  viele 


xS§fc 


.\bb.  3. 


Abb.  4. 


Drähte  \s-erden  auch  flachlitzige  Seile  nach 
Langschlag  (Abb.  3)  und  3kantlitzige  Seile 
(Abb.  4)  hergestellt. 

2.  Spiral-  und  Spirallitzenseile. 

Der  Abnutzung  wird  durch  Drähte  mit 
größerem  Durchmesser  entgegengewirkt,  daher 
werden  Spiralseile  (Abb.  5)  und  Spiral- 
litzenseile (Abb.  6)  mit  starken  Drähten 
(3-7  mm),  letz- 
tere in  Kreuz- 
und  Langschlag 
und  ohne  Hanf- 
seele herge-j, 
stellt,  wodurch 
sie  auch  bei  glei- 
chem Durch- 
messer größere 
Tragfähigkeit 
erhalten. 

Diese  Seile 
finden  zumeist 
als  Tragseile  bei  Seilhängebahnen  Verwendung. 

3.  Verschlossene  Seile. 

Die    Seile   erhalten    glatte    Oberflächen,    er- 
geben daher  geringste  Abnutzung;  sie  werden 


Abb.  5. 


Abb.  6. 


Abb.  10. 


hauptsächlich  aus  schraubenförmig  gewundenen 
Formdrähten  hergestellt  (Abb.  7-  10). 

Wenn  die  Seile  nicht  gestaucht  werden,  be- 


3  mm  Stärke,  die  zur  Erreichung  gleichmäßiger  ]  steht  keine  Gefahr  des  Heraustretens  gerissener 


Seilbahnen. 


Drähte,  die  namentlich  bei  den  nach  dem 
Kreuzschlag  ausgeführten  Litzenseilen  groß  ist. 
Infolge  des  dichten  Schkisses  wird  auch  das 
Eindringen  von  Feuchtigkeit  in  das  Innere  ver- 
hindert. Die  Seile  sind  aber  weniger  biegsam, 
die  Formdrähte  haben  geringere  Festigkeit  wie 
I^unddrähte  und  die  Stoffausnutzung  ist  wegen 
ungleicher  Drahtstärken  und  -formen  un- 
günstiger wie  bei  den  Seilen  mit  gleichstarken 
Runddrähten.  Die  „verschlossenen  Seile"  finden 
meist  als  Tragseile  bei  Seilhängebahnen  Ver- 
wendung. In  letzter  Zeit  traten  an  ihre  Stelle 
mehrfach  die  starkdrähtigen  Spirallitzenseile, 
die  die  Vorteile  größerer  Drahtfestigkeit  und 
wegen  gleicher  Drahtquerschnitte  günstigere 
Stoffausnutzung  ergeben,  dagegen  etwas  größere 
Biegungsbeanspruchungen  erleiden  wie  die  ver- 
schlossenen Seile.  Dem  Obelstand  des  Heraus- 
tretens  gerissener  Oberflächendrähte  bei  den 
Litzen-  und  Spiralseilen  kann  der  Vorteil  des 
leichteren  Erkennens  der  Drahtbrüche  gegen- 
übergestellt werden. 

Ausreichende  Erfahrungen  hierüber,  welcher 
der  beiden  Seilarten  für  Tragseile  der  Vorzug 
zu  geben  ist,  liegen  noch  nicht  vor. 

Beanspruchung  der  Drahtseile. 

Eine  zutreffende  rechnerische  Ermittlung  der  Be- 
anspruchung der  Drahtseile  ist  infolge  der  ver- 
wickelten Vorgänge  bei  ihrer  Herstellung  und  Be- 
nutzung und  der  noch  fehlenden  eingehenderen  Ver- 
suche nicht  durchführbar.  Man  muß  daher  in  erster 
Linie  die  vorliegenden  Erfahrungen  und  die  von  den 
Seilfabrikanten  durchgeführten  Einzelbruchversuche 
heranziehen  oder  sich  mit  .\nnäherungsrechnungen 
und  Formeln  begnügen,  wobei  zu  unterscheiden  ist 
zwischen  „Zugseilen",  die  die  Zugkräfte  übertragen 
und  um  Seilscheiben  geschlungen  werden,  und 
„Tragseilen",  die  in  der  Regel  an  einem  Ende  fest- 
gehalten, am  andern  mit  einem  Spanngewicht  ver- 
sehen sind  und  durch  die  Raddrücke  der  Fahrzeuge 
belastet  werden. 

Zugseile. 

Die  Beanspruchung  o  der  runddrähtigen  Litzen- 
seile, die  in  der  Regel  als  Zugseile  gebraucht  werden, 
setzt  sich  hauptsächlich  aus  Zugbeanspruchung  0, 
und  Biegungsbeanspruchung  Oo  zusammen;  sieht 
man  von  den  nicht  zu  vermeidenden  dynamischen 
Beanspruchungen  ab,  so  ist 


=  a, +0; 


ft  ■  -7- 


^    ^    D 


•1) 


Es  bezeichnen:  S  die  Seilzugkraft;  ft  den  Durch- 
messer der  gleichstarken  Runddrähte;  n  die  Anzahl 
der  Runddrähte;  E  den  Elastizitätswert,  der  mit 
1800—2000  tjcm-  durchschnittlich  angenommen  wird; 
C  einen  Abminderungswert;  D  den  Seilscheiben- 
durchmesser. 

Der  verschieden  angenommene  Abminderungs- 
wert schwankt  von 

C  =  0-375  bis  C=  1, 

abgesehen  von  noch  größerer  Abminderung,  die 
Hrabäk  (s.  Literatur)  für  3mal  geflochtene  Rund- 
seüe   annahm.    Da  außer  den  durch  die  Verseilunu 


bedingten  Vorspannungen  noch  zusätzliche,  durch 
Reibungskräfte,  Pressen  der  Drähte  gegeneinander, 
gegen  die  Rollen  und  Scheiben  entstehende  Span- 
nungen sowie  auch  Verdrehungsspannungen  auf- 
treten, so  empfiehlt  es  sich  in  allen  Fällen,  C=  L 
außerdem  noch  einen  dem  Zweck  des  Seiles  ent- 
sprechend hohen  Sicherheitsgrad  anzunehmen  (s.  hier- 
über Literatur:  Benoit,  Woernle). 

F  jr  runddrähtige  Litzenseile  ist  der 
wirksame  Querschnitt F  =  n  ■  —r-, 

der  Seildurchmesser d""»  =  L5  8'"'"  ]'/i 

das  Seilgewicht q''S''"  =  00076  n  Ö^. 

Die  Biegungsbeanspruchung  a,  wird  umso  kleiner, 
je  größer  der  Seilscheibendurchmesser  D  und  je 
kleiner  die  Drahtstärke  8  ist. 

Tragseile. 

Für  Seilhängebahnen  werden  zumeist  „ver- 
schlossene" Seile  (Abb.  7  —  10)  oder  runddrähtige 
„Spiralseile"  und  Spirallitzenseile  (Abb.  5  u.  6)  als 
Tragseile  gebraucht. 

Die  Beanspruchung  a  setzt  sich  zusammen  aus 
der  Zugspannung  a, ,  die  meist  die  durch  ein 
Spanngewicht  bewirkte  Seilspannung  erzeugt,  und 
aus  der  Biegungsspannung  Oj,  hervorgerufen  durch 
die  Raddrücke  der  rollenden  Last,  die  außerdem 
noch  Scherspannungen  ergeben. 

Sieht  man  von  letzteren  sowie  von  dynamischen 
Beanspruchungen  ab,  die  im  vorliegenden  Fall  nur 
einen  geringen  Beitrag  zu  den  Oesamtspannungen 
liefern,  so  ist  annähernd 

,             H   ,   Ge.j  E'  „^ 

ö  =  ö,  +03=  ^+-2-  y^^ 2) 

Es  bezeichnen: 

H  die  Seilspannung;  ihre  Größe  ergibt  sich  aus 
dem  Spanngewicht  und  wird  zweckmäßig  größer 
gewählt,  als  dem  Kleinstwert  der  Beanspruchung 
entspricht;  häufig  geschieht  dies  auch  zur  Ein- 
schränkung des  Seildurchhanges; 

F  den  wirksamen  Seilquerschnitt,  der  für  ver- 
schlossene   Seile    mit    dem    Durchmesser    d    etwa 

:n82 
/^=0'9 -,— gesetzt  werden  kann; 
4 

Q  das  Gewicht  des  Fahrzeugs,  daher  der  Rad 
druck  G 


^  bis  -7-  als  Einzellast  zu  setzen  ist,  je 
2  4 


nachdem  2  oder  4  Laufräder  vorhanden  sind  (bei 
Anordnung  von  4  Laufrädern  werden  also  die 
Biegungsbeanspruchungen  etwas  vermindert); 

/  die  Summe  der  Trägheitsmomente  (Querschnitts- 
Nullinie)  der  Querschnitte  der  einzelnen  Drähte; 

e  der  vorkommende  Größtabstand  der  äußersten 
Faser  von  der  Nullinie  des  Drahtes; 

E  der  Elastizitätswert,  der  mit  18.000  bis 
20.000  kgimm'  angenommen  werden   kann. 

Die  Biegungsbeanspruchung  ct,  nimmt  ab  mit 
zunehmendem  /  und  zunehmender  Seilspannung  M. 

Die  Gleichung  2  ergibt  sich  aus  den  Ableitungen 
von  Winkler  (bei  Vernachlässigung  des  Eigen- 
gewichts) (s.  Literatur  Isaachsen  u.  Woernle). 

Für  Seile  (Spiral-  und  Spirallitzenseile)  mit  n 
gleichstarken  Runddrähten  von  8  Durchmesser  wird 

der  wirksame  Querschnitt  F=  n  ■  -j-'  das  Trägheits- 


moment 


/  =  n~  =  /=■  (-rj ,  emax  =  -y '   daher 


o  =  ö,  -|-  ö. 


H 

F 


a 


U 


F 


•3) 


Die  Beanspruchung  ist  also  unabhängig  von  der 
Drahtstärke.    Da  der  Unterschied  in  der  Stärke  der 

1' 


Seilbahnen. 


einzelnen  Formdrähte  „verschlossener  Seile"  meist 
nicht  beträchtlich  ist,  so  gibt  die  bequemere  Formel  3 
auch  für   diese  Fälle  annähernd  brauchbare  Werte. 

Für  die  Drahtseile  der  S.  wird  im  allgemeinen 
Gußstahldraht  von  90-250  *?-/mm-  Bruchfestigkeit 
verwendet:  meist  geht  man  über  lüO  kg  mm-  nicht 
hinaus.  Unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  hat  der 
dünne  Runddraht  größere  Festigkeit  wie  der  Form- 
draht. 

Für  Seile  von  Güterbahnen  mit  kurzer  Benutzungs- 
dauer,  wie  namentlich  für  Bauzwecke,  begnügt  man 
sich  mit  3 -äfacher  Sicherheit;  für  Personenbahnen 
mit  dauernder  Benutzung  wird  8-lOfache  Sicher- 
heit, oft  auch  noch  mehr  gegen  die  Bruchgrenze 
verlangt. 

Seilbrüche  auf  den  S.  gehören  zu  den  Selten- 
heiten, da  sie  meist  richtig  überwacht  große  Sicher- 
heit verlangt,  Zeichen  der  Schwächen  des  Seiles 
meist  äußerlich  sichtbar  und  häufige  Erneuenmg 
gefordert  werden.  Auf  der  Dolder  S.  bei  Zürich  trat 
am  7.  Juli  1909  ein  Seilbruch  ein.  Die  Unter- 
suchung ergab,  daß  trotz  des  äußerlich  gün- 
stigen Aussehens  des  Seiles  im  Innern  starke 
Verrostungen  stattfanden,  so  daß  der  Querschnitt 
der  einzelnen  Drähte  kaum  mehr  '3  des  ursprüng- 
lichen betrug.  Das  Seil  hat  etwa  lOJahre  m  Betrieb 
gestanden  und  sollte  demnächst  ausgewechselt  werden. 

Die  Seillängen  sind  hauptsächlich  durch  die 
Transport-  und  Montierungsverhältnisse  beschränkt 
und  werden  daher  meist  nicht  über  1000  m  geliefert; 


Abb.  11.  Bleichertsche  Seilkupplung. 


Seilstandbahnen. 

Seilbetrieb  auf  Steilbahnen,  Berg- 
bahnen. 

A.  Schwerkraftantrieb. 

1.  Bremsberge.  Bremsberge  nennt  man  in 
der  Regel  S.  in  stärkerer  Neigung,  wobei  der 
abwärts  gehende  beladene  Wagen  den  unten 
geleerten  Wagen  wieder  aufwärts  zieht.  Beide 
Wagen  hängen  an  einem  Zugseil,  das  am 
oberen  Ende  der  Bahn  um  eine  Seilscheibe 
geschlungen  oder  mit  ihr  befestigt  ist. 

Der  mit  der  Bahnneigung  wechselnde  Kraft- 
überschuß des  abwärts  gehenden  Wagens  wird 
zur  Regelung  eines  gleichmäßigen  Ganges  der 
Fahrzeuge  mit  begrenzter  Geschwindigkeit  durch 
die  an  der  Seilscheibe  angeordnete  Band-  oder 
Backenbremse    nach    Erfordernis    abgebremst. 

Die  Bremsberge  finden  zumeist  im  Bergbau, 
in  Steinbrüchen, "zur  Holz-,  Baustoff-  und  Erd- 
förderung Verwendung  (s.  Bremsberge, 
Bd.  III,  S.  8). 

2.  Bahnen  mit  Übergewichtsbetrieb. 
Die  Förderung  einer  Nutzlast  nur  nach  auf- 
wärts oder  sowohl  auf-  wie  abwärts  macht  die 

Verwendungeines 
Gewichtswagens 
oder  die  Anord- 
nung einer  Über- 
lastung des  jeweils 
abwärts  gehenden 


die  erforderlichen  größeren  Längen  werden  besser 
durch  Seilkupplungen  verschiedener  Art  erreicht,  die 
so  angeordnet  sind,  daß  sie  ohne  Gefahr  von  den 
Wagen  befahren  werden;  sie  haben  sich  auch  aus- 
reichend bewährt.  Abb.  11  zeigt  eine  von  Bleichert, 
Leipzig-Gohlis,  eingeführte  Seilkupplung. 

Die  mit  ringförmigen  Eisenkeilen  enx  eiterten  Seil- 
enden werden  in  Stahlmuffen  H  eingeführt,  die  durch 
ein  Schraubenschloß  M  verbunden  werden. 

Die  Drahtseilfabriken  geben  Tabellen  heraus, 
aus  denen  für  die  verschiedenen  Seilarten  Abmes- 
sungen, Gewichte  und  Bruchfestigkeiten  zu  entnehmen 
sind^  wovon  bei  Entwürfen  für  S.  zweckmäßig 
Gebrauch  gemacht  werden  kann. 

Literatur:  Benoit  u.  Woernle,  Die  Drahtseil- 
frage. Karlsruhe  1915.  -  Rudeloff,  Erfahrungen 
über  das  Unbrauchbarwerden  der  Drahtseile.  Mitt. 
d.  kgl.  Material  -  Prüfungsamtes  Beriin  1915.  - 
Heilandt,  Vergleich  der  Seilsicherheiten.  München 
1915.  -  Wahrenberger,  Beanspruchung  und 
Lebensdauer  von  Drahtseilen  für  .Aufzüge.  Ztschr. 
dt.  Ing.  1915.  -  Woernle,  Zur  Beurteilung  der 
Draht'seilschwebebahnen.  Karlsruhe  1913.  -  Bach, 
Maschinenelemente  1913.  -  Bonte,  Versuche  über 
den  Wirkungsgrad  von  Seilen.  Ztschr.  dt.  Ing.  1913. 
-  Bock,  Die  Bruchgefahr  der  Drahtseile.  Hannover 
1909.  -  Isaachsen,  Die  Beanspruchung  von  Draht- 
seilen. Ztschr.  dt.  Ing.  1907.  -.Hirschland,  Die 
Formänderung  von  Drahtseilen.  Hannover  1906.  - 
Benndorf,  Beiträge  zur  Theorie  der  Drahtseile. 
Ztschr.  d.  Ost.  Ing.-V.  1905.  -  Hrabäk,  Die  Draht- 
seile. 1902.  -  Divis,  Über  Seildraht  und  Draht- 
seile. Ost.  Zt.  f.  Berg-  u.  Hüttenwesen.  1900. 


Wagens  erforderlich.  Als  Belastung  ist  in  den 
meisten  Fällen  Wasser  zweckmäßig,  da  es  viel- 
fach am  oberen  Bahnende  billig  zu  gewinnen, 
am  unteren  leicht  abzulassen  ist;  daher  wird  Was- 
sergewicht anderen  Belastungsarten  vorgezogen. 
a)  Gewichtswagenbetrieb.  Zur  Förde- 
rung von  Rohgütern  oder  Baustoffen  von  unten 
nach  oben  wird  ein  abwärts  gehender  Gewichts- 
wagen (Wasserkasten  oder  Faß)  ohne  Nutzlast 
benutzt,  der  mit  dem  aufwärts  gehenden  be- 
ladenen  Förderwagen  durch  ein  Seil  verbunden 
ist,  das  am  oberen  Bahnende  um  eine  Seil- 
scheibe gewunden  oder  mit  ihr  befestigt  wird. 
Die  Regelung  der  Fahrgeschwindigkeit  und 
das  Anhalten  der  Fahrzeuge  erfolgt  wie  bei 
den  Bremsbergen  durch  eine  an  der  Seilscheibe 
angeordnete  Backen-  oder  Bandbremse.  Weitere 
Siäerheitsvorkehrungen  sind  in  der  Regel 
nicht  vorhanden.  Um  billige  Anlagen  zu  er- 
möglichen, wird  die  Bahn  dem  Gelände  tun- 
lichst angeschmiegt;  sie  weist  daher  meist 
verschiedene  Neigungsverhältnisse  auf. 

Kürzere  Bahnen  sind  meist  zweigleisig,  größere 
eingleisig  mit  Ausweiche  in  der  Mitte,  die 
auch  so  angeordnet  sein  kann,  daß  an  der 
Begegnungsstelle  der  Gewichtswagen  unter 
dem  "pörderwagen  durchgeleitet  wird. 


Seilbahnen. 


Im  Bergbau  und  beim  Bau  von  Gebirgs- 
bahnen findet  diese  Seilbahnart  mehrfach  Ver- 
wendung. 

b)  Wasserübergewichtsbetrieb.  Die 
Förderung  auf  stark  geneigter  zweischieniger 
Bahn  mit  wechselnder  Nutzlast  nach  ab-  und  auf- 
wärts erfolgt  so,  daß  der  abwärts  gehende 
Wagen  nach  Maßgabe  der  Belastungen  der 
beidenWagen  mit  einem  entsprechenden  Wasser- 
gewicht versehen  wird. 

Beide  Wagen,  deren  Fahrtrichtung  wechselt, 
erhalten  daher  Wasserkästen,  die  oben  nach 
Erfordernis  gefüllt  und  unten  wieder  entleert 
werden;  sie  hängen  an  einem,  ausnahmsweise 
auch  an  2  Seilen,  die  in  den  Gleisen  zur  Ver- 
meidung größerer  Widerstände  und  Abnutzung 
auf  Rollen  laufen  und  am  oberen  Bahnende 
über  eine  Seilscheibe  geführt  sind  (Abb.  12). 


Bedingungsgleichung  für  den  Betrieb: 

(e,  +  P)  sin  a=  Qi  sin  ß  +  (v,  ^  Q.  +  P)  w  ±  qh  +  R  .  .  .  1) 

daher  die  erforderliche  Wassermenge  P  für  den  ab- 
wärts gehenden  Wagen : 

<2,  sin  ß-  Q2  sin  a-\-(Q\  +  Qz)  w  ^  qk -{-  R 


P  =  - 


■  2) 


sin  a~w 

Es  bezeichnen:  Q,  die  größte  aufwärts,  Q^  die 
kleinste  abwärts  gehende  Wagenlast.  Der  ungünstigste 
Fall  tritt  ein  für  den  voll  belasteten  Wagen  aufwärts 
und  den  leeren  abwärts;  a  und  ß  die  Neigungs- 
winkel der  Bahn  an  den  jeweiligen  Stellungen  von 
Q2  und  Q, ;  w  den  Laufwiderstand  der  Wagen,  der 
wegen  geringer  Fahrgeschwindigkeit  mit  3  —  5  kgt 
angenommen  wird  und  der  sich  in  Bögen,  die  meist 
200-1000/«  Halbmesser  haben,  um  1-3  kglt  er- 
höht, daher  auch  im  teilweise  gekrümmten  Gleis  der 
Laufwiderstand  der  beiden  Wagen  verschieden  groß 
sein  kann;  q  das  Seilgewicht  für  1  m  Länge;  li  den 
Höhenunterschied  in  der  jeweiligen  Stellung  der 
beidenWagen;  qh  die  abwärts  wirkende  Seitenkraft 
des  Seilgewichts ;  sie  ändert  sich  während  der  Fahrt 
und  wird  positiv.  Null  und  negativ;  R  den  Wider- 
stand der  Seilbewegung  auf  den  Laufrollen  im  Gleis 
und  auf  der  Seilscheibe;  seine  Größe  wächst  mit 
der  Seillänge  und  im  Bogen.  Bei  10  teilweise  in 
Bogen  liegenden  Bahnen  von  100- 1700  m  Länge 
haben  die  Versuche  die  Widerstände  auf  Laufrollen 
und  Seilscheibe  mit  0'1-VQ  kglm,  also  im  Durch- 
schnitt mit  0'6  kglni  ergeben. 

Für  eine  Bahn  mit  wechselnden  Neigungs- 
verhältnissen wird  wegen  der  Winkeländerungen 


der  Wasserbedarf  im  allgemeinen  verschieden 
und  für  die  ungünstigsten  Stellungen  der 
Wagen  aus  Gleichung  2  zu  ermitteln  sein,  in- 
dem für  a  und  ß  die  entsprechenden  Winkel- 
werte zu  setzen  und  die  richtigen  Vorzeichen 
für  qh  zu  berücksichtigen  sind. 

Für  die  Bahn  mit  gleicher  durchgehender 
Neigung  auf  volle  Länge  wird  a  =  ß. 

Die  abwärts  gerichteten  Seitenkräfte  der 
Wagengewichte,  daher  auch  die  erforderlichen 
Wassergewichte  ändern  sich  in  diesem  Fall 
nicht.  Für  ein  gewichtloses  Seil  würde  daher 
die  die  Endpunkte  M  und  N  (Abb.  12)  ver- 
bindende Gerade  die  richtige  Form  des  Längen- 
schnitts der  Bahn  ergeben. 

Durch  die  mit  der  Wagenstellung  sich 
ändernde  Seilbelastung  tritt  aber  eine  Änderung 
in  den  beiderseitigen  Wagenbelastungen  ein, 
was  Geschwindigkeitsänderungen  zur  Folge  hat. 

Auch  die  Laufwiderstände  der  beiden  Wagen 
können  verschieden  sein,  wenn  ein  Wagen  in 
der  Geraden,  der  andere  dagegen  im  Bogen 
sich  bewegt. 

Den  Änderungen  des  Seilgewichts  kann  durch 
entsprechendes  strecken  weises  Ablassen  des 
Wassers  aus  dem  abwärts  gehenden  Wagen 
oder  durch  Anordnung  eines  gleich  schweren 
Gegenseils,  das  am  unteren  Bahnende  um 
eine  Seilscheibe  geführt  wird,  Rechnung  ge- 
tragen werden.  Das  Gesamtgewicht  der  Anlage 
wird  durch  das  Gegenseil  ungünstig  erhöht. 
Am  zweckmäßigsten  ist  es  daher,  das  Bahn- 
neigungsverhältnis in  dem  Maß  zu  mindern, 
wie  die  Wagenbelastungen  durch  die  wech- 
selnden Seillängen  geändert  werden.  Das  führt 
zur  Anordnung  des  sog.  theoretischen 
Längenschnitts,  der  von  der  die  Endpunkte 
verbindenden  Geraden  MN  umsomehr  ab- 
weicht, je  größer  das  Seilgewicht  ist. 

Der  theoretische  Längenschnitt  ergibt  sich 
als  eine  gemeine  Zykloide,  an  deren  Stelle 
namentlich  bei  kleinen  Anlagen  mit  geringem 
Seilgewicht  die  quadratische  Parabel  ge- 
setzt wird. 

Die  für  die  etwas  umständliche  rechnerische  Er- 
mittlung des  zykloidischen  Längenschnitts  erforder- 
lichen Gleichungen  und  Werte  hat  v.  Reckenschuß 
(s.  Literatur)  gegeben.  Die  quadratische  Parabel  hat 
Vautier  (s.  Literatur)  als  theoretischen  Längenschnitt 
vorgeschlagen. 

Für  die  Ermittlung  der  parabolischen  Bahn 
gibt  v.  Reckenschuß  die  Gleichungen: 

y==^^x^  +  ^(l-BL)x 3) 

Es  bezeichnen  nach  Abb.  12  L  die  Länge  der 
Bahn,  x  und/  die  Koordinaten,  Z.,  die  wagrechte  Pro- 
jektion der  Länge,  H  die  Höhe  der  Bahn. 

„                  H-wL  ,. 

^  =  '^-2Q,-/y-f/?TT 4) 

DieBezeichnungen^,  iv, /?und  Qi  wie  in  Gleichung  1. 


Seilbahnen. 


Als  erster  Näherungswert  ist  anzunehmen: 
^  =  ^'  +  ^ 


.5) 


als  zweiter  Näherungswert  dann: 

8  D^-^^' 
3       G^ 


G 


.ba) 


wenn  G  =  '^L,''-\-fi-  die  Verbindungsgerade  der  bei- 
den Bahnendpunkte  M  und  A'  und  D=  -= y^  den 

lotrechten  Parabelpfeil  bezeichnet  für_y,  bei  x^  =^- 
Die  zweite  Näherung  für  L  ist  ausreichend  genau. 

Die  quadratische  Parabel  weicht  von  der 
Zykloide  ab  und  liegt  etwas  höher  als   diese. 

Die  Abweichungen  von  dem  theoretischen 
Längenschnitt  (Zykloide)  bedingen  größere 
Wasserbelastungen,  daher  größere  Wagen- 
gewichte und  stärkere  Seile  und  infolge  un- 
gleichförmiger Bewegung  häufigere  Geschwin- 
digkeitsregelung durch  die  Bremsen,  die  aller- 
dings auch  bei  dem  theoretischen  Längen- 
schnitt infolge  der  doch  wechselnden  Wider- 
standswerte u'  und  R  zumal  bei  den  teilweise 
in  Bögen  liegenden  Bahnen  und  sonstigen 
Unregelmäßigkeiten  nicht  zu  vermeiden  sind. 
Da  die  Abminderung  der  Baukosten  die  tun- 
lichste Anschmiegung  der  Bahn  an  das  Ge- 
lände bedingt,  so  wird  in  der  Regel  der  theo- 
retische Längenschnitt,  dem  man  sich  anzu- 
nähern sucht,  nicht  eingehalten. 

In  diesen  Fällen  ist  aber  darauf  zu  achten, 
daß  die  Kettenlinie  (Parabel)  des  freihängenden 
Seiles  bei  größter  Seilspannung  noch  unterhalb 
des  Längenschnitts  verläuft,  damit  ein  Abheben 
des  Seiles  von  den  in  den  Gleisen  angeordneten 
Laufrollen,  das  bei  Anordnung  des  theoreti- 
schen Längenschnitts  nicht  vorkommt,  sicher 
vermieden  wird.  Gefällsbrüche  sind  daher  auch 
mit  großen  Krümmungshalbmessern  auszu- 
runden.  Der  für  das  Anfahren  erforderliche 
Mehraufwand  an  Kraft  ist  durch  Vergrößerung 
des  Wasserübergewichts,  was  aber  wegen  Er- 
höhung des  Gesamtgewichts  nicht  günstig  ist, 
daher  besser  durch  Vergrößerung  des  Gefälles 
am  oberen  und  Verminderung  am  unteren 
Ende  zu  erreichen. 

Wenn  das  Seilabheben  von  den  Laufrollen 
durch  eine  entsprechende  einheitliche  Längen- 
schnittsform, wie  namentlich  beim  Übergang 
aus  einem  starken  in  ein  schwaches  Gefälle 
nicht  verhindert  wird,  kann  man  in  anderer 
Weise  für  das  Aufliegen  des  Seiles  auf  den 
Laufrollen  sorgen,  wie  durch  Teilen  der 
Bahn  in  2  voneinander  unabhängige  Seil- 
strecken mit  entsprechenden  Längenschnitten 
oder,  wie  z.  B.  auf  der  S.  von  Charlanne  nach 
Bourboule  (s.  Literatur),  wo  ein  besonderer 
kleiner  Seilwagen  mit  2  Seilscheiben,  der  durch 


Untergreifen  der  Schienenköpfe  vom  Abheben 
gesichert  wird,  dem  Personenwagen  auf  dem 
starken  Gefälle  abwärts  bis  an  den  Gefällsbruch 
unmittelbar  folgt,  dort  aber  durch  die  zu 
beiden  Seiten  des  Gleises  angeordneten  Böcke 


Oben 


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Abb-  13. 


Abb.  14. 


Abb.  15. 


festgehalten  wird,  so  daß  der  Personenwagen 
im  schwachen  Gefälle  allein  weitergeht  und 
das  Seil  durch  die  Seilscheiben  in  der  er- 
forderlichen Lage  auf  den  Laufrollen  fest- 
gehalten wird. 

Die  Bahnen    für  Wasserübergewichtsbetrieb 
weisen  Größtneigungen  bis  b2Q%   auf. 


Abb.  16. 

Die  Gleise  erhalten  Spurweiten  von  075  bis 
1-2  m,  zumeist  1  m.  Sie  werden  tunlichst  ge- 
rade geführt,  doch  sind  Bögen  nicht  nur  in 
den  Ausweichen,  sondern  auch  in  den  übrigen 
Strecken    nicht   zu    vermeiden.    In    der   Regel 


I 


Seilbahnen. 


liegen  in  den  Gleisachsen  Zahnstangen  (Leiter- 
oder Stufenstangen),  in  die  Zahnräder  der 
Wagen  zur  Regelung  der  Fahrgeschwindig- 
keit und  Bremsen  eingreifen,  denn  an  der  Seil- 
scheiüe  sind  Bremsen  nicht  vorhanden.  Nur 
ausnahmsweise,  wie  z.  B.  an  der  S.  Regoledo 
am  Comersee,  ist  im  Gleis  keine  Zahnstange. 
Die  Geschwindigkeitsregelung  geschieht  hier 
durch  eine  Stations- 
bremse. 

Für  kurze  S.  sind 
zweigleisige  (Abb.  13), 
für  größere  Längen 
dreischienige  Anlagen 
mit  Ausweiche  an 
der  Kreuzungsstelle 
der  Wagen  (Abb.  14) 
oder  eingleisige  An- 
lagen mit  selbsttätiger 
Ausweiche  (Abb.  15) 
zweckmäßig.  Die  Aus- 
weichen haben  meist 
50-  120 «Länge.  Die 
selbsttätige  Ausweiche 
bedingt  die  aus  Abb.  1 6 
ersichtliche  Räderbau- 
art; hiernach   erhalten 

die  Außenräder  2  Spurkränze,  dagegen  die 
Innenräder,  die  die  Schienenunterbrechungen 
übersetzen,  große  Breiten,  aber  keine  Spur- 
kränze. Ausnahmsweise  wurden  die  Ausweichen 
auch  so  angeordnet,  daß  ein  Fahrzeug  2  innere 
und  das  andere  2  äußere  Spurkränze  erhielt.  In 
besonderen  Fällen,  die  namentlich 
durch  die  Form  des  Längenschnitts 
gegeben  sind,  werden  die  Gleise  ohne 
Ausweiche  angeordnet;  die  beiden 
Wagen  gehen  nur  bis  zur  Gleismitte, 
wo  ein  Umsteigen  der  Reisenden 
stattfindet.  Die  Wasserfüllung  der  ab- 
wärts gehenden  Wagen  erfolgt  dann 
nicht  nur  in  der  oberen,  sondern  auch 
in  der  iMittelstation. 

Die  zur  Verhütung  des  Schleifens 
des  Seiles  in  Abständen  von  10— 15/k 
dem  Seildurchhang  entsprechend  in 
den  Krümmungen  etwas  enger  ange- 
ordneten Laufrollen  sind  zumeist  aus 
Gußeisen  mit  240  -  300  mm  Durch- 
messer und  zur  Verminderung  der 
Seilabnutzung  häufig  mit  Holz-  oder 
Weichmetallfütterung  der  Rillen  aus- 
geführt. In  den  Gleisbogen  werden  die 
entsprechend  geformten  Rollen  geneigt  gestellt. 
Die  Zugseile  werden  auf  der  oberen  Bahnstation 
über  Seilscheiben  (Umleitungsrollen)  aus  Guß- 
eisen oder  Gußstahl  geführt  (s.  Abb.  17  u.  18) 
mit  Durchmessern   von  3  -  4  /«,   deren  Rillen 


zur  Erhöhung  der  Seilreibung  mit  Holz,  aus- 
nahmsweise auch  mit  Leder  gefüttert  sind.  Die 
Seilreibung  wird  noch  erhöht  durch  Ablenk- 
rollen von  1  —  3  w  Durchmesser  wegen  größerer 
Umspannung  der  Seilscheibe;  sie  sind  auch  zur 


Abb.  IS.  UmleitungsroUen. 

ZusammenführungderSeileimGleiserforderlich. 
Vor  der  Seilscheibelst  in  der  Regel  der  Wasser- 


Abb.  19. 

behälter  angeordnet,  von  dem  die  Zuleitung  nach 
dem  Gleis  führt,  in  dem  der  Wagen  steht. 
DieWagenfürden  Personen  verkehr  haben 
ungefähr  die  aus  Abb.  19  ersichtliche  Form 
mit   stufenförmig   angeordneten,    etwa  25  -  50 


8 


Seilbahnen. 


Sitz-  und  Stehplätzen  und  einem  unter  dem 
Fußboden  liegenden  Wasserkasten  (bis  etwa 
7000 /Fassungsraum).  Auf  einer  oder  auf  beiden 
Laufachsen  befinden  sich  Zahnräder  (Abb.  16), 
die  in  die  Zahnstangen  des  Oberbaues  ein- 
greifen. Die  Bremsen  wirken  auf  die  Zahnräder; 
sie  haben  nicht  nur  die  Regelung  und  Begren- 
zung der  Fahrgeschwindigkeit,  sondern  auch 
das  Feststellen  der  Fahrzeuge  an  jeder  Stelle  des 
Gleises,  namentlich  im  Fall  eines  Seilrisses  zu 
bewirken.  Die  Seilscheibe  erhält  keine  Bremsen. 
Meist  sind  4  Arten  von  Bremsen  vorhanden, 
u.zw.  eine  Handbremse  zur  Regelung  der  Fahr- 
geschwindigkeit, eine  selbsttätig  wirkende  Bremse 
beim  Seilbruch,  eine  Fliehkraftbremse,  die  bei 
Überschreitung  der  zulässigen  Geschwindigkeit 
wirkt,  und  eine  Rücklaufbremse,  eine  selbsttätig 
sich  schließende  Spindelbremse,  die  zunächst 
ein  Fortlaufen  der  Wagen  auf  der  Station 
verhindert;  der  Führer  des  Wagens,  der  die 
Bremskurbel  dauernd  hält,  kann  den  Wagen 
rasch  bremsen.  Die  Fahrgeschwindigkeit  beträgt 
meist  nicht  mehr  wie   1  -  2  m  Sek. 

Die  Hauptverhältnisse  von  10  Schweizer  S.  mit 
Wasserübergewichtsbetrieb  sind  folgende: 

Betriebslängen  106- 1700  m; 

Höhenunterschied  der  Endstationen  30  -  440  m ; 

Größtneigungen  1 30  -  570  °m ; 

Krümmungshalbniesser  120-  320  ot; 

Spurweite  075— 12/«; 

Zahnstangen  Riggenbach  und  Abt; 

Seile:  Litzenseile  nach  Langschlag; 

Seilgewichte  2  —  3ükg!m; 

Seildurchmesser  25-33w/«; 

Größte  normale  Seilbelastung  Lö-  7'2/; 

Wagengewichte  4-10/; 

Wagenplätze  20-50; 

Erforderliche  Wassermenge  für  eine  Leerfahrt 
0-7-4-7/; 

Anlagekosten  für  1  km  Bahn  297.000  -1,1 16.000  Fr. 

Der  Betrieb  mit  Wasserübergewicht  erscheint, 
wenn  Wasser  billig  zur  Verfügung  steht,  für 
kurze,  steile  Bahnen  mit  geringerem  Verkehr 
zweckmäßig,  denn  Maschinenanlagen  und  deren 
Bedienung  fallen  fort.  Für  größere  Anlagen 
treten  aber  die  Nachteile  dieser  Betriebsweise 
in  den  Vordergrund,  wie  das  Wassergewicht, 
das  größere  Belastungen,  daher  größeres  Seil- 
gewicht sowie  größere  lebendige  Kräfte  (größere 
Gefahr  im  Fall  eines  Seilbruches)  bedingt,  die 
durch  Bremsarbeit  einzuschränken  sind.  Auch 
die  hierbei  notwendige  Einschaltung  der  Zahn- 
stange in  das  Gleis  erfordert  Mehrkosten. 

B.  Maschinenantrieb. 

Von  beiden  am  Seil  hängenden  Wagen  geht 
der  eine  abwärts,  der  andere  aufwärts;  was 
hierbei  von  der  Schwerkraft  nicht  geleistet  wird, 
übernimmt  die  Kraftmaschine,  die  somit  an  die 
Stelle  der  Wasserbelastung  tritt.  Zumeist  sind 
elektrische,  auch  Verbrennungsmaschinen,  aus- 


nahmsweise Dampfmaschinen  und  Wasserkraft- 
maschinen in  Verwendung. 

Der  elektrische  Antrieb  wird  in  der  Regel 
vorgezogen,  namentlich  wenn  Wasserkräfte  zur 
Verfügung  stehen,  so  daß  den  zumeist  an  der 
oberen,  seltener  an  der  unteren  Station  oder 
in  der  Bahnmitte  angeordneten  Maschinen  der 
im  Tal  erzeugte  Strom  billig  zugeführt  werden 
kann.  Nur  in  wenigen  Fällen  erfolgt  der  Antrieb 
der  Elektromotoren  durch  Gas-,  Benzin-  oder 
Dampfmaschinen. 

Die  für  den  Maschinenantrieb  erforderliche 
Kraft  ist  nach  Abb.  12 
P=  Qi  sin  fi-Q,sm  a  ^  {Q,  +  Q.)  w  ±qh  +  R  ..  6) 

Die  Bezeichnungen  und  die  Werte  für  Lauf- 
und Seilwiderstände  sind  die  gleichen  wie  für 
die  S.  mit  Wassergewichtsbetrieb  (Gleichung  1). 

Die  erforderliche  Maschinenkraft  ist  daher: 

'  ~       11-75      ^       11-270         ' 

wobei  V  die  Geschwindigkeit,  1  —  4  m  Sek., 
1]  den  Wirkungsgrad  der  Maschine  bezeichnen. 

Für  einen  mehrfach  gebrochenen  Längen- 
schnitt ist  P  für  die  ungünstigsten  Wagen- 
stellungen zu  ermitteln. 

Wegen  der  Veränderlichkeit  des  Wertes  q  h 
des  Seilgewichts  ist  wie  bei  den  Bahnen  mit 
Wassergewichtsbetrieb  tunlichste  Anpassung  der 
Bahn  an  den  theoretischen  Längenschnitt,  der 
ebenfalls  die  Form  der  gemeinen  Zykloide 
(Fortfall  des  Wassergewichts)  (s.  Literatur 
v.  Reckenschuß)  erhält,  zu  empfehlen. 

An  Stelle  der  Zykloide  kann  namentlich  für 
kleinere  Anlagen  die  quadratische  Parabel  treten, 
die  etwas  höher  liegt  wie  die  Zykloide. 

Für  die  Gleichungen  der  Parabel  gilt  Glei- 
chung 3,  nur  ist  für  den  Maschinenantrieb  statt 


Gleichung  4:  B  ■- 


zu  setzen. 


<3,  +  <3j 

Zur  Ermittlung  von  L  dienen  wieder  Glei- 
chungen 5  und  5fl. 

Aus  baulichen  Gründen  wird  der  theoretische 
Längenschnitt  zumeist  nicht  eingehalten,  es  ist 
dann  darauf  zu  achten,  daß  die  Seillinie  bei 
größter  Seilspannung  so  tief  liegt  wie  die  Linie 
des  Längenschnitts,  damit  ein  Abheben  des 
Seiles  von  den  Rollen  vermieden  wird,  aber 
nicht  zu  tief,  damit  die  Rollen  nicht  zu  stark 
belastet  werden  und  der  Bewegungswiderstand 
wie  die  Seilabnutzung  nicht  zu  groß  ausfallen. 
Gefällsbrüche  sind  daher  entsprechend  auszu- 
runden.  Die  Größtneigungen  der  Bergbahnen 
mit  Maschinenantrieb  gehen  bis  l^^^o  (Virgl- 
bahn, Tirol).  Vorkommende  Krümmungen  haben 
Halbmesser  von  120- 600 /n.  Die  Spurweiten 
der  Gleise  betragen  0'75  —  V2m,  zumeist  1  m. 
Die  Gleisanordnung  ist  die  gleiche  wie  für  die 
Bahnen    mit   Wasserübergewichtsbetrieb    nach 


Seilbahnen. 


Abb.  13—15,  nur  fehlt  die  Zahnstange  mit 
wenigen  Ausnahmen  (z.  B.  Bürgenstockbahn, 
Monte  Sa!  vatore-Bahn,  Schweiz).  Eingleisige  An- 
lagen mit  der  Antriehsstelle  in  der  Bahnmitte 
können  nach  Abb.  20  (Salvatorebahn)  angeordnet 
werden.  Lange  Bahnen  werden  zweiteilig  (Niesen- 
bahn, 3524  m  lang),  auch  dreiteilig  (Stanzerhorn- 
bahn,  3915 /«lang)  ausgeführt,  bedingen  also 


Der  Onerbau  der  in  der  Regel  eingleisigen 
Anlagen  mit  Ausweichen  in  der  Mitte  hat  zu- 
meist die  Form  Abb.  25.  Schienen  mit  Keilkopf- 
form (durch  die  Zangenbremsen  bedingt),  auf 
meisteisernen  Schwellen;  die  beiden  Seilrollen  in 
der  .Mitte;  für  die  Ausweichen  und  in  sonstigen 
Krümmungen  sind  die  Rollen  schräg  gestellt 
(Abb.  26);  Rollenabstand  je  nach  Seilspannung 


^ 


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Abb.  20.  Anordnung  der  Salvatorebahn. 

ein-  und  zweimaliges  Umsteigen;  für  jeden 
Abschnitt  sind  besondere  Maschinenanlagen 
vorhanden,   die  voneinander  unabhängig  sind. 

Die  Umsteigstation  der  zweiteiligen  Niesen- 
bahn zeigen  Abb.  21-23,  die  Endstation  Abb.  24 
(Schwz.  Bauztg.). 

Zumeist  sind  Litzenseile  nach  Langschlag 
von  2-5  kglm  Gewicht  und  25  -  40  mm 
Durchmesser  verwendet. 


Abb.  23.  Umsteigstation  der  Niesenbahn. 

und  Seilgewicht  5—10/«.  Der  Oberbau  wird 
zumeist  auf  gemauerten  Unterbau  verlegt,  mitdem 
er  zeitweise  verankert  und  gegen  Verschiebungen 
gesichert  wird  (Abb.  27,  .Anordnung  Niesen- 
bahn, für  4  Schnitte).  Auch  die  Bahngräben 
werden,  wenn  nicht  im  Felsboden  liegend, 
gemauert;  neben  der  Bahn  ist  bei  stärkerer 
Bahnneigung  eine  Treppe  für  die  Begehung 
durch  die  Aufsichtsbeamten  vorhanden. 


Seilbahnen. 


Abb.  24.  Endstation  der  Niesenbahn. 


Antrieb  sina  nauptsächüch  Dreiphasenwechsel- 
strom-, dann  auch  Hauptschlußgjeichstrom-, 
Nebenschlußgleichstrom-  und  Verbundgleich- 
strommotoren mit  30- 150  PS.  Leistung,  aus- 
nahmsweise weniger  in  Verwendung.  Der  An- 
triebsmotor wird  durch  den  Schwerkraftantrieb 
des  abwärts  gehenden  Wagens  unterstützt.  Die 
Regelung  der  Fahrgeschwindigkeit  und  das 
Anhalten  des  Zuges  erfolgt  durch  die  Bremsen 
von  der  Maschinenstation  aus.  Ein  hiervon 
unabhängiges  Feststellen  des  Wagens,  das 
namentlich  im  Fall  eines  Seilbruches  erforderlich 
ist,  erfolgt  selbsttätig  durch  die  an  den  Wagen 
angebrachten  Zangenbremsen  (Abb.  29),  die  die 
Köpfe  der  keilförmig  geformten  Bahnschienen 
umfassen  und  sichere  Bremswirkungermöglichen. 
Diese  Bremse  kann  auch  vom  Führer  bedient  wer- 
den und  ist  nur  eine  Notbremse,  dient  also  nicht 
zur  Regelung  der  Fahrgeschwindigkeit.  Weiteres 
hierüber  s.  Art.  Elektrische  Bahnen,  Bd.  IV, 
S.  282. 

Auf  28  einteiligen  Seilbahnen  der  Schweiz 
betragen  die  Längen  290-  2200  in,  die  Höhen- 
unterschiede der  Endstationen  72  — 685 /n,  die 
Größtneigungen  180-680%».  Die  Anlagen 
sind  eingleisig  mit  mittlerer  Ausweiche  und  120 
bis  735  w  Krümmungshalbmesser,  die  Spurweite 
ist  durchwegs  1  m.  Die  verwendeten  Litzenseile 


Abb.  25. 


Der  Antrieb  erfolgt  durch  Vermittlung  von 
2,  auch  3  Scheiben  mit  einfacher  oder  mehrfacher 
Umschlingung  des  Seiles,  um  die  erforderliche 
Reibung    zu    sichern.    Die    Anordnung    einer 


Abb.  27.  Unterbau  der  Niesenbahn. 


Maschinenstation  mit  elektrischem  Antrieb  zeigen 
Abb.  28,  auch  Abb.  21  -  23.  Für  den  elektrischen 


Abb.  26. 

nach  dem  Langschlag  haben 
2-0-40/«OT  Stärke  und  1-8  bis 
48  kgjm  Gewicht.  Als  Antriebs- 
maschinen sind  Dreiphasen- 
wechselstrom- sowie  Haupt- 
und  Nebenschluß-Gleichstrom- 
motoren in  Verwendung.  Brem- 
sen sind  auf  der  Antriebsstation, 
die  von  Hand  und  selbttätig 
wirken,  sodann  Zangenbremsen 
am  Wagen.  Die  Wagen  haben 
4'5  —  7'8  /  Eigengewicht  und 
32-70  Plätze.  Die  kilometri- 
schen Kosten  werden  mit  1 47.000 
bis    1,320.000  Fr.    angegeben. 

Unter  den  Schweizers. finden 
sich  auch  drei  zweiteilige  und 
eine  dreiteilige  mit  Gesamt- 
längen von  1600,  3500,  4235 m 

und  391 0/K  mit  Höhenunterschieden  von  623, 

1642,  931    und    1400 m. 


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Seilbahnen. 

Bauweise   Agudio. 

Wie  schemati- 
sche Darstellung 
Abb.  30  zeigt,  wird 
ein  Seil  ohne  Ende, 
also  ein  geschlos- 
senes Triebseil  von 
einer  feststehenden 
Maschine,  durch 
dieses  Seil  dann 
ein       besonderer 

Triebwagen    (Lo-  r - 

komotor)  bewegt,  mit  dem  die 
erforderlichen   bergwärts  ge- 
stellten Förderwagen  für  die 
Nutzlast   verbunden    werden. 
Durch  die  Übersetzungen  im 
Triebwagen    wird    die    Seil- 
geschwindigkeit    von      etwa 
12    ffz/Sek.      auf      ungefähr 
3  m  'Sek.  herabgesetzt,  so  daß 
eine     etwa    vierfache    Über- 
setzung  ins  Langsame   statt- 
findet und  das  Triebseil  nur 
etwa  Y4  der  Stärke  erhält,  die  es 
als  unmittelbar  wirkendes  Zug- 
seil erhalten  müßte.  Auch  istdie 
Einrichtung  so  getroffen,  daß 
der    Wagenzug    unabhängig 
von  der  Antriebsmaschine  vom 
Triebwagen   aus  bewegt  und 
angehalten  werden  kann.  Die 
Zugkraftübertragung     erfolgt 
durch       Vermittlung       eines 
Schleppseils  oder  einer  Zahn- 
stange mit  wagrechten  Zähnen, 
die  in  der  Gleismitte  (Abb.  3 1 ) 
angeordnet  ist  und  in 
die    die     Zähne     der 
wagrechten  Räder  des 
Triebwagens    eingrei- 
fen.   Bei  der  Talfahrt 
bleibt  das  Triebseil  in 
Ruhe;  es  wickelt  sich 
an     den    Seilscheiben 

des  Triebrades  ab.  Die  Abb.  30.  Bauweise  Agudio, 

Geschwindigkeit  wird  durch  Bremsen  geregelt. 

Eine  Bahn  dieser  Bauart  führt  von  Turin  auf  die  Superga  (Oruft- 
kirche  Viktor  Amadeus  11.,  des  ersten  Königs  von  Sardinien,  und  Aus- 
sichtspunkt); eine  Versuchsstrecke  wurde  bei  Dusino  ausgeführt.  Die 
Hoffnung  Agudios  aber,  diese  Seilbahnbauweise  für  die  Überscliienung 
der  Alpen  verwenden  zu  können,  hat  sich  aus  begreiflichen  Gründen 
nicht  erfüllt. 

Literatur:  Fliegner,  Bergbahnsysteme  vom  Standpunkte  der  theo- 
retischen Maschinenlehre.  Zürich  1877.  -  Abt,  Seilbahn  am  Gießbach. 
Zürich  1880.  -  Qrueber,  Die  Agudio-Drahtseilbahn  auf  die  Superga 
bei  Turin.  Wschr.  d.  Österr.  Ing.-V.  1885.  -  Leu,  Drahtseilbahn  Bürgen- 
stock. Seh  WZ.  Bauztg.  1888.  -  Strub,  Drahtseilbahn  Territet-Montreux- 
Glion.  Aarau  1888.  -  Vautier,  Etüde  des  chemins  de  fer  funiculaires. 
Paris  1892.  -  Strub,  Drahtseilbahn  auf  den  Monte  Salvatore.  Schwz. 
Bauztg.    1892.    -     Sm  allen  bürg,    Bergbahn    Lauterbrunnen  -  Murren. 


11 


Abb.  29.  Zangenbremsen. 


Maficttlnenhaus 


btwtgljch 


Untere    Station 


Abb.  31. 


12 


Seilbahnen. 


Schwz.  Bauztg.  1892.  -  Walloth,  Die  Drahtseil- 
bahnen der  Schweiz.  Wiesbaden  1893.  -  Reich- 
hardt,  Die  Stanserhornbahn.  Ztschr.  dt.  Ing.  1896. 

-  W'etzel,  Davoä  Platz -Schatzalp- Bahn.  Schwz. 
Bauztg.  1901.  -  Schleich,  Drahtseilbahn  des  Rigi- 
viertels  in  Zürich.  Schwz.  Bauztg.  1901.  -  Strub, 
Die  Mendelbahn.  Schwz.  Bauztg.  1903.  -  N.,  Funi- 
culaire  de  Charlanne  ä  la  Bourboule.  Gen.  civ.  1904. 

-  Abt,  Seilbahnen.  Hb.  d.  Ing.  \V.  1906.  ~  Schmidt, 
Bergbahn  Heidelberg.  Ztschr.  dt.  Ing.  190S.  - 
Schwarz,  Virglbahn  bei  Bozen.  Organ  1908.  — 
E.  Seefehlner,  Beitrag  zur  Theorie  und  Praxis 
der  Seilbahnen.  Elektrotechnik  und  Maschinenbau. 
Wien  1909.  -  Müller,  Wirtschaftlichkeit  der  Schwei- 
zer Bergbahnen.  Elektr.  Kraftbetr.  u.  B.  1909.  — 
Lambert,  Chemins  de  fer  funiculaires.  Paris  1911. 

-  Strub,  Die  Drahtseilbahnen  der  Schweiz.  Wies- 
baden. —  Zehnder-Spörrv,  Die  Niesenbahn. 
Schwz.  Bauztg.  1911.  -  v.  Reckenschuß,  Der 
theoretische  Längenschnitt  von  Drahtseilbahnen  mit 
Doppelbetrieb.  Organ  1913.  —  Armbruster,  Die 
Tiroler  Bergbahnen.  Wien  1913.  —  Hunziker, 
Drahtseilbahn  Engelberg-Qerschnialp.  Ztschr.  dt.  Ing. 
1913.  —  Schweizer.  Eisenbahndepartement, 
Hauptverhältnisse  der  Schweizer  Drahtseilbahnen. 
Ende  1913;  üingenprofile  der  Schweizer  Drahtseil- 
bahnen. 1914. 

Seilbetrieb  auf  Straßenbahnen. 

Straßenseilbahnen,  auch  Kabel-  oder  Tau- 
bahnen. 

Bahnen,  meist  auf  städtischen  Straßen,  bei 
denen  die  Fortbewegung  der  Fahrzeuge 
durch  ein  Seil  ohne  Ende  K,  (Abb.  32)  erfolgt, 


Motor   bewegt  wird;    die    Fahrzeuge   erhalten 
besondere  Klemmvorrichtungen,  Greifer  G,  die 


Abb.  33. 


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Abb.  32.  Straßenseilbahn. 

das    unter   der    Bahn    in    einem    besonderen, 
oben  mit  einem  Schlitz  versehenen  Rohr  oder 


Kanal  auf  Rollen  R  von  025- 0-45 /n  Durch- 
messer gelagert  ist  und  von  einem  feststehenden 


1^ 


Abb.  37. 

in  den  stellenweise  mit  Einsteigschächten  verse- 
henen Schlitzkanal  (Abb.  33)  reichen  und   die 
Verbindung    mit  dem    in  steter 
Bewegung  befindlichen  Seil  be- 
werkstelligen.     Auf    städtischen 
Straßen  ist  ein  besonderer  Schutz 
des    Seiles    erforderlich,    damit 
Hinderungen  des  Straßenverkehrs 
und     Seilbeschädigungen     ver- 
mieden    werden.     Die    Bahnen 
wurden   meist    zweigleisig    her- 
gestellt. Mit  den  Bogenhalbmessern  ist  man  bis 
auf  10'5  m  herabgegangen;  in  den  Bögen  sind 
nach  Abb.  34   außer   den  senkrechten   Rollen 
R   noch  wagrechte  Rollen  P  vorhanden.    Die 
Qrößtsteigungen  gehen  bis   IQOföo-  Die  Spur- 
weiten   betragen    l'O— L5  m,   ausnahmsweise 
0-5  in  und   1-S  m. 

Die  Maschinenanlage  befindet  sich  je  nach 
den  örtlichen  Verhältnissen  und  Seillängen  an 
einem  der  beiden  Enden  oder  in  der  .Mitte 
der  Bahn.  .Abb.  35  -  37,  worin  D  die  .Waschi- 
nenanlage,  7  die  Seilscheiben,  U^  die  Seilspann- 
vorrichtungen, A  und  a  die  Ablenkrollen  und 
K  das  Seil  bezeichnen.  Die  Umkehrung  der 
Wagen  findet  durch  Schleifen  oder  Weichen 
statt.  Man  kann  annehmen,  daß  die  Bewegung 
des  Seiles  40  —  bQ%,  die  der  unbelasteten 
Wagen  30  -  40  fi  der  motorischen  Kraft  bean- 
spruchen. Die  Fahrgeschwindigkeit  bewegt 
sich  von  10-25  Aw'Std.  Die  Baukosten 
waren  im  allgemeinen  sehr  hohe,  sie  betrugen 


Seilbahnen. 


13 


€twa  200.000-900.000  h\km.  Straßenseil- 
bahnen bestanden  und  bestehen  namentlich  in 
nordamerikanischen  Städten,  auch  in  Frank- 
reich, England,  Portugal,  in  Australien  und 
Neuseeland;  sie  werden  durch  die  meist  zweck- 
mäßigeren und  billigeren  elektrischen  Straßen- 
bahnen verdrängt.  Ein  besonderer  Seilbetrieb 
ist  für  die  Straßenbahn  Palermo-Montreale 
eingerichtet  (s.  Elektrische  Bahnen,  Bd.  IV, 
S.  281). 

Seilbetrieb  auf  Lokomotivbahnen. 

Auf  stärker  geneigten  Strecken  von  Loko- 
motivbahnen hat  man  in  den  Reibungsbetrieb 
Seilbetrieb  eingeschaltet,  um  größere  Längen- 
entwicklung der  Bahn  zu  vermeiden  und  ausrei- 
chende Sicherheit  bei  Berg-  und  Talfahrt  zu 
erzielen.  So  hatte  man  früher  z.  B.  auf  der  zwei- 
gleisigen Bahn  Düsseldorf-Elberfeld  auf  einer 
2-5  km  langen,  mit  33%  geneigten  Strecke 
zwischen  Erkrath  und  Hochdahl  die  Züge 
mittels  eines  am  oberen  Ende  der  Strecke  über 
die  dort  angeordnete  Umkehrrolle  geführten 
Drahtseils,  das  mit  einer  auf  dem  zweiten 
Gleis  nach  abwärts  gehenden  Lokomotive 
verbunden  war,  aufwärts  gezogen.  Auch  auf 
anderen  Bahnen  hatte  man  ähnliche,  zurzeit 
meist  wieder  verlassene  Anordnungen  getroffen, 
auch  solche,  wobei  am  oberen  Ende  der  Steil- 
strecke eine  feststehende  Maschine  die  Bewe- 
gung des  mit  dem  Drahtseil  verbundenen 
Zuges  nach  auf-  oder  abwärts  bewerkstelligte. 

Von  solchen  noch  in  Betrieb  befindlichen 
Anlagen  sind  besonders  bemerkenswert  die 
Seilbahnstrecken,  die  in  die  mit  \-b  m  Spur- 
weite ausgeführte  Reibungsbahn  vom  Hafen 
Santos  nach  der  Stadt  Sao  Paulo  in  Brasi- 
lien, die  Serrabahn  genannt,  die  einen  ganz 
bedeutenden  Güterverkehr  hat,  eingeschaltet 
wurden.  Mit  5  hintereinander  liegenden  Seil- 
strecken von  je  154-164  m  Höhenunterschied, 
1-9 -2-0  km  Länge  und  rd.  BQ%  Neigung, 
zwischen  die  130— 154 /n  lange,  wagrechte 
Strecken  eingeschaltet  sind,  wird  ein  Höhen- 
unterschied von  800  m  auf  einer  etwa  1 0  km 
langen  Strecke  überwunden.  Am  Ende  jeder 
Seilstrecke  befindet  sich  in  einem  Schacht 
unter  dem  Gleis  eine  Fördermaschine,  die  ein 
zwischen  den  Schienen  liegendes  Seil  ohne 
Ende  bewegt,  mit  dem  die  Lokomotive  des 
etwa  150  t  schweren  Zuges  durch  Vermittlung 
einer  Seilzange  verbunden  wird.  Die  Lokomo- 
tive hat  den  Zug  in  den  wagrechten  Zwischen- 
stücken zu  fördern  und  auch  bei  Berg-  und 
Talfahrt  im  Fall  eines  Seilrisses  zu  bremsen.  Die 
Strecken  sind  dreischienig,  an  den  Ausweiche- 
stellen der  berg-  und  talwärts  gehenden  Züge 
jedoch    vierschienig     und     im    erforderlichen 


Gleisabstand  auseinandergezogen.  Auf  der  Bahn 
verkehren  täglich  etwa  40  Güterzüge  zu  1 50  / 
und  30  Personenzüge. 

Auf  der  Centralbahn  von  New  Jersey 
sind  bei  Ashley  auf  einer  20  km  langen 
Strecke  3  Seilstrecken  von  1524,  914  und 
1128  m,  also  zusammen  3'6  km  Länge  mit 
Neigungen  von  57,  147  und  93%^  eingeschaltet, 
durch  die  eine  Höhe  von  rd.  310  m  über- 
wunden wird.  Die  Bahn  ist  zweigleisig;  die 
3  Antriebsmaschinen  stehen  an  den  oberen 
Enden  der  3  Seilstrecken.  Die  Seilenden  sind 
mit  besonderen  Schiebekarren  von  etwa  6'5  t 
Gewicht  verbunden,  durch  deren  Vermittlung 
der  Zug  mit  etwa  6  Wagen  hochgezogen  wird. 
Die  Schiebekarren  befinden  sich  an  den  unteren 
Enden  der  Strecken  in  besonderen  Gruben 
unter  den  beiden  Gleisen;  die  hinteren  Enden 
der  beiden  Karren  sind  durch  ein  Gegenseil 
verbunden.  Die  Fördenmgsgeschwindigkeit 
beträgt  20  —  45  kmjSiA.  In  der  Stunde  können 
auf  den  3  Seilebenen  etwa  60  Wagen  befördert 
werden. 

Auf  der  Ugandabahn  (Afrika)  hatte  man 
zur  Vermeidung  eines  Durchstichs  den  be- 
deutenden Kikuyu-Höhenzug  mit  4  Seilbahn- 
strecken mit  Steigungen  von  90,  140,  420 
und  480%(,  übersetzt.  Für  die  beiden  ersten 
Strecken     wurde    Schwerkraftbetrieb,   für    die 


Abb.  3S.  Plattformwagen  der  Ugandabahn. 

beiden  letzteren  außerdem  noch  Maschinen- 
antrieb (Lokomobilen  30  PS.)  eingerichtet.  Die 
etwa  1 5  t  schweren  Güterwagen  werden  wegen 
starker  Bahnneigung  mit  Hilfe  besonderer, 
etwa  7  t  schwerer  Plattformwagen  gefördert 
(s.  Abb.  38).  Die  Fördergeschwindigkeit  beträgt 
etwa   1'5  mßtk. 

Auf  Güter-,  Kohlen-,  Fabriksbahnhöfen 
erscheint  der  Seilbetrieb  für  die  Verschiebung 
einzelner  Wagen  und  Wagengruppen  in  vielen 
Fällen  zweckmäßig. 

Neben  den  Gleisen  laufen  endlose  Zugseile 
auf  Rollen  (Abb.  39),  an  die  die  Wagen 
mittels  eines  Kuppelseils  und  besonderer 
Kupplungen  oder  Greifer  (Bleichert,  Hasen- 
clever, Heckel)  angeschlossen  werden.   Das  Seil 


14 


Seilbahnen. 


kann  an  mehreren  Stellen  gleichzeitig  benutzt 
werden.  Eine  Unterführung  des  Seiles  von 
einer  auf  die  andere  Qleisseite  oder  an  das 
nächste  Gleis  ist,  wie  die  Abbildung  zeigt,  leicht 
zu  bewerkstelligen.  Auch  die  Bewegung  der 
Drehscheiben,  Schiebebühnen  und 
Spills  kann  mittels  des  Seiles  er- 
folgen. Der  Antrieb  geschieht  ent- 
weder durch  eine  besondere  Ma- 
schine oder  durch  eine  bestehende, 
auch  sonst  anderen  Zwecken  die- 
nende Anlage.  Die  Anordnung 
eines  Schwungrades  in  Verbindung  mit  einer 
Reibungskupplung   ist  zweckmäßig,  weil   zum 


A.  Seilhängebahnen  für  den  Güter- 
verkehr. 

1.  Bahnen   mit    beweglichem   Tragseil 
ohne  Zugseil.  Wie  Abb.  40  zeigt,  wird  nach 


Abb.  40.  Seilhängebahn  Bauweise  Hodgson. 


Abb.  39.  Scilverschubanlage. 

Anfahren  eine  größere  Kraft  nötig  ist  wie  für 
die  Förderung  des  bereits  in  Bewegung  be- 
findlichen Wagens.  Die  Maschinenanlage  kann 
in    diesem    Fall   sehr    klein    gehalten    werden. 

Seilbetrieb  auf  Grubenbahnen  s.  Art. 
Grubenbahnen,  Bd.  V,  S.  395. 

Literatur:  Leißner,  Amerikanische  Bahnen  mit 
Seilbetrieb.  Ztsclir.  f.  Bw.  1886.  -  Riedler  u. 
Reichel,  Seilstraßenbahnen  in  Amerika.  Ztscln-. 
dt.  Ing.  1893.  —  Müller,  Grundzüge  des  Klein- 
bahnwesens. Berlin  1895.  —  Ugandabahn.  Eng.  1901, 
Ztschr.  dt.  Ing.  1901 ;  Seilebenen  bei  Ashley,  Penn- 
sylvanien.  Engg.  News  1909;  Organ  1909.  -Jan  ecke, 
Serrabahn  in  Brasilien.  Zentraibl.  d.  Bauverw.  1910. 
-  Dolezalek,  Kabelbahnen  (Straßenseilbahnen). 
Luegers  Lex.  d.  ges.  Technik,  1.  Aufl. 

Seilhängebahnen. 

Der  Schwerpunkt  der  Fahrzeuge  liegt  unter- 
halb der  Bahn,  die  aus  einem  oder  mehreren 
Tragseilen  besteht;  ihre  Bewegung  wird  ent- 
weder durch  das  Tragseil  selbst  oder  durch 
ein  oder  mehrere  besondere  Zugseile  bewerk- 
stelligt. Man  unterscheidet  Seilhängebahnen,  die 
nur  dem  Güterverkehr  dienen,  und  solche, 
die  auch  für  den  Personenverkehr  einge- 
richtet sind. 


Bauweise  Hodgson  das  Tragseil  K  als  Seil 
ohne  Ende  über  die  Seilscheiben  R,  S  und 
/"geschlungen.  Die  Scheibe  /"wird  vom  Motor 
bei  D  angetrieben;  die  Scheiben  S  sind  mit 
der  Spannvorrichtung  O  versehen.  Das  Seil  K 
wird  in  Abständen  von  50-  150/«  von  Stützen 
(Holz,  Eisen)  getragen  (s.  Abb.  41)  (Bleichert). 
Diese  Stützen  erhalten  nach  Abb.  42  Rollen, 
auf  denen  das  Seil  K  läuft;  das  Seil  erfährt  hier- 
bei stärkere  Biegungen,  namentlich  bei  großen 
Belastungen  und  großer  Stützenentfernung 
wegen  des  stärkeren  Durchhangs.  Man  hat 
daher  statt  einer  auch  2  oder  4  nebeneinander 
liegende  Rollen  mit  gegenseitig  beweglicher 
Lage  zur  gleichmäßigen  Lastverteilung  an- 
geordnet (Bauart  Roe).  Die  Förderwagen  W 
erhalten  ein  Gehänge  g  mit  einem  Schlitten  S, 
der  mit  Holz  oder  Kautschuk  gefüttert  ist, 
damit  die  Reibung  zum  Mitnehmen  der  Wagen 
durch    das    bewegte    Tragseil    ausreicht.     Die 


Abb.  41.  Seilstütze  aus  Holz. 


Seilbahnen. 


15 


Rollen  n  dienen  zur 
Führung  der  Wagen 
nach  Verlassen  des 
Seiles  auf  den  meist 
festen  Hängebahnen 
der  Endstationen. 

Bei  größeren  Nei- 
gungen ist  das  Mit- 
nehmen der  Wagen 
hierdurch  nicht  ge- 
sichert. Deshalb  ver- 
wenden Bleichert  und 
Pohlig  (Abb.  43)  als 
Mitnehmer  Klemmen, 
die  sich  fest  an  das 
Seil  anschlielkn,  in 
starken  Steigungen  ent- 


#1 


^a 


nu 


Abb.  42.  Mitnehmer. 


der  Tragrollen  gegenüber.  Pohlig  hat  diese 
Bauart  mit  sicheren  Mitnehmern,  besonders 
auch  für  militärische  Zwecke  eingerichtet, 
die  im  Kriege  vielfach  verwendet  wurde. 


Abb.  43.  Mitnehmer  nach  Bleichert  und  Pohlig. 


Abb.  44.  Anordnung  \^^\-\  Trag-  und  Zugseil. 


sprechen  und  sich 
auch  verschiedenen 
Seilstärken  (verdickte 
Spleißstellen,  abge- 
nutzte Seile)  anpassen. 
Die  Fördergeschwin- 
digkeit bewegt  sich  von 
1-5 -3-0  m/Sek.,  die 
Einzellast  meist  von 
100-300  kg,  aus- 
nahmsweise auch  mehr. 
Den  Vorteilen  dieser 
Bauweise,  wobei  nur 
ein  Seil  erforderlich 
ist,  weshalb  die  Anlage- 
kosten gering  werden, 
stehen  die  Nachteile 
größerer  Betriebs- 
kosten infolge  Antriebs 
des  schweren  Tragseils 
sowie  des  größeren 
Seilverschleißes  und 
bei  Verwendung  der 
Schlitten  alsMitnehmer 
auch  der  geringen 
Sicherheit  wegen  Rut- 
schens der  Schlitten 
auf  dem  Seil  und  der 
größeren  Gefahr  des 
Herabfallens  der  Wa- 
gen   beim    Übergang 


\m 


Abb.  45.  Auflagerung  der  Tragseile. 


Abb.  46.  Drehbares  Tragsetlauflager  nach  Pohlig. 


16 


Seilbahnen. 


2.  Bahnen  mit  Trag-  und  Zugseil 
(deutsche  Bauart).  Nach  Abb.  44  sind  die  Trag- 
seile T  bei  A  befestigt,  bei  B  mit  einem  ent- 
sprechend großen  Spanngewicht  G,  um  Zug- 
spannungen von  Längen-  und  Belastungsände- 
rungen unabhängig  zu  machen,  versehen.  Das 
endlose  Zugseil  Z  geht  um  die  Scheibe  S,,  die 
vom  Motor  //  (Dampf,  Elektrizität,  Wasserkraft) 
angetrieben  wird,  und  an  der  zweiten  Endstation 
über  die  Scheibe  Sj,  die  mit  einem  Spannge- 
wicht g  verbunden  ist.  Das 
eine  Tragseil   ist  für  die  hin- 


werden können.  Die  sicherste  Führung  zeigt 
Abb.  51,  wobei  das  Zugseil  durch  2  Fangarme 
in  einen  Schlitz  geleitet  wird,  der  in  der  Ebene 
der  Seilrollen  liegt.  An  den  beiden  Endstationen 
A  und  B  wird  die  Verbindung  der  Wagen 
mit  dem  Zugseil  meist  selbsttätig  gelöst;  die 
Wagen  werden  dann  auf  besonderen  Zubringer- 
bahnen H  (steife  Hängebahnen)  (Abb.  44)  den 
Be-  und  Entladestellen  zugeführt. 

Die  Stützen  der  Bahn  sind  aus  Holz  (Abb.  47), 
Eisen  (Abb.  48),  Eisen- 
blech (Abb.  49),  Beton, 
Betoneisen  (Abb.  50  u.  51) 
und  haben  verschiedene 
Formen  und  Höhen.  Die 
Höhen    der    Stützen    be- 


Abb.  4S. 
S^ilbahnstützen  aus  Holz,  Eisen,  Beton. 


Abb.  49. 


gehenden,  das  [andere  für  iie  zurückgehenden 
Wagen  bestimmt. 

Die  Tiagseile  T  (Abb.  45)  liegen  auf  den 
Auflagern  a  der  Stützen,  die  fest  oder  besser 
in  der  Seilrichtung  drehbar  (nach  Abb.  46,  An- 
ordnung Pohlig)  sein  können,  damit  der  Auf- 
fahrstoß gemildert   wird. 

Ungünstige  Druckbelastungen  des  über  der 
Stütze  festliegenden  Seiles  durch  die  Räder  wird 
durch  erhöhte  Ränder  der  Rille  der  Auflager 
vermieden. 

Das  Zugseil  Z  läuft,  soweit  es  nicht  von  den 
Wagen  getragen  wird,  auf  Rollen  /-.  Starkes 
Schwanken  der  Zugseile  wird  durch  Fangarme 
verhindert,  die  nicht  nur  nach  außen,  sondern 
iiuch  nach  innen  gegen  den  Pfeiler  angeordnet 


tragen  5  -  1 5  m  und  gehen  ausnahmsweise  bis 
etwa  50  in,  liir  Abstand  beträgt  in  der  Regel 
50-100  ,'/;;  in  Ausnahmefällen,  bei  Über- 
setzungen von  Flüssen,  Schluchten,  tief  einge- 
schnittenen Tälern,  sind  Stützweiten  bis  etwa 
1200  m  zur  Ausführung  gekommen,  wobei 
natürlich  der  Seildurchhang  sehr  groß  wird. 
Der  Seildurchhang  ergibt  sich  nach  Abb.  52 
unter  der  Annahme  einer  parabolischen  Stützlinie 
für  das  Eigengewicht  9  und  hierdurch  hervorgerufenen 
wagrechten  Seitenkraft  der  Seilspannung  //,  bei 
geringen  Längenunterschieden  von  a  und  A  B  unge- 
fähr, aber  genau  genug 

q  ■  c-d 


bei  D-/, 


2//, 


q  ä' 

in  der  MiUe  f\' ^äJT  ■ 


Seilbahnen. 


17 


Kommt  noch  eine  Last  P  hinzu,  so  iwird  der  Durch- 
hang bei  einer  gesamten  wagrechten  Seitenkraft  der 
Seilspannung  //j  an  der  Belastungsstelle 

a-q-c-d-\-2  Pc-d 


f.' 


für  die  Mitte /j'  = 


2  a  //j 

qa''Ar2Pa 


8  //j 

bei  geringem  Höhenunterschied  der  beiden  Stützen 
5/i  =  5ß=5;;  setzt  man  S  = /i2,  so  wird 
.„_,ga^--t-2P-a 

J2.     .  g  _5 


Abb.  50.  Scilbahnstütze  aus  Eisenbeton. 

Für  mehrere  Einzellasten  werden  die  Senkungen, 
die  für  einen  Punkt  rechnerisch  ermittelt  werden,  zu 
den  durch  das  Eigengewicht  erzeugten  Senkungen 
hinzugerechnet. 

Der  Seildurchhang  muß  auch  ergeben,  daß  bei 
Übersetzung  einer  Geländesenkung  das  Tragseil 
sicher  auf  den  dazwischen  liegenden  Stützen  lagert. 

Die  Wagen  haben  verschiedene,  der  Art  der 
Förderlast  angepaßte  Formen    (Abb.  53  -  57). 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


Das  Laufwerk  hat  2  oder  4,  ausnahmsweise 
S  Rollen.  Anordnungen  mit^4  Rollen,  wie  sie 
von    Bleichert    und    Pohlig    (Abb.  55    u.   56) 


\\ 


Abb.  51. 
Seilbahnstütze  aus  Eisenbeton  mit  gesicherter  Zugseilführung. 

ausgeführt  werden,  sind  wegen  Verminderung 
der  Biegungsbeanspruchung  des  Tragseils  und 
besserer  Führung  der  Wagen  vorteilhaft;  da- 
gegen wird  das  Wagengewicht  etwas  vergrößert. 
Die  Mitnehmer,  Klemm-  oder  Kupp- 
lungsvorrichtungen, durch  die  die  Wagen 
mit  dem  Zugseil  verbunden  werden,  sollen  rasche, 
in  starken  Neigungen  und  auch  bei  Unter- 
schieden in  den  Seilstärken  sichere  Verbindung 
mit  tunlichster  Seilschonung  sowie  leichte  und 
selbsttätige  Lösung  vom  Seil  beim  Übergang 
der  Wagen  auf  die  festen  Hängebahnen  der 
Endstationen  ermöglichen. 


Sie  sind  entweder  unterhalb  (Unterseilbetrieb) 
oder  oberhalb  (Oberseilbetrieb)  des  Laufwerks 
angeordnet.  Im  ersten  Fall  sind  sie  mit  dem 
Wagengehänge  (Abb.  54)  oder  mit  dem  Lauf- 


18 


Seilbahnen. 


werk  (Abb.  53)  selbst  fest  verbunden;  im  zwei- 
ten Fall  sind  sie  oben  am  Laufwerk  angebracht 
(Abb.  57).  Die  anfänglich  durchwegs  gebrauchte 


in  der  Tragseilrichtung.  Da  hierbei  das  Zug- 
seil wegen  des  Durchhangs  nicht  über  das 
Tragseil  gelegt  werden   kann,    daher   seitwärts 


Abb.  53.  Seilbahnwagen.    Mitnehmer 
mit  Laufwerk  fest  verbunden. 


Abb.  54.  Mitnehmer  mit  dem  Wagengehänge  fest 
verbunden. 


Abb.[55.  Laufwerk  mit  4  Rollen  nach 
Bleichert  und  Pohlig. 


ältere  Anordnung  am  Wagengehänge  (Abb.  54) 
ist  weniger  günstig,  weil  in  geneigten  Strecken 
infolge   der  Zugseilwirkung   der   Wagen   sich 


angreift,  so  besteht  Entgleisungsgefahr.  Am 
meisten  sind  daher  Anordnungen  Abb.  53 
u.  56  in  Verwendung,  wobei  die  Kupplung^ 
mit  dem  Laufwerk  und  knapp  unter 
diesem  verbunden  ist.  Es  sind 
verschiedene  Kupplungsvorrichtungen 
von  den  Seilbahnfabrikanten  ausge- 
führt und  vorgeschlagen  worden,  wor- 
über   näheres   der    Literatur   zu    ent- 


.•\bb.  56.  .Mitnehmer  mit  dem  4  Rollen-Laufwerk  fest  verbunden 


nicht  lotrecht  einstellt.  Bei  der  Anordnung 
eines  Oberseils  (Abb.  57)  ist  dieser  Übelstand 
vermieden,  auch  wirken  die  Zugkräfte  ungefähr 


Abb.  57.  Anordnung  des  Zugseils  ober 
dem  Tragseil. 

nehmen  ist.  Als  Tragseile  werden  meist  Spiral- 
seile oder  geschlossene  Seile,  als  Zugseile  in 
der  Regel  Litzenseile  verwendet.  Tragseile  über 


Seilbahnen. 


19 


400  m  Länge  werden  zweckmäßig  gekuppelt. 
Die  Trag-,  auch  Zugseile  werden  geschmiert, 
wozu  für  längere  Strecken  besondere  Schmier- 
wagen dienen.  Die  Linienführung  erfolgt  tun- 
lichst in  gerader  Richtung.  Bei  Längen  von 
mehr  als  10  km  werden  in  der  Regel  Zwischen- 
stationen ausgeführt,  in  denen 
der  Zugseilbetrieb  unterbrochen 
wird.  Im  schwierigen  Gelände 
jedoch  werden  Zwischenstatio- 
nen auch  in  geringeren  Abstän- 
den angeordnet.  Da  Abweichun- 
gen von  der  geraden  Richtung 
wegen  Qeländeschwierigkeiten 
nicht  immer  zu  vermeiden  sind, 
so  werden  an  den  Knickstellen 
mit  beliebigen  Winkeigrößen 
sog.  WinkeJstationen  einge- 
schaltet. Für  kurze  Strecken 
von  3-5  km  Länge  sind  Kur- 
venstationen  zweckmäßig, 
die  bei  Anwendung  einer  ent- 
sprechenden Kupplung  ohne 
Unterbrechung  des  Zugseilan- 
triebs von  den  Wagen  selbsttätig 
durchfahren  werden  können. 
Bei  der  Führung  durch  Tunnel  hat  man  an 
Stelle  des  Tragseils  ein  festes  Gestänge  im 
Gewölbe  aufgehängt.  An  den  beiden  Eingängen 
findet  daher  der  Übergang  vom  Tragseil  auf 
das  Gestänge  statt.  Bei  Übersetzung  von  Ver- 
kehrswegen (Straßen,  Eisenbahnen,  Kanälen) 
werden  in  der  Regel  Schutznetze  oder 
Schutzbrücken  (Abb 
Schädigungen  durch 
herabfallende  Teile  der 
Förderlast  oder  der 
Wagen  selbst  vermie- 
den werden.  Tragseile 
über  2000  m  Länge  er- 
halten mittlere  Spann- 
vorrichtungen und  Ver- 
ankerungen. 

Die  Neigungsver- 
hältnisse sind  nicht  be- 
schränkt. Ausgeführt 
sind  Neigungen  bis 
etwa  \(iQ"/o.  Als  Bei- 
spiel sind  in  Abb.  59 
Lageplan  und  Längs- 
schnitt der  etwa  9  km 


Die   für  den  Betrieb  der  Seilhängebahnen   erfor- 
derlichen Zugkräfte  betragen 

Pl'S=  ^  W±n-Qsma 
in  der  Steigung  und  im  Gefälle. 

Die  Summe  der  Widerstände  ist  genau  genug: 
$  ir*g  =  «  (Q  -1-  2  <3,  -f  2  qe)  >  cos  a  •  wkg  t 
daher  die  erforderliche  Maschinenieistimg 


Abb.  53,  Schutzbrücke  bei  Straßenübersetzung, 
pkg   .  i7/n/Sek, 


58)    verlangt,    damit 


A'PS. 


75 


No  i's. 


Hierin  bezeichnen : 

$  W  die  Qesamtwiderstände  der  Fahrzeuge  und 
des  Zugseils; 

n  die  halbe  Anzahl  der  Wagen,  vorausgesetzt,  daß 
ebensoviele  beladene  Wagen  in  einer  Richtung  fah- 
ren, wie  leere  in  der  andern; 

Q  die  Nutzlast  eines  Wagens; 


iV,i:/<e.^'a''C"  I 


Abb.  59. 


langen,  von  Bleichert  ausgeführten  Usambara- 
bahn  (Afrika)  gegeben,  auf  der  ungeteilte 
schwere  Baumstämme  mit  etwa  1000  kg  Ein- 
zellasten zu  fördern  sind.  Der  größte  Stützen- 
abstand beträgt  900  m,  die  größte  Höhe  des 
Tragseils  über  Bodenfläche  130  wz,  die  Größt- 
steigung  86  % . 


Lageplan  und  Längsschnitt  der  Usambarabahn. 

Q^  das  Eigengewicht  eines  Wagens; 
q  das  Einheitsgewicht  des  Zu,gseils  in  kglm; 
l  Abstand  der  Wagen,    auf  denen    das   Zugseil 
lastet ; 

a  Neigungswinkel  der  Bahn  zwischen  den  beiden 
Endpunkten  einer  Strecke; 

h  _  Höhenunterschied 

'^         L~       Seilbahnlänge      ' 


20 


Seilbahnen, 


w  der  Laufwiderstand  der  Wagen  (Rollreibung, 
Zapfenreibung,  Seilwiderstand).  Meist  wird  w  mit 
001 -0-02  oder  \0-20kglt  anzunehmen  sein; 

P  die  erforderliclie  Zugkraft; 

V  die  Geschwindigkeit,  r  =  1  -  4  m/Sek. ; 

A^PS.  die  erforderliclie  Maschinenleistung; 

A'oPS.  Zusatzleistung  für  Widerstände  in  den  End- 
stationen, No  =  1  -  5  PS. ; 

Für  $  V/=  n  ■  Q  ■  sin  a  oder 
{Q-^2  Q,  -\-2ge)  w  cos  a=  Q  sin  a, 
daher 

(Q  +  2Q,+2qe)w 

Q 


tga  = 


Weichenanlagen,  der  zum  Betrieb  erforderliche  Motor 
sowie  die  Kosten  für  die  Einrichtung  der  Bahnlinie, 
die  von  den  lokalen  Verhältnissen  abhängen  und  bei 
ebener  Bodenoberfläche  unter  Ausschluß  größerer 
Schutzbauten  mit  etwa  4  M.  für  einen  laufenden  m 
Bahn  angenommen  werden  können. 

Die  Seilhängebahnen  finden  vorteilhafte  Ver- 
wendung für  die  Förderung  leicht  teilbare: 
Massengüter,  so  daß  eine  Ladung  das  Gewicht 
von  300-1000  kg  nicht  wesentlich  über- 
schreitet; die  Überwindung  ungünstiger  Boden- 
verhältnisse sowie  der  Grunderwerb  sind  mit 
verhältnismäßig    geringen    Kosten    zu   ermög- 


ergibt  die  Neigungsgrenze,  bis  zu  der 
noch  Maschinenkraft  erforderlich  ist; 
darüber  hinaus  ist  Bremskraft  nötig; 
solche  Anlagen  nennt  man  Brems- 
hängeseilbahnen. 

Die  Zahl  der  zu  fördernden  Wagen 
ist: 

QkglSld.  Lm 

G  Gesamtfördermenge  in  A^/Std.; 

Q  Nutzlast  eines  Wagens  in  kg; 

L  Streckenlänge  in  m. 

Man  kann  annehmen,  daß  bei 
gerader  Strecke,  auf  ebenem  Boden 
und  bei  gleicher  Höhenlage  der  beiden 
Endstationen  die  erforderliche  Be- 
triebskraft etwa  O'l  PS.  f.  d.  km  Bahn- 
länge und  für  1  t  stündliche  Leistung 
beträgt.  Es  ist  tunlich,  in  jeder  Mi- 
nute etwa  3  Wagen  zu  fördern,  die  einander  in 
Zwischenräumen  von  20  Sekunden  folgen.  Die 
Belastung  der  einzelnen  Wagen  beträgt  150-  1000  kg 
und  nur  ausnahmsweise  mehr.  Bei  Fördeningen 
von  mehr  als  800  Häglich  (10  Arbeitsstunden)  emp- 
fiehlt es  sich,  eine  Doppelseilbahn  auszuführen. 

Über  die  Anlagekosten  von  Luftseilbahnen  lassen 
sich  allgemein  zutreffende  Angaben  nicht  machen, 
da  die  Verhältnisse,  unter  denen  sie  erbaut  werden 
müssen,  zu  verschieden  sind. 


Länge  der  Bahn- 
linie in  m 


Tägliche    Fördermenge  in  t 


100 


300 


500 
1000 
2000 
5000 


1500 

16-50 

18-00 

20-50 

12-50 

14-25 

16-25 

18-00 

11-25 

13-50 

15-50 

17-00 

10-75 

13-00 

14-75 

16-50 

Förderkosten  in  Mark  für  je  10  /: 


500 
1000 
2000 
5000 


0-92 

0-62 

0-53 

0-48 

1-20 

0-82 

0-65 

0-60 

1-70 

1-12 

0-90 

0-78 

2-95 

200 

1-55 

1-35 

22-00 
19-25 
18-75 
18-25 


0-47 
0-54 
0-75 
1-20 


Bleichert  &  Co.  geben  für  ebene  Bodenoberfläche 
bei  ungefähr  gleicher  Höhenlage  der  beiden  End- 
stationen die  in  obenstehender  Tabelle  verzeich- 
neten Preise  für  Luftseilbahnen  und  deren  Förder- 
kosten an. 

Die  Preise  sind  für  einen  laufenden  m  Bahn  in 
Mark  angegeben ;  darin  sind  nicht  enthalten  längere 


Abb.  60.  Meerseilbahn  in  Neu-Kaledonien. 

liehen;  meist  ist  der  Ankauf  der  Grundflächen, 
über  die  die  Bahn  geführt  wird,  nicht 
erforderlich,  es  genügt  die  Zahlung  von  Ent- 
schädigungen an  die  Grundbesitzer,  da  der 
unter  der  entsprechend  hoch  geführten  Seil- 
hängebahn liegende  Boden  seiner  früheren 
Verwendung  nicht  entzogen  wird.  Für  die 
Be-  und  Entladung  von  Schiffen,  wie  z.-  B. 
(Abb.  60)  die  von  Bleichert  erbaute  Meer- 
seilbahn in  Neu-Kaledonien,  auch  für  die 
Rettung  Schiffbrüchiger,  wie  die  von  Bleichert 
am  Hoek  van  Holland  ausgeführte  Meerseil- 
bahn, werden  Seilhängebahnen  mit  Vorteil 
verwendet.  Der  Betrieb  ist  unter  allen  Witterungs- 
verhältnissen möglich,  eine  Beeinträchtigung 
durch  Schnee  oder  Hochflut  findet  nicht  statt, 
er  erfordert  geringe  Bedienung,  wozu  auch 
ungeschulte  Arbeitskräfte  genügen.  Infolge  An- 
ordnung eines  Zugseils  ohne  Ende  wird  die 
Schwerkraft  der  abwärts  gehenden  Wagen  zur 
Hebung  der  aufwärts  gehenden  ausgenutzt,  daher 
an  motorischer  Kraft  gespart.  Sowohl  der  Bau 
wie  der  Betrieb  ist  ein  billiger. 

Zur  Schüttung  von  Halden  oder  Dämmen 
werden  zur  Beseitigung  des  Abraums  und 
sonstiger  Abfälle  der  Bergwerke  und  Hütten- 
anlagen auch  ausnahmsweise  im  Erdbau  die 
sog.  Haldenseilbahnen  verwendet.    Hierbei 


Seilbahnen. 


21 


können  die  Wagen  an  jeder  beliebigen  Stelle  der  S.  mit 
Hilfe  eines  an  der  betreffenden  Steile  des  Tragseils  be- 
festigten und  beliebig  verschiebbaren  Rahmens  oder  An- 
schlags (Abb.  61)  selbsttätig  gekippt  und  entleert  werden. 
Die  Tragseile  können  für  die  Hin-  und  Rückfahrt,  also  für 
beJadene  und   leere  Wagen,  verschiedene  Stärken  erhalten. 

3.  Seilbahnkrane.  Seilhängebahnen  mit  einem  oder 
2  Tragseilen,  auf  denen  die  Aufzugvorrichtung,  die  Lauf- 
katze, sich  bewegt. 

Die  Tragseile  liegen  auf  2  Endpfeiiern  oder  Türmen, 
die  feststehend  oder  beweglich  sein  können. 

Die  Laufkatze  wird  entweder  (Abb.  62,  Anordnung 
Bleichert)  durch  ein  endloses  Zugseil  bewegt,  wobei  das 
Heben  und  Senken  der  Last  an  jeder  beliebigen  Stelle 
der  Bahn  durch  ein  Hubseil  erfolgt,  das  vom  Führerstand 
am  Turm  mittels  einer  Winde  bedient  wird;  oder  (Abb.  63) 
der  Führerstand  befindet  sich  nicht  am  Turm,  sondern 
auf  der  Laufkatze  selbst,  wobei  das  Fahr-  und  Windwerk 
sowie  auch  die  Antriebsmaschine  auf  der  Laufkatze  sich 
befinden  und  vom  mitfahrenden  Führer   bedient  werden. 

Die  zweite  Anordnung  ist  die  teuerere  wegen  nennens- 
werter Vermehrung  der  Belastung  der  Laufkatze,  wodurch 
stärkere  Seile    und  Türme   bedingt  werden,    ist   aber   die 


#)-       '-^ 


Abb.  61.  Haldenseilbahn. 


sicherere  und  leistungsfähigere.  Bei  neueren  Anlagen  hat 
man  die  Vorzüge  der  beiden  Bauarten  zu  vereinigen 
versucht  in  der  Weise,  daß  man  die  Antriebsmaschine  mit 
der  Bremse  in  einem  der  beiden  Türme,  die  Fahr-  und 
Hubeinrichtungen  auf  der  Laufkatze  unterbringt,  wodurch 
ihre  Belastung  erheblich  vermindert  wird. 

Der  auf  der  Laufkatze  tätige  Führer  kann  mittels  elek- 
trischer Fernsteuerung  die  Bewegungen  der  Antriebs- 
maschine im  Turm  veranlassen. 

Die  Seilspannweiten  gehen  bis  etwa  500  m,  die  Größt- 
belastungen  durch  die  Laufkatze  bis  5  t,  ausnahmsweise 
bis  10/;  die  Fahrgeschwindigkeit  der  Laufkatze  bewegt 
sich  von  1  —  5  m/Sek.  und  die  des  Hubseils  meist  von 
075  —  1-5  /«/Sek.  Die  Seilbahnkrane  finden  vielseitige  Ver- 
wendung für  Eisenbahn-,  Brücken-  und  Kanalbauten,  für 
Steinbruch-  und  Hafenbetrieb,  für  Bekohlung  von  Schiffen 
und  Lokomotiven. 

Literatur:  Dolezalek,  Luftseilbahnen.  Luegers  Lex  d.  ges. 
Technik,    1.  Aufl.,   1S9S.   -    Kotzschmar,   Moderne   Drahtseil- 


Abb.  63.  LaufkatzenanorJnung  nach  Bleichert. 


22 


Seilbahnen. 


balineii  und  Verladevorrichtungen.  Verh.  d.  V.  z. 
Beförd.  d.  Gewerbefleißes.  1903.  -  Dieterich, 
Erschließung  der  nordargentinischen  Kordilleren 
mittels  Bleichertscher  Drahtseilbahnen.  Ztschr.  dt. 
Ing.  1906;  Aufschließung  der  Nickelerzlagerstätten 
in  Neukaledonien.  Ztschr.  dt.  Ing.  1907.  -  Stephan, 
Luftseilbahnen.  Berlin  1907.  —  Goetzke,  Theorie 
und  Berechnung  der  Drahtseilluftbahnen.  Verh.  d. 
V.  z.  Beförd.  d'.  Gewerbefleißes.  1908.  -  Buhle, 
Seilbahnen.  Luegers  Lex.  d.  ges.  Technik.  2.  Aufl., 
1910;  Kabelhochbahnkrane.  Ztschr.  dt.  Ing.  1910. 
—  Feldhaus,  Zur  Geschichte  der  Drahtseilschwebe- 
bahnen. Berlin  1911.  -  Wettich,  Die  Ent- 
wicklung Usambaras.  Verh.  d.  V.  z.  Beförd.  d. 
Gewerbefleißes  1911.  -  v.  Hanffstengel,  Unge- 
wöhnliche Drahtseilbahnen.  Ztschr.  dt.  Ing.  1912; 
Die  Förderung  von  Massengütern.  Bd.  II,  Berlin 
1915.  —  Buhle,  Kabelkrane  und  Luftseilbahnen. 
Glasers  Ann.  1915.  —  Stephan,  Beitrag  zur  Berech- 
nung der  Seilbahnen.  Fördertechnik  1915.  -  Wille, 
Seilbahnen  zum  Anschütten  von  Halden.  Förder- 
technik 1916.  -  Heinold,  Seilbahnkrane  neuerer 
Bauart.  Ztschr.  dt.  Ing.  1916.  -  A.  Bleichert, 
Schriften  über  Seilhängebahnen.  Fabrik  Leipzig- 
Gohlis.  —  Pohlig,  Schriften  über  Seilhängebahnen. 
Fabrik  Köln-Zollstock. 

B.  Seilhängebahnen  für  den  Personen- 
verkehr. 
Ausnahmsweise  dienen  die  geschilderten 
Qüter-Seilhängebahnen  auch  dem  Personenver- 
kehr. In  der  Regel  aber  werden  namentlich 
für  Bahnen,  die  überwiegend  für  den  Personen- 
verkehr bestimmt  sind,  größere  Sicherheitsmaß- 
nahmen getroffen.  Zunächst  wird  die  Anzahl 
der  Seile  vermehrt,  so  daß  bei  Bahnen  mit 
Trag-  und  Zugseilen  mindestens  3  Seile, 
bei  Bahnen,  bei  denen  die  Tragseile 
gleichzeitig  als  Zugseile  wirken,  mindestens 
2  Seile  vorhanden  sind.  Vielfach  werden 
4  und  5,  ausnahmsweise  noch  mehr  Seile 
angeordnet.  Für  die  Seile  wird  größere  i^ 
Bruchsicherheit  gefordert.  Die  Wagen 
erhalten,  sofern  sie  auf  den  Tragseilen 
laufen,  mindestens  4  Laufräder;  stellen- 
weise sind  Einrichtungen  gegen  das  Ab- 
heben der  Räder  von  den  Tragseilen 
getroffen.  Die  Laufwerke  erhalten  Brems- 
oder Fangvorrichtungen,  um  die  Wagen 
an  den  Tragseilen  oder  an  einem  be-  ,  f 
sonderen  Bremsseil  an  jeder  Stelle  der 
Bahn  festhalten  zu  können.  Für  stärker 
geneigte  Bahnen,  also  für  Bergbahnen, 
ist  ein  endloses  Zugseil  nicht  erforderlich; 
wohl  findet  man  auch  ein  endloses  Zugseil  oder 
ein  Gewichts-  oder  Gegenseil,  um  die  veränder- 
lichen Gewichte  des  Zugseils  auszugleichen. 
Selbst  die  Anwendung  eines  Führungsseils,  das 
stärkere  Seitenschwingungen  der  Wagen  ver- 
hindern soll,  hat  man  im  einzelnen  Fall  für 
nötig  erachtet.  Die  Tragseile  sind  in  der  Regel 
Spiral-  oder  verschlossene  Seile,  die  Zugseile 
Litzenseile.    Die    Unterstützung   der   Tragseile 


erfolgt  entweder  nur  an  beiden  Enden  oder  auch 
durch  Zwischenstützen,  in  der  Regel  durch 
Eisenpfeiler  in  verschiedenen  Abständen;  freie 
Weiten  bis  800  m  kommen  vor,  wo  tiefe 
Schluchten  oder  Täler  zu  übersetzen  sind.  Die 
Fahrgeschwindigkeiten  bewegen  sich  meist 
zwischen  L5  und  4'0  m/Sek.,  ausnahmsweise 
etwas  weniger  oder  mehr.  Bei  Bergbahnen  stehen 
die  in  der  Regel  elektrisch  betriebenen  An- 
triebsmaschinen auf  der  oberen,  auch  wohl 
auf  der  unteren  Station. 

1.  Bauweisen  mit  einem  Trag-,  einem 
Zug-  und  einem  Bremsseil. 

Wie  Abb.  64  zeigt,  hat  das  Laufwerk  4  Räder 
mit  Doppelspurkränzen,  die  auf  dem  Tragseil  t 
laufen.  Die  Bewegung  der  Wagen  erfolgt 
durch  das  Zugseil  z,  das  auf  geneigter  Bahn 
ein  Gegenseil  g  erhält.  Das  von  der  Anfang-  bis 
zur  Endstation  durchgehende,  in  Ruhelage  sich 
befindliche  Bremsseil  b  geht  durch  den  mittleren 
Teil  des  Laufwerks,  in  dem  sich  die  Brems- 
klemmen befinden.  Im  Fall  eines  Zugseilbruches 
wird  der  Wagen  selbsttätig  an  das  Bremsseil 
gekuppelt.  Zum  Anpressen  der  Bremsbacken 
an  das  Seil  wird  das  Eigengewicht  der  Wagen 
und  der  Zug  des  Gegenseils  benutzt.  Die  Bremse 
kann  auch  vom  Wagenführer  betätigt  werden. 
Das  sonst  festliegende  Bremsseil  tritt  im  Fall 
des  Zugseilbruches  an  dessen  Stelle;  die  Wagen 
werden  dann  durch  das  von  einer  Winde  be- 
wegte  Bremsseil    an    die  Endstation   gezogen. 


Abb.  64.  Bauweise  mit  Trag-,  Zug-  und  Bremsseil. 

Darin  liegt  der  Hauptvorteil  des  Bremsseils.  Nach 
dieser  Bauweise  sind  die  Seilhängebahnen  auf 
die  Aiguille  du  Midi  im  Montblancgebiet  (s. 
Art.  Montblancbahnen,  Bd.  VII,  S.  300)  und 
von  Lana  auf  das  Vigiljoch  in  Tirol  (s.  Art. 
Lana-Vigiljochbahn,  Bd.  VTI,  S.  6Q)  aus- 
geführt; nur  hat  man  bei  letztgenannter  Anlage 
zur  Venninderung  von  Seitenschwankungen 
an  der  Seite  der  Fahrzeuge  noch  ein  Führungs- 
seil anzuordnen  für  nötig  erachtet.    Die  Seile 


Seilbahnen. 


23 


der  Lana-Vigiljochhahn  werden  von  Eisenstützen 
mit  dem  Größtabstand  von  260  m  (s.  Abb.  65) 
getragen,    deren    größte    Höhe    31   in   beträgt. 


Abb.  65.  Laiia-Viäiljuchbahii. 

2.  Bauweisen  mit  2  Trag-  und  2  Zug- 
seilen. 

Zwei  Tragseile  liegen  in  einer  Ebene  entweder 
über-  oder  nebeneinander;  dazwischen  die 
beiden  Zugseile. 

Die  erste  Anordnung  mit  übereinander  lie- 
genden Seilen  behufs  Vermeidung  von  Wagen- 
schwankungen  (Abb.  66)    findet   sich    auf  der 


Abb.  66.  Bauweise  mit  2  übereinandeiiiegenden  Tragseilen. 

Wetterhornseilbahn  (Schweiz)  (Bauart  Feld- 
mann) (s.  Art.  Bergbahnen,  Bd.  II,  S.  222). 
Zwei  Rollen  laufen  auf  den  oberen,  2  auf  den 


unteren  Tragseilen  t  Die  beiden  Zugseile  Z 
fassen  das  Laufwerk,  an  welchem  der  Wagen 
hängt. 

Die  Tragseile  t  werden  zur  Vermeidung  von 
Entgleisungen  vom  Laufwerk  umfaßt,  was  nicht 
ganz  einwandfrei  ist,  und  sind 
am  oberen  Ende  befestigt,  unten 
dagegen  aus  den  bei  den  Seil- 
hängebahnen für  Güterverkehr 
mitgeteilten  Gründen  mit  einem 
Spanngewicht  O  versehen,  das 
aber  im  vorliegenden  Fall  an 
einem  WinkeJhebel  hängt  (s. 
Abb.  67). 

Der  Wert  des  Winkelhebels, 
das  länger  gewordene  Seil  zu 
entlasten  und  das  kürzere  ent-  Abb.  67. 

sprechend  stärker  zu  belasten,  erscheint  zweifel- 


Abb.  68.  Kohlererbergbahn. 

haft,  daher  die  voneinander  unabhängige  Be- 
lastung beider  Tragseile,  wie  bei  anderen  S., 
einfacher  und  besser  erscheint. 


24 


3|  Seilbahnen. 


Diese  Bauweise  ist  für  Bahnen  mit  Zwischen- 
stützen nicht  geeignet,  daher  große  Spannweite 
und  starker  Seildurchhang  erforderlich  werden; 
sie  könnte  deshalb  nur  für  ähnliche  Verhältnisse, 
wie  an  der  Wetterhornbahn,  in  Frage  kommen. 


1^. 


Abb.  M.   Seilführung  m  den  Stützen  der  Kohlererbergb.ilin. 


nebeneinander  liegenden  Tragseilen  sind  die 
beiden  Zugseile  angeordnet.  Die  Tragseile  liegen 
auf  den  Zwischenstützen  auf  Schuhen  TT,  die  so- 
wohl in  der  Richtung  der  Tragseile  wie  senkrecht 
dazu  drehbar  gelagert  sind,  damit  ein  stoßfreies 
Überfahren  über  die  Schuhe  und  eine 
gleichmäßige  Verteilung  der  Belastung  auf 
beide  Tragseile  erreicht  wird,  was  aber 
nicht  in  dem  gewünschten  Maß  eintreten 
wird.  Sie  sind  oben  verankert  und  an  der 
unteren  Station  mit  Spanngewichten  ver- 
sehen. Die  Zugseile  laufen  auf  den  Rollen 
ZZ  (Abb.  69),  also  nahezu  auf  der  Höhe 
der  Tragseile,  was  günstig  ist.  Das  Lauf- 
werk, an  dem  der  Wagen  hängt,  hat 
8  Räder  (s.  Abb.  70),  die  die  Wagenbelastung 
gleichmäßig  auf  die  beiden  Tragseile  über- 
tragen sollen,  was  nur  teilweise  zutreffen 
wird.  In  dem  Laufwerk  sind  die  Brems- 
vorrichtungen eingebaut,  die  auf  die  beiden 
Tragseile  wirken.  Hierdurch  kann  auch  die 
Fahrgeschwindigkeit  geregelt  werden. 

Eine  Bahn  mit  2  Tragseilen  und  2 
endlosen  Zugseilen,  die  von  Pohlig  am 
Zuckerhut  bei  Rio  de  Janeiro  erbaut 
wurde,  unterscheidet  sich  von  den  vorher 
besprochenen  vornehmlich  dadurch,  daß 
in  der  Regel  von  den  beiden  Zugseilen  nur 
das  eine  die  Zugkraft  überträgt,  während 
das  andere  durch  den  Wagen  mitgezogen 
wird,  also  leer  mitläuft  und  zur  Kraftüber- 
tragung erst  dann  herangezogen  wird,  wenn 
das  erste  Seil  die  doppelte  Beanspruchung 
gegenüber  der  regelrechten  erfährt. 

Eine  Schonung  des  zweiten,  also  in  der 
Regel  leer  mitlaufenden  Seiles  wird  aber 
durch  diese  Anordnung  kaum  erzielt,  da  es 
ungefähr  gleichen  Biegungs-  und  Zug- 
spannungen ausgesetzt  ist  wie  das  erste 
Seil.  Es  erscheint  also  richtiger,  beide  Zug- 
seile gemeinsam    und   gleichmäßig   ziehen 


Abb.  70.  Laufwerk  der  Kohlererbergbahn. 


«r^ftf 


•  •• 


^ 


Abb.  71.  Uliabergbahn. 


Nach  der  zweiten  Anordnung  ist  die 
Kohlererbergbahn  (Tirol)  (Abb.  68;  s.  Art. 
Bd.  VI,  S.  385)  von  Bleicher!  ausgeführt.  Zwi- 
schen  den   beiden    im  Abstand    von    400  mm 


zu  lassen,  wie  das  bei  den  vorher  besprochenen 
Anordnungen  der  Fall  ist. 

Über   die   Einzelheiten    dieser   Bahn    s.  Art- 
Zuckerhutseilbahn. 


Seilbahnen.  -   Selbstentladewagen. 


25 


Abb.  72. 


3.  Bauweisen  mit  mehr  als  2Tragseilen. 
Es  sind  Bahnen  mit  4  und  6  Tragseilen  zur 
Ausführung  gekommen. 

Mit  6  Tragseilen  und  einem  Zugseil  ist  die 
Uliabergbahn  in  Spanien  nach  Patent  Torres 
ausgeführt.  Wie  Abb.  71  zeigt,  sind  je  3  neben- 
einander liegende  Tragseile  t  zu  beiden  Seiten 
des  Fahrzeugs  W  angeordnet,  am  unteren  Ende 
befestigt,  am  oberen  mit  Spanngewichten  ver- 
sehen. Das  endlose  Zugseil  Z  wird  in  der 
unteren   Station  M   durch  einen  Elektromotor 

angetrieben,  in  der 
oberen  durch  ein 
Gewicht  G  ge- 
spannt. 

Der  Wagen  hat 
12  Räder,  die  die 
Belastung  auf  die 
Seile  übertragen 
sollen.  Eine  gleich- 
mäßige Lastver- 
teilung auf  die  6 
Tragseile  ist  aber 
nicht  zu  erwarten. 
Es  ist  eine  selbst- 
tätige und  eine 
Handbremse  vor- 
handen. Im  Fall 
eines  Zugseilbru- 
ches kann  der  Wa- 
gen mittels  eines 
Notseils  zur  End- 
station gezogen 
werden.  Da  die 
Bahn  eingleisig  ist, 
so  findet  nur  Pen- 
delverkehr    statt. 

Über  Einzelhei- 
ten s.  Art.  Ulia- 
bergbahn. 

Über  den  Nia- 
garafluß (V.  St. 
A.)  ist  eine  ähn- 
liche Anlage  mit 
6  Tragseilen  und  einem  Wagen  mit  12  Lauf- 
rädern nach  Patent  Torres  mit  einer  Spann- 
weite von  547  m  ausgeführt. 

4.  Bahnen  mit  vereinigtem  Trag-  und 
Zugseil. 

Nach  der  von  Petersen  vorgeschlagenen 
Bauweise  (Abb.  72  -  74)  sollen  2  parallel  lau- 
fende endlose  Seile  als  Trag-  und  Zugseile  wir- 
ken. Der  Wagen  wird  gelenkig  in  die  beiden  Seile 
eingehängt,  so  daß  er  sich  der  Kraftrichtung 
entsprechend  einstellen  kann,  wodurch  Biegungs- 
spannungen im  Seil  an  den  Aufhängestellen 
des  Wagens  fast  vermieden  werden.  Der  Wagen 


Ste^''ohmefi 


öet^/Bfc/ier  Ssilsponnun^ 


bei  Vorgiiung  eines  Seiles 


Abb.  74.  Bauweise  Petersen. 


ist  daher  mit  den  Seilen  dauernd  fest  verbunden. 
Die  beiden  Seile  sollen  an  der  oberen  oder 
unteren  Station  getrennt  angetrieben  und  ge- 
bremst werden.  Zum  Ausgleich  verschiedener 
Bewegungsgeschwindigkeiten  der  Seile  ist  in 
deren  oberer  Hälfte  ein  Steifrahmen  einge- 
schaltet. Die  Anlage  ist  für  Pendelverkehr  ge- 
dacht und  nur  ohne  Zwischenstützen  und  für 
größere  Höhen  ausführbar. 

Literatur:  Mehrtens,  Erfindung  und  Entwicklung 
der  Seilschwebebahn.  Eisenbau  1915.  —  Wettich, 
Kritik  über  Konstruktion  und  Verhalten  von  Personen- 
Seilschwebebahnen.  Fördertechnik  1914.  —  S  proecke, 
Personen-Luftseilbahnen.  Schweiz.  Elektrotechn. 
Ztschr.  1914.  —  Woernle,  Beurteilung  der  Drahtseil- 
schwebebahn für  Personenförderung.  Fördertechnik 
1913.—  Wintermeyer,  Seilschwebebahnen  für  Per- 
sonenverkehr. Elektr.  Kraftbetr.  u.  B.  1913.  -  Dantin, 
Personen-Schwebebahnen.  Gen.  civ.  1913.  —  Buhle, 
Seilschwebebahnen  für  Fernverkehr  von  Personen 
und  Gütern.  Ztschr.  dt.  Ing.  1913;  Organ  1913;  Dt. 
Bauztg.  1910.  —  Wettich,  Personenschwebebalinen 
auf  den  Kohlererberg.  Dt.  Bauztg.  1913.  —  Fühl  es, 
Schwebebahn  Lana-Vigiljoch.  Ztschr.  dt.  Ing.  1913. 
—  Petersen,  Seilhängebahn  mit  beweglichem  Trag- 
seil. Patentschrift  242.693,..  1912.  -  Frank,  Seil- 
hängebahnen. Ztschr.  d.  Österr.  Ing.-V.  1912.  - 
Espitallier,  Seilschwebebahn  für  Personenverkehr 
auf  den  Mont  Ulia.  Gen.  civ.  1909.  —  Armbruster, 
Bergbahnen  Tirols.  1913.  —  R.,  Die  Wetterhornbahn. 
Schwz.  Bauztg.  1908.  —  Niagara-Seilschwebebahn. 
Eng.  1916  u.  Ztschr.  dt.  Ing.  1916.  Dokzalek. 

Sekundärbahnen,  insbesondere  in  Öster- 
reich vor  gesetzlicher  Festlegung  des  Begriffs  der 
Lokalbahnen  angewendete  Bezeichnung  für 
Bahnen  untergeordneter  Bedeutung,  die  derzeit 
nach  ihrer  Bauanlage  und  ihren  Betriebsein- 
richtungen nicht  als  Lokalbahnen,  sondern  als 
Kleinbahnen  zu  bezeichnen  wären  (z.  B.  Fahr- 
geschwindigkeit 12— 15  Ä/?z).  Die  Bezeichnung 
S.  (ferrovie  secondarie)  findet  sich  auch  in 
Italien  und  Spanien. 

Selbstentladewagen  (seif  discharging 
wagons;  wagons  ä  dechargcmcnt  automatiqiies; 
vagoni  a  scarico  automatico),  Selbstentlader, 
Güterwagen,  die  derart  eingerichtet  sind,  daß 
die  Entladung  durch  die  Schwerkraft  der  aus 
Massengut  (Schüttgut)  bestehenden  Ladung  be- 
wirkt wird.  Die  hierfür  zuweilen  vorkommende 
Bezeichnung  „Schnellentlader"  ist  nicht  sach- 
gemäß, weil  die  „Schnellentladung"  des  Massen- 
guts nicht  immer  gleichzeitig  »Selbstentladung" 
sein  muß,  d.  h.  der  Schnellentlader  ist  nicht 
immer  Selbstentlader.  Aber  auch  die  Bezeichnung 
S.  ist  insofern  nicht  ganz  zutreffend,  als  die  Ent- 
ladung nicht  durch  den  Wagen  selbst,  sondern 
durch  die  Schwerkraft  der  Ladung  erst  nach 
Einstellung,  d.  i.  Lösung  des  Verschlusses 
der  Entladevorrichtung  erfolgt.  Die  Einstellung 
wird  entweder  durch  Arbeiter  von  Hand  oder 
zuweilen  unter  Benutzung  von  Preßluft  be- 
werkstelligt. 


26 


Selbstentladewagen. 


Abb.  75. 


Abb.  76. 

Die  Massengüter,  mit  Ausschluß  von  Getreide,  gebranntem 
Kalk  und  einigen  Düngemitteln,  werden  bekanntlich  in  offenen 
Güterwagen  verfrachtet;  auf  diesen  Umstand  ist  es  zurück- 
zuführen, daß  bisher  die  Selbstentlader  auf  offene  Güterwagen 
beschränkt  sind,  obgleich  gewisse  Selbstentladevorrichtungen 
für  gedeckte  Güterwagen  wohl  verwendbar  wären. 

Als  Massengut  für  die  bisher  gebräuchlichen  S.  kommt 
insbesondere  in  Betracht:  Steinkohle  und  Braunkohle  (aus- 
schließlich Salon-,  Braunkohle,  Briketts),  Koks  (in  begrenz- 
tem Umfang),  Erze,  Kalk,  Steine  (ausschließlich  bearbeitete 
Steine  und  Ziegelsteine),  Schotter,  Kies,  Sand,  Erde,  Schlacken, 
Rüben  und  Fabrikkartoffeln.  Aber  auch  Getreide,  Düngemittel 
und  gebrannter  Kalk  würden  als  Massengut  für  die  Selbst- 
entladung in  gedeckten  S.  in  Frage  kommen.  Das  verschieden 
große  spezifische  Gewicht  der  Massengüter,  ihr  Verhalten 
gegenüber  den  Witterungseinflüssen,  ihre  Porosität,  Korn- 
oder Stückgröße  u.  s.  w.  stellen  naturgemäß  hohe  Anfor- 
derungen an  die  bauliche  Ausgestaltung  der  Selbstentlade- 
vorrichtung. Hieraus  sowie  aus  den  verschiedenartigen,  auch 
mit  Bezug  auf  den  Betrieb  und  Verkehr  gestellten  Forde- 
rungen der  Eisenbahnverwaltungen  und  der  Industrie  haben 
sich  im  wesentlichen  die  in  Gebrauch  befindlichen,  nicht 
unerheblich  voneinander  abweichenden  Bauarten  der  S. 
ergeben.  Im  allgemeinen  lassen  sich  die  gebräuchlichen  S. 
in  2  Gruppen  einreihen: 

a)  Selbstentlader,  die  vor  Beladen  mit  Massengut  be- 
sonders hergerichtet  werden  müssen,  um  eine  Seibstentladung 
zu  ermöglichen  (Seitenentladung,  Bodenentladung,  Seiten- 
und  Bodenentladung); 

b)  trichterförmige  Selbstentlader,  bei  denen  die  Selbstent- 
ladung durch  Öffnen  von  Bodenklappen  und  zuweilen  auch 
von  Seitenwänden  oder  Seitenklappen  erfolgt  (Boden-  oder 
Seitenentladung,  zuweilen  auch  Boden-  und  Seitenentladung). 
Bei  den  trichterförmigen  S.  ist  ein  besonderes  Herrichten 
für  die  Selbstentladung  nicht  erforderlich. 

Eine  andere  Einteilung  ist: 

1.  Seitenentlader,  bei  dem  die  Selbstentladung  durch 
Öffnen  von  beweglichen  Boden-  oder  Seitenklappen  erfolgt, 
wobei  das  Massengut  seitlich  des  Gleises,  u.  zw.  nach  beiden 
Seiten  oder  nur  nach  einer  Seite  des  Gleises  abgleitet.  Der 
Seitenentlader  kann  ein  Flachboden-  (Abb.  75)  oder  Trichter- 
wagen (Abb.  76  u.  77)  sein. 

2.  Bodenentlader,  bei  dem  die  Selbstentladung  durch 
Öffnen  von  beweglichen  Bodenklappen  erfolgt,  wobei  das  Massen- 
gut innerhalb  des  Gleises  abstürzt.  Auch  der  Bodenentlader 
kann   ein   Flachboden-  oder  Trichterwagen    sein   (Abb.  78 ). 


Sei  bstentladewagen. 


27 


3.  Boden-  und  Seitenentlader,  bei  dem 
die  SeibstentiadunCT  durch  gleichzeitiges  Öffnen 


Abb.  79. 

von  beweglichen  Boden-  und  Seitenklappen 
erfolgt,  wobei  das  Massengut  seitlich  und 
innerhalb  des  Gleises  entladen  wird.  Der 
Wagenkasten  hat  meist  einen  flachen  Boden 
mit    schräggestellten    Längswänden    (Abb.  79). 

(Wegen  der  Seitenkipper,  die  im  allgemeinen 
zu  den  Schnellentladern  gehören,  vgl. 
Bd.  VII,  S.  49  ff.). 

Die  Abb.  75-79  veranschaulichen  Bauarten 
von  S.  in  grundsätzlicher  Anordnung.  Die  Ent- 
ladung des  Massenguts  aus  dem  Selbstentlader 
erfolgt  meist  von  Pfeilergleisen  aus,  die  aus 
Mauerwerk,  Holz,  Eisen  oder  Eisenbeton  her- 
gestellt werden.  Seitenentlader  können  aber  auch 
von  wenig  auf  Schüttung  erhöhten  Gleisen  be- 
nutzt werden,  während  für  Bodenentlader  ein 
Pfeilergleis  unerläßlich  ist.  Trotzdem  werden 
\'on  den  amerikanischen  und  englischen  Bahnen 
meist  Bodenentlader  verwendet,  während  in 
Deutschland  meist  Seitenentlader  gebräuchlich 
sind.  Die  Verschiedenheiten  sind  im  wesent- 
lichen durch  die  Bauarten  der  Selbstentlader 
begründet.  Die  Bauarten  zeigen  nämlich  hin- 
sichtlich der  Schwerpunktlage  des  Wagenkastens, 
der  Lage  der  Langträger  unter  dem  Kasten- 
boden, des  Ladegewichts,  der  Achsenzahl,  der 
Höhe  der  Kastenwände  und  deren  Neigung,  der 
Entladeklappen  und  deren  Verschlüsse  sowie 
Zubehörteile  der  Seiten-  oder  Bodenentlade- 
einrichtung u.  s.  w.  erhebliche  Verschieden- 
heiten, je  nachdem  sie  für  bestimmte  Massen- 
güter bzw.  gewisse  Verhältnisse  eines  indu- 
striellen Werkes  oder  einer  Eisenbahnverwaltung 
hergerichtet  sind.  Hieraus  ergeben  sich  mancher- 
lei Vorteile  für  die  Industrie  und  Eisenbahn- 
verwaltungen, aber  auch  viele  Nachteile  für 
die  letzteren. 

Die  Vorteile  bei  Verwendung  der  bisherigen 
S.  bestehen  im  wesentlichen  für  die  Industrie  in 
der  Ersparnis  an  Entladekosten  und  Arbeitern, 
für  die  Eisenbahnverwaltungen  hingegen  in  der 
Erhöhung  der  Nutzleistung  der  Wagen  infolge 
Einschränkung  der  Entladezeit  sowie  in  der 
Ersparnis  an  Entladekosten,  während  die  Nach- 


teile insbesondere  durch  die  Vermehrung  der 
Leerläufe  und  Verschlechterung  des  Verhältnisses 
des  Ladegewichts  zum  Eigengewicht  des  Wagens 
sich  stark  bemerkbar  machen,  so  daß  in 
betrieblicher  Beziehung  die  Nachteile  für  die 
Eisenbahnverwaltungen  die  Vorteile  überwiegen. 
Die  Eisenbahnverwaltungen  sind  daher  in 
richtiger  Erkenntnis  der  großen  wirtschaft- 
lichen Bedeutung,  die  der  Erzielung  eines  allen 
Anforderungen  und  auch  denen  des  gewöhn- 
lichen Dienstes  entsprechenden  Selbstentladers 
zukommt,  seit  Jahren  bemüht,  einen  im  Eisen- 
bahnbetrieb unbeschränkt  für  Massengüter  und 
gewöhnliche  Güter  verwendbaren  S.  zu  erhalten. 
Die  Forderungen,  die  an  einen  derartigen 
Güterwagen,  z.  B.  für  das  Verkehrsgebiet  des 


Abb.  SOb. 

VDEV.  zu  stellen  sein  möchten,  ergeben  sich 
im  wesentlichen  aus  dem  Preisausschreiben,  das 
der  preußische  Minister  der  öffentlichen  Arbeiten 
zwischen  den  deutschen  Eisenbahnwagenbau- 
anstalten auf  den  1.  September  1907  zur 
Gewinnung  eines  S.  ausgesetzt  hat.  »Hiernach 
müßte  der  Wagen  ein  zweiachsiger  offener 
Güterwagen  sein,  der,  als  Kohlenwagen  mit 
flachem  Boden,  auch  für  gewöhnliche  Güter 
und  als  Stirnkipper  benutzbar,  bei  einem  Lade- 
raum   von  etwa  32-5  m^   1 5  t  Koks   oder   20  / 


28 


Selbstentladewagen. 


Abb,  Sl. 


Kohlen  fassen  sollte,  bei  voller  Belastung  unter 
S  t  Raddruck  auf  die  Schienen  ergeben  darf 
und    bei   dem    ein    möglichst  großer  Teil  des 


Massenguts  nach  jeder  Seite  des  Wagens 

ohne  Nachhilfe  durch  die  Schwerkraft 
der  Ladung  entleert  werden  kann.  Außer- 
dem sollten  die  Beschaffungs-  und 
Unterhaltungskosten  des  S.  die  der 
bisherigen  offenen  Güterwagen  von 
gleichem  Ladegewicht  nicht  wesentlich 
überschreiten." 

Die  Forderungen  ergeben,  daß  der 
„Zukunftswagen"  ein  für  beiderseitige 
Selbstseitenentleerung  eingerichteter 
Flachboden  wagen  sein  müßte,  wo- 
durch die  Hauptziele  der  Eisenbahn- 
verwaltungen, u.  zw. 

a)  Verbilligung  der  Beförderungs- 
kosten durch  Erhöhung  der  Nutzleistung 
der  Wagen  infolge  Einschränkung  der 
Entladefristen; 

b)  Verringerung  der  Betriebsleistungen 
im  Zugdienst  durch  Herabminderung  der 
Leerläufe  und 

c)  Verringerung  der  laufenden  Be- 
triebsausgaben durch  Minderbedarf  an 
Wagen,  obgleich  jeder  Wagen  teurer  wird, 
erreicht  würden.  Außerdem  würden  so- 
wohl für  die  Eisenbahnverwaltungen 
als  Verfrachter  als  auch  für  die  Verkehr- 
treibenden erhebliche  Ersparnisse  an 
Entladekosten  gegenüber  der  bisherigen 
Handentladung  erzielt,  und,  was  in  volks- 
wirtschaftlicher Beziehung  besonders  in 
die  Wagschale  fällt,  es  würden  recht  viel 

Arbeiter  erspart.  Die  Beschränkung  in  der  Ver- 
wendung der  bisherigen  S.  würde  entfallen,  da 
ein  derartiger  S.  im   allgemeinen  Verkehr  mit 


.\bb,  5: 


Selbstentladewagen.  -   Semmeringbahn." 


29 


offenen  Güterwagen,  mithin  auch  für  Stückgüter 
und  auf  längere  Strecken  verwendbar  sein  würde. 
Auch  würden  die  bis  zu  50  *^  betragenden  Leer- 
läufe der  bisherigen  S.  vermieden  werden 
können. 

Ein  solcher  neuzeitlicher  S.  ist  in  den 
Abb.  80-82  dargestellt.  Abb.  80 au.  b  zeigen 
Querschnitt  und  Stirnansicht  des  Flachboden- 
wagens, Abb.  81  die  Draufsicht  des  zur  Auf- 
nahme von  Massengut  hergerichteten  Selbstent- 
laders und  Abb.  82  zeigt  die  Ansicht  des  Selbst- 
entladers mit  geöffneter  Selbstentladevorrichtung. 

Die  Abbildungen  und  die  bisherigen  Probe- 
entladungen ergeben,  daß  die  an  den  Zu- 
kunftswagen zu  stellenden,  voraufgeführten 
Forderungen  durch  den  Flachbodenwagen  mit 
Selbstentladevorrichtung  für  Seitenentleerung 
erfüllt  werden  dürften.  Über  die  Bewährung 
des  Wagens  liegen  zurzeit  größere  Betriebs- 
erfahrungen noch  nicht  vor;  umfangreiche 
Erprobungen  sind  aber  dem  Vernehmen  nach 
bereits  eingeleitet.  Über  die  wirtschaftliche 
Bedeutung  eines  geeigneten  S.  für  die  Eisen- 
bahnverwaltungen und  Industrie  sowie  über 
die  Verwendung  von  S.  erforderlichen  Ein- 
richtungen auf  den  Bahnhöfen  und  indu- 
striellen Werken  vgl.  die  Aufsätze  des  Ver- 
fassers in  Glasers  Ann.   1915,  Ztg.   d.  VDEV. 

1915,  Deutsche  Bahnmeister -Zeitung  1915, 
Verkehrstechn.  W.  1916  und  Zeitung  des  Ver- 
eins   der    Ingenieure   der  österr.  Staatsbahnen 

1916.  Vgl.  Lade-  und  Entladevorrichtungen; 
Die  Gießerei  1918;  Fortschritte  der  Technik, 
H.  3;  Über  die  Verwendung  von  Selbstentladern 
im  öffentlichen  Verkehr  der  Eisenbahnen,  von 
F.  Dütting,   Berlin  1919.  Scheibner. 

Selbstkosten  der  Beförderung  von  Personen 
und  Gütern,  die  Summe  der  Ausgaben,  die 
der  Bahnverwaltung  aus  der  Durchführung  des 
Beförderungsgeschäftes  selbst  erwachsen.  Die 
Erfassung  dieser  S.  ist  äußerst  schwierig  und 
kann  mit  voller  Sicherheit  nie  gelingen. 

Vgl.  die  ausführlichere  Behandlung  dieses 
Gegenstandes  in  den  Art.  Betriebsergebnisse, 
Bd.  II,  S.  299  ff.  und  Gütertarife,  Bd.  V, 
S.  456. 

Selbsttätige  Bremsen  s.  Bergbahnen, 
Bremsen  und  Elektrische  Eisenbahnen. 

Selbsttätige  Kuppelungen  der  Eisen- 
bahnfahrzeuge sind  nur  in  vereinzelten  Fällen 
zur  Ausführung  gelangt.  Alle  bisher  versuchten 
Formen  der  S.  verdanken  ihre  Entstehung  dem 
Bestreben,  das  immer  mit  Gefahr  verbundene 
Handverkuppeln  der  Fahrzeuge  entbehrlich  zu 
machen. 

Die  bisher  versuchten  Bauarten  der  S.  sind  im 
Art.  Kuppelungen,  Bd.  VII,  S.  34  ff.  beschrieben. 


Selbsttätige  Signale  (automatic  Signals; 
Signals  automatiqiieux;  segnall  automatici), 
Signale,  bei  denen  die  sichtbaren  oder  hörbaren 
Signalzeichen  durch  unmittelbare  Einwirkung 
der  Züge  oder  einzelner  Betriebsmittel  hervor- 
gerufen werden.  Im  weiteren  Sinn  gehören  dazu 
die  selbsttätigen  Läutewerke,  die  durch  den  Zug 
ausgelöst  werden  (s.  Überwegsignale),  die 
Führerstandsignale  (s.  d.),  die  auf  die  Annähe- 
rung an  ein  feststehendes  Signal  aufmerksam 
machen  oder  die  Stellung  eines  solchen  Signals 
anzeigen,  die  Signale,  die  anzeigen,  ob  ein 
Gleis  oder  ein  Gleisabschnitt  besetzt  oder  frei 
ist  u.  a. 

Im  engeren  Sinn  versteht  man  unter  S. 
die  Blocksignale,  bei  denen  der  fahrende 
Zug  das  in  der  Grundstellung  „Fahrt  frei« 
zeigende  Signal  hinter  sich  auf  „Halt"  bringt 
und  das  Signalzeichen  »Fahrt  frei"  in  be- 
schränktem oder  vollem  Umfang  erst  wieder 
herstellt,  nachdem  er  eine  bestimmte  Stelle  der 
Strecke  erreicht  hat  (s.  Blockeinrichtungen, 
Bd.  II,  S.  407).  Hoogen. 

Semaphor  (scmaphor  signal;  semaphorc; 
semaforo),  Zeichentelegraph;  im  Eisenbahn- 
signalwesen wird  damit  das  Arm-  oder  Flügel- 
signal bezeichnet,  das  aus  einem  Mast  mit 
einem  oder  mehreren  Armen  oder  Flügeln 
besteht.  Durch  verschiedene  Stellung  der  Arme 
oder  Flüge!  werden  die  Begriffe  „Halt",  „Lang- 
sam fahren"  und  „Fahrt  frei"  ausgedrückt  (s. 
Signalwesen).  Hoogen. 

Semmeringbahn,  Teilstrecke  der  Linie 
Wien-Triest  der  österreichischen  Südbahn- 
gesellschaft, beginnt  in  der  Station  Gloggnitz  in  ■ 
Niederösterreich  mit  der  Seehöhe  von  438-861  m, 
überschreitet  die  Ausläufer  der  Norischen  Alpen 
in  der  Nähe  des  Semmeringpasses  (898-056  ni 
ü.  M.)  und  endet  in  Steiermark  in  der  Station 
Mürzzuschlag  (680-945  m  ü.  M.).  Die  S.,  bekannt 
wegen  der  landschaftlich  prächtigen  Ausblicke, 
besitzt  als  erste  Gebirgsbahn  Europas  hervor- 
ragende geschichtliche  Bedeutung.  Bau  und 
Betrieb  wurden  für  die  Entwicklung  des  Eisen- 
bahnwesens, besonders  aber  für  jene  des 
Lokomotivbaues,  von  bahnbrechender  Be- 
deutung. Erbaut  wurde  die  S.  von  Karl  Ritter 
von  Ghega  (s.  d.).  Ghega  wurde  im  Jahre 
1841  zur  Leitung  des  Baues  der  staat- 
lichen Linie  Wien-Triest  berufen,  von  der 
damals  die  Teilstrecke  Wien-Gloggnitz  im 
Betrieb  stand.  Die  Bahn  von  Neustadt  aus 
über  Ödenburg  (Ungarn)  zu  führen,  war 
aus  politischen  Gründen  nicht  zulässig;  es 
mußten  also  die  Ausläufer  der  Norischen 
Alpen  überschritten  werden,  was  nur  mit 
Anwendung   großer  Neigungen    und  scharfer 


30 


Semmeringbahn. 


Krümmungen  mö<;Iich  war;  diese  Umstände 
erregten  wegen  der  Wahl  einer  riciitigen  Be- 
triebsweise so  große  Bedenken,  daß  man  die  Ent- 
scheidung hierüber  vorläufig  in  Schwebe  ließ 
und  zunächst  die  Bahn  von  Mürzzuschlag  aus 
weiterbaute.  Auf  Grund  eingehender  Studien, 
die  Ghega  in  Amerika  gemacht  hatte,  wo 
schon  einige  Gebirgsbahnen  im  Betrieb  standen, 
empfahl  er  die  Überschienung  des  Semmerings 
mittels  einer  gewöhnlichen  Lokomotiv-Reibungs- 
bahn.  Daneben  wurde  aber  auch  die  Anlage 
einer  atmosphärischen  Eisenbahn  näher  studiert. 
Die  Frage  der  Überschienung  des  Semmerings 
erregte  im  In-  und  Ausland  lebhaftes  Interesse, 
das  in  verschiedenen  Vorschlägen  ihren  Aus- 
druck fand.  So  schlug  der  damalige  Ober- 
ingenieur Karl  Keißler  vor,  die  Bahn  von  Qlogg- 


Siationfientle.Ttin^en   ', 
Meeresapieöel 
Orsr.-li  !«.,■-■ 
Kilometer 


^•ei4..4iasj — s2Ct — [Aoe7-|— ^190— ^.5aft-^'°^.t9642  8<'4~^'*^~^ 
H-'  I       uo         I  Z5.0     I      1^     I        i^        I  ly?     Iit.'a'    i^e^I^ 


MalssUb  für  Qie  Längen  ;  1^70  000 
-      .       .      ,   Höhen  :  1-30.0^0 

Abb.  83. 
Längenschnitt  der  Semmeringbatin   nacti   dem   Ausführungsplan. 

nitz  Über  Payerbach  durch  die  Prein  zu  führen 
und  die  Kammalpe  mittels  eines  6  km  langen 
Tunnels  unter  dem  Semmeringkogel  in  der 
Richtung  gegen  Spital  zu  durchbrechen.  Von 
Seite  des  Österreichischen  Ingenieurvereins 
wurde  unter  ausführlicher  Begründung  die  Ver- 
bindung der  Bahnhöfe  Gloggnitz  und  Mürz- 
zuschlag  durch  Seilbahnen  empfohlen.  Die 
Regierung  entschied  sich  jedoch  für  eine  Loko- 
motivbahn, deren  Bau  im  Jahre  1848  begann. 
Im  Jahre  1850  wurde  von  der  Regierung  über 
Vorschlag  Ghegas  ein  Preis  für  die  zum  Betrieb 
der  S.  geeigneteste  Lokomotive  ausgeschrieben. 
Über  die  Ergebnisse  dieses  Wettbewerbs  s.  Art. 
Lokomotive  (Bd.  VII,  S.165).  Am  24.  September 
1853  fand  eine  Probefahrt  von  Mürzzuschlag 
bis  zum  Viadukt  über  die  „kalte  Rinne"  statt 
und  am  23.  Oktober  desselben  Jahres  konnte, 
nach  Vollendung  des  einen  Gleises,  die  ganze 
S.  das  erste   Mal,   u.  zw.   mit   der  Lokomotive 


,;Lavant"  der  südlichen  Staatsbahn  befahren 
werden.  Anfangs  Dezember  1853  wurde  der 
Güterverkehr  eröffnet,  am  17.  Mai  1854  fuhr 
Kaiser  Franz  Joseph  I.  über  die  S.  und  am 
17.  Juli  1854,  nachdem  auch  das  zweite  Gleis 
fertig  war,  wurde  die  Bahn  dem  allgemeinen 
Betrieb  übergeben. 

Die  S.  (Abb.  83)  läuft  von  Gloggnitz  aus 
an  der  südlichen  Bergwand  des  Schwarzatais 
bis  Payerbach,  übersetzt  mit  einem  Viadukt 
das  Tal  und  zieht  an  der  gegenüberliegenden 
Bergwand,  von  der  Richtung  Gloggnitz-Payer- 
bach  wenig  abweichend,  bis  zur  Station  Eich- 
berg, die  17L118/ß  über  Gloggnitz  angelegt 
ist.  Hier  biegt  sich  die  Linie  nach  rechts  und 
läuft  an  der  südöstlichen  Berglehne  in  be- 
deutender Höhe  über  der  Sohle  des  Schott- 
wienertals bis  in  die  Nähe  der  Ruine  Klamm, 
von  wo  aus  sie  stetig  steigend  längs  des 
Adlitzgrabens  in  vielfachen  Krümmungen  bis 
zur  Polleroswand  zieht,  die  „kalte  Rinne" 
mit  einem  Viadukt  von  184  m  Länge  und 
46  rn  Höhe  im  Bogen  von  190  in  Halbmesser 
überschreitet  und  sich  dann  an  der  Nordseite 
des  Gebirges  zur  Einsattlung  des  Semmerings 
emporwindet.  Sie  unterfährt  diese  mit  einem 
Tunnel  von  1430  m  Länge  in  gerader  Richtung 
und  senkt  sich  sodann,  an  der  rechten  Seite 
des  Fröschnitztals  hinziehend,  nach  Mürzzu- 
schlag hinab.  Während  des  Betriebs  wurde  die 
Haltestelle  Küb  zwischen  Payerbach  und  Eich- 
berg eröffnet. 

Die  Länge  der  Bahn  von  der  Stationsmitte 
in  Gloggnitz  bis  zu  jener  in  Mürzzuschlag 
beträgt  4LS13  km;  hiervon  liegen  50 "»  in 
der  Geraden;  der  kleinste  Krümmungshalb- 
messer beträgt  190  m;  die  mit  ihm  ausgeführten 
Bögen  haben  eine  Gesamtlänge  von  6'6S&  km. 
Die  stärkste  Neigung  beträgt  25^,öo;  sie  hat 
zwischen  Eichberg  und  Klamm  auf  eine  un- 
unterbrochene Länge  von  3'57  km  und  im 
ganzen  auf  22'911  km  Anwendung  gefunden; 
wagrecht  liegen  außer  den  Stationen  nur  5 
kleinere  Strecken  von  zusammen  0'416  km 
Länge.  Die  Zahl  der  Tunnel  beläuft  sich  auf 
15;  der  kürzeste  ist  14/;?,  der  längste  1430/;? 
lang;  ihre  Gesamtlänge  beträgt  4'533  km.  Im 
Zug  der  Bahn  kommen  118  gewölbte  Brücken 
von  2-15/;/  Spannweite,  1 1  eiserne  Brücken 
und  16  Viadukte  vor,  von  denen  mehrere 
mit  2  Bogenstellungen  übereinander  ausgeführt 
sind.  Diese  Viadukte  liegen  zumeist  in  sehr 
scharfen  Bögen  und  starken  Neigungen  und 
sind  zusammen  rd.  1500  m  lang;  sie  besitzen 
Spannweiten  bis  zu  20  ///;  der  längste  Viadukt 
ist  jener  über  die  Schwarza  bei  Payerbach 
(228  m).  Einschnitte  sind  möglichst  vermieden; 
von    Erddämmen,    Steinpflasterungen    u.  s.  w. 


Semmeringbahn.  -   Serbische  Eisenbahnen. 


31 


wurde  wenig  Gebrauch  gemacht,  die  Bahn 
vielmehr  fortwährend  unter  ausgedehnter  An- 
wendung von  Stütz-  und  Wandmauern  mit 
2-15/«  Höhe,  deren  Gesamtlänge  ungefähr 
13  km  beträgt,  an  die  Berglehnen  angeschmiegt. 

Der  Oberbau  wurde  beim  Bau  sehr  sorg- 
fältig hergestellt.  Die  aus  Schlägelschotter  ge- 
bildete Einbettung  erhielt  Grundbau  und  Stein- 
banketts, die  Schienen  (42-52  kglin)  lagen  auf 
einem  aus  Lang-  und  Querschwellen  gebildeten 
Rost,  wobei  auf  jeder  Schwelle  Unterlagsplatten 
in  Anwendung  kamen.  In  dem  Maß,  als  die 
Schwellen  unbrauchbar  wurden,  beseitigte  man 
diese  Bauweise  vollständig  und  ging  zu  der 
auf  den  übrigen  Strecken  der  Linie  Wien- 
Triest  gebräuchlichen  Bauart  mit  einfachen  höl- 
zernen Querschwellen  über.  Gegenwärtig  besteht 
der  Oberbau  aus  1 2-5  und  1 5  ni  langen  Schienen 
von  44  kg'ni  auf  Holzschwellen  von  72  —  74  an 
Entfernung  mittels  Spannplatten,  die  in  Bögen 
ab  300  m  Halbmesser  auf  allen  Schwellen,  in 
allen  übrigen  schwächeren  Bögen  und  in  der 
Geraden  auf  jeder  zweiten  oder  dritten  Mittel- 
schwelle   und    auf   den    Stoßschwellen    liegen. 

Die  Hochbauten  sind  teils  aus  Bruchsteinen, 
teils  aus  Ziegeln  und  Fachwerk. 

Die  Kosten  der  Herstellung  und  Betriebs- 
einrichtungen der  S.  stellten  sich  auf  rd.  50  Mill. 
Kronen. 

Der  Haupttunnel  erfuhr  nach  Ablauf  des 
ersten  Betriebsjahres  eine  größere  Ausbesserung, 
indem  man  einen  Teil  der  Ziegelmauerung 
durch  Quadern  ersetzte.  An  den  Enden  wurden 
Tore  angebracht,  die  im  Winter  nur  für  den  i 
Verkehr  der  Züge  geöffnet  wurden;  dennoch 
mußte  bei  starker  Kälte  der  Tunnel  geheizt 
werden,  zu  welchem  Zweck  im  Jahre  1857  in  der 
Station  Semmering  eine  Gasanstalt  errichtet 
wurde  und  4  Ofen  im  Tunnel  zur  Aufstellung 
gelangten.  Die  stetig  anwachsende  Dichte  des 
Zugverkehrs  zwang  zur  Beseitigung  der  Tunnel- 
tore. Im  Jahre  1916  gelangte  ein  elektrisch  be- 
triebener Ventilator  von  100  PS.  zur  Aufstellung, 
der  durch  Lufteinpressung  wirkt.  Die  im  Lauf  der 
Zeit  infolge  Abwitterung  schadhaft  gewordenen 
Ziegelwölbungen  der  Kunstbauten  wurden  auf 
30  —  60  cm  Tiefe  durch  Stampfbeton  und  Beton- 
formsteine ausgebessert;  bei  dem  Haupttunnel 
und  einigen  kleineren  Tunneln  erneuerte  man 
die  Kappe  des  Gewölbes  mit  Klinkerziegeln, 
um  eine  größere  Widerstandsfähigkeit  gegen 
die  Einwirkung  der  Rauchgase  zu  erzielen;  abge- 
wittertes Quadermauerwerk  wurde  durch  Stampf- 
beton mit  Eiseneinlage  ersetzt. 

Für  die  Beförderung  der  Schnell-  und  Per- 
sonenzüge dienen  zweizylindrige  Verbundloko- 
motiven mit  4  gekuppelten  Achsen  und  einer 
radial  einstellbaren  Laufachse,  56'6  t  Reibungs- 


gewicht, 67'8  t  Dienstgewicht  und  mit  dreiachsi- 
gem Schlepptender;  diese  Lokomotiven  befördern 
in  der  Strecke  Payerbach-Semmering  230  /  mit 
Ab  km  Geschwindigkeit;  ferner  stehen  zweizylin- 
drige Heißdampflokomotiven  mit  5  gekuppelten 
Achsen  und  radial  einstellbarer  Laufachse  von 
69  t  Reibungsgewicht,  BIT  ^  Dienstgewicht,  mit 
Schlepptender  in  Verwendung;  sie  befördern  in 
obgenannter  Strecke  300  t;  auch  vierzylindrige 
Verbundlokomotiven  ähnlicher  Bauart  sind  im 
Betrieb.  Für  die  Güterzüge  werden  vorwiegend 
zweizylindrige  Verbundlokomotiven  mit  5  gekup- 
pelten Achsen,  verschiebbarer  Vorder-,  Mittel- 
und  Endachse,  66'5  t  Gewicht,  Schlepptender 
und  mit  einer  Leistung  von  280  t  in  den  stark 
geneigten  Strecken  verwendet;  Geschwindigkeit 
1 8  —  35  kmjStd.  Überschreitet  die  Belastung  die 
für  eine  Lokomotive  aufgestellte  Grenze,  so 
werden  die  Züge  mit  Vorspann  befördert;  von 
einer  bestimmten  Höchstbelastung  an  werden 
die  Züge  nachgeschoben,  z.  B.  Personenzüge 
von  320  bzw.  350  (  an;  Güterzüge  können  bei 
Nachschiebedienst  650  (  schwer  sein. 

Literatur:  Schmid,  Bericht  über  den  gegenwär- 
tigen Stand  der  Anwendung  der  Eigenschaften  der 
atmosphärischen  Luft  zur  Fortschaffung  von  Eisen- 
bahnzügen. Wien  1849.  —  Programm  zu  dem  Kon- 
kurs über  die  geeignetste  Semmeringlokomotive.  Wien 
1850.  —  Schmid,  Mitteilungen  über  die  Vorberei- 
tungen der  materiellen  Mittel  zum  Betrieb  der  Eisen- 
bahn über  den  Semmering.  Wien  1852.  -  Qhega, 
Übersicht  der  Hauptfortschritte  des  Eisenbahnwesens 
von  1840-1850.  Wien  1852.  -  Enger th,  Die  Lo- 
komotive der  Staatseisenbahn  über  den  Semmering. 
Wien  1854.  —  Aichinger  u.  Birk,  Beschreibung 
der  Anlage  und  des  Betriebs  der  Semmering-Eisen- 
bahn.  Wien  1861.  -  Qottschalk,  Bericht  über  den 
Zugförderungs-  und  Werkstättendienst  der  österrei- 
chischen Südbahn  während  der  Jahre  1868-1877.' 
Wiesbaden  1878.  —  Kramer,  Maschinendienst  auf 
der  Brennerbahn.  Wien  1878.  -  Birk,  Die  Sem- 
meringbahn, Denkschrift  zu  dem  25iährigen  Jubiläum 
ihrer  Betriebseröffnung.  Wien  1879.  —  Lihotzky, 
Das  25iährige  Jubiläum  der  S.  Wien  1879.  -  Ge- 
schichte der  Eisenbahnen  der  österreichisch- 
ungarischen Monarchie  (1898  u.  1908).  Abhandlungen 
finden  sich  auch  in  der  „Eisenbahnzeitung  1848-  1850 
und  in  der  Ztschr.  d.  Österr.  Ing.-V.  (1848  ff.). 

Birk. 

Senegal  s.  Französisch-Westafrika. 

Sequestration,  Zwangsverwaltung  im  Fall 
der  Verhängung  des  Konkurses  über  das  Ver- 
mögen einer  Eisenbahn  oder  aus  anderen 
Gründen  (zur  Erzwingung  der  dem  Unter- 
nehmer obliegenden  konzessionsmäßigen  oder 
sonstigen  öffentlich  rechtlichen  Verpflichtungen, 
ferner  im  Zusammenhang  mit  der  Inanspruch- 
nahme einer  staatlichen  Zinsengarantie  u.  s.  w.), 
s.  Zwangsverwaltung. 

Serbische  Eisenbahnen.  Für  Teilstrecken 
der  S.  besaß  ein  belgisch-französisches  Kon- 
sortium schon  1867  die  Konzession.  Auch  die 
österreichisch-ungarische  Staatseisenbahngesell- 


32 


Serbische  Eisenbahnen. 


Schaft  beschäftigte  sich  zu  jener  Zeit  mit  serbi- 
schen Bahnpiänen,  ohne  daß  es  indessen  damals 
zu  ihrer  Ausführung  gekommen  wäre.  Erst 
durch  den  Berliner  Vertrag  vom  Jahre  1878 
wurden  diese  Pläne  der  Verwirklichung  näher 
gerückt  (vgl.  Orientalische  Eisenbahnen  und 
Orientbahnen). 

Auf  Grund  des  Berliner  Vertrags  zwischen 
der  österreichisch-ungarischen  Monarchie,  der 
Türkei,  Serbien  und  Bulgarien  verpflichtete 
sich  die  serbische  Regierung,  folgende  Linien 
zu  bauen  und  bis  15.  Oktober  1886  dem 
Betrieb  zu  übergeben: 

1.  Eine  Eisenbahnlinie  von  Belgrad  nach 
Nisch  zum  Anschluß  an  die  ungarischen  Bahnen; 

2.  eine  Verbindungslinie  von  Nisch  bis  zur 
serbisch-bulgarischen  Grenze  über  Pirot  gegen 
Bellova  in  der  Richtung  gegen  Konstanti- 
nopel; 

3.  eine  Verbindungslinie  von  Nisch  über 
Vranja  nach  einem  im  gemeinsamen  Einver- 
ständnis zu  bestimmenden  Punkt  der  serbisch- 
ottomanischen  Grenze  zum  Anschluß  an  die 
ottomanische  Eisenbahnlinie  Saloniki-Mitro- 
vitza. 

Zur  Ausführung  der  serbischen  Strecken 
Belgrad-Nisch-Vranja-Ristovac  (damalige  tür- 
kische Grenze)  wurde  laut  Beschluß  der 
serbischen  Skupschtina  im  Jahre  1881  ein  Vertrag 
mit  der  Union  generale  wegen  Gründung  einer 
Aktiengesellschaft,  Compagnie  deConstruction  et 
Exploitation  des  Chemins  de  fer  de  l'Etat  Serbe, 
mit  einem  Nominalkapital  von  100  Mill.  Fr.  ge- 
schlossen. Die  serbische  Regierung  übernahm 
die  Verpflichtung,  diese  Summe  im  Laufe  von 
50  Jahren  (von    1881    angefangen)   zu   tilgen. 

Im  Januar  1882  geriet  die  Gesellschaft,  nach- 
dem sie  den  Bau  begonnen  hatte,  in  Konkurs. 

Es  gründeten  hierauf  die  österreichische 
Länderbank  und  das  Comptoir  d'Escompte  in 
Paris  eine  neue  Bau-  und  Betriebsgesellschaft 
(Compagnie  de  Construction  et  de  l'Exploita- 
tion  des  Chemins  de  fer  de  l'Etat  Serbe),  die 
an  Stelle  der  Union  generale  trat. 

Die  neue  Gesellschaft  übernahm  die  Ver- 
pflichtungen der  Union  generale  und  später 
auch  den  Bau  der  Linie  Nisch-Pirot. 

Die  Linie  Belgrad-Nisch  (244  km)  wurde 
im  Jahre  1884  in  Betrieb  gesetzt,  ihre  Fort- 
setzung Nisch-Leskovac-Vranja-Ristovac  (da- 
malige türkische  Grenze,  122  km)  im  Jahre 
1886.  Die  Linie  Nisch -Bela  Palanka-Pirot- 
Zaribrod  (97-6  km)  blieb  infolge  des  serbisch- 
bulgarischen Krieges  im  Rückstand  und  er- 
folgte ihre  Eröffnung  erst  1887. 

1886  wurden  die  Zweigbahnen  Velika-PIana- 
Semendria  (Smederovo)  und  Lapovo-Kragu- 
jevac  eröffnet. 


Die  Zweigbahn  nach  Semendria  wurde  ur- 
sprünglich als  Materialbahn  für  die  Hauptlinie 
hergestellt,  über  Beschluß  der  Skupschtina 
jedoch  für  den  öffentlichen  Verkehr  umge- 
baut. Die  normalspurige  Abzweigung  von 
Lapovo  nach  Kragujevac  (2Q-2  km),  dem  Ar- 
senal von  Serbien,  wurde  ursprünglich,  und 
bis  zur  Übernahme  des  Betriebs  durch  den 
Staat,  als  Militärbahn  betrieben. 

1890  erfolgte  die  gesetzliche  Sicherstellung 
des  Baues  einer  20  -  25  km  langen  Bahn  von 
Cuprija  nach  den  Kohlenwerken  von  Senje. 
Diese  Bahn  wurde  1892  mit  einer  Spur  von 
75  cm  dem  Verkehr  übergeben. 

Am  2.  Juni  1889  hat  die  Regierung  den 
der  Gesellschaft  für  den  Bau  und  Betrieb  der 
serbischen  Staatsbahnen  vertragsmäßig  oblie- 
genden Betrieb  der  S.  selbst  übernommen,  und 
wurde  für  die  Betriebführung  eine  General- 
direktion der  serbischen  Staatsbahnen  errichtet. 

So  wurde  im  Jahre  1890  der  serbische 
Staat  Besitzer  eines  540  km  langen  Eisenbahn- 
netzes, das  erst  im  Jahre  1909  um  14-6  km 
(die  Strecke  Stalac-Krusevac)  verlängert  wurde, 
also  im  ganzen  etwa  555  km,  welche  Länge 
unverändert  bis  zum  Jahre  1912,  vor  dem 
Balkankrieg,  blieb.  1912  wurde  noch  die 
Strecke  Prahovo  (a.  d.  Donau)-Zajecar-Knja- 
zevac  {W^  km)  eröffnet.  Im  Jahre  1913,  nach 
dem  Balkankrieg,  besetzte,  wie  bekannt,  Ser- 
bien die  Eisenbahnen  in  Mazedonien :  Üsküb- 
Mitrovitza  (119-5  Aot),  Üsküb-Gewgheli  (bis 
zur  neuen  Grenze  mit  Griechenland,  1 507  km) 
und  von  Üsküb-Ristovac-Sibevca  (die  frühere 
Grenze  zwischen  Griechenland  und  der  Türkei, 
Qb-Akm),  Bitolia-Kinali  (18äot,  bis  zur  neuen 
serbischen  Grenze),  im  ganzen  372'9  km  maze- 
donische Eisenbahnlinien. 

Außer  diesen  normalspurigen  Eisenbahnen 
besaß  Serbien  an  schmalspurigen  staatlichen 
Bahnen  (0-76 /ra-Spur),  die  Strecken:  Mlade- 
novac  (an  der  Eisenbahnlinie  Belgrad-Velika 
Plana  nach  Nisch) -Arangjelovac-Lazarevac- 
Laikovac  (nach  Valjevo,  74-2  km),  eröffnet 
1904  und  1910;  Sabrej  (a.  d.  Save)-Obrenovac- 
Laikovac -Valjevo  (67-5  km,  eröffnet  1906); 
Cuprija  (an  der  Eisenbahnlinie  Belgrad-Nisch, 
südöstlich  von  Kragujevac)-Senski  Rudnik  Ravna 
Reka  (westlich  von  Zajecar,  3 1  -2  km,  zum  Trans- 
port der  Steinkohlen,  die  von  75  auf  76  cm 
umgebaut  wurde;  ferner  (unter  Einlegung  einer 
dritten  Schiene  auf  der  Strecke  Stalac-Kru- 
sevac) Stalac  (an  der  Bahnlinie  Belgrad-Nisch, 
südlich  von  Cuprija)-Krusevac-Kraljevo-Cacak- 
Po2ega-Uzice  (167-1  km);  gleichzeitig  wurde 
ein  nicht  dem  öffentlichen  Verkehr  dienender 
Flügel  nach  der  Pulverfabrik  Obilicevo  eröffnet. 
Die    Linien    Paradin -Izvor-Krivivir- Zajecar- 


Serbische  Eisenbahnen. 


33 


Vrazogrnce  (1 05- 1 /fw)  folgten  am  I.Januar  1911, 
ausgenommen  die  Bergstrecke  izvor-Krivivir,  die 
erst  Januar  1912  eröffnet  wurde;  1912  besaß 
Serbien  im  ganzen  422  km.  Außerdem  war  eine 
Verbindung  von  Cacak  nach  Lazarevac  geplant, 
die  sich  dort  an  die  Linie  nach  Zabre2  an- 
schließen sollte. 

Zur  Erbauung  der  normalspurigen  Bahnen 
hat  der  serbische  Staat  bis  zum  Jahre  1912 
115,850.166  Dinar  (Fr.)  ausgegeben,  für  In- 
ventar und  bewegliches  Material  29,783.733  Fr. 
Außer  den  staatlichen  Schmalspurbahnen  be- 
stehen noch  die  Privatschmalspurbahnen  Sabac 
a.  d.  Save-Lesnica-Loznica  nächst  der  Drina  in 
der  Macvaebene,  Spur  76  an,  Dubravica  a.  d. 
Donau-Pozarevac  der  Pozarevacer  Kreisbahn, 
Spur  76  cm,  die  Kohlenbahn  Radujevac  a.  d. 
Donau-Vrazogrnce-Vrska  Caka  am  Timok  der 
belgischen  Societe  Industrielle  Serbe,  Spur  76  r/«. 

Im  Bau  standen  bei  Kriegsbeginn  noch  die 
Staatslinien  Arangelovac  und  Kragujevac  nach 
Terstenik,  die  Linie  Knjazevac-Nisch  sowie  die 
Fortsetzung  der  Pozarevacer  Kreisbahn  gegen 
Zagubica.  Durch  Gesetz  vom  6./ 18.  Dezember 
1898,  betreffend  den  Bau  und  Betrieb  neuer 
Eisenbahnen  (abgeändert  durch  Gesetze  vom 
5./17.  Oktober  1899,  2./15.  April  1902,  12./25. 
März  1909  und  zuletzt  in  umfassender  Weise 
durch  Gesetz  vom  30.  Mai/ 12.  Juni  1913)  wurde 
die  Durchführung  des  aufgestellten  Eisenbahn- 
bauprogramms, das  sich  nach  dem  Gesetz 
vom  Jahre  1913  auf  24  Linien  erstreckte  und 
teils  im  Wege  de^  Staatsbaues,  teils  in  jenem 
der  Konzessionierung  genehmigte.  Die  Durch- 
führung scheiterte  an  finanziellen  Schwierigkeiten 
und  infolge  der  Kriegsereignisse.  Die  öster- 
reichisch-ungarische Verwaltung  nahm  nach 
der  Besetzung  Serbiens  den  Eisenbahnbau,  der 
Cacak  mit  der  Grenzstation  Zabrei  verbinden 
sollte,  in  Angriff.  Die  Arbeiten  wurden  derart 
gefördert,  daß  die  Strecke  Caöak-Gornji  Mila- 
novac  dem  Verkehr  übergeben  werden  konnte, 
während  von  der  Zabre^er  Seite  aus  die  Arbeiten 
bis  zur  Station  Banjani  fertiggestellt  sind.  Es 
verbleibt  also  noch  die  kurze  Strecke  Gornji 
Milanovac-Banjani.  Nach  Vollendung  dieses 
Baues  wird  dem  Verkehr  ein  Gebiet  erschlossen 
werden,  das  zu  den  landwirtschaftlich  frucht- 
barsten, in  bergbaulicher  Hinsicht  aber  infolge 
des  Erzreichtums  des  Rudniker  Gebirges,  das 
die  neue  Bahn  durchschneidet,  zu  den  wich- 
tigsten Gebieten  Serbiens  gezählt  werden  kann. 

Technisches.  Die  Linie  Belgrad-Nisch  be- 
ginnt im  Kopfbahnhof  Belgrad,  in  den  auch  die 
ungarischen  Staatsbahnen  einfahren.  Es  folgt  b'/oo 
Steigung,  dann  ab  Kijevo  12^io  Steigung  zum 
Ripanjtunnel,  1613 /h  lang,  dann  Gefälle  mit  12«;;», 
mit  2  kleineren  Tunneln  und  einer  Brücke  bis 
Mladenovac.  Ab  Mladenovac  enthält  die  ganze  Haupt- 
Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


linie  Mindesthalbmesser  von  500  m  und  sehr  selten 
300/«  Halbmesser  und  Höchstneigungen  von  5fm. 
Es  folgt  Selo  Planina,  bereits  im  Moravatal  und 
Velika  Plana,  Ende  des  für  145  /  Achsdruck  ver- 
stärkten Oberbaues,  ab  hier  nach  Süden  beträgt  der 
Aclisdruck  nur  13  t.  Die  Bahn  steigt  im  Moravatal 
nach  Lapovo  und  überschreitet  hinter  Jagodina 
mit  eisernen  Brücken  die  Lutomira  und  Morava, 
fällt  nach  Cuprija,  steigt  nach  Paracin  bis  Stalac. 
Es  folgen  in  /tm  181  der  Stalactminel,  223  in  lang, 
in  km  190,  bei  Zerovo,  die  zweite  Moravabrücke,  so- 
dann die  größere  Station  Aleksinac,  die  dritte 
Moravabrücke  und  sodann  Nisch.  Es  folgt  weiters 
Leskovac,  Vranja  und  Ristovac  (alt  Zibeftehe),  hmSbb 
ab  Belgrad,  km  238  ab  Saloniki.  Die  Wasserscheide 
zwischen  Morava  und  Vardar  wird  erreicht  in  Pre- 
sevo,  Von  Kumanovo  folgt  Gefälle  von  13—15  foo  bis 
Aleksandrovo  (vorm.  Adjarlar)  und  Skoplje  (vorm. 
Üskiib),  dann  zwischen  Zelenika  und  Veles  (vorm. 
Köprülü),  die  23  km  lange  Vardarenge  mit  2  Vardar- 
brücken  und  einem  300  m  langen  Tunnel.  Zwischen 
Demirkapija  und  Strumica  tritt  die  Bahn  in  die  zweite 
Vardarenge  mit  einer  großen  Vardarbrücke  und 
einem  Tunnel.  Die  letzte  serbische  Station  ist 
Gewgheli,  es  folgt  die  dritte  Enge  Cingane  Derbent 
und  die  Betriebswechselstation  Ooumendje,  ab 
Saloniki  der  ottomanischen  Bahnen  in  griechi- 
schem Betrieb. 

Die  regelspurigen  Abzweigungen  sind:  Velika  Plana- 
Selo  Plana,  Lapovo-Kragujevac,  Stalac-Obilicevo.  - 
Nisch-Zaribrod.  Diese  Strecke  enthält  6  kürzere 
Tunnel  und  überquert  4nial  den  Nisavafluß,  sie  steigt 
von  [-"irot  bis  zur  Grenze  mit  7 -8^»  und  enthält  auch 
einige  Bogen  unter  500 /«  bis  300  m  Halbmesser 
herab.  -  Skoplje-Mitrovitza,  Bogen  bis  300  m  herab, 
Neigungen  bis  zur  Wasserscheide  in  Feri  sovic, 
578  m  ü.  M.  bis  25  fno,  6  Tunnels  in  der  Steilstrecke. 
Ganz  getrennt  vom  übrigen  Netz  ist  der  Regel- 
spurabschnitt  Bitolia  (Monastir)-Monastir-Kinali.  An 
Schmalspurlinien  bestehen,  sämtlich  mit  der  Spur- 
weite 76  cm,  die  Privatbahn  Sabac  a.  d.  Donau 
(Dam pfsch i ffstation)-Lesnica-Loznica,  ganz abgetren nt 
vom  übrigen  Netz  in  der  Ebene  verlaufend.  -  Die  Ab- 
zweigung Mladenovac  -  Arangjelovac-  Laikovac-Ab- 
zweigung.  -  Zabrezje  a.  d.  Donau -Obrenovac 
a.  d.  Donau  (Dampfschiffstation) -Laikovac-Valjevo 
(Kreisstadt),  weiters  Dubravica  a.d.  Donau-Pozarevac, 
ohne  Zusammenhang  mit  dem  übrigen  Netz.  — 
Die  Kohlen  und  Industriebahn  Cuprija-Sv  Petar- 
Senje  Ravna  Reka,  eröffnet  1908  mit  75  cm  Spur- 
weite, umgebaut  auf  76  cm.  Die  Bahn  steigt  anfangs 
mit  17  und  32 9»,  in  der  Endstrecke  mit  Alfoo  und 
enthält  außer  mehreren  kleinen  Brücken  einen  grollen 
Sturzviadukt  für  Kohlenumladung  zur  Hauptbahn.  - 
Die  bedeutendste  Seitenlinie  beginnt  in  Paracin  und 
steigt  von  Donja  Mutnica  an  zur  Siljakwasserscheide 
28  ji»  mit  Tunnel,  um  sofort  wieder  mit  gleicher 
Neigung  nach  Krivivir  zu  fallen,  der  Rest  der  Linie 
bis  Zajecar  geht  durch  Hügelland.  In  Zajecar  schließt 
die  Schleppbahn  zum  Kupferwerk  Boran,  das  60.000  f 
Erz  jährlich  erzeugt.  Ebendaselbst  mündet  die7/i7« 
lange  Schmalspurverbindung  mit  Regelspurunterbau 
nach  Vrazogrnce,  die  einen  Teil  der  zukünftigen 
Donau-Adria-Bahn  bilden  soll  und  jetzt  dje  Zufuhr 
von  Kohle  aus  dem  Bergwerk  Vrska  Caka  am 
Timok  ermöglicht.  Von  Vrazogrnce  nach  Süden 
am  westlichen  Timokufer  besteht  bereits  seit  Jahren 
eine  Privatkohlenbahn  von  60  km  Länge  nach 
dem  (minderwertigen)  Donauhafen  Radujevac.  Da- 
neben, bzw.  unter  teilweiser  Benutzung  derselben 
bis  Romanovo  Most,  ist  die  Normalspur  (FJonau- 
Adria-Bahn)   nach  Negotin  (64  km  ab  Zajecar)   und 


34 


Serbische  Eisenbahnen.   -   Severntunnel. 


der  guten  Donaulände  zwischen  Prahovo  und  Kusjak 
erbaut  und  feldmäßig  in  Betrieb  gesetzt  worden. 
Ebenso  feldmäßig  ist  die  Fortsetzung  dieser  Bahn 
nach  Süden  gegen  Knjazevac,  ungefähr  40  km,  fertig- 
gestellt worden,  während  der  Paßübergang  (Gramad- 
jasattel)  nach  Nisch  (117  km  ab  Zajecar)  noch  mit 
20  kleineren  Tunnels  im  Bau  steht.  —  In  Cicevac 
zweigt  von  der  Hauptlinie  die  Holzschleppbahn 
nach  Sveti  Petar  und  Bela  Reka  ohne  Personen- 
verkehr ab.  In  Stalac  mündet  mit  der  Schleppbahn 
zur  Pulverfabrik  Obilicevo  die  164T  km  lange  Linie 
nach  L'zice  im  Tal  der  westlichen  Morava.  Die  Strecke 
berührt  sodann  Trstenik,  V'rnjacka  Banja,  Kraljevo, 
(iacak  und  Uzice,  von  wo  ein  stark  benutzter  Saum- 
weg über  Mokragora  nach  Visegrad  in  Bosnien  führt. 
Die  Längen  der  Bahnen  in  Serbien  betrugen 
Ende  1912: 

Regelspur:  Staatsbahnen (574 Tarif*/«)  555-4  km 
Schmalspur:  Staatsbahnen  (nicht  in- 
begriffen die  damals  noch  im  Bau 
gestandene  Linie  Prahovo-Zajecar- 

Knjazevac-Nisch) 476-Q    „ 

Ottomanische    Regelspurbahnen     in 

serbischem   Betrieb       387'6    „ 

Privatschmaispurbahnen     (Mlava    b. 
Pozarevac  Kreisbahn,  Tiniok  Koh- 
lenbahn, Bor  Kupferbergbahn)  .     ISO'O    ,, 
Zusammen  .    .  15999Ä/« 
An    Fahrbetriebsmitteln    waren    Ende    1912 
vorhanden    auf    den    Staatsbahnen    44    Loko- 
motiven    für    Schnell-,     Personen-    und     ge- 
mischte Züge    (nachgeschafft    im   Jahre    1913 
18  Stück),    43  Güterzuglokomotiven  (nachge- 
schafft  1913    5  Stück)    und    14    Tenderloko- 
motiven, außerdem  33  Schmalspurlokomotiven 
(nachgeschafft    1913     5     Stück),     271    regel- 
spurige,    98    schmalspurige    Personen-,    Post- 
und   Gepäckwagen    sowie    3517    regelspurige 
und    787    schmalspurige    Güterwagen.     Über 
den  Fahrpark    der    ottomanischen    Bahnen  in 
serbischem  Betrieb    sind    noch    keine  Verein- 
barungen getroffen. 

Die  Anlagekosten  des  staatlichen  Regelspur- 
netzes, inbegriffen  den  Fahrpark,  betrugen 
Ende  1912  149-6  Mill.  Dinar,  der  staatlichen 
Schmalspurlinien  38'4  Mill.  Dinar,  d.  s. 
262.000  Dinar  f.  d. /t/?z  Regelspur  und  81.000 
Dinar  f.  d.  km  Schmalspur. 

Befördert  wurden  auf  der  staatlichen  Regel- 
spur im  Jahre  1912  Reisende  I.  bis  111.  Kl. 
und  Militär  mit  5-98  Mill.  Dinar  Einnahmen, 
1 103  Mill.  t  Gepäck  und  Güter  (132  Mill  tkm) 
mit  9'28  Mill.  Dinar  Einnahmen. 


Seawall 


Literatur:  Offizieller  Statisticki  Pregled.  —  Auf- 
sätze von  Meinhard  in  Sofia  in  verschiedenen 
Zeitschriften. 

Serientarife  s.  Gütertarife. 
Severntunnel.  Der  zweigleisige,  von  der 
Qreat  Western-Eisenbahn  in  den  Jahren  1874  bis 
1886  erbaute  Tunnel,  der  den  Bristolkanal  in 
der  Nähe  der  Severnfiußeinmündung  unterfährt 
und  Bristol  mit  den  Eisenbahnen  in  Südwales 
verbindet,  ist  7262  m  lang,  wovon  3701  m 
unter  dem  Wasser  liegen.  Den  Längenschnitt 
der  unter  Wasser  liegenden  Tunnelstrecke  mit 
den  Neigungsverhältnissen  und  dem  29  m 
tiefen  Schacht  auf  der  Bristolseite  und  den 
beiden  62  m  tiefen,  im  Abstand  von  15  m  zu- 
einander liegenden  Schächten  auf  der  Süd- 
brookseite  zeigt  Abb.  84. 

Die  beiderseitigen  Zufahrtstrecken  zu  dem 
Unterwassertunnel  sind  ebenfalls  mit  Hilfe  von 
Schächten  ausgeführt  worden. 

Der  Lichtquerschnitt  des  Tunnels  hat  7-9  m 
größte  Breite  und  6-1  m  größte  Höhe  über 
Schienenoberkante. 

Die  Ausmauerung  erfolgte  mit  Ziegeln  ira 
Zementmörtel  (2  Z.  1  S.);  im  Firstgewölbe  mit 
0-68- 0-92  OT,  im  Sohlgewölbe  mit  0-48  bis 
0-55  m  Stärke.  Die  Längen  der  Zonen  betrugen 
3-7-7'3/n.  Das  durchfahrene  Gebirge  bestand 
der  Hauptsache  nach  aus  klüftigem  Kohlensand- 
stein, Kohlenschiefer,  Konglomeraten  und  Mergel. 
Vorerst  teufte  man  einen  Schacht  auf  der 
Südbrookseite  ab,  von  dessen  Sohle  ein  etwa 
4-5  m'^  großer  Entwässerungsstollen  vorge- 
trieben, und  im  Tunnel  als  Sohlstollen  fort- 
gesetzt wurde;  ist  größtenteils  mit  Stoßbohr- 
maschinen von  Mac  Kean,  hauptsächlich  aber  von 
Geach  aufgefahren  worden.  Als  Sprengmittel 
wurden  Tonit  und  Sprenggelatine  verwendet. 
Der  zwischen  den  Uferschächten  3701  m  lange 
Sohlstollen  wurde  Ende  September  1881  durch- 
geschlagen. 

Der  Ausbruch  des  Tunnels  erfolgte  nach 
englischer  und  streckenweise  nach  belgischer 
Bauweise,  die  Auszimmerung  mit  Längsträgern. 
Die  Bauarbeiten  wurden  ganz  besonders 
erschwert  durch  einen  Wassereinbruch  an  der 
Grenze  des  Kohlenkalks  auf  der  Südbrook- 
seite mit  etwa  450  /'Sek.,  der  mit  den  vor- 
handenen Mitteln  nicht  bewältigt  werden  konnte. 
Da  auch  der  Wasserzudrang  des  von  der  Bristol- 
seite  im  Gefälle  vorgetriebenen  Stollens  sehr 


Sudbroak 


'asserstoUea 
p-jweit*jr  WasseistoUen- 


Abb.  84.  Severntunnel. 


Severntunnel. 


Siam. 


35 


groß  wurde,  mußten  auch  hier  die  Arbeiten 
eingestellt  werden.  Man  vertiefte  die  Tunnel- 
sohle und  trieb  von  dem  zweiten  Schacht  auf 
der  Südbroockseite  einen  zweiten,  tiefer  gelege- 
nen Entwässerungsstollen  und  dann  den  Sohl- 
stollen vor,  so  daß  der  frühere  Stollen  Mittel- 
stollen wurde  und  entwässert  werden  konnte. 
Durch  Schließung  eines  eingebauten  Damm- 
tores, durch  Taucher  und  bedeutende  Ver- 
stärkung der  Pumpenanlagen  gelang  es,  das 
Wasser  zu  halten. 

Außerdem  traten  noch  mehrere  Unfälle,  wie 
namentlich  ein  Tagbruch  auf  der  Bristoler 
Landseite  ein,  so  daß  die  besonderen  Schwierig- 
keiten, besonders  aber  die  unzulänglichen 
Vorkehrungen  für  Wasserhaltung  und  die  wenig 
sorgsame  und  zweckmäßige  Baudurchführung 
die  bedeutende  Bauzeit  von  über  12  Jahren 
und  einen  Kostenaufwand  bedingte,  der  mit 
über  20  MilL  M.  angegeben  wird. 

Literatur:  Severn  Tunnel.  Eng.  1S76.  —  Severn 
Tunnel.  Engg.  18S0.  —  Severn  Tunnel.  Ann.  d.  ponts 
1882.  —  Severn  Tunnel.  Ann.  d.  trav.  publ.  d.  ßelg. 
1886.  -  Forchheimer,  Englische  Tunnelbauten. 
Aachen  1884.  Dolezalek. 

Short  haut  Clause  s.  unter  Long  and 
short  haut  Clause. 

Shapingmaschine  s.  Hobelmaschinen. 

Siam,  Königreich  in  Hinterindien,  an  Fran- 
zösisch-IndochinaundBritisch-Ostindien(Birma) 
und  südlich  an  die  Halbinsel  Malakka  grenzend, 
634.000  km-,    6,320.000  Einwohner.  ^Der  Bau 


von  Eisenbahnen  geht  zurück  bis  zum  Jahre 
18Q3,  in  welchem  Jahre  die  Regierung  eng- 
lischen Unternehmern  die  Herstellung  einer 
Eisenbahn  zunächst  von  der  Hauptstadt  Bang- 
kok nach  Khorat  konzessionierte.  Mit  diesen 
Unternehmern  wurden  aber  so  schlechte  Er- 
fahrungen gemacht,  daß  die  Regierung  im 
Jahre  1897  beschloß,  die  Anlage  und  den 
Betrieb  der  Eisenbahnen  selbst  in  die  Hand  zu 
nehmen,  und  den  weiteren  Bau  einem  deutschen 
Ingenieur,  dem  preußischen  Baurat  Bethge, 
übertrug.  Von  der  Bahn  Bangkok-Khorat  wurde 
die  erste  Strecke  Bangkok-Geng  Koi  (125  kni) 
am  1.  November  1897  dem  Betrieb  übergeben. 
Diese  Bahn  und  ihre  weiteren  Fortsetzungen  und 
Zweigbahnen  haben  die  Vollspur.  Außerdem 
wurde  eine  schmalspurige  Bahn  (1  /«-Spur)  von 
Bangkok  nach  Petschaburi  (151  kni)  in  Angriff 
genommen,  die  zunächst  die  reichen  Holz-  und 
Reisgebiete  von  Ratburi  und  Petschaburi  dem 
Verkehr  erschließen  sollte.  Sie  ist  am  31.  März 
1903  dem  Betrieb  übergeben  worden.  Seit  dem 
Jahre  1897  werden  regelmäßig  Berichte  über 
den  Bau  und  Betrieb  der  siamesischen  Bahnen 
in  englischer  Sprache  veröffentlicht  (Admini- 
stration reports  on  the  traffic  of  the  Royal 
State  Railways  of  Siam).  Aus  diesen  Berichten, 
die  für  die  Hauptbahnen  seit  1902,  für  die 
Schmalspurbahn  seit  1903  vollständige  Zahlen 
enthalten,  sind  die  nachstehenden  Tabellen  über 
die  langsame,  aber  stetige  Entwicklung  der 
siamesischen     Staatsbahnen    zusammengestellt. 


1.  Vollspurige  Hauptbahnen' 


Jahr 


Länge 
km 


Anlagekapital 


Ver- 
zinsung 


Einnahmen 


Ausgaben 


Überschuß 


Beförderte 
Personen 
Anzahl 


Beförderte 
Güter? 
Anzahl 


1902 
1905 
1910 
1911 
1912 
1913 


306 
424 
744 
781 
797 
804 


19,400.000 
27,055.387 
48,877.770 
50,761.822 
53,334.123 
54,013.090 


3-6 

5-10 

3-86 

3-78 

3-92 

3-34 


1,450.783 
2,031.665 
3,544.769 
3,697.992 
3,777.377 
3,509,328 


669.512 
749.123 
1,416.832 
1,505.162 
1,404.417 
1,333.105 


781.271 
1,282.522 
2,127.937 
2,192.830 
2,370.960 
2,176.228 


1,073.290 
1,324.562 
2,142.682 
2,240.623 
2,199.682 
2,111.099 


91.154 
118.395 
222.1 43 
274.544 
250.293 
241.031 


2.  Schmalspurbahn  Bangkok-Petschaburi. 
Die  Länge  (151-4/««)  ist  unverändert  geblieben,  das  Anlagekapital  hat  sich  nur  unerheblich  von  7-880  auf 

8-241  Mill.  Tikal  vermehrt. 


Jahr 


Verzin- 
sung des 
Anlage- 
kapitals 


Einnahmen 


Ausgaben 


Oberschuß 


Beförderte  Personen 
Anzahl 


Beförderte  Qüteri' 
Anzahl 


1903 
1905 
1910 
1911 
1912 
1913 


3-21 

5-23 
5-19 
6-11 
6-46 
6-24 


486.559 
749.071 
758.923 
828.773 
846.306 
859.108 


214.064 
277.747 
289.370 
283.324 
270.362 
291.509 


272.495 
471.330 
469.553 
545.439 
575.944 
567.599 


fehlen 
892.676 
812.715 
914.537 
933.221 
1,003.501 


fehlen 
31.450 
35.047 
48.645 
56.869 
59.229 


V.  der  Leyen. 

'  Die  Geldbeträge  sind  in  Tikal  angegeben,  deren  Wert  zwischen  M.  MO  und  1-50  geschwankt  hat. 


36 


Sibirische  Eisenbahn. 


Sibirische  Eisenbahn   (s.  Karte  Abb.  85). 
Inhaltsübersicht:  I.  Geschichte.  —  II.  Bau  und 
Ausrüstung.  —  III.  Finanzierung.  -  IV.  Verkehr. 

I.  Geschichte. 

Schon  in  den  Fünfzigerjahren  wurde  im  fernen 
Osten  die  erste  Anregung  zum  Bau  von  Eisen- 
bahnen in  Sibirien  gegeben.  Damals  (1857) 
erteilte  der  Generalgouverneur  von  Ostsibirien 
den  Auftrag,  eine  Kunststraße  zu  erbauen,  die 
den  Ort  Ssophiisk  (am  Amur)  mit  dem  Hafen 
Alexandrowsk  (an  der  Tatarenstraße)  verbinden 
und  so  hergestellt  werden  sollte,  daß  sie  jeder- 
zeit als  Damm  für  eine  Eisenbahn  gebraucht 
werden  könne.  Die  Straße  ist  im  Laufe  der 
Jahre  erbaut  worden,  mit  der  Eisenbahn 
dauerte  es  länger.  Immerhin  gab  dieser  Auf- 
trag die  erste  Anregung  für  die  Erbauung 
von  Eisenbahnen  in  Sibirien,  namentlich  aber 
zum  Bau  der  ersten  dortigen  Eisenbahn  —  der 
Ussuribahn  —  von  Wladiwostok-Chabarowsk 
(1893-  1897).  Seit  jener  Anregung  ist  die  Er- 
örterung und  Förderung  der  Frage,  Sibirien  in 
seiner  ganzen  Ausdehnung  vom  Ural  bis  zum 
Stillen  Ozean  durch  eine  Eisenbahn  zu  erschlie- 
ßen, nicht  von  der  Tagesordnung  abgesetzt 
worden.  Eine  tatkräftige  Förderung  ließen  jedoch 
die  Zeitverhältnisse  nicht  zu.  Der  Orientkrieg 
hatte  die  Erkenntnis  von  der  Nobcs-endigkeit  des 
Baues  von  Eisenbahnen  mit  zwingender  Gewalt 
aufgedrängt.  Kaiser  Alexander  II.  (1855-  1881) 
richtete  indes  sein  Augenmerk  auf  das  europäi- 
sche Rußland.  Jahrelang  wurde  darüber  gestritten, 
ob  die  Verbindung  einer  S.  mit  dem  europäischen 
Eisenbahnnetz  in  nördlicher  Linienführung, 
d.  h.  St.  Petersburg-Rybinsk-Wjätka-Perm,  oder 
in  südlicher  Richtung,  d.  h.  Moskau-Nishni- 
Nowgorod-Kasan-Jekaterinburg  erfolgen  solle. 
1875  trat  zum  ersten  A\al  das  Ministerium 
der  Verkehrsanstalten  mit  einem  Entwurf  her- 
vor. Darnach  sollte  die  S.  zunächst  nur 
bis  Irkutsk,  u.  zw.  «auf  dem  mathematisch 
kürzesten  \X'eg"  geführt  werden.  Es  blieben  hier- 
bei sämtliche  Städte  bis  zu  105  Werst  (111  km) 
seitlich  liegen.  Dieser  Entwurf  schlug  vor, 
die  Bahn  im  Anschluß  an  Ssamara  über  Ufa- 
Slatoust-Tscheljäbinsk  bis  Irkutsk  (3043Werst^ 
3247  km)  weiter  zu  bauen.  Die  V'erhandlungen 
zogen  sich  jahrelang  hin.  Inzwischen  war 
der  Zar  Alexander  HI  (1881  bis  1894)  zur 
Regierung  gekommen,  dessen  Interesse  sich  ganz 
besonders  den  asiatischen  Besitzungen  zuwandte. 

Das  änderte  die  Stellungnahme  der  Regierung. 
Es  wurde  von  Ssamara  aus  zunächst  weiter  ge- 
baut, so  daß  die  Teilstrecken  bis  Ufa  (453  Werst 
=  483  *ot)  1888,  bis  Slatoust  (299  Werst  = 
319  Am)  1890  und  bis  Tscheljäbinsk  (148  Werst 
=  158  km)  1892  für  den  Verkehr  eröffnet 
werden  konnten.  Damit  war  der  Ausgangspunkt 


der  S.  erreicht,  wenngleich  der  Punkt  Tschel- 
jäbinsk immer  noch  etwa  200  Werst  von  der 
geographischen  Grenze  Sibiriens  entfernt  liegt. 

Inzwischen  wurden  die  Vorarbeiten  ge- 
fördert. Namentlich  wurden  geologische  Unter- 
suchungen gemacht,  um  die  Fundstätten  von 
Gold,  Kupfer,  Eisen,  Steinkohle  abzugrenzen, 
auch  die  für  Besiedlungszwecke  geeigneten,  in 
großem  Umfang  vorhandenen  Ländergebiete 
festzustellen  und  so  die  Punkte  zu  finden,  die 
bei  der  Linienführung  der  Bahn  berücksichtigt 
werden  mußten,  abgesehen  von  den  spärlich 
gesäten,  wenigen  größeren  Städten,  an  die, 
entgegen  den  früheren  Absichten,  die  Bahn 
möglichst  herangeführt  \xerden  sollte.  Unter 
dem  Druck  des  Zaren  entschloß  sich  dann 
das  Ministerkomitee,  zu  bestimmen,  daß  der 
Bau  mit  der  Ussuribahn  begonnen  werden 
solle.  Am  17.  März  1891  erließ  der  Zar  ein 
Handschreiben  an  den  Thronfolger,  durch 
das  dieser  beauftragt  wurde,  bei  seiner  Rück- 
kehr von  der  Weltreise  in  Wladiwostok  den 
ersten  Spatenstich  zu  tun  und  zu  verkünden, 
daß  es  des  Zaren  Wille  sei,  daß  eine  un- 
unterbrochene Eisenbahn  vom  Stillen 
Ozean  zum  Ural  geführt  werde,  um  hier  .An- 
schluß an  das  europäische  Eisenbahnnetz  zu 
finden.  Gleichzeitig  bestimmte  der  Zar,  daß 
die  Bahn  für  Rechnung  und  unter  Leitung 
der  Regierung  erbaut  werden  soll.  Der  Thron- 
folger erfüllte  den  Befehl  am  19.  Mai  1891. 
Gleich  darauf  wurde  der  Bau  der  Ussuribahn 
in  Angriff  genommen.  Ebenso  wurde  mit  den 
Vorarbeiten  für  die  Strecke  Tscheljäbinsk- 
Tomsk  begonnen.  Nach  Rückkehr  des  Thron- 
folgers wurde  das  Komitee  für  den  Bau  der 
S.  eingesetzt.  Zum  Vorsitzenden  wurde  der 
Thronfolger  ernannt  und  das  Komitee  mit 
ganz  besonderen  Vollmachten   ausgestattet. 

Nicht  nur  die  bauliche  Durchführung  des 
ganzen  Unternehmens  ruhte  in  erster  Linie 
in  der  Hand  des  Komitees,  sondern  namentlich 
auch  die  sämtlichen  zahlreichen  Hilfsunter- 
nehmungen, die  für  die  gedeihliche  Er^twicklung 
der  Bahn  und  des  Landes  sehr  wichtig  waren. 

Die  Linienführung  verursachte  zunächst  in 
dem  wenig  erforschten,  wenig  bekannten  Lande 
außerordentliche  Schwierigkeiten.  Allerdings 
waren  bei  der  Ussuribahn  in  dieser  Beziehung 
wenig  Bedenken;  denn  sie  war  durch  den 
Flußlauf  auf  der  einen  und  den  Ozean  auf 
der  andern  Seite  von  selbst  gegeben.  Anders 
lagen  die  V^erhältnisse  auf  dem  westlichen 
Teil  des  großen  Schienenwegs.  Hier  wuchsen 
die  Schwierigkeiten  beim  Vorschreiten  nach 
Osten  ständig  und  machten  zunächst  eine 
Unterbrechung  des  Bahnbaues  mit  Erreichung 
des    Baikalsees    not^s-endig,    weil    die    Baikal- 


Sibirische  Eisenbahn. 


37 


Umgehungsbahn  sehr   große   und   schwierige 
Vorarbeiten   forderte.   Das  gewählte  Aushilfs- 
mittel, die  Einstellung  großer  Prähme,   die 
den  Verkehr  über  den  großen  See  vermitteln 
sollten,  entsprachen  nicht  den  Anforderungen 
des  Verkehrs,  was  auch  besonders  hervortrat, 
als  der  Boxeraufstand  in  China  die  schnelle 
BeförderungvonTruppen  notwendig  machtet 
1899  wurde  der  Bau  der  Baikal-Umgehungs- 
bahn (244  Werst  ==  260  km)  genehmigt.  Am 
1.  Juni  1904  war  er  so  weit  fertiggestellt,  daß 
ein  Verkehr  aufgenommen  werden  konnte.  Es 
war  dadurch  derAnschluß  an  die  Transbaikal- 
bahn 1031  Werst  (=  WQQ  km)  erreicht  und 
ein  durchgehender  Verkehr  mit  letzterer  er- 
möglicht. Hiermit  war  der  Bau  in  der  Richtung 
nach  Chabarowsk  zunächst  zu  einem  gewissen 
Abschluß  gekommen,  denn  die  erstmaligen 
(1894  '95),  ganz  allgemein  gehaltenen  Unter- 
suchungen der  ursprünglich  geplanten  Linien- 
führung  der   Reststrecke  Ssrjetensk-Chaba- 
rowsk  rd.  1900  Werst  (=  2027  ä/«)  hatten 
ein  wenig  günstiges  Ergebnis  gehabt.  Die  voll- 
ständige Menschenleere,  die  außerordentlich 
niedrige  Temperatur  im  Winter,  sehr  starke 
Niederschläge  im  Sommer,  Krankheiten,  die 
die  .Arbeiter    der  Forschungsexpedition  er- 
griffen (Skorbut  u. s.w.),  dazu  das  Fehlen  jeg- 
licher Verkehrswege  mit  einziger  Ausnahme 
des  Amur  gaben  Anlaß,   den  Plan,  auf  dem 
direkten  Wege  weiter  fortzuschreiten,  noch- 
mals nachzuprüfen.    Dazu  kamen  politische 
Erwägungen,  die  es  Rußland  wünschenswert 
erscheinen  ließen,  Wladiwostok  auf  dem  Weg 
durch  die  nördliche  Mandschurei  möglichst 
schnell  zu  erreichen.  Verhandlungen  mit  der 
chinesischen   Regierung   führten   (1896)  zu 
einer  Verständigung  dahin,  daß  mit  Hilfe  der 
russisch-chinesischen  Bank  von  dem  Grenz- 
punkt Mandschurija— Station  der  chinesischen 
Ostbahn  -  eine  Bahn  in  der  Richtung  nach 
Wladiwostok  zum  Punkt  Pogranitschnaja  — 
Endstation  der  chinesischen  Ostbalm  —  1 388 
Werst  (=  1481  km)  zunächst  erbaut  werden 
solle  und  daß  Rußland  dann  zu  den  beiden 
genannten  Punkten  Anschlußlinien  erbauen 
werde,  sowohl  von  der  Transbaikalbahn  353 
Werst  (=  377  km),  als  auch  von  der  Ussuri- 
bahn   115  Werst  (=  123  km).  Auch  kam  in 
Betracht,  daß  der  Weg  durch  die  Mandschurei 
kürzer,  und  keine  erheblichen  Bauschwierig- 
keiten bot,  daher  auch  billiger  war  und  daß 
vor  allem  in  kürzerer  Zeit  die  Verbindung 
mit  Wladiwostok    herzustellen    sein    würde. 
Die  Chinesische-Ostbahn-Gesellschaft  begann 


die  Bauarbeiten  im  August  1897  zunächst  auf 
der  Strecke  Mandschurija-Charbin-Pogranitsch- 


'  Es  handelte  sich  in  der  Zeit  vom  28.  August 
bis  28.  September  1900  nur  um  40.052  Mann, 
10.125  Pferde  und  1976  Fuhrwerke  nebst  Zubehör. 


38 


Sibirische  Eisenbahn. 


naja!  I3«ö  ^Ä' erst  (=  1481  km).  Der  Bau 
wurde  außerordentlich  beschleunigt,  namentlich 
als  die  Unruhen  (1900)  drohten  und  damit 
die  Notwendigkeit  eintrat,  größere  Truppen- 
körper aus  Rußland  in  die  Mandschurei  zu 
bringen.  Es  gelang  schon  am  21.  Oktober  1901 
den  Verkehr  auf  der  Bahn  zu  eröffnen. 

Um  diese  große  Verbindungsbahn  dem 
durchgehenden  Verkehr  dienstbar  zu  machen, 
mußten,  wie  oben  ausgeführt,  2  Anschlußlinien 
erbaut  werden. 

Zum  Anschluß  an  die  Transbaikalbahn 
mußten  bei  der  Station  Karymskaja  bis  Mand- 
schurija  353  Werst  (377  km)  und  anderseits 
zum  Anschluß  an  die  Ussuribahn  bei  der  Station 
Nikolsk  von  der  Endstation  der  chinesischen 
Ostbahn  Pogranitschnaja  115  Werst  (\23  km) 
erbaut  werden.  Die  Bauzeit  war  bis  1902  vor- 
gesehen, doch  mußte  auch  hier  mit  Rücksicht 
auf  die  politischen  Ereignisse  in  der  Mandschurei 
an  der  schnelleren  Fertigstellung  mit  allem  Nach- 
druck gearbeitet  werden.  Es  gelang,  die  An- 
schlußstrecken  bis  zum  Februar  1901  in  der 
Hauptsache  fertigzustellen,  am  12.  Oktober  1901 
waren  sie  für  den  Verkehr  frei. 

Während  der  Bau  der  großen  Bahn  so  den 
Ussurifluß  erreicht  hatte,  war  von  Wladi- 
wostok aus  an  der  Fertigstellung  der  östlichsten 
Teilstrecke  bis  Chabarowsk  gearbeitet.  Es 
konnte  schon  am  30.  November  1894  der 
Verkehr  eröffnet  werden. 

Damit  war  das  ursprünglich  gesteckte  Ziel, 
ganz  Sibirien  mit  einer  Eisenbahn  zu  durch- 
queren, nur  zum  Teil  und  nur  unvollkommen 
erreicht.  Einmal  war  der  Baikalsee  ein  Hinder- 
nis geworden,  das  den  ununterbrochenen 
Schienenweg  störte,  und  sodann  fehlten  die 
letzten  rd.  2000  Werst  (2134  Am)  (die  Amur- 
bahn). Beide  Fehlstücke  sind  ja  wohl  durch 
Hilfsunternehmungen,  soweit  die  Zeitverhältnisse 
das  möglich  machten,  ergänzt  worden,  es  waren 
aber  offenbar  Notbehelfe.  Dazu  erwies  sich  vor 
allem  der  Ersatz  der  fehlenden  Baikal-Um- 
gehungsbahn sehr  bald  als  wenig  leistungs- 
fähig, obgleich  alle  Vorkehrungen  getroffen 
und  keine  Mittel  gespart  worden  waren,  um 
diesen  Verkehr  möglichst  sicherzustellen.  Es 
mußte  vor  allem  das  fehlende  Stück  -  die  Baikal- 
Umgehungsbahn  —  hergestellt  werden.  Am 
23.  Juni  1899  wurde  der  Bau  genehmigt.  Zu 
Anfang  1902  waren   die  Pläne  für  die  vielen 

'  Für  das  hier  behandelte  Thema  kommt  nur  diese 
Strecke  in  Betracht,  \xeil  sie  die  Verbindimg  mit 
Wladiwostok  herstellt.  Das  Unternehmen  der  chine- 
sischen Ostbahn  umfaßt  jedoch  auch  die  Strecke 
Charbin-Mukden-Port-Artliur  und  Kuantsciienzsy- 
Dalni,  rd.  1050  Werst  (=  W'lOkm).  Die  Vereinbarung 
über  den  Bau  dieser  Strecke  wurde  am  21.  März  1898 
geschlossen 


und  schwierigen  Kunstbauten  hergestellt.  3  Jahre 
sollte  mindestens  der  Bau  in  Anspruch  nehmen. 
Da  brach  im  Februar  1904  der  Krieg  mit  Jajwn 
aus.  Es  mußte  die  Fertigstellung  beschleunigt 
werden.  Am  12./25.  September  1904,  gegen 
2  Jahre  früher,  als  es  in  Friedenszeiten  gelungen 
wäre,  wurde  der  durchgehende  Verkehr  ermög- 
licht und  Rußland  in  die  Lage  gebracht,  Truppen 
beschleunigt  dem  Kriegsschauplatz  zuzuführen. 

Die  Erfahrungen,  die  Rußland  mit  der 
Leistungsfähigkeit  der  S.  gemacht  hatte,  traten 
zum  Teil  in  dem  unglücklichen  Ausgang  des 
Krieges,  zum  Teil  in  den  durchgreifenden 
Änderungen  und  Ergänzungen,  die  sehr  bald 
nach  Beendigung  des  Krieges  vorgenommen 
werden  mußten,  deutlich  zu  tage.  Der  Frieden 
mit  Japan  wurde  in  Portsmoutli  im  September 
1 904  geschlossen  und  obgleich  Rußland  erschöpft 
durch  die  schweren  Opfer  des  Krieges  war,  so 
wurde  doch  alsbald  an  die  Ergänzung  der 
Leistungsfähigkeit  der  ganzen  S.  geschritten 
(s.  Bau  und  Ausrüstung). 

Aber  noch  eine  zweite  schwerwiegende 
Folge  hatte  der  Krieg  mit  Japan.  Kaiser 
Nikolai  IL,  der  nur  widerwillig  die  Richtlinien 
verlassen,  die  sein  Vater  für  die  Durchführung 
des  großen,  russischen,  ununterbrochenen 
Schienenwegs  vorgezeichnet,  und  dem  Bau 
der  chinesischen  Ostbahn  zugestimmt  hatte, 
griff  jetzt  von  neuem  den  Gedanken  auf  und 
bestimmte,  daß  nunmehr,  u.  zw.  mit  Be- 
schleunigung, der  Bau  der  Amurbahn  durch- 
geführt werde  (s.  Bd.  I,  S.  147  ff.). 

Seit  dem  Oktober  1913  sind  für  den  Ver- 
kehr bis  zum  Januar  1915  bereits  1646  Werst 
(1756  km)  eröffnet  worden.  Die  Reststrecke 
von  452  Werst  (482  km)  mit  der  großen 
Brücke  über  den  Amur  bei  Chabarowsk  be- 
findet sich  seit  der  zweiten  Hälfte  1912  im 
Bau.  Ist  auch  diese  Teilstrecke  vollendet,  so 
wäre  die  S.,  wie  ursprünglich  beabsichtigt, 
als  „rein  russisches"  Unternehmen  durchge- 
führt worden.  Mag  auch  der  leitende  Gedanke 
Alexander  III.  die  wirtschaftliche  Erschließung 
und  Hebung  des  großen  asiatischen  Besitzes 
gewesen  sein,  die  Durchführung  ist  bestinuut 
und  zweifellos  von  politischen  Erwägungen  ge- 
tragen worden.  Die  militärische  Sicherung 
der  entfernten  Grenzen  des  Reiches  mag  zunächst 
vorgeschwebt  haben,  aber  schon  die  Führung 
der  Bahn  durch  die  Mandschurei  zeigt  deutlich 
das  Streben  nach  Machterweiterung.  Die  Gründe 
für  die  Wahl  der  Linienführung  der  S.  durch 
die  Mandschurei  —  große,  technische  Schwierig- 
keiten beim  Bau  der  Amurbahn,  kürzerer  Weg 
—  galten  nur  so  lange,  bis  das  vorgesteckte 
Ziel  erreicht  war,  dann  wurde  das  alte  Pro- 
gramm wieder  aufgenommen  und  schnell  durch- 


Sibirische  Eisenbahn. 


39 


geführt.  Dieses  Mal  unter  der  ausdrücklichen 
Begründung,  Rußland  müsse,  sicher  vor  feind- 
lichen Kanonen  Wladiwostok,  den  Stillen  Ozean 
erreichen  können.  Das  Ziel  wird  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  bald  erreicht  sein,  wenn- 
gleich an  der  allerempfindlichsten  Stelle,  beim 
Überschreiten  des  Amurstroms  auf  einer  großen 
Brücke  bei  Chabarowsk  die  Bahn  ganz  nahe  an 
die  Grenze  herantritt. 

Gleichzeitig  mit  dem  Bau  der  S.  förderte 
die  Staatsregierung  eine  große  Zahl  von 
w  Hilfsunternehmungen",  die  dazu  bestimmt 
waren,  die  wirtschaftliche  Entwicklung  zu  be- 
leben, zum  Teil  diese  erst  zu  ermöglichen. 
Hierher  gehört  in  erster  Reihe  die  Besiedelung 
des  Landes  mit  Bauern  aus  dem  europäischen 
Rußland.  Soweit  es  sich  bisher  übersehen  läßt, 
ist  das  Werk  tatsächlich  in  seinen  Haupt- 
punkten geglückt.  Der  Ansiedlerstrom  bewegte 
sich  regelmäßig  und  mächtig  dorthin.  Aller- 
dings hat  die  Staatsregierung  durch  Wege- 
bauten, landwirtschaftliche  Schulen,  Niederlagen 
landwirtschaftlicher  Maschinen  und  sonstiger 
Bedarfsgegenstände,  geologische  Untersuchun- 
gen, Schiffbarmachung  von  Flußläufen,  Hilfs- 
leistung durch  Geldunterstützungen  und  Dar- 
lehen bei  Errichtung  der  Ansiedelungen  viel 
getan,  um  das  Einleben  der  Siedler  und  deren 
wirtschaftliches  Gedeihen  zu  fördern.  Neben 
dieser  wichtigen  Vorbedingung  für  die  Hebung 
von  Ackerbau,  Viehzucht  und  Gewerbe  ging 
die  Erziehung  in  Schule  und  Kirche  gleich- 
mäßig einher. 

Alle  diese  Aufgaben  zu  lösen,  war  um  so 
schwieriger,  als  der  weitaus  größte  Teil  des 
Landes,  der  erschlossen  werden  sollte,  eine 
völlig  menschenleere  Einöde  war.  Daß  es 
trotzdem  gelungen  ist,  die  Produktivität  des 
Landes  in  so  kurzer  Zeit  so  gewaltig  zu  heben, 
ist  zweifellos  ein  glänzendes  Zeugnis  für  die 
Fähigkeit  des  russischen  Volkes  auf  kolonisatori- 
schem Gebiet. 

Die  Rückwirkung  dieser  Unternehmungen 
kommt  in  dem  wachsenden  Verkehr  deutlich 
zum  Ausdruck.  So  groß  und  schnell  ist  der 
Verkehr  auf  der  Bahn  gewachsen,  daß  diese 
den  Anforderungen  bald  nicht  mehr  zu  ge- 
nügen vermochte  und  den  Ausbau  eines 
zweiten  Gleises  bis  Karymskaja,  Anschluß- 
station für  die  chinesische  Ostbahn,  und  den 
Umbau  der  Gebirgsstrecke  notwendig  machte. 

Dieser  sehr  schnell  wachsenden  Verkehrs- 
zunahme und  den  damit  gleichermaßen 
wachsenden  Verwaltungsgeschäften  ist  es  wohl 
auch  zuzuschreiben,  daß  die  bisher  unter  dem 
Namen  S.  zusammengefaßte  Teilstrecke  Tsche- 
Ijäbinsk-Innokentjewskaja  in  2  Verwaltungs- 
bezirke zerlegt  worden  ist.    Es  sind  nunmehr 


an  Stelle  der  „Sibirischen  Eisenbahnverwaltung" 
eine  in  Omsk  und  eine  in  Tomsk  getreten. 
Zum  Bezirk  Omsk  gehören  die  Strecken: 
Tscheljäbinsk-Nowonikolajewsk  (frühere  S.), 
ferner  Jekaterinburg-Tjumen,  Bogdanowitsch- 
Ssinarskaja,  Jekaterinburg-Tscheljäbinsk,  zu- 
sammen 2549  Werst  {2720  km).  Zum  Bezirk 
Tomsk  gehören  die  Strecken :  Nowonikolajewsk- 
Innokentjewskaja,  Taiga-Tomsk,  zusammen  1 82 1 
Werst  (1943  Ä/K). 

IL  Bau  und  Ausrüstung. 

A.  Bau. 
Allgemeines   zum  Bau. 

Die  S.  hat  russische  Normalspur  0714  Faden 
(=  1-523 /n).  Auf  der  Strecke  Tscheljäbinsk-Ssrjetensk 
sind  Schienen  von  18  Pfund  auf  den  laufenden  Fuß 
verlegt  worden.  Die  Schienen  erwiesen  sich  sehr  bald 
als  viel  zu  leicht.  Schienenbrüche  häuften  sich,  die  auch 
durch  Erhöhung  der  Zahl  der  Schwellen  nicht  ver- 
hindert werden  konnten,  so  daß  schon  1899  mit  dem 
Ersatz  dieser  leichten  Schienen  durch  solche  von  24 
und  24 '/3  Pfund  auf  den  laufenden  Fuß  vorgegangen 
werden  mußte.  Es  waren  aber  nicht  nur  die  zu 
schwachen  Schienen  der  Entwicklung  des  Betriebs 
hinderlich,  sondern  ebenso  bildeten  die  hölzernen 
Brücken,  die  viel  zu  kleinen  Stationsanlagen,  die  über- 
mäßig großen  Abstände  der  Stationen  voneinander, 
die  ungenügenden  Vorkehrungen  für  die  Wasserver- 
sorgung die  wichtigsten  Hindernisse.  Kurz  bereits  in 
den  Jahren  1898/99  wurden  alle  diese  Mängel  festge- 
stellt und  gleichzeitig  beschlossen,  Abhilfe  zu  schaffen. 
57  Zwischenstationen  wurden  erbaut.  Ferner  nuißten 
die  Schwellen  größere  Abmessungen  erhalten  und  die 
Kiesbettung  bis  auf  022  Faden  (0-469  m)  verstärkt 
werden.  Die  Arbeiten  sollten  in  5  —  8  Jahren  voll- 
endet sein.  Während  sie  in  vollem  Gang  begriffen 
waren  und  der  Betrieb  allmählich  günstig  beeinflußt 
wurde,  stellte  es  sich  heraus,  daß  mit  Rücksicht  auf 
das  Profil  der  Bergstrecken  die  Zugbelastung  eine 
so  ungleichmäßige  war,  daß  auch  hierdurch  eine  nicht 
unerhebliche  Behinderung  dem  Betrieb  ei-wuchs.  Es 
handelte  sich  um  die  Strecken  Atschinsk-Nishneudinsk 
699  Werst  (=  746  km)  und  Sima-Polowina  138  Werst 
(=  147  km),  auf  denen  Steigungen  bis  0-0174  und 
kleinste  Krümmungshalbmesser  von  120  Faden  (256  m) 
zugelassen  waren.  1903  wurde  eine  Besserung  dieser 
Verhältnisse  beschlossen.  Bald  darauf  brach  der  Krieg 
gegen  Japan  aus  und  die  Arbeiten  wurden  zunächst 
verschoben.  Aber  im  Krieg  stellte  sich  die  geringe 
Leistungsfähigkeit  mit  ihren  bedenklichen  Folgen  für 
die  Kriegführung  heraus  und  nun  wurde  außer  dem 
Umbau  der  Oebirgsstrecken  auch  ein  2gleisiger  Aus- 
bau der  gesamten  Bahn  von  Omsk  bis  Tanchoi  auf 
die  Tagesordnung  gesetzt.  Bereits  1906  wurde  die 
Durchführung  dieser  großen,  umfangreichen  und  mehr 
als  200  Mill.  Rubel  in  Anspruch  nehmenden  Arbeiten 
beschlossen  und  gleich  im  nächsten  Jahre  wurde  mit 
dem  Bau  begonnen.  So  weit  bekannt,  ist  der  zwei- 
gleisige Ausbau  bis  Karymskaja  (Abzweigestation  zur 
chinesischen  Grenze)  durchgeführt,  so  daii  von  der  Sta- 
tion Karymskaja,  woselbst  die  Amur-  und  die  chi- 
nesische Ostbahn  zusammentreffen,  bis  Omsk,  woselbst 
eine  Teilung  des  sibirischen  Verkehrs  über  Tjumen 
und  Tscheljäbinsk  stattfindet,  bereits  gegenwärtig  ein 
zweigleisiger  Betrieb  durchgeführt  wird. 

Neben  diesen  gewaltigen  Lhnbauten  sind  an  der 
Ussuribahn,  die  zurzeit  sich  im  Betrieb  der  chine- 
sischen Ostbahn  befindet,  umfangreiche  Bauten,  um 


40 


Sibirische  Eisenbahn. 


deren  Leistungsfähigkeit  zu  erhöhen,  seit  1913  in 
Durchführung  begriffen.  Der  Kostenanschlag  beträgt 
40  Mili.  Rubel. 

Im   Besonderen. 

a)  Die  westsibirische  Teilstrecke  1328  Werst 
(=1417  km)  beginnt  bei  der  Station  Tscheljäbinsk,  f  ü  hrt 
über  Kurgan  (Werst  241),  Petropawlowsk  (Werst  490), 
Omsk  „(Werst  745),  Kainsk  (Werst  1049)  und  endet 
nach  Überschreitung  des  Ob  bei  Werst  1328.  Für 
den  Bau  der  Bahn  sind  15.362  Delijätinen  (16.789  Aa) 
Land  in  .Anspruch  genommen,  von  denen  2577  Deß- 
jätinen  (2816  Ao)  käuflich  erworben  werden  mußten. 
Die  Bauarbeiten  wurden  1892  begonnen,  der  Verkehr 
bis  Omsk  konnte  schon  am  30.  August  1894,  für  die 
Reststrecke  am  19.  August  1895  eröffnet  werden.  Nur 
die  Brücke  über  den  Ob  wurde  erst  am  31.  März  1897 
fertig.  Diese  Brücke  hat  eine  Länge  von  380  Faden 
(81 1  m).  Die  höchste  Steigung  beträgt  0  0074,  wo- 
bei von  der  Gesamtlänge  der  Bahn  56'5"(,  in  einer 
Steigung,  92-5 "«  in  der  Geraden  und  nur  der  kleine 
Rest  von  7-5"»  in  Krümmungen  liegen.  Der  kleinste 
Krümmungshalbmesser  beträgt  120  Faden  (256  m). 
Eine  Werstbahnlänge  (1067 ot)  erforderte  nur  1223  Ku- 
bikfaden  (11.876/«^)  Bodenbewegung.  Trotz  dieser 
günstigen  Verhältnisse  hatte  die  Bauleitung  doch  mit 
erheblichen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen,  denn  einmal 
war  die  kurze  Bauperiode  (120  Tage)  namentlich  bei 
den  Kunstbauten  störend  und  sodann  mußten  Holz, 
Zement,  Ziegelsteine  u.  s.  w.  auf  sehr  große  Ent- 
fernungen herangeschafft  werden.  Z.  B.  Steine  zum 
Bau  der  Brücke  über  den  Irtysch  und  der  Station 
Omsk  740  Werst  (=789  ^/;;).  Ganz  besondere  Schwierig- 
keiten verursachte  die  Wasserversorgung.  Das  Wasser 
der  vielen  Seen  konnte  zur  Speisung  der  Lokomo- 
tiven und  als  Gebrauchswasser  für  die  Menschen 
nicht  ohne  weiters  wegen  des  starken  Salz-  und 
Eisengehalts  Verwendung  finden.  Es  mußte  auf  che- 
mischem Weg  gebrauchsfähig  gemacht  werden. 

b)  Die  mittelsibirische  Strecke,  1715  Werst 
(1830  Aw).  Dazu  kommen  die  Anschlußbahnen  zur 
Stadt  Tomsk  82  Werst  (=  87  km)  und  von  Irkutsk  zum 
Baikalsee  64  Werst  (=  68  km),  dieser  zweite  Teil  der 
S.  umfaßt  also  1861  Werst  (1986 /tw).  Die  Bahn  be- 
ginnt am  rechten  Ufer  des  Ob  und  führt  dann  weiter 
über  Mariinsk  (Werst  353),  Atschinsk  (Werst  542), 
Krasnojarsk  (Werst  708),  überschreitet  den  Jenissei, 
erreicht  Kansk  (Werst  933),  Nishneudinsk  (Werst  1236) 
und  endet  am  linken  Ufer  der  Angara  bei  Irkutsk 
(Werst  1715).  Für  den  Bau  sind  in  Anspruch  genommen 
24.718  Deßjätinen  (25.911  Aa)oder  für  eine  Werstbahn- 
länge 13'8  Deßjätinen  (15-1  ha).  Die  ganze  Baulänge 
ist  in  2  Teile  zerlegt:  I.  bis  Krasnojarsk  und  IL  von 
hier  bis  Irkutsk.  Bald  nach  Beginn  des  Baues  der 
ersten  Teilstrecke  im  Frühjahr  1893  ergab  sich  das  Be- 
dürfnis, die  ganze  mittelsibirische  Strecke  früher,  als 
ursprünglich  in  Aussicht  genommen,  fertigzustellen. 
Es  wurde  daher  die  zweite  Teilstrecke  bereits  1894  in 
Angriff  genommen  und  damit  erreicht,  daß  die  Strecke 
zu  I  am  15.  Februar  1897,  zu  II  am  16.  August  1898 
für  den  Betrieb  eröffnet  werden  konnte. 

Dieser  zweite  Teil  der  großen  Bahn  hat  einen 
gebirgigen  Charakter  und  erforderte  erheblich  viel 
giößere  Erdarbeiten  (2060  Kubikfaden  =  20.005  m^ 
Bodenbewegung  auf !  Werst).  Es  liegen  zu  I  nur  25  ^ö, 
zu  II  33',',/  in  der  Wagrechten.  Die  größte  Steigung 
beträgt  0-0174.  In  der  Geraden  liegen  zu  170"«,  zu 
II  68  "o.  Der  kleinste  Krümmungshalbmesser  beträgt 
200  Faden  (427  ot).  Die  Arbeiten  mußten,  um  die 
Fertigstellung  zu  beschleunigen,  in  Angriff  genommen 
werden,  bevor  die  Baupläne  im  einzelnen  vollkommen 
hergestellt  waren,  selbst  die  Linienführung  war  nur 
ganz  allgemein  festgelegt.  Dazu  kam,  daß  sich  ver- 


hältnismäßig nur  wenig  Unternehmer  fanden.  Auf 
den  westsibirischen  Strecken  konnten  77  %  der  Arbeiten 
im  Ausgebotverfahren  vergeben  werden,  an  der  mittel- 
sibirischen Strecke  nur  56"„.  Auch  die  Anmietung 
von  Arbeitern  in  dem  dünnbevölkerten  Land  war 
schwierig;  die  Mehrzahl  mußte  aus  dem  europäischen 
Rußland  herangebracht  werden.  23.000  Arbeiter 
wurden  zeitweise  beschäftigt,  darunter  1472  Arre- 
stanten. Namentlich  zu  den  Kunstbauten,  darunter 
8  größeren  Brücken,  den  Stationsgebäuden  u.  s.  w. 
konnten  nur  europäische  Arbeiter  Verwendung  finden. 
Unter  den  Brücken  ist  namentlich  die  über  den  Jenissei 
408  Faden  (8703  m)  lang  und  überspannt  den  Strom 
auf  6  Bogen  von  je  68  Faden  (145  m)- 

Besondere  Erschwernisse  für  den  Bau  boten  auch 
die  klimatischen  Verhältnisse  (bis  40"  unter  Null) 
und  die  Bodenbeschaffenheit  (nicht  selten  bis  Anfang 
[uli  noch  gefroren).  Dazu  trat  die  Taiga  (der  Urwald) 
mit  ihrem  undurchdringlichen  Waldbestand  und 
dem  metertiefen,  sumpfigen  Boden,  die  auf  sehr 
weiten  Strecken  durchschnitten  werden  mußte.  Auch 
wurden  infolge  des  gebirgigen  Charakters  der  Bahn 
viele  Kunstbauten  notwendig.  Im  Zusammenhang 
mit  dem  Bau  der  mittelsibirischen  Bahn  steht  der 
Bau  zweier  Anschlußbahnen,  u.zw.: 

1.  Zweigbahn  nach  Tomsk,  ausgehend  von  der 
Station  Taiga,  82  Werst  (87  km)  lang,  nebst  deren 
Fortsetzung  bis  zum  Hafenplatz  Tscheremoschnika 
am  Tom,  7  Werst  (1  km).  Auch  diese  Bahn  führt  durch 
gebirgiges  Taigagelände. 

2.  Zweigbahn  Irkutsk  —  Station  der  Hauptbahn  — 
zum  Baikalsee.  Sie  führt  durch  gebirgiges  Gelände 
auf  dem  linken  Ufer  der  Angara,  das  von  tiefen  Ein- 
schnitten durchbrochen  ist  und  auf  weite  Strecken 
hin  steil  ins  Tal  abfällt.  Am  Endpunkt  ist  am  L'ier 
des  Sees  eine  Anlagestelle  für  die  großen  Eisbrecher- 
Prähme  hergestellt  worden.  Auch  der  Bau  der  Hafen- 
anlagen auf  beiden  Seiten  des  Sees  verursachte  große, 
bauliche  Schwierigkeiten,  die  durch  den  Charakter 
des  riesigen  Gebirgssees  begründet  sind.  Außerdem 
mußten  die  Prähme,  die  in  England  erbaut  waren, 
in  auseinandergenommenem  Zustand  bis  an  den  See 
geschafft,  hier  zusammengesetzt  werden,  wozu  wieder- 
um ein  ganzer  Bestand  an  geschulten  Arbeitern  aus 
Europa  herangeführt  werden  mußte.  Im  April  1900 
konnte  der  Verkehr  eröffnet  werden. 

c)  Die  Baikal-Umgehungsbahn.  Die  Wahl 
der  Linienführung  war  schwer  zu  entscheiden.  Für 
den  ersten  Teil  der  244  Werst  (260  km)  langen  Strecke 
standen  mehrere  Möglichkeiten  offen,  unter  denen 
einem  Bau  am  Ufer  des  Baikalsees,  dem  über  das 
Syrkusunskgebirge  oder  durch  das  Tal  des  Irkut,  der 
Vorzug  gegeben  wurde,  namentlich  auch  weil  dadurch 
der  Bau  eines  35  Werst  langen  Tunnels  vermieden 
werden  konnte.  Die  Linienführung  bewegte  sich  hier- 
nach von  der  Station  Baikal-Osero  über  Kultuk- 
Murino  bisMyssowaja.  Namentlich  auf  dem  ersten  Teil 
der  Umgehungsbahn  wurde  der  Bau  durch  die  vielen 
Krümmungen,  die  Vorsprünge  und  die  tief  und 
scharf  einschneidenden  Buchten  des  felsigen  Ufers 
außerordentlich  erschwert,  so  daß,  um  große  Stütz- 
mauern zu  vermeiden,  die  wegen  des  hohen  L'fers 
und  des  tiefen  Sees  schwer  zu  erbauen  waren,  31  Tunnel 
durchgeschlagen,  sowie  Brücken  über  tief  einge- 
schnittene Täler  und  Buchten  errichtet  werden  mußten. 
Auf  der  Strecke  K'ultuk  bis  Murino  ist  das  Gelände 
auch  noch  felsig,  die  Felsen  steil  abfallend  und  mit 
Wald  bestanden.  Nach  N'erlassen  der  Station  .Murino 
treten  die  Felsen  vom  See  mehr  zurück,  so  daß  die 
Bahn  bis  zur  Endstation  Myssowaja  in  gewöhnlichem 
Gelände  geführt  werden  konnte.  Dazu  trat  das  rauhe 
Klima  und  der  fast  stets  unruhige,  ein  Erreichen  der 


Sibirische  Eisenbahn. 


41 


Baustellen  behindernde  See.  Der  Bahnkörper  sollte 
nach  dem  Bauplan  2'60  Faden  (5'55/n)  breit  sein, 
der  Krümmungshalbmesser  in  der  Regel  300  (640) 
und  in  Ausnahmefällen  nicht  weniger  als  150  Faden 
(320  m),  die  Steigungen  nicht  mehr  als  0008  betragen. 
Die  durchschnittliche  Bodenbewegung  auf  eine  Werst- 
bahnlänge hat  4734  Kubikf'aden  (10.098  to^),  darunter 
1893  Kubikfaden  (4038  m')  Felsen  betragen.  Auch 
ist  für  die  Umgehungsbahn  ein  Schienengewicht  von 
24  Pfund  (1//  =  0-4095 /to")  auf  den  laufenden  Fuß 
(0'3047  m)  zugelassen  worden. 

Begonnen  wurde  der  Bau  1899;  im  Herbst  1904 
war  er  vollendet. 

d)  Die  Transbaikalbahn.  Die  gewählte  Linien- 
führung geht  von  Myssowaja  aus  und  zieht  sich  dann 
durch  das  Tal  der  Sselenga  hin,  erreicht  bei  Werst  155 
Werchneudinsk,  überschreitet  den  Höhenzug  von 
Zagan-Daban,  folgt  darauf  dem  Lauf  der  Flüsse 
Chilka  und  Baljaga,  um  bei  Werst  328  die  steilen 
Ufer  der  Chilka  und  darauf  das  Jablonoigebirge 
bei  Werst  590  in  einer  Höhe  von  etwa  1000  m  zu 
überschreiten.  Endlich  wird  Tschita  bei  Werst  675, 
Nertschinsk  bei  Werst  952  und  darauf  die  Endstation 
Ssrjetensk  bei  Werst  1031  erreicht.  Die  größte  Steigung 
beträgt  0174,  der  kleinste  Krümmungshalbmesser 
150  Faden  (320 /«)•  Der  Bau  wurde  1895  begonnen 
und  sollte  1898  beendet  sein.  Allein  ein  Hochwasser 
im  Jahre  1897,  das  das  Niveau  der  Flüsse  bis  "im 
über  den  bis  dahin  beobachteten  höchsten  Hoch- 
wasserstand hob,  zerstörte  auf  einer  Strecke  von 
357  Werst  mehr  oder  minder  die  Bauten.  Sie  mußten 
z.  T.  erneuert,  z.  T.  mußte  die  Linienführung  geändert 
werden,  wodurch  ein  Schaden  von  12'5  Mill.  Rubel 
und  eine  Verzögerung  in  der  Fertigstellung  der  Bahn 
hervorgerufen  wurde.  Der  Betrieb  konnte  erst  1.  Januar 
1900  eröffnet  werden.  Die  Schwierigkeiten  nahmen 
mit  jedem  Kilometer  weiter  nach  Osten  zu,  je  mehr  die 
Entfernung  von  der  Basis  —  dem  europäischen  Ruß- 
land -  wuchs.  Große  Mengen  der  Baumaterialien,  wie 
Zement,  Eisenteile,  zu  den  Kunstbauten,  namentlich 
aber  auch  die  vielen  geschulten  Arbeitskräfte  mußten 
über  Wladiwostok  herangeschafft  werden.  Auf  diesem 
Bauabschnitt  wurden  bereits  viele  Chinesen  neben 
den  Verbannten  und  Sträflingen,  aus  den  russischen 
Gefängnissen,  verwendet.  Diese  Verhältnisse  brachten 
es  auch  mit  sich,  daß  sich  Unternehmer  nur  schwer 
fanden.  72",,  aller  Arbeiten  mußte  die  Bauverwaltung 
selbst  ausführen.  Zu  allen  diesen  Erschwernissen 
kamen  auch  hier  noch  die  klimatischen  Verhältnisse 
hinzu,  die  Kälte,  der  gefrorene  Boden,  die  kurze  Arbeits- 
zeit im  Winter,  im  Sommer  die  hohe  Temperatur 
und  in  ihrem  Gefolge  Mücken  u.  s.  w.,  Plagen,  die 
die  Arbeit  außerordentlich  erschwerten  und  vielfach 
zu  einer  Qual  machten.  Auch  dieser  Teil  der  Bahn 
mußte  größtenteils  durch  felsiges  Gelände  geführt 
werden.  Der  gefrorene  Boden  stellte  auch  ganz  be- 
sonders schwierige  Aufgaben  an  die  Sicherstellung 
der  Wasserversorgung.  Kurz,  an  die  Tatkraft  und 
die  Opferwilligkeit  des  ganzen  Personals,  vom  obersten 
Leiter  bis  zum  letzten  Arbeiter,  waren  fast  über- 
menschliche Anforderungen  gestellt. 

e)  Die  Amurbahn  ist  bereits  in  Bd.  I,  S.  147  ff. 
behandelt  worden.  In  der  Zwischenzeit  ist  der  Bau 
so  weit  fortgeschritten,  daß  die  ganze  westliche  Hälfte 
der  Bahn  Kucnga-Alexjejewsk  1207  Werst (=1288  km) 
am  15.  Oktober  1913,  die  Endstrecke  Alexjejewsk- 
Botschkarewo  50  Werst  (=  i'i  km)  im  Dezember  1913 
für  den  Betrieb  eröffnet  werden  konnten.  Desgleichen 
sind  die  Zweigbahnen  Boljschoi  Newer-Reinowo 
64  Werst  (=  68  km),  Taptugar>'-Tschassowenskaja 
26  Werst  (=  28 /tm)  im  Oktober  1913,  Alexjejewsk- 
Blagowjeschtschensk    103    Werst  (=   110    km)    im 


Dezember  1913,  endlich  Uschtmiun-Tschernjäjewo 
37  Werst  (=39  Am)  für  den  Betrieb  eröffnet  worden; 
für  die  letztere  ist  allerdings  der  Zeitpunkt  nicht  genau 
festzustellen.  Damit  ist  die  westliche  Hälfte  der  Amur- 
bahn  seit  Ende  1913  dem  Verkehr  dienstbar.  Während 
der  Bauausführung  dieser  Strecke  sind  5  Arbeits- 
bahnen von  zusammen  170  Werst  (181  km)  zum 
Amurstrom  hergestellt  worden.  Diese  Hilfsgleise 
sind  dann  in  der  Folgezeit  als  wertvolle  Verbindungs- 
glieder zwischen  der  Hauptbahn  und  dem  Strom 
regelrecht  ausgebaut  worden,  um  ständig  dem  Ver- 
kehr zu  dienen.  Von  größeren  Bauwerken  können 
hervorgehoben  werden:  die  Brücken  über  den  Seja- 
fluß  bei  Alexjejewsk,  382  Faden  (815  m)  lang  mit 
8  Bogen  und  bei  Bjelogorja,  570  Faden  (1216 //f)  lang 
mit  1 1  Bogen.  Nähere  Mitteilungen  über  den  Bau 
der  Amurbahn  fehlen,  weil  der  Krieg  die  Verbin- 
dungen unterbrochen  hat.  Das  Gewicht  der  verlegten 
Schienen  beträgt  hier  24-13  Pfund  (1  U  =  04095  Ä^) 
auf  den  laufenden  Fuß  (03047 m). 

Der  Bau  der  östlichen  Teilstrecke  vom  Fluß  Bu- 
reja-Chabarowsk  611  Werst  (=  652 /tm)  ist  im  Herbst 
1912  begonnen  worden.  Er  sollte  Anfang  1916  voll- 
endet sein.  Allein  der  Krieg  ist  hier  störend  da- 
zwischen getreten.  Aus  Anordnungen  der  Regierung, 
die  eine  Umleitung  der  Transporte  von  Wladiwostok 
auf  dem  Wasserweg  (Amur)  bis  Blagowjeschtschensk 
bezwecken,  ergibt  sich,  daß  der  direkte  Weg  über 
Chabarowsk  und  die  Amurbahn  zurzeit  (Oktober  1916) 
noch  nicht  für  den  Verkehr  eröffnet  worden  ist.  Aus 
erreichbaren  Quellen  ist  zu  erkennen,  daß  die  Strecke 
Botschkarewo-Bureja  159  Werst  (=\lQkm)  im  Mai 
1914  eröffnet  worden  ist.  Die  Fertigstellung  der  Rest- 
strecke von  452  Werst  (=  482  km)  wurde  durch  den 
Ausbruch  des  Krieges  verzögert.  An  großen  Kunst- 
bauten auf  diesem  Teil  der  Amurbahn  sind  vor- 
handen 8  Tunnel  mit  einer  Gesamtlänge  von  2373 
Faden  (4962  m),  darunter  der  längste  von  746  Faden 
(1591  m)  und  die  Brücke  über  den  Amurstrom  bei 
Chabarowsk.  Mit  18  Öffnungen  zu  je  58  Faden  (124  m) 
überspannt  die  Brücke  mit  1044  Faden  (2227  m)  den 
Amur.  Rd.  1,100.000  Pud  (18.018  /)  Eisen  und  rd. 
6000  Kubikfaden  (58.266  m')  Mauerwerk  sind  zu  ihrer 
Herstellung  erforderlich  gewesen.  Hier  sind  Chinesen 
in  großer  Zahl  herangezogen  worden. 

f)  Ussuribahn.  Auch  die  Ussuribahn  ist  in2Bau- 
abschnitte,  den  südlichen,  Wladiwostok-Murawjew- 
Amurski,  378  Werst  (403  km),  und  den  nördlichen, 
von  hier  bis  Chabarowsk,  344  Werst  (3()7  km),  geteilt 
worden.  Der  Bau  des  südlichen  Teiles  wurde  im  Mai 
1891  begonnen  und  dem  Betrieb  im  November  1894 
übergeben;  auf  dem  nördlichen  Teil  begann  der  Bau 
1894  und  der  Betrieb  15.  Oktober  1897.  Für  die  Aus- 
führung ist  eine  leichtere  Bauart  gewählt.  Auf  dem 
südlichen  Teil  sind  zugelassen:  Steigungen  von  0-015 
und  kleinste  Krümmungshalbmesser  von  120  Faden 
(260 /«)r  auf  cieni  nördlichen  Teil  Steigungen  von  0010 
und  kleinste  Krümmungshalbmesser  von  200  Faden 
(427  m).  Vor  Erreichung  der  Endstation  überschreitet 
die  Bahn  den  Ussurifluß  auf  einer  festen  Brücke.  Das 
fast  vollständige  Fehlen  von  Wegen  erschwerte  das 
Fortschreiten  des  Baues.  Viele  Wege  mußten  neu  ge- 
schaffen werden.  Dazu  kam,  daß  reichlicher  Regen 
den  Bau  aufhielt.  Der  Arbeitermangel  war  auch  hier 
sehr  groß  und  konnte  nur  durch  Einstellung  von  Sträf- 
lingen bis  zu  2000  Mann  und  von  Chinesen  bis  zu 
15.000  Mann  behoben  werden. 

Zur  Ussuribahn  gehört  noch  die  Verbindungsbahn 
zwischen  dieser  und  der  chinesischen  Ostbahn.  Sie 
zweigt  bei  der  Station  Nikolsk  ab  und  erreicht  nach 
110  Werst  {\\1  km)  die  Grenzstation  Pogranitschnaja, 
wo  sie  Anschluß  an  die  chinesische  Ostbahn  findet. 


42 


Sibirische  Eisenbahn. 


B.A 

iisrüstung. 

1 

Die  erste'  Ausrüstung  der  S.  mit  Betriehsmitteln 

am  1.  Mai  1903  und  der  Bestand  Ende  1910  ergeben 

sich  aus  der  folgenden  Tabelle: 

Bahn 

Jahr 

Loko- 
motiven 

s 
w 

S 

Güterwagen 

c 

1 
1 

5 

c 

s 

o 

C 

o 

Sibirische     | 

1903 

52 

683 

939 

310 

9.735 

3542 

1910 

222 

1052 

2617 

117 

16.388  5244 

Transbaikal  l 

1903 
1910 

- 
58 

196 
512 

273 
351 

73 
105 

2.224 
10.168 

1312 
3394 

Ussuri          l 

1903 

_ 

118 

73 

47 

1.572 

674 

1910 

- 

182 

130 

27 

1.443 

1071 

III.  Finanzierung. 

Bald    nachdem    die    Absichten    der    Staats- 

r 

egierung,   tat 

kräfti 

g   a 

n    de 

n   B 

lU 

der  g 

"oßen 

1 

S.  heranzutreten,  bekannt  wurden,  gingen  ihr 
Pläne  und  Angebote  zur  Durchführung  des 
riesigen  Unternehmens  in  großer  Zahl,  auch 
aus  England  und  Frankreich  zu.  Es  fanden 
sich  darunter  Angebote,  die  die  Durchführung 
des  Baues  und  des  Betriebs  ohne  jede  staatliche 
Beihilfe  zu  übernehmen  bereit  waren.  Alle  diese 
Angebote  scheiterten  an  dem  festen  Willen 
Alexanders  III.,  der  bestimmt  hatte,  daß  die  S. 
als  ein  rein  russisches  Unternehmen  aus 
staatlichen  Mitteln  und  unter  staatlicher  Leitung 
durchgeführt  vcerden  solle.  Darnach  war  es  Auf- 
gabe des  Finanzministers,  Quellen  zu  erschließen, 
aus  denen  die  großen  Summen  beschafft  werden 
konnten. 

Die  Baukosten  der  einzelnen  Teilstrecken  der 
S.,  wie  sie  1Q03  durch  das  Komitee  für  die 
S.  festgestellt  worden  sind,  wobei  der  Kosten- 
voranschlag der  Baikal-Umgehungsbahn  mit  in 
den  Kostenanschlag  eingesetzt  ist,  ergeben  für: 


Länge 

in  Werst 

(=  1067  m) 


Voranschlag 
für  1903 


Gesamt- 
kosten 


Kosten 

für 
1  Werst 


Ende  1911  betragen 
die  Baukosten 


überhaupt 


für 
I  Werst 


i  n     1000    Rubel 


1.  Westsibirische  Bahn 

2.  Mittelsibirische  Bahn 

3.  Zweigbahn  nach  Tonisk 

4.  Zweigbahn  zum  Baikalsee 

5.  Baikal-Umgehungsbahn 

6.  Transbaikalbahn 

7.  Zweigbahn  bei  Kan,-mskaia    .    .    .   1  zur  chinesischen  ( 

8.  Zweigbahn  bei  Nikblsk /        Ostbahn        | 

9.  Ussuribahn 

10.  Amurbahn 

11.  Für  Erhöhung  der  Leistungsfähigkeit  der  Bahn    .   .    . 


1328 

1715 

89 

64 

244 

1036 
324 
110 
717 

1976 


51.110 

38 

101.481 

59 

2.5/3 

29 

3.172 

50 

53.626 

220 

79.943 

77 

31.564 

97 

8.114 

74 

46.267 

65 

337.400 

(letzter 

94.321 

22 

279.089 


230.507 


94-2 


135-4 


70.489 
Kostenanschlag 

200.000 

i'annähernd) 


76-9 

1915) 


Soweit  handelt  es  sich  hier  ausschließlich 
um  die  bauliche  Herstellung  der  S.  Nun  kom- 
men aber  noch,  wenn  man  sich  ein  Bild  von 


den  Gesamtkosten  des  Unternehmens  machen 
will,  die  Kosten  der  Hilfsunternehmungen  in 
Betracht,  u.  zw.: 


1.  Dampffähre  auf  dem  Baikalsee 6,744.340  Rubel 

2.  Chinesische  Ostbahn 253,4Q6.850      „ 

3.  „  „         Schutz  der  Bahn 46,293.386     „ 

4.  „  „         Verluste  durch  Zerstörung  bei  den  Unruhen  1900       70,000.000     „ 

Ferner  rechnet  das  Komitee  für  die  S.  hier-      Folge    des   großen    Unternehmens    darstellen, 
her   auch    noch   Ausgaben,   die   sich    als   eine     so: 

Bau  von  Stadt  und  Hafen  Dalni      18,850.000  Rubel 

Unterstützung  oder  Begründung  von  Dampferlinien  auf  dem  Stillen  Ozean    11,427.000      « 
Verbesserung  der  Wasserwege  in  Sibirien 10,321.000      „ 


Wenn  auch  zugegeben  werden  mag,  daß  die 
vorstehenden  Ausgaben  eine  Folge  sind,  min- 


'  Staatssekretär  Kulomsin:  Die  S.  in  Vergangenheit 
und  Gegenwart.  Festschrift  zur  Feier  des  lOjährigen 
Bestehens  des  Komitees  der  8.(1893-1903).  Peters- 
burg 1903. 


destens  im  Zusammenhang  mit  dem  Bau  der 
Bahn  stehen,  so  würde  es  anderseits  doch  sehr 
das  Bild  über  die  Kosten  der  Bahn  verschieben, 
wenn  solche  Kebenunternehmungen  gleichfalls 
dem  Konto  des  Bahnbaues  zur  Last  gebracht 
würden.  Es  ist  deswegen  in  der  vorstehenden  Zu- 


Sibirische  Eisenbahn.   -  Sicherheitsstreifen. 


43 


sammenstellung  eine  Trennung  streng  durch- 
geführt worden. 

Aus  allem  ergibt  sich,  daß  es  sich  zurzeit 
noch  nicht  übersehen  läßt,  was  das  sibirische 
Unternehmen  schließlich  kosten  wird. 

Die  Form  der  Aufbringung  der  großen  Geld- 
mittel läßt  sich  auch  nicht  klar  erkennen.  Dem 
äußeren  Anschein  nach  sind  die  notwendigen 
Beträge  von  der  Reichsduma  für  jedes  Bau- 
jahr besonders  aus  den  verfügbaren  Mitteln 
bewilligt;  ob  es  der  Finanzverwaltung  geglückt 
ist,  diese  großen  Aufwendungen  wirklich,  wie 
es  gedacht  war,  aus  etwaigen  Einnahmeüber- 
schüssen zu  decken  oder  ob  ausländische  An- 
leihen helfen  mußten.  In  seiner  Wirkung  ist  es 
aus  dem  Grund  bedeutungslos,  woher  das  Geld 
stammt,  weil  das  russische  Reichsbudget  sehr 
häufig,  um  nicht  zu  sagen  in  der  Regel,  Zu- 
gänge aus  „finanziellen  Operationen"  notwendig 
macht,  um  Einnahme  und  Ausgabe  ins  Gleich- 
gewicht zu   bringen. 

IV.  Verkehr. 

Der  Verkehr  auf  den  Bahnen  Sibiriens  hat 
sich  schnell  entwickelt,  wie  das  der  16jährige 
Beobachtungsabschnitt  deutlich  zeigt.  Im  be- 
sonderen haben  die  Jahre  1904  und  1Q05  Auf- 
Tiahme'gefunden,  um  zu  zeigen,  was  diese  Bahnen, 
die  ihre  Erbauung  nicht  zuletzt  politisch-mili- 
tärischen'Erwägungen  verdanken,  während  des 
Krieges  mit  Japan  zu  leisten  vermochten,  ob- 
gleich sie  bautechnisch  nur  in  der  Hauptsache 
fertiggestellt  waren. 

Im  Personenverkehr  (einschließlich  Militär) 
gelangten  zur  Beförderung  auf  der  Bahn: 


Jahr 


Sibirische  Transbaikal 


Ussuri 


in  Tausenden 


18Q9 
1904 
1905 
1910 
1911  ' 


1020 
1755 
1845 
3466 
3750 


1500 
1870 
1869 
2200 


398 

613 

961 

1320 

1373 


'  Für  spätere  Jahre  liegen  keine  endgültigen  An- 
3;aben  vor. 

Im   Güterverkehr   wurden    bewegt   auf    der 
Bahn: 


J.Ihr 


Sibirische  Transbaikal 


Ussuri 


in  1000  Pud  (1  Pud  =  16-38  kg) 


1899 
1904 
1905 
1910 
191 


1 


89.399 
202.408 
249.035 
316.139 
395.647 


80.825 
157.295 
112.648 
173.101 


69.961 

47.C06 

69.072 

122.825 

142.231 

Mertens. 


Sicherheitsstreifen,  Schutzstreifen 
(safcty  belt,  protection  strip;  bände  de  siirete ; 
zona  di  preservazione),  sind  allgemeine  Begriffe 
für  alle  in  der  Umgebung  des  Bahnkörpers 
vorzusehenden  Schutzflächen,  teils  zur  Sicherung 
für  die  Bahnen  gegen  Gefahren,  die  ihr  von  an- 
grenzenden Grundstücken  oder  unterirdischen 
Anlagen  drohen  können,  teils  zum  Schutze  der 
Nachbargrundstücke  gegen  die  Gefahren,  die 
der  Bahnbetrieb  im  Gefolge  hat.  Da  die  Ge- 
fahren aus  dem  Bahnbetrieb  im  allgemeinen 
größer  sind,  so  haben  die  letzteren  mehr  Be- 
deutung. Im  einzelnen  unterscheidet  man  Grenz- 
schutzstreifen, Torfschutzstreifen,  S.  im  Bergbau- 
gebiet, Windbruchstreifen,  Brand-  oder  Feuer-, 
Forst-  oder  Waldschutzreifen. 

A.  Grenzschutzstreifen.  Die  zur  Vermar- 
kung  der  Bahngrenze  dienenden  Grenzsteine 
werden  nicht  unmittelbar  an  den  Fuß  der 
Bahnböschung  oder  an  die  Kante  der  Einschnitte 
gestellt,  sondern  mit  Rücksicht  auf  die  Gefahr 
des  Abrutschens  der  Böschung  vorwiegend 
zum  Schutze  des  Nachbargeländes  0-50  -  1  -50  m 
(meist  O'öO  -  O'SO  ra)  von  den  Damm-  und 
Einschnittsböschungen  entfernt  errichtet.  Die 
Breite  des  Streifens  ist  in  der  Regel  veränderlich, 
weil  gern  ein  möglichst  gleichmäßig  verlaufender 
Grenzzug  gewählt  wird,  der  sich  nicht  dem 
meist  unregelmäßigen  Verlauf  des  Damnifußes 
oder  des  Böschungsrandes  anpaßt. 

B.  Torfschutzstreifen  werden  dort  neben 
der  Bahn  angelegt,  wo  in  Torfmooren  eine 
Gefahr  für  den  Fuß  des  Bahndammes  durch 
das  Torfstechen  eintreten  kann.  Ihre  Breite 
wird  von  der  Kante  der  Bahnkrone  an  gerechnet 
bei  l''/2fächer  Bahnböschung  zu  (r5  /y^-  2)  m 
gewählt,  wenn  H  die  Höhe  der  Bahnkrone 
über  dem  festen  Untergrund  ist. 

C.  Sicherheitsstreifen  im  Bergbauge- 
biet. Führt  eine  Bahn  durch  die  Grubenfelder 
des  Bergbaubetriebs,  so  können  sich  Bahn 
und  Bergbau  gegenseitig  gefährden.  In  solchem 
Fall  sind  daher  für  den  Bahnbetrieb  und  für 
den  Bergbaubetrieb  besondere  Sicherungen  zu 
treffen.  Sie  bestehen  hauptsächlich  in  dem 
Stehenlassen  von  Sicherungspfeilern  seitens 
des  Bergbauunternehmens  (vgl.  Bergbaube- 
schränkungen). 

D.  Windbruchstreifen.  Holzbestände,  die 
einen  das  Bahngleis  gefährdenden  Umbruch 
befürchten  lassen,  sind  nach  §  27^  der  TV. 
zu  beseitigen.  Ist  daher  der  von  der  Bahn 
durchschnittene  Baumbestand  hoch  und  sturm- 
gefährdet, so  wird  dort  mit  Rücksicht  auf  die 
Sicherheit  des  Bahn-  und  Telegraphenbetriebs 
der  Bestand  so  weit  abgetrieben,  als  es  erforder- 
lich ist.  Die  abgetriebene  Fläche  wird  alsdann 


44 


Sicherheitsstreifen. 


aber  bis  an  den  Wundstreifen  (vgl.  unter  E) 
längs  der  Bahnböschung  sofort  wieder  auf- 
geforstet. 

E.  Brand-  oder  Feuerschutzstreifen, 
auch  Forst-  oder  Waldschutzstreifen  (fire- 
protection  belt  or  strip ;  bände  protectrice  contre 
le  feu;  striscia  di  terreno  quäle  protezione 
contro  l'incendio)  genannt,  werden  in  den 
Waldungen,  Heiden  und  trockenen  Mooren 
zu  beiden  Seiten  der  Bahn  angelegt,  um  diese 
Kulturarten  vor  der  ihnen  durch  Auswurf 
glühender  Kohlenteilchen  aus  den  Lokomotiven 
drohenden  Feuersgefahr  zu  schützen,  die  leicht 
zur  Vernichtung  von  ganzen  Waldbeständen 
führen  kann. 

Um  den  Lokomotivführern  anzuzeigen,  wo 
Feuersgefahr  besonders  zu  befürchten  und 
daher  das  Feuer  der  Lokomotive  vorsichtig  zu 
behandeln  ist,  wird  zuweilen  auf  solchen  Strecken 
längs  der  Bahnlinie  ein  Merkmal  in  Form 
eines  weißen  Streifens  an  den  Telegraphen- 
stangen angebracht. 

Haben  alle  diese  Maßnahmen  auch  eine 
gewisse  Verringerung  des  Funkenfluges  herbei- 
geführt, so  läßt  es  sich  doch  nicht  vermeiden, 
daß  besonders  beim  Beschicken  der  Feuerung 
Glutteilchen  aus  der  Feuerung  mitgerissen 
werden,  die  -  zumal  bei  der  lebhaften  Luft- 
bewegung, die  hinter  dem  schnellfahrenden  Zug 
erzeugt  wird  -  die  Fiammenbildung  herbei- 
führen. Da  nicht  nur  das  Bahnnetz,  sondern 
mehr  noch  die  Zahl  der  gefahrenen  Zugkm 
von  Jahr  zu  Jahr  wächst,  so  haben  die 
Eisenbahnverwaltungen  der  Verhütung  der 
durch  Lokomotivflugfeuer  verursachten  Wald- 
brände in  den  letzten  Jahren  mehr  und  mehr 
ihre  Aufmerksamkeit  zugewendet.  Die  TV.  ent- 
halten im  §  27,  Absatz  1  und  2  zur  Ver- 
meidung solcher  Brände  folgende  Bestimmung: 

In  Waldungen,  Heiden  und  trockenen  Mooren  ist 
längs  der  mit  Dampfkraft  betriebenen  Bahnen  zur 
Sicherung  gegen  Brände  ein  Streifen  wund  zu  halten 
oder  nur  so  zu  benutzen,  daß  die  Ausbreitung  des 
Feuers  behindert  wird.  Die  Breite  des  Streifens  ist 
nach  der  Örtlichkeit  zu  bestimmen.  Derselbe  Z\5-eck 
kann  auch  durch  Anlage  von  Schutzgräben  erreicht 
werden,  die  in  angemessenem  .Abstand  vom  Bahngleis 
anzulegen  und  von  brennbaren  Gegenständen  freizu- 
halten sind. 

Die  Erfahrungen  haben  gelehrt,  daß  jeder 
Waldbrand  mit  der  Entzündung  des  Boden- 
überzugs entsteht.  Die  zündenden  Auswürfe 
verursachen  hier  zunächst  ein  leicht  zu  löschen- 
des Lauffeuer.  Aus  diesem  entsteht  ein  Wipfel- 
feuer erst  dann,  wenn  die  Flammen  brennbare 
Stoffe  zwischen  Bodenüberzug  und  Wipfel 
erreichen.  Das  Lauffeuer  erlischt  am  Anfang 
von  selbst  an  jedem  kleinen  Hindernis,  das 
durch  einen  nicht  brennbaren  Gegenstand 
geboten    wird     (Pflugfurche,    Fußsteig).    Das 


Wipfelfeuer    erlischt,    sobald    das    Bodenfeuer 
gelöscht  ist. 

Als  beste  Schutzanlagen  gegen  die  von  den 
Eisenbahnen  drohende  Feuersgefahr  ergeben 
sich  daher  auf  Grund  der  bei  den  preußischen 
Staatsbahnen  gemachten  Erfahrungen  nach 
nebenstehender  Abb.  86  mit  Holz  bestandene, 
12-15/«  breite  Streifen,  durch  die  die 
glühenden,  aus  den  Lokomotivschornsteinen 
herausgeschleuderten  Kohlenstückchen  nicht  hin- 
durch und  über  die  sie  nicht  hinwegfliegen 
können.  Der  Boden  dieser  Streifen  ist,  damit 
das  Flugfeuer  nicht  durch  den  Bodenüberzug 
auf  die  Bäume  überspringen  kann,  freizuhalten 
von  brennbaren  Stoffen  (Heide,  hohes  trockenes 
Gras,  Wacholder,  trockene  Zweige,  trockenes 
Gestrüpp,  Rohhumusmassen  u.  s.  w.);  außerdem 
sind  die  Bäume  bis  zu  einer  Höhe  von  1-5  m 
von  allen  trockenen  Ästen  und,  soweit  grüne 
Äste  auf  den  Boden  herunterhängen,  auch 
von  diesen  zu  befreien.  Kur  die  grünen  .4ste 
der  am  bahnseitigen  Rande  der  Schutzstreifen 
stehenden  Stämme  sind  niemals  zu  beseitigen. 
Um  nun  das  Überlaufen  der  häufigen 
Böschungsfeuer  in  den  Bestand  des  Schutz- 
streifens zu  verhindern,  ist  zwischen  diesem 
und  der  Böschung  ein  1  m  breiter  Wund- 
streifen dauernd  frei  von  allen  brennbaren 
Stoffen  zu  halten.  Der  bestandene  Streifen 
ist  von  dem  hinter  ihm  liegenden  Forste 
durch  einen  von  brennbaren  Stoffen  dauernd 
und  vollständig  freizuhaltenden,  1,5  ot  breiten 
Wundstreifen  zu  trennen.  Die  beiden  Wund- 
streifen -  längs  der  Bahnböschung  und  längs 
des  sie  schützenden  Waldes  -  sind  je  nach  der 
Größe  der  Gefahr  in  Abständen  von  20  -  40  m 
durch  1  m  breite  Querwundstreifen  miteinander 
zu  verbinden.  Das  so  entstehende  Netz  \x)n 
Wundstreifen  (vgl.  die  schraffierten  Streifen 
der  Abb.  86)  beschränkt  die  im  Bodenüberzug 
entstehenden  Lauffeuer  auf  einen  abgegrenzten 
kleinen  Fleck. 

Die  Wundstreifen  sind  dauernd  rein  und  wund 
zu  halten.  Sie  müssen  jährlich  mindestens  einmal 
im  Frühling  sofort  nach  Schneeabgang  von  Nadeln, 
Laub  u.  s.  w.  gereinigt  werden.  Dasselbe  gilt  von 
den  jung  angepflanzten  Sciiutzstreifen.  Als  Längs- 
wundstreifen  können  befahrene  Wege  (s.  den  Lage- 
plan der  Abb.  S6  rechts),  vorhandene  Wassergraben 
u.  s.  w.  mitbenutzt  werden.  Moorige  und  torfige 
Flächen  sind  innerhalb  der  Wundstreifen  30  an  hoch 
zu  besanden. 

Beim  Neubau  von  Bahnen  ist  der  Bestand 
längs  des  Bahnkörpers  nur  so  weit  abzutreiben, 
wie  dies  für  die  Übersichtlichkeit  der  Strecke 
für  Lokomotivführer  und  Bahnwärter,  ins- 
besondere an  Wegübergängen  (vgl.  die  in  der 
Abb.  86  eingetragene  Sehlinie),  sowie  für  die 
Sicherheit  des  Bahn-  und  Telegraphenbetriebs 


Sicherheitsstreifen. 


45 


vor  überfallendem  Holz  (vgl.  unter  D)  er- 
forderlich ist.  Je  breiter  die  Bahngasse  durch 
den  Wald  gelegt  wird,  desto  leichter  und 
-«■eiter  werden  durch  den  Luftzug  die  glühenden 
Kohlen  seitwärts  in  den  Bestand  getrieben. 
Beiderseits  der  Bahn  wird  der  vorhandene 
Bestand  in  der  vorstehend  angegebenen  Weise 
durch  Anbringung  von  Wundstreifen  u.  s.  w. 
zu  einem  bestandenen  Schutzstreifen  umge- 
wandelt. Ist  der  Bestand  noch  nicht  hoch 
genug,  um  die  Funken  aufzufangen,  oder  ist 
das  Gelände  dem  Winde  besonders  ausgesetzt, 
so  ist  die  Anlage  eines  zweiten  oder  dritten 
Parallelschutzstreifens  hinter  dem  ersten  nötig. 
Ebenso  können  Bestände,  die  an  der  Außen- 
seite einer  Kurve  oder  gegenüber  von  Blößen 
und  neben  hohen  Bahndämmen  liegen,  die 
Anlage  eines  zweiten  Parallelschutzstreifens 
an  der  gefährdeten  Bahnseite  erforderlich 
machen.  Liegen  vor  einem  gefährdeten  Bestände 


Höhe  muß  der  hinter  dem  altbestandenen  Scliutz- 
streifen  angelegte  junge  Bestand  erreicht  haben,  ehe 
der  Schutzstreifen  selbst  abgetrieben  werden  darf.  Bis 
der  auf  dem  Schutzstreifen  angelegte  junge  Bestand 
eine  Höhe  von  etwa  3  m  erreicht  hat,  ist  hinter  ihm 
ein  bestandener  Schutzstreifen  von  etwa  \2-\b  ni 
Höhe  zu  unterhalten. 

Das  vorstehend  beschriebene  Verfahren  zur 
Herstellung  von  Wundstreifen  wird  nach  dem  Er- 
finder auch  das  Kien  itzsc  he  Verfahren  benannt. 
Es  hat  den  Vorteil,  daß  es  die  forstliche  Be- 
wirtschaftung bis  dicht  an  den  Bahnkörper 
heran  nicht  behindert. 

Die  Kosten  der  Wundhaltung  der  Schutzstreifen 
sind  dauernd  gestiegen.  Während  sie  längs  der 
vollspurigen  Staats-  und  Privateisenbahnen  Deutsch- 
lands im  Jahre  18Q0  nur  rd.  197.000  M.  ausmachten, 
betrugen  sie  im  Jahre  1909  über  560.000  M.  Immerhin 
sind  diese  Kosten  noch  geringer  als  die  Entschädi- 
gungen für  Schadenfeuer,  die  durch  Funkenfhig 
entstehen;  diese  haben  allein  bei  den  preußischen 
Staatseisenbahnen  im  Jahresdurchschnitt  der  letzten 
20  Jahre  etwa  1  Mill.  M.  betragen. 


nur  kahle  Streifen,  so  ist  der  Waldrand  in 
der  angegebenen  Weise  zu  einem  Schutzstreifen 
herzurichten,  der  kahle  Schutzstreifen  jedoch 
möglichst  aufzuforsten. 

In  trockenen  Gegenden,  wo  die  Gefahr  des  Loko- 
motivflugfeuers besonders  groß  ist,  werden  Schutz- 
streifen am  besten  mit  3  jährigen  Kiefern  (in  einem 
Verband  1,5:0,5m)  aufgeforstet,  weil  die  früh  sich 
entwickelnde  Borke  die  Kiefer  besonders  gegen  Lauf- 
feuer widerstandsfähig  macht  und  die  Kiefer  als 
immergrüner  Baum  die  Funken  zu  jeder  Jahreszeit 
mit  gleicher  Sicherheit  auffängt  und  zurückhält.  Laub- 
hölzer entwickeln  sich  dagegen  auf  trockenem  Boden 
nur  kümmerlich  und  unterdrücken  hier  den  gefähr- 
lichen Gras-  und  Heidewuchs  weniger  gut  als  die 
Kiefer.  Für  die  besseren  Standorte  kommen  dagegen 
zum  Aufforsten  die  Fichte  und  Laubhölzer  in  Betracht. 
Der  Bestand  auf  dem  Schutzstreifen  ist  in  einem 
60 -80jährigen  Umtrieb  zu  bewirtschaften.  Muß  er 
verjüngt  werden,  so  darf  dies  niemals  gleichzeitig 
auf  beiden  Seiten,  sondern  nur  einseitig  der  Bahn 
geschehen.  Der  Bestand  auf  der  zweiten  Seite  der 
Bahn  darf  erst  verjüngt  werden,  wenn  die  Anpflanzung 
auf  der  ersten  verjüngten  Seite  genügend  Höhe  (die 
des  Lokomotivschornsteins)  erreicht  hat.  Die  gleiche 


Zur  Anlage  der  S.  sind  bedeutende  Flächen 
erforderlich,  die,  wenn  sie  erworben  werden 
müßten,  die  Baukosten  der  Bahn  nicht  un- 
erheblich erhöhen.  Um  dies  zu  verhindern, 
wird  von  dem  Erwerbe  des  Geländes  im  all- 
gemeinen abgesehen,  wenn  sich  der  Eigen- 
tümer durch  grundbuchliche  Belastung  ver- 
pflichtet, eine  mit  der  Verwendung  des 
Geländes  als  Schutzstreifen  unvereinbare  Be- 
wirtschaftung des  Geländes  zu  vermeiden. 
Bei  den  preußischen  Staatsbahnen  ist  die 
Anlage  solcher  Schutzstreifen  infolge  der  vielen 
Staatsforste  sehr  erleichtert. 

Neben  der  Anlage  von  Wundstreifen  werden 
noch  folgende  Anlagen  und  Verfahren  zur 
Verhütung  der  Waldbrände  verwendet  An 
den  Grenzen  der  Waldungen  werden  zuweilen 
besonders  breite  und  vertiefte  Streifen  (Feuer- 
oder Schutzgräben)  angelegt  und  unterhalten, 
in  die  Äste  nicht  hineinreichen  dürfen.  Ferner 
werden    sog.    Laubholzschutzmäntel    ver- 


46 


Sicherheitsstreifen.  —  Sicherheitsventile. 


wendet,  über  die  aber  genügende  Erfahrungen 
noch  nicht  vorliegen.  Zuweilen  nimmt  man  bei 
windstillem  Wetter  und  bei  genügender  Auf- 
sicht und  Abgrenzung  ein  Abbrennen  des 
dürren  Grases  vor  und  endlich  stellt  man 
wohl  auch  an  besonders  gefährdeten  Punkten 
zu  Zeiten  größerer  Dürre  Wächter  auf,  denen 
es  obliegt,  entstandene  Brände  im  Keime  zu 
ersticken. 

Über  die  Abwendungen  von  Feuersgefahr 
bei  Errichtung  von  Gebäuden  und  Lagerung 
von  Stoffen  in  der  Nähe  der  Eisenbahn 
s.  Feuerpolizei  und  Anliegerbauten;  vgl.  ferner 
die  Art.  Bahnunterhaltung,  Anlieger  u.  Bann- 
legung,  dann  Bergbaubeschränkungen. 

Literatur:  Dr.  M.  Kienitz,  Maßregeln  zur  Ver- 
hütung von  Waldbränden.  Berlin  1Q04.  -  Ztg.  d. 
VDEV.  1903,  S.  12S0;  1904,  S.  1566  u.  1906,  S.  99. 
-  Erlaß  des  preußischen  Ministers  der  öffentlichen 
Arbeiten  vom  13.  Febr.  1905,  Eisenbahn-Nachrichten- 
blatt, S.  63  u.  Erlaß  vom  3.  Okt.  1905.  -  Winkler, 
Funkenflugschaden  der  Dampflokomotiven.  Glasers 
Ann.  1912,  S.  101.  -  F.  Seydel,  Das  Gesetz  über 
Enteignung  von  Grundeigentum.  Berlin  1903,  S.  166 
u.  167.  Giese. 

Sicherheitsventile  (safety  valves;  soupapes 
de  sürete;  valvole  di  sicurezza),  Vorrichtimgen 
an  innerem  Flüssigkeitsdruck  ausgesetzten  Ge- 
fäßen (Kessel,  Dampfzylinder,  Reservoire,  Rohr- 
leitungen) zur  selbsttätigen  Herstellung  eines 
teilweisen  Ausströmens  der  gespannten  Flüssig- 
keit bei  Erreichung  eines  Druckes  von  be- 
stimmter Größe,  um  dadurch  den  Eintritt  dieses 
Spannungszustands  in  sichtbarer  und  hörbarer 
Weise  anzuzeigen  und  eine  Überschreitung  des 
höchsten  erlaubten  Druckes  entweder  ganz  aus- 
zuschließen oder  mindestens  die  Druckzunahme 
möglichst  zu   verzögern. 

Die  an  Dampfkesseln  angebrachten  einfachen 
S.  entsprechen  (wenige  schwerfällige  und  um- 
ständliche Bauarten  ausgenommen)  nur  der 
Bedingung,  die  Überschreitung  des  höchsten 
erlaubten  Druckes  anzuzeigen,  hindern  aber  nicht, 
daß  trotz  des  Entströmens  von  Dampf  der  Druck 
immer  mehr  zunimmt.  Sie  sind  daher  nicht 
eigentliche  Sicherheits-,  sondern  nur  Warnungs- 
vorrichtungen. Da  es  noch  kein  in  bezug  auf 
bauliche  Durchführung  und  stets  sichere  Wirk- 
samkeit vollständig  einwandfreies  S.  gibt,  das 
eine  Druckerhöhung  verhindert,  da  ferner  das 
zu  diesem  Zweck  notwendige  rasche  Freimachen 
großer  Ausströmquerschnitte  ein  so  starkes 
Mitreißen  von  Kesselwasser  bewirken  würde, 
daß  anderweitige,  ernste  Übelstände  eintreten 
könnten,  wird  in  den  neueren  Gesetzen  die 
Größe  (Durchmesser)  der  S.  im  Verhältnis  zur 
Größe  (Heizfläche)  des  Kessels  nicht  vorge- 
schrieben, sondern  dem  Erbauer  des  Kessels  voll- 
ständig überlassen;  die  heute  zu  Recht  beste- 


henden Vorschriften   beziehen   sich  daher  nur 
mehr  auf  Anzahl  und  Belastungsart  der  S. 

Nicht  gesetzlich  vorgeschrieben  ist  die  Anbringung 
von  S.  an  Gefäßen,  die  mit  Druck-wasser  gefüllt  sind, 
da  das  Bersten  derartiger  Gefäße  nicht  unbedingt 
mit  Lebensgefahr  für  die  in  der  Nähe  beschäftigten 
Personen  verbunden  ist. 

Bauart  der  S.  In  der  einfachsten  Form 
besteht  das  S.  aus  einer  Platte  (Ventil  oder 
Ventiikegel),  die  derart  belastet  ist,  daß  sie  von 
einer  Öffnung  im  Kessel  (Ventilsitz)  durch  den 
Flüssigkeitsdruck  erst  dann  abgehoben  wird, 
wenn  dieser  Druck  eine  bestimmte  Größe  er- 
reicht hat.  Gegen  Herabfallen  und  vollständiges 
Wegschleudern  des  Ventils  sind  entsprechende 
Führungen  und  Hubbegrenzungen  angebracht 

Die  Belastung  des  Ventils  erfolgt  durch  Gewichte 
oder  durch  Federn.  Wegen  der  Größe  des  notwen- 
digen Gewichts  (bei  kleinen  Ventilen  schon  einige 
hundert  Kilogramm)  wird  das  Ventil  in  der  Regel 
nicht  unmittelbar  beschwert,  sondern  vermittels  eines 
Hebels,  an  dessen  äußerstem  Ende  ein  Gewicht  ange- 
bracht ist.  Die  Größe  dieses  Gewichts  ist  abhängig  von 
der  Wahl  des  Hebelverhältnisses  (s.Taf.  I,  Abb.  1  u.  2). 

Bei  Lokomotiven  und  in  gesetzlich  be- 
schränktem Maß  auch  bei  Lokomobilen  wird 
die  Belastung  der  Ventile  nicht  durch  Gewichte, 
sondern  durch  Spiralfedern  bewirkt. 

Zweck  dieser  Anordnung  ist  die  Vermin- 
derung des  Gesamtgewichts  der  Anlage  und 
Schonung  der  Ventilsitze,  da  die  beim  Lauf  der 
Lokomotive  eintretenden  Erschütterungen  bei 
Anwendung  von  Gewichtsbelastung  ein  vom 
Dampfdruck  unabhängiges  Öffnen  und  darauf 
folgendes  stoßartiges  Schließen  der  Ventile  zur 
Folge  haben. 

Die  inTaf.  I,  Abb.  3  u.  4  gezeichnete  Belastungs- 
vorrichtung heißt  Federwage  oder  Spring- 
balance; sie  besteht  aus  einer  Spiralfeder,  die 
in  den  übereinander  verschiebbaren  Messing- 
hülsen befestigt  ist,  aus  einer  Schraubenspindel 
und  einem  Griffrad. 

In  manchen  Fällen  (s.  Bauart  Ramsbottom, 
Tai  I,  Abb.  5,  Wilson,  Abb.  6,  und  Adams,  Abb.  7) 
erfolgt  die  Belastung  des  S.  unmittelbar  durch 
eine  starke  Spiralfeder,  eine  Ausführung,  die 
in  Deutschland,  England,  Italien,  Frankreich 
und  in  der  Schweiz  große  Verbreitung  ge- 
funden hat. 

Als  ein  theoretischer,  in  der  Praxis  jedoch 
nicht  fühlbarer  Nachteil  der  unmittelbaren 
Federbelastung  und  der  Belastung  durch  Feder- 
wagen ist  anzuführen,  daß  der  Druck,  den  die 
Feder  und  die  Federwage  auf  das  Ventil  aus- 
üben, nicht  unveränderlich  ist  (wie  dies  bei  dem 
Druck  eines  Gewichts  der  Fall  ist),  sondern  in 
dem  Maß  zunimmt,  als  das  Ventil  gehoben  wird. 

um  diesen  allerdings  unbedeutenden  Übel- 
stand zu  beheben,  wurden  verschiedene  Anord- 
nungen ersonnen,  von  denen  die  Ausführungen 


Sicherheitsventile. 


47 


Meggenhofen  (Taf.  I,  Abb.  4)  und  Kitson  (Taf.  I, 
Abb.  S  u.  8a)  weitere  Verbreitung  gefunden  haben. 

Das  Bestreben,  das  S.  niciit  allein  als  War- 
nungs-,  sondern  auch  als  wirkliche  Sicherheits- 
vorrichtung auszubilden,  führte  sowohl  zum 
Bau  von  ganz  geschlossenen  Ventilen,  bei  denen 
der  ausströmende  Dampf  keine  Rückwirkung 
auf  das  einmal  gehobene  Ventil  ausübt,  als 
auch  zur  Herstellung  von  Ventilen,  bei  denen 
der  ausströmende  Dampf  von  dem  Dampf  ge- 
trennt ist,  durch  den  das  Ventil  gehoben  wird. 

Als  Beispiel  der  ersten  Ausführungsarten 
möge  das  S.  der  Coale  Muffler  and  Safety  Valve 
Co.  (Taf.  I,  Abb.  9  u.  9  a)  dienen  und  als  Beispiel 
der  zweiten  Art  die  früher  in  Österreich  sehr 
verbreiteten  S.  nach  Bauart  Klotz  (Taf.  I,  Abb.  1 0). 

Beschreibung  einzelner  Bauarten. 

In  Taf.  I,  Abb.  1  ist  ein  einfaches  S.  mit  Gewichtsbe- 
lastung dargestellt,  wie  solche  als  „Marktware"  von 
Arniauirfabrikanten  ausgeführt  werden.  G  ist  ein  Ge- 
häuse aus  Gußeisen,  aufgeschraubt  auf  dem  Dampf- 
dom (s.  Dampfkessel). 

G,  ist  der  aus  Metall  (Bronze)  angefertigte  Ventil- 
sitz, der  in  das  Gehäuse  G  eingepreßt  ist,  V  das 
Ventil,  A  Fixpunkt  des  Hebels  H,  B  Druckstift, 
/^Führung  für  den  Hebel  und  C  das  Belastungsgewicht. 

Um  die  Reibung,  die  in  den  Bolzengelenken  A 
und  B  eintritt,  möglichst  zu  verringern,  werden  an 
Stelle  von  Bolzen  oft  gehärtete  Schneiden  angewendet ; 
s.  Taf,  I,  Abb.  2  (die  Buchstaben  haben  dieselbe 
BedeiUung  wie  in  Abb.  1). 

Bei  Lokomotiven  werden  die  S.  mit  Feder- 
wagenbelastung im  allgemeinen  nach  der  in  Taf.  I, 
Abb.  3  gezeichneten  Form  ausgeführt.  Die  Ventil- 
sitze bestehen  entweder  mit  dem  flachen  Unter- 
satz aus  einem  Stück  (Taf.  I,  Abb.  3)  oder  sie  haben 
keinen  besonderen  Untersatz  und  sind  unmittel- 
bar in  den  Domdeckel  eingepreßt. 

Damit  die  gehärtete  Spitze  des  Druckstifts  B 
nicht  eine  Vertiefung  im  Ventil  V  bilde,  ist 
ein  Stahlkörper  U  im  Ventil  eingelegt. 

Die  in  Taf.  I,  Abb.  3  gezeichnete  Federwage 
oder  Springbalance  ist  mit  einer  Spiralfeder 
5  versehen. 

Oft  werden  deren  2  (eine  stärkere  äußere 
und  eine  schwächere  innere),  in  manchen  Fällen 
(Bauart  Teudloff)  auch  6  Stück  gleich  starke 
Spiralfedern  angewendet. 

M  und  Af ,  sind  die  Metallhülsen,  von  denen  die 
untere  mit  dem  Kessel  durch  das  Zwischenstück  Z 
und  Bolzen,  die  obere  durch  eine  mit  Schrauben- 
gewinde versehene  Spindel  vermittels  des  Griffrads 
(eigentlich  eine  Mutter)  und  UnterlagsplaUe  p  mit 
dem  Ventilhebel  verbunden  ist. 

Die  innere  Metallhülse  Af ,  trägt  meist  eine  Teilung 
(ganze  und  halbe  Atmosphären).  Die  Feder  oder  das 
Federsystem  soll  derart  bemessen  sein,  daß  die  einer 
Atmosphäre  Dampfdruck  entsprechende  Verlängerung 
der  Feder  mindestens  15-20/«/«  beträgt,  damit  beim 
Abblasen  der  Druck  auf  das  Ventil  möglichst  un- 
verändert bleibe. 

Um  eine  willkürliche  Mehrbelastung  des  Ventils 
durch  stärkeres  Anziehen  der  Springbalance  un- 
möglich  zu  machen,   ist  zwischen  Ventilhebel   und 


äußerer  Messinghülse  ein  Kupferrohr  oder  Messing- 
rohr/z auf  die  Schraubenspindel  aufgesteckt;  diese 
Hülse  trägt,  um  eine  Verkürzung  durch  Abfeilen 
leicht  bemerkbar  zu  machen,  auf  der  oberen  und 
unteren  Fläche  irgend  einen  Stempel,  oder  auf  der 
Außenseite  eingeschlagen  die  Länge  der  Hülse  in  mm. 

Bei  den  Springbalancen  von  Meggenhofen 
(Taf.  I,  Abb.  4)  ist  die  Schraubenspindel  nicht  un- 
mittelbar mit  der  äußeren  Metallhülse  bzw.  Feder 
verbunden;  es  ist  ein  Hebelwerk  eingeschaltet, 
durch  das  die  beim  Abblasen  eintretende  Mehr- 
spannung der  Feder  an  einem  kürzeren  Hebelarm 
auf  den  Ventilhebel  wirkt,  wodurch  für  alle  Stel- 
lungen des  Ventilhebels  gleiche  Druckmomente 
in  bezug  auf  das  Ventil  erreicht  werden. 

In  der  schematisch  gezeichneten  Nebenfigur  be- 
deutet a  die  bei  Öffnen  des  Ventils  eintretende  Ver- 
kürzung des  Ventilhebels.  In  ähnlicher  Weise  wird 
bei  der  Ausführung  Kitson  (Taf.  I,  Abb.  8  u.  8a)  eine 
Druckerhöhung  durch  die  Belastungsfeder  auf  das 
Ventil  vermieden.  Der  Ventilhebel  ist  kurz,  liegt  mit 
Schneiden  auf  und  ist  derart  in  seinen  Längen  und 
in  der  gegenseitigen  Lage  der  Drehpunkte  ausge- 
mittelt,  daß  ein  „Heben"  des  Ventils  ein  Verkürzen 
des  Armes,  an  dem  die  starke  Spiralfeder  angreift, 
zur  Folge  hat. 

Ein  Ventil  BauartRamsbottom  mit  unmittel- 
barer Federbelastung  ist  in  Taf.  I,  Abb.  5 
gezeichnet. 

Eine  starke  Spiralfeder  wirkt  auf  den  Hebel  fi, 
der  auf  das  vordere  Ventil  vermittels  Druckstifts, 
auf  das  rückwärtige  Ventil  vermittels  einer  ange- 
schweißten Nase  drückt;  der  Ventilhebel //  ist  "in 
das  Führerhaus  hinein  verlängert,  damit  der  Führer 
durch  Heben  oder  Drücken  am  Hebel  irgend  eines 
der  Ventile  lüften  kann.  Eine  Mehrbelastung  des 
Ventils  durch  Heben  oder  Drücken  am  Hebel  ist 
durch  die  Bauart  des  S.  ausgeschlossen. 

Um  die  durch  das  längere  Hebelende  auf  das 
rückwärtige  Ventil  ausgeübte  geringfügige  Mehr- 
belastung auszugleichen,  trägt  der  Hebel  H  in  man- 
chen Ausführungen  „vorne"  ein  kleines  Gegengewicht.' 

In  ähnlicher  Weise  sind  S.  ausgeführt,  die 
auf  Dampfleitungsrohren,  z.  B.  Receivern  von 
Verbundlokomotiven  angebracht  sind  (Taf.  I, 
Abb.  II).  Die  Feder,  die  das  Ventil  unmittel- 
bar belastet,  ist  in  einem  Gehäuse  eingeschlossen 
und  kann  nach  Abschrauben  der  Kappe  /Cmit 
dem  Sechskant  m  nach  Bedarf  angezogen  oder 
nachgelassen  werden.  Um  ein  unbefugtes  Ver- 
ändern des  Druckes  unmöglich  zu  machen, 
ist  die  Ventilspindel  mit  der  Kappe  K  durch 
eine  Plombe  verbunden. 

An  den  Dampfzylindern  von  Lokomotiven 
werden  auch  S.  angebracht,  insbesondere  dann, 
wenn  die  Lokomotiven  mit  Gegendampfbremse 
(Le  Chatelier)  versehen  sind.  Diese  Ventile  (Taf.  I, 
Abb.  12,  einfache  Tellerventile  durch  2  Blatt- 
federn belastet)  sind  auch  geeignet,  ein  Brechen 
der  Zylinderdeckel  und  Zylinder  infolge  von 
mitgerissenem  Wasser  wirksam  zu  verhindern. 

Alle  bisher  beschriebenen  S.  zeigen  eine 
Drucküberschreitung  an,  hindern  aber  nicht 
eine  Zunahme  des  Druckes. 


48 


Sicherheitsventile. 


Nach  angestellten  Versuchen  heben  sich 
selbst  die  größten  Ventile  nur  um  etwa  I  bis 
P  ., /«/rt.  Die  freie  Ausströmöffnung  beträgt 
daher  weit  weniger  als  der  Ventilquerschnitt. 
Die  Hubhöhe  müßte,  um  dem  Ventilquerschnitt 
gleich  zu  sein,  1/4  des  Ventildurchmessers 
betragen  (bei  einem  Ventil  von  1 00 /w/«  Durch- 
messer, wie  es  bei  Lokomotiven  meist  an- 
gewendet wird,  25  mm).  Wenn  auch  nach  den 
praktischen  Versuchen  und  theoretischen  Unter- 
suchungen diese  große  Hubhöhe  für  die  nach 
den  üblichen  Abmessungen  ausgeführten  Ven- 
tile nicht  notwendig  ist,  um  den  überschüssigen 
Dampf  vollständig  abzuführen,  müßten  doch, 
um  diesen  Zweck  zu  erreichen,  bei  gewöhn- 
lichen einfachen  Ventilen  die  Durchmesser 
etwa  3  — 4  mal  größer  sein. 

Diese  Erscheinung  kann  ihre  Erklärung  in 
dem  Umstand  finden,  daß  der  ins  Freie  ent- 
weichende Dampf  seine  Spannung  nicht  plötz- 
lich verliert;  die  Druckverminderung  dürfte 
sich  bei  geöffnetem  Ventil  bis  in  dieses  hinein 
erstrecken,  und  außerdem  dürfte  der  aus- 
strömende Dampf  eine  Rückwirkung  (Druck) 
auf  die  Ventiloberseite  ausüben.  Tatsächlich 
geben  die  S.,  deren  obere  Fläche  vom  Sitz 
der  Ausströmöffnung  weit  entfernt  ist,  eine 
größere  Hubhöhe. 

Fast  vollständig  sind  die  Einflüsse  des  aus- 
strömenden Dampfes  auf  das  Ventil  bei  der 
Konstruktion  der  Coale  Muffler  and  Sa- 
fety  Val ve  Co.  vermieden  (Taf.  1,  Abb.  9  u.  9a). 
Das  Ventil  K  greift  mit  einem  hohen  Ring- 
ansatz in  einen  Cylinder  hinein,  in  dem  sich 
die  Druck-feder  befindet;  der  ausströmende 
Dampf  kann  daher  keinen  oder  doch  nur 
einen  unbedeutenden  Druck  auf  die  Ventil- 
oberseite ausüben.  Der  ausströmende  Dampf 
geht  nicht  sofort  ins  Freie;  er  durchströmt 
erst  die  Hohlräume  G  und  E  und  gelangt 
dann  durch  die  kleinen  Öffnungen  O  in  die 
Atmosphäre,  wodurch  das  Geräusch  des  aus- 
strömenden Dampfes  wesentlich  vermindert  wird. 
Unmittelbar  beim  Ventilsitz  hat  der  Dampf 
noch  beinahe  Kesselspannung,  infolgedessen 
findet  keine  Druckverminderung  unter  dem 
Ventil  statt. 

Sorgsamste  Instandhaltung  vorausgesetzt, 
schließt  das  Ventil  erst  dann,  wenn  der  Druck 
im  Kessel  eine  bestimmte  Verminderung  er- 
fahren hat;  der  Druckunterschied  zwischen  | 
„Öffnen"  und  „Schließen«  kann  durch  Heben 
oder  Senken  eines  eingeschraubten  zweiten 
Ventilsitzes  C  innerhalb  bestimmter  Grenzen 
geregelt  werden. 

Bezeichnet  D,-  den  inneren  Ventildurchmesser, 
Da  den  äußeren  wirksamen  Durchmesser,  p  den 
Dampfdruck,  unter  dem  das  Ventil  sich  heben 


soll,  p^  =  p-a  den  Dampfdruck,    unter  dem 
das  Ventil    schließen    soll,   a  den  Unterschied 
zwischen  Öffnungs-  und  Schließungsdruck,  so 
bestehen  folgende  Gleichungen: 
D,-2 .  .-t 

Druck  auf  das  Ventil  im  Augenblick  des  Öffnens 

4 P  =  P^ 2) 

Druck  auf  das  geöffnete  Ventil. 

Infolge  des  größeren  Drucks  P^  auf  das 
geöffnete  Ventil  bleibt  es  länger  offenals 
ein  Ventil  mit  nur  einem  Sitz;  es  kann 
sämtlicher   überschüssiger   Dampf   entweichen. 

Das  Ventil  schließt  sich,  wenn  der  Druck 
auf  die  Feder  wieder  P  geworden  ist;  dann  ist 


P=~^{p-a) 

Aus  Gleichung   1   und  3  folgt 

4        •P=  — 4 — (p-a), 

mithin 

Dr- 


.3) 


a  =  p\  1 


D„ 


Der  eingeschraubte  Ventilsitz  C,  der  nach 
Entfernung  der  Schraube  B  mit  Hilfe  eines 
Dornes  nach  Imks  oder  rechts  gedreht,  mithin 
um  ein  geringes  Maß  gesenkt  oder  gehoben 
werden  kann,  wird  gewöhnlich  derart  einge- 
stellt, daß  das  Ventil  auf  dem  inneren  Sitz 
noch  nicht  aufliegt,  wenn  auf  dem  äußeren  Sitz 
dampfdichter  Schluß  stattfindet. 

Infolge  der  absichtlich  herbeigeführten  Un- 
dichtheit  am  inneren  Ventilsitz  kommt  für  das 
Öffnen  und  den  Schluß  des  Ventils  nicht  der 
Durchmesser  Dj  in  seiner  wirklichen  Größe  in 
Betracht,  sondern  ein  der  Undichtheit  entspre- 
chend höherer  Wert.  Durch  Heben  und  Senken 
des  zweiten  Ventilsitzes  läßt  sich  der  Druck- 
unterschied a  (verkehrt  proportional  dem  Grad 
der  Undichtheit)  auf  ein  beliebiges  Maß  ver- 
ringern. Bei  amerikanischen  Lokomotiven  be- 
trägt z.B.  bei  einem  Kesseldruck  von  ISO  Pfund 
f.  d.  Quadratzoll  der  Druck  beim  Schließen 
des  Ventils  177  Pfund,  mithin  a  =  3  Pfund. 
Diese  Ventile  werden  oft  paarweise  ange- 
wendet, derart,  daß  bei  einem  Ventil  jede  un- 
befugte Mehrbelastung  der  Feder  vollkommen 
ausgeschlossen  ist  (Taf.  I,  Abb.  9),  während  das 
zweite  X'entil  (Taf.  1,  Abb.  9a)  derart  eingerichtet 
ist,  daß  der  Ventiikegel  durch  einen  Hebel  und 
Zug  vom  Führer  aus  gehoben  werden  kann. 
Nach  demselben  Grundsatz,  nur  in  Einzel- 
teilen verschieden,  sind  die  S.  System  Ashton 
Crossby,  Star  u.  s.  w.  ausgeführt. 


Enzyklopädie  des  EisenbahiiTesens,  2.  Aufl.  I.N 


1:15. 


Abb.  1.  S.  mit  Oewichtsbelastiing. 


Tafel   I. 


an 


1:15. 


Abb.  2  S   mit  Oewichtsbelastuiig, 


Enzyklopädie  des  Eisenbahn vesens.  2.K3M>ii 


1:15. 
Abb.  5.  Bauart  Ranisboftom. 


1;8. 


Abb.  9  u.  9a.  Banart  Coale  Mtiffler  and  SafHy  Valve  Co. 


tinzyklopädie  des  Eiseiiliahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


Sicherheitsventile. 


Tafel  I. 


Abb.  I.  S.  mit  Qewichtsbelastung. 


pF 


CBi^^ 


,■,1. 


Abb.  2  S   mit  Gewiclitsbelashing. 


Abb.  6,  Bauart  Wilson. 


1:10. 

Abb.  7.  Bauart  Adams. 


ü  1 1  ile!^^//L  ^ 


Abb.  10.  Bauart  Klnlz. 
Verlay  von  Urban  &  Schwarztiiberg  in  Berlin  u.  Wien. 


Abb.  3.  5.  mit  Federbelastiing. 


Abb.  4.  Bauart  Meggeiihofen. 


1 


eC--  Krafthebel  äer  Feder  bei 
geschlossenem  Vsiiül 

Jt.     Rraftheljel  der  Feder  bei 
oifenem  Ventil. 


1:15. 


-Ventil  geschlossan. 
.  Ventil  offen. 


Abb.  8  u.  8  a.  Bauart  Kitson. 


Abb.  12.  S.  für  Dampfzylinder  von  Lokomoliven. 


"-    ,  I  Receiver  ,.-' 

Abb.  11.  S.  für  Dampfleitnngsrohre. 


1:15. 

Abb.  5.  Bauart  Ranisbottom. 


1:8 


^^ 


Abb.  9  u.  9.1.  Banart  Cnale  Muffler  and  Safety  Valve  Co. 


Abb.  13.  Bauart  Pop-Coale. 


Sicherheitsventile. 


49 


Bei  den  österreichischen  Staatsbahnen  sind 
die  auf  den  gleichen  Grundsätzen  ent- 
worfenen Bauart  Pop-Coale  in  Verwendung 
(Taf.  I,  Abb.  13). 

Wirkungsweise.  Erreicht  die  Dampfspannung 
das  zu  gestattende  Höchstmaß,  so  wird  das  Ventil 
D  vom  Sitz  /  des  Untersatzes  A  abgehoben,  der 
ausströmende  Dampf  in  der  Spalte  zwischen  dem 
Ventil  D  und  dem  Zahnring  B  gedrosselt  und 
hierbei  durch  nunmehr  vergrößerte  wirksame  Ventil- 
fläche ein  weiteres  Abheben  herbeigeführt.  Der 
Schluß  des  Ventils  kann  erst  dann  eintreten,  wenn 
die  Dampfspannung  so  weit  gesunken  ist,  daß  der 
Dampfdruck  auf  die  vergrößerte  Ventilfläche  von 
der  Feder  überwunden  wird. 

Einstellen.  Das  Einstellen  geschieht,  solange 
hierfür  keine  eigene  Vorrichtung  vorhanden,  am 
montierten  Ventil  unter  Dampfdruck.  Das  voll- 
ständig zusammengestellte  Ventil  wird  bei  ab- 
genommener Kappe  K  und  gelüfteter  Gegenmutter 
H  durch  Niederdrehen  der  Federspannschraube  G 
so  belastet,  daß  es  voraussichtlich  unter  der  Wirkung 
der  zulässigen  Höchstdampfspannung  nicht  abbläst. 
Der  Zahnring  B  wird  unter  Benutzung  eines  spitzigen 
Werkzeugs  (Reißnadel)  so  lange  nach  abwärts  ge- 
schraubt, bis  man  fühlt,  daß  er  an  dem  Ventil- 
untersatz A  anliegt.  Nun  wird  die  Dampfspannung 
im  Kessel  unter  Anwendung  eines  verläßlichen 
Druckmessers  bis  zur  höchsten  erhöht.  Mit  Hilfe 
eines  langgestielten  Schlüssels  wird  sodann  die 
Federspannschraube  G  erfaßt  und  so  lange  vorsichtig 
gelüftet,  bis  das  Abblasen  bei  der  Höchstdampf- 
spannung erfolgt.  Der  Zahnring  B  wird  während 
des  Abblasens  "mittels  eines  langgestielten  Werk- 
zeugs durch  sehr  geringe  Drehung  von  1  : 1  Zahn 
eingestellt,  bis  das  Ventil  kräftig  bläst  und  nach 
Druckabnahme  von  0-2-0-3  Atm.  unter  der  Höchst- 
spannung plötzlich  schließt.  Ist  die  genaue  Arbeits- 
-weise  durch  mehrmaliges  Steigen  des  Dampfdrucks 
bis  zum  Abblasen  festgestellt,  so  wird  die  Gegen- 
mutter H  gut  angezogen,  um  das  Aufdrehen  der 
Federspannschraube  G  und  eine  dadurch  vielleicht 
eintretende  Betriebsstörung  zu  verhüten,  die  Kappe 
K  aufgestellt,  wie  auch  der  Zahnring  B  durch  die 
Arretierungsschraube  C  gesichert  und  die  Plombe 
bei  P  angebracht.  Ventile  ohne  Plombe  dürfen  nicht 
in  Beü-ieb  genommen  werden. 

Größere  Hubhöhe  als  die  gewöhnlichen  Plat- 
ten- oder  Tellerventile  geben  die  früher  in  Öster- 
reich vielfach  angewendeten  S.  Bauart  „Klotz" 
(Taf.  I,  Abb.  10).  Das  eigentliche  Ventil  F  ist  topf- 
artig gestaltet  und  wird  durch  Dampf  gehoben, 
der  durch  ein  Rohr  R  an  einer  Stelle  im  Kessel 
-entnommen  wird,  die  von  der  Ausströmöffnung 
weit  entfernt  ist.  Der  bei  5  ausströmende  Dampf 
hat  keine  Hebearbeit  zu  leisten;  die  Ausström- 
öffnung liegt  so  weit  von  der  Ventiloberfläche 
■.entfernt,  daß  eine  Rückwirkung  nicht  in  dem 
Maß  eintreten  kann  wie  bei  gewöhnlichen 
Ventilen. 

Ähnlich  ausgeführt  ist  das  S.  Bauart  „Wilson" 
(Taf.  I,  Abb.  6).  Es  ist  im  Wesen  eine  Verbindung  der 
Bauart  Klotz  und  Ramsbottom. 

Das  ganze  Ventil  ist  in  einem  Blechgehäuse  ein- 
geschlossen und  dadurch  gegen  unbefugtes  Nach- 
'-spannen  gesichert. 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


Ein  sehr  einfaches,  große  Hubhöhe  gebendes 
S.  ist  das  S.  von  Adams  (Taf.  I,  Abb.  7). 

Das  Ventil  legt  sich  mit  2  Schneiden  gegen 
den  Ventilsitz;  für  das  „Heben"  ist  der  innere  Durch- 
messer maßgebend.  Einmal  gehoben,  drückt  der 
Dampf  —  ähnlich  den  Ventilen  der  Coale  Muffler 
and  Safety  valve  Co.  —  auf  eine  größere  Fläche, 
läßt  daher  das  Ventil  länger  offen  unter  gleichzei- 
tiger Vergrößerung  der  Hubhöhe.  Die  Belastung 
erfolgt  unmittelbar  durch  eine  starke  Spiralfeder,  die 
durch  ein  Querstück  und  2  seitliche  Schrauben 
niedergehalten  wird.  Zwischen  Querstück  und  An- 
sätzen an  den  Schrauben  sind  Stellringe  eingelegt 
zur  Regelung  der  Federspannung.  Anwendung  findet 
dieses  S.  bei  vielen  französischen  Bahnen  (Est,  Nord, 
Midi)  und  in  neuerer  Zeit  auch  in  England. 

S.  dieser  und  ähnlicher  Bauart  sind,  wenn 
nicht  besondere  Vorkehrungen  zur  Schalldämp- 
fung getroffen  werden,  äußerst  lästig  für  die 
Bahnhöfe,  da  sie  sich  mit  schußartiger  Deto- 
nation heben  und  den  Dampf  (infolge  der  großen 
Hubhöhe)  mit  starkem,  scharfem  Geräusch  ent- 
weichen lassen. 

Abgesehen  von  der  Bauart  Kitson,  bei  der  der 
Ventilhebel  eine  gebrochene  Linie  darstellen  muß, 
sollen  die  Stützpunkte  A  und  B  und  der  Angriffs- 
punkt des  Gewichts  oder  der  Federwage  in  einer 
geraden  Linie  liegen.  Um  ein  Ecken  und  Festklemmen 
des  Ventils  selbst  zu  verhindern,  soll  es  sicher  geführt 
sein  (Führung  durch  Rippen,  Taf.  I,  Abb.  5  u.  12,  oder 
Führung  durch  einen  Mittelzapfen,  Abb.  3  u.  Q), 
außerdem  aber  soll  die  Spitze  des  Druckstifts  B 
womöglich  in  der  Ebene  oder  unter  der  Ebene  des 
Ventilsitzes  auf  das  Ventil  drücken.  In  der  Hebel- 
führung soll  so  viel  Seitenspiel  sein,  daß  ein  seit- 
liches Festklemmen  nicht  eintreten  kann;  nach  oben- 
hin soll  die  Führung  ein  Heben  des  Ventils  um  3  mm 
gestatten. 

Berechnung  des  Ventil-Belastungsge- 
wichts (Taf.  I,  Abb.  1,  2,  3).  Bezeichnet  d  den 
mittleren  Ventildurchmesser  in  cm,  gleich  dem 
inneren  Durchmesser  /),•  vermehrt  um  die  Sitz- 
breite, p  den  Dampfdruck  in  kgjcm'^,  G  das 
Eigengewicht  des  Ventils  in  kg,  g  das  Gewicht 
des  Druckstifts  in  kg,  h  das  nach  statischen 
Gesetzen  auf  den  Aufhängepunkt  C  überrechnete 
Gewicht  des  Ventilhebels,  a  den  Abstand  des 
Gelenks  B  vom  Drehungspunkt  A,  b  die  ganze 
Hebellänge,  so  ergibt  sich  die  Größe  des  Auf- 
hängegewichts C  in  kg  aus  der  Gleichung: 

\-^    P-G-Ä  a  =  b(C- 


-h) 


mit 


K 


4 


G^g 


) 


h. 


Bei  Anwendung  einer  Federwage  ist  die 
Stärke  der  Feder  oder  des  Federsystems  derart 
zu  wählen,  daß  sie  einem  um  mindestens  3  Atm. 
höheren  Druck  widerstehen  kann  als  dem  nor- 
malen  Kesseldruck. 

Die  auf  der  inneren  Hülse  aufzutragende 
Teilung  ist  empirisch  auszumitteln  durch  An- 
hängung von  den  einzelnen  Dampfspannungen 

4 


50 


Sicherheitsventile.   -ISiebenbürger  Eisenbahn. 


entsprechenden  Gewichten,  vermindert  um  das 
halbe  Gewicht  der  Federwage. 

Dem  Ventilhebel  sollen  solche  Abmessungen 
gegeben  werden,  daß  selbst  die  bei  der  Wasser- 
druckprobe angehängten  Belastungsgewichte 
keine  größeren  Beanspruchungen  als  etwa 
3-4  kg\mm  ^  hervorrufen. 

Gesetzliche  und  andere  Vorschriften. 
Schlechte  Bauart,  mangelhafte  Ausführung  und  sorg- 
lose Behandlung  von  Kesseln  bergen  derartige  Ge- 
fahren für  Leben  und  Gut  in  sich,  daß. in  vielen 
Industriestaaten  -  Deutschland  (Preußen),  Österreich, 
Frankreich  -  bald  nachdem  die  Anwendung  der 
Dampfkraft  eine  größere  Verbreitung  gefunden  hatte, 
Vorschriften  über  Größe,  Anzahl  und  bauliche  Durch- 
führung der  S.  erlassen  wurden,  da  nach  dem  da- 
maligen Stand  der  Wissenschaft  die  S.  als  wirkliche 
Sicherheitsvorrichtungen  angesehen  wurden. 

Nach  der  in  Preußen  bis  zum  Jahre  1861  be- 
standenen Verordnung  mußte  die  Ventilöffnung 
mindestens  '/aooo  der  Heizfläche  des  Kessels  be- 
tragen. 

Eine  in  Österreich  bis  zum  Jahre  1871  bestandene 
Verordnung  bestimmte,  daß  jeder  Kessel  mit  2 
S.  versehen  werden  müsse,  deren  lichter  Durchmesser  rf 
in  Zollen,  abhängig  von  der  Heizfläche  F  in  Wiener 
Quadratfuß  und"  dem  effektiven  Dampfdruck  n  in 
Atmosphären,  mindestens  gleich  sein  soll: 


d  =  0-3\2 


V-r 


-  0-588 


Eine  im  Jahre  1843  in  Frankreich  erlassene  Ver- 
ordnung, aufgehoben  mit  1.  Mai  1880,  bestimmte  den 
Durchmesser  der  S.  nach  der  Formel: 


rf  =  2-6 


Vm-O- 


412 


worin  d  Durchmesser  des  Ventils  in  cm,  F  Heiz- 
fläche inm-,  m  die  absolute  Dampfspannung  bedeutet. 

Aus  früher  angegebenen  Gründen  ist  in  den 
neueren  Gesetzen  die  Größe  der  Ventile  nicht  mehr 
an  bestimrnte  Formeln  gebunden. 

Die  in  Österreich  heute  bezüglich  der  S.  gelten- 
den Gesetze  sind : 

1.  Verordnung  des  Handelsministeriums  im  Ein- 
verständnis mit  dem  Ministerium  des  Innern  vom 
1.  Oktober  1875,  RGB.  Nr.  130,  betreffend  die  Sicher- 
heitsvorkehrungen   gegen     Dampfkesselexplosionen. 

Der  auf  S.  sich   beziehende  Teil   des  §  3  lautet: 

An  jedem  Dampfkessel  müssen  folgende  Armatur- 
stücke vorhanden  sein,  für  deren  guten  Zustand  der 
Kesselbesitzer  verantwortlich  ist: 

a)  Wenigstens  ein  S.,  und  wenn  der  Dampf- 
kessel mehr  als  2'5  m^  Heizfläche  hat,  mindestens 
2  S. 

Ihre  Belastung  muß  der  Dampfspannung,  für  die 
der  Kessel  erprobt  wurde,  entsprechen  und  sie  dürfen 
bei  stationären  Kesseln  nur  mit  Gewichten  in  der  Art 
belastet  werden,  daß  bei  mittelbarer  Belastung  das 
Gewicht  am  äußersten  Angriffspunkt  des  Hebels  wirkt. 
Bei  anderen  Dampfkesseln,  die  mit  Federwagen  ver- 
sehen sind,  muß  die  Maximalspannung  der  Feder 
der  Maximalspannung  des  Dampfes  entsprechend  be- 
grenzt und  bei  Lokomobilen  wenigstens  ein  Ventil 
mit  einem  Gewicht  belastet  sein. 

2.  Erlaß  des  k.  k.  Handelsministeriums  vom 
1.  Oktober  1875,  Z.  25.021,  enthaltend  die  Voll- 
zugsvorschrift zu  dem  Gesetz  vom  7.  Juli  1871, 
betreffend  die  Erprobung  und  periodische  Lrnter- 
suchung  der  Dampfkessel,    und  zu  der  Verordnung 


vom  1.  Oktober    1875,    betreffend    die    Sicherheits- 
vorkehrungen gegen  Dampfkesselexplosionen. 

In  diesem  Erlaß  ist  der  unter  „Berechnung  des 
Ventilbelastungsgewichts"  allgemein  dargestellte  Vor- 
gang ausführlich  erörtert  und  durch  Zahlenbeispiele 
belegt.  Der  Erlaß  enthält  weiters  eine  Anleitung, 
wie  das  auf  das  Hebelende  C  reduzierte  Gewicht  h 
des  Ventilhebels  H  empirisch  ermittelt  wird. 

Weitere  Vorschriften  über  Anbringung  von  S. 
an  Dampfpflugmaschinen,  Straßenlokomotiven,  Loko- 
mobilen, Dampfkochapparaten  u.  s.  w.  s.:  Thaa,  Das 
Dampfkesselwesen  in  Österreich.  Sammlung  der  auf 
diesen  Gegenstand  bezüglichen  Gesetze,  Verord- 
nungen und  Normalerlässe. 

Nach  der  in  Frankreich  bestehenden  Ver- 
ordnung vom  1.  Mai  1880  ist  die  französische  Re- 
gierung von  der  Bestimmung  der  Größe  des  Durch- 
messers der  S.  abgegangen,  indem  sie  statt  jeder 
solchen  Bestimmung  im  Art.  VI.  der  betreffenden 
Verordnung  an  die  Kesselkonstrukteure  die  Anforde- 
rung stellt,  die  Gesamtöffnung  der  beiden  auf  jedem 
Dampfkessel  anzubringenden  S.,  die  auch  auf  mehrere 
Kessel  verteilt  werden  dürfen,  so  groß  zu  machen,, 
daß,  wenn  die  Ventile  nach  Bedarf  entlastet  werden 
oder  ihre  Hubhöhe  vergi'ößert  wird,  selbst  bei  fort- 
gesetzter Feuerung  die  voraus  bestimmte  größte 
Spannung  im  Kessel  nicht  überschritten  werde. 

Die  technischen  Vereinbarungen  über  den  Bau 
und  die  Betriebseinrichtungen  der  Haupt-  und  Neben- 
eisenbahnen des  VDEV.  bestimmen  im  §  91 : 

„Jede  Lokomotive  muß  mit  wenigstens  2  S.  ver- 
sehen sein,  von  welchen  mindestens  das  eine  so 
eingerichtet  ist,  daß  seine  Belastung  nicht  über  das- 
bestimmte  Maß  gesteigert  werden  kann. 

Die  S.  sind  so  einzurichten,  daß  sie  vom  ge- 
spannten Dampf  nicht  weggeschleudert  werden, 
können,  wenn  eine  unbeabsichtigte  Entlastung  eintritt. 

Die  Sicherheitsventile  müssen  mindestens  3  mm 
Hubhöhe  haben." 

Literatur:  Burg,  Über  die  Wirksamkeit  der 
Sicherheitsventile  bei  Dampfkesseln.  Sitzungsbe- 
richte der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften,. 
Bd.  LXXX,  II.  Abt.,  Novemberheft,  Jg.  1879;  Über 
die  Wirksamkeit  der  Sicherheitsventile  bei  Dampf- 
kesseln (Vortrag),  Wien  1880.  -  Heusinger,  Hb.  f. 
spez.  E-T.,  Bd.  III,  Leipzig  1882,  woselbst  auch  ein 
Verzeichnis  über  ältere  Literatur.  -Reiche,  Anlage 
und  Betrieb  der  Dampfkessel,  Bd.  II,  Leipzig  1886  bis 
1888.  -  American  Railway  Mester  Mechanic's  As- 
sociation. Lokomotive  Dictionary,  New  York  1909. 
-  Maurice  Domoulin,  Tratte  Pratique  de  la 
Machine  Locomotive,  Tome  IV,  Paris  1898.  -  Das. 
Eisenbahnmaschinenwesen  der  Gegenwart,  2.  Aufl.,. 
Wiesbaden  1903.  Gölsdorf  f. 

Siebenbürger  Eisenbahn,  teils  in  Ungarn 
(101  -835  äto),  teils  in  Siebenbürgen  ( 1 88-244  km) 
gelegene  Eisenbahn,  ehemals  Privatbahn  mit 
dem  Sitz  der  Gesellschaft  in  Budapest,  seit 
1884  verstaatlicht.  Sie  umfaßte  zur  Zeit  der 
Verstaatlichung  die  Hauptstrecke  Arad-Karlsburg 
(eröffnet  1868)  und  die  Zweigbahn  Piski- 
Petrozseny  (eröffnet  1870).  Das  Anlagekapital 
war  auf  70  Mill.  K  festgesetzt. 

Der  Vertrag  über  die  Einlösung  der  S. 
durch  den  Staat  (gegen  Übernahme  der 
gesellschaftlichen  Anleihe  und  Einlösung  der 
Aktien  mittels  Verlosung  in  66  Jahren  zum, 
vollen  Nennwert)  wurde  am   10.  Januar   1884 


Siebenbürger  Eisenbahn.  -   Signallaternen. 


51 


abgeschlossen  und  mit  Qesetzartikel  XXIX  vom 
Jahre   1884  genehmigt. 

Auf  Grund  dieses  Vertrags  wurde  am 
15.  Februar  1884  die  Übernahme  der  Bahn 
durch  den  Staat  vollzogen. 

Die  Linien  der  S.  unterstehen  gegenwärtig 
der  Betriebsleitung  Arad  der  ungarischen 
Staatsbahnen. 

Siechrowsky,  Heinrich  Ritter  von,  General- 
sekretär der  Kaiser-Ferdinands-Nordbahn,  geb. 
zu  Wien  1794,  gest.  1866  in  Baden  bei  Wien, 
trat  nach  Beendigung  der  kommerziellen  Studien 
in  ein  Bankhaus  ein.  In  Begleitung  seines 
Chefs  unternahm  er  1825  bis  1832  Reisen 
nach  Frankreich,  England,  Italien,  Spanien  und 
Rußland,  und  mag  in  ihm  wohl  vor  allem  die 
Reise  nach  England  zuerst  die  Idee,  Eisen- 
bahnen in  Österreich  zu  errichten,  wachgerufen 
haben.  Als  S.  von  seinen  Reisen  nach  Wien 
zurückkehrte,  lernte  er  Baron  Rothschild 
kennen.  Dieser  fand  die  Anschauungen  S. 
bezüglich  der  Notwendigkeit  von  Eisen- 
bahnen durch  Professor  Riepl  vollinhaltlich 
bestätigt  und  entsendete  nunmehr  beide  zum 
Studium  der  Eisenbahnen  nochmals  nach  Eng- 
land; sie  wendeten  ihre  Aufmerksamkeit  be- 
sonders der  Liverpool-Manchester-Eisenbahn  zu 
und  arbeiteten  nach  deren  Vorbild  ein  Or- 
ganisationsstatut für  den  technischen  und 
kommerziellen  Dienst  der  Nordbahn  aus. 
S.  wurde  zum  Generalsekretär  der  Nordbahn 
ernannt.  Das  von  ihm  in  Gemeinschaft  mit  Riepl 
vorgeschlagene  Organisationsstatut  bewährte 
sich  in  der  Praxis  so  vorzüglich,  daß  die  Nord- 
bahn bald  zu  den  bestverwalteten  und  renta- 
belsten Eisenbahnen  zählte. 

Signalantrieb  (signal-operating  mecha- 
nism;  commande  des  signaux;  commando  del 
segnale)  ist  die  meist  am  Signalmast  angebrachte 
Vorrichtung,  die  beim  Umlegen  und  Zurück- 
stellen des  Signalhebels  am  Signalflügel  oder 
der  Signalscheibe  das  der  Hebelstellung  ent- 
sprechende Signalzeichen  hervorbringt.  Die 
Einwirkung  vom  Signalhebel  auf  den  S.  erfolgt 
bei  mechanischen  Stellwerken  durch  einen 
Doppeldrahtzug,  bei  Kraftstellwerken  durch 
elektrische  Steuerung  eines  elektrischen,  Druck- 
luft- oder  Preßgasantriebs  (Näheres  s.  Kraftstell- 
werke u.  Stellwerke).  Hoogen. 

Signalausleger  ist  ein  Ständer  mit  einem 
ausgekragten  Träger,  der  zur  Anbringung  eines 
Haupt-  oder  Vorsignals  dient. 

Signalbrücken  (signal  bridgcs;  passerelles 
ä  signaux;  passerclle  dci  segnali)  dienen  zur 
Anbringung  von  Haupt-  und  Vorsignalen  über 
den  Gleisen,  wo  die  Aufstellung  von  Masten 
zwischen  oder  neben  den  Gleisen  wegen  Platz- 
mangel   oder    ungenügender   Sichtbarkeit    der 


Flügel  oder  Scheiben  nicht  angängig  ist  ^vgl. 
Signalwesen).  Hoogen. 

Signalbude  (signal  box,  signal  cabin;  ca- 
bine  de  signalciir;  eabina  del  segnalatore),  der 
Raum,  von  dem  aus  Signale  gestellt  werden 
{Signalstellwerk)  oder  die  Aufträge  zum  Ziehen 
der  Signale  erteilt  werden  (Befehlstelle);  s.  Stell- 
werkshaus. 

Auch  die  Glockenhäuschen  der  elektrischen 
Streckenläutewerke  werden  wohl  als  S.  bezeichnet. 

Hoogen. 

Signalfahnen  s.  Signalwesen. 

Signalfestlegefeld,  ein  Blockfeld,  das  einen 
Signalhebel  im  abhängigen  Stellwerk  unter  Ver- 
schluß des  Fahrdienstleiters  hält. 

Signalflügelkontakt(Flügelstromschließer) 
ist  ein  Stromschließer,  der  mit  dem  oberen 
Flügel  der  Einfahr-  und  Blocksignale  in  Ver- 
bindung steht  und  bei  Haltstellung  dieses 
Flügels  die  Streckenblockleitung  schließt,  sie 
aber  öffnet,  sobald  der  Flügel  um  mehr  als 
10°  aus  der  Haltstellung  gebracht  ist.  Er  soll 
verhüten,  daß  die  Blockung  des  Endfeldes  und 
damit  die  Freigabe  der  rückliegenden  Strecke 
stattfindet,  wenn  der  Signalhebel  zurückgelegt, 
aber  der  Signalflügel  der  Hebelbewegung  nicht 
vollständig  gefolgt  ist. 

Auch  bei  Zählweckeranlagen,  Vorsignalen 
mit  Kraftantrieb  u.  s.  w.  finden  S.  Anwendung. 
In  besonderen  Fällen  wird  außer  dem  ersten 
Flügel  auch  der  zweite  Flügel  eines  Haupt- 
signals   mit    einem    Flügelkontakt   ausgerüstet. 

Hoogen. 

Signalflügelsperre  ist  eine  elektrische 
Sperre,  die  verhüten  soll,  daß  ein  Signalflügel 
ohne  Umlegen  des  Signalhebels  durch  einen 
unerlaubten  Eingriff  aus  der  Haltlage  bewegt 
wird. 

Signalfreigabefeld,  ein  Blockfeld,  mit  dem 
ein  im  abhängigen  Stellwerk  unter  Blockver- 
schluß liegender  Signalhebel  vom  Fahrdienst- 
leiter freigegeben  wird. 

Signallaternen  (signal  lamps;  lantcrnes  de 
Signal;  lanterne  da  segnale),  die  zur  Her- 
vorbringung der  Lichtsignale  (s.  Signalwesen) 
dienenden  Beleuchtungsvorrichtungen.  Am 
meisten  werden  dabei  Petroleumlampen  ver- 
wendet. Aber  auch  elektrisches  Licht,  Azetylen- 
licht und  gewöhnliche  Gasbeleuchtung  ist  dafür 
in  Gebrauch. 

Petroleumlampen  der  Haupt-  und  Vor- 
signale erhalten  nach  vorn  oder  nach  vorn  und 
rückwärts  parabolische  Blender  (Reflektoren). 
Bei  den  preußischen  Staatsbahnen  sollen  diese 
Blender  aus  weißem  Neusilber  hergestellt 
werden.  Für  die  Haupt-  und  Vorsignale  werden 
dort  10'"-  und  für  die  Wärtersignale  8"'-Brenner 
verwendet.    Es  wird  eine  Brenndauer  von   18 

4* 


52  Signallaternen. 

Stunden  verlangt.  Bei  den  gebräuchlichen  Pe- 
troleumarten sollen  die  Laternen  folgende 
Lichtstärken  ergeben: 

c)  Laternen  für  Haupt-  und  Vorsignale. 

Brenner  mit  Zylinder      .    .     12  Hefnerkerzen 

Vorderblender     mit    weißer 

Glasscheibe 250  „ 

Rückblender  mit  weißer  Glas- 
scheibe       110  „ 

b)  W'ärtersignallaternen. 

Brenner  mit  Zylinder     .    .     8'5  „ 

Blender    mit    weißer    Glas- 
scheibe      110 

Bei  guter  Wartung  sind  die  Signallichter 
solcher  Laternen  sehr  weit  zu  sehen. 

Besonderer  Wert  ist  auf  die  Sturmsicherheit 
der  Laternen  zu  legen.  Diese  wird  nach  den 
preußischen  Vorschriften  bei  einem  bestimmten 
Teil  der  zur  Abnahme  bereitgestellten  Lampen 
durch  Versuche  in  einer  Qebläsevorrichtung 
festgestellt. 

Die  farbigen  Signallichter  werden  dadurch 
hen-orgerufen,  daß  die  Laternen  farbige  Schei- 
ben erhalten  oder  daß  farbige,  in  Rahmen  ge- 
faßte Gläser  (Blenden)  vor  die  weiße  Scheibe 
der  Laternen  geschoben  werden  (s.  Blenden 
der  S.). 

Um  die  S.  bei  den  Mastsignalen  an  ihre 
richtige  Stelle  zu  bringen,  sind  die  Mäste  mit 
einem  Laternenaufzug  (s.  d.)  ausgerüstet. 

Die  elektrische  Beleuchtung  der  S.  ist 
bei  elekirisch  betriebenen  Bahnen  allgemein 
üblich;  sie  wird  neuerdings  aber  auch  bei 
anderen  Bahnen,  insbesondere  für  die  Weichen- 
laternen vielfach  verwendet. 

Bei  den  Haupt-  und  Vorsignalen  hat  man 
entweder  die  bei  Petroleumbeleuchtung  übliche 
Anordnung,  daß  zur  Hervorbringung  der  far- 
bigen Signallichter  sich  farbige  Blenden  vor 
eine  weißleuchtende  Laterne  legen,  beibehalten 
und  nur  die  Petroleumlampe  durch  eine  elek- 
trische Glühlampe  ersetzt  oder  man  hat  mehrere 
Lampen  mit  verschiedenfarbigen  Gläsern  oder 
Linsen  nebeneinander  angebracht,  von  denen 
durch  Schaltung  jedesmal  die  aufleuchtet,  die 
der  Signalstellung  entspricht. 

Bei  den  Weichenlaternen  wird  indem  Weichen- 
signalkasten  statt  der  Petroleumlampe  eine  auf- 
rechtstehende elektrische  Glühlampe  angebracht. 
Die  Anordnung  wird  dabei  meist  so  getroffen, 
daß  die  Glühlampe  feststeht  und  beim  Umstellen 
der  Weiche   nur  der  Signalkasten   sich   dreht. 

Die  elektrische  Beleuchtung  ermöglicht  da- 
durch, daß  im  Stellwerksraum  angebrachte  Kon- 
trollampen in  den  Stromkreis  der  Signallampen 
eingeschaltet  werden,  eine  einfache  Überwachung 
der   Signallichter.    Es    ist    das    besonders   für 


-  Signalmast. 

Haupt-  und  Vorsignale,  die  vom  Stellwerk  aus 
nicht  gut  übersehen  werden  können,  von  Wert. 
Die  Gefahr,  daß  die  Beleuchtung  versagt,  kann 
leicht  dadurch  auf  ein  sehr  geringes  Maß  herabge- 
setzt werden,  daß  in  jeder  Laterne  2  Glühlampen 
angebracht  werden,  die  in  getrennten  Strom- 
kreisen liegen.  Bei  denWeichenlaternen  beruhtein 
besonderer  Vorteil  der  elektrischen  Beleuchtung 
darin,  daß  sämtliche  Weichen  oder  einzelne  in 
einem  besonderen  Stromkreis  liegende  Gruppen 
von  Weichen  leicht  ein-  und  ausgeschaltet  werden 
können,  so  daß  die  Beleuchtung  der  Weichen 
auf  die  Zeit  beschränkt  werden  kann,  in  der 
der  Betrieb  sie  erfordert. 

Bei  Azetylenbeleuchtung  wird  das  Gas 
den  mit  Schnittbrennern  ausgerüsteten  S.  aus 
einer  unten  am  Mast  angebrachten  Flasche  durch 
ein  dünnes  Rohr  zugeführt,  in  das  ein  Druck- 
regler und  ein  Absperrhahn  eingebaut  ist.  Das 
Anzünden  der  Laternen  erfolgt  nach  Öffnung 
des  Absperrhahns  durch  eine  dauernd  brennende 
Zündflamme.  Neuerdings  wird  zu  dieser  Be- 
leuchtung gelöstes  Azetylen  (Azeton)  verwendet, 
das  als  vollständig  ungefährlich  gilt.  Auf  den 
schwedischen  Bahnen  und  versuchsweise  bei 
einzelnen  Strecken  der  österreichischen  Staats- 
bahnen ist  die  Azetylenbeleuchtung  seit  einiger 
Zeit  benutzt,  um  ein  Blinklicht  zu  erzeugen  und 
hierdurch  einzelne  Hauptsignale  vor  anderen 
besonders  her\orzuheben. 

Gewöhnliches  Leuchtgas  wird  in  der 
auch  für  sonstige  Beleuchtungszwecke  üblichen 
Weise  bei  Weichenlaternen  und  anderen  Kasten- 
signalen verwendet.  Hoogen. 

Signalmast  (signal  post;  poteau  oder  mät 
de  semaphore;  asta  semaforica)  dient  bei  den 
Flügel-  und  Scheibensignalen  zum  Anbringen 
der  Flügel,  Scheiben  und  Signallaternen  und 
ihrer  Antriebsvorrichtungen. 

Ursprünglich  wurden  die  S.  aus  Holz  her- 
gestellt, jetzt  werden  meistens  eiserne  Mäste 
aus  Rohren  (Rohrmaste),  aus  Formeisen  oder 
aus  Stabwerk  (Gittermaste)  verwendet.  Die  Höhe 
der  S.  soll  so  bemessen  werden,  daß  das  Signal 
für  den  Lokomotivführer  gut  sichtbar  ist.  Bei 
ein-  und  zweiflügeligen  Einfahrsignalen  ist  die 
gebräuchlichste  Masthöhe  etwa  8  m,  bei  mehr- 
flügeligen  1 0  m.  Ausfahrsignale  können  niedriger 
sein. 

Zur  Erreichung  guter  Sichtbarkeit  werden 
vielfach  auch  höhere  Mäste  —  bis  zu  lA'Q  m 
und  ausnahmsweise  auch  darüber  hinaus  — 
verwendet.  Die  Mäste  der  Scheibensignale  sind 
im  allgemeinen  nicht  höher  als  3'5  —  5  /ra. 
Die  Standsicherheit  der  S.  wird  durch  schmiede- 
eiserne oder  gußeiserne  Erdfüße  erreicht  Bei 
sehr  hohen  Masten  muß  die  Standfestigkeit  bei 
Winddruck  besonders  ermittelt  werden. 


Signalmast  -  Signalwesen. 


53 


An  einem  S.  können  mehrere  Flügel  für 
eine  Fahrrichtung  angebracht  werden  (2flügelige, 
Sfiügelige  Signale);  es  werden  aber  auch  die 
Flügel  für  verschiedene  Fahrrichtungen  an 
einem  S.  angeordnet  (Doppelsignale).  Es  war 
das  früher  bei  Blocksignalen  vielfach  üblich, 
jetzt  werden  mitunter  noch  die  Flügel  für 
Ausfahr-  und  Wegesignale  an  einem  Mast  an- 
gebracht. 

Zur  Ausrüstung  der  S.  gehören  die  Signalflügel, 
die  Signallaternen  und  Signalblenden  mit  den  Auf- 
zugvorrichtungen und  die  Signalantriebe  (s.  Stellwerke). 

Die  Signalflügel  haben  im  allgemeinen  eine  lang- 
gestreckte rechteckige  Form.  Das  äußere  Ende  wird 
häufigkreisförmigoderpfeilförmig  ausgebildet  (s.  auch 
Formsignale).  Die  Länge  der  Flügel  beträgt,  von  der 
Mitte  des  Mastes  an  gerechnet,  1-5 -l'S  m,  ihre  Breite 
020  — 0'25  m.  Sie  werden  aus  Randeisen  mit  senk- 
rechten Stegen  oder  aus  vollem  Eisenblech  hergestellt. 
Am  Maß  ist  eine  Lagerplatte  befestigt,  auf  deren 
Achse  der  Flügel  sich  dreht.  Der  Hub  wird  durch 
Anschläge  begrenzt.  Bei  den  mit  eleWrischer  Flügel- 
kupplung (s.  d.)  versehenen  Signalen  werden  die 
Stöße  beim  Fallen  der  Flügel  auf  Halt  durch  eine 
Flügelbremse  (s.  d.)  gemildert.  Sonst  werden  die 
Flügel  zu  diesem  Zweck  mit  Gegengewichten  versehen. 

Die  Signalflügel  werden  meistens  rot  und  weiß 
gestrichen,  wobei  die  Verteilung  der  roten  und 
weißen  Flächen  sehr  verschieden  ist.  Neuerdings  wird 
statt  des  Anstrichs  mit  Ölfarbe  oder  besonderer 
Signalfarbe  vielfach  mit  sehr  gutem  Erfolg  ein 
Schmelzüberzug  venx-endet.  Dazu  eignen  sich  be- 
sonders die  Flügel  aus  vollem  Blech. 

Die  Signallaternen  sind  mit  einer  sog.  Tasche 
versehen,  mit  der  sie  auf  den  Latemenschlitten  ge- 
steckt werden.  Mit  diesem  werden  sie  durch  den 
Laternenaufzug  (s.  d.)  hochgezogen  und  herabge- 
lassen. Die  farbigen  Lichter  werden  durch  gefärbte 
Glasscheiben  —  Blenden  —  hervorgebracht,  die  sich 
vor  die  weiß  leuchtenden  Laternen  legen  (s.  Blenden 
der  Signallaternen). 

Die  Signalantriebe  (s.  Stellwerke)  übertragen  die 
Bewegung  des  Signaldrahtzugs  auf  die  Signalflügel. 
Sie  sind  End  an  triebe,  wenn  der  Signaldrahtzug  am 
S.  endet,  oder  Zwischen  an  triebe,  wenn  der  Signal- 
drahtzug zu  einem  andern  Hauptsignal  oder  zu 
einem  Vorsignal  weiter  führt. 

Der  Endantrieb  besteht  in  einer  Kurvenscheibe, 
die  oben  oder  unten  am  Mast  befestigt  ist.  Ist  er 
oben  angebracht,  so  geht  der  Drahtzug  über  eine 
Ablenkrolle  am  unteren  Teil  des  Mastes.  Der  Zwischen- 
antrieb sitzt  unten  am  Mast;  die  zugehörige  Kur\'en- 
scheibe  ist  mit  ihm  vereinigt  oder  oben  am  Mast 
angebracht. 

Bei  Kraftstellwerken  wird  der  Antrieb  fast  aus- 
schließlich unten  am  Mast  befestigt;  nur  bei  ameri- 
kanischen Anlagen  findet  man  ihn  auch  oben  am 
Mast,  unmittelbar  am  Flügel. 

Die  S.  erhalten  einen  Anstrich,  der  sie  leicht 
erkennbar  machen  soll.  Meistens  werden  sie 
in  einzelnen  Absätzen  von  etwa  \  —2  m  Höhe 
abwechselnd  schwarz  und  weiß  oder  rot  und 
weiß  gestrichen.  Zuweilen  wird  diese  Art  des 
Anstrichs  auf  die  der  Fahrtrichtung  zugekehrte 
Seite  des  Mastes  beschränkt  und  die  andere 
Seite  in  einer  unauffälligen  Farbe  —  grau  — 
gestrichen.  Hoogen. 


Signalordnung  (signal  code;  code  des  si- 
gnaiix;  regolamento  dei  segnali)  ist  die  in  fast 
allen  Ländern  bestehende  gesetzliche  Festlegung 
der  für  den  Betrieb  der  Eisenbahnen  maßge- 
benden Signalbegriffe  und  der  dafür  zu  ver- 
wendenden Signalzeichen  (s.  Signalwesen). 

Signalverschlußfeld,  ein  Blockfeld,  das 
beim  Blocken  des  Endfeldes  die  Einfahrsignal- 
hebel so  lange  gesperrt  hält,  bis  sie  durch  das 
Signalfestlegefeld  wieder  verschlossen  sind. 

Signalwesen  (signalling;  signalisation; 
i  segnali). 

Inhalt:  I.  Signalbegriffe.  —  II.  Signalzeichen  und 
Signalmittel.  -  III.  Signalordnungen.  —  IV.  Neuere 
Bestrebungen  auf  dem  Gebiete  des  S. 

Befehle  und  Meldungen,  die  im  Eisenbahn- 
betrieb zwischen  den  beteiligten  Bediensteten 
ausgetauscht  werden  müssen,  können  in  vielen 
Fällen  nicht  mündlich  oder  schriftlich  über- 
mittelt werden.  Sie  werden  durch  hörbare 
oder  sichtbare  Signalzeichen  ersetzt,  denen 
durch  besondere  Signalordnungen  be- 
stimmte, fest  umschriebene  Signalbegriffe 
untergelegt  sind.  Ein  wagrechter  Flügel  an 
einem  Mast,  ein  rotes  Licht,  ein  Knall  sind 
Signalzeichen,  die  den  Signalbegriff  „Halt" 
ausdrücken.  Der  Signalmast  mit  dem  Flügel, 
die  rot  geblendete  Laterne,  die  an  der  Schiene 
befestigte  Knallkapsel  sind  die  Signal- 
mittel. 

L  Signalbegriffe. 

Als  Signalbegriffe  kommen  hauptsäch- 
lich in  Betracht  die  Befehle  „Halt",  „Fahrt 
frei"  und  „Langsam  fahren",  ferner  Mittei- 
lungen über  den  Lauf  der  Züge  und  Hin- 
weise auf  den  Zustand  der  Bahn.  Mitteilungen 
über  den  Lauf  der  Züge  enthalten  z.  B.  die 
Signalbegriffe:  „Ein  Zug  fährt  in  der  Rich- 
tung von  A  nach  B",  „Zugverkehr  ruht",  „Ein 
Sonderzug  folgt  nach".  Den  Zustand  der 
Bahn  betreffen  die  Signalbegriffe:  „Die  Weiche 
steht  auf  dem  krummen  Strang",  „Die  Tele- 
graphen- und  Fernsprechleitung  ist  zu  unter- 
suchen". 

Die  Signalbegriffe,  die  den  Zustand  der 
Bahn  anzeigen,  decken  und  vermischen  sich 
zuweilen  mit  denen,  die  „Halt"  und  „Lang- 
sam fahren"  ausdrücken. 

Die  erste  Signalvorschrift  in  Deutschland 
—  die  von  der  Versammlung  Deutscher  Eisen- 
bahntechniker zu  Berlin  im  Februar  1850  auf- 
gestellten Grundzüge  für  die  Gestaltung  der 
Eisenbahnen  Deutschlands  —  hatte  sich  in 
der  Zahl  der  Signalbegriffe  eine  weise  Be- 
schränkung auferlegt.  Sie  stellte  ihrer  10  auf. 
Bei  der  weiteren  Entwicklung  des  Eisenbahn- 
signalwesens nahm  die  Zahl  der  Signalbegriffe, 
die  man    durch    besondere  Signalzeichen  aus- 


54 


Signalwesen. 


zudrücken  suchte,  immer  mehr  zu.  Die  Ein- 
führung einheithcher  Signalordnungen  für 
größere  Gebiete  —  z.  B.  für  Deutschland  und 
Österreich  —  wirkte  dem  Übermaß  entgegen. 
Die  deutsche  Signalordnung  weist  gegenwärtig 
34,  die  österreichische  45  verschiedene  Signal- 
begriffe auf. 

II.  Signalzeichen  und  Signalmittel. 
Die   Signalzeichen    sind   sichtbar    oder 


hörbar;    zuweilen  werden  auch  sichtbare 
hörbare  Zeichen  vereinigt  verwendet. 


und 


r: 


|S.S._ 


Jü», 


Abb.  87.  Haltscheibe. 


Abb,  SS.  Langsamfahrscheibe. 


Die  sichtbaren  Zeichen  sind  für  Tag  und 
Nacht  meistens  verschieden.  Als  Tagessignale 
sind  im  allgemeinen  Formsignal  e,  als 
Nachtsignale  Lichtsignale  in  Gebrauch. 
Es  werden  aber  auch  dieselben  Signalzeichen 
als  Tages-  und  Nachtsignale  verwendet.  So 
sind  z.  B.  die  Weichensignale  vielfach  aus 
Milchglasscheiben  gebildet,  die  bei  Dunkelheit 
durch  Beleuchtung  erkennbar  gemacht  werden 
und  dann  dasselbe  Signalbild  zeigen  wie  bei 
Tag.  Bei  der  Elberfelder  Schwebebahn  werden 
die  farbigen  Lichter  der  Nachtsignale  auch  bei 
Tag  benutzt.  Anderseits  wird  hier  und  da  wieder 
versucht,  die  Tagessignale  auch  bei  Dunkelheit 


brauchbar  zu  machen,  indem  man  sie  künstlich 
beleuchtet. 

Als  Formsignale  kommen  Flaggen-, 
Scheiben-,  Flügel-  und  Kastensignale  vor. 

Bei  den  Flaggensignalen  bedeutet  die 
im  Kreis  geschwungene  Flagge  überall  „Halt". 
Ruhiges  Halten  der  Flagge  wagrecht  oder 
schräg  wird  bei  manchen  Bahnen  als  Zeichen 
für  „Langsam  fahren"  benutzt.  Sonst  findet 
sich  die  Flagge  meistens  als  Signalzeichen  am 
Zug.  Nach  der  deutschen  Signalordnung  z.  B. 
dient  eine  grüne  Flagge  zur  Kennzeichnung 
der  mit  Personen  besetzten 
Bahnpost-,  Speise- oder  Schlaf- 
wagen während  eines  Still- 
lagers. Bei  den  holländischen 
Bahnen  zeigt  eine  blaue  Flagge 
am  vordersten  oder  einem  der 
letzten  Wagen  an,  daß  der 
Telegraph  gestört  ist.  Auf  der 
französischen  Ostbahn  dient 
eine  rote  Flagge  an  der  Lo- 
komotive zur  Kennzeichnung 
der  Fahrt  auf  falschem  Gleis. 
Scheibensignale  haben 
meistens  viereckige  oder  runde 
Form;  es  kommt  aber  auch 
die  Dreiecksform  mit  der 
Spitze  nach  oben  oder  nach 
unten  vor.  Die  Signalscheibe 
ist  entweder  fest  oder  in  ihrer 
Lage  zu  dem  Schaft  oder  dem 
Mast,  der  sie  trägt,  beweg- 
lich. Feste  Scheiben  sind 
z.B.  die  Haltscheibe  (Abb.  87) 
und  die  Langsamfahrscheibe 
(Abb.  88)  der  deutschen  Signal- 
ordnung, bewegliche  Scheiben 
das  deutsche  Vorsignal  (s.  d.) 
und  das  französische  Halt- 
signal. 

Die  beweglichen  Scheiben 
werden  um  eine  senkrechte 
oder  eine  wagrechte  Achse 
gedreht.  Sie  zeigen  dem  Zug  entgegen  in  der 
einen  Stellung  die  volle  Fläche,  in  der  andern  nur 
die  schmale  Kante  der  Scheibe.  Ein  bestimmtes 
Signalzeichen  ist  daher  nur  dann  vorhanden, 
wenn  die  volle  Fläche  dem  Zug  zugekehrt 
ist.  Dieser  Mangel  ist  bei  dem  bayerischen 
Vorsignal  durch  die  Vereinigung  eines  Scheiben- 
und  Flügelsignals  vermieden. 

Feste  Scheiben  werden  meistens  als  Wärter- 
signale an  Stellen  verwendet,  wo  nur  vor- 
übergehend Signale  zu  geben  sind.  Beweg- 
liche Scheiben  kommen  selbständig  oder  in 
Verbindung  mit  Flügelsignalen  als  Vorsignale 
\'or. 


Signalwesen. 


55 


Bei  Flu  gel  Signalen  wird  das  Signal- 
zeichen durch  die  Stellung  eines  oder  meh- 
rerer beweglicher  Flügel  zu  einem  festen  Mast 
gebildet.  Als  Signalzeichen  für  die  verschie- 
denen Signalbegriffe  dient  die  wagrechte  Lage 
des  Flügels,  seine  Stellung  unter  45"  nach 
oben  oder  nach  unten  und  die  senkrechte 
Lage  des  Flügels  nach  oben  oder  nach  unten. 
Die  Form  der  Flügel  ist  im  allgemeinen  ein 
längliches  Rechteck,  dessen  dem  Mast  ab- 
gekehrtes Ende  winkelrecht  abgeschnitten,  pfeil- 
förmig  oder  schwalbenschwanzförmig  ausge- 
bildet oder  auch  kreisförmig  gestaltet  ist. 
Diese  Ausbildung  des  Fiügelendes  dient  dazu, 
neben  dem  durch  die  Flügelstellung  ausge- 
drückten Signalbegriff  noch  besondere  An- 
gaben über  den  Fahrweg  oder  die  zulässige 
Fahrgeschwindigkeit  zu  machen  (bei  den  bel- 
gischen und  englischen  Bahnen),  oder  noch 
besonders  hervorzuheben,  für  welche  Fahr- 
richtung der  Flügel  gilt  (bei  den  deutschen 
Bahnen).  Auf  den  deutschen  und  österreichischen 
Bahnen  weist  der  Flügel  in  der  Fahrrichtung 
gesehen  nach  rechts,  auf  den  französischen, 
englischen  und  manchen  anderen  Bahnen  nach 
links. 

Die  wagrechte  Lage  des  Flügels  gilt  überall 
als  Haltzeichen,  mit  der  Maßgabe  jedoch, 
daß  dort,  wo  Flügelsignale  als  Vorsignale 
verwendet  werden,  die  wagrechte  Stellung 
rieht  ein  unbedingtes  Fahrverbot  darstellt.  Die 
übrigen  Flügelstellungen  werden  in  verschie- 
dener Weise  zur  Kennzeichnung  der  Signal- 
begriffe „Fahrt  frei"  und  „Langsam  fahren" 
benutzt. 

Kastensignale  sind  fest  oder  beweg- 
lich. Sie  zeigen  für  Tag  und  Nacht  dasselbe 
Signalbild. 

Lichtsignale  werden  aus  weißen  und 
farbigen  Lichtern  gebildet.  Rotes  Signallicht 
ist  in  allen  Signalordnungen  das  Zeichen  für 
«Halt".  Ein  unbedingtes  Fahrverbot  ist  es 
nicht  dort,  wo  es,  wie  bei  den  englischen 
Bahnen,  am  Vorsignal  verwendet  wird. 

Grünes  Licht  bedeutet  „Fahrt  frei", 
„Langsam  fahren",  „Vorsicht". 

Weißes  Licht  zeigt,  wo  es  als  Signal- 
zeichen verwendet  wird,  „Fahrt  frei"  an. 

Die  meisten  Signalordnungen  waren  ur- 
sprünglich auf  der  Verwendung  von  weißem, 
grünem  und  rotem  Licht  aufgebaut.  Rot  be- 
deutete „Halt",  Grün  „Vorsicht",  „Langsam 
fahren"   und  Weiß  „Fahrt  frei". 

Das  weiße  Licht  ist  als  Signallicht  aber 
immer  mehr  abgekommen,  weil  es  unter  Um- 
ständen aus  den  zur  Beleuchtung  dienenden 
Lichtern  nicht  klar  genug  sich  heraushebt  und 
dort,  wo  es  neben  farbigen  Signallichtern  auf- 


tritt, diese  leicht  überstrahlt  und  undeutlich 
macht.  Beim  Bruch  der  roten  oder  grünen 
Blende  eines  Signallichts  kann  ein  gefährliches 
Signalbild  entstehen,  wenn  weißes  Licht  als 
Signalzeichen  für  „Fahrt  frei"  gilt.  Wo  das 
weiße  Licht  beseitigt  wurde,  trat  an  seine 
Stelle  das  grüne  Licht  mit  der  Bedeutung 
„Fahrt  frei".  Für  den  Begriff  „Vorsicht",  „Lang- 
sam fahren"  wurde  vielfach  eine  neue  Signal- 
farbe eingeführt.  Meistens  wird  hierfür  jetzt 
„Gelb"  verwendet,  wie  z.  B.  bei  den  neuen 
Vorsignalen  der  deutschen  Signalordnung. 

Blaues  Licht  kommt  in  der  Bedeutung 
„Ruhe"  (auf  den  bayerischen  Bahnen)  und 
als  „Verbot  der  Verschiebung"  (auf  den  öster- 
reichischen Bahnen)  vor.  Für  weite  Entfer- 
nungen ist  es  nicht  geeignet. 

Violettes  Licht  findet  sich  an  den 
Wegesignalen  der  französischen  Eisenbahnen 
bei  Fahrverbot. 

Auch  aus  Gruppen  von  Lichtern 
werden  Signalzeichen  gebildet.  Solche  Signal- 
zeichen sind  z.  B.  die  untereinander  ange- 
brachten grünen  Lichter  an  den  mehrflügligen 
Hauptsignalen  der  deutschen  Bahnen  sowie 
die  in  schräger  Linie  zum  Mast  stehenden 
Doppellichter  an  dem  neuen  deutschen  Vor- 
signal. 

Bei  solchen  Signalbildern  aus  Lichtergruppen 
müssen  die  einzelnen  Lichter  so  weit  ausein- 
ander stehen,  daß  sie  auf  die  Entfernung,  in 
der  sie  erkannt  werden  müssen,  nicht  inein- 
ander übergehen.  Das  Erlöschen  eines  Lichtes 
einer  Lichtergruppe  sollte  kein  gefährliches 
Signalbild  hervorrufen,  eine  Forderung,  die 
indes  nicht  überall  erfüllt  ist. 

Die  farbigen  Signallichter  werden  nicht  von 
allen  Personen  in  gleicher  Weise  wahrge- 
nommen. Es  gibt  „Farbenuntüchtige",  die 
einzelne  Farben,  besonders  die  für  das  Signal- 
wesen wichtigsten  Farben  rot  und  grün  ver- 
wechseln (s.  Farbenblindheit). 

Hörbare  Signale  sind  Knall-,  Glocken-, 
Pfeifen-  und  Hornsignale. 

Knallsignale  bedeuten  immer  „Halt". 
Man  hat  auch  vereinigte  Knall-  und  Licht- 
signale verwendet,  bei  denen  die  zur  Erzeu- 
gung des  Knalls  dienende  Entladung  eines 
Sprengstoffs  unter  Entwicklung  eines  roten 
Lichtes  vor  sich  geht. 

Die  Glockensignale  bestehen  entweder 
aus  einer  bestimmten  Anzahl  von  einzelnen 
Glockenschlägen  oder  Gruppen  von  Glocken- 
schlägen oder  aus  dem  eine  gewisse  Zeit  un- 
unterbrochen fortdauernden  Anschlagen  der 
Glocke  (Klingel-  und  Rasselwerke).  Durch 
mehr  oder  weniger  häufige  Wiederholung  einer 
bestimmten    Anzahl    einzelner    Glockenschläge 


56 


Signalwesen. 


und  durch  verschiedenartige  Gruppen  von 
Glockenschlägen  läßt  sich  eine  große  Anzahl 
von  Signalbegriffen  ausdrücken.  Die  öster- 
reichische Signalordnung  z.  B.  bildet  auf  diese 
Weise  für  die  den  Lauf  der  Züge  betreffenden 
Mitteilungen  14  Signalbegriffe  (s.  Durchlaufende 
Liniensignale). 

Pfeifen-  und  Hornsignale  bestehen 
aus  einer  bestimmten  Folge  von  langen  und 
kurzen  Tönen.  Ein  mäßiger  langer  Ton  ( — ) 
mit  der  Dampfpfeife  z.  B.  heißt  „Achtung", 
3  kurze  Töne  ('^  W  ^c^)  mit  der  Dampf- 
pfeife bedeutet  „Bremsen  stark  anziehen". 

Signalzeichen,  die  aus  Tönen  verschiedener 
Höhe  zusammengesetzt  sind,  kommen  wohl 
nur  noch  vereinzelt  vor. 

III.  Signalordnungen. 

fl^DieSignalordnungfürdie  Eisen- 
bahnen Deutschlands.  Die  erste  einheit- 
liche Signalordnung  für  die  Eisenbahnen 
Deutschlands,  die  auf  Grund  der  Art.  42 
und  43  der  Verfassung  des  Deutschen  Reiches 
vom  Bundesrat   beschlossen  wurde,    ist    unter 


V. 
VI. 
VII. 

Vlll. 


Abb   S9.  Halt. 


dem  4.  Januar  1875  veröffentlicht  und  mit 
dem  1.  April  1875  in  Kraft  getreten.  Sie  ist 
seitdem  mehrfach  geändert  und  ergänzt  wor- 
den. Gegenwärtig  gilt  die  unter  dem  24.  Juni 
1907  veröffentlichte,  am  1.  August  1907  in 
Kraft  getretene  Eisenbahnsignalordnung  (SO.). 
Sie  gilt  für  Haupt-  und  Nebenbahnen. 

Für  den  Dienstgebrauch  ist  auf  den  meisten 
deutschen  Bahnen  das  Signalbuch  (SB.)  ein- 
geführt. Es  enthält  außer  den  Vorschriften 
der  Signalordnung  noch  Ausführungsbestim- 
mungen und  meistens  einen  Anhang  über 
besondere  in  der  Signalordnung  nicht  vor- 
gesehene Signale. 

Die   deutsche  Signalordnung   unterscheidet: 
1.  Läutesignale. 
11.  Wärtersignale. 

III.  Hauptsignale. 

IV.  Vorsignale. 
Signal  am  Wasserkran. 
Weichen-  und  Gleissperrsignale. 
Signale  am  Zuge. 
Signale  an  einzelnen  Fahrzeugen. 

IX.  Signale  des  Zugpersonals. 
X.  Rangiersignale. 

Durch  die  Läutesi- 
gnale —  Signal  1  bis  4  — 
werden  Mitteilungen  über 
den  Lauf  der  Züge  an 
das  Stations-,  Bahnbe- 
wachungs-  und  Bahn- 
unterhaltungspersonal ge- 
macht (s.  Durchlaufende 
Liniensignale). 

Die  Wärtersignale 
—  Signale  5  und  6  — 
werden  benutzt,  um  den 
Auftrag  zum  Langsam- 
fahren und  Halten  der 
Züge  zu  erteilen.  Sie 
werden  auch  Rangierab- 
teilungen und  einzelnen 
Fahrzeugen  gegenüber 
angewendet  (s.  Wärtersi- 
gnale). 

Ein  Hauptsignal 
zeigt  an,  ob  der  dahinter- 
liegende  Gleisabschnitt 
von  einem  Zug  befahren 
werden  darf  oder  nicht. 
Es  besteht  aus  einem  Mast, 
woran  als  Tagsignal  1  -  3 
Flügel  und  für  die  Nacht 
ebensoviele  Laternen  an- 
gebracht sind.  Die  Ab- 
lenkung vom  durchgehen- 
den Hauptgleis  wird  durch 
zweiflüslise,     in    beson- 


Abb.  90.  Fahrt  frei  für  das  durchgellende  Gleis. 


Signalwesen. 


57 


deren   Fällen   auch   durch  dreiflüglige  Signale 
gekennzeichnet. 

Die  Hauptsignale  werden  verwendet  als  Ein- 
fahrsignale (s.  d.),  Ausfahrsignale  (s.  d.),  Wege- 
signale (s.  d.),  Blocksignale  (s.  d.)  und  sonstige 
Deckungssignale  vor  Gefahrpunkten,  wie  Bahn- 
kreuzungen in  Schienenhöhe,  beweglichen 
Brücken,  Gleisabzweigungen.  Im  Signalbuch 
sind  sie  als  Signale  7  und  8  wie  folgt  be- 
schrieben: 

Signal  7.    „Halt"    (Abb.  89). 
Bei  Tag: 

Vom  Zug  aus  gesehen  steht  der  Signalflügel 
-- bei  mehrflügligen  Signalen  der  oberste  Flügel - 
wagrecht  nach  rechts. 

Bei  Dunkelheit: 
Dem   Zug    entgegen   rotes    Licht    der   Signal- 
laterne —  bei  mehrflügligen  Signalen  der  obersten 
Laterne  — . 

Signais.    „Fahrt  frei"    (Abb.  90). 
a)  Für  das  durchgehende  Gleis. 
Bei  Tag: 
Vom  Zug  aus  gesehen  steht  der  Flügel  des  ein- 
flügligen  Signals  oder  der  oberste  Flügel  der  mehr- 
flügligen Signale  schräg  aufwärts  nach  rechts  (unter 
einem  Winkel  von  etwa  45"). 

Bei  Dunkelheit: 
Dem  Zug  entgegen 
grünes  Licht  der  Laterne 
des  einflügligen  Signals  oder 
der  obersten  Laterne  der 
mehrflügligen  Signale. 

b)  Für  ein  abzweigen- 
des Gleis  (Abb.  91). 

Bei  Tag: 

Vom  Zug  aus  gesehen 
stehen  beide  Flügel  des  zwei- 
flügligen  oder  die  beiden 
oberen  Flügel  des  dreiflügli- 
gen  Signals  schräg  aufwärts 
nach  rechts  (unter  einem 
Winkel  von  etwa  45°). 
Bei  Dunkelheit: 

Dem  Zug  entgegen 
grünes  Licht  beider  La- 
ternen des  zweiflügligen 
oder  der  beiden  oberen  La- 
ternen des  dreiflügligen  Si- 
gnals. 

c)  Für     ein     anderes 
abzweigendes       Gleis 

(Abb.  92). 

Bei  Tag: 
Vom  Zug  aus  gesehen 
stehen  die  Flügel  des  drei- 
flügligen Signals  schräg  auf- 
wärts nach  rechts  (unter 
einem  Winkel  von  etwa  45°). 

Bei  Dunkelheit: 
Dem  Zug  entgegen  grü- 
nes Licht  der  Laternen  des 
dreiflügligen  Signals. 


Die  Hauptsignale  gelten  nur  für  Züge,  nicht 
aber  für  Verschubbewegungen.  In  der  Grund- 
stellung zeigen  sie,  von  wenigen  Ausnahmen 
abgesehen,  „Halt".  Die  Hauptsignale  stehen 
in  der  Regel  rechts  neben  oder  in  der  ]V\itte 
über  dem  Gleis,  zu  dem  sie  gehören.  Abb.  93 
zeigt  die  Anordnung  über  den  Gleisen  auf 
einer  Signalbrücke.  Auf  den  bayerischen  Staats- 
bahnen bestehen  bezüglich  der  Hauptsignale 
zum  Teil  abweichende  Vorschriften. 

Durch  ein  Vorsignal  —  9  und  10  des  Signal- 
buches —  wird  in  einer  gewissen  Entfernung  vor 
einem  Hauptsignal  angezeigt,  welche  Stellung 
am  Hauptsignal  zu  erwarten  ist  (s.  Vorsignale). 

Das  Signal  am  Wasserkran  —  Signal  1 1 
des  Signalbuches  -  zeigt  die  Querstellung  der 
drehbaren  Ausleger  der  Wasserkrane  an.  Es 
besteht  aus  einer  über  dem  Ausguß  sitzenden 
Laterne,  die  bei  Dunkelheit  zum  Zeichen,  daß 
die  Durchfahrt  gesperrt  ist,    rotes  Licht  zeigt. 

Die  Weichensignale  — Signal  12  und  13  des 
Signalbuches  —  zeigen  die  Stellung  der  Weichen, 
dieQleissperrsignale(Abb. Q4U.95)  -Signal 
14  u.  14a  — die  Sperrung  eines  Gleises  oder  die 
Aufhebung  dieser  Sperrung  an.  Das  Signalbild  ist 


Abb.  91.  Fahrt  frei  für  ein  abzweigendes  Oleis.  Abb.  92.  Fahrt  frei  für  ein  abzweigendes  Gleis. 


58 


Signalwesen. 


bei  Tag  und  hei  Dunkelheit  dasselbe  (s.  auch 
Weichensignale). 

Die  SignaleamZug  —  Signale  1 5  bis  20  — 
dienen  teils  dazu,  die  Züge,  einzeln  fahrende 
Triebwagen  und  Lokomotiven  als  geschlossene 
Züge  zu  kennzeichnen,  teils  dazu,  dem  Strecken- 
und  Stationspersonal  gewisse  Mitteilungen  zu 
machen  (s.  Zugsignale). 

Die  Signale  an  einzelnen  Fahr- 
zeugen —  Signal  21  bis  24  -  kennzeichnen: 
Lokomotiven     bei    Verschubbewegungen    (bei 


stark)"  und  ..Bremsen  lösen"  sowie  die  Si- 
gnale des  Zugführers—  28  bis  30  — 
mit  der  Bedeutung  „das  Zugpersonal  soll 
seine  Plätze  einnehmen",  „Abfahren"  und 
„Halt". 

Die  Rangiersignale  —  31  bis  34  -  mit 
den  Begriffen  „Vorziehen",  „Zurückdrücken", 
„Abstoßen"  und  „Halt"  werden  vom  Rangier- 
leiter mit  der  Mundpfeife  oder  dem  Hörn 
und  mit  dem  Arm  gegeben. 

Bei    den    preußisch-hessischen    Staatseisen- 


Abb  93.  Signalbrückc. 


Dunkelheit  vorn  und  hinten  eine  weiß  leuch- 
tende Laterne),  mit  Personen  besetzte  Bahn- 
post-, Speise-  und  Schlafwagen  während 
eines  Stillagers  (bei  Tag  an  jeder  Langseite 
eine  grüne  Flagge),  mit  explosiven  Gegen- 
ständen beladene  Wagen  (viereckige  schwarze 
Flaggen  mit  einem  weißen  P)  und  endlich 
Kleinwagen  (bei  Dunkelheit  rotes  Licht). 

Die  Signale  des  Zugpersonals  wer- 
den vom  Lokomotivführer  mit  der  Dampf- 
pfeife, vom  Zugführer  mit  dem  Hörn  oder 
der  Mundpfeife  gegeben.  Es  sind  die  Signale 
-  25  bis  27  -  des  Lokomotivführers 
»Achtung",    „Bremsen    anziehen    (mäßig  und 


bahnen  sind  im  Anhang  zum  Signalbuch  u.  a. 
noch  vorgesehen  die  Rangierhaltetafel, 
über  die  hinaus  das  Rangieren  auf  dem  Ein- 
fahrgleis der  Regel  nach  verboten  ist,  Halte- 
tafeln fürSchiebelokomotiven,  durch 
die  die  Stellen  angezeigt  werden,  bis  zu  der 
die  Schiebelokomotive  einen  Zug  schieben 
soll  und  wo  sie  bei  der  Rückkehr  vor  Ein- 
fahrt in  den  Bahnhof  weitere  Befehle  ab- 
warten muß.  Ferner  ist  für  das  Verschieben 
von  Ablaufbergen  ein  Ablaufsignal  ein- 
geführt, das  anzeigt,  ob  das  Abdrücken  ver- 
boten ist  oder  ob  es  langsam  oder  mäßig 
schnell  erfolgen  soll. 


Signalwesen. 


59 


Der  "bayerischen  Signalordnung 
eigentümlich  ist  das  Ruhesignal.  Es  wird 
bei   Tag   dadurch    dargestellt,  daß   der  Signal- 


Abb.  94.  Qleissperrsignal. 
Das  Gleis  ist  gesperrt. 


Abb.  95.  Gleissperrsignal. 

Die  Sperrung  des  Gleises 

ist  aufgehoben. 


flügel  senkrecht  abwärts  hängt  (Abb.  96);  bei 
Dunkelheit  zeigt  die  Laterne  blaues  Licht. 
Durch  dieses  Signal  wird  angedeutet,  daß  auf 
dem  Gleis  ein  Zug  weder  ein-,  aus-  oder 
durchfährt,  noch  zur  Abfahrt  bereitsteht,  das 
Gleis  daher  von  Rangierabteilungen  befahren 
werden  darf. 

Ähnlichen  Zwecken  dient  die  im  Anhang 
des  Signalbuches  für  die  sächsischen 
Staatseisenbahnen  vorgesehene  Räu- 
mungsscheibe (Abb.  97  u.  98),  durch  die  die 
Räumung  und  Freihaltung  bestimmter  Gleis- 
strecken in  Bahnhöfen  angeordnet  wird,  wenn 
fahrplanmäßige  Zugfahrten  im  Bereich  dieser 
Gleise  zu  erwarten  sind.  Das  Signal  besteht 
aus  einer  oder  mehreren  runden,  weiß  und 
rot  gestrichenen  Scheiben  an  einem  Mast; 
bei  Dunkelheit  erscheint  statt  der  vollen  weiß 
und  rot  gestrichenen  Scheibe  eine  Laterne  mit 
rechteckiger  mattweißer  Scheibe. 


b)  Die  Signalordnung   für  die  Eisen- 
bahnen Österreich-Ungarns. 

Die  ersten  gesetzlichen  Bestimmungen  über 
das  Signalwesen  sind  in  der  Eisenbahnbetriebs- 
ordnung vom  16.  November  1851  enthalten. 
Sie  beschränken  sich  auf  die  Festsetzung  der 
wichtigsten  Signalbegriffe  und  die  Bezeich- 
nung der  Fälle,  in  denen  Signale  dafür  an- 
zuwenden waren.  JVlit  dem  1.  Juli  1877  trat 
eine  einheitliche  „Signalordnung  für  die  Eisen- 
bahnen Österreich-Ungarns"  in  Kraft,  die  für 
Österreich  durch  Verordnung  vom  20.  April 
1904  mit  Wirkung  vom  1.  April  1906  durch 
eine  neue  „Signalordnung  für  die 
Haupt-  und  Lokalbahnen"  ersetzt 
wurde.  Damit  verlor  auch  die  Signalordnung 
ihre  Gültigkeit,  die  in  den  „Grundzügen  der 
Vorschriften  für  den  Betrieb  auf  Lokalbahnen" 
enthalten  war. 


Abb.  96.  Ruhe. 
Signal  7a  des  bayerischen  Signalbuches. 


Auf  Grund  der  Signalordnung  fu:  die 
Haupt-  und  Lokalbahnen  sind  für  allt  oster- 
reichischen   Bahnen    die   zum   Dienstgebrauch 


60 


Signalwesen. 


bestimmten  „Signal Vorschriften"  heraus- 
gegeben. 

Die  österreichischen  Signalvorschriften  unter- 
scheiden: 

1.  Durchlaufende  hörbare  Liniensignale. 
II.  Signale  der  Strecken bediensteten. 

III.  Feststehende  Signale. 

IV.  Signale  an  Fahrzeugen. 

V.  Signale  der  Zugmannschaft. 

VI.  Signale  für  den  Verschubdienst. 

Die  durchlaufenden  hörbaren  Li- 
niensignale werden  auf  den  österreichi- 
schen Bahnen  nicht  nur,  wie  in  Deutschland, 
von  den  Stationsbeamten,  sondern  auch  von 
den  Streckenbediensteten  und  der  Zugmann- 
schaft gegeben.  Ihre  Zahl  beträgt  14  (s.  Durch- 
laufende Liniensignale). 

Die  Signale  der  Streckenbedien- 
steten -  Signal  15  bis  18  -  dienen  dazu, 
einem  Zug  den  Befehl  „Halt"  und  „Lang- 
sam" und  als  Signal  „Frei"  die  Aufhebung 
eines    Halt-    oder   Langsamsignals    zu    über- 


Das  Signal 
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Abb.  97.  Räumungbbcheibc  der  sächsi- 
schen Staatseisenbahnen. 
Die  Fahrstraße  (des  Zuges)  ist  frei- 
zuhalten. 


Abb.  98.  Räumungsscheibe  der  sächsi- 
schen Staatseisenbahnen. 
Die  Fahrstraße  (des  Zuges)  ist  frei- 
zuhalten. 


mittein.     Es   sind    Scheiben-,  Flaggen-,  Licht- 
und  Knallsignale  (s.  Wärtersignale). 

Unter  den  feststehenden  Signalen 
—  19  bis  27  —  sind  verzeichnet  die  Vor- 
signale, die  Raumabschluß-,  Einfahr-,  Wege- 
und  Ausfahrsignale,  die  ständigen  Langsam- 
fahrsignale auf  der  Strecke,  die  Verschub- 
signale  und  die  Weichensignale. 

Die  Vorsignale  dienen  dazu,  dem  Zug 
anzuzeigen,  ob  das  zugehörige  Hauptsignal  auf 
„Frei"  oder  auf  „Halt"  gestellt  ist  (s.  Vorsignale). 
Die  Raumabschlußsignale  sind  be- 
stimmt, dem  Zug  anzuzeigen,  ob  in  den 
vorgelegenen  Streckenabschnitt  eingefahren 
werden  darf  oder  nicht.  Sie  werden  am  An- 
fang der  Streckenabschnitte  aufgestellt  und 
zeigen  in  der  Grundstellung  „Halt",  sofern 
sie  nicht  wegen  zeitweise  unbesetzter  Block- 
oder Zugmeldeposten  in  der  Freistellung  zu 
belassen  sind. 

„Halt"  wird  dargestellt  bei 
nach  rechts  in  der  Richtung 
der  Fahrt  wagrecht  gestellten 
Arm  des  Signalmastes,  bei 
Dunkelheit  durch  ein  rotes 
Licht  dem  Zug  entgegen. 
Als  „Frei"  oder  „Frei 
in  gerader  Richtung" 
gilt  bei  Tag  ein  nach  rechts 
in  der  Richtung  der  Fahrt 
schräg  aufwärts  gerichteter 
Arm  des  Signalmastes,  bei 
Dunkelheit  ein  weißes  Licht 
dem  Zug  entgegen.  Bei  Tag 
2  Arme  des  Signalmastes  nach 
rechts  in  der  Richtung  der 
Fahrt  schräg  aufwärts  ge- 
richtet, und  bei  Dunkelheit 
2  weiße  Lichter  dem  Zug 
entgegen  bedeutet  „Frei  in 
die  Ablenkung". 

Die  ständigen  Lang- 
samfahrsignale (s.d.)  — 
Signal  24  -  dienen  dazu, 
Bahnstrecken  zu  bezeichnen, 
die  dauernd  langsam  zu  be- 
fahren sind. 

Die  Verschubsignale 
-  25  und  26  -  bezeichnen 
den  Punkt,  über  den  hinaus 
Verschiebungen  nicht  statt- 
finden dürfen,  wenn  dieses 
Signal  auf  „Verbot  der  Ver- 
schiebung"   (26)    gestellt  ist. 

Die  Weichen  Signale 
zeigen  dieStellungderWeichen 
an  (s.  Weichensignale). 


Signalwesen. 


61 


Der  Standort  des  Wasserkrans  wird 
bei  Dunkelheit  durch  mattweißes  Licht  ge- 
kennzeichnet. 

Die  Signale  an  Fahrzeugen  (s.  Zug- 
signale), die  Signale  der  Zugmannschaft  und 
die  Signale  für  den  Verschubdienst  ent- 
sprechen im  wesentlichen  denen  der  deutschen 
Signalordnung. 

Während  einer  vom  Eisenbahnministerium 
festgesetzten  Übergangszeit  sind  an  Stelle 
von  mit  Vorsignalen  verbundenen  Einfahr- 
signalen noch  Distanzsignale  (s.  d.)  und 
Richtungssignale  zulässig. 


c)  Die   französischen    Signalvor- 
schriften. 

In  Frankreich  sind  durch  einen  Ministerial- 
erlaß vom  15.  November  1885  unter  der 
Bezeichnung  code  des  signaux  allgemeine  Vor- 
schriften über  das  Signalwesen  der  Eisen- 
bahnen erlassen  worden.  Es  sind  darin  folgende 
Signalgruppen  vorgesehen: 

I.  Streckensignale  (signaux  de  la  voie): 

a)  bewegliche  (signaux  mobiles), 

b)  feste  (signaux  fixes). 

\\.  Zugsignale  (signaux  de  trains): 

a)  Signale  am    Zug   (signaux    ordinaires 
portes  par  les  trains), 

b)  Signale  des  Lokomotivführers  (signaux 
du  mecanicien), 

c)  Signale    des  Zugführers    (signaux    des 
conducteurs  des  trains). 

Die  Streckensignale  werden  benutzt, 
um  „Fahrt  frei"  anzuzeigen,  den  Auftrag 
„Halt"  und  „Langsam  fahren"  zu  erteilen 
oder  einen  Fahrweg  zu  bezeichnen. 

Das  Fehlen  eines  Signals  zeigt  an,  daß  die 
Bahn  frei  ist. 

Die  beweglichen  Signale  entsprechen 
den  deutschen  Wärtersignalen  (s.  d.)  und  den 
österreichischen  Signalen  der  Streckenbedien- 
steten. 

Die  festen  Signale  sind: 

Les  disques  ou  signaux  ronds,  rote  runde 
Scheiben  mit  2  Stellungen,  senkrecht  oder 
parallel  zur  Bahn.  Die  Stellung  senkrecht 
^ur  Bahn  -  nachts  durch  rotes  Licht  ge- 
kennzeichnet -  bedeutet  ein  bedingtes  „Halt", 
die  Stellung  parallel  zur  Bahn  -  nachts  durch 
weißes  Licht  gekennzeichnet  -  zeigt  „Fahrt 
frei"  an.  An  der  „HaU"  zeigenden  Scheibe 
darf  der  Lokomotivführer  vorbeifahren,  er  hat 
aber  bei  Wahrnehmung  der  geschlossenen 
Scheibe  die  Fahrgeschwindigkeit  seines  Zuges 
so  zu  ermäßigen,  daß  er  beim  Erscheinen 
eines  Hindernisses  oder  eines  weiteren  Halt- 
signals   sofort    halten    kann.     Jeder    solchen 


Scheibe  folgt  im  allgemeinen  ein  Pfahl  (poteau 
de  protection),  der  die  Stelle  bezeichnet,  von 
der  an  die  geschlossene  Scheibe  Deckung  ge- 
währt. 

Les  signaux  d'arret  absolu,  viereckige, 
schachbrettartig  rot  und  weiß  gestrichene 
Scheiben  mit2Stellungen,  senkrecht  und  parallel 
zur  Bahn.  Die  Stellung  senkrecht  zur  Bahn 
—  nachts  durch  2  rote  Lichter  gekenn- 
zeichnet —  bedeutet  „unbedingtes  Halt",  die 
Stellung  parallel  zur  Bahn  -  nachts  durch  ein 
weißes  Licht  gekennzeichnet  —  zeigt  „Fahrt 
frei"  an.  Diese  Scheiben  dienen  als  Bahnhof- 
abschlußsignale. 

Les  semaphores,  Signale  mit  einem  oder 
mehreren  Flügeln,  die  in  der  Fahrrichtung 
nach  links  zeigen.  Ein  wagrechter  Flügel 
bedeutet  „Halt",  ein  schräg  nach  unten  zei- 
gender Flügel  „Langsam  fahren",  ein  senk- 
recht herabhängender  Flügel  „Fahrt  frei". 
Bei  Dunkelheit  wird  dargestellt  „Halt"  durch 
ein  grünes  und  ein  rotes  Licht,  „Langsam 
fahren"  durch  ein  grünes  Licht,  „Fahrt  frei" 
durch  ein  weißes  Licht.  Sie  werden  als  Block- 
signale verwendet. 

Les  signaux  de  ralentissement,  runde  grüne 
Scheiben  mit  2  Stellungen,  senkrecht  und 
parallel  zur  Bahn.  Die  Stellung  senkrecht 
zur  Bahn  -  nachts  durch  ein  grünes  Licht 
gekennzeichnet,  bedeutet  „Langsam  fahren", 
die  Stellung  parallel  zur  Bahn  -  nachts  durch 
ein  weißes  Licht  gekennzeichnet  — zeigt  „Fahrt 
frei"  an.  Diese  Signale  finden  vor  spitz  be- 
fahrenen Weichen,  Abzweigungsweichen  u.  dgi. 
Anwendung. 

Les  indicateurs  de  bifurcation,  viereckige 
schachbrettartig  grün  und  weiß  gemusterte 
Scheiben,  gestrichen  oder  aus  Glasscheiben 
zusammengesetzt.  Sie  werden  —  vielfach  gleich- 
zeitig mit  der  runden  roten  Scheibe  -  vor 
einem  signal  d'arret  absolu  vor  Abzweigungen 
auf  freier  Strecke  aufgestellt.  Statt  dieses  Si- 
gnals ist  dort  auch  eine  weiße  Scheibe  mit 
der  Aufschrift  BIFUR  zulässig.  Bei  Dunkelheit 
werden  dieselben  Signalbilder  durch  Außen- 
beleuchtung oder  Laternen  hinter  den  durch- 
scheinenden Glasscheiben  verwendet. 

JVleistens  aber  wird  dieses  Schachbrettsignal 
als  Signal  d'avertissement  -  Vorsignal  -  be- 
nutzt, um  ein  unbedingtes  Haltsignal  -  signal 
d'arret  absolu  -  anzukündigen. 

Beim  Antreffen  eines  der  Schachbrett- 
signale muß  der  Lokomotivführer  die  Ge- 
schwindigkeit so  regeln,  daß  er  den  Zug  an  der 
Abzweigung  oder  am  nachfolgenden  Haltsignal 
erforderlichenfalls  zum  Halten  bringen  kann. 
Les  signaux  indicateurs  de  direction  des 
aiguilles,  Weichensignale. 


62 


Signalwesen. 


Die  Zugsignale  (s.d.)  unterscheiden 
sich  nicht  wesentlich  von  den  auf  den  deut- 
schen   und  österreichischen  Bahnen    üblichen. 

Im  Jahre  1910  wurde  die  Kommission  des 
technischen  Betriebsausschusses  (Commission 
du  Comite  de  l'Exploitation  technique)  vom 
Minister  der  öffentlichen  Arbeiten  mit  der 
Aufgabe  betraut,  die  Vorschriften  über  das 
Signalwesen  zu  prüfen  und  sie,  soweit  er- 
forderiich,  zu  vervollständigen  und  mit  den 
gegenwärtigen  Betriebserfordernissen  in  Ein- 
klang zu  bringen.  Der  Ausschuß  hat  im  Jahre 
1911  seine  Arbeiten  beendigt.  Er  hat  davon 
abgesehen,  eine  vollständig  einheitliche  Signal- 
ordnung für  alle  Bahnen  vorzuschlagen.  Die 
wesentlichste  Neuerung,  die  er  in  Anregung 
gebracht  hat,  ist  die  Verwendung  eines  dreh- 
baren Vorsignals. 

rfj  Signal  vorschriftenderenglischen 
Bahnen. 
Für  die  englischen  Bahnen  sind  allgemeine 
Vorschriften  über  das  Signalwesen  vom  Han- 
delsamt (Board  of  Trade)  erlassen.  Zum 
Dienstgebrauch  haben  die  dem  Abrechnungs- 
amt (Clearing  House)  angeschlossenen  Eisen- 
bahngesellschaften Regelbücher  (Rules  and 
Regulations)  für  den  äußeren  Betriebsdienst 
vereinbart,  die  auch  die  Signalvorschriften 
enthalten.  Jede  Gesellschaft  pflegt  jedoch  den 
allgemeinen  Vorschriften  Zusätze  für  ihren 
Bereich  zuzufügen;  in  manchen  Fällen  werden 
auch  abweichende  Bestimmungen  aufgenommen 
oder  einzelne  Abschnitte  der  allgemeinen 
Vorschriften  für  bestimmte  Strecken  als  nicht 
gültig  erklärt. 

Allgemein  bedeutet  Rot  „Gefahr"  (Dan- 
ger),   Grün     „Fahrt   frei"     (All  right). 
Die  Signalvorschriften  unterscheiden: 
Feststehende  Signale  (Fi.xed  Signals); 
Handsignale  (Hand  Signals); 
Knallsignale  (Detonating  Signals); 
Zugsignale  (Train  Signals). 
Zu   den   feststehenden  Signalen   ge- 
hören Vorsignale    (Distant   Signals),    Einfahr- 
signale (Home  Signals),  Ausfahrsignale   (Star- 
ting  Signals)    und    vorgeschobene    Ausfahrsi- 
gnale (Advanced  Starting  Signals),   Nebengleis- 
signale (Siding  Signals),    Vorziehsignale  (Cal- 
ing-on  Signals)  und  Rangiersignale  (Shunting 
Signals). 

Als  feststehende  Signale  sind  meistens 
Flügelsignale  in  Gebrauch.  Die  Grundstellungder 
feststehenden  Signale  ist  „Gefahr"  (Halt)  (Dan- 
ger). Sie  wird  bei  Tag  durch  die  wagrechte  Stel- 
lung des  Flügels,  bei  Nacht  durch  ein  rotes 
Licht  gekennzeichnet.  Das  Signal  „Fahrt  frei" 
(All    right)    wird    bei  Tag   durch    den    schräg 


abwärts   gerichteten    Flügel,    bei  Nacht    durch 
grünes  Licht  gegeben. 

Bei  der  in  England  bisher  nur  bei  Stadt- 
bahnen angewendeten  selbsttätigen  Signalstel- 
lung ist  die  Grundstellung  der  Signale  „Fahrt 
frei". 

Distant  Signals  (Vorsignale)  sind  dadurch 
gekennzeichnet,  daß  ihr  Flügel  am  freien  Ende 
einen  dreieckigen  Ausschnitt  hat.  Sie  werden 
in  einer  Entfernung  von  250  m  und  mehr  — 
bei  der  North  Western-Bahn  z.  B.  725  bis 
900  m  -  vor  dem  Einfahrsignal  aufgestellt. 
Ein  Vorsignal  darf  nur  auf  „Fahrt  frei"  ge- 
stellt werden,  wenn  das  zugehörige  Haupt- 
signal auf  „Fahrt  frei"  steht.  Findet  der 
Lokomotivführer  ein  Vorsignal  in  der  Gefahr- 
stellung, so  hat  er  den  Dampf  abzusperren 
und  vorsichtig  bis  zum  Einfahrsignal  vor- 
zurücken. 

Home  Signals  (Einfahrsignale)  unterscheiden 
sich  von  den  Vorsignalen  nur  dadurch,  daß 
ihr  Flügel  am  freien  Ende  rechteckig  abge- 
schnitten ist.  Die  Nachtsignale  stimmen  beim 
Vorsignal  und  Einfahrsignal  vollständig  über- 
ein. Rotes  Licht  und  wagrecht  stehender  Flügel 
bedeuten  in  England  am  Einfahrsignal  „Halt", 
am  Vorsignal  verbieten  sie  die  Vorbeifahrt 
am  Signal  nicht.  In  dieser  ungenügenden 
Unterscheidung  von  Einfahr-  und  Vorsignal 
liegt  ein  schwerer  iWangel  der  englischen 
Signalordnung. 

Einfahrsignale  werden  vor  oder  auf  Sta- 
tionen, vor  Abzweigungen  auf  freier  Strecke, 
vor  Ausweichgleisen  und  an  Signalbuden  so 
aufgestellt,  daß  ihre  Stellung  der  Lage  der 
Bahngleise  entspricht,  zu  denen  sie  gehören. 
Die  Signale  an  Abzweigungen  sollen  an  ge- 
trennten Pfosten  sitzen,  die  jedoch  auf  einem 
gemeinsamen  Querträger  stehen  dürfen.  Auf 
Bahnhöfen  ist  die  Anbringung  mehrerer  Signal- 
flügel an  einem  Mast  gestattet,  wenn  das 
wichtigste  Gleis  links  von  dem  Signal  liegt. 
Es  gelten  dann  die  Flügel,  von  oben  nach 
unten  gerechnet,  für  die  Gleise  in  der  Reihen- 
folge von  links  nach  rechts. 

Calling-on  Signals  (Vorziehsignale)  sind 
kurze  Flügel  unter  dem  Hauptflügel  von  Ein- 
fahrsignalen. Wenn  nicht  ausdrücklich  etwas 
anderes  bestimmt  ist,  darf  der  Flügel  eines 
Vorziehsignals  erst  gezogen  werden,  wenn  der 
Zug  vor  dem  Einfahrsignal  zum  Halten  ge- 
kommen ist.  Bei  gezogenem  Vorziehsignal  muß 
der  Lokomotivführer  über  den  Einfahrsignal- 
mast vorrücken,  soweit  die  Strecke  frei  ist, 
jedoch  in  keinem  Fall  über  ein  auf  „Gefahr« 
(Halt)  stehendes  Ausfahrsignal  hinaus. 

Starting  Signals  und  Advanced  Starting 
Signals    (kurz    auch     Starters    und    advanced 


n 


Signalwesen. 


63 


^T""""^":i"TTf  "'""'•y 


t4 


Signalwesen. 


Starters  genannt)  (Ausfahrsignale  und  vorge- 
schobene Ausfahrsignale)  dienen  zur  Regelung 
der  Einfahrt  der  Züge  in  den  an  einen  Bahn- 
hof anschließenden  Streckenabschnitt.  Die 
vorgeschobenen  Ausfahrsignale  stehen  in  der 
Fahrrichtung  um  eine  Zuglänge  hinter  den 
Ausfahrsignalen.  Es  darf  an  beiden  nicht 
vorbeigefahren  werden,  wenn  sie  „Gefahr" 
(Halt)  zeigen.  Ist  der  Streckenabschnitt  zwi- 
schen dem  Ausfahrsigna]  und  dem  vorge- 
schobenen Ausfahrsignal  frei,  so  kann  der 
Wärter  durch  Ziehen  des  Ausfahrsignals  er- 
lauben, bis  zu  dem  „Gefahr"  (Halt)  zeigenden 
vorgeschobenen  Ausfahrsignal  vorzurücken. 

Shunting  Signals  (Rangiersignale)    bestehen 
aus   kurzen    Flügeln    mit    dem    Buchstaben  S 


Abb.  100.  .Belgisches.'  Kandelabersignal. 


oder  anderen  Zeichen,  die  an  den  Masten  der 
Hauptsignale  befestigt  sind,  oder  aus  Flügeln 
und  Scheiben  an  besonderen,  etwa  3'5  m  hohen 
Pfosten. 

Die  Hauptsignale  dürfen  bei  gezogenem 
Rangiersignal  in  Haltstellung  überfahren  wer- 
den. Zu  den  Rangiersignalen  gehören  auch 
die  sog.  Ground  Signals,  die  als  Dwarf  Signals 
(Zwergsignale)  und  Disc  Signals  (Scheiben- 
signale) in  den  verschiedensten  Formen  vor- 
kommen. 

Siding  Signals  (Nebengleissignale),  gleich- 
falls als  Zwerg-  oder  Scheibensignale  ausge- 
bildet, regeln  die  Ausfahrt  aus  Nebengleisen 
in  die  Hauptgleise. 

Rücklichter  an  festen  Signalen  sind  im  all- 
gemeinen nur  bei  der  Haltstellung  des  Si- 
gnals in  Gebrauch;  sie  sind  dann  weiß.  Es 
kommt  aber  auch  Purpurlicht  als  Rücklicht 
für  „Fahrt  frei"  vor. 

Die  Zahl  der  auf  der  Strecke  und  in  den 
Bahnhöfen  sich  findenden  Signale  ist  in  Eng- 
land sehr  groß.  Es  hat  das  seinen  Grund 
darin,  daß  die  allgemeinen  Vorschriften  einer- 
seits die  Anbringung  mehrerer  Flügel  an 
einem  Mast  nur  in  beschränktem  Umfang  zu- 
lassen, anderseits  aber  eine  weitgehende  Kenn- 
zeichnung der  bei  großen  Bahnhöfen  meistens 
sehr  zahlreichen  Fahrwege  durch  besondere 
Signale  üblich  ist.  Abb.  99  zeigt  eine  Signal- 
brücke auf  einem  englischen  Bahnhof. 

Die  Handsignale  werden,  wie  überall 
üblich,  bei  Tag  mit  der  Hand  oder  mit 
Fahnen,  bei  Nacht  mit  Laternen  gegeben. 

Die  Knallsignale  dienen  zur  Deckung 
unfahrbarer  Gleisstrecken  und  liegen  gebliebener 
Züge  sowie  zur  Ankündigung  der  Gefahr- 
(Halt-)  Stellung  feststehender  Signale  bei 
Nebel. 

Zugsignale  werden  in  den  verschieden- 
sten Formen  und  Zusammenstellungen  von 
Scheiben  und  Lichtern  verwendet.  Vorge- 
schrieben ist,  daß  jeder  Zug  bei  Tag  und 
bei  Nacht  als  Schlußsignal  eine  Laterne  führt, 
die  am  Tag  angezündet  wird,  wenn  Nebel 
oder  Schneewetter  eintritt.  Die  Laterne  ist 
rot  geblendet.  Außer  dieser  Schlußlaterne  muß 
der  Zug  noch  2  rote  Oberwagenlaternen 
führen. 

e)  Die  Signalvorschriften  für  die 
belgischen  Staatsbahnen  sind  in  Bd.  IV 
des  Reglement  general  des  voies  et  travaux 
iiithalten.  Sie  unterscheiden  feststehende  Si- 
gnale (signaux  fixes  de  la  voie),  Zugsignale 
(signaux  des  trains)  und  Wärtersignale  (si- 
i^naux  mobiles  de  la  voie). 

Die  Vorsignale  sind  wie  die  Hauptsignale 
als  Flügelsignale  ausgebildet.    Der  Flügel  des 


Signalwesen. 


65 


Vorsignals  unterscheidet  sich  von  dem  des 
Hauptsignals  durch  die  Form.  Die  verschiedene 
Gestalt  der  Flügel  wird  auch  bei  den  Haupt- 
signalen viel  ausgenutzt  zur  Bezeichnung  der 
zulässigen  Fahrgeschwindigkeit  (s.  Formsignale). 
Bemerkenswert  sind  die  sog.  Kandelabersignale 
(semaphores  ä  chandelier)  zur  Bezeichnung 
mehrerer  Einfahrwege(s.  Wegesignale).  Abb.  100 
zeigt  ein  solches  Kandelabersignal. 

fj  Die  holländischen  Bahnen  haben 
Streckensignale  (Seinen  op  den  weg),  die  als 
Läutesignale  (Geluidseinen)  und  sichtbare 
Signale  (Optische  of  gezichtseinen)  unter- 
schieden werden,  Zugsignale  (Treinseinen) 
und  Rangiersignale  (Rangeerseinen).  Für 
Haupt-  und  Vorsignale  werden  meistens  Fiügel- 
signale  verwendet.  „Fahrt  frei"  wird  durch 
den  schräg  aufwärts,  „Vorsicht"  (Langsam- 
fahren) durch  den  schräg  abwärts  gerichteten 
Flügel  angezeigt.  Nachts  wird  „Fahrt  frei" 
durch  weißes  Licht,  „Vorsicht"  (Langsam- 
fahren) durch  grünes  Licht  dargestellt.  „Halt" 
wird  durch  wagrechte  Flügel  und  rotes  Licht 
angezeigt. 

gj  Für  die  schweizerischen  Eisen- 
bahnen ist  das  im  Jahre  1866  erlassene 
Mallgemeine  Reglement  über  den  Signaldienst" 
mit  Ausführungsbestimmungen  vom  Jahre  1889 
maßgebend.  Es  sieht  Läute-  und  Rasselwerke 
vor  für  den  Zuglauf  betreffende  Meldungen, 
sehr  weit  ausgebildete  Wärtersignale  und  die 
sonst  üblichen  Signale.  Bahnhofsabschlußsi- 
gnale, die  allgemein  vorgeschrieben  sind,  kom- 
men in  der  Form  von  Wendescheiben  und 
Flügelsignalen  vor.  Die  Flügel  zeigen  nach 
rechts;  die  wagrechte  Stellung  bedeutet  „Halt", 
die  unter  45°  nach  oben  geneigte  Stellung 
»Fahrt  frei".  Bei  Dunkelheit  ist  rotes  Licht 
das  Zeichen  für  „Halt",  grünes  Licht  das 
Zeichen  für  „Fahrt  frei".  Als  Blocksignale 
werden  ebenfalls  Wendescheiben  oder  Flügel- 
signale verwendet;  Ausfahrsignale  sind  immer 
Flügelsignale.  Vorsignale  zu  Abschlußsignalen 
werden  als  runde  grüne  gestrichene  Wende- 
scheiben mit  schrägem  weißen  Balken  aus- 
gebildet. Bei  Tag  zeigen  sie  durch  die  volle 
oder  die  schmale  Seite  der  Scheibe,  bei  Dunkel- 
heit durch  grünes  oder  weißes  Licht  an,  ob 
das  Abschlußsignal  geschlossen  oder  ge- 
öffnet ist. 

h)  In  Italien  besteht  für  die  Staatsbahnen 
eine  Signalvorschrift  „II  regolamento  dei  seg- 
nali"  vom  Jahre  1906.  Außer  den  festen 
Signalen  gibt  es  bei  den  italienischen  Bahnen 
Läutesignale  mit  6  Signalbegriffen,  Wärter- 
signale, die  mit  Fahnen  und  Laternen  in  der 
allgemein  üblichen  Weise  gegeben  werden, 
Weichensignale   und    Signale    an    den  Zügen. 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


Die  festen  Signale  sind  Scheiben  oder  Flügel- 
signale. Bei  den  Flügelsignalen  bedeutet  die 
wagrechte  Lage  des  Flügels  „Halt",  der  schräg 
abwärts  gerichtete  Flügel  „Fahrt  frei".  Die 
Flügelsignale  werden  auch  als  Vorsignale  ver- 
wendet; die  Flügel  erhalten  dann  gelben  An- 
strich, während  sie  bei  den  Hauptsignalen  rot 
gestrichen  sind.  Bei  Dunkelheit  wird  „Halt" 
durch  rotes,  „Fahrt  frei"  durch  grünes  Licht 
angezeigt.  Bei  „Halt"  am  Hauptsignal  erscheint 
am  Vorsignal  gelbes  Licht. 

/)  Für  die  dänischen  Bahnen  wurde  im 
Jahre  1903  eine  allgemeine  Signalordnung  - 
Almindeligt  Signalreglement  —  erlassen,  die 
später  einige  Änderungen  und  Ergänzungen 
erfahren  hat.  Sie  enthält  die  allgemein  üblichen 
Signale  einschließlich  der  Läutesignale.  Ein 
eigenartiges  Signal  ist  das  „Wimpelsignal", 
das  durch  eine  weiße  Flagge  anzeigt,  daß  die 
Strecke  durch  einen  Arbeitszug  besetzt  ist. 
Die  Einfahr-,  Ausfahr-  und  Wegesignale  und 
ebenso  auch  die  Vorsignale  sind  Flügelsignale, 
deren  Flügel  in  der  Fahrrichtung  gesehen 
nach  rechts  weisen.  Die  Flügel  der  Einfahr- 
signaie  enden  in  einer  runden  Scheibe,  die 
Ausfahr-  und  Wegesignaie  sind  am  Ende 
rechteckig  abgeschnitten,  bei  den  Vorsignalen 
ist  das  freie  Ende  schwalbenschwanzförmig 
gestaltet.  Bei  Blocksignalen  endet  der  Flügel 
in  einem  über  Eck  gestellten  Viereck.  Wag- 
rechte Stellungd  er  Flügel  bedeutet  bei  den 
Einfahr-,  Ausfahr-,  Block-  und  Wegesignalen 
„Halt",  bei  den  Vorsignalen  „Langsam  fahren", 
die  unter  45"  nach  oben  geneigte  Stellung 
der  Flügel  bedeutet  „Fahrt  frei".  Bei  Sta- 
tionen, auf  denen  nicht  alle  Züge  halten,  ist 
an  den  Einfahrsignalmasten  unter  dem  Ein- 
fahrsignalflügel ein  Vorsignalflügel  ange- 
bracht. Für  Züge,  die  in  der  Station  halten 
sollen,  wird  die  Einfahrerlaubnis  erteilt  durch 
den  unter  45°  nach  oben  geneigten  Einfahr- 
flügel und  deu  wagrecht  stehenden  Vorsignal- 
flügel. Für  durchfahrende  Züge  werden  beide 
Signalflügel  unter  45°  nach  oben  geneigt  ge- 
stellt. Bei  Dunkelheit  wird  „Halt"  durch  rotes, 
„Fahrt  frei"  durch  grünes,  „Langsam  fahren" 
durch     gelbes    Licht     (brandgult)    dargestellt. 

k)  Die  Signalvorschriften  der  schwedi- 
schen Staatsbahnen  sind  in  der  im  Jahre 
1906  erlassenen,  später  ergänzten  „Säkerhets- 
och  signalordningar  vid  Statens  järngar"  ent- 
halten. Als  feststehende  Signale  sind  Scheiben- 
und  Flügelsignale  in  Gebrauch.  Die  Flügel- 
signale, deren  Flügel  in  der  Fahrrichtung 
gesehen  nach  links  weisen,  sind  ein-,  zwei-  oder 
dreiflüglig.  Durch  die  mehrflügligen  Signale 
wird  die  Ablenkung  vom  durchgehenden  Haupt- 
gleis angezeigt.   Mit   den  Einfahrsignalen  sind 

5 


66 


Signalwesen. 


Vorsignale  in  Scheibenform  verbunden.  Bei 
Dunkelheit  bedeutet  am  Hauptsignal  rotes  Licht 
.»Halt",  grünes  Licht  „Fahrt  frei",  am  Vorsignal 
grünes  Licht,  daß  das  Hauptsignal  „Halt"  zeigt, 
weißes  Licht,  daß  am  Hauptsignal  „Fahrt  frei" 
zu  erwarten  ist. 

l)  Auf  den  amerikanischen  Bahnen 
herrscht  im  Signalwesen  eine  große  Mannig- 
faltigkeit. Als  feststehende  Signale  werden 
jetzt  meistens  Flügelsignale  verwendet.  Außer 
der  sonst  üblichen  wagrechten  und  unter  45" 
nach  oben  und  unten  geneigten  Stellung  wird 
mit  Vorliebe  auch  die  senkrechte  Stellung  des 


wendet  worden.  Neuerdings  bemüht  sich  die 
Vereinigung  der  Signalingenieure,  das  S.  zu 
vereinheitlichen  und  dabei  zu  vereinfachen. 

IV.  Neuere  Bestrebungen  auf  dem 
Gebiete  des  S. 
Die  Steigerung  der  Fahrgeschwindigkeit  auf 
den  Hauptbahnen  und  die  Erhöhung  der  Zug- 
dichte auf  den  elektrisch  betriebenen  Stadt- 
bahnen hat  für  das  S.  neue  Forderungen  ent- 
stehen lassen.  Es  handelt  sich  dabei  haupt- 
sächlich um  die  Ausbildung  der  Signale,  die 
zur  Sicherung  der  Zugfolge  und  der  Fahrten 


X-l| 


grur» 


Langsam  fahren. 
Abb.  10!.  Amerikanisches  Flügelsignal. 


Fahrt  frei. 


Flügeis  ausgenutzt.  Es  bedeutet  dann  im  all- 
gemeinen die  senkrechte  Stellung  „Fahrt  frei", 
die  wagrechte  „Halt"  und  die  schräg  nach  oben 
„Vorsicht",  „Langsam  fahren"  (Abb.  101). 
Unter  dem  Flügel  des  Hauptsignals  wird  vielfach 
ein  Vorsignalflügel  angebracht,  der  auf  die 
Stellung  des  folgenden  Hauptsignals  hinweist. 
Der  Vorsignalflügel,  der  ebenfalls  3  Stellungen 
einnehmen  kann,  ist  in  Form  und  Farbe  vom 
Hauptsignalflüge!  verschieden.  Für  die  Nacht- 
signale werden  rote,  purpurrote,  grüne  und 
gelbe  Lichter  verwendet.  Rotes  Licht  bedeutet 
„Halt",  gelbes  Licht  an  Vorsignalen  „Vor- 
sicht", grünes  Licht  „Fahrt  frei".  Als  Scheiben- 
signal  ist  das  Hall-Signal  (s.  d.)  vielfach  ver- 


durch  die  Bahnhöfe  und  die  Abzweigungs- 
stellen auf  freier  Strecke  dienen.  Die  Bestre- 
bungen zur  N'ervollkommnung  der  Signai- 
einrichtungen  richten  sich  vor  allem  auf  fol- 
gende Punkte: 

a)  Rechtzeitige  .Ankündigung  des 
am  Hauptsignal  zu  erwartenden 
Signalzeichens  durch  das  Vorsignal. 

iMan  hat  zu  diesem  Zweck  auch  für  das 
Vorsignal  möglichst  große  Fernsichtbarkeit 
gefordert  und  demgemäß  auch  für  dieses  die 
Form  des  Flügels  an  hohem  Mast  statt  der 
vielfach  üblichen,  etwa  in  Augenhöhe  des 
Lokomotivführers  angebrachten  drehbaren 
Scheibe  vorgeschlagen. 


Signalwesen.  -   Simplonbahn. 


67 


Den  Vorteilen,  die  für  die  leichtere  Erkenn- 
barkeit des  Vorsignals  aus  größerer  Entfer- 
nung auf  diese  Weise  gewonnen  werden 
könnten,  steht  als  Nachteil  die  Verwischung 
des  Unterschieds  zwischen  Hauptsignal  und 
Vorsignal  beim  Tagessignal  gegenüber. 

b)  Die  Kennzeichnung  der  Ablen- 
kung aus  dem  Hauptgleis  am  Haupt- 
signal und  Vorsignal. 

Nach  der  deutschen  und  der  österreichischen 
Signalordnung  wird  «die  Ablenkung  aus  dem 
durchgehenden  Hauptgleis  am  Hauptsignal 
durch  besondere  Signaibilder  gekennzeichnet, 
dagegen  geschieht  das  nicht  am  Vorsignal. 
Diese  bis  jetzt  noch  nirgends  bestehende  An- 
kündigung der  Ablenkung  am  Vorsignal  wird 
von  vielen  Seiten  als  erforderlich  erachtet. 
Man  will  dazu  entweder  das  Scheibensignal 
umgestalten  oder  das  Vorsignal  soll  als  ein- 
flügliges  Mastsignal  ausgebildet  werden  und 
dieselben  Stellungen  einnehmen  wie  das  eben- 
falls einflüglig  zu  gestaltende  Hauptsignal. 
Am  Haupt-  wie  am  Vorsignal  soll  dann 
„Halt"  (Warnung)  durch  den  wagrechten, 
„Fahrt  frei"  durch  den  um  45"  nach  oben 
und  „Ablenkung"  (Langsam  fahren)  durch  den 
um  45°  abwärts  geneigten  Flügel  gekenn- 
zeichnet werden. 

Die  Folge  einer  solchen  Anordnung  ist, 
daß  die  Vorbeifahrt  am  wagrecht  stehenden 
Flügel  des  Vorsignals  gestattet  werden  muß. 
Für  das  Nachtsignal  dem  wagrechten  Flügel 
entsprechend  am  Vorsignal  rotes  Licht  zu 
verwenden,  wie  es  in  England  üblich  ist,  hat 
man  bei  den  Neuerungsvorschlägen  wohl  all- 
gemein Bedenken  getragen. 

Es  werden  vielmehr  als  Nachtsignale  der 
Vorsignale  bei  den  meisten  Vorschlägen  — 
z.  B.  von  Martens  (s.  Literaturverzeichnis)  — 
die  schrägen  Doppellichter  mit  Doppelgelb  für 
„Warnung"  und  Doppelgrün  für  Vorbereitung 
auf  „Fahrt  frei"  beibehalten.  Als  Vorbereitung 
auf  Ablenkung  soll  dann  ein  grün-gelbes  Doppel- 
licht in  Schräglage  dienen. 

c)  Einsetzung  von  Lichtsignalenals 
Tagessignale. 

Die  amerikanischen  Signaltechniker  beschäf- 
tigen sich  in  letzter  Zeit  viel  damit,  wie  es 
möglich  sein  würde,  die  Lichtsignale  auch 
am  Tag  brauchbar  zu  machen.  Es  ist  das 
von  besonderer  Bedeutung  für  elektrisch  be- 
triebene Bahnen  mit  selbsttätiger  Strecken- 
blockung. Bei  dieser  wird  die  Ausführung 
sehr  erleichtert,  wenn  die  Signalbilder  ledig- 
lich durch  Ein-  und  Ausschaltung  von  Signal- 


lichtern hervorgebracht  werden  und  die  me- 
chanische Bewegung  von  Flügeln  oder  Scheiben 
entbehrlich  wird. 

Literatur:  M.  M.  v.  Weber,  Das  Telegraphen- 
und  Signalwesen  der  Eisenbahnen.  Weimar  1867.  - 
E.  Schmitt,  Das  Signalwesen.  Prag  1878.  - 
G.  Kecker,  Vergleichende  Studien  über  Eisenbahn- 
signalwesen. Wiesbaden  1883.  -  L.  Kohlfürst, 
Signal-  und  Telegraphenwesen.  Sonderabdruck  aus 
dem  Werk  „Geschichte  der  Eisenbahnen  der  öster- 
reichisch-ungarischen Monarchie".  Wien  18Q8.  - 
H.  Martens,  Grundlagen  des  Eisenbahnsignal- 
wesens. Wiesbaden  1909.  -  J.  Frahm,  Das  eng- 
lische Eisenbahnwesen.  Berlin  1911.  -  Kecker. 
Glossen  zur  Signalordnung.  Arch.  f.  Ebw.  1895, 
S.  793.  —  Blum,  Glossen  zur  Signalordnung. 
Arch.  f.  Ebw.  1895,  S.  910.  -  Jäger,  Zur  deut- 
schen Signalordnung.  Arch.  f.  Ebw.  1896,  S.  1090 
u.  1899,  S.  50.  -  Blum,  Zur  deutschen  Signal- 
ordnung. Arch.  f.  Ebw.  1897,  S.  806  u.  1899, 
S.  51.  -  Förderreuth  er.  Zur  Signalordnung  für 
die  Eisenbahnen  Deutschlands.  Ztg.  d.  VDEV.  1906, 
S.  209.  —  Gau  er,  Zur  deutschen  Signalordnung. 
Ztg.  d.  VDEV.  1906,  S.  669.  -  Ulbricht,  Zur 
deutschen  Signalordnung.  Ztg.  d.  VDEV.  1906, 
S.  889.  Hoogen. 

Signierungsgebühr,  eine  Nebengebühr 
für  die  bahnseitige  Signierung  der  Stückgüter 
und  für  ihre  Bezeichnung  mit  dem  Namen  der 
Bestimmungsstation.  Die  Gebühr  gründet  sich 
auf  die  Befugnis  der  Eisenbahn,  zu  verlangen, 
daß  Stückgüter  vom  Absender  mit  dem  Namen 
der  Bestimmungsstation  dauerhaft  bezeichnet 
werden,  wenn  es  ihre  Beschaffenheit  ohne  be- 
sondere Schwierigkeit  zuläßt. 

Für  die  Dauer  des  Krieges  wurde  in  Deutschland 
diese  Bestimmung  dahin  erweitert,  daß  der  Absender 
Stückgüter  nicht  nur  mit  dem  Namen  der  Be- 
stimmungsstation, sondern  auch  mit  dem  Namen 
der  Versandstation  und  dem  Tag  der  Aufgabe 
dauerhaft  zu  bezeichnen  hat. 

Simplonbahn  (Schweiz),  ursprünglich  als 
Walliser  Bahn  oder  Ligne  d'Italie  bezeichnet. 
Als  solche  war  eine  Linie  von  St.  Gingolph, 
schweizerisch -französische  Landesgrenze  am 
südlichen  Ufer  des  Genfer  Sees  über  St.  Maurice 
bis  Brig  mit  Verlängerung  durch  den  Simplon 
bis  zur  italienischen  Grenze  bei  Gondo  ge- 
plant. 

Die  Bahn  sollte  hiernach,  den  Lauf  der 
Rhone  verfolgend,  der  Länge  nach  den  größten 
Teil  des  Kantons  Wallis  durchziehen  und  faßte 
den  vielbesprochenen  Alpenübergang  bzw. 
Alpendurchstich  des  Simplons  in  sich.  Sie 
schloß  bei  St.  Gingolph  und  bei  St.  Maurice 
an  das  französische  und  schweizerische  Bahn- 
netz und  sollte  es  bei  Gondo  mit  dem 
italienischen  verbinden.  Die  erste  Konzession 
bis  Sitten  wurde  A.  de  Lavalette  in  Paris 
im  Jahre  1853  erteilt  und  es  gelangten, 
hierauf  gestützt,  am  14.  Juli  1859  die  Linie 
Bouveret-Martigny  (38-3 /^/h    bauliche  Länge) 

5* 


68 


Simplonbahn.  ~  Simplontunnel. 


und  am  10.  Mai  1860  die  Linie  Martigny- 
Sitten  (25-S  km  bauliche  Länge)  zum  Betrieb. 
Am  1.  August  1867  gingen  diese  Linien  an 
eine  neue  Gesellschaft  mit  dem  gleichen  Titel 
über  und  diese  eröffnete  am  15.  Oktober  1868 
die  Linie  von  Sitten  nach  Sierre  (15-5  km 
bauliche  Länge)  dem  Betrieb.  Die  Gesellschaft 
war  jedoch  nicht  im  stände,  den  Bau  fortzu- 
setzen und  gelangte  in  Konkurs.  Es  entstand 
1874  die  Simplonbahn-Gesellschaft,  die  die 
vorhandene,  80  km  lange  Bahn  am  22.  April 
1874  zum  Preis  von  202.422  Fr.  kaufte  und 
dann  am  I.Juni  1877  die  Strecke  Sierre-Leuk 
(Q-5  km),  am  1.  Juli  1878  diejenige  von  Leuk 
bis  Brig  (27-6  km)  in  Betrieb  setzte.  Am  28.  Juni 
1881  fand  ihre  Vereinigung  mit  der  Suisse- 
Occidentale-Bahn  statt   (s.  Jura-Simplon-Bahn). 

Ditiler. 

Simplontunnel  (Schweiz).  Mit  der  Durch- 
stechung der  penninischen  Alpen  unter  dem 
Massiv  des  Monte  Leone  hatten  sich  seit 
längerer  Zeit  die  hervorragendsten  Techniker 
beschäftigt. 

Man  kann  die  aufgestellten  Entwürfe  je  nach 
deren  Höhenlage  und  Haupttunnellänge  in 
3  Gruppen  teilen:  Basistunnel-,  Zwischentunnel- 
imd  Scheiteltunnelentwürfe. 

Die  ersten  Entwürfe  waren  meistens  solche 
mit  Scheitel-  oder  Zwischentunnel,  weil  man 
in  Ermanglung  von  Erfahrungen  der  Durch- 
bohrung von  Alpentunneln  die  Haupttunnel- 
länge möglichst  zu  beschränken  suchte. 

Die  ersten  Entwürfe  mit  Basistunnel,  wobei 
die  unschachtbare  Länge  bis  1 6  km  ange- 
nommen wurde,  sind  von  Vauthier  1 860,  Lommel 
1 864,  Stockalper  1 869,  Favre-Clo  1 875,  Simplon- 
bahn 1878,  1882,1886,  1891;  die  mit  Zwischen- 
tunnel von  Clo-Venetz  1857,  de  Bange  1886, 
Masson  1892  und  die  mit  Scheiteltunnel  von 
FlachatlS60,  Jaquemin  1860-1862,  Thouve- 
not   1863,  Lehaitre   1863. 

Alle  Entwürfe  mit  Zwischen-  oder  Scheitel- 
..L.pttunnel  setzten  starke  Zufahrtsrampen  von 
50  — 60%5  voraus  und  gingen  im  weiteren  von 
dem  Gesichtspunkt  aus,  die  Baukosten  mög- 
lichst zu  verringern,  wobei  die  Betriebskosten 
weniger  im  Auge  behalten  wurden.  Mit  Rück- 
sicht auf  die  schon  bestehenden  Alpenbahnen 
wurde  von  allen  diesen  Entwürfen  mit  starken 
Zufahrtsrampen  abgegangen  und  bei  Basis- 
tunnelentwürfen verblieben,  als  der  wirtschaft- 
lichsten Lösung,  um  in  Wettbewerb  mit  den 
benachbarten  Alpenbahnen  treten  und  eine 
Verzinsung  des  erforderlichen  Anlagekapitals 
ermöglichen  zu  können. 

Je  mehr  sich  indessen  die  technische  Frage 
klärte,  um  so  schwieriger  schien  sich  somit 
die  finanzielle  Seite  des  Unternehmens  zu  ge- 


stalten und  die  Schweiz  gewissermaßen  auf 
sich  angewiesen  zu  sein. 

Der  erste  Schritt  zur  Kräftigung  der  zur 
Ausführung  berufenen  Bahngeseilschaft  geschah 
durch  die  Vereinigung  der  Suisse-Occidentale- 
Simplon-Bahn  mit  der  Jura-Bern-Luzern-Bahn. 
Die  Jura-Simplon-Bahn  (s.  d.)  arbeitete  auch 
ungesäumt  einen  neuen  Entwurf  (1891)  aus, 
der  einen  Basistunnel  von  rd.  20  km  vorsah, 
auf  der  Nordseite  mit  einer  Zufahrtsrampe 
von  2"5  km  und  auf  der  Südseite  von  1 9'5  km 
mit  größten  Neigungen  von  20  %o. 

Am  20.  September  1893  wurde  mit  der 
Firma  Brandt,  Brandau  &  Gie.  in  Hamburg 
ein  Präliminarforfaitvertrag  vereinbart,  auf 
Grund  dessen  der  Staatsvertrag  mit  Italien  vom 
25.  November  1895  zu  stände  kam.  Dieser 
Vertrag  regelt  die  technischen  und  die  finan- 
ziellen Verhältnisse  für  die  Eisenbahn  von  Brig 
bis  Domodossola.  Diese  wurde  zunächst  ein- 
spurig, jedoch  gleichzeitig  der  Übergang  zur 
Doppelspur  vorgesehen.  Der  Entwurf  der 
neuen  Gesellschaft,  der  auch  die  Gebrüder 
Sulzer  und  Locher  &  Co.  angehörten,  sah  ein 
neues  Bauverfahren  vor,  das  der  schweize- 
rische Bundesrat  durch  die  Herren  Colombo 
(Mailand),  Fox  (London)  und  Wagner  (Wien) 
begutachten  ließ.  Die  Experten  stimmten 
diesem  zu  und  befürworteten  gleichzeitig 
die  spätere  Einführung  des  elektrischen  Be- 
triebs. Am  15.  April  1898  wurde  der  end- 
gültige Bauvertrag  abgeschlossen,  im  Oktober 
mit  den  Bauarbeiten,  am  22.  November  mit 
der  mechanischen  Bohrung  auf  der  Nordseite, 
am  21.  Dezember  auf  der  Südseite  begonnen. 
Infolge  der  tiefen  Lage  des  Tunnels  und  der 
hohen  Gebirgsüberlagerung  wurden  Tunnel- 
temperaturen bis  zu  42"  C  vorausgesetzt.  Dies 
veranlaßte  die  Tunnelbauunternehmung,  neben 
dem  einspurigen  Haupttunnel  I  in  einem  Ab- 
stand von  17  m  von  Achse  zu  Achse  einen 
Parallelsohlstollen  zu  bauen,  der  nach  dem 
Grundsatz  viel  Luft  mit  mäßiger  Pressung  als 
mächtiges  Luftzuführungsrohr  für  den  Haupt- 
tunnel, mit  dem  er  in  Abständen  von  200  m 
durch  Querstollen  verbunden  wurde,  zu  dienen 
hatte.  Indem  die  den  Portalen  nächstliegenden 
Querschläge  geschlossen  gehalten  wurden,  ge- 
langte die  Preßluft  vor  Ort  in  den  Haupttunnel, 
um  durch  diesen  wieder  zurückzuströmen.  In 
der  Mitte  des  Haupttunnels  wurde  für  die 
Dauer  des  einspurigen  Betriebs  unter  Be- 
nutzung des  Parallelstollens  eine  500  m  lange 
Ausweichstelle  erbaut,  für  so  lange,  als  der 
Parallelstollen  nicht  zum  einspurigen  Haupt- 
tunnel II  ausgebildet  werden  würde.  Ein  wei- 
terer Vorteil  dieses  Verfahrens  neben  denjenigen, 
die  für  die  Wasserabfuhr  und  Materialförderung 


Simplontunnel. 


69 


während  des  Baues  sich  ergaben,  wurde  darin 
gefunden,  daß  vorerst  nur  die  Ausgabe  für  einen 
eingleisigen  Tunnel  zu  machen  war.  Dieser  konnte 
am  I.  Juni  1906  dem  Betrieb  übergeben  werden, 
der  elektrisch  geführt  wurde  (vgl.  Schweizerische 
Eisenbahnen,   im   besonderen   Bundesbahnen). 

Die  Länge  des  einspurigen  Tunnels  ist  end- 
gültig auf  19.S03-1  m  festgestellt,  nachdem  er 
durch  einen  Nachtragsvertrag  eine  südliche 
Verlängerung  erhalten  hatte. 

Die  Schwellenhöhe  am  Nordmund  beträgt 
685-77  m  ü.  M.,  am  Südmund  633-48  m  ü.  M., 
am  höchsten  Punkt  der  Ausweichstelle  und 
des  Tunnels  704-98  m  ü.  M.  Von  hier  aus  er- 
gibt sich  nach  Norden  ein  Gefälle  von  2%», 
nach  Süden  ein  solches  von  7 %a.  Die  Tunnel- 
hälfte nördlich  der  Ausweichstelle  liegt  auf 
Schweizer  Gebiet,  die  südliche  in  Italien.  Der 
Tunnel  verbindet  die  Station  Brig  im  Rhonetal 
mit  der  Station  Iselle  im  Diveriatal.  Die  größte 
Höiie  des  Gebirges  über  dem  Tunnel  befindet 
sich  bei  9100  m  von  der  Nordmündung  und 
beträgt  2135  /«  gegen  1706  m  beim  Gotthard. 
Auf  einer  Länge  von  19.318-63  m  befindet  sich 
der  Tunnel  in  einer  Geraden  und  nur  an 
beiden  Enden  läuft  er  in  kurze  Bögen  aus, 
die  den  Übergang  zu  der  Stations-  und  Tal- 
richtung vermitteln.  Der  einspurige  Tunnel- 
querschnitt hat  im  Lichten  eine  größte  Höhe 
von  5-5  m,  eine  Breite  in  Schwellenhöhe  von 
4-5  m  und  2  m  über  Schwellenhöhe  von  5  m 
und  23-2/n2Lichtfäche.  Der  Kanal  von  40  -  50  cot 
lichter  Weite  wurde  nachträglich  erweitert,  nach- 
dem die  am  Nord-  und  Südmund  ausfließende 
Wassermenge  800-  1000  Sek//  erreichte.  Alle 
50 /«sind  einseitige  kleine  Nischen  (im  Tunnel  II 
auf  beiden  Seiten),  alle  1000  m  kleine  Kammern 
und  im  ganzen  4  große  Kammern  angebracht. 
Der  Rieht-  und  Sohlstollen  hatte  einen  Quer- 
schnitt von  5  —  7  irfi,  der  Parallelstollen 
3-2  m  Breite  und  2-4  m  Höhe.  Das  durch- 
fahrene  Gebirge  bestand  in  der  Hauptsache 
aus  Gneis,  dann  Jura  und  Trias.  Die  Luft- 
zufuhr steigerte  sich  von  17-4  nv"  auf  der  Süd- 
seite im  II.  Quartal  1902  bis  zu  57  m?  auf 
der  Nordseite  im  IV.  Quartal  1905  in  der 
Sekunde.  Unter  Benutzung  der  Wasserkräfte 
der  Rhone  und  der  Diveria,  die  je  1500  bis 
2200  PS.  lieferten,  wurden  neben  der  nörd- 
lichen und  südlichen  Tunnelmündung  die 
hauptsächlich  von  Gebrüder  Sulzer  gelieferten 
Turbinen,  Kompressionspumpen,  Reservedampf- 
anlagen, Luftkompressoren  und  Zentrifugal- 
pumpen untergebracht,  die  zur  Lieferung  des 
Betriebswassers  für  die  Brandtschen  Bohrma- 
schinen, des  Kühlwassers,  der  Luftzufuhr  er- 
forderlich waren.  In  besonderen  Gebäuden  waren 
Badeeinrichtungen  für  die  Arbeiter  vorhanden. 


Preßpumpen  lieferten  das  Druck wass er 
für  die  Bohrmaschinen  mit  80-lOOAtm. 

Sulzers-  Hochdruckkreiselpumpen  lieferten 
Kühlwasser  mit  22  Atm.,  das  an  den  An- 
schlußstellen im  Tunnel  10— 15  Atm.  Druck 
hatte. 

Zweistufige  Luftpressen  erzeugten  Preßluft 
bis  100  Atm.  für  die  im  Tunnel  tätigen  Luft- 
lokomotiven. 

Die  Luft  für  die  Lüftung  ging  in  der  Regel 
durch  den  mit  Türen  geschlossenen  Stollen  II. 
Nur  bei  Absteckungen  der  Tunnelachse  wurde 
die  Luft  aus  dem  Tunnel  II  ausgesaugt,  so  daß 
frische  Luft  durch  den  Tunnel  I  eintrat.  Die 
Lüftungsanlagen  waren  sowohl  für  den  Bau 
wie  für  den  Betrieb  bestimmt.  Im  Innern  des 
Tunnels  kamen  nach  Bedarf  noch  besondere 
Stollenventilatoren  zur  Verwendung.  Die  im 
Simplontunnel  für  den  Vortrieb  der  Stollen  I 
und  II  angewendeten  Bohrmaschinen  waren 
die  von  Gebrüder  Sulzer  verbesserten  Gesteins- 
Drehbohrmaschinen  System  Brandt.  Für  die 
Förderung  des  Ausbruchmaterials  aus  dem 
Tunnel,  des  Baumaterials  in  den  Tunnel,  der 
Mannschaft  u.  s.  w.  waren  auf  jeder  Tunnel- 
seite in  den  äußeren  Tunnelabschnitten  Dampf- 
lokomotiven der  Schweizer  Lokomotivfabrik  im 
Betrieb,  in  den  inneren  Tunnelabschnitten  da- 
gegen Luftlokomotiven,  beide  für  80  cm -Spur. 

Die  zu  überwindenden  Bauschwierigkeiten 
waren  groß.  Die  höchste  gemessene  Gesteins- 
temperatur betrug  500C  (vgl.  Abb.  102).  Die 
Kühlung  durch  die  zugeführte  äußere  Luft, 
durch  das  Betriebswasser  der  Brandtschen 
Bohrmaschine  genügten  nicht.  Eine  be- 
sondere Kühlwasseranlage  war  Ende  Mai  1902 
auf  der  Nordhälfte  in  Betrieb  gekommen;  ihr 
Erfolg  war  vollständig.  Zur  Übertragung  der 
im  Kühlwasser  enthaltenen  Kälte  an  die  Luft 
wurden  Streudüsen  verwendet.  Vorsorglich  be- 
schaffte Eiswagen  zur  weiteren  Abkühlung  der 
Luft  vor  Ort  erwiesen  sich  als  entbehrlich. 
Auf  der  Südhälfte  des  Tunnels  wurde  eine  bei 
km  4-4  vom  Südmund  angeschlagene  große 
Quelle  von  12°  C  Temperatur  gefaßt  und  zu- 
erst unter  ihrem  natürlichen  Druck  von  6  Atm., 
später  unter  erhöhtem,  künstlich  erzeugtem 
Druck  zur  Abkühlung  der  Luft  bis  vor  Ort 
verwendet. 

Bedeutende  Erschwernisse  der  Arbeiten  ver- 
ursachte das  Auftreten  heißer  Quellen.  Auf 
der  Nordhälfte  mußte  der  Stollenvortrieb  des- 
halb vom  18.  Mai  1904  an,  als  bei  10.382/« 
von  der  Nordmündung  abermals  eine  große 
heiße  Quelle  angeschlagen  wurde,  eingestellt 
und  der  Südseite  die  noch  bis  zum  Durch- 
schlag aufzufahrende  Strecke  von  rund  1  km 
überlassen  werden.    Aber   auch   auf   der  Süd- 


70 


Simplontunnel. 


Seite  waren  bei  Annäherung  an  die  Durch- 
schlagsstelle, 9385  m  von  der  Südmündung, 
neue    heiße  Quellen  aufgetreten,    so   daß   die 


Oberwindung  der  letzten  245m  Stollenvortrieb 
fast  6  Monate  gekostet  hatten. 

Das  durchfahrene  Gebirge  war  im  ganzen 
auf  der  Nordseite  dem  Stollenvortrieb  günstig 
wegen  des  auf  lange  Strecken  starken  Ein- 
fallens  der  Schichten.    Doch  fehlt  es  nicht  an 


Strecken,  in  denen  der  Fels  gebrech-  und  druck- 
haft war  und  deshalb  zu  Handbetrieb  und 
zeitraubendem  Einbau  zwang,  letzteres  von 
S1S9-81Q9W,  bei  8774  m,  von  8934 -9000  m 
von  der  Nordmündung,  wo  vollständige  Geviere 
mit  Sohlschwellen  eingebaut  werden  mußten. 
Auf  der  Südseite  dagegen  waren  die  Vortriebs- 
I  arbeiten  neben  den  Einbrüchen  kalten  und 
heißen  Wassers  im  allgemeinen  durch  die 
wagrtchte  Lagerung  des  Gesteins  und  durch 
Strecken  mit  außergewöhnlich  hohem  Druck 
behindert.  Namentlich  von  4450  -  4492  m  vom 
Südmund,  somit  auf  42  m  Länge,  war  man 
in  weichen  Qlimmerkalk  geraten.  Unter  Zu- 
hilfenahme eiserner  Geviere  wurde  auf  dieser 
Strecke  der  Sohlstollen  im  Haupttunnel  so 
widerstandsfähig  und  mit  solchem  lichten 
Querschnitt  hergestellt,  daß  auch  während  der 
nachfolgenden  Arbeiten  des  Ausbruchs  und  der 
Mauerung  die  Förderungen  nach  dem  weiteren 
Vortrieb  des  Sohlstollens  sowie  nach  den 
übrigen  Vollausbruch-  und  Mauerungsarbeit- 
stellen ungehindert  stattfinden  konnten.  Nach 
dem  allgemeinen  Bauverfahren  hatte  dem  Sohl- 
stollen der  Firststollen  oder  der  Firstschlitz, 
dann  die  Ausweitung  und  die  Mauerung  zu 
folgen.  Am  20.  Mai  1902,  fast  7  Monate  'nach 
Anfahren  der  Druckstrecke,  wurde  die  Maschi- 
nenbohrung wieder  aufgenommen  und  führte 
im  Anhydrit  zur  höchsten  Tagesleistung  von 
11-2  m.  Die  Mauerung  des  Gewölbes  der 
Druckstrecke  erforderte  Lehrbögen  von  unge- 
wöhnlicher Widerstandsfähigkeit.  Sie  wurden 
in  Mauerwerk  erstellt.  Statt  eines  Sohlen- 
gewölbes wurde  ein  Block  aus  wagrecht  ge- 
schichtetem Mauerwerk,  die  Widerlager  in 
Schichtenmauerwerk,  das  Gewölbe  in  der  Ge- 
samtstärke von  1'67  m  aus  Hausteinen  erstellt 
(Abb.  103).  Die  Herstellung  des  Gewölbes 
hatte  mehr  als  1  ■'/2  Jahre  gedauert.  Das  Mauer- 
werk gab  zu  keinerlei  Rekonstruktionen  Anlaß. 
Der  Durchschlag  des  Richtstollens  erfolgte 
am  24.  Februar  1905  bei  9385  m  vom  Süd- 
mund. Die  Abweichung  in  der  Richtung  betrug 
202  mm,  in  der  Höhe  87  mm,  in  der  Länge 
790  mm.  Der  durchschnittliche  Tagesfort- 
schritt seit  Beginn  der  mechanischen  Boh- 
rung im  Stollen  ergab  8'84  m.  Die  Bestim- 
mung der  Tunnelachse,  ihrer  Länge  und  der 
Höhenverhältnisse  war  auf  trigonometrischem 
Wege  ohne  besondere  Basismessung  und  im 
Anschluß  an  das  schweizerische  Präzisions- 
nivellement erfolgt.  Die  Übertragung  der  Achse 
in  den  Tunnel  erfolgte  zuerst  durch  Obser- 
vatorien außerhalb  des  Tunnels  und  nachher 
im  Innern  selbst. 

Der  Pauschalpreis  für  den  Tunnel  I    nebst 
Parallelstollen    und   Installationen   betrug  54'5 


Simplontunnel. 


71 


Mill.  Fr.,  für  den  Ausbau  des  Tunnels  II,  wenn 
er  innerhalb  2  Jahre  von  der  Betriebseröff- 
nung des  Tunnels  I  begehrt  wurde  und  dann 
innerhalb  4  Jahren  zu  erstellen  war,  1 5  Mill.  Fr. 
Infolge  der  eingetretenen  Bauschwierigkeiten 
war  die  vertragliche  Baufrist  von  5V2  Jahren 
um  2  Jahre  überschritten  worden.  Überdies 
wurde  der  Unternehmung  eine  Erhöhung  des 
Erstellungspreises  des  Tunnels  I  von  zirka 
2-5  Mill.  Fr.  einschließlich  ge- 
wisser Mehrleistungen  von 
etwa  3-Q  Mill.  Fr.  sowie  des 
Tunnels  11  von  4-5  Mill.  Fr. 
bewilligt.  Dazu  kamen  Lei- 
stungen der  Bahnverwaltung 
im  Betrag  von  5-54  Mill.  Fr. 
Infolge  Einwirkung  des 
Baues  des  Tunnels  I  auf  den 
Parallelstollen  erwies  sich  die 
Ausführung  des  Tunnels  II 
als  dringlich,  bevor  die  ent- 
sprechende Verkehrssteige- 
rung eingetreten  war.  Nach 
einer  bezüglichen  Verständi- 
gung mit  der  Bauunterneh- 
mung beschloß  der  Verwal- 
tungsrat der  Bundesbahnen  am 
12.  Juli  1912,  die  Arbeiten  in 
Regie  auszuführen.  Ais  Bau- 
leiter wurde  Ingenieur  Roth- 
pletz  ernannt,  die  Kosten 
wurden  auf  34-6  Mill.  Fr., 
für  die  eigentlichen  Tunnel- 
arbeiten auf  27-5  Mill.  Fr. 
veranschlagt.  Der  Tunnel  II 
hat  eine  nördliche  Mehrlänge 
von  22  m  gegenüber  Tunnel  I, 
ist  also  19.825  m  lang.  Die 
Bauten  sind  Ende  des  Jahres 
1912  begonnen  worden  und 
stehen  Mitte  1919  noch  in 
Arbeit.  Beim  Ausbau  des 
Tunnels  II  werden  nur  mehr  pneumatische 
Bohrhämmer  verwendet. 

Literatur:  Flacliat,  De  la  traversee  des  Alpes 
par  Uli  cliemiu  de  fer.  Etüde  du  Passage  par  le 
Simplon,  Neuilly  1860.  -  Compagnie  des 
chemins  de  fer  de  la  ligne  d'Italie  par  la 
vallee  du  Rhone  et  le  Simplon.  Etudes  de  la  tra- 
versee du  Simplon  entre  Gliss,  Brig  et  Domod'Ossola. 
Paris  1863.  liiiprimerie  administr.  et  des  chemins 
de  fer  de  Paul  Dupont.  -  Lonimel,  Simplon, 
St.  Qottard  et  Lukmanier.  Etüde  comparative  dela 
valeur  technique  et  commerciale  des  voies  ferrees 
projetees  par  ces  passages  Alpins  Italo -Suisse. 
Lausanne  1865.  -  Stockalpe r,  Les  avantages  du 
Simplon  sous  le  rapport  de  la  construction  et  de 
l'exploitation  d'un  chemin  de  fer.  Lausanne  1869. 
—  Vauthier,  Le  percement  du  Simplon  et  l'interet 
commercial  de  la  France.  Determination  des  donnees 
techniques  du  probleme  et   limite   de  la  zone  com- 


merciale desservie  dans  le  cas  d'un  trace  bas  avec 
long  tunnel.  Paris  1874.  —  Meyer,  Le  Gottard  et 
le  Simplon.  Lausanne  1876.  —  Lomtuel,  Chemin 
de  fer  alpin  par  le  Simplon.  Note  explicative  sur 
les  details  techniques  du  projet  de  le  ligne  Brigue- 
Domo  d'Ossola.  Lausanne  1878.  —  Dreyfus,  Le 
tuiuiel  du  Simplon  et  les  interets  fran(;ais.  Paris  1879. 
—  Lommel,  Etudes  de  la  question  de  chaleur 
souterraine  et  de  son  influence  sur  les  projets  et 
systemes  d'execution  du  grand  tunnel  alpin  du 
Simplon.  Lausanne  1880.  —  Comite  du  Simplon, 


Abb.  103. 

Percement  du  Simplon.  Memoire  technique  ä  I'appui 
de  plans  et  devis  dresses  en  1881-1882.  Lausanne 
1882.  -  Vauthier,  Le  percement  du  Simplon  de- 
vant  les  chambres  et  les  interets  de  la  France.  Paris 
1881.  -  NeufviUe,  Notes  sur  le  tunnel  du  Simplon, 
presentees  ä  la  societe  de  la  geographie  commerciale 
des  Paris^  Paris  1881.  —  Lommel,  Quelques  apperqus 
sur  un  Programme  pratique  propre  ä  assurer  la  plus 
prompte  realisation  du  percement  du  Simplon. 
Lausanne  1884.  -  Meyer,  Traversee  du  Simplon 
par  un  chemin  de  fer.  Conference  faite  ä  la  societe 
des  Ingenieurs  civils.  Paris  1883.  -  Bureau  du 
Simplon,  Bulletin  du  tunnel  du  Simplon.  Paris 
1882-1884.  -  Direction  des  chemins  de  fer 
du  Jiira-Simplon,  Traversee  du  Simplon,  rapport 
sur  les  etudes  1890-1891  avec  devis.  Berne  1891. 
-  Molo,  La  ferrovia  del  Sempione  e  gli  interessi 
italiani.  Roma  1891.  -  Dolezalek,  Der  Simplon- 
tunnel. Dt.  Bauztg.  1899.  -  Monats-  und  Vierteljahrs- 
berichte    der     Jura  -  Simplon-Bahn    und    der 


72 


Simplontunnel.  —  Slipwagen. 


SchweizerischenBundesbahnen.Schwz.Bauztg. 
Bd.  XXXIII  u.  ff.  -  Jura-Simplon-Bahn,  Recueil 
des  pieces  officielles  relatives  au  Percement  du 
Simplon.  Lausanne  1902.  -  Rosen mund,  Bestim- 
mung der  Richtung,  der  Länge  und  der  Höhen- 
verhältnisse des  Simplontunnels.  Bern  1901.  - 
Schardt,  Rapport  sur  les  venues  d'eau  dans  le 
tunnel  du  Simplon  du  cöte  d'Iselle.  Lausanne  1902; 
Note  sur  le  profil  geologique  et  la  tectonique  au 
massif  du  Simplon,  Rapport  supplementaire  sur  les 
venues  d'eau  dans  le  tunnel  du  Simplon  du  cöte 
d'Iselle.  Lausanne  1903.  -  Möller,  Der  Bau  des 
Simplontunnels.  Ztschr.  dt.  Ing.  1904.  -  Pestalozzi, 
Die  Bauarbeiten  am  Simplontunnel.  Sonderabzug  der 
Schwz.  Bauztg.  Bd.  XXXVIU,  1901  u.  XXXIX,  1902. 
—  Pressel,  Bauarbeiten  am  Simplontunnel.  Sonder- 
abzug derSchwz.  Bauztg.  Bd.  XLVII,  1906,  welcher 
Arbeit  auch  die  Abbildungen  entnommen  sind.  — 
Pometta,  Sanitäre  Einrichtungen  und  ärztliche  Er- 
fahrungen beim  Bau  des  Simplontunnels.  Winter- 
thur  1906.  -  Francis  Fox,  The  Simplon  Tunnel. 
London  1907.  -  Karl  Brandau,  Das  Problern  des 
Baues  langer,  tiefliegender  Alpentunnel  und  die  Er- 
fahrungen beim  Bau  des  Simplontunnels.  Schwz. 
Bauztg.  Bd.  LIII  u.  LIV,  1909.  -  Rothpletz,  Berg- 
schläge im  Simplontunnel.  Der  Ausbau  der  Druck- 
partie im  Simplontunnel  H,  km  4-452  — 4-5  ab  Süd- 
portal. Schwz.  Bauztg.  Bd.  LXIV,  1914  und  LX\', 
1915.  Dietler. 

Slipfahrt,  Kunstfahrt,  englischer  Ver- 
schub  (switcliing  off  a  veliide;  lancemenf  d'iine 
partie  d'iin  train  sur  iin  changement  de  voic; 
spinta  di  iina  parte  dt  im  treno  in  un  binario 
biforcato  o  deviato),  eine  \'erschubbe\vegung, 
bei  der  die  am  Schluß  laufenden  Wagen 
während  der  Fahrt  abgehängt  und  vom 
Fahrgleis  der  vorauffahrenden  Fahrzeuge  ab- 
gelenkt werden.  Dieses  sog.  „Abschneppern" 
von  Wagen  erfordert  besondere  Geschick- 
lichkeit. Nachdem  die  Lokomotive  den  Wagen- 
zug in  Bewegung  gebracht  hat,  verzögert  sie 
in  gewisser  Entfernung  vor  der  Abzweigungs- 
weiche die  Fahrgeschwindigkeit  und  verursacht 
hierdurch  ein  Auflaufen  der  Wagen  und  eme 
Lockerung  der  Kupplungen,  die  sodann  durch 
einen  Verschieben  vom  Wagen  aus  gelöst 
werden.  Die  Lokomotive  erhöht  jetzt  ihre 
Fahrgeschwindigkeit,  während  die  abgehängten 
Wagen  mit  geringerer  Fahrgeschwindigkeit 
folgen.  Die  zwischen  den  vorangefahrenen  und 
den  abgehängten  Fahrzeugen  entstehende  Lücke 
wird  nun  zur  Umstellung  der  Ablenkungs- 
weiche benutzt,  so  daß  die  abgehängten  Wagen 
einen  andern  Weg  einschlagen  als  die  vor- 
aufgefahrenen. Das  Abkuppeln  während  der 
Fahrt  und  das  Umstellen  der  Weiche  zwischen 
den  bewegten  Fahrzeugen  lassen  sich  mit  den 
heute  für  die  Sicherheit  des  Betriebs  getrof- 
fenen Anordnungen  und  den  geltenden  Vor- 
schriften nicht  vereinbaren.  Das  Abschneppern 
von  Wagen  kann  deshalb  nur  unter  ganz  ein- 
fachen Betriebsverhältnissen  beim  Vorhanden- 
sein von  Fahrzeugen,  deren  Kupplungen  vom 


Wagen  aus  ohne  Gefahr  für  den  Verschieber 
gelöst  werden  können,  sowie  bei  Bedienung 
der  Weichen  von  Hand  und  auch  dann  nur 
bei  Gleisanlagen  von  derartiger  Einschränkung, 
daß  die  Verschublokomotive  den  Wagenzug 
nicht  umfahren  kann,  zugelassen  werden.  Bei 
den  Verwaltungen  mit  geordneten  Einrichtungen 
für  die  Abwicklung  des  Zug-  und  Verschiebe- 
verkehrs sind  Slip-  oder  Kunstfahrten  nicht 
gebräuchlich  und  auch  nicht  gestattet  (s.  Slip- 
wagen), ß  reu  sing. 

Slipwagen  fslip  carriage;  voitiire  ä  de- 
crocher  en  marche;  carozza  da  stuccare  o  da 
rilasciare  in  marcia),  ein  während  der  Fahrt 
abzukuppelnder  Wagen.  S.  werden  auf  einigen 
englischen  Eisenbahnen  am  Schluß  von  Schnell- 
zügen mitgeführt.  Sie  sind  dazu  bestimmt, 
während  der  Durchfahrt  des  Zuges  durch  einen 
Bahnhof  abgehängt  zu  werden,  um  den  Ver- 
kehr nach  diesem  Bahnhof  oder  einer  dort 
abzweigenden  Bahnstrecke  zu  vermitteln,  ohne 
I  daß  für  den  weiterfahrenden  Zug  ein  Aufent- 
halt entsteht.  Auf  den  Bahnen  des  Festlandes 
hat  man  von  dieser  Einrichtung  keinen  Ge- 
brauch gemacht,  deshalb  fehlt  auch  ein  deut- 
scher Ausdruck  für  den  S.  Selbst  im  Ver- 
schubdienst,  wo  früher  sog.  Kunstfahrten 
üblich  waren,  bei  denen  Güterwagen  während 
der  Fahrt  abgehängt  und  „abgeschneppert" 
NS'urden,  um  sie  in  ein  von  dem  durch  die 
voranfahrende  Verschublokomotive  benutzten 
Gleis  abzweigendes  Gleis  zu  leiten,  gestattet 
man  heute  zur  Verhütung  von  Unfällen  im 
allgemeinen  ein  solches  Verfahren  nicht  mehr. 
In  England  verdankt  die  Einrichtung  der  S. 
ihr  Entstehen  dem  Wettbewerb  der  Eisen- 
bahngesellschaften, deren  Linien  große  Ver- 
kehrspunkte mit  London  verbinden  und  die 
durch  lange  aufenthaltlose  Fahrten  die  größte 
Reisegeschwindigkeit  für  ihre  Züge  im  Wett- 
bewerb mit  den  Kachbarbahnen  zu  erreichen 
suchten,  ohne  dabei  auf  die  Vermittlung  des 
Verkehrs  nach  den  größeren  Zwischenorten 
durch  dieselben  Züge  verzichten  zu  müssen. 
So  sehr  nun  auch  die  dem  Reiseverkehr  durch 
die  S.  gebotenen  Vorteile  einzuschätzen  sein 
mögen,  so  liegen  doch  gegen  die  Einrichtung 
so  erhebliche  Bedenken  vor,  daß  die  Bahn- 
verwaltungen außerhalb  Englands  von  ihr 
niemals  Gebrauch  gemacht  haben.  Das  Aus- 
hängen der  Kupplung  während  der  Fahrt,  das 
Lösen  der  Leitungsschläuche  für  die  durch- 
gehende Bremse  und  die  Heizung  vom  Innern 
des  Wagens  aus  erfordern  eigenartige  Anord- 
nungen, deren  Bedienung  eine  Gewandtheit 
voraussetzt,  wie  man  sie  von  den  hierfür  in 
Frage  kommenden  Bediensteten  nicht  zu  for- 
dern pflegt  und  die  sonst  nur  bei  sportlichen 


Slipwagen.  —  Solothurn-Münster-Bahn. 


73 


Leistungen  vorkommt.  Die  Einrichtung  steht 
deshalb  mit  den  Anschauungen  über  die 
Betriebssicherheit  nicht  recht  im  Einklang. 

S.  sind  u.  a.  auf  der  großen  englischen 
Westbahn  in  Gebrauch,  wo  sie  den  Verkehr 
von  London  nach  Westbury,  Taunton  und 
Exeter  vermitteln.  Auf  der  London  und  Nord- 
westbahn laufen  S.  zwischen  London  und 
Coventry  in  den  Schnellzügen  London - 
Birmingham.  Bei  Ausbruch  des  Krieges  wurde 
dieser  Wagenlauf  aus  wirtschaftlichen  Gründen 
eingestellt  und  ein  Aufenthalt  der  Schnell- 
züge in  Coventry  eingeführt.  Für  den  be- 
dienenden Schaffner  ist  in  den  S.  ein  be- 
sonderes Abteil  eingerichtet,  von  dem  aus  die 
Bahnstrecke  übersehen  werden  kann  und  in 
dem  die  nötigen  Handgriffe  zum  Lösen  der 
Kupplungen  und  zum  Bedienen  der  Bremse 
angebracht  sind.  Die  neueren  S.  sind  ebenso 
wie  die  D-Zug-Wagen  mit  Übergangsbrücken 
und  Faltenbälgen  versehen.  Breusing. 

Solothurn-Bern-Bahn  (Schweiz),  elek- 
trisch betriebene  Meterspurbahn,  auf  eigenem 
Bahnkörper  von  Solothurn  bis  Zollikofen 
geführt;  dieser  Teil  bildet  die  erste  Bausektion. 
Als  zweite  Bausektion  ist  die  Strecke  Zolli- 
kofen-Bern  in  Aussicht  genommen,  wobei 
z.  T.  das  jetzt  schon  bestehende  Gleis  der 
Bern-Zollikofen-Bahn  benutzt  werden  soll. 

Der  Hauptzweck  der  Bahn  besteht  in  der 
direkten  Personenverbindung  der  Städte  Solo- 
thurn und  Bern  und  in  der  Bedienung  der 
Zwischenstationen.  Durch  Rollschemelanschluß 
in  Solothurn  und  Schönbühl,  durch  entspre- 
chende Anlagen  auf  den  Zwischenstationen  kann 
der  Güterverkehr  mit  der  Vollbahn  und  auch 
der  Durchgangsverkehr  auf  Normalspurwagen 
vermittelt  werden.  Überdies  werden  schmal- 
spurige Güterwagen  zur  Verfügung  stehen. 
Der  Betrieb  der  Bahn  auf  der  Strecke  Solothurn- 
Zollikcfen  wurde   am   9.  April   1916   eröffnet. 

Um  die  Bahn  leistungsfähig  zu  machen, 
wurden  günstigere  Krümmungs-  und  Neigungs- 
verhältnisse als  bei  den  umliegenden  schmal- 
spurigen Bahnen  gewählt.  Mindestkrümmungs- 
halbmesser 120  m,  auf  offener  Linie  200  m. 
Überall  Anwendung  von  langen  Übergangs- 
bögen  für  Geschwindigkeiten  bis  50  km.  Ge- 
fällsausrundungsradien  4000  ni  auf  offener 
Linie.  Höchststeigung  28  %o  an  einer  einzigen 
Stelle,  sonst  25%. 

Elektrische  Anlage.  In  Verwendung  steht 
Gleichstrom  von  1200  Volt  Spannung.  Die 
Motoren  sind  so  gebaut,  daß  die  Züge  auf 
der  Wagrechten  50  Äm/Std.  fahren  und  daß  für 
die  Strecke  Zollikofen-Bern  die  dortige  Fahr- 
drahtspannung von  750  Volt  benutzt  werden 
kann.    Die  ümformerstation  ist  in  Bätterkinden. 


Kraft  von  den  Bernischen  Kraftwerken.  Die 
Fahrdrahtieitung  ist  mit  Kettenaufhängung  und 
Eisenmasten  in  60  m  Distanz  ausgeführt. 
Kupferquerschnitt  aller  Leitungen  100  mm-. 
Speiseleitungen  100  —  200  mm"^,  auf  einzelnen 
Strecken  verdoppelt.  Die  in  der  Umformerstalion 
aufgestellte  Batterie  leistet  bei  einer  Spannung 
von  1200  Volt  644  Ampere  während  1  Stunde, 
930  Ampere  während  7,  Stunde,  1300  Ampere 
während  5  Minuten  und  1960  Ampere  während 
1    Minute. 

Rollmaterial. DiePersonen-  und  ein  Güter- 
Motorwagen  sind  vierachsig  mit  je  4  Motoren 
von  90  PS.  Die  S.  ist  die  erste  größere  Bahn 
in  der  Schweiz  mit  der  automatischen  Kupp- 
lung. Die  Motorwagen  sind  17  m  lang,  haben 
Kugellager  und  Vakuumbremse.  Die  Roll- 
schemel sind  für  30  /  ebenfalls  mit  Kugellager 
erbaut. 

Das  Führen  von  Schnellzügen  ist  vorge- 
sehen. 

Die  Baukosten  waren  ursprünglich  zu 
3' 17  Mill.  Fr.  veranschlagt,  haben  aber  3"95 
Mill.  Fr.  und  damit  eine  Nachsubvention  von 
680.000  Fr.  erfordert.  Dietlei: 

Solothurn-Münster-Bahn  (Weißen- 
steinbahn, Schweiz),  eröffnet  1908, 
Normalspurbahn  mit  Dampfbetrieb,  22  Bauern, 
23  Betriebs^/«,  durchbricht  den  Jura  (Weißen- 
stein) nördlich  von  Solothurn  mit  einem 
3700  m  langen,  einspurigen  Tunnel  im  ein- 
seitigen Gefälle  nach  Süden  von  IS"^«,,  ver- 
bindet das  Aaretal  und  damit  die  schweizeri- 
sche Hochebene  mit  dem  Birstal  im  Jura  und 
bildet  ein  Teilstück  der  kürzesten  Linie  Delle- 
Zentralschweiz.  Höchstneigung  in  der  Ge- 
raden 28*^^,  zugleich  maßgebende  Neigung 
im  Sinne  einer  Linie  gleichen  Widerstandes  der 
südlichen  Tunnelzufahrt.  Kleinster  Bogenhalb- 
messer  300  m.  Scheitelhöhe  auf  Station  Gäns- 
brunnen, 722  m  ü.  M.  Ursprünglich  als  Zu- 
fahrtslinie zum  Lötschberg  gedacht,  wurde 
sie  hauptsächlich  aus  Mitteln  der  Kantone 
Bern  und  Solothurn  und  der  beteiligten  Städte 
und  Gemeinden  finanziert.  Trotz  großer  Tarif- 
entfernungszuschläge bewirkt  sie  erhebliche 
Abkürzungen  im  internen  und  internationalen 
Verkehr  und  erfüllt  damit  eine  namhafte  wirt- 
schaftliche Aufgabe. 

Die  Linie  weist  bedeutende  Bauwerke  auf. 
Der  Weißensfeintunnel  (s.  d.)  ist  geologisch  wohl 
der  interessanteste  Juradurchstich.  Er  durch- 
schneidet eine  Doppelfalte  und  trifft  im  Berg- 
innern  als  älteste  Schicht  den  Gipskeuper 
(Trias).  Auf  jeder  Zufahrtsrampe  befindet 
sich  ein  großer  Viadukt,  auf  der  südlichen 
der  Geißlochviadukt,  auf  der  nördlichen  der 
Corcellesviadukt.   Im  übrigen  ist  die  Linie  nach 


74 


Solothurn-Münster-Bahn.  —  Sonderabteil. 


den  Grundsätzen  einer  Hauptbahn  gebaut 
und  wies  Ende  1914  ein  Baukapital  von 
8,658.475  Fr.,  für   1  km  von  400.909  Fr.  auf. 

Literatur:  W.  Luder,  Vom  Bau  der  Weißen- 
steinbahn. Soiiderabzug  aus  der  Schwz.  Bauztg. 
IQll,  Bd.  I.VIII.  Dietler. 

Sommerzeit  (siimmer  time;  heute  d'ete; 
tempo  da  estate).  Der  Gedanke,  die  Lebensweise 
während  der  Sommermonate  oder  während  der 
Gültigkeitsdauer  des  Sommerfahrplans  an  die 
Zeit  des  Tageslichts  besser  anzupassen,  konnte 
sich  wegen  der  großen  Schwierigkeiten  eines  ein- 
heitlichen Vorgehens  der  am  europäischen  Eisen- 
bahndurchgangsverkehr beteiligten  Länder  bis- 
her keine  Geltung  verschaffen.  Durch  den  Aus- 
bruch des  großen  Krieges  sind  diese  Schwierig- 
keiten für  die  mitteleuropäischen  Staaten  im 
wesentlichen  beseitigt,  während  das  Bedürfnis, 
Brenn-  und  Beleuchtungsstoffe  durch  mög- 
lichste Ausnutzung  des  Sonnenlichts  zu  sparen, 
sich  mehr  als  sonst  geltend  machte.  Der 
Eisenbahnverkehr  nach  den  feindlichen  Staaten 
wurde  durch  den  Krieg  gänzlich  unterbrochen. 
Auch  nach  den  neutralen  Staaten  mußte  der 
Durchgang  der  Personenwagen  in  Rücksicht 
auf  die  aus  militärischen  Gründen  notwendige 
Überwachung  des  Grenzverkehrs  eingeschränkt 
oder  ganz  eingestellt  werden.  Unter  diesen 
Umständen  beschloß  der  deutsche  Bundesrat, 
einer  Anregung  des  preußischen  Herrenhauses 
folgend,  am  6.  April  1916,  als  gesetzliche  Zeit 
die  mittlere  Sonnenzeit  des  30.  Längengrades 
östlich  von  Greenwich  vom  1.  Mai  bis  30. 
September  1916  an  Stelle  der  durch  Reichs- 
gesetz vom  12.  März  1893  in  Deutschland 
eingeführten  mitteleuropäischen  Zeit  anzu- 
nehmen. Es  sind  also  für  diesen  Zeitraum 
die  Uhren  um  1  Stunde  vorzustellen.  Der 
1.  Mai  beginnt  bereits  am  30.  April  11  Uhr 
nachts  und  der  30.  September  wird  um 
1  Stunde  verlängert.  Österreich  und  Un- 
garn entschlossen  sich  zu  einer  gleichen  Maß- 
nahme. Auch  die  neutralen  Staaten,  Luxem- 
burg, Dänemark,  Schweden  und  Norwegen 
folgten  dem  Beispiel,  ja  sogar  in  den  feind- 
lichen Ländern  Frankreich,  England  und 
Italien  wurde  die  S.  eingeführt.  Nur  die 
Schweiz  konnte  sich  bisher  nicht  entschlie- 
ßen, die  alte  Zeiteinteilung  aufzugeben.  Sie 
befürchtet  eine  weitere  Verschiebung  der  bei 
der  Eigenart  des  Landes  ohnehin  schon  früh 
beginnenden  Tagesverrichtungen  in  die  Morgen- 
stunden hinein.  -  Der  Übergang  zur  S.  und 
die  Rückkehr  zur  mitteleuropäischen  Zeit  haben 
sich  anstandslos  vollzogen.  Schwierigkeiten  be- 
standen nur  in  der  Durchführung  der  Eisen- 
bahnzüge, deren  Lauf  sich  über  die  Nacht 
hinaus    erstreckt.  Ein  Teil  dieser  Züge  mußte 


bereits  am  30.  April  nach  dem  neuen  Fahrplan 
abgelassen  oder  am  1.  Mai  mit  Verspätung 
befördert  werden,  wobei  nicht  alle  Anschlüsse 
eingehalten  werden  konnten.  Im  übrigen  sind 
ungünstige  Einwirkungen  der  S.  nur  von  land- 
wirtschaftlichen Betrieben,  insbesondere  von 
Milchwirtschaften  und  Obstzüchtern  geltend 
gemacht.  Sie  müssen  aber  zurücktreten  gegen 
die  erreichten  Vorteile,  insbesondere  die  erheb- 
lichen Ersparnisse  an  künstlicher  Beleuchtung. 
Gelegentlich  der  Fahrplankonferenz  in  Stuttgart 
am  18.  und  19.  Juli  1916,  auf  der  die  Eisen- 
bahnverwaltungen Deutschlands,  Österreichs, 
Ungarns  und  der  Schweiz  vertreten  waren, 
wurden  die  Vorteile  der  S.  anerkannt  und  für 
den  Übergang  zur  Winterzeit  vereinbart,  die 
Uhr  in  der  Nacht  zum  1.  Oktober  von  eins 
auf  zwölf  zurückzustellen.  Die  dann  abge- 
laufene Stunde  soll  den  Zusatz  A,  die  folgende 
den  Zusatz  B  erhalten. 

Der  Übergang  in  die  S.  wird  erleichtert, 
wenn  er  in  der  Nacht  nach  einem  Sonntag 
stattfindet,  weil  dann  ein  großer  Teil  der  Güter- 
züge nicht  gefahren  wird  (s.  Sonntagsruhe). 
Es  war  deshalb  in  Aussicht  genommen,  den 
Übergang  zur  S.  nicht  auf  den  1.  Mai,  sondern 
in  die  Nacht  nach  dem  ersten  Sonntag  im 
April  zu  verlegen.  Im  Jahre  1919  ist  von  der 
Einführung  der  S.  allgemein  Abstand  ge- 
nommen worden.  Breusing. 

Sonderabteil  (separate  compartment ;  com- 
partiment  separe;  compartimento  separate),  ein 
Wagenabteil,  das  auf  Bestellung  bei  einem  Zug 
zur  Verfügung  des  Bestellers  und  seiner  Be- 
gleitung gehalten  wird.  Auf  den  deutschen 
und  den  österreichischen  Bahnen  sind  nach 
§  14  des  BR.  und  nach  §  15  der  Verkehrs- 
ordnung (Deutscher  Eisenbahn-Personen-  und 
Gepäcktarif  Teil  I)  ganze  Abteile  den  Reisenden 
auf  Verlangen  für  den  tarifmäßigen  Preis  zur 
Verfügung  zu  stellen,  wenn  keine  Rücksichten 
des  Betriebs  oder  des  Verkehrs  entgegen- 
stehen. Die  Bestellung  muß  mindestens 
30  Minuten  vor  der  Abfahrzeit  erfolgen.  Für 
ein  Abteil  sind  höchstens  so  viele  Fahrkarten 
zu  bezahlen,  wie  es  Plätze  enthält.  In  das 
Abteil  dürfen  nicht  mehr  Personen  aufge- 
nommen werden,  als  Fahrkarten  bezahlt  sind. 
Bestellte  Abteile  müssen  durch  eine  Aufschrift 
kenntlich  gemacht  werden.  Nach  dem  Er- 
messen der  Verwaltungen  können  geschlossene 
Abteile  in  der  I.  Kl.  schon  gegen  Lösung 
von  4,  in  der  II.  K!.  von  6,  in  der  III.  Kl. 
von  8  Fahrkarten  überlassen  werden.  Wo 
Halbabteile  geführt  werden,  genügt  die  Hälfte 
dieser  Mindestanzahl.  Fahrkarten  zum  halben 
Preis    werden    als    eine    Fahrkarte    gerechnet. 


Sonderabteil.  ~  Sonderwagen. 


75 


Mindestens  ist  für  jede  Person  eine  Fahrkarte 
zu  lösen. 

Nach  diesen  Grundsätzen  wird  auch  in 
anderen  Ländern  verfahren.  Die  Einzelheiten 
werden  durch  die  Tarifhestimmungen  belvannt- 
gegeben.  Sie  hier  aufzuführen,  erübrigt  sich, 
weil  die  Einführung  numerierter  Plätze  in 
den  Schnellzügen  des  großen  Durchgangsver- 
kehrs (s.  D-Züge  und  Luxuszüge)  und 
die  Möglichkeit  der  Vorausbestellung  dieser 
Plätze  das  Bedürfnis  für  die  Bereithaltung 
von  S.  wesentlich  eingeschränkt  hat.  Ander- 
seits sind  die  Eisenbahnverwaltungen  aber 
auch  ohne  Rücksicht  auf  etwaige  Tarifvor- 
schriften bemüht,  die  Reisenden  im  Zug 
ihren  Wünschen  entsprechend  unterzubringen 
und  die  nötigen  Plätze  hierfür  so  bereitzu- 
stellen, daß  das  Ein-  und  Aussteigen  in 
kürzester  Zeit  vor  sich  geht  und  die  Zug- 
abfertigung dadurch  beschleunigt  wird.  Sie 
werden  daher  den  Wünschen  von  Reise- 
gesellschaften auf  Bereithaltung  von  S.  nach 
Möglichkeit  entgegenkommen,  auch  wenn  die 
Tarifbestimmungen  nicht  in  allen  Punkten  er- 
füllt sind,  während  sie  sich  anderseits  vor- 
behalten, nicht  bezahlte  freie  Plätze  in  den 
S.  bei  Platzmangel  zeitweise  oder  dauernd  mit 
anderen  Reisenden  zu  besetzen. 

S.  werden  im  allgemeinen  nur  in  Oberein- 
stimmung mit  dem  Lauf  der  im  Zug  befind- 
lichen Wagen  bereitgehalten,  u.  zw.  auch 
dann,  wenn  die  Reisenden  im  Besitz  von 
durchgehenden  Fahrkarten  sich  befinden. 
Beim  Übergang  auf  einen  andern  Zug  ist 
ein  Umsteigen  erforderlich.  .Anders  ist  es  bei 
Benutzung  von  Sonderwagen,  deren  Bereit- 
stellung vielfach  gerade  zu  dem  Zweck  er- 
folgt, um  den  Reisenden  ein  Umsteigen  beim 
Wechsel  des  Zuges  zu  ersparen  (s.  Sonder- 
wagen u.  Krankenbeförderung). 

Über  S.  für  dienstliche  Zwecke,  für  Frauen, 
Raucher  und  Nichtraucher  s.  Dienstabteil, 
Frauen  ab  teil   u.  Raucherabteile. 

Breusiiig: 

Sonderwagen  (special  wagon ;  wagon  spe- 
dal;  carrozza  speciale),  Salon-,  Schlaf-,  Kranken-, 
sonstige  Personen-,  Gepäck-  oder  andere 
Wagen,  die  gegen  Entrichtung  bestimmter 
Gebühren  zum  ausschließlichen  Gebrauch  des 
Bestellers  in  einen  Zug  eingestellt  werden. 
Die  Bestellung  muß  eine  gewisse  Zeit  vorher 
erfolgen.  Auf  die  Höhe  der  Gebühren  ist 
es  in  der  Regel  ohne  Einfluß,  ob  der  S.  der 
Eisenbahnverwaltung  oder  dem  Besteller  ge- 
hört (s.  Privatwagen).  -  Für  den  Bereich 
des  VDEV.  ist  nach  §§  10  u.  11  des  BR. 
und  für  die  deutschen  Eisenbahnen  nach 
§§   11   u.   12  der  EVO.  die    Einstellung    von 


S.  für  Reisende,  die  mit  bestimmt  bezeich- 
neten Krankheiten  behaftet  sind,  vorgeschrieben. 
Im  übrigen  kann  sie  auf  Bestellung  allgemein 
erfolgen. 

Wenn  die  Einstellung  bahneigener  oder  Privaten 
gehöriger  Salon-,  Schlaf-  oder  sonstiger 
Personenwagen  sowie  besonders  eingerichteter 
Krankenwagen  (s.  Krankenbeförderung)  gestattet 
wird,  so  sind  für  die  Benutzung  ohne  Rücksicht 
auf  die  Achsenzahl  in  der  Regel  Fahrkarten  I.  Kl. 
für  so  viel  Personen,  wie  den  Wagen  benutzen, 
mindestens  für  12  Personen  für  jeden  eingestellten 
Wagen,  zu  lösen. 

Werden  auf  Verlangen  zur  Beförderung  des  Ge- 
päcks besondere  Wagen  eingestellt,  so  wird  hierfür 
eine  Gebühr  von  0-40  M.  für  die  Achse  und  das 
Tarif>tm  erhoben. 

Wird  für  die  Beförderung  von  Kranken  ein 
Gepäck-  oder  Güterwagen,  ein  Wagen  IV.  Kl.  oder 
ein  Wagen  III.  Kl.  mit  herausgenommenen  Sitzen 
eingestellt,  so  sind  für  die  Kranken,  ohne  Rück- 
sicht auf  ihre  Zahl,  6  Fahrkarten  II.  Kl.  der  be- 
treffenden Zuggattung  zu  lösen.  Auf  den  preußisch- 
hessischen und  den  oldenburgischen  Staalsbahnen 
sowie  auf  einigen  nord-  und  mitteldeutschen  Privat- 
bahnen erfolgt  die  Durchführung  von  S.  III.  Kl. 
zur  Krankenbeförderung  schon  gegen  Lösung  von 
4  Fahrkarten  III.  Kl.  in  Personen-  und  Eilzügen. 
Vgl.  die  Ausführungsbestimmungen  zu  §  12  der 
EVO.  im  Deutschen  Eisenbahn-Personen- 
und   Gepäckstarif. 

Die  vorstehend  aufgeführten  Gebührensätze  gelten 
nach  §  11,  B,  1  des  BR,  auf  den  österreichischen 
und  ungarischen  Bahnen  nur  für  zwei-  und 
dreiachsige  Wagen.  Bei  Bestellung  von  vier-  und 
mehrachsigen  Wagen  sind  18  Fahrkarten  I.  Kl.  der 
betreffenden  Zuggattung  zu  lösen.  Diese  Bestim- 
mung gilt  auch  für  den  inneren  Verkehr  der 
genannten  Bahnen.  Wenn  die  Züge  Wagen  I.  Kl. 
nicht  führen,  so  sind  nach  dem  österreichischen 
und  bosnisch  -  hercegovinischen  Eisen- 
bahn-Personen- und  Gepäcktarif  Teil  1  für 
einen  zwei-  oder  dreiachsigen  Personenwagen  18,  für 
einen  vier-  oder  mehrachsigen  Wagen  27,  für  einen 
Gepäck-  oder  Güterwagen  zur  Krankenbeförderung 
9  Fahrkarten  II.  Kl,  der  betreffenden  Zuggattung 
zu  lösen.  Für  Kranke  in  öffentlicher  Armenpflege 
werden  nur  3'/2,  sonst  6  Fahrkarten  I.  Kl.  und 
wenn  diese  nicht'geführt  wird,  4'/3  Fahrkarten  II.  Kl. 
verlangt. 

Auf  den  schweizerischen  Eisenbahnen 
können  auf  allen  Stationen  S.,  die  bis  zur  End- 
station der  Reise  innerhalb  der  Schweiz  durchlaufen, 
gemietet  werden.  Die  Gebühr  beträgt  25  Ct.  für 
die  Achse  und  km  eines  Wagens  II.  Kl.  und  20  Ct. 
für  die  Achse  und  km  eines  Wagens  III.  Kl.  als 
JVliete.  Außerdem  sind  von  den  Reisenden  Fahr- 
karten zu  lösen,  u.  zw.  mindestens  4  für  jede 
Wagenachse.  Für  die  JVliete  bestimmter  Salonwagen 
werden  besondere  Zuschläge  erhoben.  Für  Gesell- 
schaftsreisen gelten  besondere  Bestinnnungen. 

Auf  der  französischen  Ostbahn  müssen  für 
einen  zwei-  oder  dreiachsigen  Wagen  12  Fahrkarten 
I.  KI.  und  für  einen  vier-  oder  mehrachsigen  Wagen  18 
Fahrkarten  I.  Kl.  gelöst  werden.  Reisende  über 
diese  Zahl  hinaus  haben  weitere  Fahrkarten  1.  Kl. 
zu  lösen.  Im  übrigen  sind  die  Gebühren  für  die 
Einstellung  von  S.  in  die  Züge  sehr  verschieden 
festgesetzt.  Um  ihre  Berechnung  und  Einziehung 
im  direkten  Verkehr  auch  anderen  Verwaltungen 
zu  ermöglichen,  sind  in   den  Verbaudstarifen  Preis- 


76 


Sonderwagen.   -   Sonderzug. 


tafeln  enthalten,  aus  denen  die  Gebühren  für  häu- 
figer benutzte  Reiseverbindungen  unmittelbar  ent- 
nommen werden  können. 

In  Rußland  bestehen  für  die  Verwaltungen, 
die  den  allgemeinen  Personentarif  angenommen 
haben,  einheitliche  Bestimmungen  über  die  Beförde- 
rung von  S.  Sie  sind  veröffentlicht  in  der  Tarif- 
sammlung Nr.  2323  vom  6.  Februar  1914,  Teil  III 
des  Tarifbuches  für  den  Personenverkehr.  Hiernach 
werden  die  Gebühren  für  S.  nach  der  Anzahl  der 
von  den  Reisenden  benutzten  Plätze  berechnet, 
u.  zw.  müssen  auf  der  Nowgoroder  Linie  der  Moskau- 
Windau-Rybinsker  Eisenbahn  mindestens  S  Fahrkarten 
I.  Kl.  für  einen  Wagen  I.  Kl.,  14  Fahrkarten  II.  Kl. 
für  einen  Wagen  II.  Kl.  und  20  Fahrkarten  111.  Kl. 
für  einen  Wagen  III.  Kl.  gelöst  werden,  während 
auf  allen  übrigen  den  allgemeinen  Personentarif 
anwendenden  Bahnen  die  entsprechenden  Mindest- 
zahlen auf  12,  20  und  30  festgesetzt  sind.  Wird  an 
Reisende  ein  Bahndienstwagen  oder  ein  Personen- 
wagen mit  Abteilen  I.  und  II.  Kl.  überiassen,  so 
sind  ebenfalls  Fahrkarten  für  die  besetzten  Plätze, 
mindestens  aber  12  Fahrkarten  I.  KI.  für  den  Dienst- 
wagen und  20  Fahrkarten  II.  KI.  für  einen  Wagen 
mit  Plätzen  I.  und  II.  Kl.  zu  lösen.  Auch  Wagen 
IV.  Kl.  werden  in  gleicher  Weise  unter  Berechnung 
der  besetzten  Plätze  bereitgestellt.  Für  einen  Wagen 
müssen  jedoch  mindestens  40  Fahrkarten  gelöst 
werden.  -  Eine  Verpflichtung  der  Überführung  von 
S.  im  Personenverkehr  von  Bahn  zu  Bahn  wird 
nicht  übernommen. 

Erstrecken  sich  die  in  S.  zurückgelegten  Reisen 
über  mehrere  Bahngebiete,  so  bedürfen  sie, 
auch  wenn  nach  den  Tarifen  eine  dtirch- 
gehende  Abfertigung  möglich  ist,  in  jedem 
Fall  einer  vorhergehenden  Vereinbarung  zwi- 
schen den  an  der  Beförderung  beteiligten 
Verwaltungen,  damit  der  Übergang  der  S. 
von  Zug  zu  Zug  in  der  für  durchgehende 
Wagen  (s.  d.)  üblichen  Weise  sichergestellt 
werden  kann.  Die  für  den  inneren  Verkehr 
in  der  Regel  vorgeschriebene  Bestellfrist  von 
24  Stunden  vor  dem  Reiseantritt  reicht  für 
solche  Fälle  nicht  aus.  Bmising. 

Sonderzug  (special  traiii;  train  special; 
treno  speciale),  ein  Zug,  der  nur  auf  besondere 
Anordnung  aus  besonderem  Anlaß  gefahren 
wird,  im  Gegensatz  zu  einem  regelmäßig 
verkehrenden  Zug,  der  nach  den  Angaben 
des  Dienstfahrplans  (s.  d.)  täglich  oder  an 
bestimmt  bezeichneten  Tagen  zu  befördern 
ist  (FV.  §  5,  3).  Zu  den  S.  rechnen  auf  den 
deutschen  Bahnen  auch  die  Bedarfszüge 
(s.  d.),  die  Vor-  und  Nachzüge,  Arbeits- 
züge, Lokomotivfahrten  und  Probezüge, 
soweit  nicht  die  Tage  oder  Zeiträume,  für  die 
sie  in  Verkehr  gesetzt  werden  sollen,  ein  für 
allemal  bekanntgegeben  sind.  Auf  den  öster- 
reichischen Bahnen  findet  eine  hiervon 
abweichende  Einteilung  der  Züge  statt.  Hier 
bestimmt  Art.  70  der  Vorschriften  für  den 
Verkehrsdienst,  daß  die  Züge  in  gewöhn- 
liche Züge,  die  nach  dem  Dienstfahrplan 
täglich    verkehren,    und    außergewöhnliche 


Züge  eingeteilt  werden.  Die  außergewöhn- 
lichen Züge  zerfallen  in:  \.  Züge,  die  nach 
dem  Fahrplan  nur  an  bestimmten  Tagen 
verkehren;  2.  Erforderniszüge,  die  im  Be- 
darfsfall nach  dem  Dienstfahrplan  verkehren; 
3.  abgeteilte  Züge,  die  dadurch  entstehen, 
daß  ein  Zug  geteilt  werden  muß;  4.  S.,  die  nach 
einem  im  Dienstfahrplan  nicht  enthaltenen 
Fahrplan  bei  besonderen  Anlässen  verkehren, 
und  5.  Dienstzüge,  die  bei  außergewöhn- 
lichen Anlässen  ohne  Fahrplan  abgelassen 
werden  müssen.  Die  Einteilung  der  Züge 
ist  grundlegend  für  die  Ausbildung  der  Vor- 
schriften für  den  Fahrdienst,  wobei  die  sichere 
Durchführung  der  S.  ganz  besonderer  Für- 
sorge bedarf.  Die  von  den  Aufsichtsbehörden 
und  den  Eisenbahnverwaltungen  für  die  Sicher- 
heit des  Betriebs  erlassenen  Vorschriften  ent- 
halten deshalb  in  allen  Ländern  mehr  oder 
weniger  eingehende  Bestimmungen  über  die 
Beförderung  von  S. 

Nach  der  deutschen  BO.  §  69  dürfen 
S.  nur  befördert  werden,  solange  die  Schranken- 
wärter im  Dienst  sind.  Für  jeden  S.  ist  ein 
Fahrplan  aufzustellen  und  den  Stationen  und 
Blockstellen  rechtzeitig  bekanntzugeben.  Für 
die  Ablassung  eines  zweiten  Teiles  eines 
Zuges,  der  dem  fahrplanmäßig  fahrenden  ersten 
Teil  im  Abstand  der  Zugfolgestellen  mit 
gleichen  Fahr-  und  Aufenthaltszeiten  folgt,  gilt 
die  Bekanntgabe  dieser  Maßnahme  als  Mit- 
teilung des  Fahrplans.  Für  den  zweiten  Zug 
gelten  dann  dieselben  Stationen  wie  für  den 
ersten  Zug  als  fahrplanmäßige  Kreuzungs- 
und Überholungsstationen.  Bei  unerwarte 
auftretendem  dringenden  Bedürfnis  gilt  die 
Verständigung  zwischen  den  Zugmeldestellen 
(s.  Fahrdienstleitung)  als  Aufstellung  des  Fahr- 
plans (FV.  §  65).  S.  sind  den  Schranken- 
wärtern und  dem  Bahnunterhaltungspersonal 
in  der  Regel  anzukündigen.  Dies  hat  wenn 
tunlich  schriftlich,  andernfalls  durch  Fern- 
sprecher oder,  wo  ein  solcher  nicht  vorhanden, 
durch  ein  Signal  an  dem  in  der  einen  oder 
andern  Fahrrichtung  vorhergehenden  Zuge 
zu  erfolgen  (Signal  17  u.  IS  des  deutschen 
Signalbuches).  Ist  die  .Ankündigung  nicht 
möglich,  so  dürfen  die  S.  nur  dann  mit  mehr 
als  30  Am  Std.  verkehren,  wenn  anzunehmen 
ist,  daß  die  Wegschranken  rechtzeitig  ge- 
schlossen werden.  Dasselbe  gilt  für  Hilfs- 
züge und  Hilfslokomotiven,  die  unter  Ver- 
antwortlichkeit des  zuständigen  Beamten  aus 
Anlaß  von  Eisenbahnunfällen,  Bränden  und 
sonstigen  außergewöhnlichen  Ereignissen  oder 
zur  Beförderung  der  bewaffneten  Macht  ein- 
gelegt werden  dürfen,  auch  wenn  die  Schranken- 
wärter   nicht    im   Dienst    sind    und    die  Zug- 


Sonderzug. 


77 


folgestellen  nicht  benachrichtigt  werden  konnten. 
—  Für  die  Beförderung  von  S.  auf  Lokal- 
bahnen ist  im  §  107  der  Grz.  nur  vorge- 
schrieben, daß  die  Züge  womöglich  vorher  an- 
gezeigt, andernfalls  nur  mit  20  km  Geschwindig- 
keit gefahren  werden  sollen.  —  Die  Zuständigkeit 
zum  Einlegen  von  S.  ist  in  der  Regel  den  betriebs- 
leitenden Stellen  vorbehalten,  die  mit  der  Auf- 
stellung des  Fahrplans  betraut  sind,  also  den 
Eisenbahndirektionen.  Im  übrigen  richtet  sie  sich 
nach  den  Einrichtungen  der  Verwaltung  und 
dem  Verkehrsbedürfnis.  Auf  den  preußischen 
Staatsbahnen  sind  die  Betriebsämter  ermächtigt, 
Arbeitszüge  einzulegen,  und  die  Stationen  be- 
fugt, Bedarfszüge,  zweite  Teile  fahrplanmäßiger 
Züge,  Hilfszüge,  einzeln  fahrende  Lokomotiven 
und  in  bestimmten  Fällen  auch  Züge  zur 
Versorgung  nahegelegener  Bedarfsstationen  mit 
Wagen  abzulassen.  In  Österreich  dürfen  S. 
nach  Art.  87  der  Verkehrsvorschriften  nur 
durch  Auftrag  der  Eisenbahndirektion  und 
nur  ausnahmsweise  auch  ohne  solchen  Auf- 
trag durch  die  Dispositionsstationen  (s.  d.) 
eingeleitet  werden.  Da  der  Begriff  der  S., 
wie  oben  hervorgehoben,  in  Österreich  ein 
wesentlich  eingeschränkter  ist,  die  darüber 
hinaus  in  Deutschland  als  S.  bezeichneten  Züge 
aber  in  beiden  Ländern  gleichmäßig  behandelt 
werden,  so  besteht  in  der  Übertragung  der  Be- 
fugnis zur  Ablassung  von  S.  kein  nennens- 
werter Unterschied.  Dasselbe  gilt  für  die 
sonst  zur  Sicherung  der  Fahrten  der  S.  vor- 
geschriebenen Maßnahmen,  wenn  auch  hier 
der  erweiterte  Begriff  für  S.  zu  gründe  gelegt 
wird.  Die  österreichischen  Verkehrsvor- 
schriften beschäftigen  sich  in  Art.  IX  — XIII 
eingehend  mit  diesen  Maßnahmen,  die  ins- 
besondere die  Fahrplanaufstellung  und  die  zuver- 
lässige Benachrichtigung  des  beteiligten  Perso- 
nals bezwecken.  Für  die  schriftliche  Vormeldung 
der  S.  werden  auf  den  österreichischen  Stationen 
für  jede  angrenzende  Strecke  und  nötigenfalls 
auch  für  die  einzelnen  Bahnhofsbezirke  Lauf- 
zettelbücher  (Avisobücher)  geführt,  aus 
denen  der  Zugexpedient  einen  Laufzettel  mit 
zugehörigem  Stamm  entnimmt,  nachdem  er 
darauf  die  vorzumeldende  Fahrt,  ihren  Verkehrs- 
tag und,  wenn  ein  Fahrplan  im  Dienstfahr- 
plan nicht  enthalten  ist,  auch  die  Abfahr-  und 
Ankunftzeit  eingetragen  hat.  Der  Laufzettel 
wird  dann  von  Wärter  zu  Wärter  den  Bahnhof 
und  die  Strecke  entlang  getragen,  bis  er  mit 
dem  von  der  Nachbarstation  entsendeten  Zettel 
in  der  Mitte  der  Strecke  zusammentrifft.  Kann 
der  Laufzettel  nicht  mehr  rechtzeitig  vor  Ab- 
fahrt des  S.  abgesendet  werden,  so  hat  die 
Vormeldung  telegraphisch  oder  durch  Fern- 
sprecher,  nötigenfalls  unter  vollständiger  Mit- 


teilung des  Fahrplans  zu  erfolgen.  Ist  auch 
dies  nicht  mehr  möglich,  so  ist  dem  S.  eine 
besondere  Lokomotive  vorauszusenden,  die 
ein  mit  den  Verkehrsvorschriften  vollkommen 
vertrauter  Beamter  zur  Verständigung  der  Be- 
diensteten auf  der  Strecke  und  den  Sta- 
tionen zu  begleiten  hat.  Mußte  auch  die  Vor- 
ausfahrt einer  Lokomotive  unterbleiben,  so 
hat  der  Beamte  den  S.  zu  begleiten.  In  solchem 
Fall  hat  der  S.  auf  allen  Stationen  zu  halten. 
Ist  die  Fernsicht  gestört,  wirken  die  Qlocken- 
signale  nicht  zuverlässig  oder  stellen  sonstige 
Umstände  den  sicheren  Gang  des  S.  in  Frage, 
so  darf  ein  in  keiner  Weise  vorgemeldeter 
S.  überhaupt  nicht  abgelassen  werden. 

In  ähnlicher  Weise  wird  auch  in  den 
übrigen  Ländern  anschließend  an  die  allge- 
meinen Vorschriften  für  die  Sicherheit  der 
Zugfahrten  für  die  unbehinderte  Durchfüh- 
rung der  S.  Sorge  getragen.  In  Rußland 
beschränken  sich  die  Bestimmungen  der  Auf- 
sichtsbehörde auf  die  Verpflichtung  des  Bahn- 
vorstandes oder  der  von  ihm  zur  Ablassung 
von  Zugfahrten  bevollmächtigten  Person,  Maß- 
regeln zu  treffen,  daß  bei  Ablassung  von  S. 
Verwirrung  im  Zugverkehr  nicht  entstehen 
kann.  Die  Ablassung  eines  S.,  d.  h.  eines 
Zuges,  für  den  ein  Fahrplan  nicht  bekannt- 
gegeben wurde,  darf  nur  auf  schriftlichen 
Auftrag  der  bezeichneten  Personen  durch  Auf- 
stellung eines  „Fahrscheines"  erfolgen. 

Die  S.  werden  in  ihrer  überwiegenden 
Mehrzahl  aus  dienstlichen  Gründen  abge- 
lassen. Die  auf  Bestellung  von  Reisenden 
oder  Versendern  gefahrenen  S.  treten  hiergegen 
erheblich  zurück.  Im  Güterverkehr  liegt  nur. 
in  seltenen  Fällen  ein  Anlaß  vor,  S.  auf  Be- 
stellung zu  fahren.  Diese  beschränkt  sich  daher 
im  allgemeinen  auf  den  Personenverkehr,  sei  es, 
daß  einzelne  Personen  (s.  Hofzüge)  oder  daß 
Reisegesellschaften  und  Vereine  die  Benutzung 
der  fahrplanmäßigen  Züge  für  ihren  Reisezweck 
nicht  für  geeignet  halten  (bestellte  S.).  Aus 
Anlaß  von  Festlichkeiten,  bei  Ausstellungen 
oder  Truppenübungen,  bei  Beginn  oder  Schluß 
der  Schulferien  sieht  sich  vielfach  auch  die 
Eisenbahnverwaltung  veranlaßt,  aus  eigenem 
Antrieb  oder  einer  Anregung  folgend,  zur 
Bewältigung  des  Personenverkehrs  S.  einzu- 
legen, die  dann  als  Verwaltungssonder- 
züge bezeichnet  werden.  Gestatten  die  Tarife 
in  solchem  Fall  die  Gewährung  von  Preis- 
ermäßigungen, so  ist  diese  schon  deshalb 
geboten,  weil  es  zur  Abwicklung  des  ge- 
samten Fahrdienstes  erwünscht  ist,  die  regel- 
mäßigen Züge  vom  Massenverkehr  möglichst 
zu  entlasten,  also  einen  besonderen  Anreiz 
zur    Benutzung    der   S.  zu    bieten  (s.  Ferien- 


Sonderzug. 


sonderzüge).  Für  liie  Ablassung  von  Per- 
sonensonderzüc;en  im  Innern  Verkehr  der 
deutschen  Eisenbahnen  sind  die  nach- 
stehenden Ausführungsbestimniungen  zu  §§  4 
u.  12  der  EVO.  maßgebend  (s.  Personen- 
tarife) : 

FürS.,  die  Einzelbestellern  gestellt  werden,  werden 
für  das  Tarif Av/z  erhoben: 

Für  die  Lokomotive  1'20M.,  für  jede  Achse  eines 
auf  Verlangen  gestellten  Personenwag'rns  0-40  M., 
für  jede  Achse  eines  auf  Verlangen  gestellten  oder 
aus  Betriebsrücksichten  erforderlichen  anderen  Wa- 
gens 0-20  M.,  mindestens  jedoch  4  M.  für  das 
iarif^m  und   100  M.  im  ganzen. 

Erfolgt  Hin-  und  Rückfahrt  des  S.  innerhalb  24 
Stunden,  so  gelten  für  die  Berechnung  des  Mindest- 
betrags beide  Fahrten  als  eine  Fahrt. 

Werden  auf  Antrag  des  Bestellers  besonders  be- 
zeichnete Wagen  gestellt,  so  werden  für  ihre  Be- 
förderung auf  Strecken,  die  der  S.  nicht  befährl, 
sowohl  für  den  Hinweg  wie  für  den  Rückweg  7  Pf. 
für  die  Achse  und  das  Tanikm  erhoben. 

Der  Beförderungspreis  ist  auf  der  Abgangsstation 
vorauszubezahlen. 

Wird  ein  S.  abbestellt  oder  nicht  benutzt,  so  sind 
der  Eisenbahn  alle  durch  Ausführung  der  Bestellung 
erwachsenen  Kosten  zu  erstatten.  Dabei  werden  für 
jedes  Tarif  A'OT,  das  die  Lokomotive  oder  die  Wagen 
bei  der  Beförderung  von  der  Heimatsstation  nach 
der  Ausgangsstation  des  S.  oder  auf  dem  Rückweg 
durchlaufen  haben,  berechnet: 

Für  die  Lokomotive  F20  M.,  für  jede  Achse 
eines  Wagens  007  M. 

Bei  S.,  die  auf  .Antrag  zu  gemeinschaftlichen 
Reisen  größerer  Gesellschaften  gestellt  werden  (Ge- 
sellschaftssonderzüge), werden,  soweit  die  Tarifteile  II 
keine  Abweichungen  enthalten,  für  Fahrkarten  zur 
einfachen  Fahrt  in  I.  Kl.  4  Pf.,  in  II.  Kl.  Pf.  2-5 
und  in  111.  Kl.  1'75  Pf.  für  das  TarifA/«  erhoben. 
Wird  die  Hinfahrt  und  die  Rückfahrt  im  S.  zurück- 
gelegt, so  wird  das  Doppelte  des  Fahrpreises  für 
die  einfache  Fahrt  erhoben.  Es  sind  mindestens  zu 
lösen:  bei  Benutzung  der  I.  Kl.  100,  der  II.  Kl.  160, 
der  III.  Kl.  230  ganze  Fahrkarten  von  der  Ausgangs- 
bis  zur  Bestimmungsstation  des  S.,  bei  Benutzung 
verschiedener  Klassen  so  viel  Fahrkarten  von  der 
Ausgangs-  bis  zur  Bestimmtmgsstation  des  S.,  daß 
der  Preis  der  Mindestzahl  an  Fahrkarten  für  die 
niedrigste  im  S.  geführte  Wagenklasse  (160  IL  oder 
230  III.)  erreicht  wird. 

In  jedem  Fall  sind  für  die  ganze  Sonderzug- 
strecke mindestens  100  M.  zu  entrichten.  Der  Preis 
jeder  Fahrkarte  für  einfache  Fahrt  wird  bei  Beträgen 
unter  1  M.  auf  5  Pf.,  bei  höheren  Beträgen  auf 
10  Pf.  aufgerundet.  Je  2  Fahrkarten  zimi  halben 
Preis  werden  als  eine  Fahrkarte  gerechnet. 

Wenn  in  Ausnahmefällen  ein  S.  auf  .Antrag  aus 
D-Zugwagen  gebildet  wird,  so  erhöht  sich  der  für 
die  einzelne  Fahrkarte  zu  berechnende  Fahrpreis 
sowie  die  Mindestgebühr  um  25  "o. 

Soweit  zu  den  S.  nicht  Fahrkarten  mit  Fahr- 
preisen einschließlich  Fahrkartensteuer  ausge- 
geben werden,  ist  diese  mit  10  "o  der  Sonderzug- 
gebühren besonders  zu  berechnen.  Ebenso  ist  für 
beladene  Güterwagen  in  S.  der  Frachturkunden- 
stempel zu  erheben  (vgl.  Kundmachung  5  des  DEVV). 

Bei  S.  zu  Schulausflügen  und  Fahrten  zum  Zweck 
der  Jugendpflege  kann  anstatt  der  Fahrpreisermäßi- 
gung für  Gesellschaftssonderzüge  auch  die  für  diese 
Zwecke   bei  Benutzung   gewöhnlicher  Züge  übliche 


Fahrpreisermäßigung  zugestanden  werden,  wenn  der 
Preis  der  vorgeschriebenen  Mindestzahl  von  Fahr- 
karten für  Qesellschaftssonderzüge  und  die  vor- 
geschriebene Mindestgebühr  erreicht  wird. 

Bei  Einstellung  von  Schlaf-  und  Salonwagen  in 
Gesellschaftssonderzüge  werden  die  für  die  Beförde- 
rung von  Sonderwagen  (s.  d.)  in  gewöhnlichen 
Zügen  festgesetzten  Gebühren  besonders  erhoben. 
Eine  Fahrpreisermäßigung  tritt  hierbei  nicht  ein. 

Für  S.,  die  von  der  Eisenbahn  zur  Erleichterung 
von  Ferienreisen  für  den  allgemeinen  Verkehr  ge- 
fahren werden,  werden,  soweit  die  Tarifteile  II  keine 
Abweichungen  enthalten,  Fahrkarten  IL  und  III.  Kl. 
ausgegeben,  die  zur  Hinfahrt  mit  dem  S.,  zur  Rück- 
fahrt mit  den  fahrplanmäßigen  Zügen  einschließlich 
der  Schnellzüge  berechtigen.  Die  Fahrkarten  haben 
eine  Geltungsdauer  von  2  Monaten,  vom  Abfahrts- 
tag gerechnet. 

Soweit  für  einzelne  Züge  nicht  besondere  Fahr- 
preise veröffentlicht  werden,  werden  an  Fahrgeld 
für  die  zur  Hin-  und  Rückfahrt  geltenden  Fahr- 
karten in  11.  Kl.  6-75  Pf.,  in  111.  Kl.  4-5  Pf.  für 
das  Tarif^m  erhoben ;  für  die  Rückfahrt  ist,  soweit 
die  Tarifteile  II  nichts  anderes  bestimmen,  in  die 
Fahrkarten  der  Schnellzugzuschlag  einzurechnen. 

Fahrtunterbrechung  im  S.  ist  ausgeschlossen. 

Kinder  genießen  die  übliche  Fahrpreisermäßigung. 

Für  S.,  die  von  der  Eisenbahn  aus  besonderem 
Anlaß  für  den  allgemeinen  Verkehr  gefahren  werden, 
werden  die  Beförderungsbedingungen  von  Fall  zu 
Fall  veröffentlicht. 

Bei  Beförderung  von  Gütern  in  S.  kommen  die 
gewöhnlichen  Tarife  in  Anwendung. 

Seitdem  auf  den  preußischen  Staatsbahnen 
in  größerem  Umfang  Triebwagen  (s.  d.)  in 
Dienst  gestellt  sind,  werden  für  die  von  diesen  ge- 
fahrenen S.  13  M.  L  d.  km,  im  ganzen  aber  min- 
destens 50  M.  erhoben.  Bei  Beförderung  größerer 
Gesellschaften  sind  mindestens  86  Fahrkarten  III.  Kl. 
(1"75  Pf.  f.  d.  km)  für  jede  Triebwagenfahrt  zu 
lösen.  — Anträgen  gewerbsmäßiger  Unternehmer  auf 
Stellung  von  S.  mit  Fahrpreisermäßigung  wird  nur 
stattgegeben,  wenn  diese  als  zuverlässig  bekannt 
sind  und  anzunehmen  ist,  daß  die  Preisermäßigung 
den  Reisenden  zu  gute  kommt.  Ein  Betriebs-  oder 
Verkehrsbedürfnis  muß  auch  hier  vorliegen.  Ledig- 
lich zu  gunsten  eines  Unternehmens  oder  als  Mittel 
zu  geschäftlichen  Anpreisungen  werden  S.  mit  Fahr- 
preisermäßigung nicht  gewährt.  —  Bei  Festlichkeiten 
zur  Eröffnung  neuer  Bahnen  kann  am  Tag  vor 
der  Betriebseröffnung  ein  S.  für  die  Teil- 
nehmer an  der  Einweihungsfeier  kostenlos  ge- 
stellt werden. 

Für  den  Verkehr  von  S.  im  Gebiet  des  VDEV. 
sind  den  vorstehenden  Bestimmungen  der  EVO. 
ähnlich  lautende  Vorschriften  in  den  §§  3  und  11 
des  Betriebsreglements  getroffen.  Hiernach  betragen 
die  unter  Ziffer  1  zu  la  angegebenen  Gebühren  für 
die  österreichischen  Eisenbahnen  L50  K, 
050  K  und  0  24  K  für  das  Tarif  Am  der  Zugloko- 
motive, der  Personenwagenachse  und  der  Güter- 
wagenachse einschließlich  Fahrkartensteuer.  Die 
Mindestgebühren  sind  dieselben  wie  auf  den  deut- 
schen Eisenbahnen,  doch  ist  in  ihnen  auch  die 
Fahrkartensteuer  enthalten.  —  Für  den  inneren 
Verkehr  der  österreichischen  Eisenbahnen 
beträgt  die  Mindestgebühr  nach  dem  hierfür  maß- 
gebenden österreichischen  und  bosnisch-hercegovini- 
schen  Eisenbahn-  Personen-  und  Gepäcktarif  Teil  I, 
Anhang  I,  450  K  für  das  Tarif  A«  und  mindestens 
100  K  "für  den  Zug.  Dieser  Betrag  ist  als  Sicher- 
heit   bei    der    Bestellung   zu   hinterlegen.    Für  eia 


Sonderzug. 


19 


Warten  des  S.  über  die  festgesetzte  Abfahrzeit  hin- 
aus wird  eine  Wartegebühr  von  80  K  berechnet. 
Für  Motorwagensonderzüge  werden  für  den  Motor- 
wagen 0'50  K,  für  jede  Personenwagenachse  eben- 
falls 050  K,  mindestens  jedoch  2  K  f.  d.  km  und 
30  K  für  die  Fahrt  erhoben.  Stellen  sich  die  tarif- 
mäßigen Fahrpreise  für  die  mit  dem  S.  beförderten 
Personen  und  Gegenstände  höher  als  die  vor- 
stehenden Sätze,  so  sind  die  tarifmäßigen  Fahr- 
preise zu  zahlen.  -  Für  gemeinschaftliche  Reisen 
von  Gesellschaften  in  S.  auf  Entfernungen  über 
50  km  werden,  falls  eine  Mindesteinnahme  von 
5  K  f.  d.  km  gewährleistet  wird,  «-mäßigte  Fahr- 
preise gewährt.  Bei  Hin-  und  Rückfahrt  innerhalb 
3  Tagen  wird  der  Fahrpreis  für  die  einfache  Fahrt 
erhoben.  Andernfalls  tritt  ein  im  Spezialtarif  1 
besonders  festgesetzter  Fahrpreis  in  Kraft.  Soll  der 
S.  mit  Schnellzuggeschwindigkeit  verkehren,  so 
werden  erhöhte,  ebenfalls  im  Spezialtarif  festgesetzte 
Gebühren  erhoben.  Die  ermäßigten  Gebühren  des 
Spezialtarifs  finden  auch  Anwendung  auf  die  von 
der  Verwaltung  bei  bestimmten  Anlässen  einge- 
legten S.  -  Bei  S.  für  Güter  erheben  die  öster- 
reichischen Staatsbahnen  mindestens  die  Gebühr  für 
60.000  kg  nach  Klasse  I. 

In  den  Niederlanden  gelten  im  wesentlichen 
die  vorstehend  für  das  Gebiet  des  VDEV.  mitge- 
teilten Bestimmimgen  auch  für  den  inneren  Verkehr. 

In  der  Schweiz  werden  S.  nach  §  7  des  Trans- 
portreglenients  vom  1.  Januar  1894  ebenfalls 
nur  nach  dem  Ermessen  der  Eisenbahnverwaltung 
gestellt.  Nach  §  26  sind  die  Bahngesellschaften 
verpflichtet,  einen  S.  abzulassen,  wenn  infolge  einer 
auf  schweizerischer  Bahn  erfolgten  Zugverspätung 
mindestens  10  mit  Fahrkarten  nach  der  gleichen 
Linie  versehene  Reisende  einen  Anschluß  verfehlten, 
der  durch  einen  nachfolgenden  Zug  nicht,  wohl 
aber  durch  den  S.  zu  erreichen  ist,  insofern  dies 
mit  der  Betriebssicherheit  zu  vereinbaren  ist  und 
die  Betriebsmittel  ausreichen.  Nachzahlungen  dürfen 
in  solchem  Fall  nicht  verlangt  werden.  Die  Ver- 
pflichtung entfällt  bei  Vergnügungszügen,  falls 
höhere  Gewalt  vorliegt  oder  der  Bundesrat  Aus- 
nahmen gestattet  hat.  Die  Gebühren  für  S.  auf 
besondere  Bestellung  werden  entweder  nach  den 
Sätzen  der  allgemeinen  Personentarife  oder 
nach  dem  Tarif  für  die  Beförderung  von  Ge- 
sellschaften und  Schulen  berechnet,  wobei 
Mindestsätze  von  8  Fr.  f.  d.  km  der  einfachen 
Fahrt  und  je  nach  dem  Zeitpunkt  der  Rückfahrt  von 
12  oder  16  Fr.  f.  d.  km  der  Hin-  und  Rückfahrt, 
mindestens  aber  von  100  Fr.  bei  einfacher  und  160 
oder  200  Fr.  bei  Hin-  und  Rückfahrt  für  den  Zug 
zur  Anwendung  kommen.  Die  gewöhnlichen  Ein- 
heitssätze betragen  in  I.  Kl.  10-4  Ct.,  II.  Kl.  7-3  Ct., 
III.  Kl.  5-2  Ct.  für  die  einfache  Fahrt  und  in  I.  Kl. 
15^/i,  II.  Kl.  20"„,  III.  Kl.  25 »i  Ermäßigung  für 
Hin-  und  Rückfahrt.  Für  Gesellschaftsreisen  von  min- 
destens 16  Personen  sind  besondere  Sätze  im  Tarif 
vorgesehen  für  Qemeinschaftsreisen  von  16  —  60, 
61-120,  121-180  und  über  180  Personen. 

In  Italien  können  S.  sowohl  für  den  Personen- 
verkehr als  für  den  Güterverkehr  bestellt  werden. 
Bei  der  Bestellung  ist  der  Betrag  von  40  Lire  zu 
hinterlegen.  Die  Verwaltung  kann  die  Stellung  eines 
S.  aus  Sicherheitsgründen  ablehnen.  Neben  einer 
festen  Gebühr  von  4520  Lire  sind  mindestens 
6'78  Lire  f.  d.  km  und  6780  Lire  für  den  Zug  zu 
zahlen.  Ergibt  die  Anwendung  des  gewöhnlichen 
Tarifs  einschließlich  10','i  Zuschlag  für  die  Rei- 
senden, das  Gepäck  und  sonstigen  Gegenstände 
einen  höheren  Betrag,  so  wird  dieser  erhoben.    Für 


die  Rückfahrt  des  S.  innerhalb  12  Stunden  nach 
Ankunft  werden  die  Kosten  nach  denselben  Sätzen, 
aber  ohne  die  feste  Gebühr  berechnet  und  um  lO"» 
ermäßigt.  Die  Mindestgebühr  beträgt  auch  in  diesem 
Fall  67'^80  Lire.  Wenn  der  S.  durch  Verschulden 
des  Bestellers  nicht  zur  festgesetzten  Zeit  abfahren 
kann,  so  ist  die  Verwaltung  berechtigt,  ihn  aus- 
fallen zu  lassen  und  den  hinterlegten  Betrag  ein- 
zuziehen. —  Wenn  ein  S.  bei  Festlichkeiten,  Massen- 
versannnlungen  von  Stadtvertretungen  u.  dgl.  ver- 
langt wird,  so  werden  3'955  Lire  f.  d.  km  sowie 
eine  Gebühr  von  45'20  Lire  erhoben  unabhängig 
von  den  Fahrkarten,  mit  denen  die  Reisenden 
außerdem  versehen  sein  müssen.  Im  übrigen  werden 
auch  auf  den  italienischen  Bahnen  für  Gesellschafts- 
reisen unter  ähnlicher  Tarifabstufung  wie  auf  den 
schweizerischen  Bahnen  S.  gestellt  und  hierbei  Ein- 
heitspreise in  I.  Kl.  von  0  1276  Lire,  in  II.  Kl.  von 
0-08932  Lire,  in  III.  Kl.  von  0-0580  Lire  für  die 
einfache  Fahrt  erhoben.  Bei  Hin-  und  Rückfahrt 
treten  je  nach  Entfernung  und  Gültigkeitsdauer 
20-35?i  Ermäßigung  der  Fahrkartenpreise  ein. 
Diese  Einheitssätze  wurden  nach  Ausbruch  des 
Krieges  erhöht. 

In  Belgien  beträgt  die  Mindestgebühr  5  Fr. 
f.  d.  km  und  125  Fr.  für  den  S.  Im  einzelnen 
werden  1-5  Fr.  für  die  Lokomotive,  0-5  Fr.  für  die 
Personenvi-agenachse  und  025  Fr.  für  die  Güter- 
wagenachse erhoben,  während  für  einen  4achsigen 
Güterwagen  0-75  Fr.  berechnet  werden.  Bei  Gesell- 
schaftsreisen in  S.  wird  die  Gebühr  ohne  Rücksicht 
auf  die  wirkliche  Teilnehmerzahl  nach  den  gestellten 
Plätzen  berechnet.  Mindestens  werden  erhoben 
160  Fr.  bei  Entfernungen  bis  30  km  und  5-25  Fr. 
für  jedes  weitere  km.  Die  Einheitssätze  betragen 
für  die  I.  Kl.  94  Ct.,  II.  Kl.  6-4  Ct.,  III.  Kl.  38  Ct. 
für  die  einfache  Fahrt.  Für  Hin-  und  Rückfahrt 
innerhalb  einer  bestimmten  Frist  tritt  eine  Ermäßi- 
gung von  20%  ein. 

In  Frankreich  bestehen  keine  einheitliclien  Be- 
stimmungen und  Tarife.  Die  Gebühren  werden  in 
der  Regel  auf  Grund  der  gewöhnlichen  Tarifsätze 
berechnet  unter  Erhebung  eines  Mindestsatzes.  Für 
Gesellschaftsreisen  in  S.  gewähren  die  meisten  Bahnen 
Ermäßigungen  von  40  — 50"i  des  gewöhnlichen 
Fahrpreises.  Die  Höhe  der  Gebühren  sind  bei  ein- 
zelnen Verwaltungen  durch  Wettbewerbsrücksichten 
stark  beeinflußt. 

In  Rußland  werden  S.  für  Diensfreisen  der 
Staatsbeamten  gegen  Zahlung  ermäßigter  Gebühren 
gestellt.  Die  letzteren  betragen  nach  dem  Tarifbuch 
für  Reisen  von  Personen  und  Beförderung  ihres 
Gepäcks  (Tarif  Nr.  7757),  Teil  III,  veröffentlicht  in 
der  Tarifsammlung  der  Russischen  Eisenbahnen 
Nr.  2323  vom  6.  Februar  1914,  1-50  Rubel  für 
Werst  und  Zug,  bestehend  aus  einem  Wagen  I.  Kl., 
einem  Wagen  III.  Kl.  und  Gepäck-  oder  Plattform- 
wagen. Für  jeden  weiteren  Wagen  tritt  der  ge- 
wöhnliche Personentarif  nach  der  Platzzahl  und 
dem  vollen  Wagenraum  in  Kraft.  Die  Gebühren 
für  derartige  S.  sind  von  der  Steuerpflicht  befreit. 
S.  zur  Beförderung  von  Feuerwehren,  ihrer  Fahr- 
zeuge und  Geräte  werden  zum  Löschen  von  Bränden 
im  Geltungsbereich  des  allgemeinen  Personentarifs 
gebührenfrei  befördert.  —  Für  bestellte  S.  wird  von 
Privatpersonen  Bezahlung  nach  den  allgemeinen, 
um  10 'V  erhöhten  Personentarifen  für  die  benutzten 
Plätze  und  das  beförderte  Gepäck  erhoben.  Hierzu 
tritt  die  Staatssteuer  mit  15",,  der  Eisenbahngebühr. 
Für  einen  S.,  bestehend  aus  3  Personenwagen  ver- 
schiedener Klassen  und  einem  Gepäck-  oder  Plattforni- 
wagen  muß  jedoch  mindestens  2-50  Rubel  f.  d.  Werst 


80 


Sonderzug.  —  Sonntagsruhe. 


bis  auf  Entfernungen  von  100  Werst  und  mindestens 
250  Rubel  für  den  Zug  von  100-125  Werst  Ent- 
fernung bezahlt  werden,  während  die  Mindestgebülir 
für  Entfernungen  über  125  Werst  nur  2  Rubel 
f.  d.  Werst  beträgt.  Für  jeden  weiteren  Wagen  wird 
Bezahlung  nach  den  gewöhnlichen  Tarifen  zuzüglich 
10«<.  Aufschlag  oder  mindestens  60  Kopeken  f.d. 
Wagen  und  Werst  erhoben.  In  allen  Mindestbeträgen 
ist  die  Staatssteuer  einbegriffen.  —  Für  schnellzug- 
mäßig beförderte  S.  und  Einstellung  von  Wagen 
mit  Schlafplätzen  treten  besondere  Zuschläge  zu  den 
aufgeführten  Tarifsätzen  hinzu.  Breusing. 

Sonntagsfahrkarten  (billets  du  dimanche), 
ermäßigte  Fahrkarten  zur  einmaligen  Hin- 
und  Rückfahrt  an  Sonntagen,  werden  von  ein- 
zelnen Bahnverwaitungen  für  kürzere  Strecken 
ausgegeben.  S.  geben  unter  anderen  aus 
die  preußischen  Staatsbahnen,  die  Elsaß-Lo- 
thringische Eisenbahn  und  die  österreichische 
Südbahn  für  Sonntagssonderzüge  (vgl.  Per- 
sonentarife) sowie  die  schweizerischen  Eisen- 
bahnen. 

Sonntagsruhe  (Lord's  day  rest;  repos  du 
dimanche;  riposo  domenicale).  Die  Unter- 
brechung der  Arbeit  am  Sonntag  entspringt 
dem  kirchlichen  Gebot  der  Sonntagsfeier  und 
dem  Bedürfnis  nach  Ruhe  und  Erholung.  Die 
S.  hat  sich  je  nach  dem  Verhältnis  zwischen 
Kirche  und  Staat  und  der  hierdurch  beein- 
flußten Gesetzgebung  in  den  verschiedenen 
Ländern  verschieden  entwickelt.  Während  sie 
in  England,  Schottland  und  Nordamerika 
schon  früh  eine  strenge  Form  annahm  und 
diese  auch  beim  Emporblühen  von  Handel 
und  Industrie  bis  heute  erhalten  hat,  wurde 
in  Frankreich  nach  der  großen  Revolution 
jede  Unterscheidung  zwischen  Sonntag  und 
Wochentag  gesetzlich  verboten.  Ebenso  wurden 
in  Italien  alle  Strafbestimmungen  beseitigt,  die 
über  Nichtbeachtung  der  S.  erlassen  waren. 
Aber  auch  auf  diese  Länder  haben  sich  später 
die  allgemein  sehr  lebhaft  auftretenden  Be- 
strebungen ausgedehnt,  für  die  arbeitende  Be- 
völkerung auf  gesetzlichem  Wege  die  Gewährung 
der  S.  sicherzustellen.  Bereits  im  September  1 876 
tagte  in  Genf  ein  internationaler  Kongreß  für 
die  Sonntagsheiligung,  der  auch  für  die  Ein- 
führung der  S.  im  Eisenbahndienst  eintrat  und 
zu  dem  Zweck  eine  Einschränkung  des  Güter- 
dienstes an  den  Sonn-  und  Festtagen  empfahl. 
Dies  gab  Anlaß,  daß  die  1878  in  Bern  zur 
Aufstellung  eines  Entwurfs  für  das  internationale 
Übereinkommen  über  den  Eisenbahnfrachtver- 
kehr einberufene  Konferenz  ihre  Beratungen 
auch  auf  die  Frage  der  S.  ausdehnte.  Die  Kon- 
ferenz erklärte,  daß  die  empfohlene  Maßnahme, 
so  erwünscht  sie  auch  sei,  als  undurchführbar 
angesehen  werden  müsse.  Aber  schon  im  folgen- 
den Jahre  sprach  sich  ein  zweiter  internationaler 
Kongreß  in  Bern  abermals  für  Einführung  der 


S.  im  Eisenbahndienst  aus.  Er  empfahl  den 
Verwaltungen,  den  Sonntagsdienst  derart  ein- 
zuschränken, daß  künftig  jeder  Bedienstete 
wenigstens  jeden  zweiten  Sonntag  vom  Dienst 
befreit  werden  würde  (s.  die  Aufsätze  Dienst- 
und Ruhezeiten  sowie  Arbeiterschutz). 
Auch  der  erste  internationale  Eisenbahn- 
kongreß in  Brüssel  beschäftigte  sich  1885 
mit  der  Frage  der  S.,  allerdings  ebenfalls  mit 
geringem  Erfolg,  denn  er  beschränkte  sich 
auf  die  Erklärung,  daß  eine  Ausdehnung  der 
regelmäßig  wiederkehrenden  Ruhepausen  und 
deren  Verlegung  auf  die  Sonn-  und  Feiertage 
sowohl  den  Verwaltungen  wie  den  Bedien- 
steten zum  Vorteil  gereichen  würde.  Während 
der  Weltausstellung  im  Jahre  188Q  tagte  in 
Paris  ein  Congres  international  du  repos 
hebdomadaire  au  point  de  vue  hygienique 
et  social  (Paris,  Genf  1890).  Dieser  Kongreß 
stellte  folgende  Grundsätze  auf:  1.  An  Sonn- 
tagen soll  der  gewöhnliche  Güterdienst  ruhen 
mit  Ausnahme  der  Abfertigung  von  Vieh  und 
leicht  verderblichen  Waren.  2.  Die  Zahl  der 
Güterzüge  ist  an  Sonntagen  tunlichst  einzu- 
schränken. 3.  Die  Eilgutabfertigungen  sind 
Sonntags  nur  während  bestimmter  Stunden 
geöffnet  zu  halten.  4.  Neubau-,  Bahnunter- 
haltungs-  und  Werkstättenarbeiten  sind  an 
Sonntagen  womöglich  einzustellen.  5.  Bei  den 
Liefer-  und  Abfertigungsfristen  der  gewöhn- 
lichen Güter  sind  Sonntage  nicht  in  Rechnung 
zu  stellen.  6.  Bei  Festsetzung  der  Besoldung 
ist  zu  berücksichtigen,  daß  die  Bediensteten  nicht 
wünschen,  an  Sonntagen  zu  arbeiten.  7.  Die  den 
Sonntagen  gleich  zu  rechnenden  Festtage  sind 
durch  die  Landesregierungen  festzusetzen. 

Einer  der  ersten  Erfolge  der  in  dieser 
Weise  immer  von  neuem  geltend  gemachten 
Forderungen  war  die  Aufnahme  von  Bestim- 
mungen zur  Einschränkung  des  Güterverkehrs 
in  den  erwähnten  Entwurf  des  internationalen 
Übereinkommens  über  den  Eisenbahnfracht- 
verkehr, das  am  1.  Januar  1893  in  Kraft 
trat,  nachdem  über  den  Entwurf  bereits  seit 
1878  verhandelt  war.  Nach  diesem  Überein- 
kommen, dessen  jetzt  gültiger  Wortlaut  in 
Abschnitt  V  der  VBR.  mit  Ausführungsbestim- 
mungen bekannt  gegeben  ist,  beginnt  die 
Lieferfrist  für  die  Beförderung  der  Ware  24 
Stunden  später,  wenn  der  auf  die  Auflieferung 
folgende  Tag  ein  Sonntag  ist  ^Art.  14,  Ausf.- 
Best.  §  6).  Ist  der  letzte  Tag  der  Lieferfrist 
ein  Sonntag,  so  läuft  die  Frist  erst  am  dar- 
auffolgenden Tag  ab.  Auf  Eilgut  sind  diese 
Ausnahmen  nicht  anwendbar.  Nimmt  ein 
Staat  in  die  Gesetze  oder  in  die  genehmigten 
Eisenbahnreglemente  eine  Bestimmung  über 
Unterbrechung     der     Warenbeförderung     an 


Sonntagsruhe. 


81 


Sonn-  nnd  gewissen  Feiertagen  auf,  so  werden 
die  Beförderungsfristen  im  Verhältnis  ver- 
längert. Eine  ähnliche  Berücksichtigung  der 
Lieferfristen  findet  auch  bei  den  innerstaat- 
lichen Vorschriften  statt  (s.  Lieferfristen  u. 
Avisieren). 

In  Deutschland  wurde  die  Einschränkung 
der  Sonntagsarbeit  schon  1869  bei  Erlaß  der 
Gewerbeordnung  des  Norddeutschen  Bundes 
erwogen,  aber  erst  durch  die  Novelle  zur 
Gewerbeordnung  vom  LJuni  1891  am  I.April 
1895  eingeführt.  Demnach  ist  die  Arbeit  an 
Sonn-  und  Feiertagen,  abgesehen  von  beson- 
ders zugelassenen  Ausnahmen,  für  den  größten 
Teil  der  unter  die  Gewerbeordnung  fallenden 
Betriebe  grundsätzlich  verboten.  Die  Ruhe- 
zeit soll  24  Stunden  betragen.  Wenn  die 
Gewerbeordnung  auf  den  Betrieb  der  Eisen- 
bahnen auch  keine  Anwendung  findet,  so 
mußte  sie  doch  die  auf  Ausdehnung  der  S. 
auf  den  Eisenbahndienst  gerichteten  Bestre- 
bungen kräftig  fördern.  Die  Arbeiten  in  den 
Werkstätten,  die  Bauarbeiten,  die  Unterhaltungs- 
arbeiten an  den  Bahnanlagen,  der  Dienst  bei 
den  Verwaltungsbehörden  pflegten  zwar  mit 
geringen  Einschränkungen  überall  an  den 
Sonntagen  zu  ruhen,  aber  der  Fahrdienst  hatte 
bis  dahin  nennenswerte  Einschränkungen  nicht 
erfahren.  Bei  den  nun  einmal  bestehenden 
Lebensgewohnheiten  mußte  der  Ausfall  von 
Personenzügen  an  den  Sonntagen  im  allge- 
meinen als  ausgeschlossen  angesehen  werden. 
Der  Personenverkehr  erforderte  sogar  an  den 
Sonntagen  erhöhte  Leistungen,  namentlich 
seitdem  durch  den  Ladenschluß  und  die  Aus- 
gabe von  Sonntagskarten  der  Ausflugsverkehr 
Sonntags  eine  erhebliche  Steigerung  erfahren 
hatte.  Im  Personenverkehr  war  deshalb  an 
Einschränkungen  nicht  zu  denken,  wohl  aber 
konnten  diese  auf  dem  Gebiet  des  Güter- 
verkehrs erreicht  werden.  Im  Jahre  1853  war 
bereits  das  Fahren  von  Kohlenzügen  auf  der 
königlichen  Saarbrücker  Eisenbahn  von  der 
Aufsichtsbehörde  untersagt  worden.  Auch  hatte 
man  bei  weiterer  Entwicklung  des  Verkehrs 
die  Beobachtung  gemacht,  daß  infolge  der 
Sonntags  eingeschränkten  und  später  gänz- 
lich ruhenden  gewerblichen  Arbeit  zu  Beginn 
der  Woche  ein  merklicher  Rückgang  in  der 
Belastung  der  Güterzüge  einzutreten  pflegte, 
der  auf  verkehrsreichen  Strecken  sogar  eine 
Verminderung  der  Zugzahl  gestattete.  Es  lag 
daher  nahe,  eine  Anzahl  von  Güterzügen 
schon  am  Sonntag  ausfallen  zu  lassen  und 
die  entstehenden  Rückstände  durch  vollen 
Zugverkehr  am  Montag  wieder  auszugleichen. 
Dem  Gedanken  wurde  auch  durch  einen 
Erlaß  des  Ministers  der  öffentlichen  Arbeiten  an 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


die  preußischen  Eisenbahndirektionen  im  April 
1883  Ausdruck  gegeben.  Auf  diese  Anregung 
hin  gelang  es  nach  und  nach,  bis  zum  Jahre 
1891  30*^  aller  Güterzüge  in  dem  Fahrplan 
der  preußischen  Staatsbahnen  für  den  Sonntag 
als  ausfallend  zu  bezeichnen.  Da  der  Durch- 
führung der  S.  im  größeren  Umfang  sich 
aber  mancherlei  Schwierigkeiten  entgegen- 
stellten, so  beauftragte  der  Minister  durch 
Erlaß  vom  8.  Dezember  1891  einen  Ausschuß 
mit  der  Prüfung  der  weiter  zu  ergreifenden 
Maßnahmen.  Hierbei  handelte  es  sich  be- 
sonders auch  um  die  Frage  der  Notwendig- 
keit der  Herstellung  von  Aufstellungsgleisen 
für  die  in  ihrem  Lauf  am  Sonntag  aufge- 
haltenen Güterzüge,  der  Unterbringung  der 
Lokomotiven  für  die  Zeit  des  ruhenden  Zug- 
verkehrs, der  erhöhten  Aufwendung  von 
Wagenmieten  für  die  nunmehr  eine  längere 
Zeit  im  Bezirk  sich  aufhaltenden  fremden 
Wagen  und  endlich  um  die  wichtige  Frage 
des  erhöhten  Wagenbedarfs,  hervorgerufen 
durch  die  Verzögerung  des  Wagenumschlags 
und  damit  zusammenhängend  um  die  Schaffung 
von  Aufstellgleisen  für  einen  größeren  Wagen- 
bestand. Daß  durch  den  Ausfall  der  Güter- 
züge an  den  Sonntagen  der  Wagenumlauf 
verzögert  werden  würde,  stand  fest.  Strittig 
war  aber  der  Umfang  der  Verzögerung  und  der 
daraus  folgende  Mehrbedarf  an  Wagen.  Nach 
eingehenden  Erhebungen  gelangte  der  Aus- 
schuß zu  dem  Ergebnis,  daß  bei  Einführung 
voller  Sonntagsruhe  annähernd  8%  der  Wagen 
fehlen  und  durch  Neubeschaffung  zu  ersetzen 
sein  würden.  Die  zur  Durchführung  aller 
dieser  Maßnahmen  erforderlichen,  sehr  erheb- 
lichen Aufwendungen  (vgl.  Ztg.  d.  VDEV. 
1894,  S.  630)  konnten  vermieden  oder  ein- 
geschränkt werden,  wenn  von  vornherein  auf 
eine  volle  Durchführung  der  S.  verzichtet  und 
diese  auf  die  Zeit  des  gewöhnlichen  Verkehrs 
beschränkt  und  der  Zugverkehr  unbeschränkt 
in  den  Monaten  des  großen  Herbstverkehrs 
beibehalten  wurde  (s.  Arch.  f.  Ebw.  1894, 
S.  201,  Aufsatz  von  Seydel). 

Aus  wirtschaftlichen  Gründen  war  diese 
Lösung  der  Frage  durchaus  gerechtfertigt  und 
mit  dieser  Beschränkung  wurde  die  S.  im 
Güterverkehr  durch  Erlaß  vom  20.  November 
1893  auf  den  preußischen  Staatsbahnen  ein- 
geführt. 

Inzwischen  hatte  das  Reichseisenbahnamt 
die  deutschen  Regierungen  zu  gemeinsamem 
Vorgehen  aufgefordert.  Nach  einer  Vorver- 
handlung am  4.  November  1892  wurde  auf 
Grund  einer  Beratung  der  Regierungsvertreter 
am  8.  Mai  1894  dem  Vorgehen  zugestimmt 
und    die    S.  im    Güterverkehr    der   deutschen 


82 


Sonntagsruhe. 


Eisenbahnen,  soweit  dies  inzwischen  nicht  schon 
geschehen    war,    vom    1.   Mai    1895    ab    nach 
folgenden    Grundsätzen    eingeführt:     1.    Der 
Eisenbahngüterverkehr  ausschließlich  des  Vieh- 
und  Eilgutverkehrs    ist    an    Sonn-    und  Fest- 
tagen so  weit  einzustellen,  als  solches  möglich 
ist,    ohne    daß    umfassende    bauliche   Einrich- 
tungen   nötig    werden  und  ohne  daß  die  Be- 
triebsmittel oder  das  Personal  vermehrt  werden 
müssen.    Auch  abgesehen  hiervon  ist    es    zu- 
lässig, an  Sonn-  und  Festtagen  einzelne  Güter- 
züge zu  fahren,  sofern  und  insoweit  das  durch 
besondere  Bedürfnisse  des  Verkehrs   und   des 
Wettbewerbs    mit    dem    Ausland    erforderlich 
werden    sollte.     2.  Es  ist  zulässig,  Güter,  die 
aus    besonderen    wirtschaftlichen    Rücksichten 
eine  Verzögerung    in    der   Beförderung   nicht 
vertragen,  z.  B.  leicht  verderbliche  Güter,  regel- 
mäßig auch  an  Sonn-  und  Festtagen  zu  fahren. 
3.  Als  Festtage   gelten    der  Neujahrstag,    Kar- 
freitag, der  zweite  Ostertag,  Himmelfahrt,  der 
zweite  Pfingsttag  und  die  beiden  Weihnachts- 
tage. Über  sonstige  Festtage  bleibt  Vereinbarng 
vorbehalten.    4.  Volle  Ruhe    im    Güterverkehr 
tritt  ein  für  die  Zeit  von  4  Uhr  morgens  bis 
8  Uhr  abends.     Die  übrigen  Stunden  dienen 
zur    Überleitung    des  Dienstes    in    die    Ruhe 
und  umgekehrt.  5.  Die  Fahrbediensteten  sind 
bis  4  Uhr   morgens   in    die    Heimat    zurück- 
zuführen und  bis  6  Uhr  abends  außer  Dienst 
zu  stellen.  6.  Für  die  Zeit  des  stärksten  Ver- 
kehrs ist  eine  zeitweilige  Einschränkung   oder 
völlige  Aufhebung  der  S.  zulässig.  7.  Es  bleibt 
vorbehalten,    Erfahrungen    über  die  Frage  zu 
sammeln,    ob    eine  Verlängerung   der    Liefer- 
fristen unvermeidlich  sein  wird.  —  Zur  Durch- 
führung der  Ziffern   1,  2,  4  und  6  der  Grund- 
sätze vom  8.  Mai   1894  ist  zwischen  den  süd- 
deutschen   Staatseisenbahnen     ein    besonderes 
Übereinkommen  getroffen  worden.   Eine  Ver- 
längerung der  Lieferfristen  haben  die  deutschen 
Eisenbahnen  nicht  eintreten  lassen.  —  Die  an 
die  Einführung    der   S.  im  Güterverkehr    ge- 
knüpften Erwartungen  haben  sich  erfüllt.     Es 
konnten    einzelne  Güterbahnhöfe   oder   Bahn- 
hofsteile    Sonntags     vollständig     geschlossen 
werden.     Es    wurde    erreicht,    daß    nunmehr 
Yj    sämtlicher    Eisenbahnbediensteten    grund- 
sätzlich   an    allen  Sonn-    und    Festtagen    vom 
Dienst  befreit  werden  konnte.    Durch  die  all- 
gemeine   Bestimmung,    daß    auch    den    diese 
Vergünstigung  nicht  genießenden  Bediensteten 
des    Fahrdienstes,    des  Verkehrs-    und    Bahn- 
bewachungsdienstes an  jedem  zweiten,  minde- 
stens aber  an  jedem  dritten  Sonntag  Gelegenheit 
zum  Kirchenbesuch  zu  geben  ist,  sowie  durch 
tunlichste  Verlegung   der    planmäßigen  Ruhe- 
tage auf  die  Sonntage  ist  auch  diesen  Bedien- 


steten Gelegenheit    zur    Erfüllung    ihrer    reli- 
giösen Pflichten  gegeben. 

Über  die  Bedienung  des  Güterverkehrs  an 
den  Sonn-  und  Festtagen  bestimmt  §  63  der 
EVO.,  daß  die  Eisenbahn  Frachtgut  nicht  an- 
zunehmen braucht.  Eilgut  anzunehmen  ist  sie 
verpflichtet,  wenn  Zoll-  und  steueramtliche 
Behandlung  kein  Hindernis  bieten.  Die  Dienst- 
stunden, während  der  die  Güter  aufzuliefern 
sind,  hat  die  Eisenbahn  festzusetzen  und 
durch  Aushang  am  Schalter  bekanntzugeben. 
Wagenstandgeld  ist  nur  zu  zahlen,  wenn  die 
Ladefrist  schon  am  Tage  vorher  nachmittags 
2  Uhr  ablief.  Folgen  mehrere  Sonn-  und 
Festtage  aufeinander,  so  ist  nur  für  einen 
Tag  Wagenstandgeld  zu  erheben.  Die  Fristen 
für  Lagergeld  und  Standgeld  ruhen  an  Sonn- 
und  Festtagen  für  die  Dauer  einer  Zoll-  oder 
steueramtlichen  oder  polizeilichen  Abfertigung. 
Bei  Eilgut,  das  an  Sonn-  und  Festtagen  an- 
kommt, kann  die  Benachrichtigung  des  Emp- 
fängers erst  am  folgenden  Morgen  verlangt 
werden  (§  79).  Endlich  bestimmt  §  80,  daß 
an  Sonn-  und  Festtagen  nur  Eilgut  auszu- 
liefern ist.  Auch  die  Annahme  von  Tieren 
zur  Beförderung  findet  an  Sonn-  und  Fest- 
tagen nicht  statt  (§  43). 

Seit  Einführung  der  S.  hat  der  Güterver- 
kehr dauernd  zugenommen  und  häufig  die 
Anspannung  aller  Kräfte  erfordert.  Es  ist  des- 
halb notwendig  geworden,  die  S.  im  Güter- 
verkehr nicht  nur,  wie  es  von  vornherein 
vorgesehen  war,  regelmäßig  während  der 
Herbstmonate,  sondern  auch  zu  anderen  Zeiten 
einzuschränken  oder  ganz  aufzuheben.  Das 
Bedürfnis  hierfür  macht  sich  zuerst  bemerkbar 
durch  Knappheit  oder  Mangel  an  Wagen. 
Um  nun  jedesmal  nur  solche  Züge  während 
der  S.  in  Gang  zu  setzen,  die  am  meisten 
geeignet  sind,  den  Umlauf  derjenigen  Wagen- 
gattung zu  beschleunigen,  an  der  es  haupt- 
sächlich fehlt,  so  sind  über  das  Fahren  von 
Zügen  während  der  S.  zwischen  den  ein- 
zelnen Verwaltungen  des  Staatsbahnwagen- 
verbandes  eingehende  Vereinbarungen  ge- 
troffen. Sie  lauten  auszugsweise  für  die  west- 
lichen Eisenbahndirektionen  : 

Das  Ablassen  von  Bedarfsgüterzügen  mit  Aus- 
nahme der  Bedarfseilgüter-  und  Viehzüge  ist  bei 
voller  S.  nur  in  dringenden  Fällen  gestattet. 

An  Sonnabenden  oder  Tagen  vor  Festtagen 
dürfen  auch  von  Zwischenstationen  hinter  dem  als 
letzten  fahrplanmäßigen  Güterzug  vereinbarten  Zug 
Bedarfszüge  nicht  mehr  abgelassen  werden.  Die 
ausnahmsweise  Ablassung  von  Bedarfsgüterzügen 
darf  nur  nach  Verständigung  seitens  der  Abgangs- 
station mit  der  ZielstaHon  und  den  Zwischen- 
stationen, für  die  der  Zug  Wagen  befördern 
soll,  geschehen.     Die  Züge  sind  den  Stationen  vor- 


Sonntagsruhe. 


83 


zumelden  und  der  Eisenbahndirektion  telegraphisch 
mitzuteilen. 

Bei  drohendem  Wagenmangel  sind  jedoch  auf 
besondere  Anordnung  der  Eisenbahndirektion  die 
Bedarfsleerwagenzüge  auch  an  Sonn-  und  Festtagen 
zu  befördern. 

Bei  Mangel  an  offenen  und  bedeckten  Wagen 
wird  die  S.  im  Qüterzugdienst  nach  besonderen 
Plänen  teilweise  eingeschränkt.  Es  bedeutet: 

Plan  S:  Kleiner  Mangel  an  offenen  Wagen  im 
Ruhrgebief. 

Plan  SS:  Größerer  Mangel  an  offenen  Wagen 
und  Abfuhrschwierigkeiten  infolge  erheblicher  Wagen- 
ansammlung im  Ruhrgebiet. 

Plan  A:  Mangel  an  offenen  Wagen. 

Plan  B:  Mangel  an  bedeckten  Wagen. 

Plan  C:  Allgemeinen  Wagenmangel. 

Die  Einschränkung  der  S.  tritt  nicht  schon  ohne- 
weiters  bei  Bekanntgabe  von  Wagenmangel  ein, 
sondern  wird  durch  Umlauftelegramme  seitens  der 
Direktion  angeordnet. 

Die  Aufnahme  der  Arbeiten  auf  den  Qüterböden 
bei  Plan  B  und  C  wird  in  den  Umlauftelegrammen 
der  Direktion  besonders  angeordnet. 

In  Österreich  und  Ungarn  hat  sich  die 
Einführung  der  S.  im  Eisenbahndienst  in 
ähnlicher  Weise  vollzogen  wie  in  Deutschland. 
Durch  die  Novelle  zur  Gewerbeordnung  vom 
8.  März  1885,  an  deren  Stelle  das  Gesetz 
vom  16.  Januar  1895  trat,  wurde  die  S.  in 
Österreich  und  durch  das  Gesetz  vom  14.  Mai 
18QI  in  Ungarn  eingeführt.  Hierzu  wurde 
vom  österreichischen  Handelsminister  im  RGB. 
1895,  Nr.  58  eine  Verordnung  erlassen,  nach 
der  Eilgut  bei  den  Eisenbahnen  und  Dampf- 
schiffen auch  Sonntags  aufgegeben  und  den 
Empfängern  zugestellt  werden  darf.  Auch  das 
Be-  und  Entladen  der  Wagen  auf  Anschluß- 
gleisen ist  hiernach  erlaubt,  wenn  andernfalls 
im  Vergleich  zur  Abfertigung  auf  den  Gleisen 
des  öffentlichen  Verkehrs  erhöhte  Kosten  für 
Standgeld  u.  s.  w.  entstehen  würden.  Auch 
in  Österreich-Ungarn  sind  die  Eisenbahnen 
der  Gewerbeordnung  nicht  unterworfen.  Ihren 
Einwirkungen  konnten  sich  die  Eisenbahn- 
vcrwaltungen  aber  nicht  entziehen.  Sie  be- 
schlossen deshalb  nach  eingehenden  Erhe- 
bungen eine  Einschränkung  des  Güterverkehrs 
nach  ähnlichen  Leitsätzen,  wie  sie  auf  den 
deutschen  Eisenbahnen  eingeführt  sind.  Durch 
ministerielle  Anordnung  trat  dieser  Beschluß 
am  1.  Mai  1898  in  Kraft.  Als  Feiertage,  die 
wie  Sonntage  zu  behandeln  sind,  wurden  der 
Neujahrstag,  der  zweite  Ostertag,  Himmelfahrt, 
der  zweite  Pfingsttag,  Fronleichnam,  Allerhei- 
ligen sowie  die  beiden  Weihnachtstage  festgesetzt 
und  die  Lieferfristen  um  diese  Tage  allgemein 
verlängert.  Über  die  Einschränkung  der  Eilgut- 
und  Güterbeförderung  enthält  das  öster- 
reichisch-ungarische Betriebsreglement  die  auch 
in  das  VBR.  aufgenommenen  Bestimmungen, 
die    mit    den    für  die  deutschen  Eisenbahnen 


durch  die  EVO.  getroffenen  Anordnungen 
sachlich  übereinstimmen. 

In  Belgien  gilt  das  Gesetz  über  die  S.  vom 
17.  Juli  1905  auch  für  die  Eisenbahnen  (s.  Dienst- 
und Ruhezeiten).  Nach  ministerieller  Vorschrift  sind 
die  Stationen  der  belgischen  Staatsbahnen  an  Sonn- 
und  Feiertagen  nur  für  den  Verkehr  von  Personen, 
Gepäck  und  Frachtstücken,  die  durch  Eilboten  zu 
bestellen  sind,  Geldsendungen,  Wertpapiere,  von 
Pferden  und  Fahrzeugen  als  Eilgut  und  von  Leichen, 
frischen  Fischen  und  einigen  anderen  Gegenständen 
geöffnet.  Die  Stadtbureaus  sind  vollständig  ge- 
schlossen. Die  Anschlußgleise  werden  nicht  bedient. 

In  Dänemark  ist  am  3.  April  1891  und  in 
Norwegen  am  27.  Juni  1892  die  gesetzliche  S. 
eingeführt. 

In  Frankreich  ist  die  S.  gesetzlich  nicht  ge- 
regelt, doch  werden  die  Bahnhöfe  auf  ministerielle 
Anordnung  an  Sonn-  und  Festtagen  um  9  Uhr  vor- 
mittags für  Frachtgut  und  um  10  Uhr  vormittags 
auch  für  eilgutmäßig  zu  befördernde  Gegenstände 
geschlossen.  Das  gesamte  Personal  der  Direktionen 
und  ihrer  Abteilungen,  der  Hauptmagazine  und 
Werkstätten  ist  Sonn-  und  Festtags  dienstfrei.  Für  aus- 
nahmsweise Heranziehung  zum  Dienst  werden  Ersatz- 
ruhepausen gewährt,  so  daß  für  jeden  Bedien- 
steten 52  Ruhetage  sich  ergeben  (s.  Dienst-  und  Ruhe- 
zeiten). Nach  Ministerialerlaß  vom  9.  Mai-  1S91 
darf  Eil-  und  Frachtgut  den  Empfängern,  die  es 
beantragen.  Sonn-  und  Festtags  nicht  zugestellt 
werden. 

In  Italien  ist  die  S.  nicht  gesetzlich  geregelt. 
Für  den  Eisenbahndienst  an  Sonn-  und  Feiertagen 
sind  daher  die  von  der  Verwaltung  getroffenen 
Bestimmungen  maßgebend.  Die  den  Eisenbahn- 
bediensteten zu  gewährenden  Ruhezeiten  sind  durch 
königliche  Verordnung  festgesetzt,  doch  enthält 
diese  keine  Vorschriften  über  Dienstbefreiungen  an 
Sonn-  und  Festtagen. 

In  den  Niederlanden  besteht  keine  gesetz- 
liche Regelung  der  S.  Die  Eisenbahnen  lassen  aber 
den  Güterzugverkehr  seit  dem  1.  Juli  1895  an 
Sonn-  und  Festtagen  ruhen,  nachdem  die  Regierung 
sie  von  der  Pflicht  entbunden  hat,  an  diesen  Tagen 
Güter  anzunehmen,  abzuholen  oder  auszuliefern  und 
zu  bestellen  sowie  die  Sonn-  und  Festtage  bei  den 
hierfür  festgesetzten  Fristen  anzurechnen.  Ebenso 
fallen  diese  Tage  bei  Berechnung  der  Lager-  und 
Magazingelder  und  der  Wagenmieten  aus. 

In  der  Schweiz  ist  die  Sonntagsarbeit  durch 
Bundesgesetz  vom  23.  März  1879  verboten.  Durch 
Gesetz  vom  27.  Juni  1890  wurde  die  S.  auf  die 
Eisenbahnanlagen  ausgedehnt  und  für  den  Güter- 
dienst mit  Ausnahme  der  Beförderung  von  Vieh 
und  Eilgut  an  Sonn-  und  Festtagen  unbedingte 
Ruhe  angeordnet.  Als  Festtage  gelten  Neujahr, 
Karfreitag,  Himmelfahrt,  Weihnachten  und  weitere 
kantonale  Festtage,  aber  nicht  über  8  einschließlich 
der  genannten.  Nach  §  59  des  Transportreglements 
wird  die  Annahme  von  Gütern  an  den  Vorabenden 
von  Sonn-  und  Festtagen  um  5  Uhr  nachmittags 
geschlossen.  Nach  §  106  ist  die  Verwaltung  zur 
Abholung,  Zustellung  und  Avisierung  von  Gütern 
an  Sonn-  und  Festtagen  nicht  verpflichtet. 

In  Rußland  bezeichnet  das  Fabrikgesetz  vom 
2.  (14.)  Juni  1897  die  Sonntage  und  eine  Anzahl 
Feiertage  als  Ruhetage.  Auch  nach  dem  russischen 
Handelsgesetz  darf  an  Sonn-  und  hohen  Feiertagen 
nicht  gearbeitet  werden.  Im  Eisenbahndienst  schreitet 
die  Regelung  der  S.  im  Sinne  der  in  den  west- 
lichen Nachbariändern  getroffenen  Maßnahmen  nur 
langsam  vorwärts. 


84 


Sonntagsruhe.   -   Southern  Pacific  Company. 


In  England  wird  an  den  Sonntagen  Dienst  und 
Arbeit  mehr  als  in  anderen  Ländern  vcrniicdcn. 
Die  strenge  Einhaltung  der  S.  hat  die  Entwicklung 
des  Eisenbalin\erl<ehrs  von  seiner  Entstehung  an 
so  stark  beeinfhißt,  daß  auch  im  Fahrdienst  eine 
in  anderen  Ländern  ganz  unbekannte  S.  stattfindet. 
Der  Güterverkehr  ruht  gänzHch  und  selbst  für  den 
Personenverkehr  wird  nur  eine  beschränkte  An- 
zahl von  Zügen  gefahren.  Der  Zugverkehr  an  Sonn- 
tagen weicht  deshalb  vom  Verkehr  an  den  Wochen- 
tagen so  erheblich  ab,  daß  für  den  Sonntagsdienst 
besondere  Fahrpläne  aufgestellt  werden  müssen. 
In  den  Bureaus  der  Verwaltungen  wird,  wie  auch 
im  sonstigen  Qeschäftsleben,  am  Samstag  nur  bis 
1  Uhr  mittags  gearbeitet.  Die  Schalter  für  den 
Güterenipfang  werden  um  3  Uhr,  für  den  Versand 
um  4  Uhr  nachmittags  geschlossen.  Um  dieselbe 
Zeit  beginnt  ein  starker  Personenverkehr  von  den 
Qeschäftsplätzen  hinaus  nach  den  Wohnstätten  und 
Erholungsorten,  dem  dann  am  Sonntag  eine  völlige 
Ruhe  bis  zum  Abend,  wo  die  Rückkehr  beginnt, 
folgt.  Während  der  S.  verkehren  im  Fernverkehr 
nur  einige  wenige  Züge,  deren  Ausfall  eine  unzu- 
lässige Unterbrechung  wichtiger  Verkehrsbeziehungen 
zur  Folge  haben  würde. -Sonntagsarbeit  und  Sonn- 
tagsdienst wird  in  England  ähnlich  behandelt  wie 
Oberstunden  über  die  gewöhnlichen  Tagesleistungen 
hinaus  oder  wie  der  Nachtdienst  (s.  d.).  Die  Eisen- 
bahnen vergüten  die  Sonntagsleistungen  auch  höher 
und  gewähren  hierfür  Zuschläge  von  25  — 50^;^.  Der 
Sonntagsdienst  wird  nur  dann  nicht  besonders  an- 
gerechnet, wenn  ihm  eine  Ruhe  von  24  Stunden 
vorausging  oder  wenn  er  die  Verlängerung  einer 
Wochentagsschicht  bildet.  Auf  der  Midiandbahn 
erhält  das  Lokomotivpersonal  der  Güterzüge  für 
den  nach  7  Uhr  endenden  Dienst  der  abgelaufenen 
Woche,  soweit  er  in  den  Sonntag  fällt,  SO«;»  Lohn- 
zuschlag, für  andern  Sonntagsdienst  wie  das  übrige 
Personal  aber  nur  25  °i.  Auf  der  großen  Westbahn 
erhält  das  ganze  Personal  50  ",0  Lohnzuschlag,  so- 
weit der  Dienst  die  wöchentlich  zu  leistenden 
6  Schichten  überschreitet.  Die  große  Ostbahn  ver- 
gütet 25"»  Zuschlag.  Ihre  Stellwerksweichensteller 
erhalten  ihn  aber  nur  dann,  wenn  eine  besondere 
Sonntagsschicht  über  5  Stunden  geleistet  wird  und 
sie  keinen  Ruhetag  in  der  Woche  gehabt  haben 
(vgl.  Arch.  f.  Ebw.  1912,  S.  677). 

In  den  nordamerikanischen  Staaten  besteht 
ebenfalls  gesetzliche  S.  und  eine  fast  ebenso  strenge 
Auffassung  über  ihre  Einhaltung,  auch  im  Eisen- 
bahndienst wie  in  England.  Breusing. 

South  Eastern  and  Chatham  Railway 

(619  engl.  Meilen).  Die  Linien  der  South 
Eastern  Railway  und  jene  der  London  Chatham 
and  Dover  Railway  wurden  auf  Grund  einer 
Parlamentsakte  vom  Jahre  1899  zu  einer  Be- 
triebsgemeinschaft vereinigt.  Die  Hauptlinie 
der  ersteren  (gegründet  1836)  führt  von  London 
über  Tonbridge,  Ashford  nach  Folkestone  und 
Dover.  Die  Hauptlinie  der  London  Chatham 
and  Dover  Railway  (gegründet  1853)  führt  von 
London  über  Farmingham,  Chatham,  Favers- 
ham,  Canterbury  nach  Dover. 

Southern  Railway  (Vereinigte  Staaten 
von  Amerika)  erhielt  ihren  Freibrief  am 
20.  Februar  1894  vom  Staate  Virginia,  hat 
ihren    Sitz    in    Richmond    (Virginia).    Länge 


1 1.330  km,  davon  im  Eigentum  6825  km.  Ihre 
Hauptlinien  durchziehen    die  Staaten  Virginia, 
Nord-    und    Südcarolina,   Georgia,    Tennessee,       i 
Alabama,  Mississippi,  Kentucky,  Indiana,  Illinois.       i 
Ihre  westlichen  Endstationen  sind  St.  Louis  und 
Memphis,    die   östlichen  Ausgangspunkte  Wa- 
shington,   Norfolk,    Charleston,    Savannah    bis 
hinunter    nach    Florida.     Die    Richtung    der 
Hauptstrecke   ist   eine  westöstliche  und   nord- 
südliche.   An    die   Hauptlinien    schließen    sich 
eine     große    Anzahl     Nebenbahnen     an,     die 
wesentlich  als  Zufuhrbahnen  dienen.  Das  durch 
den  Freibrief  genehmigte  Anlagekapital  besteht 
aus     350   Mill.  $    Aktien,    wovon    aber    erst       , 
1 20  Mill.  $  gewöhnliche  und  60  Mill.  .§  Vorzugs-       i 
aktien  ausgegeben  sind,  und  195  Mill.  5  Bonds. 
Die   Bahn   hat   in    den    ersten   Jahren    1V2% 
Dividende  auf  die  Vorzugsaktien  verteilt,  im       | 
Jahre   1912  A'^j^^,   1913  5%. 

Die  S.  hat  eine  lange  Vorgeschichte.  Ihre 
Vorgängerin  war  die  Richmond  Terminal  Cy., 
eine  Gemeinschaft  von  einer  Reihe  größerer 
und  kleinerer  Bahnen,  deren  Hauptbestandteile 
die  Richmond  und  Danville-Eisenbahn  (ge- 
gründet 1856)  und  die  Fast  Tennessee,  Virginia 
und  Georgia-Eisenbahn  (gegründet  1869) 
bildeten.  Diese  beiden  und  eine  Anzahl 
kleinerer  Bahnen  haben  sich  wiederholt  zu- 
sanunengeschlossen  und  wieder  getrennt,  eine 
Zeitlang  standen  sie  unter  der  Kontrolle  der 
Pennsylvaniabahn,  die  sich  aber  dieses  un- 
sicheren Besitzes  bald  entäußerte.  Die  meisten 
der  Bahnen  haben  wiederholt  ihre  Zahlungen 
eingestellt,  sind  auch  zwangsweise  verkauft 
worden.  Sie  waren  fast  alle  mangelhaft  gebaut 
und  schlecht  mit  Betriebsmitteln  ausgestattet.  ■ 
Bei  den  verschiedenen,  immer  erneuerten  Re- 
organisationsplänen ging  es  nicht  sauber  her, 
die  Aktionäre  und  die  Obligationäre  haben  viel 
Geld  eingebüßt,  bis  der  letzte,  von  der  Firma 
Drexel,  Morgan  &  Cie.  im  Jahre  1893  vor- 
geschlagene Plan  mit  allerdings  großen  Verlusten 
der  verschiedenen  Interessenten  zum  Ziel 
führte.  Die  S.  hat  sich  seitdem  langsam  er- 
holt, wenngleich  ihre  Finanzverhältnisse  immer 
noch  nicht  gesichert  sind.  Sie  gehört  jetzt  zu 
den  5  großen  Eisenbahngruppen,  die  das  süd- 
liche Gebiet  der  Vereinigten  Staaten  zwischen 
dem  Atlantischen  Ozean  und  dem  Mississippi  , 
beherrschen.  Es  sind  dies  außer  ihr  die  Atlantic 
Coast  Line,  die  Seaboard  Air  Line,  die  Louisville, 
Nashville  und   die  Illinois  Central-Eisenbahn. 

Z./yfrato/-.-Daggett,RaiIroad  reOrganization  (1908): 
The  Southern  (S.  146-191).  v.dcrLeyen. 

Southern     Pacific    Company    (südliche 
Überlandbahn)  ist  eine  der  größten  Eisenbahn-       '■ 
und  Dampfschiffahrtsunternehmungen  der  Ver- 
einigten Staaten.  Die  Gesellschaft  ist  am  1 7.  März       i 


Southern  Pacific  Company.   -    Spanische  Eisenbahnen. 


85 


1884  unter  den  Gesetzen  des  Staates  Kentucky 
gegründet.  Obgleich  sie  ihren  Schwerpunkt 
in  dem  Staat  Kalifornien  hat,  zogen  die  Gründer 
—  an  erster  Stelle  die  großen  Eisenbahnkönige 
des  Westens  der  Vereinigten  Staaten,  C.  P. 
Huntington  (s.  d.)  und  Leland  Stanford  — 
vor,  sich  von  Kentucky  die  Konzession  erteilen 
zu  lassen,  weil  sie  fürchteten,  daß  die  Gesetz- 
gebung des  Staates  Kalifornien  ihnen  einmal 
unbequem  werden  könnte.  Die  Eisenbahnlinien 
der  Gesellschaft  erstrecken  sich  von  Portland 
in  Oregon  über  San  Francisco  und  Los  Angelos 
bis  nach  New  Orleans  und  Galveston  in  einer 
Länge  von  fast  5000  km.  Von  dieser  Hauptlinie 
gehen  nach  verschiedenen  Richtungen  Seiten- 
linien ab,  die  insbesondere  die  südlichen  und 
westlichen  Gebiete  Kaliforniens  durchziehen. 
Die  Gesellschaft  hat  mehrere  größere  Eisenbahn- 
linien, die  früher  selbständig  waren,  teils  durch 
Kauf,  teils  durch  Pachtung  erworben  und  zu 
einem  Ganzen  vereinigt.  Die  hauptsächlichsten 
dieser  Gesellschaften  sind  die  Central  Pacific- 
Eisenbahn  (s.d.),  die  Southern  Pacific  Gesell- 
schaften von  California,  von  Arizona  und  von 
Neu-Mexico,  die  Oregon  and  California-Eisen- 
bahn (von  Portland  in  Oregon  nach  San  Fran- 
cisco), die  Galveston,  Harrisburgh  and  San 
Antonio-Eisenbahn  und  mehrere  kleinere  Linien. 
Durch  Neubau  und  Erwerb  anderer  Bahnen 
sowie  durch  Verkauf  einzelner  Strecken  hat  sich 
das  Netz  im  Lauf  der  Jahre  wiederholt  geändert. 
Die  S.  war  lange  Zeit  zu  einer  Betriebs-  und 
Finanzgemeinschaft  mit  der  Union  Pacific  Ry. 
verbunden  (s.  d.).  Durch  Urteil  des  höchsten 
Gerichtshofs  vom  2.  Dezember  1912  ist  diese 
Gemeinschaft  auf  Grund  des  Sherman-  (Anti- 
trust-)  Gesetzes  aufgelöst  und  die  beiden  Netze 
sind  am  30.  Juni  1913  getrennt  worden.  Der 
Verkehr  zwischen  New  Orleans,  Galveston, 
Veracruz  und  den  übrigen  südöstlichen  Häfen 
der  Vereinigten  Staaten  und  Mexicos  mit  New 
York  und  den  anderen  nordöstlichen  Hafen- 
plätzen wird  durch  Dampfer  vermittelt,  die 
Strecken  in  einer  Gesamtlänge  von  etwa  7000/^/« 
durchfahren. 

Das  Gesamtnetz  der  S.  hatte  am  30.  Juni  1913 
einen  Umfang  von  16.196  km,  wovon  10.658/^/« 
im  Eigentum  und  5538  km  im  Pachtbetrieb  der 
Gesellschaft  standen.  Das  Anlagekapital  betrug 
272,672.406  Ä  in  Aktien  und  165,581.910* 
in  Bonds.  An  Dividenden  sind  seit  1907  regel- 
mäßig t%  auf  die  gewöhnlichen  Aktien  aus- 
geschüttet worden.  Wie  bei  den  meisten  der 
großen  amerikanischen  Bahnen,  sind  auch  bei 
der  S.  die  Finanzverhältnisse  höchst  unklar. 
Ober  den  Betrieb  und  die  auf  den  wett- 
bewerbsfreien Strecken  erhobenen  unverhältnis- 
mäßig hohen  Tarife  wurde  früher  viel  geklagt. 


Literatur  außer  den  Jahresberichten,  den  Mit- 
teilungen in  Poors  Manual:  van  Oss,  The  Southern 
Pacific  System  in  dessen  Buch:  American  Railroads 
as  investments.  1893,  S.  689  ff.  v.  der  Leveii. 

Spanische  Eisenbahnen  (mitKarte,Taf.lI.). 

Inhaltsübersicht:  1.  Geschichte,  a)  Bis  1876. 
b)  Die  neuere  Zeit,  c)  Der  gegenwärtige  Zustand. 
-  2.  Bau.  -  3.  Betriebsmittel.  -  4.  Betrieb.  - 
5.  Verkehr  und  Tarifwesen.  —  6.  Nebenbahnen.  - 
7.  Aufsichts-  und  Verwaltungsbehörden. 

1.  Geschichte. 
a)  Bis  1876. 

Der  im  Mittelalter  so  blühende  Handel  und 
Verkehr  Spaniens  war  im  Lauf  der  Jahrhunderte 
immer  mehr  zurückgegangen.  Besonders  das 
von  jeher  arg  vernachlässigte  Straßenwesen  ent- 
sprach in  keiner  Weise  den  Bedürfnissen  des 
Verkehrs.  Erst  unter  Carl  Xlll.  wurden  etwa 
2000  km  Landstraßen  gebaut,  im  übrigen  gab 
es  nur  für  Reiter  und  Viehherden  zugängliche 
Saumpfade  und  Wege. 

Mit  dem  Aufschwung  des  Eisenbahnwesens 
schien  auch  für  Spanien  eine  bessere  Zeit  an- 
brechen zu  wollen.  Die  erste  Konzession  wurde 
schon  1830  erteilt,  u.  zw.  für  eine  Eisenbahn  von 
Jerez  nach  der  Hafenstadt  Santa  Maria  Rota 
nördlich  von  Cadiz.  Allein  diese  Bahn  kam 
nicht  zur  Ausführung.  Erst  gegen  1843  nach 
Beendigung  der  Bürgerkriege  wurden  wieder 
Eisenbahngenehmigungen  erteilt,  so  für  Bar- 
celona-Mataro  und  für  Madrid-Aranjuez.  Erstere 
Linie  wurde  1848  als  erste  Eisenbahn  der 
pyrenäischen  Halbinsel  eröffnet.  Infolge  Ge- 
nehmigung weiterer  Eisenbahnen  —  Madrid- 
Cadiz,  Avila-Leon  —  wurden  durch  königliche 
Verordnung  vom  31.  Dezember  1844  die  ersten 
Grundsätze  für  Eisenbahnbewilligungen  fest- 
gestellt. Ein  vom  Generalrat  der  Ingenieure 
auf  Veranlassung  der  Regierung  erstatteter  Be- 
richt empfahl  Unterstützung  der  Bewerber, 
Forderung  der  Vorlage  vollständig  ausgear- 
beiteter Bau-  und  Betriebspläne  und  Stellung 
eines  Haftgeldes  von  ""/lo  ^^■'  veranschlagten 
Baukosten.  Die  Regierung  trat  diesem  Gutach- 
ten mit  der  Maßgabe  bei,  daß  vorläufige  Ge- 
nehmigungen jedem  Bewerber  erteilt  werden 
sollten.  Hierbei  sollten  für  Vorlage  des  Bau- 
plans und  des  Haftgeldes  12—18  Monate 
Frist  bewilligt  und  es  sollte  den  Bewerbern 
dasVorrecht  vor  anderen  Bewerbern  zugestanden 
werden.  Die  Folge  hiervon  war  ein  schwung- 
voller Handel  mit  Baugenehmigungen.  Wenn 
alle  damals  genehmigten  Eisenbahnen  zur  Aus- 
führung gekommen  wären,  würde  Spanien  das 
dichtmaschigste  Eisenbahnnetz  Europas  haben. 
Stattdessen  entwickelte  sich  dieses  recht  langsam. 

Es  waren  im  Betrieb:  1848  28  km,  1855 
475  ÄOT,  1860  1912  ÄOT,  1865  4823  >^w,  1870 
5469  Ä/n,  1875  6134  km,  1880  1511  km,  1885 


86 


Spanische  Eisenbahnen. 


8933  km.  Von  allen  in  den  Jahren  1 845/46 
genehmigten  Bahnen  sind,  abgesehen  von 
Barcelona-Mataro,  zunächst  nur  die  Linien 
Madrid -Aranjuez  (eröffnet  1852),  Sama  de 
Langreo-Gijon  (eröffnet  1852)  und  Valencia- 
Jativa  (eröffnet  1854)  ausgeführt  worden. 

Der  Mangel  eines  einheitlichen,  weitaus- 
bückenden Anlageplans  oder  vielmehr  das 
Unterlassen  einer  folgerichtigen  Durchführung 
eines  solchen,  ferner  der  Kampf  der  Gesell- 
schaften untereinander  trugen  nicht  wenig 
dazu  bei,  viele  Erwartungen  und  berechtigte 
Hoffnungen  zu  täuschen.  Auf  Grund  weit- 
läufiger, jedoch  ungleichwertiger  Vorarbeiten 
wurde  im  Jahre  1854  der  erste  allgemeine 
Plan  eines  Eisenbahnnetzes  veröffentlicht.  Er 
umfaßte  7798  km  Eisenbahnen  mit  einem 
Kostenvoranschlag  von  1296  Mill.  Pesetas', 
wobei  der  Staat  eine  Beihilfe  in  unterschied- 
licher Form,  als  gewöhnliche  Unterstützung, 
rückzahlbare  Vorschüsse  oder  Zusatzunter- 
stützung bis  zu  421/2^^  des  Voranschlags,  zu 
leisten  sich  verpflichtete. 

Um  dem  Handel  mit  Baugenehmigungen 
entgegenzuwirken,  brachte  die  Regierung  1848 
einen  Gesetzentwurf  ein,  der  die  vorläufigen 
Bewilligungen  untersagte  und  den  Unterneh- 
mern eine  6  %  ige  Kapitalsverzinsung  zusicherte. 
Zugleich  ließ  sie  Ermittlungen  über  den  Bau 
von  4  großen,  von  Madrid  ausgehenden  Bahnen 
anstellen  nach  Frankreich,  Portugal,  Cadiz  und 
einem  Mittelmeerhafen.  Obwohl  der  Entwurf 
nicht  Gesetz  wurde,  dienten  seine  Grundsätze 
doch  als  Richtschnur  für  die  Verwaltung. 

1850  erschien  ein  neuer  Gesetzentwurf,  der 
die  Eisenbahnen  in  solche  allgemeiner  und 
solche  örtlicher  Wichtigkeit  einteilte,  für  jede 
Baugenehmigung  ein  besonderes  Gesetz  ver- 
langte und  eine  Zinsgewähr  von  höchstens 
6  %  vorsah.  Auch  diese  Vorlage  blieb  Entwurf, 
es  wurde  dann  1851  ein  vorläufiges  Gesetz  er- 
lassen, das  6  *(7  Zinsgewähr  vorsah,  aber  die 
Unternehmer  verpflichtete,  der  Zinsgewähr  zu 
entsagen,  wenn  das  endgültige  Gesetz  sie  ver- 
weigern sollte.  Die  politischen  Wirren  verhin- 
derten die  Annahme  des  Gesetzes,  die  Regie- 
rung wandte  indessen  seine  Bestimmungen 
eigenmächtig  auf  die  Bahnen  Madrid-Aranjuez 
und  Madrid-li;un  an.  Einen  weiteren,  sich  an 
belgisches  Vorbild  anlehnenden  Gesetzentwurf 
bereitete  der  Minister  der  öffentlichen  Arbeiten 
Reinoso  vor,  der  aber  auch  nicht  beraten, 
trotzdem  jedoch  von  der  Regierung  für  rechts- 
gültig erklärt  wurde,  die  auf  ihn  gestützt  mit 
dem  bekannten  Finanzmann  Jose  Salamanca 
zur  Erbauung  der  Bahnen  Madrid-Miranda- 
und   Miranda-Burgos   Verträge    abschloß,    die 

'  1  Pesetas  =  OSO  M.  =  005  Kr. 


aber  später  hinfällig  wurden.  Gleichzeitig  kaufte 
die  Regierung  die  Linie  Madrid-Aranjuez  und 
baute  für  Rechnung  des  Staates  die  Linien 
Malaga-Almodovar  del  Rio,  Soenellasnos-Cuidad 
Real  und  Sevilla-Cadiz.  Der  Betrieb  wurde  der 
Salamanca-Eisenbahn  auf  5  Jahre  verpachtet.  Um 
sich  die  nötigen  Mittel  zu  verschaffen,  gab  sie 
ferner  „Aktien  der  Eisenbahnen  und  Straßen« 
aus  und  erteilte  trotz  des  Widerspruchs  des 
königlichen  Rates  weitere  Baugenehmigungen 
mit  Unterstützungen  oder  Zinsgewähr  von  6%. 
Allein  dieses  und  weiteres  ungesetzliches  Ver- 
halten der  Regierung  regte  die  öffentliche 
Meinung  in  hohem  Grade  auf  und  führte 
wesentlich  mit  zur  Revolution  von  1854.  Die 
neue  Regierung  beschäftigte  sich  alsbald  wieder 
mit  der  Eisenbahnfrage.  Zuvörderst  setzte  sie 
einen  Ausschuß  ein  zur  strengen  Untersuchung 
der  seitherigen  Genehmigungs-  und  Vertrags- 
wirtschaft. Er  erklärte  die  meisten  Bewilligungen 
für  nichtig,  die  anderen  wurden  durch  be- 
sondere Verordnungen  geregelt. 

Ein  Ausschuß  wurde  mit  Ausarbeitung  eines 
Gesetzentwurfs  über  Eisenbahnen  betraut.  Das 
von  ihm  unterm  3.  Juni  1885  vorgelegte  Gesetz 
bestimmte  folgendes: 

1.  Die  Eisenbahnen  werden  eingeteilt  in 
solche  allgemeiner  und  solche  besonderer  Be- 
deutung. Von  den  ersteren  sind  die  von  Ma- 
drid ausgehenden  Hauptbahnen  erster  Ordnung 
und  sollen  als  Bestandteil  des  Staatseigentums 
behandelt  werden. 

2.  Die  Genehmigung  von  Linien,  die  vom 
Staat  oder  Privaten  gebaut  werden,  kann  nur 
die  Regierung  aussprechen  mit  Bewilligung 
von  Unterstützung  oder  Zinsengewähr.  Ge- 
nehmigungen sind  Gegenstand  öffentlichen 
Zuschlags,  ihre  Dauer  ist  bei  Hauptbahnen 
99  Jahre  und  ihr  hat  eine  Haftgeldbestellung 
von  1  %   des  Anschlags  vorherzugehen. 

3.  Die  Spurweite  der  Hauptbahnen  beträgt 
1-674  m. 

4.  Die  Tarife  setzen  sich  aus  Wegegeld  und 
Beförderungsgebühr  zusammen. 

5.  Die  Bauausführung  hat  auf  Grundlage 
der  von  Staatsbaubeamten  oder  von  Gesell- 
schaften aufgestellten  Pläne  zu  erfolgen. 

Dieses  Gesetz  bildet  die  Grundlage  für  spätere 
Eisenbahngesetze  ebenso  wie  eine  am  14.  No- 
vember 1855  erfassene  Polizeiverordnung  für 
ähnliche  Verordnungen. 

Die  Revolution  von  1868  änderte  vorüber- 
gehend wieder  alles,  dem  Eisenbahnbau  wurden 
die  vollsten  Freiheiten  gewährt,  dagegen  die 
den  Gesellschaften  bewilligten  Unterstützungen 
aufgehoben.  Doch  schon  ein  Gesetz  von  1870 
billigte  wieder  kilometrische  Beihilfen  bis  zu 
60.000  Franken  zu. 


Spanische  Eisenbahnen. 


87 


Anfangs  war  es  englisches  Geld,  später  auch 
französisches,  das  unter  anscheinend  günstigen 
Bedingungen  zum  Eisenbahnbau  herangezogen 
\xurde.  Die  Regierung  entschloß  sich  auch 
noch  zur  Gewährung  weitgehender  Steuer-  und 
Zollbefreiungen.  Letzteres  schien  geboten,  weil 
in  Spanien  weder  Eisenbahnbau-,  noch  rol- 
lendes Material  erzeugt  wurde.  Den  Genehmi- 
gungsanträgen war  zu  diesem  Zweck  ein  Ver- 
zeichnis der  einzuführenden  Gegenstände,  ihr 
ungefährer  Wert,  Gewicht,  etwaige  Höhe  des 
Zolles  und  Angabe  des  Einfuhrhafens  beizu- 
fügen. Die  Zollbefreiung  für  festes  und  rol- 
lendes Material  erstreckte  sich  auf  10  Jahre 
nach  Vollendung  des  Baues.  Die  Gesellschaft 
hinterlegte  den  Zoll,  doch  war  das  Erstattungs- 
verfahren langwierig. 

Durch  ein  Ges.  vom  31.  Dezember  1891 
wurden  alle  früheren  Verordnungen  über  Zoll- 
begünstigungen aufgehoben  und  wesentlich 
abgeänderte  Vorschriften  über  die  Verzollung 
einzuführender  Eisenbahnmaterialien    erlassen. 

Das  Genehmigungswesen  lag  in  den  ersten 
Jahrzehnten  des  spanischen  Eisenbahnbaues 
ziemlich  im  argen.  Viele  Genehmigungen 
wurden  planlos  nachgesucht  und  erteilt,  oft 
gar  nicht  oder  nur  stückweise,  meist  zunächst 
die  leichtesten  Strecken  verwirklicht.  Schon  in 
den  Sechzigerjahren  des  vorigen  Jahrhunderts 
hatten  der  Mangel  einer  namhaften  Industrie  und 
politische  Wirren  viele  Unternehmungen  trotz 
oder  vielleicht  gerade  wegen  der  verhältnismäßig 
hohen  Genehmigungstarife  in  eine  mißliche 
Lage  gebracht.  Um  aber  einem  Bankrott  der 
Eisenbahnen  vorzubeugen,  verfügte  das  Cortes- 
gesetz  vom  12.  November  1869,  daß  Eisen- 
bahngesellschaften, die  Zinsen-  und  Tiigungs- 
beträge  zu  zahlen  nicht  in  der  Lage  seien,  den 
Gläubigern  einen  Vergleich  (convenio)  anbieten 
können  durch  Vermittlung  des  Gerichts,  das 
entsprechende  Fristen  zur  Erklärung  der  Gläu- 
biger festsetzt.  Häufig  kam  es  der  hohen  Kosten 
wegen  auch  zum  außergerichtlichen  Vergleich. 
Aber  auch  wenn  die  Gesellschaft  für  bank- 
brüchig erklärt  wird,  darf  der  Betrieb  doch 
keinesfalls  unterbrochen  werden. 

1856  wurde  einem  Pariser  Finanzmann  die 
Genehmigung  für  den  Bau  der  nordspanischen 
Eisenbahn  erteilt,  d.h.  für  die  Hauptlinie Madrid- 
Irun  nebst  Zweigbahn  Venta  de  Bagnos-Alar 
del  Rey.  Diese  erste  Bahn  nach  Frankreich 
wurde  am  15.  August  1864  bis  Irun  eröffnet. 
Die  nordspanische  Eisenbahn  dehnte  ihr  Netz 
aus,  geriet  aber  in  Geldschwierigkeiten.  Es  gelang 
ihr  jedoch,  sich  emporzuarbeiten,  so  daß  sie  1885 
das  ganze  Netz  der  asturischen,  galicischen  und 
der  Eisenbahnen  bei  Leon  an  sich  bringen,  bald 
nachher  auch  die  französische  und  katalonische 


Inhabergruppe  von  Aktien  mit  sich  vereinigen 
konnte.  Die  spanische  Nordbahn  (s.  d.)  hatte  als 
Hauptwettbewerberin  zunächst  die  Tarragona- 
Barcelona  Francia-  und  die  Almansa-Valencia- 
Tarragona-,  sodann  die  Madrid-Saragossa-Ali- 
cante-Eisenbahn,  es  kam  aber  im  Lauf  der 
Jahre  zu  Verständigungen,  besonders  als  eine 
Gesellschaft  der  großen  spanischen  Zentralbahn 
auftrat.  Die  erstgenannten  Bahnen  wurden  von 
der  spanischen  Nordbahn  erworben.  Die  Grund- 
lage der  großen  spanischen  Zentralbahn  aber 
bildeten  die  Madrid-Caceres-Portugal-Eisenbahn 
und  die  spanische  Westbahn.  Bei  beiden  war 
die  königlich  portugiesische  Eisenbahngesell- 
schaft beteiligt  (s.  Portugiesische  Eisenbahnen). 
Um  das  Jahr  1895  hatten  sich  die  spanischen 
Eisenbahnverhältnisse  einigermaßen  gefestigt  und 
es  hatten  sich  die  4  großen  spanischen  Eisenbahn- 
netze gebildet,  deren  Gesellschaften  noch  heute 
die  Hauptverkehrsbeziehungen  Spaniens  regeln. 

b)  Die  neuere  Zeit. 

In  den  Jahren  1876  und  1877  wurden  die 
Grundlagen  für  den  Begriff  der  öffentlichen 
Arbeiten  und  was  damit  zusammenhängt  in 
Spanien  gesetzlich  festgelegt.  Darnach  sind 
öffentliche  Arbeiten  entweder  allgemeine,  oder 
provinziale,  oder  Gemeindearbeiten.  Zu  den 
allgemeinen  öffentlichen  Arbeiten  gehören  die 
Eisenbahnen  von  nationaler  Bedeutung  und 
die  übrigen  Eisenbahnen  von  allgemeiner  Be- 
deutung hinsichtlich  der  Bewilligung  überhaupt, 
der  Prüfung  und  Genehmigung  der  Entwürfe, 
der  Aufsicht  und  Sicherheit.  Die  öffentlichen 
Arbeiten  können  ausgeführt  und  ausgebeutet 
werden  entweder  durch  die  Verwaltung,  d.  h. 
durch  den  Staat,  die  Provinz,  die  Gemeinde, 
oder  durch  Vertrag,  d.  h.  durch  Übertragung 
der  Arbeiten  an  einen  Dritten.  Die  öffentlichen 
Arbeiten  unterstehen  einer  Generaldirektion,  die 
dem  Ministerio  di  fomento,  d.  h.  dem  Mini- 
sterium für  Volkswohl  angehört. 

Die  Eisenbahnen  werden  in  der  Regel  durch 
Privatunternehmungen  gebaut,  aber  unter  Mit- 
wirkung des  Staates.  Letztere  kann  bestehen 
1.  in  einem  Zuschuß  zum  Bau,  2.  in  der  Ein- 
reihung der  Eisenbahnen  in  das  öffentliche 
Eigentum  und  der  Erklärung  des  öffentlichen 
Nutzens  für  die  Enteignung,  3.  in  der  Verlei- 
hung der  Baubewilligung,  4.  in  der  Regelung 
des  Betriebs,  der  Polizei  u.  s.  w. 

Die  Bestimmungen  über  Bahnbau,  Betrieb 
und  Polizei  finden  sich  in  dem  noch  gültigen 
Eisenbahngesetz  vom  23.  November  1877 
und  in  dem  Polizeigesetz  vom  gleichen  Tage 
sowie  in  den  zugehörigen  Ausführungsbe- 
stimmungen vom  24.  Mai  und  8.  September  1878. 
Nach    dem   Gesetze    werden    die  Eisenbahnen 


88 


Spanische  Eisenbahnen. 


eingeteilt  in  Linien  für  den  allgemeinen  Dienst 
und  für  besondere  Zwecke.  Die  ersteren  sind 
für  die  Beförderung  von  Personen  und  Gütern, 
die  letzteren  ausschließlich  für  private  Zwecke 
bestimmt.  Dem  Bau  hat  ein  Genehmigungs- 
gesetz vorherzugehen. 

Voraussetzung  für  jede  Bewerbung  um  eine 
Eisenbahnlinie  ist,  daß  sie  in  den  von  der 
Regierung  aufgestellten  Generalplan  aufge- 
nommen ist  oder  durch  besonderes  Gesetz  auf- 
genommen wird.  Dieser  gesetzlich  festgelegte 
und  nur  gesetzlich  abänderbare  Generalplan  ist 
eine  Besonderheit  der  spanischen  Eisenbahnen. 
Ursprünglich  wohl  aufgestellt,  um  die  Baulust 
anzuregen  und  den  einzelnen  Landesteilen  die 
Fürsorge  der  Regierung  vor  Augen  zu  führen, 
hat  er  sich  in  seiner  gesetzlichen  Starrheit  dem 
Eisenbahnbau  eher  hinderlich  als  förderlich 
erwiesen. 

Will  ein  Unternehmer  eine  Bahnlinie 
bauen,  so  hat  er  sich  mit  seinen  Vorschlägen 
unter  Aufbringung  einer  dem  Voranschlag  ent- 
sprechenden Hinterlegungssumme  von  1,3,5% 
an  die  Regierung  zu  wenden.  Diese  trifft  mit 
dem  Unternehmer  ein  vorläufiges  Überein- 
kommen und  sucht  bei  den  Cortes  um  die 
zuständige  Ermächtigung  nach.  Diese  Ermäch- 
tigung ist  indes  noch  keine  endgültige,  weil  der 
Zuschlag  von  Eisenbahnen  wie  der  aller  öffent- 
lichen Bauten  an  den  Meistbietenden  bzw. 
Wenigstfordernden  zu  geschehen  hat.  Die 
Unternehmer  können  aus  öffentlichen  Mitteln 
Unterstützung  erhalten,  indem  sie  entweder 
mit  solchen  bestimmte  Bauten  ausführen,  oder 
in  bestimmten  Fristen  einen  Teil  des  aufge- 
wendeten Kapitals  als  Zuschuß,  oder  die  Be- 
nutzung bereits  bestehender  Bauten  zu  Eisen- 
bahnzwecken eingeräumt  erhalten,  oder  endlich 
durch  Bewilligung  von  Steuerbegünstigung.  Als 
Grundlage  für  die  Ausbietung  und  den  Zuschlag 
dient  die  vom  Gesetz  bestimmte  Beisteuer, 
auf  deren  Unterbietung  sich  die  Steigerer  einzu- 
richten haben.  Die  Genehmigung  wird  höchstens 
auf  99  Jahre  erteilt,  nach  deren  Ablauf  die 
Bahnen  an  den  Staat  heimfallen  sollen. 

Wird  eine  Gesellschaft  aus  irgend  einem 
Grund  aufgelöst,  sei  es  freiwillig  oder  un- 
freiwillig, so  ergreift  der  Verkehrsminister  von 
der  Eisenbahn  mit  allem  Zubehör  Besitz  und 
übernimmt  den  Betrieb  durch  einen  Ver- 
waltungsrat, in  dem  die  Aktionäre,  Hypotheken- 
inhaber und  die  Gläubiger  der  Unternehmer 
Vertretung  finden.  Zwangsvollstreckung  in  das 
bewegliche  oder  unbewegliche  Eigentum  der 
Eisenbahnen  ist  verboten. 

Auch  die  Befugnis,  eine  Eisenbahn  zu  be- 
treiben, ist  Gegenstand  öffentlicher  Ausbietung, 
doch  betreiben  eine  Eisenbahn  im  allgemeinen 


diejenigen,   die   die  Baugenehmigung  erhalten 
haben. 

Diese  auf  dem  Gesetz  von  1877  beruhenden 
Bestimmungen  haben  in  den  Jahren  1881  und 
1883  einige  wesentliche  Abänderungen  erfahren, 
die  wohl  auf  den  Einfluß  der  bestehenden 
großen  Privateisenbahngesellschaften  zurück- 
zuführen sind.  Nach  Art.  2  der  königlichen 
Verordnung  vom  10.  Juni  1881  wurde  die  Be- 
stimmung, daß  die  für  eine  Bahnlinie  beantragte 
Staatsunterstützung  für  eine  Bahn  des  allgemeinen 
Dienstes  nur  auf  Grund  öffentlicher  Aus- 
schreibung genehmigt  wird,  dahin  abgeändert 
und  eingeschränkt,  daß  diese  Ausschreibung 
nicht  von  Amts  wegen  zu  veranlassen  ist,  sondern 
nur  erfolgen  darf,  wenn  sie  von  privater  Seite 
beantragt  wird  unter  gleichzeitiger  Hinterlegung 
der  gesetzlichen  Sicherheit  von  1  *„  des  Kosten- 
anschlags. Ein  Ges.  vom  16.  .August  1883 
hob  die  Bestimmung  der  Ausführungsver- 
ordnung vom  24.  Mai  1878  auf,  wonach  dem 
Urheber  des  ausgebotenen  Entwurfs  unter  be- 
stimmten Voraussetzungen  gestattet  war,  in  das 
Bestgebot  einzutreten.  Es  liegt  auf  der  Hand,  daß 
namentlich  die  letztgenannte  Einschränkung 
wenig  geeignet  war,  zur  Anregung  von  Eisen- 
bahnbauten zu  ermutigen.  Diesem  Umstand 
wird  es  mit  zuzuschreiben  sein,  daß  manche 
vom  Verkehrsbedürfnis  geforderte,  wichtige 
Eisenbahnlinien  noch  heute  der  Ausführung 
harren,  zum  Vorteil  der  bestehenden  Bahnen, 
denen  dadurch  ein  lästiger  Wettbewerb  erspart 
wurde.  Den  hierdurch  erwachsenen  offenbaren 
Übelständen  abzuhelfen,  entschloß  sich  die 
Regierung  durch  ein  Ges.  vom  25.  Dezember 
1912.  Darnach  soll  neben  dem  bestehenden 
Generalplan  ein  „Sonderplan  zur  Ergänzung 
des  Hauptbahnnetzes"  angelegt  werden.  In  diesen 
werden  die  Hauptbahnlinien  aufgenommen,  die 
von  besonderer  Verkehrsbedeutung  sind,  zur 
Abkürzung  der  im  Betrieb  befindlichen  Linien 
dienen,  aus  Rücksichten  der  Landesverteidigung 
gefordert  werden  müssen,  oder  die  geeignet 
sind,  wichtige  Hafenorte  untereinander  oder  mit 
dem  Landesinnern  zu  verbinden.  Dieser  Er- 
gänzungsplan wird  ebenso  wie  der  Hauptgeneral- 
plan in  Gruppen  eingeteilt.  Bestimmend  für  die 
Zusammenfassung  der  einzelnen  Gruppen  ist 
aber  im  Gegensatz  zum  Generalplan  nicht  nur 
die  geographische  Lage  der  einzelnen  Linien 
zur  Hauptstadt  Madrid,  als  vielmehr  ihr  Ver- 
kehrswert. Als  erste  Gruppe  des  Ergänzungs- 
plans sind  folgende  Linien  vorgesehen: 

1.  Von  Zamora  nach  Orente  am  Minho,  wodurch 
Madrid  eine  erheblich  verkürzte  Verbindung  nach 
der  Küste  des  Atlantischen  Ozeans,  besonders  dem 
Handelshafen  Vigo  erhält. 

2.  Von  Segovia  nach  Burgos  über  Aranda  am 
Duero,  wodurch  der  Weg  nach  Bilbao,  San  Sebastian 


z 


Spanische  Eisenbahnen. 


89 


und  Südfrankreich  wesentlich  abgekürzt  wird  und 
der  spanischen  Nordbahn  ein  starker  Wettbewerb 
droht,  wenn  sie  nicht  selbst  den  Bau  der  Linie  zu- 
geschlagen erhält. 

3.  Von  dem  bedeutenden  Eisenbahnknotenpunkt 
Medina  del  Campo  nach  Benevente,  wodurch  eben- 
falls die  Verbindung  nach  dem  Atlantischen  Ozean 
verbessert  wird. 

4.  Von  Cuenca,  dem  Endpunkt  der  von  Madrid 
über  Aranjuez  kommenden  Stichbahn,  nach  Utiel  zum 
Anschluß  an  die  Bahn  nach  Valencia.  Der  Weg  von 
Madrid  nach  Valencia  wird  hierdurch  so  bedeutend 
abgekürzt,  daß  die  sehr  erheblichen  Baukosten  durch 
die  zu  ei-wartenden  Verkehrseinnahmen  voraussichtlich 
reichlich  werden  aufgewogen  werden.  Es  ist  sogar 
zur  Erwägung  gestellt,  direkt  von  Madrid  nach  Utiel 
eine  neue  Linie  zu  bauen,  was  den  Weg  nach  Valen- 
cia noch  weiter  kürzen  würde. 

5.  Von  Soria  nach  Castejon,  einer  Teilstrecke  der 
bereits  durch  Ges.  vom  25.  Juni  1911  genehmigten, 
aber  nicht  zur  Ausführung  gekommenen  Bahn  von 
Soria  nach  Sanguesa  am  Südfuß  der  Pyrenäen. 

6.  Von  Lerida  nach  St.  Girons,  Station  der  franzö- 
sischen Südbahn,  soweit  die  Linie  auf  spanischem 
Gebiet  liegt.  Der  Pyrenäentunnel  soll  den  Paß  von 
Salau  unterfahren. 

Die  Frage  eines  Pyrenäendurchstichs  spielt 
schon  viele  Jahre.  1864  wurden  spanische 
Ingenieure  nach  Frankreich  gesandt,  um  die 
Sache  zu  studieren.  Ein  königliches  Dekret  vom 
14.  Oktober  1881  genehmigte  den  Bau  einer 
Bahn  von  Huesca  nach  der  französischen  Grenze 
durch  den  Co!  de  Somport  bei  Confranc.  Die 
Bahn  wurde  1893  bis  Jaca  eröffnet.  Zum  Py- 
renäendurchstich kam  es  damals  nicht,  da  der 
Plan  auf  Widerspruch  stieß  bei  den  Ver- 
fechtern der  Bahn  durch  das  Val  Noguera  Pal- 
laresa  mit  Tunnel  bei  Salau.  Spanien  stimmte 
1889  auch  diesem  Plan  zu.  1907  kam  es  zum 
Staatsvertrag  darüber  zwischen  Spanien  und 
Frankreich,  der  im  Gesetz  vom  25.  Dezem- 
ber 1912  niedergelegt  ist.  Näheres  bei  De- 
comble  (s.  Literatur).  Hiermit  in  Verbindung 
stehen  noch  verschiedene  weitere  wichtige  Bau- 
pläne. Als  der  Präsident  Poincare  am  10.  Ok- 
tober 1913  seinen  amtlichen  Besuch  in  Car- 
tagena  abstattete,  wurde  vereinbart,  daß  die 
Confrancbahn  normalspurig  und  daß  eine  neue 
Bahn  Saragossa-Caminreal  gebaut  werden  sollte 
zur  Herstellung  einer  direkten  Verbindung 
französische  Grenze-Valencia,  auf  die  Frank- 
reich wegen  des  Weges  nach  Algier  hohen 
Wert  legte.  Infolge  der  politischen  Wirren  wurde 
die  Ausführung  aufgehalten.  Daerschien  plötzlich 
im  spanischen  Staatsblatt  vom  27.  Januar  1914 
die  Nachricht,  daß  eine  Abteilung  des  Aus- 
schusses für  transpyrenäische  Eisenbahnen  be- 
auftragt sei,  schleunigst  einen  Vorentwurf  für 
eine  normalspurige,  zweigleisige,  elektrisch  zu 
betreibende  Bahn  JVladrid-französische  Grenze 
auszuarbeiten,  um  eine  allerschnellste  und  un- 
mittelbare Verbindung  mit  Frankreich  zu  schaffen. 
Siesoll  vom  Staat  gebaut  und  betrieben  werden, 


als  Schule  für  Eisenbahnpersonal  und  für  Kriegs- 
zwecke dienen,  also  Truppentransporte  ohne 
Umladung  ermöglichen.  Anschluß  an  die  im 
Umbau  für  elektrischen  Betrieb  befindliche 
französische  Südbahn  soll  größtmögliche  Zug- 
folge sichern.  Die  Linie  Saragossa-Caminreal 
ist  inzwischen  genehmigt  und  gebaut  und  da 
die  in  letzter  Zeit  im  Bau  geförderte  Verbindung 
Jaca-Confranc  durch  den  Tunnel  von  Somport 
im  Jahre  1915  fertiggestellt  sein  sollte  —  ob 
es  geschehen,  war  wegen  des  Krieges  nicht 
festzustellen  —  so  würde  dadurch  eine  direkte 
Verbindung  Paris-Valencia  geschaffen  sein,  die 
etwa  100^/«  kürzer  ist  wie  die  bisherige  über 
JVliranda.  Es  ist  anzunehmen,  daß  die  meisten 
dieser  neuen  Linien,  soweit  sie  den  Anschluß 
nach  Frankreich  haben,  normalspurig  gebaut 
werden  sollen.  Die  Beseitigung  der  überlebten 
und  für  den  Durchgangsverkehr  immer  lästiger 
werdenden  spanischen  Breitspur  und  ihre  Er- 
setzung durch  Normalspur  ist  in  den  letzten 
Jahren  zwar  in  Anregung,  aber  über  die  Er- 
örterung des  Kostenbedarfs  kaum  hinausge- 
kommen. Nur  bei  einigen,  die  Fortsetzung  der 
aus  Frankreich  kommenden  direkten  Linien 
bildenden  Bahnen  nimmt  man  an,  daß  sie  um- 
gebaut oder  bei  Neubauten  gleich  normalspurig 
angelegt  werden,  so  die  Verbindung  Madrid- 
Valencia,  namentlich  eine  etwaige  direkte  Bahn 
Madrid-Utiel  und  die  nach  Algeciras  führende 
Linie  der  andalusischen  Bahnen,  ein  Glied  der 
großen  Linie  Paris-Algeciras-Fez.  Übrigens  hat 
ein  Abgeordneter  die  Regierung  ersucht,  die 
Frage  einer  allgemeinen  Einführung  der  Nor- 
malspur zu  prüfen,  und  die  Regierung  hat 
schleunige  Prüfung  zugesagt. 

Von  Gesetzen,  die  die  Verwaltung  der  Eisen- 
bahnen betreffen,  ist  hier  hervorzuheben  ein 
Gesetzentwurf  vom  Jahre  1912  über  die  Be- 
ziehungen der  Eisenbahngesellschaflen  zu  ihrem 
Personal.  Er  enthält  Vorschriften  über  Schieds- 
gerichte, bedroht  den  Streik  mit  Verlust  aller 
persönlichen  und  vermögensrechtlichen  An- 
sprüche des  Personals,  soweit  nicht  höhere 
Strafen  verwirkt  sind,  und  macht  die  Wieder- 
annahme vom  Urteil  des  Arbeiterausschusses 
abhängig.  Hierbei  sind  aber  diejenigen  ausge- 
schlossen, die  ihre  Streitfragen  nicht  zunächst 
vor  den  Ausschuß  gebracht  haben.  Der  Entwurf 
enthält  außerdem  Strafbestimmungen  gegen 
den  Betrieb  hindernde  Sachbeschädigung  (Sabo- 
tage). Wird  dabei  ein  Mensch  verletzt,  so  tritt 
Gefängnisstrafe  (bagno)  ein;  die  Höchststrafen 
werden  gegen  solche  Personen  angedroht,  die 
nicht  Eisenbahner  sind,  was  vom  Gesichtspunkt 
der  Disziplin  aus  zu  beanstanden  ist. 

Gegen  diesen  Gesetzentwurf,  der  in  erster 
Linie  Ausständen  vorbeugen  sollte,  erhob  sich 


90 


Spanische  Eisenbahnen. 


lebhafter  Einspruch.  Die  Konservativen  ver- 
warfen ihn,  weil  sie  den  Eisenhahnerstreik  als 
Kraftprobe  herbeiwünschten,  die  Gesellschaften, 
weil  sie  eine  übermäßige  Belastung  befürchteten 
und  die  Verhältnisse  ihres  Personals  selbst  regeln 
wollten,  wohl  mit  dem  Hintergedanken,  durch 
Zugeständnisse  an  dieses  eine  Verlängerung 
ihrer  Genehmigung  zu  erzielen.  Die  Republi- 
kaner bekämpften  verzweifelt  das  Streikverbot, 
da  ihnen  der  Eisenbahnerverband  als  Kampf- 
mittel dienen  sollte.  Wie  die  Entscheidung  ge- 
fallen ist,  ist  nicht  bekannt  geworden. 

c)  Der  gegenwärtige  Zustand. 
Die  Mißstände  im  Eisenbahnwesen  scheinen  in 
den  letzten  Jahren  erfolgreich  bekämpft  worden 
zu  sein  und  scheinen  eine  günstigere  Entwicklung 
der  S.  bewirkt  zuhaben.  Ende  1Q14  waren  in 
Spanien  im  ganzen  15.205  km  Eisenbahnen  im 
Betrieb,  darunter  etwa  ^ '3  Nebenbahnen.  Die 
Herstellungskosten  betrugen  f.d.  km  im  Durch- 
schnitt: 


km 

Pesetas 

.    3692 

312.964 

.  3683 

270.893 

.  1083 

248.747 

.   429 

222.677 

.   348 

290.828 

.   332 

341.193 

Spanische  Nordbahn      .    . 
Madrid-Saragossa-Alicante- 

Eisenbahn 

Andalusische  Eisenbahnen 
Madrid-Caceres-Portugal-Ges 
Plasencia-Astorga-Ges.    .    . 
Spanische  Südbahn     .    .    . 

Abgesehen  von  den  Gesellschaften  unter 
1  —  3  waren  die  Eisenbahnen  in  Spanien  bis 
in  die  neuere  Zeit  nichts  weniger  als  ertrags- 
reich. Außer  den  genannten  Bahnen  gibt  es 
in  Spanien  noch  eine  große  Anzahl  kleinerer 
und  kleinster  Bahnen,  nach  französischen  Quel- 
len 81  -208  Eisenbahngeselischaften,  doch  sind 
in  letzterer  Zahl  die  Klein-  und  Trambahnen 
zweifellos  mitenthalten.  Die  Madrid-Saragossa- 
Alicante-Bahn  zahlt  seit  1902,  die  Nordbahn 
seit  1908  Gewinnanteile.  Abgesehen  von  der 
Armut  des  Landes  lag  die  Ursache  der  ge- 
ringen Ertragsfähigkeit  einmal  in  der  Höhe 
der  ersten  Anlagekosten  bei  meist  großen  Ge- 
ländeschwierigkeiten und  dann  sehr  wesentlich 
darin,  daß  die  Gesellschaften  alle  Abgaben  an 
den  Staat  in  Gold  leisten  müssen,  während 
sie  ihre  Einnahmen  in  entwerteten  Peseten  be- 
zogen. Hierzu  kommt,  daß  die  großen  Linien 
der  zubringenden  Nebenbahnen  und  Land- 
straßen entbehrten.  Hierin  ist  nun  in  den  letzten 
Jahren  eine  wesentliche  Besserung  eingetreten. 
Das  Nebenbahnenwesen  beginnt  sich  zu  heben, 
wie  am  Schluß  dieses  Artikels  gezeigt  werden 
wird.  Einige  Jahre  vor  Ausbruch  des  Weltkriegs 
waren  die  Einnahmen  der  Hauptlinien  sehr 
wesentlich  in  die  Höhe  gegangen.  Die  Nord- 
bahn  hatte     1912    und   1913   24  »^  Dividende 


verteilt,  'dieT' Madrid -Saragossa -Bahn  1913 
desgleichen.  Von  1909-  1913  stiegen  die  Eisen- 
bahneinnahmen in  Spanien  durchschnittlich  jähr- 
lich um  13  Mill.  Pesetas.  Der  Krieg  brachte 
vorübergehend  einen  Rückschlag,  einzelne 
kleinere  Bahnen  mußten  den  Betrieb  sogar  ein- 
stellen, die  Nordbahn  und  die  Madrid-Sara- 
gossa-Bahn konnten  1914  noch  15*»  Gewinn- 
anteil zahlen,  für  1915  sind  für  die  Aktie  18% 
verteilt  worden.  Der  Grund  der  Steigerung  lag 
fast  ausschließlich  in  der  Hebung  des  Güter- 
verkehrs und  dem  Darniederliegen  der  Küsten- 
schiffahrt infolge  des  Krieges.  Letzterer  beein- 
flußte auch  die  Ausgaben  durch  Steigerung  der 
Kohlen-  und  Materialienpreise,  doch  halten  sich 
die  Ausgaben  infolge  niedriger  Löhne  und  be- 
dürfnisloser Einrichtungen  im  allgemeinen  so 
niedrig,  daß  die  Betriebszahl  50  kaum  über- 
schritten wurde. 

2.  Bau. 
Die    vorwiegend     gebirgige    Beschaffenheit 
des  Landes  brachte  es  mit  sich,  daß  viele  kost- 
spielige Kunstbauten  erforderlich  wurden.  Bis 
auf   die   neuere   Zeit    hat    man    wenig   darauf 
gesehen,  den  Mittelpunkt  des  Landes  mit  den 
äußeren    Grenzbezirken,    besonders    mit    den 
Häfen  zu  verbinden,  obwohl  sich  dort  die  Haupt- 
gewerbebetriebe befinden  und  das  gewerbliche 
Leben  Spaniens  abspielt.  Auch  der  beliebte  Weg, 
den  Bau  durch  kilometrische  staatliche  Unter- 
stützungen zu    fördern,    hat  schädlich  gewirkt, 
indem  man  die  Längenentwicklung  der  Bahnen 
über  Bedarf  ausdehnte,  um  die  größere  Unter- 
stützung einzustecken.  So  z.  B.  beträgt  bei  der 
Strecke     Madrid -Coruna    die    Eisenbahnlinie 
831/^OT,  die  Kartenlinie  630^/«,  bei  Madrid-Sevilla 
500  bzw.  320 /tw,  Madrid-lrun  633  bzw.  450  Äw 
u.  s.  w.,  wobei  die  vielfach  vorhandenen  Gelände- 
schwierigkeiten  die  künstliche  Längenentwick- 
lung   doch    nicht    rechtfertigen.     Andererseits 
harren    noch    weite   Gebiete    des    Eisenbahn- 
aufschlusses. Die  Küstenorte  untereinander  sind 
nur  in  wenigen  Fällen  durch  Eisenbahnen  ver- 
bunden. An  Kunstbauten  seien  unter  den  vielen 
Tunneln  der  3074  m  lange  Tunnel  bei  Perruca, 
Linie  Leon-Gijon,  und  der  2954  m  lange  Tunnel 
bei  Oazazin  an  der  Bahnstrecke  Madrid-lrun  er- 
wähnt. Unter  den  Viadukten  verdienen  der  bei  La 
Chanca  mit  283 «Länge,  an  der  Bahn  Palencia- 
La  Carogna  und  der  bei  Ormairtegui  an  der 
Linie    Madrid-lrun    mit    284-4  ot   Länge   ge- 
nannt zu  werden,  unter  den  Brücken  die  beiden 
Brücken  über   den  Guadiana  von    564  m  und 
605  m,  erstere    auf    der    Linie    Ciudad-Real- 
Badajoz,  letztere  auf  der  Linie  Merida-Sevilla, 
beide  mit  je  1 1   Öffnungen.    Die   große  Zahl 
tief    eingeschnittener     Flußtäler    machte    eine 
Sfroße  Zahl  von  Brücken  und  anderen  Kunst- 


Spanische  Eisenbahnen. 


91 


bauten  erforderlich.  Zu  erwähnen  ist  die  172  km 
lange  Bahnstrecke  Leon-Gijon,  auf  der  58  Tunnel 
zu  durchfahren  sind.  Dabei  beträgt  zwischen 
den  Stationen  Busdongo  und  Puente  de  los 
Fierros  die  geradlinige  Entfernung  1 1  km,  der 
Höhenunterschied  767  m,  was  eine  Längenent- 
wicklung der  Bahnlinie  von  42  km  bedingt. 
Für  die  Bewältigung  der  ganzen  172  km  langen 
Strecke  braucht  der  Schnellzug  6'',2  Stunden. 
1884  überschritten  5  Eisenbahnen  den  asturi- 
schen  Gebirgszug:  von  Alsasua  über  den  658  m 
hohen  Gebirgszug  des  Puerto  de  Idiogabal 
nach  Guipuzcoa  und  Irun,  von  Miranda  nach 
Bilbao,  von  Palencia  durch  das  tiefe  Tai  des 
Besaya  nach  Santander,  von  Leon  durch  den 
Pajares  nach  Oviedo  und  über  Montannas  de 
Leon  nach  Corunna. 

Die  Steigungen  bewegen  sich  zwischen  30 %» 
und  1 5  %,  letztere  bildet  im  allgemeinen  die  Regel. 

Das  Signalwesen  ist  wegen  der  verhältnis- 
mäßig geringen  Zugfolge  auf  den  S.  weniger 
ausgebildet,  früher  gab  es  meist  nur  Einfahrt- 
signale; Morse-  und  mehr  noch  Zeigertele- 
graphen. 

Der  Oberbau  besteht  vorwiegend  aus  Vignole- 
stahlschienen  im  Gewicht  von  30  kg/m,  die  auf 
2'8  m  langen  Schwellen  aus  Eichen-  oder  Fichten- 
holz ruhen.  Die  Anzahl  der  Querschwellen 
beträgt  7  auf  eine  Schienenlänge  von  6  m,  erhöht 
sich  in  den  Krümmungen  unter  400  m.  Letztere 
gehen  in  der  Regel  nicht  unter  300  m,  ausnahms- 
weise bis  auf  250  m  Halbmesser  herab. 

In  neuerer  Zeit  ist,  besonders  auf  denjenigen 
Strecken,  auf  denen  schnell  fahrende  Züge  ver- 
kehren, ein  schwererer  Stahlschienenoberbau 
eingeführt  worden  (42  kg,  seltener  35  kg  Ge- 
wicht f.  d.  laufenden  Meter). 

Die  meisten  spanischen  Bahnlinien  sind  von 
französischen  Baumeistern  ausgeführt  und  ähneln 
infolgedessen   den   französischen  Bahnen. 

3.  Betriebsmittel. 
Auch  die  Betriebsmittel  der  S.  haben  ihr  Vor- 
bild  in  Frankreich.    Die   Personenwagen   sind 
des  heißen  Sommerklimas  wegen  meist  doppel- 
wandig.  Auf  größeren  Durchgangslinien  stehen 
die  Personenwagen  den  besten  Europas  gleich. 
Die    Lokomotiven    sind    der    Steigungsver- 
hältnisse halber  im  allgemeinen  von  schwerer 
Bauart.  Sie  stammen  gleich  den  Wagen  meist 
aus  Frankreich,  z.  T,  sind  auch  englische,  bel- 
gische und  deutsche  Lokomotivfabriken  beteiligt. 
Aus  einem  der  letzterschienenen  Annuario  de 
Ferrocarriles   stammen   die   nachstehenden   re- 
lativen Ziffern  über  das  rollende  Material  der  S.: 
3Q2  Lokomotiven  für  Personenzüge 
1060  „  „    gemischte  Züge 

1141  „  „     Güterzüge 


zusammen  25Q3  Lokomotiven  mit  nahezu 
1,560.380  Pferdekräften.  Hiervon  sind  2198  Lo- 
komotiven für  spanische  Normalspur  und  395 
für  Schmalspur.  Der  Bau  von  Bahnen  mit 
eigentlicher  Normalspur  (L435/«)  wird  selbst- 
verständlich auch  den  Lokomotiv-  und  Wagen- 
bau beeinflussen. 

Der  Gesamtfuhrpark  an  Personenwagen 
betrug  insgesamt  6334  Wagen  mit  270.032 
Plätzen. 

An  normalspurigen  Güter-  und  Viehwagen 
waren  vorhanden:  1943  Packwagen  für  Ge- 
päck, 22.749  bedeckte  Güter-  und  Viehwagen, 
30.375     offene    Güter-    und    Plattformwagen. 

Die  Schmalspurbahnen  besaß:  305  Pack- 
wagen, 1316  bedeckte  Güterwagen,  5669 
offene  Wagen. 

Der  Bestand  an  Spezialwagen  beträgt  699, 
der  gesamte  Fuhrpark  der  S.  besteht  aus  61.351 
Einheiten. 

4.  Betrieb. 

Im  allgemeinen  weicht  der  Betrieb  der  S. 
insofern  von  dem  anderer  Länder  ab,  als 
der  bauliche  Zustand  die  Anwendung  größerer 
Geschwindigkeiten  vielfach  verbietet.  Auch  ist 
die  Zahl  der  Züge  auf  den  einzelnen  Linien 
häufig  eine  geringe.  Nur  auf  den  großen,  nach 
Frankreich  und  Portugal  führenden  Linien 
verkehren  gute  Schnellzüge,  die  den  französischen 
nicht    nachstehen.     Diese    führen    z.  T.    nur 

1.  und  II.  Klasse,  die  Luxuszüge  nur  I.  Klasse; 
in  den  Expreß-  und  Luxuszügen  gibt  es  Speise- 
und  Schlafwagen.  Daneben  gibt  es  Omnibus- 
züge I.  —  III.  Klasse,  die  im  wesentlichen  den 
deutschen  Personenzügen  entsprechen,  gemischte 
Züge  mit  II.  und  111.  Klasse  und  Arbeiterzüge 
mit  111.  Klasse.  Die  Einrichtungen  für  den  Per- 
sonenverkehr auf  den  Bahnhöfen  sind  meist 
sehr  einfacher  Art.  In  neuerer  Zeit  ist  man 
daran,  Abhilfe  zu  schaffen,  wohl  auf  Grund 
der  königlichen  Verordnung  vom  6.  Oktober 
1905,  die  bestimmt  ist,  den  Fremdenverkehr  nach 
Spanien  zu  heben.  Sie  setzte  einen  besonderen 
Ausschuß  ein,  der  unter  dem  Vorsitz  des 
Ministers  für  Landwirtschaft,  Handel,  Industrie 
und  öffentliche  Arbeiten  seine  Tätigkeit  auf 
folgende  Punkte  richten  sollte:  1.  Bekanntgabe 
im  Ausland  der  besten  Reisewege  nach  Spanien 
und      der      zweckmäßigsten      Reiseeinteilung, 

2.  Schaffung  besserer  Eisenbahntarife  und  be- 
quemerer Züge,  3.  Verbesserung  der  spanischen 
Gasthofsverhältnisse  und  4.  Verbreitung  im 
Ausland  von  Veröffentlichungen  über  die 
Sehenswürdigkeiten  Spaniens.  Zur  Deckung 
der  dem  Ausschuß  erwachsenden  Kosten 
sollte  ein  Betrag  im  Staatshaushalt  ausgeworfen 
werden. 


92 


Spanische  Eisenbahnen. 


5.  Verkehr  und  Tarifwesen. 

Die  Personentarifsätze  sind  im  allgemeinen 
auf  den  S.  einheitlich.  Die  Einheitssätze  sind 
12  Ct.  für  die  I.  KI.,  9  Ct.  für  die  II.  Kl.,  5-4  Ct. 
für  die  III.  Kl.  Rückfahrkarten  bestehen  nicht, 
wohl  aber  Vergünstigungen  durch  Kilometer- 
und Rundreisehefte,  die  z.  T.  auf  die  Hälfte 
des  einfachen  Preises  herabgehen.    Es  kosten: 


km 

Einfache  Fahrt 

Kilometerhefte 

Rundreisehefte 

I.  Kl. 

\\.  Kl. 

1.  Kl.      II.  Kl. 

1.  Kl. 

II  Kl. 

1500 

187-50 

146-25 

_            — 

129-90 

97-70 

2000 

250 

195 

173-60  127-80 

162-10 

126-25 

2600 

325 

253-50 

225-35  165-55 

189-70 

148-30 

3200 

400 

312 

277-10  203-50 

216-15 

170-15 

3800 

475 

370-15 

328-35  241-45 

246-05 

192 

4400 

550 

429 

365-45  274-35 

267-90 

211-55 

5000 

625 

487-50 

403-60  305-85 

288-60 

227-65 

6000 

750 

585 

470-30  350-90 

311-60 

247-20 

Zu  erwähnen  ist  noch,  daß  die  meisten  größeren 
Bahnen  Stadtgeschäftssteilen  haben,  die  die  Abfer- 
tigung, auch  des  Gepäcks,  wesentlich  erleichtern,  und 
daß  zur  Sicherheit  der  Reisenden,  namentlich  in  den 
weniger  bevölkerten  Gegenden,  die  Züge  durch  Gen- 
darmerie begleitet  werden,  die  den  anerkennenden 
Spitznamen  la  benemerita  führt. 

Bezüglich  der  Gütertarife  besteht  bei  den 
S.  keine  Einheitlichkeit.  Sie  werden  bei  jeder 
Baugenehmigung  von  der  Regierung  in  den 
Höchstsätzen  nach  den  fallweisen  Verhältnissen 
festgesetzt,  so  daß  auf  den  verschiedenen 
Strecken  derselben  Gesellschaft  abweichende 
Frachtsätze  gelten  können.  Im  übrigen  haben 
die  Gesellschaften  freie  Hand,  gesetzlich  sind 
sie  berechtigt,  Wege-  (Bahn-)  Geld  und  den 
eigentlichen  Beförderungspreis  zu  erheben.  Dem 
Mangel  an  Einheit  im  Tarifwesen  wollte  das 
königliche  Dekret  vom  26.  Juni  1882  abhelfen. 
Es  berief  einen  Ausschuß,  dem  Senatoren,  Cortes- 
mitglieder,  Vertreter  der  Eisenbahngesellschafteii 
und  Staatsbeamte  angehörten.  Sein  Bericht  vom 
Sommer  1884  schlägt  Erhöhung  des  Einflusses 
der  Regierung  auf  die  Gesellschaften  und  Ver- 
stärkung des  Aufsichtspersonals  vor.  Es  wird 
Prüfung  des  Anlagekapitals  der  Eisenbahnen 
gefordert,  um  darnach  die  Angemessenheit  der 
Tarifsätze  beurteilen  und  diese  möglichst  ein- 
heitlich gestalten  zu  können.  Auch  die  Ein- 
führung einer  einheitlichen  Güterklasseneintei- 
lung wird  empfohlen.  Ermäßigungen  der  Höchst- 
sätze sind  der  Regierung  anzuzeigen. 

Spezialtarife  zwischen  2  Stationen  sollen  auf 
die  zwischenliegenden  Stationen  derart  einwir- 
ken, daß  nie  der  Satz  für  eine  kürzere  Strecke 
höher  ist  als  der  für  eine  längere,  ausgenommen 
bei  der  Schiffahrt  und  bei  den  ausländischen 
Verbandverkehren.  Bei  letzteren  sollen  die  Tarife 
von  der  Regierung  bezüglich  ihres  Einflusses 
auf  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  des  Inlands 
nachgeprüft  werden,  wobei  Änderungen  verfügt 
werden  können.  Zulässig  sollen  Verträge  sein 


über  Beförderung  bestimmter  Gütermengen  zu 
verabredeten  Preisen.  Solche  Zugeständnisse 
sollen  aber  auch  anderen  zu  gute  kommen, 
die  sich  den  betreffenden  Vertragsbedingungen 
unterwerfen.  Der  Ausschuß  befürwortete  auch 
eine  genügende  Veröffentlichung  der  Tarife. 
Inwieweit  seine  Vorschläge  Geltung  gewonnen 
haben,    ließ   sich  nicht  feststellen. 

6.  Nebenbahnen. 
Neben  den  Hauptbahnen  werden  in  Spanien 
noch  Sekundär-,  ökonomische  und  sog.  strategi- 
sche Bahnen  unterschieden.  Als  Sekundärbahnen 
werden  die  Zuleitungslinien  zu  den  Haupt- 
linien, die  einem  bedeutenden  Verkehr  dienen 
sollen,  bezeichnet.  Sie  haben  z.  T.  die  spani- 
sche Normalspur  von  1-674/w,  meist  aber  eine 
bis  unter  1  in  herabgehende  Spurweite.  Für 
die  Bemessung  der  letzteren  sind  die  Gelände- 
verhältnisse und  die  Kostenfrage  maßgebend. 
Zu  den  ökonomischen  Eisenbahnen  rechnen 
die  Linien,  die  vorwiegend  dem  Ortsverkehr 
zu  dienen  haben.  Ihre  Spurweite  darf  nicht 
mehr  als  1  in  betragen  und  die  Anlagekosten 
sollen  möglichst  niedrig  gehalten  werden.  Das 
spanische  Neben-  und  Kleinbahngesetz  vom 
26.  März  1908  hatte  diesen  Gegenstand  geregelt, 
jedoch  ohne  den  erhofften  Erfolg.  Zwar  konnten 
von  den  1 0.000  ä/w  des  zum  Gesetz  gehörenden 
Generalplans  mehr  als  die  Hälfte  zur  Aus- 
führung genehmigt  werden,  auch  fehlte  es 
nicht  an  Gesuchen  um  Aufnahme  neuer  Linien 
in  den  Generalplan.  Allein  diese  Erfolge  waren 
nur  scheinbare,  es  stand  die  zu  einer  Änderung 
des  Gesetzes  drängende  Tatsache  gegenüber, 
daß  von  den  genehmigten  5254  km  nur  88  km 
in  Angriff  genommen  wurden,  die  übrigen 
Genehmigungen  aber  ihren  Erwerbern  nur  zur 
Erlangung  von  Abfindungssummen  dienten. 
Zur  Behebung  letzteren  Übelstandes  hatte  im 
Jahre  1911  der  Verkehrsminister  einen  Gesetz- 
entwurf eingebracht,  der  an  die  Stelle  des  im 
geltenden  Gesetz  vorgesehenen  privaten  Aus- 
bietungsverfahrens  mit  Staatsunterstützung 
grundsätzlich  die  Erbauung  der  Neben- 
(Klein-)  Bahnen  durch  den  Staat  vorsah.  Dieser 
Entwurf  hat  die  Zustimmung  der  gesetzgebenden 
Körperschaften  nicht  gefunden.  Unterm  23.  Fe- 
bruar 1912  wurde  ein  Abänderungsnachtrag 
zum  Gesetz  von  1908  eingebracht  und  an- 
genommen, der  bestimmt  ist,  die  hauptsäch- 
lichsten Mängel  des  letzteren  zu  beseitigen. 
Grundsätzlich  ist  auch  bei  den  Nebenbahnen  an 
dem  staatlich  aufgestellten  Generalplan  fest- 
gehalten, nur  den  in  diesem  enthaltenen  Linien 
wird  staatliche  Zinsbürgschaft  zugesichert  bis 
zur  Höhe  von  5%  des  Baukapitals.  Hierbei 
muß    jedoch    der    Unternehmer    im    Fall    der 


Spanische  Eisenbahnen. 


93 


Unterwirtschaft  den  Fehlbetrag  zwischen  der 
Roheinnahme  und  den  Betriebskosten  aus- 
schließlich selbst  tragen.  Als  Neben-  (Klein-) 
Bahnen  im  Sinn  des  Gesetzes  sind  alle  Bahnen 
anzusehen,  die  dem  öffentlichen  Verkehr  dienen, 
mit  Maschinen  betrieben  werden  und  im  ersten 
Kapitel  des  Eisenbahngesetzes  vom  23.  Fe- 
bruar 1877  nicht  erwähnt  sind.  Hierdurch  ist 
ihr  Begriff  gesetzlich  festgelegt.  Bei  den  strategi- 
schen Bahnen  überwiegt  die  militärische  Be- 
deutung die  für  den  öffentlichen  Verkehr, 
anderseits  sind  auch  Nebenbahnen  ohne  staat- 
liche Zinsbürgschaft  zugelassen.  Die  im  Gesetz 
von  1908  allgemein  auf  1  m  festgesetzte  Spur- 
weite soll  nach  dem  neuen  Gesetz  von  Fall  zu 
Fall  bestimmt  werden.  Auf  Antrag  derProvinzial- 
und  Kommunalbehörden  dürfen  unter  be- 
sonderen Voraussetzungen  weitere  Linien  von 
örtlicher  oder  allgemeiner  Bedeutung  in  den 
Generalplan  aufgenommen  werden.  Der  Ver- 
kehrsminister kann  ebenso  wie  jeder  Privat- 
unternehmer die  Ausführung  von  Vorermitt- 
lungen für  eine  oder  mehrere  Linien  veranlassen, 
um  die  Unterlagen  für  die  Bau-  und  Betriebs- 
bedingungen und  einen  Kostenanschlag  zu 
erlangen.  Auf  Grund  der  Ergebnisse  wird  ein 
Wettbewerb  unter  denjenigen  veranstaltet,  die 
Entwürfe  für  die  betreffende  Nebenbahn  be- 
arbeitet haben.  Aus  letzteren  wählt  die  Regierung 
den  ihr  am  bauwürdigsten  scheinenden  aus  und 
legt  ihn  der  nun  vorzunehmenden  öffentlichen 
Ausbietung  zu  gründe.  Dieses  an  manchen 
Bedenken  leidende  Ausbietungsverfahren  ist 
also  beibehalten.  In  demselben  wird  auf  Grund 
der  eingereichten  Angebote  über  die  Höhe  der 
Zinsbürgschaft,  die  Genehmigungsdauer  und 
den  Betriebskoeffizienten  verhandelt,  ein  Ver- 
fahren, das  nicht  ein  gesundes  genannt  werden 
kann.  Der  Bestbieter,  d.  h.  der  den  geringsten 
Prozentsatz  für  die  Staatsbürgschaft,  die  geringste 
Genehmigungsdauer  verlangt  und  die  für  die 
angenommene  Ertragsberechnung  günstigste 
Betriebszahl  angibt,  erhält  den  Zuschlag,  der 
Eigentümer  des  der  Ausbietung  zu  gründe 
gelegten  Entwurfs  ist  berechtigt,  in  das  Best- 
gebot einzutreten.  Lehnt  er  dies  ab,  so  hat 
ihm  der  Bestbieter  die  vor  Eintritt  in  das 
Verfahren  festgesetzte  Entschädigung  für  seine 
Aufwendungen  zu  zahlen.  Auch  die  beteiligten 
Gemeinden  und  Kreise  sind  berechtigt,  in  das 
Bestgebot  einzutreten.  Nach  längstens  9Q  Be- 
triebsjahren  fällt  die  Bahn  an  den  Staat,  der 
berechtigt  ist,  die  Bahn  gegen  festzustellende 
Entschädigung  in  einer  bei  der  Genehmigung 
festzusetzenden  kürzeren  Frist  zu  erwerben. 
Das  Heimfallrecht  wird  übrigens  nur  in  wenigen 
Fällen  für  den  Staat  von  Vorteil  sein,  weil  die 
Nebenbahnen  nur  selten  sich  genügend  verzinsen, 


geschweige  ihr  Anlagekapital  innerhalb  der 
Heimfallfrist  getilgt  haben  werden. 

Von  den  Bestimmungen,  die  für  alle  Neben- 
(Klein-)  Bahnen  gelten,  sind  noch  zu  nennen: 
Das  Enteignungsrecht,  die  10jährige  Befreiung 
von  der  Transportsteuer,  die  Benutzung  öffent- 
licher Anlagen  und  andere  Erleichterungen,  die 
gewährt  werden  können.  Bau  und  Betrieb 
werden  vom  Staat  überwacht.  Das  Heimfall- 
recht umfaßt  den  kostenlosen  Übergang  in  das 
Eigentum  des  Staates. 

Schließlich  möge  erwähnt  werden,  daß  der 
Stadt  Madrid  der  Bau  einer  4  Linien  um- 
fassenden Untergrundbahn  genehmigt  ist. 

7.  Aufsichts-  und  Verwaltungsbehörden. 

Die  Oberaufsicht  über  die  S.  liegt  in  der 
Hand  des  Ministerio  di  fomento.  Es  ist  zuständig 
für  die  Genehmigung  der  Hauptbahnen,  soweit 
sie  im  Generalplan  stehen.  Darüber  hinaus 
entscheiden  die  Cortes.  Neben  dem  Ministerium 
stehen  dem  königlichen  Rat  bezüglich  der 
Eisenbahnen  gewisse  Befugnisse  zu.  Die  Bau- 
pläne prüft  der  Minister,  die  Bauaufsicht  er- 
folgt durch  die  staatlichen  Baubehörden.  Nach 
der  Polizeiordnung  vom  23.  November  1877 
werden  Verstöße  der  Genehmigungsträger  oder 
Pächter  gegen  das  Bedingnisheft  oder  andere 
Verordnungen  mit  Geldstrafen  von  250-2500 
Pesetas  geahndet.  Sie  werden  vom  Statthalter 
der  beteiligten  Provinz  verhängt  und  können 
nur  vom  Minister  im  Einvernehmen  mit  dem 
Staatsrat  erlassen  werden. 

Den  Betrieb  und  Verkehr  beaufsichtigen  nach 
der  Verordnung  vom  8.  September  1878  tech- 
nische und  Verwaltungsbehörden.  Die  einzelnen 
Netze  sind  ähnlich  wie  in  Frankreich  in  sog. 
Divisionen  geteilt  und  unterstehen  in  techni- 
scher Hinsicht  der  Aufsicht  eines  Ober- 
ingenieurs. 

Literatur:  Kupka,  Arch.  f.  Ebw.  1896.  - 
Weltverkehr  und  Weltwirtschaft.  1912-1916; 
L'information  Paris.  1912- 1916;  -  Adolfo  Posada, 
Span.  Staatsrecht  in  „Das  öffentl.  Recht  der  Gegen- 
wart" von  Huber,  Jellinek,  Laband  und  Piloty. 
Bd.  XXIV.  —  Carl  Andrees,  Geographie  des 
Welthandels,  1912,  Bd.  IL  -  Dr.  Manuel  Cam- 
pos, Spanisches  Staatsrecht.  Freiburg  i  Br.  1889, 
Akad.  Buchhandl.  F.  C.  B.  Mohr.  —  Berichte 
über  Handel  und  Industrie,  zusammengestellt  im 
Reichsamt  des  Innern,  Bd.  XIV,  H.  10.  -  Angel- 
Marvand,  L'Espagne  au  XX^nie  Siede.  Paris  1913.  - 
Annuaire  des  chemins  de  fer  et  des  tramways  (an- 
cien  Marchai),  29^  annee,  Paris  1914.  -  Schrader, 
Arch.  f.  Ebw.  1913;  Ztschr.  f.  Kleinb.  1911-1913.  - 
Ztg.  d.  VDEV.  -  Clement  Decomble,  Les  che- 
mins de  fer  transpyreneens,  leur  histoire  diplomatique, 
leur  avenir  economique.  Toulouse  1913,  A.  Nouge 
(Doktorbewerbungsschrift).  -  Jose  Torino,  Legis- 
lacion  de  Ferrocariles.  Firnhaber. 


94 


Spanische  Nordbahn.   -   Spannwerk. 


Spanische  Nordbahn  (Compania  de  los  ca- 
rninos  de  liicro  dcl  Nortc  de  Espana),  zurzeit  die 
größte  der  spanischen  Eisenbahnen.  Sie  übertrifft 
an  Länge  selbst  die  Madrid-Saragossa-Alicante- 
Eisenbahn  (s.  d.).  Ihre  Gesamtlänge  betrug  nach 
dem  Annuaire  ancien  Marchai  von  1914  (s.  Lit.) 
3759  km.  Der  Sitz  der  Haupt\'er\raltung  ist 
Madrid,  daneben  besteht  ein  Ausschuß  in 
Paris.  Geldwirtschaftlich  steht  sie  unter 
Leitung  der  Gruppe  Pereire-Banque  Espagnole 
de  Credit. 

1856  wurde  einem  Pariser  Geldmann  die 
Genehmigung  zum  Bau  der  S.  für  die  Haupt- 
linie Madrid-lrun  nebst  Zweigbahn  Venta  de 
Bagnos-Alar  del  Rey  erteilt.  Anlagekapital 
100  Mill.  Fr.  Diese  erste  spanische  Eisen- 
bahn nach  Frankreich  wurde  1864  eröffnet. 
Die  Linie  bildet  die  Stammbahn  der  S.  und 
ist  645  km  lang.  Zum  Anschluß  an  sie  erwarb 
die  S.  die  Bahn  Barcelona-Saragossa-Alsasua 
(591  hri)  und  von  dieser  bei  Tudela  abzweigend 
die  249  Ä/«  lange  Bahn  Tudela-Miranda-Bilbao. 
Die  S.  hat  ihr  Netz  fast  ausschließlich  durch 
Erwerb  bestehender  Bahnen  oder  Baugenehmi- 
gungen vergrößert.  1874  erwarb  sie  .-Mar  del 
Rey-Santander  138-384  ^/n,  1877  Quintanilla- 
Barruela  1 3-208  Ä/n,  1878  Saragossa- Barcelona 
365-780  ÄOT,  Tardiente  -  Huesca  21-719  y^/ra, 
Casetas-Alsasua  221-762  km,  Castejon-Bilbao 
249-037  km,  1881  erhielt  die  S.  neben  der 
Genehmigung  einiger  Schmalspurbahnen  eine 
solche  zum  Bau  der  Bahn  Medina  del  Campo- 
Segovia  92-414  km  und  Segovia  -  Villalba 
62-685  km.  Größere  Erwerbungen  erfolgten  von 
der  Gesellschaft  Astorias-Galicias-Leon:  Pal- 
lencia-Ponferrada  251-038  Am,  Ponferrada-La 
Corunna  296-032  Aw,  Leon-Gijon  ITO-IST  km, 
Oviedo-Trubia  \2-Q\()  km,  Toral  de  los  Vados- 
Villafranca  de)  Viergo  9-149  km  und  von  der 
Eisenbahn  Lerida-Reus-Tarragona  die  Strecken 
Reus-Monblanch  27-545  km,  Lerida-Monblanch 
59-312  km,  Reus-Tarragona   \5-75S  km. 

Die  Eisenbahnkreditgesellschaft  übertrug  1886 
der  S.  die  Bahn  Villabona-Avilas-San  Juan  de 
Nieva  19-835 /t/n,  die  Arragonische  Gesellschaft 
1888  die  Baugenehmigung  der  Linien  Zuera- 
Turmana  und  Huesca-französische  Grenze  über 
Confranc  138  km,  wovon  die  111  km-Unie 
Huesca-Jaca  1893  eröffnet  wurde.  1889  erwarb 
die  S.  von  dem  Genehmigungsträger  die  Linie 
Selgua-Barbastro  18-9  km^  \S90  trat  die  Gesell- 
schaft der  Eisenbahnen  und  Berg«-erke  von 
Sao  Juan  de  las  Abadesas  der  S.  die  Bahn 
Sao  Juan  de  las  Abadesas-San  Andres  88-373  äot 
undSanMartindeProvensales-C!erona31-39Ä/n, 
eröffnet  1886,  ab.  1891  wurden  weiter  erworben: 
Von  der  Gesellschaft  Almansa-Valencia-Tarra- 
gona    die    Linien     Encina-Valencia-Tarragona 


288  km,  Valencia-Grao  6  km,  Cargagente-  Denia 
65-572  km,  Jativa-Alcoy  67-028  km,  endlich 
1892  von  der  spanischen  Ostbahn  die  Linie 
Valencia-Utiel  87-626  km.  Ende  1892  stellte 
sich  die  Gesamtlänge  der  S.  auf  3407  km  eröffnete 
Bahnen  und  2b5km  Neubauten,  sie  hat  sich  also 
seitdem  nicht  mehr  -wesentlich  vergrößert.  Die 
Baukosten  steiiten  sich  auf  1 .0 1 3,633.507  Pesetas, 
durchschnittlich  auf  das  km  312.964  Pesetas. 
Die  gebirgige  Natur  des  Landes  hat  zur  Anlage 
sehr  zahlreicher  Tunnel,  Brücken  und  Viadukte 
geführt  (s.  Spanische  Eisenbahnen). 

Das  Aktienkapital  betrug  1892  232,750.000  Pe- 
setas, 490.000  Aktien  zu  475  Pesetas  im  Nennwert.  Die 
Schuldverschreibungen  beliefen  sich  auf  734,788.553  Pe- 
setas, die  staatlichen  Unterstützungen  ergaben 
149,609.792  Pesetas.  1913  waren  die  Schuldenunkosten 
auf  über  54  Mill.  Pesetas  gestiegen.  Die  Verzinsung 
betrug:  bei  den  .■\ktien  5-05"„,  bei  3 "»igen  Schuld- 
verschreibungen 1.  Hyp.  4-20 '&,  desgleichen  Pam- 
plona  4-45'?». 

Nachstehende  Übersicht  zeigt  die  von  der  S.  in 
den  letzten  10  Jahren  bis  einschließlich  1913  er- 
zielten Betriebsergebnisse. 


Jahr 

Brutto- 
einnahmen 

Betriebs- 
kosten 

Netto- 
einnahmen 

Betriebs- 
zahl 

1904 
1905 
1910 
1913 

117.850 

117.401 
133.464 
155.051 

59.229 
57.627 
59.192 
78.195 

58.622 
60.774 
74.272 
76.856 

50-41 
48-39 
44-5& 
50-44 

1914  betrugen  die  Bruttoeinnahmen  146-019  Mill., 
gegen  1913  ein  Ausfall  von  8-775  Mill.  Pesetas. 
In  1915  sind  die  Einnahmen  anscheinend  wieder 
gestiegen,  für  1916  wurde  sogar  eine  Dividende 
von  16  «i  beantragt. 

Literatur:  Economista.  —  Estadista  de  obras  pu- 
blicas  en  Espana.  -  Annuaire  des  chemins  de  fer  et 
des  Tramways  (ancien  Marchai).  29.  annee.  Paris  1914. 

Finthaber. 

Spannwerk  (wire  compensator;  tendeur 
de  fil;  apparccchio  tenditore  del  filo),  ein  in 
die  Doppeldrahtzugleitung  der  Stellwerke  ein- 
gehängtes einfaches  oder  doppeltes  Gewicht, 
das  dazu  bestimmt  ist,  die  durch  Wärme- 
schwankungen und  Dehnung  in  den  Lei- 
tungen auftretenden  Längenänderungen  aus- 
zugleichen. Wird  die  Drahtleitung  bei  zu- 
nehmender Wärme  länger,  so  läßt  sie  das 
Spanngewicht  sinken,  wird  die  Leitung  bei 
abnehmender  Wärme  kürzer,  so  sucht  sie  da^ 
Spanngewicht  zu  heben.  Zum  Ausgleich  der 
Längenänderungen  muß  daher  das  Spann- 
gewicht frei  beweglich  sein.  Beim  Umlegen 
des  Stellhebels  muß  es  dagegen  festgehaUen 
werden,  damit  die  durch  den  Stellhebel  auf 
die  Stelleitung  übertragene  Bewegung  voll  auf 
den  Weichen-  oder  Signalantrieb  wirkt  und 
nicht   in  dem  Anheben  des   S.  verzehrt  wird. 


Spannwerk. 


95 


Abb.  105.  Sperrvorrichtung. 


Die  Klemm- 
Dabei  greift 
einen    Zahn 


Zu   dieser  Sperrung  des   Spanngewichts  wird 
der  Spannungsunterschied  benutzt,  der  während 
der   Hebelumstellung    in    dem    Zugdraht 
und  Nachlaßdraht   entsteht. 

Abb.  104  zeigt  ein  S.  für  Signalleitungen. 
An  dem  einen  Ende  der  beiden  in  einem  Bock 
gelagerten    zwei- 
armigen     Hebel 
sind    verstellbare 
Gewichte     ange- 
bracht, an  dem  an- 
dern Ende  tragen 
diese    Hebel    be- 
wegliche Klemm- 
backen, zwischen 
denen  eine  kreis- 
förmig gebogene, 
gezahnte    Stange 
liegt    (Abb.  105).     Die    Drahtleitung     ist 
um  Seilrollen  geführt,  von  denen  4  in  dem 
festen  Gestell,  2  in  den  beweglichen  Ge- 
wichtshebeln   gelagert    sind.    Wird    beim 
Umlegen   des  Stellhebels  der  eine  Draht 
der  Doppelleitung  angezogen,  der  andere 
nachgelassen,    so  hebt  sich  das  eine  Ge- 
wicht, das  andere  senkt  sich 
backen   stellen   sich   schräg, 
die    höher    stehende    unter 
der  Sperrstange    und  hindert   das  weitere 
Anheben  des  Spanngewichts.  In  der  Ruhe- 
stellung   des    Hebels,     bei 
der    die    Spannungen    der 
beiden  Drähte   gleich  oder 
nur  wenig  verschieden  sind, 
gleiten    die    Klemmbacken 
beim  Auf-  und  Niedergehen 
der  Gewichte  an  der  Zahn- 
stange entlang. 

Abb.  106  stellt  ein  mitdem 
vorbeschriebenen  im  wesent- 
lichen übereinstimmendes  S. 
für  Weichenleitungen  nach 
der  Einheitsform  der  preußi- 
schen Staatsbahnen  dar. 

Eine  abweichende  Bauart 
findet  sich  bei  den  sog. 
Hängespannwerken  (Abb. 
107),  bei  denen  die  Spann- 
gewichte ohne  Hebelübertra- 
gung in  die  Drahtleitung 
eingehängt  werden. 

Die  S.  haben  aber  nicht 
nur  die  Längenänderungen 
der  Drahtleitung  auszu- 
gleichen, sondern  auch  ge- 
wisse Sicherungsbedingun 


Fall  eines  Bruches  der  Drahtleitung  gefordert 
werden.  Nach  diesen  sog. Reißbedingungen  soll: 


Abb.  lO-I.    ULbcUpannwcrk  liii  Sigiulleiiuiii^cii. 


gen  zu  erfüllen,  die  für  den 


Abb.  106.  Hebelspannwerk  fürWeichenleitungen. 


96 


Spannwerk.   -   Spar-  und  Vorschußkassen. 


bei  einem  Bruch  in  der  Leitung  eines 
Hauptsignals  ohne  Vorsignal  das  Hauptsignal 
in  der  Haltstellung  festgehalten  oder  aus  der 
Fahr-    in    die    Haltstellung    gebracht    werden; 

bei  einem  Bruch  in  der  Leitung  eines 
mit  einem  X'orsignal  verbundenen  Hauptsignals 
soll  das  Hauptsignal  in  der  Halt-  und  das 
Vorsignal  in  der  Warnstellung  festgehalten 
oder  in  diese  Stellung  gebracht  werden,  wenn 
der  Bruch  zwischen  Hebel  und  Hauptsignal 
eintritt; 


Abb.  107.  Hängespannwerk  für  Signalleitungen. 

bei  einem  Bruch  der  Leitung  zwischen 
Hauptsignal  und  Vorsignal  soll  bei  „Fahrt 
frei"  wenigstens  das  Vorsignal  in  die  \X'arn- 
stellung  gelangen; 

bei  einem  Bruch  in  einer  Weichen-  oder 
Riegelleitung  soll  die  Fahrstellung  eines  Sig- 
nals verhütet  werden,  das  von  der  Stellung 
dieser  Weiche  oder  dieses  Riegels  abhängig 
ist,  und  endlich 

bei  Weichen-  und  Riegelleitungen  jeder 
Drahtbruch  im  Stellwerk  angezeigt  werden. 

Die  hierzu  erforderliche  Einwirkung  auf 
die  Signal-  und  Weichenantriebe  und  die 
Weichen-  und  Riegelhebel  bei  Drahtbruch 
wird  durch  das  den  heil  gebliebenen  Draht 
nachziehende  Gewicht  des  S.  hervorgebracht. 
Die  Spanngewichte  müssen  daher  eine  Fall- 
höhe haben,  die  auch  bei  größter  Wärme, 
wo  die  Gewichte  am  tiefsten  stehen,  ausreicht, 


um  den  Draht  so  weit  nachzuholen,  als  zur 
Erfüllung  der  Reißbedingungen  nötig  ist. 

Die  S.  werden  entweder  unter  der  Hebel- 
bank im  Stellwerksgebäude  oder  im  Freien 
aufgestellt.  Hoogen. 

Spar-  und  Vorschußkassen  (Darlehens- 
vereine). Zur  Pflege  der  Sparsamkeit  sind  bei 
vielen  Verwaltungen  teils  von  diesen,  teils  auf 
ihre  Anregung  oder  aus  freiem  Antrieb  des 
Personals  S.  errichtet  worden,  an  die  die  Mit- 
glieder regelmäßig  Beiträge  zahlen,  auch  ein- 
malig größere  Einlagen  machen  können.  Die 
Beiträge  werden  am  Gehalt  und  Lohn  ein- 
behalten und  der  Kasse  überwiesen,  die  die 
Gelder  in  mündelsicherer  Weise  gewinnbringend 
anlegt  und  dem  Personal  verzinst.  Diesem  ist 
so  beste  Gelegenheit  zur  Ansammlung  eines 
kleinen  Kapitals  geboten,  auf  das  es  in  Zeiten 
der  Kot  zurückgreifen  kann.  Auch  kann  es 
aus  der  Kasse  unter  günstigen  Bedingungen 
(mäßiger  Zinsfuß  und  ratenweise  Abtragung) 
ein  Darlehen  erhalten,  wodurch  es  vor  Wucher- 
händen bewahrt  wird.  Voraussetzung  für  das 
Gedeihen  ist  Fernhaltung  von  jeder  Spekulation, 
unsicherer  oder  zweifelhafter  Kapitalanlage, 
Ansetzung  eines  niedrigen  Zinsfußes  für  die 
Spareinlage  verbunden  mit  Ausschüttung 
von  Dividenden  nach  Abschreibung  wirklicher 
oder  wahrscheinlicher  Verluste  und  nach  Zu- 
weisung eines  bestimmten  Anteils  an  den  Reserve- 
fonds. Darlehen  etwa  im  Rahmen  von  einem 
Monatseinkommen  bis  zum  Jahresgehalt  (höch- 
stens) sind  zur  L'nterstützung  von  Notlagen 
oder  zu  wirtschaftlichen  Zwecken  und  gegen 
einen  den  üblichen  Satz  nur  mäßig  über- 
schreitenden Zins  zu  gewähren,  wobei  im 
einzelnen  ausreichende  Bürgschaften  zu  fordern 
sind,  soweit  sie  nicht  durch  einen  Bürgschafts- 
fonds ersetzt  werden.  Darlehen  zu  unwirt- 
schaftlichen Zwecken  oder  an  Mitglieder  mit 
selbstverschuldetem,  andauernd  ungeordnetem 
Haushalt  sind  abzulehnen. 

Die  Eisenbahnvensaltungen  unterstützen  diese 
Vereine,  die  bei  guter  Leitung  sehr  segensreich 
wirken,  durch  kostenfreie  Führung  der  Kassen- 
geschäfte, durch  Ersatz  der  X'erwaltungskosten 
oder  auf  andere  Weise,  insbesondere  auch  durch 
eine  Beaufsichtigung  hinsichtlich  der  Kassen- 
verwaltung. 

In  Deutschland  sind  bei  allen  größeren  Staats- 
bahnvenvaltungen  S.  eingerichtet,  die  vom  Personal 
durch  einen  gewählten  Vorstand,  auch  durch  einen 
Ausschuß  (Bayern)  unter  .Mitwirkung  der  Mitglieder 
in  einer  Hauptversammlung  selbständig  geführt 
werden.  Die  Eisenbahnverwaltungen  besorgen  die 
Kassengeschäfte  kostenfrei  und  behalten  sich  die 
Genehmigung  der  Satzungen  und  ihrer  Änderungen 
vor,  so  in  Baden,  Bayern,  Sachsen  und  Württemberg; 
in  Preußen  sind  die  S.  vom  Staat  gefördene  Ein- 
richtungen der  Eisenbahner\'ereine  und  erst  in  der 


Spar-  und  Vorschußkassen.  -   Speisekopf. 


97 


Entwicklung  begriffen.  Während  in  Deutschland  mehr 
der  Sparzweck  betont  und  erfüllt  wird,  ist  in  Öster- 
reich mehr  das  V'orschußwesen  ausgebildet  worden. 
Die  Kassen  sind  hier  vielfach  Organe  der  Bahnver- 
waltung, wobei  das  Personal  von  Amts  wegen  in  der 
Regel  zu   ehrenamtlicher  Mitwirkung  berufen  wird. 

Speiseanstalten         (P  e  r  s  o  n  a  1  k  ü  c  h  e  n) 

sind  Einrichtungen,  die  dem  Personal  Gelegen- 
heit zur  Einnahme  eines  (insbesondere  warmen) 
Essens  zu  mäßigem  Preis  während  des  Dienstes 
oder  in  dessen  Pausen  geben.  Sie  finden  sich 
am  Sitz  größerer  Werkstätten,  deren  Personal 
vielfach  von  der  Arbeitstätte  weit  entfernt  wohnt, 
oder  an  den  Knotenpunkten  mit  zahlreichem 
aus\x-ärtigen  Personal  oder  auf  größeren  Statio- 
nen (V'erschiebebahnhöfen)  für  das  Stations- 
personal. 

Der  Betrieb  liegt  —  ähnlich  wie  bei  Kantinen 
—  in  den  Händen  teils  von  Pächtern,  teils  der 
Verwaltung  oder  des  Personals,  in  der  Regel 
unter  kräftiger  Förderung  und  Unterstützung 
durch  die  Verwaltung.  Mitunter  werden  sie  auch 
von  gemeinnützigen  Wohlfahrtsvereinen  geleitet 
Mit  den  Anstalten  sind  meistens  auch  Vor- 
kehrungen zum  Wärmen  und  Verzehren  mit- 
gebrachter Speisen  verbunden.  Mit  solchen 
Wärmevorrichtungen  sind  auch  dieAufenthaits- 
räume,  Gepäckwagen  und  Lokomotiven  aus- 
gestattet. Wo  keine  Speiseanstalten  bestehen 
oder  zu  deren  Ergänzung  sind  in  der  Regel 
die  Bahnhofwirte  gehalten,  Speisen  billig  (etwa 
zu  3  '^  der  ordentlichen  Sätze)  an  das  Personal 
abzugeben. 

Besondere  Bedeutung  gewannen  die  Speiseein- 
richtungen während  des  Weltkriegs  mit  seinen 
besonders  für  die  -Mittelmächte  schweren  Folgen  auf 
dem  Gebiet  der  Volksernährung.  Die  Verwaltungen 
haben  Nahrungsmittel  im  großen  beschafft  und  an 
das  Personal  abgegeben,  sie  haben  Dörrvorrichtungen 
eingerichtet  und  dem  Personal  kostenfrei  oder  gegen 
mäßige  Vergütung  zur  Verfügung  gestellt.  Zur  Ver- 
pflegung des  Personals,  z.  T.  auch  der  Familien 
wurden  Personalküchen  errichtet,  wo  Speisen  teils 
als  Eintopfgerichte,  teils  nach  Suppe,  Fleisch  und 
Gemüse  getrennt,  billig  abgegeben  werden.  Wie  in 
der  Heimat,  so  hat  die  Not  auch  in  den  besetzten 
Gebieten  zu  mannigfachen  Einrichtungen  hinsichtlich 
der  Personalverpflegung  geführt,  die  meist  von  gutem 
Erfolg  begleitet  waren  und  ihren  Zweck  in  harter 
Zeit  erfüllt  haben. 

Welche  Einrichtungen  von  diesen  Kriegsmaß- 
nahmen sich  besonders  bewähren  und  welche  sich 
zur  dauernden  Übernahme  in  die  Friedensverhältnisse 
empfehlen,  läßt  sich  nicht  voraussagen. 

In  letzter  Zeit  ist  in  Österreich  auch 
an  die  Versorgung  des  auf  der  Strecke  ar- 
beitenden Personals  mit  warmem  Essen  von 
den  Personalküchen  mittels  Kochkisten  ge- 
schritten worden.  Die  S.  haben  einen  ganz  be- 
deutenden Umfang  angenommen,  da  vielfach 
Metzgereien,  Wursterzeugung,  Kleintierzucht 
u.  s.  w.  mit  den  Küchen  in  Verbindung  ge- 
bracht worden  sind. 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


Speisekopf  (clack  box,  injector  check  valve; 
boite  ä  clapct  de  retenue ;  valvolad'alimentazione), 
jenes  Ausrüstungsstück  am  Lokomotivkessel,  das, 
gegen  den  Kessel  absperrbar,  das  Zurücklaufen 
des  durch  das  Speiserohr  in  den  Kessel  einge- 
führten und  einzuführenden  Wassers  mittels 
eines  Rückschlagventils  (Speiseventil)  verhindert. 

Der  S.  besteht  in  der  Regel  aus  einem 
gußeisernen  Gehäuse,  das  im  unteren  Teil 
ein  Rückschlagventil  (Kugel-  oder  Tellerventil), 
im  oberen  Teil  eine  von  außen  stellbare 
Schraubenspindel  enthält,  die  mit  ihrem  birnen- 
förmig gehaltenen  Ende  die  Mündung  des  S. 
in  den  Kessel  zu  schließen  gestattet.  Das  Ende 
der  Spindel  (die  Birne)  ist  so  gestaltet,  daß 
„zugeschraubt"  ein  dichter  Schluß  gegen  den 
Kessel  und  in  der  Stellung  »offen"  ein  An- 
liegen des  rückwärtigen  Birnenendes  an  einem 
Bord  des  Muttergewindes  der  Spindel  stattfindet, 
so  daß  die  Schraubenspindel  keiner  weiteren 
Dichtung  durch  eine  Stopfbüchse  mehr  bedarf. 

Das  durch  die  Wirkung  der  Speisepumpe 
(Kolbenpumpe  oder  Injektor)  vermittels  des 
Speiserohrs  und  S.  in  den  Kessel  eingeführte 
Wasser  hat  eine  bedeutend  niedrigere  Tem- 
peratur als  das  Kesselwasser. 

Es  findet  daher  an  der  Einmündungsstelle 
des  S.  im  Kessel  eine  bedeutende  Ablagerung 
von  Kesselstein  statt,  die  mit  der  Zeit  zu  einer 
Verengung  des  Einmündungsloches  führt.  Um 
diesem  Übelstand  möglichst  zu  begegnen, 
mündet  der  S.  gewöhnlich  dort  in  den  Kessel 
ein,  wo  die  geringste  Wassertemperatur  herrscht, 
also  „vorn"  in  der  Nähe  der  Rauchkasten- 
rohrwand. Außer  den  in  der  Regel  vorkommen- 
den 2  Absperrvorrichtungen  am  S.  hat  man 
neuestens  in  Amerika  eine  dritte  Absperrung 
„im  Kessel"  angebracht,  u'_.  bei  etwaigem 
Abbrechen    des   S.  (bei    Zugstreifungen,    Ent- 


Abb.  108.?Bauart  der  preußischen  Staatsbahnen. 

gleisungen  u.  s.  w.)    ein  Verbrühen   von  Zug- 
begleitern oder  Reisenden  zu  verhindern. 

Abb.  108  zeigt  die  bei  den  preußischen  Staats- 
bahnen  in  Verwendung  stehende  Bauart  der 
S.  Diese  S.  haben  außer  dem  Absperrkegel 
noch  ein  gewöhnliches  Kegelventil,  dessen  Sitz 

7 


Speisekopf.        Speisewasser. 


nach  unten  herausgezogen  werden  kann.  Die 
in  Abb.  109  dargestellte,  beiden  österreichischen 
Staatsbahnen  verwendete  Bauart  hat  statt  des 
Kegelventils  eine  Bronzekugel  als  selbsttätiges 
Absperrorgan.  Beide  Bauarten  haben  gewöhn- 


Abb.  lOQ.  Bauart  der  österrei- 
chischen Staatsbahnen. 


Abb. 


110.  Amerilianische 
Bauart. 


lieh  noch  auf  dem  einen  der  S.  auf  den  Loko- 
motiven einen  kleinen  von  Hand  mittels  eines 
Zuges  zu  betätigenden  Spritzhahn  für  Rauch- 
kammereinspritzung vorgesehen. 

Abb.  1 10  zeigt  die  in  Amerika  übliche  Bauart 
der  S.  Sie  hat  den  Vorteil,  daß  die  selbsttätige 
Absperrvorrichtung  (in  Abb.  110  ein  Ventil)  im 
Kessel  selbst  liegt.  Wird  der  S.  infolge  einer 
Beschädigung  abgerissen,  so  schließt  das  im 
Kessel  selbst  liegende  Ventil  nach  außen  ab,  ver- 
hindert das  Entströmen  des  Kesselwassers  und 
somit  Verbrühungen  von  Personen.  Gölsdoiif. 

Speisepumpe  (fced  pump;  pompe  d'ali- 
mentation;  pompa  d'alimentazione),  eine  Kolben- 
pumpe zur  Förderung  des  Speisewassers 
in  den  Dampfkessel.  An  den  ältesten  Loko- 
motiven wurde  die  S.  von  Hand  aus  ange- 
trieben; später  erfolgte  der  Antrieb  durch 
Exzenter  von  einer  der  Achsen  aus,  daher 
auch  der  früher  oft  gebrauchte  Ausdruck  „Fahr- 
pumpe". Um  auch  während  des  Stillstandes  der 
Lokomotive  speisen  zu  können,  hat  man  ver- 
einzelt S.  mit  Antrieb  durch  eine  kleine  Dampf- 
maschine, sog.  Schwungradpumpen,  ausgeführt. 

Die  S.  sind  ab  Anfang  der  Sechzigerjahre 
vorigen  lahrhunderts  immer  mehr  durch  die 
Dampfstrahipumpen  (s.  d.)  verdrängt  worden, 
da  diese  die  vielen  Unzukömmlichkeiten  der 
damaligen  Bauarten  der  S.,  wie  Einfrieren, 
Defekte  am  Antrieb  u.  s.  w.  nicht  aufweisen 
und  überdies  ermöglichen,  während  der  Fahrt 
und  während  des  Stillstandes  zu  speisen. 

Der  Vorteil  der  S.,  beträchtlich  vorge- 
wärmtes Wasser  aus  dem  Tender  ansaugen  zu 
können,  ist  den  Dampfstrahlpumpen  nicht  eigen; 
es  hat  daher  nicht  an  Bestrebungen  gefehlt, 
die  S.  weiter  zu  verbessern  (z.  B.  London- 
Brighton-Bahn,  Paris-Orleans-Bahn  u.  s.  w.). 

Durch  die  in  neuester  Zeit  in  brauchbarer, 
betriebssicherer  Ausführung  entstandenen  „Vor- 
wärmer" sind  auch  die  S.  wesentlich  verbessert 
worden.  Da  sie  in  dieser  Form  einen  wesent- 


lichen Teil  der  Vorwärmeranlage  bilden,  sind  sie 
dort  behandelt   (s.  Vorwärmer).      Golsdorff. 

Speiserohre  (fced  pipes;  tiiyaitx  d'ali- 
mentation;  ttibi  d'alimentazione),  jene  Rohr- 
leitungen, die  das  von  der  Speisevorrichtung 
(Injektor  oder  Dampfstrahlpumpe)  oder  der 
Kolbenpumpe  angesaugte  Speisewasser  in  den 
Kessel  führen.  Im  allgemeinen  sind  in  jeder 
Speiserohrleitung  2  Absperrvorrichtungen  an- 
gebracht: eine  dicht  am  Kessel,  um  .Aus- 
besserungen (Reinigung  der  Speiserohrleitung 
u.  s.  w.)  vornehmen  zu  können,  ohne  den  Kessel 
kalt  machen  zu  müssen,  und  eine  zweite  (Speise- 
ventil), die  selbsttätig  das  Zurücklaufen  des  im 
Kessel  befindlichen  Wassers  in  die  Speiserohr- 
leitung bzw.  in  die  Speisepumpen  verhindert. 
Getrennte  Anordnung  dieser  2  Absperrvorrich- 
tungen kommt  viel  bei  Stabilkesseln  vor,  ins- 
besondere dann,  wenn  von  einer  Hauptspeise- 
vorrichtung aus  mehrere  Kessel  gespeist  werden. 
Bei  Lokomotiven  sind  diese  beiden  Absperrungen 
stets  in  einem  Konstruktionsglied,  dem  Speis- 
kopf (s.d.),  vereinigt.  In  neuerer  Zeit  werden 
fast  alle  Lokomotiven  so  eingerichtet,  daß  sie 
im  Bedarfsfall  als  Feuerspritze  verwendet 
werden  können.  Zu  diesem  Behuf  ist  in  die 
Speiserohrleitung,  dicht  an  der  Speisepumpe 
(Injektor),  ein  Zwischenstück  aus  Metallguß  ein- 
geschaltet, das  eine  für  gewöhnlich  mit  einer 
Überwurfmutter  geschlossene  Zweigmündung 
besitzt;  an  diese  kann  ein  Feuerspritzenschlauch 
angeschraubt  werden.  Golsdorff. 

Speisevorrichtung  (fced  apparatns;  ap- 
pareil  d'alimentation ;  apparecchi  per  alimenta- 
tione),  Gesamtbezeichnung  für  die  aus  ver- 
schiedenen Einzelteilen  bestehende  Einrichtung, 
die  bestimmt  ist,  das  Speisewasser  einem 
Dampfkessel  zuzuführen.  Die  S.  bestehl  aus: 
dem  Apparat,  der  das  Wasser  aus  dem 
Wasserkasten  der  Lokomotive  oder  dem  Tender 
ansaugt,  d.  i.  einer  Dampfstrahlpumpe  (s.  d.) 
oder  einer  Kolbenpumpe;  aus  den  Speise- 
rohren (s.  d.)  und  dem  Speisekopf  (s.  d.). 

Bezüglich  der  an  Lokomotiven  vorkommenden  S. 
enthalten  die  T.  V.  im  §  94  folgende  Bestimmungen: 

1.  Jeder  Kessel  ist  mit  wenigstens  2  vonein- 
ander unabhängigen  S.  zu  versehen,  von  denen  jede 
einzelne  zum  Speisen  des  Kessels  ausreicht  und 
mindestens  eine  unabhängig  von  der  Bewegung  der 
Lokomotive  wirken  kann. 

2.  An  der  Einmündung  der  S.  in  den  Kessel  müssen 
selbsttätige  Ventile  zur  Verhinderung  des  Wasser- 
abflusses aus  dem  Kessel  angebracht  sein. 

3.  Bei  neuen  Lokomotiven  sind  diese  selbsttätigen 
Ventile  von  außen  verschließbar  herzustellen  oder 
es  sind  zwischen  ihnen  und  dem  Kessel  besondere 
Abschlüsse  einzuschalten.  Gölsdorf  f. 

Speisewagen  s.  Personenwagen. 

Speisewasser  (fccd-water;  eau  d'alimen- 
tation; aqua  d'alimentazione)  zur  Wasserver- 
sorgung der  Dampfkessel. 


Speisewasser. 


99 


Ober  Art  und  Verunreinigung  des  S., 
Kesselsteinbildung,  Ablagerung  des  Kessel- 
steins und  Einfluß  des  Kesselsteins  auf  die 
Wirtschaftlichkeit  sowie  über  Verhütung  der 
Bildung  des  Kesselsteins  s.  Kesselstein. 

Ober  Einrichtungen  zur  Abscheidung  des 
Kesselsteins  aus  dem  S.  —  entweder  im 
Dampfraum,  im  Wasserraum  oder  auch  außer- 
halb des   Kessels    -    s.  Kesselsteinabscheider. 

S.  muß  beim  Eintritt  in  den  Kessel  möglichst 
warm  sein.  Warmes  S.  vermindert  Wärme- 
schwankungen im  Dampfkessel.  Es  werden  un- 
günstige Materialbeanspruchungen  vermieden 
und  Kohlen  erspart.  Daher  Vorwärmung  er- 
wünscht. Ober  Anlagen  zur  Vorwärmung  des  S. 
s.  Speisewasservorwärmung. 

S.  muß  rein  und  weich,  d.  h.  möglichst 
frei  von  mechanischen  und  chemischen  Ver- 
unreinigungen sein.  Schädliche  Stoffe  werden 
beseitigt  durch  Reinigung  und  Enthärtung. 

Reinigung  von  Schlamm,  Lehm,  Abfällen, 
Öl  u.  s.  w.  Schwere  Beimengungen  läßt  man 
in  Klärbehältern  sich  absetzen.  Für  leichtere 
Stoffe  erfolgt  die  mechanische  Reinigung  durch 
Filter.  Die  Größe  des  Filters  ist  derart  zu  be- 
messen, daß  die  Wassergeschwindigkeit  höch- 
stens Vlmin  für  1  Sekunde  beträgt.  Als  Mate- 
rial des  Filters  empfiehlt  sich  am  besten  Kies  und 
zerkleinerter  Koks  in  mehreren  Schichten  mit 
i/,  -  3  mm  Korngröße.  Die  Filter  sind  häufig 
durch  Omrühren  und  Auswaschen  zu  reinigen. 
Für  geringen  Raumbedarf  und  große  Leistung 
kommen  Schnellfilter  mit  mehreren  überein- 
anderliegenden, auf  je  einem  Siebboden  ge- 
lagerten   Quarzsandschichten    in    Verwendung. 

Öle  und  Fette  sind  aus  dem  S.  durch  Öl- 
abscheider  und  Filter  zu  entfernen.  Schon  ein 
Zusatz  von  0'005  — 0-01  ^  im  /  ist  bedenklich. 
Das  Filtermaterial  besteht  hierbei  aus  Koks, 
Holzwolle,  Sägespänen    oder  Schwamm. 

Bei  erheblichem  Eisengehalt  ist  Reinigung 
erforderlich,  da  sich  unlösliches  Eisenoxyd 
bildet,  das  Kessel  und  Rohre  verschlammt. 
Das  Wasser  wird  in  Enteisenungsanlagen 
durchlüftet  und  gefiltert.  Ober  neuere  Anlagen 
s.  Guillery,  Neuere  Wasserversorgungsanlagen. 

Die  Enthärtung  des  S.  erfolgt,  um  Kessel- 
steinbildner, insbesondere  Kalk-  und  Magnesia- 
salze, unschädlich  zu  machen.  Die  wichtigsten 
Kesselsteinbildner  sind  die  Sulfate  und  Karbo- 
nate von  Kalzium  und  Magnesium.  Kesselstein 
entsteht  dadurch,  daß  durch  Wärmesteigerung 
bzw.  Verdampfen  des  Wassers  die  Löslichkeit 
der  im  Wasser  gelösten  Verbindungen  sich 
verringert  und  die  unlöslich  gewordenen 
Mengen  sich   in    festem   Zustand  ausscheiden. 

Für  die  Beurteilung  eines  S.  kommt  nicht 
ausschließlich  die  Menge  der  Kesselsteinbildner 


in  Frage,  sondern  auch  der  Qesamtgehalt  an 
gelösten  Stoffen,  der  als  Abdampfrückstand 
bezeichnet  wird.  Auch  die  bei  starkem  Ein- 
dampfen gelöst  bleibenden  Salze  wirlcen 
schädlich,  da  sie  durch  Siedeverzug  Spucken, 
d.  i.  Wasserauswurf  aus  dem  Rauchfang  der 
Lokomotive  verursachen.  Stark  salzhaltige  S. 
führen  zu  Korrosionen  der  Kesselbleche. 

Nach  den  vom  preußischen  Ministerium  der 
öffentlichen  Arbeiten  herausgegebenen  Grund- 
zügen für  die  Errichtung  von  Bahnwasser- 
werken und  Vorschriften  für  die  Wasserunter- 
suchung ist  S.  als  gut  anzusehen,  wenn  in 
1  /  klarem  Wasser  der  Verdampfungsrückstand 
nicht  mehr  als  1 00  -  200  mg  beträgt.  Wasser 
mit  einem  Verdampfungsrückstand  von  200  bis 
300  mg  ist  ziemlich  gut,  mit  einem  solchen 
von  300  -  500  mg  noch  eben  brauchbar.  Wasser 
mit  mehr  als  500  mg  Verdampfimgsrückstand 
auf  1  /  muß  chemisch  gereinigt  werden.  Der 
Zusatz  ist  nach  dem  Ergebnis  einer  chemischen 
Untersuchung  zu  bemessen. 

Außer  nach  den  Verdampfungsrückständen 
wird  die  Güte  des  S.  auch  nach  Härtegraden 
gemessen.  Ein  deutscher  Härtegrad  =  1  Ge- 
wichtsteil Kalk  auf  100.000  Gew'ichtsteile  Roh- 
wasser (1  deutscher  Härtegrad  =  1'25  eng- 
lischem =  1-79  französischem  Härtegrad).  Die 
Gesamthärte  des  S.  ist  die  Summe  der  Gewichts- 
teile an  Kalk  und  der  auf  Kalk  umgerechneten 
Gewichtsteile  Magnesia.  Dabei  entspricht  1  Ge- 
wichtsteil   Magnesia    1'4  Gewichtsteilen    Kalk. 

S.  von  10—15  deutschen  Härtegraden 
gilt  im  allgemeinen  noch  als  weich.  Die  Ent- 
härtung des  S.  ist  für  leicht  zu  reinigende 
Kessel  notwendig  und  nutzbringend,  wenn  die 
Härte  mehr  als  1 2  deutsche  Härtegrade  beträgt, 
wogegen  bei  schwer  befahrbaren  Kesseln,  also 
auch  Lokomotivkesseln,  schon  6-7  deutsche 
Härtegrade  die  äußerste  Grenze  bilden,  bis 
zu  der  ungereinigtes  Wasser  ohne  wesent- 
lichen Nachteil  verwendet  werden  kann. 

Bestimmung  der  Härte.  Sie  erfolgt  am 
genauesten  durch  Errechnung  aus  der  durch  die 
chemische  Untersuchung  des  S.  ermittelten 
Zusammensetzung.  Ongenauer  wird  sie  durch 
Titrieren  mit  einer  Seifenlösung  bis  zur  blei- 
benden Schaumbildung  nach  dem  Schütteln 
bestimmt.  Die  zum  Titrieren  benutzte  Seifen- 
lösung wird  auf  ein  Wasser  von  bekannter 
Härte  oder  auf  eine  Chlorbariumlösung  von 
bekanntem  Gehalt  eingestellt.  Man  unterschei- 
det Gesamthärte,  bleibende  Härte  und  vorüber- 
gehende Härte.  Bleibende  Härte  ist  der  nach 
längerem  Kochen  verbleibende  Rest  an  Härte.  Sie 
wird  im  wesentlichen  durch  den  Gehalt  des  S. 
an  schwefelsaurem  Kalk  (Gips)  und  schwefelsau- 
rer Magnesia  bedingt.  Die  Abnahme  der  Härte, 


10(J 


Speisewasser. 


vorübergehende  Härte,  wird  durch  den  Gehalt 
an  saurem  kohlensauren  Kalk  bzw.  Magnesia 
verursacht,  die  beim  Kochen  unter  Verlust  an 
Kohlensäure  sich  als  unlösliche  kohlensaure 
Salze  abscheiden. 

Ein  Wasser  von  hoher  bleibender  Härte 
bei  gleicher  Gesamthärte  ist  schlechter  als  ein 
solches  von  niedrigerer  bleibender  Härte,  da 
der  sich  ausscheidende  Kesselstein  infolge  seines 
höheren  Gehalts  an  Gips  (schwefelsaurem  Kalk) 
wesentlich  härter  und  schwerer  abklopfbar  ist. 

Bei  der  Enthärtung  werden  die  Kesselstein- 
bildner chemisch  in  unlösliche  Kalk-  und 
Magnesiaverbindungen  umgesetzt.  Die  festen 
Teile,  die  sich  dabei  bilden,  werden  auf 
mechanischem  Wege  entfernt. 

Nach  den  Zusätzen,  die  dem  S.  bei- 
gegeben werden,  unterscheidet  man  Enthärtung 
durch:  1.  Kalk,  2.  Soda,  3.  Kalk  und  Soda, 
4.  Ätznatron,  5.  Bariumhydroxyd,  6.  Barium- 
karbonat und  7.  Permutit. 

1.  Bei  der  Enthärtung  durch  Kalk  wird 
Kalkwasser  (Lösung  von  gebranntem  Kalk)  dem 
zu  reinigenden  S.  hinzugesetzt.  Aus  dem  im 
Wasser  gelösten  sauren  kohlensauren  Kalk 
entsteht  unlöslicher  einfach  kohlensaurer  Kalk. 

Ca(HCO^).  +  Ca{OH).  =  2  CaCO^  +  2  H.O 
Mg{HCO,u  +  Ca{OH),  ='MgCO,  +  CaCO,  +  H.O 

Die  Ausfällung  der  kohlensauren  Magnesia 
ist  unvollständig.  Auf  ag  des  in  der  Analyse 
angegebenen  kohlensauren  Kalks  sind  0-56  ag 
gebrannter  Kalk  erforderlich.  Wasser,  das  freie 
Kohlensäure  enthält,  erfordert  eine  größere 
Menge  gebrannten  Kalks,  als  die  vorgenannte 
Rechnung  ergibt. 

2.  Bei  der  Enthärtung  durch  Soda  (kohlen- 
saures Natron)  wird  der  schwefelsaure  Kalk 
in  kohlensauren  Kalk  umgewandelt. 

CaSO,  +  Na.CO,  =  CaCO,  +  Na.SO,. 
Die    Umwandlung    erfordert    längere    Zeit, 
die   der   schwefelsauren   Magnesia   ist   unvoll- 
ständig.    Auf    bg  schwefelsauren    Kalk    sind 

136*^  ^  078  6^  wasserfreie  Soda  (Ammo- 
niaksoda) erforderlich. 

3.  Die  Enthärtung  durch  gleichzeitigen  Zusatz 
von  Kalk  und  Soda  wird  am  häufigsten  ange- 
wendet und  ist  am  meisten  zu  empfehlen.  Berech- 
nung  der  Zusätze  wie  oben   unter   1   und  2. 

4.  Die  Enthärtung  durch  Ätznatron  zielt  auf 
Entfernung  des  schwefelsauren  Kalks  und  Ver- 
ringerung des  sauren  kohlensauren  Kalks  hin. 

Ca{HC03t2  +  2NaOH=   CaCO,  +Na.CO,+  2H^O 
CaSOi   +  NüiCOi  =^aCOi   +  NalSOt 


CaSO^  +  Ca{HCOih  +  2NaOH  =  ICaCO,  +  Na2SOi  +  ZH.O 

Auf  ag  schwefelsauren  Kalk  sind  0-6  ao- Ätz- 
natron (Natriumhydroxyd)  erforderlich,  außer- 
dem wird  der  Gehalt  des  Wassers  an  doppelt- 
kohlensaurem Kalk  um   \-b  ag  vermindert. 


5.  Bariumhydroxyd  wirkt  in  ähnlicher  Weise 
durch  Bindung  der  Kohlensäure.  Außerdem 
wird  die  im  Gips  enthaltene  Schwefelsäure  als 
unlöslicher  schwefelsaurer  Baryt  entfernt. 

CaSOi  +  BaCOi     =  BaSOi    -{-  CaCO, 

Ca(/iC03l2  +  Ba[Offh=   CaCO^   +BaC03+7H20 

CalHCO^).  +  CaSO^  +  Ba(OH),  =  2  CaCO^  +  BnSO,  +  2  //oO 

Auf  ag  CaSO^  sind  erforderlich  2-3  ag 
kristallisiertes  Bariumhydroxyd.  Außerdem 
werden  von  dem  im  Wasser  gelösten  doppelt- 
kohlensauren Kalk  noch  1-5  o^als  kohlensaurer 
Kalk  ausgefällt. 

6.  Bariumkarbonat  wirkt  nur,  wenn  es 
künstlich  gefällt  ist.  Gemahlenes  natürliches 
Barium  karbonat  (Witherit)  ist  wirkungslos. 
Auf  ag  schwefelsauren  Kalk  sind  1-45  ag 
Bariumkarbonat  erforderlich.  Zweckmäßig  wird 
diese  Enthärtung  mit  der  Enthärtung  durch 
Kalk  (vgl.  1   der  Aufzählung)  verbunden. 

7.  Permutit  ist  ein  durch  Zusammenschmelzen 
von  Feldspat,  Kaolin,  Sand  und  Soda  erhaltenes, 
dem  in  der  Natur  vorkommenden  Zeolith  ähn- 
liches Produkt,  das  die  Eigenschaft  hat,  Kalksalze 
in  Natriumsalze  umzuwandeln.  Das  über  Per- 
mutit langsam  filtrierte  Wasser  enthält  an  Stelle 
des  sauren  kohlensauren  Kalks  Natriumbikar- 
bonat. Die  Permutitfilter  werden  mit  der  Zeit 
unwirksam,  lassen  sich  aber  durch  Behandlung 
mit  Chlornatriumlösung  wieder  wirksam  machen. 

Die  Zusätze  könn?n  dem  Wasser  beigegeben 
werden,  bevor  es  in  den  Kessel  gelangt  oder 
im  Kessel  selbst.  Das  letztere  Verfahren  ist 
nicht  zu  empfehlen,  da  die  bei  der  Enthärtung 
sich  bildenden  Rückstände  im  Kessel  verbleiben 
und  diesen  verunreinigen. 

Für  die  Enthärtung  außerhalb  des  Kessels 
sind  besondere  Vorrichtungen  erforderlich,  die 
für  die  Verfahren  zu  1  —  6  (s.  o.)  keine  grund- 
sätzlichen Unterschiede  aufweisen. 

Die  als  Beispiel  dargestellte  Kalk-Soda-Enthärtungs- 
anlage vonReisert,  Köln  (s.  Abb.  111),  besteht  aus  dem 
Kalksättiger  5,  dem  Klärbehälter  D,  dem  darüber  an- 
geordneten Verteilungsbehälter  und  dem  Kiesfilter  F. 
Letzterer  ist  bei  Platzmangel  in  den  Klärbehälter 
eingebaut.  Die  in  dem  Raum  y  des  Verteilungs- 
behälters bereiiele  Kalkmilch  wird  durch  den  Hahn  K 
und  das  darunter  befindliche  Rohr  unten  in  den 
Kalksättiger  eingeführt.  Durch  das  Ventil  V  und  das 
Rohr  T  fließt  aus  dem  Raum  B  eine  bestimmte, 
dem  Ergebnis  der  chemischen  Untersuchung  ent- 
sprechende Wassermenge  unter  die  Kalkmilch  und 
wirbelt  diese  in  die  Höhe.  Bei  dem  nach  oben  zu- 
nehmenden Querschnitt  des  Sättigers  wird  die  Ge- 
schwindigkeit des  aufsteigenden  Wassers  ständig 
geringer.  Die  Kalkteilchen  fallen  daher  wieder  zurück. 
Das  gesättigte  Kalkwasser  gelangt  durch  das  Rohr  U 
in  das  Mischrohr  E  des  Klärbehälters.  Hierhin  fließt 
auch  aus  dem  Raum  C  des  Verteilungsbehälters 
die  genau  bemessene  IVlenge  der  Sodalösung  und 
aus  dem  Raum  B  das  Rohwasser.  Die  ausgefällten 
Kesselsteinbildner  setzen  sich  in  dem  Klärbehälter 
als  Schlamm  ab,  der  von  Zeit  zu  Zeit  durch  den 
Hahn  W  abgelassen  wird.  Das  Wasser  steigt  aus  dem 


Speisewasser.  -   Speisewasservorwärmung. 


101 


Mischrohr  E  in  dem  Behälter  D  in  die  Höhe,  fließt 
durch  ein  Oberfallrohr  in  das  Kiesfilter  F  und  verläßt 
durch  ein  Ventil  die  Enthärtungsanlage. 

Zur  Reinigung  des  h'ilters  wird  mit  einem  Ejektor 
Luft  durch  das  Filter  gedrückt. 

Über  die  verschiedenen  Bauarten  und  über 
Einzelheiten  der  Vorrichtungen  s.  Wehrenfennig, 
Über  die  Untersuchung  und  das  Weichmachen 
des  Kesselspeisewassers. 

Die  Kiärbehälter  werden  enKveder  oben  offen 
(vgl.  Abb.  111)  oder  geschlossen  ausgeführt.  Bei 
den  geschlossenen  Behältern  kann  das  Wasser 
mit  nur  einer  Pumpe  durch  die  Enthärtungs- 
anlage in  den  Wasserturm  gedrückt  werden. 
Für  offene  Behälter  sind  2  Pumpen,  eine  für 
Rohwasser,  die  zweite  für  das  enthärtete  Wasser, 
erforderlich.  Zudem  bedingt  die  offene  Anlage 
noch  einen  Zwischenbehälter,  aus  dem  das 
enthärtete  Wasser  gepumpt  wird.  Offene  Bauart 


Schlamm. 


Abb.  111.  Kalk-Soda-Enthärtungsanlage  Bauart  Reisert. 

ist  ZU  empfehlen,  wenn  für  das  Wasser,  etwa 
wegen  starken  Eisengehalts,  Durchlüftung  er- 
wünscht ist.  Bei  geschlossener  Bauart  ist  Durch- 
lüftung nur  durch  Druckluft  herzustellen.  Die 
Zusätze  können  hierbei  dem  Rohwasser  nur 
durch  genau  eingestellte  Hähne  und  Ventile 
zugeführt  werden.  Bei  offenen  Behältern  ist 
Zuleitung  der  Lösung  durch  Heberieitung, 
Schöpfwerk  oder  Kippschale  erforderlich. 

Die  Klärbehälter  müssen  möglichst  groß 
sein,  da  für  die  Nachreaktion,  die  nach  der  ersten 
Ausfällung    der    Kesselsteinbildner    stattfindet, 


eine  geraume  Zeit  —  wenigstens  3  Stunden  — 
erforderlich  ist. 

Auf  dem  üblichen  kalten  Wege  läßt  sich  mit 
obigen  Vorrichtungen  die  Enthärtung  bis  auf 
etwa  5  deutsche  Härtegrade  erreichen.  Bei 
starker  Vorwärmung  des  Rohwassers  ist  eine 
Enthärtung  bis  auf  etwa  2  Härtegrade  erzielbar. 


Salzlöiung- 
Eintrift 


^4  H^«w 


Abb.  112.  Permutitfilteranlage. 

Eine  noch  weitere  Enthärtung  erfolgt  bei  Per- 
mutitbehandlung  des  Wassers.  Eine  Filteranlage 
hierfür  —  in  geschlossener  Ausführung  —  ist 
in  Abb.  112  dargestellt. 

Das  Rohwasser  fließt  von  einem  oberen  Behälter 
dem  Filter  zu,  durchströmt  die  Permutitschicht  und 
wird  in  enthärtetem  Zustand  in  einen  hochstehenden 
Reinwasserbehälter  gedrückt.  Zur  Erhaltung  der  Wirk- 
samkeit der  Anlage  wird  in  den  Betriebspausen  eine 
Kochsalzlösung  in  das  Filter  geleitet. 

Literatur:  Hütte,  22.  Aufl.,  Bd.  II,  S.  57  f.  - 
Heidepriem,  Die  Reinigung  des  Kesselspeise- 
wassers. —  Wehrenfennig,  Über  die  Untersuchung 
und  das  Weichmachen  des  Kesselspeisewassers;  Bahn- 
hofsanlagen, Reinigung  des  Speisewassers.  Eis.  T.  d.  O. 
—  Stockert,  Handbuch  des  Eisenbahnmaschinen- 
wesens, Wasserspeisung  von  Schäfer.  Berlin  1908, 
Julius  Springer.  —  QuiUery,  Das  Maschinenwesen 
der  preußisch -hessischen  Staatseisenbahnen,  neuere 
Wasserversorgungsanlagen. 

Speisewasservorwärmung.  Sie  dient  da- 
zu, das  für  die  Speisung  von  Dampfkesseln 
erforderliche  Wasser  vor  Eintritt  in  den  Kessel 
auf  eine  höhere  Temperatur  zu  bringen.  Die 
Vorteile,  die  damit  erlangt  werden,  sind  haupt- 
sächlich: 1.  Verbesserung  der  Wirtschaftlichkeit, 
da  das  bereits  vorgewärmte  Wasser  im  Kessel 
keinen  so  großen  Wärmeaufwand  zur  Über- 
führung in  Dampf  erfordert  als  kaltes  Wasser; 
2.   Steigerung   der   Leistungsfähigkeit,    da   bei 


102 


Speisewasservorwärmung. 


Aufwand  derselben  Wärmemenge  im  Kessel 
bei  vorgewärmtem  Speisewasser  mehr  Dampf 
erzeugt  werden  kann  als  bei  kaltem;  3.  Ver- 
minderung der  Kesselsteinbildung,  da  bei  der 
Vorwärmung  sich  ein  großer  Teil  des  Kessel- 
steins ausscheidet  und  im  V'orwärmer  zurück- 
bleibt; 4.  Schonung  der  Kessel,  da  durch  das 
vorge\^ärmte  Speisewasser  der  Temperatur- 
unterschied in  den  Kesseln  nicht  nur  örtlich, 
sondern  auch  zeitlich  gleichmäßiger  verläuft, 
hierdurch  werden  schädlicheSpannungen  vermin- 
dert ode."  ganz  hintangehalten.  Alle  diese  Vorteile 
haben  bev^irkt,  die  an  ortsfesten  Kesseln  bereits 
fast  allgemein  verwendete  S.  in  den  letzten 
Jahren  auch  bei  Lokomotiven  einzuführen. 

Das  im  Lokomotivbetrieb  verwendete  Speise- 
wasser hat  ohne  Vorwärmung  im  Jahresdurch- 
schnitt eine  Temperatur  von  etwa  10"  C.  Bei 
Verwendung  der  bisher  allgemein  gebräuch- 
lichen Injektoren  wird  das  Speisewasser  auf 
etwa  70"  vorgewärmt,  es  ist  hierzu  jedoch  eine 
nicht  unbedeutende  Menge  frischen  Kessel- 
dampfes zum  Betrieb  der  Injektoren  erforderlich. 
Soll  eine  stärkere  Vorwärmung  in  Betracht 
kommen,  so  ist  jedoch  die  Verwendung  von 
Injektoren  unzweckmäßig.  Wird  der  Vorwärmer 
zwischen  den  Wasserkasten  und  den  Injekior 
gelegt,  in  das  Saugrohr  eingebaut,  so  müßte 
der  Injektor  heißes  Wasser  ansaugen,  was  bei 
größeren  Temperaturen  (mehr  als  50")  mit 
Rücksicht  auf  die  Wirkungsweise  des  Injektors 
unmöglich  ist.  Wird  anderseits  der  Vorwärmer 
zwischen  Injektor  und  Kessel,  ins  Druck- 
rohr eingebaut,  so  würde  das  bereits  auf 
70"  vorgewärmte  Wasser  wegen  des  geringeren 
Temperaturgefälles  nur  mehr  wenig  Wärme  auf- 
nehmen und  trotz  großer  Heizflächen  im  Vor- 
wärmer einen  ungünstigen  Wirkungsgrad  er- 
geben. Es  ist  daher  bei  S.  die  Verwendung 
von  Dampfpumpen  notwendig.  Diese  sichern 
auch  bei  Temperaturen  des  Wassers  von  mehr 
als  100"  die  Speisung. 


Beträgt  die  Temperatur  des  Speisewassers 
vor  dem  Eintritt  in  den  X'orwärmer  10"  und 
ermöglicht  dieser  eine  Erwärmung  auf  100",  so 
müssen  dem  Speisewasser  durch  den  Vorwärmer 
90'5  Wärmeeinheiten  zugeführt  werden.  Um 
Speisewasser  von  10"  in  Naßdampf  von  rund 
14  Atm.  Überdruck  zu  verwandeln,  sind  656'7 
Wärmeeinheiten  erforderlich,  bei  der  Vorwär- 
mung auf  1 00 "  aber  nur  656-7  -  90-5  =  466-2 
Wärmeeinheiten.  Es  ist  somit  bei  Naßdampf 
auf  eine  Wärmeersparnis  von 
636-7 


100 


=  14-1«. 


656-7-90-5 

zu  rechnen.  Bei  Heißdampf  mit  14  Atm.  Über- 
druck und  einer  Temperatur  von  330"  ist  der 
Wärmeaufwand  bei  Speisewasservon  10"C  729-7 
Wärmeeinheiten,  wenn  die  spezifische  Wärme  mit 
055  vorausgesetzt  ist.  Die  Wärmeersparnis  ist  da- 
her bei  Heißdampf  nur  mit 
729-7 


100 


=  11-4« 


729-7-90-5  "'" 

zu  bewerten. 
j  Unter  .Annahme  dieser  Grundwerte  sind  in 
nachfolgender  Zusammenstellung  1  für  eine 
Kohle  von  7000  Wärmeeinheiten  die  Ersparnisse 
angeführt,  die  bei  Naß-  und  Heißdampf-,  Zwilling- 
und  V^erbundlokomotiven  im  Durchschnitt  zu 
erlangen  sind.  Wie  zu  erwarten,  ist  bei  den 
wärmetechnisch  vollkommener  ausgebildeten 
Lokomotiven  der  Gewinn  durch  die  S.  wesentlich 
geringer  als  an  der  Naßdampflokomotive  mit 
einfacher  Dampfdehnung.  Hieraus  ist  abzuleiten, 
daß  namentlich  an  den  älteren  Naßdampf- 
lokomotiven durch  die  S.  eine  merkliche  Stei- 
gerung der  Wirtschaftlichkeit  zu  ens-arten  ist, 
während  an  den  neueren  Heißdampflokomotiven 
der  Erfolg  ein  begrenzter  ist.  Immerhin  ist  an 
den  Heißdampflokomotiven  der  Erfolg  durch 
Verwendung  von  S.  ungefähr  gleich  dem  Erfolg 
durch  Anwendung  der  Verbundwirkung. 

Im  Betrieb  erweist  sich  der  Gewinn  gewöhnlich 
noch  etwas  günstiger,  als  die  Rechnung  ergibt, 


Zusammen  Stellung;  1- 


Lokomotivbauart 


'  Verhältnis  der 

Wärme  in  der      Kohlenver-  Kohlener- 

Kohle  für  eine  '    brauch  für      spamis  gegen 
indizierte  PS.    eine  indizierte  die  Naßdampf- 
und stunde     PS.  und  Stunde  Zvrillingloko- 
motive 


ohne  Speiserasser^-ororärmung 


Verhältnis  der 

!     Kohlener-  Steigerung 

Kohlenver-      spamis  gegen      ^„  Kohlen- 
brauchfüreine  dieNaßdampf-       ersparnis 
indizierte  PS     Zmllingloko-    durch  die  Vor- 
und  Stunde      raotive  ohne         irärmung 
j  Speisewasser- 
I  vorrärrauntT 


mit  Speisewasservoprärmung 


Wärmeein- 
heiten 


*^ 


*? 


Prozent 


Naßdampfzwilling 
Naßdampfverbund 
Heißdampfzwilling 
Heißdampfverbund 


12.000 

10.000 

9.000 

8.000 


1-71 
1-43 
1-28 
1-14 


00 
16-4 
251 
33-3 


1-47 
1-23 
113 
101 


14-1 
28-1 
33-8 
40-9 


14-1 

11-7 

8-7 

7-6 


Speisewasservorwärmung. 


103 


da  bei  gleichbleibender  Leistung  die  Bean- 
spruchung des  Kessels  durch  die  S.  vermindert 
wird.  Die  geringere  Kesselbeanspruchung 
führt  aber  eine  Besserung  des  Kessehvirkungs- 
grades  herbei  und  bringt  hierdurch  eine  weitere 
Brennstoffersparnis  mit  sich.  So  ist  z.  B.  ohne 
Verwendung  derS.  an  einer  Naßdampf-Zwiliing- 
lokoniotive  eine  bestimmte  Leistung  mit  einer 
Rostbeanspruchung  von  500  kg  Kohle  für  1  m~ 
Rostfläche  und  Stunde  zu  erreichen.  Die  Ver- 
dampfungsziffer stellt  sich  hierbei  auf  5-99 
und  der  Gesamtwirkungsgrad  des  Kessels  auf 
62-7  0^0  ■  1  '""  Kesselheizfläche  erzeugt  58-5  kg 
Dampf  in  der  Stunde,  wobei  für  jedes  kg  Dampf 
655  Wärmeeinheiten  aufgewendet  werden,  um 
Speisewasser  von  10"  in  Dampf  von  12-5  Atm. 
Überdruck  zu  verwandeln.  Wird  nun  das  Kessel- 
speisewasser auf  100"  vor  Eintritt  in  den  Kessel 
durch  S.  erwärmt,  so  sind  jetzt  im  Kessel  nur 
655-0  -  90-5  :=  564-5  Wärmeeinheiten  für  die 
Erzeugung  eines  kg  Dampf  erforderlich.  Die 
Beanspruchung  kann  daher  wesentlich  zurück- 
gehen. Statt  einer  Rostbeanspruchung  von  früher 
500  kg  ist  jetzt  nur  mehr  eine  solche  von  390  kg 
notwendig.  Der  Wirkungsgrad  des  Kessels  stellt 
sich  jetzt  mit  etwa  69-0  f^  ein  und  durch  die 
Besserung  des  Kesselwirkungsgrades  allein  wer- 
den nun  unabhängig  von  der  S.  etwa 

Brennstoff  gespart.  Hierdurch  ist  der  günstige 
Erfolg  der  S.  im  Betrieb  hauptsächlich  zu 
erklären. 

Hinsichtlich  derAnordnung der  Einrichtungen 
für  S.  sind  hauptsächlich  2  Bauarten  zu  unter- 
scheiden; 1.  Abdampfvorwärmer,  die  den 
von  der  Lokomotivdampfmaschine  abströmenden 
Dampf  für  die  S.  verwenden,  und  2.  Rauchgas- 
vorwärmer, die  die  hohe  Temperatur  der  in  die 
Rauchkammer  entweichenden  Heizgase  für  die 
S.  ausnutzen.  Bei  ersterer  Bauart  ist  mit  einer 
Temperatur  des  Dampfes  von  etwa  1 10-  130" 
zu  rechnen.  Das  Speisewasser  kann  daher  kaum 
auf  viel  mehr  als  etwa  1 00 "  vorgewärmt  werden. 
Bei  den  Abdampfvorwärmern  muß  etwa  l/;  -  "•  ^ 
des  abströmenden  Dampfes  zur  S.  Verwendung 
finden.  Diese  Dampfmenge  wird  dem  Ausström- 
rohr entnommen  und  somit  dem  Blasrohr 
entzogen.  Die  Blasrohrwirkung  ist  daher  etwas 
vermindert,  was  namentlich  bei  Heißdampf- 
lokomotiven merkbar  wird.  Gewöhnlich  wird 
der  Abdampf  etwa  vorhandener  Luftpumpen 
von  Druckbremsen  und  der  Abdampf  der  Speise- 
pumpen selbst  in  den  Vorwärmer  geleitet.  Da 
die  Rauchgase  der  Lokomotive  in  der  Rauch- 
kammer noch  Temperaturen  von  300-400° 
besitzen,  so  ist  durch  Rauchkammervorwärmer 
eine  Erhitzung  des  Speisewassers  auf  1 30  —  1 60  ° 


leicht  möglich.  Rauchgasvorwärmer  gestatten 
wegen  des  größeren  Temperaturgefälles  auch 
die  Verwendung  von  Injektoren.  Einrichtungen, 
bei  welchen  hochgespannter  Kesseldampf  oder 
heißes  Kesselwasser  verwendet  wird,  um  den 
Kesselstein  niederzuschlagen,  können  als  eigent- 
liche S.  nicht  angesehen  werden.  Sie  bringen 
in  thermischer  Beziehung  auch  keinen  Gewinn. 

Die  erste  Einrichtung  für  S.  wurde  um  1S52 
von  Kirchweger  eingeführt.  Bei  dieser  wurde 
Tenderwasser  durch  einen  Rohrkörper  im  Boden 
des  Wasserbehälters  vom  Abdampf  der  Loko- 
motive erwärmt.  Diese  Einrichtung  war  ziemlich 
verbreitet,  vcurde  jedoch  sobald  verlassen,  als 
an  Stelle  der  damals  wenig  zuverlässigen  Speise- 
pumpen Injektoren  eingeführt  wurden. 

Große  Ähnlichkeit  mit  der  S.  von  Kirchweger 
besitzt  eine  Bauart  von  Drummond,  die  an 
zahlreichen  Lokomotiven  in  England  in  Ver- 
wendung steht.  Bei  dieser  Einrichtung  werden 
einzylindrige,  doppeltwirkende  Dampfpumpen 
der  Bauart  G.  u.  J.  Wair  benutzt,  die  als  Speise- 
pumpen für  ortsfeste  Dampfmaschinenanlagen 
und  Schiffsmaschinen  vielfach  eingeführt  sind. 
Die  Fördermenge  dieser  Speisepumpe  kann 
innerhalb  weiter  Grenzen  eingestellt  werden. 
Neuerdings  haben  auch  die  Erzeuger  der 
G.  u.  J.  Wair-Speisepumpe  einen  besonderen 
Speisewasservorwärmer  ausgebildet. 

Die  S.  nach  der  Bauart  Caille-Potonie 
benutzt  ebenfalls  einen  Teil  des  Abdampfes  der 
Lokomotivdampfmaschme  für  die  Vorwärmung. 
Ein  besonderer  Druck-  und  Temperaturregler 
beeinflußt  die  Zuströmung  des  Abdampfes,  damit 
dem  Blasrohr  nicht  mehr  Dampf  entzogen  wird, 
als  für  die  Vorwärmung  durchaus  notwendig  ist. 
Der  Abdampf  tritt  durch  ein  Rohrbündel  eines 
walzenförmigen  Vorwärmers,  ohne  umzukehren. 
Der  Austritt  des  ausgenützten  Abdampfes  wird 
durch  ein  federbelastetes  Ventil  geregelt,  das 
für  einen  Überdruck  von  0-1  Atm.  eingestellt  ist. 
Bei  der  neueren  S.  von  Caille-Potonie  ist  eine 
doppeltwirkende  Speisepumpe  vorhanden,  die 
nicht  nur  das  kalte  Wasser  vom  Tender  in 
den  Vorwärmer  saugt,  sondern  auch  gleichzeitig 
durch  synchron  arbeitende  Kolben  das  Wasser 
vom  Vorwärmer  in  den  Kessel  drückt.  Hierdurch 
ist  das  sonst  schwierige  Ansaugen  heißen  Wassers 
durch  die  Pumpe  umgangen,  ohne  daß  der 
Vorwärmer  unter  hohem  Druck  steht.  Von  S. 
nach  Caille-Potonie  wird  an  Lokomotiven  der 
französischen  Eisenbahnverwaltungen  in  ziem- 
lich bedeutenden  Umfange  Gebrauch  gemacht. 
Durch  zahlreiche  sehr  eingehende  Versuche 
des  Maschinendirektors  F.  H.  Trevithick  der 
ägyptischen  Staatsbahnen  ist  die  Entwicklung 
der  Einrichtungen  für  S.  an  Lokomotiven  be- 
sonders gefördert  worden.  Von  Trevithick  rührt 


I 


104 


Speisewasservorwärmung. 


eine  große  Zahl  von  vereinigten  Abdampf-  und 
Rauchkammervorwärmern      und      besonderen 


Bei  den  preußischen  Staatsbahnen  ist  die  S. 
von  der  Knorrbremse  A.  Q.  umfangreich  im 


Rauchkammervorwärmern  her,  die  gewöhnlich 
für  sehr  hohe  Vorwärmung  (mehr  als  100")  be- 
stimmt sind.  Als  Speisepumpen  sind  Dampf- 
pumpen der  Bauart  Worthington  in  Verwendung. 


Gebrauch.  Es  ist  ein  Abdampfvorwärmer,  der 
den  Heizdampf  dem  Ausströmrohr  unmittelbar 
hinter  dem  Dampfzylinder  entnimmt  (Abb.  1 13). 
Der  Abdampf  tritt  in   den   zylindrischen   oder 


Speisewasservorwärmung. 


105 


ovalen  Vorwärmer,  der  eine  große  Zahl  von  U- 
förmigen  dünnwandigen  Rohren  enthält,  die  vom 
Speisewasser  durchflössen  werden  (Abb.  114). 
Die  Heizfläche  des  Vorwärmers  beträgt  je  nach 
der  Größe  des  Lokomotivkessels  10  —  15  /«-  und 
reicht  aus,  um  im  Durchschnitt  eine  Vorwärmung 
auf  90"  zu  erlangen.  Wie  bei  allen  Vorwärmern 
eignet  sich  Kupfer  wegen  seiner  günstigen 
Wärmeleitung  am  vorteilhaftesten  für  die  Rohre 
der  Vorwärmer.  Es  ist  auch  gegen  Kesselstein- 
belag und  gegen  Zerstörung  am  widerstands- 
fähigsten. Auch  IVlessing  bewährte  sich  vielfach, 
wenn  es  auch  ein  viel  geringeres  Wärmeleitungs- 
vermögen  besitzt  wie  Kupfer.  Eiserne  Rohre 
haben  sich  nicht  als  geeignet  erwiesen,  da  sie 
bei  der  geringen  erforderlichen  Wandstärke 
rasch  durchrosten  und  an  der  rauhen  Ober- 
fläche auch  der  Kesselstein  stärker  haftet, 
wodurch  die  Reinigung  erschwert  wird.  Ver- 
zinkte eiserne  Rohre  sollen  sich  besser  bewährt 
haben. 

Die  Speisepumpe  der  Knorrbremse  A.  O.  ist 
in  Abb.  115  dargestellt.  Der  Dampfzylinder  mit 
seiner  Steuerung  ist  von  den  neueren  Luft- 
pumpen der  Luftdruckbremse  unverändert  über- 
nommen, so  daß  die  Arbeitsweise  und  die 
Behandlung  die  gleiche  ist  wie  bei  der  Luft- 
pumpe. Die  Wasserpumpe  mit  einem  großen 
Windkessel  enthält  je  2  federbelastete  Ring- 
ventile auf  der  Saug-  und  Druckseite.  Bei  42 
Doppelhüben  in  der  Minute  fördert  sie  stündlich 
1 5  tv?  Speisewasser.  Der  Vorwärmer  der  Knorr- 
bremse A.  O.  steht  unter  Druck,  d.  h.  der  Vor- 
wärmer wird  vom  Speisewasser  auf  dem  Weg 
von  der  Pumpe  zum  Kessel  durchflössen.  Der 
Gang  der  Pumpe  wird  vom  Lokomotivführer- 
stand aus  nach  Bedarf  geregelt. 

Neben  diesen  Einrichtungen  besteht  noch 
eine  große  Zahl  anderer  Bauarten,  die  indessen 
noch  keine  größere  Verbreitung  gefunden 
haben  oder  erst  in  Entwicklung  sich  befinden. 
Jedenfalls  haben  Einrichtungen  für  S.  eine 
nicht  unwesentliche  wirtschaftliche  Bedeutung. 
Neben  den  nicht  unerheblichen  Erspar- 
nissen an  Brennstoff  kommt  hauptsächlich 
die  Steigerung  der  Leistung  und  die  allge- 
mein beobachtete  Schonung  der  Kessel  in 
Betracht.  Allerdings  dürfen  anderseits  die 
nicht  unbedeutenden  Kosten  für  den  Einbau 
und  die  Instandhaltung  der  Vorwärmer  und 
der  Pumpen  übersehen  werden.  Namentlich 
die  letzteren  waren  bisher  das  hauptsächlichste 
Hindernis  für  eine  allgemeine  Einführung  der 
S.  an  Lokomotiven,  da  sie  in  bezug  auf  Zu- 
verlässigkeit den  Strahlpumpen  entschieden 
nachstanden.  Die  S.  hat  besondere  Bedeutung  für 
ältere  Naßdampflokomotiven,  deren  Leistungs- 
fähigkeit  gegenwärtig    nicht   mehr  völlig  aus- 


106 


Speisewasservorwärmung. 


ium  Manon^stert 


reicht,  während  der  erreichbare  Gewinn  an 
Heißdampflokomotiven  oder  an  gut  ausge- 
bildeten Verbundlokomotiven  mit  hohem  Kessel- 
druck geringer  ist. 

Literatur:   Feed    water   heating   on    loconiotives. 
Engg.    1911,    Bd.   I,   S.  143.    -    Caille-Potonie, 


Speisewasservor- 
wärmung. Lo- 
kom.  1912,5.145. 

-  Locomotive 

feed  water  heating  results.  Railw.  Gaz.  1912,  S.  477. 

—  Schneider,   Speisewasservorwärmung  an  Loko- 
motiven. Ztschr.  dt.  Ing.  1913,  S.  6S7.  -  Hammer, 


Speisewasservorwärmung.   -   Spitzenverschluß. 


107 


Neuerungen  an  Lokomotiven.  Glasers  Ann.  1915, 
Bd.  II,  S.  221.  -  Strahl,  Wert  der  Heizfläche. 
Ztschr.  dt.  Ing.  1917,  S.  258;  Versuche  mit  Dampf- 
lokomotiven. Glasers  Ann.  1917,  Bd.  II,  S.  84. 

Sanzin. 

Sperrbaum  s.  F.in-  und  Entgieisungs- 
vorrichtungen. 

Sperrige  Güter  (balk  freighfs;  marchan- 
dises  cncombrantcs;  merci  ingombmnü)  sind 
dem  Sprachgebrauch  nach  solche  ieichtwiegende 
Güter,  die  im  Verhältnis  zu  ihrem  Gewicht  einen 
ungewöhnlich  großen  Raum  beanspruchen.  Der 
Tarif  deckt  sich  jedoch  nicht  mit  diesem  Be- 
griff, er  behandelt,  den  Grundsätzen  des 
Raum-  und  Wertsystenis  im  einzelnen  folgend 
(vgl.  Gütertarife  S.  46 1  u.  463),  nur  die  Güter  als 
sperrig,  die  er  ausdrücklich  hierfür  bezeichnet,  sei 
es,  wie  in  Deutschland,  durch  Aufnahme  in  das 
I.  Verzeichnis  zu  den  allgemeinen  Tarifvor- 
schriften, sei  es,  daß,  wie  in  Österreich,  die  Güter 
in  der  Güterklassifikation  selbst  in  den  Spalten 
für  die  Tarifklassen  als  sperrig  benannt  werden. 

Der  deutsche  Tarif  kennt  den  Begriff  der 
Sperrigkeit  nur  bei  Aufgabe  als  Stückgut. 
Das  Mindestgewicht  ist  30  oder  60  kg,  je 
nachdem  das  Gut  als  Stückgut  und  Eilgut 
oder  als  beschleunigtes  Eilgut  aufgegeben 
wird.  Bei  der  Frachtberechnung  wird  das 
Gewicht  um  50%  erhöht.  Die  Fracht  für 
die  dem  Eilgut-  oder  Stückgutspeziaitarif  an- 
gehörenden sperrigen  Güter  richtet  sich  unter 
Aufrechterhaltung  des  Gewichtszuschlags  nach 
den  einzelnen  Spezialtarifen.  Die  Verpackung 
ist  für  die  Berechnung  des  Sperrigkeits- 
zuschlags  gleichgültig,  sofern  nicht  im  Ver- 
zeichnis 1  etwas  anderes  bestimmt  ist.  So  sind 
z.  B.  neue  Glas-  und  Tonballons  nur  ver- 
packt, neue  Korbwaren  dagegen,  gleichgültig 
ob  sie  verpackt  sind  oder  nicht,  als  sperrig 
zu  behandeln.  Die  früheren  Bestimmungen 
über  die  Frachtberechnung  für  Gegenstände 
von  außergewöhnlichem  Umfang  sind  aus  dem 
Tarif  entfernt  und  sind  auch  trotz  wieder- 
holter Anregungen  nicht  wieder  eingeführt 
(vgl.  Ständige  Tarifkommission,  41.  Sitzung, 
Nr.  3,   HO.  Sitzung,  Nr.  2). 

Im  österreichisch-ungarischen  Tarif  ist 
die  Bezeichnung  „sperrig"  bei  einzelnen  Gütern 
nur  für  Stückgütermengen  unter  5000  kg 
(s.  Futterlaub,  Häckerling  u.  s.  w.)  vorgesehen, 
während  sie  bei  anderen  Gütern  außer  für 
Stückgut  auch  für  Wagenladungen  von  5000 
und  1 0.000  Ä^  (s.  Fahrräder,  Handfahrzeuge 
u.  s.  w.)  gilt. 

Die  Fracht  wird  unter  Zugrundelegung  des 
um  50  Ojo  erhöhten  und  sodann  abgerundeten 
Gewichts  zu  den  Frachtsätzen  der  Klasse  1 
berechnet.  Grunow. 

Sperrschiene  s.  Stellwerke. 


Spezialtarife  s.  Gütertarife. 

Spezialwagen,  Güterwagen  mit  besonderen 
Einrichtungen  zur  ausschließlichen  Beförderung 
bestimmter  Güter  (s.  die  verschiedenen  Einzel- 
artikel). 

Spitzenverschluß  (i)oiiit  lock;  verroii  de 
calage  poiir  aiguillcs;  chiiisiira  di  pitnfa  dello 
scambio),  eine  mit  dem  Weichenantrieb  ver- 
bundene Vorrichtung,  die  den  festen  Anschluß 
der  anliegenden  Weichenzunge  an  die  Backen- 
schiene  sichert. 

Der  S.  soll  auffahrbar  sein,  d.  h.  beim  Auf- 
schneiden einer  Weiche  (s.d.)  soll  der  Verschluß 
der  anliegenden  Zunge  ohne  Beschädigung 
gelöst  werden.  Das  wird  dadurch  erreicht,  daß 
die  Weichenzungen  nicht  starr  miteinander 
verbunden  werden,  sondern  jede  Zunge  unab- 
hängig von  der  andern  eine  gewisse  Bewegung 
ausführen  kann.  Beim  Umstellen  oder  Auf- 
fahren der  Weiche  bewegt  sich  zunächst  die 
abliegende  Zimge  nach  der  Backenschiene  hin; 
die  anliegende  Zunge  behält  inzwischen  ihre 
Lage  noch  bei,  aber  ihr  Verschluß  wird  auf- 
gehoben. Erst  wenn  dieser  völlig  beseitigt  ist, 
folgt  sie  der  Bewegung  der  abliegenden  Zunge 
und  fängt  an,  sich  von  der  Backenschiene  zu 
entfernen.  Bei  dem  weiteren  Umstellen  bewegen 
sich  dann  beide  Zungen  gleichmäßig,  bis  die 
früher  abliegende  Zunge  zum  Anliegen  an  der 
Backenschiene  kommt.  Im  letzten  Teil  der  Umstell- 
bewegung wird  diese  nun  anliegende  Zunge  ver- 
schlossen, während  die  früher  anliegende  sich  bis 
zu  dem  vorgeschriebenen  Maß  von  ihrer  Backen- 
schiene entfernt.  Bei  den  preußischen  Bahnen 
beträgt  diese  Entfernung  \  40  mm. 

Die  Festlegung  der  anliegenden  Zunge  durch 
den  S.  erfolgl  entweder  dadurch,  daß  die  Zunge 
gegen  einen  festen  Punkt  abgestützt  wird,  oder 
dadurch,  daß  sie  durch  einen  Haken  mit  einem 
an  der  Backenschiene  angebrachten  Verschluß- 
stück verklammert  wird.  Man  unterscheidet  hier- 
nach S.  mit  AbStützung  und  S.  mit  äußerer 
Verklanimerung. 

Zu  der  ersteren  zählt  der  in  Abb.  116  darge- 
stellte S.  der  Maschinenfabrik  Bruchsal,  die  zuerst 
einen  einwandfreien  auffahrbaren  S.  gebaut  hat. 

Mit  jeder  der  beiden  Weichenzungen  ist  ein 
Stempel  a  verbunden,  der  mit  dem  einen  Ende 
den  Fuß  der  Weichenzunge  umfaßt  und  an 
dem  andern  Ende  in  dem  trapezförmigen 
Gelenk  b  beweglich  gelagert  ist.  Der  mit  der 
anliegenden  Zunge  verbundene  Stempel  stützt 
sich  in  der  Ruhelage  mit  einem  Röllchen  gegen 
das  Verschlußstück  c  des  auf  der  Weichenschwelle 
befestigten  Bockes  d  ab.  Das  Gelenk  b  ist  durch 
die  Stange  e  mit  dem  Weichenantrieb  verbunden. 
Wird  die  Weiche  umgelegt,  so  bewegt  die  Stange  e 
das  Gelenk.  Die  abliegende  Zunge  folgt  ohne 


108 


Spitzenverschluß. 


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7 


weiteres  dieser  Be- 
wegung und  nähert 
sich  ihrer  Baci<en- 
schiene.  Der  mit  der 
anliegenden  Zunge 
verbundene  Stem- 
pel dreht  sich  zu- 
nächst um  den  Bol- 
zen am  Zungen- 
kloben, während  das 
Röllchen  an  seinem 
andern  Ende  auf 
der  gekrümmten 
gleitet.    Die 


Abstützfläche     nach    vorne 
anliegende   Zunge    behält    dabei 


ihre  Lage  bei.  Erst  wenn  das  Röllchen  so  weit 
nach  vorn  gelangt  ist,  daß  es  seine  Abstützung 
verliert,  beginnt  auch  die  anliegende  Zunge  sich 
zu  bewegen.  Bei  der  weiteren  Bewegung  erreicht 
das  Röllchen  des  zweiten  Stempels  die  Abstütz- 
fläche und  verschließt  nun  die  inzwischen  zum 
Anliegen  gekommene,  früher  abliegende  Zunge. 
Wenn  ein  vollkommener  Zungenschluß  durch 
diese  Art  des  S.  erreicht  werden  soll,  muß  dafür 
gesorgt  werden,  daß  die  vorschriftsmäßige  Spur- 
weite an    der  Weichenspitze  möglichst  genau 


Spitzenverschluß.    -   Splügenbahn. 


109 


erhalten  wird.  S.  mit 
Abstützung  der  vorbe- 
schriebenen Art  werden 
auf  den  süddeutschen 
Bahnen  fast  ausschließ- 
lich verwendet. 
Auf  den  preußischen  Staatseisenbahnen  ist  das 
sog.  Hakenschloß  (s.  d.)  eingeführt.  Es  stellt  einen 


S.  mit  äußerer  Verklammerung  dar.  Seine 
neuesteAusführungsform  zeigt  Abb.  1 17.  Die 
beiden  Verschlußhaken  a  und  die  Stange  b 
bilden  eine  gelenkartige  Verbindung  der 
Weichenzungen.  Die  Verschlußhaken  sind 
mit  dem  einen  Schenkel  in  dem  Zungen- 
kloben c,  mit  dem  andern  in  der  Verbin- 
dungsstange drehbar  gelagert.  Der  vordere 
Teil  des  Hakens  umfaßt  in  der  Grund- 
stellung an  der  anliegenden  Zunge  das  an 
die  Backenschiene  angenietete  Verschluß- 
stück d,  an  der  abliegenden  Zunge  ruht 
er  auf  der  unteren  Platte  dieses  Verschluß- 
stücks. Zur  Verhütung  des  Durchhängens 
der  ganzen  Vorrichtung  dient  der  Unter- 
stützungskloben e.  Der  Anschlag  /  unter 
dem  Haken  legt  sich  beim  Umstellen  der 
Weiche  entweder  gegen  den  Haken  g  des 
Unterstützungsklobens  oder  gegen  seine 
Anschlagfläche  h  an  der  Weichenzunge  und 
begrenzt  dadurch  die  Bewegung  des  Haken- 
schlosses. Beim  Auffahren  der  Weiche  be- 
wegt sich  zunächst  nur  die  abliegende  Zunge 
nach  ihrer  Backenschiene  hin,  während  an 
der  anliegenden  Zunge  der  Verschlußhaken 
sich  so  weit  dreht,  daß  der  Verschluß 
dieser  Zunge  aufgehoben  wird.  Erst  wenn 
das  geschehen  ist,  folgt  die  anliegende 
Zunge  der  Bewegung  der  andern  Zunge. 
Das  Auffahren  der  Weiche  vollzieht  sich 
auf  diese  Weise  ohne  Zerstörung  einzelner 
Teile  des  Verschlusses  oder  der  Weiche 
(s.  Hakenschloß).  Hoogen. 

Spitzkehren  s.  Gebirgsbahnen. 

Splügenbahn  (Schweiz)  bezeichnet  den 
Plan  einer  Ostalpenbahn,  für  den  die  be- 
teiligte  Ostschweiz   zuerst   eingetreten    ist 
und    an     dem     der 
Kanton  Graubünden 
auch  jetzt  noch  fest- 
hält. Die  Alpenbahn- 
bestrebungen       der 
Ostschweiz  traten  als 
erste  mit  einem  be- 
stimmten Plan  in  den 
Vierzigerjahren     des 
verflossenen       Jahr- 
hunderts    auf     und 
stehen     heute     noch 
vor  der  ungelösten  Frage,  welchem  der  Erfolg 
zuteil  werden  soll  (Greina  oder  Splügen). 

Mitte  des  neunten  Jahrzehnts  des  vorigen 
Jahrhunderts  begann  das  Interesse  für  eine 
allen  Anforderungen  einer  großen  Transitlinie 
entsprechende  S.  wieder  zu  erwachen.  Es  ent- 
stand das  Splügenbahnprojekt  von  Ober- 
ingenieur Moser  von   1890  mit  einem  Alpen- 


110 


Splügenbahn.  -   Spreetunnel. 


tuniiel  von  \S  km  Länge,  einem  Scheitelpunkt 
von  1156  w  ü.  M.  und  einer  Höchstneigung 
von  26  %o. 

Im  Jahre  1897  fand  dann  in  der  Schweiz 
der  Übergang  vom  Privatbahn-  zum  Staats- 
bahnsystem statt  (s.  Schweizer  Eisenbahnen, 
Bd.  ViU).  In  dem  bezüglichen  Gesetz  wurde 
die  Förderung  einer  Alpenbahn  im  Osten 
der  Schweiz  neuerdings  zugesichert.  Dagegen 
neigten  nun  die  Bundesbahnen  in  vermehrtem 
Maße  dem  Projekt  der  verbesserten  Lukma-  • 
nierbahn,  d.  h.  der  Greinabahn  zu,  das, 
vom  Kanton  Tessin  aufgestellt,  nun  gegen- 
über dem  alten  und  neuerdings  verbesserten 
Splügenprojekt  in  den  Vordergrund  trat. 

Die  ersten  Entwürfe  der  S.  haben  später 
Umgestaltungen     und    Verbesserungen    er- 
halten.    Das    Konzessionsprojekt    für    den 
Splügen  von  1909,  verfaßt  von  dem  Erbauer 
der  Pilatus-  und  Simplonbahn  Dr.  Locher  und 
Ingenieur  Rigoni,  weist  eine  Höchstneigung  von 
25%o  und  eine  Tunnellänge  von  24-29  ^m  auf. 
Von  letzterer  fallen  12-945^/7?  auf  schweizeri- 
sches und   \\-345  km  auf  italienisches  Gebiet. 

Während  die  Bundesbahnen  den  Bau  der  Ost- 
alpenbahnen durch  sie  beantragen,  hat  der  Bun- 
desbeschluß vom  26.  September  1906  bestimmt, 
daß  der  Privaibau  nicht  ausgeschlossen  sein  solle. 
Über  die  der  Ausführung  zu  gründe  zu  legenden 
Pläne  wird  das  Parlament  auf  Grund  eines 
Antrags  des  Bundesrates  zu  entscheiden  haben. 

Die  Baukosten  der  Splügenbahnprojekte  sind 
zwischen  1 12,554.000  Fr.  und  192,000.000  Fr., 
auf  1  km  zwischen  1,208.179  und  2,288.700  Fr. 

berechnet. 

Literatur:  Dr.  Hans  Schmidlin,  Die  Ostalpen- 
bahnfrage, Zürich  1916,  mit  ausführlichen  Literatur- 
verzeichnissen. Dietler. 

Spreetunnel  unterfahren  die  Groß-Berliner 
Spree  an  4  verschiedenen  Stellen:  In  Treptow 
(Straßenbahn),  an  der  Wallstraße  (Untergrund- 
bahn Spittelmarkt-Alexanderplatz),  im  Zuge  der 
Friedrichstraße  (Nordsüdbahn)  und  zwischen  der 
Waisen-  und  der  jannowitzbrücke  (Untergrund- 
bahn Gesundbrunnen -Neukölln).  Die  beiden 
letzten  sind  noch  im  Bau.  Im  Bau  ist  auch  ein 
zweiter  Tunnel  der  Nordsüdbahn  unter  dem 
Berliner  Landwehrkanal  nahe  der  Belle-Alliance- 
Brücke.  Tunnel  unter  dem  Landwehrkanal  an 
der  Kottbuser  Brücke  und  unter  dem  Luisen- 
städtischen Kanal  sind  geplant.  Die  Bauten  waren 
bei  den  schwierigsten  Boden-  und  Grundwasser- 
verhältnissen durchzuführen.  Sie  sind  interessant 
durch  die  Verschiedenartigkeit  der  Bauweisen. 

I.  Der  S.  zwischen  Stralau  und  Treptow. 

Beim  Bau  des  Treptower  Tunnels  war  man 
auf  die  Erfahrungen   angewiesen,    die   man  in 


London  und  New  York  bei  der  .Ausführung  von 
Unterwassertunneln  gemacht  hatte,  und  wählte 
aus  diesem  Grund  die  von  Barlow  beim  Bau 
des  Tower  subway  in  London  zuerst  benutzte 
Schildbauweise. 

Der  Treptower  Tunnel  hat  eine  Gesamtlänge 
von  453  m  (.Abb.  1 18)  und  einen  kreisförmigen 


stralau 


'Proiemauerwerk 


Trepton 


"•3                **,  ...161)  ...'S.. 
_ii 132 ,U Z36.. 

Serade 


-337. 


Gerade 


Abb.  118. 

Querschnitt.  Der  eiserne  Mantel  (Abb.  1 19)  be- 
steht aus  einzelnen,  je  öbOmm  breiten,  aus  Fluß- 
eisenplatten gebildeten  Ringen  und  zwischen 
diesen  eingebauten 
Versteifungsrippen. 
Als  Rostschutz  um- 
gibt ein  Überzug 
von  Zementmörtel 
außen  und  innen 
den  Eisenmantel  in 
einer  Stärke  von  80 
und   100  mm. 

Zum  Vortrieb  des 
Schildes  wurde  am 
Südufer  eine  19  m 
lange,  6  m  breite 
Baugrube  hergestellt, 
durch  Spundwände  eingefaßt  und  zur  Abdichtung  mit 
einer  Sohle  aus  Betonschüttung  versehen.  In  diese 
Grube  baute  man  einen  Förderschacht  ein  sowie  ein 
gegen  die  hintere  Kopfwand  der  Grube  durch  Holz- 
stempel abgesteiftes  kurzes  Tunnelstück,  das  man 
darauf  am  hinteren  Ende  durch  eine  dichte,  mit  Luft- 
schleusen versehene  Wand,  vorn  durch  Einbau  des 
Brustschildes  abschloß.  Dann  wurde  die  vordere  Kopf- 
wand der  Grube  beseitigt,  das  Ganze  mit  Sand  ein- 
geschüttet, Tunnelstück  und  Brustschild  mit  Preßluft 
gefüllt  und  mit  dem  Vortrieb  begonnen.  In  der  vor- 
deren Schildwand,  die  unter  dem  Böschungswinkel 
trockener  Erde  geneigt  war,  befanden  sich  zur  Förde- 
rung des  Bodens  verschließbare  Öffnungen.  Durch 
in  Kugelgelenken  drehbare  Stopfbüchsen  erfolgte  die 
Einführung  von  Sonden,  Meißeln,  Bohrern  u.  s.  w. 
Eine  Querwand  zerlegte  den  Schild  in  eine  vordere 
und  eine  hintere  Kammer.  Vorn  fand  die  Förderung 
statt,  hinten  die  Erstellung  der  Tunnelringe  und 
Zementverkleidungen  sowie  der  Vortrieb  des  Schildes 
durch  kräftige  Wasserdruckpressen.  Die  hintere  Wand 
mit  den  Luftschleusen  wurde,  dem  Fortgang  der  Ar- 
beiten entsprechend,  vorgeschoben. 

Die  Förderung  des  Bodens  geschah  teils  durch  Hand- 
wagen mitBenutzungderLuftschleusen.teilsdurch  eine 
Wasserstrahlsandpumpe.  Es  konnte  nicht  vermieden 
werden,  daß  bisweilen  der  Inhalt  der  geförderten 
Massen  den  dem  Tunnelvortrieb  entsprechenden  Raum 
überschritt.  Sackungen  des  Geländes  über  und  neben 
dem  Tunnel  traten  ein.  Dem  Auftrieb  wurde  durch 


Spreetunnel. 


111 


äußere  und  innere  Belastung  des  Tun- 
nelrohrs und  des  BrustschJldes  begeg- 
net. Die  Gesundheit  der  in  der  Preßluft 
tätigen  Arbeiter  war  zufriedenstellend. 
Bei  einer  am  Stralauer  Ufer  liegenden, 
80 /«langen,  stark  gekrümmten  Tunnel- 
strecke sah  man  von  der  Sciiildbauweise 
ab  und  versuchte  die  Ausführung  in 
offener  Baugrube.  Die  nasse  Baggerung 
war  dabei  auf  Tiefen  von  4,5  bis  zu 
9,0  m  zu  bewirken.  Während  das  Ver- 
fahren auf  dem  höher  gelegenen  Teil 
der  Strecke  gelang,  war  innerhalb  des 
tieferen,  der  Spree  benachbarten  Ab- 
schnitts von  30  m  Länge  die  Undichtig- 
keit der  Spundwändeund  der  Auftrieb  des  auszubag- 
gernden Bodens  zu  groß,  um  einen  sicheren  Abschluß 
der  Baugrube  zu  erzielen.  Man  teilte  darum  diese  Strecke 
durch  Querwände  in  3  je  etwa  10  m  lange  Kästen, 
versah  diese  mit  einer  luftdichten  Decke  und  füllte 
sie  mit  Preßluft.  So  gelang  denn  auch 
die  trockene  Förderung  des  Bodens  und 
die  Betonierung  der  Sohle.  Die  Verbin- 
dung der  beiden  in  derartig  verschie- 
dener Bauweise  hergestellten  Tunnel- 
strecken geschah  durch  Vortrieb  des 
Brustschildes  in  den  äußersten  Kasten. 
Der  Bau  des  Treptower  Tunnels 
hat,  von  einer  längeren  Unterbre- 
chung abgesehen,  2Y2  Jahre  bean- 
sprucht. Der  Vortrieb,  der  im  An- 
fang 07  —  l'O/«  am  Tag  betrug, 
konnte  im  zweiten  Bauabschnitt 
bis  auf  2'0/«  gesteigert  werden.  Er 
betrug  im  Anfang  im  Durchschnitt 
O'Q  m,    später    1'5  m    am    Tage. 

II.    Der    S.    der    Untergrundbahnstrecke 

Spittelmarkt-Schönhauser    Tor    an    der 

Wallstraße. 

Die  für  einen  Teil  des  Treptower  Tunnels 

angewendete    offene    Bauweise    hatte    mehrere 


Abb.  121. 


Vorteile,  so  daß  es  nahe  lag,  sie  noch  einmal 
unter  Berücksichtigung  der  gesammelten  Er- 
fahrungen durchzuführen.  Das  ist  bei  dieser 
Anlage  geschehen,    u.  zw.  unter  gleichzeitiger 


,    I-3Z  2S M.W. 

B&saliscIultteT 

,   -t  2S-60 

)!s-—^-'-' 

«.      ^      ^     —  ■     tj 

--    •  -      -    /i/-/-jff/!/'/vni- 

SchutzhlecTi  Smm-^y 


Sparbeton. 
?fauplspun.dwsj2.(3 


Bteinp^dkun^ 
aus  Sas^ltiruchst: 


ScTiuCzschicht  aas 
Kalksandsteinen 


-^S^^^ 


Abb.  122. 

Absenkung  des  natürlichen  Grundwasserstandes 
durch  eine  Saugpumpenanlage.  Aber  auch  hier 
hat  man  anfangs  nicht  ausreichend  gegen  die 
Gefahr  einer  Unterspülung  der  Baugruben- 
umschließung Vorsorge  getroffen. 

DerSpittelmarkttunnel  liegt  unter  äußer- 
ster Einschränkung  des  Verlustes  an  Bahn- 
gefälle dicht  unter  der  Sohle  des  Flusses. 
Die  Spree  ist  in  der  Bahnachse  etwa 
3-5  m  tief  und  110  m  breit.  Der  Unter- 
grund ist  reiner  Kies,  Eine  undurchlässige 
sedimentäre  Decke  von  etwa  l'O  m  Stärke 
trennt  den  Flußlauf  vom  Grundwasser- 
strom. 

Im  Frühjahr  1910  wurde  zunächst  vom  süd- 
lichen Ufer  aus  ein  U-förmiger,  4  m  breiter 
Fangedamm  hergestellt  (Abb.  120  u.  121),  der 
ein  22  m  breites  halbinselartiges  Arbeitsfeld 
begrenzte;  unter  Absenkung  des  Grundwassers 
wurde  die  Deckschicht  abgetragen,  die  10  ni 
langen  Tiefspundwände  der  12  m  breiten 
Tunnelgrube  wurden  bis  2-5  m  unter  Tunnel- 
sohle gerammt  und  die  Betonierung  des  Tunnels 
selbst  (Abb.  122)  in  Angriff  genommen.  Der 
Tunnelkörper  erhielt  zur  Abdichtung  eine 
4fache  Papplage  und  ist  gegen  Verletzungen 
durch  eine  Hülle  aus  Beton  oder  in  Zement- 
mörtel verlegten  Kalksandsteinen  geschützt. 
Das  Ende  der  Eisenbetonröhre  wurde  durch 
zwei  3  m  voneinander  entfernte  Stirnwände  ab- 


Abb.  120. 


112 


Spreetunnel. 


geschlossen  und  das  ganze  Bauwerk  gegen  Beschädi- 
gungen durch  Schiffsanker  durch  eine  Decke  von 
bmm  starken,  in  Zementmörtel  verlegten  Eisenblechen 
geschützt,  über  der  nochmals  eine  10  c/«  starke  Beton- 
schicht ruht. 

Kurz  vor  Beendigung  der  Ausschachtungen,  als 
die  Sohle  des  nördlichen  Tunnelabschnitts  nahe  bis 
zur  Spreemitte  fertiggestellt  war,  machte  sich  am 
Kopfende  des  Südtunnels 
starker  Wasserandrang  be- 
merkbar, der  sich  bei  der 
Herstellungder  Verbindung 
mit  dem  Südtunnel  noch 
steigerte,  bis  ein  Bruch  eines 
Teiles  der  äußeren  Spund- 
wand des  Fangedamms  und 
ein  ungehemmter  Wasser- 
einbruch eintrat  und  in- 
folge von  Kolkbildung 
unter  dem  fertigen  Tunnel- 
ende das  äußerste  Stück 
der  Tunnelröhre  in  einer 
Länge  von  etwa  16  m  ab- 
brach. 

Die  Fortführung  der 
Arbeiten  geschah  in  der 
Weise,  daß  man  den  Nord- 
tunnel soweit  als  möglich 
fertigstellte,  nachdem  die 
Baugrube  nach  der  Ein- 
bruchsstelle zu  durch  einen 

neuen  Kopffangedamm  abgeschlossen  war,  der,  gegen 
den  hrüheren  um  6  rri  nach  Norden  verschoben, 
fleigrzeitig  zum  Abschluß  für  die  eigentliche  Tunnel- 
gbaucube  diente. 

Die  fast  unbeschädigte  Betonsohie  konnte  nach 
dem  Auspumpen  der  Baugrube  und  der  Beseitigung 
der  eingespülten  Sandmassen  sogleich  fertiggestellt 
und  mit  dem  weiteren  Aufbau  des  Tunnels  fortge- 
fahren werden.  Der  Raum  zwischen  Tiefspundwand 
und   Tunnelwandung   wurde    in    ganzer   Tiefe   mit 


Hl.    S.    der   Nordsüdbahn    im    Zuge    der 
Friedrichstraße. 

Die  Nordsüdbahn  kreuzt  die  Spree  im  Zuge 
der  Friedrichstraße.  Der  Eisenbetontunnel  muß 
die  Pfeilerfundamente  der  Wiedendammer  Brücke 
durchdringen.  Die  mittlere  Spreetiefe  im  Zuge 


Bauabschnitt  1. 


Bauabschnitt  11. 
Abb.  124. 


Bauabschnitt  111. 


MI'l'l'l'II|i|' 


"  "^^S^  Leitwerk 

r        '>'^.".V\|-- 


Setanpfropfen 


rmgeilSA. 


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\ \'\\ßsde7ischuttoniT   r-\-^^/  ^ 

■3.\  \  /  S 


Abb.  123. 

Sparbeton  ausgefüllt  (vorher  unten  Kies,  oben  Beton). 
Die  Spundbohlen  wurden  nach  Abschluß  der  Ar- 
beiten nicht  herausgezogen,  sondern  über  Spree- 
sohle abgeschnitten,  um  den  Grund  nicht  zu  ver- 
letzen. 

Nach  Abbruch  des  Fangedamms  wurde  auch  die 
nördliche  Fahrrinne  freigegeben,  und  man  schritt 
zum  Aufbau  der  Insel  (Abb.  123)  in  der  Mitte  des 
Flußlaufs,  von  der  aus  das  fehlende  Verbindungs- 
stück zwischen  Nord-  und  Südtunnel  innerhalb  eines 
ringförmigen  Fangedamms  hergestellt  wurde,  der  die 
Kolkstelle  umfaßte.  Das  abgebrochene  Tunne'stück 
wurde  vollständig  beseitigt. 

Die  Bauzeit  hat  3  Jahre  betragen. 


der  Tunnelachse  beträgt  S^O  m,  die  Breite  des 
Flusses  rd.  62  m.  Die  Untergrundverhältnisse 
sind  nicht  günstig.  Unter  der  Flußsohle  steht 
zunächst  eine  rd.  2-0  m  starke  Schicht  moorigen 
Sandes  an.  Dann  folgt  eine  im  Mittel  rd.  7-0  m 
dicke  Schicht  scharfen,  z.T.  grobkörnigen  Kieses 
mit  Lehm-  und  Tonnestern,  die  sich  an  der  süd- 
westlichen Ecke  der  Baustelle  bis  auf  30/«  Tiefe 
hinabzieht.  Darunter  haben  die  Boh- 
rungen scharfen  Sand  verschiedener 
Körnung  festgestellt  mit  Nestern,  die 
bis  kopfgroße  Steine  enthalten.  Westlich 
der  Baustelle  befindet  sich  in  unmittel- 
barer Nähe  ein  an  den  Rändern  steil 
abfallendes  Loch,  das  mit  wenig  trag- 
fähigem Sand  gefüllt  ist  (wohl  die  alte 
Pankemündung). 

Man  entschloß  sich,  Brücke  und 
Pfeiler  völlig  zu  beseitigen  und  die 
Pfeiler  in  neuer  Gestalt,  die  Brücke 
unter  Verwendung  des  alten  Materials 
wieder  aufzubauen. 
Bauweise,  die  man  wählte,  sieht  3  Bau- 
abschnitte (Abb.  124)  vor.  Zunächst  wurde  vom  nörd- 
lichen Ufer  aus  ein  3  m  breiter  Fangedamm  erstellt, 
dessen  Flügel  an  die  Ufermauern  anschließen.  Am 
südlichen  Abschluß  der  so  gebildeten  Halbinsel 
wurde  der  Fangedamm  durch  eine  \3m  lange,  einfache 
Spundwand  ersetzt,  um  ein  gutes  Übergreifen  des 
Bauabschnitts!  auf  den  Abschnitt  II  zu  ermöglichen. 
Ein  Leitwerk  erleichtert  die  Schiffahrt.  Nach  Trocken- 
legung der  Baugrube  bis  etwa  2-0  m  unter  Flußsohle 
wurden  die  beiden  nördlichen  Brückenpfeiler  beseitigt 
und  an  ihrer  Stelle  zu  beiden  Seiten  des  künftigen 
Tunnels  Pfeilerteile  auf  Beton  zwischen  Spundwänden 
bis  zur  Tiefe  der  Tunnelsohle  unter  Wasser  gegründet 


Die 


Spreetunnel. 


113 


und  durch  eine  Überbrückung  aus  Eisenbeton  über 
die  Tunnelbaugrube  hinweg  miteinander  verbunden. 
Zur  Umschlieljung  der  eigentlichen  Tunnelbaugrube 
wurden  gleichzeitig  die  hölzernen  und  eisernen 
Sprudwände  eingetrieben.  Auch  wurden  die  Rohr- 
brunnen für  die  Grundwasserabsenkung  auBerlialb 
der  Spundwände  im  Spreebett  erstellt.  Sodann  hob 
man  den  Boden  in  der  inneren  Baugrube  so  weit  aus, 


^^^ 


Abb.  r>5. 

wie  es  die  Wirkung  der  Pumpenanlage  gestattete, 
brachte  eine  Baugrubendecke  (Abb.  125  u.  126)  ein, 
dichtete  sie  und  deckte  den  gesamten,  vom  Fange- 
damm umschlossenen  Teil  der  Flußsohle  mit  geteer- 
tem  Segeltuch  ab.  Zum   Abschluß  der  hinter  dem 


.^:aiip:d!chtun^ 


■  S'aTilhJech  tOmm. 


Stahlblecli  10mm 


Nolzerne  Spundwand 


.\bb.  126.  Kcke  der  SchuUdecke. 

Landpfeiler  gelegenen  Baugrube  wurde  auf  die  zeit- 
weilige Decke  eine  dichte  Betonwand  aufgesetzt. 
Am  Südende  dieses  Abschnitts  wurde  eine  hölzerne 
Doppelwand  auf  die  Baugrubendecke  gesetzt  und 
deren  Hohlraum  mit  Dichtungsmaterial  gefüllt. 

Während  des  zweiten  Bauabschnitts  wird  der 
mittlere  Teil  der  Flußbreite  durch  einen 
Fangedamm  eingeschlossen.  Es  verbleibt  für 
die  Schiffahrt  die  südliche  Durchfahrt  in 
rd.  14  m  Breite  zwischen  den  Streichbalken 
des  Leitwerks,  für  die  Wasserfülirung  eine 
Breite  von  28  m. 

Unter  ganz  ähnlichen  Verhältnissen  wird 
der  Übergang  vom  zweiten  zum  dritten  Bau- 
abschnitt erfolgen,  bei  dem  der  südliche  Teil 
der  Flußbreite  durch  einen  Fangedamm  ein- 
geschlossen wird.  Der  Abbruch  des  südlichen 
Landpfeilers  und  der  Fundamente  des  Strom- 
pfeilers sowie  der  Neubau  dieser  Pfeiler  und 
die  Erstellung  der  Tunnelgrubendecke  sind 
in  diesem  Abschnitt  durchzuführen.  Für  die 
Schiffahrt  verbleibt  eine  Breite  von  13-5  //; 
zwischen  Fangedamm  und  nördlichem  Strom- 
Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


pfeiler.  Auch  im  zweiten  und  dritten  Bauabschnitt 
erfolgt  noch  eine  Abdichtung  der  Flußsohle  durch 
eine  Segeltuchlage. 

Die  Arbeiten  des  ersten  Bauabschnitts  sind  Ende 
1917  noch  im  Gange.  Abweichend  vom  ursprüng- 
lichen Plan  sind  die  ersten  30m  (nördlicher  Abschnitt) 
der  Tunnelröhre  unter  doppeltem  Schutz  des  Fange- 
damms und  der  provisorischen  Tunneldecke  bereits 
ausgeführt.  Es  ist  beabsichtigt,  im  dritten  Bauab- 
schnitt ebenso  zu  verfahren.  Dementsprechend  wird 
die  Tunnelröhre  in  3  Teilen  erstellt  werden,  die  bis 
zur  gänzlichen  Vollendung  gegeneinander  durch 
Betonwände  abgeschlossen  sind. 

IV.   S.    im   Zuge   der  Untergrundbahn 

Gesundbrunnen-Neukölln      an      der 

\V  a  i  s  e  n  b  r  ü  c  k  e. 

An  der  Baustelle  des  vierten  S.  verläuft 
die  Tunnelachse  spitzwinklig  zu  den  beiden 
nahegelegenen  Straßenbrücken  (Waisenbrücke 
und  Jannowitzbrücke),  etwa  als  Diagonale  eines 
durch  die  Flußufer  und  die  Brücken  um- 
schlossenen Rechtecks  (Abb.  127).  Da  die  Breite 
des  Flusses  nicht  groß  ist,  sah  man  von  der 
anfänglich  gejjlanten  Ausführung  in  offener 
Baugrube  (in  2  oder  3  Bauabschnitten  ähnlich 
wie  an  der  Wallstraße)  ab,  um  während  der  Bau- 
zeit die  Behinderung  der  Schiffahrt  in  diesem 
Abschnitt  nicht  zu  vermehren.  Aus  dem  gleichen 
Grunde  wurde  von  Versenkung  etwa  6-0  m  i.  L. 
messender  Röhren  abgesehen;  man  beschloß 
ein  Verfahren  anzuwenden,  das  den  Bedürfnissen 
der  Schiffahrt  in  weitestem  Maße  entgegenkam. 
Die  Bauweise  mit  Schildvortrieb  erschien  nicht 
ratsam,  weil  dicht  bebaute  Straßenzüge  den  Fluß 
begleiten  und  kreuzen  und  man  beim  Bau  des 
Treptower  Tunnels  die  Erfahrung  machte,  daß  die 
Schildbauweise  bei  den  Berliner  Bodenverhält- 
nissen die  Häuserfundamente  gefährden  könnte. 

Es  wurden  2  Bauabschnitte  zu  Grunde  gelegt. 
Im  ersten  erfolgten  alle  Arbeiten,  die  vom  Wasser- 
spiegel aus  auf  und  in  der  Spree  zu  erledigen  waren 
und  die,  in  der  Winterpause  1Q14/15  zusammen- 
gedrängt, ohne  eine  erhebliche  Störung  der  Scliiff- 
fahrt  durchgeführt  werden  konnten.  Im  zweiten  Ab- 
schnitt wird  der  eigentliche  Tunnelkörper  erstellt, 
u.  zw.  ohne  das  Spreebett  in  Anspruch  zu  nehmen, 
von  beiden  Ufern  aus  unter  einer  im  ersten  Bauab- 
schnitt vollendeten  Schutzanlage. 


114 


Spreetunnel. 


Im  einzelnen  gestaltete  sich  der  Bauvorgant; 
folgendermaßen:  Im  Zuge  der  künftigen  Tunnelachse 
\x'urde  eine  20/«  breite  und  \b  m  tiefe  Rinne  ausge- 
baggert. Darauf  trieb  man  zur  Einfassung  der  Tunnel- 
baugrube eiserne  Spundwände  ein,  die  von  Tauchern 
4  rn  unter  Wasser  abgebrannt  wurden.  Die  Brunnen 
für  die  spätere  Grundwasserabsenkung  wurden  so- 
dann eingebaut  und  vorläufig  abgestöpselt.  Auf  die 
Köpfe  der  Spundwand  liefi  man  nun  in  die  gebag- 
gerte Rinne  in  Abständen  von  \-bm  Gitterträger  herab 
und  verband  diese  durch  Betonieren  unter  Wasser 
zu  einer  starren  Platte,  die  zulet;:t  mit  Segelleinwand 
und  einer  25  cm  starken  Schotterschicht  abgedeckt 
wurde  (Abb.  128).    Die  Leinwand  reicht  beiderseits 


Abb.  128. 

noch  IQ  in  über  die  Schutzdecke  hinaus.  Die  Schutz- 
decke besteht  aus  etwa  liO  m  hohen  Gitterträgern 
von  je  17  m  Länge,  die  unter  Verwendung  des  Ramm- 
gerüstes aufgebaut,  zu  je  7  miteinander  durch  Quer- 
träger verbunden  und  nach  Einbringung  eines  6  a« 
starken,  mit  Asphaltpappe  abgedeckten  Holzbodens 
(zwischen  den  Trägern)  abgesenkt  wurden.  Mit  einem 
Auflagerholm  setzen  sich  die  Schutzdeckenträger  auf 
die  Spundwand.  Ein  dicker  Tonwulst  umschließt  die 
Köpfe  der  Spundwandeisen. 

Mit  den  Rammarbeiten  wurde  Anfang  Dezember 
1914  vom  nördlichen  Ufer  aus  begonnen,  u.  zw. 
von  einem  festen  Gerüst  aus.  Der  nördliche  .^st  des 
Gerüstes  reichte  so  weit,  als  es  der  geringe  Schiffs- 
verkehr des  Winters  zu- 
ließ. Nachdem  die  Beton- 
arbeiten an  der  Schutz- 
decke zur  Hälfte  fertig- 
gestellt waren,  wurde  das 
Rammgerüst  vom  Nord- 
ufer bis  Spreemitte  be- 
seitigt. Es  blieb  nur 
inselartig  so  viel  stehen, 
wie  zur  Aufnahme  der 
Ramme  und  der  Schütt- 
bühne notwendig  war. 
Dann  wurde  die  Schiff- 
fahrt auf  den  nördlichen 
Teil  der  Fahrrinne  über- 
geleitet und  die  Verbin- 
dung der  Insel  mit  dem 
südlichen  Uferhergestellt. 
Die  Herstellung  der  Schutzdecke  wurde  dann  zu  Ende 
geführt.  Nachdem  die  letzten  Platten  am  Südiifer 
gegen  Ende  Juli  1Q15  vollendet  waren,  ging  man  an 
die  Bodenausschachtung.  Die  Grundwasserabsenkung 
für  den  eigentlichen  Tunnelbau  wurde  vom  südlichen 
Abschnitt  her  über  die  Baugrube  ausgedehnt. 

Von  der  Bauausführung  der  vierseitigen  Eisenbeton- 
Tunnelröhre  (Abb.  129)'^  ist  vor  alletn  der  .Arbeits- 
vorgang  bei   der  Erstellung  der  Decke  bemerkens- 


Abb.  129. 


wert.  Die  Decke  wurde  in  eigenartiger  Weise  nicht 
gleich  an  ihrem  endgültigen  Platz  eingebaut,  sondern, 
um  sich  die  Vorzüge  einer  leichten  Zugänglichkeit 
während  des  Betonierens  zu  wahren  und  ein  sattes 
Anpressen  gegen  die  Schutzdecke  zu  sichern,  wählte 
man  ein  anderes  Verfahren.  Die  Decke,  Beton  zwischen 
I-Trägern,  \xurde  zunächst  etwa  \-5  m  unter  ihrer 
endgültigen  Lage  aufgebaut  und  ruhte  dabei  auf 
einem  Hebegerüst  aus  kreuzweise  gelegten  Eisen- 
trägern, die  durch  4  Winden  gleichmäßig  angehoben 
werden  konnten.  So  wurden  Felder  von  jedesmal 
etwa  40/«  Länge  hergestellt  und  nacheinander  in 
die  endgültige  Lage  gehoben.  Vor  der  Hebung  wurde 
die  fertige  Betondecke  noch  mit  einer  Dichtung 
beklebt  und  mit  einer  5  cm  starken  Schutzschicht 
überzogen.  Um  beim  Eintreten  der  Auftriebswirkung 
ein  sattes  Anpressen  des  Tunnels  gegen  die  Schutz- 
decke sicherzustellen,  wurden  über  der  künftigen 
Mittellängswand  sowie  über  den  Seitenwänden  Beton- 
wülste angebracht. 

Nach   Hebung  der  Decke  wird   die  Verbindung 
mit  den  Seitenwandstützen  hergestellt  (Abb.  130). 


Abb.  130. 
Einzelheiten  bei  A  (Abb.  129). 

Der  Tunnel  an  der  Waisenbrücke  geht  der 
Vollendung  entgegen,  trotzdem  die  durch  den 
Krieg  verursachten  Schwierigkeiten  die  Arbeiten 
empfindlich  aufgehalten  haben. 

V.  Tunnel  der  Nordsüdhahn  unter  dem 

Landwehrkanal     und     weitere    geplante 

Tunnelanlagen. 

Diese  jüngste  Bauausführung  tritt  gegenüber 
den  beiden  Tunneln,  die  zuletzt  beschrieben 
worden  sind,  an  Bedeutung  zurück  und  bietet 
kaum  Besonderheiten.  Er  wird  in  offener  Bau- 
grube gebaut. 

Im  ersten  Bauabschnitt  werden  die  beiden  Rampen- 
strecken der  Bahn  so  weit  in  den  Kanal  hineingebaut, 
daß  in  Richtung  des  Scheitels  der  Belle-Alliance- 
Brücke  eine  Schiffahrtsöffnung  von  7-5/«  Breite  fi'ei- 
bleibt.  Fangedämme  halten  der  Baugrube  das  Kanal- 
wasser, eiserne  Spundwände  das  Grundwasser  fern. 
Die  Köpfe  der  beiden  Fangedämme  schützt  ein  festes 
Leitwerk.  Durch  die  Schiffahrtsöffnung  vermag  die 
gesamte  Wassermenge  von  15  «i^  Sek.,  die  dem  Kanal 
bei  H.  W.  zugewiesen  wird,  bei  nur  ganz  geringem 
Stau  abzufließen,  mit  einer  Geschwindigkeit  von 
v=  1-047 /«'Sek. 

Noch  2  weitere  Tunnelanlagen  sind  für  die 
nächste    Zeit   zur  Ausführung   bestirnmt.    Der 


Spreetunnel.   -   Sprengarbeiten. 


115 


Tunnel  unter  dem  Luisenstädtischen  Kanal  wird  1 
voraussichtlich  unter  völliger  Sperrung  der 
Schiffahrtsstraße  einheitlich  in  offener  Baugrube 
ausgeführt.  Für  den  Tunnel  an  der  Kottbuser 
Brücke  steht  die  Bauweise  noch  nicht  fest. 
VI.  Vergleich  der  verschiedenen  Bau- 
weisen. 

Ein  Vergleich  der  verschiedenen,  bei  den 
einzelnen  besprochenen  Bauausführungen  an- 
gewendeten Bauweisen  auf  ihre  technischen  und 
wirtschaftlichen  Vorzüge  und  Nachteile  läßt  sich 
nur  mit  großer  Vorsicht  durchführen.  Die  fünf 
Tunnelbauten  sind  unter  so  verschiedenen  ört- 
lichen und  zeitlichen  Verhältnissen  zur  Ausfüh- 
rung gelangt,  z.  T.  noch  unvollendet,  daß  es  nicht 
möglich  ist,  einen  Zusammenhang  zwischen  den 
■Arbeitsweisen,  der  Dauer  und  der  Wirtschaft- 
lichkeit der  Bauausführungen  zu  erkennen. 

Literatur:  Schnebei,  Der  Spreetunnel  zwischen 
Stralau  und  Treptow  bei  Berlin.  Zbl.  d.  Bauverw. 
1896,  S.  414  u.  1899,  S.  105.  -  Kemmann,  Der 
Spreetunnel  der  Hoch-  und  Untergrundbahn  in 
Berlin.  Zbl.  d.  Bauverw.  1913,5.283.  -  Bousset, 
Die  Erweiterungen  der  Berliner  Hoch-  und  Unter- 
grundbahn vom  Jahre  1913.  Verkehrstechn.  W.  1914, 
Nr.  32  u.  33.  -  Tunnel  unter  der  Spree  in 
Berlin.  Ztschr.  dt.  Ing.  1916,  S.  721.  -  Der  dritte 
Spreetunnel  in  Berlin.  Zbl.  f.  Wasserbau  u. 
Wasserwirtschaft  1915,  S.  14.  -  Die  Anwendung 
eines  neuen  Bau  Verfahrens  für  die  Spree- 
unternehmung der  A.  E.  G. -Schnellbahn  in 
Berlin.  Ztschr.  dt.  Ing.  1915,  Nr.  16.  Seidel. 

Sprengarbeiten    (blastings;   abatages   par 
explosifs  Oll  sau  tage,  iavori  da  minatorc). 
A.  Sprengstoffe. 

Sprengstoffe  sind  Körper,  die  unter  be- 
stimmten Bedingungen  plötzlich  eine  große 
Gasmenge  von  hoher  Temperatur  entwickeln. 
Die  Explosion  ist  ein  chemischer  Prozeß,  der 
großenteils  wieder  in  einer  Verbrennung  besteht, 
wobei  der  erforderliche  Sauerstoff  den  Spreng- 
stoffen selbst  entnommen  wird. 

Die  Sprengstoffe  sind  aus  verbrennbaren, 
u.  zw.  kohlenstoffhaltigen  und  aus  sauerstoff- 
abgebenden Körpern  zusammengesetzt.  Die 
rasche  Sauerstoffabgabe  wird  in  vielen  Fällen 
durch  Beigabe  von  dritten  Körpern  gefördert. 

Je  nach  der  Zeit,  die  zur  Umsetzung  des 
Sprengstoffs  in  den  gasförmigen  Zustand  er- 
forderlich ist,  unterscheidet  man  langsam  wir- 
kende Sprengstoffe  und  rasch  wirkende  (brisante) 
Sprengstoffe. 

Die  Bedingungen  für  brauchbare  Spreng- 
stoffe sind: 

1.  Der  verbrennbare  Körper  soll  fein  ver- 
teilt und  leicht  entzündlich  sein;  der  sauer- 
stoffabgebende den  Sauerstoff  leicht  und 
schnell  abgeben.  Eine  innige  Mischung  beider 
Körper  ist  erforderlich,  damit  die  Entzündung 
sich  rasch  fortpflanzt. 


2.  Zu  hoher  Kohlenstoffgehalt  ist  zu  ver- 
meiden, damit  nicht  Kohlenoxydgase  ent- 
stehen, die  die  gebildete  Wärmemenge  ver- 
ringern. 

3.  Großes  spezifisches  Gewicht,  damit  die 
Sprengstoffe  einen  kleinen  Raum  im  Bohrloch 
einnehmen    und    der    Gasdruck    größer  wird. 

4.  Unempfindlichkeit  gegen  Stoß  und  Schlag, 
chemische  Beständigkeit,  Unveränderlichkeit 
bei  längerer  Aufbewahrung  und  unter  Wasser, 
Entwicklung  nicht  gesundheitsschädlicher  Gase 
und  gefahrlose  Herstellung. 

5.  Pulverförmige  oder  plastische  Formen 
für  Felssprengungen,  damit  Anschließen  an 
die  Bohrlochwandungen  erreicht  wird.  Flüs- 
sige Form  ist  zu  vermeiden  (Verspritzen  und 
Verziehen  in  Gesteinspalten),  Glas-  oder 
Blechhülsen  vermindern  aber  den  nutzbaren 
Bohrlochraum. 

Im  folgenden  sollen  hauptsächlich  nur  die 
Sprengstoffe  für  Bauzwecke  (Eid-  und  Tunnel- 
bau), nicht  aber  die  für  militärische  Zwecke, 
auch  nicht  die  besonderen,  im  Bergbau  ge- 
brauchten Sicherheitssprengstoffe  besprochen 
werden. 

Die  Sprengstoffe  kann  man  in  2  Gruppen 
zusammenfassen: 

I.  Gruppe. 
Der   kohlenstoffhaltige   und    der  sauerstoff- 
abgebende Körper   sind   mechanisch  gemengt. 
Hierzu  gehören: 

1.  Das  Schwarzpulver,  besteht  aus: 

60  -  75  Teilen  Kalisalpeter 
15-21        „       Holzkohle 
10-18       „       Schwefel. 
Schwefel    hat    den    Zweck,    das    Gemenge 
leichter    entzündlich    zu    machen,     auch     die 
Sauerstoffabgabe    zu     erleichtern.     Gekörntes 
Schwarzpulver    hat    1'4,    gepreßtes    Schwarz- 
pulver 17  spezifisches  Gewicht.  Entzündungs- 
temperatur 250-275°  C.  Gepreßtes  Schwarz- 
pulver  ist    wegen    steifer  Form  für  Gesteins- 
sprengungen unzweckmäßig. 

Schwarzpulver  ist  kein  brisanter  Sprengstoff. 
Es  wird  daher  nur  mehr  ausnahmsweise  ver- 
wendet in  Steinbrüchen  zur  Gewinnung  großer 
Gesteinsblöcke  oder  wenn  mit  besonderer 
Vorsicht  tiefer  gehende  Wirkungen  vermieden 
werden  sollen,  wie  z.  B.  bei  Nachsprengungen 
am  Tunnelausbruchsumfang. 

2.  Chloratpulver,  Gemenge  aus  Kalium- 
chlorat  als  sauerstoffabgebendem  Körper  mit 
einem  Nitrokörper  (Nitrobenzol,  Nitronaph- 
thalin,  Dinitrotoluol)  als  verbrennbarem  Körper, 
so  z.  B. 

Rackarock,  80»^  Kaliumchlorat  mit  20% 
Nitrobenzol,    oft     mit    etwas     Schwefelzusatz, 


116 


Sprengarbeiten. 


wird  unmittelbar  vor  dem  Gebrauch  gemengt, 
daher  die  Bestandteile  getrennt  zur  Verwendungs- 
stelle gebracht  werden,  was  ungefährlichen 
Transport  ermöglicht.  In  Nordamerika  zu 
Felssprengungen  mehrfach  verwendet. 

Cheddit,  75%  Kaliumchlorat,  20%  Nitro- 
naphthalin,  5  %    Ricinusöl. 

3.  Ammonsalpetersprengstoffe,  wie  z.  B. 
Westphalit,     Q0%     Ammonsalpeter,    4% 

Kalisalpeter,  6%    Harz; 

Dahmenit,  62%  Ammonsalpeter,  16% 
Kalisalpeter,  17%  Trinitrotoluol,  2-5%  Naph- 
thalin, 2-5%    Holzmehl. 

4.  Oxyliquid.  Eine  Mengung  von  flüssiger 
Luft  mit  in  Petroleum  getauchtem  Papier  oder 
Wolle,  Kohlenstaub,  Holzmehl. 

Es  ist  schwierig,  die  Wirksamkeit  der  flüs- 
sigen Luft  (Temperatur  -  190^  C)  von  der 
Mengung  bis  zum  Gebrauch  zu  erhalten;  denn 
infolge  dauernder  Verflüchtigung  der  Luft 
ändert  sich  das  Mischungsverhältnis  des  Spreng- 
stoffs, der  nach  kurzer  Zeit  seine  Wirksam- 
keit verliert. 

Auf  der  Versuchsstelle  am  Simplontunnel 
war  die  Wirkung  des  Oxyliquids  infolge  der 
nach  Mengung  der  Bestandteile  erfolgenden 
unmittelbaren  Verwendung  sehr  günstig.  Da 
durch  den  Transport  in  den  Tunnel  und 
durch  die  längere  Dauer  von  der  Ladung  bis 
zur  Sprengung  die  Wirksamkeit  des  Spreng- 
stoffs sehr  herabgemindert  wurde,  so  hat 
man  von  dessen  Verven  düng  abgesehen.  Im 
Bergbau  ist  Oxyliquid  in  letzter  Zeit  mehr- 
fach verwendet  worden. 

II.  G  ruppe. 
Hierzu  gehören  Sprengstoffe,  die  eine  ein- 
heitliche chemische  Verbindung  darstellen. 
Sie  werden  hergestellt  durch  Einwirkung  von 
Salpetersäure  auf  Alkohol,  Baumwolle,  Stroh, 
Glyzerin,  Benzol,  Phenol  u.  s.  w.,  wozu  viel- 
fach noch  Schwefelsäure  beigegeben  wird,  um 
das  bei  Bildung  der  Nitroverbindung  frei- 
werdende Wasser  aufzunehmen  und  die  Wirk- 
samkeit iler  Salpetersäure  zu  verlängern. 

1.  Knallquecksilber  erhält  man  durch 
Einwirkung  von  Salpetersäure  auf  Alkohol 
und  Quecksilber;  es  ist  ein  giftiger  und  sehr 
empfindlicher  Sprengstoff,  der  daher  nicht 
unmittelbar  zum  Sprengen,  sondern  gemischt 
mit  verschiedenen  Stoffen  in  schützenden 
Kupferhülsen  als  Sprengkapsel  oder  Zünd- 
hütchen (s.  d.),  zur  Entzündung  anderer 
Sprengstoffe  (Detonationszündung)  verwendet 
wird  und  in  dieser  Form  in  der  Spreng- 
technik unentbehrlich  ist. 

2.  Schießwolle  entsteht  durch  Einwirkung 
von  Salpetersäure    auf    Baumwolle    unter  Zu- 


j  gäbe    von    Schwefelsäure   (Wasserentziehung). 
j  Der  flockige,   im  Aussehen  der  gewöhnlichen 
I  Baumwolle  gleichende  Sprengstoff  eignet  sich 
wegen    des    geringen    spezifischen    Gewichts 
(Ladegewicht    OT  -  0"3),     des    Verlustes    der 
Explosionsfähigkeit    im    nassen    Zustand,    der 
größeren  Empfindlichkeit  gegen  Stoß  und  der 
höheren  Kosten  zu  Gesteinssprengungen  wenig. 
Auch    die    gepreßte    Schießwolle,    die    das 
Aussehen  von  Pappe  hat,  wird  in  steifen  Pa- 
tronen oder  Zylindern  hergestellt,  erlaubt  keinen 
dichten  Anschluß  an  die  Bohrlochwandungen, 
wird    daher    zu    Gesteinssprengungen     nicht 
verwendet. 

Dagegen  fand  die  gepreßte  und  gekörnte 
Schießwolle  entweder  rein  oder  mit  Zusätzen 
(Kaliumnitrat,  Bariumnitrat  u.  dgl.)  als  Spreng- 
stoff (Tonit,  Potentit)  für  Gesteinssprengungen 
Verwendung.  Tonit  wurde  z.  B.  zu  den 
Sprengarbeiten  im  Mersey-  und  Severntunnel 
(England)  gebraucht. 

3.  Nitroglyzerin  (Sprengöl)  entsteht  durch 
Behandlung  von  Glyzerin  mit  Salpetersäure 
unter  Zusatz  von  Schwefelsäure  (Wasserent- 
ziehung). Es  ist  eine  gelbe  ölartige  Flüssigkeit 
von  1-6  spezifischem  Gewicht,  180°  Explosions- 
temperatur und  6-8°  Gefriertemperatur;  es 
muß  bei  10-11°  aufgetaut  werden,  was  mit 
Vorsicht  zu  geschehen  hat. 

Die  große  Empfindlichkeit  gegen  Stoß  und 
Schlag,  namentlich  bei  ungenügender  Ent- 
säuerung, sowie  die  flüssige  Form  (Verspritzen 
und  Verziehen  in  Gesteinsspalten,  auch  bei 
Verwendung  von  Glas-  oder  Metallhülsen) 
lassen  die  unmittelbare  Verwendung  dieses 
sehr  wirksamen  Sprengstoffs  zu  Gesteins- 
sprengungen nicht  zweckmäßig  erscheinen. 
Durch  Mengung  mit  unverbrennlichen  oder 
besser  verbrennlichen  Aufsaugestoffen  beseitigt 
man  die  genannten  ungünstigen  Eigenschaften 
des  Nitroglyzerins  und  erhält  noch  immer 
sehr  wirksame,  zu  Gesteinssprengungen  be- 
sonders geeignete  Sprengstoffe,  die  allge- 
mein Dynamite  genannt  werden.  Auf  gute 
Entsäuerung  des  Nitroglyzerins  ist  in  der  Fa- 
brikation besonders  zu  achten,  weil  sonst  selbst- 
tätige Explosionen   möglich  sind. 

4.  Dynamite.  a)  Mit  unverbrenn- 
lichen Aufsaugestoffen.  \\s  Aufsauge- 
stoffe gebrauchte  man  Kieselgur,  Kalkgur, 
Kreide,  Magnesiumkarbonat  u.  s.  w.  Die  größte 
Verbreitung  fand  das  Kieselgurdynamit 
bei  den  großen  Tunnelbauten  (Gotthard,  Arl- 
berg,  Cochem  u.  s.  w.).  Es  bestand  zumeist 
aus  75  %  Nitroglyzerin  und  25  %  Kieselgur 
(sehr  poröse  Infusorienerde,  Kieselpanzer), 
wodurch  die  einzelnen  Nitroglyzerinteilchen 
gegen      unmittelbare     Stoßeinwirkungen     ge- 


Sprengarbeiten. 


117 


sichert  werden  und  der  Sprengstoff  eine 
wachsartige,  plastische,  zur  Ladung  in  Bohr- 
löcher sehr  geeignete  Masse  bildet. 

Im  übrigen  besitzt  das  Kieselgurdynaniit  die 
Eigenschaften  des  Nitroglyzerins;  es  friert  bei 
6  -  S",  muß  also  in  diesem  Fall  vor  Ver- 
wendung aufgetaut  werden. 

Da  aber  der  unverbrennliche  Aufsaugestoff 
selbst  keine  Gase  erzeugt,  sondern  den  Spreng- 
sasen  noch  Wärme  zur  Verschlackung  der 
Kieselgur  entzieht,  hat  man  Nitroglyzerin- 
sprengstoffe mit 

b)  Verbrennlichen  Aufsaugestoffen  er- 
zeugt. 

Als  Aufsaugestoffe  wurden  verwendet  Kohle, 
Holzfaser,  nitrierte  Strohfaser,  Schießwolle, 
Kollodiumwolle  u.  s.  w.;  diese  Sprengstoffe 
sind  unter  den  Bezeichnungen  Sebastine, 
Rhexit,  Petrolit,  Dualin,  Palein,  Titanit,  Me- 
ganit,  Dynammon,  Sprenggelatine,  Gelatine- 
dynamite  bekannt. 

Namentlich  sind  die  Sprenggelatine  und 
Gelatinedynamite  in  der  Sprengtechnik  zu 
ausgedehnter  Verwendung  gelangt;  es  sind 
dies  wohl  die  gegenwärtig  zu  Sprengarbeiten 
im  Erd-  und  Tunnelbau  am  meisten  ge- 
brauchten, sehr  wirksamen  Sprengstoffe,  die 
bezüglich  der  Qefriertemperatur  die  gleiche 
Eigenschaft  haben  wie  das  Nitroglyzerin,  also 
bei  -\-  8°  aufgetaut  werden  müssen. 

Sprenggelatine  wird  erhalten  durch  Auf- 
lösung von  S-lO^ö  Kollodiumwolle  in 
90  —  92%  Nitroglyzerin;  bei  höherer  Tempe- 
ratur, als  gummiartige,  nicht  plastische  Masse 
von  großer  Wirksamkeit,  sehr  geringer  Emp- 
findlichkeit gegen  Stoß  und  Schlag,  so  daß 
zur  Zündung  besondere  Zündpatronen  aus 
anderen,  leichter  entzündbaren  Sprengstoffen 
verwendet  werden  müssen. 

Der  hohe  Preis,  die  nicht  plastische  Form 
und  die  Schwierigkeiten  der  Zündung  haben 
das  Verwendungsgebiet  der  Sprenggelatine 
eingeschränkt;  immerhin  wurde  es  bei  großen 
Tunnelbauten  im  sehr  festen  Gebirge  ver- 
wendet, wie  z.  B.  im  Gneis  des  Simplon- 
tunnels. 

Gelatinedynamite,  zumeist  aus  45% 
bis  75%  gelatiniertem  Nitroglyzerin  (97'5% 
Nitroglyzerin,  2-5  %  Kollodiumwolle)  und 
55  —  25%  Zumischpulver  (Salpeter,  Holzmehl 
u.  s.  w.). 

Um  restliche  Säuremengen  im  Nitroglyzerin 
unschädlich  zu  machen,  werden  noch  kleine 
Mengen  Alkalien,  meist  1  -  2  %  Soda  beige- 
geben. Es  stellt  eine  gelblichbraune  plastische 
Masse  dar  von  1'7  spezifischem  Gewicht,  die, 
wenn  Salpeter  beigegeben,  vor  Durchnässung 
gut  zu  schützen  ist,  und  wird  gegenwärtig  in 


ausgedehntem  Maße  meist  unter  der  Bezeichnung 
„Dynamit"  zu  Gesteinssprengungen  verwendet. 

Die  Gefriertemperatur  kann  durch  beson- 
dere Zusätze  herabgesetzt  werden;  so  wurde 
z.B.  beim  Bau  des  Hauenstemtunnels  „Gamsit", 
der  bei  niedrigen  Temperaturen  nicht  wie  die 
Dynamite  aufzutauen  war,  verwendet,  beste- 
hend aus  21%  Nitroglyzerin,  19%  Trinitroto- 
luol,  1%  Dinitrobenzol,  1-5%  Kollodiumwolle, 
1'0%  kohlensaurem   Kalk. 

Die  Dinitro-Glyzerin-Sprengstoffe  können 
innerhalb  der  meist  in  Frage  kommenden 
Temperaturgrenzen  als  nicht  gefrierbar  be- 
zeichnet werden. 

5.  Trinitrotoluol  erhält  man  durch  Be- 
handlung des  Toluols  (Destillationsprodukt  des 
Steinkohlenteers)  mit  Salpetersäure;  ein  weiß- 
gelbes kristallinisches  Pulver,  das  auch  ge- 
gossen (spezifisches  Gewicht  1'6)  verwendet 
wird;  es  ist  sehr  wirksam  und  unempfindlich 
gegen  Stoß  und  Schlag  und  wird  in  der  Gesteins- 
sprengung rreist  nur  in  Verbindung  mit  an- 
deren Sprengstoffen  (wie  vorher  bei  Gamsit 
angegeben)  auch  zur  Füllung  von  Sprengkapseln 
mit  Knallquecksilber  gebraucht. 

6.  Pikrinsäure  (Trinitrophenol)  wird 
aus  Phenol  durch  Behandlung  mit  Salpeter- 
säure hergestellt,  sie  wird  rein,  meist  aber 
mit  anderen  Stoffen  (Salpeter,  Kaliumchlorat, 
Holzmehl  u.  s.  w.)  vermengt  oder  mit  0'03 
bis  0'05  Kollodiumwolle  gelatiniert  (Melinit, 
Lyddit)  gebraucht.  Auch  werden  die  pikrin- 
sauren  Salze  mit  Salpeter,  Kohle,  Naphthahn 
vermengt  als  Pikratpulver  verwendet.  Die  reine 
Pikrinsäure  ist  unempfindlich  gegen  Stöße  und 
große  andauernde  Kälte;  dagegen  sind  die 
Pikrinsäuren  Salze  weit  empfindlicher  gegen 
mechanische  Einflüsse.  Zu  Gesteinsspren- 
gungen haben  die  Pikrinsäuresprengstoffe  nur 
in  wenigen  Fällen  Verwendung  gefunden. 

B.  Zu  ndmittel. 

Die  Sprengstoffe  werden  für  Gesteinsspren- 
gungen in  der  Regel  in  Patronenform  (Pa- 
pierhülsen, auch  mit  wasserdichten  Über- 
zügen), nur  ganz  ausnahmsweise  in  sehr  nassem 
Gebirge  auch  in  Blechhülsen  gebraucht. 

Auf  die  Ladung  des  Bohrloches  wird  die 
Zündpatrone  gesetzt,  die  außer  dem  Spreng- 
stoff eine  Zündkapsel  (Kupferhütchen  mit 
Knallquecksilber,  Kaliumchlorat,  auch  Mehl- 
pulver oder  auch  Trinitrotoluol)  enthält,  in 
die  die  Zündleitung  (Zündschnur  oder  elek- 
trische Leitungsdrähte)  eingeführt  wird. 

Einige  schwer  explodierende  Sprengstoffe 
(Rackarock,  Sprenggelatine,  Kampfergelatine, 
Trinitrotoluol)  erfordern  Zündpatronen  aus 
einem  leichter  explosiblen  Sprengstoff. 


HS 


Sprengarbeiten. 


Die  Zündkapseln  werden  meist  in  10  ver- 
schiedenen Größen  mit  Füllungen  von  0'3 
bis  3  0g  Zündsatz  gebraucht. 

Der  Rest  des  Bohrloches  wird  mit  Besatz 
(Papierpfropfen,  Sand,  Erde)  vorsichtig  ge- 
schlossen, um  die  Sprengwirkung  zu  erhöhen. 
Im  Tunnelbau  wird  die  Schnurzündung  der  elek- 
trischen vorgezogen,  da  die  Explosion  der  ein- 
zelnen Bohrlochladungen  in  der  Regel  nacheinan- 
der und  in  bestimmter  Reihenfolge  erfolgen  soll. 

Die  Zündschnüre  sind  Hanfschnüre, 
4-5  mrn  stark,  mit  einer  Pulverseele.  Die 
2-3fache  Umspinnung  wird  meist  mit  Teer 
getränki  oder  gefettet.  Guttaperchaüberzüge 
haben  sich  nicht  bewährt,  weil  sie  sehr  leicht 
brüchig  werden.  Die  Brennlänge  in  1  Min. 
beträgt  in  der  Regel  50  -  80  cm. 

Bei  den  elektrischen  Zündern  werden 
die  beiden  Leitungsdrähte  in  die  Zündmasse 
der  Kapsel  eingeführt.  Man  unterscheidet 
Funkenzünder  und  Glühdrahtzünder; 
bei  den  ersteren  sind  die  Kupferdrähte  bis 
auf  einen  kleinen  Spalt  in  der  Zündmasse 
zusammengeführt,  der  das  Oberspringen  eines 
Funkens  ermöglicht,  bei  den  letzteren  sind  die 
beiden  Enden  der  Drähte  durch  einen  sehr 
dünnen  (^ / 2f, -'^/^q  mm  stark  und  5 — \2  mm 
lang)  Draht  aus  Platin,  Iridiumplatin,  Neu- 
silber, selten  Stahl  verbunden,  der  bei  Durch- 
leitung des  Stromes  erglüht  und  so  die 
Zündmasse  zur  Explosion  bringt. 

Die  Zündung  erfolgt  durch  Reibungsappa- 
rate (Bornhardt,  Abegg,  Ebner,  Kromer),  durch 
dynamoelektrische  Maschinen  (Siemens,  Smith, 
Burgin,  Tiremann,  Gomaut)  oder  magnet- 
elektrische Maschinen  (Breguet,  Markus,  Scola), 
außerdem  ausnahmsweise  durch  galvanische 
Elemente  und  Akkumulatoren. 

Für  die  Gesteinssprengungen  finden  Funken 
oder  Spaltzünder  mit  Reibungsapparaten  die 
häufigste  Verwendung. 

C.  Ausführung  der  Sprengarbeiten. 

Die  Sprengstoffe  werden  entweder  in  Bohrlöcher 
oder  in  größere  Hohlräume  (Kammern)  verladen 
oder  auch  nur  frei  auf  das  Gestein  aufgelegt.  Man 
unterscheidet  hiernach  Bohrlochminen,  Kammerminen 
und  Freiminen.  Im  Erd-  und  Tunnelbau  kommen 
nur  Bohrlochmincn  in  Frage,  während  im  Steinbruch- 
betrieb auch  Kammerminen  zweckmäßig  sein  können. 

Das  Laden  der  Bohrlöcher  erfolgt  in  der  Weise, 
daß  die  Sprengmittel  in  Patronenform  (Papier  auch 
mit  wasserdichten  Überzügen)  einzeln  in  das  Bohr- 
loch gebracht  und  in  diesem  so  festgedrückt  werden, 
daß  das  Bohrloch  tunlichst  ausgefüllt  ist.  .Auf  die 
Ladung  wird  die  Zündpatrone,  in  der  die  Zündkapsel 
sich  befindet,  vorsichtig  aufgesetzt  und  sodann  der 
übrige  Teil  des  Bohrlochs  so  mit  Besatz  (Papier) 
geschlossen,  daß  die  Zündleitungen  (Zündschnur  oder 
Kupferdraht)  nicht  beschädigt  werden.  Der  Besatz 
hat  den  Zweck,  ein  wirkungsloses  Entweichen  der 
Explosionsgase   tunlichst  zu   vermeiden;   er  ist  um 


so  wichtiger,  je  weniger  brisant  der  Sprengstoff  ist. 
Um  die  mit  dem  Laden  und  Zünden  der  Minen 
betrauten  Arbeiter  vor  der  Explosionswirkung  zu 
schützen,  sind  die  Zündschnüre  um  eine  ihrer  Brenn- 
geschwindigkeit und  der  Rückzugzeit  der  .Arbeiter 
angepaßte  Länge  über  das  Bohrloch  zu  verlängern; 
die  Leitungsdrähte  für  die  elektrische  Zündung  sind 
bis  zu  dem  außerhalb  des  Wirkungsbereichs  der 
Minen  aufzustellenden  Zündapparate  zu  führen;  für 
die  an  die  Kupferdrähte  der  Zünder  anschließende 
längere  Leitung  werden  auch  Eisendrähte  (1-3  mm 
stark)  gebraucht. 

Bei  der  Minensprengung  wird  ein" trichterförmiger 
Qebirgsteil  ausgeworfen,  der  sog.  Minentrichter  oder 
Wurftrichter.  Man  kann  den  Wurftrichter  für  die 
praktischen  Fälle  genau  genug  kegelförmig  annehmen, 
wie  Abb.  131  zeigt.  Im 
Minenherd  a  ist  der 
Kegel  erweitert;  den 
senkTechten    .Abstand 


Abb.  131. 


an  =  w  nennt  man 
die  kürzeste  Wider- 
standslinie oder  Vor- 
gabe, r  ist  der  Halb- 
messer des  Kegel- 
kreises, e  die  Seite  und  ß  der  Basiswinkel  des  Kegels. 
Der  dem  Inhalt  nach  größte  Wurftrichter  für 
eine  bestimmte  konzentrierte  Ladung  ist  der,  bei 
dem  w-^r,  also  ß  =  45'',  daher  der  Inhalt  des  nor- 

malen  Wurfkegels  etwa    K  =  '-^  h'  =  L05  w^  wird. 

Die  Ladung,  die  einen  solchen  Wurftrichter  ergibt, 
nennt  man  die  normale.  Da  sich  2  Ladungen  L  und 
Z-,  verhalten  wie  die  Volumina  der  \X'urfkegel  V  und 
K,,  d.  h.  I :/.,  =  K;  K,  und  da  bei  den  Vorgaben 
w  H'i  und  den  Basisradien  der  Kegel /-r,   die  Volu- 


mina  K  =  ' 


K,=' 


und  tg    ß 


_     '  — ' 
3      ' '  3        '         °    ■        r        r, 

werden,  so  folgt  L  :  L,  ^  w^ :  ir,',  d.  h.  es  ver- 
halten sich  2  Ladungen  für  geometrisch  ähnliche  Wurf- 
kegel wie  die  dritten  Potenzen  ihrer  Vorgaben.   Da 

— ^  =  --'  =  C  ein  konstanter  Wert,   der  Ladungs- 

W^  11',  ^ 

koeffizient  genannt  wird,  und  für  normale  Wurf- 
kegel r=\-05w^,  so  ist  genau  genug  die  erforder- 
liche Ladung :  L  ^=  CwK 

Der  Ladungskoeffizient  C,  der  von  der  Oesteins- 
festigkeit  und  von  dem  Sprengstoff  abhängig  ist,  wird 
aus  Versuchen  bestimmt,  indem  man  mehrere  Spren- 
gungen im  gleichen  Gestein  entweder  mit  gleichen 
Vorgaben  ii'  oder  mit  verschieden  großen  Ladungen  L 
ausführt  oder  indem  man  bei  konstanter  Ladung  L 
die  Vorgabe  ir  ändert.  .    e     . 

Die       Ladeformel     '—^ — 

wird  auch  häufig  ge- 
schrieben: L  =  edw^, 
worin  ii'  die  Linie  des 
kürzesten  Widerstands 
in  m,  e  einen  von  der 
Festigkei  t  des  Gesteins 
und  der  Art  des  ver- 
j  wendeten  Sprengstoffs  abhängigen  Koeffizienten, 
d  die  Ziffer  für  ungenügende  X'erdammung  und  L 
die  Ladung  in  kg  bezeichnen. 

Bei  Sprengarbeiten  im  Erd-,  Tunnel-,  Stollen-  und 
Schachtbau  werden  die  Minen  zumeist  in  größerer 
Zahl  nebeneinander,  in  Reihen  oder  Gruppen  an- 
geordnet; sind  hierbei  Abstand  und  Ladungsgrößen 
entsprechend  gewählt,  so  können  sich  die  Mineii 
in  ihren  Wirkungen  gegenseitig  unterstützen.  Bei 
4Minen  in  einerReihe  (Abb.132)  im  Abstand  £>=  2/-= 2«» 


Abb.  132. 


Sprengarbeiten. 


119 


wird  bei  entsprechender  Ladung  und  gleichzeitiger 
Explosion  ein  Wurfkörper  erzeugt,  der  ungefähr 
K|  =  7 11'^  wird,  während  4  einzelne  Normalminen 
einen  Gesamttrichterinhalt  von  etwa  K  =  4,  2  ir' 
ergeben.  Bei  Gruppenbildung  ist  die  quadratische 
Anordnung  der  Minen  die  günstigste.  Bei  Anordnung 
von  4  Minen  nach  Abb.  133  wird  bei  entsprechender 
Ladung  und  gleichzeitiger  elek- 
trischer Zündung  für  r=w  ein 
Wurf  körper  sich  ergeben  von  der  un- 
gefähren Größe  K=  Ow^,  während 
4  einzelne  Minen  emen  ungefähren 
Inhalt  K=4-2ii'3  haben. 

Werden  die  im  Abstand  f=  2/- 
angeordneten  Minen  nicht  gleich- 
zeitig, sondern  nacheinander  zur 
Explosion  gebracht,  was  manchmal 
zweckmäßig  sein  kann,  so  bleiben 
die  zwischen  den  Wurfkegeln  be- 
findlichen Gesteinsteile  stehen  und  müssen  durch 
besondere  Minen  entfernt  werden.  Um  dies  zu  ver- 
meiden, ist  im  Falle  nicht  gleichzeitiger  Zündung 
ungefähr  e  =  r  zu  wählen ;  wenn  auch  hierbei  ein 
etwas  kleinerer  Wurfkörper  erreicht  wird,  so  über- 
wiegen die  Vorteile  des  geschlossenen  Ausbruchs 
und  des  geringeren  Sprengmittelverbrauchs. 

Bei  2  einander  schneidenden  freien  Flächen 
(Abb.  134)  wird  für  gleiche  Vorgaben  w  ein  einheit- 
licher Wurftrichter  m  o  n  mit  kleineren  Ladungen 
erzeugt,  wie  in  den  vorher  besprochenen  Fällen;  es 


\.    w. 

f   yi^^ 

r 

— ( 

V 

'-J 

J 

Abb.  133. 


Abb.  134. 


Abb.  135. 


wird  daher  vorteilhaft  sein,  solche  Gesteinskanten 
bei  der  Sprengarbeit  auszunutzen. 

Die  Lage  und  Abmessungen  der  Bohrlöcher  hängen 
von  der  Beschaffenheit  des  Gesteins  und  des  verwen- 
deten Sprengstoffs  sowie  von  der  Art  ab,  in  der  die 
Bohrlöcher  hergestellt  werden.  Die  zur  üesteinswand 
senkrechte  Lage  des  Bohrlochs  ergibt  dessen  kürzeste 
Länge;  da  hierbei  die  Bohrlochachse  mit  der  Linie 
des  kürzesten  Widerstands  w  (Abb.  135)  zusammen- 
fällt, so  besteht  hierbei  aber  die  Gefahr  wirkungs- 
loser Explosion  infolge  vorzeitigen  Hinauswerfens 
des  Besatzes  B.  Bei  wenig  wirkungsvollen  Spreng- 
stoffen wird  man  daher  den  Bohrlöchern  eine  ge- 
neigte Lage  zur  Gesteinswand  geben,  die  sich  der 
senkrechten  h'  umsomehr  nähern  kann,  je  wirkungs- 
voller (brisanter)  der  verwendete  Sprengstoff  ist.  Bei 
brisanten  Sprengstoffen  ist  der  Besatz  nicht  von  der 
Bedeutung  wie  bei  langsam  verbrennenden,  und  da 
namentlich  beim  Bohren  mit  Maschinen  stärker  ge- 
neigte Löcher  zumeist  unbequem,  ja  unausführbar 
sind,  so  begnügt  man  sich  hierbei  vielfach  mit  wenig 
von  der  Senkrechten  zur  Qesteinswand  abweichenden 
Löchern.  Eine  zu  große  Höhe  L  der  Ladung  ist  zu 
vermeiden,  daher  sind  brisante  und  spezifisch  schwere 
Sprengstoffe  zu  verwenden  und  die  Weite  d  der 
Tiefe  t  des  Bohrlochs  anzupassen,  was  nur  teilweise 
möglich  ist.  Wenn  die  Weite  d  der  Tiefe  t  nicht 
entspricht,  so  bleiben  bei  der  Sprengung  „Büchsen", 
also  Bohrlochteile  stehen,  die  nicht  ausgenutztwerden. 

Erwünscht  ist  Ladehöhe  Z.  <  5rf  und  L  <  'i,^  zu 
machen,  was  aber  nur  bei  wenig  tiefen  Bohrlöchern 
eingehalten  werden  kann.   Da  vielfach  im  Erd-  und 


Tunnelbau  \xegen  rascher  Beseitigung  des  Ausbruchs 
eine  starke  Zerkleinerung  des  Gesteins  gewünscht 
wird,  so  wird  eine  Ladehöhe  L  =:  y,  —  ^,,t  gewählt. 

Sprengungen    im    Tunnel    (s.  Tunnelbau). 

Sprengungen   in  Felseinschnitten. 

In  der  Regel  wird  in  geschlossenen  Einschnitten 
in  Absätzen  gesprengt,  deren  Höhe  vom  Bohr- 
betrieb abhängig  ist.  Die  Löcher  werden  in 
Reihen  mit  Hand-  oder  Maschinenbohrern  mit 
\  -2  m  Tiefe  und  20 -  40  /«//z Weite  ausgeführt. 
Die  Zündung  erfolgt  meist  in  größerer  Zahl 
der  Minen  gleichzeitig  sehr  häufig  elektrisch. 
Bei  sehr  tiefen  Felseinschnitten  hat  man  auch 
die  Löcher  auf  volle  Einschnittstiefe  gebohrt, 
sie  mit  Sand  wieder  verfüllt  und  dann  von  oben 
nach  abwärts  stückweise  auf  solche  Höhen  vom 
Sand  freigemacht,  mit  Sprengmittel  geladen 
und  die  Ladung  zur  Explosion  gebracht,  bei 
denen  eine  gute  Sprengwirkung  zu  erwarten 
war.  Hierdurch  konnte  die  Bohrarbeit  ohne 
Unterbrechung  fortgesetzt  und  erheblich  ver- 
billigt werden. 

Sprengungen  in  Steinbrüchen. 

Im  Steinbruchbetrieb  kommt  es  in  vielen 
Fällen  darauf  an,  größere,  wenig  zerrissene,  für 
die  Herstellung  von  Mauerwerk  oder  Stein- 
schüttungen  brauchbare  Steine  zu  gewinnen, 
daher  werden  in  solchen  Fällen  die  tiefer  her- 
zustellenden Löcher  mit  weniger  brisanten 
Sprengstoffen  schwach,  daher  vielfach  noch 
mit  Schwarzpulver  geladen.  Auch  erweitert  man 
hierbei  3  —  5  ot  tiefe  Bohrlöcher  am  unteren 
Ende  sackartig  entweder  mit  Hilfe  besonderer 
Bohrwerkzeuge  oder  mit  flüssigen  Säuren  (im 
kalkigen  oder  dolomitischen  Gestein)  oder 
besser  durch  kleine  Mengen  brisanter  Spreng- 
stoffe (Dynamit).  Der  Sack  wird  mit  einem 
weniger  brisanten  Sprengstoff  geladen  und  mit 
Zündschnur  oder  elektrisch  angezündet.  In- 
folge der  tiefen  Lage  der  konzentrierten  Ladung 
wird  das  Gestein  in  großen  Stücken  gelockert 
und  gehoben,  aber  nicht  zerkleinert  und  weniger 
zerrissen,  auch  nicht  fortgeschleudert. 

Um  große  Werksteine  zu  gewinnen,  werden 
Gesteinsbänke  oder  -wände  durch  Stollen,  die 
in  der  angegebenen  Weise  gesprengt  werden, 
unterhöhlt,  so  daß  die  Wände  infolge  des  großen 
Eigengewichts  fallen;  hierbei  ist  die  Gefahr 
des  Zerreißens  größerer  Werkstücke  ziemlich 
vermieden. 

Für  die  Steingewinnung  in  großen  Mengen, 
wie  namentlich  für  ausgedehnte  Wasserbauten, 
Ufer-  und  Pfeilersicherungen  und  besonders 
für  die  Schüttung  von  Hafendämmen  in  den 
südlichen  Häfen  des  Mittelmeers,  werden  zweck- 
mäßig   die    sog.  Riesenminen    verwendet,    die 


120 


Sprengarbeiten.  —   Spucken. 


eine  sehr  billige  Sleingewinnung  ermöglichen. 
Es  werden  hierbei  große  Mengen  brisanter 
Sprengstoffe  (1000- 10.000  >t^)  in  einem  ent- 
sprechend großen  und  richtig  angelegten  Hohl- 
raum (Minenkammer)  vereinigt  und  nach  guter 
Verdammung  der  Zugänge  durch  Mauerwerk, 
Sandsäcke,  Erde  u.  dgl.  mittels  elektrischer 
Zündung  zur  Explosion  gebracht.  Durch  solche 
einmalige  Explosionen  wurden  bedeutende 
Massen  (10.000-20.000^3)  Steine  mit  sehr 
geringen  Kosten  (unter  Umständen  nur  O'IO  M. 
für  1  m^)  gelöst.  Die  Herstellung  einer  Minen- 
kammer (Stollenausbruch)  erfordert  verhältnis- 
mäßig wenig  und  leichte  Bohrarbeit;  die  Ladung 
und  Zündung  wird  für  eine  große  Menge 
Sprengstoff  nur  einmal  vorgenommen  und  der 
Wirkungsgrad  der  Explosion  ist  ein  günstiger. 

Sprengungen  unter  Wasser. 

Die  Gesteinssprengungen  unter  Wasser  erfol- 
gen entweder  durch  frei  auf  das  Gestein  gelegte 
brisante  Sprengstoffe,  durch  in  Bohrlöcher  ver- 
ladene Sprengstoffe  oder  durch  Anordnung 
größerer  Stollenanlagen  und  Minenkanimern 
in  dem  wegzusprengenden,  unter  dem  Wasser 
liegenden  Felsen.  Bei  Sprengungen  mit  frei  auf- 
gelegten Ladungen  nach  der  Methode  Lauer 
erzeugen  die  zur  Explosion  gebrachten  Spreng- 
stoffe Trichter,  deren  Größe  von  der  Dichte 
des  Gesteins,  dem  Umfang  der  Ladung  und 
der  Höhe  der  Wassersäule  abhängig  ist  und  die 
wegen  der  Verspannung  des  Gesteins  durch 
nachfolgende  Ladungen  nur  bis  zu  einer  be- 
stimmten, nicht  überschreitbaren  Grenze  vertieft 
werden  können;  auch  ist  selbst  im  Strom  mit 
größerer  Wassergeschwindigkeit  nicht  zu  er- 
warten, daß  das  gelöste  Gestein  der  ersten 
Sprengung  so  vollständig  weggeschwemmt  wird, 
daß  die  folgenden  Sprengungen  hierdurch  nicht 
behindertwerden.  Wenn  daher  bei  dieserMethode 
das  oft  mühsame  und  kostspielige  Bohren  von 
Löchern  unter  Wasser  vermieden  wird,  so  ist 
der  Sprengmittelverbrauch  doch  ein  so  großer 
und  der  Arbeitsfortgang  ein  so  langsamer, 
daß  von  diesem  Verfahren  wohl  nur  ausnahms- 
weise, wie  für  das  Absprengen  einzelner  Fels- 
spitzen, nicht  aber  zur  Beseitigung  ausgedehnter 
Felsbänke,    Gebrauch    gemacht   werden    kann. 

Es  ist  daher  zweckmäßiger,  die  Sprengstoffe 
in  Bohrlöcher  zu  verladen,  die  entweder  von 
der  Oberfläche  des  Wassers  aus  mit  Hilfe  von 
festen  oder  schwimmenden  Gerüsten  (Bohr- 
schiffen) oder  zwischen  Fangdämmen,  in  Taucher- 
glocken (Taucherschiffen)  oder  in  Senkkästen 
gebohrt  werden.  Auch  hat  man  versucht,  die 
Löcher  mit  einer  am  abzusprengenden  Grund 
unter  Wasser  aufgestellten  und  durch  einen 
Taucher  bedienten  Bohrmaschine  herzustellen. 


Große,  ausgedehnte,  unter  Wasser  liegende 
Felsriffe  von  großer  Höhe,  die  also  auf  beträcht- 
liche Tiefe  zu  beseitigen  sind,  um  tiefes  Fahr- 
wasser für  die  Schiffahrt  zu  schaffen,  werden 
zweckmäßig  unterhöhlt.  Mit  Hilfe  eines  Schachtes 
werden  Stollen  ausgeführt,  die  so  tief  liegen, 
daß  zwischen  Stollenfirst  und  der  Oberfläche 
des  Riffes  noch  eine  genügend  starke  und  dichte 
Felsschicht  verbleibt,  damit  Einbrüche  oder 
stärkere  Einsickerungen  des  Wassers  nicht  zu 
befürchten  sind.  Diese  Stollen  dienen  zur  un- 
mittelbaren Aufnahme  von  Sprengstoffen,  oder 
es  werden  m  deren  Wänden  Bohrlöcher  oder 
Minenkammern  zur  Aufnahme  der  Sprengstoffe 
hergestellt,  durch  welche  die  Beseitigung  der 
Felsdecke  und  der  zwischen  den  Stollen  verblei- 
benden Wandungen  und  Pfeiler  zu  erreichen  ist. 

Eissprengungen. 

Auch  Eissprengungen  werden  mit  Hilfe  von 
Sprengstoffen  ausgeführt.  Frei  aufgelegte  La- 
dungen brisanter  Sprengstoffe  hatten  natürlich 
besseren  Erfolg  nach  ihrer  Bedeckung  mit 
Sand  und  Lehm;  noch  günstiger  wirklen  solche, 
wenn  sie  in  Rillen  verlegt  und  dann  bedeckt 
wurden,  wie  dies  bei  den  mit  Dynamit  aus- 
geführten Eissprengungen  in  der  Rhone  bei 
Lyon  geschah.  Durchbohrung  der  Eisdecke  und 
Versenkung  der  Sprengstoffpatronen  (1—3  kg) 
unter  sie  in  größerer  oder  geringerer  Tiefe 
(0'3  —Im)  je  nach  der  Dicke  der  Eisschicht, 
nach  Art  und  Menge  des  verwendeten  Spreng- 
stoffs, hatte  den  günstigsten  Erfolg.  Die  Spreng- 
stoffe müssen  mit  wasserdichten  Hülsen  versehen 
sein.  Nitroglvcerinsprengstoffe  sind  gegen  Frost- 
wirkungen zu  schützen.  Dolezalek. 

Sprengmittel  s.  Sprengarbeiten. 

Spucken  der  Lokomotive  (spray  from  fhe 
fiinncl ;  cntra'inement  d'cau  par  la  cheminee; 
scappamento  d'acqua  dal  fumainolo),  Auswerfen 
von  Wasser  aus  dem  Rauchfang. 

Das  S.  (Speien,  Priemen)  hat  zur  Folge, 
daß  durch  das  ausgeworfene  Wasser,  vermengt 
mit  Ruß  aus  der  Rauchkammer  und  dem  Rauch- 
fang, Reisende,  Fahrpersonal,  Wagen  und  Loko- 
motive beschmutzt  werden. 

Das  S.  tritt  in  der  Regel  beim  Anfahren 
(Ingangsetzen  der  Lokomotive)  ein,  oft  aber 
auch  plötzlich  während  des  Fahrens. 

Das  beim  S.  ausgeworfene  Wasser  ist  ent- 
weder Niederschlagwasser,  von  dem  an  den 
kalten  Zylinderwandungen  sich  verdichtenden 
Dampf  herrührend  (S.  beim  Anfahren),  oder 
mechanisch  aus  dem  Kessel  mitgerissenes 
Wasser  (S.  während  der  Fahrt). 

Tritt  S.  plötzlich  während  der  Fahrt  ein, 
erkennbar  für  den  Führer   durch    die  an  den 


Spucken.   -   Spur. 


121 


Fenstern  des  Führerhauses  sich  zeigenden 
schwarzen  Tropfen  und,  wenn  dies  übersehen 
wird,  durch  heftiges  Stoßen  und  Dröhnen  der 
Lokomotive.  Es  müssen  dann  die  Zylinderhähne 
sofort  geöffnet  werden;  der  Regulator  ist,  wenn 
nötig,  ganz  zu  schließen. 

Der  Lokomotivführer  wird  hierdurch  auf 
einen  für  die  Instandhaltung  nachteiligen  und 
für  die  Betriebssicherheit  selbst  gefährlichen 
Zustand  aufmerksam  gemacht,  der  darin  be- 
steht, daß  durch  das  mitgerissene,  zwischen 
ZyJinderdeckel  und  Kolben  gepreßte  Wasser 
ungemein  heftige  Stöße  hervorgerufen  werden. 

1.  S.  beim  Anfahren  ist  eine  Erschei- 
nung, die  nur  durch  Offenhalten  der  Zylinder- 
hähne während  des  Stillstands  und  zu  Be- 
ginn der  Fahrt  gemäßigt,  nie  aber  ganz  weg- 
gebracht werden  kann,  da  während  des  Still- 
stands stets  ein  Niederschlagen  des  in  den  Ein- 
strömungsrohren zurückgebliebenen  Dampfes 
und  eine  Abkühlung  der  Zylinder  eintritt, 
wodurch  während  der  ersten  Radumdre- 
hungen beim  Anfahren  das  Niederschlagen 
einer  bedeutenden  Menge  des  frisch  eintre- 
tenden  Dampfes  bewirkt  wird. 

Dieses  S.  hört  auf,  wenn  die  Zylinderwan- 
dungen eine  entsprechende  Wärme  ange- 
nommen haben. 

2.  S.  während  der  Fahrt  kann  aus 
folgenden  Ursachen  entstehen: 

a)  Plötzliche  Vergrößerung  der  Re- 
gulatoröffnung; sie  bedingt  eine  sofort 
eintretende,  wenn  auch  nicht  bedeutende 
Druckverminderung  über  dem  Wasserspiegel 
an  der  Stelle,  wo  der  Dampf  entnommen  wird, 
infolge  dessen  heftiges  Aufwallen  und  Mit- 
reißen von  Wasser. 

b)  Zu  hoher  Wasserstand  (herbeigeführt 
durch  zu  lang  dauerndes  Speisen)  verringert  den 
über  dem  Wasserspiegel  verbleibenden  Dampf- 
raum derart,  daß  die  bei  der  Dampfentwicklung 
mitgerissenen  Wasserteilchen  nicht  mehr  Zeit 
finden,  im  Dampfraum  zu  verdampfen. 

Solches  S.  kann  vermieden  werden  durch 
Abstellen  der  Injektoren,  bzw.  durch  Speisung 
des  Kessels  bis  zu  einer  Höhe,  die  der  Er- 
fahrung entspricht. 

c)  Fehlerhafte  Bauart  des  Kessels: 

a)  Zu  kleiner  Dampfraum  führt,  wie  bei  b 
erörtert,  S.  herbei;  es  muß  dann  mit  nied- 
rigem Wasserstand  gefahren  werden,  wodurch 
die  Handhabung  und  eine  größere  Anstrengung 
der  Maschine  schwierig  wird. 

|j)  Unrichtige  Anordnung  des  Regulators. 
Die  Dampfentwicklung,  mithin  das  Aufsteigen 
von  Wassertropfen,  ist  am  heftigsten  über  der 
Feuerbüchse  und  in  den  dieser  nahe  liegenden 
Teilen  der  Feuerröhren. 


Wird  der  Dom  an  diesen  Stellen  ange- 
ordnet, so  findet,  wenn  nicht  hohe  Dome  mit 
hoch  liegendem  Regulator  angebracht  sind 
oder  eine  entsprechende  Vergrößerung  des 
Kesseldurchmessers  an  dieser  Stelle  vorhanden 
ist  (Wagon  top  boiler),  stets  ein  S.  statt,  so- 
bald mit  hohem  Wasserstand  gefahren  wird. 

Die  Anordnung  des  Domes  „vorne"  ver- 
hindert (sonstige  Abmessungen  des  Kessels 
richtig  gewählt)  wirksam  das  S.,  führt  aber 
bei  langen  Röhren  zu  großem  Wasserverbrauch 
bzw.  zur  Arbeit  mit  nassem  Dampf,  weil  der 
in  der  Nähe  der  Feuerbüchse  entwickelte  Dampf, 
über  den  langen  Wasserspiegel  streichend,  auf 
dem  Weg  zum  Dom  bzw.  Regulator  eine 
nicht  unbeträchtliche  Menge  von  fein  verteiltem 
Wasser  mitreißt. 

Ein  vielfach  angewendetes  Mittel,  diesen 
Übelstand  zu  vermeiden,  ist  die  Anbringung 
von  2  miteinander  durch  ein  Kupfer-  oder 
Eisenrohr  verbundenen  Domen.  Durch  den 
hinteren  Dom  kann  der  über  der  Feuer- 
büchse sich  bildende  Dampf  zu  dem  im  vor- 
deren Dom  angebrachten  Regulator  gelangen, 
ohne  über  die  lange  Wasserfläche  streichen 
zu  müssen. 

d)   Unreines  Kesselwasser. 

a)  Wird  der  Kessel  längere  Zeit  hindurch 
nicht  gereinigt  (vom  Wasser  entleert  und 
frisch  gefüllt),  so  wird  durch  die  im  Kessel 
sich  häufenden  Verunreinigungen  des  Kessel- 
wassers (durch  Fette  u.  s.  w.)  das  Wasser  beim 
Sieden  derart  in  Wallung  gebracht,  daß  sofort 
das  S.  eintritt,  wenn  eine  gewisse  Höhe  des 
Wasserstands  überschritten  wird. 

ß)  Bei  neuen  Lokomotiven  sind  Teile  des 
fetthaltigen  Anstrichs  im  Wasserkasten  u.  s.  w., 
die  sich  ablösen  und  durch  die  Injektoren 
in  den  Kessel  gelangen,  Ursache  eines  plötz- 
lichen Aufwallens  des  Kesselwassers  und  eines 
plötzlich  eintretenden  S.  Gölsdorff. 

Spur,  Spurweite  (gaiige;  ecartement  des 
rails;  scartamento),  die  gegenseitige  Entfernung 
der  beiden  zu  einem  Gleis  gehörigen  Schienen- 
stränge senkrecht  zwischen  den  Innenkanten 
der  Schienenköpfe,  u.  zw.  nach  den  T.V.  14  nun 
unter  Schienenoberkante  gemessen. 

Der  Ursprung  der  mit  Ausnahme  von  Ruß- 
land, Spanien  und  Portugal  über  ganz  Europa 
verbreiteten  Regelspur  von  4'8|/2"  englisch 
=  1435  OTTO  ist  nicht  völlig  klar  (Haarmann, 
Das  Eisenbahngleis).  Die  erste,  mit  einer  ähn- 
lichen Spurweite  ausgeführte  Bahn  war  die  den 
Plymouthwerken  in  Merthyr-Tydfil  gehörige, 
1 800  eröffnete  Strecke  Merthyr-Tydfil-Aberdeen- 
Junction.  Die  hier  angewandten  gußeisernen 
Winkelschienen,     deren    senkrechte,    aufwärts- 


122 


Spur. 


stehende  und  nach  der  Gleismitte  zu  liegende 
Schenkel  als  Spurränder  dienten,  hatten  ein 
Lichtmaß  von  1294  und  ein  Außenmaß  von 
1 524  mm,  paßten  demnach  für  die  damaligen  eng- 
lischen Straßenfuhrwerke,  deren  Räder  4' 6" 
=  1372  mm  lichten  Abstand  besaßen.  Gibt 
man  solchen  Rädern  unter  Belassung  des 
lichten  ,\bstandes  Spurkränze  von  1"  Stärke 
und  nach  jeder  Seite  ein  Spiel  von  ^1^",  so 
ergibt  sich  eine  S.  von  4'  872"-  Georg 
Stephenson  hat  die  1825  eröffnete  Stockton- 
Darlington-Eisenbahn  mit  einer  S.  \on  A'^'^'2" 
ausgeführt. 

Die  S.  von  1435  mm  wurde  auch  für  die 
im  Jahre  1830  in  .Angriff  genommene  Eisenbahn 
Li\erpool-jManchester  sowie  bei  den  übrigen, 
von  George  und  Robert  Stephenson  gebauten 
Eisenbahnen  angenommen.  Die  anderen  eng- 
lischen Bahnhauer  nahmen  z.  T.  die  gleiche 
S.  an,  z.  T.  wählten  sie  größere  Weiten, 
hauptsächlich  im  Interesse  der  Erhöhung  der 
Leistungsähigkeit  und  Standsicherheit  der  Loko- 
motiven. So  kam  es,  daß  sich  bei  den  englischen 
Eisenbahnen  7  verschiedene  S.  fanden,  von 
denen  die  kleinste  die  Stephensonsche  mit 
4'8V2"  englisch  (^1435  mm),  die  größte  die 
Brunelsche  bei  der  Great  Western-Eisenbahn 
mit  7'  englisch   (^2134/wm)  war. 

Je  mehr  die  ursprünglich  ohne  Zusammen- 
hang gebauten  einzelnen  Linien  .Anschluß  an  ein- 
ander erhielten,  desto  mehr  wurde  das  Unzu- 
trägliche der  Verschiedenheit  der  S.  empfunden. 
Es  wurde  1845  vom  englischen  Parlament  eine 
Kommission  mit  dem  Auftrag  eingesetzt,  die 
Spurweitenfrage  zu  erörtern  und  ein  Gutachten 
darüber  abzugeben,  das  etwaigen  gesetz- 
geberischen Maßnahmen  als  Grundlage  würde 
dienen  können.  Diese  Kommission  schlug  vor, 
die  Regierung  möge  bestimmen,  alle  im  Bau 
begriffenen  und  noch  zu  bauenden  Eisenbahnen 
in  Großbritannien  mit  gleicher  S.,  u.  zw.  mit 
der  Stephensonsehen  von  4' 8^2"  englisch 
auszuführen  und  die  bereits  im  Betrieb  be- 
findlichen Eisenbahnen  mit  breiterer  S.  ent- 
weder umzubauen  oder  A\aßnahmen  zu  treffen, 
damit  die  normalspurigen  Wagen  ohne  Unter- 
brechung und  Gefahr  über  sie  laufen  können. 
Die  Notwendigkeit  einer  einheitlichen  S.  wurde 
außer  mit  den  allgemeinen  N'erkehrsinteressen 
insbesondere  mit  den  Rücksichten  auf  die  Landes- 
verteidigung begründet.  Die  Festsetzung  des 
Maßes  der  S.  auf  4'S^/2"  englisch  wurde 
nicht  deshalb  vorgeschlagen,  weil  es  als  das 
zweckmäßigste  erkannt  wurde,  sondern  weil 
zu  jener  Zeit  der  überwiegende  Teil  der  eng- 
lischen Bahnen  diese  S.  hatte.  Aus  demselben 
Grund  wurde  für  Irland  eine  größere  S.  vor- 
geschlagen.   In    Gemäßheit   dieses   Gutachtens 


wurde  im  August  1846  durch  Parlamentsakte 
bestimmt,  daß  die  S.  bei  allen  noch  zu  bauenden, 
für  Personenverkehr  bestimmten  Eisenbahnen 
in  England  mit  Ausschluß  der  Grafschaften 
Cornwallis,  Devon,  Dorset  und  Sommerset 
4'8'2"  englisch  (=  1435  mm),  in 
englisch  {=  \bOO  mm)  betragen 
bereits  vorhandenen  Eisenbahnen 
S.   wurden    allmählich,    das  Netz 


Irland  5' 3" 
sollen.  Die 
mit  anderer 
der   großen 


Westbahn  zuletzt  im  Aki  1892  auf  die  nor- 
male S.  umgebaut. 

Die  S.  von  1435  mm  wurde  in  den  meisten 
europäischen  Staaten  eingeführt,  sie  ist  seit  1886 
auch  durch  die  Berner  Vereinbarungen  festgelegt, 
und  gilt  daher  für  Mitteleuropa  als  Vollspur 
oder  Normalspur  (Regelspur).  Nach  den  Bestim- 
mungen der  Technischen  Einheit  von  1913  darf 
dieses  Maß  für  neue  oder  umgebaute  Gleise  nicht 
unterschritien,  aber  in  Krümmungen  bis  zu 
1470  mm  überschritten  werden. 

Für  die  erste  in  Deutschland  erbaute  Eisen- 
bahn mit  Dampfbetrieb  -  die  am  7.  Dezember 
1835  eröffnete  Linie  Nürnberg-Fürth  dienten 
die  in  England  erbauten  Eisenbahnen  als  Muster 
und  wurde  deshalb  auch  das  gleiche  Maß  für 
die  S.  angenommen. 

Als  in  Preußen  die  Eisenhahnfrage  zuerst 
zur  Erörterung  kam,  wurde  von  militärischer 
Seite  darauf  hingewiesen,  daß  feindliche  An- 
griffe begünstigt  würden,  wenn  die  inländischen 
Eisenbahnen  die  gleiche  S.  wie  die  ausländischen 
erhielten.  Durch  königliche  Ordre  vom  13.  Au- 
gust 1837  wurde  deshalb  das  Staatsministerium 
beauftragt,  diese  Frage  zu  prüfen.  In  dem  hierauf 
erstatteten  Bericht  sprach  das  Staatsministerium 
sich  dafür  aus,  daß  die  S.  der  in  Preußen  zu 
erbauenden  Eisenbahnen  derjenigen  der  Bahnen 
des  .Auslands,  insbesondere  Belgiens  und  Frank- 
reichs, nach  welchen  Ländern  damals  Anschlüsse 
in  Frage  standen,  gleich  gemacht  werde,  da 
sonst  die  Interessen  des  Handels  und  Verkehrs 
in  empfindlicher  Weise  geschädigt  werdan 
würden.  Durch  königliche  Ordre  vom  11.  No- 
vember 1837  wurde  infolgedessen  bestimmt, 
daß  den  Unternehmern  einer  Eisenbahn  die 
Annahme  einer  S.,  die  von  der  angrenzenden  aus- 
ländischer Eisenbahnen  abweicht,  nicht  zur 
Bedingung  gemacht  werden  solle.  Durch  das 
preußische  Eisenbahnnetz  von  1838  wurde  dann 
die  S.  von  4'  8^  ,"  gesetzlich  vorgeschrieben. 
Wegen  Unter-  und  Überschreitungen  s.  Spur- 
erweiterung. 

Für  schmalspurige  Neben-  und  Kleinbahnen 
ist  nach  der  Betriebsordnung,  §  9,  nur  eine  Spur 
von  1000  oder  750  mm  zulässig.  Es  finden 
sich  aber  noch  aus  älterer  Zeit  Bahnen  mit 
600  mm  S.  (1913  etwa  bOO  km)  in  Pommern 
und   Posen,   785mm   S.   (1913   etwa    160  Am) 


Spur. 


123 


in  Oberschlesien  (das  Maß  7S5  mm  ist  aus 
2'  6"  rheinländisch  entstanden),  daneben  auch 
noch  einzelne  Bahnen  mit  abweichenden  Spuren, 
z.B.  720,  800,  900,  915,  WQQ  mm.  Baubahnen 
haben  in  Deutschland  fast  ausschließlich  600 
oder  900  mm  Spur.  Schmalspurige  Werkbahnen 
haben  S.  von  600,  750,  1000  mm,  doch  finden 
sich  hier  vielfache  Abweichungen. 

Größere  S.  als  Regelspur  weisen  nur  einige 
Straßenbahnen  auf  (Danzig,  Dresden,  Hannover, 
Leipzig,  München). 

Dem  preußischen  Beispiel  folgten  auch  die 
übrigen  deutschen  Staaten  mit  Ausnahme  von 
Baden,  wo  zuerst  -  bei  Mannheim-Basel  - 
eine  S.  von  5''Y  englisch  {=  1600/«/«)  zur 
Anwendung  kam.  Die  aus  der  Anwendung 
dieser  abweichenden  S.  für  den  durchgehenden 
Verkehr  entstandenen  Schwierigkeiten  veran- 
laßten  den  Umbau  der  mit  derselben  gebauten 
Strecken  auf  die  S.  von  1435/«/«,  der  im  Jahre 
1 S54  55  stattfand  (s.  Art.  Badische  Staatsbahnen). 

InÖsterreich- Ungarn  kam  bei  allen  Haupt- 
bahnen die  Regelspur  zur  Anwendung,  für 
Nebenbahnen,  aber  auch  das  große  bosnische 
Netz,  die  niederösterreichischen  Landesbahnen 
u.  a.  m.  760  mm. 

In  Frankreich  und  Italien  wurde  ebenfalls 
die  Regelspur  von  vornherein  zur  Anwendung 
gebracht;  man  nahm  jedoch  zuerst  als  Leitmaß 
nicht  die  Entfernung  zwischen  den  Innenkanten 
der  Schienenköpfe,  sondern  das  Maß  zwischen 
den  Mitten  der  beiden  Schienen  und  bestimmte 
es  zu  1500/«/«.  Hierdurch  ergab  sich  je  nach 
der  Dicke  des  Schienenkopfs  eine  verschiedene 
S.  Später  wurde  in  den  Konzessionen  der  Eisen- 
bahngesellschaften zu  gründe  gelegten  Bau- 
bedingungen für  die  S.  das  Maß  von  1440  bis 
1 450////«  vorgeschrieben.  DieS.derfranzösischen 
Eisenbahnen  weicht  demnach  von  der  Regelspur 
zwar  etwas  ab,  es  ergeben  sich  jedoch  beim 
Durchgang  der  Fahrzeuge  infolge  des  un- 
bedeutenden Unterschieds  keine  Anstände. 

Die  französischen  Provinzialbahnen  sind  fast 
ausschließlich  mit  1000/«/«  S.  ausgeführt.  In 
Italien  findet  1000/«/«  S.  hauptsächlich  nur 
für  elektrische  Straßenbahnen  Anwendung,  da- 
gegen werden  die  Nebenbahnnetze  fast  aus- 
schließlich mit  930/«/«  S.  (eingeführt  1S83  bei 
der  Bahn  Sassuolo-Mirandola)  gebaut.  Das  Sar- 
dinische Bahnnetz  hat  übrigens  954  mm  S.  Zu- 
gelassen, aber  nicht  angewendet  ist  für 
italienische  Kleinbahnen  auch  700  mm  S. 

In  den  Niederlanden  wurden  die  hollän- 
dische sowie  die  Rheineisenbahn  mit  einer  S. 
von  1 930  mm  angelegt,  später  aber  auf  die  Regel- 
spur umgebaut.  Die  übrigen  Eisenbahnen  der 
Niederlande  wurden  von  vornherein  mit  der 
letzteren  S.  hergestellt.  Die  zahlreichen  Straßen- 


bahnen   (meist   Dampfbetrieb)   weisen    S.    von 
1067,   1000  und  750  auf. 

In  der  Schweiz  wurde  zwar  die  Strecke 
Zürich-Baden  in  Breitspur  hergestellt,  aber  bald 
auf  Regelspur  umgebaut.  Alle  Hauptbahnen 
wurden  dann  nur  mit  dieser  ausgeführt.  Das 
Rhätische  Bahnnetz  ist  schmalspurig. 

In  Dänemark  haben  alle  Hauptbahnen  die 
Regelspur  erhalten,  desgleichen  in  Belgien. 
Schmalspurbahnen  weisen  in  beiden  Ländern 
fast  ausnahmslos   1 000  mm  S.  auf. 

In  Norwegen  wurden  die  Hauptbahnen 
teils  mit  1435/«/«,  teils  mit  \Qb7  mm.  S.  aus- 
geführt, doch  sind  in  den  Jahren  1898-  1915 
verschiedene  größere  Linien  von  letzterer  auf 
Regelspur  umgebaut  worden. 

Schweden  hat  für  Hauptbahnen  stets  die 
Regeispur  verwendet.  Eine  große  Anzahl  Klein- 
bahnen ist  jedoch  mit  891  mm  S.    ausgeführt. 

In  Rußland  wurde  die  erste  Eisenbahn  — 
die  am  30.  Oktober  1S3S  eröffnete,  27  km  lange 
Linie  St.  Petersburg-Zarskoje  Selo  -  mit  einer 
S.  von  6'  englisch  (=1829/«/«)  ausgeführt. 
Der  Leiter  dieses  Bahnbaues,  der  österreichische 
Ingenieur  v.  Gerstner,  wählte  diese  große  S.,  weil 
bei  ihr  leistungsfähigere  und  standfestere  Loko- 
motiven gebaut  werden  konnten  und  auch  für  die 
Wagen  ein  günstigeres  Verhältnis  der  Nutz- 
zur  toten  Last  sich  erzielen  ließ.  Als  im  Jahre 
1842  der  Bau  der  zweiten  russischen  Eisen- 
bahn -  der  Linie  St.  Petersburg-Moskau  (Nico- 
laibahn) —  in  Angriff  genommen  wurde,  beab- 
sichtigte der  vom  Zaren  Nikolaus  mit  der  oberen 
Bauleitung  betraute  Ausschuß,  auch  diese  Bahn 
mit  der  bei  der  Zarskoje  Seloer  Eisenbahn  zur 
Anwendung  gekommenen  großen  S.  auszuführen. 
Diesem  widersetzte  sich  aber  der  für  den  Bau 
der  Nicolaibahn  als  „beratender  Ingenieur" 
vom  Zaren  berufene  amerikanische  Major 
Whistler.  Er  war  ebenfalls  der  Ansicht,  daß  die 
Stephensonsche  S.  zu  klein  sei,  um  dabei 
genügend  leistungsfähige  und  standfeste  Lo- 
komotiven bauen  zu  können,  er  hielt  aber  eine 
so  bedeutende  Vergrößerung,  wie  sie  von 
Gerstner  angenommen  wurde,  nicht  für  nötig 
und  wegen  der  dadurch  hervorgerufenen  Ver- 
teuerung der  gesamten  Bahnanlage  auch  nicht 
für  zweckmäßig. 

Auf  Whistlers  Rat  wurde  demnach  die  S. 
der  Nicolaibahn  auf  5'  englisch  (=  \  524  mm) 
festgesetzt.  Dieses  Maß  wurde  demnächst  als 
russische  Regelspur  beibehalten,  mit  der  der 
überwiegende  Teil  der  russischen  Eisenbahnen, 
einschließlich  der  transkaspischen  und  sibirischen 
Strecke,  gebaut  worden  ist.  Abweichende  S. 
haben  außer  der  erwähnten  Zarskoje-Seloer 
Eisenbahn  nur  die  im  Jahre  1843  auf  Staats- 
kosten in  Angriff  genommenen,  später  an  Privat- 


124 


Spur. 


gesellschaften  abgegebenen  Linien  der  War- 
schau-Wiener Eisenbahn,  die  mit  der  Regel- 
spur (1435/ra/«)  gebaut  sind.  Schon  1913  waren 
Mittel  für  den  Umbau  dieser  Strecken  auf 
russische  Regelspur  bewilligt.  Zum  Umbau  ist 
es  jedoch  des  Krieges  wegen  nicht  mehr  ge- 
kommen. 

Für  die  großen  Netze  der  „Zufuhrbahnen" 
ist  eine  S.  von  750  mm  angenommen  worden. 

In  Spanien  wurde  1844  durch  königliche 
Verordnung  eine  Ingenieurkommission  einge- 
setzt, um  Vorschläge  über  die  S.  der  zukünftigen 
Bahnen  zu  machen.  Am  20.  Januar  1845  wurde 
von  ihr  als  S.  vorgeschlagen:  6  kastilianische 
Fuß  (d.  s.  1671-6,  also  rd.  1672  mm),  „weil 
man  bei  dieser  S.  Lokomotiven  bauen  könne, 
die  eine  genügende  Menge  Dampf  erzeugen, 
um  bei  gleicher  Last  schneller  zu  fahren  als 
bei   1435  mm  S.". 

Angewendet  wurde  diese  S.  gleich  bei  der 
ersten,  1848  in  Spanien  eröffneten  Eisenbahn 
von  Barcelona  nach  Mataro.  Sie  ist  auch  für 
alle  großen  spanischen  Bahnnetze  beibehalten 
worden.  Doch  schwanken  in  den  amtlichen 
neueren  Angaben  die  Maße  zwischen  1670 
und  1672  mm.  Das  englische  Maß  von  5'6" 
(^  1676  mm)  ist  also  in  Spanien  nicht  zur 
Einführung  gekommen,  mit  .Ausnahme 
von  Engländern  gebauten  Algecirasbahn. 

Für  Provinzialbahnnetze  ist  allgemein 
S.  von  1000  mm  verwendet  worden.  Es  kommt 
allerdings  auch  die  Regelspur  von  1435  mm  in 
Spanien  bei  der  kleinen  Bahn  Langreo-Gijon  vor. 

Auch  Portugal  hat  die  spanische  S.  ange- 
nommen, daneben  aber  auch   1000  mm. 

In  Nordamerika  wurden  die  ersten,  ohne 
Zusammenhang  miteinander  gebauten  Eisen- 
bahnen ebenfalls  mit  verschiedenen  S.  aus- 
geführt. .Auch  hier  erschien  beim  Beginn  des 
Bahnbaues  vielen  Ingenieuren  die  Stephenson- 
sche  S.  zu  klein.  Die  New  York-Lake  Erie-Bahn 
erhielt  6'  englisch  (=1829  mm),  andere  Bahnen 
5'6",  wieder  andere  5'3"  und  ähnliche  Maße; 
am  meisten  aber  wurde  neben  der  Stephenson- 
schen  die  von  5'  englisch  (^1524/«/«)  an- 
gewendet. Diese  letztere  S.  war  besonders  in 
den  Südstaaten  verbreitet.  Mit  dem  fortschrei- 
tenden Zusammenschluß  der  ursprünglich 
vereinzelt  hergestellten  Bahnlinien  und  der  zu- 
nehmenden Bedeutung  des  durchgehenden 
Verkehrs  machte  sich  auch  das  Bedürfnis  nach 
einer  einheitlichen  S.  mehr  und  mehr  geltend. 
Um  die  Herstellung  einer  solchen  tunlichst  zu 
erleichtern,  wurde  zwischen  den  verschiedenen 
Verwaltungen  die  Einführung  einer  „Vermitt- 
lungsspurweite" (compromise  gauge)  von  4'9" 
englisch  (=144S/«ot)  vereinbart,  auf  die  die 
Bahnen  mit  abweichender  S.  umgebaut  wurden. 


der 


die 


In  der  Zeit  vom  31.  Mai  bis  2.  Juni  1866  wurde 
in  den  Südstaaten  ein  zusammenhängendes 
Netz  von  etwa  22.500  km  Eisenbahnen  auf 
die  Vermittlungsspur  umgebaut,  womit  die 
einheitliche  Gestaltung  der  S.  für  die  Haupt- 
bahnen der  Vereinigten  Staaten  im  wesentlichen 
durchgeführt  war.  Einzelne  Eisenbahnen,  wie  die 
Denver-  und  Rio  Grande-Bahn  (s.  d.),  waren 
ursprünglich  mit  einer  S.  von  3'  (=914/72/«) 
gebaut.  Sie  sind  nach  und  nach  teils  völlig 
umgebaut,  teils  mit  einer  dritten  Schiene  für 
den  Durchgang  normalspuriger  Betriebsmittel 
versehen  worden. 

In  Mittelamerika  sind  die  mexikanischen 
Bahnen  in  Voraussicht  des  inzwischen  längst 
erfolgten  Anschlusses  an  das  Netz  der  Vereinigten 
Staaten  zum  allergrößten  Teil  in  Regelspur 
angelegt.  Doch  kommt  auch  die  S.  von  3'  englisch 
(=91 4mm),  z.  B.  bei  der  Interozeanischen  Eisen- 
bahn (\700km  Strecke)  vor.  Nicaragua  und  Co- 
starica besitzen  3'6"  englisch  (=:  1067 /K/ra),  San 
Salvador,  Guatemala  und  Honduras  3'  englisch 
{=  914  mm).  Die  Panamaeisenbahn  ist  die 
einzige  amerikanische  Eisenbahn,  die  noch  5' 
englisch  (=  1 524  mm)  S.  besitzt. 

In  Westindien  weisen  Cuba,  Jamaica  und 
Trinidad  Regelspur,  Portorico  1000  mm,  San 
Domingo  \0b7  mm  und  762  mm  und  Barbados 
762  mm  S.  auf. 

In  Venezuela  ist  als  Regelspur  die  von 
3'6"  englisch  {=  1067  mm)  angenommen 
worden.  Es  hat  aber  auch  die  S.  von  914 
und  b\0  mm  Anwendung  gefunden. 

In  Brasilien  wurden  die  ersten  Eisenbahnen 
mit  1600  mm  (5'3")  S.  gebaut,  die  späteren 
z.  T.  auch  mit  1000  mm.  Außerdem  kamen 
aber  auch  verschiedene  andere  S.  (1400,  1360, 
1210,  1100,  1067,  760  und  600  mm)  vor.  Es 
erklärt  sich  dies  dadurch,  daß  eine  große 
Anzahl  der  Bahnen  Nord-  und  Mittelbrasiliens 
ohne  Verbindung  miteinander  sind. 

In  den  La  Plata- Staaten  sind  verschiedene 
S.  zur  Anwendung  gekommen,  u.  zw.  eine 
Breitspur  von  \67 6  mm  (5'6"),  die  Regelspur 
von  1435//////  und  in  ausgedehntem  A\aße 
\000  mm,  letztere  namentlich  für  die  langen 
Gebirgsstrecken,  die  den  .Anschluß  nach  Chile 
und  Bolivia  bilden. 

Chile  hat  für  sein  Hauptbahnnetz  wie  Ar- 
gentinien 1676 //////  S.,  für  Nebenbahnen  und 
Gebirgsbahnen  (so  besonders  für  die  Transan- 
denbahn) 1000  mm  in  Anwendung  genommen. 
Nur  wenige  kleine  unabhängige  Netze  weisen 
762  mm  S.  auf. 

Die  Bahnen  in  Bolivia  weisen  1000/////?  S., 
diejenigen  in  Peru  größtenteils  1435//////  S.  auf. 

In  der  asiatischen  Türkei  beträgt  die  S. 
durchweg  1435//////,  in  Syrien  (Damas-Hama- 


Spur. 


125 


und  Hedschasbahn)  1050//;//;,  doch  hat  Jaffa- 
Jerusalem   1000 /«/«  S. 

In  Ostindien,  ebenso  auf  Ceylon  sind 
die  älteren  großen  Bahnnetze  durchweg  mit 
Breitspur  von  5'6"  (^  1676  mm)  gebaut,  doch 
wird  seit  mehreren  Jahrzehnten  für  nicht  un- 
bedeutende Bahnnetze  die  S.  von  1000  mm 
(3'33/g"  englisch)  angewendet.  Diese  S.  besitzen 
auch  alle  Bahnen  in  Englisch-Hinterindien. 
Vereinzelt  kommen  in  Ostindien  762  mm  und 
6 1  0  mm  S.  vor. 

Slam  hat  2  Bahnnetze,  das  nördliche  mit 
Regelspur,  das  südliche  mit  1 000  mm  S. 

Bei  den  Eisenbahnen  auf  Java  ist  die 
normale  S.  lObl  mm;  nur  die  älteste,  im  Jahre 
1864  gebaute  Linie  Samarang-Djokiakarta 
hat  die  Regelspur.  Für  die  zahlreichen  Plan- 
tagenbahnen kommt  außer  600  mm  auch 
700  mm  S.  häufig  vor. 

In  Japan  herrscht,  abgesehen  von  kleinen 
unbedeutenden  Bahnlinien,  durchweg  die  S. 
von  1067/«/«  vor,  doch  ist  ein  Umbau  des 
Staatsbahnnetzes  auf  Regelspur  beabsichtigt. 

In  China  findet  nur  die  Regelspur  Anwen- 
dung. Eine  Ausnahme  machte  die  von  Russen 
gebaute  ostchinesische  Eisenbahn,  die  ur- 
sprünglich mit  russischer  S.  (1524/«/«)  gebaut, 
während  des  russisch-japanischen  Krieges  teil- 
weise auf  1067,  nach  dem  Krieg  aber 
im  Anschluß  an  das  koreanische  Netz  auf 
1435/«/«   umgebaut  wurde. 

In  Afrika  erhielt  die  erste  Eisenbahn 
Alexandrien-Cairo  1856  die  Regelspur;  diese 
hat  aber  in  Afrika,  abgesehen  von  Ägypten, 
nur  noch  in  Algier  und  auf  Mauritius  Anwendung 
gefunden.  Die  Fortsetzung  der  ägyptischen 
Bahnen  nach  dem  Sudan  sind  durchweg  mit 
3'6"  (=  1067////«)  S.  ausgeführt,  während  das 
große  Netz  der  Deltabahn  in  Ägypten  nur 
750  mm  S.  aufweist. 

In  Algier  sind  die  größeren  Bahnnetze 
teils  in  Regelspur,  teils  mit  1000/«/«  S.  aus- 
geführt, dasoranische  Netz  jedoch  mit  1050/«/«; 
Tunis  dagegen  weist  durchweg  1000/«/«S.  auf. 

In  Südafrika  wurde  zwar  die  erste  kurze 
Eisenbahnlinie  im  Jahre  1864  mit  Regelspur 
ausgeführt.  Diese  S.  fand  jedoch  kerne  weitere 
Anwendung.  Alle  weiteren  Bahnbauten  wurden 
mit  3'6"  (=  1067  /«/«),  Kapspur  genannt, 
gebaut.  Die  Kapspur  weisen  auch  alle  an  die 
südafrikanischen  Netze  schon  jetzt  oder  vor- 
aussichtlich später  anschließenden  Bahnen  auf; 
so  z.  B.  die  Linien  in  Rhodesia,  Maschonaland, 
Angola,  Nyassa,  iVlozambique  u.  s.  w. 

Immittleren  Afrika  ist  in  den  französischen 
Besitzungen,  auch  in  IVladagaskar,  durchweg 
die  S.  von  1 000  mm  zur  Anwendung  gekommen, 
ebenso  in  Kamerun,   Deutsch-Ostafrika,  Abes- 


sinien  und  auch  Britisch-Ostafrika  (LIgandabahn), 
doch  hat  die  Goldküste  1067  /«/«,  Sierra  Leone 
762  /«/«  und  Nigerien  1067  und  762  mm  S.  Die 
italienischen  Kolonien  Erythräa  und  Tripolis 
haben  wie  Sizilien  950  mm,  die  Kongobahn 
765  /«/«  S. 

In  Deutsch-Südwestafrika  wurde  die 
erste  Eisenbahn  von  Swakopmund  nach  Wind- 
huk  und  auch  die  Otavibahn  mit  600  /«/« 
S.  angelegt,  Letztere  Bahn  hat  die  S.  bei- 
behalten. Auf  der  ersteren  Strecke  ist  jedoch 
die  S.  im  Jahre  1911  auf  1Ü67 /«/«  umgebaut. 
Die  südlichen  Bahnen  Deutsch-Südwestafrikas 
sind  von  vornherein  mit  1067  /«/«S.  ausgeführt. 

In  Australien  herrscht  große  Verschieden- 
heit bezüglich  der  S.  Neusüdwales  hat  fast 
durchweg  1435/«/«,  Victoria  1600/«/«,  Süd- 
australien 1600  und  1067  mm,  Queensland 
und  Westaustralien  1067  /«/«.  Letztere  S. 
besitzen  auch  Neuseeland  und  Tasmania. 

Nachdem  allmählich  die  früher  durch  weite 
Strecken  getrennten  Netze  in  Verbindung 
kommen,  machen  sich  die  verschiedenen  S.  un- 
angenehm bemerkbar  und  es  bestehen  seit 
einigen  Jahren  starke  Bestrebungen,  für  ganz 
Australien  eine  Regelspur  einzuführen.  Ver- 
mutlich wird  dies  die  S.  von  4'8V2"  werden. 

Die  Verteilung  der  S.  auf  die  einzelnen 
Weltteile  gibt  nachstehende  Obersicht: 


Vollspur 

Breitspur 

Schmalspur 

km       i   % 

km      1   % 

km      <a> 

Europa     .    . 

220.026 

71 

67.525 

22 

21.215 

7 

Nordamerika 

376.741 

98 

80 

— 

8.373 

2 

Südamerika  . 

5.934 

14 

14.745 

36 

20.212 

50 

.^sien     .    .    . 

6.005 

7 

34.527 

43 

40.042 

50 

Afrika  .    .    . 

4.830 

17 

_ 

_ 

23.752 

83 

Australien    . 

5.454 

20 

6.290 

22 

15.939 

58 

Der  Anteil  der  einzelnen  S.  an  der  Gesamt- 


summe ist  folgender: 

1676  =  5' 6"  ....  53.220  Ä/«  . 

1600=  5'3"  ....  12.650  „  . 

1524  =  5' 57.300  „  . 

1435  =  VolIspur     .    .  618.990  „  . 

1067  =  3'6"  ....  52.310  „  . 

1000  =  3'33/g"  (1  /«)  54.520  „  . 

Unter  1  /« 22.700  „  . 


.     6% 

1V2% 

.  7% 
■  71% 
-  6% 
.     6% 

2V2% 


Zusammen 


87 1 .690  km 


Ober  die  Wirtschaftlichkeit  der  Schmalspur- 
bahnen (s.  d.). 

Literatur:  Haar  mann,  Das  Eisenbahngleis. 
Ztg.  d.  VDEV.  1892,  S.  429.  -  Betriebsordnung  der 
Eisenbahnen  Deutschlands.  -  Arch.  f.  Ebw.  1904.  - 
Organ  1914.  -  Matschoss,  Beiträge  zur  Geschichte 
der  Technik  und  Industrie,  Bd.  VII.  -  Dr.  Keller, 
Die  Spurweite  der  Eisenbahnen  und  der  Kampf  um 
die  Spurweite.  Metzelt/n. 


126 


Spurerweiterung. 


Spurerweiterung  (widening  of  flie  gange, 
slacking  of  the  gonge;  stirecartement  de  la 
voie,  clargisseinent  de  la  voie;  allargamento 
dello  scartamento),  die  Vergrößerun.ü;  der  Spur- 
weite bei  Eisenbahngleisen  in  schärferen  Krüm- 
mungen. Diese  Vergrößerung  ist  erforder- 
lich, damit  die  Eisenbahnfahrzeuge  trotz  der 
unverrückbaren  Stellung  der  Achsen  zuein- 
ander die  Krümmungen  leichter  durchlaufen 
können.  Bei  der  großen  Verschiedenheit  des 
Radstandes  der  Fahrzeuge  und  bei  der  Un- 
gleichheit des  innerhalb  zulässiger  Grenzen 
schwankenden  Spielraums  zwischen  Schiene  und 
Radreifen  (je  nachdem  dieser  noch  neu  oder 
schon  mehr  oder  weniger  ausgelaufen  ist)  kann 
man  für  eine  gegebene  Krümmung  ein  be- 
stimmtes, für  alle  Fälle  als  das  günstigste  zu 
bezeichnendes  Maß  für  die  S.  nicht  angeben. 
Eine  zu  knapp  bemessene  S.  bewirkt  bei  Fahr- 
zeugen mit  langem  Radstand,  besonders  bei 
mehrachsigen,  leicht  ein  Einklemmen  der  Spur- 
kränze, während  ein  reichlich  bemessener  Spiel- 
raum einen  unruhigen  Gang  der  Fahrzeuge 
und  eine  stärkere  Abnutzung  der  Schienen  und 
Spurkränze  herbeiführt. 

Bei  Begründung  der  Notwendigkeit  der 
S.  und  bei  Ermittlung  einer  Formel  für  ihre 
Größe  geht  man  in  der  Regel  von  der  An- 
nahme aus,  daß  jeder  Radsatz  eines  steifachsigen 
Fahrzeugs  das  Bestreben  hat,  sich  in  jedem 
Augenblick  rechtwinklig  zu  seiner  Achse  fort- 
zubewegen, und  daß  daher  die  Vorderachsen 
solcher  Fahrzeuge  gegen  den  äußeren  Schienen- 
strang der  Gleisbogen  anlaufen  und  die  Hinter- 
achsen sich  von  diesen  so  weit  zu  entfernen 
trachten,  bis  sie  in  der  Richtung  des  Bogen- 
halbmessers  stehen. 

Diese  naturgemäße  Stellung  der  Fahrzeuge 
würde  jedoch,  zumal  in  schärferen  Bogen,  eine 
derart  große  S.  erfordern,  daß  unter  Umständen 
je  ein  Radreifen  eines  Radsatzes  das  Auflager 
auf  der  zugehörigen  Schiene  verlieren  könnte. 
Demzufolge  wird  die  S.,  über  deren  unbedingte 
Notwendigkeit  und  zweckmäßigste  Bemessung 
die  Anschauungen  auch  heute  noch  nicht  voll- 
ständig geklärt  sind,  von  den  einzelnen  Bahn- 
verwaltungen auf  Grund  versuchsweiser  Er- 
hebungen und  z.  T.  daraus  abgeleiteter  Er- 
fahrungsformeln verschieden  bemessen. 

Die  Bestimmungen  des  Schlußprotokolls  der 
111.  Internationalen  Konferenz  zu  Bern  vom 
18.  Mai  1Q07,  betreffend  die  technische  Einheit 
im  Eisenbahnwesen,  die  T.V.  über  den  Bau 
und  die  Betriebseinrichtungen  der  Haupt-  und 
Nebenbahnen  von  190Q  und  die  deutsche 
Eisenbahn-Bau-  und  Betriebsordnung  von  1904 
bestimmen  nahezu  gleichlautend,  daß  die  Spur- 
weite vollspuriger  Bahnen  zwischen  den  Fahr- 


kanten, u.zw.  \A  mm  unter  Schienenoberkante 
gemessen,  in  geraden  Gleisen  1435  mm  zu 
betragen  habe  und  in  Krümmungen  von 
weniger  als  500  m  Halbmesser  angemessen, 
u.  zw.  derart  zu  vergrößern  sei,  daß  diese  Ver- 
größerung bei  Halbmessern  bis  300  m  30  mm, 
bei  kleineren  Halbmessern  35  mm  nicht  über- 
schreiten dürfe.  Als  Folge  des  Betriebs  sind 
Verengerungen  der  vorgeschriebenen  Spurweite 
bis  3  mm  und  Überweiterungen  bis  10  mm 
jedoch  unter  Festhaltung  vorangegebener 
Höchstmaße  für  die  Gleiskrümmungen  zulässig. 
Diese  Höchstmaße  sind  derart  ermittelt,  daß 
im  Hinblick  auf  die  für  Radsatz,  Radreifen 
und  Spurkranz  vorgeschriebenen  Abmessungen 
und  zugelassenen  Abweichungen  hiervon  bzw. 
Abnutzungen  stets  noch  ein  genügendes  Auf- 
lager für  die  Radreifen  auf  den  Schienen  er- 
übrigt. 

Von  verschiedenen  Bahnverwaltungen  tat- 
sächlich angewendete  S.  sind  in  nachstehender 
Zusammenstellung  angeführt. 

Da  beim  Durchfahren  der  Krümmungen  die 
Innenkante  des  äußeren  Schienenstrangs  die 
Leitlinie  für  die  Spurkränze  der  Fahrzeuge 
bildet,  so  beläßt  man  diese  zweckmäßiger- 
weise in  ihrer  normalen  Lage  und  bildet  die 
S.  durch  Verrücken  des  inneren  Schienenstrangs 
nach  dem  Mittelpunkt  zu.  Dabei  ist  für  den 
allmählichen  Übergang  der  erweiterten  auf 
die  Regelspur  (Spurerweiterungseinlauf)  zweck- 
mäßig Sorge  getragen,  wenn  er  stetig  auf  den 
Bereich  der  Übergangsbogen  (s.  d.)  ausgedehnt 
wird.  Bei  Krümmungen  ohne  Übergangsbogen 
wird  die  S.  zumeist  derart  ausgebildet,  daß 
ihr  Beginn  in  die  Gerade  fällt  und  am  .An- 
fang des  Hauptbogens  der  volle  Wert  erreicht 
ist.  Bemerkt  sei,  daß  in  der  Regel  auch  in 
den  Weichen  eine  S.  durchgeführt  wird,  u.  zw. 
schwanken  bei  vollspurigen  Weichen  die  be- 
treffenden Maße  an  der  Zungenspitze  zwischen 
5  und  20  mm,  an  der  Zungenwurzel  zwischen 
5  und  25  mm;  sehr  häufig  werden  diese  Werte 
zu  10  bzw.  \5  mm  angenommen.  In  Weichen- 
bogen wird  aus  konstruktiven  Gründen  ge- 
wöhnlich ein  gegenüber  gleich  scharfen  Krüm- 
mungen der  freien  Strecke  auf  etwa  -3  ver- 
mindertes Spurerweiterungsniaß  angewandt. 
Bei  in  Hauptgleisen  liegenden  Weichen  können 
infolge  des  Betriebs  entstehende  Überweite- 
rungen bzw.  Verengerungen  der  für  den  ge- 
krümmten Strang  festgesetzten  Spurmaße  unter 
10  bzw.  5  mm  (bei  Weichen  in  Nebengleisen 
unter  15  bzw.  ömm)  als  noch  zulässig  angesehen 
werden,  während  für  den  geraden  Strang  die 
zulässigen  Abweichungen  in  der  Spurweite 
nach  den  für  das  Gleis  der  freien  Strecke 
geltenden  Bestimmungen  bemessen  werden. 


Spurerweiterung. 


127 


T3    (U 


Verwaltuns 


Gleisbogen  mit  Halbmessern  (in  m)  von 


1500  1000  900  I  SOG    700    600    500    400    300  I  250    200    150  I  100     90      80     70  I  60      50 


erhalten  an  Spuierweiterung  in  mm 


Vollspurige  Hauptbahnen: 


Bayerische  Staatsbahnen  ' 
Bayerische  Staatsbahnen - 
Preußische  Staatsbahnen  . 
Sächsische  Staatsbahnen   . 
Österreichische  Staatsbahnen 

Südbahn  

Ungarische  Staatsbahnen  . 
Holländische  Eisenbahnen 
Schweizer  Bundesbahnen  . 
Belgische  Staatsbahnen  .  . 
Paris-Lyon-Mittelmeer-Bahn  ^ 
Schwedische  Staatsbahnen  . 
Italienische  Staatsbahnen  .  . 
Spanische  Nordbahn  .  . 
New  York  Central  and  Hudson 
River  R\:* 


— 

_ 

3 

6 

9 

12 

16 

_ 

_ 

4 

4 

8 

12 

16 

— 

— 

— 

3 

6 

9 

12 

7 

4 

8 

12 

12 

12 

16 

20 

4 

8 

12 

12 

12 

16 

16 

10 

10 

10 

10 

10 

10 

10 

_ 

— 

_ 

3 

6 

9 

12 

— 

— 

- 

10 

10 

10 

10 

— 

— 

5 

5 

6 

6 
7 

— 

— 

— 

— 

5 

10 

_ 

3 

3 

4 

4 

5 

5-5 

25  bei  /?r"300/re    - 

24  bei  Rf^300m    - 
18;21  |24|27;30    - 

25  30   bei  R<_li^m 
30   bei  /?r"300OT 
24   bei  /?;"300ot 
bei  /?r-40Ö/n 
R^bmm\  - 
bei  7?  ;-•  400  OT 

10 

6 

13 


10    10    20 
6     6     6 

15  bei/?<25üm 
15  bei  /?<350/n 
bei  /? ;:;  400  OT  I  - 


7    10    11  :  13 


Bahnen   mit   Spurweiten   von 


Nordhausen -Wernigerode  . 
Österreichische  Eisenbahnen 
Schweizerische  Eisenbahnen 
Sumatra 


- 

6 

6 

6 

6 

-  4 

-  4 
6    12 

1  m 

6 
16 
12 
18 


9;     9 

16  120 
16120 


12  15  bei  Rz'  90  m 
25  bei  R  f^  \0Q  m  '  - 
24  bei  R^lOQm 


24  bei  /?  5  200  OT  I 


Bahnen   mit  Spurweiten  von  0'75  ot  und  076/«: 


Sächsische  Eisenbahnen    .    . 
Österreichische  Eisenbahnen 
Bosnisch-Hercegovinische 
Landesbahnen 




_ 

_ 

— 

_ 

— 

— 

— 

5 

5 

10 

10 

15 

15  120 

201 

- 

- 

- 

— 

- 

- 

4 

4 

8 

8 

12 

16 

20  bei  R^WOm 

1             1                          1 

- 

1 

1 

1 

2 

2 

2 

3 

4 

4 

6 

9 

10 

1 1    13 

15 

20 


18 


'  Für  Holzquerschwellenoberbau. 

-  Für  Eisenquerschwellenoberbau. 

'  In  Frankreich  weist  schon  das  gerade  Gleis  insoferne  eine  Erweiterung  gegenüber  der 
Vollspur  auf,  als  die  Spurweite  in  der  Regel  zwischen  1-44  und  1-45  m  liegt,  so  daß  in  den 
Krümmungen  weitere  Spurvergrößerungen  in  engen  Grenzen  gehalten  werden  können.  Die 
französischen  Staatsbahnen  wenden  überhaupt  keine  Spurerweiterung  an. 

■•  In  Amerika  liegen  ähnliche  Verhältnisse  vor  wie  in  Frankreich.  Außerdem  verkehren  fast 
ausschließlich  Wagen  mit  Drehgestellen,  so  daß  der  feste  Radstand  stets  sehr  kurz  ist. 


Hinsichtlich  der  Lokalbahnen  bestimmen 
die  Grundzüge  für  den  Bau  und  Betrieb  derselben 
(1909)  gleichfalls  bloß,  daß  in  scharfen  Krüm- 
mungen die  Spurweite,  so\T-eit  dies  die  Breite 
der  Radreifen,  der  Zahnstange  und  der  Spur- 
rinne zulassen,  ancremessen  zu  vergrößern  ist. 
Doch  darf  diese  Vergrößerung  unter  Einrechnung 
der  größten  infolge  des  Betriebs  zulässigen 
Spurüberweiterung  von  10  mm  bei  vollspurigen 
Gleisen  35  mm,  bei  schmalspurigen  Gleisen  von 
1000 /rem  Spurweite  25  mm,  bei  solchen  von 
750  mm  20  mm  und  bei  Kleinbahnen  von 
bOO  mm  Spurweite  \S  mm  nicht  überschreiten. 
Über  die  bei  einzelnen  Schmalspurbahnen 
übliche  Bemessung  der  S.  gibt  die  obenstehende 
Zusammenstellung  Aufschluß  (s.  auch  Schmal- 
spurbahnen). Für  die  Ausführung  der  S.  sowie 
die  in  Weichen  zu  wählende  Größe  gelten  die 
gleichen  Grundsätze  wie  bei  Hauptbahnen. 

FürZahnstangenbahnensetzen  die  vorhin 
erwähnten  Grundzüge  fest,  daß  die  in  Krüm- 


mungen anzuordnende  S.  nur  durch  V^erschieben 
des  inneren  Stranges  nach  dem  Krümmungs- 
mittelpunkt zu  auszubilden  und  mit  Rücksicht 
auf  die  Gewährleistung  eines  sicheren  Eingriffs 
des  Zahnrads  in  die  Zahnstange  mit  höchstens 
\4mm  zu  bemessen  sei.  Demgegenüber  hat 
Abt  bei  seinen  neueren  Bahnen  in  der  Schweiz 
die  S.  bei  Krümmungen  mit  einem  Halbmesser 
von  500  -  350  m  mit  7  mm,  bei  solchen  mit 
einem  Halbmesser  von  349  —  250  m  mit  1 4  mm 
und  bei  Halbmessern  unter  250  m  mit  21  mm 
ausgeführt,  u.  zw.  erreichte  er  die  erst  ange- 
gebene S.  durch  Verrückung  des  Innenstrangs, 
die  mittlere  S.  durch  Verschiebung  des  Innen- 
und  Außenstrangs  um  je  7  mm  und  die  größte 
S.  durch  Verschiebung  des  Innenstrangs  um 
14  mm  und  des  Außenstrangs  um  7  mm. 

In  Gleisen  mit  einteiligen  Rillenschienen 
ist  die  Anordnung  einer  S.  mit  Rücksicht  auf 
die  Schienenform  untunlich.  Wegen  Schonung 
des  schwächeren  Rillenschienenschenkels  wird 


128 


Spurerweiterung.        Spurwechsel. 


zuweilen  in  (jleiskriinimungen  sogar  die  Spur- 
weiie  gegenüber  dem  geraden  Strang  um  2-3  mm 
verengert,  u.  zw.  erfolgt  dies  zweckmäßig  durch 
Verschieben  der  Außenschiene  um  diesen  Wert 
nach  dem  Krümmungsmittelpunkt. 

Literatur:  Hb.  d.  Ing.  W.  5.  Teil,  Bd.  I,  11,  111, 
VII  u.  VIII;  Eis.  T.  d.  O.  2.  Abschn.;  Berichte  des 
Internationalen  Eisenbahnkongresses  Bern  1010.  — 
M.  Buchwald,  Der  Oberbau  der  Straßen- und  Klein- 
bahnen ;  Maintenance  of  Way  Standards  on  American 
Railways.  .  Fet't. 

Spurkranzschmierung  (/lange  lubrication; 
graissage  du  boiidin;  liibrificazione  deV  orletto) 
bei  den  führenden  Rädern  von  Lokomotiven 
findet  auf  Bahnen  mit  häufigen  und  scharfen 
Gleiskrümmungen  vorteilhafte  Anwendung  zur 
Verminderung  der  Reibung,  die  bei  der  Fahrt  in 
Gleisbogen  durch  das  Anlaufen  des  x'orderen 


.Abb   135  a. 


Abb.  136  b. 


Außenrades  an  die  äußere  Schiene  her\orgerufen 
■w'ird.  Diese  Reibung  hat  eine  rasche  Abnutzung 
der  Spurkränze  (Scharflaufen)  sowie  eine  Stei- 
gerung des  Zugwiderstands  zur  Folge  und  wirkt 
namentlich  dann  nachteilig,  wenn  das  vordere 
(führende)  Rad  gleichzeitig  Kuppelrad  ist. 

Eine  sehr  einfache  und  dabei  gut  entspre- 
chende Schmiervorrichtung  (Abb.  136a  u.  b) 
besteht  aus  einem  Filzstück,  das  in  eine  läng- 
liche Blechhülse  von  rechteckigem  Querschnitt 
(Abb.  136  b)  fest  eingesteckt  ist,  u.  zw.  derart, 
daß  der  Filz  an  dem  einen  Ende  der  Hülse 
etwas  über  diese  vorsteht.  Mit  diesem  Ende 
nach  abwärts  gerichtet,  wird  die  Hülse  (Schmier- 
patrone) in  eine  weitere  Führungshülse  ein- 
gesteckt, die  in  schräger  Stellung  so  an  der 
Lokomotive  angebracht  ist,  daß  die  Schmier- 
patronc  mit  dem  vorstehenden  Filzteil  durch 
ihr  eigenes  Gewicht  gegen  die  Hohlkehle  des 
zu  schmierenden  Radreifens  drückt. 


In   dem  Raum  ober  liem  Pilz  wird  Ol  (meist 
Abtropföl  von  Lagern)  eingegossen. 

Diese  Führungshülse  ist  in  einem  Hälter  dreh- 
bar gelagert,  der  mit  dem  Feder- 
bund fest  verschraubt  ist.  Rad, 
Schmierpatrone  und  Federbund 
bleiben  daher  stets  in  gegenseitig 
gleicher  Entfernung,  so  daß  die 
Schmierpatrone  nicht  weggeschleu- 
dert werden  kann. 

Die  S.  wurde  zum  ersten  Male 
von  Fischer  v.  Rößlerstamm 
bei  der  ehemaligen  österreichischen 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn(Patent  aus 
dem  Jahre  1S73)  ausgeführt.  Bei 
dieser  ersten  Ausführung  gelangten 
Schmierpatronen  aus  billigem 
Hartfett  zur  Anwendung.  Um- 
ständlicher ist  die  S.  mit  besonderen 
Ölbehältern,  wie  sie  an  franzö- 
sischen Lokomotiven  vielfach  vor- 
kommt (Abb.  137).  Apparate  zur 
S.  werden  seit  einigen  Jahren 
auch  auf  amerikanischen  Bahnen, 
als  eine  wertvolle  Neuerung  be- 
zeichnet, oft  verwendet  (Näheres 
s.  Heusinger,  Hb.  f.  spez.  E.-T. 
Leipzig   18S2). 

Spurstangen,     Spurbolzen 
gaune  bars; 


.\bh.  137. 


Bd.  III, 
Gölsdorf  f. 
(cross  tics, 
triiigles  d'  icartement  des  rails; 
tiranti  di  colegamento)  Querverbindungen  für 
Gleise,  die  in  der  Höhe  der  Schienenstege 
angeordnet  werden  und  zur  Erhaltung  der 
richtigen  Spurweite  dienen. 

S.  finden  bei  Oberbausystemen  Anwendung, 
deren  Unterlagen  aus  Einzelstützen  oder  Lang- 
schwellen bestehen.  Früher  wurden  S.  auch 
vereinzelt  bei  Querschwellen,  jedoch  ohne  be- 
friedigenden Erfolg  verwendet.  Vielfach  werden 
zu  S. Rundeisen  benutzt, deren  Enden  mitSchrau- 
bengewinden  versehen  und  mit  Schrauben- 
muttern undSicherheitsplättchen  an  denSchienen- 
stegen  befestigt  sind.  Die  Schraubenmuttern 
können  an  einer  Seite  oder  beiderseits  des 
Schienenstegs  angebracht  werden.  Zuweilen  ge- 
langen auch  noch  besondere  Beilagen  zwischen 
Steg   und   Schraubenmutter   zur  Verwendung. 

Bei  Schwellenschienen  werden  zur  Vermei- 
dung seitlicher  Verbiegungen  die  S.  atis  Flach- 
eisen oder  aus  U-förmigen  Eisen  hergestellt 
und  mit  Flanschen  an  den  Schienensiegen 
verschraubt  oder  vernietet.  Die  ersteren  werden 
bei  Straßenbahnen  bevorzugt,  weil  sie  sich  bei 
Ausführung  des  Pflasters  in  den  Querfugen 
unterbringen  lassen. 

Spurwechsel,  der  ohne  Umladung  sich  voll- 
ziehende Übergang  der  Betriebsmittel  zwischen 
Bahnen  verschiedener  Spurweite. 


Spurwechsel. 


129 


Die  Umladung  der  Güter  (die  Personen 
müssen  überall  umsteigen,  s.  auch  Art.  Bahn- 
höfe, Bd.  I,  S.  370;  Laderampe,  Bd.  VII, 
S.  47)  wird  ausgeführt: 

durch  Überwerfen,  Überschaufeln,  Über- 
schieben auf  möglichst  dicht  aneinanderge- 
rückten Gleisen  der  offenen  Güterwagen; 

durch  Tragen,  Schieben,  Rollen,  Karren 
(Sackkarren)  in  gedeckten  Wagen  über  Lade- 
rampen von  verschiedener  Breite  und  Länge, 
die  auch  zur  vorübergehenden  Lagerung  der 
Lasten  bei  etwa  zeitweilig  fehlenden  Gegen- 
fahrzeugen zu  benutzen  sind; 

durch  Abrutschen  über  Schüttrinnen  bei 
Anordnung  der  Gleise  in  verschiedenen  Höhen- 
lagen   mittels    Futtermauer; 

durch  Bandbewegungen  bei  zwischen  den 
Gleisen  eingeschalteten  Speicher-  und  Silo- 
anlagen (auch  unter  Anwendung  von  Eisen- 
bahn\«-agen   mit  trichterförmigem   Boden); 

durch  Krananlagen  als:  feste  (Galgen-) 
Überlade-  oder  fahrbare  bewegliche  (Dampf-) 
Krane  zum  Überheben  der  einzelnen  Kolli 
(Langholz),  auch  der  ganzen  oder  geteilten 
Wagenkasten ; 

durch  Überpumpen  von  Flüssigkeiten 
(Kesselwagen)  mittels  Schläuchen  direkt  oder 
mittels  zwischengeschalteten,  hochgestellten 
Behälteranlagen  (Petroleum). 

Alle  diese  Anlagen  sind  kostspielig  und  ihre 
Handhabung  ist  umständlich ;  außerdem  ver- 
ursachen sie  nicht  unerhebliche  Kosten  und 
Gebühren  sowie  Verluste  an  Zeit,  namentlich 
an  Menge  und  Güte  der  Waren,  daher  das 
Bestreben  dahin  gerichtet  war,  eine  Verein- 
fachung des  Übergangs  durch  Verwendung 
besonderer  Wagen  zu  ermöglichen. 

Die  Abweichungen  von  der  herkömmlichen 
Bauart  der  Wagen  bestehen  meist  in  der 
Beibehaltung  des  Obergestells  (Wagenober- 
kastens) der  für  die  kleinere  Spur  gegebenen 
Normalabmessungen  und  Abänderung  des 
Untergestells  (Rahmenwerkes)  mit  Bezug  auf 
die  Anbringung  der  eigenen  und  der  nach 
der  breiteren  Spur  gearbeiteten  Radsätze. 

Zum  Übergang  einzelner  normalspuriger 
Wagen  auf  schmalspurige  Kleinbahnen  sowie 
einzelner  schmalspuriger  Wagen  auf  Linien 
mit  anderer  Schmalspur  dienen  Rollböcke  (s.  d.). 

Die  für  den  S.  von  1-676  und  1-524  in  1-435 
und  umgekehrt  hergestellten  Wageneinrichtungen 
bestehen  im  großen  und  ganzen  in: 

a)  Auswechslung  der  Einzelradsätze; 

b)  Auswechslung  von  mehrachsigen  Unter- 
wagen (Trucks); 

c)  Mitführen  anders  gespurter  Radsätze, 
lose  oder  eingebaut; 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


d)  Verschieben  der  Räder  auf  den  Achs- 
wellen; 

e)  Verschlingung  und  Ineinanderschieben 
der  Gleise    und  Legen    einer   dritten  Schiene. 

Zu  a)  Auswechseln  der  Einzelradsätze, 
Umsetzen  genannt,  vgl.  den  Artikel  Breid- 
sprechersche  Umsetzvorrichtungen,  Bd.  III,  S.  3. 

Zu  b).  Anlagen  zur  Auswechslung  von  Dreh- 
schemel-ünterwagen  (Trucks)  der  typischen  Bau- 
art der  Eisenbahnwagen  in  Nordamerika  (ähn- 
lich denen  für  das  Auswechseln  der  Einzel- 
radsätze) sind  in  Amerika  nach  verschiedenen 
Patenten  ausgeführt,  wobei  es  sich  um  Abgleiten 
der  Trucks  aus  den  Drehbolzengehäusen  und 
Wiedereinführen  anderer,  verschieden  gespurter 
Trucks  handelt. 

Hierher  gehört  auch  die  Auswechslung  von 
Einzelradsätzen  der  Normalspur  1435  gegen 
Drehschemel  von  1067,  1000,  750  w/n  Spur, 
die  ebenso  wie  bei  dem  Breidsprecherschen 
Umsatzverfahren  so  geschieht,  daß  die  ent- 
sprechend verlängerten  Drehschemelbalken  der 
Schmalspur  in  die  Achsgabeln  der  großen 
Eisenbahnwagen  mittels  der  Fänger  und  der 
Grubenanlage  eingeführt  werden  und  sich  selbst- 
tätig darin  befestigen,  ganz  so  wie  dies  bei 
den  Achsbüchsen  durch  zapfenartige  Dorne 
geschieht. 

Das  Breidsprecher-Verfahren  ist  für  das  Um- 
setzen von  Einzelwagen  und  geschlossenen 
Zügen  eingerichtet,  wozu  die  Grubenanlagen 
in  entsprechender  Länge  herzustellen  sind. 

Es  würde  eine  größere  Wirkung  ausüben, 
wenn  der  Verkehr  in  beiden  Richtungen  an- 
nähernd gleich  groß  wäre,  so  daß  die  ausge- 
wechselten Achsen  sofort  wieder  ohne  weitere 
Bewegung  in  andere  Wagen  eingewechselt 
werden  könnten. 

Dies  ist  jedoch  bisher  nicht  zu  erreichen 
gewesen.  Der  gegenseitige  Verkehr  ist  so 
ungleich,  daß  für  das  Verfahren  immer 
Reserveradsätze  mit  Achsbüchsen  in  Bereitschaft 
gehalten  werden  mußten.  Da  das  Ein-  und 
Ausbiegen  solcher  in  die  Grubenanlage  umständ- 
lich und  unbequem  ist,  so  wäre  es  vorteilhafter, 
wenn  in  der  Grube  an  dem  Zusammenstoß 
der  verschieden  gespurten  Gleise  eine  Achsen- 
drehscheibe mit  beiden  Spuren  angelegt  würde, 
mittels  der  aus  seitlichen  Achsengleisen  schnell 
die  Bewegung  der  Radsätze  in  bzw.  aus  der 
Grube  ermöglicht  werden  könnte. 

Hierzu  wären  die  Gleise  der  Seitenwagen 
in  das  Niveau  der  tiefen  Grubengleise  zu  legen 
und  die  Seitenwagen  um  die  Differenz  höher 
anzuordnen. 

Um  die  Benutzung  dieses  Verfahrens  dem 
verkehrtreibenden  Publikum  zu  erleichtern, 
hatten    die    beteiligten    Eisenbahnverwaltungen 


130 


Spurwechsel. 


Abb.  139  a. 


Abb.  139b. 


die  Verabredung  ge- 
troffen, Privatumsetz- 
wagen in  die  Betriebe 
zuzulassen  und  die 
Auswechselradsätze 
eisenbahnseitiggegen 
geringe  Zeit-  und 
Laufmiete  vorzu- 
halten. 

Die  Einführung 
dieses  Verfahrens  hat 
sich  infolgeAusbruch 
des  Weltkrieges  nicht 
verwirklichen  lassen. 


Zu  c)  Mitführen  anders  gespurter 
Radsätze.  Um  den  vorerwähnten  Übel- 
ständen   abzuhelfen,    sind    der    Ladung    öfter 


Abb.  140. 


die  entsprechenden  anders  ge- 
spurten Radsätze  als  Fracht  bei- 
gegeben, die  dann  auf  dem 
Grenzbahnhof  entweder  durch 
eine  Grubenanlage  oder  nach 
Aufheben  der  Wagen  mittels 
Wagenwinden  eingesetzt  werden. 

Ferner  sind,  da  allgemein  im 
Interesse  des  internationalen  Ver- 
kehrs eine  größere  Ladefähigkeit 
der  Eisenbahnwagen  erwünscht 
ist,  Drehschemel-Truckwagen  für 
den  S.  anzuwenden. 

Diese  sonst  2achsigen  Trucks 
(Drehschemel)  sind  für  das  Um- 
setzen mit  je  4  Achsen  ange- 
ordnet, von  denen  2  nach  der 
Spur  1'435,  die  anderen  2  nach 
der   Spur    1-524    geformt   sind. 

Durch  eine  besondere  Vor- 
richtungwird nun  auf  der  Grenz- 
station je  ein  Paar  der  Radsätze 
für  den  Betrieb  wechselweise 
durch  .•\nheben  und  Festhalten 
in  der  erhöhten  Lage  ausge- 
schaltet und  die  Weiterfahrt  auf 
dem  anders  gespurten  Paar  Rad- 
sätze bewirkt. 

Das  patentierte  Verfahren 
Breidsprechers  ist  in  .■\bb.  13S 
bis  141   erläutert. 

Die  im  allgemeinen  nach  dem 
.Muster  der  preußisch  -  hessischen 
Eisenbahn  zu  erbauenden  Dreh- 
gestelle erhalten  (Abb.  133)  an  Stelle 
zweier  je  4  Radsätze,  von  denen  die 
mittleren  b  b  deutsche  Spur  (1-435  m) 
und  die  beiden  äußeren  c  c  die  russi- 
sche Spur  (1-524  m)  oder  umgekehrt 
haben. 

Während  die  deutschen  Radsätze 
nach  den  Typen  der  deutschen 
Bahnen  fest  gelagert  sind,  werden 
die  russischen,  ähnlich  gelagerten 
Radsätze  in  der  Höhe  verschiebbar 
angeordnet,  so  daß  sie  100  mm  über 
und  100  mm  unter  die  Schienenober- 
kante, demnach  im  ganzen  200  mm 
gehoben  oder  gesenkt  werden  könne 
Fahrt  in  Deutschland  die  hochgehob 


w 


n,  damit  für  die 
enen  russischen. 


Spurwechsel. 


131 


für  die  Fahrt  in  Rußland  durch  die  gesenkten  russi- 
schen die  deutschen  Radsätze  unwirksam  bleiben 
(Abb.  140). 

Das  Heben  und  Senken  der  russischen  Radsätze 
geschieht  bei  der  Bewegung  des  Eisenbahnwagens 
durch  die  Lokomotive  über  eine  in  den  Bahngleisen 
auf  der  Umsetzstelle  angeordnete  kurze  schiefe  Ebene 
(Abb.  141). 

Zur  Herstellung  dieser  schiefen  Ebene  ist  auf 
der  kurzen  Strecke,  die  zum  Umsetzen  des  Eisen- 
bahnwagens an  der  Betriebsgrenze  erforderlich  ist, 
eineOIeisverschlingungso  angeordnet,  daß  die  Mittel- 
achsen der  beiden  Gleise  der  verschiedenen  Spur  in 
einer  senkrechten  Ebene  liegen  (Abb.  140). 

Wegen  der  geringen  Spurdifferenz  zwischen  1-524 
und  1-435  =  89  mm  ist  die  Anwendung  der  ge- 
wöhnlichen Eisenbahnschienen  auf  der  Umsetzstelle 
ausgeschlossen  und  daher  die  in  Abb.  140  darge- 
stellte Form  der  Schiene  als  Winkeleisenschiene  ge- 
wählt, nach  der  die  deutschen  Räder  mit  dem  Flansch 
auflaufen  und  daher  am  inneren  Radrand  in  der 
Spur  gehalten  werden,  während  die  russischen  Räder 
mit  dem  am  gewöhnlichen  Schienenkopf  überragenden 
Radreifenteil  auflaufen  und  durch  den  Schenkel  des 
Winkeleisens  an  ihrem  äußeren  Rand  gespurt  werden. 

Die  Qleislage  der  Umsetzstelle  ist  auf  Mauerwerk 
fest  zu  fundieren  und  durch  geeignete  Paßstücke 
mit  den   gewöhnlichen  Laufschienen  zu  verbinden. 

In  diesem  so  abgeänderten  Gleis  ist  die  schiefe 
Ebene  für  die  russischen  Radsätze  angeordnet,  rnittels 
der  die  Veränderung  der  Höhenlage  bei  dem  Über- 
gang über  die  Umsetzstelle  bewirkt  wird  (Abb.  141). 

Um  die  Radsätze  in  der  veränderten  Höhenlage 
betriebssicher  festzustellen,  sind  die  in  dem  Achs- 
büchsenlager rf  (Mob.  139)  über  oder  unter  der  Achse 
entstehenden  Lücken  durch  geeignete  Keilstücke  a 
od.  dgl.  zu  schließen.  Da  die  Senkung  gleich  der 
Hebung  der  Radsätze  ist,  so  bedarf  es  für  jede  Achse 
nur  je  eines  Keilstücks,  das  je  nach  der  Fahrt  oben 
oder  unten  in  die  Gabel  der  Achsbüchsenführung 
einzubringen  ist. 

Das  Keilstück  a  ist  auf  einer  an  der  Achsgabel 
angebrachten  senkrechten  Welle  k  mittels  2  Ösen  g  g 
drehbar  angebracht.  Auf  der  Welle  h  kann  das 
Keilstück  a  auf  und  ab  geschoben  werden. 

Die  Keilstücke  werden  durch  Bolzen  k  mit  Wider- 
haken /'verriegelt  und  durch  eine  Schraubenmutter  e 
gesichert. 

Die  Handhabung  der  Keil-  oder  Füllstücke  erfolgt 
bei  dem  Umsetzen  durch  den  den  Zug  auf  der 
Umsetzstelle  auf  jeder  Seite  begleitenden  Arbeiter 
während  der  Bewegung  des  Zuges,  der  sich  ent- 
sprechend langsam  ohne  Anhalten  über  die  Umsetz- 
stelle fortbewegt,  wobei  der  Eisenbahnwagen  in  den 
unverändert  bleibenden  deutschen  Radsätzen  getragen 
wird,  bis  die  Feststellung  der  Füllstücke  erfolgt  ist 
und  dann  der  Wagen  auf  je  2  Achsen  des  Dreh- 
gestells ruhend  in  Deutschland  oder  Rußland  weiter- 
laufen kann. 

Die  umzusetzenden  Wagen  eines  Zuges  bleiben 
wie  bei  der  gewöhnlichen  Fahrt  miteinander  gekuppelt. 
Das  Umsetzen  erfolgt  durch  2  Lokomotiven  ver- 
schiedener Spurweiten,  indem  die  eine  hinter  dem 
letzten  Wagen  ungekuppelt  schiebend  wirkt,  während 
die  andere  auf  der  gegenüberliegenden  Seite  des 
Umsetzgleises  befindliche  zum  Ziehen  des  Zuges 
angekuppelt  wird. 

Diese  Bauart  wird  von  der  Waggonfabrik 
Licke  &  Hofmann  in  Breslau  ausgeführt  und  ist 
auch  auf  Umsetzen  von  Personenwagen  sowie  für 
andere    Spurenweitenunterschiede    anwendbar. 


Zu  d)  Verschieben  der  Räder  auf  den 
Achswellen.  Hierfür  sind  verschiedene  Patente 
vorhanden,  die  jedoch  zu  einer  brauchbaren 
Ausführung  nicht  geführt  haben,  weil  ihnen  die 
Bestimmung  der  Betriebsordnung  Deutschlands 
und  der  anderen  Staaten  in  §31,  Absatz  1  ent- 
gegensteht, der  lautet,  daß  die  Räder  auf 
den  Achsen  unverrückbar  befestigt  sein 
sollen,  und  eine  unbedingt  sichere  Feststellung 
der  beweglichen  Räder  für  den  Betrieb  sich 
bisher  nicht  hat  erreichen  lassen. 

Seitdem  jedoch  bei  dem  Bau  der  Lokomotiven 
Hohlachsen  mit  gutem  Erfolg  und  staatlicher 
Genehmigung  in  Anwendung  gebracht  sind 
(s.  Art.  Hohlachsen,  Bd.  VI,  S.  220),  die 
in  einer  Trennung  des  Radsatzes  in  eine  feste 
Kranachse  und  2  bewegliche  Radreifenhohistücke 
bestehen,  um  den  Durchlauf  durch  die  Krümmun- 
gen des  Gleises  besser  bewirken  zu  können,  ist 
die  Anwendung  solcher  Hohlachsen  auch  für 
den  S.  anwendbar  geworden. 

Es  kommt  nun  vor  allem  darauf  an,  die 
Feststellung  derje  nach  derSpurweite  zu  verschie- 
benden Hohlachsen  so  sicher  herzurichten,  daß 
sie  (also  auch  die  Radreifen)  nach  der  Verschie- 
bung während  der  Fahrt  unverrückbar  auf 
der  Kranachse  festgehalten  werden,  u.  zw.  so, 
daß  die  Spurführung  sicher  gewährleistet  ist. 
Die  Verschiebung  der  Fahrschienen  wird 
besser  selbständig  durch  eine  allenfalls  mit 
elektrischer  Kraft  getriebene  Vorrichtung  bewirkt, 
die  ähnlich  wie  die  Gleisbremse  (s.  Art.  Gleis- 
bremse, Bd.  V,  S.  532  u.  Abb.  255)  gebaut  ist. 
Eine  hierauf  bezügliche  Anordnung  ist  von 
Breidsprecher  erfunden  worden. 

Ein  Unipressen  der  Räder  auf  der  Achswelle 
ist  auch  wohl  versucht  worden.  Dabei  hat  sich 
aber  herausgestellt,  daß  die  Naben  der  Räder 
Sprünge  aufzuweisen  hatten  und  daher  un- 
brauchbar geworden  waren. 

Zu  e).  Um  den  S.  zu  vermeiden,  hat  man 
für  gewisse,  besonders  durch  örtliche  Verhältnisse 
bedingte  Fälle  eine  Verschränkung,  Verschlin- 
gung und  Einschiebung  der  schmalen  Gleise  in 
die  breitere  Spur  hergestellt. 

Dies  ist  jedoch  nur  für  den  Verkehr  mit 
Einzelwagen  auf  Anschlußbahnhöfen  und  Fabrik- 
anlagen geschehen. 

Von  der  Einlegung  einer  dritten  Schiene 
hat  man  z.  B.  auf  der  Great  Western-Bahn 
vielfachen  Gebrauch  gemacht.  Hier  bestand 
bis  zum  Jahre  1890  ein  Doppelverkehr  auf  3 
Schienen,  von  denen  die  kleinere  Spur  1-435 
und  die  größere  2-134  m  betrug.  Seit  dieser 
Zeit  ist  die  dritte  Schiene  für  die  breitere  Spur 
entfernt  und  der  Übergang  zu  der  vom  engli- 
I  sehen  Parlament  beschlossenen  Normalspur  von 

9* 


132 


Spurwechsel.   -    Stadtbahnen. 


1"435  m  hergestellt  worden,  der  bei  mehreren 
englischen  Bahnen  vorübergehend  auch  dadurch 
bewirkt  wurde,  daß  man  ein  normales  Gleis 
neben  das  aufzugebende  breitere  legte. 

Das  Einbauen  einer  dritten  Schiene  in  die 
Spur  von  1-636/«  erfolgte  auf  den  spanisch-fran- 
zösischen Obergangsbahnhöfen  Hendaye  und 
Irun,  aber  nur  für  die  Zoll-,  Güter-  und  Güter- 
schuppengleise. Von  einer  Weiterführung  ins 
Innere  von  Spanien  hat  man  Abstand  genommen. 

Ein  Einbau  der  Normalspur  von  1-435/«  in 
die  russische  Spur  von  1-524  m  ist  für  den 
großen  Betrieb  nicht  möglich  wegen  der  zu 
geringen  Differenz  von  89  mm,  die  zur  Unter- 
bringung des  Schienenkopfes,  der  Spurrinne 
und  der  erforderlichen  Befestigungsmittel  nicht 
ausreicht. 

Es  ist  jedoch  auf  dem  Grenzbahnhof  Illowo 
für  geringe  Gleisstücke  auf  Drehscheiben,  Zentesi- 
malwagen und  an  Kohlenhofgleisen  die  Doppel- 
spur hergestellt  worden,  u.  zw.  durch  entspre- 
chendes .\bhobeln  der  beiden  zusammen- 
liegenden Schienen  und  .Anwendung  einer  ganz 
besonderen  Schienenbefestigung  mittels  Steh- 
bolzen. Diese  Gleisstücke  werden  nur  für  ört- 
liche Zwecke  bei  ganz  langsamer  Bewegung 
benutzt. 

Als  Beispiel  einer  Bahn  mit  3  Schienen  ist  die 
Kleinbahn  in  Kerkerbach  (Westerwald)  zu 
nennen,  auf  der  die  Spur  von  1-435  mit  jener 
von  rOOO  verbunden  ist  und  die  breitgespurten 
Wagen  durch  schmalspurige  Lokomotiven  be- 
fördert werden  (s.  Rollböcke) .     v.  Brcidspmhei: 

Ssuramtunnel.  Die  transkaukasische  Bahn 
von  Poti  und  Batum  am  Schwarzen  Meer 
über  Tiflis  nach  Baku  am  Kaspischen  See  hatte 
den  Ssuramsattel  in  großer  Höhe  unter  un- 
günstigen klimatischen  Verhältnissen  und  mit 
Größtneigungen  von  Ab^  zu  überschreiten, 
so  daß  der  Betrieb  besonders  erschwert  und  ver- 
teuert wurde;  denn  Züge  mit  10  Güterwagen 
mußten  durch  2  Failie-Lokomotiven  von  je  65 1 
Gewicht  über  die  steilen  Rampen  gefördert 
werden. 

Man  sah  sich  daher  veranlaßt,  eine  24  km 
lange  Umgehungsbahn  mitGrößtsteigungen  von 
28%(,  zu  bauen  und  den  Ssuramgipfel  mittels 
eines  3963  m  langen  2gleisigen  Tunnels  zu 
unterfahren.  Der  Tunnel  liegt  mit  Ausnahme 
einer  kurzen  Bogenstrecke  von  277  ///  Halb- 
messer und  170  m  Länge  am  Westmund  in  der 
Geraden. 

Der  Tunnel  steigt  vom  Westmund  (719  m 
ü.  M.)  auf  3072  m  mit  I8%o  und  fäUt  nach 
einer  wagrecliten  Strecke  von  106  m  auf  785  /// 
Länge  mit  2%  nach  dem  Ostmund  (773m  ü.M.). 

Das  vom  Tunnel  durchfahrene  Gebirge  gehört 
der  Kreideformation  an  und  besteht  der  Haupt- 


sache nach  aus  lehmigen  Mergeln,  teilweise  aus 
Sandstein.  Auch  strömten  stellenweise  brenn- 
bare Gase  und  viel  Wasser  (120/  Sek.)  zu, 
wodurch  die  Arbeiten  erschwert  wurden. 

Der  Ausbruch  wurde  mit  einem  Sohlstollen 
als  Richtstollen  begonnen  und  hauptsächlich 
von   der  Westseite  in  der  Steigung  betrieben. 

Auf  der  Ostseite  wurden  die  Arbeiten  ein- 
gestellt, nachdem  die  Scheitelstrecke  um  \20  m 
überschritten  war  und  die  Fortsetzung  der  Arbei- 
ten im  starken  Gefälle  kostspielig  und  unzweck- 
mäßig gewesen  wäre. 

Der  Stollen  wurde  mit  je  2  Brandtschen 
Drehbohrmaschinen  auf  einem  Bohrwagen  vor- 
erst mit  einem  Querschnitt  von  3-5  —  4m^  auf- 
gefahren und  dann  sofort  auf  7-0  m-  erweitert. 
Für  jeden  Bohrangriff  wurden  6  —  7  Bohrlöcher 
von  5  —  6  cm  Weite  und  1-3  —  \-5  m  ausgeführt 
und  hierbei  Tagesfortschritte  in  3  achtstündigen 
Schichten  von  5-4  —  7-S  m  erzielt.  Die  ■'\nlage 
war  aber  im  vorliegenden  Gebirge  unstreitig 
zu  kostspielig;  sie  wäre  nur  in  sehr  festem 
Gestein  wirtschaftlich  am  Platze  gewesen. 

Der  Sprengmittelverbrauch  (Gelatinedynamit) 
betrug  hierbei  durchschnittlich  \\7  kg'm.  Bei 
der  schwächsten  vorkommenden  Gewölbestärke 
von  0-64  m  und  einem  Mehrausbruch  von 
0"15 ///  betrug  der  Gesamtausbruch  80///^/«. 
Zimmerung  (Längsträgerzimmerung)  des  Voll- 
ausbruches war  durchwegs  erforderlich. 

Die  Ausmauerung  wurde  teils  mit  den  Wider- 
lagern, teilweise  aber  auch  mit  dem  Firstge- 
wölbe (belgische  Bauweise)  begonnen;  sie  er- 
folgte in  Bruchsteinmauerwerk  in  Zementmörtel 
(1  Z.,  3  S.  und  1  Z.,  2  S.)  mit  Gewölbestärken  von 
0-64  —  0-8/«.  Auch  Sohlgewölbe  mußten  stellen- 
weise eingezogen  werden.  Mit  den  Vorbereitungen 
zum  Bau,  die  der  Unternehmung  Brandt  & 
Brandau  (Hamburg-Kassel)  übertragen  war, 
wurde  anfang  1887,  mit  den  Stollenbohrungen 
im  Juni  1887  begonnen.  Der  Stollendurchschlag 
erfolgte  am  12.  Oktober  I88S  im  -Abstand  von 
2950  m  vom  Westmund.  Der  Tunnel  wurde 
1889  vollendet.  Dolezalek. 

Staatsaufsicht  s.  Aufsichtsrecht. 

Staatsbahnsystem  s.  Eisenbahnpolitik. 

Staatsbahnverwaltung    s.  Verx^altung. 

Staatsbahnwagenverband  s.  Wagen- 
dienst. 

Staatseisenbahnen  s.  Eisenbahnpolitik. 

Staatsgarantie  s.  Eisenbahnpolitik,  Er- 
tragsgarantie  und   Zinsbürgschaft. 

Stadtbahnen  (urban,  city  or  metropolitan 
railways;  chcmins  de  fcr  metropolitains;  ferrovie 
metropolitanc),  in  verschiedenem  Sinne  ge- 
brauchte Bezeichnung  im  Schnellbahnwesen. 
Häufig  werden  die  gesamten  Schnellbahn- 


Stadtbahnen. 


Stadtschnellbahnen. 


133 


n  e  t z  e  der  Großstädte,  ebenso  häufig  auch  nur  die 
im  Stadtinnern  liegenden  Teile  oder  gar 
nur  einzelne  Linien  im  Stadtinnern  als 
S.  bezeichnet;  in  den  letzten  beiden  Fällen  im 
Gegensatz  zu  den  Vorortschnellbahnen  (Vor- 
ortbahnen). In  Berlin  wird  die  Innenstrecke  der 
staatlichen  Schnellbahnen  zwischen  den  Bahn- 
höfen Charlottenburg  und  Stralau-Runimels- 
burg  als  S.  bezeichnet,  während  der  Metro- 
politain  (Metro)  in  Paris  das  Gesamtnetz  der 
von  der  Stadt  gebauten  Schnellbahnen  inner- 
halb des  Weichbildes  umfaßt.  In  London 
werden  mit  den  Bezeichnungen  der  Metro- 
politan und  der  Metropolitan  District  die  Linien 
-  Innen-  wie  Außen-  (Vorort-)  Linien  -  der 
Metropolitan-  und  Districtbahn-Gesellschaften 
je  für  sich  zusammengefaßt  u.  s.  w. 

Kemmann. 

Stadtschnellbahnen. 

Inhalt:  1.  Allgemeines;  2.  Grundsätze  für  die 
Netzgestaltung;  3.  Bahnhofsformen;  4.  Bauweise  der 
Schnellbahntunnel;  5.  Betrieb  und  Verkehr;  6.  Fahr- 
preise; 7.  Wirtschaftsformen. 

1.  Allgemeines. 
Die  Entwicklung  der  Großstädte  wäre  nicht 
denkbar  ohne  großzügig  angelegte  Schienen- 
und  Wasserstraßen,  die  der  Bevölkerung  Kraft 
und    Stoff   für   die   vielseitigen    Formen   ihrer 
Betätigung  zuführen.    Die  Pflege  der  persön- 
lichen   Beziehungen    ist    die    weitere   Aufgabe 
der  Eisenbahnen,  die  im  Innenleben  der  Groß- 
städte   neben    den    Straßenbahnen    vor    allem 
auch    berufen    sind,    der   Bevölkerung    durch 
Oberwindung  der  gesteigerten  räumlichen  Ent- 
fernungen  volle  Freizügigkeit    zu    verschaffen. 
So  ist  die  mit  selbständigem  Bahnkörper  aus- 
gerüstete  S.  wichtigste  Trägerin   der   Massen- 
bewegungen in  der  Großstadt  mit  ihren  Vor- 
städten und  Vororten.  Die  Elektrizität  hat  ihre 
gemeinnützige  Bedeutung  weiterhin  gesteigert, 
indem  sie  das  Bahnwesen  beweglicher  gestaltet, 
seine  Leistungsfähigkeit  im  Massenverkehr  er- 
höht und  vor  allem  auch  die  Behinderungen 
fortgeräumt   hat,    die   der   schnellverkehrs- 
mäßigen  Erschließung  des  Stadtinnern 
noch    im  Wege   standen.    Heute   vermag    der 
Schnellverkehr    je    nach    der    Gestaltung    des 
Stadtbildes  mittels  Hochbahnen  aus  Stein  oder 
Eisen    oder    mit    der    Tunnelbahn    alle   Teile 
des  Stadtgebiets  bis  in  seinen  innersten  Kern 
zu  durchdringen.  Im  übrigen  hält  sich  die  mit 
elektrischer  Zugkraft  ausgestattete  Schnellbahn 
im  wesentlichen  an  die  aus  der  Zeit  des  Dampf- 
betriebs  überkommenen  Bahnformen;    in  den 
Außengebieten  ist  auch  bei  ihr  die  offene  Form 
der  DamiTi-  oder  Einschnittbahn  die  gegebene. 
Bei    der    nachfolgenden    Besprechung    der 
Schnellbahnen   können  nur   die  wesentlichsten 


Punkte  gestreift  werden.  Im  besonderen  wird  auf 
die  Einzeldarstellungen  über  die  Berliner  Hoch- 
und  Untergrundbahnen,  Bostoner,  Chicagoer, 
Liverpooler,  Londoner,  New-Yorker,  Pariser, 
philadelphischen  Schnellbahnen  verwiesen. 

2.  Grundsätze    für    die    Netzgestaltung. 

Neuzeitliche  Schnellbahnnetze  sollten  auf  der 
Grundlage  eines  nach  technischen  und  wirt- 
schaftlichen Gesichtspunkten  ausgearbeiteten 
und  von  Zeit  zu  Zeit  nachzuprüfenden  Gesamt- 
plans nach  Maßgabe  der  Bedürfnisse  zur  Durch- 
führung gebracht  werden.  Sparsamste  Geld- 
wirtschaft bei  Auswahl  und  Ausbau  der  Linien 
ist  Gebot  der  Zeitverhältnisse,  nach  dem  sich 
auch  das  Tempo  der  Ausführung  bestimmt, 
das  sich  neuerdings  in  der  alten  Welt  stark 
verlangsamen  dürfte.  Bei  der  Verteilung  der 
Linien  über  das  Stadtgebiet  ist  im  Auge  zu 
behalten,  daß  die  Außenbezirke  auskömmlich 
mit  Schnellbahnen  versorgt,  die  inneren  Ge- 
biete dagegen  aus  Kostengründen  nicht  über- 
lastet werden.  Die  Linien  sind  ferner  so  zu 
wählen,  daß  sie  sich  nicht  gegenseitig  den 
Verkehr  abgraben.  Linienverkettungen  sind  nach 
Möglichkeit  zu  vermeiden.  Leistungsfähigkeit 
und  Betriebssicherheit  werden  dadurch  gehoben; 
die  Fahrgäste  müssen  sich  dabei  freilich  mehr 
als  bisher  an  den  Umsteigverkehr  gewöhnen, 
der  auch  bei  angemessener  Ausbildung  der 
Übergangstationen  leicht  in  den  Kauf  genommen 
wird  (Paris,  London  u.  s.  w.). 

Indessen  erscheint  es  weder  notwendig  noch 
zweckmäßig,  die  fahrplanmäßige  Überführung 
von  Zügen  von  einer  Linie  auf  eine  andere 
grundsätzlich  auszuschließen.  Mit  Rücksicht  auf 
3ie  Entwicklungsverhältnisse  oder  aus  Betriebs- 
und Verkehrsgründen  sind  einfache  Abgabe- 
lungen  wie  auch  der  Anstoß  von  Pendellinien, 
selbst  an  Zweige  gegabelter  Linien,  unbedenklich 
auch  fernerhin  zuzulassen.  Aus  wirtschaftlichen 
Gründen  werden  bei  Auswahl  und  Führung 
der  Linien  häufig  Kompromisse  geboten  sein. 
Für  die  Einzellinie  ist  die  Grundform  die 
Durchdringungsbahn,  die  meist  als  Durch- 
messerlinie, häufig  auch  in  Schleifenform  das 
Stadtinnere  aufzuschließen  und  darin  den  Wohn- 
verkehr zu  verteilen  hat.  In  dieser  Durchdrin- 
gungsform, die  gleichzeitig  auch  einen  starken 
innenverkehr  an  sich  zieht,  wird  die  Schnell- 
bahn zur  Stadt-  und  Vorortbahn.  In  den 
Innenbezirken  unterliegt  sie  besonders  scharfem 
Wettbewerb  von  Straßenbahn  und  Onmibus. 
Bei  der  Durchdringungsbahn  kann  der 
Stadtbahncharakter  durch  Vermehrung 
der  Zugaufenthalte  im  Innengebiet,  der  Vorort- 
bahncharakter  durch    Verminderung   der 


134 


Stadtschnellbahnen. 


Zahl  der  Zugaufenthalte  im  Innen-  wie  Außen- 
gebiet gesteigert  werden  —  A\aßnahmen,  die 
zum  Teil  miteinander  im  Widerspruch  stehen. 
Es   ergeben    sich   Betriebsformen,    bei    denen 

a)  Züge  oder  Zuggruppen  insbesondere  auf 
der  Fahrt  in  den  Außengebieten  Stationen  oder 
Stationsgruppen  nach  bestimmtem  Plan  ab- 
wechselnd überspringen   (Durchfahrzüge); 

b)  den  Schnellbahnlinien  noch  ein  oder 
mehrere  Eilzuggleise  mit  erweiterten  Stations- 
abständen  hinzugefügt  werden,  auf  die  Züge 
oder  Zuggruppen  im  Vorortverkehr  abgezweigt 
werden;  die  Eilzugstationen  werden  dabei 
zweckmäßigerweise  mit  Ortstationen  zu  Umsteig- 
stationen vereinigt. 

Besondere  Eilzuggleise  nach  b)  finden  sich 
in  Großstädten  mit  besonders  gesteigerter  Innen- 
bebauung und  vornehmlich  einseitiger  Stadt- 
entwicklung vielfach  neben  den  Ortgleisen  im 
Innern;  so  in  den  Turmhausstädten  New  York 
und  Chicago.  In  den  Außengebieten  sind  die 
Eilzuggleise  auch  in  Großstädten  mit  allseitiger 
Ent\s'icklung  vielfach  zur  Anwendung  gekommen, 
so  in  London.  Der  frühere  Vorortbetrieb  auf 
den  Ferngleisen  der  Berliner  Stadtbahn  ist 
ebenfalls  hierher  zu  rechnen.  Die  unter  a)  ange- 
führte Betriebsweise  mit  Durchfahrzügen  (non 
stop-Zügen)  findet  sich  in  London.  Weiterhin 
sind  hier  die  vielfach  angewendeten  Staffelbe- 
triebe zu  nennen,  bei  denen  Züge  oder  Zug- 
gruppen im  Wechsel  eine  oder  mehrere  Nahzonen 
im  Vorortverkehr  ohne  Aufenthalt  durchfahren 
und  erst  in  den  ferner  liegenden  Zonen  anhalten. 
„In  den  äußeren  Gebieten  und  namentlich  zu 
Aufschließungszwecken  ist  auch  die  Straßen- 
bahn in  ihrer  weiteren  Ausbildung  als  Tram- 
schnellbahn berufen,  bei  der  Fortentwicklung 
des  Schnellbahn\^'esens  mitzuwirkend"  Für 
die  Ausgestaltung  der  Oemeinschaftsbahnhöfe 
für  Schnell-  und  Trambahnen  liefert  insbeson- 
dere Boston  lehrreiche  Vorbilder. 

Für  die  Ausgestaltung  des  Schnellbahnnetzes 
ist  im  besonderen  noch  folgendes  zu  beachten. 

Innerhalb  der  einzelnen  Linien  oder  Linien- 
gruppen ist  der  Zugumlauf  abzustaffeln,  wo 
die  Verkehrsströme  stärker  abfallen.  Auf  un- 
verzweigter Strecke  setzt  dies  die  Anlage  von 
Umkehrgleisen  voraus.  Auf  Bahnverzweigungen 
ergibt  sich  die  Abstufung  des  Zugumlaufs  ohne- 
weiters  durch  die  Verteilung  der  Züge  auf  die 
Seitenlinien. 

Die  Verhältnisse  des  großstädtischen  Schnell- 
bahnbetriebs nötigen  weiterhin  dazu,  an  geeig- 

'  Kemniann,  „Das  Bahnnetz  von  Berlin  und  Vor- 
orten" in  dein  Werk  „Das  deutsche  Eisenbahnwesen 
der  Gegenwart",  Berlin,  Reimar  Hobbing  19L  - 
S.  insbesondere  auch  Giese,  Schnellstraßenbahnen  unter 
besonderer  Berücksichtigung  von  Groß-Berlin.  Berlin 
1917,  W.  Mosers  Verlag. 


neten  Bahnpunkten  Hilfsgleise  vorzusehen,  aus 
denen  zur  Verdichtung  der  Zugfolge  Einsatz- 
züge abgelassen  oder  zur  Veränderung  der 
Zugstärken  Zugauswechslungen  vorgenommen 
werden  können. 

Die  Betriebsstätten,  d.  h.  die  Werkstätten- 
und  Aufstellungsanlagen  müssen  von  allen 
Zügen  eines  Schnellbahnnetzes  erreicht  werden 
können.  Aus  diesem  Grund  sind  zwischen  den 
einzelnen  Linien  Verbindungsgleise  herzustellen, 
die  aushilfsweise  auch  zum  Zugaustausch,  zur 
gegenseitigen  Unterstützung  im  Betrieb  u.  dgl. 
dienen  können. 

Wenngleich  sich  im  Schnellverkehrswesen 
der  Großstädte  neuerdings  auf  einer  und  der- 
selben Linie  Stadt-,  Vorstadt-  und  Vorort- 
verkehr im  wesentlichen  miteinander  ver- 
mischen \  so  kommen  im  Gesamtzuschnitt  der 
vorhandenen  Schnellbahnnetze  doch  die  viel- 
fachen Abweichungen  und  Zufälligkeiten  ge- 
schichtlicher Entwicklung  stark  zum  Ausdruck. 
Sie  weisen  neben  ausgesprochenen  Durch- 
dringungslinien in  Wirklichkeit  zahlreiche 
Gelegenheitslinien  auf,  die  überwiegend  oder 
ausschließlich  dem  Stadt-  und  Vorortverkehr 
dienen.  Eine  überaus  große  Zahl  der  aus  der 
Entwicklungszeit  der  Dampfeisenbahn  stammen- 
den Schnellbahnen  sind  ausgesprochene  Vorort- 
bahnen, die  den  Wohnverkehr  an  den  Grenzen 
der  Innenstadt  an  die  Straßenbahnen  und 
Omnibusse  zur  Weiter\'erteilung  abtreten. 
Schnellbahnen  mit  reinem  Stadtbahn- 
charakter, die  des  mittelbaren  oder  unmittel- 
baren Zusammenhangs  mit  V^orortstrecken  ent- 
behren,  kommen   seltener  vor  (Glasgow  City 

Ry-)- 

Die  ältere  Entwicklung  des  Schnellbahn- 
wesens hat  sich  im  Dampfbetrieb  vollzogen. 
Sie  ist  im  wesentlichen  dadurch  gekennzeichnet, 
daß  die  Züge  nur  bis  zu  den  Einführungs- 
bahnhöfen an  den  Grenzen  der  Innenstadt 
vordringen  und  sich  vielfach  sogar  auch  der- 
selben Streckengleise  bedienen  wie  die  Haupt- 
bahnen. Auch  heute  noch  sind  fast  alle  Fernbahn- 
höfe auch  Einführungspunkte  für  den  Vorort- 
verkehr, sei  es,  daß  Vorort-  und  Fernzüge  in  einer 
einzigen  Bahnhofgruppe  abgefertigt  oder  den 
Fernbahnhöfen  besondere  Vorortstationen  an- 
gegliedert werden.  Dagegen  finden  sich  nur 
wenige  selbständige  Einführungspunkte,  die 
ausschließlich  dem  Vorortverkehr  dienen.  Die 
Hergabe  der  Ferngleise  für  die  Ortzüge  ist  vom 
Standpunkt  der  Betriebsführung,  Sicherheit  und 
Leistungsfähigkeit  zu  beanstanden  und  schon 
seit    Jahrzehnten   wird    daran    gearbeitet,    den 

'  Kemniann,  Der  Londoner  Verkehr  nacli  dem 
Bericht  des  englischen  Handelsamtes.  Berlin  1909, 
Springer. 


Stadtschnellbahnen. 


135 


Ortverkehr  von  den  Fernbahnen  mehr  und 
mehr  loszulösen.  Auch  die  aus  dem  Dampf- 
betrieb    überkommenen     mannigfachen     Ver- 


zur  elektrischen  Betriebsweise  bietet  hier 
Gelegenheit  zu  wesentlichen  Vereinfachungen. 
Einstweilen  aber  stellen  sich  die  aus  der  Zeit 


aufwärts 


abvräils 
Abb.  142.  Betriebsfertige  Fahrtreppe 


aufwärt 


abwärts 
Abb.  143.  im  Bau  befindliclie  Falirtreppe. 


kettungen  der  Ortgleise  untereinander  sucht 
man  nach  und  nach  zu  vereinfachen  und  zu 
verringern.  Der  Übergang  von  der  Dampfkraft 


des  Dampfbetriebs  stammenden  Schnellbahn- 
netze allenthalben  noch  dar  als  ein  System  der 
Verkettungen  von   Gürtelbahnen    und  Zentral- 


136 


Stadtschnellbahnen. 


linicn,  Boizenstrcckcn  und  Rückkelirschleifen, 
die  in  mannigfachster  Anordnung  und  unter  den 
verschiedenartigsten  Namen  und  Bezeichnungen 
das  Außengebiet  der  Städte  durchziehen,  und 
von  diesen  älteren  Systemen  sind  die  neuer- 
dings ihnen  eingegliederten  elektrischen  Durch- 
dringungs-Schnellbahnen deutlich  unterschieden, 
bei  denen  eine  größere  Selbständigkeit  in  der 
Linienführung  zum  obersten  Grundsatz  ge- 
worden ist. 

Die  geschichtliche  Entwicklung,  Verschieden- 
heiten der  örtlichen  Verhältnisse,  der  Auf- 
fassungen maßgebender  Fachleute  und  andere 
Umstände  haben  zu  einer  Größenverschiedenheit 
des  Lichtraums  der  Schnellbahnen  geführt, 
die  bei  dem  heutigen  Stand  des  Schnellbahn- 
wesens durchaus  unerwünscht  ist,  da  sie  den 
Austausch  von  Betriebsmitteln  zwischen  ein- 
zelnen Linien  oder  Liniengruppen  und  die 
Anlage  zentraler  Betriebsstätten  für  alle  Linien 
unmöglich  macht.  Die  auf  Taf.  111  zusammen- 
gestellten Beispiele  zeigen,  daß  bisher  in  der 
Bemessung  der  Tunnelquerschnitte  völlige 
Willkür  gewaltet  hat. 

3.   Bahnhofsformen. 

In  Tunnelstrecken  sind  die  Bahnhöfe  mög- 
lichst nahe  unter  dem  Straßenboden   anzu- 
ordnen,  um  sie   auf  kurzen   Treppenläufen 
oder    mittelbar  über   ein    Zwischengeschoß 
erreichen  zu  können,  in  das  die  Fahrkarten- 
halle einbezogen  werden  kann.  Die  Bahnhöfe 
der  Tieftunnel  werden    mit  Aufzügen    oder 
besser    mit    Fahrtreppen    bedient.     Letztere 
vermögen  in  der  auf  den  Londoner  Unter- 
grundbahnen verwendeten  mustergültigen  Aus- 
führung   —    zu  vgl.  Abb.  142  u.    143    —    auf 
einem  einzigen  Lauf  von  etwa  1  ni  Breite  2000 
bis  3000  Fahrgäste  in  der  Stunde  zu  befördern. 

Gemeinschaftsbahnhöfe  sind  nach  den  ört- 
lichen Verhältnissen  so  zu  gestalten,  daß  ohne 
Aufwendung  unangemessener  Geldmittel  der 
Umsteigverkehr  möglichst  erleichtert  wird.  Die 
vollkommenste  Bahnhofs- 
form ist  die,  welche  ge- 
stattet, Züge  gleicher  Fahr- 
richtungen an  den  beiden 
Kanten  eines  Bahnsteigs 
abzufertigen  („Richtungs- 
betrieb" im  Gegensatz  zum 
„Linienbetrieb"  s.  Mehrgleisige  Strecken).  Auch 
Kreuzungstationen  von  „turmförmiger"  Anord- 
nung gestatten  bequemes  Umsteigen.  Bei  den 
Pariser  und  Londoner  elektrischen  Schnell- 
bahnen sind  die  Interessen  des  Umsteigver- 
kehrs denen  der  Linienführung  untergeordnet, 
ohne  daß  das  reisende  Publikum  gleichwohl 
zu  Beschwerden  Anlaß  genommen  hätte. 


Ferner  ist  den  Ansprüchen  der  Betriebs- 
sicherheit in  weitestgehendem  Maße  Rechnung  zu 
tragen,  dabei  jedoch  größtmöglichste  Leistungs- 
fähigkeit der  Bahnhofsanlagen  zu  wahren.  Die  aus 
Sicherheitsgründen  verschiedentlich  erhobene 
Forderung,  von  Gleiszusammenführungen  an 
der  Einfahrseite  der  Bahnhöfe  abzusehen,  er- 
scheint im  allgemeinen  und  zumindest  bei  An- 
wendung der  im  selbsttätigen  Sicherungswesen 
üblichen  Grundsätze  als  zu  weitgehend;  unter 
Umständen  würde  sie  die  Durchführung  ein- 
facher Bahnhofsformen  unmöglich  machen  und 
den  Umsteigverkehr  erschweren. 

Die  Anwendung  von  Inselbahnsteigen  verdient 
vor  der  geschichtlich  überkommenen  Form  der 
Außensteige  im  allgemeinen  den  Vorzug.  Im 
übrigen  können  beide  Bahnsteigarten  auch  an 
ein  und  derselben  Linie  unbedenklich  ver- 
wendet werden.  In  Stationen,  die  zeitweilig 
ohne  Aufenthalt  durchfahren  werden,  sind 
Seitenbahnsteige  anzuordnen. 


5cH|niH'  r>dcl)  a- 


b. 


Abb.  114.  Beriihrungsstation. 

In  den  Abb.  144-  147  sind  einige  moderne  Bahn- 
hofsformen für  einander  berührende  und  gabelnde 
Linien  sowie  für  Kehrstationen  dargestellt. 

Die  in  Abb.  144  angegebene  Form  einer  Station  mit 
Riclitnngsbetrieb  für  zwei  einander  berührende 
Linien  findet  in  engeren  Straßenzügen  Anwendimg. 
Die  Oleispaare  /,  2  und  /,  //  sind  so  gegeneinander 
verschoben,  daß  sie  in  der  üeineinschaftstation 
übereinander  liegen.  Auf  dem  Qemeinschaftsbahnhof 
B  wird  zwischen  den  Gleisen  /  und  /  und  auf  dem 


Abb    145.  AbEweigungsstatioii  mit  Richtungsbetrieb. 


darunter  befindlichen  Gemeinschaftsbahnhof  ß, 
zwischen  den  beiden  anderen  Gleisen  umgestiegen. 
Beim  Bahnsteigwechsel  ist  nur  ein  einziger  Treppen- 
lanf  zu  überwinden. 

Abb.  145  stellt  eine  Abzweigungstation  mit 
Richtungsbelrieb  dar,  bei  der  Schienenkreuzungen 
vermieden  sind.  Die  Gleise  /  und  2  der  einen  An- 
schUißlinie  befinden  sich  zwischen  den  beiden  Bahn- 
steigen, die  Gleise  J  und  4  der  andern  Linie  liegen 
außerhalb.    Auf    dem    Gleis   /  ankommende   Züge 


I 


Eniyklopidie  des  Eicenbahn-resens.  2.  Aafl.  IX. 


Stadtschnell  bahne 


Wilmersdorf  er  Bahn. 


Betrlebsllnlni  der  Berünet  Hochbahn  Gesellschaft. 


Hamburg. 


Budapest. 


Wien  (Entwurf). 


Mittelweg 


Sladtbahnlunnel. 


Große 

Nord-  und  Citybahn. 

(Doppelrnhre  ) 


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Zwdheitnelz  (im  Bau). 


Hudson-" und  Manhaltmbahn. 


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Peiinsylvanische  Bahn  (Nordflußtuntiel), 


i3z; — ^i        n: 


Cambridgelinie. 


Marklstraßenlunnel. 

Philadelphia. 


Tunnelquerschnitte 

der  wichtigsten  Stadtschnellbahnen. 


Verlag  von  Urban  &  Schu-arienberg  in  Berlin  u,  Wien. 


Stadtschnellbahnen. 


137 


fahren  an  der  ihrem  Ziel  entsprechenden  Seite  des 
Bahnsteigs^  vor;  der  Bahnsteig  ß  wird  von  den 
auf  den  Gleisen  2  und  4  einfahrenden  Zügen  benutzt. 
Zur  Sicherung  der  Ausfahrt  kann  für  die  eine  Richtung 
noch  ein  Stumpfgleis  Anwendung  finden.  Bei  be- 
schränkter Breite  können  die  Bahnsteige  auch  über- 
einander angeordnet  werden. 

In  Abb.  146  ist  eine  einfache  Kehrstation 
veranschaulicht.  Die  auf  Gleis  /  einlaufenden  Züge 
fahren   entweder  in   der  Richtung  /  weiter  oder  in 


Abb.  146.   Einfache  Kehrstation. 

eines  der  jenseits  des  Bahnhofs  angeordneten  beiden 
Umkehrgleise,  aus  dem  sie  nach  Gleis  //  zur  Ab- 
fahrt umsetzen.  Züge  aus  Gleis  2  fahren  in  der 
Richtung  //  ohneweiters  durch.  Diese  Bahnhofsform 
ist  für  einen  starken  Zugumlauf  bestimmt.  Bei 
schwächerem  Verkehr  ist  es  zulässig,  die  Umkehr  der 
Züge  vor  dem  Bahnhof  über  eine  Weichen- 
verbindung w  stattfinden  zu  lassen.  Ein  auf  Gleis  / 
einlaufender  Zug  fährt  nach  der  Abfertigung  am 
Bahnsteig  durch  diese  Weichenverbindung  über 
Gleis  //"aus.  Sollen  auf  einer  Endstation  die  Züge 
an  den  beiden  Bahnsteigseiten  abwechselnd  einfahren, 
wie  es  häufig  gefordert  wird,  so  ist  die  Verbindung 
w  zu  einem  Weichenkreuz  zu  ergänzen. 

Weiter  ist  in  Abb.  147  noch  eine  Doppelkehr- 


Zweckmäßigkeitsgründe  und  die  Forderungen 
der  Betriebssicherheit  und  Leistungsfähigkeit 
maßgebend  sein.  Die  äußere  Erscheinung  und 
das  künstlerische  Aussehen  der  Bahnhöfe 
müssen  vollständig  den  Zweckmäßigkeitsformen 
angepaßt  werden. 

Wegen  weiterer  Ausführungen  über  die  Bahn- 
höfe, die  Bahnausrüstung,  Betriebsmittel  und 
Betriebsstätten  ist  auf  die  in 
diesem  Werk  enthaltenen  Ein- 
zelbeschreibungen und  auf  die 
neuerdings  außerordentlich  an- 
gewachsene Literatur  über  die 
Großstadtschnellbahnen  zu  verweisen.  Zu  ver- 
gleichen sind  auch  die  Abschnitte  dieses  Werkes 
über  Bahnhöfe,  Mehrgleisige  Strecken,  Personen- 
wagen u.  s.  w. 

4.  Bauweise  der  Schnellbahntunnel. 

Von  besonderer  Bedeutung  ist  die  Aus- 
führungsweise der  Schnellbahn  in  Tunnel- 
strecken. Aus  Tai  III  ist  ersichtlich,  daß 
gewölbte,  rechteckige  und  röhrenförmige  Quer- 
schnitte in  den  mannigfachsten  Größenverhält- 
nissen vorkommen;   selbst    im    Zug  einer  und 


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Abb.  147.  Doppelkehrstation. 


Station  dargestellt,  die  so  eingerichtet  ist,  daß  kein 
einfahrender  Zug  Weichen  zu  passieren  hat.  Die  von 
A  kommenden  Züge  fahren  auf  Gleis  /  ein  und 
gelangen  über  eines  der  Kehrgleise  2  oder  3  in  das 
Abfahrgleis  4.  Von  B  laufen  die  Züge  auf  Gleis  3 
ein  und  setzen  über  das  Kehrgleis  6  nach  der  Ab- 
fahrseite in  Gleis  Zum.  Auf  den  Abfahrseiten  könnten 
2  Züge  in  den  Kreuzungen  k  und  ä,  einander  begegnen. 
Da  es  sich  dabei  aber  einerseits  um  ausfahrende 
Züge,  anderseits  um  Züge  handelt,  die  nach  der 
Einfahrt  in  das  Umsetzgleis  vorziehen,  die  Bewe- 
gungen dieser  Züge  außerdem  unter  ständiger  Über- 
wachung des  Fahrdienstleiters  vor  sich  gehen  und 
das  Geben  widersprechender  Signale  durch  die  Sicher- 
heitseinrichtungen ausgeschlossen  ist,  so  können 
die  in  den  Bahnhof  einfahrenden  Züge  durch  diese 
Bewegungen  nicht  gefährdet  werden.  Wo  die  Stellung 
der  Weichen  und  Signale  nicht  von  der  Mitwirkung 
von  Gleisströmen  abhängig  gemacht  ist,  wird  es  sich 
empfehlen,  noch  2  Sicherheitsweichen  s  und  s,  vor- 
zusehen, während  derartige  Weichen  für  die  aus 
den  Kehrgleisen  vorziehenden  Züge  überflüssig  sind, 
da  diese  beim  Vorrücken  an  den  Bahnsteig  ohnehin 
eine  nennenswerte  Geschwindigkeit  nicht  entwickeln 
können.  Die  geschilderte  Betriebsweise  gewährt  beiden 
Bahnen  auch  bei  Durchführung  dichtester  Zugfolge 
die  erforderliche  Bewegungsfreiheit  für  die  Aufstellung 
des  Fahrplans. 

Vereinigungen  der  angeführten  Bahnhofs- 
formen sind  in  den  verschiedensten  Formen 
möglich.  Bei  ihrer  Durchbildung  sollen  lediglich 


derselben  Linie  wechselt  die  Form  je  nach  der 
anzuwendenden  Bauweise  vielfach  ab.  Auch 
nach  der  Tiefenlage,  der  Art  der  zu  durch- 
tunnelnden  oder  zu  unterfahrenden  Baugründe 
und  baulichen  Anlagen  (Wasserläufe,  Sumpf- 
strecken, Felsabschnitte,  bebaute  Grundstücke, 
Rohrnetze  u.  s.  w.)  sind  die  Querschnittsformen 
sehr  verschieden.  Von  den  bekannten  berg- 
männischen Tunnelbauverfahren  ausgehend, 
sind  die  Bauweisen  in  der  neuesten  Zeit  zu 
einem  Grad  der  Vollkommenheit  entwickelt 
worden,  die  eine  völlig  neue  Tunnelbauwissen- 
schaft begründet  hat.  Ausführungen  in  offenen 
oder  für  den  Straßenverkehr  vorübergehend 
überdeckten  Baugruben  sind  für  alle  Quer- 
schnittsformen und  Baugründe  angewendet. 
Für  größere  Tiefenlagen  der  Tunnel  tritt  zu 
den  überkommenen  bergmännischen  Verfahren 
das  des  Vortriebs  mit  Schilden  oder  schild- 
artigen Werkzeugen,  die  -  wie  beim  Kreis- 
querschnitt -  die  ganze  Brust  des  Tunnels 
einnehmen  oder  -  wie  bei  gewölbten  Quer- 
schnitten -  als  Firsten-  oder  Sohlstollen- 
schilde für  die  Ausführung  mitbenutzt  werden. 
Die  Anwendung  der  Druckluft  in  wasser- 
führendem oder  schlammigem  Boden  führt  zu 


138 


Stadtschnellbahnen. 


*  s 


besonderen  Formen  der  Vortriebschilde,  deren 
Durchbildung  den  größten  Scharfsinn  der 
Ingenieure  herausgefordert  hat.  Die  seit  langem 
für  Pfeilerbauten  angewendete  Druckluftgrün- 
dung hat  eine  wichtige  Ausbildung  auch  im 
Tunnelbau  erfahren,  namentlich  für  Fälle,  in 
denen  eine  Unterschreitung  von  Wasserläufen 
erforderlich  wurde.  In  5 
Berlin  hat  die  Art  der 
Wasserhaltung  durch 
Grundwassersenkung 
zu  einem  eigenartigen 
Bauverfahren  geführt, 
das  bei  der  Kreuzung 
von  Flußläufen  noch 
besondere  Ausbildun- 
gen erfahren  mußte. 
Als  Sonderfälle  der 
Bauausführung  möge 
noch  die  Einbettung 
fertiger  Tunnelab- 
schnitte in  eine  auf  der 
Flußsohle  ausgebag- 
gerte Rinne  erwähnt 
werden.  Wegen  der 
sonstigen  Bauweisen 
sei  auf  die  in  neuerer 
Zeit  außerordentlich 
stark  angewachsene  Li- 
teratur hingewiesen  (s. 
auch  den  Artikel  über 
Tunnelbau).  Die  Bau- 
kosten der  Tunnel- 
schnellbahnen gehen 
über  das  bei  sonstigen 
Eisenbahnanlagen  üb- 
liche Maß  weit  hinaus. 


5.  Betrieb    und 
Verkehr. 

Der  Stadtschnellver- 
kehr vollzieht  sich  in 
starken  Wellenbewe- 
gungen, die  abgesehen 
von  den  Jahres-,  Mo- 
nats- und  Wochen-  ^ 
Schwankungen  insbe- 
sondere im  Laufe  eines 
Tages  außerordentliche 
weisen.    In    den  Früh- 


auf den  Schnellbahnen  einfindet.  Bei  den  Durch- 
dringungslinien zeigen  die  Kurven  des  Verkehrs 
infolge  der  hinzutretenden  innenstädtischen 
Strömungen  im  allgemeinen  eine  etwas  gleich- 
mäßigere Gestaltung.  Ihren  Höhepunkt  erreichen 
die  Verkehrswellen  an  Sonn-  und  Festtagen  oder 
bei    besonderen  Gelegenheiten;   so   rufen   das 


S3  a  S  t'  5" 


Abb.  I4S.  starrer  Fahrplan  der  Londoner  Distriktbahn 


Ungleichheiten  auf- 
und  Vorniittagstunden 
sind  die  Fahrten  hauptsächlich  stadteinwärts, 
in  den  Nachmittag-  und  Abendstunden  nach 
außen  gerichtet.  Die  größten  Verschiedenheiten 
treten  im  Vorortverkehr  auf,  der  sich  im  wesent- 
lichen auf  einige  Vormittag-,  Nachmittag-  und 
Abendstunden  zusammendrängt,  in  denen  sich 
hauptsächlich  die  Berufstätigen,  abends  auch 
die  der  Geselligkeit  nachgehende  Bevölkerung 


Erholungsbedürfnis,  Veranstaltungen  im  Freien 
-  Regatten,  Rennen,  Sportfeste  - ,  oft  lediglich 
durch  die  Witterung  bedingt,  wahre  Sturmfluten 
im  Verkehr  hervor,  die  die  stärksten  Erhebungen 
des  Normalverkehrs  um  das  6-7fache  über- 
schreiten. 

Den  geschilderten  Verhältnissen  gegenüber 
hat  die  Betriebsführung  mit  außerordentlichen 
Schwierigkeiten  zu  kämpfen,  die  dadurch  noch 
besonders  vermehrt  werden,  daß  die  zeitlichen 


Stadtschnellbahnen. 


139 


und  örtlichen  Ungleichheiten  des  Verkehrs  an 
den  verschiedenen  Stellen  des  Stadtgebiets  auch 
wieder  im  einzelnen  die  wechselvollsten  Bilder 
zeigen.  Die  Aufgaben,  die  im  Betriebsdienst  in 
bezug  auf  die  Aufstellung  des  Zugbildungsplans, 
die  Verteilung  der  Züge  und  die  Bemessung 
der  Zugstärken  gestellt  werden,  gehören  zu  den 
schwierigsten  des  Eisenbahnwesens.  Sie  werden 
noch  besonders  erschwert,  wenn  bei  der  Fest- 
steilung der  Gesamtanlage  und   der  Betriebs- 


der  Sonn-  und  Festtage,  überhaupt  im  Aus-- 
flugsverkehr,  gibt  das  starre  Fahrplanschema 
das  Tempo  an  für  den  gesamten  Zugumlauf; 
den  Ungewißheiten  gegenüber,  die  durch 
plötzliche  Witterungseinflüsse  und  andere  Um- 
stände herbeigeführt  werden,  hilft  sich  die 
Verwaltung  durch  Einstellung  möglichst  vieler 
Bedarfszüge  in  den  Dienstfahrplan,  die,  jederzeit 
verwendungsbereit,  je  nach  den  eintretenden 
Erfordernissen  augenblicklich   in  den  Verkehr 


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Abb.  149.  Durchfahrbetrieb  auf  der  Piccadillybahn  in  London. 
Bemerkung:    In  den  durch  Punkte  bezeichneten  Stationen   fahren 
Züge  durch. 

einrichtungen    neuer  Schnellbahnen    nicht   die 
nötige  Sorgfalt  angewendet  wird. 

Die  Mannigfaltigkeit  und  Massenhaftigkeit  der 
beanspruchten  Leistungen  kann  nur  durch  ge- 
steigerte Gesetzmäßigkeit  im  Aufbau  der  Zug- 
umlaufpläne gewährleistet  werden,  die  ihren 
Ausdruck  in  dem  sog.  „starren  Fahrplanschema" 
findet,  das  gewissermaßen  ein  Skelett  darstellt, 
aus  dem  die  ganze  Mannigfaltigkeit  des  Zug- 
umlaufs entwickelt  werden  muß.  Das  gilt  auch 
für  den  reinen  Vorortverkehr,  wenngleich  hier 
die  Zugfolge  auf  der  gesetzmäßigen  Grundlage 
nach  freierem  Ermessen  dem  Bedürfnis  an- 
gepaßt werden   kann.    Aber  auch   im  Verkehr 


Abb.  150.  Durchfahrbetrieb  auf  der  Hampsteadbahn 
(jjp  in  London. 

Bemerkung:  Die  Fahrten  von  Charing  Gross  über 
Camden  Town  nach  Oolders  Green  sind  mit  durch- 
laufenden, nach  Highgate  mit  unterbrochenem  Strich 
dargestellt.  In  den  durch  geschlossene  oder  offene 
Punkte  gekennzeichneten  Stationen  fahren  die 
Züge  durch. 

gebracht  werden  können.  Normale  Verkehrs- 
verhältnisse erfordern  einen  nach  innen  zu 
allmählich  dichter  werdenden  Wagenumlauf, 
d.  h.  eine  Vermehrung  der  Zugzahl,  die  nach 
Möglichkeit  zu  verbinden  ist  mit  einer  Ver- 
stärkung der  Züge  selbst.  Bei  den  älteren  Schnell- 
bahnen ergeben  sich  die  inneren  Verstärkungen 
ohneweiters  aus  der  .Art  ihrer  Verkettungen,  die 
eine  Verschmelzung  der  Zugverkehre  im  Innern 
des  Stadtgebiets  zurVoraussetzung  hat  (Abb.  1 48). 
Bei    unverketteten  Linien   wird    die  Staffelung 


140 


Stadtschnellbahnen. 


des  Zugumlaufs  in  der  in  den  Abb.  146  u.  147 
angedeuteten  Weise  durch  Kehrstationen  her- 
beigeführt, bei  deren  Ausgestaltung  auch  die 
Verhältnisse  des  Ausfiugsverkehrs  gebührend 
zu  berücksichtigen  sind.  Die  Frage,  wie  der 
schwankenden  Verkehrsstärke  durch  Änderung 
der  Zugiängen  selbst  Rechnung  getragen  werden 
könne,  bietet  Schwierigkeiten,  für  die  bisher 
eine  befriedigende  Lösung  nicht  gefunden 
wurde.  Das  An-  und  Abhängen  einzelner  Wagen 
oder  Wagengruppen  im  laufenden  Betrieb  hat 
sich  nur  in  sehr  bescheidenem  Umfang  als 
durchführbar  erwiesen;  dagegen  hat  das  Ver- 
fahren des  Zugaustausches,  d.  h.  des  Ersatzes 
kürzerer  Züge  durch  längere  und  umgekehrt 
weitergehende  Anwendung  gefunden.  Hierher 
gehört  auch  eine  besondere  Ausbildung  der 
Außenstrecken,  deren  Verkehr  die  Durchfüh- 
rung längerer  Züge  wirtschaftlich  ungerecht- 
fertigt erscheinen  läßt,  in  der  Weise,  daß  die 
Außenlinien  mittels  bequem  eingerichteter  Um- 
steigstationen an  die  inneren  Stammstrecken 
angegliedert,  im  übrigen  nach  individuellem 
Plan  betrieben  werden.  Im  Betrieb  der  Eilzüge, 
der  Durchfahr-  (non  stop-)  Züge  und  der 
Staffelzüge  ergeben  sich  wieder  besondere  Auf- 
gaben, auf  die  hier  nicht  weiter  eingegangen 
werden  kann.  In  den  Abb.  14Q  u.  150  sind 
2  Beispiele  des  Durchfahrbetriebs  gezeigt,  bei 
dem,  wie  die  Abbildungen  erkennen  lassen, 
auch  eine  Erhöhung  der  Fahrgeschwindigkeit 
angestrebt  wird. 

6.  Fahrpreise^ 

Die  Schnellbahnen  sind  nur  frei  in  der 
Form  der  Fahrpreisbildung,  nicht  aber  hin- 
sichtlich der  Höhe  der  Fahrpreise,  in  der  sie 
dem  Wettbewerb  anderer  Verkehrsmittel  und 
den  allgemeinen  Verhältnissen  Rechnung  zu 
tragen   haben. 

Zur  Vereinfachung  der  Abfertigung  im 
Massenverkehr  der  Schnellbahnen  sind  die 
Tarifformen  möglichst  einfach  zu  gestalten; 
den  Grundsätzen  gerechter  Behandlung  der 
Fahrgäste  entspricht  eine  Abstaffelung  der 
Fahrpreise  nach  der  Entfernung,  unter  weitest- 
gehend gleichartiger  Behandlung  der  Fahrgäste. 
Beide  Forderungen  gleichzeitig  werden  weder 
von  dem  amerikanischen  oder  Pariser  Einheits- 
tarif, noch  von  der  geschichtlich  überkommenen 
Vielfältigkeit  des  Fahrkartenwesens  der  Londoner 
oder  staatlichen  Berliner  Schnellbahnen  erfüllt; 
sie  finden  ihre  volle  Verwirklichung  in  dem 
auf  der  Berliner  Hochbahn  durchgeführten 
Staffeltarif,  der  sich  auf  die  Ausgabe  von  Ein- 

'  Keinmann,  Die  Fahrpreise  der  Stadtschnellhahneii 
in  den  europäischen  und  amerikanischen  Großstädten. 
Ztsr.  d.  VDEV.  igi2,  Nr.  22  u.  23. 


zelkarten  beschränkt,  deren  Preise  nach  Ent- 
fernungszonen abgestuft  sind.  Die  den  arbei- 
tenden Klassen  zu  gewährenden  Ermäßigungen 
haben  sich  der  Staffel  zwanglos  einzugliedern 
(Frühkarten).  Die  Ausgabe  billigerer  Zeitkarten 
ist  mit  den  wirtschaftlichen  Interessen  der 
Schnellbahnen  nicht  vereinbar. 

Von  einigen  besonderen  Unternehmungen 
abgesehen,  sind  die  Fahrpreise  der  Schnell- 
bahnen im  allgemeinen  nicht  ausreichend,  um 
außer  der  Bestreitung  des  Betriebsaufwandes 
und  der  sonstigen  notwendigen  Ausgaben  und 
Rückstellungen  auch  das  Anlagekapital  aus- 
reichend zu  verzinsen.  Die  Ursachen  der  Un- 
zulänglichkeit wurzeln  zum  Teil  in  veralteten 
wirtschaftlichen  Anschauungen  und  Tarifgrund- 
sätzen, unter  denen  sich  die  Politik  der  Ver- 
kehrswerbung durch  niedrige  Fahrpreise  als 
besonders  verhängnisvoll  erwiesen  hat.  Ein- 
seitiges Erfassen  der  sozialen  Aufgaben,  das 
namentlich  der  Bodenspekulation  gegenüber 
oft  fehlgreift,  die  in  der  Gesamtheit  als  die 
„öffentliche  Meinung"  zu  bezeichnenden  Kräfte, 
die  fast  immer  negativ  arbeiten,  Mitbestim- 
mungsrechte öffentlicher  Körperschaften,  par- 
teipolitische Einflüsse  und  nicht  in  letzter  Linie 
der  Wettbewerb  der  Straßenbahnen  und  Om- 
nibusse -  vielfach  auch  der  Schnellbahnen 
selbst  -  sind  die  Triebfedern,  die  die  Fahrpreise 
ständig  unter  Druck  halten.  „Der  Wettbewerb 
hat  auch  die  außerordentliche  Ungleichartig- 
'keit  und  Vielgestaltigkeit  der  Tarifformen  im 
Londoner  Verkehr  verschuldet,  die  zudem 
infolge  dauernder  Änderungen  der  Tarifsätze 
selbst  das  ganze  Fahrpreiswesen  niemals  zur 
Ruhe  kommen  läßt"  (Berichte  des  englischen 
Handelsamtes). 

Die  durchschnittliche  Einnahme  aus  einer 
Fahrt  bewegt  sich  auf  den  selbständig  da- 
stehenden elektrischen  Schnellbahnen  zwi- 
schen 1 1  -5  Pf.  auf  der  Pariser  Stadtbahn  und 
21  Pf.  auf  den  Schnellbahnen  der  Vereinigten 
Staaten  von  Amerika.  Im  Gesamtbetriebsnetz 
der  Berliner  Hoch-  und  Untergrundbahn 
beträgt  sie  14  Pf.,  auf  ihren  Eigentumslinien 
13-2  Pf.;  in  London  liegt  sie  zwischen  12  und 
ISV'jPf.  Der  personenkilometrische  Betrag 
der  Fahrgeldeinnahnien  ist  nicht  nachweisbar. 
Sind  schon  die  Fahrpreisdurchschnitte  bei 
diesen  elektrischen  Schnellbahnen  unzurei- 
chend, so  gilt  dies  noch  in  weit  höherem 
Grad  von  den  mit  Großbahnnetzen  zusammen- 
hängenden und  noch  zum  größten  Teil  mit 
Dampfkraft  betriebenen  Schnellbahnen, 
die  geradezu  zu  Schleudertarifen  gelangt  sind, 
von  denen  sie  sich  nur  schwer  zu  befreien 
I  vermögen;  beträgt  doch  der  Einnahmedurch- 
I  schnitt  bei  der  Berliner  Stadt-  und  Ringbahn 


Stadtschnellbahnen. 


141 


nur  7\,  Pf.;  zu  einer  so  weitgehenden  Tarif- 
verbilligung hat  man  sich  in  keiner  andern 
Großstadt  auch  unter  dem  schärfsten  Druck 
des  Wettbewerbs  entschließen  können. 

Einzelheiten  über  die  Fahrpreise  der  ver- 
schiedenen Schnellbahnen  finden  sich  in  den 
diese  behandelnden  besonderen  Artikel. 

7.  Wirtschaftsformen. 

Die  Frage,  ob  die  Schnellbahnen  zweck- 
mäßiger auf  privatwirtschaftlicher  oder  gemein- 
wirtschaftlicher Grundlage  zu  errichten  seien, 
bleibt  unentschieden,  da  sie  auch  in  der  Hand 
der  Privatunternehmung  als  „gemeinnützige 
Betriebe"  anzusehen  sind,  wie  dies  auch  im 
Sinne  des  New  Yorker  Schnellverkehrsgesetzes 
liegt. 

Die  Regeln,  nach  denen  diese  Verkehrs- 
mittel, Volleisenbahnen  in  denkbar  verfeinerter 
Durchbildung,  im  öffentlichen  Interesse  aus- 
gestaltet werden  müssen,  nach  denen  die  Be- 
triebsführung, der  Sicherheitsdienst,  die  Ober- 
wachung  gehandhabt  werden,  weichen  bei 
beiden  Wirtschaftsformen  auch  nicht  im  kleinsten 
Punkt  voneinander  ab.  Bezeichnend  ist,  daß 
gerade  die  vollkommensten  aller  Schnellbahnen 
von  Privatgesellschaften  errichtet  sind.  Aus  dem 
gemeinnützigen  Charakter  der  Unternehmungen 
folgt  aber  auch,  daß  da,  wo  private  Mittel  für 
die  Zwecke  des  großstädtischen  Schnellverkehrs 
mangels  ausreichender  Wirtschaftlichkeit  nicht 
zu  haben  sind,  die  Allgemeinheit  in  irgend  einer 
Form  unterstützend  einzuspringen  hat,  gleich- 
viel, unter  welcher  Form  das  Unternehmen 
bewirtschaftet  wird.  Die  Geldbeschaffung  kann 
den  Unternehmungen  in  den  verschiedensten 
Formen  erleichtert  werden,  sei  es,  daß  Kapitalien 
zu  billigem  Zinsfuß  beigesteuert,  Zinsbürg- 
schaften übernommen  oder  zweit-  oder  dritt- 
stellige  Kapitalanteile  übernommen  werden.  Auch 
die  Bürgschaft  für  gewisse  Mindesteinnahmen, 
Zahlung  von  Betriebszuschüssen,  unentgeltliche 
Hergabe  von  Grund  und  Boden  gehören  hierher. 
Im  Falle  der  Aufschließungsbahnen  würden  auch 
die  Anlieger  zwangsweise  mit  Zuschüssen  be- 
lastet werden  können.  Finanzielle  Unterstützung 
ist  Vorbedingung  in  allen  Fällen,  in  denen  Ge- 
meinden Angliederungen  an  ein  Schnellverkehrs- 
netz und  dessen  Betrieb  mittels  Linien  suchen, 
für  die  ein  befriedigendes  Ergebnis  einstweilen 
nicht  anzunehmen  ist.  Die  Linien  haben  sich 
in  diesem  Fall  baulich  und  betrieblich  dem 
Stammnetz  völlig  anzugliedern. 

Das  zuletzt  angeführte  Beispiel  stellt  einen 
Sonderfall  der  gemischtwirtschaftlichen 
Form  der  Schnellbahnunternehmung  dar.  Die 
von  Lord  Avebury  gerügten  Mängel  städtischer 
Verkehrsbetriebe     -     hervorgehend    aus    der 


Schwerfälligkeit  städtischer  Verwaltungen,  den 
Gefahren  der  Überschuldung,  den  sozialen 
Rücksichten,  mangelnder  Sparsamkeit  in  der 
Wirtschaftsführung,  Mangel  an  Trieb  zur  Wei- 
terentwicklung und  erfinderischen  Vervollkomm- 
nung der  Betriebseinrichtungen  -  sind  bei 
der  gemischtwirtschaftlichen  Unternehmung 
jedenfalls  vermieden.  Sie  entspringt  aus  dem 
Gedanken,  daß  es  demjenigen,  dem  die  Herr- 
schaft über  die  Straße  zusteht,  auch  unbenom- 
men bleiben  müsse,  zu  den  mannigfachen 
Anlagen,  die  er  sonst  im  Straßenkörper  unter- 
zubringen pflegt,  auch  die  Schnellbahnen  we- 
nigstens in  eigene  Bauausführung  zu  nehmen, 
wenn  er  auch  die  Betriebsführung  durch  Dritte 
pachtweise  bewerkstelligen  lassen  will.  Dieser 
Auffassung  ist  durch  stadtseitige  Herstellung 
des  Tunnelkörpers  im  wesentlichen  genügt; 
nur  in  Ausnahmefällen  haben  sich  die  Städte 
auch  mit  der  Erstellung  von  Hochbahn- 
strecken befaßt.  Die  Ausrüstung  der  Schnell- 
bahn und  die  Beschaffung  der  Betriebskraft 
ist  bisher  in  allen  Fällen  Sache  des  Pächters 
geblieben.  Die  Bemessung  der  Tunnelpacht 
oder  Bahnpacht  hängt  von  den  Umständen 
ab;  vielfach  ist  sie  so  bemessen,  daß  sie  für 
die  Verzinsung  und  Tilgung  der  städtischen 
Anleihen  ausreicht,  aus  deren  Erlös  die  Bahn- 
körper hergestellt  sind,  wobei  für  den  Betriebs- 
unternehmer immerhin  der  große  Vorteil  her- 
ausspringt, daß  der  Zinsfuß  in  mäßigen  Grenzen 
bleibt.  In  anderen  Fällen  hat  die  Pächterin 
einen  Teil  der  Fahrpreiseinnahmen  an  die  Stadt 
abzuführen  oder  für  jeden  durch  den  Tunnel 
geführten  Wagen  eine  bestimmte  Abgabe  zu 
entrichten;  auch  der  Fall,  daß  die  Fahrgäste 
beim  Lösen  der  Fahrkarten  dem  Fahrpreis 
noch  einen  Zoll  für  die  Stadt  zuzulegen  haben, 
kommt  vor.  Der  gemeinnützige  Charakter  der 
Schnellbahnen  gelangt  in  den  Fällen  mit  be- 
sonderer Deutlichkeit  zum  Ausdruck,  in  denen 
der  Betriebsunternehmerin  gestattet  ist,  vorweg 
aus  den  Einnahmen  ausreichende  Mittel  für 
den  eigenen  Kapitaldienst  einzubehalten;  in 
allen  anderen  Fällen  ist  es  Sache  des  Betriebs- 
pächters, von  vornherein  zu  prüfen,  ob  das 
Unternehmen  außer  dem  Pachtschilling  noch 
genügende  Überschüsse  für  seine  eigenen 
Zwecke  abwirft. 

Tritt  in  diesen  Fällen  der  kommunale  Zu- 
schnitt der  Schnellbahnen  unmittelbar  zu  tage, 
so  hat  sich  die  Kommunalpolitik  vielfach  auch 
mittelbaren  Einfluß  auf  die  Privatschnell- 
bahnen gesichert.  Der  kommunale  Einschlag 
offenbart  sich  in  den  den  Städten  vielfach 
ausbedungenen  Übernahmerechten,  nach  denen 
diesen  das  Unternehmen  nach  einer  bestimm- 
ten   Zeit   zum    Teil    oder   im    ganzen    Umfang 


142 


Stadtschnellbahnen. 


unentgeltlich  anheimfällt,  im  übrigen  von  Zeit 
zu  Zeit  auf  Verlangen  käuflich  zu  überlassen  ist. 

a)  Wirtschaftliche  Lage. 

Schnellbahnen  erfordern,  wo  nicht  besonders 
günstige  Verhältnisse  vorliegen,  wie  in  Paris, 
einen  Anlageaufwand,  der  bei  keiner  andern 
Bahngattung  auch  nur  im  entferntesten  er- 
reicht wird.  Schnellbahnen,  die  als  Hochbahnen 
gebaut  werden,  erfordern  etwa  das  lOfache, 
als  Untergrundbahnen  das  20-30fache  der 
Kosten  gleichlanger  Straßenbahnen.  Anlage- 
kosten bis  zu  lOMill.M.  und  selbst  darüber  sind 
für  zweigleisige  Tunnelbahnen  im  Stadtinnern 
nichts  Ungewöhnliches;  selbst  in  Außengebie- 
ten, wo  die  Schnellbahn  auf  Dämmen  und  in 
Einschnitten  geführt  werden  kann,  sind  die 
kilometrischen  Anlagekosten  immer  noch  bis 
auf  etwa   1  ^j  Mill.  M.  zu  veranschlagen. 

Wenn  nun  auch  die  Schnellbahnen  eine 
erheblich  größere  Zahl  von  Fahrgästen 
befördern  können  als  die  Straßenbahnen,  so 
haben  die  Erfahrungen  gezeigt,  daß  es  wegen 
der  hohen  Anlagekosten  selbst  mit  erheblichen 
Beihilfen  der  Wegeunterhaltungspflichtigen  und 
der  Anlieger  sehr  schwierig  ist,  ein  angemessenes 
Erträgnis  zu  erwirtschaften.  Die  kilometrische 
Beförderungsziffer  der  einzelnen  Unterneh- 
mungen bewegtsichindenOesamtdurchschnitten 
etwa  zwischen  2  und  2V2  Mill.  Personen;  nur 
in  Ausnahmefällen  geht  sie  über  4  Mill.  hinaus, 
wie  in  Paris,  wo  auf  den  Linien  der  Stadtbahn 
auf  das  Bahn/t/«  etwa  5  Mill.  Personen  befördert 
werden,  oder  in  New  York,  dessen  ungeheurer 
Verkehr  sich  sogar  bis  auf  8  Mill.  erhebt.  Die 
Berliner  Hoch-  und  Untergrundbahn  befördert 
3V4  Mill.  Fahrgäste  auf  das  Bahn^m. 

Der  Beförderungsziffer  entsprechend  halten 
sich  auch  die  Verkehrseinnahmen  in  be- 
scheidenen Grenzen.  Die  Ausgaben  dagegen 
werden  durch  die  festen  Lasten,  die  stetig 
wachsenden  Löhne  und  Materialpreise,  die  den 
Betrieb,  die  Unterhaltungs-  und  Erneuerungs- 
arbeiten der  Anlagen  unaufhaltsam  verteuern, 
immer  weiter  in  die  Höhe  getrieben.  Für  Ab- 
schreibungen ist  nur  selten  in  auskömmlichem 
Maße  gesorgt  worden. 

Aus  den  Verkehrsüberschüssen  lassen 
sich  daher  die  in  den  Schnellbahnen  angelegten 
ungeheuren  Kapitalien  nur  in  besonderen  Fällen 
ausreichend  verzinsen.  Nur  wenige  Schnell- 
bahnen sind  auch  -  wie  etwa  die  Berliner 
Hoch-  und  Untergrundbahn  -  im  stände, 
das  Erträgnis  durch  Nebeneinnahmen  aus  Ver- 
mietungen und  Verpachtungen,  dem  Reklame- 
wesen, Übernahme  der  Betriebsführung  für 
andere  Linien,  Zuschüssen  u.  dgl.  nennenswert 
aufzubessern.  Wird  für  das  Gesamtkapital  die 


bescheidene  Forderung  einer  auch  nur  4  *»  igen 
Verzinsung  aufgestellt,  so  gibt  es  in  England 
keine  einzige  unter  den  unzähligen  Stadt-  und 
Vorortbahnen,  die  eine  derartige  Rentabilität 
aufweisen.  Von  den  Schnellbahnen  der  Ver- 
einigten Staaten  stehen  nur  die  bedeutendsten 
New  Yorker  Unternehmungen  und  unter  den 
europäischen  nur  die  Pariser  Stadtbahn  günstiger 
da.  Die  Berliner  Hochbahn  hat  vor  dem  Krieg 
mit  Hilfe  von  Nebeneinnahmen  und  Zuschüssen 
den  Durchschnittsertrag  auf  4-8  %  des  Gesamt- 
kapitals, ohne  diese  nur  auf  3-5%  steigern 
können,  während  die  Hamburger  Hoch-  und 
Untergrundbahn  noch  nicht  2%  des  gesamten 
Anlageaufwandes  erwirtschaften  konnte,  von  dem 
der  hamburgische  Staat  den  auf  die  Bahnanlage 
entfallenden  Teil  übernommen  hat. 

Das  Wohlergehen  der  Gesellschaften  be- 
rührt aber  nicht  die  Aktionäre  allein;  „Unter- 
nehmungen, die  wenig  mehr  als  die  Selbst- 
kosten erwirtschaften,  können  den  Interessen 
der  Allgemeinheit  nicht  in  demselben  Maße 
dienen  wie  Verwaltungen,  die  mit  Überschüssen 
arbeiten;  Erweiterungen  und  Verbesserungen 
werden  vielfach  aus  dem  Grund  unterlassen, 
weil  sie  ertraglos  sind,  und  diese  Zurückhaltung 
wirkt  in  weiterem  Umfang  auch  wieder  auf 
Handel  und  Wandel  zurück"  (Berichte  des 
englischen  Handelsamtes).  Ob  es  sich  um  selbst- 
ständige Unternehmungen  oder  um  solche 
Schnellbahnen  handelt,  die  den  Großbahnen 
eingegliedert  sind,  denen  es  zur  Last  fällt,  die 
für  die  örtlichen  Verkehrsmittel  erforderlichen 
Zuschüsse  aus  dem  Gesamthaushalt  zu  bestreiten, 
macht  hierbei  keinen  Unterschied.  Aber  auch 
öffentliche  Körperschaften  haben  ein  Anrecht 
darauf,  in  Schnellbahnen  angelegte  Kapitalien 
ausreichend  verzinst  zu  sehen.  Wenn  ihnen 
auch  die  Steuerquelle  zur  Deckung  von  Fehl- 
beträgen zur  Verfügung  steht,  so  würde  doch 
die  steuerzahlende  Allgemeinheit  gegen  eine 
zu  freigebige  Geldwirtschaft  im  Schnellverkehr 
berechtigten  Widerspruch  erheben  können. 

b)  Bemerkungen   zur  Wirtschaftspolitik. 

Gesunde  Wirtschaftspolitik  hat  auf  einer  ge- 
sunden Tarifpolitik  aufzubauen,  die  auf  die  Be- 
seitigung ungesunden  Wettbewerbs  hinarbeitet. 
Sie  nötigt  zu  einem  engeren  Zusammenschluß 
der  Unternehmungen  durch  Herstellung  von 
Wirtschaftsverbänden,  Anbahnung  von  Betriebs- 
und Verwaltungsgemeinschaften  oder  durch 
völlige  Verschmelzungen,  wie  sie  in  den  Ver- 
einigten Staaten  und  England  aus  der  Notlage 
wirtschaftlicher  Depression  und  ausgearteten 
Wettbewerbs  heraus  in  größtem  Umfang  durch- 
geführt worden  sind.  Bei  diesen  Maßnahmen 
spielt  auch  die  Tariffrage  eine  wichtige  Rolle 


Stadtschnellbahnen.  -   Ständige  Tarifkommission. 


143 


obwohl  der  Gedanke,  auf  den  Schnellbahn- 
netzen verschiedener  Verwaltungen  in  einer 
Großstadt  eine  sehr  weitgehende  Freizügigkeit 
im  Fahrpreiswesen  durchzuführen,  an  inneren 
Schwierigkeiten  scheitern  muß.  Diese  Art  der 
wirtschaftlichen  Selbsthilfe  auf  dem  Wege  des 
Zusammenschlusses  bedarf  aber  weiterhin  der 
Ergänzung  durch  eine  amtliche  Organisation, 
deren  Augenmerk  darauf  gerichtet  sein  muß, 
bei  voller  Wahrung  der  öffentlichen  Interessen 
den  Schnellbahnen  ihre  Aufgaben  nach  Kräften 
zu  erleichtern.  Eine  amtliche  Zentralstelle,  die 
mit  weitreichenden  Befugnissen  auszustatten 
wäre,  vermöchte  hier  in  höchstem  Maße  segens- 
reich zu  wirken,  ihr  läge  es  ob,  die  Bedingungen, 
Lasten  und  Abgaben,  die  den  Schnellbahnen 
aufzuerlegen  wären,  der  wirtschaftlichen  Lage 
anzupassen,  Beihilfen,  Kredite  oder  Bürgschaften 
für  Bau-  und  Betriebszwecke  auszuwirken,  im 
Falle  einer  Siedlungspolitik  auf  unentgeltliche 
Hergabe  von  Grund  und  Boden  zu  dringen, 
Vereinfachungen  in  den  Bauformen  durchzu- 
setzen, Einfluß  zu  nehmen  auf  die  Ausgestaltung 
und  Regelung  des  Fahrpreiswesens,  die  Hintan- 
haltung unnützen  Wettbewerbs  und  überflüssiger 
Doppelleistungen,  verständiges  Maßhalten  in  der 
Bedienung  neuer  Gebiete  u.  a.  m.  Unter  den 
dauernden  Lasten  nehmen  die  Abgaben  für 
das  Wegerecht,  die  z.  T.  sogar  eine  Beteiligung 
am  Reingewinn  einschließen,  vielfach  die  erste 
Stelle  ein,  obwohl  bei  den  Schnellbahnen  eine 
Abnutzung  der  Straßenflächen  überhaupt  nicht 
stattfindet.  Auch  die  Staats-  und  Gemeinde- 
steuern erreichen  bei  vielen  Schnellbahnen 
eine  geradezu  unerschwingliche  Höhe. 

c)  Rechtszustand. 

Ein  „Schnellbahngesetz",  das  das  Schnellbahn- 
wesen bis  in  alle  Einzelheiten  regelt,  gibt  es 
einstweilen  nur  im  Staat  New  York  (Rapid 
Transit  Act).  Ein  zur  Durchführung  des 
Gesetzes  errichtetes  Amt  für  die  gemein- 
nützigen Betriebe  (Public  Service  Commission) 
hat  die  Angelegenheiten  des  Groß-New  Yorker 
Schnellbahnwesens  im  Einvernehmen  mit  der 
Stadtverwaltung  mit  großer  Selbständigkeit  zu 
ordnen  (zu  vgl.  den  Art.  New  Yorker  Schnell- 
bahnen). In  keinem  andern  Land  hat  die  all- 
gemeine Gesetzgebung  für  das  Schnellbahn- 
wesen in  gleich  durchgreifender  Weise  vor- 
gesorgt; auch  die  Machtbefugnisse  der  mit  der 
Überwachung  des  Schnellbahnwesens  betrauten 
Organe  sind  sonst  nirgends  einheitlich  oder 
auskömmlich  geregelt,  so  daß  vielfach  der 
Mitbestimmung  berechtigter  Dritter,  insbe- 
sondere der  Wegeberechtigten,  Tür  und  Tor 
geöffnet  ist,  die  aus  privaten  Unternehmungen 
größtmöglichen  Vorteil  zu  ziehen  suchen. 


In  England  bedarf  jedes  Schnellbahnunter- 
nehmen eines  Sondergesetzes  (Act),  in  dem  die 
in  einem  kontradiktorischen  Verfahren  sorg- 
fältig ermittelten  Interessen  der  von  dem  Unter- 
nehmen Betroffenen  bis  ins  kleinste  geregelt 
werden.  Das  preußische  Kleinbahngesetz  be- 
gnügt sich  damit,  die  Schnellbahnen  den  Straßen- 
bahnen oder  den  nebenbahnähnlichen  Klein- 
bahnen zuzuzählen,  ohne  ihrer  Eigenart  irgend- 
wie besondere  Rechnung  zu  tragen.  Der  behörd- 
lichen Genehmigung  hat  die  Zustimmung  der 
Wegeberechtigten  voraufzugehen,  während  die 
Interessen  der  übrigen  Beteiligten  im  sog.  „Aus- 
legungsverfahren" ihre  Regelung  finden.  Für 
Groß-Berlin  hat  man  die  Schwierigkeiten,  die 
die  Vielköpfigkeit  der  Gemeinden  dem  Ver- 
kehrswesen bereitete,  durch  deren  Zusammen- 
fassung zu  einem  Zweckverband  zu  beseitigen 
gesucht.  Ein  stehendes  Kapitel  in  der  Schnell- 
bahnliteratur bilden  die  Widerstände  und 
Schwierigkeiten,  die  den  Schnellbahnen  bei  Ver- 
folgung ihrer  Ausführungspläne  von  allen  mittel- 
bar oder  unmittelbar  Beteiligten,  von  Körper- 
schaften, Kirchengemeinden,  Vereinen,  Grund- 
besitzern, im  Wege  der  Verhandlungen,  in  Ver- 
sammlungen, in  der  Presse,  offen  und  geheim, 
und  meist  mit  mehr  oder  weniger  Erfolg  in 
den  Weg  gelegt  zu  werden  pflegen,  um  den 
Unternehmungen  ein  Übermaß  von  Lasten  auf- 
zubürden. Ist  es  doch  so  weit  gekommen,  daß 
sich  in  Preußen  die  Zustimmungen  der  Stadt- 
gemeinden, die  nach  dem  Sinne  des  Kleinbahn- 
gesetzes wesentlich  das  Entgelt  für  die  Straßen- 
benutzung ordnen  sollen,  allgemein  zu  umfang- 
reichen Privatverträgen  "ausgewachsen  haben, 
in  denen  sich  die  Wegeberechtigten  in  Aus- 
übung der  Rechte  des  Stärkeren  den  weitest- 
gehenden Einfluß  auf  die  Unternehmungen 
gesichert  und  Mitbestimmungsrechte  vereinbart 
haben,  die  den  Rechten  der  Obrigkeit  oft  in 
bewußter  Weise  vorgreifen  und  zuwiderlaufen. 

Kcinmann. 

Ständige  Tarifkommission  ist  eine 
Körperschaft,  der  zusammen  mit  dem  Aus- 
schuß der  Verkehrsinteressenten  die  Aufgabe 
der  Fortbildung  des  deutschen  Gütertarifs 
obliegt. 

Nachdem  das  einheitliche  Tarifschema  des 
deutschen  Reformtarifs  (s.GütertarifeBd.VS.464) 
gewonnen  war,  regte  der  preußische  Handels- 
minister am  11.  Juni  1877  an,  eine  aus  Ver- 
tretern der  deutschen  Staatsbahnen  und  einer 
Anzahl  Privatbahnen  bestehende  Tarifkommis- 
sion zu  bestellen,  die  Abänderungsanträge  für 
die  Beschlußfassung  durch  die  Generalkon- 
ferenz der  sämtlichen  deutschen  Eisenbahn- 
verwaltungen konferenziell  vorzuberaten  habe. 
Zugleich  wurde  vorgeschlagen,  den  Geschäfts- 


144 


Ständige  Tarifkommission. 


kreis  der  Tarifkomtnission  noch  dadurch  zu 
heben,  daß  ihm  aucii  „die  Vorberatung  ein- 
heitlicher Normen  für  die  Personentarife  so- 
wie für  die  Fahrzeuge,  Leichen  und  lebende 
Tiere  zugewiesen,  auch  die  Erörterung  ge- 
meinsamer Bestimmungen  für  das  Expeditions- 
und Abrechnungsverfahren  vorbehalten  wurde". 
Die  Zuweisung  letzterer  Aufgabe  zog  Preußen 
zurück;  sie  ging  auf  den  aus  dem  Tarif  ver- 
band sich  entwickelnden  deutschen  Eisen- 
bahnverkehrsverband über.  Das  Ministerial- 
schreiben  vom  S.  Oktober  1877  enthielt  dann 
aber  noch  weiter  die  Mitteilung,  daß  es  „auf 
den  Vorschlag  des  Reichskanzleramtes"  für 
ersprießlich  erachtet  sei,  „die  Bestellung  eines 
ständigen,  aus  je  3  Vertretern  der  Land- 
wirtschaft, der  Gewerbtätigkeit  und  des  Handels 
unter  Zutritt  eines  besonderen,  aus  Bayern  zu 
kommittierenden  Mitglieds  zu  bildenden  Aus- 
schusses zu  veranlassen,  dessen  Aufgabe  es 
sein  würde,  über  allgemein  wichtige,  das 
deutsche  Eisenbahnwesen  betreffende  Fragen 
aus  dem  Gebiet  des  Tarifwesens  sich  gut- 
achtlich zu  äußern  und  zu  diesem  Behuf 
jährlich  zweimal  mit  den  Mitgliedern  der  vor- 
erwähnten Tarifkommission  zusammenzutreten ". 

Der  deutsche  Landwirtschaftsrat  und  der 
deutsche  Handelstag  würden  ersucht  werden, 
die  betreffenden  Mitglieder  dieses  Ausschusses 
zu  bezeichnen. 

Die  Zusammensetzung  der  S.  hat  im  Lauf 
der  Jahre  mehrfach  eine  Wandlung  erfahren. 
Die  Mitgliederzahi  umfaßt  heute  14  Bahn- 
verwaltungen. Dagegen  stieg  die  Zahl  der 
Mitglieder  des  Ausschusses  der  Verkehrs- 
interessenten auf  5  in  jeder  Gruppe  (mit 
Bayern  16  im  ganzen).  Außerdem  ist  seit 
1890  auch  der  Geschäftsführer  des  Aus- 
schusses ohne  Teilnahme  an  den  sachlichen 
Beratungen  bei  den  Sitzungen  anwesend.  Seit 
1883  nehmen  mit  beratender  Stimme  Ver- 
treter der  schweizerischen  Bahnen  (schweize- 
rische Nordostbahn  und  schweizerische  Zen- 
tralbahn, später  die  schweizerischen  Bundes- 
bahnen und  die  Gotthardbahn)  an  den 
Sitzungen  teil. 

Die  erste  ordentliche  Sitzung  der  S.  fand 
am  7.  Februar  1878  in  Berlin  statt  und 
stellte  die  Geschäftsordnung  fest.  Seit  der 
Sitzung  vom  13.  November  1878  wohnen 
Vertreter  des  Reichseisenbahnamtes  den  Ver- 
handlungen bei. 

Die  S.  hat  zusammen  mit  dem  Ausschuß 
der  Verkehrsinteressenten  die  Anträge  vorzu- 
beraten,  die  die  allgemeinen  Tarifvorschriften 
und  die  Güterklassifikation,  die  allgemeinen 
Ausführungsbestimmungen  zur  Verkehrsord- 
nung   und   den  Nebengebührentarif  betreffen. 


In  der  Regel  finden  3  gemeinschaftliche 
Sitzungen  unter  dem  Vorsitz  der  königlichen 
Eisenbahndirektion  Berlin  statt.  Über  die 
Beratungsergebnisse  beschließt  die  General- 
konferenz der  deutschen  Eisenbahnverwaltungen, 
die  in  der  Regel  einmal  im  Jahr  vom  preu- 
ßischen Minister  der  öffentlichen  Arbeiten 
einberufen  wird.  Die  Beschlüsse  der  General- 
konferenz werden  bindend,  wenn  ihnen  nicht 
fristgemäß  von  einer  satzungsgemäßen  Minder- 
heit widersprochen  wird,  wobei  es  Sache  der 
einzelnen  Bahnverwaltungen  bleibt,  die  Zu- 
stimmung der  Landesaufsichtsbehörden  vorher 
einzuholen. 

Aus  der  Geschäftsordnung  der  S.  ist  fol- 
gendes hervorzuheben: 

Antragsberechtigt  sind  die  bei  der  General- 
konferenz zugelassenen  Eisenbahnverwaltungen 
und  der  Ausschuß  der  Verkehrsinteressenten. 
Beratungsgegenstände  können  als  dringliche 
oder  äußerst  dringliche  behandelt  werden, 
wenn  eine  ^/j-.Mehrheit  der  in  der  Sitzung 
vertretenen  Kommissionsmitglieder  und  der 
anwesenden  Mitglieder  des  Verkehrsausschusses 
dies  beschließt. 

Beschlüsse  über  Anträge  von  einfacher  Dring- 
lichkeit werden  bindend,  sofern  nicht  bis  zur 
;  nächsten  ordentlichen  Sitzung  oder  bis  zur 
Generalkonferenz  wirksamer  Widerspruch  er- 
hoben ist.  Beschlüsse,  deren  äußerste  Dring- 
lichkeit zugestanden  wurde,  werden  bindend, 
sofern  ihnen  nicht  binnen  10  Tagen  wider- 
sprochen wird.  Zu  einem  wirksamen  Wider- 
spruch gehört  eine  Mehrheit  von  \/,q  sämt- 
licher bei  der  letzten  Generalkonferenz  be- 
rechtigt gewesenen  Stimmen.  Tarifbestim- 
mungen, die  in  ihrer  Anwendung  zu  Zweifeln 
Anlaß  geben,  können  durch  deklaratorische 
Beschlüsse  näher  erläutert  und  klargestellt 
werden,  ohne  daß  hierdurch  der  Tarif  selbst 
sachlich  geändert  wird.  Diese  Bestimmung 
hat  in  der  100.  Sitzung  der  S.  (8./9.  Februar 
IQIO)  zu  einer  Einrichtung  einer  öffentlichen 
Sammlung  der  bisherigen  und  zukünftigen 
Entscheidungen  und  zu  einer  Einsetzung  eines 
ständigen  Unterausschusses  für  Tarifentschei- 
dungen geführt.  Die  Tätigkeit  dieses  Unter- 
ausschusses grenzt  sich  ab  gegenüber  den 
einzelnen  Verwaltungen  dadurch,  daß  1.  jede 
Verwaltung  nur  das  Recht,  nicht  die  Pflicht 
hat,  den  Ausschuß  anzurufen,  2.  es  ander- 
seits im  Interesse  der  Sache  gelegen  ist,  ihm 
von  allen  Entscheidungen  Kenntnis  zu  geben 
und  ihm  alles  zu  überlassen,  was  nicht  zwei- 
felsfrei auf  der  Hand  liegt. 

Gegenüber  der  S.  und  dem  Ausschuß  der 
Verkehrsinteressenten  begrenzt  sich  seine  Auf- 
gabe  dadurch,    daß   die  Entscheidung  sowohl 


ständige  Tarifkommission.   -   Stanserhornbahn. 


145 


die  Absicht  des  Tarifs  wie  den  Wortlaut  des 
Tarifs  für  sich  haben  müsse.  Wo  nur  eines  ver- 
sagt, hat  die  S.  einzugreifen.  Die  Sicherung 
dieser  Grenze  wird  durch  das  Widerspruchs- 
recht gewährleistet,  das  jeder  Verwaltung  wie 
dem  Verkehrsausschuß  zusteht. 

In  diesem  Sinne  sind  dann  die  Befugnisse 
des  ständigen  Unterausschusses  durch  die 
Geschäftsordnung  für  die  S.  festgelegt.  Seine 
Beschlüsse  werden  bindend,  sofern  nicht  bin- 
nen 14  Tagen  nach  Absendung  der  Mitteilung 
bei  der  geschäftsführenden  Verwaltung  Wider- 
spruch erhoben  wird.  Dem  ständigen  Ausschuß 
gehören  neben  der  geschäftsführenden  Verwal- 
tung 2  von  der  S.  gewählte  Eisenbahnverwal- 
tungen (Bayern  und  Sachsen)  an.       Gntnow. 

Staffeltarif  s.  Gütertarife. 

Stahlwagen  s.  Personenwagen. 

Standard  Time  (Einheitszeit  in  den  Ver- 
einigten Staaten  von  Amerika).  Bis  Ende  1883 
rechneten  die  Eisenbahnen  der  Vereinigten 
Staaten  eine  jede  für  ihr  Netz  nach  Ortszeit. 
Die  hieraus  bei  der  großen  Ausdehnung  der 
einzelnen  Eisenbahnnetze  hervorgehenden  Un- 
zuträglichkeiten veranlaßten  Mr.  W.  F.  Allen, 
seine  Bemühungen  auf  eine  Vereinbarung 
über  Normaleisenbahnzeiten  zu  richten;  Ende 
1883  kam  er  zum  Ziel.  Die  Eisenbahnen  der 
Union  und  der  Nachbarstaaten  -  mit  wenigen 
Ausnahmen  —  verständigten  sich  über  die 
Annahme  von  4  Normalzeiten,  die  östliche 
(Eastern)  des  75.  Meridians  von  Greenwich,  die 
mittlere  (Central)  des  QO.  Meridians,  die  beiden 
westlichen  (Mountain  und  Pacific  time)  des 
105.  und  120.  Meridians.  Diese  4  Normal- 
zeiten liegen  eine  jede  15  Grad,  also  genau  eine 
Stunde  auseinander,  der  Meridian  durchzieht 
die  betreffenden  Gebiete  ziemlich  genau  in 
ihrer  Mitte.  Nach  und  nach  ist  im  ganzen 
Gebiet  der  Vereinigten  Staaten  die  Einheits- 
zeit der  Eisenbahnen  auch  als  Ortszeit  ange- 
nommen worden  (vgl.  Art.  Eisenbahnzeit,  Bd.  IV, 
S.   149  ff.). 

Literatur:  W.F.Alien,  Report  on  the  sulgert 
of  national  Standard  time.  New  York  1883. 

1'.  der  Leyen. 

Standbahnen.  Eisenbahnen,  bei  denen  der 
Schwerpunkt  der  Fahrzeuge  oberhalb  der  auf 
festem  Erd-  oder  Brückenunterbau  angeord- 
neten Bahn  liegt,  zum  Unterschied  von  den 
Schwebe-  oder  Hängebahnen,  bei  denen  der 
Schwerpunkt  unterhalb  der  Bahn  gelegen  ist. 
Die  Standbahnen  können  ein-,  zwei-,  auch  mehr- 
schienig  sein;  in  der  Regel  sind  sie  zweischienig 
(Spurbahnen)  mit  verschiedenen  Spurweiten 
(s.  d.);  sie  bilden  das  größte  Netz  der  Dampf- 
und elektrischen  Voll-,  Neben-  und  Schmal- 
spurbahnen. Dolezalek. 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  l.X. 


Standgeld  ist  eine  tarifarische  Nebengebühr 
(S.Gütertarife,  Bd.V,  S.47S,  X,  6),  die  nament- 
lich erhoben  wird,  wenn  die  für  Ladungsgüter 
(hier  Wagenstandgeld  genannt)  oder  für  auf 
eigenen  Rädern  laufende  Eisenbahnfahrzeuge 
festgesetzte  standgeldfreie  Be-  oder  Entladefrist 
überschritten  wird.  S.  und  Wagenstandgeld  ist 
auch  verwirkt,  wenn  ohne  Verschulden  der  Eisen- 
bahn erforderliche  Zoll-,  Steuer-  oder  Polizei- 
papiere bei  einer  Sendung  fehlen  und  hierdurch 
die  Auflieferungen  oder  Auslieferungen  des  Gutes 
verzögert  werden.  Im  Tierverkehr  hat  die  Eisen- 
bahn, wenn  sich  bei  unbegleiteten  Sendungen 
auf  der  Bestimmungsstation  kein  Empfangs- 
berechtigter meldet,  vielfach  die  Wahl,  ob  sie 
die  Tiere  auf  Kosten  des  Verfügungsberechtigten 
in  Verpflegung  geben  oder,  wenn  sie  deren 
ferneren  Aufenthalt  im  Wagen  oder  auf  dem 
Bahnhof  gestattet,  das  tarifmäßige  S.  erheben 
will. 

Für  Deutschland  finden  sich  die  Be- 
stimmungen über  S.  in  den  §§  63,  65,  SO 
EVO.,  Ausf.-Best.  II,  III  und  IV  zu  §  59  und 
IV  zu  §  73  EVO.,  §  58  (1)  der  Allgemeinen 
Tarifvorschriften  und  in  Ziff.  IV  B  Neben- 
gebührentarif zum  deutschen  Eisenbahngüter- 
tarif, Teil  I,  Abteilung  B.  Siehe  auch  deutscher 
Tiertarif,  Teil  I,  §  50,  52  und  C  IV. 

In  Österreich  gelten  hierfür  die  Bestim- 
mungen der  §§  46,  59,  63,  65,  73,  74  und  80 
des  Eisenbahnbetriebsreglements  und  das  unter 
XII  des  Nebengebührentarifs  im  Teil  1,  Abtei- 
lung B  des  österreichisch -ungarischen  und 
bosnisch-hercegovinischen  Eisenbahngütertarifs 
Gesagte.  Griuiow. 

Standgleis  s.  Aufstellgleis. 

Stanserhornbahn.  Diese  am  23.  August 
1893  eröffnete  Bergbahn  hat  ihre  Ausgangs- 
station unmittelbar  bei  Stans,  Hauptort  des 
Kantons  Nidwaiden.  Sie  wird  von  der  Dampf- 
schiffstation Stansstad  mittels  einer  elektrischen 
Schmalspurbahn  (Stansstad  -  Engelberg,  s.  d.) 
nach  einer  Fahrt  von  20  Min.  erreicht. 

Die  Bahn  ist  eine  aus  3  Abteilungen  be- 
stehende Drahtseilbahn. 

Die  erste  Abteilung  verbindet  die  Station  Stans, 
450m  ü.M.,  mit  der  Umsteigstation  Kälti,  714mü.M. ; 
ihre  wagrechte  Länge  mißt  1527  m,  die  Gleislange 
1550/«;  die  Anfangssteigung  beträgt  12';;,,  Eud- 
steigung  27-5 'jo. 

Die  zweite  Abteilung  verbindet  Station  Kälti  mit 
der  zweiten  Unisteigstation  Blumatt,  1221  m  ü.  M. 
Diese  Strecke  ist,  wagrecht  gemessen,  9ö0  /«,  geneigt 
1090/«  lang.  Die  Steigung  beginnt  mit  40';«  und 
endigt  mit  60"»,  der  größten  Steigung,  die  die  Bahn 
überhaupt  besitzt. 

Bei  der  Station  Blumatt  beginnt  die  dritte  Ab- 
teilung. Die  Steigungsverhältnisse  sind  gleich  denen 
der  zweiten  Abteilung.  Die  wagrechte  Länge  beträgt 
1110/;/,   die  Gleislänge  1275///.    hi    weitem   Bogen 

10 


146 


Stanserhornbahn.  -   Stansstad-Engelberg-Bahn. 


durchschneidet  die  Bahn  die  Alp  Blumatt,  bis  sie, 
einen  160  m  langen  Tunnel  durchfahrend,  die  sog. 
Schildflühe  erreicht,  wo  sie  über  einen  langen  Viadukt 
führt  und  die  tndstation,  das  Hotel,  1850 //rü.  M. 
erreicht.  Von  hier  aus  fiihrt  ein  bequemer  Fußweg 
zu  dem  50  m  höher  liegenden  Gipfel  des  Berges. 

jede  der  3  Abteilungen  hat  ihre  eigene  Be- 
triebsstation. Der  Betrieb  geschieht  durch  in 
Serien  geschaltete  Elektromotoren,  die  ihre 
Kraft,  Gleichstrom  von  1200-1300  Volt 
Spannung,  von  der  Zentralstation  in  Buochs 
erhalten;  die  gleiche  Station  liefert  die  Kraft 
zum  Betrieb  der  Bürgenstockbahn.  Nebst- 
dem  sind  auf  jeder  Station  elektrische  Reserve- 
motoren vorhanden. 

Die  Regelung  der  Fahrgeschwindigkeit  er- 
folgt   selbstwirkend  durch    die  Übersetzungen 


Abb.  151. 

des  Treibwerks;  alle  3  Abteilungen  werden 
annähernd  in  der  gleichen  Zeit  durchfahren. 
Die  Fahrgeschwindigkeit  beträgt  demnach  in 
der  unteren  Abteilung  2  m,  in  der  oberen 
1"08  m  i.  d.  Sekunde  und  die  ganze  Fahrzeit, 
die  Umsteigepausen  eingerechnet,  50  Min. 

Jede  Abteilung  hat  2  Wagen;  diese  sind 
treppenförmig  gebaut  und  haben  Abteile  zu  je 
8  Sitzplätzen.  Sie  sind  verhältnismäßig  leichter 
als  bei  Betrieb  mit  Wassergewicht. 

Da  die  Bahn  eingleisig  ist,  so  ist  in  der 
Mitte  jeder  Abteilung  eine  selbsttätige  Aus- 
weiche. Die  Führung  der  Wagen  über  diese 
wird  dadurch  bewirkt,  daß  die  Laufräder  auf 
einer  Seite  doppelten  Spurkranz,  auf  der  andern 
Seite  keine  Spurkränze  besitzen. 

Die  Spurweite  der  Bahn  beträgt  1  m.  Der  Bahn- 
oberbau besteht  aus  10  m  langen  Schienen  von 
21  kgjm.  Diese  ruhen  auf  eisernen  Schwellen,  welch 
letztere  auf  der  ersten,  unteren  Abteilung  in  Schotter 
gelagert  sind. 

Auf  der  zweiten  und  dritten  Abteilung  dagegen 
ruht  der  Oberbau  auf  einem  Mauerklotz  von  VbQ  m 


Kronenbreite.  Die  Schwellen  sind  aus  Winkeleisen, 
deren  einer  Schenkel  in  das  Mauerwerk  eingreift; 
überdies  sind  zwischen  jedem  Schienenstoß  2 
Schwellen  mit  dem  Unterbau  verankert.  Die  Schwellen 
sind  15  kg'm  schwer.  Die  Schienen  sind  breitfüßig 
und  haben  125  mm  Höhe;  die  Form  des  Quer- 
schnitts ist  aus  Abb.  151  zu  entnehmen.  Der 
Schienenstoß  ist  fest.  Die  Stoßverbindung  wird 
durch  2  Winkellaschen  von  ö5  mm  Höhe,  die 
sich  an  die  Schwelle,  den  Schienenfuß  und  Steg 
fest  anlegen,  und  S  Schraubenbolzen  hergestellt. 
Vier  Bolzen  verbinden  die  Laschen  mit  dem  Schienen- 
steg, die  übrigen  die  Lasche  mit  der  Schwelle. 

Eigentümlich  ist  das  Bremssystem,  das  bei  dieser 
Bergbahn  zur  Anwendung  gebracht  ist,  indem  von 
der  Zahnstange  Umgang  genommen  wurde  und  die 
Laufschienen  auch  für  den  Zweck  des  Bremsens  be- 
nutzt werden. 

In  der  Hauptsache  besteht  das  genannte  System 
darin,  daß  2  Bremsklötze  in  der  Art  einer  Zange 
hergestellt,  mittels  der  Muttern  m  auseinanderge- 
zogen, um  die  Zapfen  d  gedreht  und  so  an  den 
Schienenkopf  gepreßt  werden  (Abb.  151).  Der  Druck 
jedes  Zangenbackens  auf  die  Schiene  beträgt  bei 
voller  Belastung  und  einer  Adhäsion  von  0'15  min- 
destens 13.500  kg.  Jede  Zange  vermag  für  sich  allein 
den  vollbelasteten  Wagen  auf  der  größten  Neigung 
festzuhalten,  u.  zw.  auch  dann,  wenn  der  Wagen 
schon  eine  Geschwindigkeit  von  3  m  erlangt  haben 
sollte. 

Der  Vorgang  bei  der  Bremsung  ist  folgender: 
Zunächst  findet  die  Auslösung  zweier  Fallgewichte 
statt,  u.  zw.  bei  Bruch  des  Seiles  selbsttätig,  sonst 
aber  vom  Führerstand  aus  mittels  eines  Pedals.  Die 
Wirkung  dieser  Fallgewichte  besteht  darin,  daß  ein 
auf  jeder  Radachse  lose  sitzendes  Zahnrad  mittels 
Friktionskupplung  mit  der  ersteren  fest  verbunden 
wird.  Damit  nimmt  dieses  die  drehende  Bewegung 
der  Laufräder  an ;  sodann  greift  es  in  ein  zweites, 
mit  einer  Schraubenwelle  verbundenes  Zahnrad  ein 
und  teilt  damit  die  erhaltene  Bewegung  auch  der 
Schraubenwelle  mit.  Diese  Welle  endigt  beiderseitig 
in  eine  Schraube  mit  linkem  und  rechtem  Gewinde, 
die  die  Bremskluppen  gegen  die  Laufschienen  drückt. 

Die  Treibkraft  der  Bremsung  besteht  daher  in 
der  Adhäsionskraft  der  beiden  Laufräder  auf  den 
Schienen.  Durch  das  Anziehen  der  Zangen  und  in- 
folge der  konischen  Form  des  Schienenkopfs  soll 
der  Wagen,  bzw.  sollen  die  Radflächen  auf  die 
Schienenkopffläche  gepreßt  und  die  Adhäsionskraft 
vermehrt  werden.  An  jedem  Wagen  werden  2 
Paar  Bremszangen  in  dieser  Weise  in  Tätigkeit  ge- 
setzt. Eine  dritte  Bremsachse  mit  einem  dritten  Paar 
Bremszangen  kann  ebenfalls  vom  Führerstand  aus 
mittels  Handkurbel  in  Drehung  gesetzt  werden  und 
gelangen  dadurch  die  Bremsen  in  Wirksamkeit. 

Die  Baukosten  der  S.  betrugen  annähernd 
1,500.000  Fr. 

Die  Bahn  wird  von  etwa  40.000  Personen 
im  Jahr  benutzt.  Dictlcr. 

Stansstad  -  Engelberg  -  Bahn  (Schweiz), 
1898  eröffnete,  Ti  km  lange,  elektrisch  be- 
triebene Meterspurbahn,  führt  vom  Vierwald- 
stättersee  in  das  Alpental  am  Fuße  des  Titlis 
mit  dem  Luftkurort  und  dem  Benediktiner- 
kloster  von  Engelberg.  Ihr  Längenprofil  ent- 
hält eine  L5  km  lange  Zahnbahnstrecke  nach 
System  Riggenbach  mit  250%^  Neigung.  Der 
Betrieb  geschieht  mit  Drehstrom  von  750  Volt 


Stansstad-Engelberg-Bahn.   -   Stationsdienst. 


147 


Spannung  und  32  Perioden,  erzeugt  in  eigenem 
Kraftwerk  von  Ohermatt.  Die  gesamten  Bau- 
kosten betragen  Ende  1915  ^3,319.226  Fr. 
oder   147.233   Fr.  l  d.  km.  Dietler. 

Starkstromanlagen  zur  Erzeugung  von 
elektrischer  Energie  für  Licht  und  Kraft,  ins- 
besondere für  elektrische  Eisenbahnen  (s.  d.). 
Bei  den  mit  Dampf  betriebenen  Bahnen  kommen 
S.  für  dep  Antrieb  von  Arbeitsmaschinen  in 
Werkstätten  (s.  d.)  für  Drehscheiben  (s.  d.) 
und  Schiebebühnen  (s.  d.),  seltener  für  Stell- 
werkszwecke (s.  Kraftstell  werke)  in  Betracht. 
Für  Bauzwecke  sind  wiederholt,  insbesondere 
bei  den  großen  Tunnelbauten,  eigene  S.  er- 
richtet worden  (s.  die  Art.  über  die  einzelnen 
großen  Tunnelbauten). 

Station  (Station;  Station;  stazione),  von 
dem  Lateinischen  „statio",  eigentlich  das  An- 
halten oder  Stehenbleiben  aus  vorhergehender 
Bewegung,  im  Eisenbahnwesen  außer  dieser 
Bedeutung  (z.  B.  „der  Zug  macht  S.  in  . .  .")  in 
2  übertragenen   Bedeutungen : 

1.  Zur  Bezeichnung  von  Teilpunkten  einer 
abgesteckten  Bahnlinie  oder  einer  fertigen 
Eisenbahn,  die,  durch  Längenmessung  in 
regelmäßigen  Abständen  (z.  B.  alle  50  ni  oder 
alle  100  ni)  bestimmt,  dazu  dienen,  um  beim 
Bau,  der  Unterhaltung  und  dem  Betrieb  die 
Lage  bemerkenswerter  Punkte  (z.  B.  Brücken, 
Planübergänge,  Tunnel,  Bahnhöfe,  Eisenbahn- 
unfälle) genau  bezeichnen,  auch  die  Neigungs- 
und Krümmungsverhältnisse  angeben  zu  können. 
Die  Einteilung  der  Strecke  in  solche  S.  ne  nnt 
man  Stationierung. 

2.  Zur  Bezeichnung  von  Betriebsstellen  der 
im  Betrieb  befindlichen  Eisenbahnen,  diese 
erfolgt  in  den  verschiedenen  Ländern  nicht 
übereinstimmend: 

Die  deutsche  BO.  bestimmt  in  §6,  Abs.2: 
i,S.  sind  die  Betriebsstellen,  auf  denen  Züge  des 
öffentlichen  Verkehrs  regelmäßig  anhalten.  S.  mit 
mindestens  einer  Weiche  für  den  öffentlichen 
Verkehr  werden  betriebstechnisch  als  Bahn- 
höfe, S.  ohne  solche  Weichen  als  Haltepunkte 
bezeichnet."  Nach  der  Begriffsbestimmung  des 
Deutschen  Reiches,  die  sich  mehr  an  die 
Grundbedeutung  des  Wortes  anlehnt,  gehören 
also  zu  den  S.  auch  die  Haltepunkte,  nach 
der  österreichischen  nicht.  Nach  dem  schwei- 
zerischen „Allgemeinen  Reglement  über  den 
Fahrdienst",  Art.  42,  gehören  zu  den  S.  zwar 
ebenso  wie  in  Österreich  nicht  die  Halte- 
punkte, aber  auch  die  mit  dem  Namen  „Block- 
stationen" benannten  Teilpunkte  für  die  Zug- 
folge auf  freier  Strecke,  die  in  Deutschland 
als  Blockstellen,  in  Österreich  als  Blockposten 
bezeichnet  werden.  Cauer. 


Stationsblock  s.  Blockeinrichtungen 
und   Stellwerke. 

Stationsdienst  (Station  service;  service  de 
gare;  servizio  cli  stazione).  Der  Stations-  oder 
Bahnhofsdienst  umfaßt  die  zahlreichen  Dienst- 
verrichtungen auf  den  Bahnhöfen  und  Halte- 
punkten, die  den  Reisenden  die  Benutzung 
der  Eisenbahnzüge  ermöglichen  und  die  Zu- 
und  Abfuhr  sowie  die  Verladung  und  Ent- 
ladung der  Güter  vermitteln.  Außerdem  gehören 
der  eigentliche  Fahrdienst  auf  sämtlichen 
Betriebsstellen  der  Bahn,  also  die  Bewegung 
der  Fahrzeuge  auf  den  Bahnhofsgleisen,  die 
Zusammenstellung,  Ausrüstung,  Erwärmung, 
Beleuchtung  und  Auflösung  der  Züge,  die  Ge- 
stellung des  Zugbegleitpersonals  (s.  d.),  die  Lei- 
tung der  Zugfahrten  innerhalb  der  Stationen,  auf 
den  anschließenden  Streckenabschnitten  und 
Anschlußgleisen  (s.  Betriebsdienst,  Fahr- 
dienstleitung u.  Fahrdienstleiter),  die 
Handhabung  des  Signal-,  Stellwerks-  und  Tele- 
graphendienstes (s.  d.),  die  Verwaltung  der  für 
den  S.  erforderlichen  Geräte  und  Betriebsstoffe, 
die  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  und  Rein- 
lichkeit auf  dem  Bahnhof,  dessen  Vorplätzen 
und  Zufuhrwegen,  die  Ausübung  der  Bahn- 
polizei (s.  d.)  sowie  der  Feuerlöschdienst  und 
die  Aufsicht  über  die  Bahnhofwirtschaften  (s.d.) 
zum  S.  Wo  der  Geschäftsumfang  der  einzelnen 
Dienstzweige  es  rechtfertigt,  werden  für  diesen 
besondere  Dienststellen  errichtet,  die  dann  der 
Dienststelle  für  den  eigentlichen  S.  nebenge- 
ordnet sind.  Dies  gilt  in  erster  Linie  für  den 
Güterverkehrsdienst,  der  bei  größerem  Umfang 
von  den  Güterabfertigungen  oder  Güter- 
abfertigungsstellen (s.d.)  selbständig  wahr- 
genommen wird.  Der  Station  oder  dem  Bahnhof 
verbleibt  dann  nur  die  Bereitstellung  der  Güter- 
wagen an  den  Güterschuppen,  Umladehallen  und 
Freiladegleisen  sowie  die  Abholung  der  Wagen 
(s.  Bahnhofsbedienungsplan),  während  die  Be- 
und  Entladung  der  Wagen  unter  Aufsicht  oder 
durch  die  Güterabfertigung,  der  auch  die  Berech- 
nung und  Einziehung  der  Frachtgelder  obliegt, 
erfolgt.  —  In  ähnlicher  Weise  wird  je  nach 
dem  Geschäftsumfang  auch  der  Kassendienst 
(s.  Stationskassa),  der  Dienst  der  Fahrkarten- 
ausgabestellen, der  Eilgut-  und  Gepäckabferti- 
gungen und  auf  Stationen,  auf  denen  Loko- 
motiven aufgestellt  sind,  auch  der  Lokomotiv- 
dienst, endlich  auch  der  Wagenüberwachungs- 
und Reinigungsdienst  vom  eigentlichen  S. 
abgetrennt  und  besonderen  Dienststellen  selb- 
ständig übertragen. 

Für  die  Unterhaltung  der  Gleise,  der  Weichen, 
Stellwerks-  und  Signalanlagen  sowie  der  Ge- 
bäude und  der  sonstigen  Kunstbauten  (s.  Bahn- 
unterhaltung), ferner  für  die  Unterhaltung  der 

10' 


148 


Stationsdienst  -  Stationsglocke. 


Betriebsmittel  sind  stets  besondere,  mit  tech- 
nisch vorgebildeten  Beamten  besetzte  Dienst- 
stellen eingerichtet.  Bei  der  großen  Mannig- 
faltigkeit der  Ausbildung  der  Bahnhofe  (s.  d.) 
sind  auch  die  dem  S.  zufallenden  Aufgaben 
sehr  verschieden  nach  Umfang  und  Art  (s. Bahn- 
hofvorstand). Soweit  die  Aufgaben  nicht  für 
den  ganzen  Bahnbereich  gleichartige  sind  und 
durch  die  allgemeinen  Vorschriften,  insbeson- 
dere die  Fahrdienstvorschriften  (s.  d.)  geregelt 
werden  (s.  Betriebsdienst),  werden  sie  zweck- 
mäßig für  jeden  Bahnhof  in  einer  Bahnhof- 
dienstanweisung (s.  d.)  oder  in  einem 
Merkbuch   zusammengestellt.  Brensing. 

Stationseinnehmer  s.  Stationskassa. 

Stationsgebäude  s.  Empfangsgebäude. 

Stationsgebühr.  Unter  dieser  Bezeichnung 
stand  bei  den  österreichischen  Staatsbahnen 
1906  bis  1909  eine  Nebengebühr  in  Geltung, 
die  als  Entgelt  für  die  bei  der  Auf-  oder  Abgabe 
von  Gütersendungen  in  der  Versand-  oder 
Bestimmungsstation  erwachsenden  besonderen, 
nicht  durch  die  Manipulationsgebühr  und  die 
sonstigen  tarifmäßigen  Nebengebühren  gedeck- 
ten bahnseitigen  Leistungen  eingehoben  wurde. 
Die  S.  war  von  der  Länge  des  Beförderungs- 
weges unabhängig  und  wurde,  gleichviel  ob  nur 
die  Aufgabe  oder  nur  die  Abgabe  oder  die  Auf- 
und  Abgabe  in  Stationen  der  österreichischen 
Staatsbahnen  erfolgte,  berechnet.  Sie  war  nach 
Tarifklassen  und  Ausnahmetarifen  abgestuft. 

Die  S.  betrug  für  gewöhnliches  Eilgut  12  h,  er- 
mäßigtes und  besonders  ermäßigtes  Eilgut  8  h,  für 
die  Klassen  I  und  11  8  h,  für  die  Klassen  A  und  B 
sowie  den  Spezialtarif  1  4  h,  für  die  Klasse  C  und 
die  Spezialtarife  2  und  3  (ausgenommen  Düngemittel 
und  Rohmaterialien  zur  Kunstdüngerfabrikation), 
ferner  für  Güter  des  Ausnahmetarifs  1  (ausgenom- 
men mineralische  Kohlen  und  Zuckerrüben)  und  des 
Ausnahmetarifs  II  (ausgenommen  Scheideschlamm, 
Zuckerrübenabfälle,  Rübenschnitze  und  Rübenschnitz- 
abfälle  der  Zuckerfabrikation'  2  h  für  100 />o-.  Für 
Düngemittel  und  Rohmaterialien  zur  Kunstdünger- 
fabrikation sowie  für  Zuckerrüben,  Zuckerrübenab- 
fälle, Rübenschnitze  und  Rübenschnitzabfälle  der 
Zuckerfabrikation  und  für  mineralische  Kohlen  wurde 
eine  S.  von  nur  1  h  für  WO  kg  eingehoben.  Gänzlich 
befreit  von  der  Einhebung  der  S.  waren  Sendungen, 
die  mit  direkten  Frachtbriefen  nach  dem  Zollausland 
befördert  wurden  oder  für  die  ein  nur  nach  dem 
Zollausland  gültiger  Frachtsatz  Anwendung  fand, 
ferner  die  Güter  der  Ausnahmetarife  VI  und  VIII 
sowie  die  unter  dem  Titel  „Besondere  Bestimmungen 
für  einzelne  Stationen"  und  „Überfuhrsgebühren" 
zur  Einhebung  gelangenden  Gebühren,  Sendungen 
von  Privatwagendecken,  Ladegeräten,  Wärme-  und 
Kälteschutzmitteln  und  schließlich  rückbeförderte 
Ausstellungsgüter  und  Ausstellungstiere.  Außerdem 
wurde  auch  in  zahlreichen,  durch  den  Wettbewerb 
fremder  Bahnlinien  beeinflußten  Verkehrsverbindun- 
gen von  der  Einhebung  der  S.  Abstand  genommen. 

Die  Einführung  der  S.  wurde  dadurch  ver- 
anlaßt,   daß    sich    die   Verwaltung    der   öster- 


reichischen Staatsbahnen   unvermittelt  vor  die 

Notwendigkeit  gestellt  sah,  dem  Personal  bedeu- 
tende Zuwendungen  zu  machen  und  für  den 
hieraus  entfallenden  Mehraufwand  in  kürzester 
Zeit  die  budgetäre  Bedeckung  zu  finden. 

Die  Anwendung  der  S.  stieß  auf  große 
Schx^ierigkeiten ;  waren  schon  die  Bestimmun- 
gen über  die  Anwendung  der  S.  sehr  verwickelt, 
so  gab  die  Unbestimmtheit  der  Leistung,  für 
die  sie  als  Entgelt  eingehoben  wurde,  sowie 
der  Umstand,  daß  ihre  Verlautbarung  lediglich 
im  Kundmachungswege  und  nicht  im  Tarifwege 
erfolgt  war,  den  Verfrachtern  Anlaß,  den  Rechts- 
bestand der  Gebühr  —  vielfach  mit  Erfolg  - 
anzufechten.  In  den  Reformgütertarif  der  öster- 
reichischen Staatsbahnen  vom  I.Jänner  1910 
wurde  infolgedessen  die  S.  nicht  mehr  als 
besondere  Nebengebühr  aufgenommen,  sie 
wurde  aber  bei  der  Erstellung  der  neuen  Mani- 
pulationsgebühren insofern  berücksichtigt,  als 
diese  Gebühren  im  allgemeinen  eine  dem  Aus- 
maß der  S.  entsprechende  Erhöhung  erfuhren. 

Pichler. 

Stationsglocke  (Station  bell ;  dache  de  la 
statian ;  campanadellastazione),  eine  am  Stations- 
gebäude auf  der  Bahnsteigseite  angebrachte 
Glocke,  die  in  der  ersten  Zeit  der  Entwicklung 
des  Eisenbahnwesens  zur  Bekanntgabe  von 
Signalen  an  die  Reisenden  diente,  die  aber 
heute  kaum  noch  verwendet  wird.  Früher,  als 
die  Regeln  für  die  Handhabung  des  Fahr- 
dienstes und  für  die  Anlage  und  Absperrung 
der  Bahnsteige  nur  unvollkommen  ausgebildet 
waren,  hielt  man  die  S.  für  nötig,  um  die 
Reisenden  auf  die  Annäherung  eines  Zuges 
aufmerksam  zu  machen,  um  ihnen  den  Zeit- 
punkt bekanntzugeben,  von  dem  ab  die 
Wagen  bestiegen  werden  durften  und  -von 
dem  ab  dies  der  bevorstehenden  Abfahrt 
wegen  verboten  war.  In  der  Regel  bedeutete 
ein  kurzes  Läuten  der  S.  und  ein  daran 
anschließender  kräftiger  Glockenschlag:  die 
Abfahrt  des  Zuges  naht,  Erlaubnis  zum  Ein- 
steigen; zwei  Glockenschläge:  Aufforderung 
zum  Einsteigen;  drei  Glockenschläge:  Abfahrt, 
Verbot  des  Einsteigens.  Auch  zur  Bekanntgabe 
der  Schalteröffnung  oder  zum  Weckruf  bei 
Feuersgefahr  wurde  die  S.  benutzt.  Auf  den 
deutschen  Eisenbahnen  ist  die  S.  bei  Ein- 
führung der  Signalordnung  vom  I.Januar  IS93 
und  später  auch  in  Österreich  beseitigt  wor- 
den, auf  den  englischen  Eisenbahnen  ist 
sie  nie  eingeführt  gewesen.  Wo  heute  noch 
ein  Bedürfnis  besteht,  vor  Gefahr  zu  war- 
nen oder  zum  Einsteigen  aufzufordern,  ge- 
schieht dies  durch  Zuruf  oder  durch  Läuten 
mit  einer  Handglocke.  Da  der  mit  der  Hand- 
glocke   ausgerüstete    Bedienstete    sich    an    die 


Stationsglocke. 


Stationsnamen. 


149 


Stelle  begeben  kann,  an  der  die  Reisenden 
gewarnt  oder  aufmerksam  gemacht  werden 
sollen,  neben  dem  Läuten  mit  der  Glocke 
auch  jederzeit  Zurufe  möglich  sind,  so  wird 
hierdurch  der  beabsichtigte  Zweck  besser  er- 
reicht als  durch  den  Gebrauch  der  S. 

Breusing. 

Stationskassa,  Dienststelle  zur  Besorgung 
der  auf  der  Station  vorkommenden  Bargeld- 
geschäfte und  Kreditierungen.  Ihr  obliegt 
unmittelbar  oder  durch  Vermittlung  der  Ab- 
fertigungskassen die  Einziehung  von  Geldern  aus 
dem  Personen-,  Gepäck-  und  Güterverkehr  sowie 
sonstiger  Einnahmen,  zu  deren  Einhebung  sie 
beauftragt  ist  (Telegraphengebühren,  Wagen- 
und  Lagergelder,  Deckenmiete),  die  Verrechnung 
und  Ablieferung  der  Einnahmenüberschüsse 
an  die  übergeordnete  Kassa  (Direktionskassa, 
Hauptkassa)  sowie  die  Ausführung  der  auf  der 
Station  vorkommenden  Zahlungen  (Nachnah- 
men, Parteiguthaben,  Entschädigungen,  Franka- 
turdepositen, Gehalte  und  Löhne,  Frankaturen, 
Fakturen).  Auf  Stationen  mit  schwächerem  Ver- 
kehr sind  die  S.  und  die  Abfertigungskassen  in 
der  Hand  des  Stationsvorstehers  oder  des  Expe- 
ditionsvorstehers vereinigt  oder  es  wird  die  S.  von 
dem  Leiter  einer  einzelnen  Abfertigungskasse 
geführt.  Auf  größeren  Stationen  sind  die  Ab- 
fertigungskassen für  Personengepäck  und  Güter 
sowie  die  S.  vollkommen  selbständige  Kassa- 
stellen unter  besonderen  Einnehmern.  Es  kommt 
auch  vor,  daß  die  Einnahmen  kleinerer  Stationen 
in  die  S.  einer  benachbarten  größeren  Station 
abgeführt  werden. 

Stationsläutewerk  s.  Läutewerke. 

Stationsnamen.  Die  Eisenbahnstationen 
werden  nach  den  Orten  benannt,  in  denen  sie 
liegen  und  deren  Verkehr  sie  vermitteln.  Die  S. 
bilden  mit  den  Stationsentfernungen  die  erste 
Grundlage  für  die  Herausgabe  der  Fahrpläne,  die 
Veröffentlichung  der  Tarife  und  überhaupt  für 
die  gesamte  Darstellung  und  Abwicklung  des  Be- 
triebs- und  Verkehrsdienstes.  Kurze  S.  sind 
die  besten,  weil  sie  ganz  außerordentlich 
oft  gedruckt,  geschrieben,  telegraphiert  und 
ausgesprochen  werden.  Die  Anwendung  von 
Doppelnamen  und  sonstiger  Zusätze  sollte 
auf  die  unbedingt  nötigen  Fälle  beschränkt 
und  nur  zugelassen  werden,  wenn  es  zur 
Vermeidung  von  Verwechslungen  nicht  zu 
vermeiden  ist.  Die  Durchführung  dieser  Grund- 
sätze ist  in  der  Regel  dem  Ermessen  der  Eisen- 
bahnverwaltungen überlassen.  Es  bestehen 
darüber  weder  Anordnungen  der  .Aufsichts- 
behörden, noch  Vereinbarungen  unter  den  Eisen- 
bahnverwaltungen, in  Österreich  ist  es  vielfach 
üblich,    nebst  dem   deutschen  S.  auch  den   in 


der  Landessprache  anzubringen.  Doppelnamen 
sind  nur  zu  wählen,  wenn  sie  zur  Unterschei- 
dung von  bereits  bestehenden  Stationen  unver- 
meidlich sind.  Für  die  Schweiz  ist  die  Fest- 
setzung der  S.  durch  Bundesratsbeschluß  vom 
11.  Februar  1S74  geregelt.  Schweizerische 
Eisenbahnstationen,  die  in  der  Nähe  mehrerer 
Ortschaften  liegen,  sind  für  den  Fall,  daß  die 
Station  weder  in  das  eine  noch  in  das  andere 
Dorf  zu  liegen  kommt,  nach  beiden  Gemeinden 
zu  benennen.  Wird  infolge  der  Bodenbeschaf- 
fenheit ein  bedeutender  Ort  von  der  Bahnlinie 
nicht  erreicht,  liegt  daher  die  Station  an  emer 
Gemeinde  von  geringerer  Bedeutung,  so  wird 
diese  als  natürliche  und  wirkliche  Station  zu- 
erst genannt  und  der  Name  des  Hauptortes 
angefügt.  Wenn  die  Station  aber  im  Bereich 
einer  großen  zusammenhängenden  Ortschaft 
liegt,  soll  sie  ausschließlich  den  Namen  der- 
selben erhalten,  ohne  Rücksicht  auf  die  Ge- 
meinden, die  auf  die  gleiche  Station  angewiesen 
sind.  Nach  ähnlichen  GesichtspunWen  wird  in 
den  übrigen  Ländern  verfahren.  In  den  meisten 
Fällen  wird  man  mit  der  Benennung  der  Station 
nach  dem  Namen  der  wichtigeren  Gemeinde 
auch  dann  auskommen,  wenn  die  Stationsanlagen 
über  das  Gebiet  mehrerer  Gemeinden  sich 
erstrecken.  Die  kleineren  Gemeinden  wünschen 
in  solchen  Fällen  meistens  bei  Festsetzung 
des  S.  berücksichtigt  zu  werden,  während  die 
Eisenbahnverwaltung  aus  den  angegebenen 
Gründen  auf  einfache  und  kurze  Ausdrucks- 
weise drängt.  Aus  gleichem  Grunde  muß  sie 
den  Bestrebungen  entgegentreten,  die  darauf 
gerichtet  sind,  durch  Zusätze  zum  Ortsnamen, 
wie  dies  besonders  bei  Badeorten  üblich  ge- 
worden ist,  zum  Bekanntwerden  oder  zur  Weiter- 
verbreitung des  Rufes  der  Orte  beizutragen. 
Liegen  mehrere  Bahnhöfe  innerhalb  derselben 
Gemeinde,  so  muß  jeder  einen  besonderen  S. 
erhalten;  dabei  sind  dann  Zusätze  unvermeidlich. 
Für  ihre  Wahl  bietet  die  Lage  nach  der  Himmels- 
richtung, die  Unterscheidung  nach  Hauptbahn- 
hof (Hbf.)  und  Rangierbahnhof,  Güterbahnhof, 
.'\bstellbahnhof,  ferner  nach  besonderen  Stadt- 
teilen oder  Ortsteilen  einen  Anhaltspunkt.  Liegen 
mehrere  Stationen  in  einer  Gemeinde  an  ver- 
schiedenen Bahnstrecken,  so  werden  sie  durch 
Zusätze,  die  auf  die  Eigentumsbahn,  auf  die 
Verwaltungsbezirke  oder  auf  Stadt-  und  Ge- 
meindeteile oder  ebenfalls  auf  die  Himmels- 
richtungen hinweisen,  unterschieden.  In  allen 
Fällen  ist  aber  auf  möglichste  Kürze,  nötigen- 
falls unter  Anwendung  von  im  Sprachgebrauch 
üblichen  Abkürzungen  (s.  d.)  Bedacht  zu 
nehmen.  Angaben  in  den  Kursbüchern,  wie 
Berlin  Anh.  Bf.,  Wien  Südbf.,  Dresden  Hbf., 
Dresden  Neustadt,    Leipzig  Bayer.  Bf.,    Calais 


150 


Stationsnamen.        Statistik  der  Eisenbahnen. 


Hafenbf.,  Calais  Stadtbf.,  sind  bezeichnend  und 
für  jedermann  verständlich. 

Obwohl  durch  deutliche  S.  Verwechslungen 
vermieden  werden,  so  sind  doch  zu  diesem 
Zweck  noch  weitere  Maßnahmen  erforderlich. 
Zunächst  müssen  die  Unterscheidungsmerkmale 
gleich-  oder  ähnlich  lautender  S.  in  möglichst 
weitgehender  Weise  bekanntgegeben  werden. 
Hierzu  dienen  außer  den  von  den  Eisenbahn- 
verwaltungen herausgegebenen  Ortsverzeich- 
nissen die  besonderen  Verzeichnisse  der 
Eisenbahnstationen  mit  gleichlautenden 
oder  ähnlichen  Namensbezeichnungen. 
Sie  werden  sowohl  von  einzelnen  Eisenbahn- 
verbänden als  auch  von  größeren  Verwaltungs- 
bezirken herausgegeben.  So  enthält  die  Kund- 
machung I  des  DEVV.  für  den  Bereich  dieses 
Verbandes  ein  solches  Verzeichnis,  das  in 
ähnlicher  Weise  auch  der  VDEV.  für  sein 
Gebiet  herausgibt. 

Für  die  Unterweisung  der  Reisenden  und 
Erleichterung  der  Zugabfertigung  ist  die  deut- 
liche Anbringung  der  S.  und  bei  Dunkelheit 
ihre  gute  Beleuchtung  sehr  wichtig.  Für 
Deutschland  ist  deshalb  durch  §26  (1)  der 
BO.  vorgeschrieben:  „Auf  den  dem  Personen- 
verkehr dienenden  Stationen  ist  der  Name  in 
einer  den  Reisenden  ins  Auge  fallenden  Weise 
anzubringen.«  Ein  gleiches  bestimmt  die  öster- 
reichischeVerordnung  vom  10. Oktober  1874, 
der  Art.  64  der  niederländischen  Verord- 
nung vom  28.  Oktober  1 889  und  die  fran- 
zösische Verordnung  vom  17.  September  1863. 
Im  Bezirk  der  preußischen  Staatsbahnen  er- 
folgt die  Durchführung  dieser  Bestimmungen 
auf  Grund  einer  besonderen  Dienstanweisung, 
der  »Vorschriften  betreffend  die  An- 
bring ungvonStat  ionsnamenundderHin- 
weise  für  das  Zurechtfinden  der  Reisen- 
den auf  den  Stationen",  denen  als  Anhangder 
Ministerialerlaß  vom  25.  Dezember  IQ lo"  be- 
treffend „Grundsätze  für  die  einheitliche  Schreib- 
weise von  Stationsnamen  und  politischen  Orts- 
namen" beigefügt  ist.  Die  hierdurch  erzielte 
einheitliche  Anbringung  der  S.  trägt  wesentlich 
zum  Erfolg  der  Maßnahmen  bei. 

Über  das  Ausrufen  der  S.  durch  die  Schaff- 
ner bei  Ankunft  der  Personenzüge  s.  Aus- 
rufen der  Stationsnamen.  Breusing. 

Stationssignal   s.  Signalwesen. 
Stationstarif  s.  Gütertarif. 
Stationsteiegraphen  s.  Telegraph. 
Stationsuhr  s.  Uhren. 
Stationsvorsteher  s.  Bahnhof  vorstand. 
Stationszettel  s.  Beklebezettel. 


Statistik  der  Eisenbahnen  ist  die  zahlen- 
mäßige Darstellung  von  Massenbeobachtungen 
bestimmter  Erscheinungen  des  Eisenbahnwesens 
zu  dem  Zweck,  um  durch  Vergleichung 
der  gewonnenen  Zahlen  gesetzmäßige  Er- 
fahrungen in  bezug  auf  die  beobachteten 
Erscheinungen  abzuleiten.  Die  S.  erstreckt  sich 
nahezu  auf  alle  Zweige  des  Eisenbahnwesens. 
Schon  die  Anlage  neuer  Eisenbahnlinien  und 
ihre  wirtschaftlichen  Bestimmungsgründe  er- 
fordern statistische  Unterlagen  und  Unter- 
suchungen über  das  Verkehrsbedürfnis,  die  zu 
erwartende  Größe  des  Güter-  und  Personen- 
verkehrs, über  die  Anlagekosten  u.  dgl. 

Gegenstände  der  S.  sind  insbesondere:  die 
Längen  der  Eisenbahnen,  die  technische  Aus- 
stattung, die  Anlage-  und  Erneuerungskosten, 
die  Verzinsung  des  Anlagekapitals,  die  Zahl, 
Beschaffenheit,  Kosten  und  Leistungen  der 
Fahrbetriebsmittel,  die  Unfälle,  die  Betriebs- 
kosten und  ihre  Verteilung  nach  Dienstzweigen, 
der  Personen-  und  Güterverkehr,  die  Güter- 
bewegung, die  Roh-  und  Reinerträge  aus  den 
verschiedenen  Verkehrszweigen,  die  Betriebs- 
zahl, die  Zahl  und  Besoldung  der  Bediensteten, 
ihre  Krankheits-  und  Sterblichkeitsverhältnisse 
u.  s.  w.,  die  Verhältnisse  der  Versorgungs-, 
Kranken-  und  Unterstützungskassen.  Die  An- 
gaben sind  meist  getrennt  für  öffentliche  und 
nicht  dem  öffentlichen  Verkehr  dienende  Bahnen, 
für  Hauptbahnen,  Nebenbahnen  und  Klein- 
bahnen, für  voll-  und  schmalspurige  Bahnen 
u.  s.  w. 

Die  statistischen  Angaben  haben  meist  die 
Form  von  Tabellen,  die  öfters  durch  bildliche 
Darstellungen  erläutert  werden. 

In  der  S.  werden  teils  die  absoluten,  teils 
die  auf  gewisse  Einheiten  zurückgeführten 
Zahlen  angegeben  (Bahn-,  Zug-,  Wagen-,  Achs-, 
Lokomotiv-,  Personen-,  Gnizrtkm  u.  s.  w.). 

In  einzelnen  Ländern  werden  die  statistischen 
Tabellen  besonders  erläutert  oder  den  Zahlen- 
tafeln wird  ein  eigener  Te.xt  beigegeben  (z.  B. 
in  dem  preußischen  Betriebsbericht,  in  der  vom 
Bundesverkehrsamt  herausgegebenen  S.  der  \'er- 
einigten  Staaten  von  Amerika). 

Es  gibt  kaum  ein  Gebiet  der  Volkswirt- 
schaft, auf  dem  so  viel  und  mit  einem  verhält- 
nismäßig so  guten  Erfolg  mit  Statistik  gearbeitet 
wird  wie  das  Eisenbahnwesen.  Da  sehr  viele 
Statistiken  Aufzeichnungen  von  den  ersten 
Anfängen  der  Eisenbahnen  enthalten,  so  läßt 
sich  ihre  Entwicklung  fortlaufend  verfolgen 
und  es  läßt  sich  beurteilen,  ob  und  wie  sich 
einzelne  Maßnahmen  bewährt  haben.  Ferner 
bietet  die  vergleichende  Statistik  verschiedener 
Länder  Anhaltspunkte  zur  Beurteilung  ihrer 
Eisenbahnverhältnisse,     in     dieser    Beziehung 


Statistik  der  Eisenbahnen. 


151 


muß  aber  mit  Vorsicht  verfahren  werden,  da 
die  statistischen  Unterlagen  und  die  statistischen 
Grundbegriffe  nicht  immer  dieselben  sind. 
So  ist  z.  B.  der  Vergleich  der  Dichtigkeit  des 
Personen-  und  Güterveri<ehrs  der  deutschen, 
amerikanischen  und  anderer  Bahnen  mit  den 
englischen  Eisenbahnen  nicht  möglich,  weil 
die  englischen  Eisenbahnen  die  Personen^/«  und 
die  Oüterfkm  nicht  veröffentlichen.  Der  Ver- 
gleich der  Unfallszahlen  wird  dadurch  erschwert 
oder  vereitelt,  daß  der  Begriff  des  Unfalls  in 
den  verschiedenen  Ländern  nicht  derselbe  ist. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Bedeutung  der  all- 
gemeinen S.  pflegen  die  Staatsregierungen 
selbst  die  Ausarbeitung  und  periodische  Ver- 
öffentlichung zu  veranlassen  oder  zu  beauf- 
sichtigen. Zu  diesem  Behuf  sind  die  einzelnen 
Bahnverwaltungen  meist  gehalten,  die  erfor- 
derlichen, ihre  Linien  betreffenden  statistischen 
Zahlen  der  die  Sichtung  und  Veröffentlichung 
besorgenden  Behörde  vorzulegen.  Die  allgemeine 
S.  genügt  oft  nicht,  um  zuverlässige  Unterlagen 
für  einzelne  Maßnahmen,  z.  B.  Veränderung 
der  Tarife,  zu  gewinnen.  Hier  werden  dann 
besondere  statistische  Ermittlungen  veranstaltet. 
Auch  darüber,  ob  sich  solche  Maßnahmen 
bewährt  haben,  werden  häufig  besondere 
statistische  Aufzeichnungen  angeordnet. 

In  fast  allen  Ländern  mit  einigermaßen 
entwickeltem  Eisenbahnnetz  werden  jetzt  S. 
aufgestellt  und  entweder  jährlich  oder  in  längeren 
Zwischenräumen  veröffentlicht  ^  Die  wichtigsten 
dieser  Statistiken  sind  die  folgenden: 

Deutsches  Reich.  Statistik  der  im  Betrieb 
befindlichen  Eisenbahnen  Deutschlands  nach  den 
Angaben  der  Eisenbahnverwaltungen,  bearbeitet 
im  Reichseisenbahnamt  seit   18S0. 

Der  Stoff  dieser  S.  ist  in  folgender  Weise 
angeordnet: 

Erste  Abteilung. 

Mitteilungen  über  die  dem  öffentlichen  Verkehr 
dienenden  Eisenbahnen  mit  normaler  Spurweite. 

Abschnitt  I.  Übersicht. 

Verzeichnis  der  Eisenbahnen  mit  normaler  Spur- 
weite; Zusammenstellung  der  normalspurigen  Eisen- 
bahnen untergeordneter  Bedeutung  mit  Angabe  ihrer 
charakteristischen  Merkmale. 

Abschnitt  II.  Ausdehnung  der  Eisenbahnen. 

Abschnitt  lli.  Bauliche  Anlagen. 

A.  Bestand  der  Bahnanlagen. 

B.  Unterhaltung  und  Erneuerung  der  Bahnanlagen. 
Abschnitt  iV.  Betriebsmittel. 

A.  Bestand  und  Beschaffungskosten  der  Betriebs- 
mittel. 

B.  Leistungen  der  Betriebsmittel. 

'  Während  des  Weltkriegs  war  die  Aufstellung 
und  Veröffentlichung  der  S.  in  vielen  Staaten 
teils  eingestellt,  teils  wesentlich  eingeschränkt.  Die 
S.  der  Kriegsjahre  werden  aber,  soweit  auch  solche 
vorliegen,  bei  der  gänzlichen  Neugestaltung  der  wirt- 
schaftlichen Zustände  durch  den  Krieg  für  Vergleiche 
kamn  verwertbar  sein. 


C.  Aufwendungen  für  die  Leistungen  luid  für  die 
Unterhaltung  der  Betriebsmittel. 

Abschnitt  V.  Verkehr. 

Personen-  und  Güterverkehr. 

Abschnitt  VI.  Finanzen. 

Baukosten  und  verwendetes  Anlagekapital;  Stand 
des  konzessionierten  .Anlagekapitals  der  Privatbalinen; 
Betriebseinnahmen  und -ausgaben;  Betriebsüberschuß 
und  dessen  Verwendung;  Erneuerungs-  und  Reserve- 
fonds. 

Abschnitt  VII.  Beamte  und  Arbeiter. 

Anzahl  und  Gehaltsverhältnisse  der  Beamten  und 
Arbeiter;  Hilfskassen  für  Beamte  und  Arbeiter. 

Abschnitt  VIII.  Unfälle. 

Unfälle  beim  Eisenbahnbetrieb  (mit  Ausschluß 
der  Werkstätten);  Nachweisung  der  infolge  von  Ver- 
unglückungen geleisteten  Zahlungen. 

Zweite  Abteilung. 

Mitteilungen  über  die  dem  öffentlichen  Verkehr 
dienenden  schmalspurigen  Eisenbahnen. 

Dritte  Abteilung. 

Mitteilungen  über  die  nicht  dem  öffentlichen  Ver- 
kehr dienenden  Anschlußbahnen. 

Übersichtskarte  der  Eisenbahnen  luiter  Zugrunde- 
legung der  Eigentumslängen. 

In  einzelnen  Jahrgängen,  besonders  im  ersten 
Jahrgang  1880/81,  sind  auch  Notizen  über 
Entstehung  und  Entwicklung  der  einzelnen 
Bahnen  sowie  eine  Übersicht  der  Betriebs- 
eröffnungen der  normalspurigen  Eisenbahnen 
Deutschlands  enthalten.  Da  die  deutschen 
Eisenliahnen  ein  neues  Buchungsformular  in- 
folge der  Umgestaltung  der  Verwaltung  und 
des  Rechnungswesens  der  preußischen  und  der 
meisten  übrigen  deutschen  Eisenbahnverwal- 
tungen angenommen  haben,  sind  seit  1898 
(Bd.  XIX)  einige  Änderungen  in  den  statistischen 
Tabellen  vorgenommen,  worüber  die  Vorbemer- 
kung zu  Bd.  XIX  das  Nähere  enthält.  Vom 
Jahrgang  I8Q8  an  ist  hierauf  bei  Vergleichen 
mit  älteren  Jahrgängen  Rücksicht  zu  nehmen. 

Besondere  Statistiken,  unter  Umständen  mit 
Text  und  unter  Erweiterung  des  Inhalts,  werden 
außerdem  veröffentlicht  für  die  preußisch- 
hessischen Eisenbahnen  (sog.  Betriebsbericht), 
die  bayerischen,  sächsischen,  württembergi- 
schen, die  badischen  und  mecklenburgischen 
sowie  die  oldenburgischen  Staatsbahnen  und 
viele  der  wichtigeren  Privatbahnen. 

Eine  eigenartige  S.  ist  die  Statistik  der 
Qüterbewegung  auf  den  deutschen  Eisen- 
bahnen. Eine  solche  wurde  schon  1861  vom 
VDEV.  geplant,  1863  beschäftigte  sich  der 
internationale  statistische  Kongreß  in  Budapest 
tnit  der  Frage,  ohne  zu  einem  Ergebnis  zu 
kommen,  und  der  VDEV.  nahm  sie  darauf 
wieder  in  die  Hand,  verfolgte  sie  aber  nicht 
weiter,  als  1873  ermittelt  war,  daß  die  Kosten 
sich  auf  etwa  400.000  Taler  jährlich  stellen 
würden.  Nach  Verstaatlichung  der  ersten  großen 
preußischen  Eisenbahnen  wurden  vom  preußi- 
schen Minister  der  öffentlichen  Arbeiten    neue 


152 


Statistik  der  Eisenbahnen. 


Erhebungen  angestellt  und  durch  Erlaß  vom 
22.  September  1SS2  die  Aufstellung  einer  solchen 
Statistik  zunächst  für  die  preußischen  Staats- 
bahnen und  die  Reichseisenbahnen  angeordnet. 
Nach  und  nach  haben  sich  alle  deutschen  Bahnen 
angeschlossen.  Seit  dem  I.Januar  1909  wird 
eine  Statistik  über  den  Verkehr  auf  den  deutschen 
Wasserstraßen  nach  denselben  Grundsätzen  auf- 
gestellt. Die  Herausgabe  der  Statistik  erfolgt 
seitdem  alljährlich  (anfangs  wurde  sie  in  kürzeren 
Zwischenräumen  herausgegeben)  durch  das 
kaiserliche  statistische  Amt.  Die  Statistik  gibt 
Aufschluß  über  die  Güterbewegung  (Versand, 
Empfang,  Ausfuhr,  Einfuhr,  Durchfuhr)  im 
Deutschen  Reich,  das  in  37  Verkehrsbezirke 
eingeteilt  ist,  und  mit  dem  Ausland  (15  Ver- 
kehrsbezirke). Die  Güter  sind  in  Gruppen  ein- 
geteilt. Mengen  unter  500  kg  werden  nicht  ange- 
schrieben. 

Eine  Statistik  der  deutschen  Kleinbahnen 
wird  seit  1902  vom  preußischen  Ministerium 
der  öffentlichen  Arbeiten  zusammen  mit  dem 
Verein  deutscher  Straßen-  und  Kleinbahnver- 
waltungen aufgestellt  und  als  Ergänzungsheft 
der  Zeitschrift  für  Kleinbahnen  herausgegeben. 

Über  die  Entwicklimg  der  preußisch-hes- 
sischen Eisenbahnen  in  den  Jahrzehnten  1891  bis 
1900  und  1901  —  1910  hat  der  Minister  der 
öffentlichen  Arbeiten  besondere  Berichte  mit 
reichem  statistischen  Inhalt  an  den  König  er- 
stattet (Zehnjahresberichte),  die  durch  den  Druck 
veröffentlicht  und  damit  allgemein  zugänglich 
gemacht  sind. 

Österreich-Ungarn.  Statistische  Nach- 
richten über  die  Eisenbahnen  der  österreichisch- 
ungarischen Monarchie,  bearbeitet  und  heraus- 
gegeben vom  statistischen  Departement  im 
Handelsministerium  in  Wien  und  vom  unga- 
rischen statistischen  Landesbureau  in  Budapest; 
seit  einigen  Jahren  wird  die  österreichische 
und  die  ungarische  Statistik  besonders  heraus- 
gegeben. 

Schweiz.  Schweizerische  Eisenbahnstatistik, 
veröffentlicht  vom  schweizerischen  Post-  und 
Eisenbahndepartement. 

Italien.  Relazione  dell'  amministrazione 
delle  ferrovie  esercitate  dallo  stato  (früher 
anderer  Titel). 

Frankreich.  Statistique  des  chemins  de  fer 
franqais;  Documents  principaux;  ferner  Chemins 
de  fer  fran(;ais:  France  europeenne  et  Algerie, 
Documents  statistiques,  I.  partie.  Eignes  d'interet 
general,  U.  partie,  Eignes  d'interet  local;  weiters 
gibt  der  Minister  der  öffentlichen  Arbeiten  von 
Zeit  zu  Zeit  ein  Album  de  statistique  graphique 
heraus,  in  dem  den  Eisenbahnen  ein  hervor- 
ragender Platz  eingeräumt  ist.  Außerdem  ver- 
öffentlichen  die  Staatsbahnen    und  jede  der  5 


großen  Eisenbahngesellschaften  jährlich  Be- 
richte, hauptsächlich  über  die  finanziellen  Er- 
gebnisse. 

Belgien.  Chemins  de  fer  (Festes,  Telegraphes, 
Marine),  Compte  rendu  des  Operations.  Partie 
A,  chemins  de  fer,  veröffentlicht  vom  Ministere 
des  chemins  de  fer,  postes  et  telegraphes. 

England.  Railway-returns  for  England  and 
Wales,  Scotland  and  Ireland,  herausgegeben 
vom  Board  of  Trade.  Ferner  General  report 
to  the  Board  of  Trade  in  regard  to  the  share 
and  loan  capital,  traffic  in  passengers  and 
goods  and  the  working  expenditurcs  and  net 
profits  from  Railway  working  of  the  Railway 
Companies  of  the  United  Kingdom.  .außerdem 
veröffentlicht  das  Board  of  Trade  noch  besonders 
die  Statistik  der  Unfälle  (.-Xccidents),  des  Kapitals 
(Share  and  loan  capital),  der  durchgehenden 
Bremsen  (Continous  brakes)  u.  s.  w.  Sorgfältige 
Statistiken  werden  auch  über  die  Eisenbahnen 
der  englischen  Kolonien  herausgegeben:  Indien, 
die  australischen  Kolonien,  .Ägypten,  Südafrika, 
Kanada.  Ein  sehr  abfälliges  Urteil  über  die 
englische  Eisenbahnstatistik  wird  abgegeben  von 
Acworth  in  einer  Abhandlung:  English  Rail- 
way Statistics  in  Journal  of  the  Royal  Statistical 
Society,  Bd.  LXV,  Teil  IV  (3 I.Dezember  1902). 

Dänemark.  Beretning  om  driften  für  die 
dänischen  Staatsbahnen. 

Rußland.  Statistik  des  Ministeriums  der 
Verkehrsanstalten  (in  russischer  Sprache). 

Norwegen.  Norges  officielle  Statistik.  De 
offentlige  Jernbaner. 

Schweden.  Allmän  svensk  jernvägsstatistik. 

Spanien.  Situaciön  de  los  ferrocarriles  (nicht 
regelmäßig). 

Niederlande.  Eisenbahnstatistik,  heraus- 
gegeben vom  Ministerium  für  Wasserbau, 
Handel  und  Gewerbe. 

Portugal  (nicht  regelmäßig). 

Vereinigte  Staaten  von  Amerika. 
Statistics  of  Railways  in  the  United  States  of 
America,  herausgegeben  von  der  Interstate 
Commerce  Commission,  Washington,  seit  ISSS 
jährlich.  Die  Grundsätze,  nach  denen  diese 
Statistik  aufgestellt  wird,  sind  wiederholt  ge- 
ändert, was  bei  Vergleichen  zu  beachten  ist. 
Die  Änderungen  werden  in  dem  einleitenden 
Kapitel  begründet.  Früher  schöpfte  man  die 
statistischen  Nachrichten  aus  Poors  .Manual 
of  the  Railroads,  einer  Privatarbeit  auf  Grund 
der  Angaben   der  Eisenbahnverwaltungen. 

Von  den  übrigen  amerikanischen  Staaten 
werden  Statistiken,  z.  T.  nicht  regelmäßig, 
veröffentlicht  von  Mexico,  Argentinien,  Brasilien, 
Chili. 


Statistik  der  Eisenbahnen.   ~   Steinbrücken. 


153 


Von  den  asiatischen  selbständigen  Staaten 
geben  Japan   und  Siam  S.  heraus. 

Von  den  besonderen  statistischen  Zusammen- 
stellungen der  Bahnverbände  sind  die  desVDEV. 
hervorzuheben:  Statistische  Nachrichten  von  den 
Eisenbahnen  des  VDEV.,  herausgegeben  von 
der  geschäftsführenden  Verwaltung  des  Vereins 
seit  dem  Jahre  1S51;  Statistik  der  Dienstun- 
fähigkeits-  und  Sterbensverhältnisse  der  Beamten 
der  Vereinsbahnen  (seit  1890  Weiterführung 
aufgegeben);  Statistische  Nachrichten  über  die 
Erkrankungsverhältnisse  der  Beamten  der  Ver- 
einsbahnen; Statistik  der  Achsbrüche  und  Achs- 
anbrüche auf  den  Vereinsbahnen;  Statistik  der 
Radreifenbrüche  und  über  die  Dauer  der 
Schienen  auf  den  Vereinsbahnen;  statistische 
Nachrichten  über  die  Ergebnisse  des  Verkehrs 
auf    zusammenstellbare   Fahrscheinhefte    u.    a. 

Der  internationale  statistische  Kongreß  hat 
sich  wiederholt,  so  zu  Paris  im  Jahre  1855, 
im  Jahre  1860  in  London,  1863  in  Berlin  und 
1872  in  St.  Petersburg  mit  der  Frage  beschäftigt, 
in  welcher  Weise  das  nicht  allein  für  die  Eisen- 
bahnen, sondern  auch  für  den  Welthandel 
wichtige  Ziel  einer  auf  gleichen  Grundsätzen  auf- 
gebauten internationalen  S.  erreicht  werden 
könne. 

Der  Kongreß  beschloß  im  Jahre  1876  zu 
Budapest,  die  Feststellung  der  Formulare  für 
die  internationale  S.  einer  besonderen  Kom- 
mission von  Fachmännern  zu  überlassen,  die 
unter  dem  Vorsitz  des  Hofrats  im  österreichischen 
Handelsministerium,  Professor  Hugo  Brachelli, 
1877-1881  ein  9  Tabellen  und  288  Kolonnen 
umfassendes  Formular  feststellte,  wobei  sie 
sich  auf  solche  Tatsachen  zu  beschränken 
suchte,  die  die  Mehrzahl  der  Eisenbahnen  zu 
liefern  in  der  Lage  sind,  ohne  die  üblichen 
statistischen  Aufzeichnungen  wesentlich  zu 
ändern. 

Die  erste  und  bisher  einzige  derartige  S. 
(Statistik  der  europäischen  Eisenbahnen)  ist 
im  Jahre  1885  für  das  Jahr   1882  erschienen. 

Seitdem  ist  die  Frage  wiederholt  auf  Kon- 
gressen, besonders  aber  von  dem  Zentralamt 
für  internationalen  Eisenbahntransport  in  Bern 
wieder  aufgenommen.  Bei  Gelegenheit  der  Re- 
visionskonferenz im  Jahre  1905  wurde  auf  Grund 
eines  russischen  Antrags  zu  Art.  57  des  lÜ. 
erneut  darüber  verhandelt.  Auch  auf  dem  inter- 
nationalen Eisenbahnkongreß  im  Jahre  1910 
stand  die  Frage  auf  der  Tagesordnung.  Es 
ist  aber  über  Anregungen  und  einzelne  Vor- 
arbeiten nicht  herausgekommen. 

Von  den  Statistiken  aller  Länder  werden 
regelmäßig  Auszüge  im  Archiv  für  Eisenbahn- 
wesen veröffentlicht.  ,      , 

1'.  der  Leyen. 


Staubsaugevorrichtungen  zur  Reinigung 

von  Räumen  oder  des  Innern  der  Personen- 
wagen werden  auch  vielfach  im  Eisenbahn- 
betrieb verwendet.  Zur  Reinigung  der  Wagen 
auf  größeren  Stationen  oder  in  Werkstätten- 
anlagen werden  auch  bewegliche  S.  benutzt,  die 
durch  Anschluß  an  elektrische  Leitungen  in 
Betrieb  gesetzt  werden. 

Wo  in  Arbeitsräumen,  wie  in  Sägehäusern 
oder  Holzbearbeitungswerkstätten,  starke,  die 
Gesundheit  der  Arbeiter  schädigende  Staub- 
entwicklung eintritt,  wird  in  der  Regel  eine 
Späneabsaugung  eingerichtet  (s.  hierüber  unter 
Werkstätten). 

St.  Clair-Tunnel   s.  Tunnelbau. 

Stechviehwagen  s.  Borstenviehwagen. 

Stehbolzen   s.  Dampfkessel. 

Stehkessel  s.  Dampfkessel. 

Steife  Achsen  s.  Lenkachsen. 

Steifiiuppeln  s.  Drehschemelwagen  und 
Kuppelungen. 

Steigungs-  (Neigungs-)  Widerstand  s. 

Z  u  g  w  i  d  e  r  s  t  ä  n  d  e. 

Steilbahnen  s.  Bergbahnen,  Gebirgs- 
bahnen, Seilbahnen,  Zahnbahnen. 

Steinbrechmaschinen  s.  Bettung. 

Steinbrücken  {stonc  bridges;  ponts  en 
magonncrie;  ponti  in  pictra).  Brücken,  deren 
zwischen  den  Widerlagern  oder  zwischen  Pfei- 
lern gebildete  Öffnungen  mittels  gewölbter 
Bogen  aus  Quader-,  Bruchstein-  oder  Ziegel- 
mauerwerk überspannt  sind.  Die  auch  hierher 
gehörenden  Brücken  mit  Bogen  aus  Stampf- 
mauerwerk werden  gesondert  unter  Beton- 
brücken besprochen. 

Die  ersten  Ausführungen  von  S.  sind  mit  den 
Anfängen  der  Brückenbaukunst  verknüpft.  Die 
vorrömischen  Völker  kannten  nur  die  Über- 
deckung kleinerer  Öffnungen  mit  Steinbalken 
oder  Platten  nach  Art  unserer  heutigen  Platten- 
durchlässe oder  mittels  ausgekragter  Steine. 
Erst  bei  den  Römern  gelangte  der  Gewölbebau 
in  zahlreichen  Aquädukten,  Strom-  und  Tal- 
brücken zu  hoher  Entwicklung.  Diese  römischen 
Brücken  sind  ausschließlich  im  Halbkreis  aus 
Hausteinen  gewölbt  mit  kurzen,  dicken,  strom- 
auf- und  -abwärts  zugeschärften  Pfeilern,  die 
auf  großen  Steinwürfen,  z.  T.  auch  schon  auf 
Beton  zwischen  Pfahlwänden  gegründet  sind. 
Die  Fahrbahn  ist  in  der  Regel  gegen  die 
Brückenmitte  stark  ansteigend,  um  die  nötige 
Höhe  für  den  vollen  Bogen  zu  gewinnen. 

Die  aus  dem  Mittelalter  stammenden  S.,  von 
denen    noch    manche    bis   heute  erhalten  sind. 


154 


Steinbrücken. 


zeigen  noch  die  massigen  Verhältnisse  und 
den  großen  Baustoffaufwand,  aber  nicht  die 
gleiche  Vollkommenheit  in  der  Ausführung  des 
Mauerwerks  wie  die  römischen  Brücken.  Der 
volle  Halbkreisbogen  wird  aber  schon  vielfach 
verlassen  und  der  Segment-  und  auch  schon 
der  Korbbogen  angewandt.  Jedoch  erst  in  der 
zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  sind  An- 
sätze zu  einer  Fortentwicklung  und  wissen- 
schaftlichen Ausgestaltung  des  Steinbrücken- 
baues wahrzunehmen,  und  man  kann  wohl 
sagen,  daß  davon  die  Tätigkeit  des  Bauingenieurs 
ihren  Ausgang  genommen  hat.  Insbesondere 
konnte  Frankreich  und  England  schon  zu 
Anfang  des  19.  Jahrhunderts  auf  zahlreiche  be- 
merkenswerte Ausführungen  von  S.  hinweisen. 
Der  vor  etwa  5  Jahrzehnten  mächtig  zum  Auf- 
schwung kommende  Eisenbrückenbau  drängte 
zwar  den  Bau  der  S.  eine  Zeitlang  wieder  etwas 
in  den  Hintergrund.  In  neuerer  Zeit  erkannte 
man  aber  die  großen  Vorzüge  des  Steinbaues  und 
richtete  das  Bestreben  darauf,  den  Gewölbebau 
durch  technisch  richtige  Ausbildung  sparsamer 
und  wirtschaftlicher  zu  gestalten.  Damit  wurde 
der  Erfolg  erzielt,  daß  die  S.  unter  Umständen 
heute  mit  Eisenbrücken  in  Wettbewerb  treten 
können,  ja  daß  man  geneigt  ist,  ihnen  mit 
Rücksicht  auf  ihre  zweifellos  längere  Dauer 
und  auf  ihre  einfachere  Überwachung  wieder 
ein  größeres  Feld  einzuräumen.  Für  Eisen- 
bahnbrücken spielt  auch  das  wichtige  Moment 
mit,  daß  S.  eine  Zunahme  der  Verkehrslasten 
ohne  merkliche  Einbuße  an  ihrer  Sicherheit 
vertragen  und  daher  in  diesem  Fall  nicht,  so 
wie  Eisenbrücken,  einer  nachträglichen  Ver- 
stärkung bedürfen. 

Hinsichtlich  der  Spannweite  ist  den  S.  aller- 
dings eine  engere  Grenze  gesteckt  als  den 
Brücken  mit  eisernem  Oberbau,  u.  zw.  so\^'ohl 
durch  die  Ausführungsschwierigkeiten  sehr 
weit  gespannter  Gewölbe  wie  auch  durch  die 
mit  zunehmender  Spannweite  ganz  bedeutend 
anwachsenden  Kosten,  die  durch  die  Wider- 
lager, insbesondere  aber  durch  das  erforderliche 
Lehrgerüst  bedingt  sind.  Die  v^irtschaftliche  und 
technisch  vervollkommnete  Ausbildung  des 
neuzeitlichen  Steinbrückenbaues  hat  aber  diese 
Grenze  erweitert.  VCährend  noch  vor  wenig 
Jahren  S.  mit  mehr  als  60  m  Spannweite  nur 
ganz  vereinzelt  bestanden,  hat  die  Zahl  großer 
gewölbter  Brücken,  von  den  Betonbrücken  ab- 
gesehen, im  letzten  Jahrzehnt  erheblich  zuge- 
nommen. Nachstehende  Zusammenstellung  (auf 
S.  155)  enthält  die  Hauptabmessungen  und 
Kosten  einiger  der  größten  S. 

Mit  der  Fortentx^icklung  des  Baues  der  S. 
hat  auch  die  Ausbildung  der  Theorie  in  der 
Neuzeit  Schritt  gehalten.    Der   heutige  Stand- 


punkt kennzeichnet  sich  dahin,  daß  das  Gewölbe- 
mauerwerk, ob  es  nun  regelmäßig  gefugt  ist 
oder  aus  einer  mehr  weniger  gleichartigen 
Masse  (Stampfbeton)  besteht,  als  elastisch 
anzusehen  und  daß  sonach  auf  das  Gewölbe 
die  Theorie  des  elastischen  Bogens  unter 
bestimmten  Voraussetzungen  anzuwenden  ist 
(s.  Bogenträger).  Beobachtungen  und  Ver- 
suche an  ausgeführten  Bauwerken,  insbeson- 
dere die  1892-1893  vom  Österreichischen 
Ingenieur-  und  Architekien-Verein  durchgeführ- 
ten Bruchversuche  mit  Gewölben  von  23  m 
Spannweite  aus  Bruchstein-,  Ziegel-  und  Stampf- 
mauerwerk haben  diese  Anschauung  bekräftigt. 
Form  und  Stärke  der  Brücken- 
gewölbe. Während  man  früher  fast  aus- 
schließlich nur  den  Halbkreis-  oder  Kreis- 
segmentbogen, zuweilen  bei  flachen  Gewölben 
aus  Schönheitsrücksichten  auch  den  Korb- 
oder elliptischen  Bogen,  bei  hohen  Pfeilern 
auch  den  überhöhten  elliptischen  Bogen  zur 
Anwendung  brachte,  ist  man  jetzt  bemüht, 
dem  Gewölbe  eine  solche  Form  zu  geben, 
bei  der  es  mit  der  geringsten  Stärke  ausgeführt 
werden  kann.  Dies  ist  dann  der  Fall,  wenn 
die  Bogenachse  mit  der  Stützlinie,  d.  i.  der 
Mittelkraftlinie  der  Belastung,  zusammenfällt, 
da  dann  alle  Querschnitte  gleichmäßig  verteilte 
Pressung  erfahren.  Nun  wechselt  aber  die 
Stützlinie  mit  der  V'erkehrslaststellung  und  es 
ist  daher  die  Mittellage  aller  möglichen  Stütz- 
linien für  die  Form  der  Bogenachse  maßgebend. 
Diese  wird  annähernd  bei  Vollbelastung  der 
Spannweite  mit  der  halben  Größe  der  gleich- 
mäßig verteilt  angenommenen  Verkehrslast 
erhalten.  Ist  ein  Gewölbe  mit  gegebener  Lage 
der  Kämpfer  und  des  Scheitels  zu  entwerfen, 
so  wird  man  zunächst  die  Gewölbestärke  fiach 
den  später  gegebenen  Regeln  annehmen  und 
kann  damit  die  Eigengewichtslast  (Geviölbe 
samt  Brückenbahn)  im  Scheitel  g^  und  über 
den  Kämpfern  ^.|  berechnen.  Als  gleichmäßig 
verteilte  Verkehrslast  in  t  f.  d.  in-  kann  ange- 
nommen werden: 

für   Hauptbahnbrücken  /j  =  (  5-j-  y)  n.-  \a 

für  Straßenbrücken    Z'  =  (  0'5  -|-  -A  „,„_J_„ 

worin  für  leichte,  mittelschwere  und  schwere 
Fuhrwerke  a  =  4,  10,  20  zu  setzen  ist.  /  be- 
zeichnet die  Spannweite,  ii  die  Oberschüttungs- 
höhe  im  Scheitel. 

Die  Form  der  Bogenachse  bestimmt  sich 
damit,  wenn  x  und  y  die  auf  den  Scheitel 
bezogenen  Koordinaten  sind  und  /  die  Pfeil- 
höhe bezeichnet,  annähernd  aus  der  Gleichung 

8/ 


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136 


Steinbrücken. 


Es  genügt  auch,  bloß  den  Scheitelkrümmungs- 
3' 


radius  aus  Og 


und  die 


2g,^P         8/ 
Ordinate  im  Viertel  der  Spannweite  zu  berechnen, 


die  Kämpfer  zu  verschärft.  Häufig,  bei  flachen 
Bogen  wohl  immer,  kann  die  theoretische 
Stützlinienform  ohne  erhebliche  Verstärkung 
des  Gewölbes  durch  einen  Kreissegmentbogen 


Abb.  152.  Viadukt  bei  Wiesen  der  Schmalspurbahn  Davos-Filisur.  (N'acli  einer  photogr.  .\ufnahme  von  Hermann  Wolf  in  Konstanz.) 


um  daraus  die  Stützlinienform  abzuleiten.  Für 
gleiche  Auflast  vom  Scheitel  bis  zum  Kämpfer 
ergibt  sich  dafür  eine  Parabel,  für  gegen  den 
Kämpfer  zunehmende  Auflast  wird  die 
Krümmung  eine  mehr  gleichmäßige  oder  gegen 


ersetzt  werden,  der  demnach  aucli  für  Brücken- 
gewölbe von  mittlerer  Spannweite  und  Stich- 
verhältnissen unter  ^  '5  die  zweckmäßigste  und 
üblichste  Form  ist.  Auch  bei  großen  Gewölben 
(Brücken    der    österr.    Staatsbahnen,    Taf.    1\', 


Steinbrücken. 


157 


Abb.  1)  findet  man  den  Kreisbogen  beibehalten, 
da  er  bei  Hausteinen  den  Vorteil  gleichmäßigen 
Steinschnitts  bietet,  doch  ist  hier  bei  größerem 
Unterschied  der  Belastung  im  Scheitel  und 
Kämpfer  eine  der  Stützlinie  sich  besser 
anschmiegende  Korbbogenform  vorzuziehen 
(Addabrücke  bei  Morbegno  [Taf.  IV,  Abb.  2], 
Syratalbrücke  [Taf.  IV,  Abb.  3],  Gutachbrücke 
u.a.).  Talbrückenerhalten  zur  Verminderung  der 
Pfeilerhöhe  tief  gelegte  Bogenanläufe  und  für 
die  gewöhnlichen  Weiten  bis  zu  25  m  im 
Halbkreis  gewölbte  Brückenbögen,  deren  Ge- 
wölbe aber  etwas  höher,  mit  einer  unter  10  —  15" 
geneigten  Kämpferfuge  ansetzen  (Taf.  IV,  Abb.  5). 
Für  größere  Spannweiten  und  große  Viadukt- 
höhen wird  sich  aber  der  der  Stützlinie  angepaßte 
überhöhte  Korbbogen  als  günstiger  erweisen. 
Beim  Wiesener  Viadukt  (Abb.  152)  wurde  bei- 
spielsweise durch  Wahl  des  überhöhten  Korb- 
bogens  gegenüber  dem  Halbkreisbogen  eine 
Ersparnis  an  Mauerwerk  des  Gewölbes  und 
der  Hauptpfeiler  von  etwa   \Q%   erzielt. 

Die  Gewölbestärke  hat  der  Bedingung  zu 
entsprechen,  daß  im  Gewölbe  bei  ungünstigster 
Belastung  nirgends  unzulässige  Pressungen 
auftreten.  Zugspannungen  sollen  in  einem 
Gewölbe  aus  gefugtem  Mauerwerk  unter  der 
Belastung  überhaupt  nicht  vorkommen.  Letzteres 
wird  erfüllt,  wenn  die  Stützlinien  für  alle 
Belastungsfälle  durchwegs  im  mittleren  Drittel 
der  Gewölbestärke  bleiben.  Dies  liefert  für 
die  Scheitelgewölbestärke  die  annähernde  Be- 
sti  mmungsgleichung 


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Damit  aber  die  zulässige  Pressung  im  Ge- 
wölbemauerwerk nicht  überschritten  wird,  muß 


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gemacht  werden.  Es  bezeichnet  darin  w  die 
Auflast  über  dem  Gewölbe  im  Bogenscheitel 

-\-  2  P  (Verkehrslast)  in  t/m-,  y  das  Ge- 
wicht des  Gewölbemauerwerks  (tiin^),  q^  den 
Scheitelkrümmungshalbmesser,  s  die  zulässige 
Pressung  in  ///«-'.  Dabei  ist  eine  günstigste 
Stützlinienform  des  Gewölbes  vorausgesetzt. 
Abweichungen  \'on  dieser  bedingen  eine  Ver- 
größerung der  Gewölbestärke.  Für  s  kann 
gesetzt  werden: 

für  Gewölbe  aus  hart  gebrannten  Ziegeln 
150-200   thn^-, 

für  Bruchsieingewölbe  aus  mittelfesten  Steinen 
200-300  tjm?; 

für  Gewölbe  in  Schichtmauerwerk  aus  druck- 
festen Steinen  300-400  tlin^, 

für  Quadergewölbe  aus  Granit  500  -  600  tjm-. 


In  der  Regel  ist  die  Einhaltung  der  Druck- 
spannungsgrenze, sohin  Formel  b  für  die 
Qewölbestärke  maßgebend;  es  kann  jedoch  bei 
Bogen  mit  größerem  Stichverhältnis,  germger 
Eigen-  und  hoher  Verkehrslast  die  Vermeidung 
der  Zugspannungen  nach  Formel  a  eine  größere 
Stärke  ergeben.  In  diesem  Fall  würde  ein  Ge- 
wölbemauerwerk von  hoher  Druckfestigkeit,  also 
die  Ausführung  in  harten  Quadern  keinen 
Gewinn  bringen,  da  diese  Druckfestigkeit  nicht 
zur  Ausnützung  kommt. 

Gewölbe,  die  als  gelenklose  eingespannte 
Bogen  wirken,  sind  in  den  Kämpfern  zu  ver- 
stärken. Das  notwendige  Maß  dafür  ergibt 
die  statische  Untersuchung,  die  sich  auch  auf 
den  Einfluß  der  Wärmeänderungen  zu  erstrecken 
hat.  Allerdings  wird  es  ohne  ungewöhnliche 
Kämpferverstärkung  meist  nicht  zu  erreichen 
sein,  das  Auftreten  von  Zugspannungen  bei 
niedrigen  Temperaturen  und  gleichzeitig  un- 
günstigster Belastung  ganz  zu  vermeiden.  In 
der  Ausführung  wird  eine  solche  Zunahme  der 
Gewölbestärke  vom  Scheitel  gegen  die  Kämpfer 
angewandt,  daß  die  lotrechten  Projektioncii 
der  radialen  Fugen  bei  Bogen  mit  einem  Stich- 
verhältnis bis  V4  mindestens  gleich  der  Scheitel- 
stärke sind.  Im  Kämpfer  geht  die  Verstärkung 
auf  das  l'3-l'8fache  der  Scheitelstärke. 

Von  empirischen  Formeln  für  die  Scheitel- 
gewölbestärke seien  hier  angeführt: 

nach  Desjardin   </=0-3    -|- 0-045    /, 
„      Desnoyers  o'  =  0- 1 5  -]-  0- 1 765  /, 

neuere  französische  Formel 

fi^=0-4-f  0-035  (/-  10), 

Formel  der  österr.  Staatsbahnen  für  Spann- 
weiten über  30  m  .    .    .    .  fl'=  0-1 +0-0325/. 

Zur  Ausführung  der  Brückenge  wölbe 
werden  gewöhnliche  Bruchsteine,  lagerhafte 
Bruchsteine,  in  den  Lagerflächen  bearbeitete 
Steine  (Schichtmauerwerk)  oder  behauene 
Werksteine  (Quader),  seltener  und  jetzt  wohl 
nur  für  kleinere  Gewölbe  oder,  wo  gute  natür- 
liche Bausteine  schwer  zu  beschaffen  sind,  hart 
gebrannte  Ziegel  verwendet.  An  Stelle  von 
natürlichem  Steinmaterial  sind  in  einigen  Fällen 
bei  neueren  Ausführungen  (Wiesener  Viadukt) 
auch  Betonsteine  verwendet  worden.  Unregel- 
mäßige Bruchsteine  sind  zur  Ausführung  von 
Wölbemauerwerk  nicht  gut  geeignet,  allenfalls 
nur  unter  Verwendung  kleinerer  plattiger  Steine 
und  reichlichen  Mörtels,  wie  es  der  Bauweise 
der  Firma  Liebold  &  Co.  entspricht,  in  der  der 
Syratalviadukt  (Taf.  IV,  Abb.  3),  einige  Brücken 
der  Eisenbahn  Ilsenburg-Harzburg  u.  a.  herge- 
stellt wurden.  Lagerhaftes  Bruchsteinmauerwerk 
in  gutem  Verband  und  Schichtmauerwerk  kann 
bei  richtiger  Bemessung  und  Formgebung  des 
Gewölbes  anstandslos  auch  für  große  Spann- 


158 


Steinbrücken. 


weiten  Verwendung  finden.  Auf  den  österreichi- 
schen Staatsbahnen  wird  diese  Ausführungs- 
art für  alle  Brückengewölbe  bis  zu  40  m  Spann- 
weite angewandt.  Hausteingewölbe,  die  früher 
auch  für  kleine  und  mittlere  Spannweiten  aus- 
geführt wurden,  beschränkt  man  ihrer  höheren 
Kosten  wegen  jetzt  meist  nur  auf  Brücken,  von 
denen  ein  besonders  gutes  Aussehen  verlangt 
wird,  oder  auf  solche  von  großer  Spannweite. 
Man  verwendetfürdie  GewölbemauerungQuader 
von  0'2— 0-7/«^  Inhalt  und  gibt  bei  kleineren 
Gewölbestärken  lauter  durchbindende  Steine, 
bei  größeren  Stärken  abwechselnd  Läufer  und 
Binder,  die  in  Verband  stehende  Ringe  bilden. 
Die  Mörtelfugen  macht  man  1  an,  wenn  sie 
mit  Stampfmörtel  ausgefüllt  werden  sollen, 
mindestens  1-5  cot  stark.  Für  die  Ausführung 
großer  Gewölbe  (von  mehr  als  40  m  Spann- 
weite) kann  an  Stelle  schwer  zu  beschaffender 
Quader  auch  die  V'erwendung  von  aus  Bruch- 
steinen gemauerten  Blöcken,  denen  aber 
mindestens  07  tn}  Inhalt  zu  geben  ist,  in 
Betracht  kommen.  Sie  sind  der  Mauerung  auf 
dem  Lehrgerüst  vorzuziehen,  weil  sie  am  Werk- 
platz sorgfältig  hergestellt  werden  können  und 
günstigere  .Arbeitseinteilung  gestatten.  Sie 
müssen  zur  Zeit  der  .Aufbringung  auf  das 
Lehrgerüst  aber  bereits  eine  genügende  Druck- 
festigkeit besitzen. 

Eine  häufig  beobachtete  Erscheinung  ist  das 
.Auftreten  von  Rissen  am  Gewölberücken  in  der 
Nähe  des  Kämpfers,  u.  zw.  entweder  noch 
am  Lehrgerüst  vor  dem  Schließen  des  Ge- 
wölbes oder  nach  dessen  .Ausrüstung.  Diese 
Risse  sind  zwar  meist  ungefährlich,  aber  doch 
insofern  nachteilig  und  unerwünscht,  als  sie 
den  nutzbaren  Querschnitt  des  Gewölbes  ver- 
mindern und  die  wasserdichte  Abdeckung  zer- 
stören können.  Ihre  Ursache  liegt  in  einem 
Heraustreten  der  Stützlinie  aus  dem  Kern  des 
Gewölbes,  herbeigeführt  durch  eine  Formver- 
änderung des  Lehrgerüstes,  Ausweichen  der 
Widerlager,  größere  örtliche  Preßbarkeit  des 
Wölbematerials  oder  der  Mörtelbänder  bei  noch 
nicht  voller  Erhärtung,  also  zu  frühem  .Aus- 
rüsten u.  s.  w.  Man  wird  natürlich  trachten, 
diese  störenden  Einwirkungen  möglichst  ein- 
zuschränken und  insbesondere  wird  man 
Senkungen  des  Lehrgerüstes  während  der 
.Ausführung  des  Gewölbes  tunlichst  hintanhalten 
oder  unschädlich  zu  machen  suchen.  Dies 
wird  durch  gewisse  Vorsichtsmaßregeln  und 
Anordnungen  bei  der  Ausführung  erzielt,  u.zw. 

1.  durch  ein  möglichst  festes  unnachgiebiges 
Lehrgerüst; 

2.  durch  tunlichst  gleichmäßige  Belastung 
desselben  während  der  Ausführung  der  Ge- 
wölbemauerung; 


3.  durch  Aussparen  von  Lücken  und 
Schließen  des  Gewölbes  an  mehreren  Stellen; 

4.  durch  nicht  zu  frühes  Ausrüsten; 

5.  neuestens  auch  durch  Anwendung  des 
unten  beschriebenen  sog.  Gewölbe-Expan- 
sions-Verfahrens. 

Die  gleichmäßige  Belastung  des  Lehrgerüstes 
von  Anfang  an  ist  eine  immer  zu  beobachtende 
Regel.  Durch  Aufbringen  der  Baustoffe  auf 
das  Lehrgerüst  und  Vorbelastung  des  Bogen- 
scheitels  wird  man  verhindern  können,  daß 
stärkere  Senkungen  erst  während  der  Ausführung 
der  Gewölbemauerung  eintreten.  Bei  größeren 
Gewölbebogen  wird  überdies  mit  der  Mauerung 
nicht  bloß  von  den  Kämpfern  aus,  sondern 
auch  von  zwei  oder  mehreren  symmetrisch 
liegenden  Stellen  derGewölbeschenkel  begonnen. 
Dadurch  wird  das  Gewölbe  in  kürzere  Seg- 
mente zerlegt,  die  leichter  den  allfälligen  Form- 
änderungen des  Lehrgerüstes  folgen  können; 
auch  werden  dadurch  mehr  Arbeitsstellen  ge- 
schaffen. Die  in  den  Gewölbeschenkeln  be- 
ginnende Mauerung  erfordert  provisorische 
Widerlager  durch  Abpölzung,  gewöhnlich  in 
Form  von  auf  das  Lehrgerüst  aufgesetzten 
Böcken.  Der  Gewölbeschluß  erfolgt  gleich- 
zeitig an  mehreren  Stellen.  In  dieser  Art 
erfolgt  jetzt  die  .Ausführung  aller  größeren 
Bruchsteingeviölbe.  Bei  Hausteingewölben  ver- 
bindet man  damit  auch  noch  das  trockene 
Versetzen  des  untersten,  auf  der  Lehrgerüst- 
schalung liegenden  Quaderrings.  So  wurde 
beispielsweise  der  85  m  weit  gespannte  Bogen 
der  Isonzobrücke  bei  Salcano  (Taf.  IV,  .Abb.  S) 
in  8  Wölbungsabschnitte  geteilt  und  baute  man 
zu  diesem  Zweck  an  den  Stellen  der  künftigen 
Gewölbeschlüsse  provisorische,  mit  dem  Lehr- 
gerüst fest  verbundene  hölzerne  Widerhalter 
ein.  Es  wurden  dann  die  Steine  des  ersten 
Quaderrings  trocken  versetzt,  wobei  auf  der 
Schalung  zwischen  den  Lagerflächen  der  Steine 
Holzleisten  von  der  Stärke  der  Mörtelfugen 
{\t  mm)  eingelegt  oder  in  den  stärker  geneig- 
ten Gewölbepartien  die  Steine  durch  eiserne 
Trennungskeile  in  richtigem  Abstand  gehalten 
wurden.  Die  7  Lücken  zwischen  den  Gewölbe- 
segmenten blieben  offen.  Nach  dem  Ausstampfen 
der  Fugen  mit  Mörtel  erfolgte  das  Aufbringen 
der  Steine  des  zweiten  und  dritten  Ringes  in 
.Mörtellage  und  schließlich  der  Gewölheschluß 
gleichzeitig  an  den  7  offen  gelassenen  Stellen 
in  der  ganzen  Gewölbestärke.  Den  gleichen 
Ausführungsvorgang  hätte  man  bei  Verwendung 
gemauerter  Blöcke  anstatt  Quader  anzuwenden. 

Nachträgliche  Verlagerungen  der  Stützlinie, 
die  im  fertigen  Gewölbe  beim  Ausrüsten,  ferner 
durch  Temperaturwirkung  oder  infolge  Wider- 
lagerverschiebung  eintreten   können    und   un- 


Steinbrücken. 


159 


günstige  Spannungsverteilungen,  allfällig  Zug- 
risse in  der  Nähe  der  Kämpfer  und  im  Scheitel 
hervorrufen  können,  werden  aber  durch  diese 
Ausführungsart  nicht  hintangehalten.  Hierzu 
müßte  das  Gewölbe  als  Dreigelenkbogen  aus- 
geführt werden,  doch  wird  die  Notwendigkeit 
und  Nützlichkeit  von  Gelenken  in  Mauerwerks- 
gewölben nicht  in  dem  Maße  zugegeben,  wie 
bei  Betonbogen,  bei  denen  Gelenke  denn 
auch  viel  häufiger  zur  Anwendung  gekommen 
sind  (s.  Betonbrücken).  Gemauerte  Bogen  sind 
auch  bei  großen  Spannweiten  bisher  selten  mit 
Gelenken  ausgeführt  worden.  Bei  der  Adda- 
brücke  zu  Morbegno  (Taf.  IV,  Abb.  2)  wurden  in 
den  70  m  weit  gespannten  Granitsteinbogen  im 
Scheitel  und  in  den  Kämpfern  Stahlgelenke 
eingebaut,  die  aber  einige  Wochen  nach  dem 
Ablassen  des  Bogens  ausgemauert  und  mit 
Zementmörtel  vergossen  wurden,  so  daß  die 
Dreigelenkbogenwirkung  nur  für  das  Eigen- 
gewicht und  für  die  Senkungen  nach  dem 
Ausrüsten  zur  Geltung  kam,  Temperatur  und 
Verkehrslast  aber  ihre  Wirkung  auf  das  gelenk- 
lose Gewölbe  äußern.  Dagegen  erhielten  die 
Münchener  Brücken,  sowohl  jene  in  Stampf- 
beton wie  auch  die  in  Muschelkalkquader  aus- 
geführten, frei  liegende,  bleibend  wirkende 
Stahlgelenke.  Ober  die  Ausbildung  der  Gelenke 
s.  Betonbrücken.  Man  ist  wohl  berechtigt,  die 
Anwendung  von  Gelenken  bei  Mauerwerks- 
gewölben auf  große  Spannweiten  mit  kleinen 
Stichverhältnissen  und  auf  Fälle,  wo  ein  nicht 
ganz  sicherer  Baugrund  Widerlagerbewegungen 
befürchten  läßt,  zu  beschränken.  Bei  Drei- 
gelenkbogen entfällt  die  Verstärkung  am  Kämpfer 
und  es  erhält  das  Gewölbe  seine  größte  Stärke 
im  Gewölbeschenkel. 

Bei  Weglassung  von  Gelenken  läßt  sich  durch 
die  Anwendung  des  schon  erwähnten  sog.  Ge- 
wölbe-Expansions-  oder  Gewölbespreizverfah- 
rens, System  Buchheim  und  Heister,  den 
Scheitelsenkungen  beim  Ausrüsten,  die  das  Auf- 
treten von  Kämpferrissen  bewirken  könnten,  vor- 
beugen. Bei  diesem  Verfahren,  das  schon  mehr- 
fach, insbesondere  für  Bogen  von  15  —  20/«  vor- 
teilhaft Anwendung  gefunden  hat,  wird  das  Ge- 
wölbe nicht  durch  Absenken  des  Lehrgerüstes 
in  Spannung  gesetzt,  sondern  dadurch,  daß  die 
Scheitelkraft  in  bestimmter  Größe  durchWasser- 
druckpressen,  die  in  offen  gelassene  Lücken  im 
Gewölbescheitel  eingesetzt  werden,  erzeugt  wird. 
Diese  Lücken  werden  dann  durch  Ausfüllung 
mit  Baustoff  und  Ausmauerung  geschlossen. 
(In  der  Anwendung  auf  Brücken  des  Eisenbahn- 
direktionsbezirkes Frankfurt  a.  M.  beschrieben 
in  „Armierter  Beton",   1917,  H.  3  u.  4.) 

Die  Brückengewölbe  werden  zur  Herstellung 
einer    ebenen    Brückenbahn    mit    Erde    über- 


schüttet oder  es  wird  die  Brückenbahn  durch 
Pfeiler  auf  den  Bogen  gestützt.  Die  Erdüber- 
schüttung ist  für  Bogen  von  geringer  Höhe 
das  Einfachste  und  Billigste,  da  es  sich  bei 
einem  nur  auf  Druck  bemessenen  Mauerwerks- 
gewölbe nicht,  wie  bei  einem  Eisenbetonbogen, 
um  tunlichste  Verminderung  der  Eigenlast 
handelt,  vielmehr  die  Überschüttung  günstig 
für  die  Stabilität  und  für  die  Verteilung 
konzentrierter  Lasten  wirkt. 

Über  dem  Gewölbescheitel  soll  die  Höhe 
der  Überschüttung,  einschließlich  der  Stärke 
der  Fahrbahnkonstruktion,  bei  Straßenbrücken 
mindestens  30  -  50  cm,  bei  Eisenbahnbrücken 
mindestens  70  cm  betragen.  Seitlich  wird  diese 
Überschüttung  durch  Stirnmauern  begrenzt, 
die  auf  den  Gewölbestirnen  aufruhen,  u.  zw. 
entweder  ohne  Verband  auf  dem  Gewölberücken 
sitzen  oder  aber  durch  treppenartige  Absätze 
der  Stirnwölbequader  mit  dem  Gewölbe  in 
Verband  gebracht  sind. 

Bei  größerer  Pfeilhöhe  des  Gewölbes  und 
demnach  auch  großer  Überschüttungshöhe  an 
den  Kämpfern  werden  die  gegen  den  Erddruck 
zu  berechnenden  Stirnmauern  sehr  stark.  Halb- 
kreisbogen von  mittlerer  Spannweite  und  nicht 
allzu  großer  Breite,  wie  sie  die  typische  Aus- 
führung der  gewölbten  Eisenbahnviadukte  zeigt, 
erhalten  dann  eine  volle  Ausmauerung  bis  auf 
Bettungshöhe  (Taf  IV,  Abb.  5),  wodurch  auch  die 
Anordnung  der  Entwässerung  begünstigt  wird. 
Bei  breiteren  Brücken  hat  man  aber  häufig 
auch  Hohlmauerwerk,  sog.  Spandrillmauern, 
angeordnet  und  dadurch  eine  Verringerung 
des  auf  dem  Gewölbe  lastenden  Gewichts  und 
eine  Ersparnis  an  Mauerwerk  erzielt.  Diese  Span- 
drillen (Taf.  IV,  Abb.  9)  bestehen  aus  einzelnen, 
den  Stirnmauern  parallelen  Zungenmauern,  die 
oben  mit  Platten  überdeckt  oder  mit  Stich-  oder 
Halbkreisgewölben  überspannt  sind.  Ihr  Abstand 
wird  mit  1-1'5ot  gewählt.  Bei  sehr  großer 
Höhe  hat  man  zuweilen  diese  Zungenmauern 
noch  durch  Quermauern  oder  in  verschiedener 
Höhe  durch  Gewölbe  verbunden  und  die  Span- 
drillräume zugänglich  gemacht.  Gegenwärtig 
zieht  man  aber  den  gegen  den  Luftzutritt  ab- 
geschlossenen Spandrillräumen  die  Anordnung 
offener  Hohlräume  vor,  deren  Achsenrichtung 
parallel  zu  jener  des  Brückenbogens  ist.  Diese 
sog.  Sparbogen  oder  Sparöffnungen  werden 
durch  auf  dem  Brückenbogen  aufstehende 
Pfeiler  oder  Mauern  gebildet,  die  durch  kleine 
Gewölbe  (Abb.  152  sowie  Taf.IV,  Abb.  1,2,3,4,6,8) 
oder  durch  gerade  Überdeckungen  in  Eisenbeton 
überspannt  sind.  Mit  dem  Wegfall  der  vollen 
Stirnmauern  ist  der  Vorteil  der  Freilegung  des 
Brückenbogens  und  einer  architektonisch  günstig 
wirkenden  Gliederung  der  Stirnflächen  verbun- 


160 


Steinbrücken. 


den.  Man  wählt  die  Spannweite  der  Sparbogen  ' 
entsprechend  der  Größe  des  Hauptbogens  mit 
2— 5 /«.  Gewöhnlich  werden  sie  im  Halbkreis 
überwölbt  und  in  den  Bogenzwickeln  durch 
Füllmauerwerk  bis  auf  Scheitelhöhe  abgeglichen, 
so  daß  die  wasserdichte  Abdeckung  und  Ent- 
wässerung über  sie  hinweggeführt  werden  kann. 
Bei  Brücken  mit  iMittelpfeilern  hat  man  zuweilen 
auch  nur  eine  einzige  Sparöffnung  in  den  über 
den  Pfeilern  liegenden  Gewölbezvvickeln  ange- 
ordnet, um  die  Stirnmauern  an  ihren  höchsten 
Stellen  in  ihrem  Ausmaß  zu  vermindern. 

Das  Streben  nach  Verminderung  der  Mauer- 
werksmassen einer  gewölbten  Brücke  hat  bei 
großer  Brückenbreite  auch  zu  einer  Längs- 
teilung des  Brückengewölbes  und  auch  der 
Pfeiler  geführt.  Es  werden  zwei,  allenfalls 
auch  mehr  parallele,  schmale  Brückenbogen 
in  einem  Abstand  voneinander  ausgeführt 
und  es  wird  der  dazwischen  verbleibende 
Spalt  durch  eine  sich  auf  die  Bogen  stützende 
Querkonstruktion  überspannt.  Beispiele  für  diese 
Anordnung  geben  die  Straßenbrücke  über  das 
Tal  la  Petrusse  bei  Luxemburg  (Taf.  IV,  Abb.  6), 
und  die  Armidoniersbrücke  in  Toulouse;  sonst 
ist  diese  gegliederte  Ausführungsart  besonders 
durch  Beton-  und  Eisenbetonbrücken  vertreten. 
Entwässerungsanlagen.  Die  Oberfläche 
der  Brückengewölbe  und  ihrer  Übermauerung 
ist,  soweit  sie  mit  dem  Erdreich  in  Berührung 
steht,  gegen  die  eindringende  Feuchtigkeit 
durch  eine  möglichst  wasserdichte  Abdeckung 
zu  schützen.  Ais  Unterlage  für  die  Deckschicht 
dient  eine  S  -  10  an  hohe  Beton-  oder  schwächere 
Zementmörtelschichi,  die  die  unebene  Ober- 
fläche des  Mauerwerks  ausgleicht.  Ein  Zement- 
verputz allein  bietet  aber  nicht  genügende 
Sicherheit  für  bleibende  Wasserdichtheit.  Man 
verwendet  heute  zur  Abdeckung  vorzugsweise 
Asphalt  in  Form  von  Gußasphalt  oder  mit 
Asphalt  imprägnierter  filziger  Gewebe.  Der 
Naturasphalt  wird  als 
heißer  Anstrich  in 
doppelter  Lage  von 
zusammen  25  -  30mm 
aufgetragen,  in  der 
oberen  Lage  mit  etwa 
20  %  Kieszusatz.  Die 
Asphaltfilzplatten  ha- 
ben 2  ^'2  -4  mm  Stärke ; 
sie  werden  an  den 
Stößen  \Ocm  breit  überlappt  und  mit  Asphalt 
verkittet.  Die  auf  den  österreichischen  Staats- 
bahnen verwendeten  Leiß-Zufferschen  Platten 
enthalten  eine  2- 3fache  Jutegewebelage  mit 
dazwischengestrichenem  Asphaltgoudron.  An- 
statt der  Verwendung  fertiger  Platten  hat  man 
auch  abwechselnde  Lagen  von  heißem  Qoudron- 


■"•,*><:  ,i-^-^. 


Abb.  153. 


anstrich  und  Juteleinwand  unmittelbar  aufge- 
bracht. Eine  gute,  aber  teure  .Abdeckung  geben 
die  Siebeischen  Bleiisolierplatten,  die  eine  dünne 
Bleieinlage  zwischen  einem  beiderseitigen  Über- 
zug von  Dachpappe  enthalten. 

Die  Abführung  des  in  die  Überschüttung 
eingedrungenen  Wassers  erfolgt  am  einfachsten 
über  den  Widerlagern;  bei  Brücken  mit  meh- 
reren Öffnungen  ist  dies  aber  nicht  gut  möglich 
und  geschieht  hier  die  Ableitung  des  Wassers 
entweder  durch  den  Gewölbescheitel,  durch  die 
Gewölbeschenkel,  durch  die  Kämpfer  des  Ge- 
wölbes, durch  die  Pfeiler  oder  durch  die  Stirn- 
mauern. Eine  Entwässerung  durch  den  Gewölbe- 
scheitel ist  natürlich  nur  bei  vollständiger  Aus- 
mauerung der  Gewölbezwickel  oder  bei  der 
Anordnung  von  Spandrillmauerwerk  oder  Spar- 
bogen möglich. 

Die  Abdeckung  erhält  ein  Längs-  und  Quer- 
gefälle von  ^60"  1/201  ^°  ^^^  ^^^^  ^  '"  '^^^ 
Mitte  des  Scheitels  zusammentreffende  Rinnen 
bilden.  Hier  wird  das  Wasser  mittels  eines  guß- 
eisernen Abfallrohrs  durch  das  Gewölbe  geführt. 
Dieses  hat  einen  Teller  angegossen,  auf  den  eine 
mit  Löchern  versehene  Haube  gestülpt  wird 
(Abb.  153).  Letztere  ist  mit  einer  Packung  aus 
Steinen  zu  umgeben.  Bei  überschütteten  Ge- 
wölben ist  über  den  .Mittelpfeilern  eine  Rinne 
auszubilden,  die  das  Wasser  zu  den  Abfall- 
rohren  leitet.  Diese  Rinne  ist  entweder  bloß 
ein  mit  Steinen  ausgepackier  Sickerkanal  oder 
I  ein  gemauerter  Kanal,  dessen  Seitenwände 
Schlitze  für  den  Wassereintritt  erhalten. 

Erfolgt  die  Entwässerung  durch  die  Stirn- 
mauern, so  erhält  der  in  den  Gewölbezwickeln 
anzulegende  Kanal  ein  Gefälle  nach  den  beiden 
Stirnmauern  zu  und  mündet  daselbst  in  einer 
kreisförmigen,  mit  einem  auskragenden  Rinn- 
stein versehenen  Öffnung  oder  in  einem  ent- 
sprechend weit  ausladenden  Rohr.  Bei  dieser 
Anordnung  entstehen  aber  durch  das  ablaufende 
Wasser  auf  den  Stirnmauern  und  Pfeilern  leicht 
nasse  Flecken  und  bei  tonigen  Steinarten 
Flechten-  und  Moosbildung. 

A\an  hat  endlich  auch,  um  das  Wasser  ohne 
Schädigung  des  Bauwerks  und  Belästigung  des 
unter  der  Brücke  stattfindenden  Verkehrs  ab- 
zuführen, die  Entwässerung  durch  die  Zwischen- 
pfeiler mittels  senkrechter,  unten  seitwärts  ab- 
gezweigter Abzugkanäle  oder  Röhren  bewerk- 
stelligt. Die  Abfallschläuche  sollen  aber  ent- 
weder schliefbar  sein  oder  es  sind  in  sie  Rohre 
einzusetzen,  die  zur  Reinigung  herausgehoben 
werden  können  (Stadtbahnviadukte). 

Widerlager  und  Pfeiler.  Im  allgemeinen 
wird  die  Mauerwerksmasse  am  kleinsten,  wenn 
man  das  Gewölbe  selbst  bis  zum  Baugrund 
fortsetzt,  in  welchem  Fall  für  das  Widerlager 


Tafel  IV. 


1 
-?4 


■20%,      .  y7g.:7g;SIl^: 


J^-N-vJsyK^frJTrr^i  ViT-r 


Abb.  7.  Landwasserviadiikt  der  Albulabahn. 


r 


Abb.  8.  Eisenbahnbrück-e  über  den  Isonzo  bei  Salcano  (Oörz). 


bi  Querschnitt  im  Briicken- 
sch  eitel. 


Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


Steinbrücken. 


Tafel  IV. 


Abb.  1.  Eisenbahiibröcke  über  den  Pruthfluß  bei  Jarenicze. 


b}  Lehrgerüst  und  Ausfiihrungsplan  der  0.:wölbemauerung. 
Abb.  2.  Eisenbahnbrücke  über  die  Adda  bei  Morbegno  {Linie  Tirano-Colico). 


Abb.  4,  Solisbrücke  der  Albulabahn. 


—22,0 *MJC 


■20%^    .  :)^^i:':s;;ia.vir[  r 


Abb,  7.  I.andw.isserviadukl  der  .Mbulahahn, 


Abb.  5.  Schmiedtobelviadukt  der  Arlbergbahn. 


Abb.  8.  Eisenbahnbrücke  über  den  Isonzo  bei  Salcano  (Oörz). 


b)  Längsschnitt. 
Abb.  3.  Straßenbrücke  über  das  Syralal  in  Plauen,  Sachsen. 


a)  Längsschnitt  und  Aiisicbt, 
Abb.  6.  Straßenbrücke  über  das  Pelriistal  bei  Luxemburg. 


b)  Querschnitt  im  Brücken- 
scheiteL 


Vorbg  Too  Urban  &  Schwarzenberg  in  Berlin  u.  Wien. 


steinbrücken. 


161 


nur  ein  kleiner  Mauerkörper  benötigt  wird, 
der  nur  den  Zweck  hat,  den  Druck  auf 
eine  so  große  Grundfläche  zu  verteilen,  als  es 
die  Beschaffenheit  des  Baugrunds  erfordert. 
Man  nennt  diese  Anordnung  verlorene  Wider- 
lager, Druckwiderlager,  auch  natürliche  Wider- 
lager. Sie  eignet  sich  vorzugsweise  bei  Gründung 
auf  festem,  gegen  das  Widerlager  ansteigendem 
Baugrund,  also  zur  Oberbrückung  von 
Schluchten,  Einschnitten  in  festem  Boden,  zu 
Anschlüssen  an  Berglehnen  u.  s.  w.  Bei  festem 
Felsen  kann  man  das  Gewölbe  direkt  gegen 
den  Felsen  stemmen,  während  bei  erdigem 
Boden  der  Druck  auf  eine  größere  Fläche 
verteilt  werden  muß,  wozu  eine  entsprechend 
verbreiterte  Fundamentplatte  nach  Erfordernis 
aus  Beton  oder  Eisenbeton  oder  aus  Beton 
mit  Einlage  eines  eisernen  Trägerrostes  (Salcano- 
brücke)  herzustellen  ist.  In  den  meisten  Fällen 
wird  aber  das  Gewölbe  nicht  bis  zum  Baugrund 
geführt,  sondern  gegen  einen  größeren  Mauer- 
werkskörper mit  mehr  oder  weniger  senkrechter 
Vorderfläche  gestützt.  Man  nennt  diesen  dann  ein 
Standwiderlager   oder   künstliches  Widerlager. 

Die  Stärke  der  Widerlager  ist  mit  Rücksicht 
auf  die  angreifenden  Kräfte:  Gewölbeschub, 
Erddruck  und  Mauergewicht  zu  bestimmen. 
Es  sind  dabei  2  Belastungsfälle  zu  berück- 
sichtigen: belastetes  Gewölbe  und  unbelastete 
Hinterfüllung  und  umgekehrt;  für  S.,  deren 
Gewölbe  vor  der  Hinterfüllung  der  Widerlager 
vollendet  wird,  was  bei  S.  unter  Dämmen  in 
der  Regel  der  Fall  ist,  ist  außerdem  noch 
eine  Berechnung  auf  den  durch  das  Eigen- 
gewicht des  Gewölbes  veranlaßten  Schub  ohne 
Berücksichtigung  des  Erddrucks  durchzuführen. 
Für  jeden  Belastungsfall  soll  die  jMittelkraft 
aus  den  angreifenden  Kräften  im  mittleren 
Drittel  des  Mauerquerschnitts  bleiben,  damit 
keine  Zugspannungen  auftreten.  Überdies  darf 
an  der  Fundamentsohle  die  zulässige  Boden- 
pressung nicht  überschritten  werden. 

Der  Anschluß  der  Brücke  an  die  natürliche 
Bodenfläche  kann  nach  verschiedenen  Anord- 
nungen erfolgen,  die  z.T.  bei  den  Durchlässen 
(s.  d.)  eine  Besprechung  gefunden  haben.  Liegt 
dasWiderlager  im  gewachsenen  Boden, sowerden 
einfach  die  Stirnmauern  oder  zu  ihnen  gleich- 
laufende Stirnflügelmauern  bis  zum  Anschluß 
an  das  natürliche  Bodengelände  fortgesetzt. 

Schließt  aber  die  Brücke  an  einen  Damm 
an,  so  können  Stirnflügel  in  Verbindung  mit 
vorgelegten  Erd-  oder  Steinkegeln  oder  schräge 
Flügelmauern  (Böschungsflügel)  in  Anwendung 
kommen.  Bei  großer  Höhe  werden  aber  die  als 
Stützmauern  zu  berechnenden  Flügel  sehr  stark 
und  sind  dann  bei  druckhafter  Hinterfüllung 
oder   zu   Rutschungen    geneigtem    Boden    Be- 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


wegungen  schwer  hintanzuhalten.  Stirnflügel 
müssen  dann  wenigstens  in  ihrem  unteren  Teil 
zu  einem  zusammenhängenden  Mauerklotz  ver- 
bunden und  es  muß  der  zwischen  ihnen  \'er- 
bleibende  Raum  mit  Steinen  ausgepackt  werden. 
Man  schließt  diesen  Raum  wohl  auch  durch 
eine  schwache  Quermauer  ab,  die  die  rückwär- 
tigen Enden  der  Stirnflügel  verbindet.  Anstatt 
den  so  entstehenden  kastenförmigen  Raum 
auszufüllen,  hat  man  ihn  auch  überwölbt, 
u.  zw.  entweder  gleichlaufend  oder  senkrecht 
zur  Brückenachse.  Im  letzteren  Fall  können 
dann  die  Stirnflügelmauern  auch  weggelassen 
werden,  und  man  gelangt  so  zu  jener  Lösung, 
bei  der  der  Endabschluß  der  Brücke  durch 
eine  in  die  Dammschüttung  hineinragende 
Bogenstellung  bewerkstelligt  wird,  bei  Viadukten 
die  billigste  und  häufigst  angewendete  An- 
ordnung. 

Die  Mittelpfeiler  gewölbter  Brücken  erhalten 
gewöhnlich  eine  solche  Stärke,  daß  sie  nur  so 
lange  standsicher  sind,  als  beide  Bogen,  die 
von  einem  Mittelpfeiler  getragen  werden,  vor- 
handen sind.  Nur  bei  längeren  S.  werden 
einzelne  Pfeiler  stärker  als  Standpfeiler  aus- 
geführt, so  daß  sie  auch  dem  einseitigen 
Gewölbeschub  widerstehen.  Diese  Standpfeiler 
teilen  die  Brückenöffnungen  in  Gruppen  zu  je 
3  —  5.  Die  Gewölbe  einer  Gruppe  sind  bei 
der  Ausführung  gleichzeitig  einzurüsten.  Bei 
ausgeführten  Brücken  beträgt  die  obere  Pfeiler- 
dicke bei  Segment-  und  gedrückten  Bogen 
0-1 1-0-23/,  im  Mittel  0-15/,  bei  Viadukten 
mit  Halbkreisbogen  0- 1 5  -  0-3 1  /,  im  Mittel  0-20/, 
für  die  Standp'feiler  0-26 -0-47/,  im  Mittel 
0-35  /.  Die  Stärke  der  Mittelpfeiler  von  Strom- 
brücken kann  mit  0-55'^ l  angenommen  werden. 

Die  Seitenflächen  der  Pfeiler  erhalten  in  der 
Regel  einen  Anzug,  der  bei  Landpfeilern  mit 
V20  ~  ^/so  ^^^  ^^^  Strompfeilern  über  NW  mit 
■'/30  — V50  gewählt  wird.  Hohe  Pfeiler  für  Tal- 
brücken hat  man  zuweilen  mit  konkaven  Seiten- 
flächen oder  in  mehreren  Abstufungen  mit  ver- 
schiedenem, nach  unten  zunehmendem  Anzug 
ausgeführt  (Albulabahn).  Die  Anlage  der 
Ansichtsflächen  der  Pfeiler  ist  meist  ebenso 
groß,  bei  hohen  Brücken  oft  größer  als  jene 
der  Seitenflächen,  um  die  erforderliche  Stand- 
festigkeit gegen  Winddruck  zu  erhalten.  Bei 
Brücken  in  Bogen  hat  man  den  Anzug  auf 
der  äußeren  Seite  bei  hohen  Pfeilern  wegen 
der  Fliehkraft  meist  größer  gewählt  (bis  0-1). 
Die  Strompfeiler  erhalten  bis  auf  Hochwasser- 
höhe Vorköpfe  von  halbkreisförmiger,  ellip- 
tischer, spitzbogiger  oder  3eckiger  Form. 

Die  Pfeiler  sehr  hoher  Talbrücken  sind 
früher  häufig  durch  sog.  Spannbogen  verstärk; 

11 


162 


Steinbriicken. 


worden.  Letztere  sind  schmale  flache  Segment- 
bogen, die  in  einem  oder  bei  großen  Höhen 
auch  in  mehreren  Geschossen  die  Pfeiler  ver- 
binden (Göltschtal-  und  Elstertalviadukt  der 
sächsischen  Staatsbahnen).  Über  den  Spann- 
bögen sind  in  den  Pfeilern  meist  Durchgänge 
angeordnet.  Werden  die  Bögen  in  derselben 
Breite  wie  die  Pfeiler  ausgeführt,  so  gewinnen 
die  S.  das  Aussehen  von  Stockwerksbrücken 
(s.  beispielsweise  die  Viadukte  der  Semmering- 


Abb.  154.  Wa:dbachvi,idukt  der  Uodcii^^L-;  ut;^.,!.,!.;^-. u^ 

einer  phologr.  Aufnahme  von  Hermann  Wolf,  Konst; 

bahn).  Die  Pfeiler  dieser  älteren  S.  sind  aber 
so  stark,  daß  sie  auch  ohne  Spannbögen  stand- 
sicher wären.  Jetzt  läßt  man  die  Spannbogen 
auch  bei  hohen  Viadukten  weg   und  zieht    es 


vor,  die  Pfeiler  so  stark  auszuführen,  daß  sie 
standsicher  sind. 

Schiefe  gewölbte  Brücken  werden  des 
schwierigen  und  teueren  Steinschnitts  wegen 
jetzt  gerne  vermieden.  Man  ersetzt  sie  besser 
durch  die  leichter  auszuführenden  Wölbungen 
in  Stampfbeton  oder  umgeht  die  Ausführung 
eines  schiefen  Gewölbes  dadurch,  daß  man  es 
aus  einzelnen,  gegeneinander  verschobenen, 
geraden  Bogen  zusammensetzt. 

Gewölbte  Viadukte.  Bei 
der  Anordnung  einer  gewölbten 
Talbri'cke  ist  vor  allem  die  Frage 
der  Zah!  und  Weite  der  Einzel- 
öffnungen und  dann  der  Form 
und  Höhe  der  Bogen  zu  beant- 
worten. Für  die  endgültige  Wahl 
ist  hauptsächlich  nur  der  Kosten- 
vergleich entscheidend.  Für  Via- 
dukte nach  den  üblichen  Typen 
der  Eisenbahnen  (Halbkreis- 
bogen in  Bruchsteinmauerwerk, 
Abb.  154)  kann  man  bei  der  Via- 
dukthöhe// (in  m)  für  die  zu  wäh- 
lende Öffnungsweite  etwa  setzen 
/=6-f-0-4A,  doch  gibt  diese 
Regel  nur  eine  beiläufige  Richt- 
schnur. Hohe  Pfeilerkosten,  die 
sich  z.  B.  durch  ungünstige 
Gründungsverhältnisse  ergeben 
können,  oder  die  Überbrückung 
tiefer  Schluchten  (Taf.  IV,  Abb.  4), 
werden  zur  Anwendung  größerer 
Lichtweiten  führen.  An  den  Tal- 
lehnen werden  sich,  entsprechend 
der  abnehmenden  Höhe  des  Via- 
dukts, kleinere  Öffnungsweiten 
als  zweckmäßig  herausstellen. 
Man  wird  aber  nicht  jede  Öffnung 
verschieden  weit  machen,  sondern 
gruppenweise  gleiche  Öffnungen,, 
durch  stärkere  Pfeiler  getrennt, 
anordnen. 

In  den  nachstehenden  Tabellen 
werden  die  Hauptabmessungen 
der  im  Halbkreis  gewölbten  Viadukte  nach  den 
Typen  der  österreichischen  Staatsbahnen  (Taf.  IV, 
Abb.  5)  und  der  schmalspurigen  Albulabahn 
(1  m  Spurweite)  (Taf.  IV,  Abb.  7)  gegeben. 


.inz.) 


iii     (Nacli 


Viadukte  der  österreichischen  Staatsbahnen. 


L  i  c  h  t  w  e  i  t  e 


10 


12 


16 


20 


22 


Scheitelstärke   des  Gewölbes    . 
Kämpferstärke    in    unter     1  : 5 

geneigter  Fuge 

Pfeilerstiirke 


0-66 

0-80 
1-30 


0-74 

0-90 
1-60 


0-82 

1-01 
200 


0-90 

112 

240 


0-98 

1-28 
2-80 


1-06 

1-50 
3-20 


1-14 

1-76 
3-60 


L22 

2-08 
400 


1-30 

2-52 
4-40 


1-38 

3-15 
4-80 


steinbrücken.        Stellwerke. 

Viadukte  der  Albulabahn. 


163 


Lichtweite    in    m 


10 


20 


25 


30 


Scheitelstärke  des  Gewölbes    . 

Kämpferstärke 

Pfeilerstärke  bis  zu  5  m  Höhe 
Pfeilerstärke  über  5  m  Höhe 


0-55 
0-80 
1-20 
1-40 


0-60 
0-90 
1-35 
1-55 


0-70 
100 
1-50 
1-70 


0-75 
MO 
1-70 
1-90 


0-86 
1-20 
200 
2-20 


0-90 
1-35 
2-70 
2-90 


1-00 
1-50 
3-60 
3-80 


1-20 
1-90 


1-40 
2-60 


Die  Kosten  der  eingleisigen  Viadukte  be- 
trugen für  1  m?-  Ansichtumgrenzungsfiäche: 

Arlbergbahn, 

Viadukte  von  etwa  1 0  m  Weite    .    .  6 1  -  63  K 

„      10-22  „       „         .    .  60-66  „ 

Staatsbahnlinie  Tabor-Pisek, 

Viadukte  von   10-12/«  Weite    .    .  56-65  K 

Albulabahn    (1  m    Spur),    Öffnungen    von 

20  m  Weite,  Landwasserviadukt  .    .    .    .  47  K 

Albulaviadukt 36  „ 

Melan. 

Steinwürfelunterlagen  s.  Oberbau. 

Steinwurf  nennt  man  Vorlagen  aus  regellos 
geschlichteten  großen  Steinen  zum  Schutz 
gegen  den  Angriff  durch  fließendes  Wasser. 
S.  wird  bei  Brückenpfeilern  und  -Widerlagern 
sowie  bei  Uferschutzmauern  angewendet.  Die 
Steine  werden,  ohne  Werkzeuge  zu  Hilfe  zu 
nehmen,  vor  das  Bauwerk  in  den  Flußlauf 
geworfen  und  wirken  lediglich  durch  ihr  Ge- 
wicht, weshalb  sie  einen  Rauminhalt  von  min- 
destens Y^  m^  haben  sollen. 

Stellwerke  (interlocking  frames,  interlocking 
machines;  apparails  de  mancEiivre  de  signal  et 
d'aiguillage;  apparecchi  di  manovra  per  segnale 
e  scambio)  sind  die  zu  einem  gemeinsamen 
Werk  zusammengefaßten  Vorrichtungen  zur 
Fernbedienung  von  Weichen  und  Signalen  sowie 
zur  Herstellung  von  Abhängigkeiten  bei  der 
Weichen-  und  Signalstellung. 

S.,  die  lediglich  zum  Stellen  von  Weichen 
dienen,  heißen  Weichenstellwerke.  Signal- 
stellwerke sind  S.,  die  nur  Vorrichtungen 
zum  Stellen  von  Signalen  enthalten.  In  den 
Weichen-  und  Signalstellwerken  sind 
Weichen-  und  Signalhebel  vorhanden. 

Abhängigkeiten  werden  bei  der  Weichen-  und 
Signalstellung  geschaffen:  zwischen  einzelnen 
Signalen,  um  die  gleichzeitige  Fahrstellung  feind- 
licher Signale  zu  verhüten,  zwischen  Weichen 
und  Signalen,  um  die  richtige  Lage  der  Weichen 
bei  Fahrsignal  zu  sichern. 

Diese  Abhängigkeiten  werden,  wenn  alle  dabei 
in  Betracht  kommenden  Hebel  in  einem  S. 
vereinigt  sind,  in  diesem  selbst  hergestellt.  Ist  die 
Signalstellung  von  der  Stellung  von  Weichen 
abhängig  zu  machen,  deren  Hebel  mit  den 
Signalhebeln  nicht  in  einem  S.  sich  befinden,  so 


wird  zwischen  dem  Signalstellwerk  und  dem 
Weichenstellwerk  eine  elektrische  Zustimmung 
eingerichtet.  Ein  solches  Weichenstellwerk  heißt 
Zustimmungsstellwerk.  Die  Abhängigkeit 
zwischen  der  Signalstellung  und  der  Stellung 
von  Handweichen  wird  durch  Riegelwerke 
oder  Schlüsselsicherung  geschaffen. 

S.,  bei  denen  Weichen  und  Signale  durch 
Gestänge  oder  Drahtzug  gestellt  werden,  be- 
zeichnet man  als  mechanische,  solche,  bei 
denen  die  Weichen  und  Signale  durch  Elektri- 
zität, Druckluft,  Wasserdruck  oder  Preßgas  be- 
wegt werden,  als  Kraftstellwerke. 

Die  Kraftstellwerke  sind  in  Bd.  VI  behandelt. 
Die  mechanischen  S.  sollen  in  folgenden  Ab- 
schnitten besprochen  werden: 
1.  Weichenstellwerke. 
II.  Signalstellwerke. 

III.  Weichen-  und  Signalstellwerke. 

IV.  Zustimmungsstellwerke. 
V.  Riegelwerke. 

VI.  Schlüsselsicherungen. 
VII.  Verbindung  der  S.  mit  der  Stations-  und 
Streckenblockung. 

I.  Weichenstellwerke. 

a)  Allgemeines.  Zum  Umlegen  einer  an 
ein  S.  angeschlossenen  Weiche  (fernbediente, 
ferngestellte  Weiche,  Stellwerkweiche)  dient  der 
Weichenhebel,  die  zur  Übertragung  der 
Hebelbewegung  auf  die  Weichenzungen  be- 
stimmte Gestänge-  oder  Drahtleitung  und 
der  zwischen  dieser  und  den  Weichenzungen 
eingeschaltete  Weichenantrieb. 

Die  gesamte  Stellvorrichtung  soll  folgende 
Bedingungen  erfüllen: 

1.  Der  Schaft  des  Weichenhebels  muß  in 
den  beiden  Endstellungen  (Grundsteilung  und 
Stellung  des  umgelegten  Hebels)  festgehalten 
werden. 

2.  Die  anliegende  Weichenzunge  muß  bei 
den  Endstellungen  des  Hebeis  fest  an  die 
Backenschiene  anschließen  und  die  abliegende 
Zunge  muß  ausreichend  weit  von  der  Backen- 
schiene entfernt  sein. 

3.  Die  Weiche  muß  auffahrbar  sein,  d.  h.  bei 
dem  Auffahren  der  Weiche  (s.  d.)  dürfen  keine 
Teile  der  Stellvorrichtung  oder  der  Zungen  zer- 
stört werden. 

11* 


164 


Stellwerke. 


4.  Das  Auffahren  einer  Weiche  soll  dem  Wärter 
im  S.  durch  ein  sichtbares  Zeichen  angezeigt 
werden. 

Die  Bauart  der  Weichenstellwerke  ist  bei  Ver- 
wendung von  Gestänge-  und  Drahtzugleitungen 
wesentlich  voneinander  \-erschieden. 

b)  Weichenstellwerke  mit  Gestänge- 
leitung. Die  Gesamtanordnung  eines  solchen 
S.  zeigt  Taf.  V,  Abb.  1.  Im  Stellwerksgebäude 
steht  auf  der  Hebelbank  (ß)  der  Weichen- 
hebel (A),  von  dem  die  Gestängeleitung  nach 
unten  und  dann  unter  Einschaltung  von 
Ablenk-  und  Ausgleich  Vorrichtungen  (C,  C,, 
C2)  zu  der  V'erbindungsstange  der  Weichen- 
zungen führt.  An  diese  greift  sie  mit  dem 
Weichenantrieb  [E)  an. 

Der  Weichenhebel  (Taf.  V,  Abb.  3)  ist  in 
einem  Bock  gelagert,  der  auf  der  Hebelbank  be- 
festigt ist.  In  der  Grundstellung  steht  er  nach  oben, 
unter  ets-a  30°  gegen  die  Senkrechte  nach  hinten 
geneigt.  Der  umgelegte  Hebel  weist  schräg  nach 
unten.  In  der  Grundstellung  greift  die  Hand- 
fallenstange a  in  den  Ausschnitt  d,  bei  umge- 
legtem Hebel  in  den  Ausschnitt  d'^  des  Hebel- 
bocks ein  und  wird  darin  durch  die  Spannung 
der  Handfallenfeder  e  festgehalten.  Mit  dem  Hebel 
sitzt  auf  derselben  Welle  drehbar  das  Zahn- 
rad /,  dessen  Zähne  in  den  im  unteren  Teil 
des  Hebel bocks  gelagerten,  gezahnten  Bogen  g 
eingreifen.  Beim  Umlegen  des  Hebels  wird 
durch  die  angehobene  Handfallenstange  das 
Zahnrad  fest  mit  dem  Hebel  gekuppelt  und  in 
der  Richtung  der  Hebelbewegung  mitgedreht. 
Der  gezahnte  Bogen  macht  dabei  die  entgegen- 
gesetzte Bewegung  und  drückt  das  ihm  angehängte 
Gestänge  nach  unten.  Die  Bewegung  des  Ge- 
stänges überträgt  sich  weiter  bis  zur  Weiche 
und  stellt  die  Weichenzungen  um. 

In  den  Endstellungen  des  Hebels  ist  eine 
unter  Federdruck  stehende  lösbare  Kupplung 
zwischen  dem  Hebel  und  dem  Zahnrad  vor- 
handen. Beim  Auffahren  der  Weiche  wird,  da  der 
Hebel  durch  die  Handfallenstange  in  dem  Hebel- 
bock festgehalten  ist,  die  Kupplung  zwischen 
Hebel  und  Zahnrad  aufgehoben.  Die  vom 
ordnungsmäßigen  Zustand  abweichende  Stellung 
des  Zahnrads  zum  Hebel  zeigt  zwar  schon  an, 
daß  die  Weiche  aufgefahren  ist;  vielfach  wird 
dieses  aber  durch  das  Erscheinen  eines  roten 
Zeichens    noch    besonders   kenntlich   gemacht. 

Bei  einigen  Bauarten  der  Weichenhebel  für 
Gestängeleitung  wird  zur  Übertragung  der 
Hebelbewegung  auf  die  Leitung  ein  Zahnrad 
in  Verbindung  mit  einer  Zahnstange,  bei  anderen 
eine  Kulissensteuerung  verwendet. 

Die  Gestängeleitungen  werden  aus  Gas- 
rohr hergestellt.  Zur  Verbindung  der  einzelnen 
Rohre     dienen     Gewindemuffen.     Nach     den 


preußischen  Vorschriften  sollen  zu  den  Leitun- 
gen 42  mm  starke  Gasrohre  von  4  mm  Wand- 
stärke verwendet  werden.  Die  Verbindungs- 
muffen sollen  \20  mm  lang  und  mit  je  2 
Kontroilöchern  versehen  sein.  In  angemessenen 
Abständen  -  etwa  3-3-5  m  -  werden  die 
Rohrgestänge  durch  Rollen-,  Walzen-  oder 
Kugellager  unterstützt.  Taf.  V,  Abb.  4  zeigt 
solche  Lager. 

An  den  Punkten,  wo  Richtungsänderungen 
des  Gestänges  in  wagrechter  oder  senkrechter 
Ebene  erforderlich  sind,  werden  Winkelhebel  ein- 
geschaltet (Taf.  \^  Abb.  8).  Diese  Vorrichtungen 
können  bei  richtiger  Anordnung  auch  Längen- 
änderungen, die  durch  Wärmeschwankungen 
in  dem  Gestänge  entstehen,  ausgleichen.  Viel- 
fach sind  aber  noch  besondere  Ausgleichvor- 
richtungen erforderlich  (Taf.  V,  Abb.  7).  Die 
Winkelumlenkungen  und  Ausgleichvorrichtun- 
gen erhalten  gußeiserne  oder  schmiedeeiserne 
Erdfüße. 

Der  Weichenantrieb  besteht  bei  der 
Gestängeleitung  aus  einem  Winkelhebel  (Taf.  V, 
Abb.  9),  der  die  Bewegung  des  Gestänges 
durch  Vermittlung  des  Spitzenverschlusses  (s.  d.) 
auf  die  Weichenzungen  überträgt. 

<^  Weichenstellwerke  mit  Drahtleitung. 
Die  Gesamtanordnung  eines  solchen  S.  zeigt 
Taf.  V,  Abb.  10.  Von  der  mit  dem  Hebel  ver- 
bundenen Seilscheibe  (Stellrolle)  führt  eine  ge- 
schlossene Doppelleitung  aus  Drahtseil  und 
Stahldraht  über  Umlenkrollen  zu  dem  Weichen- 
antrieb. In  die  Drahtleitung  ist  zum  .Ausgleich 
von  Längenänderungen  und  zur  Erfüllung  ge- 
wisser, später  zu  erörternder  Sicherheitsbedin- 
gungen ein  Spannwerk  (s.  d.)  eingeschaltet. 

Der  Drahtzugweichenhebel  ist  wie  der 
Gestängehebel  in  dem  Hebelbock  gelagert.  In 
den  Endstellungen  wird  er  ebenfalls  durch  die 
Handfallenstange,  die  in  Ausschnitte  des  Hebel- 
bocks eingreift,  festgehalten.  Eine  unter  Feder- 
druck stehende  lösbare  Kupplung  verbindet 
ihn  hierbei  mit  der  Seilscheibe.  Bei  dem  in  der 
Taf.  V,  Abb.  12  dargestellten  Hebel  der  Ein- 
heitsform der  preußischen  Staatsbahnen  erfolgt 
die  Kupplung  zwischen  Hebel  und  Seilscheibe 
durch  das  keilförmige  Kuppelstück  a,  das  in 
eine  Ausklinkung  der  Seilscheibe  eingreift.  In 
dieser  Lage  wird  das  Kuppelstück  durch  eine 
Feder,  die  Kuppel-  oder  Ausscheerfeder  fest- 
gehalten. Beim  Auffahren  der  Weiche  wird  der 
Druck  der  Feder  überwunden  und  die  Seil- 
scheibe vom  Hebelschaft  gelöst. 

Um  die  Seilscheibe  sind  2  an  ihr  befestigte 
Drahtseile  geschlungen,  deren  Enden  mit  der 
zum  Antrieb  führenden,  5  mm  starken,  doppelten 
Drahtleitung  verbunden  sind.  Nach  den  preußi- 
schen Vorschriften  für  die  Lieferung  von  Draht- 


Stellwerke. 


165 


seilen  für  Weichen  und  Signalstellwerke  sollen 
die  Drahtseile,  die  im  allgemeinen  6  mm  stark 
sind,  aus  gut  verzinkten  Stahldrähten  von  1 5Qkg 
Festigkeit  f.  d.  mm-  bestehen.  Sie  werden  aus 
6  Litzen  von  je  19  Einzeldrähten  gebildet  und 
auf  einer  Prüfmaschine  einer  sehr  weitgehenden 
Biegeprobe  unterworfen. 

Für  die  Drahtleitung  wird  verzinkter  Tiegel- 
gußstahldraht verwendet,  der  eine  Zugfestigkeit 
von    mindestens   \QQkgLA.mm~  haben    soll. 

Die  Verbindung  zwischen  Drahtseil  und 
Draht   wird    durch   Wickeldraht    und    Lötung 


Abb   15t    Nerbmdung  zwischen  Dr.iht  und  Drahtseil. 

nach  Abb.  155  hergestellt.  Die  Enden  der  Löt- 
stellen sollen  schräg  auslaufen,  damit  sie  bei 
der  Bewegung  des  Drahtzugs  nicht  an  den 
Kästen  oder  an  anderen  Stellen  hängen  bleiben. 

Die  Drahtleitungen  werden  vom  Austritt 
aus  dem  Stellwerksgebäude  bis  zum  Weichen- 
antrieb oberirdisch  oder   unterirdisch   geführt. 

Die  oberirdischen  Leitungen  laufen  über 
Führungsrollen,  die  an  Pfosten  aus  Holz, 
Winkeleisen  oder  Gas- 
rohr befestigt  sind.  Die 
Abb.  156,  ^\bl  u.  158 
zeigen  Leitungspfosten 
mit  Drahtführungsrollen 
in  verschiedener  Aus- 
führung. 

Unterirdische  Füh- 
rung der  Leitungen  ist 
erforderlich,  wo  Gleise 
und  Wege  von  den  Lei- 
tungen gekreuzt  werden. 
Auch  in  Bahnsteigen  und 
zwischen  den  Gleisen 
werden  zur  Erhaltung 
eines  ungehinderten  Ver- 
kehrs die  Leitungen  viel- 
fach unterirdisch  verlegt. 
Die  unterirdisch  ver- 
legten Leitungen  werden 
meistens  mit  Kanälen 
aus  Eisenblech  abge- 
deckt;   zuweilen    findet 

man  auch  gemauerte  oder  aus  Stampfbeton 
hergestellte  Kanäle  mit  Holz-  oder  Eisenab- 
deckung. Taf.  V,  Abb.  5  zeigt  verschiedene 
Formen  von  Kanälen  mit  den  Führungsrollen. 

Wo  in  den  Drahtleitungen  Richtungs- 
änderungen vorkommen,  werden  Ablenk-  oder 
Druckrollen  eingeschaltet.  Hierbei  wird  oft 
eine  größere  Anzahl  von  Rollen  zu  einer 
Gruppenablenkung    zusammengefaßt    (Taf.  V, 


Abb.  156.  Holz- 
pfosten für  Draht- 
leitungen. 


Abb.  2).  Regelmäßig  finden  sich  solche 
Gruppenablenkungen  vor  den  Stellwerks- 
gebäuden. 

Die  Drahtleitungen  werden  mit  Spann- 
schrauben (Taf.  V,  Abb.  11)  und  zuweilen 
auch  mit  Reißkloben  (Taf.  V,  Abb.  6)  zur 
Ausführung  von  Reißversuchen  versehen. 

Als  Grenze  für  die  Fernstellung  von 
Weichen  gilt  im  allgemeinen  eine  Drahtzug- 
länge von  350  m.  Größere  Leitungslängen  er- 
fordern besondere  Sicherheitsmaßregeln. 

Soll  ein  Weichenhebel  umgelegt  werden,  so 
wird  durch  Andrücken  der  Handfalle  die 
Handfallenstange  aus  dem  Ausschnitt  im  Hebel- 
bock herausgehoben.  Dabei  tritt  ein  Nocken  d 
der  Handfallenstange  (Taf.  V,  Abb.  13)  unter 
den  Ansatz  e  des  Kuppelstücks  a  und  hält 
dieses  in  der  Ausklinkung  der  Seilscheibe  fest. 
Beim  Umlegen  des  Hebels  stützt  sich  die  ange- 
hobene Handfallenstange  gegen  den  Schleif- 
kranz des  Lagerbocks  ab,  so  daß  während 
dieser  Zeit  Hebelschaft  und  Seilscheibe  un- 
lösbar verbunden  sind. 

Durch  die  Drehung  der  Stellrolle  beim  Um- 
legen des  Weichenhebels  wird  der  eine  Draht 
der   Doppelleitung  um    500  mm   nachgezogen, 


Abb.  157.  Gasrohrständer  für  Draht- 
leitungen. 


Abb.  158.  Winkeleisen- 
ständer   für    Drahtlei- 
tungen. 


der  andere  um  ebensoviel  nachgelassen.  Diese 
Bewegung  des  Drahtes  wird  auf  den  Weichen- 
antrieb übertragen. 

Der  in  Taf.  V,  Abb.  14  dargestellte  Weichen- 
antrieb besteht  aus  einer  Endrolle,  die  beim 
Umlegen  des  Weichenhebels  um  ISO  "gedreht 
wird.  Ein  mit  ihr  auf  derselben  Achse  sitzendes 
Zahngetriebe  bewegt  dabei  eine  Zahnstange,  mit 
der  die  zum  Spitzenverschluß  (s.  d.)  führende 


166 


Stellwerke. 


Stellstange  verbunden  ist,  nach  rechts  oder 
links.  Durch  Vermittlung  des  Spitzen  verschlusses 
(s.  d.)  wird  die  Bewegung  der  Stellstange  auf 
die  Weichenzungen  übertragen. 

Eine  andere  Bauart  des  Weichenantriebs  zeigt 
Taf.  V,  Abb.  15.  Hierbei  ist  in  den  um  eine 
Endrolle  geschlungenen  Drahtzug  ein  Winkel- 
hebel eingeschaltet,  der  beim  Hin-  und  Her- 
gehen des  Drahtzugs  sich  um  seine  Achse 
dreht  und  dabei  die  Stellstange  des  Spilzen- 
verschlusses  mitnimmt. 

Beim  Auffahren  der  Weiche  (s.  d.)  wird  die 
Bewegung  der  Weichenzungen  durch  den 
Weichenantrieb  auf  die  Drahtleitung  und  von 
dieser  auf  die  Seilscheibe  des  Weichenhebels 
übertragen.  Da  der  Weichenhebe!  durch  seine 
Handfallenstange    im    Weichenbock    festgelegt 


Abb.  15,.  V\.,.MUia.iiii....  I  .iMs;\..ir..;,,,.i-i,  o^,  l :..,.. i^i... Vi  „, 

ist,  wird  das  keilförmige  Kuppelstück  (Taf.  V, 
Abb.  12)  durch  die  an  ihm  anliegende  schräge 
Fläche  der  Seilscheibe  unter  Überwindung  der 
Kraft  der  Feder  aus  seiner  Rast  herausgehoben. 
Die  Seilscheibe  löstsich,ohnedaßeineZerstörung 
einzelner  Teile  eintritt,  vom  Hebel.  Dabei  wird 
eine  rote  Scheibe  sichtbar,  die  anzeigt,  daß  die 
Weiche  aufgefahren  ist. 

Zu  den  unter  I  a  aufgeführten  allgemeinen 
Anforderungen,  denen  die  Weichenstellvor- 
richtungen entsprechen  müssen,  treten  bei  der 
Verwendung  des  Doppeldrahtzugs  noch  be- 
sondere Bedingungen  —  Reißbedingungen  — 
für  den  Fall  des  Drahtbruchs  hinzu.  Es  sind 
im  wesentlichen  folgende: 

1.  Bei  Drahtbruch  soll  der  Weichenhebel 
ausscheren; 

2.  die  Weiche  soll  in  diesem  Fall  in  einer 
Endlage  festgehalten  werden. 

Die  erste  Forderung  wird  durch  das  in  die 
Stelleitung  eingeschaltete  Spannwerk  (s.  d.) 
erreicht,   das   bei    Drahtbruch    die   Seilscheibe 


des  Hebels  verdreht   und    sie   wie   beim  Auf- 
fahren der  Weiche  vom  Hebel  löst. 

Zur  Festhaltung  der  Weiche  in  einer  End- 
lage bei  Drahtbruch  entsprechend  der  zweiten 
Forderung  sind  die  Weichenantriebe  mit  Fang- 
vorrichtungen (Drahtbruchsperren)  versehen. 
Sie  beruhen  im  allgemeinen  darauf,  daß  unter 
Federwirkung  stehende  Sperrhebel  bei  den  im 
gewöhnlichen  Betrieb  vorkommenden  Span- 
nungsverhältnissen in  der  Stelleitung  an  einem 
festen  Anschlag  vorbeigehen.  Bei  dem  Span- 
nungsunterschied, der  bei  Bruch  der  Stelleitung 
auftritt,  stellen  sich  die  Sperrhebel  durch  die 
nun  voll  auf  sie  wirkende  Federkraft  so  ein, 
daß  sie  an  dem  Anschlag  sich  anlegen  und 
die  Umstellung  der  Weiche  verhindern.  Abb.  1 59 
zeigt  einen  Antrieb  mit  in  Wirksamkeit  ge- 
tretener Fangvorrichtung. 

II.  Signalstellwerke. 

a)  Allgemeines.  Zum  Um- 
stellen von  Signalen  dienen  Hebel 
oder  Kurbeln.  Es  werden  damit 
Maupt-  und  Vorsignale,  Gleissperr- 
signale, Haltscheiben  und  Halt- 
tafeln gestellt.  Haupt-  und  Vor- 
signale werden  entweder  gemein- 
sam mit  einer  Stellvorrichtung 
(Hebel  oder  Kurbel)  bewegt,  oder 
jedes  der  beiden  Signale  hat  seine 
eigene  Stellvorrichtung. 

Die   Übertragung   der   Kurbel- 
oder    Hebelbewegung     auf     die 
Signalflügel,    Signalscheiben    und 
,.,„.,,  getreten.      Signalkasteu  geschieht  durch  den 
Signalantrieb    und    den    zwi- 
schen diesem  und  der  Kurbel  oder  dem  Hebel 
eingeschalteten  Signaldrahtzug. 

Die  Antriebsvorrichtung  an  den  Signalen  soll 
sowohl  für  die  Fahr-  wie  auch  für  die  Halt- 
(Warn-)  Stellung  zwangsweise  wirken.  Bei  einem 
Bruch  in  der  Signalleitung  soll  in  keinem  Fall 
ein  gefährliches  Signalbild  entstehen.  Haupt- 
signale sollen  bei  Drahtbruch  in  die  Halt- 
stellung gebracht  oder  in  ihr  festgehalten  werden ; 
Vorsignale  sollen  in  die  Warnstellung  gelangen 
oder  sie  behalten.  Bei  Haupt-  und  Vorsignalen, 
die  mit  einem  gemeinsamen  Hebel  gestellt 
werden,  wird  es  jedoch  als  zulässig  angesehen, 
wenn  bei  einem  Drahtbruch,  der  zwischen 
Haupt-  und  Vorsignal  während  der  Fahrstellung 
des  Signals  eintritt,  nur  das  Vorsignal  die 
Warnstellung  einnimmt,  das  Hauptsignal  aber 
die  Fahrstellung  behält. 

bj  Signalhebel.  Der  Signalhebel  ist  wie 
der  Weichenhebel  in  einem  Bock  gelagert,  der 
auf  der  Hebelbank  befestigt  ist.  In  der  Grund- 
stellung steht  auch  dieser  Hebel  meistens  nach 


Verlac  von  Urban  &  Schwarzenberi 


Eniyklngiädtc  df«  ElicnbahliVKeiis.  2   And.  IX 


Stellwerke. 


^       Abb  „.  D„b,„^,Ub„„.b,,  ..,..B,„b,  H.»,„„.™.  ^,,  „    „,,„j„,j,^,,  „-„  D„„„„,„i,„„^,„ 

Voll.  .0»  Uibui  t.  Schrarab,,,.  i,  B„b,,  „.  w«n 


l      /  U 

Abb.  H,  VX'cichenanltieb  für  Diahllciliiin;iii 


Abi).  15.   Wcicheliiinliitb  rür   UMlilIcilijiigcii. 


Abb    Ui.  bii-iialkutbi-l. 


Abb.  17.  SiiiuaUkllwcck 


Enzyklopädie  des  Eiscnbahnw 


Tafel  VI. 


Abb.  1.   Kurbel« 


Verlag  von  Urban  &  Schwarzenberj 


Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens,  2  Aufl.  IX. 


Stellwerke. 


Tafel  VI. 


Abb.  1.   Kurbelwerk  einer  Blncksk-Üe 


Abb.  2.  Signalantrieb    Stellrinne  bei  .Hall"  und  „Fahrt  frei". 


Abb.  4. 
erlag  von  Urban  &  Schwarzenberg  in  Berlin  u.  Vt'ii 


Abb.  3-7.  Signalantrieb.  Preußische  Einheilsform, 


Stellwerke. 


167 


oben  unter  etwa  30"  gegen  die  Senkrechte  nach 
hinten  geneigt.  Um  das  Signal  auf  Fahrt  zu 
stellen,  wird  der  Hebel  um  etwa  ISO"  um- 
gelegt. Abweichend  hiervon  ist  der  Signalhebel 
der  Bauart  Siemens  &  Halske  in  der  Grund- 
stellung schräg  nach  unten  gerichtet  und  macht 
heim  Umlegen  nur  einen  Weg  von  etwa  145°. 
Der  Signalumschlaghebel,  der  früher  vielfach 
zum  Stellen  zweiflügeliger  oder  zweier  einflüge- 
liger Signale  verwendet  wurde,  steht  in  der 
Grundstellung  senkrecht;  er  wird  nach  vorne 
oder  nach  hinten  um  etwa  145°  umgelegt. 

Der  Signalhebel  ist  im  aligemeinen  mit  der 
Seilscheibe  fest  verbunden.  In  den  beiden  End- 
stellungen wird  er  durch  die  Handfallenstange 
ebenso  wie  der  Weichenhebel  in  je  einem 
Einschnitt  des  Hebelbocks  festgehalten. 

Taf.  V,  Abb.  17  zeigt  einen  solchen  Signal- 
hebel in  Verbindung  mit  dem  Signal.  Im 
Obergeschoß  des  Stellwerkturms  befindet  sich 
der  Signalhebel  a.  Von  ihm  führt  der  Signal- 
drahtzug zum  Antrieb  c  des  Hauptsignals.  In 
diese  Leitung  ist  im  Untergeschoß  des  Turmes 
das  Spannwerk  b  eingeschaltet. 

c)  Signalkurbel.  Die  Signalkurbel  ist  in 
einem  Kurbelbock  gelagert,  der  freistehend  oder 
an  der  Wand  des  Stellwerkraums  befestigt  ver- 
wendet wird.  In  der  Grundstellung  hängt  die 
Kurbel  senkrecht  abwärts.  In  dieser  Stellung 
wird  sie  durch  eine  Feder  in  einer  Rast  fest- 
gehalten. Auf  der  Kurbelachse  sitzt  die  Seil- 
rolle, an  die  der  Drahtzug  angebunden  ist. 
Zum  Stellen  des  Signals  wird  die  Kurbel 
meistens  um  360°  bewegt,  so  daß  die  um- 
gelegte Kurbel  in  ihrer  Lage  mit  der  Grund- 
stellung übereinstimmt. 

Durch  einen  über  der  Kurbel  angebrachten 
Zeiger  wird  dann  kenntlich  gemacht,  ob  die 
Kurbel  sich  in  der  Grundstellung  befindet  oder 
umgelegt  ist.  Bei  einigen  Bauarten  ist  zur 
Signalstellung  nur  ein  Umlegen  der  Kurbel 
um  etwa  300°  erforderlich,  so  daß  die  Grund- 
stellung und  die  Stellung  der  umgelegten 
Kurbel  sich  durch  die  Lage  der  Kurbel  ohne- 
weiteres unterscheiden.  Auch  die  umgelegte 
Kurbel  wird  durch  eine  unter  Federdruck 
stehende  Einklinkvorrichtung  festgehalten. 

Taf.  V,  Abb.  16  zeigt  eine  einfache  Signal- 
kurbel, a  ist  die  zur  Festhaltung  der  Kurbel  in 
ihrer  Rast  dienende  Feder.  Die  Seilrolle  b  greift 
mit  dem  Zapfen  c  in  das  Schaltrad  d  ein  und 
bewegt  damit  den  auf  derselben  Achse  sitzenden 
Zeiger  e  nach  rechts  oder  nach  links.  Von  der 
Seilrolle  geht  der  Drahtzug  über  die  am  Fuß 
des  Ständers  gelagerte  Rolle/ nach  dem  Signal. 
Durch  Umlegen  der  Kurbel  nach  der  einen 
oder  nach  der  andern  Seite  können  auf  den 
Drahtzug    2    voneinander    verschiedene    Be- 


wegungen übertragen  werden.  Mit  einer  Signal- 
kurbel kann  man  daher  sowohl  ein  einflügeliges 
Signal  wie  auch  ein  zweiflügeliges  oder  2  gekup- 
pelte Signale  stellen.  Mehrere  solcher  einfachen 
Kurbeln  können  zu  einem  Kurbelwerk  ver- 
einigt sein.  Am  häufigsten  finden  sich  solche 
Kurbelwerke  mit  2  Kurbeln  auf  den  Strecken- 
blockstellen. 

Taf.  VI,  Abb.  1  zeigt  ein  solches  Werk. 
Dabei  haben  Kurbeln  Verwendung  gefunden, 
bei  denen  die  umgelegte  Kurbel  eine  von  der 
Grundstellung  abweichende  Lage  hat. 

d)  Signaldrahtzug.  Zur  Übertragung  der 
Bewegung  des  Signalhebels  auf  den  Signalan- 
trieb wurde  früher  der  einfache  Signaldraht- 
zug verwendet.  Jetzt  ist  dafür  allgemein  eine 
geschlossene  Doppelleitung  zwischen  der  Stell- 
rolle am  Signalhebel  und  einer  Endrolle  am 
Signalantrieb  -  der  Doppeldrahtzug  —  in 
Gebrauch.  Für  die  Signalleitung  wird  im  all- 
gemeinen 4  mm  starker  Stahldraht  verwendet. 
Der  beim  Umstellen  des  Signalhebels  auf  den 
Drahtzug  übertragene  Weg  wird  bei  neueren 
Ausführungen  auf  500  mm  bemessen. 

Wird  der  Hebel  aus  der  Grundstellung  um- 
gelegt (Taf.  VII,  Abb.  1 2),  so  wird  der  eine  Zweig 
der  Leitung  als  Zugdraht  nach  einer  Richtung, 
der  andere  Zweig  als  Nachlaßdraht  nach  der 
entgegengesetzten  Richtung  hin  bewegt.  Dabei 
wird  die  Endrolle  gedreht  und  das  Signal  auf 
Fahrt  gestellt.  Beim  Zurücklegen  des  Signalhebels 
wird  der  frühere  Nachlaßdraht  zum  Zugdraht 
und  macht  den  Weg,  den  er  beim  Umlegen 
des  Hebels  gegangen  ist,  wieder  zurück.  Die 
hierbei  in  die  Anfangsstellung  zurückbewegte 
Endrolle  bringt  den  Signalflügel  von  Fahrt 
wieder  auf  Halt. 

Wird  der  Signalhebel  nicht  nur  nach  einer 
Seite,  wie  in  Taf.  VII,  Abb.  12,  sondern  wie 
beim  Signalumschlaghebel  auch  nach  der 
andern  Seite  umgelegt  -  Taf.  VII,  Abb.  !2a  -, 
so  wird  einmal  der  obere,  das  andere  Mal 
der  untere  Zweig  der  Doppelleitung  Zugdraht. 
Die  Endrolle  wird  dabei  einmal  um  90° 
nach  der  einen  und  das  andere  Mal  um  90° 
nach  der  andern  Richtung  bewegt.  Jede  dieser 
Bewegungen  kann  zum  Stellen  eines  Signal- 
flügels ausgenützt  werden.  Der  Signalumschlag- 
hebel  wurde  in  dieser  Weise  früher  vielfach 
zum  Stellen  zweiflügeliger  Signale  verwendet. 
Jetzt  wird  dazu  meistens  der  sog.  Doppel- 
hebel (Doppelsteller)  benutzt,  bei  dem  in  einen 
Doppeldrahtzug  2  Hebel  nach  Taf.Vll,  Abb.  1 1 
eingeschaltet  sind.  Wird  Hebel  I  in  der  Pfeil- 
richtung umgelegt,  so  wird  der  untere  Zweig 
der  Doppelleitung  Zugdraht  und  die  Endrolle 
dreht  sich  in  der  Richtung  des  einfachen  Pfeiles, 
wird   Hebel  11    umgelegt,    so  wird   der   obere 


168 


Stellwerke. 


Leitungszweig  Zugdraht  und  die  Endrolle  in 
der  Richtung  des  Doppelpfeils  gedreht.  In  dem 
einen  Fall  erscheint  das  einflügelige,  in  dem 
andern  das  zweiflügelige  Signal.  Mit  einem 
solchen  Doppelhebel  kann  man  auch  2  ein- 
flügelige Signale,  z.  B.  2  nebeneinander  stehende 
Ausfahrsignale  stellen. 

Zum  Stellen  eines  dreiflügeligen  Signals  sind 
2  Doppeldrahtzüge  erforderlich.  In  den  zweiten 
Drahtzug  wird  ein  sog.  Kuppelhebel  ein- 
geschaltet, bei  dessen  Umlegen  der  dritte  Signal- 
flügel mit  dem  zweiten  gekuppelt  wird.  Die 
Stellung  aller  3  Flügel  auf  Fahrt  und  Halt 
geschieht  durch  Umlegen  und  Zurücklegen 
des  Hebels  für  den  zweiten  Flügel. 

Die  zum  Ausgleich  der  Längenänderungen 
in  den  Doppeldrahtzügen  dienenden  Spann- 
werke (s.  d.)  müssen  bei  den  Signaldrahtzügen 
auch  die  Forderung  erfüllen,  daß  beim  Reißen 
des  Drahtes  an  beliebiger  Stelle  kein  gefährliches 
Signalbild  erscheinen  darf.  Dies  wird  dadurch 
erreicht,  daß  bei  Drahtbruch  das  Spannwerk 
den  heil  gebliebenen  Draht  nachzieht  und  den 
Signalantrieb  so  beeinflußt,  daß  der  Signalflügel, 
wenn  er  »Halt"  zeigt,  in  dieser  Stellung  fest- 
gelegt und,  wenn  der  Flügel  „Fahrt  frei"  zeigt, 
in  die  Haltstellung  gebracht  wird. 

Der  Signalantrieb  besteht  meistens  aus 
einer  in  den  Signaldrahtzug  eingeschalteten 
Endrolle,  die  mit  einer  angegossenen  Rille  ver- 
sehen ist.  In  der  Rille  läuft  ein  Röllchen, 
das  mit  dem  einen  Ende  eines  Winkelhebels 
oder  eines  einfachen  Hebels  verbunden  ist  und 
die  Bewegung  der  Endrolle  auf  den  Hebel  und 
damit  auf  den  Signalflügel  oder  die  Signalscheibe 
überträgt. 

Die  der  Endrolle  angegossene  Rille  —  die 
sog.  S  t  e  1 1  r  i  n  n  e  —  ist  aus  mehreren  verschieden- 
artig geformten  Teilen  zusammengesetzt.  Ein- 
zelne Teile  der  Rinne  sind  nach  einem  aus 
dem  Mittelpunkt  der  Endrolle  beschriebenen 
Kreisbogen  geformt,  andere  sind  in  anderer 
Weise  gebildet.  Solange  das  Röllchen  sich  in 
den  kreisförmigen  Rinnenteilen  bewegt,  wird 
beim  Drehen  der  Endrolle  eine  Bewegung  auf 
den  Winkelhebel  und  auf  das  Signal  nicht  über- 
tragen —  Leerweg.  Tritt  das  Röllchen  bei 
der  Drehung  der  Endrolle  aber  in  die  anderen 
Rinnenteile,  so  wird  der  Winkelhebel  nach  oben 
oder  nach  unten  bewegt  und  dadurch  der  Signal- 
flügel oder  die  Signalscheibe  aus  einer  Lage 
in  die  andere  gebracht  -  Stellweg.  Taf.  VI, 
Abb.  2  zeigt  die  Stellung  eines  solchen  Antriebs 
bei  Fahrt-  und  Haltstellung  eines  zweiflüge- 
ligen Signals. 

Wird  mit  einem  Hebel  gleichzeitig  ein  Haupt- 
signal und  ein  Vorsignal  gestellt,  so  befindet 
sich  am  Hauptsignal  ein  Durchgangsantrieb  und 


am  Vorsignal  ein  Endantrieb.  Der  Durchgangs- 
antrieb wird  verschieden  ausgebildet.  Viel  ver- 
wendet wurde  früher  der  sog.  Scherenhebel- 
antrieb,  neuerdings  sind  Rollenantriebe  fast  all- 
gemein üblich  (s.  auch  Vorsignale).  Taf.  VI, 
Abb.  3  —  7  zeigt  den  Signalantrieb  der  Einheits- 
form der  preußischen  Staatsbahnen. 

III.  Weichen-  und  Signalstellwerke. 

In  den  Weichen-  und  Signalstellwerken  sind 
Weichen-  und  Signalhebel  vereinigt.  Zwischen 
diesen  Hebeln  wird  eine  Abhängigkeit  her- 
gestellt, die  erzwingt,  daß  ein  Signal  für  eine 
Zugfahrt  nur  gezogen  werden  kann,  wenn 

1.  alle  Weichenhebel  die  für  diese  Fahrt 
vorgeschriebene  Stellung  einnehmen  und 

2.  die  Hebel  der  feindlichen  Signale,  d.  h. 
der  Signale  für  Fahrten,  die  die  beabsichtigte 
Fahrt  kreuzen  oder  mit  ihr  zusammenlaufen, 
in  der  Haltstellung  festgelegt  sind. 

Diese  Abhängigkeit  zwischen  den  Hebeln  eines 
S.  wird  fast  immer  durch  einen  Fahrstraßen- 
hebel (-Schieber  oder  -knebel)  hergestellt. 

Die  Fahrstraßenhebel  bewegen  in  einem 
Kasten  -  dem  Verschlußkasten  —  gelagerte 
Fahrstraßenschubstangen  in  der  Weise, 
daß  z.  B.  die  Schubstange  nach  rechts  geht, 
wenn  der  Fahrstraßenhebel  aus  der  Grund- 
stellung nach  oben  gelegt  wird,  während  die 
Schubstange  nach  links  geht,  wenn  der  Fahr- 
straßenhebel  aus  der  Grundstellung  nach  unten 
gelegt  wird.  Auf  diesen  Schubstangen  sind 
verschiedenartig  geformte  Verschlußstücke  be- 
festigt. Senkrecht  zu  den  Fahrstraßenschub- 
stangen liegen  mit  der  Handfalle  der  Weichen- 
hebel in  Verbindung  stehende  Balken  -  Ver- 
schlußbalken ~ ,  die  3  verschiedene  Stellungen 
einnehmen  können.  Eine  davon  (Taf.  VII,  Abb.  1 ) 
entspricht  der  Grundstellung  des  Weichen- 
hebels, eine  (Taf.  VII,  Abb.  2  u.  3)  seiner 
Mittelstellung  und  eine  (Taf.VII,  Abb.4)  zeigt  den 
umgelegten  Hebel.  Steht  der  Weichenhebel  in 
Mittelstellung,  so  läßt  sich  die  Fahrstraßen- 
schubstange weder  nach  rechts,  noch  nach 
links  bewegen,  weil  ihre  zu  beiden  Seiten  des 
Verschlußbalkens  sitzenden  Verschlußstücke 
sich  gegen  den  Verschlußbalken  legen.  Befindet 
sich  der  Weichenhebel  in  der  Grundstellung 
(Taf.  VII,  Abb.  1),  so  ist  die  Bewegung 
der  Fahrstraßenschubstange  nach  links  nicht 
möglich,  da  das  rechts  vom  Verschlußbalken 
auf  ihr  sitzende  Verschlußstück  dabei  gegen 
den  Balken  stößt.  Wohl  aber  läßt  sich  die 
Fahrstraßenschubstange  nach  rechts  bewegen, 
weil  hierbei  das  links  vom  Balken  befindliche 
Verschlußstück  sich  unter  den  Balken  schiebt. 
Ist  das  geschehen,  so  läßt  sich  der  Weichen- 
hebel nicht  mehr  umlegen,  weil  die  Handfalle 


Entvklcipidit  des  Ei;riil)alinwiaens,  2,  Aufl.  IX, 


Stellwerke. 


Abb-  7.  Spnnchiene. 


ß;<Mt^KiU    u  dit<>]u^*ut»*t9t. 


Signa/hebe/  Fahrsfrässenhebe/ 


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Kl 

Abb.  10,  Qeriegtltc  Wekhe. 


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NacMaßdraht  Zu^efra/i/ 

Abb.  12.  Wickungiweise  des  Düppcldr^bUiigs. 


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NsdileMratif 


^-"^^ ^^^-^^  Zu^draht  ^  Nac/ifaßefra/if  \\MiM 


Abb,  U.  Doppclhebel  im  HoppeldrjliUue 


Abb  12  J.  Wirkungsweise  des  Doppeldr»hUugs  bei  dem  Signalumschlagbebel. 


Abb.  13.  Weichen  Verriegelung. 


Verlag  »an  Urban  ft  Sehwanenbeig  in  Reilin  u    Vlicn 


Stellwerke. 


169 


nicht  ausgeklinkt  werden  kann.  Bei  umgelegtem 
Weichenhebel  (Taf.  VII,  Abb.4)  hindert  das  links 
vom  Verschlußbalken  sitzende  Verschlußstück 
die  Bewegung  der  Fahrstraßenschubstange  nach 
rechts,  dagegen  ist  die  Verschiebung  nach  links 
möglich.  Bei  dieser  schiebt  sich  das  rechts 
vom  Verschlußbalken  befindliche,  hakenförmig 
gestaltete  Stück  über  den  Verschlußbalken.  Das 
Ausklinken  der  Handfalle  des  Weichenhebels 
und  das  Zurücklegen  des  Hebels  in  die  Grund- 
stellung ist  nun  verhindert. 

Durch  Bewegen  der  Fahrstraßenschubstange 
nach  rechts  oder  nach  links  läßt  sich  also  der 
Weichenhebel  in  jeder  seiner  beiden  End- 
stellungen festlegen.  Der  umgelegte  Fahrstraßen- 
hebel verschließt  auf  diese  Weise  die  Hebel 
der  in  einer  bestimmten  Fahrstraße  liegenden 
Weichen  und  der  dazugehörigen  Schutzweichen. 
Solange  der  Fahrstraßenhebel  nicht  umgelegt 
ist,  verhindert  ein  auf  der  Fahrstraßenschub- 
stange sitzendes  Verschlußstück  das  Umlegen 
des  Signalhebels  für  die  durch  den  Fahrstraßen- 
hebel festzulegende  Fahrstraße.  Der  umgelegte 
Fahrstraßenhebel  gibt  den  zugehörigen  Signal- 
hebel frei  und  durch  das  Umlegen  des  Signal- 
hebels wird  endlich  der  umgelegte  Fahrstraßen- 
hebel verschlossen  (Taf.  VII,  Abb.  5). 

Neben  der  vorbeschriebenen  Form  der  Ver- 
schlußvorrichtungen ist  besonders  auf  den  süd- 
deutschen, schweizerischen  und  österreichischen 
Bahnen  vielfach  das  sog.  senkrechte  Ver- 
schlußregister in  Gebrauch.  Die  Verschlußvor- 
richtung liegt  dabei  vor  den  Hebeln.  Die  Fahr- 
straßenschubstangen sind  senkrecht  unter- 
einander angeordnet.  Beim  Umlegen  des  Fahr- 
straßenhebels werden  sie  nach  rechts  oder 
links  verschoben.  Mit  den  Weichen-  und  Signal- 
hebeln sind  Verschlußriegel  verbunden,  die 
sich  beim  Andrücken  der  Handfalle  senken 
und  beim  Loslassen  der  Handfalle  heben.  Die 
Abhängigkeit  zwischen  den  Fahrstraßenhebeln 
und  den  Weichen-  und  Signalhebeln  wird 
durch  viereckige  Verschlußknöpfe  hergestellt,  die 
in  die  Verschlußriegel  eingeschraubt  sind  und 
in  Einschnitte  der  Fahrstraßenschubstangen 
eingreifen.  Taf.  VII,  Abb.  6  zeigt  ein  solches 
Verschlußregister. 

Die  in  der  beschriebenen  Weise  hergestellte 
Abhängigkeit  zwischen  der  Weichen-  und  Signal- 
stellung ist  in  zweifacher  Beziehung  eine  be- 
grenzte, u.  zw. 

1.  insofern,  als  die  Abhängigkeit  nur  zwischen 
den  Weichen-  und  Signalhebeln  besteht,  nicht 
aber  zwischen  den  Weichenzungen  einerseits 
und  den  Signalflügeln  oder -Scheiben  ander- 
seits und 

2.  insofern,  als  mit  dem  Zurücklegen  des 
Signalhebels   ohne   weiteres  das  Umlegen  des 


Fahrstraßenhebels  und  der  Weichenhebel  möglich 
wird. 

Solange  die  Stellvorrichtungen  der  Weichen 
und  Signale  in  Ordnung  sind  und  die  Bewegung 
einzelner  Teile  nicht  in  unbeabsichtigter  Weise 
behindert  wird,  genügt  die  Abhängigkeit  zwischen 
den  Stellhebeln.  Würde  aber  z.  B.  an  einer 
Weiche  die  Verbindungsstange  der  Haken- 
schlösser gebrochen  sein  oder  der  Bolzen,  der 
die  Verbindungsstange  an  die  Haken  anschließt, 
fehlen,  so  könnte  der  Weichenhebel  sich  in 
der  richtigen  Lage  befinden  und  das  Signal 
gezogen  werden,  obwohl  eine  Weichenzunge 
unrichtig  liegt.  Ein  gegen  die  Spitze  einer 
solchen  Weiche  fahrender  Zug  würde  entgleisen. 
Zum  Schutz  gegen  solche  Betriebsgefahren 
dient  der  Kontrollriegel,  der  vor  der  Signal- 
stellung die  richtige  Lage  beider  Zungen  vom 
Signal  abhängiger,  spitzbefahrener  Weichen  über- 
prüft und  die  Bewegung  der  Zungen  verhindert, 
solange  das  Signal  auf  Fahrt  steht. 

Der  Kontrollriegel  ist  ein  Riegel  (s.  d.)  mit 
doppelten  Riegelstangen.  Er  wird  entweder  in 
die  Signalleitung  eingeschaltet  und  dann  durch 
den  Signal-  oder  Kuppelhebel  mit  bewegt  oder 
er  liegt  in  einer  besonderen  Doppelleitung  und 
wird  dann  durch  einen  Riegelhebel  gestellt. 

Zur  Sicherung  der  Zugfahrten  bei  vorzeitigem 
Zurücklegen  der  Signalhebel  dienen  Einzel- 
sicherungen, u.zw.  Sperrschienen  und  Zeit- 
verschlüsse, sowie  die  elektrische  Fahrstraßen- 
festlegung (s.  unter  VII). 

Sperrschienen  sind  —  in  der  Regel  an  der 
Außenkante  der  Fahrschiene  —  vor  der  Weiche 
angebrachte  bewegliche  Flach-  oder  Winkel- 
eisen, die  beim  Umstellen  der  Weiche  nach 
oben  oder  seitlich  ausschwingen.  Ist  das  Gleis- 
stück vor  der  Weiche  mit  einem  Fahrzeug 
besetzt,  so  stößt  beim  Versuch,  den  Weichen- 
hebel umzulegen,  die  Sperrschiene  gegen  die 
Radkränze  und  hindert  das  Umstellen  der 
Weiche.  Taf.  VII,  Abb.  7  zeigt  die  Sperr- 
schiene der  Einheitsform  der  preußischen 
Staatsbahnen.  Sie  schwingt  in  lotrechter  Ebene 
aus,    wenn   der  Weichenhebel    umgelegt  wird. 

Der  Zeitverschluß  (Taf.  VII,  Abb.  8)  besteht  aus 
einem  zweiarmigen  Hebel,  der  an  dem  einen  Ende 
einen  neben  der  Fahrschiene  liegenden,  sie  um 
12—15  mm  überragenden  Taster  a  trägt.  Die 
über  die  Fahrschiene  rollenden  Räder  drücken 
den  Taster  nieder.  Dabei  hebt  sich  der  andere 
Arm  b.  des  zweiarmigen  Hebels  und  hindert  die 
Bewegung  des  mit  der  Weiche  verbundenen 
Riegelkopfes  c.  Solange  der  Taster  a  tief  und 
der  Hebelarm  b  hoch  steht,  kann  daher  die 
Weiche  nicht  umgestellt  werden.  Durch  eine 
aus  einem  Luftkessel  mit  Ventil  bestehende 
Verzögerungseinrichtung    wird    erreicht,     daß 


170 


Stellwerke. 


der  von  einem  Rad  niedergedrückte  Hebel 
erst  nach  etwa  15  Sekunden  seine  Anfangs- 
stellung wieder  einnimmt.  Es  ist  dann  auch  bei 
langsam  fahrenden  Zügen  die  Sicherheit  vor- 
handen, daß  ein  zweites  Rad  den  Taster  berührt, 
ehe  die  durch  das  vorhergehende  Rad  bewirkte 
Sperrung  aufgehoben  ist. 

IV.  Zustimmungsstellwerke. 
Zustimmungsstellwerke  sind  Weichenstell- 
werke, deren  Weichenhebel  in  einer  bestimmten 
Weise  festgelegt  sein  müssen,  bevor  in  einem 
davon  getrennten  Signalstellwerk  die  Signale 
gezogen  werden  können.  Die  Festlegung  der 
Weichenhebel  in  dem  ZustimmungsstelKverk 
geschieht  durch  Fahrstraßenhebe!,  die  Fest- 
legung der  Fahrstraßenhebel  durch  ein  Block- 
feld —  das  Zustimmungsabgabefeld.  Mit  dem  Zu- 
stimmungsabgabefeld im  Zustimmungsstellwerk 
steht  ein  zweites  Blockfeld  -  das  Zustimmungs- 
empfangfeld -  in  einem  andern  S.  in  Wechsel- 
wirkung. In  der  Grundstellung  ist  das  Zu- 
stimmungsabgabefeld entblockt  und  die  Weichen- 
hebel sind  frei.  Im  geblockten  Zustand 
verschließt  das  Zustimmungsabgabefeld  die 
Weichenhebel,  von  deren  Stellung  die  Signal- 
gebung  an  anderer  Stelle  abhängig  ist.  Statt 
der  Stellhebel  ferngestellter  Weichen  können 
durch  ein  Zustimmungsstellwerk  auch  Riegel- 
hebel von  Handweichen  festgelegt  werden.  Das 
in  Grundstellung  geblockte  Zustimmungsemp- 
fangsfeld x'erschließt  den  Fahrstraßenhebel 
und  hierdurch  den  zu  dieser  Fahrstraße  gehörigen 
Signalhebel.  Das  entblockte  Zustimmungsemp- 
fangsfeld   gibt    diesen    Fahrstraßenhebel    frei. 

V.  Riegel  werke 
dienen  dazu,  Handweichen,  Handgleissperren, 
Drehbrücken  u.  dgl.  festzulegen  und  von  deren 
richtiger  Stellung  die  an  anderer  Stelle  er- 
folgende Signalgebung  abhängig  zu  machen. 
Die  Festlegung  der  Weichen,  der  Gleissperren 
oder  der  Drehbrücken  erfolgt  durch  Riegel 
(s.  d.),  die  durch  besondere  Riegelhebel  bewegt 
werden.  Die  Festlegung  der  Riegelhebel 
geschieht  durch  Fahrstraßenhebel  und  deren 
Festlegung  durch  Blockfelder  oder  Schlüssel, 
die  nach  Verschließen  des  Fahrstraßenhebels 
den  Signalhebel  frei  geben. 

Die  Riegel  werden  durch  Hebel  oder  Kurbeln 
gestellt.  Soll  eine  Weiche  nur  in  einer  Stellung 
geriegelt  werden,  so  wird  ein  Weichenhebel 
als  Riegelhebel  verwendet.  Zur  Riegelung 
einer  Weiche  in  beiden  Endstellungen  dient 
eine  Riegelkurbel  für  2  Bewegungen  oder  ein 
Riegeldoppelhebel,  der  aus  2  einfachen  Hebeln 
besteht,  die  in  einem  Doppeldrahtzug  liegen. 
Durch  eine  und  dieselbe  Riegelleitung  können 


auch  mehrere  Riegel  gestellt  werden.  Die  Riegel- 
kurbeln unterscheiden  sich  von  den  Signal- 
kurbeln (s.d.)  dadurch,  daß  sie  mit  einer  Draht- 
bruchsperre ausgerüstet  sind,  die  bei  Draht- 
bruch in  der  Riegelleitung  das  Umlegen  oder 
Zurücklegen  der  Kurbel  unmöglich  macht.  Das 
Signal  kann  also  nur  bei  ordnungsmäßigem 
Zustand  der  Riegelanlage  auf  Fahrt  gestellt 
werden. 

Taf.  Vll,  Abb.  9  zeigt  ein  Riegelwerk  mit 
Kurbeln.  Über  jeder  Kurbel  befinden  sich  im 
Gehäuse  2  Ausschnitte,  hinter  denen  eine 
Scheibe  sich  bewegt,  die  durch  rote  oder 
weiße  Farbe  die  Stellung  der  Kurbel  anzeigt. 
Rote  Farbe  bedeutet  Grundstellung  der  Kurbel, 
weiße  Farbe  die  Stellung,  bei  der  die  Weichen 
geriegelt  sind.  Über  der  Kurbel  sind  Fahr- 
straßenschieber gelagert,  die  Verschlußstücke 
tragen.  Mit  der  Kurbel  sind  Schaltscheiben 
verbunden,  die  in  der  Grundstellung  die 
Fahrstraßenschieber  sperren. 

Der  Zusammenhang  zwischen  dem  Riegel- 
werk und  den  Weichen  ist  aus  Taf.  VI ,  Abb.  1 3 
ersichtlich.  Taf.  VII,  Abb.  10  zeigt  die  Anlage 
bei  geriegelter  Weiche.  Der  Riegelschieber  ist 
dabei  wie  beim  Kontrollriegel  doppelt,  so  daß 
beide  Weichenzungen  festgehalten  werden.  Zur 
Schaffung  einer  Abhängigkeit  zwischen  hand- 
gestellten Weichen  und  Signalen  wird  jedoch 
in  vielen  Fällen  auch  ein  einfacher  Riegel 
verwendet. 

VI.  Schlüsselsicherungen. 

Weichen  und  Gleissperren  werden  vielfach 
auch  durch  Handschlösser  gesichert.  Die 
Schlösser  sollen  so  eingerichtet  sein,  daß  sich 
der  Schlüssel  erst  aus  dem  Schloß  entfernen 
läßt,  wenn  die  Weiche  oder  Gleissperre  in  der 
richtigen  Lage  verschlossen  ist. 

Dabei  kann  auch  die  Signalgebung  von  dem 
richtigen  Verschluß  der  Weichen  oder  Gleis- 
sperren abhängig  gemacht  werden,  indem  der 
aus  dem  Handschloß  herausgezogene  Schlüssel 
benutzt  wird,  um  den  unter  Verschluß  liegenden 
Signalhebel  freizumachen.  Der  Signalhebel 
kann  unmittelbar  durch  ein  Handschloß  oder 
mittelbar  durch  einen  unter  Blockverschluß 
liegenden  Fahrstraßenhebel  verschlossen  sein. 
Der  aus  dem  Weichenhandschloß  heraus- 
gezogene Schlüssel  wird  in  das  S.  oder  Block- 
werk gesteckt  und  gibt,  nachdem  er  umgedreht 
ist,  den  Signalhebel  frei  oder  er  macht  das 
zum  Freigeben  des  Signals  dienende  Blockfeld 
bedienbar.  Dieser  Schlüssel  kann  erst  wieder 
aus  dem  S.  oder  Blockwerk  herausgezogen 
werden,  wenn  der  Signalhebel  zurückgelegt 
oder  das  Blockfeld  an  der  Freigabestelle 
entblockt  ist.    Die  Schlüssel   solcher  mit  den 


Stellwerke. 


171 


Signalen  in  Abhängigkeit  stehender  Hand- 
schlösser stecken  im  S.  oder  Blockwerk,  wenn 
sie  nicht  benutzt  werden.  Die  Schlüssel  nicht 
abhängiger  Handschlösser  sollen,  wenn  sie  nicht 
benutzt  werden,  an  bestimmter  Stelle  eines 
Schlüsselbretts  so  aufgehängt  werden,  daß  der 


bei  selten  umzustellenden  Weichen  und  Gleis- 
sperren sowie  zur  vorübergehenden  Sicherung 
von  Weichen  bei  Störungen  oder  bei  Bauaus- 
führungen, bei  denen  Weichen  zeitweilig  vom 
S.  abgebunden  werden  oder  die  Abhängigkeit 
zwischen  Weichen  und  Signalen  aufgehoben  ist. 


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Abb.  160.  Blocksperren. 


Fahrdienstleiter  mit  einem  Blick  erkennen  kann, 
ob  die  Schlüssel  der  Weichen,  die  zu  einer 
Fahrstraße  gehören,  sich  am  Brett  befinden. 
Zu  dem  Zweck  werden  die  Schlüsselgriffe  so 
ausgebildet,  daß  sie  sich  nur  an  der  für  sie 
bestimmten  Stelle  aufhängen  lassen. 

Solche  Schlüsselsicherungen  werden  ver- 
wendet bei  einfachen  Betriebsverhältnissen  zur 
Herstellung  von  Abhängigkeiten  zwischen  den 
Signalen  und  den  Einfahrweichen,  bei  Gleis- 
anschlüssen auf  der  freien  Strecke,  in  Bahnhöfen 


VII.  Verbindung  der  S.  mit  der  Stations- 
und Streckenblockung. 

Die  Stationsblockung  (s.  auch  Blockein- 
richtungen, Bd.  II,  S.  414)  soll  die  Zugfahrten 
innerhalb  der  Stationen  sichern.  Zu  diesem 
Zweck  werden  die  Weichen  und  Signale  in 
größerem  oder  geringerem  Umfang  durch 
Blockfelder  derart  festgelegt,  daß 

a)  die  Hauptsignale  nur  unter  Mitwirkung 
des  Fahrdienstleiters  auf  Fahrt  gestellt  werden 


Stellwerke. 


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Signal  sc  hubsf^nge 


Fahrsfraßen = 
schubs  fangen 


entblockt.  geblockt. 

Abb.  161.  Fahrstraßenfestlcgesperre. 


können  und  dabei  die  Fahrstellung  feind- 
licher Signale  ausgeschlossen  ist; 

b)  die  Freigabe  eines  Fahrsignals  von 
der  Zustimmung  anderer  bei  der  Zu- 
lassung der  Zugfahrt  beteiligter  Stellen 
abhängig  gemacht  wird   und 

c)  die  in  der  Fahrstraße  des  Zuges  lie- 
genden und  diese  Fahrstraßen  schützen- 
den Weichen,  Gleissperren  u.  s.  w.  auch 
dann  noch  unter  Verschluß  gehalten 
werden,  \x'enn  das  Signal  wieder  auf 
Halt  gestellt  ist 

Zum  Festlegen  und  Freigeben  der 
Signale  (a)  dienen  Signalfelder  (Signal- 
festlege- und  Signalfreigabefelder),  zur 
Abgabe  einer  Zustimmung  (b)  Zu- 
stimmungsabgabefelder und  zu  ihrem 
Empfang  Zustimmungsempfangfelder, 
zur  Festlegung  einer  Fahrstraße  (c)  Falir- 
straßenfestlegefelder  und  zu  ihrer  Auf- 
lösung Fahrstraßenauflösefelder. 

Die  Streckenblockung  (s.  auch  Block- 
einrichtungen, Bd.  II,  S.  386)  soll  die 
Zugfahrten  außerhalb  der  Bahnhöfe  von 
Zugfolge-  zu  Zugfolgestelle  sichern. 
Nach  Einfahrt  eines  Zuges  in  eine  von 
solchen  Zugfolgestellen  begrenzte  Block- 
strecke wird  das  Signal  an  ihrem  An- 
fang -  Ausfahrsignal  oder  BlocksignaJ 

—  durch  ein  Blockfeld  —  Anfangfeld  — 
in  der  Haltstellung  verschlossen.  Dieses 
Signal  kann  nur  von  der  nächsten  vor- 
wärts gelegenen  Zugfolgestelle  durch 
Bedienen  eines  Blockfeldes  —  des  End- 
feldes   —    wieder   freigegeben    werden. 

Die  Festlegung  von  Fahrstraßen  oder 
Signalen  durch  ein  Blockfeld  geschieht 
dadurch,  daß  beim  Blocken  des  Feldes 
dessen  Riegelstange  nach  unten  gedrückt 
und  in  dieser  Lage  elektrisch  verschlossen 
wird.  Die  Aufhebung  dieses  Verschlusses 

-  die  Entblockung  -  erfolgt  durch 
Entsendung  von  Strom  von  einer  Frei- 
gabestelle oder  infolge  Befahren  eines 
Schienenstromschließers  durch  den  Zug. 
Die  Riegelstangen  wirken  auf  Block- 
sperren, die  sich  unter  dem  Blockwerk 
im  Blockuntersatz  befinden  und  mit  den 
Fahrstraßen-  und  Signalschubstangen  in 
Verbindung  stehen. 

Bei  der  Stationsblockung  kommt  die 
Fahrstraßenhebelsperre  und  die 
Fahrstraßenfestlegesperre  vor. 

Die  Fahrstraßenhebelsperre  findet  sich 
unter  den  Signalfestlegefeldern  und  Zu- 
stimmungsabgabefeldern in  S.,  die  von 
einer  Befehlstelle  abhängig  sind,  und 
unter  den  Zustimmungsabgabefeldern  in 


Stellwerke. 


173 


Weichen-,  Signal-  und  Zustimmungsstellwerken. 
Auch  unter  Zustimmungsempfangfeldern  und 
Signaifreigabefeldern  in  Befehlsteilwerken 
kommen  sie  vor. 

Abb.  160  stellt  ein  S.  mit  solchen  Sperren 
dar.  Unter  den  Signalfestlegefeldern  A'^  und 
A-  und  dem  Zustimmungsabgabefeld  b  be- 
findet sich  je  eine  Fahrstraßenhebelsperre.  Die 
Signalfelder  A'^  und  A-    sind    geblockt,    ihre 


Stellung:  Ai 


entblockt  Signal  gestellt 

Abb.  162.  Anfangsperre. 


geblockt 


Riegelstangen  stehen  tief.  Das  Zustimmungs- 
feld b  ist  entblockt,  seine  Riegelstange  steht 
hoch.  Bei  dem  entblockten  Zustimmungsfeld 
liegt  der  Verschlußhaken  12  über  der  Verschluß- 
scheibe 11.  Wird  der  Fahrstraßenhebel  b  nach 
oben  umgelegt,  so  wird  durch  die  Winkelüber- 
tragung 314  die  Fahrstraßenschubstange  7  nach 
rechts  bewegt.  Dabei  dreht  das  Triebstück  8 
die  Verschlußscheibe  //  linksläufig.  Wird  das 
Feld  b  geblockt,  so  drückt  die  Riegelstange  den 
Verschiußhaken  12  nach  unten  und  hält  ihn 
in  der  tiefen  Lage  fest.  Der  umgelegte  Fahr- 
straßenhebel b  kann  nun  nicht  mehr  zurück- 
gelegt werden. 


Der  Fahrstraßenhebel  ö|  -  liegt  in  Grund- 
stellung fest,  da  die  geblockten  Signalfelder 
A'^  und  /l"  die  Verschlußhaken  in  ihrer  Tief- 
lage festhalten  und  hierdurch  eine  Drehung 
der  Verschlußscheibe  verhindern.  Erst  wenn  A'^ 
oder  A-  entblockt  ist,  läßt  sich  der  Fahrstraßen- 
hebel  nach  oben  oder    nach    unten    bewegen. 

Die  Fahrstraßenfestlegesperre  findet 
sich  unter  den  Fahrstraßenfestlegefeldern,    die 


Stellung:  A? 


entblockt  Signal  gestellt  geblockt 

Abb.  163.  Endsperre  mit  Signalverschluß. 

als  Wechselstromblockfelder  oder  als  Gleich- 
stromblockfelder ausgeführt  werden.  Die  ge- 
blockten Wechselstrom -Festlegefelder  werden 
durch  einen  Beamten  entblockt,  der  beurteilen 
kann,  ob  der  Zug  die  zu  sichernden  Weichen 
sämtlich  durchfahren  hat  oder  zum  Halten  ge- 
kommen ist.  Das  Gleichstrom-Festlegefeld  wird 
in  der  Regel  durch  den  fahrenden  Zug  selbst 
entblockt.  Hierzu  dient  ein  Schienenstrom- 
schließer  in  Verbindung  mit  einer  isolierten 
Schiene,  wobei  die  letzte  Achse  des  Zuges  die 
Entblockung  bewirkt.  Abb.  161  zeigt  eine  Fahr- 
straßenfestlegesperre bei  entblocktem  und  bei 
geblocktem  Feld. 


174 


Stellwerke.  -   Stellwerkhaus. 


Bei  der  Streckenblockung  2gleisiger  Bahnen 
werden  verwendet: 

die  mechanische  Tastensperre  mit  Signai- 
verschluß  und  die  Wiederholungssperre  als 
Anfangsperre  unter  dem  Anfangfeld; 

die  mechanische  Tastensperre  mit  Signal- 
verschluß unter  dem  Signalverschlußfeld  der 
abhängigen  S.  (Wärterstellwerke)  als  Endsperre; 

die  mechanische  Tastensperre  ohne  Signal- 
verschluß unter  dem  Endfeld  bei  Befehlstell- 
werken als  Endsperre; 

die  mechanische  Tastensperre  mit  Signal- 
verschluß unter  dem  Anfangfeld  als  gemein- 
schaftliche Sperre  für  das  Anfang-  und  End- 
feld bei  Blockstellen  auf  freier  Strecke. 

Abb.  162  u.  163  zeigen  die  beiden  zuerst 
genannten  Sperren.  Abb.  162  ist  die  Anfang- 
sperre, Abb.  163  die  Endsperre. 

Bei  der  Anfangsperre  wird  durch  die  mechani- 
sche Tastensperre  verhindert,  daß  das  Block- 
feld bedient  wird,  bevor  der  zugehörige  Signal- 
hebel umgelegt  und  wieder  zurückgelegt  ist. 
Der  Signalverschluß  legt  beim  Blocken  des 
Anfangfeides  die  Signalhebel  fest,  so  daß  sie 
nur  durch  Blockbedienung  von  der  nächsten 
vorwärts  gelegenen  Zugfolgestelle  wieder  frei 
gemacht  werden  können.  Die  Wiederholungs- 
sperre hält  den  in  die  Grundstellung  zurück- 
gelegten Signalhebel  und  die  Hebel  aller  übrigen 
auf  dasselbe  Streckengleis  weisenden  Ausfahr- 
signale so  lange  fest,  bis  das  Anfangfeld  geblockt 
und  der  Signalverschluß  eingetreten  ist.  Dieser 
Verschluß  des  Signalhebels  wird  durch  Ent- 
blocken des  Anfangfeldes  von  der  vorwärts 
gelegenen    Zugfoigestelle    wieder    aufgehoben. 

Bei  der  Endsperre  wird  durch  die  mechani- 
sche Tastensperre  ebenso  wie  bei  der  Anfang- 
sperre verhindert,  daß  das  Blockfeld  bedient 
wird,  bevor  der  zugehörige  Signalhebel  um- 
gelegt und  wieder  zurückgelegt  ist.  Der  Signal- 
verschluß legt  beim  Blocken  des  Endfeldes  den 
Signalhebel  fest.  Dieser  Verschluß  bleibt  be- 
stehen, bis  der  Signalhebel  durch  Blocken  des 
Signalfestlegefeldes  wieder  unter  Verschluß  des 
Fahrdienstleiters  gelegt  ist. 

Bei  der  gememschaftlichen  Sperre  für  das 
Anfang-  und  Endfeld  der  Blockstellen  auf 
freier  Strecke  wirkt  die  mechanische  Tasten- 
sperre wie  bei  der  vorerwähnten  Anfang-  und 
Endsperre.  DerSignalverschlußlegt beim  Blocken 
des  Anfangfeldes  den  Signalhebel  fest.  Dieser 
Verschluß  wird  durch  Blocken  des  Endfeldes 
auf  der  nächsten  Zugfolgestelle  wieder  auf- 
gehoben. 

Auf  den  bayerischen  Staatseisenbahnen  sind 
zwischen  den  Ein-  und  Ausfahrsignalen  vielfach 
noch  besondere  Abhängigkeiten  vorhanden. 
Dort  wird  die  Fahrstellung  des  Einfahrsignals 


mit  dem  zugehörigen  Ausfahrsignal  einer  Fahrt- 
richtung so  in  Zusammenhang  gebracht,  daß 
das  Einfahrsignal  nicht  auf  Fahrt  gezogen  werden 
kann,  bevor  nicht  das  Ausfahrsignal  der  Ein- 
fahrstraße  auf  Halt  gestellt  ist  (Haltabhängig- 
keit). Ferner  besteht  zwischen  den  Einfahr- 
und  Ausfahrsignalen  die  Abhängigkeit,  daß- 
nach  Zurücknahme  einer  Einfahrt  zuerst  die 
Ausfahrt  aus  dem  betreffenden  Gleis  gegeben 
und  wieder  zurückgestellt  sein  muß,  bevor  für 
das  nämliche  Gleis  eine  wiederholte  Einfahrt 
von  derselben  oder  die  Einfahrt  von  der  ent- 
gegengesetzten Seite  freigegeben  werden  kann 
(Belegtabhängigkeit).  Das  Ausfahrvorsignal 
(Durchfahrsignal)  kann  nur  dann  in  die  Fahr- 
stellung gebracht  werden,  wenn  sowohl  das 
Einfahrsignal  wie  das  Ausfahrsignal  am  Durch- 
fahrgleis auf  freie  Fahrt  gestellt  ist  (Durch- 
fahrabhängigkeit). 

Literatur:  Kolle,  Die  Anwendung  und  der  Be- 
trieb von  Stellwerken  zur  Sicherung  von  Weichen 
und  Signalen.  Berlin  1888,  Verlag  von  Ernst  & 
Korn.  -  Scholkmann,  Signal-  und  Sicherungs- 
anlagen. Eis.  T.  d.  Q.  Bd.  II,  4.  AbschniU.  Wies- 
baden 1904.  C.  W.  Kreideis  Verlag.  -  Scheibner, 
Die  mechanischen  Sicherheitsstellwerke  im  Betrieb  der 
vereinigten  preußisch -hessischen  Staatseisenbahnen. 
2  Bände.  Berlin  1904  u.  1906;  Mittel  zur  Sicherung 
des  Betriebs.  Hb.  d.  Ing.W.,  5.Teil,  Bd.VI,  Leipzig  1913, 
Verlag  von  Wilhelm  Engelmann.  -  Zeitschrift  für 
das  gesamte  Eisenbalinsicherungswesen,  herausge- 
geben im  Verlag  v.  Dr.  Artur  Tetzlaff,  Berlin,  S.  42. 

Hoogen. 

Stellwerkhaus  {signal  cabin,  signal  box, 
Signal  tower;  cabine  de  poste  de  manoeuvre; 
cabina  di  manovra,  cabina  a  comando  centrale) 
ist  das  zur  Aufnahme  des  Hebelwerks  der 
Stellwerke  dienende  Gebäude.  S.  finden  sich 
auf  den  Bahnhöfen  als  End-  oder  Mittelstell- 
werke und  auf  den  Blockstellen  der  freien 
Strecke.  S.,  deren  Fußboden  nur  wenig  über 
den  Schienen  liegt,  heißen  Stellwerkbuden. 
Als  Stellwerktürme  werden  S.  bezeichnet,  deren 
Fußboden  zur  Erreichung  einer  guten  Ober- 
sicht höher  gelegt  ist,  als  die  Unterbringung 
der  Spannwerke  es  erfordert. 

Die  S.  der  Bahnhöfe  sollen  möglichst  im 
Schwerpunkt  der  Weichenbezirke  liegen,  da- 
mit alle  Weichen  gleichmäßig  gut  zu  über- 
sehen sind  und  die  Stelleitungen  möglichst 
kurz  werden.  Rangierstellwerke  an  Ablaufbergen 
werden  jedoch  meistens  in  der  Nähe  der  ersten 
Verteilungsweiche  angeordnet.  Bei  mechanischen 
Stellwerken  ist  im  allgemeinen  die  Stellung 
seitwärts  von  den  Gleisen  und  mit  ihrer  Längs- 
richtung gleichlaufend  am  zweckmäßigsten. 
Kraftstell  werke  werden,  da  sie  ein  Untergeschoß 
zur  Aufnahme  der  Drahtzugleitimgen  und 
Spannwerke  nicht  erfordern,  vielfach  mit  Vorteil 
quer  über  die  Gleise  gestellt  (Abb.  164). 


stellwerkhaus. 


17S 


Das  S.  muß  das  Hebel- 
werk und,  wenn  es  nicht 
ein  Weichenstellwerk  ist, 
fast  immer  ein  Blockwerk 
aufnehmen,  außerdem 
nach  Bedarf  Morsewerke 
und  Fernsprecher. 

Für  jeden  Weichen- 
und  Signalhebel  ist  ohne 
den  Überstand  der  Hebel- 
bank an  den  Enden  je  nach 
der  Bauart  1 0  -  1 6  cot  zu 
rechnen.  Am  häufigsten 
ist  das  Maß  von  1 4  cm. 
Die  Blocktelder  sind  10  c/« 
von  Mitte  zu  Mitte  von- 
einander entfernt.  Die 
Morsetische  sind  etwa 
60  X  95  an  groß.  In 
Preußen  haben  sie  die 
Abmessungen  62  X  94  cm. 

Das  Hebelwerk  und 
das  Blockwerk  sollen  von 
allen    Seiten    zugänglich 


Abb    I(i4.  Quer  iibt^i   die  Gleise  gebleutes  Kiattsteiiwerk. 


sein.  Bei  mechanischen  Stellwerken  hat 
der  Wärter  bei  Bedienung  des  Stell- 
werks seinen  Platz  meistens  zwischen 
dem  Hebelwerk  und  der  den  Gleisen  zu- 
gewendeten Längsseite  des  S.  Zwischen 
Hebelwerk  und  dieser  Wand  wird 
dann  eine  Entfernung  von  1 -50 -2-00/« 
zweckmäßig  sein.  Als  ganze  Tiefe  des 
Stellwerkraumsgenügen  im  allgemeinen 
3  — 3'5/ff,  bei  sehr  großen  Stellwerken 
geht  man  damit  auf  3-5  -  4-0  m.  Die 
Länge  richtet  sich  nach  dem  Hebel- 
werk und  dem  Blockwerk.  An  der 
einen  Seite  davon  ist  ein  Durchgang 
von  etwa  PO/«,  an  der  andern  Seite- 
ein solcher  von  P5-2-0«;  vorzu- 
sehen. Als  Grundform  für  die  S.  ergibt 
sich  hiernach  in  der  Regel  ein  Recht- 
eck. Bei  Befehlstellwerken  mit  vielen 
Morsewerken  ist  unter  Umständen  ein 
Querbau  in  Verbindung  mit  einem 
Längsbau  zweckmäßig.  Wo  Stellwerke 
zwischen  den  Gleisen  errichtet  werden 
müssen,  wird  das  Obergeschoß  zu- 
weilen ausgekragt. 

Für  die  Höhenlage  des  Fußbodens 
des  Stellwerkraums  ist  einmal  die 
Forderung  einer  guten  Übersicht  über 
den  Stellwerkbezirk  und  zweitens  der 
Umstand  maßgebend,  daß  bei  mecha- 
nischen   Stellwerken    die   Spannwerke- 


Abb.  165.  Blockstelle. 


176 


Stellwerkhaus. 


Abb.  166.  Stellwerk.   Erdgeschoß. 


Abb.  167.  Stellwerk.  Obergeschoß  mit  Einrichtiingsgegenständen. 


Abb.  168.  Stellwerk  mit  zweckmäßiger  Fensterausbildung 


am     zweckmäßigsten     unter    den    Stell- 
hebeln angeordnet  werden. 

Wenn  bei  Endstellwerken  und  Block- 
stellen (Abb.  165)  Wert  darauf  gelegt 
werden  muß,  daß  das  Schlußsignal  eines 
im  zweiten  Gleis  fahrenden  Zuges  auch 
bei  Zugkreuzungen  beobachtet  werden 
kann,  so  muß  der  Fußboden  etwa  4-0  in 
über  Schienenoberkante  angeordnet 
werden.  Der  Fußboden  des  Spannwerk- 
raums liegt  in  der  Regel  etwas  unter 
Planumshöhe. 

Der  obere  Raum  des  S.  wird  durch 
eine  außen  oder  innen  liegende  Treppe 
zugängig  gemacht.  Außen  liegende  Treppen 
werden  zweckmäßig  überdacht  und  auch 
mit  Seitenschutz  versehen.  Bei  innen 
liegenden  Treppen  ist  darauf  zu  achten, 
daß  sie  die  Aussicht  nach  dem  Stell- 
xserkbezirk  nicht  beeinträchtigen.  Die 
früher  häufig  verwendeten  eisernen  Wen- 
deltreppen sind  nicht  zweckmäßig. 

Im  Untergeschoß  des  S.  wird  ein 
Teil  von  den  Spannwerken  eingenom- 
men. Er  soll  von  den  übrigen  Räumen 
abgetrennt  und  nicht  als  Lagerraum 
benutzt  werden.  Für  Kohlen,  Lampen 
u.  dgl.  sind  besondere  Räume  einzu- 
richten (Abb.  166  u.  167).  Auch  der 
Abort  kann  im  Untergeschoß  liegen; 
vielfach  wird  er  aber  im  oberen  Stock- 
werk neben  der  Treppe  angeordnet. 

Bei  der  baulichen 
Ausführung  ist  darauf 
Rücksicht  zu  nehmen, 
daß  das  S.  häufig  schon 
nach  kurzer  Frist  wieder 
beseitigt  werden  muß, 
weil  bei  Bahnhofser- 
weiterungen der  Platz, 
auf  dem  sie  stehen,  für 
Gleiserweiterungen  be- 
nötigt wird.  Ein  massi- 
ver Unterbau  mit  Fach- 
werkaufbau, der,  wo  die 
klimatischen  Verhält- 
nisse es  erwünscht  er- 
scheinen lassen,  mit 
Holz  oder  Schiefer  be- 
kleidet wird,  gibt  im 
allgemeinen  die  anspre- 
chendste und  zweck- 
dienlichste Lösung. 

Besondere  Aufmerk- 
samkeit ist  der  Ausbil- 
dung der  Fenster  zuzu- 
wenden. Es  muß  für 
möglichst  freie  Aussicht 


stellwerkhaus. 


177 


gesorgt,  aber  auch  auf  ge- 
nügende und  zweckmäßige 
Wandflächen  zur  Anbrin- 
gung von  Fernsprechern  und 
Aufstellungvon  Ausrflstungs- 
gegenständen  (Batterie- 

schränke, Kleiderschränke) 
Bedacht  genommen  werden. 
Überflüssige  Fensterflächen 
erschweren  die  Erwärmung 
des  Stellwerkraums  im 
Winter.  Fenstersprossen  in 
Augenhöhe  des  Wärters  sind 
zu  vermeiden.  Die  Fenster 
sind  genügend  weit  nach 
unten  zu  führen,  wenn  in 
der  Nähe  des  S.  liegende 
Gleise  beobachtet  werden 
müssen.  Die  Oberkante  der 
Fenster  ist  nicht  höher  als 
unbedingt  erforderlich  zu 
legen,  um  blendendes  Son- 
nenlicht abzuhalten.  Zum 
Schutz  gegen  die  Sonne  ist 
auch  ein  breiter  Dachüber- 
stand über  den  Fenstern 
zweckmäßig. 

Zur  Verständigung  des 
Steliwerkwärters  mit  dem 
Rangierpersonal  sind  in  den 
Fenstern  Klappen  oder  kleine 
Flügel  anzubringen.  Vielfach 
werden  auch  zur  Erleichte- 
rung der  Verständigung  und 
der  Ausschau  nach  den  Si- 
gnalen Erkerausbauten  und 
Austritte  angeordnet.  In  man- 
chen Fällen  sind  auch 
Brücken  mit  den  S.  verbun- 
den, die  über  die  Gleise  hin- 
weggehen und  den  Überblick 
über  einen  größeren  Bezirk 
gestatten. 

Die  Abb.  166  u.  167 
zeigen  die  Grundrisse  eines 
S.  mit  den  Einrichtungs- 
gegenständen. Der  Fußbo- 
den liegt  3'5  m  über  Schie- 
nenoberkante. Abb.  169,  170 
u.  171  stellen  ein  größeres 
Stellwerk  mit  massivem  Un- 
terbau und  Fachwerkaufbau 
dar.  Abb.  172  gibt  ein  Bild 
von  einer  Blockstelle  auf 
der  freien  Strecke,  Abb.  168 
zeigt  ein  Stellwerk,  bei  dem 
die  zweckmäßige  Ausbil- 
dung der  Fenster  beachtens- 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnvresens.  2.  Aufl.  IX, 


Sinan-nq 


Gerate  -;*■  -f- 


i#-^ 


Abb.  171.  Längenschnitt. 


&G< 


12 


178 


Stellwerkhaus.  —   Stempel. 


wert    ist.    In    Abb.    164    ist    ein    quer    über 
die  Gleise   gestelltes  Kraftstellwerk   dargestellt. 


Abb.  172. 


Das    Innere   eines   größeren    deutschen    Stell- 
werks    aus     neuerer    Zeit     zeigt     .\bb.   173. 


Besonderes  Augenmerk  muß  der  künstlichen 
Beleuchtung  der  S.  zugewandt  werden.  Einer- 
seits ist  eine  gute  Beleuchtung  des  ganzen 
Stellwerks  notwendig,  damit  die  Stellwerk- 
wärter rasch  und  sicher  arbeiten  können, 
anderseits  darf  durch  die  Stellwerkbeleuch- 
tung die  Sichtbarkeit  der  Signale  und  der 
Fahrstraßen,  aus  Gründen  der  Betriebssicher- 
heit nicht  beeinträchtigt  werden,  eine  Forde- 
rung, die  bei  den  großen,  gegen  die  Bahn 
gerichteten  Fenstern  der  S.  schwer  zu  er- 
füllen ist. 

Auch  die  Stellwerkwärter  können  die  Signale 
nicht  gut  wahrnehmen,  wenn  das  innere  des 
S.  zu  grell  beleuchtet  ist. 

Man  hat  daher  Versuche  angestellt,''die  Be- 
leuchtung so  einzurichten,  daß  das  Licht  des 
S.  nach  außen  abgeblendet  erscheint  und  auf 
jene  Teile  des  Stellwerkinnern  reflektiert  wird, 
die   eine    ausgiebige    Beleuchtung    erheischen. 

Hoogen. 

Stellwerkturm  s.  Stell  werkhaus. 

Stempel,  Stampiglien,  Vorrichtungen,  mit 
denen  Aufdrucke  in  Worten,  Ziffern  und  son- 
stigen Schriftzeichen  hergestellt  werden.  In  einem 
andern  Sinn  versteht    man    unter  S.  auch  die 


Abb.  173.  Inneres  eines  Stellwerks. 


Stempel.  -   Stephenson. 


179 


durch  dieses  Verfahren  hergestellten  Aufdrucke 
selbst.  Im  Eisenbahnwesen  finden  S.  vielfache 
Verwendung,  so  zum  Aufdruck  der  Firma 
der  Bahnverwaltung,  des  Titels  der  einzelnen 
Dienststellen  und  zu  verschiedenen  amtlichen 
Vermerken.  Eine  besonders  häufige  Verwen- 
dung finden  S.  im  Personen-,  Gepäck-  und 
Güterabfertigungsdienst.  Hier  sind  beispiels- 
weise die  S.  zur  Bestätigung  der  Fahrtunter- 
brechungen auf  Fahrausweisen  und  Fahrkarten 
sowie  der  Tagesstempel  zur  Feststellung  des 
Datums  des  Fahrtantritts,  ferner  im  Güterver- 
kehr der  Tages-,  Annahme-,  Ankunfts-,  Über- 
gangs-, Umlade-,  Wäge-,  Saldierungsstempel 
u.  s.  w.  zu  nennen. 

Zum  Aufdruck  der  Zeitangaben  enthalten 
die  S.  entweder  drehbare  Letterrädchen,  die 
dauernd  im  S.  eingebaut  sind,  oder  sie  sind 
mit  auswechselbaren  Buchstaben  und  Ziffern 
versehen.  Bei  letzterer  Einrichtung  setzt  man 
in  eine  Einspannvorrichtung  die  entsprechenden 
Lettern  oder  Ziffern  ein  und  klemmt  sie  mittels 
einer  Schraube  fest. 

Je  nach  der  Art  des  Aufdrucks  unterscheidet 
man  Trocken-  oder  Feucht-  (Färb-)  Stempel. 
Bei  ersteren  erscheint  der  Aufdruck  in  ver- 
tiefter oder  erhöhter  Schrift  (Hochdruck- 
stempel), bei  letzteren  in  Farbe,  die  von  einem 
Farbkissen  abgenommen  wird.  Außerdem  finden 
Durchlochungsstempel  Anwendung.  Bei  diesen 
wird  der  Vermerk  durch  Durchlochung  ersicht- 
lich. Letztere  S.  werden  in  der  Regel  da  ver- 
wendet, wo  es  sich  um  gleichzeitige  Abstem- 
pelung mehrerer  Stücke  handelt,  z.  B.  Buch- 
fahrkarten. Der  Aufdruck  erfolgt  entweder  von 
Hand  aus  oder  (meistens  bei  Hochdruckstem- 
peln wie  bei  den  Tagesstempeln  für  Kartonfahr- 
karten) durch  eine  Kniehebelpresse. 

Über  die  Verwendung  einheitlicher  S.  sind 
namentlich  für  den  Abfertigungsdienst,  Wagen- 
dienst u.  s.  w.  in  Eisenbahnverbänden  und 
sonstigen  Eisenbahnvereinigungen  besondere 
Abmachungen  getroffen. 

S.  ist  auch  die  Bezeichnung  für  eine  wegen 
ihrer  leichten  Handhabung  beliebte  Form 
der  Erhebung  öffentlicher  Abgaben.  Die  Ab- 
gabe wird  in  der  Weise  erhoben,  daß  das 
stempelpflichtige  Schriftstück  mit  amtlichen 
Wertzeichen  (Stempelmarken)  versehen  oder 
amtlich  abgestempelt  wird.  Die  Stempelmarken 
müssen  entwertet  werden.  Von  besonderer 
Wichtigkeit  für  die  Eisenbahnen  sind  die 
Stempel  für  abgeschlossene  stempelpflichtige 
Dienst-,  Lieferungs-  und  sonstige  Verträge,  der 
Fahrkarten-  und  Frachturkundenstempel  (s.d.). 
Die  Höhe  des  S.  richtet  sich  vielfach  nach  dem 
Wert  der  stempelpflichtigen  Urkunde  (siehe 
Steuerrecht). 


Stephenson,  George,  der  Hauplbegründer 
des  Eisenbahnwesens,  geboren  am  S.Juni  1781 
zu  Wylam  am  Tyne  unweit  Newcastle  (in  der 
englischen  Grafschaft  Northumberland),  gestor- 
ben am  12.  August  1848  zu  Tapton  House  bei 
Chesterfield,  war  als  zweites  von  6  Kindern 
eines  armen  Arbeiterpaares  schon  von  Kindheit 
an  genötigt,  für  seinen  Lebensunterhalt  selbst 
zu  sorgen.  S.,  der  fast  ohne  jede  Schul- 
bildung heranwuchs,  wurde  Hirtenjunge,  dann 
Wärter  bei  einem  Pferdegöpel  und  im  M.Jahr- 
Gehilfe  eines  Kesselheizers.  In  dieser  Eigen- 
schaft machte  er  sich  durch  besonderes  Ge- 
schick bemerkbar,  so  daß  er  im  Alter  von 
17  Jahren  Maschinenbursche  zu  Water-Row 
wurde.  Erst  in  seinem  15.  Jahr  besuchte  S. 
die  Abendschule  mehrerer  Wanderlehrer,  um 
lesen  und  schreiben  zu  lernen,  und  beschäftigte 
sich  auch  eifrig  mit  Mathematik.  In  seinem 
20.  Jahr  wurde  S.  als  Bremser  bei  der  Dolly- 
grube in  Black  Callerton  angestellt. 

1802  heiratete  S.  Fanny  Henderson,  die 
Dienstmädchen  bei  seinem  Brotherrn  war,  und 
bezog  am  Willington-Quai,  wohin  S.  als  Ma- 
schinenwärter versetzt  worden  war,  ein  gemie- 
tetes Häuschen.  Die  freie  Zeit  verwendete  S. 
zur  Verbesserung  seiner  Schulbildung.  Daneben 
beschäftigte  er  sich,  seinem  Talent  für  Me- 
chanik folgend,  mit  Putzen  und  Ausbessern 
von  Uhren. 

Am  16.  Oktober  1803  wurde  ihm  ein  Sohn, 
Robert,  geboren. 

Gegen  Ende  des  Jahres  1804  wurde  S., 
u.  zw.  noch  immer  als  Bremser  und  Maschi- 
nenwärter, zum  West-Moor-Kohlenwerk  nach 
Killingworth  versetzt,  der  Wiege  seines  Ruhmes. 

Er  studierte  verschiedene  Werke  über  Me- 
chanik, die  ihm  in  die  Hand  kamen,  und  es 
gelangen  ihm  auch  mehrfache  mechanische  Ver- 
besserungen (Wecker  für  Wächteruhren  u.  dgl.). 
Bald  nach  dem  1806  erfolgten  Tod  seiner  Frau 
wurde  S.  Maschinenmeister  in  der  Spinnerei 
zu  Montrose  in  Schottland,  kehrte  jedoch  1808 
wieder  nach  Killingworth  zurück.  Er  machte 
sich  jetzt  durch  mancherlei  Verbesserungen 
an  den  Maschinen  bemerkbar  und  gelang  ihm 
insbesondere  1811  die  Instandsetzung  einer 
alten  Dampfmaschine,  woran  sich  vorher  Fach- 
ingenieure vergeblich  abgemüht  hatten. 

Diese  Leistung  wie  auch  verschiedene  Ver- 
besserungen an  den  Pumpen  bewogen  die 
Pächter  der  Killingworther  Bergwerke,  S.  1812 
als  Maschinenmeister  anzustellen.  In  seiner  neuen 
Stellung  verbesserte  er  die  selbsttätig  wirkenden 
schiefen  Ebenen  und  führte  dabei  die  Maschinen- 
arbeit als  Ersatz  der  Pferdeverwendung  ein. 

Bei  den  Arbeitern  erfreute  sich  S.  des 
größten    Ansehens,    namentlich    infolge   seines 

12* 


180 


Stephenson. 


mutigen  Vorgeliens  bei  einer  Grubenkatastrophe 
im  Jahre  1814.  Diese  soll  S.  dazu  angeregt 
haben,  auf  Mittel  zur  Ab\xendung  der  Gefahren 
durch  schlagende  VC'etter  zu   sinnen. 

Unabhängig  von  dem  berühmten  Chemiker 
Professor  Davy  und  gleichzeitig  mit  diesem  erfand 
S.  eine  Sicherheitslampe  für  Grubenarbeiter,  wo- 
für er  einen  Preis  von   1000  Ouineen  erhielt. 

S.  wurde  infolge  seiner  hervorragenden 
Leistungen  zum  Direktor  der  in  den  Besitz 
des  Sir  Ravensworth  übergegangenen  Kohlen- 
bergwerke zu  Killingworth  ernannt.  In  dieser 
Stellung  machte  er  Versuche  wegen  Herstellung 
einer  fahrenden  Dampfmaschine,  wozu  ihn  die 
Arbeiten  seiner  Vorgänger  auf  diesem  Gebiet 
angeregt  hatten. 

S.,  der  Gelegenheit  hatte,  die  Hedleyschen 
Lokomotiven  auf  der  Wylam-Kohlenbahn  zu 
sehen,  erkannte  sehr  bald  die  Mängel,  die  dem 
Dampfwagen  anhafteten,  und  machte  sich  er- 
bötig, eine  bessere  Bauart  zu  ersmnen.  Ravens- 
worth, in  dessen  Diensten  S.  stand,  ging  auf 
dieses  Anerbieten  ein  und  baute  S.  1814  seine 
erste  Lokomotive,  die  der  Hedleyschen  glich, 
in  der  Leistung  nicht  an  sie  heranreichte,  aber 
in  Einzelteilen  einige  Verbesserungen  zeigte. 
In  den  folgenden  Jahren  bis  1829  baute  S.  in 
den  Werkstätten  von  Killingworth,  dann  ab  1824 
in  der  von  ihm  gegründeten  Lokomotivfabrik  in 
Newcastle,  zu  deren  Leiter  sein  Sohn  R.  Stephen- 
son bestellt  wurde,  etwa  30  Lokomotiven,  von 
denen  die  Mehrzahl  für  die  Kohlenbahnen  der 
Umgegend,  die  übrigen  aber  bereits  fürs  Aus- 
land bestimmt  waren. 

1823  wurde  S.  Ingenieur  der  Stockton-Dar- 
lington-Bahn. 

Der  Ruf,  den  sich  S.  beim  Bau  der  Stockton- 
Darlingtoner  Eisenbahn  erworben  hatte,  veran- 
laßte  1826  die  Liverpool-Manchester-Bahn,  ihn 
als  obersten  ausführenden  Ingenieur  zu  berufen. 

Bei  dem  bekannten  Preisbewerb,  der  über 
seinen  Antrag  \-on  der  Liverpool-Manchester- 
Bahn  für  die  beste  und  schnellste  Lokomotive 
ausgeschrieben  war,  trug  S.  Lokomotive  „  Rocket" 
den  ersten  Preis  davon  (s.  Lokomotive).  In 
der  Folge  übertrug  man  den  beiden  S.  den 
Bau    der  nötigen  Lokomotiven. 

Mit  den  erhaltenen  Geldmitteln  erweiterten 
sie  die  Lokomotivfabrik  zu  Newcastle  am  Tyne, 
die  lange  Zeit  für  englische  und  ausländische 
Eisenbahnen  die  Maschinen  lieferte. 

Der  weitere  Verlauf  seines  Lebens  war  ein 
glanzvoller.  Er  wurde  am  Abend  seines  Lebens 
der  gesuchteste  Ingenieur  Europas.  Auch  von 
auswärts  wurde  sein  Rat  häufig  eingeholt.  So 
wurde  ihm  insbesondere  vom  König  von  Belgien 
die  Ausarbeitung  eines  Entwurfs  des  belgischen 
Eisenbahnnetzes    übertragen    und    erhielt    er 


ähnliche  Aufgaben  auch  von  der  Schweiz  und 
von  Spanien. 

1840  zog  er  sich  von  den  Geschäften  zu- 
rück, um  den  Rest  seines  Lebens  der  Land- 
wirtschaft zu  widmen.  S.  wurde  auch  Eigen- 
tümer mehrerer  Kohlenbergwerke  und  der 
großen  Eisenwerke  von  Clayross;  er  lebte  in 
den  letzten  Jahren  auf  seinem  Landsitz  Tapton 
House  bei  Chesterfield.  Seine  Beisetzung  er- 
folgte in  der  Trinity  Church    zu  Chesterfield. 

In  Newcastle  am  Tyne,  der  Stätte  seines 
langjährigen  Wirkens,  wurde  S.  noch  zu  Leb- 
zeiten auf  der  von  seinem  Sohn  erbauten 
Brücke  eine  Statue  gesetzt.  Nach  seinem  Tode 
wurden  ihm  Denkmäler  in  Liverpool  und  London 
(Euston-Square- Station)  errichtet,  außerdem 
in  Newcastle  im  Jahre  1862.  Die  Memorial-Hall 
in  Chesterfield  wurde  ebenfalls  zum  Andenken 
an  S.  gegründet  und  1879  eröffnet.  (Diese  ent- 
hält eine  polytechnische  Schule,  eine  Frei- 
bibliothek für  Handwerker  und  einen  Saal  für 
öffentliche  Vorträge.) 

Literatur:  Smiles,  Lives  of  George  and  Robert 
Stephenson,  8.  Aufl.,  London  1868.  —  Smiles,  The 
life  of  George  Stephenson.  London  1884;  Georg 
Stephenson  in  seinem  Leben  und  Wirken  (aus  den 
Biographien  berühmter  Erfinder  und  Entdecker  der 
Neuzeit).  Stuttgart  1860,  2.  Aufl.  -  Perdonnet, 
Leben  Robert  Stephensons.  Ztg.  d.  VDEV.  1881, 
S.  623;  Österr.  Eisenbahnztg.  1881,  S.  301,  325,  32S 
u.  375.  Gölsdorff. 

Stephenson,  Robert,  einziger  Sohn  des 
vorigen,  geboren  am  16.  Dezember  1803  zu 
Wilmington-Gray,  gestorben  am  12.  Oktober 
1859  zu  London,  erhielt  seine  Ausbildung  auf 
der  Hauptschule  in  Edinburgh,  trat  dann  als 
Lehrling  in  die  Maschinenbauanstalt  seines 
Vaters  und  unterstützte  diesen  bei  allen  seinen 
Unternehmungen.  Er  erbaute  u.  a.  die  London- 
Birminghamer  Eisenbahn  und  die  Fast  Coun- 
ties,  die  unter  dem  Namen  High  Lewel  Bridge  be- 
kannte eiserne  Bogenhängewerkbrücke  bei  New- 
castle und  erfand  die  sog.  Tubulär-  oder  Röhren- 
brücken, die  aus  Blech  zusammengesetzt  sind. 

Eine  Brücke  dieser  Gattung  ist  die  bekannte 
Britanniabrücke,  die  1 847 -1850  über  den 
Menaikanal  hergestellt  wurde.  Das  bedeutendste 
Beispiel  dieser  Brückenart  ist  die  von  S.  ent- 
worfene, 3  km  lange  Viktoriabrücke  bei  Mon- 
treal in  Kanada;  sie  überspannt  den  St.  Lorenz- 
strom in  25  Öffnungen,  deren  mittlere  eine 
Weite  von   100-58  m  besitzt. 

S.  wurde  in  der  Westmünsterabtei  zu  Lon- 
don beigesetzt.  1879  wurde  auf  der  Station 
Porta  Nuova  in  Turin  zum  Andenken  an  die 
beiden  S.  ein  Denkmal  gesetzt. 

Literatur:  Smiles,  Lives  of  George  and  Robert 
Stephenson,  8.  Aufl.,  London  1868.  -  Jeaffreson  u. 
Pole,  Life  of  Robert  Stephenson.  Daselbst  1864,  Bd.  11. 

Gölsdorf  j. 


Sterbekassen. 


181 


Sterbekassen  (burying-funds;  caisses  morfii- 
aires;  cassc  mortiiari)  sind  freie  Vereinigungen 
des  Personals  mit  dem  Zweck,  durch  Erhebung 
von  Beiträgen  die  Mittel  zu  sammeln,  um  den 
Hinterbliebenen  bei  dem  Tode  eines  Mitglieds 
eine  bestimmte  Geldsumme  zur  Deckung  der 
Bestattungskosten  und  zur  Erleichterung  des 
Übergangs  in  neue  Verhältnisse  zu  sichern. 
Sie  sind  meist  auf  den  Bereich  einer  Ver- 
waltung, vielfach  nur  auf  einzelne  Dienstklassen 
beschränkt. 

Sie  gingen  aus  den  in  den  Anfängen  des 
Eisenbahnwesens  häufig  veranstalteten  Samm- 
lungen für  die  in  Not  hinterlassenen  Angehörigen 
verstorbener  Kameraden  hervor.  Bald  bildeten 
sich  Organe  bzw.  Vereine,  die  an  Stelle  der  un- 
regelmäßigen und  unsicheren  Sammlungen  bei 
jedem  Todesfall  von  allen  Mitgliedern,  alt  und 
jung,  gleiche  Beträge  erhoben  (sog.  Umlagever- 
fahren) und  den  Ertrag  nach  Abzug  der  Ver- 
waltungskosten und  einer  kleinen  Rücklage  für 
einen  Betriebs-  und  Reservefonds  den  Hinter- 
bliebenen übergaben.  Die  scheinbare  Billigkeit 
bei  den  wenigen  Sterbefällen  des  jungen  Eisen- 
bahnbetriebs übte  eine  große  Werbekraft  aus. 
Als  mit  dem  zunehmenden  Alter  der  Mitglieder 
sich  die  Sterbefälle  und  damit  die  Beiträge  ver- 
mehrten, während  die  Lebensversicherungen  ihre 
Prämien  herabsetzen  konnten,  stockte  der  Zu- 
gang und  viele  Kassen  brachen  zusammen 
(Sterbekassenelend),  andere  konnten  sich  zwar 
dank  einem  hochentwickelten  Standesgefühl 
unter  namhaften  Opfern  halten,  sahen  sich  aber, 
auch  infolge  staatlichen  Eingreifens  genötigt,  von 
der  Umlage  zu  den  rationellen  Prämien  mit 
Abstufungen  nach  dem  Eintrittsalter  überzu- 
gehen. 

So  wirken  jetzt  mehr  und  mehr  leistungs- 
und  lebensfähige  Kassen,  die  auf  den  Grund- 
sätzen des  modernen  Versicherungswesens 
aufgebaut  sind. 

Die  Beiträge  sollen  nach  den  allgemeinen  Sterbe- 
tafeln so  berechnet  sein,  daß  sie  für  jede  Alterstjruppe 
(Jahresklasse)  mit  den  Zinseszinsen  zur  Deckung 
aller  im  Laufe  der  Jahre  anfallenden  Sterbegelder 
ausreichen  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  und  wie  viele 
neue  Mitglieder  zugehen.  Statt  der  fortlaufenden 
Beiträge  sollte  stets  auch  die  einmalige  Einlage  vor- 
gesehen sein,  besonders  dann,  wenn  die  Mitglieder 
auch  ihre  Frauen  versichern  können,  denen  die  fort- 
laufenden Beiträge  nach  dem  Tode  des  Mannes 
schwer  fallen.  Das  Sterbegeld  muß  auf  eine  ange- 
messene, dem  Zweck  der  Kasse  entsprechende  Summe 
beschränkt  sein,  weil  kleine  Kassen  durch  raschen 
Abgang  hoch  versicherter  Personen  leicht  Schaden 
nehmen ;  es  wird  sich  in  der  Regel  zwischen  300 
und  1500  M.  bewegen.  Personen,  die  sich  höher  ver- 
sichern wollen,  sind  an  die  Lebensversicherungs- 
anstalten zu  \x'eisen.  Der  Zinsfuß  ist  möglichst  nieder, 
etwa  zu  3,  jedenfalls  nicht  über  3Vj?o  anzunehmen, 
um  die  Beiträge  bei  anhaltendem  Sinken  oder  uner- 
wartet großer  Sterblichkeit  nicht  ändern  zu  müssen. 


Überschüsse  können  den  Mitgliedern  in  Form  von 
Dividenden  als  Beitragsnachlaß  oder  -  was  der 
Schwierigkeit  wegen  weniger  zu  empfehlen  ist  - 
durch  Gutschrift  auf  das  Sterbegeld  zugeführt  werden. 
Mangels  einer  genügenden  ärztlichen  Untersuchung, 
zumal  da  bei  der  Aufnahme,  dem  Charakter  der  Kasse 
entsprechend,  wohlwollend  zu  verfahren  ist,  wird 
zweckmäßig  die  Auszahlung  des  vollen  Sterbegeldes 
von  einer  Wartezeit  (1  —  5  Jahre)  abhängig  gemacht. 
Es  empfiehlt  sich  bei  Errichtung  einer  Kasse  einen 
erfahrenen  Versicherungsmathematiker  beizuziehen 
und  ihn  wenigstens  alle  4  —  5  Jahre  eine  Bilanz 
nach  versicherungstechnischen  Grundsätzen  ziehen 
zu  lassen. 

An  Stelle  der  vielen  kleinen  Kassen,  die  die 
einzelnen  Personalgruppen  für  sich  errichten, 
dürfte  überall  unter  Unterstützung  und  Aufsicht 
der  Eisenbahnverwaltung  zur  Vermeidimg  der 
gerade  auf  dem  Gebiet  des  Versicherungs- 
wesens mißlichen  Zersplitterung  und  von  un- 
wirtschaftlichen Aufwendungen  die  Schaffung 
einer  einzigen  großen  zentralen  Kasse  schon 
wegen  der  Verteilung  des  Risikos  imd  wegen 
der  Möglichkeit  einer  einheitlichen  guten  Verwal- 
tung vorzuziehen  sein.  Den  einzelnen  Gruppen 
könnte  ein  angemessenerEinfluß  durch  satzungs- 
mäßiges Recht  der  Vertretung  im  Vorstand 
oder  Ausschuß  gewährt  werden. 

Wenn  Vereine  mit  vornehmlich  anderen 
Zwecken,  wie  Pflege  der  Kameradschaft,  neben- 
her Sterbekasseneinrichtungen  treffen,  so  tun 
sie  gut,  das  Sterbegeld  in  mäßigen  Grenzen 
(bis  zu  200  M.)  zu  halten,  besondere  Beiträge 
in  möglichst  einfacher  Form  mit  nur  2  —  4 
Abstufungen  festzusetzen  und  auf  Ansammlung 
eines  ausreichenden,  gesondert  verwalteten 
Vermögens  Bedacht  zu  nehmen. 

Aus  der  übergroßen  Zahl  von  Sterbekassen 
seien  die  Einrichtungen  und  Ergebnisse  von 
zweien  hier  kurz  erwähnt,  von  der  einfacheren 
Sterbekasse  der  Eisenbahndirektionsbezirke  Ber- 
lin und  von  der  mehr  entwickelten  Sterbekasse 
von  Angehörigen  der  württembergischen  Ver- 
kehrsanstalten. 

Die  Berliner  Eisenbahndirektionskasse  gewährt 
nach  Wahl  ein  Sterbegeld  von  75,  150,  300  und 
600  M.,  hat  7  Altersstufen,  die  erste  bis  32, 
die  letzte  bis  45  Jahren  und  erhebt  von  32jähri- 
gen  für  je  75  M.  12',:.  Pf-  Monatsbeiträge  und 
vorläufig  noch  einen  13.  Beitrag  für  Verwaltimgs- 
kosten ;  das  Eintrittsgeld  beträgt  1 "» .  Der  Beitrag 
steigt  in  den  höheren  Altersstufen  und  beträgt 
mit  45  Jahren  das  Doppelte.  Die  Kasse  hatte  1915 
bei  10.943  Versicherungen  mit  3,240.000  M.  ver- 
sichertem Kapital  77.000  M.  Beiträge  und  ein  Ver- 
mögen von  1,596.000  M.,  sie  bezahlte  für  Begräbnis- 
gelder 70.300,  für  die  X'erwaltung  9200  M.  und 
schüttete  33.100  M.  Dividenden  aus. 

Die  württembergische  Kasse  versichert  das 
Personal  von  100-1500  M.,  die  Mitgliederfrauen 
bis  zu  700  M.,  sie  erhebt  1-2M.  Eintrittsgeld.  Ihre 
Beiträge,  denen  eine  3";.  ige  Verzinsung  zu  gründe 
gelegt  ist,  stellen  sich  für  20jährige  auf  1-86,  für 
30jährige  auf  2-53,  für  40jährige  auf  3-76,  für  50jährige 


182 


Sterbekassen.  -  Stereophotogrammetrie. 


(Orenzalter)  auf  6  47  M.,  mit  60  Jahren  fallen  sie 
auf  die  Hälfte  und  hören  mit  70  Jahren  ganz  auf. 
Die  Kasse  gewährt  nach  je  4  Jahren  Dividenden,  in 
der  Regel  in  Höhe  von  6  Monatsbeiträgen  für  je 
angefangene  10  Alitgliedsjahre.  Das  Sterbegeld  wird 
erst  nach  3  Jahren  voll  ausbezahlt,  vorher  nur  -j^,  ^i-, 
und  ■"5.  Die  Staatskasse  trägt  die  X'eraaltungs- 
kosten.  Der  20.  Jahresbericht  von  1915  ergibt  bei 
4400  Mitglieder  mit  3,380.000  .\1.  Versicherungskapital, 
102.000  M.  Jahresbeiträge  und  ein  Vermögen  von 
936.000  M.  Der  Sterbegeldaufwand  betrug  36.800  M. 
für  55  Todesfälle,  davon  12.300  M.  für  15  Kriegsteil- 
nehmer. Beyerle. 

Stereophotogrammetrie  ist  eine  Sonder- 
art der  allgemeinen  oder  Intersektionsphoto- 
g  ramm  et  rie;  hierbei  werden  in  den  Endpunkten 
einer  der  Lage  und  Höhe  nach  bekannten  Grund- 
linie photogrammetrische  .Aufnahmen  gemacht, 
deren  Orientierungswinkel  90°  betragen;  die 
Bilddistanz  ist  also  normal  zur  Basis  und  be- 
finden sich  die  Bildebenen  beider  Stationen  in 
derselben  Vertikalebene.  Ähnlich  ist  die  Auf- 
nahme in  der  Stereoskopphotographie  mit  dem 
Unterschied,  daß  bei  stereophotogrammetri- 
schen  Aufnahmen  der  Objektivabstand  durch 
die  Basislänge  b  feststeht,  von  einigen  bis  auf 
Hunderte  von  Metern  anwachsen  kann,  während 
er  bei  gewöhnlichen  Stereoskopaufnahmen  dem 
Augenabstand  a  ^  75  mm  gleichkommt. 

Richtig  hergestellte,  in  einen  Stereoskopapparat 
eingelegte  Stereoaufnahmen  bieten  dem  Be- 
schauer zufolge  der  Fähigkeit  der  menschlichen 


J^defte  gleicher  /hrallaxe  p 


Augen,  stereoskopisch  zu  sehen,  ein  räumliches, 
plastisches  Bild,  sozusagen  ein  Modell  des  photo- 
graphierten  Gegenstandes.  -  Auch  die  stereo- 
photogrammetrischen  Aufnahmen  liefern,  in 
einen  besonderen  Apparat,  Stereokomparator, 
eingelegt  und  mit  einem  binokularen  Mikroskop, 
Telestereomikroskop,  betrachtet,  plastische 
Landschaftsbilder  von  demselben  Effekt,  als 
wenn  man  ein  reduziertes  Modell  des  aufge- 
nommenen Geländes  mit  freiem  Auge  ansehen 


würde.  Besondere  Einrichtungen  ermöglichen 
es,  eine  Marke  im  plastischen  Bild  beliebig 
von  Punkt  zu  Punkt  zu  führen  und  an  dem 
Terrainmodell  Messungen  zu  machen,  deren 
Daten,  am  Apparat  abgelesen,  Lage-  und 
Höhenbestimmungen  der  ausgemessenen  Punkte 
mit  Zugrundelegung  der  bekannten  Basis  der 
Aufnahme  zulassen  und  damit  Situations-  und 
Schichtenpläne  herzustellen  gestatten.  Das 
stereoskopische  Meßverfahren,  mit  der  erwähnten 
wandernden  .Marke  am  Modell  des  Geländes 
in  voller  Bequemlichkeit  am  Instrument  im 
Zimmer  ausgeführt,  fußt  auf  der  Tiefenwahr- 
nehmung beim  stereoskopischen  Sehen  und  ist 
hoher  Genauigkeit  fähig. 

Bedeuten  in  Abb.  1 74  M  und  A/die  Endpunkte, 
Stationen,  der  bekannten  Basis  A,  7"  7"  die  Trassen 
der  zusammenfallenden  Bildebenen  (Positive), 
im  Abstand/  (Bilddistanz)  von  der  Basis  ent- 
fernt, JT,  und  jc,  die  Abszissen  des  linken  und 
rechten  Bildes,  so  reichen  unter  Voraussetzung, 
daß  M  der  Ursprung,  die  Basis  die  A:-.\chse 
eines  räumlichen  Koordinatensystems  darstellen, 
zur  Situationsbestimmung  die  Koordinaten  aus: 


Y  = 


b 


f 


f\ 


X,-X2'  P 

wobei  p  =  x^-X2  die  stereoskopische  Par- 
allaxe genannt  wird.  Der  Abstand  des  Raum- 
punktes P  vom  Horizont  der  linken  Station, 
die  relative  Höhe  Z^=h,  wird  mit  Hilfe 
der  Ordinate  _v,  des  linken  Bildes,  wie  in  .Abb.  174 
aus  der  Umlegung  rechts  zu  entnehmen  ist,  mit: 

Z  =  h  =  -ry,  =  z rr^i  = 


■/ 


y^  =  ^^r^j^  =  jy^ 


erhalten. 


Ist  Ho  die  absolute  Höhe  des  Instrument- 
horizonts der  linken  Station,  so  ist  H^^Hg^h 
die  absolute  Höhe  des  Raumpunktes  A 

Neben  dieser  rechnerischen  Bestimmung  der 
Raumkoordinaten  von  P  ist  an  der  Hand  der 
Abb.  174  die  konstruktive  Bestimmung  der  Lage, 
Situation,  und  der  Höhe  unschwer  zu  finden. 

Die  Bildkoordinaten  .v,  j-,,  insbesondere  die 
stereoskopische  Parallaxe  /;  =  .v, -x,  werden 
nicht  nach  der  in  der  Photogrammetrie  üblichen 
Weise  direkt  gemessen,  sondern  werden  mit 
dem  Stereokomparator  von  Pulfrich  in  äußerst 
bequemer  Weise  erhalten. 

Der  Stereokomparator  (.Abb.  175)  besitzt 
als  wesentlichen  Bestandteil  ein  Telestereo- 
mikroskop, mit  dem  das  plastische  Bild  der 
eingelegten  Stereogramme  (Negative)  betrachtet 
und  mit  Hilfe  besonderer  Einrichtungen  .Messun- 
gen ausgeführt  werden  können.  Der  Komparator 
hat  zum  Träger  einen  massiven  Tisch,  auf  dem 
der  Hauptschlitten  A  mit  der  Kurbel  H  in  der 
Richtung  des  Horizonts  beider  Platten  P,  und 


Stereophotogrammetrie. 


183 


P^  (mittels  D,,  Dj  und  C  justierbar)  verschoben 
werden  kann;  die  Größe  der  Verschiebung  wird 
auf  dem  Abszissenmaßstab  {X,  Lj)  abgelesen. 
Ein  binokulares  Telemikroskop  mit  den  im 
erweiterten  Abstand  angebrachten  Objektiven 
A^i,  K2  und  den  stellbaren  Okularen  O,,  O,  ist 
mittels  der  Kurbel  V  mit  dem  Schlitten  B  ver- 
steilbar; die  Verstellung  wird  am  Ordinaten- 
maßstab  (V,  L,)  abgelesen.  Die  Parallaxen- 
schraube Z  ermöglicht  durch  Verschiebung 
der  rechten  Platte  P2  auf  einem  Nebenschlitten, 
die  stereoskopische  Parallaxe/?  auf  0-01  mm 
scharf  an  einem  Maßstab  abzulesen.  Die  Spiegel 
5,,  S2  bezwecken  eine  günstige  Beleuchtung 
der  eingelegten  Negative.  Die  Schraube/  ver- 
bindet das  Telestereo- 
mikroskop  mit  seinem 
Träger  und  kann  nach 
Lösung  der  Schraube 
das  Mikroskop  ab- 
genommen werden. 
Die  Bestimmung 
der  3  Komparator- 
daten  x,,  y■^  und  p 
wird  in  folgender 
Weise  vorgenommen. 
Die  beiden  Stereo- 
gramme, Negativ- 
platten, werden  ein- 
gelegt und  justieit; 
hierauf  wird  die 
Marke  des  linken 
Mikroskops  auf  den 
gewählten  Punkt  der 
linken  Platte  mittels 
der  Kurbeln  H  und  V 
gebracht  (monoku- 
lare Einstellung)  und 


entfällt;  man  operiert  nicht  mit  2  Bildern,  sondern 
man  betrachtet  im  Stereokomparator  ein  kleines 
Modell  der  Landschaft,  an  dem  sich  die  stereo- 
skopische Marke  von  Punkt  zu  Punkt  führen 
läßt  und  die  Komparatordaten  bequem,  ohne 
jedwede  Anstrengung  erhalten  werden.  Die  S. 
ist  daher  der  Intersektionsphotogrammetrie  weit 
überlegen  und  fand  bereits  für  verschiedene 
Ingenieurarbeiten,  so  auch  bei  Trassierungen 
nützliche  Verwendung. 

Hat  man  für  eine  Trassenstudie  nach  gründ- 
licher Rekognoszierung  die  Operationsbasis,  den 
Polygonzug,  gewählt  und  durch  geeigneteSignale 
ersichtlich  gemacht,  so  werden  die  Standlinien 
für    die    Stereoaufnahmen    mit    Sorgfalt    aus- 


Abb.  175.  stereokomparator  von  Pulfrich. 


nunmehr  bei  binokularer  Beobachtung  im  Mikro- 
skop und  Betätigung  der  Parallaxenschraube  Z 
die  im  plastischen  Bild  der  Landschaft  schwe- 
bende Marke,  die  wandernde  Marke,  präzise 
auf  den  ins  Auge  gefaßten  Punkt  gestellt.  An 
den  Koordinatenmaßstäben  des  Komparators 
können  nun  x^,y\,  die  Koordinaten  des  linken 
Bildes,  und  am  Parallaxenmaßstab  die  stereo- 
skopische Parallaxe  p  =  x^—X2  abgelesen 
werden. 

Durch  diese  3  Größen  ist  der  Raumpunkt 
unzweideutig  bestimmt:  die  Abszisse  x^  gibt 
die  Richtung,  p  definiert  den  Abstand  von  der 
Basis  (Ebene  gleicher  Parallaxe/;  in  Abb.  174) 
undj.,  ist  für  die  Höhe  des  Punktes  über  dem 
Horizont  des  linken  Bildes  maßgebend. 

Diese  Art  der  Punktbestimmung  am  plasti- 
schen Raumbild  des  Stereokomparators  hat  gegen- 
über der  gewöhnlichen  Photogrammetrie  den 
wichtigen  Vorteil,  daß  jede  Punktidentifizierung 


gesucht,  bezeichnet,  geodätisch  festgelegt  und 
mit  dem  Polygonzug  der  Trasse  in  sichere 
Verbindung  gebracht,  worauf  die  stereophoto- 
grammetrische  Aufnahme  durchgeführt  werden 
kann.  Die  Hausarbeiten  umfassen  Berechnungen 
für  den  Entwurf  des  Gerippes,  der  die  Grund- 
lage für  die  planliche  Darstellung  bietet,  die 
Messungen  am  Stereokomparator,  die  Berech- 
nung, Lage-  und  Höhenelemente  für  die  Detail- 
punkte, die  Kartierung,  die  Schichtenkonstruktion 
und  die  zeichnerische  Ausführung  der  Pläne. 
Eine  stereophotogrammetrische  Aufnahme 
gestattet  zu  jeder  Zeit  die  Betrachtung  von 
stereoskopischen  Aufnahmen  im  Komparator 
und  dadurch  die  naturtreue  Betrachtung  belie- 
biger Teile  der  Trasse,  was  gegebenenfalls 
von  unschätzbarem  Wert  sein  kann.  In  den 
letzten  Jahren  sind  stereophotogrammetrische 
Aufnahmen  für  Trassierungszwecke  von  Major 
Truck  in  den  Alpenländern  und  Bosnien,  von 


184 


Stereophotogrammetrie. 


Dipl.-Ing.  Lüscher  bei  der  Bagdadbahn, 
durch  Hauptmann  v.Orel  vom  Institut  „Stereo- 
graphik" in  Bulgarien  und  Mazedonien 
ausgeführt  worden. 

Die  S.  hat  durch  die  Erfindung  des  öster- 
reichischen Hauptmanns  v.  Orel  -  den  Stereo- 
autographen -  einen  ungeahnten  Fortschritt 
erzielt.  Die  Einstellung  der  stereoskopischen 
oder  wandernden  Marke  im  Stereokomparator 
auf  ein  bestimmtes  Objekt  bedingt  eine  ganz 
bestimmte   Stellung    der    beiden    Plattenbilder 


der  Zeichenfläche,  und  an  einem  Maßstab  kann 
man  dessen  absolute  Höhe  ablesen.  Führt  der 
Beobachter  am  Komparator  die  Marke  längs 
einer  Kommunikation,  entlang  eines  Waldsaumes, 
einer  Parzellengrenze,  so  zeichnet  der  Stift  die 
horizontale  Projektion  in  dem  auf  dem  Apparat 
eingestellten  Maßstab. 

Der  Stereoautograph  gestattet  aber  auch, 
direkt  die  Komparatormarke  in  einer  bestimmten 
Schichtenlinie  zu  führen,  wodurch  im  Plan  un- 
mittelbar die  Isohypse  gezeichnet  erscheint  und  so 


Abb.  176.  Stereoautogr.iph  von  Orel. 


gegeneinander,  woraus  folgt,  daß  durch  eine 
mechanische  Vorrichtung,  die  mit  dem  Schlitten 
der  Plattenbilder  in  Verbindung  ist,  die  Lage 
des  eingestellten  Objekts  auf  einer  Zei- 
chenebene automatisch  angezeigt  werden 
könnte. 

Nach  Überwindung  großer  konstruktiver 
Schwierigkeiten  ist  es  dem  Zeißschen  Institut 
in  Jena  gelungen,  einen  tadellos  arbeitenden 
Stereoautographen  (Abb.  176)  dem  Ver- 
messungstechniker zu  liefern. 

Der  Stereoautograph  ersetzt  alle  früher 
erforderlichen  Rechnungen  und  Kartierungen. 
Wird  die  stereoskopische  Marke  des  Kompa- 
rators  auf  einen  beliebigen  Punkt  des  Geländes 
eingestellt,    so   gibt   ein    Stift    seine  Lage   auf 


unmittelbar  ein  Schichtenplan  des  aufge- 
nommenen Geländes  gewonnen  werden  kann, 
in  neuester  Zeit  ist  es  gelungen,  außer  den 
normal  zur  Basis  liegenden  Stereoaufnahmen 
auch  beliebig  zur  Basis  verschwenkte 
Aufnah  menim  Stereoautographen  auszuwerten 
und  so  die  Leistungsfähigkeit  dieses  sinnreichen 
Apparates  bedeutend  zu  erhöhen. 

Der  Pulfrichsche  Komparator  und  der 
Orel  sehe  Autograph  bedeuten  ganz  neue,  für 
die  photogrammetrische  Geländeaufnahme  wert- 
volle Instrumente,  durch  die  das  Vermessungs- 
wesen insbesondere  für  Ingenieurzwecke  im 
hohen  Maße  gefördert  wird. 

Literatur:  Aufsätze  über  S.  und  Stereoautogram- 
metrie    von    Baron  v.Hübl,    Korzer   und  v.  Orel 


Stereophotogrammetrie.  -   Steuerrecht  der  Eisenbahnen. 


185 


befinden  sich  in  den  „Mitteilungen  des  k.  u.k.  Militär- 
geograph. Institutes"  aus  den  Jahren  1903-1914.  — 
Hartner-Dolezal,  Hand-  und  Lehrbuch  der  Nied. 
Geodäsie,  Bd.  II,  Wien  1910.  -  Internat.  .Archiv 
f.  Photogrammetrie,  Bd.  I-V,  Wien  1907-1917. 

Dolezal. 
Steuerbefreiung      s.      Abgaben      und 
Steuerrecht   der    Eisenbahnen. 

Steuerrecht  der  Eisenbahnen  (laws 
rclating  the  railway  duties;  droit  d'impöt  des 
chemins  de  fer;  leggi  siille  imposte  ferroviarie). 

Inhalt:  /4.  Staatssteuern,  a)  Die  besonderen 
Eisenbahnabgaben,  b)  Einkommensteuern,  c)  Ver- 
mögenssteuern, d)  Gewerbe-  (Erwerb-)  Steuern, 
e)  Grundsteuern,  f)  Gebäudesteuern,  g)  Kapital- 
rentensteuern, h)  Stempelabgaben  als  Besteuerungs- 
form der  Eisenbahnaktien  und  Obligationen,  i)  Das 
Gebührenäquivalent,  k)  Aufsichtsgebühren,  l)  Ge- 
winnbeteiligung des  Staates,  m)  Tantiemenabgabe.  - 
B.  Staatsabgaben  gebührenartigen  Charak- 
ters. —  C.  Sonstige  Abgaben  und  Lei- 
stungen. -  D.  Gemeindeabgaben.  — 
E.  Steuerbefreiungen.   —  F.  Nachtrag. 

A.  Staatssteuern. 

a)  Die  besondere  Eisenbahnabgabe. 
Dieser  Abgabe  sind  in  Preußen  einerseits 
durch  Ges.  vom  30.  Mai  1853  die  Eisenbahn- 
aktiengeselischaften  anderseits  durch  Ges.  vom 
16.  März  1867  die  sonstigen  für  den  öffentlichen 
Verkehr  benutzten  Eisenbahnen,  die  sich  nicht  im 
Besitz  des  preußischen  Staates  befinden  (also, 
soweit  nicht  Staatsverträge  Ausnahmen  ge- 
währen, auch  Eisenbahnlinien  fremder  Staaten 
in  Preußen),  unterworfen. 

Die  Steuer  ist  in  beiden  Fällen  nach  dem 
Jahresreinertrag  zu  berechnen  und  stuft 
sich  nach  dessen  Höhe  derart  ab,  daß 
bei  einem  Reinertrag  bis  zu  einschließlich 
4«^  (im  ersten  Fall  des  Aktien-,  im  zweiten 
Fall  des  Anlagekapitals)  I/^q  jenes  Ertrags, 
bei  einem  höheren  Reinertrag  aber  außerdem, 
u.  zw.:  von  dem  Mehrertrag  über  4  bis  zu  5  % 
einschließlich  ''/jg  dieser  Ertragsquote;  von  dem 
Mehrertrag  über  5  bis  zu  6  %  einschließlich 
■•'ig  dieser  Ertragsquote;  von  dem  Mehrertrag 
übT  6%  hinaus  '^j^^  dieser  Ertragsquote  als 
Steuer  zu  entrichten  sind.  Für  die  Ermittlung 
des  steuerpflichtigen  Reinertrags  sind  für  den 
einen  und  den  andern  Fall  in  den  bezogenen 
Gesetzen  bestimmte,  teilweise  voneinander  ab- 
weichende Regeln  festgesetzt.  Diese  Abgabe  ist 
infolge  Überwiegens  des  Staatsbahnsystems  in 
Preußen   nur   noch   von   geringer   Bedeutung. 

Nach  dem  Vorbild  Preußens  wurden  be- 
sondere Eisenbahnabgaben  auch  in  einigen 
kleineren  deutschen  Bundesstaaten,  so  in 
Lübeck,  Sachsen-Altenburg,  Sachsen- 
Meiningen  und  Sachsen-Weimar,  die 
dafür  die  Eisenbahnunternehmer  von  der  Ein- 
kommensteuer frei  lassen,  dann  in  Schwarz- 
burg-Sondershausen,   wo    diese    Abgabe 


ebenso  wie  in  Preußen  bei  Ermittlung  der 
Bemessungsgrundlage  für  die  Einkommensteuer 
eine  Abzugspost  bildet,  eingeführt  und  bis  in 
die  Gegenwart  aufrecht  erhalten. 

b)  Die  allgemeine  Einkommensteuer 
und  ihr  ähnliche  Steuern. 

Der  allgemeinen  Einkommensteuer  als  der 
das  Einkommen  aus  allen  Quellen  einheitlich 
erfassenden  Steuerform  unterliegen,  u.  zw.  mit 
progressiven  Steuersätzen,  neben  den  natür- 
lichen Personen  in  allen  Bundesstaaten 
des  Deutschen  Reiches  (mit  Ausnahme  der 
unter  a  im  Schlußsatz  angeführten)  auch  die 
Eisenbahnaktiengesellschaften  Als  Besteuerungs- 
grundlage dienen  in  Preußen  und  den  meisten 
übrigen  der  in  Frage  kommenden  deutschen 
Staaten  grundsätzlich  die  Überschüsse  der 
Einnahmen  über  die  Ausgaben,  die  als  Aktien- 
zinsen oder  Dividenden,  gleichviel  unter  welcher 
Benennung,  an  die  Aktionäre  verteilt  wurden 
(oder  ihnen  gutgeschrieben  werden:  so  die 
beiden  Mecklenburg,  Schwarzburg-Rudolstadt 
und  Württemberg)    unter    Hinzurechnung 

1.  der  zur  Tilgung  der  Kapitalschulden  oder 
des  Grundkapitals, 

2.  zur  Verbesserung  oder  Geschäftserweite- 
rung sowie 

3.  der  zur  Bildung  bzw.  Verstärkung  von 
Reservefonds  verwendeten  Beträge,  ferner 

4.  in  Württemberg  auch  der  von  den  Ge- 
meinden und  Amtskörperschaften  erhobenen 
Ertrags-  und  Einkommensteuern. 

In  Bayern  bildet  die  Besteuerungsgrund- 
lage der  unter  Beobachtung  der  steuerrecht- 
lichen Vorschriften  nach  den  Grundsätzen,  die 
für  die  Inventur  und  Bilanz  durch  das  Handels- 
gesetz vorgeschrieben  sind  und  sonst  dem  Ge- 
brauch eines  ordentlichen  Kaufmanns  ent- 
sprechen, zu  berechnende   Reinertrag. 

Im  Königreich  Sachsen  gelangen  nur  die 
an  die  Aktionäre  alljährlich  verteilten  Über- 
schüsse der  Eisenbahnaktiengesellschaften  unter 
Hinzurechnung  der  allenfalls  an  die  Inhaber 
von  Genußscheinen  ausgeschütteten  Beträge 
fortlaufend  zur  Besteuerung,  während  die 
übrigen  (reservierten  oder  anderweitig  ver- 
wendeten) Ertragsüberschüsse  erst  bei  der 
Ausschüttung  steuerpflichtig  werden. 

Von  der  in  der  angegebenen  Weise  zu  er- 
mittelnden Steuerbemessungsgrundlage  wird  in 
einigen  der  deutschen  Staaten  ein  bestimmter 
Prozentsatz  des  Aktienkapitals  (Bayern  2, 
Baden  und  Württemberg  3,  Preußen  V^%) 
in  Abzug  gebracht  bzw.  steuerfrei  gelassen, 
wodurch  der  Doppelbesteuerung  derselben  Er- 
trägnisse durch  die  Einkommensteuer  sowohl 
bei  der  Eisenbahnaktiengesellschaft,  als  auch 
beim  Aktionär   teilweise    begegnet   wird.    Der 


186 


Steuerrecht  der  Eisenbahnen. 


erwähnte  Abzug  erfährt  jedoch  in  3  der  ge- 
nannten Staaten  eine  Einschränkung  insoferne, 
als  er  in  Baden  und  Württemberg  nur  bis  zur 
Höhe  der  verteilten  Überschüsse,  in  Bayern  nur 
bis  zum  Höchstbetrag  von  50  f^,  des  Reinertrags 
zulässig  ist.  In  Preußen  und  Württemberg  ist 
jedoch  der  Kommunaleinkommensteuer 
das  ermittelte  Einkommen  ohne  den  erwähnten 
Abzug  zu  gründe  zu  legen.  Durch  Einkommen- 
steuern bzw.  ihnen  ähnliche  Steuern  werden  die 
Eisenbahnaktiengesellschaften  auch  in  mehreren 
außerdeutschen  Staaten  betroffen. 

Der  in  Österreich  (Ges.  vom  25.  Oktober  1896 
und  vom  23.  Januar  1914)  und  in  Frankreich 
(Ges.  vom  IS.  Juli  1914  als  „Impot  general  sur  le 
revenu")  bestehenden  Einkonniiensteiier  sind  Eisen- 
bahnaktiengesellschaften ebensowenig  unterworfen, 
wie  andere  nichtphysische  Personen,  wohl  aber  die  Ak- 
tionäre auch  hinsichtlich  ihres  Dividendeneinkommens. 

Der  in  Ungarn  am  11.  April  1909  sanktionierte 
Ges.-.^rt.  X-1909  betreffend  die  Einkommensteuer,  der 
auch  die  Eisenbahnaktiengesellschafien  unterworfen 
werden  sollten,  ist  infolge  der  durch  Qes.-Art.  VI-1913 
suspendierten  Steuerreform  bisher  nicht  in  Wirksam- 
keit getreten.  Die  dort  gegenwärtig  noch  bestehende 
..allgemeine  Einkommenersatzsteuer"  ist  nichts  an- 
deres als  eine  prozentweise  Erhöhung  der  verschie- 
denen, auch  die  Eisenbalinaktiengesellschaften  treffen- 
den Ertragssteuern. 

In  Belgien  wurde  durch  Ges.  vom  1.  September 
1913  an  Stelle  der  bis  dahin  bestandenen  pro- 
portioneilen Patentsteuer  (mit  2^„  des  Reinertrags 
nebst  2  Zusclilagsdezimen,  Ges.  vom  21.  Mai  1819, 
22.  Januar  1849  und  24.  März  1873)  unter  der  Be- 
zeichnung „Taxe  sur  les  revenus  des  benefices  realises 
dans  les  societes  par  actions"  eine  Abgabe  mit  dem 
Steuersatz  von  4".,  eingeführt,  die  auch  die  ge- 
zahlten Obligationszinsen  (in  letzterem  Punkt  mit 
dem  Effekt  einer  Kuponsteuer)  trifft. 

Das  Einkommen-  und  Vermögenssteuergesetz  in 
Dänemark  vom  S.Juni  1912  und  10.  Mai  1915 
besteuert  die  Eisenbahnaktiengesellschaften  (unter 
Freilassung  derselben,  nicht  aber  auch  des  .'Aktionärs 
hinsichtlich  des  Wertes  seiner  Aktien  von  der  Ver- 
mögenssteuer) mit  l-4-6?ü  des  steuerpflichtigen 
Ertrags,  der  nach  ähnlichen  Grundsätzen  wie  in 
Preußen  und  unter  .Abzug  von  4^^  des  eingezahlten 
Aktienkapitals  ermittelt  wird. 

Das  in  Großbritannien  und  Irland  be- 
stehende System  der  „General  property  and  income 
ta.\e",  das  die  verschiedenen  Einkommenquellen  in 
5  Klassen  nach  sog.  Schedulas,  u.  zw.  unter  A. 
aus  Grund-  und  Gebäudeeigentum,  Ä.  aus  Pachtungen, 
C.  aus  Kapitalvermögen,  D.  aus  Handel  und  Ge- 
werbe und  E.  aus  Dienstbezügen  abgesondert  erfaßt, 
hat  gleichwohl  hinsichtlich  der  Eisenbahnaktiengesell- 
schaften insoferne  den  Charakter  einer  allgemeinen 
Einkommensteuer,  als  das  gesamte  Einkommen  dieser 
Gesellschaften,  auch  aus  Grund-  und  Gebäudebesitz, 
soweit  dieser  dem  eigentlichen  Eisenbahnbetrieb 
dient,  und  aus  Kapitalvermögen  zusannnengefaßt  und 
einheitlich  nach  Schedula  D  besteuert  wird.  Nicht 
dem  erwähnten  Betrieb  dienender  Grund-  und  Ge- 
bäudebesitz der  Eisenbahnaktiengesellschaften  bleibt 
der  Besteuerung  nach  Schedula  A  unterworfen.  Der 
Steuersatz  wird  alljährlich  durch  das  Finanzgesetz, 
u.  zw.  nicht  in  "„  des  Einkonunens,  sondern  in 
-^  f.  d.  £,  so  für  1911,12  mit  1  sh.  2  ,^  f.  d.  £  (rd. 
5-8  f»)  festgesetzt. 


Japan  erhebt  von  den  Eisenbahnaktiengesellschaf- 
ten eine  Einkommensteuer  mit  6-25"«  (2-5 "o  ordent- 
liche und  3-75%  Zusatzsteuer)  des  Nettoeinkommens. 
In  Italien  unterliegen  der  „Imposta  sui  redditi 
della  ricchezza  mobile"  (Ges.  vom  28.  August  1877, 
Nr.  4021  und  vom  22.  Juli  1894,  Nr.  339)  die  Elsenbahn- 
aktiengesellschaften  vom  Nettoertrag  des  Eisenbahn- 
betriebs, zu  dem  unterschiedslos  auch  alle  Beträge 
gerechnet  werden,  die  unter  welchem  Titel  immer  an 
die  Aktionäre  verteilt,  zur  Kapitalsvermehrung  oder 
zur  Vermehrung  der  Reserve-  und  Amortisationsfonds 
oder  zur  Schuldentilgung  verwendet  werden. 

Das  so  ermittelte  effektive  Einkommen  („reddito 
effetivo")  wird  in  steuerbares  Einkommen  („red- 
dito imponibile")  durch  Reduktion  des  ersteren  auf 
einen  bestimmten  Bruchteil  (nach  dem  Ges.  von 
1894  auf  =%(,)  umgewandelt.  Der  Steuersatz  be- 
trägt seit  1894  20 <?„  des  steuerbaren  Einkommens, 
was  einer  Belastung  des  effektiven  Einkommens 
mit  lO^i  entspricht.  Aui  das  Prinzipale  der  Steuer, 
die  seit  1894  von  Gemeinde-  und  Provinzialzuschlägen 
befreit  ist,  wird  ein  Aufschlag  von  2  "„  für  die  Kosten 
der  Steuerveranlagung  und  Einhebung  gelegt.  Die 
Eisenbahnaktiengesellschaften  haben  auch  die  Zinsen 
der  von  ihnen  aufgenommenen  Anleihen  und  aus- 
gegebenen Obligationen  alljährlich  einzubekennen 
und  die  auf  die  entsprechenden  Einkommen  ihrer 
Gläubiger  entfallende  Steuer  unter  Regreßvorbehalt 
unmittelbar  zu  berichtigen.  Das  steuerbare  Ein- 
kommen beträgt  bei  vom  Staate  garantierten  Anleihen 
und  Obligationen  "/^o,  sonst  ^"/^o  des  Zinsenbezugs. 
In  Luxemburg  (Ges.  vom  S.Juli  1913)  haben  die 
Eisenbahnaktiengesellschaften  von  den  an  die  .'\ktio- 
näre  gezahlten  Zinsen  und  Dividenden  sowie  von  den 
hinzuzurechnenden,  zur  Tilgung  der  Schulden  oder 
des  Grundkapitals,  zur  Qescliäftsverbesserung  oder 
Erweiterung  und  zur  Bildung  von  Reservefonds  ver- 
wendeten Beträgen  die  „Mobiliarsteuer"  nach  einem 
progressiven  Satz  mit  der  Höchstgrenze  von  4?J. 
zu  entrichten.  Außerdem  besteht  für  sie  die  \'er- 
pflichtung  zur  Entrichtung  der  Kuponsteuer  mit  3-5", 
der  von  ihnen  gezahlten  Obligationszinsen. 

In  den  Niederlanden  unterliegen  die  Eisen- 
bahnaktiengesellschaften einer  Steuer  mit  dem  Satz 
von  2-5  »o  der  an  die  Aktionäre  verteilten  oder  zur 
Kapitalstilgung  verwendeten  Gewinne  (Ges.  vom 
2.  Oktober  1893). 

Spanien  besteuert  seit  dem  Ges.  vom  27.  März 
1900  unter  Auflassung  der  früheren  „Industrial- 
steuer"  {&9%  des  Nettoertrags,  Ges.  vom  31.  De- 
zember 1881)  die  Eisenbahnaktiengesellschaften  mit 
der  Steuer  vom  Einkommen  aus  beweglichem  \'er- 
mögen  („Impuesto  sobre  utilidades  etc.).  Steuersatz 
7?„  des  Reingewinns. 

In  den  Vereinigten  Staaten  von  Nord- 
amerika besteht  zufolge  Bundesgesetz  vom  S.Ok- 
tober 1913  die  Bundeseinkommensteuer  (Income  tax), 
die  in  eine  „normal  ta.x«  vom  Einkommen  natür- 
licher und  juristischer  Personen  aus  allen  Quellen 
und  eine  „additional  tax"  auf  das  20.000  S  (98.704 
Kronen  österreichischer  Währung)  übersteigende  Qe- 
samtreineinkommen  natürlicher  Personen  zerfällt. 
Die  Eisenbahnaktiengesellschaften  werden  nur  von 
der  „normal  tax"  mit  dem  Steuersatz  von  1  "v,  jedoch 
ohne  Rücksicht  auf  die  Höhe  bzw.  Untergrenze  des 
Gewinns  getroffen. 

Soweit  in  Australien  neben  dem  vorherrschen- 
den Staatsbahnsystem  Eisenbahnen  durch  Eisen- 
bahnaktiengesellschaften betrieben  werden,  unter- 
liegen letztere  besonderen  Abgaben,  so  z.  B.  in 
Viktoria  der  „Dividend  tax",  in  Ostaustralien  und 
Tasmanien  einer  Steuer  vom  erzielten  Reingewinn; 


Steuerrecht  der  Eisenbahnen. 


IS7 


in  allen  gedachten  Fällen  mit  dem  Satz  von  1  sli. 
pro  £  (rd.  5?«). 

Eine  einer  Einkommensteuer  ähnliche  Funktion 
haben  auch  die  alljährlich  zu  gunsten  des 
Bundes  der  Schweizer  Eidgenossenschaft 
gemäß  Qes.  vom  23.  Dezember  1872  von  Privat- 
bahnen auf  Grundlage  des  Reingewinns  (für  dessen 
Berechnung  durch  Bundesbeschluß  vom  17.  Juni 
1914,  bzw.  Bundesratsbeschluß  vom  29.  September 
1914  emgehende  Bestimmungen  festgesetzt  wurden) 
zu  entrichtenden  Konzessionsgebühren.  Diese 
Gebühren  betragen  bei  einem  Reingewinn  von  4«i 
bzw.  5^0,  dann  6°i  und  mehr  des  Aktienkapitals 
50  bzw.  100  bzw.  200  Fr.  für  jede  im  Betrieb  be- 
findliche Wegstrecke  von  1  km. 

Des  Zusammenhangs  wegen  sei  gleich  hier  ange- 
führt, daß  die  Eisenbahnaktiengesellschaften  außerdem 
auch  in  den  25  Kantonen  der  Schweiz  selbständig 
besteuert  werden.  Jedes  Kantonalgesetz  ist  von  dem 
andern  verschieden.  Esfinden  sich  Einkommensteuern, 
Vermögenssteuern,  Kombinationen  von  beiden  unter- 
einander oder  mit  Realsteuern  u.s.  w.  Eine  enzyklo- 
pädische Übersicht  ist  für  diese  Kantone  ebenso  un- 
möglich, wie  für  die  Besteuerung  derEisenbahnaktien- 
gesellschaften  in  den  51  Einzelstaaten  und  Terri- 
torien  der  Vereinigten  Staaten  von  Ame- 
rika, in  welchen  Vermögenssteuern  („General  property 
taxes")  vorwiegen.  Hinsichtlich  dieser  letzteren 
Steuern  sei  auf  die  Detailangaben  in  dem  alljährlich 
erscheinenden  amtlichen  „Report  on  the  Statistics 
of  Railways  in  the  United  States"  verwiesen. 

Von  den  angeführten  außerdeutschen  Staaten 
lassen  u.  a.  England,  Japan  und  die  Vereinigten 
Staaten  von  Amerika  die  Dividenden  der  von  ihnen 
besteuerten  Eisenbahnaktiengesellschaften  beim  Ak- 
tionär von  der  Einkommensteuer  frei. 

c)  Vermögenssteuern. 

Von  den  in  mehreren  Bundesstaaten 
des  Deutschen  Reiches  unter  vollständiger 
oder  teilweiser  Auflassung  der  Realsteuern, 
bzw.  unter  Überweisung  dieser  Steuern  an 
die  Gemeinden  eingeführten  Vermögenssteuern 
(Ergänzungssteuern)  werden  meist  nur  die 
natürlichen  Personen,  darunter  auch  die 
Aktionäre  vom  Wert  ihres  Aktienbesitzes,  in 
Baden,  den  beiden  Mecklenburg  und  im 
Königreich  Sachsen  aber  nebst  anderen 
juristischen  Personen  grundsätzlich  auch  die 
Eisenbahnaktiengesellschaften  erfaßt. 

Als  Besteuerungsgrundlage  gilt  hierbei  im 
allgemeinen  das  gesamte  bewegliche  und  un- 
bewegliche Vermögen  (im  Königreich  Sachsen 
mit  der  Abweichung,  daß  das  von  der  Grund- 
steuer getroffene  Vermögen  der  Ergänzungs- 
steuer nicht  unterliegt)  nach  Abzug  der 
Schulden,  zu  denen  im  Königreich  Sachsen 
auch  das  eingezahlte  Aktienkapital  gerechnet 
wird.  In  Baden  ist  der  zulässige  Schulden- 
abzug (unter  Ausschluß  des  Abzugs  des 
Aktienkapitals)  auf  die  Hälfte  der  veranlagten 
Vermögenssteuerwerte  beschränkt.  Der  Steuer- 
satz dieser  Vermögenssteuern  beträgt  rd.  Va/"««- 

In  Baden  ist  der  Eisenbahnbetrieb  durch  den 
Staat  und  die  Gemeindestraßenbahnen  von  der 
Vermögenssteuer  befreit. 


In  Luxemburg  besteht  neben  der  Mobiliarsteuer 
eine  Ergänzungssteuer  mit  dem  Satz  von  ';3?m,  der 
auch  die  Eisenbahnaktiengesellschaften  nach  dem 
Kapitalswert  ihrer  Aktien,  jedoch  nur  insoferne  unter- 
liegen, als  dieser  Wert  nicht  durch  die  Grund-  oder 
Minensteuer  erfaßt  ist. 

In  Spanien  haben  u.  a.  auch  die  sog.  Eisen- 
bahnkompagnien gemäß  Ges.  vom  29.  Dezember  1910 
eine  jährliche  Abgabe  von  6?»  des  Gesellschafts- 
kapitals zu  entrichten,  als  welches  gelten:  1.  das 
eingezahlte  Aktienkapital,  2.  die  Reserven,  3.  der  Be- 
trag außerordentlicher  Abschreibungen.  Diese  Ab- 
gabe wird  von  der  Einkommensteuer  abgerechnet, 
falls  letztere  höher  sein  sollte  als  erstere. 

d)  Grundsteuern  als  Staatssteuern  sind 
auf  Grund  von  Katastern  auch  von  Eisenbahn- 
unternehmungen u.a.  zu  entrichten  in  Bayern, 
Belgien,  Elsaß-Lothringen,  Frankreich, 
Italien,  Japan,  Luxemburg,  Österreich, 
Ungarn,  Sachsen  (mit  gewissen  Einschrän- 
kungen) und  Württemberg. 

Der  Grundsteuer  unterliegen,  soweit  nicht 
Ausnahmen  platzgreifen,  auch  die  eigentlichen 
Eisenbahngrundstücke,  deren  Katastralsteuerwert 
nach  verschiedenen  Methoden  ermittelt  wird,  so 
z.  B.  in  Bayern  mit  einem  den  Hauptkulturarten 
„assimilierten"  Betrag,  in  Frankreich  und  Elsaß- 
Lothringen  wie  für  Ackerland  erster  Klasse,  in 
Italien  und  Österreich  durch  „Parifikation"  mit 
den  angrenzenden  Grundflächen. 

Der  Steuerfuß  beträgt  im  Verhältnis  zum  Kata- 
stralreinertrag  in  Belgien  l«a  (Ges.  vom  S.Juli  1871), 
Elsaß-Lothringen,  wo  auch  die  Reichseisenbahnen 
grundsteuerpflichtig  sind,  3'5';ö  (Ges.  vom  13.  Juli 
1901),  Frankreich  (Ges.  vom  29.  März  1914)  ab  1.  Ja- 
nuar 1915  4%  von  Vi  jenes  Ertrags,  in  Italien  Ifo 
(Ges.  vom  1.  März  1886)  mehr  einem  Kriegszehntel 
(Ges.  vom  10.  Juli  1887)  und  wiederholten  sog. 
Erdbebenzuschlägen,  in  Japan  5'5<!'„,  in  Österreich 
21'1 ",'(,  (Ges.  vom  7.  Juni  1881),  später  ermäßigt  auf 
19-3  ?„  (Ges.  vom  23.  Januar  1914),  in  Sachsen  4  Pf. 
von  jeder  sog.  „Steuereinheit",  in  Ungarn  frülier 
25-5"<,,  seit  Ges.-Art.  V-1889  nur  noch  20"„. 

Als  Staatssteuer  wird  die  Grundsteuer  nicht 
erhoben  in  Bayern  und  Württemberg  von 
den  Staatseisenbahnen  (doch  werden  in  Bayern 
die  sog.  „Steuerverhältniszahlen"  auch  für  diese 
Bahnen  im  Kataster  vorgetragen). 

e)  Von  der  Gebäude-  (Häuser-)  Steuer 
werden  im  allgemeinen  auch  die  Eisenbahn- 
gebäude, insbesondere  auch  in  den  unter  d 
genannten  Staaten  getroffen. 

Diese  Steuer  wird  vorwiegend  als  propor- 
tioneile Abgabe  von  dem  nach  verschiedenen 
Vorgangsweisen  ermittelten  Gebäudemietwert 
(„Hauszinssteuer")  oder  unter  gewissen  Voraus- 
setzungen bei  einigen  Gebäuden  auch  nach 
abgestuften  festen  Sätzen  („Klassensteuer"  in 
Österreich,  Preußen,  Ungarn)  erhoben. 

Der  Steuersatz  beträgt  in  ersterem  Fall  :  in 
Bayern  2^„  der  „Haussteuerverhältniszahl",  in  Japan 
2'5';a  des  Katasterwertes,  in  Österreich  je  nach 
dem  Ort,  in  welchem  das  Gebäude  liegt,  26' '3°/» 
bzw.  20"«)  oder  I5"o  des  nach  Abzug  einer  bestimmten 


188 


Steuerrecht  der  Eisenbahnen. 


Quote  {\b"i„  bzvr.  20  und  SO';,,)  für  Erlialtungs-  und 
Amortisationskosten  ermittelten  „steuerbaren  Zins- 
ertrags", in  Ungarn  nach  der  Einwohnerzahl  des 
betreffenden  Ortes  von  16  über  14  und  11  auf 
9«;»  sinkend,  in  Italien  \2'5"„  mehr  3  Kriegszu- 
schlagsdezimen, zusammen  \&2b%,  in  Elsaß- 
Lothringen  3'5%  des  Nutzungswertes  des  Gebäudes, 
bzw.  l-Q"»  des  gleichen  Wertes  bei  Dienstwohnungen 
in  steuerfreien  Gebäuden. 

In  Frankreich,  wo  bei  Ermittlung  des  Miet- 
viertes  auch  das  unbewegliche  Zubehör  der  Gebäude 
(so  z.  B.  Maschinen  in  einem  Eisenbahnwerkstätten- 
gebäude) mit  in  Anschlag  gebracht  wird,  betrug  der 
Steuersatz  3-2  "„  jenes  Wertes  (Ges.  vom  8.  August 
1890),  von  dem  ein  Abzug  von  25"«  bei  „maisons" 
und  40''o  bei  „usines"  zulässig  ist.  Als  erstere  gelten 
beispielsweise  die  für  den  I^assagier-  und  Güterdienst 
bestimmten  Gebäude,  als  letztere  Lokomotivremisen 
und  Werkstätten.  Der  Steuersatz  wcirde  unter  Auf- 
rechterhaltung der  erwähnten  .Abzüge  durch  Ges.  vom 
29.  März  1914  ab  1.  Januar  1915  auf  A'o  erhöht. 
Lagerplätze  u.  dgl.  der  Eisenbahnen  sind  gebäude- 
steuerpflichtig (Ges.  vom  29.  Dezember  1884). 

Der  Hauskiassensteuer  unterliegen  u.  a.  in 
Österreich  und  Ungarn  die  Bahnwächterhäuser 
außerhalb  der  „zinssteuerpflichtigen"  Ort- 
schaften. 

Im  Zusammenhang  mit  der  Gebäudesteuer 
sei  der  noch  in  Frankreich  und  Belgien 
bestehenden,  auch  die  Eisenbahngebäude  treffen- 
den, in  Elsaß-Lothringen  durch  Ges.  vom  14.  Juli 
1895  aufgehobenen  Tür-  und  Fenstersteuer 
gedacht. 

In  Österreich  werden  die  zu  den  Staats- 
eisenbahnen gehörigen  Bahnbetriebs-  und 
Wohngebäude  von  der  Gebäudesteuer  ausge- 
nommen, soweit  sie  nicht  etwa  einen  Ertrag 
durch  Vermietung,  z.  B.  von  Restaurations- 
räumen u.  s.  w.  gewähren. 

In  Ungarn  sind  gemäß  Ges.-Art.  VI-IQ09 
die  Betriebsgebäude  aller  Eisenbahnen  von 
der  Haussteuer  dauernd  befreit.  Dieser  Steuer 
unterliegen  jedoch  bei  Privateisenbahnen 
alle  bewohnten  Teile  und  die  sog.  „offenen  Loka- 
litäten" (Gastzimmer,  Restaurationsräumeu.s.w.) 
und  die  bewohnten  Wächterhäuser.  Die  den 
Staatsbahnangestellten  gebotenen  Naturalwoh- 
nungen  sind  immer  steuerfrei.  Die  gedachten 
Steuerfreiheiten  erstrecken  sich  auch  auf  sämt- 
liche die  direkten  Steuern  belastenden  Zuschläge. 

In  Württemberg  und  Bavern  (hier  mit 
einem  ähnlichen  Vorgang  wie  bei  der  Grund- 
steuer) sind  die  Staatseisenbahnen  auch  ge- 
bäudesteuerfrei. 

/)  Gewerbe-(Erwerb-)Steuern. 
1.  Eine  besondere  Art  dieser  Steuern  bildet 
die  in  Österreich  und  in  Ungarn  bestehende 
„Erwerbsteuer  der  der  öffentlichen 
Rechnungslegung  unterworfenen  Unter- 
nehmungen" (Österr.  Ges.  vom  25.  Oktober 
1896,  II.  Hauptstück;  Ungar.  Ges.  vom  14.  Mai 
1875,  Ges.-Art.  XXIV-1875). 


Dieser  Steuer  sind  in  jedem  der  genannten 
Staaten  u.  a.  auch  Eisenbahnunternehmungen 
unterworfen,  u.  zw.  in  Österreich  einschließlich 
jener  des  Staates,  während  in  Ungarn  die  vom 
Ärar  verwalteten  Staatseisenbahnen  von  dieser 
Steuer  ausgenommen  sind. 

Ais  Bemessungsgrundlage  dient  in  Öster- 
reich der  in  dem  letzten,  dem  Steuerjahr 
vorangegangenen  Geschäftsjahr  erzielte  Rein- 
gewinn, für  dessen  Ermittlung  das  Gesetz  ein- 
gehende Regeln  aufstellt.  In  Ungarn  wird  von 
den  Bruttoerträgnissen  der  3  letzten,  dem 
Steuerjahr  vorangegangenen  Jahre  (allenfalls  der 
abgelaufenen  kürzeren  Betriebsperiode)  aus- 
gegangen und  ist  durch  das  Gesetz  im  einzelnen 
bestimmt,  welche  Auslagen  von  jenem  Erträg- 
nis  als   steuerfrei  abgerechnet  werden  dürfen. 

In  beiden  Staaten  werden  die  durch  die 
Grund-  und  Gebäudesteuern  getroffenen  Rea- 
litätenerträgnisse von  der  «besonderen  Erwerb- 
steuer" freigelassen,  und  beträgt  der  Steuersatz 
in    der  Regel  lO*,,  des    sonstigen  Reinertrags. 

Die  Steuer  erhöht  sich  in  Österreich  noch 
um  die  sog.  Dividendenzusatzsteuer  für 
jene  Aktiengesellschaften,  die  für  das  der  Be- 
steuerung zu  gründe  gelegte  Geschäftsjahr  an 
Dividende  mehr  als  10"«  des  eingezahlten 
Aktienkapitals  verteilt  haben.  Diese  Zusatz- 
steuer beträgt  von  dem  zur  Verteilung  ge- 
langenden Betrag,  der  für  das  11.  bis 
15.  Prozent  der  Dividende  erforderlich  ist, 
2  %  und  von  den  darüber  hinaus  zur  Ver- 
teilung gelangenden  Beträgen  4  % .  Anderseits 
darf  in  Österreich  die  Steuer  nicht  weniger 
betragen  als  1  %  des  gesamten  investierten 
Anlagekapitals  und  ist  diese  sog.  „Mini mal- 
steuer" sohin  auch  dann  zu  entrichten,  wenn 
ein  Reinertrag  überhaupt  nicht  erzielt  wurde, 
in  welchem  Fall  sie  den  Charakter  einer  Ver- 
mögenssteuer an  sich  trägt.  Zu  der  sog.  be- 
sonderen Erwerbsteuer  ist  in  Osterreich 
durch  während  des  Krieges  erlassene  kaiser- 
liche Verordnungen  ein  Zuschlag  von  20<'(, 
und  ein  „Rentabilitätszuschlag",  der  nach  dem 
Verhältnis  des  Reinertrags  zum  investierten 
Kapital  stufenweise  steigt  und  bei  einer  Renta- 
bilität von  \4%  einen  Zuschlag  von  SO^o  zur 
ordentlichen  Steuer  erreicht,  getreten. 

2.  \'on  den  Staaten,  die  eine  allgemeine,  auch  die 
Eisenbahnunternehmungen  treffende  Gewerbe- 
steuer einheben,  wären  zu  erwähnen: 

Bayern  (Ges.  vom  14.  .August  1910),  wo  sich  die 
Gewerbesteuer  aus  einer  Betriebskapitalsanlage  und 
einer  Ertragsanlage  zusammensetzt.  Als  Betriebs- 
kapital (Betriebskapital  im  engeren  Sinne  und  Anlage- 
kapital umfassend)  werden  sämtliche  dem  Gewerbe- 
betrieb gewidmeten  Gegenstände  mit  Ausnahme 
jener,  die  der  Grund-  oder  Haussteuer  unterliegen, 
angesehen.  Den  Maßstab  für  die  Ertragsanlage  bildet 


Steuerrecht  der  Eisenbahnen. 


189 


der  Reinertrag.  Für  jede  der  beiden  Anlagen  besteht 
ein  in  Stufen  nach  der  Höhe  des  Betriebskapitals 
bzw.  des  Reinertrags  steigender  Steuertarif.  Die  vom 
Staat  betriebenen  Verkehrsanstalten  werden  nur  für 
die   Umlagenpflicht   „vormerkungsweise"   veranlagt. 

Elsaß-Lothr  i  ngen  belegt  unter  Befreiung  der 
von  diesen  Reichslanden  selbst  und  vom  Deutschen 
Reich  betriebenen  Eisenbahnen  die  Eisenbahnaktien- 
gesellschaften mit  einer  Gewerbesteuer  nach  Maßgabe 
der  ..Ertragsfähigkeit".  Diese  bemißt  sich  nach  der 
Ziffer,  die  unter  normalen  Verhältnissen  und  bei  nor- 
malem Betrieb  nach  Abzug  der  Betriebskosten  als 
durchschnittlich  verbleibender  Jahresertrag  ange- 
nommen werden  kann.  Die  Steuer  beträgt  von  20.000  M. 
«Ertragsfähigkeit"  aufwärts  l-Q"^  und  wird  nach 
Maßgabe  eines  Tarifs  erhoben,  der  bei  einer 
„Ertragsfähigkeit"  unter  20.000  M.  stufenweise  fal- 
lende Steuersätze  ergibt.  Von  den  Gewerbesteuern 
\x-erden  (nach  dem  in  diesem  Belang  beibehaltenen 
französischen  Vorgang)  8%  den  Gemeinden  über- 
lassen. Zur  Deckung  von  Steuerausfällen  u.  s.  w.  wird 
ein  Zuschlag  von  b'n  des  Steueransatzes  zu  gunsten 
der  Landeskassa  eingehoben. 

In  Frankreich  besteht  als  Gewerbesteuer  die  in 
ihren  Anfängen  auf  das  Jahr  1791  zurückreichende, 
durch  Ges.  vom  15.  Juli  1880  neu  geregelte  Patent- 
steuer („contribution  des  patentes"),  die  nach  sog. 
„äul3eren  Merkmalen"  veranlagt  wird  und  sich  aus 
einem  festen  Satz  und  einer  Proportionalabgabe  zu- 
sammensetzt. 

Die  »Konzessionäre  oder  Unternehmer  von  Eisen- 
bahnen" unterliegen  beiden  Steuerformen. 

Der  feste  Steuersatz  beträgt  10  Fr.  für  min- 
destens 2  Stationen  verbindende  Linien  oder  Teil- 
linien mit  2  Gleisen  und  5  Fr.  für  eingleisige 
Linien  oder  Teillinien  f.  d.  km.  Dieser  Abgabensatz 
■wird  um  die  Hälfte  erhöht  für  jede  Strecke,  die  durch 
ein  geschlossenes  Stadtgebiet  von  mehr  als  5000  Ein- 
■wohnern  führt,  soferne  jene  Strecke  mindestens  2 
innerhalb  des  Stadtgebiets  gelegene  Bahnhöfe,  Sta- 
tionen oder  Haltestellen  verbindet. 

Die  Proportionalabgabe  wird  angelegt  nach 
dem  Mietwert  der  dem  Eisenbahnbetrieb  dienenden 
Gebäude  und  beträgt  der  Steuersatz  für  Wohn- 
gebäude '/jo,  für  die  übrigen  Lokalitäten  '/50  jenes 
Wertes. 

Von  der  Patentsteuer  fließen  8%  an  die  Ge- 
meinden, in  denen  sich  Betriebsgebäude  befinden. 

Japan  belastet  mit  einer  „Oeschäftssteuer"  ge- 
nannten Gewerbesteuer  die  Eisenbahnunternehmungen 
in  der  Weise,  daß  diese  jährlich  25?»  des  Betrags 
der  Einnahmen  und  außerdem  für  jeden  Angestellten 
2  Yen  (ä  K  2-32)  zu  zahlen  haben.  Für  Angestellte 
unter  15  Jahren  wird  nur  die  Hälfte  des  letzteren 
Satzes  berechnet. 

In  Württemberg  haben  die  Privateisenbahnen 
die  Gewerbesteuer  auf  Grund  eines  Katasters  zu  ent- 
richten, in  den  das  sog.  „Steuerkapital"  eingetragen 
wird.  Hierbei  wird  der  Ertrag  des  Betriebskapitals, 
zu  dem  auch  der  im  Schienenkörper  angelegte  Wert 
zu  rechnen  ist,  mitberücksichtigt.  Der  Betrag  der  zu 
entrichtenden  Steuer  wird  für  jede  Etatsperiode  durch 
das  Finanzgesetz  bestimmt.  Die  vom  Staat  betrie- 
benen Eisenbahnen  bleiben  von  dieser  Steuer  frei. 

g)  Kapitalrentensteuern. 

Bayern  (Ges.  vom  14.  August  1910)  unter- 
wirft dieser  Steuer  auch  die  Erträge  der  Privat- 
(nicht  aber  der  Staats-)  Eisenbahnen  aus  Ka- 
pitalvermögen, jedoch  mit  Ausschluß  der  im 
Gewerbebetrieb  insbesondere  aus  dem  gewerb- 


Hchen  Betriebskapital  anfallenden  derartigen 
Erträge,  ferner  die  Dividenden  beim  Aktionär, 
Steuersatz  progressiv  von   1  %    bis  2  % . 

Ähnlich  Elsaß-Lothringen  (Ges.  vom 
13.  Juli  1901).  Steuersatz  3-5%  nach  einem 
analog  wie  für  die  Gewerbesteuer  eingerichteten 
Tarif,  der  erst  von  der  Ertragsstufe  von  4000 
bis  5000  M.  an  den  Kapitalsertrag  voll  erfaßt. 

In  Österreich  unterliegen  weder  dieAktien- 
gesellschaften  noch  die  Aktionäre  der  dort 
bestehenden  Rentensteuer. 

In  Ungarn  dagegen  (Ges.-ArL  XXII  u.  XXIV- 
1S75  u.  VII-I883)  haben  die  Eisenbahnaktien- 
gesellschaften die  „Kapitalzinsen-  und  Renten- 
steuer" mit  dem  Satz  von  10%  von  gewissen 
Kapitalerträgnissen,  die  dafür  von  der  besonderen 
Erwerbsteuer  frei  bleiben,  zu  tragen,  so  z.  B.  von 
den  im  In-  oder  Ausland  bei  Geldinstituten,  die 
sich  mit  Kreditgeschäften  befassen,  im  Konto- 
korrent angelegten  Kapitalien.  Die  genannte 
Steuer  ist  seitens  der  Gesellschaften  auch  von  den 
Zinsen  der  von  ihnen  ausgegebenen  Prioritäts- 
obligationen oder  gegen  hypothekarische  Sicher- 
stellung aufgenommenen  Kapitalien  für  Rech- 
nung der  Zinsenempfänger  im  Abzugsweg  zu 
berichtigen. 

In  Frankreich  bildet  die  als  „Taxe  sur  le  revenu 
des  valeurs  mobilieres"  durch  Ges.  vom  20.  Juni  1872 
eingeführte  und  als  „Impöt  sur  le  revenu  des  capi- 
taux  mobilieres"  durch  Ges.  vom  29.  März  1914  neu- 
geregelte und  zugleich  erweiterte,  partielle  Kapital- 
rentensteuer eine  der  wichtigsten  Steuerformen,  unter 
denen  der  Ertrag  der  Aktiengesellschaften  zur  Be- 
steuerung herangezogen  wird.  Dieser  Steuer  unter- 
liegen die  Zinsen,  Dividenden,  Einkünfte  und 
Erträge  jeder  Art  von  Aktien,  Obligationen  und 
Anlehen  der  Aktiengesellschaften  welche  verpflichtet 
sind,  die  Steuer  mit  dem  Satz  von  i';,,  vorbe- 
haltlich des  (in  der  Regel  nicht  ausgeübten)  Regresses 
gegen  die  Bezugsberechtigten  zu  berichtigen.  Nicht 
verteilte  bzw.  als  Zinsen  verwendete  Erträge,  also 
auch  alle  Reservierungen  bleiben  von  der  Steuer  frei. 
Soweit  der  französische  Staat  für  Eisenbahnbauten 
Kapitalien  benötigte,  wurden  sie  früher  im  Wege 
steuerfreier  Staatsrente  aufgebracht.  Dagegen 
sind  gemäß  Art.  44  des  Ges.  vom  13.  Juli  1911  die 
ausschließlich  für  Zwecke  des  Staatseisenbahnnetzes 
vom  Staat  ausgegebenen  Obligationen  denselben 
Abgaben  unterworfen  wie  jene  der  Aktiengesell- 
schaften wie  denn  überhaupt  in  Frankreich  die  Staats- 
eisenbahnen (mit  Ausnahme  desQebührenäquivalents) 
ebenso  besteuert  werden  wie  die  Privatbahnen. 

Ähnlich  wie  in  Frankreich  werden  auch  in  Ruß- 
land die  Einnahmen  der  Aktiengesellschaften  (hier 
jedoch  unter  Freilassung  derselben  von  der  für  andere 
Aktiengesellschaften  bestehenden  Gewerbesteuer) 
durch  Besteuerung  der  Aktien  und  Obligationen  erfaßt 
(Kapitalrentensteuergesetz  vom  20.  Mai/1.  Juni  1885 
und  Spezialgesetz  vom  12. '24.  Januar  1887  bzw.  Ukas 
vom  24.  Mai;4.  Juni  1894).  Der  Steuersatz  beträgt  für 
Obligationszinsen  und  für  die  vom  Staat  garantierten 
Aktienerträge  5^o,  von  dem  nicht  garantierten  Ertrag 
und  von  Superdividenden  3?i.  Die  Zahlung  der 
Steuer  erfolgt  durch  die  Gesellschaften  im  Abzugs- 
weg (Kuponsteuer).  Von  dieser  Steuer  wurden  durch 
das  zweite  der  bezogenen  Gesetze   die  Erträge   der 


190 


Steuerrecht  der  Eisenbahnen. 


Aktien  der  Eisenbahngesellschafteii :  Warschau- 
Bromberg,  Warschau-Therespol,  Warschau-Wien, 
Dünaburg-Witebsk,  Kursk-Kiew-Lodz,  Orel-Witebsk, 
Tambow-Koxlow,  wie  aucii  die  große  russische  Eisen- 
bahngesellschaft  für  die  Linien  Petersburg-Warschau 
und  Nishnv-Nowgorod  befreit. 

In  Spanien  (Ges.  vom  27.  .März  1900)  unterliegen 
die  Dividenden  der  Eisenbahnkompagnien  einer 
Steuer  mit  dem  Satz  von  3"«  und  die  Amortisations- 
prämien der  Eisenbahnobligationen  einer  solchen 
von  4",'e. 

h)  Stempelabgaben  als  Besteuerungs- 
form der  Aktien  und  Obligationen  der 
Eisenbahnaktiengesellschaften. 
Der  sog.  „ Emissionsstempel "  wird,  soweit 
es  Aktien  betrifft,  vielfach  als  „Gebühr  vom 
Gesellschaftsvertrag"  eingehoben.  Ausländische 
Titres  werden  in  einzelnen  Staaten  höher  be- 
steuert als  die  einheimischen,  worauf  nicht 
näher  eingegangen  werden  kann. 

Das  Deutsche  Reich  {Reichsstempelgesetz 
vom  3.  Juli  1913)  belegt  unter  Ausschluß 
einer  abgesonderten  Besteuerung  durch  die 
Bundesstaaten  die  Beurkundung  von  Gesell- 
schaftsverträgen über  die  Errichtung  von  Aktien- 
gesellschaften mit  dem  Steuersatz  von  4-5  <>;o 
des  Grundkapitals  (bzw.  dem  Betrag  einer  Er- 
höhung desselben)  zuzüglich  des  allenfalls  den 
Nennwert  übersteigenden  Emissionskurses. 

Befreit  sind  deutsche  Gesellschaften,  die 
die  Herstellung  oder  den  Betrieb  von  deutschen 
Eisenbahnen  unter  Beteiligung  oder  Zinsbürg- 
schaft des  Reiches,  der  Bundesstaaten,  der 
Provinzen,  Gemeinden  oder  Kreise  zum  Gegen- 
stand haben. 

Die  inländischen,  für  den  Handelsverkehr 
bestimmten  Renten-  und  Schuldverschreibungen 
unterliegen  im  allgemeinen  dem  Steuersatz 
von  2%  (in  Abstufungen  von  40  Pf.  für  je 
20  M.),  jedoch  inländische,  auf  den  Inhaber 
lautende  und  mit  staatlicher  Genehmigung  aus- 
gegebene derartige  Titres  der  Eisenbahngesell- 
schaften nur  dem  Satz  von  S»»»  (in  Abstu- 
fungen von  5  Pf.  für  je  100  M.). 

Für  Zinsbogen  dieser  Titres  (mit  Ausnahme 
der  bei  der  ersten  Ausgabe  der  Titres  zugleich  mit 
ihnen  in  Verkehr  gesetzten,  soweit  die  Bogen  nicht 
für  einen  längeren  Zeitraum  als  für  10  Jahre  aus- 
gegeben werden)  beträgt  der  Steuersatz  2'''«>  (sonst 
5^);  für  Gewinn  an  teil  seh  einbogen  inländischer 
Aktien  1  "i  für  einen  10jährigen  Zeitraum  („Talon- 
steuer") unter  Befreiung  der  Eisenbahngesellschaften 
beim  Zutreffen  der  für  deren  Befreiung  von  der  Gesell- 
schaftsvertragsgebühr angeordneten  Voraussetzungen. 
Zinsbogen  von  Renten-  und  Schuldverschreibungen 
des  Reiches  und  der  Bundesstaaten  sind  slempelfrei. 
Die  in  den  einzelnen  Bundesstaaten  für  die  Ein- 
bringung von  Grundstücken  in  eine  Eisenbahn- 
aktiengesellschaft bestehenden  Gebühren  blieben 
durch   das  Reichsstempelgesetz  unberührt. 

In  Österreich  unterliegen  nach  Tarif post 
55  des  Ges.  vom  13.  Dezember  1862  Gesell- 
schaftsverträge   der    Aktiengesellschaften,    die 


auf  länger  als  10  Jahre  abgeschlossen  werden, 
der  Gebühr  nach  Stempelskala  111  (72?«  rn't 
25 »ii  Zuschlag),  sonst  nach  Skala  11  (^|^<'„  nebst 
25%  Zuschlag)  von  der  bedungenen  Ver- 
mögenseinlage. Die  Gebühr  ist  vor  Hinaus- 
gabe der  Aktien  unmittelbar  zu  entrichten. 
Für  die  etwa  in  die  Gesellschaft  eingebrachten 
Immobilien  ist  vom  Bruttowert  eine  Prozentual- 
gebühr zu  entrichten. 

Durch  Ges.  vom  1  O.Juli  1865  wurde  den  Ak- 
tiengesellschaften die  Erleichterung  gewährt,  daß 
ihnen,wenn  sie  Aktien  auf  Namen  ausstellen,  die 
davon  entfallende  Gebühr  ohne  Rücksicht  auf 
die  Dauer  des  Gesellschaftsvertrags  bloß  nach 
Skala  II  bemessen  wird.  Durch  die  kaiserliche 
Verordnung  vom  28.  August  1 9 1 6,  RGB.  Nr.  28 1 , 
wurde  für  alle  Fälle  die  Entrichtung  der  Gebühr 
nach  Skala  III,  die  überdies  eine  Erhöhung 
erfuhr,  angeordnet. 

DieObligationen  (Teilschuldverschreibungen) 
der  Ak-tiengesellschaft  unterliegen  gemäß  Tarif- 
post 36  des  bezogenen  Gesetzes  nach  ihremWert, 
falls  sie  auf  den  Überbringer  lauten,  dem  Stempel 
nach  Skala  III,  sonst  nach  Skala  II.  Erstere 
Gebühr  wird  auf  jene  nach  Skala  II  ermäßigt, 
wenn  die  auf  den  Überbringer  ausgestellten 
Schuldverschreibungen  auf  eine  bestimmte, 
jedoch  nicht  längere  Zeit  als  10  Jahre  lauten. 
Ähnliche  Bestimmungen  bestehen  auch  in 
Ungarn  (Ges.  Art.  XVI- 1 869). 

Frankreich  besteuert  die  Aktien  und  Obligationen 
der  Eisenbahnaktiengesellschaften  (neben  der  Kapital- 
rentensteuer) noch  mit  dem  als  Emissionsstempel  an- 
zusprechenden „droitdetimbre"  (Ges. vom  S.Juni  1S50 
u  23.  August  1871)  und  mit  der  Umsatzsteuer  „droit  de 
transmission"  (Ges.  vom  23.  Juni  1857  mit  Nachträgen). 
Durch  Ges.  vom  29.  März  1914  wurde 
mit  Wirkung  vom  1.  Juni  1914  an  eine  nicht 
unbedeutende  Erhöhung  dieser  beiden  Abgaben 

vorgenommen. 

In  England  zahlen  die  Eisenbahnaktiengesell- 
schaften bei  ihrer  Errichtung  5  sh.  für  100  I  (0-25  »») 
des  Aktienkapitals  und  bei  der  Ausgabe  von  Obli- 
gationen 2sh.  6d  für  100  i'  (0-125  ?<.),  ferner  für 
den  Besitzwechsel  der  Shares  und  Stocks  bei 
Inhabertitres  1-5"^  und  bei  Namenstitres  Q-ö»<,. 

1 1  a  1  i  e  n  belegt  die  Wertpapiere  auch  der  Eisenbahn- 
aktiengeselischaften  mit  einem  Emissionsstempel  und 
mit  einer  Abgabe  vom  Umlauf  dieser  Titres. 

Der  Emissionsstempel  wird  als  Gradualabgabe 
erhoben  und  steigt  von  10  Centesimi  bei  100  Lire 
Nennwert  auf  1  Lira  von  1000-2000  Lire  u.  s.  w. 
um  je  1  Lira  mehr  für  je  1000  Lire.  Es  sind 
ferner  vom  Umlauf  jährlich  zu  entrichten  hin- 
sichtlich der  3 "„igen  Eisenbahnobligationen  (Ges. 
vom  27.  April  1885)  und  hinsichtlich  der  Obligationen 
der  vor  dem  12.  Juli  1888  konzessionierten  Gesell- 
schaften l-20°;,<,,  dann  hinsichtlich  der  sonstigen 
Eisenbahnobligationen  und  der  Aktien,  wenn  sie 
auf  den  Inhaber  lauten,  2-40?«  und  wenn  sie  auf 
Namen  lauten,  LSO»«. 

Von  den  Börsengeschäften  mit  Eisen- 
bahnt itres   bzw.  dem   handelsmäßigen    Um- 


steuerrecht  der  Eisenbahnen. 


191 


satz  derselben  sind  gleichfalls  Stempelsteuern 
zu  entrichten. 

Deren  Höhe  beträgt:  im  Deutschen  Reich  bei 
Kauf-  und  sonstigen  Anschaffungsgeschäften  von 
Aktien  ^  ,„,  von  Obligationen  ^/,o»»  (Tarif  Nr.  4  des 
Reichsstempelgesetzes  vom  Jahre  1913);  in  Frank- 
reich seit  Ges.  vom  15.  luli  1914  bei  börsenmäßigen 
Zeit-  und  Kassageschäften  15  Ct.,  bei  Reportge- 
schäften 375  Ct.  für  je  1000  f^r.  ohne  Bruchteil; 
in  Italien  1  Lira  für  Kassa-  und  4  Lire  für 
Zeitgeschäfte,  welche  Sätze  sich  auf  die  Hälfte  er- 
mäßigen, falls  das  Geschäft  durch  Mäkler  abge- 
schlossen wird;  in  Großbritannien  ist  die  Schluß- 
notensteuer nach  einer  Skala  zu  entrichten,  die  von 
6  d  für  umgesetzte  100  £  auf  1  £  für  umgesetzte 
mehr  als  20.000  i.'  steigt;  in  Österreich  (Ges.  vom 
9.  März  1897)  ist  die  sog.  „Effektenumsatzsteuer" 
auch  bei  außerbörslichem  Umsatz  durch  Handels- 
mäkler und  Effektenhändler  mit  der  festen  Gebühr 
von  1  K  für  jeden  einfachen  „Schluß''  (10.000  K 
bzw.  25  Stück)  in  Geschäften  mit  Dividendenpapieren 
(Aktien)  und  Teilschuldverschreibungen  (mit  gewissen 
Ermäßigungen  bei  geringeren  Umsätzen  und  Frei- 
lassung der  Staatspapiere)  zu  entrichten.  (Gebühren- 
sätze während  des  Krieges  erhöht.) 

/^ Das  Qebührenäquivalent, auch  „Abgabe 
der  toten  Hand "  genannt,  wird  in  manchen  Staaten 
als  Ersatz  der  beim  Ableben  natürlicher  Personen 
piatzgreifenden  Obertragungsgebühren  u.  a. 
auch  von  den  Eisenbahnaktiengesellschaften  in 
Form    einer  periodischen  Abgabe  eingehoben. 

So  in  Österreich  (Ges.  vom  13.  Dezember 
1862  und  29.  Februar  1S64)  mit  dem  Satz 
von  1-5%  nebst  25%  Zuschlag  für  je  10  Jahre 
(und  ähnlich  in  Ungarn,  Ges.-Art. XXVI- 1881 
mit  dem  Satz  von  ^1-^^%)  vom  Wert  des  un- 
beweglichen Vermögens,  in  Elsaß-Lothringen 
für  Gebäude  nebst  Zubehör  mit  39%  des 
Prinzipalbetrags  der  Gebäudesteuer  und  für 
der  Grundsteuer  unterliegende  Güter  mit 
S9-5%    des  Prinzipaibetrags  der  Grundsteuer. 

In  Frankreich  wird  entsprechend  der  Theorie, 
daß  die  „Eisenbahnen"  nebst  Zubehör  öffentliches 
Gut  („propriete  publique"  t  bilden,  das  Gebührenäqui- 
valent von  den  Gesellschaften  nur  insoweit  angefordert, 
als  sie  im  Privateigentum  von  nicht  zur  „Eisenbahn" 
zu  rechnenden  Liegenschaften  stehen.  Die  „taxe  des 
biens  de  niain  morte"  beträgt  einschließlich  der  Zu- 
schläge dermal  140-625  ?u  der  Gebäude-  und  87'5?i 
der  Grundsteuer. 

In  England  wird  das  Gebührenäquivalent  als 
„Corporation  duty"  (Act  48  and  49  Vict.  c  51)  mit 
5?o  vom  Nettoeinkommen  des  beweglichen  und  un- 
beweglichen Vermögens  (on  net  annual  value,  in- 
come  er  profits  accrued  in  respect  of  all  real  or 
personal  property)  eingehoben. 

Bayern  und  Span  ien  lassen  die  Eisenbahnaktien- 
gesellschaften  von  dieser  Abgabe  ausdrücklich  frei. 

k)  Als  Besteuerungsform  der  Eisenbahn- 
unternehmungen sind  auch  die  Aufsichts- 
gebühren zu  erwähnen,  die  sie  in  mehreren 
Staaten,  so  in  Frankreich,  Italien,  Öster- 
reich (§  89  der  EBO.  vom  16.  November 
1851),  Rußland,  Ungarn  u.  s.w.  zu  ent- 
richten haben,  ferner 


l)  die  Gewinnbeteiligung  des  Staates 
an  den  Erträgnissen  der  Privatbahnen,  die 
eintritt,  wenn  diese  Erträgnisse  einen  meist 
zur  Verzinsung  des  Anlagekapitals  in  Ver- 
hältnis gestellten  Betrag  überschreiten.  Sie  ist 
in  Österreich  seit  der  Verstaatlichung  der 
großen  Eisenbahnen  ohne  Bedeutung.  (Sie  be- 
steht u.  a.  noch  bei  der  Aussig-Teplitzer-  und 
bei  der  Leoben-Vordernberger  Eisenbahn.) 

In  Frankreich  beginnt  die  Gewinnbeteiligung 
des  Staates,  wenn  die  Dividende  gestiegen  ist,  bei 
der  Paris-Orleans-Bahn  auf  14-4';o,  der  Paris-Lyon- 
Mittelmeer-Bahn  auf  IS"«,  bei  der  Nordbahn  auf 
22-125»i,  der  Südbahn  auf  \b"o  und  der  Ostbahn 
auf  lO'ji.  des  Anlagekapitals,  und  sie  besteht  in 
Vj  der  weiteren  Reineinnahmen. 

Für  Italien  wurde  durch  Art.  255  des  Ges.  über 
die  öffentlichen  Arbeiten  und  die  Konventionen  vom. 
Jahre  1885  bestimmt,  daß  der  Regierung  das  Recht 
der  Gewinnbeteiligung  zustehen  solle,  wenn  der 
jährliche  Nettoertrag  der  Eisenbahn  im  Durchschnitt 
der  letzten  5  Jahre  10?i>  des  Anlagekapitals  übersteigt. 

Durch  Art.  11  des  Ges.  vom  !6.  Juli  1907  wurde 
dem  Staat  eine  doppelte  Gewinnbeteiligung  gesichert: 
einerseits  an  den  Nettoerträgnissen  mit  nicht 
weniger  als  der  Hälfte  des  Überschusses  über  die 
gesetzlichen  Handelszinsen  vom  Aktienkapital  (bzw. 
Anlagekapital,  wenn  der  Unternehmer  keine  Aktien- 
gesellschaft ist),  anderseits  an  den  Roh  einnahmen, 
sobald  der  Durchschnitt  dieser  Einnahmen  im  letzten 
Quadriennium  den  in  der  Konzessionsurkunde  fest- 
gesetzten Kilometerbruttoertrag  erreicht  hat. 

In  den  Niederlanden  wurde  durch  die  Verträge 
vom  21.  Januar  1890  zwischen  der  Regierung  und 
der  Gesellschaft  zum  Betrieb  der  Staatseisenbahnen 
(S.  S.  genannt)  sowie  der  Holländischen  Eisenbahn- 
gesellschaft (H.  S.  M.)  vereinbart,  daß  wenn  der 
Reingewinn  der  Gesellschaften  4"«  des  noch  nicht 
getilgten  Gesellschaftskapitals  übersteigt,  der  Über- 
schuß zwischen  dem  Staat  und  den  Gesellschaften 
zur  Hälfte  geteilt  ^x'ird.  Sind  die  Einnahmen  noch 
größer,  so  erhält  derStaat  hiervon  V;,  die  Gesellschaft  ^i-,. 

In  R  u  ß  1  a  n  d  wurde  in  den  Statuten  der  Eisenbahn- 
gesellschaften und  in  den  Nachträgen  zu  diesen  eine  Ge- 
winnbeteiligung des  Staates  in  verschiedenem  Umfang 
vorgesehen,  bei  Nebenbahnen  oft  auch  eine  bestimmte 
Summe  f.  d.  Betriebswerst  für  den  Staat  angefordert 
und  noch  in  neuester  Zeit  in  der  Verordnung  vom 
15./28.  Mai  1912  betreffend  die  Altaibahn  eine 
Gewinnbeteiligung  dahin  gesichert,  daß  von  dem 
Gewinn,  der  nach  Deckung  des  Obligationen- 
dienstes und  nach  Ausschüttung  einer  8%  igen  Di- 
vidende erübrigt,  ^'4  an  den  Staat  fallen  (Näheres 
für  die  Zeit  bis  1908  in  der  „Revue  de  science  et 
de  legislation  financiere"  1908,  S.  573). 

In  der  Türkei  hat,  wenn  die  Betriebseinnahmen 
der  konzessionierten  .  Eisenbahnen  die  vom  Staat 
garantierte  Mindesthöhe  überschreiten,  der  Staat  An- 
spruch auf  einen  für  die  verschiedenen  Gesellschaften 
in  verschiedener  Höhe  (25-60"«)  bestimmten  Anteil 
der  Mehrerträge  (Einzelheiten  im  Arch.  f.  Ebw.  1914, 
S.  1087). 

m)  Als  einer  die  Eisenbahnaktiengesellschaften 
nicht  unmittelbar  belastenden,  jedoch  von  ihnen 
für  Rechnung  der  Bezugsberechtigten  abzufüh- 
rendenSteuerwäreauchnochdersog.„Tantiemen- 
steuer"  oder  „Tantiemenabgabe"  zu  gedenken. 

Im  Deutschen  Reich  unterliegen  die  von  den 
Aktiengesellschaften  obligatorisch  anzufertigenden  be- 


192 


Steuerrecht  der  Eisenbahnen. 


sonderen  Aufstell\ingen  (§  72  u.  Tarif  Nr.g  des  Reichs- 
stempelgesetzes vom  3.Juli  19 13)  über  dieSumme  der  ge- 
samten Vergütungen  (üewinnanteile,  Tantiemen,  Ge- 
hälter, Tagegelder  u.  s.  \v.),  die  den  zur  Überwachung 
der  Geschäftsführung  bestellten  Personen  (Mitgliedern 
des  Aufsichtsrates)  seit  der  letzten  Bilanzaufstellung 
gewährt  wurden,  dem  Steuersatz  von  8"»  der  er- 
\(-ähnten  Summe.  Befreit  sind  Summen  unter  5000  AI. 
Übersteigt  die  Gesamtsumme  der  Vergütungen  diesen 
Betrag,  so  wird  die  Abgabe  nur  insoweit  erhoben, 
als  sie  aus  der  Hälfte  des  5000  M.  übersteigenden 
Betrags  gedeckt  werden  kann. 

In  Österreich  wurde  die  Tantiemenabgabe  durch 
Art.IlIdesQes.vom23.Januar  1914  eingeführt.  Hier  ist 
von  den  Bezügen,  die  die  Mitglieder  des  Vorstandes, 
Aufsichtsrates  und  Vervcaltungsrates  (Generalrat,  Ad- 
ministrationsrat, Kuratorium  u.  dgl.)  von  Aktiengesell- 
schaften und  Konnnanditgesellschaften  auf  Aktien  in 
dieser  Eigenschaft  unter  welcher  Bezeichnung  immer 
empfangen,  vom  Steuerjahr  1914  an  eine  ..Xbgabe  von 
10";,  (seither  auf20'>  erhöht)  zu  entrichten,  die  von 
den  Gesellschaften  bei  Auszahlung  der  Bezüge  den 
Empfängern  für  Rechnung  des  Staatsschatzes  in 
Abzug  zu  bringen  und  an  die  Staatskasse  abzuführen 
ist.  Sind  jedoch  solche  Personen  mit  Dienstvertrag 
als  leitende  Direktoren  mit  festem  Gehalt  angestellt, 
so  unterliegen  die  vertragsmäßigen  Bezüge,  die  ihnen 
in  einer  im  ersten  Absatz  bezeichneten  Eigenschaft 
von  der  Gesellschaft,  in  deren  Diensten  sie  stehen, 
zufließen,  nicht  der  Tantiemenabgabe,  sondern  der 
Besoldungssteucr.  Ist  die  Gesamtsumme  der  von  einer 
Gesellschaft  ausbezahlten  Bezüge  geringer  als  5000  K, 
so  entfällt  die  Entrichtung  dieser  Abgabe.  Die  von 
dieser  Abgabe  getroffenen  Bezüge  unterliegen  nicht 
der  Besoldungssteuer. 

In  Ungarn  fallen  die  Gewinntantiemen  der  Ge- 
sellschaftsdirektoren und  Mitglieder  des  Verwaltungs- 
rates derzeit  noch  unter  die  Erwerbsteuer  der  3.  Klasse 
mit  dem  Steuersatz  von  10",;  (§  16  Ges.-Art.  XXIX- 
1875  u.  §4,  Z.  10,  Ges.-.^rt.  LX-18S0). 

In  Frankreich  unterliegen  gemäß  Ges.  vom 
13.  Juli  1911  die  Reingewinne,  welche  zufolge  statu- 
tarischer Bestimmung  an  die  Mitglieder  des  Ver- 
-waltungsrates  verteilt  werden,  dem  ,.Impöt  sur  le 
revenu"  mit  dem  Satz  von  4%. 

In  Spanien  (Ges.  vom  27.  März  1900)  besteht 
eine  10'>ige  Steuer  von  den  Bezügen  der  Direktoren, 
Gereuten,  Konsulenten  und  Administratoren  der 
Eisenbahngesellschaften. 

B.  Staatsabgaben   gebührenartigen 
Charakters. 

Soweit  es  sich  um  Gebühren  von  beurkunde- 
ten Rechtsgeschäften,  Vermögensübertragungen 
u.  s.  w.  handelt,  unterliegen  in  der  Regel  die 
Eisenbahnunternehmungen  denselben  allge- 
meinen Bestimmungen  wie  andere  Rechts- 
subjekte. Tritt  der  Staat  als  Eisenbahnunter- 
nehmer auf,  steht  ihm  gewöhnlich  Gebühren- 
freiheit zur  Seite.  Schließt  er  in  diesem  Fall 
Rechtsgeschäfte  mit  nicht  befreiten  Personen 
ab,  so  haben  diese  z.B.  in  Österreich  die 
entfallenden  Stempelgebühren  im  vollen  Betrag, 
die  Prozentualgebühren  aber  nur  zur  Hälfte 
zu  entrichten. 

Für  die  Bewilligung  zum  Bau  und  Betrieb 
von  Eisenbahnen  sind  vielfach  besondere 
Konzessionsgebühren  zu  entrichten. 


Hinsichtlich  der  diesfalls  in  den  einzelnen 
deutschen  Staaten  bestehenden  Stempelab- 
gaben, z.B.  Preußen  und  Braunschweig  200 M., 
S.Archiv  für  Finanzwesen  1915,  Bd.  I,  S.  155. 

In  Österreich  ist  gemäß  §208  des  Stempel- 
und  Taxgesetzes  vom  27.  Januar  1840  für  das 
Privilegium  zur  Errichtung  einer  E.  A.  G.  für 
jedes  Jahr  der  ganzen  Dauerzeit  des  Privilegiums 
eine  Taxe  von  30  K  zu  entrichten. 

Frankreich  fordert  von  den  Eisenbahnunter- 
nehmungen eine  Lizenzabgabe  mit  625  Fr.  für  jedes 
Vierteljahr  und  unterliegen  dort  die  Wagen  außerdem 
einer  Kontrollmarke  (.^estampille")  im  Betrag  von 
je  2  Fr. 

In  der  Schweiz  wurde  (neben  der  jährlichen 
sog.  Konzessionsgebühr,  s.  o.  unter  A,  b)  durch 
Ges.  vom  18.  Juni  1914  auch  eine  einmalige  Ge- 
bühr für  Gesuche  um  Erteilung  einer.  Konzession 
für  eine  Eisenbahn  (bzw.  Ausdehnung,  Übertragung, 
Erweiterung  oder  Verlängerung  einer  solchen  Kon- 
zession) zu  gunsten  der  Bundeskasse  eingeführt.  Die 
Gebühr  beträgt  im  Hauptfall  500  Fr.  Grundtaxe 
nebst  einem  Zuschlag  von  50  Fr.  für  jeden  km 
der  Bahnlänge,  in  den  Nebenfällen  weniger.  Die 
Gebühren  werden  zwischen  dem  Bund  und  den 
Kantonen,  deren  Gebiet  durch  die  Bahn  in  Anspruch 
genommen  wird,  geteilt.  Vgl.  wegen  Konzessions- 
gebühr den  Art.  Konzession. 

C.  Sonstige  Abgaben  und   Leistungen. 

An  solchen  verdienen  Erwähnung:  die  Han- 
delskammerbeiträge, z.  B.  in  Frankreich, 
Italien  und  Österreich  (Ges.  vom  29.  Juli  1868), 
die  Pflichtbeiträge  für  die  Sozialver- 
sicherung der  Angestellten  (Arbeiterkran- 
ken-, Unfall-  und  Pensionsversicherung),  die 
in  fast  allen  Staaten  durch  Gesetz  oder  Kon- 
zession geregelten  Kriegsleistungen,  die 
Verpflichtungen  zur  unentgeltlichen  oder  er- 
mäßigten Beförderung  von  Staatsbeamten 
Militär,  Staatsmonopolgut,  der  Post  u.  s.  w. 

Hinsichtlich  der  von  Personenfahrkarten 
und  Frachturkunden  zu  entrichtenden  Stempel- 
gebühren s.  Art.  Fahrkartensteuer,  Frachtbrief- 
stempel   u.  Transportsteuer   der    Eisenbahnen. 

In  Österreich  sind  während  des  Krieges  die 
Fahrkartensteuer  und  die  Frachturkundengebühr  er- 
heblich erhöht  worden,  ebenso  der  Frachturkunden- 
stempel in  Deutschland. 

D.  Gemeindeabgaben. 

Außer  an  den  Staat  haben  die  Eisenbahn- 
unternehinungen  vielfach  auch  an  Gemeinden 
und  andere  Selbstverwaltungskörper  höherer 
Ordnung  (Länder,  Provinzen,  Kreise,  Distrikte 
u.  s.  w.)  Abgaben  zu  entrichten,  und  besteht 
auf  diesem  Gebiet  ein  kaum  übersehbares 
Wirrsal  von  verschiedenen  Einzelbestimmungen. 

Im  allgemeinen  lassen  sich  2  Systeme  unterscheiden. 

Bei  dem  einen  derselben,  dem  Umlagen-  oder 
Zuschlagsystem,  werden  meist  durch  den  Staat 
selbst  in  einem  durch  ihn  bestimmten  oder  nach 
oben  hin  begrenzten  bzw.  seiner  Genehmigung  unter- 
liegenden Umfang  perzentuelle  Zuschläge  (Umlagen) 
zu  allen  oder  mehreren  direkten  Staatssteuern  (meist 


steuerrecht  der  Eisenbahnen. 


193 


nur  zur  Grund-,  Gebäude-  und  Gewerbesteuer)  zu 
gunsten  der  Gemeinden  u.  s.  \v.  erhoben. 

Bei  dem  andern  System  besteht  entweder  ein 
selbständiges  Recht  der  Gemeinden  uneben 
dem  Staat),  gewisse  Einkommensquellen  oder  Ein- 
kommensarten zu  besteuern,  oder  es  hat  der  Staat 
einzelne  Steuergattungen  den  Gemeinden  vollständig 
überlassen,  wobei  wieder  entweder  der  Staat  die 
Steuerveranlagung  zu  gunsten  der  Gemeinden  selbst 
besorgt  oder  ihnen  gleichfalls  überläßt. 

Bei  beiden  Systemen  werden  in  mehreren  Staaten 
auch  die  Staatseisenbahnen  selbst  in  mehr  oder 
minder  großem  Umfang  zur  Kommunalsteuerung 
herangezogen. 

Hier  ist  bei  dem  ersterwähnten  der  beiden  Systeme 
für  die  Umlagengrundlage  in  der  Weise  vorgesorgt, 
daß  der  Staat  seine  eigenen  Bahnen  auch  allen  oder 
einigen  Staatssteuern  unterwirft. 

Das  Zuschlagsystem  findet  u.a.  Anwendung 
in  Baden,  Bayern,  Belgien,  Elsaß-Lothringen, 
Italien  (mit  Ausnahme  zur  Einkommensteuer), 
Frankreich,  Portugal,  Spanien  und  in  Öster- 
reich, wo  die  Umlagen  oft  ein  Vielfaches  der 
Staatssteuer  überschreiten  und  ebenso  wie  in  Frank- 
reich auch  von  den  Staatseisenbahnen  nach  dem 
Umfang  ihrer  Staatssteuerpflicht  zu  entrichten  sind, 
dann  auch  in  Ungarn. 

Gemeinden  und  andere  Selbstverwaltungskörper 
können  ihr  Zuschlagsrecht  zeitlich  nur  dann  und 
örtlich  nur  dort  ausüben,  wann  und  wo  auf  ihrem 
Gebiet  eine  direkte  Staatssteuer  zur  Vorschreibung 
gelangt.  Das  ist  hinsichtlich  der  Grund-  und  Gebäude- 
steuer regelmäßig  dann  und  dort  der  Fall,  wo  sich 
die  einzefnen,  diesen  Steuern  unterworfenen  Liegen- 
schaften befinden.  Bei  der  Gewerbesteuer,  die  den 
gesamten  Betrieb  einer  sich  über  die  Gebiete  mehrerer 
Zuschlagsberechtigten  erstreckenden  Unternehmung 
als  Einheit  erfaßt,  ist  jedoch  die  sog.  „Steuerteilung" 
notwendig,  die  darin  besteht,  daß  durch  die  Staats- 
verwaltung von  der  einheitlichen  Staatssteuer  den 
in  Frage  kommenden  Selbstverwaltungskörpern  eine 
nach  festen  Grundsätzen  auszumittelnde  Quote  zu- 
gewiesen wird,  an  die  sie  ihr  Zuschlagsrecht  an- 
knüpfen können. 

Besonders  umständlich  gestaltet  sich  diese  Steuer- 
teilung in  Österreich,  wo  nicht  nur  der  Sitz  der 
Unternehmung  (obersten  Geschäftsleitung  bei  Staats- 
bahnen), also  meist  Wien,  sondern  auch  die  anderen 
Landeshauptstädte,  die  einzelnen  Kronländer  und 
die  Streckengemeinden  mit  solchen  Quoten  zu  be- 
denken sind  und  wo  bei  Verstaatlichung  von  Privat- 
bahnen zum  Schutz  bestehender  Zuschlagsrechte 
Übergangsbestimmungen  getroffen  wurden. 

In  Ungarn  tritt  bezüglich  der  besonderen  Er- 
werbsteuer der  Eisenbahnunternehmungen  keine 
Steuerteilung  ein;  die  ganze  Steuer  ist  am  Sitz  der 
Direktion  (also  meist  in  Budapest)  zu  entrichten. 

Ein  von  dem  Staatssteuersystem  nach  jeder  Richtung 
vollständig  unabhängiges  Kommunalsteuersystem  be- 
steht in  England.  Es  trifft  dort  ausschließlich  das  un- 
bewegliche Vermögen  auch  der  Aktiengesellschaften 
als  sog.  Armensteuer  (poor  rate).  Diese  Steuer,  in 
ihren  Anfängen  auf  das  Jahr  1601  zurückreichend  und 
seit  dem  .aufkommen  der  Eisenbahnen  auch  auf  diese 
angewendet,  wird  zu  gunsten  der  Kirchspiele  erhoben, 
und  wurden  auf  sie  im  Lauf  der  Zeit  alle  anderen 
Lokalabgaben  für  Sanitäts-,  Schul-,  Polizei-  und  ähn- 
liche Zwecke  in  Form  von  Zuschlägen  aufgepfropft. 
Hinsichtlich  der  Distriktsabgaben  (general  district 
rate),  die  auf  alle  der  Armensteuer  unterliegenden 
Immobilien  meist  für  Straßen-  und  Kanalisations- 
zwecke umgelegt  werden,  genießen  die  Eisenbahnen 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


die  Erleichterung,  daß  sie  nur  mit  '/<  der  andere 
Steuerträger  treffenden  Belastung  zu  den  Distrikts- 
abgaben herangezogen  werden. 

Die  früher  auch  die  Eisenbahnen  belastende 
Kirchensteuer  (church  rate)  ist  durch  Ges.  vom 
Jahre  1868  aufgehoben  worden. 

In  Preußen  (Ges.  vom  U.Juli  1893,  GS.  S.  119 
wegen  Aufhebung  direkter  Staatssteuern  und  Kom- 
munalabgabengesetz vom  gleichen  Tag,  GS.  S.  152 
mit  Nachträgen)  sind  die  Grund-,  Gebäude-  und 
Gewerbesteuern  (unter  Fortsetzung  der  Veranlagung 
durch  den  Staat)  den  Gemeinden  zur  eigenen  Er- 
hebung und  Verwendung  zugewiesen  worden,  außer- 
dem sind  die  Gemeinden  berechtigt,  Steuern  auf  das 
Einkommen,  in  der  Regel  nur  in  der  Form  von  Zu- 
schlägen zur  staatlichen  Einkommensteuer  zu  erheben. 

Spezielle  Bestimmungen  für  preußische  Eisen- 
bahnunternehmungen : 

Es  unterliegen  nicht  der  Grundsteuer  die  Schienen- 
wege der  Eisenbahnen  überhaupt,  dann  nicht  der 
Gebäudesteuer  die  dem  Staat  gehörigen,  zu  einem 
öffentlichen  Dienst  bestimmten  Gebäude,  z.  B.  jene 
der  Staatseisenbahndirektionen  (wohl  aber  die  un- 
mittelbar dem  Verkehr  dienenden  Gebäude),  endlich 
nicht  der  Gewerbesteuer:  der  Betrieb  der  Eisen- 
bahnen, die  1.  der  Eisenbahnabgabe  unterzogen 
werden,  2.  vom  preußischen  Staat  oder  vom 
Deutschen  Reich  auf  eigene  Rechnung  betrieben 
werden  oder  3.  auf  Grund  von  Staatsverträgen 
Steuerfreiheit  genießen,  wohl  aber  die  Kleinbahnen 
(Ges.  vom  28.  Juli  1892,  §  40). 

Der  Oemeindeeinkommensteuer  sind  alle 
privaten  Eisenbahnunternehmungen  und  auch  der 
Staatsfiskus  bezüglich  seines  Einkommens  aus  den 
von  ihm  betriebenen  Eisenbahnen  unterworfen. 

Der  Eisenbahnbetrieb  unterliegt  der  Steuerpflicht 
in  den  Gemeinden,  in  denen  sich  der  Sitz  der  Ver- 
waltung (bzw.  einer  Staatseisenbahnbehörde),  eine 
Station  oder  eine  für  sich  bestehende  Betriebs-  oder 
Werkstätte  oder  eine  sonstige  gewerbliche  Anlage 
befindet. 

Die  gesamten  Staats-  und  für  Rechnung  des  Staates 
verwalteten  Eisenbahnen  sind  als  e i  n e  steuerpflichtige 
Unternehmung  anzusehen. 

Als  Reineinkommen  dieser  Eisenbahnen  gilt  der 
rechnungsmäßige  Überschuß  der  Einnahmen  über 
die  Ausgaben  mit  der  iVlaßgabe,  daß  unter  die  Aus- 
gaben auch  eine  3-5  »o  ige  Verzinsung  des  Anlage- 
bzw. Erwerbskapitals  zu  rechnen  ist.  Der  sich  dar- 
nach ergebende  steuerpflichtige  Gesamtbetrag  ist 
durch  den  zuständigen  Minister  alljährlich  endgültig 
festzustellen. 

Als  Reineinkommen  der  Privateisenbahnunter- 
nehmungen gilt  der  nach  Vorschrift  der  Ges.  vom 
30.  Mai  1853  und  16.  März.  1867  (s.  unter  A,  a)  für 
jede  derselben  ermittelte  Überschuß  abzüglich  der 
Eisenbahnabgabe  und  mit  der  Maßgabe,  daß  bei 
der  Berechnung  nach  dem  Ges.  vom  16.  März  1867 
die  zur  Verzinsung  und  planmäßigen  Tilgung  etwa 
gemachter  Anleihen  erforderlichen  Beträge  mit  in 
Anrechnung  gebracht  werden  dürfen. 

Auf  Kleinbahnen  findet  die  vorstehende  Bestim- 
mung keine  Anwendung. 

Die  Verteilung  des  gemeindesteuerpflichtigen  Ein- 
kommens der  Eisenbahnunternehmungen  auf  die  be- 
teiligten Gemeinden  erfolgt  (mangels  anderweitiger 
Vereinbarung  zwischen  diesen  und  dem  Steuerpflich- 
tigen) in  der  Weise,  daß  das  Verhältnis  der  in  den 
einzelnen  Gemeinden  erwachsenen  Ausgaben  an  Ge- 
hältern und  Löhnen,  einschließlich  der  Tantiemen 
des  Verwaltungs-  und  Betriebspersonals,  zu  gründe 
gelegt  wird.    Hierbei    kommen   jedoch   die   Bezüge 

13 


194 


Steuerrecht  der  Eisenbahnen. 


desjenigen  Personals,  das  in  der  allgemeinen  Ver- 
waltnng  beschäftigt  ist,  nur  mit  der  Hälfte,  die  Be- 
züge des  in  der  Werkstättenvervcaltung  und  im  Fahr- 
dienst beschäftigten  Personals  nur  mit  =,'3  ihrer  Beträge 
in  Ansatz.  Erstreckt  sicli  eine  Betriebsstätte,  Station 
u.  s.  w.,  innerhalb  deren  Ausgaben  an  Gehältern  und 
Löhnen  erwachsen,  über  den  Bezirk  mehrerer  Ge- 
meinden, so  hat  die  Verteilung  nach  Lage  der  ört- 
lichen Verhältnisse  unter  Berücksichtigung  des  Flä- 
chenverhältnisses und  der  den  beteiligten  Gemeinden 
durch  das  Vorhandensein  der  Betriebsstätte,  Station 
u.  s.  w.  erwachsenden  Kommunallasten  zu  erfolgen. 
Kreise  imd  [Provinzen  erheben  seit  Ges.  vom  23.  April 
IQOö  nicht  mehr  direkte  Umlagen,  sondern  teilen 
ihren  Bedarf  auf  die  Gemeinden  und  Gutsgebiete  auf. 

Im  Königreich  Sachsen  (Ges.  vom  11.  Juli  1913) 
sind  die  Gemeinden  ähnlich  wie  in  Preußen  berechtigt, 
Grund-,  Gebäude-,  Gewerbe-  und  Einkommensteuern 
u.  a.  auch  von  Eisenbahnunternehmungen  zu  erheben, 
es  bestehen  jedoch  insofeine  Abweichungen  gegen- 
über [-"reußen,  als  von  der  Grundsteuer  nur  die  Grund- 
stücke, auf  denen  sich  Schienengleise  der  sächsischen 
Staatseisenbahnen  befinden,  und  von  der  Gewerbe- 
steuer nur  die  Staatseisenbahnen  befreit  sind,  endlich 
das  Einkommen  des  Staates  aus  seinem  Eisenbahn- 
betrieb der  Oemeindeeinkommensteuer  nicht  unter- 
liegt. Bezüglich  der  Verteilung  der  letzteren  Steuer  bei 
den  unter  sie  fallenden  Privatbahnen  gelten  folgende 
Grundsätze:  die  Steuerpflicht  ist  in  jeder  Gemeinde 
begründet,  in  der  sich  eine  Betriebsstätte  befindet. 
Derjenigen  Gemeinde,  in  der  sich  der  Sitz  der  Leitung 
des  Gesamtbetriebs  befindet,  gebührt  eine  Voraus- 
besteuerung des  zehnten  Teiles  vom  Gesamteinkom- 
men; der  übrige  Teil  wird  nach  Verhältnis  der  in 
den  einzelnen  Gemeinden  erwachsenden  Ausgaben 
an  Gehältern  und  Löhnen  (einschließlich  der  Tan- 
tiemen, jedoch  ohne  die  in  Preußen  gemachte  Ein- 
schränkung) verteilt. 

In  Württemberg  (Ges.  vom  8.  August  IQ03) 
ist  der  Betrieb  der  Staatseisenbahnen  vorbehaltlich 
jedoch  der  Besteuerung  der  für  diesen  Betrieb  be- 
stimmten Grundstücke  und  Gebäude  von  Gemeinde- 
umlagen befreit.  Die  Staatseisenbahnen  unterliegen 
auch  nicht  der  Gemeindeeinkommensteuer.  Für  andere 
Fälle  dieser  Steuer  ist  die  Steuerteilung  im  Art.  27 
des  bezogenen  Gesetzes  geregelt. 

E.  Steuerbefreiungen. 

Zur  Förderung  des  Eisenbahnbaues  oder 
aus  sonstigen  Gründen  wurden  und  werden 
den  Eisenbahnunternehmungen,  sei  es  einzelnen 
in  den  Konzessionsurkunden,  sei  es  bestimmte 
Arten,  allgemein  durch  die  Gesetzgebung  Steuer- 
befreiungen (s.  Konzession),  meist  auf  zeitlich 
beschränkte  Dauer,  oft  auch  nur  in  begrenztem 
Umfang  zugestanden. 

Einzelner  solcher  Steuerbefreiungen  ist  schon  früher 
gedacht.  An  sonstigen  Steuerbefreiungen  seien  er- 
wähnt: 

Das  Deutsche  Reich  genießt  (mit  der  unter 
A,  d  erwähnten  Ausnahme)  gemäß  des  Reichssteuer- 
gesetzes vom  15.  April  1911  auch  bezüglich  der  Reichs- 
eisenbahnen Freiheit  von  allen  zur  Hebung  gelan- 
genden Staatssteuern  der  einzelnen  Bundesstaaten. 
Durch  Gemeinden  (und  weitere  Kommunalver- 
bände) kann  das  Reich  zu  Realsteuern  vom  Grund- 
besitz nur  in  demselben  Umfang  wie  die  einzelnen 
Bundesstaaten  herangezogen  werden. 

Jedoch  erhält  nach  §  7  des  bezogenen  Gesetzes 
Elsaß-Lothringen  behufs  Zuführung  an  die  Ge- 


meinden, in  deren  Gemarkung  oder  Umgebung 
sich  eine  Station  oder  eine  für  sich  bestehende 
Betriebs-  oder  Werkstätte  der  von  der  Reichseisen- 
bahnverwaltung für  Rechnung  des  Reiches  betriebenen 
Eisenbahnen  befindet,  aus  den  Erträgnissen  dieser 
Eisenbahnen  einen  Anteil  in  der  Höhe  von  S'ü  des 
rechnungsmäßigen  Überschusses,  mindestens  aber 
jährlich  200.000  M. 

In  Baden  wurde  den  Privateisenbahnen  meist 
auf  Grund  von  Spezialgesetzen  die  Befreiung  von 
der  Grund-,  Gebäude-  und  Gewerbesteuer,  die  seit 
1908  in  der  Vermögenssteuer  aufgegangen  ist,  ge- 
währt. Diese  Befreiungen  wurden  durch  das  Ver- 
mögenssteuergesetz aufrecht  erhalten. 

In  Österreich  und  Ungarn  wurden  durch  die 
Lokalbahngesetze  Steuerbefreiungen  für  neue  Lokal- 
bahnen festgesetzt. 

In  Österreich  wurde  durch  das  Ges.  vom 
8.  August  1910  (wie  schon  früher  durch  das  Ges. 
vom  29.  Dezember  1908)  über  Bahnen  niederer 
Ordnung  (Lokalbahnen  und  Kleinbahnen)  diesen 
Bahnen  eme  Reihe  (teilweise  zeitlich  beschränkter) 
Befreiungen  von  der  besonderen  Erwerbsteuer,  von 
Stempeln  und  unmittelbaren  Gebühren  und  von  den 
Aufsichtsgebühren  u.  s.  \v.  zugesichert,  ebenso  in 
Ungarn  durch  die  Qes.-Art.  XXXI-1880  u.  IV-1888 
den  Eisenbahnen  von  lokalem  Interesse  (sog.  Vizinal- 
bahnen),  und  sei  bezüglich  der  Einzelheiten  auf  die 
bezogenen  Gesetze  verwiesen. 

In  Belgien  wurde  durch  Ges.  vom  28.  Mai  1884 
der  nationalen  Gesellschaft  für  den  Bau  und  Betrieb 
von  Vizinalbahnen  die  Befreiung  von  der  Gewerbe- 
steuer und  von  der  Besteuerung  durch  die  Provinzen 
und  Gemeinden  zugestanden. 

Brasilien  gewährte  durch  Ges.  vom  18.  November 
1900  der  Gesellschaft  zum  Bau  der  Eisenbahn  von 
Sao  Paolo  zum  FlußRibeira  de  Iquape  Befreiung  von 
sämtlichen  Steuern  für  die  Dauer  der  Zinsengarantie. 

Der  Canadian  Pacific  Railway  wurde  durch 
Ges.  vom  22.  Mai  1888  dauernde  Steuerfreiheit  für 
sämtliche  Linien  und  Ländereien  (25,000.000  Acres 
ä  4047  Ar,  die  der  Bahn  überlassen  worden  sind) 
zugesichert. 

In  Dänemark  wurde  durch  Ges.  vom  26. Juni  1908 
bestimmten  Eisenbahnen  Befreiung  von  Grund-  und 
Gebäudeabgaben  zugebilligt  (Näheres  Arch.  f.  Ebw. 
1908). 

In  England  wurden  von  der  durch  das  Finanz- 
gesetz vom  Jahre  1910  (10  Edw.  7  c.  8)  eingeführten 
Wertzuwachssteuer  (Increment  value  duty),  Heim- 
fallsteuer (Reversion  duty)  und  Bauplatzsteuer  (Un- 
developed  land  duty)  nebst  anderen  Gesellschaften 
auch  die  Eisenbahngesellschaften  hinsichtlich  des  für 
die  Zwecke  ihrer  Unternehmung  besessenen  Bodens 
befreit. 

In  Mexiko  ist  gemäß  Ges.  vom  29.  April  1879 
das  Bahneigentum  konzessionierter  Eisenbahnen  ein- 
schließlich des  Betriebskapitals  -  abgesehen  von 
der  Stempelsteuer  für  Urkunden  —  von  jeder  Staats- 
steuer befreit. 

Die  Schweiz  hat  durch  Ges.  vom  15. Oktober  1887 
betreffend  den  Bau  und  Betrieb  von  Eisenbahnen 
für  Rechnung  des  Bundes  diese  Bahnen  von  jeder 
Besteuerung  durch  Kantone  und  Gemeinden  mit 
der  Einschränkung  befreit,  daß  diese  Befreiung 
auf  solche  Immobilien  keine  Anwendung  findet, 
die  zwar  im  Besitz  der  Bundesbahnen  sind,  aber 
keine  notwendige  Beziehung  zum  Bahnbetrieb  haben 
(z.  B.  Eisenbahnhotels).  Zugleich  verzichtete  der  Bund 
gegenüber  den  Bundesbahnen  auf  die  Erhebung 
der    in  Art.  19   des   BGes.  vom   23.  Dezember   1872 


steuerrecht  der  Eisenbahnen.   -   Steuerungen. 


195 


vorbehaltenen  Konzessionsgebühr  für  regelmäßigen, 
periodischen  Personentransport  (s.  o.  unter  B). 

In  Serbien  wurden  durch  Ges.  vom  6./18.  De- 
zember 18Q8  die  Konzessionäre  bestimmter  Eisen- 
bahnlinien für  die  ganze  Dauer  des  Baues  und 
Betriebs  von  jedem  Zoll,  Obt  und  den  Zollneben- 
gebühren hinsichtlich  der  Einfulir  von  Eisenbahn- 
material, desgleichen  von  den  staatlichen  und  kommu- 
nalen Steuern  sowie  von  Gerichts-  und  Verwaltungs- 
gebühren befreit.  Ebenso  geniel3en  die  Staatsbahn'en 
volle  Zoll-  und  Steuerfreiheit. 

Uruguay  hat  den  Eisenbahnen  durch  Ges.  vom 
27.  August  1884  Steuerfreiheit,  dann  Zollfreiheit 
für  Baumateriahen  auf  die  Dauer  von  40  Jahren, 
Venezuela  durch  Ges.  vom  31.  Mai  1897  die  Be- 
freiung von  allen  Regierungsabgaben,  ausgenommen 
die  Stempelsteuer  zu  gunsten  des  öffentlichen  Un- 
terrichts, zugesichert. 

F.  Nachtrag. 

Während  des  Krieges  wurden  in  Österreich,  Deutsch- 
land, in  den  Nordstaaten  und  anderwärts  Kriegs- 
gewinnsteuern von  höheren  Geschäftserträgnissen 
eingeführt,  denen  auch  Eisenbahngesellschaften  unter- 
worfen sind. 

Literatur.  Da  eine  zusammenfassende  Darstellung 
des  geltenden  Eisenbahnsteuerrechts  bisher  fehlt,  ist 
auf  die  in  den  Art.  Eisenbahnrecht  und  Eisen- 
bahnliteratur  aufgezählten  Sammelwerke,  in  denen 
sich  verstreute  Angaben  über  die  Besteuerung  der 
Eisenbahnen  vorfinden,  hinzuweisen. 

Als  spezielle  neuere  Quellen  für  das  S.  der 
Eisenbahnen  wären  nach  Staaten  geordnet  zu  nennen 
bzw.  hervorzuheben:  Leo  Blum.Die  steuerrecntliche 
Ausnützung  der  Aktiengesellschaften  in  Deutsch- 
land. Stuttgart  u.  BeVlin  1911.  -  Bougault, 
Manuel  pratique  des  principaux  droits  et  impöts 
frappant  les  societes  etc.  1910.  -  Caillaux,  Les 
impöts  en  France  1911.  -  Colson,  Chemins  de 
fer  et  voies  navigables.  Referat  Berner  Kongreß  1910. 
—  Chaveneau,  Les  contributions  directes  des  che- 
mins de  fer.  1909.  ~  Humbert,  Traite  complet 
des  chemins  de  fer.  1908.  -  Januschka,  Die  Besteue- 
rung der  Eisenbahnen  und  des  Eisenbahnverkehrs  in 
Frankreich.  Österr.  Zeitschrift  für  Eisenbahnrecht 
1913.  -  Browne  et  Theobald,  Law  of  Railway 
Compagnies.  London  1911,  4.  Aufl.  -  Dr.Josef  Red- 
lich, Englische  Lokalverwaltung.  Leipzig  1901.  - 
Martin,  Les  impöts  directs  en  Angletcrre.  1905.  - 
Das  vom  italienischen  Finanzministerium  alljährlich 
herausgegebene  „Bollettino  di  statistica  e  di  legis- 
lazione  comparata".  -  Gasca,  L'esercizio  delle  strade 
ferrate.  Torino  1909.  -  Garilli,  Prescrizione,  deca- 
denza  e  perenzione  nell'applicazione  delle  tre  imposte 
dirette.  Milano  1913.  -  Ruggiero,  La  imposta  della 
richchezza  mobile  etc.  Milano  1914.  -  Roccataglia, 
Come  si  pagano  le  imposte  e  ie  fasse  in  Italia.  Mi- 
lano 1912.  -  Das  für  Japan  von  der  dortigen  Regie- 
rung alijährlich  auch  in  deutscher  Sprache  "herausge- 
gebene „Finanzielle  und  ökonomische  Jahrbuch  Ja- 
pans". -  Die  Besteuerung  der  Eisenbahnunterneh- 
mungen in  Österreich.  Aufsatz  des  Verfassers  in 
der  Ost.  Ztschr.  f.  Eb.  1911.  -  Gerloff,  Die 
kantonale  Besteuerung  der  Aktiengesellschaften  in 
der  Schweiz.  Bern  1906.  —  Jeze,  L'impöt  sur 
le  revenu  dans  les  Etats-Unis  de  l'Amerique  du 
Nord.  Revue  de  science  etc.  1914.  -  Hill,  The  in- 
come  faxe  of  1913.  The  quarterly  Journal  of  Econo- 
mics  1913.  —  Marcuse,  Das  neue  Einkommensteuer- 
gesetz in  den  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika. 
Arch.  f.  Finanzwesen  "1914.  '    Januschka. 


Steuerungen  (valve  motions;  distribiitions ; 
distribuzioni). 

Inhaltsübersicht.  I.  Zweck  der  S.;  Abschnitte 
der  Dampfverteilung.  —  II.  Die  einfache  Schieber- 
steuerung; Schieberbewegung  und  Schieberdiagram- 
me. —  IIL  Die  Kulissensteuerungen  im  allgemeinen. 
1.  Die  Kulissensteuerungen  mit  2  Exzentern;  A.  Wir- 
kungsweise und  Bauarten,  B.  Bauregeln.  2.  Die 
Kulissensteuerungen  mit  einem  Exzenter;  A.  Die 
Wirkungsweise  der  Heusinger-Steuerung;  B.  Bau- 
regeln ;  C.  Entwurfsregeln.  3.  Die  Kulissensteuernngen 
ohne  Exzenter.  -  IV.  Nachprüfung  der  S.  am  Modell 
und  Regulierung.  -  V.  Der  Einfluß  des  Federspiels 
auf  die  S.  -  VI.  Gegenüberstellung  der  besprochenen 
S.  —  VII.  Die  Anordnung  der  Kulissensteuerungen 
für  Mehrzylinderlokomotiven  mit  einfacher  Dampf- 
dehnung. 1.  Dreizylinderlokomotiven;  2. Vierzylinder- 
lokomotiven. -  VIII.  Die  Anordnung  der  Kulissen- 
steuerungen für  Verbundlokomotiven.  1.  Die  Ver- 
bundlokomotiven mit  2  Zylindern;  2.  die  Verbund- 
lokomotiven mit  3  Zylindern;  3.  die  Verbundloko- 
motiven mit  4  Zylindern  a)  mit  je  einer  besonderen 
Steuerwelle  für  das  Hoch-  und  Niederdrucktriebwerk, 
b)  mit  gemeinsamer  Steuerwelle  für  das  Hoch-  und 
Niederdrucktriebwerk.  -  IX.  Die  Ventilsteuerungen. 
-  X.  Die  Gleichstromlokomotiven.  -  XL  Die  Dreh- 
schiebersteuerungen. -  XII.  Die  Ausführung  der 
Einzelteile. 


I.  Zweck  der  S.;   Abschnitte  der  Dampf- 
verteilung. 

Die  S.  hat  den  Zweck,  die  Zu-  und  Abfüh- 
rung des  Dampfes  auf  beiden  Kolbenseiten 
unter  wirtschaftlichster  Ausnutzung  seiner 
Spannkraft  zu  regeln. 

Bei  der  Lokomotive  muß  die  auf  einen 
Kolbenhub  entfallende  Arbeitsleistung  da- 
durch geändert  werden  können,  daß  dem 
Dampf  der  Zutritt  während  eines  größeren 
oder  kleineren  Teiles  des  Kolbenhubs  ermög- 
licht wird,  d.  h.  die  S.  muß  mit  einstell- 
barer Füllung  arbeiten.  Außerdem  muß 
die  S.  Vorwärts-  und  Rückwärtsfahrt  ge- 
statten, d.  h.  sie  muß  Umsteuerung  er- 
möglichen. Die  Einstellbarkeit  der  Füllung  und 
die  Umsteuerung  werden  durch  den  gleichen 
Maschinenteil,  bei  den  meisten  S.,  die  Kulisse 
erzielt  (s.  Abschnitt  III). 

Den  oben  in  erster  Linie  angegebenen 
Zweck  der  Dampfführung  erfüllt  die  S.,  wenn 
sie  ein  gutes  Dampfdiagramm  (Dampfdruck- 
schaulinie) ergibt  (s.  Art.  Dampfarbeit,  Bd.  III, 
220,  besonders  auch  Abb.  155).  Dieses  muß 
während  eines  Hin-  und  Rückwegs  des  Kolbens 
folgende  Abschnitte  aufweisen: 

1.  Einströmung  \ 

2.  Dehnung  (Expansion)}  Hinweg  \ 

3.  Voraussfrömung  j  |      des 

4.  Ausströmung  |  Kolbens. 

5.  Kompression  /Rückweg! 

6.  Voreinströmung  J 


13* 


196 


Steuerungen. 


Die  Dehnung  soll  den  im  Dampf  ent- 
haltenen Arbeitsvorrat  durch  Entspannung  mög- 
lichst  ausnutzen.    Sie    darf   jedoch    nicht    auf 


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J.a., 

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Abb.  177  b. 


Kosten  der  Einströmung  zu  sehr  vergrößert 
werden,  weil  sonst  die  Wandungstemperatur 
zu    weit    sinken    und     der     demnächst     ein- 


i-.-i,etae-r 


nis  der  Einströmung  zum  Kolbenweg  liegt 
bei  0'2.  Erheblich  kleinere  Füllungen  können 
übrigens  bei  den  üblichen  S.  für  Lokomotiven 
nicht  verwirklicht  werden,  weil  die  Kompression 
dann  unzulässig  groß  wird  (s.  aber  das  später 
Mitgeteilte  über  Doppelschiebersteuerung  und 
Kammerschieber).  Die  Niederschlagsverluste 
können  durch  Dampfüberhitzung  vermieden, 
kleinere  Füllungen,  also  größere  Dehnungen 
durch  Verbundanordnung  ermöglicht  und  wirt- 
schaftlich gemacht  werden. 

Die  Vorausströmung  wird  zugelassen,  um 
bei  Beginn  des  Kolbenrückwegs  bereits  einen 
genügenden  Querschnitt  für  den  Dampfaustritt 
zur  Verfügung  zu  haben.  Andernfalls  würde 
ein  schädlicher  Gegendruck  entstehen. 


Abb.  17S. 


KompreasioiL 


Abb.  179. 


Abb.  ISO. 


Voraus  strämim^ 
Abb.  181. 


t'*t 


!<  l-mJ 


^a 


Abb.  1S2. 


Abb.  183. 


Abb.  184. 


strömende     Frischdampf     zu 
Schlagsverluste  erleiden  würde. 


große    Nieder- 
Die  wirtschaft- 


lichste Füllung,   d.  h.  das  günstigste  Verhält- 


Die  Kompression  steigert  die  Pressung 
des  nach  der  Ausströmung  im  Zylinder  und 
dem  schädlichen  Raum  zurückbleibenden  Damp- 
fes, so  daß  bei  Beginn  der  Voreinströmung 
der  Raum  vor  dem  Kolben  schon  mit  hoch- 
gespanntem Dampf  gefüllt  ist  und  keine  Druck- 
verluste beim  Beginn  des  neuen  Kolbenhubs 
durch  das  Nachfüllen  des  schädlichen  Raumes 
entstehen. 

Die  Voreinströmung  wird  so  bemessen, 
daß  der  Schieber  bei  Beginn  des  neuen  Kol- 
benwegs bereits  einen  genügenden  Querschnitt 
für  die  Einströmung  freigelegt  hat.  Andernfalls 
würde  der  Dampfdruck  während  der  Einströ- 
mung infolge  Drosselung  zu  we'it  unter  der 
Kesselspannung  bleiben. 

II.  Die  einfache  Schiebersteuerung; 
Schieberbewegung  und  Schieber- 
diagramme. 
Der   Schieber   (s.  auch    Art.  Danipfschieber, 
Bd.  III)  dient  der  Führung  des  Dampfes  nach 
den  oben  angegebenen  Gesetzen.  Abb.  177  u. 
184   zeigen    ihn    und   den   Schieberspiege!    in 
seiner  einfachsten  Form.  Abb.  178  -  1S3  zeigen. 


Steuerungen. 


197 


wie  der  Schieber  die  genannten  Abschnitte  des 
Steuerungsvorgangs  verwirklicht. 

Die  Bewegung  des  Schiebers  erfolgt  durch 
ein  Exzenter  (Abb.  2 1 S  u.  2 1 9)  oder  eine  Gegen- 
kurbel 7;a;  (Abb.  198).  In  beiden  Fällen 
kann  die  Bewegung  durch  eine  einfache  Kurbel 
von  der  Länge 
CE  (Abb.  218) 
oder  CK,  (Abb. 
198)  ersetzt  ge- 
dacht werden. 
Abb.  185  zeigt 
einen  solchen 
schematischen 
Schieberantrieb, 
doch  fehlen  in 
diesem  Schema 
die  Teile  für  Ein- 
stellbarkeit    der 

Füllung  und  Umsteuerung.  Die  durch  ihr 
Hinzukommen  entstehende  verwickeitere  An- 
ordnung Läßt  sich  aber  auf  diesen  einfachen  An- 
trieb zurückführen.  Nach  diesem  Bilde  können 
die  wesentlichen  Abmessungen  der 
einfachen  Schiebersteuerung  fest- 
gelegt und  ihre  Eigenschaften  er- 
läutert werden.  Die  Breite  des 
Dampfeintrittskanals  b  möge  nach 
den  unter  Art.  Dampfschieber, 
Bd.  III,  mitgeteilten  Regeln  festge- 
legt sein.  Wenn  sich  die  Kurbel 
von  ÄTo  über  AT  nach  A",  bewegt, 
so  legt  die  linke,  äußere  Schieber- 
kante einen  Weg  S„  S^  gleich  K^  K-[ 
zurück.  Bewegt  sich  der  Kurbel- 
zapfen von  K„  bis  K,  so  entfernt 
sich  die  Schieberkante  um 
S,S  =  K„P  von  S„.  Punkt  P 
wird  gefunden,  indem  man  mit 
NK  um  A/  einen  Kreis  schlägt.  Da 
die  Länge  NK  der  Exzenterstange 
im  Verhältnis  zur  Exzenterkurbel 
C/Csehr  groß  ist,  so  kann  man  den 
Bogen  KP  durch  das  Lot  KV/ 
ersetzen.  Man  kann  sich  also  vor- 
stellen, daß  der  Kurbelzapfen  K 
die  Schieberkante  unmittelbar  als 
eine  Lotrechte  VV  hin-  und  her- 
schiebe. Wenn  man  also  das  so 
gewonnene  Bild  über  den  von  der 
betrachteten  Kante  gesteuerten  Kanal  zeichnet 
(Abb.  186),  so  kann  man  die  Steuerungsvor- 
gänge verfolgen  und  die  zweckmäßigsten  Werte 
für  die  verschiedenen  Steuerungsabmessungen 
ermitteln.  Es  sind  dies  1.  der  Abstand  e  des 
Kanals  vom  Mittelpunkt  C  des  von  der  Schieber- 
kante beschriebenen  Weges,  2.  die  Größe  der 
Exzenterkurbel    CK    ^'"d    3.    der   Winkel   8 


zwischen  Exzenter-  und  Triebkurbel.  Es  ist 
also  auch  die  letztere,  am  besten  in  der  Tot- 
punktstellung Cr„  einzuzeichnen. 

Bei  dieser  Stellung  der  Triebkurbel  im  Tot- 
punkt muß  der  Kanal  zur  Ermöglichung  der 
Voreinströmung    um    das    „lineare    Voreilen" 


Abb.  185. 


V  geöffnet  sein.  Anderseits  soll  die  Ein- 
strömung nur  während  eines  Teiles  des  Kol- 
benhubs andauern.  Während  des  Restes  soll 
Expansion  stattfinden.    Die  Einströmung  wird 


Abb.  186. 

unterbrochen,  wenn  die  Schieberkante  von 
rechts  kommend  die  Kanalkante  erreicht,  also 
bei  der  Exzenterkurbelstellung  CKy  Die  zu- 
gehörige Triebkurbelstellung  CT^  erhält  man, 
indem  man  ^  T„  C  T;^  =  K^  C  Kj,  macht. 
Wählt  man  den  -^  T^  CK^  kleiner,  wobei  der 
Kanal  zur  Erhaltung  des  Wertes  v  nach  links 
verschoben  werden  muß,  so  wird  die  Füllung 


198 


Steuerungen. 


größer.  Z.  B.  gibt  Abb.  186  beinahe  Vollfüliung, 
denn  ^K^CK^  ist  fast  ISO",  die  Expansion 
sehr  klein.  Um  genügende  Expansion  zu  er- 
zielen, muß  ^  T^  CK-i  also  immer  um  einen 
gewissen  Winkel,  den  Voreilwinkel  &,  größer 
als  90"  sein  (.^bb.  186). 

Um  die  Füllung  in  %  zu  erhalten,  müßte 
man  mit  der  Pleuelstangenlänge  um  die  Achse 
des  Kreuzkopfbolzens  einen  Kreisbogen  T-^X 
schlagen  und  würde  so  die  Kolbenstellung 
im  Augenblick  des  Dampfabschlusses  und  den 

Wert    -^^    als    Füllungsverhältnis    erhalten. 

Augenscheinlich  kommt  es  aber  auf  das  gleiche 

heraus,  wenn  man  mit  einem  Halbmesser  von 

CK 

7=r^  X  Pleuelstangenlänge  um   einen   auf  der 

Verlängerung  von  K^  C  liegenden  Punk-t  einen 
durch  /<3  gehenden  Kreisbogen  schlägt.  Dann 


Abb.  187. 


gibt 


K,K-, 


ebenfalls  das  Füllungsverhältnis  an. 


Bei  überschlägigen  Ermittlungen  ersetzt  man 
den  Bogen  K^Y  durch  das  Lot  K^k-^-  Da  der 
Einfluß  der  endlichen  Stangenlängen  hinsicht- 
lich Vergrößerung  und  V'erkleinerung  der  Fül- 
lungen bei  Hin-  und  Rückgang  des  Kolbens 
ein  entgegengesetzter  ist,  hat  jene  Annäherung, 
von  der  weiterhin  zunächst  Gebrauch  gemacht 
werden  soll,  die  Bedeutung,  daß  ungefähr  die 
Mittelwerte  der  Füllung  u.  s.  w.  zwischen  Kol- 
benhin- und  -rückgang  ermittelt  werden. 

Fällt  man  auf  Grund  ähnlicher  Erwägungen 
das  Lot  K^k^,  so  ergibt  sich,  um  wieviel  Pro- 
zent vor  dem  Totpunkt  die  Voreinströmung 
beginnt.  Es  ist  das  also  der  sehr  kleine  Wert 

^^  •   Wenn  die  Exzenterkurbel  die  Stellung 

CK2  hat,  so  muß  der  Kanal  ganz  oder  wenig- 
stens bis  zu  80%  geöffnet  sein.  Diese  Bedin- 
gung mit  den  Forderungen  eines  bestimmten 
Winkels  K^CK^  -  d.  i.  einer  bestimmten 
Füllung  -  und  einem  bestimmten  linearen 
Voreilen  r  genügen  zur  Zeichnung  der  Abb.  186. 


Es  sind  also  festgelegt  der  Voreilwinkel  des 
Exzenters  5,  der  Exzenterhalbmesser  CK^  und 
eine  Größe  e.  Die  Bedeutung  dieser  ergibt 
sich  sofort,  wenn  man  überlegt,  daß  sich  der 
Schieber  in  der  Mittelstellung  befindet,  wenn 
die  Exzenterkurbel  die  Stellung  CK^  hat.  Um 
den  Kanal  zu  öffnen,  muß  er  den  Weg  e 
zurücklegen  —  mit  anderen  Worten:  er  über- 
deckt in  seiner  Mittelstellung  den  Kanal  um  e. 
Man  nennte  die  äußere  Überdeckung  (Abb.  184). 
Die  Innenkante  R  des  Schiebers  (Abb.  186) 
hat  von  der  Außenkante  den  Abstand  RS. 
Würde  man  also  in  Abb.  186  im  Abstand  RS 
auf  T^  r,  von  C  aus  nach  rechts  gemessen 
den  Mittelpunkt  eines  zweiten  Kreises  vom 
gleichen  Durchmesser  festlegen,  so  würde 
dieser  in  ähnlicher  Weise  zur  Untersuchung 


Abb.  ISS. 

der  durch  Schieberkante  R  bewirkten  Steue- 
rungsvorgänge benutzt  werden  können,'  wie 
dies  mit  dem  ersten  Kreis  hinsichtlich  der 
Kante  S  geschah.  Das  gleiche  Ergebnis  wird 
erzielt,  wenn  man  statt  dessen  den  Kanal 
nochmals  links  im  Abstand  RS  von  dem  zuerst 
gezeichneten  Kanal  einzeichnet;  das  ist  in 
der  Abb.  186  geschehen.  Die  zweckmäßigste 
Größe  von  RS  und  die  Eigenschaften  der  S. 
hinsichtlich  der  Ausströmung  bleiben  zu  be- 
stimmen. 

Da  aus  den  im  Abschnitt  I  angegebenen 
Gründen  Vorausströmung  gewünscht  wird,  so 
muß  die  Lage  des  Kanals  etwa,  wie  in  Abb.  186 
angedeutet,  gewählt  werden.  Die  Exzenterkur- 
bel und  mithin  die  Triebkurbel  muß  also, 
wenn  die  Ausströmung  beginnt,  noch  um  einen 
Winkel  K^CKz,  vom  Totpunkt  entfernt  sein. 
Die  Dauer   der  Vorausströmung  als  Bruchteil 

des   Kolbenhubs   ist   ^'J%-    Die  rechte  Kanal- 

Ai  A; 

kante    darf  also   nicht   wesentlich    nach    hnks 


Steuerungen. 


199 


V/////////////, 


Abb.  1S9. 


sion   und 


ist    die 


Vorwärts  , 


verschoben  werden,  geschweige  denn  daß  sie 
durch  /Cj  gehen  dürfte.  Eine  beträchtliche 
Verschiebung  nach  rechts  kann  auch  nicht 
vorgenommen  werden,  weil  dann  die  Voraus- 
strömung zu  früh 
beginnen  und  ein 
Arbeitsverlust  ein- 
treten würde.  Hat 
man  sich  für  die  ein- 
gezeichnete Lage 
des  Kanals  entschie- 
den, so  erhält  man 
beiderStellungCÄTg 
der  Exzenterkurbel, 
also  um  den  Winkel 
K(,CK\  von  der  An- 
fangstotpunktlage 
entfernt,  den  Be- 
ginn der  Kompres- 
Kompressionsdauer. 

Diese  ist  also  durch  die  vorher  gewählten 
Größen  der  Vorausströmung  u.  s.  w.  schon 
bestimmt.  Die  Abhängigkeit  wird  unbequem, 
wenn  man  kleine  Füllungen  anstrebt.  Abb.  188 
erläutert  das.  Die  Füllung  ist  klein,  weil  der 
Voreilwinkel  Ö  groß  gewählt  ist.  Die 
Folge  ist,  daß  bei  angemessener  Voraus- 
strömung  die   Kompressionsdauer     '     ' 

und  infolgedessen  der  Kompressionsend- 
druck sehr  groß  wird.  Man  überschätzte 
früher  diesen  Mangel,  zumal  man  irr- 
tümlicherweise an  die  Wirtschaftlichkeit 
sehr  kleiner  Füllungen  für  Lokomotiven 
glaubte.  Man  sah  sich  daher  zur  Einfüh- 
rung der  heutewieder  verlassenen  Doppel- 
schiebersteuerungen veranlaßt  (Borsig 
1844).  In  neuester  Zeit  hat  Hochwald  die 
Anwendung  kleiner  Füllungen  in  ein- 
facherer Weise  durch  den  Bau  von 
Kammerschiebern  zu  lösen  gesucht. 
Abb.  189  zeigt  einen  Kammerschieber  der 
Firma  Henschel  in  Cassel.  Der  einge- 
zeichnete Pfeil  zeigt  den  Weg  des  Frisch- 
dampfes, der  also  für  jeden  Einströmungs- 
kanal durch  die  Kanten  zweier  gewisser- 
maßen hintereinander  geschalteter  Schieber  S, 
und  $2  gesteuert  wird.  Die  Abmessungen  sind 
so  gewählt,  daß  die  Kante  /  den  Dampf- 
kanal früher  öffnet  als  Kante  2.  Bevor  also 
die  Voreinströmung  stattfinden  kann,  ist  der 
Raum  vor  dem  Kolben  schon  mit  der  Schieber- 
kammer und  der  Ringkammer  R  in  Verbin- 
dung, die  daher  eine  Vergrößerung  des  schäd- 
lichen Raumes  während  des  letzten  Teiles 
der  Kompression  und  damit  die  angestrebte 
Herabsetzung  des  Konipressionsdrucks  be- 
wirken. 


Wenn  Schieberinnenkante  und  Exzenter- 
kurbel in  Mittelstellung  CK^  stehen  (Abb.  186), 
so  ist  eine  Verschiebung  um  /  nötig,  bis  der 
Kanal  zur  Ausströmung  geöffnet  wird.  Man 
nennt  /  die    innere    Überdeckung  (Abb.  184). 

Die  Abmessungen  des  Schieberspiegels 
werden  durch  folgende  Rücksichten  bestimmt: 
ß,-  (Abb.  178)  muß  auch  bei  größter  seitlicher 
Auslenkung  des  Schiebers  mindestens  =  a  sein, 
um  Drosselung  des  ausströmenden  Dampfes 
zu  vermeiden.  0^  (Abb.  183)  muß  so  be- 
messen sein,  daß  auch  bei  größter  seitlicher 
Auslenkung  des  Schiebers  die  Dichtungsbreite 
k  ^  0'5  a  bleibt.  Ist  der  Schieberhub  veränder- 
lich, wie  bei  den  gleich  zu  besprechenden 
Kulissensteuerungen,  so  soll  zur  Vermeidung 
von  Ansatzbildungen  auch  bei  kleinstem 
Schieberhub  die  Schieberinnenkante  über  die 
Kante  des  Kanals  Og,  die  Schieberaußenkante 
über  den  Rand  des  Schieberspiegels  wegschleifen. 

Es  finden  sich  zuweilen  gewisse  Abweichungen 
gegenüber  der  bisher  betrachteten  regelrechten 
Anordnung  der  Schiebersteuerung.  Die  sinn- 
gemäße Änderung  der  zeichnerischen  Unter- 
suchung ergibt  sich  in  einfacher  Weise.  Wenn 


Söi« 


■aber. 


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\S. 

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i    V 

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M, 

Rudnvariv,^ 

1 

Abb.  190. 

l- 


Oyitnder 


Abb.  191. 


z.B.  die  Bewegungsrichtungen  des  Kurbeltriebs 
und  des  Schieberantriebs  einen  Winkel  mit- 
einander bilden  (Abb.  190),  so  muß  die  Ex- 
zenterkurbel in  Abb.  186,  im  gleichen  Sinn 
und  um  den  gleichen  Wmkel  gedreht,  der 
Voreilwinkel  im  vorliegenden  Fall  also  ver- 
kleinert werden. 

Zuweilen  werden  aus  irgendwelchen  räum- 
lichen Gründen  zwischen  Exzenterstange  und 
Schieberstange  Zwischenglieder,  meistens  zwei- 
armige Hebel  eingeschaltet  (Abb.  191).  Zwei- 
armige Hebel  kommen  auch  bei  den  Kulissen- 
steuerungen (vgl.  später)  vor  (Abb.  220  u.  unter 
Lokomotive,  Taf.  II,  Abb.  18).  Wegen  der  Be- 


200 


Steuerungen. 


wegungsumkehr  ist  alsdann  das  Exzenter  um 
180"  gegen  seine  Lage  bei  unmittelbarem  An- 
trieb zu  versetzen.  Da  im  Fall  der  Abb.  191 
gleichzeitig  ein  Schrägantrieb  vorliegt,  so  ist  ö 
nicht  von  Y^  V,,  sondern  von  K  K  an  abzu- 
tragen. 

Das  an  Hand  der  Abb.  1 86  geschilderte  Ver- 
fahren ist  ohneweiters  oder  mit  geringen 
sinngemäßen  Änderungen  auch  auf  andere 
Schieberformen,  z.  B.  den  Trickschen  Kanal- 
schieber (Bd.  III,  S.  243,  Abb.  191)  oder  den 
Kolbenschieber  mit  innerer  und  äußerer  Ein- 
strömung anwendbar  (ebenda,  Abb.  187). 

Für  einen  Schieber  mit  innerer  Einströmung 
erfolgt  die  Untersuchung  ebenso,  wie  oben 
auseinandergesetzt.   Die  Exzenter  müssen  aber 


Abb.  192. 

um  180°  gegen  die  normale  Anordnung  ver- 
setzt werden.  Die  äußere  Überdeckung  wird 
nach  innen  gelegt  und  umgekehrt. 

Alle  bisherigen  Ermittlungen  gelten  auch  für 
Kulissensteuerungen,  deren  Wirkungsweise  im 
nächsten  Abschnitt  auf  die  einfache  Schieber- 
steuerung zurückgeführt  werden  wird. 

Der  Schieberweg  heißt  die  Ablenkung 
des  Schiebers  aus  seiner  Mittellage.  Es  ist  dies 
in  dem  Sonderfall  der  Abb.  186,  d.  h.  bei 
Totpunktstellung  der  Triebkurbel,  wenn  C  K\ 
mit  r  bezeichnet  wird,  der  Wert  i  =  r  sin  8. 
Denkt  man  sich  die  Kurbeln  um  einen  be- 
liebigen Winkel  co  gedreht,  so  wird  allgemein 
%  =  r  sin  (ö  —  lo)  =  r  sin  6  cos  co  4-  r  cos  6  sin  m. 

Nun  sind  r  cos  b  und  r  sin  6  Abszisse  und 
Ordinate  des  Endpunktes  AC,  der  Exzenterkurbel 
bei  Totpunktstellung  der  Triebkurbel.  Nennt 
man  diese  A  und  B,  so  erhält  man  die  Gleichung 
für  den  Schieberweg 

l^A  cos  CO  -j-  ß  sin  co. 


Für  genaue  Ermittlungen  darf  man,  wie 
schon  früher  angedeutet,  nicht  an  der  Vor- 
stellung festhalten,  daß  Punkt  AT  (Abb.  186)  die 
Schieberkante  unmittelbar  steuere,  sondern  man 
muß  wie  in  Abb.  185  mit  der  Exzenterstangen- 
länge den  Bogen  KP  schlagen,  um  in  P  die 
tatsächliche  Lage  der  Schieberkante  zu  erhalten. 
Es  ergibt  sich  in  Abb.  192  das  lineare  Voreilen 
v'  statt  des  Wertes  v.  Dieser  Wert  gilt  nur  für 
den  eben  betrachteten  Kanal,  also  für  die  Kurbel- 
seite des  Zylinders.  Trägt  man  in  Abb.  192 
auch  den  zur  Deckelseite  des  Zylinders  führen- 
den Kanal  ein,  so  braucht  man  die  Kurbel 
CAT,  nur  um  ISO"  zu  drehen,  um  in  u'  das 
lineare  Voreilen  für  diesen  Kanal  zu  erhalten 
und  weiterhin  die  Dampfverteilung  für  diesen 
prüfen  zu  können.  Die  Darstellungsweise  ist 
nicht  mit  der  der  Abb.  186  zu  verwech- 
seln. Dort  kehrte  in  einem  Bild  zweimal  der- 
selbe Kanal  wieder,  um  seine  Wirkung  als 
Dampfein-  und  Dampfauslaß  darzulegen.  Hier 
dagegen  handelt  es  sich  um  die  beiden  Kanäle 
an  der  Kurbel-  und  der  Deckelseite  des 
Zylinders.  Das  lineare  Voreilen  wird  durch 
den  Einfluß  der  endlichen  Schieberstangenlänge 
an  der  Kurbelseite  verkleinert,  an  der  Deckelseite 
vergrößert.  Die  endliche  Schieberstangenlänge 
hat  demnach  zur  Folge,  daß  das  lineare  V'oreilen 
vor  und  hinter  dem  Kolben  verschieden  groß 
ausfällt,  vorausgesetzt,  daß  die  äußere  Cber- 
deckung,  wie  in  Abb.  192,  an  beiden  Schieber- 
enden gleich  groß  gewählt  wird.  Anderseits 
kann  man  den  Fehler  beseitigen,  indem  man 
die  Überdeckungen  an  der  Kurbelseite  ver- 
kleinert, auf  der  Deckelseite  vergrößert,  so  daß 
die  Kanäle  in    die   punktierte    Lage   kommen. 

Die  Abbildung  läßt  erkennen,  wie  weiterhin 
der  Einfluß  der  endlichen  Exzenterstangenlänge 
auf  den  Beginn  der  Expansion  ermittelt  wird. 
Geht  man  zunächst  von  der  ursprünglich 
angenommenen  Lage  des  Kanals  aus,  so  er- 
gibt sich,  indem  man  die  endliche  Exzenter- 
stangenlänge durch  Schlagen  eines  Kreis- 
bogens berücksichtigt,  folgender  Einfluß 
dieser  Länge  auf  den  Beginn  der  Expansion: 
Statt  in  k  beginnt  sie  beim  Hingang  des  Kolbens 
schon  in  k';  statt  in  /  beim  Rückgang  erst 
in  /'.  Die  X'erlegung  des  Kanals,  d.  h.  also 
die  Änderung  der  Überdeckungen  beseitigt, 
wie  die  weiter  eingetragenen  Kreisbögen  er- 
kennen lassen,  auch  diesen  Fehler  nahezu.  Die 
Füllungsverhältnisse     ergeben     sich     jetzt    zu 

K,K.    und   zu    ^^-^_-. 

Ganz  ähnliche  X'erhältnisse  bestehen  hin- 
sichtlich des  Einflusses  der  endlichen  Exzenter- 
stangenlängen auf  die  Vorausströmung.  Man 
wird    auf    Vergrößerung    der    inneren    Über- 


Steuerungen. 


201 


deckung  auf  der  Kurbelseite,  auf  Verkleinerung 
auf  der  Deckelseite  geführt,  u.  zw.  um  die 
gleichen  Beträge,  wie  sie  oben  für  die  Vor- 
einströmung ermittelt  wurden.  Die  Zusammen- 
fassung aller  dieser  Verkleinerungen  und  Ver- 
größerungen bedeutet,  daß  der  Bewegungsmittel- 
punkt des  Schiebers,  von  dem  aus  er  gleich 
weit  nach  beiden  Seiten  ausschlägt,  aus  seiner 
anfangs  angenommenen  Lage  über  der  Mitte 
des  Ausströmungskanals  um  die  ermittelte 
Änderung  der  Oberdeckungen  von  der  Kurbel 
weg  zu  verschieben  ist. 

Diese  Verschiebung  hat,  wie  die  punktiert 
eingezeichneten  Kanäle  in  Abb.  192  erkennen 
lassen,  zur  Folge,  daß  sie  nun  verschieden  weit 
geöffnet  werden.  Bemißt  man  die  Kanäle  so, 
daß  die  kleinere  Öffnung  auf 
der  Deckelseite  noch  genügt, 
so  ist  jene  Verschiedenheit 
ohne  Bedeutung. 

Die  Dampfverteilung  er- 
leidet eine  weitere  Änderung 
durch  den  Einfluß  der  end- 
lichen Länge  der  Trieb- 
stange. Auf  das  lineare  Vor- 
eilen erstreckt  sich  dieser  Ein- 
fluß nicht,  denn,  wenn  der 
Schieber  um  das  lineare  Vor- 
eilen geöffnet  hat,  stehen  die 
Kurbeln  im  Totpunkt.  Die 
Einströmungsdauer  hingegen 
hat  auf  der  Kurbelseite    nun 

K  k"' 
den     Wert     -,1-t^,     somit 

A,  As 

kleiner,  auf  dem  Rückweg  den 
Ä5  /'" 


werden  können.  Für  den  Rückweg  des  Kolbens 
werden  die  Schieberwege  nach  unten  abgetragen. 
Zieht  man  in  einem  Abstand,  der  gleich  den 
äußeren  Überdeckungen  der  beiden  Schieber- 
enden ist,  die  beiden  Parallelen  TT  und  in 
einem  Abstand,  der  gleich  den  inneren  Über- 
deckungen ist,  die  beiden  Parallelen  H H  zn 
Kq  Ka,,  so  kann  man  alle  wesentlichen  Punkte 
des  Steuerungsvorgangs  ablesen.  Es  beginnt 
z.  B.:  bei  Zj  die  Expansion  und  bei  Z^  die 
Vorausströmung  für  den  Kolbenhingang.  Die 
Kreisbogen  Z3Z3  und  Z^Z^  bestimmen  die 
zugehörigen  Kurbelstellungen  CZ3  und  CZ^. 
Das  Bild  läßt  auch  ohneweiters  erkennen, 
daß  die  Voreinströmung  und  Vorausströmung 
verschieden  groß  ausfallen  würden,  wenn  die 


Wert 


k,k: 


demnach  größer  als  bei  Nicht- 


berücksichtigung der  endlichen  Stangenlängen. 
Die  Abbildung  zeigt,  daß  das  Verfahren,  das 
zur  Behebung  des  Einflusses  der  endlichen 
Exzenterstangenlänge  eingeschlagen  wurde,  auch 
den  Einfluß  der  endlichen  Triebstangenlänge 
mildert. 

Außer  der  in  Abb.  186  angegebenen  Dar- 
stellungsweise, die  von  Reuleaux  stammt,  be- 
nutzt man  noch  andere  Schieberdiagramme. 
Abb.  193  zeigt  die  Schieberellipse.  Auf  dem 
wagrechten  Durchmesser  des  Kurbelkreises 
ermittelt  man  die  z.  B.  zur  Kurbelstellung  CK2 
gehörige  genaue  Kolbenstellung,  indem  man 
mit  der  Triebstangenlänge  den  Bogen  K2  Q 
schlägt.  Der  kleinere  Kreis  zur  Rechten  dient 
zur  Ermittlung  des  gleichzeitigen  genauen 
Schieberwegs  0«2,  der  in  C,  senkrecht  zu 
A'g  Kl,  aufgetragen  wird  u.  s.  w.  Dieser  Schieber- 
kreis ist  um  90°  gegen  seine  richtige  Lage 
zum  Kurbelkreis  gedreht,  damit  die  Schieber- 
wege bequem   in   den  Kurbelkreis  übertragen 


Überdeckungen  beiderseitsgleich  gemacht  wären. 
Daaberdieäußeren  und  inneren  Überdeckungen 
nicht  von  A^AI,,  sondern  von  einer  um  /, 
tiefer  liegenden  Parallelen  R^R^  abgetragen 
sind,  so  ist  damit  die  oben  besprochene  Be- 
richtigung derSchieberbewegung  vorgenommen, 
d.h. es  sind  die  Überdeckungen  um/,  vergrößert 
bzw.  verkleinert  oder  mit  anderen  Worten:  der 
Bewegungsmittelpunkt  des  Schiebers  ist  um  /, 
verschoben.  Man  kann  der  Abbildung  auch  ohne- 
weiters entnehmen,  daß  infolge  dieser  Be- 
richtigung die  Kanaleröffnungen  an  beiden 
Zylinderenden  verschieden  groß  ausfallen. 

Die  Schieberellipsen  können  durch  geeignete 
Vorrichtungen  an  jeder  Dampfmaschine  auf- 
genommen werden. 

Das  Zeunersche  Schieberdiagramm  ist 
die  geometrische  Darstellung  der  oben  ab- 
geleiteten Gleichung  für  den  Schieberweg 
I  =  r  sin  5  cos  cü  -p  r  cos  h  sin  w.  Die  Polar- 
gleichung eines  Kreises,  dessen  Leitstrahl  \, 
dessen  Halbmesser  q  ist  und  dessen  Durchmesser 


202 


Steuerungen. 


gegen  die  Ordinatenachse  die 
Neigung  Ö  hat,  lautet  t  = 
2 Q  sin  8  cos  CO -[-2  o  cos  b  sin  ü3. 
Es  hat  in  obiger  Glei- 
chung r  der  Halbmesser  des 
Exzenterkreises  die  Bedeu- 
tung von  2  Q,  also  des  Durch- 
messers eines  durch  die  Glei- 
chung dargestellten  Kreises. 
Man  mache  in  Abb.  194 
CE=r  und  lege  es  um  8 
geneigt  gegen  die  Ordinaten- 
achse. CO^\  ist  dann  der 
Schieberweg.  Schlägt  man 
noch  um  C  Kreise  mit  /  und  e, 
so  können  alle  Abschnitte 
der  Dampfverteilung  geprüft 
werden.  Für  Winkel  ü)  über 
180°  müßte  man  sich  die 
Kurbel  z.  B.  in  der  Stellung 


3-w 


Abb.  195. 

Umsteuerung  und  Einstellbarkeit  der  Füllung  zu 
ermöglichen.  Abb.  190,  195,  196,  197,  198  u. 
199  zeigen  Kulissensteuerungen  für  Lokomoti- 
ven. Die  Umsteuerungen  oder  die  Änderung  des 
Füllungsgrades  erfolgt  nach  Abb.  195  durch  He- 
bung oder  Senkung  der  Kulisse  M,  nach  Abb.  1 96 
durch  Hebung  oder  Senkung  der  Schieberschub- 
stange Ly  nach  Abb.  197  durch  Hebung  oder 
Senkung  derKulisse^l'f  und  gleichzeitige  Gegen- 
bewegung der  Schieberschubstange  Z.,,  nach 
Abb.  198  durch  Hebung  oder  Senkung  der 
Schieberschubstange  EA  und  endlich  nach  Abb. 
199  durch  Drehung  der  Kulisse  M.  Diese  Ver- 
stellungen werden  durch  Drehung  der  Steuer- 
wellePeingeleitet,  die  ihrerseits  wieder  mittels  des 
angedeuteten  Gestänges  durch  Betätigung  eines 
auf  dem  Führerstand  befindlichen  Steuerhebels 
(Abb.  200)  oder  einer  meist  mehrgängigen  Steuer- 
schraube (Abb.  201)  bewirkt  wird.  Zuweilen 
finden  auch  mit  Dampf  oder  Luftdruck  arbeitende 
Umsteuerungsvorrichtungen  Anwendung. 


Cfi  nach  rückwärts  über  C 
verlängert  denken,  um  dann 
auf  CE  den  Schieberweg  ab- 
zulesen. Statt  dessen  trägt  man 
einen  zweiten  Kreis  nach  rechts 
unten  ein  u.  s.  w.  Die  Glei- 
chung für  den  Schieberweg 
berücksichtigt  nicht  die  end- 
lichen Stangenlängen.  Man  er- 
hält also  nur  ein  angenähertes 
Bild  des  Steuerungsvorgangs. 

III.    Die    Kulissensteue- 
rungen   im    allgemeinen. 

Die  Kulisse  ist  bei  Lokomo- 
tiven das  übliche  Mittel,  um 


Ko,. 


1.    Die 


Kulissensteuerungen 
2  Exzentern. 


mit 


Steuerungen. 

A- 


203 


A.  Wirkungsweise  und  Bau- 
arten. Die  Wirkungsweise  der  Kulissen- 
steuerungen als  Umsteuerungen  geht  aus 
Abb.  195  ohneweiters  hervor.  In  der 
gezeichneten  Kulissenstellung  wird  nur 
die  Bewegung  der  Exzenterstange  L  auf 
die  Schieberstange  W  übertragen,  weil 
beide  am  gleichen  Punkt  der  Kulisse 
angreifen.  Die  Lokomotive  läuft  vor- 
wärts, weil  das  zur  Stange  I  gehörende 
Exzenter  in  Richtung  der  Vorwärts- 
drehung der  Kurbel  um  90°  -|-  8  gegen 
diese  versetzt  ist.  Das  andere  Exzenter 
ist  um  90"  -|-  6  in  Richtung  der  Rück- 
wärtsdrehung der  Kurbel  gegen  diese 
versetzt.  Bei  gehobener  Kulisse  läuft  die 
Lokomotive  also  rückwärts. 

Bei  den  Kulissensteuerungen  der 
Abb.  196  und  197  ist  die  Wirkungs- 
weise als  Umsteuerung  eine  ganz  ent- 
sprechende. 

Es  greift  entweder  das  Vorwärtsex- 
zenter am  oberen  und  das  Rückwärts- 
exzenter am  unteren  Kulissenende  an 
(Abb. 190  und 
195)  oder  um- 
gekehrt (Abb. 
196, 197).  Man 
spricht  im  er- 
steren  Fall  von 
offenen,  im  letz- 
teren von  ge- 
kreuzten Stan- 
gen. Die  beson- 
deren Eigen- 
schaften beider 
Anordnungen 
werden  sich 
aus  der  nun 
folgenden    Be- 


204 


Steuerungen. 


trachtung  ergeben.  Die  Wirkungsweise  der 
Kuiissensteuerungen  als  Vorrichtungen  zur 
Einstelhing  der  Füllung  bedarf  besonderer 
Behandlung.  Die  Betrachtung  soll  an  eine 
Stephensonsche  Kulisse  mit  offenen  Stangen 
angelehnt  werden  (Abb.  195  u.  202).  Die 
Kulisse  kann  3  ausgezeichnete  Stellungen  ein- 
nehmen: 1.  die  in  erstgenannter  Abbildung 
gezeichnete,  bei  der  nur  das  Vorvcärtsexzenter 
zur  Wirksamkeit  kommt,  2.  die  entgegengesetzte 
Stellung,  bei  der  nur  das  Rückwärtsexzenter  zur 
Wirksamkeit  kommt,  3.  die  Mittelstellung,  bei 


Abb.  :99. 


Abb.  201, 

der  der  Kulissenstein  S  bei  Z^  in  der  Mitte 
der  Kulissenhöhe  liegt.  In  dieser  Stellung 
wirken  beide  Exzenter  im  gleichen  Maße.  Diese 
Kulissenstellung  gibt,  wie  sich  zeigen  wird, 
keine  brauchbare  Dampfverteilung,  wohl  aber 
gewisse  Zwischenstellungen,  z.  B.  wenn  der 
Kulissenstein  zwischen  Z^  und  Zj  liegt.  Er 
liegt  dann  im  Abstand  u  (Abb.  202)  über  dem 
Kulissenmittelpunkt  O.  Das  Vorwärtsexzenter 
hat  jetzt  den  überwiegenden,  das  Rückwärts- 
exzenter einen  geringeren  Einfluß  auf  die  Be- 
wegung der  in  P  angreifenden  Schieberstange. 
Die  Aufgabe  ist,  ein  resultierendes  Exzenter 
nach  Größe  der  Exzentrizität  und  des  Voreil- 
winkels  zu  bestimmen,  das,  an  Stelle  der  beiden 
Exzenter  C  E^,  und  C  £,■  aufgekeilt  und  mit 
seiner  Stange  bei  P  unmittelbar  an  die  Schieber- 


stange angelenkt,  dieser  die  gleiche  Bewegung 
erteilt  wie  jene  unter  Vermittlung  der  Kulisse. 
Mit  Lösung  dieser  Aufgabe   sind   die  Erschei- 
nungen, die  die  Kulissensteuerungen  darbieten, 
auf  die  im  Abschnitt  II  behandelten  einer  ein- 
fachen   Schiebersteuerung   zurückgeführt.    Der 
Einfluß    endlicher    Stangenlängen    (vgl.  oben) 
muß    vernachlässigt    werden.    Ferner   soll  an- 
genommen werden,  daß  die  Kulissenendpunkte 
Mi,^  Mr  gerade,  parallel  zur  Schieberbewegung 
verlaufende  Bahnen  beschreiben.   In  Wahrheit 
beschreiben  die  Endpunkte  der  im  Aufhängungs- 
punkt Zj  (Abb.  195) 
im    Kreis    geführten 
und  gleichzeitig  ihre 
Neigung    ändernden 
Kulisse       eigentüm- 
liche      schleifenför- 
mige  Bahnen. 

Die  Aufgabe  zer- 
fällt in  2  Teile.  Man 
sucht  zuerst  jedes 
Exzenter  für  sich 
durch  ein  anderes  zu 
ersetzen,  das  die 
Schieberstange  ohne 
Vermittlung  einer 
Kulisse  in  P  antreibt. 
Dann  sind  diese 
beiden    Exzenter   zu 

einem  resultierenden  zusammenzusetzen. 
Das  Exzenter  Cf",.  hat  beim  Antrieb  des 
Kulissenendpunktes  M„  —  immer  unend- 
liche Stangenlängen  vorausgesetzt  —  die 
Totpunkte  £",.„  und  £",.,.  Das  Ersatzexzenter, 
das  P  unmittelbar  antreiben  soll,  hat  die 
Totpunkte  Kq  und  A",,  muß  also,  um  seine 
Totpunkte  im  gleichen  Zeitpunkt  wie  jenes 
zu  durchlaufen,  um  ^  £",.(, C/<;,  ^  ß^ 
gegen  dasselbe  versetzt  werden.  Bei  einer 
Drehung  des  Exzenters  um  180°  aus 
der  Stellung  Cf,.^  in  die  Stellung  C£",.,  würde 
das  Kulissenende  von  yW,.„  nach  Af,.,  gelangen 
und  den  Weg  2  X  Cf,,,  durchlaufen,  wenn  es 
sich,  wie  beim  regelrechten  Kurbeltrieb  der 
Kreuzkopf,  in  der  Richtung  der  Totpunktlagen 
£",.„£",.,  bewegen  könnte.  Das  Kulissenende  bewegt 
sich  gemäß  Annahme  aber  auf  der  Geraden  A  B. 
Den  wirklichen  Endpunkt  der  Bewegung  erhält 
man,  indem  man  mit  der  Exzenterstangen- 
länge Kreisbögen  um  £",.„  und  £",.,  schlägt,  oder 
sehr  annähernd,  indem  man  £",.,  yW,.,  =  f,.,  yW,.,  ^= 
der  Exzenterstangenlänge  macht  und  die  Lote 
und  My  D    errichtet.  Damit  ergibt  sich 


Abb.  200. 


M.,D, 


CEv 


der  Weg  des  Kulissenendes  zu  Z)oZ)|=^  „    . 

Das  Ersatzexzenter  muß  daher  nicht  nur,  wie 
eben  nachgewiesen,  um  ß,,  versetzt,  sondern  auch 


Steuerungen. 


205 


auf 


CEv 


a     vergrößert  werden.    Dieser    Bedin- 

COS  ßi/  *■ 

gung  genügt  das  Exzenter  CZf',..  Die  ?m\  M^ 
übertragene  Bewegung    gelangt  nur    mit  dem 

Bruchteil  —^ —   nach  P.    Das  an  P  unmittel- 
z  c 

bar  angreifende  Ersatzexzenter  muß  nun  end- 
gültig die  Länge  CE\.^—=CE"v  er- 
halten. 

In  ganz  gleicher  Weise  muß  das  Ersatz- 
exzenter  für    das   Rückwärtsexzenter    ermittelt 

werden.  Für  ß,,  ist  ß^,  für  -  '^      ist  -^ —  zu 

setzen.  Beide  E.xzenter  sind  nach  dem  Parallelo- 
gramm der  Bewe- 
gungen zu  dem  resul- 
tierenden Exzenter 
C  Er  zusammenzu- 
setzen. 

Wenn  man  die  be-  t^ 

sprochene  Konstruk- 
tion für  verschiedene 

Kulissenstellungen 
ausführt,  so  bekommt 
man  eine  ganze  Reihe 
von  resultierenden  Ex- 
zentern. Die  äußer- 
sten sind  mit  ß,,  bzw. 
ßr  =  0  und  11=  c 
den  wirklichen  Ex- 
zentern gleich  und  er- 
geben   sich    für   die 

Kulissenendlagen. 
Das  kleinste  resultie- 
rende Exzenter  liegt 
gegen  dieTriebkurbel 
um  180°  versetzt  und 
ergibt  sich  für  die 
Mittellageder  Kulisse. 

Die  Endpunkte  aller  dieser  Relativexzenter  liegen 
auf  der  „Scheitelkurve".  Sie  ist  eine  Parabel, 
die  im  oben  behandelten  Fall,  also  für  eine 
Stephensonsche  S.  mit  offenen  Stangen  ihre 
hohle  Seite  der  Kurbelwelle  zuwendet.  Ver- 
kleinert man  die  Füllung,  so  wird  bei  Tot- 
punklstellung  der  Kurbel  der  Schieber  von  seiner 
Mittellage  weiter  entfernt.  Die  Stephensonsche 
S.  mit  offenen  Stangen  ergibt  daher  für  ab- 
nehmende Füllung  zunehmendes  lineares  Vor- 
eilen. 

Für  eine  Stephensonsche  S.  mit  gekreuzten 
Stangen  sind  die  ^  ß  negativ,  weil  die  Stange 
des  Vorwärtsexzenters  nicht  nach  oben,  sondern 
nach  unten  um  ß,.  von  der  Achse  der  Schieber- 
bewegung abweicht  u.  s.  w.  Das  Ersatzexzenter 
für  das  Vorwärtsexzenter  CEy  eilt  diesem 
um  ß„  nach,  nicht  vor,  und  die  Scheitelkurve 
wendet   ihre   gewölbte   Seite   der   Kurbelwelle 


zu.  Das  lineare  Voreilen  nimmt  daher  mit  ab- 
nehmender Füllung  ab. 

Bei  der  Oooch-Steuerung  (Abb.  196)  wird 
Umsteuerung  und  Füllungsänderung  durch 
Heben  und  Senken  der  Schieberschubstange  L, 
bewirkt.  Man  braucht  demnach  nur  die  Kulisse 
mit  einem  Halbmesser  zu  krümmen,  der  gleich 
der  Schieberschubstangenlänge  /.,  ist,  so  er- 
leidet bei  Totpunktstellung  der  Triebkurbel 
Punkt  G,  also  auch  der  Schieber  während 
des  Umsteuerns  keine  Verschiebung.  Das 
lineare  Voreilen  ist  unveränderlich,  die  Scheitel- 
kurve eine  Gerade.  Die  Ermittlung  ihrer  Lage 
erfolgt  wie  bei  der  Stephensonschen  S.,  wobei 


Abb.  202. 


zu  beachten  ist,  daß  ß^,  ß^.  unveränderlich  ist, 
weil  die  Kulisse  ihre  Höhenlage  nicht  ändert. 

Die  Allan-Trick-Steuerung  (Abb.  197)  steht 
zwischen  beiden  Bauarten.  Es  ergeben  sich 
schwach  gekrümmte  Scheitelkurven  und  eine 
Veränderlichkeit  des  Voreilens,  die  gering- 
fügiger als  bei  .der  Stephensonschen  S.  ist. 

Die      Gleichung      für     den      Schieberweg 
l  =  A  cos  M -\-  B  sin  co  muß  für  Kulissensteue- 
rungen in  der  Form  geschrieben  werden: 
■g  =  .«  cos  CO  -\-y  sin  co. 

Hierin  sind  x  und  y  die  Ordinaten  des- 
jenigen Punktes  der  Scheitelkurve,  der  zufolge 
der  gerade  gewählten  Einstellung  der  Kulisse 
eben  benutzt  wird. 

Statt  einer  Schieberellipse  ergibt  sich  für 
eine  Kulissensteuerung  eine  ganze  Schar  dieser 
Ellipsen. 


206 


Steuerungen. 


Statt  eines  Kreispaares  des  Zeunerschen 
Diagramms  (Abb.  194)  ergibt  sich  bei  Kulissen- 
Steuerungen  eine  Schar  solcher  Kreise  (Abb.  203). 
Die  Endpunkte  ihrer  Durchmesser  liegen  auf 
der  Scheitelkurve. 

Man  kann  sich  die  Scheitelkurve  als  Schlitz- 
führung für  einen  Stein  verwirklicht  denken. 
Der  Stein  würde  je  nach  der  beabsichtigten 
Füllung  und  Drehrichtung  an  einer  bestimmten 
Stelle  des  Schlitzes  festzuklemmen  sein  und 
mittels  Schieberschubstange  und  Schieberstange 
den  Schieber  bewegen.  Diese  sehr  einfache 
Vorrichtung  würde  eine  Kulissensteuerung, 
was  die  Schieberbewegung  anlangt,  völlig  er- 


übt  also  keine  Zugkraft  aus.  Je  größer  die  bei 
ausgelegter  S.  ermöglichte  Füllung  ist,  um  so 
näher  steht  der  Kolben  bei  abschließendem 
Schieber  schon  dem  Totpunkt,  um  so  geringer 
ist  der  Ausfall  an  Anzugskraft,  wenn  er  keinen 
Frischdampf  mehr  erhält. 

Abb.  186  läßt  erkennen,  warum  man  nicht 
beliebig  große  Höchstfüllungen  erreichen  kann. 
Geht  man  nämlich  von  der  dort  angenommenen 
äußeren  Überdeckung  e  aus,  so  führt  das  Ver- 
langen größerer  Füllungen  auf  die  Notwendig- 
keit, Punkt  Ky  parallel  der  Kanalkante  nach 
oben  zu  verschieben,  also  auf  einen  größeren 
Exzenterkreis,  d.  h.  ein  größeres  Exzenter.  Es 


Abb.  203. 


setzen,    aber   nicht   während    des    Laufes    der 
Maschine  umstellbar  sein. 

B.  Bauregeln  für  die  Kulissen- 
steuerungen mit  2  Exzentern.  Für  alle 
Kulissensteuerungen,  überhaupt  alle  Umsteue- 
rungen gilt  die  Regel,  daß  sie  ausgelegt  eine 
möglichst  große  Füllung  geben  sollen.  Es  ist 
dies  nicht  nur  erforderlich,  um  zeitweise,  be- 
sonders während  des  Anfahrens,  die  Zugkraft 
über  das  durchschnittliche  Maß  zu  steigern, 
sondern  es  spricht  auch  die  Rücksicht  auf  die 
Kolbenstellungen  vor  dem  Anziehen  der  Loko- 
motive mit.  Steht  der  Kolben  dem  Ende  seines 
Hubes  nahe,  so  hat  der  Schieber  schon  ab- 
geschlossen. Bei  der  in  Fahrt  befindlichen 
Lokomotive  würde  der  expandierende  Dampf 
auf  den  Kolben  wirken;  bei  der  stehenden  fehlt 
dieser,  und  dem  Frischdampf  wird  der  Eintritt 
vom  Schieber  verwehrt.  Der  betreffende  Kolben 


Abb.  204. 


ergeben  sich  bald  unausführbar  große  Steue- 
rungsabmessungen, und  lOO'/fl  Füllung  würden 
erst  bei  einem  unendlich  großen  Exzenter  er- 
reicht. Man  könnte  anderseits  eine  Füllung  von 
fast  100%  dadurch  erreichen,  daß  man  die 
äußere  Überdeckung  ganz  klein,  in  der 
Abb.  204  =  0  macht.  Das  Exzenter  würde  nun 
die   Stellung  CK   erhalten,    das    Füllungsver- 

Kk 
hältnis  =:  ^c^  =  98-5  %   sein.  Legt  man  aber 

die  S.  auf  kleinere  Füllung  um,  so  entsteht 
unter  Annahme  einer  geradlinigen  Scheitel- 
kurve MN   das  resultierende    Exzenter  CK'- 


Es   ist   auf   etwa 


des  Exzenters  CK  ver- 


kleinert,   die  S.  also  der  Mittellage   sehr    weit 
genähert  und  trotzdem    ist   die  Füllung  noch 

^-..,  =  82-5  % .  Die  Voreinströmung  aber  ist 

schon    auf  den  ganz  unzulässigen  Wert  m  K' 


Steuerungen. 


207 


gestiegen.  Der  Schieber  öffnet  viel  zu  früh  und 
ruft  einen  schädlichen  Gegendruck  auf  den 
Kolben  hervor.  Bei  Mittelstellung  der  S.  würde 
sich  noch  immer  50%  Füllung  einstellen.  Die 
Voreinströmung  wäre  ebenfalls  50  %  . 

Die  Höchstfüllung  ist  aus  diesen  Gründen 
zu  75  -  83  %   anzusetzen. 

Die  Ansichten,  ob  für  die  Stephenson-  und 
die  Allan-Trick-Steuerung  offene  oder  gekreuzte 
Stangen,  also  mit  verringerter  Füllung  zu-  oder 
abnehmendes  lineares  Voreilen  vorzuziehen  sei, 
sind  geteilt.  Die  kleineren  Füllungen  werden 
bei  größeren  Geschwindigkeiten  benutzt.  Für 
diese  ist  zur  Vermeidung  starker  Dampf- 
drosselung erwünscht,  daß  schon  zu  Anfang 
der  Kolbenbewegung  große  Kanalöffnungen 
vorhanden  seien.  Das  spricht  für  offene  Stangen. 
Bei  der  Gooch-Steuerung  ist  das  Voreilen  un- 
veränderlich. Von  diesem  Standpunkt  aus  ist 
es  gleichgültig,  ob  sie  mit  offenen  oder  ge- 
kreuzten Stangen  ausgeführt  ist. 

Für  die  Aufhängung  der  Kulisse,  bei  der 
Gooch-  und  Allan-Trick-Steuerung  auch  der 
Schieberschubstange,  gilt  die  Forderung,  daß 
die  Kulisse  dort,  wo  der  Stein  liegt,  und  dieser 
selbst  geradlinig  in  der  Achse  des  Steuerungs- 
antriebs geführt  werden  sollen.  Diese  For- 
derung ist  nicht  streng  erfüllbar.  Man 
muß  sich  damit  begnügen,  einen  Punkt 
der  Kulisse  durch  ein  möglichst  langes  Hänge- 
eisen in  flachem  Kreisbogen  zu  führen.  Ihre 
anderen  Punkte  beschreiben  dann  um  so  ver- 
wickeitere Bahnen,  je  weiter  sie  vom  Auf- 
hängepunkt entfernt  sind.  Bei  der  Gooch-  und 
Allan-Trick-Steuerung  erfolgt  auch  die  Führung 
der  Schieberschubstangen  durch  möglichst  lang 
zu  wählende  Hängeeisen  in  Kreisbögen. 

Die  Folge  aller  dieser  Notbehelfe  ist,  daß 
der  Stein  um  so  stärker  „springt",  d.  h.  um 
so  größere  Bewegungen  im  Kulissenschlitz 
macht,  je  weiter  vom  Aufhängepunkt  der 
Kulisse  entfernt  er  eingestellt  ist.  Bei  haupt- 
sächlich vorwärtsfahrenden  Lokomotiven  mit 
gekreuzten  Stangen,  bei  denen  der  Stein  meist 
in  der  unteren  Kulissenhälfte  steht,  läßt  man 
daher  das  Hängeeisen  bei  oben  liegender 
Steuerwelle  häufig  am  unteren  Kulissenende 
angreifen.  Der  Stein  steht  dann  bei  der  meist 
benutzten  Füllung  dem  am  besten  geführten 
Punkt  der  Kulisse  nahe  und  das  Hängeeisen 
wird  lang.  Die  gleiche  Überlegung  führt  zur 
Aufhängung  des  oberen  Kulissenendes  bei 
offenen  Stangen  und  unten  liegender  Steuer- 
welle. Das  Springen  des  Steines  ist  schädlich, 
weil  es  die  Dampfverteilung  beeinträchtigt,  Ab- 
nutzungen und  unbequeme  Kräfterückwirkungen 
auf  das  ganze  Steuerungsgestänge  bis  zum  Steue- 
rungsbock auf  dem  Führerstand  hervorruft. 


Es  lassen  sich  noch  weitere  Forderungen 
für  die  Aufhängung  der  Kulisse  aufstellen,  die 
aber  ebenfalls  nicht  streng  erfüllbar  sind. 

Der  Aufhängepunkt  M  der  Stephensonschen 
Kulisse  soll  nämlich  so  geführt  sein,  daß  die 
Sehne  des  von  ihm  beschriebenen  Bogens 
parallel  der  Schieberbewegung,  also  in  Abb.  205 
wagrecht  liegt.  Andernfalls  würde  die  Kulisse 
in  ihren  beiden,  den  Totpunktlagen  der  Kurbel 
entsprechenden  Endlagen  verschiedene  Höhen- 
lagen haben,  die  Dampfverteilung  für  Kolben- 
hin- und  Rückweg  und  im  besonderen  das 
lineare  Voreilen  ungleich  werden.  Diese  Forde- 
rung müßte  für  jede  Einstellung   der  S.,  also 


«.  H, 


Abb.  205. 

jede  Höhenstellung  der  Kulisse  erfüllt  sein. 
Abb.  205  läßt  erkennen,  daß  dies  nur  dann 
der  Fall  ist,  wenn  der  Aufwurfhebel  OH  auf 
der  Steuerwelle  die  Länge  der  Exzenterstangen  / 
besitzt  und  jene  selbst  bei  O  liegt.  Der  Auf- 
wurfhebel muß  stets  parallel  der  von  C  zum 
Aufhängepunkt  P  der  Kulisse  gehenden  Ver- 
bindungslinie sein.  Bei  Mittellage  und  in  der 
Mitte  aufgehängter  Kulisse  muß  er  die  Lage 
OH,  bei  unten  aufgehängter  Kulisse  die  Lage 
OH2  haben.  Diese  Forderungen  können  im 
allgemeinen  nicht  erfüllt  werden.  Dem  Auf- 
wurfhebel kann  nur  eine  Länge  O.,//  gegeben 
werden  und  O,  ist,  wie  in  Abb.  205  geschehen, 
so  zu  legen,  daß  die  Fehler  möglichst  klein 
werden. 

Abb.  206  deutet  die  entsprechenden  Forde- 
rungen für  die  Gooch-Kulisse  an. 

Ähnliche  Forderungen  lassen  sich  auch  für 
die  Allan-Trick-Steuerung  aufstellen,  die  aber 
gegenstandslos  sind,  weil  für  die  Längen  der 


208 


Steuerungen. 


Aufwurfhebel  weiterhin  andere  wichtigere  Be- 
dingungen aufgestellt  werden  müssen. 

Bei  der  Stephensonschen  S.  sollen  die  Ex- 
zenterstangen möglichst  lang  sein.  Bei  der 
Gooch-  und  Allan-Trick-Steuerung  gilt  die 
gleiche  Forderung  für  die  Schieberschubstange, 
so  daß  ein  Ausgleich   getroffen  werden   muß. 


Bei  der  Stephensonschen  S.  soll  die  Kulisse 
mit  der  Exzenterstangenlänge  als  Halbmesser 
gekrümmt  sein.  Die  Forderung  hat  zum  Zweck, 
den  Schieber  für  beliebige  Stellungen  der 
Kulisse  um  die  gleiche  Mittelstellung  nach 
beiden  Seiten  ausschlagen  zu  lassen.  Die 
Forderung,  an  sich  einleuchtend,  ist  trotzdem 
ungenau.  Hoefer  hat  in  der  Ztschr.  dt.  Ing.  1891, 
S.  476,  eine  genauere  Berechnung  des  Krüm- 
mungshalbmessers der  Kulisse  angegeben,  die 
auf  etwas  kleinere  Werte  führt. 

Über  die  Krümmung  der  Qoochschen  Kulisse 
vgl.  S.  205. 

Die  Allan-Tricksche  S.  ist  aus  dem  Be- 
streben entstanden,  Stephenson-  und  Gooch- 
Steuerung  so  zu  vereinigen,  daß  sich  eine 
gerade  Kulisse  ergibt.  Die  Forderung  ist  er- 
füllt, wenn  das  Verhältnis  der  Steinhebung 
zur  Kulissensenkung,    mit  den  Bezeichnungen 

der   Abb.    207   J  =  /'  (l  -[-  Vi  -|-  i-)  ist. 

Dieser    Forderung    müssen    die    Längen    der 
Hebel    auf    der    Steuerwelle    W   gemäß    der 


Uo 


«j'o 


Gleichung  —  =    - "   angepaßt  sein. 

2.  Die  Kulissensteuerungen  mit  einem 
Exzenter  leiten  die  Schieberbewegung  von 
einem  Exzenter  und  vom  Kreuzkopf  oder  einem 
andern  Punkt  des  Triebwerks  ab.  Das  Trieb- 
werk stellt  gewissermaßen  das  zweite  unent- 
behrljche  Exzenter  dar. 

A.  Die  Wirkungsweise  der  Heusinger- 
(Walschaert-)  Steuerung  (s.  Abb.  198  u. 
Art.  Lokomotive,  Taf.  1).  Die  Heusinger- 
Steuerung  ist  heute  die  am  meisten  verbreitete 
S.  dieser  Gattung  und  die  meist  benutzte  Loko- 


motivsteuerung überhaupt.  Im  Art.  Lokomotive 
(Bd.  VII)  finden  sich  zahlreiche  Ausführungs- 
formen dieser  S.  Ihre  Wirkungsweise  als  Um- 
steuerung und  als  Vorrichtung  zur  Einstellung 
wechselnder  Füllungen  wird  zweckmäßig  gleich- 
zeitig betrachtet.  Denkt  man  sich  in  Abb.  198 
Punkt  A  zunächst  festgehalten,  so  erkennt  man, 
daß  die  Kreuzkopfbewe- 
gung im  Verhältnis  auf 
m 

den  Schieber  übertragen 
und  umgekehrt  wird.  Im 
Diagramm  (Abb.  208) 
ist  ein  gegen  die  Trieb- 
kurbel CT„  um  180"  ver- 
setztes   Exzenter   von    der 

Größe  — /?=€£•'  einzu- 
m 

tragen,  worin  R  den  Halb- 
messer der  Triebkurbel  be- 
deutet. Denkt  man  sich  nun 
Punkt  Z.,  festgehalten,  so 
ergibt  sich  der  vom  Exzenter  C/<^  auf  den 
Schieber  übertragene  Bewegungsanteil  von  einer 
solchen  Größe,  als  ob  er  unmittelbar  von  einem 


Abb.  207. 

Exzenter  der  Größe  r  —     -  —  herrührte.  Hierin 
c      m 

bedeutet  u  die  Verschiebung  des  Steines  aus  der 

Kulissenmitte.  ;z  ist  aber  veränderlich  je  nach  Ein- 
stellung des  Kulissensteins  in  der  Kulisse.  Es 


Steuerungen. 


209 


schwankt  zwischen  Null  und  einem  positiven  und 
negativen  Höchstwert.  Da  das  Exzenter  CKo 
um  QO''  voreilt,  so  ist  jener  Höchstwert  CE, 
in  Abb.  208  ebenfalls  der  Kurbel  um  90"  vor- 
eilend einzutragen,  wenn  der  Stein  unterhalb 
des  Kulissendrehpunktes  liegt.  Bei  dieser 
Steinstellung  fährt  die  Lokomotive  vorwärts. 
Wenn  der  Stein  aber  oberhalb  des  Kulissen- 
drehpunktes steht,  so  erfolgt  durch  die  Kulisse 
eine  Umkehr  der  Bewegung.  Jener  Wert  ist 
als  CE'r  der  Triebkurbel  nacheilend  einzu- 
tragen u.  s.  w.  Es  setzen  sich  z.  B.  CE'  und 
CE'vZn  einem  resultierenden  Exzenter  CZT,  mit 
einem  Voreilwinkel  E[,CE^  zusammen.  Wird 
der  Stein  der  Kuiissenmitte  genähert,  so  wird 
n  kleiner  und  es  ergibt  sich  z.  B.  das  resul- 
tierende Exzenter  CEy  Für  Mittellage  der 
Schieberschubstange  « =  0  bleibt  nur  der 
Kreuzkopfantrieb  übrig.  Das  resultierende  Ex- 
zenter wird  dann  durch  CE'  dargestellt. 

Da  sich  die  Größe  des  Ersatzexzenters  CE' 
nicht  ändert,  so  liegen  die  Endpunkte  aller 
resultierenden  Exzenter  auf  der  Geraden  f^  £",, 
mit  anderen  Worten:  die  Scheitelkurve  ist  eine 
Gerade,    das   lineare  Voreilen   unveränderlich. 

Die  Abszisse  der  Scheitelkurve  hat  den  Wert 

y?— ,    die    veränderliche    Ordinate    den  Wert 
m' 

r!L"y:j'Ji    die  Gleichung   des   Schieberwegs 
cm 

(s.  S.  200)  lautet  also  nach  Maßgabe  des  zur  Er- 
läuterung dieser  Gleichung  Gesagten  für  die 
Heusinger-Steuerung 

:^/?  —  cos  («-[-'■ —  sm  w. 

^  m  'cm 

Man  kann  das  Exzenter  nacheilend  statt  vor- 
eilend aufsetzen,  dann  läuft  die  Lokomotive 
vorwärts,  wenn  der  Kulissenstein  oberhalb  der 
Kulissenmitte  steht  u.  s.  w. 

Wenn  der  Schieber  als  Kolbenschieber  mit 
innerer  Einströmung  ausgeführt  ist,  wie  dies 
heute  für  Heißdampflokomotiven  die  Regel  ist, 
so  muß  er  jeweilig  die  entgegengesetzten  Bewe- 
gungen machen,  als  ein  gewöhnlicher  Schieber. 
Es  müssen  demnach  die  beiden  Bewegungs- 
anteile, die  der  Schieber  von  der  S.  erhält, 
umgekehrt  werden.  Es  muß  darum  erstens 
Punkte!  (Abb.  198)  über  Punkt  O  liegen,  so 
daß  sich  die  Anordnung  der  Taf.  1  zu  Art. 
Lokomotive  ergibt.  Zweitens  lauten  die  oben 
gegebenen  Regeln  über  Vorwärts-  und  Rück- 
wärtsfahrt umgekehrt:  Die  Lokomotive  fährt, 
wenn  das  Exzenter  voreilend  angeordnet  ist, 
vorwärts,  wenn  der  Stein  sich  oberhalb  des 
Kulissendrehpunktes  befindet  u.  s.  w. 

B.  Bauregeln  für  die  Heusinger- 
Steuerung.  In  den  beiden  Totpunktstellungen 
des  Kolbens,  also  Endstellungen  des  Kreuz- 
Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


kopfes,  soll  der  Schieber  um  den  Weg  e-\-v 
aus  seiner  Mittellage  abgelenkt  sein  (Abb.  186). 
Hieraus  folgt  zweierlei : 

1.  Da  die  eben  aufgestellte  Bedingung  auch 
in  dem  Sonderfall  erfüllt  sein  muß,  daß  die 
Schieberschubstange  auf  die  Kulissenmitte  ein- 
gestellt ist,  daß  Punkt  A  (Abb.  198)  bei  der 
Kurbeldrehung  seine  Lage  nicht  ändert,  so 
muß  der  Voreilhebel  OL  nach  beiden  Seiten 
um  den  gleichen  Winkel  ausschlagen.  A,  Z-g  A 
muß  also  ein  gleichschenkeliges  Dreieck  sein, 
dessen  Grundlinie  parallel  der  Zylinderachse 
verläuft  und  in    dessen  Spitze  Punkt  A  liegt. 


Abb.  20S. 

2.  Da  auch  bei  Verlegung  der  Schieber- 
schubstange in  der  Kulisse  der  Schieber,  sofern 
sich  der  Kolben  in  einer  seiner  Totpunktlagen 
befindet,  seine  Stellung  ±  (e-\-v)  aus  der 
Mittellage  abgelenkt  beibehalten  muß,  so  muß 
die  Kulisse  als  Kreisbogenstück  mit  der  Schieber- 
schubstange AE  als  Halbmesser  ausgeführt 
sein,  und  sie  hat  für  beide  Totpunktstellungen 
des  Kolbens  eine  solche  Lage  einzunehmen, 
die  sich  mit  dem  um  A  mh  AE  geschlagenen 
Kreis  deckt. 

Die  eben  geforderte  gleiche  Lage  für  beide 
Totpunktstellungen  C  r^,  und  CT^  der  Kurbel, 
also  für  die  beiden  Exzentersteliungen  C/Cq 
und  C/C,  hat,  wie  Abb.  198  zeigt,  die  Kulisse 
dann,  wenn  AToA:,  _L  CDp  ist.  Daraus  folgt 
weiter,  daß  der  Winkel  zwischen  Kurbel  und 
Exzenter  =  90°—«  ausgeführt  werden  muß, 
wenn  man,  um  c  klein  zu  halten,  D^  aus  der 
Triebwerkmittellinie  um  einen  -^a  nach  oben 
verschiebt.  Eine  solche  Verschiebung  verstärkt 

14 


210 


Steuerungen. 


übrigens  den  störenden  Einfluß  des  Federspiels 
(Abschnitt  V).  Soll  er  sich  möglichst  wenig  be- 
merkbar machen,  so  muß  Punkt  D^  so  liegen, 
daß  die  Exzenterstange  K^D^  gleich  große 
Ausschläge  nach  oben  und  unten  aus  der  Wag- 
rechten macht. 

Die  Höhenlage  des  Drehpunktes  Z  der  Ku- 
lisse wählt  man  meist  so,  daß  A  Z  parallel  der 
Schieberbewegung,  im  allgemeinen  wagrecht 
liegt.  Dann  werden  die  Störungen  durch  Schräg- 
lage der  Stange  bei  Vorwärts-  und  Rückwärts- 
fahrt gleich  gering. 

Schon  hier  muß  darauf  hingewiesen  werden, 
daß  der  N'ersuch  am  Modell  oder  die  genaue 
zeichnerische  Untersuchung  die  eben  bespro- 
chenen Bauregeln  meist  ebs'as  ändern  (vgl. 
Abschnitt  IV).  Da  sich  nämlich  Punkt  A  nicht 
auf  einerOeraden  bewegt,  sondern  seine  Höhen- 
lage etwas  wechselt,  da  ferner  Punkt  N  in 
einem  Kreisbogen  geführt  wird,  so  wird  der 
Stein  nicht  von  einem  bestimmten  Kulissenpunkt 
geführt,  sondern  er  „springt"  in  der  Kulisse. 
Es  liegen  daher  keineswegs  die  N'erhältnisse 
eines  einfachen  Kurbeltriebs  vor. 

Kulisse  und  Exzenter  stehen  in  k\>h.  19S  in 
Mittellage.  Dreht  sich  das  Exzenter  um  90" 
vorwärts  oder  rückwärts,  so  muß  diese  Be- 
wegung, wenn  vor  und  hinter  dem  Kolben  die 
gleiche  Dampfverteilung  angestrebt  werden  soll, 
gleiche  Winkelausschläge  der  Kulisse  bewirken. 
Legt  man,  wie  dies  zunächst  richtig  erscheinen 
möchte,  Punkt  D^,  d.  i.  die  Lage  des  Kulissen- 
endes bei  den  Totpunkistellungen  der  Kurbel, 
nach  D'o,  so  daß  ^CD'^  Z=  90"  ist,  so  ist 
jene  Bedingung  nicht  erfüllt.  Abb.  198  erläutert 
dies.  Wenn  man  nämlich  die  Exzenterkurbeln 
in  die  Lagen  CK->  und  C/Cj  bringt  und  mit 
/CqD'o  Kreise  um"  AT,  und  K^  schlägt,  so  er- 
geben sich  die  Kulissenlagen  ZD' .,  und  ZD'y 
Der  Augenschein  lehrt,  d.z&  D\D\-> D\D\ 
ist.  Die  Ausschläge  ?ind  verschieden  groß. 
Sie  werden  gleich  groß  für  eine  bestimmte, 
nach  der  Kurbel  zu  verschobene  Lage  jenes 
Punktes  D^,  die  am  besten  durch  Versuch  ge- 
funden wird.  Die  Erfüllung  der  oben  begrün- 
deten Forderung /Co /Ci  \JC.D^  darf  hierdurch 
natürlich  nicht  beeinträchtigt  werden.  Der  durch 
die  endliche  Länge  der  Exzenterstange  veran- 
laßte  Fehler  ist  für  die  Hauptlagen  der  Kulisse, 
nämlich  für  die  Mittellage  und  die  Endlagen 
durch  die  Zurückverlegung  des  Punktes  D^  be- 
seitigt. Ein  weiterer  Fehler  entsteht  aber  dadurch, 
daß  die  Kulisse  keine  Gerade  ist.  Die  Kulisse 
ist  vielmehr  ein  Kreisbogen.  Ein  Punkt  dieses 
Bogens  beschreibt  bei  gleichen  Ausschlägen  der 
Kulisse  im  allgemeinen  nicht  gleiche  wagrechte 
Projektionen.  Dieser  Fehler  wird  mit  zunehmen- 
dem Kulissenhalbmesser  und  mit  abnehmender 


Kulissenlänge  geringer.  A  E  ist  deshalb  mög- 
lichst groß  zu  machen  und  der  Kulissenbogen 
soll  einen  Zentriwinkel  von  nicht  mehr  als  25" 
umfassen.  Hinsichtlich  der  Länge  der  Exzenter- 
stange AToOq  braucht  man  weniger  ängstlich 
zu  sein,  da  sich  die  von  ihr  herrührenden 
Fehler,  wie  eben  gezeigt,  wenigstens  für  die 
hauptsächlichen  Kolbenstellungen  ausgleichen 
lassen.  Eingehendere  Untersuchungen  hierüber 
macht  Professor  Baudiss  in  der  Ztschr.  dt.  Ing. 
1908,  S.  14L 

Das  Springen  des  Steines  bedeutet  eine  weitere 
Fehlerquelle,  weil  es  ein  fortwährendes  Schwan- 
ken des  Füllungsverhältnisses  bedeutet,  auf  das 
die  S.  eingestetlt  ist.  Die  weiteren  schädlichen 
Folgen  des  Springens  sind  in  Abschnitt  III,  l,ß 
dargelegt.  Man  soll  das  Springen  für  die  meist- 
benutzten Füllungen  möglichst  gering  machen. 
Man  gehe  von  einer  bestimmten  Länge  des 
Hängeeisens  MN  aus  (Abb.  198)  und  be- 
stimme für  3  Füllungen,  also  3  Stellungen  des 
Steines  E  in  der  Kulisse  bei  Mittelstellung  der- 
selben durch  Versuch  die  günstigste  Lage  für 
den  oberen  Endpunkt  M,  d.  h.  die  beste  Kreis- 
bogenführung für  die  Schieberschubstange  im 
Punkt  N.  Es  ist  das  diejenige,  die  die  kleinsten 
Steinverschiebungen  in  der  Kulisse  während 
einer  Kurbelumdrehung  ergibt.  Bei  Lokomotiven 
mit  Tender  wähle  man  3  benachbarte  Fül- 
lungen für  X'orwärtsfahrt,  bei  Tenderlokomo- 
tiven Füllungen  für  \'or-  und  Rückwärtsfahrt. 
Die  3  Lagen  von  M  bestimmen  die  Länge 
des  Aufwurfhebels  PM  als  Halbmesser  und 
die  Lage  der  Steuerwelle  als  Mittelpunkt  eines 
Kreises.  Es  wird  sich  häufig  eine  Lage  der 
Steuerwelle  ergeben,  die  zur  Anwendung  eines 
gekrümmten  .Aufwurfhebels  führt,  um  dem 
oberen  Kulissenende  auszuweichen  (s.-  Art. 
Lokomotive,  Bd.  VII,  S.  164,  Abb.  196).  Nicht 
erforderlich  ist  die  Befolgung  der  früher  häufig 
beobachteten  Regel,  daß  das  Hängeeisen  bei 
Mittelstellung  der  Schieberschubstange  senk- 
recht zu  dieser  stehen  müsse.  Bestimmte  Regeln 
an  Stelle  des  eben  empfohlenen  versuchsweisen 
Vorgehens  lassen  sich  wegen  der  venxickelten 
gegenseitigen  Bewegungen  von  Kulisse  und 
Schieberschubstange  y4  fkaum  aufstellen,  zumal 
nicht  Punkt  A,  sondern  Punki  G  des  X'oreil- 
hebels  gerade  geführt  ist. 

Die  „Kuhnsche  Schleife"  (s.  Art.  Loko- 
motive, Bd.  VII,  Taf.  1  u.  Abb.  215)  führt 
die  Schieberschubstange  in  der  Weise,  daß  sie 
stets  durch  einen  mit  Einstellung  der  S.  auf 
verschiedene  Füllungsgrade  seine  Lage  ändern- 
den Punkt  geht.  Sie  führt  die  Schieberschub- 
stange unter  gleich  günstigen  Bedingungen  für 
geringes  Springen  des  Steines  ober-  und  unter- 
halb des  Kulissendrehpunktes. 


Steuerungen. 


211 


Die  Lage  der  Steuerwelle,  wie  sie  nach  den 
eben  mitgeteilten  Verfahren  festgelegt  wird,  ist 
oft  wegen  der  räumlichen  Einschränkungen 
durch  Räder,  seitliche  Wasserkästen  der  Tender- 
lokomotiven u.  s.  w.  unausführbar.  Man  muß 
mit  verschiedenen  Lagen  des  Hängeeisens  vor 
oder  hinter  der  Kulisse  oder  mit  seinem  Ersatz 
durch  die  Kuhnsche  Schleife  zum  Ziel  zu 
kommen  suchen. 

Der  Lenker  J L^  überträgt  wegen  seiner 
wechselnden  Neigung  die  Kreuzkopfbewegung 
nicht  fehlerfrei  auf  den  Voreilhebel  G^L^.  Die 
stärksten  Neigungen  von  unten  nach  oben  ent- 
stehen bei  den  schrägsten  Stellungen  des  Vor- 
eilhebels  G, /..,  und  O2/.2,  also  bei  den  Tot- 
punktstellungen des  Kreuzkopfes,  die  stärksten 
Neigungen  von  oben  nach  unten  bei  der  zur 
Achse  des  Kurbeltriebs  senkrechten  Stellung 
GqLq  des  V'oreilhebels.  Beide  Stellungen  sind 
als  I  und  IV  in  Abb.  20Q  eingetragen.  Bei 
Stellung  I,  also  für  die  beiden  Totpunktstel- 
lungen des  Kolbens,  muß  die  Schieberstellung 
genau  die  beabsichtigte  sein.  Die  Abbildung 
zeigt,  daß  dann  auch  bei  den  Kolbenstellun- 
gen, die  zur  Lenkerstellung  ill  gehören,  die 
Übertragung  fehlerfrei  geschieht.  In  den  Stel- 
lungen zwischen  I  und  lil  entstehen  positive 
Fehler,  die  bei  Stellung  II  gleich  der  Pfeilhöhe/, 
werden,  in  den  Stellungen  zwischen  III  und  IV 
negative  bis  zum  Betrag  — /j.  Die  vorkommenden 
Fehler  werden  am  kleinsten,  wenn,  absolut  ge- 
nommen,/, ^/j  ist.  Das  wird  erreicht,  wenn  das 
Stück  BJ  in  Abb.  198  eine  solche  Länge  erhält, 
daß  Punkt  /  etwas  über  der  mittleren  Höhe 
zwischen  höchster  und  tiefster  Lage  von  L  liegt 
(Abb.  209).  Für  übliche  Lenkeriängen  ergibt  sich 
von  jL,  Z,,  aus  nach  unten  gemessen  etwa  das 
0^4  fache  dieser  Höhe.  Diese  Betrachtung  lehrt 
ferner,  daß  der  Lenker  möglichst  lang  sein  soll. 

Die  in  der  Literatur  anzutreffende  Forderung, 
der  Lenker  solle  bei  Mittelstellung  des  Kreuz- 
kopfes wagrecht  liegen  und  in  gewisser  Weise 
dazu  dienen,  eine  Übertragung  der  Unregel- 
mäßigkeiten in  der  Kreuzkopfbewegung  auf  die 
Schieberbewegung  zu  verhüten,  ist  irrig,  denn 
alle  Abschnitte  der  Dampfverteilung  müssen  als 
Bruchteile  des  Kolben-,  nicht  des  Kurbelwegs 
festgelegt  werden.  Der  Schiebervceg  muß  also, 
soweit  er  durch  den  Kreuzkopf  erfolgt,  ein  ver- 
kleinertes Abbild  seiner  Bewegung  sein.  Es  ist  ge- 
rade ein  Hauptvorzug  der  Heusinger-Steuerung, 
daß  der  im  Abschnitt  II  an  Hand  der  Abb.  192 
beschriebene  störende  Einfluß  der  endlichen 
Pleuelstangenlänge  wenigstens  für  den  Anteil 
der  Schieberbewegung,  der  vom  Kreuzkopf 
abgeleitet  wird,  in  beschriebener  Weise  fast 
vollständig  zum  Verschwinden  gebracht  werden 
kann. 


Für  die  S.  muß  der  Platz  in  der  Längen- 
richtung der  Maschine  vollständig  ausgenutzt 
werden,  damit  die  durch  die  endliche  Länge 
der  Stangen  verursachten  Fehler  möglichst  klein 
ausfallen.  Die  Begrenzung  gegen  den  Zylinder 
zu  ist  durch  den  Voreilhebel  gegeben,  der  in 
der  Stellung  O,/.,  das  Zylindergußstück  nicht 
berühren  darf. 

C.  Entwurfsregeln  für  die  Heusinger- 
Steuerung.  Die  Höchstfüllung  ist  wie  bei  den 
Kulissensteuerungen  mit  2  Exzentern  und  aus 
den  gleichen  Gründen  beschränkt  (vgl.  S.  206). 
Man  wählt  sie  bei  Zwillingslokomotiven  zu 
75-80*^,  das  lineare  V^oreilen  mit  Größe 
und  Geschwindigkeit  der  Lokomotiven  steigend 
zu   2-5  min  bei   einfachem   Schieber,   zu   ^4 


Abb.  209. 

dieses  Wertes  bei  Kanalschiebern.  Man  trifft 
endlich  nach  Maßgabe  des  S.  198  Gesagten  eine 
Entscheidung  darüber,  ob  der  Kanal  bei  größter 
Auslenkung  des  Schiebers  ganz  oder  etwa  nur 
zu  90  %  geöffnet  sein  oder  ob  er  ein  wenig 
überschliffen  werden  soll.  Durch  Versuch  oder 
mit  Hilfe  hier  zu  übergehender  Verfahren 
findet  man  ein  Diagramm,  das  ähnlich  Abb.  186 
die  gewünschten  Werte,  also  Füllung,  lineares 
Voreilen  und  größte  Kanalöffnung  aufweist. 
Dieses  Diagramm  ergibt  dann  mit  e  die 
Größe  der  äußeren  Schieberüberdeckung.  Der 
Schieberweg  für  Tctpunktstellung  der  Trieb- 
kurbel ist  e  -\-  V.  Bei  Totpunktstellung  der 
Kurbel  ist  co  =  0;  daher  lautet  für  diesen  die 
oben  aufgestellte  Gleichung  des  Schieberwegs 


e+v~  R 


m 


Da   auch    /?,    der    Radius   der 


Triebkurbel,    bekannt    ist,    so    ist    hiermit  — 

m 

berechnet.  Die  eben  benutzte  Beziehung  kann 

14' 


212 


Steuerungen. 


übrigens    in  der  Form 

n_  _  2  (e+v) 
m  ~~  2  R 
auch  aus  der  Abb.  1Q8  abgelesen  werden.  Man 
wählt  nun  für  n  eine  eben  noch  bequem  aus- 
führbare Größe.  Somit  liegt  auch  m  fest.  Es  ist 
nachzuprüfen,  ob  mit  diesen  Größen  Punkt  L 
weder  zu  hoch  gerät,  so  daß  der  Anschluß  an 
den  Kreuzkopf  unmöglich,  noch  zu  tief,  so  daß 
er  aus  der  Umgrenzungslinie  für  Betriebsmittel 
herausfallen  würde. 

Aus  dem  Diagramm  (Abb.  186)  kann  auch 
der  Schieberweg  ig^  für  co  =  90 "   abgelesen 


Abb.  210. 


werden.   Die  Gleichung  des  Schieberwegs  für 
CO  =  90"  lautet  mit  diesem  Wert 


m-\-  n 


(1 


m 


Hierin    ist 


aus    der    vorangegangenen 


Berechnung  bekannt,  ii  ist  das  Maß,  das  die 
Kulissenlänge  bedingt,  denn  da  höchste  Füllung  i 
angenommen  ist,  so  bedeutet  «  im  vorliegen- 
den Fall  die  größte  Auslenkung  des  Kulissen- 
steins aus  der  Mittellage,  ii  ist  also  abhängig 
von  der  Kulissenlänge,  die  man  ausführen  will, 
und  somit  ebenfalls  bekannt.  Die  Größe  c 
ist  bekannt,  sobald  man  sich  nach  Maßgabe 
des  früher  Gesagten  für  die  Lage  von  D„  ent- 
schieden hat.  Somit  ist  r  berechenbar.  Ergeben 
sich  unbequeme  Werte,  so  ist  die  Rechnung 
mit  etwas  geänderten  Werten  von  ii  und  c  zu 
wiederholen. 

Die  eben  besprochene  Benutzung  von  'tg^ 
kann  keine  ganz  genauen  Werte  ergeben,  weil 
die  endlichen  Stangenlängen,  das  Springen  des 
Steines  u.  s.  w.,  Fehlerquellen  bilden. 

Es  ist  eine  Prüfung  des  Entwurfs  daraufhin 
erforderlich,  ob  bei  der  meistbenutzten  Fül- 
lung   —    bei    Zwillingslokomotiven    20%     — 


die  größte  Kanalöffnung  genügt,  d.  h.  ob  sich 
im  Augenblick  der  größten  Kanalöffnung  bei 
Höchstgeschwindigkeit  der  Lokomotive  nicht  zu 
hohe  Dampfgeschwindigkeiten  ergeben.  Man 
versuche  daher  das  Diagramm  zu  zeichnen, 
das  mit  gegebener  Voreinströmung  und  Über- 
deckung 20  %    Füllung  ergibt  u.  s.  w. 

3.  Die  Kulissensteuerungen  ohne  Ex- 
zenter.   Der  Fortfall   aller   E.vzenter  bedeutet 
eine  Platzersparnis.   Eine  gewisse,  wenn  auch 
nicht  große  Verbreitung  hat  die  J  o  y-S  t  e  u  e r  u  n  g 
liesonders    in    England  gefunden    (Abb.   199). 
Über  die  Bewegungsverhältnisse  gibt  Abb.  2!0 
Auskunft.   Die  Kulisse  bleibt  beim 
Antrieb  der  S.  in  Ruhe.  Der  Stein 
gleitet  in  ihrem  Schlitz.  Zur  Ände- 
rung des  Füllungsgrades   und  zur 
Umsteuerung  wird  die  Kulisse  ge- 
dreht. Das  lineare  Voreilen  ist  un- 
veränderlich. Ein  Nachteil  der  S.  ist 
die  in  der  Pleuelsfange  wachgerufene 
Biegungsbeanspruchung.     Auch  ist 
eine  starke  Steinabnutzung  zu   er- 
warten. 

IV.    Nachprüfung   der   S.    am 
Modell      und     Regulierung. 

Bei  der  Betrachtung  der  Wirkungs- 
weise der  S.  mußten  mehrfach  ver- 
einfachende Annahmen  gemacht 
werden.  Mittels  der  oben  gegebenen 
Bau-  und  Entwurfsregeln  können 
gewisse  Fehler  wohl  vermieden,  andere  aber  nur 
gemildert  werden.  Um  die  wahren  Schieberwege 
zu  ermitteln,  ist  deshalb  die  Prüfung  an  einem 
Modell  erforderlich.  Diese  Nachprüfung  wird 
häufig  zu  kleinen  Abweichungen  von  den  zu- 
nächst nach  den  Regeln  des  Abschnitts  III 
gewählten  Abmessungen  führen.  Man  wird 
z.  B.  finden,  daß  eine  etwas  andere  Lage  des 
Punktes  D^  die  Dampfverteilung  für  die  meist- 
benutzte Füllung  verbessert  u.  s.  w.  Ferner 
benötigt  man  an  der  fertigen  S.  einer  Vor- 
richtung zur  Beseitigung  von  Fehlern  in  der 
Dampfverteilung.  Sie  wird  bei  der  Heusinger- 
Steuerung  meist,  wie  Abb.  198  zeigt,  an  der 
Gradführung  der  Schieberstange  angebracht  und 
ermöglicht  mittels  zweier  Schraubennuittern  die 
Verschiebung  der  Schieberstange,  also  auch  des 
Schiebers  gegen  den  Punkt  G.  Man  regelt  mit 
dieser  Vorrichtung  in  erster  Linie  auf  gleiches 
lineares  Voreilen  vor  und  hinter  dem  Kolben. 

V.  Der  Einfluß  des  Federspiels  auf  die  S. 
kommt  dadurch  zu  stände,  daß  die  Achswelle 
einschließlich  des  oder  der  Exzenter  lotrechte 
Verschiebungen  gegen  den  Rahmen,  also  auch 
gegen  die  anderen  Steuerungsteile  erleidet.  Eine 


Steuerungen. 


213 


Aufwärtsbewegung  der  Achse  mit  dem  Exzenter 
hat  eine  gewisse  wagrechte  Verschiebung  des 
andern  Endes  der  Exzenterstange  zur  Folge, 
die  um  so  größer  und  um  so  störender  ist, 
je  stärker  das  Exzenter  gegen  die  Wagrechte 
geneigt  ist.  Dieser  Hinweis  genügt  zur  Beur- 
teilung der  Empfindlichkeit  der  einzelnen  S. 
gegen  das  Federspiel.  Bei  der  Stephenson-Steu- 
erung  der  Abb.  195  z.  B.  liegt  in  der  ge- 
zeichneten Stellung,  d.  h.  bei  ganz  gesenkter 
Kulisse  die  obere  Exzenterstange  nahezu  wag- 
recht. Der  Endpunkt  Z  erleidet  unter  dem 
Einfluß  des  Federspiels  nur  sehr  geringe  Ver- 
schiebungen. Da  nun  bei  ganz  gesenkter  Kulisse 
dieses  E.xzenter  allein  die  Schieberbewegung 
hervorruft,  so  erleidet  die  Schieberbewegung 
bei  dieser  Kuiissenstellung  nur  geringfügige 
Störungen  durch  das  Federspiel.  Ebenso,  wenn 
die  Kulisse  ganz  gehoben  ist.  Befindet  sich  die 
Kulisse  in  der  Mittellage,  so  sind  beide  Exzenter- 
stangen schräg  gerichtet.  Die  Enden  beider 
erleiden  gewisse,  gleich  große,  aber  entgegen- 
gesetzte Verschiebungen.  Beide  Exzenter  beein- 
flussen dieSchieberbewegungbei  dieserKulissen- 
stellung  im  gleichen  Maße.  Jene  störenden  Ver- 
schiebungen heben  sich  also  in  ihrer  Wirkung 
auf  den  Schieber  nahezu  auf.  Die  Stephenson- 
sche  S.  ist,  wenn  die  Achse  des  Steuerungs- 
getriebes, wie  in  der  betrachteten  Abbildung, 
wagrecht  liegt,  AS'enig  empfindlich  gegen  das 
Federspiel.  Schlechter  ist  es,  wenn,  wie  in 
Abb.  190,  die  Achse  des  Steuerungsantriebs 
schräg  liegt.  Ungünstiger  fällt  auch  das  Er- 
gebnis einer  solchen  Untersuchung  für  die 
Gooch-Steuerung,  selbst  eine  solche  mit  wag- 
rechter Achse  (Abb.  206)  und  am  ungünstig- 
sten für  Gooch-Steuerung  mit  schräger  Achse 
(Abb.  196)  aus.  Die  Allan -Trick -Steuerung 
(Abb.  197)  steht  zwischen  beiden.  Wenn 
bei  der  Heusinger -Walschaert- Steuerung  der 
Angriffspunkt  D  der  Exzenterstange  an  der 
Kulisse  so  tief  gelegt  wird,  daß  die  Ex- 
zenterstange gleich  große  Ausschläge  nach 
unten  und  oben  aus  der  Wagrechten  macht, 
so  ist  sie  für  alle  Füllungsgrade  ziemlich 
unempfindlich  gegen  das  Federspiel.  Es  ist  das 
mit  eine  der  Ursachen,  die  zu  ihrer  heutigen 
großen  Verbreitung  beigetragen  hat. 

Die  Einwirkung  des  Federspiels  ist  auch 
von  der  Lage  der  S.  innerhalb  oder  außer- 
halb des  Rahmens  abhängig.  Im  allgemeinen 
wird  nicht  die  Welle  als  Ganzes,  sondern 
nur  eine  Seite  federnd  angehoben  oder  ge- 
senkt werden,  wenn  ein  Rad  eine  Unebenheit 
überfährt.  Diese  Hebung  oder  Senkung  über- 
trägt sich  mit  verkleinernder  Hebelübersetzung 
auf  eine  innen  liegende  S.,  zumal  auf  eine 
solche,  die  nach  altem  englischen  Muster  mit 


zwischen  den  Innenzylindern  liegenden  Schieber- 
kästen der  Lokomotivniitte  nahe  liegt.  Ver- 
größernd wirkt  die  Hebelübersetzung  auf  .Außen- 
steuerungen. 

Nach  dem  Gesagten  werden  die  schlechten 
Erfahrungen  verständlich,  die  man  seinerzeit 
an  außen  liegenden  Allan-Trick-Steuerungen  mit 
Schrägantrieb  gemacht  hat,  denn  hier  wirkten 
verschiedene  Einflüsse  im  gleichen  ungünstigen 
Sinn.  Anderseits  kann  man  die  Heusinger- 
Steuerung  unbesorgt  guter  Zugänglichkeit  zu- 
liebe nach  außen  legen,  weil  sie  an  und  für 
sich   gegen   das   Federspiel    unempfindlich   ist. 

VI.  Gegenüberstellung  der  be- 
sprochenen S. 

Bei  der  Abwägung  der  Vor-  und  Nachteile 
der  einzelnen  S.  gegeneinander  darf  man  der 
Veränderlichkeit  oder  NichtVeränderlichkeit  des 
Voreilens  keine  wesentliche  Rolle  zuerkennen. 
Noch  heute  sind  die  Meinungen,  ob  erstere 
oder  letztere  vorzuziehen  sei,  geteilt.  Die  Stephen- 
sonsche  S.  ist  einfach  und,  wie  oben  gezeigt, 
bei  wagrechter  Anordnung  der  Steuerungs- 
mittellinie gegen  das  Federspiel  wenig  empfind- 
lich. Die  aus  der  endlichen  Stangenlänge  sich 
ergebenden  Fehlerglieder  können  klein  gehalten 
werden,  weil  die  Kulisse  nahe  an  den  Schieber- 
kasten herangelegt,  die  Stangenlänge  demnach 
groß  gewählt  werden  kann.  Man  sah  es  früher 
als  einen  Mangel  der  S.  an,  daß  der  Kessel 
bei  Innenlage  dieser  S.  hoch  gelegt  werden 
mußte,  um  Platz  für  die  Hebung  der  Ku- 
lisse zu  schaffen.  Heute  gilt  dieser  Mangel 
nicht  mehr  als  solcher,  weil  man  die  Scheu 
vor  hoher  Kessellage  als  unberechtigt  erkannt 
hat.  Auch  die  Notwendigkeit  eines  schweren 
Gegengewichts  Q  (Abb.  195)  kann  nicht  gegen 
die  Stephensonsche  S.  angeführt  werden,  denn 
es  läßt  sich  durch  eine  Feder  ersetzen. 
Ein  Mangel  der  Stephensonschen  S.  ist, 
daß  sie  sich  -  wenigstens  bei  Außenlage 
der  Zylinder  -  nicht  so  gut  wie  die  Heusinger- 
Steuerung  außen  unterbringen  läßt;  denn 
diese  Bauart  führt  zu  schräger  Anordnung  der 
Steuerungsmittellinie  (Abb.  190),  somit  zu  grö- 
ßerer Empfindlichkeit  gegenüber  dem  Feder- 
spiel oder  zur  Notwendigkeit,  einen  Doppel- 
hebel nach  Abb.  191  einzuschalten.  Durch 
einen  solchen  Doppelhebel  geht  aber  die 
Einfachheit  verloren  und  die  Exzenterstangen 
fallen  kürzer  aus.  Die  Vereinigung  innen  lie- 
gender Zylinder  mit  innen  liegender  Stephenson- 
Steuerung  ist  bei  den  heutigen  Abmessungen 
der  Lokomotiven  kaum  noch  möglich,  weil 
sich  der  Platz  für  4  Exzenter  neben  den  ge- 
kröpften Kurbeln  auf  der  Welle  nicht  erübrigen 
läßt.   Die   einzige   Zusammenstellung,    für   die 


214 


Steuerungen. 


heute  die  Stephenson-Steuerung  noch  allenfalls 
Berechtigung  hat,  ist  die  innen  liegender  Zy- 
linder und  außen  liegender  S.  mit  wagrechter, 
durch  die  Mitte  der  Triebachse  gehender  Steue- 
rungsachse. Diese  Anordnung  ist  an  und  für 
sich  selten,  und  so  wird  das  Verwendungs- 
gebiet der  Stephenson-Steuerung  mehr  und 
mehr  eingeschränkt.  Selbst  englische  und  ameri- 
kanische Bahnen,  die  sie  noch  vor  wenigen 
Jahren  fast  ausschließlich  verwendeten,  gehen 
mehr  und  mehr  zur  Heusinger-Steuerung  über. 

Die  Qooch-Steuerung  entstand  aus  dem  Be- 
streben, die  eingangs  angeführten,  teilweise  nur 
in  der  Einbildung  bestehenden  Nachteile  der 
Stephenson-Steuerung  zu  beheben.  Es  lassen 
sich  nicht  so  lange  Exzenterstangen,  wie  bei 
der  Stephenson-Steuerung  anwenden,  weil  die 
Forderung  möglichst  großer  Länge  auch  für  die 
Schieberschubstange  erhoben  werden  muß.  Die 
S.  ist  empfindlicher  gegen  das  Federspiel  als 
die  Stephensonsche  und  vielteiliger.  Das  Vor- 
eilen ist  unveränderlich.  Diese  Eigenschaft  ist 
in  den  Augen  mancher  Lokomotivbauer  kein 
besonderer  Vorzug  oder,  wenn  man  ihn  als 
solchen  gelten  läßt,  so  ist  er  auch  durch  die 
Heusinger-Steuerung  neben  anderen  gewichtigen 
Vorteilen  zu  erreichen.  Die  Gooch-Steuerung 
hat  also  heute  keine  Daseinsberechtigung  mehr. 

Die  Allan-Trick-Steuerung  ist  aus  dem  Be- 
streben entstanden,  die  gekrümmte  Kulisse  wegen 
ihrer  schwierigen  Herstellung  und  Unterhal- 
tung durch  eine  gerade  zu  ersetzen.  Für  große 
Bauanstalten  und  Werkstätten  trifft  dieser  Grund 


Abb.  211. 

heute  nicht  mehr  zu.  Die  S.  steht  im  übrigen 
mit  ihren  Eigenschaften  zwischen  der  Stephen- 
son-  und  Gooch-Steuerung.  Für  ihre  Anwen- 
dung können  heute  in  keinem  Fall  zwingende 
Gründe  sprechen. 

Die  Heusinger-Steuerung   ist  unempfindlich 
gegen  das  Federspiel.  Man  ordnet  sie  deshalb 


fast  ausnahmslos  außen  an  und  erzielt  so  eine 
bequeme  Zugänglichkeit  alier  ihrer  Teile.  Die 
Anordnung  ihrer  Einzelteile  führt  zwanglos  auf 
eine  zur  Zylinderachse  parallele  Lage  des 
Schieberspiegels,  auf  einfache,  gleichzeitig  an 
der  rechten  und  linken  Lokomotivseite  ver- 
wendbare Formen  des  Zylindergußstücks.  Der 
Einfluß  der  endlichen 
Pleuelstangenlänge 
auf  die  Genauigkeit 
der  Dampfverteilung 
ist  für  den  vom  Kreuz- 
kopf abgeleiteten  Be- 
wegungsanteil des 
Schiebers  fast  völlig 
beseitigt  (Abschnitt 
III,  2,  B).  Ein  Vor- 
teil gegenüber  den 
vorgenannten  S.  ist 
ferner  die  feste  Lage 
des  Kulissendreh- 
punktes. Die  S.  be- 
kommt hierdurch 
mehr  Halt  in  der 
Richtung  quer  zu 
ihrer  Ebene. 

Bei  der  Joy-Steue- 
rung  bedeutet  das  Fehlen  jeden  Exzenters  wohl 
einen  Vorteil,  der  aber  durch  die  unter  III,  3 
aufgeführten    Nachteile   mehr  als   aufgewogen 
werden  dürfte. 

\'ll.  Die  Anordnung  der  Kulissen- 
steuerungen   für    Mehrzylinderlokomo- 
tiven mit  einfacher  Dampfdehnung. 

Die  Bauart  ist  durch  Einführung  des  Heiß- 
dampfes zu  einer  gewissen  Bedeutung  gelangt. 
Der  Bedeutung  der  Heusinger-Steuerung  ent- 
sprechend, soll  diese  in  erster  Linie  als  S. 
für  Mehrzylinderlokomotiven  und  ebenso  im 
Abschnitt  VlII  als  S.  für  Verbundlokomotiven 
berücksichtigt  werden. 

1.  Dreizylinderlokomotiven.  Es  können 
3  getrennte  gleichartige  S.,  2  außen  und  eine 
innen  liegende,  ausgeführt  werden.  Wenn,  wie 
dies  meist  geschieht,  3  unter  120°  versetzte 
Kurbeln  angewendet  werden,  so  bietet  sich  die 
Möglichkeit,  einen  Schieber,  am  besten  den 
des  Innenzylinders,  durch  die  beiden  anderen 
Steuerungsantriebe  mitbewegen  zu  lassen. 
Abb.  21 1  läßt  nämlich  erkennen,  daß  2  Ex- 
zenter /•,  und  /"j  sich  zu  einem  resultierenden 
Exzenter  r^'  zusammensetzen  lassen,  das  dem 
dritten  Exzenter  r^  gleich,  aber  entgegengesetzt 
gerichtet  ist.  Man  hat  also  den  Mittelschieber 
durch  die  beiden  äußeren  Steuerungsantriebe 
mit  gleichem  Teilbetrag  anzutreiben  und  für 
Umkehr  der  Bewegung  zu    sorgen.   Abb.  212 


Steuerungen. 


215 


erläutert,  wie  dies  geschehen  kann.  Gr  und  O/ 
sind  die  dem  Punkt  G  in  Abb.  19S  entspre- 
chenden, von  Heusinger-Steuerungen  angetrie- 
benen Enden  der  Schieberstangen  am  rechten 
und  hnken  Außentriebwerk.  Durch  die  wag- 
rechten, um  Mr  und  Mi  drehbaren  Hebel  wird 
ihre  Bewegung  in  doppelter  Größe  auf  gr  und 
gl  übertragen.  Deren  Bewegung  gelangt  wieder 
in  halber  Größe  nach  Gm,  so  daß  die  Schieber- 
stange des  mittleren  Triebwerks,   wie  es  nach 


keine  genau  gleichlaufende  sein  darf,  und  diese 
Forderung  bei  Ausbildung  der  Hebelüber- 
setzung durch  Versetzung  der  Hebel  um  den 
Winkel  Sa\  O  S,i  berücksichtigt  werden  kann. 
Auf  S.  211  ist  nachgewiesen,  daß  ein  Haupt- 
vorzug der  Heusinger-Steuerung  die  nahezu 
vollständige  Beseitigung  des  Einflusses  der 
endlichen  Pleuelstangenlänge  wenigstens  auf 
denjenigen  Anteil  der  Schieberbewegung  ist, 
der  vom  Kreuzkopf  abgenommen  wird.  Dieser 


-C-0-- 


"-a 


Abb.  213. 


Abb.  211  sein  muß,  die  Bewegungsanteile  von 
Gr  und  Gl  der  Größe  nach  unverändert,  aber 
in  entgegengesetzter  Richtung  erhält.  Diese  An- 
ordnung der  S.  hat  bei  neuen  Dreizylinder- 
Heißdampflokomotiven  der  preußischen  Staats- 
bahn Verwendung  gefunden. 

2.    Vierzylinderlokomotiven.    Die    Zy- 
linder  liegen  unter  der  Rauchkammer  neben- 
einander.   Die  Außen-   und  Innenkurbel  einer 
Maschinenseite  werden    unter   180°  gegenein- 
ander versetzt.  Selten  wird  nur  je  ein  Schieber  j 
für  den  Außen-  und  Innenzylinder 
einer     JV\aschinenseite     angebracht 
(s.  Art.  Dampfzylinder,  Abb.  232). 
Die  Dampfventeilung  läßt  sich,  wie 
aus  folgendem  zu  ersehen  ist,  den  Be- 
dürfnissen beider  Zylinder  besser  an- 
passen, wenn  man  getrennte  Schieber 
ausführt.    Einer   möge   mit   Innen-, 
einer    mit    Außeneinströmung    ar- 
beiten. Dann  sind  ihre  Bewegungs- 
richtungen    bei     180"    Kurbelver- 
setzung in  jedem  Augenblick  gleich- 
gerichtet. Jede  Maschinenseite  erhält 
nur    eine    außen    liegende    S.    In 
Abb.  2 1 3  bedeuten  Ga\  Ga2  Ga3  die 
verschiedenen  Lagen  des  in  Abb.  198 
mit  G    bezeichneten    Punktes    der 
Außensteuerung.  Dieser  Punkt  macht  also  die 
gleichen  Bewegungen  wie  der  Außenschieber. 
Er  ist  an  Punkt  Sa,  des  Hebels  SaiOSn  an- 
geschlossen. S,i  ist  an  G,i ,  d.  i.  die  S  :hieberstange 
des  Innenschiebers  angelenkt.  Diese  Anordnung 
ist  der  eines  gemeinschaftlichen  Schiebers  vor- 
zuziehen, weil  die  Bewecjung  der  beiden  Schieber 


Bewegungsanteil  rührt  vom  Ersatzexzenter 
CE'  (Abb.  208)  her.  Man  stelle  sich  für  die 
folgende  Betrachtung  daher  zunächst  die  S. 
in  Mittelstellung,  den  Stein  also  in  der  Ku- 
lissenmitte vor,  so  daß  nur  das  der  Kurbel 
gegenüberliegende  Ersatzexzenter  CE'  zur  Gel- 
tung kommt.  Jener  Vorzug  nun  würde  für  den 
durch  Hebelübersetzung  genau  gleichlaufend 
mitangetriebenen  Innenschieber  verloren  gehen. 
Die  Abb.  214  läßt  nämlich  erkennen,  daß  bei 
der  Kurbelstellung  CKa  der  Kolben  des  Außen- 


Abb.  214, 


Zylinders  in  der  Mitte  seines  Hubes  steht,  während 
der  Kolben  des  Innenzylinders  schon  um  CP 
über  die  Mitte  vorgeschritten  ist.  Für  die 
Schieber  gilt  also  hinsichtlich  des  in  Rede  ste- 
henden Bewegungsanteils  die  Regel,  daß  sie  zwar 
gleichzeitig  ihre  Endlagen  einnehmen  müssen, 
denn    Außen-     und    Innenkolben     stehen    ja 


216 


Steuerungen. 


gh'ichzeitip;  in  den  Endlagen,  daß  aber  der 
Innenschieher  früher  seine  Mittelstellung  er- 
reichen muß.  Dies  Ziel  kann  nun  durch  die  er- 
wähnte Versetzung  der  Außen-  und  Innenhebel 
OSa  und  OS,  gegeneinander  erreicht  werden. 
Während    nämlich    5a,    G„,    5,-   die    gleichen 

Wege       Sa\  Sa2  =  SalSaZ,      Ggl  Ga2  =  Oal  Ga3, 

5,1  S/2  =  5,-2  5/3  zurücklegen,  erhält  der  Innen- 
schieber erst  den  größeren  Bewegungsanteil 
G/i  G/2,  dann  den  kleintren  G/2G/3.  Steht  die 
S.  nicht  in  Mittelstellung,  so  dürften  freilich 
auch  die  Endstellungen  der  Schieber  nicht  genau 
gleichzeitig  erfolgen.  Der  Augenblick  des  größten 
Schieberausschlags  tritt  aber  bei  den  meistbe- 
nutzten Füllungen  ein,  wenn  die  Kolben  noch 
nicht  weit  vom  Totpunkt  entfernt  sind,  der 
Einfluß  der  endlichen  Pleuelstangenlänge  noch 
klein  ist. 

Haben  beide  Schieber  Innen-  oder  beide 
Außeneinströmung,  so  müssen  Innen-  und 
Außenhebel  05/i  und  05„i  einander  gegen- 
über liegen.  Sie  dürfen  aber  aus  bereits  vor- 
gebrachten Gründen  nicht  einen  Winke!  von 
180",  sondern  nur  einen  kleineren  miteinander 
bilden  (s.  Art.  Lokomotive,  Bd.  VII,  Taf.  IV, 
Abb.  4). 

VIII.  Die  Anordnung  der  Kulissensteue- 
rungen für  Verbundlokomotiven. 

Das  Diagramm  einer  Verbundmaschine  ist 
im  Art.  Dampfarbeit,  Bd.  III,  S.  223,  Abb.  156 
bis  158  mit  den  erforderlichen  Erläuterungen 
dargestellt.  Die  leitenden  Gesichtspunkte  für 
den  Entwurf  der  S.  sind  die  folgenden: 

a)  Während  des  Kompressionsabschnitts  wird 
vom  Kolben  des  oder  der  Hochdruckzylinder 
Dampf  von  Verbinderspannung  zusammenge- 
preßt. Die  Anfangsspannung  des  zusammen- 
zupressenden Dampfes  beträgt  schon  einige 
kg/an^.  Das  würde  zu  unzulässig  hohen,  die 
Dampfspannung  im  Schieberkasten  überschrei- 
tenden Endspannungen  führen.  Aus  diesem 
Grund  muß  der  Hochdruckschieber  eine  negative 
innere  Überdeckung  von  8—\0mm  haben. 
Wenn  sich  der  Schieber,  wie  in  Abb.  184 
gezeichnet,  in  Mittelstellung  befindet,  so  muß 
er  die  Kanäle  nicht,  wie  dort  gezeichnet,  mit 
einer  Breite  /  überdecken,  sondern  sie  beider- 
seits um  den  eben  angegebenen  Betrag  öffnen. 
Der  Verlust  an  Arbeitsfläche,  der  als  Folge  dieser 
Maßnahme  durch  den  frühen  Beginn  der  Vor- 
ausströmung entsteht,  ist  unerheblich.  Eine  wei- 
tergehende Behebung  jener  Schwierigkeit  sucht 
man  durch  Kammerschieber  zu  erreichen  (Ab- 
schnitt II,  Abb.  189). 

6^  Da  der  Niederdruckzylinder  größere  Abmes- 
sungen hat,  so  werden  auch  die  Schieberwege, 


gleiche  Füllung  vorausgesetzt,  im  allgemeinen 
größere  sein  als  bei  dem  Hochdruckzylinder. 
Das  bedingt  für  die  Niederdrucksteuerung  an- 
dere Abmessungen  und  einen  gesonderten 
Entwurf.  Hierbei  ist  aber  Rücksicht  darauf  zu 
nehmen,  daß  Umsteuerung  und  Einstellung  der 
Füllungen  meist  durch  eine  gemeinsame  Um- 
steuerungsvorrichtung erfolgen  sollen. 

Das  in  Abb.  158  (Bd.  III,  S.  223)  für  die  bei 
Lokomotiven  häufig  benutzte  Spannung  von 
12  Atm.  gezeichnete  Verbunddiagramm  gewähr- 
leistet eine  gute  Dampfausnutzung.  Es  ist  nämlich 
der  Niederdruckzvlinder  so  groß  gewählt,  daß 
der  Dampf  ungefähr  bis  auf  den  Gegendruck 
abgespannt  wird.  Ferner  liegt  die  Verbinder- 
spannung, d.h.  die  Einströmspannung  für  den 
Niederdruckzylinder,  bei  etwa  5  Atm.  Die  zu- 
gehörige Temperatur  von  151°  liegt  ungefähr 
in  der  Mitte  zwischen  der  Temperatur  des  Frisch- 
dampfes von  184"  bei  1 1'2  Atm.  und  der  Tem- 
peratur des  Abdampfes  von  111°  bei  1"5  Atm. 
Das  Wärmegefälle  ist  also  in  beiden  Zylindern 
etwa  das  gleiche,  so  daß  sich  die  eigenartigen 
Vorzüge  der  Verbundlokomotive  in  größtmög- 
lichem Umfang  einstellen  werden.  Auch  sind 
die  Flächen  H'  und  A^'  ziemlich  gleich;  Hoch- 
und  Niederdruckzylinder  leisten  etwa  die 
gleiche  Arbeit  und  eine  Überbeanspruchung 
des  einen  oder  des  andern  Gestänges  ist  nicht 
zu  befürchten;  ebensowenig  unruhiger  Gang  in- 
folge verschieden  großer  Arbeitsleistung  auf 
beiden  Maschinenseiten.  Dieses  günstige  Ergeb- 
nis ist,  wie  die  Abbildung  lehrt,  durch  ein  Zylin- 
derraunn-erhältnis  von  1 :3  und  ungefähr  gleiche 
Füllungen  in  beiden  Zylindern  erreicht  worden. 
Auch  zeigt  die  Abbildung,  daß  zu  diesem  Zylin- 
derraumverhältnis ungefähr  gleiche  Füllungen  in 
beiden  Zylindern  gehören.  Nun  ist  ein  solches 
Zylinderraumverhältnis  von  1  :  3  aber  bei  Loko- 
motiven, wenigstens  bei  Zweizylinderverbund- 
lokomotiven im  allgemeinen  nicht  erreichbar, 
weil  es  zu  große  Niederdruckzylinder  erfordert. 
Bei  den  großen  neuzeitlichen  Vierzylinderloko- 
motiven liegt  die  Sache,  falls  die  Niederdruck- 
zylinder innen  zwischen  den  Rahmen  Platz 
finden  sollen,  nicht  viel  besser.  Man  ist  also 
meist  zu  einer  Verkleinerung  des  Zylinder- 
raumverhältnisses auf  1  :2'2  bis  1  :2-5  gezwun- 
gen. Denkt  man  sich  (in  Bd.  III,  Abb.  158)  den 
großen  Zylinder  und  auch  das  Diagramm  etwa 
um  die  letzten  3  Teilflächen  am  rechten  Ende  des 
Diagramms  verkleinert,  so  folgt  daraus  erstens 
eine  Verkleinerung  der  Arbeitsfläche  und  ein 
Steigen  der  Endspannung  um  einen  nicht  sehr 
erheblichen  Befrag,  zweitens  aber  eine  wesent- 
liche Zunahme  des  Füllungsverhältnisses  im 
Niederdruckzylinder.  Eine  gewisse  Vergröße- 
rung der   Niederdruckfüllung   noch    über  das 


Steuerungen. 


217 


Maß  hinaus,  das  in  eben  besprochener  Weise 
ermittelt  wurde,  hat  sich  als  vorteilhaft  erwiesen, 
weil  infolgedessen  die  Verbinderspannung  und 
mit  ihr  die  Kompressionsarbeit  des  Hochdruck- 
kolbens abnimmt  und  weil  ferner  der  so  ent- 
stehende Spannungsabfall  zwischen  Hochdruck- 
zylinder und  Verbinder  eine  Nachverdampfung 
niedergeschlagenen  Wassers  in  diesem  zur  Folge 
hat.  Diese  Beweisführung  trifft  zunächst  nur 
eine  gewisse  wirtschaftliche  Füllung  im  Hoch- 
druckzylinder von  etwa  40%.  Würde  nur  die 
Forderung  maßgebend  sein,  daß  bei  Übergang 
des  Dampfes  aus  dem  Hoch-  in  den  Nieder- 
druckzylinder kein  Spannungsabfall  eintreten 
solle,  so  würde  zu  jeder  Vergrößerung  der  Hoch- 
druckfüllung nur  eine  sehr  mäßige  Vergrößerung 
der  Niederdruckfüllung  gehören.  Die  Folge  wäre 
aber  rasche  Zunahme  des  Druckes  im  Ver- 
binder und  somit  der  Kräfte  im  Niederdruck- 
triebwerk und  des  vom  Niederdruckzylinder 
geleisteten  Arbeitsanteils  sowie  des  Temperatur- 
gefälles im  Niederdruckzylinder.  Das  letztere 
würde  aber  bedeuten,  daß  die  von  einer  Ver- 
bundmaschine erwarteten  Vorteile  verschwinden 
würden.  Endlich  würde  infolge  der  hohen  Ver- 
binderspannung im  Hochdruckzylinder  eine  ganz 
unzulässig  hohe  Kompressionsarbeit  zu  großen 
Arbeitsverlusten  führen.  Aus  allen  diesen  Grün- 
den muß  man  zu  größeren  Hochdruckfüllungen 
trotz  gewisser  Verluste  durch  Spannungsabfall 
im  Verbinder  vergrößerte  Niederdruckfüllungen 
zuordnen.  Zusammenfassend  kann  festgestellt 
werden,  daß  im  allgemeinen  bei  Verbundloko- 
motiven die  Füllung  im  Niederdruckzylinder 
größer  als  im  Hochdruckzylinder  und  der  Fül- 
lungsunterschied um  so  größer  sein  muß,  je  mehr 
das  Zylinderraumverhältnis,  12Atm.  Kesselspan- 
nung vorausgesetzt,  von  dem  Wert  1 : 3  abweicht. 
1.  Die  Verbundlokomotiven  mit  2  Zy- 
lindern. Wie  bereits  früher  erwähnt,  ergibt 
sich  die  Notwendigkeit  eines  besonderen 
Entwurfs  für  die  Niederdrucksteuerung  mit 
größeren  Schieberwegen  und  größerer  Höchst- 
füllung. Man  geht  etwa  bis  zu  83  % .  Man 
wird  im  allgemeinen  ein  größeres  Teilungs- 
verhältnis -—  für  den  Voreilhebel  OL  (Abb.  1 98) 

und  eine  längere  Kulisse,  also  größere  Höchst- 
werte für  ti  erhalten.  Den  Exzenterhalbmesser 
behält  man  meist  bei  und  wählt  statt  dessen  c 
kleiner.  Hierdurch  wird  der  Kulissenausschlag 
größer  und  somit  die  gleiche  Wirkung  erzielt, 
als  ob  das  Exzenter  vergrößert  wäre.  Der  Stein 
in  der  Kulisse  der  Niederdruckseite  soll  von  der 
Mitte  aus  gerechnet  beim  Verlegen  der  S.  größere 
Wege  machen  als  der  Stein  in  der  Kulisse  der 
Hochdruckseite,  weil  erstere  Kulisse  länger  ist 
und  weil  beide  Steine  gleichzeitig  in  den  End- 


lagen ankommen  sollen  oder  weil,  was  das  gleiche 
ist,  zu  jeder  Hochdruckfüllung  eine  größere 
Niederdruckfüllung  gehören  soll.  Man  erreicht 
das  Ziel,  indem  man  den  Aufwurfhebel  P  M 
(Abb.  198)  auf  der  Niederdruckseite  länger 
ausführt.  Bei  Verwendung  der  Kuhnschen 
Schleife  (s.  Art.  Lokomotive,  Taf.  I  u.  Abb.  1 1 5) 
verfährt  man  in  gleicher  Weise. 

Das  zuletzt  angegebene  Mittel  genügt  häufig 
noch  nicht,  um  die  Füllungsunterschiede  auf 
Hoch-  und  Niederdruckseite  groß  genug  zu 
machen.  Um  sie  für  Vorwärtsfahrt  zu  vergrößern, 
hat  man  Vorsorge  zu  treffen,  daß  bei  Mittel- 
stellung des  Steines  in  der  Hochdruckkulisse 
der  Stein  in  der  Niederdruckkulisse  bereits  um 
einen  gewissen  Betrag  im  Sinne  der  Vorwärts- 
fahrt verschoben  ist.  Man  erreicht  dies  durch 
Kürzung  des  Hängeeisens  M  N  oder  durch 
Versetzung  der  Aufwurf hebel  P  M  auf  beiden 
Maschinenseiten  oder  durch  gleichzeitige  An- 
wendung beider  Maßnahmen.  Bei  Benutzung 
der  Kuhnschen  Schleife  sind  lediglich  die 
Aufwurfhebel  auf  beiden  Seiten  gegeneinander 
zu  vernetzen.  Man  kann  auf  diese  Weise  für 
Vorwärtsfahrt  jede  gewünschte  Vergrößerung 
der  Niederdruck-  gegenüber  den  Hochdruck- 
füllungen erreichen.  Für  die  Rückwärtsfahrt 
kehren  sich  die  Verhältnisse  aber  um;  der 
Stein  auf  der  Hochdruckseite  verläßt  die  Ku- 
lissenmitte, sobald  man  die  S.  im  Sinne  der 
Rückwärtsfahrt  aus  der  Mitte  verlegt.  Der  Stein 
auf  der  Niederdruckseite  hingegen,  der  ja  bei 
Mittelstellung  der  S.  um  eine  gewisse  Weg- 
länge aus  der  Kulissenmitte  im  Sinne  der 
Vorwärtsfahrt  verschoben  ist,  muß  erst  diese 
Weglänge  zurücklegen,  um  in  die  Mitte  zu 
gelangen,  und  erst  bei  weiterer  Verlegung  der 
S.  verschiebt  er  sich  im  Sinne  der  Rückwärtsfahrt. 
Daraus  folgt  zweierlei:  1.  Nahe  der  Mittel- 
lage der  S.  gibt  es  Stellungen,  bei  denen  die 
Hochdrucksteuerung  auf  Rückwärtsgang,  die 
Niederdrucksteuerung  noch  auf  Vorwärtsgang 
steht.  Diese  Stellungen  liegen  freilich  der  Mitte 
so  nahe,  daß  sie  ohnedies  nicht  in  Frage  kommen. 
2.  Bis  zu  einer  gewissen  Füllungsgrenze  sind 
bei  Rückwärtsfahrt  die  Füllungen  im  Hoch- 
druckzylinder  größer;  erst  bei  weiterer  Um- 
stellung überwiegt  der  Einfluß  des  auf  der 
Niederdruckseite  längeren  Aufwurfhebels  oder 
der  genannten  ähnlichen  Maßnahmen:  Der 
Stein  der  Niederdruckseite  überholt  nun  ge- 
wissermaßen den  auf  der  Hochdruckseite,  so  daß 
die  Niederdruckfüllungen  jenseits  einer  gewissen 
Füllungsgrenze  wieder  größer  werden,  freilich 
nie  in  dem  Maß  wie  auf  der  Hochdruckseite. 

Infolge  dieser  Umstände  können  bei  Loko- 
motiven mit  versetzten  Aufwurfhebeln,  ver- 
schieden langen  Hängeeisen  od. dgl.,dieniedrigen 


218 


Steuerungen. 


Füllungsgrade  bis  etwa  zu  60»;^  im  Hochdruck- 
zylinder für  Rückwärtsfahrt  nicht  benutzt  werden. 
Ein  entsprechender  Vermerk  wird  meist  auf  der 
Füllungsteilung  am  Steuerungsbock  eingetragen. 

2.  Die  Verbundlokomotiven  mit  3  Zy- 
lindern. Die  3  Dampfzyiinder  erhalten  wie 
bei  Zweizylinderverbundlokomotiven  je  eine 
S.  für  sich.  Die  beiden  .^ußenzylinder  arbeiten 
als  Niederdrucktriebwerk.  Die  Umsteuerung 
und  Einsteilung  des  Füllungsgrades  erfolgt  von 
einer  gemeinschaftlichen  Steuerwelle  aus.  Gegen- 
über den  Zweizylinderlokomotiven  besteht  also 
kein  grundsätzlicher  Unterschied.  Die  dort 
gegebenen  Regeln  sind  sinngemäß  auch  hier 
anzuwenden.  Bei  Besprechung  der  S.  für 
Dreizylinderlokomotiven  mit  einfacher  Dampf- 
dehnung (Abschnitt  VII)  ist  eine  neue  Bauart 
erwähnt  (Abb.  212),  die  es  gestattet,  mit  2 
Steuerungsantrieben  für  3  Zviinder  auszu- 
kommen. Es  wird  möglich  sein,  diese  Bau- 
weise derDreizylinder-Verbundlokomotive  anzu- 
passen. Ausführungen  liegen  bis  heute  nicht  vor. 

3.  Die  Verbundlokomotiven  mit  4  Zy- 
lindern. A.  iMit  je  einer  besonderen 
Steuerwelle  für  das  Hoch-  und  Nieder- 
drucktriebwerk. Zu  diesen  gehören  in  erster 
Linie  die  Mallet-Rimrott-Lokomotiven  mit 
Triebdrehgestell  (s.  Art.  Lokomotive,  Bd.  VII, 
Taf.  II,  .^bb.  9),  in  gewissem  Sinne  aber  auch 
andere  Vierzylinderlokomotiven,  deren  Zylinder 
nicht  in  einer  Querebene  der  Lokomotive 
liegen  und  auf  verschiedene  Achsen  arbeiten 
(ebenda,  Abb.  10  u.  11).  Hoch-  und  Nieder- 
drucktriebwerk solcher  Lokomotiven  erhalten 
vollkommen  getrennte  S.  Die  Steuerwellen  für 
die  Hoch-  und  Niederdrucksteuerungen  werden 
miteinander  gekuppelt.  Die  sinngemäße  .Ände- 
rung der  Entwurfsregeln  gegenüber  den  Zwei- 
zylinder-Verbundlokomotiven ergibt  sich  leicht: 
Die  S.  werden  getrennt  entworfen,  die  Kupplung 
der  Steuerwellen,  Bemessung  und  Aufteilung 
der  Aufwurfhebel  u.  s.  w.  erfolgt  so,  daß  be- 
stimmte Füllungsverhältnisse  der  Hoch-  und 
Niederdruckzylinder  erreicht  werden. 

Da  bei  den  in  Rede  stehenden  Bauarten 
für  Hoch-  und  Niederdrucktriebwerk  getrennte 
Steuerwellen  ausgeführt  werden  müssen,  so 
liegt  der  Gedanke  nahe,  noch  einen  Schritt 
weiter  zu  gehen  und  auch  die  Vorrichtungen 
zum  Umsteuern  und  zur  Einstellung  der 
Füllungen  auf  dem  Führerstand  getrennt  aus- 
zuführen. Man  erzielt  auf  diese  Weise  den 
Vorteil,  zu  jeder  Hochdruckfüllung  die  passende 
Niederdruckfüllung  einstellen  zu  können.  Die 
Führer  sind  dann  in  der  Lage,  auch  für  ver- 
schiedene Belastungen  und  Geschwindigkeiten 
die  am  besten  zusammenpassenden  Füllungs- 
verhäitnisse   durch    Versuch   festzustellen    und 


zu  benutzen.  Diese  Bauweise  ist  in  Frankreich 
beliebt  Es  ist  nur  eine  Kurbel-  und  Riegel- 
scheibe vorhanden,  wie  in  Abb.  201,  aber 
2  Steuerungsschrauben.  Auf  der  hinteren 
Hälfte  der  einen  ist  das  Gewinde  fortgelassen. 
Über  den  verbleibenden  zylindrischen  Kern 
ist  eine  zweite  hohle  Steuerungsschraube  ge- 
schoben. Die  Handkurbel  kann  durch  eine 
Klinke  mit  dieser  oder  jener  gekuppelt  werden. 
In  Deutschland  und  den  meisten  anderen  Ländern 
scheut  man  die  verwickelte  Bauart  dieser  An- 
ordnung. Auch  fürchtet  man,  daß  nicht  jeder 
Führer  die  zweckmäßigsten  Füllungsverhältnisse 
herausfinden  wird,  und  zieht  infolgedessen  die 
weiterhin  beschriebenen  einfachen  Bauarten  vor. 

B.  Vierzylinder-Verbundlokomotiven 
mit  gemeinsamer  Steuerwelle  für  das 
Hoch-  und  Niederdrucktriebwerk.  Zu 
diesen  gehören  in  erster  Linie  alle  Vier- 
zylinderlokomotiven, deren  Zylinder  in  einer 
Querebene  der  Lokomotive  liegen.  Man  sucht 
dann  mindestens  einige  Steuerungsteile  für 
beide  Steuerungen  gemeinschaftlich  zu  benutzen. 
Bei  der  üblichen  Bauart  vierzylindriger  Loko- 
motiven sind  die  Triebwerke  einer  Seite  um 
180°  gegeneinander  versetzt.  Das  würde  auch 
eine  gegenläufige  Schieberbewegung  bedingen. 
Will  man  z.  B.  ein  Exzenter  zur  Betätigung 
beider  S.  benutzen,  so  müßte  seine  Bewe- 
gung auf  eine  S.  mit  Umkehr  der  Bewegungs- 
richtung übertragen  werden.  Alan  vermeidet 
dies  meist,  indem  man  einen  Schieber  mit 
innerer,  den  andern  mit  äußerer  Einströmung 
ausführt. 

Abb.  215  zeigt  einen  Steuerungsantrieb,  bei 
dem  zwar  jedes  Triebwerk  mit  einem  vom 
Kreuzkopf  angetriebenen  Voreilhebel  versehen 
ist,  hingegen  ist  nur  ein  Exzenter  und  nur 
eine  Kulisse  mit  Schieberschuhstange,  u.  zw. 
für  die  außen  liegende  Hochdrucksteuerung 
vorhanden.  Die  Schieberschubstange  ist  in 
Aa  an  den  Voreilhebel  angelenkt,  also  ober- 
halb des  Punktes  Ga,  an  dem  die  Schieber- 
stange angreift,  weil  der  Schieber  innere  Ein- 
strömung hat  (vgl.  Abschnitt  III,  2,  A).  Die 
Bewegung  des  Punktes  Aa  wird  durch  ein 
Hebelpaar  auf  Punkt  Ai  der  innen  liegenden 
Niederdrucksteuerung  übertragen,  der  unterhalb 
Oi  liegen  muß,  weil  der  Niederdruckschieber 
Außeneinströmung  hat.  Die  Hebellängen  Q  Aa 
und  Q  Ai  können  verschieden  gewählt  werden 
Dies  wirkt  ebenso,  als  ob  Innen-  und  Außen- 
steuerung mit  Exzentern  von  verschieden  großer 
Exzentrizität  angetrieben   würden.    Man  wählt 

ferner   die  Teilung  -      für  die  beiden  \'oreil- 

hebel  verschieden  groß  und  kann  endlich  den 
Schiebern    verschiedene   Abmessungen    geben. 


Steuerungen. 


219 


Man  kann  jede  S.  ihrem  Zweck  gut  anpassen. 
Nur  begibt  man  sich  bei  dieser  Anordnung 
der  MögHchkeiten,  die  sich  bei  Besprechung 
der  ZweizyHnderiokomotiven  durch  Versetzung 
der  Aufwurfhebel  u.  s.  w.  in  GestaU  einer 
weiteren  Vergrößerung  der  Niederdruckfüllung 
geboten  haben.  Man  hat  es  aber  verstanden, 
durch  geschickte  Benutzung  der  übrigen  Mittel 
im  Niederdruckzylinder  etwa  20%  größere 
Füllung  als  im  Hochdruckzylinder  herbeizu- 
führen. 

Neuerdings  geht  man  sogar  noch  einen 
Schritt  weiter  und  führt  nur  einen  Steuerungs- 
antrieb für  die  beiden  Zylinder  einer  Seite 
aus.  Liegen  diese  als  Außen-  und  Innenzylinder 
nebeneinander,  so  werden  Hoch-  und  Nieder- 
druckschieber   entweder   in   einem   Stück  ver- 


demnach  nur  um2  — 4/rtm  handeln.  Man  er- 
reicht dann  für  40  %  Füllung  im  Hochdruck- 
zylinder nur  etwa  46  "lo  im  Niederdruckzylinder. 
Man  sollte  bei  Benutzung  dieses  Verfahrens 
auf  ein  möglichst  großes  Zylinderraumverhält- 
nis hinarbeiten.  Selten  ist  eine  Ausführung 
der  Vierzylinder-Verbundlokomotiven,  bei  der 
auf  der  einen  Seite  innen  und  außen  nebenein- 
ander die  Hochdruckzylinder,  auf  der  andern 
die  Niederdruckzylinder  liegen.  Man  kann  mit 
nur  2  S.  allen  Anforderungen  gerecht  werden, 
indem  man  eine  als  Hochdruck-,  die  andere 
als  Niederdrucksteuerung  ausführt.  Die  Regeln 
sind  die  gleichen  wie  für  Zweizylinder- Verbund- 
lokomotiven. Sind  für  jedes  Zylinderpaar  2 
Schieber  vorgesehen,  so  ist  das  im  Abschnitt 
VII,  2,  Gesagte  zu  beachten.  Die  Bauart,  u.  zw. 


— Q 


Aussensteuerung  Übertragungs  -  Jnnensteuerung- 

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-Lir. 


Abb.  215. 


1^4- 


% 


einigt  (s.  Art.  Dampfzylinder,  Bd.  III,  Abb.  232) 
oder  man  überträgt  die  Bewegung  von  der 
außen  liegenden  S.  durch  einen  Hebel  auf  den 
innen  liegenden  Schieber,  während  der  außen 
liegende  unmittelbar  angetrieben  wird.  Letzt- 
genannte Anordnung  ist  vorzuziehen,  weil 
sie  bei  Ausbildung  nach  Abb.  213  gestattet, 
den  Einfluß  der  endlichen  Triebstangenlänge 
auch  für  die  mittelbar  angetriebene  S.  des  um 
180°  versetzten  Triebwerks  zum  größten  Teil 
zu  beseitigen  (vgl.  Abschnitt  VII,  2).  Liegen 
die  Zylinder  hintereinander,  so  sind  beide 
Schieber  auf  einer  gemeinschaftlichen  Schieber- 
stange befestigt.  Liegen  die  Zylinder  endlich 
nach  der  Anordnung  Vauclain  übereinander, 
so  sind  Hoch-  und  Niederdruckschieber  in 
einem  Stück  vereinigt.  Bei  allen  diesen  Anord- 
nungen kann  man  verschiedene  Füllungen  nur 
durch  Verschiedenheit  der  Schieberabmessungen 
erzielen.  Die  Betrachtung  der  Abb.  186  lehrt, 
daß  durch  Verkleinerung  der  äußeren  Über- 
deckung die  Füllung  vergrößert  wird.  Das 
lineare  Voreilen  wird  aber  um  jene  Verklei- 
nerung der  Überdeckung  größer.  Es  darf  sich 


mit  nur  einem  Schieber  findet  sich  bei  den  5/5 
gekuppelten  Vierzy  linder- Verbund  lokomotiven 
der  italienischen  Staatsbahn,  einschließlich  der 
S.  beschrieben  in  der  Ztschr.  dt.  Ing.  1911, 
S.  928  und  in  Railw.  Eng.  1910,  S.  23  ff.  (s.  auch 
Art.  Lokomotive,  Bd.  VII,  Taf.  IV,  Abb.  7). 
Die  beiden  S.  können  bei  diesen  Lokomotiven 
getrennt  eingestellt  werden.  Man  hätte  wohl 
ohne  dieses  Mittel  auskommen  können,  selbst 
wenn  man  bei  der  als  Tenderlokomotive  anzu- 
sprechenden Bauart  gleich  guteDanipfverteilung 
bei  Vor-  und  Rückwärtsfahrt  verlangte. 

IX.   Die  Ventilsteuerungen. 

Das  Bestreben,  die  Schieber  durch  Ventile 
zu  ersetzen,  erklärt  sich  aus  ähnlichen  Gründen 
wie  bei  den  ortsfesten  Maschinen.  Die  Bewe- 
gung der  Ventile  läßt  sich  leicht  so  einrichten, 
daß  sie  schnell  öffnen  und  schließen.  Die 
Drosselungsverluste  werden  geringer,  die  Dia- 
gramme voller.  Man  erhofft  ferner  von  den 
Ventilen  bessere  Dampfdichtigkeit  an  den 
Dichtungsflächen,  den  Ventilsitzen,  weil  diese 
nicht,  wie  die  Schieberspiegel,  einer  Abnutzung 


2?0 


Steuerungen. 


durch  Reibung  unterv^'orfen  sind.  Aus  dem 
gleichen  Grund  darf  man  eine  Verminderung 
der  Ausbesserungskosten,  wie  sie  bei  Schieber- 
steuerungen durch  Nacharbeiten  an  Schiebern 


Kanal  und  ist  nicht  den  hierdurch  verursachten 
Abkühlungsverlusten  ausgesetzt.  Eine  solche 
Trennung  ist  bei  Lokomotiven  aus  räumlichen 
Gründen  im  allgemeinen    nicht    durchführbar. 


o 
6 


und  Schieberspiegeln  entstehen,  erwarten.  Bei 
ortsfesten  Maschinen  trennt  man  Ein-  und  Aus- 
laßventile und  die  zu  ihnen  führenden  Kanäle 
meist  vollständig.  Der  Frischdampf  durchströmt 
nicht  den  eben  vom  Abdampf  durchflossenen 


Abb.  216  zeigt  eine  von  der  Hannover- 
schen Maschinenbau-Aktiengesellschaft  ausge- 
führte Ventilsteuerung  Bauart  Lentz. 

Sie  ist  bei  D-Güterzug-Verbundlokomotiven 
ausgeführt,    die    1912    für  die   oldenburgische 


Steuerungen. 


221 


Staatsbahn  geliefert  wurden, 
und  stellt  die  Fortbildung 
einer    älteren,     aus     dem 
Jahre     1908     stammenden 
Form    dar.    Die    Nocken- 
stange wird  wie  ein  Schieber 
durch  eine  Heusinger-Steu- 
erung bewegt.  Sie  hebt  bei 
dieser  Bewegung  durch  Ver- 
mittlung    der 
in  den  Spindel- 
köpfen     gela- 
gerten   Rollen 
die  Ventile.  Der 

Ventilschluß 
wird  durch  die   über  den 
Spmdelköpfen     sichtbaren 
Federn  gesichert.  Ein-  und 
Auslaßventile  sind  so  ange- 
ordnet, daß  sie  durch  den 
Dampfdruck    mäßig    stark 
auf     ihre     Sitze     gepreßt 
werden,  u.  zw.  jene  durch 
den    Druck    des    Dampfes 
in  der  Frischdampfleitung, 
diese  durch  den  [3ruck  des 
Dampfes  im  Zylinder.  Das 
rechts  sichtbare  kleine  Ven- 
til bildet  den  wesentlichen 
Bestandteil  der  Anfahrvor- 
richtung  für  Verbundloko- 
motiven   Bauart    Ranafier. 
Es  ist  mit  Spindel,  Spindel- 
kopf und  Rolle  gewöhnlich 
durch     eine 
Feder   nach 
oben  gegen 
seinen    Sitz 
gepreßt  und 

so  der  Einwirkung  der 
Nockenstange  entzogen. 
Setzt  der  Führer  dagegen 
■den  Raum  über  dem  Ventil 
durch  die  von  links  her- 
kommende Leitung  unter 
Dampfdruck,  so  öffnet  es 
sich,  falls  die  augenblick- 
liche Stellung  der  Nocken- 
stange es  zuläßt,  und  läßt 
Dampf  hinter  den  Hoch- 
druckkolben und  somit  auch 
zum  Niederdruckzylinder 
treten.  Die  Nockenstange 
steuert  das  Ventil  so,  daß 
Dampf  nur  in  den  Hoch- 
druckzylinder strömt,  wenn 
der  Niederdruckkolben  am  Hub  steht,  nicht 
.aber  dann,  wenn  er  nahe  am  Totpunkt  steht. 


jBliiijjBBnmofi 


Im    letzteren    Fall 
einen  schädlichen 


würde  der   Hilfsdampf  nur 
Gegendruck  auf  den  Hoch- 


222 


Steuerungen. 


druckkolben  hervorrufen.  In  gewissen  Kurbel- 
stellungen muß  der  Führer  durch  eine  weitere 
Hilfsleitung  dem  Niederdruckzylinder  unmittel- 
bar   Frischdampf  zuführen. 

X.  Die  Gleichstromiokomotiven. 

Bei  den  Ventilsteuerungen  in  der  für  Loko- 
motiven möglichen  Ausführungsform  bleibt, 
wie  eben  gezeigt,  der  Übelstand  bestehen,  daß 
die  Kanäle  abwechselnd  vom  Frischdampf  und 
vom  Abdampf  durchflössen  werden.  Bei  der 
Qleichstrommaschine  Bauart  Stumpf 
(Abb.  217)  ist  nur  ein  Ventilpaar  für  die  Dampf- 
einströmung vorhanden.  Der  Abdampf  verläßt  den 


2S-28»y(«J 


m-'STh 


.\bb.  218. 


Zylinder  durch  die  vom  Kolben  gegen  Ende  seines 
Hubes  in  der  Zylindermitte  freigelegten  Auslaß- 
schlitze. Der  Kolben  muß,  um  diese  Aufgabe  für 
Hin-  und  Rückgang  ausführen  zu  können, 
eine  gewisse  Länge  erhalten.  Der  Vorteil  der 
Anordnung  liegt  nicht  nur  in  dem  Fernhalten 
des  Abdampfes  von  den  Einströmungskanälen, 
sondern  auch  in  der  Richtung  des  Dampfstroms 
im  Zylinder  selbst.  Befindet  sich  der  Kolben 
nur  wenig  vom  Hubende  entfernt,  so  steht 
der  Dampf  noch  unter  hoher  Spannung  und 
Temperatur,  also  nehmen  auch  die  Wandungs- 
teile an  dieser  Stelle  eine  höhere  Temperatur 
an  als  die  in  der  Nähe  der  Schlitze,  denn 
diese  werden  vom  Kolben  erst  dann  frei- 
gelegt, wenn  der  Dampf  infolge  der  Dehnung 
nur  noch  geringe  Temperatur  hat.  Diese  Teile 
der  Zylinderwandung  kommen  niemals  mit 
Dampf  von  hoher  Temperatur  in  Berührung. 
X'orteilhaft  ist  nun,  daß  die  ganze  Menge  des 
abgekühlten  Dampfes  nach  Öffnung  der  Aus- 
laßschlitze nur  über  diese  kalten  Wandungsteile 
hinwegstreicht  und  so  wenig  Gelegenheit  hat, 
den  heißen  Wärme  zu  entziehen.  \'orteilhaft 
ist  auch  der  Fortfall  besonderer,  den  Auslaß 
steuernde  Teile.  Nachteilig  dagegen  ist,  daß 
die  Kompression  unveränderlich  früh  beginnt, 
u.zw.  um  ebensoviel  Prozente  des  Kolbenhubs 
nach   Verlassen    des  Totpunktes,   als  die  Vor- 


ausströmung vor  Erreichung  des  Totpunktes 
beginnt.  Dieser  Übelstand  ist  beim  Anfahren 
besonders  lästig,  weil  er  die  Widerstände  im 
ungeeignetsten  Zeitpunkt  erhöht.  Nachteilig  ist 
auch  das  wegen  der  großen  Zylinderlänge 
vergrößerte  Zylindergewicht  und  die  ebendarum 
vergrößerten  Abkühlungsflächen. 

Der  Dampfeinlaß  kann  bei  der  Qleichstrom- 
bauart  auch  durch  Kolbenschieber  erfolgen. 
Man  hat  in  diesem  Fall  neuerdings  die  An- 
ordnung so  gewählt,  daß  die  Kolljenschieber 
auch  einen  Teil  des  Abdampfes  steuern.  Hierdurch 
wird  der  soeben  behandelte  Nachteil  der  großen 
Kompression  behoben,  aber  auch  der  Grund- 
gedanke des  Gleichstroms  durchbrochen. 

XL  Die  Drehschiebersteuerungen. 

Sie  sind  aus  ähnlichen  Erwägungen  wie  die 
Ventilsteuerungen  entstanden  und  gestatten 
außerdem  eine  Verkleinerung  des  schädlichen 
Raumes  bis  auf  4%.  Im  Art.  Dampfzvlinder, 
Bd.  111,  .Abb.  230,  231  ist  ein  Dampfzylinder 
mit  Drehschiebern  für  eine  ortsfeste  Maschine 
dargestellt.  Als  Lokomotivsteuerung  ist  eine 
Drehschiebersteuerung  Bauart  Durant-Lancau- 
chez  auf  der  Orleansbahn  eingeführt  worden. 
Die  Einströmungsschieber  liegen  oberhalb, 
die  Ausströmungsschieber  unterhalb  des  Zy- 
linders. Der  Antrieb  erfolgt  durch  eine  Ku- 
lissensteuerung Bauart  Gooch,  später  Stephen- 
son.  Weitere  Verbreitung  haben  diese  und 
ähnliche  S.  nicht  gefunden. 

XII.  Die  Ausführung  der  Einzelteile. 

Exzenter  verwendet  man  meist  nur  für  Innen- 
steuerungen. In  der  Regel  wird  die  eine  Ring- 
hälfte mit  der  Exzenterstange  aus  einem  Stück 
ausgeführt  (s.  Art.  Lokomotive,  Taf.  II,  Abb.  3 
u.  Taf.  III,  Abb.  1),  seltener  die  letztere  durch 
Verschraubung  mit  dem  Ring  befestigt  (Abb. 
218).  Die  gleitenden  Flächen  zwischen  Scheibe 
und  Ring  werden  in  Weißguß  oder  Rot- 
metall ausgeführt.  Wird  eine  S.  mit  2 
Exzentern      als     Außen-  , 

Steuerung  ausgeführt,  so 
werden  die  beiden  Schei- 
ben in  der  Regel  als  ein 
Stück  gegossen  (Abb.  219). 
Diese  Exzenter  werden 
auf  eine  Gegenkurbel, 
seltener  —  bei  Außen- 
rahmen —  auf  den  Hals 
gesetzt.    Bei   der   fast    stets 


Abb.  219. 


der  Triebkurbel 
außen  liegenden 
Heusinger-Steuerung  ersetzt  man  das  Exzenter 
durch  ein  einfaches  Stangenlager.  Die  Stangen 
mit  Ausnahme  der  Schieberstange  erhalten 
rechteckigen  Querschnitt;  alle  Stangen  werden 
aus   Flußstahl  von   50  —  60  ^  Festigkeit  und 


Steuerungen.   -   Stiftungen. 


22 


20*^  Dehnung,  die  mit  dem  Schieberrahmen 
aus  einem  Stück  gefertigten  Schieberstangen 
aus  Flußeisen  von  34-41^0-  Festigkeit  und 
25  "io  Dehnung  ausgeführt.  In  alle  Bolzenlöcher 
werden  Büchsen  aus  Phosphorbronze  oder  im 
Einsatz  gehärtete  Stahlbüchsen  eingepreßt.  Auch 
die  Bolzen  werden  im  Einsatz  gehärtet.  Bolzen 
und  Büchsen  werden  auf  Maß  geschliffen.  Die 
Bolzen  sollen  nicht  durch  Nasen  od.  dgl.  an 
der  Drehung  verhindert  werden,  weil  sie  sich 
sonst  einseitig  abnutzen.  Die  Kulissen,  auch 
Schwingen  oder  Schleifbogen  genannt,  werden 
aus  Flußeisen  von  31-41  kg  Festigkeit  und 
25%  Dehnung  hergestellt  und  an  den  Gleit- 
flächen des  Steines  sowie  den  Zapfen  im  Ein- 


z^lE 


SdiiiittW-W,     rf 


y 


ML 


für  Ausstattungen,  die  Erhaltung  von  Er- 
holungs-  und  Erziehungsheimen  u.  s.  w. 
erfolgt. 

In  Österreich  ist  in  erster  Linie  der  österrei- 
chische Eisenbahnunterstützungsfonds  zu  erwäh- 
nen (1875  gegründet  und  von  einem  Kuratorium 
verwaltet).  Die  Zinsen  werden  alljährlich  an 
hilfsbedürftige,  dienstuntauglich  gewordene  Be- 
dienstete österreichischer  Bahnen,  die  keine 
Ruhegenüsse  beziehen,  sowie  an  ihre  Witwen 
und  Waisen  verteilt. 

Zu  nennen  ist  ferner  der  Jubiläumsfonds, 
der  anläßlich  des  50jährigen  Jubiläums  der 
Kaiser-Ferdinands-Nordbahn  zur  Unterstützung 
ihrer  Diener,    deren  Witwen   und  Waisen  ge- 


Abb.  221. 


satz  gehärtet.  Man  unterscheidet  Schlitzkulissen 
(Abb.  195, 197, 220),  Taschenkulissen  (Abb.  196, 
198)  und  Klotzkulissen  (Abb.  221).  Die  Ku- 
lissensteine werden  aus  Stahl  angefertigt. 
Jede  S.  muß  die  Möglichkeit  zur  Regulierung 
der  Schieberstellung  gewähren.  Bei  der  Heu- 
singer-Steuerung ist  diese  Vorrichtung  an  der 
Gradführung  G  der  Schieberstange  angebracht 
(Abb.  198).  Um  das  Umsteuern  zu  erleichtern, 
werden  die  zu  hebenden  Gestängegewichte 
durch  ein  Gewicht  oder  eine  Feder  (Abb.  198) 
ausgeglichen. 

Literatur.  Außer  den  im  Art.  Dampfschieber,  Bd.  III 
und  Lokomotive,  Bd.  VII  genannten  Quellen: 
Westren-Doll,  Berechnung  und  graphische  Ermitt- 
lung der  Hensinger-Steuerung  für  Lokomotiven. 
Glasers  Ann.  IQIO,  II,  S.  8Q.  -  Obergethmann, 
Die  Dreizvlinderlokomotive  und  ihre  Steuerung. 
Ebenda  1914,  II,  S.  23.  -  Die  Ventillokomotiven 
der  Qroßherzoglichen  Eisenbahndirektion  Oldenburg. 
Hanomag-Nachrichten  1Q15,  S.  80.  Jahn. 

Stichbahnen  s.  Kolonialbahnen. 

Stiftungen  für  Eisenbahnbedienstete,  durch 
freiwillige  Liebestätigkeit  geschaffene  Fonds, 
aus  deren  Erträgnissen  die  Unterstützung  und 
Pflege  hilfsbedürftiger  Eisenbahnbediensteter 
sowie  ihrer  Familienangehörigen,  von  Wit«'en 
und  Waisen,    die  Gewährung  von   Stipendien 


gründet  wurde  (Gründungsfonds  400.000  K); 
die  Schönerer-Stiftung  zur  Unterstützung 
nichtaktiver  Eisenbahnbediensteter,  die  auf  den 
österreichischen  Linien  der  Südbahn,  der  vor- 
maligen Kaiser-Franz-Josefs-Bahn  und  Kaiserin- 
Elisabeth-Bahn  zur  Zeit  ihres  Ausscheidens  in 
Dienst  gestanden  haben;  die  Kaiser-Jubi- 
läumsstiftung für  Kinder  von  Bedien- 
steten der  österreichischen  Staatsbahnen 
(Vermögen  etwa  430.000  K),  die  bisher  aus 
ihren  Mitteln  die  Kosten  der  Entsendung  der 
rekonvaleszenten  Kinder  in  Erholungsheime 
bestritten  hat  u.  s.  w. 

Zu  nennen  sind  ferner  das  Kaiser-Franz- 
Josef-Jubiläums-Kinderasyl  in  Feldsberg  (Stif- 
tung der  verstaatlichten  Kaiser-Ferdinands- 
Nordbahn),  die  Czediksche  Heiratsausstattungs- 
stiftung  für  Töchter  von  Bediensteten  der 
österreichischen  Staatbahnen,  die  Czediksche 
Stiftung  für  Eisenbahninvaliden,  die  Kur- 
stipendienstiftung des  Österreichischen  Eisen- 
bahnbeamtenvereins U.S.W.  Der  anfangs  1917 
verstorbene  Ministerialrat  v.  Bram,  General- 
betriebsdirektor der  ungarischen  Linien  der  Süd- 
bahn, hat  den  Betrag  von  1,000.000  K  für  eine 
S.  zu  gunsten  von  Bediensteten  der  Südbahn 
hinterlassen. 


224 


Stiftungen.   -  Störende  Lokomotivbewegungen. 


In  Preußen  ist  die  im  Jahre  1902  ge- 
gründete S.  „Eisenbahntöchterhort"  zu  nennen 
(vgl.  Bd.  VIII,  S.  334). 

Vgl.  auch  Art.  Beamtenvereine. 

In  Amerika  ist  insbesondere  das  durch  eine 
großartige  Stiftung  des  Eisenbahnkönigs  Cornelius 
Vanderbilt  geschaffene,  18S7  eröffnete  Heimatshaus 
in  New-Vork  zu  erw.ähnen  (Railroad  Mens  Building). 
Es  umfalit  Gesellschafts-,  Lese-,  Musikzimmer,  einen 
Saal  für  Vorlesungen,  Bibliothek,  Turnsäle,  Bäder, 
Frühstücksräume.  Schl.ifzimmer  für  Beamte,  die  sich 
vorübergehend  in  Ne\x-Vork  aufhalten,  u.  s.  w. 

Stirnverladerampen  s.  Laderampen. 

Stock,  auch  Capital-Stock  (einer  Eisenbahn), 
ist  die  englisch-amerikanische  Bezeichnung  für 
das  Aktienkapital.  Der  S.  wird  eingeteilt  in 
Shares  (Aktien).  Der  Besitzer  einer  Share  hat 
das  Recht  auf  einen  entsprechenden  Anteil  an 
den  Reinerträgen  des  Unternehmens,  sofern 
solche  herausgewirtschaftet  sind.  Die  Gesamt- 
heit der  Aktionäre  (stockholders)  bildet  die 
Vertretung  der  Gesellschaft.  Bei  Beschlüssen 
gilt  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika 
als  Regel,  daß  jede  Aktie  eine  Stimme  hat. 
Um  die  Verwaltung  einer  Bahn  in  die  Hand 
zu  bekommen,  genügt  also  eine  Aktie  über 
die  Hälfte. 

Man  unterscheidet  in  den  Vereinigten  Staaten 
von  Amerika:  Common  stock  und  preferred 
oder  guaranteed  stock.  Der  letztere  hat  einen 
Vorzugsanspruch  auf  Dividende  bis  zu  einer 
gewissen  Höhe  vor  dem  ersteren,  entspricht 
also  im  wesentlichen  dem  deutschen  Stamm- 
prioritätskapital. Es  gilt  als  Regel,  daß  Vorzugs- 
dividenden für  die  Jahre,  in  denen  überhaupt 
keine  oder  ungenügende  Reinerträge  erzielt 
sind,  aus  den  Erträgen  späterer  Jahre  voll 
nachbezahlt  werden  müssen,  bevor  die  Besitzer 
des  Stammaktienkapitals  (ordinary  stockholders) 
irgend  einen  Anspruch  auf  Dividende  haben 
(s.  Rorer,  The  law  of  Raiiways,  Kap.  III,  Bd.  I, 
S.  Q3   ff.).  r.  der  Leyen. 

Stocklaterne  (Schlußlaterne)  s.  Zug- 
signale. 

Stockmann  (Signal  mann)  s.  Zugper- 
sonal. 

Stockton  -  Darlington  -  Eisenbahn,  die 

erste  dem  öffentlichen  \'erkehr  übergebene 
Eisenbahn  Englands  und  der  Erde  überhaupt, 
konzessioniert  vom  19.  April  1821,  eröffnet 
am  27.  September  1825. 

Sie  war  gleichzeitig  auch  die  erste  Bahn, 
auf  der  die  Lokomotive  in  die  Dienste  des 
öffentlichen  Verkehrs  gestellt  wurde  (s.  Loko- 
motive). 

Auf   Grund    der   von    Stephenson   gemach-  i 
ten    Erfahrungen    suchte    Pease,    der    Grün- 
der   der    S.,    um    die    Erlaubnis   an,    Dampf-  j 


maschinen  verwenden  zu  dürfen.  Diese 
wurde  ihm  auch  erteilt,  jedoch  beschränkte 
sich  anfänglich  der  Lokomotivbetrieb  nur  auf 
die  Güterbeförderung,  wogegen  die  Personen- 
beförderung noch  weiterhin  durch  Pferde  er- 
folgte. 

Die  S.  erhielt  die  Spurweite  4'  S^y  engl. 
(==  1-435 /7z),  welches  Maß  später  zur  Regel- 
spur wurde  (s.  Spurweite). 

1863  ging  die  S.,  die  bis  Middleborough 
und  Saltburn  by  the  Sea  fortgesetzt  worden 
war,  durch  Fusion  an  die  North  Eastern-Eisen- 
bahn   (s.  d.)  über. 

Stock-(Stutz-)Gleise  s.  Stumpfgieis. 

Stockschiene  s.  Backenschiene. 

Störende  Lokomotivbewegungen,  auch 
schädliche  Lokomotivbewegungen  oder  Xeben- 
bewegungen  genannt,  sind  alle  Bewegungen, 
die  von  der  Hauptbewegung  in  der  Fahr- 
richtung abweichen.  Sie  unterscheiden  sich  nach 
der  Art  der  Bewegung  in 

I.  S.  der  Gesamtmasse  (einschließlich  der 
ungefederten  Rädersätze).  Hierzu  gehören: 

a)  Das  Schlingern  ist  ein  wechselweises 
seitliches  Ausweichen  des  Gesamtschwerpunktes 
aus  der  Gleismitte,  wobei  die  Lokomotivlängs- 


Abb.  222. 

achse  (s.  Abb.  222)  gleichzeitig  nach  rechts 
und  links  von  der  Fahrrichtung  ausweicht. 

Diese  S.  ist  durch  das  Spiel  ermöglicht,  das 
in  gerader  Strecke  und  bei  richtiger  Lage  und 
Form  von  Schiene  und  Rad  mindestens  10  mm, 
bei  ungünstigen  Verhältnissen  und  äußerster 
Abnutzung  aber  bis  35  mm  beträgt.  Das  Schlin- 
gern erfolgt  gewöhnlich  in  größeren  wieder- 
kehrenden Zeiträumen  sich  verstärkend  und 
wieder  abnehmend.  Es  fällt  mit  der  Umdre- 
hungszahl gewöhnlich  nicht  zusammen.  Das 
Schlingern  tritt  an  allen  Fahrzeugen  auf.  Es 
ist  unter  den  S.  die  gefährlichste. 

Ä^  Das  Zucken  ist  eine  .\nderung  des  Ge- 
samtschwerpunktes in  der  Fahrrichiung  in  Ab- 
hängigkeit von  der  Umdrehungszahl  der  Trieb- 
achse. Es  tritt  hierbei  bei  jeder  Triebachsum- 
drehung Beschleunigung  und  V^erzögerung  ein. 
Sind  Lokomotive  und  Tender  mit  einer  starren 
Kuppelung  verbunden,  so  kommt  für  das 
Zucken  der  gemeinsame  Schwerpunkt  beider 
Fahrzeuge  in  Betracht. 

c)  Das  Drehen  ist  eine  S.  um  die  unver- 
ändert  fortschreitende   lotrechte   Schwerpunkt- 


störende  Lokomotivbewesjungen. 


225 


achse  der  Lokomotive  (Abb.  223).  Das  Drehen 
hat  einige  Ähniichi<eit  mit  dem  SchHngern,  fällt 
jedoch  stets  mit  der  Umdrehungszahl  der  Trieb- 
achse zusammen  und  kann  dadurch  leicht  er- 
kannt werden.  Mitunter  wird  Schlingern  und 
Drehen  als  gemeinsame  S.  aufgefaßt. 

II.  S.derabgefederten  Lokomotivmasse. 
Diese  sind  hauptsächlich: 

d)  Das  Wanken  ist  eine  S.  um  die  durch 
den  Schwerpunkt  gehende  Längsachse.    Es  ist 


Abb.  223. 

durch  wechselseitiges  Spiel  der  Tragfedern  an 
der  rechten  und  linken  Lokomotivseite  ermög- 
licht (.^bb.  224). 

e)   Das  Stampfen   (auch   Nicken)   ist  eine 
Drehbewegung  um  die  wagrechte,  durch  den 


Abb.  224. 


Abb.  223. 


Schwerpunkt  gehende  Querachse.  Es  geht  bei 
abwechselndem  Zusammendrücken  der  Trag- 
federn an  den  vorderen  und  rückwärtigen  Lo- 
komotivachsen vor  sich   (Abb.  225). 

/)  Mit  Wogen  wird  die  lotrechte  Bewegung 
des  Schwerpunktes  der  abgefederten  Lokomotiv- 
masse bezeichnet.  Hierbei  spielen  sämtliche  Lo- 
komotivtragfedern  im  gleichen  Sinn  (Abb.  226). 

Da  viele  dieser  S.  gewöhnlich  gleichzeitig 
auftreten,  jede  besonders  sich  verstärken  oder 
verschwächen  kann,  so  ist  die  einzelne  S. 
nicht  immer  deutlich  zu  erkennen.  Mitunter 
erscheint  je  nach  der  Bauart  der  Lokomotive, 
der  Güte  des  Oberbaues  und  der  zufälligen 
Fahrgeschwindigkeit  eine  oder  die  andere  S.  be- 
sonders ausgeprägt.  Um  sie  genauer  zu  unter- 
suchen und  an  verschiedenen  Lokomotivbau- 
arten zu  vergleichen,  sind  besondere  Meß- 
vorrichtungen, sog.  Pallographen   erforderlich. 

Die  S.  unterscheiden  sich  hinsichtlich  der 
Ursache  in  folgende  Gruppen: 

l.S.  hervorgerufen  durch  den  Oberbau. 
Hierbei  sind  hauptsächlich  wagrechte  und  lot- 
rechte Störungen  zu  unterscheiden.  Die  wag- 
rechten Störungen  sind  einerseits  durch  einen 
großen    Spielraum    zwischen    Spurkranz    und 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


Schiene  verursacht.  Auch  bei  vollkommener 
Lage  der  Schienen  im  geraden  Gleis  wird  bei 
großem  Spielraum  ein  Schlingern  des  Fahrzeugs 
eintreten,  das  allerdings  auch  durch  die  Eigen- 
heiten des  Fahrzeugs  mitbeeinflußt  sein  wird.  Es 
werden  ferner  durch  eine  unregelmäßige  Lage 
des  Gleises  in  der  Fahrrichtung  noch  besondere 
Störungen  auftreten.  Das  Schlingern  kann  hier- 
durch verstärkt,  aber  auch  verschwächt  werden. 
Gewöhnlich  ergeben  erhebliche  Abweichungen 
in  der  Gleisrichtung  Seitenstöße,  denen  heftige 
Schlingerbewegungen  folgen.  Diese  Art  der  S. 
ist  die  gefährlichste  unter  allen  und  häufig 
die  Ursache  von  Entgleisungen.  Als  Maß  für 
die  mögliche  Größe  des  Schlingerns  eines 
Fahrzeugs  wird  gewöhnlich  die  trigonome- 
trische Tangente  des  größtmöglichen  Schlinger- 
winkels bei  Spießeckstellung  des  Fahrzeugs  in 
der  geraden  Strecke  unter  Ausnutzung  des 
ganzen  Spieles  zwischen  Spurkranz  und  Schiene 
angesehen.  Die  Tangente  des  Schlingerwinkels  a 
erhält   man    (s.  Abb.  227)    durch    den    Bruch 


kl 

^."-.         D 

-.1     . 

^  r 

±'i^ 

:>4^ 

Abb.  226. 

Gesamtspiel  zwischen  Rad  und  Schiene 
Geführte  Länge  der  Lokomotive 
Hierbei  ist  unter  geführter  Länge  der  für  die 
Einstellung  des  Fahrzeugs  maßgebende  Rad- 
stand zu  verstehen.  Für  das  Gesamtspiel  ist  bei 
Fahrzeugen  für  Regelspurbahnen  mit  Rücksicht 
auf  die  von  den  T.V.  gestattete  größte  Spurweite 
von  1445  mm  und  bei  ganz  abgenutzten  Spur- 


•c--tj 


Abb.  227. 


kränzen  das  Maß  von  35  mm  zu  wählen.  Die 
Tangente    des    größten    Schlingerwinkels    an 


Lokomotiven    beträgt   zwischen    ""/^oo    bis 


/so- 

Für  rasch  fahrende  Lokomotiven  sind  die  klei- 
neren Werte  anzustreben. 

Bei  der  Fahrt  durch  gut  liegende  Gleisbogen 
ist  das  Schlingern  durch  den  Führungsdruck 
der  führenden  Spurkränze  an  der  Außenschiene 
gemildert  oder  oft  ganz  aufgehoben.  Es  kann 
aber  auch  in  Gleisbögen  bei  unregelmäßiger 
Lage  der  Schienen  zu  kurzen  gefährlichen 
Schlingerbewegungen  kommen. 

15 


226 


Störende  Lokomotivbewegungen. 


S.  werden  ferner  durch  lotrechte  Abwei- 
chungen der  Gleislage  erzeugt.  Je  nach  deren 
Verteilung  auf  beide  Schienenstränge  und  deren 
Wiederkehr  können  dadurch  verschiedenartige 
S.  erzeugt  werden.  Da  mit  Rücksicht  auf  die 
Nachgiebigkeit  des  Oberbaues  ein  Einsinken 
der  Räder  bei  der  Fahrt  über  die  Schienen 
unvermeidlich  ist,  die  Größe  des  Einsinkens 
jedoch  nicht  überall  gleich  ist,  so  muß  fort- 
gesetzt ein  lotrechtes  Spielen  der  Räder  gegen 
die  abgefederte  Lokomotivmasse  stattfinden, 
diese  selbst  aber  auch  schädliche  Bewegungen 
vollführen.  Kehren  stärkere  Einsenkungen  in 
der  Oleislage  regelmäßig  wieder,  so  z.  B.  an 
den  Schienenstößen,  dann  wird  unter  Um- 
ständen ein  mehr  oder  weniger  starkes  Stampfen 
der  Lokomotive  auftreten.  Durch  die  Eigen- 
heiten der  Lokomotive,  hauptsächlich  aber 
durch  die  Größe  des  maßgebenden  Radstands 
zur  Schienenlänge  kann  das  Stampfen  noch 
wesentlich  beeinflußt  werden.  Je  nach  der  Folge 
der  Einsenkungen  im  Gleis  kann  auch  ein 
Wanken,  Stampfen  oder  Wogen  der  Lokomotive 
eintreten.  Diese  S.  werden  jedoch  durch  ört- 
liche Stellen  von  starker  Nachgiebigkeit  im 
Oberbau  eingeleitet  und  setzen  sich  durch  die 
elastische  Nachwirkung  der  Tragfedern  nur 
kurze  Zeit  fort.  Diese  Art  der  S.  ist  daher  von 
jenen,  die  durch  die  Wirkungen  im  Triebwerk 
hervorgerufen  wurden,  leicht  zu  unterscheiden, 
da  letztere  in  Abhängigkeit  von  den  Triebachs- 
umdrehungen in  gleicher  Stärke  andauern. 

2.  S.  hervorgerufen  durch  die  Loko- 
motive, als  Fahrzeug  betrachtet,  ohne  Rück- 
sicht auf  die  Einflüsse  des  Triebwerks.  Durch 
die  Bauart  des  Fahrzeugs,  durch  die  Größe 
des  Radstands,  die  Lage  und  Führung  der 
Achsen,  durch  die  Nachgiebigkeit  und  Schwin- 
gungszeit der  Tragfedern,  durch  die  Höhe  des 
Schwerpunktes  der  abgefederten  Masse  des  Fahr- 
zeugs u.  s.  w.  wird  die  Gangart  auch  bei 
unverändertem  Zustand  des  Oberbaues  beein- 
flußt. Wie  bereits  hervorgehoben,  wird  ein  großer 
fester  Radstand  und  eine  große  geführte  Länge 
das  Schlingern  stets  stark  vermindern,  da  der 
mögliche  Schlingerwinkel  kleiner  ausfällt.  Ein 
Seitenspiel  der  Achsen,  wie  etwa  bei  Lenkachs- 
wagen, begünstigt  das  Schlingern,  wenn  nicht 
durch  kräftige  Rückstellvorrichtungen  entgegen- 
gewirkt wird.  Weit  vorgeschobene  Laufachsen 
mildern  das  Schlingern  außerordentlich.  Da 
solche  Achsen  mit  sehr  großem  Hebelarm 
an  der  Gesamtlokomotivmasse  wirken,  so  kön- 
nen in  diesem  Fall  besonders  starke  Rückstell- 
vorrichtungen unter  Umständen  entfallen.  Be- 
sonders günstige  Wirkung  besitzen  zweiachsige 
Drehgestelle.  Diese  nehmen  an  den  Schlin- 
gerbewegungen   der    Hauptmasse    des    Fahr- 


zeugs    wegen     der     gelenkigen     Verbindung 
keinen  wesentlichen  Anteil.    Sie   besitzen  zwar 
durch    ihren    geringen    Radstand    selbst    eine 
Neigung  zum  Schlingern.  Wegen  der  geringen 
Masse  nimmt  dieses  jedoch  selten  ein  bedenk- 
liches Maß  an,  und  eine  Übertragung  der  Schlin- 
gerbewegungen vom  Drehgestell  auf  die  Haupt- 
masse   des    Fahrzeugs    bleibt    gewöhnlich    in 
sehr  engen  Grenzen.  Auf  diese  Erscheinungen 
ist  hauptsächlich  der  gute  Lauf  der  Drehgestell- 
wagen zurückzuführen.  Aus  denselben  Gründen 
wird   das  2achsige  führende  Drehgestell  auch 
an    rasch    fahrenden    Lokomotiven    allgemein 
bevorzugt.   Nicht  unbeachtet  darf  bleiben,  daß 
Lokomotivbauarten,  bei  denen  die  Spurkränze 
mehrerer  Achsen  gleichzeitig  an  derselben  Loko- 
motivseite an  die  Schienen  zum  Anliegen  kommen, 
beim   Schlingern    den   Oberbau    weit   weniger 
beanspruchen,  als  wenn  nur  ein  Spurkranz  die 
ganze  abweisende  Kraft  der  Schiene  zu  über- 
nehmen hat.  Verschiebbare  Lauf-  und  Kuppel- 
achsen erweisen  sich  hierbei  ebenso  vorteilhaft 
wie  Drehgestelle.  Deichselgestelle,  die  geschoben 
werden,   neigen   stark  zum  Schlingern.  Solche 
Gestelle  werden  daher  meist  so  ausgeführt,  daß 
das  Drehgestell  durch  eine  besondere  Vorrich- 
tung gezogen  wird  und  die  Deichsel  nur  zum 
Lenken  dient.  An  Lokomotiven  ist  die  Wirkung 
der  Schlingerbewegungen  noch  von  der  Größe 
der  überhängenden   Massen   abhängig.   Durch 
letztere  ist  das  Trägheitsmoment  der  Lokomotive 
in   bezug  auf  die  lotrechte  Schwerpunkiachse 
beeinflußt.  Der  führende  Spurkranz  wird  daher 
beim   .Anlaufen   an   die  Schiene  einen   um  so 
größeren  Druck  zu  übernehmen  haben,  je  mehr 
Lokomotivmasse  sich  vor  dieser  Achse  befindet. 
Die  Nachgiebigkeit  und  Schwingungszeit  der 
Tragfedern  hat  hauptsächlich  auf  das  Wanken, 
Stampfen  und  Wogen  Einfluß.  Beim  Wanken 
handelt  es  sich  hauptsächlich  um  die  Entfernung 
der  Stützung  der  abgefederten  Masse  auf  den 
Achsen  und  die  Höhe  des  Schwerpunktes  der 
abgefederten   Masse  gegen   die  Achslager.    In 
dieser   Richtung   sind    Fahrzeuge   mit   Außen- 
rahmen durch  die  große  Stützweite  im  Vorteil 
gegen  Innenrahmen.  Störungen,  die  vom  Gleis 
ausgehen,    werden    daher    bei    Außenrahmen- 
lokomotiven  ein  Wanken  mit  geringerem  Aus- 
schlag  wie    bei    Innenrahmen    hervorbringen. 
Dagegen  wird  eine  hohe  Schwerpunktlage  der 
abgefederten  Lokomotivmasse  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grad   das  Wanken   mildern,   da  durch 
die  Erhöhung  des  Schwerpunktes  das  Trägheits- 
moment der  abgefederten  Lokomotivmasse  um 
eine  wagrechte  Längsachse  vergrößert  wird.  Da 
ferner  durch  äußere  Dampfzylinder  ebenfalls  eme 
nicht  unwesentliche   \"ergrößerung   des  Träg- 
heitsmoments der  abgefederten  Lokomotive  um 


störende  Lokomotivbewegungen. 


227 


eine  wagrechte  Längsachse  eintritt,  so  hat  auch 
diese  Bauweise  auf  die  Stärke  des  Wankens 
Einfluß  (Jahn,  Das  Wanken  der  Lokomotive. 
Ztschr.  dt.  Ing.  1909,  S.  621).  Es  hat  sich  ferner 
gezeigt,  daß  Seitenstöße,  die  durch  unregel- 
mäßige Lage  des  Gleises  auf  die  Räder  ausgeübt 
werden,  sich  an  Lokomotiven  mit  hoher  Schwer- 
punktlage erst  durch  Vermittlung  der  Tragfedern 
auf  die  abgefederte  Lokomotivmasse  übertragen. 
Es  werden  somit  die  Seitenstöße  durch  die 
Tragfedern  aufgefangen,  wobei  allerdings  Wan- 
ken eintritt,  das  indessen  stets  unbedenklich 
bleibt.  Lokomotiven  mit  kurzem  Radstand,  stark 
überhängenden  Massen  und  hoher  Schwerpunkt- 
lage neigen  mitunter  stärker  zum  Stampfen. 
Es  tritt  dies  hauptsächlich  an  älteren  C-  und  D- 
Lokomotiven  mit  überhängender  Feuerbüchse 
ein.  Das  Stampfen  wird  noch  verstärkt,  wenn 
die  Schienenlänge  mit  dem  Radstand,  mit  der 
Fahrgeschwindigkeit  und  der  Schwingungszeit 
der  Tragfedern  in  ein  bestimmtes  Verhältnis 
tritt.  Die  Verwendung  von  Tragfeder-Ausgleich- 
hebeln, deren  Wert  hinsichtlich  der  Vermeidung 
von  Über-  und  Entlastungen  einzelner  Räder 
außer  Zweifel  steht,  vermehrt  jedoch  die  Neigung 
der  Lokomotive  zum  Stampfen,  da  durch  die 
Federausgleichhebel  die  Entfernung  der  Stütz- 
punkte vermindert  und  ein  stärkeres  Spiel 
zwischen  Achsen  und  abgefederter  Lokomotiv- 
masse ermöglicht  wird.  Lokomotiven  mit  kurzen 
Radständen  und  überhängenden  Massen  erhalten 
daher  besser  keine  Federausgleichhebel.  Das 
Wogen  der  Lokomotiven  ist  nur  selten  zu 
beobachten.  Es  tritt  am  ehesten  noch  an  Loko- 
motiven mit  schneckenförmigen  Tragfedern  ein, 
dadiese  Federbauart  geringe  Eigenreibimg  besitzt. 
Das  Federspiel  dauert  daher  nach  Störungen 
längere  Zeit  an.  Auch  die  S.  des  Wankens  und 
Stampfens  werden  durch  Schneckenfedern  be- 
günstigt, wogegen  Blattfederwerke  durch  die 
beträchtliche  Reibung  zwischen  den  Federblättern 
eine  starke  Dämpfung  der  Schwingungen  hervor- 
bringen. Schneckenfedern  sind  daher  nur  an  Loko- 
motiven mit  großen  Radständen  zu  empfehlen,  bei 
denen  die  schädliche  Bewegung  des  Stampfens, 
die  unter  Umständen  ein  bedenkliches  Maß  er- 
langen könnte,  überhaupt  ausgeschlossen  ist.  Das 
Wanken,  Stampfen  und  Wogen  kann  auch  noch 
dadurch  eingeschränkt  werden,  daß  die  Trag- 
federn aller  Achsen  nicht  durchaus  gleiche  Bau- 
art erhalten.  Es  fällt  dann  auch  die  Schwingungs- 
zeit der  Tragfedern  verschieden  aus  und  es 
kommt  dann  nicht  so  leicht  zur  Anhäufung 
starker  Schwingungen. 

Die  Schwingungszeit   in   Sekunden   für  die 
Doppelschwingung  einer  Tragfeder  ist 


wenn  e  die  Einsenkung  der  Tragfeder  unter 
der  ruhenden  Last  in  cm  und  g  die  Beschleu- 
nigung der  Erdschwere  ist.  Für  die  gewöhnlich 
an  Lokomotiven  in  Verwendung  stehenden  Blatt- 
federwerke ergeben  sich  Schwingungszeiten  von 
0-5-  LO  Sekunden.  Bei  größeren  Geschwindig- 
keiten ist  es  möglich,  daß  das  Überfahren  der 
Schienenstöße  je  nach  der  Schienenlänge  mit 
den  Federschwingungen  gleichzeitig  (isochron) 
erfolgt,  wodurch  das  Stampfen  und  Wogen 
längere  Zeit  andauern  kann. 

3.  S.  hervorgerufen  durch  Kräfte  im 
Triebwerk.  Diese  lassen  sich  wieder  unterteilen 
in  störende  Bewegungen,  die 

A.  von   den   Dampfdrücken    im   Triebwerk, 

B.  von  den  Massenwirkungen  umlaufender 
und  hin  und  her  gehender  Teile  im  Trieb- 
werk herrühren. 

A.  Zunächst  kann  durch  die  wechselnde 
Zugkraft  am  Umfang  der  Triebräder  eine 
Unregelmäßigkeit  in  der  Fortbewegung  ent- 
stehen. Bei  der  Übertragung  des  Kolbendrucks 
auf  die  Triebräder  durch  das  Schubkurbel- 
getriebe wird  für  die  beiden  Totlagen  des 
Kolbens  die  Zugkraft  Null.  Wenn  an  einer 
Zweizylinderlokomotive  auch  durch  die  um 
einen  rechten  Winkel  versetzten  Kurbeln  dieser 
unregelmäßige  Antrieb  möglichst  ausgeglichen 
wird,  so  stellt  sich  doch  unvermeidlich  eine 
Unregelmäßigkeit  in  der  Zugkraft  ein,  die  sich 
auf  die  Bewegung  der  Lokomotive  überträgt. 
Verstärkt  wird  diese  Unregelmäßigkeit,  wenn 
es  sich  um  eine  zum  Kurbelhalbmesser  ver- 
gleichsweise kurze  Triebstangenlänge,  um  kleine 
Füllungen  in  den  Dampfzylindern,  um  starke 
Gegendrücke  u.  s.  w.  handelt.  Die  Unregel- 
mäßigkeit in  der  Lokomotivfortbewegung  äußert 
sich  durch  das  Zucken.  Es  wird  mit  der  Um- 
drehungszahl der  Lokomotivtriebachse  zu- 
sammenfallen. Ein  Ausgleich  wird  dadurch  er- 
zielt, daß  die  ganze  Lokomotivmasse  und  bei 
unelastischer  Kupplung  mit  dem  Tender  auch 
dessen  Masse  am  Zucken  teilnehmen  muß.  Bei 
größerer  Geschwindigkeit  ist  daher  die  Massen- 
wirkung von  Lokomotive  und  Tender  so  be- 
deutend im  Vergleich  mit  der  Unregelmäßigkeit 
der  Antriebskraft,  daß  diese  Zuckerscheinung 
meist  nur  bei  sehr  geringer  Fahrgeschwindigkeit 
und  in  mäßigem  .Ausmaß  merkbar  wird.  Das 
Zucken  wird  dann  allerdings  nochmals  bei  sehr 
hohen  Fahrgeschwindigkeiten  fühlbar,  ist  dann 
jedoch  eine  Folge  der  hin  und  her  gehenden 
Massen,  wie  w^eiter  unten  dargelegt  wird. 

Eine  weitere  störende  Kraft,  die  S.  hervor- 
bringen kann,  ist  der  Führungsdruck  an  den 
Kreuzköpfen.  Diese  auch  als  Normaldruck 
bezeichnete  Kraft  ist  bei  der  Vorwärtsfahrt 
vorherrschend  nach  oben  gerichtet.  Er  ist  für 

15* 


228 


Störende  Lokomotivbewegungen- 


die  Totlagen  der  Kurbel  Null  und  erreicht  nahe 
an  der  Hubmittc  den  Höchstwert.  Durch  diesen 
Kreuzkopfführungsdruck,  der  mit  abnehmender 
Schubstangenlänge  stark  zunimmt,  wird  je  nach 
der  Lokomotivbauart  Wanken,  Stampfen  und 
Wogen  erzeugt.  Das  Wanken  wird  um  so  stärker 
ausfallen,  je  größer  die  Zylindermittel  voneinan- 
der abstehen,  da  dann  der  wirksame  Hebelarm 
größer  wird.  Mit  der  Höhe  der  SchwerpunW- 
lage  der  abgefederten  Lokomotivmasse  müßte 
eigentlich  das  Wanken  zunehmen;  es  hat  sich 
jedoch  gezeigt,  daß  das  Trägheitsmoment  der 
abgefederten  Lokomotivmasse  durch  die  Ver- 
größerung der  Höhe  des  Schwerpunktes  so 
stark  vermehrt  wird,  daß  tatsächlich  eine  Besse- 
rung des  Wankens  eintritt.  An  vierzylindrigen 
Lokomotiven  erfährt  das  Wanken  infolge  des 
Kreuzkopfführungsdruckes  eine  Verstärkung, 
da  der  Führungsdruck  der  um  ISO"  versetzten 
Kurbeln  derselben  Lokomotivseite  gleichzeitig 
und  in  gleicher  Richtung  auftritt.  Der  wirksame 
Hebelarm  ist  für  die  inneren  Triebwerke  aller- 
dings geringer.  Auf  das  Stampfen  übt  der 
Kreuzkopfführungsdruck  hauptsächlich  dann 
einen  Einfluß  aus,  wenn  die  Kreuzkopffüh- 
rungen gegen  den  Radstand  weit  vorgeschoben 
sind.  Kurze  Triebstangen  im  Verein  mit  vorn 
stark  überhängenden  Dampfzylindern  und  einem 
kurzen  Radstand  können  erhebliches  Stampfen 
zur  Folge  haben.  An  Lokomotiven  mit  kurzen 
Radständen  und  großen  überhängenden  A\as- 
sen  soll  daher,  um  das  Stampfen  zu  vermeiden, 
die  Kreuzkopfführung  möglichst  gegen  die 
Mitte  des  Radstands  gerücW  werden.  Bei  Loko- 
motiven mit  genügend  großem  Radstand  und 
guter  Stützung  an  den  Enden  ist  die  Neigung 


Abb.  228. 


zum  Stampfen  derart  eingeschränkt,  daß  dann 
auch  eine  weit  vorgeschobene  Lage  der  Kreuz- 
kopfführung   ohne   Nachteil    ist.    Das  Wogen 


infolge  der  Kreuzkopfführungsdrücke  ist  un- 
bedenklich und  selten  besonders  wahrnehmbar. 
Alle  diese  S.  vollziehen  sich  im  Einklang  mit  den 
Umdrehungen  der  Triebachse.  Sie  können,  wie 
bereits  bemerkt,  durch  besondere  Eigenheiteh 
der  Lokomotive  oder  des  Oberbaues  erheblicn 
verstärkt  oder  verschwächt  werden.  Sie  treten 
dann  erfahrungsgemäß  bei  gewissen  Geschwin- 
digkeiten auffallend  stark  in  Erscheinung. 

An  Lokomotiven  mit  wagrechten  Dampf- 
zylindern heben  sich  jeweils  die  gleich  großen 
und  entgegengesetzt  gerichteten  Dampfdrücke, 
die  gleichzeitig  an  den  Zylinderdeckeln  und 
an  den  Achslagerführungen  wirken,  gegenseitig 
auf.  An  stark  geneigten  Dampf  Zylindern  ist 
dies  nicht  mehr  der  Fall,  da  an  der  lotrechten 
Lagerführung  je  nach  der  Richtung  des  Dampf- 
drucks eine  nach  oben  oder  unten  gerichtete 
Komponente  auftritt.  Diese  störende  Bewegung 
bringt  ein  Wanken  hervor,  das  jedoch  auch  nur 
bei  geringen  Fahrgeschwindigkeiten  merkbar 
ist.  Immerhin  verbietet  diese  Erscheinung  eine 
zu  stark  geneigte  Lage  der  Dampfzylinder.  Bei 
lotrecht  stehenden  Zylindern  würde  der  volle 
Kolbendruck  als  störende  Kraft  wirken. 

B.  Die  S.,  die  durch  die  nicht  ausge- 
glichenen, umlaufenden  und  hin  und  her 
gehenden  Teile  des  Triebwerks  hervor- 
gerufen werden,  sind  besonders  wichtig.  Sie 
können  unter  Umständen  eine  beachtenswerte 
Stärke  erreichen. 

1.  Umlaufende  Teile  des  Triebwerks 
können  in  der  Regel  vollkommen  ausge- 
glichen werden.  Es  kann  jedoch  in  besonderen 
Fällen  vorkommen,  daß  bei  einzelnen  Rädern 
von  geringen  Durchmessern  die  notwendigen 
Gegengewichte  nicht  in  dem  erforderlichen 
Ausmaß  untergebracht  werden  können,  so  daß 
ein  Teil  der  umlaufenden  Triebwerksteile  un- 
ausgeglichen bleibt.  Die  freie  Fliehkraft  eines 
solchen  Triebwerksteiles  wird  als  störende 
Kraft  auftreten.  Im  lotrechten  Sinn  werden 
sich  diese  Kräfte  auf  den  abgefederten  Teil 
der  Lokomotive  nicht  äußern,  da  die  auf  den 
Schienen  aufliegenden  Räder  den  lotrechten 
Druck  nach  abwärts  ohneweiters  aufnehmen 
und  der  lotrechte  Druck  nach  oben  erst  dann 
eine  Wirkung  hervorbringen  könnte,  wenn 
das  belastete  Rad  durch  die  störende  Flieh- 
kraft von  der  Schiene  abgehoben  würde.  Da- 
gegen wird  die  Fliehkraft  im  wagrechten  Sinn 
sich  durch  die  Achslager  und  deren  Führungen 
im  Rahmen  auf  die  abgefederte  Lokomotiv- 
masse übertragen.  Diese  störende  Kraft  wird 
Zucken  und  Drehen  hervorbringen.  Die  Zuck- 
bewegung der  Lokomotive  durch  das  ein- 
seitige, unausgeglichene  Gewicht  G  mit  dem 
Schwerpunkt  $2  ist  aus  Abb.  228  einfach  abzu- 


Störende  Lokomotivbewegungen. 


229 


—  =-k 


leiten.  Ist  5  der  Schwerpunkt  der  gesamten 
Lokomotive,  5,  der  Schwerpunkt  des  um- 
laufenden Gewichts  und  5^  der  Schwerpunkt 
der  Lokomotive  ohne  dieses  Gewicht,  so  muß 
nach  dem  Grundsatz  von  der  Erhaltung  der 
Schwerpunktlage  bei  der  Fortbewegung  der 
Lokomotive  der  Schwerpunkt  S  sich  unbeein- 
flußt weiterbewegen.  Bei  der  Verlegung  des  Ge- 
wichts G  um  den  Kolbenhub  fi^2  r  von  vorn 
nach  hinten  muß  daher  der  Schwerpunkt  S^ 
um  den  Betrag  a  nach  vorne  rücken.  Dies 
drückt  sich  durch  die  Gleichung 
G h  ^  Ln  aus. 

Hieraus  ergibt  sich  der  sog.  Zuckweg 
G 
L 

worin  G  das  umlaufende,  unausgeglichene  Ge- 
wicht, L  das  dem  Schwerpunkt  S^  entsprechende 
übrige  Gewicht  der  Lokomotive  ist. 

In  ähnlicher  Weise  läßt  sich  das  Drehen 
der  Lokomotive  ableiten. 

Verlegt  sich  in  Abb.  229  die  einseitig  um- 
laufende Masse  m  im  Abstand  /  von  der 
Lokomotivmitte  um  den  Weg  r  von  der  Mittel- 
lage nach  hinten,  so  muß  die  übrige  Lokomotiv- 
masse mit  Ausnahme  der  gewöhnlich  etwas 
verschiebbaren  Achssätze  eine  kleine  ausglei- 
chende Drehbewegung  um  die  lotrechte  Schwer- 
punktachse im  entgegengesetzten  Sinn  vollführen. 
Ist  Q  das  Trägheitsmoment  der  Lokomotive  mit 
Rücksicht  auf  die  lotrechte  Schwerpunktachse 
und  X  der  entsprechende  Winkelausschlag,  so 
erhält  man: 

Qx  =  m  rl 

Das  Trägheitsmoment  läßt  sich  ersetzen  durch 

Q  =  ^  o 

g  " 

wenn  L  das  Lokomotivgewicht  ohne  die  Achs- 
sätze, g  die  Beschleunigung  der  Erd- 
schwere und  p  der  Trägheitshebelarm 
ist.  Man  erhält  dann  den  Winkelaus- 
schlag der  Drehbewegung  von  der 
Lokomotivmitte  nach  einer  Seite 
GH 

wenn    G    das    unausgeglichene,    um- 
laufende Gewicht  im  Rad  ist. 

2.  Die  hin-  und  hergehenden 
Massen  des  Triebwerks  wirken  auf 
den  Gang  der  Lokomotive  störend 
ein.  Es  sei  zunächst  nur  ein  Triebwerk 
betrachtet  und  die  hin  und  hergehenden 
Massen  nicht  ausgeglichen.  Es  ist  ferner 
genommen,  daß  die  Lokomotive  ohne  Dampf- 
druck in  den  Zylindern  am  Gleis  fährt  und 
daß  die  Triebstange  unendliche  Länge  besitzt. 
Denkt  man  sich  in  Abb.  230  die  ganze  Masse  ÜI 


Abb.  229. 

der  hin  und  her  gehenden  Triebwerksteile  im 
Kreuzkopf  vereinigt,  so  wird  diese  Masse  im 
Kurbelzapfen  zunächst  einen  Verzögerungs- 
druck, in  der  linken  Hälfte  des  Kolbenhubs 
aber  einen  Beschleunigungsdruck 

P  =:  Jit  —  cos  9 

ausüben,  wenn  v  die  Geschwindigkeit  im  Kurbel- 
kreis, rder  Kurbelhalbmesser  und  cp  der  Kurbel- 
winkel ist.  Fügt  man  in  der  Achsmitte  2  gleiche 
und  entgegengesetzt  gerichtete  Kräfte  P'  und  P" 
an,  so  bilden  PundP' ein  Drehmoment,  während 
P"  zwischen  Achslager  und  Rahmen  zur  Wirkung 
kommt.  Das  Drehmoment  der  Kräfte  P  und  P" 
am  Hebelarm  ;■  sin  (p  bringt  nun  eine  Wirkung 
am  Umfang  des  Triebrads  hervor.  Es  ist 

UR  =  rsin  (f  P 
wenn  U  die  Umfangskraft  infolge  der  Massen- 
wirkung am  Radhalbmesser/?.  Hieraus  ergibt  sich 

U^M  {}^  sin2q) 

iVIv'sinf 

T 


M^ 


an- 


Abb.  230. 

Es  erscheint  somit  durch  die  hin  und  her 
gehende  Masse  Üt  auch  eine  wechselnde  Kraft 
U  am  Umfang  des  Triebrads.  Da  man  bei 
den  älteren  Untersuchungen  der  S.  die  Loko- 
motiven  der  vereinfachten  Vorstellung  wegen 


230 


Störende  Lokomotivbewegungen. 


als  schwebend  oder  auf  Ketten  hängend  sich 
vorstellte,  so  hatte  man  vom  Bestehen  der 
Kraft  U  keine  Kenntnis.  Sie  ist  erst  in  den 
Arbeiten  von  Lihotzky  (1907),  Strahl  (1907) 
und  Jahn  (1911)  berücksichtigt. 

Wird  nun  angenommen,  daß  die  NX'irkung 
der  hin  und  her  gehenden  Massen  durch  ein 
Gegengewicht  ausgeglichen  werden  soll,  so 
ergeben  sich  unter  Beibehaltung  obiger  Vor- 
aussetzungen für  ein  Triebwerk  die  in  Abb.  230 
dargestellten  Verhältnisse.  Hierbei  ist  ange- 
nommen, daß  die  Massen  JJl  und  das  üegen- 
gewicht  von  der  Masse  M  in  derselben  Längs- 
ebene der  Lokomotive  sich  bewegen.  Die  Massen- 
kräfte von  ill  entsprechen  dem  Wert 

M  —  cos  (p 

Das  für  den  Ausgleich  bestimmte  Gegen- 
gewicht, das  im  Kurbelkreishalbmesser  r  um- 
läuft,  ist  der  Fliehkraft  ausgesetzt,    die  in  der 

Richtung  des  Halbmessers  den  Wert  A/  —  besitzt. 

Für  den  .«Xusgleich  kommt  jedoch  nur  die  wag- 
rechte Komponente  der  Fliehkraft 

M  —  cos  cp 

zur  Geltung.  Für  vollkommenen  Massen- 
ausgleich im  wagrechten  Sinn  müßte  demnach 
das  Gegengewicht  gleiches  Gewicht  haben  wie 
die  hin  und  her  gehenden  Teile.  Hierbei  ist 
unendliche  Schubstangenlänge,  die  gleiche 
Schwingungsebene  für  beide  Massen  und  als 
wirksamer  Halbmesser  des  Gegengewichts  r 
vorausgesetzt. 

Als  Nachteil  des  Ausgleichs  der  hin  und 
her  gehenden  Massen  durch  ein  umlaufendes 
Gegengewicht  muß  angesehen  werden,  daß  die 
lotrechte  Fliehkraftkomponente  des  Gegenge- 
wichts F  unbenutzt  übrig  bleibt  und  eine 
Störung  des  Schienendrucks  mit  sich  bringt. 
Die  Vergrößerung  des  Schienendrucks  durch 
die  freie  Fliehkraft  kann  bedenkliche  Bean- 
spruchungen des  Oberbaues  mit  sich  bringen. 
Es  muß  daher  eine  Beschränkung  der  freien 
Fliehkraft  vorgesehen  werden.  DieT.V.  schreiben 
vor,  daß  bei  der  größten  zulässigen  Fahr- 
geschwindigkeit der  Lokomotive  die  freie  Flieh- 
kraft nicht  mehr  als  15fi  des  Raddrucks,  im 
Stillstand  gemessen,  betragen  darf. 

Hierdurch  ist  einerseits  ein  vollständiger  Aus- 
gleich der  hin  und  her  gehenden  Triebwerksteile 
durch  Gegengewichte  eingeschränkt,  ander- 
seits die  Höchstgeschwindigkeit  der  Lokomotive 
durch  die  Größe  des  Ausgleichs  bedingt.  An 
Lokomotiven  im  Gebiet  des  VDEV.  werden 
die  hin  und  her  gehenden  Massen  zu  1 5  -  60  *ö 
purch  Gegengewichte  ausgeglichen.  Der  geringe 
Ausgleich  wird  bei  rasch  fahrenden,  der  starke 


Ausgleich  an  langsam  fahrenden  Lokomotiven 
vorgenommen.  Im  allgemeinen  läßt  sich  fest- 
stellen, daß  die  Lokomotiven  um  so  ruhiger 
laufen,  je  stärker  die  hin  und  her  gehenden 
\  Massen  ausgeglichen  sind.  Daß  bei  rasch  fah- 
renden Lokomotiven  der  Ausgleich  verhältnis- 
mäßig gering  ist,  ist  nur  eine  Vorkehrung  zur 
Schonung  des  Oberbaues.  Es  wurde  einige 
Zeit  hindurch  in  Deutschland  versucht,  an 
zweizylindrigen  Heißdampflokomotiven  die  hin 
und  her  gehenden  Massen  gar  nicht  auszu- 
gleichen. Das  Ergebnis  war  hinsichtlich  der  S. 
so  ungünstig,  daß  gegenwärtig  ein  Ausgleich 
gewöhnlich  wieder  vorgesehen  wird. 

In  Nordamerika  werden  die  hin  und  her 
gehenden  Massen  verhältnismäßig  stark,  gewöhn- 
lich mit  40  —  80^0  ausgeglichen.  Die  Loko- 
motiven zeigen  einen  guten  Gang,  beanspruchen 
aber  den  Oberbau  verhältnismäßig  stark.  An 
vierzylindrigen  Lokomotiven  mit  gegenläufigen 
Triebwerken  tritt  ein  teilweiser  Ausgleich  der 
hin  und  her  gehenden  Massen  ein.  Der  rest- 
liche Teil  ist  dann  mitunter  noch  durch  Gegen- 
gewichte ausgeglichen. 

Überschüssige  Fliehkräfte  im  lotrech- 
ten Sinn.  Jedes  umlaufende  Gewicht  im  Rad, 
das  nicht  selbst  wieder  durch  ein  umlaufendes 
Gewicht  ausgeglichen  ist,  bringt  im  lotrechten 
Sinn  eine  Überbelastung  und  eine  Entlastung 
des  Raddrucks  durch  die  Fliehkraft  hervor, 
je  nachdem  sich  das  Gewicht  in  der  tiefsten 
oder  in  der  höchsten  Lage  befindet.  Der  Über- 
gang vollzieht  sich  jedoch  nicht  plötzlich, 
sondern  mit  Rücksicht  auf  die  lotrechte  Kom- 
ponente der  Fliehkraft  genau  nach  einer  Sinus- 

i  linie.    Die  freie  Fliehkraft  ist  C  =  iW-, wenn 

AI  die  Masse  des  Gewichts  G,  r^  der  maß- 
gebende Halbmesser  des  Schwerpunktes  und 
i'  die  Geschwindigkeit  im  Halbmesser  r  ist. 
Auf  die  Umdrehungszahl  der  Triebachse  in 
der  Sekunde  n  bezogen  und  bei  Einführung 
des  Gewichts  G  lautet  die  Gleichung 

Hierbei  ist  n  die  Umdrehungszahl  der  Achse 
in   der  Sekunde,  die  aus 

Vkmßti. 

zu  erlangen  ist,  wenn  V  die  Fahrgeschwindig- 
keit in  yfe/n/Std.  und  D  der  Triebraddurchmesser 
in  m  ist. 

Diese  freien  Fliehkräfte  bringen  im  allge- 
meinen S.  nicht  hervor.  Sie  können  jedoch  bei 
minder  festem  Oberbau  diesen  ungünstig  be- 
einflussen. 

Ein  häufig  angewandtes  Mittel,  um  den 
Ausgleich    der  hin  und  her  gehenden  Massen 


störende  Lokomotivbewegungen.  ] 


231 


im  stärkeren  Maße  durchzuführen  und  die  freie 
Fliehkraft  doch  in  den  vorgeschriebenen  Gren- 
zen zu  halten,  ist  an  Lokomotiven  mit  gekup- 
pelten Achsen  möglich.  Es  kann  dann  der 
Gegengewichtsanteil  für  die  hin  und  her  ge- 
henden Massen  auf  alle  Räder  einer  Lokomotiv- 
seite gleichmäßig  verteilt  werden.  Es  ist  dabei 
ein  sehr  weitgehender  Ausgleich  möglich,  ohne 
daß  die  freien  Fliehkräfte  ein  besonderes  Maß 
erreichen.  Es  können  somit  Lokomotiven  mit 
zahlreichen  gekuppelten  Achsen  eigentlich  besser 
ausgeglichen  werden  als  solche  mit  wenigen. 
Es  müssen  in  diesem  Fall  allerdings  die  Kräfte- 
wirkungen für  den  Ausgleich  von  den  Kuppel- 
achsen erst  durch  die  Kuppelachsen  zur  Trieb- 
achse und  zu  den  hin  und  her  gehenden  Massen 
übertragen  werden,  wodurch  eine  stärkere  Be- 
anspruchung dieser  Teile  eintritt. 

Für  eine  Zwischenlage  stellt  sich  die  lotrechte 
freie  Fliehkraftkomponente  nach  Abb.  230  durch 


M 


sin  rp  dar. 


Der  Massenausgleich  der  hin  und  her  ge- 
henden Triebwerksteile  durch  Gegengewichte 
wird  noch  durch  die  endliche  Triebstangen- 
länge beeinflußt,  derart,  daß,  selbst  wenn  die 
hin  und  her  gehenden  Massen  durch  ein  gleich 
großes  Gegengewicht  ausgeglichen  würden, 
doch  noch  eine  Zuckkraft  bestehen  bleibt. 
Diese  Zuckkraft  wird  um  so  geringer,  je  länger 
die  Triebstange  im  Verhältnis  zum  Kurbel- 
halbmesser ist. 

Der  Einfluß  der  Masse  der  hin  und  her 
gehenden  Triebwerksteile  am  Triebzapfen  bei 
unendlicher  Schubstangenlänge  ist 


M 


cos  Cp 


Durch  eine  Triebstange  von  der  Länge  L 
erfährt  die  wagrecht  wirkende  Kraft  am  Trieb- 
zapfen eine  Veränderung  in  der  Form 

iJly(coscp±^   cos  2  q)) 

Da  bei  dem  angestrebten  vollständigen  Aus- 
gleich die  Gegengewichtsmasse  yW  =  Ül  zu 
machen  ist,  so  kann,  da  die  wagrechte  Kom- 
ponente der  Fliehkraft 

M  —  cos  rp 

ist,  ein  vollkommener  Ausgleich    nicht  erzielt 
werden.    Es  bleibt  somit  eine  störende   Kraft 

±  Ül  ^  COS  2  cp 

übrig,  die  durch  Gegengewichte  überhaupt  nicht 
ausgeglichen  werden  kann. 

Da  die  Triebstange  an  einem  Ende  eine 
hin  und  her  gehende,  am  andern  eine  kreis- 
förmige Bewegung  macht,  ist  zu  entscheiden, 
welcher  Gewichtsanteil  der  Triebstange  als  hin 


und  her  gehende  und  welcher  als  umlaufende 
Masse  anzusehen  ist.  Eine  genaue  Berechnung 
beider  Anteile  ist  sehr  umständlich.  Gewöhnlich 
wird  etwa  V3  des  Stangengewichts  zu  den  umlau- 
fenden und  Vj  zu  den  hin  und  her  gehenden 
Triebwerksteilen  gerechnet.  Nach  einem  andern 
Verfahren  wird  das  Stangengewicht  im  Verhältnis 
der  lotrechten  Auflagerdrücke  geteilt,  wenn  die 
Triebstange  an  beiden  Zapfenmitten  unterstützt 
abgewogen  wird. 

Alle  vorstehenden  Betrachtungen  beziehen  sich 
auf  das  Schubkurbelgetriebe  einer  Lokomotiv- 
seite und  gleichzeitig  ist  angenommen,  daß 
die  ausgleichenden  Gegengewichte  in  derselben 
Ebene  liegen  wie  die  auszugleichenden  Massen. 
In  Wirklichkeit  liegen  jedoch  die  Gegengewichte 
in  den  Radebenen,  während  die  Triebwerks- 
mittel gegen  diese  verschoben  sind.  Da  es 
ferner  sich  gewöhnlich  um  mindestens  2  gegen- 
einander um  90"  versetzte  Schubkurbelgetriebe 
handelt,  so  ergeben  sich  in  beiden  Rädern  einer 
Achse  eine  Reihe  von  Teilgegengewichten  für 
die  umlaufenden  und  hin  und  her  gehenden 
Massen,  die  dann  endlich  zum  resultierenden 
Gegengewicht  vereinigt  werden. 

Durch  die  Vereinigung  zweier  Schubkurbel- 
getriebe unter  einem  Kurbelwinkel  von  90", 
d.  i.  bei  der  weitaus  vorherrschenden  Lokomotiv- 
bauart, ergeben  sich  die  für  die  S.  maßgebenden 
Kräftewirkungen.  Sieht  man  von  der  endlichen 
Länge  der  Schubstangen  ab  und  nimmt  man 
an,  daß  die  hin  und  her  gehenden  Massen  voll- 
ständig ausgeglichen  sind,  so  ist  grundsätzlich 
eine  Beseitigung  der  Zuckbewegung  möglich, 
da  sich  nicht  nur  die  Massenkräfte  P"  in  der 
Achse,  sondern  auch  die  Umfangskräfte  U  aus- 
gleichen lassen.  Die  Kräfte  P"  sind  durch 
die  wagrechte  Fliehkraftkomponente,  die  Um- 
fangskräfte U  aber  dadurch  ausgeglichen,  daß 
sie  an  beiden  Lokomotivseiten  stets  gleich  groß 
und  entgegengesetzt  wirken.  Hinsichtlich  des 
Drehens  üben  die  Kräfte  P"  keinen  Einfluß 
aus,  wogegen  die  an  beiden  Lokomotivseiten 
stets  entgegengesetzt  gerichteten  Umfangskräfte 
t/einDrehmoment  ergeben,  das  durch  Gegen- 
gewichte nicht  auszugleichen  ist. 

Werden  Triebstangen  mit  endlicher  Länge 
angeordnet,  so  ergeben  sich  unvermeidlich 
gewisse  störende  Kräfte.  Wird  weiters  nur  ein 
Teil  der  hin  und  her  gehenden  Massen  ausge- 
glichen, so  bleibt  von  den  Kräften  P"  ein 
Anteil  als  störende  Kraft  übrig,  der  Zucken 
und  Drehen  verursacht. 

Hinsichtlich  des  Zuckens  sind  bei  vollstän- 
digem oder  teilweisem  Ausgleich  der  hin  und 
her  gehenden  Massen  Lokomotiven  mit  inneren 
und  äußeren  Dampfzylindern  gleichwertig.  In 
bezug  auf  das  Drehen  ist  jedoch   unter  sonst 


232 


Störende  Lokomotivbewegungen. 


gleichen  Verhältnissen  die  Lokomotive  mit 
inneren  Dampfzylindern  erheblich  im  Vorteil, 
da  die  störenden  Kräfte  an  einem  viel  kleineren 
Hebelarm  angreifen.  Das  ist  hauptsächlich  der 
Grund,  warum  Lokomotiven  mit  inneren  Dampf- 
zylindern ein  besonders  ruhiger  Gang  nach- 
gerühmt wird. 

An  vierzylindrigen  Lokomotiven  ist,  wenn  die 
Kurbeln  einer  Lokomotivseite  um  180°  gegen- 
einander versetzt  sind,  bei  unendlicher  Trieb- 
stangenlänge und   gleich  großen   hin   und  her 


gehenden  Massen  an  den  inneren  und  an 
den  äußeren  Dampfzylindern  das  Zucken  auch 
ohne  Gegengewichte  ganz  vermieden.  Das 
Drehen  ist  geringer  als  an  der  zweizvlindrigen 
Lokomotive,  läßt  sich  aber  selbst  durch  Gegen- 
gewichte nicht  völlig  vermeiden,  da  die  Um- 
fangskräfte  U  einander  nicht  ganz  aufheben. 
Hierbei  sind  Lokomotiven  mit  zwischen  den 
Rahmen  liegenden  Niederdruckzylindern  im 
Vorteil  gegen  Lokomotiven  mit  äußeren  Nieder- 
druckzylindern, da  bei  ersterer  Bauart  die 
größeren  hin  und  her  gehenden  Massen  an  dem 
kleineren  Hebelarm  arbeiten  und  damit  auch 
ein  geringeres  Schlingermoment  erzeugen. 

An  vierzylindrigen  Lokomotiven  sind  2  Bau- 
arten zu  unterscheiden,  je  nachdem  beide 
Zylinderpaare  dieselbe  Achse  betreiben  oder 
2  getrennte  Triebachsen  vorhanden  sind.  Bei 
ersterer  Bauart  mit  nur  einer  Triebachse 
gleichen  sich  die  Gewichte  vieler  Teile  unter- 
einander aus,  so  daß  die  Gegengewichte  ver- 
hältnismäßig klein  ausfallen.  Bei  2  getrennten 
Triebachsen  müssen  dagegen  gewöhnlich  ziem- 
lich umfangreiche  Gegengewichte  für  die  um- 
laufenden Massen  vorgesehen  werden,  während 
die  hin  und  her  gehenden  Triebwerksteiie  erst 
durch  Vermittlung  der  Kuppelstangen  zwischen 
beiden  Triebachsen  zum  teilweisen  Ausgleich 
gelangen.     Hinsichtlich    der    Leichtigkeit    der 


Bauart  und  der  Beanspruchung  des  Triebwerks 
beim  Massenausgleich  ist  somit  erstere  Bauart 
vorzuziehen. 

Berechnung  der  Gegengewichte.  Als 
Grundsatz  hat  zu  gelten,  daß  die  umlaufenden 
Teile  des  Triebwerks  vollständig  auszugleichen 
sind.  Sollte  es  ausnahmsweise  nicht  möglich 
sein,  das  erforderliche  Gegengewicht  im  be- 
treffenden Rad  unterzubringen,  so  kann  es 
auch  auf  die  übrigen  gekuppelten  Räder  der- 
selben Lokomotivseite  verteilt  werden.  Es  kommt 
dies  mitunter  an  Lokomotiven  mit  geringem 
Raddurchmesser  an  den  Triebrädern  vor,  die 
wegen  der  schweren  Triebzapfen,  Stangenköpfe, 
Radkurbeln  u.  s.  w.  sehr  große  Gegengewichte 
verlangen.  Mit  Rücksicht  auf  die  starke  Bean- 
spruchung der  Kuppelstangen  ist  jedoch  dieser 
Vorgang  aufs  äußerste  einzuschränken.  Da  an 
Lokomotiven  die  Gegengewichte  am  vorteil- 
haftesten in  den  Rädern  untergebracht  werden, 
die  auszugleichenden  Massen  aber  in  außerhalb 
liegenden  Ebenen  sich  be\cegen,  so  ergibt  sich 
für  jedes  auszugleichende  Gewicht  in  beiden 
Rädern  einer  Achse  je  ein  besonderes  Gegen- 
gewicht. 

Ist  Y  in  Abb.  231  die  Achse  mit  beiden  Rädern 
und  P  das  einseitig  außerhalb  der  Räder  sitzende, 
auszugleichendeGewicht,  somußzurHerstellung 
der  Ruhe  in  der  Achse  im  rechten  Rad  das 
Gegengewicht  M,  im  linken  Rad  das  Gegen- 
gewicht N  nach  den  Gleichungen 


AI: 


und    N=P 


vorhanden  sein.  Hierbei  ist  angenommen,  daß 
die  Gewichte  P,  M  und  N  im  Halbmesser  r 
von  der  Achse  umlaufen.  VC'ird  das  Gegengewicht 
in  einen  größeren  Halbmesser  r,  verlegt,  so 
kann  es  entsprechend  leichter  ausgeführt  werden, 


neue   Gewicht   M,    aus   der 

f 

M  —  berechnet. 


wobei    sich    das 

Gleichung  M,  =  M  — 

Gewöhnlich  enthält  das  auszugleichende  Ge- 
wicht P  einer  Achsseite  auch  bereits  den  not- 
wendigen Anteil  für  die  hin  und  her  gehenden 
Massen,  so  daß  die  Gleichung 

P=RJf-sH 

besteht,  wobei  R  das  Gewicht  der  umlaufenden, 
fi  das  Gewicht  der  hin  und  her  gehenden 
Massen  und  s,  wie  bereits  oben  dargelegt,  ein 
Wert  zwischen  0'2  und  0'6  ist. 

1.  In  Abb.  232  ist  die  Triebachse  einer 
gekuppelten  Lokomotive  mit  2  äußeren 
Dampfzylindern  und  unter  90°  versetzten 
Kurbeln  dargestellt.  P  ist  das  auszugleichende 
Gewicht  der  umlaufenden  und  hin  und  her 
gehenden  Massen  einer  Seite,  das  in  der  Ebene 
der    Triebzapfenmitte    in    einer    Entfernung    c 


Störende  Lokomotivbewegungen. 


233 


von  der  Lokomotivmitte  schwingt.  K  ist  das 
auszugleichende  Gewicht  in  der  Kuppelzapfen- 
mitte, das  in  einer  um  k  abstehenden  Ebene 
von  der  Lokomotivmitte  umläuft.  Die  Gegen- 
gewichte können  in  der  Radebene  untergebracht 
werden,  die  in  der  Entfernung  /  von  der 
Lokomotivmitte  liegen.  Nach  obiger  Anleitung 
erpfibt  sich  im  rechten  Rad  für  P 


M,= 


P(l+c) 
21 


und  für  K   M^-- 


2/ 


Im  linken  Rad  sind  die  Gegengewichte 


21  ""'' 


K 


21 


Abb.  233. 


Da  M^  und  M2,  /V,  und  jVj  in  die  gleiche 
Richtung  fallen,  kann  dafür  auch  ein  Gegen- 
gewicht 

*  =  «,+«,=  W-i  +  ^titü  und 

ausgeführt  werden. 

Nun  erscheint  für  P  und  K  am  linken  Rad 
ebenfalls  ein  Gegengewicht  M  im  linken  und 
N  im  rechten  Rad.  Statt 
beider  Gewichte  M  und 
N  in  einem  Rad  kann 
nun  ein  resultierendes  Ge-  ^ 
wicht  G  nach  der  Gleichung 
G  =  'fM'^^^  A/2  unter- 
gebracht werden,  das  unter 
dem  Winkel 

gegen  die  Richtung  von  M  versetzt  ist.  Nach 
entsprechender  Umrechnung  auf  den  wirksamen 
Halbmesser  ergibt  sich  das  in  Abb.  232  ein- 
gezeichnete sichelförmige  Gegengewicht. 

An  Außenzylinderlokomotiven  mit  voreilen- 
der rechter  Kurbel  erhalten  daher  die  Gegen- 
gewichte an  den  Triebrädern  die  in  Abb.  233 
gekennzeichnete  Lage. 

2.  In  Abb.  236  ist  die  Triebachse  einer  ge- 
kuppelten Lokomotive  mit  2  inneren  Dampf- 
zylindern und  unter  90°  versetzten  Kurbeln 
dargestellt. 

Ist  P  wieder  das  auszugleichende  Gewicht 
in  der  Triebzapfenmitte,  das  in  der  Entfer- 
nung c'  von  der  Lokomotivmitte  schwingt, 
und  K  das  auszugleichende  Gewicht  in  der 
Kuppelzapfenmitte,  das  sich  im  Abstand  k  von 
der  Lokomotivmitte  befindet,  so  ist  im  rechten 
Rad  für  P 


Abb.  232. 

Man    erhält   hieraus   die  Gegengewichte 
M  =  -^[P{l+c')^  K(l-\-k)]  und 


N: 


21 
_  J_ 
~  21 


[P{/-c')+a:(ä-/)] 


BA  Rechts  ausseiL 

RI  "  "   innen. 

LA  Litilis  aussen 

LI  "  "   imien 


Abb.  234. 


Abb.  235. 


M, 


l+C 
2/ 


und  für  K    My  =  K 


l+k 
21 


Im  linken  Rad  ist 

l  —  c' 
IT/ 


N^=P 


und  N.  =  K 


21 


Das   resultierende  Gegengewicht  ist  wieder 
G  =  V  ^^  +  N^,    das     unter    dem    Winkel 


tga: 


M 


Abb.  236. 


gegen  die  Richtung  von  M  versetzt  ist.  An 
Innenzylinderlokomotiven  ist  daher  die  Lage 
der   Gegengewichte   durch   Abb.  234   gekenn- 


234 


Störende  Lokomotivbewegungen. 


zeichnet.  Die  Gegengewichte  fallen  gewöhnlich 
verhältnismäßig  klein  aus,  da  durch  die  Rad- 
kurbeln und  Kuppelstangen  ein  Teil  der  Kurbel- 
arme der  gekröpften  Achse  ausgeglichen  wird. 
3.  An  vierzylindrigen  Lokomotiven  mit 
je  2  inneren  und  2  äußeren  Triebwerken  wird 
die  Anordnung  gewöhnlich  so  getroffen,  daß  die 
Kurbeln  des  nebeneinander  liegenden  inneren 
und  äußeren  Triebwerks  einer  Lokomotivseite 
um  ISCgegeneinander  versetzt  sind.  Es  werden 
dann  gewisse  Vorteile  für  die  Gesamtanordnung 
der  Maschine,  aber  auch  hinsichtlich  des  Aus- 
gleichs erzielt.  In  Abb.  237  ist  die  Triebachse 


Abb.  237. 

einer  derartigen  Lokomotive  dargestellt.  Die 
äußere  Kurbel  des  rechten  Rades  eilt  gegen 
die  linke  äußere  Kurbel  um  90°  vor.  An 
Vierzylinderlokomotiven  ist  es  vorteilhaft,  die 
Berechnung  für  den  Ausgleich  der  umlaufenden 
und  der  hin  und  her  gehenden  Massen  ge- 
trennt vorzunehmen,  da  die  hin  und  her 
gehenden  Massen  sich  in  der  Regel  größtenteils 
gegenseitig  ausgleichen.  Die  auszugleichende 
Masse  an  den  äußeren  Triebzapfen  ist  P,,,  an 
den  inneren  Triebzapfen  Pi.  Es  gelten  die 
gleichen  Bezeichnungen  wie  im  Beispiel  unter 
1,  doch  ist  die  Entfernung  der  Schwingungs- 
ebene der  inneren  Triebwerke  von  der  Loko- 
motivmitte mit  c'  bezeichnet. 

Da  Pi,  Pa  und  K  beiderseits  gleich  groß 
angenommen  sind  und  an  jeder  Lokomotiv- 
seite zusammen  in  einer  gemeinsamen  Ebene 
liegen,  so  ist 


N 


21 

Pa{c-[)  +  K{k  -  /)  +  Pi  (l  -  C) 
2/ 


Dadurch,  daß  bei  Bildung  des  Teilgegen- 
gewichts M  die  äußeren  Gewichte  Pa  und 
K  dem    inneren   Gewicht   P,    entgegenwirken. 


fällt  M  gewöhnlich  verhältnismäßig  klein  aus. 
Es  wird  somit  durch  diese  Anordnung  Gewicht 
gespart.  Es  kann  übrigens,  falls  Pj  sehr  groß 
ist,  M  auch  auf  die  Seite  von  Pa  zu  liegen 
kommen.  Pi  ist  gewöhnlich  mit  Rücksicht  auf 
die  schwere  Achskurbel  und  den  Triebstangen- 
kopf groß. 

Die  Größe  des  resultierenden  Gegenge- 
wichts erhält  man  wie  früher  aus  der  Gleichung 

G=   \yW2  +  A^~ 

Es  steht  unter  dem  Winkel 

der  gewöhnlich  wesentlich  größer  als  an  Außen- 
zylinderlokomotiven  ausfällt.  Er  kann,  falls  M 
auf  die  Seite  von  Pa  fällt,  auch  größer  als 
90«  sein. 

Sind  die  auszugleichenden  Massen  an  beiden 
Lokomotivseiten  nicht  gleich  groß,  so  werden 
sich  an  den  Rädern  auch  verschieden  große 
Gegengewichte  unter  verschiedenen  Winkein 
ergeben. 

Will  man  Gegengewichte  in  den  Rädern 
ganz  vermeiden,  so  kann  man  nach  Annahme 
der  auszugleichenden  Gewichte  und  der  Kurbel- 
winkel eines  Triebwerkpaares  die  zum  Aus- 
gleich erforderlichen  Gewichte  und  die  Kurbel- 
winkel für  das  zweite  Triebwerkspaar  berechnen. 
Dies  ist  in  Abb.  235  durchgeführt.  Die  Kurbeln 
der  beiden  äußeren  Triebwerke  sind  um  90" 
versetzt.  Die  rechte  Kurbel  eilt  vor.  Die  Teil- 
gegengewichte sind  nicht  in  die  Radebenen, 
sondern  in  die  Schwingungsebene  der  Trieb- 
zapfenmitten der  inneren  Triebwerke  gelegt. 
Gibt  man  den  inneren  Triebwerken  jetzt 
tatsächlich  umlaufende  Massen  im  Gewicht 
G  =  Y^2  _j_  jY2  und  versetzt  man  die  Kurbel- 
winkel unter  den  Winkel  ts:a=-rr,  so  erhält 

man  hinsichtlich  der  umlaufenden  Massen 
einen  vollkommenen  Ausgleich  ohne  Gegen- 
gewichte in  den  Rädern. 

Bei  gleich  großen  Massen  an  beiden  Loko- 
motivseiten ordnen  sich  die  Kurbelwinkel  dann 
nach  Abb.  235  symmetrisch  zu  einer  Achse 
XX^  an. 

Hinsichtlich  der  hin  und  her  gehenden 
Massen  gelten  dieselben  Grundsätze  und  es 
können  sinngemäß  die  gleichen  Bezeichnungen 
und  Gleichungen  Verwendung  finden.  Bei  Ver- 
nachlässigung der  endlichen  Triebstangen  längen 
ist  ein  \'ollkommener  Ausgleich  der  hin  und 
her  gehenden  Massen  in  diesem  Fall  möglich, 
da  die  gefürchteten  lotrechten,  freien  Flieh- 
kräfte in  den  Rädern  ganz  fortfallen.  Dieser 
von  Yarrow-Schlick  angegebene  Massen- 
ausgleich    hat    sich     namentlich     an    Schiffs- 


Störende  Lokomotivbewegungen.  —  Stopfbüchsen. 


235 


maschinell  vorzüglich  bewährt,  ist  jedoch  an 
Lokomotiven  bisher  zwar  oft  erörtert,  jedoch 
nicht  ausgeführt  worden  (Mehiis,  Dampfschnell- 
bahnzug,  Diss.  1903  u.  Glasers  Ann.  1908, 
S.  179).  Man  kann  an  zweizylindrigen  Lokomo- 
tiven an  Stelle  der  resultierenden  hin  und  her 
gehenden  Massen  auch  besondere,  in  geraden 
Bahnen  sich  hin  und  her  bewegende  Aus- 
gleichgewichte (sog.  Bobgewichte)  ausführen. 
Auch  dadurch  ist  ein  vollkommener  Ausgleich 
möglich.  Ein  solcher  Ausgleich  wurde  bereits 
von  R.  v.  Helmholtz  an  einer  Lokomotive  ver- 
sucht (Die  deutsche  Kollektivausstellung  von 
Lokomotiven.  Paris  1900.  Glasers  Ann.  1900). 

An  älteren  Lokomotiven  war  die  Form  der 
Gegengewichte  gewöhnlich  die  eines  Kreisaus- 
schnitts oder  eines  Kreisringausschnitts.  Gegen- 
wärtig sind  die  Gegengewichte  in  der  Form 
eines  Kreisabschnitts  oder  in  Sichelform  aus- 
geführt. Bei  diesen  Gestaltungen  kann  der 
wirksame  Halbmesser  des  Gegengewichts  ver- 
hältnismäßig am  besten  zur  Geltung  gebracht 
werden  und  man  kommt  mit  dem  geringsten  Ge- 
wichtsaufwand durch.  Selbstverständlich  müssen 
die  in  das  Gegengewicht  fallenden  Radspeichen 
und  Stücke  des  Felgenkranzes  in  Abzug  ge- 
langen, um  den  wirksamen  Teil  des  Gegen- 
gewichts zu  erlangen. 

Literatur:  Redtenbacher,  Die  Gesetze  des  Lo- 
komotivbaiies.  Mannheim  1855.  —  Scheffler,  Be- 
stimmung des  Gegengewichts  in  den  Triebrädern. 
Organ  1856.  -  Zech,  Besprechung  des  Redten- 
bacherschen  Lokomotivbaues.  Ztschr.  d.  Österr.  Ing.- 
V.  1857.  —  Zeuner,  Über  das  Wanken  der  Loko- 
motiven. Zürich  1861.  -  Grove,  Die  Störungen 
der  Lokomotivbewegung.  Hb.  f.  spez.  E.-T.  Heu- 
singer, 1875.  —  Angier,  Gegengewichte  an  Loko- 
motiven. Organ  1898,  S.  95.  -  Kempf,  Gegenge- 
wichte an  Lokomotiven.  Glasers  Ann.  1904.  —Garbe, 
Die  Dampflokomotiven  der  Gegenwart.  Springer, 
1907.  —  Jahn,  Über  den  Antriebvorgang  bei  Lo- 
komotiven. Ztschr.  dt.  Ing.  1907,  S.  1046.  --  Li- 
hotzky,  Kritische  Betrachtungen  über  das  Zucken 
der  Lokomotiven.  Lokomotive  1907,  S.  149.  -  Linde- 
mann, Das  Wogen  und  Nicken  der  Lokomotiven. 
Glasers  Ann.  1907,  I,  5.3.  -  Jahn,  Das  Wanken 
der  Lokomotiven  unter  Berücksichtigung  des  Feder- 
spieles. Ztschr.  dt.  Ing.  1909,  S.  621.  -  Leitzmann 
u.  V.  Borries,  Theoretisches  Lehrbuch  des  Loko- 
motivbaues. Springer,  1911.  —  Jahn,  Ein  Beitrag 
zur  Leiire  von  den  Gegengewichten  der  Lokomotive. 
Organ  1911,  S.  163.  Satizin. 

Stollen  s.  Tunnelbau. 

Stollenbau  s.  Erdarbeiten. 

Stopfbüchsen  {stuffing-boxes;  hohes  ä  gar- 
niture,  boites  ä  etoiipe;  premistoppa),  Vorrich- 
tungen, die  eme  Umfangsdichtung  bei  Kolben- 
stangen und  Spindeln  an  deren  Austrittsstelle 
aus  einem  mit  gespanntem  Dampf,  Wasser, 
Luft  u.  s.  w.  gefüllten  Raum  bewirken  und 
gleichzeitig  der  Kolbenstange  oder  der  Spindel 
eine  Längs-  oder  Drehbewegung  gestatten. 


S.  werden  angewandt  im  Dampfmaschinen- 
und  Kesselbau  bei  Kolben-  und  Schieberstangen, 
bei  den  Spindeln  der  verschiedenartigsten 
Armaturventile  (auch  bei  den  Hahnwirbeln 
größerer  Hähne),  bei  Wellen,  die,  von  außen 
in  Drehung  gesetzt,  im  Innern  des  Kessels 
Schieber  bewegen,  und  bei  den  Plungern  aller 
hydraulischen  Apparate  (Krane  und  Aufzüge). 

Die  Bauart  der  S.  beruht  darauf,  daß  ein 
biegsamer,  federnder,  weicher  Stoff  -  Hanf, 
Jute,  Asbest,  Leder,  Weißmetall  u.s.  w.,  Packung 
genannt  —  um  die  zu  dichtende  Stange  oder 
Spindel  gewunden,  durch  Zusammenpressen 
vermittels  eines  durch  Schrauben  nachstellbaren 
Ringes  (Druckbüchse)  sich  derart  fest  gegen 
die  Stange  oder  Spindel  anlegt,  daß  ein  Ent- 
weichen der  Druckflüssigkeit  unmöglich  wird. 

Das  Anpressen  des  Dichtungsstoffs  kann 
auch  durch  das  Druckmedium  selbst  geschehen 
—  Manschettendichtung  bei  hydraulischen 
Apparaten. 

Um  die  durch  die  Pressung  der  Packung 
hervorgerufene  Reibung  möglichst  zu  verrin- 
gern, müssen  die  S.  —  insbesondere  beiKolben- 
und  Schieberstangen  der  Dampfmaschinen  — 
mit  Schmiergefäßen  versehen  sein. 

Mechanische  Abnutzung  der  Packung,  ferner 
Eintrocknen  durch  die  Hitze  des  Dampfes  hat 
zur  Folge,  daß  nach  Verlauf  einiger  Zeit  die  S. 
nicht  mehr  dicht  halten.  Um  diesem  Übelstand 
zu  begegnen,  sind  alle  mit  Hanf-,  Asbest-,  Jute- 
oder Lederpackung  versehenen  S.  derart  ein- 
gerichtet, daß  durch  Niederschrauben  der  Druck- 
büchse das  locker  gewordene  Dichtungsmaterial 
wieder  zusammengedrückt  werden  kann. 

Da  die  gewöhnlich  angewendete  Packung 
sich  sehr  rasch  abnutzt,  werden  in  neuerer 
Zeit  S.  mit  metallischer  Packung  hergestellt, 
bei  denen  das  Anpressen  der  Packung  - 
Ringe  aus  Weißmetall  -  selbsttätig  durch  Spiral- 
federn bewirkt  wird. 


Abb.  23S, 

Beschreibung  einiger  S.  .Abb.  238  stellt 
eine  bei  Kolben-  und  Schieberstangen  von 
Lokomotiven  und  Stabilmaschinen  angewendete 
Bauart  dar. 

Es  bezeichnet  AT  die  Kolbenstange,  O  den 
Grundring  aus  Metall,  gegen  den  die  Packung 
gepreßt  wird,  P  die  Packung  (Zöpfe  aus  Hanf- 


236 


Stopfbüchsen.  -   Stoßfangschiene. 


kleine  Schraube  s 


oder  Jutefaser  oder  Zöpfe  aus  Hanf  mit  Asbest- 
pulver gefüllt),  D  die  Druckbüchse,  an  die  ein 
Schmiergefäß  S  (Abb.  238)  angegossen  ist, 
und  F  einen  Futterring,  der  immer  dann  not- 
wendig ist,  wenn,  wie  in  Abb.  238  gezeichnet, 
das  Keilende  der  Kolbenstange  stärker  als  der 
Kolbenstangenschaft  ist.  Futterring  und  Grund- 
ring sind  in  diesem  Fall  behufs  Aufbringung 
auf  die  Stange  zweiteilig  hergestellt. 

Der   Futterring  ist   mit  der  S.    durch    eine 
verbunden.    Das  Anziehen 
und  Nachstellen  der  Druck- 
büchse erfolgt  durch  2  oder 
3  Schrauben  A. 

Einfacher  sind  die  S. 
bei  den  Spindeln  der  ver- 
schiedenen Armaturventile 
(Abb.  239,  P  Packung,  D 
Druckbüchse,  U  Überwurf- 
mutter, durch  deren  Nieder- 
schrauben die  Packung  an- 
gepreßt wird).  Ähnlich  aus- 
geführt sind  die  S.  bei  den 
Wasserstandzeigern  an  Dampfkesseln  u.  s.  w. 
Abb.  240  stellt  eine  S.  mit  metallischer 
Packung  dar,  nach  Ausführung  der  französischen 
Nordbahn  (auch  auf  einigen  österreichischen 
Bahnen  angewendet).  G  bezeichnet  den  Grund- 


Abb.  239. 


Abb.  240. 

ring,  P  die  Packung,  D  die  Druckbüchse  und 
H  eine  Hülse,  die  es  ermöglicht,  eine  aus- 
geschmolzene Packung  ohne  Zuhilfenahme  von 
Meißeln  und  Messern  herauszuziehen. 

Die  Dichtung  erfolgt  dadurch,  daß  die  stark 
konischen  Enden  der  Packungsringe  durch 
einen  etwas  schwächeren  Konus  am  Grundring 
und  an  der  Druckbüchse  fest  gegen  die  Stange 
gepreßt  werden. 

Bei  vielen  S.  (besonders  bei  Lokomotiven) 
wird,  wie  aus  Abb.  240  ersichtlich  ist,  im 
vordersten  Teil  der  Druckbüchse  ein  Filzring/ 
eingelegt,  der  durch  eine  Platte  p  aus  Stahl 
oder  Kupferblech  vor  dem  Herausfallen  gesichert 
ist.  Zweck  dieser  Einrichtung  ist  es,  zu  ver- 
hindern, daß  durch  Sand,  Asche  oder  Kohlen- 


stücke, die  sich  an  der  Kolbenstange  ansetzen, 
Furchen  in  die  Stange  gerieben  werden. 

In  neuerer  Zeit  werden  metallisch  gedichtete 
S.  ausgeführt,  bei  denen  die  metallische  Packung 
durch  eine  Spiralfeder,  die  zwischen  Grund- 
ring und  Packung  eingelegt  ist,  gegen  die 
Druckbüchse  bzw.  den  Futterring  gepreßt  wird. 
Über  S.  für  Heißdampflokomotiven  s.  Heiß- 
dampflokoniotiven. 

Stoßbaum  (Pole),  in  Amerika  gebräuch- 
liches Hilfsmittel  beim  Verschieben  (Rangieren). 
Neben  dem  Zerlegungsgleis  oder  auch  zwi- 
schen 2  Zerlegungsgleisen  liegt  ein  Gleis  für 
den  V'crkehr  der  Stoßbaumlokomotive,  die  ent- 
weder unmittelbar  den  S.  trägt  oder  nach  Droege 
(s.  Literatur)  besser  einen  Stoßbaumwagen  vor 
sich  herschiebt,  der  beiderseits  und  nach 
vorn  und  hinten,  also  mit  4  S.  ausgerüstet  ist, 
von  denen  immer  einer  benutzt  wird.  Der  S.,  ein 
(nach  Oder,  Hb.  d.  Ing.  W.  S.  63)  etwa  3  m 
langer  und  13  cm  dicker,  von  der  Lokomotive 
oder  dem  Stoßbaumwagen  schräg  vorgestreckter 
Baum  (pole)  wirkt  gegen  eine  an  der  hinteren 
Ecke  des  abzustoßenden  Wagens  oder  des 
letzten  Wagens  des  abzustoßenden  Verschiebe- 
gangs angebrachte  Tasche  (poling  pocket) 
und  gestattet  es,  den  einzelnen  Wagen  oder 
den  Wagengruppen  die  zum  Ablauf  erforder- 
liche Geschwindigkeit  zu  erteilen.  Das  Stoß- 
baumverfahren (poling)  bedeutet  also  eine 
Verbesserung  gegenüber  dem  Abstoßen  und 
Zurückziehen,  bedingt  aber  die  Anordnung 
vermehrter  Gleise  und  wird  selbst  in  Amerika, 
wo  die  Bauart  und  das  Gewicht  der  Wagen 
Bedenken  gegen  das  Abdrücken  langer  Züge 
bildeten,  mehr  und  mehr  durch  die  Anwen- 
dung von  Ablaufbergen  verdrängt.  Das  Ver- 
fahren wird  aber  u.  a.  in  dem  Buch  von 
Droege  (1912,  s.  Literatur)  noch  als  eines  der 
besten  Verfahren  empfohlen.  Droege  rühmt 
namentlich,  daß  bei  diesem  Verfahren  die 
Lokomotive  nahe  der  Spitze  des  Verschiebe- 
zuges wirkt,  was  besonders  bei  unsichtigem 
Wetter  ein  Vorteil  sei.  Ferner  hebt  er  hervor, 
daß  die  Stoßbaumlokomotive  den  einzelnen 
Wagen  oder  Wagengruppen  nach  Bedarf  ver- 
schiedene Geschwindigkeit  erteilen  könne,  was 
namentlich  in  Ländern  mit  rauhem  Klima 
einen  Vorzug  darbiete.  Um  die  bei  dem  Stoß- 
baumverfahren an  sich  starke  Beanspruchung 
der  Lokomotive  und  der  Wagen  zu  vermin- 
dern, empfiehlt  Droege,  den  Gruppengleisen 
ein  mäßiges  Gefälle  zu  geben. 

Literatur:  A.  Blum,  Über  Verscliiebebahnhöfe. 
190L  Sonderdruck  aus  Organ  1900,  S.  10.  -  Droege, 
Freight  Terminals  and  Trains.  New  York  1912, 
S.  60ff.  -  Oder,  Hb.  d.  Ing.  W.  V,  iV,  I,  1907, 
S.  63,  79.   151.  Cauer. 

Stoßfangschiene  s.  Oberbau. 


StoßlUcken.  -   Straßenbahnen. 


237 


Stoßlücken  s.  Oberbau. 

Stoßmaschinen  (Abb.  241)  dienen  zum 
Anarbeiten  von  \Veri<stücken  mit  lotrechten 
ebenen  Flächen,  z.  B.  Pleuelstangenköpfen, 
Lagerschalen  u.  dgl.  Der  kräftige  Ständer  ist 
mit  lotrechten  Prismenführungen  versehen, 
in  denen  sich  der  „Stoß"  bewegt.  Die 
Bewegung  des  Stoßes  wird  eingeleitet  von 
einem  breitstufigen  Riemenkonus,  der  beispiels- 
weise von  einem  Deckenvorgelege  angetrieben 
werden  kann.  Der  Riemenkonus  treibt  durch 
ein   Rädervorgelege    eine   Kulisse,    in    die   der 


Abb.  241. 

Stoß  eingehängt  ist.  Hierdurch  wird  eine 
annähernd  gleichmäßige  Schnittgeschwindigkeit 
und  rascher  Rücklauf  erzielt. 

Der  Stoß  selbst  ist  ausbalanciert  und  besitzt 
eine  beim  Rücklauf  sich  selbsttätig  abhebende 
Messerkappe,  die  sowohl  an  der  Stirnseite 
wie  an  der  unteren  Seite  mit  Schlitzen  zur 
Aufnahme  der  Stahlhalter  versehen  ist.  Die 
Lage  des  Stoßes  kann  beliebig  eingestellt 
werden.  Die  Größe  des  Hubes  wird  durch 
Verschieben  des  Kulissensteines  geregelt.  Der 
Tisch  erhält  selbsttätige  Bewegungen  in  der 
Längsrichtung  der  Maschine,  senkrecht  auf 
diese  und  auch  im  Kreis.  Diese  Bewegungen 
sind  in  ihrer  Richtung  umkehrbar  und  können 
auch  in  ihrer  Größe  geändert  werden. 


Die  Maschinen  werden  für  Stoßhübe  von 
120 -bOO  m/n  gebaut.  In  den  Staatsbahnwerk- 
stätten sind  Maschinen  mit  270  —  350  mm 
Hub  die  gebräuchlichsten. 

Die  Stoßmaschinen  werden  durch  die  Fräs- 
maschinen immer  mehr  und    mehr  verdrängt. 

Spiizriei: 

Straßenbahnen  {tramways;  chemins  de  fer 
siir  routes;  tramvie),  dem  öffentlichen  Personen- 
oder Güterverkehr  dienende,  mit  tierischer  oder 
mechanischer  Kraft  betriebene  Kleinbahnen 
(s.  d.),  die  auf  Schienenwegen  in  der  Straßen- 
oberfläche fahren.  Das  letztgenannte 
Merkmal  unterscheidet  sie  ohneweiters 
von  den  gleislosen  Bahnen,  Seil- 
bahnen, Schwebebahnen  und  den 
Hoch-  und  Untergrundbahnen,  wäh- 
rend ihre  Begriffsabgrenzung  gegen 
die  den  Verkehr  von  Ort  zu  Ort 
vermittelnden  Bahnen  oft  schwierig 
ist;  doch  verlieren  sie  ihren  Charakter 
als  S.  in  der  Regel  weder  durch 
Benutzung  eines  von  dem  übrigen 
Straßenverkehr  abgeschlossenen  be- 
sonderen Bahnkörpers  (Rasenbet- 
tung), noch  durch  Ausdehnung  ihres 
Betriebs  über  die  geschlossenen  Ort- 
schaften hinaus.  Wenn  eine  Klein- 
bahn zugleich  dem  Verkehr  inner- 
halb eines  Ortes  und  dem  Verkehr 
von  Ort  zu  Ort  dient,  so  kommt  es 
darauf  an,  welche  Verkehrsart  über- 
wiegt. Oft  wird  die  Bezeichnung  der 
Bahn  einen  Anhalt  dafür  geben,  ob 
sie  als  S.  gelten  kann.  Eine  scharfe 
Abgrenzung  des  Begriffs  ist  wichtig, 
weil  die  S.  vielfach  anderen  Bestim- 
mungen unterliegen  als  die  übrigen 
Kleinbahnen. 

S.  im  heutigen  Sinn  wurden  ge- 
baut, als  mit  dem  Aufblühen  der 
Städte  deren  Umfang  und  Bevölke- 
rungszahl so  anwuchs,  daß  das  Bedürfnis 
schneller  und  billiger  Beförderung  innerhalb 
des  Stadt-  und  Vorstadtgebiets  hervortrat  und 
gleichzeitig  die  Rentabilität  des  Betriebs  ge- 
sichert schien.  Die  technischen  Anfänge  der 
S.  wurzeln  wie  die  der  Eisenbahnen  in  den 
alten  Spurbahnen,  die  zuerst  im  16.  Jahrhundert 
in  deutschen  Bergwerken  benutzt  wurden  und 
bald  darauf  nach  England  kamen.  Die  erste 
eigentliche  S.  wurde  1852  in  New  York  von 
Loubat  gebaut.  1854  folgte  Paris,  1860  England 
(Birkenhead),  demnächst  1863  Dänemark  und 
Belgien.  Berlin  erhielt  die  erste  S.  am  22.  Juni 
1865  durch  Eröffnung  der  Pferdebahnlinie 
Brandenburger  Tor- Straßenbahnhof  Charlotten- 
burg.   Von    deutschen    Städten    folgten    1866 


238 


Straßenbahnen. 


Hambiirg,  1868  Stuttgart,  1872  Dresden, 
Frankfurt  a.  M.,  Hannover,  Leipzig,  1876 
München,  Karlsruhe,  Metz. 

1892  gab  es  in  Preußen  bereits  79  S.  mit 
875-7  km  Länge,  am  1.  April  1915  201  mit 
3880-55  km.  Bayern  hatte  Ende  1913  15  S. 
mit  263-91  km,  Sachsen  23  mit  390-75  km, 
Württemberg  5  mit  97-68  km.  Die  Entwicklung 
in  ganz  Deutschland  von  1900-1913,  dem 
letzten  Jahr  mit  normalen  Verhältnissen,  zeigt 
sich  in  folgenden  Zahlen  ^  (die  Angaben  für 
1900  sind  eincjeklammert):  Anzahl  der  S.  292 
(180),  Länge  5283-17  (2921-35)  km.  Wagen- 
zahl 26.291  (14.485),  Bedienstete  75.513, 
gefahrene  Personenwagen^/«  785,237.176 
(299.524.078),  Qüterwagen/5'OT  2,994.419 
(3,746. 145!),  beförderte  Personen  2.954,454.369 
(1.043,942.064),  Gütern'  1,783.089  (1,038.180), 
Betriebseinnahmen  aj  aus  dem  Personenverkehr 
286,374.882  (107,169.595)  M.,  b)  aus  dem 
Güterverkehr  1 ,582.495  ( 1 ,063.795)  M.,  Gesamt- 
einnahmen 295,899.302  (111,762.226)  M.,  Be- 
triebsausgaben 168,332.460  (60,975.537)  M., 
Gesamtausgaben  193,678.461  (78,019.832)  M., 
Reingewinn  (soweit  verteilt  auf  Dividenden, 
Tantiemen,  Gratifikationen,  Gewinnbeteili- 
gungen Dritter)  27,037.576  (18,901.906)  M., 
Anlagekapital  1.421,481.53!  M.,  Unfälle:  aJ 
Tötungen  1.  von  Fahrgästen  und  fremden 
Personen  272  (198),  2.  von  Bahnbediensteten 
21  (13),  b)  Verletzungen  1.  von  Fahrgästen 
und  fremden  Personen  1067  (633),  2.  von 
Bahnbediensteten  129  (215).  Die  Kriegsjahre 
haben  diese  Entwicklung  namentlich  nach  der 
Richtung  hin  verschoben,  daß  bei  geringerer 
Bedienstetenzahl  die  Betriebsleistungen  und 
damit  auch  die  Betriebseinnahmen  bei  vielen 
Bahnen  größer  geworden  sind,  anderseits 
aber  auch  die  Betriebsausgaben  infolge  der 
stark  gestiegenen  Löhne  und  Materialpreise 
sich  erheblich  vermehrt  haben. 

Das  Jahr  1865  brachte  auch  Wien  die 
erste  S.  Auf  Grund  der  den  Genfer  Bauunter- 
nehmern C.  Schalk,  Jaquet&  Co.  am  25.  Februar 
1865  eneilten  Konzession  wurde  die  erste 
Teilstrecke  der  Probelinie  Schottenring-Dorn- 
bach am  4.  Oktober  1865  in  Betrieb  genommen. 
Weitere  österreichische  S.  entstanden  1873 
in  Baden,  1875  in  Prag,  1876  in  Triest,  1878 
in  Graz,  1880  in  Linz  und  Lemberg,  1882 
in  Krakau,  1891  in  Klagenfurt,  1892  in  Salzburg. 

Die  nachstehende  Gegenüberstellung  2  läßt 
die   Entwicklung   der  österreichischen   S.  von 


'  Nach  der  amtlichen  Statistik  der  Kleinbahnen 
im  Deutschen  Reich  in  der  Zeitschrift  für  Kleinbahnen. 

'  Die  Zahlen  entstammen  dem  II.  Teil  der  amt- 
lichen österreichischen  Eisenbahnstatistik.  Dieser 
umfaßt    unter  Ausschluß    der   sog.    nebenbalmähn- 


1903-1912  (die  Zahlen  für  1903  sind  ein- 
geklammert) erkennen:  Zahl  der  S.  68  (46), 
Länge  754-38  (496-43)  km,  Wagenzahl  4722 
(2995),  Bedienstete  18.264  (9859),  gefahrene 
Zugkm  89,237.773  (53,745.936),  beförderte 
Personen  488,296.706  (233,136.921),  Güter/ 
590.225  (330.430),  Betriebseinnahmen  aJ  aus 
dem  Personenverkehr74,5 1 9.040(32,301 .359)  K, 
b)  aus  dem  Güterverkehr  908.956  (324.594)  K, 
Betriebsausgaben  47,061.563  (20,874.892)  K, 
Gesamtausgaben  53,142.984  (22,779.924)  K, 
Reingewinn  30,28 1.810  (12,625.489)  K,  Anlage- 
kapital 329,759.235  (218,167.288)  K,  Unfälle: 
a)  Tötungen  1.  von  Fahrgästen  und  fremden 
Personen  15,  2.  von  Bahnbediensteten  1,  A^  Ver- 
letzungen 1.  von  Fahrgästen  und  fremden  Per- 
sonen 453,  2.  von  Bahnbediensteten  42. 

Ungarn^  hatte  1913  29  S.  mit  408-11  km 
Länge.  Befördert  wurden  262,865.781  Personen 
und  1,035.312  Güter/.  Die  Betriebseinnahmen 
betrugen  43,936.013  K,  die  Betriebsausgaben 
29.860.803  K.  Das  Anlagekapital  belief  sich 
auf  195,167.414  K. 

In  der  Schweiz  waren  1913  37  S.  mit 
468-6  km  Länge  im  Betrieb.  Geleistet  wurden 
31,435.697  Zugkm  mit  149,477.338  beför- 
derten Personen  und  199.982  Güter/.  Die 
Gesamteinnahme  belief  sich  auf  18,372.680  Fr., 
die  Gesamtausgabe  auf  14,986.696  Fr.,  der 
Überschuß  auf  3,385.984  Fr. 

Einen  ähnlichen  Aufschwung  haben  die  S. 
der  übrigen  Länder  zu  verzeichnen.  Es  gibt 
heute  in  der  Welt  wohl  kaum  eine  größere 
Stadt  ohne  S.  Von  wesentlicher  Bedeutung 
war  dabei  die  Umwandlung  des  Pferdebetriebs 
in  den  elektrischen,  die,  um  die  Jahrhundert- 
wende beginnend,  sich  nach  und  nach  auf 
fast  alle  bedeutenderen  S.  erstreckte.  Am  meisten 
vorgeschritten  ist  hierin  Österreich,  das  1912 
nur  noch  1  km  im  Pferdebetrieb  hatte,  während 
in  Preußen  1914  noch  10  S.  mit  43-97  km 
Pferdebetrieb  vorhanden  waren.  In  den  Städten 
bilden  die  S.  nahezu  überall  das  Hauptverkehrs- 
mittel und  sind  dadurch  auch  zu  einem  wichtigen 
volkswirtschaftlichen  Faktor  geworden.  Die  Er- 
sparnis an  Zeit  und  Arbeitskraft  für  die  Bevöl- 
kerung ist  außerordentlich  groß.  Wenn  jeder 
Fahrgast  bei  jeder  Fahrt  nur  5  Min.  Arbeitszeit 

liehen  Kleinbahnen  die  Kleinbahnen  im  engeren 
Sinne,  d.  h.  nach  dem  Oes.  vom  8.  .August  1910  (s.  u.) 
außer  den  Seilbahnen,  Schwebebahnen  und  anderen 
eisenbahnähnliclien  Transportmitteln  insbesondere 
diejenigen,  die  hauptsächlich  den  örtlichen  Verkehr 
in  einer  Gemeinde  oder  zwischen  benachbarten 
Gemeinden  vermitteln,  im  großen  und  ganzen  also 
die  S.  Die  Zahlen  im  Text  enthalten  daher  die 
Angaben  der  amtlichen  Statistik  unter  Ausscheidung 
der  auf  die  Seilbahnen  n.  s.  w.  bezüglichen. 

3  Die  amtliche  Statistik  umfaßt  die  sog.  Städte- 
und  Gemeindebalinen,  die  im  wesentlichen  nur  S.  sind. 


Straßenbahnen. 


239 


erspart,  so  ergibt  sich  hei  Annahme  einer  täglichen 
Arbeitszeit  von  10  Stunden  für  Deutschland 
ein  Gewinn  von  jährlich  rd.  25,000.000  Arbeits- 
tagen. Nicht  minder  wichtig  ist  der  Einfluß  der  S. 
auf  die  städtischen  Wohnverhältnisse.  Die 
schnelle  und  wohlfeile  Beförderung  erschließt 
neue  große  Wohngebiete  im  Umkreis  der 
Städte  und  ermöglicht  eine  auf  Schaffung 
gesunder  und  billiger  Wohnungen  gerichtete 
kommunale  Siedelungspolitik.  Im  allgemeinen 
Interesse  liegt  daher  die  Aufrechterhaltung  der 
wirtschaftlichen   Leistungsfähigkeit  der  S. 

Die  Rentabilität  der  S.  wird  gewährleistet 
durch  richtig  abgestufte  Tarife.  Die  S.  haben 
Strecken-,  Zonen-  und  sog.  Einheitstarife,  bei 
denen  ohne  Rücksicht  auf  die  Länge  der  Fahrt 
nur  ein  Preis  gezahlt  wird.  Daneben  bestehen  fast 
überall  Vergünstigungstarife  für  Abonnenten, 
Schüler,  Arbeiter  u.  s.  w.  Im  Lauf  der  Zeit 
und  besonders  seit  Einführung  des  elektrischen 
Betriebs  sind  die  anfangs  ziemlich  hohen 
Tarife  immer  weiter  verbilligt  worden.  Dies 
hat  zwar  den  Verkehr  belebt,  aber  die  Renta- 
bilität verschlechtert.  Die  Durchschnittsein- 
nahme für  die  Beförderung  des  einzelnen  Fahr- 
gastes betrug  1914  bei  den  deutschen  S. 
9-6  Pf.  Die  Verzinsung  des  Anlagekapitals 
belief  sich  in  demselben  Jahr  in  Preußen  und 
den  anderen  Bundesstaaten  (die  für  diese  gel- 
tenden Zahlen  sind  eingeklammert)  bei  10  (4) 
S.  bis  zu  1%,  bei  23  (5)  bis  zu  2%,  bei 
21  (10)  bis  zu  3%,  bei  19(10)  bis  zu  4%, 
bei  27  (7)  bis  zu  5%,  bei  50  (12)  bis  zu 
10%,  bei  5  (2)  über  10%,  während  20(18) 
überhaupt  keine  Verzinsung  hatten.  Von  den 
zusammen  38  deutschen  S.,  die  keine  Ver- 
zinsung erreichten,  haben  30  sogar  Verluste 
erlitten.  Infolge  dieser  ungenügenden  Renta- 
bilität machen  sich  neuerdings  vielfach  Be- 
strebungen auf  Wiedererhöhung  der  Tarife 
mit  Erfolg  geltend. 

Die  größte  deutsche  S.,  die  Große  Berliner 
S.,  ist  eine  Aktiengesellschaft  mit  1 00,082.400  M. 
Aktienkapital  und  bOOkm  Gleislänge.  Von  den 
übrigen  deutschen  S.  sind  136  im  Besitz  von 
Gemeinden,  Gemeindeverbänden  und  Kreisen, 
124  gehören  Aktiengesellschaften,  19  Gesell- 
schaften m.  b.  H.,  8  sind  im  Staatsbesitz  und 
13  in  sonstigen  Händen.  Nach  der  Rechtsform 
des  betreffenden  Straßenbahnunternehmens 
richtet  sich  dessen  Stellung  im  Privatrecht, 
während  die  Stellung  im  öffentlichen  Recht 
besonders  geregelt  ist.  Fast  überall  gelten  die 
S.  als  Kleinbahnen  und  unterliegen  den  für 
diese  gegebenen  Gesetzen  und  Vorschriften 
(s.  Kleinbahnen). 

In  Preußen  sind  für  die  S.  maß- 
gebend   ohne    Rücksicht    darauf,    ob    sie   mit 


tierischer  oder  mechanischer  Kraft  betrieben 
werden,  die  Bestimmungen  des  Gesetzes  über 
Kleinbahnen  und  Privatanschlußbahnen  vom 
28.  Juli  1892  und  der  Ausführungsanweisung 
vom  13.  August  1898.  Im  Anschluß  an  letztere 
sind  für  den  Bau  und  Betrieb  der  S. 
mit  Maschinenbetrieb  besondere  Vorschriften 
gegeben  worden  (Bau-  und  Betriebsvorschriften 
für  Straßenbahnen  mit  Maschinenbetrieb  vom 
26.  September   1906). 

Die  anderen  deutschen  Bundesstaaten  haben 
die  Rechtsverhältnisse  der  S.  verschieden  ge- 
regelt; teils  sind  wie  in  Preußen  besondere 
Kleinbahngesetze  erlassen,  teils  erfolgt  die 
Regelung  im  Verwaltungsweg,  in  Sachsen 
z.  B.  ist  jedesmal  die  Genehmigungsurkunde 
maßgebend. 

In  Österreich  sind  durch  das  Ges. 
vom  31.  Dezember  1894  die  S.  von  den 
Lokalbahnen  abgezweigt  und  zusammen  mit 
den  Seilbahnen,  Schwebebahnen  und  anderen 
eisenbahnähnlichen  Transportmitteln  als  „Klein- 
bahnen" (der  österreichische  Begriff  ist  also 
enger  als  der  preußische)  besonderer  Regelung 
unterworfen  worden.  Das  erwähnte  Gesetz  trat 
1904  außer  Kraft,  wurde  später  wieder  erneuert 
und  endlich  durch  das  noch  geltende  Ges. 
vom  8.  August   1910  ersetzt  (s.  Kleinbahnen). 

Eine  ähnliche  gesetzliche  Sonderregelung  ist 
auch  für  Ungarn  beabsichtigt.  Von  den  übrigen 
Ländern  haben  nur  Belgien  (Ges.  vom  9.  Juli 
1875),  Italien  (Ges.  vom  27.  Dezember  1896) 
und  Japan  (Ges.  vom  25.  August  1890)  die 
S.  gesetzlichen  Sonderbestimmungen  unter- 
worfen, während  Frankreich  die  ursprüngliche 
Trennung  von  den  sons+igen  Kleinbahnen 
durch  das  Ges.  vom  31.  Juli  1913  wieder 
beseitigt  hat. 

Als  Rechtspersönlichkeiten  und  Gewerbe- 
treibende unterliegen  auch  die  S.  der  Besteu- 
erung, insbesondere  der  allgemeinen  Einkom- 
men- und  Gewerbesteuer.  Daneben  bestehen 
in  Deutschland,  Österreich,  Italien,  Frankreich, 
Rußland  Sondersteuern,  die  außer  dem  Eisen- 
bahn-, Kleinbahn-  und  Schiffsverkehr  auch 
den  Straßenbahnverkehr  erfassen.  Das  deutsche 
Gesetz  über  die  Besteuerung  des  Personen-  und 
Güterverkehrs  vom  8.  April  1917  besteuert 
unter  Aufhebung  der  früheren  Fahrkarten- 
steuern jede  Personenbeförderung  auf  der  S. 
(außer  im  Arbeiter-,  Schüler-  und  Militärper- 
sonenverkehr) mit  6%  des  Beförderungspreises 
und  außerdem  jede  Güterbeförderung  mit  7  % 
des  Tarifs.  Der  Güterverkehr  der  S.  unterliegt 
jedoch  nach  den  Ausführungsbestimmungen 
der  Besteuerung  nicht,  soweit  es  sich  lediglich 
um  die  Abfuhr  und  Zufuhr  von  Gütern  von  und 
zu  Bahnhöfen  oder  Schiffsladeplätzen  oder  sonst 


240 


Straßenbahnen.  -  Straßenbrücken. 


um  einen  nicht  dem  allgemeinen  Verkehr 
eröffneten  Betrieb  handelt  und  in  beiden 
Fällen  die  Beförderung  nur  innerhalb  ge- 
schlossener Ortschaften  und  nicht  planmäßig 
stattfindet. 

Literatur:  Hilse,  Handbuch  der  Straßenbahnkun- 
de, Miinclien  u.  Leipzig  1892.  —  Müller,  Die  Entwick- 
lung der  Lokalbahnen  in  den  verschiedenen  Ländern. 
Schniollers  Jahrbuch  für  Gesetzgebung  und  Verwal- 
tung, H.  2,  sowie  die  dort  angeführte  reichlialtige 
Literatur.  -  v.  Lindheini,  Straßenbahnen,  Statisti- 
sches und  Finanzielles.  Wien  1888.  —  Schimpff, 
Die  Straßenbahnen  in  den  Vereinigten  Staaten  von 
Amerika.  Berlin  1903;  Wirtschaftliche  Betrachtungen 
über  Stadt-  und  Vorortbahnen.  Berlin  1913.  -  Weil, 
Die  Entstehung  und  Entwicklung  unserer  elektrischen 
Straßenbahnen.  Leipzig  1899.  —  Frost,  Elektrische 
Tertiärbahnen.  Halle  1901 ;  Die  deutschen  elektrischen 
Straßenbahnen,  Sekundär-,  Klein-  und  Pferdebahnen. 
7.  Aufl.  Leipzig  1903.  —  Geyl,  Der  Umsteigeverkehr 
bei  Straßenbahnen.  Osnabrück  1906.  —  Roth,  Die 
Verkehrsabwicklung  auf  Plätzen  und  Straßenkreuzun- 
gen. Halle  1913.  —  Zfschr.  f.  Kleinb.,  herausgegeben 
im  preußischen  Ministerium  der  öffentlichen  Arbeiten. 
—  Deutsche  Straßen-  und  Kleinbahnzeitung,  heraus- 
gegeben von  Dr.  Dietrich,  Berlin.  Siehe  auch  die  bei 
dem  Art.  Kleinbahnen  angeführte  Literatur.    AUcke. 

Straßenbrücken  (road  bridges;  ponts  de 
nie;  ponti  stradali),  Weg-  und  Fußgänger- 
brücken,  Brücken,   die  im  Zuge   einer  Straße 


Abb.  242. 


einer  Brücke  überzuführen,  deren  Endwiderlager 
in  die  beiderseitigen  Einschnittsb()schungen 
gestellt  werden.  Solche  Bahnüberbrückungen 
können  aber  auch  bei  geringerem  Höhenunter- 
schied ausgeführt  werden,  nur  ist  dann  die  Straße 
beiderseits  auf  Rampen  so  hoch  über  die  Bahn  zu 
heben,  daß  unter  der  Brücke  die  Durchfahrt  frei 
bleibt.  Hierzu  ist  nach  dem  Normalprofil  des 
lichten  Raumes  für  Vollspurbahnen  eine  Höhe 
zwischen  Schienenkopf  und  Unterkante  des 
Brückentragwerks  von  mindestens  4-8  m,  besser 
5'0  m  notwendig.  Natürlich  ist  bei  solchen 
Bahnüberbrückungen  das  normale  Lichtraum- 
profil  auch  in  der  Breitenrichtung  überall  frei- 
zuhalten. Die  Pfeiler-  und  Widerlagerfluchten 
müssen  demnach  von  der  nächsten  Gleisachse 
mindestens  2- 15  m  abstehen. 

Den  früher  häufig  ausgeführten  hölzernen 
Überfahrtsbrücken  mit  neben  die  Einschnitts- 
gräben auf  gemauerte  Sockel  gestellten  hölzernen 
Zwischenjochen  (Abb.  242)  werden  jetzt  in  der 
Regel  Überbrückungen  in  Stein,  Beton  oder 
Eisen  vorgezogen.  Die  alte  Bauweise  solcher 
gewölbter  Überfahrtsbrücken  mit  nahe  an  die 
Gleise  gestellten  hohen  Widerlagern  und  Flügel- 
mauern wird  dabei  aber  durch  jene.'Xusführungs- 
form  ersetzt,  bei  der 
das  Gewölbe  bis  an  die 
Einschnittsböschungen 
reicht  und  die  Wider- 
lager als  sog.  verlorene 
oder  Druckwiderlager 
ausgebildet  sind  (Abb. 
243).  Eine  Bahnüber- 
brückung  in  Eisen- 
beton zeigt  Abb.  244. 
Ist  die  vorhandene 
Höhe  für  einen  Bogen 
nicht  ausreichend,  so 
kommen     Balkentrag- 


Vlli^.'.p^^eKJii'Trf-y*'  '•■ü^t^-i^i^  fcS-^KiSiy 


oder  eines  Weges  liegen,  kommen  für 
das  Eisenbahnwesen  insofern  in  Be- 
tracht, als  es  sich  um  Bahnüber- 
brückungen oder  um  solche  Brücken 
in  Bahnhof- Zufahrtsstraßen  handelt, 
deren  Herstelhmg  oder  Erhaltung  der 
Eisenbahn  obliegt. 

An  den  Kreuzungen  einer  Eisen- 
bahnlinie mit  Straßen  können  beide 
Verkehrswege  entweder  in  gleicher 
oder  in  verschiedener  Höhe  liegen. 
Im  ersteren  Fall  ist  eine  Kreuzung  im 
Niveau,  ein  Planumsübergang  mög- 
lich, sofern  nicht  Verkehrsrücksichten 
bei  frequenten  Straßen  oder  bei 
Kreuzungen  in  der  Nähe  von  Bahnhöfen 
dagegen  sprechen.  Liegt  die  Bahn  in  einem 
genügend  tiefen  Einschnitt,  so  ist  die  Straße  auf 


Abb.  243. 

werke  in  Eisenbeton  oder  Eisen  zur  Anwen- 
dimg, die  auf  den  Zwischenstützen  entweder 
frei  aufliegen  oder  mit  ihnen  zu  Rahmentrag- 


Straßenbrücken. 


241 


werken  vereinigt  sind  (Abb.  245).  Die  Breite 
der  Brücke,  d.  i.  die  nutzbare  Breite  der 
Brückenfahrbahn  zwischen  den  Geländern  oder 
den  sie  seitlich  begrenzenden  Tragwänden, 
richtet  sich  nach  der  Wichtigkeit  und  Frequenz 
der  Straße.    Gewöhnlich   ist   sie    schon  durch 


Die  kleinste  Breite  für  eine  Fahrbrücke  von 
ganz  geringer  Frequenz  und  kurzer  Länge 
ist  3'0  tn,  doch  wird  man  sie  in  der  Regel 
nicht  unter  4'5  —  5'0  m  bemessen.  In  Öster- 
reich werden  die  in  öffentlichen  Straßen  ge- 
legenen Brücken  nach  3  Klassen  unterschieden, 


Abb.  244. 


deren  Breite   bestimmt,    doch  sind   bei    unter- 
geordneten Wegen    Einschränkungen    zulässig. 


für   deren    Breite   folgende  Mindestmaße    ein- 
gehalten   werden    sollen: 


Außen  liegende  Fußwege  (Abb.  246)  Innen  liegende  Fußwege  (Abb.  247) 

Brücken     I.Klasse.    .    .    .0  =  5-8/«     b^\-5m a=^l-Q  m     b=^V20m 

Brücken   II.  Klasse  .    .    .    .  ß  =  5-3 /«     b=V2m a=&Am     ö=l-00/n 

Brücken  III.  Klasse  ohne  getrennte  Fußwege  (Abb.  248)  .    .    .    .  a  =  50  m 


Brücken  in  städtischen  Stra- 
ßenzügen erhalten  meist  grö- 
ßere Breiten.  Man  rechnet  für 
3  Wagenreihen  eine  erfor- 
derliche Fahrbahnbreite  von 
7  -  8  OT,  für  4  Wagenreihen 
Q-IO  m;  hierzu  kommen 
noch  die  Fußwege,  bei  Stadt- 
brücken mit  je  2  — 4  m  Breite. 

Der  Querschnitt  des  Ober- 
baues einer  S.  ist  in  einer 
Höhe  von  mindestens  4'5  in 
über  der  Fahrbahnoberfläche 
und  von  2'5  m  über  den 
Gehwegen  von  allen  Kon- 
struktionsteilen    freizuhalten. 


Abb  246. 


Abb.  247. 


Abb.  248. 


Gewichtsangaben  für  eiserne  S.  (nach  Engesser). 


Fahr- 
bahn- 
decke 


Fahr- 
bahn- 
tafel 


Eisengewicht  des  Brücken- 
tragwerks  bei  der  Stützweite  / 


kg  pro  m2  Grundfläche 


der  Fahrbahn 


Eisengewicht  infolge 
von  außerhalb  der 
Hauptträger  liegen- 
den Fußwegen 


der  Fußwege 


Landstraßenbrücken  mit  doppeltem  Bohlen- 
belag      

Landstraßenbrücken  mit  Beschotterung     .    . 

Stadtstraßenbrücken  mit  doppeltem  Bohlen- 
belag      

Stadtstraßenbrücken  mit  Beschotterung     .    . 

Stadtstraßenbrücken  mit  Pflasterung  .... 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2,  Aufl.  IX. 


110 
400    I    65 


105  +  2-3/- 
125 -f  2-8/- 


■  0-02 1' 
-  0-025  /2 


140 


480 
700 


80 
80 


155  +  2-7/-I-0  021P 
170-f  3-2/ -f  0-028/2 
1 80  + 3-7 /-f  0-029/2 


60  +  2-3  / 
60  +  2-3  / 

80  +  2-7/ 
80  +  2-7/ 
80  +  2-7  / 

16 


242 


Straßenbrücken. 


Streckenkenntnis. 


Hinsichtlich  der  Belastungsannahnien  für  S.  I 
wird  auf  Art.  Belastungsannahmen  für  Brücken,  | 
hinsichtlich  ihrer  Konstruktion  auf  die  Art. 
Betonbrücken,  Holzbrücken,  Eisenbetonbrücken,  | 
Eiserne  Brücken  und  Steinbrücken  ver-  | 
wiesen.  I 

Betreffs  Prüfung  und  Erprobung  der  Bahn- 
überbrückungen  und  Zufahrtsstraßenbrücken 
s.  die  Art.  Brückenprobe,  Brückenrevision. 

Alle  in  Benutzung  befindlichen  Brücken 
sind  mindestens  alle  6  Jahre  einer  Untersuchung 
und  Prüfung  zu  unterziehen. 

Jede  S.  soll  an  ihren  beiden  Enden  neben 
der  Straße  gut  sichtbar  angebrachte  Tafel  n  er- 
halten, auf  denen  die  größte  zulässige  Verkehrs- 
last und  das  Gewicht  der  schwersten  Wagen, 
die  die  Brücke  befahren  dürfen,  angegeben  ist. 

Melan. 

Streckenbaumeister  heißt  bei  den  preu- 
ßisch-hessischen Staatsbahnen  der  dem  Vor- 
stand einer  Eisenbahnbauabteilung  (s.  d.)  zur 
örtlichen  Leitung  und  Aufsicht  von  Bauaus- 
führungen zugewiesene  und  ihm  dienstlich 
unmittelbar  unterstellte  Beamte.  Der  S.  ist  im 
allgemeinen  ein  höherer  technischer  Eisenbahn- 
beamter (Regierungsbaumeister).  Werden  die 
Geschäfte  eines  S.  ausnahmsweise  einem  andern 
geigneten  Bautechniker  zugewiesen,  so  hat  er 
die  Bezeichnung  Streckeningenieur.  Zwecks 
V^ermehrung  der  selbständigen  Stellungen  der 
höheren  technischen  Eisenbahnbeamten  herrscht 
zurzeit  das  Bestreben,  die  Zahl  der  S.  bei 
gleichzeitiger  Vermehrung  der  Bauabteilungen 
zu  verringern   (s.  Bauleitung).  Gi£se. 

Streckenbegehungen    s.    Bahnaufsicht. 

Streckenbewachung  s.  Bahnerhaltung. 

Streckenblock    s.  Blockeinrichtungen. 

Streckenfernsprecher,  Fernsprecher,  die 
auf  der  freien  Bahnstrecke  in  den  Bahnwärter- 
buden und  bei  großem  Abstand  derselben 
auch  noch  in  besonderen,  zu  diesem  Zweck  da- 
zwischen aufgestellten  Buden  angebracht  und  in 
Parallelschaltung  mit  den  beiden  benachbarten 
Stationen  verbunden  sind.  Sie  dienen  zur  .Meldung 
von  Unfällen  und  außergewöhnlichen  \^or- 
kommnissen  von  der  Strecke  nach  den  Stationen 
sowie  zur  Anmeldung  von  Sonderfahrten,  Än- 
derungen in  der  Zugfolge,  erheblichen  Zug- 
verspätungen u.dgl.  von  den  Stationen  nach  der 
Strecke.  Bei  Bau-  und  Unterhaltungsarbeiten 
auf  der  Strecke  sind  sie  ein  bequemes  Ver- 
ständigungsmittel zwischen  der  Baustelle  und 
den  benachbarten  Stationen.  Sie  ersetzen  die 
früher  im  Gebrauch  gewesenen  Strecken- 
telegraphen (s.  d.),  die  nicht  nur  eine  weit 
beschränktere  Anwendungsmöglichkeit  boten, 
sondern  auch  wegen  der  mit  ihrer  Bedienung 


verbundenen  Schwierigkeiten  nur  unvollkom- 
men ihren  Zweck  erfüllten.  Der  S.  hat  den 
großen  Vorteil,  daß  er  von  allen  Bediensteten 
leicht  und  sicher  gehandhabt  werden  kann 
(s.  Streckentelegraph).  Fink. 

Streckenkenntnis.  Die  Dienstverrich- 
tungen des  Lokomotivführers  und  des  Zug- 
führers verlangen  eine  mehr  oder  weniger 
eingehende  Kenntnis  der  vom  Zug  durch- 
fahrenen  Strecke.  In  besonderem  Maße  gilt 
das  für  den  Dienst  des  Lokomotivführers. 
Die  Steigungs-  und  Krümmungsverhältnisse 
der  Bahn,  die  Stationsentfernungen  sowie  die 
Gleisführung  innerhalb  der  Bahnhöfe  und 
mancher  Kunstbauten  sind  maßgebend  für  die 
Fahrgeschwindigkeit.  Sie  werden  zwar  durch 
Signale,  durch  besondere  Zeichen  oder  durch 
die  Fahrpläne  und  Dienstvorschriften  dem 
Lokomotivführer  bekannt  gegeben.  Die  Zeichen 
für  die  Steigungs-  und  Krümmungsverhältnisse 
(s.  Neigungszeiger  u.  Streckenzeichen)  sind  aber 
bei  Dunkelheit  nicht  beleuchtet.  .Auch  bei  Tages- 
licht würde  ihre  Beobachtung  die  Aufmerksam- 
keit des  Lokomotivführers  zu  sehr  in  .-^.nspruch 
nehmen  und  ihn  von  seinen  sonstigen  Dienst- 
pflichten abhalten,  wenn  ihm  nicht  durch  örtliche 
S.  die  Beobachtung  erleichtert  würde. 

Der  Lokomotivführer  erwirbt  die  S.  durch 
Belehrungsfahrten  (s.d.)  als  dritter  Mann 
auf  der  Lokomotive  eines  Zuges.  Die  große 
Verschiedenheit  der  Bahn-  und  Streckenver- 
verhältnisse sowie  der  Betriebsführung  erschwert 
die  Aufstellung  allgemeiner  Regeln  über  Art 
und  Umfang  der  Belehrungsfahrten.  Die  preu- 
ßischen Staatsbahnen  überlassen  daher  die 
Festsetzung  der  Zahl  der  Fahrten  dem  Vor- 
stand des  .Maschinenamts.  Sie  fordern  jedoch 
allgemein,  daß  ein  Lokomotixi'ührer  zum 
selbständigen  Dienst  auf  einer  Strecke  nur  zu- 
gelassen werden  darf,  auf  der  er  mindestens 
je  2  und,  wenn  es  sich  um  den  Personen- 
oder Schnellzugdienst  handelt,  mindestens  je 
3  Belehrungsfahrten  bei  Tag  und  bei  Xacht 
in  jeder  Richtung  ausgeführt  und  außerdem 
schriftlich  erklärt  hat,  daß  er  die  Strecke  kenne 
und  im  stände  sei,  auf  ihr  die  ihm  anzuver- 
trauenden Zugfahrten  mit  voller  Sicherheit 
auszuführen.  Wenn  die  Fahrten  als  Lokomotiv- 
führer länger  als  15  Monate  unterbrochen 
wurden  oder  während  einer  L'nterbrechung 
der  Fahrten  wesentliche  Änderungen  an  den 
Gleisen,  den  Signalanlagen  oder  Blockeinrich- 
tungen stattgefunden  haben,  so  muß  die  S. 
durch  mindestens  einmalige  Belehrungsfahrten 
in  jeder  Richtung  bei  Tag  und  bei  Nacht 
wiedererworben  werden.  -  Auf  der  London 
and  North  Western-Eisenbahn  muß  der  Loko- 
motivführer alle  6  Monate  schriftlich  bestätigen, 


Streckenkenntnis.  -   Streckenzeichen. 


243 


daß  er  die  von  ihm  zu  befahrende  Strecke 
sowohl  in  dem  hierüber  herausgegebenen,  die 
Signale,  Bahnhöfe  sowie  die  Neigungs-  und 
Krümmungsverhältnisse  enthaltenden  Strecken- 
buch als  auch  in  der  Wirklichkeit  kenne  (vgl. 
Bulletin  d.  Int.  Eis.-Kongr.-Verb.  1909,  S.  241). 

An  die  S.  des  Zugführers  werden  wesent- 
lich geringere  Anforderungen  gestellt.  Auf  den 
preußischen  Staatsbahnen  erwirbt  der  Zugführer 
die  S.  durch  mindestens  je  eine  Belehrungsfahrt 
bei  Tag  und  bei  Nacht  in  jeder  Richtung  unter 
Leitung  eines  streckenkundigen  Zugbegleitbe- 
amten. Die  S.  geht  verloren,  wenn  die  Fahrten 
auf  der  Strecke  länger  als  2  Jahre  unterbrochen 
vcaren.  Brcusing-. 

Streckentelegraph,  eine  in  einer  Wärter- 
bude auf  der  freien  Bahnstrecke  aufgestellte 
Telegrapheneinrichtung,  die  mit  den  beiden 
benachbarten  Stationen  verbunden  die  Möglich- 
keit bietet,  von  der  Strecke  aus  beim  Liegen- 
bleiben eines  Zuges  oder  bei  Unfällen  tele- 
graphisch Hilfe  anzufordern.  Solche  S.  waren 
früher  auf  allen  verkehrsreichen  Strecken  in 
Abständen  von  2  —  4  km  aufgestellt.  Sie  haben 
sich  aber  nicht  bewährt,  weil  es  stets  große 
Schwierigkeiten  bereitete,  den  Bahnwärtern  die 
erforderliche  Fertigkeit  und  Sicherheit  im 
Telegraphieren  beizubringen  und  sie  genügend 
in  der  Übung  zu  erhalten.  Auch  die  Mitführung 
der  Telegrapheneinrichtung  in  den  Zügen  hat 
sich  im  allgemeinen  nicht  bewährt.  Bei  einigen 
Bahnen  hat  man  selbsttätige  Zeichengeber 
eingerichtet,  die  mit  den  bei  den  Bahnwärter- 
posten aufgestellten  Läutewerken  verbunden 
waren.  Damit  konnte  eine  geringe  Anzahl  ein 
für  allemal  festgesetzter  Zeichen  oder  „Hilfs- 
signale" nach  den  beiden  benachbarten 
Stationen  gegeben  werden,  ohne  daß  dazu  die 
Kenntnis  des  Telegraphierens  erforderlich  war. 
Ein  am  Läutewerk  angebrachter  Telegraphier- 
taster wurde  durch  eine  beim  Ablaufen  des 
Läutewerks  in  Umdrehung  versetzte  gezahnte 
Scheibe  in  Tätigkeit  gesetzt.  Die  Zähne  auf 
der  Scheibe  stellten  in  abgekürzter  Morseschrift 
das  Nummerzeichen  des  Wärterpostens  und  ein 
bestimmtes  Hilfszeichen  dar.  Zu  jedem  Läute- 
werk gehörten  6-8  Scheiben  mit  verschiedenen 
Hilfszeichen,  z.  B.: 

»Lokomotive  dienstunfähig", 

„Hilfslokomotive  senden", 

«Zug  entgleist", 

«Bahnmeister  und  Arbeiter  senden", 

„Beide  Gleise  unfahrbar", 

«Arztliche  Hilfe  erforderlich". 

Vor  Abgabe  eines  Hilfssignals  mußte  die 
auf  den  Fall  passende  Zeichenscheibe  auf  das 
Laufwerk  aufgesteckt  werden.  Dann  wurde  das 
Laufwerk  einigemal    mit  der  Hand    ausgelöst, 


wobei  die  Zeichenscheibe  jedesmal  4  L'm- 
drehungen  machte  und  ebensoviele  Male  der 
durch  die  Scheibe  bewegte  Telegraphiertaster 
das  Hilfszeichen  in  die  Leitung  abtelegraphierte, 
wo  es  von  den  beiden  benachbarten  Stationen 
auf  den  Morsewerken  aufgenommen  wurde. 
Nach  .Abgabe  des  Hilfssignals  mußte  die  Zeichen- 
scheibe wieder  vom  Läutewerk  abgenommen 
werden.  Aber  auch  bei  dieser  Einrichtung  fehlte 
den  Bedienenden  meistens  die  erforderliche 
Übung  in  der  Handhabung.  Mit  der  Einführung 
des  Fernsprechers  an  Stelle  der  S.  ist  ein  be- 
quemeres und  sichereres  Verständigungsmittel 
zwischen  der  freien  Strecke  und  den  Stationen 
geschaffen  worden  (s.  Streckenfernsprecher). 

Fink. 

Streckenwärter  s.  Bahnaufsicht,  Bahn- 
wärter und  Schrankenwärter. 

Streckenzeichen,  längs  der  Bahnsfrecke 
angebrachte  Tafeln,  Pflöcke,  Pfähle  u.  dgl., 
die  entweder  zu  der  aus  Betriebsrücksichten 
nötigen  Ersichtlichmachung  bestimmter  Ab- 
schnitte der  Bahn  dienen  oder  auf  denen 
sonstige  für  die  Bahnbewachung  und  Zug- 
förderung wichtige  Merkmale  der  betreffenden 
Stelle  angegeben  sind.  Zu  den  S.  der  ersteren 
Art  gehören  die  Abteilungszeichen  (s.  d.),  dann 
die  Grenztafeln  zur  Ersichtlichmachung  der 
Wärter-,  Bahnmeister-,  Inspektionsbezirke  u.  s.  w. 

Zu  den  S.  der  letzteren  Art  gehören  die 
Neigungszeiger  (s.  d.),  ferner  Läutetafeln  (Pfeif- 
pflöcke) und  Geschwindigkeitstafeln  sowie 
Krümmimgstafeln.  Läute-  und  Geschwindigkeits- 
tafeln dienen  dazu,  Wegübergänge,  die  nicht  mit 
Schranken  versehen  sind,  dem  Lokomotivführer 
so  kenntlich  zu  machen,  daß  er  rechtzeitig 
das  Achtungssignal  geben  kann.  In  Österreich 
werden  zu  diesem  Zweck  sog.  Pfeif  pflöcke 
rechts  vom  Gleis,  in  der  Fahrrichtung  gesehen, 
aufgestellt,  die  an  der  dem  Zug  zugewandten 
Seite  weiß,  oder  rot  und  weiß  gestrichen  sind. 
Wenn  der  Zug  den  Pfeifpflock  erreicht  hat, 
ist  das  Signal  „Achtung"  mit  der  Dampfpfeife 
zu  geben. 

An  Steile  der  Pfeifpflöcke  werden  in  Deutsch- 
land Läutetafeln  nach  einheitlichen  Mustern 
angebracht,  die  für  den  Lokomotivführer  das 
Zeichen  zum  Ingangsetzen  des  Läutewerks 
sind.  (Die  österreichischen  Lokomotiven  sind 
nicht  mit  Läutewerken  ausgestattet.) 

Ist  bei  besonders  gefährdeten  Wegüber- 
setzungen eine  Herabminderung  der  Ge- 
schwindigkeit vorgesehen,  so  wird  die  vor- 
geschriebene Höchstgeschwindigkeit  an  der 
Läutetafel  oder  an  dem  Pfeifpflock  ersichtlich 
gemacht. 

Der  Abstand  des  Aufstellungsortes  der  Tafel 
oder   des   Pflockes   von   der  Wegübersetzung 

16' 


244 


Streckenzeichen.   -   Stubaitalbahn. 


richtet  sich  nach  der  zulässigen  Fahrge- 
schwindigkeit, nach  Übersichtlichkeit,  nach  den 
Neigungsverhäitnissen  der  Bahn  sowohl  wie 
nach  jenen  des  Weges  und  nach  der  Dichtig- 
keit des  Verkehrs  auf  letzterem.  In  der  Regel 
wird  ein  Abstand  von  200  -  300  m  gewählt. 
Da  Läutetafeln  nur  auf  Bahnen  mit  unbe- 
wachten und  nicht  abgeschrankten  Wegüber- 
setzungen Aufstellung  finden,  demnach  nur 
auf  Nebenbahnen,  die  in  der  Regel  keinen 
Nachtbetrieb  haben,  so  ist  auch  das  Beleuchten 
der  Läutetafeln  nur  in  seltenen  Fällen  not- 
wendig (s.  auch  Oberwegsignale). 

Krüminungstafeln  dienen  dazu,  an  Ort 
und  Stelle  Aufschluß  über  die  Lage  des  Gleises 
zu  geben.  Auf  ihnen  ist  der  Bogenhalbmesser, 
die  Bogenlänge,  die  vorgeschriebene  Spurer- 
weiterung und  Überhöhung,  mitunter  auch 
der  Tangentenwinkel  vermerkt.  Häufig  werden 
auch  Angaben  über  die  Übergangsbogen  bei- 
gefügt. Die  Krüniniungstafeln  werden  bei 
Bogenmitte  oder  bei  Bogenanfang  und  Bogen- 
ende  aufgestellt.  Die  Kennzeichnung  von  Bogen- 
anfang und  Bogenende  ist  für  die  Unterhaltung 
des  Gleises  von  großem  Vorteil.         Pollak. 

Streckenzugverf  ah  ren  s.  Zollverfahren. 

Streichschienen  s.  Leitschienen. 

Streiiis  s.  Arbeitseinstellungen. 

Strousberg,  Bethel  Henry,  durch  Umfang 
und  Kühnheit  seiner  Eisenbahngründungen  be- 
kannter Unternehmer,  geboren  1823  zu 
Neidenburg  in  Ostpreußen,  gestorben  1884 
in  Berlin,  war  zunächst  in  England  als 
Kaufmann  und  Journalist  tätig.  Als  1861 
ein  Konsortium  englischer  Kapitalisten  bei 
dem  preußischen  Handelsministerium  um  die 
Konzession  zum  Bau  der  Tilsit-Insterburger 
Bahn  sich  beworben  hatte,  gelang  es  ihm,  Ge- 
sichtspunkte geltend  zu  machen,  die  die  Ver- 
leihung der  Konzession  herbeiführten.  Es  war 
dies  der  erste  in  Deutschland  auf  dem  Grund- 
satz der  General-Entreprise  beruhende  Eisen- 
bahnbau. Seit  1863  leitete  er  als  Bevollmächtigter 
der  Gesellschaft  den  Bau  der  ostpreußischen  Süd- 
bahn. Dann  übernahm  er  in  rascher  Folge  für 
eigene  Rechnung  die  Ausführung  folgender 
Bahnen:  der  Berlin-Görlitzer,  rechten  Oderufer- 
bahn, Märkisch-Posener,  Halle-Sorauer  und 
Hannover-Altenbekener  Bahn,  ferner  der  Brest- 
Grajewo-,  der  ungarischen  Nordost-  und  der 
rumänischen  Eisenbahnen,  insgesamt  rd.  SOOOA/n. 
Er  wandte,  da  ihm  zur  Ausführung  so  gewaltiger 
Unternehmungen  weder  Kapital  noch  Kredit 
ausreichend  zu  Gebote  standen,  das  System 
an,  als  Generalunternehmer  die  Lieferanten 
der  Bahn  durch  Aktien  zu  bezahlen.  Er  kaufte 
ferner  die  ausgedehnte  Herrschaft  Zbirow   in 


Böhmen,  Fabriken,  Gruben  und  Hütten,  Güter 
in  der  Mark  u.s.  w.  Alle  diese  Unternehmungen 
gerieten  schließlich  in  finanzielle  Schwierig- 
keiten, die  mit  einem  Besitzwechsel  endigten. 
Als  1870  die  Kupons  der  Obligationen  der 
rumänischen  Bahnen  notleidend  wurden,  begann 
das  Gebäude  seiner  Unternehmungen  zu  zer- 
fallen; er  geriet  1875  in  Preußen,  Österreich 
und  Rußland  in  Konkurs,  wurde  in  Moskau, 
wohin  er  sich  begeben  hatte,  verhaftet,  nach 
jahrelangem  Prozeß  zur  Verbannung  verurteilt, 
trotzdem  aber  noch  einige  Zeit  in  Schuldhaft 
gehalten,  so  daß  er  erst  im  Herbst  1877  nach 
Berlin  zurückkehren  konnte.  In  der  Haft  schrieb 
er  seine  Selbstbiographie  (Dr.  Strousberg  und 
sein  Wirken,  Berlin  1876). 

Literatur:  Außer  obiger  Selbstbiographie:  Korfi, 
Bethel  Henry  Strousberg.  Biographisclie  Charakte- 
ristik. Berlin  1S70;  Strousberg,  der  Eisenbahnkönig. 
Stuttgart  1875. 

Stubaitalbahn.  Meterspurige  Lokalbahn 
von  Innsbruck  nach  Fulpmes,  dem  Hauptort  des 
Stubaitals.  Betriebslänge  lS'2Ä/ra,  größte  Stei- 
gung  46%,   kleinster  Bogenhalbmesser  40  m. 

Es  wird  ein  Höhenunterschied  von  390  m 
in  der  ersten  Teilstrecke  von  12  km  Länge 
überwunden.  Am  Bahnende  befindet  sich  ein 
Gegengefälle  von  66  m,  das  in  2  km  Strecken- 
länge überwunden  wird.  Diese  topographischen 
Verhältnisse  verursachen  die  obgenannte,  ver- 
hältnismäßig große  Bahnlänge  bei  nur  1 1  km 
Entfernung    der    Endpunkte    in    der   Luftlinie. 

Zahlreiche  Kunstbauten,  darunter  2  Viadukte 
und  2  Tunnel,  sämtlich  in  Krütnmungen  bis 
80  m,  sind  vorhanden. 

Die  S.  ist  dadurch  bekannt  geworden,  daß 
sie  die  erste  Bahn  war,  die  mit  hochgespanntem 
Wechselstrom  hoher  Pulszahl  (42)  betrieben 
wurde.  Die  Fahrleitung  wird  von  3  Unter- 
werken mit  2500  Volt  Spannung  gespeist.  Dieser 
Strom  wird  in  den  Motorwagen  auf  400  —  500 
Volt  herabtransformiert.  Es  sind  4  vierachsige 
Motorwagen  vorhanden,  die  mit  4  je  SOpfer- 
digen  kompensierten  Serienmotoren  System 
Winter-Eichberg,  Fabrikat  der  A.  E.  G.-Union- 
Elektrizitätsgesellschaft,  Wien,  ausgerüstet  sind. 

Bei  der  S.  wurde  auch  zum  ersten  Mal 
eine  Kettenoberleitung  unter  ausschließlicher 
Verwendung  von  Porzellan  als  Isoiiermaterial 
ausgeführt. 

Die  A.  E.  G.-Union- Elektrizitätsgesellschaft 
Wien,  die  den  elektrischen  Teil  des  Baues 
ausgeführt  hat,  hat  durch  Übernahme  des  über- 
wiegenden Teiles  des  Prioritätenkapitals  den 
Bau  ermöglicht.  Außerdem  sind  an  dem  Bau- 
kapital von  insgesamt  2,650.000  K  die  anliegen- 
den Gemeinden,  das  Land  Tirol  und  der 
österreichische  Staat  beteiligt. 


Stubaitalbahn.   -   Stückgutbahnhöfe. 


245 


Den  Betrieb  führt  die  Loi<albahn  Innsbruck- 
Hall  i.  T.  Betriebseröffnung:   1.  August   1904. 

Der  Betriebsüberschuß  genügt  knapp  zur 
Verzinsung  des  Verzugskapitals. 

Literatur:  L.  Th.  Schopp,  Innsbruck  und  seine 
Bergbahnen.  Deutsche  Buchdruckerei  G.  m.  b.  H., 
Innsbruck,  -  Dr.-Ing.  E.  E.  Seefehlner,  Die  Stu- 
baitalbahn. Elektr.  Kraftbetr.  u.  B.  1905.  -  K.Arm- 
bruster,  Die  Tiroler  Bergbahnen.  Verlag  für  Fach- 
literatur. '  Seefehlner. 

Stückgüterzüge  (parcel-  or  pkxe-goods 
trains;  trains  poiir  colis;  treni  colli  o  bagagli) 
sind  zur  Beförderung  von  Frachtgutkurswagen 
(s.  Stückgutkurswagen)  bestimmte  Nahgüter- 
züge. Sie  vermitteln  den  Stückgutverkehr  der 
Haltestationen  des  Zuges  in  der  Weise,  daß 
die  Güter  in  die  in  den  Zug  nach  einem 
besonderen  Verzeichnis  regelmcäßig  eingestellten 
Kurswagen  (s.  d.)  ein-  und  aus  ihnen  aus- 
geladen werden.  Um  die  Aufenthalte  nicht  zu 
sehr  auszudehnen,  werden  für  Bahnhöfe  mit 
größerem  Empfang  besondere  Ortswagen 
oder  Umladewagen  gebildet,  die  nur  Güter 
für  diesen  Bahnhof  enthalten  und  daher  ohne 
weitere  Behandlung  aus  dem  Zug  ausgesetzt 
werden  können.  Der  Versand  größerer  Güter- 
mengen wird  in  ähnlicher  Weise  geregelt. 

Da  die  Zugkraft  der  Lokomotive  durch  die 
Beförderung  der  Kurswagen  vielfach  nicht 
ausgenutzt  wird,  so  befördern  die  S.  auch 
leere  Wagen  und  Ladungen  für  die  Halte- 
stationen und  die  Endstationen  des  Zuges, 
soweit  dieser  hierfür  eine  günstige  Gelegen- 
heit bietet  (s.  Güterzüge).  Breusing. 

Stückgut  (parcels;  colis  marchandises;  merce 
a  colli),  im  Gegensatz  zu  „Wagenladung"  eine 
Frachtsendung,  die  im  einzelnen  Fall  die  Trag- 
kraft des  zur  Verladung  verwendeten  Wagens 
nicht  voll  ausnutzt  und  für  die  deshalb  nicht 
die  Wagenladungssätze,  sondern  die  hohen 
Stückgutsätze  eingehoben  werden.  Eine  Mittel- 
stufe zwischen  Wagenladung  und  S.  bildet  die 
halbe  Wagenladung.  Man  unterscheidet  tari- 
farisch sperriges  und  nichtsperriges  S.,  ferner 
Fracht-  und  Eilstückgut  (vgl.  Gütertarif). 

Stückgutbahnhöfe  (parcels  or  packet  sta- 
tions;  gares  ä  marchandises ;  stazioni  merci) 
sind  Bahnhofsanlagen,  innerhalb  deren  solche 
Güter  abgefertigt  werden  (s.  Güterabfertigung), 
die  stückweise  der  Eisenbahn  zur  Beförderung 
übergeben  werden.  Meist  sind  diese  Anlagen 
mit  denen  für  die  Abfertigung  der  Wagen- 
ladungen (Rohgutbahnhöfe,  s.  d.,  auch  Wagen- 
ladungsbahnhöfe oder  Freiladebahnhöfe  ge- 
nannt) zu  Gesamtanlagen  für  den  Güterverkehr 
(Güterbahnhöfe,  Ortsgüterbahnhöfe)  verbunden. 
Da  die  Grundsätze  für  die  Anordnung  von 
Gesamtanlagen  und  von  Teilanlagen  für  Stück- 
güter oder  für  Wagenladungen  im  wesentlichen 


übereinstimmen,  so  erfolgt  hier  die  Behandlung 
ungetrennt. 

Die  Güterverkehrsanlagen  sind  auf  kleinen 
und  mittleren  Bahnhöfen  mit  den  Personen- 
verkehrsanlagen in  der  Regel  zu  einem  Ganzen 
verbunden  (s.  Bahnhöfe),  so  daß  von  einem 
besonderen  Güterbahnhof  nicht  gesprochen 
werden  kann.  Auch  auf  großen  Bahnhöfen 
findet  sich  solche  Anordnung  bisweilen.  Meist 
bilden  aber  auf  einem  großen  Bahnhof  die 
Anlagen  für  den  Ortsgüterverkehr,  auch  wenn 
sie  unmittelbar  neben  den  Personenverkehrs- 
anlagen oder  in  deren  Nähe  liegen,  eine  für 
sich  geschlossene  Einheit,  die  mit  dem  meist 
weiter  außerhalb  gelegenen  Verschiebebahnhof 
in  besonderer,  d.  h.  von  den  Personengleisen 
unabhängiger  Gleisverbindung  steht. 

Außer  solchen  Güterbahnhöfen,  die  jedesmal 
ein  Glied  einer  gruppierten  Gesamtbahnhofs- 
anlage bilden,  gibt  es  auch  selbständige  Güter- 
bahnhöfe, die  an  einen  Verschiebebahnhof 
unmittelbar  angeschlossen  oder  mit  ihm  durch 
eine  kürzere  oder  längere  Anschlußbahn  ver- 
bunden sind  oder  als  Zwischenstationen  an 
einer  Güterbahn  oder  an  einer  dem  Personen- 
und  Güterverkehr  dienenden   Bahn   liegen. 

Der  Güterbahnhof  enthält  einmal  die  zur 
Annahme  und  Verladung,  Entladung  und  Aus- 
lieferung, soweit  erforderlich  auch  zur  Zwi- 
schenlagerung dienenden  Anlagen,  als  Güter- 
schuppen (s.  d.)  nebst  anschließenden  Lade- 
bühnen, Freiladegleise  (s.  d.),  Laderampen  (s.  d.), 
Ladebühnen,  Krane,  Umladeschuppen  u.  s.  w. 
nebst  den  zugehörigen  Abfertigungsräumen 
(bei  den  Güterschuppen  meist  mit  diesen  bau- 
lich verbunden),  ferner  aber  einerseits  die  Zu- 
fahrtstraßen und  Ladestraßen,  anderseits  die 
Zuführungsgleise  und  Ladegleise  sowie  Auf- 
stellgleise und  Verschiebeanlagen.  Letztere 
nehmen  einen  um  so  größeren  Umfang  an, 
je  weiter  der  Güterbahnhof  von  dem  ihn 
versorgenden  Verschiebebahnhof  entfernt  ist. 
Während  sich  bei  den  großen  Personenbahn- 
höfen gewisse  Regelformen  herausgebildet 
haben  (s.  Bahnhöfe),  ist  dies  für  die  Gesamt- 
anordnung der  Güterbahnhöfe  nicht  in  gleichem 
Maß  der  Fall,  einmal  weil  die  für  die  einzelnen 
Zwecke  des  Güterverkehrs  bestimmten  Anlagen, 
je  nach  dem  Verkehrsbedürfnis,  gegenseitig 
einen  sehr  verschiedenen  Umfang  haben,  bis- 
weilen auch  Anlagen  mancher  Art  ganz  fehlen, 
oder  auch  die  ganze  Anlage  nur  einem  Zweck 
(S.,  Wagenladungsbahnhof)  dient,  dann  aber 
auch,  weil  es  in  vielen  Fällen  notwendig  und 
auch  unbedenklich  ist,  sich  mit  der  Gruppierung 
und  Entwicklung  der  den  verschiedenen  Ver- 
kehrszwecken dienenden  Bestandteile  nach  der 
Form    des    verfügbaren    Geländes    zu    richten. 


246 


Stückgutbahnhöfe. 


Gleichwohl  kann  man  für  die  Ausbildung 
der  üüterbahnhöfe  gewisse  Haupterfordernisse 
aufstellen: 

1.  Oute  Straßenverbindung   zur   Stadt,    die 
möglichst  so  geführt  ist,  daß  die  Straßenver- 
bindung zum  Personenbahnhof  von   den  Qüterfuhrwerken  nicht 
belastet  wird.    Ausreichend  breite  Ladestraßen  und  Wendeplätze. 

2.  Selbständige  zweigleisige  Verbindung  zum  Verschiebebahn- 
hof, außerdem  nach  Bedarf  Oleisverbindungen  zum  Personen- 
bahnhof oder  Abstellbahnhof. 

3.  Gruppierung  der  einzelnen  Ladeanlagen  und  ihrer  Zu- 
stellungsgleise derart,  daß  die  Zu-  und  Fortführung  der  Güter- 
wagen zu  den  Teilanlagen  einander  nicht  behindern,  aber  doch 
unter  derartiger  gegenseitiger  Qleisverbindung,  daß  die  Güter- 
wagen von  der  einen  zur  andern  Teilanlage  auf  möglichst  kurzem 
Wege  und  möglichst  ohne  Behinderung  anderer  Bewegungen 
überführt  werden  können. 

Dies  kommt  namentlich  für  das  Überführen  von  auf  einer  Teilanlage 
entladenen  Wagen  nach  einer  andern  Teilanlage  zur  Wiederbeladung 
oder  zum  Überführen  teilweise  beladener  Wagen  zur  Fertigbeladung  in 
Betracht. 

4.  Anordnung  ausreichender  Wechselgleise,  Aufstellgleise  für 
leere,  für  unerledigte  oder  erledigte  beladene  Wagen  und  Ordnungs- 
gleise bei  den  einzelnen  Teilanlagen  (s.  Freiladegleise,  Güter- 
schuppen), um  jedesmal  mit  einer  Verschiebefahrt  vom  und  zum 
Verschiebebahnhof  und  ohne  unnötigen  Zeitverlust  Güterwagen 
auswechseln  zu  können. 

5.  Erforderlichenfalls  Anordnung  von  Güterzugein-  und  -aus- 
fahrgleisen nebst  einer  Verschiebeanlage,  auf  der  die  mit  den 
Güterzügen  angekommenen  Wagen  nach  den  Hauptteilen  des 
Güterbahnhofs  oder  auch  nach  den  einzelnen  Ladeanlagen  geordnet 
werden  können. 

Dies  ist  namentlich  dann  erforderlich,  wenn  der  Güterbahnhof  selb- 
ständig an  einer  Güterbahn  oder  an  einer  dem  Personen-  und  Güterverkehr 
dienenden  Bahn  liegt,  aber  auch  wenn  der  V'erschiebebahnhof,  an  den 
der  Ortsgüterbahnhof  angeschlossen  ist,  nicht  darauf  eingerichtet  ist,  diese 
Ordnungsarbeit  vorzunehmen,  .^n  solche  Verschiebeanlagen  für  den  ganzen 
Ortsgüterbahnhof  sollen  die  Zuführungsgleise  zu  den  Teilanlagen  unmittel- 
bar und  möglichst  unabhängig  voneinander  (s.  o.)  anschließen. 

Zweckmäßig  werden  alle  Gleisverbindungen  auf  Güterbahnhöfen 
durch  Weichen  vermittelt.  Im  Ausland,  namentlich  in  England  und 
Frankreich,  finden  sich  statt  dessen  vielfach  Drehscheibenverbin- 
dungen (oder  auch  Schiebebühnenverbindungen),  in  England 
namentlich  oft  bei  mehrgeschossigen  Anlagen  im  Zusammenhang 
mit  Aufzügen,  die  die  Güterwagen  aus  dem  einen  in  das  andere 
Geschoß  befördern.  Solche  Verbindungen  zwingen  dazu,  jeden 
Wagen  einzeln  zu  bewegen,  und  haben  den  ferneren  Nachteil, 
daß  sie  den  Radstand  der  Wagen  nach  dem  einmal  festgelegten 
Drehscheibendurchmesser  (bzw.  der  Länge  der  Schiebebühne) 
beschränken. 

Ist  das  verfügbare  Gelände  langgestreckt  und  schmal,  so  muß 
man  die  Teilanlagen  hintereinander  anordnen,  was  die  Gesamt- 
anlage weniger  übersichtlich  macht  und  weite  Verschiebefahrten 
veranlaßt.  Übersichtlicher  und  bequemer  ist  die  Nebeneinander- 
anordnung der  Teilanlagen  auf  breitem  Ge- 
lände, jedoch  unter  der  Voraussetzung,  daß 
das  Gelände  nicht  zu  kurz  ist,  um  die  Wechsel- 
gleise oder  die  Einfahr-  und  Verschiebeanlage 
davor  anordnen  und  die  Gleisverbindungen 
nach     allen     Teilanlagen     mit     ausreichenden 


Krümmungshalbmessern  entwickeln  zu  können. 
Unabhängig  davon,   ob  der  Personenbahn- 
hof,   neben    dem    ein    Güterbahnhof   angelegt 
ist,    Kopfform    oder   Durchgangsform    besitzt, 


ergibt  sich  für  einen  größeren  Güterbahnhof 
in  der  Regel  die  Kopfform,  indem  seine  Gleis- 
anlagen sich  aus  den  vom  Verschiebebahnhof 
kommenden  Zuführungsgleisen,  deren  Richtung 
fortsetzend,  in  die  Breite  entwickeln.  Wo  der 


Enzyklopädie! 


Tafel  VII!. 


Ablj.l. 
Ubersichlsplan. 


lOaO       3DO        HOO 


G     e     iP-^ 


fiiz)Uopäiii=  des  Fisi-nbahnwesens   2  Aufl    IX 


Stiickgiitbah  nhöfe. 


Tafel  Vm. 


Verlag  von  Urban  üt  Schwarzenberg  in  Berlin  u.  Wien. 


Stückgutbahnhöfe.  -   Stütz-  und  Verkleidungsmauern. 


247 


Personenbahnhof  wegen  schienenfreien  Bahn- 
steigzugangs über  oder  unter  Geländehöhe  an- 
geordnet ist,  bietet  eine  hiervon  abweichende 
Anordnung  des  Güterbahnhofs  in  Gelände- 
hohe  den  doppelten  Vorteil  der  Ersparnis  an 
Erdarbeiten  und  der  bequemeren  Heranführung 
der  Zufahrtstraßen. 

Zur  weiteren  Verdeutlichung  des  Gesagten  kann 
-  außer  dem  Hinweis  auf  die  Art.  Freiladegleis, 
Güterschuppen  —  im  allgemeinen  auf  die  beim  Art. 
Bahnhöfe  in  Taf.  V-Vll  (Bd.  I)  gegebenen  Beispiele 
Bezug  genommen  werden.  Die  Bahnhöfe  Entwurf 
Stuttgart  (Taf.  VI,  Abb.  1)  und  Pilsen  (Taf.  Vll, 
Abb.  3,  4)  zeigen  Nebeneinanderanordnung,  die 
Bahnhöfe  Triest  der  Staatsbahnen  (Taf.  VII,  Abb.  5) 
imd  Berlin,  Stettiner  Bahnhof  (Taf.  VI,  Abb.  9) 
Hintereinanderanordnung  der  Teilanlagen.  Nur  der 
letztgenannte  ist  lediglich  S.  (zugleich  für  Eilgut 
dienend),  die  anderen  zugleich  Wagenladungsbahn- 
höfe. Alle  besitzen  Kopfform,  auch  Pilsen,  wo  der 
Personenbahnhof  Durchgangsform  hat.  Ein  ähnliches 
Beispiel  bildet  der  in  Taf.  VI II  wiedergegebene  Güter- 
bahnhof Darmstadt,  der  an  die  beiden  neben  dem 
Personenbahnhof  durchgeführten  Hauptgütergleise 
angeschlossen  ist. 

Ein  Beispiel  eines  englischen  Güterbahnhofs  zeigt 
Abb.  3S7,  S.  453  (Bd.  V)  beim  Art.  Güterschuppen. 
Das  durch  die  eingezeichneten  3  Aufzüge  zugäng- 
liche (nicht  dargestellte)  Untergeschoß  hat  in  der 
Hauptsache  Drehscheibenverbindungen  der  Lade- 
gleise. Ein  ferneres  Beispiel  eines  englischen  Güter- 
bahnhofs, bemerkenswert  durch  die  weitgetriebene 
Ausnutzung  eines  langgestreckten,  in  der  Breite  be- 
schränkten Geländes,  zeigt  Abb.  249  (nach  Frahm, 
s.  Literatur,  Abb.  16S  auf  S.  128). 

Literatur:  Oder,  Hb.  d.  Ing.  W.  V,  4,  1,  Leipzig 
1907,  worin  zahlreiche  weitere  Literaturangaben.  — 
Frahm,  Das  englische  Eisenbahnwesen.  Berlin  lOU. 

Caiier. 

Stückgutkurswagen  (piece-goods  wagons 
witlwid  special  dcstination ;  wagons  poiir  colis 
faisantla  navette;  carri  colli  facente  navetta)  smä 
Güterwagen,  die  zur  Beförderung  von  Stück- 
gut in  bestimmten  Zügen  (s.  Stückgüterzüge) 
und  auf  bestimmten  Strecken  verkehren  und 
zur  Einladung  oder  Ausladung  oder  zur  Ein- 
und  Ausladung  der  Stückgüter  auf  der  ganzen 
vom  Zug  durchlaufenen  Strecke  oder  auf 
einem  Teil  der  Strecke  dienen  (s.  Durch- 
gehende Wagen).  In  den  Beförderungsvor- 
schriften des  DEVV.  H.  1  ist  die  Behandlung  der 
S.  für  das  Verbandsgebiet  einheitlich  geregelt. 
Hiernach  erhalten  die  S.  Beklebezettel  mit  ein- 
heitlichem Aufdruck.  Man  unterscheidet  Eil- 
gutkurswagen, Frachtgutkurswagen  und 
Feuerzeugkurswagen.  Jede  Verwaltung  stellt 
für  die  in  ihrem  Bezirk  verkehrenden  S.  ge- 
trennt nach  den  vorstehend  genannten  Gat- 
tungen ein  Verzeichnis  auf,  das  der  Güter- 
abfertigung für  die  Benutzung  der  Wagen  als 
Anhalt  dient.  Die  S.  erhalten  für  den  ganzen 
Verwaltungsbezirk  fortlaufende  Nummern. 
Außerdem  werden  in  dem  Verzeichnis  ihre 
besonderen  Aufgaben  sowie  die  zu   ihrer  Be- 


förderung bestimmten  Züge  mit  deren  Abfahr- 
und  Ankunftzeiten  für  die  Anfangs-  und  End- 
station des  Wagenlaufs  ersichtlich  gemacht. 
Reicht  der  Laderaum  eines  S.  nicht  aus,  so 
wird  ein  Kursbeiwagen  gebildet  oder  es 
wird  das  Gut  für  eine  oder  mehrere  Stationen 
in  besonderen  Ortswagen  untergebracht. 

Breusing. 

Stütz-  und  Verkleidungs-  (Futter-) 
Mauern  (retaining  walls  and  revetments;  niurs 
de  soutcnement  et  miirs  de  reveiement;  muri 
di  sostegno  et  muri  di  rivestimento).  Die  Be- 
kleidung der  Böschungsflächen  eines  Erdkörpers 
durch  stehende  Steinbauten  dient  entweder 

a)  der  Verkleidung  an  sich  standfähiger 
Massen  der  Einschnitte  zur  Herbeiführung 
eines  wirksamen  Schutzes  der  Oberfläche  gegen 
Verwitterung  und  Abspülung  -  Verkleidungs- 
oder Futtermauern    -    oder  sie  wird  nötig 

b)  zur  Stützung  von  Böschungen,  die  steiler 
sind  als  die  natürliche  Böschung  der  betreffen- 
den Erdmasse  —  Stützmauern.  Anlagen  der 
letzteren  Art  sind  zumeist  durch  die  Notwendig- 
keit begründet,  Ersparnisse  an  Geländebreite 
zu  erzielen  entweder  wegen  zu  steiler  Neigung 
des  Geländes,  oder  wegen  der  Nähe  zu  sclionender 
Wegezüge,  Wasserläufe  oder  sonstiger  Anlagen, 
oder  wegen  des  hohen  Preises  des  in  Anspruch 
zu  nehmenden  Grundes  und  Bodens. 

Diesem  verschiedenen  Zweck  entsprechend 
sind  die  anzuwendenden  Stärken  verschieden. 

In  einfachster  Weise  kann  ein  steilerer  als 
der  natürliche  Lagerwinkel  der  Erdmasse  für 
Schüttungen  bereits  erreicht  werden: 

1.  durch  Steinpackungen  (Steinsätze)  aus 
unbearbeiteten,  aber  in  der  Böschungsfläche 
möglichst  sorgfältig  zusammengeschichteten 
Steinen.  Die  hintere  Bejrenzung  solcher 
Packungen  ist  meist  lotrecht,  die  Vorderfläche 
unter  1 : 1  geneigt,  die  obere  Breite  nicht  unter 
h 


1-0 


.  Reichliches  Sackmaß,  etwa  ^^  //,  muß 


gegeben  werden   {h  =  Mauerhöhe). 

Steilere  Neigungen  der  Vorderfläche  ermög- 
lichen 

2.  Trockenmauern  aus  mit  dem  Hammer 
bearbeiteten,  regelrecht  in  Verband  gesetzten 
und  möglichst  großen  lagerhaften  Bruchsteinen, 
die  mit  Steinsplittern  gegeneinander  verzwickt 
werden.  Die  Lagerfugen  sind  möglichst  senk- 
recht zur  Drucklinie,  also  an  der  Vorderfläche 
senkrecht  zu  dieser  und  von  da  nach  und 
nach  zur  Wagrechten  übergehend  anzuordnen. 
Neigung  der  Vorderfläche  meist  1  :  ^/j,  im 
unteren  Teil  hoher  Mauern  besser  1  iVs-  bei 
niedrigen  Mauern  -  höchstens  6  -  8  ot  - 
l-Va^Vs;  Rückfläche  im  Auftrag  senkrecht, 
im    gewachsenen    Boden    etwa    gleichgerichtet 


248 


Stütz-  und  Verkleidungsmauern. 


mit  der  Vorderfläche.  Die  Stärke  der  Mauer 
hängt  wesentlich  von  Größe  und  Lagerhaftig- 
keit  der  Steine  ab.  Im  aligemeinen  Kleinst- 
maß der  Kronenbreite  0-6  m,  wo  starke  Er- 
schütterungen in  Frage  kommen,  z.  B.  bei 
Eisenbahnen,  erheblich  größer.  Der  Kopf  der 
Mauer  soll  der  unmittelbaren  Einwirkung  der 
Erschütterungen  möglichst  entzogen  werden. 
Beispiele  ausgeführter  Trockenmauern  an  Eisen- 
bahnen zeigt  Taf.  IX,  Abb.  1—5. 

Bei  großen  Höhen  ist  eine  Hinterpackung 
der  Trockenmauern  mit  Steinsätzen  zweckmäßig, 
jedoch  ohne  Verband  der  beiden  Steinkörper. 
In  Dämmen  ist  die  Vorderkante  von  Trocken- 
mauern und  Steinsätzen  um  ein  Maß  8  vor  die 
Böschungsfläche     zu    legen,     das     für    Stein- 

h  h 

schüttungen  zu  8  =  ^^  -f  ^,  für  Erdschüttungen 

h  h 

zu  ö  =  15  "1"  5S  angenommen  werden  kann 
(Taf.  IX,  Abb.  6). 

Lagerhaftigkeit  und  Größe  der  Steine,  vor 
allem  in  der  Ansichtsfläche,  ist  für  die  Haltbar- 
keit der  Mauer  besonders  wichtig.  V'on  der 
Ausfüllung  der  Fugen  mit  Erde  oder  Moos 
ist  abzuraten,  da  eine  bessere  Auflagerung  der 
Steine  hierdurch  nicht  erreicht  werden  kann, 
die  Wasserabführung  aber  gehindert  und  das 
V'ollsaugen  der  Fugen  mit  Wasser  nur  geför- 
dert wird. 

Wo  gute  lagerhafte  Steine  häufig  sind,  Sand 
aber  fehlt,  können  Trockenmauern  zweckmäßig 
erscheinen.  Die  Erfahrungen  mit  hohen  Trocken- 
mauern sind  indessen  nicht  allenthalben  günstige 
gewesen,  da  die  Mauern  infolge  ungleicher 
Druckverteilung  und  ungleichen  Setzens  leicht 
Ausbauchungen  erhalten,  die  bei  großen  Höhen 
schwierige  Ausbesserungen  ergeben. 

Abtreppungen  im  Grunde  werden  der  zu 
befürchtenden  ungleichen  Setzungen  wegen 
besser  vermieden. 

Koch  weitere  Einschränkungen  in  der  Neigung 
der  Vorderfläche  —  bis  zur  Senkrechten  — 
und  geringere  Stärken  —  etwa  ^/^  —  ^/^  der 
Trockenmauerabmessungen    —    gestatten 

3.  Mörtel  mauern  aus  Bruchsteinen,  Beton 
und  Eisenbeton,  seltener  aus  Hausteinen  oder 
Ziegeln.  Gemischtes  Mauerwerk  mit  Verblendung 
aus  Hausteinen  oder  Ziegeln  ist  des  verschiedenen 
Setzens  wegen  nicht  zu  empfehlen.  Es  sind 
entweder  volle  Mauern  mit  gleichmäßig  durch- 
gehendem Querschnitt  oder  zur  Baustoff- 
ersparnis aufgelöste,  gegliederte  Bauwerke  mit 
ebenen  oder  gekrümmten  Schilden  zwischen 
einzelnen  Schäften  anzuwenden. 

Verkleidungsmauern  werden  meist  mit  vollem 
Querschnitt  ausgeführt  (Taf.  IX,  Abb.  8). 


a)  Volle  Mauern  am  zweckmäßigsten  mit 
geradlinig  begrenzter,  unter  1:5-  1:6,  nach  Be- 
darf auch  steiler  geneigter  Vorderfläche  (Taf.  IX, 
Abb.  9).  Die  Rückfläche  wird  nach  dem  Ver- 
lauf der  Stützlinie  begrenzt,  im  Teil  über 
Gelände  meist  der  leichteren  Ausführung  wegen 
lotrecht,  im  gewachsenen  Boden  \ielfach  gleich- 
gerichtet mit  der  Vorderfläche.  Mauern  mit 
lotrechter  Vorder-  und  Hinterfläche  (Taf.  IX, 
Abb.  10)  sind  wenig  vorteilhaft,  weil  viel  Baustoff 
erfordernd.  Muß  auf  lotrechte  Vorderfläche 
Wert  gelegt  werden,  so  ist  zur  Querschnitts- 
verringerung die  Rückfläche  geneigt  anzuordnen 
(Taf.  IX,  Abb.  11).  Verkleidungsmauern  werden 
an  der  Rückfläche  oft  in  gleichem  Sinne  geneigt 
wie   an    der  Vorderfläche   (Taf.  IX,   Abb.  12). 

Im  Querschnitt  gekrümmte  Mauern  sind 
wegen  der  hohen  Herstellungskosten  jetzt  nur 
selten  angexs'endet;  der  .Mehraufwand  an  Arbeits- 
lohn, den  sie  erfordern,  übersteigt  die  Kosten  des 
bei  geraden  Querschnittsbegrenzungen  mehr  er- 
forderlichen Mauerwerks  gewöhnlich  wesentlich. 

Die  Mauern  sind  mit  möglichst  geringem 
Aufwand  von  Baustoff  durchzubilden,  ihre  Stärke 
ist  unter  Berücksichtigung  des  auf  sie  wirkenden 
Erddrucks  (s.  d.)  zu  ermitteln  und  ihre  Ab- 
messungen sind  hiernach  statisch  zu  begründen. 
Für  erste  Annahmen  kann  zu  gründe  gelegt 
werden: 

b  (mittlere  Mauerstärke)  =  0'29  h  (Mauer- 
höhe) bei  trockener  wagrechter  Hinterfüllung; 

b  =^  0'33h  für  gewöhnliche  X'erhältnisse  und 
nicht  zu  nasse  Hinterfüllung; 

b  =  0-43  h  für  tonige  oder  lehmige,  zur 
Rutschung  neigende  Hinterfüllung. 

Intze  gibt  die  Mauerdicke  .y  in  beliebiger 
Tiefe  h  unter  der  Mauerkrone  mit: 

x  =  0-32h  +  0-0 1 1  h-  für  trockenen  und  mit 

a:  =  0-40A— 0-016  //=  für  nassen  Hinter- 
füllungsboden. 

Bei  einem  Anlauf  der  Vorderfläche  von 
1 :  ■■  '5  -  ^  'g  und  bei  lotrechter  hinterer  Begrenzung 
kann  die  erforderliche  Kronenbreite  a^  für 
Mauern  zur  Stützung  von  Dammkörpern  (Taf.  IX, 

Abb.  13)  zu  0-45  +  0-30-Ä  -  0-1 -^(1- 1^)2, 

für  Mauern  zur  Stützung  von  gewachsenem  Boden 
(Taf.  IX,  Abb.   14)  zu 

0-30 -r  0-27 -A  -  0-I-Ä(l 
angenommen  werden. 

Liegen  hinter  der  Mauer  Steinsätze  von 
mindestens  gleicher  Stärke  wie  diese  und  nach 
rückwärts  geböscht,  so  kann  die  Stärke  der 
Mauer  um  5  —  8  "^  verringert  werden.  Kleinst- 
maß der  Kronenbreite  bei  Bruchstein  0"5  -  0*6  m, 
bei  Ziegel  2  Steinlängen,  bei  Beton  0"3  —  0'4  m. 

Beispiele  ausgeführter  Mauern  vgl.  Taf.  IX, 
Abb.  7,   15,   16,  21,  22. 


3A 


Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  ; 


Abb.  19.  Querschnitt. 


1^,01/ 


Abb  21. 

Verl«g  von  Urban  U  Schwarzenberg 


Tafel  IX. 


>« 
s 


Abb.  26.  Onindsclinttt. 


Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


Stütz-  und  Verkleidungsmauern. 


Tafel  IX, 


»r^^i'H^.vl'f 


r-7'1' 


Abb    21  Abb.  22. 

Verlag  von  Urban  &  Schwarzenberg  ln(Berlln  u.j.Wlcn. 


Abb.  26.  Orundschnl«, 


stütz-  und  Verkleidungsmauern. 


249 


Einfach  gestaltet  sich  die  zeichnerische  Unter- 
suchung des  zunächst  nach  den  vorstehenden 
Anhalten  anzunehmenden  Mauerquerschnitts. 
Vorausgesetzt  sei,  daß  der  angreifende  Erd- 
druck E  (s.  d.)  auf  die  irgendwie  gestaltete 
Rückwand  nach  Größe,  Richtung  und  Angriffs- 
punkt gegeben  sei.  Dann  setzt  sich  dieser 
(Taf.  IX,  Abb.  17)  mit  dem  Gewicht  P  der 
Mauer  zu  einer  Mittelkraft  R  zusammen,  deren 
Richtung  die  Bodenfuge  des  Mauerquerschnitts 
bei   /  schneidet. 

Die  Standsicherheit  der  Mauer  ist  alsdann 
an  die  Bedingungen  geknüpft,  daß 

1.  der  durch  die  lotrechte  Seitenkraft  V  der 
Mittelkraft  R  erzeugte  Bodendruck  in  der  Sohle 
die  zulässigen  Grenzen  nicht  überschreiten  darf; 

2.  die  wagrechte  Seitenkraft  H  der  Mittel- 
kraft R  bei  frei,  ohne  Mörtelverbindung  u.  dgl. 
in  der  Sohle  gestützter  Mauer  so  viel  kleiner 
sein  muß  als  der  durch  V  erzeugte  Reibungs- 
widerstand K-tg  cp,  daß  die  Sicherheit  der  Mauer 
gegen  Verschieben  mindestens  l^'j  — 2fach  wird; 

3.  in  keinem  Punkt  des  Mauerquerschnitts 
die  zulässige  Fugenspannung  überschritten  wird, 
auch  dann  nicht,  wenn  die  Mauer  noch  nicht 
hinterfüllt  ist,  damit  sie  auch  ohne  Erddruckwir- 
kung standfähig  ist. 

4.  der  Angriffspunkt  der  Mittelkraft  im  all- 
gemeinen nicht  aus  dem  mittleren  Drittel  der 
Fugenbreite  heraustritt,  demnach  Zugspannun- 
gen im  Mauerwerk  in  der  Regel  nicht  auftreten. 
Ausnahmen  sind  zur  Erzielung  einer  zweck- 
mäßigen Ausgestaltung  der  Mauervorderfläche 
und  einer  ausreichenden  Unterstützung  des 
Mauerschwerpunktes  nicht  immer  zu  vermeiden, 
namentlich  nicht  in  der  Bodenfuge,  aber  mög- 
lichst zu  beschränken. 

Werden  für  eine  Reihe  aufeinanderfolgender 
Fugen  die  Erddrücke  auf  die  Hinterflächen 
der  einzelnen  Mauerabschnitte  ermittelt  und  mit 
den  Gewichten  der  Mauerkörper  zwischen  diesen 
Fugen  mittels  eines  Krafteckes  zusammengesetzt, 
so  findet  sich  die  Mittelkraftlinie  für  die 
Stützmauer  (Taf.  IX,  Abb.  23),  mit  deren  Hilfe 
die  Mauerwerksspannungen  und  der  Boden- 
druck in  den  Kantenpunkten  der  einzelnen  Fugen 

,     ,      ^,  •  u  u       K-IOOO       bVx-  1000 

nach  der  Gleichung  ^=iööTy+     iqq.^» 

berechnet  werden  können  {b  =  Fugenbreite). 
Statisch  würde  unter  sonst  gleichen  Um- 
ständen diejenige  Form  die  günstigste  sein,  bei 
der  die  Mittelkraftlinie  für  die  maßgebende 
Belastung  durch  die  Mitte  aller  Fugen  verläuft. 
Das  würde  im  allgemeinen  einen  Querschnitt 
mit  gekrümmten  Begrenzungen  ergeben,  der 
zwar  die  geringste  Mauerwerksmasse  erfordern 
würde,  aber  deshalb  noch  nicht  die  wirtschaft- 
lich richtigste  I^orm  darzustellen  brauchte,  weil 


die  Herstellung  krummer  Wände  mehr  Arbeits- 
lohn kostet  als  die  gerader  oder  gebrochener 
Wände. 

Das  Mauerwerk  der  Stützmauern  ist  gleich- 
mäßig herzustellen;  Lagerfugen  senkrecht  zur 
Vorderfläche,  bei  starken  Mauern  allmählich  in 
die  Wagrechte  übergehend.  Möglichst  großes 
spezifisches  Gewicht,  guter  Verband  und  gutes 
Lager  der  Steine,  kräftige  Binder,  große  Kopf- 
steine in  der  Ansichtsfläche,  guter  Schluß  der 
Fugen  in  der  Vorderfläche  mit  Zementmörtel. 
Das  Fundament  -  in  Erde  0-8-  l'O  m  unter 
Bodenfläche  —  ist  sorgfältig  gegen  Gleiten 
und  Unterspülen  zu  sichern.  Zur  Abführung 
des  sich  hinter  der  Mauer  ansammelnden 
Wassers  sind  Entwässerungskanäle  von  etwa 
10X15  cm  Querschnitt  oder  Röhren  von 
wenigstens  5  cm  Durchmesser  an  richtiger  Stelle 
vorzusehen  und  an  der  Rückseite  mit  wasser- 
durchlässigem Geröll  zu  umpacken.  Bei  zu  er- 
wartender größerer  Feuchtigkeit  50  —  90  cm 
starke  Steinpackung  hinter  der  Mauer  mit 
einer  Sickerrinne  längs  des  Fußes.  Hinterfüllung 
sorgfältig  und  gleichmäßig  in  nahe  wagrechten, 
nicht  zu  starken,  gut  anzustampfenden,  keines- 
falls gegen  die  Mauer  abfallenden  Schichten 
mit  Massen,  die  möglichst  wenig  Druck  ver- 
ursachen —  Sand,  Kies,  Gerolle,  Geschiebe. 
Kopf  der  Mauer  möglichst  widerstandsfähig, 
am  besten  aus  einer  kräftigen  Rollschicht  von 
ausgesuchten  Steinen  zu  bilden,  bei  Backsteinen 
wohl  auch,  wenn  Rollschichten  und  kräftige 
Platten  aus  natürlichen  Steinen  schwer  zu  be- 
schaffen sind,  aus  Backsteinrollschichten.  Schwä- 
chere Platten  leisten  nicht  genügenden  Wider- 
stand gegen  das  Abschieben. 

Die  Hinterfläche  der  Mauer  ist  mit  Mörtel 
auszuschweißen  und  mit  einem  Anstrich  von 
Teer  und  Asphalt  zu  versehen,  bei  Betonmauern 
auchwohldurch2  -  3  Lagen  von  aufzuklebendem 
Asphaltfilz  oder  von  Asphaltpappe  gegen  das 
Eindringen  der  Bodenfeuchtigkeit  zu  schützen. 

Bei  in  Kalkmörtel  hergestellten  Mauern  ist 
zu  empfehlen,  das  Mauerwerk  einige  Wochen 
unverfüllt  stehen  zu  lassen,  damit  es  genügend 
austrocknen  kann. 

Bei  rutschenden,  gefährlichen  Lehnen  kann 
es  zweckmäßig  sein,  etwa  nötig  werdende  Ein- 
schnittsstützmauern vor  der  Aushebung  der 
Einschnittsmassen  aus  einzelnen  Schäften  zu 
bilden,  die  in  bergmännisch  abzusenkenden 
Schächten  aufgemauert  werden. 

Ä^Aufgelöste  (gegliederte)  Mauern  können 
durch  Schwierigkeiten  der  Gründung  veranlaßt 
sein,  die  es  wünschenswert  erscheinen  lassen, 
nur  einzelne  Pfeiler  entsprechend  zu  gründen 
und  die  Mauer  entweder  auf  Grundbögen  zu 
stellen    oder   den   Raum   zwischen   den    hoch- 


250 


Stütz-  und  Verkleidungsmauern.  -   Stufenbahnen. 


geführten  Pfeilern  durch  Gewölbe  mit  wag- 
rechter, senkrechter  oder  schräger  Achslinie  zu 
schließen.  Sie  können  auch  bedingt  sein  durch 
das  Streben  nach  Verringerung  der  .Wauermasse, 
wenngleich  hiermit  heutzutage  nur  in  seltenen 
Fällen  sehr  teurer  Baustoffe  eine  Verringerung 


■'£p<iCp[aHt 


Abb.  250. 


Abb.  251. 


Abb.  252. 


Abb.  253. 


i:iO0. 


der 


T 

V 


Querschnitt. 

-I.t  ^><—  «,# 

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I 


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1^ 


Kosten  verknüpft 
sein  wird,  die  über- 
dies auch  stets  mit  einer 
Erhöhung  der  Unter- 
haltungskosten bezahlt 
werden  muß.  Indessen 
können  dessenungeach- 
tet ausnahmsweise  sta- 
tische Gründe,  nament- 
lich bei  hohen  jWauern 
(10-15  m)  solche 
Planungen  zweckmäßig, 
wenn  auch  nicht  billig, 
erscheinen  lassen  (vgl. 
Taf.  IX,  Abb.  18,  24, 
25).  In  Einzelfällen,  z.  B. 
bei  der  Hochlegung  von 
Eisenbahnen  im  bebau- 
ten Stadtgebiet,  kann 
auch  das  Streben  nach 
Gewinnung  nutzbaren 
Raumes  unter  der  Eisen- 
bahn zu  einer  solchen 
Auflösung  in  weitgehen- 
dem Maß  Veranlassung 
geben  (Taf.  IX,  Abb.  19, 
20,  26).  In  der  Bauweise  selbst  begründet  ist 
sie  bei  allen  Stützmauern  aus  Eisenbeton,  die 
ihrem  Baugrundsatz  nach  aus  einzelnen  Schäften 
bestehen  müssen,  zwischen  die  sich  biegungs- 
fest mit  jenen  verbundene,  lotrechte  und  wag- 
rechte Platten  einschieben  (Abb.  250  —  254). 
Literatur:  v.  Kaven,  Stützmauern  und  Steinbe- 
kleidungen. Dresden  1882.  -   Haeseler,  Konstruk- 


tion der  Stütz-  und  Futtermauern.  Hb.  d.  Ing.  Vt'. 
Leipzig,  Bd.  I,  2.  Teil,  5.  Kapitel.  -  .Müller,  Breslau, 
Erddruck  auf  Stützmauern.  Stuttgart  1Q06.     Lucas. 

Stufenbahnen  (moving  platforms;  plate- 
fortnes  mobiles;  piattafonne  mobile)  werden 
Bahnen  genannt,  wobei  2  oder  mehrere,  mit 
kleinen  Höhenunterschieden  von  etwa  10  cm 
dicht  nebeneinander  liegende  Plattformen,  die 
geschlossene  Ringe  von  beliebiger  Grundriß- 
form bilden,  so  bewegt  werden,  daß  die  erste, 
an  den  feststehenden  Bahnsteig  anschließende 
mit  der  Geschwindigkeit  des  Fußgängers  von 
3-5  km,  Std.,  die  übrigen  Plattformen  nach- 
einander folgend  mit  der  2-,  3-,  4-  und  mehr- 
fachen der  angegebenen  Fußgängergeschwin- 
digkeit dauernd  und  so  bewegt  werden,  daß 
die  Reisenden  gehend  von  der  ersten  bis  auf 
die  letzte,  mit  der  größten  Geschwindigkeit 
bewegte  Plattform  und  vor  Beendigung  der 
Reise  umgekehrt  von  der  letzten  allmählich 
bis  auf  den  festen  Bahnsteig  ohne  Gefahr  ge- 
langen  können. 

Die  letzte  Plattform  kann  für  längere  Fahrten 
auch  mit  Sitzen  versehen  und  gedeckt  sein. 
Nach  der  ursprünglichen  Anordnung  wurden 
die  einzelnen  Plattformen  durch  Vermittlung 
von  Drahtseilen  bewegt,  während  bei  späteren 


üruiidiiß 
Abb.  254. 


Abb.  255. 

Ausführungen  nach  Abb.  255  auf  einer  durch- 
laufenden .^chse  A  die  mit  wachsendem  Durch- 
messer angeordneten  Räderpaare  der  einzelnen 
Plattformen  P  aufgekeilt  wurden,  auf  .denen 
sie  mittels  biegsamer  Schienen  verbunden 
werden,  die  sich  auf  dem  Radumfang  abwickeln 
und  daher  infolge  zunehmenden  Durchmessers 
größere  Geschwindigkeit  erreichen  lassen. 

Der  Antrieb  erfolgle  hierbei  elektrisch. 

Da  Wege-  und  Straßenkreuzungen  in  Bahn- 
höhe undurchführbar  sind,  so  müssen  diese 
Bahnen,  falls  solche  Kreuzungen  erforderlich 
sind,  als  Hoch-  oder  Tiefbahnen  ausgeführt 
werden.  Die  S.,  die  von  den  Gebr.  W.  und 
H.  Rettig  erfunden  wurde,  ist  in  abgeänderten 
Formen  auf  den  Ausstellungsplätzen  in  Chicago 
1893,  dann  in  Berlin  1896  und  in  Paris  1900 
ausgeführt  worden. 

Die  Pariser  S.  hatte  j-Akm  Länge  und  1 1  Sta- 
tionen; sie  wurde  auf  Grund  von  Versuchen 
auf  einer  in  Saint  Ouen  bei  Paris  ausgeführten 
Probestrecke  von  400  m  Länge  ungefähr  in  der 
aus  Abb.  256  ersichtlichen  Weise  mit  2  Platt- 
formen erbaut. 


stufenbahnen.   —  Subventionen. 


251 


Der  feste  Bahnsteig  hatte  M  m,  die  erste, 
mit  3-5  -  4-0  Ä/«/Std.  "bewegte  Plattform  \-Q  m, 
die  zweite,  die  7'0  -  S'O  Ä/n'Std.  Geschwindig- 
keit erreichte,  2  m  Breite.  Der  Antrieb  erfolgte 
elektrisch.  Zur  Unterstützung  dienten  Eisen- 
träger, die  zur  Verminderung  des  Geräusches 
von  Holzjochen  gestützt  wurden. 

Das  Leergewicht  der  beiden  zu  bewegenden 
Plattformen  dürfte  ungefähr  1170/  betragen 
haben. 

Bei  7  ktiij  Std.  Geschwindigkeit  der  äußeren 
Plattform  und  Besetzung  mit  15.000  Personen 
war  der  Kraftverbrauch  etwa  330  Kilowatt,  was 


sehr  gering  ist  gegenüber  dem  Verbrauch  der 
elektrischen  Straßenbahnen  für  die  gleiche  Zahl 
von  Personen. 

Die  Kosten  der  3'Akin  langen  Bahnen  werden 
mit  2-8  Mill.  M.,  daher  für  den  laufenden  m  mit 
800  M.  angegeben. 

Für  Paris  wurde  sodann  eine  10^/«  lange 
Untergrundbahn  als  S.  geplant.  Auch  für  New 
York  wurde  nach  den  Plänen  von  Schmidt 
&  Galiatin  eine  vierstufige  Bahn  mit  größter 
Geschwindigkeit  der  vierten  Plattform  mit 
14"5  /;/«/Std.  in  Aussicht  genommen  und  nach 
Stevenson  eine  S.  mit  19  km/ Std.  Größtge- 
schwindigkeit,  auf  der  in  der  Stunde  84.000  Per- 
sonen befördert  werden  könnten. 

Als  Vorteile  der  S.  sind  hervorzuheben  die 
große  Betriebssicherheit,  die  Vermeidung  der 
Aufenthalte  und  Ansammlung  der  Reisenden 
auf  den  Stationen,  daher  großer  Massenverkehr 
bewältigt  werden  kann;  das  leichte  Verlassen 
der  Bahn  im  Fall  eines  Stillstands,  das  geringe, 
auf  den  Reisenden  entfallende  tote  Gewicht 
und  die  günstige  Ausnützung  der  Betriebs- 
kraft;   dagegen    sind  als    Nachteile   anzusehen 


die  großen  Anlagekosten,  namentlich  infolge 
der  Aufrechthaltung  des  Querverkehrs  und  der 
großen  zu  bebauenden  Fläche,  die  Stillegung 
des  ganzen  Betriebs  bei  Eintritt  einer  Störung 
und  der  Umstand,  daß  der  volle  Betrieb  auch 
in  den  Stunden  schwachen  Verkehrs  aufrecht 
erhalten  werden  muß. 

Bisher  haben  die  S.  keine  weitere  Verbreitung 
gefunden. 

Literatur:  Die  Stufenbahn  nach  amerikanischem 
System.  Leipzig  1896,  Verlag  Oeidel.  -  Kollmann, 
Das  Verkehrswesen  der  Weltausstellung  in  Paris  1000. 
Ztschr.  dt.  Ing.  1900.  -  Die  Stufenbahn.  Railr.  gaz. 
1904:  Railway  Age  1904;  Gen.  civ.  1899.  -  W. 
u.  H.  Rettig,  Patient  für  eine  Stufenbahn.  1888.  - 
Stufenbahn  auf  der  Berliner  Ausstellung.  Glasers 
Ann.  1S96,  Dolczalek. 

Stuhlschienen  (chair-rails;  rails  ä  Cham- 
pignon, rails  ä  coiissinet;  rotai  a  doppio  fiingo), 
Schienen  mit  doppelkopfförmigem  Querschnitt, 
die  in  gußeisernen  Unterlagen  (Stühlen) 
mittels  Keilen  befestigt  werden  (s.  Oberbau). 

Stumpfgleis,  Stutzgleis  (dead-end  siding ; 
voie  en  cid  de  sac;  binario  cieco  o  morto), 
Gleis,  das  nur  von  einem  Ende  her  Weichen- 
anschluß hat,  am  andern  Ende  durch  einen  Prell- 
bock abgeschlossen  ist.  Gleise,  die  zwar  auch 
nur  von  einem  Ende  her  Weichenanschluß 
besitzen,  am  andern  Ende  auf  eine  Dreh- 
scheibe, Schiebebühne,  die  Landebrücke  einer 
Fähranstalt  u.  s.  w.  ausmünden,  pflegt  man 
nicht  als  S.  zu  bezeichnen.  Cauer. 

Stundengelder  s.  Fahrdienstgebühren. 

Stundenpaß  s.  Fahrbericht. 

Subventionen,  im  weitesten  Sinn  Unter- 
stützungen jeder  Art,  die  an  Privatbahngesell- 
schaften seitens  des  Staates,  der  Provinzen,  Ge- 
meinden, anderer  öffentlicher  Körperschaften 
oder  auch  Privater  bei  der  Kapitalbeschaffung 
gewährt  werden.  Gewöhnlich  versteht  man  unter 
S.  kurzweg  die  weitaus  am  häufigsten  vorkom- 
menden Staatssubventionen.  Mit  Ausnahme  Eng- 
lands hat  sich  in  allen  Staaten,  die  nicht  vorweg 
das  Staatsbahnsystem  annahmen  und  insolange 
sie  nicht  zu  letzterem  übergingen,  die  Notwendig- 
keit ergeben,  die  Aktiengesellschaften,  denen  die 
Ausführung  der  Eisenbahnen  übertragen  wurde, 
durch  S.  zu  unterstützen. 

Die  Begründung  der  staatlichen  S.  liegt  zu- 
nächst in  der  Differenz  zwischen  der  direkten 
und  indirekten  Rentabilität  der  Eisenbahnen. 
Vielfach  reicht  die  direkte  Rentabilität,  der  von 
den  Aktionären  aus  dem  Betrieb  der  Bahn  zu 
ziehende  Gewinn,  nicht  hin,  um  die  Kapitalisten 
zur  Anlage  ihrer  Kapitalien  in  dieser  Weise  zu 
bewegen.  Will  nun  der  Staat  nicht  auf  die 
Vorteile,  die  nicht  genügend  rentierende  Bahn- 
linien in  volkswirtschaftlicher,  politischer  und 
strategischer  Beziehung  bieten,   verzichten,  so 


252 


Subventionen. 


bleibt  nichts  übrig,  als  eine  entsprechende 
Unterstüt/ung  zu  gewähren  und  so  das  Kapital 
heranzuziehen,  wenn  der  Staat  nicht  selbst  den 
Bau  und  Betrieb  der  Bahnen  übernehmen  kann 
oder  will. 

Die  gewährten  S.  sind  in  den  einzelnen  Län- 
dern nach  Umfang,  Höhe  und  Methode  außer- 
ordentlich verschieden.  Während  Österreich, 
Frankreich,  Italien,  Spanien  und  Rußland  in 
großem  Maßstab  S.  gewährten,  blieben  diese 
in  den  meisten  deutschen  Staaten  ziemlich  be- 
schränkt, teils  wegen  des  Vorherrschens  der 
Staatsbahnen,  teils  aber  auch  wegen  einer  ge- 
wissen Abneigung  gegen  das  ganze  System. 
Was  die  Methoden  der  S.  anbelangt,  so  ist 
zunächst  zu  unterscheiden  zwischen  den  posi- 
tiven und  negativen  S.  Positive  S.  sind  jene, 
die  in  einer  direkten  vermögensrechtlichen 
Leistung  zu  gunsten  der  zu  unterstützenden 
Bahngesellschaft  bestehen,  während  bei  nega- 
tiver S.  die  betreffenden  Gesellschaften  von  ge- 
wissen, ihnen  sonst  obliegenden  Lasten,  also 
namentlich  Steuern,  befreit  werden.  Unter  den 
positiven  S.  sind  wieder  solche  zu  unterscheiden, 
die  ohne  eine  unmittelbare  Gegenleistung  der 
Gesellschaft,  also  gewissermaßen  ä  fonds  perdu 
gewährt  werden,  und  solche,  bei  denen  im 
bestimmten  Verliältnis  zur  gewährten  S.  ste- 
hende Gegenleistungen  der  Gesellschaft  bedun- 
gen werden.  Die  einfachste  Form  der  S.  der 
ersten  Art  bilden  die  Landschenkungen. 
Diese  erfolgen  entweder  in  geringem  Umfang, 
beschränkt  auf  die  für  den  Bau  selbst  not- 
wendigen Grundstücke,  wo  sie  dann  zumeist 
von  Bezirken,  Gemeinden  oder  Privaten  ge- 
leistet werden.  Oder  aber  es  werden  der  Ge- 
sellschaft große  Landstrecken  zur  Verfügung 
gestellt,  was  freilich  nur  dort  möglich  ist,  wo 
unbesiedeltes  Land  vorhanden  ist.  In  großem 
Umfang  wurde  diese  Art  der  S.  angewendet 
in  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika,  wo 
vom  Kongreß  der  „Land-grants"  für  die  Pacific- 
Linien  großartige  Landschenkungen  bewilligt 
wurden  (s.  Art.  Grant). 

Eine  andere  Subventionsmethode  mit  Natural- 
leistungen wurde  durch  das  Ges.  vom  11.  Juni 
1842  in  Frankreich  eingeführt.  Darnach  stellte 
der  Staat  den  ganzen  Unterbau  und  die  Hoch- 
bauten her,  wobei  Departements  und  Gemein- 
den 2^3  der  Kosten  der  Grundeinlösung 
tragen  mußten.  Der  Gesellschaft  erübrigte  nur 
die  Legung  des  Oberbaues  und  die  Beschaffung 
des  Betriebsmaterials.  Die  kurze  Dauer  der 
Konzessionen  (50  Jahre)  und  der  Anteil  des 
Staates  an  den  Reinerträgnissen  bot  kein  ent- 
sprechendes Entgelt  für  die  enormen  Kosten 
dieser  Subventionsmethode,  und  sie  wurde 
schon    1845  aufgegeben. 


Zu  den  S.  ä  fonds  perdu  gehört  endlich  noch 
die  Gewährung  von  Baukostenbeiträgen  ohne 
Rückzahlung,  sei  es,  daß  diese  Beiträge  in  einer 
Pauschsumme  für  die  ganze  Bahn  oder  nach 
der  Längeneinheit  bestimmt  werden,  oder  daß 
ein  prozentueller  Anteil  der  wirklichen  Baukosten 
vom  Staat  getragen  wird.  Diese  Methode  wurde 
in  größerem  Umfang  namentlich  in  Frankreich 
und  Spanien,  in  geringerem  Maß  in  Deutsch- 
land und  Österreich  angewendet.  Auch  die  von 
Deutschland,  Italien  und  der  Schweiz  gemeinsam 
gewährte  S.  für  die  Gotthardbahn  wurde  in 
dieser  Weise  veranlagt,  wobei  auch  deutsche 
Privatbahnverwaltungen   Beiträge  leisteten. 

Im  Gegensatz  zu  den  bisher  erwähnten 
Subventionsformen  stehen  jene,  bei  denen  die 
subventionierte  Gesellschaft  nicht  nur  natur- 
gemäß einer  erweiterten  Staatsaufsicht  unter- 
worfen, sondern  auch  verpflichtet  wird,  die 
erhaltene  S.  in  irgend  einer  Form  rückzuer- 
setzen.  Dahin  gehören  nun  die  Darlehen  und 
Bauvorschüsse  in  ihren  \erschiedenen  Formen, 
dann  aber  in  den  meisten  Fällen  auch  die  Er- 
trags- oder  Zinsengaranfie  (s.  Ertragsgarantie). 
Die  Modalitäten,  unter  denen  Darlehen  an 
Eisenbahngesellschaften  gewährt  wurden  und 
noch  werden,  sind  außerordentlich  verschieden. 
Ihre  Höhe  wird  entweder  im  ganzen  bestimmt 
oder  auch  nach  einer  Finheitssumme  i.d.km. 
Sie  werden  weiters  entweder  unverzinslich 
oder  verzinslich  gewährt.  Die  Rückzahlung 
erfolgt  entweder  zu  bestimmten  Fiisten  oder 
auch  nur  nach  Maßgabe  der  Betriebsüber- 
schüsse. Die  verzinslichen  Vorschüsse  erfolgen 
wieder  entweder  ohne  besondere  Formen 
oder  gegen  Übernahme  eines  Teiles  der  aus- 
gegebenen Aktien  oder  Prioritäten,  gewöhnlich 
unter  Verzicht  auf  einen  Teil  der  Verzinsung. 
Die  Übernahme  von  Aktien  ist  zwar  streng 
juristisch  nicht  zu  den  Anlehen  zu  zählen,  hat 
aber  doch  zumeist  eine  wesentlich  gleiche 
Wirkung.  Die  Gewährung  von  Darlehen  ohne 
Übernahme  von  Titres  findet  sich  zumeist  in 
Frankreich,  wo  ja  überhaupt  die  verschiedenen 
Subventionsmethoden  am  meisten  entwickelt 
sind,  und  in  Spanien.  In  Preußen  war  namentlich 
die  Übernahme  von  Aktien  seitens  des  Staates 
beliebt.  Sie  erfolgte  beispielsweise  bei  der  Köln- 
Mindener,  der  niederschlesischen  (Frankfurt- 
Breslau),  der  oberschlesischen  (Aktien  lit.  B), 
der  Stargard-Posener  Bahn  (^Z,  des  Aktien- 
kapitals), bei  der  Thüringer  Bahn,  der  Bergisch- 
märkischen,  der  Berlin-Anhalter,  der  Berlin- 
Hamburger  und  bei  der  Berlin-Stettiner  Bahn. 

In  großem  Maß  wurde  die  Anlehensmethode 
in  Osterreich  angewendet,  u.  zw.  zumeist  in 
solchen  Zeiten,  wo  die  Beschaffung  der  Mittel 
infolge  der  Verhältnisse  des  Geldmarktes  sehr 


Subventionen.   -   Südnorddeutsche  Verbindungsbahn. 


253 


erschwert  war.  So  1859  Kaiserin-Elisabeth-Bahn, 
1866/67  Franz  Josefsbahn,  böhmische  Nord- 
bahn, Kronprinz-Rudolf-Bahn  (durchwegs  Bau- 
vorschüssegegen  Aktien),  später  I'ilsen-Priesener, 
Buschteiirader,  ungarisch-galizische,  Prag-Duxer, 
niederösterreichische  Südwestbahnen  u.  s.  w. 
(Anlehen  teils  gegen  Aktien,  teils  gegen  Priori- 
tätsobligationen). In  großem  Maßstab  erfolgte 
die  Übernahme  von  Aktien  und  Obligationen 
durch  den  Staat  auch  in   Rußland. 

In  den  Ländern,  in  denen  das  Staatsbahn- 
system vorherrscht,  und  auch  anderwärts  erfolgt 
in  neuerer  Zeit  die  Erteilung  von  S.  fast  aus- 
schließlich nur  mehr  für  Bahnen  untergeordneter 
Bedeutung  (s.  Art.  Lokalbahnen). 

Sudan  s.  Ägypten. 

Südafrikanische  Bahnen  s.  Britisch- 
Südafrika. 

Südafrikanische  Union  s.  Britisch-Süd- 
afrika. 

Südaustralien,  englische  Kolonie,  zum 
australischen  Bund  (common  wealth  of  Australia) 
gehörig,  2,3A\.b\l  krn^,  434.000  Einwohner. 
Landgrenzen:  Westaustralien,  Queensland,  Neu- 
südwales, Victoria,  im  Süden  der  Indische  Ozean, 
an  dem  auch  die  Hauptstadt  Adelaide  liegt. 
Die  erste  Eisenbahn  von  City  of  Adelaide  nach 
Port  Adelaide  wurde  am  21.  April  1854  eröffnet 
und  im  folgenden  Jahr  von  Adelaide  nach  Salis- 
bury,  im  Jahre  1860  bis  Kapanda  fortgesetzt. 

Die  meisten  Bahnen  sind  Staatsbahnen; 
ihre  Entwicklung  ergibt  sich  aus  folgender 
Tabelle''.  Außer  den  Staatsbahnen  besteht  eine 


von  ihnen  am  I.Januar  abgetrennte  Bundesbahn 
von  Port  Augusta  nach  Oodnadatta  (769  km). 
Die  einzige,  in  S.  früher  vorhandene  Privatbahn 
von  Palmerstone  nach  Pine  Creek  (234  km)  ist 
gleichfalls  am  I.Januar  1911  in  das  Eigentum 
des  Bundes  übergegangen.  Der  Betrieb  dieser 
Bundesbahnen  ist  an  die  Staatsbahnen  ver- 
pachtet. 

Von  den  im  Jahre  1913  vorhandenen  Staats- 
bahnen sind  1  163  km  breitspurig  (Lö  m)  und 
1566  Ä/«  haben  die  schmale  (Kap-)  Spur  von 
P067  m.  Die  Bundesbahnen  sind  schmalspurig. 

Seit  langer  Zeit  schweben  2  Pläne  zur 
Erschließung  von  S.  durch  2  große  Überland- 
bahnen. Die  eine,  die  Nordbahn,  soll  Austra- 
lien von  Norden  nach  Süden  durchqueren 
und  die  Häfen  Port  Darwin  und  Port  Augusta 
verbinden.  Im  Zusammenhang  mit  diesem 
Bahnbau  steht  der  Übergang  der  beiden  vorer- 
wähnten Bahnen  in  das  Eigentum  des  Bundes. 
Zu  bauen  ist  noch  die  Strecke  Pine  Creek  (im 
Norden)  nach  Oodnadatta  (Süden).  Bei  dem  zwei- 
ten Plan  handelt  es  sich  um  eine  Bahn,  die  den 
Südwesten  Australiens  (Perth)  mit  dem  Südosten 
(Melbourne)  verbinden  soll.  Von  dieser  Bahn 
wäre  noch  die  Strecke  von  Kalgoorlie  nach  Port 
Augusta  zu  bauen.  Durch  den  Bau  dieser  beiden 
Bahnen  würde  das  australische  Eisenbahnnetz  um 
3529  km  vergrößert.  Wie  weit  diese  Pläne  aus- 
geführt sind,  ist  nicht  bekannt  (vgl.  Proposed 
transcontinental  Railway  from  Kalgoorlie  to  Port 
Augusta,  Melbourne  1903;  Arch.  f.  Ebw.  1904, 
S.  447/48).  v.derLeyen. 


Entwicklung  der  Staatsbahnen   18S0-1913. 


Jahr 

Länge 
km 

Anlagekapital 

Einnahmen             Ausgaben 

ÜberschuS 

Betriebszahl 

Verzinsung 

1880 

1890 

1900 

1905 

1911 

1912 

1913 

731 
2591 
2794 
2809 
3076 
2345 
2719 

3,073.388 
10,302.472 
13,070.087 
13,587.406 
14,352.602 
13,644.155 
14,178.485 

369.845 
1,043.878 
1,166.987 
1,273.321 
1,840.399 
2,090.563 
2,222.431 

242.527 

529.005 

657.841 

736.796 

1,069.140 

1,293.987 

1,398.775 

514.473 
509.146 
536.530 
771.259 
796  516 
828.611 

50-68 
56-37 
57-86 
6066 
61-89 
62-71 

5-03 
3-91 
3-95 
5-37 
6-05 
5-84 

Südnorddeutsche       Verbindungsbahn 

(285'073  km),  in  Böhmen  gelegene,  eingleisige, 
normalspurige  Hauptbahn,  ehemals  Privatbahn 
mit  dem  Sitz  in  Wien,  seit  1908  gleichzeitig 
mit  der  österreichischen  Nordwestbahn  (s.  d.), 
die  (seit  1869)  bis  zu  diesem  Zeitpunkt  auch 
'den   Betrieb   der  S.  geführt  hatte,   vom   Staat 

'  Die  Zahlen  sind  nicht  unmittelbar  vergleichbar, 
weil  das  Jahr,  für  die  sie  in  der  amtlichen  Statistik 
aufgestellt  sind,  wiederholt  gewechselt  hat.  Der  Rück- 
gang in  der  Länge  u.  s..w.  von  1911  auf  1912  hat 
seine  Gründe  in  dem  Obergang  der  Strecke  Port 
.  Augusta-Oodnadatta  in  den  Besitz  des  Bundes. 


angekauft  und  am  1 5.  Oktober  1 909  in  Staats- 
betrieb übernommen.  Die  S.  umfaßt  die  eigenen 
Linien  Pardubitz-Reichenberg-Reichsgrenze  bei 
Tschernhausen  (200-1 06  A/n),  Josefstadt-Reichs- 
grenze bei  Königshan  (62-552  km),  Eisenbrod- 
Tannwald  (17'72I  km)  und  die  gepachteten 
Strecken  Reichsgrenze  bei  Tschernhausen- 
Seidenberg  (2-066  km)  und  Reichsgrenze  bei 
Königslian-Liebau  (2-628  km). 

Die  Stammstrecke  der  S.  ist  die  Linie 
Pardubitz-Reichenberg.  Die  Konzession  für  den 
Bau  und  Betrieb  dieser  Bahn  einschließlich  einer 


254 


Südnorddeutsche  Verbindungsbahn.   -   Szämostalbahn. 


Flügelbahn  von  Jaromef  und  Schwadowitz  er- 
folgte 1856  unter  Zusicherung  der  staatlichen 
Zinsengarantie.  Die  Eröffnung  des  Betriebs 
erfolgte  1857-59.  1865  erhielt  die  Gesellschaft 
die  Konzession  für  die  Bahn  von  Schwadowitz 
nach  Königshan  (eröffnet  1868).  1868  wurde 
der  S.  und  Konsorten  die  Konzession  der  öster- 
reichischen Nordwestbahn  verliehen,  die  1871 
an  die  Gesellschaft  der  österreichischen  Nord- 
westbahn (s.  d.)  überging.  1872  erfolgte  die 
Konzessionieriing  der  Linie  Reichenberg-Reichs- 
grenze bei  Seidenberg  nebst  der  Flügelbahn 
Eisenbrod-Tannwald,  gleichfalls  unter  Zu- 
sicherung der  Zinsengarantie.  Die  Eröffnung 
der  Linien  Reichenberg-Seidenberg  und  Eisen- 
brod-Tannwald hat  1875  stattgefunden.  1888 
bzw.  1889  übernahm  die  S.  den  Betrieb  der 
Lokalbahnen  Reichenberg-Gablonz  und  Königs- 
han-Schatzlar.  Auf  Grund  des  mit  Ges.  vom 
27.  März  1909  genehmigten  Übereinkommens 
vom  21.  Oktober  1908  erwarb  die  Staatsver- 
waltung das  gesamte  Vermögen  der  S.,  ins- 
besondere das  Eigentum  an  den  konzessionierten 
Linien  und  übernahm  anderseits  alle  Lasten, 
hauptsächlich  die  Anlehen  (Restbetrag  aus  der 
Beteiligung  der  S.  mit  ursprünglich  63  Mill.  K 
an  der  Lotterieanleihe  der  österreichischen 
Kreditanstalt  für  Handel  und  Gewerbe),  ferner 
die  noch  nicht  getilgten  Obligationen  des  von 
der  S.  1892  aufgenommenen  Prioritätsanlehens 
von  ursprünglich  48  Mill.  K.  Außerdem  gewährte 
dieStaatsverwaltungfür  jede  Aktie  den  Umtausch 
gegen  den  Nennbetrag  von  425  K,  für  jeden 
Genußschein  den  Umtausch  gegen  den  Nenn- 
betrag von  1 5  K  in  auf  400  K  oder  ein  Vielfaches 
hiervon  lautende,  zu  4%  verzinsliche  Eisenbahn- 
staatsschuldverschreibungen. 


Sumatra,  Eisenbahnen.  S.  ist  die  zweit- 
größte der  Großen  Sundainseln,  durch  die 
Malakkastraße  im  NO.  von  der  Malayischen 
Halbinsel,  durch  die  Sundastraße  im  S.  von 
Java  geschieden;  433.795  km^,  etwa  3,6  Mill. 
Einwohner.  Das  Land  wird  in  seinem  westlichen 
Teil  von  einer  wilden  Gebirgskette  durchzogen. 
Die  Osthälfte  ist  eine  sumpfreiche,  von  vielen 
z.  T.  schiffbaren  Flüssen   durchzogene   Ebene. 

Die  erste  Eisenbahn  an  der  Westküste  von 
Port  Emma  und  Padang  nach  Fort  de  Kock 
mit  einer  Abzweigung  von  Kubu-Puding  nach 
Lunto  (179,5 /fem)" ist  am  I.Juli  1891  eröffnet 
worden.  Sie  ist  zur  Förderung  der  Ausbeute 
der  reichen  Ombilien-Kohlenfelder  gebaut  wor- 
den, eine  gemischte  Reibungs-  und  Zahnstangen- 
bahn nach  System  Riggenbach.  Spurweite 
1,067/«.  Eine  zweite  kleinere  Eisenbahn  führt 
an  der  Ostküste  von  Deli-Bag  an  der  Mün- 
dung des  Deliflusses  in  das  Innere  des  Landes, 
sie  ist  1895  im  wesentlichen  fertiggestellt. 
Im  Jahre  1911  ist  von  den  Generalstaaten 
der  Niederlande  der  Bau  einer  Südbahn  zur 
Verbindung  der  Handelsplätze  Telak  Betong 
an  der  Südküste  der  Insel  und  Palembang 
beschlossen  worden.  Auf  dem  Wege  liegt  das 
wichtige  Handelszentrum  Batoeradja,  eine  Zweig- 
bahn soll  nach  dem  Hinterland  Mocara  Enim 
führen.  Die  Bahn  soll  38  .Mill.  Gulden  kosten, 
die  zu 

und    zu  Yj   von 
Regierung  zu  tragen  sind;  sie  sollte  in  späte- 
stens 6  Jahren  fertig  sein. 

Die  Statistik  der  Eisenbahnen  in  S.  wird 
regelmäßig  veröffentlicht  in  dem  amtlichen 
Verslag  der  Staatsspoorwegen  in  Nederländisch- 
Indie.  Dieser  sind  folgende  Zahlen  entnommen: 


■"y  von  der  niederländischen  Regierung 
6/    ,,r.n    der   niederländisch-indischen 


1907 


1910 


1911 


1912 


1913 


1914 


Länge km 

Anlagekapital fl. 

Einnahmen „ 

Davon :  Personenverkehr  .   „ 
Güterverkehr    .    .   „ 

Ausgaben      „ 

Betriebszahl % 


210 

21,170.883 

1,684.150 

341.491 

1,146.951 

1,116.790 

66-3 


245 

22,731.572 

1,846.088 

403.433 

1,265.394 

1,125.477 

61 


Supergabahn  s.  Bergbahnen  u.  Seil- 
hahnen. 

Surinam    s.    Niederländisch-Guayana. 

Suttenbildung  s.  Oberbau. 

Szämostalbahn  (Szämosvölgyi  vasiit),  in 
Siebenbürgen  gelegene  normalspurige  Privat- 
lokalbahn mit  dem  Sitz  der  Gesellschaft  in 
Des,    umfaßt    die   Strecken    Apahida-Des    (er- 


245 

22,985.715 

1,967.163 

486.953 

1,236.662 

1,250.836 

63-6 


245 

23,298.776 

2,215.810 

585.488 

1,203.907 

1 ,305.696 

58-9 


245 

23,733.684 

2,386.555 

687.193 

1,253.470 

1,343  893 

56-3 


245 

23,869.760 

2,564.945 

729.171 

1,304.092 

1,417.247 

55-3 


v.  der  Leyen. 

öffnet  1881,  4()-7  km),  die  Salzbahn  Des-De- 
sakna  (2-9  km,  eröffnet  1882),  ferner  die  Linien 
Des-Besztercze  (60-2  km,  eröffnet  1886),  Des- 
Zilah  (98-9  km,  eröffnet  1890),  Besztercze- 
Borgöbesztercze  (29-7  km,  eröffnet  1898),  zu- 
sammen 238  km. 

Außerdem  hat  die  S.  in  Mitbetrieb  die  Linien 
Apahida-Kolozsvär     der     ungarischen    Staats- 


Szämostalbahn.   ~  Tachymetrie. 


25d 


bahnen  (12-6  km)  und  Zilah-Einmündung  der 
S.  (2-6  km). 

Das  Gesamtnetz  erreicht  daher  die  Länge  von 
253-6  km;  ferner  betreibt  die  S.  2  fremde  Lokal- 
bahnen in  der  Länge  von  I4ö'8  km  (Z^bo- 
Nagybänyes  und  Naszödvideker  Lokalbaimen). 

Das  Anlagekapital  beträgt  33-6  Mill.  K,  die 
Dividende  durchschnittlich  5  ",o . 


Die  Linien  der  S.  haben  große  Bedeutung 
für  die  Ausbeutung  der  mächtigen  Waldgebiete 
und  Bergwerke  in  ihrem  Bereich. 

Anschluß  hat  die  S.  in  Kolozsvär  (Klausen- 
burg) und  Apahida  an  die  ungarischen  Staats- 
bahnen, in  Zilah  an  die  Szilagysäger  und  in 
Sajörnagyaros  an  die  Marosludas-Beszterczeer 
Lokalbahn. 


T. 


Tachymetrie. 

Einleitung.  Unter  T.  versteht  man  die 
rasche  Vermessung  von  Gebieten  nach  Lage 
und  Höhe  zum  Zweck  der  Herstellung  von 
Plänen  mit  Höhenlinien  für  technische  Auf- 
gaben oder  von  Karten  kleineren  Maßstabs 
—  topographische  Karten  —  für  allgemeine 
Zwecke.  Der  Unterschied  gegen  andere  Meß- 
methoden besteht  in  der  Anwendung  der 
optischen  Entfernungsmessung. 

Die  Feld  aufnähme  erfolgt  nach  Poiar- 
koordinaten,  die  Längenbestimmung  durch  das 
entfernungsmessende  Fernrohr  mit  Distanzlatte. 
Den  mittleren  Fehler  der  Lagebestimmung  eines 
Meßpunktes  bis  zu  etwa  400  m  Entfernung 
vom  Instrument  kann  man  bei  der  gewöhnlichen 
Meßart  mit  Ablesung  der  Latte  auf  cm,  mit 
der  Entfernung  von  0-3  -  0-6  m  wachsend 
veranschlagen;  der  Höchstfehler  ist  3mal  größer 
zu  nehmen.  Die  schärfere  Lattenablesung  auf 
mm,  anwendbar  bis  gegen  100/n  Entfernung, 
gibt  den  ebenfalls  mit  der  Entfernung  zu- 
nehmenden mittleren  Fehler  von  0-15-  0'25  m. 
Die  Genauigkeit  der  Höhenmessung  gewöhn- 
licher Meßpunkte  findet  in  der  natürlichen 
Unebenheit  des  Bodens,  also  in  etwa  0-1  m, 
ihre  praktische  Grenze.  Wechselpunkte  für  den 
Instrumentenstand  werden  schärfer  gemessen, 
weil  sich  ihre  Fehler  übertragen. 

Da  es  sich  meist  um  ausgedehnte  Gebiete 
handelt,  sind  den  Tachymeteraufnahmen  ge- 
nauere Vermessungen  zu  gründe  zu  legen: 
für  die  Lage  ein  Dreiecknetz,  nach  Bedarf  mit 
Einfügung  von  Polygonzügen;  für  die  Höhe 
Nivellementszüge  längs  Tälern  und  Höhen,  mit 
Ergänzung  durch  trigonometrische  Höhen- 
messung. Die  Festpunkte  für  Lage  und  für 
Höhe  brauchen  nicht  identisch  zu  sein.  Zwischen 
diese  Festpunkte  in  Entfernungen  von  1  —  3  äot 
sind  Tachymeterzüge  mit  der  Flächenpunkt- 
messung  einzuschalten.  Die  Höhenmessung 
hat  bei  Tachymeteraufnahmen  eine  größere 
Bedeutung  als  die  Bestimmung  der  Lage.  Wenn 
der  Lageplan  schon  vorhanden  ist,  erübrigt 
sich  die  Dreiecksmessung. 

Instrumente  und  Meßmethoden.  Zu 
Tachymetermessungen    kann    jeder    Universal- 


theodolit mit  Distanzfäden  im  Fernrohr  und 
jede  Nivellierlatte  benutzt  werden.  Die  Haupt- 
eigenschaften der  Meßart:  rasche  Aufnahme 
großer  Gebiete,  also  Beweglichkeit,  ferner  die 
Einschränkung  der  Genauigkeit  der  Winkel- 
messung auf  das  durch  die  optische  Distanz- 
messung gegebene  Maß  geben  die  Anhaltspunkte 
für  die  Umgestaltung  des  Universaltheodolits 
wie  für  die  Nivellierlatte,  auch  für  die  Einrichtung 
der  Meßmethode  für  die  T.  Die  Messung  geht 
bergauf  und  -ab  bei  raschem  Wechsel  der 
Standpunkte,  sie  führt  durch  Feld  und  Wald 
und  ist  auch  bei  weniger  gutem  Wetter  vor- 
zunehmen. Der  Tachymetertheodolit  (Abb.  257) 
muß  also  leicht  und  zugleich  feldfest  sein ;  er  soll 
mit  Stativ  nur  wenige  kg  wiegen  und  darf  leicht 
verletzliche  Teile  nicht  enthalten.  Das  Stativ 
braucht  nur  eben  so  stark  zu  sein,  daß  das 
Instrument  auch  bei  stärkerem  Wind  nicht 
zittert;  eine  Vorrichtung  zum  Zentrieren  des 
Instruments  muß  das  Stativ  nicht  notwendig 
haben.  Da  eine  auf  die  Kippachse  des  Fernrohrs 
aufsetzbare  Kreisbussole  mit  kräftiger  Bezifferung 
und  Einteilung  in  volle  Grade  vorhanden  sein 
muß,  ist  das  Instrument  und  Stativ  eisenfrei 
herzustellen.  Doch  kann  die  Stehachse  des 
Instruments  aus  Stahl  sein,  da  deren  Einwirkung 
auf  die  ebenfalls  zentrisch  sitzende  Magnetnadel 
belanglos  ist.  Die  rasche  Messung  erfordert 
eine  Dosenlibelle  zur  Horizontierung  und  eine 
mit  dem  Nonius  fest  verbundene,  durch  Fein- 
schraube drehbare  Höhenwinkellibelle;  auch 
muß  auf  dem  Fernrohr  eine  Nivellierlibelle 
sitzen.  Das  Fernrohr  soll  so  lichtstark  sein, 
daß  man  die  in  cm  geteilte  und  nach  dm 
bezifferte  Latte  bis  gegen  100  m  Entfernung 
noch  auf  mm,  die  in  dm  geteilte  und  groß 
bezifferte  Latte  bis  auf  400  m  auf  cm  ablesen 
kann.  Das  Instrument  ist  für  Horizontal-  und 
Vertikalwinkelmessung  und  zum  Nivellieren 
vollständig  zu  berichtigen,  da  man  nur  in  einer 
Fernrohrlage  mißt.  Der  Beobachter  soll  alle 
Ablesungen  am  Instrumente  machen  können, 
ohne  seinen  Standort  ändern  zu  müssen;  darnach 
ist  die  Ablesestelle  am  Horizontal-  und  am 
Vertikalkreis  zu  wählen  und  die  Abschrägung 
des  Vertikalkreises  zu   bemessen.    Die    Kreise 


256 


Tachymetrie. 


sind  je  nur  an  einer  Stelle  abzulesen  mit 
Lupen,  die  am  Instrument  befestigt  sind,  die 
Ablesung  am  Vertikalkreis  ist  auf  volle  Minuten 
zu  machen,  am  Horizontalkreis  entweder  ebenso 
oder  nur  auf  Zehntelgrade;  vorteilhaft  ist  eine 
besondere  Ablesestelle  mit  Strichablesung  für 
den  Horizontalkreis  etwas  seitlich  der  Fernrohr- 
ebene. Die  Genauiokeitsstufe  der  optischen 
Distanzmessung  entspricht  der  Bestimmung  der 
Horizontalrichtung  auf  Zehntelgrade.  Deshalb 
kann  man  fast  immer,  wenigstens  für  ein- 
geschaltete Züge,  den  Horizontalkreis  durch 
die  Bussole  ersetzen   und   trotz  der  täglichen 


Abb.  257.  Tachymetertheodolit. 

Variation  und  der  Störungen  die  Richtungen 
magnetisch  bestimmen.  Man  liest  die  hochkant- 
gestellte Balkennadel  nur  am  Nordende  ab, 
hat  aber  auf  gute  Erhaltung  von  Pinne  und 
Hütchen  zu  achten,  also  die  Nadel  vor  jedem 
Wechsel  zu  sperren.  Außerdem  ist  erforderlich, 
daß  die  Bussole  stets  gleich  und  unverändert 
auf  der  Kippachse  sitzt.  Ein  kleiner  Kreuzungs- 
winkel von  Null  in  der  Kompaßteilung  und 
Zielachse  (Orientierungsfehler)  schadet  nicht, 
wichtig  ist  nur,  daß  dieser  Winkel  unverändert 
bleibt.  Die  tägliche  Schwankung  der  .Magnet- 
nadel beeinträchtigt  die  Genauigkeit  der  Züge 
nur  wenig.  Die  Größe  dieser  Schwankung 
beträgt  im  Durchschnitt  in  55°  nördlicher 
Breite  im  Sommer  0'2'',  im  Winter  die  Hälfte. 
Bei   Abnahme  der   Breite    um   3**   nimmt  die 


Schwankung  um  1'  ab.  Auf  Ortszeit  bezogen 
hat  die  westliche  Deklination  ihren  geringsten 
Betrag  morgens  7  Uhr,  ihren  höchsten  mittags 

1  Uhr;  durch  die  Mittellage  geht  sie  um  10  Uhr 
vor-  und  6  Uhr  nachmittags.  Der  einzelne 
Tagesverlauf  kann  einige  Minuten  vom  durch- 
schnittlichen abweichen ;  außerdem  ist  die  Magnet- 
richtung öfters  kurzen  unregelmäßigen  Ab- 
weichungen unterworfen;  diese  Störungen  sind 
aber  selten  groß  und  dann  bei  der  Mes^img 
zu  erkennen.  Bei  eingeschalteten  oder  an  feste 
Richtungen  angeschlossenen  Zügen  fällt  die 
magnetische  Mißweisung  heraus,  es  bleibt  nur 
eine  kleine  Ausbiegung  infolge  der  Variation 
zurück.  Muß  man  ohne  gegebene  Anschluß- 
richtung messen,  so  entnimmt  man  für  nicht- 
eingeschaltete Bussolenzüge  die  Deklination  für 
die  betreffende  Zeit  einer  magnetischen  Karte. 
Zur  Reduktion  auf  191 8-0  muß  man  in  den 
„Magnetischen  Karten  von  Norddeutschland 
(von  Ad.  Schmidt)  und  Südwestdeutschland 
(von  Nippoldt)  für  1909"  (Veröff.  des  kgl. 
preuß.  Meteorol.  Inst.  Nr.  217,  224,  276,  erstere 
Karte  auch  in  Jordan-Eggert,  Bd.  II,  8.  Aufl., 
S.  792)  der  westlichen  Deklination  den  Betrag 
—  10  21'  hinzufügen;  in  den  „Magnetischen 
Übersichtskarten  von  Deutschland  für  1912" 
(von  Haußmann;  in  Petermanns  Mitt.  1913, 
1.  Halbband)  sind  die  Werte  um  —57'  zu 
ändern.  Die  jährliche  Abnahme  der  westlichen 
Deklination  beträgt  für  die  Gegend  von  Berlin 
gegenwärtig  9'. 

Die  Distanzlatte  muß  leicht  sein,  sie  ist  meist 
auf  der  einen  Seite  als  Nivellierlatte  ausgebildet, 
auf  der  andern  in  dm  oder  deren  Hälfte  ge- 
teilt und  mit  großen  Ziffern  für  die  m  versehen. 
Gewöhnlich  ist  die  Latte  4  m  lang,  mit  Dosen- 
libelle versehen;  für  Aufnahmen  in  kleineren 
Kartenmaßstäben,  bei  großer  Multiplikations- 
konstante und  ■'/2  dm-lt\\\mg  auch  wohl  nur 

2  m  lang.  Zum  Ruhighalten  der  4  m-Latte  bei 
schärferen  Messungen  wird  ein  leichter  Stab 
als  Strebe  benutzt.  Zum  Einmessen  von  Einzel- 
heiten zwischen  die  Tachymeterpunkte,  ins- 
besondere bei  Meßtischaufnahmen  wird  Schritt- 
zähler, Handbussole  und  Aneroid,  auch  wohl 
Meßband  und  Gefällmesser  verwendet.  Bei 
großen  Höhenunterschieden  und  gegebener 
Lage  wird  das  Aneroid  zur  barometrischen 
Höheneinschaltung  ausgiebig  benutzt. 

Optische  Entfernungsmessung.  Im  all- 
gemeinen wird  der  Reichenbachsche  Distanz- 
messer venvendet.  Gleich  weit  entfernt  vom 
wagrechten  Mittelfaden  sind  auf  der  Eaden- 
platte  2  gleichlaufende  Distanzfäden  gespannt. 
Wenn  die  Latte  senkrecht  zur  Mittelvisur  ge- 
stellt wird,  so  ist,  vom  vorderen  Brennpunkt 
der   Objektivlinse    (anallaktischer    Punkt)    aus 


Tachymetrie. 


257 


gezählt,  die  Entfernung  D  zur  Latte  propor- 
tional dem  Lattenabschnitt  /  zwischen  den 
Distanzfäden,  es  ist  also  D  =^k- 1.  Die  Multi- 
plikationskonstante k  wird  aus  bekannten  Ent- 
fernungen bestimmt,  indem  man  auf  wagrechter 
Linie  vom  vorderen  Brennpunkt  der  Objektiv- 
linse  aus  runde  Strecken  von  40-80/«  ab- 
mißt, für  diese  das  Lattenstück  /  auf  mm  genau 
bestimmt  und  daraus  zunächst  l/A  berechnet. 
Gewöhnlich  nimmt  man  Ä^IOO,  für  Auf- 
nahmen in  kleinerem  Kartenmaßstab  auch  wohl 
k  =  200,  Werte,  die  der  Mechaniker  recht 
genau  einhalten  kann.  Die  Entfernung  der  Latte 
vom  Aufstellungspunkt  ist  um  die  Strecke  c 
von  der  Kippachse  zum  vorderen  Brennpunkt 
größer  als  D.  Die  beiden  Bestandteile  dieser 
Additionskonstanten  c,  die  Entfernung  e  der 
Objektivlinse  von  der  Kippachse  und  die  Brenn- 
weite/ dieser  Linse  werden  durch  direkte  Ab- 
messung auf  cm  genau  bestimmt.  Die  Additions- 
konstante c  ist  immer  klein,  0'2-0'6/«,  sie 
kann  für  kleine  Kartenmaßstäbe  bei  der  Be- 
rechnung der  Entfernung  vernachlässigt  werden. 
Man  kann  c  auch  in  die  auf  S.  260  genannte 
Zahlentafel  für  ^  E  einbeziehen.  Oder  man 
läßt  durch  den  Mechaniker  die  Multiplikations- 
konstante k  ein  wenig  kleiner  als  100  machen, 
führt  sie  gleichwohl  genau  zu  100  in  die 
Rechnung  ein,  so  daß  für  mittlere  Entfernungen 
der  Betrage  in  100/  mitaufgenommen  ist;  dann 
bringt  die  Vernachlässigung  von  c  nur  einen 
geringen  Fehler  mit  sich.  Beim  Fernrohr  von 
Porro  ist  durch  eine  eingeschaltete,  mit  dem 
Objektiv  fest  verbundene  Linse  der  anallaktische 
Punkt  bis  zur  Kippachse  zurückversetzt,  die 
Additionskonstante  wird  r^  0.  Das  Zielfernrohr 
beim  Instrument  von  Hanimer-Fennel  (Abb.  260) 
ist  dieserart.  Die  Distanzlatte  wird  bei  der 
Messung  aus  praktischen  Gründen  stets  lotrecht 
gestellt;  sie  ist  nur  senkrecht  zur  Mittelvisur, 
wenn  diese  wagrecht  ist.  In  diesem  besonderen 
Fall  ist  die  wagrechte  Entfernung  E  der  Latte 
von  der  Kippachse,  die  allein  in  Frage  kommt: 
E^^  c-\-k- 1,  wo  1  =  0  —  a  das  Lattenstück 
zwischen  den  Distanzfäden  ist. 

Ist  die  Mittelvisur  um  den  Winkel  a 
gegen  die  Wagrechte  geneigt  und  der  Latten- 
abschnitt der  lotrechten  Latte  zwischen  den 
Distanzfäden  wieder  mit  /  bezeichnet,  so  würde 
der  entsprechende  Lattenabschnitt  der  gegen 
die  Mittelvisur  senkrecht  gestellten  Latte  sehr 
genähert  /  •  cos  a,  und  damit  die  schiefe 
Entfernung  r-j-^-^cosa  sein.  Die  gesuchte 
wagrechte  Entfernung  der  lotrechten  Latte  vom 
Instrument  ist  dann  £'^(c-|-/fe- /•  cos a)  cos«, 
wofür  man  mit  stets  vollausreichender  Genauig- 
keit setzen  darf: 

E=^{c-\-k- 1)  cos^  a 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


Der  Höhenunterschied  zwischen  dem  am 
Mittelfaden  abgelesenen  Lattenpunkt  m  und  der 
Kippachse  ist 

,         „    ,  ,     I    ,     rv  sin  2  a 

Ä  =  f  •  tg  a  ^  (c  -|-  Ä  •  /)  — 2 — 

Bemerkungen  zum  Meßvorgang.  Da  die 
Objektivlinse  ein  umgekehrtes  Lattenbild  liefert, 
so  gibt  der  obere  Faden  die  kleinere  Latten- 
ablesung u.  Es  ist  wichtig,  die  Ablesungen  an 
beiden  Distanzfäden  gleichzeitig  zu  machen, 
was  dadurch  ermöglicht  wird,  daß  man  mit 
der  Kippschraube  des  Fernrohrs  den  einen 
Faden  auf  ein  rundes  u  einstellt  und  im  selben 
Augenblick  am  andern  Faden  o  abliest.  Wenn 
die  Latte  bis  zum  Betrag  A  vj  gegen  die 
Lotlinie  schwankt,  so  kann   dadurch  /  fehler- 

A  Mf 

haft    werden    um   A   /  =  (o — u)  tg  a  • . 

Wenn  man  aber  ii  und  o  zeitlich  getrennt  ab- 
liest, so  kann  der  Fehler  in  /  den  Betrag  er- 
reichen A  /=  (o  -(-  ")  *g  "  ■  ^  •  Unvermeid- 
lich bei  der  Tachymetrie  wird  die  zeitlich 
getrennte  Ablesung  von  a  und  o  nur  dann, 
wenn  durch  teilweise  Verdeckung  der  Latte 
nicht  2  Fäden  zugleich  abgelesen  werden  können. 
Man  stellt  dann  den  Mittelfaden  nacheinander 
auf  2  möglichst  weit  voneinander  entfernte 
Lattenpunkte  m^  und  m^  ein  und  liest  die  zu- 
gehörigen Höhenwinkel  a^  und  0.2  ab.  Man 
rechnet/^/Wj — m^  und  die  Horizontalentfernung 

r~         ,  COS  a,    cos  a,         ,  ■■         j 

aus  E^l—.—^ p    oder  genügend  genau 


aus  E^l 


sin  (ttj — a,) 


COS'' 


Man  hat  darauf 


fij  —  a,  2 

zu  achten,  daß  die  Latte  während  der  Messung 
recht  ruhig  gehalten  wird.  Wegen  dieses  Um- 
stands,  auch  wegen  der  langsamen  Ausführung 
kommt  die  optische  Distanzmessung  durch 
Einstellung  eines  Fadens  auf  2  (feste)  Ziel- 
marken auf  der  Latte  mit  Anwendung  einer 
Meßschraube  für  die  beiden  zugehörigen 
Neigungen  bei  Tachymetermessungen  nicht  in 
Betracht.  Wohl  aber  kann  man  zur  Verein- 
fachung der  Rechnung  die  Messung  unter  Ver- 
zicht auf  eine  vollständige  Meßprobe  aber  bei 
noch  ausreichendem  Schutz  gegen  grobe  Ab- 
lesefehler dahin  abändern,  daß  man  nach  Ab- 
lesung von  o  und  u  den  Mittelfaden  mit  der 
Kippschraube  des  Fernrohrs  auf  den  nächsten 
vollen  i//«-Strich  verschiebt  und  dann  erst  m 
und  a  abliest.  (Für  Zwischenpunkte  wird  man 
ohne  diese  Verschiebung  gleich  den  vollen  dm 
anschreiben.)  Daß  diese  kleine  Veränderung 
während  des  Meßvorgangs  für  die  Praxis  ganz 
unmerkliche  Ungenauigkeiten  mit  sich  bringt, 
erkennt  man  aus  der  Differentialgleichung  der 

Grundformel.    Man  erhält  AE=  -2h-^^^ 

17 


258 


Tachymetrie. 


und  AÄ=  -Ihtga 


A  a 


also  Fehlerbeträge 

weit  innerhalb  der  Meßgenauigkeit.  Von  diesem 
Umstand  macht  man  Gebrauch  bei  nahezu 
wagrechten  Zielungen,  um  kleinere  Neigungs- 
winkel zu  vermeiden,  indem  man  zuerst  bei 
einspielender  Nivellierlibelle  m  abliest,  dann 
erst  bei  etwas  geneigtem  Fernrohr  o  und  //. 
Die  Ablesung  des  Höhenkreises  und  die  Be- 
rechnung von  h  fällt  dann  weg. 

Eine  wesentliche  Vereinfachung  der  Messung 
und  der  Rechnung  wird  erreicht,  wenn  man 
den  Mittelfaden  ganz  ausschaltet  oder  ihn  nur 
zur  reinen  Meßprobe  abliest,  und  ihn  durch 
den  oberen  Distanzfaden,  der  die  kleinere 
Lattenablesung  liefert,  ersetzt;  die  Ablesung  u 
ist  dann  zugleich  m.  Darnach  ist  die  Höhen- 
winkellibelle  bei  der  Instrumentenberichtigung 
umzustellen.  Die  Latte  erhält  dann  zweckmäßig 
ihren  Nullpunkt  in  mittlerer  Instrumentenhöhe 
1,4  OT  und  wird  von  hier  nach  unten  negativ 
beziffert.  Dieses  vereinfachte  Verfahren  ist  sehr 
zu  empfehlen. 

Berechnung  der  Horizontalentfernung  E 
und  des  Höhenunterschieds  h.  Die  Bildung 
von  /  =  ö — H  ist  sehr  einfach,  da  ii  eine  runde  Zahl, 
meist  ein  voller  Meter  ist.  Ebenso  ergibt  sich  (c-{'k- 1) 
ohneweiters,  wenn  die  Multiplikationskonstante  k 
genau  100  (oder  200)  ist.  Weicht  k  vom  runden 
Sollwert  ein  wenig  ab,  so  legt  man  sich  eine  kleine 
Korrektionstabelle  an.  Ist  k  aber  vom  runden  Wert 
stark  verschieden,  so  berechnet  man  sich  eine  mit  / 
fortschreitende  Zahlentafel  für  (c-\-k-l). 

Die   Berechnung  von   E  =:  {c -\- k  ■  l)  cos- a    und 

von  h  =  E{ga={c-\-k-l) — - —   führt    man   mit 

Zahlentafeln  oder  mit  Rechenschiebern  aus.  DieTachy- 
metertafeln  von  Jordan,  Stuttgart  (bei  Metzler,  5.  Aufl. 
1912)  schreiten  von  m  zu  m  fort  und  gehen  von 
10-250  m.  Für  E  ist  das  Winkelintervall  1°,  für  h 
ist  es  1-3',  je  nach  der  Größe  der  Entfernung. 
Eine  Erweiterung  der  Tafeln  auf  350  m  hat  Reger 
veröffentlicht.  Tachymetertafeln  für  zentesimale 
Winkelteilung  hat  Jadanza  herausgegeben,  deutsche 
Ausgabe  von  Hammer.  Der  logarithmisch-tachymetri- 
sche  Rechenschieber  von  Wild,  gefertigt  von  Kern  in 
Aarau,  gibt  E  durch  Einstellung  des  Schiebers, 
//  durch  Einstellung  der  Zunge.  Der  Schieber  von 
Werner  gibt  mit  euier  Einstellung  Lcängenreduktion 
und  Höhenrechnung.  Da  im  allgemeinen  die  Neigung 
der  Visur  nicht  groß  ist,  etwa  den  Betrag  von  15° 
nicht  übersteigt,  so  ist  E  meist  nicht  viel  kleiner  als 
{c-\-k-l).  Man  legt  sich  daher  eine  Zahlentafel  für 
den  auf  dm  abgenuideten  Abzug  A  £  an,  den  man 
an  (c-(-A-/)  anzubringen  hat,  um  E=(cA^k-[)  cos-a 
zu    erhalten.    Für  kleine  Winkel   ist   dieser   Abzug 

(r-fA./){"y,fürgrößere(c+/../).[(^J-'/3('^'yj. 

Für  die  Praxis  genügt  es,  den  Abzug  nur  für  k  ■  l 
zu  berechnen  und  die  Additionskonstante  c  in  diese 
Reduktionstabelle  hereinzunehmen.  Dadurch  wird 
die  Berechnung  von  E  einfacher.  Wenn  man  dann 
für  kleinere  Höllenwinkel,  etwa  bis  10°,  die  Horizontal- 
entfernung E  mittels  dieser  Reduktionstabelle,  den 
Höhenunterschied    //    mit    dem   Wildschen   Rechen- 


schieber, für  größere  Höhenwinkel  E  und  h  mit 
diesem  allein  bestimmt,  so  geht  die  Rechnung 
schnell  und  bequem.  Für  größere  Neigungswinkel 
ist  die  Ablesung  von  E  am  Wildschen  Schieber 
einfacher  als  die  Rechnung  mit  der  Reduktions- 
tabelle. Die  Berechnung  von  h  mit  dem  Schieber 
ist  unmittelbar  mu'  für  Winkel  von  0°35'  an  möglich. 
Kleinere  Hölien*inkel  nuütipliziert  man  zunächst 
mit  2  oder  mit  10. 

Besondere  Tachymeter.  Zur  Lrsparung 
der  Rechnung  von  E  und  von  h  sind  Schiebe- 
tachymeter  gebaut  worden  von  Kiefer-Breit- 
haupt, Kreuter,  Wagner-Fennel,  Puller-Breit- 
haupt; auch  ein  selbstreduzierendes  Instrument 
von  Hammer-Fennel.  Bei  den  3  ersten  muß 
die  Latte  senkrecht  zur  Mittelvisur  gehalten 
werden,  eine  für  die  Pra.xis  ungeeignete  Art 
der  Messung.  Die  beiden  letzten  gestatten  die 
Lotrechtstellung  der  Latte,  ein  Verfahren,  das 
aliein  noch  im  Gebrauch  ist.  Die  weitergehende 
Leistung  aller  dieser  Konstruktionen  wird 
gewonnen  durch  Verringerung  sonst  erwünschter 
Eigenschaften,  man  hat  je  nach  der  Bauart 
vennehrtes  Gewicht  oder  geringere  optische 
Leistung.  Wegen  der  Gewichtsvermehrung 
werden  diese  Instrumente  gleich  als  Topometer 
zur  Meßtischaufnahme  eingerichtet,  wo  ihre 
Leistungsfähigkeit  besonders  gut  zum  Ausdruck 
kommt  und  die  Gewichtsvermehrung  bei  dem 
ohnehin  schwerfälligen  Meßapparat  keine  Rolle 
spielt. 

Selbstrechnender  Schnell  messer  von 
Puller-Breithaupt.  Der  Limbus  ist  als  große 
Scheibe  ausgebildet,  an  der  durch  Schätzung  an 
einem  Zeiger  auf  2'  abgelesen  wird.  Diese  Scheibe 
kann  zugleich  als  Meßtischplatte  dienen,  auf  die 
Pauspapier  (mit  zentrischem  Loch  für  die  Stehachse) 
aufgelegt  werden  kann.  In  der  Mitte  der  Scheibe 
wird  die.'\chseder  abnehmbaren  Alhidade  eingesteckt. 
Die  Alhidade  besteht  aus  dem  Meßfernrohr  imd  dem 
seitlich  davon  angebrachten  Rechenapparat,  auch 
einer  Punktiervorrichtung  zum  Einzeichnen  der  Meß- 
punkte. Der  Rechenapparat  hat  teils  mit  dem  Fern- 
rohr, teils  mit  dem  Fernrohrträger  fest  verbundene, 
teils  an  diesen  beiden  verschiebbare  Teile.  Fest  ver- 
bunden mit  dem  Fernrohr,  also  mit  ihm  drehbar, 
ist  die  Längsschiene  AA  mit  der  Führungsstange  L 
und  die  senkrecht  dazu  stehende,  sich  mit  der  Kipp- 
achse kreuzende  Stange  AD.  Am  Fernrohrträger 
festgemacht  ist  die  wagrechte  Skala  CC  und  die 
Führungsstange  MM.  Die  Skala  BB  wird  beim 
Kippen  des  Fernrohrs  an  der  Führungsstange  MM 
parallel  bewegt  durch  ein  an  der  Stange  AD  ver- 
schiebbares Gelenk.  Die  Stange  EEG  ist  parallel 
zu  AD,  also  senkrecht  zu  Z,  sie  ist  längs  der 
Führungsstange  L  verschiebbar.  An  der  Stange  ist 
der  Nonius  H  und  unten  der  Nonius  G  befestigt; 
der  letztere  wird  zugleich  an  NN  geführt.  Längs 
der  Skala  CC  läßt  sich  der  Schieberahmen  P  mit 
Nonien  /  und  K  und  der  Höhenskala  zwischen  H 
und  /  bewegen.  Diese  Skala  für  die  Höhenablesung 
läßt  sich  durch  eine  Schraube  so  am  Nonius  / 
verstellen  und  außerdem  am  weil3en  Mittelstreifen 
so  beziffern,  daß  man  bei  H  unmittelbar  die  Höhe 
des  Standpunkts  der  Latte  abliest.  Im  Fernrohr  liest 
man  /  =  o — u  am  Lattenbild  ab.  Dann  stellt  man  Q 
auf  k- 1  ein,  schiebt  den  Rahmen  an  H  heran,  liest 


Tachymetrie. 


250 


die  Entfernung  bei  K  und  die  Höhe  bei  H  ab  oder 
sticht  den  Punkt  ins  Papier  ein,  ohne  K  abzulesen, 
wobei  der  Kartenmaßstab  1:1000  oder  1:2500  vor- 
gesehen ist.  Der  selbsttätige  Rechenvorgang  ist  aus 
Abb.  259  ersichtlich;  die  Linie  OS  entspricht  der 
Zielrichtung. 

Das   selbstreduzierende  Tachymeter  von 
Hammer- Fenne  1.  Die  Lattenablesung  in  r/«  gibt  die 


nungslinie  AA  der  Gesichtsfelder  beider  Fernrohre 
ablesen  würde:  12'4  und  -lO'l  cm,  was  E=  12-4  m 
und  h  =  -20  •  101  rm  =  -202m  ergibt  Die  Ablesc- 
kurven  sind  in  Abb.  263  abgezeichnet.  Den  Kreis- 
bogen GOG  um  die  Mitte  der  Kippachse  stellt  man 
auf  den  in  Instrumentenliöhe  14  m  an  der  Latte 
angebrachten  Nullpunkt  der  Teilung  ein  und  liest 
an  der  Kurve  Et:„E  den  Betrag  für  die  Entfernung 


Abb.  258.  Tachymeter  Puller-Breithaupt, 


Horizontalentfernung  in  m  und  den  20.  Teil  des  Höhen- 
unterschieds unmittelbar  an.    Statt  geradliniger  Di- 
stanzfäden sind  Kurven  vorhanden,  deren  Abstand  sich 
imVerhältniscos'a:  1  verkleinert;  fürdieHöhen- 
ablesung  ist  eine  besondere  zweiästige  Kurve 
vorhanden.  Diese  Kurvenplatte,  photographisch 
auf  eine  Glasplatte  übertragen,  steht  seitlich 
des  Fernrohrmantels  über  der  etwas  nach  unten 
versetzten  Kippachse  und  ist  fest  mit  dem  Fem- 
rohrträger verbunden.    Im  Fernrohr  selbst  ist 
nur  der  Nivellierfaden  (Nullfaden)  angebracht. 
Im  Mantel  des  anallaktischen  Zielfernrohrs  ist 
ein  Ablesefernrohr  derart  eingebaut,  daß  das 
gemeinschaftliche  Okular  in  der  einen  Hälfte 
des  Gesichtsfeldes  das  Bild  der  Latte,  in  der 
andern  die  Kurven  zeigt.  Die  vertikale  Tren- 
nungslinie ist  Ablesekante.  Abb.  261  zeigt  im 
Horizontalschnitt  die  Anordnung.  Die  vertikale      _ 
Kurvenplatte   D  D  wird    auf   dem  Weg   über    C  - 
das  Prisma  P',  die  Linse  L   und  das  Prisma 
P'  in    der   Fadenkreuzebene  A  des  Zielfern- 
rohrs  abgebildet.     Durch   Verschiebung   des 
Objektivs  wird  in  dieser  Ebene  auch  das  Lattenbild 
entworfen.    Durch    das   Okular   sieht    man    das   in 
Abb.  262  dargestellte  Bild,  in  dem  man  an  der  Tren- 


ab.  Die  Ablesung  für  den  Höhenunterschied  erhält 
man  an  der  Kurve  -  H  O  +  H.  Beim  Kippen  des 
Fernrohrs  stellen  sich  die  verschiedenen  Radien  A  B 


(H) 


B 


i(^ 

Abb.  259. 

zwischen  den  Enden  der  Kurvenplatte  an  der  Ablese- 
kante ein,  indem  die  Kurven  scheinbar  quer  zur 
Kante  wandern. 

17* 


260 


Tachymetrie. 


Meßtischtachymetrie.  Für  Aufnahmen  in 
kleinerem  Maßstab,  etwa  von  1 :  10000  ab,  kann 
die    Zahl    der    Tachymeterpunkte    stark    ein- 


Abb.  260.  Tachymeter  Hammer-I  ciinel. 

geschränkt    werden,     dagegen     werden    viele 
Einzelheiten    durch   flüchtige  Aufnahme,    Ein- 


Ä 


"HZL 


TM- 


m^ 


Abb.  261. 

schreiten  mit  Kompaß  und  Barometerbestimmung 
dazwischen  eingemessen  werden  können.  Dann 
ist  es  oft  von  Vorteil,  statt  der  Zahlentachymetrie 
die  Meßtischtachymetrie  anzuwenden,  also  gleich 
die  Karte  während  der  Messung  im  Feld  her- 
zustellen.    Man    stellt   im    Feld    den    Zeichen- 


tisch -  die  Meßtisch  platte  -  auf  einem 
Stativ  wagrecht  und  orientiert  auf.  Auf  dem 
Meßtischplan  sind  die  gegebenen  Festpunkte 
eingetragen.  Statt  des  Theo- 
dolits hat  man  die  Kippregel: 
ein  mit  Distanzfäden  ausge- 
stattetes Ateßfernrohr  mit  Kipp- 
achse und  Höhenbogen,  mittels 
Stütze  auf  einem  Zeichenlineal 
(Regel)  befestigt.  Man  legt  das 
Lineal,  am  besten  Parallel- 
lineal, an  dem  im  Plan  ein- 
gezeichneten Standpunkt  an 
und  zielt  nach  der  Latte,  liest 
an  dieser  ii,  o  und  m  und  am 
Instrument  den  Neigungswin- 
kel a  ab,  bestimmt  E  und  h 
und  trägt  mit  Zirkel  und  Maß- 
stab den  .A\eßpunkt  nach  Lage 
und  Höhe  ein.  Der  graphi- 
schen Meßart  entsprechend 
werden  E  und  h  nicht  be- 
rechnet, sondern  ebenfalls  gra- 
phisch bestimmt.  Man  ent- 
nimmt einem  Transversalmaß- 
stab, in  den  die  Additions- 
konstante c  eingefügt  ist,  mit 
dem  Zirkel  die  Größe  (c-fÄ-/). 
Nun  geht  man  in  ein  Strahlen- 
büschel für  cos-  o  ein  und 
erhält  daraus  E.  Mit  E  geht 
man  in  ein  5-  oder  lOfach 
überhöhtes  Strahlenbüschel 
für  tg  a  ein  und  erhält  an 
einem  passend  bezifferten 
Längenmaßstab,  der  im  Ein- 
klang mit  der  gewählten  Über- 
höhung steht,  die  Höhe  des 
Meßpunktes,  indem  man  stets  die  Lattenab- 
lesung m  gleich  der  Instrumentenhöhe  macht. 

Der  Puller- Breit- 
hauptsche  Schnell- 
messer (Abb.  258) 
kann  ohneweiters  für 

~L  den  .Maßstab  1 :  1 000 

oder  1: 2500  alsMeß- 
tisch  benutzt  werden, 
wenn  man  ein  rundes 
Pauspapier  mit  zen- 
tralem Loch  auf  die 
Horizontalkreisplatte 
legt.  Mit  der  Punktier- 
vorrichtung am  Schieberahmen   zeichnet   man 
unmittelbar  den  Punkt  ein,  stattfan  der  Schiene 
CC  abzulesen,   und  schreibt  die  bei  H  abge- 
lesene .Meereshöhe  dazu  (s.  o.).    Die  verschie- 
denen   Pauspapierblätter   verwendet    man    zur 
später  anzufertigenden  Reinzeichnung. 


-z-\- 


i#U-- 


Tachymetrie. 


261 


Auch  das  Hammer- Fenneische  Instrument 
ist  als  Topometer  ausgebildet,  es  gestattet  das 
unmittelbare  Auftragen  der  Messung  auf  eine 
runde  Papierscheibe,  die  leicht  ausgewechselt 
werden   kann. 

Zusammenfassung.  Die  T.  ist  ein  Meß- 
verfahren zur  raschen  Aufnahme  eines  Geländes 
nach   Lage  und   Höhe  zum   Zweck  der   Her- 


Abb.  262.  Laltenablesung. 


Abb.  263. 

Stellung  von  Höhenlinienpiänen;  diese  Pläne 
werden  gebraucht  zur  Anlage  technischer  Bau- 
werke, insbesondere  solcher,  die  größere  Erd- 
massenbewegungen erfordern  oder  die  die 
Kenntnis  der  Wasserverteilung  notwendig 
machen,  oder  aber  zu  rein  topographischen 
Zwecken.  Die  Höhenaufnahme  ist  der  wichtigere 
Teil  der  Messung. 


Vor  Beginn  der  tachymetrischen  Aufnahme 
ist  das  Gebiet  mit  einem  Klein-Dreiecknetz  zu 
überspannen  und  mit  Nivellementszügen  zu 
durchsetzen.  In  dieses  Gerippe  von  1  —  3  km 
Maschenweite  werden  Tachymeterzüge  ein- 
gefügt mit  so  viel  Zwischenpunkten,  daß  die 
Bodenform  im  Einzelverlauf  zur  Darstellung 
gebracht  werden  kann.  Wie  dicht  die  Meß- 
punkte zu  nehmen  sind,  hängt  von  der  geologi- 
schen Formation  und  von  der  zu  lösenden 
Aufgabe  ab.  Auf  den  ruhigen  Hängen  des 
Bundsandsteins  werden  Punkte  in  50-100ot 
Entfernungvoneinander  für  alle  Zwecke  genügen, 
im  Keuper,  in  Dünenlandschaften  und  Moränen 
wird  man  die  Meßpunkte  viel  enger  nehmen 
müssen.  Der  Kanalbau  und  der  Straßenbau  er- 
fordern ein  stärkeres  Eingehen  in  die  Bodenform 
als  der  Eisenbahnbau,  für  die  Feststellung  der 
Wasserscheiden  oder  für  topographische  Karten 
braucht  man  die  Bodengestaltung  nur  in 
größeren  Zügen  zu  kennen.  Von  den  Tachy- 
meterpunkten  aus  werden  Einzelheiten  in  Lage 
und  Höhe  nach  Augenmaß,  durch  Abschreiten 
oder  mit  Meßband,  auch  mit  der  Bussole 
aufgenommen.  In  besonderen  Fällen  können 
Höhenmessungen  mit  dem  Aneroid  eingeschaltet 
werden.  Doch  nicht  in  der  Ebene,  da  baro- 
metrisch bestmimte  Punkte  im  allgemeinen  um 
einige  Meter  unsicher  sind. 

Die  Wahl  der  Instrumente  hängt  davon  ab, 
ob  man  die  Feldarbeit  auf  die  eigentliche 
Messung  beschränkt,  wobei  die  Lage  der  Punkte, 
die  Leitkurven  und  die  Einzelheiten  nur 
skizziert  werden,  und  die  Ausarbeitung  zeitlich 
davon  getrennt  im  Zimmer  vornimmt,  oder 
ob  man  im  Feld  zugleich  mit  der  Messung 
auch  die  Kartierung  durchführt.  Bei  Aufnahmen 
in  größeren  Maßstäben  wird  man  die  erstere, 
bei  solchen  in  kleineren  die  letztere  Art  vor- 
ziehen; die  Grenze  kann  bei  1 :  10.000  gezogen 
werden.  Die  erstere  Art  wird  Zahlentachymetrie, 
die  letztere  Meßtischtachymetrie  genannt.  In 
unruhigem  Gelände  mit  kleinen  regellosen 
Bodenformen,  wie  in  Dünen,  Moränen  und 
rissigen  Hängen,  in  Rutschungsgebieten,  ist  die 
Kartierung  im  Felde  auch  bei  größeren  Karten- 
maßstäben geboten. 

Bei  der  Zahlentachymetrie  werden  kleine 
leichte  Universaltheodolite  mit  Distanzfäden, 
mit  Nivellierlibelle  und  mit  Vollkreisbussole 
verwendet.  Die  Instrumente  müssen  vollständig 
berichtigt  sein,  da  das  Fernrohr  nur  in  einer 
Lage  benutzt  wird.  Die  Kreise  werden  nur  an 
einer  Stelle  abgelesen,  der  Höhenkreis  auf  1', 
der  Horizontalkreis  auf  1'  oder  nur,  wie  die 
Bussole,  auf  0-1 ".  Die  Wechselpunkte  der  Tachy- 
meterzüge werden  sorgfältiger  und  schärfer 
gemessen  als  die  gewöhnlichen  Zwischenpunkte. 


262 


Tachymetrie. 


Bei  Verwendung  der  Bussole  führt  man  die 
Tachymeterzüge  in  „Sprungständen"  oder 
„  Lattenständen «  aus,  man  wechselt  also  den 
instrunientenstand  gegen  die  Latte  in  derselben 
Art  wie  beim  Nivellieren.  Wenn  für  die  Auf- 
nahme 2  Beobachter  zur  Verfügung  stehen, 
wird  der  erfahrenere  Ingenieur  die  Meßpunkte 
auswählen,  dabei  die  Skizzen  anfertigen  mit 
Eintrag  dieser  Punkte,  den  Einzelheiten  im 
Gelände  und  mit  sorgfältigem  Eintrag  der 
Leitkurven  für  die  Bodenformen.  Der  Techniker 
oder  auch  ein  gewandter  Aießgehilfe  macht 
die  Ablesungen  am  Instrument  und  deren 
Eintrag  ins  Feldbuch.  Nicht  die  Zahl  der  Meß- 
punkte, sondern  ihre  Auswahl  und  die  Ein- 
zeichnung  der  Leitkurven  ist  für  die  Güte  der 
Aufnahme  entscheidemi. 

Die  Berechnung  der  Horizontalentfernung 
E^{c^  k  ■  l)  ■  cos2  a  und  des  Höhenunter- 
schieds h 


Etga=  (c-r  /.■/)     „    '  geschieht 


getrennt  von  der  Messung  mit  tachymetrischen 
Rechenschiebern  oder  mit  Zahlen'afeln  oder 
mit  beiden  zusammen.  Ebenso  die  Berechnung 
der  Höhen  selbst //ß=:/y^-f-/+/;  —  m.  Hier- 
bei ist /die  unmittelbar  gemessene  Instrumenten- 
höhe über  dem  Festpunkt,  also  L3-1'5/«; 
die  Höhe  Ma  +  i  ist  die  Horizontalhöhe  der 
Kippachse.  Man  kann  den  Mittelfaden  (Nivellier- 
faden) auf  die  gleiche  Höhe  an  der  Latte 
(Zielscheibe)  einstellen  wie  die  Instrumenten- 
höhe, also  m=^i  machen;  dadurch  wird  die 
Rechnung  von  //  etwas  vereinfacht,  die 
Messung  aber  etwas  verzögert. 

Die  Rechnung  von  E  und  von  //  wird  er- 
spart, wenn  man  das  selbstreduzierende  Tachy- 
meter  von  Hammer-Fennel  benutzt,  oder  das 
selbstrechnende  Tachymeter  von  Puller-Breit- 
haupt, oder  das  Kontakttachynieter  von  Sanguet. 

Die  Anfertigung  der  Höhenkurvenpläne 
kann  für  die  Zahlentachymetrie  in  jedem  Maß- 
stab erfolgen;  man  nimmt  für  Ingenieurarbeiten 
1:500  bis   1:5000. 

Bei  der  Meßtischtachymetrie  trägt  man 
die  Meßpunkte  nach  Lage  und  Höhe  zugleich 
mit  der  Messung  in  die  anzufertigende  Karte 
ein  und  macht  die  Karte  in  Bleistiftzeichnung 
im  Feld  fertig.  Die  Karte  auf  der  Meßtisch- 
platte wird  durch  Eintrag  des  Koordinaten- 
netzes und  der  Dreieckspunkte,  auch  der  Höhen- 
festpunkte vorbereitet.  Der  Meßapparat  besteht 
aus  dem  Meßtisch  mit  Stativ,  Lotgabel  und 
Orientierungsbussole  (Kastenbussole),  der  Kipp- 
regel, Zirkel  und  Maßstäbe,  dazu  die  Distanz- 
latte. Die  Berechnung  von  E  und  //  geschieht 
im  Feld  mit  Diagrammen,  der  Eintrag  der 
Punkte  am  Ziehlineal  der  Kippregel  mit  Zirkel 
und    Maßstab.     Die    Meßtischaufnahme    wird 


meist  nur  für  kleinere  Maßstäbe  1:10000  bis 
1:25000  angewendet,  die  Umwandlung  in 
größere  Maßstäbe  ist  nur  mit  Drangabe  der 
Genauigkeit  möglich. 

Der  Puller-Breithauptsche  Schnellrnesser,  der 
besonders  für  Eisenbahnvorarbeiten  dienen  soll, 
ist  für  Meßtischaufnahme  im  Maßstab  1  :  1000 
bis  1 :  2500  bestimmt.  Der  Hammer-  Fenneische 
Tachymeter  ist  als  Topometer  für  die  Meß- 
tischaufnahme eingerichtet. 

Anmerkung.  Im  Flachland,  \x-o  viel  nivelliert 
werden  kann  und  größere  Höhenwinkel  nicht 
vorkommen,  wird  statt  des  Tachymetertheodolits 
vielfach  ein  Nivelliertachymeter  verwendet,  ein 
Nivellierinstrument  mit  Gefällschraube  und 
einem  wagrechten  Meßkreis. 

Häufig  liegt  für  die  Tachymeteraufnahme  der 
Fall  so,  daß  schon  ein  Lageplan  vorhanden 
ist,  der  zum  Höhenplan  erweitert  werden  soll. 
Die  Dreiecksmessung  fällt  weg.  Im  ebenen 
Gelände  werden  dann  die  Lagepunkte  ein- 
nivelliert. Im  hügeligen  Gebiet  wählt  man  als 
Instrumentenstand  gut  gelegene,  örtlich  scharf 
bezeichnete  und  in  der  Karte  angegebene  Punkte, 
stellt  die  in  Instrumentenhöhe  mit  Zieltafel  ver- 
sehene Latte  in  bekannten  Kartenpunkten  auf, 
dann  hat  man  nur  je  die  Höhenwinkel  zu 
messen,  da  die  Horizontalentfernung  der  Karte 
entnommen  werden  kann.  Für  den  Kartenein- 
gang rechnet  man  eine  entsprechende  Zahlen- 
tafel der  Vergrößerung  des  Vertikalwinkels. 
Durch  Differentiation  von  h  =  Etgu  erhält 
man  für  den  mit  der  Richtung  veränderlichen 
Karteneingang  von  p%  : 

i^a'  =  —  \T  ■  p  ■  sin  2a 

Die  Höhenbestimmung  geschieht  mit  Zirkel, 
einem  überhöhten  Diagramm  für  E-tga  und 
einem  entsprechend  geteilten  und  bezifferten 
Längenmaßstab.  Im  bergigen  Gelände  kann  man 
Höhenpunkfe  zwischen  nivellierten  oder  trigono- 
metrisch bestimmten  Tal-  und  Bergpunkten 
durch  Aneroidmessungen  einschalten;  wenn  man 
die  Züge  bei  ruhiger  Wetterlage  ausführt  und 
sie  nicht  über  etwa  2  Stunden  ausdehnt,  so 
kann  man  die  Luftdruckschwankungen  als 
gleichmäßig  mit  der  Zeit  gehend  annehmen, 
so  daß  ihr  Einfluß  durch  die  Einschaltung 
herausfällt.  In  Waldschneisen  von  Tal  zu  Berg 
ohne  kartierte  Zwischenpunkte  kann  man 
Profile  mit  Meßband  und  Aneroid  legen.  Mit 
Vorteil,  besonders  im  Gebirge,  wird  man 
photogrammetrische,  hauptsächlich  stereophoto- 
grammetrische  Aufnahmen  zur  Ergänzung  und 
zu  teilweisem  Ersatz  der  Tachymetermessungen 
einschalten  (s.  Stereophotogrammetrie). 

Ausarbeitung  der  Höhenlinien.  Hat 
man  die  Meßpunkte  nach  Lage  und  Höhe  in 


Tachymetrie. 


263 


die  Pläne  eingetragen,  wobei  man  für  Bussolen- 
züge mit  Vorteil  parallel  liniertes  Pauspapier 
verwendet,  und  ist  der  Lageplan  fertig  ge- 
stellt, so  sind  die  Höhenlinien  zu  konstruieren. 
Man  zeichnet  diese  Linien  in  runden 
Höhen  von  10  zu  \0  rn,  mit  Unter- 
teilung in  flachem  Gelände.  In  ganz 
ebenem  Gelände  wie  in  Niederungen 
ist  es  vielfach  besser,  keine  Höhen- 
linien einzuzeichnen  und  sich  nur  an 
die  Höhenpunkte  zu  halten.  Da  man 
die  Höhenlinienpunkte  im  größten  Ge- 
fälle interpolieren  muß,  so  zeichnet 
man  zunächst  die  Linien  nach  Augen- 
maß roh  ein.  Dann  interpoliert  man  in 
den  Gefällinien.  So  gut  es  geht,  ordnet  man 
schon  im  Feld  die  Meßpunkte  längs  dieser 
Linien  an,  doch  kann  diese  beste  Lage  nicht 
immer  erreicht  werden,  da  man  den  Meßgehilfen 
mit  der  Latte  den  Hängen  entlang  schickt, 
nicht  im  Gefälle,  was  eine  Kraft-  und  Zeit- 
vergeudimg  wäre.  Sind  benachbarte  Punkte 
nicht  stark  verschieden  gegen  die  Gefällsrich- 
tung, so  kann  man  unbedenklich  in  ihrer 
Verbindungsrichtung  interpolieren,  ist  ihre 
Verbindungslinie  aber  mehr  als  etwa  20°  da- 
von abweichend,  so  wird  man  zwischen  2  un- 
gefähr gleich  hohen  Nachbarpunkten  erst  einen 
geeigneten  Zwischenpunkt  suchen  und  diesen 
dann  zur  weiteren  Interpolation  benutzen.  In 
jedem  Fall  ist  aber  zu  beachten,  ob  die  Gefäll- 
linie beträchtlich  konvex  oder  konkav  verläuft, 
ob  und  wieviel  also  der  linear  interpolierte 
Punkt  verschoben  werden  muß.  Durch  flüchtige 
Herstellung  des  Profils  wird  die  lineare  Inter- 
polation schnell  richtiggestellt,  man  erlangt 
aber  schon  bald  eine  so  große  Übung  und 
Sicherheit,  daß  Hilfskonstruktionen  überflüssig 
■«•erden.  Die  lineare  Interpolation  zwischen  den 
Höhenpunkten  führt  man  mit  Zirkel  und 
einem  Diagramm  aus.  Es  gibt  eine  große  An- 
zahl von  Hilfsapparaten  für  diese  Interpolation. 
Sehr  bequem  ist  ein  parallel  liniertes  Zeichen- 
papier, etwa  ein  Stück  mw-Papier,  mit  Lineal 
und  Zirkel  (Abb.  264).  Die  Höhenzahlen  er- 
scheinen in  der  Abszissenlinie,  senkrecht  dazu 
wird  mit  dem  Zirkel  der  Punktabstand  ab- 
gesetzt und  die  Linealkante  an  der  Zirkelspitze 
und  der  Höhenzahl  des  andern  Punktes  an- 
geschlagen. Dann  kann  man  die  Maße  für  be- 
liebige Zwischenpunkte  mit  dem  Zirkel  ab- 
nehmen. Oder  man  zeichnet  sich  ein  Strahlen- 
büschel für  Proportionalteilung,  wie  in  Abb.2ö5 
angegeben,  und  trägt  mit  dem  Zirkel  den  Punkt- 
abstand für  die  betreffenden  Höhenzahien  ein 
und  greift  die  gesuchte  Länge  ab.  In  den 
Abbildungen  ist  dargestellt,  wie  man  zwischen 
2  Punkten    vom   Abstand  s   und    den    Höhen 


387-6  und  395-5  die  Entfernung  a:  der  390 /ra- 
Linie  vom  tieferen  Punkt  aus  bestimmt. 

Die  Zeichnung  der  Höhenlinien   für  Täler, 
Kuppen,  Sättel  und  Schluchten  kann  nur  vom 


s        s 

Abb.  264.  Punkleinschaltung. 

geübten  Beobachter  und  an  Hand  der  während 
der  Messung  im  Feld  gezeichneten  Leitkurven 
und  Gerippelinien  richtig  ausgeführt  werden. 
Die  nur  nach  mathematischer  Auffassung  ein- 
gezeichneten Kurven  sind  meist  Zerrbilder  der 
Natur.  Vielmehr  gehört  die  Kenntnis  der  Boden- 


Abb.  265.  Punkteinschaltung. 

gestaltung  'geologischer  Formationen  und  die 
Übung  im  Aufnehmen  des  Geländes  zur  richtigen 
Darstellung  der  Bodenformen.  Auf  Berggipfeln 
und  im  Satteltiefsten  muß  die  dort  gemessene 


a. 


Abb.  266.  Höhenlinien. 

Höhenzahl  eingetragen  sein.  Die  Höhenlinien- 
darstellung muß  dem  Ingenieur  schon  an  sich 
einen  Anhalt  dafür  geben,  ob  er  es  mit  stand- 
festen oder  mit  zu  Rutschungen  geneigten 
Schichten  zu  tun  hat.  Dieser  Gesichtspunkt 
soll  in  Abb.  266  a  u.  b,    2  Darstellungen  des- 


264 


Tachymetrie.  -  Tarif. 


selben  Geländes  (im  Knollenmergel  des  Keupers) 
zum  Ausdruck  gebracht  werden. 

Literatur:  Puller,  Schnellniesser,  Schiebetachy- 
meter  für  lotrechte  Lattenstellung.  Ztschr.  f.  Vcrmess.- 
Wescn  1901.  —  Jordan-Eggert,  Handbuch  der 
Vermessungskunde,  Bd.  III,  8.  Aufl.,  S.  737-837. 
Literatur  in  §  190,  S.  826.  -  Hartner-Dolezal, 
Handbuch  der  niederen  Geodäsie.  Bd.  11,  3.  Abt., 
S.  341-415.  —  Koppe,  Genauigkeit  der  Höhen- 
darstellung in  topographischen  Plänen  und  Karten 
für  allgemeine  Eisenbahnvorarbeiten.  Organ  1905. 
—  Ad.  Schmidt,  Magnetische  Beobachtungen  in 
Potsdam  1900-1910.  VeröfL  des  Kgl.  Preußl  Mete- 
orol.  Instituts,  Nr.  289.  Haiißmann. 

Taff  Vale  Railway,  eine  der  ältesten 
Eisenbahnen  von  Wales.  Die  Stammlinie  von 
Merthyr  Tydfii  zu  den  Cardiff  Docks  wurde 
1840  für  den  Personenverkehr  eröffnet.  Nach 
Fusion  mit  anderen  Linien  (Cowbridge,  Dare 
Valley,  Llantisant  und  Taff  Vale  Junction, 
Rhonda  Valley  und  Hirwain  Junction,  Treferic 
Valley,  Cardiff-Penarth  und  Barry  Junction, 
Cowbridge  und  Aberthaw,  Aberdare)  hat  sie 
eine  Betriebslänge  von  rund  200  km  erreicht. 

Tagsignale  s.  Signalwesen. 

Tarif  (tariff;  tarif;  tariffa)  —  vom  arabischen 
'tarif  ^  Kundmachung  stammend  (die  Ableitimg 
von  der  maurischen  Hafenstadt  Tarifa  an  der 
Meerenge  von  Gibraltar  ist  wohl  irrig)  —  ist 
das  Verzeichnis  der  für  bestimmte  Leistungen 
zu  entrichtenden  Preise,  das  auch  die  Be- 
stimmungen für  ihre  Anwendung,  die  Tarif- 
vorschriften, enthält.  Die  Beförderungspreise, 
Fahrpreise  im  Personenverkehr,  Frachtsätze  im 
Sachverkehr  genannt,  werden  nach  bestimmten 
Systemen  gebildet;  das  Tarifschetua  zeigt  ihre 
äußere  Einrichtung  und  Anordnung. 

Die  T.  lassen  sich  nach  der  Art  ihrer 
Beförderungsgegenstände,  nach  den  Verkehrs- 
bezirken, innerhalb  deren  sie  gelten,  nach 
der  besonderen  Zweckbestimmung,  nach  der 
Gültigkeitsdauer  in  folgende  Gruppen  einteilen: 

1.  Personen-,  Gepäck-,  Güter-  (Expreß-,  Eil- 
und  Frachtgüter-),  Tiertarife. 

2.  Binnen-  (Lokal-)  T.,  direkte  T.  (Nachbar- 
oder Wechseltarife,  Verbandstarife,  internationale 
T.),  Reexpeditionstarife. 

3.  Einfuhr-,  Ausfuhr-,  Durchfuhrtarife,  See- 
hafentarife. 

4.  Dauer-  und  Zeit-  (Saison-)   T. 

Nach  ihrer  Bildung  unterscheidet  man  regel- 
mäßige (Nortnal-,  Klassen-,  Spezial-)  T.,  Aus- 
nahme- und  Differentialtarife,  ferner  Kilometer- 
und Zonentarife,  bei  denen  für  alle  Entfernun- 
gen gleiche  Einheitssätze  angewendet  werden 
und  Staffeltarife  mit  nach  Entfernungen  abge- 
stuften  Einheitssätzen. 

Für  die  von  den  kilometrischen  Gebühren- 
berechnungstabellen abweichenden  Preissätze 
werden    Stationstarife    erstellt,   bei    denen    als 


Unterarten    die   Schnittarife   und   Anstoßtarife 
zu  erwähnen  sind. 

Die  materielle  Tarifbildung  wohl  aller  Eisen- 

I  bahnen    setzt   den  Wert   in   den  Vordergrund, 
den  die  Beförderung  für  den   die  Beförderung 

I  benutzenden  Interessenten  hat;  im  Personen- 
verkehr geht  deshalb  der  T.  von  einer  Anzahl 
Wagenklassen  aus  und  überläßt  es  dem  Er- 
messen des  Reisenden,  welcher  Klasse  er  sich 
bedienen  und  damit  welchen  Preis  er  zahlen 
will;  im  Güterverkehr  ordnet  er  die  Güter  in 
eine  Klassifikation  ein  und  bestimmt,  dal)  für 
alle  die  Güter,  die  nicht  in  der  Klassifikation 
genannt  sind,  die  Fracht  nach  der  allgemeinen 
Wagenladimgsklasse,  also  nach  der  teuersten 
Klasse  berechnet  wird.  Jedes  Gut  ist  also  an 
sich  einem  bestimmten  T.  unterworfen,  der  für 
alle  Beteiligten  gleich  anwendbar  ist  und  von 
dem  zu  keines  Gimsten  abgewichen  werden  darf 
Die  Eisenbahntarife  imterscheiden  sich  we- 
sentlich von  den  Beförderungskosten  auf  den 
Wettbewerbswegen  anderer  Beförderungsmittel, 
denn  sie  müssen  auch  die  Kosten  der  Verzinsung 
und  Ablösung  des  Anla^eKapitals  und  der 
Unterhaltung  berücksichtigen,  die  bei  den 
Wasserstraßen  und  auch  bei  den  Landstraßen 
zum  großen  Teil  fortfallen.  Dieser  unbestreit- 
bare Vorteil  vor  dem  Schienenweg  wird  oft 
durch  das  dringende  Verkehrsbedürfnis  des 
Versenders  in  Frage  gestellt,  das  nur  durch  die 
Schnelligkeit  mid  Planmäßigkeit  der  Eisenbahn 
vollkommen  befriedigt  werden  kann.  Der 
Wasserweg  könnte  an  sich  mit  großem  Nutzen 
arbeiten,  muß  aber  seinen  Verdienst  infolge 
des  Wettbewerbs  der  Eisenbahn  schmälern; 
abgesehen  hiervon  wirken  noch  verschiedene 
zeitlich  und  örtlich  schwankende  Umstände 
preisbestimmend  auf  die  Beförderungspreise 
der  Wasserstraßen  und  Landwege,  so  daß  es 
nicht  möglich  ist,  sie  von  vornherein  ein  für 
allemal  bindend  für  längere  Zeit  festzusetzen. 
Angebot  und  Nachfrage  sind  hier  die  wesent- 
lichen Preisbildner,  Schwankungen  bilden  die 
Regel  und  ein  festes  Preisgesetz  ist  tmdenkbar. 
Anders  bei  den  Eisenbahnen.  Sie  haben  auf  diesem 
Gebiet  eine  monopolartige  Stellung,  wenigstens 
faktisch.  Der  Versender  selbst  ist  nicht  in  der 
Lage,  bei  der  Gestaltung  der  Frachtpreise  des 
einzelnen  Beförderungsgeschäftes  mitzuwirken. 
Staats-  und  Privatbahnen  machen  hier  keinen 
Unterschied.  Nur  bei  der  Gestaltung  der  T. 
im  allgemeinen  kann  man  von  einer  Beein- 
fliissuns^smöglichkeit  des  Versenders  sprechen, 
indem  die  öffentliche  Meinimg  durch  geeigneten 
Druck  auf  die  Verkehrsanstalten  einzuwirken 
versucht,  ihre  T.  wunschgemäß  zu  regeln. 
Diesem  nicht  ganz  willkommenen  Zwang 
kommen    die    Staatsbahnen    zuvor,    indem    sie 


Tarif.  -  Tarifbildung. 


265 


durch  gesetzlich  eingerichtete  Beiräte  eine  wenn 
auch  nur  gutachtliche  Mitwirkung  in  allen 
Verkehrsfragen  zugelassen  haben.  Soviel  steht 
aber  fest,  daß  alle  Verkehrsanstalten  als  öffent- 
liche Unternehmungen,  auch  wenn  sie  sich 
von  einem  ausgesprochenen  Dividendeninteresse 
leiten  lassen,  die  allgemeinen  volkswirtschaft- 
lichen Rücksichten  nicht  vernachlässigen  dürfen. 
Sind  sie  Staatsanstalten,  dann  versteht  sich  dies 
von  selbst;  die  Exekutive  liegt  schließlich  bei 
der  verfassungsmäßigen  Volksvertretung;  sind 
sie  Privatbahnen,  dann  sorgt  der  Staat  kraft 
seiner  gesetzlichen  Aufsichtsbefugnis  für  all- 
gemein nützliche  T.  Hierin  liegt  eine  der 
Aufgaben  der  öffentlichen  Gewalt  gegenüber 
dem  Verkehrswesen.  Der  Staat  soll  eingreifen 
dürfen,  um  die  Ausbeutung  der  Allgemeinheit 
zu  gunsten  der  Einzelinteressen  zu  beseitigen 
und  zu  verhüten.  Er  hat  die  Tarifhoheit,  vermöge 
deren  er  die  T.  und  ihre  Anwendungs- 
bedingungen beaufsichtigt  und  genehmigt  und 
auf  ihre  Höhe  einwirkt.  Er  bestimmt,  daß  die 
T.  rechtzeitig  veröffentlicht  werden  müssen,  und 
verhindert  so  geheime  Tarifvergünstigungen; 
er  verlangt,  daß  die  T.  jedermann  zu  gleichen 
Bedingungen  zur  Verfügung  gestellt  werden, 
und  \ersucht  so,  den  Einzelnen  gegen  Refaktien 
und  differentielle  Tarifbildungen  zu  schützen. 
Allerdings  läßt  sich  nicht  verhehlen,  daß  das 
Interesse  der  Privatbahnen  an  möglichster 
Steigerung  ihrer  Einnahmen  oftmals  Wege  fand, 
die  staatlichen  Anordnungen  zu  umgehen.  Un- 
streitig ist  aber  das  staatliche  Eingreifen  auf 
die  äußere  Gestaltung  der  T.,  also  auf  das 
einheitliche  Tarifschema  von  großem  Erfolg 
gewesen  (s.  auch  Differentialtarife,  Gepäcktarife, 
Gütertarife  u.  Personentarife).  Gninow. 

Tarifbildung.  Hierunter  versteht  man  im 
allgemei;  en  die  Grundsätze,  wonach  die  Beför- 
derungspreise  gebildet  werden.  Bei  der  T.  kann 
man  entweder  von  dem  privatwirtschaft- 
lichen Verwaltungsgrundsatz  ausgehen,  um 
einen  möglichst  hohen  Betriebsüberschuß  zu 
erzielen  oder  man  kann  den  gern  ein  wirt- 
schaftlichen Verwaltungsgrundsatz  annehmen, 
wobei  durch  die  Eisenbahnen  für  die  Gemein- 
wirtschaft der  höchste  Nutzen  erreicht  wird 
(s.  Gütertarife,  insbesondere  Bd.  V,  S.  464). 
Der  Umstand,  daß  die  Verwaltungen  der 
Privateisenbahnen  oft  durch  gesetzliche  Vor- 
schriften oder  durch  den  Wettbewerb  an  der 
unbeschränkten  Durchführung  der  privatwirt- 
schafllich  günstigsten  T.  gehindert  werden, 
oder  daß  bei  den  Staatsbahnen  mit  Rück- 
sicht auf  den  Geldhaushalt  des  Staates  aus 
Gründen  der  Steuerpolitik  die  gemeinwirtschaft- 
lich beste  T.  nicht  durchgeführt  wird,  ergibt 
keine   neuen   Verwaltungsgrundsätze,    sondern 


nur  eine  unvollständige  Durchführung  eines 
oder  des  andern  der  beiden  genannten  allein 
möglichen  Verwaltungsgrundsätze. 

Für  die  T.  kommen  von  den  beiden  Gruppen 
der  Betriebsausgaben,  den  festen  und  den  ver- 
änderlichen (s.  Gütertarife,  Bd.  V,  S.  455),  nur 
die  veränderlichen  Betriebskosten  in  Betracht, 
die  in  gleichem  Verhältnis  mit  der  Zahl 
der  Verkehrseinheiten  wachsen.  Die  festen  Be- 
triebskosten bilden  eine  von  der  Art  der  T. 
ganz  unberührt  bleibende  Ausgabe.  Die  mit 
der  Verkehrsmenge  wachsenden  Betriebskosten, 
die  Betriebskosten  im  eigentlichen  Sinn,  setzen 
sich  aus  den  Ausgaben  für  Aufnahme  und  Ab- 
gabe des  Verkehrs  a  und  den  mit  der  Fahr- 
länge X  wachsenden  Transportkosten  f^x  zu- 
sammen, sind  also  für  die  auf  die  Entfernung 
X  beförderte  Einheit  =  a  -]-fQX.  Dieser  Betrag, 
der  die  Mehrkosten  darstellt,  die  aus  der  Be- 
förderung einer  neu  hinzukommenden  Einheit 
entstehen,  ist  natürlich  von  Fall  zu  Fall  nicht 
der  gleiche,  sondern  ändert  sich  oft  sprung- 
weise, wenn  die  Einstellung  eines  neuen  Wa- 
gens in  einen  Zug  oder  die  Einrichtung  eines 
neuen  Zuges  u.  s.  w.  durch  den  Verkehrszuwachs 
nötig  wird.  Für  den  Betrieb  einer  größeren 
Bahnstrecke  ergeben  sich  indessen  für  die 
Zahlenwerte  a  und  /g  gleichbleibende  Durch- 
schnittswerte, die  aber  verschieden  für  die 
einzelnen  Verkehrsgattungen  sind,  wie  bei- 
spielsweise für  die  Personen  der  verschiedenen 
Wagenklassen,  für  Stückgüter,  Wagenladungs- 
güter, Eilgüter  u.  s.  w.  Die  Schwierigkeit, 
diese  Zahlenwerte  in  einer  für  die  praktische 
Benutzung  genügend  scharfen  Weise  festzu- 
stellen, beeinträchtigt  den  Wert  der  Theorie 
der  T.  nicht,  denn  diese  Theorie  hat  nicht  die 
Aufgabe,  für  die  zweckmäßigste  Art  der  T. 
unmittelbar  verwendbare  Zahlenwerte  festzu- 
stellen, sondern  soll  zunächst  die  Gesetze  ent- 
wickeln, die  für  eine  zweckmäßige  Art  der  T. 
maßgebend  sind. 

Als  einfachste  und  desh.ilb  auch  am  weitesten 
verbreitete  Gesetzmäßigkeit  der  T.  erscheint  die 
Erhebung  eines  gleichmäßig  mit  der  Beförde- 
rungsweite zunehmenden  Beförderungspreises; 
es  ist  dies  der  einfache  Entfernungstarif.  Wird 
zur  Vereinfachung  der  Betrachtung  zunächst 
angenommen,  daß  die  Kosten  der  Aufnahme 
und  Abgabe  des  Verkehrs  durch  Erhebung 
einer  den  Selbstkosten  gleichkommenden  Ab- 
fertigungsgebühr (Expeditionsgebühr)  a  gedeckt 
werden,  so  wird  bei  einem  Tarifsatz /an  einer 
auf  die  Entfernung  x  beförderten  Einheit  ein 
Betriebsüberschuß  u=  (f-fg)  x  gewonnen. 

Wird  ein  Gut  an  seinem  Ursprungsort  zu 
einem  Preis  p  abgegeben  und  findet  es  zum 
Preis  m  noch  Abnehmer,  so  ist  sein  Versen- 


266 


Tarifbildung. 


dungswert  m—p  —  a 

Satz  /  die   äußerste  Versendungsweite  /•  = 


V  und  bei  einem  Fracht- 

V 


f 


Ein    Verbrauchsort    kann    also    mit   diesem 
Gut   aus    einem   Marktgebiet   von    der  Größe 

::r^=  ^—versorgt  und  ebenso  von  einem  Er- 
zeugungsort ein  gleich  großes  Absatzgebiet 
damit  versehen  werden.  Werden  auf  die  Flächen- 
einheit des  Marktgebiets  y  Gütereinheiten  er- 
zeugt oder  verbraucht,  so  ist  die  Anzahl  der 
zu  leistenden  Verkehrseinheiten   [tkm): 

i  r 

2 


V  =  2yjc\a-2ö'x 


r^ 


und  mithin  der  gesamte,  aus  der  Versendung 
dieses    Gutes    entstehende    Betriebsüberschuß: 

Man  erkennt  leicht,  daß  dieser  Betriebs- 
überschuß für/^P^/o  sein  höchstes  Maß 
erreicht.  Es  wird  also  bei  Annahme  des  ein- 
fachen Entfernungstarifs  für  Güter,  deren  Ver- 
sendungsgebiet keine  andere  Einschränkung  als 
durch  die  Höhe  der  Frachtkosten  erleidet,  der 
Frachtsatz  am  zvi'eckmäßigsten  auf  den  1 ''  fachen 
Betrag  der  Selbstkosten  des  Betriebs  festgestellt. 

Bei  der  Ableitung  dieses  Satzes  wurde  für 
die  ganze  Ausdehnung  des  Versendungsgebiets 
eine  gleiche  Verkehrsdichtigkeit  y  angenommen, 
während  in  Wirklichkeit  die  Verkehrsdichtig- 
keit mit  der  Versendungsweite  im  allgemeinen 
abnehmen  wird.  Allein  dieser  Umstand  beein- 
trächtigt die  Richtigkeit  des  gefundenen  Satzes 
nicht  im  mindesten,  da  man  statt  eines  ein- 
zigen Gutes,  dessen  Verkehrsdichtigkeit  nach 
irgendwelchem  Gesetz  mit  wachsender  Ver- 
sendungsweite abnimmt,  eine  größere  Anzahl 
verschiedener  Gütervon  sehr  kleiner,  aber  gleich- 
bleibender Verkehrsdichtigkeit  Av  annehmen 
kann,  deren  jedes  einen  andern  Versendungs- 
wert V  und  dementsprechend  eine  andere  äußerste 
Versendungsweite  r  hat.  Für  jedes  einzelne 
dieser  Güter  mit  gleichbleibender  Verkehrs- 
dichtigkeit gilt  dann  der  gefundene  Satz,  daß 
der  Frachtsatz  zu  dem  P/jfachen  Betrag 
der  Betriebskosten  angenommen  werden  muß, 
und  folglich  auch  für  die  Summe  alier  dieser 
Güter,  die  an  Stelle  eines  einzigen  Gutes  mit 
veränderlicher  Verkehrsdichtigkeit  gesetzt  waren. 
Der  Satz  bleibt  auch  ferner  zutreffend,  wenn 
die  Rechnung  nicht  auf  ein  volles,  kreisförmi- 
ges Verkehrsgebiet,  sondern  nur  auf  einen  Kreis- 
ausschnitt von  kleinerem  Zentriwinkel  bezogen 
wird. 

Geht  die  äußerste  Versendungsweite  des 
Gutes  über  die  Grenzen  des  eigenen  Bahngebiets 
hinaus,  so  wird  der  günstigste  Frachtsatz  größer 


als  P'2/0  """^  s*^'§^  ^"''  ^^'^''  1^'^'"^  Bahn- 
gebiete im  äußersten  Fall  auf  2/^,  wie  durch 
einen  dem  vorstehenden  ähnlichen  Rechnungs- 
gang leicht  nachgewiesen  werden  kann.  Hier- 
durch wird  die  wichtige  Tatsache  erwiesen, 
daß  Verwaltungen  großer  Bahngebiete  in  ihrem 
eigenen  Interesse  niedrigere  Fahrpreise  erheben 
müssen  als  kleine  Bahnverwaltungen. 

Auch  für  den  Fall,  daß  das  Marktgebiet 
eines  Gutes  durch  den  Wettbewerb  benachbarter 
Marktorte  eine  Einschränkung  erleidet,  wie  z.B. 
das  Versendungsgebiet  der  Saarkohle  durch 
das  der  Ruhrkohle,  wird  der  günstigste  Fracht- 
satz höher  als    P^/n- 

Bemerkenswert  ist  noch,  daß  auf  Zweigbahnen, 
die  für  Rechnung  des  umgebenden  Hauptbahn- 
netzes betrieben  werden,  niedrigere  Frachtsätze 
erhoben  werden  müssen  als  auf  Zweigbahnen, 
die  unter  gesonderter  Verwaltung  stehen.  Die 
Rechnungen,  durch  die  diese  Wahrheiten 
nachgewiesen  werden,  sind  zu  finden  in  Laun- 
hardt,  Kommerzielle  Trassierung,  Hannover, 
2.  Aufl.,  1887;  ferner  in  Launhardt,  Mathe- 
matische Begründung  der  Volkswirtschaftslehre, 
Leipzig  1888;  endlich  auch  in  Launhardt, 
Theorie  der  Tarifbildung,  Arch.  f.  Ebw.  1890, 
auch   im   Sonderabdruck  erschienen. 

Bei  dem  bis  jetzt  erörterten  einfachen  Ent- 
fernungstarif wird  der  an  der  Beförderung 
einer  f^inheit  erreichte  Betriebsüberschuß  um 
so  größer,  je  größer  die  Beförderungsweite  ist, 
und  erreicht  sein  höchstes  Maß  an  der  Ver- 
sendungsgrenze,  über  die  hinaus  bei  Festhaltung 
des  einfachen  Entfernungstarifs  nun  plötzlich 
nichts  mehr  zu  gewinnen  ist.  Es  liegt  nun 
sehr  nahe,  für  weitere  Entfernungen  dadurch 
noch  eine  lohnende  Versendung  möglich  zu 
machen,  daß  man  für  diese  einen  etwas  er- 
mäßigten Streckensatz  einführt.  Eine  solche 
Abweichung  von  dem  reinen  Entfernungstarif 
hat  man  bekanntlich  als  Differentialtarif  be- 
zeichnet und  vielfach  mit  Vorteil  für  den  Ver- 
kehr wie  für  die  Eisenbahnen  in  mannigfacher 
Weise  angeordnet.  Dabei  hat  das  Willkürliche 
und  die  Systemlosigkeit  dieser  Einrichtungen 
aber  auch  nicht  selten  zu  einer  Verletzung 
wesentlicher  Verkehrsinteressen  geführt.  Die 
meistens  aber  unbestreitbaren  Vorteile  der  Dif- 
ferentialtarife erweisen,  daß  der  reine  Entfer- 
nungstarif keineswegs  die  zweckmäßigste  Art 
der  t.  ist  (vgl.  Differentialtarif,  Bd.  HI,  S.  371). 

Um  die  günstigste  .Art  der  T.  zu  finden,  ist 
vor  allem  die  Tatsache  zu  beachten,  daß  die 
\erkehrsmenge  von  der  Höhe  der  Fracht  ab- 
hängig ist  und  mit  Erhöhung  der  Fracht  nach 
irgendwelchem  Gesetz  abnimmt.  Setzt  man  die 
Höhe  der  Fracht  für  die  Einheit  =  F,  die 
bei  dieser  Fracht  zur  Beförderung  kommende 


Tarifbildung. 


267 


Verkehrsmenge  V,  so  besteht  zwischen  beiden 
eine  Fun]<tion,  die  das  Gesetz  der  Verkehrs- 
dichtigl<eit  bildet  und  zu  setzen  ist:  V=(('{F). 
Betragen  die  Betriebskosten  für  die  Beförderung 
der  Einheit  auf  die  Entfernung,  für  die  die 
Fracht  F  erhoben  wird,  B,  so  ist  der  bei 
dieser  Beförderungsweite  erreichte  Betriebs- 
überschuß N=(F^B)(p(F). 

Man  erfährt  durch  Differentiation  nach  F, 
daß  dieser  Betriebsüberschuß  sein  höchstes  Maß 
erreiclit,  wenn  (f  (F)  -(-  (F-  B)  ff'  (F)  =  0  ist. 
In  Abb.  267  sind  die  Größen  der  Fracht  F 
auf  der  Abszissenachse  zu  messen,  während  die 
Ordinalen  der  Kurve  der  Verkehrsdichtigkeit 
ACEG  die  Verkehrsmengen  angeben. 

Aus  der  für  die  günstigste  Höhe  der  Fraclit 
gefundenen  Bedingung  erhält  man: 

F-B=-y}Q^ 

<f'(F) 
also    in   Worten    ausgedrückt:    Der    Betriebs- 
überschuß   muß   gleich    der   Subtangente   der 
Kurve   der    Verkehrsdichtigkeit   an    der   Stelle 
des  günstigsten  Frachtbetrags  sein. 

Trägt  man  in  der  Abbildung  die  Höhe  der 
Betriebskosten  für  irgendeine  Entfernung  mit 
OB  auf  der  Abszissenachse  ab,  so  muß  man 
eine  Tangente  DFT  derart  an  die  Kurve  der 
Verkehrsdichtigkeit  legen,  daß  deren  Berührungs- 
punkt E  in  der  Mitte  zwischen  dem  Schnitt- 
punkt D  mit  der  Ordinate  der  Betriebskosten 
und  deren  Schnittpunkte  T  mit  der  Abszissen- 
achse liegt.  Das  Rechteck  BHEF  stellt  den 
höchsten  erreichbaren  Betriebsüberschuß  dar, 
der  durch  Festsetzung  der  Fracht  auf  das  Maß 
OF  gewonnen  wird. 

Die  Entwicklung  der  Gestalt  der  Kurve  der 
Verkehrsdichtigkeit  bietet  allerdings  praktisch 
große  Schwierigkeiten;  sie  wird  für  jedes  ein- 
zelne Frachtgut  eine  verschiedene  sein.  Ohne- 
weiters  läßt  sich  nun  behaupten,  daß  diese 
Kurve  sowohl  die  Ordinalen  wie  die  Abszissen- 
achse schneiden  muß,  da  selbst  bei  einer 
Fracht  =  0  dieVerkehrsmenge  noch  eineendliche 
Größe  haben  muß  und  da  der  Verkehr  schon 
gleich  Null  werden  wird  für  eine  noch  endliche 
Höhe  der  Fracht.  Ferner  erkennt  man  schon 
aus  einer  oberflächlichen  Beobachtung  der 
Tatsachen,  daß  die  Kurve  von  der  Sehne  AO 
sehr  stark  nach  unten  abweicht.  Aus  dieser 
Natur  der  Kurve  der  Verkehrsdichtigkeit  folgt, 
daß  die  absolute  Höhe  des  Betriebsüberschusses 
mit  wachsender  Beförderungsweite  abnehmen 
und  für  die  Versendungsgrenze  gleich  Null 
werden  muß.  Man  hat  eine  solche  Art  der  T. 
wohl  als  den  Tarif  mit  fallender  Skala  be- 
zeichnet. Eine  Annäherung  an  diese  T.  zeigen 
die  Staffeltarife,  bei  denen  man  mit  wachsender 
Entfernung  den  kilometrischen  Frachtsatz  nicht 


stetig,  sondern  von  Strecke  zu  Strecke  ver- 
mindert. Auch  bei  den  Zonentarifen  nimmt 
die  Fracht  meistens  langsamer  zu  als  die  Be- 
förderungsweile. Indessen  liegt  hierin  nicht 
das  Wesentliche  des  Zonentarifs,  sondern  darin, 
daß  die  Fracht  oder  das  Fahrgeld  nicht  un- 
mittelbar nach  der  kilometrischen  Entfernung, 
sondern  nach  größeren  Entfernungsabschnitten, 
die  man  Zonen  nennt,  bestimmt  wird.  Für 
kleine  Entfernungen  würde  eine  nach  der  Kurve 
der  Verkehrsdichtigkeit  bestimmte  Fracht  so 
hoch  ausfallen,  daß  mit  Rücksicht  auf  den 
Wettbewerb  des  gewöhnlichen  Straßenverkehrs 
eine  nicht  unerhebliche  Ermäßigung  vorzu- 
nehmen sein  würde. 

Da  für  wertvolle  Güter  die  Kurve  der  Ver- 
kehrsdichtigkeit flacher  gestreckt  ist   und  sich 


0    B 


der  Abszissenachse  langsamer  nähert  als  bei 
wohlfeilen  Gütern,  so  muß  der  günstigste  Fracht- 
satz allgemein  größer  mit  zunehmendem  Wert 
der  Güter  ausfallen.  In  diesem  Umstand  liegt 
die  wahre  Begründung  für  die  Wertklassifi- 
kation bei  der  T.,  nicht  aber  in  dem  dafür 
meistens  angeführten  Umstand,  daß  die  wert- 
volleren Güter  höhere  Frachten  vertragen 
könnten. 

Für  den  Personenverkehr  ist  die  Kurve 
des  Reisegesetzes  nach  Untersuchungen  von 
Eduard  Lill  (Ztschr.  d.  österr.  Ing.-V.)  eine  ge- 
meine Hyperbel.  Nach  anderen  Untersuchungen, 
die  sich  auf  die  Betriebsergebnisse  der  preußi- 
schen Staatseisenbahnen  gründen  (Launhardt, 
Das  Personenfahrgeld.  Arch.  f.  Ebw.  1890,  H.  6) 
ist  das  Reisegesetz  weniger  einfach,  entspricht 
aber  immerhin  einer  Kurve,  die  man  als  eine 
Hyperbel  höherer  Ordnung  bezeichnen  kann. 

Bei  der  Untersuchung  der  günstigsten  ge- 
meinwirtschaftlichen T.  ist  wieder  von  der  Kurve 
der  Verkehrsdichtigkeit  auszugehen.  Ist  bei  den 
Betriebskosten  OB  die  Fracht  auf  OF  festge- 
setzt (Abb.  268),  so  wird  der  durch  die  Ei- 
senbahn erzielte  Betriebsüberschuß  durch  das 
Rechteck  BHEF  dargestellt.  Setzt  man  jetzt 
die  Fracht  von  OF  auf  OK  herab,  so  verliert 
die  Eisenbahn  an  dem  Verkehr  EF  den  durch 


268 


Tarifbildung.  -  Tariflänge 


das  Rechteck  KMEF  dargestellten  Betrag,  der 
aber  von  den  Verkehrsinteressenten  gewonnen 
wird.  Dieser  Verlust  und  Gewinn  gleichen  sich 
gemeinschaftlich  aus.  Durch  die  Frachtherab- 
setzung steigert  sich  aber  die  Verkehrsmenge 
von  FE  auf  KI,  also  um  das  Maß  IM  und 
an  diesem  Verkehrszuwachs  gewinnt  die  Eisen- 
bahn einen  Betriebsüberschuß,  der  durch  das 
Rechteck  HL/M  dargestellt  wird.  Die  Fracht- 
herabsetzung hat  also  den  gemeinwirtschaft- 
lichen Nutzen  der  Eisenbahn  um  diesen  letzt- 
genannten Betrag  erhöht.  Jede  weitere  Herab- 
setzung der  Fracht  wirkt  in  ähnlicher  Weise, 
bis  die  Fracht  auf  die  Höhe  der  Betriebskosten 
herabgesetzt  ist.  Von  hier  ab  ist  durch  eine 
weitgehende  Frachtherabsetzung  keine  Erhöhung 
des  gemeinwirtschaftlichen  Nutzens  mehr  zu 
erreichen,  sondern  jede  Herabsetzung  der  Fracht 
würde  von  da  ab  den  gemeinwirtschaftlichen 
Nutzen  vermindern,  weil  an  dem  neugeweckten 
Verkehr  die  Eisenbahn  eine  Einbuße  erleidet. 
Durch  diese  einfache  Betrachtung  zeigt  sich, 
daß  der  höchste  gemeinwirtschaftliche  Nutzen 
der  Eisenbahnen  durch  Herabsetzung  der  Tarife 
auf  die  Höhe  der  Selbstkosten  des  Betriebs 
erreicht  wird.  Es  mag  bemerkt  werden,  daß 
hierbei  x^'ieder  nicht  die  festen  Betriebsausgaben, 
sondern  nur  die  veränderlichen,  gleichmäßig 
mit  der  Verkehrsmenge  wachsenden  Betriebs- 
kosten in  Betracht  kommen.  Die  Durchführbar- 
keit dieser  günstigsten  gemeinwirtschaftlichen 
T.  ist  allerdings  an  die  Voraussetzung  gebunden, 
daß  der  Staat  zur  Deckung  der  festen  Betriebs- 
ausgaben, also  auch  zur  Verzinsung  der  An- 
lagekosten, andere  Mittel  zur  Verfügung  hat.. 
Wäre  vor  Anlage  der  Eisenbahn  auf  den 
vorhandenen  Wegen  eine  Fracht  OT  erhoben, 
bei  der  ein  Verkehr  ST  möglich  war,  so 
würde  sich  im  günstigsten  Fall  durch  die 
Eisenbahn   ein    gemeinwirfschaftlicher  Gewinn 


L 
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1               . 

0     B 


K     F 

Abb.  26S. 


T 


erzielen  lassen,  der  durch  das  Dreieck  UCS 
dargestellt  wird.  Wird  die  Fracht  aber  nicht 
bis  auf  die  Betriebskosten  OB  herabgesetzt, 
sondern   zu  OF  festgestellt,   so  wäre  der  ge- 


meinschaftliche Nutzen  der  Eisenbahn  dem 
Dreieck  V7;S  entsprechend.  Hierauf  lassen  sich 
auch  ohne  genaue  Kenntnis  der  Form  der  Kurven 
der  Verkehrsdichtigkeit  schätzungsweise  Rech- 
nungen stützen,  nach  denen  der  gemeinwirt- 
schaftliche Nutzen  der  Eisenbahnen  den  Be- 
triebsüberschuß um  das  3-  oder  gar  4fache 
übersteigt.  Launhardt  f. 

Tarifenqueten  s.  Enqueten. 

Tarifhoheit.  Während  nach  allgemein 
volkswirtschaftlichen  Grundsätzen  der  Gewerbe- 
treibende, besonders  auch  die  Verkehrsanstalt, 
die  Preise  für  die  Leistungen  selbständig  fest- 
stellen kann,  unterliegt  dieses  Recht  bei  den 
öffentlichen  Verkehrsanstalten  (Eisenbahn,  Post, 
Telegraph)  der  Mitwirkung  des  Staates,  es 
gehört  zu  den  sog.  staatlichen  Hoheitsrechten. 
Seine  innere  Begründung  findet  das  Tarif- 
hoheitsrecht bei  den  Eisenbahnen  in  ihrer 
allgemein  wirtschaftlichen  Bedeutung  und  ihrem 
Monopolcharakter.  Bei  den  Staatsbahnen  ist 
das  Recht,  die  Tarife  festzustellen,  unbeschränkt. 
Den  Privatbahnen  wird  in  den  Konzessionen 
dieses  Recht  —  meist  unter  bestimmten  Be- 
dingungen und  Beschränkungen  —  verliehen, 
es  kann  nicht  nur  aus  bestimmten  Gründen, 
z.  B.  Ablauf  der  Zeit,  auf  die  es  verliehen  ist. 
Mißbrauch  u.  s.  w.,  entzogen  oder  beschränkt 
werden,  sondern  auch  durch  die  Gesetzgebung 
unter  Umständen  gegen  Gewährung  einer  Ent- 
schädigung. 

Ein  Ausfluß  der  T.  ist  auch  die  Befugnis 
des  Staates,  gewisse  Grundsätze  für  die  Bildung 
und  Gestaltung  der  Eisenbahntarife  durch  be- 
sondere Gesetze  festzustellen.  Diese  Grundsätze 
sind  sowohl  für  die  Staatsbahnen  als  auch  für 
die  Privatbahnen  maßgebend  und  bei  letzteren 
in  die  Konzessionen  aufzunehmen.'  Solche 
Gesetze  sind  z.  B.  das  preußische  Eisenbahn- 
gesetz vom  3.  November  1 S3S,  das  amerikanische 
Bundesverkehrsgesetz  (Interstate  Commerce 
Act,  s.  d.)  sowie  eine  Reihe  einzelstaatlicher 
Gesetze  in  den  Vereinigten  Staaten,  das  englische 
Eisenbahn-  und  Kanalgesetz  vom  10.  August 
ISSS  U.S.W,  (s.  die  Art.  über  die  einzelnen 
Länder). 

Literatur  s.  bei  dem  Art.  Gütertarife.  -  Laun, 
Tariffreiheit  und  Tarif hoheit.  Wien  1914. 

V.  der  Leyen. 

Tarifkartelle  s.  Kartelle. 

Tarifkrieg  ist  ein  Wettkampf  um  den  \'er- 
kelir,  der  von  Eisenbahnen  untereinander  oder 
mit  anderen  X'erkehrswegen  durch  Unter- 
bietung  in  den  Beförderungspreisen  geführt  wird 
(vgl.  den  Art.  Wettbewerb). 

Tariflänge,  die  der  Tarifberechnung  zu 
gründe  gelegte  Entfernung  zweier  Stationen. 
Sie  weicht  von  der  wirklichen  Länge  vor  allem 


Tariflärtge.   -  Tastensperre. 


269 


deshalb  ab,  weil  bei  der  T.  Bruchteile  des 
Längenmaßes,  z.  B.  eines  Kilometers,  zu  ganzen 
Kilometern  aufgerundet  oder  fallen  gelassen 
werden.  Abgesehen  hiervon  wird  aus  Wett- 
bewerbsgründen der  Tarifberechnung  mitunter 
die  geringere  Länge  einer  im  Wettbewerb 
stehenden  Eisenbahnlinie  zu  gründe  gelegt, 
anderseits  werden  bei  der  T.  Zuschläge  zu 
den  tatsächlichen  Entfernungen  gemacht,  um 
eme  Entschädigung  für  schwierige  Strecken 
(starke  Steigungen),  für  kostspielige  Bauwerke 
(Brücken,  Tunnel,  Verbindungsbahnen)  zu  ge- 
währen. Vgl.  Distanzzuschläge  und  Virtuelle 
Länge. 

Tarif politik  s.  Eisenbahn]5oIitik. 

Tarifzuschläge  s.  Distanzzuschläge  und 
Gütertarife. 

Tasmanien,  Insel,  südlich  vom  australischen 
Festland,  englische  Kolonie,  zur  Commonwealth 


von  Australien  gehörig,  Umfang  einschließlich 
der  Nebeninseln  68.334  km~,  Emwohner  etwa 
ISO. 000.  Das  Eisenbahnnetz  bestand  (1912) 
aus  757  km  Staatsbahnen  und  266  km  dem 
öffentlichen  Verkehr  dienenden  Privatbahnen. 
Außerdem  waren  eine  Anzahl  Trambahnen 
vorhanden.  Die  Hauptlinie  erstreckt  sich  von 
der  im  Süden  der  Insel  gelegenen  Hauptstadt 
der  Kolonie,  Hobart,  nach  Launceston  im 
Norden  mit  einer  Zweigbahn  nach  dem  Mac- 
quarie-Hafen.  Die  Spurweite  der  Bahnen  ist 
3'  6"  englisch. 

Die  Erträge  der  Bahnen  sind  sehr  verschieden. 
Bei  5  Linien  im  Umfang  von  140  km  deckten 
im  Jahre  1911  die  Betriebseinnahmen  nicht 
die  Ausgaben.  Die  Betriebszahl  betrug  bei  einer 
Bahn  244  % ,  dagegen  hatte  die  vorgenannte 
Hauptlinie  eine  Betriebszahl  von  69  %  und 
verzinste  das  Anlagekapital  mit  2-66  ^j,. 


Hauptbetriebsergebnisse  der  Staatsbahnen  (Rechnungsjahr  I.Juli  bis  30.  Juni). 


Einnahmen      |       Ausgaben              (Jberschuß 

Betriobszahl 

Verzinsung 
des  Anlage- 
kapitals 

Beförderte 
Personen 

Beförderte  Güter 

Pfund   Sterling 

1909 
1910 
1911 

280.036 
284.063 
277.916 

204.127 
211.677 
215.530 

75.909 
72.386 
62.386 

72-89  »0 
74-51  li, 
77-55% 

1-89% 
1-78% 
1-52% 

1,547.016 
1,650.455 
1,682.386 

467.417 
422.793 
346.186 

1'.  der  Lnrii. 


Tastensperre,  elektrische  (eledric  pliinger  lock; 
cncknchcment  electrique  de  la  touclie ;  arresto  elettrico  dcl 
bottone)  ist  eine  Vorrichtung,  die  das  Niederdrücken  einer 
Blocktaste  verhindert,  bis  ein  zu  der  Vorrichtung  gehörender 
Elektromagnet  Strom  erhält  und  die  Sperrung  beseitigt. 

Die  elektrische  T.  findet  bei  der  Streckenblockung  und 
bei  der  Stationsblockung  Anwendung.  Bei  der  Strecken- 
blockung wird  sie  benutzt,  um  die  Freigabe  des  Signals 
am  Anfang  der  rückliegenden  Blockstrecke  von  der  Mit- 
■wirkung  des  aus  dieser  Strecke  ausfahrenden  Zuges  abhängig 
zu  machen  (s.  Blockeinrichtungen,  Bd.  II,  S.  392).  Die  T. 
wird  dann  meistens  mit  dem  Endfeld  der  Streckenblockung 
verbunden  und  hält  bei  entblocktem  Feld  dessen  Blockstange 
fest.  In  der  Regel  wird  die  Sperrung  aufgehoben,  wenn 
die  erste  Achse  eines  Zuges  bei  Fahrsignal  einen  Schienen- 
stromschließer  befährt  und  so  einen  Stromschluß  herbei- 
führt, der  den  Elektromagnet  der  T.  erregt.  Das  Blocken 
des  Endfeldes  und  damit  die  Freigabe  der  rückliegenden 
Strecke  ist  dadurch  davon  abhängig  gemacht,  daß  eine 
Zugfahrt  erfolgt  und  bis  zu  einer  bestimmten  Stelle  gelangt 
sein  muß.  Auf  den  preußischen  Bahnen  wird  der  Schienen- 
stromschließer  im  allgemeinen  etwa  30  m  hinter  das  Einfahr- 
oder Blocksignal  verlegt.  Auf  den  bayerischen  Bahnen  ist 
zwischen  dem  Blocksignal  und  dem  Schienenstromschließer 
meist  eine  volle  Zuglänge  vorhanden.  Durch  die  elektrische  T. 
wird  also  verhindert,  daß  ein  Zug  in  eine  Blockstrecke  ein- 
gelassen wird,  bevor  der  vorausgefahrene  Zug  beim  Ver- 
lassen dieser  Blockstrecke  eine  bestimmte  Stelle  erreicht  hat. 


270 


Tastensperre. 


O 

o 


1 

o 

1 

€ 

o 


Bei  der  Stationsblockung  findet  die  elektrische  T. 
Anwendung,  um  die  Bedienung  von  Signalfreigabe-  oder 
Zustimmungsfeldern  von  der  Mitwirkung  eines  Beamten  oder 
von  dem  Befahren  eines  Stromschließers  durch  ein  Fahrzeug 
abhängig  zu  machen.  Am  häufigsten  wird  sie  so  benutzt  bei  Ne- 
benbefehlstellen, 
wenn  der  Fahr- 
dienstleiter die 
Bedienung  des 
Signalfreigabe-; 
feldes  einem  an- 
dern Beamten 
überträgt,  oder 
als  Aufsichtszu- 
stimmung, wenn 
die  Signalfrei- 
gabe von  der  Zu- 
stimmung eines 
Aufsichtsbeam- 
ten abhängig  ge- 
macht werden 
soll.  Auch  die  Er- 
laubnisabgabe- 
felder der  Strek- 
kenblockung  für 
eingleisige  Bah- 
nen erhalten  häu- 
fig elektrischer., 
um  die  Bedie- 
nung dieser  Fel- 
der ohne  Wissen 
des  Fahrdienst- 
leiters zu  ver- 
hindern. 

Die  Abb.  269 
bis  272  zeigen 
die  Bauart  einer 
elektrischen  T. 
Sie  ist  auf  dem 
Blockkasten  über 
demzugehörigen 
Blockfeld  aufge- 
baut. Auf  die 
Stange  /  (Abb. 
269  und  270), 
die  aus  dem 
Gehäuse  der 
T.  nach  unten 
hinaustritt,  ist 
ein   Kuppelstück 

aufgeschraubt,    das  die  unter  ihr  liegende 
(Abb.  270).    An    ihrem  oberen  Teil    trägt 
Druckstück  2.  In  der  Grundstellung  der  T. 
stößt  dieses  Stück   bei  dem  V^ersuch,   die 
zudrücken,   auf   die   Sperrklinke  3.    Die 
gesperrt.   Wird    aber   durch  Befahren 
Schließers  oder  durch   einen  von  einem   Beamten  bedienten 
Schlüsselstromschließer    der    Elektromagnet    5     (Abb.   269) 


Abb.  272. 


Blocktaste  umfaßt 
die  Stange  /  das 
(Abb.  269  u.  270) 
Blocktaste  nieder- 
Blocktaste  ist  also 
eines    Schienenstrom- 


Tastensperre.  -  Tauernbahn. 


271 


erregt,  so  zieht  dieser  seinen  Anker  4  an. 
Der  vordere  Teil  6  dieses  Ankers  senkt  sich 
dann.  Der  Verschiußhalter  7  verliert  seine 
AbStützung  am  Ankerhebel  6  und  schwingt 
unter  dem  Druck  des  von  der  Feder  10  ange- 
zogenen Ausiösehebels  9  im  unteren  Teil  nach 
rechts  aus.  Der  Auslösehebel  9  tritt  alsdann  aus 
der  Einklinkung  8  heraus  und  geht  unter  dem 
Zug  der  Feder  10  nach  oben.  Dabei  schiebt 
ein  auf  dem  Hebel  9  befestigter  Stift  die  Sperr- 
klinke 3  beiseite.  Die  T.  nimmt  dann  die  in 
Abb.  271  dargestellte  Stellung  ein,  sie  ist  ausge- 
löst. Wird  jetzt  versucht,  die  Blocktaste  niederzu- 
drücken, so  findet  das  Druckstück  2  kein  Hinder- 
nis. Die  Blockbedienung  kann  jetzt  durchge- 
führt werden.  Wird  die  niedergedrückte  Block- 
taste nach  erfolgter  Blockung  losgelassen,  so 
tritt  die  Grundstellung  wieder  ein.  Der  Auslöse- 
hebel 9  hat  nämlich  beim  Heruntergehen  der 
Stange  /  den  Verschlußhalter  7  wieder  in  seine 
Grundstellung  gebracht,  in  der  dieser  durch  den 
vorderen  Teil  des  inzwischen  abgefallenen  Ankers 
des  Elektromagneten  5  festgehalten  wird. //oo^i»«. 

Taster,  Telegraphiertaster.  Der  Teil  der 
Telegrapheneinrichtung,  mit  dem  die  zur 
Zeichengebung erforderlichen  Schließungen 
und  Unterbrechungen  hervorgebracht 
werden  (s.  Telegraph,  A.  Telegraphen- 
anlagen). F'i'l^- 

Tatbestandaufnahme     s.      Fracht- 
recht    u,     Reklamationsverfahren. 

Taubahnen  (Kabelbahnen)  s.  Seil- 
bahnen. 

Tauernbahn,  im  eigentlichen  Sinn  die 
Verbindungslinie  von  der  Station  Schwarz- 
ach-St.  Veit  der  Linie  Salzburg-Innsbruck 
nach  der  Station  Spittal  a.  d.  Drau  der  Süd- 
bahn (Pustertallinie).  Vom  Standpunkt  des 
Verkehrs  wäre  allerdings  im  weiteren  Sinn 
die  Strecke  Salzburg-Bischofshofen-Vülach 
als  ein  einheitliches  Ganzes  aufzufassen. 
Die  T.  durchschneidet  das  vor  ihrer  Her- 
stellung eisenbahnlose  Gebiet  zwischen  der 
Brennerbahn  im  Westen  und  der  Linie 
Selzthal-Villach  im  Osten  ungefähr  in  der 
Mitte  seiner  mehr  als  200  km  langen  west- 
öbtlichen  Ausdehnung;  sie  verbindet  das 
Salzachtal  mit  dem  Drautal  und  verkürzt 
die  Verbindung  zwischen  Salzburg  und 
Villach  um  etwa  185  km.  Die  T.  ist  nicht 
nur  eine  wichtige  Verbindung  der  öster- 
reichischen Kronländer  Salzburg  und 
Kärnten,  sondern  sie  hat  auch  eine  große 
Bedeutung  für  den  Weltverkehr,  indem 
sie  in  Verbindung  mit  der  Karawanken- 
und  Wocheiner  Bahn  die  lang  ersehnte 
„zweite  Eisenbahnverbindung  mit  Triest" 
und    dem    Orient    herstellt    (Abb.    273). 


Die  Notwendigkeit  einer  solchen  zweiten  Eisen- 
bahnverbindung mit  Triest  neben  der  durch  die  Süd- 
bahn verwirklichten  veranlaßte  die  österreichische 
Regierung  und  den  Reichsrat  schon  1868,  sich  mit  dem 
Plan  ihrer  Erbauung  zu  beschäftigen.  In  den  Jahren 
186Q,  1870,  1872  und  1875  wurden  dem  Reichsrat 
von  der  Regierung  Entwürfe  vorgelegt,  die  auf  die 
Herstellung  dieser  Verbindung  abzielten  und  in 
denen  die  Predillinie  (von  Tarvis  unter  dem  Predil 
nach  Görz)  bevorzugt  wurde.  Aber  keine  dieser  Vor- 
lagen kam  zur  Beratung  im  Haus  und  die  Sache 
geriet  ganz  ins  Stocken,  als  sich  im  Jahre  1876  der 
Eisenbahnausscluiß  gegen  die  Predillinie  aussprach. 
Erst  anfangs  der  Aclitzigerjahre  kam  neues  Leben 
in  die  Frage  inid  es  trat  nunmehr  die  Forderung 
immer  bestimmter  auf,  daß  die  Verbindung  Triests 
mit  dem  Hinterland  von  Kärnten  durch  die  „Tauern" 
(östlicher  Teil  der  Zentralalpen)  nach  Salzburg  und 
Süddeutschland  geführt  werden  müsse;  da  aber  hier- 
für zahlreiche  Möglichkeiten  vorlagen,  entbrannte  ein 
lebhafter  Streit  der  Beteiligten,  ohne  daß  eine  be- 
stimmte Linie  unangefochten  in  den  Vordergrund 
getreten  wäre.  Dieser  Kampf  der  Meinungen  führte 
aber  dazu,  daß  nunmehr  von  verschiedenen  Seiten, 
darunter  auch  von  der  Staatsverwaltung  selbst 
eingehende  Studien  über  die  Möglichkeiten  sowie 
über  die  Vorteile  und  Nachteile  jeder  einzelnen 
Tauernbahnlinie  und  der  sonst  noch  in  Betracht 
kommenden  Verbindungen  mit  Triest  durchgeführt 
wurden.  1897  waren  die  Studien  der  Regierung  so 
weit  gediehen,  daß   sie  einen  Gesetzentwurf  fertig- 


Klaua  -SteycJui^ 


Abb.  273.  Lageplan  der  Tauernbahn. 


272 


Tauembahn. 


stellen  konnte,  der  damals  \xohl  nicht  zur  par- 
lamentarischen Behandlung  kam,  IQOO  aber,  erweitert 
durch  die  Einfügung  der  Karawankenbahn,  dem 
Reichsrat  zuging.  Da  auch  diese  Vorlage  infolge 
Schlusses  der  Tagung  nicht  zur  Behandlung  kam, 
wurde  dem  Reichsrat  1901  jene  Vorlage  unterbreitet, 
die  am  6.  Juni  desselben  Jahres  Gesetzeskraft  er- 
langte und  den  in  den  Jahren  1901-1909  erfolgten 
Bau  der  sog.  „neuen  Alpenbahnen"  ermöglichte. 
Durch  dieses  Gesetz  wurde  die  Regierung  ermächtigt, 
auf  den  bestehenden  Staatsbahnen  Investitionen  für 
den  Betrag  von  272  .Mill.  K  vorzunehmen  und  für 
fast  200  Mill.  K  neue  Eisenbahnen  zu  erbauen,  dar- 
unter: 1.  die  T.,  abzweigend  von  der  bestehenden 
Station  Schwarzach-St.  Veit  der  Staatsbahnlinie  Bi- 
schofshofen-Wörgl    über    Badgastein    und    Mailnitz 


Abb.  274.   Längenschnitt  der  Tauernbahn. 

nach  der  Station  Möllbrücken  oder  Spittal  a.  d.  Drau 
der  Pustertaler-Linie  der  Südbahn;  2.  die  Kara- 
wanken- und  Wocheiner  Bahn  Klagenfurt-Rosen- 
bachtal-Aßling-Podbrdo-Görz-Triest  mit  einem  Flügel 
Villach-Rosenbachtal;  beide  zusammengenommen 
bilden  die  lang  ersehnte  zweite  Eisenbahnverbindung 
mit  Triest. 

Im  Laufe  der  jahrzehntelangen  Studien  waren  fast 
20  verschiedene  Linien  projektiert  und  im  Gelände 
abgesteckt  worden.  Unter  den  zahlreichen  Linien, 
die  die  mächtige  Gebirgskette  der  Hohen  Tauern  in 
nordsüdlicher  Richtung  durchqueren  sollten,  wurde 
die  Gasteiner  Linie  zur  Ausführung  gewählt;  denn 
sie  vereinigt  die  Vorzüge,  daß  sie  die  kürzeste  und 
billigste  Linie  ist,  den  kürzesten  Scheiteltunnel  be- 
sitzt und  zwischen  Salzburg  und  Villach  eine  Weg- 
kürzung von  185  km  bei  dem  geringsten  Aufwand 
von  kilometrischen  Baukosten  bewirkt,  während  sie 
bezüglich  der  Baulän,ge,  der  erstiegenen  Höhe  beider 
Rampen  und  der  Höhe  des  Scheitelpunktes  den  sonst 


möglichen  günstigsten  Verhältnissen  wenigstens  ganz 
nahe  kommt. 

Die  T.  (vgl.  Längenschnitt  Abb.  274)  ist 
80-9  km  lang.  Die  Anfangsstation  Schwarzach- 
St.  Veit  liegt  in  einer  Seehöhe  von  591  m, 
der  höchste  Punkt  im  Scheiteltunnel  1226  m, 
die  Endstation  Spittal-.Millstättersee  in  der  See- 
höhe von  543  m;  die  überwundene  Steigung 
beträgt  also  auf  der  Nordseite  635  m,  auf  der 
Südseite  683  m.  Die  T.  ist  als  Hauptbahn  ersten 
Ranges  und  eingleisig  gebaut;  nur  die  Strecke 
zwischen  den  Stationen  Böckstein  und  Mailnitz 
mit  dem  Scheiteltunnel  ist  zweigleisig.  Die  größte 
Steigung  von  durchschnitt- 
lich 20'^ '2^00  ist  auf  der 
Nordrampe  auf  20.729  m 
=  öXOg  der  Länge,  auf 
der  Südrampe  auf  2  3.977  m 
=  59*0  der  Länge  und 
insgesamt  auf  44.713  m 
=  55  "ff  der  Gesamtlänge, 
der  kleinste  Bogenhalb- 
messer  von  250  m  auf 
12.752/«=  16»^,  der  Ge- 
samtlänge zur  Anwendung 
gebracht. 

Die  T.  enthält  außer  den 
beiden  Anschlußstationen 
10 Stationen  von  zusammen 
5563  m  Länge,  3  Haltestel- 
len von  zusammen  380  m 
und  2  Betriebsausweichen 
von  zusammen  1009  m 
Länge;  die  letzteren  dienen 
auch  für  den  Personen- 
und  beschränkien  Güter- 
verkehr. 

Der  Charakier  der  Linie 
ist  durch  die  eigenartige 
Gestaltung  des  Gasteiner- 
tals einerseits  und  des  Mail- 
nitz- und  Mölltals  ander- 
seits sowie  durch  die  Bestimmung,  daß  die  T. 
als  Hauptbahn  ersten  Ranges  herzustellen  war, 
festgelegt.  Geht  man  auf  der  Nordseite  von 
Lend  aus  dem  Lauf  der  Gasteiner  .Ache  ent- 
gegen, so  hat  man  zunächst  eine  untere,  mehr 
als  200  m  hohe  Talstufe  zu  überwinden,  die 
von  der  Ache  in  eng  gewundener  Klamm  durch- 
braust wird,  worauf  man  zu  dem  sanft  ge- 
neigten Talboden  zwischen  der  Klamm  und 
dem  Ort  Badgastein  gelangt.  Dieser  Bade- 
ort schmiegt  sich  der  zweiten,  fast  250  m 
hohen  Talstufe  an,  in  der  die  Ache  die 
weltberühmten  Gasteiner  Wasserfälle  bildet. 
Dann  erreicht  man  den  oberen  Talboden,  der 
sich  bis  Böckstein  am  Zusammenfluß  des  An- 
lauf- und  Naßfelderbaches  in  mäßiger  Neigung 


Tauernbahn. 


273 


hinzieht.  Daselbst  wendet  sich  die  Bahn  ins 
steilere  Anlauftal,  um  über  die  Station  Böck- 
stein nach  etwa  1 V2  km  Entfernung  von  der 
Talgabelung  den  Nordeingang  des  Tauern- 
tunnels  zu  erreichen.  Auf  der  Nordseite  ent- 
fallen also  etwa  10  km  Länge  zur  Überwin- 
dung der  untersten  Talstufe  von  255  m  Höhe, 
etwa  10  km  auf  den  darauffolgenden  flachen 
Talboden  mit  einer  Höhe  von  33  m,  etwa 
\Q  km  zur  Überwindung  der  zweiten  oberen 
Talstufe  bei  Gastein  mit  242  m  und  endlich 
etwas  über  3  km  zur  Überwindung  der  letzten 
Höhe  bis  Station  Böckstein  mit  86/«;  es  sind 
also  nordseits  rd.  23  km  Bahnlänge  als  Gebirgs- 
bahn schwierigsten  Charakters  und  ein  etwa 
10  km  langes  Zwischenstück  als  Talbahn  mit 
mäßigen  Schwierigkeiten  anzusprechen. 

Hinter  Böckstein  folgt  unmittelbar  der  Nord- 
eingang des  Tauerntunnels  (s.  d.),  dessen 
höchster  Punkt  1225-884/«  hoch  gelegen  ist,  von 
dem  aus  sich  die  Bahn  bis  zu  der  3  km  nach 
dem  südlichen  Mundloch  gelegenen  Station 
Mallnitz  auf  1180  /«  Seehöhe  senkt.  Der  Mall- 


nitzbach  nimmt  etwa  noch  1  km  nach  der 
Station  Mallnitz  einen  flachen  Verlauf  und 
bricht  sodann  mit  2  unmittelbar  aufein- 
anderfolgenden, von  zahlreichen  Wasserfällen 
durchsetzten  Steilstufen  von  über  400  m  Höhe 
zum  Mölltal  nieder,  das  wieder  einen  ver- 
hältnismäßig flachen,  nur  von  wenigen  und 
kurzen,  steileren  Gefällen  unterbrochenen  Ver- 
lauf bis  zur  Einmündung  in  die  Drau  nimmt. 
Zum  Abstieg  über  diese  von  der  Mallnitz 
gebildete  Steilstufe  und  den  weiteren  Lauf 
der  flößbaren  Moll  benutzt  die  Bahn  die  öst- 
liche und  nördliche  Lehne  des  Mallnitz-  und 
Mölltals.  Diese  Lehnenstrecke  gehört  zu  den 
großartigsten  und  schwierigsten  Baustrecken 
dieser  Art,  die  je  hergestellt  wurden.  Bei 
Station  Pusarnitz  erreicht  die  Bahn  das  be- 
reits im  Drautal  gelegene  Lurnfeld  und  im 
weiteren  Verlauf  ohne  Schwierigkeiten  die 
Anschlußstation   Spittal  a.  d.  Drau. 

Die  T.  enthält  eine  große  Anzahl  von  z.T. 
sehr  bedeutenden  Kunstbauten,  wie  aus  folgen- 
der Zusammenstellung  ersichtlich  ist: 


Gegenstand 


Gewölbte 

und  gedeckte 

Durctilässe 

unter 

20  m  lichter 

Weite 


Offene 
Durctilässe 

unter 
20  m  lictiter 

Weite 


Gewölbte 
Brücken 


Eiserne 
Brücken 


Gewölbte 
Viadukte 


Überwölbte 

Einschnitte 

und 

Galerien 


Eingleisige 
Tunnel 


—  r^ 
2    I 


00 

—00 

E    I 
g 

-SS 


Anzahl 


Summe  der 

lichten  Weite 

in  m 


120 


124-8 


11 


64-0 


420 


260-2 


45  Öffnung. 
496 /n 


7-6  m  lang 


1754-9  m 
lang 


Anzahl 


Summe  der 

lichten  Weite 

in  m 


156 


343-3 


22 


121-5 


25-0 


391-2 


20 


88  Öffnung. 
906 /n 


84-3  ni  lang 


12 


4360«  lang 


Unter  den  Eisenbahnbrücken  ist  besonders  er- 
\s-ähnenswert :  die  wildromantisch  zwischen  Fluß- 
wänden der  Klamm  eingespannte,  gewölbte  Klamm- 
brücke km  8-2  von  22  m  lichter  Weite  zwischen  den 
beiden  Klammtunneln;  die  Angertalbrücke,  /t/n  25-1, 
ein  eiserner  Zweigelenksbogen  von  110-2  m  lichter 
Weite,  in  80  m  Höhe  das  Tal  überspannend  (siehe 
Bogenbrücken.  Bd.  II,  Abb.  223);  der  Dössenviaduki 
in  km  Al'l  mit  einer  gewölbten  Öffnung  von  32  m 
lichter  Weite  35  m  hoch ;  der  Zwenbergviadukt  mit 
3  eisernen  Öffnungen  von  zusammen  125  m,  60 //z 
über  dem  Tal ;  der  Rickenbachviadukt  in  km  02-8 
mit  einer  eisernen  Öffnung  von  81  m  lichter  Weite, 
50  m  hoch  über  dem  Tal.  Außerdem  mußten  selbst- 
verständlich, dem  Charakter  einer  schwierigen  Ge- 
birgsbahn angemessen,  zahlreiche  Stütz-  und  Futter- 
mauern, Lehnenschutzbauten,  Uferversicherungen 
u.  dgl.  m.  zur  Ausführung  gebracht  werden. 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


Der  zwischen  km  34-636  und  km  43-187 
gelegene  zweigleisige  Tauerntunnel  ist  8550-6/ra 
lang  (s.  Tauerntunnel). 

Der  Bau  der  T.  wurde  mit  der  Auffahrung 
des  Sohlstollens  auf  der  Nordseite  des  Tauern- 
tunnels im  Juli  und  der  des  Sohlstollens  auf 
der  Südseite  im  Oktober  1901  begonnen;  der 
Bau  der  Nordrampe  selbst  von  Schwarzach- 
St.  Veit  bis  Badgastein  wurde  im  Jahre  1902 
der  Unionbaugesellschaft  in  Wien  zugeschlagen 
und  der  Betrieb  auf  dieser  Strecke  am  20.  Sep- 
tember 1905  eröffnet.  Die  Ausführung  des 
restlichen  Teiles  der  Nordrampe  sowie  des 
ganzen  Tauerntunnels   und  der  Südrampe  bis 

18 


274 


Tauern bahn. 


zum  unteren  Kapponigtunnel,  km  52'5,  \x'urde 
von  der  Bauunternehmung  Brüder  Redlich 
&  Berger,  Wien,  am  2.  Dezember  1905  und 
der  resthche  Teil  der  Südrampe  bis  zur  Station 
Spittal  a.  d.  Drau  von  der  Bauunternehmung 
Doderer,  Wien,  im  Sommer  1Q06  zur  Aus- 
führung übernommen.  Die  Betriebseröffnung 
der  Strecke  Badgastein  bis  Spittal  a.  d.  Drau 
erfolgte  am  5.  Juli  1909  in  Anwesenheit  des 
Kaisers  Franz  Joseph  I. 

Während  des  Baues  haben  sich  zahlreiche 
und  bedeutende  Schwierigkeiten  ergeben.  Im 
September  1903  wurde  durch  ein  außergewöhn- 
liches Hochwasser  der  Gasteiner  Ache  der 
Bau  lange  gestört  und  es  wurden  arge  Ver- 
wüstungen angerichtet.  Die  Beschaffung  der 
Baustoffe  für  die  hoch  über  der  Talsohle 
liegenden  Lehnenstrecken  der  Nord-  und  be- 
sonders aber  der  Südrampe  war  mit  bedeu- 
tenden Kosten  verbunden  und  erforderte  die 
Anwendung  maschineller  Einrichtungen,  wie 
Seilbahnen  und  Aufzüge,  sowie  die  Herstel- 
lung zahlreicher  Lokomotivdienstbahnen  von 
vielen  Kilometern  Länge;  die  Arbeiten  ober- 
tags  hatten  vielfach  unter  der  Ungunst  der 
winterlichen  Verhältnisse  im  Hochgebirge  zu 
leiden  und  noch  im  letzten  Baujahr  verur- 
sachten heftige  Lawinenstürze  schwere  Un- 
glücksfälle, so  bei  Böckstein,  woselbst  kurz 
vor  der  Fertigstellung  der  Verlegung  des  An- 
laufbaches durch  eine  schwere  Grundlawine 
26  Arbeiter  ihr  Leben  einbüßten. 

Von  den  zahlreichen  Wildbächen  im  Be- 
reich der  T.  hat  sich  nach  der  Betriebs- 
eröffnung nur  der  früher  erwähnte  Höhkaar- 
bach  infolge  seiner  Lage  über  dem  nördlichen 
Ende  des  Tauerntunnels  bemerkbar  gemacht 
und  eine  sehr  teuere  Verlegung  und  Versiche- 
rung des  Baches  verursacht. 

Unangenehmer  waren  zahlreiche  Lawinen- 
gänge und  Schneeabrutschungen:  Am  Thomas- 
eck und  am  Hochstuhl  zwischen  Gastein  und 
Böckstein  sowie  über  dem  Südportal  des 
Tauerntunnels  und  an  den  Hängen  des  Auer- 
nigg  nächst  der  Station  Mallnitz  mußten  zahl- 
reiche und  ausgedehnte  Lawinenschutzbauten 
in  Höhen  von  1200  bis  1900/n  ausgeführt 
werden,  die  einen  Kostenaufwand  von  über 
300.000  I<  erforderten.  Zur  Sicherung  des 
Südeingangs  des  Tauerntunnels  gegen  Lawinen- 
gefahr ist  eine  Verlängerung  der  Tunnelröhre 
um  80  m  geplant. 

Der  Schienenwanderung  in  den  stark  geneig- 
ten Strecken  der  beiden  Rampen  wurde  während 
des  Betriebs  durch  Einbau  von  Stützklemmen 
und  Stemmx^-inkeln  entgegengearbeitet. 

Sehr  unangenehm  machte  sich  im  Dössen- 
tunnel    auf  der  Südrampe   der  T.   die  Rauch- 


plage geltend ;  es  wurde  daher  beim  nörd- 
lichen Eingang  dieses  eingleisigen  Tunnels 
eine  elektrisch  betriebene  Lüftungsanlage 
System  Saccardo  errichtet. 

In  der  ursprünglichen  Gesetzesvorlage  vom 
Jahre  1901  war  für  den  Bau  der  T.  ein  Be- 
trag von  60  .Will.  K  vorgesehen.  Für  die 
Durchführung  des  Baues  selbst  wurde  im  Ge- 
setz vom  6.  Juni  1901  ein  Betrag  von  19\'2 
Mill.  K  und  im  Gesetz  vom  24.  Juli  1905  ein 
weiterer  Betrag  von  55V2  Mill.  K  bewilligt. 
Wegen  der  vielen  Bauschwierigkeiten  sowie 
mit  Rücksicht  auf  die  zur  Zeit  der  Baudurch- 
führung gegenüber  den  ursprünglichen,  weit 
zurückliegenden  Kostenberechnungen  stark 
geänderten  Preisverhältnisse  haben  sich  nam- 
hafte Überschreitungen  ergeben,  die  die  tat- 
sächlichen Baukosten  auf  einen  Betrag  von 
90-5  Mill.  K  hinaufbrachten.  Über  die  Kosten 
des  Tauerntunnels  selbst  s.  d. 

Der  Personenverkehr  auf  der  T.  gestaltete 
sich  sehr  lebhaft. 

Der  örtliche  Güterverkehr  auf  der  T.  kommt 
nahezu  gar  nicht  in  Betracht,  da  er  sich  nur 
auf  etwas  Holz  und  Vieh,  wenig  Baumaterialien 
und  .Approvisionierungsartikel  beschränkt.  Der 
Hauptanteil  des  Durchzugsverkehrs  entfällt 
auf  die  Richtung  Böhmen-Triest  mit  Zucker, 
Maschinen,  Kohle,  Glas  und  Bier,  Baumwolle,  '> 
Südfrüchte,  Gemüse,  Schwefel,  Tabak  und  j 
Wein. 

Der  Auslandverkehr  geht  hauptsächlich  in  der 
Richtung  nach  Süddeutschland  und  umfaßt  ähn- 
liche Artikel  wie  der  böhmische  Verkehr.  Die  Ver- 
kehrsbewegung umfaßte  1912  in  beiden  Rich- 
tungen etwa  560.000  t  für  den  böhmischen 
Verkehr  und  110.000^  für  den  Auslandver- 
kehr. Gegenüber  einer  Betriebslänge  von  81  km 
weist  die  T.  eine  Tariflänge  von  105^/«  auf 
(s.  Längenprofil  Abb.  274). 

Literatur:  Technisch-kommerzieller  Bericht  über 
die  zweite  Eisenbahnverbindung  mit  Triest.  Wien 
IQOl.  —  Stei  n  ermayer,  Der  Bau  der  zweiten 
Eisenbahnverbindung  mit  Triest.  Allg.  Bauztg.  1906. 
-  Z  uff  er,  Die  offenen  Strecken  der  neuen  Alpen- 
bahnen. Ztschr. d. Osten-.  Ing.-V.  1907.  -  Dr.  techn. 
R.  Schön  höf  er,  Die  Brücke  über  die  .äingerschlucht 
im  Zuge  der  Tauernlinie  der  zweiten  Eisenbahn- 
verbindung mit  Triest.  Allg.  Bauztg.  1909.  —  Hans 
Rasch  ka,  Steinförderung  auf  Schlitten  beim  Bau 
der  neuen  Alpenbahnen.  Ztschr.  d.  Österr.  Ing.-V. 
1909.  —  Ing.  Fritz  Hromatka,  Vom  Bau  der 
Linie  Schwarzach-St.Veit-Badgastein.  Allg.  Bauztg. 
1911.  -  V.  Klodic,  Reiß  u.  Schumann,  Der 
Bau  des  Tauerntunnels.  Allg.  Bauztg.  1912,  77.  Jg., 
S.  107  u.  s.  w.  -  Ing.  R.  Schumann.  Studien  an 
den  Lüftungsanlagen  des  Tauern-  und  Dössentunnels. 
K.  k.  Staatsbahndirektion  Villach  1914;  Tunnellüft- 
anlagen der  Tauernbahn.  Ztschr.  dt  Ing.,  1915, 
Bd.  "lex.  -  Wessely,  Die  Südrampe  der  Tauern- 
bahn. Techn.  Blätter,  41.  Jg.,  H.  4.  -  Zuffer, 
Trassierung,  Unterbau  und  Brückenbau  der  zweiten 


Tauerntunnel.  -  Tauernbahn. 


Eisenbahnverbindung  mit  Triest.    Gesch.  d.  Eisenb. 
d.  öst.-ung.  Monarchie,  Bd.  \'I.  von  Strach. 

Enderes-Kleinwächter. 

Tauerntunnel.  Der  zweigleisige,  8550-6  m 
lange,  gerade  Tunnel  der  Tauernbahn  liegt 
zwischen  den  Stationen  Böckstein  in  Salzburg, 
Nordseite  (1172-8/«  ü.  M.),  und  Mailnitz  in 
Kärnten,  Südseite  (1219/n  ü.  M.),  unterfährt  die 
Hohen  Tauern  (2790  /«),  steigt  vom  Nord- 
mund mit  10  und  3'3%o  und  fällt  nach  dem 
Südmund  mit  4  und  2%o,  'W'ie  Abb.  275  zeigt. 

Die  größte  Überlagerung  beträgt  1567  m. 
Von  Nord  nach  Süd  geht  der  Tunnel  auf 
350  m  Länge  durch  Bergschutt  mit  großen 
Blöcken  (schwieriger  Bau),  dann  auf  1950 /n 
durch  feinkörnigen  Gneisgranit  auf  5676  m 
durch  harten  porphyrartigen  Qranitgneis  mit 
Knallgebirgsstrecken,  schließlich  durch  Glimmer- 
schiefer, wobei  Quellen  mit  40,  50  und  60  //Sek. 


Jnlauftal 

N 

Jäckstem 


schritt  von  4-5  m.  Im  4'2  m?  großen  Firststollen 
arbeiteten  2  Drehbohrmaschinen  mit  einem 
mittleren  Tagesfortschritt  von  3'2ot.  Der  Durch- 
schlag des  Sohlstollens  erfolgte  am  2  I.Juli  1907, 
6164/«  vom  Nordmund  entfernt.  Die  hier- 
bei festgestellten  Abweichungen  betrugen  in 
der  Richtung  55  mm,  in  der  Höhe  56  mm  und 
in  der  Länge  2-93  m.  Da  die  angenommene 
Durchschlagstelle  sich  nennenswert  nach  Süden 
verschob,  wurde  der  Längsschnitt  in  der  aus 
Abb.  275  ersichtlichen  Weise  abgeändert. 

Nach  Herstellung  des  Firststollens  erfolgte 
der  Vollausbruch  in  Zonenlängen  von  8—  10 //z, 
die  Zimmerung  nach  der  Längsträgerbauweise 
mit  Brust-  und  Mittelschwellen. 

Der  Tunnel  wurde  trotz  festen  Gebirges 
wegen  möglicher  Qesteinsablösungen  durch- 
wegs meist  mit  plattenförniigen  Bruchsteinen 
(Gneisgranit)    in    Zementmörtel    ausgemauert. 

i 


Seelachtal 

s 

Mailnitz 


2190 


WBijüJig'in  %o 
Längen  in  zn 

Höhen  üb.  dM. 


Wasser  angeschnitten  wurden.  Die  höchste  Ge- 
steinstemperatur betrug  22-4*'  C. 

Der  Sohlstollen  als  Richtstollen  wurde  nord- 
seits  auf  etwa  630  m  Länge  durch  Hand- 
arbeit, dann  bei  einem  Querschnitt  von  3'0  m 
Breite  und  2-2  m  Höhe  mit  hydraulischen 
Drehbohrmaschinen  Brandt,  wovon  3-4  auf 
einer  mit  einem  Bohrwagen  verbundenen 
Spannsäule  befestigt  waren,  bei  einem  durch- 
schnittlichen Tagesfortschritt  von  5-0  m  her- 
gestellt. Zur  Bohrung  des  im  Mittel  3-4  ot^ 
großen  Firststollens  wurden  2  elektrische 
Kurbelstoßbohrmaschinen  Siemens-Schuckert 
(1  PS.)  verwendet  und  hiermit  ein  mittlerer 
Tagesfortschritt  von   1  -5  m  erreicht. 

Nach  Durchschlag  des  Sohlstollens  wurden 
die  frei  werdenden  Drehbohrmaschinen  im 
Firststollen  verwendet. 

In  der  350 //z  langen  Bergschuttstrecke  wurde 
der  Firststollen  nicht  vom  Sohlstollen,  sondern 
durch  2  Schächte  von  der  Oberfläche  aus  in  Ab- 
ständen von  41  m  und  233 /n  vom  Nordmund 
erreicht.  Auf  der  Südseite  arbeiteten  im  b'bm^ 
großen  Sohlstollen  3  Drehbohrmaschinen 
Brandt  mit  einem  durchschnittlichen  Tagesfort- 


Die  Druckstrecke  im  Schuttkegel  am  Nordein- 
gang erhielt  Gewölbestärken  von  0'9  -  1  -0  m 
und  Sohlgewölbe  von  0'8  m  Stärke. 

Die  Förderung  geschah  in  den  Arbeitsstrecken 
mit  Benzinlokomotiven,  im  fertigen  Tunnel  mit 
elektrischen  Lokomotiven.  Erstere  zeigten  die 
auch  schon  bei  anderen  Tunnelbauten  beob- 
achteten Obelstände  der  Luftverschlechterung. 
Zur  Lüftung  dienten  auf  beiden  Seiten  je  6 
Hochdruckventilatoren  mit  je  350/n^/Min.  Luft- 
ansaugung,  die  teils  durch  Turbinen,  teils  durch 
elektrische  Motoren  angetrieben  wurden.  Die 
Luftleitung  hatte  500  —  800  mm   Durchmesser. 

Die  für  den  Antrieb  der  Maschinen  er- 
forderlichen Kräfte  lieferten  auf  der  Nordseite 
der  Anlaufbach  und  der  Höhkaarbach,  und  da 
die  Wasserkräfte  im  Winter  nicht  ausreichten 
(120  Sek//  mit  ISO  PS.),  wurde  noch  eine 
Dampfkraftanlage  erforderlich.  Auf  der  Südseite 
lieferte  der  Mallnitzbach  die  erforderlichen 
Kräfte  (Winterminimum  600  Sek// mit  900  PS.)- 

Mit  den  Bauarbeiten  wurde  auf  der  Nord- 
seite im  Voreinschnitt  des  Tunnels  am  6.  Juli 
1901  begonnen.  Die  Ausführung  der  Arbeiten 
erfolgte  zunächst  im  Akkordweg  mit  14tägiger 

18' 


276 


Tauerntunnel.        Technikerversammlungen. 


Kündi^mino;  durch  die  bekannte  Bauunter- 
nehnuing  Brüder  Redlich  tk  Berger.  Erst  am 
22.  Dezember  1905  wurde  der  Bau  endgültig 
dieser  Unternehmung  übertragen,  da  die  für 
die  Fertigstellung  des  Tunnels  erforderlichen 
Mittel  erst  durch  das  Ges.  vom  24.  Juli  1905 
sichergestellt  wurden. 

Im  September  1903  wurde  der  Bau  auf  der 
Nordseite  durch  die  bedeutenden  Hochwässer 
des  Anlauf-  und  Höhkaarbaches,  die  teils 
durch  die  genannten  Schachtanlagen  in  den 
Tunnel  drangen  und  mit  etwa  4000  Sek//  aus 
dem  Sohlstollen  über  die  Bauplätze  flössen, 
gestört,  so  daß  die  Arbeiten  bis  Mitte  Jänner 
1904  eingestellt  bleiben  mußten. 

Der  Tunnel  wurde  am  23.  Januar  fertigge- 
stellt und  am  26.  Februar  1909  durch  Loko- 
motiven befahren.  Die  verhältnismäßig  lange 
Bauzeit  des  sonst  sehr  zweckmäßig  betriebenen 
Tunnelbaues  hat  wohl  hauptsächlich  darin 
seinen  Grund,  daß  die  zur  Vollendung  er- 
forderlichen Geldmittel  so  sehr  verspätet  zur 
X'erfügung  gestellt  werden  konnten. 

Für  die  Lüftung  des  Tunnels  während  des 
Eisenbahnbetriebs  wurde  auf  der  Südseite  eine 
Lüftungsanlage  nach  Bauart  Saccardo  erstellt, 
wobei  die  Luft  von  Süd  nach  Nord  entgegen 
den  in  der  Steigung  von  \0%o  aufwärts 
fahrenden  Zügen  gedrückt  wird,  wozu  die  für 
den  Bau  erstellte  Wasserkraftanlage  bei  Mallnitz 
(Lassach)  benutzt  wird.  Die  Kosten  für  den  T. 
werden  angegeben: 

für  den  Tunnelbau  mit  .  .  .  23,338.500  M. 
für  die  Baubetriebsaniage  mit  .     4,146.700  „ 

zusammen  mit  .  .  27,485.200  M. 
daher  für  den  laufenden/«  mit  3215  M.,  worin 
die  am  Südmund  für  die  Tunnellüftungsan- 
lage erforderlichen  Mauerungsarbeiten  ent- 
halten sind.  Die  für  den  Bahnbetrieb  auf  der 
Südseite  ausgeführten  Lüftungsanlagen  haben 
etwa  700.000  M.  gekostet. 

Die  jährlichen  Betriebskosten  dieser  Anlagen 
gibt  Heine  (s.  Literatur)  mit  Rücksicht  auf 
die  mögliche  Einschränkung  im  Winter  mit 
21.000-23.000  M.  an. 

Die  12^7«  lange  Strecke  Böckstein-Mallnitz 
mit  dem  T.  wird  in   16-18  Min.  durchfahren. 

Literatur:  Hannack,  Der  Tunnelbau.  Geschichte 
der  Eisenbahneil  der  österr.-ungar.  Monarchie,  Teschen 
1909.  -  Schneller,  Über  Gesteinsbohrungen  mit 
Berücksichtigung  des  Stollenvortriebs  in  den  .Mpen- 
tunnels.  Ztschr.  d.  Österr.  Ing.-V.  1909.  -  Heine, 
Bericht  5,  betreffend  die  Frage  über  lange  Eisenbahn- 
tunnels. Bulletin  d.  Int.  Eis.-Kongr.-\'erb. 

Dolezalck. 

Taunusbahn,  in  den  Jahren  1837  und 
1838  von  der  Stadt  Frankfurt,  dem  Groß- 
herzogtum Hessen  und  dem  Herzogtum  Nassau 
konzessionierte     Privatbahn,     umfassend      die 


Strecken  von  Frankfurt  a.  M.  über  Kastei  nach 
Wiesbaden  mit  der  Abzweigung  von  Curve 
nach  Bieberich  sowie  von  Höchst  nach  Soden. 
Die  Strecke  Frankfurt  a.  M.-Hattersheim  ( 1 4-8*/«) 
wurde  1839,  die  von  Hattersheim  bis  Wies- 
baden (27-02  y^/K)  1840  dem  Betrieb  übergeben. 
Die  ursprünglich  mit  Pferdekraft  betriebene 
Zweigbahn  Curve-Bieberich  (1-49  A/n)  ist  1872 
für  den  Lokomotivbetrieb  eröffnet  worden. 

1863  erwarb  die  Gesellschaft  die  Höchst- 
Sodener  Bahn  (6'6  kni),  die  sie  seit  Eröffnung 
(1847)  bereits  in  Betrieb  gehabt  hatte. 

Das  Gesamtanlagekapital  belief  sich  auf 
7,032.000  M. 

Mit  Ges.  vom  3.  Mai  1872  erwarb  der 
preußische  Staat  die  T.  zu  einem  Gesamtpreis 
von   10,001.000  M. 

Ihre  Linien  wurden  zunächst  der  Direktion 
in  Wiesbaden  unterstellt  und  gehören  jetzt 
zur  Eisenbahndirektion  Frankfurt  a.  M. 

Die  Ergebnisse  der  T.  waren  fortdauernd 
günstige. 

DieStammaktien  erhielten  1 840  -  1 870  durch- 
schnittlich 6-8  %    Dividende. 

Literatur:  Dröll,  Sechzig  Jahre  hessische  Eisen- 
bahnpolitik,   Leipzig    1912,    insbesondere   S.  7—16. 

Technikerversammlungen  des  VDEV. 
Bald  nach  Gründung  des  VDEV.  wurde  eine 
Kommission  eingesetzt,  der  die  Berichter- 
stattung über  die  Vorarbeiten  zur  Herbei- 
führung der  möglichsten  Obereinstimmung  im 
deutschen  Eisenbahnwesen  und  zur  Anbahnung 
eines  allgemeinen  deutschen  Eisenbahngesetzes 
übertragen  wurde. 

Von  dem  Bevollmächtigten  der  hannover- 
schen Staatsbahn,  dem  Baurat  Mohn,  wurde 
dieser  Kommission  eine  Denkschrift  über 
folgende  Beratungsgegenstände  vorgelegt:  „Vor- 
schläge zur  Erreichung  einheitlicher  Bestim- 
mungen im  deutschen  Eisenbahnwesen,  inson- 
derheit gleichmäßige  Konstruktionen  des  Bahn- 
baues und  gleichmäßige  Betriebseinrichtungen 
betreffend"  und  „Vorschläge  zu  einer  Verein- 
barung wegen  Durchführung  der  ersteren  nebst 
transitorischen  Bestimmungen,  solange  allge- 
meine gesetzliche  Vorschriften  nicht  erlassen 
sind". 

Der  Denkschrift  war  für  den  Bahnbetrieb, 
die  Betriebsmittel  und  das  Telegraphensystem 
ein  Entwurf  der  für  die  tunlichst  allgemeine 
Benutzung  der  deutschen  Eisenbahnen  teils 
unumgänglich  notwendigen,  teils  sehr  enx'ünsch- 
ten  Vorschriften  beigegeben. 

Die  Generalversammlung  zu  Wien  am  15. 
bis  19.  Oktober  1849  beschloß  auf  Antrag  der 
Kommission,  daß  die  Techniker  der  sämtlichen 
Verwaltungen,  die  den  deutschen  Eisenbahn- 
verband   bilden,    zur    Beratung    über    obiges 


Technikerversammlungen. 


277 


Promemoria  zusammentreten  und  daß  hierzu 
auch  die  Techniker  der  anderen  deutschen 
Eisenbahnverwaltungen,  die  noch  nicht  zum 
Verein  gehören,  eingeladen  werden  sollen. 

Die  Beratungen  dieses  Technikerausschusses 
fanden  unter  Vorsitz  der  Bauräte  Mohn  und 
Neu  haus  in  der  Zeit  vom  18.  bis  27.  Februar 
1850  in  Berlin  statt. 

Das  Ergebnis  dieser  Beratungen  bildeten 
die  „Qrundzüge  für  die  Gestaltung  der  Eisen- 
bahnen Deutschlands"  und  „Einheitliche  Vor- 
schriften für  den  durchgehenden  Verkehr  auf  j 
den  bestehenden  Vereinsbahnen"  (vgl.  Tech- 
nische Vereinbarungen). 

Während  dieser  Verhandlungen  wurde  von 
der  Kommission  zur  Vorberatung  der  Grundzüge 
die  Bildung  eines  Vereins  der  deutschen  Eisen- 
bahntechniker beantragt.  Dieser  Antrag  fand 
allseitige  Zustimmung  und  es  wurde  die 
Gründung  des  Vereins  sogleich  durch  schriftliche 
Verpflichtung   der   Teilnehmer  vorgenommen. 

Bei  den  Verhandlungen  der  Generalversamm- 
lung des  VDEV.  zu  Aachen  vom  29.  Juli 
bis  1.  August  1850  fand  eine  Beratung  der 
»Einheitlichen  Vorschriften"  statt,  die  in  fast 
unveränderter  Fassung  angenommen  und  den 
Vereinsverwaltungen  dringend  zur  baldmög- 
lichsten Ausführung  empfohlen  wurden.  Die 
„Grundzüge"  wurden  als  schätzenswertes 
Material  zur  Kenntnis  der  Verwaltungen  gebracht. 

Zu  der  Gründung  des  Vereins  deutscher 
Eisenbahntechniker  beantragte  die  Kommission: 

„Der  bei  Gelegenheit  der  Zusammenkunft 
der  Techniker  gegründete  Verein  der  deutschen 
Eisenbahntechniker  kann  zwar  nur  als  ein 
Privatverein  angesehen  werden,  doch  wird  mit 
Rücksicht  auf  die  ersprießlichen  Folgen,  die 
die  Zusammenkünfte  und  gemeinschaftlichen 
Erörterungen  der  tüchtigsten  und  erfahrensten 
Eisenbahntechniker  haben  können,  den  Verwal- 
tungen zu  empfehlen  sein,  die  Zusage  zu 
erteilen,  daß  jede  Vereinsverwaltung  tunlichst 
gestatten  wolle,  daß  eines  ihrer  dem  Techniker- 
verein angehörenden  Mitglieder  bzw.  Beamten 
den  Versammlungen  beiwohne." 

Nach  Erledigung  der  ersten  und  bedeutendsten 
Aufgabe  ist  der  Verein  der  deutschen  Eisen- 
bahntechniker längere  Zeit  nicht  wieder  in  die 
Öffentlichkeit  getreten. 

Erst  in  der  Generalversammlung  des  VDEV. 
zu  Frank-furt  a.  M.  am  21.  und  22.  Juli  1856 
machte  sich  bei  Gelegenheit  der  Erörterung 
wichtiger  technischer  Fragen  das  Bedürfnis 
nach  einer  neuerlichen  Versammlung  der 
Techniker  des  VDEV.  fühlbar.  Diese  wurde 
im  Jahre  1857  in  Wien  abgehalten.  Neben 
der  Vervollständigung  der  Vorschriften  vom 
Jahre  1850  wurden  noch  verschiedene  andere 


technische  Fragen  behandelt.  Zwischen  der 
zweiten  und  dritten  T.,  die  auf  Veranlassung 
der  1864  in  Salzburg  abgehaltenen  General- 
versammlung des  VDEV.  einberufen  wurde, 
lag  wieder  ein  großer  Zeitabschnitt. 

Die  dritte  T.  fand  1865  in  Dresden,  u.  zw. 
ebenfalls  hauptsächlich  zum  Zweck  der  weiteren 
Ausgestaltung  der  „Grundzüge"  und  „Einheit- 
lichen Vorschriften"  statt;  hierbei  wurde  die 
langwährende  Unterbrechung  der  Versamm- 
lung des  Vereins  als  ein  Nachteil  für  die 
gründliche  und  fachgemäße  Erledigung  der 
Aufgaben  bezeichnet.  Von  der  Versammlung 
wurde  der  Wunsch  ausgesprochen,  daß  es  ihr 
gestattet  sein  möge,  künftighin  in  kürzeren, 
womöglich  regelmäßig  wiederkehrenden  Zeit- 
abschnitten zu  tagen. 

Infolgedessen  wurde  die  nächste  Versamm- 
lung im  Jahre  1868,  u.  zw.  nach  München 
einberufen.  Die  folgenden  Versammlungen 
fanden  dann  meistens  in  3-  oder  in  2iährigen 
Zwischenräumen  statt. 

In  der  T.  des  Jahres  1865  wurden  die 
„Grundzüge"  und  „einheitlichen  Vorschriften" 
nach  abermaliger  Umarbeitung  in  ein  ein- 
ziges Werk  zusammengefaßt,  das  unter  der 
Bezeichnung:  „Technische  Vereinbarungen  des 
Vereins  deutscher  Eisenbahnverwaltungen  über 
den  Bau  und  die  Betriebseinrichtungen  der 
Eisenbahnen"  in  der  Generalversammlung  zu 
Mainz  im  Jahre  1866  die  Genehmigung  fand. 
Weitere  Prüfungen  und  Ergänzungen  der 
„Technischen  Vereinbarungen"  fanden  in  den 
Beratungen  zu  Hamburg  1871,  Constanz  1876, 
Graz  1882,  Salzburg  1886,  Constanz  1888, 
Berlin  1890,  Straßburg  1893,  Budapest  1896, 
Hamburg  1908,  Teplitz-Schönau  1914  statt. 

Im  Jahre  1876  verhandelte  die  T.  über  die 
„Grundzüge  für  die  Gestaltung  der  sekundären 
Bahnen".  Diese  Vorschriften  waren  schon 
vordem,  im  Auftrag  des  VDEV.  von  der  techni- 
schen Kommission  verfaßt  und  später  umge- 
arbeitet,  1873  zu  Frankfurt -genehmigt  worden. 

Eine  durchgreifende  Umarbeitung  dieser 
Grundzüge  ergab  sich  zu  Anfang  der  Acht- 
zigerjahre  infolge  der  starken  Vermehrung  der- 
artiger Bahnen  im  vorangegangenen  Jahrzehnt 
sowie  mit  Rücksicht  auf  die  hei  ihrem  Bau 
und  Betrieb  gewonnene  Erfahrung.  Um  den 
bis  dahin  allgemein  als  sekundär  bezeich- 
neten Bahnen  die  erwünschten  größtmöglichen 
Erleichterungen  gewähren  zu  können,  wurde 
eine  Unterscheidung  dieser  in  Nebenbahnen 
und  Lokalbahnen  vorgenommen.  Die  hiernach 
von  der  technischen  Kommission  entworfenen 
„Grundzüge  für  den  Bau  und  Betrieb  der 
Nebeneisenbahnen"  und  „für  den  Bau  und 
Betrieb    der    Lokaleisenbahnen"    wurden    von 


278 


Technikerversammlungen. 


der  T.  im  Jahre  1886  durchberaten  und  in 
demselben  Jahr  von  der  Generalversammlung 
des  VDEV.  angenommen. 

Außer  den  vorgenannten  Beratungen  war 
die  Haupttätigkeit  der  T.  der  Erörterung  wich- 
tiger technischer  Fragen  des  Eisenbahnwesens 
gewidmet.  Schon  in  der  Versammlung  zu  Wien 
1857  war  durch  mehrere  Fragen  die  Anre- 
gung zu  einem  lebhaften  Meinungsaustausch 
gegeben  worden,  der  in  den  späteren  Sitzungen, 
namentlich  durch  sorgfältige  Auswahl  der  zur 
Erörterung  gestellten  Fragen  und  durch  die 
umfassende  und  gründliche  Vorbereitung  der 
Beratungen,  mehr  und  mehr  an  Bedeutung 
gewann.  Die  zur  Beratung  zu  stellenden  Fragen 
wurden  von  der  technischen  Kommission  aus- 
gewählt und  durch  die  geschäftsführende  Verwal- 
tung den  sämtlichen  Vereinsverwaltungen  zur 
Abgabe  ihrer  Gutachten  oder  Mitteilung  ihrer 
Erfahrungen  zugestellt.  Nach  diesen  Antworten 
wurden  dann  von  der  technischen  Kommis- 
sion die  der  T.  vorzulegenden  Berichte  mit  den 
hieraus  sich  ergebenden  Schlußfolgerungen  und 
Gutachten  angefertigt.  Um  das  wertvolle  Er- 
gebnis dieser  gutachtlichen  Urteile,  die  be- 
reits im  Jahre  1868  zwei  stattliche  Foliobände 
füllten  und  später  zu  noch  größerem  Umfang 
anwuchsen,  auch  weiteren  Kreisen  zugänglich 
zu  machen,  wurden  sie  dem  Buchhandel  über- 
geben (s.  Erg.-Bd.  I-XV  zu  der  Zeitschrift: 
Organ  für  die  Fortschritte  des  Eisenbahnwesens). 

Die  Ergebnisse  dieser  Beratungen  geben 
ein  treues  Bild  von  dem  jeweiligen  Stand 
der  Eisenbahntechnik.  Alle  Wandlungen,  die 
diese  im  Lauf  der  Zeit  durchgemacht  hat, 
spiegeln  sich  in  den  Sitzungsberichten  der 
technischen  Kommission  (jetzt  „technischer 
Ausschuß")  und  der  T.  des  Vereins  wieder; 
viele  sind  auf  die  Anregungen  zurückzuführen, 
die  die  einzelnen  Teilnehmer  der  Beratungen 
aus  diesen  selbst  geschöpft  hatten. 

Die  bedeutendsten  Fortschritte  im  Eisen- 
bahnwesen, wie  die  allgemeine  Einführung  des 
Stahls  als  Baumaterial  für  Schienen,  Radreifen 
und  Achsen,  des  eisernen  Oberbaues,  der 
doppelten  Kreuzungsweichen,  der  Weichen- 
sicherungen, des  höheren  Dampfdrucks,  der 
Dampfstrahlpumpen  und  Bremsen  der  Loko- 
motive, der  Aborte,  der  verbesserten  Heizungs- 
und Beleuchtungseinrichtungen  der  Personen- 
wagen, der  Flußstahl-Scheibenräder  und  der 
verbesserten  Radreifenbefestigungen  sowie  der 
durchgehenden  Bremsen,  ferner  die  Verstär- 
kungen der  Zugvorrichtungen  an  den  Betriebs- 
mitteln, die  Begutachtung  wichtiger  Fragen 
der  Bahnunterhaltung  und  der  Bahnbewachung, 
die  Aufstellung  von  Leitsätzen  für  den  Bau  von 
Weichen  und  Kreuzungen  in  Hauptgleisen  u.a. 


sind  auf  die  Beratungen  des  technischen  Aus- 
schusses und  der  T.  zurückzuführen.  Zu 
den  weiteren  Früchten,  die  diese  Beratungen 
gezeitigt  haben,  gehören  ferner:  die  Statistik 
der  Dauer  der  Schienen,  die  Ergebnisse  der  von 
den  Vereinsverwaitungen  mit  Eisenbahnmaterial 
angestellten  Güteproben,  die  statistischen  Nach- 
richten über  die  auf  den  Vereinsbahnen  vorge- 
kommenen Achsbrüche  sowie  jene  der  Rad- 
reifenbrüche, die  Klassifikation  von  Eisen  und 
Stahl,  die  Lieferungsbedingnisse  für  Achsen, 
Radreifen  und  Schienen  aus  Flußeisen  bzw. 
Flußstahl  u.  s.  w. 

Die  Wirksamkeit  der  T.  hatte  in  den 
Satzungen  des  VDEV.  keine  Unterlage.  Da  die 
Tätigkeit  des  Vereins  der  deutschen  Eisenbahn- 
techniker aber  ausschließlich  dem  VDEV.  ge- 
widmet und  die  T.  tatsächlich  zu  einem  mit- 
wirkenden Faktor  in  der  Vereinsgesetzgebung 
geworden  war,  mußte  schließlich  ihr  privater 
Charakter  fallen.  Es  wurde  deshalb  vom  tech- 
nischen Ausschuß  1891  der  Antrag  auf  Er- 
gänzung der  Vereinssatzungen  durch  Einfügung 
von  Bestimmungen  über  die  T.  gestellt. 

Über  diesen  Antrag  wurde  auf  Grundlage 
eines  Berichts  des  Ausschusses  für  Vereins- 
satzungen in  der  Vereinsversammlung  vom 
Jahre  1892  der  Beschluß  gefaßt,  in  die  Vereins- 
satzungen (als  §  15)  folgende  Bestimmung  auf- 
zunehmen: 

1.  Der  Ausschuß  für  technische  Angelegen- 
heiten kann  im  Bedarfsfall  zur  T.  erweitert 
werden,  an  der  sämtliche  Vereinsmitglieder 
teilzunehmen  berechtigt  sind. 

2.  Welche  Beratungsgegenstände  der  T.  zu 
überweisen  sind  und  ob  und  wann  diese  zu  be- 
rufen ist,  bestimmt  —  insofern  nicht  die  Vereins- 
versammlung darüber  Beschluß  gefaßt,  hat  — 
der  Ausschuß  für  technische  Angelegenheiten  im 
Einvernehmen  mit  der  geschäftsführenden  Ver- 
waltung; glaubt  die  letztere  ihre  Zustimmung 
nicht  erteilen  zu  können,  so  ist  die  Entschei- 
dung der  Vereinsversammlung  anzurufen. 

3.  Die  T.  wird  von  der  geschäftsführenden 
Verwaltung  vorbereitet  und  einberufen. 

4.  Den  Vorsitz  in  der  T.  führt  die  ver- 
sitzende Verwaltung  des  Ausschusses  für  tech- 
nische Angelegenheiten,  der  auch  die  Be- 
fugnis zusteht,  die  berichterstattende  Verwal- 
tung für  die  einzelnen  Beratungsgegenstände 
zu  ernennen.  Die  Vertretung  der  Vereinsver- 
waltungen in  der  T.  erfolgt  durch  einen  oder 
mehrere  Abgeordnete;  das  Stimmrecht  wird  im 
letzteren  Fall  jedoch  nur  durch  einen  von  ihnen 
ausgeübt.  Die  Vertretung  einer  Verwaltung 
durch  eine  andere  ist  unzulässig.  Bei  den  Ab- 
stimmungen gebührt  jeder  Vereinsverwaltung 
eine  Stimme. 


Technikerversammlungen.  -  Technische  Einheit  im  Eisenbahnwesen. 


279 


5.  Im  übrigen  finden  die  in  §  14,  Abs.  4 
bis  9  für  die  Geschäftsführung  der  Ausschüsse 
getroffenen  Bestimmungen  auch  auf  die  Ge- 
schäftsführung der  T.  Anwendung. 

Diese  Bestimmungen  sind  im  allgemeinen  un- 
verändert geblieben.  Die  frühere  Unzulässigkeit 
der  Vertretung  in  den  Versammlungen  ist  da- 
durch aufgehoben,  daß  die  Möglichkeit  einer  Ver- 
tretung in  den  Ausschüssen  durch  Beschluß  der 
Vereinsversammlung  in  Budapest  1910  allgemein 
eingeführt  wurde.  Gleichzeitig  wurde  hierbei  das 
Abstimmungsverfahren,  das  bis  dahin  jeder  Ver- 
waltung nur  eine  Stimme  gewährte,  nach  der 
Länge  der  Vereinsbahnstrecken  geregelt. 

Hervorzuheben  ist  noch  der  von  der  Ham- 
burger T.  1892  ausgesprochene  Grundsatz, 

1.  daß  durch  die  Bezeichnung  „Techniker- 
versammlung" das  Selbstbestimmungsrecht  der 
einzelnen  Vereinsverwaltungen,  zu  den  T. 
Personen  ihrer  Wahl  -  also  auch  solche,  die 
dem  Technikerstand  nicht  angehören  -  zu 
entsenden,  in  keiner  Weise  beschränkt  werde; 

2.  daß  es  jedem  Ausschuß  freistehe,  zu  seinen 
Beratungen  auch  außerhalb  des  Vereins  stehende 
Personen  zuzuziehen,  wenn  dies  im  Interesse 
der  Sache  für  nützlich  gehalten  wird. 

Literatur:  Rückblick  auf  die  Tätigkeit  der  Techniker- 
Versammlungen  des  VDEV.  1S50-1S90.  Berlin  1890. 

Technische  Einheit  im  Eisenbahnwesen 

(technical  Standards  in  railway  matters;  iinifc 
tedinique  adoptee  dans  /es  chemiiis  de  fcr; 
unitä  tecilica  in  materia  ferroviaria),  das  Über- 
einstimmende in  technischer  Anlage  und  Be- 
triebführung verschiedener  Eisenbahnen.  Sie 
entwickelt  sich  im  allgemeinen  aus  denselben 
Bedingungen  wie  die  Eisenbahneinheit  (s.  d.) 
überhaupt,  von  der  die  T.  nur  einen  besonderen 
Zweig  bildet;  es  können  daher  auch  hier  ent- 
weder gesetzliche  oder  obrigkeitliche  Vorschriften 
oder  freie  Vereinbarungen  der  beteiligten  Eisen- 
bahnverwaltungen in  Frage  kommen.  Solche 
durch  freies  Übereinkommen  entstandene  Be- 
stimmungen sind  z.  B.  die  vom  VDEV.  auf- 
gestellten und  für  die  Bahnen  des  Vereinsgebiets 
gültigen  technischen  Vereinbarungen  (Tech- 
nische Vereinbarungen  über  den  Bau  und  die 
Betriebseinrichtungen  der  Haupt-  und  Neben- 
bahnen, Grundzüge  für  den  Bau  und  die  Be- 
triebseinrichtungen der  Lokalbahnen  u.  s.  w.). 

In  ähnlicher  Weise  kamen  auch  die  durch 
die  amerikanische  Master  Gar  Builder  Associa- 
tion (s.  d.)  aufgestellten  Vorschriften  und  Nor- 
malien  zu  Stande. 

Im  engeren,  gewöhnlich  gebrauchten  Sinn  wird 
unter  T.  die  aus  den  Beschlüssen  der  internatio- 
nalen Berner  Konferenzen  sich  ergebende  T. 
verstanden.  In  dem  folgenden  sollen  nun  über 
letztere   T.  einige   Angaben    gemacht   werden. 


Die  erste  internationale  Konferenz  in  Bern, 
zu  der  der  schweizerische  Bundesrat  die  Re- 
gierungen von  Deutschland,  Österreich-Ungarn, 
Frankreich  und  Italien  in  der  Absicht  einge- 
laden hatte,  eine  Verständigung  über  die  T. 
zu  erzielen,  hat  in  den  Sitzungen  vom  16., 
17.,  18.  und  19.  Oktober  1882  über  die  sämt- 
lichen Verhandlungsgegenstände  teils  einstim- 
mige, teils  Beschlüsse  mit  Stinnnenmehrheit 
gefaßt.  Es  handelte  sich  hierbei  um  die  Fest- 
setzung von  Normen  für  Erleichterung  des 
Übergangs  von  Rollmaterial  auf  den  mittel- 
europäischen Eisenbahnen. 

Die  Abgeordneten  der  bei  der  Konferenz 
vertretenen  Regierungen  haben  als  Ergebnis  der 
Beratungen  das  folgende  festgestellt: 

Das  Rollmaterial  der  Eisenbahnen,  das  für 
den  internationalen  Durchzugsverkehr  bestimmt 
ist,  soll  gewissen  in  einer  besonderen  Zusam- 
menstellung verzeichneten  Bedingungen  genü- 
gen. Die  in  dieser  Zusammenstellung  ange- 
gebenen Größt-  und  Kleinstmaße  gelten  für 
bestehendes  und  neu  herzustellendes  Material 
mit  einigen  Vorbehalten  (Art.  1). 

Das  Rollmaterial  eines  Staates,  das  den  Be- 
dingungen des  vorstehenden  Artikels  entspricht 
und  außerdem  sich  in  gutem  Zustand  befindet, 
ist  zum  freien  Verkehr  auf  dem  Landesgebiet 
der  anderen  Staaten  zugelassen  (Art.  2). 

Die  Spurweite  auf  geraden  Strecken  soll  bei 
neu  zu  legenden  oder  umzubauenden  Gleisen 
höchstens  1440  und  mindestens  1435  mm  be- 
tragen (Art.  3). 

Die  Konferenz  erklärt  es  einstimmig  für 
zweckmäßig,  daß  eine  allgemeine  größte  Quer- 
schnittsumgrenzung für  Eisenbahnwagen  auf- 
gestellt werde.  Es  werden  jedoch  weitere  Er- 
hebungen für  notwendig  gehalten ;  der  Bundes- 
rat möge  daher  die  beteiligten  Regierungen 
um  die  Übersendung  der  erforderlichen  Nach- 
weisungen ersuchen  und  nach  dem  Einlangen 
derselben  die  Konferenz  für  Aufstellung  einer 
endgültigen  Umgrenzungslinie  für  Eisenbahn- 
fahrzeuge einberufen.  Vorläufig  wurde  festge- 
stellt, daß  auf  allen  Bahnen  der  bei  der  Kon- 
ferenz vertretenen  Länder  ein  Ladeprofil  un- 
behindert verkehren  kann,  das  in  1300  mm 
Höhe  über  Schienenoberkante  eine  Breite  von 
3000  mm  hat  und  mit  einem  Halbkreis  von 
1500  min  Halbmesser  in  einer  Gesamthöhe  von 
4150  mm  über  Schienenoberkante  abschließt. 
Die  Konferenz  wünsche,  daß  die  Frage  ein- 
heitlicher Vorschriften  betreffend  den  Zollver- 
schluß für  Eisenbahnwagen  geregelt  werde; 
ferner  sprach  sie  den  Wunsch  aus,  daß  ein 
einheitlicher  Schlüssel  für  die  im  internationalen 
Verkehr  verwendeten  Wagen  angenommen 
werde  (Art.  4). 


280 


Technische  Einheit  im  Eisenbahnwesen. 


Die  Verhandlungsschrift  der  Konferenz  wurde 
den  beteiligten  Regierungen  mitgeteilt  und  an 
diese  das  Ersuchen  gestellt,  ihre  endgültigen 
Entscheidungen  dem  schweizerischen  Bundesrat 
bis  zum   1.  Juli   1883  kundzugeben. 

Die  zweite  internationale  Eisenhahnkonfe- 
renz, die  in  Bern  vom  10.  bis  15.  Mai  1886 
tagte,  einigte  sich  über  Vorschriften  betreffend 
sicherere  Einrichtung  der  im  internationalen 
Verkehr  unter  zollamtlichem  Raumverschluß 
abzufertigenden  Eisenbahnwagen  und  über  die 
Punkte  des  Schlußprotokolls  der  ersten  Berner 
Konferenz,  die  in  der  Zwischenzeit  zu  Beanstan- 
dungen und  Abänderungsvorschlägen  Anlaß 
geboten  hatten.  Das  Übereinkommen  wurde 
von  den  Abgeordneten  am  15.  Mai  1886  unter- 
zeichnet, mit  dem  Vorbehalt  der  Genehmigung 
durch  die  betreffenden  Staatsregierungen. 

Das  Schlußprotokoll  umfaßte  6  Artikel  und 
eine  Zeichnungsbeilage  zu  §  25  des  Art.  II 
(Doppelschlüssel  für  die  dem  internationalen 
Verkehr  dienenden  Personenwagen). 

Nachdem  sämtliche  beteiligten  Staaten  ihre 
Zustimmungzu  dem  Schlußprotokoll  der  zweiten 
internationalen  Konferenz  erklärt  hatten,  trat 
das  Übereinkommen  mit  I.April  1887  in  Kraft. 

Die  dritte  internationale  Konferenz  für  T. 
tagte  in  Bern  vom  6.  bis  18.  Mai  1907.  An 
ihr  nahmen  teil  Abgeordnete  der  Regierungen 
des  Deutschen  Reiches,  von  Österreich,  Ungarn, 
Belgien,  Bulgarien,  Dänemark,  Frankreich,  Italien, 
Norwegen,  den  Niederlanden,  Rumänien,  Ruß- 
land, Schweden  und  der  Schweiz. 

Das  Programm  betraf  Überprüfung  bestehen- 
der Bestimmungen,  das  Ladeprofil  und  die 
Einschränkungen  der  Breitenmaße  der  Wagen 
und  Ladungen  als  Ergänzung  zum  Art.  II, 
§  23  des  Schlußprotokolls  von  1886,  ferner 
Unterhaltung  und  Beladung  der  Wagen  sowie 
schließlich  Anregungen  zu  Studien. 

Die  Beschlüsse  der  Konferenz  wurden  im 
Schlußprotokoll  vom  18.  Mai  1907  niedergelegt. 

Nach  Zustimmung  sämtlicher  beteiligter 
Staaten  zu  diesem  Schlußprotokoll  traten  die 
Bestimmungen  der  3.  internationalen  Konferenz 
am  I.Juni  1908  in   Kraft. 

Nicht  alle  Punkte  des  Konferenzprogramms 
von  1907  konnten  jedoch  damals  erledigt 
werden;  für  einzelne  waren  noch  Vorarbeiten 
nötig. 

So  trat  später  auf  Anregung  der  3.  internatio- 
nalen Konferenz  eine  internationale  Kommission 
zusammen  zur  Feststellung  der  Bedingungen, 
denen  eine  durchgehende  Güterzugbremse  zu 
genügen  hat,  und  ferner  eine  Kommission  zur 
Aufstellung  einer  allgemeinen  Begrenzungslinie 
für  Güterwagen  und  zur  Festsetzung  der  mit 
Rücksicht  auf  das  Durchfahren  von  Krümmun- 


gen     erforderlichen      Breiteneinschränkungen 
dieser  Wagen  und  ihrer   Ladungen. 

Die  erstgenannte  Kommission  stellte  im  Mai 
1909  in  Art.  1  ihrer  Beschlüsse  die  Anforde- 
rungen, die  an  eine  durchgehende  Güterzug- 
bremse zu  stellen  sind,  und  in  Art.  II  das 
Programm  fest,  wie  die  Versuche  vorgenommen 
werden  sollen. 

Art.  1  lautet: 

Die  internationale  Kommission  ist  der  Ansicht,  daß 
an  eine  durchgehende  Güterzugbremse  folgende  An- 
forderungen gestellt  werden  sollten : 

1.  Die  Bremse  soll  selbsttätig  wirken. 

2.  Die  Bremse  soll  von  einfacher  Bauart  sein. 

3.  Die  Anschaffungs-  und  Unterhaltungskosten  der 
Bremse  sollen  möglichst  klein  sein. 

4.  Alle  Teile  müssen  aus  gutem,  die  der  Abnutzung 
unterworfenen  Teile  aus  besonders  widerstandsfähigem 
Material  hergestellt  werden. 

5.  Das  Gewicht  der  Bremseinrichtung  soll  mög- 
lichst gering  sein. 

6.  Die  Bremsschläuche  müssen  so  angeordnet  sein, 
daß  jeder  Wagen  mit  jedem  andern  Personen-  oder 
Güterwagen  verbunden  werden  kann. 

7.  Die'Bremse  ist  so  einzurichten,  daß  das  Schleifen 
der  Räder  möglichst  vermieden  wird. 

8.  Bei  den  Wagen  soll  der  Bremsklotzdruck  (be- 
rechnet aus  dem  größten  Kolbendruck  ohne  Berück- 
sichtigung der  Reibung)  mindestens  70"»  des  Leer- 
gewichts des  Wagens  betragen.  Der  größte  zulässige 
Hub  des  Bremskolbens  in  mm,  geteilt  durch  das 
Übersetzungsverhältnis  von  der  Kolbenstange  bis  zu 
den  Bremsklötzen,  soll  mindestens  25  ergeben. 

9.  Alle  Wagen  müssen  mit  durchgehender  Leitung 
versehen  sein.  Die  Bremswagen  müssen  so  einge- 
richtet sein,  daß  sie  bei  Beschädigung  der  Brems- 
apparate  noch  als  Leitungswagen  benutzt  werden 
können. 

10.  Die  Handhabung  der  Bremse  muß  einfach, 
die  Wirkung  der  Bremseinrichtungen  zuverlässig  sein. 
Die  Witterung  darf  die  Wirkung  der  Bremseinrich- 
tungen nicht  beeinträchtigen. 

Tl.  Die  Handbremsen  müssen  unabhängig  von  der 
vorhandenen  durchgehenden  Bremse  bedient  werden 
können. 

12.  Die  Bremse  muß  sowohl  als  Betriebs-'  wie  als 
Schnellbremse  gleich  gut  zu  gebrauchen  sein.  Sie  ist 
auch  derart  als  Notbremse  einzurichten,  daß  sie  vom 
Zug  aus  in  Tätigkeit  gesetzt  werden  kann. 

13.  Das  Auffüllen  der  Kraftbehälter  des  Zuges  auf 
den  normalen  Druck  nach  eingeleiteter  Entbremsung 
soll  möglichst  wenig  Zeit  beanspruchen. 

14.  Die  Leitungen  der  Wagen  sollen  sich  in  mög- 
lichst einfacherweise  kuppeln  und  entkuppeln  lassen. 
Die  zum  Kuppeln  und  Entkuppeln  der  Leitungen 
erforderliche  Zeit  muß  möglichst  kurz  sein. 

15.  Die  Bremsprobe  muß  derart  möglich  sein,  daß 
der  Lokomotivführer  in  einfachster  Weise  volle  Ge- 
wißheit darüber  erhält,  daß  die  Brenisleitung  des 
ganzen  Zuges  verbunden  und  wirksam  ist. 

lö.  Die  Bremse  sollte  in  Zügen  bis  zu  200  Achsen 
verwendbar  sein. 

17.  Es  muß  möglich  sein,  Gruppen  von  Leitungs- 
wagen an  beliebiger  Stelle  des  Zuges  einzufügen. 

18.  Die  Bremse  soll  mit  Personenzugbremsen 
gleichen  Systems  anstandslos  zusammenarbeiten. 

19.  Bei  Betriebsbremsungen  muß  selbst  beim  läng- 
sten Zug  schon  bei  einer  Änderung  des  normalen 
Leitungsdrucks  um  '  ,„  auch  die  Bremse  des  letzten 
Wagens  in  Tätigkeit  treten. 


Technische  Einheit  im  Eisenbahnwesen. 


281 


20.  Die  Bremse  soll  unter  allen  Verhältnissen  ohne 
gefährliche  Stöße  und  Zerrungen  für  Personal,  Ladung 
und  Fahrzeuge  wirken ;  dabei  ist  vorausgesetzt,  daß 
die  Entfernung  der  Bufferscheiben  nicht  mehr  als 
10  cm  betrage. 

21.  Es  dürfen  auch  dann  schädliche  Wirkungen 
für  den  Zug  nicht  entstehen,  wenn  bei  einer  kräf- 
tigen Betriebsbremsung  eine  unbeabsichtigte  Schnell- 
bremsung eintritt. 

22.  Die  Bremse  muß  ohne  schädliche  Stöße  und 
Zerrungen  auch  während  der  Fahrt  gelöst  werden 
können. 

23.  Der  Vorrat  an  Bremskraft  darf  sich  auch  bei 
Fahrten  auf  langen  und  starken  Gefällen  nicht  er- 
schöpfen. 

24.  Die  Bremse  muß  derart  beschaffen  sein,  daß 
die  längsten  und  stärksten,  auf  Hauptbahnen  vor- 
kommenden Gefälle  mit  voller  Sicherheit  und  mög- 
lichst geringen  Schwankungen  der  vorgeschriebenen 
Geschwindigkeit  befahren  werden  können. 

25.  Die  bei  Schnellbremsungen  aus  nicht  vorge- 
bremstem Zug  erzielten  Bremswege  sollen  kleiner 
sein  als  die  bei  gleichen  Bremsprozenten  mit  den 
heutigen  Handbremsen  erreichbaren  Bremswege. 

Dabei  ist  unter  Bremsprozenten  zu  verstehen : 

a)  bei  den  Handbremsen  das  Verhältnis  des  Ge- 
samtgewichts der  gebremsten  Wagenachsen  zum 
Gesamtgewicht  des  Wagenzugs; 

b)  bei  durchgehenden  Bremsen,  bei  denen  nur  das 
Leergewicht  abgebremst  wird,  das  Verhältnis  des 
Gesamtleergewichts  der  gebremsten  Wagenachsen 
zum  Gesamtgewicht  des  Wagenzugs; 

c)  bei  durchgehenden  Bremsen,  die  geeignet  sind, 
die  beladenen  Wagen  entsprechend  ihrem  Gesamt- 
gewicht abzubremsen,  das  Verhältnis  des  Gesamtge- 
wichts der  gebremsten  Wagenachsen  zum  Gesamt- 
gewicht des  Wagenzugs. 

Art.  II  lautet; 

Die  internationale  Kommission  empfiehlt,  Versuche 
mit  durchgehenden  Güterzugbremsen  künftig  nach 
folgendem  Programm  vorzunehmen: 

L  Der  Versuchszug  ist  mit  Ausnahme  der  Be- 
obachtungswagen tunlichst  aus  Güterwagen  zu  bilden 
und  sowohl  mit  einer  Lokomotive  als  auch  mit  2 
Lokomotiven  zu  fahren. 

2.  Es  sollen  tunlichst  Wagen  verschiedener  Bauart, 
auch  solche  mit  hoher  Tragkraft,  verwendet  werden. 

3.  Auf  den  Zug  sind  mindestens  3  Beobachter 
gleichmäßig  zu  verteilen. 

Es  ist  erwünscht,  daß  beiläufig  auf  je  20  Wagen 
ein  Beobachter  kommt. 

4.  Es  ist  wünschenswert,  daß  die  Beobachtungs- 
wagen mit  Vorrichtungen  zum  Messen  der  durch  die 
Kupplungen  übertragenen  Kräfte  versehen  werden 
oder  daß  mindestens  ein  so  ausgerüsteter  Wagen 
abwechselnd  an  den  Platz  der  übrigen  Beobachtungs- 
wagen gestellt  werde. 

5.  Die  Stärke  und  die  Belastung  des  Zuges  (aus- 
schließlich Lokomotive  und  Tender)  sollen  betragen  : 

a)  in  der  Ebene  und  auf  Gefällen  von  höchstens 
löfoo  bis  zu   150  Achsen  und   1100/; 

b)  auf  längeren  Gefällen  über  16  f«,  bis  zu  1 10  Achsen 
und  800  t. 

Es  ist  erwünscht,  daß  auch  Züge  bis  zu  200  Wagen- 
achsen vorgeführt  werden. 

6.  Die  Versuche  sollen  mit  leerem,  teilweise  be- 
adenem  und  voll  beladenem  Zug  ausgeführt  werden. 

Hierbei  sollen  Last  und  Bremsen  möglichst  ungleich- 
mäßig verteilt  sein,  worüber  vor  Beginn  der  Ver- 
suche Aufzeichnungen  zu  machen  sind. 

7.  Der  Zug  soll  derart  lose  gekuppelt  sein,  daß 
die  Entfernung  der  Bufferscheiben  bei  ungespannter 


Zugvorrichtung  des  gestreckten  Zuges  wechselnd  bis 
zu  10  cm  beträgt. 

8.  Die  Bremsungen  sollen  sowohl  bei  gestrecktem 
als  auch  bei  aufgelaufenem  Zug  vorgenommen  werden. 

9.  Der  Sandstreuer  darf,  abgesehen  von  Oefahrfällen, 
bei  den  Bremsversuchen  nicht  verwendet  werden. 

10.  Es  sind  von  verschiedenen  Stellen  des  Zuges 
aus  Notbremsungen  auszuführen. 

11.  Der  Gesamtbremsklotzdruck  der  gebremsten 
Wagen  hat  wechselnd  10,  20,  35,  50  und  60%  des 
ganzen  Zuggewichts  (ausschließlich  Lokomotive  und 
Tender)  zu  betragen.  Schließlich  sind  sämtliche  Wagen- 
achsen des  Versuchszugs,  insbesondere  die  eines 
leeren  Zuges  von  150  Achsen,  zu  bremsen. 

Es  wird  jedoch  nicht  gefordert,  daß  bei  einem 
Zug  von  mehr  als  150  Achsen  mehr  als  150  Achsen 
gebremst  werden. 

12.  Schnell-  und  Betriebsbremsungen  sind  bei  Ge- 
schwindigkeiten von  10,  20  /t/«/Std.  u.  s.  w.  bis  zur 
erreichbaren  Höchstgeschwindigkeit  auszuführen,  alle 
anderen  Arten  von  Bremsungen,  wie  z.  B.  Regulier- 
bremsungen, Notbremsungen  vom  Zug  aus  u.  s.  w., 
bei  verschiedenen  Geschwindigkeiten. 

Es  wäre  erwünscht,  daß  Züge  von  120  Achsen  mit 
der  Höchstgeschwindigkeit  von  90  kmßiA.  vorge- 
führt werden  könnten. 

13.  Die  Bremsungen  auf  der  Flachbahn  sind  tun- 
lichst in  gerader  und  horizontaler  Bahn  vorzunehmen, 
um  den  Vergleich  der  Bremswege  zu  erleichtern. 
Doch  sind  auch  Schnell-  und  Notbremsungen  in 
starken  Krümmungen  vorzuführen. 

14.  Bei  Anwendung  niedriger  Bremsprozente  sind 
Gruppen  bis  zu  15  Leitungswagen  (30  Achsen)  zu 
bilden. 

15.  Die  Verwendbarkeit  der  Bremse  zum  Herab- 
fahren langer  und  starker  Neigungen  ist  vorzuführen. 
Dabei  ist  der  Zug  derart  abzubremsen,  daß  der  er- 
reichbare größte  Qesamtklotzdruck  der  wirkenden 
Wagenbremsen  das  lOfache  der  Schwerkraftkom- 
ponente des  ganzen  Zuges  samt  Lokomotive  und 
Tender  beträgt. 

16.  Auf  Gebirgsstrecken  sind  Bremsversuche  mit 
angehängter  Schiebelokomotive  vorzuführen.  Es  ist 
sowohl  von  der  Zug-  als  auch  von  der  Schiebe- 
lokomotive aus  zu  bremsen. 

17.  Es  ist  zu  erproben,  ob  die  Versuchsbremse  mit 
den  vorhandenen  Personenzugbremsen  zusammen- 
arbeitet, insbesondere  an: 

a)  einem  Güterzug  von  insgesamt  110  Achsen 
mit  einer  Gruppe  von  Personenwagen  (mindestens 
12  Achsen),  die  an  verschiedenen  Stellen  des  Ver- 
suchszugs einzureihen  ist; 

b)  einem  Personenzug  von  insgesamt  60  Achsen 
mit  einer  Gruppe  von  halb  beladenen  Güterwagen 
(mindestens  12  Achsen),  die  sowohl  an  die  Spitze  als 
auch  an  das  Ende  des  Zuges  zu  stellen  ist. 

Beide  Züge  sind  sowohl  mit  Personen-  als  auch 
mit  Qüterzuglokomotiven  zu  fahren. 

18.  Die  Anordnung  der  Bremsschläuche  an  den 
verschiedenen  Qüterwagengattungen  ist  vorzuführen. 

19.  Nach  jeder  Trennung  und  Wiederverbindung 
der  Bremsleitung  ist  vor  der  Abfahrt  eine  Brems- 
probe vorzunehmen,  durch  die  der  Lokomotivführer 
Gewißheit  erhält,  daß  die  Bremsleitung  bis  an  das 
Zugende  verbunden  ist. 

Die  hierzu  erforderliche  Zeit  ist  festzustellen. 

Es  ist  zu  verzeichnen,  ob  außer  dem  Lokomotiv- 
führer noch  andere  Personen  bei  der  Bremsprobe 
mitwirkten  oder  ob  diese  vom  Lokomotivführer  allein 
ausgeführt  wurde. 

20.  Bei  Verschubbewegungen  auf  den  Anfangs-, 
Zwischen-  und  Endstationen    ist   die   durchgehende 


282 


Technische  Einheit  im  Eisenbahnwesen. 


Bremse  zu  benutzen.  Es  ist  hierbei  die  Zeit  festzu- 
stellen, die  für  das  Trennen  und  W'iederverbinden 
der  Brenisleitung,  für  das  Anstellen,  Lösen  und  Laden 
der  Bremse  zwischen  den  einzelnen  Bewegungen  er- 
forderlich ist. 

Der  Zeitaufwand  für  das  Endbremsen  eines  abzu- 
stellenden Zugteils  oder  einzelner  abzustellender 
Wagen  ist  zu  ermitteln. 

2L  Es  ist  festzustellen,  in  welcher  Zeit  sich  bei 
abgestellten  Wagen  die  mit  voller  Kraft  angezogene 
Bremse  von  selbst  löst  und  in  welchem  Alaße  sich 
die  Bremswirkung  der  von  der  Kraftquelle  abge- 
schalteten Wagen  ändert. 

22.  Es  sind  Versuche  über  das  Entlaufen  von  Zug- 
teilen auf  den  auf  Hauptbahnen  vorkommenden 
stärksten  Neigungen  zu  machen.  Namentlich  ist  der 
von  einem  abgelösten  Zugteil  vom  Eintritt  des  Kupp- 
lungsbruches bis  zum  vollständigen  Anhalten  zurück- 
gelegte Weg  zu  bestimmen. 

Dabei  ist  an  dem  ablaufenden  Zugteil  der  Qesarat- 
bremsklotzdruck  gleich  der  lOfachen  Schwerkraft- 
komponente dieses  Zugteils  anzunehmen. 

23.  Es  sind  die  verschiedenen  Fälle  des  Versagens 
der  Bremse  -  zufällige  oder  absichtlich  herbeigeführte 
—  die  ein  Anhalten  des  Zuges  auf  offener  Strecke 
veranlassen  können,  näher  zu  untersuchen.  Ferner 
sind  die  für  die  Weiterfahrt  anzuwendenden  Hilfs- 
mittel zu  prüfen  und  die  für  das  Suchen  und  Be- 
heben der  Störung  verwendete  Zeit  zu  verzeichnen. 

24.  Es  ist  erwünscht,  daß  Versuche  bei  großer 
Kälte  vorgenommen  werden. 

25.  Von  den  verschiedenen  Bremsungsarten  ist 
mittels  einer  Schreibvorrichtung  mindestens  je  ein 
Schaubild  aufzunehmen,  aus  dem  sowohl  die  Durch- 
schlagszeit als  auch  die  Zeit  bis  zur  Erreichung  des 
höchsten  Druckes  im  Bremszylinder  ersichtlich  ist. 
Ferner  ist  die  für  das  Lösen  der  Bremse  und  die 
Wiederherstellung  des  normalen  Leitungsdrucks  er- 
forderliche Zeit  in  einem  Schaubild  festzulegen. 

Sämtliche  Angaben  sind  für  verschiedene  Zuglängen 
und  Bremsprozente,  besonders  im  letzten  Wagen  des 
Versuchszugs,  festzustellen. 

26.  Bei  Ermittlung  der  Leitungslängen  ist  sowohl 
die  durchgehende  Länge  der  Leitung  als  auch  die 
Gesamtlänge  (durchgehende  Länge  -^  Länge  der 
Abzweigungen)  festzustellen. 

Die  Durchschlagsgeschwindigkeit  ist  bloß  aus  der 
Länge  der  durchgehenden  Hauptleitung  ohne  Ab- 
zweigungen zu  berechnen. 

27.  Vor  Beginn  der  Versuche  sind  die  Brems- 
kolbenhübe säintlicher  Fahrzeuge  festzustellen  und 
zu  verzeichnen. 

Es  sollen  Versuche  mit  möglichst  gleichen  und  mit 
möglichst  ungleichen  Kolbenhüben  vorgenommen 
werden. 

28.  Es  sind  Angaben  zu  machen  über  das  Material 
der  Bremsklötze  und  der  Radreifen  sowie  über  die 
Bauart  und  Stärke  der  Zug-  und  Stoßvorrichtungen. 

29.  Die  während  des  Bremsens  und  Lösens  im 
Zug  auftretenden  Schwankungen,  Zuckungen  und 
Stöße  sowie  das  Maß  des  Auflaufens  und  Streckens 
sind  zu  verzeichnen. 

30.  Für  die  .Aufschreibungen  sind  Formblätter  nach 
den  aufgestellten  2  Mustern  zu  verwenden. 

31.  Den  Formblättern  sind  möglichst  vollständige 
Angaben  über  die  Steigungs-  und  Krümmungsver- 
hältnisse der  Versuchsstrecken  beizufügen. 

Im  Oktober  1911  trat  die  zweite  der  vor- 
genannten Kommissionen  zusammen.  Sie  be- 
antragte, am  Schlußprotokoll  der  dritten  inter- 
nationalen Konferenz  für  T.  vom  IS.  Mai  1907 


Abänderungen  und  Ergänzungen  vorzunehmen, 
die  sich  auf  die  §§  18,  22,  25  des  Art.  11, 
Bauart  der  Fahrzeuge,  und  auf  §§  6  und  9  des 
Art.  IV,  Beladung  der  Güterwagen,  bezogen. 
Im  Hinblick  auf  die  große  Zahl  der  in  der 
Kommission  vertretenen  Staaten  wurde  es  für 
entbehrlich  gehalten,  die  Beschlüsse  der  Kom- 
mission einer  internationalen  Konferenz  vor- 
zulegen. Das  Schlußprotokoll  wurde  daher  den 
an  den  Vereinbarungen  für  T.  beteiligten  Re- 
gierungen unmittelbar  mit  dem  Ersuchen  über- 
mittelt, die  Abänderungen  und  Ergänzungen 
zu  genehmigen  und  sich  bereit  zu  erklären,  die 
neuen  Vorschriften  ebs-a  bis  I.Januar  1914  in 
Kraft  zu  setzen. 

Nach  Genehmigung  der  Kommissionsbe- 
schlüsse durch  die  einzelnen  Regierungen  traten 
die  Bestimmungen  der  T.  in  der  Fassung  vom 
Jahre  1913  bei  sämtlichen  beteiligten  Staaten 
mit  Ausnahme  Deutschlands  am  1.  Mai  1914 
in  Kraft.  In  Deutschland  hatten  die  Bestim- 
mungen vom  I.Juni  1914  an  Gültigkeit^  Die 
Bestimmungen  sind  vereinbart  zwischen  dem 
Deutschen  Reich,  Belgien,  Bulgarien,  Dänemark, 
Frankreich,  Griechenland,  Italien,  Luxemburg, 
den  Niederlanden,  Nor\vegen,Österreich, Ungarn, 
Rumänien,  Rußland,  Schweden,  der  Schweiz  und 
Serbien.  Sie  finden  Anwendung  auf  alle  dem 
internationalen  Verkehr  dienenden  vollspurigen 
Eisenbahnen.  In  Rußland  nur  auf  die  Warschau- 
Wiener  Eisenbahn  und  die  Zweigbahn  nach 
Lodz,  in  Griechenland  nur  auf  die  Linie  Piräus- 
Larissa  mit  deren  Fortsetzung  bis  zur  ehe- 
maligen türkischen  Grenze. 

Art.  I  enthält  Vorschriften  über  die  Spurweite. 

Die  Bestimmungen  des  Art.  II,  Bauart  der  Eisen- 
bahnfahrzeuge, erstrecken  sich  auf  folgende  Gegen- 
stände : 

§  1.  Allgemeine  Bemerkungen  über  Zulässigkeit 
und  Einstellung  der  Fahrzeuge  und  über  die  Gültig- 
keit der  nachstehend  angegebenen  größten  und 
kleinsten  Maße  für  vorhandenes  wie  für  neu  zu  be- 
schaffendes Material,  soweit  nicht  für  ersteres  die  in 
Klammern  beigefügten  Maße  zugelassen  sind. 

§  2.  Radstände  von  Wagen  und  Drehgestellen, 
Verschiebbarkeit  der  Achsen,  wenn  mehr  als  2  Achsen 
in  einem  gemeinsamen  Rahmen  gelagert  sind. 

§  3.  Abstand  der  Räder  einer  Achse,  größtes  Maß 
1366,  kleinstes  .Maß   1357  mw. 

§  4.  Breite  der  Radreifen,  größtes  Maß  150,  kleinstes 
Maß  \30  mm,  zulässiges  Minimum  für  bestehendes 
Material,  unter  der  Bedingung,  daß  der  .Abstand  der 
Räder  mindestens  1360/«/«  betrage,  kleinstes  Maß 
(125 /n/n). 

§  5.  Entfernung  von  Außenkante  zu  Außenkante  der 
Spurkränze,  größtes.Maß  1425,  kleinstes  ALiß  1405 /n/n. 

§  6.  Höhe  der  Spurkränze,  größtes  Maß  36,  kleinstes 
Maß  25  mm. 


'  In  Deutschland  ist  der  Wortlaut  der  Beschlüsse 
mit  sämtlichen  Zeichnungen  und  Tabellen  als  Text- 
ausgabe unter  dem  Titel :  „Technische  Einheit  im 
Eisenbahnwesen,  Fassung  1913"  im  Verlag  von 
Wilhelm  Ernst  &  Sohn,  Berlin,  im  Druck  erschienen. 


Technische  Einheit  im  Eisenbahnwesen.  -   Technische  Vereinbarungen. 


283 


§  7.  Stärke  der  Radreifen,   kleinstes  iMaß   25  mm. 

§  8.  Schalengußräder. 

§  9.  Elastische  Zug-  und  Stoßapparate. 

§  10.  Höhenlage  der  Buffer,  bei  leeren  Wagen 
größtes  Maß  1065  mm,  bei  größter  Belastung  kleinstes 
Maß  940/«/«. 

Zulässige  Maße  für  das  vor  1887  gebaute  Material, 
bei  leeren  Wagen  größtes  Maß  (1070  mm),  bei  größter 
Belastung  kleinstes  Maß  (900 /«/«). 

§  11.  Abstand  der  Buffer,  größtes  Maß  mO  mm, 
kleinstes  Maß  1710 /«///. 

Zulässige  Maße  für  das  vor  18S7  gebaute  Material, 
größtes  Maß   (\800  mm),   kleinstes  Maß   (\700  mm). 

§  12.  Durchmesser  der  Bufferscheiben,  kleinstes 
Maß  340/«///. 

Zulässiges  Maß  für  das  vor  1887  gebaute  Material, 
kleinstes  Maß  (300/«/«). 

Für  Fahrzeuge,  bei  denen  der  Abstand  der  Buffer 
geringer  ist  als  1720/«/«,  muß  der  horizontale  Durch- 
messer der  Bufferscheiben  mindestens  350  mm  betragen. 

§  13.  Freie  Räume  an  den  Stirnseiten  der  Wagen 
zu  beiden  Seiten  der  Zugvorrichtung,  z\xischen  dieser, 
den  Bufferscheiben  und  den  vor  der  Kopfschwelle 
vortretenden  festen  Teilen  an  beliebiger  Stelle,  Breite 
kleinstes  Maß  400  mm. 

Tiefe  bei  völlig  eingedrückten  Buffern,  kleinstes 
Maß  300«//«. 

Höhe  über  Schienenoberkante,  kleinstes  Maß 
1800«//«. 

Für  bestehendes  Material  wird  kein  Maß  festgesetzt. 

§  14.  Vorsprung  der  Buffer  über  den  Zughaken, 
von  der  Angriffsfläche  des  nicht  angezogenen  Hakens 
bis  zur  Stirn  der  nicht  eingedrückten  Buffer,  größtes 
Maß  400«//«,  kleinstes  Maß  300/«///. 

Zulässiges  Maß  für  das  vor  1887  gebaute  Material, 
Personenwagen  größtes  Maß  (430  mm). 

Güterwagen  größtes  Maß  (430  /«/«),  kleinstes  Maß 
(223  /«/«). 

§  15.  Länge  der  Kupplungen,  von  der  Stirnseite 
der  nicht  eingedrückten  Buffer  bis  zur  Innenseite  des 
Einhängbügels,  bei  ganz  ausgeschraubter  und  ge- 
streckter Kupplung  gemessen,  größtes  Maß  550  mm, 
kleinstes  Maß  450////«. 

Für  das  vor  1887  gebaute  Material  werden  keine 
Maße  festgesetzt. 

§  16.  Kleiner  Durchmesser  des  Querschnitts  der 
Kupplungsbügel  am  Berührungspunkt  mit  dem  Zug- 
haken, größtes  Maß   35  /«/«,  kleinstes  Maß  25  mm. 

§  17.  Sicherheitskupplungen. 

§  18.  Kupplungsteile,  die  auf  weniger  als  140«//« 
über  Schienenoberkante  herabhängen  könnten,  müssen 
mindestens  auf  diesen  Abstand  eingeschraubt  oder 
aufgehängt  werden  können. 

§  19.  Tragfedern. 

§  20.  Bremsen. 

§  21.  Abstand  der  Bremsersitze  von  der  Stirnfläche 
der  vollständig  eingedrückten  Buffer,  kleinstes  Maß 
40  mm. 

§  22.  Querschnittsmaße  der  Wagen. 

Bedingungen  für  Güterwagen,  die  ohne  besondere 
Prüfung  ihrer  Querschnittsmaße  übergehen  sollen 
(Transitwagen). 

§  23.  Schlösser  der  dem  internationalen  Verkehr 
dienenden  Personenwagen. 

§  24.  Äußere  Schiebtüren. 

§  25.  Anschriften  an  den  Wagen. 

Art.  III.  Unterhaltungszustand  der  Eisenbahnfahr- 
zeuge. 
§  1.  Die  Wagen  sollen  sich  in  befriedigendem,  die 
Sicherheit  des  Bahnbetriebs  in  keiner  Weise  ge- 
fährdendem Zustand  befinden,  wenn  dies  nicht  der 
Fall  ist,  dürfen  sie  zurückgewiesen  werden. 


§  2.  Zeit  der  letzten  Revision  nicht  mehr  als 
3  Jahre,  Ausnahme  bei  nach  der  Heimat  zurück- 
kehrenden lauffähigen  Wagen. 

§  3.  Schmierungen  der  Achsbüchsen. 

§  4.  Desinfektion  der  zur  Vielibeförderung  be- 
nutzten Wagen. 

§  5.  Mängel,  die  zur  Zurückweisung  berechtigen. 

A.  Mängel  an  Rädern  und  Achsen. 

B.  „        „    Achsbüchsen  und  Lagern. 

C.  „         ,/    Tragfedern. 

D.  „        „    Stoßvorrichtungen. 

E.  „        „    Zugvorrichtungen. 

F.  «         n    Untergestellen  und  Wagenkasten. 

§  6.  NichtZurückweisung  von  Wagen   mit  schad- 
hatten oder  unbrauchbaren  Bremsen. 
§  7.  Übernahme  eigener  leerer  Wagen. 

Art.  IV.  Beladung  der  Güterwagen. 

§  1.  NichtZurückweisung  von  Wagen  wegen  ihrer 
Beladung. 

§  2.  Die  verladenen  Gegenstände  müssen  sicher 
und  fest  liegen. 

§  3.  Verteilung  der  Ladung  auf  den  Wagen. 

§  4.  Die  Belastung  eines  Wagens  darf  die  Trag- 
fähigkeit nicht  überschreiten. 

§  5.  Raddrücke  eines  Wagens. 

§  6.  Lademaße  und  Einschränkungen  der  Ladungen. 

§  7.  Überragung  der  Ladung  offener  Güterwagen 
über  die  Kopfschwelle  des  Wagens. 

§  8.  Verladung  langer  Gegenstände,  die  auf  einem 
Wagen  nicht  gelagert  werden  können. 

§  9.  Vorschriften  bei  Verwendung  von  Schemel- 
wagenpaaren, von  Schutzwagen  oder  eines  Zwischen- 
wagens. 

Den  Bestimmungen  für  die  T.  sind  6  Anlagen 
beigegeben. 

Anlage  A  enthält  ein  Zeichen  -e-Q*  für  Wagen 
nach  Art.  II,  §  2,  Absatz  4,  d.  h.  für  Wagen,  die 
Krümmungen  von  150  m  Halbmesser  durchfahren 
können  mit  einem  Radstand  von  mehr  als  4500/««/. 

Anlage  B  enthält  eine  Zeichnung  eines  Doppel- 
schlüssels für  die  dem  internationalen  Verkehr  die- 
nenden Personenwagen  nach  Art.  II,  §  23. 

Anlage  C  enthält  eine  Zeichnung  einer  allgemeinen 
Begrenzungslinie  für  Güterwagen  nach  Art.  II,  §  22, 
Absatz  2. 

Anlage  D  enthält  eine  Zeichnung  eines  Zeichens 
für  Transitwagen  nach  Art.  II,  §  25,  Absatz  10. 

Anlage  E  enthält  eine  Ladetabelle  nach  Art.  IV, 
§  6,  Absatz  2,  für  Breiteneinschränkungen  der  La- 
dungen auf  jeder  Seite. 

Anlage  E  enthält  eine  Tabelle  nach  Art.  IV,  §  9, 
Absatz  Ib,  für  wagrechte  Entfernungen  auf  jeder  Seite 
zwischen  den  Ladungen  und  den  Seitenwänden  der 
Wagen  bei  Verwendung  von  tragenden  Schemel- 
wagen, von  Schutzwagen  oder  eines  Zwischenwagens. 

Technische  Vereinbarungen  (teclinical 
regiilations;  Conventions  techniques;  convenzioni 
tecniclie)  über  den  Bau  und  die  Betriebs- 
einrichtungen der  Haupt-  und  Neben- 
bahnen (abgekürzte  Bezeichnung  T.  V.)  sollen 
im  Sinne  des  §  1  der  Satzungen  des  VDEV. 
dazu  beitragen,  den  gegenseitigen  Verkehr  auf 
den  Haupt-  und  Nebenbahnen  des  Vereins  hin- 
sichtlich der  technischen  Einrichtungen  zu  er- 
leichtern und  die  Betriebssicherheit  zu  erhöhen. 

Hierbei  sind  unter  Nebenbahnen  vollspurige, 
dem  öffentlichen  Verkehr  dienende  Eisenbahnen 
zu  verstehen,    auf   die  Fahrzeuge   der  Haupt- 


284 


Technische  Vereinbarungen. 


bahnen  übergehen  können,  bei  denen  aber  die 
Fahrgeschwindigkeit  von  50  km'Std.  nicht 
überschritten  werden  darf  und  für  die,  ent- 
sprechend der  geringeren  Geschwindigkeit  und 
dem  einfacheren  Betrieb,  erleichternde  Be- 
stimmungen Platz  greifen  dürfen. 

Die  T.  gingen  hervor  aus  den  „Grund- 
zügen für  die  Gestaltung  der  Eisenbahnen 
Deutschlands"  und  den  „Einheitlichen  Vor- 
schriften für  den  durchgehenden  Verkehr  auf 
den  bestehenden  Vereinseisenbahnen",  die  das 
Ergebnis  der  Beratungen  der  ersten  Techniker- 
versammlung (s.  d.)  Berlin,  18. — 27.  Februar 
1850,   gewesen  sind. 

Das  Verdienst,  einen  ersten  Versuch  unter- 
nommen zu  haben,  „Vorschläge  zur  Erreichung 
einheitlicher  Bestimmungen  im  deutschen  Eisen- 
bahnwesen, insonderheit  gleichmäßige  Kon- 
struktionen des  Bahnbaues  und  gleichmäßige 
Betriebseinrichtungen  betreffend"  auszuarbeiten, 
gebührt  dem  Baurat  iWohn  der  ehemaligen 
kgl.  hannoverschen  Staatsbahn.  Er  überreichte 
dem  VDEV.  seine  Vorschläge  im  Jahre  1849 
mit  einer  Begründung,  in  der  die  damaligen 
Zustände  bei  den  Eisenbahnen  ausführlich  be- 
handelt waren.  Seine  V'orschläge  wurden  in 
der  ersten  Technikerversammlung  (Berlin  1850) 
den  Beratungen  über  die  Aufstellung  einheit- 
licher Bestimmungen  für  den  durchgehenden 
Eisenbahnverkehr  zu  gründe  gelegt. 

Dem  aus  den  Beratungen  der  ersten  Tech- 
niker\'ersammlung  her\orgegangenen  Werk 
zollte  die  in  demselben  Jahr  in  Aachen  abge- 
haltene Generalversammlung  die  gebührende 
Anerkennung.  Sie  beschloß,  die  „Grundzüge" 
nebst  den  ihnen  beigegebenen  ,. Sicherheits- 
polizeilichen Bestimmungen  für  den  Zustand 
der  Bahn  und  der  Betriebsmittel,  sowie  Hand- 
habung des  Fahrdienstes"  zur  Kenntnis  der 
Vereinsverwaltungen  zu  bringen  und  die  „Ein- 
heitlichen Vorschriften"  dringend  zur  baldmög- 
lichen Ausführung  zu  empfehlen. 

Nach  dem  Wortlaut  des  Beschlusses  der 
Aachener  Generalversammlung  war  der  Vereins- 
verwaltung kein  Zwang  auferlegt,  es  war  je- 
doch selbstverständlich,  daß  die  wertvollen  Be- 
schlüsse der  Technikerversammlungen  allen 
Ausführungen  als  Grundlage  dienten.  .Mit  den 
Fortschritten  des  Eisenbahnwesens  mußte  das 
Bedürfnis  einer  weiteren  Vervollkommnung 
dieser  Bestimmungen  sich  geltend  machen. 
Einen  diese  Ausbildung  fördernden  Beschluß 
faßte  die  Generalversammlung  zu  Frankfurt 
a.  M.  im  Jahre  1856.  Sie  setzte  eine  zweite 
Technikerversammlung  fest,  die  zu  Wien  im 
Jahre  1857  tagte.  Die  Ergebnisse  dieser  Be- 
ratung fanden  ihre  Genehmigung  durch  die 
Generalversammlung  im  Jahre  1858  in  Triest 


und  bestanden  der  Hauptsache  nach  in  der 
Festsetzung  der  bei  allen  Bauwerken  einzu- 
haltenden Umrißlinien  des  lichten  Raumes  so- 
wie in  der  Aufstellung  von  Zeichnungen  für 
Schrauben-  und  Kettenkupplung.  Die  dritte 
Technikerversammlung,  abgehalten  1865  zu 
Dresden,  bildete ausden  „Grundzügen",  „Sicher- 
heitspolizeilichen Anordnungen"  und  „Einheit- 
lichen Vorschriften"  nach  abermaliger  durch- 
greifender Umarbeitung  und  Hinzufügung  eines 
neuen  Abschnitts  „Signalordnung  für  die 
deutschen  Eisenbahnen"  ein  einziges  Werk, 
das  unter  der  Bezeichnung  „Technische  Ver- 
einbarungen des  Vereins  Deutscher  Eisenbahn- 
verwaltungen über  den  Bau  und  die  Betriebs- 
einrichtungen der  Eisenbahnen"  auch  im  Buch- 
handel erschien. 

Weitere  Ergänzungen  und  Neuausgaben  des 
Werkes  haben  in  den  Jahren  1871,  1876,  1882, 
1888  und  1909  stattgefunden.  Die  Ergebnisse 
der  Beratungen  vom  Jahre  1914  in  Teplitz- 
Schönau  sind  bisher  noch  nicht  xeröffentlicht. 
Hatte  der  ursprüngliche  Entwurf  der  T.  den 
Zweck,  eine  einheitliche  Gestaltung  des  Bahn- 
baues, der  Betriebsmittel  und  Betriebseinrich- 
tungen zu  erstreben,  so  sollten  die  späteren 
Umarbeitungen  und  Ergänzungen  die  einmal 
erzielte  Einheitlichkeit  auch  bei  der  rasch  fort- 
schreitenden Entwicklung  des  Eisenbahnwesens 
aufrecht  erhalten.  Durch  die  Einheitlichkeit  war 
bereits  eine  größere  Sicherheit  des  Betriebs 
erzielt,  aber  außerdem  trat  überall  das  Be- 
streben zu  Tage,  durch  vervollkommnete  Ein- 
richtungen und  durch  schärfere  Fassung  der 
Vorschriften  die  dem  Eisenbahnbetrieb  anhaf- 
tenden Gefahren  zu  mindern  und  Erleich- 
terung für  Personen-  und  Güterverkehr  zu 
schaffen. 

Ein  Teil  der  in  den  T.  niedergelegten 
Bestimmungen,  durch  fetten  Druck  hervor- 
gehoben, ist  für  die  X'ereinsbahnen  bindend. 
Diese  bindenden  Bestimmungen  müssen  von 
jeder  Verwaltung  für  alle  Einrichtungen  so  weit 
befolgt  werden,  als  nicht  durch  Staatsverträge 
oder  durch  die  obersten  staatlichen  Aufsichts- 
behörden abweichende  Bestimmungen  getroffen 
sind  oder  getroffen  werden. 

Bindende  Bestimmungen,  die  nur  für  Neu- 
bauten und  größere  Umbauten  gelten,  sind  als 
solche  ausdrücklich  bezeichnet.  Als  Neubau 
gilt  auch  der  Bau  weiterer  Hauptgleise  der 
freien  Strecke.  Die  Bestimmungen  für  Loko- 
motiven, Tender  und  Wagen  gelten  sinngemäß 
auch  für  Triebwagen. 

Die  letzte,  am  1.  Jänner  1909  erschienene 
Ausgabe  der  T.  enthält  Bestimmungen  ^  über: 


'  Der  Inhalt  der  Beslinimungen  ist  bei  den  ein- 
zelnen Artikeln  angeführt. 


Technische  Vereinbarungen.   -  Telegraph. 


285 


A.  Bau  und  Unterhaltung  der  Bahn. 

a)  Allgemeine  Bestimmungen. 

b)  Freie  Strecke. 

c)  Stationen. 

B.  Bau  und  Unterhaltung  der  Fahrzeuge. 

a)  Aligemeine  Bestimmungen. 

b)  Lokomotiven. 

c)  Tender. 

d)  Wagen. 

C.  Telegraphen-,  Signal-  und  Sicherungs- 
wesen. 

D.  Betriebsdienst. 

a)  Bahndienst. 

b)  h'alirdienst. 

Angeschlossen  sind  ein  Sachregister  und 
23   Beilagen. 

Die  23  Beilagen  der  letzten  Ausgabe  ent- 
halten Angaben  über: 

Verkehrslast  für  neue  und  umzubauende  Brücken, 
Umgrenzung  des  lichten  Raumes  für  Haupt-  und 
Nebenbahnen,  Spielraum  der  Spurkränze,  Umriß 
der  Lauffläche  des  Spurkranzes  für  abgedrehte  Rad- 
reifen, Schaulinien  zur  Bestimmung  der  kleinsten 
zulässigen  Schenkel-  und  Nabendurchmesser  von 
Güterwagenachsen  aus  Flußstahl,  Schaulinien  zur 
Bestimmung  der  kleinsten  zulässigen  Schenkel-  und 
Nabendurchmesser  von  Achsen  aus  Flußstahl  der 
Personen-,  Gepäck-  und  Postwagen  und  Tender,  Zug- 
haken, Schraubenkupplung,  doppelte  Kupplung 
Handgriffe  für  Wagenkuppler,  Schlauchkupplung 
für  ßampfheizungen,  Schlauchkupplung  für  Luft- 
druckbremsen, Schlauchkupplung  für  Luftsauge- 
bremsen, Umgrenzung  für  Lokomotiven  und  Tender, 
Umgrenzung  für  Wagen  Spielraumlinie  für  die 
Stellung  der  Wagen,  in  Krümmungen,  Zeichen  der 
für  den  internationalen. Verkehr  bestimmten  Wagen 
mit  Vereinslenkachsen,  Übergangsbrücken  und  Falten- 
bälge, Einrichtungeines  Faltenbalgrahmens  geringerer 
Lichtweite  für  die  Verbindung  mit  Vereinsrahmen, 
Gaseinrichtungen  für  Wagen,  Glasglocken  zur  Be- 
leuchtung der  Wagen,  Richtungsschilderund  Kloben, 
Bremsweg. 

Vgl.  auch  die  Artikel :  Grundzüge  für  den 
Bau  und  die  Betriebseinrichtungen  der  Lokal- 
bahnen, Technikerversammlungen  und  Tech- 
nische Einheit  im  Eisenbahnwesen.       Pollak. 

Technisch-polizeiliche  Prüfung  s.  Ab- 
nahme der  Bahn. 

Teerwagen  s.  Kesselwagen. 

Teilfahrten  sind  im  Geltungsbereich  der 
■deutschen  Fahrdienstvorschriften  solche 
Zugfahrten,  die  nur  einen  Teil  des  Weges 
zwischen  2  zur  Ablassung  und  Auflösung  von 
Zügen  berechtigten  Stationen  (Zugmelde- 
■stellen)  zurücklegen  und  auf  demselben  Gleis 
zttrückkehren,  ohne  die  nächste  Station  erreicht 
zu  haben.  Bei  zweigleisigem  Betrieb  finden  die 
T.  entweder  bei  der  Hinfahrt  oder  bei  der 
Rückfahrt  auf  dem  falschen  Gleis  statt.  Diese 
Abweichung  von  der  Fahrordnung  ist  im  §  53 
der  EB.  zugelassen  für  Arbeitszüge,  Hilfs- 
-züge  und  Hilfslokomotiven,  zurückkehrende 
Schiebelokomotiven,    für    die    Bedienung   von 


Anschlußgleisen  (s.  d.),  die  auf  freier  Strecke 
abzweigen,  sowie  für  den  Fall  von  Gleis- 
sperrungen. Hiernach  bilden  die  T.  eine  von 
der  Regel  abweichende  Betriebsweise,  die  nur 
in  Ausnahmefällen  und  unter  Anwendung 
besonderer  Sicherungsmaßnahmen  zugelassen 
werden  dürfen.  Nach  §  27  der  detitschen  FV. 
müssen  die  beiden  Zugmeldestellen  (s.  Fahr- 
dienstleitung), zwischen  denen  die  von  der  T. 
berührte  Strecke  liegt,  über  die  Zeit  der  Ab- 
fahrt und  Rückkehr,  über  den  Endpunkt  der 
Fahrt  und  bei  zweigleisigem  Betrieb  über  das 
zu  benutzende  Gleis  unterwiesen  werden  oder 
sich  gegenseitig  verständigen.  Die  von  der  T. 
berührten  Blockstellen  müssen  vor  der  Abfahrt 
beauftragt  werden,  die  T.  nicht  zurückzu- 
melden und  endlich  müssen  die  Schranken- 
wärter an  der  zu  befahrenden  Teilstrecke  — 
abgesehen  von  Hilfszügen  (s.  Sonderzüge)  — 
besondere  Nachricht  erhalten,  weil  die  zur 
Ankündigung  der  gewöhnlichen  Zugfahrten 
dienenden  Läutesignale  hierfür  in  der  Regel 
nicht  benutzt  werden  können. 

Auf  den  österreichischen  Staatsbahnen 
sind  durch  Art.  139  (14)  und  Abschnitt  XVI 
der  Vorschriften  für  den  Verkehrsdienst  in 
gleicher  Weise  Sicherheitsmaßnahmen  für  Züge, 
die  nach  und  von  einem  Punkt  derStrecke 
eingeleitet  werden,  getroffen.  Die  Bezeich- 
nung T.  wird  für  solche  Züge  nicht  angewendet. 

Breusing. 

Telegraph  (Fernschreiber)  (telegraph;  tele- 
graplie;  ttiegrafo). 

Man  versteht  darunter  eine  Vorrichtung, 
mit  der  die  an  einem  Ort  zum  Ausdruck  ge- 
brachten Gedanken  an  einem  andern  Ort  so- 
fort in  für  das  Auge  oder  das  Ohr  verständ- 
lichen Zeichen  wahrnehmbar  getnacht  werden 
können.  Zu  diesem  Zweck  bedient  man  sich 
der  Elektrizität,  u.zw.  entweder  indem  man 
elektrische  Ströme  in  metallischen  Drähten 
nach  dem  entfernten  Ort  leitet  und  sie  dort 
die  zur  Hervorbringung  der  telegraphischen 
Zeichen  erforderliche  mechanische  Arbeit  leisten 
läßt  (elektromagnetischer  T.)  oder 
indem  man  elektrische  Wellen  von  bestimmten 
Längen  in  bestimmt  abgegrenzten  Zwischen- 
räumen durch  die  Luft  sendet,  die  am  entfernten 
Ort  aufgefangen  und  in  Zeichen  umgesetzt 
werden  (Funkentelegraph,  s.  Funken- 
telegraphie). 

A.  Telegraphenanlagen. 
Die  ersten  Versuche  zur  Nachrichtenüber- 
mittlung durch  elektrische  Ströme  fallen  zeit- 
lich zusammen  mit  dem  Bau  der  ersten  Eisen- 
bahnen, bei  denen  sehr  bald  das  Bedürfnis 
nach     einem     schnellen    Verständigungsmittel 


286 


Telegraph. 


zwischen  den  Betriebsstellen  hervortrat.  Die 
bekannten  Erfolge  der  Qöttinger  Professoren 
Gauss  und  Weber  veranlaßten  im  Jahre  1835 
die  Verwaltung  der  damals  im  Bau  begriffenen 
Leipzig-Dresdener  Bahn,  mit  diesen  beiden 
Gelehrten  wegen  der  Anlage  eines  elektrischen 
T.  in  Verbindung  zu  treten.  In  England 
wurde  schon  im  Jahre  1830  eine  13  englische 
Meilen  lange  Strecke  der  Great  Western-Bahn, 
im  Jahre  1841  die  London-Blackwell-Bahn  mit 
dem  von  Cooke  und  Wheatstone  gebauten 
Nadeltelegraphen  ausgerüstet  (s.  Nadeltelegra- 
phen). In  Deutschland  haben  die  Rheinische 
Bahn  im  Jahre  1843  und  die  Taunusbahn  im 
Jahre  1844  zuerst  Zeigertelegraphen  auf  ihren 
Linien  verwendet.  In  Österreich  wurde  im 
Jahre  1847  auf  der  Kaiser-Ferdinands-Nord- 
bahn  der  Bainsche  Nadeltelegraph  eingeführt. 
Von  da  ab  machte  die  Entwicklung  und  Ver- 
wendung der  Zeiger-  und  Nadeltelegraphen  bei 
den  Eisenbahnen  rasche  Fortschritte.  Um  diese 
Zeit  fing  auch  der  Morsesche  Schreibtele- 
graph an,  sich  Eingang  zu  verschaffen,  bei  dem 
der  Telegraphierende  durch  Gruppen  von  län- 
geren und  kürzeren  Stromschlüssen  oder  Unter- 
brechungen an  der  empfangenden  Stelle  Schrift- 
zeichen aus  Gruppen  von  Strichen  und  Punkten 
auf  einem  Papierstreifen  hervorruft.  Die  Eisen- 
bahnverwaltungen zögerten  jedoch  mit  der 
Einführung  dieses  T.,  weil  sie  seine  Bedie- 
nung gegenüber  der  Bedienung  der  Zeiger- 
und Nadeltelegraphen  für  zu  schwierig  hielten. 
Durch  die  Erfahrung  wurde  dieses  Vorurteil 
widerlegt.  Der  Alorsetelegraph  fand  bald  Ein- 
gang auch  im  Eisenbahnbetrieb,  zunächst 
neben  den  Zeiger-  und  Nadeltelegraphen,  bald 
aber  diese  gänzlich  verdrängend.  Nur  bei  den 
englischen  Bahnen  wird  auch  jetzt  noch  neben 
dem  Morsetelegraphen  der  Nadeltelegraph  ver- 
wendet. Mit  der  zunehmenden  Entwicklung 
des  Teiegraphenverkehrs  trat  dann  mehr  und 
mehr  das  Bedürfnis  nach  einer  Steigerung  der 
Leistungsfähigkeit  der  Telegrapheneinrichtungen 
hervor  und  es  entstanden  die  Typendruck- 
telegraphen, die  Mehrfachtelegraphen 
und  die  Schnelltelegraphen.  Im  Vergleich 
zum  Morsetelegraphen  sind  diese  wesent- 
lich verwickelter  gestaltet,  und  ihre  Handhabung 
und  Bedienung  erfordert  große  Geschicklich- 
keit und  Sachkenntnis.  Diese  für  große 
Leistungsfähigkeit  geschaffenen  Einrichtungen 
eignen  sich  im  allgemeinen  nur  zur  unmittel- 
baren Verbindung  großer  Plätze,  auf  denen 
die  Telegramme  stets  in  solcher  Zahl  zur 
Beförderung  vorliegen,  daß  sie  in  geschlossenen 
Reihen  abtelegraphiert  werden  können. 

Für  den  Eisenbahntelegraphenverkehr  steht 
allgemein  der  Morselelegraph   in  Anwendung. 


Während  die  Verwaltung  der  T.  für  den 
öffentlichen  Verkehr  fast  überall  in  den  Händen 
des  Staates  liegt,  ist  den  Eisenbahnverwal- 
tungen allgemein  das  Recht  zugestanden,  auf 
ihren  Linien  und  für  die  Zwecke  ihres  Betriebs 
eigene  T.  zu  errichten  und  für  ihre  Rechnung 
zu  betreiben. 

Die  Grundlagen  für  die  Ausrüstung  der 
Eisenbahnen  mit  T.  bilden  die  allgemeinen 
Bestimmungen  für  den  Bau  und  den  Betrieb 
der  Eisenbahnen.  So  fordert  z.  B.  für  die 
deutschen  Bahnen  die  BO.  als  das  Mindestmaß 
an   Telegrapheneinrichtungen, 

daß  auf  Hauptbahnen  und  solchen  Neben- 
bahnstrecken, die  mit  mehr  als  40  km  Ge- 
schwindigkeit befahren  werden,  die  Zugfolge- 
stellen'' durch  T.  und  auf  den  sonstigen 
Strecken  durch  T.  oder  Fernsprecher  zu  ver- 
binden sind  und 

daß  auf  Hauptbahnen  auf  der  freien  Strecke 
in  Entfernungen  von  höchstens  4  km  Ein- 
richtungen zum  Herbeirufen  von  Hilfe  vor- 
handen sein  müssen. 

Im  wesentlichen  decken  sich  diese  Forde- 
rungen   auch   mit  denen   in  anderen    Ländern. 

Auf  Hauptbahnen  und  den  wichtigeren  Neben- 
bahnen ist  hiernach  mindestens  eine  Leitung 
vorhanden,  die  auf  allen  Zugfolgestellen  mit 
Morsetelegraphen  besetzt  ist.  Auf  Hauptbahnen 
von  größerer  Länge  und  solchen  mit  lebhafterem 
Zugverkehr  oder  einer  großen  Zahl  zu  ver- 
bindender Stellen  findet  sich  noch  eine  zweite 
Leitung,  die  nur  die  hauptsächlichsten  Stellen 
einschließt.  Die  erste  Morseleitung  dient  dann 
dem  nachbarlichen  Verkehr  (Bezirksleitung) 
und  ist  dementsprechend  je  nach  Erfordernis 
in  2  oder  mehr  Kreise  abgeteilt,  während 
die  zweite  Morseleitung  dem  Fernverkehr 
dient  (Fernleitung). 

Auf  Hauptbahnen  und  verkehrsreichen  Neben- 
bahnen ist  in  der  Regel  auch  noch  eine  be- 
sondere Morseleitung  für  den  Zugmcldedienst, 
die  Zugmeldeleitung  vorhanden;  jedoch 
kann  hierfür,  wenn  der  Zugverkehr  sich  in 
mäßigen  Grenzen  hält,  die  ohnehin  vorhan- 
dene Läutewerkleitung  mitbenutzt  werden. 

Auf  Hauptbahnen  tritt  bei  wachsendem  Ver- 
kehr eine  zweite  Morseleitung  für  den  nach- 
barlichen Verkehr  hinzu  —  eine  zweite  Bezirks- 
leitung -  in  die  jedoch  die  unbedeutenderen 
Betriebsstellen  nicht  mit  eingeschaltet  werden, 
und  sofern  dem  Bedürfnis  auch  dann  noch  nicht 
genügt  ist,  eine  zweite  Morseleitung  für  den 
Fernverkehr  -  eine  zweite  Fernleitung    -   in 


'  Zugfolgestellen  sind  Betriebsstellen,  die  einen 
Streckenabschnitt  begrenzen,  in  den  ein  Zug  nicht 
einfahren  darf,  bevor  ihn  der  vorausgefahrene  Zug 
verlassen  hat. 


Telegraph. 


287 


die  dann  nur  die  allerwichtigsten  Betriebsstellen 
eingeschaltet  werden. 

Bei  noch  größerem  Verkehr  kann  auch  die 
Herstellung  einer  dritten  Bezirksleitung  und 
unter  Umständen  einer  dritten  Fernleitung  in 
Frage  kommen.  Die  Zahl  der  Fernleitungen 
wächst  namentlich  dann,  wenn  die  Notwendigkeit 
eines  unmittelbaren  Telegranimverkehrs  der 
leitenden  Behörden  (Direktionen)  der  ver- 
schiedenen Verwaltungsbezirke  vorliegt. 


gebend,    in    Preußen    außerdem    der   Vertrag 
zwischen    der   Reichs-Post-   und  Telegraphen- 
verwaltung  und    der  preußischen   Staatseisen- 
bahnverwaltung vom   ASePiimber    jg 
28.  August 

Die  grundsätzliche  Anordnung  und  Wirkungs- 
weise des  Morsetelegraphen  ist  die  folgende  (s.  die 
schematische  Darstellung  Abb.  276): 

Auf  jeder  der  untereinander  in  telegraphischen 
Verkehr  zu  bringenden  Stellen  ist  in  die  diese  Stellen 
verbindende   metallische  Leitung  L  je   ein   Elektro- 


^^^—P' 


Nebenbahnen  mit  geringem  Verkehr  und 
die  sog.  Kleinbahnen  werden  vielfach  auch 
nur  mit  Fernsprechleitungen  ausgerüstet. 

Für  die  die  verschiedenen  Eisenbahndienst- 
stellen verbindenden  Leitungen  bildet  die 
oberirdische  Führung  längs  der  Bahnstrecke 
die  Rege!.  (Näheres  s.  unter  Leitungen  für 
elektrische  Schwachstromanlagen.) 


magnet  M  eingeschaltet.  Der  Anker  A  des  Elektro- 
magneten bildet  das  eine  Ende  eines  zweiarmigen 
Hebels  h,  dessen  anderes  Ende  die  Schreibvorrich- 
tung s  trägt.  Solange  die  Leitung  stromlos,  ist  werden 
die  Elektromagnetanker  durch  Spiralfedern/  in  ihrer 
oberen  Lage  gehalten ;  sobald  aber  die  Leitung  und 
demnach  auch  die  Elektromagnetwindungen  ein 
elektrischer  Strom  durchfließt,  werden  die  Anker 
der  Elektromagnete  angezogen  und,  solange  der 
Strom  andauert,  in  der  angezogenen  (unteren)  Lage 


Da  auch  die  Telegraphenverwaltungen  für  den 
öffentlichen  Verkehr  (Landes-,  Staats-,  Reichs- 
telegraphenverwaltungen) ihre  Leitungen  vor- 
zugsweise auf  Eisenbahngelände  führen,  weil 
dann  die  Bewachung  leicht  mit  der  Bahnbewach- 
ung verbunden  werden  kann,  ist  es  in  der  Regel 
nicht  nötig,  daß  jede  der  beiden  Verwaltungen 
eigene  Gestänge  aufstellt.  Die  Leitungen  beider 
Verwaltungen  \xerden  vielmehr  an  gemeinsamen 
Gestängen  angebracht.  In  fast  allen  Ländern 
bestehen  hierüber  Obereinkommen  zwischen 
beiden  Verwaltungen.  Im  Deutschen  Reichs- 
Telegraphengebiet  z.  B.  sind  in  dieser  Beziehung 
die  Bestimmungen  des  Bundesratsbeschlusses 
vom  21.  Dezember  1868  betreffend  die  Ver- 
pflichtungen der  Eisenbahnverwaltungen  im 
Interesse  der  Reichstelegraphenverwaltung  maß- 


festgehalten. In  diesem  Fall  drückt  die  Schreib- 
vorrichtung s  am  andern  Ende  des  Ankerhebels 
leicht  gegen  ein  durch  ein  Laufwerk  fortbewegtes 
Papierband  P  und  schreibt  auf  dieses  einen  farbigen 
Strich,  während  imersteren  Fall  die  Schreibvorrichtung 
das  Papierband  nicht  berührt.  Ein  Stromschluß  von 
kurzer  Dauer  ruft  also  auf  dem  Papierband  einen 
kurzen  Strich,  ein  Stromschluß  von  längerer  Dauer 
einen  längeren  Strich  hervor.  Aus  kürzeren  und 
längeren  Strichen  (Punkten  und  Strichen)  in  richtiger 
Zusammensetzung  wird  die  Morseschrift  gebildet. 
Zwei  feste  Anschläge  o  und  u  begrenzen  die  Bewegung 
des  Ankerhebels.  Den  Strom  erhält  die  Leitung  aus 
galvanischen  Batterien  B  (Näheres  s.  unter  Elemente, 
galvanische),  die  auf  den  Telegraphenstellen  aufgestellt 
sind  und  mittels  Stromschließer  T  ein-  und  aus- 
geschaltet werden.  Der  Stromschließer  dient  hierbei 
als  Zeichengeber  oder  Telegraphiertaster. 

Abweichend      von      der     vorbeschriebenen 
Betriebsweise,    bei    der    die  Leitung  im  Ruhe- 


288 


Telegraph. 


zustand  stromlos  ist  und  die  Schreibvorrichtung 
das  Papierband  nur  bei  Stromschiuß  berührt, 
kommt  noch  eine  zweite  Betriebsweise  zur 
Anwendung,  bei  der  die  Leitung  im  Ruhe- 
zustand unter  Strom  steht,  der  bei  jedem 
Druck  auf  den  Teiegraphiertaster  unter- 
brochen wird,  so  daß  die  Schreibvorrichtung 
das  Papierband  nur  bei  Stromunterbrechung 
berührt  (s.  die  schematische  Darstellung 
Abb.  277).  Die  erstere  Betriebsweise  heißt  der 
Arbeitsstrombetrieb,  die  letztere  der  Ruhe- 
strombetrieb (vgl.  Ruhestromschaltung). 

Da  beim  Arbeitsstrombetrieb  immer  nur  die 
Batterie  der  gebenden  Stelle  in  Anspruch 
genommen  wird,  so  muß  die  Batterie  jederStelle 
so  groß  bemessen  werden,  daß  sie  den  Strom 
zur  Erregung  der  Elektromagnete  aller  in  die 
Leitung  einbezogenen  Stellen  zu  liefern  vermag, 
während  dazu  beim  Ruhestrombetrieb  eine 
solche  Batterie  ausreicht,  deren  Elemente  auf 
die  einzelnen  Stellen  verteilt  werden  können. 
Arbeitsstrombetrieb  wird  daher  im  allgemeinen 
nur  für  Leitungen  mit  wenigen  Betriebsstellen, 
Ruhestrombetrieb  für  Leitungen  mit  vielen 
Betriebsstellen  zur  Anwendung  kommen. 

Die  Handhabung  des  Telegraphiertasters  ist 
bei  beiden  Betriebsweisen  die  gleiche,  die 
X^Cirkung  auf  den  Ankerhebel  aber  die  ent- 
gegengesetzte; bei  Arbeitsstrombetrieb  wird 
beim  Drücken  des  Telegraphiertasters  der  Anker 
angezogen,  die  Verlängerung  des  Ankerhebels 
also  vom  oberen  Anschlag  o  nach  dem 
unteren  u  bewegt,  bei  Ruhestrombetrieb 
dagegen  wird  beim  Drücken  des  Tasters  der 
vorher  vom  Elekiromagnet  festgehaltene  Anker 
losgelassen,  also  vom  unteren  nach  dem  oberen 
Anschlag  bewegt.  Damit  aber  die  am  andern 
Ende  des  Ankerhebels  befindliche  Schreib- 
vorrichtung sich  in  beiden  Fällen  in  gleicher 
Richtung,  d.  h.  gegen  das  Papierband  bewegt, 
ist  bei  den  Schreibwerken  für  Ruhestrombetrieb 
die  Schreibvorrichtung  nicht  wie  bei  Arbeits- 
strombetrieb unmittelbar  am  Ankerhebel  an- 
gebracht, sondern  an  einem  durch  Gelenk  mit 
diesem  verbundenen  besonderen  zweiarmigen 
Hebel  h^,  wie  in  der  schematischen  Skizze 
Abb.  277  bei  der  linken  Endstelle  angedeutet 
ist.  Bei  den  beiden  anderen  Stellen  ist  der 
Einfachheit  wegen  der  Ankerhebel  mit  Schreib- 
vorrichtung x^eggelassen. 

Der  Ruhestrombetrieb  ist  für  Eisenbahn- 
telegraphenleitungen allgemein  in  Anwendung, 
■weil  diese  fast  immer  eine  größere  Zahl  von 
Betriebsstellen  umfassen. 

Wie  jeder  elektrische  Strom,  so  kann  auch 
der  Telegraphierstrom  nur  in  einem  vollständig 
geschlossenen  Leitungskreis  zu  stände  kommen; 
die  Leitung,  in  die  die  Telegraphenstellen  ein- 


geschaltet sind,  muß  also  zu  einem  Kreis 
geschlossen  sein.  Die  beiden  Enden  der  Leitung 
müssen  deshalb  entweder  durch  eine  metallische 
Rückleitung  verbunden  oder  an  die  Erde  an- 
geschlossen sein,  so  daß  diese  als  Rückleitung 
dienen  kann.  Metallische  Rückleitung  kann 
aber  für  Telegraphenleitungen  nur  dann  in 
Frage  kommen,  wenn  es  sich  um  eine  so 
geringe  Länge  der  Rückleitung  handelt,  daß 
der  Leitungswiderstand  wesentlich  kleiner  sein 
würde  als  die  Summe  der  Übergangswider- 
stände der  Anschlüsse  der  beiden  Enden  der 
Leitung  an  die  Erde,  also  wesentlich  kleiner 
als  20  Ohm  oder,  in  Leitungslänge  ausgedrückt, 
als  2  km  (s.  Erdleitungen). 

Der  Schlag  des  Schreibhebels  dient  als 
Anruf  für  die  Beamten;  er  muß  deshalb  bei 
den  Eisenbahn-Telegrapheneinrichtungen  ein 
möglichst  lauter  sein,  damit  er  von  den  Beamten 
auch  bei  ihren  sonstigen  Dienstgeschäften 
(Zugdienst,  Abfertigungsdienst  u.  s.  w.)  deutlich 
wahrgenommen  werden  kann.  Die  Vergrößerung 
der  Schlagstärke  bedingt  aber  eine  Vergrößerung 
des  Arbeitsweges  des  Schreibhebels  und  diese 
wieder  eine  entsprechende  Verstärkung  der 
elektromagnetischen  Kraft.  Bei  unmittelbarer 
Einschaltung  der  Schreibwerke  in  die  Leitung 
würde  das  aber  einen  ganz  unverhältnismäßig 
großen  Aufwand  an  Betriebsstrom  und  Batterie 
erfordern  und  den  Betrieb  nicht  nur  sehr 
unwirtschaftlich,  sondern  infolge  des  raschen 
Verbrauchs  der  Batterieelemente  (s.  Elemente, 
galvanische)  auch  sehr  unsicher  gestalten.  Die 
Schreibwerke  der  Eisenbahntelegraphen  werden 
deshalb  nicht  unmittelbar  in  die  Leitung 
geschaltet,  sondern  jedes  Schreibwerk  arbeitet 
in  einem  auf  die  Örtlichkeit  beschränkten  Strom- 
kreis, dem  Ortsstromkreis,  mit  besonderer 
Batterie.  Die  zur  Hervorbringung  der  tele- 
graphischen Schriftzeichen  dienenden  Unter- 
brechungen und  Schließungen  des  in  der  Leitung 
fließenden  Betriebsstroms  -  des  Leitungs- 
stroms —  werden  durch  ein  Relais  (s.  d.) 
auf  diesen  besonderen  Stromkreis  -  den  Orts- 
stromkreis -  übertragen  in  dem  Sinne,  daß 
beim  Ruhestrombetrieb  jede  Unterbrechung 
des  Leitungsstroms  die  Schließung  des  Orts- 
stromkreises und  jede  Schließung  des  Leitungs- 
stroms die  Unterbrechung  des  Ortsstrom- 
kreises zur  Folge  hat.  Die  Schreibvorrichtung 
braucht  deshalb  auch  nicht,  wie  oben  angedeutet 
und  durch  Abb.  277  erläutert,  durch  Gelenk 
mit  dem  Ankerhebel  verbunden  zu  werden, 
sondern  wird  wie  beim  Arbeitsstrombetrieb 
nach  Abb.  276  unmittelbar  am  Ankerhebel  an- 
gebracht. Der  Ankerhebel  des  Relais  vertritt 
im  Ortsstromkreis  die  Stelle  des  Stromschließers. 
In  Abb.  278  ist  diese  Anordnung  in  einfachen 


Telegraph. 


289 


Linien  dargestellt.  S  ist  das  Schreibwerk,  OB 
die  Batterie  für  den  Ortsstromkreis  -  die 
Ortsbatterie  - ,  R  das  Relais,  a  die  Strom- 
schlußvorrichtung des  Relais;  mit  Ltg  ist  die 
Leitung  be;?eichnet,  mit  LB  der  auf  der  Tele- 
graphenstelle aufgestellte  Teil  der  Batterie  für 
den  Leitungsstrom  -  die  Leitungsbatterie  — 
mit  T  der  Telegraphiertaster  (s.  Abb.  27S). 


Hili-ob- 


OB.  -=r 


Es  besteht  entweder  aus  einer  Anzahl  feststehender, 
isolierter,  in  den  Stromweg  eingeschalteter  Draht- 
windungen, in  deren  Wirkungsraum  ein  leichter 
Magnetstab  um  eine  feine  Achse  schwingt,  oder 
aus  einem  feststehenden  starken  Magneten,  zwischen 
dessen  Polen  —  in  dessen  Kraftlinienfeld  (vgl.  Induk- 
tionsströme) —  ein  mit  den  im  Stromweg  liegenden 
feinen  isolierten  Drahtwindungen  bewickeltes  leichtes 
Rähmchen  um  eine  feine  Achse  spielt.  Sobald  und 
solange  Strom  in  der  Leitung  fließt,  wirken  bei  der 


Hr 


L^ 


O 


^ 


Abb.  278. 


Das  Relais  erfordert  zu  seiner  Bewegung 
nur  geringe  Kraft,  weil  der  denkbar  kleinste 
Arbeitsweg  für  dessen  Ankerhebel  genügt  und 
dieser  deshalb  auch  sehr  leicht  gebaut  sein 
kann.  Für  die  Bewegung  genügt  infolgedessen 
auch  nur  ein  geringer  Strom  in  der  Leitung, 
in  der  Regel  15  Milliampere;  dabei  wird  die 
Leitungsbatterie  so  wenig  verbraucht,  daß  sie 
unbedenklich  6  Monate  im  Betrieb  bleiben 
kann,  ohne  in  ihrer  Leistungsfähigkeit  nach- 
zulassen. In  dem  mit  dem  Widerstand  der 
Leitung  nicht  belasteten  Stromkreis  der  Orts- 
batterien wird  dagegen  mit  wenigen  Elementen 
die  zur  Hervorbringung  eines  genügend  lauten 
Schlages  des  Schreibhebels  erforderliche  elektro- 
magnetische Kraft  erreicht. 

Die  Morsewerke  der  Eisenbahntelegraphie 
sind  im  wesentlichen  dieselben,  wie  sie  die 
öffentliche  Telegraphie  verwendet.  Sie  setzen 
sich  zusammen  aus  den  bereits  genannten 
Teilen:  Schreibwerk,  Telegraphiertaster 
und  Relais;  dazu  kommt  noch  der  Strom- 
zeiger (oder  das  Galvanoskop),  der  Blitz- 
ableiter und  der  Umschalter;  letztere  beiden 
werden  gewöhnlich  zu  einem  Stück  vereinigt. 

Der  Stromzeiger  soll  dem  Beamten  sichtbar 
anzeigen,  ob  Strom  in  der  Leitung  fließt  oder  nicht 
und  ob  der  Strom  die  vorgeschriebene  Stärke  und 
Richtung  hat;  er  ist  also  ein  zur  Prüfung  des 
betriebsfähigen  Zustands  der  Leitung  sowie  zur 
Feststellung  von  Fehlern  unentbehrliches  Instrument. 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


zuerst  erwähnten  Form  die  stromdurchflossenen 
Windungen  ablenkend  auf  den  Magnetstab;  bei  der 
letzteren  Form  wirkt  der  Magnet  ablenkend  auf  die 
stromdurchflossenen  Drahtwindungen.  Je  nach  der 
Richtung  des  Stromes  erfolgt  die  Ablenkung  nach 
der  einen  oder  der  andern  Seite.  Die  Größe  des 
Ablenkungswinkels  bildet  ein  ungefähres  Maß  für 
die  Stärke  des  Stromes;  sie  wird  auf  einer  Skala, 
vor  der  ein  am  bewegten  System  befestigter  Zeiger 
spielt,  abgelesen.  Sobald  der  Leitungsstrom  unter- 
brochen wird,  schwingt  das  bewegte  System  unter 
der  Einwirkung  eines  Richtmagneten  oder  feiner 
Spiralfedern  in  die  Nullstellung  zurück. 

Der  Blitzableiter  schützt  die  Telegraphen- 
einrichtung vor  der  zerstörenden  Wirkung  der  auf 
die  oberirdisch  geführte  Leitung  treffenden  Blitz- 
schläge. Da,  wie  oben  gesagt,  die  Enden  der  Tele- 
graphenleitungen  an  die  Erde  angeschlossen  sind, 
so  bieten  sie  den  Blitzentladungen  stets  einen 
bequemen  Weg  zur  Erde.  Die  in  diesem  Weg  liegen- 
den feinen  Drahtwindungen  des  Relais  und  des 
Stromzeigers  würden  aber  dabei  ohne  den  Blitz- 
ableiter der  Zerstörung  durch  Überhitzung  aus- 
gesetzt sein.  Ein  solcher  Blitzableiter  besteht  in  der 
Regel  aus  je  einer  vor  die  Telegrapheneinrichtung 
in  jede  Zuleitung  geschalteten  Metallplatte,  die  mit 
möglichst  geringem  Zwischenraum  -  höchstens 
0-5  mm  -  über  oder  unter  einer  andern  Metall- 
platte liegt,  die  an  die  Erde  angeschlossen  ist.  Die 
atniosphänsche  Elektrizität  überspringt  vermöge  ihrer 
außerordentlich  hohen  Spannung  den  kleinen  Zwi- 
schenraum zwischen  beiden  Platten  und  kürzt 
dadurch  ihren  Weg  zur  Erde  unter  Vermeidung  der 
vielen  feinen  Drahtwindungen  des  Relais  und  des 
Stromzeigers  ganz  wesentlich  ab,  dadurch  diese  vor 
dem  zerstörenden  Einfluß  der  hochgespannten  Elek- 
trizität   schützend.    Zur    Erleichterung    des    Uber- 

19 


290 


Telegraph. 


springens  sind  die  einander  zugekehrten  Flächen 
der  Platten  fein  geriffelt.  Die  Leitungsplatten  beider 
Zuführungen  einer  Telegrapheneinrichtung,  nicht 
selten  auch  die  Leitungspiatten  mehrerer  auf  einer 
Betriebsstelle  befindlichen  Telegrapheneinrichtungen 
werden  so  nebeneinander  angeordnet,  daß  sie  eine 
gemeinsame  Erdplatte  erhalten  können. 


zweckmäßige  Zusammenstellung  von  Siemens  & 
Halske  zeigt  die  Abb.  27Q.  Der  Unterrahmen  des 
Qrundbretts  paßt  in  einen  Ausschnitt  des  zugeliörigen 
Tisches,  Abb.  280.  Die  Zuführungsdrähte  von  der 
Leitung  und  den  Batterien  sind  nicht  unmittelbar 
an  das  Grundbrett,  sondern  nur  an  Klemmen  des 
Tisches  angeschlossen.  Zur  Verbindung  dieser  Klem- 


Abb.  279. 


Die  Platten  der  Blitzableiter  werden  zweckmäßig 
so  angeordnet,  daß  die  Leitungsplatten  jeder  Tele- 
grapheneinrichtung mittels  Metallstöpsel  sowohl 
untereinander  als  auch  jede  einzelne  mit  der  Erd- 
platte verbunden  werden  können,  wodurch  die  Mög- 
lichkeit geschaffen  wird,  die  Telegrapheneinrichtung 
je  nach  Erfordernis  entweder  aus  der  Leitung  aus- 


Abb.  2S0. 

zu.schalten  oder  auf  Zwischenstellen  nach  der  einen 
oder  andern  Seite  an  Erde  zu  legen  und  den  ent- 
gegengesetzten Leitungsteil  abzuschalten.  Der  Blitz- 
ableiter vertritt  dann  zugleich  die  Stelle  des  Um- 
schalters. Andernfalls  muß  hierfür  eine  besondere 
Vorrichtung  angeordnet  werden. 

Die  einzelnen  Bestandteile  der  Telegraphenein- 
richtung sind  in  der  Regel  auf  einem  gemeinsamen 
Qrundbrett  befestigt,  unter  dem  die  Drahtverbin- 
dungen zwischen  den  einzelnen  Teilen  fest  ange- 
bracht sind.   Eine  für  Eisenbahnbetriebsstellen  sehr 


men  mit  dem  Qrundbrett  dienen  Stromschlußböcke 
und  Federklinken.  Diese  Anordnung  ermöglicht  es 
dem  bedienenden  Beamten,  die  Telegrapheneinrich- 
tung, wenn  sie  unbrauchbar  werden  sollte,  ohne 
Benutzung  von  Werkzeugen  und  ohne  Lösung  von 
Schrauben  leicht  und  schnell  gegen  ein  Ersatzwerk 
auszuwechseln  oder  auf  größeren  Telegraphenstellen 
bis  zur  Beseitigung  des  Fehlers  oder  bis  zum  Ein- 
treffen eines  Ersatzwerkes  durch  sofortiges  Einsetzen 
eines  gerade  unbenutzten  Werkes  den  Betrieb  aufrecht 
zu  erhalten. 

Die  Verbindungen  zwischen  den  einzelnen  Teilen 
der  Telegrapheneinrichtung  sowie  zwischen  den  ein- 
zelnen Stellen  einer  Leitung  sind  in  Abb.  281  durch 
2  Endstellen  und  eine  Zwischenstelle  dargestellt. 
Mit  S  ist  das  Schreibwerk,  mit  R  das  Relais,  mit  T 
der  Telegraphiertaster,  mit  Bl  der  Blitzableiter,  mit 
LB  die  Leitungsbatterie,  mit  OB  die  Ortsbatterie 
bezeichnet.  Wie  ersichtlich,  sind  die  Leitungsbatterien 
nicht  besonders  an  das  Orundbrett  angeschlossen, 
sondern  liegen  auf  den  Zwischenstellen  in  der  Zu- 
führung der  Leitung,  auf  den  Endstellen  in  der  Zu- 
führung der  Erdleitung.  Es  empfiehlt  sich,  wie  in 
der  Abbildung  dargestellt,  auf  den  Zwischenstellen 
die  Elemente  der  Leitungsbatterie  auf  beide  Leitungs- 
zuführungen zu  verteilen,  auch  vor  der  Leitungs- 
batterie einen  Ausschalter  (A  in  der  Abbildung) 
anzubringen,  damit  die  Telegrapheneinrichtung  ein- 
schließlich der  eigenen  Batterie  aus  der  Leitung 
ausgeschaltet  und  so  ihr  Zustand  durch  den  Strom- 
zeiger festgestellt  werden  kann.  Am  Blitzableiter 
kann  bei  der  dargestellten  Anordnung  nur  die 
Telegrapheneinrichtung  ohne  die  Batterie  ausge- 
schaltet werden. 

Zur  Erzielung  ungestörter  Abwicklung  des 
telegraphischen  Verkehrs  dürfen  die  Leitungen 
nicht  überlastet  werden,  d.  h.  die  Zahl  der  zu 
einem  Leitungskreis  oder  Stromkreis  zu  ver- 
bindenden   Betriebsstellen    darf    nie    so   groß 


Telegraph. 


291 


sein,  daß  sie  sicii  gegen- 
seitig in  der  Benutzung 
der  Leitung  hindern;  viel- 
mehr muß  allen  die  recht- 
zeitige und  ungehinderte 
Abwicklung  des  telegra- 
phischen Schriftwechsels 
möglich  sein.  In  der  Regel 
dürfen  deshalb  je  nach 
der  Dichtigkeit  des  Ver- 
kehrs nicht  mehr  als 
10—15  Stellen  zu  einem 
Stromkreis  verbunden 
werden.  Leitungen,  die 
mehr  Betriebsstellen  be- 
rühren, müssen  in  2  oder 
mehr  Stromkreise  abge- 
teilt werden.  Die  Strom- 
kreisendstellen, zu  denen 
immer  größere  und  wich- 
tigere Betriebsstellen  aus- 
ersehen werden,  erhalten 
dann  für  jeden  Stromkreis 
eine  besondere  Telegra- 
pheneinrichtung und  wer- 
den außerdem  als  Zwi- 
schenstelle an  die  längs 
der  Strecke  geführte  Fern- 
leitung angeschlossen. 

Auf  großen  Übergangs- 
bahnhöfen, wo  die  Fern- 
leitungen der  verschie- 
denen Bahnlinien  zu- 
sammenlaufen, kann  für 
die  von  einer  Linie  auf 
die  andere  übergehenden 
Telegramme  selbsttä- 
tige Übertragung 
eingerichtet  werden.  Abb. 
282  veranschaulicht  in 
einfachen  Linien  diese 
Übertragung  für  2  auf 
einer  Dienststelle  endende 
Ruhestromfernleitungen 
—  Ltg^  und  Lfg^  —  mit 
den  Telegrapheneinrich- 
tungen /  und  //.  R^  und 
/?2  bedeuten  darin  die 
Relais,  5,  und  S,  die 
Schreibwerke.  Die  Tele- 
graphiertaster, Stromzei- 
ger und  Blitzableiter  sind 
der  besseren  Übersicht 
wegen  fortgelassen.  Skizze 
A  zeigt  die  Grundschal- 
tung, in  der  beide  Tele- 
grapheneinrichtungen als 
stellen  arbeiten.  Abb.  282 


gewöhnliche    End-  i  Übertragungsschaltung,  wobei  die  in  einer  der 
B  dagegen  zeigt  die  |  beiden   Leitungen    —   Ltg^  oder  Ltg2    —   tele- 

19* 


292 


Telegraph. 


graphierten    Schriftzeichen 

andere  übertragen  werden. 
zu    ersehen,    findet   bei    d 


selbsttätig  in  die 
Wie  aus  Abb.  282ß 
ieser   Schaltung   die 


-»SV 


r-CZA 


■^ 


r+\  ^ 


'it», 


§ 


^ 


yj\f^ 


Hi|H" 


Leitung  nicht  wie  bei  der  Grundschaltung 
(Abb.  282/1)  Erdschluß  in  der  eigenen  Telegra- 
pheneinrichtung, sondern  über  einen  Strom- 
schließer a,  oder  03  am  Schreibwerk 
der  andern  Telegrapheneinrichtung. 
Auf  diesen  Stromschließer  wirkt  der 
Schreibhebel  wie  die  Hand  des  Be- 
amten auf  den  Telegraphiertaster;  die 
auf  der  einen  Leitung  ankommenden 
Zeichen  werden  also  durch  den 
Schreibhebel  in  die  andere  Leitung 
weitertelegraphiert  oder  übertragen. 

Der  Schreibhebel  betätigt  noch  emen 
zweiten  Stromschließer  —  A,  Aj  "  < 
der  in  der  Übertragungsschaltung  beim 
Schreiben  den  Stromkreis  der  Orts- 
batterie für  das  Schreibwerk  der  andern 
Leitung  unterbricht,  damit  dessen 
Schreibhebel  nicht  gleichzeitig  betätigt 
wird,  und  rückwirkend  auch  den  Erd- 
schluß der  ersteren  Leitung  unterbricht, 
weil  dadurch  dauernde  Unterbrechung 
auf  beiden  Leitungen  eintreten  würde. 
Siemens  ßiHalske  bauen  sehr  zweck- 
mäßige und  handliche  Schaltvorrich- 
tungen für  die  Übertragung,  wie  in 
Abb.  283  dargestellt.  Für  jede  Leitung 
ist  ein  Klinkenkästchen  und  für  je 
2  Klinkenkästchen  eine  vieraderige 
Leitungsschnur  mit  je  4  Metallstöpseln 
an  jedem  Ende  erforderlich.  Die  Über- 
tragungsschaltung wird  dadurch  her- 
gestellt, daß  die  Klinkenkästchen  der 
beiden  auf  Übertragung  zu  schaltenden 
Leitungen  mit  der  Stöpselschnur  durch 
Einstecken  der  Stöpsel  in  die  Löcher 
der  Kästchen  verbunden  werden.  In 
der  Abb.  282  sind  die  Klinkenkästchen 
mit  AT,  und  /C/,  und  die  Stöpsel  mit 
St^  und  5^2  bezeichnet.  Wie  ersicht- 
lich, unterbrechen  die  eingesteckien 
Stöpsel  im  Klinkenkästchen  4  in  der 
Grundstellung  geschlossene  Strom- 
schlußstellen und  schließen  4  neue. 
Die  Klinkenkästchen  für  die  ver- 
schiedenen Leitungen  werden  auf  ge- 
meinsamen Konsolen  oder  Schalttafeln 
angebracht. 

Die  Übertragungseinrichtungen  er- 
fordern dauernd  eine  sachkundige 
Überwachung  und  Nachhilfe.  Die 
Stromschlußstellen  an  den  Schreib- 
werken müssen  öfter  gereinigt  werden, 
weil  sich  durch  den  Öffnungsfunken 
Brandstellen  darauf  bilden,  die  den 
Stromschluß  in  Frage  stellen.  Es  muß 
auch  dafür  gesorgt  werden,  daß  die 
Bewegung  des  Schreibhebels   für  die 


^a 


Telegraph. 


293 


mmsuSLS 


Übertragung        voll 
ausgenutzt   wird;    je 
mehr  nutzlose  Bewe- 
gung,   desto    spitzer 
wird  die  übertragene 
Schrift;     sie     bleibt 
dann      in     größerer 
Entfernung        leicht 
aus.  Anderseits  muß 
aber  durch  empfind- 
liche Einstellung  der 
Übertragungseinrich- 
tung   dafür    gesorgt 
werden,  daß  etwa  spitz  ankommende 
Schrift  möglichst  kräftig   übertragen 
wird.    Die   selbsttätige  Übertragung 
sollte  beschränkt    bleiben  auf  groß- 
Betriebssteilen,  auf  denen  ein  beson- 
derer  Aufsichtsbeamter    mit    ausrei- 
chender Sachkenntnis  vorhanden  ist, 
der  die  Gewähr  bietet  für  sachgemäße 
Benutzung  dieser  Einrichtungen. 

Auch  darf  nicht  angenommen 
werden,  daß  die  Zahl  der  auf  Ober- 
tragung  zusammenzuschaltenden  Lei- 
tungen unbegrenzt  ist.  Je  mehr  selbst- 
tätige Übertragungen  im  Beförde- 
rungsweg eines  Telegramms  gleich- 
zeitig arbeiten,  desto  mehr  steigern 
sich  die  Schwierigkeiten.  Es  sollten 
in  der  Rege!  nicht  mehr  als  2,  allen- 
falls unter  ganz  besonders  günstigen 
Voraussetzungen  ausnahmsweise  3 
Leitungen  auf  Übertragung  zu- 
sammengeschaltet werden. 

Eine  wichtige  Anwendung  findet 
die  selbsttätige  Übertragung  bei  der 
täglichen  Übermittlung  des  Zeit- 
signals an  die  Betriebsstellen  von 
einer  Zentralstelle  aus.  Nach  diesem 
Zeitsignal  haben  die  Betriebsstellen 
ihre  Uhren  einzustellen;  denn  genau 
richtige,  auf  allen  Stellen  überein- 
stimmende Zeitangaben  sind  für  einen 
geordneten  und  gesicherten  Eisen- 
bahnbetrieb unerläßliche  Bedingung. 
Die  nachstehende  Beschreibung  be- 
zieht sich  auf  eine  Einrichtung,  wie 
sie  in  Deutschland  in  Anwendung 
steht  und  in  Abb.  284  in  einfachen 
Linien  dargestellt  ist.  Auf  der  Zentral- 
stelle (in  Deutschland  Berlin)  befindet 
sich  eine  Präzisionsuhr  PL/,  deren 
genau  richtiger  Gang  von  einer  astro- 
nomischen Stelle  (Sternwarte  u.s.w.) 
aus  überwacht  wird.  Das  24-Stunden- 
Rad  der  Uhr  betätigt  2  Strom- 
schließer.   Durch    den    einen    wird 


Abb.  2S3. 


Awfiacny. 


294 


Telegraph. 


2  Minuten  vor  dem  Zeitsignal  (8  Uiir  vor- 
mittags) elektromagnetisch  das  Laufwerk  des 
Rufzeichengebers  RG  ausgelöst.  Das  Lauf- 
\xerk  versetzt  beim  Ablaufen  eine  gezahnte 
Metallscheibe  S  in  Drehung,  auf  deren  Zähnen 
eine  vom  Werk  isolierte  Metallfeder  F  schleift. 
Scheibe  und  Feder  bilden  die  beiden  Enden 
des  Stromkreises  für  den  Relaiselektromagneten 
R  des  Zeitsignalgebers,  der  geschlossen  wird, 
wenn  die  Feder  über  einen  Zahn  schleift,  also 
Feder  und  Scheibe  einander  berühren,  und  geöff- 
net wird,  wenn  eine  Zahnlücke  an  der  Feder  vor- 
übergeht, also  Feder  und  Scheibe  einander  nicht 
berühren.  Das  Relais  überträgt  die  Strom- 
schließungen und  Unterbrechungen  auf  den 
Stromkreis  des  Zeitgeberelektromagneten  ZE. 
An  den  Zeitsignalgeber  sind  alle  Telegraphen- 
leitungen angeschlossen,  in  denen  das  Zeitsignal 
zu  geben  ist.  Der  Ankerhebel  A  des  Zeit- 
geberelektromagneten ZE  betätigt  in  den 
angeschlossenen  Leitungen  je  einen  Strom- 
schließer   kk in    der    gleichen    Weise 

wie  die  Hand  den  Telegraphiertaster;  er  unter- 
bricht also  die  Leitungen,  sobald  der  Anker 
vom  Elektromagneten  angezogen  wird,  und 
schließt  die  Leitungen  wieder,  sobald  der  Anker 
wieder  losgelassen  wird.  Die  Zähne  der  Scheibe 
5  stellen  in  Morseschrift  ein  bestimmtes  Zeichen 
dar,  in  Deutschland  MEZ  (Mittel-Europäische 
Zeit),  das  durch  den  Zeitgeber  in  alle  an- 
geschlossenen Leitungen  in  ununterbrochener 
Folge  und  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  die 
Leitungen  noch  besetzt  sind  oder  nicht,  als 
Rufzeichen  übertragen  wird.  Dadurch  werden 
die  Betriebsstellen  aufmerksam  gemacht,  daß 
das  Zeitsignal  zu  erwarten  und  deshalb  der 
telegraphische  Schriftwechsel  einzustellen  ist. 
Etwa  1  Minute  vor  dem  Zeitsignal  schließt 
die  Uhr  den  zweiten  mit  dem  24-Stunden-Rad 
verbundenen  Stromschließer  und  stellt  dadurch 
dauernden  Schluß  des  Relaisstromkreises  mit 
der  Batterie  /?,  und  dadurch  des  Zeitgeber- 
stromkreises mit  der  Batterie  B^  her,  so  daß 
derAnkerhebeM  alle  angeschlossenen  Leitungen 

bei  ÄÄ dauernd  unterbricht.  Genau  zum 

festgesetzten  Zeitpunkt  öffnet  die  Uhr  diesen 
zweiten  Stromschließer  \s-ieder,  der  Zeitgeber- 
elektromagnet ZE  läßt  infolgedessen  seinen 
Anker  wieder  los  und  die  Unterbrechung  der 
Leitungen  hört  auf.  Das  Aufhören  der  Unter- 
brechung ist  das  Zeitsignal.  Der  Rufzeichen- 
geher RG  ist  inzwischen  gleichfalls  zum  Stillstand 
gekommen. 

Der  ElekiromagnetZfdes  Zeitgebers  erfordert 
für  die  gleichzeitige  Betätigung  aller  Leitungs- 
stromschließer k  k eine  verhältnismäßig 

große  elektromagnetische  Kraft.  Die  erregende 
Batterie  muß  deshalb  einen  entsprechend  starken 


Strom  liefern,  womit  der  zarte  Stromschließer 
in  der  Uhr  nicht  belastet  werden  kann.  Aus 
diesem  Grund  ist  das  Relais  R  dazwischen 
geschaltet,  das  selbst  mit  schwachem  Strom 
arbeitet,  aber  zum  Schließen  und  Unterbrechen 
einer  kräftigen  Batterie  B^  dient. 

Alle  in  die  an  den  Zeitsignalgeber  ange- 
schlossenen Leitungen  eingeschalteten  Betriebs- 
stellen haben  das  Zeitsignal  aufzunehmen,  die 
Dienstuhren  damit  zu  vergleichen  und  soweit 
erforderlich  richtigzustellen.  Auf  den  an  diesen 
Strecken  liegenden  V'erwaltungsbezirkshaupt- 
stellen  und  Übergangsbahnhöfen  sind  weitere 
Zeitsignalgeber,  aber  ohne  Uhr  und  Rufzeichen- 
geber, aufgestellt,  die  das  von  der  Zentralstelle 
ankommende  Zeitsignal  auf  ihren  Relais  auf- 
nehmen und  auf  die  Bezirksleitungen  und  die 
Leitungen  der  abzweigenden  Strecken  über- 
tragen. Auf  diese  Weise  ist  ein  einheitliches 
und  genau  richtiges  Zeitsignal  für  einen  beliebig 
großen  Verwaltungsbezirk  gewährleistet. 

Wie  bereits  erwähnt,  sind  für  die  tele- 
graphischen Zugmeldungen  auf  Haupt- 
bahnen und  verkehrsreichen  Nebenbahnen 
besondere  Zugmeldeleitungen  vorhanden, 
die  entweder  in  eine  Anzahl  kleinerer  Leitungs- 
kreise abgeteilt  sind,  die  dann  nur  eine  geringe 
Zahl  von  Betriebsstellen  umfassen  oder,  was 
das  vollkommenere  ist,  Kreisschluß  auf  jeder 
Zugmeldestelle'  haben,  so  daß  auf  dieser 
Leitung  jede  Zugmeldestelle  nur  mit  den  beider- 
seits benachbarten  Zugmeldestellen  verbunden 
ist.  Die  Leitung  ist  dann  jederzeit  zur  Abgabe 
der  Zugmeldungen  frei.  Damit  auch  in  der 
Annahme  Verzögerungen  vermieden  werden, 
ertönt  der  Anruf  durch  Klingelzeichen,  das 
sich  von  den  durch  den  Schlag  des  Schreib- 
hebels hervorgebrachten  Geräuschen  der  übrigen 
Telegrapheneinrichtungen  scharf  unterscheidet. 
Grundsätzlich  würde  eine  solche  Anordnung 
auf  jeder  Zugmeldestelle  für  jeden  Leitungs- 
kreis eine  besondere  Telegrapheneinrichtung 
erfordern  und  sich  dadurch  unwirtschaftlich 
gestalten.  Siemens  &  Halske  haben  deshalb 
eine  Anordnung  angegeben,  nach  der  nur 
eine  Telegrapheneinrichtung  erforderlich  ist, 
die  in  der  Ruhe  keine  X'erbindung  mit  der 
Leitung  hat  und  nur  je  nach  Erfordernis  mittels 
besonderer  Schaltvorrichtungen  in  den  einen 
oder  den  andern  Leitungskreis  eingeschaltet 
werden  kann.  In  die  Leitung  ist  für  jede 
Richtung  ein  Wecker  mit  Selbstunterbrechung 
eingeschaltet,  auf  dem  der  Anruf  wahrgenommen 


'  Zugmeldesteilen  sind  die  Zugfolgestellen 
(s.  o.\  auf  denen  es  möglich  ist,  Züge  beginnen, 
endigen,  wenden,  kreuzen,  überholen,  von  einem 
Hauptgleis  auf  das  andere  gelangen  oder  auf  eine 
abzweigende  Bahnstrecke  übergehen  zu  lassen. 


Telegraph. 


295 


wird.  Eine  besondere  Batterie  ist  für  den  Wecker 
nicht  nötig;  die  Leitungsbafterie  vfird  dafür 
mitbenutzt.  Die  Schaltung  einer  solchen  An- 
ordnung ist  in  Abb.  285  dargestellt.  In  der 
Ruhe  fließt  der  Strom  aus  der  Leitung  durch 
die  Elektromagnetwindungen  des  Weckers  W^ 
oder  W2,  die  Leitungsbatterie  LB^  oder  LB2, 
den  Umschalter  t/,  oder  t/,  und  zur  Erde  £"; 
dabei  ist  der  Weckeranker  angezogen.  Drückt 


Si, 


von  links  nach  rechts,  womit  der  Ruhezustand 
wieder  hergestellt  ist. 

Da  im  Zustand  der  Ruhe  die  Telegraphen- 
einrichtung keinen  Strom  erhält,  würde,  wie 
aus  der  Stromlaufskizze  Abb.  285  hervorgeht, 
der  Relaisanker  dauernd  den  Ortsstromkreis 
schließen  und  die  Ortsbatterie  schnell  verbraucht 
werden.  Um  dies  zu  verhindern,  smd  die 
Umschalter  f/,    und    f/j   so    eingerichtet,    daß 


^f,-^ 

die  Nachbarstelle  beim 
Rufen  den  Telegra- 
phiertaster, nachdem 
sie  vorher  die  Tele- 
grapheneinrichtung 
durch  Umlegen  des 
Umschalterhebels  t/^ 
oder  U2  von  rechts 
nach  links  in  den  be- 
treffenden Leitungs- 
kreis eingeschaltet  hat, 
so  hört  der  Strom  in 
der  Leitung  auf,  der 
Anker  des  Weckers 
dieses  Leitungskreises 
fällt  ab,  berührt  den 
Anschlag  5,  oder  5, 
und  schließt  dadurch 
die  Leitungsbatterie 
LB^  oderLßj  zu  einem 
kurzen  Kreis,  in  dem 
der  Wecker  als  ge- 
wöhnlicher Selbst- 
unterbrecher arbeitet. 
Hört  der  Tastendruck 
auf  der  Nachbarstelle 
auf,  so  tritt  der  Lei- 
tungsstrom wieder  ein 
und  der  Weckeranker 
wird  wieder  festgehal- 
ten. Das  Ertönen  des 
Weckers  kann  selbst 
vom  unaufmerksam- 
sten    Beamten,     auch 

wenn  in  demselben  Raum  eine  größere  Anzahl 
von  Telegrapheneinrichtungen  gleichzeitig  ar- 
beitet, nicht  überhört  werden.  Schaltet  die  ge- 
rufene Stelle  daraufhin  durch  Umlegen  ihres 
Umschalters  U-^  oder  t/,  gleichfalls  ihre  Tele- 
grapheneinrichtung in  den  betreffenden  Lei- 
tungskreis ein,  so  hört  das  Klingeln  auf  und 
der  telegraphische  Schriftwechsel  kann  in  der 
gewöhnlichen  Weise  vor  sich  gehen.  Nach 
Beendigung  des  Schriftwechsels  legen  beide 
Zugmeldestellen    den   Umschalterhebel    wieder 


'^t 


sie  in  der  Rechtsstel- 
lung den  Ortsstroni- 
kreis  unterbrechen. 

Für  den  Anruf  kann 
auch  Wechselstrom 
zur  Anwendung  kom- 
men. Jede  Zugmelde- 
stelle erhält  dann  einen 
Wechselstrominduktor 
(s.  Induktor)  und  statt 
der  Wecker  mit  Selbst- 
unterbrechung polari- 
sierte oder  Wechsel- 
stromwecker. Die  Lei- 
tungsbatterie braucht 
dann  nicht  dauernd 
eingeschaltet  zu  sein, 
sondern  kann  mit  der 

Telegrapheneinrich- 
tung durch  den  Um- 
schalter (C/,  oder  f/j) 
ein-  und  ausgeschaltet 
werden.  Da  bei  dieser 
Anordnung  die  Leitung 
in  der  Ruhe  stromlos 
ist,  so  ist  auch  der 
Batterieverbrauch  nur 
gering. 

Die  etwa  zwischen 
2  benachbarten  Zug- 
meldestellen noch  lie- 
genden Zugfolgestel- 
len  (Blockstellen)  kön- 
nen als  Zwischenstellen 
in  die  Zugmeldeleitung  eingeschaltet  werden. 
Sie  können  sich  dann  auch  jederzeit  durch 
Mitlesen  der  Zugmeldungen  über  den  Lauf 
der  Züge  unterrichten. 

Statt  der  Handumschalter  U^  und  U2  werden 
vielfach  Fuß  Umschalter  verwendet.  Da  diese 
aber  sich  der  Überwachung  entziehen,  sind 
sie  so  eingerichtet,  daß  sie  beim  Loslassen  des 
Tritthebels  durch  Federkraft  selbsttätig  in  die 
Grundstellung  zurückschnellen.  Die  Rück- 
stellung   kann    also    nicht    versäumt    werden. 


296 


Telegraph, 


Sie  haben  aber  auch  den  Nachteil,  daß  der 
Beamte  während  der  Aufnahme  einer  Alelduni^ 
die  Telegrapheneinrichtung  nicht  verlassen  kann, 
weil  er  den  Umschalterhebel  mit  dem  Fuß 
festhalten  muß. 

Für  Bahnlinien  mit  geringerem  Verkehr 
ist  es  nicht  erforderlich,  die  Zugmeldeleitung 
auf  allen  Zugmeldestellen  mit  einer  besonderen 
Telegrapheneinrichtung  zu  besetzen;  für  die 
minderwichtigen  Stellen  deren  Telegraphen- 
dienst gering  ist,  ist  es  angängig,  die  Tele- 
grapheneinrichtung der  durchgehenden  (Be- 
zirks-) Leitung  für  die  Zugmeldeleitung  mitzu- 
benutzen. Es  kommt  dann  eine  Umschaltvor- 
richtung zur  Anwendung,  die  es  ermöglicht, 
die  Telegrapheneinrichtung  aus  der  durch- 
gehenden Leitung  aus-  und  in  die  Zugmelde- 
leitung nach  der  einen  oder  der  andern  Rich- 
tung einzuschalten.  Die  besonderen  Anruf- 
wecker für  die  Zugmeldeleitung  sind  selbst- 
verständlich auch  hier  nicht  zu  entbehren.  In 
solchem  Fall  sind  aber  Fußumschalter,  die 
selbsttätig  die  Rückschaltung  in  die  durch- 
gehende Leitung  bewirken,  unerläßlich,  weil 
bei  Handumschaltern  die  Rückschaltung  ver- 
gessen und  dann  der  Anruf  auf  der  durch- 
gehenden Leitung  nicht  wahrgenommen  wer- 
den kann. 

Wie  bereits  früher  angedeutet,  kann  auf 
Bahnlinien  mit  mäßigem  Verkehr  die  besondere 
Zugmeldeleitung  entbehrt  und  die  Läutewerks- 
leitung als  Zugmeldeleitung  mitbenutzt  werden. 
Die  glatte  Abwicklung  des  Telegraphier- 
geschäfts ist  in  erster  Linie  davon  abhängig, 
daß  Störungen  in  den  Anlagen  möglichst 
vermieden  werden  oder,  wenn  solche  auftreten, 
deren  rascheste  Beseitigung  erfolgt. 

Die  weitaus  häufigsten  Störungen  sind  auf 
Isolationsfehler  (s.  Isolatoren)  zurückzuführen. 
Dadurch  entstehen  Stromverluste  infolge  Ableitung 
des  Stromes  zur  Erde  an  Stellen,  wo  eine  möglichst 
vollkommene  Isolation  der  Leitung  von  der  Erde 
Bedingung  ist.  Solche  Stromableitungen  bezeichnet 
man  kurz  mit  „Nebenschließungen".  Sie  ver- 
hindern bei  Ruhestrombetrieb  beim  Drücken  des 
Telegraphiertasters  das  vollständige  Aufhören  des 
Betriebsstroms  in  der  jenseits  der  Nebenschließung 
liegenden  Leitungsstrecke.  Die  Relaisanker  auf  dieser 
Strecke  fallen  dann  nicht  ordnungsmäßig  ab,  weil 
infolge  des  zurückbleibenden  Stromteils  auch  der 
Elektromagnetismus  nicht  vollständig  verschwindet. 
Ist  der  Stromverlust  nur  unwesentlich,  also  der 
Ableitungswiderstand  groß,  dann  wird  der  zurück- 
bleibende geringe  Elektromagnetismus  noch  von  den 
Ankerabreißfedern  überwunden,  aber  der  Ankerabfall 
erfolgt  mit  Verzögerung,  so  daß  die  Schriftzeichen 
verkürzt  —  spitz  —  erscheinen.  Mit  zunehmendem 
Stromverlust,  also  weiterer  Verringerung  des  Ab- 
leitungswiderstandes, nimmt  diese  Verkürzung  zu, 
bis  die  Punkte  ganz  ausbleiben  und  die  Schrift 
nicht  mehr  lesbar  erscheint.  Bei  noch  größerem 
Stromverlust  bleiben  dann  auch  die  Striche  aus,  so 
daß   von    den    gegebenen   Schriftzeichen    überhaupt 


nichts  erscheint.  Durch  entsprechende  Anpassung 
der  Relaiseinstellung,  u.zw.: 

Anspannen  der  Änkerabreißfeder, 

Vergrößerung  des  Abstandes  zwischen  Anker  und 
Pol, 

äußerste  Verkleinerung  des  Arbeitsweges  des  Ankers, 
ist  die  empfangende  Stelle  im  stände,  der  Verzögerung 
des  Ankerabfalls  zu  begegnen  und  die  Verkürzung 
der  Schriftzeichen  auszugleichen.  Ist  die  Strom- 
ableitung aber  so  groß,  daß  dies  Mittel  wirkungslos 
bleibt,  dann  ist  eine  unmittelbare  Verständigung 
zwischen  den  beiderseits  der  Nebenschließung 
liegenden  Stellen  unmöglich;  die  Telegrammbeför- 
derung zwischen  diesen  Stellen  läßt  sich  dann  nur 
mit  Umtelegraphierung  aufrechterhalten. 

Die  Ursachen  solcher  Nebenschließiuigen  können 
die  mannigfaltigsten  sein,  hauptsächlich  kommen  die 
folgenden  in  Betracht: 

1 .  Es  kann  ein  mehr  oder  weniger  leitendes  Schmutz- 
teilchen, Feuchtigkeit  oder  ein  Fremdkörper  zwischen 
Leitungsplatte  und  Erdplatte  des  Blitzableiters  geraten 
oder  durch  Blitzschlag  eine  die  beiden  Platten  ver- 
bindende Abschmelzung  entstanden  sein. 

2.  Es  kann,  sei  es  durch  Mutwillen  oder  bei 
heftigem  Wind,  ein  Fremdkörper  -  abgebrochener 
Baumzweig,  Seil,  Lappen,  Drahtstück  u.  dgl.  -  auf 
die  Leitung  geraten  sein  und  Verbindung  zwischen 
Leitung  und  Gestänge  oder  Bauwerk  herstellen. 

3.  Die  Leitung  kann  mit  den  Zweigen  benach- 
barter Bäume  oder  Gebüsche  Berührung  haben. 

4.  Die  Leitung  kann  sich  vom  Isolator  gelöst 
haben  und  auf  den  in  der  Erde  befestigten  Draht- 
anker des  Gestänges  oder  auf  den  eisernen  Isolatoren- 
träger, auf  ein  darunter  befindliches  Bauwerk,  auf 
eine  eiserne  Läutewerksbude  u.  dgi.  gefallen  sein 
oder  sie  kann  am  Gestänge  anliegen. 

5.  Die  Leitung  kann  mit  einer  andern  Leitung 
Berührung  haben. 

6.  Es  kann  in  das  Gehäuse  eines  Kabelendver- 
schlusses (s.  Leitungen  für  elektrische  Schwachstrom- 
anlagen) nach  und  nach  so  viel  Niederschlagswasser 
eingedrungen  sein,  daß  es  die  Leitungsklemmen 
erreicht  hat  und  dadurch  Verbindung  zwischen 
Leitung  und  Gehäuse  herstellt. 

Die  Fälle  zu  2,  3  und  4  machen  sich  in  verstärktem 
Maße  bei  Regen  oder  feuchter  Luft  bemerkbar. 

Der  schlimmste  Feind  der  Isolation  bei,  ober- 
irdischen Leitungen  ist  der  Nebel.  Während  die 
Doppelglockenforni  der  Isolatoren  eine  Gewähr  dafür 
bietet,  daß  bei  Regen  die  inneren  Wandungen  der 
Isolatoren  trocken  bleiben,  gelangen  die  feinen 
Wasserbläschen  des  Nebels  von  der  Luft  getragen 
auch  in  die  inneren  Höhlungen  der  Isolatorglocken, 
überziehen  deren  äußere  und  innere  Wandungen  nach 
und  nach  mit  Feuchtigkeit  und  stellen  bald  eine 
ununterbrochene  feuchte  Verbindung  von  der  Leitung 
über  die  nassen  Flächen  des  Isolators  und  das  Gestänge 
nach  der  Erde  her.  Wenn  auch  der  Stromverlust 
an  jedem  einzelnen  Isolator  nur  sehr  klein  ist,  so 
summieren  sich  doch  diese  kleinen  Verluste  längs 
der  ganzen  im  Nebel  liegenden  Leitungsstrecke  zu 
einem  verhältnismäßig  großen  Verlust,  der  um  so 
fühlbarer,  je  länger  die  Nebelstrecke  ist  und  dem 
auch  durch  die  peinlichste  Überwachung  und  Unter- 
haltung der  Leitungen  und  durch  die  oben  angedeutete 
Veränderung  der  Relaisstellung  nicht  begegnet  werden 
kann ;  alle  Bemühungen  und  Versuche  nach  dieser 
Richtung  müssen  als  unnütze  Zeitvergeudung 
bezeichnet  werden.  Es  erübrigt  nur,  an  Stelle  des 
unmittelbaren  Telegramm  wechseis  über  die  Nebel- 
strecke hinaus  unverzüglich  Umtelegraphierung  treten 
zu  lassen.   Dagegen   bietet  die  Beseitigung  der  vor- 


Telegraph. 


2Q7 


stehend   unter   1-6  bezeichneten  Störungsursachen 
in  der  Regel  keine  besonderen  Schwierigkeiten. 

Zur  FeststeUung  der  örtlichen  Lage  einer  Neben- 
schließung durch  die  Betriebsstellen  ermittelt  die 
untersuchende  Stelle,  indem  sie  unter  Beobachtung 
des  Stromzeigers  die  Leitung  nacheinander  auf  den 
verschiedenen  Stellen  kurz  unterbrechen  läßt,  bis  zu 
welcher  Stelle  der  Strom  bei  der  Unterbrechung 
noch  vollständig  verschwindet,  der  Stromzeiger  also 
Null  zeigt,  und  von  welcher  Stelle  ab  ein  Rest  von 
Strom  in  der  Leitung  verbleibt,  der  Stromzeiger 
also  einen  Ausschlag  zeigt.  Zwischen  diesen  beiden 
Stellen  liegt  die  Nebenschließung.  Handelt  es  sich 
um  eine  Fernleitung,  die  nicht  auf  allen  Betriebs- 
stellen eingeführt  ist,  dann  müssen  diese  die  Leitungs- 
unterbrechung unter  Zuhilfenahme  der  an  solchen 
Stellen  in  der  Regel  zu  diesem  Zweck  in  die  Leitung 
eingebauten  Untersuchungsstelle  vornehmen. 

Die  zweite  Hauptgruppe  von  Störungen  sind  die 
Unterbrechungen.  Sie  können  hervorgerufen 
werden  durch  Leitungsbruch  auf  der  Strecke,  in  der  Zu- 
führung zur  Betriebsstelle  und  zur  Erdleitung,  an  den 
Verbindungsdrähten  der  Telegrapheneinrichtung,  an 
oder  in  den  Batterieelementen  und  durch  mangelnden 
Stromschluß  am  Telegraphiertaster  infolge  unbeab- 
sichtigten Zwischenklemmens  eines  nicht  leitenden 
Fremdkörperchens. 

Der  Fehler  wird  durch  die  Betriebsstellen  ermittelt, 
indem  die  untersuchende  Stelle  unter  Beobachtung 
des  Stromzeigers  die  in  der  Richtung  der  Unter- 
brechung liegenden  Stellen  nacheinander  ihre  Tele- 
grapheneinrichtung mittels  des  Umschalters  kurz  an 
Erde  legen  läßt.  Zwischen  der  entferntesten  Stelle, 
bei  deren  Erdschluß  der  Stromzeiger  noch  einen 
Ausschlag  anzeigt,  und  der  nächsten  darauf  folgenden 
Stelle,  bei  deren  Erdschluß  der  Strorazeiger  Null 
zeigt,  liegt  die  Unterbrechung.  Auch  wird  bei  Fern- 
leitungen auf  den  Betriebsstellen,  in  die  die  Leitung 
nicht  eingeführt  ist,  der  Erdschluß  unter  Benutzung 
der  in  die  Leitung  eingebauten  Untersuchungsstelle 
hergestellt. 

Außer  durch  diese  wichtigsten  und  häufigsten 
Störungen  kann  der  Telegraphenbetrieb  noch  be- 
hindert werden  durch  örtliche  Fehler  an  den 
Telegrapheneinrichtungen,  deren  Feststellung 
und  Beseitigung  aber  selten  Schwierigkeiten  bereitet. 

Ganz  zu  vermeiden  sind  Störungen  im  Telegraphen- 
betrieb nicht;  sie  können  aber  durch  gewissenhafte 
Überwachung  und  Unterhaltung  der  Telegraphenan- 
lagen von  selten  der  zuständigen  Beamten  und  Bedien- 
steten auf  ein  sehr  geringes  Maß  eingeschränkt  werden. 

Literatur:  Schellen,  Der  elektromagnetische 
Telegraph.  Braunschweig,  Vieweg  &  Sohn.  — 
Zetzsche,  Handbuch  der  elektrischen  Telegraphie, 
Bd.  IV,  Berlin,  J.  Springer.  -  Bauer,  Prasch,  Wehr, 
Die  elektrischen  Einrichtungen  der  Eisenbahnen. 
Wien  u.  Leipzig,  Hartleben.  -  Strecker,  Tele- 
graphentechnik. Berlin,  J.  Springer.  -  Karras, 
Geschichte  der  Telegraphie.  Braunschweig,  Vieweg 
&  Sohn. 

B.  Telegraphendienst. 

Der  Eisenbahntelegraphendienst  umfaßt  die 
verantwortliche  Bedienung  der  auf  den  Eisen- 
bahndienststellen befindlichen  Telegraphenein- 
richtungen zum  Zweck  der  Beförderung  tele- 
graphischer Nachrichten.  Dieser  Dienstzweig 
bildet  einen  Teil  des  gesamten  Eisenbahn- 
betriebsdienstes und  wird  von  den  Eisenbahn- 
betriebsbeamten neben  ihren  sonstigen  Dienst- 
obliegenheiten -  Zug-  und  Abfertigungsdienst 


—  mit  wahrgenommen.  Nur  auf  den  Haupt- 
verwaltungsstellen und  auf  großen  Übergangs- 
bahnhöfen werden  besondere  Beamte  für  diesen 
Dienstzweig  beschäftigt. 

Die  Ausübung  des  Telegraphendienstes  er- 
folgt nach  besonderen,  von  den  obersten  Ver- 
waltungsbehörden erlassenen  Vorschriften,  deren 
wesentlichste  Bestimmungen  nachstehend  an- 
gegeben sind. 

Der  Eisenbahntelegraph  hat  in  erster  Linie  der 
Beförderung  eisenbahndienstlicher  Nach- 
richten zu  dienen;  jedoch  ist  seine  Benutzung 
auf  wirklich  eilige  Nachrichten  zu  beschränken. 
Für  solche  Mitteilungen,  die  sich  unbeschadet 
des  Dienstes  schriftlich  erledigen  lassen, 
soll  der  T.  nicht  in  Anspruch  genommen 
werden.  Die  Beförderung  nichteisenbahn- 
dienstlicher  Nachrichten  ist  nur  unter  ge- 
wissen Beschränkungen  zugelassen  und  nur 
soweit  der  Eisenbahndienst  dadurch  nicht  be- 
nachteiligt wird.  Bei  der  Beförderung  haben 
aber  die  eisenbahndienstlichen  Telegramme 
unter  allen  Umständen  den  Vorrang  vor  den 
nichteisenbahndienstlichen. 

Die  Beförderung  eisenbahndienstlicher 
Nachrichten  ist  gebührenfrei;  für  die  Beför- 
derung nichteisenbahndienstlicher  Nach- 
richten gelten  die  Qebührenvorschriften 
des  öffentlichen  Telegraphenverkehrs. 

Zur  Aufgabe  von  eisenbahndienstlichen  Tele- 
grammen -  Bahntelegrammen  --  sind  nur  die 
oberen  Verwaltungsbehörden  der  Eisenbahn, 
die  Vorstände  von  deren  Bureauabteilungen,  die 
Bezirksaufsichtsstellen,  die  Überwachungsbe- 
amten für  den  Betriebs-,  Verkehrs-  und  Loko- 
motivdienst, die  Dienststellenvorsteher  und  die 
Fahrdienstleiter  befugt. 

Die  Telegramme  müssen  von  den  Berech- 
tigten schriftlich  aufgegeben  oder  den  Tele- 
graphierenden zur  Niederschrift  diktiert  werden. 
Die  mündliche  Aufgabe  durch  Vermittlung 
dritter  Personen  ist  nicht  zulässig. 

Die  Telegramme,  ausgenommen  die  tele- 
graphischen Zugmeldungen  und  Wagenmel- 
dungen, für  die  bestimmte  Formen  ein  für 
allemal  festgesetzt  sind  (s.  u.),  sollen  aus  Auf- 
schrift, Inhalt  und  Unterschrift  bestehen.  Der 
Wortlaut  soll  unbeschadet  der  Deutlichkeit  und 
Verständlichkeit  möglichst  kurz  abgefaßt  sein; 
Höflichkeitsformen    sollen    vermieden   werden. 

Zwischen  größeren  Verwaltungsgruppen,  z.B. 
zwischen  den  Verwaltungen  des  VDEV.,  sind 
Abkürzungen  für  die  Aufschriften  und  Unter- 
schriften vereinbart,  deren  sich  die  Aufgeber 
bedienen  sollen. 

Aufschrift  und  Unterschrift  von  chiffrierten 
Telegrammen  sollen  in  gewöhnlicher  Sprache 
abgefaßt  sein. 


298 


Telegraph. 


Wird  ein  und  dasselbe  Telegramm  nach  ver- 
schiedenen Orten  gerichtet,  so  dürfen  diese 
Bestimmungsorte  vom  Aufgeber  nicht  in  einer 
Aufschrift  zusammengefaßt  \s-erden,  \ceil  sonst 
das  Telegramm  an  ein  und  demselben  Bestim- 
mungsort von  verschiedenen  Seiten  mehrere 
Male  eingehen  würde.  Solche  Telegramme 
sollen  vielmehr  für  jeden  Bestimmungsort  in 
besonderer  Niederschrift  aufgegeben  werden. 
Kur  soweit  die  Bestimmungsorte  von  der 
Aufgabestelle  auf  derselben  Leitung  erreichbar 
sind,  dürfen  sie  in  der  Aufschrift  zusammen- 
gefaßt werden. 

Zur  Beförderung  der  Telegramme  soll  mög- 
lichst der  geographisch  kürzeste  Weg  gewählt 
werden;  es  sollen  nicht  lediglich  zur  Er- 
reichung selbsttätiger  Übertragung  unter  Inan- 
spruchnahme großer  Leitungslängen  Umwege 
gewählt  werden  (s.  A.  Telegraphenanlagen). 
■Ä'enn  sich  jedoch  der  Beförderung  auf  dem 
hiernach  zu  wählenden  kürzesten  Weg  Schwie- 
rigkeiten entgegenstellen,  soll  die  Beförderung 
nicht  durch  umständliche  Feststellungen  und 
Versuche  verzögert,  sondern  ohne  X'erzug  der 
geeignetste  Umweg  gewählt  werden.  Jede  hier- 
bei in  Anspruch  genommene  Telegraphendienst- 
stelle ist  verpflichtet,  die  ihr  angetragene  Ver- 
mittlung, ohne  Einwendung  und  ohne  nach 
Gründen  zu  fragen  oder  zu  suchen,  bereitwilligst 
zu  übernehmen.  Bedenken  gegen  die  Recht- 
mäßigkeit der  Anforderung  dürfen  nach 
erfolgter  Vermittlung  bei  der  vorgesetzten  Stelle 
vorgebracht  werden. 

Ist  die  Beförderung  durch  den  Bahntele- 
graphen infolge  von  Störungen  nicht  möglich, 
so  muß  der  öffentliche  T.  —  Landes-,  Staats-, 
Reichstelegraph  —  in  Anspruch  genommen 
werden.  Fast  in  allen  Ländern  ist  dieser  auf 
Grund  besonderer,  auf  Gegenseitigkeit  beru- 
hender Abmachungen  in  solchem  Fall  ver- 
pflichtet, die  Beförderung  kostenfrei  zu  über- 
nehmen. 

Bei  der  Abtelegraphierung  und  der  Auf- 
nahme der  Telegramme  kommt  das  gleiche 
Verfahren  zur  Anwendung  wie  beim  öffentli- 
chen T.  Dabei  ist  folgende  Ordnung  zu  beob- 
achten : 

a)  Anruf, 

bj  Meldung, 

c)  Abtelegraphierung    (Abgabe)    und    Auf- 
nahme, 

dj  Empfangsbestätigung  (Quittung). 

Andere  als  die  nachstehenden,  international 
festgesetzten  Schriftzeichen  dürfen  nicht  be- 
nutzt werden.  Änderungen  oder  Kürzungen 
des  Wortlauts  oder  die  Anwendung  eigen- 
mächtiger Abkürzungen  sind  den  Telegraphie- 
renden nicht  gestattet 


Schriftzeichen  des  Morsetelegraphen, 

a     —  n  — 

ä n 

ää o 

b ö 

c p 

d      ---  q 

e     -  r 

e     s  

f      t  - 

g u 

h     ü 

i      -  -  \-  

j w 

1  y 

m z 

abgekürzt 

5     

0 _ 


Bruchstrich 

Punkt    

Strichpunkt    ;     

Komma     ,     

Doppelpunkt     :     

Fragezeichen    ?     

Ausrufungszeichen     ! 

Apostroph     '      

Bindestrich    -      

Klammer  ^    ()     

Anführungszeichen      „ 
Unterstreichungszeichen  ^ 
Trennungszeichen  ^    —     . 

Anruf 

Verstanden 

Irrung 

Schluß  der  Übermittlung 

Dringend 

Warten  

Quittung 


M 


'  Vor  und  hinter  die  einzuschließenden  Worie 
zu  setzen. 

2  Vor  und  hinter  die  zu  unterstreichenden  Worte 
zu  setzen. 

'  Das  Trennungszeichen  scheidet  den  Kopf  des 
Telegramms  von  der  Aufschrift,  die  Aufschrift  vom 
Inhalt  und  den  Inhalt  von  der  Unterschrift. 

Die  Länge  des  Striches  gleich  3  Punkten. 

Der  Raum  zwischen  den  Zeichen  eines  Buchstaben 
gleich  1  Punkt,  zwischen  2  Buchstaben  gleich  3 
Punkten,  zwischen  2  Wörtern  gleich  5  Punkten. 


Telegraph. 


299 


Die  ankommenden  Telegramme  mit  allen 
Dienstvermerken  müssen  voll  auf  dem  Morse- 
streifen aufgenommen  werden.  Die  Aufnahme 
nach  dem  Gehör  ist  verboten. 

Die  Telegraphendienststellen  führen  Tele- 
grammbücher, in  die  die  aufgegebenen  und 
angekommenen  Telegramme  nach  der  Zeitfolge 
einzutragen  sind.  Die  Aufgeber  sind  berechtigt, 
die  von  ihnen  aufgegebenen  Telegramme  selbst 
in  das  Telegrammbuch  einzutragen. 

Bei  der  Abtelegraphierung  wird  die  Num- 
mer, die  das  Telegramm  bei  der  Eintragung 
auf  der  Aufgabestelle  nach  dem  Telegramm- 
buch erhalten  hat,  mittelegraphiert.  Diese 
Nummer  behält  das  Telegramm  auf  dem  ganzen 
Beförderungsweg  bei. 

Die  ankommenden  Telegramme  können  auch 
mittels  Durchschrift  unmittelbar  auf  dem  Aus- 
fertigungsvordruck niedergeschrieben  werden; 
in  das  Telegrammbuch  sind  dann  nur  Nummer, 
Aufschrift,  Unterschrift  und  die  Beförderungs- 
vermerke einzutragen.  Eine  Ausfertigungsnie- 
derschrift wird  als  Ausweis  zurückbehalten. 

Der  Wortlaut  chiffrierter  und  solcher  Tele- 
gramme, die  vom  Aufgeber  als  „geheim"  be- 
zeichnet sind,  wird  nicht  in  das  Telegramm- 
buch eingetragen,  sondern  nur  Aufschrift, 
Unterschrift  und  die  Beförderungsvermerke. 
An  Stelle  des  Wortlauts  ist  der  Vermerk 
„chiffriert"  oder  „geheim"  einzutragen. 

Soweit  nicht  Ausnahmen  ausdrücklich  zu- 
gelassen sind,  soll  nach  der  Abtelegraphierung 
die  Vergleichung  erfolgen.  Sie  besteht  in 
der  Wiederholung  der  Nummer  des  Tele- 
gramms, der  in  dem  Telegramm  vorkommenden 
Zahlen,  Namen  und  wenig  bekannten  Wörter 
durch  die  aufnehmende  Stelle.  Den  Richtig- 
hefund  der  Vergleichung  hat  die  abgebende 
Stelle  durch  das  Quittungszeichen  und  die 
Abkürzung  ihres  Namens  zu  bestätigen. 

Chiifrierte  Telegramme  sind  ihrem  ganzen 
Wortlaut  nach  zu  vergleichen. 

Bei  der  Vergleichung  von  Zahlen  dürfen  die 
abgekürzten  Zifferzeichen  angewendet  werden. 
Für  Telegramme,  die  an  mehrere  oder  an 
alle  Stellen  eines  Leitungskreises  gerichtet  sind, 
kommt  ein  vereinfachtes  Beförderungsverfahren, 
in  Deutschland  z.  B.  das  folgende  zur  An- 
wendung : 

Ist  das  Telegramm  an  die  Minderheit 
der  Stellen  abzutelegraphieren  —  Umlauftele- 
gramm —  ,  so  werden  diese  der  Reihe  nach 
aufgerufen  und  zum  Mitlesen  aufgefordert. 
Wenn  sich  alle  gemeldet  haben,  erfolgt  die 
Abtelegraphierung  unter  mehrmaliger  Voran- 
schickung des  Zeichens  „U"  (Umlauf).  Alle  be- 
teiligten Stellen  haben  das  Telegramm  aufzu- 
nehmen. Vergleichung  und  Quittung  erfolgt  aber 


nur  zwischen  der  entferntesten  und  der  abtele- 
graphierenden Stelle;  alle  übrigen  Stellen  lesen 
dabei  mit. 

Ist  das  Telegramm  an  alle  oder  an  die 
Mehrzahl  der  Stellen  eines  Leitungskreises 
gerichtet  —  Kreistelegramm  —  ,  so  ruft  die 
abtelegraphierende  Stelle  nur  die  am  weitesten 
gelegene  Stelle  auf,  gibt  dann  als  Weckruf  für 
die  übrigen  Stellen  eine  Minute  lang  das  Zei- 
chen „Ks"  (Kreis)  und  läßt  darauf  unmittelbar 
die  Abtelegraphierung  des  Telegramms  folgen. 
Alle  Stellen  des  Kreises  lesen  mit;  die  etwa 
nicht  beteiligten  erkennen  aus  der  Aufschrift, 
daß  das  Telegramm  nicht  für  sie  bestimmt  ist 
und  scheiden  aus;  die  übrigen  haben  das 
Telegramm  aufzunehmen.  Vergleichung  wie  bei 
Umlauftelegrammen.  Quittung  geben  alle  betei- 
ligten Stellen  der  Reihe  nach,  wobei  die  Ab- 
telegraphierungsstelle  beginnt.  Wenn  bei  der 
Quittungsleistung  eine  oder  mehrere  Stellen 
fehlen,  so  hat  die  Abtelegraphierungsstelle  die- 
sen das  Telegramm  nachträglich  besonders  zu 
übermittein,  die  Säumigkeit  aber  bei  der  zu- 
ständigen Aufsichtsstelle  zur  Anzeige  zu  bringen. 

Auch  bei  der  Beförderung  der  täglichen 
Wagenverteilungstelegramme  kommt  das 
Verfahren  für  Kreistelegramme  zur  Anwendung. 

Die  Bezeichnungen  „Umlauftelegramm"  und 
„Kreistelegramm"  kennzeichnen  nicht  die  Gat- 
tung des  Telegramms,  sondern  nur  das  Be- 
förderungsverfahren. Der  Aufgeber  hat 
diese  Bezeichnung  nicht  anzuwenden.  Denn 
ein  und  dasselbe  Telegramm  kann  für  einen 
Teil  der  Bestimmungsstelien  gewöhnliches  Ein- 
zeltelegramm, für  andere  Umlauftelegramm  und 
für  noch  andere  Kreistelegramm  sein. 

Für  die  tägliche  telegraphische  Wagen- 
meldung und  -Verteilung  sowie  für  die 
telegraphischen  Zugmeldungen  —  Anbieten, 
Annehmen,  Abmelden  und  Rückmelden  der 
Züge,  Meldungen  bei  Verwendung  von  Schiebe- 
lokomotiven, beim  Fehlen  des  Zugschlußsignals, 
beim  ausnahmsweisen  Befahren  des  falschen 
Gleises,  bei  Fahrten,  die  auf  der  freien  Strecke 
endigen,  beim  Verlegen  von  Zugkreuzungen, 
beim  Verlegen  von  Überholungen,  bei  Zugver- 
spätungen —  sind  ganz  bestimmte  Wortlaute  und 
Abkürzungen  und  ganz  bestimmte  Formen  der 
Abtelegraphierung  festgesetzt,  von  denen  die 
Telegraphierenden  nicht  abweichen  dürfen.  Die 
Vergleichung  unterbleibt  bei  diesen  Meldungen. 

Auf  den  Morsestreifen  soll  von  den  Tele- 
graphierenden jeder  Tag  der  Benutzung  und  die 
Beförderungszeit  jeden  Schriftwechsels  kennt- 
lich gemacht  werden. 

In  Deutschland  werden  die  Morsestreifen 
in  ganzen  Rollen  beschrieben ;  das  Herausnehmen 
von  Teilen  aus  diesen  Rollen  ist  nicht  gestattet. 


300 


Telegraph.  -  Tender. 


Die  Morsestreifen,  die  Telegrammbücher,  die 
Urschriften  der  abgegebenen  und  die  Durch- 
schriften der  aufgenommenen  Telegramme 
bilden  die  Ausweisstücke  über  den  tele- 
graphischen Schriftwechsel  und  sollen  minde- 
stens ein  Jahr  lang  geordnet  aufbewahrt  werden. 

Die  Telegraphierenden  sind  zur  Geheim- 
haltung des  telegraphischen  Schriftwechsels  ver- 
pflichtet; sie  müssen  jede  Handlung  verhindern, 
durch  die  andere  Personen  als  ihre  Vorgesetzten 
und  die  berechtigten  Empfänger  Kenntnis  von 
dem  Inhalt  eines  solchen  Schriftwechsels  erlan- 
gen können. 

Für  die  Besetzung  der  Telegraphendienst- 
stellen, die  nicht  ununterbrochenen  Dienst 
haben,  gilt  als  Regel,  daß  jede  zum  Dienst 
bereit  sein  muß,  sobald  ein  Zug  in  den  Bereit- 
schaftslokomotivbezirk tritt,  zu  dem  sie  gehört, 
und  daß  sie  besetzt  bleiben  muß,  bis  der 
letzte  Zug  den  Bezirk  verlassen  oder  innerhalb 
desselben  sein  Ziel  erreicht  hat. 

Die  mit  der  Bedienung  der  Telegraphen- 
einrichtungen betrauten  Beamten  haben  sich 
während  der  vorgeschriebenen  Dienstzeit  so 
einzurichten,  daß  sie  den  telegraphischen  Anruf 
unbehindert  hören  und  sofort  beantworten 
können. 

Kein  Beamter  oder  Bediensteter  darf  zur 
Wahrnehmung  des  Teiegraphendienstes  zuge- 
lassen werden,  der  nicht  von  der  zuständigen 
Behörde  oder  Bezirksaufsichtsstelle  nach  zuvor 
bestandener  Prüfung  hierzu  ausdrücklich  er- 
mächtigt worden  ist.  Fink. 

Telegraphenapparate, Telegraphen  ei n- 
richtung  s.  Telegraph,  A.  Telegraphen- 
anlagen. Fink. 

Telegrapheninstruktion,  Zusammenstel- 
lung der  Vorschriften  für  den  Telegraphendienst 
s.  Telegraph,  B.  Telegraphendienst.      Fink. 

Telegraphen-  und  Fernsprechleitung 
s.  Leitungen  für  elektrische  Schwach- 
stromanlagen. Fink. 

Telephon   s.  Fernsprecheinrichtungen. 

Fink. 

Tender  (tender,  engine  tender ;  allege, 
tender;  tender),  unmittelbar  mit  der  Lokomotive 
gekuppeltes  Fahrzeug  zur  Aufnahme  der  für  den 
Lokomotivbetrieb  erforderlichen  Mengen  von 
Brennstoff  und  Speisewasser;  außerdem  werden 
auf  dem  T.  noch  verschiedene  Werkzeuge  und 
Geräte  untergebracht.  Bei  Tenderlokomotiven 
sind  die  den  gleichen  Zwecken  dienenden  Ein- 
richtungen auf  der  Maschine  selbst  vorhanden 
(s.  Art.  Lokomotive). 

I.  Geschichtliches. 

Die  Vollkommenheit  der  Bauart  der  heutigen 
T.  gründet  sich  auf  eine  über  100  jähre 
dauernde    Entwicklungszeit,    denn    schon    die 


ursprünglichen  Lokomotiven,  die  zu  Ende  des 
18.  und  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  in  Wales 
gebaut  und  verwendet  wurden,  waren  mit  T. 
(Munitionswagen  genannt)  versehen. 

.Ms  erste  Lokomotive,  die  keinen  T.  nach 
sich  zog,  erscheint  die  «Novelty"  (gebaut 
von  Braithwaite  &  Ericson,  eine  der  bei  den 
Wettfahrten  von  Rainhill  182Q  zur  Erprobung 
zugelassenen  Lokomotiven);  bei  dieser  sind 
die  Wasser-  und  Brennstoffvorräte  auf  dem 
Lokomotivuntergestell  untergebracht. 

In  der  ältesten  Ausführungsweise  —  beinahe 
typisch  bis  zum  Jahre  1829  -  ist  der  T.  ein 
kleiner  vierrädriger  Wagen,  auf  dem,  mit  ge- 
eigneten Unterlagen  befestigt,  ein  gewöhnliches 
Faß  oder  ein  einfacher  viereckiger  Eisen-  oder 
Holzkasten  als  Wasserkasten  dient.  In  dem 
Raum  vor  dem  Faß  wurde  der  Brennstoff 
gelagert.  Zur  Verbindung  des  Wasserkastens 
mit  den  Speiseapparaten  der  Lokomotive  ver- 
wendete man  einfache  Leder-  oder  Hanf- 
schläuche. 

Das  Untergestell  dieser  T.  war  aus  Holz 
angefertigt;  die  Achslagerführungen  waren  aus 
Eisenblech,  an  den  Langbäumen  angeschraubt 
oder  in  Konsolform  aus  Gußeisen  hergestellt. 
Buffer  waren  ursprünglich  keine  vorhanden; 
die  mit  Blech  oder  Leder  überzogenen,  vor- 
stehenden Enden  der  hölzernen  Langträger 
vertraten  ihre  Stelle.  Ebenso  einfach  war  die 
Kupplung  zwischen  Lokomotive  und  T.:  ein 
Winkelstück  am  Feuerkasten  angeschraubt, 
dessen  wegstehender  Schenkel  von  der  Gabel 
eines  Zugeisens  umfaßt  wird,  das  ein  Loch 
zur  Aufnahme  des  Kupplungsbolzens  trägt 
(s.  Abb.  2S6,    T.  der   Lokomotive    „Rocket"). 

Erst  in  den  Drei- 
ßigerjahren wird 
auch  dem  Tender- 
bau eine  größere 
Beachtung  zu  teil. 
Das  Untergestell 
wird  kräftiger  ge- 
halten und  der  auf 
dem  Untergestell 
aufgesetzte  Vi'asser- 
kasten  aus  Eisen- 
blech hat  eine  der 
heutigen  Ausfüh- 
rungsart entsprechende 
hauptsächlichsten,    im 


Abb.  2S6. 
Tender  der  Lokomotive  Rocket. 


Die 

aus- 

jene 

mit 


Form  erhalten. 
Verlauf  der  Jahre 
geführten  Formen  der  Wasserkasten  sind 
in  „Hufeisen "-Form,  als  „Sattel "-Kasten 
einer  zwischen  die  Räder  reichenden  Wanne 
und  schließlich  als  Kasten  mit  ebenem  Boden 
mit  wagrechter  oder  z.  T.  geneigter  Decke.  In 
Amerika  finden  auch  T.  der  Bauart  „Vanderbilt" 
mit  zylindrischem  Behälter  Verwendung. 


Tender. 


301 


Das  Untergestell,  bis  in  die  Fünfzigerjahre 
der  Hauptsache  nach  aus  Holz  angefertigt,  wird 
von  da  ab  aus  Eisen  hergestellt.  Die  Form  der 
alten  Holzuntergestelle  (2  Langträger  mit 
Blech  armiert  und  mit  angeschraubten  Achs- 
lagergabeln) dient  auch  der  Ausführung  in 
Eisen  als  Vorbild,  indem  an  gewalzte  C-  oder 
I-Trcäger  die  Achslagergabeln  angeschraubt 
werden  oder  indem  2  dünne  Rahmenplatten 
Verwendung  finden,  die,  durch  Füllstücke  und 
Futtereisen  zu  einem  festen  Ganzen  verbunden, 
in  entsprechenden  Ausschnitten  die  Achslager 
aufnehmen.  Abweichend  von  diesen  an  die  alte 
Holzbauweise  sich  anlehnenden  Ausführungs- 
arten werden  schon  frühzeitig  in  England  und 
Frankreich  die  Tenderuntergestelle  ähnlich  den 
Lokomotivrahmen  ausgeführt.  Man  verwendet 
2  starke  Rahmenbleche  (1S~23ot/«  dick),  auf 
denen  die  Achslagerbacken  aufgenietet  sind; 
die  beiden  Bleche  sind  durch  ein  System  von 
Längs-  und  Querverbindungen  gegenseitig  ab- 
gesteift, oben  mit  einem  Holzrost  versehen, 
auf  dem  der  „Hufeisen "-Wasserkasten  mit 
Schrauben  befestigt  ist. 

In  Amerika  werden  die  T.  mit  2  Dreh- 
gestellen ausgeführt.  Bei  besonders  schweren 
T.  haben  die  Drehgestelle  3  Achsen.  Der 
Wasserkasten  ist  beinahe  immer  als  „Hufeisen" 
behandelt  und  in  vielen  Fällen  (bei  Verschub- 
lokomotiven)  wegen  der  unbehinderten  Aus- 
sicht rückwärts  abgeschrägt. 

II.  Bauart  der  neueren  T. 

a)  Allgemeines.  Der  T.  besteht  im  all- 
gemeinen aus  einem  Untergestell  mit  Rädern, 
Achsen,  Lagern  u.  s.  w.,  aus  einem  Wasser- 
behälter, der  entweder  auf  das  Untergestell 
aufgesetzt  ist  oder  mit  seinen  Wandungen 
selbst  einen  Teil  dieses  Gestells  bildet,  und  aus 
einem  auf  dem  Wasserbehälter  angeordneten 
oder  in  diesen  eingebauten  Raum  für  den 
Brennstoff.  Die  T.  besitzen  besondere  Ein- 
richtungen für  das  Füllen,  das  Untersuchen, 
Reinigen  u.  s.  w.  (Füll-  und  Einsteigöffnungen) 
der  Wasserkasten,  für  das  Erkennen  des  Wasser- 
stands (s.  Wasserstandzeiger),  für  die  Wasser- 
entnahme aus  dem  T.  und  oft  auch  noch  für 
das  Vorwärmen  des  Tenderwassers. 

An  geeigneter  Stelle  sind  Werkzeugkasten 
angebracht;  meist  ein  großer  Werkzeugkasten 
rückwärts  zur  Unterbringung  der  weniger  oft 
gebrauchten  größeren  Werkzeuge,  wie  Winden, 
Beißer,  Ketten  u.  s.  w.,  und  2  kleine  Werk- 
zeugkasten auf  der  vorderen  Plattform,  be- 
stimmt, die  vom  Führer  oft  benötigten  Hand- 
werkzeuge, Schraubenschlüssel,  Feilen,  Zangen, 
Hammer  aufzunehmen. 

Auf  dem  vorderen  Teil  des  T.  wird  eine 
Plattform    angeordnet,    die   mit    der   rückwär- 


tigen gleich  hoch  liegenden  Lokomotivplatt- 
form durch  ein  Brückenblech  verbunden  wird. 
Es  bestehen  aber  auch  Ausführungen,  bei 
denen  der  T.  keine  besondere  Plattform  besitzt, 
sondern  wo  jene  der  Lokomotive  in  den  T. 
hineinragt  und  der  Spalt  zum  T.  mit  emem 
Brückenblech  überdeckt  ist.  Zur  Tenderplatt- 
form, die  nach  außen  durch  Geländer  oder 
Türen  abgeschlossen  ist,  führen  beiderseits  Auf- 
stiege. 

T.  werden  ausnahmslos  mit  Bremsen  ver- 
sehen, u.  zw.  immer  mit  Handbremse,  wenn 
auch  noch,  wie  dies  bei  den  neueren  T.  in 
der  Regel  der  Fall  ist,  eine  andere  Bremse 
(z.  B.  durchgehende  Druckluft-  oder  Sauge- 
bremse) vorhanden  ist. 

Für  die  Dampfheizung  der  Wagen  werden 
am  T.  die  nötigen  Dampfleitungsröhren  an- 
gebracht. Für  das  Aufstecken  von  Signalen 
(Laternen,  Scheiben)  wird  die  Anordnung  von 
Signalstützen  (Laternenstützen,  -kloben)  er- 
forderlich; bei  Bahnen,  die  noch  die  Signal- 
leine benutzen,  sind  am  T.  Führungen  für 
diese  anzubringen. 

In  betreff  der  Zug-  und  Stoßvorrichtung 
ist  zu  bemerken,  daß  die  Verbindung  zwischen 
Lokomotive  und  T.  am  vorderen  Tenderende 
durch  besondere  Ausführungsarten  bewirkt 
wird,  während  die  am  rückwärtigen  Ende  des 
T.  befindliche  Verbindung  der  gewöhnlichen 
Anordnung  bei  Wagen  entspricht  (s.  Buffer, 
Kuppelungen). 

Die  Untergestelle  ruhen  auf  2  -  6  Achsen, 
die  in  festen  Rahmen  oder  Drehgestellen 
gelagert  sind.  Bei  mehr  als  2  Achsen  in 
einem  Rahmen  erhalten  einzelne  Achsen  zum 
leichteren  Befahren  der  Krümmungen  ein  Seiten- 
spiel. Moderne,  für  hohe  Geschwindigkeiten 
und  große  Vorräte  bestimmte  T.  besitzen  fast 
ausnahmslos  Drehgestelle.  Gestellrahmen,  die 
heute  aus  Eisen  hergestellt  sind,  haben  ent- 
weder eine  Anordnung  ähnlich  wie  bei  den 
Wagenuntergestellen  oder  eine  solche  wie  die 
Rahmen  der  Lokomotiven. 

Es  werden  fast  immer  Speichenräder  aus 
Stahlguß  verwendet,  seltener  gewalzte  Fluß- 
eisenscheiben. Die  Räder  werden  auf  die 
Achsen  ohne  Keil  aufgepreßt;  die  Verbindung 
der  Radreifen  mit  dem  Radstern  erfolgt  fast 
nur  mehr  durch  Sprengringe. 

Gute  Bauart  und  Ausführung  der  Einzel- 
heiten vorausgesetzt,  werden  mit  allen  For- 
men der  heute  bestehenden  Achslager  gute 
Ergebnisse  erzielt.  Man  findet  geschlossene 
Gußeisenlager  mit  abnehmbarem  Oberteil, 
Bügellager,  Lagergehäuse  aus  einem  Stück 
mit  Stirndeckel  und  Lager  ähnlich  wie  die 
Lokomotivlager  mit  abnehmbarem  Unterlager 


302 


Tender. 


(Schlepplager)  u.  s.  w.  überall  in  Verwendung. 
In  die  gußeisernen  Lagergehäuse  ist  stets  eine 
Lagerschale  aus  Rotmetall  oder  Eisen  ein- 
gelegt -  fest  gelagert  oder  um  einen  mittleren 
Zapfen  etwas  drehbar  -  die  einen  Ausguß  von 
Weißmetall  erhält. 

Die  Abfederung  durch  die  Tragfedern  ist 
jener  der  Wagen  bzw.  der  Lokomotiven  ganz 
ähnlich;  bei  dreiachsigen  T.  werden  zuweilen 
die  Federn  der  ersten  und  zweiten  oder  der 
zweiten  und  dritten  Achse  durch  seitliche  Aus- 
gleichhebel verbunden. 

Dem  Wasserkasten  wird  ein  Inhalt  von 
8  —  32  rn^  und  darüber  gegeben.  Der  Wasser- 
kasten erhält  entweder  2  seitliche  Füll- 
öffnungen oder  nur  eine  Füllöffnung.  Im 
letzteren  Fall  ist  diese  in  der  Regel  in  der 
Mitte  am  rückwärtigen  Teil  des  Kastens  an- 
gebracht und  hat  eine  solche  Größe,  daß  sie 
auch  als  Einsteigöffnung  benutzt  werden 
kann.  Die  seitlichen  Füllöffnungen  sind  bei 
neuen  österreichischen  T.,  nach  Angaben  Göls- 
dorfs,  über  den  größten  Teil  des  Wasserkastens 
reichend  ausgeführt,  was  infolge  ihrer  Länge 
ein  leichtes  Anhalten  beim  Wasserkran  er- 
möglicht (s.  Abb.  288  u.  29 1 ).  Bei  seitlichen  Füll- 
öffnungen befindet  sich  meist  rückwärts  eine 
besondere  Einsteigöffnung  in  der  Mitte.  Sämt- 
liche Öffnungen  erhalten  Verschlußdeckel  oder 
-klappen;  die  Füllöffnungen  werden  mit  sieb- 
artigen Einsätzen  versehen  oder  es  bestehen, 
wie  bei  den  österreichischen  T.  mit  langen 
Füllöffnungen,  deren  Böden  aus  gelochten 
Blechen. 

An  der  tiefsten  Stelle  des  Wasserkastens 
münden  symmetrisch  zur  Längsachse  des  T. 
die  beiden  Saugrohre.  Um  den  Wasserzufluß 
zu  den  Speiseapparaten  der  Lokomotiven  ab- 
sperren und  auch  bei  abgekuppeltem  T.  einen 
Wasserverlust  vermeiden  zu  können,  werden 
Absperrventile  oder  Absperrhähne  angebracht. 
Damit  der  am  Boden  sich  ansammelnde 
Schlamm  nicht  in  die  Abflußöffnung  eintreten 
kann,  soll  auf  diese  Öffnung  ein  Saugkorb 
aus  Kupferblech  gesetzt  werden. 

T.  mit  besonderer  Einrichtung  zum  Wasser- 
nehmen während  der  Fahrt  finden  in  Fällen 
Verwendung,  in  denen  es  sich  darum  handelt, 
möglichst  große  Strecken  unter  Vermeidung  von 
Aufenthalt  durchfahren  zu  können,  ohne  große 
und  schwere  T.  verwenden  zu  müssen.  Auf 
einigen  englischen  und  amerikanischen  Bahnen 
sind  an  durch  Signale  bezeichneten  Stellen 
z\^ischen  den  üleisen  Wasserrinnen  an- 
gebracht -  etwa  1  km  lang  -  aus  denen 
das  Wasser  während  der  Fahrt  vermittels  eines 
um  Scharniere  beweglichen,  senkbaren  Schnabels 
in  denT.  gefördert  wird;  bei  einer  Geschwindig- 


keit von  etwa  40  km  in  der  Stunde,  einer 
Breite  der  Schöpföffnung  von  20  cm  und  Ein- 
tauchung von  nur  5  cm  können  nach  Ver- 
suchen ^000  /  Wasser  auf  100  m  Weglänge 
in  den  T.  gehoben  werden.  Bei  den  in  Eng- 
land üblichen  Geschwindigkeiten  ist  durch 
diese  Einrichtung  der  T.  in  einigen  Sekunden 
gefüllt  (Abb.  287). 


Abb.  2S7. 

Die  Schlauchverbindung  zwischen  Ma- 
schine und  T.  erfolgt  durch  universalgelenkig 
angeordnete  Kupferrohre  mit  Kautschukring- 
dichtung oder  durch  gewöhnliche  Kautschuk- 
schläuche, die  mit  den  Enden  der  Rohrleitung 
durch  eine  leicht  und  rasch  lösbare  Flanschen- 
oder Überwurf  mutterkuppelung  verbunden  sind. 

Eine  der  am  meisten  angewendeten  Aus- 
führungsarten ist  dargestellt  in  den  Abb.  288 
(T.  der  österreichischen  Staatsbahnen).  Unter 
der  Plattform  des  T.  und  der  Lokomotive 
befinden  sich  nahe  der  Längsachse  Trom- 
peten aus  Metall,  die  einerseits  mit  dem  Tender- 
boden, anderseits  durch  Kupferrohre  mit 
dem  Speiseapparat  verbunden  sind.  Über  der 
Einmündungssteile  dieser  Trompeten  im  T. 
befindet  sich  ein  korbförmiges  Sieb;  in  die 
Trompeten  sind  Kupferrohre  eingeschoben,  die 
durch  aufgezogene  starke  Kautschukringe  in 
den  Trompeten  abgedichtet  sind;  diese  ein- 
fache Dichtung  ermöglicht  das  nötige  Spiel  in 
den  Krümmungen.  An  Stelle  der  Gummiringe 
werden  nach  der  Bauart  Szasz  in  Unschlitt 
getränkte  Hanfringe,  die  durch  Rohrschrauben- 
muttern zusammengepreßt  werden,  angewendet. 
In  dem  Hals  der  Tendertrompeten  sind  Ab- 
sperrhähne angebracht. 

In  Deutschland,  England,  Frankreich  und 
Amerika  werden  fast  ausschließlich  Kautschuk- 
schläuche verwendet. 

Um  den  im  Kessel  unter  gewissen  Verhält- 
nissen überflüssigen  Dampf  zum  Vorwärmen 
des  Wassers  verwenden  zu  können,  wurden 
an  dem  Kessel  der  Lokomotive  absperrbare 
Wärmrohre  angebracht,  die  vor  den  Schlauch- 
kuppelungen in  die  Saugrohre  der  Lokomotive 
münden.   Bei  Lokomotiven   mit  Injektoren   er- 


Tender. 


303 


folgt  das  Vorwärmen  des  Tenderwassers  da- 
durch, daß  der  überflüssige  Dampf  durch  die 
Injektoren  (Öffnen  des  Wasserwechseis,  Schließen 
des  Schlabberventils)  durch  die  Saugrohrleitung 
in  den  T.  geführt  wird.  Das  Vorwärmen 
des  Tenderwassers  kann  nur  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grad  getrieben  werden,  da  sonst  das 
Tenderwasser  zu  heiß  wird  und  die  Speise- 
apparate der  Lokomotive  dann  versagen. 

Die  letztere  Schwierigkeit  hat  auch  dazu 
geführt,  daß  die  vielfach  versuchte  Nutzbar- 
machung des  aus  dem  Blasrohr  entweichenden 
Abdampfs  zum  Vorwärmen  des  Tenderwassers 
trotz  der  auf  diese  Weise  erzielten  Brennstoff- 
ersparnisse meist  wieder  aufgegeben  wurde. 
Derartige  Kondensationseinrichtungen  waren 
auf  vielen  deutschen  Bahnen,  insbesondere  in 
Sachsen  (Leipzig-Dresdener  Bahn)  in  Gebrauch; 
auf  der  englischen  London-Brighton-Bahn  stehen 
sie  heute  noch  in  Anwendung. 

Als  Raum  für  Brennstoff  wird  bei 
hufeisenförmigen  Wasserkasten  hauptsächlich 
der  Raum  zwischen  den  beiden  Schenkeln  des 


Wasserkastens  benutzt;  bei  sattelförmigen 
Wasserkasten  wird  der  Brennstoffraum  durch 
die  Decke  des  Wasserkastens  und  durch  seine 
nach  aufwärts  verlängerten  Seitenwände  gebildet. 
Bei  neueren  T.  wird  der  Kohlenkasten  auf 
der  Decke  des  Wasserkastens  besonders  auf- 
gebaut. Die  erforderliche  Größe  des  Brenn- 
stoffraums ist  von  der  Art  des  Brennstoffs 
(Kohle,  Holz,  Torf)  und  von  der  Bauart  der 
Lokomotive  abhängig,  für  die  der  T.  ver- 
wendet werden  soll.  Für  Torf  wurden  wegen 
der  Feuergefährlichkeit  dieses  Brennstoffs  all- 
seitig verschließbare  Räume  angeordnet. 

In  der  nebenstehenden  Tabelle  sind  die  haupt- 
sächlichsten Angaben  für  verschiedene  T.  zu- 
sammengestellt. 

b)  Beschreibung  einiger  T. 

1.  T.  mit  einfachen  Blechrahmen  und 
„SatteL'-Wasserkasten  der  österreichischen 
Staatsbahnen  (Abb.  288). 

Dieser  T.  entspricht  der  in  Österreich,  Ungarn 
und  auf  deutschen  Bahnen  angewendeten  Bau- 
art mit  3  Achsen. 


Tabelle  über  die  Hauptabmessungen  verschiedener  T. 


Nr. 


Bahn 


Art    der 


Hand- 
bremse 


durch- 
gehenden 
Bremse 


Fassungs- 
raum für 


nii 


MO 


Anmerkung 


Österreichische  Staatsbahnen 


Preußische  Staatsbahnen 


Bayerische  Staatsbahnen 
Badische  Staatsbahnen  . 

Ungarische  Staatsbahnen 
Schwedische  Staatsbahnen 


3 

0-995 

3-200 

4 

0-995 

5-300 

4 

0-995 

5  800 

3 

— 

4  400 

4 

- 

4-600 

4 

— 

5-600 

4 

1-006 

5-100 

3 

1095 

3-500 

4 

1-006 

5-350 

4 

1050 

5  050 

4 

0-970 

5-400 

Spindel 


Wurfbremse 


Spindel 


Aut.  Vakuum 


Knorr 


Westinghouse 


Aut.  Vakuum 


16-0 
21-0 
300 
16-5 
21-5 
31-5 
21-0 
12-0 
20-0 
260 
250 


170 

1062 

22-9 

1-085 

23-5 

0-782 

21-0 

1-275 

22-9 

1-063 

24-83 

0-732 

220 

1-050 

14-0 

1-167 

22-7 

1-124 

21-8 

0-840 

23-5 

0-940 

I  Einfacher  Platten- 
i  rahmen 

(    Drehgestelle  mit 
\  Blechrahmen  außen 
)    Drehgestelle  mit 
l  Blechrahmen  innen 
(  Einfacher  Platten- 


1  ahmen 
Drehgestelle  mit 

Blechrahmen 
Drehgestelle  mit 
Flarheisenrahmen 
Drehgestelle  mit 

Blechrahmen 
Einfacher  Blech- 
rahmen 
Drehgestelle  aus 

Flacheisen 
Drehgestelle  aus 

Flacheisen 

Drehgestelle  mit 

Blechrahmen 


Der  Wasserkasten  ist  in  Sattelform  aus- 
geführt, besitzt  lange  Gölsdorfsche  Fülltaschen, 
deren  innere  Wände  nach  oben  verlängert  den 
seitlichen  Abschluß  des  Kohlenkastens  bilden. 
Der  Rahmen  besteht  aus  einfachen  Platten  von 
20  mm  Stärke,  vorn  und  rückwärts  durch 
Horizontalbleche  verbunden.  Die  Federn  sind 
außerhalb  der  Rahmenbleche  angeordnet.  Als 
Handbremse  dient  eine  Spindelbremse,  als 
durchgehende  die  automatische  Vakuumschnell- 
bremse. Sämtliche  Räder  sind  gebremst;  die 
6    Bremsklötze    sind    derart    angeordnet    und 


durch  Ausgleichhebel  verbunden,  daß  jeder 
Bremsklotz  gleichen  Druck  erhält.  Die  Brems- 
zylinder für  die  Vakuumbremse  hängen  in  am 
Wasserkasten  befestigten  Lagern  hinter  der 
ersten  Achse. 

2.  T.  mit  einfachem  Plattenrahmen 
und  Hufeisen-Wasserkasten  (Ausführung 
der  französischen  Orleansbahn,  Abb.  289). 
Das  Untergestell  ist  gebildet  aus  2  inneren 
Hauptrahmen,  22  mm  dick,  auf  denen  die 
Achslagerbacken  aufgenietet  sind,  und  3  inneren 
Nebenrahmen,   10  mm  dick,    die  durch  Quer- 


Tender. 


_JZlO 


507. 


.  3210'. 


bleche  untereinander  und  mit  dem  Haupt- 
rahmen verbunden  sind.  Der  vordere  und 
rückwärtige  Zugkasten  ist  durch  wagrechte 
Bleche  gebildet,  die  zwischen  sich  die  einzelnen 


Bestandteile    der    Zug-    und    Stoßvorrichtung 
tragen. 

Auf   dem    Untergestell    liegt   ein   Rost,   der 
aus  50  mm  starkem  Eichenholz  angefertigt  ist; 


Tender. 


305 


auf    dem    ist    der    Huf  eisen  wasserkasten    mit 
Schrauben  befestigt.  Die  Spindelbremse,  kom- 


3.    T.    mit   Wasserkastenrahmen    (Aus- 
führuno;    der   großherzosilich    oldenburgischen 


m 

Abb.  289.  Tender  der  französischen  Orleansbahn. 


Abb.  290.  Tender  mit  Wasserkastenrahmen  der  oldenburgischen  Staatsbahnen. 


biniert  mit  Westinghousebremse,  wirkt  mit 
4  Bremsklötzen  auf  die  4  Räder.  Die  Trag- 
federn  sind  außerhalb  der  Räder  angeordnet. 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


Staatseisenbahnen,  Abb.  290).  Das  Unter- 
gestell ist  ähnlich  wie  bei  den  Tenderlokomo- 
tiven von  Krauß  kastenförmig  ausgebildet  und 

20 


306 


Tender. 


I,         M»6 


l6oz 


dient  zur  Aufnahme  eines  Teiles  des  Speise- 
wassers; der  obere  Teil  des  W'asserkastens  ist 
hufeisenförmig  gehalten.  An  den  Stellen,  wo 
die  Achslagerführungen  an  die  dünnen  (7  mm 
starken)  Rahmenplatten  angeschraubt  sind, 
sind  auf  diesen  Rahmenplatten  Verstärkungs- 
bleche aufgenietet. 

Der  T.  hat  nur  2  Achsen;  die  Federn  der 
Vorderachse  liegen  in  Blechkasten  im  Kohlen- 
raum, die  gemeinschaftliche  Querfeder  der 
rückwärtigen  Achse  liegt  in  einer  entspre- 
chend versteiften  Aussparung  im  unteren  W'asser- 
kasten  (Lagerung  auf  3  Punkten).  Die  Hand- 
bremse —  gewöhnliche  W'urfbremse  —  wirkt 
mit  4  Bremsklötzen  einseitig  auf  die  Räder. 
Die    Kuppelung    zwischen    Maschine    und    T. 


Tender. 


307 


erfolgt  durch  die  Wolfsche  Kuppelung  (s. 
Kuppelungen). 

4.  T.  mit  Drehgestellen  der  österreichi- 
schen Staatsbahnen  (Abb.  291).  Der  Wasser- 
kasten für  30  m^  Inhalt  ist  innen  durch  kräftige 
Längs-  und  Querverbindungen  versteift,  die 
gleichzeitig  als  Schwellbleche  dienen.  Er  ist 
auf  2  C-Eisen  aufgebaut,  zwischen  denen  die 
beiden  Zugkasten  und  die  Verbindungen  und 
die   Träger    für    die    Drehgestellzapfen    liegen. 

Da  bei  Ausnützung  des  Inhalts  von  30  m^ 
der  bei  den  österreichischen  Staatsbahnen  noch 
zulässige  Achsdruck  von  14'5  t  überschritten 
werden  würde,  ist  ein  Überlaufrohr  vorgesehen, 
das  ein  Füllen  von  nur  27  m?  Wasser  der- 
zeit gestattet. 

Zur  Aufnahme  des  Schürhakens  ist  vorne 
in  der  Mitte  des  Wasserkastens  ein  Rohr  vor- 
gesehen. Die  seitlichen  Fülltaschen  sind  mit 
dem  Kohlenkasten,  der  sich  auf  dem  Wasser- 
kasten aufbaut,  gleich  lang. 

Um  das  Eigengewicht 
des  T.  möglichst  her- 
unterzudrücken, wurden 
die  Drehgestelle  wie  bei 
den  Lokomotiven  mit 
Innenrahmen  ausgeführt 
und  die  Räderpaare  gleich 
den  Laufachsen  einer  gro- 
ßen Zahl  von  Lokomo- 
tiven gewählt.  Die  Innen- 
rahmen gestatten  auch  die 

Anordnung  eines  sehr  leicht  zugänglichen  Brems- 
gestänges. Die  unter  dem  hinteren  Zugkasten 
hängenden  Vakuumbremszylinder  betätigen  das 
vollkommen  ausgeglichene  Bremsgestänge,  an 
dessen  anderm  Ende  die  Spindelbrenise  angreift. 

III.  Besondere  Tenderbauarten. 

Die  T.  haben  je  nach  der  von  den  Betriebs- 
verhältnissen abhängigen  Achsenzahl  und  An- 
ordnung ein  Dienstgewicht  von  20-70^;  die 
Mitführung  dieser  großen  toten  Last  auf  großen 
Steigungen  verursacht  bedeutende  Förder- 
kosten ;  um  diese  zu  vermindern,  wurden 
verschiedene  Bauarten  ausgeführt,  durch  die 
ein  Teil  des  Tendergewichts  oder  das  ganze 
Tendergewicht  als  Adhäsionsgewicht  nutzbar 
gemacht  werden  kann.  Diese  Aasführungsarten, 
die  in  weiterer  Durchbildung  zum  Bau  kurven- 
beweglicher Tenderlokomotiven  führen,  bestehen 
darin,  daß  durch  Balancierkuppelungen  und 
Gleitplattenauflagerungen  ein  Teil  des  Tender- 
gewichts auf  die  Maschine  übertragen  wird, 
mithin  eine  \'ermehrung  der  Adhäsion  bewirkt 
wird  (Ausführung  Oroßmann,  österreichische 
Nordwestbahn,  verschiedene  ähnliche  amerika- 
nische Entwürfe),  oder  darin,  daß  das  Tender- 


untergestell unter  die  Maschine  hinein  ver- 
längert ist,  wodurch  der  T.  nicht  allein  als 
Träger  für  Wasser  und  Brennstoff  erscheint, 
sondern  auch  einen  Teil  des  Lokomotivgewichts 
übernimmt.  Diese  Bauarten  ermöglichen  unter 
Umständen,  einen  Motor  zu  schaffen,  der  bei 
gleichem  Wasser-  und  Kohlenraum  und  bei 
gleichem  Adhäsionsgewicht  ein  geringeres 
Gesamtgewicht,  mithin  eine  geringere  tote  Last 
aufweist  als  die  gewöhnliche  Ausführung,  bei 
der  Lokomotive  und  T.  als  getrennte  Fahr- 
zeuge erscheinen.  Ausführungen  dieser  Art 
—  System  Behne-Kool,  Engerth,  ferner 
Deichsel-Drehgestelle  —  sind  jedoch  überaus 
schwerfällig  und  kompliziert  und  heute  fast 
vollständig  aufgegeben.  Es  wurden  überdies 
viele  Bauarten  erdacht  und  auch  ausgeführt, 
um  die  Räder  des  T.  bei  Engerth-Lokomotiven 
mit  denen  der  Lokomotive  zu  kuppeln,  um 
also   einen  Motor  zu   schaffen,   dessen   ganzes 


Abb.  2g2.  Tender  Bauart  Sturrock. 

I  Gewicht  als  Adhäsionsgewicht  nutzbar  ist  (Sy- 
stem Fink  und  Zahnradkuppelung  Fischer 
V.  Rößlerstamm). 

In  die  Gruppe  dieser  Ausführungen  gehört 
auch  die  Bauart  Sturrock:  Anbringung  von 
Dampfzylindern  mit  vollständigem  Mechanis- 
mus am  T.,  Anordnung  einer  Dampfzuleitung 
zwischen  Lokomotive  und  T.,  um  die  Maschine 
am  T.  zu  betreiben.  T.  dieser  Bauart  wurden 
in  den  Sechzigerjahren  gebaut  für  die  eng- 
lische Great  Northern-Bahn  und  für  die  fran- 
zösische Ostbahn,  wurden  aber  später  in 
gewöhnliche  T.  umgebaut. 

Diese  wohl  nur  historisches  Interesse  bie- 
tende Ausführung  ist  in  Abb.  292  gezeichnet. 

DerT.  ist  ähnlich  dem  französischen  T.  ausge- 
führt, hat  einfache,  außerhalb  der  Räder  liegende 
Plattenrahmen  und  Hufeisenwasserkasten.  Die 
Dampfzylinder  sind  innerhalb  der  Rahmen  an- 
geordnet; sämtliche  Achsen  sind  gekuppelt. 

In  neuester  Zeit  (1916)  wurde  diese  Bau- 
art in  .Amerika  bei  mächtigen  Mallet-Loko- 
motiven,  deren  T.  ebenfalls  als  Triebmaschine 
ausgebildet  ist,  wieder  aufgegriffen,  so  daß 
eine  dieser  Lokomotiven  samt  T.  die  Achsfolge 
I  D  -f  D  +  D  1  aufweist. 

20* 


308 


Tender. 


Theißbahn. 


Literatur:  Heusinger,  Hb.  f.  spez.  E.-T.  Bd.  III, 
Leipzig  1882.  -  Meyer,  Orundzüge  des  Eisenbahn- 
maschinenbaues,  Teil  I,  Berlin  1883.  -  Organ  1893, 
Erg.-Bd.  X.  —  Das  Eisenbahnmaschinenwesen  1903. 

Gölsdorf-Riohsck. 

Tenderlokomotive  s.  Lokomotive. 

Terminals,  Ter m  inal  facilities  ist  die 
in    England    und    in    den   Vereinigten   Staaten 
von    Amerika    übliche    Bezeichnung    für    die 
Bahnhöfe,  insbesondere  die  Güterbahnhöfe 
mit   ihren    Anlagen    zur    Be-    und    Entladung 
der  Güter.  Diese  Anlagen  sind  häufig  im  Be- 
sitz   und    Betrieb    besonderer    Gesellschaften. 
Unter  Terminals  =  Terminal  charges   (Station 
charges)  versteht  man  auch  die  für  Benutzung 
dieser  Anlagen   zu   zahlenden  Gebühren,    Ab- 
fertigungsgebühren, die  meist  in  die  Frachtsätze 
eingerechnet    sind.    In    England    hat    das    die 
Folge,  daß  die  Übersichtlichkeit  und  Kontrolle 
der  Gütertarife  erschwert  wird.    Den  dortigen 
Eisenbahnen  waren  in  den  Konzessionen  meist 
nur    Höchstsätze    oder    Normalsätze    für    die 
Streckengebühr   vorgeschrieben;    die    Fest- 
setzung der  Stations-   und   der  Abfertigungs- 
gebühren war  ihrem  freien  Belieben  überlassen. 
Durch    Änderung    dieser     Gebühren     konnte 
also   leicht   die   wahre    Höhe   der  Tarife  ver- 
schleiert  werden.    Infolgedessen    ist    auch    im 
Art.  24    des    Ges.  vom    10.  August    18SS    die 
Feststellung   von    Höchstsätzen   für   T.  vorge- 
sehen. In  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika 
ist  die  Trennung  von  Stations-  (Expeditions-) 
und    Streckensätzen    gleichfalls    nicht    üblich, 
wird    aber  vielfach   zur  Erhöhung   der   Über- 
sichtlichkeit  der  Frachtsätze   und  zur  Vermei- 
dung   ungebührlicher    unterschiede    zwischen 
den  Frachtsätzen  für  lange  und  für  kurze  Ent- 
fernungen verlangt.  i'-  der  Leyen. 
Terminushotels  s.  Bahnhotels. 


Territet  Glion,  Drahtseilbahn,  die  den  Kur- 
ort Montreux  mit  dem  am  Fuß  der  Rochers 
de  Nage  liegenden  Ort  Glion  verbindet.  Von 
hier  findet  die  Bahn  als  Zahnradbahn  Fort- 
setzung nach  den  Rochers  de  Nage.  Näheres 
s.  Bergbahnen. 

Tertiärbahnen  s.  Kleinbahnen. 

Texas  and   Pacific  Railway  Company. 

Die  Hauptlinie  erstreckt  sich  im  Süden  der 
Vereinigten  Staaten  von  New  Orleans  nach 
Fort  Worth  und  El  Paso  in  westlicher  Richtung, 
dort  schließt  sie  an  die  Southern  Pacific  an 
und  erhält  damit  eine  Verbindung  nach  dem 
Stillen  Ozean.  Von  Fort  Worth  geht  eine 
Hauptlinie  nach  Norden  bis  zum  Red  River. 
Die  Gesamtlänge  des  Netzes  beträgt  3034  km, 
davon  die  Stammbahnen  2356  km,  die  an- 
schließenden Zweigbahnen  678  km.  Die  Bahn 
gehört  zu  dem  Gouldsytem  der  südwestlichen 
Staaten,  sie  hat  ihren  Freibrief  am  3.  März 
1871  erhalten,  hat  sich  dann  durch  Erwerb 
von  Teilen  der  Southern  Pacific,  der  Southern 
Transcontinental  und  der  Memphis  EI  Paso 
and  Pacific-Eisenbahn  erweitert,  stellte  1886 
ihre  Zahlungen  ein,  wurde  zwangsweise  verkauft 
und  am  S.November  1SS7  reorganisiert.  Zu 
dem  System  der  T.  gehören  eine  größere  An- 
zahl kleiner  Bahnen  im  Gesamtumfang  von 
1 037  km,  die  von  der  T.  kontrolliert  werden.  Die 
längste  und  bedeutendste  von  diesen  ist  die 
Trinity  and  Brazos  \'alley  Railway  im  umfang 
von  494  km.  Das  Anlagekapital  der  T.  beläuft 
sich  auf  38,763.810  Dollar  in  Aktien  und 
57,818.142  Dollar  in  Bonds  verschiedener  Art. 
Die  wesentlichen  Betriebsergebnisse  der 
T.  ohne  die  von  ihr  kontrollierten  Bahnen 
sind  folgende: 


1905 


1911 


1912 


Beförderte  Personen     .    . 
Beförderte  Güter  .    .    .     t 
Qesamtverkehrseinnahmen 
Dollar 
Gesamtausgaben    .       „ 
Oesamtreineinnahmen  „ 
Überschuß  (nach  Abzug  der 
Steuern,  Zinsen,  Renten 
u.  s.  w.)  ....  Dollar 


2,536.661 
4,734.002 

14,914.608 
9,854.923 
5,115.702 


1,564.243 


3,251 
5,900, 

16,375, 

12,272, 

4,210. 


298 
801 

805 
841 
024 


3,373.629 
5,937.019 

16,139.029 

12,248.019 

4,141.739 


3,298.959 
4,442.082 

16,973.223 

13,308.296 

3,835.643 

-384.769 


3,516.678 
6,915.402 

1,807.878 

14,772.781 

3,473.079 


Theißbahn  (606-129  A/n),  in  Ungarn  ge- 
legene Eisenbahn,  ehemals  Privatbahn  mit 
dem  Sitz  in  Budapest,  seit  1880  verstaatlicht, 
umfaßte  zur  Zeit  der  Verstaatlichung  die  Strecken 
Czegled-Szolnok  (28-582  km,  übernommen  von 
der  südöstlichen  Staatsbahn,  eröffnet  1847), 
Szolnok-Debreczin  (12 1-04  Uot,  eröffnet  1857), 
Püspök     Ladäny-Großwardein      (68'069     km, 


447.378  186.976  -384.769  -760.342 

V.  der  Leyen. 
eröffnet  1858),  Szajol-Arad  (142-611  km,  er- 
öffnet 1858),  Debreczin-Miskolcz  (136-785  km, 
eröffnet  1859),  Miskolcz-Kaschau  (89-088  Ä/ra, 
eröffnet  1860)  und  Mezötur-Szarvas  (19-953  äot, 
eröffnet  1880).  1871  übernahm  die  T.  auch 
den  Betrieb  der  Arad-Temesvarer  Eisenbahn. 
Die  Gesellschaft  genoß  auf  Grund  der  Kon- 
zession   die   Staatsgarantie   für   ein    5^/5 feiges 


I 


Theißbahn.  —  Themsetunnel. 


309 


Erträgnis  des  Anlagekapitals,  das  sich  18S0 
auf  100,384.400  K  stellte.  In  diesem  Jahre  er- 
folgte die  Einlösung  der  Bahn  durch  den  Staat, 
der  die  Verzinsung  und  Tilgung  der  Anlehen 
übernahm  und  sich  verpflichtete,  die  Aktien 
binnen    10  Jahren  mit  490  K  einzulösen. 

Themsetunnel.  Das  reich  verzweigte  Netz 
der  Londoner  Schnellbahnen  (s.d.)  kreuzt 
mit  zahlreichen  Linien  den  Themsefluß.  Aus 
der  im  engen,  verkehrsreichen  Stadtinnern  un- 
erläßlichen unterirdischen  Führung  der  Bahnen 
ergab  sich  an  den  Kreuzungsstellen  mit  dem 
Fluß  die  Anlage  zahlreicher  Unterwassertunnel. 


Vortrieb  eines  Richtstollens  mit  Schildvortrieb 
von  beiden  Ufern  aus,  Preßluft;  Wandung  aus 
gußeisernen  Ringstücken  mit  Betonauskleidung, 
Gesamtbauzeit  3^',  Jahre,  Bodenverhältnisse 
günstig,  geringer  Wasserzudrang,  täglicher  Vor- 
trieb rd.  12  m,  höchste  Tagesleistung  rd.  19  in); 
der 

Blackwalltunnel  (1897,  Gesamtlänge 
1891/n,  davon  368  ot  unter  dem  Fluß,  Zugang 
durch  sehr  lange  Rampen  1  :  34  und  1  :  36 
und  Fußgängertreppen,  Kreisquerschnitt  7'40  m 
innerer  Durchmesser,  Fahrstraße  4-SS  m,  Fuß- 
wege  0-95  m   breit;   Bau   des  Unterwasserteils 


Abb.  293. 


Auch  der  Straßenverkehr  ist  unterhalb  der 
Londonbrücke,  von  der  an  abwärts  eine  starke 
Schiffahrt  den  Fluß  belebt,  vielfach  auf  diesen 
Weg  verwiesen  worden;  so  dient  dem  Fuß- 
gängerverkehr der  bereits    1869  erbaute 

Tower  Subway  (375  m  lang  im  festen  Ton, 
Kreisquerschnitt  2-2  m  Durchmesser,  innen  mit 
Gußeisenringen  verkleidet,  Zugang  durch  Trep- 
pen; Bau  durch  Schildvortrieb,  täglicher  Fort- 
schritt 1-5 -2-75  m,  Baukosten  rd.  400.000  M.), 
dem  gesamten  Straßenverkehr;  der 

Rotherhithetunnel  (1907,  Gesamtlänge 
2099 OT,  Länge  ohne  die  z.T.  abgedeckten  Vor- 
einschnitte 1092  OT,  davon  rd.  480/«  unter  dem 
Fluß,  Zugang  durch  Rampen  1  :  37  und  Fuß- 
gängertreppen, Kreisquerschnitt  8'2  m  innerer 
Durchmesser,  Fahrstraße  4  86  m  breit,  Bürger- 
steige je  \-2m.    Bau  des  Unterwasserteils  nach 


mit  Schildvortrieb  und  Preßluft,  Wandung  aus 
mit  Ziegeln  bekleideten  eisernen  Ringstücken, 
Gesamtbauzeit  rd.  5  Jahre,  davon  13  Monate  auf 
den  Unterwasserteil,  Bodenverhältnisse  ungleich, 
häufig  starker  Wasserzudrang,  jedoch  keine 
Menschenverluste  durch  Bauunfälle,  Baukosten 
rd.  1 7  Mill.  M.,  f.  d.  m  Tunnellänge  1 0 1 2  M.) ;  der 

Tunnel  zwischen  Greenwich  und  Mil- 
wall  (Schildvortrieb  mit  Preßluft),  dem  Fuß- 
gängerverkehr endlich  noch  die  Tunnel  zu 

Greenwich  und  Wo ol wich. 

Neben  diesen  dem  Straßenbahnverkehr 
dienenden  Verbindungswegen  bestehen  noch 
4  Eisenbahntunnel,  die  4  Bahnlinien,  der  East- 
London-Bahn,  der  City  and  South  London 
Electric  Railway,  der  City  and  Waterloo  Railway 
und  der  Bakerloo  Railway  (Waterloo-Baker- 
Straße)    die   Unterfahrung    des   Themseflusses 


310 


Themsetunnel. 


ermöglichen,  dessen  Bett  mit  seinem  Klaiboden 
ja  im  allgemeinen  für  Tunnelbauten  überaus 
günstige  Verhältnisse  bietet.  Weder  in  den  Ton- 
noch  in  den  Kiesschichten  waren,  von  zeitweise 
stärkerem  Wasserzudrang  abgesehen,  erhebliche 
Schwierigkeiten  zu  überwinden. 

Abb.  293  zeigt  die  Lage  der  4  Eisenbahntunnel 
an.    Der  älteste  von  ihnen,  zugleich  der  erste 


I 


Bahn  erworben 
Eisenbahntunnel 
war    wegen    der 


Abb.  294. 

für  den  menschlichen  Verkehr  bestimmte  Unter- 
wassertunnel überhaupt,  ist  der  von  Brunei 
1825—1843  erbaute  Tunnel  zwischen  den 
Stadtteilen  Rotherhithe  und  Wap- 
ping.  Das  ursprünglich  für  den  Fuß- 
gängerverkehr bestimmte  Bauwerk 
wurde  1865  von  der  East-London- 
und  1877  zum 
umgebaut  (hierzu 
knappen  lichten 
Abmessungen  die  besondere  Ge- 
nehmigung des  Parlaments  notwen- 
dig). Querschnittsabmessungen  und 
Bodenverhältnisse  zeigt  Abb.  2Q4. 
In  einem  etwa  400  m  langen  Mauer- 
klotz von  rechteckigen  Umrissen 
mit  1 1  m  Breite  und  6-5  m  Höhe 
sind  2  Röhren  von  je  4-2  m  Breite 
und  4-8/«  Höhe  ausgespart.  In  der 
Mitte  der  Themse  lag  der  Tunnel 
nur  4  m  unter  dem  Flußbett,  mit 
dem  First  im  Schlamm  des  Flusses,  mit  der 
Sohle  auf  festem  Sand  und  Schotter  ruhend. 
Der  Bau  hatte  große  Schwierigkeiten  zu  über- 
winden; wegen  Mangels  an  Geld  lag  er  8  Jahre 
lang  völlig  still  und  konnte  erst  zu  Ende  ge- 
führt werden,  nachdem  nationaler  Ehrgeiz  das 


Parlament  veranlaßt  hatte,  die  zur  Vollendung 
erforderlichen  Mittel  zu  bewilligen.  Einbrüche 
kamen  infolge  der  zu  gering  gewählten  Tiefe 
des  Tunnels  unter  dem  lockeren  Flußschlamm 
1  Omal  vor,  setzten  den  Bau  unter  Wasser  und 
vernichteten  Menschenleben.  Jedoch  verdient 
die  Ausdauer  und  Umsicht,  mit  der  Brunei 
trotz  aller  Fehlschläge  den  Bau  schließlich 
der  Vollendung  entgegenführte,  vollste  Aner- 
kennung. 

Die  Eigenart  der  von  Brunei  eingeführten 
Bauweise  beruhte  in  der  Verwendung  eines 
eisernen  Schildes,  der  rings  etwas  über  den 
Umfang  des  Mauerwerks  hinausragte  und  aus 
12  einzelnen  Abteilungen  (Rahmen)  bestand. 
Jeder  Rahmen  vermochte  durch  Übertragung 
des  Erddrucks  auf  die  nächste  Abteilung  für 
sich  entlastet  zu  werden,  so  daß  allmählich  die 
einzelnen  Rahmen  und  so  schließlich  der  ganze 
Schild  vorgeschoben  werden  konnte.  Jede  Ab- 
teilung war  in  3  Stockwerke  gegliedert,  an  deren 
Wänden  der  Arbeiter  an  jeder  beliebigen  Stelle 
kleine  Öffnungen  machen  und  den  Boden 
fördern  konnte.  Der  Schild  befand  sich  gewöhn- 
lich etwa  2'7  m  vor  der  Stirnfläche  des  gleich- 
mäßig nachrückenden  Mauerwerks. 

Die  Kosten  des  in  9^/3  Jahren  effektiver  Bau- 
zeit hergestellten  Tunnels  erreichtet!  die  ge- 
waltige Summe  von  9  Mill.  M.  Diese  Summe 
entsprach  in  keiner  Beziehung  den  erreichten 
Vorteilen;  denn  vor  seinem  Umbau  in  einen 
Eisenbahntunnel  war  die  Benutzung  durch  Fuß- 
gänger ganz  gering.  Für  alle  Zeiten  aber 
wird  das  kühn  geplante  Werk  ein  glänzendes 


Abb.  293. 


Ayit/fir. 


Abb.  296. 


Zeugnis    für    die    Erfindungs-    und    Tatkraft 
seines  Erbauers  sein. 

Erwähnt  sei  hier  noch  eine  andere,  ebenfalls 
im  Zuge  der  East-London-Bahn  liegende,  zwei- 
gleisige Tunnelanlage,  die  Unterfahrung  eines 
190  m  breiten  Beckens  der  Londondocks.   Bei 


Themsetunnel. 


Thommen. 


311 


geringer  Wassertiefe  wurde  der  Bau  unter  dem 
Schutz  von  Fangedämmen  ausgeführt.  Nach 
Auspumpen  des  Wassers  aus  der  Baugrube 
wurde  so  nahezu  im  Trockenen  gearbeitet.  Um 
den  Schiffsverkehr  nicht  unterbrechen  zu  müssen, 
geschah  die  Bauausführung  in  2  Abschnitten 
von  je  95/«  Länge.  Der  15  m  breite,  7'5  ot 
hohe  Mauerklotz,  der  2  Röhren  von  je  4-3  m 
Weite  enthielt,  wurde  zum  Schutz  und  zur 
Dichtung  mit  einer  Qbm  starken  Betonlage  und 
einer  1  m  starken  Tonschicht  abgedeckt. 

Erst  fast  ^2  Jahrhundert  später  als  der 
Brunelsche  T.,  im  Jahre  18Q0,  wurde  der 
zweite  Eisenbahntunnel  unter  der  Themse  dem 
Verkehr  übergeben.  Die  erste  elektrisch  betrie- 
bene Stadtbahn  Englands,  die  City  and  South 
London  Railway,  kreuzt  dicht  oberhalb  der  Lon- 
donbrücke den  Fluß.  Der  hier  ausgeführte 
Unterwassertunnel  besteht  aus  2  gußeisernen 
Röhren  von  je  3"05  m  Durchmesser.  Er  wurde 
von  Ingenieur  J.  H.  Greathead  erbaut  und  ähnelt 
in  der  Bauart  dem  älteren,  kleineren  Tower 
Subway.  Jedes  Rohr  ist  aus  Ringen  von  0'5  m 
Länge  mit  \\'5  cm  breiten  inneren  Flanschen 
mittels  Schraubenbolzen  zusammengesetzt,  jeder 
Ring  besteht  wiederum  aus  5  Stücken,  die  unter 
Verwendung  einer  0'6  cm  starken  Zwischenlage 
von  Kiefernholz  in  gleicher  Weise  miteinander 
verschraubt  sind  (Abb.  295  u.  296). 

Zum  Vortrieb  des  Tunnels  wurde  ein  stäh- 
lernes, etwa  2  m  langes  Vorstück  von  etwas 
größerem  Durchmesser,  als  das  Tunnelrohr  be- 
saß, durch  hydraulische  Pressen  vorgeschoben 
Das  Vorstück  war  am  vorderen  Ende  durch 
einen  starken  gußeisernen  Ring  verstärkt 
und  trug  am  Kopf  eine  Stahlschneide;  es 
nahm  den  Erddruck  so  lange  auf,  bis  ein  neuer 
Ring  an  das  bereits  fertige  Tunnelstück  an- 
gesetzt war. 

Wider  Erwarten  war  man  beim  Vortrieb  in 
dem  Klaiboden  des  Themsetals  auf  Kies-  und 
Sandlager  mit  großem  Wasserzudrang  gestoßen; 
durch  Verwendung  von  Preßluft  wurden  die 
sich  hieraus  ergebenden  Schwierigkeiten  be- 
hoben. Das  Verfahren  bewährte  sich  vollauf, 
kein  ernster  Unfall,  kein  Verlust  an  Menschen- 
leben war  während  der  ganzen  Bauausführung 
zu  beklagen. 

Bemerkenswert  war  die  Schnelligkeit  des 
Vortriebs,  die  im  letzten  halben  Jahr  rd. 
24  m  im  täglichen  Durchschnitt  erreichte.  Dies 
entsprach  einem  Bodenaushub  von  rd.  200  m^. 

Literatur:  Dolezalek,  Subaquare  Tunnel.  Meyers 
Konv.-Lexikon  1883;  Die  elektrische  City- und  Süd- 
London-Bahn.  Zentralbl.  d.  Bauverw.  1891;  Der 
Rotherhithe-Themse-Tunnel.  Zentralbl.  d.  Bauverw. 
1906.  -  Kämmerer,  Der  Rotherhithetunnel  in  Lon- 
don. Zischr.  dt.  Ing.  1908;  Der  Rotherhithetunnel. 
Ztsclir.  d.  Österr.  Ing.-V.  1909.  -  Timnel  für  Straßen- 


verkehr unter  der  Themse  zwischen  Stepney  und 
Rotherhithe.  Engg.  News  1907.  -  Der  Blackwall- 
tunnel  unter  der  Themse  in  London.  Zentralbl.  d. 
Bauverw.  1893.  —  Themsetunnel  bei  London  zwischen 
Oreenwich  und  Millwall.  Gen.  civ.  1902/03.  -  Themse- 
tunnel zu  Greenwicli  für  Fußgänger.  Ann.  d.  trav. 
publ.  d.  Belg.  1903.  -  Der  Fußgängertunnel  unter  der 
Themse  in  Woolwich.  Engg.  1905-1912.    Seidel 

Theodolit  s.  Winkelmessung. 

Thessalische  Eisenbahnen  s.  Griechi- 
sche Eisenbahnen. 

Thielen,  Carl  v.,  kgl.  preußischer  Staats- 
minister und  Minister  der  öffentlichen  Arbeiten, 
einer  der  hervorragendsten  und  erfolgreichsten 
Förderer  des  preußischen  und  des  deutschen 
Eisenbahnwesens,  geboren  30.  Januar  1832  in 
Wesel,  gestorben  10.  Januar  1906  in  Berlin. 
T.  studierte  die  Rechts-  und  Staatswissenschaften, 
wurde  1854  Auskultator.  1860  Regierungs- 
assessor, als  welcher  er  in  der  allgemeinen  Ver- 
waltung tätig  war.  1864  trat  er  bei  der  Eisenbahn- 
direktion Saarbrücken  in  den  Staatseisenbahn- 
dienst ein,  aus  dem  er  1867  ausschied,  um 
als  Direktionsmitglied  in  die  Rheinische  Eisen- 
bahngesellschaft einzutreten.  Nach  deren  Er- 
werb für  den  Staat  wurde  er  1881  Präsident 
der  Eisenbahndirektion  Elberfeld  und  1887 
Präsident  der  Eisenbahndirektion  Hannover. 
Am  20.  Juni  1891  wurde  er  als  Nachfolger 
des  Ministers  v.  Maybach  (s.  d.)  zum  Minister 
der  öffentlichen  Arbeiten  und  Chef  der  Ver- 
waltung der  Reichseisenbahnen  berufen.  Am 
23.  Juni  1902  schied  er  aus  beiden  Ämtern 
aus  und  lebte  bis  zu  seinem  Tod  in  Berlin  im 
Ruhestand.  Unter  seiner  Verwaltung  sind  in 
allen  Zweigen  des  preußischen  Staatsbahnwesens 
große  Fortschritte  gemacht  worden.  Durch 
Erlaß  des  Kleinbahngesetzes  vom  Jahre  1892 
wurde  der  Ausbau  des  Eisenbahnnetzes  we- 
sentlich gefördert.  Sein  Verdienst  war  die 
Neuordnung  der  Staatseisenbahnverwaltung  im 
Jahre  1895.  Das  Staatsbahnnetz  wurde  durch 
Erwerb  einiger  Privatbahnen  erweitert,  vor 
allem  durch  den  der  hessischen  Ludwigsbahn 
gemeinsam  mit  der  großherzoglich  hessischen 
Regierung,  worauf  im  Jahre  1896  die  preußisch- 
hessische Eisenbahngemeinschaft  gebildet  wurde, 
der  später  die  Main-Neckar-Bahn  beitrat.  Zahl- 
reiche Verbesserungen  im  Personenverkehr 
(u.  a.  die  D-Züge)  und  in  den  Personentarifen 
(die  45tägigen  Rückfahrkarten)  wurden  von  ihm 
eingeführt.  Seine  Pläne  zum  Ausbau  des  Wasser- 
straßennetzes (Mittellandkanal)  scheiterten. 

V.  der  Leyen. 

Thommen,  Achilles,  einer  der  bedeutend- 
sten Ingenieure  aus  der  Etzelschen  Schule  und 
Leiter  der  Baues  der  Brennerbahn,  geboren 
am  25.  Mai  1832  zu  Basel,  gestorben  am 
21.  August  1893  zu  Wien.    Er  besuchte  nach 


312 


Thommen. 


Thüringische  Eisenbahn. 


Beendigung  der  Gymnasialstudien  zunächst 
durch  P '2  Jahre  die  Basler  Universität,  wo 
er  mathematischen  und  naturwissenschaftlichen 
Studien  oblag.  Die  in  Aussicht  stehende  Auf- 
nahme von  Bahnbauten  in  der  Schweiz  ver- 
anlaßte  T.,  die  Universitätsstudien  aufzugeben 
und  IS50—  1852  das  Karlsruher  Polytechnikum 
zu  absolvieren.  Anfangs  1853  trat  er  unter 
Etzel  (s.  d.)  in  den  Dienst  der  schweizerischen 
Zentralbahn,  1857  in  jenen  der  Franz  Joseph- 
Orientbahn,  bei  deren  Bau  er  sich  hervorragend 
betätigte.  1861  wurde  ihm  die  ehrenvolle 
Aufgabe  zu  teil,  die  Leitung  von  Etzels  größtem 
Werk,  des  Brennerbahnbaues  (s.  d.)  zu  über- 
nehmen. Diese  großartige  und  schwierige  Auf- 
gabe hat  T.  im  Verein  mit  den  ihm  zugeteilten 
Ingenieuren  in  der  Zeit  bis  zum  18.  August 
1867,  wo  der  erste  Zug  von  Innsbruck  nach 
Bozen  verkehrte,  bewältigt,  wiewohl  die  un- 
gemein schwierigen  und  z.  T.  lebensgefähr- 
lichen Trassierungs-  und  die  Ent\^urfsarbeiten 
2  Jahre  in  Anspruch  genommen  und  die  Kriegs- 
ereignisse eine  4monatliche  Baueinstellung  zur 
Folge  gehabt  hatten. 

Im  September  1867  bereits  folgte  T.  der 
Einladung  der  ungarischen  Regierung  nach 
Pest,  wo  er  die  Baudirektion  organisierte  und 
den  Bau  der  Linien  Großwardein-Klausenburg, 
Losoncz-Kremnitz-Rutka,  Karlstadt-Fiume  samt 
Bahnhof  und  Hafen  u.  s.  w.  leitete. 

Nebenbei  war  T.  Regierungskommissär  für 
die  neu  entstandenen  Privatbahnen  (Alföldbahn, 
Nordostbahn,  Kaschau-Oderberger  Bahn,  erste 
Siebenbürger  Bahn  u.  a.  m.).  Einen  großen 
Teil  der  Trassen  und  Profile  dieser  Bahnen 
hatte  T.  festzusetzen,  und  die  Ausführung  er- 
folgte nach  den  von  ihm  für  das  ganze  neue 
ungarische  Netz  einheitlich  aufgestellten  Typen. 

Infolge  der  ungeheuren  Anstrengung,  die 
mit  seiner  Tätigkeit  in  Ungarn  verknüpft  war, 
trat  T.  1871  zurück  und  übersiedelte  nach 
Wien,  wo  er  bis  zu  seinem  Tode  lebte,  von 
der  unmittelbaren  Bautätigkeit  zwar  sich  zu- 
rückziehend, aber  als  scharfsinniger  Ratgeber 
in  schwierigen  eisenbahntechnischen  Fragen 
hoch  angesehen  und  vielfach  in  .Anspruch  ge- 
nommen. 

Thüringische  Eisenbahn  (521-25  km),  in 
den  Königreichen  Preußen  und  Sachsen,  im 
Großherzogtum  Sachsen-Weimar  und  in  den 
Herzogtümern  Sachsen-Coburg-Gotha,  Sachsen- 
Meiningen,  Sachsen-Altenburg,  Schwarzburg- 
Sondershausen,  Schwarzburg-Rudolstadt  und 
Reuß  j.  L.  gelegene  Eisenbahn,  ehemals  Privat- 
bahn, seit"  1882  im  Betrieb,  seit  1886  im 
Eigentum  des  preußischen  Staates,  umfaßte 
zur  Zeit  der  Verstaatlichung  die  Stamm- 
bahnen   Halle-Gerstungen    (189-46  km,   konz. 


1844,  eröffnet  1846/49),  Leipzig-Corbetha 
{31-11  Ä/«,konz.  1855,  eröffnet  1856),  Übergabe- 
bahnhof Leipzig-Möckern  (4-63  km),  Weißen- 
fels-Gera (59-51  km,  konz.  1857,  eröffnet  1859) 
und  Dietendorf-llmenau  (37-29  km,  bis  Arn- 
stadt konz.  1866,  eröffnet  1867,  bis  Ilmenau 
konz.  1877,  eröffnet  1878,79)  sowie  die  Zweig- 
bahnen Gotha-Leinefelde  (67-13  km,  konz. 
1866,  eröffnet  1870),  Gera-Eichicht  (77 /^m, 
konz.    1868,  eröffnet  1871). 

Das  Stammkapital  war  für  die  Hauptlinie 
mit  27  Mill.  M.  in  Stammaktien  zu  je  300  A\. 
mit  zunächst  4  %  Bauzinsen  festgesetzt  worden. 

Den  vierten  Teil  des  Stammkapitals  über- 
nahmen die  beteiligten  Regierungen  und  ver- 
zichteten zu  gunsten  der  Privataktionäre  solange 
auf  Dividende,  als  auf  diese  aus  dem  Rein- 
ertrag des  laufenden  Jahres  nicht  mehr  als  3  % 
kommen  sollten. 

Die  in  Barneck  von  der  Linie  Leipzig- 
Corbetha  abzweigende  Bahn  Barneck-Zeitz  (er- 
öffnet 1873)  wurde  am  27.  April  1870  kon- 
zessioniert. 

Bei  dem  Werrabahn- Unternehmen  beteiligte 
sich  die  T.  mit  Stammaktien  von  3  Mill.  M. 
und  führte  auch  den  Betrieb  von  der  Eröffnung 
im  Jahre  1858  bis  Ende  1875;  ferner  über- 
nahm die  T.  den  Betrieb  der  1876  eröffneten 
Eisenbahn  Gotha-Ohrdruf. 

Die  Hauptlinie  der  T.  erfreute  sich  stets 
eines  regen  und  einträglichen  Verkehrs,  während 
die  Zweigbahnen  sich  nur  schwach  entwickelten, 
so  daß  diesen  von  den  Garantiestaaten  bis  Ende 
1881  Zinszuschüsse  von  mehr  als  10  Mill.  M. 
zu  zahlen  waren. 

Die  Bahn  ging  laut  Ges.  vom  28.  März  1882 
mit  Rechnung  vom  1.  Januar  am  1.  Mai  des- 
selben Jahres  in  Verwaltung  und  Betrieb,  am 
I.Juli  1886  ins  volle  Eigentum  des  Staates  über. 

Der  von  Preußen  entrichtete  Kaufpreis  be- 
trug 182,134.822-50  M.  in  4 feigen  Konsols 
(für  die  Einlösung  der  Stammaktien,  Lit.  A, 
B  und  C  zusammen  119,271.225  M.,  an  Ab- 
findungen für  die  am  Unternehmen  beteiligten 
Städte  und  Landkreise  14,603.950  M.,  an  Kon- 
vertierungsprämien 892.647-5  M.,  an  noch 
nicht  getilgten  Prioritätsobligationen  zu  41/3*» 
45,893.100  .M.,  dann  an  noch  nicht  getilgten 
Darlehen  von  Sachsen-Weimar  und  Sachsen- 
Coburg-Gotha  1,473.900  M.).  Dagegen  fielen 
dem  Staat  an  Fonds  6,812.647  M.  sowie  die 
Werrabahnaktien  im  Betrag  von  6  Mill.  M. 
zu.  Die  Bahn  erhielt  zunächst  eine  besondere 
königliche  Direktion  in  Erfurt  und  gehört 
jetzt  zur   Eisenbahndirektion  Erfurt. 

Literatur:  Lins,  Die  thüringischen  Eisenbahn- 
verhältnisse und  ihre  geschichtliche  Entwicklung  und 
die  gegenwärtige  Lage.  Jena  1910. 


Thunerseebahn.  —  Tiefbohrungen. 


313 


Thunerseebahn  (Schweiz)  Normalspurbahn 
im  Berner  Oberland.  Ursprünglich  auf  die 
Strecke  Scherzligen-Spiez  (Abzweigung  der 
Lötschbergbahn)-Därligen  beschränkt,  die  1893 
eröffnet  wurde,  erwarb  sie  1900  die  Bödeli- 
bahn  Därligen-Interlaken-Bönigen  (s.  d.),  ging 
jedoch  selbst  1912  durch  Fusion  an  die  Lötsch- 
bergbahn,  s.  Bern-Lötschberg-Simplon,  über. 
Zur  selben  Zeit  gingen  auch  die  Dampfschiffe 
auf  dem  Thuner-  und  Brienzersee,  mit  denen 
sie  sich  gleichzeitig  vereinigt  hatte,  an  die 
Lötschbergbahn  über.  Dietler. 

Tiefbahnen  (Underground  railways;  che- 
mins  de  fer  Souterrain;  ferrovie  sotterane), 
unterirdisch  geführte  Stadtschnellbahnen  im 
Gegensatz  zu  den  als  Hochbahnen  (Viadukt- 
bahnen) oder  als  offene  Bahnen,  d.  h.  in 
Geländehöhe  (auf  Dämmen  und  in  Einschnitten) 
gebauten  Schnellbahnen.  In  geringer  Tiefe 
unter  dem  Straßenboden  liegend,  wird  die 
Tiefbahn  zur  „Unterpflasterbahn".  Englisch: 
Underground  (deep  level  und  shallow)  railways 
im  Gegensatz  zu  den  elevated  railways  (vielfach 
kurzweg  als  L  bezeichnet);  französisch:  chemins 
de  fer  Souterrains  im  Gegensatz  zu  den  chemins 
de  fer  elevees.  Kemmann. 

Tiefbohrungen. 

Inhalt:  I.Allgemeines  über  Anwendung  der  T. 
—  II.  Beschreibung  der  Tiefbohrverfahren:  1.  Meißel- 
bohrungen; 2.  Kronenbolirungen.  -  III.  Vor-  und 
Nachteile  und  Anwendung  der  verschiedenen  Arten 
von  T.  Behandlung  der  Bohrproben. 

1.  Allgemeines  über  Anwendung   der  T. 
Die  T.  finden  im  Eisenbahnwesen  in  erster 

Linie  zur  Aufklärung  der  Gebirgsverhältnisse 
beim  Tunnelbau  Anwendung,  u.  zw.  besonders 
dann,  wenn  es  sich  um  Tunnel  mit  großer 
Überlagerungshöhe  handelt. 

Daneben  können  sie  sehr  wohl  zur  Ermitt- 
lung der  Wasserzuflüsse  und  der  Wärmever- 
hältnisse im  Tunnelgebirge  mit  Vorteil  ver- 
wendet werden. 

Sodann  lassen  sie  sich,  wie  die  Erfahrungen 
des  Feldzugs  gezeigt  haben,  in  vorteilhafter 
Weise  dazu  benutzen,  um  starke  Wasserzuflüsse 
in  Einschnitten  u.  s.  w.,  die  durch  wasser- 
tragendes Gebirge  am  Versacken  gehindert 
werden,  in  tiefe,  belegene,  zerklüftete  und  wasser- 
führende Schichten  abzuleiten.  Endlich  können 
sie  recht  wohl  zur  Erschließung  von  in  größerer 
Tiefe  liegendem  Druckwasser  ausgeführt  werden. 

II.  Beschreibung  der  Tiefbohrverfahren. 
Die  T.  zerfallen  in   1.  Meißelbohrungen  und 

2.  Kronenbohrungen.  Ihre  Technik  ist  namentlich 
in  Deutschland  und  Österreich  zu  hoher  Voll- 
endung gediehen.  Insbesondere  haben  die 
deutschen    Bohringenieure   Tiefen    erzielt,    wie 


sie  weder  andere  europäische,  noch  amerikanische 
Staaten  erreicht  haben.  Gegenwärtig  sind  in 
Deutschland  mit  dem  Meißel  Bohrungen  bis 
zu  1300  /«,  mit  der  Krone  solche  bis  zu 
2240  ni  Tiefe  ausgeführt  worden.  Auch  die 
Tagesleistungen  sind  z.  T.  sehr  große.  Es  sind 
bei  Verwendung  des  Meißels  an  einem  Tag 
bis  zu  160 /TZ,  bei  Verwendung  der  Diamant- 
krone an  einem  Tag  bis  zu  50  m,  letztere 
einmal  in  ziemlich  ungünstig  ausgebildetem 
Buntsandstein  abgebohrt  worden. 

Von  den  zurzeit  im  Gebrauch  befindlichen 
Tiefbohrapparaten  sind  nachstehend  jene 
näher  beschrieben,  die  sich  am  besten  für  Boden- 
untersuchungen   des    Eisenbahnbaues    eignen. 

1.  Meißelbohrungen. 

Bei  den  Meißelbohrungen  sind  2  Arten,  die 
Freifall-  und  die  Schnellschlagbohrung,  zu  unter- 
scheiden. Bei  der  ersteren  beträgt  die  Anzahl 
der  Schläge  höchstens  60  in  der  Minute  mit 
60-80  cm  Hubhöhe,  während  bei  der  letzteren 
bis  zu  120  Schläge  in  der  Minute  mit  8-10  cm 
Hubhöhe  gemacht  werden   können. 

Des  weiteren  lassen  sich  die  Meißelbohrungen 
in  Trockenbohrungen  und  Spülbohrungen  ein- 
teilen. Bei  der  Trockenbohrung  arbeitet  der 
Meißel  entweder  in  vollkommen  wasserfreiem 
Bohrloch  oder  im  Grundwasser  bzw.  im  Gebirge 
mit  Quellzutritt.  In  sehr  hartem  trockenen 
Gebirge  muß  dem  Bohrloch  allerdings  von 
Zeit  zu  Zeit  etwas  Wasser  zugeführt  werden. 
Der  Bohrschlamm  wird  bei  diesem  Verfahren 
mittels  der  Schlammbüchse  aus  dem  Loch 
entfernt.  Mit  Rücksicht  auf  die  hierdurch  ent- 
stehende zeitraubende  Unterbrechung  der  Arbeit 
kommt  dieses  Verfahren  mehr  und  mehr  in 
Abnahme;  für  größere  Tiefen  als  200  m  sollte 
es  überhaupt  nicht  mehr  angewendet  werden. 

Bei  der  Spülbohrung  wird  der  Bohrloch- 
sohle durch  das  hohle  Bohrgestänge  beständig 
Druckwasser  zugeführt,  das  den  Bohrschlamm 
in  den  ringförmigen  Hohlraum  zwischen  der 
Bohrwand  und  dem  Gestänge  ununterbrochen 
zu  Tage  spült.  Bei  50  cm  Sekundengeschwin- 
digkeit des  aufsteigenden  Wasserstroms  werden 
Gesteinsstücke  von  2  cm  Durchmesser,  bei 
100  cm  solche  von  5  cm  Durchmesser,  bei 
200  cm  sogar  Metallteile  des  Bohrgezähes,  die 
sich  etwa  losgelöst  haben,  zu  Tage  gefördert. 

Die  Bohrapparate  bestehen  aus  dem  eigent- 
lichen Bohrgezähe,  dem  Gestänge  mit  seinen 
Verbindungen,  den  Haspeln,  dem  Antrieb  und 
dem  Motor.  Dazu  kommen  noch  die  Verrohrung 
des  Loches,  zahlreiche  Instrumente  zum  Aus- 
wechseln einzelner  Teile  der  Apparate  und  für 
Fangarbeiten  u.  s.  w.  bei  Betriebsstörungen. 
Ferner  tritt  bei   den  Spülbohrungen  noch  die 


314 


Tiefbohrungen. 


Spülpumpe  mit  ihren  Rohren   und  Schläuchen 
hinzu. 

Sämtlichen  hier  in  Frage  kommenden  Appa- 
raten gemeinsam  ist  als  Antrieb  der  Bohr- 
schwengei.  Er  besteht  aus  einem  ungleich- 
armigen Hebel,  dessen  kürzerer  Arm,  der 
Schwengelkopf,  das  Bohrgestänge  hebt  und 
senkt,  während  der  längere  Arm,  der  Schwengel- 
schwanz oder  das  SchM-engelende,  bei  der 
Freifallbohnmg  mit  dem  Kolben  des  Schlag- 
zylinders,   bei    dem    Schnellschlag    mit    einer 


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Abb.  297. 


Abb.  298. 


Pleuelstange  oder  einem  Exzenter  nebst  Ex- 
zenterstange gekuppelt  ist.  Bei  größerer  Tiefe 
des  Bohrlochs  wird  das  Schwengelende  derartig 
mit  angehängtem  Gewicht  belastet,  daß  dadurch 
ein  Teil  des  Gestängegewichts  ausgeglichen  ist. 

Der  Schwengel  ist  entweder  aus  einem  sehr 
kräftigen,  4kantigen  Holzbalken  oder  aus 
einem  genieteten  Eisenträger  gebildet  und 
mittels  eines  wagrechten  Zapfens  in  etwa  2'0  m 
Höhe  über  dem  Boden  auf  den  Schwengel- 
bock verlagert.  Das  Gestell  des  letzteren  ist 
gleichfalls  aus  Holz  oder  aus  Profileisen  her- 
gestellt. 

Freifallbohrung. 

Das  eigentliche  Bohrgezähe  besteht  aus  dem 
Meißel,  bei  der  Freifallbohrung  außerdem  noch 
dem  Bär  und  dem  Freifallstück. 


Der  Meißel  wird  aus  Schmiedeeisen  mit 
gehärteter  Schneide,  besser  noch  aus  Gußstahl 
hergestellt.  Seine  Schneidebreite  schwankt  zwi- 
schen 100  und  400/«/«,  sein  Gewicht  zwischen 
20  und  250  kg.  Bei  der  Spülbohrung  sind 
Meißelgewinde  und  -schaff  hohl,  damit  die 
Spülung  aus  dem  Hohlgestänge  die  Bohrloch- 
sohle neben  der  Meißelschneide  trifft.  Neben 
den  eben  beschriebenen  Flachmeißeln  kommen 
noch  sog.  Kernstoßmeißel  vor,  die  ringförmigen 
Querschnitt  besitzen  und  in  der  Mitte  des 
Bohrloches  einen  Kern  von  Gestein  stehen 
lassen.  Bei  der  Freifallhohrung  beträgt,  wie 
bereits  bemerkt,  die  Hubhöhe  des  Meißels  bis 
zu  80  cm.  Diesen  Hub  müßte  bei  steifem 
Gestänge  -  englische  Bohrmethode  —  das 
ganze  Gestänge  mitmachen.  Bei  größerer  Tiefe 
des  Bohrloches  und  dementsprechendem,  sehr 
bedeutendem  Gewicht  des  Gestänges  würde 
das  letztere  infolge  der  Stauchungen  häufigen 
Brüchen  ausgesetzt  sein. 

Man  hat  deshalb  beim  Freifallbohren  mit 
der  großen  Hubhöhe  zwischen  Meißel  und 
Gestänge  den  Bär  und  ein  sog.  Freifallstück 
eingefügt  -  deutsche  Bohrmethode.  Der  Bär 
hat  lediglich  den  Zweck,  den  Meißel  zu  be- 
lasten; er  ist  200  -  500  ^^  schwer  und  besteht 
aus  einem  voll-  oder  hohlz3'lindrischen  Stück 
Eisen,  das  unten  ein  Muttergewinde  zum  Auf- 
schrauben auf  das  Meißelende,  oben  ein  Gewinde 
für  die  Verbindung  mit  dem  Freifallstück 
besitzt.  Letzteres  ist  recht  verschiedenartig 
gebaut.  Am  zweckmäßigsten  hat  sich  noch 
das  am  häufigsten  angewendete  Fabiansche 
Freifallstück  erwiesen. 

Das  Oberstück  O  (Abb.  297)  besteht  aus 
2  Teilen,  die  oben  und  unten  durch  warm  aufge- 
zogene Ringe  verbunden  sind.  In  seinem  Schlitz, 
der  sich  oben  zu  einem  Keilsitz  /C  verbreitert, 
gleiten  die  Flügelkeile  F  des  Unterstücks  U. 
Steht  letzteres  auf  seinem  tiefsten  Punkt,  so 
ruht  der  Meißel  auf  der  Bohrlochsohle.  Senkt 
sich  O  mit  dem  Gestänge,  so  schiebt  sich  U 
mit  seinen  Flügelkeilen  FF  in  O  in  die  Höhe, 
die  Keile  werden  am  höchsten  Punkt  seitlich 
auf  den  Keilsitz  K  gedrängt.  In  dieser  Stellung 
wird  das  Ganze  auf  dem  Gestänge  hochgehoben, 
letzteres  erhält  über  Tag  eine  Prellung  und 
zugleich  eine  kurze  Drehung.  Dadurch  werden 
die  Flügelkeile  nach  rechts  geschoben,  U  mit 
dem  daranhängenden  Bär  und  Meißel  wird 
abgeworfen  und  der  Meißelschlag  auf  die 
Sohle  erfolgt,  ohne  daß  das  Gestänge  beansprucht 
wird. 

Als  Gestänge  werden  bei  T.  heutzutage 
vorwiegend  Mannesmannrohre  von  je  5  m 
Länge  mit  angedrehten  konischen  Gewinden 
für  die  Verbindung  der  einzelnen  Rohre  mit- 


Tiefbohrungen. 


315 


einander  verwendet,  u.  zw.  so,  daß  das  Mutter- 
gewinde jeweils  am  unteren  Ende  des  Rolires 
sitzt. 

Ober  Tag  wird  das  Gestänge  am  Scliwengei- 
kopf  aufgehängt.  Da  es  aber  beim  Bohren  mit 
Zunahme  der  Lochtiefe  nachgesenkt  und  von 
Zeit  zu  Zeit  durch  Aufsetzen  einer  neuen  Stange 
verlängert  werden  muß,  so  ist  am  oberen  Ende 
des  Gestänges  noch  die  sog.  Nachlaßvor- 
richtung (Abb.  298)  eingefijgt.  Sie  bestand  ur- 
sprünglich aus  einer  einfachen,  1  —  1"5  m  langen 
Schraubenspindel,  die  mittels  Wirbel  W  am 
Schwengelkopf  aufgehängt  war,  und  aus  der 
sog.  Schere  S,  in  deren  Mutter  M  die  Spindel 
gehoben  und  gesenkt  werden  konnte.  Am 
unteren  oder  oberen  Ende  der  Schere,  die  das 
Gestänge  trägt,  ist  der  Krückel  K  zum  Um- 
setzen und  Abwerfen  des  Meißels  angebracht. 
Diese  einfache  und  dauerhafte  Vorrichtung  ist 
auch  jetzt  noch  vielfach  in  Gebrauch.  Sie 
verlangsamt  aber  den  Bohrbetrieb  insofern, 
als  jedesmal,  nachdem  das  untere  Ende  der 
Schraubenspindel  in  der  Mutter  M  angelangt 
ist,  ein  neues,  noch  dazu  nur  etwa  1'5  m 
langes  Gestängestück  zwischen  der  Schere 
und    dem    Gestänge    eingesetzt   werden    muß. 

Zur  Vermeidung  dieses  Übelstandes  ordnet 
man  2  Spindeln  nebeneinander  an;  diese  sind 
oben  und  unten  durch  Traversen  verbunden, 
auf  die  das  nach  oben  über  die  obere  Traverse 
hinausragende  oberste  Gestängerohr  mit  ein- 
fachem Rohrbündel  abgefangen  ist.  Hierdurch 
wird  erreicht,  daß  die  Unterbrechung  der 
Bohrarbeit  bei  Ablauf  der  Spindel  auf  das 
Zurückschrauben  der  Muttern,  das  Lösen  des 
Rohrbündels  und  das  Wiederfestschrauben  des 
letzteren  in  1'5  m  höherer  Lage  beschränkt  ist. 
Auch  diese  Unterbrechung  wird  noch  in  zweck- 
mäßiger Weise  durch  die  stetig  wirkende  Nach- 
laßvorrichtung des  Bergrats  Köbrig  (Abb.  299) 
vermieden.  Bei  dieser  besitzen  die  beiden  Schrau- 
benspindeln in  der  oberen  Hälfte  Rechtsgewinde, 
in  der  unteren  Linksgewinde.  Jede  Traverse 
trägt  Muttergewinde  für  die  Spindeln,  deren 
Bewegung  unten  durch  Zahnräder  Z  und  ein 
kleines  Handrad  bewirkt  wird.  Ist  das  Gestänge 
mit  dem  Bündel  Bu  der  Traverse  Tu  abge- 
fangen, so  ist  Bo  lose.  Beim  Bohren  und 
Drehen  der  Spindeln  bewegt  sich  Tu  mit  dem 
Gestänge  nach  unten,  bis  sie  am  unteren  Spin- 
delende angekommen  ist.  Dabei  ist  gleichzeitig 
To  am  oberen  Spindelende  angelangt.  Jetzt  wird 
Bu  gelöst,  Bo  festgemacht  und  damit  das  Ge- 
stänge auf  To  abgefangen.  Die  Gestänge  werden 
von  jetzt  ab  in  umgekehrter  Reihenfolge  gedreht, 
die  obere  Traverse  To  mit  dem  Gestänge 
bewegt  sich  abwärts,  während  die  unbelastete 
Tu  wieder  aufsteigt  u.  s.  w. 


Das  Aufholen  und  Einlassen  des  Gestänges 
und  Bohrgezähes  erfolgt  durch  einen  besonderen 
Haspel,  dessen  Seil  über  eine  kräftige,  im 
höchsten  Punkt  des  Bohrturms  über  dem 
Bohrloch  aufgehängte  Seilscheibe  führt.  Der 
Haspel  wird  maschinell  betrieben  und  bietet 
in  seiner  Bauart  nichts  bemerkenswertes. 

Die  Bewegung  des  Bohrschwengels  und 
damit  des  Meißels  wird  durch  den  Schlag- 
zyhnder  bewirkt,  der  unterhalb  des  Schwengel- 
endes aufgestellt  ist. 

Er  stellt  einen  Dampfzylinder  dar,  dem  der 
Dampf  durch  Rohrleitung  in  der  Regel  von 
einer  Lokomobile  her  zu- 
geleitet wird.  Die  Kolben- 
stange greift  am  Schwengel- 
ende an;  sie  zieht  es  nach 
jedem  Schlag  abwärts,  hebt 
also  den  Schwengelkopf  mit 
dem  daran  hängenden  Ge- 
stänge. Der  Zylinder  be- 
sitzt selbsttätige  Umsteue- 
rung. Der  Dampf  pufft  nach 
jedem  Kolbenhub  aus,  wo- 
bei dann  das  Übergewicht 
des  Gestänges  den  Schwen- 
gelkopf senkt,  das  Ende 
hebt.  Neuerdings  ist  in  ein- 
zelnen Fällen  der  stehen- 
de Schlagzylinder  durch 
Pleuelstangenexzenter  er- 
setzt worden,  die  durch 
Riementrieb  von  der  Loko- 
mobile her  bewegt  werden. 

Als  Motor  dient  vorwie- 
gend die  Lokomobile,  die 
je  nach  der  Tiefe  der  Boh- 
rung 10-40  PS.  besitzt. 
Elektrische  Kraftübertra- 
gung ist  bislang  nur  sehr 
selten   verwendet  worden. 

Wie  oben  bemerkt,  erfolgt  die  Förderung 
des  Bohrschlamms  von  der  Lochsohle  bei 
Bohrungen  geringer  Tiefe  durch  die  Schlamm- 
büchse, einen  Blechzylinder  mit  Klappenventil 
im  Boden.  Sie  wird  mit  Seil  eingelassen  und 
gehoben. 

Tiefere  Bohrungen  werden  besser  mit  Wasser- 
spülung ausgeführt,  wobei  das  Wasser  durch 
das  Hohlgestänge  der  Lochsohle  zuströmt. 

Von  der  im  Bohrturm  aufgestellten  Riemen- 
oder Dampfpumpe  geht  das  Wasser  dem 
Hohlgestänge  durch  einen  Schlauch  zu.  Dieser 
endigt  in  einem  einfachen  Gestängekopf,  der 
auf  das  obere  Ende  des  Gestänges  aufgeschraubt 
ist.  Der  Kopf  ist  mit  oberer  und  unterer  Stopf- 
büchse versehen,  so  daß  auch  drehende  Be- 
wegung des  Gestänges  ohneweiters  möglich  ist. 


Abb.  2Q9. 


316 


Tiefbohrungen. 


Wie  bei  den  Seichthohrungen  muß  das 
Bohrloch  auch  bei  der  Tiefbohrung  gegen 
„Zusammengehen"  durch  Futterrohre  geschützt 
werden,  die  nur  in  ganz  festem  Gebirge  ent- 
behrt werden  können.  Sofern  eine  solche  Rohr- 
tour, die  mehrere  100/«  lang  sein  kann,  im 
Loch  nicht  mehr  abwärts  bewegt  werden  kann, 
wird  innerhalb  derselben  eine  engere  eingeführt. 
Bei  sehr  tiefen  Bohrungen  stehen  des  öfteren 
5-6  Rohrtouren  ineinander.  Selbstverständlich 
nimmt  mit  der  Weite  der  Futterrohre  auch 
die  Lochweite  und  die  Meißelbreite  ab. 

Schnellschlagbohrung. 
Bei  den  Schnellschlagbohrungen  wird  auch 
bei  größter  Tiefe  das  Freifallstück  und  der 
Bohrbär  ausgeschaltet.  Der  Meißel  ist  also 
unmittelbar  an  das  untere  Gestängeende  an- 
geschraubt. Das  Gestänge  wie  auch  die  sonstigen 
Teile  des  Bohrapparates  besitzen  im  allgemeinen 
die  gleiche  Anordnung  wie  bei  der  Freifall- 
bohrung. Um  indes  die  bei  den  schnell  auf- 
einander folgenden  Schlägen  eintretenden  Stauch- 
beanspruchungen möglichst  unschädlich  zu 
machen  und  insbesondere  das  Gestänge  vor 
Beschädigungen  zu  schützen,  wird  der  Bohr- 
schwengel in  elastischem  Rahmen  aufgehängt, 
der  auf  einer  Gruppe  von  Pufferfedern  gelagert 


ist.  Bei  anderen  Bauarten  erhält  der  Schwengel 
selbst  eine  Verlagerung  auf  Pufferfedern  oder 
eine  Unterstützung  durch  Gestängevierecke 
mit  Federn. 

Der  Schwengel  wird  durch  Pleuelstange 
oder  Exzenter  bewegt,  da  der  Schlagzylinder 
die  große  Anzahl  der  Schläge  nicht  zu  leisten 
vermag. 


Mit  den  Schnellschlagapparaten  lassen  sich 
in  günstigem  Gebirge  Tagesfortschritte  erzielen, 
die  jene  der  Freifallbohrungen  um  das  5 — 10- 
fache  übertreffen.  Anderseits  erfordern  die 
ersteren  verhältnismäßig  viele  Reparaturen. 
Am  besten  bewährt  haben  sich  bislang  die 
Schnellschlagapparate  System  „Raky  und  System 
der  Deutschen  Tiefbohrgesellschaft  zu  Nord- 
hausen. Ferner  sind  folgende  Systeme  zu  nennen: 
Thumanns  Schnellschlagapparat,  Faucks  Expreß- 
bohrkran, Trauzls  Rapid-Bohrkran. 

2.  Kronenbohrungen. 

Bei  den  Kronenbohrungen  wird  im  Bohr- 
loch nicht  der  ganze  Vollzylinder  des  Gebirges 
zermahiit,  sondern  nur  ein  ringförmiger  Hohl- 
raum eingeschnitten,  in  dessen  Mitte  ein  Ge- 
birgskern  unverletzt  stehen  bleibt.  Geschickte 
Bohrmeister  liefern  im  festen  Gebirge  nicht 
selten  Kerne  ab,  deren  Gesamtlänge  bis  98% 
der  Bohrlochtiefe  beträgt.  Im  einzelnen  sind 
Kerne  mit  Stücklängen  von  mehr  als  10  m 
vorgekommen. 

Die  Bohrung  wird  stets  als  Spülbohrung 
und  so  ausgeführt,  daß  die  Krone,  ein  Hohl- 
zylinder, dessen  Fuß  das  Einschneiden  in  das 
Gebirge  besorgt,  mit  dem  Gestänge  in  drehende 
Bewegung  gesetzt  wird. 

Das  eigentliche  Bohrgezähe  besteht  aus  der 
Krone  und  dem  Kernrohr. 

Bei  weicheren  Gesteinen  stellt  die  Krone 
einen  Hohlzylinder  aus  Stahl  dar,  dessen  unterer 
Rand  gezähnt  ist. 

Im  festeren  Gebirge  muß  dagegen  der  untere 
Kronenrand  mit  Diamanten  besetzt  werden. 
Versuche  der  amerikanischen  Bohringenieure, 
die  Diamanten  durch  Karborund  zu  ersetzen, 
haben  sich  nicht  bewährt. 

In  den  unteren  Rand  der  Krone  werden  zur 
Aufnahme  der  Diamanten  Löcher  gebohrt,  in 
diese  die  Steine  eingesetzt  und  dann  die  Löcher 
wieder  mit  Kupfer  verstemmt.  Die  Diamanten 
sind  dabei  etwa  so  auf  der  Ringfläche  zu 
verteilen,  wie  Abb.  300  zeigt  An  der  In- 
nen- und  Unterseite  der  Krone  sind  flache 
Rinnen  angebracht,  die  die  Wasserwege  für  die 
Spülung  bilden.  Im  mittleren  Teil  sind  die 
Innenwände  konisch  nach  unten  verengt:  in 
diesem  konischen  Teil  der  Krone  liegt  ein  Feder- 
ring -  vgl.  Abbildung  -  der  an  der  Innenseite 
4  oder  SDornfortsätze  trägt.  Wird  die  Krone 
angehoben,  so  wird  der  Federring  nach  unten 
gedrängt,  er  wird  enger,  seine  Dornfortsätze 
krallen  sich  in  den  Gebirgskern  ein  und  der 
letztere  wird  bei  weiterem  Anheben  des  Ge- 
stänges abgerissen  und  mit  zu  tage  gefördert. 

Der  Durchmesser  der  Kronen  und  demzu- 
folge auch  der  Kerne  ist  sehr  verschieden.  Im 


Tiefbohrungen. 


317 


allgemeinen  wird  man  mit  dem  Kronendurch- 
messer nicht  über  40  cm  hinausgehen.  In  den 
untersten  Tiefen  der  beiden  über  2000  m 
tiefen  Bohrungen  von  Paruschowitz  und  Czuchow 
hatten  die  letzten  Kerne  nur  noch  wenige 
cm  Durchmesser. 

Um  möglichst  lange  Kerne  abbohren  zu 
können,  setzt  man  auf  die  Krone  noch  ein 
Kernrohr,  das  als  einfacher  Hohlzylinder  die 
Verlängerung  der  Krone  nach  oben  bildet  und 
das  sich  mit  dem  Fortschreiten  der  Bohrung 
allmählich  über  den  Kern  herabsenkt.  Das 
Kernrohr  kann  bis  zu  15  m  Länge  erhalten. 
Größere  Längen  sind  unzweckmäßig,  weil  sowohl 
das  Gewicht  des  Kernrohrs  wie  auch  das 
des  abgerissenen  Kernes  zu  groß  wird. 

Das  Gestänge  ist  das  gleiche  wie  bei  der 
Meißelbohrung,  doch  fehlt  an  seinem  oberen 
Ende  die  Nachlaßvorrichtung. 

Die  Drehung  des  Gestänges  und  der  Krone 
erfolgt  mittels  des  Bohrwagens,  der  auf  einer 
Bühne  im  Bohrturm  5  —  6/«  über  dem  Erd- 
boden aufgestellt  ist. 

Der  Bohrwagen  (Abb.  301)  trägt  eine  wag- 
rechte Welle,  an  deren  einem  Ende  die  Riemen- 
scheibe/?  für  den  Antrieb,  an  deren  anderm  ein 
stehendes  Kegelrad  aufgekeilt  ist.  Letzteres  treibt 
ein  liegendes  Rad  an,  dessen  Nabe  eine  hohle 
Spindel,  die  sog.  Bohrspindel  B  umschließt. 
Die  Spindel  ist  in  der  Nabe  senkrecht  ver- 
schiebbar. In  B  wird  das  Gestänge  mit  Klemm- 
futter befestigt;  es  muß  also  die  Drehung  des 
Kegelrades  und  der  Spindel  mitmachen.  Letztere 
ist  aber  am  Schwengelkopf  aufgehängt  und 
mittels  des  Schwengels  so  ausbalanciert,  daß 
die  Krone  im  Bohrloch  höchstens  250  -  400  kg 
Belastung  erhält.  Die  Zuführung  der  Spülung 
erfolgt  in  gleicher  Weise  wie  bei  der  Meißel- 
bohrung von  oben  her. 

Durch  Lösen  des  Klemmfutters  und  der 
Spindel,  durch  Aufziehen  der  letzteren  und 
Zurückfahren  des  Bohrwagens  kann  das  Gestänge 
in  wenigen  Minuten  zur  Aufnahme  des  Schlag- 
betriebs freigemacht  werden.  Ebenso  leicht  ist 
umgekehrt  der  Übergang  von  der  Meißel- 
bohrung zur  Kronenbohrung  zu  vollziehen, 
nachdem  selbstverständlich  vorher  Krone  und 
Meißel  vertauscht  sind. 

Bei  den  T.  werden  sämtliche  Apparate  in 
einem  aus  Holzfachwerk  mit  Bretterverschalung 
hergestellten  Bohrturm  vereinigt.  In  diesem 
finden  neben  Bohrapparat,  Lokomobile  und 
Pumpe  auch  eine  kleine  Schmiede  und  ein 
Raum  für  die  Bohrproben  Platz. 

Wagrechte  Kernbohrungen. 
Diese    kommen    für    Bodenuntersuchungen 
im   Eisenbahnbau    nur    in    seltenen    Fällen    in 


Betracht,  können  jedoch  bei  Gebirgsunter- 
suchungen  für  Tunnel,  die  in  geringer  Ent- 
fernung hinter  Steilhängen  verlaufen,  wichtige 
Dienste  leisten.  Sie  werden  mit  der  Krone, 
u.  zw.  entweder  der  Stahl-  oder  der  Diamanten- 
krone zur  Ausführung  gebracht.  Der  Kern- 
durchmesser beträgt  meist  nur  6  —  8  rm.  Die 
Drehung    erfolgt     durch    Kurbelmechanismus 


Abb.  301. 

entweder  von  Hand  oder  von  einem  Arbeits- 
motor aus,  der  mit  Dampf,  hin  und  wieder 
auch  elektrisch  betrieben  wird.  Der  Tagesfort- 
schritt beträgt  bei  Handbetrieb  1  -  2  m,  bei 
Maschinenbetrieb  3  —  8  m.  Dabei  sind  Bohrun- 
gen bis  zu  450  m  Länge  ausgeführt  worden. 
Mit  der  gleichen  Maschine  lassen  sich  übrigens 
auch  senkrechte  Bohrungen,  überhaupt  Boh- 
rungen in  jeder  beliebigen  Richtung  ausführen. 
Hin  und  wieder  sind  senkrechte  oder  doch 
sehr  steil  geneigte  Seichtbohrungen  bis  zu 
100  m  Tiefe  mit  einem  solchen  Apparat  nieder- 
gebracht worden. 

III.  Vor-  und  Nachteile  und  Anwend- 
barkeit der  verschiedenen  Arten  von 
T.  Behandlung  der  Bohrproben. 
Die  Meißelbohrungen  besitzen  den  Kern- 
bohrungen gegenüber  den  Vorteil  größerer 
Schnelligkeit  und  geringerer  Kostenerforder- 
nisse. Sie  sind  deshalb  einmal  da  am  Platz, 
wo  es  sich  lediglich  um  die  Erschließung 
einer  bestimmten  Gesteinsschicht  handelt,  also 
z.  B.  bei  Wasserbohrungen.  Sodann  werden 
sie  zweckmäßig  im  oberen  Teil  eines  Bohr- 
loches verwendet,  in  dem,  wie  beispielsweise 
im  Tunnelbau,  die  genaue  Ermittlung  des 
Gebirgsprofils  durch  Kernbohrung  auf  eine 
bestimmte  Tiefe  dicht  über  und  in  der  Tunnel- 
ebene beschränkt  werden  kann. 


318 


Tiefbohrungen.  -   Tiefgangwagen. 


Dagegen  ist  es  als  ein  Nachteil  der  Meißel- 
bohrung zu  bezeichnen,  daß  sie  mit  Rücksicht 
darauf,  daß  das  durchbohrte  Gestein  in  völlig  zer- 
malmtem Zustand  zu  Tage  gefördert  wird,  keine 
genaue  Deutung  des  Bchrlochprofils  zulassen. 

Im  übrigen  wird  zweckmäßig  in  mildem 
Gebirge,  bei  weichem  tonigen  Sandstein,  Ton, 
Tonschiefer,  Mergel  und  Gips  die  Schnellschlag- 
bohrung, im  festen  Gebirge  dagegen  die 
Freifallbohrung  angewendet. 

Die  Kernbohrung  gestattet  die  Aufnahme 
eines  bezüglich  der  Mächtigkeit,  der  Größe 
des  Einfallswinkels  und  der  Beschaffenheit  des 
durchsunkenen  Gebirges  ziemlich  genauen  Pro- 
fils, dagegen  vermag  sie  keine  sichere  Auskunft 
über  die  Richtung  des  Streichens  und  des  Ein- 
fallens  der  Schichten  zu  geben,  weil  die  ge- 
wonnenen Gesteinskerne  infolge  des  dem 
Bohrgestänge  innewohnenden  „Dralles"  beim 
Aufholen  sich  mehrfach  drehen  müssen  und 
daher  in  veränderter  Stellung  an  die  Ober- 
fläche gelangen.  Die  zur  Unschädlichmachung 
dieses  Übelstandes  bislang  verwendeten  Vor- 
kehrungen, sog.  Stratameter,  die  die  Streich- 
und  Fallrichtung  des  Gebirges  schon  auf  der 
Bohrlochsohle  teils  mittels  Kompaß,  teils  mittels 
zweier  senkrecht  zueinander  schwingender 
Lote  und  mit  Selbstzeichner  festlegen  sollen, 
arbeiten   gleichfalls   nur   recht   unvollkommen. 

Immerhin  wird  es  dem  erfahrenen  und  geo- 
logisch geschulten  Ingenieur  möglich  sein, 
aus  einer  Reihe  von  nicht  zu  entfernt  von- 
einander niedergebrachten  Kernbohrungen  in 
Verbindung  mit  den  Oberflächenaufschlüssen 
und  unter  Berücksichtigung  des  allgemeinen 
geologischen  Charakters  der  betreffenden  Ge- 
gend ein  brauchbares  Längenprofil  für  einen 
Tunnel  od.  dgl.  aufzustellen. 

Im  Ton,  nicht  zu  festen,  von  Quarz-  und  Eisen- 
kieseinlagerungen freien  Tonschiefer,  Mergel, 
Gips  und  selbst  in  weichem  Kalkstein  läßt  sich 
recht  wohl  die  Stahlkrone  verwenden.  In  allen 
härteren  Gebirgsarten  ist  die  Diamantkrone 
nicht  zu  entbehren,  so  teuer  sie  auch  sein  mag. 

Die  Bohrproben  der  Meißelbohrungen  werden 
an  der  Luft  getrocknet  und  in  Holzkästen  mit 
Einzelfächern  für  jedes  abgebohrte  in  oder 
doch  für  zusammenhängende  Abschnitte  des 
Profils  aufbewahrt. 

Die  Kerne  der  Kronenbohrungen  werden 
zunächst  mit  U'asser  abgespült,  an  der  Luft 
getrocknet  und  dann  gleichfalls  in  langen  Holz- 
kästen oder  Blechhülsen  aufbewahrt. 

Von  jedem  Bohrloch  ist  ein  Profil  aufzu- 
tragen, das  auf  genauer  Bezeichnung  der  ein- 
zelnen Gesteinsarten,  der  Tiefenangabe  jedes  Ge- 
steinswechsels, der  Angabe  der  Einfallwinkel  der 
Schichten,  etwaiger  Verwerfungen,  aller  Wasser- 


zugänge, Spülverluste  und  vorkommendenfalls 
der  Kern\'erluste  zu  versehen  ist.  Hoycr. 

Tiefgangwagen,  Tiefladewagen  (basketcars; 
wagoris  ä  platcfonne  hasse;  carri  a  piatta- 
forma  ribassata),  sind  offene  Güterwagen, 
bei  denen  der  zwischen  den  beiden  Dreh- 
gestellen liegende  Teil  der  Ladebühne  ein- 
gesattelt ist.  Sie  dienen  zur  Beförderung  um- 
fangreicher Güter  (Transformatoren,  Turbinen, 
Dampfkessel,  nicht  regelspurige  Lokomotiven 
u.  s.  w.),  die  bei  Verladung  auf  Wagen  mit 
der  gewöhnlichen  Höhenlage  des  Plattform- 
fußbodens in  die  vorgeschriebene  Ladeum- 
grenzung ragen  würden.  Jene  Teile  der  Lade- 
bühne, die  den  Übergang  von  den  Kopfträgern 
zur  Einsattlung  bilden,  müssen  wegen  der  hier 
auftretenden  hohen  Beanspruchungen  besonders 
kräftig  und  sorgfältig  ausgeführt  werden.  Auf 
die  Anbringung  einer  durchgehenden  Zug- 
vorrichtung muß  bei  diesen  Wagen  verzichtet 
werden.  Die  Ladebühne  ist  in  der  Regel  ohne 
Fußbodenbelag  ausgeführt,  so  daß  auch  noch 
zwischen  den  Langrahmen  freie  Räume  vor- 
handen sind,  die  für  besonders  tief  reichende 
Teile  der  Ladung  ausgenützt  werden  können. 

Im  Bedarfsfall  kann  natürlich  ein  Fuß- 
bodenbelag immer  angebracht  werden. 

Taf.  X.  Sechsachsiger  T.  der  öster- 
reichischen Staatsbahnen.  Der  Wagen  be- 
sitzt 2  dreiachsige  Drehgestelle  mit  Rahmen 
aus  Preßblech.  Die  Zug-  und  Stoßvorrichtung 
ist  zum  Zweck  des  leichteren  Befahrens  von 
scharfen  Bahnkrümmungen  am  Drehgestell 
angebracht.  Das  eine  Drehgestell  ist  mit  Hand- 
spindelbrenise  bremsbar.  Da  die  Bremse  auch 
auf  die  Mittelachse  wirkt,  ist  bei  diesem  Dreh- 
gestell die  Anwendung  eines  größeren  Rad- 
standes als  bei  dem  Drehgestell  ohne  Bremse 
notwendig.  Die  Bremshütte  ist  leicht  abnehm- 
bar aufgesetzt,  so  daß  sie  bei  Be-  oder  Ent- 
ladung des  Wagens  entfernt  werden  kann. 

Die  Tragfedergehänge  sind  durch  Ausgleich- 
hebel miteinander  verbunden. 

Die  Langrahmen  der  Ladebühne  sind  als 
Kastenträger  ausgebildet. 

Die  Auflagerung  der  Bühne  erfolgt  auf  dem 
Drehgestell  mit  Bremse  in  der  Mitte  durch 
eine  kalottenförmige  Drehpfanne  und  seitlich 
durch  kugelförmige  Auflagen,  auf  dem  Dreh- 
gestell ohne  Bremse  in  der  Mitte  durch  einen 
Kugelzapfen  und  seitlich  durch  abgefederte 
Stößel.  Durch  diese  Anordnung  wird  eine 
weitgehende  Beweglichkeit  für  das  Befahren 
von  Schienenüberhöhungen  und  Gleisuneben- 
heiten, somit  eine  erhöhte  Sicherheit  gegen 
Entgleisungsgefahr  erreicht. 

In  den  oberen  Traggurten  der  Langrahmen 
sind  Löcher  von  25  mm  Durchmesser  für  die 


Cniyklopidic  des  EiunbahnveScnt.  2.  Aufl.  l\. 


Tiefgangwagen. 


^•io  Sie  I"  610  .  6la 


SKhsachsIger  Tideangvagcn  der  Österreichischen  Slaaljbihnc 


.   Urban  &  Sdiaatzenbem  in  Berlin  u.  Wien 


Tiefgangwagen.  -  Tierbeförderung. 

Befestigung  der  Ladung  vorgesehen.  An  den  Außenseiten  der 
Rahmen   sind  Marken    für   die   zulässige   kleinste  Ladelänge 
des  Gutes  je  nach  seinem  Gewicht  (40,  45 
und  50  /)    nebst   der   notwendigen  erläu- 
ternden Anschrift  angebracht. 

Das  Eigengewicht  des  Wagens  beträgt 
33-5/,  die  Tragfähigkeit  50/. 

Abb.  302.  Sech  sachsiger  T.  der 
Hannoverschen  Maschinenbau-Ak- 
tiengesellschaft. Dieser  Wagen  unter- 
scheidet sich  von  dem  vorbeschriebenen 
vornehmlich  durch  die  Anordnung  derZug- 
und  StoBvorrichtung  und  der  Bremshütte 
sowie  durch  die  Auflagerung  der  Ladebühne 
auf  den  Drehgestellen.  Die  Zug-  und  Stoß- 
vorrichtung ist  auf  den  Kopfträgern  der 
Ladebühne  angebracht,  wodurch  eine  Ent- 
lastung der  Drehgestellzapfen  von  den  auf- 
tretenden Zug-  und  Stoßkräften  herbei- 
geführt wird.  Die  Bremshütte  ist  auf  die 
Ladebühne  aufgesetzt.  Die  Bremse  wirkt 
nur  auf  die  Endachsen  des  der  Bremshütte 
benachbarten  Drehgestells. 

Die  Lagerung  der  Ladebühne  erfolgt  auf 
dem  einen  Drehgestell  mittels  eines  Kugel- 
zapfens, auf  dem  andern,  das  in  der  Mitte 
einen  Drehzapfen  aufweist,  mittels  zweier 
seitlicher  Gleitstücke. 

Das  Eigengewicht  des  Wagens  beträgt 
32-4  t,  die  Tragfähigkeit  51-6  /.  Cimonetti. 

Tierbeförderung  (cattk  traffic;  trans- 
port   du    betail;    trasporto   besfiame).    Sie 
umfaßt  insbesondere  die  Beförderung  von 
Hunden  in  Begleitung  Reisender,  von  kleinen 
Tieren  in  Käfigen,   Kisten,  Säcken  u.  dg 
als  Gepäck  oder  Fracht,  von  Pferden  und 
Hunden   mit  Personenzügen,  von  Einzel- 
stücken und  Wagenladungen  aller  anderen 
Arten  Klein-  oder  Großvieh  und  von  wilden 
Tieren,    auch    ganzen    Menagerien    u.  dgl. 
Die  Beförderung  lebender  Tiere  (getötete 
Tiere,    geschlachtetes    Vieh    einschließlich 
Geflügel  fallen  unter  die  Beförderung  von 
Gütern  im  allgemeinen)  unterliegt  überall 
besonderen,  durch  die  Eigenart  dieser  Trans- 
porte  bedingten  Beförderungsvorschriften, 
die    zum    nicht    geringen    Teil    veterinär- 
polizeiiicher  Natur  sind.  Diese  polizeilichen 
Vorschriften  betreffen  insbeson- 
dere   die  Vorsorge  für  entspre- 
chende   Ladevorrichtungen    und 
Einrichtung  der  Viehwagen,  die 
Feststellung  der  Zulässigkeit  eines 
Viehtransports  mit  Rücksicht  auf 
bestehende  Seuchenvorschriften, 

die  Sicherstellung  des  Gesundheitszustandes  der  aufzugebenden 
Tiere,  den  Ausschluß  kranker  Tiere,  die  Art  der  Verladung,  die 
Auswahl  geeigneter  Züge,  die  Tränkung  und  Fütterung  während 


319 


320 


Tierbeförderung. 


der  Beförderung,  die  Beigabe  der  nötigen  Begleit- 
papiere sowie  von  Begleitern  zur  Beaufsichtigung 
der  Tiere,  die  Desinfektion  und  Reinigung  der 
zur  Beförderung  verwendeten  Wagen  u.  s.  w. 
Die  übrigen  Beförderungsvorschriften  regeln 
insbesondere  die  Art  der  Abfertigung,  die  An- 
meldung und  Wagenbestellung,  die  Fracht- 
zahlung und  die  Fahrgebühren  für  die  Begleiter, 
die  Abnahme  der  Tiere  und  das  Verfahren  bei 
Ablieferungshindernissen,  die  Lieferfrist  und 
die  Haftung  für  Tiersendungen. 

I.   Polizeiliche  Vorschriften. 

1.  Ladeanlagen.  Die  Ver-  und  Entladung 
von  Vieh  erfordert  besondere  Vorrichtungen, 
weshalb  die  Annahme  und  Ausfolgung  von 
Vieh  nur  in  Stationen  erfolgen  darf,  die  der- 
artige Einrichtungen  besitzen.  In  Deutsch- 
land müssen  nach  der  Eisenbahnverkehrs- 
ordnung und  deren  Anlage  B,  die  die  haupt- 
sächlichsten und  grundlegenden  Bestimmungen 
über  die  T.  enthält,  die  Stationen,  die  nahe 
dem  Tarif  unbeschränkt  oder  beschränkt  für 
■den  Viehverkehr  bestimmt  sind,  mit  Vorrich- 
tungen versehen  sein,  die  den  Abfertigungs- 
befugnissen entsprechend  ein  zweckmäßiges 
Ein-  und  Ausladen  der  Tiere  gestatten.  Die 
Oberfläche  der  festen  Rampen  darf  eine 
stärkere  Neigung  als  1:8  und  die  der  beweg- 
lichen Vorrichtungen  eine  stärkere  Neigung 
.als  1:3  nicht  erhalten.  Die  Überladebrücken 
zwischen  Rampe  und  Wagen  müssen  eine  hin- 
reichende Breite  haben  uud  zu  beiden  Seiten 
mit  Einfriedigung  versehen  werden.  Auf  Bahn- 
höfen mit  regelmäßigem  größeren  Viehversand 
^owie  auf  den  Tränkestationen  sind  von  den 
Bahnen  zur  Unterbringung  des  Viehs  ein- 
gefriedete und  überdeckte  Räume  (Buchten, 
Bansen)  herzustellen  und  mit  Brunnen  oder 
einer  Wasserleitung  sowie  mit  Vorrichtungen 
zum  Füttern  und  Tränken  der  Tiere  zu  ver- 
sehen. Die  Räume  sind  zum  Zweck  der  Tren- 
nung der  verschiedenen  Gattungen  des  Groß- 
und  Kleinviehs  in  kleinere  Abteilungen  zu 
teilen.  Der  Fußboden  muß  eine  ordnungsmäßige 
Reinigung  ermöglichen. 

In  Österreich  mangeln  allgemeine  Be- 
stimmungen über  Ladeanlagen,  dagegen  sind 
ähnliche  Vorschriften  wie  für  Deutschland  in 
der  Schweiz  durch  Bundesratsbeschluß  vom 
28.  November  1905  eingeführt  worden,  jedoch 
iehlen  dort  Bestimmungen  über  die  zulässige 
Neigung  der  Brücken  sowie  über  die  Unter- 
teilung   der    Unterkunftsräume  für   das   Vieh. 

In  Frankreich  behält  sich  die  Regierung 
vor,  die  Stationen  zu  bestimmen,  in  denen 
Ladeanlagen  für  Pferde  und  Vieh  eingerichtet 
^werden  müssen. 


In  Rußland  sind  nur  bestimmte  Stationen 
von  der  Eisenbahnverwaltung  im  Einverständnis 
mit  der  Veterinärbehörde  mit  den  für  die  Ver- 
und  Entladung  von  Vieh  erforderlichen  Ein- 
richtungen versehen.  Nur  auf  diesen  Stationen 
darf  Großvieh  in  einer  Anzahl,  die  der  normalen 
Beladung  eines  gewöhnlichen  Wagens  entspricht 
oder  darüber  hinausgeht,  sowie  Kleinvieh  in 
Mengen  von  mehr  als  15  Stück  regelmäßig 
ein-  und  ausgeladen  werden,  während  es  zur 
Ver-  und  Entladung  dieser  Mengen  auf  anderen 
Stationen  besonderer  Genehmigung  bedarf. 
Vieh  in  geringerer  Menge  kann  auf  jeder  Station 
ein-  und  ausgeladen  werden. 

2.  Beschaffenheit  und  Einrichtung  der 
Wagen.  Nach  den  für  Deutschland  geltenden 
Vorschriften  sind  Tiere  in  bedeckten  oder  hoch- 
bordigen  offenen  Wagen  zu  befördern;  letztere 
dürfen  jedoch  in  den  Monaten  Januar,  Februar, 
März,  November  und  Dezember  nur  auf  Antrag 
des  Versenders  gestellt  werden.  Geflügel  darf 
nur  in  bedeckten  Wagen  befördert  werden. 
Unter  gewissen  Voraussetzungen  findet  die 
Beförderung  auch  in  mehrbödigen  Wagen  statt. 
Die  lichte  Breite  der  zur  Beförderung  von 
Großvieh  dienenden  Wagen  muß  mindestens 
2-60  m  betragen.  Die  offenen  Wagen  müssen 
bei  Verwendung  für  Großvieh  eine  Bordhöhe 
von  mindestens  1-50  m  und  bei  Verwendung 
für  Kleinvieh  eine  solche  von  mindestens  0'75  m 
über  dem  Fußboden  haben. 

Bei  Verwendung  bedeckter  Wagen  zur  T. 
sind  solche  Wagen  auszuwählen,  die  in  der 
Nähe  der  Wagendecke  an  den  Längs-  oder 
Stirnseiten  je  2  verschließbare  Öffnungen  von 
je  mindestens  0-40  m  Länge  und  O'SO  m  Breite 
haben  und  außerdem  an  den  Türen  mit  Vor- 
richtungen versehen  sind,  die  ihr  Offenhalten 
in  einer  Breite  von  0-35  m  bei  Großvieh  und 
von  0'15  m  bei  Kleinvieh  ermöglichen.  Bleiben 
die  Türen  während  der  Fahrt  ganz  geöffnet, 
so  müssen  die  Türöffnungen  durch  einen 
P50  m  hohen  Bretterverschlag  oder  durch 
Lattengitter  verstellt  sein.  Zum  Festbinden  der 
Tiere  müssen  Vorrichtungen,  wie  eiserne  Ringe 
u.  dgl.,  in  den  Wagen  angebracht  sein.  Die 
Ladefläche  der  zur  Beförderung  von  Tieren 
dienenden  Wagen  muß  an  der  Außenseite  an- 
gegeben sein,  u.  zw.  bei  mehrbödigen  und  bei 
den  in  mehrere  Abteile  geteilten  Wagen  derart, 
daß  die  Größe  eines  jeden  Raumes  ersichtlich  ist. 
Die  in  Österreich  geltenden  Vorschriften 
unterscheiden  sich  insofern  wesentlich  von  den 
in  Deutschland  in  Anwendung  stehenden,  als 
in  Österreich  bei  Neuanschaffung  von  Hornvieh- 
wagen nur  gedeckte  derartige  Wagen  in  Be- 
stellung gebracht  werden  dürfen  und  der  Ge- 
brauch offener  Hornviehwagen  für  die  T.  nur 


Tierbeförderung. 


321 


unter  bestimmten  Beschränkungen  und  unter 
der  Voraussetzung  zugelassen  wird,  daß  diese 
Wagen  in  gewissen  Fällen  zum  Schutz  der 
Tiere  mit  Piachen  überdeckt  werden. 

Im  übrigen  beziehen  sich  die  österreichischen 
Vorschriften  nur  im  allgemeinen  auf  die  regel- 
mäßige Verwendung  von  Etagewagen  mit 
Tränkevorrichtungen  zur  Borstenviehbeförde- 
rung, die  tunlichste  Größe  der  Lüftungsöff- 
nungen, die  Vorrichtungen  zum  Festhalten  der 
Lüftungsschieber  und  der  Türen  in  der  offenen 
Stellung  u.  s.  w. 

In  der  Schweiz  soll  die  lichte  Breite  der 
zur  Beförderung  von  Pferden  und  Großvieh 
benutzten  Wagen  nicht  unter  2'45  m.  betragen. 
Die  Tiere  sollen  in  der  Regel  nur  in  gedeckt 
gebauten  Wagen,  die  mit  guten  Böden  und 
nahe  an  der  Wagendecke  liegenden,  genügen- 
den und  verschließbaren  Öffnungen  versehen 
sind,  befördert  werden.  Fehlen  diese,  so 
müssen  an  den  Türen  der  Wagen  Vorrich- 
tungen angebracht  sein,  die  das  ganze  oder 
teilweise  Offenstellen  der  Türen  ermöglichen. 
Bei  Kleinviehbeförderung  soll  dem  Versender 
in  allen  Fällen  gestattet  sein,  auf  seine  Ver- 
antwortung und  Kosten  einen  Bretterverschlag 
oder  ein  Lattengitter  an  die  Stelle  der  ganz 
oder  teilweise  geöffneten  Tür  anzubringen. 
Zum  Festbinden  der  Tiere  sind  die  Wagen  mit 
geeigneten  Vorrichtungen  (eiserne  Ringe  u.dgl.) 
zu  versehen.  Offene  Wagen  mit  Decken  dürfen 
nur  ausnahmsweise  und  nur  auf  kürzeren 
Strecken  verwendet  werden;  während  der 
Winterszeit  ist  diese  Beförderungsweise  aus- 
geschlossen. 

In  Italien  sind  die  für  T.  zu  verwen- 
denden gedeckten  Wagen  mit  Lüftungsöff- 
nungen zu  versehen.  Bei  Kleinviehsendungen 
werden  diese  geöffnet,  während  die  Türen 
geschlossen  bleiben.  Bei  Großviehsendungen 
werden  die  Türen  auf  den  ersten  oder  zweiten 
Haken  eingehängt,  wogegen  die  Lüftungs- 
öffnungen geschlossen  bleiben.  Wenn  keine 
Gefahr  des  Entspringeiis  der  Tiere  vor- 
liegt, können  die  Türen  auch  ganz  offen 
bleiben. 

In  Rußland  werden  für  die  Beförderung 
von  Vieh  nach  dem  Ermessen  der  Eisenbahn 
besondere  (Spezial-) Viehwagen  (auch  vergitterte) 
oder  gewöhnliche  bedeckte  Güterwagen  be- 
stimmt. In  der  Zeit  vom  \.  April  bis  zum  1.  No- 
vember kann  das  Vieh  mit  Genehmigung  des  Ab- 
senders in  offenen  Wagen  mit  hohen  —  dichten 
oder  vergitterten  —  Seitenwänden  befördert 
werden.  Die  für  die  Beförderung  von  Groß- 
vieh bestimmten  Wagen  müssen  eine  ent- 
sprechende Anzahl  von  Ringen  aufweisen,  die 
in  die  Stützen  der  Längsbalken  eingeschraubt 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


sind,  damit  auf  Wunsch  der  Versender  die 
Tiere  angebunden  werden  können.  Für  die 
Beförderung  von  Pferden  werden  bedeckte 
Güterwagen  von  mindestens  7^3  Fuß  Höhe 
verwendet,  die  nach  dem  für  Pferdebeförderung 
der  Militärverwaltung  festgesetzten  Muster  ein- 
gerichtet sind.  Lebendes  Geflügel  und  Klein- 
vieh werden  auch  zur  Beförderung  in  Etage- 
wagen angenommen. 

3.  Art  der  Verladung.  Nach  den  deut- 
schen Vorschriften  dürfen  die  Tiere  nicht  ge- 
knebelt und  in  Säcken,  Käfigen,  Kisten  oder 
ähnlichen  Behältern,  nur  wenn  sie  hinlänglich 
geräumig  sind,  zur  Beförderung  aufgegeben 
werden.  Bei  Festsetzung  der  größten  Anzahl 
der  in  einem  Wagen  zu  verladenden  Tiere  ist 
davon  auszugehen,  daß  Großvieh  nicht  anein- 
ander oder  gegen  die  Wandung  des  Wagens 
gepreßt  werden  darf,  für  Kleinvieh  aber  genü- 
gender Raum,  um  sich  legen  zu  können,  ver- 
bleiben muß.  Die  Verladung  von  Großvieh  und 
Kleinvieh  sowie  von  Tieren  verschiedener  Gat- 
tung in  denselben  Wagen  ist  nur  gestattet, 
wenn  die  Einstellung  in  durch  Barrieren, 
Bretter-  und  Lattenverschläge  voneinander  ge- 
trennten Abteilungen  erfolgt.  Über  die  zu- 
lässige größte  Stückzahl  der  in  einem  Wagen 
oder  in  die  einzelnen  Abteilungen  aufzu- 
nehmenden Tiere  entscheidet  im  Streitfall  der 
diensthabende  Stationsbeamte.  Das  Bestreuen 
der  Fußböden  offener  Wagen  mit  brennbarem 
Material  (Stroh,  Spreu,  grasartiger  Streu  und 
Torfstreu)  ist  unzulässig. 

In  Österreich  haben  ähnliche  Bestim- 
mungen wie  in  Deutschland  allgemeine  An- 
wendung erlangt,  daß  sie  in  das  für 
sämtliche  Bahnen  geltende  gemeinsame  Tarif- 
heft I  mit  behördlicher  Genehmigung  Auf- 
nahme gefunden  haben  (Zusatzbestimmungen 
II,  III,  IV  zu  §  44  des  Betriebsreglements). 
Was  die  Maßnahmen  gegen  die  Überfüllung 
der  Viehwagen  anbelangt,  so  ist  auch  in  Öster- 
reich eine  Reihe  von  Verfügungen  ergangen,  die 
dahin  zielen,  diesem  Übelstand  zu  steuern,  der 
insbesondere  bei  Anwendung  von  Wagenraum- 
tarifen sich  fühlbar  macht.  Hierbei  wurde  im 
Gegensatz  zur  deutschen  Auffassung  von  dem 
Grundsatz  ausgegangen,  daß  die  Bahnorgane  auf 
Grund  der  reglementarischen  Bestimmungen  zu 
einer  Zurückweisung  überfüllter  Viehwagen  inso- 
lange  nicht  berechtigt  sind,  als  eine  die  Betriebs- 
sicherheit gefährdende  Überlastung  der  Wagen 
nicht  stattfindet,  daß  dagegen  sonstige  Über- 
füllungen nach  der  Verordnung  vom  15.  Fe- 
bruar 1855,  betreffend  die  Tierquälerei,  zu  be- 
urteilen sind,  deren  Handhabung  nicht  den 
Eisenbahnbeamten,  sondern  den  polizeilichen 
Behörden  obliegt. 

21 


322 


Tierbeförderung. 


Die  Bahnorgane  sind  daher,  insolange  eine 
betriebsgefähdiche  Überlastung  nicht  vorHegt, 
nur  berechtigt  bzw.  verpflichtet,  auf  die  Ver- 
sender wegen  Hintanhaltung  von  Überfüllungen 
entsprechend  einzuwirken  und,  wenn  die  Ein- 
wirkung erfolglos  bleibt,  die  Anzeige  an  die 
zuständige  Behörde  zu  erstatten. 

Nach  den  Schweizer  X'orschriften  soll  die 
Verladung  der  Tiere  mit  der  größten  Sorgfalt 
und  Umsicht  geschehen,  damit  nicht  Grund 
zu  Beschwerden  über  Tierquälerei  gegeben 
werde.  Kranke  Tiere  sowie  an  den  Füßen 
gebundene  Kälber,  Schweine  u.  s.  w.  werden 
nicht  zugelassen. 

Die  Verladung  von  Groß-  und  Kleinvieh 
sowie  von  Tieren  verschiedener  Gattung  in 
demselben  Wagen  ist  gestattet,  wenn  die  Ein- 
stellung in  durch  Barrieren-,  Bretter-  oder 
Lattenverschläge  voneinander  getrennte  Ab- 
teilungen erfolgt.  Großvieh  darf  nicht  enger 
verladen  sein,  als  daß  ein  Mann  zwischen 
2  Stücken  einer  Wagenladung  leicht  sich  be- 
wegen kann;  für  Kleinvieh  muß  so  viel  Raum 
vorhanden  sein,  daß  es  sich  legen  kann. 
Ausnahmsweise  soll  für  die  Schafe  in  Herden 
eine  Bodenfläche  von  mindestens  0'22  m'^  auf 
das  Stück  als  genügend  angesehen  werden.  Die 
Unterbringung  der  Tiere  in  den  zwischen  den 
Wagenachsen  befindlichen  Kasten  ist  unzulässig. 
Die  Tiere,  die  angebunden  werden,  sollen  mit 
den  Köpfen  der  gleichen  Seite  zugekehrt  werden. 

Ausnahmsweise  können  Zuchtochsen  ver- 
schränkt verladen  werden  (senkrecht  zur  Längs- 
seite des  Wagens,  aber  mit  den  Köpfen  nicht 
nach  derselben  Seite  oder  derart,  daß  hinter 
den  in  gleicher  Richtung  nebeneinander  ge- 
stellten Tieren  noch  solche  den  Seitenwänden 
des   Wagens    entlang    untergebracht   werden). 

Die  Verladung  ist  Sache  der  Versender, 
die  auch  das  Anbinden  mit  ihrem  .Waterial 
zu  besorgen  haben,  .^uf  Verlangen  übernimmt 
die  Eisenbahn  die  Verladung. 

In  den  Niederlanden  (Zusatzbestimmun- 
gen zum  Reglement,  Art.  29)  können  in  einen 
Wagen  so  viele  Tiere  geladen  v^erden,  als  ohne 
Nachteil  für  die  Tiere  und  ohne  Überlastung 
des  Wagens  Platz  finden.  Bei  A\einungsver- 
schiedenheiten  über  die  zu  ladende  Anzahl 
entscheidet  der  diensthabende  Beamte.  Das  Ver- 
laden und  Befestigen  der  Tiere  ist  Sache  der 
Partei. 

In  Italien  richtet  sich  die  Zahl  der  in  den 
Wagen  zu  verladenden  Tiere  nach  der  Trag- 
fähigkeit der  Wagen  unter  Zugrundelegung 
der  Normalgewichte.  Die  Tiere  dürfen  durch 
Überfüllung  nicht  leiden.  In  Wagen  mit  S  und 
10  /  werden  verladen:  8  Stück  Pferde  oder 
Großvieh,   12  Esel  oder  Füllen,  24  Kälber  oder 


Schweine,  36  Milchkälber,  kleine  Schweine  und 
Hunde,  72  Ziegen  oder  Schafe. 

In  einem  Wagen  darf  nur  Vieh  gleicher 
Gattung  verladen  werden.  Die  Eisenbahn  haftet 
nicht  für  den  Schaden  infolge  Überfüllung  der 
Wagen. 

In  Belgien  und  Frankreich  ist  die  An- 
zahl der  Tiere,  die  ein  Wagen  enthalten 
darf,  nicht  bestimmt;  die  Versender  können 
auf  ihre  Gefahr  so  viele  Stücke  unterbringen, 
als  sie  für  zulässig  erachten. 

Das  Ein-  und  Ausladen  geschieht  auf  Ver- 
anlassung und  unter  Verantwortung  der  Partei. 

In  Rußland  wird  das  Großvieh  hinsichtlich 
der  in  einen  Wagen  (von  21  Fuß  Länge  und 
9  Fuß  Breite)  zu  verladenden  Mengen  in 
4  Gruppen  (große,  mittlere,  kleinere,  kleine 
Stücke)  eingeteilt  und  darnach  die  Beladung 
eines  Wagens  mit  8,  10,  12  und  14  Stück 
zugelassen.  Von  Kleinvieh  können  in  einen 
gewöhnlichen  Güterwagen  30-60  Stück  ver- 
laden werden.  Bei  der  Verladung  von  Pferden 
ist  f.  d.  Stück  regelmäßig  ein  Raum  von 
mindestens  10  Fuß  Länge  und  2  Fuß  2  Zoll 
Breite  zur  Verfügung  zu  stellen. 

4.  Beförderung. 

a)  Züge.  Die  Beförderung  erfolgt  in 
Deutschland  in  Viehzügen  und  Güterzügen, 
nach  näherer  Bestimmung  der  Eisenbahn  auch 
in  Personenzügen.  Viehzüge  müssen  auf  Strecken 
mit  regelmäßigem  starken  Viehverkehr  an  be- 
stimmten, von  der  Eisenbahn  bekanntzu- 
machenden Tagen  —  regelmäßig  oder  nur  nach 
Bedarf  -  nach  den  bei  jedem  Fahrplanwechsel 
festzusetzenden  Fahrplänen  verkehren;  sie 
müssen  derart  gelegt  sein,  daß  der  Aufenthalt 
für  das  auf  den  Anschlußlinien  zu-  und  ab- 
gehende Vieh  auf  das  unbedingt  nötige  Maß 
beschränkt  wird.  Bei  .Aufstellung  der  Fahrpläne 
ist  für  die  Trinkstationen  ein  ausreichender 
Aufenthalt  vorzusehen.  Steht  so  viel  Vieh  zur 
Beförderung,  daß  zu  seiner  Verladung  min- 
destens 20  Achsen  erforderlich  sind,  so  ist  in 
Ermanglung  anderer  Beförderungsgelegen- 
heiten ein  besonderer  Viehzug  abzulassen.  Die 
durchschnittliche  Geschwindigkeit  der  Viehzüge 
darf  —  vorbehaltlich  der  Befugnis  der  Landes- 
aufsichtsbehörde, bei  besonderen  Verhältnissen 
nach  Genehmigung  des  Reichseisenbahnamts 
.Abweichungen  zu  gestatten  —  nicht  weniger 
als  25  km  in  der  Stunde  betragen. 

Auch  in  Österreich  bestehen  Vorschriften, 
die  den  Bahnverwaltungen  die  Verpflichtung 
auferlegen,  in  Ausführung  der  §§  42  und  43 
des  BR.  die  zur  Viehbeförderung  bestimmten 
Züge  in  entsprechender  Weise  kundzumachen. 
Die  Beförderung  hat,  abgesehen  von  Hunden 
und  Pferden,  die  zu  den  von  den  mitfahrenden 


Tierbeförderung. 


323 


Reisenden  benutzten  Personen-  oder  Schnell- 
zügen angenommen  werden,  in  der  Regel  nur 
mit  den  für  die  T.  bestimmten  Güterzügen 
zu  erfolgen. 

Die  Bemühungen  der  Regierung  waren  seit 
langem  darauf  gerichtet,  die  Bahnen  zu  be- 
stimmen, Vieh  möglichst  mit  direkten  und 
schnellverkehrenden  Zügen  (nötigenfalls  mit 
gemischten  Zügen)  zu  befördern,  worauf  rück- 
sichtlich der  für  die  Versorgung  Wiens  be- 
stimmten Sendungen  ein  besonderer  Wert  gelegt 
wird.  Auch  ist  eine  Reihe  von  Verfügungen 
an  die  Bahnen  ergangen,  die  die  Ein- 
haltung der  für  Viehzüge  festgesetzten  Fahr- 
ordnungen bezwecken. 

In  der  Schweiz  haben  die  Eisenbahnen 
unter  Genehmigungsvorbehalt  des  Bundesrats 
die  Züge  zu  bezeichnen,  mit  denen  Vieh  in 
gewöhnlicher  oder  in  Eilfracht  befördert  wird. 
Die  für  die  Beförderung  in  gewöhnlicher  Fracht 
bestimmten  Züge  sollen  sich  in  billiger  Weise 
den  örtlichen  Bedürfnissen  anpassen.  Auch  ist 
darauf  Bedacht  zu  nehmen,  daß,  soweit  mög- 
lich, von  jeder  Station  aus  wenigstens  einmal 
täglich  die  24stündige  Fahrleistung  (ohne  Über- 
nachten) erzielt  wird. 

Die  IBeförderung  geschieht  nach  dem  Er- 
messen der  Bahnanstalt  mit  Personen-  oder 
Güterzügen.  Mit  Schnellzügen  werden  keine 
Tiere  befördert. 

In  den  Niederlanden  erfolgt  die  Be- 
förderung der  Tiere  mit  Vieh-,  Güter-  oder 
gemischten  Zügen,  mit  Personenzügen  jedoch 
nur  auf  Grund  fallweiser  Bewilligung;  mit 
Schnellzügen  ist  (Pferde  ausgenommen)  die 
Beförderung  ganz  ausgeschlossen. 

Die  Züge,  mit  denen  die  Beförderung 
stattfindet,  sind  kundzumachen. 

In  Belgien  werden  lebende  Tiere  in  der 
Regel  mit  gemischten  oder  Güterzügen,  die 
die  Verwaltung  bezeichnet,  und  nur  ausnahms- 
weise mit  Bewilligung  des  Betriebschefs  in 
Personenzügen  befördert. 

Falls  die  Tiere  die  Ladung  von  10  Wagen 
umfassen,  können  Sonderzüge  gestellt  werden. 

In  Italien  werden  Tiere  gewöhnlich  (von 
Pferden  in  Luxuswagen  abgesehen)  nur  mit 
Güterzügen  befördert.  Will  der  Versender  eine 
beschleunigtere  Beförderung,  so  muß  er  eine 
höhere  Gebühr  entrichten. 

In  Frankreich  erfolgt  die  Beförderung  bei 
Aufgabe  als  Eilgut  mit  gewöhnlichen  Personen- 
zügen, die  alle  Wagenklassen  führen;  bei 
Aufgabe  als  Frachtgut  in  besonderen  Vieh- 
zügen oder  gemischten  Zügen. 

Ä^ Tränkung  und  Fütterung.  In  Deutsch- 
land sollen  alle  Tiere,  deren  Beförderung 
24  Stunden  oder  länger  in  Anspruch    nimmt. 


vor  der  Verladung  vom  Absender  gefüttert 
und  getränkt  werden.  Dauert  die  Beförderung 
mehr  als  36  Stunden,  so  sind  die  Tiere 
spätestens  nach  je  36  Stunden  zu  füttern  und 
zu  tränken.  Für  die  unterwegs  erforderliche 
Fütterung  und  Tränkung  sind  nach  Bedarf 
besondere  Stationen  mit  Einrichtungen  zu  ver- 
sehen. Diese  „Tränkstationen"  werden  vom 
Reichseisenbahnamt  nach  Anhörung  der  be- 
teiligten Bundesregierungen  bestimmt  und  sind 
in  den  Tarifen  bekanntzumachen. 

In  Österreich  gilt  (Handelsministerialerlaß 
vom  26.  Februar  1875)  bezüglich  des  Borsten- 
und  Hornviehs  gleichfalls  der  Grundsatz,  daß 
das  Tränken  der  Tiere  innerhalb  24  Stunden 
stattzufinden  hat  und  daß  es,  insoferne  den 
Tieren  kein  Begleiter  beigegeben  oder  von 
diesem  die  Tränkung  unterlassen  wird,  von 
der  Bahn  gegen  eine  angemessene  Entschädi- 
gung zu  bewerkstelligen  ist.  (Die  Tränkungs- 
gebühr beträgt  bei  den  österreichisch-unga- 
rischen Bahnen  für  Großvieh  f.  d.  Stück  20  h. 
Für  das  Tränken  sonstiger  Tiere  werden  für 
jeden  Wagen  bzw.  für  jede  Etage  50  h  ein- 
gehoben. Die  letztere  Gebühr  wird  verdoppelt, 
wenn  der  Sendung  kein  Begleiter  beigegeben 
ist.  Für  Fütterung  und  Tränkung  von  Ge- 
flügel beträgt  die  Gebühr  5  h  für  10  kg  und 
mindestens  50  h). 

In  der  Schweiz  sollen  Tiere,  die  ihren 
Bestimmungsort  nicht  innerhalb  24  Stunden 
erreichen,  inzwischen  mindestens  einmal  auf 
einer  Zwischenstation  gefüttert  und  getränkt, 
und  wenn  sie  untenx'cgs  auf  einer  Station  über- 
nachten müssen,  in  dieser  ausgeladen  werden. 
Ausnahmsweise  sind  Schaftransporte  in  Herden 
im  Durchzug  durch  die  Schweiz  auf  einer  der 
Grenzstationen  bzw.  auf  der  Übergangsstation 
auszuladen,  zu  füttern  und  zu  tränken.  Milch- 
kälber, die  zur  Ausfuhr  aufgegeben  werden  und 
deren  Beförderung  von  der  Aufgabe-  bis  zur 
Bestimmungsstation  fahrplanmäßig  mehr  als 
10  Stunden  in  Anspruch  nimmt,  sind  auf  der 
Übergangsstation  mit  Nahrung  zu  versehen 
(nahrhaft  zu  tränken). 

Die  Käfige,  Körbe  und  sonstige  Behälter, 
in  denen  Geflügel  und  andere  kleine  Tiere 
zur  Beförderung  gelangen,  sollen  mit  dichten 
Böden  versehen,  luftig  und  geräumig  genug 
sein,  um  den  Tieren  die  nötige  Bewegung 
sowie  um  deren  Fütterung  und  Tränkung  zu 
gestatten. 

Wenn  Geflügelsendungen,  bei  denen  dieser 
Forderung  nicht  genügend  Rechnung  getragen 
ist,  auf  den  Übergangsstationen  anlangen,  so 
sollen  sie  in  Reservekäfige  (Körbe)  umge- 
laden werden,  die  von  den  Bahnen  vor- 
rätig zu  halten  sind. 

21* 


324 


Tierbeförderung. 


Geflügelsendungen  sollen  nicht  länger  als 
12  Stunden  ohne  Tränkung  und  Fütterung 
bleiben. 

In  Frankreich  müssen  die  Absender  den 
Tieren  die  zu  ihrer  Erhaltung  erforderliche 
Pflege  angedeihen  lassen.  Weitere  Vorschriften 
bestehen  nicht. 

In  Rußland  kann  das  Tränken  des  Viehs, 
das  ausschließlich  den  Begleitern  obliegt,  auf 
sämtlichen  Stationen  vorgenommen  werden, 
falls  eine  Ausladung  nicht  stattfindet  und  die 
fahrplanmäßige  Aufenthaltszeit  des  Zuges  es 
zuläßt.  Im  übrigen  werden  von  dem  Verkehrs- 
minister und  dem  Minister  des  Innern  gewisse 
Tränkstationen  besonders  bestimmt,  die  mit 
besonderen  Vorrichtungen  ausgerüstet  sind  und 
auf  denen  die  N'erwaltung  auf  Ersuchen  der 
Begleiter  ohne  irgendwelche  Vergütung  ge- 
nügend Wasser  herzugeben  und  Arbeiter  zur 
Hilfeleistung  beim  Tränken  zu  stellen  hat. 

c)  Verschieben.  Die  deutschen  \'orschrif- 
ten  bestimmen,  daß  das  Verschieben  dermitTieren 
beladenen  Wagen  auf  das  dringendste  Bedürfnis 
zu  beschränken  und  stets  mit  besonderer  Vor- 
sicht vorzunehmen  ist;  insbesondere  ist  heftiges 
Anstoßen  dabei  zu  vermeiden.  Dieselben  Vor- 
schriften sind  auch  für  die  Schweizer  Bahnen 
gegeben;  ähnliche  Vorschriften  bestehen  auch 
in  Österreich. 

d)  Begleiter.  Auf  den  deutschen  Bahnen 
wird  Großvieh  in  Wagenladungen  nur  in  Be- 
gleitung angenommen;  für  je  3  zu  einer  Sen- 
dung gehörige  Wagen  muß  mindestens  ein 
Begleiter  gestellt  werden.  Bei  Aufgabe  von 
Kleinvieh  in  Wagenladungen  sowie  von  ein- 
zelnen Stücken  Groß-  und  Kleinvieh  kann  von 
der  Beigabe  eines  Begleiters  nach  dem  Ermessen 
der  Versandstation  abgesehen  werden. 

Zu  jeder  Sendung  und,  wenn  eine  Sendung 
aus  mehr  als  einer  Wagenladung  besteht,  zu 
jedem  Wagen  wird  ein  Begleiter  zugelassen. 
Diese  Begleiter  haben  ein  Fahrgeld  von  2  Pf. 
f.  d.  'XzxWkm  zu  zahlen,  wenn  sie  im  Vieh- 
wagen, im  Packwagen  oder  in  der  nied- 
rigsten Klasse  des  Zuges  fahren,  sonst  das 
Fahrgeld  der  benutzten  Klasse.  Ober  diese 
Zahl  hinaus  werden  Begleiter  zur  Fahrt  in  den 
Güter-,  Eilgüter-  und  X'iehzügen  zugelassen, 
soweit  Platz  vorhanden  ist.  Diese  Begleiter 
haben,  wenn  sie  im  Viehwagen  oder  im  Pack- 
wagen fahren,  ein  Fahrgeld  von  2  Pf.  f.  d. 
Tarif/^OT,  wenn  Personenwagen  gestellt  werden, 
das  Fahrgeld  der  benutzten  Klasse  zu  zahlen. 
Jedem  Begleiter  ist  gestattet,  einen  Hund  im 
Viehwagen  unentgeltlich  mitzunehmen.  Bei 
Fahrten  zur  Nachtzeit  müssen  die  Beglei- 
ter mit  gut  brennenden  Laternen  ver- 
sehen sein. 


In  Österreich-Ungarn  werden  lebende 
Tiere,  mit  Ausnahme  von  kleinen  Tieren  in 
Käfigen,  zur  Beförderung  in  der  Regel  nur 
angenommen,  wenn  für  jede  Sendung  min- 
destens ein  Begleiter  beigegeben  wird;  für 
mehrere  in  einem  Wagen  nach  derselben  Be- 
stimmungsstation verladene  Sendungen  gerügt 
ein  Begleiter  für  den  Inhalt  des  ganzen  Wagens. 
Falls  die  Sendung  aus  mehreren  Wagenladungen 
besteht,  soll  bei  Großvieh  für  je  3  Wagen 
mindestens  ein  Begleiter  gestellt  werden;  bei 
Kleinvieh  genügt  ein  Begleiter  für  jede  Sendung 
ohne  Rücksicht  auf  die  Zahl  der  Wagenladungen. 

Bei  Sendungen  von  Pferden,  die  zur  Be- 
förderung mit  Personenzügen  aufgegeben 
werden,  wird  von  der  Beigabe  einer  Begleitung 
überhaupt  nicht  abgesehen.  Bestehen  die  Sen- 
dungen aus  mehreren  Wagenladungen,  so  kann 
auch  für  jeden  Wagen  ein  Begleiter  verlangt 
werden. 

Wird  die  genügende  .Anzahl  von  Begleitern 
oder  überhaupt  Begleitung  nicht  beigegeben, 
so  kann  die  Bahn  vom  Absender  die  Aus- 
stellung einer  entsprechenden  Erklärung  ver- 
langen, und  übernimmt  die  Bahn  in  keinem 
Fall  die  Haftung  für  den  Schaden,  für  den 
sie  im  Fall  der  Begleitung  nicht  aufzukommen 
gehabt  hätte. 

Was  die  Fahrbegünstigungen  für  Tier- 
begleiter in  Österreich  betrifft,  so  gelten  hier- 
über bei  den  einzelnen  Bahnen  besondere 
Bestimmungen.  Zumeist  wird  bei  Hornvieh- 
sendungen die  freie  Rückfahrt  für  die  Vieh- 
begleiter (auf  3  Wagen  je  ein  Begleiter)  ge- 
währt, jedoch  besteht  die  Absicht,  bezüglich 
der  Viehbegleiter  einen  einheitlichen  Vorgang 
für  alle  Bahnen  einzuführen,  bzw.  die  ge- 
bührenfreie Abfertigung  der  Begleiter  nur  bei 
Kleinviehbeförderungen  zuzulassen,  die  freie 
Rückfahrt  aber  ausnahmslos  aufzuheben. 

In  Belgien  sollen  den  Sendungen  von 
Pferden  und  anderen  Tieren  Begleiter  bei- 
gegeben werden;  andernfalls  trägt  der  Ab- 
sender die  Folgen,  die  durch  den  Mangel 
der  Begleitung  hervorgerufen  werden. 

Für  jede  Sendung  oder  Wagenladung  wird 
ein  Begleiter  unter  der  Voraussetzung,  daß  er 
in  demselben  Wagen  wie  die  Tiere  Platz  findet, 
frei  befördert. 

In  den  Niederlanden  ist  die  Eisenbahn 
Begleitung  zu  fordern  berechtigt.  Bei  Kleinvieh, 
insbesondere  Geflügel  in  Käfigen,  bedarf  es 
der  Begleitung  nicht. 

Für  jede  volle  Wagenladung  wird  die  un- 
entgeltliche Beförderung  eines  Begleiters,  der 
nach  Bestimmung  des  Stationsvorstands  im 
Viehwagen  oder  einem  Wagen  III.  Klasse  Platz 
zu  nehmen  hat,  zugestanden. 


Tierbeförderung. 


325 


Begleiter  von  Pferden  in  Stallwagen  werden 
nur  in  letzteren  frei  befördert.  Erfolgt  die  Be- 
förderung ohne  Begleiter,  dann  muß  der  Fracht- 
brief „Bahn  restante"  lauten,  und  ist  der  Ab- 
sender verpflichtet,  dem  Adressaten  Kenntnis 
von  der  Absendung  zu  geben,  um  diesen  in 
den  Stand  zu  setzen,  die  Sendung  gleich  nach 
der  Ankunft  abzunehmen. 

Auf  den  schweizerischen  Eisenbahnen 
soll  jede  Sendung  zum  Zweck  der  Beaufsichti- 
gung, Wartung  und  Fütterung  der  Tiere  während 
der  Fahrt  in  der  Regel  von  einem  Führer 
begleitet  werden,  der  seinen  Platz  in  dem 
Wagen  zu  nehmen  hat,  in  dem  die  Be- 
förderung der  Tiere  erfolgt;  wenn  der  Auf- 
enthalt im  Viehwagen  unmöglich  sein  sollte, 
so  ist  dem  Begleiter  ein  Platz  in  einem  Per- 
sonenwagen III.  Klasse  oder  im  Gepäckwagen 
bzw.  in  einem  gedeckten  Güterwagen  anzu- 
weisen. Soweit  die  Bahn  auf  die  Begleitung 
der  Sendung  verzichtet  hat,  haben  ihre  Or- 
gane die  den  Umständen  angemessene  Wartung 
und  Fütterung  der  Tiere  zu  besorgen,  und 
ist  die  Verwaltung  berechtigt,  die  daraus  er- 
wachsenen Kosten  nachzunehmen.  Die  Beglei- 
tung von  Zuchtstieren,  Hengsten  und  bösarti- 
gen Tieren  ist  vorgeschrieben.  Sie  wird  aus- 
nahmsweise im  Verkehr  der  normalspurigen 
Bahnen  unter  sich,  u.  zw.  auch  hier  nur 
dann  erlassen,  wenn  der  Versender  die  Ver- 
wendung eines  eigenen  Wagens  verlangt  und 
dafür  die  im  Tarif  festgesetzte  Zuschlagstaxe 
bezahlt.  Sofern  der  Begleiter  Sendungen  dieser 
Art,  die  ohne  Zuschlagstaxe,  d.  h.  ohne 
besonderen  Wagen  abgefertigt  worden  sind, 
vor  vollendeter  Beförderung  verläßt,  kann  die 
Eisenbahn  die  Umladung  der  betreffenden  Tiere 
selbst  oder  der  allfällig  beigeladenen  anderen 
Tiere  anordnen  und  die  tarifmäßige  Gebühr  für 
die  Aus  und  Einladung,  sowie  die  Zuschlags- 
taxe ab  derjenigen  Station,  ab  der  die  Be- 
gleitung fehlt,  vom  Empfänger  der  betreffenden 
Sendung  erheben.  Auch  hat  der  Eigentümer 
der  Tiere  für  alle  Folgen  aufzukommen,  die 
aus  der  Nichtbegleitung  entstehen  können.  Be- 
steht eine  Sendung  aus  einer  oder  mehreren 
Wagenladungen,  so  hat  für  jede  Wagenladung 
ein  Begleiter  Anspruch  auf  freie  Fahrt.  Bei 
Sendungen,  die  nicht  eine  ganze  Wagen- 
ladung ausmachen,  hat  er  Anspruch  auf  Be- 
förderung zur  halben  Personentaxe  III.  Klasse, 
bei  Beförderung  von  Kleinvieh  (Kälber, 
Schweine,  Schafe,  Ziegen)  jedoch  nur,  wenn  die 
Sendung  mindestens  5  Stück  umfaßt. 

In  Frankreich  ist  keine  Begleitungs- 
pflicht. Begleiter  von  Eilgutsendungen  haben 
in  den  Personenwagen  Platz  zu  nehmen  und 
den    Fahrpreis    der   Wagenklasse    zu    zahlen. 


die  sie  einnehmen.  Begleiter  von  Fracht- 
gutsendungen erhalten  fast  auf  allen  Bahnen 
für  sich  und  mitgenommene  Hunde  einen 
Freifahrtschein  III.  Klasse  für  Hin-  und  Rück- 
fahrt. Für  jeden  Wagen  wird  ein  Freischein, 
für  jede  Sendung  werden  höchstens  2  Frei- 
scheine gewährt.  Die  Begleiter  sind  berechtigt, 
den  Tieren  vorauszufahren  und  sie  auf  den 
Bahnhöfen  zu  erwarten,  auf  denen  sie  sie  ver- 
pflegen wollen. 

In  Italien  kann  die  Verwaltung  verlangen, 
daß  der  Viehsendung  Begleitung  beigegeben 
werde.  Die  Begleiter  haben  bei  der  Fahrt  in 
Vieh-  und  Stallwagen  den  halben  Preis  der 
111.  Klasse  zu  bezahlen.  Bei  Beförderung  in 
Personenwagen  ist  der  volle  Preis  zu  bezahlen. 

In  Rußland  wird  Vieh  nur  mit  Begleitern 
befördert,  u.  zw.  wird  für  jeden  Wagen  höch- 
stens ein  Begleiter  zugelassen,  während  für  je 
8  Wagen  Großvieh  und  ebenso  für  je  6  Wagen 
Kleinvieh  mindestens  ein  Begleiter  vorhanden 
sein  muß.  Wird  das  Vieh  nach  Stückzahl  be- 
fördert, so  ist  jeder  einzelnen  Sendung  ein  Be- 
gleiter beizugeben.  Die  Begleiter  sind  in  einem 
Wagen  III.  oder  IV.  Klasse  unterzubringen, 
wenn  sich  ein  solcher  im  Zug  befindet;  andern- 
falls ist  ihnen  ein  Platz  im  Dienstabteil  anzu- 
weisen. Die  Beförderung  von  lebendem  Ge- 
flügel und  Kleinvieh  in  Kisten,  Käfigen  und 
Körben  ist  auch  ohne  Begleitung  zulässig.  Für 
die  Beförderung  der  Begleiter  wird  eine  Gebühr 
nach  einem  besonderen  Tarif  erhoben. 

II.  Sonst  ige  Beförderungsvorschriften. 

1.  Art  der  Abfertigung.  In  Deutsch- 
land wird  Kleinvieh  (einschließlich  Hunde)  in 
Käfigen,  Kisten,  Säcken  u.  dgl.  oder  wilde 
Tiere  in  Käfigen  nach  Wahl  der  Versender  auf 
Gepäckschein  (Beförderungsschein)  oder  auf 
Frachtbrief  abgefertigt;  im  ersteren  Fall  er- 
folgt die  Abfertigung  durch  die  Gepäckabferti- 
gungsstellen. Alle  übrigen  Sendungen  werden 
nur  auf  Grund  von  Frachtbriefen,  u.  zw.  bei 
den  Eilgut-  oder  Güterabfertigungsstellen  ab- 
gefertigt. 

In  Österreich-Ungarn  werden,  abgesehen 
von  kleinen  Tieren  in  Behältern,  die  auf 
Gepäckschein  befördert  werden  können,  dann 
von  Hunden,  die  gegen  Beförderungsscheine 
(Hundekarten)  aufgegeben  werden,  lebende  Tiere 
nur  auf  Grund  von  Frachtbriefen  als  Eil-  oder 
Frachtgut  zur  Beförderung  angenommen. 

In  der  Schweiz  erfolgt  die  Abfertigung 
der  Tiere  als  Eil-  oder  Frachtgut.  Dem  Ab- 
sender wird  von  der  Aufgabeexpedition  ein 
Beförderungsschein  ausgestellt,  der  bei  Emp- 
fangnahme der  Tiere  auf  der  Bestimmungs- 
station zurückzugeben  ist. 


326 


Tierbeförderung. 


Die  Aufgabe  erfolgt  in  der  Regel  bei  den 
Gepäcksabfertigungen. 

In  den  Niederlanden  erfolgt  die  Beför- 
derung der  Tiere  gegen  Frachtbrief  oder  Be- 
förderungsschein. 

Kleine  Tiere,  Hunde  und  Vögel,  die  in 
geschlossenen  Kisten,  Käfigen  u.  dgl.  zur  Auf- 
gabe gebracht  werden  und  keine  Wagenladung 
bilden,  können  als  Bestellgut  gegen  Bezahlung 
der  Fracht  vom  doppelten  Gewicht  angenommen 
werden. 

In  Belgien  werden  Tiere  auf  Frachtbrief 
in  grande  oder  petite  vitesse  befördert,  u.  zw. 
als  grande  vitesse  nur  Pferde,  Esel,  Maulesel, 
unter  der  Voraussetzung,  daß  die  zu  durch- 
fahrende Strecke  wenigstens  75  km  beträgt  oder 
die  Aufgabs-  und  Bestimmungsstationen  der 
Sendung  zugleich  Anfangs-  und  Endstation  des 
Zuges  sind. 

Kleine  Tiere  in  Behältern  können  auch 
nach  dem  Tarif  II:  „Service  accelere"  befördert 
werden. 

In  Frankreich  werden  Pferde  und  Groß- 
vieh nur  in  und  nach  Stationen  angenommen, 
die  Laderampen  besitzen.  Hunde  in  oder 
ohne  Begleitung  von  Reisenden  werden  nur 
als  Eilgut,  andere  Tiere  als  Eilgut  oder 
Frachtgut  angenommen.  Die  Abfertigung  ge- 
schieht auf  Grund  einer  Versanderklärung 
(declaration  d'expedition),  die  im  wesentlichen 
die  gleichen  Angaben  enthält  wie  ein  Frachtbrief. 

In  Italien  erfolgt  die  Beförderung  von 
Vieh  entweder  in  beschleunigter  Beförderung 
(ä  piccola  velocitä  accelerata)  gegen  Beförde- 
rungsschein (nota  di  spedizione)  oder  als  Fracht- 
gut auf  Frachtbrief. 

In  Rußland  werden  lebende  Tiere  nur  auf 
Frachtbrief  angenommen. 

Ebenso  können  nach  dem  lÜ.  lebende  Tiere 
nur  auf  Frachtbrief  aufgegeben  werden. 

2.  Vorherige  Anmeldung  und  Wagen- 
bestellung. Diesbezüglich  gelten  in  Deutsch- 
land und  Österreich  sowie  im  Vereins- 
verkehr zunächst  die  Vorschriften  des  §  44 
des  BR.  und  der  Verkehrsordnung,  (s.  auch 
Zusatzbestimmung  S  zu  §  43  des  VBR.)  Darnach 
sind  die  Tiere  rechtzeitig,  einzelne  Stücke  min- 
destens 1  Stunde  vor  Abgang  des  Zuges  auf 
den  Bahnhof  zu  bringen. 

Die  Bestellung  von  Wagen  hat  in  Deutsch- 
land in  der  Regel  schriftlich  bei  der  Aufgabs- 
station zu  erfolgen  und  ist  hierbei  die  Anzahl 
und  Gattung  der  Wagen,  die  Bestimmungs- 
station u.  s.  w.  anzugeben. 

In  den  Niederlanden  müssen  Wagen  für 
Viehbeförderung  24  Stunden  vorher  bestellt 
werden.  Bei  Bestellung  ist  auf  Verlangen 
ein  Angeld   von    5  K   zu    erlegen,    das   nicht 


zurückgegeben  wird,  wenn  der  Wagen  nicht 
am  bestellten  Tag  benutzt  wird. 

Die  Tiere  müssen  2  Stunden  vor  dem  Ab- 
gang des  Zuges  auf  die  Station  gebracht  werden ; 
wenn  der  Zug  des  Nachts  oder  vor  7  Uhr  früh 
verkehrt,  müssen  die  Tiere  am  Abend  vorher 
zur  Beförderung  angemeldet  werden. 

In  der  Schweiz  hat  die  Anmeldung  der 
Tiersendungen  mit  Ausnahme  der  Hunde  in 
den  Zwischenstationen  mindestens  einen  Tag 
voraus,  in  den  Hauptstationen  für  einzelne 
Stücke  und  einzelne  Wagenladungen  mindestens 

2  Stunden  vor  Abgang  des  betreffenden  Zuges, 
für  2  oder  mehrere  Wagenladungen  ebenfalls 
einen  Tag  vorher  zu  erfolgen. 

Die  Zufuhr  hat  bei  Pferden  i  Stunde,  bei 
den  übrigen  Tieren  2  Stunden  vor  Abgang 
des  betreffenden  Zuges  zu  erfolgen. 

In  Belgien  müssen  Viehsendungen  min- 
destens 48  Stunden  vorher  angemeldet  werden. 

Handelt  es  sich  um  mehr  als  5  Wagen,  so 
verdoppelt  sich  die  Anmeldefrist. 

Die  Tiere  müssen  mindestens  1  Stunde  vor 
der  Abfahrt  eingeladen  sein. 

In  Frankreich  sind  die  Versandstationen 
24  Stunden  vorher  von  der  Anzahl  und  Art 
der  in  Wagenladungen  als  Frachtgut  zu  be- 
fördernden Tiere  zu  benachrichtigen.  Bei  Nicht- 
beachtung dieser  Vorschrift  stellt  die  Eisenbahn 
den  Versendern  solche  Wagen,  die  im  Augen- 
blick der  Verladung  gerade  verfügbar  sind.  Die 
Zufuhr  der  Tiere  zum  Bahnhof  hat  wenigstens 

3  Stunden  vor  Abgang  des  Zuges,  mit  dem  die 
Beförderung  ausgeführt  werden  soll,  zu  erfolgen. 

In  Italien  muß  die  Anmeldung  der  Sen- 
dung, falls  Wagen  nicht  vorhanden  sind, 
12  Stunden  vor  der  Aufgabe  erfolgen.  Die  Ver- 
ladung muß  spätestens  1  Stunde  vor  Abgang 
des  Zuges  vollendet  sein. 

In  Rußland  hat  der  Versender  die  Ver- 
sandstation vor  Einreichung  des  Frachtbriefs 
von  jeder  bevorstehenden  Wagenladung  unter 
Mitteilung  der  Stückzahl  des  abzufertigenden 
Viehs,  der  Bestimmungsstation  und  der  ge- 
wünschten Wagen  schriftlich  zu  benachrich- 
tigen und  gleichzeitig  für  jede  Wagenladung 
3  Rubel  als  Kaution  zu  erlegen,  die  verfällt, 
wenn  das  Vieh  nicht  abgesandt  wird.  Vor  der 
Absendung  wird  das  Vieh,  soweit  es  eine 
Wagenladung  bildet,  auf  der  Versandstation 
regelmäßig  tierärztlich  untersucht;  ausnahms- 
weise kann  die  Untersuchung  auch  auf  der 
Empfangsstation  stattfinden,  der  in  diesem 
Falle  die  Sendung  vorgemeldet  wird. 

3.  Zahlung  der  Frachf.  In  Deutsch- 
land   und    Österreich-Ungarn,    sowie    im 

'  Wegen   der  Fahrgebühren  für  Viehbegleiter 
s.  0.  S.  324. 


Tierbeförderung. 


327 


Vereinsverkehr  ist  die  Bahn  (s.  deutsche  Ver- 
kehrsordnung, österreichisch -ungarisches  BR. 
und  VBR.)  berechtigt,  die  Vorauszahlung  der 
Fracht  zu  beanspruchen. 

Nach  den  Zusatzbestimmungen  zu  §  48  der 
Verkehrsordnung  für  die  Eisenbahnen  Deutsch- 
lands ist  bei  den  auf  Beförderungsschein  oder 
Gepäckschein  abgefertigten  Tiersendungen  der 
Fahrpreis  stets  am  Absendeort  zu  erlegen  und 
eine  Nachnahmebelastung  ausgeschlossen.  Bei 
Frachtbriefsendungen  ist  es  dem  Ermessen  der 
Eisenbahnverwaltungen  überlassen,  in  den  ein- 
zelnen Verkehren  unfrankierte  Aufgabe  und 
Nachnahmebelastung  zuzulassen  und  die  Be- 
dingungen, unter  denen  die  Zulassung  ge- 
schieht, festzusetzen. 

In  Österreich-Ungarn  sind  laut  Zusatz- 
bestimmung zu  §  46  des  BR.  die  entfallen- 
den Gebühren  für  Pferde,  Fohlen,  Maultiere, 
Hunde  und  wilde  Tiere  stets  bei  der  Auf- 
gabe zu  entrichten.  Für  sonstige  Tiere  können 
die  Beförderungsgebühren  nach  Wahl  des  Ab- 
senders auch  an  den  Empfänger  zur  Zahlung 
überwiesen  werden. 

In  Frankreich  und  Belgien  ist  es  eben- 
falls dem  Versender  freigestellt,  die  Fracht  im 
vorhinein  zu  bezahlen  oder  die  Sendung  mit 
überwiesenen  Gebühren  aufzugeben. 

In  der  Schweiz,  den  Niederlanden  und 
in  Italien  ist  die  Frachtgebühr  stets  bei  der 
Aufgabe  zu  entrichten.  Der  Taxzuschlag  für 
die  streckenweise  Beförderung  als  Eilgut  kann 
in  der  Schweiz  auf  der  betreffenden  Unterwegs- 
station oder  auf  der  Empfangsstation  bezahlt 
werden. 

In  Rußland  können  Fracht-  und  Neben- 
gebühren auf  Wunsch  des  Versenders  auf  den 
Empfänger  überwiesen  werden;  anderseits  kann 
bei  der  Beförderung  von  Geflügel  und  Klein- 
vieh in  Kisten,  Käfigen  und  Körben  die  Eisen- 
bahn verlangen,  daß  Fracht-  und  Nebengebühren 
im  voraus  bezahlt  werden. 

4.  iVlitnahme  von  Futter  und  Gepäck 
durch  die  Begleiter.  Bei  den  deutschen 
Bahnen  wird  das  während  der  Eisenbahn- 
fahrt zur  Fütterung  der  Tiere  erforderliche 
Futter,  das  etwaige  Geschirr  der  Tiere  sowie 
das  übliche  Handgepäck  der  Viehbegleiter  un- 
entgeltlich im  Viehwagen  mitbefördert.  Sonstiges 
Gepäck  oder  Güterstücke  dürfen  in  den  mit 
Vieh  beladenen  Wagen  nicht  mitgeführt  werden, 
sind  vielmehr  ordnungsmäßig  aufzugeben. 

Bei  den  österreichisch- ungarischen 
Eisenbahnen  dürfen  Futtervorräte,  die  dem 
Verbrauch  während  der  Fahrt  entsprechen, 
begleiteten  Sendungen  beigegeben  werden. 

Das  Reisegepäck  der  Viehbegleiter  unterliegt 
der  allgemeinen  Bestimmung. 


In  der  Schweiz  wird  das  während  der 
Eisenbahnfahrt  zum  Unterhalt  der  Tiere  erforder- 
liche Futter  bis  zum  Gewicht  von  50  ^o' für  den 
Wagen  sowie  das  Handgepäck  der  Viehbegleiter 
unentgeltlich  im  Viehwagen  mitgenommen.  Die 
Begleiter  der  Tiersendungen,  denen  die  Füt- 
terung der  Tiere  übertragen  ist,  haben  dafür 
zu  sorgen,  daß  das  Futter  in  ihrem  Bereich 
verbleibt  und  nicht  verdorben  wird.  Der 
Aufenthalt  auf  den  Plattformen  der  Wagen 
ist  nicht  gestattet.  Treibhunde,  die  zu  Vieh- 
sendungen in  ganzen  Wagenladungen  ge- 
hören, werden  taxfrei  befördert.  Es  wird  aber 
nur  ein  Treibhund  auf  die  Wagenladung 
angenommen. 

In  Italien  ist  für  jedes  zur  Beförderung 
aufgegebene  Pferd  unentgeltliche  Beförderung 
des  Geschirrs,  der  Geräte  und  des  für  die 
Reise  nötigen  Futters  im  Höchstausmaß  von 
40  kg  (hierunter  höchstens  lO^o- Futter)  für  das 
Pferd  zugestanden,  unter  der  Bedingung,  daß 
diese  Gegenstände  ohne  die  Ausnutzung  des 
Wagens  hinsichtlich  der  Anzahl  der  Tiere  zu 
hindern,  im  selben  Wagen  mitverladen  werden 
können. 

Der  Begleiter  ist  zur  unentgeltlichen  Mit- 
nahme des  eigenen  Gepäcks,  soweit  dieses  nicht 
die  für  das  Handgepäck  bestimmten  Grenzen 
übersteigt,  berechtigt. 

In  Belgien  können  Streu-  und  Futtervor- 
räte auf  Kosten  der  Versender  im  Viehwagen 
untergebracht  werden. 

In  Rußland  darf  das  zur  Fütterung  der 
Tiere  bestimmte  Körnerfutter,  Gras,  Heu  und 
Stroh,  in  einem  für  die  einzelnen  Viehsorten 
verschieden  bemessenen  Umfang  kostenlos 
mitgeführt  werden. 

5.  Abnahme  der  Tiere,  Ablieferungs- 
hindernisse. Nach  den  in  Deutschland 
und  Österreich  geltenden  reglementarischen 
Bestimmungen  werden  Tiere  bei  der  Ankunft 
an  dem  Bestimmungsort  gegen  Rückgabe  des 
Beförderungsscheins  oder  nach  Aushändigung 
des  Frachtbriefs  an  den  Empfänger  gegen 
dessen  Bescheinigung  ausgeliefert.  Das  der 
Partei  obliegende  Ausladen  und  Abtreiben  muß 
spätestens  2  Stunden  nach  der  Bereitstellung 
und  dem  Ablauf  der  zur  etwaigen  zoll-  oder 
steueramtlichen  Abfertigung  erforderlichen  Zeit 
erfolgen.  Nach  Ablauf  dieser  ist  die  Eisen- 
bahn berechtigt,  die  Tiere  auf  Gefahr  und 
Kosten  des  Absenders  in  Verpflegung  zu  geben, 
oder  falls  sie  deren  ferneren  Aufenthalt  auf 
dem  Bahnhof  gestattet,  ein  im  Tarif  festzu- 
setzendes Standgeld  zu  erheben. 

Das  Transportreglement  für  die  schwei- 
zerischen Eisenbahnen  bestimmt,  daß  das 
Ausladen    dem    Empfänger    obliegt.    Verlangt 


328 


Tierbeförderung. 


er,  daß  die  Ausladung  durch  die  Bahn  ge- 
schehen soll,  vcelchem  Verlangen  die  Bahn- 
verwaltungen nachzukommen  nicht  verpflichtet 
sind,  so  werden  die  im  Tarif  vorgesehenen 
Gebühren  eingehoben.  Ebenso  auch  dann,  wenn 
die  Entladung  wegen  Abwesenheit  des  Emp- 
fängers oder  Begleiters  durch  das  Bahn- 
personal  erfolgt.  Nimmt  die  Bahn  die  Aus- 
ladung vor,  so  haftet  sie  nicht  für  Verlust  und 
Beschädigung  infolge  Entspringens,  Fallens, 
Stoßens  und  ähnlicher  Ursachen. 

Das  Ausladen  und  Abnehmen  des  Viehs 
hat  längstens  1  Stunde  nach  Ankunft  zu  ge- 
schehen, widrigenfalls  es,  soweit  nicht  Zoll-  oder 
sanitätspolizeiliche  Vorschriften  entgegenstehen, 
auf  Gefahr  des  Empfängers  ausgeladen  und 
in  Pflege  gegeben  wird. 

Im  andern  Fall  ist  unter  Beobachtung  der 
obigen  Bestimmungen  nach  den  Weisungen 
der  Zoll-  oder  Sanitätspolizeiorgane  vorzugehen. 

Nach  8  Uhr  abends  kann  die  Ausladung 
und  Unterbringung  auch  vor  Ablauf  einer 
Stunde  vorgenommen  werden. 

Zur  Aufbewahrung  von  Hunden,  die  nach 
der  Ankunft  nicht  sofort  abgeholt  werden,  ist 
die  Bahnverwaltung  nicht  verpflichtet. 

In  Frankreich  hat  die  Entladung  auf  Ver- 
anlassung und  unter  der  vollen  Verantwort- 
lichkeit der  Versender,  u.  zw.  sofort  nach  der 
Ankunft  (Bereitstellung)  vor  sich  zu  gehen, 
widrigenfalls  sie  auf  Kosten  und  Gefahr  des 
Verfügungsberechtigten  eisenbahnseitig  ausge- 
laden und  in  Pflege  gegeben  werden. 

Auf  den  italienischen  Bahnen  muß  die 
Ausladung  innerhalb  4  Stunden  nach  Beistellung 
des  Wagens  geschehen  bei  sonstiger  Einstellung 
des  Viehs  auf  Gefahr  und  Kosten  des  Eigen- 
tümers. Die  Entladung  selbst  erfolgt  auf  Ver- 
anlassung und  Gefahr  des  Empfängers. 

Können  Viehsendungen,  die  des  Abends  ein- 
langen, infolge  Zoll-  oder  Sanitätsvorschriften 
oder  aus  anderen  Gründen  nicht  ausgeladen 
und  abgenommen  werden,  so  haben  sie  gegen 
Entrichtung  einer  im  Tarif  festgesetzten  Gebühr 
im  Wagen  zu  verbleiben. 

Für  die  Entladung  und  die  Begleitung  bis 
zum  Ort  der  Einstellung  werden  ebenfalls 
tarifmäßig    bestimmte    Gebühren    eingehoben. 

In  Belgien  sollen  Tiere  2  Stunden  nach 
der  Ankunft  abgeholt  werden.  Nach  dieser 
Frist  werden  sie  entweder  auf  Rechnung  und 
Gefahr  des  Absenders  in  Futter  gegeben  oder 
die  Bahn  behält  sie  gegen  Ersatz  der  auf- 
laufenden Kosten  selbst  in  Kost. 

Ähnliches  gilt  auch  in  den  Niederlanden, 
mit  der  Abänderung,  daß  Pferde,  nicht  wie 
die  übrigen  Tiere,  erst  nach  2,  sondern  bereits 
nach  1  Stunde  ausgeladen  und  abgeführt  werden 


müssen.  Hunde  sind  längstens  ^'2  Stunde  nach 
ihrer  Ankunft  abzuholen  ;  über  diese  Zeit  sind 
die  Eisenbahnen  zu  ihrer  Verwahrung  nicht 
verpflichtet. 

In  Rußland  muß  die  Entladung  innerhalb 
12  Stunden  vor  sich  gehen,  jedoch  darf  Groß- 
vieh nicht  vor  erfolgter  tierärztlicher  Beschau 
abgetrieben  werden.  Nach  diesem  Zeitraum 
wird  das  Vieh  unter  Aufstellung  eines  Protokolls 
der  Ortspolizei  zur  weiteren  Verpflegung  und 
Veranlassung  übergeben. 

6.  Lieferfristen.  In  Deutschland  dürfen 
die  Lieferfristen  folgende  Höchstfristen  nicht 
überschreiten:  bei  einer  Entfernung  bis  zu 
150  lanikm  1  Tag,  bei  größeren  Entfern- 
ungen für  weitere  angefangene  je  300  TsLuikm 
1  weiteren  Tag.  Der  Lauf  der  Lieferfrist  ruht 
für  die  Dauer  des  Aufenthalts  auf  den  Tränk- 
stationen und  für  die  Dauer  der  ärztlichen 
Viehbeschau. 

In  Belgien  geschieht  die  Beförderung  mit 
jenen  gemischten  oder  Güterzügen,  die  zum 
mindesten  1  Stunde  nach  der  Auflieferung 
zur  Beförderung  abgehen  und  von  der  Ver- 
waltung hierzu  bestimmt  worden  sind.  Die 
Ablieferung  in  der  Bestimmungsstation  hat  mit 
dem  gleichen  oder  aber  mit  dem  nächsten 
Anschlußzug  zu  erfolgen.  Kann  die  Beför- 
derung zum  Bestimmungsort  nicht  mit  dem 
gleichen  Zug  vor  sich  gehen,  mit  dem 
die  Viehsendung  von  der  Aufgabsstation  ab- 
rollte, so  wird  sie,  wenn  es  die  Regelmäßig- 
keit des  Dienstes  erheischt,  im  Lauf  auf- 
gehalten und  selbst  im  Fall  des  Zusammen- 
treffens mit  dem  früheren,  doch  erst  mit  dem 
darauffolgenden  Anschlußzug  befördert. 

In  Italien  werden  berechnet  für  je  an- 
gefangene 225  km  24  Stunden,  für  jeden  Über- 
gang von  Bahn  zu  Bahn  8,  und  für  jeden 
Übergang  über  eine  Strecke  mit  Neigungen  über 
20<"oo  6  Stunden. 

In  Rußland  ist  für  Großxieh  eine  Trans- 
portfrist von  24  Stunden  für  je  250  Werst 
nebst  einer  Sstündigen  Manipulationsfrist  für 
jede  Übergangsstation  bestimmt.  Bei  Klein- 
vieh werden  für  je  200  Werst  24  Stunden, 
für  die  Abbeförderung  ebenfalls  24  Stunden 
und  für  jeden  Übergang  von  Bahn  zu  Bahn 
8  Stunden  gerechnet. 

In  Amerika  (Leyen,  Amerikanische  Eisen- 
bahnen, S.  260)  ist  die  Zusicherung  des  Ein- 
haltens  bestimmter  Lieferfristen  verboten. 

Was  die  Haftung  für  Versäumnis  der  Liefer- 
frist betrifft,  so  gelten  hierfür  sowohl  in  den 
einzelnen  Staaten  als  auch  nach  dem  inter- 
nationalen Übereinkommen  über  den  Eisen- 
bahnfrachtverkehr dieselben  Bestimmungen  wie 
für  Güter  überhaupt. 


Tierbeförderung.  ~  Tiertarife. 


329 


7.  Haftung  für  Verlust  und  Beschä- 
digung. In  Österreich,  Deutschland,  der 
Schweiz,  Belgien,  Italien,  Rußland  und 
nach  dem  lÜ.  richtet  sich  die  Haftung  nach 
den  Bestimmungen  über  die  Beförderung  von 
Gütern  (s.  Frachtrecht),  jedoch  haftet  die  Eisen- 
bahn nicht  für  den  Schaden,  der  aus  der 
mit  der  Beförderung  lebender  Tiere  verbundenen 
besonderen  Gefahr  entstanden  ist,  sowie  für 
den  Schaden,  dessen  Abwendung  durch  die 
Begleitung  bezweckt  wird,  u.  zw.  wird  bis  zum 
Nachweis  des  Gegenteils  vermutet,  daß  der 
Schaden  aus  der  betreffenden  Gefahr  wirklich 
entstanden    ist. 

Tritt  Ersatzpflicht  ein,  so  ist  der  Wert  der 
zu  gründe  gegangenen  Tiere  bzw.  bei  Be- 
schädigung der  Minderwert  zu  ersetzen.  Bei 
Deklaration  des  Interesses  ist  auch  der  über- 
steigende Schaden  zu  ersetzen. 

In  den  Niederlanden  gelten  ebenfalls  die 
vorstehenden  Haftungsbeschränkungen  bei  Ver- 
lust eines  Tieres.  Mangels  einer  Wertversicherung 
werden  die  folgenden  Beträge  als  Höchst- 
entschädigungssätze gezahlt:  300  fl.  für  ein 
Pferd,  125  fl.  für  einen  Mastochsen,  12  fl.  für 
ein  Kalb,  90  fl.  für  jedes  andere  Stück  Groß- 
vieh, 36  fl.  für  ein  Mastschwein,  15  fl.  für  ein 
mageres  Schwein,  4  fl.  für  ein  Spanferkel,  7  fl. 
für  ein  Schaf  oder  eine  Ziege,  4  fl.  für  einen 
Hund,  endlich  36  fl.  für  100  kg  sonstiger  Tiere. 

Ist  Wertangabe  erfolgt,  so  ist  neben  dem 
tarifmäßigen  Beförderungspreis  ein  Zuschlag 
zu  bezahlen,  der  lo/gg  der  ganzen  deklarierten 
Summe  für  jede  angefangenen  150  km  der 
ganzen  Strecke  und  mindestens  20  Ct.  beträgt. 

In  Frankreich  ist  die  Haftung  auf  5000  Fr. 
f.  d.  Stück  beschränkt,  wenn  im  Aufgabe- 
schein nicht  ein  höherer  Wert  deklariert  ist. 
Im  allgemeinen  besteht  in  Frankreich  bei 
Verlust  oder  Beschädigung  gegen  die  Bahn- 
gesellschaften die  Vermutung  des  Verschuldens 
ebenso  wie  bei  anderen  Waren. 

In  England  bestimmt  die  Railway  and 
Canal  Traffic  Act  vom  10.  Juli  1854,  daß  die 
Bahnen  für  den  Verlust  von  Pferden  und  Vieh 
während  der  Beförderung  nicht  über  gewisse 
Beträge  (bei  Pferden  z.  B.  nicht  über  50  Pfund 
Sterling  f.  d.  Stück)  haften  sollen,  ausgenommen 
es  würde  eine  angemessene  Versicherungs- 
prämie dafür  gezahlt. 

Aber  auch  diese  enthebt  den  Eigentümer 
der  Sendung  nicht  vom  Nachweis  der  Höhe 
seines  Schadens.  Weiters  bestimmt  obiges  Ge- 
setz, daß  die  Eisenbahnen  bei  Vieh-  und  Pferde- 
sendungen für  Schäden,  die  durch  Nach- 
lässigkeit ihrer  Organe  entstehen,  zu  haften 
haben,  und  Bedingungen,  die  diese  Haftpflicht 
ausschließen,  nichtig  seien,  wobei  Bedingungen, 


die  das  Gesetz  für  gerecht  und  angemessen 
findet,  nicht  eingeschlossen  sein  sollen. 

In  Amerika  lehnen  die  Bahnen  jede  Haf- 
tung, insbesondere  für  Ersticken  des  Viehs  oder 
für  Beschädigungen,  die  die  Tiere  einander 
zufügen,  ab. 

8.  Beförderung  wilder  Tiere  (Mena- 
gerien). Diesbezüglich  bestimmt  §  44  der 
deutschen  Verkehrsordnung  und  des  öster- 
reichisch-ungarischen BR.,  daß  die  Eisen- 
bahn zur  Beförderung  wilder  Tiere  nur  bei 
Beachtung  der  im  Interesse  der  Sicherheit  vor- 
zuschreibenden Bedingungen  verpflichtet  ist. 
Die  Bedingungen  bezwecken  die  Sicherstellung 
einer  solchen  Verpackung  oder  Verladung,  daß 
die  Gefahr  einer  Beschädigung  von  Personen, 
Tieren  oder  Gütern  ausgeschlossen  ist. 

Ähnliche  Bestimmungen  gelten  auch  in 
anderen  Staaten.  In  der  Schweiz  finden  auf 
die  Beförderung  wilder  Tiere  —  wenn  solcher 
übernommen  wird,  wozu  die  Bahnverwaltungen 
nicht  verpflichtet  sind  —  die  Bestimmungen  des 
„Reglements  und  Tarifs  für  die  Beförderung 
von  im  Tarif  für  lebende  Tiere  nicht  benannten 
—  auch  wilden  Tiere  —  sowie  von  ganzen 
Menagerien  auf  den  schweizerischen  Bahnen" 
Anwendung,  bzw.  ist  eine  besondere  Verstän- 
digung mit   der   Bahnverwaltung   erforderlich. 

In  Belgien  werden  wilde  Tiere  nur  in 
festen,  gut  verschlossenen  Kisten  zur  Beförde- 
rung angenommen,  und  behält  sich  die  Ver- 
waltung ebenfalls  das  Recht  vor,  die  Beför- 
derung zurückzuweisen. 

In  Italien  werden  wilde  Tiere  nur  in  festen 
Eisenkäfigen  übernommen ;  sie  müssen  von 
den  Eigentümern  oder  Aufsehern  begleitet  sein 
und  muß  auf  der  Abgangsstation  der  Erlaubnis- 
schein der  Sicherheitsbehörde  beigebracht  wer- 
den. Die  Beförderung  geschieht  auf  Gefahr 
des  Versenders,  u.  zw.  mit  Güterzügen,  aus- 
nahmsweise mit  gemischten  Zügen,  falls  auf 
einer  Linie  keine  Güterzüge  verkehren.  Der 
Versender  hat  Seile,  Ketten  und  was  sonst  zur 
Befestigung  der  die  wilden  Tiere  enthaltenden 
Käfige  oder  Fuhrwerke  nötig  ist,  beizustellen. 

Tiertarife  regeln  die  Beförderungspreise 
und  Beförderungsbedingungen  für  lebendeTiere. 
Als  Tiere  gelten  im  allgemeinen  Pferde,  auch 
Ponies,  Großvieh  (Rindvieh,  Maultiere,  Esel, 
Fohlen  u.  dgl.),  Kleinvieh  (Schweine,  Kälber, 
Schafe,  Ziegen,  Hunde,  Gänse  u.  s.  w.).  Tari- 
farisch gehören  Tiere  zu  den  niedrig  tarifieren- 
den  Beförderungsgegenständen,  denn  die  Tier- 
frachten entsprechen  z.  B.  in  Deutschland  un- 
gefähr den  Sätzen  des  Spezialtarifs  III  und  des 
Rohstofftarifs,  sind  also  im  Verhältnis  zum  Wert 
des  Gutes  sehr  gering.  Ihre  durchschnittliche 
Höhe  wird    noch  wesentlich    heruntergedrückt 


330 


Tiertarife. 


durch  die  zahlreichen  Ermäßigungen  für  Zucht- 
tiere und  Weidetiere  und  die  frachtfreie  Rück- 
beförderung der  Tiere  von  Ausstellungen,  die 
stets  zugleich  als  iVlärkte  dienen.    Demgegen- 
über sind  die  Selbstkosten  der  Eisenbahn  in- 
folge der  raschen  Beförderung  hoch.  Für  die 
Berechnung   der  Tierfrachten    können  die  ge- 
läufigen Grundsätze  der  Gütertarife  nicht  An- 
wendung finden,   vielmehr   wird    in    den  ein- 
zelnen   Ländern    ganz    verschieden    verfahren 
und   ein   im   wesentlichen    einheitliches   Tarif- 
system ist  nicht  vorhanden.  Deutschland,  Däne- 
mark,   Frankreich   und    die  Niederlande  legen 
der  Frachtberechnung  die  Ladefläche  des  be- 
nutzten Wagens  zu  gründe,  Österreich-Ungarn 
daneben    beim    Zuchtvieh    die   Stückzahl    der 
benutzen  Wagen    und  Ungarn  z.  T.  das  Ge- 
wicht der  Tiere;  Belgien,  Norwegen,  Schweden 
gehen  von  der  Stückzahl   der  Tiere  aus.    Die 
Schweiz   und  Rumänien    lassen    die  Stückzahl 
der  benutzten  Wagen  entscheiden,  ebenso  Ruß- 
land bei  Pferden,  während  es  im  übrigen  die 
Fracht  nach  der  Stückzahl  der  Tiere  berechnet; 
England    legt   bei  Pferden    die  Stückzahl,   bei 
Groß-  und  Kleinvieh  die  Länge  des  benutzten 
Wagens,  Italien  das  Ladegewicht  des  benutzten 
Wagens  und  die  Vereinigten  Staaten  das  Ge- 
wicht der  Tiere  der  Frachtberechnung  zu  gründe. 
Jedes   dieser    Tarifsysteme   hat   seine   Vorzüge 
und  seine  Nachteile;    seine  praktische  Durch- 
führbarkeit hängt  vielfach  von  Handelsgewohn- 
heiten und  Rücksichten  auf  die  Landwirtschaft 
ab.  Die  Mängel,    die   den  einzelnen  Systemen 
anhaften,    sind    wohl    erkannt,    indes   eine  all- 
gemein befriedigende,  den  Interessen  der  Ver- 
sender,    Empfänger    und    der    Eisenbahn    in 
gleichem  Maße  gerecht  werdende    Lösung   ist 
trotz  vielfacher  Versuche  bisher  nicht  gefunden. 
1.  Bei  der  Frachtberechnung  nach  dem  Ge- 
wicht ist  zu  unterscheiden,  ob  ihr  das  wirk- 
liche   Gewicht    oder    ein    Normalgewicht    zu 
gründe  gelegt  werden  soll. 

1.  Die  Frachtberechnung  nach  dem  wirk- 
lichen Gewicht  sichert  eine  gleichmäßige 
Behandlung  der  Verfrachter,  fördert  die  Inter- 
essen an  der  Gestellung  großer  Wagen  und 
vermeidet  den  Anreiz  zum  Zusammendrängen 
der  Tiere;  sie  setzt  voraus,  daß  ein  Handel 
nach  Gewicht  besteht,  was  nicht  überall  der 
Fall  ist;  ferner,  daß  geeignete  Wägevorrich- 
tungen auf  allen  Stationen  vorhanden  sind.  Sie 
führt  aber  zur  Verlangsamung  der  Beförde- 
rungen, sowohl  bei  Einzeltieren,  die  sich  häufig 
nicht  ohne  Widerstand  zur  Wage  führen  lassen, 
als  auch  bei  ganzen  Wagenladungen,  für  deren 
Verbringung  nach  und  von  der  Gleiswage  nicht 
immer  Verschiebeniaschinen  zur  Verfügung 
stehen   werden;    Zugverspätungen,    Anschluß- 


versäumnisse, Verschlechterung  des  Wagen- 
umlaufs, Nachteile  für  die  Tiere  selbst  sind 
die  unausbleiblichen  Folgen.  Zur  Verminde- 
rung des  Gewichts  werden  die  Tiere  ohne 
vorherige  Fütterung  und  Tränkung  verladen 
und  das  Fleisch  wird  schließlich  infolge  der 
ungleichen  Fleischausbeute  auch  ungleichmäßig 
mit  Fracht  belastet.  Eine  gerechte  Durchführung 
des  Gewichtssystems  nach  Lebendgewicht  wird 
wegen  der  Sperrigkeit  der  Tiere  die  Fläche 
bei  der  der  Station  obliegenden  Auswahl  des 
Wagens  nicht  außer  Betracht  lassen  dürfen, 
da  es  auch  erforderlich  sein  wird,  eine  be- 
stimmte Höchstzahl  der  in  einen  Wagen  zu 
verladenden  Stücke  festzusetzen,  um  Fracht- 
ungleichheiten und  Bevorzugungen  vorzu- 
beugen, die  sich  aus  der  Verladung  einer 
größeren  Stückzahl  in  Wagen  mit  besonders 
großem  Laderaum  ergeben. 

2.  Das  Normalgewichtssystem  vermei- 
det die  Nachteile  des  Lebendgewichtsystems 
und  besitzt  dessen  Vorteile,  wenn  die  Normal- 
gewichte verschiedener  Tierarten  so  niedrig 
gegriffen  werden,  daß  sich  hiernach  fast  regel- 
mäßig die  billigsten  Frachten  ergeben.  Dieses 
System  ist  in  Österreich  neben  der  Frachtbe- 
rechnung nach  der  Ladefläche  fakultativ  zu- 
gelassen. Gegen  die  Feststellung  solcher  Nor- 
malgewichte kann  eingewendet  werden,  daß 
für  Gebiete,  die  nach  ihrer  geschichtlichen  Ent- 
wicklung volkswirtschaftlich  nicht  zu  eng  ver- 
knüpft, räumlich  weit  ausgedehnt,  landwirt- 
schaftlich anders  geartet  sind,  die  Festsetzung 
verschiedener  Normalgewichte  notwendig  sein 
wird.  Dieses  erschwert  oder  macht  die  Her- 
stellung direkter  Tarife  so  gut  wie  unmöglich. 
Das  Interesse  der  Verfrachter  an  der  Gestellung 
großer  Wagen  führt  leicht  zu  dem  Nachteil 
ungünstiger  Wagenausnutzung.  Auch  wird 
Magervieh  für  dasselbe  Gewicht  frachtpflichtig 
wie  Schlachtvieh,  was  volkswirtschaftlich  nicht 
gerechtfertigt  ist. 

II.  Bei  der  Frachtberechnung  nachderStück- 
zah!  kann  eine  Normalstückfracht  oder  eine 
Staffelung  der  Stücksätze  in  Frage  kommen. 
Die  erstere  Berechnungsart  bezweckt  die  Be- 
rechnung der  Fracht  nur  nach  der  Stückzahl 
der  verladenen  Tiere.  Inhaltlich  gibt  sie  hier- 
mit alle  Vorteile  des  Wagenraumsystems  auf, 
das  Interesse  der  Versender  an  der  Gestellung 
und  Ausnutzung  ganzer  Wagen  geht  verloren, 
ein  erhöhter  Wagenbedarf  ist  die  unausbleib- 
liche Folge.  Sie  erfordert  auch  eine  Tierklassifi- 
kation, ohne  die  Sicherheit  einer  in  allen  Fällen 
gleichen  und  gerechten  Frachtbelastung  zu 
bieten. 

Eine  Staffelung  der  Stücksätze  hat  zur  Vor- 
aussetzung,   daß   die   auf   den   m-   entfallende 


Tiertarife.  -   Töchterhorte. 


331 


Zahl  der  einzelnen  Tiere  annähernd  gleich  ist 
und  daß  die  als  Norm  festzusetzenden  Durch- 
schnittsziffern den  tatsächlichen  Verhältnissen 
im  einzelnen  Fall  nicht  wesentlich  widersprechen. 
Das  ist  aber  nach  allen  Erfahrungen  auf  diesem 
Gebiet  nicht  der  Fall. 

III.  Die  Frachtberechnung  nach  der  Lade- 
fläche des  benutzten  Wagens  kommt  dem 
im  Gütertarif  aufgestellten  Grundsatz  hinsicht- 
lich der  nach    dem  Ladegewicht   tarifierenden 
Güter  am  nächsten;   bestmögliche  Wagenaus- 
nutzung und  deshalb  Verringerung  des  Wagen- 
bedarfs und    der  Beförderungskosten  sind  die 
anerkannten  Vorzüge  dieses  Systems,  das  kaum 
zu    ernsteren     Beanstandungen    Veranlassung 
geben  würde,  wenn  der  Wagenpark  der  Eisen- 
bahnen   aus   Wagen    mit    einer    einheitlichen 
Ladefläche   bestände.  Das  trifft  aber  nicht  zu. 
Deswegen    bewegen    sich    die    Klagen    gegen 
dieses  System  vornehmlich  in  folgender  Rich- 
tung:  es  sei   ungerecht,   weil  es  Zahlung  für 
eine   nicht   gewünschte  Leistung  verlange;    es 
behandle  die  Versender  ungleichmäßig,  indem 
dem  einen  der  verlangte  Wagen  gestellt  würde, 
dem  andern  nicht;  die  Frachtberechnung  nach 
der  Ladefläche  sei  auch  wirtschaftlich  verfehlt, 
weil  sie  die  verschiedenen  Tierarten  nicht  im 
gleichen   Verhältnis   zu  ihrem    Wert    belastet. 
Hierzu    ist  zu   bemerken,    daß    die  Frachtver- 
teuerung, die  für  kleinere  Sendungen  durch  den 
Übergang    zu    größeren    Wagen    eintritt,    ein 
Vorgang  ist,  mit  dem  die  Interessenten  wenig- 
stens   bei    niedrig     tarifierten     Beförderungs- 
gegenständen sich  abfinden  müssen,  wenn  an- 
ders   nicht    die    wirtschaftlichen    Vorteile    der 
Vergrößerung  der  Wagen  verloren  gehen  sollen. 
In  dieser  Hinsicht  liegt  die  Sache  beim  Über- 
gang zu  größeren  Ladeflächen  im  Tierverkehr 
genau   so   wie    beim    Übergang   zu   größeren 
Ladegewichten    im    Güterverkehr.     Die    Ver- 
größerung  des    Laderaums   und  Ladegewichts 
in  Verbindung  mit  den  Tarifvorschriften  über 
die   Berechnung   der   Fracht   nach   Ladefläche 
oder  Ladegewicht  ermöglicht   allein  eine  gute 
Ausnutzung    der  Wagen    und  damit  die  mög- 
lichste Verbüligung    der    aus  der   Vorhaltung 
der  Wagen  entstehenden  Kosten  und  der  Be- 
förderungskosten.   Für    den    Güterverkehr    ist 
auch  infolgedessen  die  Beschaffung  der  Wagen 
mit    niedrigem    Ladegewicht    im    allgemeinen 
aufgegeben. 

Es  hat  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  im  Rahmen 
dieses  Systems  Unterarten  zu  schaffen,  die 
die  Härten  ausgleichen  und  die  Mängel  be- 
heben sollen;  indessen  auch  diesen  ist  der 
praktische  Erfolg  versagt  geblieben. 

Über  die  Einzelheiten  der  T.  s.  Gütertarife. 

Grunow. 


Tilgung  s.  Anleihen. 
Töchterhorte.   Der  Eisenbahn-Töchterhort 
der    vereinigten    preußischen    und    hessischen 
Staatseisenbahnen  und  der  Reichseisenbahnen 
ist  eine  im  Jahre  1902  errichtete  Stiftung  mit 
dem  Sitz   in  Berlin,   deren  Zweck  es    ist,   un- 
verheirateten   Töchtern    verstorbener   Beamten 
und    Arbeiter    dieser    Eisenbahnverwaltungen 
im  Fall  der  Hilfsbedürftigkeit  und  Würdigkeit, 
insbesondere  zur  Ausbildung  und   Förderung 
ihrer  Erwerbsfähigkeit  Beihilfen  zu  gewähren. 
Ihr  Bestreben  ist  es,  den  gesetzlichen  Fürsorge- 
einrichtungen  des  Staates  und  den  Hilfsfonds 
der  Eisenbahnverwaltung  helfend  zur  Seite  zu 
treten.  Vorübergehende  Notlagen  sucht  sie  durch 
einmalige  Geldunterstützungen   zu    beseitigen, 
bei  dauernder  Bedürftigkeit  durch  fortlaufende 
Zuwendungen    zu    helfen.    Schwächliche    oder 
kränkliche    Kinder    sendet    sie  in   Bäder   und 
Ferienkolonien.  Vor  allen  Dingen  aber  greift  sie 
da  ein,  wo  es  den  Waisen  an  der  nötigen  Er- 
ziehung im  Elternhaus  und  an  der  Möglichkeit 
zur  Ausbildung  für  einen  Beruf  fehlt.  Auch  will 
sie  Waisen,  die  alleinstehend  im  Alter  keinen 
eigenen  Herd   besitzen,   Unterkunft  gewähren. 
Die  Organe  der  Stiftung  sind  ein  Hauptausschuß 
in  Berlin  und  23  Bezirksausschüsse,  je  einer  für  die 
Direktionsbezirke  und  das  Zentralamt  der  preußisch- 
hessischen  Staatseisenbahnen  und  für  die  Reichseisen- 
bahnen in  Elsaß-Lothringen.  Zur  Unterstützung  der 
Bezirksausschüsse   sind   Vertrauensmäinier   an   allen 
Orten,  wo  Eisenbahner  Dienst  tun,  und  nach  Bedarf 
Ortsausschüsse  eingerichtet.  An  der  Spitze  steht  ein 
Aufsichtsrat.  Sämtliche  Verwaltungsämter,  in  denen 
höhere,    mittlere   und   untere   Beamte,   Hilfsbeamte, 
Handwerker   und    Arbeiter   vertreten    sind,    werden 
unentgeltlich    wahrgenommen,    wie    überhaupt    die 
Verwahungskosten    auf   das   geringste    Maß    herab- 
gemindert sind. 

Die  Stiftung  besitzt  ein  eigenes  Töchterheim,  das 
Christianenheim  in  Erfurt.  Dieses  Heim  kann  in 
112  Wohn- und  Schlafräumen  239  Waisen  aufnehmen. 
Entsprechend  seiner  Zweckbestimmung  ist  das  Heim 
in  3  Abteilungen,  das  Kinderheim,  das  Zöglingsheim 
und  das  Pfleglingsheim  eingeteilt,  in  dem  Kinderheim 
werden  die  zur  Waisenpflege  aufgenommenen  Waisen- 
kinder im  Alter  von  5 -1d  Jahren  untergebracht.  Das 
Zöglingsheim  beherbergt  die  zur  vorübergehenden 
Aufnahme  zwecks  Ausbildung  für  einen  Beruf  be- 
stimmten Zöglinge.  Das  Pfleghngsheim  dient  der 
dauernden  Versorgung  erwerbsunfähiger  oder  erwerbs- 
beschränkter Waisen.  Die  Räume  sind  so  angeordnet, 
daß  die  Waisenkinder,  Zöghnge  und  Pfleglinge 
möglichst  getrennt  wohnen,  schlafen  und  essen.  Für 
jeden  Pflegling  ist  ein  Wohn-  und  Schlafzimmer 
vorhanden,  während  die  Kinder  und  Zöglinge  in 
mehreren  Schlafsälen  und  mehreren  Wohnzimmern 
zu  etwa  5  Personen  untergebracht  sind.  Zur  all- 
gemeinen Benutzung  dienen  Speisezimmer,  Bade- 
einrichtung, Bücherei  und  Musikzimmer  sowie  Turn- 
und  Spielräume.  Die  Verwaltung  desChristianenheims 
ist  dahin  geregelt,  daß  unter  der  Leitung  des  Haupt- 
ausschusses und  der  ständigen  Mitwirkung  des 
Bezirksausschusses  in  Erfurt  der  gesamte  Verwaltungs- 
körper der  Stiftung  daran  teilnimmt.  Daneben  ist  ein 
Erziehungsbeirat  mit  dem  Sitz  in  Erfurt  eingerichtet, 


332 


Töchterhorte.  -  Togo. 


der  sich  aus  Männern  und  Frauen  beider  christlicher 
Konfessionen  zusammensetzt. 

Zwecks  Erziehung  von  Waisentöchtern  zur  prak- 
tischen Arbeit  in  der  Haus-,  Feld-  und  Garten- 
wirtschaft, zur  Ausbildung  geeigneter  Bewerberinnen 
zu  ländlichen  Dienstboten  sowie  zur  Versorgung  des 
Christianenheimsmit  Lebensmitteln  besitzt  die  Stiftung 
eine  eigene  Meierei,  den  „Aschenhof", dernichtfern  von 
Erfurt  inmitten  des  Thüringer  Waldes  liegt. 

Von  den  Gesamtaufwendungen  der  Stiftung 
entfallen  auf  Töchter  von  Unterbeamten  und 
Arbeitern  etwa  67%  der  Unterstützungsfälle 
und  etwa  56  %  der  Ausgaben,  Wcährend  der 
Anteil  dieser  Kreise  an  den  Einnahmen  nur 
annähernd  50%    beträgt. 

Die  bedeutendste  Einnahmsquelle  ist  die 
regelmäßige  Sammlung  unter  den  Beamten  und 
Arbeitern  der  Staats-  und  Reichseisenbahnver- 
waltung. Auf  diesem  Weg  ist  der  Grundstock 
gesammelt  und  auf  gleichem  Weg  sind  durch 
laufende  und  einmalige  Beträge  sehr  erheb- 
liche Summen  beschafft.  Wertvolle  Unterstüt- 
zung leisten  die  bei  den  Staats-  und  Reichs- 
eisenbahnen bestehenden  allgemeinen  Eisen- 
bahnvereine sowie  die  Fachvereine  der  Beamten. 
Von  besonderen  Einnahmen  verdienen  hervor- 
gehoben zu  werden:  der  Reinertrag  eines  vom 
Vorsitzenden  des  Aufsichtsrats  Ministerialdirektor 
Hoff  verfaßten  Werkchens  „Eisenbahn-Töchter- 
hort" und  das  Ergebnisdes  Vertriebs  eines  Kriegs- 
andenkens. Bis  Ende  1917  sind  überö  Mill.  M.  ein- 
gekommen, von  denen  über  2  Mill.M.  für  Zwecke 
der  Stiftung  verausgabt  sind.  Hausmann. 

Tößtalbahn  (Schweiz).  Sie  verdankt  ihre 
Entstehung  der  Anregung  und  dem  Opfer- 
sinn der  fast  ausschließlich  auf  die  Industrie 
angewiesenen  Gemeinden  des  Tößtals  und  der 
als  Ausgangspunkt  der  Linie  mitinteressierten 
Stadt  Winterthur. 

Ursprünglich  Teil  einer  von  Waldshut  nach 
dem  oberen  Zürichsee  geplanten  Transitlinie, 
wurde  schließlich  das  Stück  von  Winterthur  bis 
Bauma  als  selbständige  Unternehmung  ver- 
wirklicht. Als  1870-  1875  der  Bau  einer  Ver- 
bindungslinie von  Rappersweil  nach  Pfäffikon 
begonnen  und  auch  von  Rüti  gegen  Wald 
eine  Bahnlinie  hergestellt  wurde,  gaben  die 
Interessenten  der  zwischen  Bauma  imd  Wald 
gelegenen  Ortschaften  die  Anregung  zur  Er- 
stellung des  zweiten  Teiles  der  T.,  des  kurzen 
Zwischenstücks  Bauma-Wald,  und  es  gelang 
mit  Aufbietung  aller  Kräfte  von  Gemeinden  und 
Privaten,  die  nötigen  Mittel  zu  beschaffen. 

So  konnte  1874  auch  mit  dem  Bau  dieser 
Strecke  begonnen  werden,  während  die  Linie 
Winterthur-Bauma  schon  1872  in  Angriff 
genommen  worden  war.  Die  Teilstrecke  Winter- 
thur-Bauma wurde  1875,  die  ganze  Strecke 
1876  eröffnet. 


Die  T.  verläßt  den  Bahnhof  Winterthur  in 
östlicher  Richtung,  läuft  mit  den  nach  Konstanz, 
Romanshorn  und  St. Gallen  ausgehenden  Linien 
auf  etwa  2  km  parallel  und  erreicht  bei  km  2-5 
ihre  erste  eigene  Station  Grüze. 

Von  hier  zieht  sich  die  Linie  in  südöstlicher 
Richtung  gegen  das  Dorf  Seen  und  erreicht 
bei  Sennhof  das  eigentliche  Tößtal.  Bei  der 
Ortschaft  Steg  verläßt  sie  das  Tößtal,  um  sich 
wieder  in  südlicher  Richtung  gegen  Wald, 
ihre  Endstation,  hinzuziehen. 

Die  Betriebslänge  ist  40  km,  die  Höchststeigung 
30%o,  der  kleinste  Bogenhalbmesser  215  m. 
Die  gesamten  Baukosten  haben  Ende  1915 
8,422.010  Fr.,  auf  1  km  214.990  Fr.  betragen. 
Die  Gesamteinnahmen  erreichten  im  |ahre  1913 
629.836  Fr.,  auf  1  km  15.746  Fr.,  die  Gesamt- 
ausgaben 551.543  Fr.,  auf  1  km  13.789  Fr. 
Mit  dem  Bundesrat  wurde  am  29.  Septem- 
ber/12. Oktober  1917  ein  Vertrag  betreffend 
Verstaatlichung  zum  Preis  von  2'/2  Mill.  Fr. 
und  Entschädigung  der  vorhandenen  Vorräte 
und  Ersatzstücke  abgeschlossen.  Die  stände- 
rätliche  Kommission  für  den  freihändigen 
Rückkauf  der  T.  und  der  Wald -Rüti -Bahn 
beschloß  einstimmig  das  Eintreten  auf  die 
Vorlage.  Mit  1.  Oktober  1918  ist  die  T.  in  den 
Besitz  der  S.  B.  B.  übergangen.  Dietler. 

Toggenburger  Bahn  (Schweiz),  jetzt  Linie 
der  Schweizer  Bundesbahnen,  zweigt  auf  der 
Station  Wyl  vom  Netz  der  Bundesbahnen  ab. 
Sie  ist  eine  unter  schwierigen  Verhältnissen 
durch  einsichtig  geleitete  und  beharrlich  fort- 
gesetzte Anstrengungen  der  beteiligten  Be- 
völkerung ins  Leben  gerufene  Unternehmung. 
Ihre  Begründung  geht  in  das  Jahr  1856  zurück, 
in  welchem  Jahr  die  Linie  St.  Gallen-Wyi  zur 
Eröffnung  kam.  Infolgedessen  faßte  in  Walwyl 
eine  Anzahl  von  Männern  den  Entschluß,  die 
nötigen  Schritte  zur  Herstellung  der  T.  einzu- 
leiten. Diese  Beschlußfassung  wurde  durch  eine 
Aktienbeteiligung  des  Kantons  St.  Gallen  in  der 
Höhe  von  2Y,  Mill.  Fr.  und  die  Zeichnung  des 
restlichen  Kapitals  von  1  Yj  Mi"-  Fr.  seitens  der 
Gemeinden  und   Privaten    ermöglicht. 

Die  T.  wurde  am  24.  Juni  1870  dem  Betrieb 
übergeben.  Durch  Vertrag  vom  7.  Oktober  1901 
ging  die  T.  in  das  Eigentum  der  Vereinigten 
Schweizer  Bahnen  und  mit  diesen  am  30.  Juni 
1902  gegen  Anrechnung  des  Vertragswertes 
von  2^'^  Mill.  Fr.  in  dasjenige  des  Bundes  über. 
Literatur:  Schweizer,  Das  Werden  der  Toggen- 
burger Bahn.  St.  Gallen  1870.  Dietler. 

Togo.  Das  deutsche  Schutzgebiet  T., 
87.200  km'^  mit  rd.  1  Mill.  Einwohnern,  ist 
wegen  seiner  begrenzten  Küstenausdehnung  und 
seiner  Lage  zwischen  2  fremden  Nachbarländern 
bei    geringer    Breite    —    durchschnittlich   etwa 


Togo. 


333 


\75  km  -  und  großer  Ausdehnung  in  das 
Hinterland  -  560  km  —  geographisch  sehr 
ungünstig  zugeschnitten.  Dabei  ist  es  aber,  mit 
einer  Bevölkerung  von  11-45  (Bezirk  Anecho 
sogar  44)  Seelen  auf  1  km~,  das  am  dichtesten 
bevölkerte  der  deutschen  afrikanischen  Schutz- 
gebiete und  bietet  wegen  seines  offenen  Ge- 
ländes für  den  Eisenbahnbau  günstige  Vorbe- 
dingungen. Die  friedliebende,  fleißige  Bevöl- 
kerung hat  sich  als  besonders  willig  und  be- 
fähigt zu  den  Eisenbahnarbeiten  erwiesen,  so 
daß  die  Arbeiterfrage  keine  Schwierigkeiten 
machte. 

Die  Erschließung  des  Schutzgebiets  durch 
eine  bis  an  die  Nordgrenze  vordringende 
Stammbahn  bleibt  eine  Aufgabe  der  Zu- 
kunft. Es  gelang  noch  nicht,  die  Bahn  zu 
finanzieren. 

l.Die  erste  Eisenbahn  war  die  Küstenbahn 
von  Lome  nach  Anecho.  Zur  Verbesserung 
des  durch  die  schwere  Brandung  gefährdeten 
Landungsbetriebs  in  Lome  wurde  1S9S  der 
Bau  einer  eisernen  Landungsbrücke  und  der 
Plan  einer  Bahn  von  Lome  nach  Anecho  ins 
Auge  gefaßt;  dadurch  gewann  man  die  Mög- 
lichkeit, die  Reede  von  Anecho  zu  sperren 
und  den  Zollverkehr  des  Schutzgebiets  in  Lome 
zu  vereinigen.  Nachdem  der  Brückenbau  im 
März  1904  vollendet  war,  wurde  der  Bahnbau 
der  Aktiengesellschaft  Augsburg- Nürnberg 
übertragen.  Die  Mittel  von  1,1 20.000  M.  wurden 
etatsmäßig  bewilligt.  Die  Spurweite  wurde  auf 
1  m  festgesetzt.  Der  Bahnbau  im  Küstengebiet 
bot  keine  Schwierigkeiten,  Erdarbeiten  und 
Kunstbauten  waren  nur  in  geringem  Umfang 
erforderlich;  die  niedrigen  Baukosten,  rd. 
26.100  M!km,  finden  hierin  ihre  Erklärung. 
Die  wichtigsten  Zwischenstationen  sind  Bagida 
nebst  Vorwerk,  Porto  Seguro  und  Kpeme.  Die 
Bahn  hat  sehr  günstige  Linienverhältnisse, 
größte  Steigung  1:800,  kleinsten  Bogenhalb- 
messer  300  m.  Sie  wurde  in  44  km  Länge  am 
18.  Juli  1905  dem  Verkehr  übergeben,  gleich- 
zeitig die  Reede  von  Anecho  gesperrt.  Die 
Baugesellschaft  m.  b.  H.  Lenz  &  Co.,  Berlin, 
übernahm  den  Betrieb  und  vereinigte  damit 
später  den  Betrieb  der  anderen  Bahnen  des 
Schutzgebiets. 

2.  Die  Inlandbahn  Lome-Palime. 
1902  machte  das  kolonialwirtschaftliche  Komitee 
in  Berlin  die  Vorarbeiten;  der  Bahnbau  wurde 
1904  genehmigt  und  das  Reich  gewährte  dem 
Schutzgebiet  die  Mittel,  7'8  Mill.  M.,  in  Form 
eines  mit  372^«  zu  verzinsenden  Darlehens. 
Der  Bahnbau  in  Meterspur  wurde  der  Firma 
Lenz  &  Co.  übertragen,  September  1904  be- 
gonnen und  1907  vollendet,  die  119  Am  lange 
Bahn  am  27.  Januar  1907  dem  Verkehr  über- 


geben. Stärkste  Steigung  landwärts  1:60, 
küstenwärts  (Ausfuhr)   1:100. 

Die  Bahn  verläßt  Lome  in  nördlicher  Rich- 
tung und  folgt  im  wesentlichen  der  nordwest- 
lichen Richtung  des  Straßenzugs  nach  Palime; 
wichtigste  Zwischenstationen  Noepe,  -ßadja, 
Assahun,  Gadja  und  Agu. 

Südlich  Gadja  umfährt  die  Bahn  das  wert- 
volle Pflanzungsgebiet  des  Agubergs  und  er- 
reicht in  Agu  auf  246/«  Seehöhe  ihren  höchsten 
Punkt.  Der  Betrieb  wurde  am  1.  April  1908 
mit  dem  der  Küstenbahn  und  Landungsbrücke 
in  Lome  auf  12  Jahre  verpachtet.  Die  Züge 
werden  von  Palime  über  Lome  nach  Anecho 
und  umgekehrt  durchgeführt. 

3.  Die  Hinterlandbahn  Lome-Atak- 
pame.  Ihr  Bau  war  in  der  Kolonialbahnvorlage 
von  1908  enthalten.  Die  der  Westgrenze  des 
Schutzgebiets  zustrebende  Bahn  Lome-Palime 
genügt  nicht,  um  dieses  in  seinem  mittleren 
und  nördlichen  Teil  zu  erschließen.  Hier  war 
eine  Bahn  notwendig,  die  die  Mitte  des  Schutz- 
gebiets von  Süd  nach  Nord  durchschneidet, 
das  Rückgrat  des  Verkehrs  bildet  und  seitlich 
anschließende  Straßen  oder  Stichbahnen  als  Zu- 
bringer aufnimmt.  Zunächst  wurden  nur  die 
Mittel  in  Höhe  von  11 -2  Mill.  M.  für  rd.  \65  km 
Baulänge  (68.000  M/km)  bisAtakpame  bewilligt. 
Der  Bau  wurde  derBetriebspächterin  der  Schutz- 
gebietsbahnen übertragen  und  im  allgemeinen 
bis  zum  1.  April  1911,  die  etwas  steilere 
Reststrecke  Agbonu-Atakpame  am  2.  Mai  1913 
vollendet.  Die  Linie  zweigt  bei  km  2'7  von 
der  Bahn  Lome-Palime  ab  und  verläuft  in 
nördlicher  Richtung;  der  Bau  bot  keine  be- 
sonderen Schwierigkeiten.  Da  zahlreiche  von 
Nordwest  nach  Südost  gerichtete  Wasserläufe 
die  Bahnlinie  schneiden,  so  war  eine  Anzahl 
verlorener  Steigungen  und  Gefälle  —  über  etwa 
8  höhere  Rücken  —  nicht  zu  umgehen.  Kleine 
Zwischenstationen  sind  Tsewie,  Agbeluvhoe 
und  Nuatjä. 

Von  Agbonu  steigt  die  Bahn  auf  4'6  km 
bis  zur  Endstation  Atakpame  mit  Steigungen 
bis  zu  1:50  und  Krümmungen  bis  zu  200  m 
Halbmesser  und  endigt  mit  \b7  km  Gesamt- 
länge auf  329  m  Meereshöhe. 

Am  1.  April  1911  wurde  die  Bahn  in  den 
Pachtvertrag  einbezogen  und  der  Mindest- 
pachtzins von  306.500  auf  523.000  M.  jährlich 
erhöht. 

Der  Oberbau  der  Togobahnen  verwendet 
für  einen  Raddruck  von  35  —  4/  eine  Schiene 
von  20  kg  metrischen  Gewichts  und  10  m 
Länge  auf  12,  in  Krümmungen,  deren  Halb- 
messer kleiner  als  300  m  ist,  auf  13  eisernen 
trogförmigen  Querschwellen.  Die  Bahnen 
sind  mit  Fernsprechdoppelleitung  aus  Bronze- 


334 


Togo.   -   Toledo  St.  Louis  and  Western  Railroad  Company. 


draht  ausgerüstet;  zum  Schutz  der  Wegüber- 
gänge sind  Läutetafeln  aufgestellt.  An  Fahr- 
zeugen waren  am  Schluß  des  Rechnungsjahrs 
1913  vorhanden:  16  Lokomotiven,  15  Personen- 


wagen,  5  vereinigte  Post-   und  Gepäckwagen, 
70  bedeckte  und   132  offene  Güterwagen. 

Infolge  des  Weltkriegs  fand  der  Eisenbahn- 
betrieb am  4.  August  1914  sein  Ende. 


i. 


Rechnungsjahr  1913 


Küstenbahn 


Inlandbahn 


Hinterlandbahn 


[  Landungsbrücke  Verkehrsanlagen 
in  Lome  im  ganzen 


Betriebslänge km 

Einnahmen : 

Personenverkehr M. 

Güterverkehr « 

Tierverkehr » 

Sonstige  Quellen ■> 

Qesamteinnahme  .   M. 

Betriebsausgaben „ 

Betriebszahl '/o 

Betriebsüberschuß jM. 

Befördert : 

Personen 

Pkni      

Gütern 

tkm 

ZugÄm     

Anlagekapital      Mill.  M. 

Der  Betriebsüberschuß  verzinst  das 

Anlagekapital  mit  > 


44 

73.370 

22.930 

612 

5.782 


IIQ 

113.383 

250.949 

553 

16.186 


167 

82.018 

263.622 

614 

28.695 


12.266 

280.002 

199 

1.348 


102.714 

78.094 

76 

24.620 


69.977 

2,371.130 

6.906 

292.536 

29.128 

1.150 

2-14 


381,073 

165.419 

43-4 

215.654 


68.004 

3,509.250 

13.261 

952.392 

55.346 

7.190 

30 


374.949 

229.033 

61  1 

145.916 


40.768 
2,429.090 

12.720 
1,158.981 

63.301 

10.350 

1-41 


293.815 

179.019 

60-9 

114.796 


2.957 

32.497 

1.870 
6-15 


1,152.551 

651.565 

56-5 

500.986 


Obwohl  das  Jahr  1913  unter  den  sinkenden 
Preisen  des  Produktionsmarkts  zu  leiden  hatte 
und  ungünstiger  war  als  das  Vorjahr,  so 
ergibt  sich  doch  eine  wenn  auch  niedrige 
Verzinsung  des  Anlagekapitals.  Baltzer. 

Toledo  St.  Louis  and  Western  Railroad 
Company  von  Toledo  (Ohio)  nach  St.  Louis 
(Illinois)  767  km,  Freibrief  des  Staates  Indiana 
vom  5.  Juli  1900. 

Die  Bahn  gewann  erst  größere  Bedeutung 
dadurch,  daß  sie  im  August  1907  die  .Mehr- 
heit der  Aktien  der  am  8.  März  1906  kon- 
zessionierten   Chicago    and    AI  ton- Eisen- 


bahn (1661  km)  erwarb  und  seitdem  die 
Kontrolle  über  diese  Bahn  ausübt.  Eine  Ver- 
schmelzung der  beiden  Bahnen  hat  bisher 
nicht  stattgefunden,  auch  wird  jede  Bahn  formell 
besonders  verwaltet.  Durch  die  Chicago  and 
Alton-Bahn  erhält  die  T.  weitere  Ausdehnung 
nach  dem  Westen  zu  (Chicago,  St.  Louis, 
Kansas  u.  s.  w.). 

Das  Anlagekapital  der  T.  beträgt  je  10  Mill. 
Dollar  in  gewöhnlichen  und  Vorzugsaktien  und 
28,477.000  Dollar  in  Obligationen.  Die  Ver- 
kehrs- und  Finanzverhältnisse  sind  in  der 
folgenden  Tabelle  zusammengestellt: 


1906 
1910 
1911 
1912 
1913 


Beförderte  Personen 


Beförderte  Güter 
t 


Einnahmen 


Ausgaben 


L'berschuß 


Dollar 


672.600 
692.156 
664.497 
623.087 
492.236 


3,041.448 
3,240.531 
3,443.760 
3,186.952 
3,502.205 


4,205.051 
3,772.631 
3,777.677 
3,865.229 
4,335.167 


3,016.026 
2,385.772 
2,608.013 
2,665  858 
2,900.257 


1,189.025 
1,386.874 
1,169.664 
1,199.371 
1,434.910 


Nach  Abzug  der  Zinsen,  Renten,  Steuern 
u.s. w.haben  diejahre  1 906, 1910  und  1913  einen 
geringen  Überschuß  abgeworfen,  während  die 
Jahre  1 9 1 1  und  1 9 1 2  einen  Fehlbetrag  aufweisen. 
Die  gewöhnlichen  Akiien  haben  überhaupt  keine 
Dividende,  die  Vorzugsaktien  eine  solche  von 
4%  nur  in  den  Jahren  1910  und  1911  erhalten. 

Das  Anlagekapital  der  Chicago  and  Alton- 
Eisenbahn    besteht    aus    43,659.300    Dollar 


in  Aktien  und  rd.  90  .Will.  Dollar  in  Obliga- 
tionen. 

Nach  Abzug  von  Renten,  Zinsen,  Steuern 
u.  s.  w.  schließen  die  Jahre  1910-1913  mit 
einem  Fehlbetrag  ab.  Auf  die  Vorzugsaktien 
sind  früher  Dividenden  von  1-4*^  bezahlt. 
Seit  1911  haben  die  Dividendenzahlungen  bei 
den  Vorzugs-  und  den  gewöhnlichen  Aktien 
aufgehört.  v.  der  Leyen. 


Toledo  St.  Louis  and  Western  Railroad  Company.  -  Tränkungsverfahren. 

Verkehr  und   Finanzen. 


335 


!^ 

Beförderte  Personen 

Beförderte  Güter 

Einnatimen 

Ausgaben 

Oberschuß 

/ 

Dollar 

igo6 

3,109.318 

6,812.469 

11,586.095 

7,818.904 

3,767.191 

1910 

3,833.022 

8,511.682 

13,358.475 

8,640.207 

4,718.868 

1911 

3,781.436 

9,484.618 

14,592.519 

10,446.636 

4,145.883 

1912 

3,823.772 

10,123.710 

14,535.722 

10,885.200 

3,650.522 

1913 

3,887.642 

10,678.122 

15,254.865 

12,840.072 

2,414.792 

Tonnenkilometer  s.  Bruttotonnenkilo- 
meter. 

Topfwagen  s.  Kesselwagen. 

Tote  Last  (Tara)  s.  Gütertarife  unter 
111.  Tarifgrundlagen,   1.  Raumsystem. 

Totes  Gewicht,  Eigengewicht  der  Betriebs- 
mittel im  Gegensatz  zu   ihrer  Nutzlast  (s.  d.). 

Tränkungsverfahren  (impregnation,  wood 
preservation,  antiseptic  treatment;  impregnation, 
imbibition,  injection;  conservazione  legno,  inie- 
zione). 

Verfahren,  um  aus  dem  Holz  mittels  Durch- 
tränkung desselben  mit  fäulniswidrigen  Stoffen 
den  Pflanzensaft  zu  entfernen  und  dadurch  die 
Lebensdauer  der  Hölzer  zu  erhöhen. 

Holz  wird  im  Eisenbahnwesen  hauptsächlich 
verwendet  zur  Stützung,  für  Schwellen  und 
Masten,  im  Brückenbau  sowie  zum  Ge- 
rippe und  zur  inneren  Einrichtung  der 
Fahrzeuge. 

Inhaltsübersicht:  A.  T.  für  Eisenbahnhölzer. 
—  B.  Anwendungsgebiete  für  Eisenbahnhölzer;!.  Höl- 
zerne Eisenbahn-Querschwellen,  1.  Verbreitung  in  ver- 
schiedenen Ländern,  2.  Tränkstoffaufnahme,  3.  Liege- 
dauer, 4.  Tränkungskosten ;  II.  Hölzer  für  Stangen 
und  Leitungsmaste,  1.  Rohe  Stangenhölzer,  2.  Fäulnis- 
schutz für  Stangenhölzer;  III.  Hölzer  für  Eisenbahn- 
brücken; IV.  Hölzer  für  Eisenbahnfahrzeuge.  — 
C.  Tränkanstalten  für  Eisenbahnhölzer;  I.  Einrichtung 
und  Betrieb  von  Tränkanstalten;  II.  Ausgeführte 
Tränkanstalten. 

A.  T.  für   Eisenbahnhölzer. 

Sorgfältiges  Trocknen  des  frischen  Holzes 
an  der  Luft  oder  in  besonderen  Trockenan- 
stalten, wodurch  dem  Holz  das  Wasser  entzogen 
wird,  erhöht  seine  Dauer  nur  wenig.  Auch 
läßt  sich  durch  Eintauchen,  Auslaugen, 
Kochen,  Dämpfen,  Dörren  und  andere  Ver- 
fahren, durch  die  ein  Teil  der  zersetzlichen 
Stoffe  beseitigt  wird,  nur  selten  eine  genügende 
Erhaltung  der  Hölzer  erzielen. 

Eintauchen  (Verfahren  von  Kruskopf, 
Ott  und  Guissani).  Man  legt  das  Holz  in 
die  Tränkflüssigkeit  hinein  und  läßt  es  längere 
Zeit  darin  liegen.  Aber  je  nach  der  Beschaffenheit 
des  Holzes  ist  das  Eindringen  der  Tränkflüssig- 
keit in  das  Holz  so  wenig  tief,  daß  nur  durch 
großen  Zeitaufwand  bei  ganz  besonders  hier- 


für geeigneten  Hölzern  der  gewünschte  Erfolg 
erreicht  werden  kann.  Alle  dicht  gewachsenen 
Hölzer  eignen  sich  für  dieses  Verfahren  wenig 
oder  gar  nicht.  Bei  Anwendung  des  Tränkstoffs 
in    erhitztem    Zustand   ist   bei   dem    Eintauch- 
verfahren ein  besseres  Eindringen  der  Flüssig- 
keit in  das  Holz  zu  erreichen;  doch  auch  hier 
wieder  versagen   besonders   dicht  gewachsene 
Hölzer.    Auslaugen    (Wässern    der    Hölzer). 
Hierbei  werden  die  Hölzer  in  fließendes  Wasser 
gelegt  und    1  -  2  Jahre  darin   liegen   gelassen. 
Das  Wasser  laugt  aus   dem  Holz   die  Proto- 
plasma   und    Eiweiß     enthaltenden    Zellsäfte, 
die    die   Nahrung    für    holzzerstörende    Pilze 
bilden  können.  Kochen  nimmt  oft  viele  Jahre 
in    Anspruch,    bis   ein    Beharrungszustand    im 
Holz  eingetreten  ist.  Deshalb  hat  man  versucht, 
diesen  Zustand   durch    Behandeln   des   Holzes 
in  kochendem  Wasser  mit  folgender  künstlicher 
Trocknung  schneller  herbeizuführen.    Bei  Be- 
handlung   von    Eichenholz    erreicht    man    auf 
diese  Weise,  daß  Reißen,  Werfen  und  Schwinden 
des  Holzes  nicht  mehr  auftritt.  Doch  ist  dieses 
Verfahren  nur  im  kleinen  und  bei  wertvollem 
Holz    im  Wagenbau    anwendbar,    da    es    bei 
größeren   Mengen  viel    zu   teuer   wird.    Beim 
Dämpfen   werden   die   Hölzer  in   dicht  ver- 
schlossenen   eisernen   Kesseln    mit  gespannten 
Wasserdämpfen  behandelt  Versuche  der  Preußi- 
schen   Chemischen    Eisenbahn-Versuchsanstalt 
haben    ergeben,    daß    bei    mehrstündiger    Be- 
handlung nicht  zerkleinerten  Holzes  in  Dampf 
von    1V2~2  Atm.  Spannung    höchstens    2% 
der    durch    langes   Auskochen    ausziehbaren 
Stoffe  ausgezogen  werden  können,   und    auch 
das  nicht  gänzlich  ohne  Schädigung  des  Holzes. 
Ein    nennenswertes    Heraustreiben    der    Säfte 
aus  dem  Holz  findet  durch  Dämpfen  also  nicht 
statt.  Dörren  (Vulkanisieren),  das  von  dem 
Amerikaner  Haskin  eingeführt  wurde,  hat  ziemlich 
günstige    Erfolge    gehabt.     Hiernach  wird    das 
Holz  in  einen  schmiedeeisernen  Kessel  gebracht, 
in    dem    sich    Dampfschlangen    zum    Heizen 
befinden.    Nach    Verschluß    des    Kessels   wird 
Luft,    die  auf  300-500°  C  erhitzt  ist,    unter 
einem    Druck    von     10-14  Atm.  eingepreßt, 
worauf   unter   Beibehaltung   des    Druckes   die 
Abkühlung    eintritt.    Durch    den    Druck    wird 


336 


Tränkungsverfahren. 


das  Reißen  des  Holzes  und  das  Verflüchtigen 
der  Holzfeuchtigkeit  verhindert;  durch  die  hohe 
Temperatur  soll  das  Holz  an  Festigkeit  gewinnen. 

T.  ohne  Anwendung  eines  Antisepti- 
kums können  also  nur  geringen  Erfolg  haben, 
weil  einmal  die  im  Holz  vorhandenen  Pilze 
dabei  nicht  abgetötet  werden  und  nach  Ablauf 
einiger  Zeit  wieder  aufleben  können,  und  weil 
ferner  durch  Bildung  von  Rissen  Möglichkeiten 
für  neu  von  außen  entstehende  Pilze  gebildet 
■«■erden.  Alle  diese  Verfahren,  wie  Trocknen, 
Eintauchen,  Auslaugen,  Kochen,  Dämpfen  und 
Dörren  dienen  heute  eigentlich  nur  noch  als 
Vorbereitungsarbeiten  für  die  Tränkung 
der  Hölzer.  Eine  größere  Lebensdauer  erhalten 
diese  erst  dann,  wenn  sie  mit  fäulniswidri- 
gen Stoffen  behandelt  werden,  u.  zw.  müssen 
die  Tränkstoffe  derart  gewählt  sein,  daß  sie 
die  Fäulniserreger  töten,  die  schädlichen  Reste 
der  Saftbestandteile  in  unlösliche  Verbindungen 
überführen  und  mit  dem  Wasser  keine  lös- 
lichen Verbindungen  eingehen.  Zu  diesem 
Zweck  muß  sich  das  Antiseptikum  in  flüssi- 
ger oder  gasförmiger  Form  befinden,  da 
es  in  fester,  unlöslicher  Form  nicht  imstande 
ist,  auf  den  Organismus  der  Bazillen  im  Holz 
einzuwirken. 

Nicht  jedes  Holz  läßt  sich  gleich  gut  durch- 
tränken. Vollkommen  durchtränkungsfähig  ist 
alles  Splintholz  und  das  farblose  Kernholz  der 
Laubhölzer.  Nicht  tränkbar  sind  alle  schon  von 
Natur  aus  mit  einem  Farbstoff  im  Kern  durch- 
tränkten Hölzer,  sowie  Hölzer  mit  Farben- 
fehlern, d.  h.  mit  Abweichungen  von  der  ge- 
wöhnlichen Farbe  des  Splint-  oder  Kernholzes. 
Unvollkommen,  doch  meist  noch  genügend 
durchtränkungsfähig  ist  das  von  Natur  aus 
trockene,  aber  farblose  Kernholz  der  Nadel- 
hölzer, z.  B.  der  Fichten  und  Tannen,  wobei 
das  viele  Vorhandensein  von  Harz  das  Tränken 
erschwert.  Um  diese  Nadelhölzer  für  die 
Tränkung  geeignet  zu  machen,  haben  Halten- 
berger  und  Berdenich  (s.  S.  351)  ein  Ver- 
fahren gefunden,  das  darin  besteht,  daß  man 
die  Hölzer  (Schwellen  oder  Stangen)  vor  der 
Tränkung  mit  Bohrmaschinen  am  Umfang 
punktiert,   d.  h.   mit   feinen    Löchern    versieht. 

Die  ersten  Holztränkungsversuche  mit  anti- 
septischen Stoffen  —  abgesehen  von  dem  bloßen 
Anstreichen  der  Hölzer  mit  geeigneten  Schutz- 
mitteln —  reichen  bis  zum  Anfang  des  18.  Jahr- 
hunderts zurück,  u.  zw.  war  es  besonders  in 
England,  wo  bereits  so  früh  Patente  auf  Mittel 
zur  Tränkung  von  Hölzern  erteilt  wurden. 
So  erhielt  Emerson  1737  ein  Patent  für 
Tränkung  mit  heißem  Öl,  das  mit  giftigen  Stoffen 
gemischt  wurde;  Lewis  1754  für  Behandlung 
des  Holzes  mit  einem  Destillat  aus  Teer ;  J  a  c  k  s o  n 


1768  für  Kochen  des  Holzes  in  einer  Lösung 
kalkhaltiger  Erde  oder  Vitriol.  Seitdem  wurde 
bis  zum  Jahre  1832  eine  große  Zahl  von  Patenten 
erteilt,  welche  die  Holztränkung  betrafen  und 
die  Vorläufer  von  späteren  bewährten  Er- 
findungen waren.  Unter  diesen  verdient  besonders 
ein  in  Oxford  1822  patentiertes  V^erfabren 
Beachtung,  das  als  erstes  die  Anwendung  eines 
aus  Steinkohlenteer  zu  destillierenden  Öles 
umfaßte.  In  das  Jahr  1832  fällt  das  noch  heute 
angewendete  Verfahren  von  Kyan,  das  Tränken 
der  Hölzer  mit  Quecksilbersublimat,  nach  dem 
Erfinder  mit  „Kyanisieren"  bezeichnet.  Margary 
ließ  sich  1837  die  Tränkung  des  Holzes  mit 
Kupfervitriol  und  Burnett  1838  das  Tränken 
mittels  Zinkchlorid  patentieren.  Weniger  bekannt 
ist  das  Verfahren  von  Payne  (1841),  der  das 
Holz  zunächst  mit  einer  Eisenvitriollösung  und 
dann  mit  kohlen-  oder  salzsaurem  Natron  tränkte. 
Zu  erwähnen  wären  noch  die  Verfahren  von 
Mott  aus  dem  Jahre  1836  und  Hall  aus  dem 
jähre  1838,  von  denen  für  die  Holztränkung 
Steinkohlenteeröl  als  wesentlich  bezeichnet 
wurde;  doch  hat  erst  Bethell,  ebenfalls  1839, 
praktisch  dieselbe  Theorie  wie  seine  beiden 
genannten  Vorgänger  genauer  verfolgt,  und 
gilt  er  daher  allgemein  als  Erfinder  der  Tränkung 
des  Holzes  mit  bituminösen  Stoffen,  namentlich 
mit  karbolsäurehaltigem  Teeröl  in  eisernen, 
luftdicht  verschlossenen  Zylindern  unter  starkem 
Druck,  ein  Verfahren,  das  noch  heute  vorwiegend 
zur  Anwendung  kommt.  Bald  darauf,  im  Jahre 
1841,  führte  Boucherie  in  Frankreich  das 
Tränken  des  Holzes  mit  Kupfervitriol  ein. 

Man  unterscheidet  die  verschiedenen  T.  nach 
der  Behandlung  der  Hölzer  beim  Tränken 
und  nach  den  Stoffen,  die  zum  Tränken 
verwendet  werden.  Bezüglich  der  Behandlung 
unterscheidet  man,  ob  die  Hölzer  mit  dem 
Schutzmittel  angestrichen  werden,  ob  die 
Tränkungsstoffe  ohne  äußeren  Druck  nur 
durch  Eintauchen,  mit  geringem  Druck  oder 
mit  Hochdruck  auf  die  Holzflächen  wirken. 
Von  den  vielen,  zum  Tränken  des  Holzes  be- 
nutzten Stoffen  sind  zurzeit  entweder  wässerige 
Metallsalzlösungen  oder  ölige  Flüssig- 
keiten in  Gebrauch.  Von  den  Salzen  sind  von 
größerer  Bedeutung:  Kupfervitriol,  Queck- 
silberchlorid (Sublimat)  und  Zinkchlorid, 
von  den  Ölen  das  Steinkohlenteeröl.  Dem- 
nach ergeben  sich  viererlei  Hauptverfahren  zum 
Tränken  von  Hölzern: 

1.  Tränken  mit  Kupfervitriol,  unter  schwa- 
chem Druck  auf  das  Hirnholz  (Boucherie); 

2.  Tränken  mit  Quecksilberchlorid,  ohne 
Druck  (Kyan); 

3.  Tränken  mit  Zinkchlorid,  unter  Hoch- 
druck gegen  alle  Holzflächen  (Burnett); 


Tränkungsverfahren. 


337 


4.  Tränken  mit  Steinkohlenteeröl,  unter 
Hochdruck  gegen  alle  Holzflächen  (Bethell). 

Durch  Fäulnisversuche  in  besonders  dazu 
angelegten  Fäulniskammern  ist  es  in  den  letzten 
Jahren  geglückt,  den  Wert  dieser  Tränkungs- 
stoffe möglichst  genau  zu  bestimmen.  Abb.  303 
stellt  solch  eine  Fäulniskammer  dar,  wie  sie 
in  Stendal  von  den  Rütgers-Werken  errichtet 
wurde.  Die  Kammer  liegt  in  einem  Keller  mit 
Wänden  und  Fußboden  aus  Beton,  unterhalb 
eines  kleinen  Ziegelsteingebäudes,  das  als 
Museum  und  Laboratorium  benutzt  wird.  Der 
Keller  besteht  aus  4  Räumen;  einer  von 
ihnen  enthält  die  Heizvorrichtung,  ein  anderer 
dient  zur  Züchtung 
verschiedener  Pilz- 
arten, und  die  letz- 
ten     beiden      sind 

Prüfräume.  Die 
Temperatur  in  der 
Fäulniskammer  be- 
trägt    1/-21"  C. 

Für  genügende 
Feuchtigkeit  ist  ge- 
sorgt durch  Öffnun- 
gen in  den  Wänden, 
sowie  durch  einen 
durch  den  Keller 
geleiteten  Wasser- 
strom. Die  holzzer- 
störenden Pilze 
pflanzen     sich     in 

zinkausgelegten 
Kästen    fort.    Will 
man    die    Pilze    zu 

Kulturversuchen 
mit  Holz  als  Nähr- 
boden benutzen,  so 
impft  man  mit  ihnen 
die  zu  prüfenden  Holzstücke.  Man  hat  z.  B. 
durch  solche  Versuche  festgestellt,  daß  unge- 
tränktes  Fichtenholz,  das  mit  Pilzen  infiziert 
wurde,  in  7  —  8,  ungetränktes  Kiefernholz  in 
6—12  Monaten  ganz  zerstört  war.  Auf  diese 
Art  erhält  man  Vergleichsergebnisse  zwischen 
getränktem  und  ungetränktem  Holz  und  zwischen 
den  einzelnen  Tränkungsmitteln. 

Tränken  mit  Kupfervitriol.  Es  beruht 
auf  dem  Vorgang,  durch  den  hydrostatischen 
Druck  der  Tränkflüssigkeit  den  Zellsaft  aus 
dem  Holz  auszupressen  und  an  seine  Stelle 
die  Lösung  zu  bringen,  in  der  das  Kupfer 
den  wirksamen  Bestandteil  darstellt.  Eine  Lösung 
von  1-5  Gewichtsteilen  Kupfervitriol  auf  100  Ge- 
wichtsteile Wasser  wird  verwendet.  Vor  dem 
Tränken  werden  die  frischgefällten  Baumstämme, 
die  noch  in  Rinde  sind  und  ihren  natürlichen 
Saftgehalt  noch  ganz  besitzen,  schräg  gelagert. 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


In  die  senkrechte  Schnittfläche  des  höher  liegen- 
den Stammes  wird  die  Tränkflüssigkeit  unter 
schwachem  Druck  aus  einem  10-  12/«  höher 
stehenden  Gefäß  hineingepreßt.  Der  durch  den 
Tränkungsstoff  verdrängte  Holzsaft  fließt  am 
unieren  Ende  anfangs  allein,  später  mit  der  Tränk- 
flüssigkeit vermengt  ab.  Als  beendet  gilt  die  Trän- 
kung, wenn  die  Ausflußmenge  etwa  -/a  Kupfer- 
vitriol enthält.  Die  Dauer  der  Tränkung  einer 
10  m  langen  Telegraphenstange  aus  Nadelholz 
beträgt  etwa  1 3  Tage.  Aus  Abb.  304  ist  der  eben 
beschriebene  Tränkungsvorgang  ersichtlich. 

Neuerdings  werden  die  Stämme  nicht  mehr 
an   einem  Ende,   sondern   in   der  Mitte  ange- 


Abb.  303.  Fäulnisltamnier  der  Rütgers-Werke. 


bohrt,  so  daß  infolge  des  Druckes  der  Lauge 
auf  den  Baumsaft  der  Saft  und  später  auch 
die  Lauge  an  beiden  Stammenden  austritt. 
Sollen  z.  B.  Schwellen  nach  diesem  Verfahren 
getränkt  werden,  so  muß  die  Tränkung  des 
Holzes  in  rundem  Zustand  vorgenommen 
werden.  Erfolgt  dann  erst,  nach  beendeter 
Tränkung  das  Zuschneiden  der  Schwellen, 
so  zeigt  sich,  daß  die  Lauge  nicht  gleichmäßig 
in  das  Holz  eingedrungen  ist  und  daß  nur 
die  äußeren  Stammteile  gut  von  dem  Kupfer- 
vitriol durchtränkt  sind.  Es  wurde  der  am 
meisten  durchtränkte  äußere  Holzteil  abge- 
schnitten und  der  ungenügend  getränkte  Kern 
bloßgelegt.  Ein  weiterer  Nachteil  ist,  daß  das 
Kupfervitriol  durch  Eisen  und  Kalk  zersetzt 
wird,  weshalb  das  verwendete  Wasser  frei  von 
Kalk  sein  muß.  Ferner  werden  Eisenteile,  wie 
Schienennägel,  Schwellenschrauben,  Unterlags- 

22 


338 


Tränkungsverfahren. 


platten  vom  Kupfervitriol  angegriffen.  Für 
Schwellentränkung  hat  daher  Kupfersulfat  keine 
eigentliche  Bedeutung;  nur  bei  halbrunden 
Schwellen  könnte  es  erfolgreich  verwendet 
werden.    Dagegen    hat  für  Rundhölzer,   z.  B. 


^^ 


Abb.  30-4.  Tränkung  mit  Kupfervitriol. 

Telegraphenstangen,  Kupfervitrioltränkung 
Verbreitung  gefunden. 

Verbesserungen  des  Boucherie-Verfahrens 
sind  die  Verfahren  von  Pfister,  Lebioda  und 
Köpfer.    Sie   benutzen    zur    Druckerzeugung 


Abb.  305.  Tränkung  mit  Kupfervitriol  im  Kessel. 

nicht  die  Flüssigkeitssäule,  sondern  eine  trag- 
bare Pumpe,  mitteis  der  unter  starkem  Druck 
der  Tränkstoff  durch  Rohre  in  die  Baum- 
stämme geleitet  wird.  Die  zu  tränkenden  Hölzer 
werden  hiernach  so  in  den  Kessel  (Abb.  305) 
eingebracht,  daß  an  beiden  Stirnflächen  Glocken 
mit  scharfen  Schneiden  sich  in  die  Hölzer 
eindrücken.  Diese  Glocken  sind  durch  Rohre 
mit  Hohlräumen  in  Boden  und  Decke  des 
Kessels  verbunden.  In  einem  dieser  Hohlräume 
wird  nach  Füllung  des  Kessels  mittels  einer 
Pumpe  weitere  Tränkflüssigkeit  unter  beliebig 


hohem  Druck  eingepreßt,  die  nun  durch  die 
Glocken  in  die  Hölzer  eingedrückt  wird.  Hier- 
durch soll  die  Tränkflüssigkeit  durch  die  Zellen- 
und  Wasserbahnen  des  Holzes  von  einem 
Ende  zum  andern  durchfließen.  Der  Vorteil 
gegenüber  Boucherie  besteht  darin,  daß  die 
Durchtränkung  schneller  erreicht  wird  und 
daß  der  Tränkungsprozeß  im  Wald  unmittelbar 
nach  Fällung  der  Hölzer  vor  sich  gehen  kann, 
sich  somit  die  Beförderung  der  Hölzer  nach 
einer  Tränkungsanstalt  erübrigt. 

Tränken  mit  Quecksilberchlorid  (Sub- 
limat) hat  ebensowenig  wie  das  Kupfervitriol 
für  die  Tränkung  von  Holzschwellen  Bedeutung 
erreicht.  Wenn  auch  von  sämtlichen  für  die 
Holzerhaltung  benutzten  Metallsalzen  das  Sub- 
limat am  stärksten  antiseptisch  wirkt,  so  stehen 
dem  gegenüber  als  Nachteile  seine  Giftigkeit 
und  seine  Eigenschaft,  sich  leicht  zu  verflüch- 
tigen. Auch  greift  es  ebenso  wie  Kupfervitriol 
Eisen  stark  an,  so  daß  das  Tränken  der  Hölzer 
durch  Eintauchen  in  eine  kalte,  in  Zement- 
oder Holztrögen  zubereitete  Sublimatlösung 
erfolgen  muß.  Vorher  fertig  bearbeitete  Nadei- 
holzschwellen  bleiben  8—10  Tage,  Eichenholz- 
schwellen 12—14  Tage  in  diesem  Bad,  bis  die 
Tränkung  beendet  ist.  Hierbei  nimmt  jede 
Schwelle  etwa  0-125^0'  Sublimat,  u.  zw.  bis 
2  mm  unter  der  Oberfläche  auf. 

Im  Trog  müssen  die  Hölzer  durch  Latten 
voneinander  getrennt  werden,  damit  die  Lauge 
sämtliche  Oberflächenteile  berührt;  denn  da 
ohne  Druck  gearbeitet  wird, 
wirkt  die  Lauge  nur  durch  ihr 
Eigengewicht  auf  die  Holzober- 
flächen, und  es  findet  nur  ein 
ganz  oberflächliches  Eindringen 
der  Flüssigkeit  in  das  Splintholz 
statt.  Durch  eine  derartige  Trän- 
kung wird  die  Lebensdauer  der 
Schwellen  nur  wenig  verlängert, 
und  wenn  sieauch  nach  längerem 
Gebrauch  äußerlich  einen  ge- 
sunden Eindruck  machen,  sind 
sie  tatsächlich  doch  im  Innern 
bereits  in  Fäulnis  übergegangen. 
Außerdem  ist  von  Kachteil,  daß  Quecksilber- 
chlorid sehr  teuer  und  in  Mengen  kaum  zu 
beschaffen  ist.  Nur  zum  Tränken  von  Tele- 
graphenmasten wird  es  noch  vereinzelt 
benutzt.  Versuche,  Sublimat  unter  Druck  einzu- 
pressen, sind  erfolglos  gewesen,  da  es  schwierig 
ist,  die  erforderlichen  Apparate  aus  einem 
Stoff  herzustellen,  der  von  der  Flüssigkeit 
nicht  angegriffen  wird. 

Tränken  mit  Zinkchlorid  findet  noch 
zuweilen  bei  Schwellen  Verwendung.  Bei 
einigen  Eisenbahnverwaltungen  (Sachsen,  Öster- 


Tränkungsverfahren. 


339 


reich)  ist  man  gegenüber  früher  jetzt  wieder 
mehr  zur  Tränkung  mit  Zintcchlorici,  aller- 
dings nicht  Chiorzinklauge  allein,  zurück- 
gekehrt, weil  dieses  Verfahren  billiger  ist  als 
alle  bisher  angewendeten  mit  Teeröl.  Eine 
volle  Durchtränkung  der  Schwellen  unter 
starkem  Druck  im  Kessel  läßt  sich  gerade 
noch  vornehmen,  was  bei  Tränkungen  mit 
Kupfervitriol  und  Quecksilberchlorid  nicht 
möglich  ist,  obgleich  auch  durch  Chlorzink 
Eisen  stark  angegriffen  wird.  Es  kommt  also 
hier  das  sog.  Dampfdruck-  oder  pneumatische 
Verfahren  zur  Anwendung,  wo  die  zu  tränken- 
den Hölzer  vor  der  Tränkung  getrocknet  und 
für  den  späteren  Gebrauchszweck  fertig  zu- 
gerichtet sein  müssen  —  im  Gegensatz  zum 
hydrostatischen  Druckverfahren  bei  Boucherie, 
das  frisch  gefälltes  Holz  in  der  Rinde  voraus- 
setzt. 

Tränken  mit  Chlorzinklösung  allein. 
Sie  zerfällt  in  3  Teile:  1.  Dämpfen  des  Holzes, 
2.  Herstellung  der  Luftverdünnung  und  Ein- 
lassen der  Chlorzinklösung,  3.  Anwendung  der 
Druckpumpe.  Das  in  dem  luftdicht  verschlos- 
senen Tränkungskessel  befindliche  Holz  wird 
zunächst  durch  Dampf  erhitzt.  Die  Dauer  des 
Erhitzens  ist  von  Jahreszeit  und  Beschaffen- 
heit des  Holzes  abhängig.  Der  Danipfstrom 
wird  so  geleitet,  daß  der  mit  dem  Tränkungs- 
kessel verbundene  Druckmesser  nach  min- 
destens 30  Min.  eine  Spannung  von  1  ^/j  Atni. 
Überdruck  anzeigt.  Dieser  Dampfspannung 
bleibt  das  Holz  weitere  30  Min.  ausgesetzt. 
Bei  dem  Einlassen  des  Dampfes  wird  die  in 
dem  Kessel  befindliche  Luft  durch  einen  an 
seinem  unteren  Teil  befindlichen  Verschluß 
herausgetrieben,  bis  Dampf  ausströmt.  Dies 
gilt  für  Eichen-  und  Kiefernholz.  Da  Buchen- 
holz größere  Mengen  eines  sehr  leicht  in 
Gärung  übergehenden  Holzsaftes  enthält,  so 
muß  die  Einwirkung  des  Dampfes  so  lange 
fortgesetzt  werden,  bis  der  Holzsaft  im  inner- 
sten Kern  den  Siedepunkt  erreicht  hat.  Des- 
halb wird  Buchenholz  4  Stunden  lang  der 
Dampfeinwirkung  ausgesetzt,  wobei  die  30  Min. 
zur  Herstellung  der  Spannung  von  1  Yj  Atm. 
mit  eingerechnet  werden.  Nach  genügend 
langer  Behandlung  des  Holzes  mit  Dampf 
wird  letzterer  aus  dem  Kessel  abgelassen.  Nach 
Entfernung  des  Dampfes  wird  in  dem  mit 
dem  Holz  gefüllten  Kessel  eine  Luftverdün- 
nung von  mindestens  60  cm  QS.  erzeugt  und 
10  Min.  lang  unterhalten.  Darauf  beginnt  die 
Füllung  des  Tränkkessels  mit  Chlorzinklösung, 
die  vorher  auf  mindestens  65°  C  erhitzt  worden 
ist.  Nach  erfolgter  Füllung  wird  mittels  Pum- 
pen Chlorzinklösung  in  das  Holz  gedrückt 
und    der  Druck    bis    auf    wenigstens    7  Atm. 


Oberdruck  gesteigert.  Zur  Erreichung  mög- 
lichst vollständiger  Sättigung  des  Holzes  soll 
dieser  Druck  bei  Kiefern-  und  Buchenholz 
mindestens  30  Min.,  bei  Eichenholz  60  Min. 
bestehen  bleiben,  worauf  die  Holztränkung 
vollendet  ist  und  die  Chlorzinklösung  abge- 
lassen wird. 

Zinkchlorid  ist  eigentlich  ein  gutes  Holz- 
tränkungsmittel, weil  es  antiseptisch  wirkt, 
wenn  auch  nicht  in  so  hohem  Grad  wie  das 
Sublimat.  Es  konnte  sich  aber  trotzdem  nicht 
dauernd  allein  halten,  weil  es  sehr  stark  hygro- 
skopisch ist.  Ein  allmähliches  Auslaugen  des 
Chlorzinks  findet  statt,  so  daß  die  Hölzer 
nach  und  nach  immer  ärmer  an  Chlorzink 
werden  und  nur  unvollkommen  gegen  Fäulnis 
geschützt  sind.  Auch  besitzt  das  Chlorzink, 
wie  alle  Metallsalze,  den  Übelstand,  mit  den 
Bodenbestandteilen  und  Holzfasern  unlösliche 
Verbindungen  einzugehen  und  freie  Säure 
abzuspalten,  die  nicht  allein  die  Holzfaser  mit 
der  Zeit  brüchig  macht,  sondern  auch  auf  die 
mit  dem  Holz  in  Berührung  kommenden 
Eisenteile  (besonders  bei  Schwellen)  eine  zer- 
störende Wirkung   ausübt. 

Tränken  mit  Zinkchlorid  unter  Zusatz 
von  Teeröl  (Mischungsverfahren  nach 
Rütgers).  Es  wird  zunächst  ebenso  ausgeführt 
wie  das  Verfahren  mit  Chlorzink  allein.  Das 
Teeröl  wird  während  der  Erwärmung  der 
Chlorzinklösung  zugesetzt,  u.  zw.  für  jede 
Schwelle  von  2-5  m  Länge  oder  mehr  2  kg, 
bzw.  für  jedes  m}  Holz  20  kg.  Um  eine  mög- 
lichst gute  Mischung  von  Chlorzink  und  Teeröl 
zu  erreichen,  ist  eine  geeignete  Mischvorrichtung 
unter  Zuströmung  von  Dampf  und  Luft  an- 
zuwenden. 

Tränken  zunächst  mit  Zinkchlorid  und 
dann  mitTeeröl  (Doppeltränkung).  Hier- 
durch, wie  auch  durch  das  vorgenannte  Ver- 
fahren sollen  die  Schwellen  gegen  das  Ein- 
dringen des  Wassers  und  Auslaugen  des  Tränk- 
stoffs mehr  geschützt  werden.  Doch  wurde 
der  gewünschte  Erfolg,  eine  gleichmäßige 
Durchtränkung  des  Holzes  mit  Chlorzink  und 
Teeröl  meistens  nicht  erreicht.  Denn  im  Tränk- 
kessel trennen  sich  die  spezifisch  verschieden 
schweren  Stoffe  schnell  wieder,  so  daß  stets 
ein  Teil  des  Holzes  mehr  oder  weniger  mit 
reinem  Teeröl  und  ein  anderer  mit  reiner 
Chlorzinklauge  getränkt  wird. 

Tränken  mit  Steinkohlenteeröl.  Es  hat 
nicht  allein  die  Eigenschaft,  die  mit  ihm  in 
Berührung  kommenden  Metallteile  nicht  anzu- 
greifen; es  schützt  diese  sogar  vor  schädlichen 
Einflüssen  des  Wassers  und  der  Luft.  Außerdem 
können  die  mit  Teeröl  getränkten  Hölzer  sofort 
nach    beendeter   Tränkung    ihrer    eigentlichen 

22* 


340 


Tränkungsverfahren. 


Bestimmung  zugeführt  werden;  die  mit  Salz- 
lösungen dagegen  müssen  einem  vorherigen 
mehrmonatlichen  Trockenprozeß  unterworfen 
werden. 

Steinkohlenteeröl  ist  eine  Mischung  von 
verschiedenen  schwer  verdunstbaren  Ölen.  Man 
bezeichnet  es  als  „schweres  Steinkohlenteer- 
öl", nach  falschem  Sprachgebrauch  als  Kreosot. 
Es  wird  hergestellt  durch  Destillation  aus  dem 
bei  der  Gas-  oder  Koksgewinnung  entstan- 
denen Steinkohlenteer.  Hauptbezugsquellen  für 


„WS™. 


3  V  5  6 

Abb.  306.  Volltränkung  von  buchenen  Hölzern  mit  Tecröl. 


j^  ^p/Qcm 


Abb.  307.  Volltränkung  von  eichenen  Hölzern  mit  Teeröl. 


Steinkohlenteeröl  sind  Deutschland  und  England. 
In  Deutschland  sind  besonders  die  großen 
Kokereien  in  Westfalen  und  Oberschlesien  ein 
bedeutendes  Absatzgebiet  für  Steinkohlenteeröl. 
Konservierende  Eigenschaften  im  Teeröl  besitzen 
hauptsächlich  seine  hochsiedenden  neutralen 
Bestandteile.  Nach  den  Vorschriften  für  die 
preußischen  Staatseisenbahnen  soll  das 
Öl  so  zusammengesetzt  sein,  daß  bei  der  Destilla- 
tion bis  1 50  0  C  höchstens  3  % ,  bis  200 "  höchstens 
\0%,  bis  235°  höchstens  25^;,  überdestillieren. 
Zwischen  150  und  400  °C  soll  das  Teeröl  sieden; 
doch  muß  der  Siedepunkt  von  mindestens  75  % 
über  235"  C  liegen.  Der  Gehalt  an  sauren 
Bestandteilen,  diein  Natronlauge  vomspezifischen 


Gewicht  M5  löslich  sind,  soll  wenigstens  6% 
betragen.  Das  spezifische  Gewicht  des  Öles  bei 
15°  C  muß  zwischen  1-04  und  1-15  liegen.  Bei 
-)-40°C  soll  das  Öl  vollkommen  klar  sein; 
beim  Vermischen  mit  gleichen  Raumteilen 
Benzol  muß  der  Tränkstoff  klar  bleiben  und 
darf  höchstens  Spuren  ungelöster  Körper 
ausscheiden.  Gießt  man  2  Tropfen  dieser 
Mischung  und  des  unvermischten  Öles  auf 
mehrfach  zusammengelegtes  Filtrierpapier,  so 
müssen    diese   vollkommen    von    dem   Papier 

aufgesogen  werden, 
und  nur  Spuren  un- 
gelöster Stoffe  dür- 
fen auf  dem  Papier 
zurückbleiben. 

Das T. mit  erhitztem 
Steinkohlenteer- 
öl (nach  Bethell) 
zerfällt  in  2  Teile: 
I.Trocknen  des  Hol- 
zes bzw.  Entziehen 
des  Wassers  aus  dem 
Holz  durch  das  er- 
hitzte Teeröl  unter 
Mitwirkungder  Luft- 
pumpe, 2.  Eindrin- 
gen des  Teeröls  in 
das  Holz  mittels  der 
Druckpumpe.  Das 
lufttrockene  Holz 
wird  in  einen  eiser- 
nen Tränkkessel  ge- 
bracht und  nach 
luftdichtem  Ver- 
schließen des  Kessels 
die  Luft  in  diesem 
mittels  einer  Luft- 
pumpe verdünnt, 
bis  der  Druck  auf 
WO  mm  QS.  ge- 
sunken ist,  so  daß  den 
Poren  der  Hölzer 
weiter  Luft  und  Saft  entzogen  wird.  Hierauf 
wird  unter  fortgesetzter  Tätigkeit  der  Luftpumpe 
die  auf  etwa  80°  C  vorgewärmte  Tränkungs- 
flüssigkeit in  den  Kessel  eingelassen,  bis  das 
Öl  beinahe  bis  zum  Kesseldom  gestiegen  ist. 
Sodann  wird  die  Luftpumpe  außer  Tätigkeit 
gesetzt  und  die  Füllung  des  Kessels  mit  einer 
Druckpumpe  beendet,  indem  mit  ihr  ein  Druck 
von  5  —  S  Atm.  ausgeübt  und  das  Teeröl  in  die 
Holzzellen  eingepreßt  wird.  Hat  das  Holz  die 
nötige  Ölmenge  aufgenommen,  so  wird  die 
Druckpumpe  abgestellt,  das  noch  im  Kessel  be- 
findliche überflüssige  Öl  tritt  in  den  Ölbehälter 
zurück,  der  Kesseldeckel  wird  geöffnet  und  die 
Wagen    mit   den   getränkten    Hölzern   werden 


Tränkungsverfahren. 


341 


hinausgefahren.  Die  graphische  Darstellung  der 
Abb.  306  u.  307  zeigt  den  Tränkungsvorgang 
von  buchenen  und  eichenen  Hölzern  mit  er- 
hitztem Teeröl. 

Die  sog.  „Volitränkung"  mit  Teeröl  dauert 
bei  Eichenholz  etwa  2,  bei  Buchenholz  etwa 
3  Stunden.  Im  einzelnen  setzt  sich  die  Tränkungs- 
dauer aus   folgenden  Abschnitten   zusammen: 


" 

i               1 

Eichenholz 

Buchenholz 

1 

Beschicken  des 

Kessels  .... 

15Min. 

15Min. 

2 

Erzeugung  der 

Luftleere    .    .    . 

30    „ 

30    „ 

3 

FülIungdesKessels 
mit  vorgewärm- 
tem Teeröl  unter 
Beibehalten  der 

Luftleere    .    .    . 

13    „ 

15    „ 

4 

Fortsetzung  der 
Kesselfüllung 
mit  Teeröl  durch 
Nachpressen 
des  Öles,  bis  im 
Kessel  ein  Druck 
von   5—8  Alm. 

entsteht      .    .    . 

17     „ 

30    „ 

5 

Unterhalten  des 

1 

Druckes     .    .    . 

30    „ 

60    „    , 

6 

Abstellen  der 
Druckpumpe 
und.  Ablassen 
desÖlesausdem 

Kessel    .... 

25    ., 

25    „ 

7 

Abnehmen  des 
Kesselver- 
schlusses und 
Herausschaffen 

der  Wagen   .    . 

15     ■■ 

15     .. 

'2Std.25Min. 

3Std.  lOMin. 

Der  hauptsächlichste  Nachteil  dieser  Voll- 
tränkung, bei  der  man  die  Hölzer  mit  so  viel 
Teeröl  tränkte,  als  sie  aufzunehmen  vermochten, 
ist  ihr  hoher  Preis,  weil  man  nur  durch  voll- 
ständige Sättigung  des  Holzes  mit  großen  Öl- 
mengen  eine  zufriedenstellende  Durchtränkung 
zu  erreichen  glaubte.  Nach  Vorschrift  der 
preußischen  Staatseisenbahnverwal- 
tung mußte  eine  kieferne  Schwelle  von  2'7  m 
Länge  und  16'26c/ra  Stärke  an  Teeröl  36  kg 
aufnehmen.  Demnach  würde  bei  einem  Teer- 
ölpreis  von  6  M.  für  100  kg  solch  eine 
Schwelle  an  Teeröl  M.  2' 16  kosten. 

Spar  verfahren.  Um  den  hohen  Ver- 
brauch an  kostspieligem  Teeröl  zu  verringern, 
sind  in  den  letzten  Jahren  verschiedene  Vor- 
schläge und  Versuche  gemacht  worden. 

Blythe  dämpfte  die  Schwellen  vor  dem 
Tränken  mit  Teeröl  zunächst  6  —  20  Stunden 
in  karbolsäurehaltigem  Wasserdampf.  Ferner 
wurde   mit   erhitztem   Teeröl   getränkt,   wobei 


das  Einpressen  des  Öles  erst  erfolgt,  nachdem 
das  vorgewärmte  Öl  bereits  während  der  Luft- 
verdünnung in  den  Tränkkessel  gelangt  und 
dort  auf  etwa  110°  C  erhitzt  worden  ist. 
Paradis  versuchte,  das  Teeröl  in  Dampfform 
unter  hohem  Druck  in  das  Holz  zu  bringen, 
nachdem  dieses  vorher  mittels  Wasserdampfes 
ausgelaugt  und  dann  mit  überhitztem  Wasser- 
dampf getrocknet  wurde.  Andere  Sparverfahren 
sind:  Verdünnung  geringerer  Teerölmengen  mit 
Wasser  und  Vervs'endung  des  Öles  in  Gestalt  von 
Emulsionen,  wobei  das  Öl  mit  einer  wässerigen 
Harzseifenlösung  zusammengerührt  wurde  und 
so  als  Tränkstoff  diente;  Behandlung  von  Harzöl 
mit  konzentrierter  Schwefelsäure  und  Benutzung 
des  Produkts  hieraus  als  Lösungsmittel  für 
das  Teeröl,  das  man  alsdann  mit  Wasser  ver- 
dünnt als  feine  Emulsion  in  die  Holzfaser 
brachte.  Doch  werden  beim  Tränken  mit  der- 
artigen Emulsionsmassen  die  Teerteilchen  be- 
reits an  der  Holzoberfläche  zurückgehalten, 
da  Holz  hochgradig  filtrierfähig  ist,  und  nur 
das  Wasser  dringt  in  das  Holzinnere  ein. 
Nicht  durch  Verdünnung  des  Teeröls, 
sondern  auf  mechanischem  Wege  mit  ge- 
ringeren Ölmengen  wird  Durchtränkiing  des 
Holzes  erreicht,  indem  man  nur  so  viel  Teeröl 
einpreßt,  als  man  im  Holz  nach  beendeter 
Tränkung  tatsächlich  haben  will.  Das  nur  in 
den  äußeren  Holzschichten  sitzende  Öl  wird 
sodann  durch  nachträgliches  Dämpfen  möglichst 
gleichmäßig  und  tief  verteilt.  Dies  ist  das 
Heyse-Verfahren,  in  Amerika  creo-air- 
process  genannt.  Es  wird  seit  1904  bei  der 
österreichischen  Staatstelegraphenver- 
waltung zum  Tränken  von  Leitungsmasten  aus 
Nadelholz  benutzt.  Bis  Ende  des  Jahres  1910 
waren  bereits  etwa  175.000  so  behandelte 
Masten  aufgestellt  worden.  Auch  nach  dem 
Northeimer  Verfahren  wird  ähnlich  ge- 
arbeitet. Hierbei  wird  etwa  die  Hälfte  der  für 
das  Holz  bestimmten  Ölmenge  mehr  in  das 
Holz  eingedrückt  und  nachher  alles  durch 
Luftleere  wieder  aus  dem  Holz  entfernt  und 
zurückgewonnen.  Nach  dem  Evakuierungs- 
verfahren wird  eine  etwas  größere  Menge 
Tränkstoff  als  später  im  Holz  bleiben  soll, 
mittels  Druckpumpe  eingepreßt  und  die  nicht 
gewünschte  Ölmenge  durch  Evakuieren  des 
Holzes  wieder  entfernt.  Bei  dem  Rüping- 
Verfahren  wurde  erreicht,  die  Wandungen 
der  Zellen  und  sonstigen  Hohlräume,  die  allein 
der  Fäulnis  ausgesetzt  sind,  mit  Teeröl  zu 
durchtränken,  ohne  dabei  gleichzeitig  auch 
den  Hohlraum  der  Zellen  u.  s.  w.  mit  Teeröl 
auszufüllen.  „Hohltränkung"  heißt  dieses 
Verfahren  im  Gegensatz  zur  Volltränkung,  wo 
alle  Zellen  im  Holz  mit  Teeröl  ständig  gefüllt 


342 


Tränkungsverfahren. 


werden.  Abb.  308  zeigt  den  Verlauf  der  Druck- 
linie für  Kiefernholztränkung  nach  3  ver- 
schiedenen Sparverfahren  bei  gleicher  Teeröl- 
aufnahme  f.  d.  m?. 

T.   von    Rüping.    Hiernach    werden    die 
Zellen  des  lufttrockenen  Holzes  vor  dem  Ein- 


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-c' 

1        [ 

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1  1    ^ 

M  1     1     1  '  M 

1    1  1  1    1    1    1 

1 

1 

'10             il      '       12             i 

2        ä 

: 

Abb.  308.  Kiefernholztränkung  nach  Teerölsparverfahren. 


den  Druck  -  je  nach  Beschaffenheit  der  zu 
tränkenden  Holzart  -  bis  auf  15  Atm.,  so 
daß  die  Flüssigkeit  schneller  in  die  einzelnen 
Zellen  eindringt.  Sind  die  Hölzer  genügend 
getränkt,  so  wird  der  Druck  aufgehoben  und 
das  Öl  aus  dem  Kessel  abgelassen.  Ist  der 
Druck  auf  die  atmosphärische  Spannung 
gefallen,  so  setzt  man  das  Holz  im 
Kessel  noch  eine  Zeitlang  einem  Vakuum 
aus,  nach  dessen  Aufhebung  der  Trän- 
kungsvorgang beendet  ist. 

Bei  dem  Rüping-Verfahren  werden 
die  lufttrockenen  Hölzer  auf  Tränkwagen 
in  den  Kessel  A  gebracht  (Abb.  309), 
dieser  wird  luftdicht  verschlossen,  wo- 
rauf eine  Verbindung  zwischen  dem 
Tränkkessel  A  und  dem  Ölfüllkessel  B 
hergestellt  wird,  indem  die  Ventile  v 
und  i',  geöffnet  und  die  Ventile  V2,  Vj,  v^ 
geschlossen  gehalten  werden.  Hierauf 
setzt  man  Tränk-  und  Füllkessel  mittels 
der  Pumpe  C  unter  einen  Luftdruck,  der 
der  Art  und  Trockenheit  der  Hölzer  ent- 
sprechend zu  bemessen  ist,  jedoch  nicht 
weniger  als  1  ^/j  und  nicht  mehr  als 
4  Atm.  Oberdruck  betragen  soll.  Ist  der 
jeweilige  festgesetzte  Luftdruck  erreicht, 
so  wird  er  weitere  5  Min.  unterhalten 
(10  Min.  bei  Eichenholz,  15  Min.  bei 
Buchenholz);  während  dieser  Zeit  füllen 
sich  alle  Holzzellen  mit  Druckluft. 
Sodann  öffnet  man  die  \'entile  v^  und 


''y'^'y'/yyyyyyyyy^y/yy^^^yyy^yyyy. 


31 


das  vorgewärmte  Teeröl  fließt  durch 
eigene  Schwere  aus  dem  Füll-  in  den 
Tränkkessel,  und  die  Druckluft  wird  aus 
letzterem  durch  die  geöffneten  Ventile  v 
und  v'i  in  den  Füllkessel  getrieben.  In 
diesem  Augenblick  sind  die  Schwellen 
außen  ganz  von  Teeröl  umgeben, 
während  die  Holzzellen  noch  mit  Druck- 
luft angefüllt  sind,  die  ein  Eindringen 
der  Flüssigkeit  in  das  Holzinnere  zu 
hindern  sucht.  Nach  vollstän- 
diger Füllung  des  Tränkkessels 
mit  dem  vorgewärmten  Teeröl 
schließt  man  die  Ventile  i'  und 


i", 


und 


Abb.  309.  Tränkvorgang  nach  dem  Rüping-Verfahren. 

pressen  der  Tränkungsflüssigkeit  nicht  wie 
bei  der  N'olltränkung  evakuiert,  sondern 
im  luftdicht  verschlossenen  Tränkungskessel 
einem  Luftdruck  von  5  Atm.  ausgesetzt, 
so  daß  sich  sämtliche  Zellen  und  Hohlräume 
im  Holz  mit  Druckluft  füllen.  Sodann  läßt 
man  die  auf  et^sa  lOO^C  erwärmte  Flüssig- 
keit in  den  Kessel  eintreten,  bis  das  Holz 
vollkommen  von  Öl  bedeckt    ist  und   steigert 


i',,  öffnet  das  Ventil 
preßt  mittels  der  Flüssigkeits- 
pumpe D  eine  weitere  Teeröl- 
menge  in  den  Tränkkessel  nach,  bis  dort  ein 
Überdruck  von  51/2  -  7  Atm.  entsteht  (7-8  Atm. 
bei  Eichen-  und  Buchenholz).  In  dem  Maße, 
wie  das  Einpressen  geschieht,  läßt  man  Luft 
aus  dem  Ventil  i'.,  des  Kessels  A  entweichen, 
um  Raum  für  die  nötige  Flüssigkeitsmenge 
zu  schaffen.  Der  Druck  von  5V2-7Atm.  ist 
wenigstens  ^/^  Stunde  im  Tränkkessel  zu  unter- 
halten   (3  Stunden   bei  Eichen-,    1  Stunde  bei 


Tränkungsverfahren. 


343 


Buchenholz).  Unter  diesem  erhöhten  Druck 
dringt  die  Tränkflüssigkeit  in  die  einzelnen 
Zellen  ein.  Sind  die  Hölzer  genügend  durch- 
tränkt, so  wird  der  Druck  aufgehoben,  indem 
und  Füllkessel  B  durch 


Ventil  v^  geschlossen 
Öffnen  des  Ventils  v^  wieder  mit 
luft  verbunden  wird,  worauf 
das  Öl  infolge  des  entstandenen 
Druckunterschieds  aus  dem 
Tränkungs-  in  den  Füllkessel 
zurückfließt.  Durch  Herstellen 
des  atmosphärischen  Druckes 
dehnt  sich  die  Druckluft  in  den 
Zellen  aus  und  treibt  infolge 
ihrer  Ausdehnung  das  Öl  wieder 
aus  dem  Holz  heraus,  soweit  es 
nicht  an  den  Zellenwandungen 
haften  bleibt.  Nach  Aufheben 
des  Druckes  und  Ablassen  des 
Öles  aus  dem  Tränkkessel 
werden  Ventile  v,  und  Vj  ge- 
schlossen, Ventil  v^  wird  ge- 
öffnet, und  im  Tränkkessel  A 
wird  mittels  Luftpumpe  C  eine 
Luftverdünnung  von  minde- 
stens 60  cm  QS.  hergestellt,  um 
das  überflüssige  Öl  aus  den 
Zellen  herauszutreiben  und  nur 
das  in  die  Zellwandungen  ein- 
gedrungene zurückzulassen.  Ist 
das  Vakuum  1 0  Min.  lang  unter- 
halten (15  Min.  bei  Eichen-, 
30  Min.  bei  Buchenholz),  so  ist 
die  Tränkung  beendet.  Bei 
Tränkung  von  Buchenhölzern 
wird  das  sog.  „Doppel-Rü- 
ping-Verfahren"  angewendet, 
d.  h.  genau  derselbe  Vorgang 
wird  noch  einmal  nach  Beendi- 


der  Außen- 


gung  der  30  Min.  dauernden  Luftverdünnung 
von  Anfang  an  wiederholt.  Acht  (bei  Buchenholz 
2mal  8)  verschiedene  Arbeitsstufen  ergeben  sich. 
Diese  sind  in  Tabelle  1  für  alle  3  Holzarten 
mit  den  Angaben  ihrer  Zeitdauer  nebeneinander- 
gestellt. Abb.  3 1 0  u.  3 1 1  zeigen  die  3  Tränkungs- 


Scönftung  tion  JCitftr- und  SttAenfiife«:!!,  mit  %sc'ct. 


1B0  21.0 

■  9IKnuHa 

Abb.  310.  Tränkung  von  Kiefern-  und  Eichenhölzern  mit  Teeröl  nach  dem 
Sparverfahren  von  Rüping. 

5uiivfiitng  von  ^bucficnAiJ-txc^rt  mit  Sie'iöC 


(■äiwAmdi 


x*na5 


Abb.  311.  Tränkung  von  Buchenhölzern  nach  dem  Doppel-Rüping- Verfahren. 


Tabelle  1. 


Arbeitsstufen 


Einfaches  Rüping- 
Verfahren 


für 
Kiefernholz 


für 
Eichenholz 


Doppel-Rüping- 
Verfahren 


für  Buchenholz 


Zeitdauer    in    Minuten 


Erzeugen  des  Luftdrucks:  Minimum  l'/jAtm.,  Maxi- 
mum 4  Atm 

Unterhalten  des  Luftdrucks 

Füllung  des  Kessels  mit  vorgewärmtem  Teeröl  unter 
Beibehaltung  des  Luftdrucks 

Nachpressen  von  Teeröl  in  den  Kessel,  bis  in  diesem 
ein  Überdruck  von  5 '/j- 8  Atm.  entsteht 

Unterhalten  des  Druckes  im  Kessel 

Ablassen  des  Teeröls  aus  dem  Kessel 

Herstellen  einer  Luftleere  im  Kessel  von  60  cm  QS.    . 

Unterhalten  der  Luftleere  im  Kessel 

Gesamte  Zeitdauer  in  Minuten  .    . 


20 
5 

10 

20 
30 
10 
20 
10 


15 
10 

10 

15 
180 
10 
20 
15 


20 
15 

10 

15 
60 
10 
20 
30 


10 
15 

10 

15 
180 
10 
20 
30 


125 


275 


470 


344 


Tränkungsverfahren. 


Vorgänge  in  ihren  äußersten  Grenzen  schaubild- 
lich.  Die  Zahlen  von  1  bis  8  hierin  entsprechen 
den  einzehien  Arbeitsstufen  der  Tabelle  1. 

Kombinierte   Rüping- Verfahren. 

R  ü  p  i  n  g -  R ü t g e r s - W e r k e.  Die  Rütgers- 
Werke  haben  das  Rüping-Verfahren  auch  für 
nasse  Hölzer  geeignet  umgestaltet  in  der 
Weise,  daß  der  ersten  Periode  des  Rüping- 
Verfahrens  ein  Trocknungsprozeß  vorgeschoben 
wird  derart,  daß  die  Hölzer  in  heißem  Öl 
hinreichend  lange  unter  geringer  Luftleere  er- 
hitzt werden.  Hierdurch  soll  das  Wasser  des 
Holzes  verdampft  und  ebenso  wie  bei  der 
Volltränkung  mit  Teeröl  entfernt  werden.  Nach 
Durchführung  dieses  Trocknungsprozesses  wird 
das  Öl  abgelassen  und  dann  das  Rüping-Ver- 
fahren in  vorbeschriebener  Weise  durchgeführt. 

Heidenstam-Rüping.  Nachdem  die  Preß- 
luft einige  Zeit  auf  das  Holz  gewirkt  und  das- 
selbe gefüllt  hat,  wird  der  Kessel  entlüftet  und 
sofort  mit  Öl  gefüllt.  Hierauf  wird  das  Rüping- 
Verfahren  angewendet.  Heidenstam  behauptet, 
daß  hierbei  nur  die  Preßluft  aus  dem  Splint- 
holz entweicht  und  die  in  das  Kernholz  ein- 
gepreßte Luft  dabei  darinbleibt. 


B.    Anwendungsgebiete 
b  a  h  n  h  ö  1  z  e  r. 


für     Eisen- 


L    Hölzerne    Eisenbahn-Querschwellen. 

1.  Verbreitung  in  verschiedenen 
Ländern. 

In  Europa  von  Laubhölzern  die  Buche  und 
Eiche,  von  Nadelhölzern  die  Lärche, 
Fichte,  Tanne  und  Kiefer  oder  Föhre. 
Von  den  Nadelhölzern  ist  in  Mitteleuropa 
Kiefernholz  gegenwärtig  am  beliebtesten;  in 
England  wird  fast  ausschließlich  die  baltische 
Kiefer  zum  Holzschwellenbau  benutzt.  Noch 
im  Jahre  1895,  bevor  man  gute  T.  hatte,  war 
der  Buchenschwellenverbrauch  in  Deutschland 
sehr  gering.  Dagegen  waren  in  Westeuropa, 
besonders  in  Frankreich,  Buchenhölzer  früher 
in  ausgedehnterem  Maße  als  Baustoff  für 
Bahnschwellen  in  Anwendung  gekommen.  Die 
Schweizer  Bundesbahnen  benutzten  bis  zum 
Jahre  1907  größtenteils  getränkte  Eichen-, 
Kiefern-  und  Lärchenschwellen.  Das  Verhältnis 
der  getränkten  zu  den  nicht  getränkten 
Schwellen  im  Gebiet  des  VDEV.  ist  aus  Ta- 
belle 2    ersichtlich.    Die  Zahl   der  getränkten 


Schwellen    in 


der   gesamten  Schwellenzahl 


Tabelle  2. 


Jahr 

Preußische  Sfaatseisenbahnen  i 

Deutsche  Eisenb.ahnen       i 

Osterreichiscli-ungarisclie 
Eisenbahnen 

Sämtliche  Eisenbahnen  des 
VDEV. 

Getränkt       Nicht  getränkt  1 

Getränkt       Niclit  getränkt 

Getränkt      ^Nicht  getränkt 

Getränkt       Nicht  getränkt 

1 

P    r    0 

z    e    n    t 

1880 

69-4 

1885 

71-3 

1889 

80-7 

1894 

86-8 

1897 

96-4 

1900 

98-2 

1902 

99-8 

1904 

99-8 

30-6 

28-7 

19-3 

13-2 

36 

1-8 

0-2 

0-2 


61-3 

70-1 
782 
83-4 
93-5 
94-2 
95-0 
96-4 


38-7 

29-9 

21-8 

16-6 

6-5 

5-8 

5-0 

3-6 


140 
203 
31-9 
37-9 
38-4 
50-6 
44-4 
45-9 


86-0 
79-7 
68-1 
621 
61-6 
49-4 
55-6 
54-1 


44-1 
49-3 
56-9 
61-9 
64-7 
66-8 
63-4 
62  6 


55-9 
50-7 
43-1 
38a 
35-3 
33-2 
36-6 
37-4 


ist  außerdem  schaubildlich  in  Abb.  312  dar- 
gestellt. Darnach  hat  das  Tränken  namentlich 
bis  1900  zugenommen,  besonders  in  Öster- 
reich, wo  jedoch  die  Zahl  der  getränkten 
Schwellen  sogar  im  Höchstfall  nur  50  %  be- 
trägt. Seit  1900  ist  die  Zunahme  der  Trän- 
kung in  Preußen  und  Deutschland  gering  ge- 
wesen; in  Österreich  und  bei  sämtlichen  Ver- 
einsbahnen stellt  sich  sogar  wieder  ein  Rück- 
gang im  Tränken  ein.  Man  ersieht  dies  aus 
Tabelle  3,  worin  nach  Holzarten  getrennt  an- 
gegeben ist,  wieviel  Schwellen  einer  bestimmten 
Holzgattung  bei  den  einzelnen  Verwaltungen 
getränkt  wurden. 

Das  Schwellentränken  wird  von  den  Bahnen 
teils     im    Eigenbetrieb     besorgt,     teils    an 


Unternehmer  vergeben.  In  Deutschland  wird 
letzteres  vorgezogen.  47  Tränkungsanstalten 
befanden  sich  1911  in  Deutschland,  14  in 
Frankreich  und  9  in  Belgien.  Von  diesen 
70  Anstalten  wurden  14  von  den  Eisenbahn- 
verwaltungen selbst  betrieben;  die  übrigen  56 
waren  in  Privathänden.  Die  9  Anlagen  in  Belgien 
sind  sämtlich  in  privatem  Besitz,  während  6 
von  den  47  in  Deutschland  und  9  von  den 
14  in  Frankreich  von  der  Eisenbahn  selbst 
verwaltet  werden.  Diese  6  staatlichen  Tränk- 
anstalten in  Deutschland  sind:  Zernsdorf  und 
Northeim  für  die  preußische,  Kirchseeon  für 
die  bayerische,  Wulknitz  und  Falkenstein  für 
die  sächsische  und  Zuffenhausen  für  die 
württembergische  Bahnverwaltung.  Außer  den 


Tränkungsverfahren. 


345 


2  staatlichen  Anlagen  gibt  es  in  Preußen 
weitere  26  Anlagen,  die  für  die  preußischen 
Staatseisenbahnen  arbeiten.  Allein  die  Rütgers- 
Werke  unterhalten  14  Holzkonservierungsan- 
lagen. Von  ausländischen  Bahnen  tränken  u.  a. 
die  französische  Ostbahn  in  d'Amange  und 
Port  d'Atelier,  die  französische  Staatsbahn  in 
St.-Mariens,  Surdon  und  Landebia,  die  hollän- 
dische Eisenbahngesellschaft  in  Crailoo,  die 
italienischen  Staatsbahnen  in  Neapel,  die 
dänischen  Staatsbahnen  in  Kjöge  undHorsens 
und    die   rumänische   Staatsbahn    in  Ploesti 


Die  Frage,  welche  T.  bei  den  verschiedenen 
Verwaltungen  des  VDEV.  in  Anwendung 
stehen,  wurde  von  29  Verwaltungen  auf  der 
XX.  Technikerversammlung  im  Juni  1Q12  in 
Utrecht  folgendermaßen  beantwortet:  es  tränkten 
2  Verwaltungen  mit  Quecksilbersublimat 
2  „  „    Zinkchlorid 

6  „  „    Zinkchlorid  und  Teeröl 

(Mischungsverfahren) 
2  „  „    Zinkchlorid    und    dann 

Teeröl  (Doppel- 
tränkung) 


Sit  Mu  %tiÄiX  d«o  <ü.fD.  S.'O.  AJOm  9afi/ic  mo*Mok  /^eMA^Ktn^c^wvMm 


w  tfocitnCtM  Mx  ««/JAwÄM  ^siwoiiiiA'u\wi(M |- I.  — j,""" 


/OO'o 

W  Olfllt'VV 

50  _ 

80  _ 

40_ 

__^— " 

_ 

;  a-o_ 

30. 

4o_ 

/'O  _ 

— -■  - 

0 

I  I 

^  I 


I 


/SSO 


'J15  /W  /'!9>r  /S97  />900       /^ol. 

Abb.  312.  Getränkte  Holzschwellen  im  Verhältnis  zu  ungetränkten. ' 


-".^olf 


ihre  Schwellen  im  Eigenbetrieb.  Ferner  be- 
treiben die  ungarischen  Staatsbahnen  5, 
die  P.-L.-M.-Bahn  2  und  die  französische 
Nordbahn  3  eigene  Anlagen.  In  den  Ver- 
einigten Staaten  wurden  die  Holzschwellen 
im  Jahre  1910  in  86  Anstalten  getränkt,  die 
60  Verwaltungen  gehörten  und  in  51  ver- 
schiedenen Staaten  lagen.  Von  diesen  86  wurden 
64  von  43  Privatgesellschaften  und  22  von  17 
Eisenbahn  Verwaltungen  betrieben. 


5  Verwaltungen  mit  Teeröl  (nach  Bethell) 
1  „  „    Teeröl    (nach    Sparver- 

fahren, Bayern) 
17  „  „    Teeröl  nach  dem  einfachen 

Rüping-Verfahren 
14  „  «    Teeröl  nach  dem 

doppelten  Rüping- 
Verfahren. 
Auf   die  Holzarten   verteilt   ergibt   sich   be- 
züglich der  einzelnen  T.  bei  den  Verwaltungen 


Tabelle  3. 


Verwaltungen 


Holzarten 


Im      Jahre 


1880 


1885 


1889 


1894 


1S97 


1900 


Preußische  Staats- 
eisenbahnen 

Deutsche  Eisen- 
bahnen 

Österreichisch- 
ungarische Eisen- 
bahnen 

Sämtliche  Eisen- 
bahnen des  VDEV. 


Eichenholz  .... 
Sonstige  Laubhölzer 
Nadelholz    .... 
Eichenholz  .... 
Sonstige  Laubhölzer 
Nadelholz    .... 
Eichenholz  .... 
Sonstige  Laubhölzer 
Nadelholz    .... 
Eichenholz  .... 
Sonstige  Laubhölzer 
Nadelholz    .... 


62-1 

631 

72-3 

77-8 

87-1 

920 

99-2 

89-5 

97-0 

980 

98-4 

1000 

74-7 

100-0 

900 

89-6 

94-2 

97-5 

99-4 

1000 

100  0 

46-5 

53-4 

62-5 

67-7 

74-8 

72-3 

75-6 

53-4 

75-3 

94-2 

95-7 

99-5 

99-5 

99-9 

80-8 

910 

94-0 

96-3 

99-2 

99-4 

99-2 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ 

27-0 

22-5 

_ 

_ 



_- 

_ 

97-7 

100-0 

— 

— 

_ 

- 

- 

75-4 

81-8 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ 

31-6 

28-3 

_ 

_ 

— 

_ 

_ 

98-2 

100-0 

— 

— 

— 

— 

93-3 

94-7 

99-7 
100-0 
99-7 
73-7 
1000 
99-9 
19-4 
98-4 
81-4 
23-8 
99-0 
93-8 


346 


Tränkungsverfahren. 

Tabelle  4. 


Tränkungsverfahren 


für  Buchenholz  j  für  Eichenholz  |  für  Kiefernholz  !  für  Lärchenholz  [  für  Tannenholz 


bei      Verwaltungen 


Quecksilbersublimat 

Zinkchlorid 

Zinkchlorid  vermischt  mit  Teeröl 

(Mischungsverfahren) 

Zinkchlorid    und    hierauf    Teeröl 

(Doppeltränkverfahren) 

Teeröl  (nach  Bethell) 

Teerölsparverfahren  (Bayern)  .  .  . 
Einfaches     Rüpingverfahren      mit 

Teeröl 

Doppeltes    Rüping-Verfahren    mit 

Teeröl  


14 


Tabelle  4.  Die  preußischen  Staatseisen- 
bahnen tränken  seit  dem  Jahre  1Q09  sämt- 
liche Schwellen  nach  dem  Rüping-Verfahren. 
In  Sachsen  wurde  bis  1895  nur  mit  reiner 
Zinkchloridlösung  getränkt;  erst  1896  setzte 
man  Teeröl  hinzu  und  verwendete  das 
JVlischungsverfahren;  ebenfalls  in  Österreich- 
Ungarn  bei  leichtem  Oberbau.  Dagegen 
kommt  bei  schwerem  Oberbau  für  Buchen- 
schwellen das  Doppelverfahren  zur  Anwendung. 
Von  ausländischen  Bahnen  lassen  die 
Schweizer  Bundesbahnen  seit  1907 
Schwellen  in  privaten  Anstalten  zu  Zofingen, 
Qlovelier  und  Sargans  mit  Teeröl  nach  Rüping 
tränken.  Auch  in  Dänemark  ging  man  1907 
zum  Rüping-Verfahren  über.  Die  rumänischen 
Staatsbahnen  haben  erst  1913  ihre  Tränk- 
anlage zu  Ploesti  umgebaut  und  arbeiten  jetzt 
nach  Rüping.  Dagegen  tränkt  man  in  Belgien 
immer  noch  mit  Teeröl  nach  Bethell.  Die 
holländische  Eisen  bah  ngesellschaft 
behandelt  ihre  Schwellen  mit  reinem  Zink- 
chlorid, während  die  niederländischen 
Staatseisenbahnen  ihre  Kiefernschwellen  mit 
Zinkchlorid  und  Teeröl  gemischt  tränken.  In 
Frankreich  begann  man  1880  alle  Schwellen 
mit  Ausnahme  der  splintreiclien  Eichenschwellen 
mit  Teeröl  zu  tränken;  1886  ging  man  zur 
Zinkchloridtränkung  über,  bis  1890,  von  wo 
an  mit  Zinkchlorid  und  Teeröl  vermischt  ge- 
tränkt wurde.  Jetzt  ist  bei  fast  allen  französischen 
Bahnen  wieder  die  Volltränkung  mit  Teeröl 
eingeführt;  nur  bei  der  französischen  Nord- 
bahn wird  nach  Blythe  und  für  die  französische 
Staatsbahn  in  Bordeaux  nach  Rüping  getränkt. 
Die  Paris- Orleans-Bahn  läßt  ihre  Eichen- 
und  Buchenschwellen  mit  Teeröl  nach  Bethell, 
die  Kiefernschwellen  mit  Kupfersuifat  in  Privat- 
anstalten tränken.  Die  italienischen  Staats- 
bahnen geben  ihre  Schwellen  an  Unternehmer, 
von  denen  sie  nach  Quissani  und  (seit  1907) 
nach  Rüping   behandelt   werden.    So   sind    in 


14 


1 
2 

6 

1 

1 

17 


Neapel  nach  letzterem  Sparverfahren  vom 
Januar  1907  bis  Oktober  1912  fertiggestellt 
worden:  682.652  Buchenschwellen,  40.750 
Schwellen  aus  Steineiche,  173.851  aus  Zerr- 
eiche und  1,722.884  aus  Fichtenholz.  Mit 
Ausnahme  der  London-  und  Südwest-Bahn, 
die  noch  heute  ohne  Druck  in  offenen  Ge- 
fäßen Schwellen  tränkt,  behandeln  die  meisten 
englischen  Bahnen  ihre  Schwellen  mit 
Teeröl  nach  Bethell.  Irgendwelche  neuere 
Versuche  sind  wenig  angestellt  worden  und 
mit  Ausnahme  von  50.000  nach  Rüping  ge- 
tränkten Schwellen  für  die  Große  Nordbahn 
sind  nur  vereinzelt  Bestrebungen  bekannt,  die 
darauf  hinzielen,  durch  Anwendung  von  Spar- 
verfahren weniger  Teeröl  zu  verbrauchen. 
Kurz  vor  dem  Weltkrieg  waren  jedoch  auch 
schon  in  England  wie  in  Schweden  und 
Norwegen  Unterhandlungen  wegen  Über- 
nahme des  Rüping-Verfahrens  im  Gang.  In 
den  Vereinigten  Staaten  arbeiten  gegen- 
wärtig etwa  14  Anstalten  mit  Zinkchlorid,  teils 
allein,  teils  mit  Teeröl  vermischt,  42  mit  Teeröl 
nach  Betheil,  2  mit  Quecksilberchlorid  und  4 
nach  Rüping.  So  ist  z.  B.  die  Missouri-,  Kansas- 
und  Texasbahn  auf  das  Rüpingsche  T.  über- 
gegangen und  die  Atchison-Topeka-  und  Santa 
Fe-Eisenbahn  hat  in  Sommerville  (Texas)  im 
Jahre  1907  in  7  Monaten  etwa  1 V4  Mill.  Bahn- 
schwellen und  3  Mill.  Festmeter  anderer  Hölzer 
nach  dem  Rüping-Verfahren  fertiggestellt. 

2.  Tränkstoffaufnahme. 

Nach  Art  und  Trockenheit  des  Holzes  isl 
die  Tränkstoffaufnahme  bei  jedem  T.  ver- 
schieden. Vorschriften  darüber  weichen  bei 
den  einzelnen  Verwaltungen  oft  voneinander 
ab.  Wirken  die  Tränkstoffe  mit  Druck  auf 
die  Holzflächen,  so  hat  man  es  in  der  Hand, 
durch  Druckerhöhung  oder  durch  längeres  Be- 
lassen im  Tränkkessel  beliebige  Tränkstoff- 
mengen einzupressen.  Da  jedoch  Menge  und 
Gewicht    der     zugeführten    Tränkstoffe    stets 


Tränkungsverfahren. 


347 


größer  sind  als  die  Saftabgabe,  so  tritt  in- 
folge Tränkung  eine  Gewichtszunahme  der 
Schwellen  ein.  Schwellen  aus  Hölzern  mit 
natürlicher  Kernbildung,  die  gar  kein  Splint- 
holz, wie  die  Eiche,  oder  nur  wenig,  wie  die 
Kiefer  und  Lärche  besitzen,  nehmen  weniger 
Tränkstoff  auf  als  Buchenschwellen,  die  fast 
nur  aus  Splintholz  bestehen.  Grad  und  Gleich- 
förmigkeit der  Durchtränkung  hängen  somit 
bei  verschiedenen  Holzgattungen  nicht  nur 
von  der  aufgenommenen  Flüssigkeitsmenge, 
sondern  auch  von  dem  Holzkörperaufbau  ab. 

Tränken  mit  Kupfervitriol.  1  m^  Holz 
nimmt  durchschnittlich  Q'5  äo- Tränkflüssigkeit 
auf,  wodurch  die  Gewichtszunahme  f.  d.  m^ 
bei  Fichtenholz  24  kg,  bei  Eichenholz  25  kg, 
bei  Kiefernholz  57  kg,  bei  Buchenholz  Q5  kg 
beträgt.  Nach  Vorschrift  der  österreichischen 
Staatsbahnverwaltung  belief  sich  die  Gewichts- 
zunahme bei  der  früher  dort  vorgenommenen 
Buchenschwellentränkung  mit  Kupfervitriol  so- 
gar auf  25  -  30  kg  für  die  Schwelle. 

Tränken  mit  Zinkchlorid.  Dieses  hängt 
von  der  Zusammensetzung  (Verdünnung)  der 
Zinkchloridlauge  ab.  Nach  Burnett  wurde  eine 
Mischung  von  1  Teil  Salz  und  59  Teilen 
Wasser  angenommen.  Allmählich  ging  man 
jedoch  zur  Beimischung  von  nur  14  Teilen 
Wasser  zu  1  Teil  Salz  über.  Im  allgemeinen 
arbeitete  man  mit  Lösungen  von  1  :  60  bis  1 :  25, 
wobei  schwächere  Mischungen  einem  höheren 
und  länger  dauernden  Druck  ausgesetzt 
wurden  als  stärkere.  Preußen,  die  Reichseisen- 
bahnen und  die  pfälzischen  Bahnen  tränkten 
mit  25facher  Verdünnung,  während  z.  B.  in 
Österreich  Lösungen  mit  2  -  3  %  Chlorzinksalz 
veru'endet  wurden.  Nach  Angaben  der  preußi- 
schen Staatseisenbahnen  betrug  dieAufnahmean 
Chlorzinksalz  für  1  m^  Holz:  bei  Eichen  Q  -  22kg, 
bei  Buchen  44  -  53  kg,  bei  Kiefern  1 1  -  42  kg. 
Dabei  wurde  insgesamt  an  Lauge  verbraucht: 
1 1 0  -  1 1 4  ;^^  für  1  «3  Eichenholz,  257-315/^^ 
für  1  m^  Kiefernholz,  286  -  429  kg  für  1  m^ 
Buchenholz.  In  Österreich  ergaben  sich  bei 
Tränkung  mit  Zinkchloridlösung  vorerwähnter 
Zusammensetzung  Gewichtszunahmen  von 
7-\0kg  für  die  Eichen-,  18-31  kg  für  die 
Kiefern-  und  20-3\kg  für  die  Buchenschwellen. 
Bei  der  holländischen  Eisenbahngesellschaft 
muß  jede  Schwelle  normaler  Größe  bei  Eichen- 
holz 6  —  9,  bei  Lärchenholz  9—15  und  bei 
Fichtenholz  25  -  35  /  Tränklauge  aufnehmen. 

Tränken  mit  Chlorzink  und  Teeröl  ge- 
mischt (Mischungstränkung).  Rütgers  gab 
Anfang  der  Siebzigerjahre  der  auf  65°  C 
erwärmten  Chlorzinklösung  einen  Zusatz  von 
2  kg  Teeröl  für  jede  Schwelle;  später  wurde 
der  Teerölzusatz  erhöht.  In  Dänemark,  wo  bis 


1907  nach  dem  Mischverfaliren  getränkt  wurde, 
gab  man  der  Chlorzinklauge  ebenfalls  2  kg 
Zusatz  an  Teeröl  für  jede  Schwelle;  die  ge- 
samte Tränkstoffaufnahme  sollte  bei  jeder 
Kiefern-  und  Buchenholzschwelle  27kg  betragen ; 
auf  1  m^  rechnete  man  insgesamt  310  —  325/^^ 
Tränkstoff.  Bei  der  italienischen  Staatsbahn 
soll  jede  Schwelle  außer  15  kg  Zinkchlorid 
an  Teeröl  aufnehmen  8  kg  bei  der  Buche, 
4  kg  bei  der  Steineiche  und  7  kg  bei  der 
Zerreiche.  Vorgeschrieben  sind  für  die  nor- 
male Schwelle:  bei  den  preußischen  Staats- 
bahnen 1 1  kg  für  Eichenholz  und  36  kg  für 
Buchen-  oder  Kiefernholz,  bei  den  französi- 
schen Staatseisenbahnen  4  kg  für  Eichenholz 
und  30  kg  für  Kiefernholz,  bei  den  öster- 
reichischen Staatseisenbahnen  8  kg  für  Eichen- 
holz und  30  kg  für  Kiefernholz.  Auf  1  m^ 
Schwellenholz  bezogen  verlangen  die  preußi- 
schen Staatseisenbahnen  etwa  100  kg  Lauge 
bei  Eichen-  und  325  kg  bei  Buchen-  und 
Kiefernholz,  die  niederländische  Staatseisen- 
bahn bei  Kiefernholz  280  kg  Lauge,  in  denen 
20  kg  Chlorzink  und  50  kg  Teeröl  enthalten 
sein  müssen. 

Tränken  mit  Chlorzink  und  Teeröl 
in  aufeinanderfolgender  Behandlung 
(Doppelverfahren).  Österreichische  Staats- 
bahnen: für  Kiefern-  bzw.  Buchenschwellen  von 
0-075- 0-09  ot3  Rauminhalt  außer  mit  Chlor- 
zinklauge mit  5  bzw.  13^^,  bei  größerem  Raum- 
inhalt mit  6  bzw.  15  kg  Teeröl;  für  Lärchen- 
und  Eichenschwellen  aller  Abmessungen  mit 
Ausnahme  von  Schmalspurschwellen  eine  Teer- 
öleinpressung  von  4  kg. 

Volltränkung  mit  reinem  Teeröl.  Die 
Anforderungen  bezüglich  Tränkstoffaufnahme 
sind  verschieden;  sie  schwankt  für  1  /«^  Holz 
bei  Eichenholz  zwischen  70  und  100^^,  bei 
Buchenholz  zwischen  160  und  325  kg,  bei 
Kiefernholz  zwischen  140  und  325  kg.  Die 
preußischen  Staatsbahnen  verlangen  sogar  für 
eine  normale  Schwelle  Teerölaufnahmen  von 
1 1  kg  bei  Eichenholz  und  von  36  kg  bei 
Buchen-  und  Kiefernholz.  Andere  Bahnen  ver- 
langen eine  geringere  Teerölaufnahme,  u.  zw.: 


für  Eichen- 
schwellen 


für  Buchen - 
schwellen 


Französ.  Ostbahn  t-7  kg    27  -2Q  kg 

„        Nordbahn  5  kg  ^^  kg 

P.-L.-M.-Bahn    5  -  6  kg        21    „ 
Westbahn  -  18-22  kg 

Niederl.  Staatsbahn  75  kg/m^    160  kg/ m^ 

Englische  Bahnen  allgemein   18  — 22^^'. 

Hohltränkung  nach  Rüping.  Durch- 
schnittliche Teerölaufnahme  in  Deutschland: 
4  — 5  kg   für    Eichen-,    b  —  7  kg    für    Kiefern- 


348 


Tränkungsverfahren. 


und  12 — 16  kg  für  Buchenschwellen.  Demnach 
wiegt  eine  kieferne  Schwelle  nach  Aufnahme 
von  7  kg  Tränkungsflüssigkeit  67  kg,  eine 
eichene  nach  Aufnahme  von  5  kg  Öl  85  kg 
und  eine  buchene  etwa  91  kg.  Die  französische 
Staatsbahn  schreibt  7'5  kg  Teerölaufnahme  für 
die  Kiefern-  und  nur  11-5^^  für  die  Buchen- 
schwelle vor,  während  bei  der  dänischen  Staats- 
bahn an  Öl  5-3  kg  in  Kiefernschwellen  und  12^0^ 
in  Buchenschwellen  von  0084  m^  Inhalt  ein- 
gepreßt werden  müssen.  Bei  den  italienischen 
Staatsbahnen  wird  das  Gewicht  einer  Buchen- 
schwelle (0"087  rti^  Inhalt)  um  1 1  kg  durch 
die    Tränkung    vergrößert;     für    Steineichen- 


mäßiger Wärme  die  Entwicklung  und  Förderung 
der  Fäulnis  verursacht.  Über  die  durch  Durch- 
tränkung der  Schwellen  erreichte  längere  Liege- 
dauer —  d.  h.  Zeitabstand  zwischen  ihrem 
Einbau  und  ihrer  Erneuerung  —  werden  von 
den  meisten  Bahnverwaltungen  fortwährend 
Beobachtungen  angestellt.  Man  hat  die  ver- 
schiedenen Lebensdauern  der  Einzelschwellen 
wohl  von  der  mittleren  Lebensdauer  der 
Gattung  zu  unterscheiden,  welch  letztere  allein 
für  Vergleichsrechnungen  in  Frage  kommen. 
Auf  eine  Verwechslung  dieser  beiden  Begriffe 
kommt  es  meist  hinaus,  wenn  von  sehr  großen 
Lebensdauern    einer   Schwellenart   gesprochen 


Abb.  313.  Schaulinie  für  die  Liegedauer  getränkter  und  ungetränltter  Schwellen. 


schwellen  von  gleichem  Inhalt  soll  die  Gewichts- 
zunahme 4'75A^,  für  Zerreichenschwellen  8'25äo' 
bei  jeder  Schwelle  betragen. 

3.  Liegedauer. 

Rohe  hölzerne  Bahnschwellen  sind  der  Zer- 
störung durch  Fäulnis  noch  mehr  ausgesetzt 
als  die  meisten  anderen  Nutzhölzer.  Luft, 
Feuchtigkeit  und  eine  gewisse  Wärme  brauchen 
die  Fäulniserreger  zu  ihrer  Entwicklung  und 
Erhaltung;  man  kann  die  Schwellen  aber  weder 
dem  schädlichen  Wechsel  von  Feuchtigkeit 
und  Trockenheit,  noch  dem  Luftzutritt  entziehen. 
Je  poröser  und  schwammiger  die  Holzmasse 
ist  und  je  weniger  Harz  und  Gerbstoffe  sie 
enthält,  um  so  kürzer  ist  die  Liegedauer  der 
Schwellen.  Denn  unter  diesen  Umständen  wird 
das  Eindringen  von  Feuchtigkeit  in  das  Holz  I 
erleichtert,     die    dann     ihrerseits     bereits    bei  i 


wird.  Es  wird  dann  die  beobachtete  höchste 
Lebensdauer  einer  beschränkten  Anzahl  von 
Einzelschwellen  an  Stelle  der  durchschnitt- 
lichen Lebensdauer  der  ganzen  Einbau- 
gruppe  gesetzt.  Es  schwanken  die  Angaben 
über  die  mittlere  Dauer  der  Holzschwellen  etwa 
in    den    in  Tabelle    5    angegebenen   Grenzen. 

Tabelle  5. 


Holzarten 


Eiche  . 
Lärche 
Kiefer  . 
Buche  . 


Mittlere  Liegedauer  in  Jahren 


Nicht 
getränkt 


12-15 
8-10 

6-  8 

2V2-  3 


Getränkt 


nach  anderen  |  mit  karbolsäure- 
Vertahren      \  haltigem  Teeröl 


15-20 
15-20 
10-15 
10-16 


25 
20 
20 
30 


Tränkungsverfahren. 


349 


In  Abb.  313  ist  eine  Anzahl  von  Schauiinien 
für  die  Liegedauern  von  HoJzschwelien  wieder- 
gegeben, u.  zw.  links  für  ungetränkte  und  rechts 
für  getränkte.  Hierdurch  ist  nachgewiesen,  daß 
die  mittlere  Lebensdauer  der  getränkten  Holz- 
schwelle infolge  der  T.  beträchtlich  gestiegen 
und  mit  ihrem  Schwerpunkt  den  Liegedaucr- 
ordinatendes  linksseitigen  Teiles  der  Darstellung 
nähergerückt  ist. 

Tränken  mit  Teer  öl.  20  —  25  Jahre  Liegedauer 
bei  der  französischen  Nordbahn  und  P.-L.-M.- 
Bahn  für  Buchenschwellen,  18-25  Jahre  für 
Eichensch weilen.  Belgische  Staatsbahn  10-12 
Jahre  in  Hauptgleisen  und  etwa  weitere  10  Jahre 
darauf  in  Nebengleisen  für  Buchen-  und  Eichen- 
schwellen, so  daß  diese  im  ganzen  20  —  22  Jahre 
gebrauchsfähig  sind.  Dem  internationalen  Eisen- 
bahnkongreß von  1900  wurde  ein  auf  Grund 
der  Mitteilungen  von  64  Verwaltungen  —  haupt- 
sächlich von  Frankreich,  England  und  Rußland 
—  ausgearbeiteter  Bericht  unterbreitet,  worin  die 
in  Tabelle  6  angegebenen  mittleren  Gebrauchs- 
Tabelle  6. 


Holzarten 


Kiefernschvcelien  . 
Eichenschwellen  . 
Buchenschwellen  . 


Dauer  in  Nachher  noch 
Haupt-  verwendbar  in 
gleisen  j     Nebengleisen 


Gesamte 

Gebrauchs- 

dauer 


J 


15 
18 
20 


5 

7 

10 


20 
25 
30 


dauern  von  teerölgetränkten  Schwellen  bekannt- 
gegeben wurden.  Im  Taschenbuch  der  Hütte  sind 
folgende  mittlere  Liegedauern  angegeben:  8  bis 
15  Jahre  bei  Fichten-  und  Tannenschwellen, 
15  —  20  Jahre  bei  Kiefern-  und  Lärchenschwellen, 
20-30  Jahre  bei  Eichenschwellen,  25-35 
Jahre  bei  Buchenschwellen. 

Tränken  mit  Kupfervitriol.  Paris-Orleans- 
Bahn  10  Jahre  Betriebsdauer  für  Buchen- 
schwellen,  14  Jahre  für  Kiefernschwellen. 

Tränken  mit  Quecksilbersublimat.  In 
Bayern  15  Jahre  für  Kiefernschwellen,  in  Baden 


18-20  Jahre  für  Eichen-  und  12  Jahre  für 
Buchenschwellen. 

Tränken  mit  Zinkchlorid  (nach  Heinzer- 
ling).  22  Jahre  Betriebsdauer  für  Eichen-,  15 
für  Lärchen-,  13  für  Buchen-,  12  für  Kiefern- 
und  10  Jahre  für  Tannenschwellen.  In  der 
Schweiz:  19  Jahre  Betriebsdauer  für  Eichen-, 
13  für  Kiefern-  und   12  für  Buchenschwellen. 

Tränken  mit  Chlorzink  und  Teeröl  ge- 
mischt (Mischungstränkung).  Holländische 
Eisenbahngesellschaft:  Fichtenschwellen  12-  14, 
Eichenschwellen  15-20  Jahre  Lebensdauer. 
In  Sachsen  sank  die  Auswechslungsziffer  von 
Kiefernschwellen  in  der  Zeit  von  1 896  -  1 905  auf 
jährlich  4'34  %,  was  einer  Verlängerung  der  Liege- 
dauer um  4-6  Jahre  im  Mittel  entspricht.  In  Öster- 
reich hatten  weiche  Schwellen  Lebensdauerer- 
höhungen von  etwa  5  auf  12  Jahre,  Lärchen- 
und  Eichenschwellen  von  etwa  8  auf  16  Jahre. 

Hohltränkung  nach  Rüping.  17  Ver- 
waltungen beantworteten  auf  der  Techniker- 
versammlung zu  Utrecht  (im  Jahre  1912)  die 
Frage  bezüglich  Verlängerung  der  Schwellen- 
dauer dahin,  daß  noch  keine  Aufzeichnungen 
vorliegen  und  noch  kein  abschließendes  Urteil 
gefällt  werden  kann,  da  ja  die  so  behandelten 
Schwelienbestände  noch  gar  nicht  erneuert  sind. 
Die  voraussichtliche  Dauer  von  Schwellen  in 
Hauptgleisen  wird  bei  Kiefern  auf  15—17 
Jahre,  bei  Eichen  auf  15-20  Jahre  und  bei 
Buchen  auf  1 8  -  25  Jahre  geschätzt. 

4.  Tränkungskosten. ^ 

Sie  hängen  hauptsächlich  von  der  einge- 
führten Tränkstoffmenge  ab.  Die  Kosten  der 
Tränkmasse  betragen  etwa  50  —  75  %  (bis  90  % ) 
des  gesamten  Tränkungspreises.  Letzterer  ist 
am  höchsten  bei  Buchenschwellen,  weil  diese 
am  meisten  Tränkstoff  aufnehmen. 

Die  Kosten  verschiedener  Tränkungsarten 
einer  Schwelle  sind  bei  den  Bahnen  des  VDEV. 
ermittelt   und    in    Tabelle  7    für    einige  Jahre 

'  Die  Angaben  beziehen  sich  auf  die  Zeit  un- 
mittelbar vor  Kriegsausbruch  1914. 


Tabelle  7. 


Holzarten 


Jahr 


Kupfervitriol 


Quecksilber- 
chlorid 


Zinkchlorid 


Teeröl 
(nach  Bethell) 


Zinkchlorid  mit 
Teeröl  (Mischungs- 
verfahren) 


Eiche 


Buche  . 


Kiefer 
oder 
Föhre 


1884 
1893 
1903 
1912 
1884 
1893 
1903 
1912 
1884 
1893 
1903 
1912 


0-34 
0-32 

0-40 
0-23 
0-45 


0-40 


0-60 


0-75 
0-52 
0-55 
066 


0-37 

0-43 
0-33 -0-50 

0-30 

0-44 

0-53 
0-35 -0-80 

0-47 

0-50 
0-25 -0-65 
0  30-0-53 


1-0 

0-93 

0-75- 1-20 

0-73 -0-78 

1-9 

1-5 -2-55 
114 
1-7 
1-5 
2-33 


0-61 

0-62- 1-20 
0-68 -0-73 

0-86 

0-9 
0-43 -0-96 

0-74 

0-69 
0-59 -0-88 
0-63 -0-82 


350 


Tränkungsverfahren. 


angegeben.  Bei  der  französischen  Ostbahn 
beträgt  z.  B.  der  Preis  einer  nur  mit  Teeröl 
o;eträni<ten  Eichen-  oder  Buchenschwelle  etwa 


5-9  M.  Für  sog.  Schwellen  I.  und  II.  Kl.  in 
Deutschland  sind  die  Tränkkosten  nach  dem 
Rüping- Verfahren  in  Tabelle  8  wiedergegeben. 


Tabelle  8. 


Holzarten 


Kiefer 
(Einfach-Rüping) 


Eiche 
(Einfach-Rüping) 


Buche 
(Doppel-Rüping) 


Abmessung  der 
Schwelle 


Preußen 


(Northeim) 

Direktion 

Cassel 


Württemberg 


I.  Kl. 

2-7  mX  16/26  cm 

II.  Kl. 
2-5/nX14/24cOT 

I.  Kl. 

2-7  m  X  \b\1bcm 

II.  Kl. 

2-5  mX  14/24  cw 

I.  Kl. 

2-7 otX  Xbßbcm 

II.  Kl. 

2-5  mX  14/24  cm 


I  U  0 
I     U  0 

I  " 


I     U  0-80 


U    1-65 


97  M 

86 
0-90 


! 


\    U  1-35 


E  0-71  M 
E  0-65 
E  0-69 

E  1-26 
E  104 


Am  billigsten  stellt  sich  darnach  das  Tränken 
von  Eichenschwellen,  nächstdem  das  von  Kiefern- 
und  am  teuersten  das  von  Buchenschwellen, 
weil  eben  der  Aufwand  an  Tränkstoff  bei 
Eiche  am  geringsten  (5  kg),  bei  Buche  am 
größten  {\^  kg)  ist.  Tränken  im  Eigenbetrieb 
(E)  in  der  Direktion  Cassel  ist  für  die  Kiefern- 
schwelle I.  Kl.  um  etwa  26^4  "lo ,  för  die  Eichen- 
und  Buchenschwelle  um  etwa23V2%  billiger, 
als  wenn  das  Tränken  der  Schwellen  an  Unter- 
nehmer (U)  vergeben  werden  würde.  Vergleicht 
man  die  Rüpingsche  Hohltränkung  mit  der 
Teerölvolltränkung,  würde  also  eine  Kiefern- 
schwelle I.  Kl.  statt  36  kg  nur  7  A^  Teeröl  ent- 
halten, so  würde  bei  einem  Preis  von  6  M.  für 
100/^^  Teeröl  eine  nach  Rüping  getränkte  Kiefer- 
schwelle nur  für  (7  X  6) :  100  =  0-42  M.  statt 
wie  früher  für  (36  X  6) :  100  =  2i6M.  Teeröl 
aufnehmen.  Dies  bedeutet  eine  Ersparnis  von 
1-74  N[.  für  die  Schwelle.  Die  deutschen  Eisen- 
bahnverwaltungen gebrauchen  etwa  4  Mill. 
Bahnschwellen  jährlich.  Nimmt  man  an,  daß 
bei  der  Volltränkung  mit  300  kg/m^,  bei  der 
Hohltränkung  mit  60  kg/m^  durchschnittlich 
getränkt  wird,  so  müssen  dafür  120.000  / 
bzw.  24.000  t  Teeröl  bewilligt  werden;  in 
Kosten  ausgedrückt  bedeutet  dies  bei  6  M. 
für  100  kg  Teeröl  eine  jährliche  Ersparnis 
an  Ausgaben  für  Tränkflüssigkeit  von  etwa 
53/4  Mill.  M. 

11.  Hölzer  für  Stangen  und  Leitungs- 
maste. 
1.  Rohe  Stangenhölzer. 
In  Deutschland  und  den  anderen  mitteleuro- 
päischen   Ländern    verwendet   man    meist   die 
Kiefer,  weniger  die  Fichte,   Lärche,  Weißtanne; 


E  0-76  M 
E  0-59 


Baden 


Elsaß-Lothrin- 
gische Reichs- 
eisenbahnen 


2-7X15/25 
U  1-39 


E  1-56 
E  1-21 


U  1-15 


U  1-16 


U  2-04 


in  den  Vereinigten  Staaten  Amerikas  fast  immer 
die  gelbe  Zeder.  Zerstörung  der  Stangen  aus- 
schließlich durch  Fäulnis,  die  das  Holz  dicht 
unter  der  Erdoberfläche  ergreift.  Zum  Teil 
werden  die  Stangen  mangels  leicht  zu  be- 
schaffender getränkter  Stangen  noch  jetzt  roh 
verwendet.  Im  Jahre  1909  standen  z.  B.  rund 
14.900  ungetränkte  Stangen  in  den  Linien 
der  deutschen  Telegraphenverwaltung  (gleich 
0-4  % ).  Das  Zopfende  auf  40  cm  Firsthöhe 
wird  dann  dachförmig  abgeschrägt,  um  dem 
mit  Fäulniskeimen  gesättigten  Niederschlags- 
wasser (Regen,  Schnee)  den  Weg  durch  die 
Hirnfläche  in  das  Innere  der  Stange  zu  ver- 
legen. Die  Schnittflächen  erhalten  einen 
2maligen  Anstrich  von  Steinkohlenteer,  Auf 
den  zweiten  Anstrich,  der  erst  nach  dem  Er- 
kalten des  früheren  aufzutragen  ist,  wird  reiner 
gesiebter  Quarzsand  gestreut,  der  größere 
Haltbarkeit  und  besseres  Haften  des  Teeröls 
bewirkt. 

2.  Fäulnisschutz  für  Stangenhölzer. 

Einfachster  Schutz  durch  Ankohlen  der 
Stammenden.  Hierdurch  wird  ein  Kohlen- 
mantel um  das  Holz  gebildet,  der  zugleich 
Holzteer  und  andere  aus  der  trockenen  Destil- 
lation des  Holzes  herrührende  Stoffe  enthält. 
Dadurch  wurde  zwar  die  Stange  gegen  An- 
griffe aus  dem  Erdreich  genügend  geschützt, 
aber  durch  die  nicht  geschützten  Teile  in  der 
Luft  drangen  dauernd  atmosphärische  Feuchtig- 
keit und  Fäulniserreger  ein.  Verwendung  dieses 
Mittels  in  neuester  Zeit  für  Leitungsmaste  der 
Lokalbahn  Innsbruck-Hall  im  Jahre  1912.  In 
abgelegenen  Gegenden,  wo  Stangenbeförderung 
zur  Tränkanlage  zu  teuer  würde,  wird  An- 
strich   mit    Holzteer    angewendet,  der,  auf 


Tränkungsverfahren. 


351 


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1 

gut  getrockneten  Stan- 
gen aufgebracht,  in 
einem  Klima  wie  in 
Norwegen  etwa  1 5 
Jahre  schützt. 

T.  bis  zum  Jahre 
IQOS.DasBoiicherie- 
Verfahren  wurde  frü- 
her am  meisten  von 
der  deutschen  Tele- 
graphenverwaltung an- 
gewendet; in  dem  glei- 
chen Maße  die  Voll- 
tränkung mit  Teer- 
Öl  nach  Betliell,  die 
1903  ihren  Höhepunkt 
erreichte.  Das  Ver- 
fahren mit  Zink- 
chlorid und  Teeröl  ge- 
mischt unter  künst- 
lichem Druck  ist  völlig 
außer  Gebrauch  ge- 
kommen. Auch  die 
Tränkung  der  Tele- 
graphenstangen mit 
Quecksilbersubli- 
mat nach  Ky  an  wurde 
lange  deshalb  stark  ein- 
geschränkt, weil  die 
starke  Giftigkeit  des 
Quecksilbersublimats 
und  seine  Eigenschaft, 
leicht  zu  zerstäuben, 
sorgfältigste  Vorsichts- 
maßregeln nötig  mach- 
ten. Nur  infolge  des 
großen  Bedarfs  der 
Reichspostverwaltung 
an  Stangen  wurden 
aushilfsweise  Liefe- 
rungen kyanisierter 
Stangen  an  Unter- 
nehmer vergeben. 

Nach  Angaben  der 
deutschen  Telegra- 
phenverwaltungen, bei 
denen  länger  als  40 
Jahre   nur   kyanisierte 


Stangen  in  Gebrauch  waren,  betrug  die  durch- 
schnittliche Lebensdauer  mit  Quecksilber- 
chlorid getränkter  Stangen  etwa  17  Jahre.  Die 
Tränkungsarten  bis  zum  Jahre  1905  (nach 
Archiv  für  Post  und  Telegraphie  1905/16)  sind 
in  Tabelle  9  enthalten.  Die  Preise  für  die 
Stangenhölzer  sind  in  Tabelle  10  angegeben. 
Das  in  der  Anschaffung  teuerste  Verfahren,  die 
Tränkung  mit  Teeröl,  ist  also  im  Gebrauch 
das  billigtse. 

Tabelle  10. 


Tränkungsarten 

Mittlere 
Dauer 

Jahre 

Für  1  m3  Holz 

" 

Gesamt- 
kosten 
M. 

Kosten  für 

ein  Jaiir 

M. 

Kupfervitriol    .... 
Zinkchlorid      .... 
Quecksilberchlorid 

Teeröl   

Rohe  Stangen     .    .    . 

13-4 
12-2 
14-5 
22-3 
7-9 

5200 
48-82 
52-77 
64-26 
41-50 

3-88 
4-02 
3-64 
2-88 
5-25 

NeuereTeeröi-Tränkungs  verfahren.  Das 
Rüping-Verfahren  wird  jetzt  am  meisten  von 
der  Reichstelegraphenverwaltung  benutzt.  Von 
1 904  bis  Anfang  1912  sind  etwa  8,b00.000  solcher 
Stangen  eingebaut  worden.  Nach  dem  Rütgers- 
schen  Sparverfahren  sind  von  1904  bis  1912 
etwa  3,000.000  mit  Teeröl  getränkte  Stangen 
eingebaut.  Rüping  verwendet  nur  etwa  bOkg/m^ 
und  Rütgers  100  kg/m^  Öl.  Die  bisher  für 
Stangenhölzer  genannten  Tränkungen  konnten 
nur  bei  der  Kiefer  erfolgreich  angewendet 
werden.  Denn  da  der  Tränkstoff  nur  das  Splint- 
holz, nicht  aber  den  Kern  durchtränkt,  ist  von 
unseren  Nadelhölzern  hierzu  die  Kiefer  am 
geeignetsten,  weniger  die  Lärche,  ungeeignet 
Fichte  und  Tanne.  Letztere  eignen  sich  aber 
wegen  ihres  schönen,  geraden  Wuchses  und 
ihrer  Festigkeit  besonders  zu  Telegraphen- 
stangen. Nun  besteht  ein  Verfahren  von  Halten- 
berger  und  Berdenich  in  Ungarn  darin 
—  um  auch  Fichte  und  Tanne  für  die  Tränkung 
mit  Teeröl  geeignet  zu  machen  —  daß  Stangen 
aus  diesen  Hölzern  in  ihrem  unteren  Teil  auf 
2  m  Länge  mit  Bohrmaschinen  am  Umfang  mit 
feinen  Löchern  versehen  werden. 

Die  mittels  Nadeln  von  etwa  2  mm  Stärke 
20  -  30  mm    tief    eingebohrten    Löcher    sind 


Abb.  314.  Lochungsmascliine  für  Stangen. 


352 


Tränkungsverfahren. 


Holzarten 


Tanne 
Fichte 
Kiefer 
Lärche 
Eiche 


Elastizitäts- 
ziffer E 


in  Abständen  von  rd.  10  cot  in  der  Längs- 
richtung des  Holzes  in  spiralförmigen  Linien 
derart  angeordnet,  daß  jede  derselben  gegen 
die  nebenliegende  versetzt  ist.  Durch  die  An- 
ordnung der  Bohrnadeln  wird  erreicht,  daß 
der  Tränkstoff  durch  den  Splint  hindurch  bis 
zum  Kern  eindringt  und  sich  in  Längsrichtung 
des  Holzes  gleichmäßig  ver- 
teilt. Abb.  314  zeigt  solch  _____^_^,^ 
eine  Lochungsmaschine 
für  Mäste  in  schematischer 
Darstellung. 

In  Österreich  wird  zur 
Erreichung  desselben  Zieles 
noch  ein  anderer  Weg  ein- 
geschlagen. Man  tränkt  näm- 
lich die  Stangen  erst  mit  der 
wässerigen  Lösung  eines 
Metallsalzes  (Natrium, 
Fluor)  und  preßt  dann  Teeröl  bis  zur  Sättigung 
des  Splintes  nach.  Durch  Verdunsten  der  tiefer 
eindringenden  Metalisalzlosung  wird  das  Teeröl 
weiter  in  den  Stamm  hineingesaugt.  Andere 
Versuche  der  österreichischen  Telegraphen- 
verwaltung erstrecken  sich  auf  fäulnishindernde 
Salze.  In  neuester  Zeit  haben  die  Rütgers- 
werke  nitrierte  Phenole  zum  Tränken 
von  Stangen  benutzt.  Sie  wurden  für  Kiefern- 
holz und  auch  für  Fichten-  und  Tannenholz 
unter  Anwendung  des  Haltenbergerschen  Ver- 
fahrens angewendet. 

III.  Hölzer  für  Eisenbahnbrücken. 

Es  kommen  vor  hölzerne  Eisenbahnbrücken 
in  Neben-  oder  Kleinbahnen;  hölzerne  Eisen- 
bahnbrücken für  provisorische  Zeitdauer,  z.  B. 
Not-  und  Kriegsbrücken  zur  Wiederfahrbar- 
machung  zerstörter  Eisenbahnteile,  provisorische 
Holzbrücken  zur  schnelleren  Inbetriebnahme 
einer  neuen  Eisenbahn,  Arbeits-  und  Material- 
transportbrücken. Die  Hölzer  werden  getränkt 
zur  Erhöhung  der  Wirtschaftlichkeit  der  Holz- 
brücken innerhalb  gewisser  Grenzen  ihrer 
Spannweiten  gegenüber  dem  Eisen.  Von  Nadel- 
hölzern kommen  in  Betracht:  Kiefern,  Lärchen, 
Tannen  und  Fichten;  von  Laubhölzern  Eichen- 
holz zu  Trägern,  Stützen  und  Grundbauten, 
Erlenholz  zu  Grundbauten,  Buchenholz  zu 
Brückenbahnbelägen.  Durch  Öl-  und  Teer- 
anstriche sucht  man  die  Dauerhaftigkeit  der 
Brückenhölzer  zu  erhöhen;  doch  bringen  diese 
Verfahren  neben  zeitweise  erforderlicher  Erneue- 
rung den  Nachteil  mit  sich,  daß  der  Oberflächen- 
bezug durch  Abhaltung  der  Luft  den  inneren 
Feuchtigkeitsgehalt  des  Holzes  an  der  Verdun- 
stung durch  die  Poren  der  Oberflächen  hindert 
und  so  der  Fäulnis  von  innen  her  Vorschub  leistet. 


Wirksamste  Abhilfe  gegen  diesen  Fäulnisprozeß 
bildet  Tränkung  unter  Hochdruck  nach 
den  neueren,  vorher  beschriebenen,  antisep- 
tischen Verfahren,  besonders  die  Teer- 
ölspartränkung.  Hierdurch  wird  auch  die 
bauliche  Zug-  und  Druckfestigkeit  der  Hölzer, 
hauptsächlich  an  ihren  Verbindungsstellen,  be- 
Tabelle n. 


Brücken  mit  rohen  Hölzern 


ZugZ 

kgtcmfi 


Druck  D 
kglcm^ 


130.000 

IQO 

130.000 

160 

130.000 

210 

130,000 

230 

120.000 

160 

Brücken  mit  getränkten  Hölzern 


Elastizi'äts- 

ZugZ 

Ziffer  E 

kglcmi 

120.000 

100 

113.000 

80 

120.000 

105 

120.000 

113 

113.000 

80 

Druck  D 
fcgfcm^ 


trächtlich  erhöht.  Tabelle  1 1  weist  Werte  in  kg 
auf,  denen  unter  Zugrundelegung  mäßiger  Er- 
schütterungen der  rohe  Holzstab  ausgesetzt 
werden  darf  und  wie  groß  die  Erhöhungen 
der  Festigkeiten    durch    die  Tränkungen  sind. 

IV.   Hölzer  für  Eisenbahnfahrzeuge. 

Tränken  der  sog.  Werkstattnutzhölzer 
mit  antiseptischen  Mitteln  findet  nicht 
statt;  höchstens  Behandlung  durch  Trocknen, 
Dämpfen,  Anstreichen  und  Auslaugen. 
Alle  diese  Mittel  geben  dem  Holz  eine  größere 
Lebensfähigkeit. 

Trocknen,  bei  erhöhter  Temperatur  (etwa 
100''  C)  im  Freien  oder  in  Trockenöfen  bei 
noch  höheren  Temperaturen.  Nach  einem  be- 
sonderen Verfahren  wird  das  Holz  einer  mehr- 
stündigen Behandlung  in  ungespanntem  Ab- 
dampf unterzogen  und  hierauf  5  Tage  schwelen- 
den Gasen  von  Holzspänen  ausgesetzt,  die 
unter  mangelnder  Luftzufuhr  verbrennen.  Der 
ins  Holz  eingedrungene  Dampf  wird  hierbei 
durch  die  teerölhaltigen  Verbrennungsgase 
ersetzt,  das  Holz  getrocknet  und  haltbar  gegen 
alle  Einflüsse  gemacht.  Dämpfen  und  nach- 
trägliches Tränken  des  Holzes  durch  eine 
salzige  Flüssigkeit  (Hasselmann),  wodurch 
den  Hölzern  verschiedenartige  Farbentöne  (grau, 
bräunlich)  gegeben  werden  können.  Diese  er- 
halten sich  auch  bei  der  Holzverarbeitung, 
wodurch  ein  Anstreichen  überflüssig  wird. 
Anstriche  werden  erfolgreich  bei  Holzteilen 
angewendet,  bei  denen  der  Anstrich  leicht 
ausgeführt  bzw.  erneuert  werden  kann,  z.  B. 
bei  Türen  und  Fensterhölzern.  Anstrichmittel 
sind:  Terpentin-  und  Leinöl,  Ölfarbe,  Holz- 
firnisse aller  Art.  Warmen  Leinölanstrich  er- 
halten z.  B.  die  Verschalungsbretter  gedeckter 


Tränkungsverfahren. 


353 


Güterwagen;  die  der  offenen  Güterwagen 
werden  erst  mit  einer  Ölfarbe  angestrichen 
und  darüber  lackiert.  Mit  den  äußeren  Holz- 
teilen der  Personenwagen  wird  ebenso  ver- 
fahren wie  mit  den  Verschalungsbrettern  der 
offenen  Güterwagen;  die  inneren  Teile  da- 
gegen werden  nur  poliert^  Auslaugung 
bewirkt  Entziehung  der  wasserlöslichen  Be- 
standteile aus  den  Hölzern.  Sie  findet  meist 
ohne  besondere  Absicht  nebenher  beim  Flößen 
des  Holzes  statt. 

C.  Tränkanstalten  für  Eisenbahnhöizer. 

I.  Einrichtung    und   Betrieb   von 
Tränkanstalten. 

Zu  jeder  Tränkanlage  gehört: 

a)  ein  Bahnhof  mit  äußeren  ma- 
schinellen Einrichtungen,  in  der 
Hauptsache    Transportvorrichtungen 


dampf,  Abdampf  und  Heizdampf;  bei  den 
Leitungen  für  Wasser:  Leitungen  für  Nieder- 
schlags-, Zu-  und  Ablauf  für  Kühl-,  Speise- 
und  Löschwasser.  In  alle  diese  Rohrleitungen 
müssen  Absperrventile  eingebaut  sein,  um 
je  nach  den  Arbeitsstufen  verbinden  und  ab- 
sperren zu  können.  Da  das  Öffnen  und 
Schließen  der  zerstreut  angebrachten  Ventile 
unbequem  ist,  bedient  man  Luft-  und  Tränk- 
stoffleitungen getrennt  durch  Fernschalter  von 
einer  Stelle  aus. 

Der  Verlauf  des  Arbeitsvorgangs 
bedingt  als  Form  der  Tränkanlage  eine 
möglichst  langgestreckte,  schmale;  Hobelhaus, 


Abb.  315.  Kesselwagen  für  Tränkkessel. 


sowie      Schwellenbohr-     und      -hobel- 
maschinen; 

Ä^  innere  maschinelle  Einrichtun- 
gen, d.  s.  Einrichtungen  für  den  Trän- 
kungsvorgang. Zu  b  gehören:  Tränk- 
kessel; Füllbehälter  und  Meßgefäße;  Preßluft- 
behälter, Kühler  und  Luftpumpen  für  Luft; 
Pumpen  für  Tränkflüssigkeit,  Luft,  Wasser 
und  Dampf.  Rohrleitungen  zur  Verbindung  der 
Tränkeinrichtungen  untereinander  sind  Luft-, 
Flüssigkeits-,  Dampf-  und  Wasserleitungen. 
Man  unterscheidet  bei  den  Leitungen  für 
Luft:  Leitungen  zum  Drücken,  Saugen,  Aus- 
puffen und  Entlüften;  bei  den  Leitungen 
für  Tränkflüssigkeit:  Leitungen  zum  Füllen, 
Drücken,  Saugen  und  für  Oberlauf;  bei  den 
Leitungen    für  Dampf:    Leitungen    für  Frisch- 


'  Das  Füllmaterial  (Holzwolle),  das  zur  Iso- 
lation bei  den  Personenwagen  in  den  Seitenwänden 
und  in  den  Zwischenräumen  des  Fußbodens  ver- 
wendet wird,  tränkt  man  nach  dem  Qantschen 
Verfahren. 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


Wage  und  Tränkgebäude  sollen  möglichst  in 
einer  Richtung  liegen.  Im  Hauptgebäude 
der  Tränkanstalt  sind  die  Einrichtungen  für 
den  Tränkungsvorgang  in  2  getrennten 
Räumen,  dem  Tränk-  und  Maschinenraum, 
oder  in  einem  gemeinsamen  Raum  unter- 
gebracht. Austrocknen  der  Hölzer  vor  der 
Tränkung  ist  notwendig.  Es  gibt:  a)  natür- 
liches Austrocknen  im  Freien  mit  Luft  oder 
in  luftigen,  vor  Feuchtigkeit  geschützten 
Schuppen;  b)  künstliches  Trocknen  in  Öfen 
mit  heißer  Luft  oder  mit  Dampf;  c)  Trocknen 
mit  Öl  (sehr  selten).  Sind  die  Hölzer  ge- 
nügend trocken,  so  verladet  man  sie  auf 
Zustellungswagen,  die  von  kleinen  Loko- 
motiven zu  den  Holzbearbeitungs- 
maschinen gebracht  werden.  Dort  werden 
Schwellen  vor  der  Tränkung  gehobelt  oder 
gekappt,  besser  auch  noch  gebohrt.  Beim 
Abtransport  nach  dem  Hobeln  u.  s.  w.  fallen 
die  Schwellen  von  oben  in  die  Tränkkessel- 
wagen (Abb.  315).   Diese  müssen  unmittelbar 

23 


354 


Tränkungsverfahren. 


:^ 


TerramhÖ^e  unä  Schienenu/tterffOfth 


-^■V-"M' 


^<£^^^J^^luff>^| 


Abb.  316.  Hauptgebäude  der  Tränkanstalt  in  Zernsdorf  (preußische  Staatsbahnen). 


in    den    Tränkkessel    einfahren    können 
genai:  in  diesen  passen;  ihre  Seiten  sind 


und 
des- 
halb stets  kreisförmig  gebogen.  Diese  Wagen 
bringen  die  Schwellen  nach  der  Tränkung 
auch  zu  den  Stapelplätzen  zurück.  Bevor 
die  bearbeiteten  Schwellen  mit  den  Kessel- 
wagen in  den  Tränkkessel  gelangen,  werden 
sie  auf  einer  Gleiswage  verwogen.  Nach  der 


Tränkung  wird  das 
Schwellengewicht 
wiederum  ermit- 
telt, um  die  Menge 
der  aufgenomme- 
nen Tränkflüssig- 
keit bei  jeder  Wa- 
genladung festzu- 
stellen. 

II.  Ausgeführte 
Tränkanstalten. 

Zernsdorf  für 
diepreußischen 
Staatseisenbah- 
nen ist  eine  Drei- 
kesselanlage. An 
Gebäuden  sind  in 
Zernsdorf  (Abb. 
316)    vorhanden: 

Hauptgebäude; 
Schuppen  zum 
Schutz  der  Ölvor- 
ratsbehälter  im 
Freien;  Hobel- 
haus und  Gebäude  mit  Wohlfahrtseinrichtungen 
für  die  Arbeiter.  Das  Hauptgebäude  enthält 
den  Tränkraum,  Dampfkesselraum,  Maschinen- 
raum, Akkumulatorenraum,  V'ersuchsraum  und 
verschiedene  Bureauräume.  Im  Tränkraum 
liegen:  3  Stück  17-5  m  lange  Tränkkessel  A, 
3  Ölvorwärmer  F  von  10/n  Länge,  2  Meß- 
gefäße C,  ein  Kondensator  D  für  die  Vakuum- 


Abb.  317.  Tränkgebäude  der 

schweizerischen  Tränkanstalt 

»Zofingen". 


Tränkungsverfahren. 


355 


leitung  und  ein  Kondenswassergefäß  E.  Im 
Maschinenraum  stehen  S  Maschinen.  Die 
alte  einzylindrige  Betriebsdampfmaschine  M 
dient  nur  noch  zum  Antrieb  der  Wellenleitung. 
Betriebsdampfmaschine  O  ist  mit  2  Dynamo- 
maschinen unmittelbar  gekuppelt.  Luftkompres- 
sor N  wird  benutzt  zum  Erzeugen  von  Preß- 
luft für  das  Bewegen  des  Teeröls  in  den 
Leitungen  und  zum  Nachdrücken  des  Öles  aus 
den  Meßgefäßen  in  die  Hölzer.  Zwei  Vakuum- 
pumpen P  stellen  den  Unterdruck  beim  Trän- 
kungsvorgang her,  Q  sind  die  Wasserpumpen. 
Die  beiden  Dynamomaschinen  dienen  zum 
Treiben  der  Elektromotoren  für  die  Hobel- 
maschine, die  Spiilanlage,  zur  Beleuchtung 
u.  a.  m.  In  dem  Gebäude  K  Hegen  4  Ölvorrats- 
behälter,  außerdem  noch  3  im  Freien. 

Zofingen  an  der  Bahnstrecke  Luzern- 
Olten  (Abb.  317). 
Außer  Schwellen 
werden  auch  kieferne 
Telegraphenmasten 
und  Brückenbeläge 
getränkt.  Höchstlei- 
stung könnte  bei 
lOstündiger  Arbeits- 
zeit an  den  Holzbe- 
arbeitungsmaschinen 
und  12stündiger  am 
Tränkkessel  etwa 
15.000  m^  Holz  in 
300  Arbeitstagen  be- 
tragen ;  da  jedoch 
nur  8  Monate  jähr- 
lich (April  bis  De- 
zember) der  Betrieb 

aufrechterhalten  wird,  so  beträgt  die  jährliche 
Leistung  nur  etwa  8000  m^  Holz.  Im  Haupt- 
gebäude befindet  sich  ein  Tränkkessel  von 
17  m  Länge  und  2  m  Durchmesser,  ein  28  m^ 
Öl  fassender  Füllkessel,  Luftkompressor,  Öl- 
preßpumpe,  Kondensator  für  die  Vakuumleitung, 
elektrische  Lichtanlage  und  Dampfwinde  zum 
Herausschaffen  der  Wagen  aus  dem  Kessel.  Im 
Nebenraum  stehen  Dampfkessel  und  Speise- 
wasserbehälter. Ferner  sind  Werkstatt-,  Lager-, 
Arbeiter-,  Bureau-  und  Baderäume  vorgesehen. 
Viereckiges  Meßgefäß  und  Ölvorratsbehälter 
befinden  sich  unter  Dach  im  Freien. 

Crailoo  für  die  holländische  Eisen- 
bahngesellschaft. 4,000.000  Schwellen  kön- 
nen in  Stapeln  auf  den  Lagerplätzen  unter- 
gebracht werden.  Die  jährliche  Schwellenzufuhr 
beträgt  etwa  120.000  Stück  Lärchen-  und 
Fichtenhölzer  sowie  etwa  60.000  Eichenhölzer. 
Buchenholz  kommt  gar  nicht  in  Anwendung, 
weil  in  Crailoo  nur  mit  Chlorzink  getränkt 
wird.    Die    Kesselwagen    stehen    auf    Anfuhr- 


wagen und  werden  auf  diesen  auf  dem  Gleis 
zum  Tränkkessel  gefahren.  Das  Haupt- 
gebäude besteht  aus  6  Räumen  (Abb.  318): 
aus  dem  Tränkraum  A,  Maschinenraum  B,  Akku- 
mulatorenraum C,  aus  den  Lager-,  Werkstatts- 
und Bureauräumen  D  E F.  Im  Tränkraum  A 
liegen  2  Tränkkessel  a  von  2  m  Durch- 
messer und  16-5  m  Länge,  so  daß  jeder  Kessel 
einen  Tränkzug  aus  6  Wagen  aufnehmen  kann. 
Man  hat  damit  Leistungen  von  6000  Schwellen 
jährlich  erzielt.  Ferner  enthält  der  Tränkraum 
einen  Kellerraum  mit  4  Arbeitströgen  b, 
sowie  einen  hochliegenden  Chlorzinkbehälter  c; 
von  dem  Behälter  aus  wird  die  Lauge  in  den 
Mischtrog  d  abgezapft,  um  nach  ihrer  genügen- 
den Verdünnung  in  die  Arbeitströge  b  abge- 
lassen zu  werden.  Kondensator  e  sorgt  dafür, 
daß  in  der  Nähe  der  Luftpumpe  keine  Feuchtig- 


/ 


P 


a 


k 


UJ 


V    / 


Abb.  31S.  Tränkgebäude  in  „Crailoo"  (Holländische  Eisenbahn-Gesellschaft). 


keit  vorhanden  ist.  Abzapfkessel/ zapft  Wasser 
aus  den  Tränkkesseln,  nachdem  die  Luftpumpe 
in  Tätigkeit  getreten  ist.  Zwei  Spänefänger  o' 
in  den  Leitungen  von  den  Arbeitströgen  zu 
den  Flüssigkeitsdruckpumpen  verhüten,  daß 
Holzspäne  in  die  Pumpen  geraten.  Brücke  h 
ist  nur  zur  Bedienung  der  verschiedenen  Ab- 
sperrventile angelegt.  Im  Maschinenraums 
dient  Dampfmaschine  l  zum  Antrieb  zweier 
Dynamos  m,  Dampfmaschine  n  zum  Laden  der 
Akkumulatorenbatterien  im  besonderen  Raum  C. 
p  sind  2  Flüssigkeitspreßpumpen  und  q  eine 
Luftpumpe. 

Neapel  hat  eine  Dreikesselanlage.  Fast 
alle  Einrichtungen  für  den  Tränkungsvorgang 
liegen  in  einem  Raum.  Das  Hauptgebäude  um- 
faßt den  Maschinenraum,  den  Danipfkesselraum, 
der  jedoch  vom  Maschinenraum  nicht  zugängig 
ist,  einen  Raum  für  die  Meßgefäße  und  2  kleine, 
vorn  angebaute  Räume  zum  Unterbringen  der 
Dampfwinden.  Im  Maschinenraum  liegen  3 
Tränkkessel  von  2  m  Durchmesser  und  21-5  zw 

23' 


356 


Tränkungsverfahren.   -   Transandinische  Eisenbahn. 


Länge;  3  Füllkessel  von  2-5  m  Durchmesser 
und  16  zw  Länge;  3  Ölpreßpumpen,  2  Luftpum- 
pen und  ein  Kondensator.  Die  3  Meßgefäße 
haben  eine  Höhe  von  \-\  m  und  eine  Grund- 
fläche von  2-8  X  4  /K. 

Amerikanische  Tränkwerke  werden 
neuerdings  mit  hochstehenden  Kesseln  aus- 
gerüstet. Die  Kessel  stehen  im  Freien,  während 
die  Lagerschuppen  und  Holzbearbeitungs- 
maschinen in  besonderen  Gebäuden  unter- 
gebracht sind.  Als  Vorteile  dieser  Behandlung 
in  stehenden  Tränkkesseln  werden  folgende  an- 
gegeben :  1 .  Vereinfachung  der  Arbeit,  beginnend 
mit  der  Zuführung  des  Holzes  von  der  Säge  in 
die  Fördergefäße;  2.  der  nicht  mit  Holz  ausge- 
füllte Raum  in  den  Tränkkesseln  ist  auf  das 
geringste  Maß  eingeschränkt,  weil  der  ganze 
Kessel  mit  Holz  ausgefüllt  wird,  was  bei  liegen- 
den Kesseln  unmöglich  ist,  weil  zur  Aufnahme 
des  Holzes  Wagen  erforderlich  sind;  3.  die 
stehenden  Kessel  erfordern  nur  ^/^g  der  Grund- 
fläche der  liegenden;  4.  die  Anlagekosten  sind 
bei  weitem  geringer  als  bei  einer  Anlage  mit 
liegenden  Kesseln.  Der  Hauptvorteil  wird 
aber  erreicht  durch  die  Vereinfachung  des 
Arbeitsverfahrens  und  dessen  geringere  Kosten. 
Diese  lassen  sich  umsomehr  einschränken, 
je  weniger  Raum  die  stehenden  Kessel  ein- 
nehmen. Außerdem  ist  die  Größe  der  Kessel 
nicht  mehr  abhängig  von  der  Form  der  Zu- 
führungsgefäße, weil  keine  Wagen  in  die 
Kessel  eingeführt  werden.  Kleine  oder  auch 
besonders  geformte  Kessel  von  der  Form  enger 
Röhren  können  daher  aufgestellt  werden. 
Masten  brauchen  in  teilweise  gefüllten  Kesseln 
nur  so  weit  getränkt  zu  werden,  als  sie  später 
eingegraben  werden  müssen,  während  der  frei- 
stehende, weniger  der  Zerstörung  durch  Fäulnis 
ausgesetzte  Teil  von  der  Tränkflüssigkeit  nicht 
benetzt  wird. 

Literatur:  Andes,  Das  Konservieren  des  Holzes. 
VX'ien  18SS.  —  Deutsches  Eisenbahnwesen  der 
Gegenwart,  Bd.  II,  Berlin  1911.  -  Eis.  T.  d.  Q. 
1908,  Bd.  II,  2.  Teil  u.  Bd.  V,  I.Teil.  -  Gayer- 
Mayr,  Die  Forstbenutzung.  Berlin  1909.  -  Hartig, 
Holzuntersuchungen.  Berlin  1901.  —  Heinzerling, 
Konservierung  des  Holzes.  1885.  —  Igel,  Hölzerne 
Eisenbahnschwellen  unter  Berücksichtigung  ihrer 
Tränkung.  Berlin  1915.  —  Janka,.  .Mitteilungen  aus 
dem  forstlichen  Versuchswesen  Österreichs.  Wien 
1900,  1907,  1909.  -  Netzsch,  Bedeutung  der  Fluor- 
verbindungen für  die  Holzkonser\'ierung.  1909.  - 
Organ  1912,  XIV.  Erg.-Bd.  -  Statistisches  Jahr- 
buch f.  d.  Deutsche  Reich.  1913.  -  Taschen- 
buch derHütte,  1915,  22.  Aufl.,  Bd.  I.  -  Troschel, 
Handbuch  der  Holzkonservierung.  Berlin  1916.  — 
Troske,  .Allgemeine  Eisenbahnkunde,  Bd.  I,  Leipzig 
1907.  -  Wiehe,  Fremde  Nutzhölzer.  Bremen  1912. 
—  Winnig,  Grundlagen  der  Bautechnik  für  über- 
irdische Telegraphenlinien.  —  Bagster-Boulton, 
The  antiseptic  treatment  of  timber.  —  Samitca, 
La  conser\-ation   des  traverses  en  hetre.    Paris  1911. 


-  Archiv  für  Post  u.  Telegraphie  1905,  1911, 
1913;  E.  T.  Z.  1912,  1913;  Elektrotechnik  und 
Maschinenbau  1912;  Glasers  Ann.  1910-1912, 
1915;  Organ  1880,  1895-1899,  1901,  1903,  1906, 
1909,  1912-1916;  Österr.  Chemiker-Ztg.  190S; 
Verkehrstechn.  W.  1910/11,  1913  14,  1914/15;  Ztg. 
d.  VDEV.  1909,  1912,  1914-1916;  Ztschr.  dl 
Ing.  1907,  1909,  1910;  Ztschr.  f.  angewandte 
Chemie  1901,  1911;  Ztschr.  f.  Architekten-  u. 
Ingenieurwesen  1913;  Schweizerische  tech- 
nische Rundschau  1910;  De  Ingenieur  1910; 
Rev.  gen.  d.  ehem.  1891,  1905;  Report  Comitee 
of  Preservation  treatment  1910,  1911;  Engg. 
News  1910;  Railw.  Age  Gaz.  1906,  1908,  1909, 
1912,  1913.  Igel. 

Tragbare  Telegraphen  s.  Streckentele- 
graphen. 

Tragfähigkeit  der  Wagen  (carrying  ca- 
pacity;  capacitc  de  Charge;  capacita  di  portata), 
die  äußerste  Grenze,  bis  zu  der  Wagen  be- 
laden werden  dürfen  (s.  Ladegewicht). 

Traglasten  in  Körben,  Säcken  oder  Kiepen 
dürfen  nach  §  28  der  deutschen  Verkehrsord- 
nung und  des  österr.- un gar.  BR.  in  die  4.  Klasse 
der  Personenwagen  mitgenommen  werden,  so- 
fern sie  ein  Fußgänger  mit  sich  führen  kann. 

Nach  den  Ausfuhrbestimmungen  zurdeutschen 
Verkehrsordnung  darf  jeder  Reisende  in  der 
4.  Klasse  nur  eine  T.  mit  sich  führen.  Sie 
kann  auch  aus  mehreren  Stücken  bestehen. 
Gegenstände,  die  infolge  ihres  Umfangs,  ihres 
Gewichts  oder  ihrer  ."Xnzahl  ein  einzelner  Fuß- 
gänger nicht  zu  tragen  vermag,  werden  auch 
dann  nicht  als  T.  zugelassen,  wenn  mehrere 
Fahrkarten  vorgezeigt  werden.  Kleinere  Tiere 
dürfen  dagegen  als  T.  mitgenommen  werden. 

Trajektanstalten  s.  Fähranstalten. 

Transandinische  Eisenbahn,  auch  nach 
ihrem  Erbauer  Transanden-Clark-Bahn  genannt, 
ist  die  erste  und  bis  jetzt  einzige  Eisenbahn, 
die  das  Festland  von  Südamerika  durchquert 
und  den  .atlantischen  mit  dem  Stillen  Ozean 
verbindet.  Sie  durchzieht  die  Staaten  Argentinien 
und  Chili  zwischen  Buenos  Aires  und  Val- 
paraiso und  ist  1436  ÄOT  lang.  Die  Bahn  führt 
von  Buenos  Aires  zunächst  nach  A\endoza 
(1048  äot),  bis  wohin  die  technischen  Ver- 
hältnisse ziemlich  einfach  liegen.  Ihre  Spur- 
weite beträgt  bis  dahin  1'646/k.  In  Mendoza 
beginnt  die  eigentliche  Andenbahn,  die  bis 
Los  ,\ndes  in  Chili  führt,  1  m  Spurweite  hat 
und  250  km  lang  ist.  An  sie  schließt  sich  die 
wieder  breitspurige  Bahn  von  Los  .Andes  nach 
Valparaiso  (138  Ä/w).  Der  Bau  der  Gebirgs- 
strecke  war  mit  außerordentlichen  Schwierig- 
keiten verbunden.  Die  Bahn  überschreitet  in 
einer  Höhe  von  3200  m  den  3842  m  hohen 
Upsallatapaß  (auch  juncalpaß  genannt)  mit 
einem  3030  ni  langen  Tunnel.  Auf  der  Bahn- 
strecke befinden  sich  291  Durchlässe  in  einer 


Transandinische  Eisenbahn.   -  Transportsteuern. 


357 


Gesamtlänge  von  438  m,  39  Brücken  in  einer 
Gesamtlänge  von  1276  m  und  10  kleinere 
Tunnel  in  einer  Gesamtlänge  von  533  m. 
Ein  Teil  der  Bahn  ist  als  Zahnradstrecke  ge- 
baut. Die  größte  Neigung  beträgt  auf  der 
Adhäsionsstrecke  25%  auf  1-64  Ä/n,  auf  der 
Zahnradstrecke  bQ%  auf  3-38  ^m.  Der  Durch- 
schlag des  größten  Tunnels  (Tunnel  de  la 
Cumbre)  erfolgte  am  27.  November  1909, 
die  ganze  Bahn  wurde  am  25.  Mai  1910  bei 
Eröffnung  einer  großen  internationalen  Aus- 
stellung in  Buenos  Aires  zur  Hundertjahrfeier 
der  Unabhängigkeit  der  argentinischen  Re- 
publik dem  Verkehr  übergeben. 

Die  Bahn  hat  ihre  Bedeutung  als  eine  große 
neue  Verkehrsstraße  hauptsächlich  zwischen 
den  beiden  südamerikanischen  Republiken,  die 
sie  durchschneidet,  aber  auch  den  Nachbar- 
republiken. Die  Reise  von  Valparaiso  nach 
Buenos  Aires  zur  See  durch  die  Magalhaens- 
straße  dauerte  14  Tage,  auf  der  Eisenbahn 
dauert  sie  2  Tage.  Die  Beförderung  der  ver- 
hältnismäßig geringen  Gütermengen  über  das 
Gebirge  erfolgte  früher  durch  Maultiere.  Un- 
geachtet der  durch  die  Bahn  herbeigeführten 
Verbesserungen  sind  die  wirtschaftlichen  Er- 
folge des  neuen  Verkehrsweges  bis  jetzt  nur 
mäßige.  Es  liegt  das  einmal  daran,  daß  beim 
Wechsel  der  Spur  eine  2malige  Umladung 
der  Güter  erforderlich  ist,  und  sodann  an  den 
klimatischen  Verhältnissen  der  Gebirgsstrecken, 
die  bei  den  starken  Schneefällen  und  den 
heftigen  Schneestürmen  in  der  kalten  Jahres- 
zeit oft  Wochen-,  ja  monatelang  gesperrt  werden 
müssen.  Der  Güterverkehr  stockt  dann  voll- 
ständig, die  Reisenden  werden  mit  Wagen  über 
das  Gebirge  befördert.  Für  den  Güterverkehr 
kommt  dazu  der  Wettbewerb  des  Seewegs 
und  der  Umstand,  daß  das  für  Chili  besonders 
wichtige  Vieh  immer  noch  besser  und  billiger 
zu  Fuß  über  die  Grenze  geführt  wird.  Im 
Jahre  1910,  für  das  allein  Zahlen  vorliegen, 
wurden  nur  36.050 1  Güter  über  die  Bahn 
gefahren.  Die  Zahl  der  beförderten  Personen 
betrug  in  demselben  Jahr  20.566,  während 
sie  sich  in  den  Vorjahren  durchschnittlich  auf 
10.000  belief.  Wie  weit  für  den  internationalen 
Verkehr  der  Panamakanal  Einfluß  haben  wird 
auf  die  wirtschaftliche  Entwicklung  der  T., 
ist  noch  nicht  zu  übersehen.  Auch  durch  die 
mit  Rücksicht  auf  die  hohen  Anlagekosten 
sehr  hoch  bemessenen  Tarife  wird  der  Ver- 
kehr stark  beeinflußt.  Die  Entfernung  wird  durch- 
wegs nicht  nach  der  natürlichen,  sondern  nach 
der  virtuellen  Länge  der  Strecke  bemessen,  die 
stellenweise  doppelt  so  hoch  ist  als  die  natürliche. 
Insgesamt  sind  die  Personentarife,  je  nach  dem 
Kurs  des   Geldes,   10-12mal,   die  Gütertarife 


etwa    8-lOmal    höher   als    die    der    übrigen 
Staatsbahnstrecken. 

Ungeachtet  dieser  wenig  günstigen  wirt- 
schaftlichen Verhältnisse  ist  der  Bau  weiterer, 
südlich  gelegener,  die  Anden  überschreitender 
Bahnen  teils  geplant,  teils  bereits  in  Angriff  ge- 
nommen. Eine  Bahn  soll  über  den  Antucopaß 
gehen.  Sie  würde  das  chilenische  Zentral- 
netz in  der  Nähe  von  Concepcion  und  Talca- 
huano  mit  einer  von  Bahia  Bianca  am  At- 
lantischen Ozean  ausgehenden  argentinischen 
Bahn  verbinden.  Die  andere,  noch  südlichere 
würde  in  der  Gegend  von  Osorno  zwischen 
Valdivia  und  Puerto  Montt  in  Chili  den  An- 
schluß von  einer  Linie  herstellen,  die  vom 
Golf  San  Antonio  am  Atlantischen  Ozean 
nach  dem  Nauheiuapisee  führt.  Auf  dieser 
würden  die  Anden  in  einer  Höhe  von  nur 
1 1 80  /w  zu  überschreiten  sein.  Wie  weit  die 
Anlage  dieser  Bahnen  in  den  letzten  Jahren 
gefördert  ist,  ist  nicht  bekannt. 

Z.;Yfra^«/-u.  a. :.Biedermann,  Die  transandinische 
Eisenbahn.  Mit  Obersichtskarte.  Arch.  f.  Ebw.  1911, 
S.  366  ff.  —  Martner,  Die  Eisenbahnen  Chiles.  Arch. 
f.  Ebw.  1916,  S.  649  ff.,  892  ff.  -  Offermann,  Die 
technisch-wirtschaftliche  Entwicklung  von  Patagonien. 
Arch.  f.  Ebw.  1917,  S.  S2  ff.  -  Ältere,  meist  über- 
holte Literaturangaben  bei  Biedermann,  a.  a.  O. 

V.  der  Leyen. 

Transbaikalbahn  s.  Sibirische  Eisen- 
bahn. 

Transittarife  s.  Gütertarife. 

Transitzüge  (Durchgangszüge)  s.  Güter- 
züge. 

Transkaspische  Eisenbahn  s.  Mittel- 
asiatische Bahnen. 

Translation.  In  der  Telegraphie  die  selbst- 
tätige Übertragung  der  Schriftzeichen  von  einer 
Leitung  auf  eine  andere  (s.  Telegraph,  A. 
Telegraphenanlagen).  Fink. 

Transportberechtigter  Weg  s.  Ver- 
kehrsleitung. 

Transportdienst  s.  Güterdienst. 

Transporteinnahmen  s.  Betriebsergeb- 
nisse. 

Transportsteuern  (diities  payable  in  resped 
of  conveyance;  impöts  sur  les  transports; 
imposte  siii  trasporti),  darunter  sind  jene  Ab- 
gaben zu  verstehen,  die  auf  die  Beförderung 
von  Personen  und  Sachen  mit  bestimmten  Be- 
förderungsmitteln gelegt  werden.  Diese  Abgaben 
erfassen  lediglich  den  tatsächlichen  Vorgang 
der  Ortsveränderung  ohne  Rücksicht  darauf, 
ob  mit  ihm  auch  eine  Vermögensveränderung, 
wie  sie  für  die  „Verkehrssteuern"  im  tech- 
nischen Sinn  gefordert  werden  muß,  verbunden 
ist  oder  nicht,  und  lassen  den  Zweck  jenes 
Vorgangs  ganz  außer  acht. 


358 


Transportsteuern. 


Der  Enh^'ickliing  der  mechanischen  Mittel 
zur  Personen-  und  Warenbeförderung  ent- 
sprechend, bilden  gegenwärtig  die  T.  für  Be- 
förderungen mittels  Eisenbahn  (neben  jener 
mittels  Schiffen)  die  wichtigste,  ja  in  vielen 
Staaten  die  einzige  Art  der  T. 

Bei  der  Regelung  der  Eisenbahntrans- 
portsteuer knüpft  die  Gesetzgebung  der 
Staaten,  in  denen  diese  Steuer  eingeführt  ist, 
einerseits  an  die  Tatsache  der  Beförderung  in 
Verbindung  mit  dem  für  sie  zu  entrichtenden 
Preis,  anderseits  an  die  Tatsache  der  Errich- 
tung bestimmter,  die  Beförderung  betreffender 
Urkunden  an. 

Im  ersteren  Fall  wird  die  T.  in  der  Regel 
als  fester  oder  perzentueller  Zuschlag  zu  dem 
tarifmäßigen  Beförderungspreis  angefordert  und 
sie  ist  seitens  der  staatlichen  und  privaten  Eisen- 
bahnunternehmungen von  denen,  die  den  Be- 
förderungspreis zu  entrichten  haben,  als  den 
eigentlichen  Steuerträgern  zugleich  mit  jenem 
Preis  für  Rechnung  des  Staatsschatzes  einzu- 
heben  und  an  die  Staatskasse  abzuführen. 

In  diese  Gruppe  gehört  auch  die  in  dem 
gleichnamigen  Artikel  bereits  behandelte  sog. 
„Fahrkartensteuer"  im  Deutschen  Reich 
und  in  Österreich. 

Im  zweiten  Fall  wird  die  Entrichtung  einer 
Stempelgebühr  hinsichtlich  der  über  die  Be- 
förderung zu  errichtenden  Urkunden  aller  Art 
(Personenfahrkarten,  Frachtbriefe  u.  s.  w.)  ent- 
weder mit  festen  Beträgen  für  jede  einzelne 
Urkunde  oder  auch  mit  einem  dem  Beförde- 
rungspreis proportionalen  Satz  auferlegt,  was 
letzteres  der  Gerechtigkeit  mehr  entspricht  als 
der  Vorgang,  Fahrten  über  kurze  und  weite 
Strecken  und  ohne  Rücksicht  auf  die  Wagen- 
klasse mit  gleich  hohen  und  daher  relativ  un- 
gleichmäßigen Stempelbeträgen  zu  belasten. 

Die  erste  Einführung  einer  T.  ist  für  den 
Verkehr  mit  den  allgemeinen  Wirkungen  einer 
Tariferhöhung  verbunden.  Betrifft  die  neu  ein- 
geführte Steuer  den  Personenverkehr  und 
ist  sie  nach  der  Güte  der  Wagenklasse  an- 
steigend abgestuft,  so  bewirkt  sie  zunächst  ein 
Abwandern  der  Reisenden  aus  den  höheren 
in  die  niederen  Wagenklassen,  so  daß  sie  die 
Eisenbahnunternehmungen  zur  Vermehrung  des 
Bestandes  an  Wagen  der  unteren  Klassen,  also 
zu  erhöhten  Ausgaben  nötigt  und  bei  Staats- 
eisenbahnen aus  der  gleichen  Ursache  den 
Erfolg  der  Besteuerung  auf  längere  Zeit  hinaus 
wettzumachen  vermag. 

(Näheres  hierüber  in  Revue  de  science  et  de 
legislation  financiere,  1909,  S.  365  und  in  der  Ztg. 
d.  VDEV.  vom  18.  Sept.  1907,  26.  Aug.  1908  und 
11.  Nov.  1908.) 

In  ihrem  geschichtlichen  Entwicklungsgang 
ist  die  T.  auf  die  frühere  Besteuerung  öffent- 


licher   Fuhrwerke    in    Frankreich    und    Groß- 
britannien zurückzuführen. 

In  Frankreich  hatte  schon  das  Ges.  vom 
Q.Vendemiaire  desJahresVI  (30.Sept.  1797)  auf 
die  Personenplatzpreise  der  nach  einem 
festen  Fahrplan  zwischen  bestimmten  Oiten 
verkehrenden  öffentlichen  Fuhrwerke  eine  Ab- 
gabe mit  10%  gelegt,  die  durch  Ges.  vom 
6.  Prairial  des  Jahres  VII  (26.  Mai  1798)  um 
■•'.,0  als  Zuschlag  erhöht  und  durch  Ges.  vom 
5.  Ventöse  des  Jahres  XII  (25.  Febr.  1803) 
auch  auf  den  Preis  der  Beförderung  von 
Waren  mittels  jener  Fuhrwerke  ausgedehnt 
wurde. 

Das  Ges.  vom  2.  Juli  1838  regelte  nun 
die  Anwendung  der  erwähnten  Abgaben 
auf  Eisenbahnen  in  der  Art,  daß  die  Eisen- 
bahnunternehmungen verpflichtet  wurden,  die 
Abgabe  von  den  Platzpreisen  der  Reisenden 
mit  jener  Quote  zu  entrichten,  die  auf  den 
Preis  der  Beförderung  im  engeren  Sinn  ent- 
fiel. Die  im  Platzpreis  inbegriffene  sog.  Peage- 
gebühr  und  die  Warenbeförderung  durch  Eisen- 
bahnen blieb  vorläufig  unbesteuert. 

Durch  das  Ges.  vom  14.  Juli  1855  wurde 
die  Proportionalabgabe  auf  eine  neue  Grund- 
lage gestellt.  Das  Gesetz  bestimmte,  daß  die 
if^ige  Abgabe  (10% -]- Zuschlag)  von  dem 
vollen  Preis  der  Personenplätze  und 
außerdem  von  dem  Beförderungspreis  der  Eil- 
güter einzuheben  sei,  und  fügte  der  Haupt- 
abgabe einen  weiteren  Zuschlag  von  ■'/,o 
hinzu,  so  daß  sich  die  .Abgabe  nun  auf  12% 
stellte.  Die  Eisenbahnunternehmungen  wurden 
ermächtigt,  ihre  Tarife  um  den  Betrag  der  Ab- 
gabe zu  erhöhen,  wovon  sie  auch  Gebrauch 
machten.  Das  Ges.  vom  16.  September  1871 
(eine  Folge  des  Krieges  mit  Deutschland)  brachte 
eine  Erhöhung  der  Abgabe  um  10%  des  tat- 
sächlichen Beförderungspreises  von  Personen 
und  Eilgütern,  so  daß  die  Steuer  auf  23-2% 
stieg. 

Erst  1892  (und  nachdem  in  der  Zeit  von 
1874  bis  1878  auch  der  gewöhnliche  Frachten- 
verkehr einer  5%  igen  Abgabe  unterzogen 
worden  war)  konnte  Frankreich  an  eine  Herab- 
setzung der  schweren  Belastung  des  Personen- 
und  Eilgutverkehrs  schreiten. 

Durch  das  Ges.  vom  26.  Januar  1892  wurde 
die  10%  ige  Zuschlagstaxe  des  Ges.  vom  16.  Sep- 
tember 1871  vollständig  beseitigt  und  die  1 2  %  ige 
Abgabe  von  den  Nettopreisen  der  Eilfracht 
aller  Art  auf  die  Beförderung  von  Gepäcks- 
übergewicht, von  Geldsendungen  (finances)  und 
Hunden  eingeschränkt.  Da  die  Abgabe  nur  die 
Nettopreise  der  steuerpflichtig  gebliebenen 
Personen-  und  Eilgutbeförderungen  trifft,  in 
den  Tarifsätzen  der  Bahnen  (den  Bruttopreisen) 


Transportsteuern. 


359 


aber  die  12^^  ige  Steuer  niitenthalten  ist,  er- 
geben sich  als  Steuer  bei  den  Hauptbalinen 
12/^^2=  10-72  %  des  Tarifsatzes.  Für  Lokal- 
bahnen wurde  die  Proportionalabgabe  auf 
3%    (2-91%    des  Tarifsatzes)  herabgesetzt. 

Für  Bahnen  endlich  mit  einer  Betriebslänge 
unter  10  km  kann  an  Stelle  der  Proportional- 
abgabe eine  feste  jährliche  Abgabe  nach  einem 
der  Anzahl  der  Platzpreise  entsprechenden 
Tarif  treten,  wie  er  für  öffentliche,  nur  ge- 
legentlich oder  nach  Belieben  verkehrende 
Fuhrwerke  ohne  bestimmte  Abfahrzeiten  gilt. 
(Art.  28,  Ges.  vom  26.  Januar  1892  und 
Art.  12,  Ges.  vom   16.  April   1895.) 

Ertrag  der  besprochenen  Abgaben  im  Jahre 
1911   rd.  83  Mill.  Fr. 

Personenf  ah  rkarten  unterliegen,  wennder  Fahr- 
preis 10  Fr.  übersteigt,  dem  durch  Ges.  vom  15.  Juli 
1874  erhöhten  Quittungsstempel.  Die  effektive  Stem- 
pelung kann  durch  Pauschalierung  ersetzt  werden. 
Freifahrscheine  und  Legitimationen  für  Fahrten 
zu  ermäßigten  Preisen  der  Staatsbahnen  und  staat- 
lich unterstützten  Bahnen  sind  durch  Ges.  vom 
29.  März  1897  mit  gewissen  Ausnahmen  einer  Stempel- 
gebühr unterworfen.  Sie  beträgt: 

Für  eine  einmalige  direkte  Fahrt  oder  eine  Hin- 
und  Rückfahrt  in  der  I.  bzw.  II.  und  Ili.  Kl.  20 
bzw.  10  und  5  Ct.;  für  Jahres-,  Zeit-  oder  Perma- 
nenzkarten nach  der  Wagenklasse  absteigend  1  bzw. 
0-50  und  025  Fr. 

Die  von  den  Eisenbahnen  jedem  Aufgeber  einer 
Fracht,  der  nicht  die  Ausfertigung  eines  förmlichen 
Frachtbriefs  (Art.  101  und  102  des  Code  de  commerce) 
beansprucht,  und  auch  vom  aufgegebenen  Personen- 
gepäck obligatorisch  auszustellenden  Rezepisse 
sowie  die  ihnen  durch  Ges.  vom  25.  Dezember  1893 
gleichgestellten  internationalen  Frachtbriefe  (Berner 
Konvention  vom  14.  Oktober  1890)  unterliegen  der 
Gebühr  von  35  Ct.  bei  Eilgut-  und  von  70  Ct.  bei 
gewöhnlichen  Frachtsendungen.  Diese  Gebühr  ist  auf 
10  Ct.  ermäßigt  für  Postkollis  und  die  sog.  „colis 
agricoles",  deren  Gewicht  50  kg  nicht  übersteigt. 

Für  Sammelsendungen  unter  gemeinsamer  Adresse 
(«groupage")  müssen  so  viele  Rezepisse  ausgestellt 
und  vergebührt  werden,  als  faktische  Bezugsberech- 
tigte der  vereinigten  Einzel  trachten  bestehen  (Ges. 
vom  30.  März  1872).  Ertrag  dieser  Steuern  1911 
rd.  73  Mill.  Fr. 

In  Großbritannien  wurde  anschließend  an 
die  Besteuerung  der  öffentlichen  Fuhrwerke 
im  Jahre  1832  für  die  Beförderung  von  Per- 
sonen auf  Eisenbahnen  ein  sog.  „Meilengeld" 
mit  dem  Satz  von  0-5  d  (4-25  Pf.)  für  eine 
englische  Meile  (1-609  km)  und  4  Personen 
eingeführt. 

Diese  Abgabe  wurde  durch  den  Railway 
Passenger  Duty  Act  vom  5.  August  1842 
(5  &  6  Vict.  c.  79)  in  eine  Steuer  in  der  Höhe 
von  5%  des  Ertrags  des  Personenverkehrs 
umgewandelt  und  nahm  hierdurch  den  Charakter 
einer  (partiellen)  Ertragsteuer  der  Eisenbahnen 
an,  denen  es  durch  die  Rechtsprechung  der 
Gerichtshöfe  verwehrt  wurde,  von  den  Reisenden 
außer  dem  Fahrgeld   einen  5  ^i,  igen  Zuschlag 


zur  Deckung  der  Steuer  einzuheben,  widrigens 
sie  die  Steuer  auch  von  dem  Zuschlag  zu  ent- 
richten hätten.  Gleichwohl  kann  kaimt  bezweifelt 
werden,  daß  die  Steuer  tatsächlich  aus  den 
Taschen  der  Reisenden  fließt. 

Durch  den  Railway  Regulation  Act  vom 
9.  August  1844  (7  &  8  Vict.  c.  85)  wurden  die 
Eisenbahngesellschaften  verpflichtet,  auf  ihren 
Strecken  an  jedem  Wochentag  mit  Ausnahme 
des  Weihnachtstages  und  des  Charfreitags  (die 
Ausnahme  gilt  für  Schottland  nicht)  einen  in 
jeder  Richtung  verkehrenden,  in  jeder  Station 
haltenden  und  mit  Wagen  111.  Klasse  versehenen 
Zug  verkehren  zu  lassen,  wobei  der  Fahrpreis 
dieser  Wagenklasse  1  Penny  f.  d.  Meile  (5-28  Pf. 
f.  d.  km)  nicht  übersteigen  durfte. 

Über  Fahrgeschwindigkeit,  Ausstattung  der 
Wagen,  Freigepäck  u.  s.  w.  wurden  nähere  Be- 
stimmungen getroffen. 

Die  Einnahmen  der  Eisenbahngesellschaften 
aus  der  Beförderung  von  Reisenden  mit 
solchen  Zügen  und  zu  einem  Fahrpreis, 
der  den  angegebenen  Satz  nicht  über- 
stieg, wurden  von  der  Steuer  befreit,  was  den 
Gesellschaften  Anlaß  gab,  diese  Art  von  Zügen, 
die  sog.  „parliamentary  trains"  (s.  Parlaments- 
züge), ungemein  zu  vermehren,  ohne  sich  immer 
streng  an  die  gesetzten  Bedingungen  zu  halten. 

Deshalb  wurde  durch  Abs.  14  des  Revenue 
Act  vom  29.  Juni  1863  (26  &  27  Vict.  c.  33) 
bestimmt,  daß  die  durch  das  vorbezogene 
Gesetz  hinsichtlich  der  Beförderung  von  Rei- 
senden mit  billigen  Zügen  („Cheap  trains") 
zugestandene  Steuerbefreiung  nicht  auf  Züge 
ausgedehnt  werden  dürfe,  die  nicht  wenigstens 
an  6  Tagen  in  der  Woche  oder  an  einem 
Markttag  zu  und  von  einem  Marktort  unter 
Genehmigung  des  Handelsamtes  (Board  of 
Trade)  verkehren  sollen  oder  die  nicht  von 
diesem  Amt  als  regelmäßig  laufende,  Reisende 
der  III.  Klasse  zum  Satz  von  1  Penny  f.  d.  Meile 
befördernde  Sonntagszüge  erklärt  wurden. 

Mit  Cheap  Trains  Act  vom  20.  August 
1883  (46  &  47  Vict.  c.  34)  wurden  die  Fahr- 
preise, die  den  eben  erwähnten  Satz  nicht 
übersteigen,  für  alle  Arten  von  Zügen  von  der 
Passagiersteuer  befreit  und  wurden  die  Ein- 
schränkungen, die  die  frühere  Gesetzgebung 
an  die  Befreiung  geknüpft  hatte,  aufgehoben. 
Fahrpreise  für  Hin-  und  Rückfahrts-  sowie 
für  Zeitkarten  sollten  jedoch  nur  dann  steuer- 
frei sein,  wenn  der  gewöhnliche  Fahrpreis  für 
die  einfache  Fahrt  jenen  Betrag  nicht  überstieg. 

Zugleich  wurde  die  (für  Fahrten  zum  Preis 
von  über  I  Penny  f.  d.  Meile  im  allgemeinen 
fortbestehende  5  %  ige)  Steuer  für  Beförde- 
rungen zwischen  Stationen  innerhalb 
solcher   geschlossener   Gebiete,    die  mehr   als 


360 


Transportsteuern. 


100.000  Einwohner  enthalten  und  vom  Handels- 
amt als  Stadtgebiete  (urban  districts)  erklärt 
werden  würden,  was  z.  B.  bezüglich  der  Me- 
tropole London  am  7.  April  1884  geschah, 
auf  2%    herabgesetzt. 

Falls  eine  Gesellschaft  zu  dem  Fahrpreis 
von  1  Penny  f.  d.  Meile  Zuschläge  für  besondere 
Bequemlichkeiten  (reserved  accommodations) 
einhebt,  hat  sie  auf  die  Befreiung  solcher 
Fahrten  von  der  Steuer  keinen  Anspruch. 

Die  vom  Staat  bezahlten,  gegen  Marsch- 
route erfolgenden  Beförderungen  von  Ange- 
hörigen der  bewaffneten  Macht  (the  forces), 
dann  von  Frauen,  Witwen  und  Kindern  solcher 
Personen  sind  von  der  Passagiersteuer  befreit. 

Ertrag  dieser  Steuer,  die  für  Irland  nicht 
gilt,  betrug  im  Jahre  1907  rd.  350.000  £ 
=  1  ftf  des  aufgewandten  Anlagekapitals  der 
Bahnen. 

Für  die  Güterbeförderung  auf  Eisenbahnen 
besteht   keine  T.,  auch    nicht  in   Stempelform. 

Italien  hat  nach  französischem  Vorbild 
durch  Ges.  vom  6.  April  1862  auf  die  unter 
den  Begriff  „trasporti  a  grande  velocitä" 
fallenden  Beförderungen  von  Personen,  Gepäck 
und  Eilgut  jeder  Art  eine  Abgabe  mit  10% 
des  Beförderungspreises  gelegt,  die  durch  Ges. 
vom  14.  Juni  1874  unter  gleichzeitiger  Ein- 
führung einer  Abgabe  mit  2%  für  gewöhn- 
liche Güterbeförderungen  (trasporti  a  piccola 
velocitä)  auf  X'i'o    erhöht  wurde. 

Um  Vorkehrungen  zur  Beseitigung  des  Abgangs 
der  wechselseitigen  Pensionskassen  des  mittelländi- 
schen, adriatischen  und  sizilianischen  Eisenbahn- 
netzes zu  treffen,  erfolgte  im  Grund  des  Ges.  vom 
15.  August  1897  durch  kgl.  Dekret  vom  27.  No- 
vember 1S97  eine  weitere  Erhöhung  der  .Abgabe  für 
Personenbeförderungen  über  Strecken  von  mehr  als 
20  km  in  folgendem  Ausmaß: 

a)  für  Eilzugfahrten  über  21  bis  einschließlich 
29  km  von  13  auf  \%«o; 

b)  für  Eilzugfahrten  über  mehr  als  30  km  von 
13  auf  23»i; 

c)  für  Personenzugfahrten  über  mehr  als  20  km 
von  13  auf  14%. 

Der  Mehrertrag  der  Steuer  über  13  «i  hinaus  wurde 
den  genannten  Kassen  zugewiesen. 

Diese  zunächst  nur  für  die  Zeit  bis  zum  31.  De- 
zember 1898  eingeführten  Steuererhöhungen  wurden 
durch  spätere  Gesetze,  zuletzt  durch  jenes  vom 
21.  Dezember  1899  in  Kraft  belassen,  jedoch  nur 
bis  zur  endgültigen  gesetzlichen  Regelung  der  Für- 
sorgeinstitute für  das  Eisenbahnpersonal  imd  läng- 
stens bis  zum  31.  März  1900.  Diese  Regelung  erfolgte 
durch  Ges.  vom  29.  .März  1900,  das  jene  Steuer- 
erhöhungen  in  seinem  Art.  29   außer   Kraft  setzte. 

Durch  Art.  22  des  Ges.  vom  29.  März  1900 
wurde,  jedoch  nur  für  die  Linien  des  adria- 
tischen, mittelländischen  und  sizilianischen 
Netzes,  die  Abgabe  von  den  Beförderungen 
„a  grande  velocitä"  von  13  auf  16%  und  von 
den  Beförderungen  «a  piccola  velocitä"  von 
2  auf  3%  erhöht. 


Von  den  Erträgnissen  der  Züge,  die  aus- 
schließlich aus  Wagen  der  niedersten  Klasse 
zusammengesetzt  sind,  den  Lokal-  oder  Vor- 
stadtverkehr besorgen,  gelegentlich  der  Ab- 
haltung von  Märkten  verkehren  oder  zur  Be- 
förderung von  industriellen  oder  landwirt- 
schaftlichen Arbeitern  (operai  e  lavoratori  della 
terra)  eingeführt  sind,  wird  nur  die  Abgabe 
für  Beförderungen  „a  piccola  velocitä"  (also 
2  bzw.  3  % )  eingefordert  (Ges.  vom  27.  De- 
zember 1896  und  30.  Juni  1906).  Die  gleiche 
Begünstigung  wurde  durch  das  letztbezogene 
Gesetz  den  Wochen-  und  Feiertagsabonnement- 
fahrkarten für  die  Beförderung  von  Arbeitern 
der  genannten  Berufsarten  zugestanden. 

Nach  Art.  20,  Z.  5  u.  Z.  20  des  Ges.  vom  4.  Juli 
1897  unterlagen  Personenfahrkarten  und  Emp- 
fangscheine (riscontri,  ricevuti)  über  die  Beförde- 
rung oder  Aufbewahrung  von  Gepäck  und  Waren 
der  festen  Stempelgebühr  von  5  Centesimi,  dann 
Abonnementskarten  für  Reisen  oder  Warenbeförde- 
rung der  festen  Stempelgebühr  von  50  Centesimi  für 
jede  einzelne  dieser  Urkunden. 

Diese  Gebühren  wurden  nach  und  nach,  u.  zw. 
zunächst  für  die  Bahnen  mit  sog.  „ökonomischem 
Betrieb"  (Ges.  vom  9.  Juni  1901),  dann  hinsichtlich 
der  .^bonnementskarten  für  alle  Bahnen  (Ges.  vom 
30.  Juni  1906),  endlich  hinsichtlich  der  5 "«igen 
Stempelgebühr  auch  für  die  Hauptbahnen  (Ges.  vom 
4.  Juli  1912)  durch  Proportionalabgaben  ersetzt, 
die  nunmehr  betragen : 

1.  für  Warenbeförderungen  ,.a  piccola  velocitä" 
0-4%; 

2.  für  sonstige  Waren-  und  für  alle  Personen- 
beförderungen 1-5»« 

des  Beförderungspreises.  Personenfahrkarten  der 
III.  Klasse  zum  Preis  bis  zu  '/:  Lire  sind  von  dieser 
Abgabe  frei. 

Ertrag  der  Fahrkartensteuer  im  Jahre  1913 
rd.  40  Mill.  Lire,  jener  der  Stempelsteuer  im 
Jahre  1914  rd.  5-5  Mill.  Lire. 

Der  Ausgabe  von  Freifahrscheinen  bzw.  An- 
weisungen zu  ermäßigten  Fahrten  sind  für  die 
Staatsbahnen  durch  Ges.  vom  22.  April  1905, 
für  die  Privatbahnen  durch  Ges.  vom  14.  Juni 
1874  ziemlich  enge,  durch  Strafsanktion  ge- 
sicherte Schranken  gezogen. 

In  Deutschland  gelangte  erst  mit  dein 
Ges.  vom  8.  April  1917  eine  Abgabe  für  die 
Beförderung  von  Personen  auf  Schienenbahnen 
und  Wasserstraßen,  ferner  von  Gepäck  und 
Gütern  zur  Einführung. 

Die  Abgabe  für  die  Beförderung  von  Per- 
sonen beträgt  I.  Kl.  16%,  IL  Kl.  14%,  III.  Kl. 
12%,  IV.  (111  b)  KL  10%,  im  Straßenbahn- 
verkehr 6  %  des  Beförderungspreises. 

Befreit  sind  Beförderungen  im  Arbeiter-, 
Schüler-  und  Militärpersonenverkehr,  soweit 
die  Abfertigung  in  diesen  X'erkehren  zu  er- 
mäßigten Preisen  erfolgt. 

Bei  Neueinführung  bzw.  Neuregelung  der 
angeführten  Abgaben  im  Deutschen  Reich  wur- 


Transportsteuern. 


361 


den  die  Vorschriften  des  Reichsstempel-Gesetzes 
über  den  Personenfahrkartenstempel  (Fahr- 
kartensteuer, s.  d.)  außer  Kraft  gesetzt. 
Jedem  Bundesstaat  werden  von  den  aus  jenen 
Abgaben  innerhalb  seines  Gebiets  jährlich  auf- 
kommenden Einnahmen  2%  aus  der  Reichs- 
kassa gewährt.  Für  Gepäck  ist  die  T.  mit 
12%  der  Gepäckfracht  festgesetzt.  Gepäck- 
beförderungen im  Militärgepäckverkehr  sind, 
soweit  die  Abfertigung  zu  ermäßigten  Preisen 
erfolgt,  von  der  Abgabe  befreit.  Für  die  Be- 
förderung von  Gütern  auf  Schienenbahnen 
und  Wasserstraßen  innerhalb  des  Reichsgebiets 
ist  eine  Abgabe  in  der  Höhe  von  7  %  des 
Beförderungspreises  zu  entrichten. 

Von  der  Abgabe  sind  u.  a.  befreit:  Beförde- 
rungen von  Gütern,  die  den  eigenen  Zwecken 
des  Beförderungsunternehmens  dienen,  Beförde- 
rungen der  unter  I  genannten  Kohlenarten  im 
Eisenbahnverkehr,  gewisse  Beförderungen  im 
nichtöffentlichen  Güterverkehr  (Werkbahnen, 
Grubenbahnen). 

Außer  der  durch  Ges.  vom  S.  April  1917  einge- 
führten T.  vom  Personen-  und  Güterverkehr  wird 
in  Deutschland  ein  Frachturkundenstempel  ein- 
gehoben, zunächst  bloß  für  Frachtbriefe,  welche  auf 
die  Ladung  ganzer  Eisenbahnwagen  lauteten ;  nor- 
mierte Stempel  von  20  bzw.  50  Pf,  wurden  durch  das 
Frachturkundenstempelgesetz  vom  17.  Juni  1916 
auch  auf  Frachturkunden  über  Stückgüter  ausgedehnt 
und  durch  das  Reichsgesetz  über  die  Besteue- 
rung des  Personen-  und  Güterverkehrs  vom 
8.  April  1917  unter  neuerlicher  Erhöhung  der 
Stempel  für  Frachturkunden  im  Eisenbahnverkehr 
festgesetzt  wie  folgt: 

1.  Frachtstückgut  und  Expreßgut  .    .    .    .  M.  0-15 

2.  Eilstückgut      „   0-30 

3.  Frachtgut  in  Wagenladungen 

bei  einem  Frachtbetrag  von  nicht  mehr  als 

25  M ,    1-50 

bei  höheren  Beträgen „   3-— 

4.  Eilgut  in  Wagenladungen 

bei  einem  Frachtbetrag  von   nicht  mehr  als 

25  M 3- 

bei  höheren  Beträgen „   6'— 

Bei  der  Beförderung  von  Steinkohlen,  Braunkohlen, 
Koks  und  Preßkohlen  aller  Art  erhöhen  sich  die 
Sätze  in  Ziffer  3  auf  2  M.  und  4  M. 

In  Österreich  war  bereits  1892  die  Ein- 
führung einer  T.  für  den  Personen-  und 
Frachtenverkehr  mit  folgenden  Sätzen  geplant: 
5%  für  Frachten,  7%  für  Eilgut,  10%  für  Per- 
sonen. Der  Plan  wurde  jedoch  wegen  des 
Widerspruchs,  den  er  in  der  öffentlichen  Meinung 
hervorrief,  fallen  gelassen.  Erst  im  Jahre  1902 
erfolgte  die  Einführung  einer  T.  vom  Personen- 
verkehr (Fahrkartensteuer)  und  mit  kaiserlicher 
Verordnung  vom  10.  Januar  1917  eine  solche 
vom  Gepäck-  und  Güterverkehr. 

Durch  die  angeführte  kaiserliche  Verordnung 
wurden  die  Sätze  der  Fahrkartensteuer  zunächst 
bis  31.  Januar  1920  wie  folgt  erhöht: 


a)  auf  Hauptbahnen  von  12  auf  20%,  bj  auf 
Lokalbahnen  von  6  auf  10%,  cj  auf  Klein- 
bahnen von  3  auf  5  %  des  in  Österreich  zur 
Einhebung  gelangenden  Fahrpreises,  dj  nach 
und  von  Ungarn,  Bosnien  und  Hercegovina 
von  10  auf  18%  jenes  Teiles  des  Fahrpreises, 
der  auf  die  Beförderung  in  Österreich  entfällt. 
Eine  besondere  städtische  Fahrkartensteuer  wird 
auf  Grund  von  Landesgesetzen  im  Verkehr  ein- 
zelner städtischer   Straßenbahnen    eingehoben. 

Gleichzeitig  erfolgte  die  dauernde  Erhöhung 
der  Stempelgebühr  für  Anweisungen 
(Legitimationen)  zur  freien  Fahrt  sowie  zur 
Fahrt  zu  ermäßigten  Preisen  auf  dasDoppelte 
der  in  §  12  des  Ges.  vom  19.  Juli  1902,  RGB. 
Nr.  153  aufgestellten  Sätze. 

Durch  die  erwähnte  kaiserliche  Verordnung 
vom  10.  Januar  1917  wurde  in  Österreich  auch 
eine  Steuer  für  die  Beförderung  von  Reise- 
gepäck (auch  Militärgepäck)  auf  Eisenbahnen, 
worunter  auch  die  von  den  Reisenden  mit- 
genommenen Hunde  und  das  Expreßgut  zu 
verstehen  ist,  mit  den  jetzt  für  die  Fahrkarten- 
steuer untere  bis c  normierten  Sätzen  eingeführt. 

Für  die  Beförderung  von  Gütern  auf 
Eisenbahnen  wurde  auf  Grund  derselben 
kaiserlichen  Verordnung  für  die  Zeit  bis 
31.  Januar  1920  eine  Steuer  in  der  Höhe  von 
1 5  %  des  Beförderungspreises  eingeführt  und 
außerdem  die  Regierung  ermächtigt,  die  Eisen- 
bahnen anzuweisen,  für  die  gleiche  Zeit  einen 
Kriegszuschlag  zu  den  jeweiligen  im  Güter- 
verkehr geltenden  Beförderungspreisen  einzu- 
heben.  Der  Kriegszuschlag  ist  von  der  Regie- 
rung derart  festzusetzen,  daß  er  mit  der  Kriegs- 
steuer zusammen  höchstens  30%  des  Beförde- 
rungspreises ausmacht. 

Neben  der  Steuer  werden  in  Österreich 
Frachturkundengebühren  eingehoben.  Die 
Stempelgebühren  von  Frachtbriefen  (Beför- 
derungsscheinen, Begleitadressen  u.  dgl.),  welche 
bis  dahin  10  h  betrug,  wurde  durch  die  kai- 
serliche Verordnung  vom  28.  August  1916  ab 
1.  November  1916  wie  folgt  erhöht: 

a)  bei  Sendungen  im  Eisenbahnverkehr, 
deren  Gewicht  nicht  weniger  als  5000  kg  be- 
trägt oder  für  die  wenigstens  ein  ganzer  Wagen 
in  Anspruch  genommen  wird,  auf  K  1"20. 

b)  bei  sonstigen  Sendungen  auf  30  h. 

In  Ungarn  wurde  die  T.  durch  Ges.-Art.  XX 
vom  6.  Mai  1875  eingeführt  und  betrug  für  Rei- 
sende, Gepäcksübergewicht  und  Sonderpersonen- 
züge 10%,  für  Eilgutsendungen  5%  und  für 
Frachtsendungen  2  %  des  Beförderungspreises. 

Durch  Ges.-Art.  LXI  vom  23.  Dezember  1880 
wurden  die  angeführten  Sätze  auf  15  bzw.  7  und 
3  %  und  durch  Ges.-Art.  XIV  vom  2.  April  1887 
auf  18  bzw.  7  und  5%  festgesetzt  bzw.  erhöht. 


362 


Transportsteuern. 


Von  der  Steuer  sind  befreit: 

1.  der  königliche  Hof; 

2.  Personen-,  Eilgut-  und  sonstige  Beförde- 
rungen der  gemeinsamen  Armee,  der  Marine  und 
der  Honvedschaft,  insoferne  die  Beförderung 
auf  Grund  der  üblichen  Militärausweise  erfolgt; 

3.  die  Eisenbahnunternehmungen  in  bezug 
auf  jene  Güter,  die  sie  ausschließlich  zu  eigenen 
Bau-,  Erhaltungs-  und  Belriebszwecken  von  einer 
eigenen  Station  zur  andern  befördern; 

4.  die  zwischen  den  einzelnen  Teilen  der 
Landeshauptstadt  die  Personenbeförderung  ver- 
mittelnden Eisenbahnen. 

Lokalbahnen  sind  auf  Grund  des  Ges.-Art. 
XXXI  vom  13.  Juni  ISSO  auf  die  Dauer  von 
10  Jahren  nach  ihrer  Konzessionierung  von  der 
Entrichtung  der  T.  befreit. 

Auf  Grund  des  Ges.-Art.  VI  vom  L  Februar 
1917  wurde  für  die  Zeit  bis  1920  eine  30 "»ige 
Kriegssteuer  von  den  Gebühren  für  Personen, 
Gepäck  und  Güter  eingeführt. 

Ertrag  der  T.   1913  rd.  44  Mill.  K. 

Für  Personenfahrkarten  ist  eine  Stempelge- 
bühr  zu  entrichten,  die  für  Fahrpreise  bis  zu  1  K 
2  h,  für  höhere  Fahrpreise  so  oft  mal  2  h  be- 
trägt, als  100  h  in  dem  Fahrpreis  enthalten  sind, 
wobei  jeder  Rest  unter  100  h  als  voll  anzurechnen  ist. 

Die  Schweiz  hat  mit  Bundesgesetz  vom 
4.  Oktober  1917  einen  Frachturkundenstempel 
eingeführt,  der  im  Gepäck-,  Tier-  und  Güter- 
verkehr der  Eisenbahnen  zu  entrichten  ist.  Er 
beträgt  für  jeden  Frachtbrief  10  Rappen.  Bei 
Wagenladesendungen  ist  für  je  volle  oder 
angefangene  5000  kg  ein  Zuschlag  von  25  % 
zu  entrichten.  Befreit  sind  u.  a.  Frachturkunden 
über  Lebensmittelsendungen  und  Militärtrans- 
porte. Die  Abgabe  soll  2  Jahre  nach  Beendigung 
des  Krieges  außer  Kraft  treten  und  wird  V5 
ihres  Reinertrags  den  Kantonen  nach  Verhält- 
nis der  Wohnbevölkerung  überwiesen. 

In  Spanien  gilt  gegenwärtig  für  die  T.  das 
Ges.  vom  20.  März  1900,  das  alle  entgeltlichen 
Beförderungen  von  Reisenden  und  Waren  zu 
Wasser  und  zu  Lande  innerhalb  des  König- 
reiches, auch  im  Durchzugs-  und  Ausfuhr- 
verkehr trifft. 

Die  Steuer  beträgt  für  Reisende  20%,  für 
Waren  aller  Art,  Metallgeld,  Särge  und  Ge- 
päcksübergewicht 5  %  des  Beförderungspreises. 
Der  ersterwähnte  Satz  wird  auf  1 0  %  herab- 
gesetzt in  jenen  Fällen,  in  denen  die  Eisen- 
bahngesellschaften eine  Herabsetzung  der  nor- 
malen Fahrpreise  um  25  %  oder  mehr  zu- 
gestehen und  dies  öffentlich  kundmachen. 

Diese  .^usnahme  findet  jedoch  gemäß  des 
Ges.  vom  29.  Dezember  1910  keine  Anwen- 
dung auf  Kilometer-  und  Rundreisebilletts  zu 
ermäßigten  Preisen.  Solche  Fahrscheine  sind 
Abgabe  mit   15%    unterworfen. 


emer 


Gemäß  der  bezogenen  Gesetze  sind  von  der 
T.  u.  a.  befreit:  im  Dienst  reisende  Regierungs- 
beamte, Beamte  der  Eisenbahngesellschaften  und 
Militärpersonen,  Kinder  unter  3  Jahren,  Mit- 
glieder der  gesetzgebenden  Körperschaften, 
dann  Gegenstände,  die  für  Rechnung  des  Staates 
befördert  werden. 

Ertrag  der  Steuer  im  Jahre  1913  rd.  28  Mill. 
Pesetas  (ä  M.  0-81). 

Rußland  erhob  von  1878  bis  1894  eine 
T.  mit  25  %  von  den  Fahrscheinen  1.  und 
11.  Kl.,  dann  vom  Reisegepäck  und  vom  Eilgut, 
und  mit  15%    von  den   Fahrscheinen   III.  Kl. 

Durch  Ges.  vom  19./31.  Mai  1894  wurde 
die  Steuer  für  den  Personen-,  Gepäck-  und 
Eilgutverkehr  auf  den  einheitlichen  Satz  von 
15%   gebracht. 

Die  Abgabe  wird  nicht  erhoben  von  der 
Beförderung  von  Personen  und  Gütern,  die 
auf  Rechnung  des  Staates  erfolgt  (Militär, 
Häftlinge,  Beamte,  Postsachen  u.  s.  w.). 

Wie  aus  den  Darlegungen  des  russischen 
Finanzministers  zum  Staatsvoranschlag  für  das 
Jahr  1913  hervorgeht,  hatte  die  Einführung 
der  T.  in  Rußland  den  besonderen  Zweck, 
die  durch  das  Sinken  des  Rubelkurses  ein- 
tretende automatische  Tarifherabsetzung  teil- 
weise auszugleichen. 

Ertrag  der  T.  im  Jahre  1913  rd.  29  Mill. 
Rubel  (zu  3-14  M.  Gold). 

In  Rußland  wird  ferner  auf  Grund  eines 
Ukas  vom  15./27.  November  1900  zu  gunsten 
der  Russischen  Gesellschaft  vom  Roten  Kreuz 
von  den  Reisenden  eine  Steuer  von  5  Kopeken 
für  jede  Fahrt  erhoben,  u.  zw.  von  den  Rei- 
senden der  I.  und  II.  Kl.,  wenn  sie  mindestens 
2  Rubel,  und  von  jenen  der  III.  Kl-,  wenn  sie 
mindestens  8  Rubel  an  Fahrpreis  zu  entrichten 
haben.  Diese  Steuer  trifft  auch  Personen  mit 
Freifahrscheinen  der  I.  und  II.  Kl.  Befreit  sind 
nur  Personen  mit  Militärausweisen. 

Durch  Ukas  vom  4. '17.  Mai  1900  wurden 
bestimmte  und  durch  Ges.  vom  2./! 5.  März 
1910  alle  an  Bahnen  gelegene  Städte  Rußlands 
ermächtigt,  mit  Genehmigung  der  Regierung 
von  den  mit  der  Eisenbahn  in  die  Städte  oder 
aus  diesen  beförderten  Gütern  eine  Abgabe  zu 
erheben,  die  den  zehnten  Teil  des  f.  d.  Ge- 
wichtseinheit (Pud),  Stück  oder  Wagen  und 
Werst  (1-067  km)  festgesetzten  Tarifsatzes  nicht 
übersteigen  und  nur  zur  Herstellung  von  Bahn- 
hofzufahrtsstraßen (in  einigen  Städten  auch  zu 
Kasernenbauten  u.  dgl.)  verwendet  werden  darf. 
Durchgehende  Güter,  staatliche  Sendungen 
und  Reisegepäck  unterliegen  dieser  Abgabe  nicht. 
Mit  Verordnung  vom  27.  September  1914 
wurden  ab  30.  November  1914  Kriegssteuern 
für  die  Eisenbahnbeförderung  eingeführt.  Die 


Transportsteuern.  -  Transportversicherung. 


363 


Steuer  beträgt  für  Personengepäck  und  Eilgut 
25  "jo  des  Beförderungspreises  (einschließlich 
Reichsfahrkartensteuer).  Befreit  sind  Beförde- 
rungen auf  Pferde-  und  Stadtbahnen,  ferner 
Militärpersonen  und  Reisende  zu  ermäßigten 
Preisen. 

Für  Gütersendungen  sind  pro  Pud  verschie- 
dene Steuersätze  festgesetzt,  u.zw.  für  Sendungen 
in  Personen-  und  Eilgüterzügen  15  Kopeken, 
für  Milch  5  Kopeken,  für  andere  Güter  zwischen 
10  und  0'25  Kopeken.  Befreit  sind  Sendungen, 
für  die  die  Fracht  vom  Reich  gezahlt  wird, 
ferner  Güter,  die  frei  oder  zu  ermäßigten  Taxen 
befördert  werden  (Dienstgut,  Hausgerät  und 
Lebensmittel  der  Eisenbahnbediensteten). 

Brasilien  erhebt  auf  Grund  des  Ges.  vom 
10.  März  1910  unter  Aufhebung  der  früheren 
einschlägigen  Gesetze  ab  1.  April  1910  eine 
Fahrkartensteuer  mit  10%  der  einfachen  Fahr- 
preise, jedoch  nicht  mehr  als  2  Milreis  (2-50  M.) 
für  die  einfache  Fahrkarte.  Bei  Zeit-  und 
Abonnementskarten  sowie  bei  Kilometerheften 
beträgt  die  Steuer  10%  ihres  Preises.  Befreit 
sind  Fahrten  innerhalb  der  Bundeshauptstadt 
und  der  Staatshauptstädte  nebst  Vororten,  ein- 
fache Fahrkarten  bis  zu  5  Milreis  (6-25  M.), 
Mitglieder   der   diplomatischen    Korps    u.  s.  w. 

Ertrag  im  Jahre  1913  rd.  3000  Contos 
<3-75   Mill.  M.). 

In  Japan  wurde  im  Jahre  1905  eine  sog. 
„Reisesteuer"  eingeführt,  die  von  Reisenden 
auf  Eisenbahnen  und  Dampfschiffen  mit  fol- 
genden Sätzen  (die  Beträge  in  „sen"  ä  2-09  Pf.) 
eingehoben  wird: 

bei  Fahrten  I.  Kl.  II.  Kl.  III.  Kl. 

unter  50  engl.  Meilen 5        3         1 

von     50  bis^  100  engl.  Meilen     20     10         2 

„      100    „   200     „  „  40     20         3 

über  200  engl.  Meilen 50     25         4 

Ertiag  laut  Voranschlag  1912/13  rd.  3-6  Mill. 
Yen  (7-5  Mill.  M.). 


Bezüglich  der  Literatur  wird  auf  die  im  Art. 
„Steuerrecht  der  Eisenbahnen"  gemachten  Angaben 
und  weiter  noch  verwiesen  auf;  Sonnenschein, 
Die  Eisenbahntransportsteuer  in  ihrer  Stellung  im 
Staatshaushalt.  Berlin  1897;  grundlegend,  jedoch  hin- 
sichtlich der  positiven  Gesetzgebung  leider  schon 
veraltet.  —  C.  Colson,  Transports  et  Tarifs.  Paris 
1908.  —  Siehe  auch  den  Art.  Frachtbriefstempel. 

Januschka. 

Transportversicherung,  Sicherstellung 
gegen  die  Schäden,  denen  der  Güterverkehr, 
soweit  er  im  planmäßigen  Ortswechsel  beweg- 
licher Sachen,  d.  h.  in  der  Beförderung,  besteht, 
ausgesetzt  ist.  Die  T.  erfolgt  in  bezug  auf  die 
Eisenbahnbeförderung  zunächst  durch  die 
Bahnen  selbst,  indem  diese  gegen  Einhebung 
einer  bestimmten  Prämie  eine  über  ihre  recht- 


liche Verpflichtung  hinausgehende  Haftung  für 
Verlust  und  Beschädigung  übernehmen. 

Nach  dem  lÜ.  ebenso  wie  nach  der  deut- 
schen Verkehrsordnung,  dem  österreichisch- 
ungarischen Betriebsreglenient  und  dem  Schwei- 
zer Transportreglement  gibt  die  Deklaration 
des  Interesses  an  der  Lieferung  Anspruch 
auf  einen  die  festgesetzte  Entschädigung  für 
den  Wert  des  in  Verlust  geratenen  Gutes 
(Gepäckstücks)  bzw.  für  die  Beschädigung  oder 
Lieferfristversäumnis  übersteigenden  Schaden- 
ersatz bis  zur  Höhe  des  in  der  Deklaration 
festgesetzten  Betrags  (vgl.  Frachtrecht,  inter- 
nationales, Bd.  V,  S.  153). 

Die  Eisenbahnen  decken  sich  mitunter  gegen 
die  Schäden  aus  der  T.  durch  Bildung  von 
Schadenversicherungsverbänden  zur  gemein- 
samen Tragung  der  Schäden.  Ein  solcher  Ver- 
band hat  längere  Zeit  für  die  österreichischen 
und  ungarischen  Bahnen  bestanden  und  besteht 
dermalen  noch  für  die  letzteren. 

Abgesehen  von  der  T.,  die  die  Bahnen 
selbst  übernehmen,  beschäftigen  sich  vielfach 
auch  Privatversicherungsgesellschaften  mit  der 
Eisenbahntransportversicherung.  Die  T.  hat 
durch  Privatgesellschaften  entweder  eine  ein- 
zelne Beförderung  auf  einem  bestimmten  Wege 
zum  Gegenstand  (Einzelversicherung)  oder  sie 
umfaßt  eine  Vielheit  von  Beförderungen  auf  einer 
oder  mehreren  Wegen  innerhalb  einer  be- 
stimmten Zeit  (Abonnementsversicherimg).  Der 
Wert  der  Abonnements-  oder  Generalpolizze 
liegt  darin,  daß  durch  den  generellen  Vertrags- 
abschluß die  Einzelsendung  bereits  assekuranz- 
rechtlich gedeckt  ist,  d.  h.  daß  die  Gefahr  des 
Versicherers  mit  dem  Beförderungsbeginn  auch 
ohne  Kenntnis  dieser  Tatsache  seitens  der 
Versicherungsnehmer  wie  seitens  des  Ver- 
sicherten beginnt.  Eine  besondere  Art  der 
Generalpolizze  ist  im  Landtransportgeschäft  die 
Tauschpolizze  mit  Abschreibung  (gewöhnlich 
monatlicher)  —  hier  wird  eine  Summe  im 
voraus  festgesetzt,  für  die  der  Versicherte 
innerhalb  eines  bestimmten  Zeitraums  (ge- 
wöhnlich eines  Jahres)  versichert  sein  will,  der- 
art, daß  mit  jeder  Einzelbeförderung  eine  Auf- 
zehrung dieser  Summe  in  der  Höhe  des  Wertes 
dieser  Einzelsendung  eintritt  —  und  die  Tausch- 
polizze mit  täglicher  Versicherungssumme,  sog. 
Tagespolizze,  bei  der  der  Versicherte  inner- 
halb eines  bestimmten  Zeitraums  (ein  Jahr)  für 
eine  bestimmte  Summe  von  neuem  täglich 
versichert  ist.  Innerhalb  der  Landgefahren  ist 
die  Eisenbahnbeförderung  die  geringste  und  ist 
dementsprechend  auch  die  meist  f.  1000  aus- 
geworfene Prämie  für  die  Eisenbahntransport- 
versicherung am  niedrigsten  bemessen.  In  Öster- 
reich  ist   in   den  letzten  Jahren   unter  Mitwir- 


364 


Transportversicherung.  -   Treibstangen. 


kung   der   Eisenbahnen   die  Reisegepäck-  und 
Garderobeversicherung  eingeführt  worden. 
Transvaal  s.  Britisch-Südafrika. 
Trassenrevision  s.  Vorarbeiten. 
Trassierung  s.  Vorarbeiten. 
Treibstangen  (connecting-rods;  bielles  moto- 
rices;   bielle  di  manovella),    auch  Leit-,  Trieb- 
oder  Pleuelstangen   genannt,  sind   im   Schub- 
kurbelgetrieb  der  Lokomotivdampfmaschine  das 

Verbindungsstück 
zwischen  Kreuz- 
kopf und  Treib- 
zapfen. Die  Schaft- 
länge der  Stange 
soll  mindestens 
das  Sfache  des 
Kolbenhubs  betra- 
gen, besser  jedoch 
mehr,  da  sonst 
fühlbare  Unregel- 
mäßigkeiten bei 
Abb.  319.  der    Kraftübertra- 


Abb.  320. 


Abb.  322. 


Abb.  323. 


gung  zwischen  Kolben  und  Rad  auftreten. 
An  den  beiden  Enden  der  Stange  sind  Köpfe 
mit  Lagerschalen  vorhanden,  um  einerseits  den 
Kreuzkopfbolzen,  anderseits  den  Treibzapfen 
aufzunehmen.  Der  Kopf  an  der  Kreuzkopfseite 
ist  gewöhnlich  geschlossen,  d.  h.  die  Stange 
umschließt  das  Lager  völlig  (Abb.  319).  An 
der  Seite  des  Treibzapfens  ist  nur  dann  ein 
geschlossener  Kopf  möglich,  wenn  die  Bauart 


der  Kurbel  ein  Aufbringen  der  T.  von  außen 
zuläßt.  Sonst  sind  Bügelköpfe  erforderlich,  bei 
welchen  die  Bügel  durch  einen  oder  mehrere 
Bolzen  oder  durch  Keile  festgehalten  sind. 
Bügelköpfe  für  die  T.  von  Lokomotiven  mit 
inneren  Dampfzylindern  und  Kurbelachsen  er- 
halten besonders  große  Abmessungen  und 
müssen  der  starken  Beanspruchung  wegen  sorg- 
fältig ausgeführt  werden  (Abb.  320  u.  321). 
Andere  Ausführungen  zeigen  die  Abb.  322,  323 
u.  324.  Die  Lagerschalen  der  Stangenköpfe 
an  der  Kreuzkopfseite  sind  gewöhnlich  wegen 
der  hohen  Lagerdrücke  aus  Rotguß  oder  Bronze 
ohne  Weißmetallausguß  hergestellt.  Der  spezi- 
fische Lagerdruck  beträgt  280-330  kglciv?-. 
Dieses  Lager  ist  stets  nachstellbar  hergestellt. 
Die  Lagerschalen  der  Stangenköpfe  an  der 
Teilzapfenseite  sind  gewöhnlich  aus  Rotguß, 
Bronze  oder  Schweißeisen  und  mit  Weißmetall 
ausgegossen.  Der  spezifische  Lagerdruck  ist  hier 
140- 200  yi:o-/art2.  In  den  meisten  Fällen  ist 
auch  dieses  Lager  durch  einen,  seltener  durch 

2  Keile  nachstellbar. 
Die  Keile  müssen  Si- 
cherungen besitzen, 
damit  die  einmal  ein- 
gestellte Stellung  er- 
halten bleibt  und  eine 
Lockerung  ausge- 
schlossen ist.  Auf  die 
Schmierung  muß  be- 
sondere Sorgfalt  ge- 
legt werden.  Es 
sind  vorherrschend 
Dochtschmierungen 
in  Verwendung,  doch 
sind  vereinzelt  ■  auch 
Kugel-  und  Stift- 
schmierungen ohne 
Docht  mit  Erfolg 
versucht  worden.  Die 
Schmiergefäße  sind 
gewöhnlich  mit  den 
Stangen  aus  einem 
Stück  hergestellt,  da 
alle  unnötigen  An- 
bohrungen und 
Schraubengewinde  in 
den  Stangenköpfen 
wegen  der  Neigung  zu  Anbrüchen  gefährlich 
sind.  Die  Stangen  wurden  früher  aus  Schweiß- 
eisen hergestellt,  gegenwärtig  sind  sie  aus 
Martinflußstahl  oder  Tiegelgußstahl  gefertigt. 
Während  früher  der  Schaft  gewöhnlich  recht- 
eckig war,  ist  er  gegenwärtig  der  Gewichts- 
ersparnis wegen  TT- förmig  ausgebildet.  Die 
Ausnehmungen  werden  durch  Fräsen  herge- 
stellt. 


t-f-H#-- 


Abb.  321. 


Abb.  324. 


Treibstangen.   -   Triangulation. 


365 


Da  mit  Rücksicht  auf  die  Ruhe  des  Ganges 
der  Lokomotiven  die  Massen  des  Triebwerks 
möglichst  eingeschränkt  werden  müssen,  so 
werden  die  T.  so  schwach  gehalten,  als  es  mit 
Rücksicht  auf  die  Sicherheit  möglich  ist.  Der 
Sicherheitsgrad  gegen  Knickung  ist  im  lot- 
rechten Sinn  ungefähr  5  —  6-5,  im  wagrechten 
Sinn  nur  1-5  — 3.  Bei  Lokomotiven  für  sehr 
hohe  Umdrehungszahlen  ist  eine  besondere 
Einschränkung  des  Stangengewichts  noch  des- 
wegen erforderlich,  da  durch  die  Fliehkraft  des 
Stangengewichts  die  T.  (neben  der  Knickung 
durch  die  Kolbenkraft)  auch  noch  auf  Biegung 
beansprucht  wird. 

Die  Berechnung  der  Abmessungen  der  T. 
erfolgt  in  ähnlicher  Weise  wie  die  der  Kuppel- 
stangen (s.  d.). 

Vgl.  auch  die  beim  Art.  Kuppelstangen  an- 
gegebene Literatur.  Sanzin. 

Trennungsbahnhöfe  s.  Bahnhöfe. 

Treppenstation,  Turmstation,  s.  Brük- 
kenstation. 

Triangulation.  Zur  Aufnahme  großer  Ge- 
biete, als  Unterlage  für  technische  Messungen 
und  zur  Verbindung  von  Einzelmessungen  führt 
man  zusammenhängende  Dreiecksmessun- 
gen aus.  Man  gibt  den  Dreieckspunkten  eine 
dauernde  Vermarkung,  mißt  eine  Grundlinie, 
im  übrigen  nur  Winkel,  rechnet  geographische 
und  ebene  Koordinaten  für  die  Eckpunkte  und 
nimmt  diese  Werte  als  Ausgang  für  alle  weiteren 
Messungen. 

Im  Eisenbahnbau  werden  T.  zur  Festlegung 
der  Achse  längerer  Tunnel  durchgeführt,  na- 
mentlich bei  sog.  Scheiteltunneln,  weil  hier  die 
Aussteckung  der  Tunnelachse  im  Gelände  der 
großen  Überlagerung  wegen  nicht  angängig  ist. 

Im  großen  werden  die  Dreiecksmessungen 
durch  die  Landesaufnahme  ausgeführt.  An  sorg- 
fältig ausgewählter  und  vorbereiteter  Stelle  wird 
mit  hoher  Genauigkeit  eine  Grundlinie,  die 
Basis,  gemessen,  aus  ihr  leitet  man  durch 
Winkelmessung  in  rautenförmigem  Basisnetz 
eine  mehrfach  längere  Dreiecksseite  ab,  wobei 
besonders  die  spitzen  Winkel  mit  großer  Schärfe 
zu  messen  sind,  und  schließt  durch  Winkel- 
messung weitreichende  Dreiecksketten  an.  Ein 
mit  der  Kette  verbundener  Punkt  ist  durch 
astronomische  Messungen  nach  geographischer 
Breite  und  Länge  zu  bestimmen,  auf  gleichem 
Wege  ist  das  Azimut  einer  Dreiecksseite  festzu- 
legen. Die  Basis  wird  2-8  km,  die  aus  ihr 
abgeleitete  Dreiecksseite  5-  oder  6  mal  so  lang 
genommen.  In  und  zwischen  die  Dreiecks- 
ketten werden  Füllnetze  mit  stufenweise  klei- 
neren Seiten  gelegt.  Die  Dreiecke  erster  Ordnung 
haben  Seiten  von  25  -  75  km,  gelegentlich  bis 
über  100  km,  die  zweiter  Ordnung  von  15  bis 


20  km,  die  dritter  Ordnung  von  3-5  km.  Für 
die  Dreiecke  ist  möglichst  gleichseitige  Form 
anzustreben. 

Die  Basismessung  größter  Genauigkeit 
erfordert  viel  Gehilfen  und  umfangreiche  Meß- 
vorrichtungen. Mit  dem  Basismeßapparat  von 
Bessel  oder  von  Brunner  erreicht  man  innere 
Genauigkeiten  von  etwa  ^3  "^"^  der  einfach 
gemessenen  Ä/ra-Länge;  die  absolute  Genauig- 
keit ist  wegen  systematischer  Fehlereinflüsse, 
vor  allem  der  Temperatur,  viel  geringer.  Neuer- 
dings sucht  man  nicht  mehr  die  Genauigkeit 
der  Längenmessung  zu  steigern,  da  sie  durch 
die  unvermeidlichen  Fehler  der  Winkelmessung 
in  den  Dreiecken  doch  bald  wieder  verloren 
geht;  vielmehr  legt  man,  um  der  fortschreiten- 
den Fehlerwirkung  der  Winkelmessungen  zu 
begegnen,  in  bestimmten  Abständen,  alle  200 
bis  300  km,  eine  neue  Basis  ein.  Jetzt  begnügt 
man  sich  vielfach  auch  mit  geringerer  Ge- 
nauigkeit der  Längenmessung,  etwa  2  mm  Un- 


Abb.  325.  Basisnetz  mit  Dreieckskette. 

Sicherheit  auf  1  km  einfach  gemessener  Länge, 
die  man  nach  dem  Verfahren  von  Jäderin  mit 
Meßdrähten  erreichen  kann.  Statt  Drähten  aus 
verschiedenem  Metall  zur  Berücksichtigung  des 
Temperatureinflusses  werden  jetzt  durchweg 
Drähte  aus  Invar  -  64%  Stahl,  36%  Nickel 
—  genommen,  die  in  diesem  Mischungsver- 
hältnis einen  bis  100  mal  kleineren  Koeffi- 
zienten der  Wärmeausdehnung  haben  als  Eisen. 
Die  Neigung  der  Invardrähte  zu  sprungweiser 
Längenänderung  wird  durch  monatelange  Be- 
handlung vor  der  Verwendung  beseitigt;  die 
Längung  der  Drähte  wird  dadurch  berück- 
sichtigt, daß  man  die  Drähte  vor  und  nach 
der  Basismessung  eicht,  wozu  die  Hilfsbasis 
des  geodätischen  Instituts  in  Potsdam  einge- 
richtet ist.  Man  verwendet  nebeneinander  2  bis 
4  Drähte  zu  einer  Basismessung.  Die  ge- 
messene Basislänge  ist  auf  den  Landesvermes- 
sungshorizont zu  reduzieren. 

Die  Winkelmessung  bei  der  Großtrian- 
gulierung  wird  mit  Schraubenmikroskop-Theo- 
doliten ausgeführt.  ZurKleintriangulierung  kann 
man  auch  Nonien-Theodolite  mit  Repetitions- 
einrichtung    benutzen.    Die    Sichtbarmachung 


366 


Triangulation.        Triebwagen. 


der  Dreieckspunkte  geschieht  durch  Signale, 
Stangen  und  Pyramiden,  auf  große  Entfernung 
unter  Verwendung  von  Heliotroplicht  oder  elek- 
trischem Licht.  Wenn  zur  Überwindung  der 
Erdkrümmung  oder  von  Sehhindernissen  der 
Theodolit  auf  einen  Hochstand  gestellt  werden 
muß,  so  ist  der  Instrumentenpfeiler  fest  und 
erschütterungsfrei  zu  bauen,  also  vollständig 
getrennt  vom  Beobachterstand  und  Leucht- 
stand oder  der  Zielspitze  zu  erstellen;  die 
beiden  Holzpyramiden  dürfen  einander  nicht 
berühren.  Die  Genauigkeit  der  Winkelmessung 
ist  so  zu  bemessen,  daß  die  Koordinatenwerte 
der  Dreieckspunkte  gegeneinander  auf  etwa 
1  dm  sicher  sind. 

Für  die  Landesaufnahmen  rechnet  man 
für  die  Dreieckspunkte  geographische  und 
rechtwinklig  sphäroidische  Koordinaten.  Bei 
uns  werden  für  das  Erdellipsoid  die  von 
Bessei  abgeleiteten  Werte:  große  Halbachse 
a  =  6,377.3Q7  m,  kleine  b  =  6,356.079  m,  Ab- 
plattung 1  :  299  angenommen.  In  kleineren 
Vermessungsgebieten  bezieht  man  die  Berech- 
nungen auf  die  Schmiegungskugel  der  Mitte 
des  Gebiets.  Die  rechtwinkligen  Koordinaten 
rechnet  man  in  Meridianstreifen  von  3" 
Breite,  früher  im  Cassini-Soldnerschen  Koor- 
dinatensystem, jetzt  in  konformen  Koor- 
dinaten nach  Gauß.  Man  verwendet  dazu  das 
Verfahren  von  Krüger  der  unmittelbaren  kon- 
formen Abbildung  des  Ellipsoids  auf  die 
Ebene.  Bei  der  Kleintriangulierung  rechnet  man, 
wie  bei  der  Kleinmessung  überhaupt,  nur  nach 
ebenen  Koordinaten. 

Für  Ingenieurarbeiten  wird  man,  wenn 
eine  Landesaufnahme  vorhanden  ist,  von  dieser 
ausgehen  und  die  Dreiecksmessung  nach  Be- 
darf weiter  ins  kleine  treiben.  Liegt  aber  eine 
solche  Aufnahme  nicht  vor,  so  wird  man  sich 
eine  selbständige  Dreiecksmessung  anlegen  und 
im  kleinen  ähnlich  verfahren  wie  die  Landes- 
aufnahme im  großen.  Man  mißt  an  günstiger 
Stelle  eine  Grundlinie  von  einigen  hundert 
Metern  Länge.  Hierzu  kann  man  Invardrähte 
verwenden.  Meist  aber  werden  gute  5  /«-Latten 
genügen,  mit  Neigungsmesser,  wenn  nur  täg- 
lich vor  und  nach  jeder  Messung  die  Längen 
der  Latten  mit  Normalmaßen  geprüft  werden. 
Man  erhält  mit  dieser  Lattenmessung  einen 
mittleren  Fehler  von  2-3  cm  der  einfach  ge- 
messenen /^/«-Strecke.  Zur  Winkelmessung  wird 
im  allgemeinen  der  Nonien-Theodolit  genügen, 
da  bei  Horizontabgleichung  der  vierfach  repe- 
tierte \X'inkel  bis  auf  wenige  Sekunden  genau 
erhalten  wird.  Auf  diese  Weise  läßt  sich  die 
selbständige  Dreiecksmessung  des  Ingenieurs 
in  einfacher  Weise  ausführen.  Eine  größere 
Sorgfalt   erfahren    die  Dreiecksmessungen    für 


die  Gegenortsbetriebe  großer  Tunnels,  die  des- 
halb schwierig  durchzuführen  sind,  weil  sie  meist 
im  Hochgebirge  vorkommen  und  bis  in  enge 
Täler  hineinzubringen  sind.  Bei  der  Absteckung 
großer  Alpentunnel  der  zweiten  Eisenbahnver- 
bindung Wien-Triest  hat  Tichy  als  Basislinie 
nur  einen    L2/n  langen  Invarstab  genommen. 

Literatur:  Veröffentlichungen  der  Landesauf- 
nahmen der  verschiedenen  Länder.  —  Jordan,  Hand- 
buch der  Vermessungskunde,  Bd.  II  und  III,  Feld- 
messung, Landesvermessung  und  Erdmessung  (mit 
großer  Literaturangabe).  —  Dolezalek,  Durch- 
schlag und  Richtungsbestimmung  des  Qotthard- 
Tunnels.  Ztschr.  d.  Arch.  u.  Ing.-Vereins  zu  Han- 
nover 1S80.  —  Koppe,  Bestimmung  der  Achse  des- 
Gotthard-Tunnels.  Ztschr.  f.  Vermess.-Wesen  1875  und 
1876.  -  Gelpke,  Bestimmung  der  Gotthard-Tunnel- 
achse.  Zivilingenieur  1870.  -  Rosenmund,  .Ab- 
steckung des  Simplon-Tunnels.  Schwz.  Bauztg.  1901. 
—  Baeschlin,  Absteckung  des  Lötschberg-Tunnels. 
Schwz.  Bauztg.  1911,  Bd.  LVIII.  -  Schumann, 
Lotstörungen  und  ihre  Anwendung  bei  Tunnelab- 
steckungen. Ztschr.  d.  Österr.  Ing.-V.  -  Tichy, 
Messung  von  Grundlinien  genauer  als  mit  optisch- 
tachymetrischem  Verfahren,  wo  die  gebräuchlichen 
Methoden  versagen.  Wien  1909.  Haiißmann. 

Trichterwagen  s.  Fördermittel. 

Triebwagen  (rail  motor  cars;  aiitomotrices; 
automotori).  Geschichtliches.  Als  ältester 
Eisenbahntriebwagen  (Motorwagen)  ist  die 
„Novelty"  („Neuheit")  von  Ericsson  und 
Braithwaite  anzusehen,  die  als  „Loko- 
motive" an  der  Wettfahrt  von  Rainhill  im 
Oktober  1829  beteiligt  war.  Es  war  ein  leichtes 
zweiachsiges  Wagenuntergestell,  auf  dem  die 
stehende  zweizylindrige  innenliegende  Maschine 
nebst  Wasser-  und  Kohlenbehälter  und  der  Kessel 
aufgebaut  war^  (vgl.  Literatur).  Letzterer^  war 
aus  einem  Stehkessel  mit  Feuerbüchse  und  einem 
liegenden  Walzenkessel  mit  schlangenförmig  ge- 
krümmtem Flammrohr  zusammengesetzt.  Nach 
diesem  Vorbild,  das  noch  heute  im  „Science 
Museum"  („South  Kensington  Museum")  in 
London  aufbewahrt  wird,  baute  der  Oberinge- 
nieur Samuel  der  englischen  Ostbahn  -  der 
auch  als  Erfinder  des  Eisenbahnfahrrads  (Drai- 
sine) gilt  -  seine  „Expreßmaschinc^mit  stehen- 
dem Röhrenkessel  und  liegender  Zwülings- 
maschine,  mit  ebenfalls  inneren  Zylindern  und 
Kropfachse.  Zum  Unterschied  von  der  nur  für 
die  Bedienungsmannschaft  Raum  bietenden  und 
zu  deren  Schutz  mit  einem  einfachen  Geländei 
versehenen  «Novelty"  besaß  die  ursprünglich 
für  den  Bahnaufsichtsdienst  bestimmte  -  später 
auch  für  den  Reiseverkehr  benutzte  -  „Expreß- 
maschine" offene,  völlig  ungeschützte  Sitzplätze 
für  7  Personen.  Die  Fahrgeschwindigkeit  betrug 
auf  längeren  Reisen  für  gewöhnlich  4S  A'm/Std., 
konnte  aber  vorübergehend  auf  51  Meilen 
=  82  km/Sid.  gesteigert  werden.  Auf  diesen 
T.  folgte    1849    ein   von    Bridges   Adams 


Triebwagen. 


367 


entworfener  Dampfwagen'',  der  aus  einer  zwei- 
achsigen ungekuppeiten  Lokomotive  (Bauart 
„Bury")  und  einem  gewöhnlichen,  fest  damit 
verbundenen  zweiachsigen  Personenwagen  zu- 
sammengebaut war.  Ein  anderer,  im  gleichen 
Jahr  von  Adams  gebauter  Danipfv's'agen^  be- 
stand aus  einem  zweiachsigen  Wagen  und  einer 
einachsigen,  mit  diesem  fest  —  aber  doch 
leicht  lösbar  —  verbundenen  Lokomotive  mit 
Blindwelle.  Von  letzterer  aus  wurde  die  Kurbel- 
achse, auf  der  sich  die  Räder  zum  leichteren 
Durchfahren  der  Bahnkrümmungen  lose  drehten, 
von  außen  angetrieben.  Die  mittlere  Achse  des 
Fahrzeugs  war  seitlich  verschiebbar.  Heizung 
des  Wagens  mittels  heißen  Wassers  in  dünnen 
Metallröhren  wurde  damals  schon  in  Vorschlag 
gebracht.  Mehrere  ähnlich  gebaute  Dampfwagen 
wurden  in  der  Umgebung  von  London  in 
Betrieb  genommen.  Der  Fußboden  beider  letzt- 
genannten Dampfwagen  lag  tief;  beide  fuhren 
gelegentlich  mit  2  Anhängwagen. 

Erst  1868  erscheint  ein  neuer  Dampfwagen 
von  Fairlie*,  der  aus  einem  dreiachsigen  zwei- 
stöckigen Personenwagen  und  einer  ebenfalls 
dreiachsigen,  als  Wagen  verkleideten  Lokomo- 
tive bestand.  Alle  3  Lokomotivachsen  waren  ge- 
kuppelt, ebenso  die  gleichfalls  mit  Dampfantrieb 
versehenen  3  Achsen  des  damit  verbundenen 
Personenwagens;  beide  Achsgruppen  waren 
mit  mittlerem  Drehzapfen  ausgestattet.  Der 
Dampfwagen  war  somit  -  bei  niedrigem 
Raddruck  -  zur  Fahrt  auf  stark  geneigten 
Strecken  mit  scharfen  Krümmungen  und  leichtem 
Oberbau  geeignet,  ähnlich  wie  die  bekannte 
„Fairlie-Lokomotive".  Im  folgenden  Jahr 
bauten  Fairlie  und  Samuel  gemeinsam  2 
Dampfwagen  verschiedener  Größe  mit  je  2 
Drehgestellen,  von  denen  das  eine  den  stehenden 
Röhrenkessel  und  die  Maschine  trug  und  2 
gekuppelte  Achsen  hatte.  Diese  Wagen  können 
als  Vorbild  der  heutigen  vierachsigen  britischen 
und  irischen  Dampfwagen  gelten. 

Es  folgen  dann  nacheinander  und  zum  Teil 
gleichzeitig  die  Dampfwagen  von  Qrantham, 
Brunner,  Belpaire,  Rowan  (s.  Bd.  VII, 
Abb.  212),  Weißenborn,  die  zweistöckigen 
Wagen  von  Thomas  (hessische  Ludwigs- 
bahn) und  von  Krauß,  ferner  Dampfwagen 
von  Baldwin  (Philadelphia)  und  feuerlose 
Wagen  für  Straßenbahnen'.  Am  längsten  haben 
sich,  z.  T.  bis  heute,  Wagen  der  Bauart 
Rowan  behauptet.  Ein  bemerkenswerter,  auch 
schon  der  Geschichte  angehörender  Dampf- 
wagen ist  fernerhin  von  Serpol let  gebaut; 
dieser  Wagen  ist  dadurch  merkwürdig,  daß 
sein  Kessel  (s.  Bd.  VII,  Abb.  213)  keinen  ei- 
gentlichen Wasserraum  besaß,  indem  das 
Wasser  in  den  bis  zur  Rotglut  erhitzten  Röhren 


sofort  verdampfte.  Auch  Druckluftwagen  und 
die  Gaswagen  von  Lührig  für  Straßenbahnen 
hatten  keinen  dauernden  Erfolg,  indem  sie 
bald  durch  den  elektrischen  Betrieb  verdrängt 
wurden. 

Einen  neuen  starken  .Anlauf  mit  nachhalti- 
gerem Erfolg  nahm  das  Triebwagenwesen  um 
die  Jahrhundertwende.  Die  Förderung  des 
Vorortverkehrs  in  der  Nähe  großer  Städte, 
des  Zwischenverkehrs  auf  Hauptbahnen  und 
des  Verkehrs  der  Nebenbahnen,  namentlich 
seitens  der  großen  staatlichen  Eisenbahnver- 
waltungen, sind  an  diesem  Erfolg  ebenso  be- 
teiligt wie  die  Fortschritte  der  Technik.  Während 
die  früheren  Eisenbahntriebwagen,  dem  da- 
maligen Stand  der  Technik  entsprechend,  fast 
ausschließlich  Dampfwagen  sind,  treten  nun- 
mehr Verbrennungsmaschinen  und  elektrischer 
Antrieb   mit  in  Wettbewerb. 

Neuere  Eisenbahntriebwagen. 

a)  Dampfwagen.  Die  neueren  Dampftrieb- 
wagen sind  teils  mit  eigens  entworfenen  Kesseln 
und  mit  Maschinen  besonderer  leichter  Bau- 
art, teils  auch  mit  solchen  Kesseln  und  Maschinen 
versehen,  die  unmittelbar  von  bekannten  und 
im  Eisenbahnbetrieb  üblichen  Bauarten  abge- 
leitet sind.  Die  ersteren  sind  vorwiegend  auf 
Neben-  und  Kleinbahnen,  die  letzteren  auf 
Hauptbahnen  in  Betrieb.  T.  von  Ganz  &  Co. 
(Budapest)  mit  Kesseln  der  Bauart  de  Dion 
Bou  ton  (Bd.  VII,  Abb.21 4)  und  schnellaufenden, 
unter  dem  Wagenkasten  aufgehängten  Maschinen 
mit  Zahnradübersetzung  haben  sich  in  Ungarn, 
Rumänien  und  Serbien  bei  sehr  weichem 
Speisewasser  und  leichten  Betriebsverhältnissen 
bewährt^.  Erwähnenswert  sind  Wagen  dieser 
Art  für  die  Strecke  Adriatico-Fermo- 
Amandola  bei  Ancona,  mit  einer  stärksten 
Steigung  von  1-5%  (1:13)  und  Krümmungen 
bis  zu  50  und  selbst  18  in  Halbmesser,  bei 
einer  Spur  von  0-Q5  m.  Sämtliche  4  Achsen  der 
beiden  zweiachsigen  Drehgestelle  dieser  Wagen 
werden  von  einer  unter  dem  Wagenkasten  lie- 
genden Welle  aus  mittels  gelenkig  angeschlos- 
sener Kegelräder  angetrieben'.  Rohrplattenkessel 
der  Bauart  Stoltz  haben  sich  auf  deutschen 
Bahnen  —  mit  Rücksicht  auf  das  durchwegs 
harte  Speisewasser  und  auf  die  bessere  Eignung 
der  elektrisch  angetriebenen  Wagen  —  ebenso- 
wenig einführen  können  wie  die  vorerwähnten. 
Noch  empfindlicher  gegen  hartes  Speisewasser 
sind  die  Kessel  von  Komarek  und  Purrey  mit 
gekrümmten  Rohren.  Dampfwagen  sind  heute 
in  Deutschland  noch  in  Betrieb  bei  den  württem- 
bergischen und  bei  den  bayerischen  Staats- 
eisenbahnen. Die  teils  regelspurigen,  teils 
schmalspurigen      T.      der     württembergischen 


368 


Triebwagen. 


Staatseisenbahnen  haben  stehende  Röhren- 
kessel (s.  Bd.  VII,  Abb.  217)  der  Bauart  Kittel 
mit  Überhitzer.  Ähnliche  Kessel  werden  in  den 
großen  vierachsigen  Dampfwagen  der  britischen 
und  irischen  Bahnen  benutzt.  Die  Maschinen 
haben  gewöhnliche  Lokomotivbauart.  Bei  den 
vierachsigen  Dampfwagen  der  bayerischen  Staats- 
bahnen und  vielen  britischen  und  irischen  Wa- 
gen ist  das  eine  der  beiden  Drehgestelle  durch 
eine  zwei-  oder  auch  dreiachsige  Lokomotive 
ersetzt  (Abb.  326).    Bei  den  Dampfwagen  der 


Abb.  325.  Großbritannien. 

bayerischen  Staatseisenbahnen  ist  besonders 
ruhiger  Lauf  durch  Anordnung  von  2  hinter- 
einander liegenden  Zylindern  auf  jeder  Seite, 
mit  gegenläufigen  Dampfkolben,  erzielt.  Andere 


Abb.  327.  Taff  Vale. 

Dampfwagen,  in  Großbritannien  wie  in  Italien 
(italienische  Staatsbahn)  haben  Kessel,  die  von 
der  Lokomotivbauart  abgeleitet  sind  (Abb.  327 
bis  329).  Durch  Einrichtung  von  Füllfeuerungen 
und  selbsttätiger  Beschickung  ist  versucht 
■worden,  bei  Dampfwagen  wie  auch  bei  den 
daraus  abgeleiteten  kleinen  Lokomotiven  für 
leichte  Züge  einmännige  Bedienung  zu  ermög- 
lichen. Durchführbar  ist  dies  indessen  aus 
Sicherheitsrücksichten  nur  auf  Nebenbahnen 
und  bei  sehr  geringer  Fahrgeschwindigkeit  im 
Zwischenverkehr  von  Hauptbahnen. 


Besondere  Erwähnung  verdient  der  Dampf- 
triebwagen mit  überhitztem  Dampf,  Bauart 
Schmidt,  der  „Pilatusbahn"  (mons  pileatus), 
Schweiz  (s.  Bd.  VIII,  Abb.  72). 

b)l.  mit  Verbrennungsmaschinen.  Als 
Brennstoffe  kommen  nur  Flüssigkeiten  von 
hohem  Heizwert  -  je  nach  der  Örtlichkeit  - 
Benzin  (Ungarn)  oder  Benzol,  für  Diesel- 
maschinen schwere  Öle  (Deutschland), 
Gasolin  (Nordamerika)  in  Frage.  Die  Trieb- 
kraft wird  von  der  Verbrennungsmaschine  auf 
die  Triebräder  entweder 
mechanisch  oder  elektrisch 
übertragen.  Ein  wesent- 
licher Nachteil  der  mecha- 
nischen Übertragung  ist 
das  Erfordernis  mehrerer 
veränderlicher  Überset- 
zungsverhältnisse mit  den 
nötigen  lösbaren  Kupp- 
Maschinen  bei  der  Fahrt 
wechselnden  Neigungsver- 
mit  regelmäßiger,  wirt- 
arbei- 


lungen,    wenn    die 

auf   Strecken    mit 

hältnissen   annähernd 

schaftlicher  Umdrehungsgeschwindigkeit 


ten  sollen.  Die  Bedienung  wird  dadurch 
unbequem,  die  Vielteiligkeit  gibt  Anlaß  zu 
Schäden  und  das  Geräusch  ist  störend.  Ver- 
einzelte Versuche  mit  derartigen,  mit  4  ver- 
schiedenen Übersetzungen  ausgestatteten  Wagen 
(der  Daimler-Motoren-Gesellschaft)  hatten  auf 
deutschen  Bahnen  keinen  bleibenden  Erfolg; 
länger  hat  sich  ein  solcher  Wagen  bei  den 
„Schweizer  Bundesbahnen"  behauptet.  In 
größerer  Zahl  sind  T.  mit  Verbrennungs- 
maschinen und  mechanischer  Kraftübertragung 
nur  in  Nordamerika,  namentlich  bei  der 
Union  Pacific-Bahn  (Omaha)  in  Betrieb 
gekommen  (s.  Bd.  IV,  Abb.  1 86)''°.  Die  Maschinen 
dieser  Wagen  arbeiten  bei  niedrigem  Brenn- 
stoffpreis (15  Pf//)  mit  nur  2  verschiedenen 
Übersetzungen.  Die  Kraft  wird  durch  Kettentrieb 
und  Reibungsräder  auf  die  Triebachse  über- 
tragen; die  höchste  Fahrgeschwindigkeit  der 
ohne  Benutzung  von  Holz  gebauten  Wagen 
ist  80  und  bis  über  100  A/n/Std.  Indessen  ist 
auch  in  Nordamerika  in  letzter  Zeit  ein  Versuchii 
(von  Thomas)  gemacht  worden  -  mittels  einer 
etwas  verwickelten  Einrichtung  -  bei  Trieb- 
wagen mit  Verbrennungsmaschinen  und  mecha- 
nischer Kraftübertragung  eine  günstigere  mitt- 
lere Umlaufgeschwindigkeit  der  Verbrennungs- 
maschine zu  erreichen,  indem  mechanische  Kraft- 
übertragung, Stromerzeuger  und  Stromspeicher 
wechselweise  und  z.  T.  gleichzeitig  zum  Antrieb 
benutzt  werden.  Dieser  Versuch  beweist,  daß 
auch  in  Nordamerika  die  Mängel  der  mecha- 
nischen Kraftübertragung  für  Wagen  mit  Ver- 
brennungsmaschinen   fühlbar   geworden   sind. 


Triebwagen. 


369 


Elektrische  Kraftübertragung  wird   in 
Deutschland,    Ungarn    und    Nordamerika    bei 
T.     mit     Verbrennungsmaschinen     erfolgreich 
angewendet.    Der   wesentliche   Vorzug    dieser 
Anordnung    ist   der,    daß    die   Verbrennungs- 
maschine, vom  Anfahren  abgesehen,  stets 
mit  der  wirtschaftlichsten  regelmäßigen 
Umdrehungszahl  laufen  kann,  während 
die  Fahrgeschwindigkeit  lediglich  durch 
Änderung  der  Stromspannung  geregelt 
wird.  Die  entsprechenden  Wagen  (Bd.  iV, 
Taf.  V,    Abb.    3)    der   preußisch -hessi- 
schen Staatseisenbahnen  -  einschließlich 
3  Dieselwagen   im  ganzen    19  Stück  — 
sind  vierachsig,  letztere  fünfachsig  und 
fassen  je  etwa  90  Reisende;  im  Bedarfs- 
falle wird  auf  einzelnen  Strecken  ein  An- 
hängwagen —  mit  60  Plätzen  —  mitge- 
nommen.   Die  mit  dem  Stromerzeuger 
von     138    Kilowatt    Dauerleistung    ge- 
kuppelte    Verbrennungsmaschine      mit 
6    paarweise    gegeneinander   geneigten, 
oder  auch  mit  4  senkrecht  hintereinander 
gestellten  Zylindern  ist  auf  dem  vorderen 
Drehgestell  des  Wagens  eingebaut.  Die 
Verbrennungsgase    werden    nach    dem 
rückwärtigen  Ende   des  Wagens   abge- 
leitet.  Die   hinter-  oder   nebeneinander 
schaltbaren  elektrischen  Triebmaschinen 
von  je  130  PS.  Stundenleistung  wirken 
einzeln  auf  die  beiden  Achsen  des  andern 
Drehgestells.    Erregt 
wird    der    Stromer- 
zeuger  durch    einen 
kleinen      Stromspei- 
cher, der  auch  zur  Be- 
leuchtung,   Zeichen- 
gebung  sowie  zur  Aus- 
lösung der  Schützen- 
steucung    und    des 
Bremsventils     dient. 
Die     höchste    Fahr- 
geschwindigkeit   der 
Wagen    ist   etwa  70 
bis  80  Ä/ra/Std.  Zwei 
ähnlich  gebaute,  mit 
dem  Rücken  zusam- 
mengekuppelte   Wa- 
gen bilden  den  Hofzug  des  Khedive  von  Ägypten. 
Vorzüge  derT.  mit  Verbrennungsmaschi- 
nen  und   elektrischer  Kraftübertragung 
bilden  die  etwas  höhere  damit  erreichbare  Fahrge- 
schwindigkeit, die  Möglichkeit  zeitweiliger  Über- 
lastung auf  starken  Steigungen  und  ihr  etwas 
größerer,   ohne  Erneuerung  des  Brennstoffvor- 
rats  zu   durchlaufender  Fahrbereich.   Indessen 
liegt  auf  deutschen  Bahnen  selten  ein  Bedürfnis 
vor,  die  höhere  Fahrgeschwindigkeit  und  den 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnvt-esens.  2.  Aufl.  IX. 


größeren  Fahrbereich  auszunutzen,  und  die  elek- 
trischen Speicherwagen  bieten  den  Qegenvor- 
zug,  daß  sich  bei  der  Talfahrt  auf  stark  geneigten 
Strecken  ein  erheblicher  Teil  des  auf  der  Berg- 
fahrt verbrauchten  Stromes  zurückgewinnen  läßt. 


Abb,  328.  It.iUenische  Staatsbahnen. 


Abb.  32Q.  Italienische  Staatsbahnen. 

Mit  Dieselwagen  sind  bei  der  sächsi- 
schen und  der  preußisch-hessischen  Staatseisen- 
bahn -  infolge  der  Beschlagnahme  der  Öle 
-  noch  keine  sicheren  Betriebsergebnisse  er- 
zielt worden. 

Dieselwagen  mit  elektrischer  Kraftübertra- 
gung sind,  im  Verhältnis  zu  der  Anzahl  Plätze 
für  Reisende,  erheblich  schwerer  als  die  benzol- 
elektrischen Wagen  der  preußisch  hessischen 
Staatseisenbahn  infolge  des  höheren  Gewichts 

24 


370 


Triebwagen. 


und  der  größeren  Rauminanspruchnahme  der 
Maschinenanlage. 

T.  mit  Elektrizitätspeichern  (Akkumu- 
latoren). Dem  Beispiel  der  Pfälzischen 
Eisenbahnen  folgend,  sind  seitens  der 
preußisch-hessischen  Staatseisenbahnen  im  Lauf 
der  letzten  10  Jahre  nach  und  nach  bis  zu 
182  T.  mit  Elektrizitätsspeichern  beschafft 
worden.  Während  aber  die  entsprechenden, 
bei  den  pfälzischen  Eisenbahnen  nur  in  ge- 
ringer Zahl  benutzten  Wagen  durch  Einbau 
der  Speicher  in  gewöhnliche  Personenwagen 
hergestellt  sind,  haben  die  preußisch-hessischen 
T.  eine  ganz  neue  Bauart  erhalten  (Bd.  IV, 
Abb.  184),  indem  die  Wagen  (als  Doppelwagen) 
aus  je  2  kurzgekuppelten  dreiachsigen  Wagen 
gebildet  und  die  Speicher  in  einem  durch  je 
2  Achsen  gestützten  Vorbau  jedes  Einzelwagens 
untergebracht  sind,  wodurch  die  Bedienung 
und  Unterhaltung  erleichtert  und  die  Belästigung 
der  Reisenden  durch  Säuredämpfe  und  Be- 
schmutzung  der  Kleider  verhütet  ist.  Für  be- 
sondere Fälle  wird  ein  dritter,  nicht  mit  Antrieb 
versehener  Einzelwagen  zwischen  die  beiden 
Hälften  des  Doppehvagens  eingestellt  und  mit 
diesen  durch  Kurzkupplung  und  Obergangs- 
brücken verbunden.  Der  elektrische  Antrieb 
dieser  Wagen  ist  ähnlich  wie  bei  den  benzol- 
elektrischen Wagen;  bei  Speicherwagen  für 
Stromrückgewinnung  werden  Nebenschluß- 
maschinen statt  der  sonst  (wie  bei  Straßen- 
bahnwagen) üblichen  Hauptstrom-  (Reihen- 
schluß-) Maschinen  verwendet.  Die  Schwierigkeit 
der  Regelung  zusammengeschalteter  Neben- 
schlußmaschinen ist  dadurch  umgangen,  daß 
nur  eine  solche  Maschine  für  jeden  Doppel- 
wagen benutzt  wird,  unter  Verzicht  auf  die 
Annehmlichkeiten,  die  sonst  durch  Verwendung 
von  2  wechselweise  neben-  oder  hintereinander 
zuschaltenden  Triehmaschinen  für  die  Regelung 
der  Fahrgeschwindigkeit  geboten  werden.  Ver- 
suche mit  Verbundwicklung  der  Triebmaschi- 
nen, die  wenigstens  teilweise  die  Vorzüge  der 
Reihenschlußmaschinen  mit  denen  der  Neben- 
schlußmaschinen vereinigt,  werden  vorgenom- 
men. Die  meisten  preußisch-hessischen  Speicher- 
wagen haben  Bleispeicher,  einige  neuere 
Edisonspeicher  (aus  vernickeltem  Stahl  mit 
Füllung  von  Kalilauge)  erhalten,  die  teurer 
sind  und  geringeren  Wirkungsgrad,  aber  auch 
weit  geringeres  Gewicht  haben.  Die  Edison- 
speicher sind  schon  vor  16  Jahren  erfunden, 
aber  jetzt  angeblich  sehr  verbessert  worden; 
1913  waren  auf  amerikanischen  Bahnen  etwa 
90  T.  mit  Edisonspeicher  neben  230  T.  mit 
Bleispeicher  in  Benutzung.  Im  übrigen  sind 
im  Ausland  bislang  nur  vereinzelte  Versuche 
mit  Speicherwagen  gemacht  worden. 


Die  höchste  Fahrgeschwindigkeit  der  preu- 
ßisch-hessischen Speicherwagen  auf  wagrechter 
Strecke  ist  50  -  bO  km/Sid.;  zu  einer  höheren 
Fahrgeschwindigkeit  liegt  bei  dem  durchweg 
nur  geringen  Abstand  der  Haltestellen  im 
Zwischenverkehr  der  Hauptstrecken  kein  Be- 
dürfnis vor.  Beim  Loslassen  der  Fahrkurbel 
kommen  die  Speicherwagen  ebenso  wie  die 
benzol-elektrischen  Wagen  selbsttätig  zum  Still- 
stand; nur  einmännige  Besetzung  der  Wagen 
ist  indessen  bisher  nirgend  versucht  und  ist 
auch  auf  Hauptstrecken  mit  einigermaßen  dichter 
Zugfolge  sowie  auf  Nebenbahnen  mit  großem 
Stationsabstand  kaum  zulässig.  Der  ohne 
Aufladung  der  Speicher  zu  durchlaufende 
Fahrbereich  ist  100,  130  und  180  km  bei 
verschiedenen  Wagengruppen;  die  höheren 
Werte  sind  durch  die  Verwendung  größerer 
Speicherplatten  und  von  Masseplatten  statt 
glatter  Platten,  auch  für  den  positiven  Pol,  er- 
reicht. Dreiteilige  Wagen  mit  Edisonspeichern 
haben  einen  Fahrbereich  von  180  km  bei  einem 
Speichergewicht  von  nur  lO'S  /  für  den  ganzen 
Wagenzug.  Das  Netz  der  von  den  Speicher- 
wagen regelmäßig  bedienten  Fahrstrecken  ist 
so  dicht,  daß  solche  Wagen  in  verschiedenen 
Richtungen  den  ganzen  Bereich  der  preußisch- 
hessischen Staatseisenbahnen  durchkreuzen 
könnten,  indem  sie  immer  wieder  rechtzeitig 
eine  Ladestelle  finden  würden. 

Verkehrstechnischer  und  wirtschaft- 
licher Wert  der  T.  Der  Nutzen  der  T.  für 
den  Verkehr  auf  Nebenbahnen  und  Vorort- 
strecken sowie  im  Zwischenverkehr  der  Haupt- 
bahnen besteht  neben  ihrer  steten  oder 
doch  baldigen  Betriebsbereitschaft  vornehmlich 
in  der  Ersparung  an  Gewicht  und  Betriebs- 
kosten gegenüber  einem  Lokomotivzug.  Bei 
den  preußisch-hessischen  Staatseisenbahnen  ist 
der  Personenverkehr  auf  Nebenstrecken  und 
der  Zwischenverkehr  auf  Hauptstrecken  durch 
Benutzung  von  T.  belebt  und  wirtschaftlicher 
gemacht  worden;  auf  gewissen  Strecken  des 
Ruhrkohlengebiets  wird  der  gesamte  Reise- 
verkehr durch  Speicherwagen  bewirkt.  Bei  den 
Arader  und  Csanäder  Bahnen  ist  es  unter 
gleichzeitiger  starker  Herabsetzung  der  Beför- 
derungspreise gelungen,  den  Reiseverkehr  durch 
Übernahme  desselben  auf  benzin-elektrische  T., 
an  Stelle  der  früheren  gemischten  Lokomoti\'- 
züge,  erheblich  zu  steigern  und  ihn  einträglich 
zu  machen,  während  früher  die  Ausgaben  die 
Einnahmen  überwogen;  ähnliche,  wenn  auch 
nicht  so  auffallende  Erfolge  sind  seitens  der 
„Ostdeutschen  Eisenbahngesellschaft"  in 
Königsberg  erzielt  worden.  Auf  Vorort- 
strecken bei  London  ist  seitens  der  Großen 
Westbahn  ein  erheblicher  Teil  des  an  Straßen- 


Triebwagen.  —  Trockenelemente. 


371 


bahnen  und  Omnibuslinien  verlorenen  Verkehrs 
mit  Hilfe  von  Dampftriebwagen  zurückgewonnen 
worden.  Elektrische  Speicherwagen  sind  ins- 
besondere angenehm  für  die  Reisenden  durch 
die  Ruhe  des  Laufes  und  durch  ihre  Sauberkeit 
in  Ermanglung  von  Ruß  und  Rauch.  Bedingung 
für  die  Wirtschaftlichkeit  ihrer  Venx-endung 
ist  gute  Unterhaltung  der  Speicher  und  niedriger 
Strompreis.  Die  Benutzung  der  im  Straßenbahn- 
betrieb (Schlieren  bei  Zürich)  schon  erprobten 
Quecksilberdampf-Gleichrichter  zum  La- 
den der  Speicher  an  Stelle  der  sonst  benutzten 
umlaufenden  Strom-  und  Spannungsumformer 
bietet  neue  Aussichten  für  wirtschaftliche  Ver- 
wertung billigen  hochgespannten  Drehstroms 
zum  Betrieb  von  Speicherwagen. 

Literatur:  '  Äußere  Ansicht:  Ztschr.  dt.  Ing,  1912, 
H.  10,  S.  6;  Brosius  u.  Koch,  Schule  des  Loko- 
motivführers, Bd.I.  —  -Schnittzeichnung:  Heusin- 
ger V.  Waldegg,  Hb.  f.  spez.  Eis.-T.,  Bd.  III,  S.  207, 
Leipzig,  Engelmann.  —  ^  Organ  1849.  —  ■•  Eng.  vom 
8.  Mai  1903  u.  26.  Okt.  1906;  ähnlich:  Ann.  f.  Gew. 
u.  Bauw.  (Berlin)  vom  1.  April  1914.  -  'Pract.  Mech. 
J.  1848,49,  Bd.I,  Patentamt  London,  C  40/848.  - 
*>  Pract.  Mech.  J.  1868,  3.  Serie,  Bd.  IV,  Patentamt 
London.  —  "  Vgl.  wegen  dieser  und  der  folgenden 
T.  des  Verfassers  Handbuch  über  T.  für  Eisenbahnen 
(München-Berlin  1908)  und  Ergänzungsheft  1919  mit 
Quellen.  -  *A.  Sarmezey,  Motorwagen  im  Eisen- 
bahnbetrieb. Budapest  1904  (S.-A.  d.  Ztschr.  d.  ung. 
Ing.  u.  Arch.-Ver.).  -  'Ztschr.  dt.  Ing.  1912,  S.  1678. 
-  '° Ztg.  d.  VDEV.  1908,  Nr.  82;  Mitt.  d.  Ver.  f.  d.  Ford, 
d.  Lokal-  u.  Straßenbahnw.  Wien  1909,  H.  12  u. 
1912,  H.  10.  -  "  Elektr.  Kraftbetr.  u.  B.  1915,  S.  326. 
-Elektr.Kraftbetr.u.B.,München-Beriin  1913 -1915; 
Mitt.  d.  Ver.  f.  d.  Ford.  d.  Lokal-  u.  Straßenbahnw. 
Wien  1907,  1909  ff.;  Niederschr.  d.  Internat.  Perman. 
Straßenb.-Ver.  (spät.  Straß.-  u.  Kleinbahnver.)  Stock- 
holm 1896;  desgl.  Int.  Eis.-Kongr.-Verb.  Washington 
1905,  Frage  XX;  Bern  1910,  Frage  XII.  -  Spitzer 
u.  Krakauer,  Motorwagen  und  Lokomotive.  Wien 
1907.  —  Pascher,  Lokalbahnwesen  in  Österreich. 
Wien  1904.  —  v.  Stockert,  Handbuch  des  Eisen- 
bahnmaschinenwesens, Bd.  I,  Berlin  1908;  Ztschr.  dt. 
Ing.  1905,  S.  1541  ff.,  1906,  S.  86.  -  W.  R.  Rowan, 
De  la  traction  economique  pour  tramways.  Paris  1891, 
Baudr\'  ?:<  Cie.  C.  Gtiillery. 

Trinidad,  die  größte  der  Kleinen  Antillen, 
englische  Kolonie,  4544  km'^,  rd.  260.000 
Einwohner,  hat  130^/«  dem  englischen  Staat 
gehörige  Eisenbahnen.  Die  Hauptstrecke  geht 
von  dem  Hafenplatz  San  Fernando  in  nörd- 
licher Richtung  nach  San  Jose  mit  einer  Zweig- 
bahn von  Cuva  nach  Serrat.  Die  Hauptstadt 
Puerto  d'Espana  oder  Port  of  Spain  ist  gleich- 
falls durch  eine  Eisenbahn  mit  San  Jose  ver- 
bunden. 

Statistik. 

1898  1910  1911  1912 

Einnahmen  £  70.597  103.578  107.805  100.166 
Ausgaben        „  51.516       64.268       66.018       68.833 

V.  der  Lcyen. 
Trinkbrunnen    (drinking   wells;  fontaines 
d'eaii  potable ;  fontane  d'aqua  potabile)  zur  Ver- 
sorgung der  Bediensteten  sowie  der  Reisenden 


mit  Trinkwasser  werden  zufolge  behördlicher 
Vorschriften  in  allen  Bahnhöfen  errichtet.  Als  T. 
finden  Pump-  oder  Schöpfbrunnen  (s.  Brunnen), 
Ausläufe  von  Wasserleitungen  und  Zisternen 
(s.  d.)  Verwendung.  Ihre  Lage  wird  derart  ge- 
wählt, daß  die  Brunnen  leicht  von  der  Bahn, 
den  Wohnungen,  Arbeitsplätzen  u.  s.  w.  erreicht 
werden.  Mit  Rücksicht  darauf  erhalten  Bahn- 
höfe zumeist  mehrere  T.  Die  TV.  über  den 
Bau  und  die  Betriebseinrichtungen  der  Haupt- 
und  Nebenbahnen  empfehlen  die  Anlage  von 
T.  für  Reisende  auf  den  Bahnsteigen  oder  in 
deren  Nähe. 

Tripolis.  Nach  der  Besetzung  von  T.  durch 
Italien,  Ende  1911,  schritt  die  Heeresver- 
waltung sofort  zum  Bahnbau,  um  sich  das 
Gebiet  strategisch  zu  sichern.  Zunächst  wurde 
in  95  cm  Spurweite  (wie  in  Erithrea  nach  dem 
sizilischen  Vorbild,  unter  Benutzung  des  Ober- 
baues und  der  Fahrzeuge  von  den  dortigen 
Nebenbahnen)  von  der  Stadt  T.  südlich  nach 
Ain  Zara,  12  km,  gebaut  und  März  1912 
vollendet;  ferner  westlich  nach  den  Steinbrüchen 
von  Gargares ch,  9  km;  von  dieser  Linie 
führt  eine  die  Altstadt  nördlich  bis  zum  Hafen 
umfahrende  Bahn  mit  Abzweigung  bei  Baldari 
nach  dem  Truppenlager;  ferner  eine  Bahn 
nach  der  Feste  Tagiura,  15  km,  und  eine 
Abzweigung  nach  Osten.  Bau  und  Betrieb  wird 
durch  die  Wanderdünen  sehr  erschwert. 

Von  der  Bahn  von  T.  nach  dem  Garian- 
gebirge  wurde  1913  der  Abschnitt  Gheran- 
Zanzur-Suani-.'\zizia  vollendet,  so  daß  am 
1.  Mai  1913  im  ganzen  85  km  im  Betrieb  waren. 
Schienen,  Lokomotiven  und  Personenwagen 
waren  deutschen  Lirsprungs.  Die  anfangs 
militärischen  Bahnen  wurden  am  I.Mai  1913  für 
den  öffentlichen  Verkehr  freigegeben  und  gingen 
aus  Militärbetrieb  an  die  italienische  Eisenbahn- 
verwaltung (Generaldirektion  der  italienischen 
Staatsbahnen)  über. 

Neubaulinien  sind  geplant:  von  T.  über 
Bir-Kuka  nach  Garian,  etwa  38  km,  und  über 
Zanzur  westlich  nach  Zuara,  etwa  90  km,  ferner 
über  Tagiura  nach  Kussabat,  etwa  70  km,  und 
nach  Homs  (80  km).  Die  weiteren  Pläne  zu 
Eisenbahnen  ins  Innere  von  Garian,  westlich 
nach  Gadames  und  südlich  nach  Murzuk, 
ferner  Ausdehnung  der  geplanten  Küstenlinien 
bis  an  die  Grenzen  von  Ägypten  und  Tunesien 
gehören  der  Zukunft  an. 

In  Bengasi  (Cyrenaika),  wo  Bahnbauten 
bisher  nicht  ausgeführt  sind,  kommt  in  Frage 
die  Verbindung  von  Bengasi  und  Derna  und 
eine  Bahn  ins  Innere,  etwa  nach  Merg. 

Baltzer. 

Trockenelemente  s.  Elemente,  galvani- 
sche. Fink. 

24* 


372 


Truckgestelle.  -  Trust. 


Truckgestelle  s.  Drehgestelle. 

Trunk  Lines,  von  Trunk  (Stamm)  abge- 
leitet, nennt  man  in  den  Vereinigten  Staaten 
von  Amerika  im  weiteren  Sinn  große,  durch- 
gehende, ein  bestimmtes  Verkehrsgebiet  be- 
herrschende und  wichtige  Verkehrsmittelpunkte 
verbindende  Hauptbahnen.  Das  Wort  Trunk 
befindet  sich  in  dieser  Bedeutung  in  der 
Firma  der  Grand  Trunk  Railway  of  Canada 
und  der  Grand  Trunk  Pacific-Eisenbahn  (vgl. 
Bd.  V,  S.  364,  365).  Im  engeren  Sinn  versteht 
man  unter  T.  die  4  großen  Eisenbahnsysteme, 
die  das  Gebiet  der  Vereinigten  Staaten  östlich 
von  den  großen  Seen  und  nördlich  vom  Ohio 
und  Potomac  bis  zur  Küste  des  Atlantischen 
Ozeans  durchziehen.  Es  sind  dies: 

1.  die  New  York  Central  and  Hudson  River- 
Bahn  mit  ihrem  Zubehör,  die  sog.  Vander- 
bilt-Bahnen  (s.  d.); 

2.  die  Pennsylvania-Eisenbahn  (s.d.); 

3.  die  New  York  Lake  Erie  and  Western- 
Bahn  und  das  sog.  Erie-System  (s.  d.); 

4.  die  Baltimore  and  Ohio-Eisenbahn  (s.  d.). 
Die  Linien   dieser  4  Bahnen   berühren  alle 

größeren  Verkehrsmittelpunkte  des  von  ihnen 
durchschnittenen  Gebiets,  also  New  York,  Phila- 
delphia, Baltimore,  Washington,  Boston,  Buffalo, 
Pittsburgh,  Cleveland,  Cincinnati,  St.  Louis, 
Chicago  u.  s.  w. 

Zwischen  diesen  Bahnen  haben  sich  insbe- 
sondere in  der  Mitte  der  Siebzigerjahre  bis 
in  die  Mitte  der  Achtzigerjahre  des  vorigen 
Jahrhunderts  wiederholt  die  heftigsten  Tarif- 
kriege abgespielt,  die  durch  das  Eintreten 
der  kanadischen  Grand  Trunk-Bahn  noch  viel- 
fach verschärft  wurden.  Handel  und  Verkehr 
haben  ebensowohl  wie  die  Finanzen  aller 
Bahnen  stark  unter  diesen  Konkurrenzkämpfen 
gelitten.  Nachdem,  die  Leiter  der  Bahnen  wieder- 
holt vergeblich  versucht  hatten,  eine  dauernde 
Verständigung  über  die  Teilung  des  Verkehrs 
herbeizuführen,  beriefen  sie  zu  diesem  Zweck 
den  Präsidenten  der  Southern  Railway  and 
Steamship  Association,  Albert  Fink  (s.  d.),  dem 
es  gelang,  den  sog.  Trunk  Line  Pool,  den 
Verband  der  T.,  zu  stände  zu  bringen  und 
nach  mehrfachen  Rückfällen  in  den  früheren 
Kriegszustand  so  zu  befestigen,  daß  nunmehr 
ein  dauerndes  Yerbandsverhältnis  zwischen 
den  4  T.  und  den  kleineren,  in  ihrem  Gebiet 
gelegenen  Bahnen  besteht.  Der  Verband  hat, 
nachdem  das  Bundesverkehrsgesetz  vom  4. 
Februar  1887  die  Pools  verboten,  die  Be- 
zeichnung «Trunk  Line  Association"  ange- 
nommen. Die  diesem  Verband  angehörigen 
Bahnen  haben  sich  gleichzeitig  über  eine  ein- 
heitliche, am  L  April  1887  in  Geltung  ge- 
tretene   Güterklassifikation     —     die    sog. 


Official  Classification  —  sowie  über 
Normaleinheitssätze  für  den  Lokal-  und  Ver- 
bandverkehr verständigt.  Zur  Zeit  der  Neu- 
begründung der  „Trunk  Line  Association" 
hatten  die  daran  teilnehmenden  Bahnen  eine 
Länge  von  fast  77.000  km  mit  10.461  Sta- 
tionen. Die  Klassifikation,  später  die  der  Joint 
traffic  Association  genannt,  hat  im  Lauf  der 
Jahre  verschiedene  Änderungen  und  Er- 
gänzungen erfahren,  sie  ist  aber  eine  einheit- 
liche geblieben.  Die  Geschäfte  des  Verbands 
werden  von  einem  in  New  York  befindlichen 
besonderen  Bureau  geleitet,  an  dessen  Spitze 
ein  Präsident  steht  und  in  dem  alle  größeren 
Bahnen  durch  Bevollmächtigte  vertreten  sind. 
Durch  Urteil  des  höchsten  Gerichtshofes  der 
Vereinigten  Staaten  vom  24.  Oktober  1898  ist 
die  Trunk  Line  (Joint  traffic)  Association 
aufgelöst  worden,  weil  sie  dem  Antitrustge- 
setz  vom  2.  Juli  1890  widersprach  (s.  Art.  Trust). 
Dieses  Urteil  machte  seinerzeit  viel  .Aufsehen, 
weil  die  allgemeine  Überzeugung  herrschte,  daß 
gerade  diese  Vereinigung  wohltätig  gewirkt  und 
insbesondere  Ordnung  in  die  dortigen  Tarife 
gebracht  habe.  Durch  Änderung  in  der  Orga- 
nisation sind  die  durch  das  vorgedachte  Urteil 
erhobenen  Bedenken  beseitigt  worden  und  tat- 
sächliche Änderungen  sind  nicht  eingetreten 
(vgl.  den  12.  Jahresbericht  der  Interstate  Com- 
merce Commission  für  1898,  S.  48  ff). 

Literatur:  v.  der  Leyen,  Eisenbahnkriege  und 
Eisenbahnverbände  in  dem  Werk:  Die  nordamerika- 
nischen Eisenbahnen.  Leipzig  18S5,  S.  273  ff.;  Nord- 
amerikanische  Eisenbahnzustände  im  Jahr  1888.  Arch. 
f.  Ebw.  1889,  S.  768  ff.;  Die  Finanz-  und  Verkehrs- 
politik der  nordamerikanischen  Eisenbahnen.  Berlin 
1894,  S.  25  ff.  -  Mc.  Cain,  Report  on  charges  in 
Railway  Transportation  Rates  on  freight  traffic 
throughout  the  United  States.  Washington  1893, 
S.  405  ff.,  431  ff.  i'.  der  Leyen. 

Trust,  eine  in  England  entstandene,  in  den 
Vereinigten  Staaten  von  Amerika  weiter  ausge- 
bildete Form  einer  Handelsgesellschaft.  Es  ver- 
binden sich  mehrere  Aktiengesellschaften  zu 
einer  gemeinsamen  Obergesellschaft,  trust,  oder 
auch  Board  of  trustees  genannt.  Dieser  über- 
tragen sie  ihre  Aktien,  die  in  trust  certificates 
umgewandelt  werden.  Die  Leitung  der  Geschäfte 
erfolgt  durch  den  Board  of  trustees,  der  Gewinn 
wird  an  die  Einzelgesellschaften  nach  Maßgabe 
ihrer  trust  certificates  verteilt.  Das  Wort  trust 
(von  Treue,  daher  auch  Treuhänder,  Treu- 
handelsgesellschaft) bedeutet  ursprünglich  \'or- 
mundschaft,  trustee  Vormund.  Der  Zweck  einer 
derartigen  Vereinigung  ist  die  Beseitigung  des 
Wettbewerbs  unter  den  einzelnen  Gesellschaften, 
ihre  einheitliche  Leitung  und  die  Vereinfachung 
des  Betriebs.  Diese  Form  der  Vereinigung  kam 
und  kommt  noch  in  den  V^ereinigten  Staaten 
besonders   häufig   vor   bei    den    Eisenbahnge- 


Trust. 


Türkische  Eisenbahnen. 


373 


Seilschaften,  die  auf  diese  Weise  die  in  einigen 
Staaten  verbotene  Verschmelzung  ihrer  Linien 
verschleiern  wollen. 

Die  öffentliche  Meinung  war  von  jeher  in 
den  Vereinigten  Staaten  stark  gegen  die  T. 
eingenommen.  In  den  Jahren  1888- 1S90 
wurde  eine  eingehende  Untersuchung  über  sie 
angestellt,  deren  Ergebnisse  in  einem  1890  in 
Washington  erschienenen  Preliminary  Report 
on  trusts  and  industrial  combination  veröffentlicht 
sind.  Dieser  Bericht  war  den  betroffenen  Unter- 
nehmungen so  unbequem,  daß  sie  alle  vorhande- 
nen Druckexemplare  aufkauften  und  vernichteten. 
Das  Ergebnis  der  Untersuchung  war  das  Bundes- 
gesetz vom  2.  Juli  1890,  der  nach  seinem  Ur- 
heber so  genannte  Sherman  Act,  mit  dem 
Titel:  An  act  to  protect  trade  and  commerce 
against  unlawful  restraints  and  monopolies  (Ge- 
setz zum  Schutz  von  Handel  und  Verkehr  gegen 
ungesetzliche  Einschränkungen  und  Monopole). 
Im  §  1  des  Gesetzes  heißt  es:  „Jeder  Vertrag, 
jede  Vereinigung  in  Form  der  T.  oder  in 
anderer  Form,  oder  jede  Verschwörung  zur 
Beschränkung  von  Handel  und  Verkehr  zwischen 
den  Einzelstaaten  oder  mit  fremden  Nationen 
wird  hiermit  für  gesetzeswidrig  erklärt."  Zu- 
widerhandlungen werden  mit  Geldbußen  bis 
zu  5000  Dollar,  oder  mit  Gefängnis,  oder  mit 
beiden  Strafen  geahndet  l  Auf  Grund  dieses 
Gesetzes  sind  einzelne,  an  sich  nützliche  Eisen- 
bahnverbände, z.  B.  die  sog.  Transmissouri 
Association,  die  Trunk  Line  Association,  die 
Northern  Securities  Company  (s.  d.),  für  un- 
gesetzlich erklärt  und  sie  mußten  aufgelöst 
werden.  Die  Eisenbahnen  haben  stets  andere 
Formen  der  Vereinigung  gefunden,  mit  denen 
sie  dieselben  Zwecke  wie  mit  den  T.  er- 
reichten, z.  B.  die  Holding  Company  (s.  Bd.  VI, 
S.  221),  oder  sie  haben  sich,  soweit  dies  zu- 
lässig war,  vollständig  verschmolzen. 

Das  Sherman-,  auch  Antitrustgesetz  bezeichnet, 
ist  seit  seinem  Bestehen  viel  angefochten  worden. 
Von  einer  Seite  wurde  die  Abschaffung  des 
Gesetzes  gewünscht,  weil  infolge  seiner  Be- 
stimmungen eine  Reihe  nützlicher,  den  Verkehr 
fördernder  Vereine  aufgehoben  seien.  Von  an- 
deren wurde  eine  Verschärfung  der  gesetzlichen 
Bestimmungen  verlangt,  durch  die  auch  die 
vielen  Umgehungen  unmöglich  gemacht  würden. 
Der  jetzige  Präsident  der  Vereinigten  Staaten 
Woodrow  Wilson  hatte  sich  in  seinen  Uni- 
versitätsvorlesungen und  seinen  Schriften  auf  die 
letztere  Seite  gestellt  und  sich  zum  entschiedenen 
Gegner  der  T.    erklärt.    Als  Präsident  hat  er 


'  Eine  Zusammenstellung  aller  in  den  Vereinigten 
Staaten  damals  geltenden  Trusigesetze  befindet  sich 
im  Bd.  II  des  großen  Berichts  der  Industrial  Com- 
mission,  Washington  1900. 


in  seinen  Botschaften  vom  2.  Dezember  1913 
und  20.  Januar  1914  denselben  Standpunkt  mit 
allem  Nachdruck  vertreten  und  den  Erlaß  neuer 
Gesetze  zur  Bekämpfung  derT.  angeregt.  Nach 
Ausbruch  des  Weltkriegs  hat  Wilson  indes 
die  bestehenden  mächtigeren  T.  nach  allen 
Richtungen  hin  unterstützt,  so  den  an  den 
Munitionslieferungen  stark  beteiligten  Stahl- 
trust, den  die  Geldunterstützung  der  Entente 
fördernden  Geldtrust,  an  dessen  Spitze  Morgan 
steht,  und  auch  die  großen  Eisenbahnverbände, 
denen  er  zur  Durchsetzung  ihrer  Tarifer- 
höhungen im  Jahre  1915  mit  seinem  ganzen 
Einfluß  verholfen  hat.  Dagegen  sind  2  Ge- 
setze erlassen  worden,  mit  denen  Wilson  die 
in  seiner  Botschaft  gegebenen  Versprechungen 
einlösen  wollte.  Das  eine  Gesetz  vom  20.  Septem- 
ber 1914  betreffend  die  Errichtung  eines  Bundes- 
Handels-Amts  (Federal  Trade  Commission)  hat 
zum  Zweck,  unsauberen  Wettbewerb  im  Ver- 
kehrsleben zu  bekämpfen.  Das  andere  Gesetz 
vom  15.  Oktober  1914  betreffend  Ergänzung 
der  geltenden  Gesetze  gegen  ungesetzliche 
Beschränkungen  und  Monopole  (nach  seinem 
Urheber  im  Repräsentantenhaus  auch  Clayton 
Act  genannt)  enthält  eine  Reihe  von  Be- 
stimmungen, durch  die  Zweifel  bei  Auslegung 
besonders  des  vorerwähnten  Gesetzes  vom  2.  Juli 
1890  beseitigt  werden  sollen.  Daß  diese  beiden 
Gesetze  zur  Einschränkung  oder  zur  Aufhebung 
der  T.   beigetragen   haben,    ist  nicht   bekannt. 

Literatur:  American  economic  Review.  1914, 
S.  840  ff.  u.  1915,  S.  38  ff.  -  Allyn  A.  Young, 
Journal  of  political  economy,  Jan.  u.  April  1915. 

1'.  der  Leyen. 

Türkische  Eisenbahnen.  (Mit  Karte, 
Taf.  XI.) 

Inhaltsübersicht:  I.  Europäische  Türkei,  Geschicht- 
liches, Technische  Anlage;  II.  Salonik-Monastir; 
III.  Salonik-Dedeagadsch;  IV.  Asiatische  Türkei. 

I.  Europäische   Türkei. 

Geschichtliches. 

Die  ersten  in  der  europäischen  Türkei  er- 
öffneten Bahnen  waren  die  heute  zu  Rumänien 
gehörige,  von  einer  englischen  Gesellschaft  er- 
baute Linie  Konstantza-Czernavoda,  eröff- 
net am  4.  Oktober  1860  (s.  Rumänische  Eisen- 
bahnen) und  die  am  7.  November  1866  in  Be- 
trieb genommene  Linie  Rustschuk-Varna, 
die  (von  1873—1888  von  der  Betriebsgesell- 
schaft der  orientalischen  Eisenbahnen  betrieben) 
einen  Bestandteil  der  bulgarischen  Eisenbahnen 
(s.  d.)  bildet. 

Sie  waren  jedoch  Sackbahnen  und  inso- 
lange  ohne  größere  Bedeutung,  als  sie  nicht  mit 
einem  in  sich  geschlossenen  Eisenbahnnetz  in 
Verbindung  standen.  Die  Bestrebimgen  wegen 
Schaffung  eines  solchen  reichen  bis  in  den 
Beginn  der  Sechzigerjahre  zurück. 


374 


Türkische  Eisenbahnen. 


1S6S  kam  zwischen  der  Pforte  und  einem 
französisch-belgischen  Unternehmen  ein  Über- 
einkommen zustande,  demzufolge  eine  Haupt- 
linie von  Konstantinopel  über  Adrianopel 
durch  Rumelien  und  Bosnien  an  die  Save 
mit  Abzweigungen  an  die  serbische 
Grenze  und  nach  Salonik,  sowie  eine  Linie 
von  Varna  über  Adrianopel  nach  Enos 
zur  Verbindung  des  Schwarzen  Meeres  mit 
dem  Ägäischen  Meer  hergestellt  werden  sollte. 
Allenfalls  sollte  die  Hauptlinie  bei  gleichzeitiger 
Vertagung  des  Baues  der  bosnischen  Strecke 
unmittelbar  durch  Serbien  an  die  Save  geführt 
werden. 

Dadurch,  daß  seitens  der  ursprünglichen 
Konzessionäre  eine  Reihe  von  Bedingungen 
unerfüllt  blieb,  erlosch  jedoch  diese  Konzession; 
nach  vielfachen  Verhandlungen  übertrug  die 
türkische  Regierung  mit  Vertrag  vom  17.  April 
1869  den  Bau  der  Eisenbahnen  in  der  euro- 
päischen Türkei  an  Baron  Hirsch  bzw.  an  die 
von  ihm  gebildete  „Societe  imperiale  des  chemins 
de  fer  de  la  Turquie  d'Europe". 

Hierbei  war  die  Herstellung  folgender  Linien 
vorgesehen: 

1.  der  Hauptlinie  von  Konstantinopel  über 
Adrianopel,  durch  Bulgarien,  Serbien,  Bosnien 
nach  Doberlin  im  Anschluß  an  eine  von 
Österreich  auszuführende  Linie  Sissek-Doberlin; 

2.  einer  Linie  nördlich  zur  damaligen 
serbisch-türkischen  Grenze  bei  Nisch  und  südlich 
über  Osküb  nach  Salonik; 

3.  einer  Linie  von  Philippopel  über  Jamboli 
nach  Burgas  längs  des  südlichen  Balkanabhangs; 

4.  einer  Linie  von  Jamboli  über  Adrianopel 
nach  Enos  oder  Dedeagadsch. 

Für  dieses  Netz  von  beiläufig  2500  Ä/ra  Länge 
gewährte  die  türkische  Regierung  eine  jährliche 
Ertragsgarantie  von  14.000  Fr.  f.  d.  km  und 
versprach  außerdem  mit  Rücksicht  auf  die 
hohen  Baukosten  der  bosnischen  Strecke  ent- 
sprechende Subventionen.  Ferner  sollte  die 
Venvaltung,  die  den  Betrieb  zu  übernehmen 
gehabt  hätte,  und  als  die  die  österreichische 
Südbahngesellschaft  in  Aussicht  genommen  war, 
einen  jährlichen  Pacht  von  mindestens  8000  Fr. 
f.  d.  km  entrichten. 

Auf  Grund  der  von  der  türkischen  Regierung 
gewährleisteten  Garantie  wurde  am  15.  und 
16.  März  1870  eine  öffentliche  Subskription 
auf  750.000  Stück  Prämienobligationen  aus- 
geschrieben, jede  zu  400  Fr.;  diese  wurden 
später  in  die  Türkenlose  umgewandelt. 

Alsbald  wurden  auch  von  4  verschiedenen 
Punkten  (Konstantinopel,  Dedeagadsch,  Salo- 
nik und  Doberlin)  die  Arbeiten  begonnen 
und  ziemlich  rüstig  gefördert,  so  zwar,  daß 
bereits   am  4.  Januar  1871   die    10-4^w   lange 


Teilstrecke  von  Jedikule  (Konstantinopel)  nach 
Kutschuk-Tschekmedsche  dem  Betrieb  über- 
geben werden  konnte. 

Bald  trat  jedoch  ein  Stillstand  ein;  der  eu- 
ropäisch gesinnte  Großvezier  Aali  Pascha  war 
gestorben,  und  an  seine  Stelle  der  Alttürke 
Mahmud  Pascha  getreten,  der  im  Gegensatz 
zu  seinem  Vorgänger  einer  Verbindung  mit 
Zentraleuropa  abgeneigt  war  und  den  Anschluß 
an  die  russischen  Bahnen  über  Rumänien 
anstrebte.  Als  die  Türkei  überdies  ihren  Ver- 
pflichtungen gegen  die  Societe  imperiale  nicht 
nachkommen  konnte,  legte  diese  am  18.  Mai  1872, 
bevor  noch  eine  der  Hauptlinien  ausgebaut  war, 
ihre  Konzession  in  die  Hände  der  türkischen 
Regierung  zurück,  wogegen  diese  letztere  die 
unmittelbare  Haftung  für  die  Verzinsung  und 
Tilgung  der  Türkenlose  auf  sich  nahm.  Die 
Societe  imperiale  übernahm  als  Generalbau- 
untcrnehmung  nunmehr  auf  Grund  eines  neuen 
Vertrags  die  Fertigstellung  des  türkischen  Staats- 
bahnnetzes, das  sich  aus  folgenden  Linien  zu- 
sammensetzen sollte: 

1.  Konstantinopel-Adrianopel  bis  Bellova  oder 
Sarambey  mit  den  Abzweigungen  von  Adrianopel 
nach  Dedeagadsch  und  von  Tirnovo-Semenli 
nach  Jamboli; 

2.  Salonik- Üsküb-Mitrowitza; 

3.  Doberlin-Banjaluka (hierüber S.Näheres  im 
Art.  Bosnisch-hercegovinische  Eisenbahnen). 

Das  nunmehr  aufgestellte  Eisenbahnnetz  besaß 
eine  beiläufige  Länge  von  \23Q  km;  für  dessen 
Herstellung  reichte  das  durch  die  Türkenlose 
aufgebrachte  Kapital  aus. 

Ihrerseits  verpflichtete  sich  die  türkische 
Regierung,  aus  Staatsmitteln  eine  Linie  von 
Jamboli  über  den  Balkan  nach  Schumla  im 
Anschluß  an  die  Bahn  Varna-Rustschuk,  sowie 
die  Strecke  Sarambey-Sofia-Osküb  herzustellen. 
Durch  erstere  sollte  das  türkische  Bahnnetz 
an  die  Donau  geführt  werden,  um  so  eine 
Verbindung  mit  den  rumänisch -russischen 
Bahnen  zu  schaffen,  durch  letztere  die  Strecke 
Salonik -Mitrowitza  dem  Hauptnetz  angegliedert 
und    damit   erträgnisfähiger   gemacht   werden. 

Überdies  erklärte  sich  die  Pforte  bereit,  die 
Herstellung  der  nötigen  Zufahrtsstraßen  zu 
den  Stationen,  der  erforderlichen  Hafenanlagen, 
Lagerhäuser  u.  s.  w.  aus  eigenen  Mitteln  vor- 
zunehmen. 

Die  im  vorbesprochenen  Vertrag  von  der 
Generalbauunternehmung  zur  Herstellung  über- 
nommenen Linien  waren  bis  zum  Jahre  1875 
fertiggestellt,  u.  zw.  wurden  die  Linie  Konstan- 
tinopel-Adrianopel-Sarambey  1871-1873,  die 
Flügel  Adrianopel-Dedeagadsch  und  Adrianopel- 
Jamboli  1872  bzw.  1874,  die  Linien  Salonik- 
Üsküb     1872-1873,     Üsküb-Mitrowitza     im 


Türkische  Eisenbahnen. 


375 


Jahre  1874,  Banjaluka-Doberlin  im  Jahre  1872 
eröffnet. 

Der  Betrieb  der  bereits  fertiggestellten  und 
noch  fertigzustellenden  Linien  wurde  an  die 
durch  Baron  Hirsch  mit  einem  Aktienkapital 
von  50  Mill.  Fr.  begründete  Betriebsgesellschaft 
(Compagnie  generale  pour  re.xploitation  des 
chemins  de  fer  de  la  Turquie  d'Europe)  pacht- 
weise übertragen.  Dieses  Pachtverhältnis  wurde 
auf  die  Dauer  von  50  Jahren  abgeschlossen, 
gerechnet  vom  Zeitpunkt  der  Betriebsübergabe 
aller  im  Vertrag  bezeichneten  sowie  der  von 
der  Regierung  herzustellenden  Linien  (an  Stelle 
dieses  Zeitpunkts  wurde  durch  Vertrag  vom 
April  18Q3  das  Jahr  1958  festgesetzt).  Mit 
Ablauf  eines  Jahres  nach  erfolgter  Inbetrieb- 
setzung sämtlicherstrecken  hatte  die  Betriebs- 
gesellschaft eine  jährliche  Rente  von  8000  Fr. 
f.  d.  km  an  den  Staat  zu  entrichten.  In  der 
Zwischenzeit  sollte  ein  Pachtschilling  nur  dann 
bezahlt  werden,  wenn  die  Durchschnittsein- 
nahmen der  in  Betrieb  befindlichen  Strecken 
12.000  Fr.  f.d.  km  übersteigen  und  sollte  er 
dann  80%  des  Überschusses  über  12.000  Fr., 
bis  die  Höchstrente  8000  Fr.  erreicht,  betragen. 

Infolge  des  Staatsbankrotts,  der  Unzulänglich- 
keit der  damaligen  Verwaltungsbehörden,  und 
in  nicht  geringem  Maß  auch  infolge  der 
Kriegsereignisse  der  Jahre  1877  und  1878, 
durch  die  die  Türkei  über  Gebiete,  auf  denen 
die  von  ihr  auszuführenden  Verbindungsstrecken 
zum  Teil  gelegen  waren,  die  Verfügung  ver- 
loren hatte,  konnte  die  Pforte  den  ihrerseits 
durch  die  Verträge  von  1872  übernommenen 
Verpflichtungen  nicht  nachkommen.  Anderseits 
wurde  aber  auch  der  Bruttoertrag  von  12.000  Fr. 
niemals  überschritten  (die  in  den  Jahren  1877 
und  1878  erzielten  Überschüsse  wurden  ver- 
tragsmäßig zur  Deckung  früherer  Abgänge  ver- 
wendet); die  Betriebsgesellschaft  weigerte  sich 
daher,  mit  Berufung  auf  den  abgeschlossenen 
Vertrag  für  die  von  ihr  tatsächlich  betriebenen 
Linien  eine  Pachtsumme  zu  bezahlen. 

um  sich  aus  diesen  auf  die  Länge  unhalt- 
baren Verhältnissen  zu  befreien,  drohte  die 
türkische  Staatsverwaltung  mit  der  Sequestrie- 
rung der  Bahneinnahmen.  Da  dies  aber 
einer  Konfiskation  von  Privateigentum  gleich- 
gekommen wäre,  legte  sich  Österreich  ins  Mittel, 
worauf  man  seitens  der  Türkei  davon  Abstand 
nahm,  und  die  Sache  schon  damals  vor  das  in 
den  Verträgen  von  1872  vorgesehene  Schieds- 
gericht bringen  wollte.  Doch  auch  hier  blieb 
es  nur  bei  der  Absicht,  bis  endlich  die  Betriebs- 
gesellschaft, die  sich  gleichwie  die  Baugesell- 
schaft in  der  Hand  des  Barons  Hirsch  befand, 
sich  aus  anderen  Ursachen  bewogen  fand, 
diesem  Zustand  ein  Ende  zu  machen. 


Zu  Beginn  der  Siebzigerjahre  hatte  die 
damals  bestandene  Societe  imperiale  für  die 
planmäßige  Fertigstellung  der  von  ihr  über- 
nommenen Arbeiten  eine  Kaution  von  25  Mill.  Fr. 
geleistet,  die  nach  erfolgter  endgültiger  Über- 
nahme der  Bahnen  zurückgestellt  werden  sollte. 
Da  aber  nur  eine  vorläufige,  niemals  eine 
endgültige  Übernahme  erfolgte,  so  war  auch 
trotz  aller  erhobenen  Einsprüche  nur  ein  Teil 
der  Kaution  zurückgezahlt  worden.  Solange 
der  übrige  Teil  noch  ausständig  war,  konnte 
jedoch  die  als  Baugesellschaft  fortbestandene 
Societe  imperiale,  die  nach  Fertigstellung  der 
vertragsmäßigen  Linien  ihre  Aufgabe  beendet 
hatte,  nicht  in  Liquidation  treten  und  insolange 
auch  nicht  ihrer  Verpflichtungen  enthoben 
werden.  War  die  Pforte  nun  auch  gegenüber 
der  Betriebsgesellschaft  machtlos,  so  konnte 
sie  doch  der  Baugesellschaft  dadurch,  daß 
sie  eine  endgültige  Übernahme  verweigerte, 
Schwierigkeiten  bereiten.  Mit  Rücksicht  darauf 
beschloß  Baron  Hirsch,  sich  mit  der  türkischen 
Regierung  ins  Einvernehmen  zu  setzen,  und 
so  wurde  gelegentlich  eines  zu  Ende  des  Jahres 
1885  seitens  der  Betriebsgesellschaft  mit  der 
Türkei  gegen  7  %  Verzinsung  und  1  %  Amorti- 
sation abgeschlossenen  Anlehens  von  23  Mill.  Fr. 
auch  eine  Regelung  dieser  Streitpunkte  ange- 
bahnt. Die  noch  übrige  Kautionssumme  sollte 
zurückgezahlt  werden,  während  die  Betriebs- 
gesellschaft die  unbedingte  Bürgschaft  für  die 
Erledigung  jener  Anstände  auf  sich  nahm,  die 
sich  bei  der  endgültigen  Übernahme  ergeben 
sollten. 

Außerdem  wurde  an  Stelle  des  früheren 
Teilungsschlüssels  festgesetzt,  daß  die  Betriebs- 
gesellschaft 7000  Fr.  f.  d.  Jahr  und  km  vorab 
zur  Bestreitung  der  Betriebsauslagen  erhalten 
solle,  und  der  Rest  des  Bruttoertrags  in  der 
Weise  zu  teilen  sei,  daß  die  Betriebsgesellschaft 
55%,  die  Regierung  45%  bekomme,  wobei 
erstere  die  Bürgschaft  dafür  übernahm,  daß  der 
Anteil  der  Regierung  mindestens  den  Betrag  von 
1500  Fr.  f.  d.  km  erreiche.  Diese  Beteiligung 
des  Staates  diente  nunmehr  als  Unterpfand  für 
die  Verzinsung  und  Tilgung  der  Anleihe. 

Ferner  wurde  vereinbart,  daß  der  vorläufige 
Betrieb  nach  erfolgter  Untersuchung  der  ein- 
zelnen Strecken  durch  eine  technische  Kommis- 
sion mit  schiedsrichterlicher  Gewalt  in  einen 
dauernden  überzugehen  habe. 

Eine  Reihe  von  anderen,  meist  \ermögens- 
rechtlichen  Fragen,  die  sich  auf  Leistung  einer 
Pachtsumme  seitens  der  Betriebsgesellschaft  an 
die  Regierung,  auf  Bezahlung  einer  Entschädi- 
gung für  Kriegsschäden,  auf  Schaffung  eines 
Garantiefonds  u.  s.  w.  bezogen,  wurde  vorder- 
hand unberührt  gelassen,  bis  auch  diese  Fragen 


376 


Türkische   Eisenbahnen. 


zu  Ende  des  Jahres  1888  durch  den  Schieds- 
spruch des  Dr.  Gneist  ihre  Lösung  fanden. 
Während  die  soeben  berührten  Verhandlungen 
zwischen  Baron  Hirsch  und  der  Türkei  noch 
in  Schwebe  waren,  hatte  die  auf  Grund  des 
Berliner  Vertrags  (1878)  in  Wien  zusammen- 
getretene I,  Conference  ä  quatre"  durch  die 
Eisenbahnkonvention  vom  Q.  Mai  1S83  die 
Frage  über  die  Anschlüsse  der  türkischen 
Bahnen  an  das  westliche  Europa  endgültig 
geregelt.  Zufolge  Art.  3  des  Konferenzbeschlusses 
verpflichtete  sich  die  kaiserlich  ottomanische 
Regierung,  die  Anschlußstrecken  Bellova-Vakarel 
(s.  Art.  „Bulgarische  Eisenbahnen")  und  Osküb- 
Sibeftsche  an  die  bulgarisch-rumelische,  bzw. 
serbische  Grenze  herstellen  zu  lassen  und  bis 
zum  15.  Oktober  1886  gleichzeitig  dem  Betrieb 
zu  übergeben. 

Die  Ausführung  dieser  beiden  Strecken 
wurde  einer  unter  Beihilfe  des  Comptoir 
National  d'Escompte  gebildeten  Societe  de 
construction  des  lignes  de  raccordement  de 
Roumelie  übertragen.  Die  Herstellungskosten 
wurden  mit  175.000  Fr.  f.  d.  km  festgesetzt.  Die 
Eröffnung  der  Linie  Üsküb-Sibeftsche  erfolgte 
am  25.  Mai  1888,  die  der  Linie  Bellova-Vakarel 
gleichzeitig  mit  der  Strecke  Tsaribrod-Vakarel 
am  7.  Juli  1888;  damit  war  endlich  der  direkte 
Schienenweg  zwischen  Mitteleuropa  einerseits, 
Salonik  und  Konstantinopel  anderseits  hergestellt. 

Bis  zur  Austragung  der  zwischen  Baron 
Hirsch  und  der  Türkei  obwaltenden  Schwierig- 
keiten wurde  der  Betrieb  auf  der  Linie  Üsküb- 
Sibeftsche  gemäß  des  Vertrags  vom  25.  Fe- 
bruar 1888  vorläufig  der  Societe  des  raccor- 
dements  überlassen.  Als  dann  Ende  1888  durch 
den  früher  erwähnten  Schiedsspruch  die  letzten 
Streitpunkte  mit  Baron  Hirsch  beseitigt  waren, 
wurde  dieser  Vertrag  gekündigt;  die  Betriebs- 
gesellschaft der  Orientalischen  Eisenbahnen  (s.d.) 
übernahm  nunmehr  auch  den  Betrieb  dieser 
Linie.  Die  Linie  Bellova-Vakarel  ist  nach 
ihrer  Fertigstellung  sofort  seitens  Bulgariens 
okkupiert  und  dem  bulgarischen  Staatsbahn- 
netz einverleibt  worden.  Die  finanzielle  Seite 
dieser  Angelegenheit  wurde  später  einverständ- 
lich geregelt.  Die  Orientalischen  Eisenbahnen 
hatten  nunmehr,  d.  i.  im  Jahre  1888,  eine  Ge- 
samtlänge von    1263-7  km. 

Das  rumelische  oder  Hauptnetz  umfaßte 
die  Hauptlinie  Konstantino pel-Bellovo 
(561-1  km)  sowie  die  Zweiglinien  Adrianopel- 
Dedeagadsch  (148-9  km)  und  Tirnovo- 
Semenli-Jamboü  (105-7  km).  Das  mazedo- 
nische oder  Saloniker  Netz  begriff  in  sich  die 
Linie  Salonik-Üsküb-Sibeftsche  (328-5^ 
und  die  Flügelbahn  Üsküb  -  Mitrowitza 
{\\9-5  km). 


Hiervon  wurden  schon  im  Jahre  1908  von 
der  bulgarischen  Regierung  die  sog.  ostrume- 
lischen  Strecken  (Ljubimetz  (Grenze) -Bellova 
und  Tirnovo-Semenli-Jamboli)  in  einer  Länge 
von  309-6  km  nach  der  Souveränitätserklärung 
Bulgariens  besetzt.  Die  finanzielle  Regelung  er- 
folgte 1919  gleichzeitig  mit  der  Schlichtung  ver- 
schiedener Streitfragen  zwischen  der  ottomani- 
schen Regierung  und   der  Betriebsgesellschaft. 

Durch  Vertrag  vom  7. '20.  Juli  1910  wurde 
den  orientalischen  Eisenbahnen  seitens  der 
türkischen  Regierung  die  Konzession  zum 
Bau  und  Betrieb  einer  45-62  km  langen  Zweig- 
linie von  Babaeski  nach  Kirkkilisse  erteilt, 
welche  Strecke  am  20.  Juli  1912  dem  öffent- 
lichen Verkehr  übergeben  wurde.  Außerdem 
wurde  der  Gesellschaft  am  20.  Juli/12.  August 
1912  die  Konzession  zum  Bau  und  Betrieb 
einer  Linie  von  Üsküb  nach  Gostivar  über 
Kalkandelen  übertragen.  Der  Bau  wurde  kurz 
vor  Beginn  der  Balkankriege  begonnen. 

Infolge  dieser  Kriege,  während  deren  Dauer 
der  Betrieb  der  Gesellschaft  auf  1  \2km  gesunken 
war  (Teile  der  Linien  Salonik-Üsküb-Konstanti- 
nopel-Tschataldscha  und  Salonik -Monastir), 
gingen  folgende  Strecken  in  das  Eigentum 
anderer  Staaten  über:  an  Bulgarien  85-6  km 
(Svilengrad-bulgarische  Grenze  und  Grenze  bei 
Demotika-Dedeagadsch),  an  Serbien  376-7  km 
(Gewgheli-Üsküb-Mitrowitza  und  Üsküb-Si- 
beftsche), an  Griechenland  77-3  km  (Salonik- 
Gewgheli). 

In  den  Friedensverträgen  der  Türkei  mit 
Bulgarien,  Serbien  und  Griechenland  sind 
diese  Staaten  in  alle  Rechte  und  Pflichten 
gegenüber  der  Betriebsgesellschaft  eingetreten. 

Der  Betrieb  der  in  Neuserbien  gelegenen 
Linien  wurde  auch  fernerhin  von  den  serbischen 
Staatsbahnen  weitergeführt.  Die  mit  der  serbi- 
schen Regierung  geführten  Ablösungsverhand- 
lungen waren  noch  im  Zuge,  als  der  Weltkrieg 
ausbrach;  sie  konnten  daher  nicht  zum  Ab- 
schluß gebracht  werden. 

Die  Linien  auf  bulgarischem  und  griechischem 
Gebiet  sind  von  der  Gesellschaft  bis  Oktober 
1915  weiter  betrieben  worden. 

Infolge  einer  freiwilligen  Gebietsabtretung 
seitens  der  Türkei  an  Bulgarien  sind  weitere 
142-5  km  der  gesellschaftlichen  Linien  (Svilen- 
grad-Adrianopel-Küleli  Burgas- Demotika)  an 
Bulgarien  übergegangen;  die  bulgarischen 
Staatsbahnen  haben  am  7.  Oktober  1915  den 
Betrieb  dieser  142-5  km  und  der  infolge  des 
Balkankriegs  auf  Bulgarien  entfallenen  85-6  km 
an  sich  genommen.  Die  eingeleiteten  Verhand- 
lungen über  die  Ablösung  des  Betriebsrechtes 
der  Gesellschaft  an  Bulgarien  gelangten  1916 
zum  Abschluß. 


1 


Enzyklopädie  des  Elsen  bahn  veseni.  2.  Aufl,  IX. 


Westarabien 


Verlaß  von  Urban  &  Schwarzenberg  in  Berlin  u.  Wien. 


Türkische   Eisenbahnen. 


377 


Desgleichen  hat  die  griechische  Regierung 
am  3.  Oktober  1915  den  Betrieb  der  auf  ihrem 
Gebiet  liegenden  n-350  km  langen  Teilstrecke 
Salonik-Gewgheli  der  orientalischen  Bahnen 
übernommen. 

Der  Betrieb  der  Gesellschaft  erstreckte  sich 
Ende  1916  nur  mehr  auf  die  Strecke  von 
Konstantinopel  an  die  neue  türkisch-bulgarische 
Grenze  zwischen  Uzunköprü  und  Küleli  Burgas 
mit  einer  Baulänge  von  27Skm  und  auf  die 
Zweiglinie  Alpullu-Kirkkilisse  mit  einer  Länge 
von  45'6  km. 

Technische    Anlage. 

Konstantinopler  Netz.  Linie  Konstanti- 
nopel-Bellova  (56 LI  km).  Ausgangspunkt  ist  der 
am  Ostende  des  Goldenen  Horns  gelegene 
Bahnhof  von  Konstantinopel.  Anfänglich  längs 
des  Alarmarameers  durch  welliges  Hügelland 
fortführend,  überschreitet  sie  unter  Steigungen 
von  12-5  bis  15%;,  die  Wasserscheide  bei  Sinikli 
und  senkt  sich  in  das  Maritzata!  herab.  Ober 
die  Maritza  selbst  führt  eine  in  den  Jahren 
1912 — 1914  mit  einem  Kostenaufwand  von 
iy4  Mill.  Fr.  neuerbaute  eiserne  Brücke  mit 
7  Öffnungen  von  50  m  Spannweite.  An  diese 
schließen  sich  außerdem  zu  beiden  Seiten  Flut- 
brücken an.  Am  rechten  Maritza- Ufer  verblei- 
bend, übersetzt  die  Bahn  oberhalb  Adrianopel 
einen  Nebenfluß  der  Maritza,  die  Arda,  mittels 
einer  eisernen  Brücke  von  4  Öffnungen  zu  je 
57"33  m  Spannweite  (Fachwerkträger,  Fahr- 
bahn unten,  gemauerte  Pfeiler)  und  erreicht  in 
Bellova  den  Anschluß  an  die  Bahnlinie  Bellova- 
Vakarel. 

Der  kleinste  Krümmungshalbmesser  beträgt 
225  m  (bei  Konstantinopel),  sonst  275  m,  die 
größte  Steigung  \5%o. 

Linie  Adrianopel-Dedeagadsch  (\4S-9  km). 
Dieser  an  das  Ägäische  Meer  führende  Flügel 
zweigt  von  der  Station  Kuleliburgas  der  Haupt- 
linie ab  und  überschreitet,  den  Abhängen  längs 
des  rechten  Ufers  der  Maritza  folgend,  mittels 
einer  Steigung  von  1 1  %(,  den  Mahamlysattel.  Auf 
dem  Scheitel  ist  ein  Ausweichgleis  angeordnet, 
um  längere  Züge  geteilt  die  Rampe  hinauf- 
befördern zu  können.  Bei  Feredjik  schließt  die 
Linie  Salonik-Dedeagadsch  an. 

Linie  Tirnova-Semenli-Jamboli  (1057  km). 
Diese  vermittelt  den  Anschluß  der  Hauptbahn 
an  die  Linie  Jamboli- Burgas  und  damit  an 
das  Schwarze  Meer.  Nach  Übersetzung  der 
Maritza  mittels  einer  Brücke  von  9  Öff- 
nungen mit  je  29  m  lichter  Weite  wendet  sie 
sich  einem  Seitental  dieses  Flusses  zu  und 
tritt  sodann  in  die  dem  Balkan  vorgelagerte 
Ebene  ein,  in  der  die  Endstation  Jamboli  liegt. 
Ausgenommen  die  Maritzabrücke  und  den  Be- 


ginn der  im  oben  erwähnten  Seitental  gelegenen 
Teilstrecke,  bot  der  Bahnbau  keine  bedeutenden 
Schwierigkeiten. 

Diese  beiden  Linien  liegen  nunmehr  eben- 
falls auf  bulgarischem  Gebiet. 

Saloniker  Netz.  Linie  Salonik-Üsküb - 
Sibeftsche  (448  km).  Nach  Überbrückung 
des  Gallico  folgt  diese  bis  hinter  Üsküb  dem 
Lauf  des  Vardar,  wendet  sich  sodann  dem 
Gebiet  der  Morava  zu  und  erreicht,  in  nörd- 
licher Richtung  fortschreitend,  bei  Sibeftsche 
die  serbisch-türkische  Grenze.  Der  weitaus 
größte  Teil  dieser  Linie  führt  durch  gebirgiges 
Land.  Gleich  hinter  Salonik  tritt  sie  in  ein 
durch  Wildbäche  durchbrochenes  Gelände  und 
setzt  zu  wiederholten  Malen  über  den  Vardar.  Die 
bedeutendste  dieser  Brücken  besitzt  16  Öff- 
nungen mit  zusammen  3 1 0  ot  lichter  Weite.  Durch 
die  Gebirgsschluchten  des  Vardar,  worunter 
bemerkenswert  die  Schlucht  von  Demirkapu  und 
jene  hinter  Köprülü,  erreicht  sie  Üsküb.  Auf 
einer  Brücke  aus  Eisenkonstruktion  mit  kon- 
tinuierlichen Trägern  von  120/«  Länge  und 
3  Öffnungen  zu  je  40  m  Spannweite  über- 
schreitet sie  ein  letztes  Mal  den  Vardar  und 
gelangt  in  das  Gebiet  der  Morava.  Der  aus- 
gesprochene Gebirgscharakter  der  Bahn  machte 
zahlreiche  Tunnelbauten  nötig,  worunter  der 
Tunnel  in  der  Schlucht  hinter  Köprülü  der 
wichtigste  ist.  Er  ist  300  m  lang,  nicht  aus- 
gemauert und  führt  durch  mürben  Gneis. 

Die  Steigung  beträgt  durchschnittlich  10%,,, 
der  kleinste  Krümmungshalbmesser  275  m. 

Von  dieser  Linie  sind  infolge  der  Balkan- 
kriege die  77-350  km  zwischen  Salonik  und 
Gewgheli  an  Griechenland,  der  übrige  Teil 
an  Serbien  gefallen. 

Linie  Üsküb-Mitrowitza  (\\Q-5  km).  Am  Be- 
ginn durch  ebenes  Gebiet  führend,  wendet  sie 
sich  in  die  Gebirgsenge  von  Katschanik.  In 
dieser  Strecke  befinden  sich  20  Brücken  und 
8  Tunnel  von  100-200/«  Länge,  sämtlich 
durch  druckhaftes  Gestein  führend.  Das  bisher 
benutzte  Tal  der  Neredinka  verlassend,  senkt 
sich  die  Bahn  zum  berühmten  Amselfeld  (Kosovo 
polje)  und  zur  Endstation  Mitrowitza.  Die  größte 
Steigung  findet  sich  in  der  Schlucht  von 
Katschanik  mit  \7%o,  sonst  beträgt  sie  durch- 
schnittlich 10%^;  der  kleinste  Krümmungs- 
halbmesser 275  m. 

Diese  Linie  ist  infolge  der  Balkankriege 
ganz  an  Serbien  gefallen. 

Von  Mitrowitza  sollte  die  sog.  Sandschak- 
bahn (s.  d.)  ausgehen,  die  schon  in  den  ersten 
türkischen  Bahnprojekten  vorgesehen  war,  und 
für  die  die  Betriebsgesellschaft  der  orienta- 
lischen Eisenbahnen  im  Jahre  1909  neue  ein- 
gehende  Pläne   und    Entwürfe   aufgestellt  hat. 


378 


Türkische  Eisenbahnen. 


II.  Salonik-Monastir. 

Diese  Linie  wurde  mit  Firman  vom  15./27. 
Oktober  1S90  an  ein  deutsches  Syndikat  kon- 
zessioniert. Die  seitens  der  Pforte  ge\^'ährte  Er- 
tragsgarantie sichert  eine  jährliche  kilometrische 
Mindestbruttoeinnahme  von  14.300  Fr.  zu.  Die 
Konzession  lautet  auf  9Q  Jahre  und  setzt  den 
Eintritt  des  staatlichen  Rückkaufsrechtes  nach 
30  Jahren  fest. 

Die  Linie  (219  km)  ist  in  einer  Länge  von 
96  km,  d.  i.  bis  Vertekop,  am  9.  Dezember  1892 
eröffnet  worden,  während  der  restliche  Teil  bis 
Monastir  am  13.  Juni  1894  dem  Verkehr  über- 
geben wurde.  Die  Betriebführung  der  Linie 
wurde  gegen  eine  feste  Entschädigung  der  Be- 
triebsgesellschaft der  orientalischen  Eisen- 
bahnen überlassen.  Eine  Verlängerung  an  das 
Adriatische  Meer   ist   in  Aussicht   genommen. 

Der  Bau  gestaltete  sich  ziemlich  schwierig; 
schon  in  der  Nähe  von  Salonik  waren  zahl- 
reiche Wildbacharbeiten  und  unweit  davon 
mehrere  größere  Brückenbauten  notwendig,  so 
die  158  m  lange  Brücke  über  den  Gallico  und 
die  Eisenbrücke  von  330  m  Länge  zu  12 
Öffnungen  von  je  27'36  m  Lichtweite  über  den 
Vardar.  Die  Bahn  überschreitet  sonach  den 
Gebirgskamm  X'odena  in  anhaltender  Steigung 
von  250/00-  In  diesem  Teil  der  Bahn  ergab  sich 
die  Notwendigkeit  zahlreicher  Kunstbauten;  auf 
einer  Länge  von  \Akm  befinden  sich  13  Tunnel 
und  9  große  X'iadukie. 

Infolge  der  Balkankriege  sind  213  ä/w  dieser 
Linie  auf  griechisches  Gebiet,  die  übrigen  16  km 
mit  der  Endstation  Monastir  auf  serbisches 
Gebiet  zu  liegen  gekommen. 

In  den  Betriebsverhältnissen  war  jedoch  keine 
Änderung  eingetreten,  bis  anfangs  Oktober  1915 
die  griechische  Regierung  den  Betrieb  übernahm. 

An  Fahrbetriebsmitteln  besaß  die  Bahn  da- 
mals  1 3  Lokomotiven  und  289  Wagen. 

III.   Salonik-Dedeagadsch. 

Die  Konzession  wurde  im  Oktober  1892 
einem  unter  der  Firma  „CompagniedesChemins 
de  fer  de  jonction  Salonique-Constantinople" 
durch  die  Banque  imperiale  Ottomane  in  V'er- 
bindung  mit  belgisch -französischen  Bankinsti- 
tuten gebildeten  Konsortium  erteilt. 

Die  Pforte  gewährt  eine  Ertragsgarantie,  u.  zw. 
sichert  sie  eine  jährliche  Bruttoeinnahme  von 
Fr.  15.500  f.  d.  km  zu. 

Die  Konzessionsdauer  beträgt  99  Jahre;  nach 
30  Jahren  kann  die  Bahn  rückgekauft  werden. 

Die  Linie  (519  km),  die  in  den  Jahren  1894 
und  1895  eröffnet  worden  ist,  wurde  hauptsächlich 
zu  strategischen  Zwecken  errichtet. 

Ausgangspunkt  ist  die  Stadt  Salonik,  End- 
punki     der    Hafen     Dedeagadsch     am    Ägäi- 


schen  Meer;  außerdem  bestehen  Abzweigun- 
gen, von  denen  die  eine  die  Station  Kara- 
souli  mit  der  Linie  Salonik- Üsküb  ver- 
bindet, die  andere  bei  Feredjik  die  Verbindung 
mit  der  Linie  Dedeagadsch-Adrianopel  herstellt. 

Infoige  der  Baikankriege  kamen  die  Strecken 
Dedeagadsch  bzw.  Feredjik-Okschilar  (143  äot) 
an  Bulgarien,  die  Strecken  Okschilar- Salonik 
bzw.  Karasouli  (376  km)  an  Griechenland. 

Das  bulgarische  Stück  ist  seit  Oktober  1915 
den  bulgarischen  Staatsbahnen  einverleibt, 
während  das  griechische  Stück  bis  Oktober  1915 
im  Betrieb  der  Gesellschaft  verblieb. 

IV.  Asiatische  Türkei. 

Es  befinden  sich  folgende  Eisenbahnen  in 
Betrieb: 

l.Hedjasbahn  (s.d.):  Länge  in*m 

Hauptlinie  Damaskus-.Wedina  .  1305 
Abzweigung  von  Deraa-Caiffa  .  163  1468 
Diese  Bahn  wurde  von  der  Regierung  erbaut 
und  wird  auch  von  ihr  betrieben.  Zu  den 
Baukosten  haben  die  Mohammedaner  der  ganzen 
Welt  beigesteuert.  Die  kilometrischen  Einnahmen 
betrugen  im  Jahre   1911   4100  Fr. 

2.  Jaffa-Jerusalem: 

Die  Konzession  datiert  vom  Jahre  1888  und 
wurde  auf  71  Jahre  erteilt.  Die  Bahn  ist  schmal- 
spurig (Länge  87  km).  Zwei  in  der  Konzession 
vorgesehene  Zweiglinien  (nach  Naplus,  Länge 
50  km,  und  nachGhaza,  Länge  IQ  km)  sind  nicht 
gebaut  worden.  Die  Regierung  liefert  keine 
Garantie.  Die  jährlichen  kilometrischen  Ein- 
nahmen schwankten  in  den  Jahren  1906—  1911 
zwischen   12.931   und  13.963  Fr. 

3.  Damas-Hamah   et   Prolongements: 

Länge  in  km 

a)  Beyrut-Damaskus    ....     147 

b)  Verbindung  mit  dem  Hafen 

in  Beyrut 2 

c)  Damaskus-M'zerib  ....     100 

d)  Ravak-Aleppo 331 

e)  Homs-Tripoli  (Syrien)  .  .  102  682 
Die  Konzession  für  die  erste  Linie  Beyrut- 
Damaskus  (Länge  147  km,  schmalspurig)  wurde 
im  Jahre  1889  erteilt.  Die  Regierung  leistete 
keine  Garantie,  die  Gesellschaft  hat  im  Gegenteil 
jährlich  einen  Betrag  von  1 200  türkischen  Pfund 
(rd.  27.500  Fr.)  an  die  Regierung  zu  erlegen. 

Die  Konzession  für  die  Abzweigung  von 
Damaskus  nach  M'zerib  (Länge  \QOkm,  schmal- 
spurig) wurde  im  Jahre  1890  erteilt,  ebenfalls 
ohne  Leistung  einer  Garantie  seitens  der  Regie- 
rung, die  für  die  Verlängerung  von  Damaskus 
nach  Biredschik  über  Homs-Hamah-Aleppo  im 
Jahre  1893.  Letztere  Bahn  wurde  jedoch  vor- 
erst bis  Aleppo  normalspurig  in  einer  Länge 
von    33\-5  km   gebaut,    u.  zw.   nicht  von   Da- 


Türkische  Eisenbahnen. 


379 


maskus  aus,  sondern  von  Rayak  bei  km  65 
der  Linie  Beyrut-Damaskus.  Die  staatliche  Ga- 
rantie beträgt   13.600  Fr.  f.  d.  Jahr  und  km. 

Die  normalspurige  Zweiglinie  Homs-Tripoli 
(in  Syrien)  mit  einer  Länge  von  1 02  km  wurde 
im  Juni  1911  dem  Betrieb  übergeben;  sie 
genießt  keine  Staatsgarantie. 

Die  kilometrischen  jährlichen  Einnahmen  der 
Linie  Beyrut-Damaskus-M'zerib  betrugen  in 
den  Jahren  1907-1911  16.729- 19.040  Fr., 
diejenigen  der  Linie  Rayak  -  Hamah  -  Aleppo 
5977-8063  Fr. 
4.  Mersina-Tarsus- Adana: 

Die  Konzession  für  diese  Linie  (67  km) 
datiert  vom  Jahre  1883.  Die  Bahn  wurde  im 
Jahre  1886  dem  Betrieb  übergeben. 

Die  Gesellschaft  (türkische  Aktiengesellschaft) 
war  später  Gegenstand  einer  finanziellen  Re- 
organisation und  ging  in  deutschen  Besitz  über. 

Die  kilometrischen  Einnahmen  betrugen: 


Jahr 


Fr. 


Jahr 


Fr. 


0 

12.286 

1913 

13.682 

1 

12.980 

1914 

15.045 

2 

14.605 

1915 

9.593 

5.  Anatolische    Eisenbahnen 

Länge  in  km 

(s.  d.): 

a)  Eski-Chehir-Konia  .... 

445 

b)  Ismidt-Angora 

486 

c)  Haidar  Pascha-lsmidt     .    . 

93 

d)  Abzweiglinie        Arifie-Ada- 

basar 

9 

1033 

6.  Bagdadbahn  (s.  d.): 

Länge 

in  km 

a)  Konia-Eregli-Bulgurlu-Ulu- 

kischla-Karapunar  .... 

292 

b)  Dorak  bis   zum  Fuße   des 

Taurus  via  Adana  .... 

115 

c)  Abzweigung    von    Toprak 

nach  Ale.xandrette  .... 

60 

d)  Radschu      über      Aleppo- 

Dscherablisse      bis      zum 

Amanus 

305 

e)  von  Bagdad  gegen  Norden 

bis  Samara 

119 

891 

7.  Aidin  Railway: 

Länge 

in  km 

a)  Smyrna-Aidin-Diner  (Haupt- 

linie)    

376 

b)  Diner-Eguirdir  (Hauptlinie) 

93 

c)  Abzweiglinie  Torbali-Tireh 

48 

d)           „            Tschatal-Kara- 

gatsch-Eudemish     .... 

25 

e)  Abzweiglinie  Paradiso-Bud- 

scha 

2 

f)  Abzweiglinie  Ghasi-Fumer- 

Seidliköi      

1 

g)  Abzweiglinie     Südlüdsche- 

Tschivril 

31 

576 

Län^e  in  km 

li)  Abzweiglinie       Baladschik-  576 

Seukie 22 

i)  Abzweiglinie     Gondscheli- 

Denizli 9       607 

Die  ursprüngliche  Konzession  für  diese  Linie 
wurde  im  Jahre  1856  erteilt;  es  ist  dies  also  die 
älteste  Eisenbahn  in  der  Türkei.  Der  Staat  hatte 
der  Gesellschaft  eine  Verzinsung  des  Anlage- 
kapitals von  6  %  f.  d.  Jahr  gesichert,  welche  Be- 
stimmung aber  im  Jahre  1888  aufgehoben  wurde. 
Die  Gesellschaft  hatte  von  da  an  das  Netz 
ohne  jede  Belastung  der  Regierung  weiterbe- 
trieben. Die  kilometrischen  Bruttoeinnahmen 
schwankten  in  den  Jahren  1907—  1911  zwischen 
14.332  und   16.938  Fr. 

8.  Smyrna-KassabaetProlongements: 

a)  Smyrna  -  Kassaba  -  Alacheir  Länge  in  km 
(Häuptlinie) 169 

b)  Abzweiglinie  Jonction-Bur- 
nabat 5 

c)  Abzweiglinie  Magnesie-Soma  92 

d)  „  Soma-Panderma  183 

e)  Alacheir-Afion-Karahissar  .  253  702 
Im  Jahre  1 894  wurde  dem  belgischen  Staatsan- 
gehörigen Georges  Nagelmackers,  dem  bekann- 
ten Gründer  der  internationalen  Schlafwagen- 
gesellschaft, für  die  schon  bestandenen  Linien: 
Smyrna  -  Kassaba  -  Alacheir,  Magnesia  -  Soma  - 
Birum-Abat,  im  ganzen  266  km,  eine  neue 
Betriebskonzession  und  für  eine  Linie  von 
Alacheir  nach  Afium-Karahissar,  247  km,  eine 
Bau-  und  Betriebskonzession  erteilt.  Die 
Regierung  garantierte  für  die  schon  bestehen- 
den Linien  eine  Annuität  von  2,310.000  Fr. 
während  99  Jahren,  und  für  die  zu  bauenden 
Linien  eine  jährliche  kilometrische  Bruttoein- 
nahme von  830-76  türkischen  Pfund  (rund 
18.880  Fr.).  Die  kilometrischen  Jahresein- 
nahmen stiegen  in  den  Jahren  1907-1911 
auf  den  alten  Linien  von  14.816  Fr.  auf 
18.670  Fr.,  auf  den  neuen  Linien  von 
5.065  Fr.  auf  7.194  Fr.  Der  Vertrag  für 
die  Linie  Soma-Panderma  wurde  erst  im  Jahre 
1910  abgeschlossen.  Die  Regierung  hatte  der 
Gesellschaft  77.832  4*0  ige  Staatsobligationen 
zu  500  Fr.  zu  übergeben.  Den  Betrieb  hat  die 
Gesellschaft  auf  ihre  Rechnung  und  Gefahr 
gegen  eine  Entschädigung  nach  folgender  For- 
mel zu  besorgen:  Präzipuum  2300  Fr.  f.  A.  km 
und  Jahr,  20%  von  den  Bruttoeinnahmen  für 
den  Verkehr,  80  Ct.  f.  d.  beladenen  Zugkm  für  die 
Zugförderung,  90%  von  den  Hamalgebühren. 

9.  Mudania-Brussa: 

Die  Konzession  wurde  im  Jahre  1891  an  den 
Gründer  der  Schlafwagengesellschaft  Nagel- 
mackers erteilt.  Von  der  in  dieser  Konzession 
erteilten    Ermächtigung,    die    Linie    bis    nach 


380 


Türkische  Eisenbahnen.  -   Tunis. 


Tschitli    weiterzuführen,    ist    bisher    kein    Ge- 
brauch gemacht  worden. 

Wenn  die  jährlichen  kilometrischen  Ein- 
nahmen 10.000  Fr.  überschreiten,  sind  25% 
von  dem  Überschuß  an  die  Regierung  abzu- 
führen. Die  kilometrischen  Einnahmen  schwank- 
ten in  den  Jahren  1907-1911  zwischen  6366 
und  11.581  Fr.  Alle  diese  Eisenbahnen  sind 
nach  dem  Ursprung  der  investierten  Kapitalien 
wie  folgt  zu  trennen: 
1.  Ottomanisches  Kapital:  km 

Hedjasbahn      1468 

II.  Deutsches  Kapital: 

Anatolische   Eisenbahnen     ....     1033 
Mersina- Tarsus -Adana 67 

III.  Deutsches  und  französisches  Kapital: 
Bagdadbahn      891 

IV.  Französisches  Kapital: 

a)  Smyrna-KassabaetProlongements 
einschließlich  Soma-Panderma   .       702 

b)  Damas-Hamah  et  Prolongements      682 

c)  Jaffa-Jerusalem 87 

V.  Französisch-belgisches  Kapital: 

Mudania-Brussa 41 

VI.  Englisches  Kapital: 

Aidin  Railway 607 

Zusammen  .  .  5578 
Die  unter  IV  — VI  angeführten  Eisenbahnen, 
bei  denen  englisches,  französisches  und  belgi- 
sches Kapital  investiert  ist,  sind  im  August  1915 
von  der  türkischen  Regierung  beschlagnahmt 
und  in  den  Staatsbetrieb  übernommen  worden. 
Im  September  1916  hat  die  türkische 
Deputiertenkammer  ein  provisorisches  Gesetz 
votiert,  wonach  alle  diese  Bahnen  auf  Grund 
einer  Expertise  verstaatlicht  werden  sollen. 

Tunis.  Seit  ISSl  steht  der  Bei  von  T.,  dessen 
Gebiet  99.600  Am-  mit  (1911)  etwa  1-78  Mill. 
Einwohnern  umfaßt,  unter  französischer  Ober- 
hoheit; als  eingeborenem  Herrscher  stehen  ihm 
jedoch  Eisenbahnhoheitsrechte  zu,  wodurch  sich 
ein  wesentlicher  Unterschied  für  das  Eisen- 
bahnwesen zwischen  T.  und  Algier  (s.  d.)  ergibt. 

Für  die  Entwicklung  des  Bahnnetzes,  die 
etwa  20  Jahre  später  als  in  Algier  beginnt, 
war  es  von  Vorteil,  daß  Bau  und  Betrieb  von 
Anfang  an  im  wesentlichen  in  einer  Hand, 
bei  der  Bone-Guelma-Gesellschaft  lagen; 
daher  wurde  die  Mannigfaltigkeit  von  Spur- 
weiten, an  der  die  algerischen  Bahnen  leiden,  ver- 
mieden. Neben  der  europäischen  Vollspur, 
die  nur  anfangs  für  die  wichtigsten  Haupt- 
bahnen angewendet  wurde,  gelangte  die  1  OT-Spur 
einheitlich  zur  Durchführung. 

Die  erste  Eisenbahn  war  die  30  km  lange 
vollspurige  Bahn  der  tunesischen  Eisen- 
bahn-Gesellschaft von  T.  nach   den   nord- 


östlich gelegenen  Hafenplätzen  von  La  Goulette 
und  La  Marsa,  1872  vollendet;  sie  gelangte 
1880  mit  Auflösung  der  Gesellschaft  an  die 
italienische  Dampfergesellschaft  Rubattino  und 
im  Jahre  1898  in  den  Besitz  der  Böne- 
Guelma-Gesellschaft;  diese  hatte  als  Rechts- 
nachfolgerin der  Baugesellschaft  Batignolles 
1877  mit  dem  Bei  von  T.  einen  Vertrag  über 
den  Bau  einer  Hauptbahn  von  T.  in  westlicher 
Richtung  nach  der  Grenze  von  Algier  abge- 
schlossen. Diese  Bahn  wurde  als  die  sog. 
Medjerdalinie,  196  km,  über  Djedeida  und 
Suk-el-Arba  nach  Suk-Ahras  nebst  der  östlichen 
Strecke  T.-Hamman-el-Lif,  16  km,  bis  1888 
in  Vollspur  vollendet.  Von  Djedeida  nach 
Norden  abzweigend  wurde  die  Flügelbahn 
nach  dem  Hafen  Biserta,  73  km,  gleichfalls 
in  Vollspur,    1894  erbaut. 

Bei  dem  Bau  der  übrigen  Bahnen  handelte 
es  sich  im  wesentlichen  um  die  Verbindung 
von  T.  mit  den  wichtigsten  Häfen  Susa  und 
Sfax  der  Ostküste  und  um  die  Erschließung 
des  Innern  von  diesen  Häfen  aus  vorwiegend 
in  südwestlicher  Richtung,  um  die  reichen 
Erz-  und  Phosphatgebiete  des  Landes  an  die 
Verschiffungsplätze  anzuschließen. 

Für  die  Bahn  von  Sfax  nach  Gafsa  erhielt 
die  Phosphat-  und  Eisenbahn-Gesellschaft 
von  Gafsa  1896  eine  Konzession  auf  60  Jahre 
mit  30.000  ha  Domänenland  mit  der  Auflage, 
die  Bahn  auf  eigene  Rechnung  zu  bauen  und  zu 
betreiben.  Die  Bahn  wurde  1900  eröffnet  und 
später  über  Metlaui  nach  der  Oase  Tozeur  ver- 
längert (1.  März  1913  vollendet);  das  Unter- 
nehmen ist  heute  eines  der  bedeutendsten  von  T. 
Durch  die  Eisenbahngesetze  vom  30.  April 
1902  und  10.  Januar  1907  erhielt  die  tunesische 
Regierung  die  Ermächtigung  zur  Aufnahme 
von  Anleihen  von  40  und  75  Mill.  Fr.  zum 
Ausbau  und  zur  Ergänzung  des  Bahnnetzes. 
Dementsprechend  wurden  folgende  Linien  her- 
gestellt: von  Pont  du  Fahs  nach  Kalaat-as-Senam 
mit  nordwestlicher  Abzweigung  nach  den  Salz- 
lagern von  El-Kef;  von  Kairuan  nach  Sbeitla; 
von  Biserta  nach  Nefzas;  von  Susa  nach  Sfax; 
von  Nebeur  über  Beja  nach  Mateur,  außerdem 
eine  Anzahl  kürzerer  Zweig-  und  Stichbahnen. 
Eine  dritte  Schutzgebietsanleihe  in  Höhe  von 
90-5  Mill.  Fr.,  laut  Gesetz  vom  28.  März  1912, 
dient  zur  Verstärkung  des  Oberbaues,  zur  Er- 
weiterung von  Bahnhöfen,  Verbesserung  des 
Betriebs  u.  dgl.,  Deckung  von  Kostenüber- 
schreitungen bei  den  früheren  Bahnlinien  und 
(mit  dem  Betrag  von  34,950.000  Fr.)  zu  neuen 
Bahnbauten,  u.zw.  den  Strecken  Metlaui-Tozeur, 
55  km,  Graiba-Gabes  (entlang  der  südlichen 
Ostküste),  80  km,  T.-Tebursuk,  145  km,  und 
T.-Hamman-Lif  (elektrische  Bahn). 


Tunis. 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


381 


Die  französische  Regierung  gewälirte  der 
Gesellschaft  Böne-Guelma  ähnlich  wie  den 
algerischen  Bahnen  eine  Zinsbürgschaft  von 
jährlich  bis  zu  4  Mill.  Fr.,  so  daß  der  französische 
Staat  bis  1902  rd.  60  Mill.  Fr.  Zuschuß  leisten 
mußte.  Mit  dem  I.Januar  1903  übernahm  die 
tunesische  Regentschaft  diese  Zinsbürgschaft 
und  der  französische  Staat  zahlt  nunmehr  feste 
Zuschüsse,  bis  1906  jährlich  2  Mill.  Fr.,  von 
da  ab  abnehmende  Beträge.  Seitdem  untersteht 
das  Eisenbahnwesen  von  T.  nur  noch  der 
einheimischen    Regierung,    die    dadurch    freie 


Hand  für  den  Ausbau  ihres  Bahnnetzes  ge- 
wonnen hat;  zu  ihrer  Unterstützung  in  Eisen- 
bahnangelegenheiten ist  ein  Eisenbahnrat 
eingesetzt. 

Die  Erträge  des  tunesischen  Bahnnetzes  der 
Böne-Guelma-Gesellschaft  sind  befriedigend. 

Am  31.  Dezember  1912  waren  im  Betrieb 
410-87  Äwz  vollspurige  und  1339-11  Ära  l  rn- 
spurige,  zusammen  1749-98  km  Eisenbahnen 
und  32-49  km  städtische  Straßenbahnen.  Die 
Betriebsergebnisse  für  das  Jahr  1912  zeigt  die 
nachstehende  Zusammenstellung: 


Rechnungsjahr  1912 


Gesellschaft  Böne-Guelma 


Vollspurig 


Medjerdabahn 


Djedeida- 
Biserta     und 
Zweigbahnen 


1  m-spurige 
Bahnen 


Gesamtnetz 


Gesellschaft  von  Qafsa 


I  /n-spurig 


Sfax-Oafsa-    '        , 
Metlaui        Grubenbahnen 


Betriebslänge km 

Einnahmen: 

Personenverkehr Fr. 

Güterverkehr „ 

Qesamteinnahme     ....     „ 

Beförderte : 

Reisende 

Güter/ 

Zngkm  ....    


226 

1,626.471 
1,425.778 
3,347.967 


108 

479.395 
372.432 
913.276 


1,355.941  '.  320.374 
315.514  I  127.613 
759.542  I     224.997 


1017 

2,470.093 
11,865.280 
14,962  669 

885.939 
1,554.399 
3,026.427 


1350 

4,576.058 
13,663.490 
19,223.912 

2,562.254 
1,997.526 
4,010.960 


243 

244.209 

9,715.843 

10,028.554 

68.405 
1,255.833 
1,300.337 


63 

64.471 

941.696 

1,010.365 

30.933 

550.920 

86.718 


Die  alten  Linien  von  T.  nach  La  Goulette 
und  Marsa  wurden  1905  von  der  Gesellschaft 
Böne-Guelma  an  die  Straßenbahngesellschaft 
von  T.  verkauft  und  1908  für  elektrischen 
Betrieb  eingerichtet. 

Literatur:  Rapport  au  Presid.  de  la  Republ.  sur 
la  SiUiation  de  laTunisie  en  1912;  Schander,  Eisen- 
bahnpolitik FrankTeichs  in  Nordafrika.  Jena  1913; 
Regence  de  Tunis.  Tableaux  Statistiques  1912.  — 
Baltzer,  Die  Kolonialbahnen  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung Afrikas.  Berlin-Leipzig  1916.      Baltzer. 

Tunnelbau  der  Eisenbahnen  (railways 
tunrniling;  constriiction  de  tunnels  de  chemins 
de  fer;  costnizione  di  gallerie  ferroviarie). 

Tunnel  sind  unter  der  Erdoberfläche  her- 
gestellte röhrenförmige  Bauwerke,  die  bewegten 
Massen,  namentlich  denen  des  Verkehrs,  einen 
freien,  sicheren  Durchgang  gestatten.  Je  nach  den 
verschiedenen  Verkehrsarten,  die  durch  den 
Tunnel  geführt  werden,  unterscheidet  man  Schif- 
fahrts-,  Fußgänger-,  Straßen-  und  Eisenbahn- 
tunnei.  Nur  letztere  kommen  hier  in  Betracht. 

Die  Notwendigkeit  einer  Tunnelanlage  ergibt 
sich  aus  Hindernissen,  die  sich  der  Trassen- 
führung des  Verkehrswegs  entgegenstellen, 
wie  große  Höhen,  deren  Ersteigung  unmöglich 
oder  deren  offene  Durchschneidung  zu  kost- 
spielig ist,  breite  und  tiefe  Wasserflächen,  deren 
Überbrückung  zu  teuer  oder  wegen  der  Störung 
des  Schiffsverkehrs  untunlich  ist,  oder  endlich 
wertvolles,  namentlich  städtisches  Gebiet,  das 
unverändert  erhalten  werden  soll. 


Inhaltsübersicht:  Richtungsverhältnisse.  — 
Neigungsverhähnisse.  —  Längenverhältnisse.  —  Licht- 
raumverhältnisse. -  Der  Stollen:  Bohr- und  Spreng- 
arbeit; Bohrarbeit;  Anordnung  der  Bohrlöcher; 
Schutterung;  Wertung  der  Bohrarbeiten  für  den  Richt- 
stollenbetrieb; Hau-  und  Brecharbeit;  Orabarbeit; 
Stollenzimmerung.  —  Der  Schacht:  Stellung  der 
Schächte;  Tiefen  der  Förderschächte;  Ausbruch  des 
Schachtes;  Größe  der  Förderschächte;  Abstützung 
oder  Zimmerung;  Ausmauerung;  Abstand  der  Förder- 
schächte; Verschluß  der  Förderschächte.  —  Der  zeit- 
weise Ausbau:  Holzzimmerung:  1.  Längsträgerzimme- 
rung (Langständerbau,  Brustschwellenbau,  Mittel- 
schwellenbau), 2. Querträgerzimmerung;  Eisenzimme- 
rung. -  Der  dauernde  Ausbau:  Form  und  Stärke 
des  Mauerwerks;  Nischen  und  Kammern;  Tunnel- 
mündungen. —  Die  Bauweisen:  Erste  Bauweise; 
zweite  Bauweise  (belgische  Bauweise);  dritte  Bau- 
weise (englische  Bauweise);  vierte  Bauweise;  fünfte 
Bauweise;  sechste  Bauweise  (Firstsclilitzbauweise);  die 
Schildbauweise;  Bauweisen  nach  dem  Gefrierver- 
fahren.  -   Förderung.   —  Lüftung. 

Richtungsverhältnisse. 

Der  Tunnel  kann  den  Richtungen  folgen, 
die  für  die  betreffende  Bahnlinie  im  allgemeinen 
zulässig  sind.  Mehrfach  hat  man  zur  Vermin- 
derung des  Krümmungswiderstandes  die  Bogen- 
halbmesser  im  Tunnel  gegenüber  denen  auf 
offener  Strecke  vergrößert.  Auch  Korbbögen 
sind  zulässig. 

Größere  Unterschiede  der  Halbmesser  sind 
wegen  plötzlicher  Änderung  der  Gleichgewichts- 
lage der  Fahrzeuge  bei  großer  Fahrgeschwindig- 
keit zu  vermeiden,  daÜbergangsbogen  zwischen 
den    einzelnen  Kreisbögen    meist   nicht  einge- 


382 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


schaltet  werden.  In  stark  gekrümmten,  längeren 
Tunneln  kann  die  Lüftung  Schwierigkeiten 
machen.  Ausführung,  Richtungsbestinimung  und 
Lüftung  können  oft  durch  mehr  oder  weniger 
geneigte  Seitenstollen  erleichtert  werden. 

Lange  Scheiteltunnel  werden  mit  Rück- 
sicht auf  tunlichste  Kürze,  leichtere  Richtungs- 
bestimmung und  Lüftung  gerade  geführt.  Die 
Überführung  in  die  offene  Bahnstrecke  ge- 
schieht oft  im  Bogen,  da  die  Tunnelachse 
häufig  senkrecht  zu  den  Tälern  liegt,  in  denen 
die  Bahn  weitergeführt  wird.  In  diesen  Fällen 
wird  der  gerade  Tunnel  meist  behufs  Erleichte- 
rung der  Richtungsangaben  mittels  eines 
Richtungsstollens  oder  Richtungstunnels 
nach  außen  verlängert,  nur  in  besonderen  Fällen 
geht  man  bei  langen  Tunneln  von  der  Geraden 
ab,  wie  z.B.  im  Lötschbergtunnel  (s.  d.  Bd. VII, 
S.   122). 

Die  Achsen  der  Doppel-  oder  Parallel- 
tunnel werden  meist  parallel  zueinander  ge- 
führt; ihr  Abstand  ist  so  groß  zu  wählen, 
daß  zwischen  beiden  Tunneln  ein  ausreichend 
starker  Oebirgskörper  verbleibt,  damit  der  Bau 
des  zweiten  Tunnels  durch  Bewegungen  nicht 
gefährdet  wird.  Zu  großer  Abstand  erschwert 
jedoch  das  Zusammenführen  der  Gleise  außer- 
halb des  Tunnels  auf  das  kleinste  zulässige 
Maß  der  offenen  Strecke.  In  der  Regel  ist  der 
Achsabstand  der  ein-  und  zweigleisigen  Parallel- 
tunnel mit  17-20w  und  nur  ausnahmsweise 
weniger  und  mehr  bemessen  worden. 

Neigungsverhältnisse. 

Die  größte  oder  maßgebende  Steigung  der 
Bahn  wird  in  längeren  Tunneln  infolge  Ver- 
minderung des  Reibungswertes,  daher  der  Loko- 
motivzugkraft ermäßigt.  In  kurzen,  gut  gelüf- 
teten und  trockenen  Tunneln  (300  —  500  m)  ist 
eine  Neigungsminderung  nicht  erforderlich. 
Unter  ungünstigen  klimatischen  Verhältnissen 
kann  der  Reibungswert  im  Tunnel  größer  sein 
wie  auf  offener  Strecke  (s.  Steigungsverhältnisse, 
Bd.  VII,  S.  318). 

Die  kleinste  Neigung  des  Tunnels  ist 
so  zu  wählen,  daß  eine  rasche  Wasserabführung 
gesichert  und  während  des  Baues  auch  die 
Förderung  der  Ausbruchmassen  nach  außen 
erleichtert  wird.  Sie  soll  hiernach  wenigstens 
etwa  2%o,  besser  noch  5%  betragen,  die 
noch  innerhalb  der  Grenzen  der  unschädlichen 
Neigung  liegen.  Wagrechte  Tunnel  können  nur 
für  ganz  kurze  Längen  in   Frage  kommen. 

Große  Scheiteltunnel  erhalten  daher  in  der 
Regel  von  der  Mitte  oder  richtiger  von  der 
wahrscheinlichen  Durchschlagstelle  der  Richt- 
stollen nach  den  beiden  Mündungen  Qefäll- 
strecken;    zu    große    beiderseitige    Neigungen 


sind  aber,  abgesehen  von  den  bereits  erörterten 
Gründen,  auch  wegen  der  zu  hoch  liegenden 
Knickstelle,  wodurch  die  Lüftung  im  Scheitel 
des  Tunnels  erschwert  und  überflüssige  Lasl- 
hebung  bedingt  wird,  zu  vermeiden. 

Da  die  zweckmäßige  Höhenlage  der  Mün- 
dungen der  meisten  langen  Gebirgstunnel  eine 
verschiedene  ist,  so  ist  die  angegebene  Kleinst- 
neigung nurvoneinerMündung  bis  zum  Scheitel 
durchzuführen,  woraus  sich  das  Neigungsver- 
hältnis nach  der  andern  Mündung  ergibt,  das 
dann  häufig  das  gewünschte  Kleinstmaß,  manch- 
mal auch  erheblich  überschreitet. 

Wegen  besserer  Neigungsausrundung  und 
auch  um  den  Verschiebungen  der  von  vorn- 
herein nicht  sicher  festzustellenden  Durchschlag- 
stelle leichter  Rechnung  tragen  zu  können,  wird 
an  der  Knickstelle  eine  wagrechte  oder  schwach 
geneigte  Strecke  vorgesehen. 

Ob  und  wie  weit  diese  Neigung  der  Scheitel- 
strecke eingehalten  werden  kann,  hängt  von 
der  Lage  der  tatsächlichen  Durchschlagstelle  ab. 

Längen  Verhältnisse. 

Im  allgemeinen  ist  mit  Rücksicht  auf  Bau- 
und  Betriebskosten  die  Länge  des  Tunnels  so 
kurz  wie  möglich  zu  halten.  Die  Kosten  wachsen 
unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  mit  der  Länge. 
Auf  Gebirgsbahnen  sucht  man  die  Länge  des 
Scheiteltunnels  durch  tunlichst  hohe  Lage  der 
Mündungen  einzuschränken;  das  bedingt  aber 
Verlängerungen  der  Zufahrtsrampen,  größere 
Hebungen  der  Züge.  Mehrfach  ist  die  Höhen- 
lage der  Tunnel  durch  ungünstige  klimatische 
Verhältnisse  begrenzt,  die  eine  Höherführung 
der  offenen  Strecke  ausschließen. 

Die  Längen  der  Scheiteltunnel  der  Gebirgsjjahnen 
sind  trotz  großer  Höhenlage  in  vielen  Fällen  doch 
noch  recht  beträchtliche,  wie  folgende  Beispiele 
zeigen. 

,  ..         .     ,  Seehöhe  der 

Tunnel  Lange  m  km      Mündung  in  m 

Qotthard 14-99  1145 

Lötschberg 14-6  123S 

Mont  Cenis 12-8  1269 

Arlberg 10-25  1302 

Tauem 8-5  1217 

Col  di  Tenda 8-1  1030 

Albula 5-9  1818 

Gravehals 5-3  866 

Furkabalin-Scheiteltunnel.    1-9  2170 

Andenbahn-Scheiteltunnel    3-2  3200 

Der  rd.  20  km  lange  Simplontunnel  mündet  nord- 
seits  im  Rhonetal  ailf  686  m  Seehöhe  und  schließt 
daher  unmittelbar  an  die  Rhonetalbalin  an. 

Hoch  gelegene,  verhältnismäßig  kurze  Tunnel 
mit  langen  und  stark  geneigten  Zufahrtsrampen, 
auch  Tunnel  mit  ungünstigen  Neigungsverhält- 
nissen hat  man  bei  Zunahme  des  Verkehrs 
durch  tiefer  liegende,  schwach  geneigte  und 
längereTunnel  mit  kurzen  und  schwach  geneigten 
Zufahrten    ersetzt    (s.   Gebirgsbahnen,    Bd.  V, 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


383 


S.  259  u.  Art.  Hauensteintunnel,  Rd.  VI,  Elm- 
tunnel,  Bd.  IV,  Roncotunnel,  Bd.  VIII). 

Für  die  Tunnellänge  ist  auch  die  Grenze 
maßgebend,  bei  der  der  Tunnel  billiger  wird 
wie  der  Einschnitt  oder  Abtrag.  Es  sind  hierbei 
nicht  allein  die  Baukosten,  sondern  auch  die 
Betriebs-  und  Bahnerhaltungskosten  sowie  etwa 
erforderliche  Entschädigungen  für  Grundstück- 
verschlechterungen über  dem  Tunnel  in  Rech- 
nung zu  stellen. 

Außerdem  ist  noch  in  Erwägung  zu  ziehen, 
daß  die  infolge  der  Verminderung  des  Reibungs- 
wertes erforderliche  Steigungsermäßigungen  im 
Tunnel  Linienverlängerungen  zur  Folge  haben 
können,  die  die  Bau-  und  Betriebskosten  der  Bahn 
umsomehr  erhöhen,  je  länger  der  Tunnel  wird. 

Die  Sicherheit  des  Betriebs  erfordert  unter 
Umständen  Verlängerungen  der  Tunnel  über 
das  angegebene  Maß  namentlich  bei  Gebirgs- 
bahnen, um  Steinstürze,  Erdrutsche,  Lawinen- 
fälle unschädlich  zu  machen.  Die  nachträgliche 
Verlängerung  zu  kurzer  Tunnel,  die  so  häufig 
notwendig  wird,  ist  stets  mit  vermehrten  Bau- 
und  erhöhten  Betriebskosten  verbunden. 

Lichtraumverhältnisse. 

Die  inneren  lichten  Abmessungen  der  Tunnel 
sind  zunächst  dem  Lichtraumquerschnitt  oder 
dem  sog.  Normalprofil  des  lichten  Raumes  der 
Bahnen,  dessen  Größe  namentlich  von  den 
Abmessungen  der  Fahrzeuge,  daher  von  der 
Spurweite,  sodann  von  der  Gleiszahl  und  dem 
Gleisabstand  sowie  von  den  Krümmungsverhält- 
nissen abhängig  ist,  anzupassen.  Ein  Mehrmaß 
wegen  unvermeidlicher  Ausführungsfehler  und 
nachträglicher  unvorhergesehener  Sackungen 
der  Tunnelverkleidung,  wie  namentlich  der  Aus- 
mauerung, ist  vorzusehen. 

Bei  Gebirgstunneln,  die  in  der  Regel  aus- 
gemauert werden,  erfolgt  die  Umgrenzung  des 
Tunnellichtquerschnitts  durch  Kreisbogen  oder 
aus  solchen  zusammengesetzte  Korbbogen,  die 
auch  an  Stelle  der  Ellipse  und  Parabel  treten. 
Wenn  die  Druckverhältnisse,  die  in  einem 
Tunnel  meist  wechseln,  auf  verschiedene  Formen 
des  Ausbaues,  also  der  Umgrenzungslinien  des 
Lichtraums  hinweisen  sollten,  wird  doch  zur  Ver- 
meidung von  größeren  Ausführungsschwierig- 
keiten und  Kosten,  die  häufiger  wechselnde 
Lichtquerschnitte  zur  Folge  haben  müßten, 
ein  einheitlicher  Lichtquerschnitt  durchzuführen 
und  den  wechselnden  Druckverhältnissen  durch 
verschiedene  Mauerwerksabmessungen  Rech- 
nung zu  tragen  sein.  Tunnelquerschnittsformen 
können  außerdem  in  den  meisten  Fällen  den 
unsicheren  und  nur  schätzungsweise  zu  er- 
mittelnden Druckverhältnissen  doch  nicht  richtig 
angepaßt  werden. 


Für  städtische,  meist  knapp  unter  der  Straßen- 
oberfläche liegende  Untergrundbahnen,  wobei 
die  Tunneldecke  aus  Eisen-  oder  Betoneisen- 
trägern gebildet  wird,  erhält  der  Lichtquerschnitt 
in  der  Regel  eine  den  Fahrzeugen  angepaßte 
rechteckige  Form  (s.  Stadtschnellbahnen). 


Abb.  330.  Osterreichische  Staatsbahnen. 
(Tunnel  unter  1000  m.) 

Tunnel  können  ein  und  mehrere  Gleise 
erhalten.  In  der  Regel  wird  der  bergmännisch 
betriebene  Tunnel  jedoch  für  nicht  mehr  wie 
2  Gleise  ausgeführt.  Mehrgleisige  Tunnel  sind 
selten  und  hauptsächlich  nur  im  festen  Gebirge 
erbaut  worden.  Für  mehr  wie  2  Gleise  werden 


Schwelle 


Abb.  331.  FJsaß-Lolliringen-Bahnen. 

Parallel-  und  Zwillingstunnel  vorgezogen.  In 
zweigleisigen  Tunneln  beträgt  der  Abstand  der 
Gleise  bei  Vollbahnen  zumeist  3'5  m,  im  Arl- 
bergtunnel  nur  3'45  tn,  in  einigen  englischen 
Tunneln  noch  etwas  weniger,  obwohl  der  durch 
die  Lichtraumprofile  gegebene  Abstand  4-0  m 
betragen  sollte.  Auf  den  württembergischen 
Staatsbahnen  haben  die  beiden  Pras;tunnel  bei 


384 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


Stuttgart  37  rn   und  4-0  m  Gleisabstand,  was 
sehr  zweckmäßig  und  nachahmenswert  erscheint. 

Es  ist  ferner  Rücksicht  zu  nehmen  auf  etwaige 
größere  Einhauten  von  Leitungen  und  Signal- 
einrichtungen, sodann  ist  es  zweckmäßig,  nament- 
lich im  eingleisigen  Tunnel  den  Lichtraum  so 


Schw. 


1 

Abb.  332.  Würltembergische  Staatsbahnen  (Pragtunnel). 
■[■3  50 J 


I 


Abb.  333.  Elsaß-Lothringen-Bahnen. 


groß  zu  machen,  daß  zwischen  dem  Lichtraum- 
profii  und  der  Tunnelmauerung  noch  Raum  für 
Rüstungen  zu  Ausbesserungsarbeiten  während 
des  Bahnbetriebs  verbleibt.  Im  zweigleisigen 
Tunnel  kann  bei  kleinem  Gleisabstand  der  er- 
forderliche Raum  durch  Einführung  des  ein- 
gleisigen Betriebs  für  die  Zeit  der  Umbauarbeiten 
gewonnen  werden. 


Zumeist  bewegt  sich  die  Breite  in  Kämpferiiölie 
bei  eingleisigen  Vollbahntunneln  von  5'0-5-5  m, 
bei  zweigleisigen  von  8'ü— 88  m,  die  Höhe  über  den 
Schienen  bei  eingleisigen  von  5'4  — 65  m,  bei  zwei- 
gleisigen von  60 -75  m.  Der  kleinste  Abstand  des 
Lichtraumprofils  von  den  Tunnelwandungen  beträgt 
in  den  meisten  h'ällen  bei  eingleisigen  Tunneln 
03 — 0'6 /.'/,  bei  zweigleisigen  Tunneln  Oi5-0'35OT. 
Auf  Schmalspurbahnen  betragen  die 
größten  Breiten  bei  1 -0  m  Spurweite  ungefähr 
3-5 -4-25  m,  bei  OS -075  m  Spurweite  30  bis 
40  m.  Die  Höhen  über  den  Schienen  im  ersten 
Fall  4'25  — 4'75  m,  im  zweiten  3'75  — 4'5  m. 

Die  TV.  sehen  im  §  16  vor: 

„In  zweigleisigen  Tunneln  soll  außerhalb 
der  im  §  30  vorgeschriebenen  Umgrenzung 
des  lichten  Raumes  überall  ein  Spielraum  von 
mindestens  300  mm,  in  eingleisigen  Tunneln 
ein  solcher  von  mindestens  400  mm  vorhanden 
sein.  In  diesem  Spielraum  dürfen  die  Strom- 
leitungen der  elektrisch  betriebenen  Bahnen 
untergebracht  werden.  Die  geänderte  Lage  der 
Umgrenzung  des  lichten  Raumes  durch  Spur- 
erweiterung und  Überhöhung  soll  berück- 
sichtigt werden." 

Und  in  den  Grundzügen  für  den  Bau  der 
Lokaleisenbahnen  wird  empfohlen,  daß  neben 
der  Umgrenzung  des  lichten  Raumes  ein  Spiel- 
raum von  mindestens  200 /nm  verbleiben  soll. 

Nach  diesen  Vorschriften  scheint  der 
Spielrautn  zwischen  dem  Lichtraumprofil 
und  der  Tunnelwandung  zu  knapp  be- 
messen; daher  die  vielfach  so  großen 
Schwierigkeiten,  Betriebsstörungen  und 
Kosten  bei  Ausbesserungs-  und  Umbau- 
arbeiten der  Eisenbahntunnel.  Für  ein- 
gleisige Tunnel  empfiehlt  es  sich  in  allen 
Fällen,  auch  für  Nebenbahnen  diesen 
Spielraum  nicht  unter  0-5  m  anzunehmen. 
In  den  Abb.  330,  331,  332,  333  und 
334  sind  einzelne  Querschnitte  wieder- 
gegeben. 

In  Gleisbögen  von  kleinen  Krümmungs- 
halbmessern unter  1000  m  v;'ird  \«-egen 
der  Überhöhung  des  äußeren  Schienen- 
strangs gegenüber  dem  inneren  und  der 
Spurerweiterung  eine  seitliche  Verschie- 
bung der  Gleisachse  gegen  die  Tunnel- 
achse und  auch  wohl  eine  Vergrößerung 
des  Tunnellichtraums  erforderlich.  Der 
Einfluß  der  Sehnenstellung  der  Fahrzeuge 
im  Gleisbogen  auf  die  Lichtraumverhält- 
nisse ist  bei  den  immerhin  großen  Krüm- 
mungshalbmessern gering. 

Die  Verschiebung  der  Gleisachse  um 
das  Maß  a,  Abb.  335,  erfolgt  in  vielen  Fällen 
so,  daß  die  Abstände  b  und  b^  ungefähr  gleich 
werden  dem  Abstand  c.  Da  hiernach  aber  die 
Umgrenzungslinien  des  lichten  Raumes  für 
Eisenbahnfahrzeuge  der  inneren  Tunnelleibung 
näher  liegen  wie  im  geraden  Tunnel,  so  ist  eine 
Vergrößerung  des  Tunnellichtraums  um  das 
Maß  c   in    denjenigen   Fällen    erforderlich,    in 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


385 


welchen  die  Abstände  der  Umgrenzungslinien 
von  der  inneren  Leibung  des  geraden  Tunnels 
bereits  die  zulässige  Grenze  erreicht  haben, 
umsomehr  als  die  genaue  Anpassung  des 
Tunnelmauerwerks  an  den  erforderlichen  Licht- 
querschnitt im  Bogen   mit  Schwierigkeiten  ver- 


Der  Stollen. 

Stollen,  meist  mit  4-10  m'^  Größe,  sind  ent- 
weder Teile  eines  größeren  Tunnels  oder  selb- 
ständige Bauten.  Tunnel  mit  größeren  Ab- 
messungen, wie  Eisenbahntunnel,  beginnt  man 
mit  einem,  zwei,  ausnahmsweise  auch  mehreren 


Schien, 


-■■t  Schwelle 


Abb.  335. 


Abb.  334.  Preußische  Staatsbahnen  {Tunnel  bei  Elm) 

bunden  ist.  Das  Maß  der  Verschiebung 
der  Gleisachse  a  ^  u-  /i  ist  von  der  Über- 
höhung h  des  äußeren  Schienenstrangs 
und  von  der  Form  der  Umgrenzung  des 
Lichtraums  der  Fahrzeuge  abhängig. 

In  den  Bogentunneln  der  Gotthardbahn  mit 
Halbmessern  von  300  m  (Abb.  336)  wurde 
z.  B.  a=l-6  ermittelt;  außerdem  sind  die 
Lichtquerschnitte  gegenüber  dem  geraden 
Tunnel  um  das  Maß  c  =  0-l  rn  vergrößert 
worden.  In  den  Tunneln  der  österreichischen 
Alpenbahnen  wurde  die  Tunnelachse  von  der 
Gleisachse  gegen  den  Mittelpunkt  des  Rogens 
um  die  Größe  «  nach  folgender  Tabelle  ver- 
schoben : 


Halbmesser 


250  m 


300 /n 


400 /7j 


Geschwindigkeit 
A/n/Std. 


bis  30 

von  31    „    40 

„     41    „    55 


40 

von  41  bis  50 

„     51    „    60 


40 

von  41  bis  50 

„     51    „    70 


60 

von  61  bis  70 
„    71     „    80 


500  m 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


a  in  m 


008 
015 
0-25 


0-08 
0-15 
0-25 


008 
015 
0-25 


0-08 
015 
0-25 


Abb.  336. 

Stollen,  u.  zw.  mit  einem  Firststollen,  einem 
Sohlstollen,  einem  Sohlstollen,  dem  der  First- 
stollen folgt;  mit  2  Sohlstollen,  auch  Ortstollen 
genannt  und  einem  Firststollen;  ausnahmsweise 
auch  mit  2  Ortstollen,  einem  Kernstollen  und 
einem  Firststollen.  Zur  Erleichterung  von  Lüftung, 
Förderung  und  Entwässerung,  auch  wohl  zur  Ver- 
mehrung   von    Arbeitsangriffstellen    des    Tunnels 

25 


386 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


werden  auch  Parallelstollen  in  genügend 
großem  Abstand  ausgeführt  und  mit  dem 
Stollen  des  Tunnels  durch  Querstollen  ver- 
bunden, wie  z.  B.  am  Simplontunnel  (Schweiz) 
oder  im  Rogers  Paß-Tunnel  (Canada). 

Es  liegen  auch  Vorschläge  vor,  den  Parallel- 
stollen unter  den  Sohlstollen  des  Tunnels 
zu  legen,  der  dann  als  Richtstollen  dem  Tunnel- 
stollen vorauseilen  soll,  wobei  dieser  auch 
als  Schlitz  hergestellt  werden  kann. 

Zur  Vermehrung  der  Angriffstellen  sowie 
zur  leichteren  Förderung  und  Lüftung  des 
Tunnels  werden  auch  Neben-  oder  Seiten- 
stollen ausgeführt;  bei  längeren  Voreinschnitten 
finden  Mund-  oder  Voreinschnittstollen  Ver- 
wendung, namentlich  wenn  sog.  englischer 
Einschnittsbetrieb  mit  Stollen  und  Schächten 
zweckmäßig  erscheint,  damit  der  Tunnelbau 
vor  Fertigstellung  der  Voreinschnitte  in  Angriff 
genommen  werden  kann. 

Zur  Entwässerung  des  Gebirges  über  oder 
neben  dem  Tunnel  können  auch  Entwässerungs- 
stollen Verwendung  finden. 

Die  in  der  Regel  von  beiden  Mündungen 
eines  Tunnels  vorzutreibenden  Stollen,  womit 
die  Ausbrucharbeiten  begonnen  \'serden,  heißen 
Richtstollen;  sie  erhalten  meist  Querschnitts- 
flächen von  5— IOot^,  können  in  der  Sohle 
oder  in  der  First  liegen  und  haben  den  Zweck, 
Aufschlüsse  des  Gebirges,  Gewinnung  von 
Angriffstellen  für  die  weiteren  Ausbrucharbeiten, 
Wasserabführung,  Förderung  der  Ausbruch- 
massen und  Richtungs-  sowie  Höhenangaben 
zu  ermöglichen  und  zu  erleichtern. 

Die  von  beiden  Mündungen  vorgetriebenen 
Richtstollen  treffen  an  der  von  den  beider- 
seitigen Arbeitsfortschritten  abhängigen  Durch- 
schlagstelle zusammen,  die  von  vornherein 
nicht  genau  angegeben  werden  kann.  Der 
baldigste  Durchschlag  ist  anzustreben,  da  hier- 
nach die  übrigen  Tunnelarbeiten  nennenswert 
erleichtert   und    beschleunigt  werden    können. 

Der  Ausbruch  der  Stollen  erfolgt  je  nach  Ge- 
birgsbeschaffenheit  mittels  Bohr-  und  Spreng- 
arbeit, Hau-  und  Brecharbeit  oder  der 
Grabarbeit  von  Hand  oder  durch  Maschinen. 

Bohr-  und  Sprengarbeit. 

DerStollenausbruch  bedingt  nachstehende 
Arbeitsvorgänge:  1.  das  Bohren  der  Löcher  in 
der  Stollenbrust;  2.  das  Aufstellen,  Abnehmen 
und  Zurückziehen  der  Bohrgeräte;  3.  das  Laden 
der  Bohrlöcher  mit  Sprengstoffen,  die  Zündung 
der  Ladungen  (Minen)  und  die  darauf  folgende 
Lüftung  der  Arbeitsstelle  am  Stollenort;  4.  die 
Fortschaffung  der  vor  der  Stollenbrust  liegenden 
Ausbruchmassen  und  das  Verlegen  der  erforder- 
lichen Gleise. 


Bohrarbeit. 

Der  rasche  Fortgang  des  Ausbruchs  im  Richt- 
stollen ist  besonders  wichtig,  weil  hiervon  die 
Tunnelbauzeit  abhängt.  Es  ist  daher  zweck- 
mäßig, den  Querschnitt  für  den  ersten  Vortrieb 
(Vortriebstollen)  tunlichst  klein  zu  halten.  Nach- 
träglich wird  er  auf  das  erforderliche  und  nament- 
lich durch  die  Förderung  und  Schutterung  be- 
dingte Maß  erweitert.  Der  kleine  Querschnitt 
des  Vortriebstollens  erfordert  nicht  nur  weniger 
Bohrarbeit,  sondern  auch  im  mittelfesten  Gebirge 
keine  unmittelbare  Abstützung  oder  Zimmerung, 
wodurch  Zeitverluste  vermieden  werden.  Aller- 
dings ist  der  Sprengstoffverbrauch  unter  sonst 
gleichen  Verhältnissen  beim  kleinen  Querschnitt 
größer  wie  im  großen. 

Beispielsweise  vcurden  im  Tauerntunnel  (Oneis- 
granit)  bei  einem  Stollenquerschnitt  von  45  m-  etwa 
5-3  kg  und  bei  6'5  m^  etwa  4'5  kg  für  1  m^  gelösten 
Gesteins  an  Sprengstoffen  gebraucht.  Nach  den 
dortigen  Beobachtungen  ist  bei  Maschinenbohrung 
der  Sprengstoffverbrauch  bei  einem  Stollenquerschnitt 
von  6-7  m-  am  günstigsten. 

Man  unterscheidet:  Schlagbohren,  Stoß- 
bohren, Drehbohren;  hierbei  wird  entweder 
von  Hand  oder  mit  Maschinen  gearbeitet. 

Das  Schlag-  und  StoBbohren  erfolgt  mit 
Meißel-,  Kreuz-  oder  Z-Bohrer  aus  Stahl.  Das 
Naßbohren,  d.  i.  Einspritzen  von  Wasser  in 
das  Bohrloch  während  der  Arbeit,  ist  wegen 
längerer  Erhaltung  der  Bohrschneiden,  Ver- 
meidung der  Staubbelästigung  und  bei  fallenden 
Löchern  wegen  günstigerer  Bohrwirkung  zu 
empfehlen.  Das  erforderliche  Wasser  \xird  in 
fahrbaren  Behältern  oder  besser  in  besonderer 
Rohrleitung  (Druckwasser)  vor  Ort  des  Stollens 
gebracht.  Zur  Vermeidung  von  Zeit\-erlusten 
wird  Wassereinspritzung,  namentlich  bei  steigen- 
den Löchern,  wobei  das  Bohrmehl  von  selbst 
herausfällt,  vielfach  unterlassen. 

Das  Drehbohren  erfolgt  im  Stollenvortrieb 
hauptsächlich  mit  Maschinen,  die  mit  Druck- 
wasser betrieben  werden,  das  auch  zum  Spülen 
der  Bohrlöcher  dient;  hierzu  werden  Kernbohrer 
aus  Stahl  verwendet. 

Über  Gesteinsbohren  und  die  hierzu  er- 
forderlichen Geräte  s.  Art.  Gesteinsbohren 
(Bd.  V,  S.  314). 

Anordnung  der  Bohrlöcher. 

Im  Stollen  von  5  —  Sm^  Querschnittfläche 
werden  der  Beschaffenheit  des  Gesteins,  der 
Sprengstoffe  und  dem  Bohrvorgang  ent- 
sprechend mit  Meißel-,  Kreuz-  oder  Z-Bohrern 
10  —  24  meist  1 0  —  20°zurGesteinswandgeneigte 
Löcher  von  etwa  30  — 70/«/«  Weite  und  l~2  m 
Tiefe  gebohrt.  In  der  Regel  werden  erst  nach 
Fertigstellung  sämtlicher  Löcher  die  Lade-  und 
Sprengarbeiten  vorgenommen,    u.  zw.  so,    daß 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


387 


meist  eine  mittlere  Gruppe  von  3  —  4  Loch- 
ladiingen  zuerst  zur  Explosion  gebracht  wird, 
um  den  zur  Abminderung  der  Gesteins- 
verspannung erforderlichen  Einbruch  zu  er- 
halten, sodann  folgen  die  übrigen  Lochgruppen 
am  Umfang  der  Stollenwandungen. 

Bei  Verwendung  der  Drehbohrmaschinen 
Brandt  mit  Kernbohrern  von  6  —  8  cm  Durch- 
messer ist  infolge  großer  Lochweite  die  Zahl 
der  im  Stollenquerschnitt  erforderlichen  Löcher 
unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  kleiner  wie 
bei  Verwendung  der  Stoßbohrmaschinen.  Bei 
den  üblichen  Stollenquerschnitten  von  6  — 8/«^ 
wurden,  je  nach  Gesteinsverhältnissen  und  der 
Sprengstoffart,  7—12  Löcher  von  1  —  2  /«  Tiefe 
gebohrt. 

Die  Bohrlöcher  werden  mit  Sprengstoffen 
geladen  und  mit  Hilfe  von  Zündkapseln  ent- 
weder mittels  Zündschnüren  oder  elektrisch 
gezündet;  im  Stollenbau  findet  fast  nur  die 
Zündschnur  Verwendung,  da  die  sonst  vorteil- 
hafte elektrische  Zündung  zur  Lösung  einzelner 
Minen    nicht  zweckmäßig   zu    gebrauchen   ist. 

Über  Sprengstoffe  und  Zündungen  s.  Art. 
Sprengarbeiten  (Bd.  IX,  S.  115). 

Schutterung. 

Die  im  Stollen  gelösten  Massen  müssen  tun- 
lichst rasch  beseitigt  werden,  damit  die  Bohr- 
arbeit nicht  zu  große  Unterbrechungen  erfährt. 

Durch  rasche  Schutterung  wird  die  Angriffs- 
dauer verkürzt,  der  Arbeitsfortschritt  gesteigert, 
daher  die  Wegräumung  und  Verladung  der 
Ausbruchmassen  durch  stärkere  Sprengladungen, 
welche  bessere  Zerkleinerung  und  weitere 
Streuung  des  Gesteins  sowie  größere  Angriffs- 
längen ermöglicht,  beschleunigt.  Die  Wider- 
stände beim  Fassen  des  Ausbruchs  mit  der 
Schaufel  werden  durch  auf  der  Stollensohle 
verlegte  Blechplatten  abgemindert. 

Bohrung  von  Hand  und  namentlich  mit 
Bohrhämmern  ermöglicht  bei  nur  teilweiser 
Beseitigung  der  Ausbruchmassen  die  baldigste 
Wiederaufnahme  der  Bohrarbeiten,  daher  be- 
sonders günstige  Fortschrittsziffern  im  Stollen. 

Bohrwagen  mit  Stoß-  und  Drehbohrma- 
schinen sollen  tunlichst  schmal  und  leicht, 
die  Stollenbreite  entsprechend  groß  gehalten 
werden,  damit  die  Schuttmassen  nach  Frei- 
legung des  Bohrwagengleises  zu  beiden  Seiten 
des  Gleises  Platz  finden  und  dann  nach  Wieder- 
aufnahme der  Bohrarbeiten  und  während  dieser 
ohne    Störung    fortgeschafft   werden     können. 

Mechanische  Schutterungen  haben  eine  Herab- 
minderung der  Schutterzeit  gegenüber  der  Hand- 
arbeit bisher  nicht  ermöglichen  lassen.  Bei 
richtiger  Wahl  und  Einrichtung  der  Bohranlagen 
kann  durch  Handarbeit  die  teilweise  und  zur 


Wiederaufnahme  der  Bohrarbeiten  erforderliche 
Freimachung  des  Stollenorts  leicht  und  rasch 
erfolgen.  Die  übrigen,  zu  beiden  Seiten  im 
ausreichend  breiten  Stollen  abgelagerten  Massen 
können  dann  allmählich  während  der  Bohr- 
arbeit und  ohne  deren  Störung  beseitigt  werden, 
wozu  sich  aber  größere  und  sperrige  Maschinen- 
anlagen nicht  eignen. 

Der  Stollenvortrieb  im  unteren  Hauenstein- 
tunnel  hat  gezeigt,  daß  bei  Verwendung  von 
Bohrhämmern,  die  vom  Arbeiter  gehalten  werden, 
nur  ein  kleiner  Teil  der  Schuttmassen  vor  Ort 
wegzuräumen  ist,  um  die  Bohrarbeit  wieder 
aufnehmen  zu  können,  also  die  Unterbrechung 
der  Bohrarbeit  auf  ein  sehr  kleines  Maß  ein- 
geschränkt werden  kann,  was  ein  Hauptgrund 
der  außergewöhnlich  großen  Arbeitsfortschritte 
im    Richtstollen    dieses   Tunnels    gewesen   ist. 

Wertung   der  Bohrarten   für  den  Richt- 
stollenvortrieb. 

Handarbeit  mit  Schlagbohrer.  Für 
kurze  Tunnel,  wobei  maschinelle  Anlagen  nicht 
ausgenutzt  werden  können,  aber  auch  für 
längere  Tunnel  im  weichen  oder  wenig  festen 
Gebirge,  das  aber  noch  Bohrarbeit  erfordert,  ist 
die  Handbohrung  in  der  Regel  der  Maschinen- 
bohrung wegen  geringerer  Kosten  und  des 
mit  abnehmender  Gesteinsfestigkeit  kleiner 
werdenden  Unterschieds  der  Vortriebsgeschwin- 
digkeit bei  beiden  Bohrarten  vorzuziehen.  Bei 
Handbohrung  können  die  Löcher  sehr  zweck- 
mäßig angesetzt  werden,  so  daß  Bohr-  wieSpreng- 
arbeit  mit  dem  geringsten  Kraft-  und  Spreng- 
I  stoffaufwand  erfolgen  kann,  wenn  auch  der 
Wirkungsgrad  der  Handbohrarbeit  ein  geringer 
ist  und  5  ojo  der  aufgewendeten  Kraft  des  .Arbeiters 
kaum  übersteigt.  Auch  kann  die  Unterbrechung 
der  Bohrarbeit  durch  die  Schutterung  auf  das 
geringste  Maß  beschränkt  werden,  da  eine  nur 
teilweise  Beseitigung  des  Schuttes  nach  erfolgter 
Sprengung  zur  Wiederaufnahme  der  Bohr- 
arbeiten genügt.  Infolge  Verteuerung  der  .Arbeits- 
löhne und  Verbesserung  der  Bohrmaschinen- 
arten ändert  sich  aber  das  Kostenverhältnis 
immer  mehr  zu  Ungunsten  der  Handbohrung. 

Um  mit  dem  Vortrieb  des  Richtstollens  vor 
Fertigstellung  der  Anlagen  für  den  Bohr- 
maschinenbetrieb, die  nicht  selten  längere  Zeit 
beansprucht,  sofort  beginnen  zu  können,  wird 
in  der  Regel  mit  Handbohrung  vorgegangen, 
so  daß  diese  fast  bei  jedem  Tunnelbau,  der  Bohr- 
arbeit erforderte,  auch  im  Richtstollen  gebraucht 
worden  ist. 

Druckluft-Bohrhämmerarbeit.  In  länge- 
ren Tunneln  von  weniger  festem  bis  mittelfestem 
Gebirge  ist  der  Vortrieb  des  Richtstollens  mit 
Druckluft-Schlagbohrhämmern,  die  vom  Arbeiter 

25* 


388 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


gehalten  und  nicht  durch  ein  Bohrgestell  ge- 
stützt werden,  besonders  zweckmäßig.  Die 
Löcher  können  hierbei  wie  bei  Handbohrung 
sehr  günstig  angesetzt  und  infolge  der  Maschinen- 
kraft sehr  rasch  abgebohrt  werden;  auch  die 
Zeitverluste  für  die  Bohrarbeit  durch  die  Be- 
seitigung der  Schuttmassen  können  bei  Nicht- 
verwendung  von  Bohrgestellen  auf  das  geringste 
Maß  eingeschränkt  werden.  Die  Bohrhämmer 
können  sodann  auch  für  die  Erweiterung  des 
Vortriebstollens  und  den  Vollausbruch  zweck- 
mäßig Verwendung  finden,  was  namentlich  bei 
Stoßbohrmaschinen  auf  Gestellen  meist  nicht 
der  Fall  ist. 

Allerdings  ist  der  Luftverbrauch  ein  verhältnis- 
mäßig großer,  daher  der  Wirkungsgrad  ein 
kleiner.  Im  festeren  Gestein  erhalten  die  Bohr- 
hämmer großes  Geviicht,  auch  macht  das  An- 
setzen am  Beginn  der  Bohrung  Schwierigkeiten, 
daher  erfolgt  die  Bedienung  vielfach  durch 
2  Arbeiter.  Der  Bohrstaub  belästigt  die  Arbeiter. 
Man  hat  daher  versucht,  Staubsammler  anzu- 
ordnen, die  von  Zeit  zu  Zeit  entleert  werden 
sollen.  Infolge  mangelhafter  Führung  durch 
den  Arbeiter  findet  häufiges  Festklemmen  des 
Bohrers  statt.  Im  festen  Gebirge  sind  die  starken 
Rückstöße  durch  den  Arbeiter  schwer  aufzu- 
nehmen und  wirken  ermüdend.  Bei  Verwen- 
dung eines  Bohrgestells  fallen  aber  die  Vor- 
teile der  ohne  Gestell  arbeitenden  Bohrhämmer 
zum  größten  Teil  fort.  Bei  gleichzeitiger  Ar- 
beit mehrerer  Bohrhämmer  im  engen  Vortrieb- 
stollen sind  die  Luftzuführungsschläuche  zu 
den  Hämmern  schwierig  unterzubringen  und 
störend. 

In  sehr  festem  Gestein  wird  also  der  Bohr- 
hammer in  der  Regel  nicht  zu  verwenden  sein, 
dagegen  bietet  dessen  Verwendung  für  den 
Vortrieb  des  Richtstollens  im  mittel-  und  wenig 
festen  Gebirge  große  Vorteile  und  erlaubt  be- 
deutende Arbeitsfortschritte. 

Druckluft  -  Stoßbohrmaschinenarb  ei  t. 
Die  auf  einem  Gestell  zu  lagernden  Stoßbohr- 
maschinen finden  auch  in  sehr  festem  Gestein 
vorteilhafte  Verwendung.  Der  Wirkungsgrad 
der  Maschine  ist  zwar  klein,  aber  immer  noch 
günstiger  wie  der  des  Bohrhammers.  Die  Stöße 
sind  sehr  kräftig,  die  Bohrer  erhalten  gute 
Führung,  die  Rückstöße  werden  vom  Gestell 
aufgenommen.  Die  Bauart  der  neuen  Maschinen 
ist  ausreichend  kräftig,  daher  die  Reparatur- 
bedürftigkeit gering.  Die  Bedienung  ist  einfach; 
die  abströmende  Druckluft  verbessert  die  Lüf- 
tungsverhältnisse vor  Ort. 

Dagegen  ist  der  Betrieb  ein  geräuschvoller, 
die  Staubbelästigung  muß  durch  Wasserein- 
spritzung ins  Bohrloch  gemindert  werden;  die 
häufig  verwendeten  Wagengestelle  (Bohrwagen) 


bedingen  größere  Unterbrechungen  der  Bohr- 
arbeit, da  der  Schutt  vor  Wiederbeginn  der 
Bohrarbeit  zum  größeren  Teil  beseitigt  sein 
muß.  Die  Luftleitung  erhält  größere  Ab- 
messungen, ist  daher  in  den  Arbeitsstrecken 
eines  längeren  Tunnels  schwierig  unterzubringen 
und  kaum  gegen  Beschädigungen  zu  schützen. 
Auch  die  Kosten  der  .Waschinenanlagen  werden 
mehrfach  recht  hohe. 

Die  Druckluft-Stoßbohrmaschinen,  zumal  die 
mit  Handvorschub,  haben  in  großen  und  kleinen 
Tunneln  ausgedehnte  Verwendung  gefunden. 
Bei  richtiger  Handhabung  und  einem  dem 
Gestein  angepaßten  Luftdruck  sowie  bei  aus- 
reichend weiter  und  gut  erhaltener  Luftleitung 
sind  neuestens  beträchtliche  Leistungen  erzielt 
worden. 

ElektrischeStoßbohrmaschinenarbeit. 
Die  vornehmlich  für  die  .Auffahrung  der  Tunnel- 
richtstollen gebrauchten  Kurbel -Stoßhohr- 
maschinen  mit  Federwirkung  neuester  Bauart 
haben  sich  bisher  im  wenig  festen  und  mittel- 
festen Gebirge  bewährt.  Als  besonders  günstig 
erscheint  die  leicht  zu  schützende  Kraftleitung 
mit  geringen  Abmessungen  und  der  geringe 
Kraftverlust.  Der  Wirkungsgrad  der  Maschine 
ist  größer  wie  der  der  Druckiuft-Stoßbohr- 
maschine.  Die  Bohranlage  ist  rasch  zu  ersteilen 
und  verhältnismäßig  billig.  Dagegen  ist  die 
Stoßstärke  geringer  wie  bei  den  Druckluft- 
maschinen, Federbrüche  kommen  nicht  selten 
vor,  namentlich  bei  ungeübter  Bedienung,  es 
wird  daher  auch  größere  Geschicklichkeit  in 
der  Bedienung  gefordert. 

Die  mit  diesen  Maschinen  in  den  Tunneln 
der  österreichischen  Alpenbahnen  erzielten  Er- 
gebnisse sind  günstige. 

Drehbohrmaschinenarbeit.  Die  mit 
Druckwasser  betriebeneDrehbohrmaschine  kann 
nur  für  lange  Tunnel  mit  großer  Gesteins- 
festigkeit in  Frage  kommen,  wenn  rascher  Arbeits- 
fortgang im  Richtstollen  ohne  Rücksichtnahme 
auf  die  Kosten  gefordert  wird.  Im  wenig  festen 
Gestein  und  für  kurze  Tunnel  ist  sie  unvorteil- 
haft. 

Die  Vorteile  dieser  Bohrart  bestehen  in  dem 
großen  Wirkungsgrad  von  Maschine  und  Bohrer, 
in  der  zufolge  hohen  Wasserdrucks  engen  und 
leicht  zu  schützenden  Kraftleitung,  in  der  stoß- 
freien, ruhigen  und  staublosen  Arbeit,  in  der 
durch  den  Differentialkolben  ermöglichten 
bequemen  Druckregelung  und  einer  geringen 
Reparaturbedürftigkeit.  Infolge  der  großen  Weite 
ist  die  Zahl  der  erforderlichen  Löcher  in  der 
Stollenbrust  gering. 

Dagegen  bedingen  die  maschinellen  Anlagen 
hohe  Kosten  und  längere  Erstellungszeit,  daher 
deren  V^erzinsung  und  Tilgung  größere  Beträge. 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


389 


Dieweiten  Löcher  erfordern  wegen  ungünstigerer 
Ausnützung  höheren  Verbrauch  an  Spreng- 
stoffen. 

Die  Bohrer  müssen  aus  bestem,  härtestem, 
daher  kostspiehgstem  Stahl  erstellt  werden; 
die  Erneuerung  abgenützter  Schneiden  ist 
schwieriger  und  teurer  wie  die  der  Stoßbohrer. 
Auf  die  Vorteile  des  Kernbohrens  muß  wegen 
Vermeidung  von  Zeitverlusten  bei  Beseitigung 
der  Kerne  im  raschen  Richtstollenbetrieb  ver- 
zichtet werden.  Die  rasche  Abführung  der  Ab- 
wässer   bietet    in    manchen    Fällen    Schwierig- 


keiten. Die  Maschinen  können  nur  auf  den 
zwischen  den  Qesteinswänden  festgespannten 
Säulen  verwendet  werden,  wo  solche  Gesteins- 
wände in  geringerem  Abstand  vorhanden  sind 
(Stollen,  Schlitz  oder  Schacht). 

Die  Bohrergebnisse  zeigen,  daß  in  sehr  festem 
Gestein  gute  Fortschritte  erzielt  werden  können. 

Die  Ergebnisse  der  Bohrung  mit  den  ver- 
schiedenen Bohrmaschinenarten  in  den  Richt- 
stollen neuerer  und  bedeutendererTunnelbauten 
sind  in  den  nachfolgenden  4  Tabellen  zusammen- 
gestellt. 


Schlagbohrmaschinen. 


Unterer  Hauensteintunnel,  8135  tri  lang,  Südseite 


Mai  1913,  25  Arbeitstage 
2521-2807  =285/« 


Oktober  iyi3,  29  Arbeitstage 
3694 -3934  =  240  m 


Gebirgsart 

Richtstolienquerschnitt m^ 

Bohrmaschinen  vor  Ort 

Bohrerstärke mm 

Lochtiefen m 

Zahl  der  Angriffe  in  24  Stunden   .    .    . 
Zahl  der  Bohrlöcher  (  für  1  Angriff    . 
im  Mittel  I  für   1  m  Stollen 

Sprengstoffverbrauch  (  für  1  Angriff  kg 
(Gamsit)  im  Mittel     l  für  Im  Stollen  „ 
IT    i    u  -44  ■      >«•*.  1  (  für  1  Angriff  m 
Fortschritt  im  Mittel  [;„  24  Stunden  „ 


Bunte  Mergel  . 
Schilf  Sandstein 
Gipskeuper  .    . 


18  ra 

60  „ 

208  „ 


5-6 

3  Bohrhämmer  (Westfalia) 

38-45 

1-3-1-7 

8-9 

11 

9 

14-20 

11-7 

1-3 

11-5  (max.  14-7) 


Mergelkall^e  (oberer  und  mittlerer 
Jura) lll/n 

Tongestein  (mittlerer  Jura)    ...    SS 

Oolithische  Kalke  (Hauptroggen- 
stein)   32 

Mergelsandsteiue und  knollige  Kalk- 
steine        9 

5-6 

3  Bohrhämmer  (Westfalia) 

38-45 

1-3- 1-6 

7-9 

12-17 

10 

15-22 

14-3 

1-1 

S-3  (max.  10-4) 


Druckluft-Stoßbohrmaschinen. 


Gotthard- 
tunnel, 
14998«« 

lang,  Nord 


Monte 

Cenere- 

Tunnel 

(Gotthard- 
batm), 

1673  m  lang 


Brandleite- 
tunnel 
(preußische 
Staatsbahn), 
3050«!  lang 


Bosruck- 

tunnel 

(österreichi- 1 

sehe  Staats-  j 

bahnen), 

4770  m  lang, 

Nord 


Lötschbergtunnel  (Berner  Alpen- 
bahn), 14  605  «:  lang 


Nord 


Süd 


Gebirgsart     ' 

Richtstolien m- 

Bohrmasciiinenart     .    .    .    .    | 

Zahl  der  Maschinen  vor  Ort . 
Luftspannung  vor   Ort   Atm. 

Bohrerstärke      mm 

Loch  tiefe m 

Lochzalil  im  Querschnitt    .    . 
Dynamitverbrauch    für    1   m 

Länge      kg 

Bohrdauer      Std. 

Schutterung „ 

Angriffsdauer „ 

Fnrt  I  'ür  1  Angriff  .  m 
Sh^ui.  1  in  24  Stunden  .  „ 
^'^'^""^  1  max 


Quarziti- 

scher 
Gneis 

5-8 

Ferroux 
\SQ  kg 

6 
3-4 
40 
1-25 
18 

18-20 

2-5 

3-5 

6 
1-0- 1-2 
3-4-0 

50 


Gneis 

6-6-5 

Mac  Kean- 

Seguin 

170  *^ 

4 

3-4 

30-35 

1-3 
18-20 

12-15 

3-3-75 

2-5 -30 

6-7 

1-1 
4-1 
4-8 


Porphyr- 
konglonierat 

6-5-6-75 

Frölich 
90*^ 

3 

3-5 

30-35 

1-3 

16-18 

15-16 

3-5 

4-5 
8-8-5 

1-02 

2-9 

40 


Harter  Kalk 

Kreide 

Qastern- 

Kristall- 

mit Kalzit- 
adern 

und  Jura 

granit 

schiefer 

5-5 

6-2 

6-2 

6-2 

Oatti 

R.  Meyer 
iSS  kg 

R.  Meyer 
1S8A^ 

IngersoU 
Rand 
170*p- 

4 

4-5 

4-5 

4-5 

5-6 

6-7 

6-7 

5-6 

32-45 

60 

60 

— 

1-7 

1-4 

1-4 

1-37 

18-20 

13-14 

15-16 

12-14 

18-22 

20-23 

25-26 

_ 

3-3-5 

1-6 

1-3 

1-9 

2-7 -3-5 

2-7 

2-1 

3 

5-75 -6-5 

4-5 

3-6 

5 

1-5-1-7 

1-3 

1-2 

1-1 

6-6-5 

7-6 

7-5 

D 

7-5 

10-7 

10-4 

— 

Granit 

6-2 

170  Ag- 


1-37 
15-16 


26 
3 

5-7 
1-2 
4-7 


390 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 

Elektrische  Stoßbohrm aschinen. 


Wocheiner  Tunnel,  Nord,  6340/n  lang    ;    Karawankentunnel,  Nord,  7976m  lang 


Qebirgsart J 

Richtstollenquerschnitt m^ 

Bohrmaschinenart | 

Zahl  der  Maschinen  vor  Ort 

Bohrerstärke mm 

Lochlänge m 

Lochzahl  im  Querschnitt 

Bohrdauer Sld. 

Schutterung „ 

Angriffsdauer  samt  Zeitverlusten    .    .    . 

Sprengstoffe kg^lm 

Fortschritt  in  24  Stunden     .    .    .    .     m 


Harter  Kalkstein  mit  Korallen- 
kalk, Kieselkalk  mit  Hornstein 

7 


Grauer  Kalk  mit  Werfner 
Schichten,  Tonschiefer  mit 

Dolomit 

6-5-7-5 


Kurbel-Stoßbohrmaschine,  150  kg-  schwer,  Siemens- 
Schuckert,  2  PS. 


4 

4 

30-60 

30-60 

1-6-1-8 

1-7 -20 

18-23 

12-14 

3-5-30 

3-2'(j 

4-25-4-0 

3-75 -40 

7-8 

7 

25-28 

Gelatine  und  Dynamit  25 

4-4 -5-4  (ma.x.  6-9) 

5-3  (max.  7-9) 

Drehbohrmaschinen. 


Arlberg,  West 
10  250  m  lang 


Simplon,  Süd 
19  770  m  lang 


Albula,  Nord 
5S6Ö  m  lang 


Tauern,  Nord 
8530  m  lang 


Gebirgsart [ 

Richtstollenquerschnitt m- 

Bohrmaschinenart { 

Druckwasser  vor  Ort Atm. 

Zahl  der  Maschinen  vor  Ort 

Bohrerstärke  (Kernbohrer) mm 

Lochlänge m 

Lochzahl  im  Querschnitt     

Bohrdauer Std. 

Schutterung „ 

Angriffsdauer  samt  Zeitverlusten    ....       „ 

Sprengstoff  (Dynamit) kfflm 

Fortschritt  in  24  Stunden m 


Gneis-  und 

quarzreicher 

Glimmerschiefer 

6-5 -7-0 

Brandt  Bauart  I 

80 

3-4 

70 

1-4- 1-5 

9-10 

3-3-2 

3-4      { 

6-7 


18-20 
5-6 


Antigoriogneis 
5-7-60 

Brandt 

Bauart  1897 

70-80 

3 

60-85 

1-2-1-4 

8-11 

2-25-2-75 

2-25-2-25 

1-1  2  Verluste 

7-7-5 


25- 


28*^/ Angriff 
Gelatine 

4-5-5-2 


Granit 

5-5 

Brandt 

Bauart  1897 

100 

3 

60-80 

1-4-1-5 

9-10 

2-2-5 


-45- 

-2-45 

7- 

■7-5 

20- 

-25 

6-4- 

-7-3 

Gneisgranit 
6-5 

Brandt 
Bauart  1901 


3- 
60- 
1-2- 
10- 

2-5- 


4 

80 

1-3 

11 

30 


2-5-3-0 
6-6-5 

2S-30 
Sprenggelatine 
und  Dynamit 

5-0-6-0     ! 


Hau-  und  Brecharbeit. 

Im  gebrächen  und  wenig  festen  Gebirge 
wird  Bohr-  und  Sprengarbeit  nur  ausnahms- 
weise in  Frage  kommen.  Die  Gewinnung  erfolgt 
von  Hand,  in  der  Regel  mittels  der  Keilhaue 
oder  der  Spitzhaue  und  Brechstange  —  Arbeits- 
vorgänge, die  aus  dem  Erdbau  bekannt  sind. 

Grabarbeit 
im  milden,  weichen  und  rolligen  Gebirge  erfolgt 
von  Hand  mittels  der  Breithaue,  Schaufel  und 
Spaten,  wie  im  Erdbau,  so  daß  für  den  Tunnel- 
bau keinerlei  nennenswerte  Abweichungen  zu 
bemerken  sind. 

Hau-  und  Brecharbeit  sowie  Grab- 
arbeit können  im  wenig  festen,  gebrächen  und 
weichen  Gebirge  auch  maschinell  und  ohne 
Sprengarbeit  erfolgen.  Die  hierzu  gebrauchten 
Maschinen  werden  in  der  Regel  Tunnelbohr- 
maschinen oder  Stollenbohrmaschinen 
genannt.  Es  liegen  auch  Vorschläge  vor,  solche 


Maschinen  im  festen  Gebirge  ohne  Sprengarbeit 
zu  verwenden. 

Für  gebräches  und  weich  es  Gebirge  würden  die 
fräsend  oder  schneidend  wirkenden  Maschinen, 
wie  z.  B.  die  Bauweisen  von  Brunton,  Beauinont 
und  English,  Rziha  und  Reska,  Crampton,  zu 
verwenden  sein. 

Die  Maschinen  von  Beaumont  und  English, 
auch  die  von  Brunton  arbeiteten  im  Merseytunnel 
(roter  Sandstein)  und  in  den  beiderseitigen 
Versuchsstollen  (Frankreich  und  England)  für 
den  Ärmelkanaltunnel  (graue  Kreide).  Auch  die 
Cramptonmaschine,  womit  ein  voller  Tunnel- 
querschnitt von  10-8  rn  Durchmesser  erbohrt 
werden  soll,  \x-urde  für  den  Ärmelkanaltunnel 
in  Aussicht  genommen. 

Die  Verwendung  dieser  Maschine  ist  eine  sehr 
beschränkte  geblieben,  da  sie  nur  im  gleich- 
mäßigen Gestein  von  geringer  Festigkeit,  das 
aber  nicht  unmittelbare  Abstützung  bedingt,  in 
Frage  kommt.  Die  Beseitigung  der  Ausbruch- 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


391 


massen  ist  schwierig  und  bedingt  besondere 
Einrichtungen;  die  sehr  sperrigen  Maschinen 
erschweren  das  Zurüci<ziehen  vom  Stolienort 
behufs  Vornahme  von  Ausbesserungen,  die  dann 
eine   Stillegung   des  Arbeitsbetriebs  bedingen. 

Für  loses  und  rolliges  Gebirge  wurden 
Maschinen  nach  Art  der  Eimerbagger  oder  sog. 
Bohrschrauben  oder  Maschinen  mit  Schwemm- 
wasserbetrieb vorgeschlagen. 

Diese  Maschinen  sind  über  das  Versuchs- 
stadium kaum  hinausgekommen;  sie  haben  für 
den  Stollenvortrieb  bei  Gebirgstunneln  noch 
keine  Verwendung  gefunden;  denn  sie  können 
den  mehrfach  wechselnden  Gebirgsverhältnissen 
nicht  rasch  genug  angepaßt  werden;  bei  Aus- 
besserungsbedürftigkeit sind  längere  Arbeits- 
unterbrechungen unvermeidlich;  zudem  ist 
die  Handarbeit  in  solchen  Fällen  billiger; 
daher  soll  an  dieser  Stelle  von  einer  Schilde- 
rung des  Arbeitsvorgangs   abgesehen  werden. 

Fürden  Stollen- 
vortrieb in  sehr 
nassem,  schwim- 
mendem Gebirge 
können  die  Ver- 
fahren mit  Eisen- 
schild und 
Druckluft,  das 
Gefrier-  und 
Zementierver- 
fahren in  Frage 
kommen. 

Stollenzimmerung. 

Im  festen  Gebirge  und  bei  kleinen  Quer- 
schnitten kann  der  Stollen  ohne  Abstützung 
oder  Zimmerung  verbleiben,  was  namentlich 
für  den  raschen  Vortrieb  des  Richtstoliens  vor- 
teilhaft ist.  Meist  liegen  die  Gebirgsverhältnisse 
so,  daß  der  größte  Druck  in  der  First,  geringerer 
Druck  an  den  Stößen  und  der  kleinste  Druck 
in  der  Sohle  auftritt.  Dementsprechend  würden 
zuerst  die  First,  dann  die  Stöße  oder  Seiten- 
wände und  nur  im  ungünstigen  Gebirge  auch 
die  Sohle  des  Stollens  abzustützen  sein. 

Die  Art  und  Stärke  der  Zimmerung  ist  also 
von  derGebirgsbeschaffenheit,  den  Abmessungen 
und  der  Benutzungsdauer  des  Stollens  abhängig; 
sie  erfolgt  durch  Rundholz,  seltener  durch  Kant- 
holz, auch  wohl  durch  Eisen  (Altschienen  oder 
I-  und  L-Eisen),  ausnahmsweise  mit  Beton- 
zwischenfüllungen. Für  dauernde  Stollenab- 
stützung wird  Eisen,  Beton  oder  Mauerwerk 
verwendet. 

Im  Richtstollen  des  Tunnels  müssen  Förder- 
wagen, Kraft-,  Luft-  und  Wasserleitungen  sowie 
der  Wasserabzugsgraben  Platz  finden;  auch 
ist  ein  freier  Raum  für  den  ungehinderten  Ver- 


kehr der  Arbeiter  erforderlich.  Für  die  Förderung 
(s.  d.)  der  Ausbruchmassen  und  der  im  Tunnel 
erforderlichen  Baustoffe  wäre  die  zweigleisige 
Anlage  der  eingleisigen  mit  entsprechenden 
Ausweichen  vorzuziehen;  sie  bedarf  aber  durch- 
laufend größerer  Stollenbreiten,  also  Vergröße- 
rung der  Querschnittsflächen  und  Kosten,  ist 
also  nicht  zu  empfehlen. 

Die  Entwässerungsgräben  werden  unter  das 
Fördergleis  (Spur  0'6— l^O  ah)  oder  seitlich 
gelegt.  Erstere  Anordnung  erschwert  Legung 
und  Unterhalt  des  Fördergleises,  sowie  die 
Grabenreinigung,  läßt  aber  mehr  Raum  für  den 
unbehinderten  Verkehr  der  Arbeiter  und  die 
Unterbringung  der  erforderlichen  Leitungen. 
Der  vom  Gleis  unabhängige  seitliche  Graben 
schränkt  den  Raum  aber  nennenswert  ein  und 
bedingt  Vergrößerung  der  Ständerauflager, 
namentlich  im  weniger  festen  Boden  des  mit 
Wasser  gefüllten  Grabens.  Man  hat  daher  auch 


Abb.  338. 


Abb.  339. 


den  seitlichen  Graben  abgedeckt  und  ihn  vom 
Ständerfuß  der  Stollenzimmerung  abgerückt.  Bei 
Abdeckung  und  Befestigung  der  Wände  des 
Grabens  sowie  bei  Anordnung  von  Sohlschwellen 
zur  Unterstützung  der  Ständer  können  die  Übel- 
stände vermindert  und  die  Entwässerungsgräben 
unterdas  Gleis  gelegt  werden.  Eine  Verschiebung 
der  Gleisachse  gegen  die  Stollenachse  ist  nament- 
lich im  engen  Stollen  zweckmäßig,  um  auf  einer 
Stollenseite  mehr  Raum  für  den  Arbeiterverkehr 
zu  gewinnen. 

Im  weniger  festen  Gebirge  besteht  die 
Zimmerung  des  Stollens  aus  Kappen  a,  die 
durch  Ständer  oder  Stempel  S  gestützt  werden 
(Abb.  337,  338,  339),  die  auf  Fußbrettern  / 
oder  Schwellen  g  stehen.  Der  Abschluß  des 
Gebirges  in  der  First  wird  durch  Bretter  C, 
der  Längsverband  der  im  Abstand  von  1  —  20 
angeordneten  Rahmen  oder  Gespärre  durch 
Bundholzbolzen  d  bewerkstelligt. 

Im  losen  und  drückenden  Gebirge,  das 
auf  den  Abstand  der  Stollenrahmen  ohne  Ge- 
fahr des  Ablösens  nicht  standhält,  wird  der  Vor- 
trieb nach  Abb.  340  und  341  durch  Pfähle /7 
(15  —  25  cm  breit  und  2  — 5  cm  stark,  ausnahms- 


392 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


weise  vorn  mit  Eisenblech  beschlaijen  und  hinten 
mit  einem  Eisenband  gegen  Aufspalten  gesichert) 
bewerkstelligt,  die  über  den  Stollenkappen  a 
und,  wenn  erforderlich,  auch  seitlich  über  den 
Stempeln  S  so  vorgetrieben  werden,  daß  der 
Ausbruch  unter  dem  Schutz  dieser  Pfähle  er- 


ipP^?i^'*^^'->  . 


Abb.  340. 


angeoriinct   werden,    ist    ein    Bretterbelag    zu 
empfehlen. 

Im  stark  drückenden  Gebirge  werden 
die  Köpfe  der  Pfähle,  Abb.  342  u.  343,  auch 
wohl  durch  ein  Querbrett  q,  Pfandblatt 
genannt,  so  unterstützt,  daß  sie  gemeinsam  in 

dem  zum  Nach- 
treiben der  unteren 
Pfähle  erforder- 
lichen Abstand  ge- 
halten werden,  wo- 
durch infolge  Ent- 
lastung das  Vor- 
treiben der  Pfähle 
zumal  in  nahezu 
richtiger  Neigung 
erleichtert,  auch 
beim  Herausfallen 
eines  Keiles  der 
darüber  liegende 
Pfahl    durch    das 

Abb.  341. 


.'.  ■•  ■       -     ^  "i    iTT— TT-mii,, 


Abb.  342. 


Abb.  343. 


Abb.  346. 


folgen  kann.  Der  Raum  zwischen  Schwanz  des 
vorderen  und  Kopf  des  hinteren  Pfahles  wird 
zumeist  durch  Keile  K  ausgefüllt,  die  die 
oberen  Pfähle  dicht  an  das  Gebirge  drücken, 
den  zur  Erleichterung  des  Vortriebs  belassenen 
Zwischenraum  ausfüllen  und  den  Unregelmäßig- 
keiten im  Ausbruch  Rechnung  tragen.  Unter 
den  Sohlschwellen  g,  die  im  weichen  Gebirge 


Pfandblatt  gehalten  wird.  Beim  Anstecken 
der  Pfähle  über  dem  letzten  Rahmen  vor  Ort 
halten  die  großen  Keile  K\  das  Pfandblatt  in 
seiner  Lage;  nach  dem  Eintreiben  werden  die 
Zwischenräume  zwischen  Pfandblatt  q  und 
Pfahl  p  durch  die  kleinen  Keile  k  ausgefüllt; 
hierbei  sind  die  oberen  Pfähle  von  diesen 
Keilen    nicht    unmittelbar    abhängig,    so    daß 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


393 


Abb.  349. 


die  unteren  Pfähle  ohne  Störung  der  Lage  der 
oberen    Pfähle    vorgetrieben    werden    können. 

Im  druckhaften  Gebirge  ist  dieser  Vorgang 
zweckmäßig,  während  im  wenig 
drückenden  Gebirge  die  unmittel- 
bare Unterstützung  jedes  ein- 
zelnen Pfahles  durch  den  Keil, 
also  die  Fortlassung  des  Pfand- 
blattes vorzuziehen  ist,  damit 
jeder  Pfahl  unabhängig  von  den 
anderen  sicher  an  das  Gebirge 
angeschlossen  werden  kann. 

Bei  größeren  Abständen  der 
Hauptgespärre  H  werden  zur 
Unterstützung  der  Pfähle  p 
Zwischengespärre  Z  angeordnet 
(Abb.  344,  345,  346).  Man  kann 
hierdurch  größeren  Druckver- 
hältnissen begegnen  und  die 
Pfähle  unter  den  Kappen  der  vor- 
letzten Gespärre  leichter  so  vor- 
treiben, daß  sie  mit  geringer  oder 
ohne  Verschwenkung  (Schnap- 
pen) in  nahezu  richtiger  Lage 
sich  befinden,  wodurch  das  Ein- 
treiben erleichtert  und  Gebirgs- 
bewegungen  sicherer  vermieden 
werden. 

Sind  im  ungünstigen  Gebirge 
die  Pfähle  ohne  nachherige 
Drehbewegung  einzutreiben,  so 
werden  die  Zwischengespärre  Z 
entsprechend  höher  und  breiter, 
auch  Pfandblätter  und  Keile 
stärker  gehalten.  Die  Neigung 
der  Pfähle  wird  um  so  größer, 
je  kleiner  der  Abstand  der  Haupt- 
gespärre H  ist.  Im  Gebirge  mit 
kleinem  Reibungswinkel  sind  bei 
steiler  Lage  der 


(Abb.  347,  348,  349,  350),  welche  von  beson- 
deren Ständern  -  Nebenständern  -  gestützt 
werden.  Zur  Vermeidung  der  Stollenverengung 


Abb.  350. 


Abb.  351. 


Abb.  352. 


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Abb.  353. 


Abb.  354. 


Abb.  355. 


Pfähle  die  gro- 
ßen Zwischen- 
räume zu  ver- 
schließen, wo- 
zu auch  Keile 
oder  Zumach- 
bretter verwen- 
det werden. 

Die  Zahl  der 
Stollenrahmen 
wird,  wenn  die 
Druckverhältnis- 
se es  bedingen, 
so  weit  vermehrt, 
daß    die    Gespärre    dicht    aneinander    stehen. 

Die  Verstärkung  der  längeren,  auf  Biegung 
beanspruchten  Kappen  kann  durch  einen  Spreng- 
bock erfolgen;  besser  jedoch  durch  Unterzüge 


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Abb.  356. 


Abb.  357. 


werden  die  Nebenständer  zwischen  den  Haupt- 
ständern auch  so  gesetzt,  wie  Abb.  347  zeigt. 
Die   Stollenzimmerung    wird   auch   teilweise 
oder  ganz  in  Eisen  ausgeführt,  was  die  Vor- 


394 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


teile  kleinerer  Abmessungen,  leichteren  Vortriebs 
der  Pfähle  und  längerer  Dauer,  also  der  Mög- 
lichkeit häufigerer  Wiederverwendung  bietet. 
Dagegen  sind  als  Nachteile  anzusehen  das 
unter  Umständen  schwierigere  Anpassen  der 
fertig  gelieferten  Eisenrahmen  an  den  Stollen- 
umfang, die  nicht  leicht  lösbaren  Verbindungen 
der  einzelnen  Teile,  namentlich  bei  kleinen 
Formänderungen  der  Stollenrahmen  sowie  meist 
die  größeren  Kosten. 

Bei  teilweiser  Verwendung  von  Eisen 
•werden  die  Kappen  aus  Altschienen  oder 
I-Eisen  (Abb.  351,  352),  dagegen  die  Stempel 
oder  Ständer  aus  Rundholz  hergestellt,  die 
oben  zur  Aufnahme  der  eisernen  Kappen  aus- 
geschnitten werden  und  zur  Vermeidung  der 
Aufspaltung  einen  Eisenring  erhalten.  Die  Ver- 
bindung der  Kappen  mit  den  Ständern  ist 
keine  günstige. 

Die  ganz  aus  Eisen  hergestellten  Rahmen 
der  Stollenzimmerung   (Altschienen,   I-  oder 


Abb.  35S. 


Abb.  359. 


C-Eisen)  sind  meist  3-,  auch  4teilig;  die  ein- 
zelnen Teile  werden  durch  Laschen  und  Schrau- 
ben verbunden;  die  Füße  stehen  in  der  Regel 
auf  Langschwellen.  Zum  Längsverband  wird 
Rundholz  verwendet  (Abb.  353). 

In  stark  drückendem  Gebirge  gebraucht  man 
auch  4teilige  Rahmen  aus  ^[I-Eisen,  deren 
Teile  mit  Knotenblechen  und  Schrauben  ver- 
bunden werden.  Der  Längsverband  erfolgt 
durch  Rundholz  (Abb.  354,  355).  Auch  sind 
die  Eisengespärre  dicht  aneinandergestellt  und 
die  Zwischenräume  durch  Holz  oder  Beton 
ausgefüllt  (Simplontunnel,  Kara\^ankentunnel), 
s.  Abb.  356,  357. 

Der  Schacht. 

Die  Schächte  erhalten  rechteckige,  vieleckige, 
kreisförmige,  auch  elliptische  Querschnitte.  Für 
Holzzimmerung  sind  rechteckige  oder  viel- 
eckige Querschnitte  den  runden  vorzuziehen. 
Ausgemauerte  Schächte  erhalten  runde  Quer- 
schnitte. 

Der  Winkel  des  Schachtes  mit  der  Boden- 
oberfläche kann  p^90°sein;  dementsprechend 
heißt  der  Schacht  ein  senkrechter  (seigerer) 


oder  ein  geneigter  (tonnlägiger).  Bei  Her- 
stellung der  Schächte  sind  in  jedem  Fall  das 
Wasser  und  die  Ausbruchmassen  bis  an  den 
Schachtmund  zu  heben,  das  Aus-  und  Ein- 
fahren der  Arbeiter  mit  den  Geräten  und  den 
erforderlichen  Baustoffen  ist  zeitraubender  und 
erfordert  größeren  Kraftaufwand  wie  im  Stollen. 
Das  Vortreiben  des  für  die  Wassersammlung 
erforderlichen  Schachtsumpfes  beeinträchtigt 
den  Fortgang;  dadurch  werden  die  Arbeiten 
erschwert  und  \'erteuert. 

Man  unterscheidet  Förderschächte,  Lüf- 
tungsschächte,   Entwässerungsschächte. 

Förderschächte  haben  den  Zweck,  die 
Zahl  der  Angriffstelien  für  den  T.  zu  ver- 
mehren oder  Angriffspunkte  überhaupt  zu  ge- 
winnen, wie  bei  Unterwasser-  oder  Städtebahn- 
tunneln;  sie  dienen  zur  Förderung  der  Aus- 
bruchmassen aus  und  der  Baustoffe  sowie 
Geräte  in  den  Tunnel,  zur  Unterbringung  er- 
forderlicher mechanischer  Einrichtungen  und 
häufig  gleichzeitig  zur  Hebung  des  zufließenden 
Wassers. 

Mundschächte,  die  bei  langen  Vorein- 
schnitten in  gewissen  Fällen  an  den  Tunnel- 
eingängen erstellt  werden,  um  mit  dem  T.  vor 
Durchschlitzung  der  Einschnitte  beginnen  zu 
können,  sind  Förderschächte. 

Lüftungsschächte  dienen  zur  Lüftung 
des  Tunnels  während  des  Baues  oder  im 
Eisenbahnbetrieb.  Auch  die  Förderschächte 
wirken  meist  als  Lüftungsschächte  während 
des  Baues. 

Entwässerungsschächte  werden  entweder 
in  Verbindung  mit  Stollen  zur  Entwässerung 
des  Gebirges  vor  und  während  des  T.  oder 
zur  Abführung  des  Wassers  im  fertigen  Tunnel 
ausgeführt,  wie  u.  a.  bei  Tunneln  unter  \X'asser 
und  bei  Stadtbahnen,  wo  andere  Vorflut  fehlt. 

Stellung   der  Schächte. 

Die  Schächte  werden  in  der  Tunnelachse 
(Abb.  358)  oder  in  ausreichendem  Abstand  (et\va 
6-20  m)  seitwärts  (Abb.  359)  angeordnet. 

Die  erste  Anordnung  hat  die  Vorteile  der 
unmittelbaren  Förderung,  der  Vermeidung  von 
Querstollen  mit  den  Gleisverbindungseinrich- 
tungen und  Vereinfachung  der  Absteckungs- 
arbeiten, bei  Lüftungsschächten  auch  des  kür- 
zesten Abzugs  der  Rauchgase;  bei  der  zweiten 
Anordnung  kann  größere  Sicherheit  in  der 
Tunnelförderung  und  die  Fernhaltung  des  zu- 
fließenden Wassers  vom  Tunnel  erreicht  werden, 
auch  belastet  die  nachträgliche  Verfüllung  oder 
die  Ausmauerung  (Lüftungsschacht)  des 
Schachtes  das  Tunnelmauerwerk  nicht.  In  der 
Mehrzahl  der  Fälle  wird  deshalb  der  Förder- 
schacht seitlich  der  Tunnelachse  gelegt. 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


395 


Die 

Tiefen   der   Förderschächte 

•sind,  abgesehen  von  der  Beschaffenheit  und 
Wasserführung  des  Gebirges,  auch  von  der 
Tunnellänge  abhängig,  da  der  Schacht  so 
zeitig  die  Tunnelsohle  erreichen  muß,  daß 
•noch  entsprechende  Längen  des  Tunnels  beider- 


Für  raschen  Fortschritt  im  festen  Gebirge  sind 
Bohrhämmer  oder  Stoßbohrniaschinen  auf 
Bohrsäulen  zu  verwenden. 

Bei  Bohr-  und  Sprengarbeit  können  bei  Schächten 
bis  etwa  100  m  Tiefe  und  einem  Querschnitt  von 
8—15/«-  mit  Handarbeit  (6 -8  Mann  in  3  achtstündigen 
Schichten)  und  Verwendung  brisanter  Sprengstoffe 
(Dynamit)  Tagesfortschritte  angenommen  werden : 


Abb.  360. 


Abb.  361 


Abb.  363. 


Abb.' 365. 


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Abb.  362. 


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Abb.;366. 


seits  des  Schachtes  vorgetrieben  werden  können. 
Die  Tagesleistungen  nehmen  mit  der  Schacht- 
tiefe ab;  sie  sind  geringer,  die  Kosten  größer 
wie  unter  gleichen  Verhältnissen  im  Stollen. 
Im  T.  ist  man  mit  den  Schachttiefen  kaum 
über  300  m  hinausgegangen. 

Ausbruch   des   Schachtes 
ei^olgt    wie    im    Stollen    mittels    Bohr-    und 
Sprengarbeit,     Hau-     und     Brecharbeit, 
Grabarbeit  von  Hand  oder  mit  Maschinen. 


im  sehr  festen  Gebirge  mit  0'2-0'4« 
,.    festen  „  „    0-4-0'8  „ 

.,    gebrächen  „  „     OS -TG,, 

Im  wasserführenden  und  schwimmenden  Gebirge 
werden  die  Fortschritte  kleiner. 

Größe  der  Förderschächte 
ist  für  die  Förderung  der  Ausbruchmassen 
und  Baustoffe,  die  Befahrung  durch  die  Ar- 
beiter, die  Unterbringung  der  Wasser-,  Luft-, 
Licht-  und  Kraftleitungen  ausreichend  zu  be- 
messen und  beträgt  daher   meist  5—12,   aus- 


396 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


nahmsweise  bis  18  m~.  Die  größeren  und 
tieferen  Schächte  erhalten  aus  Sicherheits- 
gründen und  zur  Vermeidung  von  Betriebs- 
störungen in  der  Regel  mehrere  Abteilungen 
(Trume),  Abb.  360,  361,  362,  363. 

Es  bezeichnen:  F  die  Abteilungen  tür  anf- 
and abwärtsgehende  Fördergefäße,  a  die  Ab- 
teilung mit  den  Leitern  und  den  eingelegten 
Zwischenböden  (Sicherheitsgründe)  für  die  ein- 
und  ausfahrenden  Arbeiter,  L  den  Raum  für 
die  Leitungen.  Bei  wenig  tiefen  Schächten 
begnügt  man  sich  mit   1    oder  2  Abteihmgen. 

AbStützung    oder  Zimmerung 

der  Schächte  hängt  von  der  Gebirgsbeschaffen- 
heit  ab.  Im  festen  Gebirge  reicht  eine  geringe, 
nur  stellenweise  Abstützung  aus;  im  losen  und 
drückenden  Gebirge  sind  stärkere  Abstützungen 
mit  Verpfählungen  wie  im  Stollenbau  erfor- 
derlich, Abb. 364,  365  u.  366.  Für  dieZimmerung 


weise  im  Schacht  selbst  unterzubringen  sind, 
da  diese  Anlagen  sorgfältigst  gegen  Störungen 
und  Beschädigungen  zu  schützen  sind,  was 
beim  Holzeinbau  nicht  sicherzustellen  ist. 
Manche  Schachtzimmerungen  sind  schon  durch 
Feuer  zerstört  worden.  Die  Ausmauerung  des 
Förderschachts  kann  auch  bei  sehr  starkem 
Wasserandrang  zweckmäßig  sein. 

In  stark  wasserführendem,  schwimmendem 
Gebirge  kann  die  Schachtabteufung  durch 
besondere  Verfahren,  wie  Brunnensenkung 
(Senkschachtverfahren),  Druckluft-,  Gefrier- 
oder Zementierverfahren  erfolgen. 

Der  Abstand   der  Förderschächte 

von  den  Tunneleingängen  und  untereinander 
ist  bei  gegebener  Tunnellänge  von  den  Schacht- 
tiefen und  den  möglichen  Arbeitsfortschritten 
abhängig  und  so  zu  bemessen,  daß  nach 
Erreichung  der  Tunnelsohle  durch  die  Schächte 


Abb.  368. 


■    n  ^ 


.     ::.        ^:  S    -Ü 

Abb.  369. 


ist  Rundholz  dem  Kantholz  vorzuziehen.  Die 
Rahmen  oder  Gespärre  a  werden  in  Abständen 
von  0-S  -  2-0  tn  angeordnet  und  größtenteils 
durch  die  Reibung  gehalten,  welche  die  Ver- 
keilung erreichen  läßt,  sowie  durch  Abstützung 
auf  der  Sohle  oder  auf  der  Stollen-  oder 
Tunnelzimmerung  durch  die  Bolzen  g.  Genügt 
das  nicht,  so  hängt  man  die  Rahmen  mittels 
Rundeisen  /  oder  durch  hölzerne  Hängsäulen, 
die  durch  Eisenbänder  verbunden  werden,  an 
das  oberste,  durch  kräftige  Querträger  unter- 
stützte Gespärre  auf.  Bei  starkem  Gebirgsdruck 
wird  die  Schachtsohle  abgedeckt  und  gegen 
Auftrieb  des  Bodens  gesichert,  Abb.  367. 

Die  Schachtrahmen  können  auch  in  Eisen, 
Altschienen,  I-,  C-  oder  L-Eisen,  hergestellt 
werden  mit  kreisförmigem  oder  rechteckigem 
Querschnitt,  Abb.  368,  369. 

Ausmauerung 

von  Förderschächten  geschieht  nur  aus- 
nahmsweise, u.  zw.  in  Beton,  Betoneisen  oder 
Mauerwerk,  namentlich  wenn  wichtige  maschi- 
nelle Anlagen  auf  der  Schachtsohle  oder  teil- 


noch  beiderseits  entsprechend  lange  Stollen 
vorgetrieben  werden  können. 

Die  von  der  Gebirgsbeschaffenheit  und  den 
Wasserverhältnissen  abhängigen  Arbeitsfort- 
schritte im  Schacht  sind  unter  gleichen  Ver- 
hältnissen geringer  wie  die  im  Stollen ;  bei 
Tiefen  bis  etwa  100/k  kann  man  eine  Ver- 
minderung der  möglichen  Leistung  um 
0-25 -0-5  annehmen.  Ferner  erlaubt  der  im 
Gefälle  auszuführende  Stollen  unter  gleichen 
Verhältnissen  0-2 -025  geringere  Leistungen 
wie  der  in  der  Steigung. 

Wichtig  ist,  daß  der  Schachtmund  leicht 
zugänglich,  durch  fahrbare  Wege  erreichbar 
und  ausreichender  Raum  vorhanden  ist  füi 
die  erforderlichen  Einrichtungen  wie  für  die 
Ablagerung  des  Tunnelausbruchs.  Geneigte 
Schächte  sind  in  vielen  Fällen  den  senkrechten 
vorzuziehen. 

Verschluß  der  Förderschächte. 

Förderschächte  werden,  sofern  sie  für  den 
Eisenbahnbetrieb  nicht  als  Lüftungs-  oder 
Entwässerungsschächte   benutzt    werden,    nach 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


397 


Tunnelvollendiing  geschlossen,  d.  h.  verfüllt, 
wobei  aber  namentlich  bei  den  in  der  Tiinnel- 
achse  angeordneten  Schächten  durch  Anordnung 
von  Entlastungsmauerwerk  eine  übermäßige 
BelastungdesTunnels  durch  hohe  und  kohäsions- 
lose  Auffüllungen  vermieden  und  auch  für  gute 
Wasserabführung  Sorge  getragen  werden  muß. 

Der  zeitweilige  Ausbau. 

Der  zeitweilige  Ausbau  oder  die  Tunnel- 
zimmerung, d.  i.  die  Abstützung  des  aus- 
gebrochenen Raumes,  erfolgt  in  Holz  oder  Eisen, 
ausnahmsweise  in  Mauerwerk. 

Holzzimmerung. 
Die  Hauptträger  der  Zimmerung  werden 
parallel  oder  senkrecht  zur  Tunnelachse  an- 
geordnet, hiernach  unterscheidet  man:  1.  Längs- 
träger oder  Jochzimmerung,  2.  Querträger  oder 
Sparrenzimmerung. 

1.  Längsträgerzimmerung. 

Die  Längsträger  (Kronbalken,  Wandruten) 
25  — 60c/n  stark;  kurze,  in  der  Tunnelfirst  ver- 
legte Längsträger  haben  ausnahmsweise  auch 
70  an  Stärke  erhalten ;  sie  werden  von  der  First 
nach  der  Sohle  mit  abnehmender  Stärke  am 
Umfang  des  Ausbruchs  parallel  zur  Tunnelachse 
auf  die  Länge  einer  Zone  oder  eines  Ringes, 
welche  meist  3  -  9  /w  beträgt,  auch  wohl  zwei- 
teilig in  Abständen  von  etwa  0-7  -  2'0  m  verlegt 
und  durch  15-25  cm  starke  Rundholzbolzen  in 
diesen  Abständen  erhalten.  Sie  werden  entweder 
nur  an  beiden  Enden  oder  auch  dazwischen 
gestützt,  daher  die  Bezeichnung  „Joch- 
zimmerung". 

Die  Verzugsbretter  (Verladung)  oder  Pfähle, 
welche  das  Gebirge  gegen  das  Tunnelinnere 
abschließen,  liegen  senkrecht  zu  den  Längs- 
trägern; es  findet  also  Querverpfählung  statt. 
Da  die  Längsträger  in  der  durch  den  Tunnel- 
querschnitt gegebenen  Krümmung  verlegt 
werden,  so  ist  im  druckhaften  Gebirge  eine 
Getriebezimmerung,  wie  sie  im  Stollenbau  be- 
sprochen wurde,  nicht  durchzuführen;  denn 
die  Pfähle  können  nicht  in  der  angesetzten 
Lage  vorgetrieben,  sie  müssen  gedreht  (ge- 
schnappt) werden,  um  sie  in  die  erforderliche 
Lage  zu  bringen,  und  umsomehr,  je  geringer 
der  Abstand  der  Längsträger  und  je  stärker 
die  Krütnmung  ist,  was  meist  nicht  durchführbar 
ist.  Allerdings  hat  man  in  verschiedener,  recht 
umständlicher  Weise  auch  im  starken  Druck- 
gebirge, worin  der  Raum  zwischen  den  einzelnen 
Trägern  auch  nicht  für  kurze  Zeit  ohne  Ab- 
stützung gelassen  werden  konnte,  Längsträger 
mit  Querverpfählung  gebraucht,  wie  z.  B.  im 
alten  Hauensteintunnel  1  und  im  Col  di  Tenda- 
Tunnel.  Das  sind  aber  nur  Hilfsmittel  in  Aus- 


nahmefällen, die  von  vornherein  nicht  in  Aus- 
sicht genommen  wurden.  Diese  schwierigen 
und  nicht  ungefährlichen  Vorgänge  sind  tunlichst 
zu  vermeiden.  Wenn  Getriebezimmerung  mit 
Vortrieb  von  Längspfählen  erforderlich  ist,  ist 
der  Querträgerbau  anzuwenden. 

Je  nach  Art  der  Unterstützung  der  Längsträger 
bezeichnet  man  die  Zimmerung  als  Langständer-, 
Brustschwellen-  und  Mittelschwellenbau. 

Langständerbau. 

Die  Längsträger  in  Abständen  von  LO  -  \b  m 
werden  unmittelbar  durch  lange  Ständer  ab- 
gestützt, die  auf  der  Sohle  des  Bogenorts  wie 
bei  der  Unterfangungsbauweise  oder  auf  der 
Sohle  des  Tunnels  stehen  (Abb.  370). 

Da  die  auf  Druck  und  Knicken  beanspruchten 
Ständer  sehr  lang  (bis  9/re)  werden,  so  erhalten 
sie  große  Querschnitte  (30  —  50  cm)  und  be- 
deutendes Gewicht. 


Abb.  370. 

Das  Einbringen  der  langen  und  schweren  Stän- 
der ist  im  engen,  druckhaften  Tunnel  schwierig, 
namentlich  wenn  nachträglich  Zwischenstützung 
der  Längsträger  in  geringem  Abstand,  also  Ver- 
stärkung des  Einbaues  nötig  wird.  Im  Druck- 
gebirge ist  daher  der  Langständerbau  nicht 
zu  empfehlen. 

Im  festeren  Gebirge,  das  wenige  Langträger, 
meist  nur  in  der  Tunnelfirst,  daher  auch  wenige 
und  leichte  Ständer  benötigt,  kann  der  Lang- 
ständerbau wohl  in  Frage  kommen,  weil  er 
gegenüber  dem  Schwellenbau  immerhin  den 
Vorzug  der  einfacheren  und  übersichtlichen 
sowie  der  gelenkfreien  Anordnung  hat;  denn 
durch  eine  Mittelschwelle  werden  die  Ständer 
geteilt,  wodurch  gelenkartige  Wirkung  geschaffen 
wird,  die  durch  kräftigen  Längsverband  tun- 
lichst abgemindert  werden  muß. 

Brustschwellenbau. 

Die  Längsträger  b  und  c  (Abb.  371  u.  372) 
werden  auf  eine  Schwelle  S  oder  nach  Abb.  373 
auf  2  Schwellen  So  und  5«,  die  auf  volle  Breite 


398 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


des  ausgebrochenen  Tunnels  reichen  und  daher 
2teilig  mit  Überbiattung  und  Verschraubung 
aus  Kantholz  hergestellt  werden,  durch  Ständer 
abgestützt.    Da  diese  Schwellen  den  Oebirgs- 


Die  Zimmerung  erfolgt  auf  Zonenlänge  Z, 
so  daß  die  Längsträger  nur  den  beiden  Ge- 
spärren EE  oder  nach  Abb.  374  auf  dem 
fertigen  Mauerwerk  und  dem  Gespärre  E  frei 


Abb.  371. 


Abb.  372. 


Abb.  373. 


Abb.  375. 


Abb.  376. 


druck  der  Tunnelbrust  aufzunehmen  haben, 
heißen  sie  „Brustschwellen".  Bei  stärkerem 
Gebirgsdruck  sind  sie  durch  die  „Brust- 
streben" m  und  n  gegen  Ausbiegen  zu  sichern. 
Die  Brustschwellen  werden  durch  mehrere 
Ständer  gegen  die  Tunnelsohle  gestützt. 


aufliegen  und  dazwischen  entweder  keine  Unter- 
stützung erhalten  (englische  Zimmerung)  oder 
sie  werden  noch  durch  Zwischengespärre  FE 
(Abb.  372)  gestützt,  die  entweder  nach  dem 
Langständer-  oder  Mittelschwellenbau  ange- 
ordnet sein  können. 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


399 


Die  Brustschwellen  sind  an  beiden  Enden 
namentlich  dann  zu  empfehlen,  wenn  in  den 
anschließenden  Zonen  nur  die  Stollen  auf- 
gefahren sind,  im  übrigen  die  Tunnelbrust  in 
senkrechter  Lage  bestehen  bleibt  und  infolge 
Gebirgsdrucks  abzustützen  ist. 

Bei  der  sog.  „englischen  Zimmerung" 
(Abb.  373,  374)  werden  die  Längsträger  außer- 
halb des  dauernden  Ausbaues,  der  Mauerung, 
so  angeordnet,  daß  das  Mauerwerk  unter  ihrem 
Schutz  ausgeführt  werden  kann  und  die  Be- 
seitigung der  Längsträger,  wenigstens  in  den 
obersten  Teilen,  in  der  Tunnelfirst,  erst  nach 
Schluß  des  Scheitelgewölbes  durch  Vorziehen 
erfolgt.  Die  Längsträger  sind  hierbei  auch  bei 
den  kurzen  Zonenlängen  von  5-6  m  sehr 
schwer,  da  Zwischenstützen  fehlen.  Das  Hervor- 
ziehen der  hinter  dem  Mauerwerk  verbliebenen 
Längsträger  oder 
Kronbalken  ist  na- 
mentlich im  druck- 
haften Gebirge  be- 
sonders schwierig, 
wenn  auch  durch 
kleine  Mauerwerks- 
pfeiler zwischen  dem 
Gewölbe  und  dem 
Gebirge  eine  Ent- 
lastung der  vorzuzie- 
henden Längsträger 
angestrebt  wird;  das 
Mauerwerk  leidet  dar- 
unter, eine  wasser- 
dichte Abdeckung, 
ein  dichter  Anschluß 
des  Mauerwerks  an 
das  Gebirge  oder  eine 

gut  ausgeführte  Steinpackung  oder  Ausmaue- 
rung hinter  dem  Gewölbe  kann  nicht  sicher 
gestellt  werden;  daher  ist  diese  Zimmerungsart 
nicht  zu  empfehlen  trotz  der  Vorteile  der  vom 
Gebirgsdruck  namentlich  im  Gewölbescheitel 
unabhängigen  Durchführung  der  Mauerungs- 
arbeiten und  der  sonst  während  der  Arbeiten 
erforderlichen  Beseitigung  der  Kronbalken  in 
der  Tunnelfirst. 

Wohl  aber  kann  der  Bau  mit  1  oder  2  Brust- 
schwellen für  die  Endgespärre  E  im  Druck- 
gebirge, das  zonenweisen  Vorgang  erheischt, 
bei  Anordnung  von  Zwischengespärren  nach 
der  Langständer-  oder  Mittelschwellenbauweise 
in  vielen   Fällen  zweckmäßig  sein. 

Mittelschwellen  bau. 

Die  Längsträger  oder  Kronbalken  b  (Abb.  375 
und  376)  werden  auf  kurze  Mittelschwellen  5, 
deren  Länge  in  der  Regel  den  Tunnellichtraum 
nicht  überschreitet,  durch  Ständer  d  abgestützt. 


Die  Schwelle,  welche  auch  später  zur  mittleren 
Stützung  der  Lehrbogen  für  die  Mauerung  dient, 
wird  von  den  Ständern  c  f,  deren  Zahl  auf  je 
3  —  5  zu  beiden  Seiten  vermehrt  werden  kann, 
getragen;  sie  teilt  die  Zimmerung  in  2  Teile; 
die  hierdurch  verursachte  Gelenkbildung  muß 
durch  Längsverspannung  unschädlich  gemacht 
werden. 

Die  Unterzüge  o-  der  Schwelle,  welche  nicht 
nur  einen  Längsverband,  sondern  auch  die 
Anordnung  weiterer  Stützen  zwischen  den  Ge- 
spärren ermöglichen,  werden  besser  über  den 
zweiten  Stützen  /eingebracht,  da  hierdurch  die 
Unterfangung  der  Schwelle  S  durch  die  ersten 
Stützen  c  sowie  die  Einbringung  des  Unterzugs 
erleichtert  wird.  Die  unteren  Längsträger,  auch 
Wandruten  genannt,  werden  durch  Bolzen  h 
und  Streben  /  gestützt. 


Abb,  377. 


Abb.  378. 


Im  Zonenbau,  d.  h.  völlige  Fertigstellung 
einer  Zone  (Ring),  bevor  mit  den  Nachbarzonen 
in  Ausbruch  und  Mauerung  begonnen  wird,  wer- 
den auf  Zonenlänge  Z,  die  meist  6-9/7?  be- 
trägt, 2  Endgespärre  E,  sodann  Mittel-  oder 
Zwischengespärre /^angeordnet,  deren  Abstände 
und  Anzahl  vom  Gebirgsdruck  und  der  Zonen- 
länge abhängig  sind  und  etwa  L5  — 3'0  7/z 
betragen. 

Im  Druckgebirge  erhalten  die  Endgespärre 
auch  „Brustschwellen"  nach  Abb.  371  und  372 
oder  längere  Mittelschwellen  nach  Art  der 
Brustschwellen,  die  nur  zum  Teil  in  das  Mauer- 
werk reichen. 

Die  Vorteile  der  Längsträgerzimmerung 
bestehen  in  dem  sehr  guten  Längsverband.  Die 
meist  auf  6  -  9m  Bau-  oder  Zonenlänge  (Ring- 
länge) ohne  Unterbrechung  durchlaufenden 
Längsträger  geben  dem  Ausbau  große  Stand- 
sicherheit gegen  Bewegungen  und  Verschiebun- 
gen und  ermöglichen  günstige  Druckverteilung 


400 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


auf  die  Stützen  und  die  Bausohle.  Die  Zimme- 
rung erlaubt  verhältnismäßig  rasches  Einbrin- 
gen der  Träger  auf  die  Zonenlänge  sowie  eine 
leichte  nachträgliche  Verstärkung  durch  Zwi- 
schenstützen. Der  Arbeitsvorgang  ist  daher  bei 
nicht  großem  Gebirgsdruck  ein  rascher  und 
verhältnismäßig  billiger.  Die  Nachteile  dieser 
Zimmerung  sind  namentlich  die  großen  Längen, 
Abmessungen    und   Gewichte  der  Träger,   die 


Unterzügen  g  besser  über  /  wie  über  e  ge- 
tragen werden.  Bolzen  b  vermitteln  Längs- 
und Querverband.  Die  Pfähle  k  werden  über 
den  Querträgern  a  parallel  zur  Tunnelachse 
vorgetrieben.  Die  Mittelschwelle  kann  entweder 
auf  volle  Tunnelbreite  reichen  (Abb.  377)  oder 
nur  auf  den  mittleren  Teil  (Abb.  379)  und 
wird  dann  gegen  die  Tunnelwände  abgestützt, 
um  Seitenbewegungen  zu  verhindern. 


Abb.  379. 


Abb.  3S0. 


Abb.  381. 

Aufschließung  des  Gebirges  auf  diese  Länge 
sowie  die  Undurchführbarkeit  einer  reinen 
Getriebezimmerung,  d.h.  Vortreiben  der  Pfähle 
in  der  Längsrichtung  und  Einbau  der  Zimme- 
rung unter  dem  Schutz  der  vorgetriebenen 
Pfähle. 

2.  Querträgerzimmerung. 

Die  Querträger  oder  Sparren  auf  Abb.  377 
und  378  werden  am  Umfang  des  Tunnel- 
ausbruchs senkrecht  zur  Tunnelachse  verlegt 
und  durch  Unterzüge  u  sowie  Stempel  d  auf 
eine  Mittelschwelle  5  abgestützt,  die  wieder 
durch  Stände  e  und  /  durch  Vermittlung  von 


Abb.  3S2. 


Ein  guter  Längsverband  ist  besonders  wich- 
tig, damit  die  einzelnen  Gespärre,  meist  in 
Abständen  von  1-0- 2-0 /«,  gegen  Bewegungen 
in  der  Längsachse  gesichert  sind.  Die  Quer- 
trägerzimmerung  wird  auch  auf  einen  Teil  der 
oberen  Tunnelhälfte  beschränkt  (Abb.  379),  da 
die  Druckverhältnisse  in  der  Regel  im  Tunnel- 
first am  ungünstigsten  sind.  Auch  im  festeren 
Gebirge,  wobei  Verpfählung  nicht  erforderlich 
ist,  kann  Querträgerzimmerung  am  Platze  sein, 
wie  Abb.  380  (amerikanische  Zimmerung)  zeigt. 

Der  Querträgereinbau  ist  bei  Anwendung 
der  Getriebezimmerung,  die  eine  Längsver- 
pfählung    bedingt,    nicht    zu    entbehren;    der 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


401 


Längsverband  ist  aber  nicht  in  der  Weise 
möglich  wie  bei  der  Längsträgerbauweise,  da 
durchlaufende  Unterzüge  wegen  des  nur  von 
Gespärre  zu  Gespärre,  also  auf  Pfahllänge 
möglichen  stückweisen  Vorgangs  erst  nach 
Fertigstellung  einer  längeren  Strecke  von  etwa 
Zonenlänge  eingezogen  werden  können,  es  ist 
daher  die  Gefahr  von  Verschiebungen  der  Ge- 
spärre durch  Längskräfte  größer  wie  beim 
Längsträgerbau,  wenn  auch  eine  Verspannung 
der  Querträger  oder  Sparren  durch  Zwischen- 
bolzen nicht  unterlassen  wird.  Im  festeren, 
wenig  druckhaften  Gebirge 
ohne  nennenswerten  Längs- 
schub erleichtert  die  Quer- 
trägerzimmerung wegen 
der  kleinen  und  leichten 
Hölzer  den  Einbau  und 
dessen  Beseitigung  nach 
Fertigstellung  des  Mauer- 
werks. 

Für  Holzzimmerungen 
werden  Querträger  oder 
Sparren  auch  aus  ±-  oder 
I-Eisen  hergestellt.  So 
bestanden  die  Querträger 
im  Cochemtunnel  (Mosel- 


Eisenzimmerung. 

Eisen  wird  zur  Zimmerung  in  Walzträger-, 
auch  Altschienenformen,  sodann  als  Blech- 
wand und  Fachwerksträger,  schließlich  in 
Röhrenform  verwendet. 

Während  die  Holzzimmerung  an  Ort  und 
Stelle  im  Tunnel  hergestellt  und  den  jeweiligen 
Bedürfnissen  angepaßt  werden  kann,  auch  ein- 
fache Verbindungen  und  billige  Ausführung 
ermöglicht,  wird  die  Eisenzimmerung  in  den 
Hauptteilen  fertig  in  den  Tunnel  gebracht,  kann 
also  den  Verhältnissen  oder  den  während  des 


P 


Abb.  3S3. 


Abb.  3S4. 


Abb.  385. 


Abb.  386. 


bahn)  (Abb.  381,  382)  aus  gekrümmten  I-Eisen 
von  L5  —  2-5  m  Länge,  die  verlascht  und 
verschraubt  wurden;  sie  erhielten  angenietete 
Schuhe  zur  Aufnahme  der  Unterzüge. 

Diese  Anordnung  hat  sich  aber  nicht  be- 
währt, weil  infoige  von  Bex^'egungen  und  kleinen 
Verbiegungen  der  Träger  die  verschraubten 
Laschen  schwierig  zu  lösen  waren  und  die 
aufgenieteten  Schuhe  ihren  Zweck  nicht  er- 
füllten. Man  hat  daher  bei  späteren  Ausfüh- 
rungen, wie  z.  B.  im  Endertunnel,  die 
eisernen  Querträger  nicht  mehr  gekrümmt  und 
verlascht,  sondern  sie  gerade  und  ohne  Ver- 
bindung auf  die  Unterzüge  verlegt;  sie  wurden 
durch  den  Gebirgsdruck  in  dieser  Lage  er- 
halten. 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  IX. 


Baues  eintretenden  Änderungen  nicht  sofort 
angepaßt  werden.  Verlaschungen  und  Ver- 
schraubungen  der  einzelnen  Teile  sind  un- 
günstig, weil  schon  bei  geringen  Form- 
änderungen, die  häufig  nicht  vermieden  werden 
können,  das  Lösen  der  Verbindungen  besonders 
schwierig,  ja  unmöglich  werden  kann.  Dagegen 
erlaubt  die  Eisenzimmerung  kleinere,  weniger 
Raum  sperrende  Abmessungen  und  ist  von 
größerer  Dauerhaftigkeit,  die  aber  zumeist  nicht 
ausgenutzt  werden  kann,  da  die  Möglichkeit 
der  Wiederverwendung  bei  anderen  Tunnel- 
bauten von  günstigen  Zufälligkeiten  abhängt; 
daher  sind  auch  die  Kosten  der  Eisenzimmerung 
für  einen  Tunnelbau  hohe  und  überschreiten 
die  der  Holzzimmerung. 

26 


402 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


Abgesehen  von  den  für  kleinere  Tunnel 
zweckmäßigen  und  billigen  I-Eisenrahmen,  die 
erforderlichenfalls  durch  Holzstützen  verstärkt 
werden,  ist  die  Eisenziinmerung  auf  wenige 
Fälle  beschränkt  geblieben.  Eisen  hat  in  der 
Hauptsache  nur  in  die  Querträgerzimmerung 
Eingang  gefunden. 


i'itf  /'iiVi'iQ^ir^! 


Abb.  387. 


Abb.  38S. 

Für  kleine  Querschnitte  reichen  wie  im 
Stollenbau  3-,  auch  mehrteilige  Eisenrahmen  a 
aus  (I  oder  n-Eisen),  die  verlascht,  auf  Sohl- 
schwellen versetzt  und  durch  Rundholzbolzen 
gegen  Längskräfte  gestützt  werden.  Die  Längs- 
verpfählung  liegt  auf  den  Eisenrahmen 
(Abb.  383,384).  Diese  Eisenrahmen  hat  man  bei 
größeren  Querschnitten  auch  durch  Holz- 
ständer gestützt  (Abb.  385,  386).  Bei  geringen 
Überlastungen  und  stärkerem  Druck  sind  zur 
Vermeidung    von    Bodensenkungen    bei    Aus- 


mauerung die  Eisenrahnien  häufig  nicht  ent- 
fernt, sondern  im  Mauerwerk  (meist  Beton)  be- 
lassen worden.  Eisenzinimerungen  für  große 
Querschnitte  sind  meist  nach  der  Bauweise 
Rziha  ausgeführt,  aber  aus  den  oben  an- 
gegebenen Gründen  auf  wenige  Fälle  beschränkt 
geblieben.  Nach  der  Bauweise  Rziha  besteht 
die  Zimmerung  nach  Abb.  387  und  388 
aus  mehrteiligen,  der  Form  der  Tunnel- 
ausmauerung angepaßten  Eisenrahmen  A, 
die  anfänglich  aus  Gußeisen,  später  aber 
aus  Blechwandträgern,  deren  Teile  durch 
Verschrauben  bzw.  Verlaschungen  und  Ver- 
schrauben  miteinander  verbunden  werden. 
Diese  Rahmen  werden  durch  Querträger ß^ 
ßj  abgesteift,  die  auch  als  Rüstung  für 
die  Mauerung  dienten,  daher  Bühnenträger 
genannt  werden. 

Die  Eisenrahmen  A  tragen  die  in  den 
neueren  Anordnungen  aus  verschraubten 
Winkeleisen  gefertigten,  mit  dem  Fortschritt 
der  Ausmauerung  einzeln  herausnehm- 
baren Auswechslungsrahmen  a,  deren  Höhe 
etwa  gleich  der  Stärke  des  Mauerwerks 
mehr  der  Schalhölzer  ist,  und  bilden  dann 
die  Lehrbogen  für  die  Mauerung. 

Über  diesen  Rahmen  wird  die  Längs- 
verpfählung  K  vorgetrieben.  Der  Längs- 
verband erfolgt  durch  Rundeisen  b,  auch 
wohl  Rundholzbolzen  zwischen  den  Quer- 
trägerrahmen A.  Die  Querträger  werden, 
wenn  Sohlgewölbe  nicht  erforderlich  sind, 
auch  auf  Sandunterlagen  gestellt,  um  das 
Abtragen  nach  vollendeter  Mauerung  zu 
erleichtern. 

Der  dauernde  Ausbau. 

Der  dauernde  Ausbau  oder  die  Ver- 
kleidung des  Tunnels  erfolgt  durch  Mauer- 
werk, Eisen  und  ausnahmsweise  Holz.  In 
den  meisten  Fällen  ist  der  Mauerwerks- 
ausbau der  zweckmäßigste;  er  umfaßt  das 
Firstgewölbe  mit  der  Abdeckung  und 
Hintermauerung,  die  Widerlager,  das 
Sohlgewölbe  mit  der  Abdeckung  und 
dem  Entwässerungskanal  sowie  die 
Nischen  in  den  Widerlagern.  Der  Mauer- 
werkskörper wird  in  der  Regel  in  einzelnen 
kurzen,  stumpf  aneinanderstoßenden  Zonen 
oder  Ringen  eingebaut.  Die  Zonenlängen 
schwanken  von  3-15/«;  in  der  Regel  be- 
tragen sie  6-9  m.  Im  druckhaften  Gebirge 
sind  kurze  Zonenlängen  zu  wählen,  immerhin 
so  lang  (nicht  unter  3-0  m),  damit  auch  die 
Standsicherheit  gegen  Längskräfte  gewahrt 
wird.  Das  Sohlgewölbe  wird  auch  in  kürzeren 
Zonen  von  2-2-5m  eingebaut.  In  der  Regel 
wird    mit   der   Aufmauerung    der   Widerlager 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


403 


begonnen,  hierauf  das  Firstgewölbe  und  zum 
Schluß,  wenn  erforderlich,  das  Sohlgewölbe 
und  der  Tunnelkanal  hergestellt.  Auch  beginnt 
man  mit  dem  Firstgewolbe,  das  dann  durch 
die  Widerlager  unterfangen  wird. 

Das  Mauerwerk  wird  aus  rein  oder  roh 
bearbeiteten  Quadern,  Hau-  und  Bruchsteinen, 
Ziegeln  (Hartbrandsteine,  Klinker),  Stampf- 
beton, Zementkunststeinen  ohne  oder  mit  Eisen- 
einlagen  und  in  Betoneisen  hergestellt. 

Zum  Mörtel  verwendet  man  Zement  (Port- 
land-, Erz-,  Hochofenschlackenzement),  Zement- 
kalk und  hydraulischen  Kalk.  Traßmörtel  oder 
stärkere  Traßzusätze  zum  Zement- oder  Zement- 
kalkmörtel haben  sich  trotz  der  günstigen  Eigen- 
schaften des  Trasses  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
im  Tunnelbau  nicht  bewährt. 

In  nassen  und  druckhaften  Tunnelstrecken 
ist  dichter  und  rascher  bindender  Mörtel  zu 
verwenden,  da  das  Mauerwerk  sofort  Gebirgs- 
druck  aufnehmen  muß.  Die  Wasserdichtigkeit 
des  Zementmörtels  wird  durch  fette  Mischungen 
(1  Z.,  1  S.  bis  1  Z.,2S.),  auch  durch  verschiedene 
Zusätze  (Zerisit,  Kaliseifenlösung,  Öl,  Alaun, 
feine  Tonerde)  etwas  erhöht.  Auch  durch  Zusätze 
von  flüssigem  Natrium-  oder  Kaliumsilikat  und 
einer  geringen  Menge  einer  Kalziumverbindung 
kann  die  Wasserdichtigkeit  etwas  erhöht  werden. 

Sauere  und  salzhaltige  Gebirgswässer  wirken 
auf  feuchten  Mörtel  zerstörend  ein,  ebenso  die 
schwefligen  Lokomotivrauchgase  infolge  der 
Umwandlung  des  Kalkes  im  Zement  in  schwefel- 
sauren Kalk  (Gips).  Es  sind  daher  besondere 
Schutzvorkehrungen  zu  treffen  und  nicht  lang- 
sam bindende  Mörtel,  wohl  aber  besondere 
Zementarten  (Erzzement),  die  keine  Tonerde 
enthalten,  aber  nicht  zu  rasch  abbinden,  zu 
verwenden.  Trockener  und  erhärteter  Mörtel 
leidet  nach  den  vorliegenden  Beobachtungen 
unter  den  Lokomotivrauchgasen  nicht. 

Form  und   Stärke  des    Mauerwerks. 

Form  und  Stärke  der  Ausmauerung  sind 
von  dem  durch  die  Abmessungen  der  Eisen- 
bahnfahrzeuge bedingten  Lichtquerschnitt,  von 
der  Größe  und  Richtung  des  Gebirgsdrucks 
sowie  von  der  Art  des  Ausbaues  und  der  hierzu 
verwendeten  Stoffe  abhängig. 

Die  Lichtquerschnitte  der  Tunnel  sind  auf 
das  geringste  durch  die  Umgrenzungslinien 
des  Lichtraums  der  Bahnen  mit  den  erforder- 
lichen Spielräumen  zu  beschränken,  da  größere 
Lichtquerschnitte  Mehrausbrüche,  daher  ver- 
stärkten Gebirgsdruck  sowie  Mehrausmauerung 
und  daher  größere  Kosten  bedingen. 

Es  ist  zu  prüfen,  ob  den  Gebirgsdrücken 
nicht  billiger  durch  entsprechende  Vergröße- 
rung der  Mauerwerkstärken  bzw.  Verwendung 


festerer  Baustoffe,  die  kleinere  Abmessungen 
erlauben,  wie  durch  Tunnelformen  zu  begegnen 
sei,  welche  von  den  erforderlichen  Lichtraum- 
querschnitten erheblich  abweichen  und  zudem 
in  den  meisten  Fällen  den  tatsächlichen  Ver- 
hältnissen doch  kaum  richtig  angepaßt  werden 
können.  In  der  Regel  wird  der  Lichtraumquer- 
schnitt eines  Tunnels  einheitlich  durchgeführt. 

Größe  und  Richtung  des  Gebirgsdrucks  sind 
von  vielen,  meist  kaum  richtig  zu  beurteilenden 
Umständen  abhängig,  wie  von  den  Festigkeits- 
und Reibungswerten,  dem  Streichen  und  Fallen, 
den  Überlagerungsverhältnissen,  der  Wasser- 
führung und  der  chemischen  Zusammensetzung 
des  Gebirges,  aber  auch  von  der  Art,  der 
Zweckmäßigkeit  und  Raschheit  der  Ausführung 
des  zeitweiligen  und  des  dauernden  Ausbaues. 

Je  tiefer  der  Tunnel  unter  der  Erdoberfläche 
liegt,  um  so  schwieriger  wird  die  richtige  Er- 
kenntnis der  Gebirgsverhältnisse. 

Der  Ausbau  soll  so  erfolgen,  daß  Bewegun- 
gen, Loslösungen  und  Auflockerungen  des 
Gebirges  tunlichst  eingeschränkt  werden;  er 
soll  gemeinsam  mit  dem  Zusammenhalt,  also 
der  Zug-  und  Scherfestigkeit  des  Gebirges,  der 
Schwerkraft,  dem  Gewiclit  der  Überlagerungs- 
massen und  den  seitlichen  Gebirgsdrücken 
tunlichst  entgegenwirken. 

Die  Belastungen  des  Tunnels  erfolgen  durch 
das  Gewicht,  den  Erddruck  und  den  Auftrieb 
des  Gebirges,  durch  seitliches  Ausweichen  ge- 
preßter und  das  Abrutschen  einzelner  Gebirgs- 
schichten  und  Gesteinsblöcke,  die  namentlich 
bei  vorhandenen  Hohlräumen  ungünstige  dyna- 
mische Einwirkungen  äußern;  dann  durch  An- 
schwellen und  Volumsvergrößerung,  „Blähen", 
des  Gebirges  infolge  Einwirkung  von  Luft  und 
Wasser. 

Der  Zutritt  von  Wasser  vermindert  die 
Reibung,  teilweise  auch  die  Scher-  und  Zug- 
festigkeit. Das  Austrocknen  verschiedener  Qe- 
birgsarten  erleichtert  dagegen  die  Rissebildung 
und  daher  die  Lösung  einzelner  Teile  aus  dem 
Zusammenhang. 

Am  Tunnelumfang  wirken  daher  an  dessen 
einzelnen  Stellen  verschieden  große  Kräfte 
nach  verschiedenen  Richtungen,  deren  Ermitt- 
lung nicht  oder  nur  schätzungsweise  möglich  ist. 

Es  fehlt  nicht  an  Versuchen,  in  einigen  Fällen, 
namentlich  im  gleichartigen  Gebirge,  die  Größe 
des  Gebirgsdrucks  zahlenmäßig  zu  ermitteln, 
um  bei  Festsetzung  von  Form  und  Stärke  des 
Tunnelausbaues  nicht  allein  auf  den  empiri- 
schen Vorgang  angewiesen  zu  sein.  Die  Unter- 
lagen für  solche  Berechnungen  können  nur 
durch  Schätzungen  gewonnen  werden,  daher 
auch  den  Rechnungsergebnissen  größeres  Ge- 
wicht nicht  beigelegt  werden  kann. 

26' 


404 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


Sie  geben  aber  Fingerzeige  und  Anhalts- 
punkte für  die  Wahl  der  Form  und  Stärke  der 
Tunnelausmauerung,  auf  die  selbstverständlich 
nicht  verzichtet  werden  soll. 

In  sehr  festem  Gebirge  mit  großer  Kohäsion, 
das  keine  Ablösungen  zeigt,  können  Tunnel 
unausgemauert  bleiben;  das  ist  im  eingleisigen 
Tunnel  namentlich  auf  Schmalspurbahnen  eher 
möglich  wie  im  zweigleisigen  der  Vollbahnen, 
welche  auch  im  festen  Gebirge  fast  durchwegs 
ein  Verkleidungsmauerwerk  mindestens  in  der 
Decke  erhalten,  da  infolge  der  Aufhebung  der 


ih>- 


tAbb.  389. 


'Abb.  390. 


„=aE  jrgT' i&ä*r~_ 


Abb.  391. 


Abb.  392. 


Gesteinsverspannung,  der  zerklüftenden  Spreng- 
wirkung bei  Herstellung  des  Ausbruchs  sowie 
der  erschütternden  Wirkung  der  Eisenbahnzüge 
nachträglich  Gesteinsablösungen  vorkommen, 
die  den  Betrieb  gefährden. 

Zur  Vermeidung  der  während  des  Eisenbahn- 
betriebs besonders  schwierigen,  für  eine  nach- 
trägliche Ausmauerung  erforderlichen  Mehr- 
ausbrüche sind  diese  in  zweifelhaften  Fällen 
für  vorerst  unausgemauerte  Tunnel  schon 
während  des  Baues  vorzunehmen,  in  manchen 
Fällen  kann  Deckenverkleidung  ausreichen 
(Abb.  389),  auch  einseitige  Widerlager,  nament- 
lich in  später  auf  2  Gleise  zu  erweiternden 
Tunneln  (Abb.  390). 


Im  Gebirge,  das  nur  Verkleidung  bedarf, 
und  Gebirge,  das  nur  geringen  Druck  äußert, 
erhalten  die  Querschnitte  für  ein-  und  zwei- 
gleisige Tunnel  Formen  nach  Abb.  391  und  392. 
Mit  zunehmendem  Druck  werden  Gewölbe  und 
Widerlager  verstärkt  und  erforderlichenfalls 
Sohlgewölbe  ausgeführt.  Die  Firstgewölbe  er- 
halten für  eingleisige  Tunnel  meist  elliptische, 
bzw.  Korbbogengewölbe  (Abb.  393,  394,  395). 
Für  zweigleisige  Tunnel  werden  in  der  Regel 
halbkreisförmige  Gewölbe  und  nur  bei  größerem 
Firstdruck  überhöhte  Korbbogengewölbe  an- 
geordnet (Abb.  396,  397). 

Der  Raum  zwischen  Ge- 
wölbe und  Gebirge  wird  ent- 
weder durch  trockene  Stein- 
packung oder  zur  Erhöhung 
der  Standsicherheit  meist 
besser  durch  Mörtelmauer- 
werk oder  Beton  ausgefüllt, 
wenn  das  Gewölbe  selbst  nicht 
unmittelbar  an  das  Gebirge 
angemauert  wird,  aber  durch- 
aus nicht  in  allen  Fällen,  wie 
dies  von  einigen  Seiten  vor- 
geschlagen wird,  s.  hierüber 
„Entwässerung").  Firstgewölbe 
sind  wegen  der  unvermeid- 
lichen Sackungen  so  zu  über- 
höhen, daß  nach  Ausrüstung 
der  Tunnellichtraum  überall 
vorhanden  ist.  Zu  dem  Zwecke 
werden  die  Lehrgerüste  über- 
höht (etwa  15-30  cm). 

Widerlager  werden  dem 
Gebirgsdruck  entsprechend 
mit  innen,  ausnahmsweise 
auch  mit  außen  geböschten 
Flächen  (Abb.  394)  und  mit 
entsprechend  großer  Sohlen- 
breite sowie  in  genügend  tiefer 
Lage  ausgeführt.  Sohlgewölbe 
werden  bei  Auftrieb  des  Bo- 
dens, zur  Entlastung  der  Widerlagerfundamente 
und  Vermeidung  der  Verschiebung  der  Wider- 
lager nach  innen  auszuführen  sein.  Die  Stärke 
des  Sohlgewölbes  ist  unter  sonst  gleichen  Ver- 
hältnissen größer  zu  wählen  wie  die  des  First- 
gewölbes, um  den  Stoßwirkungen  der  unmittel- 
bar darüber  rollenden  Eisenbahnzüge  Rechnung 
zu  tragen.  Über  dem  Sohlgewölbe  wird  eine 
Magerbetonschichte  aufgebracht  zur  Verhinde- 
rung der  Durchnässung  und  damit  das  Wasser 
von  oben  in  den  Tunnelkanal  eingeführt  werden 
kann. 

Der  Einbau  von  Quadern  zum  Anschluß 
des  Sohlgewölbes  an  die  Widerlager  ist  zu 
empfehlen,   auch    dann    ratsam,   wenn    vorerst 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


405 


kein  Sohlgewölbe  ausgeführt  wird,  aber  die 
Möglichkeit  einer  nachträglich  notwendig  wer- 
denden Einziehung  nicht  ausgeschlossen  ist. 
Anstatt  des  Gewölbes  können  auch  Balken  aus 
Mauerwerk,  Beton  oder  Betoneisen,  sog.  Sohl- 
klötze verwendet  werden  (Abb.  398).  Wenn  der 
Beton   richtig   bereitet  und  eingestampft  wird. 


damit  nach  Aufschluß  des  Gebirges,  der  meist 
durch  den  Richtstollen  genügend  erfolgt,  der 
in  jedem  einzelnen  Fall  passende  Mauerungs- 
querschnitt gewählt  und  mit  den  vereinbarten 
Preisen  bezahlt  werden  kann,  in  Ausnahme- 
fällen sind  aber  auch  wesentlich  größere  Ab- 
messungen des  Tunnelmauerwerks  erforderlich 


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Abb.  394. 


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Abb.  395. 

Abb.  396. 


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Abb.  397. 


ist  er  sehr  wohl  in  vielen  Fällen 
im  Sohlgewölbe  zweckmäßig. 
Die  Stärken  des  Mauer- 
werks in  ein  und  zweigleisigen 
Tunneln  der  Vollspurbahnen 
bewegen  sich  je  nach  den 
Gebirgsverhältnissen  und  der 
Mauerwerksgattung,  zumeist  im 
Firstgewölbe  von  0-4  —  1  -0  in, 
im  Sohlgewölbe  von  0-4—  l'Om, 
in  den  Widerlagern  von  0'4 
bis  1'3  m.  In  der  Regel  werden 
namentlich  für  längere  Tunnel 
auf  Grund  der  wahrscheinlichen 
Gebirgsbeschaffenheit  die  anzu- 
wendenden Mauerungsquerschnitte  (Tunnel- 
typen)   in   ausreichendem    Umfang   festgesetzt, 


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Abb.  39S. 


gewesen,  die  nicht  vorgesehen 
waren,  allerdings  meist  infolge 
von  fehlerhaften  erstmaligen 
Ausbauten  und  der  hierdurch 
hervorgerufenen  größeren  Ge- 
birgsbewegungen. 

So  sind  z.  B.  Mauerstärken 
im  Firstgewölbe  erforderlich 
gewesen  in  den  Druckstrecken 
des  zweigleisigen  Gotthard- 
tunnels  \-b  m,  des  eingleisigen 
Simplontunnels  1'67  m,  des 
zweigleisigen  Roncotunnels  und 
des  zweigleisigen  Col  di  Tenda- 
Tunnels  2^0  m. 
Betoneisenausmauerungen  sind  bisher 
mit  Draht-  und  Flacheiseneinlagen  im  Tunnel- 


-y~^'^H^ 


406 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


bau  nur  im  bcscliränkten  Maße  ausgeführt. 
Ausbauten  mit  einbetonierten  Eisenfachwerks- 
rahmen  sind  verwendet  worden  z.  B.  im  Schön- 
huter  Tunnel  (Abb.  399)  und  im  Pragtunnei  bei 


Abb.  400a, 


Stuttgart  (Abb.  400),  auch  in  den  Druckstrecken 
des  Umgehungstunnels  bei  Elm  (Schlüchtern). 
Hierbei  wurden  die  Eisenfachwerkträger  in 
Abständen  von  1-5  m  angeordnet  und  mit 
Beton  umgeben. 


Eisenausbau.  Hierzu  wurden  anfänglich 
Rahmen  aus  Gußeisen  verwendet,  von  der 
Ansicht  ausgehend,  daß  Gußeisen  weniger  der 
Rostgefahr  ausgesetzt  ist  wie  Schweiß-  und 
Flußeisen.  Gegenwärtig  wird  Flußeisen  ge- 
braucht, weil  sich  hierbei  die  bei  Gußeisen 
vorgekommenen  Rissebildungen  vermeiden 
lassen.  Die  Rahmen  bestehen  aus  mehreren 
nicht  zu  langen  Teilstücken,  die  durch  Ver- 
schraubungen  oder  Vernietungen  verbunden 
werden,  wobei  die  Stoßfugen  durch  Weich- 
metalle oder  geteerte  Stoffe  gedichtet  werden. 
In  vielen  Fällen  hat  man  die  Eisenrahmen 
auch  mit  einer  nicht  tragfähigen  Betonschicht 
verkleidet,  um  sie  gegen  die  Einwirkungen 
der  Feuchtigkeit  und  Rauchgase  der  Loko- 
motiven zu  schützen. 

Tunnelentwässerung.  Bei  Wahl  der 
Tunnellinie  sucht  man  wasserführenden  Ge- 
birgsschichten  auszuweichen;  häufig  kennt 
man  aber  ihre  Lage  und  Ergiebigkeit  nicht; 
erst  während  des  Baues,  ausnahmsweise  auch 
erst  einige  Zeit  nach  Vollendung  des  Tunnels, 
tritt  das  Gebirgswasser  in  Erscheinung.  Be- 
sondere Entwässerungsanlagen  durch  Stollen 
über  und  neben  dem  zu  erbauenden  Tunnel 
erheischen  gewöhnlich  große  Kosten  und 
bieten  oft  wenig  Gewähr  einer  ausreichenden 
Entwässerung.  In  der  Regel  leitet  man  das 
angefahrene  Wasser  in  das  Innere  des  Tunnels 
und  führt  es  mittels  besonderer,  in  dessen 
Sohle  angeordneter  Kanäle  nach  außen  ab. 
Wasserläufe  an  der  Oberfläche  führen  bei 
genügender  Überlagerung  durch  feste,  risse- 
lose und  nicht  verworfene  Schichten  dem 
Tunnel  nur  wenig  oder  kein  Wasser  zu, 
andernfalls  kann  man  es  in  einigen  Fällen 
durch  Ableitung  oder  Herstellung  wasser- 
dichter Gerinne  an  der  Oberfläche  vom 
Tunnel  fernhalten. 

Bei  LJnterfahrung  wasserreicher  Bäche, 
von  Flüssen,  Seen  und  Meeresarmen  in 
wasserdurchlässigem  Gebirge  muß  durch 
Bauvorgang  und  dichte  Verkleidung  (Eisen- 
haut) der  Wasserzufluß  in  das  Tunnelinnere 
,  überhaupt  verhindert  werden.  Das  ist  auch 
in  Fällen  nötig,  in  welchen  eine  Entziehung 
des  Wassers  aus  der  Tunnelüberlagerung 
zur  Vermeidung  der  Trockenlegung  von 
f  Brunnen-,  Wald-  oder  Gartenanlagen  u.  s.  w. 
.;  oder  die  hierdurch  bedingte  Auswaschung 
von  weichen  und  löslichen  Teilen  des  Ge- 
birges, was  plötzliche  stärkere  Druckäuße- 
rungen zur  Folge  haben  kann,  nicht  zulässig 
ist;  denn  der  Tunnel  mit  innenliegender  Ent- 
wässerung wirkt  als  Saugrohr  (Drainrohr),  das 
der  Überlagerung  oft  auf  beträchtliche  Aus- 
dehnung das  Wasser  entzieht. 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


407 


Kanäle.    Die    zur    Abführung   des   in    das 
Tunnelinnere     geleiteten    Wassers    dienenden 
Kanäle  liegen  in  der  Tunnelsohle  entweder  in 
der  Bahnachse  oder  an  einem,  auch  an  beiden 
Widerlagern  (Abb.  391  -  395).  Im  wenig  breiten 
eingleisigen  Tunnel  ist  die  Lage  des  Kanals  an 
den  Widerlagern  wegen  leichterer  Zugänglich- 
keit    vorzuziehen.    Im     breiten    zweigleisigen 
Tunnel    ist    der    in    der    Bahnachse    zwischen 
den  Gleisen  liegende  Kanal,  namentlich  bei 
größerem    Qleisabstand    (3-7  -  4-0  in)    wohl 
erreichbar.  Die  Anordnung  von  2  Kanälen 
an  beiden  Widerlagern  (Abb.  400  a)  ist  im 
ein-    und    zweigleisigen   Tunnel   vorteilhaft, 
weil  das  Wasser  unmittelbar  in  die  Kanäle 
und  nicht  mehr  durch  die  Gleisbettung  fließt, 
die  ohnedies  mit  der  Zeit  die  Wasserdurch- 
lässigkeit verliert,  oder  es  können  die  nach 
dem  Kanal  führenden,  Mehrkosten  bedingenden, 
die    Gleisunterstopfung    teilweise    hindernden 
Querkanäle  vermieden  werden.  Die  Mehrkosten 
der  Doppelkanalanlage  werden  durch  deren  Vor- 
teile, namentlich  bei  Weglassung  von  Querkanä- 
len größtenteils  ausgeglichen.  Auch  falls  sich  der 
an  einem  Widerlager  bereits  ausgeführte  Kanal 
im  Verlauf  der  weiteren  Arbeit  infolge  größerer, 
nicht    vorhergesehener    Wasserzuflüsse    unzu- 
reichend  erweist,   wird    ein  zweiter   Kanal  am 
gegenüberliegenden  Widerlager  erforderlich.  In 
Strecken  mit  Sohlgewölben  bedingen  Doppel- 
kanäle allerdings  deren  tiefere  Lage. 

Zur  Abführung  größerer  Wassermengen  sind 
geschlossene,  gewölbte  oder  gemauerte,  in  Beton 
oder  Betoneisen  und  mit  Stein-  oder  Beton- 
platten  abgedeckte  Kanäle  erforderlich,  die  auch 
Sicherheit  gegen  Verstopfungen  bieten.  Die  ge- 
deckten Kanäle,  wobei  die  leicht  abnehmbaren 
Deckel  mit  freien  Stoßfugen  ohne  Mörtel  verlegt 
und    die  Seitenmauern  mit  Schlitzen  versehen 

werden  (s.  Abb. 


401),  so  daß  das 

Wasser  überall 
von  oben  in  den 
Kanal  gelangen 
kann,  sind  den 
gewölbten  Kanä- 
len vorzuziehen; 
denn  die  Ab- 
nehmbarkeit des 
Deckels  ermöglicht  die  Zugänglichkeit  an  be- 
liebiger Stelle.  Die  meist  rauhe  und  unregel- 
mäßig ausgebrochene  Tunnelsohle  ist  zweck- 
mäßig durch  Mörtel  abzugleichen  und  zu  glätten, 
damit  das  Wasser  dem  Tunnelkanal  möglichst 
rasch  zugeführt  wird. 

Die  nachteilige  Durchnässung  der  Bettung 
wird  bei  stärkerem  Wasserzudrang,  wenn  nicht 
Doppelkanäle  an  beiden  Widerlagern  ausgeführt 


werden,  durch  röhrenförmige  oder  gemauerte 
Querkanäle,  welche  tief  genug  liegen,  um  die 
Oberbauerhaltung  nicht  zu  erschweren,  ver- 
mieden (Abb.  402).  Die  Zugänglichkeit  und  Rein- 
haltung wird  auch  bei  gedeckten  Kanälen  durch 
Einsteigschächtein  Abständen  von  30  —  50/«, 
die  bis  auf  Schwellenoberkante  geführt  werden, 
erleichtert.  Wird  dasGebirgswasser  demTunnel- 
innern  zugeführt,  so  erfolgt  die  Abführung  ent- 


Abb.  402. 

weder  unmittelbar  über  dem  abgedichteten  Ge- 
wölberücken oder  oberhalb  einer  Obermaue- 
rung des  Gewölbes,  wodurch  dichter  Anschluß 
des  Mauerwerks  an  das  Gebirge  erreicht  wird. 

Bei  Abführung  des  Wassers  auf  der  äußeren 
Gewölbeleibung  wird  der  Raum  zwischen  dieser 
und  dem  Gebirge  mit  entsprechend  großen 
und  sehr  festen  Steinen  trocken  so  ausgepackt, 
daß  die  Wasserdurchlässigkeit  tunlichst  erhalten 
bleibt,  was  allerdings  nur  im  festeren  Gebirge 
ohne  Ablösungen  zu  erreichen  ist,  da  im  losen 
und  weichen  Gebirge  die  vom  Wasser  mit- 
geführten Teile  die  Steinpackung  bald  ver- 
schlammen. 

Das  dem  Gewölbekämpfer  zufließende  Wasser 
wird  in  den  meisten  Fällen  in  geneigten,  in 
der  Hintermauerung  der  Widerlager  hergestellten 
Rinnen  gesammelt,  aus  welchen  es  in  ver- 
schiedener Weise  der  Tunnelsohle  und  von  dort 
den  Entwässerungskanälen  zugeführt  wird. 

Bei  geringen  Wassermengen  und  im  festen 
Gebirge,  in  dem  nennenswerte  Ablösungen 
des  Gesteins  und  daher  Verstopfungen  nicht 
zu  befürchten  sind,  werden  in  den  Widerlagern, 
welche  in  allen  Fällen  an  das  Gebirge  anzu- 
mauern sind,  mit  Steinen  trocken  ausgepackte 
Sickerschlitze  belassen.  Bei  größeren  Wasser- 
mengen und  im  wenig  festen  und  losen  Gebirge 
sind  aber  geschlossene  gemauerte  Abfallschächte, 
auch  Ton-  oder  Eisenrohre  hinter  oder  in  den 
Widerlagern  zweckmäßiger,  weil  diese  weniger 
leicht  verstopft  oder  verschlämmt  werden  wie 
die  mit  Steinen  ausgepackten  Schlitze. 

Es  empfiehlt  sich,  diese  Schächte  stellenweise 
so  zugänglich  zu  machen,  daß  etwa  eintretende, 
hierbei  auch  nicht  ausgeschlossene  Verstopf  ungen 
unschwer  beseitigt  werden  können. 

Das  Wasser  wird  auch  vom  Gewölbe- 
kämpfer unmittelbar  durch  Schlitze  im  Mauer- 
werk in  das  Tunnelinnere  geführt.  Die  Abführung 


408 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


des  den  Widerlagern  unmittelbar  zufließenden  i 
Wassers  kann  durch  die  für  die  Ableitung  des 
Gewölbewassers   hinter   den  Widerlagern    be- 
lassenen,   mit    Steinen    ausgepackten    Schlitze 
erfolgen. 

Bei  satter  Anmauerung  des  Gewölbes 
an  das  Gebirge  oder  Ausfüllung  des  Raumes 
zwischen  dem  Gewölberücken  und  Gebirge 
mit  Mauerwerk  oder  Beton  können  geringe 
W'assermengen  zurückgehalten  werden. 

Bei  größeren  Wasserzuflüssen  ist  aber  die 
Aufstauung  des  Wassers  über  dem  Gewölbe 
und  die  hierdurch  bedingte  Steigerung  der 
Druckhöhe  zu  vermeiden,  da  Rissebildungen 
in  der  Hintermauerung  der  Gewölbe  häufig 
nicht  hintangehalten  werden  können.  Daher 
sind  in  der  Hintermauer  oder  zwischen  ihr 
und  dem  Gewölbe  Entwässerungsschlitze  oder 
Saugrohre  anzuordnen,  die  das  Wasser  sam- 
meln und  nach  den  Gewölbekämpfern  ab- 
führen. 

Die  völlige  Abhaltung  des  Wassers  vom 
Tunnelinnern  wird  bei  geringen  Zuflüssen 
durch  Anmauern  des  Gewölbes  an  das  Gebirge 
oder  durch  dessen  Hintermauerung  zu  er- 
reichen versucht,  was  aber  infolge  der  Gewölbe- 
bewegungen und  der  hierbei  möglichen  Risse- 
bildungen in  der  Hintermauerung  häufig  nicht 
gelingt 

Die  Ausfüllung  des  Raumes  zwischen  dem 
Gewölbe  und  dem  Gebirge  mit  Mauerwerk 
oder  Beton  ist  der  Trockenpackung,  deren 
gute  Herstellung  kaum  zu  erreichen  ist  und 
die  vielfach  doch  nach  einiger  Zeit  verschlämmt 
und  unwirksam  wird,  trotz  größerer  Kosten 
(Mehrkosten  nicht  unter  3  %  der  Tunnelkosten) 
vorzuziehen,  weil  durch  den  dichten  Anschluß 
des  Gewölbes  an  das  Gebirge  günstigere  sta- 
tische Verhältnisse  ermöglicht,  weitere  Ab- 
bröckelungen und  Auflockerungen  des  Gebirges 
sicherer  verhindert  und  außerdem  noch  besserer 
Schutz  des  Gewölbes  erreicht  werden  kann. 
Nur  in  stark  wasserführendem  Gebirge,  das 
in  der  Regel  ohnedies  fest  ist,  also  Ablösungen 
und  Auflockerungen  nicht  zu  befürchten  sind, 
auch  das  Mauerwerk  nur  geringe  Belastungen 
erfährt,  ist  die  Trockenpackung  der  Hinter- 
mauerung, welche  bei  Herstellung  gegen 
Durchwaschung  nicht  geschützt  werden  kann, 
vorzuziehen. 

Wasserdichte  Abdeckung  des  Mauer- 
werks ist  bei  Abführung  des  Wassers  un- 
mittelbar auf  dem  Gewölberücken  erforderlich. 
Auch  bei  Hintermauerung  des  Gewölbes,  also 
Ausfüllung  des  Raumes  zwischen  Gewölbe- 
rücken und  dem  Gebirge  mit  Mauerwerk 
oder  Beton  ist  unmittelbare  Abdichtung  des 
Gewölbes  zu    empfehlen,  da  die  Hintermaue- 


rung auch  bei  Verwendung  von  dichtenden 
Mörtelzusätzen  selten  dicht  ist  und  bei  den 
unvermeidlichen  Bewegungen  des  Tunnelmauer- 
werks leicht  Risse  bekommt,  durch  die  das 
Wasser  dem  Gewölberücken  zugeführt  wird, 
was  vermieden  werden  muß,  namentlich  wenn 
sauere,  den  Mörtel  schädigende  Gebirgswässer 
vorhanden  sind.  Zur  Ausführung  der  wasser- 
dichten Decke  muß  ein  Raum  von  0'4  —  0-6  m 
zwischen  dem  Gewölberücken  und  dem  Ge- 
birge freigehalten  werden. 

Zur  Abdichtung  sollen  wasserdichte,  dauer- 
hafte Stoffe  verwendet  werden,  die  gegen  Zer- 
störung durch  die  Gebirgswässer  und  Zerreißen 
bei  Bewegungen  des  A\auerwerks  sicher  sind. 

Man  verwendet  Eisenbleche,  Wellbleche,  Zink- 
und  Bleibleche,  Zement-  und  Betoneisenplatten, 
sodann  wasserdichte  Stoffe  verschiedener  Art. 
Von  den  Metallabdeckungen  sind  Bleiplatten, 
namentlich  die  mit  Asphaltfilzplatten  umhüllten 
(Siebeische  Asphaltfilzplatten)  mit  ausreichend 
dicken  oder  doppelten  Bleiblechen  die  dauer- 
haftesten und  zweckmäßigsten,  allerdings  auch 
die  kostspieligsten.  Zur  Abdeckung  mtt  wasser- 
dichten Stoffen  werden  zumeist  leichte, 
biegsame  und  dichte  Stoffe  verwendet,  wie 
z.  B.  Tektolith,  Pachytekt,  Ruberoid,  Asphaltfilz- 
platten von  Buscher  &  Hoffmann  u.  s.  w.  Bei 
größeren  Gewölbebewegungen  erleiden  die 
weniger  zugfesten  Stoffe  Risse,  namentlich  an 
den  Stoßstellen,  die  mit  besonderen  Klebmitteln 
geschlossen  werden.  Nach  mehreren  Jahren 
verlieren  sie  meist  die  Wasserdichtigkeit.  Asphalt- 
platten werden  leicht  brüchig.  Diese  Abdeckungen 
haben  sich  auch  mehrfach  nicht  bewährt, 
weshalb  man  den  kostspieligeren,  aber  dauer- 
haften Abdeckungen  mit  geschützten  Bleiplatten 
oder  den  Siebeischen  Asphaltfilzplatten'  mit 
Bleieinlagen  den  Vorzug  geben  soll. 

Die  wasserdichten  Abdeckungen  werden  in 
der  Regel  auf  dem  mit  Zementmörtel  oder 
einer  Ziegelflachschicht  geglätteten  Gewölbe- 
rücken verlegt.  Die  mit  5  —  \5cm  übergreifenden 
Fugen  werden  entweder  nicht  oder  mit  einem 
dem  Stoff  angepaßten  Klebmittel  geschlossen.  Die 
Decke  soll  dann  durch  eine  Zementmörtelschichte 
oder  durch  in  Mörtel  verlegte  Flachziegel  oder 
dünne  Steinplatten  gegen  Wunddrücken  und 
Aufreißen  durch  die  Steinhinterpackung  oder 
Hintermauerung  geschützt  werden.  Im  letzteren 
Fall  hat  man  auch  zwischen  Schutzdecke  und 
Hintermauerung  ein  Netz  von  Sickerungen 
angeordnet. 

Wasserdichte  Abdeckung  durch  nachträgliches 
Einpressen  von  Zementmörtel  unter  An- 
wendung höheren  Druckes  von  etwa  2  —  6  Atm. 
in  den  mit  Steinen  trocken  ausgepackten  Raum 
hinter  dem  fertigen  und  ausgerüsteten  Gewölbe, 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


409 


nachdem  Bewegungen  und  Sackungen  kaum 
mehr  vorkommen,  erscheint  nur  im  wenig 
drückenden  Gebirge  ohne  Ablösungen  zweck- 
mäßig, weil  hierbei  eine  Verunreinigung  des 
eingespritzten  Mörtels  nicht  zu  befürchten  ist. 
Im  Gewölbe  werden  während  des  Baues  die 
zur  Einspritzung  erforderlichen  Löcher  belassen. 
Die  Einspritzung  wird  an  den  Kämpfern 
begonnen  und  im  Scheitel  des  Gewölbes 
beendigt.  Die  Steinhinterpackung  wird  in 
Abständen  von  5~10//z  durch  kleine,  ans 
Gebirge  schließende  Quermauern  abgeschlossen, 
um  die  einzelnen  Zonen  unabhängig  von- 
einander zu  machen.  Diese  Dichtungsart  hat 
den  Vorteil,  daß  die  während  des  Baues  und 
nach  Ausrüstung  unvermeidlich  eintretenden 
Bewegungen  nicht  mehrzerstörendauf  diewasser- 
dichte  Gewölbeabdeckung  einwirken  können  und 


Abb.  403. 


.■\bb.   4U4. 

hierbei  auch  ein  dichter  Anschluß  des  Gewölbes 
an  das  Gebirge  erreicht  wird. 

Von  dieser  Abdichtungsweise  wird  auch  bei 
Wiederherstellung  alter  Tunnelgewölbe,  die 
namentlich  durch  die  Feuchtigkeit  gelitten 
haben,  mehrfach  Gebrauch  gemacht. 

Nischen  und   Kammern. 

Der  Tunnellichtraum  reicht  meist  nicht  aus 
zum  sicheren  Verkehr  zwischen  den  Eisenbahn- 
fahrzeugen und  den  Tunnelwandungen.  Es 
werden  daher  Nischen  in  Abständen  von  20  bis 
50  m  in  einem  oder  in  beiden  Widerlagern, 
im  letzteren  Fall  entweder  um  die  Hälfte  des 
Abstandes  gegeneinander  versetzt  oder  gegen- 
überliegend angeordnet.  Die  gegenüberliegenden 
Nischen  sind  aus  Sicherheitsgründen  namentlich 
im  zweigleisigen  Tunnel  den  versetzten  Nischen 
vorzuziehen. 

Die  Nischen  werden  nach  Abb.  403  u.  404 
angeordnet.  Es  empfiehlt  sich,  sie  so  erkenntlich 
zu  machen,  daß  sie  von   den  Tunnelarbeitern 


rasch  und  sicher  aufgefunden  werden.  Die 
Umrahmungen  erhalten  daher  häufig  weiße 
Anstriche. 

In  langen  Tunneln  sind  zur  Unterbringung 
von  Geräten  für  die  Bahnerhaitung  und  von 
Oberbauersatzstücken,  zum  zeitweiligen  Aufent- 
halt der  Wärter  und  zur  Einrichtung  von  Signal- 
stationen größere  Nischen,  Kammern  genannt, 
die  meist  mit  Verschlußeinrichtungen  versehen 
werden    (Abb.    405,    406,    407),    erforderlich. 

Meist  wurden  kleine  Kammern  von  etwa 
3"0  m   Tiefe    und    Breite    alle    Kilometer    und 


S  ^nv-^v.:^  ^^'^r  >^'.^f  äV' 


F  T'fe^l'^^3^^^ 


Abb.  405. 


Abb.  406. 


Abb.  407. 

große  Kammern  von  6 — 8/«  Tiefe  in  Abständen 
von   3  —  4  km  angeordnet. 

Tunnelmündungen. 

Nur  in  sehr  festem  Gebirge  münden  Tunnel 
unmittelbar  in  der  Felswand;  sofern  Gefahr 
von  Abbröckelungen  der  Gesteinswand  besteht, 
ist  eine  Verkleidung  der  Stirnwand  vorzusehen. 

Im  minder  festen  Gebirge  sind  zur  Aufnahme 
des  Erddrucks  Abstützungen  der  Stirnwände 
durch  Mauern  erforderlich,  auch  mit  geböschter 
Vorderfläche,  wobei  das  Tunnelrohr  auch 
senkrecht  zur  Vorderfläche  aufgebogen  wird 
(Abb.  408,  409,  410,  411). 

Die  Anschlüsse  der  Tunnelstirn  an  die  beider- 
seitigen Böschungen  des  Bahnvoreinschnitts  er- 
folgen entweder  durch  Böschungsflügelmauern 


410 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


(Abb.  412  u.  413),  die  zur  besseren  Stützung 
der  Stirnniauern  als  Strebepfeiler  ausgebildet 
werden  können,  oder  durch  Stirnflügel  bei  ge- 
neigter Geländeoberfläche  (Abb.  414). 


!^,«^-"<'«'^T^ 


Abb.  40S. 


Abb.  409. 


Abb.  410. 


Abb.  411. 


i'J^:33&'^te,'-"'''''-''''™S>'5*^~;*3 


Abb.  412. 


Zur  Aufnahme  und  Abführung  des  Wassers 
sind  über  der  Tunnelmündung  Gräben  erforder- 
lich, die  zur  Sicherung  der  Bahn  gegen  Erd-  und 
Steinfälle  auch  durch  Mauern  begrenzt  werden. 
Tunnel  werden  vielfach  zu  kurz  ausgeführt. 
Zur  Überführung  des  Wassers  aus  dem  Tunnel- 
kanal nach  den  beiderseitigen  Einschnittsgräben 


sind  Querkanäle  erforderlich,  die  bei  genügender 
Querschnittsgröße  senkrecht  zu  den  Oraben- 
richtungen  geführt  werden  können.  Tunnel- 
mündungen, die  an  Bahnhöfe  so  anschließen, 
daß  die  Endweichen  im  Tunnel  liegen, 
erhalten  behufs  besserer  Beleuchtung 
und  größerer  Weite  größere  Lichtquer- 
schnitte (Abb.  415",  416,  Gotthard- 
tunnel). 

Die  Bauweisen. 

Art,   Umfang   und  Reihenfolge  des 
Ausbruchs,  des  zeitweiligen  Ausbaues 
(Zimmerung)  und  des  dauernden  Aus- 
baues (Ausmauerung,  Eisenverkleidung 
des  Tunnels)  ändern  sich  mit  der  Quer- 
schnittgröße,   der    Beschaffenheit    des 
Gebirges,  der  Länge  und  dem  Zweck 
des  Tunnels  sowie  mit  der  zur  Ver- 
fügung stehenden  Bauzeit.  Tunnel  mit 
kleinen  Querschnitten  werden    in   der 
Regel  wie  Stollen  ausgebrochen,  wäh- 
rend bei  größeren  Tunneln  der  Aus- 
bruch in  Teilen  des  Querschnitts  er- 
folgt;   hierbei   wird,    abgesehen    vom 
Schildvortrieb,    der  Ausbruch    in  der 
Regel  mit  einem,  ausnahmsweise   mit 
2  Richtstollen    in    der  Sohle  oder 
in  der  First  des  Tunnels   begonnen, 
damit  das  Gebirge  aufgeschlossen  und 
für  die  weiteren  Arbeiten,  namentlich 
für  Zimmerung  und  Mauerung,  zweck- 
mäßige    Anordnungen     und     Stärke- 
bestimmungen getroffen,  eine  größere 
Zahl  von  Arbeits- 
angriffstellen ge- 
wonnen     sowie 
die       Entwässe- 
rung des  Gebir- 
ges    und    gesi- 
cherte Wasserab- 
führung erreicht, 
auch  Förderung, 
Richtungs-    und 
Höhenfeststel- 
lungen    erleich- 
tert werden. 

Der  Angriff 
der  Ausbruchar- 
beiten mit  dem 
S  0  h  1  s  t  0  1 1  e  n 
hat  die  Vorteile 
der  Vereinfachung  der  Förderung,  da  die  Förder- 
bahn während  des  Baues  nahezu  unverändert 
liegen  bleiben  kann.  Die  Vermehrung  der 
Arbeitsstellen  kann  so  häufig,  als  der  Arbeits- 
fortgang es  erheischt,  erfolgen.  Entwässerung 
und  Wasserabführung  sind  mit  geringster 
Störung  für  die  übrigen  Arbeiten  möglich. 


Abb.  413. 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


411 


Da  aber  die  Ausbrucharbeiten  zweckmäßig 
von  oben  begonnen  und  nach  unten  fortgesetzt 
werden,  so  werden  außer  dem  Sohlstollen 
noch  einFirststolien  (Abb. 4 17, 4 18, 4 19, 420) 
oder  ein  Firstschlitz  (Abb.  421,  422)  aus- 
geführt, was  immerhin  Mehrkosten  bedingt,  da 
der  Ausbruch  des  Firststollens  oder  auch  des 
Firstschlitzes  kostspieliger  ist  wie  der  des  VoH- 
ausbruchs. 

Man  kann  annehmen,  daß  die  Kosten  des 
Firststollens  im  festen  Gebirge  nahezu  das  3  fache 
und  des  Firstschlitzes  etwa  das  2  fache  der  des 
Vollausbruchs  betragen. 

Der  Firststollen  kann  entweder  unabhängig 
vom  Sohlstollen  vorgetrieben  werden  (Abb.  417, 
418),  was  bei  maschinellem  Vortrieb  des  Sohl- 
stollens dann  zweckmäßig  ist,  wenn  auch  der 
Firststollen,  gleichen  Schritt  mit  dem  Sohlstollen 
haltend,  maschinell  vorgetrieben  wird,  oder  der 
Firststollen  wird  vom  Sohlstollen  aus  auch 
noch  durch  Aufbrüche  (kleine 
Schächte)  erreicht  (Abb.  419, 
420),  was  eine  Vermehrung  der 
Angriffsstellen  des  Firststollens 
und  daher  rascheren  Arbeitsfort- 
gang ermöglicht.  Im  ersteren  Fall 
können  Aufbrüche  meist  ver- 
mieden werden;  die  Lüftung  des 
Firststollens  muß  unabhängig 
von  der  des  Sohlstollens  erfol- 
gen, im  letzteren  Fall  macht  die 
Lüftung  der  Firststollenteile,  die 
vom  Sohlstollenteil  aus  erfol- 
gen muß,  Schwierigkeiten.  Da- 
gegen ist  die  Lüftung  eines  First- 
schlitzes    wesentlich     einfacher. 

Wird  der 
Ausbruch  mit 
dem  First- 
stollen als 
Richtstollen  be- 
gonnen, so  ist 
ein  zweiter 
Stollen  nichter- 
forderlich; der 
Ausbruch     er- 

Abb.  415. 


folgt  von  oben  in  der  Reihenfolge  1  -  4  u.  s.  w. 
(Abb.  423).  Förderbahn,  Entwässerungsgräben 
müssen  aber  nach  Maßgabe  des  Fortgangs  von 
3  und  4  von  oben  nach  unten  verlegt  werden. 
Die  Verbindung  der  beiden  Förderbahnen  im 
oberen  und  unteren  Teil  des  Tunnels  erfolgt 
durch  Rampen,  die  nach  Maßgabe  des  Arbeits- 
fortgangs verlegt  werden  müssen,  oder  die 
Fördermassen  werden  aus  den  Wagen  des  oberen 
Tunnelteils  durch  Trichter  oder  über  Rutschen 
in  die  Wagen  der  Sohle  umgeleert.  Die  im 
Firststollen  erforderlichen  Baustoffe  werden  auf 
den  genannten  Rampen  oder  durch  Aufzüge 
gefördert.  Die  Förderung  der  Ausbruchmassen 


Abb.  414. 


Abb.  416. 


Abb.  417. 


Abb.  418. 


Abb.  4 IQ. 


Abb.  420. 


412 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


aus  dem  Firststollen  ist  also  eine  umständ- 
liche. Eine  Vermehrung  der  Arbeitsstellen  im 
Tunnel  bei  weit  vorgeschrittenem  Firststollen 
ist  nur  durch  Absenkungen  (Abb.  423,  424), 
möglich,  die  aber  eine  wesentliche  Erschwe- 
rung und  Verteuerung  der  Förderung  und 
der  Entwässerung  bedingen.  Diese  Übelstände 
wachsen    mit   der    Länge   des   Tunnels. 


SohlsWlen 


W^^^S^^m^^f^^fW^W 


Abb.  421. 


Abb.  422. 


Abb.  423. 


Abb.  424. 


Abb.  425. 

Die  Vorteile  des  Sohlstollenbetriebs  über- 
wiegen dessen  Nachteile,  so  daß,  von  sehr  kurzen 
Tunneln  abgesehen,  der  Sohlstollenbetrieb  dem 
Firststollenbetrieb  vorzuziehen  ist. 

Im  Sohlstollenbetrieb  ermöglichen  die  Auf- 
brüche eine  größere  Zahl  von  Arbeitsangriff- 
stellen nicht  nur  für  den  Firststollen,  sondern 
auch  für  alle  anderen  Tunnelarbeiten,  so  daß 
jeder  Aufbruch  zur  Tunnelbaustelle  werden 
kann.  Form  und  Querschnittsgrößen  der  Auf- 
brüche sind  so  zu  bemessen,  daß  ein  leichter 
Verkehr  der  Arbeiter  sowie  die  Aufbringung  von 


Baustoffen  möglich  ist  (Abb.  425,  426).  Für 
das  Aufbringen  längerer  Hölzer  sind  schräge 
Aufbrüche  erforderlich.  Der  Abstand  der 
Aufbrüche  a  zur  Erreichung  des  Firststollens 
(Abb.  427)  ist  vom  erforderlichen  Arbeits- 
fortgang, vom  Stand  des  Richtstollens  und  der 
Größe  des  Oebirgsausbruchs  abhängig  und 
bewegt  sich  von  60  —  1 50  m  auch  darüber. 
Nach  Herstellung  des  First- 
stollens können  für  Vollausbruch 
und  Mauerung  noch  Zwischen- 
aufbrüche im  Abstand  von  4-8 
Zonenlängen  angeordnet  werden. 
Die  Ausbruchmassen  aus  dem 
Firststollen  und  dessen  Erweite- 
rungen werden  in  der  Regel  nicht 
auf  besonderer  Bahn  gefördert, 
sondern  meist,  um  die  Förder- 
wege kurz  zu  halten,  durch 
1  —  rS/reweite,  nach  Erfordernis 
auch  ausgezimmerte,  im  Abstand 
von  etwa  5  —  30  /n  angeordnete 
Schutt löcher  5  (Abb.  427) 
und  nicht  durch  die  Aufbrüche /l 
in  die  im  Sohlstollen  bereitstehen- 
den Förderwagen  geschüttet. 

Der  Vorgang  mit  2  Sohlstollen, 
Ort  Stollen  genannt,  kommt 
hauptsächlich  für  die  Kernbau- 
weise in  Betracht. 

Parallelstollen  werden 
außerhalb  des  Tunnelquerschnitts 
zu  dem  Zweck  vorgetrieben,  um 
Lüftung,  Förderung  und  Wasser- 
abführung im  Tunnel  zu  erleich- 
tern, auch  Angriffstellen  für  den 
Bau  vermehren  zu  können., 

Im  ersten  Fall  wurde  beim  Bau  des 
19.825/?;  langen  Simplontunnels 
nach  Abb.  428  im  Abstand  von  17  m 
von  der  Achse  des  eingleisigen 
Tunnels  ein  etwa  S'O  m-  großer 
Parallelstollen  (Hilfsstollen),  der  im 
ungünstigen  Gebirge  ausgemauert 
werden  mußte,  hauptsächlich  zum 
Zweck  der  Lüftung  des  Tunnels,  für 
Abb.  426.  den  eine  Größtwärme  von  50°  C  er- 

wartet wurde  und  wofür  bei  geringer 
Luftpressung  große  Leitungsquerschnitte  erforderlich 
geworden  wären,  die  im  Richtstollen  und  selbst  im 
eingleisigen,  im  Bau  begriffenen  Tunnel  keinen  Platz 
finden  konnten,  dann  aber  auch  zur  Entlastung  der 
Förderung  und  Wasserabführung  im  Tunnel  ange- 
ordnet. Dieser  Hilfsstollen  wurde  nach  Maßgabe  des 
Fortgangs  des  Richtstollens  in  Abständen  von  etwa 
200  m  durch  Querstollen  mit  diesem  verbunden.  Der 
Hilfsstollen  wird  nun  zum  zweiten  eingleisigen  Tunnel 
ausgebaut,  da  sich  das  Bedürfnis  der  zweigleisigen 
Anlage  geltend  machte. 

Diese  Vorteile  des  Parallelstollens  für  den 
Bau  eines  sehr  langen,  warmen,  zumal  ein- 
gleisigen Tunnels  sind  unverkennbar. 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


413 


Als  Nutzen  des  Parallelstollens  wird  weiter 
hervorgehoben,  daß  er  auch  für  den  Bau  des 
zweiten  eingleisigen  Tunnels  verwertet  werden 
kann.  Da  sich  das  Bedürfnis  der  zweigleisigen 
Anlage  im  Simplon  sehr  bald  nach  Fertigstellung 
des  ersten  Tunnels  geltend  machte,  so  kann 
von  Ersparnissen,  die  durch  Vermeidung  von 
Zinsverlusten,  welche  durch  die  sofortige 
Anlage  eines  zweigleisigen  Tunnels  gegen- 
über dem  eingleisigen  entstanden  wären, 
im    vorliegenden    Fall    keine    Rede    sein 

Zudem  kosten  unter  sonst  gleichen  Ver- 
hältnissen 2  eingleisige  Tunnel  15  —  20% 
mehr  wie  ein  zweigleisiger;  auch  ist  im  ein- 
gleisigen langen  Tunnel  der  Luftwiderstand 
schon  beträchtlich,  die  Aufsicht  und  Ober- 
bauerhaltungwird  in  2  eingleisigen  Tunneln 
kostspieliger  wie  im  zweigleisigen.  Aller- 
dings werden  größere  Umbauten  in  den 
beiden  eingleisigen  Tunneln  insofern  leichter 
und  sicherer  zu  bewerkstelligen  sein  wie  im 
zweigleisigen  Tunnel,  als  der  eine  Tunnel 
zeitweise  außer  Betrieb  gesetzt  werden  kann 
und  die  Wahrscheinlichkeit  nicht  besteht, 
daß  beide  Tunnel  plötzlich  gleichzeitig  Um- 
bauten bedürften. 

Die  Frage,  ob  der  Tunnel  von  vorn- 
herein zweigleisig  gebaut  werden  soll,  ist 
daher  nicht  in  unmittelbarer  Verbindung 
mit  der   des  Hilfsstollens    zu  entscheiden. 

Die  Vorteile  eines  Hilfsstollens  für  ge- 
wisse,    namentlich     zweigleisige    Tunnel- 
bauten   haben    zu    den   von   Weber    und 
Hennings  ausgehenden  Vorschlägen  eines 
Unterstollens  geführt.  Hiernach  soll  vor       / 
dem  üblichen  Richtstollen  ein  Unterstollen       i 
(Abb.  429,  430)  vorgetrieben  werden,  der       1 
zur  Lüftung,  Wasserabführung,   teilweisen        i 
Förderung    und    Unterbringung    der    er- 
forderlichen    Röhren-     und     elektrischen 
Leitungen   dienen    und   dauernd   bestehen 
bleiben,  daher  voll  ausgemauert  werden  soll. 

Der  sonstige  Richtstollen  wird  dann  ent- 
weder schlitzartig  oder  mittels  Aufbrüche 
vom   Unterstollen  aus  vorgetrieben. 

Vorteile  dieser  Bauweise  sind  die  Vermeidung 
eines  Parallelstollens  in  größerer  Entfernung  mit 
langen  Querstollen,  die  gründliche,  immer  leicht 
zugängliche  und  wirksam  zu  erhaltende  Wasser- 
abführung, die  geschützte,  unmittelbar  unter  der 
Tunnelsohle  mögliche  Lagerung  aller  für  den  Bau 
und  den  Bahnbetrieb  erforderlichen  Leitungen,  die 
ungehinderte  Bewegung  der  Arbeiter  während  des 
Baues  und  Betriebs,  schließlich  bis  zu  einem  gewissen 
Grad  die  durch  den  ausgemauerten  Unterstollen  ge- 
schaffene Stütze  für  die  darauf  ruhende  Tunnel- 
zimmerung. 

Infolge  der  geringen  Masse  und  der  knapp  über 
dem  Stollen  eintretenden  stoßweisen  Eisenbahn- 
belastung ist  eine  besonders  kräftige,  tunlichst  auch 
zugfeste  Ausmauerung  {Betoneisen)  sowie  während 


des  Betriebs  eine  gute  Überwachung  des  Unterstollens 
erforderlich.  Sohlgewölbe  des  Tunnels  sollen  bis 
unter  die  Sohle  des  Unterstollens  reichen. 

Als  Nachteile  dieser  Bauweise  sind  hervorzuheben 
die  Verlängerung  der  Bauzeit,  namentlich  bei  schlitz- 
artiger Herstellung;  des  Sohlstollens,  die  Vergrößerung 
der  Höhe  und  Fläche  des  gesamten  Baues,  was  im 
Druckgebirge  ungünstig  is't,  die  Abhängigkeit  des 
Unterstollens  von  den  Oebirgsbewegungen  im  Tunnel 
und    bis  zu  einem  gewissen  Grad   die   ungünstige 


I    — ^  -? 

ffW 


Abb.  427. 


ParallelsMlen 


Abb.  428. 


-J--. 


I 


Abb.  429. 


Abb.  430. 


Belastung  des  Unterstollens  durch  den  Tunnel  und 
den  Eisenbahnbetrieb.  Praktische  Erfahrungen  mit 
dieser  Bauweise  liegen  nicht  vor. 

Der  Vollausbruch  umfaßt  alle  übrigen, 
nicht  zu  den  Stollen  gehörigen,  meist  in  einzelnen 
Teilstücken  auszuführenden  Ausbrucharbeiten, 
deren  Größe  und  Anordnung  von  der  Qebirgs- 
beschaffenheit  und  der  gewählten  Bauweise 
abhängig  ist. 

Im  festen  Gebirge  kommt  Hand-  und 
Maschinenbohrarbeit  zur  Anwendung,  und  da 
meist  eine  größere  Zahl  von  Arbeitsangriff- 
stellen zur  Verfügung  steht,  so  sind  auch  mit 


414 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


Handbohrung   ausreichende  Arbeitsfortschritte  j 
zu  erreichen.  Sind  für  den  Richtstollenvortrieb  ! 
Preßluftanlagen    erforderlich,    so    können    sie 
zweckmäßig  so  erweitert  werden,  daß  der  Voll-  I 
ausbrach    mit    Preßluftbohrhämmern    erfolgen 
kann. 

Auch  Preßluft-Stoßbohrmaschinen  auf  Ge- 
stellen oder  Bohrwagen  sind  in  mehreren  Fällen 
und  Drehbohrmaschinen  Brandt  vereinzelt  im 
Vollausbruch  zur  Verwendung  gelangt. 

Im  Druckgebirge  sind  kurze  Zonen  anzu- 
ordnen und  dem  Vollausbruch  sowie  der 
Zimmerung  die  Ausmauerung  tunlichst  un- 
mittelbar folgen  zu  lassen.  Die  Bauweise  ist 
die  beste,  bei  der  die  Ausmauerung  unmittelbar 
dem  Ausbruch  und  der  Zimmerung  folgt. 


Die  Abstützung  im  wenig  festen  oder  ge- 
brächen Gebirge  geschieht  durch  Querträger- 
zimmerung mit  Längsverpfählung;  vielfach  mit 
eisernen  Querträgern,  die  wie  im  Stollenbau 
mehrteilig  angeordnet  werden. 

Zweite  Bauweise. 

Der  Ausbruch  wird  mit  dem  First-  oder  mit 
dem  Sohlstollen  begonnen.  Im  ersten  Fall  wird 
(nach  Abb.  431  u.  432)  der  Firststollen/  er- 
weitert und  erhöht,  2-4,  oder  vertieft,  2-5, 
bis  auf  Kämpferhöhe  des  Firstgewölbes  (Bogen- 
ort).  Im  zweiten  Fall  (Abb.  433  u.  434)  wird 
der  Firststollen  2  vom  Sohlstollen  /,  wenn 
erforderlich,  durch  Aufbrüche  erreicht.  Der 
weitere  Ausbruch  erfolgt   in  der  angegebenen 


m^m^^M^^W^^ 


Abb.  431. 


Abb.  432. 


Abb.  433. 

Der  Bauvorgang  ist  so  zu  wählen,  daß  den 
vorliegenden  Verhältnissen  entsprechend  die 
Zeit  vom  Stollendurchschlag  bis  zur  Tunnel- 
vollendung möglichst  kurz  ausfällt. 

Auf  Grund  vorliegender  Erfahrungen  kann 
zumeist  das  Zeitmaß  vom  Sohlstollendurchschlag 
bis  zur  Tunnelvollendung  mit  6- 12  Monaten 
angenommen  werden.  Beim  Firststollenbetrieb 
ist  in  der  Regel  dieses  Maß  größer. 

Erste  Bauweise. 

Tunnel  mit  kleinen  Abmessungen  für  Schmal- 
spurbahnen, auch  für  Ent-  und  Bewässerungs- 
anlagen werden  bei  geringer  Länge  und  nament- 
lich im  festen  Gebirge  so  wie  die  Stollen  in 
einem  oder  2  Teilen  ohne  Vortrieb  eines  Richt- 
stollens ausgebrochen  und  wenn  erforderlich 
ausgemauert.  Die  Ausmauerung  wird  entweder 
mit  dem  Sohlgewölbe  oder  mit  den  Wider- 
lagern begonnen.  Ein  etwa  erforderliches  Sohl- 
gewölbe wird  dann  zum  Schluß  eingebaut. 


Abb.  434. 

Reihenfolge  bis  auf  Kämpferhöhe.  Hiernach  wird 
das  Firstgewölbe  hergestellt,  dessen  Kämpfer  vor- 
erst auf  dem  Gebirge  ruhen.  Der  Ausbruch  der 
übrigen  Teile  des  Querschnitts  erfolgt  in  der 
in  den  .\bbildungen  mit  Ziffern  angegebenen 
Reihenfolge,  wonach  zuerst  der  eine,  dann  der 
andere  Kämpfer  durch  Holzständer  abgestützt 
und  durch  das  Widerlager  unterfangen  wird. 
Dieser  Vorgang  ist  das  Bezeichnende  der  Bau- 
weise, die  daher  als  Unterfangungsbau  weise 
bezeichnet  werden  kann  und,  da  sie  zuerst  in 
Belgien  gebraucht  wurde,  auch  „belgische 
Bauweise"  genannt  wird. 

Der  Ausbruch  des  unterhalb  der  Gewölbe- 
kämpfer liegenden  Tunnelquerschnitts  kann  auch 
nach  Abb.  435  so  erfolgen,  daß  Schächte  oder 
Schlitze  6  und  S  hergestellt  werden  und  ein 
Gebirgskern  10  bis  zur  Fertigstellung  der  beider- 
seitigen Widerlager  verbleibt  —  ein  nur  aus- 
nahmsweise eingehaltener  Vorgang  (s.  Kern- 
bauweise). 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


415 


416 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


Die  Zimmerling  des  Bogenorts  beschränkt 
sich  im  festen  Gebirge  auf  Abstützung  einzelner 
Punkte.  Im  weniger  festen  und  gebrächen  Ge- 
birge ist  die  Längsträgerzimmerung  (Abb.  436, 
437,  438)  zweckmäßig.  Gegebenenfalls  ist  auch 
die  Anordnung  kräftiger  Sohlschwellen  nötig. 
Im  druckhaften  Gebirge  soll  die  Unterfangungs- 
bauweise  überhaupt  nicht  mehr  angewendet 
werden. 

Die  Zimmerung  des  Bogenorts  wird  entweder 
zonenweise  (Zonenlänge  b  —  Sm)  oder  durch- 
laufend ausgeführt.  Der  Abstand  der  Gespärre 
hängt  von  den  Gebirgsverhältnissen  ab  und 
bewegt  sich  von  1  —  2'5  m.  Zwischen  den  Ge- 
spärren muß  ausreichender  Platz  für  die  zur 
Qewölbemauerung  erforderlichen  Lehrbogen 
(Holz,  Eisen)  verbleiben.  Die  Stärke  der  Rund- 
holzlängsträger und  -Ständer  beträgt  20  —  35  cm, 
der  Abstand  der  Längsträger  O^S  -  2*0  m. 

Es  ist  Vorsorge  zu  treffen,  daß  für  die  Auf- 
mauerung der  höher  liegenden  Gewölbeteile  Fuß- 
gerüste eingebaut  oder  aufgestellt  werden  können. 
Die  Aussteifungen  der  Holzlehrbogen  können 
bei  guter  Unterstützung  teilweise  hierzu  dienen. 

Beim  Firststollenbetrieb  sind  die  Fußgerüste 
der  Förderung  und  dem  .Arbeiterverkehr  viel- 
fach recht  hinderlich. 

Da  die  Gevsölbekämpfer  auf  das  Gebirge 
gesetzt  werden,  so  ist  behufs  Abminderung  des 
Einheitsdrucks  ihre  Verbreiterung  zu  empfehlen. 
Auch  ist  ihre  Unterstützung  durch  biegungs- 
feste, auf  größere  Längen  durchlaufende  Holz- 
balken oder  Betoneisenbalken  notwendig,  um 
die  Abstützung  durch  Holzständer  ohne  Gefahr 
für  den  Bestand  des  Gewölbes  bei  der  Unter- 
fangungsarbeit  zu  ermöglichen. 

Die  Holzbalken  müssen  durch  Mauerwerk 
ersetzt,  daher  vor  Anschluß  der  Widerlager  an 
das  Gewölbe  entfernt  werden,  was  meist  recht 
schwierig  ist,  namentlich  wenn  sie  auf  volle 
Gewölbetiefe  verlegt  sind;  daher  werden  die 
hinteren  Holzbalken  besser  fortgelassen.  Die 
Betoneisenbalken  (aus  I-Eisen  oder  .Mtschienen) 
können  im  Gewölbe  auf  dessen  voller  Tiefe 
verbleiben,  das  ist  ein  Vorteil,  sie  sollen  nicht  zu 
große  Längen  (4  —  6  /«)  erhalten ;  es  besteht 
aber  Gefahr,  daß  die  Vorderkanten  brechen, 
die  Balken  Risse  bekommen  und  die  Eisen- 
einlagen dem  Rosten  ausgesetzt  werden. 

Die  Gewölbekämpfer  werden  bei  Ausbruch 
für  die  Widerlager  durch  Holzständer  von 
25  —  40  cm  Stärke  in  Abständen  von  \  —2  m 
unterstützt  (.Abb.  43Q  u.  440),  die  auch  gegen 
Aufspalten  des  Kopfes  durch  Eisenringe  ge- 
schützt werden.  Über  4-5  m  Gewölbelänge 
soll  die  Unterfangung  nicht  erfolgen.  Die  Ver- 
schiebung der  Gewölbefüße  nach  innen  wird 
durch  Querriegel  verhindert. 


Zur  Verhinderung  von  Formänderungen 
während  der  Unterfangungsarbeiten  sind  die 
Gewölbe  unter  Umständen  einzurüsten.  Im 
gebrächen  Gebirge  ist  auch  der  Sohlschlitz 
wie  auch  der  Ausbruch  für  die  Widerlager 
abzustützen  oder  schachtartig  zu  zimmern 
(Abb.  441). 

Im  Druckgebirge  wird  nach  Herstellung  des 
Gewölbes  häufig  nicht  erst  der  Sohlschlitz  aus- 
geführt, sondern  es  werden  vorerst  die  Wider- 
lager in  einzelnen  Schächten  aufgemauert  und 
der  Kern  zum  Schluß  beseitigt.  In  der  Druck- 
strecke des  Gotthardtunnels  hat  man  nach 
Fertigstellung  und  Einrüstung  des  Gewölbes 
Schächte  abgeteuft,  hierauf  den  mittleren  Teil 
des  Sohlgewölbes  und  schließlich  die  Wider- 
lager gemauert.  In  allen  Fällen  sollen  die  beiden 
gegenüberliegenden  Widerlager  nicht  gleich- 
zeitig ausgebrochen  und  aufgemauert  werden, 
damit  nicht  beide,  sondern  nur  ein  Kämpfer 
des  Gewölbes  auf  den  Holzständern  ruht,  und 
die  Mauerung  tunlichst  beschleunigt  werden, 
um  zu  lang  dauernde  Belastungen  der  Ständer 
zu  vermeiden. 

In  Abb.  442  ist  der  Bauvorgang  im  eingleisigen 
3408  m  langen  Crenolinotunnei  (Südseite),  welcher 
Mergel,  Konglomerate  und  größtenteils  Serpentin 
durchfährt,  dargestellt.  Der  Ausbruch  begann  mit 
den  Firststollen  als  Richtstollen. 

Die  Vorteile  der  Unterfangungsbauweise 
bestehen  in  der  einfachen  Zimmerung,  die  nur 
kurze  Zeit  durch  das  Gebirge  belastet  wird,  in 
der  raschen  Sicherung  der  Tunneldecke  durch 
das  Gewölbe,  so  daß  die  weiteren  Ausbruch- 
und  Mauerungsarbeiten  unter  dem  Schutz  der 
Gewölbedecke,  die  nicht  mehr  den  ungünstigen 
Zufälligkeiten  wie  die  Holzzimmerung  ausgesetzt 
ist,  vorgenommen  werden  können. 

Als  Nachteile  sind  hervorzuheben,  daß  die 
Gewölbekämpfer  meist  ohne  eine  der  Belastung 
und  der  Gebirgsbeschaffenheit  entsprechende 
Auflagerfläche  auf  das  Gebirge  gesetzt  und  an 
der  Vorderkante  durch  die  Ständer  gestützt 
werden,  so  daß  die  Belastung  an  dieser  Stelle 
konzentriert  ist;  eine  Bewegung  der  Ständer 
bis  zur  Erreichung  dichter  Anschlüsse  ist  hierbei 
nicht  zu  vermeiden,  ebensowenig  wie  die  Ver- 
schiebung der  Kämpfer  nach  innen,  was  auch 
durch  Querverspannungen  nicht  ganz  ver- 
hindert werden  kann.  Die  Widerlager  können 
infolge  unvermeidlicher  Sackungen  und  der 
Ausführungsschwierigkeiten  den  dichten  An- 
schluß, der  zur  Vermeidung  von  Gewölbe- 
senkungen erforderlich  ist,  nicht  ermöglichen. 

Aus  diesen  Gründen  treten  meist  ungleich- 
mäßige Bewegungen  der  Gewölbe  nach  abwärts 
und  deren  Kämpfer  nach  innen  ein,  so  daß 
im  Gewölberücken,  in  dessen  Hintermauerung 
oder  wasserdichter  Abdeckung  Risse  entstehen, 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


417 


deren  Folgen  erst  längere  Zeit  nach  der  Tunnel- 
vollendung in  Erscheinung  treten  und  dann 
namentlich  im  wasserführenden  Gebirge  zu 
größeren  Ausbesserungen  und  Umbauten  nö- 
tigen. 

Im  festen  Gebirge,  das  gesprengt  werden 
muß,  wird  das  fertige  Gewölbe  durch  die  im 
unteren  Tunnelteil  erforderlichen  Sprengarbeiten 
vielfach  beschädigt. 

Im  Druckgebirge  müssen  die  Absenkungen 
für  die  Widerlager  schachtartig  erfolgen,  wobei 
für  die  Gewölbe  noch  größere  Gefahr  von 
Bewegungen  besteht;  in  diesem  Fall  zeigen 
sich  auch  beträchtliche  Formänderungen  und 
Risse  oft  schon  während  der  Ausführung,  so 
daß  schwierige  und  kostspielige  Umbauten 
sofort  notwendig  werden. 

Die  Unterfangungsbauweise  soll  daher  im 
Druckgebirge  und  im  sehr  festen  Gebirge  von 
vornherein  ausgeschlossen  sein,  im  weniger 
festen,  gebrächen  und  nicht  wasserführenden 
Gebirge  ausnahmsweise  für  eingleisige  Tunnel 
zugelassen  werden. 

Dritte  Bauweise. 

Die  Teilung  des  Querschnitts  und  die  Aus- 
mauerung erfolgen  in  der  aus  Abb.  443  —  446 
ersichtlichen  Reihenfolge. 

Der  Ausbruch  wird  zumeist  mit  dem  Sohl- 
stollen /  begonnen,  dem  Firststollen  2  und 
die  übrigen  Ausbruchsarbeiten  3  —  9,  Vollaus- 
bruch genannt,  folgen;  ausnahmsweise  folgt  dem 
Sohlstollen  sofort  der  Vollausbruch  (Abb.  446). 
Auch  wurde  der  Firststollen  nur  auf  Zonen- 
länge Z  ausgebrochen,  in  wenigen  Fällen  auch 
der  Sohlstollen  nicht  über  die  in  Ausführung 
begriffene  Zone  verlängert,  was  eine  Vermehrung 
der  Angriffstellen  ausschließt  und  daher  un- 
genügenden Arbeitsfortschritt  sowie  unwirt- 
schaftliche Verteilung  der  Arbeitskräfte  zur 
Folge  hat. 

Vollausbruch,  Zimmerung  und  Mauerung 
bleiben  auf  Zonenlänge  Z  beschränkt.  Erst  nach 
Vollendung  der  Ausmauerung  einer  Zone  wird 
mit  dem  Ausbruch  der  Nachbarzone  begonnen. 

Der  zonenweise  Vorgang  ist  im  drückenden 
Gebirge  zweckmäßig,  da  eine  Freilegung  des 
vollen  Ausbruchs  auf  kurze  Strecken  erfolgt, 
die  Zimmerung  nur  kurze  Zeit  bestehen  bleibt 
und  jede  Zone  zu  beiden  Seiten  Stützen  gegen 
Längsbewegungen  findet;  hat  aber  die  Nach- 
teile, daß  an  vielen  Stellen  schwierige  Schlüsse 
und  Scheitelabdeckungen  der  Firstgewölbe  beim 
Anschluß  von  Zwischenzonen  an  fertige  Zonen 
erforderlich  sind  und  die  Arbeiten  kostspieliger 
werden  wie  bei  durchlaufendem  Ausbruch  und 
Mauerung  einer  größeren  Zahl  nebeneinander 
hegender  Zonen. 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  I.X. 


Der  zeitweilige  Ausbau  erfolgt  mittels  Längs- 
trägerzimmerung (Abb.  447,  448),  wobei  die 
Längsträger  nur  an  den  beiden  Enden,  nicht 
aber  dazwischen  gestützt  werden.  Die  End- 
stützen werden  entweder  durch  das  fertige  Ge- 
wölbe einerseits  und  ein 
Gespärre  mit  2  Brust- 
schwellen anderseits 
oder  in  der  Aufbruch- 
zone durch  2  Gespärre 
gebildet. 

Da  die  Längsträger 
ohne  Zwischenstützen 
bleiben,  so  erhalten  sie 
großeAbmessungen  und 
die  einzelnen  Zonen  nur 
kurze  Längen  von  3  bis 
6  m;  die  Mauerung  kann 
allerdings  auch  mit  dem 
Sohlgewölbe  beginnen, 
was  oft  vorteilhaft  ist; 
sie  wird  dann  unter  dem 
Schutz  der  Längsträger 
mit  den  Widerlagern 
fortgesetzt  und  mit  dem 
Firstgewölbe  geschlos- 
sen. Die  Längsträger  in 
der  Nähe  des  Scheitels, 
Kronbalken  genannt, 
welche  in  der  Regel  die 
größte  Belastung  aufzu- 
nehmen haben,  werden 
nach  Fertigstellung  des 
Firstgewölbes  in  den 
vorgetriebenen  und  ent- 
sprechend erweiterten 
Firststollen  vorgezogen, 
um  in  der  folgenden 
Zone  Verwendung  zu 
finden. 

Zur  Entlastung  der 
Gewölbestirn  werden 
zweckmäßig  die  obersten 
Kronbalken  anschlie- 
ßend an  der  Auflager- 
stelle, also  an  der  Stirn 
der  fertiggestellten  Zone 
durch  einen  Holzbock 
(Querträger  und  Lang- 
ständer) unterfangen, 
hierdurch  die  Übel- 
stände der  ungünstigen  Gewölbebelastung 
durch  die  Längsträger  abgemindert. 

Zur  Erleichterung  des  Vorziehens,  das  infolge 
größerer  Reibungswiderstände  immer  schwierig 
ist,  werden  zwischen  den  einzelnen  Kronbalken 
vom  Gewölberücken  nach  dem  Gebirge  bzw. 
der   hinter   der  Mauerung  verbleibenden  Ver- 

27 


418 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


pfählung   Stützpfeiler    aufgemaiiert.    Der    von 
den    Kronbalken    eingenommene    Raum    wird 


Bei  sehr  großem  Druck  kann  das  Vorziehen 
der  Kronbalken  auch  wohl  nicht  möglich  sein; 


Abb.  447. 


Abb.  448. 


Abb.  450. 


<».rf.^t^s»iy!'^»^y',m>^N»attejtaf^^ 


^ 


■^^^'i^zmrmn^^Urißhw'x^mmw^mitimA 


5E«'!SipF 


2 


3 


Abb.  451. 


dann  mit  Steinen  trocken  ausgepackt,  was  bei 
größeren  Zonenlängen  von  3-6  m  meist  nur 
unzureichend   möglich   ist. 


Abb.  452. 

sie  müssen  in  diesem  Fall  hinter  dem  Mauer- 
werk verbleiben,  was  nach  deren  Verfaulen  zu 
Gebirgsbewegungen  Veranlassung  geben  kann. 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


419 


Dieser  Vorgang  ist  unter  der  Bezeichnung 
„Englische  Bauweise"  bekannt.  Diese  Bau- 
weise wird  in  dieser  Form  wenig  mehr  ver- 
wendet; ihre  Vorteile  sind  aber  auf  andere 
Bauweisen  übernommen  worden. 

Vierte  Bauweise. 

Ist  aus  Bauweise  3  hervorgegangen.  Die  Tei- 
lung des  Querschnitts,  die  Reihenfolge  des  Aus- 
bruchs und  der  Mauerung  zeigen  Abb.  449, 
450.  Ausbruch,  Zimmerung  und  Mauerung 
bleiben  wie  bei  der  dritten  Bauweise  auf 
Zonenlänge  beschränkt,  während  Sohl-  und 
Firststollen  fortlaufen.  Die  Zahl  der  Auf- 
brüche wird  so  groß  angenommen,  daß  un- 
unterbrochener Arbeitsbetrieb  und  der  ver- 
langte Baufortschritt  gesichert  sind.  Mit  Aus- 
bruch, Zimmerung  und  Mauerung  wird  in 
den  Aufbruchzonen  begonnen,  hiernach 
folgen  die  beiderseitigen  Nachbarzonen  und 
dann  die  Schlußzone.  Hierbei  ergibt  sich  die 
zweckmäßig  größte  Zahl  von  Arbeitsstellen 
nach  Abb.  45 1 ,  wonach  der  fertig  gemauerten 
Aufbruchzone  /  die  Vollausbrüche  der  Nach- 
bruchzonen  2  und  dann  die  Schlußzone  3 
folgen. 

Die  Abstützung  des  ausgebrochenen 
Raumes  erfolgt  durch  Längsträgerzimmerung 
mit  Zwischengespärren  (Abb.  452).  An  den 
beiden  Enden  der  Zone  werden  die  Längs- 
träger nicht,  wie  bei  der  dritten  Bauweise, 
in  einer  für  das  Gewölbe  ungünstigen  Weise 
durch  das  Mauerwerk  der  Nachbarzone, 
sondern  durch  besondere  Endgespärre  ge- 
stützt, die  im  Druckgebirge  in  der  Regel 
3teilige  Brustschwellen  erhalten,  während  in 
Zwischengespärren  kurze  Mittelschwellen 
verwendet  werden. 

Die  Auflagerstelle  der  Mittelschwelle,  das 
Schwellenort,  wird  von  der  Sohle  des  First- 
stollens je  nach  den  Druckverhältnissen  des 
Gebirges  in  1  -3  Absätzen  erreicht.  Mit  der 
Zahl  der  .^bsätze  wächst  die  Zahl  der  er- 
forderlichen Auswechslungen  der  Stützen 
der  Längsträger  und  daher  auch  das  Maß  der 
unvermeidlichen  Sackungen  der  Zimmerung. 

Die  Zonenlänge  Z  kann  bei  dieser  Bau- 
weise infolge  der  Zwischenabstützungen  der 
Längsträger  größer  gewählt  werden  wie  bei 
Bauweise  3  und  beträgt  vielfach  7  -  1 0  /w.  Auch 
können  die  Längsträger  wegen  der  Zwischen- 
stützung  aus  2  Teilen  von   je  halber  Zonen- 
länge bestehen. 

Die  Mauerung  wird  in  der  Regel  mit  den 
Widerlagern  begonnen;  ein  Sohlgewölbe  wird 
nach  Schluß  des  Firstgewölbes  eingezogen.  Es 
ist  zweckmäßig,  die  Ausmauerung  nur  bis  an 
die    Innenseiten    der    Endgespärre   zu    führen. 


damit  diese   als  Endgespärre  für  die  folgende 
Zone  ausgenützt  werden  können. 

Die  Bauweise   hat  die  Vorteile    des   zonen- 
weisen Arbeitsvorgangs;  die 
Längsträger    erhalten    auch  ^'■':!I^:~~]\ 

Zwischenstützen,    daher  ge-  ,.//"'  l'\\ 

ringere  Abmessungen  oder 
größere  Längen;  sie  lagern 
nicht  mehr  auf  dem  Gewölbe 


der  anschließenden  Zonen, 
sondern  auf  besonderen  End- 
gespärren; das  Ziehen  der 
Kronbalken  findet  nicht  statt; 
die  Längsträger  werden  nach 
Maßgabe  des  Fortschritts  des  Mauerwerks 
herausgehoben  bzw.  in  den  anschließenden 
Firststollen  vorgezogen.  Diese  Bauweise  kam 
namentlich  bei  deutschen  und  österreichischen 

27* 


420 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


Tunnelbauten  zur  Anwendung.  Eine  besondere 
Ausbildung  erfuhr  sie  beim  Bau  der  Tunnel 
der  österreichischen  Alpenbahnen. 

Den  Bauvorgang  im  6339  m  langen,  zweigleisigen 
Wocheinertunnel  der  österreichischen  Alpeiibahnen 
zeigen  Abb.  453  —  455.  Der  Tunnel  durchfährt  die 
Kalksteine  der  oberen  Trias,  des  Jura  und  der  Kreide. 
Der  Bau  wurde  durch  Wassereinbrüche  sehr  erschwert. 


wird  mit  dem  Sohl-  oder  Firststollen  begonnen. 
Namentlich  bei  längeren  Tunneln  ist  der  Sohl- 
stollenbetrieb vorzuziehen. 

Der  zeitweilige  Ausbau  erfolgt  meist  durch 
Langständer-  oder  durch  Mittelschwellenzimme- 
rung; im  letzteren  Fall  erhalten  die  Endge- 
spärre   meist    keine    Brustschwellen,    sondern 


y^r<7ri<«ft<i<5^^..^ 


Abb.  456  u.  457. 


Abb.  458. 


Abb.  459. 

Fünfte  Bauweise. 
Unterscheidet  sich  von  der  vierten  Bau- 
weise hauptsächlich  dadurch,  daß  der  Arbeits- 
betrieb nicht  mehr  auf  eine  Zone  beschränkt 
bleibt,  sondern  mehrere  unmittelbar  aneinander 
schließende  Zonen  im  Bau  sich  befinden,  was 
nur  in  wenig  drückendem  und  festem  Gebirge 
zweckmäßig  sein  kann.  Hierbei  wird  häufig 
auch  nicht  zonenweise,  sondern  fortlaufend 
gebaut,  namentlich  im  festen  Gebirge,  das  geringe 
oder  keine  zeitweilige  Abstützung  benötigt.  Die 
Widerlager  werden  in  diesem  Fall  meist  durch- 
laufend gemauert  und  nur  die  Gewölbe  auf 
Zonenlänge   stumpf    gestoßen.    Der   Ausbruch 


wie  die  Zwischengespärre 
nur  kurze  Mittelschwellen. 
Den  Vorgang  eines  Aus- 
baues mit  Mittelschwellen- 
zimmerung zeigen  Abb. 
456,  457.  Arbeit  und  Ar- 
beitsteilung werden  durch 
diesen  Vorgang  etwas  ver- 
einfacht, das  Gebirge  jedoch 
auf  größere  Länge  freigelegt,  daher  Gebirgs- 
bewegungen  nicht  in  dem  Maße  eingeschränkt 
werden  können  wie  bei  Bauweise  4  und  das 
Gebirge  meist  zu  lange  auf  der  mit  der  Zeit 
nachgiebigen  Zimmerung  ruht,  wodurch  größere 
Bewegungen  hervorgerufen  werden;  auch  ist 
die  lang  stehende  Zimmerung  durch  Zufällig- 
keiten mehr  gefährdet. 

Sechste  Bauweise.'[j 

Der  Ausbruch  wird  mit  dem  Sohlstollen 
begonnen,  dem  nicht  der  Firststollen,  sondern 
ein  Firstschlitz  folgt,  daher  diese  Bauweise  auch 
Firstschlitzbauweise     genannt    wird.     Die 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


421 


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422 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


Teiluno;  des  Querschnitts  kann  nach  Aljb.  458, 
459,  460  erfolgen. 

Zumeist  wird  der  niit  kleinem  Anfangsquer- 
schnitt vorgetriebene  Sohlstollen  /  auf  2 
erweitert,  hierauf  der  Firstschlitz  in  einem 
oder  7.wei  Teilen  hergestellt.  Auch  kann  zur 
Erleichterung  der  Zimmerung  ein  ganz  kurzer 
Firststollen  3  (Abb.  459)  vorgetrieben  und 
hiernach  der  Firstschlitz  4  ausgeführt  werden. 
Im  festen  Gebirge  und  im  schmalen  eingleisigen 
Tunnel  kann  der  Sohlstollen  /  auch  erst  nach 

2  erbreitert   und  dann   im  vollen  Querschnitt 

3  in  einem  oder  mehreren  Absätzen  geschlitzt 
werden.  Die  Zimmerung  erfolgt  nach  dem 
Längs-  oder  Querträgerbau.  Die  Ausmauerung 
beginnt  mit  den  Widerlagern.  Die  Firstschlitz- 
bauweise hat  die  Vorteile  der  geringeren  Aus- 
bruchskosten im  festen  Gestein,  der  besseren 
Lüftung  und  leichteren  Übersicht  des  Baues 
gegenüber  dem  Firststollenbetrieb;  auch  die 
Einbringung  der  Zimmerung  erfolgt  von  unten 
nach  oben,  daher  stärkere  Senkungen  der  Zim- 
merung, die  namentlich  bei  L'nterfangung  der 


Abb.  468. 

Mittelschwelle  der  vorbesprochenen  Bauweisen 
vorkommen,  vermieden  werden.  Auch  kann  die 
Zahl  der  Arbeitsangriffstellen  wie  bei  den 
Bauweisen  mit  dem  Firststollen  durch  Aufbrüche 
nach  Bedarf  vermehrt  werden. 

Dagegen  besteht  der  Nachteil,  daß  für  die 
Ausführung  der  Schlitzarbeiten  im  festen 
Gebirge,  in  welchen  Zimmerungen  nur  in 
geringem  Maße  oder  nicht  erforderlich  sind, 
besondere  Rüstungen  oder  Verstärkungen  vor- 
handener Stollenrüstungen,  welche  zur  Auf- 
stellung der  Bohrarbeiter,  Lagerung  der  Bohr- 
geräte und  auch  des  Ausbruchs  dienen,  notwendig 
sind,  die  so  angeordnet  werden  müssen,  daß 
die  Förderung  aus  dem  Sohlstollen  nicht 
behindert  wird.  Auch  die  Aufstellung  der 
Zimmerungen  im  hohen  Schlitz  ist  immerhin 
mit  einigen  Schwierigkeiten  verbunden. 

Der  3557ra  lange  eingleisige  Wasserf iuhtunnel 
der  Bodensee-Toggenburg-Bahn  (Schweiz)  durchfährt 
feste  Nagelfluh,  die  stellenweise  durch  Mergelschichten 
von  geringer  Stärke  durchzogen  sind.  Zimmerung 
war  daher  nur  stellenweise  und  in  geringem  Maße 
erforderlich.  Der  Sohlstollen  wurde  mit  Druckluft- 
Stoßbohrmaschinen,  der  Vollausbruch  mit  Druckluft- 
bohrhämmern ausgeführt,  .^bb.  461,  462,  463  zeigen 
die  mehrfach  eingehaltene  Arbeitseinteilung  bei 
Erhöhung  des  Sohlstollens  /  auf  2,  des  Firstschlitzes 


3  und  dessen  Erweiterung  4,  die  mit  Bohrhämmern 
und  nach  Fertigstellung  des  Sohlstollens  auch  mit 
der  freigewordenen  Druckluft-Stoßbohrmaschine  auf- 
gefahren wurden,  wozu  die  aus  den  Abbildungen 
ersichtlichen  Rüstungen,  die  den  Raum  für  die 
Förderung  in  der  Tunnelsohle  freiließen,  eingebaut 
wurden. 

Der  904  m  lange  2gleisige  Remsfelder  Tunnel 
durchfährt  Schieferton,  Röt,  Letten  und  Buntsandstein. 
Es  kam  teilweise  die  Firstschlitzbauweise  mit  Quer- 
trägerzimmerung (Abb.  464)  zur  Anwendung.  Dem 
Firstschlitz  ging  ein  ganz  kurzer  Firststolien  mit 
kleinem  Querschnitt  voran,  wodurch  das  Aufstellen 
der  Zimmerung  im  Firstschhtz  erleichtert  wurde. 
Zonenlängen  betrugen  4-5  m.  Zumeist  waren  höchstens 
3  Zonen  gleichzeitig  im  Bau. 

Siebente  Bauweise. 

Der  Ausbruch  des  Tunnels  wird  nur  in 
dem  für  die  Herstellung  des  Mauerwerks  er- 
forderlichen Umfang  ausgeführt.  Es  bleibt  ein 
Gebirgskern  K  (Abb.  465,  466,  467,  468)  bis 
nach  Vollendung  des  Mauerwerks  stehen,  der 
eine  Stütze  für  Zimmerung  und  Mauerung 
bildet,  so  daß  die  Zimmerung  geringere  Ab- 
messungen erhält,  daher  kleinere  Holzmengen 
benötigt  und  die  Lehrrüstungen 
für  die  Gewölbemauerung  verein- 
facht werden.  Ein  Sohlgewölbe 
wird  erst  nach  Beseitigung  des 
Kernes  eingezogen.  Diese  Bau- 
weise wird  auch  Kernbauweise 
genannt. 

Der  Ausbruch  beginnt  entweder 
mit  einem  Firststollen  /  oder  mit 
2  Sohlstollen  (Ortstollen)  /  und  3,  bei  sehr 
großen  Querschnitten  (für  3-  und  4gleisige 
Tunnel)  auch  mit  einem  Kernstollen  /  in  der 
Sohle  des  Tunnels  oder  höher,  dann  mit  einem 
Firststollen  2,  der  nach  3  ens-eitert  wird, 
wonach  der  Raum  für  die  Aufmauerung  der 
Widerlager-^,  5 schachartig  ausgebrochen  wird; 
der  Kern  wird  nach  Fertigstellung  von  Wider- 
lager und  Firstgewölbe  beseitigt.  Man  beginnt 
auch  mit  einem  Kernstollen  /,  dem  die  Ort- 
stollen 2,  welche  durch  Querstollen  erreichbar 
sind,  folgen.  Nach  Ausmauerung  der  Wider- 
lager 3  auf  die  Höhe  der  Ortstollen  wird  ein 
Firststollen  4  vorgetrieben,  der  zur  Aufnahme 
des  Gewölbes  nach  5  erweitert  \^'ird.  Nach  Ein- 
ziehung des  Gewölbes  6  kann  der  Kern  7  vom 
Kernstollen  aus  beseitigt  werden.  Ein  erforder- 
liches Sohlgewölbe  8  wird  zum  Schluß  einge- 
zogen. Der  Kernstollen  1  ist  für  die  Förderung 
der  Ausbruchmassen  und  auch  zur  Beschleuni- 
gung des  Kernausbruchs  vorteilhaft. 

Bei  kleinen  Querschnitten  und  im  Druck- 
gebirge ist  es  schwierig,  einen  Kern  K.  zu 
erhalten,  der  sich  zur  sicheren  Abstützung  des 
übrigen  Ausbruchs  eignet;  dann  ist  der  Raum 
in   den  Schlitzen  3,  5   (Abb.  465)   so  schmal. 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


423 


daß  Förderung  und  Mauerung  der  Widerlager 
erschwert  und  verteuert  werden.  Aus  diesem 
.Grund  ist  man  von  der  seinerzeit  vielfach 
verwendeten  Bauweise  für  die  Eisenbahntunnel, 
deren  Breite  gering  ist,  abgegangen. 

In  manchen  Fällen  und  namentlich  für  Tunnel 
mit  großen  Querschnitten  kann  die  Kernbau- 
weise doch  solche  Vorteile  bieten,  daß  sie 
zweckmäßig  erscheint  und  kaum  durch 
andere  Bauweise  ersetzt  werden  kann, 
denn  es  ist  hierbei  eine  wesentliche 
Vereinfachung  der  Zimmerung  mög- 
hch,  die  mit  Zunahme  des  Umfangs 
mehrteilig  sein  muß  und  daher  an 
Verläßlichkeit  abnimmt.  Bei  geringen 
Überlagerungen  des  Tunnels  empfiehlt 
es  sich,  noch  vor  Vollausbruch  die 
beiderseitigen  Widerlager  in  den  ent- 
sprechend zu  erhöhenden  Ortstollen 
so  herzustellen,  daß  der  für  das  Ge- 
wölbe erforderliche  Raum  sowie  die 
Lehrgerüste  nicht  nur  auf  den  Kern, 
sondern  auch  auf  die  unnachgiebigen 
Widerlager  abgestützt  werden  können 
und  Bewegungen  der  geringen  Über- 
lagerungen, die  meist  große  Übelstände 
zur  Folge  haben,   vermieden  werden. 

Für  die  .Abstützung  des  ausge- 
brochenen Raumes  wurde  Längsträger- 
oder Querträgerzimmerung  gebraucht. 
Die  Ausmauerung  wurde  meist  mit  den 
Widerlagern  begonnen,  in  einigen 
Fällen  auch  mit  dem  Firstgewölbe, 
das  dann  durch  die  in  Schlitzen  ge- 
mauerten Widerlager  wie  bei  Bau- 
weise 2  unterfangen  wurde. 

Wenn  auch  das  Sohlgewölbe  erst 
nach  Beseitigung  des  Oebirgskerns  ein- 
gezogen werden  kann,  so  ist  doch 
in  einigen  Fällen  durch  kurze,  die 
beiden  Ortstollen  verbindende  Quer- 
stollen das  Einziehen  einzelner  Sohl- 
gewölbegurten schon  vor  Beseitigung 
des  vollen  Kernes  möglich  geworden. 

Bei  einem  der  ältesten  Eisenbahntunnel  Deutsch- 
lands, dem  Königsdorfer  Tunnel  (Köln-Achen), 
der  Druckgebirge,  auch  Schwimmsand  durchfahren 
mußte,  kam  die  Kernbauweise  nach  Abb.  469  zur  An- 
wendung. In  den  beiden  erhöhten  Ortstollen  wurden 
vorerst  die  Widerlager  gemauert,  dann  der  Firststollen 
nach  beiden  Seiten  erweitert  und  durch  Längsträger- 
zimmerung abgestützt,  so  daß  auf  die  Widerlager  das 
Firstgewölbe  gesetzt  werden  konnte,  wobei  der  Kern 
als  Stütze  für  die  Zimmerung  wie  für  die  Lehrbogen 
diente.  Mit  Hilfe  eines  Querstollens  wurden  einzelne 
schmale  Sohlgewölbegurten  eingezogen  und  nach  Be- 
seitigung des  Kernes  das  zwischen  den  Gurten  noch 
fehlende  Sohlgewölbe  hergestellt.  Die  Tunnel  der 
Bahnhöfe  der  Pariser  Untergrundbahn,  die  etwa 
14  m  lichte  Weite  tnid  5,7 /n  Höhe  erhielten,  wurden 
mehrfach  nach  der  Kernbauweise  ausgeführt,  was  bei 


der  großen  Breite  und  der  geringen  Überlagerungs- 
höhe der  Tunnel  zweckmäßig  war.  In  der  Regel 
wurde  (s.  Abb.  470)  ein  Sohlstollen  vorgetrieben,  von 
dem  aus  durch  beiderseitige  Querstollen  Ortstollen 
herzustellen  waren,  in  welchen  die  meist  2  m  starken 
Widerlager  in  Beton  aufgemauert  worden  sind. 
Sodann  trieb  man  einen  f^irststollen  vor,  der  nach 
beiden  Seiten  etwa  2-2  m  hoch  so  erbreitert  und 
verzimmert  wurde,  daß  die  etwa  0,7  m  starken  First- 
gewölbe eingezogen  werden  konnten.  Nachdem  der 


Abb.  46g. 


Abb.  470. 


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Abb.  471. 

Kern  meist  vom  Sohlstollen  aus  abgetragen  war,  konnte 
das   0-5  m  starke  Sohlgewölbe   ausgeführt  werden. 

Die  Schildbauweisen. 

An  Stelle  der  Holz-  oder  Eisenziminerung 
tritt  der  Brustschild,  unter  dessen  Schutz 
Ausbruch  und  dauernder  Ausbau  hergestellt 
werden.  Ausnahmsweise  wird  ein  Richtstollen 
vorgetrieben  und  namentlich  im  ungleichartigen 
Gebirge,  in  dem  feste  und  lose  Schichten  wechseln, 
auch  vor  dem  Schild  ein  entsprechend  ver- 
zimmerter Vorausbruch  vorgenommen,  wonach 
ein  gleichmäßiger,  weniger  schwieriger  Vortrieb 
des  Schildes  ermöglicht  wird. 


424 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


Der  Briistschild  ist  entweder  ein  «beschlossenes, 
meist  kreisförmiges  oder  elliptisches,  mehr  oder 
weniger  versteiftes  Eisenrohr  oder  ein  Halbrohr, 
ein  Teilschild  oder  auch  nur  eine  Schutzhaube 
in  der  First  des  Tunnels,  die  auch  mit  dem 
Voll-  oder  Halbschild  verbunden  sein  kann. 
An  Stelle  der  Schutzhaube  können  auch  Eisen- 
vortriebspfähle treten. 

Der  Schild  hat  eine  Schneide  S  (Abb.  471) 
und  wird  mit  Hilfe  von  Schrauben  oder  Wasser- 
pressen P,  die  am  Umfang  des  Schildes  an- 
geordnet sind  und  deren  Füße  F  sich  gegen 
den  fertigen  Tunnel  (Mauerwerk  oder  Eisen- 
verkleidung) oder  die  mit  kräftigem  Längs- 
verband versehenen  Lehrbogen  für  die  Tunnel- 
verkleidung stützen,  knapp  an  oder  in  das 
Gebirge  gedrückt  und  der  Boden  vor  und 
innerhalb    des    Schildes   gelöst    und    beseitigt. 

Wasserpressen  mit  Differentialkolben  sind 
den  Schrauben   durchaus  vorzuziehen,    da  sie 


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Abb.  472. 

eine  leichte  Regelung  und  daher  gleichmäßigen 
Vorschub  des  Schildes  erleichtern,  in  der  Regel 
können  die  zu  Gruppen  zusammengefaßten 
Pressen  nicht  nur  gemeinsam,  sondern  auch 
gruppenweise  unabhängig  voneinander  in  Betrieb 
gesetzt  werden,  damit  den  verschiedenen  Wider- 
ständen an  den  einzelnen  Stellen  des  Umfangs 
der  Schneide  Rechnung  getragen  werden  kann. 

Die  Einhaltung  von  Höhe  und  Richtung 
des  Schildes  ist  im  wechselnden  Gebirge  und 
bei  stellenweise  stärkerem  Wasserauftrieb  mit 
Schwierigkeiten  verbunden.  Es  liegen  verschie- 
dene Vorschläge  zur  leichteren  Sicherung  der 
Führung  beim  Schildvortrieb  vor,  die  aber  noch 
keine  vollends  befriedigende  Lösung  ergaben. 

Die  Zahl  der  Pressen  ist  tunlichst  groß  zu 
halten;  sie  sind  über  den  Umfang  des  Schildes 
entsprechend  zu  verteilen,  so  daß  den  wahr- 
scheinlichen Widerständen  Rechnung  getragen 
werden  kann. 

Die  Füße  F  der  Pressen  sind  mit  großen 
Anlageflächen  zu  versehen  und  nicht  unmittel- 
bar auf  Mauerwerk,  sondern  auf  Holzzwischen- 
lagen, auch  Holzkränze  zu  setzen,  um  den  Druck 
auf  die  Tunnelverkleidung  gleichmäßig  zu  ver- 


teilen und  daher  den  Einheitsdruck  zu  mindern 
sowie  die  den  Gebirgsverhältnissen  anzu- 
passende Lenkung  des  Schildes  zu  erleichtern. 
Der  Druck  der  Pressen  auf  die  Tunnel- 
verkleidung, zumal  auf  frisches  Mauerwerk, 
kann  durch  Einlegen  von  Eisenstangen  oder 
durch  verspannte  Lehrbogen  auf  größere  Tiefe 
verteilt  werden.  Für  das  Mauerwerk  wird  in 
der  Regel  nicht  zu  rasch  bindender  Zement- 
mörtel (4-5  Stunden  Bindezeit)  verwendet. 
Wegen  rascher  Abbindung  des  Zements  in  der 
warmen  Preßluft  sind  Mörtel  und  Beton  feuchter 
als  gewöhnlich  zu  halten.  Der  für  Mörtel  im 
Tunnel  meist  wenig  günstige  Traßzusatz  soll 
aber  bei  Schildvortrieb  mit  Preßluft,  weil  hierbei 
die  Feuchtigkeit  abgehalten  wird  und  rasche 
Austrocknung  des  Mauerwerks  eintritt,  gänzlich 
unterbleiben. 

Es  ist  die  Ansicht  vertreten,  daß  das  Mauer- 
werk durch  starkes  Zusammenpressen  an  Festig- 
keit gewinnt  und  daher  das  Anstemmen 
der  Pressen  dem  Mauerwerk  nicht  schäd- 
lich sei;  das  kann  bei  Stampfbetonmauer- 
werk unter  bestimmten  Bedingungen  der 
Fall  sein.  Nach  Vortrieb  des  Schildes  auf 
die  Länge  einer  kurzen  Zone  (0-5  -  2-0  m) 
wird  der  Tunnel  unter  dem  Schutz  des 
Schildes  ausgemauert  oder  mit  Eisen  ver- 
kleidet. Es  ist  nötig,  daß  der  Schild  die 
Tunnelauskleidung  M  genügend  weit 
übergreift. 

Mauerwerk  wird  namentlich  bei  großen 
Tunneln  mit  einer  Eisenhaut  (früher  Guß-, 
jetzt  besser  Flußeisen)  umgeben,  nicht  nur  zur 
Erzielung  eines  wasserdichten  Tunnels,  sondern 
auch  zur  Verminderung  der  Reibungswider- 
stände beim  Vorschieben  des  Schildes  und  der 
hierdurch  hervorgerufenen  Beschädigungen  des 
Tunnelmauerwerks,  sowie  zur  Vermeidung  des 
Verlustes  an  der  das  Mauerwerk  durchdringenden 
Preßluft. 

In  einzelnen  Fällen  liat  man  einen  Eisen- 
mantel an  der  inneren  Fläche  der  Tunnelaus- 
mauerung angeordnet,  namentlich  wenn  Stampf- 
betonmauerwerk unmittelbar  an  das  Gebirge 
anschließt  und  die  Hohlräume  hierdurch  ge- 
schlossen werden  sollen.  Es  entfallen  aber 
hierbei  die  übrigen  Vorteile  des  äußeren  Eisen- 
mantels. Für  kleine  Bauwerke  hat  man  den 
Eisenmantel  auch  gänzlich  fortgelassen. 

Die  nach  dem  Vorschieben  des  Schildes 
hinter  dem  Mauerwerk  oder  der  Eisenverkleidung 
verbleibenden  Hohlräume  sind  tunlichst  rasch 
auszufüllen,  um  Bodenbewegungen,  die  sich 
namentlich  bei  geringen  Überlagerungen  des 
Tunnels  bis  auf  die  Oberfläche  erstrecken  können, 
sowie  größere  Preßluftverluste  zu  vermeiden 
auch  das  Rosten  des  Eisenmantels  zu  verhindern. 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


425 


Zu  diesem  Zweck  wird  in  der  Regel  Zement- 
mörtel, auch  wohl  reiner  Sand  mittels  Preßluft 
hinter  die  Tunnelverkleidung,  die  mit  nach- 
träglich gut  schließbaren  Löchern  versehen 
wird,  oder  auch  von  der  Stirn  des  Gewölbes 
aus,  letzteres  bei  Vortrieb  des  Schildes  ein- 
gespritzt. Für  kleinere  Tunnel  hat  man  in  einigen 
Fällen  bei  Weglassung  der  kostspieligen  Eisen- 
verkleidung und  Vermeidung  von  Stampfbeton, 
der  durch  die  Wasserpressen  zusammengedrückt 
wird,  gleichzeitig  die  Hohlräume  zwischen 
Gebirge  und  Mauerwerk  ausgefüllt  und  dichten 
Anschluß  an  das  Gebirge  erreicht. 

Die  Blechstärke  des  Schildes  wird  tunlichst 
dünn  gehalten,    damit  der  hinter  der  Verkiei- 


Preßiuft  leicht  ein  Ausblasen  der  Preßluft, 
plötzliche  Druckniinderung  im  Arbeitsraum  und 
großer  Luftverlust  eintreten  kann. 

1.  Schildvortrieb  ohne  Verwendung  von 
Preßluft. 

Bei  Anwendung  eines  Vollschildes  kann  im 
Gebirge,  das  kurze  Zeit  senkrecht  stehen  bleibt, 
das  Rohr  nach  Abb.  472,  also  an  der  Schneide 
senkrecht  begrenzt  sein. 

Im  Boden,  der  unter  einem  kleineren 
Böschungswinkel  in  Ruhe  bleibt,  wird  der 
Schild  ungefähr  nach  dem  Böschungswinkel  des 
Erdreichs  geschnitten  (Abb.  473)  oder  er  erhält 
wagrechte  Abteilungswände,    auf  welchen   der 


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Abb.  473. 

dung  verbleibende  Hohl- 
raum möglichst  klein  ausfällt. 
Im  übrigen  muß  das  Rohr 
der  Größe  des  Durchmessers 
entsprechend  ausreichend 
versteift  werden. 

Vollends  dichter  Anschluß 
des  Schildes  auf  die  ganze 
Länge  des  die  Tunnelver- 
kleidung übergreifenden  Tei- 
les ist  aber  wegen  der  zur 
Einhaltung  von  Höhe  und 
Richtung  notwendigen  Beweglichkeit  des 
Schildes  zu  vermeiden.  Der  Schildvortrieb  wird 
in  sehr  drückendem  und  in  wasserführendem 
Gebirge  sowie  bei  geringen  Überlagerungen 
des  Tunnels  gebraucht,  um  Boden-  und  Wasser- 
einbrüche sowie  Bodenbewegungen,  die  sich 
auf  die  Oberfläche  fortpflanzen,  zu  verhindern. 

Im  Druckgebirge  mit  geringem  Wasserzu- 
fluß genügt  die  Anwendung  des  Schildes  ohne 
weitere  Hilfsmittel,  während  im  stark  wasser- 
führenden Gebirge,  also  namentlich  für  Tunnel 
unter  Wasser,  der  Schildvortrieb  mit  Hilfe  von 
Preßluft  behufs  Zurückhaltung  des  Wassers 
zweckmäßig  und   notwendig  wird. 

Allerdings  darf  die  Überlagerung  nicht  zu 
gering  sein,  weil  die  Gefahr  besteht,  daß  hierbei 
der  vom  Schild  gestaute  Boden  nach  oben 
ausweicht  und   im  Fall   von  Verwendung  der 


Abb.  474. 


Abb.  475. 

Boden  unter  dem  entsprechenden  Böschungs- 
winkel, also  mit  geringer  Fußbreite  in  Ruhe 
bleibt  (Abb.  474). 

Bei  größeren  Querschnitten  werden  im  Schild 
noch  senkrechte  Wände  und  damit  kleinere 
Abteilungen  hergestellt,  die  außer  der  Ver- 
mehrung der  Arbeitsstellen  und  der  leichteren 
Verbauung  der  Brustfläche  des  Gebirges  auch 
eine  Versteifung  des  Schildes  ermöglichen. 

Im  wechselnden  Gebirge  mit  dazwischen- 
liegenden festeren  Schichten  ist  es  zweckmäßig, 
den  gleichmäßigen  Vorschub  des  Schildes  durch 
Vortreiben  eines  Richtstollens  oder  einer  Holz- 
zimmerung im  Vollausbruch  zu  erleichtern 
oder  zu  ermöglichen  (Abb.  475).  Im  ungünstigen 
Gebirge  kann  der  Richtstollen  auch  mittels 
eines  kleinen  Schildes  vorgetrieben  werden. 
Der  Schild  tritt  dann  an  die  Stelle  des  vollen 


426 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


zeitweiligen  Ausbaues,  unter  dessen  Schutz  der 
dauernde  Ausbau  (Mauerung  oder  Eisenver- 
kleidung) eingebracht  werden  kann.  Falls 
gezimmerter  Vollausbruch  vorausgehen  muß, 
wird  der  Schild  inner- 
halb der  Verpfählung, 
die  dann  hinter  der 
Tunnel  verkleidung  ver- 
bleibt, vorgetrieben, 
was  oft  Schwierigkeiten 
bereitet. 
Je  nach  der  Boden- 
beschaffenheit im 
Querschnitt  kann  man 
den  Schildvortrieb  auf 
den  oberen  Teil  des 
Tunnels  beschränken 
und  verwendet  den 
Halb-  oder  Teilschild. 
Hierbei  können  (Abb. 
476,  477)  vorerst  in 
2  Sohl-  oder  Ortstol- 
len 1,  3  die  Widerlager 
2,  4  aufgemauert  wer- 
den. Auf  den  fertigen, 
mit  Gleitplatten  abge- 
deckten Widerlagern, 
die  dem  oberen  Tun- 
nelausbruch genügend 
weit  voran  sind,  wird 
der  Halbschild  mit 
Gieitschuhen  oder  Rol- 
len aufgesetzt  und  mit 
den  am  Umfang  ange- 
ordneten Pressen  vor- 
getrieben; hierbei  ist 
die  genaue  Einhaltung 
von  Richtung  und 
Höhe  wegen  der  fest- 
stehenden Widerlager 
und  der  gegebenen 
Führung  leichter  mög- 
lich wie  beim  Voll- 
schild. 

2.  Schildvortrieb 

mit    Verwendung 

von  Preßluft. 

Der  Vortrieb  mit 
Verwendung  von  Preß- 
luft kommt  im  wasser- 
reichen und  schwim- 
menden Gebirge  zur  Anwendung.  Die  Preßluft 
hat  das  Eindringen  des  Wassers  oder  Gebirges 
in  den  Arbeitsraum  und  auch  in  den  Raum 
zwischen  der  bereits  fertiggestellten  Tunnel- 
verkleidung und  dem  Schild  zu  verhindern, 
was  Schwierigkeiten  bereitet,  weil  die  Wasser- 


druckhöhen an  tiefster  und  höchster  Stelle  des 
Tunnels  verschieden  sind.  Zu  geringer  Luft- 
druck kann  ein  Ansteigen  des  Wassers  in  der 
Sohle,  zu  großer  ein  Ausblasen  der  Preßluft 
und  plötzliche  Druckverminderung  im  Arbeits- 
raum sowie  ein  Aufwühlen  und  eine  Bewegung 
des  den  Tunnel  überlagernden  Bodens  zur 
Folge  haben.  Man  wird  zur  Vermeidung  eines 
zu  hohen  Wasserstandes  in  der  Tunnelsohle 
den  Luftdruck  in  der  First  höher  halten  müssen, 
als  er  für  die  Wasserverdrängung  an  dieser 
Stelle  erforderlich  ist.  Dieses  Maß  wird  \'on 
dem  zulässigen  Stand  des  Wassers  in  der  Sohle, 
von  der  Querschnittshöhe  des  Tunnels  sowie 
von  der  Stärke  und  Beschaffenheit  der  Tunnel- 
überlagerung, die  daher  ausreichend  groß  zu 
bemessen  ist,  abhängig  sein. 

Man  hat  mehrfach  im  durchlässigen  Boden  den 
Luftdruck  so  hoch  gehalten,  daß  er  dem  Wasserdruck 
im  unteren  Viertel  bis  Drittel  des  Tunnelquerschnitts 
das  Gleichgewicht  hält,  also  das  Eindringen  des 
Wassers  in  der  Sohle  nicht  ganz  verhindert.  Bei 
wechselndem  Wasserstand  über  dem  Tunnel  ist  eine 
Regelung  des  Luftdrucks  schwierig. 

Diese  Übelstände  haben  zu  verschiedenen 
Vorschlägen  geführt,  die  aber  nur  teilweise 
befriedigten. 

Man  hat  auch  den  Schildquerschnitt  durch 
wagrechte  und  senkrechte  Wände  in  einzeln 
zu  schließende  Zellen  geteilt,  so  daß  bei  Arbeit 
in  den  unteren  Zellen  die  oberen  dicht  ge- 
schlossen werden  konnten  und  umgekehrt;  daher 
der  Luftdruck  entsprechend  der  Höhenlage  der 
in  Arbeit  stehenden  Zelle,  also  dem  jeweiligen 
Wasserdruck  entsprechend,  geregelt  werden 
konnte.  Dieser  Vorgang  hatte  aber  nur  im 
gleichartigen,  nicht  zu  fließenden  Boden  einigen 
Erfolg. 

Da  die  im  Scheitel  des  Schildes  ausströmende 
Preßluft  die  Bodenüberlagerung  auflockert,  eine 
Dichtung  an  dieser  Stelle  schwierig  ist,  so 
versieht  man  mehrfach  die  Schilde  mit  senk- 
rechter Vorderfläche  auf  l'j  -  ''/j  des  oberen 
Schildumfangs  mit  einem  vortretenden  Dach, 
Haube  genannt,  an  deren  Stelle  man  auch 
eiserne  Triebpfähle,  die  einzeln  in  der  Regel 
mit  Wasserpressen  vor  Vortrieb  des  Haupt- 
schildes vorgetrieben  werden  können,  ange- 
wendet hat. 

Bei  Verwendung  von  Preßluft  sind  Luft- 
schleusen erforderlich,  die  die  Arbeitsräume 
vom  fertigen  Tunnel  trennen;  sie  vermitteln 
den  Verkehr  der  Arbeiter  und  die  Förderung 
aus  den  mit  Preßluft  gefüllten  Arbeitsräumen 
nach  außen  und  umgekehrt. 

Für  größere  Tunnel  werden  meist  getrennte 
Luftschleusen  für  den  Arbeiterverkehr  und  die 
Materialförderung  angeordnet.  Sie  liegen  ent- 
weder nebeneinander  im  unteren  Teil  desTunnels 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


427 


oder  übereinander,  wobei  aus  Sicheriieitsgründen 
die  Schleuse  für  den  Personenverkehr  in  die 
Tunnelfirst  verlegt  wird.  Auch  sind  3  Luft- 
schleusen angeordnet  worden.  Die  in  der  Regel 
gebrauchten,  für  Personenverkehr  und  Material- 
förderung, liegen  im  unteren  Teil,  eine  dritte 
Sicherheitsschleuse,  die  bei  raschem  Ansteigen 
des  Wassers  zu  benützen  ist,  in  der  First  des 
Tunnels. 

Die  Schleusen  erhalten  selbstverständlich 
dichten  Anschluß  an  die  Tunnelwandungen 
und  werden  dem  Arbeitsfortgang  entsprechend 
verlegt,  also  nachgeschoben,  u.  zw.  so  häufig, 
daß  der  mit  Preßluft  zu  füllende  Raum  zwischen 
Schleuse  und  Schild  nicht  zu  groß  wird. 

In  den  Querwänden  des  Schildes  werden  auch 
Notschleusen  eingebaut,  damit  den  Luftdruck- 
unterschieden in  den  Arbeitsräumen  des  Schildes 
und  dem  Raum  zwischen  Schild  und  Tunnel- 
verkleidung und  der  Hauptschleuse  Rechnung 
getragen  werden  kann,  namentlich  wenn  durch 
Ausblasen  der  Preßluft  eine  plötzliche  Druck- 
verminderung eintritt,  die  durch  die  Notschleusen 
auf  den  Schildraum  beschränkt  werden  soll.  Ein 
dauernder  Verschluß  der  Notschleusen  ist  wegen 
des  Zeitverlustes  beim  Durchschleusen  nicht 
zweckmäßig,  daher  Notschleusen  an  dieser 
Stelle  kaum  mehr  ausgeführt  werden.  Auch 
Taucherglockenanordnungen  in  den  oberen 
Teilen  des  Schildes  können  zur  Sicherung  der 
Arbeiter  bei  plötzlichen  Einbrüchen  des  Wassers 
zweckmäßig  sein. 

Zur  Einschränkung  des  Luftverlustes  kann 
der  Raum  zwischen  dem  Schildende  und  der 
Tunnelverkleidung  so  gedichtet  werden,  daß 
die  Beweglichkeit  des  Schildes  erhalten  bleibt. 
In  Eisen  gefaßte  Gummiringe  oder  Schläuche, 
die  mit  Wasser  oder  Preßluft  gefüllt  sind,  haben 
dauernd  brauchbare  Lösungen  nicht  erreichen 
lassen. 

Zur  Abminderung  der  Luftverluste  hat  man 
auch  hydraulischen  Kalkmörtel  unter  großem 
Druck  an  der  Stirn  der  Tunnelverkleidung 
zwischen  dieser  und  dem  Schildende  während 
des  Schildvortriebs  eingepreßt,  was  je  nach  der 
Gebirgsbeschaffenheit  mehr  oder  weniger  Erfolg 
hatte. 

Da  eine  Luftpressung  von  etwa  3  Atm.  mit 
Rücksicht  auf  die  Arbeitsmöglichkeit  kaum  über- 
schritten werden  kann,  so  ist  hierdurch  die 
Tiefenlage  eines  Tunnels  im  stark  wasser- 
führenden Gebirge  begrenzt. 

In  allen  Fällen  wird  man  wie  bei  Luftdruck- 
gründungen durch  Abkühlen  der  mit  Preßluft 
erfüllten  Räume,  die  oft  recht  hohe  Wärmegrade 
zeigen,  durch  kurze  Arbeitszeit,  langsames  Aus- 
und  Einschleusen,  Schutzmittel  und  sofortige 
ärztliche    Hilfe   die    Übelstände   der    Preßluft- 


krankheiten zu  mindern  sich  bemühen.  Auch  sind 
besondere  Vorsichtsmaßregeln  gegen  Feuers- 
gefahr wegen  der  rascheren  Verbrennung  in 
der  Preßluft  erforderlich. 

Abb.  478  zeigt  einen  kreisförmigen  Schild  mit 
2  Mittelwänden  m,  und /«_,,.  Der  Arbeitsraum  D  vor 
der  mit  verschließbaren  Öff- 
nungen a  versehenen  vorderen 
Mittel  wand  ist  durch  wagrechte 
Wände  in  3  Abteilungen  ge- 
teilt. Zur  Versteifung  sind 
außerdem  senkrechte,  aber 
durchbrocliene  Wände  ange- 
ordnet. Die  senkrechte  Mittel- 
wand nu,  welche  den  Raum  C 
abschließt,  erhält  zur  Siche- 
rung entweder  eine  Verschluß- 
tür bei  b  oder  eine  Not- 
schleuse S,,  um  verschiedenen 
Luftdrücken  in  den  Räumen  ß 
und  C—D  Rechnung  tragen 
zu  können.  Die  am  Schild- 
umfang angeordneten  Wasser- 
pressen/?,  deren  Kolben  durch 
die  Wand  m^  mit  entsprechen- 
der Dichtung  gehen,  stützen 
sich  gegen  die  Wand  a«, 
und  die  fertige  Tunnelverklei- 
dung M  mit  breiten  Fuß- 
flächen. Die  Hauptschleuse  S, 
für  Arbeiter-  und  Materialver- 
kehr trennt  den  mit  Preßluft 
gefüllten  Raum  B  vom  fertigen 
Tunnel  A. 

Die  Vorteile  der  Bau- 
weisen mit  dem  Brustschild 
bestehen  in  der  großen 
Sicherheit  im  Ausbruch 
und  Ausbau  im  rolligen, 
schwimmenden  imd  wasser- 
reichen Boden,  zumal  bei 
geringer  Gebirgsüberlage- 
rung  des  Tunnels,  ferner  in 
der  Möglichkeit  der  Ein- 
haltung des  kleinsten,  für 
den  Tunnel  eben  erfor- 
derlichen Ausbruchquer- 
schnitts, in  der  leichten  und 
geschützten  Ausführung 
der  Tunnelverkleidung, 
auch  in  einem  den  Verhält- 
nissen entsprechenden  ra- 
schen Bauvorgang. 

Die  Nachteile  dagegen 
liegen  in  den  Schwierigkei- 
ten bei  Durchfahrung  un- 
gleichartigen, wechselnden  Bodens,  der  meist  be- 
sondere Vorausbrucharbeiten  und  Abstützungen, 
auch  die  Anwendung  von  Getriebepfählen  vor 
dem  Schild,  namentlich  in  dessen  Scheitel  er- 
heischen kann,  sowie  in  der  Einhaltung  von 
Höhe  und  Richtimg  des  Tunnels;  ferner  mehr- 
fach in  der  imgünstigen  Beanspruchimg  der 
Tunnelverkleidung  durch  die  Pressen  und  beim 


428 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


Vorziehen  des  Schildmantels  namentlich  dann, 
wenn  das  Tunnelmauerwerlc  keine  Eisenhaut 
erhält.  Auch  die  hinter  der  Tunnelverkleidung 
verbleibenden  Hohlräume  sind  schwierig  dicht 
zu  schließen. 

Bei  Verwendung  von  Preßluft  treten  noch  die 
Erschwernisse  und  Gefahren  infolge  der  Unter- 
schiede in  den  Wasserdrücken  an  der  Sohle 
und  in  der  First  des  Tunnels  hinzu,  die  mit 
dessen  Abmessungen  zunehmen.  Der  Einbau 
und  Betrieb  der  Luftschleusen  und  der  übrigen 
umfangreichen  maschinellen  Anlagen,  auch  die 
Sicherheitsvorkehrungen  für  die  Arbeiter  bei 
plötzlicher  Spannungsabnahme  der  Preßluft 
bilden  weitere  Erschwernisse  dieser  Bauweise. 

Verwendung  von  Preßluft  ohne 
Brustschild. 
Diese  Bauweise  kam  nur  ausnahmsweise  und 
dann  zur  Anwendung,  wenn  beim  gewöhnlichen 
bergmännischen  Vorgang  ohne  Schild  Schichten 
angefahren  wurden,  die  sich  druckhafter  und 
wasserführender  herausstellten,  als  von  vorn- 
herein angenommen  werden  konnte,  und  der 
nachträgliche  Einbau  eines  Schildes  meist  auf 
kurze  Tunnellängen  zu  umständlich,  schwierig 
und  kostspielig  gewesen  wäre.  Sie  erscheint  nur 
zweckmäßig  und  möglich,  wenn  das  Gebirge 
bei  genügend  hoher  Überlagerung  des  Tunnels 
so  weit  dicht  zu  halten  ist,  daß  zu  große  Druck- 
verluste durch  Ausblasen  der  Preßluft  nicht  zu 
befürchten  sind.  Da  der  Brustschild  fehlt,  so 
ist  nicht  nur  die  Brust,  sondern  auch  die  Ober- 
fläche des  ganzen  Ausbruchs,  der  vom  fertigen 
Tunnel  ebenfalls  durch  dichte  Wände  abge- 
schlossen werden  muß,  im  Gleichgewicht  zu 
halten.  In  die  Abschlußwände  sind  Luftschleusen 
für  Material-  und  Arbeiterförderung  einzubauen. 
Der  ausgebrochene  Raum  wird  in  einer  den 
Druckverhältnissen  angepaßten  .^rt  und  Stärke 
abgestützt  oder  verzimmert. 

Beispiele  dieser  Bauweise  geben  der  Bau  des 
Emmersbergtunnels  bei  Schaffhausen  und  der 
Bau  des  Gatticotunnels  auf  der  italienischen  Bahn 
Santhä-Borgomanero-.-Xrona.  In  dem  letztgenannten 
Tunnel  wurden  auch  einige  Strecken  von  der  Ober- 
fläche aus  mittels  Senkkästen  und  Preßluft  in  ähnlicher 
Weise  wie  bei  Gründung  von  Brückenpfeilern  her- 
gestellt. 

Die  Bauweisen  nach  dem  Gefrier- 
verfahren. 

Das  Gefrierverfahren,  das  vorerst  für  Schacht- 
absenkungen zur  Anwendung  kam,  kann  auch 
für  den  Vortrieb  von  Stollen  und  Tunnel  in 
Frage  kommen.  Es  besteht  darin,  daß  das 
Gebirge  auf  den  Umfang  des  Tunnels  entweder 
durch  Einblasen  von  kalter  Luft  oder  durch 
Einführen  von  Kälteflüssigkeiten  mittels  Röhren 
zum  Gefrieren  daher,  in  feste  Form  gebracht 


wird,  wonach  in  stark  wasserführendem  und 
schwimmendem  Gebirge  der  Ausbruch  und 
dessen  Abstützung,  also  der  zeitweilige  Ausbau 
erleichtert  oder  erst  ermöglicht  wird. 

Das  Verfahren  wird  im  Tunnelbau  vornehm- 
lich dann  in  Frage  kommen,  wenn  die  Schild- 
bau\T-eisen  mit  Preßluftverwendung  nicht  mehr 
anwendbar  sind,  was  namentlich  bei  größeren 
Tieflagen  des  Tunnels  infolge  hohen  Wasser- 
druckes, der  einen  für  den  .^rbeitsbetrieb  zu 
hohen   Luftdruck  erfordert,  der  Fall  ist. 

1.  Durch  Einblasen  von  kalter  Luft 
(40  —  60"  C)  in  den  Tunnel,  der  gegen  die 
fertige  Strecke  durch  entsprechend  starke  Wände 
abgeschlossen  wird,  kann  das  Gebirge  auf  eine 
gewisse  Tiefe  zum  Gefrieren  gebracht  und  dann 
gelöst  und  abgestützt  werden. 

Die  bis  zum  Eintritt  der  Frostwirkung  er- 
forderliche Zeitdauer  der  Einwirkung  der  kalten 
Luft  auf  den  Hohlraum,  also  auf  die  Wandungen 
der  sog.  Gefrierkammer,  hängt  von  deren  Größe 
und  der  Temperatur  der  venscendeten  Luft  ab 
und  ist  eine  verhältnismäßig  lange.  Bei  größerem 
Querschnitt  findet  infolge  Senkung  der  kalten 
Luft  eine  weit  stärkere  Abkühlung  der  Sohle 
wie  der  First  des  Tunnels  statt. 

Die  Luft  ist  auch  bis  auf  das  durch  den  vor- 
handenen Wasserdruck  im  Gebirge  bedingte 
Maß  zu  pressen  und  dann  in  den  bekannten 
Maschinen  abzukühlen.  Bei  hoher  Pressung 
wird  die  Luft  stark  erwärmt,  so  daß  länger 
dauernde  Abkühlung  mit  hohen  Kosten  erforder- 
lich wird. 

Im  Tunnelbau  kam  dieses  Verfahren  aus- 
nahmsweise zur  Verwendung. 

Bei  Herstellung  eines  Tunnels  in  Stockholm 
von  etwa  4  m  Weite  und  Höhe,  der  den  unter  Ge- 
bäuden liegenden,  feinen,  mit  Wasser  durchtränkten 
Kies  und  Lehm  zu  durchfahren  hatte,  wurde  auf  eine 
kurze  Strecke  diese  Bauweise  verwendet. 

Hierbei  ist  je  ein  Raum  von  etwa  6—12  m  Länge, 
also  von  100-180  ni^  Größe  durch  eine  20  cm  starke 
Wand  vom  ausgebauten  Tunnel  abgeschlossen  worden, 
in  den  kalte  Luft  eingeblasen  wurde,  so  daß  die 
Temperatur  in  dem  Gefrierraum  —20  bis  -31°  C 
betrug.  Die  Luft  wurde  vorerst  auf  3  Atm.  gepreßt, 
dann  auf  gewöhnliche  Temperatur  abgekühlt  und 
schließlich  in  Kältemaschinen  auf  -dO^C  gebracht. 
Der  gefrorene  Boden  wurde  ausgebrochen  und  der 
ausgebrochene  Raum  durch  Eisenbögen  mit  Ver- 
pfählung  und  kräftigem  Brustverzug  aus  Eisenplatten 
abgestützt,  wobei  tägliche  FortschriUe  von  etwa  Oi  5  m 
erreicht  werden  konnten. 

Die  Ausmauerung  in  Beton  blieb  so  weit  zurück, 
daß  eine  ungünstige  Kälteeinwirkung  auf  das  Mauer- 
werk nicht  mehr  zu  befürchten  war. 

Auch  auf  der  Interborough  Rapid  Transit 
R.  R.  in  NewYork  hat  man  das  \'erfahren,  jedoch 
mit  ungünstigem  Erfolg  verwendet,  da  bei  einem 
Tunneldurchmesser  von  4-6  in  die  Länge  des  sog. 
Gefrierraumes  etwa  60  m,  daher  deren  Größe  etwa 
1000  m^  betrug  und  die  Abkühlvorrichtungen  für 
diesen    großen    Raum    unzulängliche   gewesen   sind. 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


429 


daher  die  Temperatur  in  der  Gefrierl<ammer  sicli  nur 
zwischen  -5"  bis  -12'C  bewegte.  Man  hat  diese 
Bauweise  nach  kurzer  Zeit  verlassen. 

2.  Die  Einführung  von  Kälteflüssig- 
keiten,  wie  Chlorcaicium-  oder  besser  25  bis 
SÖ^^iger  Chlormagnesiumlauge,  die  bei  etwa 
-SS^C  friert,  oder  von  95%igem  Alkohol,  der 
bei  -110"  friert,  in  doppelwandigen  Röhren 
von  der  Erdoberfläche  aus,  also  in  ungefähr 
senkrechter  Richtung,  kann  in  gleicher  Weise 
wie  beim  Abteufen  von  Schächten  erfolgen. 
Die  Röhren  werden  bis  auf  die  Tiefe  des  Tunnels 
zu  beiden  Seiten  des  auszubrechenden  Quer- 
schnitts versenkt  und  das  vom  Tunnel  zu 
durchfahrende  Gebirge  zum  Gefrieren  gebracht, 
wonach  der  Vortrieb  des  Tunnels  in  üblicher 
Weise  erfolgt. 

Dieser  Vorgang  kann  nur  bei  geringeren 
Überlagerungshöhen  des  Tunnels  in  Frage 
kommen,  weil  mit  der  Tiefe  der  Tunnellage  die 
Schwierigkeiten  der  Versenkung  der  Röhren 
und  die  Größe  des  abzukühlenden  Erdkörpers 
zunimmt,  daher  die  Bauzeitverlängerungen  und 
die  Kosten  ganz  bedeutende  werden. 

3.  Die  Einführung  von  Kälteflüssig- 
keiten durch  doppelwandige  Röhren  am 
Umfang  des  Tunnelquerschnitts,  also  parallel 
mit  der  wenig  von  der  Wagrechten  abweichenden 
Tunnelachse,  bietet  mehrfache  Schwierigkeiten, 
namentlich  wenn  für  längere  Strecken  Röhren- 
leitungen, für  welche  meist  die  Löcher  vorgebohrt 
werden,  erforderlich  sind. 

Die  Bohrarbeiten  erfordern  bei  großen  Loch- 
längen im  ungleichartigen  Boden  namhafte 
Kosten.  Die  Röhren  müssen  stückweise  ein- 
gesetzt und  durch  großen  Druck,  also  mittels 
Pressen  vorgetrieben  werden. 

Wie  beim  Schachtabteufen  kann  man  die 
Kälterohre  auch  im  Innern  des  Tunnels 
vortreiben  und  den  auszubrechenden  Körper 
unmittelbar  zum  Gefrieren  bringen.  Hierbei 
wird  in  kurzen  Längen  vorgegangen,  wobei 
aber  im  schwimmenden  Gebirge  vorsichtshalber 
ein  jedesmaliger  Verschluß  der  Tunnelbrust 
auszuführen  ist,  was  am  zweckmäßigsten  durch 
den  Vortrieb  eines  schildartigen,  an  der  Brust 
mit  verschließbaren  Öffnungen  versehenen 
Rohres  erreicht  werden  kann,  wobei  auch  rasche 
und  gesicherte  Abstützung  der  ausgebrochenen 
Tunnelstrecke  ermöglicht  wird. 

Beim  Vortrieb  eines  schildartigen  Eisenrohrs 
mit  den  kleinen  Abmessungen  eines  Richtstollens 
kann  man  die  Kälterohre  an  den  Innen- 
wandungen dieses  Rohres  verlegen,  indem 
nun  abermals  Gefrierrohre  verlegt  werden,  um 
die  erforderliche  Frostwirkung  zu  erreichen, 
nachdem  der  Boden  innerhalb  des  Rohres  ent- 
fernt ist  und  auf  diese  Weise  den  das  Stollen- 


rohr umgebenden  Boden  auf  einem  Umkreis 
zum  Gefrieren  bringen,  der  das  Nachschieben 
eines  zweiten  Eisenrohrs  mit  entsprechend 
größerem  Durchmesser  ermöglicht.  Für  Tunnel 
mit  großen  Querschnitten  kann  das  Verfahren 
mehrfach  wiederholt  vcerden. 

Der  Vorgang  ist  zeitraubend  und  kostspielig, 
zumal  die  Frostwirkung  nicht  unmittelbar  vom 
Kälterohr  aus,  sondern  erst  durch  die  Wandung 
des  Eisenrohrs  erfolgt. 

Die  Förderung. 

Die  Abfahrung  der  Ausbruchmassen  aus  dem 
Tunnel  und  ihre  Unterbringung  auf  den  vor- 
gesehenen Ablagerungsplätzen,  die  Zuführung 
der  Geräte  und  Baustoffe  in  den  Tunnel  und 
bei  längeren  Bauten  auch  die  Beförderung  der 
Arbeiter  erfolgt  zumeist  und  am  richtigsten  auf 
Fördergleisen. 

Die  Gleise  erhalten  in  der  Regel  Schmal- 
spurweiten von  O^ö  -  0'9  m,  selten  etwas  weniger 
oder  mehr.  Ausnahmsweise  sind  auch  Vollspur- 
gleise mit  1-435  m  aus  besonderen  Gründen, 
wie  z.  B.  im  Cochemtunnel  und  in  einem  Teil 
des  zweiten  Simplontunnels  (Nord)  angeordnet 
worden.  In  den  meisten  Fällen  hat  sich  eine 
Spurweite  von  0-7  -  0-75  m  als  zweckmäßig 
erwiesen,  da  hierbei  auch  die  Förderwagen  noch 
ausreichend  großen  Fassungsrauni  erhalten. 

Die  Schienengewichte  bewegten  sich  von 
15  bis  20  kg!m.  Zur  Unterstützung  eignen  sich 
Holzsch«ellen  besser  wie  Eisenschwellen.  In 
einigen  Fällen  hat  man  Stuhlschienenoberbau 
verwendet,  der  den  Vorteil  hat,  daß  die  auf 
den  Schwellen  festsitzenden  Stühle  ein  rasches 
Umlegen  der  Gleise  ermöglichen. 

Es  empfiehlt  sich,  eine  einheitliche  Spur  der 
Tunnelförderbahnen  anzustreben,  damit  Förder- 
wagen und  Maschinen  bei  weiteren  Tunnel- 
bauten wieder  verwendet  werden  können. 

Im  Interesse  raschen  Verkehrs  und  leichter 
Verteilung  der  Wagen  auf  die  einzelnen  Arbeits- 
strecken wäre  die  zweigleisige  Bahn  vorteilhaft. 
Allein  die  engen  Tunnelräume,  wie  namentlich 
die  Arbeitsstellen  im  Stollen  und  auch  die  durch 
Zimmerungen  eingeengien  Tunnelstrecken  er- 
schweren die  Anlage  zweigleisiger  Bahnen  und 
bedingen  schmale  Spur  der  Gleise  und  schmale, 
langgestreckte,  wenig  zweckmäßige  Förder- 
wagen mit  immerhin  verhältnismäßig  kleinem 
Fassungsraum. 

In  Fällen,  in  welchen  zweigleisige  Förder- 
bahnen ausgeführt  wurden,  mußten  Stollen- 
querschnitte über  das  sonst  übliche  und  zweck- 
mäßige Maß  vergrößert  und  besondere  Zim- 
merungsanordnungen getroffen  werden.  Auch 
hat  sich  herausgestellt,  daß  in  einzelnen  starken 
Druckstrecken  die  zweigleisige  Anlage  stellen- 


430 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


weise  unterbrochen  werden  mußte;  sodann  ist 
der  zwischen  den  Förderwagen  und  den  Tunnel- 
wandungen verbleibende  Raum  doch  noch  so 
knapp,  daß  ein  sicherer  Verkehr  der  Arbeiter 
bei  Begegnung  zweier  Züge  kaum  möglich  ist. 

Man  hat  daher  bei  den  meisten  Tunnelbauten 
für  die  Arbeitsstrecken  eingleisige  Förder- 
bahnen und  an  einigen  besonders  ausgeweiteten 
Stellen  Ausweichen,  auch  Nebengleise  ange- 
ordnet. Bei  langgestreckten  Tunnelbauten  mit 
vielen  Arbeitsstellen  und  eingleisiger  Förderbahn 
bereitet  die  Verteilung  der  einzelnen  Wagen, 
d.  s.  Leerwagen  für  die  Aufnahme  des  Tunnel- 
ausbruchs und  der  verbrauchten  Zimmerungs- 
hölzer und  Geräte  einerseits  sowie  der  mit 
neuen  Geräten,  Hölzern  und  Mauerungsstoffen 
beladenen,  von  außen  kommenden  Wagen  an- 
derseits, mancherlei  Schwierigkeiten  und  erfor- 
dert einen  wohldurchdachten  und  streng  ein- 
zuhaltenden Betriebsplan. 

Zumeist  wird  eine  Gleisanlage  (Aufstellungs- 
und Verschiebegleise)  vor  dem  Tunnelmund, 
sodann  an  dem  jeweiligen  Ende  des  fertig- 
gestellten Tunnelteils,  eine  sog.  Tunnelstation, 
und  schließlich  in  einem  ausreichend  großen 
Abstand  vor  dem  Ort  des  Richtstollens  im 
besonders  erbreiterten  Stollen,  eine  .Ausweiche, 
erstellt.  Im  übrigen  ist  die  Anlage  eingleisig. 
Im  fertigen  Tunnelteil,  also  vom  Außenbahnhof 
bis  zur  Tunnelstation,  kann  ein  zweites  Gleis 
gelegt  werden,  was  auch  in  mehreren  Fällen 
geschehen  ist. 

Die  Tunnelstation  und  die  Ausweiche  vor 
dem  Stollenort  sind  so  einzurichten,  daß  eine 
leichte  Verteilung  der  an  den  einzelnen  Arbeits- 
stellen erforderlichen  Wagen  erfolgen  kann,  sie 
müssen  auch  nach  Maßgabe  des  Arbeitsfortgangs 
verschoben,  also  verlegt  werden.  Als  Förder- 
wagen werden  Kastenwagen,  Kippwagen  und 
Plattformwagen  verwendet.  Die  Kastenwagen 
mit  abnehmbaren  Seitenwänden  behufs  Ent- 
leerung und  niedriger  Bauart  zwecks  leichterer  Be- 
ladung erhalten  im  Tunnel  kleinere  Abmessungen, 
Fassungsräume  von  etwa  0'7-l'5  cin^,  und 
werden  in  der  Regel  für  die  Förderung  im 
Stollen  verwendet.  Ihre  Entleerung  erfordert 
mehr  Zeit  und  Kraft  wie  die  der  Kippwagen. 
Im  übrigen  wurde  die  Förderung  des  Tunnel- 
ausbruchs zumeist  mit  Kippwagen  (Seiten- 
kipper) mit  tunlichst  großem  Fassungsraum 
von  1  —  3'5  an'^  im  Interesse  rascher  und  billiger 
Entladung  bewerkstelligt.  Der  große  Fassungs- 
raum ermöglicht  eine  Verminderung  der  Zug- 
zahl und  damit  der  durch  den  Zugverkehr 
nicht  zu  vermeidenden  Arbeitsstörungen. 

Plattformwagen  dienen  zur  Förderung 
von  Holz  für  die  Zimmerung,  großen  Steinen 
/Quadern),  auch  von  Maschinen. 


Bei  kleinen  Tunnelbauten  werden  vielfach 
die  vom  Ausbruch  entleerten,  in  den  Tunnel 
zurückkehrenden  Förder\i-agen  teilweise  mit  den 
benötigten  Baustoffen  und  auch  .Maschinen 
beladen.  Bei  großen  Tunnelbauten  mit  raschem 
Betrieb  werden  aber  die  Ausbruchwagen  ganz 
oder  größtenteils  leer  in  den  Tunnel  gefahren 
und  die  erforderlichen  Baustoffe  auf  besonderen 
Wagen  verladen,  die  nicht  zur  Förderung  des 
Ausbruchs  verwendet  werden,  um  Zeitver- 
säumnisse zu  vermeiden. 

Die  Bewegung  der  Förderwagen  erfolgt  durch 
Menschen,  namentlich  für  kurze  Strecken. 
Pferde  werden  gegenwärtig  nur  für  kurze 
Tunnel  gebraucht;  sie  haben  allerdings  den 
Vorteil  der  Unabhängigkeit  vom  Gleis  und 
der  Wagenstellungen,  so  daß  sie  ohne  Aus- 
weichgleise an  beiden  Zugenden  angespannt 
werden  können,  was  bei  Maschinen  nicht  der 
Fall  ist. 

Von  Maschinen  kommen  Dampf-,  feuer- 
lose, elekirische,  Druckluft-  und  Benzinloko- 
motiven in  Betracht.  Dampflokomotiven  sind 
wegen  Luftverschlechterung  bei  den  neueren 
Bauten  nur  mehr  in  den  fertigen  Strecken  oder 
nur  außerhalb  des  Tunnels  \-erwendet  \«-orden. 

In  einzelnen  Fällen  wurde  der  übelstand  der 
Luftverschlechterung  durch  Dampflokomotiven 
(Bauart  Kraul!)  vermindert,  die  während  der 
Tunnelbefahrung    nicht    nachgefeuert   werden. 

Zumeist  sind  nun  für  längere  Tunnel  in  den 
Arbeitsstrecken  Benzin-  oder  Druckluftloko- 
motiven in  Gebrauch.  Benzinlokomotiven  lassen 
Luftverschlechterung  nicht  ganz  vermeiden,  was 
zu  Übelständen  Veranlassung  gab.  Die  Druck- 
luftlokomotiven tragen  zur  besseren  Lüftung 
bei,  sind  aber  insofern  unwirtschaftlich,  als  der 
im  Interesse  kleinerer  Abmessungen  der  Luft- 
behälter erforderliche  hohe  Sammeldruck  von 
150-200  Atm.  auf  den  Arbeitsdruck  von 
10— 12Atm.  herabgesetzt  wird  und  die  ent- 
sprechende Kompressionsarbeit  verlorengeht. 
Zumeist  werden  die  für  den  Tunnel  bestimmten 
Leerzüge  und  die  mit  Baustoffen  und  Geräten 
beladenen  Wagen  durch  kräftige  Maschinen  bis 
in  die  Tunnelstation  geschoben  und  die  dort 
bereits  aufgestellten  beladenen  Züge  durch  diese 
Maschinen  aus  dem  Tunnel  gezogen. 

In  der  Tunnelstation  übernehmen  leichte 
Benzin-  oder  Druckluftmaschinen,  eingeschaltet 
zwischen  den  Wagengruppen  die  Verteilung 
der  Wagen  an  die  einzelnen  Arbeitsstellen. 

Bei  Vortrieb  des  Firststollens  als  Richtstollen, 
wobei  ein  Sohlstollen  fehlt,  liegt  die  Förder- 
bahn im  oberen  und  nach  Fertigstellung  des 
Sohlschlitzes  im  unteren  Teil  des  Tunnels. 
Die  Ausbruchmassen  des  oberen  Teiles  werden 
durch    Vermittlung    von    Schuttrichtern    oder 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen. 


431 


Rutschen  in  die  auf  dem  unteren  Gleis  bereit- 
stehenden Leerwagen  umgeladen  oder  es  wird 
das  obere  Fördergleis  durch  Rampen,  die  nach 
Maßgabe  des  Arbeitsfortschritts  vorgeschoben 
werden  müssen,  mit  dem  unteren  Fördergleis 
verbunden.  Beide  Anordnungen  erschweren 
und  verteuern  die  Förderung. 

In  einigen  Fällen  hat  man  für  die  Stollen- 
förderung Gleise  mit  kleinerer  Spurweite  an- 
geordnet wie  für  die  übrige  Förderung.  Allein 
das  erforderliche  Umladen  ist  zeitraubend  und 
kostspielig,  daher  einheitliche  Spurweite  vor- 
zuziehen ist. 

Beim  Bau  des  zweiten  Simplontunnels  (Nordseite) 
wurden  wegen  der  erforderlichen  Kreuzung  der  im 
Betrieb  befindlichen  Bahn  aus  dem  ersten  Simplon- 
tunnel  und  der  raschen  Beförderung  der  Ausbruch- 
massen nach  den  Ablagerungsstellen  von  der  Tunnel- 
station bis  an  den  Tunnelmund  und  weiter  an  die 
Ablagerungsstellen  eine  Vollspurbahn  (1 '435/«)  gelegt, 
während  von  den  Arbeitsstellen  bis  zur  Tunnei- 
station  das  Fördergleis  075  m  Spurweite  erhielt.  In- 
folgedessen werden  die  Kasten  der  von  den  Arbeits- 
stellen kommenden  kleinen  Wagen  mit  Hilfe  von 
besonderen,  in  der  Tunnelstation  angeordneten  Kranen 
abgehoben  und  etwa  4  auf  die  großen  vollspurigen 
Förderwagen  gesetzt.  In  diesem  Sonderfall  hat  sich 
die  Umladung  als  z\veckmäi?ig  herausgestellt. 

L  ü  f  t  u  n  g. 

Das  Maß  der  Luftverschlechterung  im  Tunnel 
und  der  hierdurch  bedingte  Frischluftbedarf 
ist  je  nach  dem  Arbeitsbetrieb  ein  verschie- 
denes. Wenn  in  Tunneln  mit  Druckluftbohr- 
maschinen- und  Luftlokomotivbetrieb  schon 
eine  Verbesserung  der  Lüftungsverhältnisse  er- 
reicht wird,  so  genügt  das   meist  noch  nicht. 

Natürliche  Lufterneuerung  genügt  nur  für 
ganz  kurze  Tunnel.  Die  Länge  ist  von  ört- 
lichen Verhältnissen  abhängig.  Durch  Anord- 
nung von  Schächten  oder  Kaminen  kann  eine 
Verbesserung  der  Luft  im  Tunnel  erreicht 
werden.  Die  Schachtlüftung  beruht  auf  den 
Unterschieden  des  Luftdrucks  und  des  Wärme- 
grads im  Tunnel  und  an  der  Oberfläche,  die 
nicht  nur  von  der  Höhenlage,  sondern  auch 
von  den  Windrichtungen  abhängig  sind.  Kurze 
Schächte  kann  man  durch  Schachtaufsätze 
wirkungsvoller  machen. 

Durch  Unterhaltung  eines  Feuers  im  Schacht 
ist  eine  Erhöhung  der  Wirkung  zu  erreichen, 
ist  aber  unwirtschaftlich. 

Auf  der  Nordseite  des  ersten  Simplontunnels  hatte 
man  in  einem  in  der  Nähe  des  Eingangs  hergestellten, 
47  m  tiefen  Schacht  ein  kräftiges  Feuer  unterhalten, 
wodurch  die  Lüftung  auf  etwa  1500  m  verbessert 
wurde. 

Schachtlüftungen  sind  bei  großen  Über- 
lagerungen des  Tunnels  sehr  kostspielig  und  auch 
bei  großen  Längen  der  zwischen  den  einzelnen 
Schächten  liegenden  Strecken  nicht  ausreichend; 


anders  bei  Lüftung  der  Eisenbahntunnel  im 
Betrieb. 

Für  lange  und  hoch  überlagerte  Tunnel  ist 
während  des  Baues  künstliche  Lüftung  ent- 
weder durch  Ansaugen  der  schlechten  Luft 
oder  Eindrücken  von  guter  Luft  erforderlich. 

Bei  Sauglüftung  wird  die  schlechte  Luft 
zumeist  nicht  unmittelbar  abgezogen,  sondern 
nur  ein  Gemisch  aus  schlechter  und  guter  Luft, 
wobei  also  überflüssige  Arbeit  geleistet  wird, 
namentlich  wenn  die  Saugleitung  nicht  unmittel- 
bar   an    die    betreffenden    Arbeitsstellen    führt. 

Die  am  Mont-Cenis-  und  Gotthardtunnel  ein- 
gerichteten Sauglüfter  haben  sich  nicht  bewährt. 

Die  Drucklüftung  wird  so  eingerichtet, 
daß  die  frische  Luft  in  geschlossenen  Leitungen 
unter  genügendem  Druck  in  den  Tunnel  geführt 
und  an  verschiedenen  Stellen  abgegeben  wird, 
so  daß  je  nach  der  Luftmenge  ein  atembares 
Gemisch  von  guter  und  schlechter  Luft  vor- 
handen ist.  Bei  den  neueren  großen  Tunnel- 
bauten wurden  Drucklüfter  verwendet,  die  im 
Bedarfsfall  auch  als  Sauglüfter  wirken  konnten, 
was  in  einigen  Fällen  erwünscht  war. 

Als  Drucklüfter  dienen  meist  Schleuder- 
gebläse der  Bauarten  Capell,  Pelzer,  Rateau 
und  Sulzer.  Für  kleinere  Luftmengen  werden 
auch  Strahlgebläse  gebraucht. 

Die  Lüfter  arbeiten  entweder  einzeln  oder 
mehrere  gemeinsam  neben-  oder  hintereinander 
geschaltet,  je  nach  geforderter  Menge  oder 
erforderlichem  Druck. 

Der  Kraftbedarf  der  Lüfter  kann  durch  große 
Leitungsquerschnitte  und  kurze  Leitungslängen 
eingeschränkt  werden ;  er  betrug  bei  den  neueren, 
über  6  km  langen  Tunneln  für  die  einzelnen 
Lüfter  etwa  50-160  PS. 

Meist  wurden  2  —  4  Lüfter  hintereinander 
verbunden.  Die  Lüfter  hatten  einzeln  5  bis 
15/ß3/Sek.  Luft  von  200-600  mm  Wasser- 
säule zu  liefern. 

Den  Antrieb  der  Lüfter  besorgten  Turbinen 
oder  Elektromotoren. 

Die  Leitungsquerschnitte  sind  durch  die  engen 
Stollen-  und  Tunnelquerschnitte  beschränkt.  Im 
Stollen  können  Leitungen  von  200  bis  höchstens 
500  mm  verlegt  werden,  die  gegen  Beschädi- 
gungen, namentlich  gegen  Sprengwirkungen 
geschützt  werden  müssen. 

Die  Luftleitungen  werden  meist  aus  Eisen- 
oder Zinkblech  in  den  fertigen  Strecken  für 
große  Weiten  auch  aus  Beton  oder  Betoneisen 
hergestellt. 

Für  große  Luftmengen  bei  geringem  Druck 
sind  bedeutende  Leitungsquerschnitte  erforder- 
lich, für  die  der  Raum  in  engen,  namentlich 
eingleisigen  Tunneln  kaum  zu  gewinnen  ist. 
Man  hat  daher  durch  Parallelstollen  (Simplon- 


432 


Tunnelbau  der  Eisenbahnen.        Tunnellüftung. 


tunnel)  oder  Unterstollen  (Vorschlag  Hennings, 
Weber)  grolie  Luftleitungen  geschaffen,  auch  hat 
man  in  den  fertiggestellten  Strecken  zweigleisiger 
Tunnel  durch  den  Einbau  einer  Scheidewand 
(Lötschbergtunnel)  eine  Luftleitung  großen 
Querschnitts  erreicht. 

Im  ersten  eingleisigen  Simplontunnel,  in  dem 
größte  Wärmegrade  bis  zu  50°  C  beobachtet  wurden, 
dessen  Richtstollen  mit  hydraulischen  Drehbolir- 
maschinen  aufgefahren  wurde,  standen  auf  jeder  Seite 
2  durch  Turbinen  angetriebene  Lüfter,  die  je  25mVSek. 
Luft  bei  250  mm  Wassersäule  lieferten,  in  Betrieb. 
Die  Lüfter  konnten  auf  Druck  oder  Menge  geschaltet, 
auch  zum  Saugen  eingerichtet  werden.  Die  Luft 
wurde  in  den  Parallelstollen  (s.  Abb.  428)  als  Leitungs- 
rohr und  aus  diesem  durch  den  jeweilig  letzten  der 
in  etwa  200  m  Abständen  hergestellten  Querstollen 
in  den  Tunnel  gedrückt.  Mittels  Strahlgebläse  oder 
kleinen  Lüftern  wurde  die  Luft  an  den  Enden  der 
Querstollen  gefaßt  und  durch  Rohrleitungen  bis  vor 
Ort  des  Richtstollens  gedrückt.  Der  Parallelstollen 
wurde  auch  zur  Wasserabführung  und  Förderung 
benutzt  und  wird  nun  zum  zweiten  Tunnel  ausgebaut. 

Im  zweigleisigen  Lötschbergtunnel,  in  dem 
Druckluftbohrmaschinen  arbeiteten,  befanden  sich  auf 
jeder  Seite  2  Lüfter,  die  je  25  m'/Sek.  Luft  von  250  mm 
Wassersäule  durch  den  in  der  ausgemauerten  Tunnel- 
strecke durch  eine  Scheidewand  hergestellten  Luftkanal 
von  6'3  m-  Querschnitt  drückten.  Am  Ende  dieses 
Kanals  wurde  die  Frischluft  durch  eine  dort  aufge- 
stellte kleinere  Drucklüfteranlage  in  geschlossenen 
Eisenrohren   bis  vor  Ort  des  Richtstollens  geführt. 

Im  zweigleisigen  zweiten  Hauensteintunnel,  in 
dem  Druckluftbohrhämmer  arbeiteten,  drückten  3  hin- 
tereinander geschaltete  Lüfter  4  —  5  m'/Sek.  Luft,  von 
400  -  600 /«//;  Wassersäule  in  die  Tunnelleitung,  deren 
Durchmesser  von  1000  auf  330  mm  im  Richtstollen 
abgemindert  wurde. 

Im  Tauern-,  Karawanken-  und  Wocheiner- 
tunnel der  österreichischen  Alpenbahnen,  in  denen  hy- 
draulische Drehbohrmaschinen  und  elektrische  Stoß- 
bohrmaschinen mit  geringer  Ausnahme  tätig  waren, 
sollten  5-8  m^/Sek.  Luft  bei  etwa  WO  mm  Wassersäule 
in  die  800-500  mm  weite  Tunnelleitung  durch  3  und 
4  Lüfter,  welche  teils  von  Turbinen,  teils  von  Elektro- 
motoren angetrieben  wurden,  gedrückt  werden. 

Literatur:  Rziha,  Lehrbuch  des  Tunnelbaues. 
Berlin  1872.-  Winkler,  Vorträge  über  Tunnelbau. 
Wien  1875.  -  Dolezalek,  Tunnelbau,  Oewinnungs- 
arbeiten.  Hannover  18Q6.  -  Mackensen,  Tunnel- 
bau; Hb.  d.  Ing.  W.  I.  Leipzig  1902.  -  Dolezalek, 
Der  Eisenbahntunnel.  Berlin-Wien  1018.  -  Die  aus- 
führlichen weiteren  Literaturangaben  finden  sich  in 
den  obgenannten  Schriften.  Dolezalek- 

Tunnellüftung  (Ventilation  of  tunnels; 
acragc  des  tunnels;  aerazione  dellc  gallerie). 
Die  Lüftung  der  Tunnel  im  Eisenbahnbetrieb 
vollzieht  sich  in  kürzeren  Tunneln,  auch  in 
stärkeren  Steigungen  meist  in  natürlicher 
Weise  und  ist  abhängig  von  der  Lage  der 
Tunnelinündungen,  den  Wärnieunterschieden 
an  diesen,  ihrer  gegenseitigen  Höhenlage  und 
der  herrschenden  Windrichtung.  Für  lange 
Tunnel  mit  starkem  Zug\-erkehr  genügt  natür- 
liche Lüftung  zumeist  nicht  mehr,  um  der 
Luftverschlechterung  durch  die  Rauchgase  der 
Lokomotiven  und  der  etwa  dem  Gebirge  ent- 


strömenden Oase  vorzubeugen,  eine  Abkühlung 
der  durch  die  Rauchgase  erwärmten  Luft  und 
ihre  Trocknung  im  Interesse  der  Oberbau-  und 
namentlich  der  Schienenerhaltung,  auch  des 
Tunnelmauerwerks,  wie  der  Reibungsverhält- 
nisse und  der  Sicherungsanlagen  zu  erreichen; 
sie  muß  daher  durch  andere  Mittel  und  meist 
durch  künstliche  Lüftung  unterstützt  werden. 
Auch  bei  elektrischem  Betrieb  ist  die  Lüftung 
des  Tunnels  zumal  zur  Trockenhaltung  der 
Luft  sehr  zu  empfehlen.  Durch  rasches  Befahren 
der  Tunnel,  tunlichste  Vermeidung  stärkerer 
Rauchentwicklung  und  Verwendung  hoch- 
wertiger Brennstoffe,  wie  namentlich  Petroleum 
und  Petroleumrückstände  zur  Lokomotivfeue- 
rung können  die  Übelstände  der  Rauchbelästi- 
gung et«'as  abgemindert  werden.  Die  immerhin 
kostspielige  Petroleumfeuerung  hatte  aber  starke 
Erwärmung  der  Luft  und,  zumal  bei  unvor- 
sichtiger Behandlung,  Luftverschlechterung  zur 
Folge,  auch  die  Feuchtigkeit  der  Luft  wurde 
nicht  gemindert  und  die  Reibungsverhältnisse 
wegen  des  Niederschlags  von  Teerteilchen  auf 
die  Schienen  verschlechtert,  \^'ie  die  Versuche 
im  Arlbergtunnel  ergeben  haben.  Eingleisige, 
über  1  km  lange  Tunnel,  die  in  stärkeren 
Steigungen  liegen,  hat  man  mit  größeren  Licht- 
raumquerschnitten auch  von  vornherein  als 
zweigleisige  Tunnel  ausgeführt  und  die  starken 
Steigungen  der  offenen  Strecke  wesentlich  er- 
mäßigt, um  die  natürlichen  Lüftungsverhältnisse 
zu  verbessern  und  die  Rauchentwicklung  zu 
vermindern,  wie  das  in  letzter  Zeit  auf  fran- 
zösischen Bahnen  wiederholt  geschehen  ist.  Zu- 
führung von  Druckluft  in  geschlossenen  Lei- 
tungen in  das  Tunnelinnere,  namentlich  in  die 
Tunnelnischen  zur  Entnahme  durch  das  Bahn- 
personal, oder  Mitführung  von  Druckluftbe- 
hältern auf  den  Lokomotiven  haben  keine  brauch- 
bare und  ausreichende  Abhilfe  ermöglicht.  Die 
Versuche,  die  auf  einigen  österreichischen 
Bahnen  gemacht  wurden,  mittels  Sauglüftern 
die  noch  weniger  verdorbene  kühle  Luft  aus 
der  Tunnelsohle  anzusaugen  und  sie  vor  dem 
Lokomotivführer  auszublasen,  hatten  sich  stellen- 
weise bewährt;  allein  eine  Tunnellüftung,  die 
auch  für  die  Arbeiter  und  Wärter  im  Tunnel 
sowie  für  die  Trocknung  der  Luft  erforderlich 
ist,  wurde  hierdurch  nicht  erreicht 

Es  ist  daher  künstliche  Lüftung  des 
vollen  Tunnels  erforderlich,  die  tunlichst  so 
einzurichten  ist,  daß  sie  die  natürliche  Lüftung 
unterstützt.  Künstliche  Lüftung  kann  durch  .'\us- 
saugen  der  schlechten  oder  durch  Eindrücken 
von  frischer  Luft  in  den  Tunnel  erreicht  werden, 
in  beiden  Fällen  erhält  man  im  Tunnel  ein 
Gemisch  von  frischer  und  verbrauchter  Luft. 
Hierfür  kommen  2  Vorgänge  in  Frage,  u.  zw.: 


Tunnellüftung. 


433 


1.  Lüftung  durch  Schächte;  2.  Lüftung  durch 
die  Mündungen  a)  mit  Mündungsverschlüssen, 
b)   mit   Strahlgebläsen    (Bauweise   Saccardo). 

1.  Schachtlüftung. 

Die  Tunnellüftung  durch  Schächte  kann  unter 
gewissen  Bedingungen  auch  ohne  künstliche 
Mittel  erträgliche  Verhältnisse  ermöglichen.  Die 
Schächte  sind  mit  großen  Lichtquerschnitten 
anzuordnen  und  bei  Anordnung  nur  eines 
Schachtes  dieser  tunlichst  an  höchste  Stelle  und  in 
die  Mitte  des  Tunnels  zu  verlegen.  Bedeutende 
Schachttiefen  werden  ohnedies  wegen  zu  großer 
Kosten  vermieden.  Die  Wirkung  beruht  haupt- 
sächlich auf  den  Wärme-,  daher  Druckunter- 
schieden im  Tunnel  und  am  Schachtmund.  So- 
lange die  Wärme  im  Tunnel  und  Schacht 
größer  ist  wie  an  der  Oberfläche,  ist  Luft- 
bewegung vom  Tunnel  nach  außen  möglich. 
Andernfalls  hört  die  Luftbewegung  überhaupt 
auf  oder  es  findet  solche  im  umgekehrten 
Sinne  statt.  Es  sind  bei  manchen  Tunneln 
Schachtlüftungen  in  ausreichender  Weise  er- 
möglicht worden.  Da  aber  die  Bedingungen 
für  genügende  Schachtlüftungen  unter  allen 
Witterungsverhältnissen  kaum  zu  erfüllen  sind, 
so  haben  Schachtlüftungen  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  nicht  befriedigt;  allerdings  haben 
auch  die  zumeist  unzureichenden  Lichtquer- 
schnitte der  Schächte  deren  Wirksamkeit  ver- 
hindert. Eine  in  allen  Fällen  zweckmäßige 
Schachtlüftung  kann  durch  Anordnung  von 
Sauglüftern  am  Schachtmund  erreicht  werden, 
die  unier  günstigen  Verhältnissen  die  natür- 
liche Lüftung  unterstützen  und  bei  entsprechend 
großem  Kraftaufwand  auch  dann  Luft  aus  dem 
Tunnel  saugen,  wenn  natürliche  Lüftung  nicht 
oder  im  entgegengesetzten  Sinn  vorhanden  ist, 
so  daß  ein  gleichgerichteter  Luftstrom  von 
den  Mündungen  durch  den  Tunnel  und  Schacht 
nach  außen  gesichert  werden  kann.  Auch  diese 
Anordnung  ist  durch  die  Überlagerung  begrenzt, 
da  bei  großen  Höhen  und  ungünstigen  Gebirgs- 
und  Wasserverhältnissen  die  Anlage  zumal 
weiter  Schächte  sehr  hohe  Baukosten  und  bei 
großer  Tiefe  auch  erhebliche  Betriebskosten 
erfordert. 

Bei  geringer  Schachttiefe  werden  z.  B.  die 
Tunnel  unter  dem  Severn-  und  Merseyflusse 
(s.  Bd.  VII  u.  IX)  sowie  unter  dem  Hafen  von 
Boston  durch  Schächte  und  Sauglüfter  in  zu- 
friedenstellender Weise  entlüftet;  es  werden  hier- 
bei Windgeschwindigkeiten  von  2  —  2-5  /n/Sek. 
erreicht.  Für  den  neuen  8134m  langen  zwei- 
gleisigen Hauensteinbasistunnel  (s.  Bd.VI,  S.  1 18) 
hat  Wiesmann  auf  Grund  seiner  Beobachtun- 
gen am  Severntunnel  eine  Lüftungsanlage  mit 
Saugschacht  und  Sauglüftern  entworfen  und  aus- 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  2.  Aufl.  I.X. 


geführt.  Die  Verhältnisse  des  Tunnels  und  der 
Schachtanlage  zeigen  Abb.  479  u.  480. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Überlagerungsverhält- 
nisse wurde  der  Schacht  nicht  in  der  Mitte 
und  auch  nicht  in  höchster  Stelle,  sondern  im 
Abstand  von  3594  m  vom  Nordmund  des 
Tunnels,  b'd  m  weit,  kreisförmig  und  133 /« 
tief,  seitwärts  der  Tunnelachse  ausgeführt.  Für 
normale  Verhältnisse  bei  natürlicher  Luftbe- 
wegung vom  Tunnel  durch  den  Schacht  nach 
außen  ist  eine  Luftgeschwindigkeit  von  3  w/Sek. 
und  eine  bewegte  Luftmenge  von   132//z3/Sek. 


M>rcf 
Thäir/raa 


Süd 

Offen. 


Abb.  479. 

vorgesehen.  Am 
Schacht  wird  da- 
her die  bewegte 
Luftmenge  der 
Nord-  und  Süd- 
strecke zusammen 
264  /«3/Sek.  und 
die  Luftgeschwin- 
digkeit im  Schacht 
etwa  10-7  /«/Sek. 
betragen.  Die  vor- 
erstnochnichtaus- 
geführte  Anla- 
ge des  Lüfters 
und  Motors 
am  Schacht- 
mund ist  nach 
dem  Entwurf 
für  eine  För- 
dermenge von  264  /«^  Luft  bei  —22  mm 
Wassersäule  vorgesehen,  wofür  eine  Betriebs- 
kraft von  129  PS.  und  eine  Maschinenstärke 
von   150  PS.  angenommen  wurde. 

Die  Kosten  für  diese  Lüftungsanlage  werden  an- 
gegeben wie  folgt: 
für  den  ausgeführten  Schacht  samt  Orund- 

erwerb  und  Entwässerungen     ....   173.000  Fr. 
für  die  noch  zu  erstellenden  2  Zwillingslüfter 

mit  Vorgelege  und  2   Elektromotoren   66.000  „ 

für  gemauertes  Gehäuse 20.000  „ 

für    Dienstwohnung    und  Verschiedenes     21.000  „ 
zusammen  .    .    .  280.000  Fr. 

28 


Abb.  4S0. 


434 


Tunnellüftnng. 


Die  jährlichen  Betriebskosten  werden  mit  30.000  Fr. 
geschätzt. 

Vorerst  wird  hiernach  der  neue  Hauenstein- 
tunnel  nur  durch  natürliche  Lüftung  ohne 
maschinelle  Sauganlagen  gelüftet,  wie  weit  dies 
unter  den  gegenwärtigen  Verkehrs-  und  Betriebs- 
verhältnissen genügt,  wird  nicht  mitgeteilt. 

Da  die  Lüftung  des  4200  m  langen  zwei- 
gleisigen Cochemtunnels  der  Moselbahn 
(s.  Bd.  111,  S.  207)  mittels  der  dort  angeordneten 
Anlage  (Bauweise  Saccardo)  nicht  genügte,  hat 
man  im  Abstand  von  1135/«  vom  Südende 
(Eller)  einen  etwa  230  m  tiefen,  durchschnitt- 
lich 5  m  weiten  Schacht  eingebaut,  durch  den 
entweder  die  Luft  mittels  eines  Sauglüfters 
angesaugt  oder  aber  die  Frischluft  mittels 
des  drückend  wirkenden  Lüfters  einer  im  Tunnel 
an  der  Schachtstelle  eingebauten  Luftkammer 
mit  Düse  zugeführt  werden  soll.  Die  Kosten 
für  Luftkammer,  Schacht  und  maschinelle  An- 
lagen sind  auf  583.000  M.  veranschlagt.  Vor- 
läufig dient  der  Schacht  hauptsächlich  zur 
natürlichen   Entlüftung. 

Die  Lüftung  durch  Vermittlung  von  Schächten, 
die  ausreichend  großen  Lichtquerschnitt  er- 
halten müssen,  hat  den  Vorteil,  daß  der  an 
der  Mehrzahl  der  Tage  herrschende  natürliche 
Luftzug  aus  dem  Tunnel  durch  den  Schacht 
einen  geringen  Kraftverbrauch  der  Lüfter  er- 
möglicht oder  auch  den  Betrieb  der  Lüfter 
zeitweise  entbehrlich  machen  kann  und  daß 
Einbauten  im  Tunnel  wie  bei  den  Lüftungen 
durch  die  Mündungen  nicht  erforderlich  sind. 
Dagegen  sind  Saugschachtlüftungen  nur  dort 
möglich,  wo  nicht  zu  weit  von  der  Mitte  oder 
der  höchsten  Stelle  des  Tunnels  ein  Schacht 
mit  großem  Lichtquerschnitte,  mäßiger  Tiefe 
und  im  nicht  ungünstigen  Gebirge,  daher  ohne 
zu  große  Kosten  erstellt  werden  kann,  was 
namentlich  bei  den  tief  gelegenen,  langen 
Scheitehunneln  meist  nicht  der  Fall  ist. 

2.  Die  Lüftung    durch    die  [Tunnelnuin- 
dungen  •v 

kann  durch  Eindrücken  oder  Aussaugen  der 
Luft  erfolgen;  in  beiden  Fällen  wird  die  Luft 
im  Tunnel  in  Bewegung  gesetzt  und  aus  dem 
Tunnel  gefördert,  wobei  frische  Luft  nach- 
strömt. Auch  können  Druck-  und  Sauglüftung 
so  verbunden  werden,  daß  beide  einander  unter- 
stützen. Da  die  natürliche  Lüftung,  die  von 
der  Höhenlage,  den  Wärmeunterschieden  und 
den  Windrichtungen  auf  beiden  Tunnelmün- 
dungen abhängig  ist,  im  Interesse  wirksamer 
Lüftung  und  Kraftersparnis  ausgenützt  werden 
soll,  so  sind  die  Lüfter  an  den  Tunnelmün- 
dungen dementsprechend  tunlichst  so  anzu- 
ordnen,   daß    die    natürliche    Lüftung    unter- 


stützt und   ihr   nicht  entgegengearbeitet  wird, 
was  freilich  nicht  immer  möglich  ist. 

In  Tunneln  mit  größeren  Höhenunter- 
schieden der  beiden  Mündungen  und  stär- 
keren Steigungen  wurden  Drucklüfter  zumeist 
an  den  höher  gelegenen  Mündungen  ange- 
ordnet, um  die  Luft  dem  in  der  Steigung 
fahrenden  Zug  entgegenzudrücken  und  den 
Rauch  tunlichst  rasch  vom  Lokomotivführer- 
stand zu  beseitigen,  was  allerdings  infolge 
vermehrter  Widerstände  größeren  Kraftauf- 
wand, daher  Mehrkosten  bedingt.  Da  die  Luft- 
geschwindigkeit im  Tunnel  auch  im  Interesse 
der  darin  tätigen  Arbeiter  2  — 4 /«/Sek.  selten 
überschreitet,  also  geringer  ist  wie  in  der 
Regel  die  Zugsgeschwindigkeit,  so  würde  auch 
bei  gleichgerichteter  Bewegung  der  Luft  und 
des  Zuges  im  Tunnel  eine  Rauchbelästigung 
vermieden  werden  können.  Da  das  aber  nicht 
immer  gesichert  ist,  so  dürfte  doch  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  das  Eindrücken  der  Luft 
der  Zugrichtung  entgegen  trotz  der  hierdurch 
bedingten  Mehrkosten  vorzuziehen  sein.  Am 
wirksamsten  und  sichersten  würde  die  Lüftungs- 
anlage sich  gestalten  durch  Anordnung  von 
Lüftern  an  beiden  Tunnelmündungen,  die  zum 
Drücken  und  Saugen  eingerichtet  und  so  zu 
betreiben  sind,  daß  nach  Bedarf  von  der  einen 
Seite  gedrückt,  an  der  andern  gesaugt  wird 
und  umgekehrt,  wobei  allen  Verhältnissen 
Rechnung  getragen  werden  kann.  Ob  durch 
die  hierbei  mögliche  Kraftersparnis  die  immerhin 
nicht  geringen  Mehrkosten  der  Doppelanlage 
aufgewogen  werden,  wäre  im  einzelnen  Fall 
zu  prüfen.  Als  Lüfter  werden  in  der  Regel 
Schleudergebläse  (Zentrifugalventilatoren)  der 
Bauweisen  Guibal,  Pelzer,  Rateau  u.a.m., 
namentlich  Capell,  gebraucht. 

fl^Die  Lüftung  mit  Mündungs ver- 
schlussen. Die  Luft  wird  von  dem  an  den 
Tunnelmündungen  aufgestellten  Gebläse  durch 
Querkanäle  unmittelbar  in  den  Tunnel  gedrückt 
oder  aus  diesem  angesaugt.  Um  das  Entweichen 
der  nahe  der  Mündung  in  den  Tunnel  ge- 
drückten Luft  zu  verhindern,  wird  die  Mün- 
dung während  des  Betriebs  des  Lüfters  ge- 
schlossen, was  durch  Tore  oder  besser  durch 
leichte  und  bewegliche  Vorhänge,  die  für  den 
Eisenbahnbetrieb  gefahrlos  sind,  geschehen 
kann.  Durch  selbsttätige  Signale  wird  der  Zu- 
stand angezeigt,  in  dem  die  Verschlußeinrich- 
tungen sich  befinden. 

Es  ist  zweckmäßig,  den  Luftzuführungskanal 
von  den  Lüftern  nach  dem  Tunnel  bei  ge- 
öffnetem Vorhang  durch  Klappen  zu  schließen, 
da  sonst  bei  nicht  abgestellten  Lüftern  die  Luft 
durch  die  benachbarte  Mündung  mit  großer 
Geschwindigkeit    entweicht,    was    Überlastung 


Tunnellüftung. 


43S 


des  Motors  und  unangenehmen  Luftstrom  zur 
Folge  hat.  Die  verwendeten  Vorhänge  bestehen 
aus  getränktem  Segeltuch,  das  in  Eisenrahmen 
gefaßt  ist;  bei  richtiger  Anordnung  können  sie 
auch  auf  der  Höhe  der  Schienen  annähernd 
dicht  anschließen,  so  daß  Luftverluste  ziemlich 
vermieden  werden  können.  Das  Heben  und 
Senken  der  Vorhänge  kann  von  Hand  oder 
maschinell  erfolgen.  Die  an  einer  Mündung 
eingedrückte  Luft  durchströmt  den  Tunnel  und 
entweicht  an  der  entgegengesetzten  Mündung. 
Auch  können  an  dieser  Mündung  Sauglüfter 
und  Vorhangverschluß  zur  Unterstützung  des 
Drucklüfters  an  der  ersten  Mündung  ange- 
ordnet werden. 

Eine  Anlage  dieser  Art,  wie  sie  im  8565  in 
langen  eingleisigen  Grenchenbergtunnel 
(Schweiz)  ausgeführt  ist,  zeigt  Abb.  4SI  u.  4S2. 


Seite  in  Brig  erstellt,  auf  der  Südseite  fallen 
Lüftungsanlagen,  daher  auch  die  Vorhänge  fort. 
Als  größter  Luftbedarf  wurde  für  jeden  der 
beiden  eingleisigen  Tunnel  90  /«^/Sek.  fest- 
gesetzt, was  eine  Luftgeschwindigkeit  von 
3-4  /«/Sek.  ergibt.  Es  wurden  2  Lüfter  von 
Sulzer  von  180  m?jStk.  Fördermenge  bei 
\?>Q  mm  Wassersäule  Pressung  so  aufgestellt, 
daß  beide  Lüfter  hintereinander  auf  Druck  ge- 
schaltet werden  können.  Auch  im  14.536  m 
langen  zweigleisigen  Lötschbergtunne! 
(s.  Bd.  VII)  wurde  eine  Lüftungsanlage  mit 
Vorhängen  angeordnet. 

Die  Vorteile  der  Lüftungsanlagen  mit  Vor- 
hängen bestehen  in  dem  günstigen  Wirkungs- 
grad und  den  niedrigen  Erstellungskosten, 
dagegen  ist  als  Nachteil  anzusehen,  daß  die 
Lüftung  nur  bei  geschlossenem  Vorhang  wirk- 
sam ist,  dieser  besonders  bedient 
und  mit  einer  Signaleinrichtung  ver- 
bunden sein  muß  und  infolge  des 
häufigen  Öffnens  und  Schließens 
des  Vorhangs  bei  stärkerem  Ver- 
kehr Unterbrechungen  und  Störun- 
gen eintreten. 

b)  Die  Lüftungsanlage  des 
Ingenieurs    Saccardo    wirkt    als 


Abb.  482. 


An  gemeinsamer  Welle  befinden  sich  2  Lüfter  Z. 
mit  einseitigem  Einlauf,  die  eine  Betriebskraft 
von  50  PS.  benötigen  und  durch  einen  100  PS. 
starken  Elektromotor  angetrieben  werden.  Sie 
liefern  75  /«^/Sek.  bei  einem  Druck  von  30  mm 
Wassersäule  und  einer  Normalgeschwindigkeit 
der  einziehenden  Luft  mit  3  /«/Sek.  Der  be- 
wegliche Vorhang  V  befindet  sich  unmittelbar 
an  der  Tunneimündung.  Der  Luftkanal  C  kann 
bei  geöffnetem  Vorhang  durch  eine  Klappe  K 
geschlossen  werden.  Der  Vorhang  wie  die 
Klappe  werden  durch  Elektromotoren  bewegt. 
Die  Gesamtkosten  der  Lüftungsanlage  werden 
mit  124.000  Fr.  angegeben.  Im  seinerzeit  ein- 
gleisigen, rd.  20.000m  langen  Simplontunnel 
(s.  Bd.  IX)  waren  nach  der  alten  Anordnung 
beide  Tunnelmündungen  mit  Vorhängen  ver- 
sehen; hierbei  erfolgte  das  Eindrücken  der  Luft 
auf  der  Nordseite  (Brig)  und  das  Ansaugen 
auf  der  Südseite  (Iselle).  Die  neue  Anlage  für 
beide  eingleisige  Tunnel  wurde  auf  der  Nord- 


Abb.  4S3. 

Strahlgebläse  oder,  wie  der  Erfinder  sagt,  als 
Stoßmaschine  (s.  Abb.  483).  Die  seitwärts 
der  Tunnelmündung  M  angeordneten  Lüfter 
(Schleudergebläse)  drücken  Luft  in  eine  um 
den  Tunnelquerschnitt  in  der  Nähe  der  Mün- 
dung M  ringförmig  angeordnete  Luftkammer  L 
und  aus  dieser  durch  Düsen  D,  deren  Öffnungs- 
weiten und  Winkelgrößen  den  jeweiligen  Ver- 
hältnissen anzupassen  sind,  daher  letztere  auch 
verstellbar  eingerichtet  werden,  in  den  Tunnel. 
Für  eingleisige  Tunnel  können  Luftkammer 
und  Düsen  unter  dem  Gleis  weggelassen 
werden,  wodurch  die  brückenartige,  kostspielige 
Anordnung  vermieden  wird.  Die  aus  den  Düsen 
tretende  Luft  stößt  auf  die  Luftsäule  im  Tunnel 
und  setzt  diese  mit  der  Düsenluft  in  Bewegung 
durch  den  Tunnel  bis  an  die  Mündung  der  ent- 
gegengesetzten Seite.  Unter  gewissen  Bedin- 
gungen erleidet  die  aus  den  Düsen  kommende 
Luft  beim  Stoß  auf  die  Tunnelluft  einen  Rück- 
stau, so  daß  Luft,  nachdem  sie  nützliche  Arbeit 

28* 


436 


Tunnellüftung. 


geleistet  hat,  unmittelbar  durch  die  naheliegende 
Tunnelmündung  zurückfließt.  Durch  Regelung 


Abb.  4S4. 


Abb.  485. 

des  Luftdrucks,  der  Bauart  und  Abmessungen 
der  Düsen  kann  der  Rückstau  eingeschränkt 
oder  in  das  Umgekehrte,  also  in  ein  Einsaugen 


von  Luft  durch  die  Mündung  in  den  Kegel  der 
Düsenluft,  verwandelt  werden.  Es  werden  in  der 
Regel  Windgeschwin- 
digkeiten im  Tunnel  von 
2  —  6  /«/Sek.  eingehalten. 
Die  natürliche  Luftbe- 
wegung soll  tunlichst 
unterstützt  werden.  Im 
Interesse  der  Krafter- 
sparnisse, also  nament- 
lich dort,  wo  Wasser- 
kräfte nicht  oder  unzu- 
reichend zur  Verfügung 
stehen,  kann  die  An- 
ordnung von  Anlagen 
an  beiden  Mündungen 
zweckmäßig  sein,  auch 
derart,  daß  diese  An- 
lagen nicht  nur  zum 
Drücken,  sondern  auch 
zum  Saugen  eingerichtet 
werden,  weil  in  diesem 
Fall  dem  natürlichen 
Luftzug  nicht  entgegen- 
gearbeitet, sondern  die- 
ser unterstützt  werden 
kann.  Bei  einseitigen  An- 
lagen mit  Druckwirkung 
wird  diese  in  steigenden 
Tunneln  vielfach  an  der 
oberen  Mündung  ange- 
ordnet, um  die  Luft  dem 
aufwärts  fahrenden  Zug 
entgegenzudrücken.  Wie 
weit  dies  zweckmäßig 
ist,  wurde  bereits  oben 
bei  Lüftungsart,  2a]  be- 
sprochen. 

Diese  Lüftungsart 
wurde  zuerst  an  dem 
2725  m  langen  einglei- 
sigen Prachiatunnel  der 
Appeninenbahn  (Bolog- 
na-Pistoja),  dann  an 
mehreren  anderen,  auch 
größeren  zweigleisigen 
Tunneln  in  Italien,  an 
dem  zweigleisigen  Gott- 
hard-  und  Moiit-Cenis- 
Tunnel,  auch  am  Arz- 
weiler-  und  Cochem- 
tunnel  (unzureichend), 
schließlich  an  den  zwei- 
gleisigen Tauern-  und 
eingleisigen  Dössentun- 
nel  der  österreichischen  Alpenbahnen  sowie  an 
einigen  Tunneln  in  Frankreich  und  Nord- 
amerika ausgeführt. 


ty^.t 


Tunnellüftung.        Tunnelsignale. 


437 


Die  Anlage  am  zweigleisigen  8550  m  langen 
Tauerntunnel,  (s.  Bd.  IX,)  zeigen  Abb.  484 
bis    487.    Als    Lüfter    werden    2   Schleuder- 
gebläse Bauart  Capell  verwendet,  wovon  das 
eine    zur  Aushilfe    dient.    Sie    sind    für    eine 
größte  Fördermenge  von  260  m^jSek.  gebaut. 
Die    Flügelräder    haben    5'5  m    Durchmesser 
und  2  m  Breite.  Für  die  Grenzleistungen  von 
3  —  6  /«/Sek.  Luftgeschwindigkeit  ist  ein  Kraft- 
bedarf von  250-1100  PS.  erforderlich. 
Der  Antrieb  geschieht  durch  Gleichstrom- 
motoren.   Die  Wasserkraft  des  Mallnitz- 
baches  bei   Lassach    erzeugt    Drehstrom 
von    5000  Volt,    der   im    Maschinenhaus 
des   Tunnels    in    Gleichstrom   von    250 
bis    500   Volt    umgewandelt    wird.    Die 
Anlage  befindet  sich    an   der  höher  ge- 
legenen südlichen  Mündung  des  Tunnels, 
um  die  Luft  dem    in  der  Steigung  von 
\0%  aufwärts  fahrenden  Zug  entgegen- 
zudrücken. Die  Vorteile  der  Lüftungsart 
Saccardo    bestehen    in    der   Vermeidung 
von  Tor-   oder   Vorhangseinbauten,  wo- 
durch   die    störenden    Unterbrechungen 
und    Bedienungen     vermieden     werden, 
gegenüber  der  Lüftungsart  1   in  der  Fort- 
lassung von  Schächten,  die  nur  bei  nicht 
zu  großen  Tiefen  und  im  günstigen  Ge- 
birge vorteilhafte   Anordnungen    ermög- 
lichen;   dagegen    ist    der    Wirkungsgrad 
wie  bei  allen  Strahlgebläsen  gering,  auch 
ist  bei   starker  Gegenströmung  der  Luft 
im  Tunnel  die  Anlage  mit  den  bisherigen 
Formen    und   Abmessungen    kaum    aus- 
reichend;   zweiseitige  Anlagen  erfordern 
hohe  Erstellungskosten.  In  dieser  Richtung 
sind  noch  Verbesserungen  möglich.    Im 
Eisenbahnbetrieb  hat  allerdings  die  Lüf- 
tungsart  Saccardo    bisher    die   häufigste 
Verwendung  gefunden. 

Literatur:  Heine,  Tunnellüftung  während 
des  Eisenbahnbetriebes.    Bulletin  d.  Int.  Eis.- 
Kongr.-Verb.  1900.  -  Klodic  v.  Sabladoski, 
Studie  betreffend  künstliche  Lüftung  des  Qott- 
hardtunnels.    Aus  dem  Italienischen.   Ancona 
18Q9.    -    Kern  mann,    Über    Lüftung    von 
Tunneln.  Ztg.  d.  VDEV.  1900.  -   Hannak, 
Tunnelbau,   in    Geschichte    der   Eisenbahnen 
Österreichs.    Teschen    1909.     -     Aerotion    des 
Souterrains.   Ann.   d.  ponts  1909.  -  Schubert, 
Lüftung  im  Tunnelbau.  Weida  1912.  -  Schumann, 
Die  Tunnelluftanlagen   der  Tauernbahn.    Ztschr.  dt. 
Ing.    1915.    -    Rothpletz,    Die  Ventilationsanlage 
des  Simplontunnels.  Schwz.  Bauztg.  1 91 9.  -  W i  n  k  1  e r. 
Die  Eisenbahntunnel  der  Schweiz.  1915.    -    Wies- 
mann, Künstliche  Lüftung  im  Stollen-  und  Tunnel- 
bau  sowie   von  Tunneln    im    Betrieb.   Zürich    1919. 
-  Lucas,  Der  Tunnel.  Berlin  1920.       Dolezalck. 

Tunnelsignale  (tannel  Signals ;  signatix  de 
tiinnel;  scgnali  di  galleria)  zur  Deckung  der 
Züge   während    der   Fahrt    im    Tunnel    sowie 

Enzyklopädie  des  Eisenbahn«esens.  2.  Aufl.  IX. 


zur  Verständigung  der  Tunnelwärter  und  Ar- 
beiter untereinander  und  mit  den  nächstgele- 
genen Stationen. 

In  der  Regel  ist  die  Bestimmung  getroffen, 
daß  sich  in  einem  Tunnel  nie  2  oder  mehr 
Züge  gleichzeitig  hintereinander  bewegen  dür- 
fen, weil  die  Züge  zur  Tageszeit  für  kleinere 
Tunnel  keine  Nachtsignale  haben,  diese  aber 
in    größeren  Tunneln,  wo    sie  vorgeschrieben 


Lultkanal  zimVeniilaior 


I 
Abb.  486. 


rih  r  „ 


Abb.  487. 

sind,  infolge  des  Rauches  leicht  übersehen 
werden  können. 

Für  kleinere  Tunnel  genügt  es,  die  Austeilung 
der  Blockposten  so  zu  treffen,  daß  der  Tunnel 
ganz  in  eine  Blockstrecke  zu  liegen  kommt; 
damit  ist  die  Einfahrt  eines  Zuges  in  diese 
allenfalls  noch  besetzte  Blockstrecke  verhindert. 

Solche  kürzere  Tunnel  bedürfen  dann  keiner 
besonderen  Signaleinrichtungen.  Es  genügt  die 
Beleuchtung  der  Kilometer-  und  Hektometer- 
zeichen sowie  der  Neigungszeiger.  An  beson- 

29 


438 


Tunnelsignale.  —  Tunnelvermessung. 


ders  wichtigen  Gefällsbrüchen  wird  es  sich 
überdies  empfehlen,  Rasselwerke   aufzustellen. 

Bei  langen  Tunneln  wird  es  zweckmäßig 
sein,  sie  als  eine  besondere  Blockstrecke  zu 
betrachten  und  an  beiden  Eingängen  eigene 
Blockposten  zu  errichten.  Überdies  erheischt 
aber  die  Sicherheit  des  im  Tunnel  beschäftigten 
Personals,  dieses  vom  Verkehr  der  Züge  zu 
verständigen  und  ihm  die  Möglichkeit  zu  bieten, 
sich  untereinander  sowie  mit  den  nächstgelegenen 
Bahnhöfen  in  Verbindung  setzen  zu  können. 
Dies  erfordert  die  Anbringung  zahlreicher 
Glockensignale  und  Telephonstellen  im  Tunnel. 
Die  Telephone  werden  am  besten  in  den 
größeren  Tunnelnischen  untergebracht. 

Die  Anlage  von  Blockposten  im  Innern  lan- 
ger Tunnel  ist  nicht  immer  günstig.  Sie  er- 
scheint bei  elektrischem  Betrieb  der  Bahn 
weniger  bedenklich  und  läßt  sich  bei  Unter- 
grundbahnen nicht  vermeiden. 

Im  Simplontunnel  ist  eine  Blockstation  vor- 
handen,   ebenso    im    neuen    Hauensteintunnel. 

Liegt  ein  Bahnhof  so  nahe  an  der  Tunnel- 
mündung, daß  das  Einfahrtssignal  nicht  in  der 
vorgeschriebenen  Entfernung  vom  Einfahrts- 
wechsel außerhalb  des  Tunnels  angebracht 
werden  kann,  so  muß  es  in  den  Tunnel  ver- 
legt werden.  In  diesem  Fall  kann  das  Ein- 
fahrtssignal nur  als  Nachtsignal  ausgebildet 
und  muß  so  gebaut  werden,  daß  es  sich  den 
beschränkten  Raumverhältnissen  anpaßt,  jedoch 
hinreichende  Lichtwirkung  besitzt. 

Vielfach  wird  heute  in  solchen  Fällen  von 
Blinklichtsignalen  Anwendung  gemacht. 

Da  Holz  und  Eisen  in  den  Tunneln  rasch 
zu  gründe  gehen,  empfiehlt  es  sich,  bei  der  Her- 
stellung der  T.  diese  Baustoffe  tunlichst  zu 
vermeiden  und  sie  durch  Messing,  Kupfer, 
Hartbronze  und  Hartgummi  soweit  als  mög- 
lich zu  ersetzen.  Ferner  muß,  der  nachteiligen 
Einflüsse  der  zumeist  sehr  feuchten  Luft  wegen, 
auf  guten  Abschluß  aller  Apparate  nach  außen 
hin  sowie  auf  sorgfältige  Isolierung  aller  Lei- 
tungen und  Verbindungsteile  gesehen  werden. 

Tunnelvermessung,  Für  den  Tunnelbau 
ist  die  Angabe  der  Mundlöcher  und  der 
Richtungen  der  Achsenlinie  und  das  Ansteigen 
erforderlich,  damit  der  Gegenortsbetrieb  ein- 
gerichtet werden  kann.  Manchmal  sind  auch 
noch  Betriebsschächte  anzugeben,  die  von  der 
Erdoberfläche  aus  abgeteuft  und  als  neue  Aus- 
gangspunkte für  den  Tunnelstollen  angesetzt 
werden  sollen,  oder  Luftschächte,  die  sowohl 
abgeteuft  als  aufgebrochen  werden.  Beim  Vor- 
treiben der  Stollen  ist  die  Achsenrichtung  jeweils 
vor  Ort  anzugeben  und  von  Zeit  zu  Zeit  sind 
Prüfungen  über  den  Verlauf  der  ganzen  auf- 
gefahrenen Strecke  vorzunehmen.  Nach  erfolgtem 


Durchschlag  ist  die  Achse  zweckmäßig  aus- 
zugleichen. Bei  Verdrückungen  sind  auch  Quer- 
profilmessungen auszuführen. 

Die  Hauptmessungsarbeiten  über  Tag  be- 
stehen in  den  Angaben  der  Achsenrichtung  an 
den  Tunnelenden  und  des  Höhenunterschieds 
beider  Eingänge.  Der  Höhenunterschied  wird 
meist  vorläufig  weniger  genau  durch  trigono- 
metrische Höhenmessung,  darauf  genauer  durch 
ein  geschlossenes  Nivellement  ermittelt.  Die 
Achsenrichtung  wird  nur  in  einzelnen  Fällen 
durch  unmittelbare  Angabe  über  Tage  möglich 
sein.  Manchmal  ist  die  Messung  eines  stark 
gestreckten  Polygonzugs  möglich,  bei  dem  die 
Seitenlängen  auf  optische  Art  bestimmt  werden 
können ;  die  Achsenrichtung  ist  dann  durch 
seitliche  Versetzung  der  Polygonpunkte  nach 
einfacher  Rechnung  zu  erhalten.  Zur  optischen 
Längenmessung  ist  das  Tichysche  Verfahren 
mit  wagrechter  Latte,  deren  Ablesung  an  verti- 
kalen Distanzfäden  den  Logarithmus  der  schiefen 
Länge  angibt,  auch  der  Streckenmeßtheodolit 
nach  Werkmeister  oder  nach  Pulfrich  bei 
wagrechter  oder  der  Hohennersche  Präzisions- 
distanzmesser bei  lotrechter  Latte  eingerichtet. 
Die  Zentrierfehler  quer  zur  Achsenrichtung  sind 
möglichst  klein  zu  halten ;  bei  kurzen  Zug- 
seiten verwendet  man  Zwangszentrierung  oder 
Kollimatorenstellung  oder,  wo  angängig,  einen 
entfernteren  bekannten  Zielpunkt.  Ist  ein  der 
Achsenrichtung  angepaßter  Streckenzug  nicht 
durchführbar,  so  legt  man  den  Zug  so,  daß 
man  gut  meßbare,  möglichst  lange  Seiten  erhält, 
die  mit  abgeglichenen  5-/w-Holzlatten  mit 
Schneidenenden  bei  Verwendung  des  Grad- 
bogens schief  gemessen  werden.  Dieser  Strecken- 
zug wird  dann  in  einem  beliebig  gewählten 
Koordinatensystem  berechnet.  Aus  den  Koordi- 
naten der  Endpunkte  in  der  Tunnelachse  ergibt 
sich  die  Länge  ihrer  Verbindungslinie  und  ihre 
Richtung  in  dem  Koordinatensystem.  Die  Unter- 
schiede dieser  Schlußrichtung  gegen  die  Rich- 
tungen der  Anschlußseiten  sind  die  Abgabe- 
winkel für  die  Achsenrichtung. 

Wird  der  Tunnelstollen  auch  von  Zwischen- 
punkten in  Angriff  genommen,  so  sind  über 
Tage  die  Ansetzpunkte  für  die  Betriebsschächte 
anzugeben ;  nach  Abteufen  und  der  Abseigerung 
bis  auf  die  Tunnelsohle  ist  durch  diese  Schächte 
die  Stollenrichtung  durch  Schachtlotung  einzu- 
bringen. 

Der  Absteckung  langer,  durch  mächtige 
Gebirgsstöcke  gehender  Tunnel  muß  eine 
Dreiecksmessung  zu  gründe  gelegt  werden  (vgl. 
Triangulation).  Da  diese  Tunnel  in  der  Haupt- 
sache meist  geradlinig  geführt  werden,  wird 
man  die  Dreiecksmessung  dieser  Richtung  an- 
passen, indessen  die  Dreieckspunkte  der  Landes- 


Tunnelvermessung. 


439 


Vermessung  nach  Möglichkeit  miteinbeziehen. 
Soll  der  Bau  bald  folgen,  so  genügt  für  die 
ersten  Baumonate  schon  eine  flüchtige  Triangu- 
lierung,  die  die  TunneJrichtung  auf  etwa  I' 
sicherstellt.  Eine  damit  verbundene  trigono- 
metrische Höhenmessung  ergibt  den  Höhen- 
unterschied innerhalb  weniger  dm  richtig,  wenn 
sie  in  Hinsicht  auf  die  Refraktion  sachgemäß 
durchgeführt  wird.  Die  nachfolgende  genauere 
Höhenbestimmung,  die  innerhalb  weniger  cm 
richtig  sein  muß,  ist  durch  ein  Feinnivellement 
meist  um  den  Gebirgsstock  herum  in  ge- 
schlossener Schleife  auszuführen.  Man  befolgt 
die  Regeln  für  Feineinwägungen.  Möglichst 
gleiche  Zielweiten,  nicht  über  50  m,  Instrument 
mit  starker  Fernrohrvergrößerung  und  empfind- 
licher Libelle.  Latte  mit  Yg-^^^'^eilung.  Einstel- 
lungauf Feldesmitte  und  Ablesung  des  Libelien- 
standes  bei  flüchtiger  Längenbestimmung.  Aus- 
reichend genau  sind  auch  die  Nivellierinstru- 
mente nach  Wild  von  Zeiß,  die  ein  rascheres 
Arbeiten  bei  einspielender  Libelle  gestatten. 
Wegen  gelegentlich  kurzer  Zielweiten  wird  man 
die  Latte  auch  mit  einer  2-OTOT-Teilung  versehen. 
Für  die  Winkelmessung  ist  maßgebend,  daß 
meist  1  m  Querfehler  beim  Durchschlag  zu- 
lässig ist,  wovon  aber  bei  langen  Tunneln  nicht 
viel  mehr  als  die  Hälfte  auf  die  Fehler  der 
Ausgangsrichtungen  an  den  Tunnelenden 
kommen  darf,  da  die  Fehler  der  Stollen- 
messungen dazukommen.  Die  aus  der  Dreiecks- 
messung hervorgehenden  Richtungsangaben  für 
die  Absteckung  müssen  also  auf  einige  Sekunden, 
bei  lOÄOT  Durchschlagslänge  schätzungsweise 
auf  +  6"  sicher  sein.  Für  geradlinige  Tunnel 
ist  ein  Längenfehier  von  3  m  noch  erträglich. 
Die  Längenmessung  im  Tunnel  erfolgt  wie  über 
Tage  mit  abgeglichenen  5-/«-Schneidelatten  und 
Gradbogen.  Die  verhältnismäßig  weite  Fehler- 
grenze läßt  die  Form  von  stark  spitzwinkligen 
Dreiecken  in  Richtung  des  Tunnels  zu.  Diese 
Form  wurde  von  Tichy  für  die  Tunnelmessungen 
der  zweiten  Linie  von  Wien  nach  Triest  be- 
vorzugt, weil  bei  nicht  allzu  weit  auseinander- 
gehenden Zielstrahlen  eine  gleichmäßigere 
seitliche  Refraktion  zu  erwarten  ist  und  deshalb 
die  Winkelfehler  kleiner  werden.  Wenn  bei  der 
Tunneltriangulation  im  Vergleich  zur  Großdrei- 
ecksmessung auch  keine  allzu  genaue  Winkel- 
messung erforderlich  ist,  so  ist  doch  große 
Sorgfalt  nötig,  weil  die  äußeren  Umstände  im 
Gebirge  besonders  ungünstig  sind.  Haupt- 
sächlich die  Ungleichheit  der  Luftverhältnisse 
beim  Übergang  vom  Gebirgskamm  ins  Gebirgs- 
tal bringt  eine  Unsicherheit  in  den  Gang  der 
Lichtstrahlen,  die  eine  übergroße  Winkelmeß- 
genauigkeit nutzlos  macht;  wegen  dieser  Un- 
sicherheit ist  die  Winkelmessung  der   großen 


Dreiecke  nur  zu  günstiger  Witterungs-  und 
Tageszeit  -  nachmittags  an  Tagen  mit  leicht 
bewegter  Luft  -  auszuführen.  Statt  der  ein- 
maligen Messung  mit  hoher  Sätzezahl  sind 
zeitlich  auseinanderliegende  Wiederholungs- 
messungen angezeigt.  Eine  Verkleinerung  der 
Widersprüche  der  Winkelsumme  in  einzelnen 
Dreiecken  durch  Berechnung  der  Lotstörungen 
bei  der  Annahme  gleichmäßiger  Gesteinsdichte 
hat  Rosenmund  bei  der  Dreiecksmessung  für 
den  Simplontunnel  erhalten.  Beim  Lötschberg- 
tunnel  wurden  von  Baeschlin  die  transversalen 
Komponenten  der  Lotablenkungen  in  Rechnung 
gezogen,  die  rechnerisch  in  der  Tunnelmitte 
einen  Querfehler  von  3  dm  erzeugt  hätten. 
Auch  die  gekrümmte  Form  der  Tunnelachse 
als  geodätische  Linie  auf  dem  Erdeilipsoid  hat 
Baeschlin  berücksichtigt. 

Die  aus  der  Dreiecksmessung  berechnete 
Länge  der  Endsignale  an  den  Tunnelausgängen 
ist  auf  die  stark  abgerundete  Tunnelhöhe  als 
Vermessungshorizont  zu  reduzieren.  Außer  den 
durch  festfundierte  Pfeiler  zu  Instrumenten- 
ständen hergerichteten  genannten  Endsignalen 
sind  nach  vor-  oder  rückwärts  in  den  Vertikal- 
ebenen durch  die  Tunnelachse  einige  Ziel- 
marken, Miren,  festzumachen,  die  zur  Festhaltung 
der  Richtungen  der  Tunnelachse  und  zur  Ab- 
steckung dieser  Achse  in  den  Stollen  hinein 
dienen.  Von  ihnen  aus  erfolgt  auch  die  durch- 
laufende Übertagabsteckung  der  Tunnelrichtung, 
die  zwar  für  die  Bauarbeiten  nicht  nötig  ist, 
aber  bei  dem  großen  Arbeitswerk  eine  erwünschte 
durchgreifende  Probe  gibt.  Die  Absteckung 
der  vorzutreibenden  Stollen  geschieht  zunächst 
von  den  Endpfeilern  aus,  bei  geradlinigem  Vor- 
trieb aus  den  Zielmarken  durch  Verlängerung 
der  Achslinie  mittels  eines  Absteckinstruments 
in  beiden  Fernrohrlagen.  Gehen  nur  die  End- 
stücke des  Tunnels  in  Bogen,  so  treibt  man 
Richtstollen  für  die  Hauptrichtung.  Sind  dann 
einige  hundert  Meter  der  Stollen  aufgefahren, 
so  verlegt  man  den  Hauptausgangspunkt  der 
Absteckung  erst  in  den  Richtstollen,  später  aber 
fortschreitend  tiefer  in  den  Stollen  hinein. 
Dadurch  wird  man  bei  der  Absteckung  von 
der  Tageshelle  frei  und  vermindert  den  fehler- 
haften Einfluß  der  seitlichen  Refraktion.  Man 
hat  nur  immer  durch  übergreifende  Messungen 
ausreichende  Proben  zur  Feststellung  von  Eigen- 
bewegung einzelner  Achsenfestpunkte  oder  einer 
Anzahl  solcher  Punkte  durch  Schollenver- 
schiebung vorzunehmen.  Alle  hundert  Meter  legt 
man  Achsenpunkte  fest,  dabei  in  Yj  ^'^  E"*" 
fernung  Hauptpunkte,  etwa  durch  quergestellte 
Klammern  mit  Kerbe  oder  Korn  auf  Beton- 
klötzen in  der  Sohle  oder  im  festen  Gestein 
an    der  First.    Bei    geradliniger  Achse  werden 

29« 


440 


Tunnelvermessung.        Übergabegleis. 


diese  Punkte  durch  Verlängern  und  mehrfaches 
Einweisen  in  beiden  Fernrohrlagen  bei  tele- 
phonischer Verbindung  bestimmt,  wobei  für  die 
Messung  durch  geeignete  Vorrichtung  eine  seit- 
liche Verschiebung  bei  der  Auswechslung  von 
Signal  mit  Instrument  auf  den  Übergangs- 
punkten unmöglich  gemacht  ist.  Für  die  Ab- 
steckung der  Stollenachse  beim  Gotthardtunnel 
hat  Dolezalek  vereinfachte  und  leicht  zu  hand- 
habende Apparate  angegeben,  die  sich  gut  be- 
währt haben.  Die  Platte  auf  dem  Universalstativ 
gestattet  das  sichere  Auswechseln  von  Signal 
und  Instrument,  sie  ist  nur  quer  zur  Achsen- 
richtung verschiebbar  und  wird  durch  eine 
seitliche  Klemmvorrichtung,  die  zugleich  zum 
Abloten  des  Mittelpunkts  der  Platte  eingerichtet 
ist,  festgestellt.  Für  Bogenabsteckung  eignet  sich 
die  Breithauptsche  Steckhülsenvorrichtung  und 
die  Freiberger  Aufstellung.  Man  wird  einen 
ungefähr  der  Achse  folgenden  Streckenzug  ab- 
stecken und  die  Achsenpunkte  auf  diesen  Zug 
einrechnen.  Ebenso  kann  man  bei  geradliniger 
Achse  verfahren,  wobei  die  grob  eingewiesenen 
Signalpunkte  auf  Grund  scharfer  Winkel-  und 
flüchtiger  Längenmessung  nach  Rechnung  seit- 
lich zu  verschieben  sind.  Von  Zeit  zu  Zeit 
werden  an  Feiertagen  nach  genau  mit  der  Bau- 
leitung verabredetem  Plan  bei  völlig  ruhendem 
Betrieb  und  nach  guter  Durchlüftung  des 
Stollens  Hauptabsteckungen  vorgenommen. 
Einmal  im  Jahr  erfolgt  von  außen  her  eine 
etwa  2  Tage  dauernde  große  Nachmessung,  bei 
der  Längenmessung,  Nivellement  und  Richtungs- 
messung mit  gutgeschultem  Personal  nach  einem 
bis  ins  einzelne  festgelegten  Plan  gut  verteilt 
auszuführen  ist.  Bei  der  Richtungsabsteckung 
sucht  man  wegen  der  Umständlichkeit  und  der 
seitlichen  Lichtbrechung  nicht  mehr  möglichst 
lange  Sichten  von  außen  her  in  den  Tunnel 
hineinzubringen,  sondern  nimmt  alle  halbe 
km  oder  wie  es  die  Sichtigkeit  der  Orubenluft 
sonst  zuläßt,  Umsteilungspunkte  für  das  Ab- 
steckungsinstrument    auch     bei     geradlinigem 


Tunnelverlauf.  Nachstehend  sind  die  beim 
Durchschlag  einiger  Tunnel  gefundenen  Schluß- 
fehler angegeben : 


Tunnel 


Gotthard  . 
Simplon  . 
Lötschberg 
Albula  .  . 
Tauern  .  . 
Karawanken 
Wocheiner 
Bosruck     . 


Länge 
km 


15 
20 

14 
6 
9 
8 
6 
5 


Quer- 
fehler 


0-33 
0-20 
0-26 
005 
0-05 
002 
0-05 
0-15 


Höhen- 
fehler 


005 
0-09 
0-10 
0-05 
006 
0-03 
002 
003 


Längen- 
fehler 


7-6 
0-8 
0-4 
11 
0-3 
0-4 
0-8 
0-2 


Für  die  Tunnelvermessungen  lassen  sich  wohl 
allgemeine  Gesichtspunkte,  nicht  aber  fest- 
stehende Regeln  angeben.  Die  äußeren  Verhält- 
nisse sind  so  verschieden,  daß  für  jeden  Tunnel 
eine  Sonderaufgabe  der  Vermessung  vorliegt, 
die  eine  eigene  Lösung  verlangt. 

Literatur:  Dolezalek,  Hilfsmittel  für  die 
Richtungsangabe  im  Ootthard-Tunnel.  Ztschr.  d. 
Hannoverschen  Arch.  u.  Ing.-Vereins  1878;  Der 
Durchschlag  und  die  Richtungsbestimmung  im  Gott- 
hard-Tunnel.  Ebenda  ISSO.—  Koppe,  Die  Absteckung 
der  Achse  im  Gotthard-Tunnel.  Bd.  XXII,  Nr.  8  der 
„Eisenbahn"  1880.  —  Rosenmund,  Spezialbericht 
der  Direktion  der  Jura-Simplonbahn  über  den  Bau  des 
Simpion-Tunnels.  I.  Teil,  1901.  Auch  Ztschr.  f.  Ver- 
mess.-Wesen  1902;  Wahrnehmungen  bei  den  Rich- 
tungskontrollen am  Simplon-Tunnel.  Schvcz.  Bauztg. 
1902,  Bd.  XL.  —  Gast,  Über  Luftspiegelungen  im 
Simplon-Tunnel.  Ztschr.  f.  V'ermess.- Wesen  1904.  — 
Baeschlin,  Über  die  Absteckung  des  Lötschberg- 
tunnels.  Schwz.  Bauztg.  1911,  Bd.  L\'1I1.  -  Tichy, 
Rationelle  Vorgänge  der  Absteckung  bedeutend  langer 
Eisenbahntunnels.  Ztschr,  d.  Österr.  Ing.-V.  1914. 
Nr.  47  —  52 ;  Das  optische  Längenmessen  nach  logarith- 
mischer Methode.  Ebenda  1913,  Nr.  43-45.  - 
Hohenner,  Der  Hohennersche  Präzisionsdistanz- 
messer. Darmstadt  1919.  -  Wild,  Neues  Nivellier- 
instrument. Ztschr.  f.  Instrumentenkunde  1909,  H.  11. 
-  Fuhrmann,  Photographischer  Lotapparat.  Mitt. 
a.  d.  Markscheidewesen  1901,  H.  3.  -  Wilski, 
Über  einige  neuere  Schachtlotverfahren.  Mitt.  a.  d. 
Markscheidewesen  1914.  — ;Schuhmann,  Lotstö- 
rungen und  ihre  Anwendung  bei  Tunnelabsteckungen. 
Österr.  Ztschr.  f.  Verm.-Wes.  1917.        Haiißmann. 


u. 


Übergabebahnhöfe  s.  Übergabegleise. 

Übergabegleis  (ckiivcry  line;  voie  de  sortie 
ou  de  transbordement ;  binario  di  transbordo), 
Gleis  zum  Aufstellen  der  an  eine  andere  Ver- 
waltung oder  Betriebsstelle  zu  übergebenden 
beladenen  oder  leeren  Wagen  (s.  Bahnhöfe 
u.  Anschlußbedienung). 

Solche  U.  werden  namentlich  an  solchen  Stellen 
erforderlich,  wo  die  Bahnnetze  zweier  Eisenbahn- 
verwaltungen aneinanderstoßen,  ohne  daß  dort  ein 
Gemeinschaftsbahnhof  mit  vollständiger  Betriebs- 
gemeinschaft angelegt  wäre,  d.  h.  wo  entweder  jede 
der  beiden  Eisenbahnverwaltungen  einen  besonderen 


Bahnhof  besitzt  oder  wo  zwar  ein  Gemeinschafts- 
bahnhof vorhanden  ist,  die  Betriebsgemeinschaft  aber 
für  gewisse  Betriebszweige,  zwischen  denen  Wagen 
zu  übergeben  sind,  gar  nicht  oder  nicht  vollständig 
durchgeführt  ist,  so  z.  B.  schon  dann,  wenn  die  den 
Qemeinschaftsbahnhof  der  Eigentumsbahn  mit- 
benutzende Bahn  eigene,  von  ihr  selbst  betriebene 
Ortsgüteranlagen  besitzt.  Die  Ü.  werden  in  der  Weise 
benutzt,  daß  die  eine  Verwaltung  die  zu  über- 
gebenden Wagen  in  die  Ü.  hineinsetzt,  die  andere 
sie  herausholt.  Da  in  der  Regel  Wagen  in  beiden 
Richtungen  zu  übergeben  sind,  so  empfiehlt  es 
sich,  in  der  Regel  hierfür  mindestens  2  Ü.  an- 
zuordnen. Wo  sonst  der  Betrieb  der  beiden  Bahn- 
netze   hinsichtlich    des    Güterverkehrs    vollständig 


übergabegleis.  -   Übergabezug. 


441 


getrennt  ist,  werden  nur  die  Ü.  von  den  Lokomotiven 
beider  Bahnvervcaltungen  befahren. 

Ü.  sind  ferner  an  solchen  Stellen  erforderlich,  wo 
•ein  nicht  im  eigenen  Betrieb  der  Eisenbahn  be- 
findlicher Hafen,  eine  Zeche,  eine  industrielle  Anlage, 
ein  Steinbruch  u.  s.  w.  an  die  Eisenbahn  angeschlossen 
ist.  Nur  bei  ganz  kleinen  Anschlüssen  begnügt  man 
sich  oft  damit,  daß  die  Bahnverwaltung  die  zu  über- 
gebenden Eisenbahnwagen  unmittelbar  in  das  An- 
schlußgleis hineinsetzt  und  die  zu  übernehmenden 
Wagen  aus  diesem  wieder  herausholt.  Bei  allen 
größeren  Anlagen  empfiehlt  es  sich  schon,  um  die 
Haftung  genau  zu  begrenzen,  eigentliche  Ü.  vor- 
zusehen, in  die  die  Eisenbahn  die  Wagen  hineinsetzt 
imd  aus  denen  die  angeschlossene  Anlage  sie  heraus- 
holt, und  umgekehrt.  Bisweilen  verbinden  sich  mehrere 
angeschlossene  Anlagen  zu  einer  Betriebsgemeinschaft, 
mit  gemeinsamen  Ü.  Wo  die  angeschlossenen  Anlagen 
sehr  groß  sind,  wachsen  sich  die  Ü.  zu  einem  ganzen 
Bahnhof,  einem  Übergabebahnhof,  aus,  in  dem  die 
angeschlossene  Anlage  die  übernommenen  Wagen 
für  ihre  Ladestellen  ordnet  und  in  dem  bisweilen 
auch  eine  Verordnung  der  an  die  Eisenbahnverwaltung 
zurückzugebenden  Wagen  stattfindet. 

Mit  dem  Namen  Ü.  belegt  man  schließlich  auch, 
nicht  sehr  glücklich,  Gleise  innerhalb  eines  Verschiebe- 
bahnhofs, die  dazu  dienen,  Eisenbahnwagen  vorüber- 
gehend aufzunehmen,  die  dann  von  ihnen  aus  nach 
«iner  andern  Stelle  des  Bahnhofs  oder  nach  einem 
andern  Bahnhof  oder  Bahnhofsteil  derselben  Eisen- 
bahnverwaltung überführt  werden  sollen.  Solche 
Bezeichnung  kommt  z.  B.  vor  bei  Gleisen  für  Wagen, 
die  beim  Verschiebegeschäft  für  die  Ortsgüteranlagen, 
für  eine  Umladebühne,  für  die  Werkstätte  ausgesondert 
^verden,  ferner  auch  bei  Richtungsgleisen  für  sog. 
Umkehrwagen,  die  auf  einem  2seitigen  Verschiebe- 
bahnhof zuerst  bunt  ausgesondert  werden,  um  dann 
auf  die  andere  Bahnhofseite  übergeführt  zu  werden, 
•wo  sie  zusammen  mit  den  in  entgegengesetzter  Rich- 
tung angekommenen  Wagen  endgültig  geordnet 
■werden  (s.  Verschiebebahnhöfe).  Cauer. 

Übergabezug  (dcUvery  train;  train  de 
transbordemcnt ;  trcno  di  transbordo),  ein  Zug, 
der  an  der  Grenze  zweier  Verwaltungs-,  Eigen- 
tums- oder  Betriebsaufsichtsbezirke  von  einer 
betriebsführenden  Stelle  an  die  andere  über- 
geben wird.  Im  Geltungsbereich  der  deutschen 
Fahrdienstvorschriften  werden  allgemein  auf 
Hauptgleisen  (s.  d.)  stattfindende  Fahrten  zur 
Überführung  von  Wagen  zwischen  benach- 
barten Bahnhöfen,  nach  den  Anschlußgleisen 
der  Werkstätten  und  gewerblichen  Anlagen 
(s.  Anschlußbahnen)  Ü.  genannt.  Es  ist  erforder- 
lich, durch  diese  Bezeichnung  die  Zugehörig- 
l<eit  der  Fahrten  zu  den  Zügen  im  Gegensatz 
zu  den  beim  Verschiebedienst  vorkommen- 
den Wagenbewegungen  zum  Ausdruck  zu 
bringen,  um  dem  Grundsatz  der  deutschen 
Signalordnung  Geltung  zu  verschaffen,  nach 
dem  bei  Zugfahrten  eine  Bedienung  der  Haupt- 
signale stattzufinden  hat,  während  Verschiebe- 
bewegungen unter  dem  Schutz  der  in  Halt- 
oder Ruhestellung  befindlichen  Hauptsignale 
auf  Grund  besonderer  Signale  erfolgen  sollen. 

Ein  Beispiel  möge  dies  erläutern.  Zwischen 
2    Güterbahnhöfen    eines    Ortes    findet    auf 


einem  Verbindungsgleis  die  gegenseitige  Zu- 
führung von  Wagen  statt.  Die  zu  dem  Zweck 
auszuführenden  Fahrten  können  sowohl  als 
Verschiebebewegung  als  auch  als  Zugfahrten 
behandelt  werden.  Im  ersteren  Fall  ist  das 
Verbindungsgleis  als  Nebengleis  anzusehen, 
Hauptsignale  dürfen  nicht  angewendet  werden. 
Die  Obergabefahrten  erfolgen  auf  Grund  der 
für  den  Verschiebedienst  vorgeschriebenen 
Signale.  Diese  Betriebsweise  ist  die  einfachere, 
aber  auch  die  weniger  leistungsfähige.  Im 
zweiten  Fall  rechnet  das  Verbindungsgleis  zu 
den  Hauptgleisen,  denn  es  wird  von  Zügen  — 
den  Ü.  —  befahren.  Für  die  Ein-  und  Ausfahrten 
können  Hauptsignale  zur  Anwendung  kommen. 
Da  die  Fahrten  sich  über  den  Bereich  mehrerer 
Aufsichts-  oder  Fahrdienstleiterbezirke  er- 
strecken, so  wird  durch  ihre  Behandlung  als 
Zugfahrten  die  gegenseitige  Verständigung  er- 
leichtert und  bei  größerer  Leistung  eine  höhere 
Sicherheit  erreicht. 

Wenn  die  Ü.  unter  diesen  Umständen  auch 
zu  den  Zügen  zu  rechnen  sind,  so  ist  es  doch 
nicht  erforderlich,  für  ihre  Beförderung  die 
sämtlichen  für  die  eigentlichen  Zugfahrten  vor- 
geschriebenen Bestimmungen  im  vollen  Um- 
fang zur  Anwendung  zu  bringen.  Bei  den  kurzen 
Entfernungen,  auf  denen  Ü.  verkehren,  kann  in 
der  Regel  die  Mitführung  eines  Gepäckwagens 
unterbleiben.  Ferner  genügt  außer  den  auf  der 
Lokomotive  befindlichen  Signalmitteln  die  Bei- 
gabe einer  Schlußscheibe  oder  einer  Schluß- 
laterne. Die  Aufstellung  eines  Fahrberichts 
(s.  d.)  kann  meistens  unterbleiben,  vielfach  auch 
die  Führung  von  Wagennachweisungen.  Eine 
Vereinfachung  des  Dienstes  kann  häufig  auch 
dadurch  erreicht  werden,  daß  nicht  Zugbegleit- 
beamte (s.  d.),  sondern  Bedienstete  des  Ver- 
schiebedienstes der  Bahnhöfe,  auf  denen  die 
Ü.  gebildet  oder  aufgelöst  werden,  die  Ü. 
begleiten. 

In  erheblichem  Umfang  findet  ein  Verkehr 
von  Ü.  auf  großen  Personenbahnhöfen  statt, 
wenn  die  Bildung  und  Auflösung  der  Personen- 
züge nicht  innerhalb  der  den  eigentlichen  Zug- 
fahrten dienenden  Bahnhofsanlagen  stattfindet, 
sondern  wenn  hierfür  besondere  Anlagen  — 
Abstellbahnhöfe  (s.  Bahnhöfe)  —  herge- 
stellt sind.  Diese  werden  getrennt  betrieben, 
sind  besonderen  Fahrdienstleitern  unterstellt 
und  gegen  den  Personenbahnhof  durch  Ein- 
und  Ausfahrsignale  abgeschlossen.  Die  Beför- 
derung der  Leerzüge,  der  Zug-  und  Verschiebe- 
lokomotiven, der  Post-,  Eilgut-  und  sonstigen 
Wagen  zwischen  Abstellbahnhof  und  den  Bahn- 
steiggleisen verursacht  eine  große  Anzahl  von 
täglich  wiederkehrenden  Fahrten,  die  bei  Ver- 
einigung der  Abstellgleise  mit  den  Bahnsteig- 


442 


Übergabezug.        Übergangsbogen. 


gleisen  zu  einem  Bahnhofsbezirk  mit  gemein- 
samer Fahrdienstleitung  unter  den  Begriff  des 
Verschiebedienstes  fallen,  die  aber  bei  Trennung 
der  Bezirke  oder  Anlage  besonderer  Abstell- 
bahnhöfe zu  den  Ü.  rechnen  und  als  Zug- 
fahrten unter  Anwendung  der  telegraphischen 
Meldevorschriften  für  die  Sicherung  der  Züge 
und  unter  Bedienung  der  Blockwerke  und  der 
Hauptsignale  behandelt  werden.  Schon  mit 
Rücksicht  auf  die  große  Zahl  der  Fahrten  ist 
in  diesem  Fall  die  Anwendung  der  für  Ü. 
zugelassenen  Erleichterungen  von  besonderer 
Bedeutung.  Je  nach  den  örtlichen  Verhältnissen 
erstrecken  sich  diese  auf  vereinfachte  Signal- 
gebung  an  Spitze  und  Schluß  der  Ü.,  auf  das 
Schieben  der  Ü.  ohne  führende  Lokomotive 
sowie  auf  die  Anwendung  der  Vorschriften 
für  den  Verschiebedienst  bei  der  Bremsbedie- 
nung und  Zugbegleitung.  Breusing. 

Übergabsverzeichnisse  s.  Güterabferti- 
gung. 

Übergangsbahnhöfe  s.  Bahnhöfe. 

Übergangsbogen  (curves  of  adjusteinent ; 
courbes  de  raccordcment ;  ciirve  di  raccordo) 
werden  zwischen  geradem  und  gekrümmtem 
Gleis  oder  zwischen  anschließenden  gleich- 
gerichteten Gleisbogen  (Korbbogen)  zur  all- 
mählichen Herbeiführung  dieser  Richtungs- 
änderungen eingeschaltet,  um  bei 
den  großen  Fahrgeschwindigkeiten 
die  Betriebssicherheit  zu  erhöhen, 
die  Abnutzung 
des  Materials 
,,-- --^^  (s.  Schienenab- 
nutzung) zu 
verringern  und 
um  schließlich 
das  Reisen 
durch  weitge- 
hende Behe- 
bung des 
Stoßens      und 

Schleuderns 
der  Wagen  an- 
genehmer zu 
gestalten, 
ittlung  der  Richtungs- 
änderung zwischen  der  Geraden  und 
dem  Kreisbogen  würde  sich  theore- 
tisch jede  krumme  Linie  eignen,  die 
in  dem  auf  der  Geraden  liegenden 
Anfangspunkt  A  (Abb.  488)  und  in 
ihrem  auf  dem  Kreisbogen  befind- 
lichen Endpunkt  E  die  Gerade  bzw.  den  Kreis- 
bogen in  zweiter  Ordnung  berührt,  demnach 
in  A  einen  Wendepunkt  mit  dieser  Geraden 
als  Wendetangente  besitzt.  Hieraus  folgt,   daß 


^f 


Abb.  488. 


der  Halbmesser  o  des  Krümmungskreises  im 
Anfangspunkt  des  Ü.  unendlich  groß  sein 
muß  und  mit  dem  Fortschreiten  auf  dem  Ü. 
stetig  abzunehmen  hat,  bis  er  in  deren  End- 
punkt E  den  Wert  R  des  Halbmessers  des 
anschließenden  Kreisbogens  erreicht. 

Dieses  Fortschreiten  auf  dem  Ü.  kann  nun 
in  erster  Annäherung  in  der  Richtung  der 
wachsenden  Abszissen  gemessen  werden  und 
führt,  sobald  die  Gerade  als  Abszissenachse 
und  A  als  Ursprung  eines  rechtwinkligen 
Koordinatensystems  angenommen  werden,  zu 
der  grundlegenden  mathematischen  Beziehung 

d?2_ 
1  dx->^  X 


[■+©"] 


7= 


die  ausdrückt,  daß  der  Krümmungshalbmesser  f> 
in  jedem  Punkt  des  Ü.  mit  dessen  Abszisse  x 
in  umgekehrtem  Verhältnis  steht. 

Es  kann  aber,  was  der  Bewegung  der  Fahr- 
zeuge im  Kreisbogen  besser  entspricht,  das 
Fortschreiten  in  der  Richtung  der  wachsenden 
Sehnen  s  des  Ü.  oder,  im  Sinne  einer  voll- 
kommen strengen  mathematischen  Auffassung 
der  Aufgabe,  in  der  Richtung  des  wachsenden 
Bogens  b  des  Ü.  gemessen  werden,  so  daß 
sich  die  weiteren  Grundgleichungen 


1 


dx' 


1 


ergeben. 

Max  V.  Leber  hat  eingehende  Untersuchungen 
über  die  aus  diesen  3  Differentialgleichungen 
hervorgehenden  Kurven  angestellt  und  sie  als 
Abszissen-,  Sehnen-  und  Bogenradioide  be- 
zeichnet. Die  Abszissenradioide  (Abb.  48Q)  be- 
steht aus  2  übereinandergestellten  ellipsenähn- 
lichen Ovalen,  deren  Achsenverhältnis  1 : 0-5Q9O 
beträgt,  die  Sehnenradioide  (Abb.  490)  ist  die 
bekannte  Bernoullische  Lemniskate,  deren  Achse 
unter  45"  gegen  die  Abszissenachse  geneigt  ist, 
und  die  Bogenradioide  (Abb.  491)  ist  identisch 
mit  der  Clothoide,  einer  Spirale,  die  in  unend- 
lich vielen  Windungen  den  symmetrisch  ge- 
legenen Punkten  mit  den  Koordinaten 


y=±\^ 


x=y=+\C 


asymptotisch  zustrebt.  Wichtig  ist  nun  die 
Erkenntnis,  daß  im  Bereich  der  praktischen 
Verwertung  dieser  3  Kurven  als  Ü.,  d.  i.  bis 
zu  einer  Anomalie  von  ungefähr  9°,  die  Kurven 
voneinander  gar  nicht  abweichen,  ja  daß  sich 
sogar  mit  ihnen    innerhalb  dieser  Grenze  der 


Übergangsbogen. 


443 


allgemein  in  Verwendung  stehende  Ü.  deckt, 
dessen  Differentialgleichung  aus  jener  der  Ab- 
szissenradioide  durch  Vernachlässigung  der 
ersten  Ableitung  hervorgeht,  also  wenn 


rf.v= 


X 

c 


gesetzt  wird.     Die  zweimalige  Integration  gibt 
dann  x^ 

6  C 
die  Gleichung  der  kubischen  Parabel.  Damit 
dürfte  auch  hinreichend  erklärt  sein,  warum 
Vorschläge,  die  die  Einführung  der  Lemnis- 
kate  (Paul  Adam  in  „Annales  des  Ponts  et 
Chaussees"  1895)  oder  der  Clothoide(d'Ocagne, 
ebenda  1902;  in  beiden  Aufsätzen  werden  die 
Absteckdaten  für  diese  0.  berechnet)  als  Ü. 
befürworten,  keinen  Erfolg  haben. 

Da  die  kubische  Parabel  in  dem  Punkt  mit 
den  Koordinaten 


x  =y0-8  a-  =  0-949741 . .  "j/C  und 

y  ^^y 0-032  C-  =  0-130983. .  yC 

einen  Scheitel  mit  dem  kleinsten  Krümmungs- 
halbmesser 


haltenem  Mittelpunkt  C  der  Kreishalbmesser  R^ 
um  den  Betrag  v  vermindert  wird. 


Q  =  2V5-0-66C2=  1-38991 1 . .  VC 

hat,  so  ergibt  sich  erstens,  daß  der  Halb- 
messer R  des  Kreisbogens  den  vorstehenden, 
für  jedes  C  zu  berechnenden  Grenzwert  nicht 
imterschreiten  darf  und  daß  zweitens,  weil 
beiderseits  dieses  Scheitels  gleiche  Krümmungs- 
verhältnisse bestehen,  ein  oszillierender  An- 
schluß an  einen  Kreisbogen  vor  und  nach 
diesem  Scheitel  erfolgen  kann.  Im  ersteren 
Fall  berührt  der  Ü.  den  Kreisbogen  von  außen, 
im  letzteren  von  innen. 

Obwohl  theoretisch  beide  Lösungen  zulässig 
erscheinen,  wird  tatsächlich  nur  von  dem  außen 
berührenden  Anschluß  Gebrauch  gemacht  und 
der  innere  mit  einigen  Abänderungen  nur  in 
jenen  seltenen  Fällen  verwendet,  wo  örtliche 
Verhältnisse  der  nachträglichen  Einschaltung 
eines  Ü.  in  bestehende  Eisenbahngleise  be- 
sondere Schwierigkeiten  bereiten.  Hierüber 
findet  man  eingehenden  Aufschluß  in  dem 
unten  angegebenen  Werk  von  Leber. 

Unerläßlich  ist  für  die  Anbringung  eines  Ü. 
mit  äußerem  Anschluß,  daß  zwischen  der  Ge- 
raden und  der  zu  ihr  parallelen  Tangente  an 
den  Kreisbogen  im  Punkt  G  (Abb.  488)  ein 
Abstand  v  vorhanden  ist,  der  entweder  dadurch 
gewonnen  werden  kann,  daß  bei  beibehaltenem 
Kreishalbmesser  R  der  Bogen  um  den  Betrag 
WW^  ^  i; :  cos  y/j  in  der  Richtung  der  Hal- 
bierenden des  Tangentenwinkels  y  nach  innen 
verschoben  wird  oder  dadurch,  daß  bei  beibe- 


Da   aus  der  Grundgleichung 


daß  die  Abszisse  für  den  Endpunkt  t'  des  Ü. 

—  ^« 

und  somit  bei  der  kubischen  Parabel  die  Or- 
dinate für  E         ^3         ^2         ^2 

~  ()C~bR^~  6R 

sein  muß,  so  rechnet  sich  der  Abstand  i-,  wie 
der  Abb.  488  entnommen 
werden  kann,  mit 


V  =yi—  R(\  —  cos  l), 
wobei  I  den  Winkel  be- 
zeichnet, den  die  gemein- 
schaftliche Tangente  in  E 
an  den  Kreis  und  an  die 
kubische  Parabel  mit  der 
Abszissenachse  einschließt, 
für  den  die  Beziehung 
dy  _    r~     _  J 

dx~  2C    "  2R 

besteht.  Die  zur  Ordinate  i' 
gehörende  Abszisse  u  liefert 
die  Formel 

//  =  /  —  /?  •  sin  '£. 
Nur  in  jenen  Fällen,  in 
denen  der  Winkel  S  so  klein 
ist,  daß  es  gestattet  ist,  seine 
trigonometrische  Tangente 
mit  dem  Sinus  zu  ver- 
tauschen, kann,  wie  sonst 
allgemein  üblich, 
/ 


Abb.  489. 


tg'i-- 


Abb.  490. 


Abb.  491. 


gesetzt  werden  und  weil 
dann  die  Ordinate  des 
Punktes  E  bezogen  auf  die  Kreistangente  in  G 

angenähert  gleich  ist,    so    berechnet   sich 

8R 
v  mit 

_  /2   _   /2  /^  _    1 

"  "•'''""   8R^  6R       8/?"~ 


24 


R 


oder 


1 


■yi- 


Die  Berechnung  der  Konstanten  C  folgt  aus 
der  Erwägung,  daß  die  der  größten  Fahr- 
geschwindigkeit V  in  km/Sid.  und  der  Spur- 
weite s  entsprechende  Schienenüberhöhung  h 
(s.  d.)  des  äußeren  Schienenstrangs  über  den 
inneren    am    Endpunkt   E  des    Ü.   im   vollen 


444 


Übergangsbogen. 


Ausmaß  erreicht  wird  und  daß  der  Anstieg  im 
Anfangspunkt  A  des  Ü.  beginnend  sich  gleich- 
mäßig auf  eine  solche  Länge  /  verteilt,  daß 
das  Steigungsverhältnis  1//  in  der  Rampe  inner- 
halb der  Grenzwerte  /  =  300  und  /  =  600  liegt. 
Das  Ausmaß  der  Schienenüberhöhung  rechnet 
sich  nach  der  Formel 

_  s-1/2  _  k 

^  niR^ r' 

somit  muß  die  Länge  des  Ü.  in  der  Abszissen- 
achse gemessen 


_  /Ä  _  C 


sein,  woraus  sich  die  Beziehung  ableitet,    daß 

C  =  ik 

anzunehmen  ist,  und  schwankt  demnach  dieser 
Wert  zwischen  750  und  54.000,  da  k  nach 
der  beim  Art.  Schienenüberhöhung  enthaltenen 
Tabelle  (Bd.  VIII,  S.  334)  zwischen  den  Werten 
2-5  und  90  variiert.  Leber  empfiehlt  für  C  die 
Werte  750,  1500,  3000,  4500,  6000,  12.000 
und    24.000,    von    denen    die 

ersten  5  für  schmal-  und  voll-      

spurige  Lokalbahnen,  die  letzten 
2  für  Hauptbahnen  fast  alige- 
mein Annahme  fanden. 

Bei  Bogen  von  größerem 
Halbmesser,  etwa  R  >  jV,  C, 
werden  Ü.  nicht  mehr  verlegt. 

Wird  z.  B.  C=  12.000  für 
eine  Hauptbahn  angenommen, 
so  beträgt  die  Abszissenlänge 
des  Endpunktes  E  des  Ü.  für 
einen  Bogen  mit 

R=250m,l=y^^  =  A„n, 
250 

die    Bogenlänge    L  ^  AE  =^ 
1     /■* 


Hierbei  ist  der  Anhaltspunkt  des  Ü.  an  die 
Gerade  der  Ursprung  des  Achsenkreuzes  und 
die  verlängerte  Gerade  die  positive  j;-Achse 
(Abb.  4Q2). 


Abb.  492. 

C  wird    der  nachstehenden   Tabelle  gemäß 
bemessen: 

Mindestfestziffer  C. 


Bogenhalbmesser 
in  m 


R<    140 


UQ<R<   200 


200</?<   375 


375<./?<   600 


600</?<   800 


800  </?<  1250 


1250  <./?<  1750 


1750  <./?<  2250 


2250  <R< 4000 


=  /fl+—  — 1=  48-044, 

V    ^40  C2/ 
der  Winkel  1=5°  2Q'  0-9"  und 
demnach    das    Maß    der   Ver- 
schiebung V  =  0-392  m. 

Nach  den  neuesten,  vorläufig  versuchsweise  bei 
den  österreichischen  Staatsbahnen  in  Verwendung 
stehenden  Vorschriften  für  die  Ausführung  der 
Ü.  werden  folgende  Formeln  zu  gründe  gelegt. 

":         r\.      ac^J 


Fahrgeschwindigkeit    in    Am/Std. 


K<  40  40  <  V<  60     60  <  K<  SO 


so: 


anzustrebende    Mindestfestziffer    C 


3000 


9000 


12.000 


12.000 


18.000 


6000 


15.000 


24.000 


30.000 


36.000 


42.000 


48.000 


54.000 


60.000 


6C 


4C2. 
a  =  / —  Rsm  (f. 


2C' 


Literatur:  Helmert,  Die  Übergangskurven  für 
Eisenbahngleise.  Aachen  1872.  -  Maximilian  de 
Leber,  Calculs  des  Raccordements  paraboliques 
dans  les  traces  de  chemin  de  fer.  Paris  18Q2;  Ver- 
ordnungsblatt des  H.M.  für  Eisenbahn-  und  Schiff- 
fahrt Nr.  102  und  131  vom  Jahre  1890.  -  M.  Pernt, 
Tafeln  zum  Abstecken  von  Kreis-  und  Ü.  mit  Polar- 
koordinaten und  andere  im  Art.  „Abstecken"  ange- 
führte Tabellenwerke.  -  H.  K.  Müller,  Tafelbuch 
für  Oleiskrümniungen.  Hamburg  1917.         Pernt. 


Druck  von  Chrisloph   Reisser's  Söhne,  Wien  V.