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Deutſche Dentwürdigfeiten
Sinsel & Co., G.m.b.H
L eıpzig
Berlin
E RIWNMERUNdEN
Erinnerungen
4 Hred a Tıro,?2
Alfred'von Tirpik
Neue durchgeſehene Auflage mit Namen:
und Sadregifter
Leipzig
Derlag von 8.F.Kvehler
1920
Copyright by 8. F. Koehler
Verlag, Leipzig
1919
ZellengußMafchinenfas und Deu
von Oscar Brandftetter in Leipzig
Vorwort
Die Verzweiflung, welche alle Deutſchen mit voller Staatsgeſinnung
erfaßt hat, als unſer für unbeſiegbar gehaltenes Reich zuſammen⸗
brach, bat auch den Glauben an uns ſelbſt und an die Folgerichtig—
Feit unfrer gefchichtlichen Entwickelung zum Neich in Vielen vernichtet.
Deshalb erjchien es mir als Pflicht, meine Erinnerungen niederzu-
fchreiben, weil ich den Nachiveis bringen kann, daß unfer altes Staats:
gebäude nicht morfch und veraltet war, fondern für jede Fortbildung
die Fähigkeit befaß; daß ferner die politifche Legende, eine rückfichtg-
loſe Autofratie und eine Friegslüfterne Militärkafte hätten diefen Krieg
entfeffelt, der Mahrheit ing Geficht fchlägt. Im Befonderen hat der
Kaifer den Krieg nicht gewollt, er war vielmehr mit feinen beften Kräf:
ten bemüht, ihn zu verhindern, nachdem er die Gefahr erkannt hatte,
Wenn die Gefchichte gerecht ift und durch Legendenbildung nicht zu
ſehr gefälfcht wird, fo dürfte fie erteilen, daß das weitaus größere Maß
von Verantwortung an diefem Krieg auf Seiten unfrer Feinde Tiegt.
Nach dem Straßenrecht auf See wird bei Zufammenftößen dem die
Schuld beigemeffen, der die Gefahr der Lage erzeugt hat, nicht aber dem,
welcher im letzten Augenblick durch unrichtige Beurteilung einen Fehler
beim Ausweichen beging. Unfer Unglück aber ift nicht aus der Schaf:
fung von Macht entfprungen, fondern aus der Schwäche, die fich auf den
Gebrauch der Macht nicht verftand, weder zur Friedensbewahrung noch
zum Sriedenfchließen, forie aus der Täuſchung über unfere Gegner,
über die Natur ihrer Kriegsziele und Kriegführung und tiber das Weſen
des Wirtſchaftskriegs.
Um verftändlich zu fein, muß ich nach beftem Wifjen die Wahrheit
fagen. Dafür muß ich aber die Handlungen noch Xebender in meiner
VI Vorwort
Auffaffung darftellen, die von der ihrigen vorausfichtlich abweichen und
daher vielleicht fehmerzlich empfunden wird. Nichts liegt mir ferner,
als ihnen unedle Abfichten oder Schuld in gewöhnlichem Sinne vor:
zuwerfen.
Nur die verzweifelte Lage Deutſchlands zwingt mich gegen meine per⸗
fönliche Neigung bei Xebzeiten zu diefer Veröffentlichung.
Sm Jagdhaus Zabelsberg.
April 1919,
A. v. Tirpitz.
ee) A TEE — — —
Seit dem Abfchluß der erften Auflage find zahlreiche neue Tat—
fachen durch amtliche und private Veröffentlichungen and Licht ges
treten. Sie haben mir Feine Veranlaſſung geboten, meine Geſamt—
auffaffung zu ändern, dagegen eine Ergänzung oder präzifere Faſſung
einiger Stellen ermöglicht. Daß mein Buch von gegnerifcher Seite
durch tendenziöfe Zufammenftellung und direkte Fälfchungen mißbraucht
wird, Fann mich nicht berühren. Wer ernftlich beftrebt ift, fich ein
eigenes Urteil zu bilden, wird das Buch im ganzen leſen müſſen und
dann urteilen. Aus dem Zufammenhang geriffene Kapitel oder gar
Sätze geben ein falfches Bild, da fie nur aus dem Vorhergejagten
richtig zu verftehen find.
St. Blafien.
November 1919.
Be
a
Nach beendeter Niederfchrift meiner Erinnerungen empfinde ich es
als Bedürfnis, allen denen herzlich zu danken, die mich bei meiner Arbeit
unterftüßt haben. Neben meinen Freunden und meinen alten und jungen
Kameraden, welche befonders die Nichtigkeit meiner Angaben auf Grund
der eigenen Belege geprüft haben, gebührt diefer Dank vor allem
dem Profeffor der Gefchichte an der Frankfurter Univerfität, Herrn
Dr. Fritz Kern, der mir in verftändnisvollfter und unermüdlichfter Weife
von Beginn an zur Seite geftanden hat. Sch möchte endlich auch dem
Verleger, Herren Dr. Koehler, für fein Sntereffe und Entgegenfonmen
danken, das er dem Buche gewidmet hat.
Inhalt
Erſtes Kapitel, In der Preußiſchen Marine ..
1. Eintritt in den Beruf. Junker und Stüerkes. Preußifche Marine *
preußiſche Politik. 1866. 1870. Damalige und heutige Kriegsführung.
2. Außenpolitiſche Strömungen. Das Verhältnis zu England. In Plymouth
mehr zu Haufe ald in Kiel. Überlegenheit der Engländer. But you
are not a seagoing nation.
SwertesRopitel. Ira Stold. ... ....
1. In Hamburg 1871. Deutſche Fiſcher unter fremder Flagge. Yuslande-
dienft. Cartagena.
2. „Das find ja Soldaten”. Die Landmilitarifierung der Marine. Die
Marineafademie. Der Admiralfiab. Stoſchs Flottengründungsplan.
3, Wir „erplorieren”. Bielfeitigkeit der Seeinterefien.
Drittes Kapitel, Ara Caprivi. 2
1. Saprivis Grundgedanfe. Die Rüftung auf den en er
Sweifrontenkrieg. Küftenverteidigung. Die zwölf taftifchen Fragen.
Admiralftabwefen. Unfer erfter Operationsplan. Fehlen eines Bau:
programms. Der Reichskanzler Caprisi.
2. Das deutiche Seeoffiziersforps und die Lage des Deutfchtums.
eresAopitel. In der TZedhnil_. . .. . :
1. Die Torpedowaffe. In Fiume. Die Ausbildung meiner Urbeitsweife,
Staatlihe und private Kriegsinduftrie. Das Beſchaffungsſyſtem der
Marine,
2. Die Arbeit honoris causa, Die Entwidlung der Torpedoboote. Jedes
Kriegsihiff ein Kompromiß.
3. Perfönlichkeiten.
Fünftes Kapitel. Der neue Kurs.
Caprivis Abgang von der Admiralität. Die ———7 ——
der Marinebehörden. Das Chaos. Denkſchriften. Eine „Strafarbeit“.
Sechſtes Kapitel. Taktiſche Arbeit — —
1. Auftrag, die Taktik der Hochſeeflotte zu entwickeln. Meine Vorſchule
hierfür in der taktiſchen Bearbeitung des Torpedoweſens. Die „ſchwarze
Schar“.
2. Gefechtsmäßige Ausbildung der Hochſeeflotte. Die Lineartaktik. Der
Geſchwadergrundſatz. Engländer im Rückſtand.
Seite
11
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38
41
X Inhalt
Siebentes Kapitel, Flottenpläne.
1. Dientfchriften. Eeefchlaht oder Kreuzerkrieg? Die Nottwenbigfeit ei einer
Flotte für Deutfchland. Briefmechfel mit Stoſch.
Stellung zu England.
Mein Operationsplan von 1895. Die Erwerbung Helgolands.
2:
3
Ahhtes Kapitel. Liingtan, u173u...2.:+ —
1. Notwendigkeit eines deutſchen Stützpunktes in Shina, Eine unmög:
liche Wahl. Bei den Ruſſen. Zjingtau, nicht Amoy.
2, Form und Umfang der Pachtung. Tſingtau bleibt dem Neichömarine-
amt unterftellt. Das „Reich“ der Marine. Wirtfchaftlihe Entwidlung
und kulturelle Pionierarbeit.
3, Das Auslandödeutfhtum und die Marine. Feftigung der deutfchen Ge:
finnung in der Fremde.
4, Seekarten. Die Hochſchule in Tſingtau.
5. Der Verluſt Tſingtaus.
Neuntes Kapitel. Im Reichsmarineamt..
1. Noch einmal: Auslandsflotte oder Schlachtflotte? Die Gründe, wes—
halb wir eine Schlachtflotte brauchten.
2. Vorbereitung des erften Flottengefeges. Meine Arbeitsweiſe.
3, Die Gründe für die Gefeßesform.
Zehntes Kapitel. Bei Bismard N
1. Stapellauf des „Fürft Bismarck“. Mein erfter Befuch in n Friedrich:
ruhe. Fataler Anfang. Bismard über das Gleichgewicht zur See,
2. Fahrt durch den Sachfenmwalbd.
3, Der letzte Beſuch in Friedrichöruh.
Elftes Kapitel. Die Flottengejeße
I. Aufklärung des Volkes über die Seeintereifen,
2. Das erfte Flottengefeg vor dem Reichstag.
Die Notwendigkeit eines zweiten Flottengefeßes.
Unbeabfichtigt rafches Vorgehen. Grundgedanken des Flottenbaues.
Das zweite Flottengefeß vor dem Reichstag.
Zmölftes Kapitel, Beim Flottenbau . ..
1. Technifche Schwierigkeiten. Die Art unfres Schifföbaues. Die Sink:
fiherheit. Überlegenheit unferer Bauqualität über die fremden Marinen.
2. Sparfamleit und Geldnöte. Meine Rückſtändigkeit. Uboote und Luft:
ſchiffe.
3. Reibungen mit den anderen Marinebehörden.
4. Stellung zum Parlament. Vom Perſonal. Sind wir auf dem richtigen
Wege?
5. Meine letzten Pläne.
sag
Gelte
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Inhatt xl
Seite
⸗pllel Unter Dem Kaiſe 132
Anregungen. Konſtruktive Liebhabereien. Das Kabinettsunweſen. Rand—
bemerkungen. In Rominten. Mangel an Charakteren.
Vierzehntes Kapitel. oo. und auswär—
0 140
1. Reichsverfaſſung und Geſchäftsgang. Meine ee
2. Das Verhältnis zu Rußland und zu Japan.
3, Das Gleichgewicht zur See. Die Heinen Staaten.
4. Das Verhältnis zu Amerika.
5. Unfer Friedensbedürfnis. Fehler unferes Auftretens.
Sünfzehntes Kapitel. England und die deutſche Flotte 167
1. Die englifhe Wirtfhafiseiferfucht und die „Gefahrenzone” des Slotten:
baues.
2, Beginn der englifhen Flottenhege. Unfere Marinenovellen von 1906
und 1908. Admiral Fiſhers Flottenhetze Erwägungen über ein
Flottenabkommen mit England.
3, Agadir. Die Notwendigfeit einer Marinenovelie 1911. Der Streit
um die Novelle
4. Die Sendung Haldanes.
5, Urteile über „meine Flottenpolitif”,
6. Marfchall in London. Entfpannung ?
Sechzehntes Kapitel. Der Ausbruch des Krieges . . . 204
1. Nüdblid.
2. Die deutfche Politik im Juli 1914,
3. Das „Kartenhaus“.
4, Präventivfrieg ?
Die Schuldfrage.
Die legten Tage.
. Der Anteil der Flotte.
au
Siebzehntes Kapitel. Hauptfragen des Krieges . . . 250
. Militärifche Eröffnung.
. Die Frage des Hauptgegners.
. Unfere Waffen gegen England.
. Die Möglichkeit eines Sonderftiedens mit Rußland
Die Ideen des Krieges.
. Die innere Politik im Kriege.
. Die Vaterlandspartet.
Im Zuſammenbruch
@@nSsoa wm rn _-
XII Inhalt
Seite
Achtzehntes Kapitel. Die Hochſeeflotte im Kriege . . 298
1. Die Marine bei Kriegsbeginn.
2. Leiftungen der Flotte.
3. Der Operationsplan.
4. Meine Gutachten
5. Lähmung der Flotte.
6. Mangel einer Oberften Leitung.
7. Die Schlaht vor dem Skagerraf.
8. Die legte Phaſe.
Neunzehntes Kapitel. Der Unterjeebootlrieg . . . . 340
. Die Entftiehung der Kriegögebietserflärung.
. Der erite Umfall.
. Zufitania und Arabie.
. Das Hin und Her.
. Mein Rüdtritt.
. Suffer.
. Der uneingefchränfte Ubootskrieg 1917.
. Das Fazit.
Shlußwort . . A. 17m) En Gi
Anhagg le nee. SD, 2
I. Aus meinen Kriegöbriefen.
Il. Bemerkungen zu unferer Schiffsbaupolitif.
Namens und Sadhregifter.. ...: « ._ „27. „sr Pre
oO SA O0 RW mD —
Erftes Kapitel
In der Preußischen Marıne
T
Bon der deutfchen Flottenbegeifterung dee 48er Nevolution war in
meinen Sinabenjahren kaum mehr etwas zu fpüren, obmohl fie im Jahr
1864 durch das Gefecht von Jasmund ein wenig wieder auffladerte. Sch
felbft din auch nicht durch Schwärmerei zur Marine gekommen, fondern
als unbeabfichtigtes Produkt des feiner Zeit vorauseilenden Bildungs:
ideals meines Baters. Da diefer an fich felber ven Mangel realiftifcher
Kenntniffe empfand, fehiette er meinen Bruder und mic ſtatt auf das
Gymnaſium auf die Nealfchule unferer Heimatftadt Frankfurt a. O. in
der Abſicht, ung als Primaner die Schule wechſeln zu laſſen. Aber bei
der damals noch geringen Entwicklung des Realunterrichts war die Schule
mangelhaft; ich babe zeitlebens in gemwiffer Beziehung an ihr gelitten.
Unfere Lehrer waren jo antiquiet, daß fie eine Sprache redeten, die mir
eigentlich garnicht verftanden. Sch war als Schüler fehr ſchwankend,
zu Meihnachten 1864 die Zenfur mäßig. Mein Schulfreund Maltzahn
hatte die Abſicht ausgefprschen, zur Marine zu geben, und fo fiel mir
ein, daß es eine gewiſſe Milderung für die Eitern bedeuten könnte,
wenn ich den Gedanken mit aufnähme. Mein Vorfchlag wurde daheim
zunächft mit völligen Stülfchweigen aufgenommen, aber nach einigen
Mochen rief mich der Vater zu ſich: mein gebrüdtes Weſen wäre
aufgefallen, die Marine fchiene mie Durch den Kopf zu geben, und, wenn
ich wollte, follte mir Feine Hinderung in den Weg gelegt werden.
Niemand Fonnte überrofchter fein als ich; aber was blieb übrig? Ich
beharrte bei meinem Wort, unterzog mich im Frühjahr 1865 fechzehn-
jährig der Nufnahmeprüfung im damaligen Seefadetteninftitut in Berlin,
beitand biefeibe zum Erſtaunen aller als fünfter und wurde Seemann,
Die Werbefraft der Marine war, wie bemerkt, zu jener Zeit gering.
Im Sahr 1861 war die Korvette „Amazone“ mit faft ſämtlichen Ka⸗
detten, dem Offiziersnachwuchs von mehreren Jahren, an Bord unters
Eirpig, Silsmezugen 1
2 In der Preußiihen Kanıns
gegangen. Diefes Ereignis hatte die Anmeldung von Seefadetten bis auf
drei im folgenden Jahr hinuntergedrückt. Der geringe Andrang zwang
auch noch bei meinem Sahrgang außer den zehn Aſpiranten, welche die
Prüfung beftonden, faft ebenfoviel Ducchgefallene bedingungsweiſe auf-
zunehmen. Für die Flottenreife der preußischen Intelligenz jener Tage,
fowie für die deutfche Erbnreigung, alles aus dem Gefichtswinkel der
inneren Parteipolitik zu befchauen, ift ein Artikel, der damals in der
„Gartenlaube“ erjchien, bezeichnend. Er befchrieb in Novellenform, wie
die preußifche Junkerpartei die Tiberale Einrichtung der Marine dadurch
vernichten wollte, daß fie einen dänischen Kapitän beftach, er follte die
„Amazone“ rammen. Der Verfaffer diefer bösartigen Albernheit ſchien
zu überſehen, daß die Mehrheit ber untergegangenen Kadetten ſelbſt
„Junker“ geweſen waren. Prinz Adalbert traf beim Offizierserfag
forgfältige Auswahl.
Im übrigen habe ich in den erften Jahren bei der parlamentarifchen
Vertretung der Flottengefege gelegentlich noch empfunden, daß gewiſſe
Eonfervative Kreiſe dem Flottengedanken mißtrauifch gegenüberfianden.
Er galt nicht als aitpreußifch, er ftand etwas in Mettberverb mit der
Armee, er jchien mit Induftrie und Handel zu eng verfchwiftert für Die
damalige Notlage der Landwirtfchaft und die großen mirtfchaftlichen
Kämpfe der Parteien. Noch gegen das Zweite Flottengefeß von 1900,
gegen die „gräßliche Flotte‘, wie fie ein Eonfervativer Führer nannte,
haben vereinzelte Mitglieder der äußerſten Rechten geftimmt, während
beim liberalen Bürgertum von vornherein neben verbiffenfter Gegner:
Ichaft überwiegend verftändnisvolle Anhängerſchaft zu finden mar,
Zunächft hatte der Uniergang der „Amazone“ die Folge, daß 1864
das Durcheinander von Köpfen in unferem Seeoffizierstorps noch wuchs.
Schon vorher waren Zeile des Seeoffiziersforps aus der Armee über:
nommen, von wo befonders Kavalleriften die für den Marinedienſt er:
forderliche jugendliche Selbſtändigkeit mitbrachten; andere kamen aus
der deutfchen oder dänischen Marine; wieder andere waren in England,
Amerika oder Holland ausgebildei. Nun wurden aber auch noch Dans
ziger „Stüerkes“ aus der Segelſchiffs-Kauffahrtei-Marine eingeftellt,
um die im Kriege mit Dänemark fühlbar gewordenen Offizierslücken
zu füllen. Danzig war ja noch unfer eigentlicher Hafen. Diefe Schiffer
fuhren im allgemeinen nur in der Bleinen Fahrt zwiſchen Danzig
und England, während bie beſſeren Qualitäten nach der Nordſee gingen.
Eintritt in den Beruf. Junker und Stüerkes 3
Diefer Einfchub der vor uns „Hilfsbarone“ genannten, wenig ge⸗
bildeten Seebären aus ver damaligen Kauffahrteimarine, darunter
merfivürdige Perfönlichkeiten, die nach 1870 3. X. ebrengerichtlich
wieder entfernt wurden, brachte manchen Spaß in unfere Meſſen.
Sie wurden aber von den Mannfchaften oft nicht ale Autorität ans
erfannt, während der Offizier aus dem Kadetteninftitut, trotzdem er in
gewiſſem Sinne mehr Kamerad zum gemeinen Manne war, immer zu:
gleich auch der Herr blieb. Der Grundſatz Wafhingtons, nur Gentlemen
zu Offizieren zu nehmen, zeigte auch bei ung feine Richtigkeit. Nur
Zapferfeit vor dem Feind gibt einen Ausgleich für gute Erziehung. Im
aligemeinen fehlte es den damaligen Seekadetten an Lehrern, die ale
Erzieher gelten Eonnten. An „Schuftung“ mangelte e8 nach guter preu-
Bifcher Sitte nicht; man wurde von einem Kurfus in den andern ge
zogen, bis man erft nach 41/, Jahren zum Offiziersrang aufftieg. Aber
die Lehrer wußten dies Menfchenmaterial wenig zu handhaben. Viele
von den alten preußischen Marineoffizieren gingen deshalb um die Ecke
oder befamen Schrullen; im beiten Falle wurden fie Autodidakten. Mein
Jahrgang indeß war begünitigt; wir hatten vorzügliche Vorgeſetzte, an
die ich dankbar zurückdenke. Der fpätere Admiral Batjch war unfer
Kommandant. Nicht mit Unrecht jagt man, es hänge von der Art, wie
die Kadetten im erften Jahre angefaßt werben, ab, ob der Jahrgang,
die „Crew“, einfchlüge oder nicht.
Der Dienft gruppierte fich in der Hauptjache darum, die Handhabung
ber Takelage zu erlernen, Die Segelkunft, wie fie durch die Sahrtaufende
ausgebildet war, erforderte lange Übung für Offiziere wie Mannschaften.
Mir haben auf unferen Übungsfahrten verfchiedentlich, wie es bei der
Seaelzeit nicht anders war, Abenteuer erlebt, welche ung die Tage Mar:
ryats und Nelfons wie jelbftgefchaute verftehen Tießen.
Selten kreuzten fich die Wege der preußifchen Marine mit denen ber
preußischen Politik. Wenn es gefchah, dann etwa in der Weife, wie ung
die Teilnehmer der „Gazelle“-Fahrt nach Japan 1864 erzählten. In
der Nähe von Yokohama war ein deutjches Schiff geftrandet und be-
raubt worden. Der Kommandant der ‚Gazelle‘, Kapitän z. S. von
Bothwell, zog mit einem Landungsforpe hin, um zu bergen. Unterwegs
begegnete er einem Daimio, der Kotau verlangte. Unſer Kommandant
weigerte ſich. Um den Daimio faßen dreitaufend japanische Ritter in
Stahlrüftungen, den Kopf geſenkt, die Arme über dem Schwert ges
*
4 In der Preufilchen Marine
Preuzt. Schließlich half fich der Kapitän, indem er die Ehrenbezeugung
anbot, wie fie einem Föniglichen Prinzen in Preußen erwieſen würde,
Auf diefe Formel einigte man fich: da wurde chargiert, Gewehr zur
Attacke rechts und im Lauffehwitt vorbei, Auch zu Nepreffalien gegen
erotifche Staaten wurden die Schiffe verwendet. Im allgemeinen aber
zogen wir in diefen Zeiten nur auf Übungsfahrten ohne andern Zweck,
als die Ausbildung der Flotte felbft, hinaus.
Etwas vom Mittelalter hatten unfere Leiftungen auch noch im Krieg.
Die „Niobe“ hatte 13866 im Kanal auf ein Zufammentreffen mit der
öfterreichifchen Dampferkorvette „Erzherzog Friedrich‘ zu rechnen und
ſollte als Segelfchiff ein Gefecht vermeiden. Sch ftand damals als Nr, 3
am Vorderladergefchüt, um die Kugeln in die Mündung zu fchieben;
neben mir lag griffgerecht meine Pike für den Fall, daß ber Feind
entern und durch die Pforte hindurchdringen wollte. Andere Leute biel-
ten Enterbeile bereit, um fie in die feindliche Schiffewand zu fchlagen
und als Stufen zu benugen. Bei den Scillyinfeln fichteten wir ein bei-
gedrehtes Schiff von der Art des Ofterreichers. Es hielt unter Segel
offenbar auf ung ab, — ſchraubte dann den Schornitein in Die Höhe
und folgte uns unter Dampf. Nebel trennte ung während der Nacht.
Als in der Gegend vor Plymouth der Nebel hochging und wir klar zum
Gefecht bei den Kanonen ftanden, heißte die Fregatte die norwegiſche
Flagge und wir Zungen waren um unfere Rampfesfreude betrogen. In
Kiel Tagen wir fpäter mit geladenen Gefchügen vor den Straßen der
Altftadt, die zum Waſſer Hinabführen, als die Preußen unter Man-
teuffel bei Holtenau über den Kanal heranrücten und es fraglich ſchien,
ob die Hfterreicher unter Gablentz Widerſtand leiften würden oder nicht.
Gablentz jegte fich aber auf die Bahn und fuhr ab; unfere Muſikkapelle
fpielte ihm das Geleit. Die öfterreichifchen Offiziere waren in Kiel
ſehr beliebt gemwejen; ihre vielen Verlobungen gingen ja num entziwei,
aber fie hatten die Herzen gewonnen, während die Preußen, die den
fteifen Ladeſtock verſchluckt hatten, die germünfchte Bildung eines eigenen
Schleswigeholfteinifchen Kleinſtaates ſtören kamen. Troß dem Kriegs—
zuſtand haben wir uns über Tegetthoffs Seeſieg bei Liſſa gefreut, faſt
als ob er ein eigener wäre. Die öſterreichiſche Flotte hatte 1864 das
ſchwere Gefecht bei Helgoland an unſerer Seite ſehr tapfer geſchlagen,
und Oſterreich galt uns noch als deutſches Bruderland; über ſeine
Tſchechen und Polen ſah man in damaliger Zeit hinweg
Im Krieg 1866 5
Unjer Anfehen im Ausland flieg durch 1866 erheblich, Mir hatten
vorher einmal in Cadir demütigend empfunden, wie man ung von oben
herunter anjah und der ſpaniſche Offizier uns bei der MWerftbefichtigung
warten ließ. Jetzt kamen 1867 in Marfeille die Leute zu ung an Bord
geftürmt, um die Pruffiens zu fehen; in Nizza wurden Zündnabel-
gewehre in Sahrmarktsbuden gezeigt. Freilich die franzöfifchen Offi—
ziere gaben uns teils durch Hochmut, teils durch ſchlechtverhehlten
Ärger einen Vorgefchmad vo; 1879.
Im Frühjahr 1870 wurde aus vier verfchiedenen Schiffen unfer erſtes
Panzergeſchwader gebildet, auf deſſen Flaggichiff ‚König Wilhelm”
ih als Unterleutnant an Bord war. Prinz Adalbert, der darum ge
beten hatte, das Gefchwader zu führen, war nicht mehr ganz auf ber
Höhe, aber der König gab ihm nach einigem Zögern die Führung fo:
zuſagen als Abjchiedsfeier, um nach den Azoren zu gehen. Die Nuss
bildung war auch bei den Panzerfchiffen noch durch die Gewohnheiten
der Segelmarine beeinflußt; mir verfuchten auf der Reife fogar zu
fegeln, aber die Biefter rührten fich nicht, Die damalige Lage der
preußischen Marine Eennzeichnet fich in dem Umftand, daß mir in
deutichen Häfen feine Docks für große Schiffe beſaßen. Es war bei
Beihaffung der Schiffe wohl nicht genügend beachtet worden, daß
man ein eifernes Schiff alle Fahre docken muß, um es zu reinigen.
Das Gefchtwader war daher, als der Krieg mit Frankreich zu ſchwelen
anfing, mehrere Jahre nicht im Dock geweſen; der „König Wilhelm‘
hatte wie wir fpäter fetitellten über 60 Tonnen Miekmufcheln am
Leibe, die durch Verdidung des Schiffs und Reibung die Schnellig-
keit von 14 auf 10 Knoten herabgefeßt hatten, Nun zwang ung ein
Mafchinenfchaden, Plymouth für eine längere Ausbefferungszeit an-
zulaufen, und der englijche Admiral bot ung das Dod an. Weshalb
wir es nicht annahmen, ift mir unklar geblieben; man erzählte fich
damals in der Offiziersmeffe, die Schwierigkeit läge in dem Prinzen,
der doch nicht die ganze Zeit über im Doc bleiben Fönnte, Wie dem
jei, wir fuhren ungebodt Mitte Juli durch den Kanal zurüd in der
Erwartung, von den Franzoſen überfallen zu merden, wogegen mir
nur mit Erbjen gefüllte Übungsgefchoffe an Bord und ein Schlagrohr
hatten, das bei jeder Gelegenheit einen Verfager gab.
Am 16. Zuli in Wilhelmshaven angelangt, wo die Mobilmachung
im vollen Gange war, konnten wir nicht in den Hafen einlaufen, meil
6 In der Preußiſchen Marine
die Schleufen noch nicht fertig waren, blieben alfo auf der Reede. Die
Gefahren des dockloſen Zuftandes lähmten das Geſchwader; jede Ver:
feung des Schiffsbodens war unreparierbar und bedeutete Gefechte:
unfähigkeit. Wir haben nun auf der Außenjade eine harte Zeit erlebt.
Wir follten eingefeitt werden, wenn Hamburg oder ein anderer Nord-
feefüftenort angegriffen würde. Wie find aber auch zweimal in See
gegangen, einmal, um in Höhe der Doggerbanf den beiden neuen
Franzöfifchen Panzerfchiffen, welche zur Verſtärkung des franzöjischen
Oſtſeegeſchwaders ausgefandt waren, aufzulauern, das zweitemal, als
wir nach einem ftarfen Sturm die franzöfifche Flotte zerftreut in Lee
von Helgoland vermuteten. Mir find aber beidvemal nicht zum Schlagen
gekommen. Die Armee hat es ung verübelt, daß wir nicht die ganze
franzöfifche Flotte angriffen, als fie auf dem Rückmarſch plöglich vor
Milhelmshaven erfchien. Auch wir Jungen waren empört, daß wir
nicht losgingen, aber die Zurückhaltung war richtig. Wir ftanden drei
Panzerfchiffe gegen acht, Tiefen nur zehn Knoten Geſchwindigkeit, und
wenn auch der damalige Kapitän Werner in der „Gartenlaube“ mit
dem ‚König Wilhelm’ als ftärkftem Schiff der Welt Reklame ge-
trieben hatte, jo war denn doch eine dreifache Übermacht damit nicht
auszugleichen. Der Verluft unferes ganzen Beſtandes war beim Feh-
fen einer Ausbefferungsmöglichkeit zu ertvarten, ohne eigentlichen Nugen.
Für Nichtfeeleute blieb auch ſchwer zu verftehen, weshalb wir nicht
menigftens einen Ausfall wagten? Ein angefangenes Gefecht auf See
kann aber nicht abgebrochen werden, wenn der Feind fehneller if.
Ssedenfalls wurde der Marine ihre Untätigfeit verdacht, So befamen
wir nicht einmal Kriegsjahre angerechnet.
Wir hatten 1870 treffliche Lloyddampfer, die wir zum Kaperkrieg
hätten bewaffnen Zönnen. Wir hielten ung aber an unfere zu Anfang
deg Krieges abgegebene Erklärung, daß wir nicht Eapern wollten. Als
die Franzoſen ihrerfeitd unfere Kauffahrer wegnahmen, änderten wir
ſchließlich unſeren Standpunkt, mas aber für die erforderlichen Vor
bereitungen zu ſpät Fam.
Das damalige Seerecht, jich gründend auf die Parifer Konvention
von 1856, hinderte die Franzofen, offene Städte zu befchießen, two:
gegen wir überdies Vergeltung üben Fonnten. Eine Desarmierung uns
jerer im Ausland fiegenden Kriegsfchiffe war gegen das damals refpek-
tierte Seerecht. In Vigo nahmen unfere Schiffe Roblen, während
Im Krieg 1870/71 7
draußen die franzöſiſchen Schiffe und im Hafen ſelbſt noch als Auf:
paſſer ein franzöſiſcher Aviſo lag. Auf der offenen Reede von Fayal auf
den Nzoren umfuhr das franzöfifche Panzerſchiff Moncalm unfere
dort zu Anker liegende Korvette Arcona, ohne ihr Schaden zu tun.
Es war eben ein Seekrieg ohne Engländer. Auf die QTüfteleien des
Seerechts ſetzten auch im fpäteren Weltkrieg die Rechtsgelehrten des Aus⸗
märtigen Amtes und des Reichstages noch Die größten Hoffnungen,
während die Engländer mit jouveräner Gewalt darüber hinmweggegan-
gen find und nach dem Kriege ein neues Seerecht anftreben werden,
das ihre Polizeiherrfchaft auf den Meeren ftabiliert.
Der für die Armee fo glsrreiche Feldzug lag drückend auf ber
Marine, Dabei war unfer Eriegerifch tatenlofer Dienft auf der Außen⸗
iode anftrengend und ſchwer. Wir waren jederzeit auf den Angriff
unter ungünftigen Verhältnijfen gefaßt. Unfre Minenſperre beunrubigte
uns mehr als den Feind; die fchlechten Minen riffen fich bei bemwegter
See los und trieben in der Jade umher. Veonatelang bin ich auf
bem vorspringenden Sporn des „König Wilhelm” jede Nacht vier
Stunden Wache gegangen, um auf unfere eigenen Minen zu paffen,
was bei unfichtigem Spätjahrwetter freilich fo wenig genußt hätte,
wie die ſchwimmende Holzbarrifade, die vom Bugſprit des Schiffes
berabhängend die Iojen Minen auffangen follte.
Die größte „Kriegsleiſtung“ unſres Gefchwaders aber war die
Einfahrt in die Schleufen von Wilhelmshaven, als der Winter ung
zwang, die Außenjade zu verlalien. Der Hafen war unfertig; noch
am 16. Juli hatten die Hammel auf dem Boden der Baffins gemeidet.
Das Fahrwaſſer nach dem Hafen war noch nicht genügend ausgebag-
gert; für die Einfahrt mußten wir alfo Munition und Kohlen von
Bord geben, um das Schiff zu erleichtern. Da trat bei Windftilfe
am 22. Dezember ſchwerer Eisgang ein, fodaß die Eisfchollen bie
zur Batteriehöhe aufitiegen und die Ankerfetten durchſchnitten. Kohlen⸗
prähme konnten nicht mehr auf die Neede gelangen. et mußte
die Einfahrt gewagt werden, denn abgefehen von der unter biefen Um:
ftänden gefährlichen Ausfahrt aus der Jade bei Wangeroog hatten mir
auch Feine Feuerung mehr an Bord, um etwa nach Norwegen zu gehen.
Das Einlaufen gelang mit Pnapper Not; am 23. Dezember mittags
lag alles, was wir befaßen, im Hafenbaifin, und damit war für ung
der Krieg zu Ende
8 In ber Dreupifchen Marine
Aber es entiprach nicht der preußischen Art, unfer verantmortungs-
lofes Dafein müßig auszußoften. Teils um die Mannszucht aufrecht
zu halten, teils aus der Meinung heraus, man müßte die Marine
militärischer anfaffen und auf einen mehr foldatiichen Standpunkt
bringen, wurde in den Wintermonaten mächtig Snfanteriedienft geübt.
Die Ara Stoſch warf ihren Schatten voraus,
2
Meine Gefühle gegenüber England waren durch Familie und Pe:
ruf beftimmt. Die Umgebung, in der ich aufmwuchs, war getränft mir
Erinnerungen an bie Freiheitsfriege; mein Großonkel war Ordonnanz-
offizier bei York von Wartenburg gewejen; wer fich Anno 13 nicht
untadelhaft gehalten hatte, auf den mies vaterländifche Gefinnung
noch in meiner SKinderzeit mit Fingern, Für den alten Verbündeten
England beftand noch eine ftarfe Vorliebe, welche auch durch Palmer:
ſtons als kränkend rupfundene Abweiſung deutfcher Flottenmwünfche
nicht nachhaltig getrübt wurde, ebenſowenig durch die Kumdfchafter:
dienfte, welche im Jahre 1864 die Briten den Dänen bei Helgoland
gegen Tegetthoff Teifteten. Allerdings teilte mein Water, der inner:
politifch zu Liberalen Anfchauungen neigte, die Verftimmung, melche
im Gneifenaufchen Kreis gegen das felbftfüchtige Großbritannien er-
wachjen war, und pflegte eigene Kindheitserinnerungen an die anderen
Verbündeten aus Preußens Erhebungszeit, die Ruſſen. Die Mei:
nungsverjchiedenheiten der Großen färbten daheim Eindlich auf une
ab: ich entjinne mich einer häuslichen Feftaufführung, worin meine
Schwefter den Engländer, mein Bruder, in deſſen Typus das Röfugie-
blut der beiden Großmütter durchfchlug, den Franzofen fpielte und
ich als Ruffe die dem Krimkrieg entfprechenden Schläge befam.
Daß man in England die Preußen noch gelten ließ, erfuhr ich als
Seefadett aus eigener Anfchauung. Unfern eigentlichen Ausrüftungss
hafen bildete zwijchen 1864 und 1870 Plymouth, wo noch in langen
Reihen flußaufwärts die Dreidecker Nelfons und die großen ‚Holz
Iinienjchiffe des Krimkriegs Tagen und wo wir ung fat mehr zu:
hauſe fühlten als im idyllifchefriedlichen, nur gegen Preußen noch
jo mürrifchen Kiel, deſſen Hafen damals erſt ein einziger kleiner
Dampfer befuhr, der das Mehl von der Swentiner Wafjermühle
bherüberichleppte. Im Navy⸗-Hotel zu Plymouth wurden wir mie bri-
In Plymouth mehr zu Hauie als in Kiel 9
tiſche Midſhipmen behandelt, auch in Bezug auf die Preiſe. Da wir
armen Waffenbrüder von Waterloo England durch wirtſchaftliche Kräfte
noch nicht läſtig fielen, wurden wir mit freundlicher Herablaſſung
geduldet. Unſer winziges Seeoffizierkorps ſah bewundernd zur bri—
“ tifchen Marine auf, und unſere Seeleute fuhren in jenen Tagen noch
ebenjoviel auf englischen Schiffen wie auf deutichen. Die Mehrzahl
unſrer Mannfchaften diente zmölfjährig nach engliſchem Muſter, nur
der Eleinere Zeil war Rekrutenerſatz; der aber war auf allen Handels:
marinen, zum Zeil fogar auf der amerifanifchen Kriegsmarine, ge
fahren und ſprach durchweg engliſch. Mir Offiziere hatten mit den
englifchen die beiten Beziehungen und hielten die Kameradichaft auf:
recht bis in die legten Sahre vor dem Weltkrieg, wo das jüngere
britiſche Offiziersperfonal infolge gefellfchaftlicher Verfchlechterung fei-
nes Erfabes die Höflichkeit weniger pflog und infolge Tanger Der:
hetzung fein Benehmen gegen uns zu ändern begann.
Die Wurzel des britifchen Mißvergnügens ift am 2. September
1870 gelegt worden. Als unfer Gefchwader im Zuli 1870 bei drohen:
der Kriegsgefahr vor Dover ankerte, wurden wir von zahlreichen
Dampfern empfangen, dicht beſetzt mit Menschen, die uns freund-
ſchaftlich zuriefen: „It is all seitled between France and Prussia,“
da fie glaubten, der Friede fer gefichert, nachdem die Hohenzollern'ſche
Thronkandidatur zurücdgezogen war, Es hieß damals noch: Das arme
Preußen, daß es nur nicht von Napoleon verichlungen wird, Man jah
ung als die Überfallenen an. Mit der Schlaht von Sedan fchlug
bie englifche Stimmung um, allerdings nicht von Marine zu Marine,
wo wir unverändert ala Couleurfchiwefter behandelt worden find. Es
fiel mir aber auf, daß die höhere englische Gefellichaft ſofort nach
dem Krieg nicht mehr auf unferer Seite war, wozu ihr viel ftärferer
Kulturaustauſch mit Paris und ihre Kühle gegen das, was ale deutſche
Sormlofigkeit empfunden mwurde, beitrug.
Die preußifche Marine hatte wenig eigene Überlieferung. Die Expe⸗
dition nach Dftafien fand noch als eine Art ruhmreicher Tat da-
binter, dann ein wenig der Krieg gegen Dänemark (in welchem jedoch
der Mangel einer eigentlichen Flotte ftarf empfunden wurde, als bie
vom Prinzen Friedrich Karl gewünſchte Unterftügung der Truppen
überfchiffung nach Alſen am fehlechten Wetter, den ſchwachen Ma—
ſchinen unferer Kanonenboote und der Überlegenheit ber bänifchen
10 In ber Dreußiichen Marine
Flotte ſcheiterte). Mir rankten uns jozufagen an der britifchen Marine
empor. Man befchaffte lieber in England. Wenn eine Mafchine ficher
und ohne Störung arbeitete, ein Tau oder eine Kette nicht riß, dann
war es beftimmt Fein heimifches Werkſtück, fondern ein Fabrikat
aus englifchen Werkftätten, ein Tau mit dem berühmten voten Faden
der britifchen Marine. An den Schiffen, die wir felbjt gebaut hatten,
brach ungemütlich Teicht etivas. Als ich im Winter 1869 zur Xrtillerie-
prüfungsfommiffion nad) Berlin Fam, zitterte noch die große vater
fändifche Frage: Krupp contra Armſtrong in den Gemütern nach, die
joeben zu Gunften Krupps entjchieden worden war. Die Marine war
für Armftrong geweſen. Wir Fonnten uns damals nicht vorftellen,
daß deutfche Geſchütze den englifchen gleichtvertig jein könnten.
Als im Jahr 1873 eine Engländerin in Gibraltar an Bord des
„Friedrich Karl“ unfere Mannfchaften fah, die Damals, wie noch
im Anfang des Weltkriegs, den britifchen, wie ich glaube, überlegen
geweien find, fagte fie erftaunt: „Don't they look just like sailors?“
und als ich fragte, wie fie denn fonft ausfehen follten? ermwiderte fie
entfchloffen: „But you are not a seagoing nation.‘
Im ganzen galt für das Verhältnis, was Bismard 1857 an Ger:
lach ſchrieb: „Ich habe, was das Ausland anbelangt, in meinem
Leben nur für England und feine Bewohner Sympathie gehabt und
bin ftundenweis noch nicht frei davon. Aber die Leute wollen fich ja
von ung nicht lieben laſſen.“
— — — —
Zweites Kapitel
Ara Stoich
1
Von 1871 bis 1888 hat die Marine unter Landgenerälen gearbeitet.
Generalleutnant v. Stofeh löſte 1871 den Prinzen Adalbert im Ober:
befehl ab und übernahm gleichzeitig die Marineabteilung des Kriegs-
miniftertums, General v. Saprivi folgte ihm als Chef der Admi—
ralität von 1383 bis zum Beginn der Ara Milhelms des Zweiten.
Als 1867 auf unfern Schiffen die fchöne Flagge mit dem Adler
niederging und die mehr dem engliichen Muſter ähnelnde norddeutfche
Bundesflagge gehißt wurde, war uns Fähnrichen das Verſchwinden
der preußischen Farben zwar jchmerzlich, aber wir ahnten eine große
gefchichtliche Wendung und Teerten unjer Glas mit widerfprechenden
Gefühlen. Das Jahr 18371 drängte die preußifche Erinnerung weiter
zurüd, wir wurden kaiſerliche Offiziere, und die Marine befam die
ſchwarzweißrote Kokarde.
Mit den Hanſeaten vertrugen wir von der Marine uns ſchon zu
einer Zeit, als ſie noch preußenfeindlich waren und die Armee ab—
lehnten. Ich lag 1871 als Leutnant mit dem „Blitz“ auf dem Elb⸗
from, wo Preußen 1866 gegen die Hamburger Annexionswünſche
ein Wachtſchiff Hingefet hatte. Der Poſten blieb vergeſſen auf der
Grenze liegen; wir hatten auch kleine Stromaufgaben, Hafenpolizei;
im allgemeinen waren wir jedoch nur bemonftrativo — und erfreuten
ung der Freundjfchaft Hamburgs, bis Siofch im Herbft 1872 heraus:
befam, daß dort jo ein Schmaroger jaß, und das Kommando auf:
löfte. Der Hamburger Hafen, voll von Poeſie — das Gemwirr der
Segler lag am Kai entlang, Balfins waren noch nicht gebaut —
hatte noch ganz den Charakter des Einfuhrhafens. Die Schiffahrt
lag vorzugsweise in englifchen Händen und man Fonnte durchſpüren,
wie fehr der deutfche Haupthafen früher eine Agentur Englands ges
mefen war. Zum eriten Mal bat im Jahr 1895 die deutfche Flagge
12 Ara Stoſch
im Hamburger Hafen bie britifche überholt. Damals ale „Blitz“ auf
ber Elbe lag, neigten die Hamburger in der Stimmung eines rein
paffiven Handelsplages noch nach England hinüber, von dem fie ja
vollitändig abhängig waren, während Deutjchland ihren Kaffee und
Tabak auf alle Fälle abnehmen mußte, fodaß die Hamburger fich
auch fpäter noch Tange gegen die Eingliederung in den Zollverein (1888)
gefiräubt haben.
Stoſch ging von vornherein von dem Gedanken aus, die deutfchen
Seeintereffen zu entwickeln, Deutfchtum und deutfche Arbeit in der
Melt zu Eräftigen und zu ſchützen. Für mich als erften Offizier des
Kanonenbootes „Blitz“ wurde dieſe Politif zunächſt anfchaulich durch
den Befehl, die Fischerei zu ſchützen.
Mit Größerem zufammen war auch die deutjche Heringsfifcherei
in den Jahrhunderten unfrer Schwäche und Armut zugrundegegangen.
Erſt Stofch hat die erfte Heringsfifchereigefellfchaft, die fich in Emden
neu bildete, unterſtützt. Das Unternehmen arbeitete mit Nachteil, da
wir zu den Heringsgründen einen weiteren Meg hatten, ale die aus-
Yändifchen Fiicher, und die Steuer von einem Zaler auf die Tonne
Heringe, die noch aus der friderizianiichen Verwaltung Oſtfrieslands
ftammte, ein fo junges Gefchäft mit ungefchultem Perfonal nicht zum
Blühen bringen ließ. Wir haben vor dem Meltkrieg bedauerlichermweife
noch für weit über 100 Millionen Mark ausländische Fifche, meift
Heringe, eingeführt, Ein etwas höherer Zollfchug, der angeftrebt wurde,
ift durch das Schlagwort vom ‚Hering des armen Mannes’ vereitelt
worden, obwohl am einzelnen Hering beim Tütchenkrämer der Zoll
gar nicht bemerkbar geworden wäre. Denn allein der Zwiſchenhandel
auf dem Wege von Emden nach Berlin verdoppelte fchon den Herings-
preis.
Die fünf Emdener Logger, die ſich zuerſt auf Heringsfang wagten,
erbaten alſo militäriſchen Schutz, weil ſie des Lebens und ihrer Netze
nicht ſicher wären zwiſchen ſchottiſchen und holländiſchen Fiſchern,
die auf ihren altgewohnten Gründen zu Hunderten fiſchten. Unſer
altes Holzkanonenboot ſollte gleichzeitig ſtudieren, wie der Fang am
beſten zu machen wäre, und welche Anhaltspunkte man für die Herings-
ftröme hätte. Als wir wegen eines Maſtbruchs verfpätet auf bie
Gründe Famen und unjre Schiffe fuchten — e8 war Juni und um
Mitternacht taghell auf wohl über 60 Grab nördlicher Breite, bie
Deutiche Fiſcher unser hollandiſcher Flagg⸗ 13
See ſtill und bedeckt mit Fiſcherfahrzeugen, Holländern, Schotten
und ein paar Franzoſen — da konnten wir unſre Schützlinge tage
lang nicht finden. Endlich fahen wir ein paar Logger, die auf unfre
Befchreibung paßten, und erkannten im Fernrohr auch wirklich den
feinen ſchwarz⸗weiß⸗roten Streifen, der uns als Merkmal angegeben
war. Wie wir aber darauf losgingen, ſetzte der nächfte Logger Segel
und drückte fich weg. Wir ſchickten einen Schuß hinterher, da ließ
er dag Segel heruntergehen. Auf unfer Befragen, weshalb fie ihr
Deutfchtum verleugneten, fagten die Xeute, es wäre ihnen zu unficher
gewefen, fie hätten riffiert, daß ihnen die Fremden durch die Nee
fuhren und fie ihnen entzwei riffen. Unfere guten Emdener fuhren
nämlich unter bolländifcher Flagge und fcheuten fich, als Deutjche
Farbe zu bekennen. Unfere Heringskapitäne ftammten alle nicht meit
von der holländifchen Grenze. In Lerwic trafen wir einen, ber bei
unferem Herannahen die deutliche Flagge hißte, uns befliffen ein
Tönnchen Matjesheringe an Bord brachte, dann aber fofort in
See ging und verfchwand Darauf erzählte uns der Offizier
eines dort Tiegenden niederländifchen Kriegsjchiffes, dieſer Logger,
der fich heute als Deutjcher auffpielte, wäre erft geftern Nacht als
Holländer hereingefommen und Hätte auf dem niederländifchen Schiff
Arzt und Arzneimittel requirirt. Die Heringsgejellfchaft hatte ihren
Leuten dies eigenartige Verfahren feldit empfohlen.
So erlebten wir anſchaulich, wie verfchüchtert eim großes Volk
ohne Seegewalt werden Kann und wie entifremdet wir den Werten
waren, welche dag Meer uns bot, Es war ja nad) nicht lange her,
daß Palmerfton gedroht hatte, ein Schiff mit deutlicher Flagge als
Piraten zu behandeln. Als wie im felben Jahre (1872) bei Amrum
waren, verfteckten ſich mehrere Finkenwerder Kutter hinter der Sniel,
weil die englifche Nordfeefifcherflotte mit 80 oder 90 Schiffen die
See vor Amrum bededte. Wir empfahlen den Finfenwerdern, auge
zufahren, da uns ja nichts lieber fei, als daß wir einen diefer frem⸗
den Fischer bei etwaiger Überfchreitung der DreifeemeilensHoheitsgrenze
abfaffen Eönnten. Das wollten fie nicht wagen, entgegneten die Finken—
werder, denn wir wären ja nicht immer zum Schuße da, So fah
e8 mit nationalem Stolz und unfrer Geltung an ber eigenen Küfte
aus. Mie waren wir doch feit den Hanfazeiten herabgefommen!
Stoſchs unausgefeßtes Beitreben, Deutſchlands Seeintereffen nach
14 Ara Stoſch
allen Richtungen zu fördern, wurde von Beginn ſeiner Amtszeit an
unter großen Schwierigkeiten verfolgt. Der Auslandsdienſt überſpannte
faſt die damaligen Kräfte der Marine. Jeder Kommandant durfte
aber bei feiner Tätigkeit im Ausland auf Stoſchs nachhaltige Unter
ftüßung rechnen, auch bei den oft jelbftitändigen und ſchwierigen Ent-
jchlüffen, welche der Auslandsbienft beim damaligen Mangel an Kabel:
verbindungen erforderte. Dabei ging es nicht ohne Neibungen mit
dem Reichsfanzler ab. Im Jahr 1873, als ich wachthabender Offizier
auf dem „Friedrich Karl” war, befamen wir den Auftrag, die Deut:
ichen in den ſüdſpaniſchen Hafenftäöten zu fehügen, wo Bürger-
krieg herrſchte. Wir nahmen dabei einen von den Inſurgenten be
festen Aviſo unter roter Flagge weg; fchon das fand nicht Bismarcks
Billigung. Als aber unfer Kommandant Werner auf die Bitte der
Deutichen wie auch der fpanifchen Stadtverwaltung von Malaga, im
Verein mit dem britischen Panzerichiff „Swiftſure“ die Infurgenten-
ſchiffe „Almanſa““ und „Victoria“, welche die Küftenftädte brand-
ſchatzten, feſtnahm und das Perfonal zuſammen mit ihrem Anführer,
General Contreras, in Sartagena an Land brachte, Fam aus Berlin
der Befehl, Werner fer abgeſetzt und unfer Geſchwader follte die Reede
von Cartagena verlafien. Wie wie nachher erfuhren, war in Berlin
Stofh mit Moltke zufammen für Werner eingetreten, während Big:
mard auf feiner Abſetzung beftand und Ihn eigentlich vor's Siriegs-
gericht bringen wollte.
Mir hatten in Cartagena mit britifchen Schiffen zuſammen ope-
viert, Die wir nun zu unjrer Beſchämung im Stiche laſſen mußten.
In Gibraltar wurde Werner abgelöft. Als er von Bord ging, las
er und einige Briefe Stoſchs vor und ſchloß mit den Worten: „Das
fchreibt mir der Menſch,“ er vebellierte alſo fozufagen. Unfre bis
dahın hochgeachtete Stellung — e3 hatte genügt, daß unfere Flagge
fich zeigte; wenn es hieß „Federico Carlos estä aqui“, war gleich die
ganze von Aufſtändiſchen erfüllte Küfte ruhig — ſank mit der Ver»
leugnung MWerners fo, daß wir nachher große Schwierigkeiten nicht
nur mit den Aufftändifchen hatten. Mährend vorher fich viele Deutiche
ihrer Nationalität wieder erinnerten und ihre Zahl in den Konſulats⸗
liften beitändig ftieg, ja in Malaga ſich in acht Tagen verdreifacht hatte,
wurden nunmehr Die Deutichen überall fchlecht behandelt, fchließlich
in Cartagena fogar ausgeranbt. Daraufhin hefamen mir Befehl, gegen
Spanifche Fnfurgenten, Werner und Bismard 15
das befeitigte Cartagena vorzugehen. Nun mar dies aber militäriſch
mit dem „‚Friedrich Karl” und einem Kanonenboot ſchwierig. Unſer
neuer Kommandant telegraphierte an Stoich zurüd, es wäre zweifel-
haft, ob er den Befehl mit feinen Kräften ausführen könnte. Stoſchs
Antwort Tautete in Flaffifcher, für ihn bezeichnender Schärfe: Es
würden andere Schiffe zur Unterftühung Elargehalten werden, im
übrigen gäbe er zu bedenken, daß nicht Schiffe Fämpften, fondern
Menschen. Wir gingen alfo hin, und der Befehl wurde prompt aus:
geführt. Aber unfer Anſehen an der ganzen Küfte war einmal ge
ſunken und das blieb nicht ohne Folgen, auch nicht ohne wirtfchaftliche
Nachteile.
Die Engländer pfleaten einen Offizier politiich oder militärifch nicht
preiszugeben, einerlei, ob feine Handlung aus dem vorgefchriehenen
Rahmen berausfiel oder nicht. Ob es die Vernichtung der türfifchen
Flotte bei Navarin oder die Kämpfe um bie Takuforts, ob es die
Flucht der Tochter des Sultans von Sanfibar, ob es ein Mord-
olan wie etwa derjenige gegen Sir Roger Gafjement, der Fall
des „King Stephen” oder gar der Baralong Mord ift, den fie im
Stillen wahrscheinlich verurteilt haben, grundfählich decken die Eng-
länder ihre Leute, um die Achtung vor jedem Briten in der Melt und
die Neigung zur Selbithilfe in den Ihrigen zu ſtärken. Beim eng—
liſchen Auslandsdienſt wird auf Berwegungsfreiheit gefehen, wobei man
vorſichtigerweiſe bedenkliche Unternehmungen möglichſt nicht von den
Chefs der Miffionen, jondern von Nebensrganen vollziehen läßt. Bei
ung wird die hierarchifche Ordnung unverbrüchlich gewahrt.
In jenem Fell waren ung jungen Seeleuten Bismarcks Berveg-
gründe nicht befannt und Werners Bloßitellung infofern nicht ver:
Händlich, ale es der rechtmäßigen ſpaniſchen Negierung nach unfrer
Auffaflung nur angenehm jein Eonnte, wenn der Schuß der damals
noch recht erheblichen deutichen Sntereffen an der Südküſte die In—
furgenten ſchwächte. Unſrer Verehrung für Bismard hat der Zwiſchen⸗
fall, wie jeine fonftigen Reibungen mit Stofch, feinen Eintrag getan.
Seine einzigartige Größe hatte sielleicht den Nachteil, daß fich auch
bei ung Seeoffizieren wie überhaupt in Deutfchland, die Befchäftiaung
mit Politif nicht fehr entmwicelte, da für allee damit Zuſammen⸗
hängende durch die Geſtalt des Altmeifters, der uns das Reich ge
Ichenft hatte, ſozuſagen unabiehbar vorgeſorgt fchien.
16 Aru Stoſch
2
Zum Politiſiren hatten wir überdies ger Feine Zeit. Es war neben
der Entfaltung der deutſchen Seeintereſſen Stojchs zweiter Grund-
gedanke, durch welchen er der Marine jein Gepräge gab: daß er fie
arbeiten lehrte. Sch will nicht fagen arbeiten ohne Fehler; das war
bei einem Volk, das der See und ihrem Weſen entfrembet war, un-
möglich. Uber arbeiten überhaupt. Je reifer die Marine wurde und
je mehr unſer Volk das große Kulturgebiet der See mieder verftehen
lernte, deſto mehr Früchte hat diefes Arbeitenfönnen getragen. Sch
erinnere mich der erftaunten Bemerkung englischer Offiziere, als wir
1890 in Malta mit unferen alten Käften neben den modernen Schiffen
der Engländer lagen und den ganzen Tag Dienft: taten und fchufteten:
ivenn fie das ihren Leuten zumuteten, befämen fie Meuterei. Sie
Fonnten diefe ſtramme Arbeit nicht begreifen, beionders da fie infolge
der kurzen Dienftzeit der deutichen Mannfchaften nicht ganz zum
Nutzerfolg führte. Im Parf von Osborne hatten wir im Jahr vorher
mit einer Landungsdivifion der Königin den Parademarſch vorgeführt.
Die britifchen Seeoffiziere jagten überrafcht: „Das find ja Soldaten.”
Der Eindruck war nicht ganz richtig, aber bezeichnend.
Unter Prinz Ndalbert war ſtreng darauf gefehen worden, daß die
von der englifchen Marine übernommene Form ſeemänniſch und nicht
landmäßig war; wenn der Prinz z. B. die Front abging, mußte ber
riefige blanke Seemannahut auf ben Hinterkopf geſetzt und eine breit-
beinige Stellung eingensmmen merden; ter Das Achterdeck betrat,
grüßte die Flagge; der Mann grüßte an Bord den Offizier durch
Müseabnehmen, den Unteroffizier durch Müselüften, und jo noch
vielerlei Etiketten: aber Steammftehen gab es nicht, Beim Gegel-
ererzieren Bonnte man auch die Hände nicht an die Hofennaht halten.
Die Mannfchaften hatten eine anftrengende und Tebensgefährliche, aber
ſelbſtſtändige Tätigkeit und die Unteroffiziere in den Toppen handelten
vielfach auf eigene Fauſt. Menn das Schiff rollte, war jeder auf
fich felbft geftellt. Das gleichmäßige „„Bimfen‘‘ der Nrmeeausbildung
fehlte dem Dienftbetrieb der Segelzeit,
Als wir im Winter 1870 im Milhelmshavener Baſſin Iagen und
bie Tafelage herunter war, wurden mir, mie. bemerkt, bis zur Erfchlaf-
fung gedrillt. Unter dem General Stofeh nahm dann die foldatijche
Richtung einen wohl zu ſchroffen Aufſtieg. Manche älteren Offiziere
Hiliserifierung des Darins 17
murrten: da wäre noch ein Fledichen in Preußen geweſen, auf dem
es fich leben ließ, nämlich die Marine; das habe durchaus nicht länger
gebuldet werden können. Es gab aber auch folche, die, um fich eine
gute Nummer zu verichaffen, ven Infanteriedienſt und den Drill meiter
trieben, als Stofch es wohl felbit beabfichtigt hatte. Die geringe An⸗
ziehungskraft ber Marine unter Stoſch veranlafte ihn, auch weniger
geeigneten Dffizierserfaß aufzunehmen. Dies und die Unmöglichkeit
der damaligen Marine, taktiſche Schulung zu gewähren, tft mit dafür
erantwortlich, daß im Anfang des 20. Jahrhunderts die führenden
Perfönlichkeiten unter den Nömiralsjahrgängen dünn gelät waren.
Stoſch war als Perfönlichkeit fcharf wie gehadtes Eijen. Er er-
freute ung bei Inſpektionen leicht durch gewaltige Anfchnauzer, die
oft den Kern der Sache trafen. So erinnere ich mich einer
Kritik am Schluß einer Inſpizierung, die mit den lapidaren Worten
hegann: „Vom Kommandanten bis zum legten Schiffsiungen die reine
Waſſerſuppe.“ Der Kommandant hatte freilich die Ehre und das
Pech gehabt im Sommer den Prinzen Friedrich Karl vier Mochen an
Borb zu führen: eine Art von Befuch, die Stofch ale ftörend für den
Dienſt anfah. Seinem mächtigen Eingriff in den ganzen Nusbau ber
Marine kam es zuitatten, daß er neben der Verwaltung noch faft
die volle militärische Befehlsgewalt in ſich vereinigte, fodaß innere
Hemmungen leicht von ihm befeitigt werden konnten.
Die alte preußifche Marine hatte in den zwöltjährigen Mannfchaf:
ten — long service men — ein Perſonal befejjen, wie wir es nie
wieder bekommen haben, Stofch führte die Zjährige, richtiger bie
21/, jährige Dienitzeit ſchroffer durch, als es für die Notwendigkeiten
der Seefahrt gut war. Mehrfache Mbichaffung der Spezialiiten und
kurzfriſtige Indienſthaltungsperioden machten troß allem Eifer die von
ber Admiralität geforderten Leitungen zur Unmöglichkeit. Durch bie
Streihung von Unteroffiziersfategorien gerieten wir in eine gerabezu
gefährliche Lage. So wurde das ganze Steuermannsperfonal abge-
Ihafft und Durch Leute aus der Mannfchaft erſetzt, ſodaß der Dienft
als Steuermannsmaat Offizieren aufgebürdet werden mußte.
Wie diefe Aufhebung von notwendigen Spezialiften und bie für
Seefahrtsausbildung zu kurze 21/, jährige Dienftzeit zu der materiellen
und perjonellen Differenziertheit der Marine nicht paßte, jo murde
umgekehrt bie Augsbildung an Land au einer Bedeutung gefchraubi,
2 ;
Ziepin, Arinmerunam
18 Üra Stoſch
de fie nicht beſaß. Die Sommergeſchwader wurden erft im Mai in
Dienst geitellt, follten fofort das Höchfte leiften, und flogen im Herbſt
wieder auseinander, bevor fie etwas konnten. Dafür kamen die Leute
im Herbft an Land, meift in die fogenannten Stammdiviſionen (Depots),
aber nicht nach Kategorien geordnet, wie mir das fpäter machten, fon-
dern geradezu wie Regimenter behandelt. Für Gefechte: und gar für
Geſchwaderausbildung blieb in den kurzen Sommerübungen Feine Zeit,
Foum für die rohefte Bordausbildung. Die kriegsmäßige Geſchwader—
ausbildung glich nach dem Mort eines Admirale dem Verſuch, aus
Iofem Sand etwas Feftes zu mollen. Die durch diefe Einrichtung
weſentlich verzögerte Entwicklung der taktifchen Flottenverwendung fällt
aber nicht allein Stofch felbft zur Laſt. Nach der Gefchwaderübung
von 1893, welche im bejonderen die Geeignetheit zur kurzen Indienſt⸗
haltung feftftellen follte, fprechen mit Ausnahme eines Herm fämt-
liche Kommandanten und der Admiral fich im bejahenden Sinne aus.
Diefe Beurteilung zeigt die damals geringe maritimsmilitärifche Schu-
lung der älteren Seeoffiziere, wie e8 auch gar nicht anders möglich war.
Strenger Wachtdienſt im militärifchen Begriff wurde auf die Schiffe
übertragen und fraß Zeit und Kräfte, ohne eigentlichen Wert. Den
Waffenrock, den Stofch einführte, mußten wir mit Hufarenfchärpe much
in den Tropen auf Mache tragen, bis einmal ein Offizier auf der
Kommandobrüde umfiel; dann erfchien das weiße Tropenzeug wieder.
Ferner wurde Mobilmachung nach Art der Armee eingeführt. Früber
hatten Indienſtſtellungen Wochen gedauert und fpäter haben wir jie
fozufagen gar nicht mehr vorgenommen, fondern die Schiffe dauernd
in Dienft gehalten. Stofch dagegen verlangte, wie ein Regiment in
drei Tagen mobil gemacht ift, dasjelbe bei Schiffen; daß der kompli⸗
zirte Mikrokosmus von Technik, den ein Schiff darftellt, durchſetzt
von den verſchiedenartigſten Bedürfniffen und Rücfichten, noch einen
Organismus bildet, wenn in drei Tagen alles Material an Bord ger
vafft wird, darüber ging man in jener Periode mit einem großen
Schwamm hinweg. Stoſch ift nie Seemann gemorden, zumal feine
nicht immer günftig ausgewählten Ratgeber es verabfäumten, ihn aus
den Armeebegriffen in die unfrigen hinüberzuführen, und nötigenfalls
auch ihm entgegen zu treten. Es wurde zu viel befohlen und zu wenig
gefragt, und jo brachte der Untergang des „Großen Kurfürften‘ im
Jahr 1378, der 4 T. durch Diele Landmilitariſirung der Marine ver:
Vom Bildungsgang des Seeoffiziers 19
ſchuldet war, bie Kritik fhirmifch an die Oberfläche. Von da ab murden
die Bedingungen der Seefahrt und des Schiffsorganismus wieder mehr
berückſichtigt. Caprivi und ich erhöhten fpäter den Ausbildungsftand
der Schiffe befonders durch Wiedereinführung einer größeren Stetige
keit des Perjonals, ſoweit es die für die Differenziertheit der Marine
zu kurze Dienftzeit zulieh.
Der von hm zu Kiel gegründeten Marineakademie hat Stojch den
richtigen Gedanken eingehaucht, weniger Fachwiſſenſchaften zu lehren
als Allgemeinbildung und Selbftftudium zu fördern. Es wurde viel
Mathematif getrieben, außerdem Philofophie, Naturs, insbefondere
Meereskunde, wie wir denn von unfern Reifen viel an die Mufeen ges
fchieft haben, und Aftronomie, die man allenfalls zu den Fachmwiffen-
ſchaften rechnen kann. Die Seefriegsgejchichte wurde damals unzu-
reichend gelehrt, dem Seerecht war wenig abzugerwinnen, Nationalöfong-
mie trat erſt unter meiner Verwaltung hinzu. Im Lauf der Jahre hat die
Akademie mehr Fach-Charakter angenommen, obgleich ich immer da:
gegen gedrückt habe, daß jie zu einer reinen Admiralſtabsvorſchule
würde oder Gelehrte züchtete, denen die fäuberliche Theorie über bie
Tat ginge. Sch fuchte auch den materiellstechnifchen Unterricht von
den Schulen, einjchließlich der Alademie, mehr auf Sonderfurfe ab-
zufchieben, welche das Neue der rajch veränderten Technik beifer ver-
mitteln ale die Akademie mit ihrer Befchränfung an Zeit und Modellen.
Fruchtbarer als der materiellstechnifche Unterricht geftalteten fich in
den Marinelehranftalten die miffenfchaftlichen Teile der Schiffsbau-
Iehre und Mafchinenkunde. Nicht, daß der Offizier konſtruieren fol,
aber er muß Konftruftionen beurteilen können. Die Technik ift heute
fo untergeteilt, daß der Konſtrukteur felbft die Einzeltechnif verliert.
Die Denkweiſe des reinen Technikers ift zudem nicht unbedingt für
andere Aufgaben geeignet. Auch an der Spitze der großen Unter-
nehmungen ftehen zwar zumellen Techniker mit univerfaler Auffaſſung
und leiſten dann Großes, häufiger aber findet fich bei Suriften oder
Kaufleuten die organifatorifche Ader. Für den Seeoffizier aber treten
in den höheren Stellen zu den militärischen Fragen, insbefondere der
immer Fomplizierteren Taktik, noch ganz andere organifatorifche, fee
rechtliche, politifche Materien. Einen Teil feines Lebens muß der höhere
Seeoffizier in der großen Welt verbracht haben. Höhere Mathematik,
als Verftandesgymnaftif fo wertvoll, ıft Für den Seeoffizier in gewiſſer
30 Ara Stoſch
Beziehung gefährlich, In ihrer Umerjchöpflichkeit abforbiert fie zu fehr,
und in ihrer Eraftheit Bann fie wie jede Theorie dahin führen, die
$mponderabilien zu unterfchägen und zu vergefien, daß Feldherrnſchaft
nicht eine logifche Wifjenfchaft, fondern Intuition ift, zu der in eriter
Linie Perjönlichkeit gehört. Deshalb darf man die Kategorien, die in
die höchften Stellungen auffteigen, nicht als Spezialiften fchulen. Es
ift gut, daß fie einmal in einer Spezialität gearbeitet haben und wiſſen,
was das heißt, welche Summe von Geift und Arbeit darin ſteckt; doch
ihre eigene Linie ſoll fich von der technifchen unterfcheiden!). Das
Spezialiftentum wurde der Marine mehr und mehr gefährlich. Umſo⸗
mehr halte ich Stoſchs auf das Allgemeine gerichtetes Bildungsſyſtem
für richtig.
Zu Stofchs Beftrebungen, Gleichartigfeit mit der Nrmee zu ſchaffen,
zählte e8, daß er eine eigene Admiralſtabslaufbahn einrichtete und
dem ausgedehnten Admiralſtab, den er fchuf, foger ein eigenes Ab⸗
zeichen nach Art des „Bildimgsftreifens” des Generalftabs verlieh.
Man darf aber in der Marine nicht Iange von Bord bleiben, fonit
verlernt man das Seefahren. Auch ift der Frontdienft bei der Marine
vielgeitaltiger als bei der Truppe. In der Armee geht der Generolftab als
zweiter Nervenjtrang neben der Hierarchie der Kommandeure lebenbildend
durch das Ganze hindurch alg zweite Sicherung, als „Korreferation“ für
die Kommandeure, mitberuhend auf den perfünlichen Zufammenhängen
des Korpsgenerelftäblers mit dem Großen Generalftab. In der Marine
ift ein folches zweites Nervenſyſtem nicht benfhar. Das Zufammenhalten
großer Maffen, die Aufmarfchfragen und verwandte Probleme fallen hier
fort; e8 find nur menige Individuen, nämlich die Schiffe, zu führen.
Auch im Zeitalter der Funkentelearaphie hat fich Die Seefchlächt darin
nicht geändert, daß der Kommandant an Bord eines Schiffes Allein
herrfcher fein muß; ebeniomenig kann bei den Gefchmaberftäben der
Befehlshaber Herren unter Sich haben, die nach außen Verbindung
haben, Die Stofchiche Admiralſtabslaufbabn tft deshalb wieder bes
N Beiläufig ermähne ich hier den von Lord Fifher in England eingeführten Grund:
ſatz, aus dem Offizierskorps einen einzigen Brei zu machen, ſodaß der an der Mafchine
ausgebildete Herr gleichzeitig ebenfogut auf der Kommantobrüde verwendet werden
kann. Als Grund für Diefes fogenannte Selborne-Syſtem bezeichnete mir Der britifche
Marincattache 1913 den Wunfch, Den vordringenden demofratifhen Einfluß namentlich
ber Trade Unions im Mafchinenperfonal abzuſchwächen, indem man ihm eine milir
tärifche Spike aab. Einen militärifchen Fortfchritt bedeutet dieſes Syſtem nicht,
Wir explorieren. Der abgerijjene Saden ber Hana 2]
jeitigt worden; bie jegt zum Admirolſtab kommandirten Offiziere werden
beliebig aus ber Front berausgegriffen‘).
Mie ſehr Stoſch vom Tandmilitärifchen Standpunkt ausging, zeigt
auch der Flottengründungsplan, den er bei Übernahme feines Amtes
aufftellte. Seine Schiffsbaupolitik bezweckte als Kern eine Meine, kon⸗
zentrirt zu haltende Ausfallsflotte — der „Ausfall“ war ein Land-
begriff —, während die übrigen Schiffe fih auf die ganze Hüfte ver-
teilen follten als eine Art Beſatzungstruppe nach der See zu. Mit
Rückſicht auf die Oftfeehäfen war es dann erforderlich, diefe Schiffe
flach zu bauen, als ein Zmwitterding aus Seeſchiff und Küftenverteidi-
gung ohne ausgeiprochenen Charakter. Der Gedanke, einen Teil ber
Kräfte am der Küfte zu verzetteln, war nicht günftig; denn wenn es
zum Schlagen Fam, mußte man alles zufammenziehen. Das Vorbild
ber Truppenverteilung in der Armee paßt nicht für die Flotte; denn das
Schiff ift an ſich ein Angriffswerkzeug. Über foldhe Dinge aing Stoſch
mit berrifcher Gewalt hinweg.
3
Maren jo Die Anfänge der Neichsmarine durch das überragende
Preſtige der Armee eigentümlich verzögert, jo eilte Stojch, wie ich ſchon
erwähnte, feiner Zeit voraus durch Die Energie, mit welcher er unfre
durch Sahrhunderte vernachläffigte Seegeltung vorantriedb. Der Bes
ſetzung der Auslandsftationen durch Kreuzer hat Stojch großen Wert
beigelegt, für jeine Zeit mit Recht, Denn die ftaatlichen Verhältniffe
etwa in den füdermerilanifchen Staaten, in China oder Japan waren
noch nicht fo entwidelt, daß diplomatifche oder Eonfularifche Verhand⸗
lungen immer genügten; bie tatfächlihe Macht an Ort und Stelle
gab den Ausfchlag.
Schon im den Siebziger Jahren war Stoſch der Überzeugung, daß
wir Kolonien erwerben müßten und ohne Ausbreitung nicht dauernd
beitehen Könnten. Er fah die Blüte des jungen Reiches für raſch ver:
gänglich an, wenn mir nicht die entfcheidende Ungunft unferer Lage
und Gefchichte in letzter Stunde über See ausglichen. Mir hätten
damals leichter und günftiger zu Kolonien gelangen können, als es
fpäter der Fall war, Huch abgefehen von Eolontalen Hoffnungen durch-
drang die Marine ein meltwietichaftlicher MWiffenstrieb, un fo mehr,
1) Durch die an ſich richtige Aufhebung der Admiralſtabslaufbahn wurde aller:
dings die Mäglichkeit erjchwert, begabte Führernaturen jung in leitende Stellen zu
„Hefördem, dach donnte dieſes Erfordernis m. E. aud auf andere Meife erfillit werben.
22 Ara Stoſch
als die Nachrichtenſammlung durch Berufskonſuln erſt ſchwach ent⸗
wickelt war. Als wir 1872 mit dem „Friedrich Karl“ draußen waren,
hatten wir auch den Auftrag zu „exploriren“, über alle Orte zu bes
richten, wofür fie geeignet wären und welche Bedeutung fie wirtſchaft⸗
fich für uns haben Fönnten. Ich erinnere mich noch, wie ich die Inſel
Porto Grande auf den Gapverden erkundet habe, faft unfruchtbar, hohe
Felfen mit ein paar einzelnen Palmen, aber der gegebene Kohlenplatz
zwiſchen Kapftadt, Europa und Südamerika. Auch beim Beſuch von
Curacao hatten wir den Eindrud, daß ein Kauf der Injel erwogen
wurde, und möglicherweije hing unfer nächjtjähriger Auftrag, nach Hawaii
zu gehen, mit Ähnlichen zufammen. Uber Deutfchland verftand in
den Siebziger Jahren derartige Regungen noch nicht. Auch fand
damals in eigentümlichem Widerfpruch zu unferem politifchen Anjehen
die befchämende Tatfache, daß wir unfern Bevölkerungszuwachs großen-
teils ing Ausland abftrömen laffen mußten, noch nicht imftande, ge
nügend Waren auszuführen ftatt Menfchen. Um alle Fragen des Reichs,
die mit der See zufammenhingen, bemühte ſich Stojch, insbejondere
auch um Entfaltung unfres verfümmerten Kauffahrteiweſens. Er fand
viel Widerftand, erreichte e8 aber, im Bundesratsausfchuß für Sees
weſen den Ton anzugeben; er benußte das hydrographiſche Amt, bie
Seewarte, die Beziehungen zum hanfeatifchen Gefandten, um ſich zur
Geltung zu bringen. Die feemännifchen Schulen, an denen die Kriegs:
marine wegen des Mannfchaftserfages unmittelbar intereffiert mar,
das Lotſenweſen, Tonnenweſen, Leuchtfeuerwejen, Vermeſſungsweſen,
die Fiſcherei, von der ich ſchon oben ſprach, alle Konſulatsangelegen⸗
heiten, kurz die ganze Kleinarbeit der Seeintereſſen mar Tätigkeits⸗
feld für den unermüdlichen Mann. Die alte Überlieferung, der Technik
des Auslandes, ingbejondere Englands, den Vorzug zu geben, durch—
brach er rücfichtelos. Wenn auch die damalige Jugend der deutſchen
Smöuftrie fogenannte Kinderkrankheiten des technifchen Materials reich
lich in Erjcheinung brachte, fo hat die Folgezeit doch unferm alten Chef
fein Vorgehen gedankt.
Im ganzen hat Stofch Großes geleitet. Er nahm den abgeriffenen
Faden der Hanſa auf und taftete jich als erfter wieder in eine deutfche
Zukunft über See hinein. Er tat auch viel, um der Marine Priegerijchen
Geiſt einzuhauchen. Es wurden Fehler gemacht, aber Spielereien kamen
damals noch nicht in Frage; ein Schwerer Ernſt charakterijirte die Arbeit.
Drittes Kapitel
Ara Caprivi
1
Die Ara Stofch Hat troß ihrem angeflrengien Drill iin Grunde den
Krieg jelbft wenig vor Augen gehabt, entfprechend der Weltlage der
70 Sahre, Damals tat der junge Reichsadler friedlich feinen erſten
Slügelichlag über See. Während wir um die Wende des Zwanzigſten
Sahrhunderts an Beides zu denken hatten, an bie riefenhaft gemachfene
und doch fo verwundbare Geltung der deutſchen Friedensarbeit in Der
ganzen Welt, wie auch an die Siriegsgefahren, welche dem Mutterland
ringsum drohten, hatte Stoſch mit einem unmittelbaren Kriegsgegner
noch kaum zu rechnen. Das einzige wirkliche Manöver, das Stofch
abhielt, obendrein Hleinfter Urt, fand 1382 Eurz vor feinem Abgang
ftatt, In Wahrheit Eonnte man kaum ein Manöver im taktifchen
Sinne Durchführen, da wir nicht fo weit ausgebildet waren; es wurde
ſozuſagen nur das Feine Einmaleins geübt. Auf Artillerieererzieren
und einfache Schießübungen verwandte man viel Zeit, aber der Schwer-
punkt Tag dabei auf dem Feuern von Zonzentrierten Breitjeiten auf
nur 200 und 500 m Entfernungen, was alles belagt.
Mit Caprivi trat mın 1883 ein Chef an die Spige der Admiralität,
der unter dem Einfluß veränderter Meltverhältnifje, aber auch eigener
Richtung folgend, feine ganze Arbeit unter den Kriegsgedanken ftellte,
Caprivi war der ausgefprochne Generalftäbler. Der von Wenigen recht
verftandene Dann lebte und mebte in der Vorſtellung, die er mir
gegenüber oft aussprach: „Nächſtes Frühjahr haben wir den Zwei—
frontenkrieg“. Sedes Fahr erwartete er ihn im nächſten Frühling.
Er war weit weniger Politiker als Stoſch. Als er fpäter, einige Zeit
vor Bismarcks Abjchied, zu Kaifer Wilhelm IL beftellt wurde, um dem
Befehl folgend die etwaige Nachfolge des Kanzlers zu übernehmen, fagte
er auf dem Weg zum Schloß bitter zum Feldmarfchall Los: „Seht bes
grabe ich meinen militärifchen Ruhm“, Für die Marine war er nad)
24 Aru Eaprisi
dem Ausſpruch des Prinzen Friedrich Karl „zu ſchade“ geweſen und
hätte eigentlich Chef des Generaljtabs werden müſſen.
Durch ihn befam die Marine alfo ein militäriſch-politiſches Ziel.
Ob es ganz das richtige war, bleibe dahingeltellt, aber e8 war Doch
endlich eine dee. Unter Stofch hatte die Flotte nicht gewußt, für
welches ftrategifche Ziel fie arbeitete. Überwiegend war man als Folge
der kurzen Sommerübungen durch das Formale abjorbirt, dag man
ale „Evolutioniren“ bezeichnen kann. Was bei der Kompagnie das
Rechts⸗ und Linksſchwenken ift, das wurde geübt. Die Mobilmachung
ftand nur auf dem Papier. Caprivi infpizirte im Frühjahr 1883 und
war überwältigt von der ungeheuren Arbeitstätigkeit ohne rechte Leit
gedanken.
Da nun Größeres nicht fo rafch zu machen ging und die Marine
unter Stofch fchon immer daran gekrankt hatte, daß fie etwas leiften
follte, was fie nicht leiften Eonnte, beſchränkte ſich Caprivi darauf, bie
zum nächſten Kriege eine ſtarke Küftenverteidigung gegen Rußland und
Srankreich vorzubereiten. Wenn man den Zmeifrontengedanken nicht
beachtet, urteilt man leicht ungerecht über feine mangelnde Erkenntnis
der Aufgaben der Marine. Er jagte: erit muß der Krieg abgemacht
werden, der übermorgen kommt, und dann Fönnen wir die Marine
weiterentwickeln. Er arbeitete fich nun perjönlich ein und leitete auch
jeden Herbſt die Manöver, die jet mit verfchiedenen General- und
Spezialideen nach Art der Armee eingeführt wurden. Sie richteten
fich im Mlgemeinen gegen die Küfte; die eine Partei geiff die Küſte
am, die andere hatte fie zu verteidigen.
Ich hatte damals als Schöpfer des Torpedoweſens fchon eine ge
wiſſe Stellung in der Marine errungen und durfte mir über die Rück—
ftändigfeit unferer Taktik ein Urteil erlauben. Außerdem war ich mit
Caprivi vervettert, was aber bei feiner Art etwas gefährlich war, ſodaß
ich den Verwandten nie herauskehrte. Aber ich Eonnte offen reden und
fagte ihm: Was uns befonders fehlt, ift irgend ein taktifches Vers
ftändnis; wir wiſſen nicht, wie wir fchlagen ſollen. Caprivi hat alles
getan, dieje Anregung aufzunehmen. Er ftellte die fogenannien „Zwölf
taktiichen Fragen” an eine Reihe von Offizieren, denen er ein Urteil
zutraute. Es wurde immer vorausgejeßt, daß die Franzoſen gegen
uns flünden, und dann gefragt: Wie wird der Anmarjch geregelt?
Melde Schlachtordmung nehmen mir ein? Wie verhält man fich im
Taprivis politiſcher Leirgedanke. Kaltiiche Folgerungen 25
Melse, weiches (nach Anjicht Caprivi's) umter allen Umftänden eins
treten wird?!)
Caprivi richtete Admiralftabgreifen ein, wobei Aufgaben geftellt wur:
den wie diefe: Rußland und Frankreich erklären uns ben Krieg; die ruf-
fiiche Flotte will fich mit der franzöfifchen vereinigen und wir follen
dies verhindern. Aus derartigen Lagen, die als Leitfaden der Über:
legung dienten, Fam man allmählich von der reinen Küftenverteidigung
mehr auf die Forderung einer Hochſeeflotte. Caprivis Tätigkeit gip-
felte darin, daß er unferen erſten Operationsplan bearbeitete, und zwar
perfönlich, nachdem er fich umterrichtet hatte; dann holte er mich zur
Korreferation heran. Der Plan beftand etwa darin: Sch follte eine
Zorpedo-Divifion im Augenblick der Kriegserflärung in Cherbourg ein-
laufen lajjen, und dann follte die Schlachtflotte, die wir hatten, nach
Cherbourg gehen und es einfchleßen. Caprivi ift auch der eigentliche
Vater unferer Mobilmachung.
Troß feinem taktiſch-ſtrategiſchen Verſtändnis fehlte ihm ein be
ſtimmtes Bauprogramm, Zwar ſah er ein, daß die Marine nicht von
der Hand in den Mund leben Eönnte. Aber einmal hatte er doch dem
Seeweſen fein Lebelang zu fern geftanden; und dann waren die An-
fichten im Seeoffiziersforps jelbft noch zu ungeklärt, um eine beftimmte
Baupolitif herauszukriftallifieren. Caprivi ftand dem widerfprechenden
Durcheinander von Schiffsplänen erftaunt gegenüber, Ich erFlärte ihm
auf feine häufigen Fragen, daß ein Urteil über die anzuftrebende Geftalt
der Flotte nur aus der noch nicht erlangten Klarheit der taktifchen
Borftellungen hervorwachfen könne. Endlich lähmte den Bau auch ber
politiiche Grundgedanke des Chefs. Noch gelegentlich der Einführung
der zweijährigen . Dienftzeit in ber Urmeevorlage von 1893 fagte mir
der Neichsfanzler Caprivi: „Erſt nach Erledigung der völkerpſycho⸗
Ingifchen Notwendigkeit des Krieges mit Rußland, dem fich Frankreich
anfchließen wird, dürfen wir an die Schaffung einer ſtarken deutfchen
Slotte denken.” Unſere feit Jahrhunderten einfeitig feftländifche Orien-
tirung ließ ung vor 1896 eben zu leicht überfehen — was Bethmann
noch im Juli 1914 überfehen hat, — daß die englifche Feitlandspolitif
der balance of power uns fchon damals in den Arm gefallen wäre,
wenn wir über den Zweibund gefiegt hätten,
) Ich meinerfeits halte Das auch jetzt noch für wahricheintich, daß jih eine Au
Meiterlampf entwideln muß, wenn sine Schlacht ernſtlich durchgeſchlagen wir,
26 Ara Saprivi
Sen Wirken im Kanzleramt it ebenfalls vorwiegend aus dem Ges
danken des Zmeifrontenkrieges zu verftehen, während Politif an ſich
nicht feine Linie war. Seine PolenfreundlichFeit hatte ihre Wurzel in
dent Bemühen, für den Krieg und dort Fein zu feindliches Element
zu fchaffen. Ms ich 1893 wochenlang mit König Humbert von Stalien
zuſammen war, trug mir Caprivi auf, ihm zu fagen: „Die Entjcheidung
fällt am Rhein”, Bei der Auflöfung des Rückverficherungsvertrages
bat bei Gaprivi, wie ich von ihm perfönlich weiß, das Gefühl durch⸗
gefchlagen, der Vertrag wäre nicht ganz anftändig angejichts des un:
vermeidlichen Krieges: er beraube ung außerbem des öfterreichifchen
Bertrauens. Caprivi war einmal mit Prinz Friedrich Karl bei einem
amtlichen Beſuch nach 1870 in Rußland geweſen. Er fpürte dort den
Haß der Veteräburger Dffiziere, den Neid auf das ruhmgekrönte preu=
Bifche Heer überall durch, etwas, was ich aus eigener Erfahrung bes
ftätigen Yann. Wir Hatten jozufagen zuviel gefiegt. Caprivi erzählte,
mie Kaifer Mlerander IL die deutfchen Offiziere auffallend vernache
läjfigte, bis er einmal in einem der Säle an fie heranfchoß und zu
Saprivi fagte: „Ihr wißt garnicht, wie ich euch Tiebe, ich darf es euch
bier bloß nicht zeigen”. Daß Gaprivi bei der Auflöfung des Rückver—
ficherungsvertrages irgendivie englifchen oder höfifchen Einflüffen unter:
ftand, halte ich bei feiner Art für ausgefchloffen. Um Defterreich für
ben Krieg ftärfer an ung zu feffeln, ſchloß er den Handelsvertrag 1891
mit ihm in einem für unjere Landiwirtfchaft ungünftigen Sinne ab.
Die Seeintereffen im Sinne von Stofch zu pflegen, fand Caprivi
feine Zeit, und auch die eigene Veranlagung trieb ihn nicht dazu. Er
gehörte zu den Söhnen von Beamtene und Offiziersfamilien, denen bie
wirtſchaftliche Denkweiſe fernliegt und an fich nicht anziehend erfcheint.
Der einſame, perfönlich bedürfnisiofe Mann brachte für die Lebens⸗
entfaltung der Induſtrie und des Handels von ſich aus wenig Emp⸗
findung mit. Darum war er urjprünglich ein Gegner der Kolonial-
ausbreitung, wenn er auch den ihm anbefohlenen militärifchen Zeil
der Kolonialerwerbung geſchickt und tatkräftig betrieben hat.
2
Wenn ich in meiner Amtsführung mich bemüht habe, ben erwerben:
den Ständen gerecht zu werben und die 1383 abgerilfene Pflege der
Seeinterejien im Geilt von Stofch, aber mit den inzmwifchen vergrößer⸗
„Die Entſcheidung fällt am Ülhein‘ 27
ten Mitteln wieder aufzunehmen, jo bin ich dabei noch vielfac) auf die
aus dem Gang der deutjchen Gefchichte erwachſenen Unausgeglichenheiten
geftoßen. Sparſamkeit und Pleinlich-bürofratiiche Enge am unrechten
Platz hat unjern Weg in die Welt erſchwert.
Die Marine hatte reichlichere Veranlaffung, dies zu empfinden und
hinzuzulernen, als die Armee. Ein gewiſſer Weltblick wurde ihr über:
haupt durch ihre Aufgabe anerzogen. Daß der Armee bis zum großen
Krieg das Studium der Welt, insbefondere Englands, weniger am
Herzen lag; daß fie im Mefentlichen noch mit den alten Zweifronten⸗
kriegs⸗Ideen auch in den Weltkrieg zog und mit dem natürlichen Über:
gewicht, das fie bei der vorherrfchenden Landüberlieferung Deutichlands
über die Marine befaß, in der Flotte immer noch eine Ari Pionier
truppe der Armee ſehen wollte, uneingeden? deſſen, daß die eigentliche
Hauptfront die Seefront war, nachdem uns ein ernfteg, aber nicht aus⸗
ſichtsloſes Schickſal zum Zielpunkt einer Meltkoalition gemacht hatte;
kurz, dies Verbarren auf Saprivis Standpunkt unter völlig veränderten
Meltverhältniffen, it eine der gefchichtlichen Urfachen des Kriegsvers
laufe geworden. Jedoch davon [päter.
Der Seeoffizier war im Gegenjaß zum Landoffizier auf das Studium
der überjeeifchen Kräfte hingewieſen. Auch Schliff ihm wohl der Um⸗
gang mit Ausländern die altpreußifchen Ecken leichter ab, ohne den
Sinn für die unentbehrlichen Überlieferungen des Staates zu ertöten.
Denn man darf nie vergeffen, daR gerade Preußen in feinen Offizieren
eine der wenigen feiten deutjchen Formen gejchaffen hatte und zugleich
die erfte, welche nach dem völligen Verſinken in Fremdknechtichaft
feit Friedrich dem Großen uns wieder ein freies Auftreten in der Welt
ermöglicht bat.
ght 5 La vie au rol,
L’honneur pour soi,
Sacrifiant son bien,
Chicand pour un rien,
Voila V’officier prussien.
Der beutfche Staat war zwifchen 1870 und 1914 noch zu fung,
um eine eigene deutiche Form auszubilden. Das hat uns in der Welt
geſchadet.
Das engliſche Seeoffizierskorps verkehrte mit den deutſchen Kame⸗
raden zu Caprivis Zeit noch ohne jede Eiferſucht. Die damals in der
28 ca Caprivi
amtlichen Politik vormaltende Neigung, die britiiche Flotte als Er—
gänzung des Dreibundes amzufehen, rücte uns beinahe in eine Urt
von Bundesfreundlichkeit, der freilich von England ftets ausgewichen
wurde, wenn praßtiiche Folgerungen aus ihr in Frage kamen. Im Bere
kehr mit der franzöftichen Marine half das Preftige von 1870 über
unfere maritime Unterlegenheit hinweg. Wir bewunderten an ber Hals
tung der Franzoſen den Stolz einer geichlagenen Nation, die ihre Ehre
in Peiner Stunde vergißt, und lächelten wohl auch einmal über die roma-
nische Verve ihres Revanchegefühls 1).
Die Stimmung gegen das Deutfchtum hat fich feit ben Neunziger
Fahren aus einer Reihe von Gründen verichärft. Wir Ülteren denken
beute mit beionderen Empfindungen an jene Zeiten unter Wilhelm I.
zurüd, da mir noch vornehme Leute in der Welt und gern gejehen
waren, Dieſe Umbdüfterung unferer Lage hätte aber auch ein Zwei—
fronienfieg im Sinne Caprivig, wie er noch 1914 den Generalftabsplänen
entiprach, kaum aufhellen können. Denn fie entftammte vor allem dem
beijpiellofen Anſchwellen unferes überfeeifchen Abfages und ber durch
die deutiche Eroberung des MWeltmarktes erzeugten Abneigung. Die
englifche Mißgunſt gegen unfer Aufftreben war in der Ara Caprivi
noch Faum jpürbar, aber zehn Jahre darnach, lange vor Beginn unferes
eigentlichen Flottenbaus, um die Mitte der Neunziger Jahre fchon in
voller Stärke an den Tag getreten.
) Eine Heine Szene barakterifirk ben Verkehr. Ale wir 1876 nor Saloniki mis
einem franzöfilhen Geſchwader zufammentrafen, um uns gemeinfam für die Er—
mordung von Konfuln Genugtuung zu verichaffen, durften die Franzofen gefellfchaftlich
mit und nicht verfehren, Fein Glas Mein annehmen, felbft wenn fie ftundenlang
dienftlih bei uns tätig geweſen waren, Ich führte einem franzöſiſchen Komman:
danten, der zu und an Bord gefommen mar, den Generalmarfch vor und er konnte,
ba es ihm imponiert hatte, nicht anbers, ald mich einladen, dasſelbe auch bei ihm
anzufehen, Ich fuhr Bin, die formalen Höflichleiten wurden alle erfüllt. Aber als
wir in Die Batterie gingen, wurde dort ererziert und der Batterieoffizier komman⸗
dierte: „Direction: Bäbord contre la fregate turque, tribord contre la fregate
Kronprinz!“, worauf fi die Geſchützmannſchaften umdrehten und mich vergnügt
angrinften, dev Kommandant aber ſich den Batterieoffizier privatim vomahm. —
Zu peinlihen Szenen ift ed damals nicht gelommen, wie fpäter bei der mir un:
ſympathiſchen Bölterichau zur Einweihung des Nordoftfeelanals im Jahr 1895, wo
Die Frauzoſen und Ruffen fs unangenehm auftraten.
Landfront und Weltkellung 29
Mit dem Regierungsantritt Kaifer Wilhelms IL endete die Periode
der Dlarinegeneräle. Stoſch und Caprivi gehörten zur Ausleſe der
preußifchen Armee in der größten Epoche Deutfchlande; fie hatten
die Finheitskriege in leitenden Stellungen mitgemacht. Ich war von
diefen großgelinnten Xehrmeiftern der Mitarbeit gewürdigt worden und
babe mich bemüht, die fo verfchiedenen Gedankenrichtungen Beider in
geräumigeren Verhältniffen zu einem einheitlichen Wer? zuſammen⸗
zufchließen, als ich 1897 das Reichsmarineamt übernahm. In der
Zwiſchenzeit aber Fam aus verfchiedenen Gründen die Marineverwaltung
Feineswegs zum Gedeihen, jondern verſank fir faft ein Jahrzehnt
im Chaos.
Viertes Kapitel
In der Technik
1
Seit meinem neunundzwanzigſten Lebensjahre hatte ich das Glück,
ununterbrochen auf ſelbſtändigen Poſten verwendet zu ſein, unter denen
ſich freilich niemals eine Ausruheſtellung befand, wie ſie dem General⸗
ſtäbler der Armee dann und warm zuteil wird. Mein Aufſteigen verknüpft
ſich mit der Entwicklung der Torpedowaffe.
Whitehead in Fiume hatte den felbfibeweglichen Torpedo erfunden,
der die vitalen Unterwafferteile des Schiffs, Die bisher höchſtens mit
ben Rammfporn zu faſſen waren, durch Fernſchuß angreifbar machte,
aljo eine Revolution der Seetaktik und des Schiffsbaus verfprach.
Stoſch Hatte den Fifchtorpedo etwas überhaftet eingeführt und in grö-
Berer Zahl gefauft, bevor er eigentlich Eriegsbrauchbar war. Seine
Verwendung war noch eine ‚größere Gefahr für den Schüßen als
für feinen Gegner”. Man war zu optimiftifch geweſen, hatte, wie es
bei neuen Waffen häufig der Fall ift, die Ummwälzung vorweggenommen,
bevor die neue Idee praktifch geworden war.
As Stofch das erkannte, forderte er Herbft 1877 vom Leiter des
Torpedoweſens und ben einzelnen ihm unterjtellten Offizieren Sonder-
berichte, die er perſönlich las. Mein Bericht hat ihn auf mich auf-
merkſam gemacht. Ich wurde im Winter 1877/78 nach Fiume ge
fchiekt, um bei Whitehead jene Torpedos abzunehmen, die wir nicht
für brauchbar hielten. Ich feßte es durch, daß mir die Hälfte bes
Beſtellten zurückgeben durften, die Whitehead andermeitig verfaufte).
*) Bei biejer Gelegenheit gab die 1878 drohende britiſch-ruſſiſche Kriegögefahr,
(wobei ih Auftrag hatte, die Ruſſen nah Kräften zu unterſtützen,) einen eigen:
tümlihen Eindrud vom Verhältnis Ungernd zu Öfterreih. Whitehead, der Stod:
Engländer geblieben war, wollte nicht an die Ruffen liefern; Die ungarifche Regierung
unter Tisza erließ ein Ausfuhrverbot für Torpedos, fodaß wir unfere bereit ab:
genommenen Torpedos, trogdem fie beutiches Eigentum waren, auf Empfehlung
Grundlagen militäsiichestechnifchen Erfolges 3j
Set Mai 1878 leitete ich als Kommandant des „Zieten“ das
Torpedoweſen. Ich fing ſozuſagen mit nichts an, arbeitet: zum Teil
ale Klempner mit eigener Hand, und ſchuf mir einen Apparat. Als
1879 der Kronprinz und 1880 ber Sailer Die Marine infpizierien,
durfte ich das Torpedofcharffchießen vorführen, deſſen unerwartet ficheres
Gelingen dazu beitrug, Stoſchs durch die Kataftrophe des „Großen
Kurfürften‘ etwas erfchütterte Stellung wieder zu befeftigen.
Es ging mir beim Torpedoweſen wie fpäter mit allen neuen Er-
findungen, fei es Zuftfchiff, Uboot oder anderes, Ich hielt mit ver
früßten Einführungen zurück, griff aber feſt zu, ſobald ich fah, daß
wirkliche Entwicklung in der Sache lag. Diefes Verfahren babe ich
ſtets als das einzig richtige befunden. Mir auch als Staatsſekretär Die
Ruhe nicht nehmen zu laſſen, war bei dem ungehuldigen Drängen von
allen Seiten im Zeitalter fich jagender Erfindungen häufig ein ſchwerer
Teil meiner Aufgabe, aber auch ein fehr wichtiger, ſollten wir in der
Eurzen Zeit mit Den begrenzten Mitteln eine erftklaffige Flotte anftelle
eines Mufeums von Erperimenten erhalten. Wir wurden mit unreifen
Erfindungen überfchüttet, die vermittelft Inſtinktes vorweg gefiebt
werden mußten, um nicht die Kraft der Behörde zu verzetteln und zu
überlaften. Sobald ich einmal nicht bremfen Eonnte, wurde der Erfolg
des Flottenaufbaus durch Haft gefährdet, die bei bem ganzen Unter⸗
nehmen unfer größter Feind war 9.
Bei der Torpedowaffe habe ich zuerft die für Schiffeverhältniffe
notwendige techniiche Genauigkeit ausgebildet, auf der meine Arbeit
öfterreichifcher Herren über Die nur eine halbe Stunde entfernte öfterreichifche Grenze
zu bringen verfuchen mußten, um fie ausführen zu können. Da ftellten die Ungarn
Honvedpoften auf, ſodaß die Sache biplomatifch geregelt werden mußte,
V Ein Beifpiel hiefür. Als die Funfentelegraphie auflam, verſprach fie ein in
der Marine lange gefühltes Bedürfnis nach Befehlsübermittelung von Schiff zu
Schiff auf größere Entfernungen zu erfüllen. Alles drängte infolgedeffen zur Ein:
führung in großem Stile, die Marine, die zunächft intereflierte Firma und, wie
verftändlich, auch der Kaiſer. Und doch war fie noch nicht bordreif und die Er:
haltung eines geichäftlichen Wettbewerbs ebenfalls noch dringend geboten. Während
meiner Abwefenheit in Amerika wurde aber ihte Einführung durchgefeßt troß dem
Sträuben meines Vertreters. Die Folge mar, daß die noch erforberlihe Entwicklung
zum zeitweiligen GStillftand kam, wie viel Geld für Aptierungen unnötig ausgeben
mußten und mit diefen technifhen Kinderkrankheiten unendlichen Ürger hatten; es
blieb natürlich auf mir figen und ich bekam bie Angriffe nun wegen ber neringen
Tauglichteit,
32 In ber Lechait
ſtets beruht hat. Der Whiteheadſche Torpedo war der Idee nach richtig;
aber es ſteckte in ihm noch zu viel rohe Maſchinenarbeit, er entbehrte
daher der uhrwerksartigen Sicherheit. Ahnliches hat ſich u. a. beim
Uboot wiederholt, das ja ebenfalls Qualitätsarbeit erfordert. Dieſe
Qualitätsarbeit, auf der die Kriegsbrauchbarkeit beruht, haben wir erſt
in Deutſchland geſchaffen, zuerſt bei der Torpedowaffe, deren große
Schußſicherheit noch im Krieg von den Engländern nicht ganz eingeholt
mar. Ms ich 1879 dem Kronprinzen die Whitehead'ſchen Torpedos
vorführte, mar es troß vielmöchentlichen Vorbereitungen noch immer
die reine Lotterie, ob fie bei der Vorführung einigermaßen ans Ziel
fämen oder wilde Sprünge machten, Das Glüd war und hold, aber
nachher erklärte ich Stofch, wir müßten nun zu eigner Präzifionsarbeit
übergehen,
Die Admiralität trat zunächſt am die beutfche Fabrik von Schwarks
kopff heran, welche für die angeblichen Vorzüge ihrer Bronzetorpedos
folche Reklame gemacht hatte, daß ihr die Nomiralität ein Monopol
überlaffen wollte. Hiergegen habe ich mich gewandt, einmal, weil be
fonders eine Mftiengejellichaft, die das Monopol hat, leicht zu ftark
auf die Jahresdividende und nicht mehr genügend auf die Fortentwick⸗
hung Sieht; fodann weil ich auch hier vom Vorzug des Stahls gegenüber
ber Bronze mich überzeugte; ferner, weil bei dem fich damals, voll-
ziehenden Mberaang der größeren fremden Dorinen zur Selbiterzeugung
boch kein fremdes Geld als Ausgleich für ung nach Deutjchland ge-
firömt wäre; und endlich, weil die wichtigften Verſuchsarbeiten auf
den Woſſer nicht von der Firma gemacht werden konnten, jondern unfer
geiftiges Eigentum waren. So gelana ed mir, itaatliche Torpedowerk⸗
ftätten ins Leben zu rufen; die Entwicklung, welche die Torpedomaffe
nahm, bezeichnet Sich z. B. durch die Steigerung der Schußentfernung,
die zur Zeit der allgemeinen Einführung des Torpedos in der Marine
400 Meter betrug umd bis zum Winter 1915/16 auf 12000 Meter
geftiegen it.
Die Veritaatlichung der Torpedverzeugung hat nichts an meiner An⸗
ficht geändert, daß ich ftaatliche Erzeugungsmerkftätten nur für bes
jondere Zwecke bezw. nur in befchränktem Maße für zweckmäßig halte,
während Ausbefferungen meift beffer und vor allem billiger auf ftaat-
lichen Werfftätten ausgeführt werden als in der Privatinduftrie,
Um die Anhäufung geldfrefiender Kriegsbeitände möglichlt zu ver⸗
Privatinduſtrie und Staatsbedarf 373
meiden, verfuhr ich als Staatsjefretär nach dem Grundſatz, die Privats
induftrie und die fonftigen Lieferanten für den Kriegsfall leiftungsfähig
zu halten. Sch vergab damals unfere Aufträge einfchlieglich Proviant,
Kleidung, Kohlen uſw. unter der Bedingung, daß die beauftragten Privat:
betriebe ihre Einrichtungen fo trafen, daß fie im Fall der Mobilmachung
fort zu einer gefteigerten Erzeugung übergehen Eonnten. Für dieſe
Mobilmachungsvorbereitungen zahlten wir bei manchen Gegenftänden
etwas erhöhte Preife. Durch diefen Grundfaß, um defjen willen ich vielfach
angegriffen worden bin, war es beijpielsweife allein möglich, der Armee
bis Anfang 1915 mit 2 Millionen Kilogramm Pulver auszuhelfen.
Die Armee, die fehr viel ftärker fih auf Staatswerfitätten ftügte,
war auf den ungeheuren Bedarf des Weltkrieges nicht eingerichtet
gewefen, hatte fich damals nahezu verfchoffen 1) und ift durch die Marine
aus höchfter Gefahr gerettet worden,
Das Beichaffungsiyftem der Marine hatte außer dem militärischen
Vorteil einer als lückenlos anerkannten Mobilmachung den großen öko—
nomifchen Vorzug, daß wir im Frieden die totliegenden Lagerbeftände
Elein halten und fo die Enappen Geldmittel, die Deutfchland für ung
übrig hatte, an anderer Stelle produktiv anlegen Fonnten, im Ernftfall
aber, geftüßt auf forgfam erwogene Friedenskontrakte, der Gefahr übers
hafteter Kriegsabfchlüffe überhoben waren.
Sm Reichstag hat man mir wegen diefer Stellung zur Private
induftrie und zu fonftigen Lieferanten manchmal Vorwürfe gemacht.
Man hatte dort den Privatfirmen die großen Aufträge mißgönnt und
vom Standpunkt des zukünftigen Staatsfozialismug aus mehr dem
Grundſatz der Staatswerkftätten zugeneigt. Auch bei Fünftigen Kriegen
würde eine Überfpannung des ftaatlichen Mechanismus und eine Zurück—⸗
drängung ber privaten Tatkraft zu den gefährlichiten Krifen führen.
2
Ich erwähne Hier eine Einzelheit, die ich nicht ftreifen würde, wenn
nicht der Umſturz des Staates unfere alten Verhältniffe fo gründlich
zu verändern drohte.
Schwargkopff hatte mir den Vorteil auseinandergejeht, der darin
2) Der zuftändige Offizier im Großen Hauptquartier fagte mir fehon im Dftober
1914, daß wegen der Pulverknoppheit Verdun nicht mehr angegriffen wurde, da
man die Kronprinzenarmee feinem Nüdjchlag ausſetzen wollte.
Sirpig, Erinnerungen 3
34 In ber Technil
läge, von feinen Aftien zu kaufen, die, wie vorauszuſehen wer, durch
die Beftellung der Marine ihren Wert verdreifschten. Ich habe feldft=
verftändlich Feine Aftien gekauft und hätte jeden Beamten, der anders |
gehandelt hätte, weggeſchickt. Unfer Staat fett bei feinen Dienern ſtets
jene vornehme Gefinnung voraus, durch die er unter den preußifchen
Königen groß geworden war. Ich erinnere an ben Finanzminiftee,
der den Ankauf ber preußischen Bahnen vermittelte und felbft in den
Schlechteften Verhältniffen fein Amt verließ. Die Gehälter ftanden
bei gemifjen hohen Umtern in Eeinem rechten Verhältnis zu beren
Bedeutung und zu den notwendigen Aufwendungen, Noch ald Staats-
fefretär habe ich, um den Nepräfentationspflichten zu genügen, an⸗
fänglich aus Eigenem zugefeht. Es war felbfiverftändfich, daß unfere
Beamtenfchaft um Ehre arbeitete. Wir haben mit einem Minimum
on Koften ein Marimum an fehöpferifcher Arbeit geleiftet. Deshalb
war bie Staatsverwaltung im alten PreußensDeutfchlend fo billig und
reinlic), wie nirgends in der Welt. Nach der Verfchleuderung von
Staatsgeldern, der Schaffung maffenhafter Pfründen, die weniger
nach Tüchtigkeit als nach politifcher Gefinnung befegt werden, ift zu
befürchten, daß der neue Staat dem alten nicht gleicht. Der alte
beutfche Staat ift durch eine Periode der Mittelmäßigkeit in der höch-
ften Gefahr ſchwach und brüchig geworden; aber verloren ift das
deutſche Volk erſt, wenn es die Sauberkeit der alten Staatsverwal⸗
tung einbüßt. Der Eorrupte Deutfche ift noch ſchlimmer als der For-
rupte Staliener oder Franzofe, der wenigſtens nie fein Vaterland verrät.
Der Deutfche kann es fich nicht Teiften, die Reinheit preiszugeben,
die das Palladium feines alten Beamtenftandes war, denn es fehlen
ihm andere ftaatliche Eigenfchaften, welche bei faft allen fremden Völkern
das Gift ber Korruption teilweife immunifiren. Schon im lebten Men-
fchenalter konnte man auch in der Oberfchicht Deutfchlands den fchädlichen
Einfluß des eindringenden Materiafismus bemerken in einem Schwächer⸗
werden der Charaktere, in einer Verminderung jeneg ldealiftifchen Plus,
melches das deutſche Volk zu feiner Selbiterhaltung jederzeit wird auf-
bringen müffen. Denn nur durch felbftlogsfiolge Hingabe an den Staat
Tann ed das Minus feiner Erdlage ausgleichen, die fchlechten Grenzen,
die mangelnde Bodenfläche, die mißgünftigen Nachbarn, die Eonfef-
fionelle Spaltung und das zu junge und zu unfichere Nationalgefühl.
Indem alfo der Zufall mir in der Entwicklung der Torpedo waffe
Bon der Torpedoiwaffe zum Korpedatost 35
die erfte größere Aufgabe fiellte und fich jo günftig erwies, dag wir
die entjprechenden Leiftungen der anderen Marinen überholten, befam
ich nebenbei auch einigen Einblic€ in den Gedankenkreis eines technifchen
Fabrifdireftors. Doch war ich froh, als das Problem des Torpedo—
boots mich wieder auf mein natürliches Feld, die Taktik, führte. In
meiner Entwicklung hat fich die Linie vom Techniſchen über das Tak—
tische zum Organifatorifchen mehrfach wiederholt.
Stoſch war Gegner der Torpedoboote, die in England ſchon gebaut
wurden. Als ich aber im Sahre 1882 in feinem Auftrag das erfte
Manöver ausgearbeitet hatte, fiel es mit unjeren damaligen fchlechten
Verjuchsbooten immer noch fo günftig aus, daß Stofch für die Torpedo-
boote Intereſſe gewann. Caprivi, der im Torpedoboot ein feinem ftra=
tegifchen Grundgedanken entfprechendes Mittel erkannte, beauftragte
mich dann, das Torpedobootsweſen zu entwideln. Die Anfichten ſchwirr⸗
ten durcheinander. Die einen wollten Eleine Küftenboote. Sch forderte
feefähige Fahrzeuge, die in der Nordſee fchlagen Eönnten. Der Kampf
für Hochleefahrzeuge gegen den Küſtenſchutzgedanken zieht fich durch
mein ganzes Wirken bis zum Ubootsbau.
Noch bevor die bei verfchiedenen deutfchen und englifchen Firmen
befiellten Modellboote fertig waren, beauftragte mich Caprivi, im
Sommer 1884 mit den älteren Booten eine geeignete Taktik zu ent⸗
wickeln. Seht, wie fpäter in den Neunziger Jahren bei der taktifchen
Arbeit mit Großſchiffen, ging aljo der taktische Auffchwung dem ſchwer—
fälligeren technifchen voraus).
Inzwiſchen liefen die beftellten Boote ein, bei denen die Admiralität
den Firmen eine Neihe wünſchenswerter Bedingungen, Seefähigkeit,
Billigkeit, Kleinheit uſw. fehlerhafterweife zur Auswahl überlafjen
Hatte, Die Firmen mußten alfo ohne militärifches Verſtändnis nach
eigenem Giß oder Gefchäftstrieb handeln; die eine arbeitete auf Vils
Tigkeit, die andere auf Schnelligkeit ufw. Jedes Kriegsfchiff it num
ober ein Kompromiß verjchiedener MWünfche, die in dem bejchränft
tragfähigen Gebilde niemals alle zugleich erfüllt werden können. In
2) Vgl. Kapitel VL
Im übrigen habe ich den „Torpedobootsrauſch“ nie geteilt und Caprivi Darauf
hingemwielen, daß diefe ihrem Weſen nach (ähnlich dem fpäteren Uboot) technilch
vergängliche Hilfämaffe und niemals das, worauf es eigentlich ankäme, nämlich eine
Schlachtflotte, erfegen könnte,
3%
s6 In der Technik
einem gegebenen Deplacement wünſcht man eine beſtimmte Armierung,
Kohlenvorräte, Bewohnbarkeit, Unſinkbarkeit, Panzerſchutz, Schnellig-
keit; da wird in den Ausſchüſſen um 25 oder 50 Tonnen hin⸗ und
hergekämpft, und wollte man alle Geſichtspunkte befriedigen, ſo käme
man leicht zum 100 o00 Tonnen-Schiff, und hätte erſt nichts er-
reicht. So muß alfo der ftrategifche Grundgedanke des Schiffs vor
allem andern feft bejtimmt fein; den aber kann der Natur der Sache
nach nur die oberſte Marineleitung, nicht die Firma finden.
Die gelieferten Boote erwiefen fich teilg als ungeeignet, teils als un⸗
genügend entwidelt; wir Famen im Sturm vor Norwegen mit ihnen
in ziemliche Gefahr. Aus den Kämpfen zwifchen den Zechnikern
der Admiralität und mir um den ZXorpedobootstyp fand Kaprivi den
Ausweg, 1886 eine Torpedo-Inſpektion zu errichten, die er mir über-
gab und die nun einheitlich alle Zweige des Torpedoweſens umfaßte.
Mir entwicelten dag feefähige, mit Artillerie bewaffnete Boot; die
militärische Ausbildung wie die Werften und Werkftätten wurden jebt
von einer Hand geleitet, was in jenem Entwicklungsſtadium feine Vor⸗
teile hatte.
3
Beim alten Katfer hatte ich mich als Torpeboinfpefteur mit anderen
Offizieren zu melden. Er redete mit den Einzelnen ſo freundjchaftlich
und väterlich, daß es jeden aufs wärmfte berührte. Zulegt trat er
in die Mitte, wobei feine Haltung ungeziwungen eine Eönigliche wurde,
und erinnerte ung in ernjtem Ton an unjre Pflicht. So fchlicht alles
mar, griff e8 ans Herz; man fühlte die Denfungsart diefes Mannes,
der in allem, was er tat, nur den Staat vor Augen hatte. Man Fonnte
fich für ihn in Stüde hauen laſſen.
Im Jahr 1887 fuhr Prinz Wilhelm, der fpätere Kaifer, zum Jubi⸗
läum feiner Großmutter nach England, wo man ihm, wohl fchon wegen
des Ürzteftreits um feinen Vater, fchlecht aufgenommen hat. Ich führte
die Zorpedoflottille, die den Prinzen begleitete und überflüſſigerweiſe
den Engländern vorgeführt werden follte. Da Iernte ich den Prinzen
kennen, der mit leidenjchaftlichem Intereſſe in alles Technifch-Maritime
hineinfprang.
Ein Jahr darauf gab Caprivi die Gefchäfte des Chefs der Admi⸗
talität an Graf Monts ab. Diefer hegte gegen alles Torpedowefen uns
Ausklang des Zeitalters Wilhelms I. 37
verhohlene Abneigung, die übrigens faft allen älteren Offizieren damals
eigen war, teils aus einer natürlichen Ablehnung des Neuen, teils
wohl deshalb, weil nach ihrer Auffaffung jüngere Offiziere dabei zu
früh in jelbftändige Kommandantenftellungen Famen. Sedenfalls erklärte
Graf Monts dei der erften Sinfpizierung der Flottille dag Ganze ald
Paradeftük, das für die Front unverwendbar märe,
Sch bat darauf beim Kabinettschef einerfeits um ein Bordfommando,
andererfeits darum, daß dem Grafen Monts bei feinen Beitrebungen
gegen die Torpedowaffe einige Zurückhaltung auferlegt werden möchte,
Sünftes Kapitel
Der neue Kurs
Kaifer Wilhelm II. hatte fchon als Prinz Schiffstypen ſtizzirt
und, da er nicht an die Admiralität herankam, ſich für dieje Lieb⸗
fingsbefchäftigung einen Schiffsbauer aus der Front geholt. Sofort
nach der Thronbefteigung befahl er den Chef der Konftruktionsabtei-
lung zur Beratung zu fih. Diefe Umgehung des Minifters war alt
preußischen Begriffen ungewohnt und gab Caprivi den formellen An⸗
ftoß, den Abfchied einzureichen. Caprivi fchrieb mir, feine Perfon würde
dem jungen Kaifer auf die Dauer nicht genügen; der Kaifer liebte ihn
nicht und hat ihn fpäter nur darum zum Neichsfanzler gemacht, weil
man glaubte, gegen die Bismardfche Fronde eines ftarken Mannes
zu bedürfen. Der tieffte Grund für Caprivis Abgang war indes, daß
der Kaifer die Gewalten ber Admiralität teilen wollte, um perjönlich
beffer eingreifen zu können. Fürft Bismard, der bei feinen Zus
fammenftößen mit Stofch die in deffen Hand vereinigte Macht un:
bequem empfunden hatte, begünftigte bedauerlichermweife diefe Zerlegung
der Marinegewalten (1888), die fchon im Frieden fchädlich, im Krieg
geradezu als Verhängnis gewirkt hat,
Zum erjtenmal ift die Marinefpise 1859 gefpalten worden, indem
die Marineverwaltung und dag Oberfonmando getrennt wurden. Viele
fache Reibungen, die aus diefer Zerlegung hervorgingen, führten 1871
zur Wiedervereinigung der gefamten Vollmachten in der Hand von
Stoſch. Nun wurden alfo 1883 ungeachtet jener älteren Erfahrungen
Oberfommando und Neichsmarineamt getrennt, außerdem ein bejon-
deres Marinefabinett bei der Perfon des Monarchen errichtet und
allen drei Behörden Immediatvortrag bei Seiner Majeftät eingeräumt.
Das Feld zu Spiel und Gegenfpiel, zu dreis bis vierfach verfchiedener
Marinepolitif, war eröffnet.
Nunmehr trat eine Art von Kabinettsregierung in die Erfcheinung,
wie fie ſchon einmal ſich in die preußische Gefchichte eingegraben hat.
Zeilung ber Wiarinebehörben 39
Wenn ſich das Kabinett darauf befchränkt hätte, den Kaiſer hinfichte
lich der Auswahl der höchſten Beamten zu beraten, und biefen dann
mit der DVerantwortlichkeit auch die Bewegungsfreiheit zu überlajjen,
fo wäre gegen ein mit Menfchenfenntnis und Charakter ausgeftattetes
Kabinett nichts einzumenden gewefen. So wie fich der Zuſtand der
Dreiteilung entwidelte, wurde er unſer Verhängnis. Erſt als faft alles
verloren war, im Auguſt 1918 ift Reichsmarineamt und oberfie
Kommandobehörde, nachdem man fie jahrzehntelang gegen einander
ausgefpielt hatte, praßtifch wieder in einer Oberſten Seefriegsleitung
vereinigt und die Einwirkung des Kabinettschefs bei Seite gejchoben
worden. Die inneren Hemmungen und Kämpfe, welche während bes
Friedens die fachliche Arbeit der getrennten Behörden beeinträchtigten,
jind begreiflicherweife der weiteren Öffentlichkeit unbekannt geblieben.
Wäre dem brennenden Wunſch Kaiſer Wilhelms IL, eine Flotte
zu fchaffen, ſchon von 1888 an Erfüllung geworden, fo wären wie
mit ihre vielleicht noch zum Ziel gefommen, bevor die Mächtegruppies
rung unferer Gegner jo gefährlich werden Eonnte, Das verlorene
Sahrzehnt von 1388 bis 1897 zwang uns, entweder ein ewiges „Zu
ſpät“ über die Wünfche deutfcher Seegeltung zu fchreiden oder mit
dem Flottenbau eine politifche Gefahrenzone zu durchqueren,
Für den Kaiſer war eg aber 1888 ſchwierig, für die leitenden
Stellen geeignet vorgebildete Offiziere zu wählen. Die Marine war
vielleicht noch nicht alt genug, und ber Erfolg von Caprivis Ver
mühungen, erziehlich auf das Offizierskorps einzumirken, Eonnte erſt
Ipäter zum Tragen kommen.
Nach den kurzen Amtsperioden bes Grafen Monte und des Admirals
Heußner Fam 1890 Admiral Hollmann ind Reichsmarineamt, ein
vornehm denkender Mann, der aber nicht zur Klarheit über Weg und
Ziel kam. Hatte Caprivi nach einem für die Marine allerdings nur
halbrichtigen Grundſatz gearbeitet, fo brach jet eine Zeit der grund
ſatzloſen Augenblisverfügungen herein. Man war in diefer Epoche
geneigt, im Keichstag anzufordern nicht fo fehr nach der Notwendige
keit als nach der MWahrfcheinlichfeit, es bewilligt zu erhalten. Um
jeden halben Kreuzer wurde im Reichstag geftritten, und die Schlag-
worte vom „Zickzackkurſe“ und „uferloſen Plänen’, mit denen Eugen
Nichter im Reichstage gegen die Flotte arbeitete, wurden ſchwer wider-
legbar. Schlimmer noch war, daß in den Marinebehörden ſelbſt jeder
40 Der neue Kuss
etwas anderes wollte und vortrug. Die Ziellofigkeit wurde allgemein
empfunden und fchuf eine chronische Krife. Das Durcheinander der
Anfichten drückte fih z. B. aus in einem unorganijch zuſammen⸗
gemwürfelten Schiffsbeftand, mit dem gemeinfam zu operieren für den
Sriegsfall Fein Vertrauen erweden konnte. Gerechterweije wird man
fagen müffen, daß damals in allen Marinen Unklarheit darüber be=
ftand, wie fich ein moderner Seefrieg geftalten mürde,
Nachdem ich von 1889 bis 1890 im Mittelmeer die „Preußen“
und dann die „Württemberg Fommandiert hatte, follte ich Ober:
tverftdireftor werden, wurde aber infolge einer Bemerkung des Reiche»
Fanzler3 v. Caprivi, ich müßte in einer Laufbahn gehalten werden, die
mich beffer für verantwortliche Stellungen vorbereite, vom Kaifer im
Herbft 1890 zum Chef des Stabes der Oftjeeftation ernannt. Die
Keibungen zwifchen Oberfommando und Reichsmarineamt, die beide
gleich mangelhaft arbeiteten, zu beobachten, hatte ich dort reichliche
Gelegenheit.
Im Frühjahr 1891 faß einmal der Kaifer im Kieler Schloß nad) dem
Eſſen mit ung Offizieren zufammen; der alte Moltke war zugegen. Auf
Anregung des Kaifers wurde über die Art diskutiert, wie die Marine
zu entwiceln wäre. Da kamen in der üblichen Weiſe die verfchiedenften
Anfichten und wenig Klarheit zutage. Als junger Kapitän hielt ich
mich beim Gefpräch zurück. Schließlich fagte der Kaifer: „Jetzt habe
ich euch zugehört, wie ihr ftundenlang räfonnirt habt nach dem Prinzip,
die Schweinerei muß aufhören, und doch hat Fein einziger einen wirk:
lich pofitiven Vorschlag gemacht.” Da ftieß mich der Chef des Marines
Fabinetts, dv. Senden-Bibran, der eine meiner Denkfchriften gelefen
hatte, aufmunternd an; ich gehorchte, denn mir war es peinlich, wie
der Kaiſer vor dem alten Feldheren dies vernichtende Urteil fällte.
Sch fchilderte alfo, wie ich mir die Flottenentwiclung dachte. Da ich
mir darüber ftetd Aufzeichnungen gemacht hatte, Eonnte ich ohne
Mühe ein ziemlich vollftändiges Bild entwerfen.
Am andern Tag ftand der Kaiſer früh auf, ging mit dem Kabinetts-
chef mehrere Stunden in erregtem Schritt fpazieren und erteilte eine
Art Strafarbeit für alle Sceoffiziere, die bei der Unterredung beteiligt
geweſen waren,
Schftes Kapitel
Taktifche Arbeit
1
Als ich im Januar 1892 zum Chef des Stabes des Oberkommandos
ernannt wurde mit dem perſönlichen Auftrag des Kaiſers, die Taktik
der Hochſeeflotte zu entwickeln, hatte ich von allen Offizieren der
Marine die gründlichſte taftifcheftrategifche Lehrzeit hinter mir. Ge
fchichtliche Studien haben mich ftets angezogen; die antife und moderne
Seefriegsgefchichte war mir früh vertraut, und zwar fuchte ich bei
der Geiftlofigkeit der Darftellungen nach MöglichFeit die urjprünglichen
Duellen auf. Die Landkriegsgefchichte pflegte ich nicht nur aus Neis
gung, fondern auch um tiefere piychologiiche Erkenntnis für das eigene
Fach zu fchöpfen. Sch Habe wohl alles Wefentliche gelefen, was über
Friedrich den Großen, die Freiheitskriege, 1866 und 1870 gefchrieben ift.
As junger Artillerieoffizier S. M. Schiffe empfand ich in ben
Siebziger Jahren aufs ftärkffte die Mechanifierung unſeres damaligen
Betriebs. Ich firebte, zum Gefechtsmäßigen durchzudringen und er
innere mich der Freude, welche mir die eriten Anerfennungen meiner
felbftftändigen Arbeitsweife bereiteten, fo als einmal ein franzöfiicher
Kapitän nach Vorführung meiner Batterie ernjt bemerkte: „Je vous
vois travailler pour le but final.“ Die mir 1377 gejtellte Aufgabe,
die Torpedomwaffe einzuführen, bannte mich, wie erzählt, zunächit in
ein rein technijches Urbeitsfeld, defjen ſpröde und peinlich erafte Auf—
gabe, totes Material zu entwicdeln, mir von Haufe aus weniger Tag,
obwohl fie ähnlich die Mathematik zu meihodifchem Vorgehen erzog.
Sch begriff aber, daß die neue Unterfeewaffe, deren Geſetze es zu
finden galt, den Eriegerifchen Tugenden des deutfchen Volks Ausfichten
gegenüber den größeren Marinen älterer und reicherer Stasten eröff⸗
42 Laktiſche Arbeit
nete, Die in der Technik erlernte präzife Urbeitsmweife Fam bald auch
den taktijchen Verſuchen zugute.
Die in den Wintermonaten von mir abzuhaltenden Speztalkurfe
zur Ausbildung von Offizieren und Unterperfonal im Qorpedodienft
führten ung zum Studium des Einzelfampfs von Schiff gegen Schiff.
Darauf war in ber damaligen Zeit noch wenig methodijche Arbeit vers
wendet gewefen. Auch die Kunjt im freien Manöver des Schiffes
fuchten wir weiterzuentwickeln. Ausgezeichnete Offiziere ftanden mir
damals zur Verfügung, die fpäter das von ung Ermittelte und vor
allem unjere Arbeitsweife auf die anderen Schiffe der Flotte über:
trugen. Insbeſondere fuchte meine Manöprierfchulung den See—
offizieren größere Selbitftändigkeit anzuerziehen, als damals bei der
Sorge um Kollifionen üblich war. Man hatte vor meiner Zeit das
Einzelfchiff kaum im Manövrieren ausgebildet, fondern gleich in Ge
ſchwaderverbänden operiert, wo dag eine Schiff durch das andere ge⸗
feffelt wird. Mein Grundfaß war nun, den einzelnen Hopliten durchs
zubilden, bevor man die Phalanr aufitellte. Damit wurde eine fehe
hohe Sicherheit der Bewegungen erzielt, die befonders auffiel, als ich
jpäter als Kommandant der ‚Preußen‘ und der „Württemberg beim
erſten Operieren im Gejchwaderverband von Großſchiffen mit anfchei=
nender Kühnheit fahren Eonnte, die in Wirklichkeit auf Übung beruhte,
aber den übrigen Schiffen beim Darniederliegen der inneren Ausbil
dung vielfach abging.
Inzwiſchen war neben der Ausbildung des Einzelfchiffes für die
Menfur auch das Fomplizierte Zufammenoperieren mehrerer Einheiten
bearbeitet worden, als ich den Auftrag erhalten hatte, für die neue
Schiffsgattung der Zorpedoboote die Taktik und Organifation zu
finden. Die ftarfe Gefahr der Zufammenftöße hatte auch bei fremden
Marinen eine Scheu vor eigentlich Eriegsmäßigen Übungen mit Tor—⸗
pedobooten wachgehalten. Parlamentarijch regierte Länder Fonnten erz
fahrungsgemäß nur ſchwer kriegsmäßige Übungen ihrer Marinen er
zielen. Wir haben nun die Furcht vor der öffentlichen Meinung am
Fräftigften überwunden und dadurch einen Vorjprung an Schlagfertigs
keit erlangt. Bei allen Unfällen unjerer Boote, die fich im kriegs⸗
mäßigen Manöver ergaben, bin ich grundjäglich für den betreffenden
Offizier eingetreten, während ich bei der bloßen Seefahrt ftrengfte fees
männifche Vorficht verlangte.
Die „ſchwarze Schar“ 43
Bei der Entwicklung der Gefechtsformen bemühte ich mich, den
Offizieren einzuprägen, daß wir auf dem Übungswege wohl allenfalls
feftzuftellen vermöchten, was geradezu falfch fei, nicht aber das für den
Krieg unbedingt Richtige finden und Feine Regeln dogmatifch feitlegen
Eönnten. Darum fei angefichts aller unberechenbaren Kriegsmöglich-
keiten für die Torpedoboote oberfter taktifcher Grundfaß: ‚Nahe heran
und auf die Mitte feuern”: mit andern Worten, wenn man zum Ans
griff kommt, rücfichtslofer Einfaß für den ficherftien Schuß; der den
Feind treffende Torpedo fer der befte Schuß gegen die feindliche Artil-
lerie. Der zweite, allgemeinere und mehr in’s Strategifche fallende
Srundfaß, den ich voranftellte, lautete: „Den Umjtänden gemäß hans
deln, Das Elingt einfach und felbftverftändlich; jedoch ziehen die meiften
Menjchen in folchen Lagen vor, nicht nach eigenem verantwortungs⸗
sollen Entſchluß, ſondern nach Befehl zu handeln. Sind nun die
höheren Vorgeſetzten fo veranlagt, daß fie ſelbſt glauben durch Vor:
jchriften den Erfolg fichern zu können, jo führt dieje für den Ernitfall
bedenkliche Neigung zu einem Anfchwellen der Reglements und Krieges
anleitungen. Es hat in ben Sahren vor dem Weltkrieg in unſrer Flotte
Zeiten gegeben, wo das Stegesrezept zu jeher vorherrjchte, das auch
deshalb verführerifch wirkt, weil es zu fchönen Gefechtsbildern und
Parademanövern führt. Nachdem ich feit 1897 zu meinem Leidweſen
von der Flotte mehr und mehr abgedrängt worden war, fehlte eg mir
an der Möglichkeit, die auftauchenden Gefahren wirkſam zu befämpfen,
obwohl ich auf Grund meiner eigenen früheren Arbeit die nachteiligen
Folgen diefer Methode deutlich zu fehen glaubte. Die Neigung für
das Außerlich Dekorative und das hierfür nötige Drillen und Bimfen
yerdrängt leicht durch Routine den lebendigen Geift.
Unfre Arbeit mit den Xorpedobooten hatte wejentlichen Einfluß
darauf, daß bereits unter Caprivi die Marineentwicklung vom Küften-
Ihus zum Hochjeegedanken hinüberging.
Eine Spezialwaffe wie die Torpedoboote muß, um das Höchite zu
Teiften, fich als etwas Befonderes und verhältnismäßig Selbftändiges
im Geſamtkörper der Wehrmacht fühlen dürfen. Später hat man bie
Torpedoboote vielleicht etwas zu hierarchifch der Flotte eingegliedert und
ihnen Kreuzer als Vorgefeßte gegeben, was mindeftens für die Nachtverz
wendung der Torpedoboote mehr Nachteile als Vorteile mit fich bringt.
Die elf ſchönſten Jahre meines Lebens habe ich im Torpedoweſen
44 Caktiſche Arbeit
verbracht, auf „unſern ſchwarzen Geſellen, der wilden verwegenen
Jagd“. Mit unſern unübertrefflichen Mannſchaften verband uns Drauf⸗
gängerluſt und gegenſeitige Kameradſchaft in Sturm und Gefahr. Wir
Offiziere vom Torpedoweſen bildeten ein Korps im Korps, deſſen ein⸗
heitlicher Geiſt von anderer Seite anerkannt, aber auch beneidet und
bekämpft worden iſt. Als ich Chef beim Stabe des Oberkommandos
wurde, nahm ich die ganze „Torpedobande“ mit herüber und verfügte
damit ſofort über einen ausgebildeten Arbeitskörper. Später verſuchte
ich beim Reichsmarineamt Ahnliches, ſtieß da mit meinen Perſonal⸗
wünſchen aber ſchon auf Schwierigkeiten beim Kabinett.
2
Als ich nun 1892 ins Oberkommando nach Berlin berufen wurde,
war mir die Notwendigkeit klar, die Flottenausbildung kriegsmäßiger
zu geſtalten. Dazu mußte vor allem eine entſprechende Organiſation
der Flotte geſchaffen und mit der kurzen Sommerindienſtſtellung zu
gunſten dauernder Indienſtſtellung der Schiffe gebrochen werden. Man
war damals im Reichsmarineamt an der Arbeit, in falſcher Anlehnung
an die Armee die ganze Flotte in einer Weiſe zu formieren, welche den
Schwerpunkt der Marine an Land verlegte ). Sch verhinderte Dies,
denn nur mit permanenten Formationen, die im Frieden fo fuhren
und zujammengejegt waren, wie im Kriege, war es auch möglich, die
Flotte taftifch auszubilden,
Alsbald nach Übernahme meiner neuen Stellung fuchte ich den
Staatsjefretär des Neichsmarineamts auf und erklärte ihm, ich würde
ihn in jeder Beziehung als den Leitenden anerkennen, er müßte mir
nur in Bezug auf die intellektuelle Ausbildung der Marine freie
Hand laſſen. Wir find als gute Freunde gejchieden, aber Hollmann
ging jachlich auf meinen Wunfch nicht ein und äußerte die Anficht,
das Oberfommando müßte fich verflüchtigen. Beim damaligen Stand
') Die Schiffe follten bei der Mobilmachung die Hälfte ihrer Befakung zu Neu:
indienitftellungen abgeben und mit Erſatzmannſchaften aufarfüllt werden. Der ganze
innere Schiffsorganismus und in Verbindung damit auch die mit Mühe geichulten
Geſchwaderverbän de wären zerriffen und die Kriegsbereitichaft zerftört worden, Wir
hätten einen Haufen von Schiffen mit Menfchen darauf gehabt, aber Keine Flotte,
Sefechtsmäßige Ausbildung ber Hochſeeflotte 45
unfrer taftifchen Erkenntnis Eonnte diefe Auffaffung aber nur dann
Anfpruch auf Geltung machen, wenn der Staatsfekretär die taktiſche
Erziehung der Marine felbit in die Hand nahm, wie es Caprivi ald
Chef der Admiralität getan hatte. Das beabjichtigte aber Hollmann
nicht, den die parlamentarifchen Schwierigkeiten völlig abjorbierten.
Dagegen wurde ein von einer Kommiſſion ausgearbeiteter Ererziera
Entwurf zum Reglement für die Flotte mit bindender Kraft erhoben.
Nun enthielt aber diefes Reglement nichts als Evolutionen, d. h. die
reinen Bewegungen der Schiffe fozufagen im Iuftleeren Raum, die
Übergänge von einer „Quadrillen-Tour“ in die andere. Der eigents
liche Gefechtswert fpielte bei ihnen Feine Rolle, Eonnte es auch nicht,
da man fich nicht klar war, wie man kämpfen wollte, ob nach Art
von Nelfon oder Tegetthoff. Man erfchöpfte die Phantafie darin,
möglichit viele Formationen theoretijch zu finden und zu bewegen, von
denen der Admiral fich dann auswählen jollte,
Diefes „Karuſſelreiten“ erfettte ich durch den Grundſatz, ung zus
erft darüber klar zu werden, wie man ſich im Gefecht zu jchlagen
hätte. Aus den hierauf zugefchnittenen Herbjtübungen 1892 ergab fich
ein neuer Zwiſt zwifchen Marineamt und Oberfommando, in defjen
Verlauf (Herbft 1892) jenes Reglement durch einen von mir aus:
gearbeiteten Entwurf erſetzt worden ift. Zunächft hoben wir die Einzels
ausbildung der Schiffe und gingen dann ftufenmäßig weiter. Es war
menfchlich, daß diejer Eingriff von oben her von den Kommandanten
und dem Gefchmwaderchef nicht angenehm empfunden wurde, und ich
führte den Spitznamen „Meiſter“. Gegen den Herbft hin zogen wir
alles, wag wir am Schiffen in der Heimat aufbringen Eonnten, zu
einer Übungsflotte zufammen, die unter dem perjönlichen Befehl des
Oberkommandos operierte. Indem wir fie ohne Rückſicht auf die
Schiffsart zu Schlachtförpern formierten, vereinigten wir Mengen von
Schiffen, wie fie noch niemals zufammen geübt hatten. Man Eonnte
auch bier fagen, daß Menfchen fochten, nicht Schiffe. Denn die Flotte
war ja fo Elein, daß wir nur durch das Zufammenjchrapen der Schul:
fchiffe, Verfuchsschiffe, Diinenfuchjchiffe und anderer Simulafer größere
Gefechtsbilder zuftande bringen und Parteien gegeneinander manövriren
lafjen Eonnten.
Nun begann dag Operiren im größeren Verband. Dabet fiel eine
Meihe von bis dahin wert gehaltenen Ererzierformatisnen ohne wei-
⸗
46 Kaltilhe Arbeit
teres hinweg, auch Keil und Karrs. Wir fanden 1892/4 unſre Linear⸗
taktik. Dabei Fam es darauf an, den Gegner, wie immer er ſich be⸗
wegte, auf der Mitte unfrer Linie zu halten. Wir fanden ferner unfern
Gefchwadergrundfaß. Bisher hatte Eeinerlei Theorie der Seefchlacht
und Feine Klarheit darüber beftanden, welche Schiffsmenge die Fampf-
Fräftigfte Gefchmadereinheit abgäbe. Mit NRücficht auf das Weſen
der Lineartaktik einerfeits, den Erfolg unfrer intenfiven Ausbildungs-
arbeit anderfeits durften wir als günftigfte Norm für die in einer
Linie fechtenden Verbände die Zahl von acht Schiffen aufitellen; beim
Vorhandenfein von mehr Schiffen wurden mehrere Gefchwader gebildet,
die in einer Kombination von Linien kämpfen follten. So. ermuchs
aus der Taktik eine neue Organifation, die auf das Flottengefe nach-
mals beftimmend eingewirkt hat. Auf Grund unfrer Ergebniffe habe
ich auch den alten Namen „Linienſchiff“ wieder in die Kriegsmarine
eingeführt. |
Sch Bann mich des Eindruckes nicht erwehren, daß der eigentliche
Sinn des Geſchwadergrundſatzes zumeilen nicht voll aufgenommen wird.
Die begreifliche Neigung des Flottenchefs, die gefamte Flotte auch
als taftifche Einheit zu leiten, trifft nur in gemwiffen Lagen das Richtige.
Häufig wird dagegen erft eine gewifje Selbjtändigkeit der Gefchwader-
führer die höchjte Leiftung der Flotte hervorbringen. Je größer die
Flotte ift, defto ſchwieriger wird ihre gefchloffene Handhabung. Die
Bewegungen werden dann unbehilflicher, und den Flottenchef verhindern
leicht Rauch, Regen und vor allem Pulverdampf daran, die Lage der
einzelnen Zeile zu überblicken. Das ift der wichtigfte Grund, weshalb
wir das Gefchwader als taftifche Einheit hingeftellt und damit den
Gefchivaderchefs und den gleichftehenden Gruppenführern das Recht
gegeben haben, „den Umftänden gemäß” zu handeln. Mit dem vollen
Erfaffen diefes Gedankens hängt auch das Beftreben zufammen, Organi-
jation und Methode der Flotte dauernd auf die Heranbildung von
Hührerperfönlichkeiten einzuftellen.
Bald nach uns find alle Marinen zu einer Art von Lineartaktik
übergegangen und haben unfern Gejchmwadergrundfat übernommen. So
mag es die Heutigen befremden, daß zu Unfang der Neunziger Jahre
noch Feine Flotte der Melt klare Grundjäße vertrat, daß z. B.
die Frage „Keil und Karrsé“ in der damaligen Fachliteratur noch eine
erhebliche Rolle fpielte; während doch fchon der Athener Phormio mit
Lineartaltik und Beſchwadergrundſad 47
feiner Linie die nach Landbegriffen auch zur See Karrs bildenden
Spartaner unter Brafidas befiegt hatte. Während wir auf dem „‚Eleinen
Exerzierplatz' vor der Kieler Föhrde diefe Dinge empiriſch fanden,
entwickelte fie gleichzeitig theoretifch aus der Gefchichte der amerikfa-
nifche Admiral Mahan, den ich fpäter, als ich fein Buch Eennen lernte,
auf dies feltfame Zufammentreffen hinwies.
Die Engländer fchienen mir damals in der Taktik ſehr zurück zu
fein, wovon der Tryon⸗Prozeß infolge des Unterganges der „Victoria“
eine Vorſtellung gab. Die Engländer hatten eben die Taktik nicht
nötig. Die Schlacht von Zrafalgar hatte jeden Wettbewerb in
der Seegewalt ausgefchaltet, und fo ftand von dba an der Sees
Frieg, wie in der Praris, fo auch in der theoretifchen Fortbildung
ſtill, während zu Lande das Gleichgewicht der Mächte die Kriegswiſſen—
Schaft rege erhielt. Mit ihrer erdrückenden Mbermacht Eonnte die britifche
Slotte jeden Gegner fo oder fo zufammenfchießen. In einer folchen
Lage waren wir nicht. Durch unfer Beifpiel wurden dann freilich
auch die Engländer gezwungen, zu arbeiten und den Seekrieg geiltig
wieder zu durchdringen. Zunächft haben fich die Engländer noch wenig um
die Fleine bdeutfche Flotte gefümmert. Erſt durch Dienftfchriften, die
geftohlen waren oder von einem gefunkenen Zorpedoboot ftammten,
find die Engländer auf unfre Arbeit aufmerkſam geworden. Seit etwa
1396 begann in der britifchen Marine dag Gefühl, daß wir Gegner
feien, und feit fie ung fo anſahen, haben fie uns auch ftudiert und
namentlich im Manöver ähnliche Wege eingefchlagen. Ste werden es
nie eingeftehen, daß fie in diefer Hinficht bei uns in die Schule
gingen; es ift aber fo, und wir waren ung auch ſchon damals bewußt,
daß die britifche Flotte den neuen Geift ihrer Entwicklung durch ung
befommen hat. Es war ein Abbild der deutfchen Stellung in der Welt,
daß eine Marine, die noch fo gut mie Feine Schiffe befaß, methodifch
führte. Wir mußten entweder Schiffe nachbauen oder unjre Gedanken
Fremden leihen. Wir haben gebaut, und waren an Güte der Schiffe
wie der taktifchen Keiftung, nur nicht an Maffe, auch im Weltkrieg noch
den Engländern überlegen, obwohl da die Zeit ihrer taktischen Erſtarrung
und ihrer unflaren Manöver längft vorüber war,
Sene Jahre umfaſſen meine befte Leiftung, die Erfüllung der Flotte
mit militärifchem Gehalt. Aber dem taftifcheftrategifchen Zeil meines
Lebenswerks fehlt, wie allen übrigen, der Stempel des letzten Erfolges.
48 Lekiliche Urbeit
Das unbearündete Preftige der britifchen Flotte hat den an der Spike
Deutschlands ftehenden Männern den Mut geraubt, zu Anfang des
Kriegs, als die deutfche Flotte die beiten Ausfichten hatte, fie um den
Sieg kämpfen zu laffen. Die Schlacht vor dem Skagerrak ift, durch
Dunkelheit unterbrochen, nicht bis zu Ende durchgejchlagen morden,
in welchem Falle fie nach meiner Meinung Ausficht darauf geboten
hätte, der MWeltgefchichte ein amderes Antlig zu geben. Der deutfchen
Flotte ift dag bitterjte Schickſal zuteil geworden, und mie blieb es
verjagt, mit ihr hinauszufahren.
Siebentes Kapitel
Flottenpläne
1
Aus den taktiſchen Erkenntniſſen ergab ſich von ſelbſt eine beſtimmte
wünſchenswerte Zuſammenſtellung von Schiffsmaterial. So verdich—
tete ſich unſre in „Dienſtſchriften“ niedergelegte Oberkommando-Tätig—
keit auch in konkreten Vorſchlägen für den Bau einer Hochſeeſchlacht—
flotte. Als ich fpäter aus Oftajien zurückkam und das Staarsſekre—
tariat übernahm, gab ich auf die Frage: ‚was bringt man im Reiche:
tag ein?” zur Antwort: „das, was die neunte Dienftfchrift enthält”,
Trotz der taktischen Ergebniffe der Dienjtjchriften und ihrer Ans
erfennung durch den Kaijer arbeitete das Keichsmarineamt unter Holl
mann noch auf den Sireuzerfrieg hin, drängte auch den Kaiſer in diefer
Richtung und vertrat diejelbe Anfchauung im Reichstag, allerdings
ohne Syitem, fodaß der Keichstag nach wie vor nicht fehen konnte, wo
hinaus die Marine wollte,
Sm Winter 1894/5 follte einer Reihe von Keichstagsabgeordneten
im Potsdamer Schloß ein Marinevortrag gehalten werden; zuerft hatte
ich ihn übernehmen follen, dann entjchloß ſich der Kaifer, ihn felber zu
halten. Ich erfuhr, daß der Kaiſer uneingefchränkt im Sinn des Kreuzer:
kriegs ſprechen und den Reichstag in diefer Richtung beeinflufjen wollte,
Am Tage vorher hatte zufällig das Oberfommando Vortrag; ich bes
nußte die Gelegenheit, um dem Kaiſer den Inhalt der einen Dienfte
ſchrift vorzutragen, wonach die Schlacht Ziel und Schwerpunft unfrer
toktifchen und auch organifatorifchen Entwiciung fein müfje. Der Kaifer
war verſtimmt, vichieicht weil fein Vortragskonzept dadurch geftört
murde; er fragte mich: „Warum hat denn Nelſon immer nach Fre
gatten gerufen?” Sch antwortete: „Weil er eine Schlachtflotte hatte.”
Immerhin bewirkte mein Vortrag, daß der Kaiſer am folgenden Tag
nicht nur über den Kreuzerkrieg, fondern auch über die Schlachtflotte
vor den Abgeordneten jprach, die nun allerdings erjt recht nicht wußten,
worauf man abzielte. Ein Zeil des Reichstags verhielt fich mißtrauifch
und ablehnend gegen „periönliche Flottenlaunen“; der Marinsreferent
Zierig, Erinnerungen {1
50 Slottenpläne
in der Kommiffion Herr von Leipziger aber ftöhnte an jenem Abend
in Potsdam ganz offen mir gegenüber: „Wenn wir nur wüßten, welchen
Meg man eigentlich gehen will.”
Megen neuer Neibungen mit dem Marineamt’erbat ic) Herbſt 1895
meine Abkommandierung. Mein Nachfolger wurde Admiral v. Diederichs,
und an die Spitze des Oberkommandos ſelbſt trat Admiral v. Knorr, ohne
daß indeß die Reibungen und der Wirrwarr dieſer Jahre ſich verringerten.
Im Dezember 1895 reichte das Oberkommando eine Denkſchrift über den
erforderlichen Flottenbau ein; ich erhielt vom Kaiſer Befehl, mic) un⸗
mittelbar dazu zu äußern, was um die Jahreswende 1895/6 ſchriftlich
und mündlich geſchah.
Zwei Gedankengänge bildeten fich damals heraus: die taftifche
Totwendigkeit einer Schlacht flotte, wenn wir überhaupt auf See⸗
geltung logftrebten und mit Zweck und Nuten Schiffe bauen wollten;
und die politifche Notwendigkeit, für die unaufhaltfam und reißend
anmachfenden bdeutjchen Seeintereſſen eine fie fchüßende Flotte zu
Schaffen. Die Flotte erfchien mir niemals als Selbitzwed, ſondern ftets
als eine Funktion der Seeinterefjen. Ohne Seemacht blieb die deutjche
Weltgeltung wie ein Weichtier ohne Schale. Dem Handel mußte bie
Flagge folgen, wie das andere, ältere Nationalftaaten längft begriffen
hatten, als e8 bei ung erſt zu dämmern begann; wie die Fortnightly
Review 1893 bündig und richtig gefchrieben hatte: „Der Handel er-
zeugt entiveder eine Marine, welche ftarf genug ift, ihn zu fchügen, oder
er geht in die Hände von fremden Kaufleuten über, welche folchen
Schuß genießen.”
Eine gewiffe Sorge und Ahnungslofigkeit, dag Vorherrfchen innerer
mirtfchaftlicher und fozialer Händel verdunkelten der Mafje des deut-
chen Volks noch diefe Notwendigkeit. Der Kaifer hatte fie erfannt,
wozu ihm fein häufiger Aufenthalt in England, wo er fich wie feine
Geſchwiſter halb zuhaufe fühlte, dienlich war. Indeſſen wurde das Ber
ftreben des Kaifers, den Sinn für Marineentwicklung zu wecken, be
einträchtigt durch feine Neigung zu geräufchvollem und verfrühtem
mweltpolitiichem Auftreten, durch die vom Volk burchgefpürte Schtwierig-
keit für ihn, ſich in der Welt der Wirklichfeiten zu bewegen. Der
Flottengedanke wurde im Volk noch vielfach mit Miftrauen aufgenom-
men. Die Deutfchen fpürten, verwöhnt von dem Glück, in das bie
Bismarckſche Neichsfchöpfung und das plögliche Umfichgreifen unferer
»
Braucht Deutichland eine Flotte? 51
fo Tange zurücgeftauten wirtfchaftlichen Tüchtigkeit ung verſetzt hatte,
noch nicht genügend, daß unfre Entfaltung auf dem breiten Rücken
des britischen Freihandels und der britifchen Weltherrfchaft ſich auf
Widerruf vollzog. Dem Wachstum unfrer Induſtrie verdankten wir
das Wachstum unfrer phyfifchen und materiellen Stärke. Wir nahmen
jährlich faft um eine Million Menfchen zu, das heißt getvannen auf
dem unveränderlich engen Spielraum der heimischen Scholle alljährlich
etwas, das dem Zuwachs einer Provinz gleichfam, und dies alles be-
ruhte auf der Aufrechterhaltung unfres Ausfuhrhandels, der mangels
eigener Seemacht ausschließlich vom Belieben der Fremden, d. h. der
Konkurrenten abhing. Wir mußten nach Bismard ‚entweder Waren
ausführen oder Menfchen”, und es handelte fich bei dem Entfchluß,
Seemacht zu bilden, letzten Endes um nichts anderes ald um den
Berfuch, eine fich nicht in eignen Siedelungskolonien, fondern in heimi⸗
ſchen Werkftätten vermehrende Bevölkerung deutfch zu erhalten.
Es war die Frage, ob wir nach der fat jchon vollendeten Auf⸗
teilung der Erde nicht zu fpät daran wären; ob überhaupt jene Ent-
faltung, der wir unfern Nang unter den Großmächten verbankten,
Fünftlich und auf die Dauer unhaltbar wäre, ob dem rafchen Aufitieg
nicht ein furchtbarer Niederfchlag folgen müßte, Die leicht zuzufchlagende
„Dffene Tür“ war für uns dasfelbe wie für die übrigen Weltmächte ihre
weiten Flächen und unerfchöpflichen Naturſchätze. Dies und dazu unjre
eingezwängte und gefährdete feftländifche Lage beftärkte mich in der
Überzeugung, daß Feine Zeit zu verlieren wäre, um den Verſuch der
Seemachtsbildung zu beginnen. Denn nur eine Flotte, welche Bünd-
niswert für andere Großmächte darftellte, aljo eine Teiftungsfähige
Schlachtflotte, Ponnte unjrer Diplomatie dasjenige Werkzeug an bie
Hand geben, das, zweckentſprechend genüßt, unjre feftländifche
Macht ergänzte. Hiftsrifch intereffant ift vielleicht, daß auch Prinz
Friedrich Karl der erſte Soldat der Armee, wie ihn Caprivi bezeich-
net — biefen Gedanken voll erfaßt und mir gegenüber ausgejprochen
bat. Ziel mußte fein die Errichtung einer Mächtekonftellation zur See,
die Schädigungen und Angriffe auf unfre wirtfchaftliche Blüte unwahr—
fcheinlich machen und den trügerifchen Glanz unfrer damaligen Welt:
politiß zu einer wirklich ſelbſtändigen Weltftellung ummandeln würde.
Um dies dem deutfchen Volk begreiflich zu machen, mit der angefichtg
der ausländifchen Eiferfucht gebotenen Zurückhaltung im Ausdruck, hielt
4*
by) Klottenpläne
ich eine Aufklärung im großen Maßſtab für notwendig; die Frage war,
ob diefe Aufklärung mangels anderer hierfür tätiger Kräfte von der
Marineverwaltung felbft in die Hand genommen werden follte,
Die Gedankengänge jener Tage möchte ich durch Wiedergabe eines
mit Altmeifter Stojch damals geführten DBriefwechfels verdeutlichen.
Kiel, 21. 12. 1895.
h Schwanenweg 25.
Euer Excellenz ; 2
beehre ich mich gehorfamft die Bitte auszusprechen, mir mit einigen
Morten zu fagen, ob nachftehender Gedankengang der Anficht und den
langjährigen Erfahrungen Euer Ercellenz entfpricht.
Es handelt fich in der Hauptfache um die Frage, ob ein größerer
Zufammenfchluß der Seeinterefjen des Neiches als bisher anzuftreben
und ob als Kriftallifationspunft das Reichs-Marine-Amt zu nehmen
it. Wenn ich die diesbezügliche Politik, wie Euer Ereellenz Chef der
Ndmiralität waren, richtig überfehe, fo haben Euer Ercellenz f. 3. nach
obigem Gefichtspunkt verfahren. Hiftorifch betrachtet ift e8 der Stand»
punkt, den GColbert und Nichelieu ihrer Zeit einnahmen, ald es ihnen
darauf ankam, Frankreichs Macht und Wirtichaftsiphäre raſch nach
diefer Richtung zu erweitern. Wäre für Deutfchland diefer Zweck er-
reicht, fo wird dag Großwerden der Xeilintereffen von felbft wieder zur
Lockerung unter einander führen. Bis 1866 lagen unfere Seeintereffen
völlig darnieder: Seehandel, Erportinduftrie, transatlantifche Kolonien,
Seefifcherei, transatlantifches Deutfchtum, Kriegsmarine. Mas hier
von vorhanden war, hatte den Charakter der Parafiteneriftenz.
Von diefem Ausgang ift noch vieles übrig geblichen. Meiner Anficht nach
ſinkt Deutfchland im kommenden Jahrhundert fchnell von feiner Groß:
machtftellung, wenn jeßt nicht energifch, ohne Zeitverluft und ſyſte⸗
matifch diefe allgemeinen Seeintereſſen vorwärts getrieben werden. Nicht
zu geringem Grade auch deshalb, weil in der neuen großen nationglen
Aufgabe und dem damit verbundenen Wirtſchaftsgewinn ein ftarfes
Palliativ gegen gebildete und ungebildete Sozialdemokraten liegt.
Wir können diefe Intereffen nicht „freier Hand nach” (manchefter-
lich) entwickeln laffen, weil ung feine Zeit mehr für diefe Methode ge:
blieben ift. Sreilich darf unfer planmäßiges: Vorgehen auch fein „ge⸗
heimrätliches” fein. Auf eine gefunde Grundlage Fünnen die vorher ges
nannten Intereſſen nachher nur geftelit werden durch Macht und zivar
Der „Paraſit“ und „Civis Germanus sum“ 53
Seemacht. Sonft Fehlt die Courage, Cheks auf die Zukunft auszuftellen.
Der „Paraſit“ muß dem Prinzip nach mwechjeln mit dem „eivis Ger-
manus sum“, Eine befondere Schwierigkeit liegt darin, daß Die Auge
gaben für militärifche Scemacht zeitlich vor dem vollen Überblic® des
daraus entftehenden wirtfchaftlichen Nutzens gemacht werden müffen.
Epiefbürgertum und Srämergeift, der nur an den momentanen per-
fönlichen Nuten denkt, kommt hinzu.
Troßdem glaube ich, daß in Deutjchland eine wachjende Strömung
zu Gunften des vorftchend ſkizzierten Gedankenganges heute befteht.
Diefe umfaſſend und nachhaltig zu fleigern, wird befondere Aufgabe
der Zentralbehörde fein.
Nimmt man das Reichs-Marine-Amt als folche an, fo erwächft
der Vorteil, an eine Behörde angliedern zu können, welche von allen
Reiches pp. Behörden jet fchon größere Seeintereffen in fich vereinigt,
als jede der andern einzeln genommen, ferner an eine Behörde, deren
Größe und Eriftenzberechtigung von den Geeintereffen übschaupt ab⸗
hängt, da die Flotte nur eine Funktion derfelben it.
Es wäre nun die Frage: wird durch folche anzufirebende Angliederung
bie Gefahr gefchaffen, daß die anderen nicht militärifchen Seeinterefjen
zu fehr als Snterefjen ziveiter Ordnung behandelt werden oder umgekehrt,
daß die ausschließlichen Flottenintereffen durch den Drud und die grös
Bere Reklame der Erfieren zu Eurz Fommen?...
Iſt ferner, nachdem feit 1833 ein grundſätzlich entgegengefeßter
Standpunkt eingenommen worden ift, die anderen Intereſſen bei andern
Behörden (Ausw. Amt, Reichs-Amt des Innern, der Poft, den einzelnen
Landesregierungen) fich vecht, wern auch mitunter ſchlecht, geholfen
haben — noch Zeit und Möglichkeit vorhanden, eine Richtung im Sinne
der größeren Zufammenfaflung und damit größeren Sraftentfaltung
ber Seeintereffen einzuſchlagen? ...
Kurze Zeit darauf ſchrieb mir Stoſch Zolgendes:
122 2,96.
Haus Stoſch
Oeſtrich im Rheingau,
Mein lieber Abmiral!
... Heute Komme ich mit einer Trage, Der Zorn ber Engländer
gegen und, wie er bei Gelegenheit ber Transvaal⸗Depeſche (1896)
54 Slottenpläne
zum Ausbruch Fam, findet dort feine Begründung in der Konkurrenz
Deutfchlands auf dem Weltmarkt. — Da nun die auswärtige Politik
in England ausschließlich von Handelsintereffen geleitet wird, fo müfjen
wir auf die Gegnerfchaft jenes Inſelvolkes rechnen. Diefelbe wird zur
Tat, fobald es den Herren gelingt, fich der Nichtteilnahme Rußlands
und Frankreichs zu verfichern, und wir wieder irgendiwie unbequem
werden.
Mas ich an englischen Abhandlungen in neuefter Zeit gelefen, ent-
Hält durchiveg die Anfchauung: Deutfchland machen wir mit
einem Schlage Faput. Sch habe mir alfo die Frage vorgelegt, wie
führen wir mit einigem Erfolg einen Seefrieg mit England? und ich
wende mich an Sie mit der Bitte mir diefelbe zu beantworten. Sch
bemerfe übrigens, daß ich mir einen ‚Kriegsplan zurechtgelegt habe,
aber da ich auf Ihre maritimen Urteile Wert lege, bin ich fehr geſpannt
zu hören, was Sie vorfchlagen. Wie ich in Berlin vernommen, ift Ihr
Abgang nach DOftafien (als Gefchwaderchef) ins Stocden geraten; man
dent am Ende daran, unfere dortigen Seeftreitkräfte im Intereſſe
der Heimat zu verringern. So hat man Jhnen Zeit gegeben, fich mit
großen Fragen zu bejchäftigen, Seien Sie gut und erfüllen Sie meine
Bitte,
Adieu,
Ihr
v. Stoſch.
Ich antwortete von Kiel aus am 13. Februar 1896:
Euer Excellenz
gütiges Schreiben vom 12. d. Mts. habe ich erhalten und beeile mich,
dasſelbe zu beantworten... In Berlin haben ſehr dringende und uns
erwartete Gefchäfte meine dortige Zeit vollfommen ausgefüllt. Wie ich
Eurer Ercellenz ganz vertraulich und nur für Euer Ercellenz Perfon mits
teilen möchte, habe ich Gelegenheit gehabt, an allerhöchfter Stelle Eurer
Ercellenz Anfichten als folche über die erforderliche Marine-Entwicklung
zur Geltung zu bringen, und ift Hoffnung vorhanden, daß der Faden
da wieder aufgenommen werden wird, wo er im Fahre
1883 abgebrochen wurde, Vielleicht darf ich Eurer Excellenz fpät:r
einmal Näheres darüber mitteilen. Meine Kommandierung nad Afien
iſt, wie Euer Excellenz Schon willen, ins Schwanken gefoinmen. Sch
Politik und Seemacht 55
bin für meine Perſon ſehr betrübt. Es war mein brennender Wunſch
hinauszugehen, auch wäre es für mein Nervenſyſtem gut geweſen, ein⸗
mal auf Jahr und Tag aus aufreibender geiſtiger Tätigkeit heraus⸗
zukommen und recht fern von Madrid zu weilen. Ich muß jetzt ab⸗
warten, wie das Geſchick für mich ſich entſcheidet.
Hinfichtlich der Transvaalfrage bin ich entgegen der öffentlichen
* Meinung und entgegen der Leitung unjerer Politif der Anficht, daß wir
falfch gehandelt haben!), England läßt eine Brügfierung ?) durch Ame—
vita, weil fie eine fpätere Sorge in fich fchließt und vor allem, weil
Amerika ein unangenehmer Gegner tft, Taufen und Deutfchland zahlt
die Zeche, weil es 3. 3t. jeder Ing Gewicht fallenden Seemacht entbehrt.
Unfere Politik rechnet als reale Unterlage zur Zeit nur mit der Armee,
diefe wirft direft aber nur auf unjere Landesgrenzen, darüber hinaus
nur mittelbar durch den von hier aus übertragenen Drud, Unjere
Politik verfieht nicht, daß der Alliancewert Deutfchlands felbft für
europäische Staaten vielfach nicht in unferer Armee, fondern in der
Flotte liegt. Beifpielsweife: wern Rußland und Frankreich in einer
Frage gegen England ftehen. Das Hinzutreten unjerer jeßigen Flotte
ift dafür von zu geringer Bedeutung. Faßt England aber feine Politik
nach Pitt’fchem Mufter auf, fo wird es unfere Feindfchaft lieber fehen
als unfere ftrifte Neutralität. In erfterem Falle find wir unter allen
Umftänden ein höchft wertvolles Objekt, im Falle der Neutralität würden
wie außerordentlich ald Konkurrent Englands gewinnen. Das weiß
man in England auch ganz genau, Unferer Politik fehlt bis
jeßt vollftändig der Begriff der politifchen Bedeutung
der Seemacht. Wollen wir aber gar unternehmen, in bie Welt
Hinauszugehen und wirtfchaftlich durch die See zu erjtarken, fo er:
richten wir ein gänzlich hohles Gebäude, wenn wir nicht gleichzeitig
ein gewiffes Maß von Scekriegsftärke uns verfchaffen. Indem wir
hinausgehen, ftoßen wir überall auf vorhandene oder in der Zukunft
liegende Sintereffen. Damit find Intereſſenkonflikte gegeben. Wie will
nun die gefchiektefte Politik, nachdein dag Preflige von 1870 verraucht
if, etwas erreichen ohne eine reale, der Vieljeitigkeit der Intereſſen
entfprechende Macht? Weltpolitifch vielfeitig ift aber nur
die Seemacht. Darum werden wir, ohne daß es zum Kriege zu
!) Durch die Krügerdepefche, 2) Cleveland⸗Botſchaft.
56 Flottenplane
kommen braucht, politiſch immer den Fürzeren ziehen. Es iſt dabei
zu berückſichtigen, daß England den Glauben wohl etwas verloren hat,
daß wir unſere Armee zu ſeinen Gunſten gegen Rußland ins Feuer
ſchicken. Umgekehrt kann England Rußland ſchon ſehr erhebliche Kon⸗
zeſſionen z. B. in Oſtaſien machen, wenn Deutſchland die Zeche zahlt.
In letzterem Umſtand liegt die Gefahr, wenn wir z. Zt. in einen Konflikt
verwickelt werden, der Rußland, Frankreich und England betrifft. Wenn
wir auch ſagen wollten, wir führen feinen Krieg wegen transatlan⸗
tiſcher Intereſſen, fo fagen dagjelbe nicht die anderen drei Staaten
und fo arbeiten wir fortgefeßt im politifchen Nachteil,
Es läßt fich über diefe Frage fehr viel mehr fagen. Sch wollte aber
doch wenigſtens angedeutet haben, daß ich meine Anficht über die augen»
blickliche Xransvaalfrage nicht ohne Überlegung gewonnen habe. Frei
lich habe ich diefelbe Anficht gehabt, fobald ich nur die Depefche an den
Präfidenten Krüger in der Zeitung las. Diefelde war obendrein nicht
gefchickt vedigiert, denn da England bei Konventionen dieſes Staates
mit dem Auslande das Billigungsrecht hat — was wir nicht beftreiten
— fo waren wir nicht in der Lage, dem Transvaal unfere Hilfe ans
zubieten,
Diefer Vorfall Bann dennoch fein Gutes haben, und ich würde, um
unferem Parlament die Augen zu öffnen, eine etwas größere Blamage
für ung in diefem Sinne fogar für nüßlich Halten. Erſtens, daß die
Anglomanie an gewilfen Stellen definitiv aufhört und zweitens, daß
unfere Nation fich aufrafft, eine Flotte zu fhaffen, wie
diefelbe etwa in Dienftfchrift IX. entwicelt wurde. Dieſe Vorlage foll
tatfächlih im nächften Etat gemacht werden. Staatsregierung und bie
Spigen des Parlaments fehen freilich Feine Ausficht auf Erfolg. Sn-
dem die Marine rüchaltlos den militärischen und politifchen Wert
unferer jeßigen Flotte darlegt, hat fie wenigftens ihre Schuldigkeit gez
tan, und die Gefchichte wird andere Leute zur Verantwortung ziehen
müſſen.
Ich bin alſo der Anſicht, in den nächſten zwölf Jahren
eine zeitgemäße Flotte zu ſchaffen, deren Stärke ſich
dem Sinne nach noch garnicht weit von Ew. Excellenz
erſter Denkſchrift 1872 au entfernen braud ...... "
Stellung zu England 57
Mitten in diefen Briefwechſel waren Jameſons Freifchärlerzug gegen
die Burenrepublik und die Krügerdepefche hereingepoltert. Der eng—
fiiche Ausbruch von Haß, Neid und Wut gegen Deutfchland, welchen
die Krügerdepefche auslöjte, hat mehr ald irgend etwas Underes dazu
beigetragen, breiteren Schichten des deutfchen Volkes über unjre wirks
liche Lage und die Notwendigkeit des Flottenbaues die Augen zu öffnen.
Während aber die deutfche öffentliche Meinung der Krügerdepefche
zujubelte und fich in den nächjten Jahren in immer wiederholten Scheltes
feldzügen gegen England Luft machte, hielt ich die Krügerdepefche ſelbſt
und alle fpäter folgenden Herausforderungen Englands für bedauerlich
und gefährlich. Es verriet fich in ihnen weitgehende Verkennung Eng-
lands, feiner Macht und unfrer Ohnmacht. Der ohnehin fchmwierige,
weil verfpätet unternommene Verfuch der Seemachtsbildung wurde da⸗
durch weiter gefährdet, wenn auch Englands damalige Iſolirung und
feine eigenen Schwierigkeiten mit den Buren die Gefahrenzone, durch
die wir beim Flottendeu Hindurchmußten, zunächſt den Blicken ver
deckten.
Ich ſtehe noch heute auf dem Standpunkt, daß der Verfuch gar nicht
unterbfeiben Eonnte, durch den Bau einer Flotte ung zur wirklichen
weltpolitifchen Freiheit hindurchzuarbeiten. Dem deutjchen Volk mird
e3 in den auf den Weltkrieg folgenden Sahrzehnten nicht erfpart bleiben,
bie Gegenprobe zu erleben und zu erfahren, was es heißt, dem Bes
lieben der Angelfachfen ausgejegt zu fein. Wer freilich davon überzeugt
ift, wie feien von Natur oder infolge unſres gefchichtlichen Zuſpät—
kommens überhaupt ungeeignet, Seemacht zu bilden, und hätten ung
infolgedeffen von vornherein in die britiſche Vormundſchaft fügen jollen,
der muß zu einer Verurteilung meiner damaligen Gedankengänge ges
langen. Wenn ic) nicht den Glauben an die geoße Zukunft des deutjchen
Volkes auf der Erde gehabt hätie, würde ich nicht die Kraft beſeſſen
haben, ihn eine Flotte zu bauen. Infofern habe ich mic) vielleicht ges
täufcht, wenn ich auch überzeugt bin, daß bei einer Politif der größeren
Vorficht einerjeits, der größeren Tatkraft anderfeits dieſer Verjuch, zur
weltpolitiſchen Freiheit durchzudringen, gelungen wäre. Auch noch im
Meltfrieg hatten wir bei anderer Führung wohlbegrändete Ausficht, ung
zu behaupten. Wollte man aber bie Flotte nicht bauen und von den
Neunziger Sahren ab ben Weg des Verzichtes befchreiten, dann hätten
wir auch Handel und Induſtrie freiwillig zurückſchrauben, unſre Aus:
58 Flottenpläne
wanderung wieder in Fluß bringen und unfre Auslandsintereffen vers
fümmern lafjen müffen. Dann hätten wir, wie Lichnowsky fagt, den
‚Angelfachfen und den Söhnen Jahwehs“ das Feld überlafjen und
ung mit dem alten Ruhm begnügen müſſen, das Salz der Erde, der
Völferdünger zu fein. Eine Sllufion aber war und ift es zu glauben,
die Engländer hätten ung im Zuftand der Flottenlofigkeit etwa mehr
gefchont und unfern wirtfchaftlichen Auftrieb ungehemmt fich weiter
vollziehen laſſen. Sie hätten uns dann wohl fchon früher Halt ges
boten. Darüber Fonnte fich, wer die Engländer Eannte, nicht im Zmeifel
fein. Die Vernichtungsrufe in der englischen Publiziftif der Neunziger
Jahre waren bei weiten nicht dag einzige Anzeichen dafür, daß der un
bequeme, aber ohnmächtige deutfche Wettbewerber bei der erften ficheren
Gelegenheit niedergefchlagen werden würde. Der Deutfche, der guts
gläubig es für fein Necht hielt, fich friedlich auf der Welt augzus
breiten und allerorten namentlich den englifchen Einfluß zu überflügeln,
verjete fich im Allgemeinen nur ungenügend in das Gefühl der älteren
Beier, die in uns den Eindringling erblidten; auch von der eigen-
tümlichen Zufammenfegung der englifchen Macht, von ihrer Fähigkeit,
mit geiftigen und materiellen Machtmitteln dag Deutfchtum einzu=
kejjeln, hatte man bei ung eine ganz unzulängliche Vorftellung, bie
der Weltkrieg die Wirklichkeit enthüllte,
3
Der Pan einer deutſchen Schlachtflotte ift noch ohne Gedanken an
einen Krieg mit England gefaßt worden. Es wäre politifch wie ſtra⸗
tegifch hirnverbrannt erfchienen, die Möglichkeit eines ſpäteren Ans
griffs auf England zu erwägen. Vor dem Jahr 1896, namentlich
unter Caprivi, war, wie bemerkt, die Vorftellung beliebt gemwefen,
England als maritime Ergänzung des Dreibunds gegen Frankreich und
Rußland aufzufaffen. Auch Verteidigungsmaßnahmen gegen England
zu entwerfen, lag damals Fein Anlaß vor. Der von mir ausgearbeitete
DOperationsplan von 1895 faßt den Zweifrontenfrieg ing Auge und
rechnet bei allen feinen Einzelheiten mit einem neutralen England.
Sch ging von der Vorausfegung aus, daß wir den Krieg gegen Franf-
reich nicht als Kreuzerfampf, fondern mit einer Seefchlacht eröffnen
follten. Hier liegt der Urfprung unfres Schlachtflottenbaues, der dann
zu Unfang des Jahres 1896 ducch die unvermuteten Drohmaßnahmen
Mein Operationsplan von 1895, Die Erwerbung Helgolands 59
der britifchen Flotte, ſowie ducch die immer unverhüllter hervorbrechende
Handelseiferfucht freilich bald eine englifche Front zu der franzöfifchen
binzugewinnen mußte. Die Engländer ftellten nach der Krügerdepefche
ein fliegendes Gefchwader eigens gegen ung in Dienft. Dies warf in
unsre Flottenbauzüberlegungen einen neuen Gefichtspunft und wur bie
Beranlafjung, weshalb Stofch feinen Operationsplan zur Verteidigung
gegen England ausdachte, den er im privaten Meinungsaustaufch mit
mir erörtert hat. Der erfte amtliche Operationsplan gegen England iſt
im Admiralftab erft im Lauf des Zwanzigſten Jahrhunderts bearbeitet
worden,
Mie fern der Marine vorher diefe englifche Belaftung lag, wie völlig
wir durch die Arbeit für den Ztveifrontenkrieg in Anfpruch genommen
waren, zeigt unſer Verhalten gegenüber dem Vertrag, der und 1890
Helgoland im Austaufch gegen Sanfibar uſw. erwarb. Die Marine
legte Beinen großen Wert auf die Erwerbung Helgolands. Sch felbft
hatte allerdings fehon 1870 in einem Brief an meinen Vater, der eine
Art von erftem Flottenplan enthielt, auch Helgoland gefordert. Aber
die Möglichkeit, die noch 1870 einem franzöfischen Gefchwader gegeben
war, dort zu ankern, war nicht mehr zu befürchten, jeitdem wir Torpedos
hatten. An den Wert Helgolands in einem Krieg mit England aber
dachten wir überhaupt nicht. Die Bedeutung der Inſel für die See:
kriegsführung entjtand eigentlich erſt, als ich den technifch gewagten
Entfchluß faßte, einen Hafen aus ihr zu machen, der (1906) den
Felſen zum Stützpunkt für Seeftreitfräfte erhob und eine enge Blokade
unfrer Küfte erſchwerte.
Caprivi's Grund bei der Ermwerbung Helgolands war alfo nicht
ſowohl deſſen militärifche Bedeutung, der wir Faum Beachtung ſchenk—
ten, wie vor allem der Wunjch, fih mit England aut zu ftellent).
Die erheblichen Zugeftändniffe in Afrika, die er für Verbefferung eines
„Schönheitsfehlers” der deutfchen Küfte darangab, erregten damals
in Teutſchland Entrüftung. Sch perfönlich habe den Wert Sanfibars
im Jahre 1890 nicht fehr hoch eingejchätt, da bei günftiger Ent:
wicklung Deutfch-Dftafritas der Handel an der Inſel vorbei nach dem
Seftland ftreben mußte.
%) Die Marine nahm den neuen Befit infofern fogar mit geteilten Empfindungen
entgegen, als feine Befeſtigung zunächft der Flotte für die damalige Zeit unver:
bältnismäßig große Summen entzog.
60 Flottenplane
Zur Zeit jenes Briefwechſels mit Stoſch war ich ſchon zum Staats⸗
ſekretär auserſeben. Als aber Hollmann im Reichstag ein Vertrauens⸗
votum erhielt, zögerte der Neichskanzler Fürſt Hohenlohe mit einem
Perſonalwechſel. Zu Oſtern 1896 erhielt ich meine Kommandirung
als Chef der oſtaſiatiſchen Kreuzerdiviſion und damit das Glück, vor
Übernahme des Reichsmarineamts und Inangriffnahme des Flotten⸗
baus noch einmal einen Blick in die überfeeifchen Sintereffen des Deutjche
tums zu tun. Sch nahm aus Berlin den Auftrag mit, an der chinefifchen
Küfte einen Pla auszufuchen, wo Deutfchland einen wirtjchaftlich-
milttäriichen Stützpunkt errichten könnte.
Achtes Kapitel
Tſingtau
1
An der Aufſchließung Chinas für den Welthandel beteiligte ſich
deutſche Arbeit an führender Stelle, durfte aber bei der Mandſchu—
tegierung auf Eein befonderes Verſtändnis dafür rechnen, daß Deutjche
land ein freundfchaftliches Intereſſe an der Aufrechterhaltung der
chineſiſchen Unabhängigkeit befaß. Der Mangel eines Stügpunftes
ſchob uns, von allem andern abgefehen, ſchon darum in’s Hinter
treffen, weil der einzige Machtfaktor, der die deutfche Arbeit fchüßte
und auf die frembdenfeindlichen Behörden Eindruck machte, unfer fliegen:
des Geſchwader, mit Sein oder Nichtſein von den Hongfonger Dods
und damit von der britifchen Gnade abhing. Sollte der deutiche Handel
immer mehr aufhören, ein Zwifchenträger zwifchen englifchen und
chineſiſchen Erzeugniffen zu fein, und deutfche Waren auf den afiatifchen
Markt werfen, fo bedurfte er ebenjo wie unſer Geſchwader eines eigenen
Hongkongs.
Die drei mir aufgegebenen Orte waren Amoy, ein dichtbevölkertes
Inſelchen mit Vertragshafen nordöſtlich von Hongkong, die nördlich
davon gelegene öde Samfabucht und die Tſchuſaninſeln an der öft-
lichen Spitze Chinas bei Schanghat. Tſingtau (Kiautfchou), yon dem
auf Grund Kichthofenicher Empfehlung früher einmal die Rede ge
weſen war, wurde mir als ‚fallen gelaſſen“ bezeichnet, weil es zu
weit nördlich und außerhalb der großen Handelsjtrafe läge; auch
mein Amtsvorgänger hatte 1895 Zfingtau für unbrauchbar erklärt,
Außerdem wurden Auswärtiges Amt und Reichsmarineamt bei ihrer
Vorliebe für Amoy durch politifche Gründe beftimmt; man fürchtete
nämlich ruffifchen Einfpruch gegen eine Feitfezung im Norden, wäh⸗
rend auf die Zfchufaninfeln ein britifches Vorkaufsrecht beftand,
Noch vor eigenem Augenfchein gelangte ich durch Befragung zahl
reicher Techniker und Kaufleute, ſowie aus der Literatur, zu ber Übers
62 Tſingtau
zeugung, daß alle drei mir aufgegebenen Orte ungeeignet wären und
daß für den auch hier zu ſpät gekommenen Deutſchen, nachdem die
Briten ſchon in den Vierziger Jahren die ganze Küſte abgeſucht hatten,
außer Vertragshäfen und Tſchuſan überhaupt nur noch die ungefaßte
Perle Tſingtau in Frage käme. Ein Stützpunkt mußte für die Flotte
brauchbar fein, mwirtfchaftliches Aufblühen verheißen und eine fpätere
Verteidigung ermöglichen. Hauptbedingung war mir die mwirtfchaftliche
Entwicklungsfähigkeit; eine rein militärische Baſis zu Schaffen fchien
mir nicht geraten.
Sn der Samfabucht Fand ich bei fpäterer Ortsbefichtigung eine fchmale
Einfahrt, in welcher ein gefährlich ftarfer, wirbelreicher Strom herrichte;
grüne Sinfeln, die in der riefigen Bucht Tagen, vermwandelten fich bei
Eintritt der Ebbe im fteile Felfenzinnen. Rings war das öde Haff von
Gebirgen umgeben, die nur mit Saumtieren befchritten wurden. Wie
follte diefe Fieber und Typhusbucht je mit der ‚Halbmillionenftadt
Futſchou in Wettbewerb treten Fönnen, welche nicht weitab jenfeitg der
Berge am Minfluß den Handel aufnahm!
Die Tſchuſan-Inſeln eigneten ſich zur Verteidigung fo wenig wie
Samfabucht oder Amoy. Vor allem aber: fie lagen vor Schanghai
ähnlich wie Helgoland vor Hamburg. Der Handel ftrebte an ihnen
vorbei. Verwicklungen mit England waren außerdem mwehrjcheinlich,
wenn wir darauf losgingen.
Amoy, ein englifches „‚Settlement”, das mwegzunehmen ung Fein
Recht zuftand, verjprach wirtjchaftlich geringen Nuten. Es war noch
Ausfuhrort für Kulis nach Manila; fein Teehandel im Sinken; feine
für die Segelfchiffe wichtige Lage zu den Monfuns durch die Dampf:
ſchiffahrt mehr und mehr entwertet; das Ganze im Nückgang.
In Tſingtau beftand die Möglichkeit Befeftigungen zu fchaffen.
Eine gefchloffene Bucht war da; das nördliche Klima von Vorteil.
Das Fehlen einer Wafferjtraße, eine arme übervölferte Provinz als
Hinterland ſchreckten nicht ab, da überwiegende Anzeichen ungewöhn⸗
licher Entwiclungsfähigfeit vorlagen. Alle Nachrichten wiefen in dies
felbe Richtung. Kurz, ich fah mich, wenn Tfingtau nicht mit in Bes
tracht kommen jollte, vor eine unmögliche Wahl geftellt.
Eines Tages traf ich beim Spaziergang. am Tſchifuer Strand den
Kommandanten des „Iltis“, Kapitänleutnant Braun, meinen alten
Hlaggleutnant, mit dem ich elf Jahre zufammen gearbeitet hatte und der
Eine unangenehme Aufgabe 63
auch noch auf der DOftfeeftation meine rechte Hand geweſen war. Wir
_ waren aufeinander eingefpielt und er veritand mich fofort, ftudierte
meine Vorarbeiten und Fam andern Tags an Bord mit den Worten,
es wäre ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. Sch freute mich
über fein Urteil, das einzig maßgebende, das ich in jener Lage noch eine
holen konnte, und erwiderte ihm, ich würde ihm eine Order fchreiben, er
follte nach Tſingtau gehen, erforfchen und melden.
Er ging hinaus, wurde bei diefer Gelegenheit vom Taifun erfaßt
und ertran? mit dem „Iltis“. Ich war nun genötigt, die Segelorder
nach Berlin zu ſchicken, in welcher der Befehl für Braun zur Unter
fuchung der Bucht von Kiautjchou enthalten war, Nun fagte ich mir,
ich müßte auch einen Schritt weitergehen, und, obwohl ich bei der euro-
päifchen Konkurrenz dag Auffehen lieber nicht erregt hätte, fuhr ich
felbft mit dem Flaggſchiff „Kaiſer“ nach Kiautſchou.
Vorher traf ich in Tſchifu den neuen Gefandten, Heren von Heyfing,
der denfelben Auftrag, wie ich, hatte, mit feiner Gemahlin; ich forderte
ihn zu einer dienftlichen Befprechung unter vier Augen auf und merfte
bald, daß ich damit eine Ungefchicklichkeit begangen hatte, da die Fluge
Frau, die fpätere Verfafferin der „Briefe, die ihm nicht erreichten‘‘,
der wichtige Mitarbeiter ihres Mannes war. Heyfing berichtete, der
Kaiſer hätte ihm in Potsdam gefagt, nun hätte ee feinen beiten Ges
fondten und feinen beften Admiral hinausgefchict, da würden bie
beiden doch wohl zu einer Perzeption kommen; worauf er denn zielen
wollte? Darauf hätte Heyking erwidert: „Auf Amoy“. Ich fragte den
Gefandten: „wie mochten Sie einen Ort nennen, den Sie nicht kennen?“,
worauf er fagte: „Ich Eonnte doch Seine Majeftät nicht ohne eine po=
fitive Antwort laſſen.“
Darauf einigten wir uns, auf Feinen beftimmten Ort ohne innere
Überzeugung loszugehen, und ich feßte die Punkte, über die wir und
verftändigten, fchriftlich auf. Jeder follte die Orte mit feinem Apparat
unterfuchen und danach wollten wir ung gemeinfam entjcheiden, nach—
dem ich im Dezember meine Schiffe auf dem Hongkonger Dock — man
mußte das Doc immer dreiviertel Jahre voraus belegen — hätte über:
bolen laffen, um zu einer Befigergreifung klar zu fein.
Dann unterfuchte ich Tfingtau und ging von da, um ben Leuten Er:
holung im Norden zu gewähren, nach Wladimoftof. Einen alten Freund
aus Fiume, den Finnen Virenius, traf ich bier als Kommandanten
64 Klingten
des ruffifchen Slagafchiffes wieder. Er führte mich bei Zuſammen⸗
fünften fiets in einfame Gegenden, was mein deutſches Begriffsver:
mögen zunächft nicht verftand. Als ich aber einmal Admiral Alexejew,
den nachmaligen Generalgouverneue der Mandfchuret, bei mir hatte
und Virenius ald Bekannten behandelte, fragte der Admiral in fonder-
barem Ton: „So, alte Bekannte?” worauf Virenius erblaßte und fich
feitdem auffallend von mir zurückhielt. Alexejew mißtraute alfo feinem
eigenen Slaggfapitän. Ein andermal hatte ich die internationale Ge⸗
fellfchaft und die Spizen von Wladiwoſtok zum Bordfejt eingeladen,
als ich aus Berlin die Nachricht erhielt, der Zar fei deutfcher Admiral
geworden. Sch Flopfte ang Glas und ließ den Zaren lebenz der anmwejende
franzöfifche Admiral und die Seinen blieben fühl, die Ruſſen waren
gezwungen, es freundlich aufzunehmen.
Alexejew war ausgejprochener Franzojenfreund, Trotzdem hätte ich
mich als Seeoffizter der Lächerlichkeit ausgefest, wenn ich im Geſpräch
das Bedürfnis nach einer deutfchen Flottenftetion nicht offen zugegeben
hätte. Alexejew juchte mich auf die Tſchuſan-Gruppe binzulenfen, von
feinem Standpunkt begreiflich, denn dann würden wir hier draußen
dauernd gegen England gehangen haben, Sch ermittelte zuverläffig,
daß die ruſſiſche Marine den Erwerb Tſingtaus erwogen, aber als für
ruſſiſche Bedürfniffe überflüffig, ja läftig, wieder aufgegeben hatte,
Dasjelbe erfuhr ich über Pefing, allerdings zugleich, daß der dortige
ruſſiſche Geſandte, trog diefer Ablehnung ducch feine Marine, mit An:
iprüchen auf Tſingtau umging.
Heyking und die Berliner Stellen fühlten fortwährend in der Richtung
bes geringiten Widerjiandes vor, die fie bei Amoy oder Samſa ver:
muteten. Das Oberfommando kam fogar wieder auf die Tſchuſan-Inſeln
zurüd, wofür einen Augenblid lang der Yustaufch von Kamerun oder
Samoa erwogen wurde. Sch warnte vor einer chinefifchen Wiederholung
der deutjchebritiichen Transvaal-Zuſammenſtöße, falls wir uns in der
Nähe von Schanghai niederließen, und berichtete über Tfingtau als einzig
in Frage fommenden Platz, falls wir an der Erwerbung eines Stüß-
punktes in China feſthielten.
Ende November befam ich aus Berlin den Befehl, vor Amoy zu
bleiden, das Dock abzubejtellen, die Ablöfung bei mir zu behalten und
zu einer Aktion fertig zu machen. Auf meine erjtaunte Erfundigung
drahtete mir Heyking zurücd, Berlin hätte angefragt, ob zwifchen ihm
Wie es gelang, Kfingtau zu erwerben 65
und mir Einverftändnis erzielt wäre. Er hätte geantwortet: „Ja,
Amoy“; die abweifende Haltung Chinas in Eifenbahnfragen gäbe ung
zum Eingreifen freie Hand.
Sch lehnte nun die Veranttwortung für diefe Wahl ab. Jede Aktion
hätte außerdem bei ungenügender Betriebsfähigkeit der Schiffe unter-
nommen werden müffen. Die leidlichen hinefifchen Befeftigungen Amoys
mit Kruppgefchügen und ein paar Zaufend Mann Beſatzung hätten
wir wohl bezwungen; bedenklicher war die Einnahme der volkreichen
Stadt; vor allem aber, wenn politische Verftimmungen mit England
binzutraten, Eonnte ung das Docken verweigert werden, dann hingen
wir mit ausbejferungsbedürftigen Schiffen, auf denen das deutfche
Anſehen in diefem Zeil der Welt beruhte, Hilflos in der Luft.
Tage vergingen, und endlich Fam der Befehl, ich follte nach eigenem
Ermeſſen docden gehen. Von Amoy ift nie mehr die Rede gemwefen.
Mein Bericht, mit dem ich nach dem Untergang des „Iltis“ die Lage
hatte aufrollen müfjen, war in den Streit der Meinungen zu Berlin
bineingeplaßt, der Kaifer hatte einen Ortskenner zu fich befohlen, der
mir Recht gab. Die technifchen Ermittelungen des von mir für Tſingtau
erbetenen MWafferbau-Sachverftändigen find in der Offentlichkeit fpäter
als Ausgangspunkt der Erwerbung Kiautfchous angefehen mworden.
Als dann zu Ende des Jahres 1897 mein Nachfolger, der Gefchwader:
chef v. Dieberichs die deutjche Flagge dort hißte, holten die Nuffen ihr
völferrechtlich Tegendenhaftes ‚‚Necht der erften Ankerung‘ (auf welches
geftügt England nicht nur Tſingtau, fordern die ganze Welt beanfpruchen
fönnte, weil überall fchon Engländer geankert hatten) hervor, nicht wohl
um ung ernftliche Schwierigkeiten zu fchaffen, fondern um durch mög-
lichſt Hochgefchraubten diplomatischen Einſpruch fich fonftige Vorteile
zu erfaufen. Daß die Ruſſen ung lieber in den englischen Spielraum
ſüdwärts verfchoben hätten und unfre Feftfegung in der Nähe von
Peking, mo fie damals die erfie Rolle fpielten, weniger gern fahen, ift
Begreiflich; vor der feften Haltung des Katfers wichen fie zurück.
2
Die Form der Pachtung hatte ich mie ſchon in Oſtaſien fo zurecht:
gelegt, daß fie möglichft wenig nach gewaltſamem Eingriff ausfah und
ben Ehinefen erlaubte, das Geficht zu wahren; zulegt habe ich den
Pachtvertrag in Berlin gemeinfam mit Herrn v. Holftein aufgefeht.
Tirpis, Erinnerungen 3
66 Vingtau
Als Staatsſekretär des Reichsmarineamts fiel mie nunmehr von 1893
ab die innere Eroberung des Neuerworbenen, die Rechtfertigung unferes
Schrittes durch friedliche Kulturarbeit zu; ed galt, mit mäßigem Kas
pitalsaufivand Werte zu wecken, deren VBorhandenfein die Chinefen
felbft nicht ahnten, und mit großem Zug in Fleinem Rahmen zu zeigen,
wozu Deutfchland imftande wäre. Die fechzehn Jahre unferer Arbeit
in Zfingtau, Torſo geblieben und einer noch weit größeren Entwic-
lung, die wir vor uns hatten, für immer beraubt, haben fich der frem⸗
den Erdhälfte unverwifchbar eingeprägt. Im Vergleich mit dem 55 Jahre
älteren britichen Hongkong war die Entwicklung des öden Fifcherortes
zu einer Stadt von 60000 Einwohnern und wichtigem Hafenplaß troß
erfchwertem Wettbewerbe geradezu ftürmifch und doc, in jeder Hinficht
gejund.
Die Größe des Gebiets war genau für unfere Bedürfniffe umfchries
ben. Sch empfahl, nur foviel zu nehmen, wie für Fünftige Befeftigung
und Ausbreitung der Siedelungs- und Fabrifanlagen erforderlich war.
Das ganze Pachtgebiet wurde von ung enteignet. Sch hatte in Oft:
afien die großen Nachteile kennen gelernt, die eine fchranfenlofe Boden-
fpeEulation in den dortigen europäiſchen „Settlements“ mit fich ges
bracht hatte. Eine Frage, die ja auch in der Heimat des Studiums
wert ift. Wir mußten ung für Tfingtau fofort entfchließen. Sch kaufte
daher den Leuten das Land zum damaligen Werte ab, vielleicht auch um
eine Kleinigkeit teurer, um fie zufrieden zu ftellen, was in Anbetracht der
vorauszufehenden Wertfteigerung Feine Bedeutung hatte. Die Leute konn⸗
ten vertraglich auf dem Boden bleiben, folange fie wollten und wir das
Land nicht brauchten, Außerdem hatten mwir noch einen erweiterten Kreig
um Zjingtau, die fogenannte neutrale Zone, durch welche wir Truppen
marfchieren laffen Fonnten, fodaß wir bei den Unruhen in Schantung
unfere Hand über die nächſte Umgebung gehalten haben.
Daß Tſingtau nicht dem Kolonialamt unterftellt wurde, habe ich
grundfäglich ducchgefegt. Die Sache mußte, wenn fie gedeihen follte,
in einer Hand bleiben. Die Marine hatte unmittelbare militärifche
Sintereffen dort, ferner Unterfunftsnotiwendigkeiten, Docs, den Hafen
uſw. Neibungen mit einer befonderen Kolonialverwaltungsbehörde
wurden beſſer vermieden. Da mir die Verantivortung für den
oftafiatifchen Stügpunft übernommen hatten, war ich ber Unficht,
daß wir geeigneter feien, auch die wirtfchaftliche Entwicklung vorans
Das eigene „Neich“ der Marine 67
zutreiben. In demjelben Sinne freilich, wie ich in meinem Brief an
Stoſch die Verknüpfung aller Seeintereffen in der Hand des Reiche:
marineamts nur für zeitweilig wünfchensiwert erklärte, bis fich diefe
Sntereffen zu voller Kraft ausgewachfen haben würden, jo hielt ich
es für möglich, daß auch Tſingtau, wenn es einmal „fertig“ war, fich
felber von der Marine ablöfen würde. Aber der Zeitpunkt dazu war noch
nicht gefonmen. Die Reichsbürofratie war diefem eigenen Reich der
Marine nicht unbedingt freundlich gefinnt. Das Auswärtige Amt zeigte
eine gewiſſe Eiferfuchtz der fehleunigft nach Tſinanfu geſetzte Konjul
forgte dafür, daß unfer Einfluß nicht nach Schantung übergriffe.
Sch teile in mwefentlichen Stücken Carl Peters’ Urteil über unfere
ursprüngliche Kolonialbureaukratie. Ihr anfängliches Verfagen ift dop⸗
pelt bedauerlich, weil der Deutfche als folcher das Zeug zum Koloni=
fator in hohem Grade befitt. Auch verfteht er eg, die Eingeborenen
zu befriedigen. Sch erinnere daran, daß Lettow-Vorbeck bei feinem
Übertritt auf portugiefifches Gebiet von den Eingeborenen als Bes
freier begrüßt worden ift. Unfere Kolonien hätten fich jedenfalls in
mancher Hinficht günftiger entwickelt, wenn fie anfänglich mit militä-
riſchen Heimatsbehördegp vereinigt gemwefen wären. Für die Marine
ſelbſt wäre das natürlich eine zu große Belaftung geworden. Erſt wenn
einmal das Flottengefeß fertig ausgeführt war, wollte ich meinem
Nachfolger die Aufgabe hinterlaffen, vem Bau von Stützpunkten näher
zu treten. Vom Kolonialamt wurden diefe nicht beachtet, und doch
waren fie Vorbedingung für die Entwicklung eines etwa notivendig
twerdenden Kreuzerkriegs und vor allem für die Verknüpfung des über:
feeifchen Deutfchtums. Aber was hätte man, hiervon abgefehen, 3. B.
für die Verteidigung von Deutfch-Oftafrika mit Teichter Mühe tun können,
wenn man fich im Frieden mehr darum gefümmert hättel Die Marine
bat ja auch für die anderen Kolonien Arbeit und Blut gegeben.
Für Tſingtau hatten wir nun eine große Reihe von Zechnifern und
Beamten zur Hand, die wir aus dem großen Topf der Marine nehmen
und ohne weiteres dahin zurückgeben Fonnten, falls fie fich als ungeeignet
eriviefen, während das Kolonialamt nur ein bürokratifches Kopfitüd
war. Wir waren imftande, den Hafen, die Stadt, die Anlagen uſw.
felber zu bauen. Unfere Mannſchaften haben im Pachtgebiet überall ge=
arbeitet; wir Fonnten die Marinemwehrpflicht beibehalten und was wir
an Truppen dort brauchten (ein Seebataillon) war von vornherem
5*
68 Klingteu
den Marineverhältniffen angepaßt; wir hatten Arzte, die ſchon tropen⸗
gewöhnt und geübt waren, Lazarette einzurichten uſwp. So fühlten
wir ung nicht bei jedem Schritt durch Neichsfchagamt und Reichstag
gefnebelt, wie es beim Neichskolonialamt der Fall gemejen wäre.
In früheren Tagen war ein ſtarker Handel nach der Kiautfchoubucht
gegangen, ber mit dem Verfonden des Hafens eingefchlafen war. Da
wir innerhalb der gegen ſchweren Seegang gejchügten Bucht Felfenriffe
zum Ausbau eines Binnenhafens benugen Eonnten, wurde biefer mit
verhältnismäßig geringen Koften gebaut. Dann wurden Kaianlagen und
Docks gefchaffen, die wir beliebig hätten vergrößern Fönnen. Tſingtau
fing an, ein Einfuhrplab für das in China ſtark gebrauchte Petroleum
der Sundasfinfeln zu werden. Ein großartiger Auffchwung des Ortes
war allein fchon durch die Schantungkohle, einen in Oftafien fehr be
gehrten Gegenftand gegeben. Der eigene Kohlenplat im Schußgebiet
war von grundlegender Wichtigkeit. Gerade als der Krieg ausbrach,
war für Tſingtau auch die Verhüttung der Erze gefichert, die in Poſchan
gegraben werden. Sch habe dies durchgefeßt, weil Tfingtau in unferer
abfoluten Herrfchaft vor örtlichen Unruhen gefchügt war. Das zu er:
tichtende Eiſenwerk mit Stahle und Walzwerk ermöglichte die Anſied⸗
lung von Snduftrieunternehmungen. Keine Eifenhütte in ganz Oftafien
und Weſtamerika hatte ähnliche Ausfichten; der Eiſen- und Stahlmarkt
dort wäre in unfre Hand übergegangen, und die in diefem Grad ers
weiterte swirtfchaftliche Bedeutung Deutjchlands mußte unfere politifche
Stellung heben und auf alle übrigen deutfchen Ausfuhrzweige zurück
wirken.
Die Wertſteigerung Tſingtaus war auch deshalb zu erwarten, weil
an der ganzen näheren Küſte kein einziger natürlicher Hafen lag und
die Möglichkeit einer günſtigen Eiſenbahnverbindung Tſingtau zur Aus⸗
gangsbucht für Peking machen mußte, ja ſogar, was ich zuerſt noch
nicht überſah, für die Linie nach Moskau über Irkutsk, wodurch die
beſte Verbindung von Europa nach Oſtaſien nebſt Auſtralien entſtand.
Die Schantungbahn erſchloß das vernachläſſigte Hinterland Tſingtaus.
Wir ſtanden vor unbegrenzten Möglichkeiten wirtſchaftlicher Blüte.
Die Aufſtände in China zwangen uns, den fogenannten Borerfchuß
buechzuführen, die Umwallung des Stadtaebiets in einer Länge von
fünf Kilometern von Waffer zu Waffer. So vermieden wir die unmittels
bare Nachbarſchaft mit China und befeiiigten das Eindringen der Un⸗
Kolonifatorifche Tätigleis 69
ruhen in unfre Nähe zur großen Befriedigung der reichen Chinefen, die
mit Vorliebe nach Zfingtau ftrömten. Die Chinefen wurden im Gegene
fat zu Hongkong in einem befonderen Viertel angefiedelt, ein Zuges
fändnis an die Europäer, das wir allerdings mit Nückficht auf die
wohlhabenden Chinefen vielleicht nicht hätten durchhalten Fünnen. Die
Eingeborenen hatten bald Zutrauen zu unferer Gerichtsbarkeit; ihre
Stadt, der wir in hohem Maße GSelbfiverwaltung Tießen, blühte auf.
Das Klima war verhältnismäßig gut; es entwickelte fich ein großes
Babdeleben. Fieber und Typhus haben wir durch ein Waſſerwerk erfolge
veich befämpft und die Seuchen, die China von Zeit zu Zeit verheeren,
durch die gejundheitliche Überwachungslinie an der Borerftellung fern-
gehalten. Den Gefundheitszuftand verbefferten wir auch durch groß:
zügige Aufforftungen. Unfre Bewaldungsanlagen wurden ein Beifpiel
für ganz China, wo man bis dahin nicht geglaubt Hatte, daß man ent=
waldetes Land wieder aufforfter könnte. Die Chinefen hatten den Wald
bis auf den lebten Halm abgekratt, und die Negenperiode legte große
Mildfchluchten ins Land. Auch ung gelangen die Waldungen auf dem
bumusentblößten Gelände im Anfang nur mit Mühe. Zhr fchließlicher
Erfolg ermöglichte auch andere Anpflanzungen. Diefer Waldfchug impo⸗
nierte den Chinefen fo, daß fie die Sache eifrig ftudierten. Wir legten
Baumfchulen an und unterwiefen die Einheimischen, mit denen wir auch
hierdurch in ein immer befjeres Verhältnis traten. Rings in der Gegend
lehrten wir auch dag Okulieren der Obſtbäume, das den Chinefen noch
fremd war; fie kamen in Maſſen, um fich die Pfropfreifer von ung zu
holen; die Obſtkultur Schantungs nahm zu. Das erfte moderne Schlachte
haus Oftafiens, das wir in Tfingtau errichteten, begann ung zu Fleifch-
erporteuren zu machen.
Wir bemühten ung, mit den Chinefenbehörden gut zu ftehen; die
Bernünftigen unter ihnen gelangten immer mehr zu der Überzeugung,
daß die Befeung Tſingtaus ein Segen für fie war. Die Chinefen haben
ung anerkannt und find zufehends mehr zu ung gefommen. Vielleicht
weil fie felbit ein altes Kulturvolk find, haben fie begonnen, ung höher
zu ftellen als die Angelfachfen. Sch bin nicht der Meinung, daß wir
vor dem Kriege irgendwie an tatfächlichen Leiftungen hinter den Angels
jachfen zurückblieben, auch nicht in Polonifatorifcher Hinficht, nicht eine
mal in Afrika, wo die Verwaltung nur vielleicht etwas großzügiger hätte
verfahren follen. Ich möchte nicht annehmen, daß wir den Angelfachien
70 Tſingtau
irgendeine Weltmiſſion zuerkennen ſollten, die wir nicht ſelbſt wahrſchein⸗
lich beſſer vollbracht hätten, wenn nur die materielle Grundlage geſchaffen
war. Der Deutſche hatte ja noch etwas vom Emporkömmling, er ſtand
an Selbſthilfe hinter dem Angelſachſen zurück. Aber es war alles ſo
ordentlich und gediegen bei uns, es waren trotz manchen auf den Schein
und den Augenblick befohlenen Anordnungen von oben, im Ganzen Lei⸗
ſtungen, die ſich ſelbſt durchſetzten auch auf Gebieten, welche die Eng⸗
länder als ihre Domäne anfahen, wie dag Kolonifiren, weil bei ung
noch der deutfche Fleiß dahinterfteckte.
Der Aufftieg Tfingtaus jedenfalls war ein Steeple Chafe, beſonders
da es im progreffiven Zeitmaß meiterzugehen verfprach. Auch die Deut:
ichen Chinas gemwöhnten fich mehr und mehr daran, in Zfingtau
zu fiedeln und die Stadt ald Sammlungsplag des deutfchen Wefens
anzufehen.
3 .
Dem Auslandsdeutfchtum hatte die Marine ihr Herz gefchenkt, feit
Stoſch von Beginn feiner Tätigkeit an der Flotte das Ziel fette, bie
Melt Fennen zu lernen und die Deutfchen in der Fremde heranzuholen.
Mie hatte doch in den Zeiten unferer Machtlofigkeit deren Heimatſtolz
darniedergelegen! Im Kriege von 1870 hatte im englifchen Hongkong
nur ein einziger Deutfcher, Herr Siebs von ber Firma Siemſſen es
gewagt, fich zu feinem Vaterlande zu befennen; die meiften hatten es
mit Herrn Schwarzkopf gehalten, der fich in einen Mr. Blackhead ver
wandelte. Im allgemeinen hat fich, von Europa abgefehen, das Deutfch
tum aus eigener Kraft nur in den lateinifchen Staaten Südamerikas
gehalten, obwohl das fo fehlerhafte v. d. Heydtfche Nefkript vom Sahre
1859 die Auswanderung gerade dorthin zugunften Nordamerikas
lahmgelegt hatte, in der Meinung, für das zukünftige Wohl der auss
wandernden, ung boch verloren gehenden Deutfchen väterlich vorzus
forgen. Als 1900 im Staatsminifterium Graf Bülow vorfchlug, diefes
Refkript endlich zu befeitigen, fprachen fich noch damals einzelne Stim⸗
men für feine Beibehaltung aus!
Viele Millionen Deutfche, die ausmwanderten, gingen uns innerlich
wie äußerlich verloren und befruchteten unfre fpäteren fchlimmften
Gegner. Ohne vergangne und gegenmärtige deutfche Arbeit hätte die
Entente bei weiten nicht das geleiftet, was fie uns antat; eine ber
bitteren Erkenntniffe unfrer Lage.
Auslanbsbeutfchtum und Marine 711
Mar das Aufgehen im Amerifanertum bei den Verhältniffen, die
unfere Auswanderer dort antrafen, auch an fich unvermeidlich, fo ent⸗
fprang doch die Art und die Schnelligkeit, mit welcher das Aufgeben der
eigenen Nationalität fich vollzog, unferem wenig ausgeprägten Nationale
finn. Mit wehem Gefühl Habe ich einen ungeheuren Fadelzug erlebt,
ben, wenn ich mich recht entfinne, 14000 ehemalige deutfche Soldaten,
alle in guten Jahren, in New Mor dem Prinzen Heinrich zu Ehren
brachten. Wenn bei diefen Leuten gelegentlich die Frage der Nationalität
berührt wurde, fo war der Ausspruch geläufig: Wir denfen an Deutfch-
land als an unfre Mutter, Amerika ift aber unfre Frau, zu der müffen wir
ftehen, Auch noch weniger freundliche Erfahrungen Fonnte man drüben
machen. Die ideellen Güter, welche die Heimat voraus hatte, wurden ver:
geffen lediglich um der materiellen Vorteile des amerikanischen Lebens willen.
Sn der Harvardsllniverfität führte mich einmal ein Profejfor aus guter
deutſcher Familie, der an einer heimifchen Univerfität Privatdozent
geweſen war. Er war erft vor wenigen Jahren herübergefonmen, er:
zählte aber, daß er ſchon amerikanischer Bürger geworden fei. Die Art,
wie er dies ausfprach, berührte mich nicht angenehm, und ich benußte
eine pafjende Gelegenheit, um mich bei der ferneren Befichtigung einem
anderen ber amerikanischen Herren anzuschließen. Gegen meine Abficht
muß der ehemalige Deutfche doch eine Empfindung von dem Eindrud
feiner Mitteilung auf mich empfangen haben, denn er fagte zu dem
mich begleitenden Seeoffizier: „Ihr Chef fcheint fich gewundert zu
haben, daß ich bereits amerikanischer Bürger geworden bin, aber Sie
werden es verftehen, ich bin hier früher Profefjor geworden, als ich es
in Deutjchland geworden wäre, und da muß ich doch dankbar fein.”
Mas der Herr von Deutschland mitgenommen hatte, fpielte offenbar
keine Nolle mehr. Sch führe folche Beifpiele, deren ich viele in Erinnes
rung habe, nur an, um den Mangel an nationalem Stolz, Gefinnung
und Verpflichtung zu charakterifieren, der unferem Volk verhängnis⸗
voll anhaftet.
Bei folchen Erfahrungen und Eindrüden von beutfchen Kultur⸗
dünger haben mich Feftftimmungen und Denkmalsenthüllungen, die bei
ung nicht fehlten, immer mehr Falt gelaffen. Die zehn Millionen Nord:
amerifaner deutfcher Abkunft haben gemäß ihrem von der Heimat mit-
gebrachten Nationalcharakter Deutjchland zugrunde gehen lajfen, ohne
einen Finger zu rühren. Wie andere Rückſicht erzwingen fich die Irlän⸗
72 Tſingtau
der, und doch wird man nicht behaupten wollen, daß Irland ſeinen aus⸗
wandernden Kindern mehr Kulturwerte mitgegeben habe als Deutſch⸗
land. Mit Schmerz habe ich im Tabernakel der Mormonenſtadt rings
um mich ſchwäbeln gehört und vernehmen müſſen, wie ein Miſſionar,
der in das „Land der Heiden geſchickt wurde, um Bekehrungen vor⸗
zunehmen, gewiffe Gegenden Deutfchlands als befonders fruchtbar für
feine Arbeit fehilderte. indes, wenn man auch faft auf der ganzen
Erde in die Lage Fam, über das eigene Volk, trog feinen großen Lei-
ftungen, trauern zu müffen, und wenn bei den Deutfchen draußen
häufig das perſönliche Intereſſe allein den Ausfchlag gab, während jeder
Engländer faft felbftverftändlich ein Agent des Foreign Office, war,
fobald es fih um englifche Intereſſen handelte, jo hatte man boch
in ber letzten Zeit vor dem Kriege angefangen, das reiche Kapital,
welches wir in unferen Auslandsdeutfchen befaßen, mehr auszunugen.
Mit der fteigenden Kraft und Würde des Deutschen Reiches, ingbefondere
mit dem Aufblühen feiner Seegeltung, begann fich auch das Auslands⸗
beutfchtum dem Blut und der Kultur nach wieder mehr als berechtigtes
und verpflichtetes Glied eines großes Körpers zu fühlen.
Die Heranholung des Auslandsdeutfchtums, das an fich ungünftiger
über die Welt zerftreut iſt, als die angelfächfifche, ſpaniſche oder felbft
franzöfifche Auswanderung, ift von unfern Auslandsbehörden bis kurz
vor dem Krieg nur läffig betrieben worden. Es fehlte ihnen vielfach
bas warme Gefühl dafür, daß eine große Nation fich auch in ihren
zerftreuten Gliedern nicht aufgeben darf. Ich will mir nicht das böfe
Wort zu eigen machen, daß manche unfrer amtlichen Auslandsvertreter
das Vorhandenfein von Auslandsdeutfchen vorwiegend als Laft emp⸗
funden haben; doch muß ich von der Marine fagen, daß fie durchfchnitt-
lich eifriger war, das Deutfchtum zu binden und mit Stolz auf die
Heimat zu durchdringen. Wo immer deutfche Anſätze waren, haben wir
ung für Erftarfung des nationalen Zufammenhangs über See bemüht.
Um die Deutfchen zufammenzuhalten, waren die verfchiedenften Antäffe
gut. Wir find über alle Klaffenumterfchiede hinweggegangen, was in
DOftafien leichter war, als anderswo, weil dort die dienende Schicht
unter den Deutfchen fehlte. Der Gottesdienft führte ung zufammen;
an Kaiſers Geburtstag wurde alles eingeladen, mag die deutſche Sprache
fpricht; an diefem Tag ſah man alle möglichen Leute auf dem Schiff.
Draußen bindet ja Sprache und Blut viel mehr, und die Grenzftriche
Schwächen des Deutfchtums und Hefnungen auf Beflering 73
verwiſchen ſich; die Sftreicher vechneten überall zu uns, fogar bie
Schweizer. Auch unfre Kauffahrtei, die früher nur zu geneigt mar,
ſich an die anderen anzufchmiegen, iſt durch diefes Veftreben der Kriegs:
marine nationaler geworden.
Wie das Seeoffizierskorps den Dienft am Deutfchtum auffaßte,
möchte ich aus einem zu meinem Oeburistag März 1914 mir vom Kom⸗
mandanten ded „Kaiſer“ aus Südamerika zugegangenen Brief belegen.
... „Davon bin ic) jedenfalls überzeugter denn je, daß ein Hinaus—
Ihiden unferer Schiffe für Offiziere und Mannſchaften und für die Schiffe
felbft eine Notwendigkeit ift; ohne dieſe Maßnahme muß die Marine immer
fommiffiger werden — id) finde feinen anderen Ausdrud. Es fpielt aber
doch auch noch Größeres mit. Es gibt fo viel deutſches Blut im Ausland,
was feftgehalten oder wieder beliebt werden muß. Warum foll die Zeit
nicht kommen, mo das wieder einmal durchſchlägt; nicht um uns anzu:
gliedernde Staaten zu bilden, fondern um bei der Raffenbildung fich durch—
zufegen und für unfer Mutterland natürliche Abſatzgebiete zu ſchaffen, ohne
die wir daheim ſchließlich erfliden müffen. Denn können wir auch wieder
auswandern laſſen. Der Brafilioner folonifiert nicht, er befitt feine Urbeite-
kraft und läßt das Land leer. Die Raffe wird fi) dort erft bilden, wenn
das Land ſich von außen füllt. Deutfhtum zurüdgeminnen, deutfches Blut
wieder neu beleben tuen aber feine Gefandtfchaften und Konfulate, auch
die Schulen können es nur erhalten, wo die Familie noch deutſch empfindet.
Die Arbeit fann nur von ung geleiftet werden, denn fie braucht eine ſtarke
patriotiihe Stimme und ein augenfälliges Objelt, an dem man fich bes
geiftern kann.”
Und noch aus der tragifchen Tatenlofigkeit ber Marine im Jahr 1915
Schreibt mir derſelbe:
... „Das große Werk: Deutſchem Wefen und Sein in ber Welt fein
Recht zu verihaffen; das kann nur die Marine zum Abſchluß bringen.
Die nationale Kraft, die in der Heimat auf unferer Monarchie und auf
unferem ftarfen Heer beruht, fie Binauszutragen in die Melt, dazu ift Die
Marine gefchaffen, aus diefem Gedanken ift fie für Das Voll geboren. Ich
höre es aus allen Briefen heraus, die id dann und mann jeßt aus Süd—
amerifa noch erhalte: die Freude über ben wachſenden deutſchen Beift
und über den Zufammenfchluß alles Deutfhen, auch da, mo er ſchon ver:
foren ſchien. Und dann hinterher der Gedanke: menn ber Friede wieder
eingezogen ift, dann follen unfre Schiffe wiederkommen, das Band deutjchen
Empfindens unlösber zu knüpfen.“
74 Tſingtau
So begann Wurzeln zu faſſen, was ich in die Marine hineie
zupflanzen mich bemüht hatte, und fie Fam als Pionier des Deutfche
tums immer ftärfer zur Wirkung, je weniger bie Flotte gezwungen
war, ihre ganze jugendliche Kraft im Heimathafen zu verbrauchen.
Als der Krieg ausgebrochen war, fah ich die unermeßlichen Augfichten
unfrer Weltgeltung und damit auch unfer heimifches Schickſal daran
hängen, daß wir den Krieg mit einer Stellung gegen bie Angelfachfen
verließen. Die durch die Zatjache des Krieges zeritörten Auslande-
werte Eonnte freilich nur ein Sieg voll erſetzen. Aber auch wenn wir
der Übermacht mit Würde unterlagen und mit Ehren fielen, Eonnte
ber deutjche Name in der Welt die Achtung bewahren. Die Zukunft
des Auslandsdeutfchtums und unjrer ganzen jo Fünftlichen und fo un:
entbehrlichen Weltftellung hing davon ab, ob es die Menfchen mit Stolz
erfüllen konnte, Deutjche zu fein. Nichts hatte das gefchäftliche Auf:
blühen der Japaner in unferer Zeit oder der Deutfchen nach 1870 tiefer
defruchtet alg die bewiejene Kraft und Zapferkeit.
Die Welt hatte noch Pla für viele Deutfche, die als folche, nicht
nur als Lohnſklaven oder Überläufer fremder Raſſen ihr Auskommen
fänden, fo lange ihnen die Nationalehre zu teuer war, um fie zu ver⸗
kaufen. Ein längerer Friedenszuftand, oder fchließlich auch ein Kriege:
ausgang, der und als ganze Leute zurücließ, hätte unfer Zufpäts
kommen in leßter Stunde noch ausgeglichen. Wenn wir ein wirkliches
gleichgeachtetes Weltvolk wurden, wozu die Möglichkeit vorlag, und
die Heimat dann fo voll von Menfchen wurde, daß wir davon abgeben
mußten, fo blieben fie in der Ferne deutfch und wurden für ung ein
Zuwachs ftatt eines Blutverluftes,
Die weſentlich im Gefichtsfeld der europälfchen Diplomatie auf:
gewachjenen Politiker, die in der Entfcheidungsftunde des Deutfche
tums die Reichsſchickſale Ienkten, hatten die Bewegung nie gefühlt, die
durch die noch bildfame Mafje des Deutfchtums ging. Sie verftanden
kaum, worüber der Krieg entfchied und was für ung alle, insbefondere
auch für unſre Arbeiter, daran hing, daß der deutfche Name in jedem
Winkel der Erde flieg ſtatt fank.
4
Es wäre für ung befonderd wichtig gewefen, wenn wir Die deutiche
Sprache in China vorwärts gebracht hätten, eine ſchwierige Aufgabe,
Seekarten. Die Hochſchule in Tſingtau 75
weil ſie der engliſchen als Geſchäftsſprache in manchen Beziehungen
unterlegen iſt. Eines der Mittel, mit denen England in der ganzen
Melt feine Sprache ausgebreitet hat, ſind die Seekarten. Indem Eng⸗
land faſt die ganzen Meere vermaß, erfüllte es eine große Kulturauf:
gabe. Sm vorigen Jahrhundert fuhr im wefentlichen alles nach enge
lichen Karten; andere gab es höchftens in örtlich engen Begrenzungen.
Auch unsre Kauffahrtei war gewöhnt, mit englifchen Karten zu fahren,
jelbft da, wo es deutfche Karten gab. Sch unternahm nun in ſyſtema⸗
tifcher Weile ein deutjches Weltkartenwerk herzuftellen. Wir befaßen ja
ſchon Karten von unfern Gemwäffern, die mit größerer Genauigkeit und
GründlichFeit als die englifchen bearbeitet waren, aber fie hatten manche
Eigenfchaften, an welche die Schiffer nicht gewohnt waren. Sch febte
mich nun mit unfrer Seemannswelt in Verbindung, ftellte ihre Neiguns
gen in allen Einzelheiten bis auf die Form und die Papierart feft, und
wir Famen zuleßt zu einer Anordnung, die nicht nur genügte, fondern
mit der unfre Karten die englifchen übertrafen. Nun haben wir ung
bemüht, zunächft die großen Streden mit Karten zu verfehen, die in
die hunderte gingen, eine davon war die Fahrt von Deutfchland nach
Dftafien. Ich veranlaßte dies mit aus dem Grunde, um etivag für die
Ausbreitung unferer Sprache und die Stärfung bes Deutfchtumg zu tun.
Dann errichteten wir in Zfingtau eine Hochfchule, von dem Grund:
fa geleitet, den Shinefen Fulturelle Wohltaten zu erweiſen und in der
Annahme, daß es fich auch mwirtfchaftlich bezahlte, wenn wir ihnen
unfere Kultur brächten. Der Standpunkt des Idealiſten, daß es unfere
Aufgabe fei, Bildung zu verbreiten, war mir nicht fremd, aber dabei
meine eigentliche Begründung doch, ung felbjt durch folche Vertiefung
unjerer Arbeit vermehrte Refonanzböten im fernen Often zu fchaffen.
Die Hochichule wurde unterbaut durch eine Mittelfchule für Chinefen.
Mir mußten fchnell beginnen, weil fonft die Engländer anfingen, ung
Wertbewerb zu machen. Deswegen entfchieden wir ung rafch und fprans
gen in die Hochjichule hinein, ohne daß der Unterbau foweit war, daß
die Schüler genügend vorgebildet fchienen. Das war aber Nebenjache,
wir mußten voran. Nicht dag Auswärtige Amt, fondern der von mir
beauftragte Chinafenner Profeffor Dtto Franke führte im wesentlichen
die Verhandlungen mit der Pekinger Regierung und vereinbarte in vor⸗
bildlicher Weife, daB bei unfern Prüfungen chinefifche Negierungs:
bevollmächtigte fich beteiligten; damit befamen unfere Prüflinge das
76 Zfingtau
Recht auf Anftellung in China, als ob fie eine ftaatliche Prüfung ges
macht hätten, Wir würden auf diefe Weiſe einen Strom junger Leute
nach China gelenkt haben, die vollſtändig deutſch fprachen, unfere
Einrichtungen Fannten und an unfere Erzeugniffe gewöhnt waren. Die
ärztliche Wiffenfchaft pflegten wir bejonders, da ihre Fonfurrenzlofe
Höhe fie zu nationalem Pionierdienft für Deutfchland wie weniges an-
dere befähigt.
Für den deutfchen Einfuhrhandel wurde unfere Kolonie mehr und
mehr zum Stapelplag. Wir begannen, eine Mufterausftellung deuticher
Erzeugniffe zu errichten, eine Reklame erften Ranges, die wir in einer
englifehen Siedlung nie hätten errichten Fönnen. An der Schwelle Chinas
fiehend gewährten wir Einblick in unfere eigenen wirtjchaftlichen und
Eulturellen Leiftungen, achteten dabei die Eigenart des Landes, nahmen
und erwiefen Gaftfreundfchaft und ermwiderten als „königlicher Kauf:
mann” Vertrauen mit Vertrauen. Bon Jahr zu Jahr gemann das
Deutfchtum in dem riefigen Reich feiteren Boden.
5
Wir haben alles gehabt, nur nicht eine Politik, welche ung ermög-
lichte, diefe Probe auf deutfche Bewährung zu einer dauernden Pofition
zu geftalten. Sch habe Zfingtau feit 1896 nicht wiedergefehen, doch for
viel Sorgen und Liebe hineingebaut, daß fein Verluſt mich wie ein
Eörperlicher Schmerz berührte. Mit nur etiva 3—4000 Mann Befagung
war der Ott, fo wie wir ihn befeftigt hatten, gegen Chinefen unbegrenzt,
gegen Franzofen, Ruſſen, auch gegen Engländer lange Zeit zu halten.
Gegen den Angriff einer japanischen Armee hätten wir auch mit großen
Geldmitteln Feine Feftung bauen Fönnen. Gegen bie ganze Welt voll
ends Fann man überhaupt nichts behaupten; dafür ift Fein Kraut ges
wachen.
Der Gedanke, ung einen ftarfen Stützpunkt in Oftafien zu jchaffen,
nach dem die Deutfchen grapitieren Fonnten, war richtig; aber die Vorz
bedingung war, daß wir ung mit Sapan gut ftellten. Troß unferm
Einfpruch gegen den Frieden von Schimonoſeki 1895 war Fein Schatten
zwifchen ung und Japan gefährlich, folange Rußland ung gemiffer-
maßen in die neutrale Zone rückte, Auch nach dem Zufammenbruch der
ruſſiſchen Oftafienpolitit im Sahre 1905 lag für eine rechtverftandene
japanifche Politif Fein Anlaß vor, und aus China wegzuwünſchen. Wit
Das Ende 11
hätten aber nad) 1905 alles tun müffen, um den Fehler von Schimo-
noſeki wieder gutzumadhen!).
Someit ich nach der Richtung hin Einfluß Hatte, der ja gering mar,
habe ich ftets für ein gutes Einvernehmen mit Tokio gewirkt. Meines
Wiſſens hat die deutfche Regierung keinen ernften Verfuch unternommen,
Zuficherungen von Japan, 3.2. hinfichtlich der Neutralifierung Oft-
afiens, zu erhalten. Über das japanifche Ultimatum war ich nicht
eigentlich überrafcht. Sch nahm jedoch an, daß Japan eigentlich wegen
des ſchweren Gegenfages zu Amerika, der früher oder [päter akut wer⸗
den muß, unfre Anweſenheit in Ihina wünfchen müßte. Da meinem
Munich gemäß Tſingtau von Anfang an als Freihafen erklärt wurde,
im Gedanken, daß wir Dabei als Beſitzer felbft niemals zu kurz kommen
würden, machte Japan dort Feine fchlechten Gefchäfte; das einzige, mag
bei diefem freien Handel ihm unfere Gegenivart ernftlich verleiden
konnte, war fein Hunger nach Kohle.
- Am 15. Auguft 1914 traf das japanische Ultimatum ein, deffen
fchroffer Wortlaut fehr ähnlich demjenigen unferer Schimonofefinote
von 1895 gemwejen fein foll. Bethmann neigte auf den Rat unferes
Botfchafters in Tokio, des Grafen Rex, dazu, das Ultimatum anzu:
nehmen. Sch ſetzte die Nichtbeantwortung duch. Gingen wir mit
Fampflofer Übergabe aus Tſingtau, fo verloren wie es unter allen Um
fländen; das Bündnis mit Japan, auf das wie hinftreben mußten, war
aber nur denkbar, wenn wir zuvor in Oftafien unfere Ehre wahrten.
Yuch jet noch wird es ung zuftatten kommen, daß wir bei dem doch
‚nicht aufzuhaltenden Ende unferes chinefifchen Kolonialverfuches bie
„Pflichterfüllung bis zum Außerſten“ hochgehalten haben. Die be
dingungslofe Übergabe hätte damals die Stimmung in unferem natios
nalen Daſeinskampf ſchwer niedergedrücdt. Japan als Feind har ung
nicht mehr gefchadet, als die Hinnahme der Beleidigung gefchadet hätte,
Außerdem Eonnte im Auguft 1914 noch niemand fagen, wie lange ber
Krieg dauern würde; die Armee urteilte damals zuverfichtlih in ihrem
Siegeslauf. Die Möglichkeit, Zfingtau bis zu einem vielleicht nahen
Kriegsende zu halten, mußten wir mitnehmen. Ein Verſuch, Tfingtau
an Amerika zu geben, etwa im Umtaufch mit den Philippinen, mußte
notwendig Icheitern.
) Kap. 14,
18 Tſingtau
Mir hatten die Boxerſtellung militäriſch zu einer geſchloſſenen Um—
mwallung ausgebaut, die nur einige Infanteriewerke, Gräben und Drahts
verhaue umfaßte, und die Seefront mit ein paar Krupp’fchen Kanonen,
die wir von den Takuforts umfonft befommen hatten, gegen Aufftän-
diſche beftückt. Die letzte Granate war verfchoffen, als Tſingtau fich
ergab. Wie dreißigtaufend Feinde den Generalfturm eröffneten, der
mit Artillerie nicht mehr abgewehrt werden Eonnte, handelte es ſich nur
noch darum, ob der Reſt unferer Befagung fich von den Anlaufenden
in der nichtummallten Stadt totfchlagen laſſen ſollte. Da hat der
Gouverneur richtig gehandelt, zu Fapitulieren. In den eroberten Straßen
fuchten die Sapaner noch lange nach den vermuteten zwölftauſend Deut:
fchen. Es waren zweitaufend geweſen, dazu vielleicht anderthalbtaufend
Wehrpflichtige und Freiwillige, die aus der deutſchen Beamten: und
Kaufmannfchaft aller Siedelungen Chinas in Treuen berangeftrömt
waren.
Neuntes Kapitel
Im Reichsmarineamt
1
Als ich im Frühjahr 1897 den Rückberufungsbefehl aus Oſtaſien
befam und über Amerika heimreifte, teilten mir in Salt Lake City
neugierige amerikanifche Sournaliften niit, Eugen Richter hätte in den
Zeitungen bereits gegen mic, als den Fünftigen Staatsſekretär ge
ſchrieben. Sch war damals parlamentarifch noch nicht genügend ger
fhult, um meinem unerbittlichen Gegner gegenüber diefe Tatfache aus-
zufpielen, daß er mich fchon angriff, als er mich noch garnicht kannte.
Sch fchied mit fchwerem Herzen aus der Front und hatte dem Kaifer
1895 gefagt, der Flottenbau könnte meines Erachtens nur in Geſetzes⸗
form gelingen, zu deren parlamentarifchee Durchführung nach allge
meinen Erfahrungen eine fogenannte „Schlagſchnauze“, die ich nicht
befäße, und eine politifche Routine gehörte, die nicht in meiner bisher
rein militärifchen Linie läge. Ms ich nun im Juni 1897 in Potsdam
eintraf, fagte mir der Kaifer, es wäre alles fertig für die Flotten—
kampagne; ich brauchte nur zuzuftimmen. Der Kaifer hatte während
meiner Abweſenheit Durch eine Kommilfion einen Geſetzentwurf aus⸗
arbeiten Taffen, der meines Erachtens aber nicht brauchbar war. Bei
produftiven Aufgaben habe ich nie Großes von Ausfchüffen gefehen.
Sie find mehr für Fritifche Leitung. Die Verantwortung verdunfter in
ihnen, und es fehlt der Ernft gegenüber dem gewaltigen Unterfchied
zwiſchen Sdee und Verwirklichung. Im vorliegenden Fall war aber der
Kater von dem Werk feiner Kommiffion fehr eingenommen. Sch erbat
mir einige Tage Bedenkzeit.
Diefer Entwurf legte den Schwerpunkt auf eine riefige Auslands:
flotte. Nun gab es zu jener Zeit nur noch wenige Staatsbildungen
auf der Erde, wie Haiti ufw., bei denen Schädigungen unferer Rechte
mit Auslandskreuzern wieder gutgemacht werden Tonnten, ohne daß
80 Im Reichömarineami
daraus ein eigentlicher Konflikt entftand. Auch ſchon Staaten wie
Argentinien verfügten über moderne Kriegsfchiffe, jo daß hinter jedem
Auslandgkreuzer eine heimiſche Seemacht fiehen mußte, wenn er feinen
Zweck als Vorpoften erfüllen follte. Wir befaßen zudem Beinen einzigen
Auslandsſtützpunkt. In meiner ganzen Laufbahn habe ich immer wieder
zwei namentlich bei Laien beliebte Vorftellungen zu bekämpfen gehabt,
ben Gedanken eines bejonderen Küftenfchußest) und den Gedanken einer
Yuslandskreuzerflotte. Daß der befte Küftenfchuß in einer Schlacht⸗
flotte befteht, Hat der Meltkrieg bewiefen. Bezüglich des Kreuzer:
Trieges aber fagte ich dem Kaifer damals etiva folgendes: Da ein
durchjchlagender Kreuzerkrieg und transozeanifcher Krieg gegen Eng:
land und andere große Stasten wegen Mangels an auswärtigen Stüßs
punkten und wegen der geographifchen Lage Deutjchlands vollkommen
ausgejchlojfen ift, die Fremden Admiralitäten dies auch wiffen, ſo kommt
es auf einen Schlachtkörper an, der zwifchen Helgoland und der Themfe
ftehen kann.
Ich hatte eben in Oftafien wieder die fünftlichen Stelzen unferer
Meltftellung wahrgenommen. Bon vielen Seiten wurde mir berichtet,
welche Schivierigkeiten die Engländer allem Deutfchen bereiteten, und
wie die angeftrebte Uchtung dee „Made in Germany“ und die vom
Krügertelegramm ausgelöfte Deutfchenhege vor fich gingen. Die Deut:
ſchen wurden aus den Ortsverwaltungen der Europäerfiedelungen, in
denen fie früher beteiligt waren, verdrängt, ebenfo aus den englifchen
Geſellſchaften und Werften. Sch hatte felbft empfunden, wie unfer
oftafiatifches Geſchwader beim geringften Anlaß durch Verfagung ber
Docs bewegungsunfähig gemacht werden Eonnte. Man merkte damals,
Mitte der Neunziger Jahre, wie die Welt anfing, fehnellee zu gehen.
Der deutfche Handel, die „Offene Tür’, Eonnten nicht mehr durch
fliegende Gefchwader gefhügt werden; wir mußten an allgemeiner
Macht zunehmen, d.h. bündnisfähig mit Weltmächten werden. Bünd-
niswert aber befaß und gab nur eine Schlachtflotte. Ein einziger
DBerbündeter zur See aber Hätte fogar im fpäteren Weltkrieg genügt,
’) Selbft ein Militär vom Rang des Feldmarfchalls v. d. Goltz zwang als General:
inipekteur des Ingenieurkorps durch militärifch, wie militärpolitifch, angefichts des
Vorhandenfeins einer Schlachtflotte völlig überflüffige Küftenbefeftigungspläne mich
zur Abwehrung des Gedankens, bie Küfte mit Panzertürmen zu fpiden.
Entjtehung bes erſten Giotterplanet 81
uns den Kampf um die freie See mit den günſtigſten Ausſichten zu
ermöglichen.
Eine bündnisfähige Flotte zu ſchaffen, war alſo das Erſte; eine
entſprechende Bundnispolitik ſowie Vermeidung aller weltpolitiſchen Ans
ſtöße vor Erreichung dieſes Zieles war das Zweite, wonach wir unter
den erſchwerten politiſchen Umſtänden des Zeitalters zu ſtreben hatten.
Mit Sorge ſah ich die unbeſonnenen Herausforderungen, die ſich damals
unſere öffentliche Meinung gegen England erlaubte. Mit Sorge ſah
ich auch, wie das Draufgängertum des damaligen Marine-Oberkom⸗
mandos den Kaiſer bei den Transvaalſchwierigkeiten beriet. Ich bat
deshalb in demſelben Vortrag, in welchem ich meinen Flotten⸗
plan vorlegie, auch darum, bei der Verwendung der Auslandefchiffe
wegen deren politiſcher Natur gehört zu werden. Der Kaifer und das
Oberkommando fagten dies zu; e8 wurde aber nachher nicht danach
gehandelt. Der Kaifer ſtimmte im Übrigen mit einer mich überraschenden
Sinnesänderung fofort meinem Flottenplan zu, und damit verſchwand
im Suni 1897 endgültig aus den Entwürfen jene Auslandsflotte, die
im Kriege zweifellos einen kurzen Atem gehabt hätte, Ohne Bündnis
mit einer andern Seemacht zweiten Ranges fah ich freilich auch die zu
bauende Schlachtflotte fchon damals nicht als Wllheilmittel an, wohl aber
als die notwendige Staffel zu unferer Bündnisfähigkeit und damit
als einzigen greifbaren Anfag, um England gegenüber jene Selbftäns
digkeit zu gewinnen, die damals in Deutfchland einftimmig und mit
Recht gefordert, leider aber auch vielfach in nicht realpolitifcher Sinnese
art als bereitd vorhanden vorweggenommen mwurbe,
2
Mein Vorgänger Hollmann hatie alle Eingänge feines Amtes felber
gelefen und war infolgedeffen im Stoff untergegangen. Sch befchränkte
mich nun auf die Vorbereitung des Flottengejeges und überließ die
laufenden Gejchäfte zunächft meinem Vertreter, In Ems und St. Bla-
jien, wo mein aus den Tropen mitgebrachter Lungenkatarrh ausheilen
jollte, verfammelte ich die Herren, die ich mir ausgewählt hatte, damit
lie das Flottengefeß mit mir bearbeiteten. Herrn v. Capelles ältere parlas
mentarifche Erfahrung, fein kritiſcher Verftand, feine logiſche Schreibe
weife waren ein günſtiger Ausgleich zu meiner Veranlagung, die mehr
Zirpis, Erinnerungen 6
82 Im Reihemarineamt
der Intuition folgte, Er war meniger Soldat als Etatsvirtuofe; er
beherrfchte neben Dähnhardt, der urbanen Umgang mit den Abgeord-
neten pflog, befonders die Finanzfragen, die bei dem Steuerelend des
Reichs eine Eniffliche Kunft für ſich umfchloffen. Während ih im
allgemeinen gradlinig auf ein Ziel losging, ſah Capelle die Schwierig.
feiten und Bedenken fowie die verfchiedenen Wege, bie zu ihrer Übers
windung zur Wahl ftanden; die ſchwachen Punkte, mo Gegner einhafen
Fonnten, fand er zuerft, weniger vielleicht die Smponderabilien. Er
war mir ebenfo unentbehrlich für die parlamentarifche Arbeit, wie ber
feurige Herr v. Heeringen für die Aufrüttelung des Volks; Heeringen
leitete die geiftige Mobilmachung der Maffen in fehr taftvoller Art,
Meine Urbeitsmweife hatte ftets das Neljonjche: „We are a band
of brothers“ zum Motto, Seit meinen erften Aufgaben hatte ich Dinge
vor mir, die perfpektivifch von vielen Seiten betrachtet werden mußten,
und wer fich nicht als Rapoleon fühlt, der allem feinen perfönlichen
Stempel aufdrücen darf, muß jich ein Bündel anfchaffen, das ſchwerer
zu brechen ift als ein einzelner Stab. Wer einem großen Gefchäft
vorfteht, foll fich davor hüten, felbft alles machen zu mollen. Sch
hatte bei Caprivi wahrgenommen, daß er zuviel perfönlich verfaßte,
Denn er etwas in feiner jchönen, gleichmäßigen Handfchrift gefchrieben
hatte, war es fchmwierig, ihn davon abzubringen; er war fozufagen in
feine Gedanfengänge verliebt. Die Gefahr habe ich auch bei mir bes
merkt; um jo mehr hielt ich mich zurüd, um dem an fich Richtigen
unbefangener gegenüberzufteben,
Einer der Gründe, mit denen man die Zerftörung der einheitlichen,
fozufagen fouveränen Admiralität und ihre Zerlegung in Einzelbehörden
zu rechtfertigen verfucht hat, war die Behauptung, die Gefamtleitung
ber Marine wäre zu groß für eine Hand. Diefe Behauptung, die auf
dem Hintergrund ber mißverftandenen Eaiferlihen Kommandogemalt
ftand, gab aljo die Zügel einem Monarchen in die Hand, der noch weit
anderes als die Marine regieren folltel Es ift aber falſch zu fagen, daß
ed ſchwierig wäre, einer vielfeitigen Behörde vorzuftchen. Es kommt nur
barauf an, daß man Witterung für das Notwendige hat und alles
übrige auf zuverläffige Helfer abfchiebt. Allerdings muß man die Mits
arbeiter auch zugewieſen befommen, die man jich ausgelefen har. Sch
behielt Zeit für das Weſentliche übrig und hätte noch mehr leiften
mögen.
Meine Arbeitsweiſe 83
Por nichts habe ich mich beim Organifieren fo gehütet wie davor,
einen grundfäglich falſchen Schritt zu tun. Denn bei einmal geſchaf⸗
fenen Sehleinrichtungen werden fpäter meift nur die Symptome ver
deckt, der Urfehler aber nicht mehr gefunden, an dem fich dann Ges
wohnheiten feftgejeßt und Intereſſen angeklebt haben. Darum foll
man Organifationen nie auf den Tiſch des Haufes legen, fondern an
einen gegebenen Punkt fich ankriftallifieren laſſen. Man muß fich
auch die Möglichkeit offen laſſen, bei fich zeigenden Fehlern die Organi⸗
fation ohne eigentliche Zerftörung wieder abzukriitallifieren, denn bei
radikalen Ummälzungen erkennt man meift nur die Vorteile, felten
die Nachteile Elar voraus, Bei Organifation kommt es weniger auf fors
male Logik an, als auf die Güte des Bodens und des Pflanzenkeims.
Mir haben deshalb auch die Flottengefeße nicht fur, fondern möglichft
lehnig gehalten,
Das perfönliche Hervortreten im Reichstag und überhaupt in ber
Offentlichkeit lag mir nicht. Ich fühlte, je weniger man im Reichstag
fprach, defto richtiger war es und defto weiter Fam man, zumal bei
einem außenpolitifch fo heiklen Gebiet wie dem meinigen. Sch glaube,
auf diefe Weife inneren und ausländischen Gegnern niemals Anläfje
geboten zu haben. Eine gewiffe Scheu vor dem Getriebe der Offent⸗
lichkeit mag mich perfönlich beeinflußt haben. Man hat mir ja
fpäter wohl vorgeworfen, daß die Marinedebatten im Plenum und
in den Kommiffionen zu „langweilig“ und „glatt“ verliefen, was
wohl irgendwelchen Kuliffengeheimniffen zu verdanken wäre. Allerdings
pflegten wir vertrauliche Befprechungen mit den Parteiführern. Unfer
Hauptgeheimnig war aber die abjolut genaue Durcharbeitung jeder
Vorlage, fodaß fie überzeugte und unangreifbar war, Dies gelang
mit der Arbeitsweife, die ich mir fchon an den Aufgaben ber Siebziger
Jahre gebildet hatte, indem ich den Gedanken angab, dann im größten
Maße andere heranzog und erft das Schlußerzeugnig wieder völlig
durchdachte. In der Negel hat Capelle die von ung durchgejprochenen
Materien zuerft fchriftlich fefigelegt. Später hat dann neben der forg-
famen Durcharbeitung der Marinevorlagen vor allem die praftifche Erz
probung unferer technifchen und organifatorifchen Arbeit ein ſtets
höheres Kapital parlamentarifchen Vertrauens angefammelt. Andere
Mittel als unfere gründliche Arbeitsmethode hätten ung niemals zu
parlamentarifchen Erfolgen verholfen.
6°
84 Im Reihsmarineami
Sm preußtfchedeutfchen Regirungsſyſtem meiner Zeit erichöpften fich
die Minifter allgemein lieber in ftiller, meift ungelohnter Reffortarbeit,
als daß fie an der Oberfläche der Öffentlichkeit paradirten. Die ohne
Sinn für organifches Wachstum und ohne Achtung für die Vernunft
der Gejchichte dem deutfchen Volk jetzt von internationalen Theoretifern
übergeftülpte Zwangsjacke des Parlamentarismus wird die alte Zeit
bald als die gute preifen Iehren. Die neuen Herrfchaften werden fich
wundern, wie fachlich fie früher regiert worden find und wieviel
treue Arbeit an Stelle von eitlem Gefchwäß geleiftet worden ift.
In St. Blafien wurde jedes Wort des Gejegentwurfes in Ges
meinfchaft wohl zwölfmal umgemworfen. Sch pflegte die Materie zu
„rollen, ein Ausdruck, mit dem ich manchmal genedt worden bin.
Weſentlich hielt ich darauf, jedem Mitarbeiter die größtmögliche Selb-
ftändigkeit zu geben. Sch habe meine Abteilungsleiter dazu gedrängt,
daß fie die Fragen niemals nur aus ihrem Zeilftandpunft betrachteten;
jeder follte rückjichtslos urteilen, ald ob er der König wäre und dag
Ganze allein zu entfcheiden hätte. Vom Bejonderen bleibt dabei immer
noch genug übrig. So verlangte ich vom Techniker, daß er auch vom
militärischen Standpunkt aus urteilen lernte, und umgekehrt vom Offi—
zier die Berückſichtigung des Techniſchen. Nichte halte ich für ver-
kehrter, als in Beratungen den Vorgefegten herauszufehren, Es kommt
ja mitunter der Punkt, wo einer entfcheiden muß; aber ich darf fagen,
daß es im Keichgmarineamt felten auf ein befehlsmäßiges Durchfchlagen
hinauslief; wir find faft immer zu einer gemeinfamen Anficht gefommen,
bei der ic, alg primus inter pares den Mitarbeitern das Gefühl, majori=
fiert zu werden, erfparte und die Freude an der Keiftung ließ, dabei
aber jelbft etwas Beſſeres und der Menge nach Größeres verrichtete,
als wenn ich mich in allem hätte fehen wollen. Die Übertragung des
vor dem Feind notwendigen fchroffen Befehlsgrundfages auf das Büro
und die großen Dispofitionen, das Arbeiten mit Kreaturen und mecha=
niſchem Gehorfam, die peinliche Abgrenzung der Refjortsftandpunkte
lähmen Verantwortung und Entfchlußvermögen, auf die e8 bei Kriegs-
behörden am meiften anfommt. Wenn man felder weiß, worauf man
hinauswill, fo Fann man die Untergebenen an ihren guten Seiten
pacen und bei modernen Organifationen darauf verzichten, perföns
lich die Laft zehn Zuß zu fürdern, damit man ftatt deſſen allen Ge⸗
hilfen die ihrige einen Zoll voranbringen helfe.
Meshalk ich ein Geſetz brauchte 85
Mein Tätigkfeitsgebiet gewöhnte mich) an große Dielfeitigkeit. Se
gegliederter aber ein Organismus wird, defto mehr wächſt auch ber
Kopf zu einer differenzirten Funktion heraus und darf, um klar zu
bleiben, nichts mehr von der Arbeit der Glieder übernehmen wollen.
Sch fehuf mir ringsum Spezialiften, bei denen die Materien im allge
meinen gut aufgehoben waren, und achtete mur auf die Verbindung,
jodaß, wenn nötig, die Spezialitäten ſtets an die Spiße herangetragen
werden konnten. Sch habe dabei das Hochkommen felbftändiger Naturen
auf jede Weife gefördert, machte aber je länger, defto beftimmter die
eigentümliche Erfahrung, wie ſpärlich die wirklich fchöpferifchen Kräfte
find und wie Naturen, die auf zweiten Poften fich bewährt haben, auf
erften völlig verfagen können. Man kann fich bei Beförderungen ſchwer
dagegen fchüßen, daß man gelegentlich aus einem guten Erften Offizier
einen fchlechten Kapitän macht.
3
Sm Reichsmarineamt verficherte man mir, daß wir die Gejeßesform
nicht Öurchbefommen würden. Derfelben Meinung war auch unfer
zuverläffigfter parlamentariſcher Freund, der nationalliberale Führer
v. Bennigjen, der riet, es mit jährlichen Berilligungen zu verjuchen.
Ich beftand aber auf dem Geſetz, entichlojfen, das als unwahrſcheinlich
Bezeichnete zu wagen und im Fall des Mißlingens auszufteigen.
Sch brauchte ein Geſetz, um die Stetigkeit des Flottenbaus nad)
verfchiedenen Flanken zu ſchützen. Außerlich ſprach für die Geſetzes—⸗
form am meiften der Umjtand, daß der Reichstag ſich dadurch felber
die Verfuchung abſchneiden follte, alljährlich neu in techniiche Einzel
heiten einzugreifen, wie früher, mo jedes Schiff zum ‚‚Ererzitium von
Debatien’’ geworden war und im Spiel wechfelnder Mehrheiten das
Reichg-Marineamt nicht das fachlich Wichtigfte, ſondern das, was ges
tade durchging, forderte, Mit Parteikoalitionen, die Schiffe ald Kom⸗
penjationgobjefte behandelten, konnte man keinen Flottenkörper auf-
bauen, der ein Menfchenalter geduldigen, einheitlichen Wachstums vers
langte.
Die zweite Seite, von welcher das Chaos herandrängte, wogegen ich
ein Geſetz bedurfte, war die Marine ſelbſt. Gerade wo es ſich
um Spezialkenntniſſe handelt, ſchwirren die Uberzeugungen auseinander.
Die deutſche Marine war, als ich das Staatsſekretariat antrat, eine
86 Im Neihömarineams
Modellfanmlung, wenn auch Feine fo bunte wie die ruffifche Flotte
unter Nikolaus dem Zweiten. Auch die englifche Marine ift es bis zu
einem gemilfen Grad; aber dort fpielt Geld Feine Rolle; hatte man
eine Serie falſch gebaut, fo warf man fie in die Ecke und baute eine
neue. Das durften mir, ung nicht erlauben. Außerdem hatte man in
England mehr Verftändnis dafür, daß Anfichten fich ändern, während
der doftrinäre Deutfche fofort erflärte: da hat er etwas Faljches ge
baut, Anathema sit. Wenn man dem Deutfchen ein Syſtem vorfeßt,
glaubt er eher daran. Kleinerer Schwächen der Gefegesform war ich
mir bewußt, aber ich hatte Feine Wahl, wenn wir unter den gegebenen
Verhältniffen vorwärtskommen wollten.
Mber auch des Kaiſers Iebhafter Geift war auf Schiffebau ein-
geftellt und wurde von allen möglichen Eindrücken und Perjonen gejpeift.
MWünfche und Vorfchläge find in der Marine billig und mwechjeln mie
im Kaleidoskop; wenn der Kaifer mit irgend einem Offizier ger
fprochen oder im Ausland etwas gejehen hatte, war er soll neuer
Forderungen, Eonfteuierte, warf mir Rückſtändigkeit vor, glaubte mich
durch Mahnungen aufrütteln zu müffen, und außer durch mehrfache
Abfchiedsgefuche Eonnte ich jpäter nur durch die gejegliche Bindung jene
Stetigfeit der Entwicklung fichern, welche die Grundbedingung jedes
Erfolges war,
Die Gefegesform hatte noch den fehr großen Vorteil, daß mir
Foufmännifcher vorgehen und nach vielen Richtungen mirtfchaftlicher
disponieren Eonnten, wenn wir eine längere Strecke Wegs überblichten.
Und Sparjamteit, in welcher eine große Summe von Vorausberechnung
ftedte, war für die Wehrmacht in Deutfchland eine bittere Notwens
digkeit.
Schon Anfang Juni 1897 hatte ich eine Unterredung mit dem
damaligen preußifchen Finanzminifter v. Miquel gehabt, hauptfächlich,
um die allgemein politifche Seite der Flottenvorlage mit ihm zu er=
örtern, wobei er mir einige allgemeine Zuficherungen auf Unterftügung
gab. Sehr unerwartet Fam mir nun am 5. Auguft ein Artikel ber
„Nordd. Allg. Zeitung”, der, von Miquel infpirirt, ausführte, das an
fich erftrebenswerte Geſſetz wäre vorläufig nicht zu machen; forts
fchreitende Entwiclung der Marine fei nötig, müffe aber ohne Befchräns
ung der parlamentarischen Rechte des Reichstags durchgeführt werden.
Dieje Veröffentlichung mar ohne Zweifel unzuläffig und für das
Stepfis und Gleichgültigkeit 87
Geſetz gefährlich. Trotzdem vermied ich einen offenen Konflikt. Miguel
war wie das ganze Staatsminiſterium gegen das Geſetz, wollte aber
des Kaiſers wegen nicht offene und fchroffe Oppofition machen, verz
jüchte deshalb allgemein abzumiegeln und mich durch Vorftellung der
Schwierigkeiten von meinem Plan abzubringen Weg er ſah, daß ich
fejt zu bleiben entichloffen war, wurde er entgegenfommenver.
Die allgemeine Skepſis bei den Spiken und Sleichgiltigfeir bei
den Mafien des Volks brachte mich auf den Gedanken, um Bismarcks
Unterftügung zu werben,
— — — —
Zehntes Kapitel
Be Bismard
1
Im Juni 1897 hatte ich dem Kaiſer vorgeſchlagen, dem nächſten
Schiff, das von Stapel laufen ſollte, den Namen „Fürſt Bismarck“
zu geben. Ich wußte, daß der Fuͤrſt oder ſeine Familie den allerdings
irrigen Verdacht hegte, es wäre im Augenblick ſeiner Verabſchiedung
ein Schiff mit ſeinem Namen abſichtlich aus der Liſte geſtrichen worden.
Ich hoffte mit dieſem Schritt die Entfremdung zwiſchen Bismarck und
der Regierung zu mildern, und wünſchte, im Herbſt die Einladung pers
fönlich nach Friedrichsruh zu überbringen und bei diefer Gelegenheit mir
bei dem alten Fürften den Kugelfegen für dad Flottengefeß zu holen.
Der Kaifer ftimmte nach einigem Zögern zu, ſchickte aber dann von
fi) aus ein Kabinettsjchreiben an Bismard, worin er ihn zum Stapel:
lauf eines Schiffes einladen Tieß, ohne jedoch ben Taufnamen zu
nennen. Er fette bei diefem Gnadenakt die Freude, bie ihm felbft der-
artige Feftlichkeiten bereiteten, wie ftets auch bei anderen voraus und
wollte den Fürſten wohl überrafchen. Bismard antwortete ungefähr,
er wäre ein zu alter Mann für eine folche Sache. Sch befam nun
ben Befehl, die ziemlich verfahrene Gefchichte wieder einzurenken.
Sch erbat beim Fürjten brieflih Audienz, um ihm über das beab-
fichtigte Vorgehen der Marine Vortrag zu halten. Der Brief kam un:
eröffnet mit der Bemerkung zurüd, der Fürft nähme Eeine Briefe an,
auf deren Umfchlag nicht der Abfender vermerkt wäre, Auf einen zmeiten
Brief wurde mir gejagt, ich möchte Fommen
In Friedrichsruh pflegte man um die Mittagszeit einzutreffen. Graf
Rantzau, der mir perfönlich befannt war, Fam mir entgegen; ich bat um
feine Unterſtützung. Als ich eintrat, faß die Familie bei Tifch, der Fürft
am kurzen Ende der Tafel. Er ftand auf, kühl, aber höflich, ſehr
Grandfeigneur, und blieb ftehen, bis ich Plab genommen hatte. Er
war von heftigen neuralgifchen Schmerzen geplagt, bielt Gummikiſſen
mit heißem Waller an bie Bade, ab gefchabtes Fleiſch und Eonnte
Bon „Katern” und Horniſſen“ 89
nur mit Mühe fprechen. Nach dem Genuß von 13/5 Flaſchen Sekt
wurde er lebendiger. Nach dem einfachen Frühſtück rauchte ihm Gräfin
Wilhelm Bismard die lange Pfeife an und die Damen verließen den
Raum. Die Stimmung war ſchwül. Mit einem Male wölbten fich die
großen Nugenbrauen, er fah mich mit einem vernichtenden Blick an und
grollte los: „Ich bin Fein Kater, der Funken gibt, wenn er geftreichelt
wird.” Sonft bin ich nicht fchlagfertig, aber angefichts diefer faſt ver:
zweifelten Ausfichten Eonnte ich doch nicht frumm fißen bleiben und er
mwiderte: „Soviel ich weiß, find das nur die ſchwarzen Kater, Durch
laucht.“ Graf Rantzau griff eifrig ein: „Der Admiral hat Necht, es
find nur die fchwarzen.” Die Atmofphäre wurde weniger eleftrifch.
Sch fagte nun meinen Auftrag und er antwortete, er Fönnte nicht mehr
nach Kiel Eommen, Uniform anziehen und Sporen tragen, und mollte
nicht als Ruine vor der Öffentlichkeit ftehen, Um etwas Poſitives
herauszubekommen, erwähnte ich, ob vielleicht eine der Schwieger⸗
töchter beim Stapellauf erfcheinen Eönnte? Er erwiberic, da müßte ich
dieſe fragen; er überließ es der Form nach deren privater Entichließung.
Darauf berichtete ich meinen perſönlichen Hauptzweck.
Sch legte meinen Plan dar, bemühte mic, den Fürſten zu überzeugen,
daß es fih um Feine bloße monarchifche Xiebhaberei handle, wogegen
ich mich in dieſen Zahren häufig zu verteidigen hatte, und betonte, es
wäre die Abficht, das fchon 1867 vom Reichstag genehmigte Marines
programm jeßt, in moderne Form gegofien, durchzuführen. Wir müß-
ten mit Rückficht auf das kommende Sahrhundert ein gewijfes Mag
politifcher Seemacht haben, In den Siebziger Jahren wäre das nicht
fo nötig gewejen, unermeßlicher Ruhm und der Glanz großer Namen
hätten uns damals über jede Schwierigkeit hinweggeholfen. Seht da⸗
gegen würde eine Unterlage realer Macht notwendig, 3.8. angefichts
unfrer Rage bei einem ruffifcheenglifchen Krieg, mit dem ernfthaft zu
‚ technen wäre. Sch wäre gekommen, mir feinen Segen zu erbitten,
wenn wir jet gemäß unfren taktifchen Erfohrungen eine beftimmte
Flottenmacht fchüfen.
Bon der militärischen Seite der Sache wollte Bismarck offenbar
nichts hören, das war nach wenigen Worten herauszufpüren. Von den
großen Schiffen hielte er nicht viel; mit feinem Freund Roon wäre er
ber Anficht geweſen, daß man viele Pleine Schiffe brauchte, die wie
Horniffen um das große Schiff ſchwärmten. Mein Verſuch, ihm bei:
90 Bei Bismard
zubeingen, daß das große Schiff die Kraftfonzentration bilde um x
den einzelnen Stellen die Überlegenheit hätte, gelang nicht febr, eı
meinte, das möchte für die Bataille rangse gelten, aber er bliebe bei
den „Horniſſen“ und münfchte durch viele Bleine Schiffe, die man
draußen in der Welt fahren Iafjen Eönnte, den Auslandsdienſt zu
pouffieren, Meine Betätigung, es wäre wichtig, wenn mir ein paar
Muslandshäfen befämen, führte zu einem Ausbruch gegen Caprivi,
Ausgenommen feinen alten Freund Roon, der bi 1871 das Marine
minifterium im Nebenamt verjah, hätte er fich nie mit den Marines
miniftern geftanden. Caprivi wäre immer wie ein hölzerner Ladeſtock
zu ihm in die Wilhelmftraße gekommen; was hätte man auch viel von
ihm erwarten können; er hätte als Leutnant ohne Zulage zweiundzwanzig
Jahre in Berlin die wohlhabenden Kavallerieoffiziere gejehen, deren
Väter Landgüter gehabt hätten; als er Neichsfanzler wurde, hätte er
geglaubt, es den Grundbeſitzern eintränfen zu Fönnen. Die Löfung des
Rückverfiherungsvertrages mit Rußland wäre das furchtbarfte Unheil
geweſen. Unſre politifche Lage bei einem englifcheruffiichen Konflikt, fo
erFlärte mie Bismard, wäre durch das Stichwort „Neutralität gegen
Rußland“ gegeben; das brauchte Rußland, das genügte ihm aber auch.
Die von mir angeregte Möglichkeit, daß ein neuer Pitt eine folche
Neutralität eben nicht wünfchen und unfre Feindfchaft vorziehen Fönnte,
fomwie daß auch andere Konftellationen denkbar wären und nur eine acht
bare Flottenftärfe ung für Rußland und andre Mächte bündnisfähig
machen Eönnte, wiege Bismard beinahe zornig von der Hand. Die Eng:
Linder wären einzeln genommen ganz würdig, aber Krämerfjeelen in
der Politif, Wenn fie kämen, würden wir fie mit Landwehrkolben tot»
ſchlagen. Daß eine fcharfe Blockade uns niederzwingen würde, könnte
er nicht im mindeften verftehen.
Der alte Fürſt dachte offenfichtlich an das agrariſche Deutjchland
von 1870 und an dag politifche England von 1864, und verſtand die
gewaltige Pofition des britifchen Weltreichs im Jahre 1897 nicht mehr.
Nberhaupt folgte er mehr feinen eigenen, von früher her feititehenden
Gedankengängen, als daß er fich noch die Mühe nahm, einen Vortrag
aufzunehmen. In der Hauptjache aber gab er mir Necht: „Sie braus
chen mich gar nicht davon zu überzeugen, daß wir mehr Marine nötig
baben.” Er hat mir fpäter die Zuftimmung zu meinem Vorgehen auch
noch fchriftlich beftätigt.
Bismard unb das Gleichgewicht zur See 91
Wie wenig dem Fürften in feinen guten Tagen der Gedanke fremd
geweſen war, daß mwir eine gewiſſe Bündniskraft gegen England bes
figen müßten, beweifen die Aufzeichnungen des früheren frangöfifchen
Botſchafters in Berlin, Barons de Courcel, dem der Fürft 1884, alg
die Eolonialen Beſtrebungen Deutjchland und Frankreich einander an:
zunähern fchienen, die Möglichkeit eines Seebündniſſes ziwiichen den
feftländifchen Nachbarmächten umriß. „Was ich erſtrebe,“ jo fol fich
der Fürſt damals geäußert babent), „iſt die ‚Herſtellung eines ges
wiſſen Gleichgewichts auf dem Meere‘, und Frankreich hat in dieſer
Hinſicht eine große Nolle zu fpielen, wenn es auf unfre Anfichten
eingehen will. Man fprach Früher viel vom europäiſchen Gleichgewicht;
das ift ein Wort des 18. Jahrhunderts. Sch glaube indefjen, es wäre nicht
verjährt, vom „Gleichgewicht auf dem Meere‘ zu fprechen. Sch wünſche
Beinen Krieg gegen England, dagegen möchte ich es zu der Einficht bringen,
daß die Flotten der übrigen Nationen ihm gegenüber ein Gleichgewicht
auf der See heritellen und es zwingen Fönnen, auch auf die Intereſſen
anderer Nücdficht zu nehmen, wenn fie fich vereinigen. England muf
fi nur an den Gedanken gewöhnen, daß ein Bündnis zwiſchen Deutfche
land und Frankreich nicht außer dem Bereich der Möglichkeit liegt.”
Eine Verföhnung mit Frankreich zumege zu bringen, wäre Bismard
ſelbſt wohl der einzige Mann geweien. Da e8 aber nicht zu diefer Vers
ſöhnung kam, waren dem Alternden jene Gedankengänge entfrembet.
Er fühlte nicht mehr, wie ftarf die von ihm geforderte diplomatifche
Anlehnung an Rußland, deren Notwendigkeit auch mie Flar war, ans
gefichts der veränderten Weltlage eine maritime Gleichgewichtspolitif
und Bündnisfähigkeit zue See als Unterbau verlangte. Bei der bri-
tifchen Feindfeligkeit gegen ung, wie fie fich feit 1896 fchonungsios
offenbarte, war die Machtfrage fo geftellt: wie wir, auf unferer über-
völkerten Scholle zufammengedrängt, den Frieden mit England bewahren
Fönnten, ohne wirtschaftlich vor feinem KHandelsneid zu fapitulieren,
oder wie wir, falls England unfere Eindämmung befchließen würde,
einen Krieg mit ihm beftehen Fönnten, Für Beides diente weder der Zus
ftand der Flottenlofigkeit noch eine Auslandsflotte zur Abhilfe, fondern
allein eine Schlachtflotte, deren kriegeriſche Achtbarkeit und Bündnigs
wert es ben Engländern erfchweren mußte, mit ung anzubinden. Er
2) Neue Preußiſche (Kreuz:)Seitung 20. Auguſt 1913,
92 Dei Biömard
war eben „‚eine neue Zeit angebrochen”, wie ber alte Fürft beim lebten
Anbli des Hamburger Hafens gefagt hat, als er überwältigt von dem
ungeheuren Leben, das fich dort feit der nachbismardifchen Zeit ent
wickelt hatte, an das gemächliche, von den Engländern beherrfchte alte
Hamburg zurücddachte,
2
Nachdem wir zwei Stunden am Tiſch geſeſſen hatten, forderte der
Fürſt mich auf, mit ihm durch den Sachfenwald zu fahren. Nachmit-
tagsruhe hielt er nicht. Im Magen rechis und links ftanden große
Slafchen Bier; die wurden aufgezogen und getrunken; mit feiner Kraft
ratur mitzukommen, war nicht eben leicht. Um vor dem Kutfcher freiweg
zu Sprechen, bediente fich der Fürſt einer fremden Sprache und, wie in
ihm Zartgefühl neben Gewaltſamkeit lebte, fo wählte er das Engliſche,
von dem er annahm, daß es mir ald Seemann am geläufigften wäre,
und das er vorzüglich fprach, Er äußerte fich über den Kaiſer ſchonungs⸗
log, nahm e8 mir aber nicht übel, wie ich gegen feine ſtarken Yus-
drücke einwandte, ald Offizier hätte ich für den Kaifer einzutreten. Er
erzählte, wie die Kaiferin Auguſta 1848 auf die Abdankung des Könige
und den Thronverzicht des Prinzen von Preußen binarbeitete, und wie
ee als Führer der Rechten in der Kammer dem Abgeordneten v. Binde,
der ihm im Auftrag der Prinzeß eine Regentſchaft der Prinzeffin Auguſta
für den Prinzen Friedrih Wilhelm vorfchlug, zur Antwort gab, er
würde auf einen folchen Antrag hin beantragen, den Antragfteller zu
verhaften; wie dann bie Prinzeß noch einmal mit ihm in Potsdam ges -
ſprochen und ibm, wobei fie heftig auf die Schenkel Elopfte, erklärte,
es käme ihr nur auf ihren Sohn an, und wie diefer Teßtere, im Flur
hinter einer Niſche wartend, weinend und mit ausgeſtreckten Händen
auf ihn zugegangen fei. Von Kaiſer Friedrich fprach er mit Zuneigung;
er hätte trog ber Kaiferin Viktoria auch während ber Krankheitszeit
dem Kanzler noch die Stange gehalten. — Dem SKaifer möchte ich
jagen: er wünfche nichts anderes als allein gelaffer zu werden (to be
let alone) und in Frieden zu fterben. Seine Aufgabe fei getan, es gebe
für ihn Feine Zukunft und Feine Hoffnungen mehr,
Dir fuhren zwei Stunden, trotz zeitweiligem Segen ohne Verdeck;
ber Fürſt rauchte die Pfeife. Er erzählte von feiner früheren Jagd⸗
leidenfchaft, wie er einſt hundert Meilen Fahren Eonnte, um einen
Letzter Beſuch 93
Bock zu ſchießen, und wie er jetzt als gebrochener Mann das Wild
nur noch zu ſehen liebte und es nicht mehr über ſich gewönne, dem
ſchönen Tier ein Loch ins glänzende Fell zu ſchießen. Er erzählte von
ſeiner verſtorbenen Frau, die ſeine Stütze geweſen wäre; die Tränen
traten ihm in die Augen; es war ergreifend, wie er ſeinen Zuſtand zu
ſchildern vermochte. Er erzählte auch von ſeinen engliſchen Beziehungen
und wie er im allgemeinen die Seeleute gern gehabt hätte, uns, die
blaue Couleur, aber nicht die Diarinegeneräle...
Ich gab acht, daß ich ihm ich möchte fagen Eöntgliche Ehren erwies;
das lag auch fo im Gefühl, daß mean gar nicht anders konnte. Sch
jtellte mich beim Ausfteigen militärifch grüßend hin; vor dem Land—⸗
haus hatten fich Dienfchen gefammelt und riefen Hurrah. Wir Famen
zum Übendefjen; ich faß wieder neben Bismard. Da muß id) noch
einen feinen, taktvollen Zug von ihm erzählen. Ich hätte gern eine
Photographie mit Unterfchrift von ihm gehabt, wußte aber, wie unan⸗
genehm es berührt, wenn man darnach drängt, und hatte als Begleiter
bes Prinzen Heinrich in Stalien mit Ekel erlebt, wie da um die gegen-
feitigen Orden und Photographien gekämpft wurde. Es war mir ander:
feits doch leid geweſen, daß ich feinerzeit nicht gewagt hatte, an den
alten Moltfe die Bitte um ein Andenken zu richten, als ich ihn unter
Stoſch in Kiel über das Torpedoweſen informieren und hierbei die
Abgeflärtheit feines veinen, großen Geiſtes fpüren durfte. Bismard
nun hat mir die Bitte erfpart, indem er fich meines alten Vaters von
ber Prima des Grauen Klofters her zu erinnern vorgab und mir fein
eignes Bild für meinen Damals noch Iebenden Vater einhändiate,
3
Ich bin noch zweimal bei dem alten Herrn geweſen, das lehtemal
im Gefolge des Kaiſers, der fich nach der feierlichen Verabfchiedung
des nach Tſingtau gehenden Prinzen Heinrich mit der ganzen Gefell:
fchaft von Rendsburg aus etwas plötzlich in Friedrichsruh angefagt
hatte. Bismarck empfing den Kaiſer im Rollſtuhl an der befcheidenen
Eingangstüre des Landhaufes, Wir gingen gleich zu Tiſch, Bismard
jete fich mit fremder Unterftüßung, war aber, nachdent er jaß, wieder
ganz friſch. Sch hatte den Play fchräg gegenüber dem Fürjten, neben
dem der Kaifer faß, zu meiner Seite der fpätere Generaloberft v. Moltke.
Der Fürſt verfuchte, politische Gefpräche anzufpinnen, über unſer Ders
04 Be Biämard
bältnis zu Frankreich ufm. Zu meinem größten Bedauern ging ber
Kaifer auf diefe Gefpräche nicht ein, fondern es wurbe die an der Eatjer-
lichen Tafel häufige Anekvötchenunterhaltung geführt. Immer menn
Bismarck von Politif anfing, vermied es der Kaifer darauf zu achten.
Moltke flüfterte mir zu: „Es ift furchtbar‘; wir fühlten es ald Mangel:
an Ehrfurcht vor einem folchen Manne1). Da ſprach Bismarck aus
irgend einem Zufammenhang heraus ein Wort, das fich ung in feiner
prophetifchen Schwere eingrub: „Majeſtät, folange Sie dies Offizierg-
Eorps haben, können Sie fich freilich alles erlauben; follte das nicht
mehr der Fall fein, fo ift es ganz anders.” An der fcheinbaren Noncha⸗
lance, mit welcher das herauskam, als ob nichts darin läge, zeigte fich
eine großartige Geiftesgegenwart; baran Eonnte man den Meifter er-
kennen.
Als wir aufbrachen, begleitete der Fürſt den Kaiſer im Rollſtuhl bis
an die Türe und dann nahmen wir einzeln Abſchied. Bismarck verab⸗
ſchiedete ſich freundlich von Bülow, von Miquel und anderen. Vor
mir kam der Kabinettschef v. Lucanus daran, der 1890 bei Bismarcks
Entlaſſung mitgewirkt hatte. Er verſuchte dem Fürſten die Hand zu
geben und einen Bückling zu machen. Da entwickelte ſich ein merk⸗
mwürdiges Schaufpiel, das von gemaltigem Eindrud war. Der Fürft
faß da wie eine Statue, Bein Muskel rührte fich, er fah ein Loch in
die Luft, und vor ihm zappelte Lucanus. Der Fürft drüdte an fich
nichts aus, es lag feine Abneigung in feinen Zügen, aber er war unbe
wegliche Maske, bis Lucanus begriff und fich entfernte. Dann Fam ich,
und nach mir mein treuer Kapitän v. Heeringen. Der war fo hingeriffen:
(er war ein temperamentvoller Herr), daß er fich hinunterbückte und
dem Fürften die Hand küßte. Sch freute mich darüber; ich hatte auch
verfucht, dem Fürften etwas zu fühlen zu geben, fomweit man es kann,
aber die Handlung des Herrn v. Heeringen war ftärfer. Da nahm der
Hürft Heeringens Kopf und Füßte ihn auf die Stirm,
Das ift meine legte Erinnerung an Bismarck.
Vielleicht hatte der Kaifer fich vorgenommen mit Bismard außenpolitifche
Fragen nıdyz zu erörtern,
— — —
Eiftes Kapitel
Die Flottengefete
1
Bon jebt ab trat die Bismardiche Prefje für mich ein. Sch habe
weiterhin alle Bundesfürften bis zu den Großherzögen einfchließlich
perjönlich um ihre Unterftügung gebeten und, indem ich ihnen Vortrag
hielt, das Gefühl der Mitentfcheidung zu vermitteln gefucht. Dies ges
lang befonders dort, wo ein Fürft wie König Albert von Sachfen, der
zugleich ein gefchäftskundiger Mann mar, in die Materie ernithaft eins
drang oder wie der Großherzog von Oldenburg fich durch eigene Leis
ſtung ein großes Verdienft um unfere Seeintereffen erworben hat,
oder wo ein mit SHerrjchereigenfchaften alter Art ausgeftatteter Herr
wie Großherzog Friedrich von Baden ſich aus dem Perjönlichkeits- .
durchichnitt heraushob, der fich meinem Eindrud nach im letzten
Menichenalter allgemein in Deutfchland, bei den Fürftenhäufern wie
bei den Spitzen der einzelnen Berufszweige geſenkt hat. Natürlich
babe ich auch die Hanfeftädte aufgefucht; ferner die bundesftaatlichen
Minifter, deren Kennenlernen fi) als gutes Werbemittel erwies, zu⸗
mal diefe Sitte des Herumreifens damals noch nicht in Übung mar.
Dann habe-ich es für mein Recht und meine Pflicht gehalten, den
‚breiten Schichten begreiflich zu machen, welche Interejjen hier auf dem
Spiele ftanden; es galt, den verfümmerten Welthorizont des Volkes
zu weiten; den durch unfere gefchichtliche Entwicklung abhanden ges
kommenen oder doch zur Seite gedrängten Sinn für die Kulturwerte,
die mit der See zufammenhingen, zu wecken; die Überzeugung zu ver⸗
tiefen, daß wir gebieterifch auf diefen Weg gewieſen waren, wenn mwir
das zufammengedrängte Deutichtum ohne riefige Auswanderung in der
Heimat fo blühend erhalten wollten, wie es ſeit Bismards Schutzzoll⸗
| Gefeggebung glücklich gedieh. Heeringen organifierte die Nachrichtens
| abteilung bes Reichsmarineamts; er reifte an den Univerfitäten umher,
| wo fich fait alle Nationalöfonomen bis zu Brentano hin in großartiger
96 Die Flottengejege
Weiſe zur Unterfiügung bereit fanden. Schmoller, Wagner, Sering,
Schumacher und viele andere wiefen nach, daß die Aufwendungen für
die Flotte produftive Ausgaben wären, und flellten die Lage Deutfche
lands dar, die ungeficherte wirtfchaftspolitifche Grundlage unfrer ganzen
Kultur und Macht, die Gefahr, daß unfer Menfchenüberfluß ftatt
eines Reichtums eine unerteägliche Xaft werden Fönnte. Sie zeigten,
wie fehr unſre Weltftellung auf Sand gebaut war, wie die Chamber-
lainſchen Zollpfäne u. a. ung zum Vegetieren ale armes Kleinvolk ver—
urteilten, wenn wir nicht die Macht hätten, ein eigenes Wort gegenüber
den Überfeemächten in die Wagfchale zu werfen. So Fam ein Schwung
in die Erörterung nationalpolitifcher Fragen, der ein gejundes Gegen-
gewicht gegen unfruchtbare fozialpolitifche Utopien fchuf.
Von den großen Hiftorikern, die in einem früheren Menjchenalter
die öffentliche Meinung führten, war Feiner mehr am Leben, nachdem
auch Treitſchke geftorben war, der herrlihe Dann, bei dem ich von
1376 ab an der Univerfität gehört und mir auch privatim, bei Joſty
neben ihm fißend und meine Fragen auf einen Zettel kritzelnd, hatte
Nats Holen dürfen. Warum Treitſchkes Geift in der deutfchen Hiſtorie
- faft erloſchen iſt, verftehe ich nicht. Unfere Weltlage war doch fo
eindeutig. Wir hörten ohne eine durch Seemacht gedeckte Induſtrie
auch auf, eine feftländifche Großmacht zu fein, und daß wir faturiert
wären, wie die weltabgewandte Haltung mancher Gelehrter anzudeuten
fchien, konnte höchftens von der Frage der deutfchen Einigung gelten.
Tach der Löfung der Einheitsfrage ftellte fich aber mit voller Gewalt
die Frage, ob wir im Rahmen der Menfchheit etwas bedeuten follten.
Es lag vielleicht in der Neuheit und raſchen Entwicklung dieſes poli«
tifchen Problems, daß die Hiftoriker in ihrer Mehrzahl es nicht fo Elar
begriffen wie die Nationalöfonomen!),
V Don Hiftorikern hat mich befonders Dietrih Schäfer unterſtützt. Mommſen
lebte noch, der mir gern Schiffe geben wollte, aber Fein Geſetz. Ich Habe ihm in
Geſprächen gefagt, dag mir in feiner Darftellung des zweiten punifchen Krieges
die Er* nntnid zu fehlen ſchiene, daß Hannibal durch die römifche Seeherrfchaft
befiegt worden if. So wird auch der Siebenjährige Krieg und die Napoleonifche
Zeit in Deutſchland meift viel zu einfeitig aufgefaßt. Hätte die in Deutſchland
herkömmlich gelehrte Gefchichte und mehr daran gewöhnt, in Kontinenten zu denten,
jo würde auch der Schulpforter Primus Bethmann-Hollweg vielleicht den Angel:
punkt des Weltkrieges weniger mißverftanden haben. Es war mir ein betrübliches
Zeichen für Die Enge unferes gefcichtlihen Horizonte, dag die ausgezeichneten
Wie die Seeintereffen dem Volke bekannt wurden 07
Auch die Armee mit ihren feftländifchen Überlieferungen folgte dem
Wandel der MWeltlage nicht gern, wovon ich bald darauf einen Ans
wendungsfall im Kleinen erlebte durch die unbehilfliche Vorbereitung
ber leidigen Chinaerpedition, bei deren Durchführung die mangelhafte
materielle und geiftige Dispofition der Armeeverwaltung für Aufgaben,
die nicht zum Zweifrontenkrieg gehörten, nur infolge der weltmännifchen
Perfönlichkeit des Grafen Walderfee weniger in die Erfcheinung trat.
Doch habe ich bei hervorragenden Militärs, mit denen ich, wie mit
den Gelehrten, jedoch unter ftärferer Betonung des militärifch-poli=
tiſchen Gefichtspunftes ſprach, z. B. bei dem Feldmarfchall v. d. Golß,
Derftändnig gefunden. Wir liefen Verfammlungen und Vorträge abs
halten, und bemühten ung namentlich, in großem Maßftabe Kühlung
mit der Preffe zu bekommen. Wir empfingen jede Zeitung ohne Unter:
ſchied und gaben allen fachliche Aufklärung ohne Polemik, Sie Eonnten
damit machen, was fie wollten; eine gewiffe Dankbarkeit für das von
ung gegebene Material prägte fich doch aus, und fo Famen wir vorwärts,
Die altherkönmliche Gaftfreundfchaft der Marine gab den Ton für
die Behandlung der Öffentlichkeit. Wir wollten nicht Gitter um ung
errichten, fondern grundfählich die Flotte als Sache des ganzen Volkes
behandelt wiffen. Wir ließen Reifen zur Wafferfante machen, zeigten
die Schiffe und Werften, wandten ung an die Schulen, forderten Schrifte
fteller auf, für uns zu fehreiben; es Famen Stöße von Romanen und
Broſchüren. Vom Kultusminifterium follten Preife an die Schulen
gegeben werden. Die Reichgleitung, ohne welche ein nachgeordnetes
Reffort wie dag Neichsmarineamt ja nichts unternehmen Fonnte, unters
füßte uns unter Bülow. Doch würde die Propaganda noch glücklicher
geweſen fein, wenn dag Staatsminifterium fie übernommen hätte, Wir
waren noch ſtarke Außenfeiter. In Preußen 3. B. hatten wir Fein Necht
auf den Staatsapparat. Ferner Eonnte, um eine folche Propaganda zu
machen, auf Feine etatsmäßige Bewilligung gerechnet werden. Sch habe
denn auch den ganzen Werbefeldzug fozufagen Eoftenlog mit freiwilligen
Spenden durchführen können. Auch das war in Deutfchland ein neues
Bücher U. v. Peez' fo wenig beachtet wurden. Ich habe fie zu Hunderten ver:
breiten, ferner das Werk des Admirals Mahan überfegen Iaffen, und hoffte nicht
ohne Grund, daß die Erziehung unferes heranwachſen den Seeoffizierforps die not:
wendige Erweiterung des politifchzgefchichtlichen Gefichtskreifes der Nation unters
flüßen würde,
Tirpitz, Erinnerungen 7
08 Die Flottengefche
Verfahren. Das Entfcheidende war, daß der Gedanke zündete; dann
trug fich der Funken von felber weiter.
Es offenbarte fich ein gewiffes Bedürfnis der Nation nach) einem
Ziel, nach einer vaterländifchen Sammlungsparole. Das Volk war
nicht faturiert. Wenn ein Volk faturiert ift, geht ed nieder. Stillftand
und Rückgang liegen hart beifammen, Das war bei ung nicht der Fall,
und binnen Furzem war die Flotte als Lebensfrage anerfannt und
ein felbftverftännliches Beſitztum der Nation. Freilich, der politisch
naive Deutſche glaubte vielfach jeßt plößlich, fchon eine mächtige Flotte
zu bejißen, während es fich erft darum handelte, eine folche zu
bauen. Übertreibungen und unzutreffende Vergleiche mit England, Herz
ausforderungen und Taktloſigkeiten in der Preffe, Parlament und ſon⸗
ftiger Öffentlichkeit waren troß allen auch von mir unternommenen
Warnungen nicht ganz zu unterdrücden,
Es war ja ein entfcheidender Fortfchritt, daß die Nation jebt die
See Tiebgewann. An nationalem Überfchtwang fündigt der Deutfche
nur deshalb, weil er als unverbefferlicher politischer Slufionift zwiſchen
den beiden Ertremen der Machtſcheu und des Machtraufches hin- und
herſchwankt ).
2
Am 15. September 1897 hielt ich dem Reichskanzler Fürften Hohen⸗
Iohe zum erften Male Vortrag über die Gefeßesvorlage. Sch führte
vor allem aus, daß eine Verfchiebung nicht am Pla wäre; im nächften
Jahre fänden Reichstagswahlen ftatt; zunächft wäre aljo im Fall einer
Ablehnung die Auflöfung vermeidbar, und ale Wahlferment wenigſtens
die Marinefrage nicht ungünftig. Der nächfte Reichstag würde fich
dann bei erfchöpften Parteifaffen ungern auflöfen laſſen. Am 6. Oftober
) Die Marineverwaltung hat das ihre getan, um der Öffentlichkeit eine nüch—
terne Bewertung des Erreichten zu ermöglichen. In der Monatsfchrift „Marine:
rundſchau“ und im „Nautieus”, den wir alljährlich ald Handbuch privaten Charakters
herausgaben, um uns ohne offiziöfes Gewicht freier über die Seeintereffen und über
das Tatſächliche ausfprechen zu können, verbreiteten wir Kenntniffe auch über die
ausländifhen Marinen, Der Abſatz des „Nauticus“ flieg von Jahr zu Jahr, Er
war und [don im Anfang ein guter Helfer gegen die flottenfeindlichen Brofchüren
Eugen Richters und anderer; und ald wir die Annahme des erften Flottengeſetzes
mit den Parlamentariern in meinem Haufe feierten, fließen wir lachend auch auf
den großen literarifchen Anonymus „Herrn Nautieus” an,
Zum erfienmal im Neichötag 99
ftimmte das Staatsminifterium zu. Die Veröffentlichung der Vorlage
fand an einem Sonntag früh ftatt, jodaß fie 36 Stunden wirkte, bevor
Eugen Richter, hierdurch bejonders ungnädig geftimmt, im Montags
Abendblatt dagegen ſchreiben Eonnte,
Die Flottengegner im Reichstag, aber nicht fie alfein, fträubten fich
gegen die Sinebelung des parlamentarifchen Bewilligungsrechtes durch
ein „Aternat“. Eugen Richter wies als Vorbild auf das Schickfal des
Slottenplanes von 1365 hin, der tros warmem Gefühl für die Marine
abgelehnt worden wäre, mweil das Verhältnis zur Verfaffungsfrage ein
noch näheres und mwichtigereg wäre. Gefährlicher als Richter's Unver-
ſöhnlichkeit war es, daß auch diejenigen Kreife, die materiell die
Sachlichkeit und gute Begründung unferer Forderungen anerkannten,
die formale Bewilligung durch Geſetz größtenteils für unmöglich biel-
ten, jelbjt wenn ich meine ganze Perfon dafür einſetzte. In diefer
Richtung begegnete ich auch bei den beften Freunden zweifelndem Achfel-
zuden, Nun Fam e8 mir aber, wie oben dargelegt, gerade auf den
Grundfat des Geſetzes an. Sch wies darauf hin, daß die 1873 als not=
wendig anerkannten 14 Panzerfchiffe erft nach 21 Jahren wirklich
bewilligt und gebaut waren; nur die Gefeßesform gemwährleifte ange
meffene Baufriften, nur fie könne die Marine aus der Verwirrung,
Schwäche und inneren Krife reißen, in welche fie unzulängliche parla-
mentarifche Behandlung geworfen hatte,
Um diefen Grundfaß d. h. die Geſetzesform zu fchaffen, bes
fchränfte ich mich im übrigen materiell auf das Außerfte. Wir ver
langten Feine neuen Steuern oder Anleihen, wir begrenzten unfern Geld⸗
bedarf freimillig aufs Enappfte und banden ung hinfichtlich desfelben
auf fieben (bzw. fechs) Jahre. Wir forderten für jegt nur eine Eleine
„Ausfallsflotte“, worüber hinauszugehen damals noch Fein Grund vor=
lag, da die technifchen Vorbereitungen für Schiffsbau im größeren Stil
überhaupt erſt zu treffen waren. Darum gaben wir diefem erften Schritt
die Form, daß er im mefentlichen nichts anderes als den Stofch’fchen
Flottengründungsplan verwirklichte, Das ganze Vorgehen follte nicht
als Bruch mit der Vergangenheit erfcheinen. Der Küftenverteidigunggs
gebanfe wurde erwähnt, teils des gefchichtlichen Zufammenhangs willen,
teils damit ung nicht Angriffsabfichten untergefchoben würden. Auch
war ja dag Küftenpanzergejchtwader da und wurde in das Geſetz einfach
hinübergenommen. Da darin zugleich für fpäteren Erſatz der Küften-
7*
100 Die Flottengefeße
panzer vorgeforgt, über die Art des Erſatzes aber nichts bejtimmt wurde,
fo verblockte dieje Hereinnahme der alten Typen die ſpätere zweckent—
Iprechende Entwicklung nicht H.
Das parlamentarifche Gelingen der Vorlage wurde erhofft vermittelt
ihrer ficheren Grundlegung durch jahrelange taktifche Arbeit, ſodaß fich
der Plan als eine gefchloffene, nicht plöglich entitandene, fondern zwin—
gend aus der Erfahrung erwachſene Forderung darftellte.
Auf Capelles Rat nahm ich in dag erfte Flottengejeß eine Geldgrenze
hinein. Zumal da die Geldbefchaffung Feine Schwierigkeiten bereitete,
die erforderlichen Mittel, wie bemerkt, ohne neue Steuern ſchon vor=
handen waren, hat diefe Geldgrenze dem Neichstag das Gefeß mund»
gerechter gemacht, ung nachher bei der adminiftrativen Durchführung
aber Nöte gefchaffen, weil der Geldivert beftändig fiel.
Um mit den mafgebenden Abgeordneten Fühlung zu bekommen, ließ
ich durch meine Mitarbeiter Vorbefprechungen einleiten und trat perſön⸗
lich ing Gefpräch, nachdem ich die Stimmung fchon kannte. Un Eugen
Nichter war ja nicht heranzufommen. Aber ein Teil des Freiſinns unter
Barth und Nickert ging mit. Die Nationalliberalen waren unfere beiten
Freunde, Um die anfänglich lauen Konfervativen brauchte ich mich nicht
zu bemühen, da fie mit Ausnahme von Einfpännern grundfäglich für
MWehrvorlagen ftimmten, immermwährend eingedenk der harten Gefchichte
und bedrohten Gegenwart Preußen-Deutfchlandg. Das Zünglein an
der Wage bildete dag Zentrum,
Freiherr v. Hertling, ein Freund unferer Sache, beziveifelte wie die
Mehrzahl aller Politiker die Möglichkeit, eine gefeßliche Bindung zu
erlangen. Er fagte, die bisherige uneinheitliche Behandlung aller Marine—
fragen hätte es den Gegnern zu fehr erleichtert, Stimmung gegen alle
Slottenpläne zu machen; zudem ſchwirrten Staatsftreichsgerüchte,
Unfere Befprechungen mit dem Zentrumsführer Dr. Lieber, der ich
bei perfönlicher Empfindlichkeit fachlich als fehr geeignet erwies, haben
1) Die vorhandenen Küftenpanzer tauften wir beim zweiten Flottengefeß auf
dem Papier in Linienfchiffe um, was nichts Foftete, aber nunmehr keftimmt zum
Ausdruck brachte, daß der gefeglich feftgelegte Erfaß dieſer Klaffe der Hochfeeflotte
zugute kommen follte. Die Front verftand den wahren Grund diefer Übernahme
der alten Schiffe in den gefeglichen Beftand der Flotte nicht, und es entſtand für
biefe nicht vollwertige Gattung der Ausdrud „ſchwimmende Särge“.
Der erſte parlamentarifche Erfolg 101
Schließlich das Geſetz gefichert, Die Ummandlung des Septennats in
ein Serennat war von Lieber felbit angeregt.
So wurde der „Sprung über den Stock“, auf den e8 bei diefer erſten
gefelichen Feftlegung der Seemacht ankam, vollzogen. Der Reiche:
tag begab fich eines Teiles feines Nechtes, jährlich in die Marines
entwiclung einzugreifen. Der nationale Gefichtspunft verdrängte den
des parlamentarifchen VBetätigungstriebes. Leiten Endes hatten mir
das Parlament darum überzeugen können, weil wir felbft überzeugt
waren,
3
Sm Winter 1893/99 war ich noch feſt entfchloffen, das Serennat
innezuhalten. Sch war mir aber ftets Elar darüber und habe das auch
im Reichstag geäußert, daß das erfte Flottengefeß nicht die endgiltige
Flotte fchuf; daß wir nach Ablauf des Serennats mit Nachfordes
tungen kommen müßten, wurde offen befprochen.
Nachdem 1897 die Nation die Frage, ob eine ftarfe Flotte Dafeing-
berechtigung haben follte, grundſätzlich bejaht, den materiellen Um—
fang aber eng begrenzt hatte, reifte die Zeit heran, mo wir ung zu ent-
Schließen hatten, ob der politifche Schritt zur wirklichen Scemacht ges
wagt werden oder das ganze Unternehmen nur eine grundfägliche Demon
firation bleiben follte. Sch war perfönlich entfchlojfen, nach dem erften
Schritt auch den zweiten zu tun, unter Wahrnehmung der innens und
außenpolitiichen Lage, Ich dachte an ein „ſprungweiſes Vorgehen‘, wo-
bei in der Zwiſchenzeit der Reichstag möglichht zu ſchonen war,
Dies Schonen erwies fich aber als fchwierig; denn nachdem man
angefangen hatte ernſthaft zu bauen, fiegen die Wünſche bald bis in
die „aſchgraue Pechhütte“. So Fam ich früher als ich felber geahnt
hatte, aus der Notwendigkeit, die Geldgrenze höherzutreiben, heraus in
Erwägungen und Vorarbeiten zu einem zweiten Flottengejeß hinein,
Schon feit Herbft 1898 nahm ich mir zur Richtfchnur, alle Einzel
heiten des organifatorifchen Vorgehens fo einzurichten, wie e8 für Fünfz
tige Flottenverſtärkungen zweckmäßig wäre. Da unfere Maßnahmen
auf ein fernes Ziel hingeordnet waren, wurden fie auch innerhalb der
Flotte vielfach nicht verftanden und führten zu inneren Reibungen, bie
hingenommen werden mußten, um den Geſamtplan nicht zu gefährden.
Im Lauf des Sommers 1899 erkannten wir, daß mit der Novelle
102 Die Flottengeſetze
nicht big zum Ablauf des Serennats (1904) gewartet werden könnte,
und faßten den Entfchluß, fie fpäteftens für 1901 oder 1902 einzu-
bringen, den Jahres-Etat für 1900 aber fo zu geftalten, daß er ber
Novelle den Weg freilegte, und bei feiner Einbringung gleich anzu=
Fündigen, daß mir die Novelle um einige Jahre vorzuziehen gedächten.
Die eigentliche Entfcheidung über Inhalt und Zeitpunkt der Novelle felbit
follte dann erft im Frühjahr 1900 nach vorheriger gründlichere Durch-
arbeitung des Entwurfs und unter Berüdfichtigung der dann vorliegen⸗
den politifchen Verhältniffe erfolgen. Für ein folches Vorgehen erbat
und erhielt ich am 28. September 1899 die Faiferliche Genehmigung.
Der beim Immediatvortrag anmwejende Chef des Marinekabinetts ſah
die parlamentarifchen Ausfichten für gering an, worauf der Kater
meinte, dann würde eben der eiferne Topf (des Willens zur Flotte)
den irdenen Topf (der Oppofition) zerjchlagen.
Bei diefem Entfchluß Teiteten mich drei Gründe, Der erfie war
parlamentarifcher Itatur. Wir reichten mit der 1898 feitgejeßten Geld-
grenze nicht aus, denn wir hatten die Preisfteigerung der Schiffe
unterfchäßt. Sollten die zu vergebenden Neubauten nicht durch Geld-
mangel verfümmern, mußten wir ſpäteſtens 1900 oder 1901, beffer aber
fofort, an den Neichstag mit der Bitte herantreten, ung von der
Geldgrenze zu entbinden,
Taten wir dies aber, fo waren Nüdfragen des Neichstags Über unfere
Baupläne nach Ablauf des Serennats nicht zu vermeiden. Kündigten
wir dann die Novelle erjt für 1904 an, dann hätten wir 1899 eine
Generaldebatte ohne jeden praftifchen Nuberfolg gehabt, So war es
richtiger, der doch unvermeidlichen parlamentarifchen Erörterung von
vornherein ein. pofitives Ziel und im günftigften Fall den Charakter
einer eriten Lefung zu geben.
Der zweite, noch wefentlichere Grund, der für ein Vorziehen der
Novelle fprach, war technifcher und verwaltlicher Art. Wir mußten
darnach ftreben, jedes Jahr möglichft gleich viel Schiffe zu bauen;
unfer militärifches Ziel und der Stand unfrer Einrichtungen empfahlen
eine Baurate von drei großen Schiffen im Jahr, Nun wäre an ſich
das befte geivefen ein einfaches Geſetz, das ben alljährlichen Bau
von drei Schiffen vorfah. Aber zu einer derartigen Preisgabe feines
Bernilligungsrechtes hätte der Neichstag fich niemals verftanden. Er
fügte fich der gefeglichen Feſſelung nur, infoweit fie durch organiz
Mom erften zum zweiten Flottengejeg 103
fatorifche Notwendigkeiten begründet war, nämlich durch jenen orga⸗
nifchen Flottenplan, der die von ung als taktifche Einheit erprobte und
Bon der ganzen Welt nachgeahmte Gefchwaderformation ent
hielt, nicht einzelne Schiffe. Forderten wir geſchwaderweiſe, fo konnte
ber Reichstag Geſchwader flreichen, aber nicht Schiffe, weil er damit
feine Zuftändigkeit überfchritten und in das Militärifch-Organifatorifche
eingegriffen hätte. Aus der gefeßlichen Gejchwaderformation aber ergab
ſich nun in Verbindung mit der Lebensdauer der Schiffe eine jährlich
ſchwankende Baurate, Nach dem erften Flottengefeß reichte die Baus
rate von drei Schiffen big 19015 dann wären wir auf ein Schiff
gefunken, um erft in fpäteren Jahren unregelmäßig und teilwetje
über das Dreiertemps hinaus zu fleigen.
Das Heruntergehen auf ein Schiff nun hätte uns ber Reichstag
kaum verübelt, wohl aber die fprunghafte Mehrbelaftung des Etats
beim Wiederanftieg. Ein erhebliches Karren des Bervilligungsmechas
nismus war da zu befürchten, wie ich denn ähnliche Beſchwerden 1912
erlebt habe. Diejes Aufr und Niederſchwanken der Baurate nun vers
mieden wir zunächft, wenn wie ein neues Flottengefeß fo zeitig vor—
legten, daß fich aus ihn die Beibehaltung des Dreiertempos von ſelbſt
ergab.
Der dritte und wichtigfte Grund endlich, weshalb dad damalige
Auswärtige Amt unter Bülow und ich mit dem zweiten Flottengeſetz
nicht noch jahrelang warten wollten, war die veränderte Weltlage. Bei
Samoa waren ein paar unferer Schiffe von Amerikanern und Eng-
ländern vergewaltigt worden. Diefe Demütigung hatte im Verein mit
der unglücklichen Manilas-Ungelegenheit die Stimmung für wirkſamere
Seegeltung in der deutfchen Öffentlichkeit geſtärkt. Andere Zeichen ber
Zeit waren die Unterwerfung der Franzofen unter den Willen des fees
beherrfchenden Englands bei Faſchoda und der zur See verlorene Krieg
der Spanier gegen Amerifa mit der aus ihm folgenden Einbuße an
Kolonien. Der Burenkrieg endlich warf feine Schatten voraus. Mächtig
erweiterte Flottenbaupläne fo ziemlich aller Seemächte deuteten auf
eine fehnellere Entwicklung der Welt, ald wir fie 1897 anzunehmen in
der Lage geweſen waren, Selbft innenpolitifch drängten die Verhält—
niffe vorwärts, Der Streit um den Mittellandfanal fehlen ein Vor—
fpiel zu dem im Jahre 1902 bei der Neuordnung der Handelsvertrage
drohenden Zuſammenſtoß der wirtichaftlichen Gruppen, in welchen binz
104 Die Flottengefeke
einzugeraten für die Flottenfrage die Gefahr unfachlicher Behandlungs⸗
weiſe mit fich gebracht hätte,
So hatte ich mich alfo Ende September 1899 mit Einwilligung bes
Kaifers bereit gemacht, in den Etat für 1900 möglichft viele une
bequeme Forderungen bineinzuarbeiten und während der Wintermonate
1899/1900 mit den Parlamentariern Fühlung zu nehmen und im
Keichsmarineamt Form und Inhalt einer neuen Novelle vorbereiten
zu laffen, über deren Einbringung dann im Frühjahr 1900 je nach
der Weltlage und Volksſtimmung Befchluß gefaßt werden Jollte,
4
Da ich wußte, wie ſchwer es der Natur des Kaifers fiel, diefe
Sache ausreifen zu laſſen und es fich zu verfagen, felbft damit her-
vorzutreten, hatte ich am 11. Oktober den Staatsſekretär des Aus—
wärtigen bitten laffen, auf den Kaifer in dem Sinne zu wirken, daß
er bei dem beabfichtigten Stapellauf S. M.S. „Karl der Große‘
in Hamburg eine verfrühte Berührung der Flottenfrage unterlafjen
möchte. Graf Bülow ging bereitwillig darauf ein und zeigte fich auch
feinerfeitg beforgt über etwaige pofitifche Außerungen bei diefer Ge—
legenheit.
Der Stapellauf fund in Hamburg am 18. Oktober ſtatt und brachte
die aufſehenerregende Rede des Kaiſers, der im Rahmen eigener Aus—⸗
drucksweiſe unſre noch im erſten Vorbereitungszuſtand befindlichen Erz
wägungen ohne Befragung des Reichskanzlers oder des Staatsſekretärs
des Auswärtigen in die Offentlichkeit warf. Mit ſeinem Schlagwort
„Bitter not tut uns eine ſtarke deutſche Flotte“ nahm der Kaiſer die
Initiative vor dem Volk auf ſich. In verſtärktem Maße hatte die
Marineverwaltung jetzt mit dem Verdacht zu kämpfen, ihr Vorgehen
entſpränge „abſolutiſtiſchen Einflüffen, gegen welche die Reichsverfaf:
jung gefchügt werden müßte“,
Indes war ich mir unmittelbar nach der Kaiſerrede darüber Elar,
daß ich nicht ſchweigen Eonnte, fondern entiveder abbremfen oder da⸗
hinterfeuern mußte, Im erfien Fall gingen alle Ausfichten verloren.
Im zweiten mußte überftürzte Arbeit getan werden und die Marjche
ordnung war verfchoben. Trotzdem blieb Feine Wahl. Doch wünfchte
ich wenigftene bis zum Zufammentritt des Neichstags zu warfen, um
mich mit den Abgesröneten zu beſprechen.
Abbremſen oder Hinterfeuern ? 165
Der Kaifer dagegen verlangte fofortige Einbringung der Novelle,
Auch das Zivilfabinett drängte: „Bismarck hätte Doch die ganze Reichs—
verfaffung in 24 Stunden gemacht; weshalb ich fo zögerte?“ Dan
wünjchte die Offentlichkeit von der „Zuchthaussorlage” abzulenken,
darum follte die Marine als Objekt für Erörterungen dienen,
Während wir alfo der Kaiferrede nachftichen, fteckte das Marineamt
noch in den erften Vorarbeiten. Die Befchlagnahme deutfcher Reichs⸗
poftdampfer durch die Engländer um die Wende des Jahres trug dann
in die Dedauerlich überhigte Burenbegeiſterung der deutfchen Offent⸗
lichkeit einen Zug eigner nationaler Kränkung hinein und erleichterte
die Einbringung der Novelle zu Anfang des Jahres 1900, zu ber ich
andauernd ſtürmiſch vom Kaifer gedrängt wurde. Auch war nament-
lich dank der Mitarbeit der Nationalöfonomen die öffentliche Meinung
in ſtärkerem Umfang gewonnen, als wir felber erhofft hatten.
Von Rußland wurde die Novelle begrüßt und Fürft Hohenlohe
rechnete auch auf Frankreichs flilles Einverftändnis, Won England war
dag Entgegengejeßte zu erwarten, obwohl der Kaifer bei feiner Nückkehr
aus England Ende November 1899 den Beifall des beitifchen Hofes
wie der englifchen Minifter und Marineoffiziere mitzubringen glaubte.
Wir haben bei der Bearbeitung des zweiten Flottengejeßes lange ges
ſchwankt, ob wir den Riſikogedanken gegen England in die Begründung
aufnehmen follten. Am Tiebften Hätte ich England aus dem Spiele
aelaffen. Aber eine jo ungewöhnliche Forderung, mie fie hier vorlag,
nämlich die Verdopplung unferer kleinen Seemasht, ließ e8 Faum ums
gehen, ben eigentlichen Grund wenigftens anzudeuten. Eine ſchweigende
Haltung England gegenüber war unfrer Öffentlichkeit doch nicht an—
zuerzieben, die, der eigenen friedfertigen Harmlofigkeit bewußt, über
die Burenbefämpfer glaubte fittlihe Enteüftung ausgießen zu dürfen.
Da wir ung vergeblich bemühten, das Poltern gegen England abzus
dämpfen, fo empfahl eg fich, anläßlich der Flottenberatung mit eigenen
Erklärungen den Ton nüchterner zu ſtimmen.
Sch entfchloß mich alfo in der Begründung zum Flottengefeg ben
Kampfzweck der Flotte, nämlich den einer ehrlichen politifchen Defen-
jive, klar auszusprechen und wies im Dezember 1899 auch im Reichstag
darauf Hin, daß für Umfang und Zufammenfegung der deutfihen Marine
die fchwierigfte Kriegslage zugrunde gelegt werden müſſe. Dieje trete ein,
wenn wie dent größten unter den möglichen Gegnern zur Ste gegen:
106 Die Floitengelege
überftehen. Für diefen Fall müffe die Flotte fo eingerichtet werben, daß
ihre höchfte Kriegsleiftung, in einem Verteidigungskrieg, auf ber Noröfee
in einer Seefchlacht Liege.
Der Late muß hier unterfcheiden zwiſchen taktifcher und politifcher
Dffenfive. Jedes Kriegsfchiff und daher auch jede Schlachtflotte ift
technisch und taktifch immer ein offenfives Inſtrument; auch der Geiſt
ihrer Führung muß, wie Stofch mir in jenem Briefwechfel fehrieb, „zur
Dffenfive elektrifirt werden”, Politifch aber bot die beabfichtigte deutfche
Flotte angefichts der doppelt und dreifach ftärferen beitifchen den Enge
Ländern jede Friedensgewähr, da es Wahnfinn geweſen wäre, bei einer
fo geringen Ausficht auf Überwälttgung der britifchen Flotte einen
Krieg vom Zaun zu brechen,
Tas wir dagegen anftrebten, war, fo ſtark zu fein, daß auch für
die gewaltige Übermacht der englifchen Floite das Anbinden mit ung
ein gewiſſes Wagnis bedeuten ſollte. Hierin lag die politifche Defen—
five ebenfo wie der taktifche Wille zur Schlacht in einem Ders
teidigungskrieg .
Eine gewiſſe Volkstümlichkeit gewann alſo der von uns angedeutete
Riſikogedanke in der Form, daß unſere Flotte nicht größer aber
auch nicht kleiner gehalten werden ſollte, als nötig wäre, um auch der
größten Seemacht den Angriff auf uns als ein gewagtes Unternehmen
erſcheinen zu laſſen. Die Ergänzung dieſes Gedankens wäre geweſen,
daß eine beachtbare Flotte auch unſre Bündnisfähigkeit ſteigerte. Was
wir über den Riſikogedanken unmißverſtändlich ſagten und dachten, ging
in defenſiver Richtung, wurde aber planmäßig von der engliſchen Preſſe
verdreht.
Es iſt im Jahr 1900 allgemein empfunden worden, daß Deutſchland
im Begriff ſtünde, den unvermeidlichen Schritt zur Weltpolitik zu tun
und ſeinem Handel ſeine Flagge wenigſtens in angenäherter Bedeutung
folgen zu laſſen. Je weniger große Worte dabei fielen, je weniger (nach
Rooſevelt Hat im Juli 1908 für die amerikaniſche Flotte geſagt: „Eine erſt⸗
klaſſige Schlachtflotte ijt das befte Friedenspfand; eine rein defenfive Flotte ift
wertlos. Für eine defenfive Flotte eintreten ift etwa dasfelbe, wie die Stiftung
eined Schulpreifes für Fechten, bei dem nur parirt werden darf. Eine Flotte muß
ſolange auf Gegner hämmern fünnen, bis er aufs Kämpfen verzichtet.” Im weiteren
Verlauf feiner Rede drüdte fich Der Präfident freilich auch politifch offenfio aus, was
unirem Riſikogedanken fern Iag.
Was das zweite Flottengeſetz follte 107
bem mie von Bismarck in Friedrichsruh gegebenen Nat) Perfpek:iven
eröffnet wurden, befto bejfer war es. Während ich es bedauerte, wenn
der Wille zur Weltmacht, der ja auf unabfichtlichen Wirtſchaftsentwick⸗
lungen und natürlichen Kräfteverfchiebungen ruhte, durch programma-
tische Kundgebungen zu fehr in das mißverftändliche Licht eines bewußten
Entfchluffeg und Ruckes geftellt wurde, habe ich in Rominten damals
dem Kaiſer meine Überzeugung unter folgenden Leitgedanken ausges
drückt.
„Wenn das Ziel erreicht iſt, haben Eure Majeſtät eine effektive Macht
von 38 Linienſchiffen mit Zubehör. Dieſer Macht wird nur noch Eng⸗
land überlegen fein. Aber auch England gegenüber haben wir ducch
geographiiche Lage, Wehrſyſtem, Mobilmachung, Torpedoboote, tak⸗
tiſche Ausbildung, planmäßigen organiſatoriſchen Aufbau und einheit⸗
liche Führung zweifellos gute Ausſichten.
Abgeſehen von den für uns durchaus nicht ausſichtsloſen Kampfs
verhältniffen dürfte England aus allgemein politifchen Gründen vom
nüchternen Standpunkt des Gejchäftsmannes aus jede Neigung, ung
anzugreifen, verlieren und uns ein folches Maß von Seegeltung zuge
ſtehen, daß unfere berechtigten überfeeifchen Intereſſen nicht leiden wer⸗
ben!). Bon den vier Meltmächten Rußland, England, Amerika und
Deutfchland find zwei nur über See erreichbar; darum tritt Die Stants-
macht zue See mehr und mehr in den Vordergrund.
Salisburys Ausfpruch, die großen Staaten würden größer und
ftärker, die kleinen Eleiner und ſchwächer, entfpricht der modernen Ent-
wielung zur Kraftlonzentration, zum Truſtſyſtem. Da Deutfchland
in Bezug auf Seemacht befonders zurückgeblieben ift, fo wird eg für
uns eine Lebensfrage, das Verfäumte nachzuholen. In der Ausbildung
Deutichlands zum Weltinduftrier und -handelsſtaat Liegt offenbar das
ſtärkſte Mittel, um den Bevälferungsüberfchuß deutfch zu erhalten,
Diefe Entwicklung ift unaufhaltfam wie ein Naturgefeg. Wenn man
fie eindämmen wollte, fo bräche fie durch die Dämme. Bei einer der=
artigen Handels⸗ und induftriellen Entwicklung wachjen die Berührungs⸗
und Konflittspunkte mit andern Völkern, darum ift Seemacht uners
läßlich, wenn Deutfchland nicht raſch niedergehen ſoll. Hier reihen ſich
politifche Überlegungen, Bündniserwägungen, an, die nicht in meine
Zuftändigkeit fallen,”
) Bol. hierzu Rap. 15,
108 Die Flottengeſetze
Im Sanuar 1900 entwickelte ich dem Kaifer den Gedanken, daß
unfer Flottenprogramm nie ausreichen würde, um England angriffes
weiſe zu bedrohen. Die Schlachtflotte fei niemals für einen transozea-
nifchen Krieg, fondern ausschließlich für die Verteidigung der heimifchen
Gewäſſer beftimmt, und es wäre ein Methodenfenler, vor Verwirk—
lichung der Schlachtflotte die zweite Entwicklungsgruppe der Marine,
den Auglandsdienft, irgendivie voranzutreiben).
Die geforderten Auslandskreuzer wurden vom Reichstag tatfächlich
verweigert, der ja irgend einen Abſtrich machen muß?). Der mili=
tärifche Kernpunkt des zweiten Flottengefeßes war die Verdopplung der
Schlachtflotte. Ferner war von Bedeutung ber Wegfall einer Geld:
grenze.
5
Bei den Verhandlungen über dag zweite Flottengefeß fpielte eine
befondere Nolle der Zentrumsabgeordnete MüllersFulda, eine etwas
„erratiſche“ Perfönlichkeit, die fpäter wenig mehr hervortrat und auch
damals meift hinter den Kuliffen gewirkt hat. Er regte zu unferer
Freude ſelbſt den Fall der Geldgrenze an, die er für eine nach—
teilige Einfchränkung des Budgetrechtes erklärte, Indem mir von einer
Geldfeftfegung diesmal überhaupt abfahen, fielen alle finanziellen
Schwierigkeiten fort. Dem jährlichen Bervilligungsrecht des Reichstags
wurde in finanzieller Hinficht freie Bahn gelaffen. Der Reichstag
bewies aber die Einficht, daß er fich in moralifcher Hinficht viel ſtärker
band als bei irgend einer Geldgrenze. Denn er hatte fich auf ein be=
ftimmtes Bauprogramm durch das Gefeh gebunden. Wurden nun bie
Schiffe größer und teurer, fo Eonnte der Neichstag, der ja die Schiffe
als folche Fraft Gefetes bemilligen mußte, unmöglich aus Geld—
) Ih benüßte die Gelegenheit, um dem Kaifer aufs neue Zurüchhaltung mit
öffentlichen Außerungen anzuempfehlen.'
2) Da wir mehr wie drei große Schiffe im Jahr infolge der Grenzen der ted):
nifchen Einrichtungen wie der Perfonalvermehrung nicht auflegen Eonnten, wären
die geftrichenen 6 Kreuzer doch erſt im Jahr 1906 in Auftrag gegeben worden,
So machte der Abſtrich tatfiichlich nichts aus; ich bemerkte aber bei der Ablehnung
im Jahre 1900 fofort, wir würden in der gegebenen Frift die Nachforderung einz
bringen. So entſtand die Kreuzernachforterung. von 1906. Es mar mir lieber,
dag 1900 der gefamte Auslandstienit aefirichen wurbe; fo blieb ein genügend
großer Gegenftand für die Nachforterung, zudem einer, der in gewiſſer Hinficht
größere Volkstümlichkeit geneß ald der Bau einer Schlachtflotte.
Eine Lex imperfecta 109
gründen der Technif Vorjchriften machen: er Eonnte die Verantivortung
niemals dafür übernehmen, daß die gefehlich feſtgeſetzten Schiffe durch
ungenügende Geldbewilligung zu Elein und fchlecht ausfielen. Durch
die Lex imperfecta, die das zweite Flottengefeß mit feiner mates
riellen Bindung, aber finanziellen Offenlaffung darftellte, begab ſich
der Reichstag tatfächlich der Möglichkeit, das Geld für die fich ver-
größernden und verteuernden Typen zu verweigern, wenn er fich nicht
ben Vorwurf zuziehen wollte, minderivertige Schiffe zu bauen. So hat
fich der Reichstag 1900 juriftifch feitgelegt, den befchlojfenen Floiten-
plan auszuführen, und moralijch gebunden, ung dabei Feine Geld-
ſchwierigkeiten mehr zu machen, wie fie beim erften Flottengeſetz fo bald
eingetreten waren.
Die Mitverantwortung, meiche der Reichstag durch diefe Faffung
des zweiten Geſetzes übernahm, hat fich bewährt. Als wir fpäter durch
die Engländer genötigt wurden, den Niefenjprung zur Dreadnoughte
klaſſe zu machen, hat der Reichstag mir die Vergrößerung ſelbſt ent
gegengetragen, die eine abermalige Verdopplung des Kampfivertes, aber
auch der Koften, immer ſtreng im Rahmen des Gefehes von 1900,
mit fich führte,
Um beim Zentrum weniger Widerftand zu finden, hatte ich bie
Preisgabe des $ 2 des Sefuitengefeges empfohlen, was der Kaifer
indes auf Lucanus' Kat, dem Bülow beitrat, ablehnte. Es ift auch
ohne das gegangen. Unfere Mehrheit war größer, als fie bei den
lebten Militärvorlagen gewejen war, Sch habe im Reichstag niemals
unüberfteigliche Hinderniffe, vielmehr, eingefchloffen die bürgerliche Linke,
im großen Ganzen Verftändnis gefunden. Eugen Nichter Elagte mich
freilich gebrochener Eide an, weil ich im Januar 1899 auf eine Ans
frage, ob wir vor Ablauf des Serennats Nachforderungen beabfichtigten,
der damaligen Lage gemäß verneinend geantwortet hatte. Sch darf
jagen, daß wir den Neichstag jederzeit wahrheitsgemäß unterrichtet
haben.
So Fam alfo das zweite Flottengefeß zuftande, von dem ich mir
bewußt war, daß e8 eine ganz andere politifche Tragweite haben mußte
als dag erfie, namentlich im Nahmen einer Bündnispolitik, weil es
für die übrigen Flotten der Welt die Möglichkeit bot, durch Koalitionen
mit ung ein gewilfes Gleichgewicht auf dem Meere herauftellen.
Zwölftes Kapitel
Beim Flottenbau
1
Menn man ein großes Ziel erreichen will, ift man nicht immer in der
Lage, feine letzten Gedanken zu enthüllen. Auch beruht politifche Arbeit
auf Divination unficherer Faktoren; wie der Seemann bei bedecktem
Himmel „mit gegißtem Befte d.h. nach Schägung fahren muß,
oder wie der Ort, auf den man zufteuert, von Ferne feine Lofalfarben
richt verrät. Oft verfchiebt fich die Ausficht während der Fahrt, und
es ift für Außenftehende leicht, Widerfprüche zu finden oder Schwierige
Feiten zu beftreiten. Sie fagen etwa: wenn du nur im Neichdtag ordent-
lich redeft, dann wird es fich fehon machen. Wer in einer Spezialität
arbeitet, haftet fich leicht an ihre feit; den Wirbel aller ihn umringen-
den Verhältniffe fühlt nur der verantwortliche Leiter felbit.
Der Staatsfefretär follte ein großes Programm, auf defjen Er-
fülfung er fich der Nation verpflichtet hatte, durchführen vermittelft
einer einheitlichen Machtbefugnis, die man bei ihm allerfeits voraus⸗
fetste, aber ihm von Feiner Seite aus wirklich einräumte. Es galt
durch Einfegen der ganzen Perfon das Vertrauen der Gefamtheit zu
rechtfertigen und die ungeahnt vielen und Eräftigen Widerftände nieder
zufämpfen.
Wir fanden zunächft vor einem Labyrinth technifcheorganifatorifcher
Hragen und Meinungsverfchiedenheiten, Sch fand, daß unfre Schiffes
formen befonderg ungünſtig waren. Es dauerte aber Fahre, bis ich diefem
Übelftand abhelfen Eonnte durch Schaffung von Schleppanftalten, die ung
fehlten, weil die Techniker zu wenig davon gehalten hatten, durch Schlepe
pen von Modellen die befte Form für Schiffsgefchwindigkeit feftzuftellen.
In der Länge und Größe der Schiffe wurden wir durch die Wilhelms-
havener Schleufen befchränft. Diefe zwei Umftände trugen dazu bei,
daß namentlich unfre in der erften Zeit des Flottengefeges gebauten
Schiffe nicht die Schnelligkeit erlangt haben, die ihre Mafchinenkraft
Ülfer Anfang ift ſchwer 111
gerechtfertigt hätte. Die DVerlegenheit war chronisch, bis (1910) die
dritte Wilhelmshavener Einfahrt gebaut war, Einen großen Nachteil
gegenüber allen Flottenbauenden Nationen verurfachten ung ferner bie
Sandbarren unſrer Nordfeeflußmündungen, die verhinderten, ben
Schiffen den zwecmäßigften Ziefgang zu geben. Sn gewiſſem Sinn
Eehrte für uns die Beſchränkung wieder, welche den Holländern dee
17. Sahrhunderts in ihrem Kampf gegen die Engländer teuer zu ftehen
gefommen iſt. In der Seeſchlacht kämpft nämlich im mefentlichen
Schiff gegen Schiff; das technifch Entfcheidende ft noch mehr die im
Einzelichiff angehäufte Kraftkonzentration als die Anzahl der Schiffe.
Da nun die Holländer wegen der Nordfeeflußläufe -ihre Schiffe
nicht fo groß bauen Fonnten, wie die Engländer, erlangten biefe Die
örtliche Überlegenheit. Diefe und viele andere Hemmniſſe galt es alfo
in kurzen Jahren fo zu überwinden, daß unfre Schiffe troß alfem die
englifchen an Kampfwert übertrafen,
Ganz allgemein wurde der Flottenbau erfchiwert durch den damals
niedrigen Stand unferer Eonftruftiven Technik. Man hatte den Ver⸗
mwaltungsbeomten in der Admiralität zuviel Macht über die Technik
eingeräumt; felbft fozial und in ihren Bezügen waren die Schiffe:
bauer gedrückt worden. Der ftille Kampf zwiſchen Juriſten und Tech
nifern war einer der Gründe, weshalb wir den Flottenbau mit mangel-
haften und zahlenmäßig unzureichendem Perfonal beginnen mußten. Der
oberfte Techniker der Admiralität Hatte fich individuell eingerichtet,
verſchloß die eigentlich wiffensiwerten Dinge in feinem Notizbuch und
buldete Feinen Nebenbuhler. Diefe Lage Eonnte ung einmal zum Nieder⸗
bruch führen. Dabei Fonnte die technifche Leiftungskraft nicht wie die
Drganifetion langfam emporwachfen, fondern follte mit dem Beginn deg
Flottenbaues fofort vollgereift einfeßen und an Maſſe und Tempo der
Arbeit plößlich nahezu ebenſoviel bewältigen wie ein Jahrzehnt fpäter.
Sch bemühte mich darum vom erften Tage ab, die Stellung der Techniker
zu heben und Nachwuchs zu ſchaffen; ich verfuchte die Herren Eennen zu
lernen und picte mir die heraus, die zukünftige Konſtrukteure abgeben
konnten, wozu es ja verhältnismäßig wenige bringen. Die Engländer
wählen fich einen Chefingenieur mit ziemlich fouveränen Befuaniffen
und drüden ihm ein Sahresgehalt von 100000 Mark in die Hand,
Solche „Verſchwendung“, wie fie einer großzügigen alten Ariſtokratie
anfteht, follte man dem Schatzamt und der demokratifchen Mifgunft
112 Beim Flottenbau
unferes Parlaments vorgefchlagen haben! Sch bildete einen Sonder⸗
fonds für onftruftive Leiftunggr und überwies daraus Herren, die
fich ausgezeichnet Hatten, Vergütungen big zu 4000 Mark. Aber ob-
wohl ich ihnen das Geld durch Brisf ſchickte, mit der Bitte, darüber
zu ſchweigen, machte fich die deutfche rechtfchaffene Kleinlichkeit darüber
ber; die Empfänger felber baten um gleichmäßige Verteilung des Fonds
propter invidiam der anderen! Da war es Fein Wunder, daß die Privat:
induftrie ung viele gute Techniker mwegangelte; die Herren meldeten
ſich vielfach nach einiger Zeit Fran? und gingen fofort an eine große
Firma ab. Trotz diefen und zahlreichen anderen, hier nicht zu erör-
ternden Schroierigfeiten gelang es mit der Zeit, die englifche Qualität
des Kriegsfchiffsbaues zu überflügeln, was fich auch bei der Privat:
induſtrie im Bau der großen Perfonendampfer geltend machte.
Ein Jahr nach Übernahme meines Amtes war eine fehrwierige Über-
gangsperiode eingetreten, in welcher mangels anderer leitender Kräfte ein
Seeoffizier, Admiral Büchſel, als Chefkonftrufteur in die Breſche
Ipringen mußte, Von den Baubeamten, die ich inzwiſchen für die höheren
technijchen Aufgaben defignierte und denen ich durch Reifen und be=
fondere Kommandierungen Gelegenheit gab, fich für ihr großes Ziel
vorzubilden, fällt ein befonderes Verdienft auf unferen fpäteren Chef:
Eonfteufteur, Gcheimrat Bürkner. Sein Zufammenarbeiten mit ung
Seeoffizieren für die gemeinfame und untrennbare Aufgabe empfand
ich perfönlich ftets als vorbildlich. Auch die anderen technifchen Herren
haben zu der fich fletig verbeffernden und zuletzt unübertrefflichen
Konſtruktion ihr volles Teil beigetragen. Die Art unferes Schiffebaues
und die in ihm Feiftallifierte geiftige Oefamtarbeit möge dem Laien
an einem Beiſpiel verdeutlicht werden,
Im Geefampf ift nicht Geländegewinn, fondern Vernichtung des
Gegners das einzige Ziel; feit Einführung der Dampfkraft und der
modernen Schußwaffen wird es nicht mehr dur) Enterung, fondern
nur noch durch Verſenkung erreicht. Solange ein Schiff ſchwimmt,
behält e8 einen gewiſſen Kampfwert und kann nachher leicht repariert
werden. Die tödliche Verlegung der Unterwafferteile des Schiffskörpers
ift darum das letzte Ziel der Angriffswaffen, die Erhöhung der Sint-
ficherheit das Hauptziel der Schugmaßnahmen, Bis 1906 waren
unfere Schiffe gegen Unterwaſſerwaffen wenig, die englifchen Schiffe
noch) im Kriege felbft fchlecht geſchützt. Bei den älteren Schiffen führte
Wir arbeiten gründlich 113
ein Zorpebotreffer meift zum Untergang, wie 3.8. der erfolgreiche
Kampf von UI mit drei großen englifchen Kreuzern zeigt. Gleich
nach Erledigung des Flottengefeßes ließ ich nun die Frage der Sink-
ficherheit in eingehende Arbeit nehmen. Wir merkten dabei bald, daß
wir wirkliche Probefprengungen in größerer Zahl vernehmen mußten,
um genügendes Erfahrungsmaterial zu fammeln. Da mir moderne
Schiffe nicht opfern, an alten nicht genügend lernen Fonnten, bauten
wir eine Sektion eines modernen Schiffes für fich allein und nahmen
an ihr Sprengverfuche mit Torpedoföpfen vor, deren Verlauf wir jedes-
mal genau fludierten. Dabei erprobten wir die Möglichkeit, die Spreng-
kraft dadurch abzufchwächen, daß die Sprenggafe zuerft nicht auf
Widerftand, fondern auf Teere Räume trafen. Wir ermittelten die ge
eignetfte Stahlart der verfchiedenen Konftruktionsteile und fanden ferner,
daß die Sprengmwirkung aufgebraucht wurde, wenn wir fie zwangen,
Kohlen in erheblicher Maffe zu pulverifieren. Hieraus ergab fich eine
befondere Anordnung eines Teiles der Kohlenbunker. Der auf diefe
Meife abgefchwächten Sprengkraft Eonnten wir nunmehr durch eine
ftarke, forgfam gebaute Stahliwand den Widerftand entgegenfeben,
der das Schiffsinnere endgültig ficherte. Diefes „Torpedoſchott“ wurde
glatt und ohne Unterbrechung durch die ganze Länge des wertvollften
Schiffsteils durchgeführt. Die durch Jahre fortgeferten Verfuche, für
die wir die Millionen nicht fcheuten, lieferten ferner Auffchlüffe über
die zweckmäßigſte Materialverwendung und die Baumeife der anfchließen:
ben Schiffsteile. Darüber hinaus wurde das gefamte Untermwafferfchiff
durchfonftruiert für den Fall, daß die Lofalifierung der Trefferwirfung
nicht gelänge, daß mehrere Treffer einfchlügen uſw.; unendliche Arbeit
wurde auf Einzelheiten verwendet, wie dag Pumpenfyflem oder die Mög:
lichkeit, das zum Überliegen gebrachte Schiff durch Gegenfluten bes
ftimmmter Räume wieder fchnell in magerechte Schwimmlage zu ver:
ſetzen. Wir verzichteten fchließlich völlig auf Verbindung der Unterwaffer:
räume durch Türen, die beim Untergang der „Titanic“ eine fo verz
hängnisvolle Rolle gefpielt haben u. a. m.
Die durch unfer Syſtem erzielte Sinkficherheit hat die Probe be:
fanden. Unfere Schiffe waren im Gegenſatz zu den britifchen nahezu
unverwüſtlich. Auf der Eleinen „Wiesbaden“ hämmerte die ganze eng-
lifche Flotte herum, und das arme Schiff mwollte nicht finken. Die
„Mainz“, obwohl ganz zufammengefchoffen und torpediert, mar nicht
Tirpig, Erinnerungen 8
114 Beim Slotienbau
unter Waffer zu bekommen, bis ein Offizier und der Torpedomaſchiniſt,
nachdem alles Übrige von Bord gegangen war, das Schiff durch Öffnen
der Torpedofchleufen zum Sinken brachten und mit ihm verfanfen.
Der ausgezeichnete Kommandant der „Emden“ feßte fein Schiff mit
der äußerſten Kraft auf die SKorallenriffe, und troßdem blieben
die inneren Konftruftionen heil. Was unfere Schiffe an Minen⸗
und Torpedotreffern aushielten, ohne zu ſinken, war erſtaunlich. Bei
dem Vorftoß des Admiral v. Nebeur auf Imbros erhielt „Goeben“
drei ſchwere Minentreffer, konnte aber trotzdem mit eigener Kraft in
den Bosporus zurückkehren, während ein modernes englifches Linienfchiff,
der „Audacious“, nach einem einzigen Minentreffer in der Srifchen See
fan. Nur unfere älteren Schiffe, wie ‚Pommern‘ und „Prinz Adalbert”,
gebaut zu einer Zeit, ala unfere Unterfuchungen über Sinkficherheit
noch nicht abgefchloffen waren, bewieſen geringere Widerſtandskraft.
Daß ein Schiff überhaupt ſchwimmt und durch Bewahrung mag-
rechter Lage noch einen Gefechtsftend abgibt, ift feine vornehmfte
Eigenschaft, und darin blieb die englifche Marine fo weit hinter der
unferigen zurüd, daß allein diefer Qualitätsunterfchied den Ausgang
einer Seeſchlacht beftimmen Eonnte. Uber auch in allen andern Rich:
tungen ftrebte unfere Bauleiftung dem Köchftmaß von Schlagkraft zu.
Indem wir vornehmlich Eigenfchaften erftrebten, die in der Schlacht zur
Geltung kommen, Eonnte die Güte unferer Schiffe im Frieden nicht ein
mal von allen Frontoffizieren richtig eingefchätt werden, zumal wir
zugunften der Schlachtleiftung auf eine Reihe von Renommiereigen-
Ichaften und Bequemlichkeiten verzichten mußten, die fich im Frieden
gut machen. Die vollftändige Türenlofigkeit unferer Untermwafferteile
z. B. mar recht unbequem; derartiges Eonnte aber im Ernftfall das
Schickſal entjcheiden. In jeder ducchgefämpften Seefchlacht tritt ber
pſychologiſche Augenblid ein, daß den einen Zeil das Bewußtſein
durchläuft, „Herrgott, die Feinde ſinken und wir nicht, fie brennen,
und mir brennen nicht”, und von da an hat er dann faft Feine Ver-
fufte mehr, während der Gegner alles verliert. Wie unfere Schiffe
den gleichalterigen englifchen gegenüberftanden, dafür nur eine Zahl
angabe. Unfer „Derfflinger“ Eonnte, ganz abgefehen von unferer beſſe—
ven Munition uſw., nach genaufter Feftitellung den fchwerften Panzer
des britiſchen „Tiger“ fchon auf 11700 Meter durchfchlagen, der
„Tiger“ den des „Derfflinger“ erft auf 73800 Meter, Eine ähnliche,
Unfere Schiffe werden gut 115
ben Nachdenklichen ergreifende Überlegenheit in Armierung und Panzer:
ftärfe beftand bei faft allen Kampffchiffen gleichen Alters,
Indem wir nun beim Schiffsbau unfere Gefechtsauffaffung in Stahl
und Eifen überfegten, gaben wir anderes preis, mas fofortige Anerfen-
nung erworben und ung fortgefeßte Eritifche Vergleiche mit den Ne-
Flameangaben ausländischer Baufirmen erfpart hätte, Wir hatten
ſchwerere Gewichte durch die tiefe und ſchwere Panzerung in der
MWafferlinie, durch die Sink- und Feuerficherheit, die einzigartige Siche-
rung der Kommandoteile des Schiffes uſw.
Für Deutfchlands entfcheidende Entwicklungsjahre hatten wir den
qualitativen Vorfprung unferer Flotte über die englifche gefichert und
bamit einen mwefentlichen Ausgleich für unfere geringere Zahl, Wenige
wußten begreiflicherweife auch in Deutfchland über diefe Überlegenheit
ganz Beſcheid; viele, aber nicht alle vertrauten den Schöpfern der
Flotte. Wenn ein Schiff im Frieden ſchwamm, dann traten ja feine
Eigenfchaften der Solidität und Gefechtskraft gar nicht in die Erfcheis
nung, dann war e8 gleichgültig, ob es einen dicken oder dünnen Panzer
trug. In die Erfceheinung dagegen trat und bot deutfcher Nörgelfucht
mwilffommenen Anlaß, ob wir 3.2. ſchwere Gefchüge mit Fleinerem
Kaliber führten als die Engländer: nicht fichtbar war, daß mir, ab:
gefehen von unferen wirkungsvolleren Gefchoffen, mit dem Pleineren
Kaliber praktifch diefelbe Durchfchlagskraft erreichten, wie die Enge
länder mit ihrem größeren, daneben aber andere fehr wichtige
Vorteile erzielten. Die Solidität meiner Xrbeitsweife war ja
manchem fchon dem Naturell nach zumider und folchen, bie
aus Fremdländifchen Blendangaben gern Wunfchliften zufammen-
ftellten, in den Tod verhaßt. Wenn unfere dem Feind fchmählich aus:
gelieferten Schiffe jet wiffenfchaftlich unterfucht worden find, fo wer⸗
den die Engländer bei der Durcharbeitung des Ganzen wie der hundert
Einzelheiten fich geroundert haben, welchen Gegner fie auf ihrem eigens
ften Gebiet, dem Schiffsbau, an den Deutfchen hatten. Die Engländer
haben nicht annähernd die gemwiffenhafte und intelligente Arbeit ges
habt wie wir. Da die Engländer aber Feine Deutfchen find, fo werden
fie nur widerwillig zugeben, daß das Fremde beffer war, als ihr Eigenes.
Sch überwinde mich ſchwer, dies zu betonen, Aber wenn unfer Volk aus
feinem Schieffal Ternen foll, fo muß es auch die Selbftmörderede in
feinem Weſen erkennen, Denn erſt nach der Schlacht am Sfagerraf
8%
116 Beim Flottenbau
haben viele begriffen, welche Waffe fie an der deutfchen Flotte befaßen.
Es war verfäumt worden, rechtzeitig die gefchichtlichen Folgerungen
aus ihrem Beſitz zu ziehen.
Als die deutfchen Armeen 1870 mit einem minderwertigen Gemehr
in den Krieg zogen, fagte man der Truppe: „Das Chaffepot ift nur
auf weitere Entfernung überlegen. Da lauft ihr drunter weg, und
dann von 400 Meter ſeid ihr die Überlegenen.”
Man hatte der deutfchen Marine nur die Wahrheit beizubringen, um
fie in den erften Krieggmonaten mit unbezwinglichem Überlegenbheitsgefühl
in die Schlacht ziehen zu laſſen. Statt deſſen wurde in den höheren
Stellen der Marine zum Teil ein Sport damit getrieben, alle Mängel
an Einzelheiten zu Eritifieren. Dies trug in das Offizierskorps einen
für den Ernftfall bedenklichen Zug hinein: es wurde mehr gezmweifelt
als geglaubt. Daß wir an der einen oder andern Stelle etwas noch
hätten beffer machen können, ift felbftverftändlich. Aber man betrachte
das Endergebnis ald Ganzes. Das vermochte unfer Deutfchland von
1914 nicht. Es hielt es nach dem Spruch auf dem Schießplaß zu
N „Haft du im Leben hundert Treffer,
Man fieht’s, man nickt, man geht vorbei,
Doch nie vergißt der Eleinfte Kläffer,
Schießt du ein einzigmal vorbei.”
Das deutfche Volk hat im Grunde ja fo viel Glück gehabt bei feinem
fpäten, aber zielbewußten und darum noch rechtzeitigen Flottenbau.
Aber das letzte, entfcheidende Glück blieb ihm verfagt, und dazu trug
feine eigene Neigung bei, am Heimifchen zu Fritteln und das Fremde
zu bewundern. Mit aus diefem Grund ift die Flotte nicht rechtzeitig
eingefeßt worden, woraus fich die fpäter zu fchildernden Folgen ergaben.
2
Flottenbau ift angewandte Taktik, aber zugleich auch eine Gelds
frage. Wir durften uns Feine einzige größere Fehlausgabe erlauben,
ſollte Deutfchland eine brauchbare Flotte erhalten. Den Arbeitserfolg
der beteiligten Marineoffiziere und bes mweitverzweigten treuen Beamten:
ftabes kann nur der gerecht würdigen, der unfere geldliche Feſſelung
berücfichtigt. Keine fremde Marine hat aus einem Mindeſtmaß von
Mitteln ein folches Höchftmaß von Leiftung herausgeholt. Der richtige
Gelönöte 117
Standpunkt zur Beurteilung dürfte fich ergeben, wenn zwei Fragen
allen anderen vorangeftellt werden: 1. Konnten wir mehr Mittel
für die Marine flüffig machen, und 2. Eonnte mit den vorhandenen
Mitteln mehr und Beſſeres gejchaffen werden? Wenn diefe beiden
Fragen, wie ich glaube, verneint werden müſſen, fo werden von felbft
die Seemacht als Gejamtwert betrachtet und die felbftverftändlich
vorhandenen Lücken urfächlich verftanden werden. Wie mwir 1898
den Grundſatz dauernder Erhaltung des Schiffsbeftandes Haupt-
fächlich durch den Verzicht auf jede neue Steuer erfauft haben und
den Reichstag mit dem ‚Hinweis auf die ‚bereits vorrätigen Geld:
mittel entwaffnet haben, fo Eonnten wir auch fpäter niemals aus dem
Vollen fchöpfen. Wir ftanden an Flottenausgaben nicht nur hinter Eng:
land, fondern durchweg auch weit hinter Amerika, ja, zeitweilig felbft hinter
Rußland und Frankreich zurück, erreichten aber durch günftigere Auswer:
tung der Geldmittel, daß wir die zmweitftärffte Flotte daraus bauten.
Freilich gibt es ja heute Patrioten, die es der deutfchen Marine als
Schuld anrechnen, daß fie mit den bewilligten Mitteln foviel erreicht hat 1).
Sparfamfeit bedingt genaue Arbeit und Faufmännifche Grundfäße.
Das Reichsmarineamt erwarb eine gewiſſe Berühmtheit für Drücken
ber Preife, Geländefäufe von weiter Hand und dgl, Nie wieder wird
Deutfchland eine fo große Schöpfung fo billig erhalten. Dies reiche
Volk, das im Kriege die Milliarden nicht mehr zählen durfte, hat in
den Zeiten feines Glückes die Millionen, ja felbjt die Tauſende zaus
bernd in der Hand herumgedreht, mit deren Hingabe an die Wehrkraft
e8 am ficherften die Dauer des Friedens und feiner Wohlfahrt hätte
fichern können. Seit dem Rücktritt des Fürften Bülow, der der Marine
volles Verſtändnis bemwiefen hatte, verfiel fie chronifchem Geldhunger.
Sch habe um bie notwendigften Mittel mich müde kämpfen müffen,
weniger mit bem Parlament, das fteigende Einficht bewies, als mit
dem Keichsfchaßfefretär und dem Neichskanzler, die, der eine durch
Refjortfanatismus, der andere durch politifche Träume verblendet, in
biefen für die Rüſtung Deutfchlands entfcheidenden Jahren vieles
MWünfchenswerte unterdrücten, weil Deutfchland Fein Geld dafür be=
reit hätte. Das Unauffchiebbare habe ich auch damals durchgefeßt; für
das andere hoffte ich fehmweren Herzens und mit dem Bemußtfein, im
Ausbau unferes Wehrfchußes behindert zu fein, auf fpätere Ergänzung.
) Vgl. den Anhang.
118 Beim Flottenbau
Für Nebendinge war jet weniger Raum als je; aber neuen Entwick—
lungen, wie 3.8. dem Ubootsbau, habe ich troßdem, fobald fie kriegs⸗
brauchbar waren, alle Kraft zugemwendet, fo daß wir auch hierin bei
Kriegsausbruch fämtliche fremde Marinen überflügelt hatten.
Das Sintereffe gemwiffer politifcher Kreife daran, die Leiftungsfähig-
Feit der Marine herabzufegen, hat während des Krieges zu einem Ver⸗
leumdungsfeldzug gegen meine frühere Amtstätigkeit geführt, durch
den mir die Neigung der Menfchen, und namentlich der Deutfchen,
Kritik höher zu bewerten als Schöpfung und das Geleijtete als felbit>
verftändlich, das noch Fehlende als Unterlaffung zu betrachten, lebendig
nabegerüct wurde, Sch bin mir auch in den Zeiten der Beliebtheit
immer darüber Elar geweſen, daß auf augenblickliches Hofianna leicht
das morgige Grucifige folgt. Daß das Vertrauen in die Marine Fünfts
lich erfchüttert worden ift, bedauere ich nicht meinetivegen, fondern
um des Volkes willen, möchte aber mit diefen vermutlich rafch ver
blaffenden Streitigkeiten den Lefer nicht aufhalten. Sch verweiſe auf ben
Anhang diefes Buches, der beigefügt ift, um denen, welchen es Freude
bereitet hat, die treue Keiftung einer Generation herunterzureden, nicht
durch mißdeutbares Schweigen das Feld ganz allein zu überlaffen.
Schon im Frieden war ich gewöhnt, mir Rückſtändigkeit vorwerfen
zu laſſen; die Öffentlichkeit immer aufzuklären, hielt ich angeſichts des
Auslandes nicht für richtig. Meine von früh an bewährte Methode,
die Kriegsbrauchbarkeit einer neuen Erfindung vor ihrer allgemeinen
Einführung abzuwarten, bewahrte vor Rückſchlägen und begründete
hauptfächlich unfere Erfolge, ſetzte mich aber felbfiverftändlich den
Vorwürfen der Erfinder und ungeduldiger Patrioten aus. Sch greife
zwei Beifpiele heraus, das Uboot und das Luftfchiff. Ich habe es ab-
gelehnt, für Uboote Geld mwegzumerfen, folange fie nur in Küften-
gewäffern fahren, alfo ung nichts nüßen Eonnten; fobald aber feefähige
Boote gebaut wurden, war ich der erfte, der fie in großem Stil fürs
derte und troß dem auferlegten Geldmangel darin big an die Grenze
unferer technifchen Leiftungsfähigkeit ging.
Die Frage, wie die Uboote verivendet werben follten, Eonnte praf-
tifch erft beantwortet werden, wenn das Inſtrument felbft da war.
Es galt alfo zunächft, Boote für Fernverwendung zu Eonftruieren,
und fobald dies möglich war, davon foviele zu bauen wie wir Eonnten.
Dies ift gefchehen und jomit nichts verfäumt worden.
Meine Rüdftändigfeit 119
Was man mit der fo gefchaffenen Waffe anfangen würde, muß-
ten die beſonderen Kriegsnotivendigfeiten ergeben. Hätten die Eng-
länder das bisherige Seerecht nicht gänzlich zu ihren Zwecken über den
Haufen geworfen, fo hätte der Ubootshandelskrieg von einem anderen
Gefichtspunft aus betrachtet werden Fünnen. Sobald die Fernverwen⸗
bung der Uboote ermöglicht war, Tag der Handelsfrieg in der Luft;
es bedurfte Feines befonderen Vaters dieſes Gedankens. Die Hoffnung
auf die Hochjeeflotte aber machte die Uboote zunächft zu Hilfgorganen
ber Flottenleitung. Als dann die Umftellung auf den Handelskrieg er
folgte, war hierfür alles gefchehen, was im Frieden überhaupt hatte
vorbereitet werden Eönnen. Von der Marine zu erwarten, daß fie alle
Entwicklungen des Krieges vorherfah und überlegte, ift dasfelbe, mie
wenn man von der Armee verlangen würde, fie hätte die Tankabwehr
ſchon im Frieden vorbereiten müffen!),
Don den Luftfchiffen habe ich als Seeoffizier, der noch die Kraft
des Windes und die Tücke der Böen auf Segelfchiffen Pennengelernt
hatte, mir niemals viel verjprochen, worin mir der Krieg recht ges
geben hat. Meine Erwartung ftellte ich viel mehr auf die Entwicklung
des Flugweſens. Bei dem Zeppelinraufch, der durch Deutfchland ging,
hielt ich mich zurück, ohne doch ganz als Stimmungsverderber erfcheinen
zu dürfen. Sch rücke als Probe für die rings andrängende Verlocdung
- zu übereilten Einführungen auf diefem wie auf vielen andern Gebieten
einen Brief nebft meiner Antwort hier ein,
Eher Erlen Berlin, 27. 8. 1912.
entjchuldigen, wenn ich Shre Ferien ſtöre; aber es handelt fich um eine
dringende, wichtige Sachel Förderung unferes Luftichiffbaues. Das
neue Marineluftfchiff wird einen ungeheuer großen Fortfchritt dar—
ftellen. Da fcheint mir die Zeit gekommen zu fern, wo man zum ſyſte⸗
matiſchen Bau einer Luftflotte übergeht; denn mit der heutigen Art
nußen wir unfern Vorfprung nicht aus. Der Schöpfer der deutfchen
Flotte follte auch der Schöpfer der deutfchen Luftflotte fein und wer:
den! Man braucht einen feſten Bauplan mit allem Zubehör, wenn wir.
an der Spite bleiben wollen, unter Umftänden niedergelegt in einem
Geſetze. Die Koften find nicht zu groß, mit 30 Millionen Mark Fönnen
in 3 Jahren 18—20 3:Schiffe gebaut nebft 9—10 Hallen zu je
9) Bol. im übrigen den Anhang.
120 Beim Flottenbau
2 Schiffen für diefe, famt den Koften der Indienfthaltung für 250
bis 300 Tage. Diefe Berechnung ftügt fich auf folgende Jahresausgabe
von 10 Millionen Mark,
1.7 Bau won. 0 0 es ne 4,50 Mill.
2..Bah von 3 Dalen bierfür ‘. . . . . ....u2 3,00 Mill.
3. SndienftHaltung per Schiff per Tag M. 800.—,
alfo für 6 Schiffe zu 300 Zagen. . ... . 1,44 Mill.
HT SH IBES a en . 1,06 Mill.
10,00 Mill. Mark.
Alſo Fönnte mit 30 Millionen Mark ungemein viel für den Frieden
und unfere Sicherheit gefchehen. Das Geld dafür iſt vorhanden, zu:
nãchſt ſchon im Überfchuß von 1911, von dem durch die Wehrvorlage
nicht alles gebraucht wird; 1912 läßt fich auch gut an und gibt feier
einen Überfchuß ab.
Ein foftematifches Vorgehen würde einen großen Wurf darſtellen,
ſonſt geht es wie bei der Flotte big 1898...
Indem ich Euer Erzellenz gute Erholung wünfche, bin ich in hoch-
achtungsvoller Begrüßung
Euer Erzellenz ergebener
M. Erzberger,
M. d. R.
St. Blaſien, 6. 9. 12.
Sehr verehrter Herr Erzberger!
Für Ihren Brief vom 27. Auguſt d. J., der mich außerordentlich inter⸗
eſſiert hat, ſage ich Ihnen meinen beſten Dank. Mit großer Freude
habe ich daraus erſehen, daß Sie in gleicher Weiſe wie für Heer und
Marine auch ein warmes Intereſſe für die Nutzbarmachung der Luft—
Schiffahrt im vaterländifchen Wehrintereffe beſitzen. Sch fürchte freis
lich, fo fchnell wie Sie e8 in Ihrem Briefe ausführen, wird fich die
neue Waffe doch nicht vorwärts fehieben Taffen. Nach Erledigung
ber Wehrvorlagen des letzten Jahres wird man nicht mit Unrecht vers
langen, daß die geforderten Zeppelins bezüglich ihrer Verwendung auf
hoher See und an der Küfte erft mal erprobt werden. Wäre das nicht
notwendig, würde man einen begründeten Vorwurf gegen die Regierung
erheben, daß fie eine größere Forderung für die Luftfchiffahrt, wie Sie
Ein Ferienbriefmechfel 121
in Ihrem Briefe ffizzieren, nicht bereits im vorigen Sahre bei den
Mehrvorlagen geftellt hat. — Eine eingehende Erprobung, verbunden
mit Bereitftellung und Ausbildung des erforderlichen Perfonals ift
auc) nach meiner feften Überzeugung unbedingt erforderlich, wenn wir
nicht ſchwere Rückſchläge erleiden follen. Eine militärische Verwendung
in großem Stil wird noch manche große Schwierigkeit mit fich bringen,
aber kommen wird es vielleicht dazu, nur nicht von heute auf morgen,
wie es Ihr patriotifches Herz erjtrebt und vor Augen fieht.
Mit freundlichem Gruß
Ihr ſehr ergebener
3 v. Tirpitz.
Betriebſame Ziviliſten und Geſchäftshäuſer, denen es nicht ſowohl auf
Kriegsbrauchbarkeit als auf Maſſenlieferungen ankam, bildeten nur den einen
Flügel meiner Kritiker, der andere ſetzte ſich aus Fachmännern zuſammen.
Um gerecht zu ſein, muß ich bemerken, daß die unheimlichen Sprünge,
mit welchen die Technik zur Zeit unſeres Flottenbaues vorwärts eilte,
auch unter den Fachleuten notwendig lebhafte Kontroverfen und ſchwie—
tige Kompromiffe verurfachte. Jedes Vorausbeftimmen auf längere Zeit
erwies fich als bedenklich. Jedes Schiff war in dem Augenblick, wo eg
fertig wurde, in gewiſſem Sinne fchon veraltet, und die Kritiker bedachten
nicht immer, daß es bei Baubeginn noch nicht anders ausfallen Fonnte.
Auch in der Gefchichte der fremden Marinen findet man innere Kämpfe,
fobald die Entwicklung vorangeht. Immerhin war bei ung durch die
Zerfpaltung der Admiralität beim Regierungsantritt Wilhelms IL. eine
Urfache innerbehördlicher Reibungen gefchaffen worden, die mich im
Lauf der Sahre ftärfer zermürbt haben, als etiva das Parlament oder
bie hervorbringende Arbeit. Sch ftand im Feuer nach allen Seiten.
Nach Annahme des Flottengejehes war das DOberfommando der
Marine verfiimmt darüber, daß das Geſetz mit feiner Schlachtflotte
jo gar nicht jenem unter Mitwirkung des Oberfommandos angefertig-
ten Entwurf einer Nuslandsflotte entſprach 1). Ich hatte anderfeita
Einwände gegen die politifche Betätigung des Oberfommandog, die fich
in den Delagoa⸗ und Manilaangelegenheiten ausgewirkt hatte; eg ges
Y Vol. oben S. 79f. An der Marineakademie wurde noch einige Zeit hindurch
für den Kreuzerfrieg und gegen die Hochfeeflotte gelehrt, bis ich durchgriff, da es
nicht anging, daß unfere Baupolitil von der höchften Bildungsftätte befämpft wurde,
122 Beim Slottenbau
nügte wohl, wenn zwei Marineftellen, Reichsamt und Kabinett, an
der Politif beteiligt waren. Das mir beim Amtsantritt gegebene,
eigentlich felbftverftändliche Verſprechen, daß ich bei der politifchen
Verwendung der Auslandsfchiffe gehört würde, mar nicht gehalten
worden. Sch verlangte nun die Zumeifung der Auslandsfchiffe ans
Marineamt, bin damit aber beim Kaifer nicht durchgedrungen. In
diefem Zwift fpielte man die Kommandogemwalt des Oberften Kriegs:
beren gegen mich aus, die gefchmälert würde, wenn der vom Parlament
abhängige Staatsfekretär zu umfaſſende Befugniffe erhielte. Gegen diefen
Einwand Eonnte ich ſchwer etwas fagen und war, um vorwärts zu kom⸗
men, genötigt, das Beſte aus ihm zu machen. So habe ich, wobei es
mehrfach zu meinem Mbfchiedsgefuch Fam, die Zerjchlagung des Ober:
fommandos in Berlin durchgefeßt, indem ich im Kaifer die Überzeugung
befeftigte, daß feine eigene Kommandogewalt ein Oberfommando auf
der einen Seite, dag Neichsmarineamt auf der andern Seite in der
bisherigen Befugniszuteilung ſchwer neben fich ertrüge, Ein Teil der
Befugniffe ging nun ang Keichsmarineamt über, der Reſt murde
teils den gouvernementsartigen Marineftationen in Kiel und Wilhelms—
baven, teils dem neugebildeten Admiralftab überwieſen). Diefe Zere—
fpaltung gefchah in Ermangelung des unerreichbaren Beſſeren, der
Vereinheitlichung der Marine in einer Admiralität, wie fie in England
ftets und bei ung bis 1888 beftand.
Ich hatte Caprivi in feiner letzten Amtszeit von ber Teilung der
Admiralität abgeraten. Caprivi teilte meine Anficht. In den folgenden
Fahren meiner taktifchen Arbeit hatte ich auf Organifationsverfchiebuns
gen innerhalb der nun einmal zerfpaltenen Behörden zu große Hoff:
nungen gejeßt, da ich damals noch nicht klar genug erkannte, daß ber
Mangel Eriegsmäßiger Arbeit mehr an Perfonen als an Organifationen
lag. Als ich dann den Flottenbau zu leiten hatte, war e8 für mich und die
Mehrzahl der urteilsfähigen Offiziere Bar, daß dem Marineamt während
der Schöpferzeit andere Befugniffe unerläßlich waren als im Beharrungs-
) Der Admiralftab wurde in fchematifcher Analogie zum Generaljtab gebildet,
Sch weiß nicht, ob ed ein Glück für die Armee war, daß der Generalftab in Nach:
wirkung von Moltles Größe dauernd fo felbftändig herauswuchs. Vielleicht ift der
Generalftab dem technifchen Verftändnis dadurch zu fehr entfremdet und das Kriegs:
minifterium zu wenig mit dem Krieg befaßt worden. Für die Marine mar jeden:
falls eine foldhe Abfpaltung des Admiralftabs unrichtig, eine Epigonenidee, aus der
eine eigentlich nicht Iebensvolle Sammelbehörde entftand,
Kämpfe ringsumher 123
zuftend. Welche unumfchränfte Gewalt räumten die Amerikaner nicht
Goethals ein, als er den Panamakanal bauen follte. Da aber mit der
Vielföpfigkeit unferer Marine nun einmal gerechnet werden mußte,
war eine Wielteilung immer noch erträglicher als der Dualismus
zwifchen einem Oberfommando in Berlin mit Kommandogewalt über
die ganze Marine und dem Marineamt. E83 Fonnte nicht ausbleiben,
daß bei diefem Fechten ringsherum mir ‚Herrfchjucht und Abfall von
meinen eigenen früher beim Oberfommando betätigten Anfichten vors
geworfen wurde. Richtig ift, daß ich das Durcheinanderlaufen der
Kräfte von meinem jeweiligen Standort und Werk aus mit verfchiedener
Front abzumehren hatte, wobei der Fluch der Vielſpältigkeit immer
wieder an anderer Stelle zutage trat.
Lebten Endes hängt die Leiftung von Behörden von den Menfchen
ab, die in ihnen arbeiten. Eine große fchöpferifche Aufgabe Fann nur
löfen, wer die Überzeugung von der. Richtigkeit feiner Ziele aus der
eigenen Bruft fchöpft und auch den Weg zum Ziel in den Hauptlinien
. felbft findet oder ihn fich doch völlig zum geiftigen Eigentum gemacht
bat. Ratfchläge und Anregungen frömen hinzu und nichts märe
folfcher, als ihnen nicht volle Beachtung zu ſchenken. Aber die Ent-
ſcheidung muß an der Stelle bleiben, welche die Schwierigkeiten der
verantwortlichen Ausführung fühlt. Material, Strategie, Taktik und
Ausbildung laufen in der Marine fo eng zufammen und find obendrein
jo rafchen Veränderungen ausgefeßt, daß man fie nicht trennen Fan.
Die Marine ift daher ein ungemein differenzierter Organismus, in noch
höherem Maße, als die Armee fchon iſt.
Der fortwährende Austaufch der für die Zentralbehörden ausgefuchten
Herren zwifchen Marineamt, Admiralftab und Front nahm dem Ge
danken, daß der Admiralſtab als marineftrategifche Behörde die Ent-
wielungsfragen beffer beurteilen Eönnte als das Marineamt, feine jach-
liche Berechtigung. Das MWünfchbare ift ziemlich grenzenlos und fteht
immer der Ausführbarfeit gegenüber,
Mit allen Marinebehörden an Land ftellte fich mit der Zeit ein leid:
lich ausreichende Arbeitsverhältnis heraus, Auch gelang es, dag natür⸗
liche Drängen der Norde und Oftfeeftationen auf Küftenverteidigung
und Küftenkrieg in Schranken zu halten, da es nur auf Kojten der
ölotte, d.h. der politifch- militärischen Bedeutung der Marine hätte
ı befriedigt werden können. Nicht fo Elar lagen die Beziehungen zum
Kommando der Hochfeeflotte, welches mit deren fortſchreitendem Auf
124 Beim Slottenbau
bau an Einfluß gewann und das Beltreben entiwickelte, alles ſchwim⸗
mende Material bei fich zu vereinigen.
Die Franzofen und Engländer ftellten den Chef der Flotte zugleich
an die Spibe eines Gefchwaders und gaben ihm damit unmittelbar
eine „Hausmacht“ in die Hand. Aus unfern Anordnungen zur Zeit
des Oberkommandos war dagegen die Einrichtung ftehen geblieben,
ben Flottenchef außerhalb der Gefchwaderverbände auf ein befonderes
Slottenflaggfchhff zu feßen. Wir ſchwankten, ob jenes fremde Ver:
fahren, für welches die Kriegsgefchichte |prach, oder unfere Einrichtung
den modernen Verhältniffen beffer entjpräche. Sch wollte die Frage
durch taktische Verſuche klären Iaffen. Hierbei ftieß ich auf unüber-
soindlichen Widerftand. Die Frage des Flottenflaggfchiffes entwickelte
ſich zu einer Reſſort- und Machtfrage.
Sorge bereitete mir in diefem Zufammenhang die zunehmend mo:
nopolartige Stellung des Flottenchefs, bei defjen Auswahl nach dem
Rücktritt Köfters, eines firammen LXehrmeifters in der Art Friedrich
Wilhelms I., dag Kabinett fich nicht in allen Fällen nur durch fache
liche Gefichtspunfte, mindeftens nicht durch große Menfchenkenntnis
beftimmen ließ. Dabei muß anerfannt werden, daß bei diefer Ent-
wicklung der Flotte die Auswahl fehr befchränft war und das Dienft-
alter eine zu große Rolle fpielen mußte. Damit war der weitere Nach—
teil verbunden, daß der Flottenchef, wenn er nach drei Jahren die Flotte
abgab, meift auch an das natürliche Ende feiner Laufbahn gekommen
war, feine mit der Flotte gerwonnenen großen Erfahrungen daher nicht
weiter ausgenußt werden Fonnten. Aus dem Studium der franzöfifchen
Marine, welche zugänglicher war als die britifche, hatte ich gefehen, daß
mit Wechfel des Flottenchefs faft ftets auch ein Wechfel der taktifchen Auf⸗
faffungen eintrat und ein großer Teil der vorher gewonnenen Erfahrungen
verloren ging. Im Sammeln und Fortführen diefer Erfahrungen hatte
ich die Haupttätigkeit der Landbehörde des Admiralſtabs erblickt; nun
wurde aber deſſen Tebendige Anteilnahme an den Flottenübungen zu=
nehmend durch die Macht des Flottenchefs erftict. Während ferner
bei der Armee ein nütlicher Wettbewerb durch dag Nebeneinander ber
zahlreichen Korpsführer beftand, erftarrte bei der mwiderfpruchslofen
Stellung des Hochjeechefs deffen Anficht Feicht zum Dogma, während
nüßliche Reibung auch hierfür Bedürfnis blieb. Um die fchöpferifche Kritik
wachzubalten, für welche unfere Kaifermanöver nicht ausreichten, und um
den Aufftieg jelbftändiger Führernaturen zu erleichtern, fowie um gegen—
Meffortforgen 125
über dem Drill und den fchönen Gefechtsbildern das Suchen nach Wahr⸗
heit zu beleben, trat ich — vergeblich — dafür ein, die einzelnen Flotten-
teile wesentlich felbftändiger zu Yaffen und nur für die großen Übungen
zufammenzufaffen, für diefe aber nicht unbedingt ben Flottenchef, fondern
wechjelnde Führer ohne Rückſicht auf das Dienftalter heranzuziehen.
Wenn man mir einen Vorwurf daraus machen till, daß ich nicht
ſchon im Frieden die Vereinigung der Marine in einer Hand durch-
gejett hätte, fo überfchätt man meine Macht. Bei der Eiferfucht der
verfchiedenen Spigen und bei der Natur des Kaifers Fonnte ich die
ſchädlichen Keibungen, die aus der Vielköpfigkeit des Marines
organismug erwuchfen, nur mildern, nicht befeitigen. Für mich gab
es nur den Meg, Feiner der Sjmmediatftellen überragenden Einfluß
einzuräumen, dem Kaifer das Gefühl zu laſſen, daß feiner Prärogative
nicht vorgegriffen würde, und für den Kriegsfall die Erwartung zu
begen, daß der Monarch eine Oberfte Seefriegsleitung ſchüfe, die alles
in einer Hand vereinigte. Das war, wie irrtümlich manchmal ans
genommen wird, Feine organifatorifche Frage, fondern ausfchließlich
eine Perfonenfrage. In diefem Sinne war in der Mobilmachungsrang-
lifte die Stellenbefegung für die Admirale auch nicht vorgefehen. Die
Nation, die von den Behördehalbheiten und den die Produktion hem⸗
menden Kompromiffen nichts ahnte, fchrieb dem Staatsfekretär die Ge-
famtverantwortung zu, die ich ftarf empfand. Uber mangels einer ein-
heitlichen Admiralität mußte ich häufig verhandeln ftatt zu handeln.
Am fchmwierigften wurde die Lage für mich, wenn fchließlich auch
ber Kabinettschef v. Senden troß feinem ritterlicher Wefen und feinem
warmen Herzen für das Hochkommen der Marine zeitweilig in Fragen
meines Refforts eine fehr eigenmillige Politik betrieb. Wie mir unter
wechjelnden Kampfgruppen und Koterien, die bei der aufßerordentlichen
Betätigung des Kaifers in Marinefachen mich Faum je zur Ruhe kom⸗
men ließen, zumute war, dafür greife ich ein beliebiges Stimmungs⸗
bild aus einem älteren Brief von mir an den Prinzen Heinrich heraus:
„Bezüglich der Großen Kreuzerfrage ift eg mir noch nicht gelungen,
Seine Majeftät zu überzeugen, daß ein Vorgehen in dem von Allerhöchft:
demſelben gewünſchten Sinne einen Zufammenbruch unfres Flotten⸗
gejeßes bedeutet... Die meiften nicht verantwortlichen Herren, welche
bei diefer Frage mitreden, überfehen die Sachlage nicht... Es hieße
doch wirklich ein gutes Erbe um ein Xinfengericht verfaufen, wenn man an
dem einen noch ausftehenden Kreuzer die Grundprinzipien des Flotten-
126 Beim Flottenbau
gefeßes modifizieren wollte. Das kann wohl ein Kabinettschef denken,
aber nicht ein Staatsfefretär, der das wahre Intereffe Seiner Majeftät
überfchaut und fich dafür verantwortlich hält. Während früher bei Reichs⸗
tagsforderungen ums nichts fo fehr gefchadet hat als eine gewiſſe Ruhe-
Yofigfeit und ewige Anderungen an den Projekten und Auffaffungen, fo
haben mir jet gerade nach diefer Richtung ein gewiſſes Vertrauens:
kapital gefammelt, was unferen Forderungen fehr zugut kommt. Wir
geben der Oppofition die fchärfften Waffen in die Hand, wenn wir ihr
die Möglichkeit geben, wieder von der veränderlichen Kriegskunft, dent
Zickzackkurs uſw. zu fprechen,
Wollen Euere Königliche Hoheit mir gnädigft zugute halten, wenn
ich die Feder über diefe Sorgen habe fließen laffen, aber ich bin nahe
Daran zu verzagen, wenn ich die fchwierige und gefährliche Lage unferes
Staates bedenke, welche ihren natürlichen Einfluß auf das Marineamt
ausübt an dem Vorabend einer Novelle, und wenn ich anberfeits fehe,
wie unverantivortliche Ratgeber die Schwierigkeit in geradezu ungeheuer:
licher Weife erfchweren und damit im letzten Ende die Intereſſen Seiner
Majeftät ſchädigen ...“
4
Das Parlament hat mir nicht fo viel Nöte bereitet. Das Unentbehr⸗
Tichfte war durchzufeßen; das Vertrauen des Reichstags zur behördlichen
Behandlung von Wehrfragen hob fich entſchieden. Durch allfeitige Er:
Fundigung und perfönlichen Augenschein auf Schiffen, Werften ufw.
überzeugten fich die Abgeordneten von der Art, wie gearbeitet wurde.
Dabei verfchwanden faſt alle Gegenfäbe zwiſchen Reichstag und Ne
gierung. Meine verhältnismäßige Unabhängigkeit vom Parlament er:
möglichte eg mir im übrigen, Quängeleien fich vielfach felber totlaufen
zu laſſen. Unter einem vein parlamentarifchen Regierungsfyftem bda-
gegen müßten fchöpferifche Behörden durch die Nationaluntugenden der
Kleinlichkeit, der Parteimißgunft und der überfließenden Illuſions—
fähigkeit geradezu erftickt werden. Sinsbefondere Fann der Parlamenta-
rismus Feine Flotten bauen, auch wenn er, wie in Frankreich, viel
bafür ausgibt. Den Engländern gelingt es, weil die Eigenschaften
der Nation und die große gefchichtliche Überlieferung ein feites Funda—
ment gebaut haben. Parlamentarische Körperschaften wollten auch fchon
zu meiner Zeit bei Laune gehalten fein; fie verurfachten viel Beſchwich—
kigungsarbeit und unfruchtbaren Kleinfram, brauchten, wie man ge:
fagt bat, ftets „eine Kugel, mit der fie fpielen Eonnten.” So mußte ic)
Dom Perfonal 127
dem Reichstag, um in den Hauptfragen feft bleiben zu Fünnen, ge
legentlich Unwichtigeres opfern. Betraf dies zu meinem Bedauern ein⸗
mal perfünliche Kompetenzen des Offiziersforpg, wie bei der Herab⸗
feßung der Zafelgelder, fo erfüllte das die betroffenen Offiziere nicht
mit Befriedigung und machte die Front gegen den vom Parlament
abhängigen Staatsfefretär mobil. Sch habe mich aber ftets bemüht,
für das Perfonal aller Kategorien einzutreten.
Sm felben Maße mie die Gefchtvader emporftiegen und fich ein
Marinereich an den deutfchen Küften ausbreitete, dem Meer Gelände
durch Deichbau abgewonnen, Dörfer enteignet, ganze Stadtanlagen
gegründet und mächtige Werkftätten gebaut wurden, wuchs auch die
vielgegliederte Familie ber Marineangehörigen ing Breite, Wir waren
bie einzige Neichgeinrichtung, die Hunderttauſende aus landsmann⸗
ichaftlicher Sehmeife hinweg in einen gemeinfamen Horizont 309. Die
Marine wurde ein Schmelztiegel des Deutjchtums. Bevor Eriegerifche
Zatenlofigkeit der Hochfeeflotte den fie durchftrömenden Geift ertötet
bat, Eonnie man an ihrem Pulsfchlag die auffteigende Kraft
Deutfchlands fühlen. Keine Marine der Welt hatte ein fo vor=
zügliches Mannfchaftsperfonal wie mir in unferen Küftenbenölfes
rungen, an den Kauffahrteifahrern, die durch den Dienft in ber
Kriegsmarine mehr und mehr den früheren internationalen Charakter
abftreiften, und an den Fifchern, die, unentbehrlich namentlich als
Bemannung unferer Bleinen Schiffe, mit erweitertem geiftigen Ges
fichtsfreis und beruflichem Ehrgeiz aus der Militärdienftzeit in ihre
Dörfer Heimkehrten. Als unfere altpreußifchen DOftfeeleute mit ihrer
Unftelligkeit und unfere Nordfeeleute mit ihrer fchweren Kraft für
unfer wachſendes Perfonalbedürfnis nicht mehr ausreichten, griffen
wir auf binnenländifchen Erſatz zurück; der Dienft auf modernen
großen Schiffen erforderte weniger feemännifche Fähigkeiten als in der
Segelzeit. Die Süddeutfchen, unter ihnen die Elfäffer, zeichneten ich
aus. Für das technifche Perfonal wurde der Dienft auf der Marine
unter Anleitung unſeres vorzüglichen Ingenieurforpg eine hohe Schule;
um unfere Heizer riſſen fich die Snduftrient). Dem Offizierkorps trat
1) Da die modernen Schiffe die Vermehrung des aus den ndufiriegegenden
tefrutierenden Mafchinenperfonald befonders ſtark verlangten und dieſes in ber
Werftdiviſion verhältnismäßig gefchloffen zufammenblieb, fo waren günftige Herde
für fozialiftifche Aogitation um fo mehr gegeben, ald die Arbeiter der Werften mit
dem Mafchinenperfonal der Marine am häufigfien in Berührung kamen. m
Frieden waren hieraus noch Feine offenen Schäden entſtanden.
128 Beim Flottenbau
unfere befte Jugend bei — man gedenke unferer Ubootsfommandans
ten —, und zwar um fo froheren Mutes, je größer unfere Zufunfts-
aufgabe fich abzuzeichnen fchien. Wie ftraff in der Marine gearbeitet
worden ift, Bann fich der Außenftehende Baum vorftellen. Nie ift dem Staat
freudiger und hingebender gedient worden. Wir fühlten ung als Vor—
poften eines großen Volkes, das dank feinem Staat fich Freiheit und
Ebenbürtigkeit unter den Weltvölfern zu erarbeiten im Begriffe ſtand.
Bald alfo waren wir aus dem Gröbften heraus und Eonnten die
Ziele erweitern. Mit der ftärferen Löfung der Flotte von Kaferne und
Heimatküfte wäre fie mehr und mehr in die Nation hineingemwachfen,
die fo etwas brauchte; die noch heute nicht weiß, welchen Schaß fie
allein an unferem Seeoffizierskorps befaß. Die rein deftruftiven Toren,
welche jeßt die Auflöfung des alten Deutfchlandg als eine Tat bes
jubeln, follen einmal einen Organismus fchaffen, der an gediegener
Kraft und Hingebung am die Ideale des Ganzen auch nur diefer einen
unferer alten Reichseinrichtungen gleicht. Die Gefichtspunfte der Welt:
politi? waren doch am fehärfften in der Marine Eonzentriert; darum
mußten wir eine Macht werden in der Nation. Als fpäter zu er-
örternde Umftände und Perſonen den durch die Flotte geficherten Frie—
den verfcherzt und den durch die Flotte verheißenen Sieg verfäumt
hatten, ift die Nation freilich fo geſunken, daß fie fich ihrer eigenen
einftigen Kräfte ſchämt und fich gefällt in Beſchimpfung deffen, mas
lange ihr Stolz und ihre Freude gemwefen ift.
Bei meinen Vorfchlägen, um die Organifation Tebendig zu erhalten,
wie überhaupt bei meiner Neigung, den ftets wechfelnden Bedingungen
der maritimen KHöchftleiftung nachzugehen, ftieß ich vielfach auf den
Miderftand der DVerhältniffe und der Sonderrefforts. Sch war nun
einmal feit 1897 bei manchen Abmiralen als Verwaltungsdirektor
und Materialbefchaffer der Marine abgeftempelt, obwohl meine eigent-
liche Entwiclungslinie und Neigung auf dem Gebiete der Flotten⸗
führung lagen. So mußte ich in der Folge vieles, was Ich nicht
biffigen Eonnte, mit anfehen, ohne die Möglichkeit einzugreifen.
Die geiftige Einheit, welche in den achtziger und in der erften Hälfte
ber neunziger Fahre die gefamte Marine umfchlang, ging big zu einem
gewiſſen Grade verloren, Schwerlich hätten die zu Beginn des Krieges
Sind wir auf dem richtigen Wege? 12%
zur Führung berufenen Perſönlichkeiten jo verhängnisvoll der politifchen
Reitung in deren Kampfjcheu nachgegeben, wenn die eingetretene jpezia
liſtiſche Reſſortpolitik das Kapital unjerer älteren taktijchen Arbeit
hätte voll ausnügen laffen. Als ich am 30. Juli 1914 den Operations:
befehl des Admiralſtabes kennen lernte, erſchrak ich über das theore-
tiſche Spintifieren, das bei der untergeteilten Behandlung der Haupt:
fragen an gewiſſen Stellen den Geift der entjchloffenen Initiative
übermwuchert hatte. Trotzdem war die Marine gut; fie hatte ungeheuer,
wenn auch nicht immer in der zwedmäßigften Richtung, gearbeitet.
Und fo hätte es nur des richtigen Befehls bedurft, um alle Kräfte
auszulöfen und die Flotte, fo wie fie war, zum Siege zu führen.
Mit blutendem Herzen denkt man der Umftände, welche das deutfche
Volk, nahe feiner höchften Vollendung, ing Dunkel zurückgervorfen haben.
Zum Ötaunen Europas war das Preußen des achtzehnten Jahr—
bunderts aus einem gleichgültigen Beltandteil des ohnmächtigen deut-
ichen Volkes in wenigen Sahren zur Großmacht geworden dank feiner
milisärifchen Kraftentwicklung und guten Führung durch die Hohen-
zollernfönige. Ebenfo fchnell und glücklich ſchien das Deutfche Reich
den verjpäteten Schritt zur Weltmacht nachholen zu können durch die
raſche und durch viele Umftände begünftigte Bildung einer Seemacht.
Daß die Nation als ganze noch nicht reif erfchien, um den Ernſt und
die Notwendigkeit dieſes Unternehmens in allen Zeilen zu begreifen,
ähnelte ebenfalls der Lage Preußens im achtzehnten Jahrhundert, wel:
chem die Gefamtnation noch viel verfiändnislojer gegenübergeitanden
hatte. Nun ftelle man fich aber vor, was aus der preußijchedeutfchen
Geichichte geworden "wäre, wenn ftatt eines Friedrich Wilhelms 1.
und Friedrichs des Großen eine vielfach geipaltene Militärbehörde
unter einer bochwohlläblichen Kriegskammer zu entfcheiden gehabt hätte!
Was uns am meiften fehlte, war bie einheitliche Admiralität.
5
Wenn man mir zuweilen eine einfeitige und ſtumpfe Schlachtflotten⸗
politik vorwarf, jo beruhte das auf Verwechſlung. Entſprechend dem
geſchichtlichen Werdegang unſeres Reiches waren wir ſpät in die Welt
und auf die See gegangen. Im Getriebe der Welt mußten wir aber
Intereſſenzuſammenſtöße gewärtigen. Es war wichtig, ſolche zu ver—
meiden und ſogar etwaige Einſchränkungen unſerer Tätigkeit hinzuneh⸗
CTirpith, Erinnerungen 9
130 Beim Flottenbau
men, folange der Unterbau der Macht noch nicht gefeftigt war. Erft
wenn diefe durch unfere Flotte und politifche Anlehnung feititand, .
konnten wir ung freier auf den Weltmeeren beivegen und Gleichberech-
tigung fordern. Unjere und infonderheit meine perfönliche Aufgabe Tag
aljo zuerft in der Schaffung diefer Seemacht, und dies Fonnte nur Die
Schlachtflotte fein. Zu ihrer ftarken Zufammenhaltung in ber Heimat
wurden mir auch durch die britischen Drohungen im erjten Jahrzehnt
diefes Jahrhunderts gezwungen. Unter diefen Bedingungen erfchienen
mir transatlantifche Erpeditionen, wie der Chinafeldzug, das Vorgehen
gegen Denezuela oder die Agadirangelegenheit allgemein, auch ab⸗
gefehen von ihren bejonderen Nachteilen, unerwünfcht, denn fie löften
Eiferfucht gegen einen Staat aus, der auf der See noch nicht als gleich»
berechtigt angejehen werden Eonnte.
In den letzten Jahren vor dem Krieg fah ich die Zeit aber näher
kommen, in melcher die Neigung Englands, uns zu überfallen,
aufhören und einem gefchäftlichen Gebaren auf gleichem Fuße weichen
würde. Damit eröffnete fich Ausficht auf freiere Bewegung. Dieſe
hielt ih aber auch aus inneren Dienftgründen für wünfchenswert. Der
preußifche Militärgeift, auf welchem das ganze nationale Dafein und
das höhere wirtjchaftliche Leben unferes Volkes fich gründete und
auch in Zukunft wird gründen müffen, hat eine ſchwache Stelle: die
Neigung zur Schablone. Es bedarf großer Charaktere und Menfchen>
Eenner, wie Moltfe, Roon und der alte Kaifer geweſen find, um ben
lebendigen Geift in der Mafchine wachzuhalten. Dem Preußen muß
von Zeit zu Zeit ber Zopf abgefchnitten werden, fonft wächſt er zu
lang. So drohte auch in der Marine ein gewiſſes Erftarren in fleißiger,
Eorrefter, aber fubalterner Arbeit die überanftrengten Offiziere von
den großen Gefichtspunften abzuziehen. Zumal bei unjerem Mehr
ſyſtem mit der kurzen Dienftzeit geriet der Betrieb unferer Schlacht
flotte in den heimifchen Gewäſſern etwas in Gefahr, über angeipanns
tem Drill die auffrifchende Berührung mit den überfeeifchen Völkern
und Ländern zu verlieren. Sch mwünfchte die Offiziere nicht nur im
„Kommiß“ auszubilden, fondern wollte eg ihnen auch ermöglichen, in
ber Berliner Gefellfchaft und in der großen Welt heimifch zu werden.
Insbeſondere für die Ausbildung von Gejchwaderführern zu freierer,
univerfalerer Denkungsweiſe war ihr felbftändiges Auftreten in ber
weiten Welt kaum zu entbehren. Ferner forderte auch die Sammlung
Deine legten Pläne 131
des Deutichtums auf der ganzen Erde ftärker die Unterjtügung durch
die Flotte, worüber ich früher geiprochen habe. Sch war endlich der
Anficht, daß es eine Sendung unferer Flotte fei, durch die im Auss
land erlangten Anfchauungen befruchtend auf den engen Gefichtskreis
vielee Deutfcher daheim zurüdzumirken. Sie follte im Verein mit
dem ftärker an die Heimat zu Fettenden Auslandsdeutfchtum das
Verftändnis vertiefen für unfere nationale Eriftenz, die infolge der
Volkszunahme und Snduftrie nicht mehr zwifchen Rhein und Weichjel
allein lag, fondern mehr und mehr auch ihre Wurzeln in überfeeifche
Betätigung hatte ſenken müſſen.
Die zweite Entwiclungsgruppe der Marine, ber Auslandsdienft,
trat aljo neben der erften, der Schlagkraft, allmählich wieder in den
Vordergrund. Da Stationgkreuzer für diefen Zweck nicht ausreichten,
war ich im Begriff, die heimische Flotte organifatorifch fo zu geftalten,
daß ganze Geſchwaderteile ohne Schaden für ihre Ausbildung auf längere
Zeit trangatlantifche Verwendung finden fonnten. Das mar zu erreichen
durch eine andere Form der Refrutenverteilung, derart, daß eines der Ges
ſchwader im mejentlichen nur mit Leuten des dritten Jahrganges befegt
war. Sch ftieß bei diefem Vorgehen auf Widerftand beim Flottenfoms
mando, das, vom Kabinettschef unterftügt, eine ftarke Neigung hatte,
feit auf feinen Eiern zu fißen, und ſich fogar einem bloß mit zwei
Schiffen anzuftellenden Verfuch widerjeßte. Um die Wirkung derartigen
Erfcheinens unferer neueften großen Echiffe in überfecifchen Landen
praktiſch zu zeigen, feßte ich aber im Sommer 1913 beim Kaifer die
Meife von zwei Schiffen der „Kaiſer“klaſſe nach den Südftaaten Ame⸗
rikas durch. Die friedliche Kulturfendung unferer Schiffe gelang mit
fo fchlagendem Erfolg, daß reichlichere Reifen unſerer Schlachtflotte
auf die Dauer nicht hätten verhindert werden Fünnen. Da ein modernes
Schlachtichiff zugleich die befte Induſtrieausſtellung in Fleinem Maßs
ftab darftellt, fo war ich auch zu der Annahme berechtigt, auf diefem
Weg unferen fchaffenden Ständen neue BVerbindungen zuzuführen.
Eine folche Weiterentwicklung unferer Flotte hätte von felbit dazu ges
führt, in den Kolonien geeignete Plätze als Stüßpunfte für unfere
Kreuzer etwas augzugeftalten. Außer Tfingtau hatte ich hiervon bisher
abgeſehen, da die Zeit noch nicht reif war und die Geldmittel für die
Blotte nicht zerjplittert werden durften.
oe
Dreizehntes Kapitel
Unter dem Kailer
Bei der fchier unermeßlichen Fülle von Liebe, Verehrung und vers
faffungsmäßiger Macht, welche Wilhelm I. feinem Enkel Hinterlajien
hatte, war der Kaiſer die entjcheidende Perfönlichkeit, von der das
Gelingen des großen Verfuches abhing, Deutfchland geiitig und materiell
eine felbftändige Geltung neben dem die Melt polypengleich erraffenden
Angeljachjentum zu erringen. Kaifer Wilhelm IL hatte die Notwendigkeit,
hiernach zu ftreben, jchon zur Zeit der Erkrankung feines Vaters er
Fannt, wie ich bei der Überfahrt zum Jubiläum der englifchen Königin
jeben konnte. Seine Gedanken umfaßten jchon damals alle mit der
See zufammenhängenden Lebensbedingungen Deutjchlande.
Während aber die Gejchäftsgebarung unter unferem unvergeßlicyen
alten Kaiſer fich durch Klarheit und Feftigfeit charakterifierte, mar
das, was bei Kaiſer Wilhelm I. mehr in den Vordergrund rückte, die
Anregung. Ber feiner fchnellen Auffaſſungsweiſe, feiner durch Ein—
zeleindrücke Teicht ablenkbaren Phantaſie und feinem Selbſtbewußt⸗
jein lag die Gefahr nahe, daß unverantmortliche Einflüffe Impulſe
auslöften, die auszuführen unmöglich oder doch nicht im Einklang mit
dem Geſamtvorgehen geweſen wäre. Für einen Mann im gehobener
Stellung wird es ſtets eine ſchwierige innere Lebengarbeit bleiben, ben
Augenblickserfolg vom dauernden zu trennen. Denn verführerifch und
niemals ganz trennbar jpiels in das Mejenhafte das nur Dekorative
hinein:
„Der Schein, was iſt ee, dem das Weſen fehlt?
Das Weſen, wär’ es, wenn es nicht erjchiene?”
Nun war aber Tatfachenfinn die vornehmfte Bedingung für das Gelingen
des großen Verfuches, und da ber Kaifer mich als Gehilfen gewählt
hatte, fo erwuchs mir die perfünliche Pflicht, die Stetigfeit des Kurfes,
den wir fteuerten, zu wahren. Das lag an fich in meiner Ratır, Man
soird aber vielleicht verftehen, daß diefe Pflicht unter den gegebenen
Anregungen 133
Verhältniſſen nicht immer leicht zu erfüllen war. Die Veranlagung
bes Monarchen war der meinen entgegengejeßt. Manchen Perfönlich-
keiten wurde leicht im Lauf der Zeit das moralifche Rückgrat gebrochen.
Sc habe. mich Davor bewahren können. Der Kaifer glaubte mohl auch
meine organifatorifche Erfahrung nicht entbehren zu follen; aber ich war
ihm doch ein unbequemer Uintergebener und habe alg folcher alle Stadien
der Gnade und Ungnade durchgemacht. Ein Befannier fagte mir ein-
mal, in folchen Lagen wie der meinigen wäre das „Stadium der leich-
ten Ungnade“ das mwünfchensmwertefte. Sch hatte felbftverftändlich dem
Kaifer zu laſſen, was nes Kaiſers ift. Ich bemühte mich ftets, erfüllbare
Wünſche des Monarchen zu befriedigen, auch folche, die mehr in das
Gebiet der Liebhaberei fielen, foweit ich fie namentlich finanziell vers
antmorten Eonnte. Weniger Erfolg hatte ich darin, dekorative Ber-
anfialtungen und Reden, Feftlichkeiten wie die Kieler Woche und Schiffe:
taufen, etwas zurückzudämmen, da der Kaifer fie für nüßlich für das
deutſche Publikum hielt, während ich mehr ihre Wirfung im Ausland
vor Yugen hatte,
In allen mwefentlichen Punkten, die den Aufbau der Flotte betrafen,
mußte ich unbeugjam bleiben. Sch habe nicht immer alles äußern Fönnen,
was ich dachte, habe aber dem Kaifer nur reinen Wein eingefchenkt.
Unter den Fragen, für welche der Kaifer Anregungen gab, und das
maren freilich ſehr viele, ragten technifche Konftruftionen hervor, Ges
bäude, Küftenforts, vor allem aber Schiffe felbft. Die Fragen des
Hineinpaffens ind Ganze und des Geldes traten dann leicht zurüc.
Der Kaiſer kannte die fremden Marinen gut und neigte mit deutjchen
Augen dazu, ihre Vorzüge ftärfer zu ſehen als ihre Nachteile. Wer ihm
Mißtrauen gegen die Qualität unferes eigenen Materials zutrug, fand
ftets williges Gehör, Er entwarf mit großem Zalent und Eifer Skizzen
von Schiffen, ließ fie vervielfältigen und verfchenfte fie reichlich, wie
befannt auch dem Reichstag, der fie mit geteilten Empfindungen ent
gegennahm.
Daß eine mit Wiffenfchaftleen und Praktikern fo ausgeftattete Be
hörde wie das Meichgmarineamt über reichere Mittel für objektive
Urteilsbildung als irgendein einzelner Menfch verfügte, wurde nicht
gern anerkannt, den eigenen Beamten ein gewiſſes Maß von Miß-
trauen zum Nusdrucd gebracht. Man konnte vom Kaiſer in technifchen
Dingen auch nicht das Urteil eines durchgebildeten Fachmannes ver-
134 Unter dem Kaifer
fangen. So mußte ich einmal fogar den Erfinder eines Perpetuum |
mobile, den der originelle alte Admiral Reinhold Werner dem Kaifer
empfohlen hatte, empfangen und feine „Mafchine” vorführen laſſen,
bis der vom Kaifer dazugeladene Emil Rathenau dem Wundermann
feinen Nimbus nehmen burfte. J
Ohne den Kaiſer wäre die Entfremdung Deutſchlands von der
See und den mit ihr verbundenen Intereſſen und Kulturaufgaben
nicht überwunden worden; das bleibt ſein geſchichtliches Verdienſt.
Auch ſonſt haben ſeine Anregungen vielfach Nutzen geſtiftet. Nachteile
nach außen waren die große Betonung von Zielen und Erfolgen und
im Innern das dauernde Zuſammentreffen perſönlicher Betätigungs-
triebe mit den eigentlichen Aufgaben der Landbehörden und der Flotte.
Das Reichgmarineamt hatte neben feiner übergroßen Arbeit noch häufig
die Pflicht, Vorkonftruftionen auszuarbeiten für Entwürfe des Kaifers,
die vielfach an inneren Widerfprüchen litten. In den legten Jahren
vor dem Krieg war dem Kaiſer beifpielsmeife bekanntgeworden, in
wie hohem Grade die verbefferte Schießleiftung auf See und die großen
Schießmweiten moderner Gefchüge es den Torpedobooten erfchmwerten,
in der Zagfchlacht an den Feind heranzukommen. Er begeifterte fich
nun für ein Idealſchiff, welches ſchwer gepanzert, fchnell und mit
vielen Torpedorohren armiert twäre, um den Torpedobooten ihre Auf:
gabe abzunehmen. Abgefehen davon, daß Schnelligkeit und fchmwere
Panzerung bei einem großen Schiff im ftarfem Wettbewerb ftehen,
hätte die unter Waffer anzulegende Torpedoarmierung die Mafchinen-
und Kefjelräume großenteils rweggenommen. Die Konftruftionsbedingun:
gen fraßen fich gegenfeitig auf. Wir machten uns aber dem erhaltenen
Befehl gemäß an die Arbeit, und bei der Unmöglichfeit eines brauchs
baren Ergebniffes entftand in der Behörde für diefes Projekt der
Name Homunculus. Als ich dann in Rominten Gelegenheit hatte,
die Entwürfe vorzulegen und zu erläutern, verzichtete der Kaifer auf
feinen Gedanken und nahm meine Begründung an. Sch erhielt zur
Belohnung die Erlaubnis, einen Hirfch zu ſchießen, fo daß ich die
Klärung der Atmoſphäre meinem forgenvoll in Berlin figenden Chef
der Zentralabteilung mit den Worten melden konnte: „Hirſch und
Homunculus tot.“ Bei der lebhaften Sagdneigung des Monarchen war
die Erlaubnis, einen Hirfch zu fchießen, eine fehr große Auszeichnung.
Der Kaifer hatte überhaupt das Bedürfnis zu ſchenken und anderen
Bom Kabinett 135
eine Freude zu bereiten und war unerjchöpflich in liebensrwürdigen Auf:
merkſamkeiten.
Es war zur Mbung geworden, daß ich alljährlich für die letzten
Septembertage zum Vortrag nach Rominten fuhr. Waldluft und vers
hältnismäßige Ungeftörtheit bekamen dem Kaifer gut. Er war dort
ruhiger und gefammelter, als es im großen Getriebe der Welt oder auf
Reifen für ihn möglich war. In Rominten fand ich beim Kaifer An-
hören und Ermwägen aller Gründe, Fein Ausbrechen in plößliche ner⸗
vöfe Erregung, wie es fonft wohl vorfam und fich in einer gewiſſen
Unruhe der Augen anfündigte. Ber ſolchen Erfcheinungen pflegte ich
alfe wichtigen Entfcheidungen ftillfchweigend unter den Tiſch fallen
zu laſſen. Mit eiligen Fragen war dies freilich nicht immer ausführbar.
Sch habe mir die Meinung gebildet, daß die Konftitution des Kaifers
dem Druck der Verantwortung nicht gleichmäßig gewachſen war. Jeden⸗
falls hat der Kaifer ſowohl beim Ausbruch wie während des Krieges
mehrmals vor gejundheitlichen Zufammenbrüchen geftanden, die den
Ärzten Sorge machten. Damit hängt es vielleicht auch zufammen, daß
er mit zunehmenden Sahren immer mehr geneigt wurde, den ſchwachen
Naturen in feiner Umgebung nachzugeben.
Man mußte den Kaifer unter vier Augen fprechen, ba, wenn Dritte
anweſend waren, fein eigenes wirkliches Urteil Teicht abgelenkt wurde
durch den von ihm ſtark gefühlten Drang, bei jeder eigenen Stellung:
nahme als Kaifer zu erfcheinen. In diefem Umftand murzelte die
Macht der Kabinette.
Der Kabinettschef wohnte den dienftlichen Vorträgen des verant-
wortlichen Rejfortminifters bei, und es mar natürlich, daß nach deſſen
Meggang ber Monarch die Angelegenheiten mit ihm unter vier Augen
beſprach. Die Kabinettschefs brauchten alfo nur den richtigen Augen
blick abzupafjen und fich auf Phantafie und Temperament des Herr:
ſchers einzuftellen, um ihrer Anficht Geltung zu verfchaffen. Es wird
wenige Menfchen geben, die in einer folchen Lage fich auf das ihnen
allein zuftehende Gebiet zu befchränfen vermögen. Caprivi hat, mie
er mir erzählte, nur einen Kabinettschef gekannt, der ftreng nach diefem
Grundſatz verfahren wäre, nämlich den General v. Albedyll. Freilich
hatte unfer alter Kaifer ein ftarkes Empfinden für reffortmäßige Ge-
Ichäftsbehandlung. Das Übergreifen der Kabinettschefs in ihnen nicht
zuſtehende Gebiete zeitiate Vorſchläge, die nicht fo abgervogen find mie
136 Unter dem Railes
diejenigen der Verantwortlichen, die im Falle bes Miflingens felbft
vor dem Riß ftehen und die Frage, bevor fie an den Kaiſer gebracht
wird, durch den Apparat ihrer Behörde bearbeiten laſſen. Ein zu
langes Verweilen der Kabinettschefs in ihrer Stellung entiprach der
Scheu des Kaifers, feine gewohnte nächite Unigebung zu mechjeln,
entfrembete aber den mit dem höfifchen Leben verwachjenden Mann
der Front; in der Marine wenigftens herrfchte das Empfinden vor,
daß das Kabinett zu den vielfachen Mißariffen auf feinem eigenen
Gebiet, dem der Perfonalausmwahl, dadurch Fam, daß Admiral v. Müller
immer mehr Hofpolitifer und immer weniger Soldat murde.
Jeder Verfuch der in verantwortlicher Stellung befindlichen Männer,
dem Übergreifen der Kabinette zu fteuern, feheiterte fchroff; denn da
die Kabinettschefs die Form geſchickt auf die allerhöchite Perſon zus
fchnitten, blieb dem Kaifer die Vorftellung vom Kabinett als feinem
bloßen Kanzliften, der lediglich feinen Willen in Befehlsform zu bringen
hätte, Bei Mortwechfeln hat der Kaifer dies mir gegenüber mehrfach
betont. Dft dachte ich an 1806. Beſonders im Krieg ift der Nation
die von der Kabinettsiphäre ausftrahlende geringe Urteilsfraft wieder
zum Unheil geworden. Während ich unter Hohenlohe und Bülow
eine natürliche und verfajfungsmäßige Unterftügung gegen Übergriffe
des Kabinetts fand, war bei Herrn v. Bethmann das Gegenteil der Fall.
- Auffällig war mir, daß der Reichstag, ſowohl fein demokratiſcher
wie fein für die Monarchie ehrlich beforgter Flügel niemals den weſent⸗
lichften Fehler des alten Regiments, nämlich den übermächtigen Einfluß
der Kabinette bekämpft hat. Als es fich im Dftober 1918 darum
handelte, dem Kaifer und dem Kanzler jede Macht zu nehmen, ver-
fuhr der Reichstag unter Beifeitefchiebung der Gefchäftsordnung mit
ftürzender Haft. Aber in den langen Sahren vorher hat fich die Demo:
Pratie niemal® darum gekümmert, die Verfaſſung zu fchüßen. Piel
mehr wurde das Beſte, mas wir hatten, nämlich die von rein fachlicher
Staatsgefinnung getragene Arbeit der Amter, um die ung jede Nation
der Welt beneidete, tunlichft zwifchen Demokratie und Kabinetten zer:
rieben; gejchäftigeunproduftive Kräfte der verjchiedeniten Färbung find
in Deutjchland immer darin einig gemwefen, fchöpferifche Staatstätig-
Feit zu hemmen.
Es ift zu befürchten, daß viele, die ihre Pflicht, gegen ben Ka—
binettseinfluß zu kämpfen, während der ganzen Regierungszeit un
— —
Nandbe merkungen 137
erfüllt gelaſſen haben, fich jet mit um fo größerem Eifer darauf
legen werden, das ganze alte Regierungsjyjtem hinterher zu verdammen.
Dabei dürften vermutlich die Eaiferlichen Randbemerkungen eine Rolle
jpielen, deren Zahl unüberjehbar ift, da der Kaifer gern den Marginal-
jtil feiner Vorfahren verwendet hat. Um nun aber den gefchichtlichen
Mert oder Unmert diefer und ähnlicher Augenblickskundgebungen ers
mefjen zu Fönnen, muß man den Kaifer fehr genau gekannt haben.
‚uf meine Randbemerfungen darf man mich nicht feitlegen‘‘, hat
er Telber geäußert. Er war deshalb ſehr erſtaunt, als ich es einmal
auf Grumd einer folchen Randbemerkung für meine Pflicht anſah,
meinen Abfchied einzureichen. Bei einer ähnlichen Gelegenheit äußerte
ber Kater, er pflege doch feinen anderen Miniſtern noch ganz andere
Dinge zu fagen, ohne daß dieſe gleich daraus Konfequenzen zögen.
Der Kaifer ſetzte eben ftets voraus, daß feine verantwortlichen Rat-
geber feine Äußerungen prüften und daß fie das dauernd Beheut-
iame von bloßen Stimmungsäußerungen zu untericheiden vermöchten.
Sm allgemeinen nahm auch der Kaifer begründete Einwendungen an.
Leider haben die Kabinette den Randbemerkungen des Kaijers zu
einer übertriebenen Scheinbedeutung verholfen. Alle, auch folche, die
man it den Ämtern nur ale zu prüfende Anregungen auffaßte, wurden
im Kabinett in derjelben Art wie Bleiſtiftſkizzen eines Künſtlers chemifch
firiert. So wurde einer jpäteren Gefchichtsfchreibung, welche die Ver—
bältniffe nicht mehr aus eigenem Augenjchein Eennt, ein Material
aufbewahrt, das, wenn es faljch bewertet werden ſollte, geeignet ers
fcheint, von der PVerjönlichkeit des Kaifers felbit, wie auch von der
Art der Regierung unter ihm, ein recht verzerrtes Bild zu liefern.
Der Kaifer war in Wahrheit durchaus nicht der Autokrat, als der er
von unferen Feinden und, unferer Demokratie hingeftellt worden tft.
Als Unterlage für diefe Behauptung dienen im mefentlichen nur jeine
Ausfprüche im Stile vergangener Epochen, nicht feine tatjächlichen
- Handlungen und Entfcheidungen, wenigſtens nicht bei irgendwelchen
Fragen von größerer Bedeutung. Der Kaifer glaubte fich in hohem
Maße den gejeßgebenden Faktoren des Neichs unterordnen zu mülfen.
Das trat bejonderg ſtark während des Krieges hervor.
Menn ich den Kaifer allein jprach, habe ich mich grundfärlich auf
mein Nefiort beſchränkt. Dadurch blieb mein Einfluß auf feine Per:
ſönlichkeit Freilich begrenzt, und ich verlor ihn gänzlich, ald mir im
138 Unter dem Kaifer
Krieg die Möglichkeit vertraulicher Ausjprache überhaupt entzogen
wurde.
Ständiger Gaft in Rominten war mein Amtsvorgänger, Admiral
Hollmann, der bei meinen dortigen amtlichen Vorträgen neben dem
Kabinettschef zugezogen wurde, Seine Ruhe und Sachkenntnig und
fein perjünliches Unbeteiligtfein wirkten wohltuend, da ihn der Kaifer
mit Recht als einen Freund, der feine Sjntereffen mwahrnahm, bes
teachtete. Menn der Kaifer feine amtlichen Gehilfen nicht immer
ebenfo anſah, auch wenn fie an wirklicher Treue nicht zurückſtanden,
fo ift mir von Männern, welche die Zugendjahre Wilhelms II. Bannten,
gefagt worden, daß fein Erzieher Hinzpeter ihm planmäßig Miftrauen
gegen feine Fünftigen Berater anerzogen habe. Iſt das richtig, fo hat
Hinzpeter die damaligen preußifchedeutfchen Verhältniffe verfannt, wenn
ed auch notwendig bleibt, einem Lünftigen Herrfcher Menfchenbeurtei-
fung anzuerziehen. Sch habe in meinem Eleineren Tätigkeitsfeld immer
gefunden, daß es beſſer ift und die guten Eigenfchaften ftärker zum
Tragen bringt, wenn man einem Untergebenen nach vorangegangener
Prüfungszeit rüchaltlofes Vertrauen entgegenbringt. Mohl wird man
babei einmal auch bitter getäufcht.
Im Romintener Jagdhaus hatte ber Faiferliche Haushalt mehr
bürgerlichen Zufchnitt; e8 gab Hausmannskoſt an Taubgejchmückter
Tafel. Abends wurde oft gemeinfam vorgelefen. Zu den regelmäßigen
Beſuchern gehörte der Oberſt der nächltgelegenen ruffifchen Grenz
garnifon, dem im Scherz empfohlen wurde, Hirfche und Heide zu
Ichonen, wenn er einmal einrücen follte. In der Tat hat der Zar bei
Kriegsbeginn den Befehl gegeben, Rominten nicht zu verwüften. Von
der Marine erwartete der „‚Oberfte Jagdherr“ Waidmannsheil. Es
hat aber Fahre gedauert, big er mir die grüne Hofjagduniform verlieh.
Ich wurde oft zur Pirfch in die herbitprangende Romintener Heide
mitgenommen; aber während meines amtlichen Vortrags durfte Fein
Hirſch fchreien, dafür forgten meine guren Freunde, die Förfter.
Die Kaijerin, deren regelmäßige Anmefenheit der Romintener Welt
die befondere Farbe gab, beteiligte fich grundfäglich nicht an politifchen
Fragen. Wenn fie aber im wahren Sntereffe ihres Gemahls glaubte,
einmal eingreifen zu follen, fo tat fie e8 mit Charafter und meiſtens
mit Erfolg. Sch gedenfe der hohen Frau in mahrhafter Verehrung.
Ihre Weſensart wurde von allen, melche den Vorzug gehabt haben,
In Rominten 139
fie näher Fennenzulernen, als ein Glück für das Land empfunden. Ale
ber Kaiſer nach den Meinungsverfchiedenheiten, die zwischen ihm und
Feldmarfchall Hindenburg im Frühjahr 1915 entitanden waren, vom
Weſten nach dem Often fuhr, Tieß fich die Kaiferin, von Berlin kom⸗
mend, in Halle an den Baiferlichen Zug mit einem Magen anhängen
und überrafchte ihren Gemahl am nächſten Morgen. Das bekannte
Bild, welches den Kaifer und Hindenburg in Poſen vereinigt darftellt,
ft von ihre aufgenommen.
Es iſt vielleicht micht richtig zu fagen, daß dem nachbismardfchen
Deutfchland die felbftändigen Naturen an fich gefehlt hätten. Dennoch
bat Haldane die Tragif, die über unferer Arbeit lag, richtig gekenn⸗
zeichnet, werm er nach feinem Beſuch 1912, wie mir erzählt worden
ift, gejagt hat: es fFiele ihm gegen früher auf, welcher Dangel an Cha⸗
tafteren in Berlin herrfche. Die beinahe religiöfe monarchiſche Ers
gebenheit, welche die Perfon Wilhelms I. gefchaffen hatte, ließ eine Frei
heit der Meinungsäußerung und Charakterbetätigung beftehen, die ſpäter
unter dem Einfluß der Kabinette mehr und mehr der Forderung
reinen Gehorfams wich. Die Manneskraft, die 1866 und 1870, ſelbſt
1848 an die Oberfläche getragen wurde, fchien in der fchiweren Prüfung
unferer Tage nicht in demjelben Maße vorhanden oder boch nicht an
ben richtigen Stellen zur Wirkung gebracht.
Bierzehntes Kapitel
Reichsmarineamt und auswärtige Politik
1
Vom Geſchäftsgang der Reichsleitung machte ſich die Offentlichkeit
nicht ſelten ein unzutreffendes Bild. Die Bismarckſche Reichsverfaſſung
hatte Fein Reichsminiſterium geſchaffen. Im preußiſchen Staatsmini-
ſterium, dem ich angehörte, kamen außenpolitiſche Fragen faſt niemals
zur Erörterung. Das Reich aber wurde durch einen einzelnen Mann
geleitet, dem die Reſſortchefs als Untergebene, nicht als Kollegen unter⸗
ſtanden. Der Reichskanzler konnte ſelbſt marinepolitiſche Verfügungen
über den Kopf des Reſſortchefs, ja gegen feinen Willen treffen, ob-
wohl dem KReichgmarineamt Zeile der Eaiferlichen Kommandogemalt zu:
ftanden. Das Gegenmittel des Rücktritisgefuchg war nicht in jeder
politischen Rage verwendbar. Dem Reſſortchef, der mebenbei Offizier
it, Eonnte ferner der Kaifer ungeachtet des Beamtengejeges den Abs
jchied erfchweren, und endlich nüßt ſich die Kabinettsfrage bei allzu
häufigem Gebrauche ab.
Nun lag es ja in der Hand des jeweiligen Kanzlers, ob er feine
„Stellvertreter, die. Staatsjekretäre, heranziehen oder über die Grund»
züge feiner Politik im Unflaren laffen wollte. Die monarchifche Vers
fafjung des von Bismard! auf feine Perſon zugefchnittenen Kanzlers
amts enthielt den unfchäßbaren Vorteil, einer überragenden Perfönlichkeit
zugreifendes Handeln zu erleichtern. Aber ein Reichsminifterium hätte
bei weniger einzigartigen Kanzlerperfönlichfeiten durch Eollegiale Ber
handlung grundfäglicher Entjcheidungen eintretende Fehler oder Kopf:
Iofigkeiten leichter verhindern können. Eine Anderung des Gefchäfte-
verfahrens hatte aber zur Vorausſetzung entweder ein freundlicheres
Verhalten des Reichstags und der Bundesftaaten zum Gedanken eines
Reichsminiſteriums nder ein vielleicht ungewöhnliches Maß von Selbit-
verleugnung bei dem Mann, der fich nächſt dem Kaifer im Roll:
bejiß der Macht befand. Die Offentlichfeit feste im allgemeinen eine
NReichsverfaſſung und Gefchaftsgang 141
innigere Gemeinbürgſchaft und einen regeren Gedankenaustauſch zwi⸗
ſchen den einzelnen Reſſortminiſtern voraus, als tatſächlich beſtand, und
würde erſtaunt geweſen ſein, zu erfahren, wie wenig fortlaufend und
zuverläſſig die Information war, die in den ernſten Jahren vor dem
Krieg einem ſo hochpolitiſchen Reſſort wie der Marine geſpendet wurde.
Fürſt Bülows Regierung hatte allerdings auch mir ein ganz anderes
Gefühl von Sicherheit eingeflößt, als die bei ihrer außenpolitiſchen Un—
erfahrenheit empfindliche und argwöhniſche Narur feines Nachfolgers.
Zur Groteske wurde die monarchifche Verfaſſung des Kanzleramtes im
Krieg, als der Kanzler ohne Befragen der Marinebehörden beim Katfer
feemilitärifche Befehle erivirkte, die praitifch überhaupt nicht ausführ-
bar waren.
Die Zahl der poliifchen Schritte, mit denen ich mich au befaſſen hatte,
war ımter diefen Umftänden nicht groß. LUnbeteiligt war ih z. B. an
den Sumoahändeln (1399), den Verhandlungen mit England um Die
Jahrhundertwende, dem Eingreifen in Marokko. Meine Übergehung bei
der Entjendung des Geſchwaders nach Manila (1898) habe ih an
früherer Stelle erwähnt. Anläßlich der Chinoerpedition habe ich gegen
die Entfendung Walderfees und der 24000 Mann gefprochen, da bie
Ausfendung einer ganzen Armee mißgedeuter werden Tonnte und bie
ſchon auf der Augreife befindliche Marineinfanterie für den realen Zweck
genügte. „Der Potsdamer Eprerzierplag muß jebt enticheiden”‘, hieß
es aber an höchſter Stelle.
Inſoweit ich aufgefordert wurde, meine politifche Anſicht zu äußern,
riet ieh 1. grundfählich zur Erhaltung des Friedens, bei dem wir jähr-
lich gewannen, mährend ein Krieg ung wenig einbringen, dagegen alles
rauben Fonnte, und deshalb 2. zur Vermeidung aller Zwiſchenfälle durch
Anbiederungeverfuche, die insbeſondere der Enaländer nicht verträgt,
oder durch Herausforderungen. Die Sicherung unierer jungen Weltmacht
aber ſah ich 3. in einer Gleichgemwichtspolitif zur Ger, Sch bedauerte es
deshalb, wenn wir ung mit Öiterreichellngarn, das zur See nichtig be⸗
deutete, zu ſtark auf Gedeih und Verderb verſchwiſterten, und ſah ferner
nicht ohne Bedenken auf unfere Balkan⸗ und Orientpolitik, weil fie die
Gefahe romantischer Verfiridung in Nebenitttereſſen mit fich brachte.
DaB uns von engliicher Seite gelegentlich warm empfohlen wurde,
unfere Nusdehnung auf dieſer Hintertreppe zur fuchen, beſtärkte mich
in dieſer Auffaſſung. Wir mußten im Gegenteil alle Kraft zuſammen⸗
142 Reihömarineams und auswärtige Politik
nehmen, um uns die Vorbertreppe zur Welt, ben Atlantifchen Ozean,
offen zu halten, zumal bie Vorbedingung dazu, ein geficherter Feſt⸗
landsfrieden, in dem Verhältnis zu Frankreich dauernd feinen wunden
Punkt behielt. Sch erachtete uns nicht für ſtark genug, gleichzeitig mit
der Belaftung unferer Politif durch den meltivirtfchaftlichen Gegen:
faß zu England, auch Bagdaddiplomatie zu treiben, bei welcher das
Gefamtintereffe des Volkes weniger gut zu gedeihen verfprach, als
einzelne wirtfchaftliche Unternehmungen. Sch fürchtete vor allen Dingen
bei einer nicht ganz auf das Wefentliche gefammelten Politif den
Verluſt des Vertrauens bei denjenigen Mächten, bie für meine Über
zeugung den Schlüffel der Lage bildeten: Rußland und Japan.
2
Die zeitgemäße Fortbildung der Bismardichen Grundfäge in bezug
auf unfer Verhältnis zu Rußland war meiner Auffaffung nach eine
Hauptbedingung erfolgreicher Politif. Dean mußte fich Far werden über
diejenigen Punkte, in denen vitale ruffifche, aber nicht vitale deutfche
Intereſſen vorlagen, und in diefen Punkten Rußland entgegenfommen.
Sch weiß nicht, ob vor dem Weltkriege jemals ein Eräftiger Verſuch in
der Richtung unternommen worden ift. Auf eine während des ruſſiſch⸗
fapanifchen Kriegs unternommme Aktion, die von vornherein Faum
Erfolg verſprach, komme ich nachher zu fprechen. Unſere Anläufe
beftanden hauptſächlich in Monarchenbegegmungen, die ja zur Erhaltung
der alten dynaftifchen Überlieferungen von Wert waren. Aber andere
Mittel, z. B. durch die Prefje zu wirken, wurden vernachläfjigt. Die
Ländergier des rufjifchen Kaiſerreichs ſtieß — auch noch nach Abſchluß
der Entente — mit ben britischen Machtbahnen notwendig zujfammen.
Da haben wir uns nun auf ber Linie Berlins Konftantinopel-Bagdad
aufs unglücklichſte dazwiſchengekkemmt. Der Kündigung des Rück⸗
verficherungsvertrage® burch uns (1890) war der ruffifchefranzöfifche
Zweibund gefolgt. Der Panflamismus, der feine Spige gegen Ofterreich
und uns Fehrte, war im Wachen. Trotzdem beftanden noch vieljeitige
und ftarke vuffifchedeutfche Überlieferungen und gemeinfame Inter⸗
eſſen. Insbefondere war das Zurentum ein weſentlicher Stützpunkt
für uns,
So wie freilich die Lage fich feit ber Kündigung des Rückverſicherungs⸗
vertrages gefbaltet hatte, habe ich an die Möglichkeit, Rußland zu einem
Konnten wir 1904 ein Bündnis mit Rußland haben 9 143
eigentlichen Bündnis zu beivegen, früheftens geglaubt, feitdem dies auf
dem Weg über Japan möglich geworden wäre. Sch babe wäh—
vend des ruffischsjapanifchen Krieges am 31. Oftober 1904 einer
Situng beim Neichskanzler angemwohnt, in melcher Herr v. Holz
ftein im Verfolg von Eaiferlichen Snitiativfchritten dafür ein-
trat, Rußland ein Bündnis anzubieten. Der militärische Druck der
vereinigten Mächte Rußland und Deutfchland follte nach Holitein auch
den Franzoſen nahelegen, in die an fich fo erſtrebenswerte feitländifche
Geſamtkoalition überzutreten. Der anmwefende Graf Schlieffen ftellte
fih auf den rein militärischen Standpunkt. Er jchäßte, die Rufen
würden wohl noch einige Armeeforps für einen etwaigen Aufmarfch
gegen Frankreich mobil machen können. Sch bemerkte bei dem vornehmen
und wortkargen, in feinem Fach jo bedeutenden Strategen bier wie
fchon feinerzeit bei den Erwägungen über die Chinaerpedition eine ge
wilfe Vernachläffigung außerfoldatifcher Gedankengänge und hielt im
übrigen, wie auch der Staatsfekretär des Auswärtigen, Frhr. v. Nichts
bofen, die pfychologifche Rechnung Holfteins für falfch. Sch bezmeifelte,
daß ein mit der Piftole erzwungenes Bündnis je die franzöfifchen Kräfte
für ung mobil machen würde, Ahnlic) habe ich 1911 den kalten Waſſer⸗
ftrahl nicht mehr zeitgemäß gefunden, den Kiverlen- Wächter noch einmal
nach Paris richtete. In jener Sigung von 1904 gab ich ferner dem
Zweifel Ausdrud, ob eine Verftärfung unjeres ‚Heeres durch ein paar
ruffifche Korps ung wirklich ftärden würde, umd betonte insbejondere,
daß ein Bündnis mit Rußland an Stelle des erhofften Erfolges, ung
über Paris gegen englijche Kriegsgelüfte zu fichern, im Gegenteil die
damals beftehende Kriegsgefahr vermehren würde. Im Falle eines
Krieges mit England würden wir aber bei unferer noch unentiicelten
Flotte — die zudem des Rückhaltes der ruffischen Oftfeeflotte damals
entbehrt hätte — die Zeche mit unferem Außenhandel und unjeren Kos
Ionien bezahlen, wobei eg ſchwierig für ung fein würde, zu einent leid»
lichen Frieden mit England zu gelangen. Herr v. Holftein verfocht feinen
Plan jehr ſtark. Am Tage darauf fchrieb ich folgenden Brief an Richt⸗
bofen:
Berlin, 1. 11. 04.
„Die Schwere Frage, welche und geitern beim Herrn Reichskanzler
bejchäftigte, ift mir noch weiter im Kopf herumgegangen, und dabei
iſt mir noch klarer geworden, daß nicht nur, wie ich geſtern fchon aus⸗
144 Keichsmatineuamt und auswärtige Politil
führte, die militärijche Bedeutung einer Allianz mit Rußland für uns
im Seekrieg gleich null ift, fondern daß fie auch für den Landkrieg
m. €, nicht weſentlich ing Gewicht fällt. Denn felbft, werm günftigften-
falls die Ruſſen fich dazu auffchwingen follten, uns einige Armeekorps
mit nach Frankreich zu geben, jo jcheint mir der Nußen von 100 ja
jelbit 200000 Mann bei einem Kriege, in dem ſich Millionen gegen
überjtehen, gering, wenn nicht ſogar ausgeglichen durch die Erfchwerung,
die das Funktionieren unferes militärischen Apparates durch das Hinzus
treten der ruffifchen Elemente erfahren muß. Der paſſive Nutzen, der
uns Durch jolche Allianz aus der Sicherheit unjerer Oftgrenze erwachfen
joll, it aber meines Erachtens jegt ſchon auch ohne die Alliance
durch den heutigen Zuftand Rußlands erreicht. Jeden Monat, den der
japanische Krieg Yänger dauert, wird dies augenfcheinlicher hervortreten.
Auch nach dem Kriege wird Rußland für die Offenfive nach Weſten
auf Jahr und Tag fo gelähmt fein, daß wir meines Erachtens für die
große Politik unjere Oftgrenze als tatfächlich unbedroht anfehen Fönnen.
Bir würden bis auf meiteres mit Landiwehrformationen an der Oft
grenze auskommen. Hierbei ziehe ich nicht einmal in Rechnung, daß
nach der Werfönlichkeit des Zaren ein Eingreifen Rußlands bei einem
Kriege Deutichlands gegen England und Frankreich an ſich unwahrjchein-
lich fein würde, auch lajje ich die Frage offen, ob mir nicht eine folche
Sicherheitdzufoge von feiten des Zaren auch ohne Allianz bereits auf
Grund unjeres bisherigen freundjchaftlichen Verhältniſſes erlangen
können.
Hauptſache bleibt immer, daß ein realer, d. h. militäriſcher Nutzen
aus der Allianz mit Rußland für uns nicht erwächſt.
Demgegenüber kann doch nicht zweifelhaft fein, daß die Gefahr
eines Eriegeriichen Zujammenftoßes mit England durch eine ruffiiche
Allianz für uns wächſt. Es brauchen mur nach Erledigung der ‚Huller
Streitfrage auf der Reife der ruſſiſchen Argonauten weitere Zwiſchen⸗
fälle einzutreten. Um hierbei die verftärfte Gefahr für ung zu ermeſſen,
ftelle man fich einmal vor, ein deutfcheruffifcher Allianzvertrag würde
jet öffentlich befannt, würde da nicht die ‚ganze Wut der öffentlichen
Meinung in England fich ausschließlich gegen ung wenden? Der Allianz⸗
gedanfe mit Rußland beruht nur in der Hoffnung, auf. Frankreich
einen ſolchen Druck muszuüben, daß es alles tut, um England von
einem Krieg gegen ung abzuhalten. Die Beteiligung Rußlands hierbei
Brief an Wichthofen vom 1. November 1904 145
befteht nur in der Bedeutung eines unter anderen Vorausjegungen
niedergelegten Traktats, alſo eines Blattes Papier, fie befteht nicht in
realen Werten. In Wirklichkeit ann die erftrebte „Preſſion“ auf
Frankreich nur durch die Kriegsdrohung Deutjchlands ausgeübt werden.
Um das zu bewirken, bedarf es aber heutigen Tages Feiner Allianz
mit Rußland. Wir find ſtark und frei genug, dies jeden Augenblid tun zu
können; die durch die Allianz bewirkte Verjtärkung der Konfliftsgefahr
mit England ift aljo für ung etwas nicht unbedingt Nötiges.
Schließlich bleibt zweifelhaft, ob das Dazmwifchentreten Frankreichs
die Machthaber in England überhaupt abhalten wird, gegen uns vor-
zugehen, wenn fie wirklich den Krieg mit uns mwollen, ganz abgejehen
davon, daß der Vermittlung Frankreichs ficherlich jede Pſyche fehlen
würde. Sollte dies aber dennoch der Fall fein und England auf den
Krieg mit ung verzichten, fo würde es um fo brutaler und rüdfichts-
lofer Japan auf ung hegen, und wenn ich den Vertragsentwurf richtig
verjtanden habe, jo würde der casus foederis für Rußland nicht ein-
treten, wenn wir nach Beendigung des Krieges Japan allein gegen
überftehen. Einen ſolchen Krieg mit einem feindlichen England hinter
ung Fönnen wir aber ohne feemächtige Freunde nicht führen. Alſo auch
in diefem Falle gibt uns’ die Allianz mit Rußland nichts Wirkliches.
Nimmt man fchließlich den ung am meiften intereffierenden Fall, Eng:
land erflärt uns allein den Krieg und Rußland müßte daraufhin auf
unfere Seite treten, dann lähmt doch gerade ber bejtehende gegen ung
gerichtete Zweibund zwiſchen Frankreich und Rußland die Freiheit
unferer Entfchlüffe Frankreich gegenüber, während die ruffifche Hilfe
für uns feine Rolle fpielt. Eine pofitive Wirkung für die Friedens:
chance hätte eigentlich nur die wirklich Elare Defenfivallianz Deutfch-
lands, Frankreihe und Rußlands zufammen gegen England, und das
ift doch durch das erwogene Vorgehen 3.3. nicht zu erreichen.
Nach diefen Überlegungen, welche nur die Hauptpunkte jEizzieren,
möchte ich meine Anficht dahin präzifieren, daß wir unter tunlichiter
Aufrechterhaltung der Freundfchaft mit Rußland, infonderheit der kaiſer⸗
lichen Beziehungen, doch den Abfchluß eines Staatsvertrages 3.3. nicht
vornehmen, fondern zunächſt weiteres abwarten. Im ganzen ift ja Zeit
geroinn und Flottenbau unjere wichtigfte politifche Aufgabe.
Da die hohe Politif Shre Domäne ift und ich nur als Nebenperjon
bei diefer Frage beteiligt worden bin, fo richte ich diefe Zeilen an Sie
Zievig, Sriunerungen 10
i40 Heichsmarineamt und auswärtige Politik
nit der Bitte, den Heren Reichskanzler über meinen Standpunkt zu
orientieren.“
Das Bündnisanerbieten, das zwar meiner grundjäglichen Anſchauung
völlig entfprach, mir aber in dem damaligen akuten Kriegsaugenblic
gefährlich und außerdem ausfichtslos erfchien, it abgegangen. Wie
mir Holftein fpäter mitteilte, zeigte Rußland die Kalte Schulter. Ich
vermute auch, daß die ruffifchen Minifter von dem deutichen Bündnis-
angebst jchon damals den Weſtmächten gegenüber Gebrauch und bar
mit Gefchäfte gemacht haben.
Nikolaus IL feibjt war Deutjchland wohlgeſinnt. Wie von vielen
politifchen Verhältniſſen und Perſönlichkeiten machte fich die deutſche
Hffentlichkeit auch vom Zaren ein falfches Bild. Er war ein ehrlicher,
perfönlich furchtiofer Menſch mit Muskeln von Stahl, deifen bewußte
Selbftherrfcherwürde ſich paarte mit ber Eorreften Gemöhnung, alle
an ihn herangetragenen politifchen Angelegenheiten forort den zujtän-
digen Beamten weiterzugeben. Am innigiten ſehnte ſich Nikolaus U.
danach, in der Stille bürgerlichen Lebens unterzutauchen. Deshalb liebte
er Wolfsgarten in Hefjen, mo ihm nichts angenehmer war, als wenn
er von Befuchern verjchont blieb; deshalb verkehrte er auch gern auf
der deutjchen Flotte, wo er fich, dem Zwang feiner Stellung entronnen,
als Menfch unter Menjchen fühlte und fich ung gegenüber offen und
liebenswürdig gab.
Unter feinen Xeuten erfchien der Zar halb als en Ge
fangener. Als wir gelegentlich der Zufammenkunft von Swine—
münde (1907) dem Zaren entgegenfuhren (gegen die Verabredung, two:
nach wir vor Anker liegen bleiben und der Zar auf feiner Jacht durch
bie Flotte durchfahren follte; aber es drängte den Kaifer, dem Zaren
entgegenzufabren), trafen mir ihn auf der Höhe von Kolberg. Der
Kaiſer ließ troß des Seeganges das Boot Elar machen und fuhr, was
die Ruſſen nicht für möglich gehalten hatten, zur ruſſiſchen Kaiferjacht
hinüber, Nun blieb diefe aber auf dem Winde liegen, jo daß Das
Schiff ſtampfte. Wir konnten nicht begreifen, weshalb; denn Die ele
mentare Hilfe eines Schiffes für ein Boot, das auf See anlegt, be
fteht darin, daß das Schiff beidreht, fo daß eine geſchützte Seite (Lee)
entſteht. Der Kaifer rief nun, während wir um das He der acht
Der Bar und ber Kailer 147
herumfuhren, zum Zaren hinauf: „Niki, wo'nt you make a lau?“
Mir jehen, wie der Zar, noch im Socket, verfucht, Anorönungen zu
treffen. Als wir Längsfeits kommen, bemerken wir, wie oben Parade
aufgebaut ijt. Aber die Treppe, auf welcher der Kaiſer mit dein üb⸗
lichen geoßen Zeremoniell auffteigen follte, wird nicht herabgelaſſen.
Es bleibt ung nichts übrig als nad) vorn zu fahren, wo eine Geeleiter
für die Matrojen hing. Der Kaiſer ift außer fih. Wie fehen, wie der
Zar, ebenfalls fehr erregt, nach vorne ftürzt, während die riejigen
Kerls in unbeweglichen Kolonnen ſtramm ſtehen; an der nicht herunter:
gelalfenen Kaiſertreppe halten die ruſſiſchen Großen Lambsporff,
Bencendorff, Fredericks uſp. Das Überfieigen mar ſchwierig und für
den Kaifer nicht ungefährlich. Nicht einmal eine Keine wurde ung zus
geworfen. Der Zar Fam einjam dem Kaifer entgegen; alle andern
waren in Kadavergehorſam erftarrt, denn die Parade war nun einmal
im Gange, unjer Eintreffen nicht vorgefeben, und Feiner ber Some
manbdanten, von denen merkwürdigerweiſe zwei an Bord waren, übers
nahm troß Bitten unferes Mearineatiaches die Verantwortung für
einen ber Sachlage entfprechenden Befehl, den bei uns der Wachs
offizier ganz allein erteilt hätte,
Der Zar war den ganzen Tag verftimmt über diefe Szene. Wenn
er mit dem Katfer in ruffifcher Umgebung zufammentraf, fo war ihm
überhaupt beengter zumute, vielleicht auch, weil der Kaiſer fofort der
natürliche Mittelpunft jedes Kreijes wurde und fich, wenn er ruffische
Uniform trug, unter Ruſſen gefellfchaftlich ganz als Ruffe bewegte.
Dann fühlte ſich der Zar, in deſſen Weſen eine echt ruſſiſche pafjive
Nefiftenzkraft bei geringer Initiative lag, Leicht überſtrahlt. Die ges
ſellſchaftliche und politifche Snitiative ging immer von ung aus. ich
babe die in ihrer Weiſe jeher lebhaften Bemühungen unferes Katfers,
mit Rußland zu einem guten Verhälmis zu kommen, ſoweit fich mir
Gelegenheit dazu bot, unterftüst und durfte mid) des befonderen Wohl:
wollens des Zaren erfreuen, bei deſſen Werfönlichkeit aber ftets ein
erhebliches Maß von Zurückhaltung geboten war.
Im Sahre 1903 ſchickte mic) der Katjer zum Zaren nad) Peters:
burg mit einem heiklen Auftrag, den ich, ſchon weil die engliſch ge
finnte Barin ihren Gemahl nicht unter vier Augen mit mir ließ, für
mich behielt, was ſich als richtig eriwiefen hat. Ob diefe fchöne Frau
geiftig hervorragend war, Bann ich nicht beurteilen; jedenfalls hatte
In?
148 Neichsmarineauit und auswärtige Pohtik
fie nach) meinem Eindrud für ihr deutiches Vaterland nicht viel übrig.
Sch warnte bei diefer Gelegenheit den Zaren vor ber oftafiatifchen
Gefahr, die ich bei dem mir bekannten mehr dekorativen Geift der
ruffifchen DOftafienflotte ſehr ernſt einfchägte. Nikolaus IL, der die
Japaner perjünlich nicht leiden mochte, entgegnete mir, er hielte die
Gefahr für vorübergezogen, denn er wäre jest jchon fo ftark, daß
die Japaner nichts mehr machen Eönnten. Den rujjifchsjapanifchen
Krieg habe ich in unferem Syntereffe bedauert, und fihon am 2. Sep-
tember 1904, als man im allgemeinen noch auf den Sieg des ruffifchen
Soldaten rechnete, ben Reichskanzler die Gefahr entwickelt, die entftünde,
wenn nach einer ruffischen Niederlage wir in Tfingtau auf Vorpoſten lägen.
Die Knverfrorenheit, mit welcher die Engländer im Krieg die Jar
paner unterftügten, war für uns nicht nachahmbar, obwohl wir im
Rahmen der Neutralität der ruſſiſchen Flotte mit Rat und Tat mehr
Dienfte erwieſen haben, als die Franzofen. Als indes Admiral Rofch-
djeſtwenskj bei feiner Ausfahrt mit der ruſſiſchen Dftjeeflotte um bie
Begleitung des damaligen deutſchen Marineattaches v. Hinte bat, hat
der Kaiſer diefe Handlung als unneutral abgelehnt. Dagegen hat
z. B. englifches Perfonal nach Kriegsausbruch die in Italien gebauten
japanischen Kreuzer „Kaſuga“ und ‚„Nifchin” nach Japan überführt,
und englifche Offiziere haben im Stabe des Admirals Togo ſowohl
bei Port Arthur wie in der Tſchuſimaſtraße eine fehr tätige und be
deutungsvolle Rolle geipielt. In dem Seegefecht bei Port Arthur
wolite Togo den Kampf unter dem Eindrucd feines wenig Erfolg
verfprechenden Standes bereits abbrechen, als ihn der Engländer in
feinem Stabe zum Durchhalten veranlaßte und Eurz darauf das ruffifche
Admiralsſchiff „Zeſarewitſch“ den entjcheidenden Treffer erhielt. Nach
der Niederlage, welche die Ruſſen den Engländern demnach ebenfo
zu verdanken hatten wie den Japanern, begann in Rußland der britifche
Kurs über den deutjchen zu fteigen. Roſchdjeſtwenskj hat nach feiner
Rückkehr aus der japanischen Gefangenfchaft dies Hintze gegenüber
mit dem rufjifchen Volkscharakter erflärt: „Dem, der dem Ruffen hilft
und freundlich zu ihm ift, gibt er einen Fußtritt, denn er betrachtet
ihn als feinen Lakaien; wer ihm aber die Knute gibt, dem Füßt er ben
Saum des Gewandes.“ Trotzdem nun feit 1907 Rußland den Aus:
gleich mit England annahm, behielt ich die Überzeugung, daB das
Zarentum unfere Zukunft nicht im tiefiten Grunde bedrohte,
Fehler unferer Rufjenpolitif 149
Gegenüber ben zunehmenden Kriegstreibereien ruſſiſcher Sphären
war die Marine aber nicht bfind. Herr v. Hinge, deſſen Stel
lung am Petersburger Hofe durch fein Geſchick die des Botſchafters
überragte, hat bald nach dem japanischen Krieg deutfchfeindliche An⸗
geichen im ruffifchen Heer gemeldet, was ihm damals in Potsdam
verübelt worden ift. Aber man durfte trotzdem die Gefährlichkeit der
ruſſiſchen Kriegspartei, der Großfürften und ihrer Pariſer Freuns
binnen, und des Panſlawismus nicht überfchäßen, anderſeits aber es
nicht unterlaffen, ihnen mit allen Mitteln entgegenzuarbeiten. Unſere
Balkanpolitik 1908/14, insbefondere auch die Entfendung unferer Milis
tärmifjion nach Konftantinopel erfchien mir nicht unbedenklich.
Nikolaus II., der mir bei einer der letzten Unterredungen von fich
aus gejagt hatte: „Ich gebe Ihnen meine Verficherung, daß ich nie
mals gegen Deutfchland Krieg führen werde,” wollte auch 1914 Feinen
Krieg mit ung. Sch laſſe es dahingeftellt, in welchem Umfang wir durch
richtigere Behandlung des Zaren und ber ferbifchen Frage im Juli 1914
ben Einfluß der Eriegstreiberifchen Kreife Petersburgs hätten eindäm⸗
men Fönnen.
Der Krieg mit Rußland war der Kardinalfehler unferer Politik,
ein baldiger Friedengfchluß mit dem Zaren unbedingtes Ziel einer
nach Sieg ftrebenden Staatskunſt. Diefer Friedensfchluß murde durch
ben Beitritt der Türkei zu unferer Partei und die Nichtausführung
des Hindenburgfchen Feldzugsplanes von 1915 unleugbar erſchwert.
Trotzdem Eonnte noch 1916 ein annehmbarer Frieden gefchloffen wer⸗
den, als der Zar, der feinen Thron wanken fühlte, Stürmer zu dem
Zweck ernannte, um mit ung Frieden zu fchließen.
Dem Streben Bethmann Hollwegs, feine politifchen Fehler auf bie
militärifchen Reſſorts abzuladen, entfpricht es, daß der unbegreifs
lichſte dieſer Fehler, die Polenproflamation vom November 1916, von
der Wilhelmftraße tunlichft auf General Ludendorff abgewälzt worden
ft. Dem miderfpricht aber, daß Bethmann fchon in einer Staats⸗
minifterialfißung im Winter 1915/16 eine derartige Löfung der pol-
nifchen Frage als die zweckmäßigſte bezeichnet hat. Nach der Sihung
ichlug ich einem Kollegen vor, daß, wenn wirklich ein derartiges Vor⸗
aehen ernfte Geftaltung annähme, das Staatsminiftertum beſtimmt
Stellung dagegen nehmen müßte. Nach meiner Verabſchiedung habe
ich Fury vor der Entfcheidung über Polen den Generalgouverneur
150 Heichömerineamt und ausmärtige Politif
9. Beſeler aufgefucht und ihm privatim meine Anficht son der Un:
zwechmäßigfeit und verhängnisvollen Gefährlichkeit diefes Schritten
ausgefprochen. Mir war klar, daß damit nicht nur Deutichlend ein
neuer Feind gefchaffen, fondern auch eine der fetten Möglichkeiten zu
einem Sonderfrieden abgefchnitten wurde. In der Tat Eonnte infolge
der hierdurch erzeugten Verfchärfung des Kriegsmillens unferem Frie
densangebot vom Dezember 1916 Fein zweckwidrigerer Auftakt ge
geben werden, als die Polenproflamation, die der Zar als „eine Ohr:
feige in mein Geficht“ bezeichnet haben ſoll und die nach Stürmers
Ausdrud „ven Frieden getötet hat”.
Schon Mitte Juli 1914 hatte ich angeſichts des beunrftehenden
Utimatums an Serbien aus Taraſp meinem Berliner Amtsvertreier
brieflich die Befürchtung ausgeſprochen, daß Bethmmm Hollwegs Un:
kenntnis der englischen Politik ung in einen unheilbaren Bruch mit
Rußland ftürzen könnte. Ohne die Einzelheiten der damaligen Beth:
mannfchen Diplomatie zu durchichauen, hatte ich gefchrieben: „Man
braucht fich nur vorzuftellen, was ein englifcher Bismard für eine
Politif gegen Rußland und Deutfchland treiben mwürde. Der Kanzler
iſt vollftändig verrannt, verliebt in feine Sdee des Werbens um bie
Gunft des verfiden Albions. Es ift die Schieffalsfrage des deutfchen
Volkes. Wir müfjen uns coüte que coüte mit Rußland verſtändigen
und den Walfifch gegen den Bären fiellen. Alle Sentimentalitäten
haben zu Schweigen.”
Berhmann felbft konnte wohl auch vor der Bolenproflamation kei⸗
nen Gonderfrieben mit Rußland bekommen, ba biefes glauben mußte,
baß er es doch em Die Engländer verfaufen würde. Daß der Kaljer
bie Kraft nicht fand, 1916 einen Frontwechſel unserer Yplitik zu volls
sehen und Für bieten Zweck Schon damals einen Kanzlerwechſel eins
treten zu Taflen, war tin Mechängnic,
Mitſchuldig an bem Unheil iſt die Hinneigung umferer Intellek⸗
wellen zur weltlichen Kultur. Sie ift an fich einfeitig, da mir Die alte
Bildung des Weſtens ja längft in ung aufgenommen haben, feine heu⸗
tige glatte, utilitariſtiſch-kapitaliſtiſche Maſſenkultur aber das deutſche
Weſen vielleicht minder fruchtbar ergänzt, als der querföpfige Idealis—
mus der Ruffen und des Orients. Indes nicht um Kultur handelte
es ſich hier, jondern um Politif. Um die deutjche Kultur Präftigen
und ausbreiten zu können, war vor alfem unfere politiſche Selbftän-
Fortſeßung der Fehler im Kriege 151
digkeit gegenüber den Weſtmächten erforderlich. Dieſe Selbſtändigkeit
aber konnte durch keinerlei Randſtaatenpolitik auch nur annähernd
ſo geſichert werden, wie durch die tunlichſte Eintracht Deutſchlands mit
den großen nichtangelſächſiſchen Mächten des Oſtens.
Gegen alle geſchichtliche Vernunft, aber unter dem Jubel der un:
belehrbaren deutſchen Demokratie wand Bethmann den Ruhm des
Polenbefreiers um feine Schläfe. Sch laſfe dahingeſtellt, ob ihn dabei
mehr fein Fehlurteil über die englifche Politit oder der Wunſch nach
einem Erfolg, verbunden mit der Gejchicklichfeit der Polen, deutſchen
Schwächen zu fehmeicheln, beitimmt hat!). Ich ſah die Zukunft
Deutfchlands nicht bedroht, auch wenn das rufjifche Kaiferreich
wieder zu vollen Kräften gefommen märe Bedroht ſah ich fie
nur, wenn wir von unferem Überfechandel, aus welchem fait ein
Drittel der Deutjchen lebte, abgejchnitten und bei Nichtwiedergervinn
unferer meltwirtichaftlichen Stellung ber grauenhaften Berelendung
ausgeliefert rwurden. Für die von England beabfichtigte Abdrängung
Deutfchlands von der See gab es Feinen Erſatz, felbjt wenn Bethmanns
Unnahmen zutrafen und mie uns eine Durchdringung des Oſtens
militärifch leiſten konnten. Mit allen ruſſiſchen Leuten, auch mit
Kerenskj, hätte ich unter ftarfen Zugeftändniffen jegliche Verftändigung
aefuscht, die uns nach anderer Seite wirklich die Hände freigab. Ich
weiß nicht, ob die Weltgefchichte ein Beiſpiel größerer Verblendung
Eennt, als bie gegenfeitige Vernichtung der Deutjchen und der Ruffen
in majorem gloriam der Angelſachſen.
Mindeitens aber durfte man ſich für bie Polen nicht Feitlegen,
ohne Gegenleiftungen von ihnen zu verlangen. Was müſſen die andern
Kationen der Belt dafür leiften, daß die Angelfachfen fo gütig find, jie
zu beherrfchen, und wir verlangten nicht einmal etwas für die Befreiung.
Bis zum Schr 1837 hatte zwifchen unferer und ber ruſſiſchen
Morine lange em beinahe maffenbrüderliches Vertrauen geherrſcht.
Nachdem infolge des erfaltenden politifchen Verhältniffes ein Aus—
tauſch wertvoller Informationen fortab nicht mehr möglich war, habe
ich teoß Der Herrfchaft des Zmeifrontenfriegsgedanfens die guten per
fönlichen Beziehungen zur ruffifchen Marine aufrecht erhalten, indem
ich ihr Gefälligkeiten erwies, die ung nichts ſchadeten. Ich überwies
Y) Wal. auch über den älteren Bethmann-Hollweg: Bismard, Gedanken und
Erinnerungen 1, 110ff.; 2, 13 und 97,
152 Reihsmarineamt und auswärtige Polttil
nämlich alle uns angebotenen Erfindungen, von beren Nußen ich
noch nicht voll überzeugt war, nach Petersburg, wo alles Neue mit
wahren Heißhunger genommen murde. Man baute dort nach dem Örund-
fat, aus fämtlichen Regenbogenfarben das weiße Licht zu finden. Ein
Vorteil war die glühende Verve nicht, mit der die ruffifche Marine⸗
leitung ihre Flotte zu einem Konglomerat von Erfindungen ausgeftaltete.
Sch babe denn auch dem Zaren verjchiedentlich Winke gegeben, bie
in dem Rat gipfelten: „Laſſen Sich Majeftät nicht foviel Dareinreden,
fuchen Sie Sich einen Mann aus, den Ste alles allein machen laffen,
fonft kommt nie Syſtem in die Gefchichte.” Das hohe Maß perjönlichen
Vertrauens, welches der Zar in deutfche Offiziere, vor allem in Hintze,
feßte, war ein Poftbares politifches Kapital, das mir allerdings nicht
mit dem DVerftändnis eines Stein oder Bismard gepflegt haben. Zum
Beiſpiel wurde der Vertrauenspoften, den mir burch die alte Sitte
eines preußischen Flügeladjutanten beim Zaren zur Verfügung hatten,
nach Hinzes Abberufung nicht mebr voll genüßt.
Japan befand fich nach dem Sieg über Rußland in den größten
Geldjchwierigfeiten, nachdem die perjönliche Hartnäckigkeit des Zaren und
bie amerikanische Vermittlung, hinter der fich die engliſche Diplomatie
gejchieft verbarg, dem ohnehin armen Kaiferreich die erhoffte Kriege-
entfchädigung vorenthalten hatten, Bon verfchiedener Seite habe ich
gehört, daß es für Deutfchland zwiſchen 1905 und 1914 mehrfach
möglich geweſen märe, durch Gewährung einer Anleihe mit Japan
zu einem Abkommen zu gelangen. Nach meinen perjönlichen Ein
drücken von japanifchen Staatsmännern, mit denen ich Freundichaft
pflog, muß ich die Möglichkeit für wahrſcheinlich halten und bin
überzeugt bavon, daß Japan Fühler nach uns ausgeſtreckt hat, bie
unjre Diplomatie nicht begriff oder aus Furcht vor den Angelfachfen
nicht aufzunehmen wagte. Es ift allerdings ſchwierig, die pofitifche
Seele Japans zu verftehen.
Hätten wir, ſtatt „Hans Dampf auf allen Gaffen” zu fpielen,
die wahren Machtbeziehungen durchgefühlt, auf melchen die PolitiP
ber Welt beruht, fo würden wir ung mit Hilfe Japans vielleicht gegen
die Möglichkeit des Weltkriegs überhaupt haben fichern können. Noch
1915, ja 1916, Ponnte Japan den Krieg durch eine Gefte beenden,
wenn nicht gar ihm eine entjcheidende Wendung zu unſeren Gunften
geben. Die Vorausſetzung mar, daß mir ung mit Rußland verſtändig⸗
Unfer Verhältnis gu Japan 153
ien und bie Hauptfront gegen die Angeljachfen nahmen. Wir mußten
mit der aſiatiſchen Großmacht ein Bündnis auf Tod und Leben fuchen.
Solange die Neichsleitung im Kriege politifch auf Rußland einfchlug
und die öffentlichften Bemühungen machte, um in ein feites Verhältnis
zu England zu treten, war nicht zu erwarten, daß Japan zu uns Fam.
Als wir vor Wilfons Drohnoten einknickten, hat fich Japan mohl von
bem Gedanken zurückgezogen, mit ung zu einem Verfjtändnig zu kommen.
Die Japaner find machtgierig und rafffüchtig. Sie find in dieſer
Beziehung ein Urvolk; fie möchten alles haben. Aber jeht, da fie bie
vorwaltende Stellung in Dftafien gewonnen haben, wäre es töricht
von ihnen, fich mit Amerika wegen der Sübfeeinfeln oder der Raſſen⸗
ehre zu entzweien. Der Hauptftreitpunft dürfte China bleiben, deſſen
Markt fich Amerika nicht wieder rauben laſſen wird, bag aber die Japa⸗
ner wohl etwa jo zu beherrfchen hoffen, wie ehedem bie Mandſchus.
Ich glaube nicht, daß die Japaner mit dem Erwachen Chinas als einer
nahe bevorftehenden Periode rechnen. Sie werden China fo feſt in
ihre Hand bekommen wollen, daß es ihnen nicht mehr gefährlich mers
ben Eann, fondern dienftbar werden muß.
Wenn die Japaner Feine Augenblickspolitiker waren, fo mußten fie
einjehen, daß Vereinbarungen mit ben Angelfachjen ihnen letzten Endes
nichts helfen Bönnen und daß ihre Macht auf ſchwachen Füßen ruht,
folange fie nicht alles tun, um für die Nugeinanderfeßung mit Amerika
bie beftmögliche meltpolitifche Lage zu fchaffen. Der Sondervertrag,
ben Japan 1916 mit dem Zaren gejchloffen hat, zeigt immerhin, daß
feine Staatsflugheit überall Anlehnung fuchte, mo Entfchloffenheit zu
dermuten war, gegen die Angelfachjen burchzuhalten. Nachdem Ruß⸗
lonb und Deutfchland fich gegenfeitig zerfchlugen, iſt freilich ber mögs
liche beutfcheruffifchsiapanifche Dreibund, ber die Freiheit ber Welt
gejichert hätte, mindeitens zunächſt dahin, und Japan muß zufehen,
wie e8 bie ungeheuren Aufgaben, die es fich aufgepadt hat, allein zu
Ende trägt. Die Zukunft aller nichtangelfächfifchen Großmächte ift
problematifch.
3
Sm Grunde war jedes Kriegsjchiff, das auf ber Welt irgendivo
außerhalb Englands gebaut wurde, ein Vorteil für uns, weil dadurch
bas Gleichgewicht zur See geftärkt wurde. Die angelfächjifche All⸗
gewalt zur See wie überkaupt in ber Welt mar vor dem Weltkrieg
154 Reichs marineamt und auswärtige Doltril
noch nicht für ſakroſankt erklärt. So gut 4 B. Bulgarien oder Rumänien
neben den Landgroßmächten eigene Heere jcheffen konnten, die zwar
für ſich nichts, aber durch ihren Bündniswert unter Umftänden fehr viel
bedeuteten, jo wurden neben der britiichen Fleinere Marinen gebaut,
weiche unter den Bündnisgedanfen, wie ihn Bismard! ausgefprochen
bat!), Gewicht erhielten. Wenn man ein englifches Monopol zur See
anerkannte, fo war nicht nur jeder Flottenbau, nicht nur jede felb-
ſtändige Politif, fondern ich möchte jagen, jedes freie Selbjtgefühl
anderer Völker unmöglih. Warum aber bauten Japan, Frankreich,
Rußland, Amerika, marum bauten Stalien und die Eleinen Staaten
Schiffe? Wenn man fagt, es märe doch nutzlos, mit der ſtärkſten
Seemacht in Wettbewerb zu treten, jo hätte es ja für Eeinen Staat Zweck
gehabt, fich eine Marine zu halten.
An und für fich befteht Fein Grund, weshalb die Intereffen der Völ⸗
fer zur See fich nicht ebenfo auf gegenfeitige Ausgleichung ftellen joll-
ten, wie zu Lande. Was das Militärifche betrifft, fo hat allerdings der
an jich Stärkſte zur See durch die Beherrfchung der unbegrenzten Fläche
mehr voraus als zu Lande. Aber feine Alleinherrichaft kann gebrochen
werben durch das Schlachtenglüd, das in der Seefchlacht eine noch
entjcheidendere Rolle spielt, als im Landfrieg, und zmeitens durch
Bündnilje. Sch ſtand auf dem Gedanken, daß Flotten- und Biindniss
politik fich ergänzen müffen: eine verliert ohne Die andere ihre durchs
ichlagende Kraft. Die Bündniskarte mußte aber anders ausfehen,
je nachbem man fie vom Standpunkt der Welt⸗ und Seepolitif aus ins
UAuge fahte oder von bem überlieferten Vier Berlin— Paris Wien—
Deiereburg, welches das gewohnte Befichtsfeld des beutichen Diplo—
masen umfchrieb. In jenem Zuſammenhang Fonnte mancher leins
fast wichtiger merben ald manche alte Großmacht. Deutfchland er
hielt Bundniswert für Staaten, von denen ums bie Ozeane trennten.
Und da bag zwingende Intereife, welches ung zum Schuß unferer Sees
geitung den Flottenbau aufgendtigt hatte, ganz parallel Tief mit dem
Intereſſe ſämtlicher anderer nichtenglifcher Mächte, welche Flotten baus
ten, jo konnte und mußte die Reichsleitung, wenn fie den Flottenbau
nicht felbit entiwerten wollte, ihre Ziele um diefen neuen Ungelpunft
herum gegen früher teils ausweiten, teild aber auch beſchränken.
Es würde zu weit führen, die Unterlaffungen unferer Diplomatie im
YRgl. S. 91.
lie Heinen Marinen fierben mit der Deutichen 155
einzelnen zu erörtern. In unjerer Lage würde jchon ein einziger nenmenss
werter Verbündeter von entfcheidendem Einfluß geweſen fein, jei ed
Rußland, fer es Italien, deſſen Seerüftungen von und ftets tunlichtt
zu flärfen waren. Japans wohlwollende Neutralität hätte den Xuss
bruch des Weltkrieges mwahrfcheinlich verhindert. Die zuverläſſig ncus
trale Haltung Rußlands in einem beutjchsenglifchen Krieg hätte bei
dem 1914 von ung erreichten Flottenftand genügt, den Dffenfiogeift
unferer Marine gegen Englend geiftig und materiell völfig freizumachen.
Um zu ermefjen, welchen Trumpf umfere Flotte damals einer tätigen
Diplomatie in die Hand gab, muß man fich vergenenmärtigen, daß
infolge ber durch uns bewirkten Anhäufung Dee englifchen Seeſtreit—
Fräfte in der Nordſee die englifche Seeherrfchaft im Mittelmeer und in
ben ofinfiatifchen Gewäſſern praktiſch aufgehoben war. Unſere tatlächs
liche Bündnispoliti? hat von ber deutſchen Flotte freilich feinen ans
beren Dienft gefordert, als die Rettung der Dardimellen, deren Off
nung bie britifche Flotte nicht erzwingen Eonnte, da fie mit zu vielen
Kräften in der Nordſee gefeffelt war. Der einzige Nutzen Oſterreichs
für unſere Morine beitand in einer Ausbeſſerungswerkſtatt für unfere
Mboote in Pola, nebſt dem Ubootsſtützpunkt in Cattaro. Mit Tauter
feeobmmächtigen, ung von wirklicher Meltpolitif abziebenden Ver—
bündeten traten mir in einen Krieg in dem bie deutiche Marine
gegen die Flotten der ganzen Welt ſtand.
Sicht nur Deuijchland acht aus dem Weltkrieg geſchwächt hersor,
ſondern euch bie meiften ber nicht angellächfiichen Bölter, bie ſich am
ben engliſchen Siegeswagen baben ſchirren laſſen. Kine zugleich woge«
mutigere yunb behutfamere deutſche Politik (wir waren unvorfichtig bei
aller Burchtiamteit) hätte bie Bilndnisfraft unferer Riſſkoflorte, ben
einzigen weitpolitiichen Zrumpf, ben mir hei unferer geographiſchen Lage
beiaßen, ſo ausfpielen können, Daß der Meltfriede gefichert war. Da unfere
Diplomatie dieg nicht veemocht hat, trat die Verbindung von Biindnigs
und Flottenpoliti? nicht ing 2eben, Die eine Ronzentrierung unferer
Ziele und Mittel bedingt haben würde,
Unter anderem mußten mir alles tun, um die Freundſchaft unſerer
Heinen Nachbarſtaaten zu erwerben, Geepolitifch mar ein engeres Ber
hältnis zu Dänemark vom größten Nußen, in diefer Nichtung michtiger
. B. als das Bündnis mit OÖfterreich, und ich wäre bereit geweſen,
für eme See und Wirtſchaftsabmachung mit dieſem germaniſchen
156 Reichdmarineamt unb autwärtige Politik
Vetternvolk Gebietsopfer zu bringen, welche bie dänischen Empfindungen
ung gegenüber wieder freundfchaftlich geftalten Eonnten. Verſchiedent⸗
lich habe ich bei Gefprächen mit dem ‚Herzog von Glücksburg, einem
Verwandten des dänifchen Königshaufes, diefen Gedanken einer Über:
prüfung des Prager Friedens gejtreift. Er war vor etwa einem Jahr⸗
zehnt der Anficht, daß Dänemark durch ein Entgegentommen bezüg-
üch der fogenannten jütifchen Enklaven Nordfchleswigs wohl zu ge
winnen fein würde. Amtlich mar ich nicht in der Lage, mich mit diefen
Privatgedanken zu befaffen. Ein derartiges Entgegentommen würde
ſelbſtverſtändlich entfprechende däniſche Gegenleiftungen vorausgejeßt
haben. MWerm Dänemark abermals, wie m einer früheren Epoche,
als Deutfchland am Boden lag, glaubt, unfer Unglück einfeitig aus⸗
nußen zu dürfen, fo möge es fich des Endes jener Epoche bei Düppel
erinnern und e3 deshalb vermeiden, im Herzen bes beutichen Volkes
abermals einen Stachel zurüdzulaffen.
Es wäre mein Munfch gemefen, daß unfere Nuslandsvertretungen
die Intereſſen fEandinavifcher, fehmweizerifcher und holländifcher Priva-
ter, ſoweit biefe es mwünfchten, taktvoll begünftigten und fich derjelben
annähmen, als mern es deutfche wären. Diefe Fleinen, für uns
wie für Die Welt fo wichtigen Staaten felbft würden unfere Macht
entwicklung freundlich begrüßt haben, menn fie in jeder Schwierigkeit
einen felbftverftändlichen Rückhalt an ung gefunden und wir es ihnen
erleichtert hätten, ben Gebanfen „Europa““ unermüdlich und
gefchieft burch uns vertreten zu fehen. Noofevelt hat mir gelegentlich
feines Berliner Befuches gefagt: „Sie müßten Holland nehmen.”
Das war natürlich ein fchlechter. Nat, deffen Gegenteil für ung richtig
war, Mir durften nicht erobern, fondern wir mußten gewinnen, indem wir
ben Kleinitaaten mit eigenen ftarfen Seeintereffen die Gewißheit brachten,
daß ihre Freiheit, Die auch in unferem Intereſſe lag, zuverläffig gegen
die angelfächfifche Allgemalt gefchüßt würde.
Es war ein Unglüd für unfer Volk, daß man ihm Fein großes
Ziel zeigte, und doch lag e8 fo Far vor uns. Als ich vor dem Krieg
Herrn von Bethmann gelegentlich fogte: Wir müßten der Nation Ziele
zeigen, fragte er mich erftaunt: „Was denn für ein Ziel” Ich meine,
e8 hätte darin beilehen müffen, alle freien Völker ohne jede Vors
mundfchaft der Ungelfachfen zufammenzuführen. Große Worte
ſchadeten uns nur; aber eine zielbewußte vornehme Propaganda in
Die Freiheit der feinen Völter. Deutfchland und Curopa 157
biefer Richtung hätte uns genüßt. Dunn wären die anderen Völker
Europas auch fo klug geweſen, unjere Stärke mit günftigen Augen
zu betrachten. Der Slottenbau hatte der Nation im Innern fichtbar
gut getan; er hatte die Einigkeit der Parteien, den nationalen Sinn
und Stolz, die Sicherheit unferes Auftretens draußen gehoben und
befeitigt. Er wäre auch allen fremden VBölfern mit Ausnahme der
Engländer ftets ſehr erwünjcht geweſen. Unfere Würde als Volk
und Staat aber verlangte nach einer außenpolitijchen Ergänzung unjeres
Flottenbaus. Erjt die Eräftige, aber friedliche Unterjtügung der nichts
angeljächfiichen Völker in ihrer Freiheit gab unjerem Machtzumachs
die meltpolitifche Berechtigung und Ausficht auf Dauer. In folchen
entjcheldenden Entwicklungsjahren, wie wir fie durchliefen, darf ein
Volk jich Feiner Verpflichtung entziehen, die aus jeinem Wachstum
entfteht. Dies alles wird vermutlich in einigen Jahrzehnten im Be
wußtſein der Menfchheit immer flärfer heraustreten.
Als der Krieg ausgebrochen war, vertrat ich weder im Oſten noch
im Weiten annexioniſtiſche Ziele. Auch ein Deutſchmachen Belgiens
lag nicht in meinen Wünfchen. Sch hielt es aber für notwendig, daß
die belgische Küfte nicht unter britifche Oberherrfchaft fallen follte,
weil dies die fichere Verkümmerung der beutfchen Arbeit und des
deutjchen Arbeiters nach fich 3081). Ich wünfchte deshalb die Er⸗
richtung eines felbftändigen Flanderns, in welchem mir das Be
ſatzungsrecht auf Zeebrügge Hätten. Während des Krieges begriffen
denn Deutjche zuerſt die induftrielle Zukunft des flandrifchen Kempens
landes, und damit trat ein neuer Grund hinzu, die Wirtſchafts⸗
freundfchaft zwifchen Rheinland und Belgien frei von britifcher
Hoheit zu erftreben. Meiner Überzeugung nach werden die Bewohner
des Scheldelandes im Kauf der Zeit erkennen, daß diefer Gedanke auch
in ihrem Intereſſe lag. Die Eleinen Staaten Europas werden in bem
transatlantifchen Machtgebilde der Ungelfachfen verfchtwinden, und die
Kraft Europas, die im Ausgleich mannigfaltiger felbftändiger Kulturen
auf engſtem Raum beruht, wird vergehen, und damit Europas Reiche
tum, fein Übergewicht und die Möglichkeit einer Weltitellung für die
Staaten unjeres Feſtlandes. „The world is rapidly becoming english.“
Unjer Krieg war der vielleicht letzte Freiheitsfampf Europas gegen
den angelfächfifchen Meltkapitalismus oder vielmehr, er hätte es fein
V Siehe Kapitel 17.
158 Neichsmarineamt und auswärtige Politil
müſſen und fönnen, wenn die Reichsleitung die Idee diefes Krieger
begeiffen und verwirklicht hätte. Unſre Sozialdemofraten, welche in
dem Wahne fchwelgten, den Kapitalismus zu bekämpfen, haben durch
ihr Verhalten im Krieg wie bei feiner Beendigung den Erfolg mi:
herbeigeführt, daß allerdings das von Ihnen verfolgte deutfche Kapital,
aus dem aud ber beutjche Arbeiter feine Nahrung zog, großenteils
erichlagen liegt. Dafür find die Deutfchen aber als Lohnſklaven dem
angeljächfiichen Kapitalisnus ausgeliefert worden, der weit roher und
unfozialer, vor allen Dingen aber Fremdherrſchaft iſt.
Vertrauen erweckt nur ein Staat, der Macht beſitzt und fie zugleich
mit Feftigkeit wie mit Weisheit verwendet. Wenn wir ber franzöfifchen
Propaganda in Elſaß-Lothringen und der polnischen im Oſten mit aller
Entſchloſſenheit enigegentreten mußten, fo durften wir ein weiteres
Vorbringen bes Dänentums in Nordſchleswig dagegen nur mit
Kulturmitteln (Eifendahnen, Schulen uſw.), nicht mit Machtmitteln,
bekämpfen. Daburdy zeigten wir, dab wir zwifchen Lebensfragen
und Nichtlebensfragen unterjcheiden Eonnten. Wie vielfach würde
es fih für ung im Krieg bezahlt gemacht haben, wenn wir
im Srieden Herzenswünjche der dänischen Patrioten erfüllt hätten!
Sp war ich auch ım Krieg felojt immer dafür, dee Welt zu
zeigen, daß wir im Gegenjah zu der heuchleriſchen Machtbrutalität
der Angelſachſen und völlig im Widerſpruch zu den uns ar
getanen Verleumdungen als „Boche“ oder „Hunne“ den Geift Europas
reiner und humaner vertraten, als irgendeiner unferer Gegner. Es
wäre in biefem Zufammenhang mein Wunfch geweſen, daß wir da—
von abaefehen hätten, bie von England eingeführte barbarifche Sitte
der Internierung mehr und harmloſer Ziviigefangener mit gleichem
zu vergelten. Auch war ich dagegen, die von den Feinden bes
gonnenen Luftangriffe auf offene Städte und Zivilbevölkerungen
nachzuahmen, jogern dadurch Fein erheblicher militärischer Abbruch ges
san wurde und jie mehe nur als Nabelitiche wirkten im Gegenfaß zu
Fonzentrierter Verwendung der Luftroaffe zu beſtimmten großen mili⸗
tärijchen Zweden (Londoner City und Dodel).
4
Unſer Verhältnis zu Amerika hatte 1898 durch das Erſcheinen
unſeres Geſchwaders vor Manila eine überflüffige Verſchlechterung er-
Die Manilas und die Venezuelaaffüre 159%
litten. Als ich 1896 mit dem oftajiatifchen Geſchwader auftragsgemäß
die Philippinen auffuchte, trugen mir die damals im Kampf mit den
Spaniern liegenden Filipinos den Gedanken einer deutichen Schußs
berrjchaft entgegen und fuchten mich zu bewegen, einen von den Spa:
niern zum Tode serurteilten Kebellenführer zu retten. Ich babe dieſes
Eingreifen felbfiveritändlich abgelehnt; auch fpäter ift meines Wiſſens
der Gedanke, die deutschen Machtintereffen auf die Philippinen zu ers
fireden, von feiner Stelle in Deutfchland ernithaft erwogen morden.
Indem wir nun während des ſpaniſch-amerikaniſchen Kriegs mit einem
Geſchwader, das ftärfer war ale das umerikanifche, vor Manila er:
Ichienen, erzeugten wir zunächſt Eigliche Beziehungen zwiſchen den
beiderfeitigen Marinen, wobei gelegentlich eines Zufammenftoßes mit
Admiral Dewey der damalige Flaggleuimant und ſpätere Staatsjekretär
v. Dinge durch Ealtes Blut die deutſche Ehre gewahrt und die Konflikts:
gefahr verhindert Hat. Es blieb aber in den Vereinigten Staaten, bie
damals mit bewußtem Schwung den Schritt zur Weltpolitik unter:
nahmen, ber Argwohn haften, wir hätten einen mißglücten Verſuch
unternommen, auf Jagdgründen zu pirfchen, die fie fich jchon aus⸗
gefucht hatten, Diefe von der englifchen Prefje und Diplomatie gez
ſchickt genährte Veritimmung fchwoll bis zu dem Mißtrauen an, mir
begten Eroberungsabfichten ouf amerifanifches Gebiet. Die Amertfaner
waren in europäiſchen Verhältniffen unwiſſend und hinjichtlich der
Monroelehre empfindlich genug, um derartigen Unfinn zu glauben.
Als nun im Jahre 1902 die engliiche Regierung und einlud, gegen
ben etivas räuberhaften Präfidenten von Venezuela, Caſtro, mit Rooſe⸗
velts Zuftimmung gemeinfam einzufchreiten, riet ich bei der betreffen-
den Sitzung im Auswärtigen Amt auf Grund meines Eindrudes von
der amerikfontfchen Art und der enalifchen Politik davon ab, die eng-
lifche Aufforderung anzunehmen. Karl Schurz, in dem das Deutich
amerifanertum damals noch einen Kopf bejaß, hatte mich gewarnt.
Sch erklärte, daß, wenn es zu einem bewaffneten Zufammenftoß Fäme,
das Monrvedogma Amerika erhitzen könnte, in welchem Fall und
die Engländer vermutlich im Stich lafjen würden,
Leider it es wirklich fo gekommen Sch Hatte dem Sailer
v0r feiner Reife nach England much noch unmittelbar dringend emp-
fohlen, fich ein unbedingtes Verfprechen von den Englöndern geben zu
laſſen, daB fie mir ung durchhalten würden. Ob das geſchah, weiß
160 NReichsmarineamt und auswärtige Politik
ich nicht; wir nahmen jedenfalls die englijche Anregung auf. Noofevelt
aber konnte, jelbft wenn er wollte, die amerifanifche Entrüftung nicht
im Zaume halten, und die britiiche Preffe war mit Duldung ihrer
Regierung niederträchtig genug, fofort umzuſchwenken, die Amerikaner
aufzuheten und über uns „Hunnen“ berzufallen I).
An irgendwelche Schonung beutfcher Intereſſen war in den Fällen
nicht mehr zu denken, in denen die beiden angeljächfifchen Weltmächte
fi) gemeinfam mit ihnen zu befafjen hatten. Ob England dabei wirk:
lich, wie der amerifanifche Marineattache in London zu dem unferigen
gejagt hat, einmal der ‚‚neunundvierzigfte Stern im Sternenbanner”
werben würde oder nicht, war für ung nebenfächlih. England hatte
fih um bie Jahrhundertwende endgültig zum leßtenmal überlegt, ob
es fich gegen Amerika wenden wollte, und diefe Frage verneinend ent
ſchieden. Meine perfönlichen Eindrücde gingen in derfelben Linie mie
die politifchen Erfahrimgen, und unfere fentimentalen Artigkeiten gegen
die Union verbejferten die Lage nicht. Es mar mir peinlich, als Augen⸗
zeuge der Schenfung des Standbildes Friedrichs des Großen an die
ſkeptiſchen Yankees beiwohnen zu müſſen. Sch habe den bei ung jo ver⸗
bängnisvoll verbreiteten Wahn niemals geteilt, daß die amerikanische
Macht irgendivann und irgendwie ein ung nüßlicher Helfer gegen die
britifche Seediktatur werden Fönnte. Auch die Marine der Vereinigten
Staaten habe ich von allen größeren Marinen ftets verhältnismäßig
am mwenigften als Aktivum in Rechnung geftellt 2).
) Damals zahlte der von unferem Kaifer geftreichelte Rudyard Kipling ihm
bie unglüdliche ‚„„Hunnenrede” aus den Tagen der Shinaerpedition heim in dem
Gedicht „The Rowers“, worin er die Deutichen als „Goten und ſchamloſe Hunnen“
bezeichnet. Diefelbe erftaunlihe Gemillenlofigleit wie im Wenezuelaftreit bemies,
wieder unter ſchweigender Mitfchuld der britiichen Regierung, die englifche Preſſe
zwei Jahre fpäter beim Swifchenfall von Hull. Kurze Seit tobte damals die
Jingopreſſe gegen die Ruſſen, welche in der Nordſee engliiche Fiſcherboote als ver:
meintlihe japanifche Torpedoboote beſchoſſen hatten, eine Verwechslung, Die ans
geficht# der offenen Unterftügung Japans durch die englifche Marine nicht einmal
fo unentichuldbar war. Dann ftoppte der Preffeftuem auf ein unfichtbares Signal
plöglih ab und wendete ſich zualeich mit der doppelten Wucht genen — das völlig
unbeteiligte Deutfchland | Das war für jeden, der fehen wollte, eine deutliche Lehre.
*) Die amerilanifche Marine ald Paſſivum für fi genommen, war fo wenig
ein gefährliher Gegner wie die franzöfifche; fie beobachtete mit einer gewiſſen
Eiferfucht, einen wieviel höheren Kriegswert die deutſche Marine erlangte, obwohl
ihre Baukoſten um Milliarden geringer waren,
Deutſchland und die angelſächſiſchen Mächte 161
Je länger fich freilich unfere junge Seegeltung befeftigte, defto
zahlreicher und freier wurden für ung die weltpolitifchen Möglichkeiten.
Sp lag es auch, vorausgefeßt, daß der Friede mit England erhalten
blieb, nicht vom Wege ab, daß zwifchen Amerika und ung fich frucht-
bare Beziehungen entwidelten. Als Noofevelt, der mich gut Fannte und
mich öfters lange ins Gefpräch zog, jenen Rat gab, Deutfchland müßte
die natürliche Herifchaft über die Mündung feines Hauptſtromes
wiedergeivinnen und die Eleinen niederdeutfchen Staaten am unteren
Rhein und an der Schelde an fich heranziehen, war er durchaus ehrlich
und fprach nach feiner Art roughly. Er ging davon aus, daß Englands
Meltmacht mehr und mehr dahinfchiwände und wir Amerifag natür-
licher Verbündeter gegen Japan würden, Das englifchejapanifche Bünd-
nig wirkte dahin, daß Noofevelt dem Wachfen der deutfchen Flotte großen
Mert beimaß. Bevor die amerikanische Flotte (damals beftand der
Panamakanal noch nicht) im Jahre 1908 in den Stillen Ozean ent-
jandt wurde, ließ mich Noofevelt durch feinen Berliner Botjchafter
nichtamtlich fragen, ob ich dies an feiner Stelle jeepolitifch verantworten
würde. Sch antwortete: „I should risk it,“ wobei ich in diefer Flotten:
entjendung auch für ung einen Vorteil jah. In der Tat war eine der
Folgen jener amerikanischen Flottenreife, daß Auftralien von England
ſtark zu Amerika hinüberneigte. Erſt durch den Krieg haben wir die
englischen Kolonien wieder nahe ang Mutterland herangedrängt. Rooſe—
velt hat mir fpäter feine Photographie mit einer fchmeichelhaften Wid—
mung unter dem bezeichnenden Zuſatze überfandt: „From one who sent
the American Fleet round the world.“
Die natürlichen Sympathien der Amerikaner waren ja englisch.
Aber dies ausgenommen beftanden Anfähe für gefchäftliche Beziehun—
gen zwifchen der amerikanischen Politif und ung. Die Amerikaner
nahnıen Deutschland vor dem Krieg in jeder Hinficht fehr ernft und
hatten troß ihrem großzügigen Sammelbegriff von Europa ein feines
Gefühl für unfere auflteigende Kraft und nüchterne Achtung für die
darinliegenden Perſpektiven. Sie vechneten bereits mit der Möglichkeit,
daß unfere wirtfchaftliche und politifche Entwicklung Hand über Hand
der englifchen vorbeilaufen könnte. Gleichzeitig betrachteten die Ame—
rikaner fich ſelbſt als die natürlichen Erben der englifchen Kolonien.
Marteten wie noch einige Zeit im Frieden die Entwicklung ab, fo wuch:
jen die ung und Amerifa gemeinfamen Intereſſen in natürlichem
Tirpig, Erinnerungen 1]
162 Reichsmarineamt und auswärtige Politik
Prozeß von Jahr zu Jahr. Als wir 1914 in den Krieg hineinfchlitter-
ten, war eine der ſchwerſten Folgen diefer furchtbaren Tatſache, daß
wir die angelfächfifche Gemeinbürgfchaft, ſtatt fie einzufchläfern, erſt
recht zur Entwicklung brachten.
Die Amerikaner, welche die Selbftentzündung der Pulverfammer
auf der „Maine in ein Verbrechen der Spanier umgedeutet haben,
um Kuba anneftieren zu Eünnen, würden den Durchmarfch durch
Belgien recht kühlen Auges betrachtet haben, wenn er ihren Inter⸗
effen entjprochen hätte. Amerika iſt ein melteroberndes Land, was
unfere Demofraten nicht fehen wollen. Die äußerliche Übermacht unferer
Gegner brachte die Amerikaner vom erften Tag an zu der (Überzeugung,
daß wir nicht fiegen würden, wie wir auch nicht fliegen dürften, und legte
damit ihre Haltung gegen uns grundfäglich feft. Troßdem war Amerika
1914 bis 1916 einfchließlich noch nicht zum Krieg gegen ung reif und
Eonnte einer furchtlofen, deutfchen Kriegspolitik nicht in den Arm fallen.
Erft die Länge des Krieges, die wachſende Sintereffenverflechtung mit
der Entente, die militärifchen Nöte Englands, die iMlufioniflifche Zauder:
und Zickzackpolitik Bethmanns mit ihrer Preftigeverfchtebung zugunften
Wilfons, und fchließlich der Merikobrief Zimmermanns haben 1917
den Eintritt Amerikas in den Krieg vorbereitet und ermöglicht, der
noch im Februar 1916, als ich den Ubootkrieg wollte, von Wilſon
nur mit jeher viel größeren Schiwierigkeiten, ja vielleicht überhaupt
nicht entfeffelt werden Eonntel), Das Entfcheidende war: Wir mußten
den Krieg raſch beendigen und durften das Preftige nicht einbüßen.
Ganz anders war die Lage, wenn der Meltkrieg vermieden worden
wäre. Ein Eriegerifches Niederfchlagen Englands wurde durch Die
angelfächlifche Blutsgemeinſchaft nie ertragen. Uber ein friedliches
UÜberholen Englands durch) ung wäre wie ein Naturvorgang hingenom-
men worden, hätte dem Deutfchtum auch in der amerikanischen Erb-
hälfte fleigendes Anſehen verſchafft und uns als wirkliches Welt:
volk letzten Endes auch bündnisreif für die flärkfte Großmacht der
Zukunft gemacht, Diefe Möglichkeiten find, wie immer fich das Leben
Deutfchlandg geftaftet, vorüber, und wenn unfer Volk überhaupt je
wieder freie Bündnisfähigkeit erlangt, fo kann fich diefe wohl nur
noch auf Mächte anderen Grades beziehen. Vor dem Weltkrieg hatten
wir noch reiche Möglichkeiten der Balance,
*) Rap, 19,
Der Mangel an Geſchiclichkeit 163
5
Der Flottenbau bedurfte, um zu gelingen, de3 Friedens, und
ficherte feinerfeits, je näher er dem Abſchluß Fam, den Frieden, ben
Deutfehlend zu feinem ungebrochenen Gedeihen nötiger brauchte und
bei feiner geographifchen Lage ſchwerer erhalten Fonnte, als irgendein
anderer Großſtaat. Die Jahrzehnte vor dem Meitkrieg charakterifier-
ten jich für Deutschland durch Höchite Blüte und höchfte Gefährdung
bei hohem, aber noch nicht ganz zureichendem Schuß durch eigene
Macht. Bismarck ift in mehreren Phaſen feines Waltend ald „Jong⸗
leur“ bezeichnet worden; auch die ziveifellos fehr geſchickte Perfönlichkeit
des Fürflen Bülow hat bei ihrem fo bedauerlichen Abgang den Ehren-
namen „Seiltänger mitbekommen. In der Lage Deutfchlands Fonnte
nur außerordentliche Anpaffung an wechfelnde Lagen vor Schaden be—
wahren. Wir durften es ung nicht evlauben, Fehler zu machen. Bis⸗
mare ſagte einmal, als über den Reichskanzler-General Caprivi geklagt
wurde: „Wartet nur, bis ihre einen wirklichen Bureaukraten zum Kanzler
habt, dann werdet ihe etwas erleben.” Ein flurer Illuſioniſt, wie der
Nachfolger Bülows, fiel durch fein mangelndes Schätzungsvermögen
den Verſtrickungen unferer Weltlage zum Opfer, Die Hauptbedingung
für einen Reiter des Deutfchen Reichs war und wird ſtets bleiben,
daß er die auswärtige Politif verfteht. Dazu gehört nicht unbedingt
die diplomatische Schwarzkunft, aber Kenntnis der wirklichen Grund:
verhältniffe der Welt und Einn für das Wahrfcheinliche. Kanzler
und Demokratie hatten Feine Vorftellung von der wahren Schwierig:
Feit und Gefährdung unferer Lage, die mit der Pinzette angefaßt wer—
den mußie,
Aber darf ein Volk, das Fein Geſchick für eigene Geſchäfte zeigt und,
wenn ber richtige Führer fehlt, zur Celdftpreisgade zu neigen
Scheint, darauf hoffen, daß die Vorfehung es immer wieder durch
einen Vormund groß macht, wie Friedrich d, Gr. oder Bismarck? Sehen
wir doch in unferen Tagen die führerlofen Maſſen, kaum zue Macht
gelangt, mit nichts eifeiger befchäftigt, als damit, alles das abzubauen
und aufzulöfen, was uns an nationaler Überlieferung, Stolz und
gutem Willen geblieben iſt. Es iſt, als ob fie verhindern wollten, daß
je wieder ein großer Patelot aufftchen könne, um in fpäterer Zeit
das Volk noch einmal durch den breiten Strom feiner Selbſterniedrigung
hindurchzutragen. 7—
164 Keichömarinenmt und auswärtige Politik
Unferer mangelnden Würde im Unglück liegt wie unferer unzuläng-
lichen Zurückhaltung im Glück die Sllufion zugrunde, als ob der Bes
engtheit unferer Weltftellung abgeholfen werden Eönnte durch Worte
und Gefühle, ftatt einzig durch ftraffgefaßte und Flugverwendete Macht.
Ein gemeinfamer Grundfehler der Politik unferer Zeit war es, das
große, aber noch nicht zureichende Machtanfehen, welches ung Bismarck
hinterließ, ftückweife aufzubrauchen durch immer wiederholte Demon-
firationen, bei denen unfere Friedensliebe, aber auch unſere Nervofität
durchfchimmerte und auf die leicht ein bloßes Einknicken folgte, jo daß
fich für ung die verhängnisvolle Charakteriftif als „poltron valeureux“
beim Feinde feftjegen Eonnte, Die fchlechte Gewohnheit diefer effekt
vollen Eingriffe, von Schimonofekt, der Krügerdepefche, Manila über
die Chingerpedition und Tanger bis Agadir u. a. führte zu dem ſtüm⸗
perhaften Schlußglied der Methode in dem Ultimatum an Gerbien
vom Suli 1914. Es ging lange leidlich, dan? dem Reſpekt, welchen
der alte preußische Staat und die Tüchtigkeit des deutjchen Volkes ein-
flößten. Aber richtiger wäre es geweſen, in der Stille zu wachfen und
weitere Macht anzufammeln; denn wir ftanden 1914 nahe vor dem
Ziel, daß das bloße Vorhandenfein unferer Macht genügte, den Frie-
den ohne Nervofität zu bewahren. Es endete in Tragif, daß die am
meiften friedliebende Politit der Welt die Ungunft unferer Lage zu
Forrigieren geglaubt hat durch Geften, welche böswilligen Feinden den
Vorwand Tieferten, uns des Kriegswillens zu verdächtigen und damit
durch eine der ungeheuerlichiten Verleumdungen der MWeltgefchichte
unfer Bild zu entſtellen.
Wir warfen ung den andern in die Arme, ftießen dann wieder bei
ihnen an und verfäumten Faum eine Gelegenheit, ihnen vorzuhalten,
wie herrlich weit wir e8 gebracht hätten. Wir verfegten ung nie in die
Denkweife der anderen, Admiral Seymour, der vom Kaifer das Bild
„The Germans to the front“ gefchenkt erhielt, hat zu einem beut-
fchen Waffengefährten gefagt: „Ihr Deutfchen feid fehr vorangekom—
men; wenn ihr ed ung nur nicht immer unter die Nafe reiben wolltet.“
Wir bliefen Fanfaren, die unferer Lage nicht entfprachen. Dann wurden
alfe wirklichen oder vermeintlichen Verfehlungen und Schäden agita=
torisch aufgebaufcht und an die Öffentlichkeit gezerrt und unfere demo—
Eratifche Preffe Tieferte auf diefe Weife dem Ausland den ſcheinbaren
Beweis, daß Preußen-Deutfchland ein Zuchthaus wäre,
Unnötiges Demonftrieren 165 °
Die Verhältniffe meines Nefforts Liegen mich jedes weltpolitiſche
Demonftrieren in verdoppeltem Maße verurteilen, Auf der anderen Seite
fah ich mit Bangen, wie wenig man fich im allgemeinen die politifch-
ftrategifchewirtfchaftliche Oefamtlage, ihre ungeheueren Ausfichten und
befonderen Klippen vergegenmwärtigte. Die Gefahr einer Blockade z. B.,
überhaupt eines Krieges mit England, der unfere ganze Weltitellung
und Zufunft wie mit einem Meſſer abſchneiden Eonnte, wurde, mie
ich oft beobachten mußte, nicht mit der ihr zufommenden Schwere er⸗
faßt. Angefichts des englischen Beftrebens, ung mit einer Koalition
einzufchnüren, galt es die Nerven zu behalten, großzügig weiter
zurüften, Reizungen zu vermeiden und ohne Beklemmung abzuwarten,
bis die fortichreitende Feftigung unferer Seemacht die Engländer ver:
anlaßte, uns friedlich Luft zu geben. Wir haben von allem dag Gegen:
teil getan, und fo hat fich gerade in dem Augenblicd, als die Entfpan-
nung fchon fichtbar wurde, die bereits abziehende Gemitterwolfe noch
über uns entladen. Die Möglichkeit eines Krieges mit England mußte
1914 ebenfo vermieden werden, wie 1904, und Eonnte auch, da der
Kifikogedanke der Flotte fchon gewirkt Hatte, wahrſcheinlich vermieden
werden, fobald nur unfere politifche Leitung der Gefahr diefes Krieges
rechtzeitig und fcharf ins Auge geblickt hätte, Hätte ein Tebhafter ent-
wicelter Sinn für Macht und ihre Gefeße im deutfchen Volk und feinen
politifchen Führern im Juli 1914 die Sllufion einer örtlichen Be:
grenzbarkeit des ferbifcheöfterreichifchen Konflikts nicht aufkommen
laſſen, jo wäre der Weltkrieg damals verhütet worden!),
Die Schrierigfeit, in einem Krieg mit England zu einem leidlichen
Sriedensschluß zu Eommen, hat fchon mein oben erwähntes Votum
von 1904 beftimmt. Nachdem der Weltkrieg ausgebrochen war, hatte
fiebzehnjähriger Flottenbau die Ausfichten auf einen annehmbaren Fries
ben mit England immerhin verbeffert, aber nur bei äußerfter Eriege-
rifcher Energie, diplomatiſchem Geſchick und Zurücktreten alles Perz
fönlichen bei den Leitenden. Sch vertrat deshalb mit aller mir gegebenen
Kraft die einzigen Momente, welche diefen Frieden bringen und bie
Vernichtung fernhalten Fonnten: die Seefchlacht und ben rechtzeitigen
Ubootskrieg, den Sonderfrieden mit Rußland und die Einigfeit des
beutfchen Volks gegenüber der freilich von den mentaften Far gefchau:
ten tödlichen Gefahr, in die wir hineingetaumelt waren.
N) Rap. 16,
166 Neichsmatineamt und auswärtige Politif
Sch bin in diefem Streit unterlegen; die deutfche Illuſionsfähigkeit
kat wieder einmal Deutfche durch Deutfche befiegt. Durch Schwäche,
Blindheit und Parteifucht den Krieg verlieren zu fehen, war das Ende
meiner Laufbahn und meines Glaubens an mein Volk.
Sch habe gegen unfere Selbftvernichtung angefämpft, ohne bie zus
reichende Macht zu beiten. Mit meiner eigenen Aufgabe befchäftigt,
hatte ich nie nach politifcher Macht geftrebt. Im Dezember 1911, nach
der Maroffofrifis, als mein Streit mit Bethmann begann, teilte
der Kabinettchef im Augenblick, da ich beim Kaifer zum Vortrag ein-
trat, mir mit, es ſchwebten Erwägungen, mich zum Reichskanzler zu
machen. Ich habe darauf während des Vortrags dem Kabinettschef
einen Zettel mit der Erflärung zugefchoben, ich würde eine folche An:
vegung, wenn fie an mich hevanträte, ablehnen. Nachfolger Bismarcks
zu werden, erfchten mir damals undenkbar. Erft nachdem ich im Krieg
mit angefehen hatte, wie Kopf: und Mutlofigkeit der Führung eine
unwiederbringliche Ausficht nach der anderen verlor und das Neich dem
Abgrund entgegenwankte, hätte ich, vorausgefeht, daß man Feine ge:
eignetere Perfönlichkeit fand, bei allem Bewußtſein meiner Mängel, den
Sanzlerpoften wahrfcheinlich nicht mehr abgelehnt. Denn fo wie un:
fere Verhältniffe der Außenwelt erfchienen, wäre mit meiner Perfon
auch ein Elarer Bruch mit dem herrfchenden Syftem zum Ausdruck ges
kommen. Man erinnere fich umgekehrt des Zubels in England, als es
hieß: „Tirpitz exit.“ In diefem Bruch, nicht in irgendwelchen Perfonen-
wechſel lag unfere einzige Nettung.
Der Gedanke ift damals vielfach an mich herangetragen worden,
aber nicht von ber einzigen Stelle, welche die Macht dazu hatte,
Sünfzehntes Kapitel
England und die deuffche Flotte
1
Manche meinen, das Deutfche Reich hätte zu unferer Zeit ein auf-
richtiges Freundfchaftsverhältnis mit England erlangen Fünnen, und
nur Verfäumnis der deutichen Staatsfunft, insbefondere aber unfer
Slottenbau, habe die Aussicht verfcherzt. Sollte fich diefes Bild in
beutfchen Köpfen feitfeßen, jo Eönnte man darin zumächft die Regel
beftätigt finden, daß der Sieger die Gefchichte fchreibt; und der Be:
jiegte würde fie in diefem Falle fälfchen, um der angelfächfifchen Welt:
bevrfchaft in feinem hiſtoriſchen Gewiſſen huldigen zu können.
Nun beftreiten aber die Engländer, den Krieg gegen ung geivollt
zu haben. Wer alfo in Deutfchland den Flottenbau für den Krieg ver:
antwortlich macht, kann für diefe Schuld nicht einmal den Gegner ins
Feld führen. Die Selbftbezichtigung folgt einer falſchen Spur: bie
gefchichtliche Wahrheit Tiegt vielmehr in einer der leiten Kundgebungen
Bismards aus dem Jahr 1898, zu einer Zeit, da wir noch Feine Flotte
befaßen: „Er bedauere, daß die Beziehungen zwifchen Deutfchland
und England nicht beffer feien, als fie eben find. Bedauerlicherweiſe wiſſe
er Fein Mittel dagegen, da das einzige ihm bekannte, das darin befteht,
daß wir unferer deutſchen Snduftrie einen Zaum anlegen, nicht gut
verwendbar fer.’
Ohne auf den Stand eines armen Ackerbaulandes zurüczufinken,
Fonnten wir England nicht zum Freund und Gönner gewinnen. Aber
ein Mittel zu mefentlicher Verbefferung der Beziehungen beftand in
der Schaffung einer deutfchen Flotte, welche den Angriff auf den
beutfchen Handel für England zu einem gewagteren Gedanfen machte,
als er dies zur Zeit jener Bismardfchen Außerung war. Sin diefem Sinn
hat die deutjche Flotte troß verfchiedentlichern Verſagen der deutfchen
Politik ihre Aufgabe bis in den Zuli 1914 gelöft, und es ift nicht ihre
Schuld, daß fie ihren friedebewahrenden Zweck nicht noch beffer und
168 England und bie deutſche Flotte
länger erfüllen konnte. Es ift für mich ſchwer verftändlich, daß Herr
v. Bethmann Hollweg die „ſogenannte Flottenpolitif”, die er felbft
acht Jahre als Kanzler gegengezeichnet hat, auch jest noch befchuldigt?).
Um fo ſchwerer verftändlich, als er felbft wie Lichnowsky und andere
Sachverſtändige des Auswärtigen Amtes in den dem Krieg vorangehenden
Sahren eine fühlbare Entſpannung der deutfcheenglifchen Beziehungen
feftgeftellt und anerkannt haben, daß der deutfche Flottenbau, je mehr er
fich feiner Vollendung näherte, die Verbefferung unferes Verhältniffes
zu England mindefteng nicht verhindert hat. Der Ausbruch des Krieges
aber entfprang nicht einer Verfchlechterung der deutfchzenglifchen Bes
ziehungen; man kann fogar eine befonders tragifche Verknüpfung darin
jehen, daß Deutfchland und England 1914 einander näher gerückt waren,
als zur Zeit der deutfchen Flottenloſigkeit 1896 oder der deutfchen
Slottenfchwäche 1904, als es Fürft Bülow gelang, die gefährliche
Zone zu überbrücken. Die deutfche Flotte hat ihrer Zweckbeſtimmung
gemäß den Frieden befchüßt. An diefer Plaren Tatſache rütteln heute
Sntereffenten; dazu Fommt jener Zug der Selbftvernichtung im deut:
fchen Wefen, der immer gern das Ungünftige glaubt und froh ift, heute
als unvernünftig fchelten zu Fönnen, was geftern vernünftig fehlen.
Bis zum Anfang der neunziger Jahre hatte Englands alter Mohl-
ftand das mweltwirtfchaftliche Parafitendafein des Deutfchtums menig
gefpürt, Zwar wurde die Stärke unferer induftriellen und Handels:
entwicklung fehon durch die Anderung unferer Zollpolitik 1879 eingeleitet,
aber erft nach einem Jahrzehnt inneren Aufbauens gegen außen hin fo
fühlbar, daß fich in England eine allgemeine Stimmungsänderung vor:
bereitete, ‘Deren erfter wirtfchaftlicher Rückſtoß war das „Made in
Germany“, ihr erfter politifcher Ausbruch folgte der Krügerdepefche.
1896/97 Fam ich aus Afien und Amerika mit dem Eindruck heim, daß
England unferer zufünftigen Entwicklung möglichft den Weg ver-
fperren würde. Um die Mitte der neunziger Sahre hatten fich die ton=
angebenden Klubs beider Hauptparteien, die Sachverftändigen der eng-
fischen Gefellfchaft für Außenpolitik, in der Überzeugung geeinigt, daß
Deutfchland der Fommende Feind wäre. Das entfprach dem feit Fahr:
hunderten geübten Staatsgrundfat der Engländer.
Es verging, wie immer, ein gemwiffer Zeitraum zwiſchen dem Front
Y) Deutfche Allgemeine Zeitung vom 27. November 1918.
Der wahre Grund ber engliſchen Feindſchaft 169
mwechfel der politifchen Drahtzieher und feinem öffentlichen Ausdruck.
Es folgte dann die groß angelegte Bearbeitung der englifchen Offent:
lichkeit, deren Richtung gewieſen wurde etwa durch das Lofungsmwort
„Germaniam esse delendam“, unter welchem Feldruf die Saturday
Review ſchon 1897 folgende vielbeachteten Sätze fchrieb:
„Bismard Hat längſt erkannt, mas fehließlih nun auch das englifche
Volt einzufehen beginnt, daß es in Europa zmei große, unverföhnliche,
entgegengejeßte Kräfte gibt, zwei große Nationen, welche die ganze Welt
zu ihrer Domäne machen und von ihr Handelstribut einfordern möchten.
England ... und Deutfhland ..., ber deutihe Handlungsreifende und
der englijhe Haufierer . . . metteifern miteinander in jedem Winkel des
Erdballes ... Eine Million Heiner Quängeleien fchafft den größten Kriegs-
fall, ven die Welt je gejehen Kat. Wenn Deutichland morgen aus der
Melt vertilgt würde, fo gäbe es übermorgen feinen Engländer in ber Welt,
ber nicht um fo reicher wäre. Völker haben jahrelang um eine Stadt ober
um eine Erbfolge gefämpft; müffen fie nit um einen jährlichen Handel
son fünf Milliarden Krieg führen?”
Lieſt man ſolche prophetifchen Stimmen, die nicht vereinzelt blieben,
fondern nur Wortführer eines taufendftinmigen Haßchores find, mit
ber ganzen Schwere, die fie nach der heute vollzogenen Entfcheidung
befizen, fo fühlt man unmittelbar, daß es den Engländern nicht an=
genehm fein Eonnte, den ihrem Volk einzuhämmernden Haß fo nackt
und widerwärtig ſtets nur durch die tatfächlich entfcheidende Handele-
eiferſucht felbft zu begründen. Sie brauchten Vorwände. Da aber zur
Zeit, da die Öffentlichkeit mit jenen Gedanken durchſetzt werden follte,
das erfte Fiottengefeß noch nicht eingebracht war, fehlte der Vorwand
der Flotte damals gänzlich. Die Lenker der britifchen Sffentlichkeit
mußten infolgedeffen angebliche deutfche Transvaalgelüfte zur Hilfe
nehmen. Nach deren Fortfall bedienten fie fich dann der deutfchen
Slotte, welcher fie, für den englifchen Zeitungslefer berechnet, ſchon
zu einer Zeit grotesfe Angriffspläne unterfchoben, als fie noch ledig:
ih auf dem Papier ftand.
Mit dem Flottengefeß wurde der erfte Grund dafür gelegt,
daß der englifche Vernichtungswille fich abFühlte, weil er nach voll-
zogenem Flottenbau nicht mehr fo billig zu befriedigen fein würde.
Auf der anderen Seite ift felbftverfiändlich, daß die Tatfache des
Flottenbaues von England als Unbequemlichkeit für die Erhaltung feiner
170 England und die deutfche Flotte
Monopolftellung zur See empfunden wurde und daß der Flottenbau
infofern zunächft unfere diplomatische Rage erfchwerte. Es erhob fich
die Frage, ob England. nicht gerade, weil wir eine Flotte bauten, fie
im Keim zu erſticken und alſo einen Präventiofrieg wünfchen würde?
Diefer Gefahr ftanden wir in der Tat 1904/8 nicht ganz fern; da-
mals war einerfeits die Ernfthaftigkeit unferer Marinearbeit erkannt,
anberfeits unſere Kraft noch ſchwach. Nur das Anvorbereitetfein
Frankreichs bzw. der englifchen Armee verhinderte damals ben Zu—
fammenftoß. Das war die Gefahrenzone, die wir nach Bülows
und meiner Anficht zu durchlaufen hatten; im Sahre 1914 war
fie aber im weſentlichen überwunden, Unſere Marine mar zu
achtbar gervorden, als daß England fie noch ohne fehr ſchwerwiegende
Anläffe anzugreifen wünfchte. So wich die Borertonart der neun:
ziger Sahre mit der Zeit einer vorfichtigeren und nüchterneren Auf-
faffung, je beachtenswerter Die deutfche Macht zur See mwurbe, und
in diefem Sinn wirkte die deutfche Flotte feit 1912 mehr und mehr
als ein Faktor in der Richtung der Friedenserhaltung; Eein englifcher
Staatsmann hat fich, wenn er ehrlich war, jemals über die friedliche
Grundrichtung unferer Politik und die reine Abwehrbedeutung unferer
ölotte im Zweifel bewegt.
Der Flottenbau hat auch Chamberlain nicht abgehalten, 1901 ein
Bündnis mit ung zu ſuchen, womit er allerdings im Kabinett ziem⸗
lich vereinzelt blieb. Sn Wirklichkeit aber fand die Flotte niemals
einem Bündnis im Wege, wenn es je ernfthaft von England ins Auge
gefaßt worden wäre. Aber auch fchon das flottenlofe Deutfchland der
neunziger Jahre hat, wie mir Caprivi 1893 mitteilte, fich vergeblich
um ein Bündnis mit England bemüht,
England fand es nicht nötig und zweckmäßig, förmliche Bündnig-
verträge mit anderen Mächten zu fchließen, wie wir etiva mit Rumänien
oder Italien. Es begnügte fich damit, zu den Mächten, bie es für
feinen Hauptzweck gebrauchen Fonnte, ein allgemeines Vertrauens:
verhältnis herzuftellen, ohne fich die Hände zu binden, was innenpolis
tifch bequemer und außenpolitifch wirkfamer war, Vor dem beutfchen
Slottenbau, nämlich fchon vom Beginn der Handelseiferfucht an, wurde
auch der Grund zur Ententen- und Einfreifungspofitif gegen Deutfch-
fand gelegt.
Die Annäherung der franzöfifchen Diplomatie an England begann
Die „Sefahrengone” 171
1898/9 mit dem Abkommen über Fafıhoda, das in Deutichland fo viel
mißverftanden wurde, und fchon im Januar 1901 beftand innerhalb bes
britifchen Kabinetts Stimmung für Anfchluß an Frankreich und Rußland
unter englifchen Opfern in Marokko, Perſien und Chinat). Mit allen
ben Mitteln, welche die deutfche Staatskunft verfchmähte, bearbeitete
feitdem die Entente die gefamte Öffentlichkeit ihrer drei Völker, um fie
unter Zurückdrängung ihrer wechfelfeitigen Gegenfäte gemeinfam auf
die Front gegen Deutfchlend herüberzufchieben. Die in den neunziger
Sahren hervorgetretenen Gründe, welche den Engländern eine Nieder:
mwerfung oder doch Einfchnärung Deutfchlands empfahlen, dauerten
eben fort, und es Eonnte von unferem Flottenbau nicht verlangt werden,
daß er die Grundimotive der englifchen Politik änderte, Es war genug,
wenn die Flotte der Neichsleitung Handhaben bot, den Spielraum
Deutfchlande troß der Einfreifung dadurch offener zu halten, daß ihr
bloßes Dafein den Abftand zwifchen Kriegsneigung und Kriegsentfchluß
bei den Engländern dauernd vergrößerte,
Im Spätjahr 1904 gab England einen eindrucksvollen Beweis für
die Hintanfegung der überlieferten Nuffenfeindfchaft hinter die Deut-
fchenfeindfchaft anläßlich des Teichtfertigen Umfchwenkens beim Huller
Zwifchenfall 2). Nachdem Sjapan als britifcher Vaſall die Nuffen gebeugt
hatte, ſah England die Stunde Fommen, wo fein bloßer Druck auf den
Knopf Frankreih und Rußland gegen Mitteleuropa in Bewegung
zu feßem vermöchte. Diefe großartige Offenfiopolitif gegen ung war
aber nur bedingt Eriegerifch. Eine friedfiche Abſchnürung Deutfchlands
wäre Eduard VII. und feinem Kreis wohl Tieber gewefen als das
Mürfelfpiel des Kriegs. Der bdeutfche Flottenbau hat nun die Ber
dingungen einer deutfchebritifchen Verftändigung für ung von Jahr zu
Jahr verbeffert, indem er die eigene Kriegsneigung Englands zurück
drängte und den nüchtern denkenden englifchen Politikern die Oberhand
gab. Während im erften Sahrzehnt des Jahrhunderts der Niefen-
aufſchwung der deutfchen Induſtrie fich Hanptfächlih deshalb noch
ohne Machtunterlage vollziehen konnte, weil Frankreich und Rußland
nicht „‚Fertig” waren, hat fich 1914 umgekehrt gezeigt, daß England
der am meiften mit dem Krieg zögernde Zeil der Entente geworden
) D. Hammann, Zur Borgefhichte des Weltkrieges (1918), 1245 H. von Edard»
ftein, Diplomatiſche Entküllungen zum Urſprung bez Meltfrieges (1918), 17.
) Dben ©, 160.
172 Sngland und die beutfche Flotte
mar. Ohne beutjche Flotte hätten wie zwiſchen den drei Ententemächten
unfern Handelsmwettlauf damals nicht mehr lange fortführen Fönnen.
Snfolge der Flotte aber war die unveränderte beutfcheenglifche Grund-
Spannung weniger gefährlich geworden, Sie ift nach dem fiberein-
flimmenden Urteil der Eingeweihten in der Zeit vor dem öfterreichifchen
Ultimatum an Serbien weniger gefährlich gewefen als in ben langen
Jahren vorher,
Bon fpäteftens 1903 ab war es aber englifcher Staatsgrundfaß,
eine militärifche Schwächung Frankreichs durch Deutfchland, mie über-
haupt eine Eriegerifche Verſchiebung des europäifchen Gleichgewichts
zugunften der fiärkften Feftlandsmacht, Deutfchlands, nicht mehr zu
dulden. Es war der unglücklichfte Augenblick der deutjchen Politik,
als fie im Juli 1914 diefe Grumdtatfache vergaß und bie furchtbare
Beftätigung erbrachte für dag beißende Wort jenes franzöfifchen Offiziers
zu einem beutfchen Lazarettarzt: „Vos arm&es sont terribles, mais votre
diplomatie, c’est — un &clat de rire.“
2
In den erften Jahren der Einfreifungspolitif nahm England den
deutfchen Flottenbau noch nicht ernft. Man war überzeugt, daß mit
ben geringen ausgervorfenen Summen Feine erftklaffige Flotte gebaut
werden könnte. Dan hielt unfere Technik für zu unentwidelt, unferen
Mangel an organifatorifcher Erfahrung für zu groß und war daran
gewöhnt, daß fchon zahlreiche preußifche und deutfche Flottenpläne
ein Stück Papier geblieben waren. Mit anderen Augen wurde unfer
Flottenprogramm zuerft angefehen im Jahr 1904. Damals führte
man, mir unerwünfcht, Eduard VII. alles, was wir an Schiffen über-
haupt befaßen, bei der Kieler Woche vor, und der Kaifer feierte in feinem
Trinkſpruch „die wiedererftarkende Seegeltung bes neugefchaffenen Deut-
ſchen Reiches”. König Eduard antwortete Fühl und mechfelte bei ber
Befichtigung unferer Schiffe mit dem Erften Lord der Admiralität
Selborne bedeutungsvolle Blicke und Worte, die mir unangenehm auf-
fielen. Es wurde den Engländern unheimlich, daß wir mit geringen
Mitteln fo viel ſchufen und eine organifche Entwicklung innehielten,
deren Planmäßigkeit ihre eigene übertraf. Das geduldige „Steinzauf-
Stein-Tragen” der deutfchen Arbeitsweife trat ihnen auch hier ale
gefährlich entgegen.
Beginn ber Flottenhetze 173
Die gegen ung gerichtete Konzentrierung britifcher Geſchwader, die Lord
Fiſher darauf folgen ließ, wurde im Februar 1905 unterftrichen durch eine
Rede des Zivillordg der Nömiralität Xee, der ohne jeden greifbaren Anlaß
erflärte, die britifche Flotte würde gegebenenfalls den erſten Schlag
zu führen wiffen, noch ehe man auf der anderen Seite der Nordfee
Zeit gehabt hätte, die Kriegserklärung in der Zeitung zu leſen. Das
Berhalten Englands 1904/5 bewies, daß England damals ftarke Neigung
hatte, mit einem Eriegerifchen Schlag der ganzen Weltjtellung Deutfch-
lands den Garaus zu machen. Die damalige Geneigtheit zum Kriege
wird dadurch begreiflich, daß derjelbe für England noch gar Fein Rififo
in fich fehloß. Unfer in den Anfängen ftehendes Flottenunternehmen
aber hoffte die Nömiralität dadurch zu entwerten, daß fie 1905 zum
Bau der Dreadnoughtklaffe überging, in der Annahme, daß die deutfche
Marine ähnliche Riefenfchiffe nicht durch den Noröoftfeefanal würde
fchleufen können.
Diefe Kette politifcher und maritimer Drohungen, denen eine wilde
Aufhetzung der öffentlichen Meinung zur Seite ging, erzeugte in weiten
Kreifen Deutfchlandg berechtigtes Befremden. Einerfeits lag in ben
maritimen Maßnahmen Englands zwar die Anerkennung, daß unfer
Flottenbau ernft genommen würde, Auf der anderen Seite aber war
das nun ſchon faft ein Jahrzehnt währende Verlangen nach unferer
politifchen Niederbeugung bekannt und der damalige Stand unferer
Flotte zu Bein, als daß er Maßnahmen, wie die Anſammlung britifcher
Geſchwader in der Nordfee, erklären Eonnte. Es Tag vielmehr klar
bie Abficht zugrunde, uns bange zu machen und, wenn möglich, unfern
Trieb zu mweltpolitifcher Selbjtändigkeit im Keim zu erftiden.
Sch wurde infolgedeffen in den Jahren 1905/6 von den verfchiedenften
Seiten beftürmt, eine ſtarke Erhöhung der deutfchen Flottenmacht durch
zuführen, um ung gegen die britifche Kriegsdrohung befjer zu rüften und
den Engländern damit politifch eine Lehre zu erteilen. Auch der Kaifer
ſtand ſtark unter dem Eindruck eines dahinzielenden Werbefeldzuges
des SFlottenvereind und wünfchte von mir, ich follte im Reichstag
fordern, daß das Lebensalter unferer großen Schiffe herabgefeßt würde.
Diefes Lebensalter war, und zwar nur infolge eines parlamentarifchen
Mifverftändniffes, im Flottengefeß mit 25 Jahren höher angenommen
als bei den fremden Marinen und führte zu einer beträchtlichen Über:
alterung unferer Schiffe,
174 England und die deutſche Fistte
Troßdem habe ich mich der Einbringung einer folchen Novelle wider
feßt und Anfang 1906 in diefem Zufammenhang auch ein Abfchiedg-
gefuch eingereicht. Die Novelle, die ich 1906 einbrachte und die vom
Reichstag glatt angenommen wurde, enthielt mur die ſechs großen
Kreuzer, die 1900 vom Reichstag geflrichen, aber fofort von mir als
Nachforderung für 1906 angekündigt worden waren). Ferner Eonnte
ich nicht umhin, vom Reichstag die erhöhten Mittel zu fordern, melche
der Mbergang zum Dreadnoughtbau verurjachte, zu dem ung, wie alle
anderen Marinen der Welt, die Engländer zwangen. Und endlich mußten
die Mittel für die durch diefe Größenfteigerung der Schiffe notwendig
getvordene Erweiterung des Nordoſtſeekanals bewilligt werben.
Meine Zurückhaltung gegenüber dem auf mich ausgeübten Druck,
mehr zu fordern, wirkte außenpolitifch beruhigend und verftärkte
das Vertrauen des Reichstags. Jene Mehrforderungen hätten 1904/5
nach Lage der Verhältniſſe fehe mahrjcheinlih eine unmittelbare
Kriegsgefahr heraufbefchtworen, ung dagegen feinen fofortigen Gewinn
gebracht und obendrein die damalige Verdauungskraft der Marine über:
ftiegen. Das Ziel aber, auf dag ich aus technifcheorganifatorifchen wie aus
etatspolitifchen Gründen zuzuftreben hatte, war, möglichft ftetig zu
bauen. Am vorteilhafteften erwies es fich, wenn wir jährlich drei große
Schiffe auf Stapel legten, Diefes Bautempo von drei geoßen Schiffen
im Jahr, das fogenannte „Dreiertempo“, war durch den Bauplan des
Flottengefeßes nicht gegeben, Unſer Streben ging deshalb dahin, dem
Slottengefeß Novellen in dem Sinn aufzupfropfen, daß dadurch das
Dreiertempo ftabiliert würde, Der Teichtefte Weg dafüe war feit 1906,
das Lebensalter unferer Schiffe nach dem Vorbild der fremden Marinen
zu verkürzen, alfo die Erſatzbauten zu befchleunigen. Geſchah dies aber,
fo gelang die Stabilierung des Dreiertempos auch nur annähernd;
denn es drängten fich dann infolge des urfprünglichen Flottengefehes
die Erfaßbauten für eine Anzahl von Jahren fo nahe aneinander, daß
zeitweilig je vier und zeitweilig je zwei Schiffe auf Stapel gelegt
werden mußten. Diefeg Auf- und Abſchwanken der Bauzahlen gehörte
zu den Schönheitsfehlern des gefehlichen Bauprogramımg, die aber bei
deffen überiviegenden Vorteilen in Kauf genommen werden mußten,
benn der Neichdtag hätte 1898/1900 niemals das Dreiertempg geſetzlich
) Wal, oben S, 108.
Meine Baupolitil 175
fefigelegt, während er dem Geſchwadergrundſatz die gefeßliche Prä-
gung gab,
Der Zeitpunkt, an welchem wir die Herabfeßung der Lebensdauer
fordern mußten, war das Etatsjahr 1908. Nachdem fich im Sommer
1907, jchon bevor wir ung im Neichsmarineamt über die Novelle
jchlüffig geworden, ein wahrer Wettlauf zwifchen den Parteien bes
Zentrums und des Freifinns für die Bewilligung einer Marinenovelle
erhoben hatte, ging unfere Forderung ohne jede Schivierigfeit über
die Bahn. Zum erftenmal flimmte der Freiſinn jet nicht nur für
die Schiffe als folche, fondern auch für den Grundſatz der gefeß-
lichen Bindung.
Diefe Novelle brachte Feine Vermehrung der nach dem Flottengeſetz
verfügbaren Schiffszahl, aber eine erhebliche Verjüngung und damit
Erhöhung der Kampfkraft. Der Schiffserſatz defchleunigte auch den
Dreadnoughtbau, der das Vertrauen zu den älteren Schiffeklaffen
erfchüttert hatte.
Nach der Novelle von 1908 hatte fich der Bauplan nun fo geftaltet,
dag vier Sahre hindurch — 1908—1911 — je vier Schiffe, dann
ſechs Jahre hindurch — 1912—1917 — je zwei Schiffe auf Stapel
famen, während von 1917 an das Dreiertempo dauernd wurde, Un
eine allzulange Ausdehnung der Periode des Zweiertempos zu verhüten,
welche bau⸗ und etatspolitifch flarfe Bedenken hatte, faßten wie im
Reichsmarineamt zunächft unverbindlich ins Auge, 1915 oder 1916
das Zweiertempo duch Einfchaltung von einem oder zwei new zu
fordernden Schiffen zu unterbrechen. Diefe mögliche (noch keineswegs
beichloffene) künftige Neuforderung wäre dann überhaupt die einzige
und zwar höchſt unbeträchtliche Erweiterung des Schiffsbeſtandes gegen:
über dem ursprünglichen Slottenplan von 1900 geworden; denn, wie
ich ſchon bemerkte, hatten wie 1995 nur bie Vorlage von 1900 wieder:
hergefteilt und 1908 überhaupt die Schiffszahl nicht vermehrt,
Diefe Refforterwägungen, mit denen ich bei ihrer außenpolitiſchen
Tragweite ben Lefer nicht ganz verfchonen konnte, ergaben alfo Eurz
folgendes Bild:
1, Wir überfchritten weder 1906 noch 1908 den urjprünglichen,
der ganzen Welt bekannten Flottenplan von 1909,
2. Die von ung 1908 wiederhergeftellte Schiffstebensdauer entfprach
dem alfgemeinen Anſatz aller Marinen,
176 England und die deutjche Flotte
3. Es Fam und auf das Dreiertempo an, und wenn nun auch
wegen ber großen Zahl der aus der vorgejehlichen Bauzeit vorhandenen
überalterten Schiffe vorübergehend vier Jahre lang vier Schiffe im
Jahr gebaut wurden, fo glich fich das aus durch eine darauffolgende
Periode, in welcher jährlich ftets oder doch überwiegend nur zwei
Schiffe gebaut wurden,
Trotz dieſer Sachlage verfprach die Verjüngung der Schiffe und
wohl noch mehr der Umftand, daß wir ebenfalls Dreadnoughts bauen
Eonnten, unferer Flotte einen fo wefentlichen Zuwachs an Kampftüchtig-
Feit, daß die britifchen Fachleute, an ihrer Spitze Admiral Fiſher, unfere
Novelle fcheel betrachteten, Wir hatten bei der Schaffung unferer See-
macht niemals auf den britifchen Beifall gehofft. Die Flottenpanif
(navy scare) aber, welche Fiſher jeßt in Szene feßte, verftieß nach
unferem Gefühl doch gegen die guten Sitten im internationalen Verkehr,
da die Admiralität und mehrere Mitglieder des Kabinetts nicht davor
zurüdfcheuten, ihr Land mit übertriebenen und fogar mit wifjentlich
falfchen Angaben über unſere Baupläne aufzuregend), Der Zufall
hatte es gefügt, daß die Engländer gerade in jenem Jahr auch nur
vier Schiffe auf Stapel legten. Die britifche Regierung ergriff den
hierin liegenden Agitationsftoff, um die Stapellegung von vier weiteren,
im ganzen alfo acht Dreadnoughts im Jahr 1909 ihrem Publikum
mundgerecht zu machen. Man gebrauchte gerne den Trick, die im Bau
befindliche deutsche Flotte möglichft in ihrem erft 1920 zu erreichenden
Endzuftand, die britifche hingegen in ihrem zeitigen Zuftand von 1908
einander gegenüberzuftellen. Der britifche Steuerzahler, dem die tat-
jächliche erdrückende Überlegenheit der britifchen Flotte nicht mit ders
jelben Anfchaulichkeit bewußt fein konnte wie der britifchen Admiralität,
wurde durch eine ebenfo gefchickte wie gemwifjenlofe amtliche und Preffes
agitation mit Unruhe erfüllt und dadurch zu größeren Geldopfern willig
2) Es wurde im Frühjahr 1909 das törichte Märchen in die Welt gefegt, wir
bauten über die im Etat bewilligten Summen hinaus heimlich mehr. Diefe von
völliger Unkenntnis unferer Berfaffungsverhältniffe zeugende Unwahrheit wurde von
Asquith, dem Erſten Lord der Admiralität Mac Kenna ufw. trotz unferen wiederholten
Dementis im Parlament Jahre hindurch immer wieder vorgetragen. Winfton Churchill
räumte mit diefer unehrlihen Methode auch formell auf, indem er in feiner erften
öffentlich gehaltenen Mede ald Erfter Lord der Admiralität (9, November 1911)
„Sich freute bezeugen zu Fönnen, daß die Erklärungen des deutichen Minifters über
den Bauplan durch die Ereigniffe genau beftätigt werden‘,
Admiral Fifher erzeugt eine Flottenpanit 177
gemacht. Invafionsangft und nervöfe Furcht vor deutjchen Krieges
ichiffen, Zeppelinen uno Spionen begann die Gefellfchaft und die
Maſſen Englands zu durchdringen.
Der deutsche Botfchafter in London, Graf Wolff-Metternich, fah diefe
zunehmende Deutfchenfurcht mit wachjender Sorge, Er hatte fich bis
dahin auf den richtigen Standpunkt geftelft, daß die Engländer fich
an unfer Flottengejeß gewöhnen müßten und auch gewöhnen würden.
Die Folgezeit hat bewieſen, daß auch unfer vier Jahre lang anhaltendes
Viererbautempo für England keinen Kriegsgrund gebildet hat. Die
Engländer hatten ſich nach dem Urteil unferer Diplomaten im Jahr
1914 an unferen Flottenbau einfchließlich beider Novellen von 1908
und 1912 tatfächlich gervöhnt und damit abgefunden. Der Krieg mit
jeinen unberechenbaren Möglichkeiten ftand ihnen als eine zu ernite
Angelegenheit vor Augen, und die wiſſenden Männer in London waren
jich im Elaren darüber, daß es für ung politifch, militärifch und wirt:
Ichaftlih ein vollfommener Wahnſinn geweſen wäre, England anzus
greifen. Admiral Fiiher hat e8 auch im Frühjahr 1909 unſerem
Marineatiache gegenüber offen ausgefprochen, daß die „Flottenpanik“
nichts weiter wäre als eines der üblichen Manöver, um dag Parlament
und die Nation für die Annahme größerer Wehrvorlagen vorzubereiten.
Die hieraus folgende Trübung des Urteils im britischen Publifum und
den wachjenden Einfluß der Eriegstreiberifchen Northeliffepreffe hatten
wir dabei als bedauerliches, aber nicht entfcheidendes Übel in Kauf zu
nehmen. Einen Kriegsgrund bildete die Deutfchenhege ebenſowenig für
ung, wie unfer Flottenbau für das britifche Kabinett, und gegenüber dem
Germaniam esse delendam der früheren Jahre war es in gewiſſer Weife
ichon ein Fortfchritt in der Sicherung des Friedens, wenn fich das
englifche Publitum mit dem Gefühl durchörang, daß auch Deutjch-
land nicht waffenlos daftände, Zugleich aber hoffte man, ung durch
lautes Gefchrei vor unferem eigenen Deut bange zu machen und gegen
unfere Flotte einzunehmen, das ficherfte Zeichen, daß der von ung
betretene Weg richtig war.
Es iſt begreiflich, wenn auch nicht ganz entjchuldbar, daß Graf
Metternich unter dem flarken Druck der ihn umgebenden englifchen
Kreife im Jahre 1908 begann, dag fichere Urteil über die wirklichen,
tieferliegenden Gründe der englifchedeutjchen Eiferfucht zu verlieren.
Begreiflich ift es, weil ihm aus engliſchem Mund nunmehr einftimmig
Tirpig, Erinnerungen 12
178 England und die deutfche Flotte
die Behauptung entgegenfcholl, nur der deutjche Flottenbau wäre an
der Trübung der guten Beziehungen fehuld. Nicht ganz entfchulöbar
ift eg, weil Graf Metternich einmal die Vorgefchichte der ‚deutjch-
englifchen Spannung aus den Zeiten unjerer Flottenlofigkeit Bennen,
anderfeits fich von der rein defenfiven Linie unferer Marinepolitif
ſowohl aus der Gefamtfituation wie aus den Stärkeverhältniffen der
beiderfeitigen Flotten heraus überzeugt halten Eonnte und mußte. Aber
es ift deutfch, fih vom Gegner überzeugen zu laſſen, daß er eigentlich
recht hat; der Deutfche kann jich unübertrefflich in die vorgetragenen
Argumente, aber äußerft fchwer in die wahren Beweggründe des anderen
verjeßen.
Die Berichte unferes Londoner Botſchafters veranlaßten Fürſt Bülow,
im Winter 1908/9 in eingehende Erwägungen mit mir einzutreten.
Sch habe feit Sanuar 1909 in diefen Erörterungen mit dem Kanzler
mich bereit erElärt, daß der englifchen Negierung unfererfeits mitgeteilt
würde, wir gäben ung dauernd mit einem Stärfeverhältnis der beider:
feitigen Flotten zufrieden, welches für alle Zeiten eine gewiſſe Über-
fegenheit der britifchen Flotte feftlegen würde, Ich nannte zunächit
als Ausgangspunkt für Verhandlungen ein Stärkeverhältnig von 3:4,
erklärte mich im meiteren Verlaufe bereit, ein Verhältnis wie 2:3
anzunehmen und legte mich fchließlich auf die Verhältniszahl von
10:16 feft. Diefe Zahl iſt zuleßt von der britiſchen Nömiralität unter
Winſton Churchill vorgefchlagen und von mir fofort angenommen
worden. Wenn fich Churchill dabei auch gewiſſe Hintertüren offen
hielt, welche in Wirklichkeit der englifchen Flotte eine größere Übermacht
als 16:10 verbürgten, fo fah ich darüber hinweg in der Überzeugung,
daß die planmäßige Vollendung des Flottengefehes die von ung jeder-
zeit allein angeftrebten Verteidigungszwecke erfüllen würde,
Mit diefer Feftlegung eines Stärkenverhältniffes der Flotten erhielt
die britifche Admiralität den Tatbeweis dafür, daß wir grundfäglich
Feine Angriffsflotte fchaffen wollten. Nach der Anficht aller Autori-
täten der Seekriegswiſſenſchaft beträgt die numerifche Überlegenheit,
die bei fonft gleichen Berhältniffen dem Angreifer zur See den Erfolg
wahrscheinlich macht, etwa 30 vom Hundert, Diefen Vorfprung,
und einen noch wejentlich größeren, räumten wir den Engländern ein.
Eine mehr bindende VBerbürgung dafür, daß ung Angriffsahfichten fern-
lagen, konnten wir nicht geben.
Erſte Erwägungen über eın Slottenabloumen mit England 179
Daß es den Engländern aber angenehmer war, wenn wir auch nicht
einmal eine um 50 oder 100 vom Hundert ſchwächere Flotte befeffen
hätten, Tag auf der Hand. Einmal wies die Seefriegsgefchichte,
vielleicht zufälfigermweife, zahlreiche Beijpiele dafür auf, daß auch
der an fich Schwächere, wenn ihm befondere Umftände und das
Schlachtenglüc Hold find, ſiegen kann. Vor allem aber war das
politisch Wichtigfte an der deutfchen Flotte die mweltpolitifche Bünd—
nisfähigfeit, die fie dem Deutfchen Reich verlieh; und wenn auch
die Bündnispolitik Deutfchlands fi) von der Britifchen Staats:
kunſt hatte in die Hinterhand drängen laſſen, fo konnten fich
diefe Verhältniffe doch einmal ändern. Ein anerfennendes Lob Eng:
lands Fonnten wir uns aljo nur dadurch erwerben, daß wir auf
den Flottenbau überhaupt verzichtete, Das unermüdliche Beftreden
der britijchen Staatskunft ging deshalb in jenen Jahren darauf aus,
ung die Flotte überhaupt zu verleiden und das Flottengeſetz, wenn
möglich, zu durchlöchern und dadurch zum Fall zu bringen.
Der geundfägliche Irrtum, in welchen fih Bethmann-Hollwegs
Slottenideen bewegten, war nun der Glaube, daß gewiſſe Abftriche an
unferer Flottenentwicklung, fozufagen Heine Gefälligkeiten, welche wir
auf maritimem Gebiet den Engländern erwieſen, an der politifchen
Grundgeftaltung unferes Verhältniffes irgend etwas ändern könnten.
Ein paar Schiffe mehr oder weniger waren den Engländern einerlei,
Die Gründe ihres Übelmollens Tagen wefentlich tiefer, als in den von
ihnen mit großer Meifterfchaft wachgehaltenen Diskuffionen über die
altjährlichen Flottenetats,
Bethmann⸗Hollweg fchien mit mir darin einig, daß das Flotten⸗
gefeß, die Grundlage unferer gefamten weltpolitifchen Ausfichten, un:
angetaftet aufrechterhalten werden müffe. Ich meinerfeits war mit
dem Kanzler darin einig, daß von unferer Seite alles getan werden
müßte, um eine Verbefferung der Beziehungen zu England anzuftreben.
Sch habe den Kanzler von den erften Tagen feiner Amtsführung an darin
unterftüßt, den Engländern in den von ihnen angeregten Einzelfragen
entgegenzufommen, Insbeſondere habe ich den Kaifer in diefem Sinne
beeinflußt und meinerfeits nichts unterlaffen, um die feit 1908 ans
geregten Verhandfungen über eine Flottenverftändigung im Gang zu
erhalten,
Bei diefen zuerft duch private Unterhändler gepflogenen und von
12*
180 England und bie deutſche Flotte
englifcher Seite mehrfach ſtark verfchleppten Unterhaltungen gewann
ich je länger, defto beftimmter den Eindruck, daß es der englifchen
Regierung mit einer wirklichen Flottenverftändigung nicht ernſt war,
fondern daß e8 ihr nur darauf ankam, unfer Auswärtiges Amt immer
tiefer in die Legende einzumiceln, daß die deutfche Flotte an allem
ſchuld und ohne fie den Deutfchen das Paradies auf Erden ficher wäre.
Sie arbeitete hierin mit unleugbarem Geſchick, wie jeder bezeugen
wird, der die Denfungsart unferes damaligen Auswärtigen Amtes
und die Verfennung der politifchen Pfyche Englands von feiten des
Kanzlers erfahren hat. Eine Hauptfäule der Anfchauung, daß einer
deutfchen Weltpolitit Arm in Arm mit England nur die entjeßliche
deutfche Flotte im Wege ftünde, wurde der deutfche Botjchaftsrat
in London, v. Kühlmann.
Daß es der englifchen Regierung mit einer zmeifeitigen Flotten—
verftändigung nicht ernft war, ging einmal daraus hervor, daß unfere
Zuftimmung zu ihren Einzelforderungen gar Feine fpürbaren Folgen
zurückließ Y, fodann vor allem daraus, daß der Kernpunkt jeder der-
artigen Verftändigung, die beiderfeitige Flottenbegrenzung durch bie
oben erläuterte Verhältniszahl, von ihnen erft 1913 anerkannt worden
ift, obwohl Lloyd George fchon 1908 mit diefer Ausſicht gewinkt hatte.
Trotzdem war zu fpüren und ift von allen Beteiligten angenommen
und ausgefprochen worden, daß wegen unferes Flottenbaues ein Krieg
mit England nicht zu befürchten war und die Kriegsgefahr mit jedem
Jahr unmahrfcheinlicher wurde, im felben Maße, wie der Reſpekt vor
der deutfchen Flotte wuchs und damit der Krieg auch für den Singo-
teil des englifchen Volkes immer unprofitabler wurde. Rückſichtsloſe
Stimmen, wie bie der Saturday Review und des Zivillords Lee, wurden
immer weniger vernehmbar. So flieg in London namentlich feit 1912
die Neigung zu einer mehr gefchäftlichen Behandlung des deutfch-
englifchen Verhältniffes, wovon das 1914 zur Unterzeichnung fertige
englifchedeutfche KolonialabEommen nur einen Beleg unter anderen dar⸗
zuftellen ſcheint. Wenigftens ift es von feinen deutjchen Vätern ale
ein ernfthaftes Gefchäft aufgefaßt worden.
») Hierzu zählt z. B. die englifhe Anregung, die beiderfeitigen Flottenbauten
duch die Marineattachös beauflichtigen zu laſſen. Ich habe dem Kaifer 1909 die
Einwilligung dazu abgerungen, um hier, wie in allen überhaupt in Stage ftehenden
Punkten das Odium der Ablehnung von und abzuwälzen,
Der Fehler der Agadirpolitik. 181
3
Die einzige wirkliche Krifis der deutfcheenglifchen Beziehungen zwi⸗
ſchen 1904 und 1914 trat im Sommer 1911 ein infolge der Art, wie
die politifche Reichsleitung verfuchte, den zwifchen uns und den Franz
zofen ſchwebenden Maroffoftreit zu Tiquidieren. Der damalige Staats:
fefretär des Auswärtigen Amtes dv. KiderlensWächter, dem, mie fo
vielen deutfchen Diplomaten, das Organ gerade für England abging,
hat zwar nicht durch Nachlaufen, aber durch faloppe Gefchäfts-
behandlung Schaden geftiftet. Auf feine Anregung entfandte am 1. Juli
1911 der Reichskanzler das Kanonenboot „Panther“ nach der maroffa-
nischen ‚Hafenftadt Agadir und ließ die britifche Regierung, welche
nach dem Zweck fragte, mehrere Wochen lang ohne Antwort und im
unflaren. Die Folge war, daß am 21. Juli Lloyd George eine im
englifchen Kabinett feftgelegte Rede ablas, worin er Deutjchland warnte,
ed würde im Fall einer Herausforderung die britiiche Macht an Frank:
reiche Seite finden.
Sch hatte von der Entfendung des „Panther“ im Augenblick der
Abreife in die Sommerfrifche außerdienftlich Kenntnis erlangt. War
e8 fchon Anzeichen einer. gewiſſen Desorganifation der Neichsleitung,
daß der Staatsfefretär der Marine vor einer meltpolitifch fo ſchwer⸗
wiegenden Schiffsbemwegung nicht gehört wurde, jo war ich mir ander:
feits der Fehlerhaftigfeit diefer Demonftration auf dem Atlantik von
demfelben Augenbli an bewußt, in dem ich erfuhr, daß wir Eng.
land nicht vorher verftändigt hätten. Glaubte Kiderlen, nicht ohne
eine militärifche Gefte auskommen zu können, fo mußte biefe zu
Land und ausfchließlich gegen die Franzofen gerichtet erfolgen. Ich
wäre zwar grundfäßlich gegen eine folche Gefte geweſen. Ein Fähn-
Yein ift Teicht an die Stange gebunden, aber es Foftet oft viel,
e8 mit Ehren wieder niederzuholen. Einen Krieg mollten mir ja
nicht machen. Die gröbfte Fehlrechnung aber beging die Reiche:
leitung darin, daß fie fich in den erften Juliwochen über ihre Abichten
in Dunfel hülfte, Kiderlen hat nachträglich verfichert, daß der Kanzler
niemals daran gedacht habe, maroffanifches Gebiet zu fordern. Nach
Lloyd Georges Drohrede aber ſah es fo aus, ald ob er nur vor dem
erhobenen Schwert Englands zurücdgemwichen wäre. Unfer Anjehen
erlitt in der ganzen Melt einen Stoß, und auch die deutſche öffentliche
182 England und die deutſche Flotte
Meinung fand unter dem Eindruck der Schlappe. „England stopped
Germany,“ war dag Schlagwort der Weltprejfe.
Es war feit Übernahme der politifchen Leitung durch Bismarck die
erfte Schwere diplomatifche Niederlage, die uns um fo härter traf, ale
das tönerne Gebilde unferer damaligen Weltftelung noch nicht ſowohl
auf Macht, als großenteils auf Preftige ruhte. Bei Delcafjes Ent:
fernumg (1905) hatte e8 fich noch als wirkſam erwieſen; jeßt aber emp:
fingen wir den Beweis, wieviel davon fehon verbraucht war. Wenn mir
die Ohrfeige einfach einſteckten, fleigerten wir die Kriegsfreudigkeit
Stranfreichs, feinen „neuen Geiſt“ bedenklich und ſetzten ung bei der
nächiten Gelegenheit einer noch tieferen Demrütigung aus. Es war alfo
nicht richtig, die erlittene Abfuhr zu verfchleiern, wie die Reichsleitung
wünſchte, fondern fie offen anzuerkennen und unjere Folgerungen daraus
zu ziehen. Für einen Staat, der fich bewußt ift, daß die Wohlfahrt
feiner Bürger nicht auf Befchönigungen, fondern auf Macht und Preftige
beruht, gibt e8 im folchen Lagen, wenn er den Krieg vermeiden will,
nur ein Mittel, fein Anſehen wiederherzuftellen: das ıft, zu zeigen, daß
er fich nicht fürchtet, und zugleich für die nähergerüdte Möglichkeit
des Ernfifalles den Schuß vor einer Niederlage zu verſtärken. Wir
mußten das tun, was Bigmard in ähnlichen Fällen getan hatte, nämlich
in aller Ruhe und ohne aufreizendes Beiwerk eine Wehrvorfage ein-
bringen,
Mit diefen Gedanken fuhr ich im Herbft nach Berlin und ftellte
dem Kanzler vor, daß wir einen diplomatischen Echee erlitten hätten
und ihn durch eine Flottennovelle heilen müßten. Der Kanzler beftritt
den Echec, über welchen Ausdrud er fich zum Marinekabinettschef fehr
gekränkt ausiprach, und fürchtete von einer Novelle den Krieg mit
England.
Die von mir ertvogene Novelle ging nicht auf eine eigentliche Vers
mehrung unferer Flotte aus, fondern auf die Erhöhung ihrer Kriege:
bereitfchaft. Ein wunder Punkt unſerer Wehrkraft zur See lag in
dem aliherbftlichen Nekrutenwechfel, der. bei unferer kurzen Dienft-
pflicht die Schlagfertigkeit der Flotte für eine beftimmte Zahresperiode
lähmte. Den Weg, um ohne wejentliche Vermehrung der Schiffszahl
die Kriegsbereitfchaft zu erhöhen, fanden wie in der Aktivierung eines
Refervegefchwaders, fo daß wir Fünftig über drei flatt zwei ftets im
Dienft gehaltene Geſchwader verfügten.
Marum ich 1911 eine Novelle wollte 183
Durch die hierdurch gewonnene Möglichkeit, die Mannfchaften wäh:
rend ihrer Dienftzeit nahezu gefchloffen auf demfelben Schiff zu be:
laſſen, vereinfachten wir nebenbei den mächtig überanftrengten Be:
trieb der bloßen Bordausbildung und machten das Offizierkorpg freier
für die zurücgedrängten höheren Aufgaben und für die große See:
fahrt. Eine ſtärkere Schonung der Perfonalkräfte, die fich vorzeitig
in einfeitigem Dienft aufrieben, erwies fich insbefondere nötig, um
den in höhere Stellen aufrücdenden Männern die erforderliche Frifche
zu bewahren. Dieſe organifatorifche Reform machte baupolitifch ein
Mehr von nur drei großen Schiffen binnen zwanzig Jahren not
wendig und erzielte mit einer verfchwindenden Geldfumme eine
Dualitätsperbefferung der Marine.
Kein Kenner der britifchen Politik Eonnte glauben, daß England
durch ein Mehr von drei Schiffen in zwanzig Jahren zum Krieg
gereizt werden könnte, wenn es nicht ohnehin dazu entfchloffen mar.
Auch unfer Botfchafter Graf Metternich fah hierin felbftverftändlich
Feine Kriegsgefahr.
Bom Jahr 1909 an bis gegen Ende des Weltkrieges iſt ein Mangel
an Schäbungsvermögen die Signatur der außenpolitifchen Leitung ge:
weſen. So begann der Kampf der Reichsbureaukratie gegen die Flotten-
reform unter der Furcht, wir reisten dadurch England zum Krieg. Ein
willfommeneres Stichwort Eonnten wir den Engländern gar nicht bieten.
Die Agadir und Kongoverhandlungen wurden vom Auswärtigen
Amt als diplomatifcher Erfolg frifiert, troß dem Rücktritt des Kolonial-
ſekretärs v. Lindequift und anderen Erfcheinungen, die gegen eine folche
Zrübung der nationalen Urteifskraft proteftierten. Sch habe mich
damals bereit finden laſſen, mit der Novelle bis zum völligen Abſchluß
der Marofkofache zu warten, um der Regierung ihre Verhandlungen
nicht zu erfchweren. Der Kaifer, der ohne mein Vorwiſſen auch öffent-
lich für eine Flottenverftärfung eintrat, entfchied auf Vortrag des
Kanzler Anfang Oktober im auffchiebenden Sinn. Um durch) eine
MWehrvorlage einen politifchen Eindrucd zu erzielen, hätte fie zu Beginn
der Herbfttagung Eommen müfjen und dadurch die unfer Anfehen weiter
fchädigende Marofkodebatte (im November) verhindern können. Eine
folche Debatte wäre beffer überlaupt vermieden worden. Ihr Verlauf
aber machte meines Erachtens ein weiteres Hinzögern innen= tie
außenpofitich unmöglich, Mir mußten jebt ausfprechen, mas mir
184 England und die deutſche Flotte
beabfichtigten, und Eonnten es um fo mehr, als England vollends
nach der Erledigung der Maroffoverhandlungen aus der Novelle einen
Kriegsgrund nicht machen konnte Y.
So beauftragte denn auch der Kaifer am 14. November den Kanzler,
die Novelle in den Etatsentwurf für 1912 einzuarbeiten. Bethmann
erflärte fih am 16. mir gegenüber bereit, ließ fich jedoch, tie
e8 fchien, einen Vorbehalt offen. Er drängte fodann den Kriegsminifter
zum Einbringen einer Heeresvorlage, was an fich erfreulich war, aber
zugleich die Flottenvorlage in den Hintergrund fchieben follte, und
fchüßte die Fommenden Reichstagsmwahlen vor, um den Etat für 1912
ohne die Flottenvorlage veröffentlichen zu laſſen. Dies Fam innen-
politifch einem Preisgeben der Novelle gleich und würde außenpolitifch
unfer Preftige nach allem Vorgefallenen tief herabgedrückt haben. Aus
London ſchickte Kühlmann Anfang Januar eine Denkfchrift, worin
diefer wenig glückliche Diplomat das Gelingen der von ihm betriebenen
Kolonialverftändigung mit England ebenfo irrtümlicherweife vom Nicht
einbringen der Novelle abhängig machte, wie er ſpäter (1916) durch
die Fehlprophezeiung der Kriegserflärung Hollands die Entfchlüffe der
Reichsleitung in der Ubootsfrage beeinflußt hat.
ı) Vom reinen Meffortfiandpunft aus Eonnte ich ein Verzögern ber Novelle
um ein Jahr zugeben. Ich muß hier des dritten Vorteild gedenken, den die No:
velle neben der verbeflerten Kriegsbereitfchaft und der Freimachung bes Ausbildungs⸗
perſonals hatte: die Durchbrechung des Zweiertempos. Wenn das Zweiertempo,
wie 1908 vorgeſehen, ſechs Jahre ununterbrochen währte, ſo entſtand 1918 plötzlich
eine Mehrforderung von 60 Millionen infolge des erſt dann wieder einſetzenden
Dreiertempos. Inſolge des uns vom damaligen Schatzſekretär auferlegten Zwanges,
die ganze Mehrausgabe auf Steuern zu nehmen, wären wir angeſichts des Gteuer-
elends des Meiches in die allerbedenklichfte Tage gefommen. So war die Über:
brüdung des Dreiertempos durch Ulternieren mit dem Smeiertempo in der Periode
1912/7 von hohem Wert. Vol. oben ©. 175. Dafür bedurfte ich ber Novelle
aber noch nicht für das Etatsjahr 1912, Ein anderer Wunfch, den ich im Herbft
1911 vertrat, betraf Die Worziehung der Erfagbauten für die Großen Kreuzer, was
unſre Ausfichten im Krieg tatfächlich erheblich werbeffert hätte, da die Engländer
gerade in dieſer Schiffsklaſſe ſchwach waren. Bethmanns Widerftand veranlaßte
mich abe:, dieſe Forderung fallen zu laſſen, um wenigſtens die Reform der Kriegs:
bereitfchaft durchzuſetzen. Vol. unten ©. 185. Indem mir der Kanzler biefe für
den Krieg Bedauerliche Einfchränfung abrang, bevor Haldane Fam, und diefe Ein:
fchränfung dann Bei den Verhandlungen mit Haldane nicht mehr vermertete, Hat er
ein mefentliches Verhandlungsohjekt aus der Hand gegeben. Siehe ©. 188,
Dat Mingen um die Novelle 185
Sm Jamuar ſchlug der Neichskanzler ohne Rückſprache mit mir
dem Kaifer vor, die Novelle nicht in Gejehesform, fondern mit
jährlichen Bewilligungen zu machen. Nachdem der Kaifer diefe neue
Abrwürgung der Novelle abgelehnt hatte, ging der Kanzler auf bie
Forderung zurück, daß die Bildung des dritten Geſchwaders ftufenmeife
erfolgen und das Bautempo bis 1917 nur jedes zweite Jahr ein drittes
Schiff enthalten follte,
Sch war durch den Kampf mit den vielerlei Überrafchungen, neben
denen noch entfprechende finanzpolitifche Fineffen des Schatfefretärg
Wermuth bergingen, fchon fo zurücgedrängt, daß ich die vom Kanz
Ier geforderten Verzichte annahm, jedoch verlangte, daß Feine meiteren
Abftriche mehr vorgebracht würden. Der Kanzler wich einer folchen
Zuficherung aus. Sch erbat nun am 13. Januar 1912 vom
Kaifer eine Entfcheidung, um dies innen wie außenpolitifch fo
nachteilige und beim beften Willen nicht geheimbleibende Hin⸗ und
Herzerren zu beendigen. Der Kaifer verlangte darauf vom Kanzler
ein klares Eintreten für die Novelle, worauf der Kanzler wieder ohne
endgültigen Entſchluß Zeit zu gewinnen ſuchte. Am 25. Januar wurde
die Marinevorlage ihrem Inhalt nach feftgefeßt und am 7. Februar
in der Thronrede angekündigt. Am Tag darauf traf der englifche
Kriegsminifter Haldane, von der Reichsregierung geladen, in Berlin ein.
In dem innenpolitifchen Anfturm gegen die unerläßliche Verbefferung
unferer Seerüftung begann eine neue Phafe, charalteriſiert durch den
Hinzutritt eines ausländiſchen Eideshelfers.
4
Die Vorerwägungen, die ter Einladung eines britiſchen Staate-
mannes nach Berlin zwecks unmittelbarer Verhandlungen vorangingen,
find mir nicht bekannt.
Vom Kanzler über feine Ziele und Erwartungen im unklaren gelafjen,
konnte ich erft aus dem Gang der Verhandlungen mit Haldane und
namentlich ihrem Londoner Nachipiel Elar den Geifteszuftand erkennen,
worin fich das englifche Kabinett bei diefen Verhandlungen befand. Der
Nachläffigkeit Kiderlens mar der brutale Gegenfchlag Lloyd Georges
und auf diefen eine meiner Empfindung nach mangelhafte Haltung
unferfeits gefolgt. Unſere Befliffenheit in diefem Stadium der Dinge
erzengte in England mir das Gefühl, mit ums leicht fertig merden zu
186 England und die deutſche Flotte
können. Wenn wir jetzt die Engländer nach Berlin einluden, ſo mußten
wir ja wohl bereit ſein, etwas zu opfern, um nicht die neue Verlegenheit
einer unfruchtbaren Aufforderung auf uns zu laden. Bethmanns
Abgeneigtheit, die Novelle vor dem Reichstag zu vertreten, zeigte den
Engländern den Punkt, wo man uns einſchüchtern und vielleicht ſogar am
ganzen Flottenbau irremachen, ſowie den Spalt innerhalb der Reichs⸗
leitung vertiefen könnte. Die Engländer nahmen alſo das unerwartete
Geſchenk dieſer Einladung an. Der Vertrauensmann Sir E. Greys, der
wegen ſeiner 1906 im preußiſchen Generalſtab ausgeübten Erkundungs⸗
tätigkeit als deutſcher Vertrauensmann betrachtete Kriegsminiſter Hal-
dane, wurde nach Berlin entſandt, mit dem Auftrag, uns die Novelle und
überhaupt den Flottenbau möglichſt zu verleiden. Da man die Bündnis⸗
fähigkeit des Kanzlers gegen die deutſche Flotte begriffen hatte, und da
Haldane überhaupt nicht als Bittender, ſondern als Gebetener kam, ſo
erübrigte es ſich für das britiſche Kabinett, ihm ernſthafte engliſche
Anerbietungen an uns mitzugeben. Haldane brachte aber immerhin ein
Scheingeſchenk mit, von dem zu ſprechen ſein wird.
Trotzdem das offenkundige Widerſtreben des Kanzlers gegen die
Novelle ſie außenpolitiſch ſchon ſtark entwertet hatte, bot ſie für eine
geſchickte Verhandlungskunſt immer noch ein geeignetes Mittel, um
eine Verſtändigung auf der Grundlage realen Gebens und Nehmens in
Vorſchlag zu bringen, ſelbſt wenn der engliſche Wille nicht groß war,
mit uns wie mit Gleichberechtigten zu verhandeln.
Am 4. Februar hatte der Kaiſer auf privatem Weg das Foreign
Office wiffen laffen, Deutjchland wäre bereit, in der Frage der Flotten-
novelle entgegenzufommen, wenn e8 gleichzeitig ausreichende Bürg-
Ichaften für eine freundliche Orientierung der englifchen Politik erhielte,
in dem Sinne, daß beide Mächte übereinfämen, an Feiner Kombination
oder Friegerifchen Verwicklung teilzunehmen, die gegen eine von beiden
gerichtet wäre. Ein folches Abkommen würde gleichzeitig eine Ver:
ftändigung über die NRüftungsausgaben ermöglichen.
Für die Verhandlungen mit Haldane felbft ftellte der Kaifer folgende
Grundfäße auf: 1. die Flottennovelle ift zunächſt aufrechtzuerhalten,
2. England foll Elarlegen, welches Programm «8 a) auf Grund der
Novelle, b) auf Grund deg bisherigen Flottengefeßes verfolgen wollte,
3. Erörterung eines deutfchebritifchen Bündnis bzw. Neutralitätsver-
traas, auf Grund deffen die Ausführung der deutfchen Novelle ver:
Haldanes Beſuch 187
langfamt werden Eönnte, 4, Forderung, daß England das Ötärfer
verhältnis 2:1, den ‚Zwei Kiele zu einem’=Standard aufgebe zu:
gunften eines für ung annehmbaren Stärkeverhältnifjes!). Der Kanzler
wurde beauftragt, fejtzuftellen, ob Haldane von feiner Regierung zu
Vorverhandlungen ermächtigt wäre, oder ob er in privater Eigenfchaft
käme, um zu fondieren. Se nachdem follte der Kanzler im Namen
des Kaifers oder nur in feinem eigenen fprechen. Außerdem mahnte
der Kaifer, unjere Trümpfe dürften nicht vorzeitig verfpielt, insbefondere
müßte das Necht jedes Staates, feine Wehrmacht feldft zu beftimmen,
zum Ausdruck gebracht und die Flottenvorlage bis zum Empfang eng-
lifchee Gegenleiftungen voll aufrechterhalten werden. Gerade wenn
wir innerlich zur Nachgiebigkeit entfchloffen waren, mußten mwir auch)
meiner Anficht nach, um überhaupt etwas zu erreichen, zurückhaltend
auftreten, um fo mehr als Haldane, ein geiftig hochftehender, äußerft
geſchickter Lawyer, zu jenen britifchen Staatsmännern gehörte, die das
Gefühl hatten, mit unferen deutfchen Politikern zu fpielen.
Über das anderthalbftündige Geſpräch, das Bethmann am Nach:
mittag des 8. Februar mit Haldane führte, befigen wir Berichte aus
ber Umgebung des englifchen Staatsmanns . Wenn fie richtig find,
fo verjicherte der Kanzler den britiſchen Miniſter feines unausgeſetzten
Strebens, zu einer Verftändigung mit England zu Fommen, und zeigte
unverbindlich Neigung, auf Haldanes Anregung eingehend, den Bau
der Novellenjchiffe auf eine längere Neihe von Jahren zu verteilen.
Seinerfeits brachte er die Neutralitätsformel in Vorſchlag. Haldane
wich aus, flellte die „unbedingte Loyalität gegen die Ententen mit
Frankreich und Rußland” in den Vordergrund und will nach feinem
Bericht den Kanzler nachdrücklich auf Englands etwaige militärifche
Pflichten gegenüber Frankreich, Belgien uſw. hingewieſen, ſowie fehr
ſtark vor einer deuifchen Novelle gewarnt haben, die England mit dem
„zwei Kiele zu einem“⸗Standard beantworten müßte. Auf die Neutra-
litätsformel ließ er fich nicht ein, fteilte höchſtens die nichtsfagende
Bindung, Feine „unprovozierten Angriffe (1) zu unternehmen,
1) Vgl. oben ©. 173,
) The Vindication of Great Britain, London 1916, und daneben The Man-
chester Guardian vom 1. September 1917. Während der Korrektur wird mir
noch eine dritte Werfion aus dem „Daily Chronicle* von 1918 in beutfcher
Wiedergabe bekannt.
188 England und die beutfche Flotte
in Ausficht. Haldane hielt aljo an der überlieferten Politif Englands
ung gegenüber feft.
Der Kanzler beging bei diefem Eröffnungsgefpräch ben Fehler,
daß er feinem Unterredner den Novellenentwurf mit den von ihm
ſelbſt gewünſchten Adftrichen befanntgab. Hätte er die urjprüngliche
Novelle zur Verhandlungsgrundlage gewählt, jo würde er ung ein
weit größeres Kompenfationsobjeft in die Hand gelegt haben. Um
bagegen feiner eigenen Friedensliebe eine Folie zu geben, hielt e8 Beth⸗
mann für Plug, im Gefpräch mit dem Engländer von den Reſſort⸗
vertretern der deutfchen Mehrkraft, den „Flottenmenſchen“, etwas
abzurücen. Dies machte auf Haldane einen vorzüglichen Eindruck und
erleichterte e8 ihm, den vom Kanzler felbft aufgezeigten Spalt in ber
deutfchen Regierung zu verbreitern und eine „Kriegspartei“ zu erbichten,
gegen die der Kanzler anfämpfen müßte.
Am 9. Februar wurde Haldane vom Kaifer empfangen, der dem
urfprünglich zwifchen Haldane und mir geplanten Geſpräch beizumohnen
mwünfchte. Der Nudienz ging ein Frühftüd voraus, an dem auch ber
Kanzler teilnahm. Während des Frühſtücks wurde nicht politifiert,
doch Tag eine ziemliche Spannung über dem Ganzen. Beim Eintreten
hatte mic) der Kanzler gebeten, das Flottenftärkenverhältnis von 2:3
nicht von mir aus zu erwähnen. Weshalb er dag mwünfchte, weiß ich
nicht; vielleicht fand er es noch zu ungünftig für England. Sm übrigen
wurde ich vom Kanzler über den Stand der Verhandlungen, insbeſondere
die Neutralitätsformel, nicht unterrichtet und fpielte bei der nachfolgen-
den Audienz, vor welcher fich Bethmann entfernt Hatte, teilmeife
nur die Rolle des Zeugen, da der Kaifer felbft das Gefpräch leitete.
Zu Eingang der Verhandlung erflärte Haldane, im Namen des
britifchen Kabinetts und mit Zuftimmung des Königs zu reden, während
er im Widerfpruch hierzu am Schluß betont hat, die Beſprechung be-
deutete Tediglich eine private Information). Haldane begann damit,
ung ein großes afrifanifches Neich in Ausſicht zu ftellen. Während
der Kaiſer noch im Januar die Folonialen Anerbietungen mit großem
und nicht unberechtigtem Mißtrauen angefehen hatte, war e8 in ber
) Der Beriht det Manchefter Guardian vom 1. September 1917 teilt mit,
daß Haldane vorher „solle Inſtruktionen vom Kabinett befommen hatte”: er follte
nicht über einen Vertrag verhandeln, durfte aber reden und und einmwideln, wie er
wollte, und war beauftragt, iiber den Nerlauf an dat Kabinett zu berichten.
Haldanes Anerbietungen 189
Zwiſchenzeit gelungen, feinen Ehrgeiz durch das Bild eines mächtigen
Erwerbs zu reizen, ohne die Schwierigkeiten und Vorbehalte diejer
Verlockung genügend zu beachten.
Das Übermaß von Angebot Eolonialer Befistümer, die den Eng:
ländern ſelbſt nicht gehörten und über die fie gar nicht verfügen Fonnten,
war auf das Temperament des Kaifers berechnet. Auf mich machte
es einen peinlichen Eindruc, weil das Mittel zu grob, die Abficht zu
deutlich war. Schon einmal, von 1898 ab, hatte England verfucht,
uns durch das Angebot portugiefifcher Kolonien zu ködern, während
es gleichzeitig die Portugiefen darin bejtärkte, diefe Kolonien überhaupt
nicht zu verkaufen. Bei dem jeßigen ſcheinbaren Schacher handelte es
jih darum, uns Ausfichten nicht nur abermals auf portugiefifche,
jondern auch auf franzöfifche und belgifche Gebiete zu eröffnen. : Damit
Eonnte England nicht nur ung am Leitfeil führen, fondern nunmehr
auch den Franzojen und Belgiern unfere Begehrlichkeit beweiſen und
ihre Abhängigkeit von England verftärfen!). Sch bewunderte Haldane
in dem Augenblick, als er bei diefem Zufunftsbild für England in
jchlichter Bejcheidenheit „nur“ die Kap-⸗Kairo⸗Bahn beanspruchte. Damit
hatte England Afrika! Wenn zu dem englifchen Geſchick im Unterhandeln
"auch noch die endgültige Überlegenheit an Macht hinzukam, dann wehe
Deutfchland, und ich muß bei Haldane an das Wort jenes Amerikaners
denken, der zu einem deutjchen Admiral geäußert hat, wenn er die ihm
beiderjeits bekannten leitenden Staatsmänner Deutfchlands und Eng-
lands vergliche, und er ftellte fich beide an einem Verhandlungstiſch
») Bezüglih Portugals vgl. die Erklärung des Minifterpräfidenten vom
15, März 1912, Daß es der Entente mehr darauf anlam, 5. B. die Belgier gegen
uns mißtrauifch zu flimmen, ald etwa deutſche Kolonialwünfche zu befriedigen, be:
wies der franzöſiſche Botichafter in Berlin im April 1914. In ihrem Wunfd,
mit den Weftmächten, insbejondere mit England, zu einer Verfiändigung zu ge:
langen, hatte die Reichsleitung zwilchen der Opferung der deutfchen Flotte und
folonialen Plänen Hin: und hergeſchwankt. In dem erftaunlidhen Gefpräh, welches
Jagow zu dem eben erwähnten Zeitpunkt mit dem Vertreter Frankreichs Hatte,
eröffnete er ihm als feine Privatanficht die Meinung, Deutihland, Frankreich und
England ſollten gemeinfam ben belgiihen Kongo wirtſchaftlich entwideln. Cambon
hatte nichts Eiligeres, ald eine folche Auffaffung demonftrativ abzulehnen und
Jagows Harmlofigfeit zur Aufreizung Belgiens gegen Deutfchland auszufchlachten,
vielleicht in Erinnerung an Bismarcks meifterhafte Ausnügung der freilich erheblich
ſchwerer wiegenden Benedettiichen Unklugheiten betreffs Belgiens.
190 England und die deutjche Flotte
vor, dann würde er fich wundern, wenn wir am Schluß der Verhand-
lungen noch Potsdam behielten,
Sch begann meinerfeits mit der Erflärung, daß ich eine Verftändigung
Sehr begrüßen würde. Als Haldane im weiteren Gefpräch den Zwei⸗
mächte-Standard als britifche Überlieferung bezeichnete, fchlug ich vor,
zu einer Vereinbarung im Sinne eines Flottenftärfenverhältniffes mie
2:3 zu kommenz; alſo ich bot das an, was früher Lloyd George umd
ſpäter Winfton Churchill vorgefchlagen haben. Dies lehnte Haldane
in höflicher Form ab: England müßte mit feiner Flotte jeder möglichen
Kombination gewachfen fein. Auf meine Gegenbemerfung, daß dann
unfere Armee auch jeder Kombination gewachſen fein müßte, während
fie doch kaum an Zahl fo ſtark wäre, wie jede ihrer beiden Nachbar—
mächte, erwiderte Haldane, das wäre etwas ganz anderes, Eine maritime
Konzeffion unjerfeits ftellte er nicht als eine Notwendigkeit bin, die
er verlangen wollte, meinte aber, daß der Geift des ganzen Abkommens
unter der Novelle leiden müßte. Er Fam zunächft miteiner gewiſſen
Verlangfamung im Bau der drei Schiffe heraus: ob wir fie nicht auf
zwölf Sahre verteilen wollten? Ich verfuchte ihm die Schwierigkeiten
Elarzumachen, die fich für ung aus einer weiteren Underung der Vorlage
ergäben, da wir mit Nückficht auf die verföhnliche Stimmung in Eng: °
land unfer Programm fchon jeßt weſentlich vermindert hätten. Es
ſchien mir bei der Verhandlung im Grundfa richtig, nur ſoweit zurück
zugehen, als unerläßlich war, weil ein weiteres Nachgeben ja ftets
offen blieb, Ich führte auch aus, daß Haldane bedenken müßte, wie
Seine Majeftät doch durch die Thronrede gebunden wäre. Haldane
gab Died zu und meinte, wir müßten bei unſerer Wehrpflicht unfer
drittes aktives Geſchwader haben. Forderungen für Indienfthaltung
und Perfonal der Flotte wären England gleichgültig, Er wolle nur
mehr der Form wegen — es handele fich ja nicht um die Summe 1) —
ein Zeichen unferes Entgegenktommeng haben. Sollte ich mich nun damit
begnügen, ein allgemeines maritimes Entgegenfommen für den Fall
einer politiichen Verftändigung in Ausficht zu ftellen, oder war es
vichtiger, das Maß unſeres Entgegenkommens ſchon im diefer Unter
redung zu beflimmen? Sch tat das leßtere, als Haldane felbft vorfchlug,
wir möchten, „um die Verhandlungen zu fchmieren“, das QTempo des
ı) Die Novelle brachte ein Mehr von nur 9 Millionen im Jahr!
„Was verliehen Sie unter Schmieren ?" 191
Zuwachjes verlangjamen oder wenigſtens das erſte der dra Schiffe
ftreichen. Er ſkizzierte von fich aus fchriftlich denfelben Vorfchlag, den
ich mir fchon vorher für mich als mögliches Zugeftändnis aufgezeichnet
hatte. Sch opferte alfo das Schiff.
Für ein wirkliches ſolides Neutralitätsahlommen hätte ich die ganze
Novelle dahingegeben, wie ich den Kaifer vorher hatte wiſſen laffen.
Sch war mir ja in allen diefen Sahren der Tchweren Verantivortung
voll bewußt und fah immer die Möglichkeit vor Augen, auf dem Gebiete
der Flottenrüftung, welche ich niemals als Selbſtzweck betrachtet habe,
Kompenfationen gegen wirkliche weltpolitifche Ebenbürtigkeit und für
die Freiheit der Meere einzuräumen, Dieſer friedliche Eventualzwec
des Flottenbaus war zwei Jahre fpäter feiner Erfüllung ſchon erheblich
näher, wie das Eingehen Churchill auf die Formel 10:16 bewies.
Aber auch fchon Anfang 1912, als unfere Flotte fchwächer war als zwei
Jahre danach, Fonnte ich nicht genau wiſſen, wie groß die Möglichkeit
eines politifchen Abkommens war, Der Kanzler hatte mir niemals
Elar gejagt: „Das und das ift das konkrete Ziel, welches wir erreichen
wollen,” man tappte beim Zufammenarbeiten mit ihm ftets mehr oder
weniger im Dunkeln, und jo habe ich das dritte Schiff gegen meine
eigentlichen Verhandlungsgrundfäße ohne jeden Gegenwert dahingegeben,
um nicht Verhandlungen zu hemmen, die möglicherweije einen Erfolg
verjprechen konnten.
Dadurch, daß der Kanzler die urfprüngliche Novelle fchon preise
gegeben hatte, beſaß ich eigentlich Feine Kompenfationgobjefte mehr für
Fleine Gefchenke, die in Eolonialer Zukunftsmuſik ausbezahlt wurden.
Militäriſche Werte durfte ich grundſätzlich nur noch für tatfächliche
und in gewiſſem Sinne endgültige Bürgfchaften opfern, entweder für
maritime (Verhältniszahl 2:3) oder für politische (Neutralitätsabkom⸗
men). Ohne folche pofitiven Gegenwerte die Novelle Fallen zu laffen,
das wäre ein einfeitiges Zurückweichen gemwefen. Gerade dag mußten
wir aber am meiften vermeiden, wenn wir nicht wieder in das Zeit
alter der englifchen Drohungen, wie 1896 oder 1904/5, zurückfallen
und ung eine Schraube ohne Ende anlegen wollten. Wir mußten gerade
den Engländeen gegenüber auf dee Bafis von Gleich zu Gleich ver:
handeln, wenn wir troß den im Juli 1911 begangenen Fehlern eine
fortfchreitende Feftigung unfres gegenfeitigen Verhältniffes wollten.
Es war mir deshalb ungewiß, ob ich nicht in Mirflichkeit fehon
192 England und die deutiche Flotte
zu weit gegangen wäre, indent ich als Beweis unferes Entgegenkommens
einen Teil der ſchon verkürzten Novelle opferte. Mein Zweifel
löfte fich bald in Klarheit über die wahren englischen Ziele auf. Denn
nachdem Haldane diefe Konzeffion ohne Gegengabe eingefteckt und jich
von ihr befriedigt erklärt hatte, ging er weiter und berührte fchließlich
vorfichtig die Frage, ob denn das Flottengefet felbft ausgeführt werden
müßte? Hier griff der Kaifer ein, und fo zog Haldane feinen Fühler
zurüd, Es blieb troßdem die Gewißheit bei mir beftehen, daß bie
eigentlichen englifchen Wünfche nicht - gegen die: Bagatelle der drei
Novellenichiffe, fondern gegen das Geſetz ſelber gerichtet waren. Haldane
gab im Gefpräch gelegentlich felber zu, daß die Vermehrung ber Flotte
um die Drei Novellenfchiffe materiell überhaupt Feine Rolle fpielte.
Nachdem wir fcheinbar zu einer völligen Einigkeit gekommen und
nur deutſcherſeits etwas geopfert war, erklärte, wie bemerkt, Haldane
das Ganze zunächlt für eine perjönliche Information, Sch habe indes,
obwohl die fpäteren Verhandlungen in London fich zerfchlugen, an der
Opferung des Schiffes feftgehalten, um an unferem guten Willen feinen
Zweifel zu laſſen.
Ein wirklich gefchäftsmäßiges Verhandeln mit Haldane war durch
die Gegenwart des Kaifers erfchwert, Als das Gefpräch auf den für
ung entjcheidenden Punkt, das politifche Abkommen, glitt, wich Haldane
aus: eine Neutralitätsklaufel wäre nicht möglich wegen der englifchen
Beziehungen zu Frankreich.
Als wir das Schloß verließen, jprach fich Haldane befriedigt von
der Unterredung aus, Sch hatte ihre entnommen, daß 1. die Novelle
tatfächlich den Engländern Nebenfache, ihr eigentliches Ziel aber wäre,
unjere Slottenentwiclung zu lähmen, daß 2. hierfür englifcherfeits
Fein Abkommen angeboten würde, das eine ehrliche Flottenverftändigung
auf Grund der von Lloyd George 1908 angeregten Verhältniszahl
bedeutet hätte. Vielmehr follte ftarr der unfere Flotte entiwertende „Zwei
Kiele zu einem’Standard von uns grundfäglich anerkannt werden,
was auf die Dauer einem Abbau unferes Flottengefeßes gleichgefommen
wäre, Nahmen wir den „Zwei Kiele zu einem‘=Standard an, fo brauchte
England nur einige Jahre hintereinander fich mit dem Bau von vier
oder gar drei Schiffen zu begnügen, um uns dann vertragsmäßig auf
den eigenen Bau von zwei bzw, anderthalb Schiffen pro Jahr zurück—
zudrängen. Damit fiel das Flottengefeß; abgejehen davon, wäre durch
Mein Eindrud von Haldane 193
obigen Grundſatz der Riſikogedanke unferer Flotte getötet worden,
unfere Flotte verlor ihre Dafeinsberechtigung und Deutfchlend feine
weltpolitiſche Allianzkraft. Man glaubte ung ein derartiges Zurücd-
weichen zumuten zu dürfen, da wir anfcheinend fo fehr nach einer „Ver:
ftändigung” um jeden Preis drängten; Daß ferner 3. auch die Beth:
mannſche Neutralitätsformel nicht in Frage kam, ſondern 4. unfere
maritime Unterwerfung ausfchließlich belohnt werden follte durch die
auf die Vhantafie des Kaifers und das Erfolgsbedürfnis einzelner
Diplomaten berechneten Anwartfchaften auf afrikanifche Beſitztümer der
engliſchen Schußbefohlenen Franzofen, Belgier und Portugiefen.
Haldane ging aljo nicht auf gefchäftsmäßiger Grundlage vor: er
verſuchte es zunächft einmal mit Scheinverhandlungen, bereit, ung
die Unterwerfung zu verzudern und ung den Schein eines politifchen
Abkommens und einer Kolonialerwerbung zu gönnen, wenn wir dafür
praktiſch in ein Vajallenverhältnis traten.
Englands wirkliches Geſicht entfchleierte noch ein wenig deutlicher
der erfte Lord der Admiralität Winſton Churchill, der am 9, Februar,
in derjelden Stunde, als Haldane mit der ihm vom Kaifer geſchenkten
Bronzebüfte im Arm die Berliner Schloßterppe herunterftieg, zu Glag-
gow jene Frühſtücksrede hielt, in welcher er die deutfche Floite als
einen Lupus bezeichnete.
Solange der Gedanke der Kurusflotte berrfchte, und folange das
Bauverhältnis 2:3, das einft Lloyd George vorgejchlagen hatte, vom
engliichen Kabinett felbft zurücgewiefen wurde, war es vergeblich,
und fchuf uns bei der Denkweiſe unferer Reichsleitung nur diplomatifche
Nachteile, wenn wir britifche Minifter nach Berlin einfuden, die nichte
doten, dafür aber nicht ungefchieft Unfrieden zwiſchen uns ſelber fäten.
Hätte Haldane fich irgendwie zu einem vernünftigen Flottenftärfe
verhältnis geneigt gezeigt, Jo war ich vorbereitet, ihm zu fagen: wenn
das Verhältnis 2:3 fich einmal eingebürgert und eine folide Freundfchaft
zwiſchen unfern Ländern Platz gegriffen hat, dann ift der Zeitpunkt
gekommen, um auch einen verhältnismäßigen Abbau des Flotten-
geſetzes feldft zu erörtern. Die nur auf Täuſchung unferer Illuſioniſten,
nicht auf ein zweifeitiges Gefchäft gerichtete Unterhandlungsart des
englifchen Minifters Tieß mich aber naturgemäß mit diefem Gedanken
zurücdhalten, der erft richtig aufgenommen werden Eonnte, nachdem
England unjere Weltjtellung anerkannt und uns greifbare Gegenwerte
Tien!s, Erinnerungen 13
194 England und die deutfche Flotte
angeboten hätte. Wenn es überhaupt möglich war, England zu ernfis
haften Verhandeln zu bringen, ſtatt der bisherigen Scheinverhand-
lungen, fo konnte das nur durch Standhaftigfeit in ber Hauptfrage,
dem Flottengefeß, erzielt werben.
Melche Folgerungen zog der Kanzler aus dem Mißerfolg diefes feines
Verftändigungsunternehmeng, das von vornherein die englifche Seele
verfannt und auf unmirflichen Vorausſetzungen gefußt hatte? Er fuchte
einen Sündenbock, und der mußte natürlich im erften Augenblick ich fein,
weil ich die deutiche Flotte nicht blindlings ohne Gegenwerte dahingab.
Über das Schlußgefpräch, das Haldane am 10. Februar mit dem
Kanzler hatte, fagt der im „Mancheſter Guardian‘ veröffentlichte
Bericht: „Haldane war hauptfächlich in der Flottenfrage intereffiert,
und fein durchgängiges Argument, daß eine politifche Verftändiaung
unreal bliebe, folange Deutfchland nicht einige Flottenzugeftändniffe
machte, erleichterte die Niedergefchlagenheit des Kanzlers nicht, ber
indes entichloffen mar, wenn er irgend vermöchte, ben Gedanken
einer Verftändigung mit England nicht an Tirpitz fcheitern zu Taffen.”
Ich überlaffe e8 dem Lefer, diefes Plädoyer an dem oben wieder—
gegebenen Inhalt von Haldanes Verhandlung mit mir nachzuprüfen,
woraus fich ergibt, daß mein Flottenzugeftändnig ohne jede Gegenaabe
blieb und daß Haldane jelbft die Novelle als nicht entfcheidend be
handelte. Auch dem Kanzler gegenüber fcheint alfo Haldane Tekten
Endes auf den Bruch unferes Flottengefeßes hingefteuert zu haben.
Die Verhandlungen find dann in London meitergeführt worden.
Ihr Verlauf ftelfte immer Elarer heraus, daß es England nur darmıf
anfam, ung zu einfeitigen Zugeftändniffen im Flottenbau zu beftimmen,
shne irgendwie Gegenmwerte zu geben, Das Auswärtige Amt Eonnte
es gar nicht erivarten, biefe einfeitige Unterwerfung zu vollziehen und
drängte mich jebt, alle drei Novellenfchiffe fallen zu laſſen. Diefe
Forderung Fam ber Preisgabe der ganzen Novelle gleich; wir Fonnten
dann auch das Perfonal nicht mehr anfordern, da die ganze Begründung
ber Novelle bei Wegfall der Schiffe unlogifch wurde. Daß hierin,
abgejehen von ber militärischen Schwächung durch Unterbinden ber
Heform nach allem Vorgefallenen und befonders, nachden ber Kaifer
ſelbſt fich mit Lord Haldane geeinigt hatte, eine unverantwortliche Eins
buße an Preftige lag und die fchiefe Ebene betreten war, auf melcher es
Sein Halten mehr nab, wurde vom Auswärtigen Amt nicht gewürdigt. Die
Urteile über meine „Polint” 105
hier nicht im einzelnen zu erzählende weitere Leidensaefchichte der Novelle
zeigte, daß unfere Diplomatie fich immer mehr auf den Standpunkt zu=
rückdrängen Tieß, daß England eigentlich das Recht Kätte, das Maß
unferer Rüftungen zu beftimmen. Das Feitbleiben des Kaifers verhütete
Schließlich die Chamade eines Fallenlaffens der in der Thronrede feier:
ih angefündigten Novelle ohne Gegenleiftung der Engländer. Der
Kanzler muß nach dem ganzen Verlauf ‘der Angelegenheit doc) das
Gefühl der Unzulänglichkeit unferer Londoner Vertretung gehabt haben,
denn unſer bisheriger Botfchafter wurde von der beften diplomatifchen
Kraft, die wir befaßen, dem Freiheren v. Marjchall, abgelöft.
m
2
Fürft Bülow hatte 1908/9, obwohl fehr beforgt um die Beſſerung
der deuticheenglifchen Beziehungen, die deutfche Würde vollauf gewahrt.
Dagegen forderte die 1912 von uns eingefchlagene Verhandlungsart
die Engländer zur Hervorkehrung eines Herrenftandpunftes ung gegen:
über heraus, ben fie aber in korrekter MWeife wieder verließen, als fie
bemerften, daß es doch nicht unfere Meinung wäre, die Unterwerfung
anzunehmen, Die feit diefer Wendung im Frühjahr 1912 fo fühlbar
serbefferten bdeutfchrenglifchen Beziehungen brachten felbft Bethmann
und Kühlmann in der dem Weltkrieg vorangehenden ‚Zeit dazu, uns
unmvunden auszufprechen, daß der von mir eingenommene Standpunkt
ber richtige gemwejen wäre. Solche Außerungen beider Staatsmänner
find mie mitgeteilt worden. Am 23. April 1914 in der Frühe hatte
der Neichsfanzler vor dem BVerlaffen Korfus ein Gefpräch mit dem
Botichafter v. Wangenheim, deifen Inhalt diefer einem Begleiter in
einer Form mitteilte, welche diefer am gleichen Tage in einem amt:
lichen Bericht weitergegeben hat. Danach fagte der Kanzler: „Es fei
Beine Frage, daß 1911/12 die Tirpisfche Politik die richtige war, und
daß wir unfer jeßiges ausfichtsreiches Verhältnis zu England nur
diefer Diarinepolitif verdanken. Er felbft habe das damals nicht fo
einſchätzen können, bekenne fich aber jebt zu dem Tirpibfchen Stand-
punkt” Auch noch im Juli 1914 bewies Bethmann durch fein
Berhalten, daß er in mir ein Friedensinftrument fah. Als dann das
Unglü vom Suli 1914 aus Gründen entftanden mar, bie von
der deutſchen Flotte ſehr weit ablagen, iſt Bethmann-Hollweg frei
Kch auf feine Sündenbocktheorie vom Februar 1912 zurückgeglitten
13*
196 England und die deutfche Flotte
und bat darin reichen Beifall gefunden, einerfeits bei ben Eng-
ländern, die freilich, da fie ja nach ihrer Behauptung den Krieg
nicht gewollt haben, der Sache die Wendung geben müfjen, daß
fie mich zum Kriegstreiber abftempeln, und anderfeits bei der deutſchen
Deniskratie, Die nach dem Ausgang des Krieges froh ift, ihr 1900/14
bemwiejenes Verſtändnis für die Notwendigkeit deutfcher Machtgrund-
lagen nunmehr feierlich abzuſchwören. Ich verfage es mir nicht, eine
Probe zeitgemäßer deutfcher Gefchichtsdarftellung bier einzuschalten.
Die ‚Frankfurter Zeitung” fchreibt (1918, Nr. 330): „War nicht
Lord Haldane in Berlin, ſchlug er nicht einen Vertrag vor, ber
ung in nur mäßiger Entfernung binter der englifchen Floite
gelaffen haben würde? Diefen Vorfchlag nahm Bethmann nicht an,
und wir wiſſen auch wohl, warum. Nicht weil er nicht ſelber gewollt,
nicht, weil er diefe Löſung nicht als durchaus hinreichend für Deutjch-
lands berechtigte Intereſſen erkannt hätte, fondern aus erbärmlicher
Feigheit vor Tirpitz und feinen journaliſtiſchen Spießgefellen, vor der
Frechen, verbrecherifchen Propaganda, die das Reichsmarineamt auf
Koften des deutfchen Steuerzahlers betrieb.“ Die niedrige Gefinnung,
die, abgefehen von der Umvahrheit, aus jolchen leider nicht vereinzelt
fiehenden Preßäußerungen fpreicht, enthebt England der Mühe, feiner:
jeits den Beweis für feinen Edelmut und die deutfche Schurkerei
anzutreten. In Wirklichkeit ifb es fo gemejen, daß der von Haldanc
gemachte Vorfchlag in leiter Linie die Befeitigung des deutfchen Flotten-
gefeßes enthielt, und ich erfahre erft aus der „Frankfurter Zeitung”
die wohl nicht zutreffende Anficht, daß auch der Kanzler diefe Ber
jeitigung des Flottengefeßes ‚‚als hinreichend für Deutfchlands berechtigte
Intereſſen erkannt habe. Da muß ich denn wohl der Reſſortbock fein,
der Haldanes ehrliche Verſöhnung zunichte machte).
%) Aus der Tendenz des von Haldane infpirierten Buches „The Vindication“,
eine Friedenspartei (Bethinann) und eine Kriegspartei (Bülow, der Kronprinz,
ich) zu Fonfteuieren, und aus dem Wunfch, den Kaifer zu Berhmann herüberzuziehen,
erklärt ſich wohl auch die Gedächtnisſchwäche des Buches, der Kaifer hätte „gegen
feinen Admiral” das dritte Schiff geftrihen. In Wirklichkeit verlief das Geſpräch
fo, daß ich Haldane fragte: „Was verftehen Sie unter Schmieren (lubrieation)?*
Er nannte die Kürzung der Novelle und fchrieb fie ſelbſt auf. Ich erwiderte:
„Das Eönnen wir annehmen“. Hierauf flimmte der Keifer zu. Haldanes Ge—
ſchichtsirrtum erklärt fih aus böfem Gewillen: um die Schuld Englands am
Krieg abzumälzen, mußte er eine Kriegspartei in Berlin erdichten. Mit der noch
Die „freche, verbrecherifche Propaganda‘ 197
Zut Deutichland feiner ſelbſt wegen wirklich gut daran, alle ‚die
befhimpfen zu laſſen, die fich einſt um feine Sicherheit und feinen
Schuß bemühten?
Bon ihrem Standpunkt aus ih die Frankfurter Zeitung freilich
Berechtigt zu fragen, weshalb denn der Kanzler, wenn mein Tun fo
verhängnisvoll war, nicht die Folgerung zog, mich geben zu laſſen
(ih habe es ihm 1911/12 fehr Teicht gemacht und mehrfach dem
Kaiſer meinen Abjchied angeboten) oder aber felbft die verantwortliche
Gegenzeichnung abzulehnen?
Meinerfeits ftelle ich eine Frage an diejenigen Deutfchen, welche mut:
maßen, daß die Engländer 1914 nicht zur Aufrechterhaltung des feft-
ländiſchen Gleichgewichts oder aus alter Handelseiferfucht, fondern
um der bdeutichen Slottenpofitif willen in den Krieg eingetreten find.
Meint man, daß die Novelle von 1912 oder die Ausführung des
Flottengeſetzes den Kriegsentſchluß zur Reife gebracht hat?
Die erfte Möglichkeit erledigt fich wohl von felbft. Wenn England
vor 1912 grundfäglich den Frieden vorzog, fo wird eg durch die zwei
Schiffe der Novelle doch wohl nicht zum Krieg umgeflimmt worden
fein. Oder würde England vielleicht die im Juli 1914 entjtandene Lage
nicht zum Krieg benüßt, Belgien und Frankreich nicht verteidigt haben,
wenn ich ſtatt eines Novellenfchiffes alle drei weggegeben und eine diplo-
matifche Niederlage in Kauf genommen hätte? War aber England ohne:
Gin zum Krieg entfchleffen, dann Fönnte man mir viel eher einen Vorwurf
daraus machen, daß ich überhaupt etwas weggab und mich fo in gewiſſer
Weiſe zum Mitfchuldigen derjenigen unferee Minifter gemacht habe,
welche in der Tat in den Fahren vor dem Weltkrieg unfere Rüftungen
durch eine unverantwortliche Sparpolitit zu Waffer und zu Lande
geſchädigt und damit zum Verluft des Kriegs beigetragen haben.
Die einzige Frage alfo, deren Beantwortung freilich mehr eine Sache
der Gefinnung ift, bleibt alfo, ob wir überhaupt Eein Flottengeſetz
beſchließen und ausführen durften. Wer ein friedliches Verdorren der
deutfchen Überfecwirtfchaft dem Verfuch vorzöge, fie durch eine Gleich—
gewichtspolitif zur See zu ſchützen, mit dem ift nicht zu ftreiten, und
der unglückliche Ausbruch und Verlauf des Krieges wird ihm vor denen
mehr vergröberten Darftellung im „Manchefter Guardien” fih auseinanderfeken
lohnt nicht mehr. Ich Habe 1916/17 zu den Haldanejchen Verüffentlihungen ges
ſchwiegen, weil ich damals dem Kaifer felbft eine Erwiderung zu überieffen Hatte.
198 England und bie deutiche Flotie
recht geben, welche in diefem Verlauf der Dinge ein unausiweichlichee
Schickſal an Stelle einer Kette vermeidbarer Fehler erbliden. Ich hätte
meinem Volk nicht mit ganzer Seele eine Flotte gebaut, wenn ich nicht
an feine Eigenfchaft, ein wirkliches freies Weltvolf werden zu Eönnen,
geglaubt hätte. Darin habe ich mich vielleicht getäuſcht. Wenigfteng legt
die Selbftbezichtigung unferer Demokratie die Vermutung nahe, daß ic)
mich über die inneren Kräfte unferes Volles getäufcht habe. An
ihrer Uneinigfeit, nicht an den äußeren Verhältniffen, ift der welt-
politifche Anlauf gefcheitert, nach meiner Überzeugung, von der mich
auch der Lärm der Gefchichtsklitterungen niemals abdringen wird. Den
Engländern wird, nachdem fie ihr Ziel erreicht haben, dieſer inner-
deutsche Verfuch der Demokratie, fich reinzumafchen von unferem frühe:
ven Streben nach friedlicher Weltgeltung, nur eine gelajfene Verachtung
abnötigen. Die zukünftigen Gefchlechter Deutſchlands aber werden die
Erfahrung darin nachholen, ob die Angelfachjen es einem zur See ohn-
mächtigen Deutichland erlauben werden, als Snduftrieftaat zu gebeihen.
Es gibt politifche Stubengelehrte, die fagen: Wir hätten uns noch)
ein paar Sahrzehnte lang, fo wie Bismarck, bes Flotienbaus und damit
jeder Reizung Englands enthalten follen, bie wir auf dem Feitland
ganz Üüberragend geworden wären. Möchten diefe, die alfo im mejent-
then an Caprivis Standpunkt feſthalten ), beachten, was Big:
marck ſelbſt über die unvermeidliche deutfcheenglifche Spanmung und
ihre Gründe geſagt hat?). Nach feinen dreihundertjährigen Staats:
geundfägen würde England niemals geduldet haben, daß ein fcharfer
wirtichaftspolitifcher Wettbewerber, am wenigften aber wir, die über-
vagende Macht auf dem Feftland gewönne, ganz abgefehen von der
Frage, ob Letzteres Überhaupt ein für ung erfirebenswertes Ziel war.
England hätte aber um fo rücfichtslofer und unbefangener auch Eriege:
eifch gegen jede Ausdehnung unſerer Macht auf dem Feſtland gewirkt,
je weniger e8 felbit ung fürchtete. Darum wurde ſchon in den neunziger
Jahren in England der Gegenfaß zu Frankreich und Rußland zurück—
geichraubt, der zu ung berausgearbeitet, 1914 dagegen hatte, durch
unferen Slottenbau, der die Gefahrenzone faft durchlaufen hatte, gedeckt
Deutichland ſchon nahezu die Stelle der vierten Weltmacht friedlich
erobert, ohne daß England einzugreifen noch Gelegenheit gefunden hatte.
) Oben ©, 25,
2) Oben ©. 167.
Hätte uns ein geringerer Flottenbeu vor dem Bernichtungsirieg bewahrt? 199
Es gehörten außerordentliche Ungeſchicklichteiten umnjerfeits dazu, ihm
dieſe Gelegenheit fo fpät noch zu verichaffen. Ein hervorragender deut⸗
fcher Staatsmann hat diefe Leiftung charakterifiert als ein diplomatifches
Kunſtſtück erſter Klaffe, Freilich nach der negativen Seite hin. Es gab
keinen andern Weg zur Weltmacht als über den Flottenbau. Um—
fonft wird einem Volk die höchſte Wohlfahrt nicht gefchenft. Die
Seemacht war eine natürliche und nohvendige Funktion für unlere
Wirtſchaft, deren Welteinfluß mi England und Amerika um die
Palme firitt und die anderen Völker Schon überholt hatte, Eine folche
Lage iſt gefährlich, und fie wird unhaltbar, wenn nicht eine achtbare
Seemacht das Riſiko des Konkurrenten, bei jedem Verſuch, den auf:
ftrebenden Nebenbuhler totzufchlagen, ſtark erhöht.
Freilich wird man deutſchen Doktrinären fchwerlih Verſtändnis
dafür beibringen können, daß folche Entwicklungen wie die zur Überjee
wirtſchaft und Seemadt fich nicht fommandieren laſſen, fondern orga>
mic aus der innerſten Volksentwicklung hervorgehen, und daB ein
Siebzigmillionenvolk auf enger Scholle ohne überragenden Ausfuhr
Handel buchſtäblich verhungert,
6
Die Fahre, die auf den Haldanebefuch folgten, brachten eine Vers
beilerung der deutjcheenglifchen Beziehungen, die in Deutfchland eins
mütig begrüßt, allerdings, wie fich zeigen ſollte, zum Zeil etwas faljd;
bewertet worden iſt. Unſere Flottenpolitit hatte 1912 ihre Friedens:
liebe beswiejen durch die einfeitige Opferung des dritten Schiffes und
(dies war der fpringende Punkt) durch das Herabgehen vom Viererbaus
tempo auf das Ziveiertemps im Jahr 1912. Militäriſch war dies nicht
unbedenklich, da es ben Vorjprung der Engländer vergrößerte und tat-
fächlich vom Herbit 1915 ab die Augfichten einee Seeſchlacht für und
verfchlechterte. Aber diefer Durch Feine Sophiftit mwegzudeuiende Tat⸗
beweis unferer Friedensiiche enthielt einen politifhen Wert, der Früchte
trug und noch weitere getragen hätte, wenn die ſpäter zu bejprechenden
Vorgänge des Suli 1914 nicht die Entwicklung durchſchnitten hätten I).
Mit einer gewiſſen Wehmut dende ich an Die Eurze Zeit zurüd,
2) Im Übrigen lag ber befte Beweis, dag nicht wir das Mettrüften zur Gee
verfchuldeten, andauernd in dem Wergleih der Flottenbudgets der verſchiedenen
Seemüdte, Oben ©. 117,
200 England und die deutjche Flotte
während welcher Freiherr v. Marfchall als Botfchafter in London wirkte.
Marfchall hatte in der Zeit vor den Flottengefeßen im Reichstag gelegents
lich als Staatsfekretär des Auswärtigen auch Marinefragen behandelt,
und ein früherer Beamter des Auswärtigen Amtes erteilt ihm für diefe
Tätigkeit dag Zeugnis, daß Fein Minifter „vor der Zeit der fyftematifchen
Aufklärung, die mit der Berufung des Admirals Tirpitz ins Reiche:
marineamt Fam, mehr getan hätte, um das Verftändnig für die
politifchen und soirtfchaftlichen Nachteile unferer Flottenlofigkeit zu
wecken, als Marfchall” 1). Die lange Verbannung nach Konftantinopel
hatte die fhaatsmännifchen Fähigkeiten diefes bedeutenden Geiftes zur
vollen Reife gebracht, als ihn der Kaifer (Mai 1912) zum Nachfolger
es Grafen MWolff-Metternih auf dem michtigften Außenpoften des
Neiches ernannte.
Im Gegenfah zu feinem Vorgänger bemühte fich Freiherr v. Marſchall
fofsrt, die konkreten Zahlene und Bauverhältniffe der beiderfeitigen
Marinen, ohne deren Kenntnig ein wirkliches Verhandeln mit England
gar nicht möglich war, ernſthaft zu fludieren. In diefem Beftreben
fuchte er auch mich vor feiner Ubreife nach London auf, und mir,
irellten in einem langen Geſpräch unfer vollftändiges Einvernehmen
über bie zu befolgende Slottenpolitif feft.
Marſchall war den englifchen Staatsmännern als ebenbürtiger Gegner
befannt geworden auf der zweiten Haager Konferenz von 1907, fowie
durch feine erfolgreiche Tätigkeit in Konftantinopel, Er hatte dort die
englifhe Macht an einem ihrer meltpolitifchen Brennpunkte zu bes
obachten Gelegenheit gehabt, und es war ihm gelungen, den Engländern
bei der Hohen Pforte den Rang abzulaufen. Sein Auftreten in London
unterbrach nun vorübergehend die deutiche Methode, den Engländern
nachzulaufen und fich von ihrer Art imponieren zu laſſen. Marſchall
wußte, daß der Brite um fo höflicher wird, je beftimmter fein Wett:
bewerber den eigenen Standpunkt vertritt. Er erflärte, daß Deutfch-
fand feine Wirtfchaftspolitif nicht durchführen Fönnte, ohne ein Machts
mittel zur See zu befißen, das ung gegen die Notwendigkeit fehüßte, vor
England auf Schritt und Tritt zurückzumeichen. Als er im Juli 1912
im BudingbamsPalaft fein Beglaubigungsfchreiben überreichte, würdigte
ihm der König einer deutfchen Anfprache,. worauf Marfchall auch feiner
ı) O. Hammann, Der neue Kurs (1918), S. 125f.
Marſchall a tower of confidence 23
eits durch grundjäßlichen Gebrauch; des Deutfchen den zuhörenden
englischen Miniftern Gelegenheit gab, ein bisher von Feinem deutfchen
Diplomaten bei ihnen vermutetes, überrafchendes Verſtändnis unferer
Sprache an den Tag zu legen. Bei diejer feierlichen Gelegenheit nun
beflagte fi Marſchall darüber, daß er feinen font fo guten und
oielverfprechenden Empfang durch die englifche Preſſe beeinträchtigt
ſähe infolge einer neuen Flottenpanifrede Churchills: wenn derlei fort
geſetzt würde, fühlte er feine Kräfte umfonft eingefekt.
Die mir ein Augenzeuge des Auftritte, unfer damaliger Marine
attache Kapitän MWidenmann, gefchildert hat, war die Wirkung diefes
würdigen und feften Auftretens, das auf genauer Überficht der Wer:
hältniffe beruhte, bedeutend. Niemals hatte in den Jahren der deutſch—
englifchen Spannung ein deutfcher Staatsmann in England ähnliche
Beachtung und NRücficht gefunden, und Admiral Sir John Sellicoe
gab im Geſpräch mit Dritten dem allgemeinen Gefühl Ausdruck, indem
er von Marſchall fagte: he looks like a tower of confidence. Sein
früher Tod (September 1912) war für das an ftantsmännifchen Kräften
fo arme Deutichland ein Verluft von unüberfehbarer Wirkung.
Sch möchte mich bei der Erörterung der wachfenden englifchen Ver⸗
fändigungsneigung auf diejenigen Anzeichen befchränfen, die auf dem
Gebiet des Flottenweſens liegen. Der Erſte Lord der Admiralität, der
1912 noch gehofft hatte, unferer „Luxusflotte“ durch Haldane den
„zwei Kiele zu einem’ Standard aufzureden, nahın 1913 den von
Aoyd George 1908 und von mir 1912 vorgefchlagenen Standard
2:3 in der angenäherten Form 10:16 an. Damit war praktiſch
das deutichsenglifche Flottenabkommen erzielt, und da mir Feine
Novelle mehr vorhatten, fo waren deutfchebritifche Flottenerörterungen
dem Grundgehalt nach abgefchloffen, dieſer Zankapfel nach menſch—
lichem Ermeffen befeitigt!). Ich mwünfchte diefe Entwicklung durch
) Vgl. auch unten ©. 204. In einer ſehr eingewidelten Form hat Chur:
Kill noch einmal durch ben Vorfchlag des Baufeierjahres verſucht, dem Flottenz
gefeg den Hals zu brechen. Die ungünftige Aufnahme diefes Gedankens in Engs
land felbft enthob uns aber der Notwendigkeit, fih mit ihm eingehender zu bes
Ihäftigen. Ich erwähne nur nebenbei, daß Bethmann, Kühlmann, das Auswärtige
Amt und die Fraktionevertreter des Freifinns und bes Zentrums den Gedanken
damals entfchieden von der Hand gewieſen haben, den Vorfchlag des Baufeierjchres
ernſthaft zu beachten, wie denn überhaupt von 1912 an, und zwar, wie es ſchien,
für immer, über unfre Flottenpolitif die vollſte Einigkeit herrfchte.
202 England und die deutſche Floite
nichts zu gefährden. Die Zuverläffigkeit deutſcher Politik war unjere
beite Waffe. Darum babe ich dagegen angefämpft, als Anfang
1914 bie deutſche SMufionsfähigkeit bereits wieder die deutſch—
englifche Entjpannung überſchätzte. Damals wünſchte der Kaifer zu:
ftärkeren Betonung des Auslandsdienftes, die an fich ganz in meiner
Richtung Tag, die Einbringung eines Nachtragsetats zwecks Bereit:
ſtellung von vier mweiteren Eleinen Kreuzern, die unfere gefteigerten
politifchen Intereſſen im Mittelmeer dauernd zum Ausdrud bringen
ſollten. Ich erhob ftärffte Bedenken gegen die plößliche Einbringung
eines Nuchtragsetats unter diefer Begründung, der politifche Verwick—
lungen in der Art erzeugen Bonnte, wie die ohne mein Vormwiffen, aber
zu meinem Bedauern vollzogene Entjendung dee beutfchen Militär:
miſſion nach Konftantinopel. Sch erbat durch den Kabinetischef meinen
Abſchied, worauf die Forderung unterblieb, Im Herbit 1914 wollte
ich dann meinerjeits einen Nachtragsetat für die zeitweilige Ausreife
einer Zinienfchiffsdivifion zur Weltausftellung nah Sun Franeisce
vorlegen !) und dabei die fehlenden Mittel für die ftärkere Indienft-
haltung im Ausland etatsmäßig nachfordern. Für die Einbringung
einer neuen Novelle lag nach menſchlichem Ermeifen auch in fernerer
Zufunft Fein Anlaß vor. An weitere Vermehrung unferer Schlacht:
ſchiffe habe ich nie gedacht, im Gegenteil für den Fall einer Fortdauer
s unheimlichen Größenwachsrumes der Schiffe bie Verminderung
ihrer Zahl als Möglichkeit im Auge behalten.
Sm jenem Augenbli nach Haldanes Befuch, als bie Engländer ars
gefichts unferes übermäßigen Drängens nach Verftändigung vorüber
gehend glaubten, ung in der Art Portugals behandeln zu können, vers
tveigerte die Londoner Regierung zwar ein Neutralitätsablonmen,
wollte aber verjprechen, fich nicht an ‚„„unprovszierten (1) Angriffen“
gegen ung zu beteiligen, Für diefe nichtsfagende Freundlichkeit ftellten
fie zwei Bedingungen an den Safer, erjtens, daß die Novelle ganz
fiele, und zweitens, daß Bethmann Reichskanzler bliebe, Der Kaiſer
wies dieſe Forderung als Einmifchung in unfere inneren Regierungsver—
2 Bol. oben ©. 131,
Ich » dangerons man 293
hältniſſe formell zurück. Wo zwifchen zwei Völkern, die fich bei richtiger
Politik ſaturiert zueinander verhalten, wie 4. B. Deutfche und Ruſſen,
bie Sintereffen weithin zufammenlaufen, kann das Vertrauen zwiſchen
ben Stoatsmännern gar nicht groß genug fein. Mo aber unüberbrück—
bare Gegenfäße zwar in Schach gehalten, aber nicht in Gemeinfamteiten
umgebogen werden konnten, wie zmifchen Deutfchland und England,
durfte Die Kiebe zu einem Mann eine gewiſſe Temperatur nicht über-
fchreiten, ohne bedenklich zu mwerden. Doch wurde ber Wunfch ber
Engländer erfülli, und Bethmann blieb. Ms der Kaifer mir jene Zu—
mutung erzählte, fügte er bei, ich wäre in demſelben Zuſammenhang
als ‚a dangerous man‘ bezeichnet worden. Ich eriwiderte, daß mir im
Reben Fein größerer Lob gefagt worden wäre.
Sch kannte damals noch nicht genügend die vom politifchen Inſtinkt
anderer Völfer abweichende Denkrichtung vieler Deutichen, wonach bie
vom außenpolitifchen Gegner einem Staatsmann befcheinigte „Un-
gefährlichkeit” geeignet ift, ihn auch dem eigenen Land zu empfehlen.
Sehzehntes Kapitel
Der Ausbruch des Krieges
1
In der Kieler Woche des Jahres 1914 ſagte mir unſer Londoner
Botſchafter, Fürft Lichnowsky, mit dem jeßigen beutjchen Flottenbau
hätte fich England abgefunden; ein Krieg um umjerer Flotte oder
unferes Handels willen käme nicht mehr in Frage; das Verhältnie
wäre befriedigend, die Annäherung im Wachſen. Er knüpfte hieran
die Frage, ob etwa eine neue Flottenvorlage zu erivarten wäre? Meine
Antwort lautete: „Wir haben Feine mehr nötig.”
Bei derfelben Kieler Woche war als Ausdruck gebejjerter Beziehun⸗
gen zum erjienmal feit neunzehn Jahren ein britifches Linienfchiffs
geſchwader unfer Gaſt. Sch hatte englische Offiziere und den groß-
britanniſchen Botichafter zum Frühftüd an Bord, als die Nachricht
von der Ermordung des öfterreichifchen Thronfolgers eintraf. Zwei
Zage fpäter fuhren die englifchen Schiffe ab. Sch reifte, wie geplant,
am 2. Juli zur Kur nach Taraſp. Gene Nachricht hatte uns alle
unheimlich berührt, Man erwartete irgendivelche Sühne für die düftere
Tat, infolgedejfen auch eine gewiſſe europäifche Spannung. Einen
Meltkrieg befürchtete ich nicht. Wer follte die Verantwortung dafür
übernehmen? Auch wieſen unfere militärischen Nachrichten barauf hin,
daß, wenn überhaupt, fo früheitens für 1916 mit einem Angriffe:
Frieg von Nußland aus zu rechnen wäre. Der Verdacht, daß ber
Mord in Serajewo mit Wijfen des Zaren oder Englands angezettelt
wäre, wurde nicht gehegt.
Tägliches Leſen der englifchen Zeitungen hatte zufammen mit amts
fichen Berichten mich über das Abflauen der Hebe und die fortfchreis
tende Entjpannung ber deutfcheenglifchen Beziehungen auf dem Laufenz
den gehalten. Die Grundftimmung freilich, daß man unfere Zurüd-
Rüdblid 205
deängung wünſchte, hatte fich nicht geändert, und es durfte Feinen
Augenblick vergeſſen werden, daß es noch immer englifcher Staats:
geundfab war, den deuifchen Einfluß einzudämmen. Aber der Augen—
bi, uns nicderzufchlagen, wurde in England von weiten Seifen
als verpadt gefühlt. Im Sahr 1897 war die Zerſtörung bes flotten
Iofen Deutjchen Reiches Faltblütig erörtert worden. Im Jahr 1905
drohte der Zivillord der Admiralität der noch winzigen deutlichen Flotte
offen mit dem vernichtenden Überfall. Im Jahre 1908/94 beglei⸗
tete wenigſtens eine Flotienpanif, wenn auch Feine Drohung mehr,
die bosnifche Kriſis; das Schwert ſaß ſchon nicht mehr jo locker,
der Ton war nicht mehr jo überhedend und brutal, aber noch recht er-
regt geweſen. In der Agadir und Haldanezeit 1911/12 mifchte fich in
ben Feindfeligen Ton eine gewiſſe Selbitbeherrichung und mwachfende
Vorſicht. Als der letzte Verfuch, ung die englifche Oberherrfchaft, aus:
gedrückt in dem Flottenverhältnis 2:1, aufzunötigen, 1912 son uns
zurückgemiefen worden war, erklärten jich die britiſchen Miniſter bald
darauf mit unferem Flottenbau im BVerhälinis 10:16 zufrieden und
zeigten uns in allen Angelegenheiten mehr Rückſicht. Sie gewährten
1912/14 unferer Unterflügung des öfterreichifcheungerifchen Stand»
pundtes Förderung, wobei unerörtert bleiben fol, inwieweit hierbei
die Vertiefung ruſſiſch-deutſcher Gegenfäge als erwünfchte Nebenwir—
kung empfunden wurde. Im Juli 1914 beivies England, mie ich ſpäter
erfahren babe, anfänglich den Wunfch, um Serbiens willen Feinen
Weltfrieg zu entfefjeln. Hierbei fpielte wohl das bei einem Händler:
volke beſonders fiarfe Bedürfnis mit, den allgemeinen Frieden fo:
lange zu erhalten, als das eigene Intereſſe nicht gefährdet war. Da-
gegen wäre es falſch, diefes Verhalten als Freunöfchaft zu Deutjch-
land zu erklären. Jeden unbewachten Augenblick würde England benußt
haben, um das beutfche Vol? in den Zuſtand der Jämmerlichkeit
zurüczuführen, aus dem es allein der Eiaat ber Hohenzollern und
Bismards emporgehoben hatte.
Dabei wor durch das Erſtarken der ruſſiſchen Macht die Gefahr eines
Meltkriegs im ganzen immer näher gerückt, feit Rußland zur Entente
getreien war und unſre in vielem verfehlte Nuffenpolitit es nicht
veritanden hatte, die Spannung zu mildern. Die Rüftungen Rußlands
und Frankreichs waren bis an die äußerſte Grenze gefteigert worden.
In ber Begünftigung diefer Kriegevorbereitungen und der ihnen zu—
206 Der Ausbruch Des Krieges
grundeliegenden Eroberungsgelüfte tritt Englands gefchichtlihe Schuld
unmiderleglich zutage, gerade weil es fich felbft infolge des vermehrs
ten eigenen Kriegsriſikos ung gegenüber vorfichtiger zurüchielt und
innerhalb der durch England erzeugten labilen Geſamtlage Europas
bie gefteigerte Erplofiokraft der Entente in gewiſſem Umfang durch
Fühlere Befinnung ausglich.
Denn das halbe Jahrhundert friedlichen Wachstums hatte ung zus
letzt ſchwer angreifbar gemacht. Kabinett und öffentlihe Meinung
Englands fanden es mehr und mehr im eigenen Intereſſe, uns als
beften Kunden am Weltgefchäft teiinehmen zu laſſen. Inden fich
England an diefen Gedanken mehr gewöhnte, traten auch in Deutfch-
fand diejenigen zurück, welche die englifche Vormacht als etwas Gott-
gegebenes, deutſche Macht aber als etwas Ungewohntes und Uner-
laubtes empfunden hatten. Auch folche, die fich früher darauf ein-
zeftellt Hatten, England nur ja nicht durch eine eigene Marine zu
„reizen““, begannen angefichts der höflicheren Behandlung des mäch-
tiger gewordenen Deutfchen Reiches fich in einem durch eigene Kraft
geachteten und gejchüßten Vaterland wohlzufühlen!), Wir hatten die
unvermeidliche „Gefahrenzone“ des Flottenbaues nahezu durchlaufen
and unfer Ziel, die friedliche Gleichberechtigung mit England, ſtand
vor feiner Erfüllung.
England befürchtete von ung feinen Angriff. Dafür bürgte ihm
unfere ungünftige feeftrategifche Lage im naſſen Dreieck, welche bie
hohe Schlagkraft unferer Marine nicht aufhob, aber beengte und beim
Mangel feefräftiger Verbündeter den Wunfch nach einem Krieg bei
feinem verantwortlichen Deutfchen erzeugen Eonnte. Dafür bürgte ebenfo
dag Verhältnis von fünf deutfchen zu acht englifchen Gefchwabern,
nit welchem auch wir uns ald Endziel zufrieden erklärt hatten, ferner
) Die damals überwiegende Yuffafiung der politifchen Kreife bat, wie ich einer
Flugichrift entnehme, 3. B. der fortichrittlihe Abgeordnete Hedfcher damals in bie
orte gefaßt: „Weshalb ift die Einkreifungspolitif Englands gegen uns aufgegeben?
Das danken wir der Schaffung der beutfchen Flotte.” Vgl. auch oben ©. 195.
Freilich ſchlug nach deutjcher Art Die Tllufion nun zum entgegengejegten Extrem
um. Statt fidy der gewonnenen Stellung und der Sicherung des Friebend zu
freuen, beraujhie man fih an ber Vorftellung, die Einkfreifungspolitif wäre mit
einem Schlag „aufgegeben”. Diefe Übertreibungen nad ber einen wie nach ber
anderen Seite wurben und zum Verhängnis,
Die Lage im Juli 1014 207
die wohlbekannte Friedengliebe des Kaifers und über alles das hinaus
die einfache Grumdtatfache unferer Weltftellung, daß mir im Frieden
und durch den Frieden gewannen, wie niemals auch im glorreichften
Kriege denfbar mar.
England und Deutfchland erfuhren beide an fich die Mahrheit des
alten Spruches: Si vis pacem, para bellum, den der Deutfche erſt
nach unglücklichen Sahrhunderten der Selbjtvernichtung durch feine
großen preußifchen Könige begriffen hatte, Handel und Wandel ftiegen
in beiden Ländern reißend empor; die Wehrlaften wurden fpielend
getragen und wirkten im vollftändigften Sinne produktiv. Am
politifchen Horizont zeichnete fich der Zuftand wirklichen Gleich—
gemwichts ab.
Die britifchen Staatsmänner freilich betonten in ihren Geſprächen
mit Deutfchen den Umftand nicht, daß es im mefentlichen unfere
der Vollendung nahe Rifikoflotte in der Nordfee war, was ihre ach-
tungsvolle Tonart bewirkt und die Wahrfcheinlichkeit eines britifchen
Angriffs zurücgedrängt hatte. Sie fprachen begreiflichermweife nur von
ihrer eigenen friedfertigen Gefinnung, weniger von den Tatfachen,
welche fie verflärkten. Heute find die Engländer ja froh, daß ber
Krieg gekommen ift, in dem Sinn, wie mir ber amerifanijche Bot:
Schafter Gerard nach Kriegsausbruch gejagt hat, er begriffe nicht,
daß mir den Krieg zuließen, denn in wenigen Sahren hätten wir ja
die Engländer auf friedlihem Wege überholt. Aber im Juli 1914
Ponnten die Engländer doch Faum vermuten, daß unfere NReichsleitung
die deutfche Flotte vom Schlagen zurüdhalten würde. Sie dachten
deshalb nicht leichten Herzens an den Krieg. Die genial aufgebaute
Einfreifungspolitif, die das edle Wild Deutfchland zu Tode heben
follte, wor dicht davor, an unfrer herangemwachfenen Machtitellung
zufchanden zu werden.
Soweit ich zur Erhaltung des Friedens in Ehren beigetragen hatte,
ſah ich mit Befriedigung auf meine Lebensarbeit zurück und fühlte den
Abſchluß des Flottengefeßes nicht mehr fern, womit ich meinem Nlache
folger ein fertiges Werk in die Hände legen könnte. Mochte diefer
dann im Kleinkampf ber Behörden und bes Parlaments an der Ramme
Stehen; die deutſche Marine hatte im Sinne Stoſchs und in meinem
Sinne ihr Werk getan, wenn fie durch ihre Kraft den Frieden und bie
Freiheit auf den Dleeren erhielt.
208 Der Ausbruch des Krieges
Niemals hat Deutfchland im Lauf feiner langen Gefchichte mäd)-
tiger und von den Größten der Erde gleicher geachtet dagefianden
als in jenen Tagen, niemals reicher geblüht. Nach dem Urteil er:
fahrener Auslandskenner, wie z. B. bes Fürften Bülow in feiner
„Deutſchen Politik“, waren mir im wefentlichen „über den Berg“
und hatten unjer Recht auf Weltgeltung durchgefeßt. Deutfche Kultur
und Wirtfchaft holten in Oftafien, Afrifa, Südamerika, im nahen Orient
in vollen Zügen nach, was unfere Gefchichte verjäumt hatte. Nur
noch ein paar Jahre ruhiger, gefchiefter Führung, und mir waren ale
Weltvolk nicht mehr zu entwurzeln im Sinn des von Rooſevelt 1904
gefprochenen Wortes: „Das Gedeihen eines Volkes hat normalerweiſe
für die anderen Kationen nicht die Bedeutung einer Bedrohung, ſon⸗
dern einer Hoffnung.” Ein Zufall, der für die Tragik des Weltkriegs
in gemwifiem Sinne ſymboliſch ift, hat es gefügt, daß unfrem Londoner
Botfchafter das bereits paraphierte deutfcheenglifche Kolonialabfommen
gerade am Zag der Kriegserffärung zum Unterzeichnen überſchickt wurde.
Die Mißgunſt der Ententemächte durfte in feinem Augenblid unter
fchäßt werden. Aber die Situation war troßdem für eine deutjche
Staatskunft nicht verloren, ald im Sommer 1914 die ferbifche Her:
ausforderung an Sfterreich gefchah. Es mußte nur rechtzeitig und
offen gehandelt werden. Ein unmittelbare Erfuchen unferes Kaifers
an ben Zaren, bei der Sühne mitzuwirken, hätte Erfolg verfprochen,
mindeftens aber unfere politifche Lage günftig beeinflußt.
Ein bedrohliches Moment Tag, was Deutjchland betraf, niemals im
Kriegswillen, fondern einzig in der verhängnisvollen Mittelmäßig—
keit im Amt befindficher Politiker.
2
Am 5. Zufi 1914 überreichte der öfterreichifche Botſchafter ein
von Graf Hoyos, dem Kabinettschef des öfterreichifch= ungarifchen
Außenminiſters Grafen Berchtold, überbrachtes Handfchreiben des Kai⸗
jers Franz Sofeph nebſt einem fchon vor dem Attentat verfaßten
Promemoria in Potsdam dem deutfchen Kaifer. Darin murde, tie
man mir nach Taraſp meldete, ausgeführt, daß die Fäden der Mords
verſchwörung nach Belgrad reichten. Die öfterreichifche Regierung werde
mit der Forderung nach mweitgehendfter Genugtuung an Serbien heran-
Der fünfte Juli 1914 209
treten und, jobald dieſe nicht erfüllt würde, ihre Truppen in Ger:
bien einmarfchieren laſſen.
Katier Wilhelm fagte aus ritterlicher Empfindung dem perjönlichen
Erſuchen des öfterreichifchen Kaiſers Unterftügung und Treue gegen
die ſerbiſchen Mordgefellen zu. Nach den Ausführungen, die er am
Bormittag des 6. Juli mieinem Amtsvertreter im Park des Potsdamer
Neuen Palais machte, hielt der Kaifer ein Eingreifen Rußlands zur
Dedung Serbiens für nicht wahrfcheinlich, weil der Zar die Könige:
mörder nicht unterjtügen würde und Rußland zurzeit militärifch und
finanziell Eriegsunfähig wäre. Der Kaifer ſetzte ferner etwas ſanguiniſch
voraus, Frankreich würde Rußland bremfen, wegen Frankreichs un:
günftiger Finanzlage und feines Mangels an ſchwerer Artillerie. Von
England ſprach der Kaiſer nicht; an Verwicklungen mit dieſem Staat
murde überhaupt nicht gedacht, Der Kaifer felbft fah alfo weitergreifende
Gefahren für unmahrfcheinlich an. Er Hoffte, daß Serbien nachgeben
würde, hielt es aber doch für erforderlich, auch für einen andern Ausgang
der öfterreichifcheferbifchen Auseinanderſetzung gerüftet zu fein. Er hatte
aus diefem Grund jchon im Lauf des 5. den Reichskanzler v. Bethmann⸗
Hollweg, den Kriegsminifter v. Falkenhayn, den Unterfiaatsjekretär dee
Auswärtigen Zimmermann und den Chef des Militärkabinetts v. Lyncker
nach Potsdam befehlen. Es wurde dabei befchloffen, daß Maßnahmen,
die geeignet wären, politisches Aufſehen zu erregen oder befondere Koften
zu verurfachen, vermieden werden follten.
Nach diefem Entjchluffe trat der Kaifer auf Rat des Kanzlers die
ſchon vorher geplante Nordlandsreije an.
Es war die verfaffungsmäßige Aufgabe und vornehmfte Pflicht des
Kanzlers, das Verſprechen an Oſterreich vom politischen Standpunkt
der deutſchen Intereffen zu prüfen und feine Ausführung in der Hand
zu behalten. Der Kanzler billigte den Entfchluß des Kaiſers in ber
Annahme, daß Hfierreichs ohnehin erfchütterte Großmachtftellung in
Verfall geraten müßte, wenn e8 von dem eroberungslüfternen ferbifchen
Staat Feine Genugtuung erhielte, Die Erinnerung an die bosniſche
Krifis von 1908/9 mag mitgefpielt haben.
Über die politische Betätigung des Kaifers während der Nordlands:
reife bin ich nicht unterrichtet. Sch Habe indeß Grund zu der Annahme,
daß er Feine ernjtliche Gefahr für den Weltfrieden bemerkt hat.
Menn der Kaifer den Frieden nicht für bedroht hielt, ließ er gern der
Ztrpig, Erinnerungen 14
210 Der Ausbruch des Krieges
Erinnerung an ruhmreiche Ahnen freien Lauf. In Augenblicken dagegen,
die er als Eritifch erkannte, verfuhr er außerordentlich behutjam. Wäre
der Raifer in Berlin geblieben und hätte der normale Regierung
apparat gejpielt, fo würde ber Kaifer troß feiner nur ſporadiſchen
Beichäftigung mit der Auswärtigen Politik vielleicht fchon um die Mitte
des Monats Wege gefunden haben, um der Kriegsgefahr auszumeichen.
Da indeß auch der Chef des Generalitabes, der Kriegsminifter, der
Chef des Admirafftabes und ich während der nächften Zeit von Berlin
ferngehalten wurden, fo geriet die Angelegenheit unter die monopol-
artige Regie des Kanzlerg, der, feldit in der großen europäifchen Welt
unerfahren, nicht imftande war, den Wert feiner Mitarbeiter im Nuss
mwärtigen Amt zu durchichauen.
Der Kanzler holte auch fehriftlich jedenfalls von mir feinen Rat ein.
Die Vorgänge des Juli, insbefondere die Beteiligung Deutfchlandg
an ihnen, find jest durch eine Reihe zum Teil amtlicher Veröffents
fichungen fo vollftändig Elargelegt, daß es mir nicht mehr im Inter⸗
effe Deutfchlandg zu Liegen fcheint, meine Auffaffung zu verfchweigen.
Nach den Erfahrungen des Weltkrieges könnte die Frage auf:
geworfen mwerden, ob das Deutfche Reich fich nicht rechtzeitig mit den
Nachbarn und Erben der öfterreichifcheungarifchen Monarchie über ihre
Aufteilung hätte verftändigen follen. Wenn man aber die umgekehrte
Politif verfolgte, welche dem Treugefühl und der gefchichtlichen Ent-
wicklung entiprach, und an der Unverfehrtheit und Bündnisfähigkeit
der habsburgifchen Monarchie Fefthielt, fo Hatte der Kanzler Recht,
wenn er eine ausreichende Genugtuung Serbiens an Öfterreich für
notwendig hielt. Denn nur dadurch ließ fich Ofterreich wieder zu einem
brauchbaren Glied des Dreibundes machen und fein innerer Verfall
vielleicht aufhalten. Der in Berlin und Wien begangene Fehler be=
ginnt erft bei der Frage der Ausführung. Bethmann und Berchtold
vermochten fich troß Graf Tiszas Warnungen nicht vorzuftellen, daß eine
ausreichende Genugtuung auch anders als durch Drohung mit dem
militärifchen Einmarfch der Ofterreicher zu befommen wäre. So legtı
fich Berlin von vornherein auf das doppelte Beſtreben feit, einmal
dem ſchwankenden Öfterreich Halt zu geben zu rafchem und energifchem
Handeln, anderfeits aber den Konflikt zu „lokaliſieren“. Oſterreich
follte für den als wahrfcheinlich angenommenen Fall, daß die ſerbiſche
Antwort ungenügend ausfiele, auf der Genugtuung durch militärifchen
Sur Vorgeſchichte des Ultimatums 211
Einmarſch in Serbien beftehen und Bulgarien nach der Abficht Wiens,
die in Berlin fEeptifch aufgenommen wurde, Gelegenheit erhalten,
ſich einer etwaigen militärifchen Operation anzufchliefen. Es folite
aber alles aufgeboten werden, um ein Übergreifen dieſes örtlich bes
grenzten Balfankrieges auf Europa zu verhüten. Troß eifrigftem Be
fireben des Kanzlers, den Frieden unter den Großmächten zu erhal:
ten, brach der Weltkrieg aber aus, und es erhebt fich deshalb die Frage,
wie es troß dem unzmeifelhaften Necht Hfterreichs auf Sühne und
auf Säuberung der ferbifchen Verſchwörungshöhle, wie e8 ferner unge:
achtet aller Friedensbemühungen der deutfchen Regierung den Feinden
möglich geworden tft, faft die ganze Welt von der Schuld Deutjch-
lands am Weltkrieg zu überzeugen?
Sch beabfichtige im folgenden einiges zur Löſung des Nätfels bei—
zutragen, was nur ducch Erörterung ber politifchen Pſychologie
Bethmann⸗Hollwegs möglich ift.
Schon am 11. Juli befaß, mie ich nad Jahren erfahren Habe, das
‘ Berliner Auswärtige Amt die Überzeugung, daß die Entente in Belgrad
zum Nachgeben geraten hätte. Damit hatte der Kanzler Handhaben,
um den Sinoten zu löfen. Er aber z0g aus ber Annahme, daß die
Entente den Krieg nicht wollte, den Eurzfichtigen Schluß, daß Oſter⸗
reich fich ohne Rückſicht auf die Entente den Einmarfch in Serbien
wahrfcheinlich erzwingen könnte, ohne den Weltfrieden zu gefährden.
Denn, wie Zimmermann fchon em 8. Juli gefagt hatte, nahm man
in Berlin an, „daß, wenn SHfterreih in Serbien einrücdte, England
und auch Franfreih im Verein mit uns auf Rußland einwirken wür⸗
den, um ben Konflift zu lokaliſieren“. Dan unterfchäßte die Feltig-
keit de8 Zufammenhangs unter den drei Großmächten und darum
die Gefahr eines allgemeinen Kriegs. Die begreifliche Abneigung der
Menjchen, begangene Irrtümer einzugeftehen, erfchwert heute dem Kanz⸗
ler und den Seinen das offene Bekenntnis zu ihrem damaligen für
Deutjchland fo verderblichen Optimismus. Ich befize aber in den
Meldungen meiner eigenen Behörde genügend Spiegelbilder für die
damalige Stimmung der Wilhelmftraße.
Am 13. Juli hatte der Kanzler Kenntnis von mwefentlichen Punkten
des beabfichtigten Ultimatums, worüber ich eine Mitteilung meines
Amtsvertreters nach Taraſp erhielt. Der betreffende Abſatz des an mich
gerichteten Schreibens lautet:
14%
212 Der Ausbruch des Krieges
„Unfer Botichafter in Wien, Herr v. Tſchirſchky, hat privatim und auch
vom Grafen Berchtold erfahren, daß die von Ofterreih an Serbien zu richtende
Note folgende Forderungen ftellen werte:
1. Eine Proflamation des Königs Peter an fein Volk, worin er es aufs
fordert, von ber großferbifhen Agitation Abſtand zu nehmen,
2. Beteiligung eines höheren öfterreihifchen Beamten an der Unterfuchung
des Attentats,
3. Entlaffung und Beftrafung ſämtlicher Offiziere und Beamten, deren
Beteiligung daran nachgewieſen wird.”
Davon, daß die Entente in Belgrad zum Frieben geraten hätte,
wie man bamals in der Wilhelmſtraße optimiftifch annahm, ift mir
nichts bekannt geworden. Auffällig ift mir noch heute, daß die Entente
es nicht vermocht hat, über ihre friedensfördernde Einwirkung in
Belgrad Tchlüffige Dokumente vorzulegen. Die ferbiichen Diordmethoden
Eonnten freilich nicht gut durch irgendeinen Kulturſtaat in Schug
genommen swerden. Als ich jene Dlitteilung nach) Taraſp empfing, war -
indes mein erſter Eindrud, daß diefes Ultimatum für Serbien unan-
nehmbar wäre und Teicht den Weltkrieg herbeiführen könnte. An bie
Möglichkeit, einen ferbifcheöfierreigifchen Waffengang gegenüber Ruß
land zu „lokaliſieren“, habe ich nicht geglaubt, ebenjowenig wie an
die Neutralität Englands in einem Feſtlandskrieg. In dieſem Sinne
habe ich an meinen Amtsvertreter gefchrieben und eme Verjtändigung
mit dem Zaren empfohlen!).
Diefe Anregung iſt ohne Einfluß geblieben.
Die Gefahr der Lage fah Ich vor allem darin, daß England das
Endglied der Ententefeite bildete.
Die überlieferte Abneigung des Panflamismus gegen das Deutjche
Reich und die ruſſiſch-öſterreichiſche Eiferfucht auf der Balfanhalbinfel
deftanden troß der Potsdamer Begegnung von 1910 fort, und die ruſ⸗
ſiſche Intelligenz hatte fich durch unfere Balkanpolitik 1908/14 erhißen
laffen. Die Kreife um die Nowoje Wremja mwünfchten den Krieg,
wenn auch nicht vor 1916. Dennoch hatten Sfafonow und der Zar
die Zügel noch genügend in der Hand, fo daß die deutfche Politik den
ruſſiſchen Erpanfionstried, meiner feſten Überzeugung nach), von ung
) Siehe oben ©. 150.
Mein Einbrud von dem geplanten Ultimatum 247
und von HfterreichUngarn noch immer "ablenken Fornte, wenn fie
$hm nach anderen, für ung nicht vitalen Fronten bin Luft gab. Erſt
die Ungefchicklichkett unjerer Politik verjchaffte der ruſſiſchen Kriegs:
vartei DOberwaffer und machte e8 Suchomlinow zulegt möglich, den
Zaren zu betrügen.
Rußland hatte Freilich Fein moralifches Necht, aus der Züchtigung
Belgrads einen Krieg zu machen, aber man durfte die Gefahr nicht
unterfchägen, daß weite ruſſiſche Kreiſe dies fordern würden. Sch war
zwar vor dem Ultimatum davon überzeugt, daß ein vertrauensvolles
Berhandeln mit dem Zaren die Petersburger Kriegspartei im Jaum
halten würde; aber wenn mir zu fcharf vorgingen, fo war faft mit
Sicherheit darauf zu rechnen, daß England entjprechend einer jahr-
hundertelangen politifchen Überlieferung zur Erhaltung des „feſtlän—
diſchen Gleichgewichts”, wie e3 dasſelbe verftand, den Krieg entfefjelte,
Diefe Gefahr, den fchlummernden englischen Kriegemillen zu weder,
babe ich in einem Gefpräch mit dem Prinzen Heinrich, der mich Mitte
Juli in Taraſp befuchte, betont. Meine Auffafjungen wurden von dem
dort anweſenden Staatsminifter v. Loebell und dem fächjifchen Ger
fandten v. Salza geteüt.
Die Frage der Unterbrechung meiner Kur wurde dadurch erledigt,
daß der Kanzler mir den Wunfch ausdrüden Tieß, nicht nad) Berlin
zurüchzufehren, um Auffehen zu vermeiden. Noch am 24. Juli tele
phonierte die Neichsfanzlei dem Keichsmarineamt, meine Heimreiſe
würde die Lage verfchärfen. Eine eigenmächtige Rückkehr Eonnte ich
weder für Eorreft noch für nutzbringend erachten, zumal der Kanzler,
bom Ausgang des Novellenftreits von 1912 empfindlich berührt, mic)
mit einer gewiſſen Eiferfucht von ben auswärtigen Geſchäften fern:
delt und begonnen hatte, einen Sagenkreis um mich zu verbreiten,
sis miſchte ich mich in feine Politik. Im übrigen Eonnte ich aug den
Zagesmeldungen meiner Behörde, die vom Auswärtigen Amt natur-
gemäß nur lüdenhaft unterrichtet wurde, ein Flares Bild nicht gewin—
nen und ftand ihnen zufolge wefentlich unter dem Eindrud, daß Feine
Macht die Verantwortung für einen größeren Konflikt auf fich nehmen
würde. Man war an folche Spanmmgen feit Schren gewöhnt. Bülow
war ihrer noch immer Herr geworben. Die Berfchärfung der Lage
nach ber fÜberreichung des Ultimatums, insbefondere aber die Nach—
richt von ber Rückkehr unferer Flotte in die heimiſchen Häfen ver-
214 Der Ausbruch des Krieges
anlaßte mich fchlieglih, am 27. Juli ohne Anfrage beim Kanzler
heimzukehren.
Das Ultimatum wurde der ſerbiſchen Regierung am 23. Juli über—
reicht. Urfprünglich mar hierfür der 16. Juli in Ausficht genommen;
Wien verfchob aber die Überreichung, um die Abreife des kriegs—
treiberifchen Präfidenten Poincar6 aus Petersburg abzumarten. In
Berlin bedauerte man diefen Auffchub, weil dadurch der frifche Eindrud
des Attentat und damit dag Motiv des Einfchreiteng verblaßte. Bei
biefer Meinungsverſchiedenheit zwifchen Wien und Berlin ſchwebte bei-
den Regierungen die Erhaltung des Weltfriedens als Ziel vor, und
fie unterfchieden fich nur in der Auffaffung über die Methode, wie in
das ferbifche Weſpenneſt möglichft fo hineinzugreifen wäre, daß man
dabei den MWeltfrieden nicht gefährde. Berlin vertrat wohl den riche
tigeren Standpunkt: Wenn überhaupt einmarfchiert werden jollte, was
freifich meit gefährlicher war, als Die Urheber des Gedankfene für
wahrſcheinlich hielten, dann mußte wenigitens rafch und imponierend
gehandeft werden, gerade um nach) erfolgter Beſetzung eines Faujt-
pfandes um fo bereitmilfiger zu Verhandlungen jein zu Fönnen.
Das ſchwerſte pſychologiſche Rätſel gibt die deutjche Politik in
dem Augendlid auf, da die jerbifche Antwort befannt murbe.
Serbien nahm am 25. Juli die Forderungen des öſterreichiſchen
Ultimatums in der Hauptfache an und erflärte ſich bereit, über den
Reſt zu verhandeln. inwieweit etwa England, Rußland, Frankreich
und Italien durch einen in Belgrad ausgeübten Druck Ofterreich zu
einem gewiſſen diplomatifchen Erfolg verholfen haben, entzieht fich
meiner Kenntnis. Jedenfalls tft nicht zu leugnen, daß bie ferbifche
Antwort ein unvermutetes Entgegentommen bewies, und ich glaube
wicht, daß Die öfterreichifche Regierung ein richtiges Augenmaß bes
faß, als fie diefe Antwort als Grundlage meiterer Verhandlungen für
unannehmbar erBlärte. Aber Bethmann-Hollweg und Graf Berchtold
verfannten die Greifbarkeit des fchon erreichten bdiplomatifchen Er-
Folge. Da die öfterreichifche Ehre gerettet war und auch Bethmannz
Hollweg einen europäifchen Krieg unbedingt zu verhindern beftrebt
war, jo konnte wahrfcheinlich am 25. Zuli die Kriegsgefahr abgemen-
det erfcheinen, wenn Sfterreich feinen Erfolg einftrid. Es Eonnte etwa
den Serben eine Burze Frift zur fofortigen Erfüllung der hierzu ger
eigneten Zugeftändniffe ftellen als Bedingung für LUnterhandlungen
Nach der ferbifchen Antwort 215
über die refllichen Forderungen. Wenn dann auch für die Neftfordes
rungen die internationale Aufficht eingetreten wäre, fo vermindert
das den hohen Wert nicht, welche die mit Zuftimmung Englands voll
zogene Demütigung Serbiend für Ofterreich befaß.
Die Dinge find anders verlaufen. Das Steuerruder war den fals
fchen Weg gelegt, und das Schiff drehte in der einmal aufgenom—
menen Richtung weiter. Bethmann und Berchtold fahen die Impon⸗
derabilien nicht Elar, die fich ergaben, wenn fie dieſe ferbifche Ant:
wort zum Grund eines Truppeneinmarfches machten. Obgleich die:
felbe die Möglichkeit bot, weiter zu verhandeln, ging man darüber
hinweg und beachtete nicht, wie gefährlich man die Petersburger Kriegs-
partei ftärfte. Das Vertrauen auf die Friedlichkeit der Entente, ing:
befondere Englands, erzeugte bei den Staatsmännern der Mittelmächte
die Hoffnung auf Pofalifterung des ferbifchen Streits und führte in
Wien zu einer Überfteigerung des Tons gegen Serbien. Um Oſterreichs
Unterhöhlung durch die Serben gründlich zu verhindern, ftürzte man
fih in eine weit größere Gefahr und fprang, wie man gejagt hat,
aus Furcht vor dem Regen ins Waffer.
Die gefpannte Lage veranlafte num insbefondere den Reichskanzler
und Eir Edward Grey zu Vermittlungsvorfchlägen. Ich Fann den
Fehler, welchen der Neichskanzler in der Behandlung der mit dem
25. Juli einfegenden britifchen Vermittlungsvorfchläge nach meiner Über:
zeugung beging, nicht berühren, ohne vorher Bethmanns guten Willen
anzuerkennen.
Der Kanzler hat fein Beftreben, den Weltkrieg zu verhindern, in
unbedingt überzeugender Weije diplomatifch Eimdgegeben. ch nenne hier
bie Wiederanfnüpfung der infolge eines ruffifchen Mißverſtändniſſes
ſtockenden öfterreichifchruffiichen Verhandlungen, weiterhin Bethmanns
unmittelbare mäßigende Einwirkung auf Wien, beginnend nad) der Ab-
lehnung der ferbifchen Antwort, und endlich die fpontane Auffteilung
bes Vermittlungsvorfchlages, die öfterreichifche Belegung Serbiens auf
ein Fauftpfand bie zur Leiftung der ferbifchen Genugtuung zu be:
fchränfen. An diefe Beweiſe für Bethmanns Friedenstiebe reihen fich
andere, bie ſpäter zu befprechen find. Wie war es nun aber möglich,
daß trotz foviel gutem Willen der Frieden in die Brüche ging? Weil
die grundfalfche Hoffnung auf einen wirklichen Friedenswillen der
Entente, insbefondere Englands, welche den Glauben an eine Loka—
216 Der Ausbruch Des Krieges
lifierbarfeit der Züchtigung Serbiens erzeugt hatte, jet meiter wirkte
und bie ohnehin geringe diplomatische Gefchielichfeit unferer Leitung
noch weiter herabſetzte.
Als Sir Edward Grey am 26. Juli anregte, England und Deutfc-
fand möchten unter Heranziehung Frankreichs und Staliens eine ge:
meinfame Vermittlung unternehmen, verfannte der Kanzler bie fich
bietende Gelegenheit, ebenfo wie bei Bewertung ber ferbifchen Antwort.
Englifchen Konferenzvorfchlägen gegenüber war allerdings Vorficht ge:
boten. Bei Konferenzen der Großmächte befand ſich Deutfchland infolge
des diplomatifchen Übergewichts der ftärkften Seemacht und ber ent-
Iprechend parteiifchen Haltung ber Verſammlung erfahrungsgemäß im
Nachteil. Im diefem Zeitpunfte aber durfte der von Grey vorgefchla-
gene europäifche „Areopag“, wie ihn Bethmann genannt bat, nicht
abgelehnt werden, weil er die einzige Möglichkeit bot, um ben Welt
Erieg vielleicht noch zu vermeiden. Bethmann fonnte Greys Vorfchlag
einer Botjchafterfonferenz jofort annehmen mit der Bedingung, daft
jich OfterreicheUngarn fein Fauftpfand in Serbien verfchaffen bürfte,
wie Grey dies fpäter (am 30. Zuli) auf Bethmann-Hollwegs Vor:
ſchlag zugeftanden hat. Der Kanzler ftellte jich aber auf einen Stand»
punkt, der ben Feinden ben Vorwand gab, zu behaupten, ber Kanzler
bielte es für unter der Würde Ofterreichs, die „‚guten Dienfte” von vier
Großmächten anzunehmen; überdies wollte fich Deutfchland nicht in
die ferbifche Sache mifchen; der öſterreichiſch-ſerbiſche Zufammenfteh
wäre einmal da und unvermeidlih. Man Eönnte nur danach fixeben,
ihn zu Iofalifieren. Demgemäß drahtete er am 27. Juli an Lichnowsky:
„Es iſt für uns unmöglich, unferen Bundesgenoffen in biefer Ausein:
anderfegung mit Serbien vor ein europäifches Gericht zu ziehen.‘ Am
jelben Tage foll, nach einer Meldung dee öfterreichtichen Botſchafters,
Sagem biefen von der Abneigung der beutichen Negierung, auf Greys
Ronferenzvorfchlag einzugehen, unterrichtet haben.
Der Grad der Loyalität des Grenfchen Borfchlages konnte Zweifeln
unterliegen. Für die Frage der Annahme durften ſolche Zweifel aber
nicht entfcheidend fein. Eicherungen mußten bie Mittelmächte ſich
vorbehalten; Grey hat, mie erwähnt, am 30. Zuli feine Schwierige
Feiten gemacht, ale Bethmann-Hollweg eine ſolche Sicherung bes öfters
reichifchen Fauftpfandes verlangte, Wenn Gren feinen Konferenzvor⸗
Schlag rom 26. Juli felber zurückgezogen hat, noch bevor ihm beſſen
Der Konferenzvorfchlag 217
Ablehnung durch Bethmann-Hollweg befannt wer, fo tt nicht ficher,
ob ihn dabei die Abficht aeleitet hat, Die Verhandlungen zu erfchweren.
Vielmehr könnte auch er ſich damals noch etwas von unmittelbaren
öfterreichifcheruffifchen Verhandlungen verfprochen haben. Er hätte fich
darin im Einklang mit dem Kanzler befunden, der feinerfeits unter
Ausfchaltung bes Konferenzgedantens unmittelbar zwiſchen Wien und
Petersburg zu vermitieln fuchte.
Der ſekundäre Fehler, den man in Berlin damit beging, bie Kon—
ferenz auszufchlagen, war ebenfo groß wie der primäre Fehler, daß
man fich zu ſehr auf die Abneigung der Entente zu einem Krieg ver
Heß. Bethmann zeigte ſich überempfindlich für die Würde des öfter
reicheungarifchen Staates, der mit dem Deutfchen Reich nicht tden:
tifch war, an deſſen Zukunft ung aber gerade die damalige Politif
des Kanzlers auf Leben und Tod angekettet hatte. Bethmann be:
hauptete ferner, wir mifchten ung nicht in ein Vorgehen, das von ihm
und dem Auswärtigen Amt feit dem 5. Juli grundfäglich gebilligt
worden war. Jagow verhielt ſich fo uminterefjiert an dem ferbijch-
öfterreichtfchen Konflikt, be er am 27. Juli dem franzöfifchen Bot:
ichafter geftend, er hätte noch Feine Zeit gefunden, um bie ferbifche
Antwort an Hfterreich überhaupt zu leſen. Wie find folche diploma⸗
tiſchen Fehler in ſchickſalsſchwerer Stunde zu erflären? Sie find nur
yerftändlich aus ben allgemeinen Wefenszügen bee politifchen Syſtems,
bag mir feit 1909 am der Spike des Reiches hatten. Es handelte
fich zwar um die Vermeidung eines Weltkrieges, aber da ein königlich
sreußifches Kreisgericht ficherlich entfchteden haben würde, Die ge
vechte öfterreichifehe und Die ungerechte ferbifche Sache wären eine
rein öſterreichiſch-ſerbiſche Angelegenheit, ſo wer Greys anders lau⸗
tender Vorſchlag eben als gegenſtandslos aufzufaſſen. Juriſtiſche Enge
genügt jedoch nicht zur Erklärung der Inſtinktloſigkeit, mit welcher
die politiſche Reichsleitung in der Angelegenheit verfuhr. Es liegt hier jene
tiefere Eigenfchaft zugrunde, die den meiften Schritten der Kanzler:
zeit zum Verhängnis wurde, bie Wirklichkeitsferne vieler Deutfcher.
3
Bethmann⸗Hollweg hatte ſeit Fahren an einem von ihm felöft fo
Sezeichneten „Kartenhaus“ gebaut, nämlich einer deutfchzenglifchen
218 Der Ausbruch des Krieges
Verftändigung, die nicht auf Tatjachen, fondern auf biplomatifchern
Scöntun beruhte.
Nichtgefchäftsleute mögen annehmen, daß, wenn man nur irgend»
wie an den Verhandlungstifch kommt und über ihn weg fich Freund:
liches fagt, Mißverftändniffe wegräumt und für fernere Zukunft Aus:
fichten eröffnet, fchon viel gewonnen fei. Die englifche Politik hat
derlei immer nur benußt, um andere einzumideln; felöft aber hat
jie den Ausgang der Verhandlungen von den unousgefprochenen Realis
täten, die unter dem Tiſch liegen bleiben, beftimmen laffen, Nachdem
Bethmann 1912 daran verhindert worden war, die allein zu unferen
Gunften ins Gewicht fallende Realität der deutjchen Rifikoflotte für
englifche Liebenswürdigkeiten und Zufunftsmwechfel in Tauſch zu geben,
waren die Ausfichten auf eine dauernde und reale Verftändigung
fühlbar geftiegen. Aber man durfte die zu Englands Gunften fprechen-
den Realitäten auch nicht Überfehen. Die Welt gehorchte im allge-
meinen den Weifungen der ftärkften Seemacht. Wir waren der mäch-
tigfte Widerpart, mußten ung aber gerade deshalb hüten, meiter zu
gehen, ald unfere eigenen Intereſſen unumgänglich erforderten. Jene
SMufionen über England, die 1912 unfere Wehrkraft zur See beinahe
unter den Riſikogedanken hinuntergedrüdt und bamit den unaufhalt⸗
ſamen, aber vielleicht Tangfamen Niedergang Deutfchlands entfchieden
hätten, gefährbeien jett jäh den Frieden. Man ibealifierte die Beweg⸗
gründe, welche England in den Balfankfriegen von 1912/14 zur „Loya⸗
lität“ gegen Hfterreich und ung veranlaft hatten, und mar deshalb
des Glaubens, auch ein Balkanfrieg, an welchem Hfterreich felbft ber
teiligt wäre, könnte auf den Wetterwinkel Europas Iofalifiert bleiben.
Noch am 9. Juli hatte man im Auswärtigen Amt die nüchterne Ans
ficht vertreten, England würde fich wohl, wenn mwider alles Erwarten die
Erhaltung des Weltfriedens nicht gelänge, fofort auf die Seite unferer
Feinde fehlagen, ohne ben Verlauf des Krieges abzuwarten. Die fried- |
liche Haltung des Foreign Office in den folgenden Wochen täufchte aber
den Bethmannſchen Kreis mehr und mehr. Auch im Generalftab foll a
men zu einer friedlichen Auffaffung Englands geneigt haben. Als nach 3
der Überreihung des Ultimatums der iwarnende Ausſpruch Greyd
bekannt wurde: „Die Lage wäre doch recht gefährlich, es könnte Teicht ’
ein Krieg der vier Großmächte daraus entftehen,” ba preften bie Ges
lehrten der Wilhelmftraße aus dieſem Satz die Zuverſicht, Grey hätte
Das Kastenhaus 219
ausdrücdlich betonen wollen, daß für die fünfte Großmacht, England,
Peine Kriegsgefahr beftündel Jagow, Stumm und andere beftärften
den Kanzler in folchen unbegründeten Vorftellungen. Es gelang, auch
ben Kaifer in ihnen zu erhalten. Als am 25. Juli die in Norwegen
befindliche Flotte den Befehl zur Heimkehr erhielt, wollte der Kailer
fämtlihe Großkampfſchiffe in die Oſtſee ſchicken. Das Auswärtige
Amt wünſchte Ähnliches, um England nicht zu reizen. Der Kaifer aber
bat fich damals dem Flottenchef gegenüber fchroff dahin ausgejprochen,
an der friedlichen Haltung Englands wäre ein Zweifel nit erlaubt.
Deshalb müßte die ganze Flotte in Bereitfchaft gegen die Ruſſen
gehen. Nur techniſche Gründe veranlaßten ihn, zuzuftimmen, daß ein
Zeil der Flotte nach der Nordſee ginge.
Sch muß gegen das britifche Kabinett den ſchweren Vorwurf erheben,
daß es, obwohl es die Friedensliebe Bethmanns mie auch feine Art
genau Eannte, durch Unklarheiten über Englands Verhalten in der Krifis
eine große Schuld am Kriegsausbruc; auf ſich geladen hat, jelbit wenn
man annehmen will, daß das englijche Kabinett in jenem Fall wirk-
lich den Frieden zu Anfang noch mwollte und nicht etwa ſchon zu
Unbeginn den Hintergedanfen hatte, Bethmann auf ben bereit:
sehaltenen Spieß auflaufen zu laſſen. Grey hätte den Frieden
erhalten können, wenn er Bethmann rechtzeitig die Stellung Englands
klargelegt hätte für den Fall, daß der ferbifcheöfterreichifche Konflikt
zu europätfchen Weiterungen führen jollte. Daß er dies unterlafjen hat,
wirkt um fo befremdlicher, als im Juli 1911 Lloyd George im Auftrag:
des Kabinetts mit einer öffentlichen Drohung nicht gezögert hatte,
ebivohl damals die Lage bei weiten nicht fo zugeipißt gemejen mar.
Diesmal wurde mın fogar eine entfprechende Warnung unter vier Augen
vermieden. Greys Verfchweigen der englifchen Stellungnahme beftärfte
bie Berliner Einmarfchpolitifer in ihrer Auffaffung Grey und das
britifche Kabinett wußten genau, daß Bethmann alles tun mürde, um
einen Krieg mit England zu vermeiden. Sie wußten nebenbei, daß es
m Deutfchland fehr wenige Politiker gab, welche fich von ver Fähigkeit
Englands, erbarmungslss ein anderes Volk zu vernichten, eine zur
treffende Vorfiellung machten. Es konnten ſich nur wenige bei ung
in bie Seele Englands verjegen, deren Ealte Gleichgültigfeit gegen
unterworfene Völker, wie 3.2. ren ober Inder, erft das Jahr 191%
dem Durchfchnittsdeutfchen begreiflich gemacht hat. Vorher dachten viele
220 Der Ausbruch des Krieges ’
bei ung ungefähr, je mwehrlofer Deutfchland märe, defto freieren Lebens-
jpielraum würde ihm England genehmigen. Nur wenn unfere Politiker
den wahren Geiſt ber englifchen Politik erfannt hätten, würden fie
einerjeits aufs äußerſte gerüftet, anderfeits diplomatifch die größte Vor—
ficht beobachtet haben, um England Feine Gelegenheit zur Vernichtung
unjeres Volkes zu geben. Die briiifchen Minifter mußten nun, in
welch furchtbarem Irrtum über die Gefährlichkeit der Lage Deutfch-
lands fich viele Deutfche bewegten. Sie mußten auch, daß Deutfchland
us einem Mehr oder Minder von ferbijcher Genugtuung Feine Lebens:
frage für ſich ſelbſt machen konnte. Trotzdem unterließen fie jede
rechtzeitige Warnung. Ob es der Gefchichtsfchreibung gelingen wird,
den wahren Umfang und die Gründe diefer britifchen Zweideutigkeit
and Kicht zu ziehen, muß ic) der Zußunft überlaffen.
Die Reichsleitung hat dem deutfchen Volk gegenüber in den Juli⸗
sagen durch ihre Weltunkenntnis eine ſchwere Schuld euf fich geladen,
nicht ober England oder der Entente gegenüber, England, welches
den franzöfifchen Nevanchemwillen um das fchon halbvergeffene Elſaß—
Lothringen aufgepeitfcht und den Ruſſen bedeutende Opfer gebracht
Hatte, um fie gegen Deutfchland zu orientieren, eentete nur die Frucht
feiner eigenen Beltrebungen, wenn es zum Kriege Fam. Starke Strö—
mungen, ung anzugreifen, bejtanden in England unvermindert fort,
ebenfo in Deutichland die nur durch England hervorgerufene gerecht-
fertigte Sorge, baß die Einkreiſungspolitik doch irgendwann und irgend⸗
wie zur Gewalt übergehen würde. Die Frage, ob England gerade im
Juli 1914 den Zeitpunkt für gegeben hielt, tritt demgegenüber zurück.
Frgendivann im Juli ift in England ber Moment doch eingetreten,
son ben Grey im September 1912 zu Sſaſonow gejagt hatte, „daß,
iwern die in Frage ftehenden Umftände eingetreten fein würden, Eng—
land alles daran feten würde, um der deutjchen Machtfiellung ben
fühlbarftien Schlag zuzufügen.” Der Zweifel kann ſich einzig und
allein auf den genauen Zeitpunft im Juli beziehen, zu welchem fich
biefer Umfchlag im britifchen Kabinett vollzogen het. England mar
durch geographifche umd militärijche Umftände in ber glüclichen Lage
fih im Hintergrund halten und mit gewohnter Meifterfchaft fein pu⸗
ritaniſches Humanttätsgeficht auch nody in dem Augenblick mehren
zu Fönnen, wo es zum Kriege fchon entfchloffen war. Hierdurch hat
das britifche Kabinett nicht nur das englifche Volk, fondern auch das
Die englilche Politif DEN
deutjche, welches ſchon zur Zeit der Goten auf fremde Heuchelei ſtets
bereingefallen iſt, beſtochen. Suchomlinow hätte niemals das Räder⸗
werd des Krieges iñ Gang gejeßt, wenn er nicht die Gemwißheit ge:
habt hätte, daß die britiiche Macht bereit ſtand einzugreifen.
Nach den Vorgängen der letzten Jahre war ein Zroeifel darüber
kaum möglich, daß England eine militäriiche Schwächung Frank:
reiche buch und niemals zulajfen würde, und beim Einmarſch in
Serbien mußte mar im ungünftigften Falle doch die Möglich
keit eined Krieges mit Rußland und damit auch gegen Frank
sid in Rechnung ſtellen. Da aber Bethmann die zunehmende
englische Friedlichkeit nicht gern als Wirkung unferer mwachjenden
Seemacht erkannt, ſondern lieber fentimental aufgefaßt hatte, ſo
ging wich das Gefühl für die realen Grenzen pdiejer Friedlich
zeit bei ihm verloren. Die troß allem fteigende englifche Verftändigunge:
neigung beruhte, wie bemerkt, lediglich auf nüchterner Einſchätzung
des ſinkenden Eintzäglichkeit eines Krieges. England hatte begon:
nen, unjere Macht anzuerfennen, folange wir Die einige in eng:
Üfcher Auffafjung achteten. Wir mochten dieſe als zu weitgehent
anfehen, mußten ung aber der Weltlage anpaſſen. Bethmann de-
gegen, der 1912 die Deutschen Intereſſen verkannt hatte, verkannie
ießt den Umfang der britifchen Anfprüche und hoffte im Juli 1914
wiederum auf einen Ausgleich des guten Herzens ftatt der Intereſſen.
Derjelbe ungenügend entwidelte Tatjachenjinn, der die eigenen Staats:
notwendigkeiten weichlich auffaßte, ſah auch die britifchen Gedanken:
gänge unjcharf und lieferte deshalb jegt durch ungelenfes Zugreifen die
Gelegenheit zum Zuziehen der Ententefchlinge.
England wollte Öfterreich einen gewiſſen dinlomatifchen Erfolg über
Serbien gewähren, konnte aber eine diplomatische Niederlage Ruflands
nicht zugeben, ohne fein Eunjtvolles, von ihm gegen Deutfchland aufge:
bautes Machtgebäude zu erichüttern. Bethmanns und Berchtolds Ein:
marjchpoliti? beruhte dagegen auf der Erwartung, daß Englands in dei
legten Ssahren gezeigte Friedensliebe ſoweit ginge, daß fie im Außer:
fien Fall den Zaren veranlafte, entweder den Serben die überlieferte
Gönnerſchaft zu verweigern oder einen Feſtlandskrieg ohne englifche
Hilfe zu wagen. Es fehlte den deutfchen Politikern das Gefühl da—
für, daß fie damit die Sehne der englifchen Ententepolitik zu durch:
Schneiden drohten.
222 Der Ausbruch des Krieges
England hatte, gerade weil fein Verhältnis zu Frankreich und auch
zu Rußland nicht auf einem formalen Bündnisvertrag, fondern auf
loferen Abmachungen beruhte, während des ganzen Einkreifungsjahr>
zebntes grundfäglich jede Freundlichkeit gegen ung durch unmißver⸗
ftändliche Winke nach) der anderen Seite begleitet. Während jenes
englischen Flottenbefuches in Kiel Ende Juni 1914 Hatte der britiſche
Botjchafter in Petersburg, Buchanan, eine ſoeben abgefchloffene ruſſiſch⸗
britiiche Marinekonvention bekanntgegeben. Die liebenswürdige Frau
des in Kiel anweſenden Gefchrwaderchefs, Lady Warrender, eine Angels
kächfin von der Spezies jener politifchen Damen, die wir in Deutſch⸗
land kaum fermen, war etwas verlegen, als ich fie mit leichtem Spott
darauf hinwies: es wäre ung zwar herzlich einerlei, ob im Kriegsfall
britifche und ruffifche Marineverbände getrennt oder vereinigt operier-
ten, jeboch Fönnte es leicht mißverftanden werden, wenn derartige
Gedankengänge gerade in diefem Nugenbli laut würden. Sie bes
zeichnete Buchanan als einen naiven Tolpatſch. Einerlei ob mit Recht,
die Tatfache der Konvention als folche hätte ung hellhörig halten können.
Indem wir durch eine vergröberte und ungeſchickte Nachahmung
ber bosnifchen Krifis von 1908/9 England vor die Wahl’ jtellten,
die Großfürftenpartei zu verſtimmen oder den Krieg unter befonderg
vorteilhaften Umſtänden zu eröffnen, drang die Stimmung jener
Klubs durch, welche unentivegt an den Krieg dachten und es nur
von der Gunft des Augenblicks abhängig machten, ung doch noch mit
Gewalt niederzufchlagen. Die neuerdings veröffentlichten Erinnerungen
des Admirals Fijcher Haben gezeigt, welches ungeheuerliche Maß an
Kriegsmwillen gegen ung mächtige Kreife in England beſaßen, lediglich
erzeugt, wie Fiſher fagt, durch Handelgrivalität. Diefe Kreife, welche
1905 noch die Eleine deutjche Flotte hatten ‚‚Eopenhagen‘ wollen, waren
1914 angefichts unjerer großen Flotte zurüchaltender geworden. Als
aber im Laufe des Zuli England die Sadgafje erkannte, in welche fich
Bethmann verrannt hatte, wandte es fich von der gejchäftsmäßigen
Sriedenspolitif der Verftändigung, die es, wenn man feinen Verjiches
rungen glauben will, bis zu Greys Konferenzvorfchlag innegehalten
hatte, zu der nicht weniger gefchäftlichen Kriegspolitif, um nunmehr
als ‚‚perfides Albion“ Rufjen und Deutjche einander umbringen zu lafjen.
Die Gelegenheit, die wir ihnen boten, Eonnte günftiger nie wieder—
Fehren. Sie hatten diesmal die Möglichkeit, uns ins moralifche Un-
Falſche Einjchägung Englands 223
recht zu jeßen und die Verkehrtheiten unferer Politif in Kriegs:
treiberei umzudeuten. Sie fonnten die UÜbermacht der Welt gegen
uns werfen, und indem wir als die Angreifer erfchienen — woran
Bethmann gar nicht dachte — auch juriftifch unfere eigenen Bünd—
niffe entwerten. Schließlich war felbit firategifch der Augenblick für
die Engländer verlodend, was Bethmann nicht wußte und worüber
er fich bei mir nicht erkundigt hat. Obwohl das britifche Kabinett
in biefen Krieg nur zögernd eintrat, gewann bei diefer Lage der
Kriegswille in ihm die Oberhand und legte zulegt durch unterirdifche
Ermutigungen der Franzojen und damit der Ruſſen den Zünder an
die Detonationspatrone.
Berhmann wünfchte keinen Weltkrieg und vermutete nicht deſſen Aus:
bruch. Gerade deshalb glaubte er, anfänglich, daß Dfterreich einen Lokal⸗
krieg wagen dürfte. Es fehlte ihm und Jagow das Organ zurrafchen Um⸗
ftellung auf die tatjächliche Lage, daß nämlich die Ententernächte zwar einer⸗
feits ein gewiljes Maß von Entgegenfommen zeigten zu einer gemeinfamen
Löfung der Lofalkrife, anderjeitg aber vor einem Weltkrieg durchaus nicht
zurückſchreckten. Bethmann und Jagow beharrten bei ihrer Überzeugung
von der Unvermeidlichkeit, aber Lofalijierbarkeit des ferbifchsöfterreicht
ſchen Konfliktes während uneinbringlicher Tage, folange, bis die von ihnen
gröblich unterfchägten zum Kriege treibenden Kräfte innerhalb der Entente
obgefiegt hatten. Nunmehr trat in Wirkung, daß der franzöfifche Chauvi—
nismus und die panjlawiftifche Erbitterung in demfelben Grad gejtiegen
waren, wie fich die englifche Kriegsluft an jich abgefchwächt hatte. Gewiß
war England die entjcheidende Macht, aber es zügelte die Eriegstreiberifchen
Kräfte doch nur folange, wie ihm felbit der Frieden vorteilhafter
erichien als der Krieg. Die Furcht vor der „Intervention“ Europas
und die Hoffnung, daß die Entente, „vor eine unabänderliche Tat—
fache geſtellt“, fich darein fügen würde, hatte Bethmann-Hollweg bes
wogen, Öfterreich zur Einmarfchpolitif freie Hand zu laſſen. So glaubte
er durch einen raſchen Lofalfrieg an dem allgemeinen Konflikt vorbei-
zufteuern. Als nun die Antwort Serbiens wider Erwarten nicht völlig
„negativ“ war und als Grey „‚intervenierte‘‘, fehlte der Inſtinkt, um die
neue Lage zu begreifen,
Man hatte in der Wilhelmftraße eine eigentümliche Auffaffung
von den Möglichkeiten, den heiß erftrebten Frieden zu jichern durch
eine nervöfe Kriegsbereitfchaft, die lediglich fchwache Vorſpiegelung
224 Der Ausbruch des Krieges
war. Diefe Politiker, die niemals gewillt waren, dag Schwert zu
ziehen, und die leider auch, wie fich gezeigt bat, außerftande waren,
die militärischen Notwendigkeiten einer Kriegsvordereiiung überhaupt
su beurteilen, glaubten mit unficheren Eriegerifchen Maßnahmen drohen
zu können, welche fie felbit nicht ernſt nahmen.
Das politifche Augenmaß diefer Männer erregt Staunen. Am 20. Juli
erPlärte Staatsſekretär v. Jagow einem Vertreter des Admiralftabs, Eng-
{and würde, wenn ed zum Krieg des Dreibundes gegen den Zweibund
käme, sorausfichtlich nicht mitmachen. Er, Jagow, hätte aber einen Ge:
banken, wie man die Neigung der Üngländer zur Neutralität viel
leicht noch verftärken könnte, nämlid; indem wir den Engländern
drohten, jofort Holland zu befehen, falls fich England gegen uns er-
Elärte. Natürlich wäre das Ganze nur ein Bluff. Am folgenden Tag
iagte der Admiral nach Rüdfprache in Reichsmarineamt zu Jagow, fein
„Bluff“ wäre wohl dag ficherjte Mittel, um England zum Krieg
gegen ung zu zwingen. Der Abglanz Bismarckſcher Yutorität, der für
die Offiziere meines Amtes noch über der Wilhelmftraße gelegen hatte,
verbrauchte fich rajc), und man meldete mir den Vorfall mit dem Zu:
ſatz: „Man kann fich nur erneut fragen: Wie ift es möglich, daß einer
folchen Perfönlichkeit die Leitung der auswärtigen Politif Deutſchlands
anvertraut wird?’ Jagow war gerade wegen feines vorfichtigen Natu:
tells, das ihm jeden Entjchluß erfchwerte, von Bethmann an die Spiße
des Auswärtigen Amis gejebt worden. Er wäre der leßte gemwejen,
Holland zu bejegen, was ja übrigens jedem deutfchen Intereffe zumider
gelaufen wäre. Über geradefo naiv, wie er ein paar Monate früher
dem frangöfischen Botfchafter einen Appetit auf belgifche Kolonien vor:
fpiegelte, den Deutjchland im Beſitz feiner eigenen, noch wenig erfchlof-
jenen afrikanifchen Reiche in Wirklichkeit nicht beſaß, fo glaubte er aud)
jest auf England durch eine „ſtarke“ Gefte Eindrud machen zu können.
Al Bethmann fpäter gewahr wurde, daß England mit dem Krieg
ernft machen mwürde, brach er vollftändig zufammen. Weshalb aber
überließ er fich binfichtlich Englands folange feinem eigenen politifchen
Giß, der doch fo häufig in die Irre ging? Weshalb Hat er in den langen
drei Wochen alle Warnungen überhört, die aus England und über Eng—
land an ihn gelangten? Weshalb ſuchte er fich nicht Gemwißheit darüber
zu verschaffen, wie fich England bei einem Feftlandskrieg verhalten würde?
Much dieſes Rätſel löſt fich aug der Eigentümlichkeit feines Grundplanes.
D&D
—
©
Ungerignete Diploinatifcye Methoden
4
Am 8. Juli gab der Unterſtaatsſekretär Zimmermann die Direktive
aus, alle auffälligen Maßregeln, wie Urlaubsunterbrechungen uſw.
wären zu vermeiden, ebenſo wie das Aufgeben der Kaiferreife unter:
blieben wäre. Denn die Hauptfache dafür, daß die Abficht des Lofali-
fierens gelänge, wäre die Vermeidung des Eindrucks, als ob wir
Hfterreich antrieben,
Schon in den Verhandlungen des Jahres 1911/12 war mir aufs
gefallen, daß Bethmann-Hollweg freien und offenen Ausfprachen aus
dem Wege ging und es vorzog, auch folche Fragen, die ihrer Natur
vach durch gemeinfame Beratung geregelt werden mußten, nach
längerent, ausweichendem Hinziehen plötlich durch einfeitig vollzogene
Tatſachen zu löſen. Dazu Fam die auch von anderen meiner Kollegen
ſowie von Bethmanns Bewunderern an Ihm früh bemerfte Fähigkeit,
„etwas zu behaupten, was gar nicht ernft gemeint fein Eonnte, und
ſich nicht bloß die Frage zu ftellen, wie etwas objektiv ift, fondern
auch die, wie es ſubjektiv wirkt“ 1). Der Zweck des hier gewählten
Verfahrens war gut, die Vermeidung des Weltkrieges. Aber das für
diefen Zweck benußte Mittel war nicht glücklich; denn es hat den Weltkrieg
wefentlich befördern helfen. Bethmann fah nicht, daß dies Verſehen ung
leicht als Zweideutigkeit ausgelegt werden Fonnte und außerordentlich ges
fährlich war. Die Welt wollte nicht glauben, daß DOfterreich folche Noten
an Serbien fchiete, ohne dag wir davon Kenntnis hätten. Die Methode
der bureaufratifchen Überrumpelung auf eine europäifche Sache über-
tragen, Staatsmännern vom Range der englifchen an Stelle einer ver-
trauenerweckenden offenen Aussprache entgegengebracht, verjeßte Teider
die an fich fchon geladene Atmofphäre in noch höhere Spannung.
Wie ich Meldungen vom 11. Juli entnehme, äußerte man im
Auswärtigen Amt damals die Vermutung, es wäre den Ofterreichern
lieber gesvefen, wenn wir ihnen die Bundeshilfe gegen Serbien ver-
weigert hätten. Unfere Bundesbrüder wüßten fo wenig, was fie wollten,
daß fie jelt bei ung angefragt hätten, mas fie eigentlich von den Serben
verlangen ſollten.
Diefer Eindruck war fo wohl Faum richtig. Er zeigte aber, wie wenig
man in Berlin damit rechnen durfte, daß Öfterreich in der von ihm
2) 9. Kötfchle, Unfer Reichifanzler, fein Leben und Wirken, Berlin 1916, ©, 18.
Tirpis, Erinnerungen 13
226 Der Ausbrud) des Krieges
felbft zur Nettung feiner Ehre begennenen Aktion feſt bleiben würde.
Trotzdem verfannte der Kanzler, wie wenig beneidenswert feine Lage
würde und wie ungeheuer feine Verantiwortung vor der Gefchichte, wenn
er als Mann erfcheinen wollte, welcher die Zufunft Deutjchlands der
Wiener Regierung ohne weitere Kontrolle überließ.
Diefe Haltung mußte unfere Politik um den ihr von Friedrich d. Gr.
und Bismarck erworbenen Ruf der Aufrichtigkeit bringen. Huch die Ver:
trauenswürdigfeit ift ein Stück Macht, das teuer gehütet werden will,
und es ift eine merkwürdige Erfcheinung, daß Politiker mit geringem
Berftändnis für reale Macht meift auch Eeinen feinen Sinn für die
Unmägbarkeiten des Preftiges haben. Als Greys Konferenzuorjchlag
eintraf, glaubte Bethmann feine Stellungnahme fefthalten zu müſſen,
und fo lehnte er den Vorfchlag ab, d. h. er blieb bei jener Erflärung der
‚„Michteinmifchung” in die öfterreichifche Sache, wodurch der entjcheis
dende Augenblick einer möglichen Friedensaftion verloren ging. So
Eonnte Öfterreich durch feine Kriegserflärung an Serbien (28. Juli)
die Rage verfchärfen, während die deutfche Politik feftgebannt zwiſchen
ihren felbftgewählten Schranken ftand.
Die Engländer mit ihrer Fühlen Gefchäftsart, Machtfragen zu bie:
kutieren, Eonnten oder wollten Bethmanns anfcheinendes Beifeiteftehen,
das tatfächlich die Kofalifierung des Streits und die Erhaltung des
Friedens zwiſchen den Großmächten bezweckte, nicht begreifen. Ihrer
eignen Denkungsmweife lag es jedenfalls fern, anzunehmen, daß ein
beutfcher Staatsmann es für etwas Böfes halten Fönnte, offen Ofter-
veich zu unterflügen und von deutſchen Macht: und Preftigeintereffen
zu reden. Sie merkten, daß die beutfchen Diplomaten teilg zu miß—
trauifch, teilg zu vertrauengfelig waren. Zugleich fahen fie die gün—
ftige Gelegenheit zum Krieg heranwachſen. Wir boten der Entente
mit den Widerfprüchen unferer Einmarfchpolitit die Handhabe, um
uns des Präventivfrieges zu bezichtigen. Die ſchwere Anklage der
Kriegstreiberei, die ung fo unermeßlichen Abbruch getan hat, wurde
erhoben.
Allerdings hatte die Einkreifungspolitif der Entente in Deutfchland
gelegentlich Nervofität hervorgerufen. Denn fie wies zmweifellofe Züge
einer Verſchwörung auf. Seit Ende 1912 war uns bekannt, daß den
Serben die Rolle zugedacht war, als Piemont des Balkans die Auf:
teilung der habsburgifchen Vionarchie zu eröffnen, wenn die Stunde
Die Frage des Präventiokriegs 397
dafür reif wäre, Es Tag feitdem nahe, und it fehon 1913 von
Hfterreich erwogen, damals aber von ung und Stalien abgelehnt
worden, diefen Funken auszutreten, bevor er zum Brand würde.
Wir Fannten ferner ruſſiſche Hußerungen darüber, daß es „1916
losginge. Man fließ infolgedejfen bei unverantwortlichen und halb:
unterrichteten Perjönlichkeiten, aber ausfchließlich bei folchen, zu=
weilen auf die Anficht: „Wenn der Krieg doch unvermeidlich
if, dann beffer fofort als ſpäter.“ Die „bis 1916 fertigen‘
ruſſiſchen Rüftungen waren freilich nicht auf die leichte Achſel zu
nehmen angefichts der Petersburger Kriegspartei, die tatfächlich in
der letzten Juliwoche 1914 die europäifche Verwirrung zur Brande
ftiftung ausgenußt hat. Trotzdem wäre ein deutfcher Präventiofrieg
gegen Rußland niemals zu rechtfertigen geweſen. Auch bezüglich Eng-
lands, von Frankreich ganz zu ſchweigen, durfte unfere Vorficht nicht
einfchlafen. Wenn fich der britifche Löwe feit 1912 mehr und mehr
buckte, jo hatten wir doch ftets mit der Möglichkeit zu rechnen, daß
dies das Zufammenkauern vor dem Sprung war, Leife Zweifel derart
Ichloffen aber großzügiges Zufammenerbeiten mit England auf realer
Grundlage nicht aus. Wir durften ihm nur Feinen Anlaß zum Sprunge
bieten. Die Ententen Englands waren bis zu dem Vertrag vom Sep:
tember 1914 noch locker gemwebt, eine friedliche Löfung der Einkreifungs:
politif erſchien angefichts der englischen Rifikofchen möglich, wenn
Deutfchland zugleich mutig und vorfichtig war, unverzagt rüftete, aber
jede Handhabe für den feindlichen Kriegswillen vermied.
Daß Deutfchland planmäßig auf den Krieg hingearbeitet haben
ſolle, ift eine wilde Fabel, die am beften durch unfer fpäter zu jchil-
derndes Unvorbereitetfein widerlegt wird, Übrigens hat der General:
oberft v. Moltke, der in den Eritiichen Wochen in Karlsbad fein
ſchweres Leiden pflegte, mir fpäter verfichert, daß er mit den ganzen
Verhandlungen nichts zu tun gehabt und Feinesiwegs empfohlen hätte,
dag Ultimatum an Oerbien als Prüfftein dafür zu verwenden, ob
die Entente Krieg wollte oder fich dazu noch nicht ftarf genug fühlte.
Hätte der Kanzler feiner Pflicht gemäß — er mußte fich doch
vor einer folchen Aktion nach den militärifchen MöglichFeiten in jeder
Richtung erkundigen — mich gefragt, fo hätte ich ihm fagen müffen,
daß vom Standpunft der Marine aus die an fich unermwünfchte Kriegs:
gefahr auch firategifch Feinen günftigen Zeitpunkt fände. Der Dresb-
15*
228 Der Ausbruch des Krieges
noughtbau, durch deffen Einführung England die Kampffraft unferer
Marine automatisch verdoppelte, hatte erſt vier Jahre lang gewirkt.
Der Nordofifeefanal war unfertig. Der Höchftftand der Flotte wurde
erft 1920 erreicht. Einige Schwächen, die unferer Marine infolge
ihrer Jugend, namentlich in der Führung, anhafteten, Eonnten nur
mit der Zeit verjchwinden. Selbſt wenn die Schiffszahl einmal nicht
mehr wuchs, wurde die Flotte mit jedem Jahr bejfer wie junger
Mein. Das mechanische Vergleichen der Schiffszahlen verlor an Be:
beutung, je mehr das pfychologifche Moment der innerlichen Feftigung
Geltung gewann, Bon franzöfifcher Seite war offen der Zmeifel
geäußert worden, ob wir wirklich jo „töricht“ fein würden, gemäß
dem Flottengefeh unfere Bauziffer von 1912 ab finken zu laſſen. Wir
hatten es gewagt und damit England den bündigen Berveis geliefert, daß
wir Fein Wettrüften betrieben. Trotzdem und obwohl unfere Bündniffe
zur See Eeine wejentliche oder jichere Unterftügung gewährten, rech—
nete ich, daß etwa von 1916 ab ein englifcher Angriff feemilitärifch
nicht mehr wahrfcheinlich fein würde. Jedes Friedensjahr war alſo
für ung ein unfchäßbarer Gewinn. Über diefe Auffaffungen habe ich bei
meinen obenerwähnten Öefprächen in Tarafp Eeinen Zweifel gelaffen.
Der Kanzler hätte durch eine Eollegiale Behandlung der Frage,
wie fie Fein anderer Staatsmann verſäumt haben würde, die Ver—
antwortung verteilt. Sch meinerfeits hätte von dem Ultimatum abgeraten.
Dabei hatte der Kanzler in feiner Scheu vor Klarheit den Ernfifall
jo wenig vorbereitet, daß Geſamterwägungen zwifchen den politischen
und militärischen Spitzen niemals ftattgefunden hatten, weder über
die politifcheftrategifchen Probleme der Kriegsführung, noch über die
Ausfichten eines Weltkrieges überhaupt. Auch über den Einmarfch
in Belgien, der, wenn er geſchah, fofort maritime Fragen aufmwarf,
bin ich niemals unterrichtet worden. Es feheint hier der Einwurf nahes
zuliegen, ob ich nicht im Frieden meinerfeits auf die Vorbereitung
einer Mobilmachung der gefamten Neichsleitung zu drängen in ber
Lage war? Mer die Verhältniffe bei unfern damals regierenden Gtellen
kennt, wird diefe Frage nicht ftellen.
Die weltgefchichtlich fchwerfte Schuld Bethmann-Hollwegs liegt nicht
in feinen Schäßungsfehlern vom Zuli 1914, fondern in den unter:
laffenen Rüftungen vorher, in den Jahren, als die gegnerische Koalition
alle ihre Kräfte fammelte und durch Kriegsvorbereitungen in ihren
Unfere Vorbereitung zum Kriege 229
feftländifchen Teilhabern den Entfchluß ftärkte, jede fich bietende Ge:
legenheit zum bewaffneten Kejfeltreiben gegen Deutjchland auszunüßen.
Mit geringer Mühe und auf die Dauer kaum fpürbaren Koften
hätte das deutſche Volk vor dem Schlag dieſes Krieges bewahrt
werden Eönnen, wenn die ftete Sorge vor ihm auch zu den nötigen
Vorfichtsmaßregeln Anlaß gegeben hätte. Die Gefahr war da; die
Folgerungen aus ihr hätten gezogen werden müſſen. Denn Frankreich
und Rußland waren in ihren Rüjtungen bis an die Grenze ihrer
Leiftungsfraft gegangen, Frankreich fogar in gewijfem Sinne darüber
hinaus. Deutfchland und OfterreicheUngarn dagegen fchöpften ihre Kräfte
nicht annähernd aus. Wie erklärt fich diefe furchtbare Unterlaffung,
die bei jedem national gefeftigten Volk die fchmwerfte Anklage
gegen bie verantwortlichen Staatsmänner nach fich gezogen haben
würde?
Der Kanzler, unterftüßt durch den Neichsfchaßfefretär Mermuth,
hatte Angft vor dem Wort „Wettrüſten“. Er glaubte durch Zurück—⸗
haltung in Eriegerifcher Bereitichaft dem Frieden zu dienen. Dadurch
follte die Entente von unferen friedlichen Abfichten überzeugt werden.
In Wahrheit wußte die ganze Welt, daß wir den Frieden zu erhalten
wünfchten, erhob aber über unfere unzureichenden Wehrvorlagen ein
Entrüftungsgefchrei, wie es bei wirklich durchgreifenden Nüftungen
unferjeit8S auch nicht größer hätte fein Pönnen. Durch die Unzus
länglichkeit unferer NRüftungen aber Iocerte fich das Schwert bei
unfern Nachbarn. Hätten wir feit 1909 aus der wachjenden ruffifchen
Stärke die Folgerung gezogen, wirklich Schritt mit den gegnerifchen
Rüſtungen zu halten, fo wäre der Frieden und die auf Achtung
begründete gute Nachbarfchaft Rußlands gefichert worden. Es war ein
Methodenfehler von vernichtendem Umfang, daß wir in unferer diplos
matifchen und geographiichen Unterlegenheit uns nicht das Höchſtmaß
an militärischer Verteidigungskraft ficherten. Was wäre aus Preußen:
Deutfchland geworden, wenn Friedrich der Große und fein Vater vor
einem „Rüſtungswettlauf“ mit Oſterreich zurückgeſchreckt wäre? Ein
Volk, das in ſolchem Wettlauf um die weltiwirtfchaftliche Macht ftand,
wie wir vor diefem Kriege, darf die Verdächtigung durch Nivalen und
Pazıfiften nicht fcheuen, wenn es nicht alles verlieren will.
Tiefe Wahrheit, auf deren Erkenntnis und der Zeit ent|prechenden
Befolgung der Merdegang des deutfchen Staats feit dem Großen Kur:
230 Der Ausbruch des Krieges
fürjten beruht, ift der deutfchen Radikaldemokratie unbekannt geblieben).
Mit ihren Illuſionen aber, nicht mit der Staatsvernunft und Über:
lieferung unferes harten gefchichtlichen Leidens> und Werdegangs ftand
unfere pofitifche Leitung im Bunde.
Ein nicht unerheblicher Teil der begangenen Unterlaffungen hätte
aber noch im Zuli 1914 befeitigt werden Eönnen. Am 5. Juli hatte der
Kaifer gefagt, man müßte troß der Ummahrfcheinlichkeit eines Welt
Friegs immerhin auf die Möglichkeit eines Zufammenftoßes gefaßt
fein. Es lag bei der Verknüpfung der europälfchen Bündnisſyſteme
auf der Hand, daß wir bei jeder folchen Krifis auf das Schlimmfte
gerüftet fein mußten. Aber was gefchah?
Mir haben noch im Juli 1914 erhebliche Mengen Brotgetreide nach
Frankreich ausgeführt. Es herrfchte ein Mangel an Salpeter, welcher
für die Armee nahezu lebensgefährlich wurde. Kupfer, Nidel und
andre Priegsnotwendige Stoffe fehlten in hohem Maße, und jede
Gelegenheit, fie unauffällig zu ergänzen, wurde geradezu gefliffentlich
außer acht geſetzt. Um die tatfächliche Harmlofigkeit Berlins zu bemeifen,
auch für den Fall, daß darüber das Land zugrunde ginge, waren wirt
fchaftlich und induftriell nicht die einfachiten Vorfichtsmaßregeln für
geipannte Lagen getroffen worden.
Außer dem Wunfch, bei der Entente keinen falfchen Verdacht aufs
kommen zu lafjen, dürfte auch der Trieb maßgebend geweſen fein,
den Etat peinlich innezuhalten. Man hätte leicht in großem Maßftab
einfaufen und fich dafür, wenn der Frieden erhalten blieb, vom
Reichstag Indemnität erteilen laſſen können. Der Ernftfall war aber
augenfcheinlich nicht ernft genommen worden. Die Neichsleitung
ließ jedes Neffort für fih und im Dunkeln über die Anfichten
und Abfichten der anderen. Während die einzelnen militärifchen
Nefforts bei der Mobilmachung nur auf den Knopf zu drüden brauch
ten, fehlte jeder Gefamtplan für den Fall einer Weltkataſtrophe. Wir
) Wenn ich häufig gegen die augenpolitifche Verblendung weiter demokratischer
Kreife angehen muß, fo ift mir wohl bekannt, daß es zahlteiche ehrenhafte und
dem Vaterlande treue Sozialdemokraten und Radikale gibt, welche volles Verftänd:
nis für bie deutſchen Staatsnotwendigkeiten gezeigt haben. Ich verftehe unter
„Demokraten“ in biefem Buch wefentlih die von Scheidemann, Gothein, Haaſe
und der „Frankfurter Zeitung“ vertretenen mächtigen Richtungen, welche ihrer
Wirfung nach die Kraft unſeres Staates untergruben. Mit innerer Politik Hat
diefe meine Stellungnahme nichts zu tun.
|
Die Schuldfrage 231
fanden uns Ende Zuli 1914 in ein Durcheinander hineingeftellt, und
zwar bei einem der englifchen Improviſationsgabe im ganzen nicht
gleichwertigen Talent, worüber auch das fittliche Bewußtſein nicht weg⸗
tröften Eonnte, daß das Deutfche Neich unter allen Großmächten ich
wohl am menigften mit Kriegsmöglichkeiten befchäftigt hatte. Trotz
diefem felbftmörderifchen Beweiſe unferer Friedengliebe ließ fich infolge
der nach Kriegstreiberei ausſehenden Heimlichkeiten unferer Politik
im Juli 1914 die Welt doch von unferer Schuld überzeugen. Wir waren
das Schaf im Wolfskleid.
5
Bei der Erörterung der Schuldfrage begeht man in Deutfchland Teicht
einen zweifachen Fehler. Einmal Fonftrutert man politifche Verhält—
niffe gerne allzu logiſch. Aus einer Fülle einzelner Anzeichen ver:
ſuchen manche zu bemeifen, daß bei dem böfen Willen der Feinde der
Meltfrieg überhaupt nicht vermieden werden Eonnte. Diefe Anfchauung
halte ich für irrig. An dem böfen Willen Englands, Frankreichs und
vieler Nuffen, unfer Neich zu zerfchmettern, kann zwar ein Zweifel
nicht beftehen. Um fo mehr aber mußten wir ung hüten, ihm eine
Gelegenheit zur Betätigung zu bieten. Mie ich ſchon 1904 zum Ausdruck
gebracht babe, war jede Gelegenheit, durch melche wir den Feinden
Kriegsvorwände boten, peinlich zu vermeiden, weil wir England
damals im Kriege nicht beikommen und fomit unferen bereits ges
waltigen Außenhandel nicht retten Fonnten. Die Abfchnürung biefer
Lebensader ift ja auch im Jahr 1918 ein wefentlicher Grund für den
Verluft des Krieges geworden. Das wäre 1904 ähnlich geweſen;
vor allenı Fonnten wir auch durch einen Sieg über Frankreich nicht
unfern Handel und unfer Dafein ſchützen ). Solange dies fo ftand,
war e8 ein MWahnfinn, den Feinden Vorwände zum Krieg zu liefern.
Solange die Einfreifung beftand, gab es für ung tatfächlic nur den
einen Weg: eine gute Flotte zu bauen, Anlehnung zu fuchen und Anftöße
zu verhüten,
Märe es gelungen, 1914 die Krifis zu beſchwören, und hätten mir
nur noch zwei Fahre Zeit zum Wachstum der Flotte und zur Aug:
wirkung der großen Armeevorlage von 1913 behalten, jo wäre —
wie ich wiederholen muß — die Friedensliebe Englands wohl bie auf
1) Shen ©, 149,
232 Der Ausbruch des Krieges
den entfcheidenden Punkt gejtiegen. Ich komme perfönlich über dieſe
entjeßliche Tatſache nicht hinweg, daß eine etwas vorjichtigere Politik,
die 1914 den Feinden den Krieg nicht jo bequem gemacht hätte,
unfere den Engländern fchon nahezu ebenbürtige Wirtichaftsitellung
voraugfichtlich für immer gefichert und unferem Außenhandel wie unferem
ganzen nationalen Leben eine noch ftrahlendere Zukunft ftatt grauen-
vollen Ruines gebracht hätte. Im Zuli 1914 Eonnten wir wohl durch)
eine gefchicktere Behandlung der ferbifchen Angelegenheit der feind-
lichen Kriegsluft den Weg verjperren. Ob dann der Weltkrieg trotzdem,
etwa 1916, ausgebrochen wäre, wer will das beweifen? ‚Sch perfönlich
bin der beftimmten Anficht, daß damals jedes gewonnene Friedensjahr
den Frieden immer fefter begründete, wenn mwir nur die ernfte Lage
unfres Volkes ſtets beherzigten und unfrer Rüftung die entjprechende
Aufmerkfamkeit fchenkten. Freilich Eönnen nur Männer mit fefter
Hand und Faltem Blut, von denen befannt ift, daß fie imftande fein
würden, einen Krieg durchzuführen, in jo gejpannten Lagen auch den
Frieden erhalten. Wer zu ſtark und zu offen auf Verftändigung aug-
geht, entfernt fich gerade von ihr, und wer die nationale Würde nicht
aufs äußerſte hochhält, Fommt unter der harten Gelbitfucht aller
Nachbarvölfer unvermeidlich zu einem fortgefegten Niedergang der
nationalen Wohlfahrt und Blüte.
Den zweiten Fehler der Beurteilungsmweife erblicke ich dort, wo
der ferbifcheöfterreichifche Zufammenftoß und der Weltkrieg nicht ſcharf
genug auseinander gehalten werden. Nicht nur das deutjche Volk,
in feiner Gefamtheit eines der friedliebendften der Melt, fondern auch
die Regierung Bethmann-Hollwegs ift am Weltkrieg ihrem Willen nach
völlig unfchuldig. Dagegen hat die damalige deutfche Regierung einen
Anteil an der Geftaltung der öfterreichifcheferbifchen Angelegenheit,
indem fie annahm (mas ſich als irrig ermiefen bat), daß
gerade die Züchtigung Serbiens durch Hfterreichellngarn bie
drohende Aufteilung der habsburgifchen Monarchie und einen ihrer
Meinung nach daraus notwendig folgenden Weltkrieg verhüten
würde.
Mie ift deingemäß die ganze Schuldfrage zu beantworten?
Die causa remota des Meltkriegs Tiegt nach dem Urteil aller ehr⸗
lichen Kenner der europäischen Vorgänge, 3. B. der belgischen Gefandten,
in der englifchen Einfreifungspolitif, die in den neunziger Fahren ihren
Lokaliſierung oder Weltkeieg? 233
Urſprung nimmt in der Handelseiferſucht, ſich dann hinter Vorwänden
(Transvaal, Flotte) verſteckt, die Weltpreſſe vergiftet, alle deutfche
feindlichen Kräfte der Welt zuſammenknüpft und eine gefpannte Lage
erzeugt, in welcher der leifefte Fehlgriff die fürchterlichſten Ent:
ladungen hervorbringen Eonnte.
Der Fehlgriff unfrer Keichgleitung beftand in dem Glauben, einen
ferbifcheöfterreichifchen Waffengang Iofalifieren zu Eönnen. Im Ber:
trauen auf die Friedlichkeit und Gerechtigkeit ingbefondere Englands
hielt fie eine gründliche Zurechtweifung Serbiens zur Sanierung Ofter:
reichelingarns für tunlich, ohne daß daraus ein Weltkrieg entftünde.
Alles, was an den Schritten unfrer Neichgleitung von feindlicher
Seite als Kriegstreiberei gedeutet werden möchte, bezieht fich Tedig-
lich auf Serbien und auf den Wunfch, HOfterreichellngarn ‚vor einer
fchwächlichen Haltung gegenüber diefem raubgierigen Klleinftaat zu
bewahren. Schreden befiel den Kanzler, als die ruffifche Kriegspartei
feinen Fehlgriff ausnußte und er gewahr wurde, daß fein felfenfefter
Glaube an Englands Friedlichkeit ihn betrog. Unter der Hypnofe diefes
Glaubens hatte er unfer Land für einen Weltkrieg auch nicht vorbereitet.
In dem fchen erwähnten Gefpräch des Neichsfanzlers mit Mangen-
beim hat der Kanzler nach der MWangenheimfchen Wiedergabe vom
23. April 1914 auch über „Politik ohne. Krieg” und die Gefahren eines
Präventivfriegs gefprochen und dabei geäußert, unfer Nationalvermögen
nähme fo zu, daß wir in zehn big fünfzehn Jahren alle Nationen überholt
hätten. Dann würden wir in der Weltpolitik, die letzten Endes Wirt:
Ichaftspolitif wäre, an geficherter Stelle ftehen. Unfere Aufgabe wäre eg,
uns ohne große Konflikte durch dieſe Zeit durchzuminden.
So dachte der Kanzler, der ein Vierteljahr fpäter bei Abmefenheit
der militärischen Neffortchefs die ferbifche Angelegenheit allein mit
dem Auswärtigen Amt betrieben hat. Wer fo denkt, zettelt Feinen
Meltkrieg an. Der Kanzler hat felbftverftändlich gewußt, daß ein
Icharfes öfterreichifches Ultimatum von Serbien Buße verlangen follte,
wenn er auch defjen Wortlaut nicht Fannte, Aber es ift eine Lüge
unferer Feinde, daß Bethmann hierbei beabftchtigte, den Weltfrieden
zu brechen. Es war im Gegenteil feine freilich Eurzfichtige Hoffnung,
gerade durch fein Verfahren den Weltfrieden nicht nur zu erhalten,
fondern dauernd zu feftigen.
Niemand kennt die Fehlfchlüffe umferer damaligen Reichsleitung
234 Der Ausbruch des Krieges
betreffs Englands und ihren Mangel an außenpolitifchem Geſchick beſſer
als ich. Gerade darum Fann ich auch vielleicht beſſer als andere
beftätigen, daß die NReichsleitung nicht durch den Wunfch nach Krieg,
fondern durch die Sorge vor dem Krieg zu ihren falſchen Schritten
gedrängt worden ift. Ihre Kurzficht, nicht ihr böfer Wille, hat der
englifchen Einfreifungspolitif noch Eurz vor Toresſchluß zum Erfolg
verholfen. Bethmann und Jagow hatten geglaubt, Sfterreich durch
eine diplomatische Gefte ftärfen zu Fönnen. Als fie fahen, daß es
mißlang und der Krieg drohte, waren fie felbft darüber entſetzt. Wie
kann man über die Schulöfrage fprechen, ohne dieſe mwichtigfte Tat:
fache in den Vordergrund zu ftelfen! Die Fehlgriffe unferer Leitung
wiegen moralifch Teicht im Vergleich mit dem Verhalten der Feinde.
Mer auch nur einigermaßen die Berichte der belgischen Gefandten
und die zahlreichen Dokumente über die ruffifchen Kriegsvorbereitun:
gen kennt und die allgemeine Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte
verfolgt hat, der fragt fich erftaunt, wie überhaupt die Meinung
aufkommen konnte, Deutfchland wäre der fchuldige Teil am Weltkrieg.
Nach ihrem Verhalten im Jahre 1919 hat fich die Entente für jeden
Nachlebenden — auf das mit Lügen überfütterte Gefchlecht der Gegen-
wart darf vielleicht nicht mehr gezählt werden — das Urteil ſelbſt
gefprochen. Mit teuflifcher Graufamkeit ift ein ganzes Volk, das
felbft an etwaigen Fehlern feiner Regierung als Maſſe unfchuldig
fein würde, von den Engländern, Franzofen und ihrer Gefolgfchaft
den fchwerften Martern an Leib und Seele unterworfen worden, bie
je ein Volk im chriftlichen Abendland zu erdulden hatte, Ein Herren-
vol foll zum Paria erniedrigt, ihm die Würde der Menfchheit ge-
raubt und nur ein hungriges, fehüchternes Kerkerdaſein gelafjen wer—
den, nur gerade fo viel, um noch feinen SElavenhaltern auf unbe-
grenzte Zeit hinaus Fron und Zins leiften zu Fönnen. Und weshalb?
Im September 1912 war Sſaſonow in London. Aus feinem von
ber „Prawda“ veröffentlichten Bericht an den Zaren feße ich Folgende
fchon oben erwähnte Stelle im Zufammenhang hierher:
„Grey erflärte ohne Schwanken, daf, wenn die in Frage flehenden
Umftände eingetreten fein würden, England alles daran feßen würbe, um
ber deutfhen Machtſtellung den fühlbarften Schlag zuzufügen.
Der König, ber in einer der Unterredungen mit mir biefelbe Frage
berührte, ſprach ſich noch viel entſchiedener als fein Minifter aus. Mit
u nn nee EEE EEE — — —⏑⏑ ⏑ — ——————————— —— —⏑—⏑————— —————äöä —
Wolf und Schaf 235
fichtliher Erregung erwähnte Seine Majeftät bes Streben Deutichlants
nad Gleichſtellung mit Großbritannien in bezug auf die Seeftreitfräfte
und rief aus, daß im Falle eines Zufammenftoßes diefer verhängnisvolle
Holgen nicht nur für Die deutfhe Flotte, fondern aud für den deutfchen
Seehandel haben müſſe, denn die Engländer würden jedes deutiche Schiff,
das ihnen in die Hände fommt, in den Grund bohren.
Die letzteren Worte fpiegeln augenfheinlih nicht nur perfönlihe Ge:
fühle ©. Majeflät, fondern aud die in England herrfchende Stimmung
in bezug auf Deutſchland.“
Als die britiichen Staatsmänner hier wie fo Häufig in den Jahren
vor dem Krieg den Ruffen, natürlich unter dem üblichen Vorwand
der Flottenpanik, Mut machten, fie Eönnten auf einen unentwegten
englifchen Vernichtungswillen gegen Deutfchland bauen, mußten fie
mit 100 % Gewißheit, daß der Kaifer und Bethmann-Hollweg nichte
als Frieden erftrebten; fie wußten ferner ebenfo gewiß, daß in Peters:
burg und Paris je eine zum höchſten Einfluß drängende Kriegspartei
befand und begünftigten diefelbe mit allen Mitteln. Damals verbreitete
fi) in den Ententeländern eine Atmofphäre, welche nach dem Gefühl
weiter Kreife den Krieg unausbleiblich machte; diefe Atmofphäre ſprang
von den Ententeländern aus auch auf Deutjchland über und erzeugte
bier die Sorge, welche ih z. B. in einem Brief unferes Marine:
attaches in Tokio vom 10. Juni 1914 mit den Worten finde:
„Ich bin betroffen über die Gemwißheit, mit ber Bier alles den Krieg
gegen Deutfchland in naher Zeit für fiher Hält, ... das faum greifbare,
aber doch fo fharf fühlbare Etwas, das wie eine Art Mitleid über ein
noch nicht ausgejprochenes ZTodesurteil hier in der Luft liegt.”
Würden die Archive der Entente geöffnet, bevor das am meiften
Belaftende aus ihnen verſchwunden ift, die Menfchenfreunde in Eng-
land oder Amerika würden erfchauern über die mordgierigfte aller
Lügen, deren fich ihre eigenen Regierungen fchuldig machten, indem
fie, um die Vernichtung, Zerſtückelung, Ausplünderung und Rechtlog-
machung der deutschen Nation ihren Völkern mundgerecht zu machen,
Deutfchland Welteroberungsgelüfte andichteten, von denen im Juli
1914 niemand in Deutſchland geträumt hat.
Das deutſche Volk hatte 1914 wirtſchaftlich das engliſche in vielen
236 Der Ausbruch des Krieges
Stücen überhoft, welche England als feine Domänen betrachtete. In
Handel vieler Länder ging Deutfchland bereits vor England, ebenfo in der
Stahlerzeugung und anderem. Bei diefem mwirtfchaftlichen Wettlauf um
den erſten Plab aber ftanden wir politifch unerfahren und leicht ver-
wundbar, feit 1909 auch offenkundig fihlecht geleitet da. Der Rieſe
Deutjchland konnte und follte den tödlichen Schlag, das Knockout er-
halten, ds8 ihn wieder zum Zwerge machte Durch den deutſchen
Fleiß hatten wir, fobald ung Birmard einen Staat gefchenkt hatte,
alle anderen Völker an wirtfchaftlichem Gedeihen eingehoit oder über:
holt. Wir fielen andern dadurch unbequem; welches Necht hatten
wir überhaupt, die Pfründen älterer Meltmächte zu ftören? England
und Frankreich haben bag Ziel Germaniam esse delendam mit römi-
ſcher Härte verfolgt und dan? unſern Fehlern auch erreicht. Sie flehen
heute da als erfolgreiche Schuldige, welche die Maske abgemorfen
haben, feitdem fie ihre Abficht wahrmachen konnten. Hätte das deutfche
Volk rechtzeitig das ganze Riſiko gefühlt, worin fich die Schöpfung
Bismarcks bewegte, fo würde es fich nicht wehrlos gemacht und da⸗
durch dem Feind feine Abficht erfüllt haben. Wir waren zu forgloje
Epigonen. Jetzt aber erleben wir das Schaufpiel, daß die Wölfe,
welche das Schaf verzehren, fich als Richter über diefeg „verbrecheriſche“
Opfer auffpielen.
Ich kann noch einen weiteren vollgültigen Beweis dafür anführen,
daß unfere Reichsleitung den Krieg nicht gewollt hat. Sie war näm⸗
ich von Anfang an überzeugt, daß wir nicht fiegen würden. Nun
kann man ihr zwar viel Ungeſchick zutrauen, nimmermehr aber das
verbrecherifche Zum, einen Krieg zu wollen, von deſſen Ausfichte:
loſigkeit fie felbft am tiefften durchdrungen war.
Faft niemand in Deutfchland wollte vor Kriegsausbruch, wie nach
demſelben, recht begreifen, wie groß die Lebensgefahr in Wirklichkeit
war. Wir waren teils in gutgläubigen Sllufionen befangen, teils auch
etwas Üüberheblich, Materialiftifche Lebensauffaffung oder altererbte Par:
teifucht trübten vielen den Blick. So unterließen wir das, was ung
retten konnte. Diefes Unvermögen ift unfere Schuld.
b)
Am 27. Zuli, als ich in Berlin eintraf, beftand, fo wie ich bie
Page jetzt überblicke, wohl noch eine Enappe Möglichkeit, das Fries
Die legten Tage
10)
37
densfchiff an den Klippen vorbeizupreffen und Elarzufcheren. Damals
machte ich mir, ebenfo wie der Kaifer, der gegen des Kanzlers Wunſch
aus eigenem Entſchluß heimgefehrt war, und die Minifterfollegen,
die jet in Berlin zufammenftrömten, ein faljches Bild von der Lage.
Der Schlüffel zu ihrem Verſtändnis war in der Wilhelmſtraße
verloren gegangen. Sch erfuhr von den ruffischen Nüftungen und
glaubte nun auch, die tatfächlich zufällige, feit Monaten angeordnete
Mobilmachung der englifchen Flotte als eine drohende Maßregel auf
faffen zu müfjen. Über Bethmanns Handlungen, um in diefer Phafe
noch den Frieden zu retten, fanden wie jo manchmal die Worte ges
fchrieben: Zu jpät und halb.
Am 28. Juli früh defuchte mich der Chef des Marinekabinetts
v. Mülfer und fprach ich entfegt über feine jüngſten Erfahrungen
mit Bethmann aus. Er bielte einen Kanzlerwechſel und einen Er-
fat Jagows durch Hinke für unumgänglich. Die wirkliche Lage über
ſchaute im übrigen auch Müller nicht.
Der Kaifer entfaltete, fobald er in Berlin eingetroffen war, eine
ficberhafte Xätigkeit, um den Frieden zu erhalten. Der Kanzler hatte
e8 nicht verftanden, den Kaifer wirklich auf dem Laufenden zu erholten.
Es fiel dem Kaifer ſchwer, einen Karen Ausgangspunkt für eine wirt
fame diplomatifche Aktion zu finden. Er fagte: „Er wüßte gar nicht,
was die Öfterreicher wollten. ‚Die Serben hätten doch alles bis auf
einige Bagatellen zugeftanden. Seit dem 5. Juli hätten die Dfterreicher
nichts darüber gefagt, was fie vorhätten.”
Diefe Außerung fiel am 29. Juli abends im Potsdamer Neuen
Palais, wohin der Kaifer die militäriichen Chefs geladen hatte, um
fie über feine Verhandlungen mit dem Kanzler zu unterrichten, der
völlig in die Knie gefunken wäre. Von ben Zweifeln, die Bethmann
über feine Politik der eriten Juliwochen aufgefliegen fein mußten,
ahnten wir alle damals nichts. Wir fahen nur mit Schreden, was
fi) vor unferen Augen abfpielte, einfchließlich des Kaiſers, der ſich
über Bethmanns Unzulänglichkeit, wie ſchon früher Des öfteren, rüd-
haltlos ausfprach, aber die Meinung äußerte, er könnte fich von dieſem
Manne jet nicht trennen, da er das Vertrauen Europas genöffe.
Der Kaiſer teilte mit, der Reichskanzler hätte vorgefchlagen, wir ſoll—
ten, um England neutral zu erhalten, die deutfche Flotte durch ein
Abkommen mit England opfern, — wos er, der Katjer, abgelehnt
238 Der Ausbruch des Krieges
hätte. Der Kanzler mußte fich wohl infolgedejjen nach feiner Rüd-
kehr aus Potsdam am Abend des 29., wo er den britischen Botfchafter
zu fich beftellte, um ihm hohe Angebote für Englands Neutralität in
einem bdeutfchefranzöfischen Krieg zu machen, hinfichtlih der Flotte
Zurüdhaltung auferlegen. Die Anerbietungen, die er bei dieſer Gelegen-
heit vorbrachte, ſowie die fehneidende Antwort, die ihm Sir Edward
Grey erteilte, find aus dem englischen Blaubuche (Nr. 85, 101)
bekannt. Der Öffentlichkeit ift dagegen unbekannt geblieben, daß der
Kanzler auch wiederum, wie 1912, bereit war, die deutſche Flotte
zu opfern, in der eigenartigen Vorftellung, daß England in diefem
Falle einen deutfchen Sieg über Frankreich genehmigen würde. Die
Kapitulationsverfuche begannen alfo ſchon vor dem Krieg, und ale es viel
leicht noch Zeit war, ihn zu verhindern. Das auswärtige Amt hatte zwei
unglückjelige Sdeen: die Öfterreicher müſſen in Serbien einmarjchieren,
und die deutfche Flotte fteht der vollen Liebe Englands im Wege. Für den
Fall, daß feine Belgradpolitif den Feinden die Gelegenheit zum Kriege
geben follte, war es num jedenfalls gedecdt: die deutjche Flotte war an
allem Tchuld. Die Flottenpolitif des Kanzlers vom 29. Juli, wie diejenige
von 1911/12 wirft ihren Schatten Teider in den Krieg voraus; denn Die
vom Kanzler gewünſchte und durchgefete Art unferer Kriegsführung zur
See bedeutete im Grunde nichts als die langſame Opferung von
Deutfchlands Flotte und Zukunft, deren augenblicliche Hingabe am
29. dem Kanzler verfagt worden mar.
An jenem Tag traf aus England Prinz Heinrich in Potsdam ein
mit der Meldung von Georg V., daß England in einem Krieg neutral
bleiben würde. Sch bezmweifelte dies, worauf der Kaifer ermwiderte:
„Ich babe das Wort eines Königs, dag genügt mir.’
Der Wirrwarr, der Europa bewegte und feinem mehr den Über:
blie® über das Ganze Tieß, fchien ſich am 30. Zuli günftig zu Flären.
England ftimmte einem auch in Wien angenommenen Vermittlungs-
vorschlag des deutfchen Kaifers zu. Zwifchen ung und London war
eine völlige materielle Einigung erzielt. Dies erfuhr ich am 31. Juli
mittags durch ein Schreiben des Kaifers, das mich aufatmen ließ.
Schon in den Morgenftunden des 31. Juli: hatte ich aber aus dem
Admiralfiab erfahren, daß im Auswärtigen Amt der Krieg fir uns
vermeidlich angejehen würde und daß Jagow angefragt hätte, ob
wir bereit wären, die englische Flotte anzugreifen.
Rufjiihe Mobilmachung 239
Der Widerfpruch Elärte fich mir auf, als ich zmwifchen zwölf und
ein Uhr mittags die Nachricht von der ruffifchen Mobilmachung er:
hielt.
Um halb ein Uhr Hatte mich der Kanzler rufen laſſen, bei mel:
chem inzwifchen der Eaiferliche Befehl für „drohende Kriegsgefahr”
vorlag. Ich machte Bethmann auf die zwifchen uns und London
erzielte Einigkeit aufmerffam und las ihm das Schreiben des Kaifers
vor, das er noch nicht kannte. Der Kanzler meinte, der Kaifer mifche
darin mehreres durcheinander. Die ruffiiche Mobilmachung wäre ein
jo unerhörtes Verfahren gegen uns, daß wir ung dag nicht gefallen
laffen Fönnten; wenn Rußland fortführe, müßten auch wir mobil:
mechen, und um unfere Mobilniachung nicht zu fehr in Rückſtand
geraten zu laffen, hätte ein Ultimatum an den Zaren abgefchict
werden müffen. Das war auch meine Nuffaffung. Die Blutfchuld
der für die ruffiiche Mobilmachung Verantwortlichen wird auch
durch Fein Ungeſchick unferer Regierung gemildert. Trotz der in letzter
Stunde zwifchen uns und England bergeftellten Einigfeit war durch
die ruffifche Mobilmachung der Krieg unabwendbar geworden, wenn nicht
ein Wunder geſchah. Kängeres Zögern unferfeits hätte unfer Gebiet dem
Heinde ausgeliefert und wäre nicht zu verantivorten geweſen. In Wirflich-
Feit machten die Ruffen ja ſchon feit dem 25. mobil, und diefer Vor-
Iprung hat ung ſchwer gefchadet, alg die Kriegsmafchinen einmal rollten.
Jedoch gab ich dem Kanzler zu verftehen, daß es mir richtig erfchiene,
in dem Ultimatum noch einmal hervorzuheben, daß fachliche Einiakeit
beftünde und eine günftige Vermittlung im Gange wäre. Der Kanzler
erriderte mir ziemlich außer Faffung, das wäre ja dauernd gejagt
worden und darauf hätte eben Rußland mit der Mobilmachung ges
antivortet,
Es ift mir Später manchmal durch den Kopf gegangen, ob ber
Kaifer nicht hätte rechtzeitig jemand nach Petersburg fehiden follen.
Der hierfür geeignetfte Mann, Hinte, faß allerdings in Meriko. Sch
mußte aber beftimmt, daß der Zar Verftändnig für den Gefichtspunkt
hatte, daß Deutfchland und Rußland bei gegenfeitiger Zerfleifchung nichts
gewinnen Eonnten, fondern höchfteng Dritte, Zur Entfendung einer Per:
fönlichkeit war es am 31. Juli natürlich zu fpät. Auch mag es fein,
daß man mir vorhalten wird, ich überfchäßte die Macht des Zaren und
unterfchäßte den Panſlawismus. Sch kann bier nur feftftellen, daß
240 Der Ausbruch des Krieges
ich, mehr meinem Gefühl ald meinem VBerftande folgend, noch am
31. Juli dem Kanzler zu jener Einfügung eines friedlichen Abſatzes in
das Ultimatum geraten habe. Sch hoffte dabei Faum mehr das Rad
des Schickſals aufzuhalten, welches die ruffiihe Mobilmahung in
Gang gefeit hatte, jedoc, für jeden Fall die Verantwortung für alles
Kommende dadurch noch ausfchließlicher auf die Feinde abzumälzen.
Am 1. Auguft erfuhr ich in der Bundesratsfißung, daß mir dem
Ultimatum eine Kriegserflärung an Rußland nachgefchieft hätten. Sch
fand das für Deutfchland ſehr ungünftig. Wir mußten meinem Ge:
fühl nach den Vorteil, daß wir gegen Rußland mmlitärifch in ber
Defenfive lagen, diplomatifch dadurch ausnügen, daß wir die Kriege:
erflärung den Nuffen überließen. Wir durften den Muſchik nicht
durch die Überzeugung begeiftern, daß der Kaifer den weißen Zaren
überfallen wollte. Auch die Entiwertung unjeres Bündnisvertraged
mit Rumänien fiel ins Gewicht, Diefer Vertrag mar, ebenio
wie der mit Stalien, vom Fürften Bismard auf die Verteidigung
geftellt worden. Beide Staaten waren uns zur Hilfeleiftung nur
verpflichtet, wenn ung Rußland, bzw. Frankreich angriffen. Durch
unfere Kriegserflärung an Rußland gaben wir den Rumänen formell
das Recht, ung im Krieg allein zu Taffen, ebenfo wie fpäter den
Stalienern durch unſere Kriegserklärung an Frankreich, Hatte Beth:
mann wirklich die ungeheuerlichen Nachteile nicht bedacht, welche ung
erwuchſen, wenn wir den Akt der Kriegserklärung nicht den Feinden
überliefen?
Sch hatte den Eindruck, daß auch nad) diefer Richtung unfere Aktion
völlig unüberlegt und ohne jede Regie verlief, und mein Gefühl frräubte
fich dagegen, daß wir, die wir doc in Wahrheit die Angegriffenen
waren, vor der Welt wegen der Juriſten des Auswärtigen Amtes das
Ddium des Angreifers übernehmen follten, obwohl wir gar nicht
beabfichtigen Fonnten, in Rußland einzumarfchieren. Sch fragte alfo
den Kanzler beim Verlaffen der Sikung, weshalb denn die Kriegs—
erklärung mit unferer Mobilmachung zufammenfallen müßte?
Der Kanzler erwiderte, das ſei nötig, weil die Armee gleich Trup—
pen fiber die Grenze fehicken wollte. Die Antivort befremdete mich,
da e8 fich Doch höchitens um Patrouilfen handeln konnte. Bethmann
war aber in diefen aanzen Tagen fo aufgeregt und überreizt, daß
nicht mit ihm zu fprechen war. Ich höre ihn noch, wie er mit er-
Unfere Kriegserllärung an Rußland 241
hobenen Armen wiederholt die unbedingte Notwendigkeit der Kriegs:
erklärung betonte und damit jede weitere Erörterung abjchnitt.
Moltke, nachher von mir gefragt, wie es fich mit der Grenzüber-
fchreitung als Grund unferer Kriegserklärung verhielte, bejtritt, daß
die Mbficht beftünde, fofort Truppen über die Grenze zu fchiden.
Er fagte mir auch, daß er auf die Kriegserflärung von feinem Stand-
punft aus feinen Wert legte.
Das Rätſel, weshalb wir zuerft den Krieg erklärten, bleibt alſo
für mich ungelöft., Vermutlich taten wir e8 aus formaljuriftifcher
Gewiffenhaftigkeit. Die Ruffen fingen den Krieg ohne Erklärung an,
aber wir glaubten ung nicht ohne eine jolche wehren zu dürfen.
Außerhalb Deutfchlands hat man für folche Gedanfengänge kein Vers
ftändnis gehabt.
Nachmittags zur Eaiferlichen Unterzeichnung des Mobilmachungs⸗
befehls ins Schloß gerufen, Fam ich infolge einer Verkehrsſtörung
verjpätet an, als die Orders ſchon unterzeichnet waren. Sch hörte
aber, daß ein ruffisches Akzept unferer Kriegserfiärung noch nicht
vorläge und machte deshalb zum lebten Male einen Verſuch, in dem
Gedanken, daß es, bis die Ruſſen unjere Kriegserklärung entgegen
genommen hätten, immer noch Zeit wäre, ihr eine abmildernde Depefche
nachzufenden. Sch Eonnte mich nicht losmachen von dem Triebe,
mindeftens das Odium der Kriegserklärung von ung abzumälzen, auch
wenn wirklich der lebte Funke einer Friedensmöglichkeit erftickt
jein ſollte. Ich fragte aljo, ob ohne Akzept der ruſſiſchen Re—
gierung die Feindfeligkeiten unferfeits eröffnet werden jollien, die
doch angefichts unferes Aufmarfjches im Welten nur in Rauch und
Scheinmanövern beftehen Eönnten. Da unſere Patrouillen nach Moltkes
Angabe erft in einigen Tagen die ruffiiche Grenze überjchreiten foll-
ten, fo brauchten wir doch nicht als Angreifer dazuftehen.
Die von mir angeregte Frage wurde übertönt durch eine in diefem
Augenblit einlaufende Depefche Lichnowskys, die uns den Anitoß
zu einem legten Friedensfchritt gab. Sch babe hierbei Bethmann leb-
haft unterftüßt, wie auch fpäter auf feine Frage, ob wir den Engländern
verfprechen Eönnten, die franzöfiiche Küfte nicht anzugreifen, bejahend
geantwortet und ihm empfohlen, das Anerbieten auch in feine Reichs:
tagsrede aufzunehmen. Diejer Friedensfchritt war zum Scheitern
verurteilt, da Lichnowsky ein Mißverftändnis unterlaufen war, doch
Tirpig, Erinnerungen 16
242 Der Ausbruch des Krieges
bat er wenigftens noch einmal bewiejen, daß Deutfchland den Krieg
nicht wünfchte.
In der Nacht vom 1. zum 2. Auguft wiederholte fich beim Reiche:
kanzler der Dijput über unfere Kriegserklärung, diesmal hinfichtlich
Frankreichs. Der Kanzler meinte, wir müßten Frankreich fofort den
Krieg erklären, weil wir durch Belgien marfchieren wollten. Ich
warf ein, ich hätte ſchon nicht verftanden, weshalb man die Kriegs-
erklärung an Rußland mit der Mobilmachung veröffentlicht hätte;
ich könnte auch Eeinen Nuten darin fehen, die Kriegserflärung gegen
Frankreich früher loszulaſſen, als bis wir in Frankreich ſelbſt ein-
marfchierten. Sch verwies auf Berichte des Botjchafters in London,
nach denen der Durchmarfch durch Belgien den Krieg mit England
unmittelbar zur Folge haben müßte, und rührte an die Frage, ob
die Armee eine Möglichkeit befäge, den Durchmarjch durch Belgien
aufzuhalten. Moltke erklärte, daß es Feinen anderen Weg gäbe. Ich
erhielt den Eindrud, daß es ausgefchloffen war, in den Mechanismus
der Transporte einzugreifen. Sch erklärte, dann müßte unfererfeits
mit dem fofortigen Krieg gegen England gerechnet werden. Jeder
Tag wäre ein Gewinn für die Mobilmachung der Marine. Deshalb
müßte die Mitteilung an Belgien jo fpät wie möglich erfolgen. Dan
fagte mir zu, bis zum zweiten Mobilmachungstag zu warten, was
aber nicht befolgt worden ift. Daß BeihinannzHollweg ſchon am
29. Juli dem britifchen Botfchafter, damit den gefamten Entente-
mächten und Belgien felbit, die Möglichkeit Eriegerifcher Operationen
in Belgien eröffnet hatte, war mir damals unbekannt. Es war dies
in der dee gejchehen, gerade mit England ein Vertrauensverhältnig
jogar über den Feſtlandskrieg hinweg zu bewahren,
Der Eindruf von der Kopfiofigfeit unferer politifchen Leitung
wurde immer beunrubigender. Der Durchmarfch durch Belgien fchien
ihe vorher nicht eine feftitehende Zatfache gemwefen zu fein. Seit
der ruſſiſchen Mobilmachung machte der Kanzler den Eindrucd eines
Ertrinkenden.
Während ſich die Juriſten des Auswärtigen Amts in die Doktor⸗
frage vertieften, ob wir nun ſchon mit Rußland im Kriege ſtünden
oder noch nicht, ſtellte ſich nebenbei heraus, daß man vergeſſen hatte,
Oſterreich zu fragen, ob es mit uns gegen Rußland kämpfen wollte.
Das ſollte nun nachgeholt werden. Ebenſo hatte Italien keine Nach:
ne A ee ar ach
— — —
Unſere Kriegserklärung an Frankreich 243
richt von unſerer Kriegserklärung gegen Rußland befommen!). Beim
Herausgehen fprachen die Militärs mit mir entjeßt über den Zus
ftand der politischen Leitung. Nicht weniger befümmerte mich aber
der Eindruck, daß der Generalitab die Bedeutung eines Krieges gegen
England nicht richtig einfchäßte und darüber rückſichtslos zugunften
| des Krieges gegen Frankreich hinwegging, weil er anfcheinend nur auf
einen kurzen Krieg eingeftellt war. Die Entfcheidungen der Stunde
wurden in nichts geleitet durch vorerwogene politifcheftrategifche Mobil
machungspläne für den Geſamtkrieg.
Der Kaifer war, als er das Scheitern feiner Friedensbemühungen
| erkannte, ins Innerſte getroffen. Ein alter Vertrauter, der mit ihm in
den erften Augufttagen zuſammenkam, äußerte, er hätte nie ein jo
tragifches und zerfiörtes Geficht gefehen, wie das bes Kaiſers in
diefen Tagen.
Die erregien Ausfprachen zwifchen Bethmann und Moltke festen
fih am 2. Auguft in meinem Beifein beim Kaifer im Echloffe fort.
| Moltke legte Eeinen Wert auf eine formelle Kriegserkflärung an Franf-
\ reich. Er wies eine Reihe feindlicher Handlungen der Franzojen nach,
die ihm berichtet worden waren; der Krieg fei tatfächlich da und die
Entwicklung nicht aufzuhalten. Ich legte wiederholt dar, ich Fännte nicht
einſehen, weshalb überhaupt eine Kriegserflärung an Frankreich erfolgen
) müßte, die immer einen aggrejfiven Beigeſchmack hätte; die Armee
könnte doch auch ohne folche big zur franzöſiſchen Grenze marjchieren.
) Daß Öfterreich fich feine eigne Kriegserflärung an Rußland noch lange über:
legen und und dadurch vor ſchwere Stunden ftellen würde, Fonnte ich damals nicht
überfehen. Noch ain 5. Auguft vormittags hat das Reichömarineamt das Auswärtige
Amt wegen unferer Mittelineerfchiffe ſchriftlich gedrängt, endlich die Rriegserflärung
DÖfterreichs zu erwirken, Moltke fagte mir zu meinem Entfegen, wenn die Öfterreicher
zurückzuckten, hätten wir einen Frieden um jeden Preis fchließen müffen. Uber auch
— — et Eh
die Regie der ferbifchen Angelegenheit war durchaus unzureichend geiwejen. Den
Serben Krieg zu erllären ohne Einmarich, und über ein Fauftpfand zu verhandeln,
dad man nicht Hatte, das erfchwerte die diplomatifhe Lage. Man hätte, wenn
man fchon den Einmarſch wollte, in der Minute des Ablauf des Ultimatums,
bevor die Serben Zeit hatten, die Semliner Brüde zu fprengen, Belgrad befeken
und nach genommenem Fauftrfend verhandeln müffen. Wir behielten alfo Öfter:
reich weder hinfichtlich des Ultimatums noch Hinfichtlich des Weltkriegs in der Hand.
Von ben Unterlaffungsfünden gegen Italien will ich hier nicht reden. ch habe
ſpäter, foweit es meine Stellung zuließ, alles in Bewegung gefekt, um die Ent:
fendung des Fürften Bülow nah Rom zu ermöglichen.
15*
244 Der Ausbruch des Krieges
Der Kanzler meinte, ohne Kriegserflärung an Frankreich Eönnte
er die Sommation an Belgier nicht überreichen. Mir ift diefer Grund |
unverftändlich geblieben.
Gerade die belgifche Frage hätte von Anfang an unfere Diplomatie |
zu befonders vorfichtigem Auftreten veranlaffen follen. Der Generals
ftab hatte feit Jahrzehnten die Möglichkeit des Durchmarfches durch '
Belgien ernjthafter erwogen, feitdem nämlich fich die franzöfifche
Nevanchepolitif auf die ruſſiſchen Armeen zu fügen begann. Daß
bei einem deutfch-frangöfifchen Krieg die Franzofen mindeftens intel- |
leftuell die Angreifer waren, darüber konnte in der ganzen Welt ein
Zweifel nicht beftehen. In der Abwehr eines franzöfifchen Revanche: |
frieges nun, der uns an ber Weichjel ebenfo wie an Maas und Mofel
bedrohte, Eonnte unjer Durchmarfch durch das neutrale Belgien in
den Augen der Welt nur gerechtfertigt erfcheinen, wenn die politische i
Dffenfive Frankreichs gegen uns Elar zutage Tag.
Die Sonderbearbeiter der Frage im Generalftab, welche ſich des
furchtbaren Ernſtes der Lage Deutſchlands naturgemäß in beſonderem
Maße bewußt waren, hatten in den letzten Jahren vor dem Krieg aus
allerlei Anzeichen die Überzeugung geivonnen, daß die Franzofen und |
Engländer durch Belgien marfchieren würden, um die Rheinlande anz
zugreifen. Tatſächlich griffen die Franzofen im Jahr 1914 allerdinge
in Lothringen an, fo wie Schlieffen e8 immer vorausgefeßt hatte. Doch
verfügten wir über Belege dafür, daß die Weſtmächte Belgien ale
Kriegsfchauplag in Ausficht nahmen. Auch für die politifchemilitärifche
Hinneigung maßgebender belgifcher Kreije zur Entente gab es fchon vor
der Eröffnung der belgifchen Archive umfängliche Anzeichen. Da nun der
Kanzler über die belgijche Frage unterrichtet fein mußte, jo war es feine
Aufgabe, den vom Generalftab gegen einen ruffifchefranzöfischen Angriff
für notwendig erachteten Durchmarfch durch, Belgien diplomatifch ent
Iprechend vorzubereiten. Nichts iſt in dieſer Richtung gefchehen. Die
ftrategifche Offenfive Deutfchlands durch Belgien hatte politifch die
ſchwerſten Bedenken; diefe wurden nur gemildert, wenn unfere Politif
mit doppelter Vorficht und GefchieflichFfeit die Welt Flar davon über:
zeugte, daß wir ung politifch in der Defenfive befanden. Luden
wir aber den faljchen Schein auf ung, politifch die Angreifer zu
fein, dann rücte auch die tatfächlich reine Notwehrmaßregel des ber
gifchen Durchmarfches in das verhängnigvolle Licht eines brutalen Ge
0
. — —
Die belgifche Frage 245
mwaltfchrittes. Die Feinde befamen einen übermwältigenden Stoff, ung
zu verleumden, in die Hand, wenn wir nad) dem Ultimatum an
Serbien, nach der Ablehnung des Greyſchen Konferenzvorfchlages, nach
ber formellen Kriegserflärung an Rußland und Frankreich auch noch
durch Belgien marfchierten. Wie zweifelhaft und zmweideutig war die
belgische Neutralität und ihre von England veranlaßte Verteidigung
mit den Waffen! Nur unfer vollendetes politifches Ungeſchick hat
biefem Land die legendäre Märtyrerkrone geflochten. Wir fpielten in
allem das Prävenire, wie um den Feinden ihr Spiel zu erleichtern. Der
Generalftab war nicht die "Stelle, um die politifche Rückwirkung ftra=
tegifcher Notwendigkeiten allein zu beurteilen. Das von Bethmann
aufgebrachte ‚Unrecht an Belgien aber gab den Feinden überdies
auch noch die Beftätigung ihrer Verleumdungen gegen und und ver-
wirrte im meiteren Verlauf der Entwiclung das NRechtsgefühl unferes
eigenen Volkes in unheilvolliter Art.
Diefe Überlegungen über die belgifche Frage find von mir erft
im Lauf des Krieges gewonnen worden, da ich im Frieden wie beim
Kriegsausbruch über diefe ganze Frage nicht unterrichtet worden bin.
Die diplomatifchen Fehler aber, die wir bei der Aufrollung der Ope—
rationen im MWeften begingen, waren mir unmittelbar in jener
Sitzung Mar.
Nach dem Weggang bes Kanzlers aus der Sitzung beklagte fich
Moltfe beim Kaifer über den „deplorablen“ Zuftand der politifchen
Leitung, die EFeinerlei Vorbereitungen für die Lage befäße und jeßt,
da die Lawine im Rollen wäre, immer noch an nichts als juriftifche
Noten dächte,
Sch beftätigte dem Kaifer, meiner Anficht nach hätte das Aus:
mwärtige Amt feit mehreren Sahren nicht funktioniert; es wäre aber
nicht meine Sache gemwefen, den Kaifer hierin zu beraten. Der Ernft
der Stunde zwänge mich, die Grenzen meines Reſſorts einmal zu
überjchreiten: ,‚Der Kanzler ift mein Vorgefehter, ich habe über ihn
nicht zu urteilen; aber rufen Eure Majeftät Hinke zurüd, um Jagow
durch ihn zu erſetzen.“
Hintze ift wirklich aus Mexiko zurückgerufen worden und hat fich
zum Großen Hauptquartier durchgefchlagen, wurde aber von dort auf
Betreiben des Auswärtigen Amts fofort nach Pefing ernannt und
hatte fich ein zweites Mal in Verfleidung um die Erde zu begeben.
246 Der Ausbruch des Krieges
Er befaß eine Reihe von Erfahrungen, die ihn vergleichsmweife wohl
am meiften befähigt hätten, den Sonderfrieden mit dem Zaren zuwege
zu bringen, der 1916 Priegsentfcheidend und greifbar zu haben war,
=
Am 6. Auguft befuchte mich Jagow, um mir nahezulegen, daß
dag Reichsmarineamt Feine politischen Nachrichten an den Kaijer geben
möchte, — was niemals gefchehen wart). Sch machte Vorhaltungen
wegen ber völligen Deroute der politischen Reitung, die für den Kriegs-
fall doch gewiſſe Vorüberlegungen hätte tueffen follen. Jetzt müßten
wir alle verfügbare Kraft gegen den mächtigften unferer Feinde kehren.
Auf meine Frage, was werden würde, wenn mir Frankreich und
Rußland befiegten, England aber nicht, zuckte Jagow die Achfeln.
Der Gegenfab der Anfichten trat zutage, als ich fagte: „Konnten
Sie nicht Rußland die Durchfahrt durch die Dardanellen und alles
Mögliche verfprechen, um den Krieg zu verhindern?” Jagow erwiberte:
‚Denn Sie ung ein Eleines Flottenagreement mit England gegeben
hätten, wäre der Krieg nicht nötig gemefen.”
Es gehörte nach allem, was dem Auswärtigen Amt über den Kriegs-
ausbruch bekannt fein mußte, eine ziemliche Kühnheit dazu, die deutjche
Flotte als Kriegsurfache zu bezeichnen. Aber der Kanzler und das
Auswärtige Amt haben von nun an viel Liebe und Sorgfalt auf die
Verbreitung und Kräftigung diefer Legende verwendet. Das ging zur
Seite dem noch weit verhängnisvolleren Kampf gegen die deutfche
Slotte, um fie im Krieg vom Schlagen abzuhalten.
Menn deutjche Heere in Belgien und Frankreich einmarfchierten,
ja überhaupt, wenn wir mit Rußland und Frankreich erfolgreich hands
) Man hat mir häufig vorgeworfen, daß ich eine eigene Molitif getrieben und
in&b.fondere durch die Nachrichtenabteilung politiſche Beeinfluſſung bemirkt hätte.
Das ift durchaus unrichtig; ich habe mich im Gegenteil ftets, auch im Kriege, der
äußerſten Zurüchaltung auf diefem Gebiete befleifigt, wie aus dem bisher ln:
befannten, was Diefe Erinnerungen bringen, deutlich zu Tage treten muß. Daran
wird nichtd geändert, wenn wirklich hier und da ein eifriger Offizier in der Nachs
richtenabteilung die Grenzen des Reſſorts gegen mein Wiffen und Wollen über:
Ihritten haben follte. Cbenfo unwahr ift die Behauptung, mit der Bethmann auch
dem Kuifer gegenüber zu arbeiten pflegte, daß ich mit Dem ausgezeichneten Schrift:
fieller Graf E. zu Reventlow, der im Anfang des Krieges zuſammen mit Rohrbach
und Jäckh meinem Umtövertreter bei der Brarbeitung der Auslandöpreffe ausgeholfen
hatte, während bes Krieges in Verbindung geftanden und ihn beeinflußt hätte,
Die „Schuld” der Flotte 247
gemein wurden, hätte auch ein völlig flottenlofes Deutjchland England
zum Gegner gehabt. Unfere Übermacht auf dem Feftland wollte Eng:
land nach feiner überlieferten Politik nicht dulden, jelbft wenn es
feine förmlichen Ententen mit jenen Mächten hatte. Wenn überhaupt
die deutfche Flotte in der Situation vom Juli 1914 eine Rolle fpielte,
dann hat fie gegen die Verlockung Englands zum Krieg gebremft
und Greys Bemühungen für den Frieden mit veranlaßt. Das enge
liſche Verhalten in den Sahren unferer Flottenlofigkeit und Flotten⸗
Schwäche liefert den Beweis, daß England auch damals fich bietende
Gelegenheiten, ung mit fremder Hilfe niederzufchlagen und unfere
Vorherrſchaft zu verhindern, nicht vorübergelaffen, ja vielleicht Teich»
teren Herzens ergriffen hätte, als es im Juli 1914 das Inftrument
der Ententen in Bewegung geſetzt hat. Ich ſpreche Selbjtverftänd:
fiches aus, aber die eifrige deutfche Neigung zur GSelbjtvernichtung
ermöglichte es fchon im Herbft 1914 dem Neichsfanzler und feinen
Helfern, Argwohn gegen das einzige damalige Nettungsmittel Deutfch-
lands, — die Flotte auszuftreuen. Es wurde hierdurch ermöglicht, die
Spur der Juliwochen, der wirklichen Kriegsentftehung für das Urteil
Bieler zu verwifchen. Bald hörte ich zuverläfjig, daß zwiſchen der
Reichskanzlei und der Redaktionsſtube gemwiffer Zeitungen Einverftänd-
nis darüber erzielt wäre, man fähe mir fchon von meitem bad Be⸗
wußtſein an, der Schuldige an diefem Kriege zu fein. Einfichtslofe
deutſche Kreife redeten e8 bald den Feinden nach, die Autofratie und
die Militärkafte hätten den Krieg verbrochen; und diejenigen, welche
nicht ihrem Willen nach, aber in Wirklichkeit die Zerftörung der Mon⸗
archie eingeleitet und die Fundamente deutfcher Kraft und Selbftändig-
Feit ind Wanken gebracht haben, drängten fich nach der Revolution
angeblich danach, vor einem Staatsaerichtshof die „ Wahrheit” zu fagen.
Die Mifdeutbarkeit der Bethmannfchen Politit im Juli 1914 hat
nicht nur unſere dinlomstiiche Lage im Krieg und beim Friedens:
ſchluß verfchlechtert, fondern auch die deutfche Neigung zur Selbft:
bezichtigung in einer Weiſe geftärkt, welche die ganze fernere Zufunft
unferes Volkes zu befchatten droht. Denn die Feinde, welche die
Schuld am Krieg auf das deutfche Volk abzuladen wünfchen, fanden
im Schoß des deutfchen Volkes felbft gefällige Agenten, um ung ein-
zureden, daß wir den Krieg vom Zaum gebrochen hätten. Die Mifgriffe
der deutfchen Politik in diefen Wochen habe ich angedeutet, und fie jollen
248 Der Ausbrud) des Krieges
nicht befchönigt werden. Niemals aber find wir die Schuldigen am
Krieg. Schuldig am Krieg wie an feiner barbarifchen Führung find
einzig und allein die Machthaber in London, Paris und Petersburg.
Mie Eonnte darüber auch nur der Teifefte Zweifel auflommen? Wie
kann das deutfche Wolf vergeffen, daß die belgifchen Gefandten, bell-
fichtiger als die deutfchen Diplomaten, den Kriegswillen der Entente
und ihre gegen Deutfchland gefponnene Verfchwörung mehrere Jahre
vor dem Krieg unzweideutig bloßgelegt Haben? Die Schuld der Entente
liegt auch feft in ihren Taten: fie, die Elſaß-Lothringen dem deut-
ſchen Mutterland entreifien, das deutfche Wolf zum Lohnfklaven des
angelfächfifchen Kapitalismus machen, die öfterreicheungarifche Mon-
archie auflöfen und das türkifche Neich vernichten wollte; fie, die mit
Schwert, Hunger, Snternierung, Handelsraub und moralifcher Ver:
giftung Fämpfte, bis das Sterben unferes Volkes befiegelt war; fie,
welche die feit Sahrzehnten gezeigte Feindfchaft fofort in die Tat um—
fette, als ihr die Verhandlungen des Juli 1914 hierzu eine bejonders
günftige Gelegenheit boten; fie wird fich durch die heuchlerifche Aus:
nüßung unferer unglücdlichen Politif nicht auf die Dauer dem melt-
gefchichtlichen Urteil über ihre Verbrechen am Geifte der Menfchheit
entziehen können.
8
Sch habe in diefem Bericht mich fo beftimmt ausgedrückt, weil offi-
ziöfe Stellen fich auch heute noch bemühen, die begangenen Fehler zu
vermwifchen. Die moralifche Schuldlofigkeit unferer damaligen Regierung
Fann aber nur Plargelegt werden durch eine offene Darftellung ihrer
diplomatischen Unzulänglichkeit; und nur hierdurch kann hiſtoriſch nach-
gewieſen werden, daß der Kaifer an dem damaligen Vorbeigreifen der
Regierung unbeteiligt war. Wenn andere Stellen gefehlt haben, fo ift
das nicht gefchehen durch den Willen zum Krieg, der auch ihnen gänz⸗
lich abging, aber durch Mangel an geradem und Elarem Denken.
Jetzt ftrömte unfer Volk zu den Fahnen und fuchte in dem jubeln:
den Opfergeift des Augufis 1914 und in der niemals wieder von
deutfchen Augen zu verfchauenden Kraftfülle des preußifchedeutjchen
Staates den Überfall abzumehren, den eine Burzfichtige Staatsfunft den
lauernden Nachbarn erleichtert hatte. Das Nationale war damas im
Auffteigen, das hatte das deutſche Volk fchon 1911 gezeigt, ald es
Regierung und Voll 249
ſich von einer fehmwächlichen Regierung nicht über die erlittene Krän-
tung beruhigen ließ. Das zeigte es num mit ergreifender Gewalt,
als der Kaifer den Ruf zu den Waffen ergehen Tief. Unſer Volk
mußte damals nicht, wie unjere politifche Leitung fich geirrt hatte,
und unter wie erdrückend ungünftigen Bedingungen es in den unvor-
bereiteten Krieg ging. Es wußte fich frei von Schuld, und mar es
in Wirflichkeit. Aber Feines der unzähligen Friedensangebote unferer
Regierung hat England zum Erbarmen bewegt, nachdem e8 die Schwäche
unferer Regierung erkannt und aus ihr troß Deutſchlands damals noch
hoher Kraft und Gefundheit die Gemwißheit unferes Unterganges ge:
ſchöpft hatte.
Und doch wäre es der Weltkoalition troß beifpiellofer Übermacht
nicht gelungen, uns zu befiegen, wenn unfere innere Einigfeit mit
denjenigen Mitteln aufrecht erhalten worden wäre, die den Überliefe-
rungen unferer Väter und der Gefahr der Stunde entfprachen. Aber
welches Heldentum unfere Truppe auch bewies, daheim zog die Ne:
gierung die Erbfehler des Volkes und die zeritörenden Elemente groß,
bis Englands Wunfch erfüllt und dag blühendfte und befte Volk der Erde
auf einen unerhörten Tiefſtand heruntergedrücdt worden mar.
So ift e8 dem alten Piratenftaat England wiederum gelungen,
Europa fich felbft zerfleifchen zu Iaffen und durch Hineinwerfen der
eigenen Macht und Anwendung brutalfter Mittel den Sieg auf die
Seite zu bringen, welche feinen materiellen Sntereffen entfprach. Die
Freiheit und GSelbfländigkeit der Völker des europäifchen Feftlande
ift jeßt dahin und ihre Kulturblüte hierdurch vielleicht auf immer
vernichtet.
Aber gerade aus diefem Erfolg wird für England felbft geboren
werden der Tag des Gerichte,
Siebzehntes Kapitel
Hauptfragen des Krieges
1
England hoffte unfer Land durch die ruffifhe Dampfwalze zu
erdrücen, während die franzöfifch-belgifchebritifche Armee der unfrigen
Einhalt geböte, und beabfichtigte den Krieg dann zu floppen, wenn
die Gefahr eines zu großen ruffifchen Sieges entftünde. Der Feind
nahm an, daß Staliens Abfall unfere Berechnungen ummerfen und
unjere zahlenmäßige Überlegenheit im Weſten wãhrend der entſcheiden⸗
den Wochen beſeitigen würde.
Die wohlbegründeten feindlichen Siegeshoffnungen wurden getäuſcht
durch die Art, wie unſer Militärapparat ſeinen Dienſt tat, und die
Schnelligkeit, womit wir Belgien einnahmen. Die ruſſiſchen Maſſen
erfüllten, was man von ihnen erwarten konnte. Aber ſie hatten das
Unglück, bald auf große Feldherren zu ſtoßen, welche, vom Schlachten⸗
glück begünſtigt, die beſten Eigenſchaften unſeres Volks in Waffen
durch großartige Manöver zur Geltung brachten.
Der Schlieffenſche Plan, Frankreich über Belgien anzugreifen, war
an ſich wohl geeignet, die erſte Lebensgefahr von Deutſchland ab—
zuwenden. Ich vermag nicht zu beurteilen, ob der mir bis zum
Kriegsausbruch unbekannt gebliebene Plan bei der zunehmenden
kriegstechniſchen Entwicklung zum Grabenkampf angeſichts unſerer
politiſchen Weltlage und den gegenſeitigen Stärkeverhältniſſen un—
bedingt richtig war. Jedenfalls hätte er von ſolchen ausgeführt
werden müſſen, welche das Genie beſaßen, eine ſo rieſenhafte
Operation bei den naturgemäß eintretenden Zwiſchenfällen voll zu
beherrſchen. Für die ungeheure Umgehungsbewegung konnte unſere
Heeresleitung den Sicherheitskoeffizienten gar nicht reichlich genug be—
meſſen; ſie hat ihn aber zu knapp genommen. Das Heer war im
Frieden zu klein gehalten, die Wehrkraft Deutſchlands in verhängnis—
voller Unterlaſſung nicht genügend ausgeſchöpft worden. Ende 1911
Nilitäriſche Eröffnung des Krieges 251
regte der Kanzler eine Heeresvorlage an; diefelde war aber wohl nicht
groß genug, und die von 1913 Fam für die volle Wirkung im Kriege
zu fpät. Sch felbft hatte auf eine Anregung des Admirals von Müller
hin vor Weihnachten 1911 dent Kriegsminifter von Heeringen vor:
gefchlagen, mit mir zufammen auf einer fofort einzubringenden Wehr:
vorlage zu beftehen, und meine Bereitfchaft dazu ausgedrüdt, meine
Forderungen gegenüber denen der Armee in zweite Linie zu ftellen.
Sm Hauptquartier war man im Herbft 1914 der Meinung, daß
ber Krieg gegen Frankreich gewonnen worden wäre, wenn die zwei
Armeekorps zur Stelle geweſen wären, welche fich der Generalftab
1911/12 entgegen den Forderungen feiner Fachleute hatte abhandeln
lofjen. Dazu Fam die Unterfchäßung der britifchen Armee, die man
ih in unfrem Publikum immer noch gern in der Art der Alderfhot:
Zommies mit Mügchen und Spazierſtock vorftellte. Me ich nach Kriegs:
ausbruch den Generalftabschef warnte, diefe Truppe, die gewiffermaßen
aus lauter Sergeanten beftände, zu leicht zu bewerten, antwortete er:
„Die arretieren wir,” Er fah bei diefer Hoffnung wohl noch nicht vor:
aus, daß er in den Eritifchen Tagen Veranlaffung haben würde, zwei
Armeeforps für die Oftfront gerade vom rechten Flügel heraus:
zuziehen. Noch im Spätherbft 1914 begegnete ich im Großen Haupt:
quartier Zweifein an dem Ernft der neuen Kitchenerarmeen. Im Auguft
1914 fchrieb ich aus Koblenz: „Die Schwierigkeiten Fommen erft, wenn
die Armee glaubt über den Berg zu fein.”
Es erfchien mir damals vor allem wichtig, die englischen Etappenlinien,
zu durchfchneiden und nach Calaig zu Eommen. Alles Übrige wäre ung
feichter gefallen, werm wir erft die Engländer durch Abfchneiden vor
den SKanalhäfen gezwungen hätten, die Überfchiffung nach Cherbourg
oder gar nach Breit vorzunehmen, alfo über den Atlantif fiatt über
eine Birmenfee, was dem Krieg in Frankreich ein anderes Geficht
gegeben hätte,
Sch habe Moltke vergeblich hierzu gedrängt, und auch Feldmarſchall
von der Golf, der meinen Standpunft teilte, drang nicht durch.
Auf die Entfchliefungen Falkenhayns konnte ich Eeinen Einfluß ge
innen. Mein Wunfch, die englifchen Etappenlinie zu durchfchneiden,
wäre von der See aus meiner Anficht nach nur durch eine Seefchlacht
der Hochfeeflotte ausführbar geworden, nicht durch alleiniges Vorftoßen
ber leichten Streitkräfte. Bei meinem Drängen nach Betätigung der
252 Hauptfragen des Krieges
Slotte, von dem fpäter zu fprechen ift, war dies nur ein ZTeilgefichte-
punkt. Seine nachträgliche Beftätigung gibt in diefem Augenblick
(Anfang 1919) Lord Haldane, der, Zeitungsmeldungen zufolge, in
einem Brief an die „Times“ es als Fehler der deutjchen Strategie
bezeichnet, daß „ſie zögerte, fofort von ihren Ubooten und Torpedo—
booten Gebrauch zu machen, um den Transport der britifchen Armee
nach ihrer Mobilifierung am Morgen des 3. Auguft zu verhindern”,
Hätten wir dies planmäßig vorbereitet und dann verfucht, fo mwäre
zweifellos die englifche Hochfeeflotte erfchienen, und die Seefchlacht
hätte fich dann, je früher defto befjer, entwickelt.
Moltke war ein ſchwerkranker Mann, Die Zügel fchleiften gerade im gez
fährlichiten Zeitpunkt am Boden, die Einheitlichkeit in den Operationen der
Armeen ging verloren. Zu Moltke hatte ich troß feines Unglücks alg Perfön-
lichEeit volles Vertrauen gehabt. Sein Nachfolger machte nicht den Ein-
druck, jo vorgefchult zu fein, um die Aufgabe zu bewältigen, die nach der
Marnefchlacht mit der Ausweitung zu einem Erfchöpfungskrieg ins
Ungemeffene flieg. Die Armee hatte bis dahin mur ein einziger Ge:
banfe beſeelt: Cannä. Im Erfchöpfungskrieg aber mußte die Über:
macht des Feindes dank feiner Seeherrfchaft immer ftärfer zum Tra—
gen Fommen. Alle Landfiege verfickerten in der beifpiellos ungünftigen
Gefamtlage Deutfchlands. Eingefeilt zwiſchen Landfeinde, konnten mir
uns nicht allein dadurch retten, daß mir ung wie ein Sigel rings
unangreifbar machten. Denn unfere Lebensfäden Tiefen über See.
Darum Fonnten uns nur größte Kühnheit und Gefchloffenheit
retten. Auch der Landfrieg mußte fich dem Gefamtziel eingliedern.
Nach der Marnefchlacht mußte die Armee umlernen. Die damalige
Dberfte Heeresleitung ließ das Suchen nach großen Endzielen ver:
miffen. Hindenburg und Ludendorff aber, welche 1915 die Vernich-
tung der ruffifchen Armeen durch Überflügelung von Kowno her in
Ausficht ftellten und deshalb mit dem Frontalangriff von Gorlice
her nicht übereinftimmten, durften ihren Kriegsplan nicht ausführen.
Wenn er glücte, wäre ihre Stellung gegenüber dem Hauptquartier
freilich eine überragende geworden. Im Krieg braucht man ein be
ſtimmtes großes politifches Ziel, auf das man mit Fonzentrierten po»
Kitifchemilitärifchen Kräften losgeht. Und zwar entfcheidet im Krieg
ber Hauptgegner. Teilfiege über Nebengegner find beftenfalls Mittel
zum Zweck. Das eigentliche Ziel durfte mır eins fein: bie feindliche
Das politifchzmilitärifche Hauptziel 253
Koalition ins Herz zu treffen. Ob wir dies Ziel erkannten, davon hing
unjer Schiefal ab,
Mer war aber der Hauptgegner? Für mich zweifellos der, welcher
die größten Mittel und den umfaſſendſten Kriegswillen beſaß. Das
politiiche Hien der Entente war ſtets London geweſen; es wurde
immer flärker auch zum militärifchen Gehirn. Bis zu jenem Auf-
bau einer neuen Oftfront im Sahre 1918 hat es Feine mejentliche
Chance ausgelaffen. Demgegenüber mußten wir auch alle Siege über
Rußland als Zeilfiege auffaffen, die dazu dienen follten, unfere Kraft
gegen den Hauptfeind frei zu machen, indem fie einen rajchen Sonder:
frieden mit dem Zaren ermöglichten.
Keine Zerſtücklung des Zarenreichs aber, auf welche die deutjche
Diplomatie und Demofratie ausgingen, half und etwas, wenn mir
den Hauptfeind nicht trafen.
2
Mit Recht fchreibt das Volksgefühl nicht den Militärs, fondern
dem Staatsmann Bismard das Hauptverdienit an den gewonnenen
Kriegen zu, welche ung frei, einig und mohlhabend gemacht haben.
Solange unfer Volk gefund und treu, unfere Wehrfraft unüberwind-
lich war wie in den erften Jahren des Meltfriegs, hatte die
Staatskunſt politifche, militärifche und maritime Handhaben ges
nug, um aus dem Krieg gegen England, in welchen fie hinein=
geraten war, mit Ehren wieder herauszufommen. Die Armee, die
in ihrem Sondergebiet nicht. darauf gedrillt war, England zu be-
kämpfen, unterjchäßte diefen für fie fozufagen unangreifbaren Geg-
ner. Sch war als Schwarzfeher verfchrien und im „Lion d’Or“ zu
Charleville ging die Nede: „Es iſt Eein Offizier im Großen Haupt:
quartier, der nicht glaubt, daß der Krieg vor dem 1. April 1915
zu Ende geht außer dem Herrn Staatsfekretär der Marine” 5
der angeljächjifchen Welt wurde ich als ein Gegner angejehen, deffen
Sfolterung innerhalb der deutfchen Neichsleitung mit Befriedigung ver-
zeichnet wurde. Denn dies begreifliche Vorwalten feftländifcher Ges
jichtspunfte bei der Armee wäre ungefährlich geblieben, wenn nur
der Kanzler mit mir ging. Ohne richtige Politik, welche die maritime
Lage mitberückfichtigte, war jedenfalls der Krieg auch militärifch ſchwer zu
gewinnen, Wenn aber der Kanzler das Wefen des Weltkriegs begriffen
254 Hauptfragen des Krieges
hätte, wäre auch die Armee willig geivejen, den englischen Etappen:
Iinien gleich zu Anfang des Feldzugs eine größere Bedeutung beizu:
mejjen. Es wären dann auch jene feesmilitärifchen Schläge gegen
England ausgeführt worden, von denen in diefem und den folgenden
Kapiteln die Rede fein wird.
Am 19. Auguſt 1914 fagte ich dem Kanzler in Gegenwart von
Moltfe und Jagow: Was wir gegen Nußland erreichen können, drückt
nicht auf England, fondern entlajtet es. Die DVerhältniffe haben
ung gezwungen, mit einer Front zu ſchlagen, die nicht unferen po-
litiſchen Intereſſen entfpricht. Der deutfcheruffifche Krieg ift in Eng—
fang fehr volfstümlich, Die englifchen Staatsmänner find unbedingt
entfchloffen, bis zum Ende durchzuhalten. Unfere Zukunft Fann nur
gerettet werden, wenn wir England bedrängen. Es Fommt für die
Entjcheidung des Kriegs einzig darauf an, ob Deutfchland oder Eng.
land länger durchhalten kann. Unbedingt notwendig ift es, Calais
und Boulogne zu befeten.
Diefer Gedankengang fchien dem Kanzler nicht einzuleuchten. Er
meinte, wir müßten felbft im Fall eines im Weften glüdlichen Kriegs
uns dort einfchränfen und unfere Kraft nach Often wenden. Schon in
der erjten Augufihälfte hatte der Kanzler einem gemeinfamen Bekannten
erklärt: „Der Krieg mit England ift nur ein Gewitterftuen, der rafch
vorüberbrauft. Nachher wird das Verhältnis beffer als je.” Bethmann
ging darauf aus, eine Verftändigung mit England zu fuchen, und er
hielt es deshalb für richtig, diefes Land auch mit unferen Kriegs:
bandlungen fchonend anzufaljen. England wäre „eine Bulldogge, die
man nicht reizen dürfte‘. Bethmann fuchte jet nach der Freundfchaftgs
hand, die er bei Greys Konferenzvorfchlag nicht gefunden hatte. Er
überfah, daß England, nachdem es einmal den Krieg unternommen,
run in klarer und Fühler Folgerichtigkeit diefen Krieg auch gemwinnen
wollte. Der landmilitärifche Standpunkt der Armee, eine gewiſſe Nach-
giebigkeit des Kaiſers und die unklaren politifchen Vorftellungen weiter
deutfcher Kreife gaben dem Kanzler die Möglichkeit, fein zufanımen-
geftürztes Kartenhaus immer aufs neue aufzubauen. Er dachte an
Greys Friedlichkeit in den erſten Juliwochen zurüd, und da er deren
Grund, den großen Ernft des Riſikos bei einem Seekrieg, nie begriffen
hatte, fo fette er diefelbe Friedlichkeit auch noch voraus, als England
ben Entſchluß zum Krieg gefaßt hatte und durch die Begleitumſtände
Unterredungen mit dem Kanzler 255
des Kriegsausbruchs, ſowie durch die Nichtbefeßung der Kanalküſte,
die Zurückhaltung der deutfchen Marine und die Ereignijje an der Marne
in der Ausficht auf den Sieg beftärkt worden war. England folgte jeßt,
wie ich oben bemerkte, feinen alten Überlieferungen, im Krieg gegen
die jeweils ftärffte feftländifche Konkurrenzmacht zu wachſen. Mit
puritanifchem Pharifäertum war die praktifcheutilitariftifche britische
Politik, beherrfcht von den Intereffen des angelſächſiſchen Kapitals, ganz
einheitlich entfchlojfen, das Deutjchtum um fo härter und unerbittlicher
zu befämpfen, je näher bis zum Juli 1914 ſchon die Möglichkeit gelegen
hatte, daß wir ung friedlich durchſetzten. Wie Eonnte man glauben,
daß England die Chance nicht voll ausnüßen würde, die ihm jetzt
gegeben war, um den ihm beinahe fchon über den Kopf gewachſenen
Wettbewerber doch noch, und zwar in letzter Stunde, niederzufchlagen!
England fleigerte feine Kriegsentfchloffenheit, je mehr es fie bei ung
vermißte. Lloyd Georges Einfluß wuchs über denjenigen Asquiths
empor. Bel uns vollzog ich die umgekehrte Entwicklung; die entfchloffene
Richtung wurde zurückgedrängt. Diefer Weg mußte mit Sicherheit
zur Niederlage führen.
Seit 1911 hatte unjere Politik aus chronischem Mißverftehen Enge
lands beftanden. Seit wurde das fortgefeßt. Die Preſſe erhielt die
Anweifung, nicht feherf gegen England zu verfahren. Wiederholt wurde
das in den Sitzungen der Prejjevertveter zu Berlin von feiten des
Auswärtigen Amtes eingefchärft. Den Engländern ift dag natürlich
nicht verborgen geblichen, und fie zogen daraus ihre Schlüffe, freis
fich die umgekehrien, als Michel annahm.
Meil unfere Offentlichkeit Englands Willen und Kräfte nicht Fannte,
nahm man fie halb als nicht vorhanden und ſah nicht, daß mir
unfere Niederlage annehmen mußten, wenn es nicht gelang, England
fo zu bedrängen, daB es eine Ausföhnung für vorteilhafter hielt. Die
Erkenntnis Englands, deren Anſätze von Oneifenau und Friedrich Lift
bis zu Karl Peters und A. v. Peez reichen, war nicht Durchgedrungen.
In Bismards Zeit, welche hauptfächlih als Lehrmeifterin für Die
Gegenwart herangezogen wurde, hatten notwendigerweife andere Pro:
bleme und Bedingungen unferer Politi? zugrunde gelegen. Außerhalb
ber Marine überfah man die Art von Englands Macht und feine Ent-
fchlojfenheit, ung zurüczudrängen, um fo bereitwilliger, ald man fich
Feine Vorfteliung davon machte, welche Mittel wir ſelbſt ſchon bejaßen,
256 Hauptfingen bes Krieges
um diefem Willen Englands entgegenzutreten. Die Marine aber war
noch zu jung und zu wenig verwachfen mit der Nation, um fie mit ihrer
Sehmeife zu durchdringen. Diefe im Laufe des Krieges fich fteigernde
Vereinfamung der Marine, welche ftraffe Staatsgefinnung mit übers
feeifcher, für einen Weltkrieg geeigneter Erfahrung verband, zeigte, daß
die Nation oder ihre Oberfchicht für einen folchen Krieg nicht veif war.
In den erften Kriegsmonaten traten noch Männer aus allen Kreifen
des Volkes an mich mit der Forderung heran, die Flotte zum Schlagen
zu bringen; wenn fpäter die öffentliche Meinung hierin erlahmte, fo
folgte fie nur der von der politifchen Leitung eingefchlagenen Richtung.
Am 27. und 28. Nuguft habe ich anläßlich meines Planes, ein
Marinekorps zur Kriegsführung gegen England von Flandern aus zu
bilden, den Kanzler erneut beftürmt, feine Politit gegen England zu
Fonzentrieren. Es war mir ſchon damals kaum begreiflich, wie man
den Krieg gegen England allein zu Lande gewinnen wollte; vier Wochen
fpäter, als die Heeresfronten angefangen hatten, zu erftarren, erfchien
dies als eine völlige Utopie.
Sch fland, wie bemerkt, im Hauptquartier und bejonders gegenüber
den Diplomaten allein. Über meine Art der Auffaffung Eonnte ich faſt
mit feinem mehr reden. In diefer Umgebung, die bewußt und unbewußt
gegen mich in unrichtigem Optimismus übereinftimmte, habe ich
mich oft gefragt: Bin ich mit Blindheit gefchlagen oder find es bie
andern alle? Sehe ich zu ſchwarz? Habe ich mich in meiner ganzen
Lebensarbeit über Englands hartnädigen Herrfchaftswillen wirklich ge-
täufcht? Die führenden Kreife ftanden dem Wefen der Seegewalt und
dem uns drohenden Schieffal ftumpf gegenüber; fie wollten nicht fehen,
daß England unfere Seeinterefjen zum Verfiegen bringen wollte. Als
die Entwicklung des Krieges mir leider recht gab, enthüllte fich mir erſt
der fürchterliche Sinn jenes Wortes: but you are not a seagoing nation.
Sch ftellte dem Kanzler immer wieder vor, daß England nicht auf-
hören würde zuzufchlagen, folange Ausficht beftünde, unfere Weltftellung
zu brechen. Unfere Demokratie hätte dies am allermeiften fürchten
müffen. Predigte doch Lloyd George: „Ich fürchte nicht v. Hindenburg,
v. Madenjen und alle die anderen Vons, fondern den deutfchen
Arbeiter.” Se länger fich das Knockout hinzog, defto gefährlicher wurde
es für uns. Denn die britiiche Hauptwaffe, die Flotte, Eonnte nur
durch lange Jahre der Blockade wirken. Auch zu Land vergingen Jahre,
Unterredungen mit dem Kanzler 257
58 England fein eigenes Heer gefchaffen hatte, nachdem es Feinen
raſchen Sieg durch fremde Heere errang. Unternahm aber England
biefe gigantifchen Anftrengungen, die feine eigene Wirtfchaftsordnung
aufs Spiel feten, dann wollte es fich auch in riefenhaftem Umfang
bezahlt machen und ein Wiederaufleben des deutfchen Volks nicht in
Sahrhunderten befürchten brauchen.
Auf meine Verfuche, den Kanzler von feiner unrichtigen Beurteilung
und Behandlung Englands abzubringen, fprach Bethmann, feiner Eigen:
art gemäß, feine Anſicht wenig pofitio aus. Es blieb aber nicht zweifel-
haft, daß er in feinem alten Ideengang beharrte. Als am 19. Auguft
ber Kanzler mir mitteilte, daß die Engländer Holländifche und für
Holland beſtimmte Getreidefchiffe nach England mwegführten, war er
nicht zu bewegen, diefen Neutralitätsbruch in der von mir empfohlenen
Form an den Pranger zu ftellen. Ich fagte ihm fchon damals: „Jeder
offen gezeigte Wunfch, mit England zur Verftändigung zu kommen,
wird das Gegenteil bewirken ımd uns als Schwäche ausgelegt. Die
äußerste Hartnärkigkeit, die mir England zeigen, iſt das einzige Mittel,
um e8 zum Einlenken zu ſtimmen.“
Ich ftelle hier feft, daß mein Eintreten für einen gefchlsffenen
Kampfwillen gegen England in den Jahren 1914/18 die Regierung
niemals daran gehindert hat, einen Verfländigungsfrieden mit Enge
land zu fuchen. Sch fpreche hier nicht in Verteidigung. Denn das in
die Maffen geworfene Schlagwort, ich hätte die Negierung an einem
rechtzeitigen Frieden mit England gehindert, ift zu töricht, als daß ich
mich dagegen zu verteidigen hätte. Niemals in den ganzen Jahren trat
meines Wiſſens eine Stunde ein, in welcher England ung einen anderen
Frieden gewährt hätte als den Frieden der Vernichtung. Niemals war
mein Einfluß derart, daß ich eine Friedensmöglichkeit hätte durchkreuzen
Fönnen, auch wenn ich gewollt hätte, und niemals hat der Kanzler mir
eine greifbare Friedensmöglichkeit eröffnet. Sch fpreche hier vielmehr
von einem einfachen Gefichtspunkt der politifchen Taktik, der um fo
wichtiger wurde, je mehr fich unfere Lage verfchlechterte. Gerade wenn
man zu einem leidlichen Verzichtsfrieden mit England kommen wollte,
mußte man, im Kriege begriffen, einen Präftigen Kampfesmwillen gegen
England zeigen und die Annäherung an Rußland fuchen. Ein folcher
taktifcher Geſichtspunkt iſt fo einfach und elementar, daß ihn alle
Völker mit Ausnahme des deutfchen befolgen. In den Lebensfragen
Tirvis, Erinnerungen 17
258 Dauptfragen des Krieges
der Nation Scheint aber der Deutfche nicht genug Leidenschaft aufzus
bringen, um dieſen Grundfaß zu beherzigen!). Die legte Ausficht,
einen leidlichen Frieden mit England zu finden, ging verloren, als
wir die umgelehrte Taktik der öffentlichen Friedensangebote befchritten.
Um feinen guten Willen zu zeigen, gibt der Deutfche gern beim inter
nationalen Gefchäft feine Trümpfe von vornherein dem Gegner in bie
Hand, in der Hoffnung, ihn dadurch freundlich zu ftimmen. Von den
Friedensangeboten an ſah die britifche Staatskunſt mit unbeirrbarer
Sicherheit unfere innere Zerbröcklung fortfchreiten. Der natürliche
Inſtinkt mußte e8 verbieten, den Kriegsgegner mur mit der einen Hand
zu fchlagen, mit der anderen zu ftreicheln. So aber verfuhren mir,
um ben Hauptfeind „nicht zu reizen”. Befonders wer den Engländer
Fennt, weiß, daß man ihn nur durch Feftigkeit und äußerſte Ent
Schloffenheit zu einem billigen Abkommen veranlaffen kann. Welche
berechtigte Kritit haben Iren, Inder, Agypter und andere unterjochte
Völker an uns geübt. Sie mußten aus langer, leidenreicher Er⸗
fahrung, wie man Briten behandeln muß, Sie bofften, durch
ung zur Freiheit zu gelangen und erlebten es num, wie wir durch eine
verkehrte Taktik uns felbft inmerlich zum Untergebenen der Angel
fachfen machten, als unfere äußere Kraft noch machtvoll daftand,
Als am 4. September 1914 alle bürgerlichen Parteien des Reiche:
tags, damals noch in ungebrochener Einigkeit, eine wirkſame Demon-
ftration gegen England planten, indem fie von fich aus ohne mein Zutun
eine Ergänzung des Flottengefeßes vorfchlugen, verhinderte der Kanzler
den Antrag. Eine folche Politif des Unterdrückens nationaler Ents
fchloffenheit in einem folchen Krieg war krankhaft.
») Ih mußte ihn zu fchäßen, au wenn er mir unbequem fiel. So hatte
mir beifpielöweife ein Jahrzehnt früher der Klottenverein, indem er weiter gehende
Forderungen vertrat ald ich felbft, und mich heftig und perfönlich unangenehm
angriff, tatfächlich Die Durchfegung meiner gemäßigten Forderungen beim Meichds
tag erleichtert. In dieſem Sinn, als taktifhe Hilfe für die Megierung, um gu
Friedensverhandlungen den unentbehrlihen Rüdhalt an einer feflen Stimmung
im Volt zu haben, ift fpäter die Vaterlandspartei gegründet worden. Ich wunderte
mich oft und wundere mich noch heute, wie auch Fuge Leute die Wirkung des
Flaumachens auf das Ausland fo gar nicht fühlten und deshalb Die Vaterlandes
partei vielfach für eine Brutftätte von kritifiofem Optimismus anfahen. Ihren
eigentlihen Sinn konnten nur Diejenigen verftehen, welche den vollen Inſtinke
bafitr befaßen, dag wir nah außen fämpften,
Bethmann⸗Hollweg und England 259
Als ich in den erften Tagen bes November erfuhr, daß die Engländer,
um den Zugang zum Kanal zu fperren, ein Kriegsgebiet durch Minen:
legen in der offenen Nordfee gefchaffen und damit einen befonders
ftarfen Bruch des beftehenden Seerechts begangen hatten, war Jagow
nicht zu bewegen, die von mir entworfene Proteftformel abzugeben.
Das Auswärtige Amt arbeitete vielmehr mit dem für folche Materien
bisher nicht zuftändigen Admiralitab eine andere Erflärung aus, bie
von Spezialiften des internationalen Rechts vielleicht ſchön gefunden
werden mag, praftifch aber mehr fehadete als nüßte, da fie mit ihren
furiftifchen Spisfindigfeiten Zweifel an unferem bisher ftreng beob⸗
achteren Fefihalten am Wölkerrecht erweckten. Sie war wirkungslos,
weil fie den Vorbehalt der Vergeltung nicht enthielt.
Daß es beijer geweſen wäre, ben Engländern feiten Kampfwillen
zu zeigen, bejtätigte fich durch immer neue Erfcheinungen. Darum
zitterte man in England, daß der Kanzler fallen und eine Bräftigere
Kriegsführung Plat greifen Fönnte; darum ftiegen in London die Kurſe,
als mein Rücktritt fich vollzog. Umgekehrt legten die Engländer es
geſchickt darauf an, den Kanzler am Ruder zu erhalten. Seit fie
1911/12 einen Einbli in feine Gefchäftsgebarung erlangt hatten, fehlen
er ihnen bie befte Gewähr für den Sieg zu bieten. Weite deutfche Kreife
blickten deshalb auf Bethmann als den Vertrauensmann Europas, und
unfere Demokratie, welcher feine Schwäche umd Unflarheit aus anderen
Gründen gleichfalls unentbehrlich war, pflegte gerne diefe Legende. Der
Mann, ber das deutfche Preftige zerftört und durch feine Diplomatie
der Welt das gefährlichite Material gegen ung geliefert hatte, follte
geeignet fein, die Engländer nachjichtig gegen ung zu flimmen Der
Kaiſer aber glaubte fich an den Mann gebunden, der fich der deutfchen
Demokratie und den Engländern empfahl, So blieb Bethmann und
wurde gehalten, teogdem er in drei langen Kriegsiahren Eeinen Beweis
dafür erbracht hat, daf England ihm einen billigen Frieden gewähren
wollte. Uber die Engländer erklärten ja, an ihrer Unverföhnlichfeit
wären nur die Vertreter der deutſchen Wehrfraft fehuld, nicht Bethe
mann, und wenn erjt unfere Wehrfraft zerjtört wäre, würde es und
gut gehen. Das wurde von vielen guten Deutfchen ernftlich für wahr
genommen.
Mie felbft Blätter vom Schlag der „Daily Mail” durch Lob des
Kanzlers ihn nicht zu bisfreditieren, fondern zu feftigen hofften, dafür
17°
260 Hauptfragen dest Krieges
ein paar Sätze aus ihrem Artikel „Der Kanzler und der Seeräuber”
vom 31. Auguſt 1915 (nach unjerem Arabie-Rüczug): „Es ift ſchwer,
in Bethmanns Kampf mit Zirpig nicht mit ihm zu fompathifieren.
Im vergangenen Jahr war er Kanzler nur dem Namen nad). Sein
Gefchäft war vielfach, Deutfchland aus den Verwiclungen zu ziehen, die
ihm die wirklichen Leiter der deutfchen Politik, die Armee und die
Marinebehörden auferlegt haben. Sie verfolgen ihren Lauf mit ber
üblichen Außerachtiegung der Zivilanficht. Sein Amt ift, hinter ihnen
aufzumifchen. Endlich beginnt er, eine Stimme zu fordern in ber
Entjcyeidung der Politik, deren diplomatifche Folgen von ihm, nicht
von ihren Urhebern getragen werden müſſen.“ Derlei wurde bei ung
Stellen vorgelegt, die es für bare Münze nahmen!),
Die handgreiflichen Beweiſe dafür, daß England und Frankreich vor
erſt mindeftens feinen Verjtändigungsfrieden abfchließen wollten, wurden
überhört. Unfer Friedensangebot vom Dezember 1916, bag, fomeit
ich unterrichtet bin, durch großes Entgegenfommen begleitet war, wurde
mit Hohn und dem befannten Eroberungsprogramm der Entente be
antwortet. Schon damals hätte man fich ähnlichen Bedingungen
gegenübergefehen, wie fie im November 1918 die deutfche Regierung
angenommen hat. Trotzdem wurde vom Kanzler und der Demokratie
noch immer nicht begriffen, daß ihre Taktik falfch war. Die jchiefe
Ebene wurde weiter befchritten, die Zuverficht des deutſchen Volkes
untergraben, die der Feinde befeftigt durch eine ununterbrochene Kette
von Kapitulationsanträgen.
Das Schlimmfte war, daß diefe Politik fich mit Illuſionen auf einen
Oſtſieg verquicte. Wollte man England für unbefiegbar halten und
deshalb unjere Niederlage fofort annehmen, fo war das immer noch
beffer als ein jahrelanger Erfchöpfungskrieg mit dem gleichen Ende.
Aber aus inneren Parteigründen kämpfte eine gewiffe Preffe in Deutfch-
land gegen den Zarismus, Mit ihnen arbeitete leider unfere politische
Leitung zufammen. Auf die vermeintliche Unbefiegbarkeit Englande
) Wie dagegen das wirkliche Bild unferer Verhältniffe in die englifchen Volks-
kreife eingedrungen war, davon hat mir ein deuticher Offizier nad) der Rückkehr
aus britifcher Kriegsgefangenfchaft ein charakteriftifches Meines Beilpiel erzählt. Ex
hatte im Lager einen zum Militär eingezogenen englifchen Kohlenhändler von feinen
Kameraden mit dem Namen des Meichslanzlerd belegen hören; ald er nach dem
Grund fragte, erhielt er zur Antwort: „We call him always Bethmenn Hollweg,
because he says things which one must not say.“
Sılnllonen 261
baute man einen deutſchen Sieg über den ‚Zarismus”l Sch möchte
hierfür ein bezeichnendes Beiſpiel anführen. Ein Beamter der Wilhelm:
fteaße entwickelte diefe bequem auf Englands Sieg zu gründende deutfche
Zukunft am 12. April 1916 mit folgenden Säßen:
„Für uns als Zentralmacht Europas ift es in erfter Linie notwendig,
auf dem Kontinent zu fiegen und bier unfere Nachbarn zentripetal um
uns zu gruppieren.!) Diefes Ziel durften mir nicht fompromittieren,
Indem mir uns ohne Not in ein Abenteuer?) ſtürzen. Von dieſer unferer
feften europäilhen Bafis aus mollen wir planmäßig unfere Weltftellung
und unferen Außenhandel ausbauen. Was bisher in diefer Richtung ges
ſchehen ift, ift ja nur Dilettantismus. Jede Schädigung Englands if
natürlich willkommen, aber umbringen fönnen wir es nun einmal nicht.
Deshalb müffen mwir foviel Kraft und Kredit in der Welt refervieren, baß
wir nad) dem Krieg unfere Überflügelung der Engländer fortfegen. Ges
fährlihe ungenugte Kraft liegt in Zukunft im ruſſiſchen Boden, nicht im
durchlöcherten englifhen Geldbeutel. Ich glaube, daß der Frieden auf
Koften Rußlands eine möglihe Löfung bietet. Da er ja auf Koften des
reaktionären Rußlands gehen würde, fo würde uns das auch Fünftige
Verftändigungen ad hoc mit einer anderen ruffifchen Regierung nicht ver=
ſchließen. Werden wir in Europa ftarf und zur Vormacht gen DOften, fo
wird die Verftändigung mit England nicht ſchwer und vielleiht einmal
ber Fall eintreten, daß Albions Sntereffe mit dem ber ſtärkſten Kontinentals
macht im beiderfeitigen Intereffe zufammenläuft.”
Anfang Juli 1916 informierte Staatsfekretär Helfferich?) die Häup⸗
ter der deutfchen Bundesftaaten mit folgenden Gedankengängen, die
ich einer Denkichrift aus jenen Tagen entnehme:
Wir müſſen zmwifchen England und Rußland optieren, um auch im
fpäteren Frieden Rückendeckung gegen einen diefer beiden Hauptfeinde
zu gewinnen. Diefe Entfcheidung hat für England und gegen Rußland
auszufallen, weil das ruffifche Programm mit unferer Stellung ala
Vormacht mweitenropäifcher Kultur und unferem Verhältnis zu Oſter⸗
reich-Ungarn, Balkan, Türkei unvereinbar ift. Zwifchen England und
Deutfchland ift dagegen eine Zeilung der Sinterefjeniphären möglich.
Deshalb Feine Flotte als Eriftenznotmwendigfeit für Deutfchland, das _
9) Polen! 9) Ubootötrieg.
») Wie ich foeben Dez. 1919 erfahre, hat die erwähnte Denkfchrift, die unter
dem Namen de3 Staatsminifters Helfferich umlief, einen anderen bither unbefannt
gebliebenen Berfaffer,
262 Hauptfragen bes Krieges
für möglichfte Schwächung Rußlands. Wir müffen an einer Stelle
ganze Arbeit tun, ftatt an vielen halbe. Englands Intereffen würden
ung geftatten, gegen Rußland ganze Arbeit zu tun. Die entfchiedene
Frontftellung gegen Rußland gibt unferem Verhalten im Weltkrieg
die fittliche Grundlage wieder, die im Eintreten für Ofterreich-Ungarn
befteht, nicht aber im Kampf für die Freiheit der Meere. Die Ent-
rüftung ber deutfchen Öffentlichkeit gegen England ift alfo auf Ruß-
land abzulenken. Soweit Helfferih. Er fchließt diefen ——
mit den Sätzen:
„Obige Ausführungen werden dem Einwand begegnen, daß ſie die
Rechnung ohne den Wirt machen, inſofern gerade in England Haß und
Vernichtungsgelüſte jede Verſtändigung unmöglich machen. Chamberlain
kennzeichnet die Geſinnung mit der Forderung, die ihm auch ſchon vor
dem Kriege entgegengetreten fei: ‚We must crush Germany‘; Chambers
lain und mit ihm unfere Zeitungen und Flugblätter laffen aber den Nebens
faß fort, welcher die logiſche Erflärung für die Feindfhaft enthält, nämlich
ben Saß: ‚before it cerushes us.‘
In diefen Abgrund tiefen gegenfeitigen Mißtrauens, welches eine ges
miffenlofe Demagogie gezeitigt und bie Staatsleitungen nicht zu verhindern
gewußt haben, welches aber in den tatfählihen politiihen Verhältniſſen,
d. b. in ben Eriftenzbedingungen beider Länder in feiner Weiſe begründet
tft, Tiegt die Zragif der Tage, und nur hohe flaatsmännifche Weisheit, ver:
bunden mit einem alles nieberzmingenden Willen, welcher von beiden
Seiten gleih ftarf fein müßte, fann ben verfahrenen Karren aus bem
Sumpfe der Demagogie herausziehen. Diefe Hoffnung ift nit fo eitel
als fie fcheinen mag; denn dem bemagogifhen Minifterium Asquith ift
feine ewige Dauer befchieden. Der Wunſch der Engländer, uns zu vers
nichten, mag zum Teil die Möglichkeit einer Verftändigung ausfchließen;
es nötigt aber feineswegs dazu, ben Kampf ba aufzunehmen, wo fie uns
möglichermweife überlegen find, bas ift auf dem Waffer und in Agypten.“
Auch Helfferich fah alfo nur ganz vage Hoffnungen auf eine Vers
ftändigung mit England und nirgends etwas Greifbares. Aber diefe
leeren Münfche genügten ibm und feinen Gefinnungsgenoffen, um
während ber Eoftbaren und zur Rettung Deutfchlands gegebenen Jahre
gerabe das Einzige zurüczuhalten, wos England zum Einlenken
bringen Eonnte, nämlich unſere Verftändigung mit dem Zaren und
die äußerſte Entfaltung unferer Machtmittel zur See Wir fchlugen
ber englifchen Seegewalt nicht bie Wunden, bie wir ihr beibringen
Eine Dentſchrift Helfferihs 263
Eorınten, und fo erreichten wir durch Sentimentalität, überkluges Red)
nen und unmilitärifche Auffaffung des Seekriegs, daß in England der
Mille Sich durchſetzen Eonnte, dem ftarfen deutfchen Nebenbuhler ſchon
in diefem Kriege jenen Mehr endgültigen Schlag zu verjegen,
von dem er nie wieder aufftehen könnte. Im Herbft 1916, als die
englifche Ubootsabwehr einem gewiffen Abfchluß entgegenging und
unfer Mangel an Mut durch den Sufferfall weltbefannt geworden
war, wagte Lloyd George fchon das Wort vom Knockout.
Jene oben wwiebergegebene Hoffnung eines deutſchen Sieges auf
Grund eines englifchen Sieges erfcheint wie ein Rätſel, obwohl fie
leider die Schickſale Deutfchlande in der fchwerften Stunde beftimmen
durfte. An dem Preftige Englands abprallend, nahm die deutfche
Staatsfunft wie ein Querfchläger den ihr von England gewieſenen
blinden Lauf gegen Rußland. Unzählige Deutfche in der Heimat und
an der Front hatten einen richtigeren Inſtinkt, aber er Fam nicht zur
Geltung.
Zu diefer Weltanfchauung der Wilhelmftraße gehörte dann noch meiter
ber unbezwingliche fromme Glaube, daß einem flottenlojen Deutſch⸗
land das „‚Überflügeln‘’ Englands willig eingeräumt würde, während
einem feemächtigen Deutfchen Reich das nicht geftattet wäre. Wenn
der Kanzler und feine Leute auf eine rafche und völlige Freundfchaft
mit England nach dem „Gewitterſturm“ rechneten, fo glaubten fie
dies eben durch Preisgabe der deutfchen Flotte erzielen zu können.
Noch im Oktober 1918 Haben deutfche Politiker umter Preisgabe des
Ubootsfriegs die Gnade der Angelfachfen zu erfaufen gemwähnt. Das
Erwachen Deutfchlands nach dem November 1918 war graufam.
Beſſere Erkenntnis nübt jebt nichts mehr, ;
Mein Standpunkt war: Entweder wir hielten England für uns
befiegbar und nahmen dann die Niederkige je eher deito bejjer an.
Oder aber wir verfuchten durch Einfaß aller militärifchen und politifchen
Mittel Englands Unbefiegbarkeit zu erſchüttern. Praktiſch kam für
mich felbftverftändlich nur der zweite Weg in Frage. Dann mußte man
aber Elar den Weg fehen, den man gehen wollte. Alles Klügeln und
Harren, das nicht von dieſer Alternative ausging, führte ins DVer-
derben. ‚Hiervon, nicht aus Refforterwägungen irgendwelcher Art, find
meine Kämpfe für die Beſetzung der Kanalküfte, für die Seefchlacht
und für den rechizeitigen Ubootskrieg ausgegangen.
264 Dauptisagen bes Krieges
3
Welche Mittel befaßen wir aber, um auf England militärisch zu
brüden?
Bei Ausbruch des Krieges war ich überrafcht, zu erfahren, daß
ber mir geheim gehaltene Operationsplan der Marine nicht vorher
mit der Armee vereinbart worden war. Die Armee ging von ber
für fie wohl erklärlichen Auffaffung der Geekriegsführung und
überhaupt des Krieges gegen England als einer Nebenfache aus.
Deshalb Hätte e8 einer vor dem Krieg unter Vorfiß des Reichs—
kanzlers vorzunehmenden Aufftellung eines Einheitsplanes für einen
Dreifrontenkrieg oder Weltkrieg bedurft. Eine folche Bejprechung
war aber, wie früher bemerkt, unterblieben. Nur eine einheitliche
Oberſte Seefriegsleitung hätte die Autorität bejejfen, um während bes
Krieges felbft das in der Marine angefammelte größere Maß an
Kenntnis und Urteil über die Macht Englands zur Geltung zu bringen;
eine folche Oberſte Seefriegsleitung aber wurde nicht gefchaffen.
Von den drei Möglichkeiten, England zu bekämpfen, will ich zunächft
die Frage der Kanalküfte berühren. Ende Auguft war vorauszufehen,
daß die Operationen der Armee uns an die flandrifche Küfte führen
und die Einnahme Antwerpens nur eine Frage der Zeit fein mwürbe.
Eine Seekriegsführung von Flandern aus und eine nicht unmefentliche
Verbefferung unferer feeftrategifchen Lage wurde damit möglich. Da
von mir als Staatsfekretär diefe Ausficht in die Wirklichkeit umgeſetzt
werden konnte, fo ergriff ich fie mit aller Kraft, und zwar durch
Schaffung des Marineforpg und Ausbau der flandrifchen Küftel).
Darüber hinaus aber hätte es das Ziel einer fcharffichtigen Kriegs⸗
leitung fein müffen, Calais zu nehmen. Solange die Armee Hoffte,
Paris zu erobern, erwartete ich, daß ung der Gewinn der Küfte
von felbft zufiele. Sch Iaffe die Frage offen, inwieweit es richtig
war, nicht die Küfte von vornherein zum Ziel zu nehmen. Unfere
Artillerie Eonnte auf Kap Grinez aufgeftellt, den Verkehr durch den
Kanal erheblich erfchweren, unfere GSeeftreitfeäfte Eonnten von dort
aus ftärfer wirken. Die beftändige Störung des auf die Theme
eingeftellten Verkehrs hätte dem englifchen Wirtfchaftskörper eine ſchwere
Stockung zugefügt, welche damals, als die deutfche innere und äußere
Kraft noch völlig ungebrochen daftand, die Friedenggeneigtheit hätte
) Rap. 18,
Unjere Waffen gegen England 265
weſentlich erhöhen Fönnen. Dazu kam fpäter die Möglichkeit, von
Kap Grinez aus London felbit zu deichießen, was fich bei längerer
Kriegsdauer bedeutend wirkſamer hätte geftalten laſſen, als unjere
1918 ausgeführte Befchießung von Paris. Ich bin, wie früher bemerkt,
ſtets gegen alle militärifch belanglojen Kriegsmaßnahmen aufgetreten,
zu denen gelegentliche Fliegerangriffe auf Städte des Hinterlandes
gehörten. Eine tatjächlich wirkfame, Fonzentrierte Befchießung Londons
dagegen mit allen Mitteln vom Lande und aus der Luft wäre gerecht
fertigt gemwefen als eines der Mittel, um den unmenfchlichen Krieg
abzufürzen, bejonders da England in der härteften Weile das Völker⸗
recht nur fo weit gelten ließ, als es in feinem Intereſſe Tag.
Das zweite Mittel, um England zu bedrängen, war die Seefchlacht.
Die Entente hat uns durch die britifchen Linienfchiffe befiegt, welche
die Hungerblodade ermöglichten und deren Preftige alle Völker der
Melt vor den englifhen Wagen fpannte. Linienfchiffe in erfter Linie
Fonnten ung retten. Von allen Vorwürfen, welche gegen mich erhoben
worden find, hat mich nur der einzige ernfthaft befchäftigt, daß ich
nicht noch mehr Schlachtfchiffe gebaut Hätte. Indes hat der Leſer
fhon aus einem früheren Abfchnitt diefes Buches eine Vorftellung
davon empfangen, daß die Schlacht für unferen Flottenbeftand nicht
ausſichtslos geweſen wäre. Über die inneren Gründe, welche die Marine
damals gelähmt haben, werde ich im folgenden Kapitel zu fprechen
Haben. Hier muß ich nur den Hauptgrund vorweg nehmen, das
Verſagen unjerer politifchen Leitung.
Der Kanzler vertrat, wie dargelegt, die Auffaffung, England dürfte
nicht gereizt werden, wenn wir zu einer Verftändigung mit ihm kommen
wollten; auch müßte die Flotte bei Kriegsende möglichft unverfehrt
vorhanden fein, um bei den Friedensverhandlungen ein Gewicht aus:
zuüben. Den letzteren Grund habe ich ebenfowenig jemals begreifen
Eönnen wie den erften. Auch andere Perfönlichkeiten wirkten in diefem
Einne. So ſchrieb Ballin an den Kabinettschef und an mich, wir follten
ung mit der „fleet in being“ begnügen; dag wäre für den Verlauf
bes Krieges das einzig Richtige. Diefer Auffaffung fchloß fich der
Kubinettschef an, der niemals befonders vom Frontgeift berührt geweſen
und in feiner Smmediatitellung mehr und mehr zum Kompromiß-
polititer geworden war. Unter feiner und des Reichsfanzlers Einwirkung
Hand Admiral v. Pohl, der mir noch am 12. November 1915 gefchrieben
266 Hauptfragen bes Krieges
bat, daß „der Herr Reichskanzler mir (Wohl) gegenüber während meiner
Tätigkeit als Chef des Aömiralftabes mehrfach den Standpunkt vers
treten hat, daß es durchaus geboten fei, dad die Flotte zum Friedens:
fchluß unverfehrt erhalten bleiben müßte”.
Es war nach meiner Auffaffung der helle Widerfinn, die Flotte in
Matte zu verpaden. Die fleet in being hatte Sinn für England,
weil deſſen Flotte dadurch ihren Zweck, die Meere zu beherrichen,
erfüllte. Für Deutfchland aber, deffen Ziel es fein mußte, das Meer
fih frei zu halten, war der Grundſatz unfinnig. Ferner durften
wir den Krieg nicht zum Erfchöpfungsfrieg ausarten lafjen und
mußten verfuchen, Die Sache Eurz zu mahen Wie klug es bie
Engländer angefangen haben müſſen, die Entfchlußkraft maß
gebender Männer in Deutfchland zu lähmen, dafür zeugt der Auss
fpruch, den einer der nächiten Berater des Kaiſers nach der Schlacht
vor dem Skagerrak getan haben foll und der fich jedenfalls durchaus
in die Gefamtftimmung dieſer Kreife einfügt: „Schade! Wir waren
nahe daran geweſen, von England Frieden zu bekommen.” Unter
folchen Einflüffen ift des Kaifers eigenes Werk zerftört morben. Im
Juli 1914 trieb die politifche Leitung eine gefährliche Politik, die, wenn
fie überhaupt gewagt werden follte, nur auf eine feemächtige Reichs—
gemalt gegründet werden Eonnte. Als der Krieg aber da war, wurde
die Flotte tunlichft entwertet und der unmögliche Verfuch unternommen,
den Krieg gegen England vor Paris zu geminnen, vor allem aber
England durch militärisch fchonende Behandlung zu einem für und
gnädigen Frieden umzuftimmen, der nun einmal nicht zu befommen
war. Im Frieden hatte der Kanzler unfere Flotte im Innerſten
weggewünſcht; im Krieg tat er, als ob fie nicht vorhanden wäre. Die
deutſche Reichsleitung hatte fich eben niemals mit dem Gedanken befaßt,
wie man einen Krieg gewinnt, fondern diefe Sorge dem Generalftab
der Armee überlaffen, der wiederum nicht zufländig mar für die politi-
fchen, wirtfchaftlihen und feeftrategifchen Fragen eines Meltkriegs,
So blieb des Kanzlers einzige Hoffnung für den Kriegsabfchluß die
auf — die Gutmütigfeit der Engländer.
Nun werden manche fragen: Was hätte uns ſelbſt günftigftenfallg
eine glückliche Seefchlacht genügt? Waren die Engländer nicht in ber
Lage, ihre Noröfeefloite bald wieder aus ihren Reſerven zu ergänzen,
nötigenfalls aber franzöfifche Schlachtkräfte mit heranzuziehen?
Die Brage bes Seeſchlacht 267
Demgegenüber ift zu fagen, daß die Weltgeltung ber Engländer
toejentlich auf dem Glauben an ihre unbefiegbare Armada beruht. Ein
beutfcher Seeſieg oder felbft nur ein für England zweifelhafter Ausgang
ber Schlacht Hätte das Anſehen Großbritanniens aufs fchwerfte ges
troffen. Man muß den Eindruck unferes Seefiegs bei Coronel auf dag
Ausland beobachtet haben, um die Bedeutung eines: folchen Preftige-
verluftes für England richtig einzufchäßen. Die Engländer waren ſich
der Wirkung diefer Waffentat bewußt; darum nahmen fie eine über:
twältigende Streitmacht aus der Heimat fort, um die Niederlage von
Coronel auszuiveren. Aus Furcht vor einem größeren Preftigeverluft
verfuhren fie auch unferer Nordfeeflotte gegenüber je länger je mehr
mit der äußerſten Vorſicht. Ob eine glückliche Seeſchlacht für ung
1914 die Wirkung gehabt hätte, die Blocdade zu fprengen oder nicht,
war damals noch nicht entfcheidend; denn die Engländer Eonnten bei
ihrer überfeeifchen Stellung und dem VBorhandenfein Japans fich einer
erheblichen Schwächung ihrer Seemacht nicht ausſetzen. Der Gefamt-
verlauf des Krieges wurde ein anderer, wenn wir damals an Preftige
zur See gewannen. Der Übertritt Staliens ins feindliche Lager wäre
verhindert worden, unfere Stellung zu den ſkandinaviſchen Staaten
veränderte fich mit einem Schlage . Insbeſondere aber wuchs Die
Neigung des Zaren zum Sonderfrieden und unfere Ausficht auf eine
Verftändigung mit Japan in demſelben Verhältnis, wie unfere Flotte
durch mwuchtige Betätigung nad) Art der Armee unfer Breftige hob
und das englifche ſchwächte. Die englifche Flotte aber mindefteng
ſtark zu reduzieren, dazu hatten wir unbeftreitbar die Kräfte. Die
britifche Seemacht Tag wie ein Alpdruck auf der ganzen Welt der nicht
angellächfifchen Mächte. Für die Fleinen Seemächte waren wir, nicht
England, ber natürliche Rückhalt. Alles ſchaute auf ung, Es mar bie
2) Befonberer Erwägung fhien mir eine Beſetzung und Befeftigung ber Aalands⸗
infeln wert, die mie von fchwedilchen Freunden empfohlen wurde, Mit bem Bes
fig der Nalandeinfeln ald Stützpunkt hatten wir den Bottniſchen Meerbufen, bie
Hauptverlehrsfiraße zwifchen Nußland und England unterbunden und das MWohls
wollen der Schweden verftärft. Mit dem Sinken unferes Preſtiges glitt bie
Stimmung und das Gefchäftsintereffe Schwedens immer ſtärker nad England
hinüber. Der Mangel einer Gefamtmobilmahung vor bem Krieg und bie refforts
mäßige Ubgegrenziheit des Admiralſtabs mir gegenüber bemirkten, daß ich mich erfl
im Krieg felbft mit der Frage einer Abrieglung Rußlands Zur bie Beſetzung ber
Kalendeinfeln beſchäftigen Tonnte.
268 Hauptfragen des Krieges
legte Stunde der Freiheit der Welt. Auf der See wurde um noch größere
Dinge gerungen als zu Lande; und dort, auf der See, Fämpften auch
bie heimlichen Sympathien vieler unjerer augenblicklichen Gegner auf
unferer Seite. Nur ftärkfte Mittel Eonnten ung retten. Wir mußten
bie „Grand Fleet“ mindeftens empfindlich fchädigen. Jede Durch—
löcherung der britifchen Seegewalt aber warf fofort die indijche, ägype
tifche Frage uſw. auf, entzog England die weiteren Bundesgenofjen,
die es brauchte, um uns zu befiegen, und ſtimmte es zum Frieden.
England war ſich der Gefahr bewußt und fchäßte unfere Seefräfte
richtiger ein, als es bei ung daheim geſchah; deshalb hatte es gezögert,
in den Krieg zu treten und deshalb vermied es nachher die Schlacht.
Unfere Ausfichten ftanden im eriten Jahre gut, aber auch fpäter noch
leidlich. Die englifche Preffe äußerte fih im fpäteren Verlauf des
Krieges im Sinne der britifchen Admiralität, indem fie vor der Sees
fchlacht warnte. England könnte nichts gewinnen durch eine „precipitate
and costly action“. ‚Solange die deutjche Flotte fich verfteckt, ernten
wir alle Vorteile der Seegewalt,“ fchrieb der Daily Telegraph. War
diefe Seegewalt von ung beftritten und ungewiß, fo hatten wir min:
deſtens eine bejfere Stellung den Neutralen gegenüber. So wie die
englische Flotte verfuhr, Eonnten wir nur durch Offenfivgeift, nicht
durch paffives Abwarten etwas gewinnen. Nur mit faft unerträglichen
Schmerz kann man an die mweltverändernde Wirkung denken, welche
eine durchgefchlagene Seefchlacht in den erſten Kriegsmonaten gehabt
haben würde. Ja fchon eine unausgefochtene Schlacht in der Art der
Begegnung vor dem Skagerrak hätte damals Großes gewirkt, während
diefeg fiegreiche, aber nicht durchgefchlagene Treffen troß unferer Vorteile
dabei nach faft zwei Kriegsjahren feinen nachhaltigen politischen Erfolg
mehr erzielen Eonnte. Die allgemeinen Verhältniffe hatten fich ja
inzwifchen fchon zu fehr zugunften Englands verfchoben und befeftigt,
und die damals noch neutralen Völker hatten den Glauben an unferen
Endfieg nach dem Einknicken vor Wilfons Niederborungsnote fchon
verloren.
Selbft eine für uns unglüdliche Seefchlacht hätte unfere Aug:
fichten nicht weſentlich verfchlechtert. Eg war mit Sicherheit anzunehmen,
daß die Engländer ebenfoviel verloren mie wir. Schlimmeres als ihr
Nichtgebrauch konnte unferer Flotte überhaupt nicht zugefügt werden.
Die angebliche Dlinderwertigfeit der deutfchen Schiffe tft damals
Die „Minderwerdigleit” unferer Schiffe 259
als Ausrede erfunden und verbreitet worden, um die Untätigkeit ber
Flotte zu rechtfertigen; es ift dies eine der traurigften und unheil⸗
vollften Verleumdungen der deutſchen Gefchichte.
Die „Flottenpolitik“ der Vorkriegsjahre follte nach des Kanzlers
Wunſch als eigentliche Urfache des Weltkriegs hingeftellt werden, obgleich
fich England 1896 oder 1905 gegen das flottenlofe oder flottenſchwache
Deutichland weit herausfordernder verhielt als im Juli 1914, nachdem
wir eine Flotte gebaut und fie 1911/12 nicht preisgegeben hatten. Sollten
aber die Flottenpolitif und ich als fchuldig erfcheinen, fo mar doch bie
Derfon des Kaifers beim bejten Willen nicht von der Flottenpolitif
zu trennen. Ohne ihn wäre fie gar nicht möglich gemwejen. Nun beab-
fichtigte Bethmann durch ein grundfägliches Fallenlafjen der Flotten⸗
politif, d. h. in Wahrheit unferer Machtitellung gegen England, bie
Sreundfchaft und den Frieden von England zu erfaufen. Diefem Wahn,
ber der Natur des Weltkriegs widerſprach, hätte der Kaiſer als Führer
bes Seekriegs widerftreben müſſen. Wenn man nun aber den Glauben
verbreitete, daß die Flotte aus dem Grund nicht eingejegt werden
Fönnte, weil fie nicht leiftungsfähig und ihre Material fchlecht wäre,
fo war ich allein verantwortlich und der Kaifer für den Nichtgebrauch
ber Waffe vor dem Volk entlaftet. Aus dem Zwieſpalt der politifchen
MWeltanfchauung zwiſchen der Kanzlerpartei und mir entiprang fo eine
Flut von Verdächtigungen gegen das Material der Flotte, die erft
durch die Probe vor dem Skagerraf ad absurdum geführt murde.
Vorher hatte man aber den Kaijer damit im Hintanhalten der Flotte
beftärkt und die Tatkraft der Marine gelähmt. Hätte fich der Kaifer
anders beraten laffen und wäre er feinem eigenen, innerften Trieb
gefolgt, fo läge Deutfchland heute wohl nicht in Trümmern.
Das altüberlieferte, wenn auch für unfere Zeit unerprobte englifche
Seepreftige hat uns befiegt. Es fenkte in die Herzen der bei uns
leitenden Männer die Furcht, unfere Flotte einzufegen, folange es
dafür Zeit war. Und fo begann mit dem Nichtgebrauch der beiten, ja
zunächſt einzigen Waffe gegen England das Trauerfpiel der verpaßten
Gelegenheiten !).
Nachdem hierdurch, ferner durch Italiens Eintritt in ben Krieg
und durch die Nichtausführung des Hindenburgfchen Kriegsplans für
) Für bie Einzelheiten fiehe Kap, 18.
270 Hauptfragen bed Krieges
1915 die Aussicht auf den ruffifchen Sonderfrieden und damit auf
die Löſung des Knotens zunächſt ferngerückt war, fiel uns Anfang
1916 mit dem zur Ausführung gereiften Ubootskrieg noch einmal
ein Gnadengefchen? des Himmels zur Rettung Deutichlands in den
Schoß. Ein fpäteres Kapitel wird die Gefchichte der Verworrenheiten
erzählen, denen zufolge auch diefes legte enticheidende Kriegsmittel
um das ausfchlaggebende Jahr zu fpät eingeſetzt und jo die Sicherung
unferer Zufunft verloren worden tft. Anfang 1916 waren wir, da die
Zeit gegen uns arbeitete, nicht mehr ftarf genug, um ein meitered
fchleichendes Xufbrauchen unſerer Kräfte und unferes Preftiges zu
ertragen.
Sch bin damals aus dem Dienft gefchieden, weil die enticheidenden
Perjönlichkeiten unfere Ausfichten zur See nicht erkannten und nicht
dem wahren Ernft unferer Lage entfprechend handeln wollten. Der
MWirtjchaftskrieg war zur Hauptjache, die Armeefront war trog den
ungeheuren Kraftleiftungen, welche ihr die Abmehrfchlachten abnötigten,
zum Nebenkriegsichauplag geworden. Auch die großen Führer, welche
1916 am die Spitze der glorreichen Armee traten und ihre Krafi er⸗
neuerten, jahen fich jege nur noch begrenzten Entfaltungsmöglichkeiten
gegenüber. Der Augenbli war gekommen, mo, wie im Siebenjährigen
Krieg, der Sonverfrieden mit dem Zaren für uns endgültig zur Lebens⸗
frage wurde,
4
Im Herbft 1916 Hatte ich Geſpräche mit deutfchfreundlichen Ruffen,
benen zufolge ich, im Zufammenhange mit anderen Anzeichen, glaube,
daß die Möglichkeit eines Friedensfchluffes beitand. Sch konnte und
kann natürlich nicht voll überfehen, zu welchen Bedingungen ein folcher
Friede erreichbar war. Aber man könnte fich wohl folgende Vers
bandlungsgrundlage als mwahrfcheinlich erfolgreich vorſtellen: Wir
hätten die ferbifche Frage entgegenkommend erledigen müfjen, ins
dem mir bie zehn vom Zaren 1914 angenommenen Punkte des
Ultimatums anerkannten und über bie reftlichen zwei ein Schieds—
gericht‘ entfcheiden ließen, fo daß im ganzen ein ruffiicher Erfolg ohne
öfterreichifche Niederlage eintrat. Wir fonnten zur ftrategifchen Sicherung
Dftpreußens gegen ähnliche Überfälle die Narerlinie verlangen und
dafür den Rufjen ein entfprechendes Stück Oſtgaliziens anbieten, wofür
fih Oſterreich erforderlihenfallg im Sandſchak Novibazar und in
Die Möglichkeit eines Sonderfriedens mit Rußland 271
Albanien ſchadlos hielt, Wir vermittelten den Ruſſen die Durchfahrt
durch die Dardanellen für Kriegsfchiffe und, wenn fie ein Bündnis
mit uns fchloffen, eine Inſel im Agätfchen Meer. Die Bagdadbahn
gäben wir auf oder ließen die Ruffen an ihr teilhaben. Wir überließen
ihnen Perfien und übernähmen die ruffifchen Schulden an Frankreich.
Die Bedingungen konnten noch günftiger geftellt werden, wenn es den
Ruſſen gelang, auch unferen Frieden mit Japan zu vermitteln. Ber
züglic) Konftantinopels mußten die Ruſſen einfehen, daß mir bie
Türkei nicht fallen laffen könnten. Wir hätten aber verfprechen follen,
unfere Türkenpolitik allmählich abzubauen. Für die perfönlichen Auf:
wendungen der Großfürften uſw. fonnte geforgt werden.
Ofterreich war für einen folchen Frieden zu gewinnen und dann auch
Stalien zur Verftändigung gezwungen.
Den Japanern hätte man anbieten Fönnen, fie follten Tſingtau
an China zurückgeben; und wir behielten es ohne DBefeftigungen in
Macht, derartig, daß dort Japaner und Deutfche zu gleichen Rechten
wirkten. Wir zahlten ihnen dafür eine gewiſſe Kriegskoſtenentſchädi⸗
gung und fchlügen ein Bündnis vor derart, daß wir uns zur Bundes:
hilfe verpflichteten, wenn Japan außer von einer außereuropäifchen
Macht auch von einer europälfchen angegriffen würde, fie umgekehrt,
wenn wir außer von europäifchen auch von einer außereuropäifchen
Macht angegriffen würden. Alles das foll nur ungefähr bedeuten,
auf welchen Boden etwa verjucht werden mußte, mit Rußland und
Sapan zur Verftändigung zu kommen. Die Hauptfache dabei war und
blieb zweifellos die englandfeindliche Orientierung unferer Gefamt
politif. Die rufficheiapanifche Annäherung des Sahres 1916 bot bie
Unterlage zu diefem letzten großen antiangeljächfifchen Bund.
Man hätte dies alles durch eine perfönliche Unterredung mit bem
Zaren einleiten müffen. Denke ich mich in die Lage eines Manneg
hinein, dem der Zar vertraute, fo hätte diefer ihm etwa folgendes
fagen können: „Majeſtät haben mich ausdrücklich verfichert, daß Sie
feinen Krieg mit dem Deutfchen Reich mollten. Sch glaube, daß
es dag größte Unglüd ift, wenn Deutfche und Rufjen einander ſchwächen,
und werm e8 darin fein Halten gibt, fo fcheint die zukünftige Entwicklung
beider Völker und der Thron der Hohenzollern und der Romanoınd
gefährdet. Ich Habe erfahren, daß E M. überzeugt davon find, daß
ich Die Freundſchaft mit Rußland ftets obenan ftellte, Geben Sie mir
272 Hauptfingen des Krieges
bementjprechend einen Mann zum Verhandeln, bei dem ich nicht das
Gefühl habe, übers Ohr gehauen zu werden.” Die Wirkung liegt nun
freilich weniger in dem, was man fagt, als wie man die Gefühle des
Unterredners aus Intuition und alter Beziehung trifft. Der Zar hatte
Sinn für die Sprechweife z. B. eines Offiziers. Sch weiß aus eigener
Erfahrung, daß es möglich war, fo mit ihm zu reden. In Stürmer
hatte er überdies bereits den geeigneten Unterhändler ernannt.
Eine derartige Befprechung hätte herbeigeführt werden können durch
ein Handfchreiben des Kaifers an den Zaren, das deſſen Selbitgefühl
wieder herjtellte und ihm mit der Tonart, die auf den Zaren ficher
wirkte, gejagt hätte, reale Gegenſätze unüberfteiglicher Art lägen zwiſchen
den alten Freunden nicht vor, das Unglück drohte aber unheilbar zu
werden. Er ſchriebe ihm dies in Sorge um ihre Dynaftien und im
Vertrauen auf feine Diskretion mit der Gemißheit, daß der Zar den Brief
nicht als Aktenſtück verwerten würde.
Die Groffürftenpartei Eonnte, nachdem Nikolaj Nikolajervitfch entfernt
tvar, Feine unüberwindlichen Hinderniffe entgegenfegen. Der Zar mar
ein ehrenhafter Mann. Eine folche Möglichkeit, aus ber Sackgaſſe
herauszukommen, wäre ihm verlocend erfchienen, und eine folche Unter-
nehmung hätte bei der damaligen Stimmung am Zarenhofe nicht
anders als mit einem Erfolg enden können.
Der Anknüpfungsverfuch durch die viel zu auffällige Entfendung
bes hierfür wenig geeigneten Prinzen Mar von Baden war zum Scheitern
verurteilt. Ebenjo der verfrühte Verfuch über den dänifchen Königshof,
der nur die Dänen in unfer Friedensbedürfnis einmweihte. Vor allem
aber gelang nichts derart, folange Bethmann immer noch auf die
Ruſſen einhieb, fo daß fie glauben mußten, er würde fie an bie
Engländer und Polen verraten. Sch frage mich, ob es den deutfchen
Anhängern des Kanzlers felbft verborgen bleiben Eonnte, daß feine
Perfönlichkeit die Nealifierung der Petersburger Friedensftimmuns
gen erjchwerte. Der Zar hätte vermutlich einen direkten Schritt
des Kaijers fo beantwortet: Ich bin zum Frieden bereit, aber nur
mit einer Regierung, welche mir Gewähr gibt für einen englandfeind-
lichen und rujjenfreundlichen Kurs, und die auch Japans Vertrauen
genießt. Der Geift unferer politifchen Leitung, wie er etwa aus der
oben angeführten Helfferichichen Denfichrift fpricht, mußte allerdings
biefe beite Chance für Deutfchlande Rettung verpaffen.
Berfäumte Gelegenheit 273
Mir hatten in unferer ganzen Gefchichte niemals den Ruffen ſoviel
zur bieten wie 1916.
Es eröffneten fich dann noch meitere, entferntere Perfpeftiven,
ſo 3. B. eine Reviſion des Prager Friedens für den Fall, daß Dänemark
im Gefolge Rußlands in ein engeres Verhältnis zu uns beiden trat,
wie e8 den natürlichen Sintereffen und der geographifchen Lage Däne-
marks zu Rußland und Deutfchland entfpricht. "Wir Eonnten unter Ber:
mittlung des Zaren die Franzofen durch Mbtretung etwa des von
ihnen eroberten Fleinen Stückes Elfaß bei ihrer damaligen Lage ebenfalls
zum Frieden veranlafjen. Der ganze Fejtlandsfrieden mußte und konnte
von Petersburg her aufgerollt werden.
Als die jelbitmörderifche Politik Bethmanns und der deut|chen Demo—
Fratie den Polenftaat errichtete, die Ruffen in neue Feindfchaft trieb
und in die Revolution gleiten ließ, als endlich der unter verfchlechterten
Umfiänden verjpätet begonnene Ubootskrieg und diplomatifches Un:
geſchick die amerifanifche Krieaserflärung heraufbefchworen!), war die
äußere Lage Deutſchlands fo feftgefahren, daß fortan die Entfcheidung
des Kriegs hauptfächlich in inneren Faktoren zu fuchen war, im Wirte
ichaftsfrieg, in den Nerven und der vaterländiichen Oefinnung bes
deutfchen bzw. des. englifchen Volkes.
5
Die Angelfachlen hatten vol erkannt, daß in fo ungeheurem Ningen
die Macht der Ideen den Sieg auf den Flügeln trägt. Sie riefen
hinaus in allen Sprachen: ‚Hört ihr Völker der Erdenrunde, hier ift
ein Volk unter ung, welches bejtändig die Eintracht ftört, Krieg er=
Plärt und bie Welt erobern will, während mir euch ſtets nur bie
Hreiheit bringen. Mit dem Elfaß hat es angefangen, jeßt verfucht ed
dasjelbe in Belgien, und wenn es Erfolg hat, fommt ihr daran.
Dies Volk wird von einer blutigen Militärs und Junkerkaſte in Sklaven⸗
ketten gehalten, und der Kater, ihr Autofrat, läßt nach Belieben die
Welt in Flammen aufgehen. Helft uns das VoIP niederzufchlagen,
damit mir es nach Verdienſt beitrafen können. Erft wenn das ers
reicht ift, Fönmen wir den von allen edlen Menfchen gemünjchten
Völkerbund fchließen, und Friede wird auf Erden fein. Die Menfche
) Ran. 19,
Tirpig, Erinnerungen 18
274 Hauptfragen det Krieges
heit wird eine Herde von Lämmern bilden, und fomweit nötig wollen
wir freiwillig den Hirten abgeben.” So etwa floß ed von den Xippen
ber angelfächfifchen Führer in taufend Tönen und zähejter Wieder:
holung. An folchen Reden beraufchten fie fich felbit und ihre Völker,
Damit diefe aber auch den nötigen Haß aufbrachten, um den Krieg
bis aufs Meffer durchzuführen, riefen fie in die Welt: „Seht bieje
Deutfchen, welche die Kunftwerke Frankreichs zerftören, feine Frauen
ſchänden ımd den Kindern in fatanifcher Wolluft die Hände abhaden.”
Dazu rollte Das Gold des Feindes in allen Ländern und auch in Deutiche
fand, wo es nur Boden fand. Aber ſchlimmer als das, man fahte
ben Michel an feiner Weltfremöheit und an jenem Zug ber Gelbft:
vernichtung, der unfere taufendjährige Gefchichte wie ein blutiger Faden
durchläuft. Man benuste mit Geſchick den auch in Deutfchland ftellen-
toeife eingedrungenen internationalen Kapitalismus und jenes Ferment
der Dekompofition, welches in Organen wie der „Frankfurter Zei⸗
tung” eine fo geſchickte Vertretung hat.
Mas ftellte num die politische Führung Deutfchlande diefen geiſtigen
und Faufmännifchen Waffen unferer Feinde entgegen?
Sie Eonnte fagen: „Ihr Angelfachfen habt feit Sahrhunderten die
Dölfer des europätichen Feſtlands gegeneinandergetrieben. Aus
Stammesreften und Länderfegen hat Preußen das zerfplitterte Deutfche
tum wieder zufammengefaßt, und je ftärker es wurde, je mehr hat
es fich zu ber Erfenntnis durchgerungen, daß es unfere Sendung
fei, für die Freiheit Europas einzutreten, gegenüber den jenfeits der
Meere entftchenden Riefenmächten. Denn in feiner vom Meer ums
flojfenen mannigfaltigen Gliederung wird Europa ftets die höchſten
geiltigen Werte erzeugen, wenn feine vielen, eng aneinanderftoßenden
Einzelfulturen fich frei entwickeln und gegenfeitig befruchten können.
Deutfchland fteht und fällt mit Europa und Europa mit ihm. Darum
Hegt e8 im eigenften Intereſſe Deutfchlands, die Völker des euros
päiſchen Feftlands völlig frei und damit Teiftungsfähig zu erhalten.
Ihr Angelfachfen aber unterjocht bie Wölfer Teiblich und geiftig. Seht,
ihr Völker der Erde, wieviele von euch mehr oder weniger fchon zum
vegetierenden Wafallenleben Herabgefumfen find, und wie groß biefe
Gefahr in der Zukunft erft wird, Wir kämpfen daher für die Freis
heit aller Völker der Erde gegen die alles verfchlingende Tyrannei
bes Angelſachſentums
Propaganda 275
Ihr werft ung Militarismus und Autokratie vor, mährend bei
euch zur Aufrechterhaltung des Kriegsmillens die fchärffte Diktatur
befteht, die die Gefchichte kennt, und einzelne Männer ohne Rüds
ficht auf perſönliche Freiheit oder demofratifche Grumdfäge die mis
Ktärifche Gewalt mit drafonifcher Strenge ausüben. Mit eurem Ges
Schrei über unferen Militarismus meint ihre in Wirklichkeit die allein
in der Welt noch frei daftehende Macht Deutfchlands, das feine eigenen
Mege geht und das Gleichgewicht Europas erhalten könnte. Euere
Machthaber in der City von London und der Wallſtreet von New York
wiſſen ganz genau, daß nur diefes Deutfchland ihnen noch im Wege
steht, ihre kapitaliſtiſchen „Verſtändigungsgedanken“ auf die ganze
Melt zu übertragen. Gelingt e8 ihnen aber, dieſen legten Stein weg⸗
zuräumen und das unbeſchränkte Meltmonopol zu erringen, Dann
freilich wird eine pax Britannica bie Kirchhofsruhe der Welt für
lange Zeiten herbeiführen,”
Ein ähnlicher Gedankengang wie der vorftehend umriſſene hätte
auch fchon vor dem Kriege mit allen Mitteln verbreitet werden müſſen,
do unfer Vol? der großen Ziele fehr entbehrte, der nationale Sinn
bei uns nicht gleichmäßig entwickelt, die Macht der Angelſachſen faljch
bewertet, die Erkenntnis, daß wir der Macht nach außen nicht ent
behren können, von Eosmopolitifchen Utopien vielfach überwuchert war.
Sm Kriege aber, als es ſich um Sein oder Nichtfein handelte, mußte
ber Willen zum Leben entflammt und wachgehalten werden.
Mas tat dagegen unfere politifche Keitung? Wohl wehrte fie manch⸗
mal Derleumdungen ab. Im übrigen Plang ihre Zonart etwa fo:
‚Bir haben zwar den Krieg erklärt, wir wollen uns aber nur vers
teidigen, nicht euch fchlagen. Wir haben Belgien zwar Unrecht ges
tan, wollen es aber nachher möglichft wieder gutmachen; wir wollen
ed micht ganz erobern, aber boch etwas davon behalten. Ein Ziel,
einen Zweck, eine Idee haben wir bei diefem Kriege überhaupt nicht.
Mir kämpfen zwar für das Gleichgewicht auf dem Deere, aber vor⸗
erft nur mit Worten, da wir zugleich verhindern müffen, daß bie
reaktionäre und zudem fo beftechliche ruffifche Beamtenfchaft wieder
die ritterlichen Polen beherrfche. Daß die Angelfachjen fich durch bie
Veidige Flotte bedrückt fühlen, kann ich verftehen; ich billige ihnen
zu, daß fie fo fühlen, obwohl unfere Flotte eigentlich nur halb fo
ſtark ift wie die englijche allein genommen, Seid doch hierüber nicht
18°
276 Hauptfragen bes Krieges
fo böfe, ich, euer Freund, habe die Teidige Flotte nicht verhindern
können, obwohl ich als Reichskanzler eigentlich die Macht dazu ges
habt hätte und verantwortlich bin. Auch Habt ihr nicht ganz une
recht, wern ihr fagt, wir find meniger demokratiſch als ihr ein-
gerichtet. Eine zufammenfafjende Staatsfraft war zwar aus unferer
Eigenart, unferer gefchichtlichen Erfahrung und unferer geographifchen
Lage nötig, und der Kaifer befitt auch nicht die verfafjungsmäßige
Macht wie der Präfident Wilfon, aber wir wollen das fchon ändern.
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten mir das Elſaß mit feinem
Vogefemvall längſt den franzöfifchen Propagandiften ausgeliefert, damit
es ganz frei fei. Die Fraktionsintereffen des Reichstags unterftüge
ich im Grunde lebhaft, um den demokratiſchen Gedanken bei ung
zum Durchbruch zu bringen. Es wäre zwar bejfer, wenn wir folche
inneren Veränderungen erft nach dem Kriege vornähmen, benn fie
lenken die Augen unferes Volkes zu fehr von dem furchtbaren Exrnit
feiner Schickſalsſtunde ab; aber ich fühle im Einverftändnis mit meinen
demofratifchen Freunden, daß wir durch unfere Demokratifierung euere
Zuneigung und die gute Gefinnung der Welt uns fichtlih erwerben.
Darum gehe ich fchon jeßt in diefer Richtung vor, und da ich euch
edle Gejinnung auch als heutiger Feind zubillige, fo werden mir bald
zu einem Frieden kommen, der gerecht iſt nach allen Seiten.”
Um folchen Gedankengängen in Deutfchland Geltung zu verfchaffen,
wurde der natürliche Inſtinkt unferes Volkes, wie er beim Krieges
ausbruch überwältigend zutage trat, planmäßig durch Preffezenfur und
durch ein von der Wilhelmſtraße ausgehendes Kanalſyſtem des
Stimmungsdrücdens, vor allem aber durch den von der Demokratie
entfachten Streit um innere Kriegsziele abgelenft und gebrochen, jo
daß fchließlich tatfächlich die Moral unferes Volkes und die Kraft
feines MWiderftandes niedergingen und es den Glauben an fich felbft
verlor. Bei der großen Gefahr, gegen die wir fanden, mie jeder
* Staatsmann überſehen mußte, war hoher Flug der Sdeen und volle
Erhaltung der Moral vom eriten Tag des Krieges an unerläßlich,
menn wir den Kampf beitehen und zu einem Ende Eommen wollten,
das ung ermöglichte, die ſchweren Schläge des Kriegs einigermaßen
zu heilen und die Sendung Preußen-Deutfchlands fortzuführen.
Aus taufend Wunden blutend, fchlecht genährt, mit dem Rücken
an hie Mand der Heimat gelehnt, ſtand der befte Teil des Deutfchtums
Die Idee des Krieges und bie innere Dolın! 277
im Kampf um fein Dafein, als ihn die Mand von hinten zer
ichlagen wurde und er, die Beſinnung verlierend, in Fieberdelirien
ausbrach.
Der Fluch der Geſchichte und unſerer Nachkommen, falls das
Deutfchtum erhalten bleibt, wird auf denen lajten, die hierzu beis
ettagen haben,
6
Die politiſche Leitung ward nicht rechtzeitig Bundesgenojfen und
Sympathien; fie gab dem beuifchen Volk Feine ermutigenden Ideale
für den Krieg. Sie hat ihm aber auch die Augen nicht geöffnet
für bie Schrecken der Niederlage. Das Schlagwort vom reinen Ber:
teidigungsfrieg war eine Sllufion, die ung ind Verderben führen mußte,
weil England unjere Weltftellung während des Krieges fchon zeritört
hatte; da war nichts zu verteidigen mehr, fondern günftigftenfalls
durch den Frieden neu aufzubauen. Das bdeutiche Wolf Fonnte nicht
keben, ohne durch ben Friedensfchluß diefen Wiederaufbau zu fichern.
Die gedankenloſe Phrafe vom reinen Verteidigungskrieg verjchleierte
den Maſſen diefe Notwendigkeit. Wie anders Lloyd George, der vom
Knockout Sprach! Diejenigen Deutfchen aber, welche die Alternative Elar
fahen und wahrheitsgemäß ausiprachen, baß entweder England feinen
Vernichtungswillen sder wir unferen Lebenswillen ducchfegten und daß
ed ein Drittes nicht gäbe, wurden von unfrer Regierung dem Hab
ber einfichtslofen Maffen preisgegeben. Bethmann tat genau das Gegen
teil der Staatsvernunft, mit welcher Lloyd George und Clemenceau
ihre Völker zum Sieg führten. Stets richteten der Kanzler und feine
demagogifchen Freunde die fcharfe Spige ihrer Politit nach innen
ſtatt nach außen. Damit aber erſchlugen fie den Widerſtandswillen
des Volkes und bereiteten ben Zuſammenbruch vor, bis das Volk
und feine zur Herrſchaft gelangten Demagogen ſich waffenlos ben
Geinden zu Füßen legten mit bem Kuf: „Wir, die wir fiets an
das Weltgewiſſen glaubten, ſchwören ab ben fluchwürdigen Macht⸗
politikern, welche euch als raubgierige Feinde auffaſſen möchten.
Wir wollten niemals den Sieg, ja wir fürchteten ihn, da er das Joch
der Autokratie und Militärkaſte auf dem Nacken bes geknechteten
deutſchen Volkes gelaſſen hätte, Seht hat die Niederlage das deutſche
Volt son ber Zwingherrſchaft bes Kalfers und der VNilitärs befreit,
2783 Hauvptfragen des Krieges
glücklich und einer herrlichen Zufunft würdig gemacht, Jetzt zwingen
wir euch, nicht Durch haffensiwürdige Macht, fondern durch fchöne
und gute Worte, das beutfche Volk zu Tieben und feine Intereffen
zu fördern. Wir wollen das Vertrauen des Auslandes erwerben, wir
machen den Weg frei vom Imperialismus zum Idealismus, das heißt,
wir fäen in deutfche Herzen nicht den Haß gegen den Imperialismus
der Briten, die uns verhungern ließen, ober gegen Franzoſen und
Polen, die unjeren Leib in Fegen reißen, fondern den Haß gegen
die Männer, welche das Deutfche Reich einft mächtig gemacht, Armee
korps und Schiffe zu feinem Schuß gefchaffen und unfere Wohl
fahrt durch einen feften Damm gegen habgierige Nachbarn gefchügt
haben.”
Diefes Ende der beutfchen Macht ift vorbereitet worden durch bie
Betörung der deutſchen Maſſen feit Anfang des Krieges. Die Vor:
fpieglungen, die Scheideman und Genoffen mit Duldung ber Re
gierung dem beutfchen Volk gemacht haben, berühren nach der Furcht
baren mittlerweile eingetretenen Wahrheitsprobe heute erfchütternd. Sie
enthielten etwa Folgendes:
1. „Wenn Deutfchland fich nur demokratifiert, ift der WVerftän-
digungsfriede da. Nur Monarchte und Militärmacht verhindern ih.“
Nachdem die Northeliffepropaganda zur Unterwühlung unferes
Heeres ſich mit Erfolg diefes ihr von der deutfchen Demokratie ges
lieferten Sprengftoffes bedient hatte, ruhten Prinz Mar von Baben,
Erzberger und Scheidemann nicht, bis fie ihren „Frieden bes Rechts,
nicht den der Macht” unter DBefeitigung von Monarchie, Militär
macht, Ehre und Freiheit des beutichen Volkes erprobt hatten.
2. „Wenn wir nur offen erFlären, daß wir Belgien herausgeben
wollen, jo ift der Verftändigungsfrieden ba,” j
So flogen feit 1917 unaufhörlich die Friedenstauben über unfere
Grenzen hinaus, den Verzicht auf Belgien in ihren Schnäbeln tragend.
Jedes biefer Angebote feftigte bei den Feinden den Entfchluß, ab-
zumerten, bis ihr Kriegsziel, der Ruin Deutfchlande, durch den offer
bar wirkenden inneren Zerfall erreicht wäre.
3. „Die Zunfer, Schloibarone und Annerioniften Gaben ben Krieg
gemacht und verlängeen ihn, um zu verdienen, Werfen wir ſie nieder,
jo reichen die befreiten Völker fich die Hände, und ber ewige Friebe
iſt da
Parteiſucht und Weltürgerium 279
Schon die Römer Zonnten auf die innere Zwietracht der Deuts
ſchen ihre Politif aufbauen. Der Entente kam zu Hilfe auch noch der
Neid verhetzter Klaffen, die immer bereit find, die wirklichen Erhalter
threr eigenen wirtfchaftlihen Eriftenz zu vernichten, weil diefe „mehr
verdienen als fie ſelbſt.
So begrüßten viele Deutfche die „Morgenröte der Revolution“.
Unfer ſtarkes, ftolzes, geachtetes Reich ift zerbrochen, nicht vom Feind,
fondern von innen her. Weil das Volf nicht reif war, feine politifche
Aufgabe in dem von Bismarck errichteten Rahınen zu erfüllen, brach
das unbefiegte Heer zufammen. Der Mann auf der Straße fühlt in
London oder Paris von felbft, was dem Staate nüßt. Bei ung fammelt
er ſich Illuſionen aus einer gewiſſen Preſſe und Parteirichtungen, bie
ihn wie Hans im Glück immer darüber hinwegzutäuſchen verftehen, daß
er von Stufe zu Stufe herunterſinkt. Erſt im März 1919 ftellte der
Sozialiſt Paul Lenfch in der „Glocke“ feſt, wie kleinlaut jene Tlemente
Sei und würden, bie wie das ‚Berliner Tageblatt” und die Preffe
feines Schlages jahrelang verficherten, wir brauchten nur die „All
Beutfchen” zum Teufel jagen und offene Erflärungen über Belgien
abgeben, und ein billiger Frieden wäre ung ficher. Ob die von Lenich
charakterifierte Preſſe je Fleinlaut wird, weiß ich nicht, Wohl aber
bin ich mir, mie jeder, der die Auslafjungen z. B. ber „Frank—⸗
furter Zeitung‘ mit einiger Aufmerkſamkeit verfolgt hat und nach
feiner Sefinnung auf dem Boden des Deutfchen Reiches fteht, dar
über Blar, daß im Frieden und im Krieg diefeg Blatt den Todfeinden
Deutichlande der Mirkung nach in bie Hände gearbeitet hat. Mit
einer bei englifchen oder Franzöfifchen Zeiningen undenkbaren natios
nalen Inſtinktloſigkeit hat Diefe Zeitung den Staat befehdet und
feit Bismards Zeit ſtets Diejenigen Entichlüffe befürmorter, welche
Deutſchlands Macht und Mürde zu ſchwächen geeignet waren; fie
it dem Deuifchtum in tedem Eritiichen Augenblick in den Rüden ges
fallen; und fie hat zuleßt folgerichtig die Revolution, d. 5. ben Ruin
der deutichen Ehre und Zufunft, freudig begrüßt. Bei der Betörung
hes beutfchen Volks aber bedient fich dieſe Zeitung gefchteft des melt-
dürgerlichen Dünfels vieler unferer Volksgenoſſen, welche die Seele
anderer nationalftoizer Völker gar nicht verſtehen. Sie Schließen von
fich felbft auf die Fremden. Treuberzig und aid oder auch unklar
und pflichiwergefien verſäumen fie jede Möglichket zu pelitiichen
330 Hauptfragen des Krieget
Geſchäft und zur Kraftentfaltung. Sie ſehen nicht, wie jede Schwaͤcht
ſofort ein Vordringen der Feinde und vermehrte Angriffe nach ſich
zieht; ſie ſehen nicht, daß Deutſchlands Freiheit und erträgliche Wirt⸗
ſchaftsgeſtaltung bei unſerer Weltlage nur durch verdoppelte Einig—
keit, Lauterkeit und Opfergeſinnung Aller erhalten werden kann.
Ein anderer Sozialiſt, der Reichsminiſter Dr. David, ſagte Ans
fang 1919: „Der Hauptgrund unferer Niederlage wäre die Schwäche
unferes nationalen Staatsgefühls.” Das ift fehr richtig. Schon vor
langen Sahren hat mir ein italienifcher Freund, Admiral Bettolo,
gejagt: „Die einzigen gefährlichen Sozialisten find die Deutfchen, da
fie ein Dogma, eine Keligion aus ihrer Parteilehre machen und in
erfter Linie Genoffen, erft in zweiter Deutfche find. Bei den eng-
Kfchen, franzöfifchen und fogar bei unferen italienischen Sozialiſten
iſt das umgekehrt.” Meine im Herbft 1914 vorübergehend genährte
Hoffnung, die national verfbändigen Eleniente würden in der So—
zialdemofratie die Oberhand gewinnen, zerram bald in Nichte. Zu
tief ſaß die jahrzehntelange internetionaliftifche Propaganda des
Marxismus, der beſchränkte Klaffenneid und der deutiche Hang zu
Utopien. Eine Reihe tüchtiger Männer in der Sozialdemokratie bewies
während des Krieges gefunden nationalen Inſtinkt. Hätte die Regie
rung fie geftärkt, ftatt einfichtslofen oder böswilligen Demagogen bes
internationalen Flügels nachzulaufen, fo wäre in der Schule des Kriege
bie Arbeiterfchaft vielleicht zuverläffig zu deutſcher Staatsgefinnung
berangereift, dann würde e8 ihr in der Melt jeßt wohl ebenjo gut
ergehen wie der englilchen Mrbeiterfchaft. Aber die Linke bewies dem
preußifchedeutfchen Staat, dem beiten aller Staaten, ſchnöden Undank.
Die Staatsiweisheit und Überlieferung Friedrichs das Großen und
Bismarcks galten als überlebt im Vergleich zu den Anſchauungen von
Ügitatoren, deren bloße Namen zu nennen dem Gefühl der Deutichen
widerſtreben muß, obgleich diefe doppeljinnigen Perfönlichkeiten unfer
Land nicht nur ruinieren, fondern zum Lohn zuleßt auch regieren durften.
So kämpften meitefte Kreife unferes Volks mit Leidenfchaft an
gegen die Wahrheitslicbe derjenigen, welche von Anfang an fagten:
Wir inögen tun was wir wollen und dem Feind anbieten was wir
wollen, dieſer Krieg endet doc; entweder mit unjerer vollen Selbſt⸗
behauptung oder unferer Zerſchmetterung.
Indem aber Deutſche feldft einen folden Standpunkt befämpften,
Die Kaitil der Demeitutie 281
kaͤhmten fie unjere Kräfte von innen heraus, Nach den eriten Krieges
jahren mußten die Feinde, daß ſich Deutichland innerlich an diefem
Gegenſatz zerrieb. Dies gab ihnen größere Zuverficht als ihre äußere
Mbermacht. Scheidemann glaubte durch Tauten und heftigen Verzicht
auf den Gedanken des Siege die „Genoſſen“ in Feindesland zum
gleichen Vorgehen zu ermutigen, Er bemerkte nicht, daß er gerade
umgefehrt wirkte und durch fein Verhalten den Chauviniften in Fein:
besland Oberwaſſer über die Friedensfreunde verfchaffte. Und was für
andere, wirkliche Annerioniften gab e8 doch bei den Feinden, vers
glihen mit dem, was in Deutfchland fo bezeichnet wurde,
Ein Bekenntnis zu pofitiven Kriegszielen durch die Regierung und
die Mehrheitsparteien hätte tatlächlich Verhandlungen über einen Ver⸗
ftändigungsfrieden mit England richt verhindert, fondern gerade ge⸗
fördert. Der Deutjche allein verfennt, daß Siegesziele, deren Wünfche
barkeit der eigenen Bevölkerung begreiflich gemacht wird, geſchäfts⸗
mäßig die Forderungen der Gegner draußen herabftimmeit,
Es gibt eben im Defeinsfampf eines Volkes nur eine Stimmung,
weiche feine Waffen unüberwindlich macht. Sie liegt in den Worten:
„Du mußt fteigen oder ſinken,
Du mußt herrſchen und gewinnen
Dover bienen und verlieren,
Leiden oder triumphieren,
Hammer oder Amboß fein.”
Die Maflen wußten infolge des Verhaltens von Regierung und
Parteiführern gar nicht, daß die geſchmähten Annerioniften nichts
weiter vertreten als dieſe Wahrheit. Sie fahen in ihnen Ungeheuer
und verurteilten fie, ohne fie zu kennen.
Der Abgeordnete Cohn lehrte fie:
„Der Krieg geht für die Reichen,
Der Arme zahlt mit Leichen I“
Das Mort „Kriegsverlängerer“ wurde zum Schimpfwort, Gambeita
war von feinem Bolle in den Himmel gehoben worden, weil er ihm
durch feine Gabe, ben Krieg zu verlängern, günftigere Friedens:
bedingungen, vor allem die Ehre und das Selbfivertrauen, die Grunde
lage jedes nationalen Wohlſtandes, geretiet hatte. Das deutſche Bolt
282 Sauptfragen bes Krieges
fah nicht, daß England keinen Werftändigungsfrieden haben wollte —
role prompt wäre jede Möglichkeit bazu unfererfeitd aufgegriffen wor⸗
den! —, fondern nur darauf wartete, bis die Unvernunft unjerer
mißleiteten Maſſen die „Kriegsverlängerer“ gejtürzt, d. h. die Samms
lung ber Kräfte und Anſpannung ber Energie zerftört haben würde,
Das Ziel der Feinde war, wie heute auch dem blödeften Blick offen
fiegen muß, unfer Untergang. Zu einem Verftändigungsfrieden hatte
England ſchon deshalb Feine Veranlaffung, weil es denfelben bei der
Art unferer Politi? und der von ihr beeinflußten Kriegsführung immer
noch zur rechten Zeit haben konnte. England wollte alfo mehr. Da
aber war für jeden rechten Deutfchen auch der längſte Kampf und
bie geringfte Ausficht auf Sieg lieber aufzunehmen, als das vers
nichtende Endurteil ohne zwingende Notwendigkeit anzuerkennen. Letz⸗
teres war glatter Volksverrat.
Ich verfenne natürlich feinen Augenblick, welgen Anfechtungen
die Nervenkraft der Mafjen des deutichen Volles infolge der Hunger:
blockade ausgefeßt war. Die phyſiſchen und ſeeliſchen Einwirkungen
diefes graufamften aller Kriegsmittel, deſſen Einführung in den moders
nen Krieg England vorbehalten war, dürfen nicht unterfchäßt werben
und bilden für die allmählich nachlaffende Widerftandskraft im Volke
eine ftarfe Entfchuldigung. Umfomehr aber erwuchs den Führern ber
Nation, überhaupt jedem meiterfehenden Politiker die Pflicht, nüchtern
bie Zufammenhänge zu erkennen und alle Mittel einzufegen, um bie
Kampfkraft aufrecht zu erhalten und richtig zu orientieren Wo aber
ber Wille, zu fiegen, fehlt, de erlahmt ganz natürlich auch die Kraft Dazu.
Mein fogenannier „Annerionismus’ beftand in einer peſſimiſtiſchen
und leider durch bie Gefchichte beibätigten Auffaſſung unferer mwirts
ſchaftlich⸗politiſchen Zukunft. Sch Eonnte mich mit Vertröftungen auf
einen Nechtsfrieden und Völkerbund nicht zufrieden geben, fo wie es
ellerlei internationalsFapitaliftiiche und ſozialiſtiſche Mitbürger taten,
Ich fragte mich? mie ein Kriegsende befchaffen fein mußte, welches
beim beutichen Volk in feiner fehmterigen Erdlage Gleichberechtigung
mit ben andern, natürlichen Weltmächten ficherte? Unfere Weltmacht
hörte erft dann auf eine Fünftliche zu fein, wenn mir die mittel
europäifche Stelfung als primus inter pares erreichten, in melcher bie
Mehrheit der europäifchen Völker bie Sicherung ihrer eigenen vollen
Freiheit erblickt hätte. Dirk mer das gegebene Ziel Bevor es em
«
Annexionismus 283
reicht war, entſprach die Macht Deutſchlands ſo wenig der Stellung
des deutſchen Volkes in der Welt, wie im 18. Zahrhundert die Stel⸗
tung Preußens feinen realen Kräften entſprochen hatte,
„Der Raum it bie Zukunft”; diefer Satz gilt für die Reiche
der Briten, Amerikaner, Ruſſen und felbft ber in Nordafrika ers
mweiterungsfähigen Franzofen. Raum in diefem Sinne war für des
im Herzen Europas eingezwängte Deutfche Reich niemals zu ge
winnen. Seine Zukunft berußte auf Keiftung in der ganzen Welt
und für die ganze Melt, und fie konnte bei der tatfächlichen politifchen
Lage nur gefichert werden durch Bonzentrierie Verteidigungskraft dee
Landes, welche die andern in Achtung erhielt Das ft in Wahrheit
ber Grund, weshalb die Feinde den preußifchen Militarismus zerbrechen
wollten. Dann war es mit uns überhaupt vorbei, Für den Zaren
sder die Franzoſen waren Millionenheere vielleicht ein unſittlicher
Lurus: denn wer dachte je daran, dieſe Länder anzugreifen? Daß
dagegen Deutfchland zu feiner Verteidigung zum Ausgleich feiner beis
fpiellos ungünftigen Raums und Grenzverhältniffe und angefichts feiner
feit Sahrhunderten eroberungsluftigen Nachbarn einer ftarfen Militär
macht bedarf, bag Hatte fogar Uoyd George am Neujahr 1914 aus:
drücklich betätigt; und mer wollte es nach den Enderfahrungen des
Weltkriegs heute noch beftreiten? Weltpolitiſch verteidigungsfähig und
lebensfähig aber war nach 1914 das Deutiche Reich nur denn, wenn
e3 die Engländer von der Dberherrfchaft über Belgien entfernte,
Einen vollen deutſchen Waffenfieg im Sinn son 1870 habe ich
auch vor dei Marnefchlacht niemals erwartet. Die Umerifaner würs
Gen uns auf alle Fälle um viele Früchte eines Sieaes beraubt haben.
Soll doch ſchon vor einem Jahrhundert (1815) der Präfident ber
Bereinigten Staaten troß der damaligen Feindſchaft zu England in
einer Botſchaft das Wort gefprochen haben: „Den Kern, der in Deutfche
End liegt, nicht zur Entwicklung fommen zu Taffen, wird das Ziel
einer entſchloſſenen Staatsfunft ſein.“ 1) Mleinerfeits mar ich der Uns
ſicht, daß ein voller Waffenfieg von Feiner Seite wahrſcheinlich, darum
bie Entſcheidung in den moralifchen Willens» und Widerſtandskräften
zu ſuchen wäre Gelang es, dem beutichen Bol? die Augen dafür
za Sfinen, was bie britiſche Vorherrſchaft in Belgien bedeutete, fo
Das Wort iſt mie nur belannz aus A. ©, Pess und BDeul Dekn, Englends
Barherstchef Tus der Seit ber Inntinentallersee (ID) 8. 243,
254 Haupifragen des Arieges
zroeifelte ich nicht, daß wir auch die Kräfte enifalten würden, um
beim Friedensjchluß eine ſolche Gefahr abzumenden. Fremdherrſchaft
wor bas Los des deutſchen Volks bei einer Niederlage. Beſſer aber
als dies Helotentum anzunehmen, war es noch, die Diöglichkeiten
bes Siegs bis zum äußerſten zu verjuchen.
Die Vermehrung der Volkszahl feit 1870, auf welcher das Stei⸗
gen unferee Wohlfahrt und Macht beruhte, Eonnte bei unferer ges
ringen Bodenfläche nicht mehr agrariſch daheim untergebracht mer:
dem. Landhunger führte aljo, wie fchon in den Anfängen der deut
schen Gefchichte, zur Abwanderung und Entdeutſchung des Volks:
überfchuffes. Eine Fünftliche Erweiterung des Nahrungsfpielraums ber
Heimat brachte nur die Induſtrie und der Handel, Selbſt bei gleiche
bleibender Volkszahl indes hätten wir nicht mehr das vorwiegend
agrariſche Deutfchland der vorigen Generation bleiben Fünnen, da nach
1370 die Flächen Amerikas und Rußlands in Wettbewerb mit unjerer
Agrarausfuhr traten und diefelde weſentlich zum Verfiegen brachten.
Unjere Ausfuhr an Rohſtoffen mußte, damit die Volkszahl fleigen
oder auch nur gleichbleiben Eonnte, vervielfacht werden durch die Aus-
fuhr von Fabrifaten. Zu deren Erzeugung mußten wir mwieber viele
Kohftoffe einführen, ebenſo wie für die Lanowirtfchaft, damit fie
ihren Ertrag zur Ernährung der vermehrten Volksmaſſen erhöhen
könnte. Ein Abſtoppen von Ein und Ausfuhr bedeutere unter folchen
Umftänden ein qualvolles Siechtum des ganzen Volkskörpers, einen
in der ganzen Gejchichte beifpiellofen Sturz von Wohlfahrt in Elend.
Eine Millionenarmee hungernder und arbeitslofer Proletarier, ein eni-
wurzeltes Volk, das fich felbft aegenjeitig vernichten muß, um für
ven Heft wieder Färglichen Lebensipielraum zu ſchaffen: diefes Bild
lag mährend des Sirieges ald Alpdruck auf mir. Die oberflächlichen
Außerungen der meifien, Deutichland würde fchon wieder hochkommen,
beruhigien mid nicht. Denn ic) ſah nicht, wie und 100 das anders
gejcheben follte, als indem wir unfer Machtgebiet dauernd bis an
die Kanalküſte erſtreckten.
Denn in der Geſchichte hat der Beſitz der niederländifchen Kuſten
ſtets über die Bormacht Englands auf dem Fefiland entjchieden. Eng:
land betrachtet die belgische Frage feit alters als feine eigene. Saßen
bie Engländer in Antwerpen, fo faßen fie au im Haag und in
Kin und beherrſchten von Ihren alten Einfallstoren an Schelde und
=
Die Hanbrifche Küſte 285
Niederrhein aus das Feftland. Nur wenn Deutfchland die Mans:
lande, die faſt taufend Jahre zum Deutfchen Neich gehört Hatten,
wieder in feine Obhut nahm, Eonnte das deutfche Volk einigermaßen
feine Kriegsverfufte bereinbringen. Denn eine Ausfuhr, mie fie bie
1914 die Grundlage unferes Volksdafeins geworden mar, feht eine
politische Meltgeltung voraus, Nur deutſche Träumer, die nicht wuß⸗
ten, wovon fie felber lebten, Fonnten fich einbilden, daß die Angel-
fachfen ein Deutfchland, vor dem fie nicht eine gewiſſe Furcht emp⸗
fänden, wieder fo viel und fo ungehindert in der ganzen Welt für
eigene Rechnung verdienen laſſen würden! Unfere Weltitellung aber
hatten wir vor 1914 noch zum großen Zeil nicht auf wirkliche Macht,
fondern auf das Anfehen von 1870 gegründet. Wenn mir dies An⸗
fehen nicht bewahrten, d. 6. auf gleichem Fuß mit England aus dem
Krieg hervorgingen, fo ftarb alles ab, was wir in der Welt gefchaffen
hatten. Unſere Heimat blühte durch unſere Auslandsgeltung; dieſe
aber ſchwand dahin mie die alte Hanla, wenn wir nicht eine freie
Stellung gegenüber England gewannen.
Allein Schon um die ungeheuren unmittelbaren Kriegsverlufte in
Überfee auszugleichen, mußten wir mit einer verbreiterten mirtfchaft-
lichen Grundlage aus dem Krieg hervorgehen in einem Zeitalter, wo
nach britifchem Ausfpruch die Großen unaufhaltfam größer, die Kleinen
Pleinee murden. Die Behauptung der vor dem Krieg vorhandenen
deutfchen Wirtichaftsftellung in Antwerpen, die Befreiung des ſtamm⸗
verwandten Flanderns von mwallonifchefranzöfifcher Fremdherrſchaft, die
Fernhaltung ber Engländer von der feitländiichen Küjte, das mar
mein einziges materielles Kriegsziel; e8 kann nicht als annerioniftifch
bezeichnet werden 1). Sch übergehe hier die feeftrategifchen Giefichtgs
punfte, die unfere Lage im nafjen Dreieck unhaltbar erfcheinen ließen,
wenn England Belgien und Holland in feinen Konzern zog und feine
politifche Macht bis zur Ems erftredte,
Mas hätte es wohl fchaden Fönnen, wenn das ganze beutfche Volt
fich die Befreiung der Vlamen als ernftes Ziel gefett hätte, und wäre
dies etwa unfittlicher gerwefen, als die erneute Annerion des deutfchen
Elfaffes durch die Franzofen? Dabei hätte man den Vlamen bie
Selbftändigkeit gelaffen, während die Kranzofen den Elfäffern nicht
1) Siehe oben S. 157,
286 Hauptfragen des Krieges
einmal Selbfiverweltung gewähren wollen. Der Unterfchied iſt nur,
daß der Franzoſe nach feiner Sinnesart Herrfhaft für fein gutes Recht
Hält und der Deutiche ihm dies auch gerne zubilligt, während ihn das
böfe Gewiſſen befällt, werm er felbit einmal an Einfluß gewinnen foll,
Unfer Ziel mußte fein, die wirtichaftliche Blüte unjeres Volkes zu
erhalten, unfere Herzlande am Rhein vor der Verfümmerung, unjere
Hanfeftädte vor dem Zurückſinken in englifche Agenturen und unferen
ganzen Volkskörper vor dem ihm von England zugedachten Erſtickungs⸗
tode zu retten, ſowie das künſtliche Gebäude unferer Weltftellung nad)
feinem Einfturz neu zu unterbauen, Ein Kriegsende aber, weiches Eng
land an Maas und Schelde ftehen ließ, bedeutete für uns wie für
Das törichte, in fich felber uneinige Feitlandseuropa das Ende der
freien Wohlfahrt, und durfte erft zugegeben werden, wenn wirklich
bie letzte Möglichkeit eines befferen Ausganges erfchöpft war.
Ein neutrales Belgien aber gab e8 nach dem Kriege nicht, fo wenig,
wie es feit 1905 ein folches gegeben hatte. Belgien und Holland
lebten vom Blute Deutichlands, ald Mündungsgebiet unferes Wirk
ſchaftslebens. Wir hatten das Sintereffe, fie in Freiheit blühen zu
laſſen, während England fie als Brüdenköpfe zu benügen wünſcht.
Die Regierung mußte wie Uoyd George und Clemencem, dem
Wolf ein Äußeres Kriegsziel zeigen, auch um es abzulenken vom
fruchtlofen und öden inneren Bürgerzwift um Reformen, die in einem
geichlagenen Deutfchland doch Feine Partei mehr beglücken konnten.
Die Regierung mußte das Volk lehren, auf das Wefentliche zu ſchauen
und Nebendinge liegen zu laſſen.
Sch war mir son Kriegsbeginn an darüber Plar, daß einem ver:
lorenen Krieg mit einer gewiſſen Notwendigkeit die Revolution folgen
toürde, wenn ich es auch niemals für möglich gehalten hätte, daß
es Deutfche gäbe, die noch vor Friedensjchluß der Verführung zum
Umfturz und zur Auslieferung der Gefamtheit an den äußeren Feind
erlägen. Angefichts unferer zum inneren und äußeren Abgrund führens
der Politik fahen auch andere ſchwarz; der Kronprinz hat mich fchon
1915 gefragt, ob ich glaubte, daß er noch zur Regierung gelangen
würde, Brach aber der alte Staat zufammen, fo ſank auch die Kraft
bes beutfchen Volks, denn diefes hat fich bisher immer unfähig er
wieſen, ohne ftraffe Führung fich Wohlfahrt zu erringen. Es bedarf
bed preußifchedeutichen Staat. Sein Schußengel war die Überliefe⸗
Schwäche ais Verbote der Revolutisn 287
rung Friedrichd des Großen und Bismarcks. Denn es fehlt unferem
Volk der eigene politiiche Genius, wie er 3.2. bie Franzoſen durch
dringt.
Mir befaßen eine ftarfe Monarchie, weil das deutfche Volk durch
feine Gefchichte darüber belehrt worden war, daß es ohne eine folche
in feiner gefährdeten Lage nicht beftehen könnte. Nun aber bauten
wir fie mitten in der höchften Gefahr ab, während bie Feinde den
umgekehrten Weg der ftrengften Machtzuſammenfaſſung befchritten.
Mir verloren fo nicht nur den Vorſprung der einheitlichen Führung,
welchen wir bei Kriegsbeginn noch gehabt hatten. Wir fügten viel
mehr zu unferer materiellen Unterlegenheit auch noch die geiftige und
fittliche, indem wir im letzten Kriegsjahr Diktatoren wie Wilfon,
LAoyd George und Clemenceau einen müden, gealterten Mann wie
Hertling gegenüberftellten und fchließlich rein deſtruktiven Parteiführern
geftatteten, die Macht unter ſich zu verteilen.
Die innere Gefundheit eines Volkes hängt zufammen mit der Mögs
Vichkeit, freie Kräfte nach außen zu entwickeln. Die Deutfchen, die
ihre Kräfte im Innern gegen fich felber betätigten, Teiteten damit
eine neue Periode des Verfalls ein, worin dag arme Wolf über den
Verluft feines Wohlftandes, feiner Würde und feiner großen Ges
ſichtspunkte hinweggetäuſcht werden foll durch das traurige Schaus
ſpiel ich um die „Macht“ balgender Demagogen.
ebenfalls, von welcher Seite man es betrachtete, war bie einzige
Rettung vor dem unermeßlichen Unglüd, daß fich das Volk bis in
feine legten Tiefen mit Fiarem Gefühl der drohenden Leiden, mit
Heldenſinn und mit Treue gegen den überlieferten Staat erfüllte
Dann wäre ed uns auch möglich gemwefen, fo fange auszuharren wie
die Franzoſen, und das beutjche Volk hätte dann leiblich und fitts
lich nicht bie Prüfungen und Erniedrigungen erdulden müffen, die
Km feine Schwäche, fein innerer Zufammenbruch auferlegt haben,
7
Der Mangel an Verftändnis für biefe Gedankengänge und ber
chroniſche Methodenfehler, den Regierung und Demokratie in bezug
auf bie Herbeiführung des Friedens begingen, fanden einen verderbs
chen Ausdruck in ber Friedensrefolution vom Juli 1917. Es mar
288 Hauptfragen des Krieges
mir fofort Flar, daß nach diefem augenfcheinfichen Nervenzuſammen⸗
druch die Ausfichten ſowohl für die Herbeiführung eines baldigen
Verzichtfriedens wie auch für ein meiteres erfolgreiches Durchhalten
des Krieges ganz außerordentlich herabgejunfen waren. Wenn in Eng:
land jemals Neigung zu einer Kriegsbeendigung durch Verftändigung
beftanden hätte, nach diefer Probe unferer moraliſchen und politijchen
Haltungslofigkeit mußte der bekannte Xloyd George-Ausjpruch doppelte
Bedeutung erlangen, daß England einen DVerzichtfrieven niemals an⸗
zuftreben brauche, weil es ihn von uns unter allen Umjtänden immer
noch befommen könnte. Um aber einen Sonderfrieden mit Rußland
zu erlangen, war der betretene Weg erft recht ungangbar.
Sollte bei diefer Sachlage noch Rettung erhofft werden — große
Hoffnung Ponnte nicht mehr beitehen —, jo mußte der Verfuch ges
macht werden, tm deutfchen Volk eine nationale Gegenbewegung zu
entfachen, die im Auslande den Eindruck hervorrief, daß die deutſche
MWiderftandsfraft doch noch Tebendig war, die ferner der Regierung
für eine Eräftige und Pluge Politik einen Rückhalt bot, und die end-
fich nach Möglichkeit ein weiteres Herabgleiten auf der fchiefen Ebene
der öffentlichen Friedensangebote verhinderte. Das find die Bemweg-
gründe gemejen, die den Generallandfchaftsdireftor Kapp und eine
Anzahl oftpreußifcher Männer aus allen Parteien zur Gründung der
Deutfchen Vaterlandspartei geführt haben. Die erfte der drei ge
mwünfchten Wirkungen, der Eindrw im Auslande, wurde durch den
gewaltigen nationalen Schwung der Bewegung ohne Zweifel erreicht.
Die deutfche Regierung aber war meit entfernt, zu erkennen, welches
Snftrument mit der Vaterkandspartei in ihre Hände gelegt war. Sie
magte nicht darauf zu fpielen und tat im Gegenteil alles, um die
Bewegung zu hemmen. Diejes Verhalten wurde ihr durch die fofort
einjegende Gegenwirkung der Väter der Friedensrefolution vor⸗
gefchrieben, welche, um Recht zu behalten, es in einer mohlorganifierten
unmwahrhaftigen Kampagne verftanden, ber Vaterlandspartei inners
politifche Ziele unterzufchieben und fie als reaftionär zu verdächtigen.
Man hat ferner in völliger, echt deutſcher Verkennung bes Begriffe
eines „Kriegsziels“ der Vaterlandspartei und mir „Annexionismus“
vorgeworfen. Abgefehen davon, daß fich die Führung der Vaterlands⸗
partei auf die Vertretung einzelner Annerionsforderungen nicht eins
gelafien und Tediglich “in ber belgifchen Frage, als dem Kernpunkte
Die Vaterlandspartei 289
England gegenüber, beftinunte Forderungen aufgeitellt hat, Handelt es
ſich um die erörterte Notwendigkeit, bem kämpfenden Volke Verſtänd—⸗
nis für unfere zufünftigen Xebensnotwendigkeiten zu geben. Die Regie
rung hatte dag bei uns leider unterlaifen Sie hätte dann wenig⸗
ftens dankbar fein jollen, wenn eine große Volksbewegung ihr dieſe
Aufgabe abnahm, und hätte fich diefer Bervegung fo bedienen follen,
wie es eine englilche oder franzöfifche Regierung ficherlicy getan hätte.
Gerade dann, wenn es erforderlih und möglich war, einen Ber:
zichtsfrieden zu ſchließen, woran die DBaterlandspartei die Regierung
niemals verhindern Fonnte, war die Regierung in der Lage, geſtützt
auf das Beſtehen der Waterlandspartei, erträglichere Bedingungen zu
erzielen, Es fällt ferner aber entjcheidend ind Gewicht, daß mähe
rend der ganzen Zeit des Beſtehens ber Vaterlandspartei tatlächlich
eine wirkliche Chance zu einem Verfländigungsfrieden nicht gegeben
war. Nur die dauernde, jeder tatfächlichen Unterlage entbehrende Vor⸗
fpiegelung der deutfchen Demofratie, als wenn Deutfchland nur zus
zugreifen Hätte, um einen annehmbaren Frieden zu erhalten, hat es
möglich gemacht, denen mit einem Erfolg den Namen Kriegsver⸗
längerer anzuhängen, deren Auffaſſungen, wenn fie von Anfang an
zur Geltung gefommen wären, eine fchnellere Beendigung des Krieges
auf dem einen oder dem anderen Mege mit fich gebracht hätten.
Kriegsverlängerer find diejenigen, melche die deutfche Widerftandge
Eraft dauernd untergraben und der Entente jene Sicherheit gegeben
haben, der Lloyd George Ausdrucd verlieh.
Die Vaterlandspartei hat ihre Ziel nicht erreicht und von dem Augen-
blick an auch nicht erreichen Fünnen, als ihr neben der Feindfchaft
der Urheber der Friedensreislution der ſtraffe Apparat des preußifch-
deutjchen Staates entgegengejeßt wurde. Trotzdem ift wohl ihre po:
litiſche Aufflärungsarbeit nicht vergeblich gemejen. Wenn ung ferner
etwas Hoffnung geben Fann, daß noch einmal der nationale Ge-
danke ein ſtarkes und mohnliches deutsches Haus mieder aufbauen
wird, jo liegt fie in der Tatſache, daß nach drei fchweren Kriegs-
jahren, troß der Wirffamkeit Bethmanns und der Demofratie, eine
Bewegung von fo gemwaltigem Schwung und tiefer Vaterlandsliebe
möglich war wie die der DVaterlandspartei, Die geiltige und materielle
Befreiung des unter Fremdherrſchaft geſunkenen deutfchen Vaterlandes
und die Grundlegung eines neuen Wohlſtandes kann nur beginnen,
Zirpta, Erinnerungen 19
290 Hauptfeagen des Krieges
wern Unglück gur Erkenntnis führt und aus ber Erkenntnis ber
opferbereite Wille zur Erhaltung bes Deutichtums in allen Klaſſen
und Schichten erwacht.
8
As im Oktober 1918 die zur Macht gelangten Demokraten dem
furchtbaren, in der Weltgefchichte feit Karthago unerhörten Irrtum zu
unterliegen drohten, daß man fich in die Gnade des Feindes begeben
fönnte, ohne zugrunde zu gehen, fchrieb ich folgenden Brief an den da⸗
maligen Reichsfanzler Prinz Mar von Baden,
Berlin, 17. Oftober 1918.
Euer Großherzoglichen Hoheit
Befehlen gemäß überfende ich ehrerbietigft nachfolgend meine Anficht
über die heutige Lage.
Die politifche Methode, welche wir England und Umerifa gegen-
über vor und vor allem mährend des Krieges eingefchlagen haben,
halte ich für grundfäglih falſch. Wir festen Auffafjungen voraus,
die wir, aber nicht die anderen haben. In diefer Methode erblickte ich
eine der mwefentlichiten Urſachen des jeigen Krieges und unferer heutigen
Lage. Das mit raffinierter politiſcher Klugheit und zähefter Sons
ſequenz verfolgte Ziel der Anglo-Amerifaner war die Vernichtung
Deutfchlands als weiterer Schritt zur Weltherrſchaft ihres Kapitaligs
mus. Nur infomweit wir Kraft und befonders Haltung zeigten, konnten
wir den Eindruck erzeugen, das Gefchäft rentiere nicht, und Fonnten
damit leidliche Bedingungen erzielen. Die befländig wiederholten, öffent:
lichen Friedensangebote waren Methodenfehler unfererjeits. Wilfon
fteigerte feine Forderungen mit jedem dieſer Schritte. Wir begriffen
nicht, daß mir Falten Erpreffern gegenüberfianden. Ihre Friedeng-
und Völkerbeglückungsauslaſſungen find ehrlich, aber in naiveiter
Weife nur für die eigenen Völker verftanden; außerdem berechnet auf
die politiſche Ahnungsloſigkeit unferes Volkes.
Unfer letztes Friedens: und Waffenftillftande-Angebot, welches in
feinem Entgegenfommen auf eine Großmachtftellung Deutfchlands be=
veits verzichtete, beantwortete Wilfon fachlich dadurch, daß er von
ung zunächft völlige Mehrlogmachung verlangt. Er weiß genau, daß
die Einftellung des Wbootskrieges jeden etwaigen weiteren Widerſtand
Briefe an Prinz Mar non Baden 251
Deutfchlands unmöglich macht. Das Verlangen der Einftelung des
Übootsfrieges, über deffen heutige und zufünftige Bedeutung man fich,
wie Churchills Rede zeigt, im Feindeslager vällig im Haren tft, ift der
Kern der WilſonNote, der umbüllt wird son dem Pathos der fitt-
lichen Entrüftung. Da diefe Entrüftung, auf den Seefrieg befchräntt,
allzu durchfichtig fein würde, müſſen ſchamloſe Nerleumdungen des
Heeres als weitere Umbüllung dienen. Gleichzeitig peitfcht er das
durch den Siegestaumel und die Wut feiner Leute ans Außerfte auf.
Das würde er ficher nicht tun, wenn er uns nachher mit einiger
Schonung behandeln wollte, Das Gegenteil wird der Fall fein, une
geachtet der DVerfprechungen unter der Hand. Letztere find politifcher
Erpreſſertrick.
Die Antwort Wilſons zeigt ferner, daß es ein Irrtum war, wenn
man etwa angenommen hat, daß die Entente uns den Gefallen hin
Fönnte, einen alsbaldigen Waffenftillftand unter Bedingungen zu ge
währen, die uns die Möglichkeit geben würden, unjer Heer und unfere
Grenzen für den Fall des Scheiterns ber Friebensverhandlungen in
Verteidigungszuſtand zu ſetzen.
Uns bleibt nur ein Mittel, beſſere Bedingungen, vielleicht ſogar
die Erhaltung des Deutſchtums zu erlangen: Aufruf des ganzen Volkes
zur entſchloſſenſten Verteidigung unſerer Ehre und unferer Lebens—
möglichkeiten, begleitet von ſofortiger Handlung, die nach außen und
innen nicht den mindeſten Zweifel an unſerem Willen beſtehen laſſen
kann. Dieſes Verfahren iſt ſelbſt dann richtig, wenn wir auch jetzt
noch entgegenkommend zu antworten geneigt ſind. Tun wir Letzteres,
ſo bleibt freilich die Gefahr beſtehen, daß weder der Feind noch wir
ſelbſt an unſeren Ernſt glauben. Der von der Heimat ausgegangene
Niedergang unſeres Ehrgefühls und unſerer Moral iſt über die Etappen
in die Kampffronten eingedrungen. Die Truppen können nicht mehr
ſtandhalten und kämpfen, werm ſie nur zu deutlich ſehen, daß die
Heimat Alles aufgibt. Wofür ſollen die Mannfchaften kämpfen, wie
jollen die Offiziere die Moral der Truppen bochhalten? Das ift unter
folchen Umſtänden unmöglich.
Entſchloſſene Verſtärkung unferer Weſtfront durch alle nur ver:
fünbaren Dlannfcaften, Formierung von Bürgerbataillonen zur Auf—
rechterhaltung ber Dronung in ber Heimat, rückſichtsloſe Fortſetzung
des Ubootskrieges, der ſehr viel ſtärker gewirkt bat, ala man bei une
19”
292 Hauptfragen des Krieges
glaubt. Einwirkung auf die Piyche der Mannjchaften durch alle er
denkbaren Mafiregeln, gleiche Beköfligung von Offizieren und Dann»
ſchaften, Aufklärung in weiteſtem Maße durch den Staatsorganismug,
um was es fich praftiich Handelt. Jeder Deutiche muß begreifen,
daß andernfalls unjer Volt herabſinkt zu Lohnſklaven unferer Feinde.
Um diefen Weg durchzuführen, iſt diktatoriiche Macht unerläß-
lich, wie e8 unſere Feinde getan haben, in direfiem Gegenjaß zu
unferem Verfahren. Es ift gang gleich, welche innere Parteirichtung
diefe Gewalt ausübt. Sie muß nur ihre Macht einzig und allein gegen
ben äußeren Feind richten,
Das find, flüchtig diktiert, aber jahrelang überlegt, meine Ans
fichten, die mit Chaupinismus, Annerionstrieb oder Mangel an Ber:
ftändnis für unfer Frievensbedürfnis nicht das Geringfte zu tun haben,
fondern nur an die Rettung unjeres Volkes denken aus ſchwerſter
Gefahr. Vielleicht gelingt es ihnen nicht, Auf jeden Fall bietet diefer
Meg die einzige Ausficht auf Gelingen, der andere Meg führt mit
Sicherheit zu einem fchmachvollen Ende,
Wenn Euere Großherzoglihe Hoheit noch win Urteil über unfere
maritime Lage haben wollen, jo empfehle ich dringend, den augenblic®-
lich bier anmwefenden Herrn Admiral von Trotha, Chef des Stabes
der Hochjeeitreitträfte, Eurz zu empfangen Niemand ift Imftande,
ein jo ruhiges und auch allgemeines Urteil hierüber abzugeben als
diefer Offizier, der von dem Vertrauen der ganzen Marine getragen
wird, Soviel ich weiß, wohnt derſelbe beim Chef des Marinekabinetts
Admiral von Müller.
Abſchrift dieſes Schreibens!) Habe ich mit Rückſicht auf die Dring⸗
lichkeit mir erlaubt, dem Generalfeldmarfchall von Hindenburg und
dem Staatsſekretär Erzellenz Scheidemann zu überfenden,
Euer Großherzoglichen Hoheit
verharre ich in größter Ehrerbietung
v. Nirpii,
— PORT OR &
Y) Prinz Mar hat diefen Brief forgiam gelefen und ihn mit marlierten Stellen
an die anderen Staatsſekretäre, jedenfalld an den Vizekanzler von Paper und Staats:
jefretär Golf weitergegeben. Am 17. und 18. Oktober war die Mehrheit in der
Meichsregierung für Werhandeln mit den Waffen in der Hand. Am 19, Oktober
war es ober der Scheidemann-Richtung unter Hinzuziehung bes Bierfiie befonders
Yan Dujammenbruc 293
Die Regierung des Prinzen Mar von Baden unterlag dent ums
erhörten Schwindel volksfremder Einflüfterungen. Der Ubootskrieg
wurde aufgegeben, die Kapitulation eingeleitet, der Rechtsfriede auf
Grund der 14 Punkte Wilfons mit der Entente „vereinbart“ und jeder
Andersdenkende, jeder wahrhaft deutſch Geſinnte in Acht getan, obwohl
Armee und Marine ohne jeden Zweifel bis zum Frühjahr 1919 hätten
durchhalten und dadurch wirkliche Friedensverhandlungen hätten decken
können. In diefen fchmwärzeften Tagen der deutfchen Gejchichte, als wir
die volle Fähigkeit noch befaßen, mit dem Schwert in der Hand dem
gleichfalls Eriegsmüden Feind den Vorfchlag zu einem gerechten Frieden
zu machen, dieſe Möglichkeit aber von ung ftießen, um im Chaos unters
zugehen, fchrieb ich als Vorjigender der Varerlandspartei einen zweiten
Brief an den Reichskanzler.
Berlin, den 30. Dfteber 1918,
Euer Großherzogliche Hoheit
haben meinen ehrerbietigen Brief vom 17. d. M. gnädig auf
genommen; aber in einer wichtigen Beziehung, nämlich bezüglich des
Übootskrieges, eine Entfcheidung getroffen, der ich, und mie ich höre,
auch die Marine⸗ und HUrmeeautoritäten, widerraten haben. Die gegen:
märtige Lage läßt es mir ald Pflicht erſcheinen, einen Mm meinem
damaligen Briefe wicht genfigend betonten Gedanken auch jekt nach
Euerer Großherzoglichen Hoheit zu unterbreiten,
Jeder militärifche Rückzug, wenn er nicht in kataſtrophaler Flucht
enden ſoll, muß geleitet fein mit zeitweiligen und paffenden Kehrt
mendungen gegen ben nachdringenden Feind. Dasfelbe gilt zweifels⸗
ohne und vielleicht noch in veritärftem Maße bei einem politifchen
Rückzug. Selbſt wenn wir uns Elar darüber zu fein glauben, daß
wir militärifch nichts mehr erreichen können, muß man fich ftete
gegenmärtig halten, daß auch auf der gegnerifchen Seite der Wunfch,
feine großen Opfer mehr zu bringen, aus rein pfychologifchen Gründen
jehr Hoch geſtiegen iſt. Franfreich rettete 1871 durch feine damalige
Haltung much nach erfolgtem Waffenftillftande Belfort in den Friedene:
unglüdlich gemählten Grafen Wolff: Metternich gelungen, die Mehrheit in der Reichs—
gegierung umzuftimmen. Dat auf osllige politifche Inftinktlofigfeit berechnete Ver:
langen Wilfons, ung vor Eintritt in Die Verhandlungen zunächft wehrlos zu machen,
wurde erfüllt, unb damit der Außerfte Niedergang Deutichlands entfchieden,
294 Hauptfrngen des Krieges
verbandlungen. Wenn im Kampf ein Soldet den Degen übernikt, To
fann er auf Pardon rechnen. Gefchieht dies aber auf politichemn
Gebiet, macht ber Unterliegende fich völlig wehrlos und ergibt er fich
ohne Haltung, fo hewirkt er beim Sieger das Gegenteil von Rüdficht,
er erwedt vielmehr den Wunſch rückſichtsloſer „Beſtrafung“.
Aus diefen Gründen kann ich mir, abgejehen von der durch Jahr:
hunderte nachwirkfenden Schach, rein materiell gedacht, Feinen fchlechs
teren Frieden denken, als folchen, der uns aufgezwungen werden
würde, wenn wir zu einer Zeit einfach Eapitulieren, wo noch ein erheb⸗
liches Maß von MWideritandskraft bei ung vorhanden ift. Der Feind,
der legtere genau einzufchägen mweiß, wird ung bei einer folchen vor:
zeitigen Wehrlosmachung nicht milder behandeln, fondern brutaler und
roher, weil zu dem Bollgefühl des Siegers noch hinzutreten wird ein
Gefühl der Verachtung des Gegners. Es kommt in diejer Frage
wiederum der Unterfchied in unferer Denkungsweiſe und derjenigen
unjerer Feinde im Berracht. In diefer Hinficht würde es für ung
günttiger liegen, wenn wir den Frieden über England gefucht hätten
und nicht über Amerika und Wilſon Y.
Sch möchte fchließlich noch auf folgendes hinmeifen: Unfere Feinde
befinden fich jeßt nicht nur in vollem Siegestaumel, fondern ihre
Völker haben auch das Gefühl, dem feit Jahren erſehnten Frieden,
dem Ende der Opfer und Leiden, unmittelbar nahe gerüct zu jein.
Alle Nerven der großen Maſſen jind auf diejen Punft gejpannt. Ent
fchließen wir uns jeßt, infolge feindlicher Zumutungen, zu einem
politifchen „Halt! Front!”, zeigen wir dem Feinde noch einmal in
ganz Plarer Entfchloifenheit die Zähne, und erklären feine Forderungen
für unannehmbar, fo wird bie plößlich auftauchende Notwendigkeit,
den Kampf forrzufegen, von größter pinchologifcher Wirkung fein.
Es wird ſich der kampfesmüden Maffen unierer Feinde eine furcht:
bare Enttäuschung bemächtigen, und fehr bedeutende Kräfte werden
jich in der Richtung entfalten, die Regierungen zu einer Abmilderung
Ihrer Bedingungen zu veranlaffen. In Verbindung mit dem mwachfen:
1) Ich meinte natürlich nicht, daß es vorteilhnfter wäre, fidh in die Gnade Eng:
lands ſtatt Wilſons zu geben. Cine foldhe Kapitulation bedeutete auf alle Fälle
den nationalen Untergang. Ich meinte vielmehr, daß für Verhandlungen mit dem
Schwert in der Hand England, wor allem dank dem llhootsfieg, der verhältnis:
mäßig geſchäftlichſte Senner geweſen wäre, und bin Diefer Anficht auch heute noch.
Das Spitem Bethmann 205
den, heldenhaften MWiderftanb om unſerer Front, und in Verbindung
auch mu der fehr begründeten Furcht vor dem Boljchewismus, wird
eine ſolche Deutliche Haltung Die einzige fein, die uns erträgliche Be
dingungen verjchaffen kann,
Euer Großherzogliche Hoheit
verharre ich in größter Chrerbietung
v, Tirpitz.
Sch hatte, als ich dies fchrieb, nur noch vorſchwindende Hoff
nungen darauf, daß den „regierenden““ Männern die Bejinnung mieders
Pehren Lönnte, Mit diefem Brief endet meine politische Betätigung,
Der unglückliche Ausgang des Krieges gibt denen, melche biefen
Ausgang verfchuldet haben, vor der urteilslofen Maſſe die Handhabe,
freilich nicht das Recht, diejenigen anzuflagen, welche den Krieg hätten
gewinnen oder mindeitens ehrenvoll beendigen Fönnen, wenn man ihnen
freie Hand gelaffen hätte. Fin Staatsgerichtshof foll eingejegt werden;
wird er eingefest, fo gehören Andere auf die Anklagebanf und darunter
viele, die jeßt den Nichter fpielen wollen, Sch würde e8 gern ver-
mieden haben, perfönliche Empfindungen Anderer zu treffen, Doch
muß ich vor der Gefchichte das Syſtem an den Pranger ftellen,
welches ung verderbt hat.
Diefes politiiche Spitem, melches Bethmann=Hollweg wohl unab-
fichtlich, aber tatfächlich zur Entfaltung gebracht hat und welches auch
heute noch in faft grotesfer Steigerung lebt, umfaßt die Preisgabe un-
ferer ftaatlichen Errungenschaften infolge blindgläubigen Nachlaufens
hinter den erprefferischiten und verlogenften Vorjpieglungen des Aus⸗
lands und hinter eigenen internationaliftifchen Schwärmereien. Alle
Überlieferungen und Leidenserfahrungen unferer Gefchichte fcheinen ver:
geffen und müſſen neu erlebt werden.
Diefes Syſtem hat meiner Überzeugung nach unferen angriffe:
Yuftigen Nachbarn die Gelegenheit oder den Vorwand für den Krieg
gegeben. Es hat im Innern unfere Politif zermürbt, jo daß das Voll
die erforderliche moralifche Kraft verlor, um den Meltkrieg durch
zuhalten. Dasfelbe Spftem ift die mejentliche Urſache, weshalb bie
v
296 Hauptfragen des Krieges
Stärke unferer Flotte in dieſem Kriege nicht zum Tragen gekommen (fl.
Dasfelbe Spitem hat unſere Politif nach der falfchen Richtung, näm⸗
lich auf die Zerfchlagung Rußlands und Schonung Englands orientiert.
Dasfelbe Syftem hat unfere an Zorheit und Mürdelofigfeit beiſpielloſe
Kapitulation im Herbit 1918 verfchuldet, und die ſchwere Folge diefes
Schritts durch weitere Fehler verſchärft. Dasfelde Syſtem mütete nad)
der Revolution gegen bie letzten Reſte ftaatlicher Vernunft, fo daß es
eine Schmach und Strafe geroorden zu fein feheint, ein Deutfcher zu
fein. Das war mir einft höchites Glück und Stolz gewefen. Wenn
ftraff geführt, gibt es Fein leiftungsfähigeres Volk als das uniere,
Mber in der Hand fchlechter und untauglicher Führer ift das deutſche
Volk fich felber der größte Feind. Es wird der fchwarzrotgoldenen
Kopie eines Staates, die ihm jeßt zugermutet wird, in Kürze über:
drüffig fein. Aber wird dann noch etwas übrig fein son der Subftanz
des guten alten Staates, um den ung die Feinde fo beneidet haben,
daß fie feine Kräfte: Monarchie, Wehrhaftigkeit, Integrität und Fleiß
der Beamtenfchaft, Itaatenbildendes Preußentum und todesverachtende
Vaterlandsliebe mit Hilfe umferer radikalen Demokratie zerftören
mußten?
Wir ftehen heute fchlimmer da als nach dem breifigjährigen Kriege.
Ohne ein neues Potsdom und ohne eine furchtbar ernfte Selbft:
befinnung und geiftige Erneuerung, ohne eine nach außen tätige und
würdige Staatsvernunft wird dag deutfche Volk nie wieder auf freiem
Grunde wohnen und allmählich oder rafch nach Bildung und Zahl aus
ber Reihe der großen Völker ausfcheiden; dann wird auch ein neues
Meimar nicht möglich fein. Von der höchften Höhe zur tiefften Tiefe
ging unfer Sturz. Man foll nicht leichtfertig vom Wiederaufbau reden,
jolange man immer noch tiefer ſinkt. Der Aufſtieg iſt furchtbar ſchwer
und hart. Er kann und wird gelingen, wenn das Volf einig in ent=
Ichloffenem nationalen Dulden und Wollen, fo wie Franzofen, Staliener,
Engländer, Serben, ja neuerdings felbft die Inder es find. Solange wir
das Volk mit dem ſchwächſten Notionalgefühl find, das jeden Länder⸗
raub oder fonftige Schmach, die ung angetan wird, mit Verſöhnungs⸗
reden erwidert, damit ftraflos macht ımd zu neuem Raub einlädt, jo-
lange wir ohne den erforderlichen Nationalſtolz den Sitten und Formen
anderer Völker nachlaufen und folange ung das Bekämpfen anderer
Deutfcher von anderer Parteirichtung wichtiger ift als das Zuſammen⸗
Der Henaft ohne Reiter 297
balten gegen außen, ſolange kann Deutſchland nur ſinken, nicht gefunden,
In der Alemannenſchlacht riefen die Deutfchen ihren Häuptlingen zu
„Herunter von den Dferben‘ und verloren die Schlacht. Deutſche Zwie⸗
tracht Hat uns auch jegt wieder zu Fall gebracht, denn politifch und im
gewiſſen Schichten auch ſittlich war unſer Gefchlecht feiner Zeit nicht
gewachien.
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ließen mir aljo die Pflicht
erwachſen, diejes Syſtem zu befämpfen.
Wenn dagegen.das deutiche Volk aus dem Taumel des Zuſammen⸗
bruchs erwacht und fi mit Stolz und Rührung der ungebeuren
Kraft, Tugend und Opferbereitichaft erinnert, weiche es im preußiſch⸗
deutſchen Staat much noch mährend des Krieges felbit hat entfalten
Pönnen, Io wird es die Erinnerung an den Weltkrieg neben feine
höchſten nationalen Heiligtümer” ftellen dürfen. Wie wir troß unferer
geringmwertigen Bundesgenoffen einer fo furchtbaren gewaltigen Über:
macht itandhielten, wie wir der englifchen Weltverſchwörung gegen und
teogten, der Berleumdung unierer friedlichen Gefinnung und dem
brutalen Wernichten unzähliger deutſcher Einzeleriftenzen in allen Erd»
teilen ungeachtet jahrelang den Mur nicht finfen ließen, und wie unfere
Männer zu Waſſer und zu Lande es verfianden haben, den Feind
zu treffen und ſich felbit zu opfern: Daran mögen fich Eünftige
Gefchlechter unferes Volkes bewundernd ihren Glauben ſtärken. Aber
Deutſchland war wie zu Luthers Tagen „ein meidlicher Hengft, dem
nur eines mangelt, der Reiter”. Der aufgezwungene Kampf war zuerjt
in jeder Hinficht ausfichtsvoll, er gewährte ſogar nach allen begangenen
Fehlern noch im Dftober 1918 die Möglichkeit, einen Vernichtungs⸗
frieden abzumehren. Aber innerpolitifche Begebrlichkeit, welche die gan:
zen Kriegsiahre hindurch immer bereit geweſen war, por dem Feind
zu kapitulieren, hatte die Zügel der führerlofen Nation ergriffen.
Üchtzehntes Kapitel
Die Hochfeeflotre im Kriege
I
Sch ſtehe vor dem fihmerzlichiten Tel meiner Aufgabe, nämlich
mich darüber auszufprechen, weshalb unjere Flotte, nachdem unjere
Politik den Ausbruch des Krieges nicht harte vermeiden können, ung
feinen gerechten Frieden hat eritreiten dürfen, fondern ſelbſt das fchmach-
vollfte Ende gefunden hat. Es liegt nicht in meiner Abficht, eine fees
Eriegegefchichtliche Darftellung zu geben. Es kommt mir, dem Zweck
des ganzen Buches entjprechend, nur darauf am, die mejentlichiten
Gefichtspunfte für die Beurteilung unferer Flotte hervorzuheben. Zus
nächit möchte id) darauf binweifen, daß auch unfere Armee, die bei
Kriegsbeginn in hoher Vollendung daftand, der ungeheuren Übermacht
ichlieglich unterlegen ift. Den Einwand, daß wir ohne Flotte den Welt:
krieg nicht befonımen hätten, habe ich früher zurückgewieſen, denn ed
war für England ſeit Jahrzehnten zum Staatsgrundjag geworden, ein
Niederwerfen Frankreichs nicht zu dulden,
Unfere Seemacht war im Jahr 1914 zwar ſchon fehr beträchtlich,
aber zur ficheren Erfüllung des für Krieg und Frieden geltenden Rififo-
prinzips noch nicht reifz fie war noch in voller Entwicklung begriffen,
als jie den fünf größten Seemächten gegenübergeftellt wurde, zu denen
1917 noch Amerika hinzutrat.
Trotz allem bin ich auch heute noch der Überzeugung, und das iſt dag
Zragifche an dem Endergebnis: die Flotte hätte es fchaffen, fie hätte
uns zu einem ehrenvollen Frieden verhelfen Bönnen, wenn fie richtig
zur Ausnugung gebracht wäre. Die Flotte war gut, das Perfonal voll
Kampfbegierde, in hohem Ausbildungsitand, das Material dem eng-
lifchen überlegen. Das fichtbarfte Zeichen für den militärischen Wert
unferer Flotte und die hohe Einfchägung ihrer Leiftungsfähigkeit durch
den Gegner lag wohl in der Tatfache, daß die Engländer, je länger ber
Die Marine bei Kriegsbeginn 209
Krieg dauerte, beito Seflimmter einen Zufammenftof mit ihr vermieden,
Sie haben tro immer wachjender Überlegenheit unjere Ötreitfraft
niemals mit Vorbedacht angegriffen. Rein Zuſammenſtoß iſt von ihrer
Geite geſucht. Unfere Flotte iſt fchließlih von derjelben Krankheit er:
faßt worden, von der ganz Deutichland verfeucht wurde. Wenn fie auf
den großen Schiffen einige Zage früher als in der Armee und offen-
fichtlicher in die Erfcheinung getreten iſt, jo liegt ein mejentlicher Grund
hierfür im den engen Beziehungen, Die fi auf den Werften zwiſchen
den verhegten Ürbeitermajjen und dem Schiffsperionel, namentlich
den Heizern, herausbilden konnten. Dieje parteipolitiiche Bewegung,
deren Leitung in Berlin jaß, wurde von der damaligen Reichsleitung
geduldet.
Wie im ganzen Volk, fo berrfihte bei Beginn des Krieges auch in
ber Marine das fichere Gefühl, daß es in Deutjchland niemand gab,
ber den Krieg erftrebt hätte. So geichidt es England auch angefangen
hatte, als es die ihm 1914 fich bietende Gelegenheit ausnußte: fein
lang vorbereiteter Plan, Deutichlands Zukunft zu vernichten, war doch
au offenkundig geweſen. Demzufolge war der Geiſt unferer Flotte
zu Beginn des Krieges hoch geftimmt und ließ das Beſte erwarten,
Alte Reſerviſten ftellten bei den Mujterungen das Gejuch an ihre Offis
ziere, an den Gefchügen verwendet zu werden und nicht in Sicherheit
unter Dec beim Munitionsmannen. Unſere Torpedoboots kommandan⸗
ten hofften auf den Befehl „Flagge Z vor“1). Die Seekadetten und
Fähnriche der gejchloffenen Marineſchule und der außer Dienjt geftell-
ten Schulfchiffe begehrten ſtürmiſch an Bord zu kommen, fei e8 auch
nur, um als Läufer des Kommandanten Verwendung zu finden. Die übe
lichen Belohnungen bei Nekordleiftungen im Kohlen wurden von den
Eohlenden Heizern und Matrojen abgelehnt: „Wir arbeiten ohne Be—
lohnung.“ GSeeoffiziere und Ingenieure wetteiferten, das Schiff auf
höchſte Gefechtsbereitichaft zu befommen.
Jeder Angehörige der Marine war fich bei Kriegsbeginn barüber
Plar, einem Feind entgegenzutreten, der über eine ftarfe Übermacht
gebot und deſſen Unbefiegbarkeit auf See fait zum Dogma geworden
war. Franzofen, Ruſſen, Staliener wurden ald Gegner fozufagen gar
nicht gerechnet, Schon im Frieden harte fich Die deutfche und die eng
) Eignot zum fing"
300 Die Hochfecflotte im Kriege
lifche Marine gegenfeitig in befonderer Weiſe geachtet, Er ift freilich
eine reine Erfindung, daß damals in ben deutfchen Seeoffiziersmeilen
auf den „Tag“ (der Schlacht mit Englands Flotte) angeftoßen wurde.
Diefe Lüge gehört in Das große Kapitel ber ums angedichteren Angriffs⸗
abiichten, mit denen die Weltpreſſe überfchmemnt morden iſt. Dazu
mar doch die Sympathie mit dem englischen GSeeoffiziersforps vor dem
Kriege noch zu ſtark, und unfere vornehme Sefinnung hätte Derartiged
völlig unmöglich gemacht, ganz abgefehen von der Torheit eines Wun⸗
iches, mit einem doppelt jo ſtarken, tüchtigen Gegner kämpfen zu
wollen.
Bevor ich auf Die beiden Haupturfachen eingehe, weshalb unfere
Flotte den Enderfolg ihres Dafeins nicht hat erreichen können, will ich
ein kurzes Bild neben von den tatlächlichen Wirfungen, welche fie auf
die Geſtaltung des Kriegsverloufes ausgeübt hat,
2
In unferer Heimat hielt die Flotte unfere langgeſtreckte Küfte von
Memel bis zur Ems ganz allein von jedem feindlichen Angriff frei;
kein Kanonenſchuß iſt auf unſere Küfte gefeuert worden. Durch prafs
tifch umbedingte Beherrjchung der Oſtſee ficherte die Flotte die freie
Zufuhr von Waren, namentlich von Erzen, die ein dringendes Erforders
nis für unfere Kriegeinduftrie waren, fie deckte den linken Flügel unfe
res Heeres im Diten gegen rückwärtige Überfälle, die von den Ruſſen
geplant waren umd die im der zwilchen Rußland und England 1914
abgeichloifenen Marinefonvention wohl ebenfalls eine Rolle gefpielt
haben. Die Flotte ermöglichte Ipäter den Nachichub unferes Heeres»
Flügels über See. Durch die erfolgreiche Unternehmung gegen Oſel
und den Moonſund trug die Flotte unter den Nömiralen Schmidt und
Behncke im glüclichiten Zufammenarbeiten mit der Armee dazu bei,
ben legten Widerftand der Rufen zu brechen.
Da unfere Flotte nicht gefchlagen war und die Engländer infolge
beifen nicht zur engen Blockade unferer Küſten übergehen Fonnten,
ermöglichte fie eg den nordifchen Mächten und auch Holland, gegen
über den Drohungen Englands in einer neutralen Haltung zu vers
bleiben. Als unfere Flotte im erften Sahrzehnt dieſes Jahrhunderts
noch ſchwach war, hatte England eine Landung in Fütland vorbereitet,
alfo eine Vergewaltigung Dänemarks nach der Art, wie fpäter Griechen⸗
Zeitungen der Flotte 301
land behandelt wurde, vorgefehen. Angeſichts der deutfchen Flotte war
das unausführbar,
Man ftelle ſich vor, umfere Flotte wäre vollftändig gefchlagen wor⸗
den oder wäre überhaupt nicht vorhanden geweſen; welche Folgen
hätte das alsbald für unfere wirtfchaftliche und militärische Lage gehabt.
Mit eingedrückter, ja auch nur ſtark bedrohter Nordfront hätten wir
unfere Oft und Weftfeont nicht halten können. Uber Weiteres kommt
Hinzu. Unfere Flotte zwang die Engländer zu einer riefigen Vergröße-
tung der eigenen Seemacht, Allein das Perjonal ihrer eigenen Flotte
wurde mehr alg verdreifacht. Von englijcher Seite wird der perjonelle
Gejamtaufmand für die Kriegsführung auf dem Waſſer mit 11/, bie
2 Millionen Menjchen wohl nicht zu Hoch berechnet, eine Zahl, die Doch
eine jehr große Entlaftung unferer eigenen Weſtfront bedeutete,
Sch Habe fchon im vorigen Kapitel davon geiprochen, welchen Schlag
für England die Einnahme der franzöfifchen Kanalhäfen durch die Armee
bedeutet hätte. Diefe Beſetzung durch ung wurde aber erjt dann zu einer
wirklichen, vielleicht entjcheidenden Gefahr für England, wenn wir eine
Flotte hatten, um dieſe Häfen als Stützpunkte ausnügen zu können.
In diefer Hoffnung wurde das Marinekorps gebildet, die einzige uns
mittelbare Kriegsleiſtung, die ich im Rahmen des Reichsmarineamts
feldit für den Kampf gegen England ins Werk jegen konnte.
Unfere Armee hat die Nordhäfen Frankreichs nicht erreichen können,
fondern nur die flandrifchen Häfen, welche nach ihrer geographijchen
Lage eine erheblich geringere Bedeutung hatten, da jie Beine unmittel-
bare Bedrohung des Kanals daritellten, Dazu Fam, daß bei ihrer Art
hier nur Üboote und Torpedoboste zur Verwendung gebracht werden
Eonnten, Immerhin gewährten jie ben großen Vorteil, daß die Ent⸗
ferrung von dort nach der englifchen Küſte nur den vierten Zeil des
Abſtandes von den deutjchen Flußmündungen betrug. Aus diejem Grunde
wurden kleine Uboote hierfür verwendbar, die fich in verhältnismäßig
kurzer Zeit befchaffen hießen. Angriffe der engliſchen Seeftreitfräfte
auf Zeebrügge und Oſtende waren zu gewärtigen. Da mir nun zweifels
haft war, ob die Urmee geneigt wäre, die erforderliche Einrichtung Der
Küftenverteidigung zu übernehmen, und da andrerjeits die Landfronten
unferer Neichsfriegshäfen nicht mehr eigentlich bedroht waren, fo er⸗
ſchien zweckmäßig, aus dem hierdurch verfügbar gewordenen Perſonal
ein Marinekorps zur Verteidigung der flandriſchen Küſte zu bilden,
302 Die Hochſeeflotte iin Krirge
Die Heeresleitung twilligte nur unter der Bedingung ein, daß es unter
den Befehl der Armee käme. Um überhaupt etwas zu erreichen, ſtimmte
ich diefer Bedingung zu, obwohl nach allen Erfahrungen die Marine
dei gemeinfamen Operationen mit der Armee leicht in die Gefahr gerät,
für ihre eigenen Zwecke zu Burz zu kommen, Der Kaifer ging auf den
Plan mit großem Verjtändnis ein und gab mir für diefe Aufgabe außer:
ordentliche Vollmachten. Die Marineinfanterie, welche aus zwei Bas
taillonen drei Regimenter bildete, ſtellte troß diefer ftarken Verdünnung
dan? ihrer dreijährigen Dienftzeit vom erften Tag ab eine Kerntruppe
dar. Die aus den verjchiedenen Forts und Pläsen zujammengeholte
Matrofenartillerie follte ihre Infanterieausbildung in der Nähe von
Brüffel nachholen, mußte aber infolge der Eriegerifchen Ereianiffe im
September teilweife fofort aus der Bahn gegen die aus Antwerpen vor
ſtoßende belgische Armee ins Feuer gejchieft werden. Die Truppe fand
ſchon dabei ihren Mann, wie ſpäter bei der Eroberung Antwerpens und
in vierjährigem Ötellungsfampf. Das Marineforps unter Admiral
dv. Schröder machte die Seeflanfe unferer Weſtfront mit der Zeit uns
angreifbar und baute die flandrifchen Häfen mit Behelfsmitteln zu
brauchbaren Stürpunften für den Torpedoboots= und Ubootskrieg aus,
Unfere dortigen Seejtreitfräfte, obwohl ich leider nicht die Macht harte,
fie durch vermehrte Zuteilung aus der Heimat jo jtarf zu machen, wie
Admiral Schroeder und ich gerrünfcht hätten, blieben ein empfindlidjer
ppfahl im Fleifche Englands bis an den Herbft 1918 heran.
In den erſten Monaten des Krieges entwickelte fich ferner der öft-
liche Teil des Mittelmeeres zu einem Kriegstheater von fleigender Bes
Deutung,
Bereits am 3. Auguſt hatte ich, da Nachricht über den Abfchluß eines
Bündnifjes mit der Türkei eintraf, trotz Bedenfen des Admiralſtabs⸗
chefs für „Soeben und ‚Breslau, unfere Mittelmeerdivifion die
Anweiſung erlangt, den Durchbruch nach Konftantinopel zu verfuchen.
Um 5. Auguſt wurde diefer Befebl noch einmal zurücgenommen, weil
der Botjchaft in Konftanrinopel bei der dortigen Lage die Ankunft der
Schiffe im Augenblic noch nicht erwünscht fchien. Die Schiffe erhielten
Anweifung, nad) Pola zu geben oder nach dem Atlantik durchzubrechen,
Zwiſchen Oſterreich, Italien un) ung beitand vom Frieden ber vin
Marıneablommen, nach welchern im Fall eines Krieges unjere gefamten
Seeſtreitkräfte in der Straße von Meffine gegen ben Zweibund vers
Flandern — Mittelmeer 303
einigt werben follten, Den Obecbefehl über die Dreibundflotte follte
der öfterreichtfche Admiral Haus führen auf italienischen Vorſchlag;
ich laſſe es dahingeftellt, ob er je ernfthaft gemeint war. Der Kaifer
mar befonders ſtolz auf unfer Mittelmeergejchwader, während ich
das Fehlen befonders der „Goeben“ in ber Nordſee bedauerte.
Als „Goeben“ und ‚Breslau‘ nach erfolgreicher Beſchießung algerifcher
Küftenpläge in Mefjina einwafen, blieben ſowohl die Ftaliener wie die
Ofterreicher aus, und Stalien, das ftrenge Neutealität erflärt hatte,
gewährte den Schiifen in Meffina Faum einmalige Kohleneinnahme.
An beiden Ausgängen der Meerenge Ereuzten feindliche Schiffe. Da
Hfterreich noch an feine der ung feindlichen Mächte den Krieg erflärt
batte, ſtanden der Hilfeleiftung feitens der öfterreichifchen Flotte Forms
Schwierigkeiten entgegen. Auf Verlangen bes Reichsmarineamts er:
hielten wir am Nachmittag des 5. Auguft vom Auswärtigen Amt die
Antwort, unfer Botjchafter in Wien wäre angemiefen, die Kriegserklä⸗
rung dringend zu verlangen. Am Abend Fam die Nachricht, daß dei
öſterreichiſche Seebefehlshaber nach Lage, Entfernung und Bereitſchafts⸗
grad der öfterreichifchen Flotte nicht imftande wäre, zu helfen — ein
Mbbild unferer politifchen Siriegsvorbereitung überhaupt. Unter diefen
Umftänden wurde dem Admiral Souchon telegeaphijch überlajjen, mo
bin er durchbrechen wollte. Er bat daraufhin, dem erften Befehl ent
fprechend, die Richtung nad) Konftantinopel gewählt,
Die ganze türkifche Frage erhielt durch das Gelingen dieſes Durch:
bruchs die entfcheidende Wendung. Wenn mir auch vor Ausbruch des
Krieges unſere Orientpolitik fchief erfchienen war, weil eine Befreiung
von der politifchen Einkreifung Deutfchlands nur auf dem Wege über
Rußland Ausfichten Hatte, fo fiel jedes Bedenken in diefer Richtung
fort, ſeitdem wir ung tetjächlih mit Rußland im Kriegszuftand bes
farden. Dementfprechend habe ich die Türkei fo weit mir möglich
ivar, unterjtügt. Ihre Schwäche ließ eine wirkliche Neutralität auf
die Länge nicht zu. Die Ankunft unferer Schiffe ermöglichte es, daß
die Türkei für, jtatt gegen ung ausgefpielt wurde. Die nun folgende
Unterftügung der Türkei durch die deutiche Marine unter ſchwierigen
Umſtänden ift ein Kapitel für fi. Hier fol nur hervorgehoben werden,
dad unjere Marine wefentlich an ber ruhmoollen Verteidigung der Dar:
danellen beteiligt ift und damit zur Rettung von Konitantinopel beige-
tragen hat. Von diefer Rettung hing Sieg oder Niederlage auf ber für
304 Die Hochfeefioste im Kriege
die Mittelmächte fo wichtigen Balfanfront ab. Der Zufahrmeg nach Ruß—
land vom Mittelmeer aus blieb gefchlojfen. Das Offenbleiben der Vers
kehrswege nach Vorderafien ermöglichte die fchwere Bedrohung Englands
m Ügnpten und Meſopotamien und zog ſtarke englische Heere und
Seetransportmittel dorthin ab, Es wird bei unferer Eontinentalen
Denkungsweife leicht überjehen, daß der von England unternommene
Verſuch, die Dardanellen mit feiner Flotte zu forcieren, nur beshalb
mit unzureichenden Mitteln vor fich ging und daher fcheiterte, weil
unfere eigene Flotte England zwang, den größten Teil feiner Flotte
in der Nordſee Fonzentriert zu halten. Die Fernmirfung unferer Flotte
ſchützte die Türkei, Huch Ofterreidh haben wir durch Entfendung von
Ubooten unterftügt und in Pole und Cattaro Stüßpunfte errichtet,
Der Eintritt Japans warf den Plan eines Krieges umferes Kreuzer:
gefchwaders gegen den feindlichen Handel und gegen die dortigen
britiſchen Streitkräfte über den Haufen und ließ ihm nur den Verfuch
übrig, fich nach der Heimat durchzufchlagen. Auf der Heimreife ver
richtete das Geſchwader unter dem tapferen Grafen Spee ohne nennens⸗
merte eigene Verluſte das an Chiles Küfte jkationierte engliſche Ge
ſchwader, deſſen Chef noch kurz vor dem Kriegsverhängnis freundfchafte
lich mit Spee verkehrt hatte. Nur ein Eleiner englijcher Kreuzer entkam
aus diefer Schlacht bei Coronel,
Der dem Grafen Spee nach dem ſtarken Verbrauch verbleibende Reſt
an Munition ſchien mir für eine zweite Schlacht nicht mehr hinreichend,
Anderfeits hatten noir Nachricht von der Zufammenziehung ftarfer eng»
Sifcher Keäfte an der Oſtküſte Südamerifas. Ich fchlug deshalb vor,
Spee, mit dem wir nach Valparaiſo drahtlofe Verbindung hatten, freis
zuftellen, die Oftküfte Südamerikas zu meiden, um in der Mitte des
Atlantik oder auf der afrikanischen Seite nad) Norden zu gehen. Deine
Abjicht dabei war, dem Grafen Spee bemerflich zu machen, daß weitere
Siriegshandlungen mit Nücdficht auf den Munitionsmangel von ihm
nicht mehr erwartet würden und daß der Schwerpunkt feiner Auf
gabe nunmehr in der Rückkehr nad) der Heimat läge. Spee Formte dann, °
mit einzeln fahrenden Schiffen die unendliche Weite des Atlantik auge
nugend, in ähnlicher Weiſe wie fpäter die „Möme’ uſw. heimkehren.
Dann wäre das Preftige von Coronel in der ganzen Welt gewahrt ges
blieben. |
Da Graf Spee über die Kriegslage micht unterrichtet wor, ſchien
Dftafien — Kreuzertrieg 303
mir ein folcher Hinweis von Haufe wünſchenswert. Der Admiral—⸗
ftabschef hielt indes die Benachrichtigung Spees nicht für zweckmäßig.
Es Fam über diefe Frage zu Meinungsverfchiedenheiten zwifchen ihm
und mir, Der Admiralſtabschef wollte dem Grafen Spee nicht vor⸗
greifen, weil derjelbe nach feiner Meinung befjer über den Stand der
englifchen Streitkräfte unterrichtet fein müfje, ala wir felbit. Leider
war dies nicht der Fall. Unfer Kreuzergeſchwader ift bei den Falklands-
infeln durch eine von Spee nicht vermutete große Übermacht, bei der
jich zwei Dreadnoughtkreuzer befanden, vernichtet worden.
Man fragt fich, was den ausgezeichneten Admiral bewogen haben
mag, bie Falflandsinfeln anzulaufen. Die dortige englifche Funken:
ftation zu zerflören, hatte nicht viel Zweck, denn fobald fie die Meldung
abgegeben hatte: „Hier fteht das deutſche Geſchwader“, war ihr Beftes
getan. Vielleicht erklärt fich das Unternehmen aus der Sorge, welche
die Tapferen bei ihrer Unkenntnis der Lage bewegte, ber Krieg nähere
fich feinem Ende, ohne daß fie noch zur Reiftung kämen. Nachdem
der Sieg bei Coronel bei unferen Landsleuten in aller Welt den Stolz
auf ihr Deutfchtum erhöht hatte, fenkte der Untergang der Beſatzungen,
die, Graf Spee mit feinen Söhnen an der Spike, die Unterwerfung
ablehnten, Achtung und Wehmut in jedes Herz
Auch die in verfchiedenen Erdteilen flationierten einzelnen Kreuzer
haben ihre Schuldigfeit voll getan. Diefer Kreuzerkrieg, ber beim
Mangel an Stützpunkten Feine lange Dauer haben Eonnte, war vom
Admiralftab jehr gut vorbereitet. Agenten, Kohlen und Proviantver:
forgung Elappten, jolange das Preftige Deutfchlands in der Welt nicht
im Niedergehen war. Die Taten Kapitän z. ©. v. Drüllers auf der „Ems
ben’ und die der ‚Karlsruhe‘ waren ruhmreich und wirffam. Der Kom⸗
, mandant der „Karlsruhe, Kapitän z. S. Köhler, dachte nicht daran,
die Erlaubnis zur Heimfahrt zu befolgen; mit vier Hilfsſchiffen im
Atlantif arbeitend, umfchwärmt von englifchen Kreuzern, aber bauend
auf feine überlegene Schnelligkeit, ftrebte er nach neuen Erfolgen, bie
ihn felbft und fein Schiff eine Erplofion vernichtete, die roahrfcheinlich
von einem im Ausland gefauften unficheren Sprengftoff herrührte,
Die ‚„„ Königsberg” unter Kapitän 3. ©. Loof ift nach fcharfen Kämpfen
gegen große Übermacht erlegen. Der Kommandant und ein erheblicher
Zeil der Beſatzung haben dann ben Feldzug in Oftafrifa unter Gene=
tal v. Lettow⸗Vorbeck mitgemacht. Biel Ehre haben gute treue Deutjche
Tirpis, Erinnerungen 22
306 Die Hochfeeflotte im Kriege
auch von fpäteren Kreuzerfahrten heimgebracht. Kühnfter Unterneh:
mungsgeift führte die Hilfskreuzer Meteor”, „Greif“, „Möwe“,
„Seeadler‘‘, „Wolf durch die englischen Gewäſſer hindurch nach dem
Ozean. Der Geift, den fie zeigten, mar aber der Geift der Hochjees
flotte, denn fie waren von deren Offizieren und Mannfchaften bejeht.
Nachhaltige Wirkung auf den Verlauf des Krieges Eonnten unfere Aus—
landsjchiffe nicht bringen, da fie ohne jede Hilfe durch eigene Stütz⸗
punfte in abgemeffener Zeit erliegen mußten. Immerhin tft Das, was
wir an Verluften dem Feind beigebracht haben, mindeftens dreimal fo
groß als das, was wir felbft dabei eingefegt haben. Merkivürdig dabei
ift die Erjcheinung, daß das Erliegen unferer Schiffe nie auf offener
See, fondern ftets dann eintrat, wenn die Kreuzer notgedrungen mit
dem Lande in Berührung kamen.
Denn man fich diefe Wirkungen unferer Flotte auf die Geftaltung des
Krieges vor Augen hält, jo wird man anerkennen müfjen, daß ihre Taten
groß und ruhmreich waren, Mir ift außer dem legten Zufammenfturz
Fein Fall befannt, in dem das Perfonal fich nicht mit größter Tapfer⸗
Feit und Hingabe gefchlagen und bei bem unfere perfonelle und qua-
fitative Überlegenheit fich nicht dargetan hätte. Man wäre nicht unbe
rechtigt zu fagen, gegen eine fünffache Übermacht ohne Stützpunkte
draußen, in ungünftigfter feeftrategifcher Lage daheim, fei nicht mehr
zu verlangen gemwejen. Und dennoch, unfere Marine war jo gut, daß
von ihr das Höchite hätte erreicht werden können, wenn es gefordert
und nicht gehemmt worden wäre.
Damit fomme ich auf die beiden wefentlichiten Urfachen, weshalb
das höchite Ziel für die Marine, dag Erftreiten eines gerechten Fries
dens, nicht Hat erreicht werden Eönnen. Die Hemmungen, welche
der militärifchen Leiſtung der Marine aus politifchen Gründen während
de8 ganzen Krieges auferlegt wurden, find die eine fchon früher bes
jprochene Urſache ihres erfchütternden Loſes. Die andere Urfache ift
der Mangel einer einheitlichen verantwortlichen Leitung der gejamten
deutjchen Seemacht.
3
Die Operationspläne, welche ich in den neunziger Fahren nieder
gelegt und damals auch dem Einverftändnis des Chefs des General
fiabes unterbreitet hatte, waren fämtlich bon der wohlwollenden New
Der Operatiensplan 307
tralität Englands ausgegangen. Nachdem fich dieſe politifche Voraus:
fegung feit Mitte der neunziger Jahr geändert hatte, war ich als
Staatsfefretär bei der Bearbeitung der Operationspläne refjortmäßig
nicht mehr beteiligt. Doch habe ich je nach der Perfönlichkeit des
Admiralftabschefs die Anfichten mit ihm darüber ausgetaufcht. Als
Graf Baudifjin 1908 Admiralitabschef war, hatte er den fofortigen
rückſichtsloſen Einfag der aktiven Flotte zur Schlacht in den Vorder:
grund der Operation geftellt und dabei mein volles Einverftändnigs
gefunden. In den legten Jahren vor dem Krieg wurde aber der Ope—
tationsplan vom Admiralſtab auch mir gegenüber ald Geheimnis
behandelt.
Der Operationsplan, ben mir nun gemäß dem fpäter zu befprechen:
den Kabinettsbefehl vom 30. Juli 1914 der Admiralſtabschef v. Pohl
für den Fall einer englifchen Kriegserklärung vorlegte, beftand zu
meiner Überrafchung aus einer kurzen Anmeifung für den Chef der
Mordfeeflotte, vorläufig gegen England den Kleinkrieg zu führen,
bis eine ſolche Schwächung des Gegners erzielt fei, daß man zum
Einjegen der Flotte übergehen könne; follte fich vorher eine gute Aug:
fiht auf Erfolg bieten, fo könne auch dann fchon gefchlagen werden.
Für den fogenannten Kleinfrieg war In jener Zeit in der Preſſe, un:
ter anderem auch von verabfchiedesten Secoffizieren ftarf geworben
worden. Man überfah, daß deffen ganze Nusfichten von dem durchaus
unmahrfcheinlichen guten Willen des Gegners abhingen, ung folche
zu gewähren. Nur wenn die Engländer ſich rach Ausbruch des Krieges
fofort zu einer engen Blocade unferer Küften entichlofjen hätten,
kam der Kleinfrieg in Betracht; ob er felbit in diefem Falle richtig
geweſen wäre, fei dahingeitellt. Die Nachrichten aus England, ing:
befondere die Anlage der britifchen ftrategifchen Manöver machten aber
jene papierne Annahme einer engen Blockade der deutjchen Bucht von
vornherein unmahrfcheinlich.
Der Admiralftabschef perfönlich glaubte den Drang der Engländer,
zum Schlagen zu kommen, höher einfchägen zu follen und erwartete,
daß es demgemäß zu einer Schlacht bei Helgoland fommen müffe,
mad, wenn es eintrat, natürlich für ung am günftigften gemwejen
wäre. Mie ich fpäter erfahren habe, gingen die Sonderbearbeiter
im Wdmiralftab bei diefer Frage von dem Gedanken aus, daß dag
ftrategifche Verbalten der Engländer in den erften Wochen des Krieges
2
308 Die Hochſeeflotte im Kriege
fih Bar herausftellen müſſe und dementfprechend neue Direktiven
gegeben werden Fönnten; fie waren auch der Anficht, daß das Hinzu⸗
treten einiger Großkampffchiffe der Kaiferklaffe und die mobilgemachten,
aber zunächit noch nicht Eriegsbereiten Reſervegeſchwader die Aus-
fichten einer Schlacht vom Oktober ab noch günftiger gejtalten würden,
als in den erfien Wochen, An Hemmungen aus politifchen Gründen
wurde an Feiner Stelle der Marine gedacht, Nein zahlenmäßig be
trachtet, war jene Auffafjung nicht unrichtig. Es Tag nur das Beden-
fen vor, daß eine erfte Direktive, welche Zurüdhaltung empfahl,
Teicht dahin führen Eonnte, bei der Unberechenbarkfeit der feindlichen
Handlungen unmiederbringliche günſtige Gelegenheiten zu verfäumen
und dem Feinde Vorteile zu bringen, die wir nicht zu überfehen im-
ftande waren. Sch erhob deshalb Einwendungen gegen dieſen Opera⸗
tionsplan, die vom Nömiralftabschef nur inſoweit anerkannt wurden,
als eine Änderung vorgenommen wurde, bahingehend, daß, fobald fich
eine Gelegenheit böte, nicht gefchlagen werden könne, fondern müffe.
Ich glaubte, daß hiermit dee Chef der Nordfeeflotte noch genügende
Freiheit zum Handeln behielte.
Für die fofortige Betätigung unferer Flotte fprach, abgefehen von
ben politifchen Momenten der Umftand, daß mwahrfcheinlich nicht un=
erhebliche britifche Schlachtkräfte für Die Zruppenüberfchiffung über
den Kanal feftgehalten wurden, ferner, daß die Engländer für den
modernen Seekrieg nicht wefentlih mehr Erfahrung beſaßen als wir,
endlich, daß fie bei Beginn des Kriegs die Überlegenheit unferer
Schiffsmwaffen und unſeres Materials noch nicht kannten. Auf die
furchtbare, als Mberrafchungsmoment doppelt wirkſame Kraft un
ferer Panzerfprenggranaten find fie wohl noch nicht einmal durch
ihre Niederlage bei Coronel, fondern erft durch das Kreuzergefecht
vom 24. Januar 1915 aufmerkfjam geworben. Für rafches Schlagen
Iprach endlich der heilige Kampfeseifer des gefamten Perfonals, dag
mit den Großtaten der Armee wettzueifern fehnlichit wünſchte.
Ungünftig wirkte für eine fofortige Schlacht der Umftand, daß bie
gefamte englische Flotte bei Kriegsausbruch infolge der Probemobil-
machung ſchon Bampfbereit war, während dies bei ung nur auf die
aktiven Geſchwader zutraf. Ferner hatte Pohl zum Bedauern feiner
Offiziere dem Drängen des Auswärtigen Amts nachaegeben, welches
die Flotte bei ihrer Rückkehr von Norwegen ber barmloferen Er⸗
Aktivität oder Zurücdhultung } 309
fcheinung willen zmwifchen dem Norde und dem Dftjeehafen zu teilen
wünfchte. Infolge dieſes Schrittes, der zwar unfere Friedengliebe
wiederum beurkundete, aber die Kriegsbereitfchaft fchädigte, mußte
die nach Kiel geleitete Flottenhälfte erjt nach Auffüllung der Kohlen
uſw. den noch nicht einwandfreien Nordoſtſeekanal durchlaufen, um
fi) mit dem Reſt zu vereinigen!) Der Flottenchef v. Ingenohl
wurde ducch Diefe Umflände gegen die Erwartung vieler Offiziere
beftärkt zu einer ftreng defenſiven Auffaffung des Operationsbefehls
bezüglich der Schlachtfiotte, Einige Fühne Minenunternehmungen an
der englifchen Küſte veränderten die Lage nicht. Ingenohl erwartete
die Engländer in der Helgoländer Bucht in defenfiver Form, welche
der Feind nad) einiger Zeit herausfinden mußte. So kam der 28. Yuguft
heran und mit ihm ein in feinen Nace und Nebenwirkungen für
die Keiftung der Marine verhängnisvofler Tag.
Englifche Bleine Kreuzer und Torpedoboote neuefter Art hatten
gegen unſere zwiſchen Helgoland und der Küfte fichenden Vorpoſten⸗
finien am frühen Morgen in dieftigem Wetter einen Vorſtoß gemacht
und hierbei ein älteres Torpedoboot verfenkt. Als die englifchen
Fahrzeuge jich darauf feewärts zurüczogen, wurde unjeren in ben
Flußmündungen Tiegenden kleinen Kreuzern der Befehl gegeben, die
Verfolgung aufzunehmen. Diefe, über die Gejamtlage nicht unter:
richtet, gingen von ihren Ankerplätzen allein und unter Zurüclaffung
der ihnen zugeteilten Zorpedobootsflottillen mit dem ganzen Unge—
ſtüm des erften Kampfes los und trafen etwa fechzig Meilen von
Helgoland auf eine große Zahl feindlicher Aufflärungsftreitkräfte,
darunter auch vier Schlachtkreuzer. Ob ſchwere Geſchwader dahinter-
fanden, blieb zweifelhaft. „Köln“ und „Mainz“ wurden hier im
Feuer der weit überlegenen Macht tapfer kämpfend zufammengefchoffen,
big fie wegſanken.
Entjcheidend ſcheint mir, daß beim Anmarfch der Engländer nicht
fofort befohlen worden war: die ganze Flotte mit allem, was fie
1) Der Kanal war bei Ausbruch des Krieges noch nicht vollkommen fertig, Die
Tiefe jtellenweife unzureichend. Verletzungen, befonders der Schiffsfchrauben, traten
ein, welche bei den fpäteren Offenfivunternehinungen nachteilig wirkten, da fie
zum Teil erft auf See in die Erfcheinung traten, durch Verringerung der Ge:
Ichwindigfeit, übergroßen Kohlenverbrauch uſw.
310 Die Hochfeefloite im Kriege
hat, heraus! Maren größere Kräfte der britifchen Flotte in der Bucht,
fo konnte es Glücklicheres für ung gar nicht geben als hier in der
Nähe unferer Häfen zum Schlagen zu kommen. Hatte der Engländer
aber nur geringere Stärke und wich aus, fo befam die Flotte wenigiteng
die Möglichkeit einer einzigartigen Schulung im Entwiceln der geſam⸗
ten Seeftreitfräfte aus den Flußmündungen und im Vereinigen mit dem
Ausblick auf einen Kampf. Das gejchah leider nicht und auch ein
Nachjchieben von Streitkräften fand nicht ftatt. E38 wurde nur der
Befehl für eines der Geſchwader erteilt, fich in höhere Fahrbereit⸗
Schaft zu feßen. Da ich im Hauptquartier den ganzen Vorgang zu=
nächft nicht verftand, erbat ich mir fchriftliche Aufklärung von einem
Bekannten, der an ihm beteiligt geweſen war, und mies zugleich
auf die Folgen hin, die entftänden, wenn die Flotte nicht zum Schlas
gen käme. Sin der Antwort, die ich erhielt, wurde der Gedanke der
Slottenleitung, die Engländer in der Helgoländer Bucht in Anlehnung
an unfere dortigen Minenjperren zu erwarten, als richtig anerkannt;
ber Verluſt der Kreuzer wäre nur durch ihr Draufgängertum vers
fchuldet. Im Gegenſatz zu dieſer Anficht fand die Kritik ber
meiften Offiziere. Auch die Mannfchaften waren enttäufcht, daß
fie nicht zum Schlagen Fämen, und ihr herbes Urteil machte ſich
ftellenweife in bedenklicher Form Luft. Bemerkungen wurden mit
Kreide an die Wand gefchrieben, aus denen der Wunſch ſprach, an
den Feind zu kommen,
Daß im Anfang eines folhen Krieges Fehler gemacht werden,
{ft natürlich. In diefem Falle waren offenbar Wirkungen der in des
fenfivem Geifte gehaltenen Operationspläne zutage getreten. Es war
nun Sache der Oberſten Srieggleitung hier einzugreifen und auf bie
zweifellos begangenen Fehler hinzuweijen. Dann war der eingetretene
Schaden leicht ausgebeffert.
Aber das Gegenteil trat ein. Der Kaifer wollte derartige Verlufte
nicht haben, und der Reichskanzler erhielt vermehrte Handhaben für
die im vorigen Kapitel geichilderte grundfäßliche Zurückhaltung ber
Flotte. Ausdrud dafür, daß Bethmanns Auffaffung Geltung ge
wann, waren die Anordnungen, welche der Kaifer nach Vortrag Pohls,
zu dem ich wie ftets nicht zugezogen wurde, erließ, um die Initiative
des Chefs der Hochfeeflotte noch weiter einzufchränken: Schiffsver:
luſte müßten vermieden werden, Auslaufen ber Flotte und überhaupt
Der 28. Yuguft und feine Folgen 311
größere Unternehmungen müßten vorher die Zuſtimmung des Kaifers
erhalten u. A.
Nachdem ich hiervon mündlich Kenntnis erhalten hatte, nahm ich die
erfte Gelegenheit wahr, um dem Kaifer das grundfäßlich Fehlerhafte
einer folchen Knebelung darzulegen. Einen Erfolg hatte diefer Schritt
nicht, im Gegenteil entftand von diefem Tage ab eine wachjende und
von verfchiedenen Seiten geförderte Entfremdung zwifchen dem SKaifer
und mir. Wenig fpäter lief in Berlin die Nachricht um, ich triede aus
parlamentariſchen Rückſichten die Flotte in die Schlacht.
4
Als Beifpiel meines damaligen Strebens veröffentliche ich im fol
genden einige Gutachten, die ich an den Chef des Admiralſtabs ge
richtet habe, Ihr Ziel war, die Schlacht herbeizuführen. Im Aus:
druck habe ich mich ftellenmweife den vorherrjchenden Anjchauungen
bis zu einem gewifjen Grade angepaßt, um überhaupt etwas erreichen
zu Eönnen. So habe ich 3.8. bie an jich richtige, aber vom Admiral
ftabschef und Kabinettschef einfeitig in den Vordergrund geftellte Auf:
faſſung anerkannt, daß es für uns erfirebenswert wäre, die Schlacht
nicht allzu fern von Helgoland zu fchlagen. Die Hauptjache war für
mich freilich nicht diefer Ort, fondern daß überhaupt gejchlagen wurde.
Damals wurde ferner im Hauptquartier ber Gedanke einer fünftigen
Verdoppelung der Flotte hin und her gemwälzt. Gegen diefe falſche Zu>
kunftsmuſik habe ich ftets angefämpft, und darauf bezieht ſich Ab-
fat 7 in meiner Außerung vom 16. September, woraus in kaum
glaublicher Verdrehung von den Gegnern der Seefchlacht jener Ver:
dacht Eonftruiert wurde, es käme mir vor allem auf künftige parlas
mentarische Erfolge an.
Zuremburg, den 16. September 1914.
Eurer Exzellenz ftelle ich, bezugnehmend auf unfere heutige Beiprechung,
die nachftehenden Ausführungen ergebenft zur Verfügung:
1. Der Bericht des Admirals von Ingenohl vom 12.8. M. — Gg. 1738
A 1 — beftätigt meine von vornherein vertretene Anficht, daß mir
durdy den fogenannten Kleinkrieg einen Kräftenusgleih nicht erlangen
werben,
2. Das Biel unferes gefamten militärifhen und abminiftrativen Vorgehens
feit etwa 20 Jahren iſt die Schlacht gewefen. Deshalb haben wir in
312
147
*
Die Hochſecflotte Im Kriege
der Schlacht relativ ſtets bie beiten Chancen, Mit Rückſicht auf unfere
numerifche Unterlegenheit müffen wir indes anftreben, fie nicht zu weit
von Helgoland zu fchlagen, höchſtens 100 Geemeilen entfernt davon.
. Unfere befte Chance für eine erfolgreihe Schlacht war in ben erſten
2 bis 3 Wochen nad) der Kriegserflärung.
. Die Chancen bafür werden in der meiteren Zukunft für uns nicht
beffer, fondern fchlechter, weil die englifche Flotte einen erheblich
größeren Zuwachs an Neubauten erhält als wir und in voller Mbung
bleibt.
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©
. Dazu kommt, daß der anfangs glänzende Geift unferer Flotte herunter:
gehen muß durch die Ausfichtslofigkeit, zum Schlagen zu kommen.
.Es kommt darauf an, daß man das Vertrauen zu unferer Flotie
bat, daß die englifche Flotte in einer Schlacht mit der unfrigen
mehr ober wenigftens ebenfoviel Einbuße erleiden wird, als wir. Sch
perfönlich habe dies Vertrauen. Die letzte Entfcheidung kann meines
Erachtens freilih nur derjenige Mann treffen, der die Verantwortung
dafür hat, das ift der Hochfeechef. Er muß aud das Vertrauen zu fi)
felbft dafür haben, den Genius des Sieges in feinem Herzen tragen.
Faſt immer in ber Weltgeſchichte haben Kleinere Flotten größere ges
ſchlagen.
. Den Nutzen eines Intakthaltens unferer Flotte bis zum Friedensſchluß
vermag ich nicht einzujehen.
Wenn wir nad) einem fo furcdhtbaren Kriege, wie der von 1914,
zum SFriedensihluß kommen, ohne daß die Flotte geblutet und ges
leiftet hat, fo werben wir nichts mehr für die Flotte befommen.
Alles überhaupt vorhandene recht fpärlihe Geld wird in die Armee
gehen, und der große Verſuch Seiner Majeftät des Kaifers, Deutſch⸗
land zur Seemacht zu erheben, wird vergebens gemacht fein.
. In der nächſten Seit muß indeffen mit der Schlacht noch gewartet
werben, bis die Türkei definitiv losgefchlagen hat und bis bie Haupts
entiheidung im Weiten gefallen ift.
. Das Herausfhiden unferer drei disponiblen großen Schladhtkreuzer
ohne andere Streitkräfte und ohne Soutien gegen bie angenommene
feindliche Blodabelinie bei Lindesnaes halte ich deshalb nicht für richtig,
weil der Einfag an diefer Stelle mir zu hoch erfcheint gegen den mög:
lihen Gewinn.
v. Tirpitz.
An den Chef des Admiralſtabes der Marine hier.
Dein Kampf Kir die Seeſchlacht 313
Sharlesille, den 1. Oktober 1914.
Euerer Exzellenz beehre ich mich folgende Bemerkungen zu dem mir
zur Kenntnis gegebenen Schreiben bes Kommandos ber Hochſeeſtreitkräfte
vom 25. IX. 1914 zur Verfügung zu ftellen:
Ich Bin der Anfiht, daß die Ubootsgefahr früher wohl zw gering,
jeßt nach dem Erfolg von U 9 aber zu hoch gefhäßt wird),
Das Treffen vom Uboot aus ijt außerordentlich fchwierig, wenn bas
Schiff höhere Fahrt macht und in Ubootsnähe öfter Kurs wechſelt. Vor
dem Angriff von U 9 hatten alle drei Kreuzer mit zehn Knoten Fahrt ge
bummelt. Hogue und Creſſy lagen bei ben Torpedoſchüſſen geftoppt.
Trotzdem ift unfere Helgolandede durch die häufige Anmwefenheit feind-
licher Uboote zum Ausgangspunft von Dffenfivbemegungen jchlechter ge:
eignet, als wir nach Friedenserfahrungen bisher annahmen. Hierzu trägt
aber vielleiht noch mehr als das feindliche Uboot die gewaltige Größe
unferer Flotte bei, die aus ben engen Flußfchläuden herausbefilieren muß.
Unfere Friedensübungen haben uns diefe Tatjache nicht genügend vor Augen
geführt.
Die Flotte befindet fig mim in der Gefahr, entweber faft nublos hinter
unferen Strombartifaden den Krieg über zu verbringen, während Deutiche
land den Kampf um feine Erifteny als größere Macht auf der Erde führt,
oder aber, um der Ehre willen gezwungen zu werden, zur Schlacht heraus:
zugehen, wenn bie Ausfiht auf Erfolg äußerſt gering ift.
Die feige Wirkung unferer Flotte (20 Großfampffchiffe, zirfa 25 Vor:
breadnoughts, 100 Torpedoboote ufw.) hätte audy erreicht werden können
mit fehe viel geringeren Streitkräften, wenn man ſich auf die Verteidigung
ber Oſtſee beichränft hätte,
Die volle Wirkung einer „Fleet in being‘ füllt dagegen die engs
lifche Flotte aus, außerordentlicher immer ftärfer werdender Drud auf bie
Neutralen, vollfte Vernichtung des deutſchen Seehandels, praktiſch vollfte
Wirkung der Blodade, beftändiges Mberjchiffen von Truppen nah Frank:
reih. Damit hängt zufammen Nachrichten-Iſolierung Deutfchlands, Aufs
hetzung der ganzen Welt gegen uns.
Die englifhe Flotte und damit England ift Deutfchlands gefährlichfter
Feind.
Dem Stärkeverhältnis beider Flotten entſpricht die Nutzbarmachung unſerer
doch ſehr ſtarken Seemacht in keiner Weiſe. Ich will mich auf die weiteren
Gründe hierfür nicht weiter einlaſſen, ſondern nur eine Tatſache kon⸗
fatieren, der man ind Auge fehen muß.
) Es handelt fi) hier um die taktifche Uboootsgefahr für Kriegsfchiffe.
314 Die Hochfeeflotte im Kriege
Ich fehe aus diefem Grunde auch nicht ein, meshelb die volle Ins
taftheit der Flotte für den Friedensſchluß irgendwelchen politifchen Eins
fluß haben Tann.
Was nun den zweiten Punkt anbetrifft, daß mir gesmungen merben
Eönnen, um der bloßen MWaffenehre megen, unter ungünftigen Berhält:
niffen zur Schlacht herauszugeben, fo brauchen die Engländer nur eines
Morgens Helgoland von Norden aus zu bombardieren. Ein Gefchmaber
mit hoher Gefchwindigfeit, großen Abftänden der Schiffe und Zickzackkurſen
genügt hierzu. Weiter dahinter fteht in biefem Falle die ganze englifche
Flotte, d. h. Alles, was fie an Hochfeeftreitfräften haben, eingefchloffen bie
Korpedoboote. In der beutfchen Bucht vor unferen Flußmündungen ftehen
in biefem vorbereiteten Falle nicht ein Bis zwei Uboote — mehr können
die Engländer für die hauernde Stationierung in der Helgoländer Bucht
wohl faum aufbringen —, fonbern alles, mas England an Ubooten von
weiterem Aktionsradius befitt.
An diefer Notwendigkeit, um ber Ehre willen in ungünftiger Lage
und nicht volllommen vorbereitet ſchlagen zu müffen, fehe ich zurzeit bie
größte Gefahr für unfere Flotte,
Verharrt unfere Flotte auch weiterhin in ihren bisherigen zurückhaltenden
Stellungen, jo wird ihre moralifche Stärke und Leiſtung mit nicht abfeh»
baren Folgen herabgehen,
Ich bin aus diefen Gründen der Anficht, daß die Initiative des Abmirals
son Ingenohl in Feiner Weile eingeengt werden barf und daß es ihm völlig
überlaffen bleiben muf, was er unter ben vorliegenden Verhältniſſen zu
tun für möglich und richtig hält. Er darf auch nicht gehalten fein, fragen
zu müffen, denn auch darin liegt eine Lähmung feiner Initiative. Er
allein muß entfcheiden. Nach meiner perfönlichen Anficht befitt unfere
Slotte erheblih mehr Schlachtkraft, ald es unferer jegigen Kriegführung
entipricht. Das, gilt befondere von unferen gänzlich unverbrauchten Tor⸗
pebobootsftreitfräften. Daß die englifhen Torpedoboote fchlecht angreifen
können, haben fie am 28. 8. bemiefen.,
Sch bin aus bdiefen Gründen der Anficht, daß weitere Vorſtöße unferer
gelamten Schlachtflotte unbedingt erforderlich geworden find. Wenn ic
mich auf ben Fall vom 22. September beziehe, in dem ber bereits ans
geordnete Ausfall unferer drei großen Kreuzer unterblieb, weil in ber
Nähe von Lindesnaes je 12 und 16 Schiffe gemeldet wurden, weshalb
konnte unfere gefamte Flotte nicht herausgehen? Es ift unmwahrfcheinlich,
baf die gefamte englifche Flotte ſolche Fahrten macht, und felbft wenn wir
erfannt hätten, daß wir nicht nur die J., fondern die gefamte englifche Flotte
vor uns hatten, fo konnten wir durch entfprehende Dispofitionen die Schlacht
Für die Scefchlacht 315
wohl erheblih zurüdlegen, z. B. dadurch, das die langfameren Schiffe
auf gleichem Kurſe in 50 Seemeilen Abitand folgten. (Staffeln.)
Nun wird eingewendbet, daß bei ſolchen Vorftößen, Die zur Schlacht
führen, unfere havarterten Schiffe auf dem Rückzuge verloren find. Woher
weiß man, daß viel havarierte Schiffe überhaupt vorhanden find? Heißt
es nicht vielleicht: Entweder oder? wird in einer großen Schlacht nicht die
Mehrzahl der havarierten Schiffe torpebiert werden, folange der Ausfall
noch zweifelhaft ericheint? Sind bie Engländer nicht in einer ähnlichen
Lage? Die langen Nächte beginnen jegt, und da follten unfere ungleich
höher geichulten Zorpedoboote der englifchen Flotte gegenüber verfagen?
Ferner wird eingewendet, der Rückzug nad unferen Flußmündungen
würde uns verlegt werden durch die aus dem fühlichen England kommenden
Slottenteile. ft denn die Diitanz foviel größer von Lindesnaes nad) Helgo>
land als von England ebendahin? Sind denn, wenn wir die Initiative
ergreifen, alle englifchen Flottenteile zum fofortigen Auslaufen und Zu⸗
ſammenſchließen bereit? Das Sufammenfcließen iſt dort ebenfo ſchwer,
wie bei und. Bei Hoek van Holland oder in ähnlicher Reichweite werden
in Sufunft nicht viel englifche Schiffe mehr ftehen, Nur der Initiative
ift das Glüd hold. (Emden, U 9, Königsberg, U 21.) Tritt aber dennoch
bie Situation ein, daß wir nicht nad) Helgoland, fondern ins Kattegatt
zurüdgehen müſſen, fo find mir dort zu Haufe und die Engländer nicht.
Abmiral von Ingenohl verlangt nım, daß die Belte geöffnet werben
follen. Auf eine ſolche Forderung Eönnen die Dänen nach den Vorgängen
nicht eingehen. Sie follte fchon aus dem Grunde unter feinen Umftänden
geftellt werden, meil fie in England fofort befannt würde.
Das Yurüdgehen durch Kattegatt und Belte muß im Motfalle ohne
zu fragen geichehen. Übrigens hat Dänemarf im Anfang des Krieges
und zu verftehen gegeben, daß es ben Fleinen Belt in zmel Teile teile,
in den bäniichen Zeil bei Baagö, ben es fperrte, und in den deutichen Teil,
den Aroefund, den wir zu verforgen hätten. Hinter diefen Vorwand, daf
wir den beutichen Teil des Heinen Beltes benugt hätten, Fönnte ſich Däne⸗
marf zurüdziehen, im übrigen handelt es ſich auf deutfcher Seite nicht
um eine Dffenfive von den Belten aus, fonbern formell um bie Rettung
bavarierter Schiffe. Es wäre ein Akt der Notwehr. Dänemarf mürbe
uns deshalb nicht den Krieg erklären, höchftens würde England die Paffage
durch die Belte auch für fich verlangen. Das tut es fegt nur deshalb nicht,
weil es noch nicht feinem Vorteil entfpricht. Anerkannt hat es die Berech⸗
tigung Dänemarks, die Belte zu fperren, nicht (ef. Sir E. Grey und Ants
wort des R.K.). Die Dänen haben nach den bisherigen Regeln der Neu—
tralität tatfächlih auch gar nicht das Internationale Mecht, Dies zu tun.
316 Die Hochfeellstte in Kriege
Alfo die Paffage durch den Kleinen Belt tft für uns frei, Der bisherige
Nutzen ber Belifperrung durch die Dänen ift allerdings ins Gegenteil um»
geichlagen.
Ein für uns günftiger Ausgleich der Kräfte durch den Kleinkrieg ift
nach den bisherigen Erfahrungen nicht zu erwarten, eher Tann das Gegens
teil eintreten, was das Urteil über unfere Flotte nur ungünftig beeinfluffen
ann. Einen ähnlichen Eindrud wird an und für ſich ſchon die bevorftehende
Erftürmung Tſingtaus und die langfam aber ficher zu erwartende Vernich⸗
tung unferer Auslandsfreuger hervorrufen.
Nichts Ipriht dagegen, Admiral v. Ingenohl vollfte Freiheit des Hans
delns zu geben. Meiner Anficht nach erforbert es der Verlauf des Krieges
im Ganzen. Operationen und Streitkräfte in der Oſtſee find danach ein-
zurichten.
v. Tirpitz.
An den Chef des Admiralſtabes der Marine hier.
Großes Hauptquartier, den 11. Oktober 1914.
Das von Euerer Exzellenz auf Grund Ihres Immediatvortrages an
ben Hochjecchef gerichtete Schreiben vom 6. X. d. J. — 168 — gibt mir
Veranlaffung, Euerer Erzellenz folgende Bemerkungen zur Verfügung zu
ftellen:
1. Die Direltive, daß bie Flotte ſich zurüdhalten und Aktionen ver:
meiben foll, die zu größeren Verluften führen Eönnen, wird meinem
Erachten nah zur Folge haben, daß ſich für die Flotte bie Ge:
legenheit einer Schlachtentfcheidung überhaupt nicht bieten wird. Sie
wird vielmehr nur dann unter günftigen Umftänden zum Gchlagen
fommen, wenn fie verjucht, durch Vorftöße, wie fie auch der Hochfee-
chef in feinem Schreiben vom 25. IX. 1914 — Gg. 2030 0 — vor:
gefhlagen hat, den Gegner in Situationen zu bringen, bie geftatten,
gegen Teile der feindlichen Flotte vorzugehen oder nächtliche Tor⸗
pebobootsangriffe gegen ihn anzufegen. Das Erfcheinen unſerer Flotte
außerhalb der Helgoländer Bucht muß in den Dispofitionen der feind⸗
lichen Slottenleitung Unficherheit hervorrufen und Gegenmafregeln ver:
anlafjen, die die feindliche Flotte oder weſentliche Teile von ihr in bie
Nähe unferer Küfte bringen werden, Nur fo, d. h. durch Initiative
unfererjeits, kann ji) die Flotte die Gelegenheit zur Schlacht oder
doch wenigftens zur erfolgreichen Torpedobootsverwendung fchaffen. Über:
läßt fie die Initiative dem Gegner und wartet in den Flußmündungen
ab, bis biefer die Schlacht gemwijjermaßen anbietet, fo wird fie ftets flart
überlegene und vorbereitete Streitkräfte vor fi; haben, gegen melde
Gr die Seeſchlacht 317
fie ich aus den Flußmündungen faum noch mit Ausfiht auf Erfolg
entwideln Tann.
2. Die energifche Verwendung von Korpebobooten tft meines Erachtens
nur möglid, wenn biefe mit ftarfen Streitkräften, am Beften mit der
ganzen Flotte als Rüdhalt, zum Anfat gebracht werden, Andern⸗
falls treffen fie bald auf überlegene gemiſchte Streitkräfte, fo daß
fie nichts erreichen werden. Dagegen bin id} der Anficyt, daß, wenn es
uns gelingt, unfere Xorpebobootsflottille entweder in der Tagſchlacht
ober in nächtlihem Angriff gegen weſentliche Teile ber englifchen Flotte
zum Anja zu bringen, wir große Erfolge erzielen werden. Dafür
bürgt mir ihre auf fahrzehntelanger Schulung beruhende gute Durchs
bildung,
3. Das dauernde Liegen unferer Geſchwader in den Flußmündungen kann
auf die Gefechtsbereitfhaft unferer Flotte nicht ohne nachteilige Folgen
bleiben. Es fehlt nicht nur dem Flottenverband die Möglichkeit der
Aufrechterhaltung feiner taftifhen Durchbildung, fondern, ohne dafi
dem Perfonal der geringfte Vorwurf zu machen ift, muß auch mit
Naturnotwendigkeit der glänzende Geift unferes Perſonals dadurch bes
einflußt werben, ba ihm immer mehr bie Ausficht auf eine Eriegerifche
Betätigung entrüct wird,
v, Tirpißz.
An den Ehef des Admiralſtahes der Marine bier.
5
Ich meinte nicht, daß die Schlacht in jedem Fall und an jedem
Ort geſucht werden dürfte. Ich wünſchte vielmehr, daß die Nordſee—
flotte durch ſtändige Tätigkeit eine Lage herbeiführte, welche die Eng—
länder näher an uns heranzöge, Entwidelte fich fo eine Schlacht aus
unferer Initiative, nicht allzu fern von unferen Gemwäffern, jo mar
auch, namentlich im erften Teil des Krieges, die Möglichkeit gegeben,
daß die Engländer nicht ihre gefamten Streitkräfte vereinigt in die
Schlacht fegten. Die Gefchichte diefes Krieges, die zu fehreiben ich
bier nicht beabfichtige, wird zeigen, daß folche Gelegenheiten fich ges
boten haben. Im Anfang des Krieges hatte fich noch nicht fo Elar
wie ſpäter die Lage herausgearbeitet, daß die Britifche Flotte ihren
Daſeinszweck ſchon dadurch erfüllte, daß fie ſtill bei Scapa Flom
ruhte. Die öffentliche Meinung der feindlichen Ränder hätte es da⸗
1
318 Die Hochfeeflotte im Kriege
mals den Engländern nicht fo leicht gemacht, eine Schlacht zu ver
meiden. Schon Eleinere Erfolge unfererjeits hätten den Feind an
uns berangetrieben.
Dazu kam das verhältnismäßig günftige Zahlenverhältnis unferer
Schlachtflotte zu der englijchen im erften Kriegsjahrt). Ferner mußte
der fehlerhafte, zwecklos aufreibende Kleinfrieg die Kampffreudig-
Feit der Flotte herunterdrücen. Wenn auch die moralijche Epann-
fraft unſeres Perjonals bis in das Jahr 1918 hinein ausbielt und
unfere Eeemacht zu jeder Aktion fähig machte, wie vor Oſel Ende 1917
bewieſen wurde, fo ift doch nicht zu bezweifeln, daß die planmäßige
Unterwühlung durch die unabhängigen Sozialdemokraten, welche das
Ende der deutschen Seemacht wie des ganzen Reichs allein möglich
gemacht bat, infolge der Untätigkeit der Marine eine gewiffe Auf:
nabmefäbigfeit vorfand.
Die Echlachtichiffe waren in oder vor den Flußmündungen, hinter
den Sperren liegend, ohne anfchaulichen Zweck und fcheinbar endlos
angenagelt; der ſchwere aber eintönig wiederholte Dienft wurde nach
fünfs bis fiebenjährigem ununterbrochenen Bordleben faft unerträg-
ih. Alle ohnehin Eargen Friedenabequemlichfeiten waren aus den
eijernen Kälten ausgeräumt. Dabei jederzeit auf dem Anftand, darum
wenig Urlaub und kaum je Nusfpannung. So wurde mit der Zeit ein
Leben, das nur Naturen mit Fijchblut nicht niederfchlagend fanden,
eine Schule der Kritik und ein Nährboden für umftürzlerifche Krank
heitsträner.
Mährend aber, einem een Grundſatz der Difziplin ent-
ſprechend, namentlich bei aroßen Aufgeboten die Strafen für die
ihlechten und fchwachen Elemente im Kriege verjchärft werden müſ—
jen, gaben wir gemäß dem ganzen Verfahren unferer Reichsleitung
dem Wunfch unferer WVolfsvertreter nach, milderten die Strafen und
unteraruben weiter die Autorität der Vorgefegten durch ein Übermaß
son Umneftieerlafjen. Unſere Feinde handelten im entgegengejeßten
”) Unjer bis 1914 infolge des Virrerlautempos von 1908/11 ftattliher Zuwachs
ſank von 1915 ab infolge des 1912 einfekenden Sweiertempos. Vgl oben S 199.
Gleichzeitig Fam der Niefenzumachd der Engländer aus den Baujahren 1910/13
herein, den wir bei der Kürze der englifhen Bauzeiten fehon vom Frühjahr 1915
ab erwarteten, während er tatjächlich erft im Herbft 1915 den Umſchwung zu
unſeren Ungunften gebracht hat.
Ausſichten einer Seefchlacht 319
Einn, ebenfo wie wir im Sabre 1813 es taten. Als damals eine
innere Auflöfung unferer fchlefifchen Landwehren drohte, gingen wir
jogar jo weit, mit Blüchers Zuftimmung die für die Stimmung der
Freiheitsfriege an fich anftößige Prügelftrafe wieder anzumenden. In den
von uns erlebten ſchwerſten Tagen Deutfchlands aber betätigte fich
das zerfeende Syſtem unferer Regierung, im Krieg die Zügel zu
locern, auch innerhalb des militärifchen Dienftes. Das Vorgefegten:
perfonal erkannte wohl den Schaden, hatie fich aber den von oben
fommenden Unsrönungen zu fügen. Die Flottenleitung hat nach den
Sabotageerfcheinungen im Sommer 1917 vergeblich die Reichsleitung
auf die Notwendigkeit hingewiefen, den Berliner Krankheitsherd für
Landesverrat augzubrennen. Den Ernft diefer Bewegung für die Marine
hatte fie wohl auch noch nicht voll erkannt. Sch felbft, mit den Erfah—
rungen einer 51 jährigen Dienjtzeit in der Marine, habe eine folche
Meuterei, wie fie im Herbft 1918 tatfächlich eintrat, für völlig unmöge
lich gehalten.
Als 1917 die Führer der unabhängigen Eozialiften, ftatt, wie die
Marine erwartet hatte, wegen Landesverrats angeflaat zu werden, durch
Reichstag und Keichgregierung gefchüßt wurden und ihre teuflifche Bes
tätigung fortfegen durften, war im Grunde das Ende der veutfchen
Macht zur See bejiegelt.
Überall da, wo die Zentralftelle des Umfturzes Feine Verbindung
mit den Schiffsbefagungen hatte, wie auf Schiffen in dem öftlichen
Zeil der Oftjee, oder dort, wo diefe gar unter Gefahren und ſchweren
DVerluften in beitändiger Fühlung mit dem Feind blieben, war die
Moral ungebrochen. Große Schiffe in verhältnismäßiger Untätiafeit
find, wie die Seefriegsgefchichte aller Völker zeigt, fehwer in Ord—
nung zu halten. Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts verfiel
die englische Flotte vor der Themfe und im Kanal der Meuterei, fo
daß das Parlament mit den Meuterern verhandeln mußte. Während
aber für jene Zeit fchlechte Koſt (zweifelhaftes Salzfleifch und Schiffs:
zwieback, graufame und ziemlich willfürliche Prügelftrafen, zahlreiche
Hinrichtungen ufw.) eine gewiſſe Unterlage für den Aufruhr gaben,
fehlte unferen Leuten jeder ernftliche Anlaß zur Befchwerde. Die
Mehrzahl von ihnen wußte wohl nicht, was fie tat, während die Leiter
der Bewegung die feelifche Erfchlaffung der Leute ausnutzten, um die
Meuterei auf den großen Schiffen zum Ausbruch zu bringen.
320 Die Hochfeeflotte im Kriege
Für die Ausfichten des Kleinkriegs muß man, abgefehen von feiner
grundfäßlichen Unrichtigkeit, auch ftets berüdfichtigen, daß wir ges
rade in den für den Kleinkrieg erforderlichen Streitkräften mit Eng:
land niemals in Wettbewerb treten Eonnten. Die großen Eolonialen
Bedürfniſſe Englands fchließen dies aus. Unfere Flottenentwiclung
war auch aus diefem Grunde auf die Schlacht Fonzentriert. Ferner
war die Möglichkeit, daß eine Schlacht fich aus ber englifchen Ini⸗
tiative flatt aus der unferigen heraus entrwidelte, für uns gefährlich.
Die Engländer brauchten nur einen Scheinangriff auf unfere Küften
zu unternehmen. Mit einem Angriff z. B. auf Borkum oder Sylt
Eonnten fie ung leicht zur Schlacht zwingen. Für einen folchen Fall konn⸗
ten fie ihre ganze Flotte einfchließlich eines Teiles der Küftenftreitkeäfte
zur Stelle holen. Wir fchlugen dann zwar in der Nähe unferer Häfen,
aber gegen eine überwältigende Ubermacht und an einem Ort, welcher
durch Minen und Uboote für ung noch ganz befonders unficher und daher
ungünftig hätte gemacht werden können. Freilich haben die Engländer,
wie fich gezeigt hat, die qualitative Überlegenheit unferer Flotte jo richtig
eingefchäßt, daß fie eine Schlacht nicht einmal unter jo günftigen
Umftänden aufgefucht haben.
Die englifchen Geſchwader aber gewannen während der Kriegs:
jahre in dem großen Seeraum, der ihnen zu Gebote ftand, an See—
gewohnheit und Kriegserfahrung und glichen damit die anfängliche
Überlegenheit unferer Schulung, die Frucht unferes Friedensfleißes
aus, und erfüllten fich mehr und mehr mit dem Gefühl, die unbezwing-
liche englifche Seegemwalt der napoleoniſchen Kriege fortzufegen.
Drganifation, Ausbildung, Anfchauungsmweife und Geift unferer
Flotte waren auf rafches Handeln und offenfives Zupaden erzogen,
wie das deutfche Landheer auf den Bewegungskrieg. Die Schlacht war
unfere befte Chance. Die Engländer hofften, je länger je mehr, auch ohne
Schlacht ihren Zweck zu erreichen, Uns lag es daher ob, fie zur Schlacht
zu zwingen. Nur dann handelten wir politisch und frategifch richtig,
wenn mir die Initiative an ung riffen. Durch ihre Nichtausnußung verlor
die Schlachtflotte die Rechtfertigung ihres Dafeins. Sie büßte die Kraft,
die fie in fich enthielt, ein, und enttäufchte die Hoffnungen der Nation
wie ihre eigenen Erwartungen. Wären die Armee und die Diplomatie im⸗
ftande gemwefen, einen günftigen Ausgang zu erzielen, fo war die Verfüms
merung ber Seewaffe gewiß zu ertragen. Uber, wie im vorigen Kapitel
Zusfichten einer Seeſchlacht 321
auseinandergeieht wurde, war eg eine verhängnisvolle Einbildung,
welche die Wurzel des Kriegsverluftes wurde, daß die Teitenden Pers
fönlichkeiten mwähnten, ohne fcharfe militäriſche und politifche Front
gegen England heil aus dem Krieg herauskommen zu Fünnen.
Die Ausfichten einer modernen Seefchlacht find fehivierig zu beur⸗
teilen. Beim Abmwägen der beiderfeitigen Chancen wird leicht zu fehe:
matifch verfahren. Dan vergleicht oft nur die Stärken nach den
Schiffsliften, glaubt für beide Teile einen gleichen Abzug für repa=
voturbedürftige Schiffe machen zu müffen und bedenkt dabei nicht,
daß der Zeil, aus deffen Initiative heraus fich die Schlacht entwickelt,
einen für fich günftigen, für den Gegner ungünftigen Moment wählen
Fann. Die zahlenmäßige Überlegenheit bleibt natürlich ſtets von Bedeu:
tung, aber, wenn fie nicht übermächtig ift, kommen neben ihr in Betracht:
Güte des Perfonals und Materials, Höhe der taktifchen Ausbildung und
Wert der Führer, Die meiften Seefiege der Welt find von der Minders
zahl erkämpft worden. Wenn die Flotten eine gewiſſe Größe über:
fleigen, wird es ſchwer, die Überlegenheit auf der Wafferfläche taf-
tifch zur Geltung zu bringen, denn in der Hauptfache kämpft in der
Seeſchlacht doch Schiff gegen Schiff. Da es auf See Fein Gelände
gibt, Umflügelungen u. a. eine viel geringere Bedeutung haben als
zu Land, fpielt auch die zahlenmäßige Übermacht nicht diefelbe Rolle,
tote die „größten Bataillone” an Land. Das gleichzeitige Feuern
mehrere Schiffe auf ein Ziel iſt dei den heute möglichen großen Ent:
fernungen von recht zweifelhaften Nuten, da es die artilleriftifche
Beobachtung erfchwert, und bedingt jedenfalls eine Vergeudung dev
fpärlichen und während des Gefechtes nicht erfegbaren Munition.
Ferner hat fich bei allen GSeegefechten des lebten Jahrhunderts bie
Erfahrung ber Neljonfchen Zeit beftätigt!), daß im Gefecht gemöhn-
lich eine Kriſis eintritt: von dem Augenblid ab, da ein Schiff ein-
mal die Feuerüberlegenheit erlangt hat, finft die Kampfkraft feines
Gegners jäh zum völligen Ende ab, während der Sieger, fofern er
nur Überroafferverlegungen erlitten hat, ziemlich ungebrochen für neue
Verwendung bdafteht. So hat in ben wenigen durchgefchlagenen Sees
Schlachten der modernen Zeit der Unterlegene alles verloren, der Sieger
erftaunlich wenig gelitten, wie bei Vernichtung der fpanifchen Flotte
vor St. Jago, der Schlacht von Tſchuſima, der Schlacht von Coronel.
N Der englifche General Arhibald Douglas A treatise on Naval Gunnery 1829,
Zirpifi, Erinnerunsen 21
322 Die Hochſeeſtotte im Kriege
Auf dieſe Weiſe braucht die Heinere Flotte, wern nur ihre einzelnen
Schiffe einen höheren inneren Wert haben, in gewiſſen Grenzen auch
dem an Zahl fiärkeren Feind gegenüber nicht zu verzagen. Das Be
mwußtfein der Mberlegenheit im einzelnen Schiff ıft deshalb die Grund-
lage für den Geift der ganzen Flotte. Wer will beurteilen, wie das
Ende der Schlacht von Skagerra? verlaufen märe, wenn die Nacht
nicht dazmwifchen Fam. Man braucht fich nur zu vergegenmärtigen,
daß bei den großen Entfernungen, auf welche die Engländer das Ger
fecht zu führen vorzogen, ihre Gefchüge nur etwa fiebzig Schuß, die
unferigen dagegen fehr viel mehr aushielten, ohne ihre Zreffähigkeit
ſtark einzubüßen. Nach der Schlacht ging durch unfere Flotte das
klare Gefühl der Überlegenheit.
Mas unfere Seefriegsführung in der erften ausfichtsreichen Zeit
lähmte, war nächft den bekannten politifchen Hemmungen das Pre:
ftige Englands zur See, das auch auf unfere Marine wirkte, mwenig-
fteng bei manchen älteren Offizieren, bie fich und unfere junge Marine
nicht richtig einfchäßten. Das fehon im Frieden beliebte und teilweiſe
von oben begünftigte Nörgeln am Material unferer Flotte wirkte
nicht günftig auf eine Tatkraft, die über die erhaltenen Direktiven
hätte hinausgehen müffen. Man fei in diefem Punkte gerecht und
vergleiche die Lage der Marine vom Jahr 1914 nicht mit derjenigen
ber Urmee von 1870, welche durch die 1364 und 1866 als voran.
gegangene Prüfung das volle Bewußtſein ihrer Kraft und die Kennt
nis, den richtigen Führer zu beiten, hatte,
Die außerordentlich ſchwierig war auch die Lage für den Flotten-
ef. Er follte nur unter günftigen Bedingungen eine Schlacht wagen.
Unfere ungünftige feeftrategifche Lage erfchwerte aber fehr, fie zu
erkennen, während wir aus den Funfmeldungen ber Engländer ents
nehmen Fonnten, daß der Feind flets unterrichtet war, fobald größere
Streitkräfte von ung auch nur die Flußmündungen verliefen. Die
Möglichkeit, auf eine ungünftige Gelegenheit zu ftoßen, war fomit ges
geben. Auf eine erhebliche numerifche Überlegenheit des Feindes mußte
tan flets gefaßt fein. Dabei Fonnte der Flottenchef von feiner lokal bes
geenzten Stelle die politifchemilitärifche Lage und damit die Notwendige
Feit, in gegebener Zeit zur Schlacht zu Fommen, nicht überfeben. Eben:
fowenig wie bie allgemeinen Folgen einer Niederlage, mit deren Mögs
lichkeit er doch zweifelsohne auch rechnen mußte. Non diefer Verant-
*
Die Gegner der Seeſchlacht 323
wortung hätte er daher grundfäglic) entlaftet werden müſſen. Auf dieſe
Frage werde ich noch zurückkommen,
Sp wie politifch der Kanzler, der Kabinettschef und der Admiral⸗
fiabschef die Lage auffaßten, waren fie Gegner einer offenfiven Tätige
Feit unferer Flotte gegen England. Sie konnten fich erhöhte Geltung
verſchaffen durch die Nückficht, die man auf die ruffische Flotte neh—
men zu müfjen glaubte. Mein Grundgedanke drang nicht durch,
daß man die Kräfte jederzeit zu einem Hauptfchlag, fei es gegen den
Hauptfeind oder einmal dazwifchen gegen einen Nebenfeind, mög:
lichſt geſchloſſen zuſammenhalten mußte. Es ſind in der ganzen
erſten Zeit ohne wirklichen Nutzerfolg erhebliche Kräfte der Flotte
für die Oſtſee abgeſplittert worden, jedoch kaum jemals ſo große,
daß ſie dort einen entſcheidenden Schlag hätten führen können. Aus
dem Gefühl heraus, daß doch etwas geſchehen müßte, wurden ver⸗
ſchiedene Unternehmungen bis in die Nähe des Finniſchen Meerbuſens
angeſetzt, die ſich aber ſtets als Luftſtöße erwieſen und die Verſamm—
lung unſerer Kräfte in der Nordſee verzögerten oder unterbrachen.
Die Beſchäftigung mit Oſtſeefragen ging bei den Gegnern einer gegen
England zu ſuchenden Seeſchlacht ſoweit, daß die Auffaſſung an
mehreren Stellen Platz griff, den Schwerpunkt der Flotte überhaupt
in die Oſtſee zu verlegen. Sie fand u.a, ben Beifall des Kabinetts—
chefs. Für mich wäre dies nur dann in Frage gekommen, wenn wir
in der Nordjee Feine Ausficht mehr hatten, die Engländer zum GSchlas
gen zu bringen. Dann Eonnte der alte Stoſchſche Operationsplan in
ber Weiſe aufleden, daß wir durch einen ganz großen Schlag gegen
Rußland in Gemeinfchaft mit der Armee diefes zum Sonderfrieden
geneigter machten bzw, die Engländer verlocten, ihm mit ihrer maris
timen Hauptmacht zu Hilfe zu eilen?).
2 Gh erwähne Bier, daß mir kei Kriegkausbrud eine Abmachung mit Däne:
mark getroffen hatten, wonach der große Belt unter dänifcher Gewähr für alle
Kriegsführenden geſchloſſen werden follte. England erkannte aber dad Hecht Düne:
marks Hierzu garnicht an und die fchmochen dänifchen Beltfperten wären, wenn
die Engländer in die Ditfee dringen mwoilten, unfchwer übertannt worden. Diefe
in den erſten Kriegstagen leider audy von mir gebilligte Abmachung wurde für
und zum Nachteil, weil wir glaubten, die Rüdjicht auf Dänemark auch im weiteren
Kriegsverlauf einhalten zu follen, während fie uns hemmte, unfere unglüdliche
ſeeſtrategiſche Lage in ber beutichen Bucht durch Nusnusung des Kattegats und
Skagerrals zu verbeffen.
rn, =
Ai
334 Die Hochleefiotte im Kriege
Ich habe in der ganzen erften Kriegszeit gegen die Entfremdung
ber Flotte von ihrem großen Ziel und Zweck angekämpft. Das brave
Perjonal der Flotte wußte nicht, wie häufig ich mich einfegte, um
der ftrategifchen DOffenfive Geltung zu verjchaffen. Der größte Teil
des Offiziersforpg fpürte das Verhängnis wohl. Der Kaifer ſah
ſich veranlaßt, den Zweifel der Flotte, ob die Seekriegführung auf
dem richtigen Wege fei, verfchiedentlich auch durch Anſprachen zu be
fchwichtigen. Am 7. September 1915 erging eine Kabineitsorder gegen
die „unrichtige und Verſtimmung eriveckende Auffaffung der ganzen
Lage der Marine’’1),. Der Katfer mahnte, „den Geift freudiger Pflicht
erfüllung hochzuhalten wuch dori, wo bisher Feine Gelegenheit zu
Eriegerifcher Betätigung vor dem Feinde war oder fie nach menſch⸗—
lichem Ermeſſen nach der ganzen Kriegsgeftaltung überhaupt nicht
eintreten wird... Gerade bei den äußerft vermwidelten Verhältniffen
diefes Krieges muß von den Offizieren Vertrauen in die Oberfte
Kriegsleitung verlangt werden, die in Abwägung aller militärischen
und politifchen, fich dem Blick der Allgemeinheit mehr oder weniger
entziebenden Faktoren entjcheidet, wo vorgegangen wird und wo zurück
gehelten werden muß...” Die Order bezeichnet es dann meiter als
„ſchweren politifchen Fehler”, die Flotte angefichts der ſtrategiſchen
Verhältniffe in der Nordſee unter von vornherein ungünftigen Ver
hältniffen einzufegen, und fchließt nach einem Verbot an die Offiziere,
fih über den Ubootsfrieg ein Urteil anzumafßen, mit den Worten:
„Ich verlange damit in letzter Linie die pflichtmäßige Unterordnung
unter Meinen Willen als Oberfter Kriegshere, der Sch die ſchwere
Verantwortung für die Zufunft des Neiches trage und von dem gerade
die Marine überzeugt fein follte, daß er glüctich fein würde, fie
hemmungslos dem Feind entgegenwerfen zu Eönnen.” Die Tragik
im Verhalten des Kaiferd bricht mit den Testen Worten hervor.
Mer, um den englischen Löwen nicht zu reizen, dem Kaiſer bag dem
Geift diejes Weltkrieges widerfprechende Snbannfchlagen der Flotte
angeraten hatte, überfah wohl, daß diefer Standpunkt das eigene Werk
) Ich führe den mefentlihen Inhalt diefer Kabinettsorder im Wortlaut Bier
an, weil fie, tendenziös abgekürzt, won gewilfenlofen Zeitungsfchreibern als Beweis
für den fehlechten Geift in der Flotte benugt worden ift. Das Gegenteil iſt der
Gall; Die Order ift verenlaft worden, weil die Berater des Kailerd glaubten, den
überfhäumenden Rampfgeift ber Flotte zügeln zu müffen.
Die Rabinettserder vem 7. September 1315 325
des Kaiſers zerfiören mußte. Wie konnte man eine Flotte bauen, ohne
fie im Lebenskampf des Volkes einzufegen! Wie konnte man anderfeits
jene Politif machen, die Bethmann im Juli 1914 betrieb, außer im
Vertrauen auf ein feemächtiges Deutfches Neich!
Bei jedem fich bietenden Anlaß habe ich meine dem Geift biefer
Kabinettsorder wideriprechende Auffajfung mündlich oder fchriftlich dem
Chef des Admiralftabes mitgeteilt. Ähnliche Dokumente dem Kaifer uns
mittelbar einzureichen, erfchien mie ausfichtslos und hätte als Übers
fchreitung meines Reſſorts die Spennung nur verfchärft. Sch vereins
famte mehr und mehr. Schon im Spätherbit 1914 wagten mir wohl⸗
gefinnte Perjönlichkeiten aus der nächften Umgebung des Kaiſers
mich nur noch nach eingetretenem Abenddunkel in meinem Quartier
aufzufuchen, um fich feinen Mißdeutungen auszuſetzen.
Die Empfindlichkeit des Admiralſtabschefs hatte mich davon ab:
gehalten, mit dein Chef der Hochfeeflotte Ingenohl, einem perföns
lich tapferen und ritterlichen Manne, unmittelbare Fühlung zu neh:
men. Erft der Eindrud, den ich am 25. Oktober in Wilhelmshaven
von der Arbeitsweije des Flottenfommandog empfing, verſtärkte meine
Bedenken darüber, ob das bisherige untätige Verhalten der Flotte
fediglih auf die vom Hauptquartier erhaltenen Weifungen zurück
zuführen wäre. Nach der Befprechung mit mir erwirkte fich Ingenohl
die Erlaubnis des Kaifers zu einem Vorftoß auf Yarmouth, den
er am 3. November ausführte. Dies und ein boffnungsvoller Brief
Ingenohls vom 9. November, werin er mir fein Vertrauen auf die
Slotte im Fall eines Zufammenftoßes mit den Engländern, das er
von folchen Vorjtößen erwartete, Eundgab, gab mir die nächfte Aufgabe,
ihm tunlichfte Freiheit des Handelns zu verfchaffen. Das Kabinett
ftand damals wohl mit Recht noch auf dem Standpunkt, daß ein
Wechfel in der Perfon des Flottenchefs mindeftens verfrüht wäre,
Erft der Verlauf der fpäteren Vorftöße vom 12. Dezember und bes
fonder8 vom 24. Sanuar 1915 veranlaften die Ablöfung Ingenohls,
an deſſen Stelle Pohl trat. Diejer Verfonenwechfel, bei welchem
der Kabinettschef ein Benehmen mit mir gefliffentlich vermied, Töfte
innerhalb der Marine eine Bewegung aus, welche darin gipfelte,
die verjchiedenen anordnenden Stellen der Marine vereinigt in eine
Hand mit entfprechender Machtbefugnis zu legen.
326 Die Hochfeeflstie im Kriege
6
Aberblickt man die verwidelte Art der Seekriegsführung auf den
getrennten Schauplägen fowie die Begrenzung unjerer Keiftungsfähig-
keit binfichtlich des perjonellen und materiellen Zumwachjes, jo kann
man nicht darüber im Zweifel fein, daß zur Zufammenfaffung und
wirkfamen Verwendung unferer Kriegsmittel eine einheitliche Leitung
das dringendfte war. Wie die im Frieden jelbftändig nebeneinander
laufenden Behörden der Landarmee unter eine Oberſte Heeresleitung
geftellt wurden, fo hätte auch die Marine im Krieg eine einheitliche
Spite befommen müſſen. Die Tragödie unferes Seekrieges ift in der
einen Tatjache ausgedrücdt, daß die Marine erft im September 1918
eine Oberſte Seefriegsleitung erhalten hat.
Auch den Iandmilitärifchen und politifchen Behörden gegenüber
konnte nur eine einheitliche Seefricgsleitung diejenige Autorität gegen:
überftellen, die nötig gewefen wäre, um den Krieg gegen England mit
Erfolg zu führen.
Daß der Kaifer ſich perfünlich die Führung feiner Liehlingswaffe
vorbehielt, war Fein Erſatz. Denn abgefehen von den fonftigen Pflich-
ten, die den Herricher in Anfpruch nahmen, Eonnte eine fo ungeheure
fachmännifche Verantwortung wie z. B. der Befehl bald zur Schlacht
zu kommen, auch nicht ihm perfönlich aufgebürdet werden. Das Ka-
binett hat den Monarchen übel beraten, als es ihm, d. h. damit auch
fich felbft, die unmittelbare Beſtimmung über die Hochfeeflotte vor
behielt. Die Folge war, daß dag vom Kaifer felbft gefchaffene Macht
mittel zue See gewiffermaßen im Kabinett vermoderte. Der Entjchluß,
die Flotte einzufegen, Bonnte dort nicht gefaßt werden. Man fuchte
nach Entſchuldigung für die eigene Schwäche und verfiel fo darauf,
das Material der Flotte fchlecht zu machen. Als es nach Skagerrak
den Zweifelnden wie Schuppen von den Augen fiel und fie erfann-
ten, wie ſehr unfere Schiffe den britifchen überlegen waren, ift es
für die Neue gefchichtlich fchon zu fpät geweſen.
Ob der Admiralftabschef, der Staatsfekretär oder eine andere Ma—
rineftelle den Oberbefehl erhielt, war an fich gleichgültig und eine
reine Perfonenfrage, Es mußte die Perfönlichkeit fein, welche in
ber Diarine dag höchſte Anfehen und Vertrauen genoß. War dies ber
Admiralftabschef, fo durfte er dann freilich nicht, wie es infolge der
Behördenfpaltung im Kriege eintrat, fich einen haftig Improvijierten
Die Frage ber Oberfien Seekriegsleitung 327
Apparat für organiſatoriſche, politifche, völkerrechtliche und wirtfchaft:
liche. Angelegenheiten neu fchaffen, fondern mußte die hierfür längſt
im Frieden ausgebauten Einrichtungen bes Reichsmarineamts benüßen.
Der Dualigmus im Krieg zeitigte eine allmähliche Entgliederung der
altbewäsrten Behörden und ein ungleichmäßiges und vielfach uner-
probtes Arbeiten der neu hervorgerufenen Stellen und bei deren naturs
gemäß entitehender Eiferjucht eine unheilbare Minderung der Autorität
ber Marine im Nat des Kaifers und bei der Nation. Der Kanzler
und das Auswärtige Amt aber haben in Fragen, für welche big-
ber das Keichsmarineamt allein zuftändig war und Yangjährige Er:
fahrungen gefammelt hatte, ſich an den Nömiralftabschef gewandt,
ber aus der Friedenstätigkeit wohl nicht überfah, daß eine unzu⸗
fängliche Erledigung der fo an ihn herangetragenen, feiner Behörde
bisher fremden Fragen das Anſehea der Marine mindern mußte.
Wenn ich auch das ganze Unglück, welches die unzufammenhän-
gende Behandlung der Marinefragen im Krieg über die Nation ver:
hängt Hat, nicht ahnen Eonnte, fo trieb mich doch ſchon am 29. Sul
1914 ein ficheres Gefühl dazu an, den Kaiſer durch den Kabinetts⸗
chef bitten zu Iaffen, Marineamt und Admiralftab in eine Hand zu legen.
Märe der Nöomiralftabschef eine geeignete Perfönlichkeit gemwefen,
fo hätte ich ihn vorgefchlagen, fo wie ich fpäter, an einer anderen
Löſung verzmweifelnd, im Hauptquartier dem Admiral v. Pohl in Gegen:
wart ber anderen Offiziere angeboten habe, mich ganz unter ihn zu
fellen, wenn er nur feine Entfchlüffe vorher mit mir befprechen
wollte. Zum Oberleiter der fo vereinigten Behörden Ponnte ich aber Pohl
nach dem einftimmigen Urteil des Seeoffizierforps dem Kaifer nicht vor:
Schlagen. Er war ein guter Seemann und vortrefflicher Navigateur. Er
hatte auch ein Gefchmwader fehr gut geführt, darüber hinaus gingen aber
feine Fähigkeiten nicht. Sch fagte dem Kabinettschef demzufolge am
29. Juli, daß unter den obwaltenden Perfonalverhältnifjen die genannte
Aufgabe wohl mir übertragen werden müßte,
Nach Vortrag bei Seiner Majeftät teilte Admiral v. Müller mir
mit, daß fich der Katfer hierzu nicht hätte entfchließen Fönnen, daß
er aber meine Mitwirkung in der Weiſe fichern wollte, daß ich in
allen die Seefriegsführung betreffenden Fragen vom Chef des Admi⸗
ralſtabs gefragt und meine abweichenden Anfichten Seiner Majeftät
mitgeteilt werden follten. Ein Sabinettsfchreiden, welches diefe uns
328 Die Hochfeeflette im Kriege
glückfelige Halbheit feftlegte, wurde am 30. Zuli dem Admiralſtabs—
chef und mir zugeftelft, blieb aber im meiteren Verlauf ein Stüd
Papier.
Die Marine hat fpäter die Meinung laut werben laſſen, ich hätte
bamals, als mein Einfluß noch etwas galt, eine gefchichtliche Stunde
verfäumt, indem ich auf der Forderung einer einheitlichen Seekriegs⸗
leitung nicht bis in die Ichten Folgerungen beharrte. Indes nur mer
die Mefensart des Kaifers nicht kennt, kann fich einen günftigeren
Erfolg davon verfprechen, wenn ich mit meinem Erfuchen unmittel-
bar an den Kaifer berangetreten wäre oder den Abſchied erbeten
hätte, Erfteres hätte der Katfer doch erft nach Beratung mit dem
Kabinettschef entfchieden. Letzteres wäre mir ficherlich verweigert
worden. Dann aber auf dem MAbfchiedsgefuch zu beharren, weil
eine von mir felbft erbetene Erhöhung meiner Stellung abge:
fchlagen worden mar, verbot fih für mich als Offizier. Ich
hätte nur fchwere Mißhelligkeit chne Nuten erzeugt. Auch die Armee
hat zwei Sahre lang auf die von ihr erfehnte Führung warten müfjen,
und der im Winter 1914/15 vom erjten Vertrauensmann ber
Armee in diefer Hinficht geäußerte Wink hat nichts gebejfert, fon:
dern nur ihm ſelbſt die Möglichkeit weiteren Wirkens erfchwert.
Sch habe getan, was ich Eonnte; das weitere mußten andere vers
fuchen. Wie fie e8 taten und mit welchem Erfolg, das kann ich, da
ich felbft bei diefen Erörterungen ausgefchaltet blieb, am Beſten durch
einen mir zur Verfügung geftellten Auszug des Tagebuches des Ad-
mirals Bachmann erläutern.
„2. Sebruar 1915. ... Der Kabinettshef teilte mir mit, daß ih an
die Stelle des Admirals v. Pohl treten follte.e Sch bat, mid, wenn es
noch möglich wäre, nicht für diefe Stelle in Betracht zu ziehen, mweil ich
ben Poſten des Admiralftabschefs im Großen Hauptquartier für ein Unding
hielte. Die Seefriegsführung ließe fih mach meiner feften Überzeugung
nit von dem meit im Binnenlande befindlihen Großen Hauptquartier
aus leiten und dürfte nicht abhängig fein von jedesmal einzuholenden
Allerhöchſten Entfheidungen. Sie müffe vielmehr einheitlich für alle Kriegs:
fhaupläge dur) einen .... mit den Seeftreitfräften in engiter Fühlung
ftehenden Oberbefehlshaber geleitet werden, der mit ben meitelten Voll:
machten ausgeftattet fei und ... jeden Augenblid felbjtändig entfcheiden .. .
könne. ©. M. müffe fih de facto des Oberbefehls über die Flotte bes
geben und fih auf die Erteilung ganz allgemeiner Richtlinien für bie
Bemühungen für eine Oberite Seeltiegsfeitung 329
Kriegsführung beſchränken. Ich hatte nach den früheren Mobilmachungs:
beflimmungen überhaupt nie anders gedacht, ald daß ein ſolcher Ober:
befehlshaber fofort nach Ausbruch des Krieges ernannt werden würde.
Der jet beftehende Zuftand: Hochſeechef, Oberbefehlshaber der Oſtſeeſtreit—
fräfte und Marinekorps auf je einem Kriegsichauplag befehligend, dazu der
Chef des Admiralftabes im Großen Hauptquartier als fogenannter Leiter... .,
aber ohne jede eigene Befehlsgewalt fei meiner Anfiht nad) verderblich
und müffe fo ſchnell wie möglich befeitigt werden ...
Auf die Frage des Kabinettschefs, wer denn nad) meiner Anficht ale
Oberbefehlshaber in Frage käme, ermwiderte ih: .... Meines Erachtens
füme jest nur noch ber Grofadmiral von Tirpitz dafür in Betracht, der
Mann, der die deutſche Flotte gefhhaffen habe und deffen Name unauf:
löslih mit ihr verbunden fei. Er genöffe in der Marine und beim Volle
bie größte Autorität und befize die nötigen perfönlichen Eigenfchaften für
diefen wichtigſten Poften der Marine.
Admiral von Müller meinte, Großadmiral von Tirpitz fei 18 Jahre aut
bem praeftifchen Marinedienft heraus und fünne daher fo große Seeflreit-
fräfte, wie fie jest mobil gemacht feien, nicht mehr führen.
Hierauf ermwiderte ih: Für die praftifche Führung fämen doch in erfter
Linie ber Flottenchef und die Verbandschefs in Frage, außerdem ließe fich
das rein Technifche der Gefamtführung leicht durch Beigabe eines erfahrenen
Stabes bemältigen. Ich fei jederzeit bereit, unter Verzicht auf meine
immediate Stellung Stabschef zu werden, wenn man mich dafür geeignet erachte.
Der Kabinettschef erklärte, Großadmiral von Tirpitz ale Oberbefehle:
haber einzufegen, fei dennoch ausgefchloffen; er unterftände als Staats:
fefretär dem Neichsfanzler, auch habe er ſich während des Krieges mit den
Stellen, mit denen er zu tun gehabt hätte, fo vielfach überworfen, daß
aus feiner Einfezung als Oberbefehlshaber auch weiterhin Konflikte zu er:
warten feien. Außerdem habe er im Seeoffizierforps viel an Vertrauen
eingebüßt, da das Material!) unferer Flotte nicht allen Anforderungen ent:
ſprochen hätte.
Ich wandte ein, daß Großabmiral von Tirpitz doch leicht für die Dauer
bes Krieges von der Stellung als Staatsjefretär enthoben und Admiral
von Gapelle an feiner Stelle zum ÖStaatsfefretär gemacht werden könne,
daß meines Erachtens die bisherigen Konflikte des Großadmirals von Tirpiß,
deren Urfache mir übrigens unbefannt wäre, im Hinblid auf die Ausfchaltung
des hochverdienten Mannes aus der Leitung der Marine milder zu beur-
teilen feien und daß das Urteil der Front über dag Material wenigſtens
in vielen Punkten voreilig und ungerecht fei.
2) Bezüglich des Materials fiehe Seite 113ff, und Anbang
339 Die Hochſeeflotte im Ariege
Admiral von Müller erklärte ſchließlich noch, eine ſolche Neuorganijation
liege fih im Kriege nicht improvifieren, fie hätte, wenn man fie haben
molite, ſchon im Frieden vorbereitet werden müſſen.
Hierauf konnte ih nur fagen, daß fih nah meinem Dafürhalten bie
Einfegung des Oberbefehlshabers durch eine Kabinettsorder von wenigen
Zeilen machen lalfen würde.
Der Kabinettshef brach die Diskuffion damit ab, daß er fagte, jetzt fei
nichts mehr an der Tatſache zu ändern, daß ich zum Chef des Admiral
flabes ernannt worden fei. ...“
Mehrere andere hochgeitellte Offiziere haben mie von ähnlichen
Anläufen berichtet, welche fie mit demfelben Ergebnis unternommen
hätten. Sch übergehe diefelben bier. Der tiefere Grund meiner Aug:
Schaltung war der Unterfchied der ftrategifchen Grundauffaffung zwiſchen
dem Kabinett und mir, Als die Schlacht am Skagerraf endlich der Verz
dächtigung des Materials, die als Vorwand gegen mich in dag Land
binausgetragen wurde, den Boden entzogen hatte, war ich fchon ver:
abjchiedet und die Geſamtlage zu unferen Ungunften verwandelt.
Die eigenartige, nicht leicht zu verjtebende Perfönlichkeit des Kas
Hinettschefs v. Müller hat an den Schickſalen Deutfchlands einen uns
verhältnismäßigen Anteil. Der in Schweden großgemwordene und duch
eine lange höfiſche Laufbahn gegangene Tiebenswürdige, Eünftierifch
veranlagte, bei den Damen des Hofes und in der Geſellſchaft wohl
gelittene Dann befaß dabei etwas vom Fanatiker; er war Abftinenzler,
Dazifift, Freund von Sir Mar Waechter!). Er war nicht in erfter Linie
Seeoffizier. Er hatte im Gegenfat zu feinem Amtsvorgänger Senden dag
Weſen des Preußentums gerade in feinen edlen und wertvollen Auße
rungen nicht in feine Auffaffungsweife aufgenommen. Er ift in geriffem
Sinn den Verfuchungen feiner Stellung erlegen, weil er zu weich war
und ein unficheres Urteil über Perfonen und militärifche Dinge befaß.
Bei Rückfprachen Tieß er fich Ieicht überzeugen, aber ebenfo leicht von
einem Dritten wieder umftimmen. Schöne Nedeformen, wie fie Beths
mann=-Hollmeg anwenden konnte, beftachen den felbft ſprachgewandten
Mann, der, von feiner Macht durchdrungen und im Kabinettswejen
febend, „zwar nicht alles durchfegen, aber alles verhindern konnte“.
Auch er wollte nur das Beſte. Es war aber ein Unglüd, daß zwei
fo Eongeniale Naturen wie Bethmann und Müller zu fo enger Arbeites
gemeinschaft kamen.
9) Im der erſten Auflage war der Name werwechlelt worden.
Ablehnung der Oberſten Seeiriegsieitung 331
Der Kaifer hat ben ſummierten Einfluß der Auffaſſung beider Herren
auf feine eigene an fich meift treffendere Urteilsbildung leider nicht
beizeiten erkannt. Er fah vielmehr in Müller gerade einen vorzüge
lichen Vermittler zwifchen zwei fo entgegengejeäten Naturen wie Beth:
manıı und ich es waren. Aber ein Vermittler war Müller gerade nicht,
das hatte ſich fchon in den Friedensjahren gezeigt, denn er trat faſt auge
nahmslos auf die Seite Bethmanns; er mußte, wie er ſich dann auss
zubrücen pflegte, zu feinem Bedauern gegen feine Couleur ftinmen.
Es iſt das Wort gefallen: „Sch werde nicht zwifchen Mich und
Meine Marine einen andern ſetzen.“ Für die Sllufion, daß der Oberfte
Kriegsherr jelber mit der Flotte operierte, waren Naturen am Plate,
welche den Kaifer auch gern bei Eleineren linternehmungen bis in
die Einzelheiten hinein um feine Weifungen befragten. Der Reichs⸗
kanzler und der Kabinettschef, welche Pohl feit in der Hand hatteır,
benüßten feine Eigenart, um in ihm die NRefjorteiferfucht mir gegen:
über ins Krankhafte anfchwellen zu laſſen. Sch möchte annehmen,
daß hierbei das ſchwere innere Leiden fchon beigetragen hat, dem er
ein Jahr fpäter erlag. Als ich Eurz vor feiner legten Erkrankung mit
ihm zufammen teaf, fprach er mir gegenüber fein Bedauern aus,
nicht mit mir zufammen gegangen zu fein.
SH war ins Hauptquartier mit übergefiedelt und blieb dafelbft,
folange ich noch hoffen Eonnte, meinen Einfluß auf den Kaiſer nicht
ganz zu verlieren. Sch habe mich aber dort unter der mir fremden
Weſensart ber ausfchlaggebenden Perfönlichkeiten mehr und mehr zer:
rieben. Jetzt glaube ich, daß die Stellung des Staatsſekretärs, die
von allen Seiten gedrückt und möglichit ausgehöhlt wurde, eine flärs
tere geblieben wäre, wenn ich meinen Sitz in Berlin beibehalten
hätte. Ein Oberbefehlshaber oder richtiger ein Chef der Admiralität
dagegen hätte micht an einen beftimmten Ort gebunden fein dürfen,
fondern je nach den Aufgaben im Hauptquartier, in Berlin, in Wil:
helmshaven oder in befonderen Fällen an Bord fich frei beivegen
müſſen. Daß er etwa immer auf dem Flaggſchiff ſäße, wo er ben
Überbii® über die Zufammenhänge hätte verlieren müſſen, wäre ebenfo
veraltet gewefen, wie wenn ein moderner Armeeführer ftändig zu Pferd
auf dem Feldherenhügel hielte,
Ich muß e8 mir hier verfagen zu berichten, welche Schäden ber
Mangel an Oberleitung und die Selbftändigfeit der einzelnen Marine
332 Die Hochleeflatte im Kriege
ftelfen und Kriegsfchaupläge im einzelnen bewirkt bat, Der Heffte
Schmerz blieb für die meiften Offiziere das Yusbleiben der Schlacht,
das fie mit ſchweren Ahnungen für Deutjchlands und der Marine
Zukunft erfüllt hat. 1806 war die Zeit zu Eurz, als daß viele bie
Kataftrophe hätten kommen fehen; bier aber erkannten fie viele,
7
Dei der don der Marine mit Verwunderung aufgenommenen Er—⸗
nennung Pohls zum Flottenchef hatte der Kabinertschef Bedacht darz
auf genommen, ihm im Hauptquartier einen Nachfoiger zu geben,
der fi) der Marinepolitik Bethmanns gefügig erwieſe. Doch täufchte
die Menfchenkenntnis des Kabinettschefs ihm wie fo oft, wenn er
jest Admiral Bachmann hierfür geeignet erachtete. Bachmann vers
trat vielmehr die in der Marine vorherrfchenden Anfichten mit folcher
Geradheit, daß ihm feine Stellung als Xomiraljtabschef bald er-
jchwert wurde und er ſchon im September 1915 in Admiral v. Holtzen⸗
dorff einen Nachfolger erhielt.
Mährend feiner Amtsführung hatte e8 Bachmann erreicht, dem
Slottenchef völlige Handlungsfreiheit zu erwirken. Pohl war frei
lich auf feinem Standpunkt des Oftjeefrieges ftehen geblieben und
glaubte fich an mündliche Direktiven, die ihm ber Kaifer mitgegeben
hatte, halten zu follen. Zugleich ſchienen tatfächlich die Ausfichten
einer Schlacht fich zu unferen Ungunften zu verfchieben durch den
Zuwachs englifcher Neubauten und das ftärker bemerfbare Zuſammen⸗
halten der gegnerifchen Gefamtmacht. Der Ubootsfrieg trat in den
Vordergrund der Operationen, der nach meiner und Bachmann Auf:
fajfung 1915 in der Form nicht zweckmäßig ohne meine Zuftimmung
durch Pohl und Bethmann eröffnet worden war.
Als Admiral Scheer Anfang Sanuar 1916 den erfrantten Admiral
v. Pohl als Flottenchef ablöſte, übernahm er mit dem von ihm er:
wählten Stabschef v. Trotha das Kommando in dem feften Willen, troß
der ungünftiger gewordenen Kriegslage die Flotte ftärfer zum Tragen
zu bringen. Demgemäß trat er auch der durch die vorangegangene
Untätigfeit der Flotte eingetretenen Ermüdung der Geifter mit Er—
folg entgegen. Die Abficht, zum Schlagen zu fommen, wurde 1916
fchon erheblich erfchwert durch den von England unter gewaltigen Ans
ſtrengungen unternommenen Verfuch, unjere Nordfeeede von Borkum
Bechſel in der Fisttenleitung 333
bis nach Jütland durch weite Minenfelder gegen untere Hochfeeitreit-
Eräfte und Uboote abzufchließen. Um dieſen Zweck des Feindes zu
pereiteln, mußten wir eine große Drganijation fchaffen aus Fahr:
zeugen, welche nach einem beftünmten Syſtem Fahrjtraßen durch
dieſe Minenfelder offen und gefahrlos halten mußten. Mit der Zeit
entwickelte fich hieraus ein äußerſt anftrengender, gefehrvoller Dienit,
der manches Opfer gekoſtet, aber bis zum Kriegsende feinen Zweck
im Wefentlichen erfüllt bat. Durch diefe Fahrſtraßen mußte die Flotte
hindurch, um in die freie Nordfee zu gelangen und auf gleichem
Wege den Rückmarſch bewerkitelligen. Man fieht, wie erfchwert die
Operationen der Flotte im Verhältnis zu den Vorjahren geworden waren,
Bei einem der weit ausholenden Vorſtöße, der urfprünglich in
der Richtung auf England geplant war, trafen unfere Kreuzerkräfte,
die im ziemlicher Entfernung von unferem Gros flanden, vor dem
Skagerrak auf die an Zahl überlegenen Kreuzerkräfte der Engländer
und griffen fofort an. Schon nach Eurzer Zeit jtellte fich in dem fo
entftehenden Kampf eine erhebliche Überlegenheit unferer Schiffe ber:
aus. Es ftanden anfänglich ſechs englifche Schlachtkreuzer unferen
ünf Schlachtfreuzern gegenüber. Die Luft war zu diefem Zeitpunkt
Eriftallklar, die Gefechtsentfernung zu Beginn etwa 15000 Meter.
Achtzehn Minuten nach Feuereröffnen flog der Schlachtkreuger „In⸗
defatigable”, zwanzig Minuten fpater die „Queen Mary‘ in die Luft Y.
Im meiteren Verlauf des Gefechtes erhielten die Engländer eine mes
fentliche Verſtärkung durch fünf neuefte, erft im Kriege fertig ge
wordene Linienfchiffe der Queen=ElifabethFlaffe, deren Heizmaterinl,
gänzlich aus Heizöl beftehend, diefen Schiffen eine fo hohe Gefchwins
digkeit gegeben hatte, daß fie fich an dem Kreuzergefecht beteiligen
fonnten. Sie hängten ſich an die englifchen Kreuzer an und griffen
auf hohe Entfernung in den Kampf ein. Bis zu dem Augenblick,
wo der englijche Admiral Beatty, unfere Schlachtflotte fichtend, eine
Kehrtfchwenfung machte und auf nördlichen Kurs ging, hatte fich
die Kampfkraft unſeres Gefchwaders fo gut wie nicht verändert.
Das meiftbefchädigte Schiff, die „Seydlitz“, hatte drei ſchwere Treffer
erhalten, davon einen 38 Zentimeter, wie fich fpäter aus den Geſchoß—
ſprengſtücken feftftellen Tieß. Auch ein Torpedotreffer, den dieſes Schiff
) Man gedente hierbei der verbrecherifchen Nusfireuungen über die angeblie
Vündermertigkeit unferer großen Kaliber,
334 Die Hochleeflstte im Kriege
Ipäter von einem englifchen Zerfiörer erhielt, hatte fo gut wie Feinen
Einfluß, da feine Wirkung ducch das Torpedolängsfchoit aufgefangen
wurde. In den Fommenden Phafen der Schlacht Eonnte die „Seydlitz“
einen zweimaligen Stoß auf das englifche Gros mit Höchſtgeſchwindig—
Feit mitmachen, wobei fie noch weitere zwanzig ſchwere Gefchoßtreffer
erhielt. Trotzdem iſt fie mit eigener Mafchinenkraft in den Hafen
eingelaufen. Aus dem frifchen Gefühl der überftandenen Gefahr her
aus fchickte mir der tapfere Kommandant, Kapitän v. Egidy, zu met
ner Freude im Namen der Offiziere und Mannfchaften ein warmes
Danktelegramm für das ausgezeichnete Schiffgmaterialt).
Admiral Scheer und fein Stabschef v. Trotha entnahmen aus den
Sunfenmeldungen, daß das Kreuzergefecht zu einem Zuſammenſtoß
mit der Grand Fleet führen mußte, deren numerifche Überlegenheit
und in biefem Stadium einheitliche Zufammenfegung aus Linienfchiffen
der Großkampfklaſſe fie voll überfahen. Es bleibt ihr großes hiſto—
riſches Verdienſt, daß fie mit äußerſter Kraft der Mafchinen zur
Schlacht drängten. Sie ſchätzten die perfonellen und materiellen Eigen:
jchaften unferer Flotte richtiger ein, als es bisher gefchehen mar,
Als demgemäß unfere Schlachtflotte die nach Norden ablaufenden
englifchen Schlachtkreuzer und Linienfchiffe unter Feuer nahm, konn⸗
ten infolge der „vorlichen” Pofition des Gegners außer den Schlacht
kreuzern, die Sich der Flotte vorgefeßt hatten, nur die Spitzenſchiffe
der „‚König“Elaffe unter Admiral Behnde zu Schuß kommen. Der
englifche Admiral zwang, allmählich von nördlichen Kurſe auf öſt—⸗
lichen gehend, unfere Spitze gleichfalls zum Abbiegen. Nachdem biefe
noch vorher in wenigen Minuten den neu hinzugefommenen Schlacht:
Preuzer „Invincible“ und zwei Panzerfreuzer der „Warrior““laſſe
niedergefämpft hatte, ftieß fie plötzlich auf das in Qualm und Dunft
fiegende, in Tanger Linie entwickelte Gros ber englifchen Flotte, Die
Sofort mit fämtlichen Schiffen ein ſchweres Feuer eröffnen Fonnte,
Die Lage war durch Zufall für unfere Flotte taktifch fehr ungünftig
geworden. Nicht nur hätten unfere Schiffe unter dem Feuer ber
ganzen feindlichen Flotte aufmarfchieren müffen, wenn fie in gute
taftifche Pofition hätten gelangen wollen, fondern die Beleuchtung
mar jest auch derartig, daß die deutfchen Schiffe fich gegen den weft
9) Dantestundgebungen von der ganzen Flotte zeigten mir, daß die Erkenntnis
som Wert unferer Schiffe fih in der Feuerprobe durchgefegt Hatte,
Skagerrak 335
lichen Abendhimmel als Silhouetten abhoben, alſo in den vorüber
gehenden Augenblicken guter Sichtigkeit ausgezeichnet für Die artille⸗
riſtiſche Beobachtung daftanden, während umgekehrt der Dunft, der Im
Dften Tag, bie Schiffsrümpfe der Engländer jo verbarg, daß ihre
Stellung fait nur aus dem Aufdligen der Gefchüge erkennbar wurde,
Admiral Scheer entzog fich feiner auf diefe Weife gefährlich gewor—
denen Lage, indem er durch gleichzeitige Kehriwendung mit unferer
ganzen Flotte zunächft zurüdging, ein Manöver, das im tobenden
Geſchützfeuer wohl nur wenige Flotten der Welt auszuführen imftande
geweſen wären. Er wurde bei dieſem Manöver unterjlügt durch zei
unferer Torpedobootsflottillen unter Kapitän z. S. Heinrich, welche die
gefährliche Lage unferer Flotte erfannten, das Gros der englischen Flotte
angriffen und das gefamte Feuer des Feindes auf ſich Ienften. Als
Admiral Scheer die erforderliche neue Gefechigformetion mit feiner
Flotte gebildet hatte, drehte er nochmals auf den Feind zurüd, um
den Angriffsftoß zu wiederholen. Die eintretende Nacht machte über⸗
legte Kampfformationen aledann unmöglich. Wenn die englifche Flotte
in dieſer Phafe ein Gefühl der Überlegenheit gehabt hätte, fo würde
fte unserer Flotte unter allen Umftänden an der Klinge geblieben fein,
denn Da wir noch ein älteres Geſchwader der Vordreadnoughtperiode
dei ung hatten, die englifche Flotte aber ausfchließlich aus neuen Groß:
fampfichiffen befiand, jo waren fie der unferigen auch an Gejamt-
flottengefchwindigfeit überlegen und verfügten außerdem euch noch
über eine Gruppe von Schlachtfchiffen mit befonders hoher Geſchwin⸗
digkeit,
Admiral Scheer, wie auch die ganze Flotte erwarieten unter biefen
Verhältniſſen mit Beſtimmtheit eine Erneuerung des Kampfes am
nächften Morgen. Sie zogen es aber vor, diefen Kampf in größerer
Nähe der von Minen freien Fahrſtraße zu beftehen, und befchlojfen
deshalb, in der Nacht ſich dorthin in die Nähe von Hornsriff zu Des
geben. Als der Tag anbrach, war weit und breit die See leer, bis
ein Luftfchiff meldete, daß ein neuerer größerer Flottenteil weit weſt—
wärts im Anmarfch fe. Es hat fich fpäter herausgefiellt, daß es
ſich in Wirklichkeit um dag Gros der englifchen Flotte handelte, weis
ches ober bald nach Norden abdampfte. Für die Bewegung der eng-
liſchen Flotte iſt wahrscheinlich, daß fie nach Eintreten der Duntel
beit Heim Abdampfen nah Weſten den Stand unferer Flotte ſüdlich
336 Die Hochfeeflotie im Kriege
pajjierte und daß in etwas weiterem Abſtand die Nachhut, beitchend
aus Kreuzern und einem großen Zeil der englifchen Torpedobootsſtreit⸗
Eräfte folgte. Durch die zwifchen Gros und Nachhut jo entftehende Lücke
muß dann unjere Flotte bei ihrem Abmarfch nach Süden durd):
geftoßen fein. Dadurch entftand aber für die Maſſen der englifchen
Zoorpedoboote unterftüßt durch Kreuzer das Glüd einer unvergleichlich
günjtigen Angriffsmöglichkeit auf unfere in langer Linie gefchloffen
dampfende Flotte. Der Angriff erfolgte mit Tapferkeit, aber wenig
Geſchick. Unjere „Pommern“, ein Vordreadnoughtichiff, ging dabei
verloren. Über mehrere englifche Kreuzer und mindeſtens ſechs Tore
pedoboote gingen unter dem Feuer unferer Schiffe in hellen Flam⸗
men auf, die hoch über die Maſten der Schiffe gen Himmel fchlugen.
Es war, fo fehrieb mir ein hoher Offizier des Flottenftabes, ale ob
wir durch eine brennende Allee fuhren. Dazu Teuchteten die Schein:
werfer und fpielte die Funfentelegraphie. Es ift daher nicht möglich,
daß das noch nicht weit abjtehende englifche Gros im Unklaren über
das DVerbleiben unferer Flotte wer,
Unſeren eigenen Torpedobooten wurde eine ähnliche Angriffsmög:
fichfeit vom Schickſal nicht gewährt, fie fanden in der Nacht die
englifche Flotte nicht, Ihre große Schulung für folche Lage Fam
sicht zum Xragen.
Am 1. Juni nachmittags traf unfere Flotte in den Flußmündungen
ein, dag Derfonal gehoben und in gewiſſer Weife überrafcht von
dem Erfolg und von der bewiefenen perjonellen und materiellen Über:
fegenheit. Die meiften hatten gar nicht gewußt, wie gut unfere Flotte
war. Sie dachten nach diefer Schlacht, wo die Gunft der Verhältz
riffe nicht einmal auf unjerer Seite war, und wo von der ganzen
Flotte nur die Panzerfreuzer und die Spisenjchiffe eines Geſchwaders
voll zum Tragen gekommen find, nun an den Erfolg, den wir hätten
erwarten Eönnen, wenn wir im Anfang des Krieges eine gute Stunde
fuchten und dann die Flotte einfezten. Trotz Minderzahl und tak—
tifcher Ungunft der Umftände betrug unfer Verluft nur ein Drittel
des britischen,
Admiral Scheer hat im Laufe des Jahres 1916 noch mehrmals
ernfilich verfucht, die englische Flotte zum Schlagen zu befommen.
Sie vermied aber ganz offenfichtlic eine „costly und precipitated -
action“, und um bei Scava Flow oder vor Dover eine Schlacht zu
Die legte Phaſe 337
ichlagen, dazu waren die zahlenmäßige Unterlegenheit unferer Hochſee⸗
flotte zu groß und die Verhältniffe für uns zu ungünftig.
Befonders bemerkenswert ift ein Vorftoß, der unfere Flotte bis
auf dreißig Seemeilen ab von Sunderland heranführte und in Fühlung
mit der englifchen Flotte brachte; fie ging unfererfeits durch eine
ſchwere Regenböe verloren. Als es darauf aufflarte, war von ber
englifchen Flotte nichts mehr zu fehen.
8
Mit Einfegen des fcharfen Ubootskrieges am 1. Februar 1917
wurde die Bedrängung unferer Nordfeegebiete durch Minenfelder im:
mer flärfer, die Schwierigkeit, die Ausgangsftraßen freizuhalten, im⸗
mer größer. Die dauernde Anwefenheit unferer fchweren Streitkräfte
zur Deckung der Minenfuchverbände wurde mehr und mehr unerläßlich.
Eine Möglichkeit blieb, die bis zulebt unfere Lage noch hätte ums
werfen können. Man Eonnte den Ubootskrieg völlig unterbrechen,
die Uboote zurücziehen und den Verfuch machen, fie beim Kampf
der Flotten mitzuverwenden. Aber der einmal unternommene Uboots⸗
Erieg, der nach allen unferen Nachrichten England ſtark bedrängte,
verlor feine Wirkung, wenn man eine viele Wochen umfafjende Paufe
eintreten ließ und dem Feind für längere Zeit völlig freie Schiffahrt
gewährte; man hätte gewifjermaßen von neuem anfangen müffen.
Dazu war der Nutzen der Uboote in der Schlacht felbit bei den großen
Gejchwindigkeiten der Hochjeeichiffe faft völlig dem Zufall ausgeſetzt.
Er beruhte mehr im Unfichermachen von Meeresteilen, vergleichbar
etwa mit einem beweglichen Minenfelde, und in der Gefahr, welche
die Uboote für bewegungsunfähig gewordene Schiffe des Feindes bil:
deten.
Ob es nicht möglich geweſen wäre, dem Ubootskrieg überrafchende
wechjelnde Wendungen zu geben und dadurch, ſowie durch Hinaus—⸗
ſenden von Kreuzern das Verteidigungsiyftem der Gegner zu beein
trächtigen, zeitweife oder teilweiſe ſogar unwirkſam zu machen, will
ich unerörtert laſſen.
Als wir aber die einzige Waffe, welche die Engländer im Oktober
1918 noch ſtark bedrängte, den Ubootskrieg, dem Verlangen Wilſons
opferten, und als Folge davon jeder, der nur etwas Urteil über un⸗
ſere Feinde und den Sinn des ganzen Krieges beſaß die erbarmungs⸗
Tirpitz. Erinnerungen 22
338 Die Hochſeeflotte im Kriege
Iofeften, fchmachvollften Waffenftillftandsbedingungen erwartete, dba
entfchloß fich Admiral Scheer jene jeßt allein übriggebliebene Mög—
lichkeit einer Verwendung der Uboote für die Flotte auszunußgen. Es
war ihm erft vor Eurzem unter dem Druck der Verhältniffe und mit
Zuftimmung des Feldmarfchalls Hindenburg endlich gelungen, den Kaifer
und den Kabinettschef zu beftimmen, daß die Leitung der Gefamt-
marine in feiner Hand vereinigt würde. Eine größere Zahl von Ubooten
der Flotte vorausgefchift und für eine beftinnmte Gegend angeſetzt,
Fonnte immerhin einen gemiffen Ausgleich unferer zahlenmäßigen
Unterlegenheit bringen und vor allem nach der Schlacht den Rückzug
unferer Flotte decken, wenn fie etiva gefchlagen werden follte. Es follte,
um dem allgemeinen Zurücdfluten der Armee in Flandern durch eine
offenfive Handlung verftärkte Haltung zu geben, ein Vorftoß unferer
Schnellen Seeftreitfräfte nach dem Oftausgange des Kanals unternom⸗
men werden, zu deren Deckung die Schlachtflotte felbft, unterftüßt
durch Uboote und Minenfelder eine Aufnahmeftellung an der hollän-
bifchen Küfte einnehmen follte. Die Möglichkeit einer Schlacht
mußte dabei natürlich vorgefehen werden. Kam es wirklich dazu,
fo Eonnte bei dieſer Anlage die Schlacht mit guten . Ausfichten
angenommen werden, und war das Schlachtenglük uns günftig, jo
Eonnte diefe beſonders gut vorbereitete Unternehmung das Schickfal
unferes Volkes noch einmal wenden. Wie aber dag Gift der Revo—
lution von den ſchwachen Lenkern des alten Staates vier Jahre hin-
durch faft befördert, jedenfalls nicht bekämpft, von der Heimat über
bie Etappe bis in die Fronttruppen eingedrungen war, fo hatte es
auch in die Marine Eingang gefunden, ohne daß es äußerlich erfenn-
bar gemwefen wäre. Die Revolution brach über die Flotte herein,
die Demokratie fchlug Deutfchland die letzte Rettungsmöglichkeit aus
ber Hand und rühmte fich ihrer Tat.
Wie falfch mußte ein tapferes Volk geführt worden fein, damit fich
feine Sinne fo verwirren Bonnten! Dem Gehorfam, welche der alte
Staat feinen Angehörigen zum Guten anerzogen hatte, auch für eine
Schlechte Sache treu, lieferten jeßt Deutiche die ausgezeichneten Schiffe
an den Feind aus. Die Welt möge gerecht urteilen und bedenken, daß
dieſelben Männer, welche fich unter einer Revolutionsregierung dem
Befehle zur Schiffsübergabe fügten, früher Heldentaten —
hatten, wo immer es durften.
Der lintergang ber deutlichen Seemacht 339
Das Verſchwinden der deutfchen Marine hat auch ben anderen
Pleineren Marinen in der Welt die Lebenskraft geraubt. Ihre Be:
beutung und ihre Selbſtändigkeit beruhte auf der Bündnisfähigkeit
gegen das englifche Monopol, Wir haben diefes mweltpolitifche Ges
feß nie ganz begriffen. Die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts
zur See beruht jet einzig auf der amerifanischen Marine,
Sch glaube aber nicht am die Ernfihaftigfeit der Gegenſätze zwifchen
den beiden angelfächfiichen Mächten. Ihr Kapitalismus unterjocht
gemeinfam alle übrigen Völker. Und diefe haben, um ihre Freiheit
zu behaupten, feit dem Zufammenbruch der deutjchen Flotte Feinen
Rückhalt mehr.
22°»
Neunzehntes Kapitel
Der Unterfeebootd-Krieg
1
Je mehr England nach den Vorgängen der erften Kriegsiwochen feine
Seeftreitfräfte zurüdhielt, um uns die Gelegenheit zur fchnellen mili-
tärifchen Entfcheidung zu entziehen und mit allen Mitteln wirtfchaftlich
zu erdroffeln, um fo mehr erwuchs unferer Marine die Notwendigkeit,
den Gegner mit gleichen Waffen zu bedrängen. Das wirffamfte Kampf:
mittel, dag wir gegen den englifchen Handel befaßen, war das Unterfee-
boot. Bei feiner Verwendung gegen den feindlichen Frachtraum mar
von vornherein klar, daß die bisherigen Seerechtsbeftimmungen, bie
im weſentlichen aus der alten Seglerzeit ftammten, nicht genau für
bie neuen DVerhältniffe paßten. Am eheften Eonnten die Negeln der
alten Blockade zur Anwendung gebracht werden. Im amerikanifchen
Sezeffionsfriege waren die Blocadebrecher von den Schiffen der Nord
Staaten auch einfach niedergefchoffen worden, freilich mit Kanonen, weil
man Torpedos damals noch nicht hatte. Ebenfo wie die Engländer von
ihrer Kriegsgebietserflärung fagten, fie wäre „in effect a blockade
adapted to the conditions of modern warfare and commerce“, fonnten
auch wir für eine Uboots-Blocade ohne Zweifel ein formales Recht in
Anfpruch nehmen. Allerdings mußte in der Aufnahme feitens der
Neutralen mit einem Unterfchied zwifchen Handlungen Englands und
jolchen Deutfchlandg gerechnet werden. infolge der Seemacht, Über:
tieferung und diplomatifchen Gefchicklichfeit der englifchen Machthaber
wird von den Neutralen nahezu alles hingenommen, was England auf
See tut; wenn Deutichland aber entiprechend vorging, mußte mit
ganz anderem Widerſtande der nicht Eriegführenden Staaten gerechnet
werden. Bei einem Krieg mit England waren wir von vornherein
ftärfer „gehandicapt“, alg den meiften Deutfchen Flar war.
Die Hauptfchwierigkeit war aus den Beziehungen zu Amerika zu
erwarten, bejonderg nachdem diefes Land, entgegen dem Weſen der
Das Interview mit Wiegand 341
Neutralität, fich bald nach Ausbruch des Krieges zu einem Urfenal
für unfere Feinde entwickelt hatte. Da im Nordatlantif der Fracht
verkehr meift unter englifcher Flagge geht, fo mwuÄte jeder Kampf gegen
englifchen Frachtraum die amerifanifchen Kriegslieferanten fchädigen.
Wir Hatten ſchon bei unferen Auslandskreuzern, die auf das Gemiffen-
haftefte nach den Regeln des alten Seerechts verfuhren, beobachten
können, eine wie wenig unpartelifche Haltung die Vereinigten Staaten
ung gegenüber einnahmen.
Aus diefer Erwägung heraus habe ich, um die Stimmung drüben
zu fondieren und vorzubereiten, in November 1914 den amerifanifchen
Sournaliften v. Wiegand empfangen und ihn gefragt, was wohl Amerika,
nachdem e8 die fErupellofe englifche Durchbrechung des bisherigen See⸗
rechts geduldet hätte, fagen würde, wenn wir mit einer Unterfeeboots-
Blockade antiworteten, wozu wir doch zweifellos berechtigt wären. Die
Unterredung wurde mit Genehmigung des Ausiwärtigen Amts veröffent-
licht. Später ift die Behauptung aufgeftellt worden, der Gedanke des
Unterfeebootskrieges fei dadurch verraten, die Engländer unnötig gereizt
worden. Beides ift unzutreffend und bedeutungslos. Die Verwendung
der Unterfeeboote gegen englifchen Frachtraum war in der Preffe fchon
während der erften Zeit des Krieges, ja bereits vor dem Krieg er
Örtert, und wenn überhaupt noch eine Ausficht vorhanden war, die
britifche Regierung dahin zu bringen, daß fie fich in der Außeracht-
laffung des Seerechts Schranken auflegte, fo war dies nur Dadurch
möglich, daß man ihr eine ‚geladene Flinte vor Augen hielt, Politifche
Folgen konnten nur dann entftehen, wenn man losſchoß.
Schon vom Beginn des November ab hatten bei den leitenden
Marinebehörden Erörterungen über einen etwaigen Unterſeebootskrieg
eingefeßt. Am 7. November 1914 ftellte der Chef des Admiralſtabes
ben Entwurf einer Unterfeeboots-Blockadeerflärung der ganzen Küften
Großbritanniens und Irlands zur Erörterung. Ich machte darauf
aufmerkſam, daß bei der Neuheit der Waffe die Ubootshlodade völker—
vechtlich bisher nicht behandelt wäre. Den Zeitpunkt für die Blockade—
erflärung dürfte man nicht früher wählen, als bis eine einigermaßen hin-
reichende Anzahl von Ubooten zur Stelle wäre 1). E8 fehlen mir fraglich,
ob nicht beffer der Fommandierende Admiral bes Marinekorps in Flan-
1) Bezüglich der Frage, ob wir im Frieden mehr Uboote hätten bauen Fönnen,
vgl ben Ankang-
342 Der Unterjeeboots-Krieg
dern die Blockadeerklärung ausfpräche, damit nicht Kaifer und Regierung
in diefer Angelegenheit fefigelegt würden. „Die Blockade von ganz Engs
land“, fo ſchloß ich mein Eurzes Votum, „klingt zu ſehr nach Bluff,
Blockade zunächſt dee Themſe fcheint mir beſſer.“ Sch ‚hielt es für
richtiger, erft einmal im Kleinen anzufangen und zu fehen, wie die Dinge
militärifch und politifch Taufen würden. Eine folche Beſchränkung hätte
unferen Mitteln beffer entfprochen und die Welt allmählich an den neuen
Sperrgedanken gewöhnt. Wir hätten Amerifa gefchont, insbefondere
die ftets auf Liverpool fahrenden atlantifchen Paffagierdampfer nicht
berührt und fo die Gefahr verringert,
Admiral v. Pohl machte ſich meinen Standpunkt nicht zu eigen.
Am 15. Dezember legte er mir den Entwurf eines Schreibens an das
Auswärtige Amt vor, in dem er Zuftimmung zur Eröffnung des Unter-
feebootsfriegs Ende Januar erbat, und zwar follte der englifche Kanal
und die fämtlichen das Vereinigte Königreich umgebenden Gewäſſer
als Kriegsgebiet erklärt werden. Das Schreiben erwähnte noch eine
Außerung des amerikantfchen Bootfchafters Gerard, aus welchem der
Chef des Admiralſtabs fchließen zu können glaubte, daß von feiten
Amerikas Fein allzu großer Widerfpruch zu erwarten wäre.
Am 16. Dezember 1914 erwiderte ich auf diefen Vorfchlag folgendes:
„Euer Erzellenz beehre ich mic auf das Schreiben vom 15. Dezember
zu erwidern, daß Ich bie Abſendung des Ihm beiliegenden Erfuchens an das
Auswärtige Amt für verfrüht halte.
Man kann meines Erachtens von dieſem nicht gut jetzt ſchon eine Auße⸗
rung barüber verlangen, ob im Februar nächſten Jahres gegen eine fo
folgenfchwere Maßnahme, wie fie die beabfichtigte Ubootsunternehmung bar>
ftellt, politifche Bedenken beftehen.
Sch habe aber auch Bedenken gegen bie von Euer Erzellenz beabjichtigte
Methobe der Kriegsführung. Der Unterfeebootskrieg ohne Blodabeerklärung,
wie er von Euer Exzellenz vorgefchlagen wird, geht meines Erachtens in
feiner Wirkung auf die Neutralen fehr viel meiter als eine regelrechte
Blockade und iſt deswegen politifh erheblich gefährlicher.
Die bisherigen Kriegserfahrungen haben leider gezeigt, daß Deutſch—
land auf die Hanbelsintereffen der Neutralen mehr Nüdficht nehmen muß
als England. Auch die Bezugnahme auf die Maßnahmen der Engländer,
bie das Befahren ber nördlichen Nordſee als gefährlich bezeichnet haben,
fcheint mir nicht ganz zutreffend. Die Engländer haben einmal bas Gebiet
nicht von fih aus für gefährbet erflärt, fondern auf Grund ber (freilich
—
Verfchiedene Auffaffungen über die Methode 343
falfchen) Behauptung, dag wir Minen gelegt hätten, und zweitens, daß
neutrale Schiffe fi) der Gefahr ausfesten, für beutfhe Minenleger ges
halten und entiprechend behandelt zu werben.
Sch darf Euer Erzellenz auch zur Erwägung anheimftellen, ob es wirk:
lich angebracht ift, das Privatgefpräh des Botjchafters Gerard mit dem
Vorfigenden der Bremer Handelsfammer ald Beweismittel für ein fo
rigorofes Vorgehen ins Feld zu führen, wie es ber geplante Ubootskrieg be:
deutet. Schließlich Fönnte ich glauben, daß amtliche Stellen bei uns, bie
völferrechtlihe und moralifhe Bedenken ſchon gegen eine Unterfeeboots-
blodabe hegen, foldhe Bedenken in noch ungleich höherem Maße gegen dieſe
Art des Vorgehens geltend machen werden. Der von Euer Erzellenz auf:
geftellte Entwurf dürfte diefen Proteft eher fteigern als befeitigen.
Abgefehen von Vorftehendem bin ich aber durchaus der Anficht, dag
ein planmäßiges Vorgehen in großem Stil gegen ben englifchen Handel
mit Unterfeebooten innerhalb ber Marine auf das energifchfte und mit
allen Mitteln vorbereitet werben muß. In meinem Gejchäftsbereich ges
ſchieht dies.”
Admiral v. Pohl antwortete mir hierauf, er Fönnte meiner Anficht,
daß es für den geplanten Schritt noch zu früh wäre, nicht beitreten.
Nach eingehenden Erörterungen mit dem Auswärtigen Amt und auf
Grund einer Denkfchrift des dortigen Minifterialdirektors Kriege habe
man fich auch entichloffen, an der Form der Kriegsgebietserflärung
feftzuhalten und nicht diejenige der Blockade zu wählen. Das Auswärtige
Amt wäre durchaus bereit, diefe neue Form zu vertreten. Juriſtiſch⸗
doftrinäre Erwägungen gaben alfo den Ausfchlag.
Im weiteren Verlauf empfahl ich dem Chef des Admiralſtabes
noch, fich wegen des Unterfeebootsfrieges vor Unterredung mit dem
Reichskanzler das Einverftändnis des Generalftabschefs v. Falkenhayn
womöglich fchriftlich zu fichern. Soweit mir bekannt, blieb auch diefer
Rat unbeachtet.
Am 27. Januar 1915 wurde ich vom Reichskanzler zu einer Unter:
redung über dieſe Frage aufgefordert. Sich legte dar, daß wir England
gegenüber nur vorwärts kämen, wenn wir ihm felbft den Krieg fühlbar
machten; die Uboots-Blockade würden wir in irgendeiner Form m. €.
nicht vermeiden können. Über die juriftifche und politifche Seite der
Ungelegenheit fei ich nicht hinveichend unterrichtet, um die Zweck⸗
mäßigfeit der Form ohne weiteres abfchließend beurteilen zu können.
Der Reichskanzler lehnte in dieſem Gefpräch die Möglichkeit und Not:
344 Der Unterfeeboots:Krieg
wendigkeit eines Unterſeeboots⸗Handelskrieges nicht grundfählich ab.
Politifche Verhältniffe erlaubten jedoch nach feiner Anficht nicht, vor
Frühjahr oder Sommer 1915 eine Entfcheidung zu fällen. Sch war
mit einem folchen Auffchub der noch nicht genügend durchgearbeiteten
Ubootsfrage unbedingt einverflanden. Unter anderem hielt ich es für
richtig, die Fertigftellung der Unterfeeflotte für Flandern und der dortigen
Merfteinrichtungen abzumarten.
Sm übrigen fagte ich bei diefer Gelegenheit Herrn von Bethmann
auf eine dahingehende Frage, daß bei der Neuheit des Kampfmittels
vom militärifchen Standpunkt aus eine unbedingte Zuficherung feiner
Wirffamkeit natürlich nicht gegeben werden Fönnte. Sch war jedoch
überzeugt, daß unfere Maßnahme einen gewaltigen Eindrud machen
und daß fehr viele Handelsfchiffe durch die ihnen drohende Gefahr
abgefchrecdt werden würden.
Nach diefen Vorgängen wird man begreifen, wie außerordentlich
verblüfft ich war, als bereits wenige Tage nach dieſem Geſpräch,
nämlich am 4. Februar 1915 in Wilhelmshaven Admiral v. Pohl im
Einverftändnis mit dem Neichsfanzler dem Kaifer die Kriegsgebiets-
und Ubootserflärung vorlegte. In diefer Erklärung wurden die Gewäſſer
rings um Großbritannien und Srland einfchließlich des Kanals ale
Kriegsgebiet erklärt und gejagt, daß jedes in diefem Gebiet angetrof-
fene feindliche Kauffahrteifchiff zerftört würde, ohne daß es immer
möglich fein toürde, die dabei der Belakung und den Paffagieren
drohenden Gefahren abzuwenden. Auch neutrale Schiffe Taufen im
Kriegsgebiet Gefahr, da es angefichtd des von der britifchen Regierung
angeordneten Mißbrauches neutraler Flaggen nicht immer vermieden
werden kann, daß die auf feindliche Schiffe berechneten Angriffe
auch neutrale Schiffe treffen. Für letztere wurde die Fahrt nördlich
der Shetlandsinfeln und ein Streifen an der holländischen Küfte frer
gelaffen. Man wird den Unterfchied diefer Erklärung von meinem
eigenen Vorfchlag ohne meiteres erkennen. Sch wünfchte zunächft nur
eine Ubootsblodade der Themſe. Eine Blocdade ift effektiv, wenn
jedes Schiff, das die Zone paffiert, im erheblicher Gefahr der Weg—
nahme oder Vernichtung fteht Wenn mir alles auf die Themfe
zufammenzogen, um eine abfolute Sperrung des Verfehrs, auch für
neutrale Schiffe, herbeizuführen, fo blieb doch die übrige Küfte Frei,
und fo konnten bei diefer Mz der Nusführung wirkſame Beſchwerden
Die Kriegögebietserflärung 345
der Neutralen zunächft nicht vordommen. Im Admiralftab war man
mit der Ausarbeitung meines Gedankens der Themfefperre befchäftigt,
als Pohl unter dem 31. Januar auf einmal unter Berufung auf den
Keichskanzler die Sache umwarf. Durch bie Ausdehnung des Sperr-
gedanfeng auf die ganze Küfte wurde er weniger wirffam, rechtlich
unklar und mehr herausfordernd. Es mangelte diefer Erklärung bie
Effeftivität, die Subftanz, und dadurch regte fie den Widerfpruch
an. Sie minderte den Kredit unjerer eigenen Erklärungen und damit
in gewiſſem Sinne auch das Preftige der deutfchen Marine herab. Sie
fah etwas nach Bluff aus und durch die in der Erflärung liegende
Unklarheit, nämlich das jichtbare Beftreben, die Neutralen zu fchonen,
aber zugleich die Drohung, es nicht zu tun, erregten wie Zweifel an un-
ſerem Necht auf diefe Kriegsführung. Jedenfalls mar diefe Kriegs:
gebietserklärung, wenn ich von der juriftifchen Seite abfehe, politisch
und militäriſch unzweckmäßig. Welche Gründe vorgelegen haben, unter
Übergehung meines Votums den UÜbootskrieg in Szene zu feßen, ift mir
nicht befannt geworden. Sedenfall® war ich wieder einmal, diesmal
wohl in einer der wichtigften Fragen meines Nefforts, ungehört geblie-
ben, der Ubootskrieg über meinen Kopf hinweg und gegen meinen
Willen en in einer Form, die nicht Glück verhieß Y.
2) Unterm Datum bes 2. Februar, eingegangen am 3. Februar, teilte der Abd:
mitalftab dem Reichsmarineamt mit, daß der Reichöfanzler der Kriegsgebietserklärung
zugeftimmt hätte, deren beabfichtigter Wortlaut übermittelt murde. Hiervon
habe ich nicht8 erfahren; denn meine Abreife von Berlin nach Wilhelmshaven erfolgte
am 3. früh. Da nad) dem Kabinettöbefehl vom 30. Juli 1914 derartige Entſchlüſſe
ohne mein Votum gar nicht erfolgen Eonnten, fo befteht der begangene Fehler
darin, daß eine Entfcheidung von diefer Tragweite getroffen wurde, ohne meine
Außerung abzuwarten. Ein folcher Schritt mußte doch durchgearbeitet werden,
bevor man zu einem Entfchluffe am. Admiral Bachmann fchreibt mir über feinen
| Anteil an den Ereigniffen: „Ich Habe meine Bedenken gegen eine fo frühzeitige
Aufnahme des Uboots:Krieges dem Admiral von Pohl gegenüber am 2. Februar
1915, als ich nach Berlin berufen war, um zu erfahren, daß ich Chef des Admiral:
ftabes werden follte, unverhohlen zum Ausdrud gebracht. Diefer wies meine Be:
denken: geringe Zahl von Ubooten, keine Stüßpunlte in Flandern und anderswo,
| Unerfahrenheit im Uboots-Handelskriege uſw. zurüd und erflärte, die Frage fei
ſchon entſchieden; Meichslanzler, Auswärtiges Umt, Generalftab hätten zugeftimmt
| und bie Taiferliche Genehmigung ftände unmittelbar bevor. Ald ich am 6, Februar
| mein neues Umt antrat, war die Kriegsgebietserlärung mit der Unterfchrift von
| | Betjmann und Pohl erlaffen.“
346 Der Unterfeebootd:Krieg
Der Katfer ftimmte zu. Ich ftand zufällig dabet, Fonnte aber aus
ber ganzen Situation heraus nur noch die Anderung erreichen, baß
man in der Erflärung auf den englifchen Flaggenmißbrauch Bezug
nehmen möchte.
Der meltgefchichtliche Entjchluß mar, wie ich fpäter erfuhr, am
2. Februar in einer Situng beim Reichskanzler mit Zuftimmung
des Auswärtigen Amts, im Beifein des Reichsamts des Innern und
fcheinbar ohne Widerfpruch des Großen Generalftabs gefaßt worden.
Nach der Sitzung hat am Spätabend desfelben Tages kurz vor Pohls
Abfahrt nach Wilhelmshaven die juriftiiche Autorität des Auswärtigen
Amts, Minifterialdirektor Kriege, im Auftrag des Reichskanzlers beim
Mömiralftabschef gegen deffen Bedenken noch eine Anderung in der
Faſſung der Kriegsgebietserflärung durchgefeht. Sch ermähne dies nur,
um das enge Zufammenarbeiten der hinzugezogenen Dienftftellen und
das völlige Einverftändnis des Neichskanzlers mit dem Vorgehen des
Admiralftabes zu zeigen. Admiral v. Müller Hat am 8. März 1915
fich brieflich darüber mie folgt geäußert: „Ich habe ebenfo wie ber
Staatsfefretär die Art der Inſzenierung des Ubootshandelskrieges nicht
gebilligt. Der Zeitpunkt war fchlecht gewählt, die Mittel nicht genügend
bereitgeftellt, und die Nedaktion der Ankündigung mar Außerft uns
geſchickt. Pohl hat die Zuftimmung des noch fehr fachunkundigen Reiche:
Panzlers gefunden und hat dann den Kaiſer am 4. Februar auf ber
Bootsfahrt durch den Wilhelmshavener Hafen nach der „Seydlitz“
mit der verabredeten Faffung der Bekanntmachung überrumpelt. Es
war illoyal von Pohl, nicht vorher mit dem Staatsſekretär über bie
Saffung der Ankündigung zu fprechen. Er mar aber auch illoyal gegen
mich, deſſen Rat er jonft immer geſucht hat, wenn es fich um wich:
tige Entjchließungen handelte. Er wollte durchaus die Veröffentlichung
unter feinem Namen losſchießen, und da war allerdings ber 4. Februar
der äußerfte Zeitpunkt, denn an dieſem Tage hatte er das Kommando
der Hochfeeftreitkräfte fchon übernommen und war damals fchon ſtreng⸗
genommen nicht mehr Chef des Admiralſtabes.“
Der Stein war ind Rollen gebracht. Am 18. Februar 1915 follte
der Unterfeebootsfrieg beginnen, der nach Bethmanns gegen meinen
Rat gefaften Entfchluß jedem auf England oder Irland fahrenden Schiff
den Untergang androhte.
Der erfte Unfall 347
2
Nachdem vor der ganzen Welt feierlich und mit einer gewiſſen
Fanfare die meines Erachtens verfrühte und unglückliche Erklärung
einmal abgegeben war, galt es feftzubleiben, follte die Würde und
damit die Macht des Reichs nicht einen fchmweren Stoß und die Zuver:
ficht der Feinde eine verhängnisvolle Stärkung erfahren.
Am 12. Februar erging die erite Note Amerikas gegen den Linter-
feebootsfrieg, die den verantwortlichen Stellen doch kaum unerwartet
kommen konnte. Trotzdem fchlug von diefem Tage an zum Erftaunen
Pohls die Stimmung des Auswärtigen Amts in der Ubootsfrage um.
Deffen Vertreter im Hauptquartier, Treutler, hat fpäter geäußert,
der Kanzler wäre von Pohl mißverftanden worden, während Pohl
die Möglichkeit eines Mißverftändniffes auf das beftimmtefte bejtritt,
da er dem Reichskanzler die Bedeutung genau auseinandergefeßt hätte,
Noch ehe alfo der am 4. Februar geborene Ubootskrieg den erften
Atemzug getan hatte, eilten feine eigenen Väter erſchreckt, ihn zu
erfticken.
Nach meiner Auffaffung Eonnte ein Verzicht auf den Ubootskrieg
durch uns allenfalis dann in Betracht Eommen, wenn England auf
dem Gebiet des Seekriegsrechts entfprechende Zugeftändniffe machte.
Dazu genügte nach Anficht der Zivifftellen, daß England fich auf den
Boden der Londoner Deklaration ftellte. Sch hielt es wohl für möglich,
daB England in folcher Weife einlenkte, wenn es die Gefahren des
Ubootskrieges für noch größer hielt als den Nußen, der ihm aus der
Nichtbeachtung der Londoner Deklaration erwuchs. Damit hätten wir
uns abfinden Eönnen, denn obwohl die Londoner Deflaration nicht
gerade entfcheidende Lockerungen unferer Abfchnürung zur See bot, fo
hätten die Engländer doch wenigſtens durch ihre Annahme einen ſtarken
Preftigeverluft erlitten und wir, wenn ıder fcharfe Ubootskrieg nun
anmal vorläufig aufgehoben werden follte, damit wenigftens etwas
erreicht.
Für die Beantwortung der Note wartete der Neichskanzler die Zu:
ſtimmung weder des Admiralſtabschefs noch die meinige ab, verhinderte
vielmehr mit Hilfe des Marinekabinetts unfere von Falkenhayn ge
forderte Hinzuziehung und ſchickte den beabfichtigten Entwurf unmittel-
bar dem Kaifer zu, der fich damals in Lötzen befand, Gegen dieſes
Sefchäftsverfahren Tegte der nmeuernannte Chef des Admiralſtabes,
348 Der Unterfeebootd:Krieg
Admiral Bachmann, am 14. Februar beim Kaifer Verwahrung ein,
ebenfo gegen den Inhalt des Entwurfes felbft, der das Hinz und Her⸗
fallen unferer Politik den Feinden in gefährlicher Weife enthüllen mußte.
Am Abend des 15. Februar erhielt der Chef des Admiralftabes
unvermutet vom Kaifer den Befehl, den uneingefchränkten Ubootskrieg
nicht wie angekündigt, am 18. Februar, fondern erjt auf befonderen
Ausführungsbefehl zu beginnen. Zugleich wurden am 15. Februar
die Ubootsfommandanten angemiefen, neutrale Schiffe im Sperrgebiet
zu fchonen. Ferner traf ein Telegramm des Kabinettschefs ein folgenden
Inhalts: Der Kaifer wollte eine umgebende telegraphifche Meldung
barüber haben, ob und in welchem Maße eine Gewähr dafür über:
nommen werden Eönnte, daß innerhalb 6 Wochen nach Beginn des
neuen Handelsfrieges England zum Einlenken gezwungen fein würde.
Meine Stellungnahme fei in der Antwort mitzutelegraphieren.
Bei dein übergeoßen Entgegenfommen, welches unfere ſpäter (am
17. Februar) abgejondte Antiwortnote Amerika bewies, lag der Schwer:
punkt in der Aufforderung, die amerikanifche Regierung möchte einen
Weg finden, um die Beachtung der Londoner Deflaration auch von
feiten Englands zu erlangen; dann würde die deutfche Regierung aus
der ſo gefchaffenen neuen Sachlage gern die Folgerungen ziehen. Das
hieß mit anderen Worten, wir würden dann fogar die Verwendung
von Ubooten nicht nur gegen den neutralen Frachtraum im Sperr:
gebiet, fondern auch gegen den feindlichen Frachtraum felbft aufgeben.
Diefer Auffaffung, daß es unfer Ziel fein müßte, England auf
den Boden der Londoner Deklaration zu bringen, ftand ich, wie fchon
gejagt, nicht geundfählich ablehnend gegenüber, und fo erging folgendes
Telegramm nach Lötzen: „Staatsſekretär und Admiralftabschef find
überzeugt, daß England 6 Wochen nach Beginn des neuen Handels:
Frieges einlenfen wird, wenn es gelingt, von Anfang an alle für diefe
Kriegführung verwendbaren Machtmittel energijch einzufegen.” Wir
hatten uns über das Telegramm des Kabinettschef3 und die zu er—
teilende Antwort des längeren den Kopf zerbrochen. Wir gervannen die
Überzeugung, man wollte ung durch die Anfrage wegen der 6 Wochen
zu einer verneinenden Antwort zwingen und dann den Rückzug vor
Amerika ausfchließlich durch unſer Votum rechtfertigen. Ich entfinne
mich noch der Worte des Admirals v. Capelle: „Auf eine bumme
Frage gehört eine Dumme Antwort.” In der Tat war es eine unbillige
Die „Sechs Wochen“ und Die Londoner Deklaration 349
und allen militärischen Grundfägen mwiderfprechende Forderung, daß
man und auf eine folche zeitlich begrenzte Friſt feftlegen wollte;
andererfeits Eonnte in der Tat Doch angenommen werden, daß bei der
großen, damals noch durch Eeinerlei Gegenmittel gehemmten Wirkung
einer wenn auch verhältnismäßig Fleinen Zahl von Unterfeebooten Eng>
land veranlaßt würde, nachzugeben und auf den Boden der Londoner
Deklaration zu treten. Wir fahen hier zum erften Male jenes unfelige
Terminſetzen für Eriegerifche Operationen, das fpäter noch fo oft eine
bedenkliche Rolle gefpielt hat. Sch habe ein folches Verfahren ftets für
falfch gehalten, aber ebenfo wie fpäter wurde ſchon jeßt die Marine
geradezu gewaltfam dazu gedrängt.
Natürlich war es nicht ausgefchloffen, daß England in hochmütiger
Unterfchäßung des Unterfeebootskrieges vielleicht doch hartnäckig bleiben
würde. In diefem Falle hätten wir den fcharfen Ubootskrieg fortführen
müſſen; unferem eigenen Intereſſe wäre diefe Löfung am dienlichften
gewejen. Der LUbootsfrieg aber, wie er am 18. Februar begonnen
wurde, namentlich mit dee Einfchränfung, daß dabei Feine neutralen
Schiffe zur Verfenkung Eommen dürften, mußte von vornherein ohne
wirkliche Kraft bleiben, da die englifchen Schiffe, was fie nach unferer
ficheren Kenntnis vorher ſchon großenteild getan hatten, nun erft
eecht unter neutraler Flagge fuhren. Der von der britifchen Admira⸗
lität ihren Kauffahrern empfohlene Flaggenmißbrauch war damit fehr
wirkſam geworden. Viele tapfere Ubootsbefagungen find diefen Ans
ordnungen zum Opfer gefallen. Man möge fich nur des Baralong-
mordes erinnern.
Wir Tiefen die Kriegsgebietserflärung beftehen, behielten alfo bie
Amerifa verftimmende Schale des Ubootgkrieges bei, um der öffentlichen
Meinung Deutfchlands den Anfchein von Haltung zu zeigen, höhlten
aber durch die auf Veranlaffung der politifchen Leitung geänderten
Befehle ar die Ubootsfommandanten den militärifchen Kern heraus,
handelten aljo ſtark mit dem Wort und fchüchtern mit der Tat.
Die Kriegsführung der Uboote war jeßt gemäß Bachmann Vorherfage
wirkungslos für den Endjieg des deutichen Volkes, bot aber noch
Stoff genug für Zwiſchenfälle und Verärgerung mit Amerika.
Die ſchon gejagt, waren Admiral Bachmann und ich, wenn mwir aud)
die erlaffene Ubootserklärung für verfrüht und der Form nad) nicht
für glücklich angefehen hatten, der Anficht, daß, nachdem fie einmal
350 Der Unterfeebootö: Krieg
in die Welt herausgegangen war, Deutfchland auf jede Gefahr Hin
feftbleiben mußte.
Wenn wir auf die erfte amerikanische Note höflich aber beftimmt
ablehnend geantwortet hätten, fo wäre nach meiner Überzeugung damals
und fpäter eine Kriegserklärung nicht erfolgt, ebenjo Fein Abbruch der
Beziehungen. Amerika war noch nicht fo verärgert und einfeitig ge⸗
worden, hatte noch Reſpekt vor uns und war noch nicht fo fehr in
feine Ententes-Darlehen verwicelt. Der für Seerecht empfängliche Sinn
der Amerikaner empfand felbft die unneutrale Haltung feines Landes
als unbehaglich. Staatsfekretär des Auswärtigen war noch der Pazifift
Bryan. Es wäre Wilfon damals unmöglich geweſen, fein Land feindlich
gegen ung feftzulegen. Darin lag für ung noch eine große Chancet),
Auch für die damals vom Fürften Bülow geführten Neutralitätd-
verhandlungen mit Stalien mwünfchte unfere römifche Botſchaft tele
graphifch „das unabänderliche Fefthalten an unferem Standpunkt und
die Aufrechterhaltung des Reſpekts vor der Kraft Deutfchlands und
feiner Flotte‘. Es war unerläßlich, von vornherein gegen Amerika eine
offenfive Notenpolitif hinfichtlich deffen unneutraler Haltung zu führen;
gegen bie Waffen und Munitionglieferungen, die Handhabung der
drahtlofen Zeiegraphie zuungunften Deutfchlands, die ftillfchmweigende
Anerkennung der völferrechtsmwidrigen Blockade Englands, das Ver:
fahren gegen unfere Auslandgfreuzer oder gegen die neutrale Poft uſw.
mußte Beſchwerde über Beſchwerde erhoben werden. Eine folche Politik
Amerika gegenüber war ungefährlich, denn wir brauchten ja Fein Ulti⸗
matum an den Schluß eines fcharfen Proteftes zu fegen. Wenn mir
auch die im Krieg machfende englifcheamerifanifche Gemeinbürgjchaft
vielleicht nicht verhindert hätten, ſo wäre fie doch wahrfcheinlich weniger
gefährlich geworden. Wir hätten allen Elementen in den Vereinigten
Staaten, welche der Richtung Wilfons miderftrebten, ben Deutfchen,
Stländern, Quäkern, Baummoll-Interefjenten ein Elares Stichwort ge:
geben, um melches fie fich hätten fammeln können. Die Methode,
mit welcher wir die Amerikaner behandelten, fchlug nie bie richtigen
Saiten an. Wenn mir fagten: „Ihr Amerikaner habt ja formell
ganz recht, wenn ihr Munition uſw. liefert, aber fchön iſt es nicht
von euch,” fo bemwirften wir gerade das Gegenteil von dem, was mir
) Pol. auch unten S, 379f,
Wilſons Erprejjerpolitit 351
wollten, wie die Folgezeit bemwiefen hat, ganz abgejehen davon, daß
tatfächlich die Umgeftaltung Amerikas in ein Arfenal für unfere Feinde
der Sache nach der unerhörtefte Neutralitätsbruch war, den es gab.
Zwifchen Amerika und Deutjchland lag fogar in diefer Hinficht ein
Sonderfall bereits vor. Im fpanifcheamerikanifchen Kriege hatten wir
auf PVorftellung des amerikanifchen Botfchafters Andrew White ein
mit Waffen für Kuba beftimmtes Schiff in Kurhaven zurückgehalten.
Behandelten wir die Ubootsfrage mit Fühler Folgerichtigkeit, fo
hereiteten roir den Boden für die Auffaffung, daß es fich bei unferem
Ubootskrieg nicht um eine Frage der Vergeltung für den Hungerfrieg
handelte, wie leider von ung “*ets allein betont wurde, fondern um
eine Berechtigung, die fich Elar und unmiderleglich aus dem von Eng-
land feldft zu Beginn des Krieges gejchaffenen Völkerrecht zur See
ergibt. Die neue Waffe konnte nicht in Auffaffungen aus der Zeit der
Segelfchiffe vor hundert Jahren gepreßt werden, fondern hatte das
Recht auf neue Normen. Glaubt jemand ernftlich, daß in einem
zufünftigen Kriege andere Völker, die um ihr Dajein kämpfen, nicht
in gleicher Weife wie wir ſich der Ubootswaffe ıbedienen werden, ſelbſt
wenn neue völferrechtliche Beftimmungen dies verbieten follten?
Wir mußten jpäteftens im Februar 1915 erkennen, daß die Politif
Wilſons erprefferifche Züge aufwies. Wir hatten in dem ernfthaften
Beftreben, neutrale Schiffe zu fchonen, den Amerikanern angeboten,
ihre Schiffe das Sperrgebiet paffieren zu Tafjen, wenn fie einwandfrei
als neutrale erkennbar würden (durch Geleitzüge). Amerika bezeugte
nicht jo viel guten Willen, hierauf einzugehen. Wenn englifche Uboote
in der Dftfee, fogar in fchwedifchen Zerritorialgeroäjfern oder in der
Adria unfere Handelsfchiffe torpedierten, alfo genau dasjelbe und
Schlimmeres als wir taten, fo regte das niemand in der Welt auf. Das
ungeheure Buch der unbefümmertiten englifchen Völkerrechtsbrüche blieb
in Amerika zugefchlagen und ungelefen. Man ftarrte immer auf die
Seite, worauf der dentjche Ubootskrieg ftand. An diefer Ungerechtigs
Reit der Welt hatte die Schwächlichfeit unferer Politif, Die den Ein-
druc des böfen Gewiſſens hervorrufen mußte, mwejentlichen Anteil,
Vergebens habe ich wiederholt beim Neichskanzler auf den Charafs
ter der Wilfonfchen Politif hingewieſen und dringend befürwortet, mit
diefer Tatſache fich abzufinden. Dadurch aber, daß mir eine gerechte
und grundfägliche Stellung nach der anderen räumten, haben wir nur
352 Der Unterſeeboots⸗Krieg
erreicht, daß Wilfon in feinen Anſprüchen und in feiner Taktik des
Drohens immer meiter ging. Forderungen, die wir noch in den erften
Kriegsjahren bei ruhiger Feftigkeit ohne Gefahr eines Bruches hätten
ablehnen Fönnen, haben fich mehr und mehr zu Preftigefragen ver:
härter. Während unfer Anfehen bei allen feefahrenden Nationen un-
ermeßlichen Schaden erlitt, weil ihnen unfer eignee Glaube an den
Sieg erfchüttert fchien, haben wir Wilfon immer mehr auf einen Stand»
punkt heraufgefchraubt, deſſen Behauptung ihm fchließlich zur Ehrens
jache geworden ift. Von den praftifchen Vorteilen, die ung bei einer
nachgiebigen Haltung von Bethmann, Helfferich, Graf Bernftorff u. a.
eifrig in Ausficht geftellt wurden, iſt ung nicht ein einziger zugefallen,
Amerika hat uns auch nie wirklich greifbare Konzejfionen gemacht.
Bei der deutfchen Sllufionsfähigkeit Fam es ohne folche aus. Mit dem
Sinfen unferes eigenen Prefliges und des Glaubens der Neutralen an
unfern Sieg wurde auch der für ung allein richtige Weg einer politifchen
Neumendung zu Japan und Rußland, je länger der Krieg dauerte,
um jo mehr erfchwert.
3
Am 7. Mai 1915 wurde die „Luſitania“ torpediert, ein englifcher
Perfonendampfer, der zugleich als Hilfskreuzer in der britifchen Marines
(hiffslifte fand. In frevelhaftem Keichtfinn hatten fich troß der
Warnung unferes VBotfchafters auf diefem bewaffneten und ſchwer
mit Munition beladenen Kreuzer amerikanische Bürger eingefchifft,
die bei der Verſenkung ums Leben Famen. Der Kommandant des
Ubootes, welches die „Luſitania“ torpedierte, hat übrigens den an
gegriffenen Dampfer erft als ‚Rufitania” erkannt, als das Schiff
unterging und fich zur Seite legte. Da er das Schiff von vorn angriff,
Eonnte er die Zahl der Maften und Schornfteine vorher nicht erkennen,
Nachdem der Torpedo getroffen hatte, erfolgte eine zweite Erplofion
im Innern des Schiffes durch die an Bord befindlichen Munitiong:
mafjen. Durch diefen Umftand allein trat das fofortige Sinken ber
„Luſitania“ und der große Verluſt an Menfchenleben ein. Sch war
zu der Zeit in Berlin und telegraphierte am 9. Mai ins Hauptquartier,
es wäre jegt dringende Staatsnotwendigkeit, den Rechtsftandpunft zu
wahren; Entgegenfommen gefährde unfere Etellung mehr als Feftigkeit.
Man Eonnte die Menfchenleben bedauern, mußte aber zu unferem guten
Recht ftehen. Dann erhöhte fich unfer Preftige in Amerika, und bie
Der Lufitaniafall 353
Kriegsgefahr wurde dadurch am ftärkften vermindert. Am 12. Mai ant-
wortete mir der Kabinettschef, daß der Kaifer mit meinem Standpunft
einverftanden wäre. Am 15. Mai erhielten wir die erfte amerikanifche
Luſitania“⸗Note, welche die Mißbilligung der Qorpedierung durch
uns und entjprechenden Schadenerfaß verlangte. Wir antworteten hin⸗
zögernd. Es begann erneut ein mochenlanges Hinz und Herberaten
zwifchen den verichiedenen Neichsftellen. Am 31. Mai fand in Pleß
eine allgemeine Beſprechung darüber unter dem Vorſitz des Kaifers
ſtatt. Admiral v. Müller teilte Admiral Bachmann und mir gleich bei
der Ankunft mit, der Neichskanzler lehnte die Verantwortung für die
Führung des Ubootgkrieges in der bisherigen Form ab. Der Gefandte
v. Zreutler und General v. Falkenhayn wären derſelben Anficht wie der
Kanzler. Der Chef des Admiralftabs und ich vertraten dagegen den
Standpunkt, daß das Verlangen des Reichskanzlers, den Ubootskrieg
fo zu führen, daß Feine politifchen Konflikte entjtänden, militärisch
nicht durchführbar wäre. Seine Majeftät müßten daher entfcheiden,
ob der UÜboctsfrieg überhaupt geführt werden follte oder nicht. Der
Kaiſer ſtimmte unferer Auffaffung zu und fagte, wenn der Kanzler nicht
die Verantwortung übernehmen wollte, den Ubootskrieg überhaupt aufz
zugeben, jo bliebe es bei ben bisherigen Befehlen. Das Ergebnie
der Beratung war alfo ein Befehl an die Ubootsfommandanten, der
einen erneuten zufammenfafjenden Hinweis auf die bereits früher
angeordnete Schonung der Neutralen enthielt, die Verſenkung eng:
tifcher Schiffe dagegen ohne Ausnahme beftehen Tieß.
Schon am 2. Juni aber überfandte der Reichsfanzler ein Erfuchen
an den Chef des Aömiralftabes, auch die Schonung „feindlicher“
großer Paffagierdampfer anzuerfermen. Davon war in der Beſprechung
vom 31. Mai nicht die Rede gewefen. Admiral Bachmann trug feine
Gegengründe vor, die vom Reichskanzler aber nicht anerfannt wurden.
Herr dv. Bethmann vief daraufhin eine neue Entfcheidung des Kaiſers
über die militärifche Führung des Ubootsfrieges an, ohne ung heran-
äuziehen. Am 5. Juni erging demgemäß vom Kaifer der Befehl,
Paſſagierdampfer, auch folche des Feindes, nicht zu verfenken. Ein
Telegramm mit furzer Darlegung der Gegengründe, in Ießter Stunde
vom Chef des Abmiralftabes und mir an den Kaifer abgefandt, blieb
unberückſichtigt.
Der Kanzler hatte nicht die Entſchlußkraft, den ——— ganz
CThropitz, Erinnerungen
354 Der Unterfeebonts:Krieg
aufzugeben. Aber er wollte ihn doch fcheinbar führen, um der deutſchen
Öffentlichen Meinung gegenüber das Geficht zu wahren. In Wirf-
fichfeit aber konnten nach Diefem Befehl große Dampfer überhaupt
nicht mehr angegriffen mwerden, denn für die Uboots-Kommandanten
mar die Unterfcheidung zwifchen Paffagier- und Frachtdampfer in den
allermeiften Fällen unmöglich, Sowohl Admiral Bachmann wie ich
reichten wegen des Gefchäftsverfahrens des Neichskanzlers unferen
Abichied ein, der aber, und zwar bei mir in ungnädigjter Form,
abgelehnt wurde,
Am 2. Zuni berichtete unfer Botfchafter aus Wafhington über eine
Audienz bei Wilfon, der ihm geſagt hätte, daß jein Beitreben auf
gänzliche Aufhebung des Ubootskrieges ginge. Wir follten durch feine
Preisgabe einen Appell an die öffentliche politifche Sittlichkeit richten,
da nur durch eine Verftändigung hierüber, nicht mehr durch die Waffen,
der Krieg endgültig entichieden werden könnte. Graf Bernftorff empfahl
dringend, darauf einzugehen, dann wäre Husficht auf ein Waffen-
ausfuhrverbot vorhanden, andernfalls würde möglicherweife ein Abbruch
der Diplomatifchen Beziehungen erfolgen und eine Öteigerung der
MWaffenausfuhr ins Ungemefjene. M. E. überjah der Borfchafter hiers
bei, dab die amerikanische Kriegsindufirie fich, ſoviel überhaupt in
ihrem Vermögen ftand, trotzdem fteigern würde und daß es eine
utopifche Hoffnung war, von Amerika ein Sonderverbot für Waffen:
ausfuhr zu erlangen.
Anfang Juni ging endlich die Antwort des Auswärtigen Amts auf
die amerifanifchen Lufitaniasforderungen ab. Diefe veranlaßte eine
neue amerikanische Note, welche zwar unfreundlich und ablehnend,
aber doch fo gehalten war, daß eine Beantwortung nicht formell er⸗
forderlich war. Damit war die Angelegenheit vorläufig erledigt. Wir
führten den Ubootsfrieg nach einer Methode weiter, bei der er nicht
leben und nicht fterben Fonnte,
Eine große Zahl mir befannter Herren, die mit amerifanifchen
Verhältniffen eingehend vertraut waren, äußerten die beftimmte Anficht,
daß unfere Notenpolitik Wilfon und feinen Hintermännern gegen-
über grundfäglich falfch wäre. Selbft folche, die im übrigen ihren
ganzen Einfluß aufboten, um mit England und Amerifa zu baldiger
Verftändigung zu Eommen, ftimmten mit dem bureaufratifchejuriftifchen
Mege, den das Auswärtige Amt immer wieder einfchlug, nicht überein.
Ballin und Heifterich 353
So ſchrieb Herr Ballin am 1. Auguſt 1915 in bezug auf unſere Antwort⸗
note wegen des Luſitaniafalles:
„Ich befinde mich auch ſetzt noch in bezug auf bie weitere Behanblung
dieſer amerikaniſchen Angelegenheit im sollten Gegenfak zu der Auffaſſung
ber Wilhelmſtraße. Die legte Note hätte ſofort, d. 5. alfo innerhalb 24 Stuns
Ben beantwortet werden müflen, und bie Beanimertung war fo Leicht,
Man hätte einfach zu Tagen gehabt: „Die Katjerlihe Regierung bedaueri
Iebhaft, aus ber Note, melde Euer Exzellenz im Auftrage Ihrer Regierung
air zu übermitteln bie Güte hatten, zu erfehen, daß bie Regierung ber Ver⸗
einigten Staaten von Nordamerika nicht gemwillt iſt, Das weitgehende Ente
gegenfommen anzuerkennen, welches bie Kaiſerlich deutſche Regierung in
ihrer legten Antwortnote bekundet Hat. Die Kaiſerlich deutſche Regierung
fonm unter biefen Umftänden nur den Wunſch ausſprechen, daß die Bürger
ber Wereinigten Stasien in entſprechenber Form von ihrer Regierung 0%
warnt werden, ſich auf Schiffe zu begeben, welche zur Flagge feinblicher
Möchte gehören und bie von der deutſchen Reglerung bezeichnete Kricgszone
zu paſſieren beabſichtigen.“
Meines Erachtens Hätte, wie geſagt, innerhalb 24 Stunden eine berartig«
kurze Antwori dem Mr. Gerard zugeftellt werden müſſen. Daß wir wieber
vierzehn Tage brüten, beingt die Amerikaner zu dem Eindrud, als hätten
die deutſchen verantwortlihen Männer wieder bie Hoſen voll. Daß die
Leute in Wafhingeon Hemdsärmelpolitifer find, weiß man bo, und bie
Behandlung foicher amerifanifcher Angelegenheiten müßte ſich auf bie Pſyche
dieſer Nation einftellen,”
Soweit Ballin, doch möchte ih auch einen Verireter ber gegen
tetligen Auffaſſung zum Wort Eommen laſſen. Stostsfekretär Helffes
zich fchrieb am 5. Auguſt 1915 an den Reichskanzler, um anzuregen,
daß der UÜbootskrieg während einiger Wochen, unter Umſtänden auch
drei Monate lang noch, weizer eingeihränft werben ſollte. Er glaubte,
daß die amerikanische Regierung und poſitiv eingeladen hätte, an ber
Freiheit der Meere mitzuarbeiten. Darum hoffte er, daB ein Rückzug
unferfeitd vor der amerikantichen Note eine gemeinfame Front Amerikas
und Deutichlands gegen England herjtellen würde. Die Baumwoll—⸗
pflanzer würden einen fo ſtarken Druck auf Wilfon ausüben, daß
die deutfche Webindufirie vor Stillegung und Hunger bewahrt werden
könnte. Wenn wir Wilfon diefe „good chance“ böten, für feine Ideale
sinzutreten, jo müßte er fie benutzen. Deutſchland aber follte, Is
23°
356 Der Unterfeebonts:Krieg
meinte Helfferich, feine Gegner einzeln erledigen, wie der Horatier der
Sage die drei ihm verfolgenden Kuriatier, indem er nämlich einen
geſchickten Rückzug antrat und fie fo teilte. Der Vorwurf der Schlapp⸗
beit Eönnte der deutſchen Regierung bei einem folchen Rückzug fo
soenig gemacht werden, wie dem Horatier. Helfferih nahm alfo an,
daß der Prejtigeverluft nicht zählte und daß die Weltmächte fo töricht
fein würden, wie die drei Kuriatier ber Fabel,
Sch vermute, daß Ballin die Amerikaner beſſer zu behandeln vers
ftanden hat, als Bethmann oder Helfferich. Sedenfalld haben wir
nach dem Arabicfall noch fehr viel mehr zugegeben, als Helfferich
vorschlug, aber nicht einen Baummolldallen befommen. Überdies hatten
wir Wilfon ſchon beim erften Notenwechfel im Februar 1915 Ges
fegenheit gegeben, eine derartige Sintereffengemeinfchaft zu fchließen,
auf welche die unverwüftliche deutſche Illuſionsfähigkeit Jahr um
Jahr wartete, obwohl ung auch im beiten Fall die Londoner Deklara-
tion, Diefes A und O der Zuriften im Auswärtigen Amt, Feine Friegss
entfcheidenden Vorteile gebracht hätte.
Im Ausschuß des Neichstages erklärte Otaatsfekretär v. Jagow
am 15. Nuguft, daß wir ung durch Amerifa im Ubootskrieg nicht bes
einfluffen laſſen würden. Sobald aber der Reichstag im MWefentlichen
erledigt war — geichloffen wurde er am 27. Auguft — ging ber
Neichskanzler, unterftüst von Falkenhayn und Admiral v. Müller
mit aller Macht darauf aus, die Einftellung des Ubootsfrieges zu ers
wirken. Die Verſenkung des englifchen Dampfers „Arabic murde
als Anlaf genommen, obwohl eine Ubootsmeldung über den Vorgang
überhaupt noch micht vorlag und ebenfowenig eine amerikaniſche Bes
fchwerde darüber. Wie Gefandter v. Treutler beim fpäteren Vor⸗
trag bei Seiner Majeftät ausgeführt hat, Bam es auf den Xrabics
Fall felbft gar nicht an, fondern auf eine endgültige Verftändigung
mit Amerika.
Entgegen feiner mir am 7. Auguft gemachten Zufage überrumpelte
ber Neichskanzler den Admiral Bachmann und mich mit ber Ent
fcheidung. Die Marine follte vor eine abgemachte Tatſache geftellt
werden. Sch wurde Furz vor Abgang des Nachtzuges am 25. Auguft
telegraphifch nach Pleß gerufen zum Vortrag am nächften Morgen.
Nur auf der Eurzen Fahrt von Kattowitz nach Pleß Eonnte ich mich
mit Admiral Bachmann in Verbindung ſetzen. In Pleß am 26. Nuguft
Der Hrabicfall 357
angelangt, hatten wir fofort kurze Beſprechung beim Reichskanzler.
Er bezeichnete auf Grund einer Meldung unferes Merineattaches in
Wafhington und einer Auperung des Botfchafters Gerard die Lage
als ſehr ernft. Er, der Neichskanzler, könnte nicht dauernd auf Vul-
Fanen wandeln. Es follte an den Botfchafter nah Waſhington telcs
graphiert werden, die Ubootskommandanten hätten beftimmten Befehl,
feinerlei Pajjagierdampfer ohne Warnung und ohne dad den Paffe-
gieren und Bejagungen Gelegenheit zur Rettung gegeben fei, zu tors
pedieren. Die Frage des Schadenserfages für „Luſitania““ follte einem
Schiedsgericht unterbreitet werden. Wir müßten ferner die Vereinigs
ten Staaten bitten, England zu veranlafjen, fich auf den Boden der
Londoner Deklaration zu ftellen. Sch wies barauf hin, daß der Kanye
ter die Bedeutung der Londoner Deklaration offenbar überfchägte und
daß ferner ein Schiedsgericht über den Luſitania-Fall mit aller Sicher:
heit zu unferen Ungunften ausfallen würde, da internationale Feſt⸗
ſetzungen über UÜboote noch nicht beſtänden.
Bei der Beſprechung wurde Feine Einigung erzielt, und fo folgte
alsbald beim Kaifer der Vortrag, der durch die im geöffneten
Nebenzimmer wartende Frühftücdstafel abgefürzt war. Sch hob her
vor, daß wir unter allen Umftänden doch eine Meldung des Uboote-
fommandanten über die Verſenkung des „Arabic“ abwarten müßten,
ehe Entfcheidungen getroffen würden Wenn Mißhelligkeiten mit
Amerika zurzeit durchaus vermieden werden müßten, fo Fönnten wir
die Uboote für einen gewiſſen Zeitraum aus den englifchen Gemäffern
überhaupt zurüdziehen und nad; dem Mittelmeer fchiden, mie ic}
das dem Reichskanzler gegenüber {chen in einer Befprechung vom
7. Auguft erwähnt hatte. Gm übrigen ließe ſich meines Erachtens
eine ausreichende Note für Amerika entwerfen, welche doch den Grund»
ſatz des Lbootsfrieges nicht aufgäbe. Bachmann, der über die Stine
mung in Amerika günftige Nachrichten hatte, wies in dem gemein-
ſchaftlichem Vortrage vor dem Kaifer darauf hin, daß eine öffentliche
Erklärung, mie fie der Neichstanzler haben wollte, nicht nötig fet,
da eine Anmeifung der Uboote, Pafjagierdampfer zu fchonen, tatſächlich
bereits feit Anfang Juni beftände und nur geheimgehalten worden fei,
da fie nicht im Einklang mit den Erflärungen in unferen Antwortnoten
an Amerika ftände Gäbe man jebt diefe Erklärung öffentlich, ſo
erklärte man damit die feindliche Behauptung der Unzuläffigkeit des
358 Der Unterfecheots: Krieg
Uübootskrieges Für zutreffend Man brauchte, wenn überhaupt etwas
gefagt werden müßte, mir zu erflären, daß für Die nötige Sicherung
der Paſſagierdampfer im Ubootskriege geforgt würde, bag ‚Wie‘
waäre unſere Sache, Ein voreiliges Aufgeben des Ubootskrieges —
und darauf lefe die vom Kanzler gewünſchte Erklärung hinaus —
müßte als ein Zeichen ber Schwäche aufgefaßt werben und könnte
me ungünſtig auf die Stimmung im Reiche und bei den Neutrale
wirken. Trotz Widerſpruch des Neichskanzlere und bed Vertreters
. 33 Auswärtigen Amts, v. Zreutler, entſchied der Kaiſer im Sinne
des Vorſchlages der Miarinevertreter, wonach die Depefche an den
Botſchafter in Waſhington nicht abgeben follte Er befahl, daß zus
nächſt vom Reichskanzler, ben Chef des Admiralſtabes und mir eine
nötigenfalls an die Vereinigten Staaten abzugebende Erklärung
eorbereitet und Ihm vorgelegt werden follte.
Am nächſten Tage, 27. Auguſt, führte der Reichskanzler trotz dieſer
Maren Entſcheidung einen neuen Entſchluß des Katfers in feinem
Sinne berbei, ohne mi und den Chef des Admiralſtabes irgendwie
heranzuziehen. Diefe letzte Entjcheibung wurde ung am Nachmittag
besielben Tages mündlich Buch ben Gefendten v. Treutler mitgeteilt
mit dem Hinzufügen, daß eine entiprechende Desefche an ben Bor
ichafter in Waſhington Schon abgegangen fer. Um dieſe Entfcheidung
zu befördern, wor angeblich gerade im rechten Augenblick auch noch
eine Depefche des Papſtes eingetroffen, die uns in biefer Richtung
drängte. „Jetzt Freien fie ung aus der Hand‘, erklärte Gerard am
27. Auguſt; er ſchätzte offenbar unfere Diplomaten gering ein und
wußte, daß Amerika mit ihnen alles machen könnte. Zu Amerikanern
hatte er, nach Mitteilung eines Amerifaners, ſchon am 24. Auguſt auf
Grund eines Unerbietens v. Jagews gejagt: „Amerika wird es gui
safnehmen; ich bin nur neugierig, wie es Deutschland aufnehmen wird
Seht muß entweder Tirpitz ben Abſchied nehmen oder Jagow.“ Bereits
am 27. Auguſt erichienen in englifchen und amerikanischen Zeitungen
Achkel in dem Sinne „Tirpitz exit“. Dieie Nachrichten waren alio
son ber Deutschen Zenſur, mit anccren. Morten vom Auswärtigen Ami
durchgelaſſen werden, noch ehe die Eatjerliche Entſcheidung vorlag. Damit
war ber Ubootskrieg zunächſt erledigt, ein ſchallendes Triumphgeſchrei
Amerikas und unſerer Feinde die Folge. Deutſchland hatte in ungewöhn⸗
lichem Maß an Preſtige eingebüßt. Die neutrale Wet war erfüllt
Tirpitz exit, Mein Ubjchiedsgefuch 359
von dem Zurückweichen Deutfchlands, während bie Stellung Wiljong
überall und namentlich in Amerifa in die Höhe ſchnellte.
Auf Grund dieſes Überrumplungsverfahrens des Neichskanzlers habe
ih am 27. Auguft Seine Majeſtät um Ablöfung von meinem Poften
als Staatsſekretär gebeten, wobei ich mich zu jeder anderen Ver:
wendung als Soldat zur Verfügung fiellte Am 30. Auguft murde
mein Geſuch abichlägig beſchieden. „Undererfeits”, jo hieß es in der
Kabinettsorder, „iſt Mir bei diefen wie bei vielen vorangegangenen
Fällen die Überzeugung geworden, DaB ein Zufammenarbeiten des
Reichskanzlers mit Ihnen in den Marinefragen, welche das Gebiet:
der Auswärtigen Politik berühren — und das find fo ziemlich alle
Fragen der Seektiegsführung — ausgefchloffen iſt“. Auf meine regel
mäßige berotende Mitwirkung auf diefem Gebiet müßte daher ver-
zichtet werden. „Sie von ber Stellung als Staatsjefretär des Reiche:
marineamts zu entbinden, lehne ic aber auf das allerbeftimmiefte
ob, Sie können nicht im Zweifel darüber fern, daß ein Wechſel
in biefer Stellung während des Krieges — ganz befonders bei den
augenblieklichen Perfonalverhältniffen im Neichsmarineamt — nicht
mr empfindliche Nachteile für das Arbeiten der ganzen Marine
haben muß, jondern daß das Ausscheiden Ihrer Perfon aus dem Amte
im gegenwärtigen Augenblick die bedenklichften Folgen im Sn= und
Huslande zeitigen würde, die zu vermeiden Meine wie Shre heilige
Pflicht iſt. Zudem kann ich einem Offizier im Kriege nicht geftatten,
auf Grund von Meinungsverfchiedenheiten bezüglich der Verwendung
der Seeſtreitkräfte, über die Ich als oberjter Kriegsherr in letter
Linie und mit vollem Bewußtſein meiner Verantwortung entfcheide,
feinen Abſchied zu erbitien.”
Nachdem ich erlärt hatte, daß der Inhalt diefer Kabinettgorder
mein Verbleiben im Amt unmöglich machte, wurde mir vom Kaifer
eine Eurze Privataudienz bewilligt und zugleich eine Remedurorder
zugefichert. Sch erhielt alſo am 19. September 1915 die Fatferliche
Zufage, daB es durchaus in der Abſicht des Kaifers läge, meine „Anz
fichten über affe wichtigen marinepolitifchen Fragen einzuholen‘. Darauf-
Hin habe ich mich emtichloffen, nicht auf meiner Enthebung zu be
ſtehen. Eine große Zahl von Politikern und ſehr hohe Perfonen hatten
mich in ber gleichen Nichtung beftürmt.
Admiral Bachmann jedoch, der gegen die Mberrumpelung des Kaifers
360 Der Unterfeeboots:Krieg
durch den Reichskanzler proteftiert hatte, wurde abgelöft und durch
Admiral z. D. von Holtendorff erfegt. Admiral von Holgendorff
war nach dem Kaifermanöver von 1912 in den Ruheſtand getreten.
Er hatte fich vor feiner Ernennung bei mehrfachen Gelegenheiten für
den Standpunkt des Herrn von Bethmann ausgefprochen. Er erhielt
die Anweiſung, feinen Aufenthalt regelmäßig nicht im Hauptquartier,
fondern in Berlin zu nehmen, wie fich dasjelbe in jener Zeit auch für
mich aus den Verhältnijfen ergab.
4
Es wird von Wert fein, zu fehen, wie fich der Ubootsfrieg vom
Standpunkt der Flottenleitung entwidelte, welche, abgejehen von dem
Mittelmeer, von Flandern und von der Oftfee, mit feiner Führung
berraut war. Der damalige Chef des Stabes beim Flottenftommando
Sat mir hierüber folgende tabellarifche Mitteilungen gemacht,
4. II. 15. Erflärung bes Kriegsgebiets.
14. II. 15. Erſuchen aus zwingenden politifhen Gründen, den entfanbten
Ubooten funfentelegraphifchen Befehl zu geben, verläufig Schiffe mit
neutralen Flaggen nicht anzugreifen. (Befehl war nad damaligem
Stand der Uboots-Funfentelegraphie nicht ausführbar, da Boote ſchon
weit weg waren. Im übrigen fuhr damals jedes Schiff unter neutraler
Slagge.)
15. II. 15. Befehl aus dem Hauptquartier, Us und Hanbelskrieg gegen Neu⸗
trale nicht 18. Februar, fondern erft auf befonderen Ausführungs-
befehl beginnen. Infolge diefes Befehls mußten die Boote der nächften
Ablöfung zurücgehalten werden, aljo eine Paufe eintreten,
18. II. 15. Für die dänifche und fchwedifche Schiffahrt wird ein Streifen
zwifchen Lindesnäs und Tyne freigegeben, in dem nicht verfeucht und
verſenkt werden darf.
20. II. 15. Ausführungsbefehl für Nordſee und engliihen Kanal. Ameris
kaniſche und italienische Flagge foll auch in diefen Gebieten geſchont
werden. Ein freier, geſicherter Streifen für die Skandinavier nad
England wird vorgefehen,
22. I. 15. Ausführungsbefehl für Weftküfte. Worficht gegen amerikanifche
und italienifche Flagge befonders empfohlen.
7. III. 15. Der freie Streifen für Skandinavier wird aufgehoben, berfelbe
foll aber nicht durch Minen verfeucht werden; er bleibt fahlih alſo
faft ungefährbet.
Das Hin und Her 36}
30. III. 15. Der freie Streifen wird ganz aufgehoben,
2. IV. 15. Nach Verluft einiger Uboote durch Ubootsfallen: Sicherheit ber
Fahrt ber eigenen Boote geht allen anderen Rüdfichten voran. Auf:
tauchen ber Boote nicht mehr erforberlid.
18. IV. 15. Neue Warnung zur Schonung der Neutralen.
24. IV. 15. Desgleichen.
7. V. 15. „Luſitania“⸗Fall. In der Flotte als großer Erfolg angejehen.
Englifcher, alfo feindliher Dampfer, bem feine der bisherigen Eins
ſchränkungen zuftand, außerdem armiert. Kommandant ins Haupts
quartier gerufen, vom Kabinettschef fehr ungnäbig behandelt.
&. VI. 15. Befehl, Feine großen Paffagierbampfer anzugreifen, auch nicht
feindliche.
26. VL 15. Flottenchef fchreibt an Abmiralftab:
„Meiner Anſicht nad, die von ber ganzen Flotte geteilt wird,
bürfen wir im Ubootskrieg Feine Nachgiebigfeit zeigen. Gründe:
1. Jedes Surüdweihen von ber Sriegsgebietserflärung muß alt
politifche Niederlage angelehen merden.
2. Abſicht der Kriegsgebietserflärung war, Englands Import unb
Erport zu treffen, nicht Vernichtung beftimmter Schiffe. Scho⸗
nung und Entihädigung ber Neutralen für Berfenktungen zieht
Handel unter neutraler Flagge nach England geradezu groß.
3. Nachgeben gibt der feindlichen Behauptung Nahrung, daß die ber
abjichtigte Kriegsführung barbariſch wäre.
4. Nur energifche Durhführung bes Ubootsfrieges verwandelt Bor:
züge der infularen Lage Englands ins Gegenteil. Auch für Deutfch>
lands fünftige Entwidlung von umgeheurer Bedeuting. Zurüds
weichen gibt die Wirkung der Umaffe gegen England aus ber
Hand.”
Flottenchef bittet, feine Gründe perſönlich gegenüber der politifchen
Zeitung vertreten zu dürfen, da er Verantwortung für bie Führung
bes Ukrieges von vornherein übernommen. Die perfönlihe Vertretung,
des Flottenchefs wird abgelehnt, dafür der Führer der Uboote und
ein Ubootsfommandant zur Ausfunfterteilung zum Keichskanzler bes
fohlen.
19. VII. 15. „Arabic“-Fall. Graf Bernftorff erklärt in Amerifa, Kom⸗
mandant würde beftraft. (1lbootsfommandanten werden erneut auf Inne—
haltung der befohlenen Beſchränkungen hingemiefen.)
27. VIII 15. Befehl, bis Lage Flargeftellt, feine weiteren Uboote zum Hans
delskrieg auszufenden.
362 Der Unterſeeboots⸗Krieg
29. VII. 15. Befehl, bis auf weiteres audy feine Heinen Paffagierbampfer
ohne Warnung und Nettung der Bejagung zu verfenken.
1, IX. 15. Flottenchef telegraphiert an Kabinettschef für ben Kaiſer, daß
diefer Vefch! nur mit äußerfier Gefährdung der Uboote durchzuführen fet,
die er nicht vertreten könne; ftellt daher feine Stellung zur Verfügung.
Antwort vom Kabinetischef, nad; der Seine Majeftät fih Einſprüche
bes Flottenchefs gegen Allerhöchften Befehl verbitten müßte.
18. 1X. 15. Gefamtlage erfordert, daß für nächſte Wochen jede Mögliche
keit für Verſtöße gegen bie Ausführungsvorfäriften des Abootskrieges
vermieden würden. Daher Befehl, jede Art UÜbootskrieg an MWeilr
küſte und Kanal einzuftellen, in der Mordfee nur Ubootskrieg nad
Prifenordaung zu führen. Praktiſch gänzliches Aufhören jeder Uboots—
verwendung.
Ep meit die Eindrüde von der Flotte aus. Ordre, Kontreordre,
Desordre!
Wenn man dieſe Befehle und Gegenbefehle muſtert, die zum Teil
unausführbar waren, und ferner den Umſtand bedenkt, daß ſie erſt
durch die verſchiedenen Kommandos an bie einzelnen Ubootskomman—
danten gelangten, fo wird man verjtehen Eönnen, welche Verwirrung
and Erbitterung ſich bei diefen herausbilden mußte durch das uns
aufhörliche und fich oft widerſprechende Eingreifen ber politifchen Leis
tung und des Kabinetts. Eigene Tatkraft, Auffalfung der Kameraden
und wohl auch diejenige der unmittelbaren Vorgeſetzten drängten zur
Leiſtung. Beſtrafung und Siriegsgericht drohten den tapferen Ubootd-
lommandanten, wenn fie bie unklaren Befehle mißverſtanden oder
irgendwelche politifchen Schwierigkeiten fich zeigten,
Mie anders hat England in Ähnlichen Fragen der Seemacht ve
fahren! Seit Jahrhunderten gilt dert der Grundfab, daß alle Hands
lungen ber britifchen Seeoffiziere nach außen gedeckt wurden, wenn
fie nur energifch waren.
5
Sm Dezember 1915 wurde zivar bie öſterreichiſche Regierung,
die im „Ancona“⸗Fall einen bemerfendwerien und twohlbegründeten
Üchtungserfolg über Wilfon davongerragen hatte, durch das deutſche
Auswärtige Ami zum Pater peccavi veranlaßt, Ungefähr gleichzeitig
aber wer in ber Huffaffung ber bdeutfchen Heeresleitung bezüglid)
des Ubootskrieges eine Änderung eingetreten. Die Armeefronten waren
Erwagungen um die Jahreswende 1915/16 353
erftarrt und eine Entfcheibung bes Krieges immer ſchwieriger geworden,
Wohl unter diefem Eindruf fanden auf Erjuchen der Heeresleitung
am 30, Dezember 1915 und am 5. Sanur 1916 Sitzungen über
ben Ubootskrieg im Kriegsminiſterium flott. General v. Falkenhayn
teilte mit, daß, nachdem Bulgarien jeßt auf unſere Seite getreten
wäre, er ben unbeſchränkten Ubootskrieg annehmen mollte, wenn Die
Marine Erfolg gewährleifte. Falkenhayn hatte — nach feiner An—⸗
gabe — im Herbit 1915 ben Reichskanzler in der Belämpfung bet
Ubootskrieges umterftüßt, weil er auf Grund der Angaben des Aus:
wärtinen Amts gefürchtet hatte, daß Bulgarien fich dadurch abhalten
daſſen könnte, ung beizutreten, Deitteilungen von Enver, Außerungen
son Radoslawow und som Botſchafter v. Wangenheim beitreiten
übrigend Diefe Annahme aufs entfchiedenftet).
Bet der Sitzung im Kriegsminiſterium führte ich Die Mögfichlei
und Ausführbarkeit des Ubvotskrieges aus. Ich empfahl anfiatt der
früheren Kriegsgebietserklärung eine Art Sperrung des Handels
verkehrs mit England, Admiral v. Holtendorff bezeichnete die Er:
Öffnung des UÜbootskrieges als eine Erlöfung für die Marine, empfahl
ober, ihn erſt am 1. März zu begimmen, Über den Entfchluß zum
Übootskrieg und den Anfangstermin murde zwischen Falkenhayn,
Holgendorff, dem Kriegsminiſter Wild v. Hohenborn und mir söllie
Einigung erzielt.
Die mündliche Stellungnahme Holtendorffs für die Verwendung
des Wbootsfrieges wurde beitätigt Durch eine Denkſchrift des Admiral
ſtabs vom 7. Januar. Wenn wir die Einſchränkung beim Uboote
krieg fallen ließen, ſo hieß es da, könnte auf Grund der früheren
Erfahrungen in ſichere Ausſicht geſtellt werden, daß ber engliſche
Widerſtand in längſtens einem halben Jahre gebrochen wurde. Die
amerikaniſche Gefahr wurde anerfarmt, aber ausgeführt, daß, wenn
nit bis Herbſt 1916 eime für Deutfchland günftige Entjcheidung
erziwungen merbe, dann bie Hoffnung auf einen Friedensichluf
ſchwinde, der Deutichland Für Die nächlten Sahrzehnte ein aelicher:
red, wirtſchaftlich entwicklungsfähiges Dajein bringen Fönnte Fine
weitere Denkſchrift des Admirolſtabs ähnlichen Inhalts vom 12. Fer
2) Eine holländiſche Dreffemeldung aus ber zweiten Hälfte Yuauft 1915 Beingte,
daß Bulgarien gezögert hätte, das Bündnis mit uns zu fchließen, als es ſah, wie
witz nach Dem Arahie-Falle nor Amerika und England Kotau machten.
364 Der Unterjeebootd: Krieg
bruar 1916 ging an eine größere Zahl wirtfchaftlicher Sachverftändiger,
die ſich fämtlich zuftimmend äußerten und im Mllgemeinen in der
jofortigen Aufnahme des unbefchränften Ubsotskrieges die einzige
und letzte Chance für Deutfchland erblickten.
Meinerfeits wurde im Februar 1916 eine Denkfchrift über die
Notwendigkeit und Ausführbarkeit des Ubootskrieges an den Chef des
Generalftabes überfandt!). Über Diele Denkfchrift ſowie über bie ganze
Uboorsfrage hatte Kapitän Widermann in meinem Yuftrage mit Ges
neral v. Falkenhayn am 11. und 12. Februar eine eingehende Unter»
vedung im Hauptquartier. Falkenhayn fagte etwa: „Wir find alle
darüber einig, daß England bis zur Entfcheidung Kämpfen will. Die
Entjcheidung liegt im Beſitz Belgiens. Geben wir Belgien heraus,
jo find wir verloren. Sch habe mich für den UÜbootskrieg entfchieden
und rechne beſtimmt auf feine Ausführung. Sch werde mich voll
für ihn einfegen und ihn durchſetzen.“
In ſchroffem Gegenfag zu der Anſchauung bed Kanzlers war
ich mir fchon damals darüber Far, daß eine weitere Verzögerung,
des Ubootskrieges die höchfte Gefahr mit ſich brächte, und habe die
erwähnte Denkichrift mit folgenden Sägen gefchloffen, die fich zum
Unglück Deutfchlands fpäter als richtig erwiefen haben: „Unbedingt
notwendig ift die alsbaldige und rückſichtsloſe Einfegung der Uboots⸗
waffe. Ein längeres Hinausfchieben des ungehemmten Ubootskrieges
würde England Zeit zu weiteren militärifchen und mirtjchaftlichen
Abwehrmaßregeln laſſen, würde unfere Verluſte fpäter nur er—
böhen und den baldigen Erfolg in Frage ftellen. Je eher die Uboots—
waffe eingeſetzt wird, defto eher wird der Erfolg eintreten, defto rafcher
und energifcher wird Englands Hoffnung, uns durch einen Erfchöpfungss
krieg niederzuringen, vereitelt werden. Mit England ift aber auch
der Koalition unferer Gegner das Rückgrat gebrochen.‘
Eine große Zahl von Korporationen und Perfönlichkeiten war it
biefer Zeit an den Reichsfanzler zwecks Befürwortung des Uboots⸗
Erieged berangetreten. Unter diefen möchte ich ein Schreiben Hugo
Stinnes’ an den Kanzler anführen, das nach eingehender Information
in Schweden zu faft gleicher Zahlenrechnung Eommt, wie meine Denk
Ichrift. Diefe Eingaben von Politikern und anderen Perjönlichkeiten
*) Eine ähnliche Denkſchrift war vorher an den Reichskanzler gegangen.
Mein Rücktritt 365
in beachtenswerten Stellungen waren in Feiner Weiſe von mir vers
anlaßt worden.
Am 23. Februar hatte ich in Wilhelmshaven zufällig Gelegenheit,
dem Kaifer zu fagen, wie ich mit Freuden vernommen hätte, daß ein
ernftlicher Krieg gegen den englifchen Frachtraum in Ausjicht genommen
würde. Die Frachtraumfrage wäre zur Entfcheidungsftage des ganzen
‚Krieges geworden, und eg dürfte nicht gezögert werden. Es handelte
fich für das Deutfhtum um einen Dafeinsfampf. Die Pleinen neu=
tralen Staaten ergäben Eeine mwejentliche Gefahr. Der Kaiſer müßte
zu einem Entjchluß kommen.
Der entjcheidende Vortrag beim Kaifer fand am 6. März 191%
flott, und zwar, troß der obenerwähnten Nemedurorder, ohne meine
Hinzuziehung. Sch habe, alge ich nichtamtlih Nachricht von einer
bevorſtehenden Sitzung erhielt, bei Admiral v. Müller anfragen laffen,
ob der Kaifer mich zu den Befprechungen erwartete. Admiral v. Müller
gab hierauf die Antwort: ‚Nein, Seine Majeftät hat die Anweſen—
heit des Herrn Staatsſekretärs nicht befohlen.” Der KReichskanzler,
Falkenhayn, Holgendorff waren anweſend. Der Ubootskrieg murde
gegen Falkenhayns Votum auf unbejtimmte Zeit vertagt. Am 8. März
habe ich mich erfranft gemeldet und erhielt mit mwendender Poft
telegraphifch angekündigt die Aufforderung, meinen Abſchied einzu-
zeichen. Ich fandte darauf folgendes Gefuch ab:
Berlin, den 12. März 1916.
„Euerer Maieftät habe ich mit vollen Kräften gedient, um das
Lebenswerk Euerer Majeftät zu fördern, dem deutfchen Volk den
Weg über die See und in die Welt zu meifen.
Sn dem Entjcheidungsfampf gegen die Feinde, die uns dieſen
Meg ber nationalen Entwicklung mit dem Schwert vertreten tollen,
Haben Euere Majeftät meinem Kate nicht folgen Fünnen.
Den Einfluß, den Euere Majeftät mir miederbolt allergnädigft
zugelichert hatten, habe ich bei den legten großen Entſcheidungen über
die Amvendung unferer Seemacht nicht mehr ausüben können.
Mein Amt, Euerer Majeität Regierung vor dem Bol? in der
Fragen der Seegeltung zu vertreten, vermag ich nicht mehr pflicht
mäßig zu verjehen. Die ſchwere Sorge, das Lebenswerk Euerer Majeität
und die nationale Zukunft Deutfchlands auf dem betretenen Wege
366 Der Unterfeeboots: Krieg
sufammenbrechen zu ſehen, macht es mir Elar, daß meine Dienſte
Fuerer Maieftät Regierung micht mehr von Nutzen fein Eonnten.
Meine frühere Bitte, mid; von meinen Pflichten zu entheben, haben
Euere Majeſtät nicht zu genehmigen geruht.
Die Zermürbung meiner ſeeliſchen Kräfte durch bie in letzter
Zeit gejleigerten inneren Kämpfe, unter denen ich geſtanden hate,
machte e8 für mich jedoch unabweislich, Euerer Majeftät zu melden,
daß ich die Geſchäfte bes Staatsſekretärs des Reichemarineanits nicht
ehe zu führen vermag.
Nach Euerer Majeſtät allergnädigſten Entſchließung darf ih mu
mehr alleruntertänigit bitten, mir den Abſchieb aus meinem Ya
„is Staatsſekretär in Gnaden zu bewilligen.“
L
Am 17. März erhielt ich den Abſchied. Admiral v. Eapelle wurde
mein Nachfolger. Er wer im Sommer 1915 entſchiedener Anhänger
des Ubootskrieges. Vor Übernahme feines Amtes hatte er fich jept
sber verpflichten müſſen, in allen maritim-politiſchen Fragen fich dem
Reichskanzler anzujchließen. Dazu wurde der UÜbootskrieg gerechnet.
Meine Stellung beim Katjer und Kanzler war im März 1916
in verbraucht, daß ich damit rechnen mußte, nächfiend durch irgend
eine beliebige Weranlaffung zum Gehen gezwungen zu werden,
Schwere Kränkungen hatte ich ſchon vorher über mich ergehen laſſen
mäüffen Ich erbat den Abſchied, nachdem meine nächiten Berater
zur Überzeugung gelommen waren, er wäre jeßt nicht mehr aufs
jujchieben, da meine Ausfchaltung entgegen allen Zuficherungen mir
die Möglichkeit eriprießlichen Wirkens endgültig abfchnitte. Ebenſo
hatte ich aus der Umgebung bed Kaiſers gehört, daß mein Vers
hältnis zu ihm als unmiederherfiellbar betrachtet würde. Ich ſah
uns zum Abgrund rollen und konnte die Vertretung vor dem Reiches
tag und die Verantwortung vor der Nation für das Wagnis einer
weiter hinzögernden Kriegsführung nicht mehr tragen. Trotzdem nahm
ich meinen Rücktritt nicht leicht, da ich die Gewißheit befaß, daß
er die Siegeszuverficht der Feinde beleben würde, Sch Hatte dem
Koifer angeboten, meinen Abgang durch Krankheitsgründe unauffälfiger
zu geftalten; doch wurde diefe Handhabe nicht ergriffen, und ich
konnte den Eindruck des Ereigniffes nur dadurch müdern, daß ich
Der Suſſex jall 367
bie mie von weiteſten Kreiſen zugedachten Ehrungen ohne Rückſicht
auf bie Gefühle der Demonftranten im Einvernehmen mit bem Ober
Eommando der Marken unterbrüdte,
Hätte ich sorausgefehen, daß die Schlacht am Skagerrak meine
Stellung wieder flärfen und daß Hindenburg und Ludendorff an die
Spige kommen jollten, fo würde ich wohl allen Demütigungen zum
Aroß verſucht haben, suszuharren; und dann würde bei Bethmanns
im Herbft 1916 jo erſchütterter Stellung möglicherweiſe die Polen
proflamation unterblieben, ber Friede mit bem Zaren EFräftiger am
gejtrebt und der Ubsotsfrieg noch rechtzeitig begonnen mworben ſein
Aber wer will der Torfehung in die Karten bliden?
6
Am 24. Mär; 1916 wurde der franzöfische Dampfer „Sufjier”
torpediert. Auf eine entiprechende Anfrege der Vereinigten Staaten
wurde vom Admiralſtab am 10. April vor Eintreffen der Meldung
des betreffenden Ubootskommandanten geantsvortet, daß die deutſche
Megierung annehmen müßte, bad die Beſchädigung des „Suſſex“
auf eine andere lirfache als den Angriff eines deutſchen Ubootes zurück⸗
zuführen fe, Nachher traf aber bie Meldung ein, dag die „Sufjer“
doch von einem unferer Uboote torpediert worben war. Der Dampfer
war nach Meldung des bejonders erfahrenen und umfichtigen Uboots⸗
fommandanten wie ein Kriegsſchiff geftrichen, und auf feinem De
befand fich eine große Anzahl englifcher Truppen in Unifsem, Der
Kommandant des Ubootes glaubte daher auch formell im Recht zu fein,
Huf unfere Note vom 10. April, deren tatfächliche Unrichtigkeit
von Amerika nachgewiefen wurde, erfolgte die bekannte amerifantiche
Miederborungsnote vom 20. April, die ein unverzügliches Aufgeben
der bisherigen deutſchen Methode bes Übootskrieges verlangte und
mit Abbruch der Beziehungen zur deutſchen Regierung drohte. Nach
Bebanntiverden dieſer Note habe ich am 24. April noch einmal
eine Denkichrift an den Kaifer geſchickt mit der dringenden Bitte,
Wilſon nicht nachzugeben. Eine Antwort auf diefe Denkſchrift iſt
mir nicht zuteil geworden; dagegen hat Die Regierung am 4. Mai eine
Note an Amerika gerichtet, welche den amerikanifchen Forderungen wich,
aber die amerifanifche Regierung aufforderte, bei der großbritanniſchen
Regierung diejenigen völkerrechtlichen Normen durchzufegen, die vor
368 Der Unterfeeboots:Krieg
dem Kriege anerkannt waren. Falls diefe Schritte der Vereinigten
Staaten nicht zum Erfolg führten, würde fich die deutfche Regierung
einer neuen Sachlage gegenüberfehen, für die fie ſich volle Freiheit
der Entjchliegung vorbehalten müßte.
Milfon hatte die Beitrafung des Ubootsfommandanten verlangt,
welcher die „Suſſex“ torpediert hatte. Der Kommandierende Admiral
bes Marinekorps in Flandern ließ keine Beftrafung eintreten, da der
Ubootsfommandant im Recht gemwefen märe; daraufhin wurde ber
Kommandant vom Kaifer felbft beftraft. Der ſchwache Reſt von
Unterfeebotskrieg, ben wir noch gehabt hatten, erlofch praktiſch, aus
genommen im Mittelmeer.
Bezeichnend für die Kräfte, welche gegen den Ubootskrieg arbeiteten,
iſt die Mitteilung eines Augenzeugen über die Vorgänge, welche fich
nach Eingang meiner obenerwähnten Denfichrift im Hauptquartier
abfpielten. Sie fei den Ubootsgegnern fehr unerwünfcht gekommen,
der Kaifer habe aber von ihr einen nachhaltigen Eindruck erhalten,
wohl weil ihr Inhalt ihn in der eigenen Beurteilung beftärkte, fo
Daß er fich entjchloffen habe, die Note Wilfons abzulehnen und den
Ubootsfrieg nunmehr ohne Einfchräntung zu führen. Diefen Entfchluß
habe der Kaifer dem Kanzler und der Heeresleitung mitgeteilt. Eins
wände des erfteren blieben zuerit ohne Erfolg. Der Kaifer fei aber
nachher von dem Kabinettschef v. Müller jtarf bedrängt worden, dem
Kanzler nachzugeben, was fchlieglich auch geſchah. Bei diefem Vorgang
habe der Umſtand eine Rolle gefpielt, daß der Chef des Admiralſtabes
im Gegenfaß zu feinen früheren Denfichriften dem Kabinettschef gegen:
über fich zu dem Standpunkt des Kanzlers befehrt hätte. Bei diefem
legten Entfchluß des Kaifers fcheint die Heeresleitung nicht mehr gehört
zu fein. Sedenfalls reichte der General v. Falkenhayn umgehend feinen
Abfchied ein, der aber nicht bemilligt wurde.
Die Suffer-Note war ein entjcheidender Wendepunkt des Kriegs,
der Beginn unjerer Kapitulation. Alle Welt fah, daß wir vor Amerika
niederbrachen. Seit diefer Entfcheidung ging eg mit uns rückwärts.
Die fittliche Entrüftung über den Ubootsfrieg in England und in
Amerifa war anfangs nur ein Bluff gemwefen, um uns abzufchreden.
Allmählich war es mehr geworden. Diejerigen in Deutfchland, die
ein feines Gefühl hatten für die ideale und im Grund doc, höchſt
veale Macht des Preftiges, wurden durch die Annahme der Nieder:
Ein Wendepuntt bes Kriegt 286
Sorungsncte Wilſons tief erfchütter England wurde buch die Enb
scheidungen vom März und Mei 1916 von ber ftärfiten materiellen
Lebensgefahr befreit, welche e8 je im Lauf feiner Gefchichte bedroht
hatte. Indem das deutfche Volk das Gnadengefchen? des Uboots⸗
Eriegs, das ihm als legte Chance in den Schoß gefallen war, vers
ſchmähte, entichied e8 nicht nur feinen eigenen Austritt aus der Reihe
der Meltoölker, fondern verftärkte auch den Willen Englands, nuns
mehr durchzuhalten bis zur völligen Vernichtung des deutſchen Volkes,
Der Ubootskrieg, im Frühjahr 1916 fchranfenlos aufgenommen,
enthielt unfichere Faktoren wie jede ftrategifchepolitifchewirtfchaftliche
Berechnung. Uber es läßt ſich heute gewiſſer ale je fagen, daß er
die Engländer zu einer verföhnlichen Stimmung gebracht hätte, bie
ſich zwar wohl nie fo kläglich und unverftändig geäußert hätte, wie
bie Sriedensrefolution unferer Reichstagsdemokratie von 1917 — bazu
ind die Engländer ein zu politifches Volk —, aber materiell für
ung zu einem annehmbsren Friedensſchluß ausgereicht hätte, Sm Früh⸗
jahr 1916 war freilich Fein Monat mehr zu verlieren, — nicht nur
wegen bes Wachstums der feindlichen Aewehrmaßnehmen, fordern
ach wegen des Rückgangs unferer eigenen Widerſtandskraft. Wenn
denn nach Tängftens einjährigem Frachtraumkrieg in England die Not
gefühlt worden wäre, würden bie Moral unferes eigenen Volkes und
feine Kraftreferven noch fo bach geltenden haben, daß mir die Wirkung
abwarten konnten. Für die burchichlagende Kraft eines damals unter:
zommenen UÜbootstriegs und für die Lebensgefahr, die damit über
England ſchwebte, kann Ich jet eine lange Neihe englifcher Bekennt⸗
niffe anführen, welche unjere Demokratie und andere Sintereffenten
vergeblich in Vergeſſenheit ſinken laſſen möchten Noch 1917, ein
Sahe zu ſpät, waren wir dicht sor dem Ziel, fo daß man erfennen
konnte, daß der Ubootsfrieg, auch nur ein halbes Jahr früher be
gonnen, noch durchgeſchlagen heben würde,
So ſchreibt z. B. der „Economiſt“ vom 7. September 1918:
„Wenn auch wenige damals bie drohende Gefahr erkannten, find wir
dem Verluſt des Krieges ſehr nahe gekommen, weil wir vergaßen, daß eine
Kampfbeherrſchung der Meere ohne Wert iſt, wenn man nicht die Mittel
beſitzt, die beherrſchten Meere zu nugen ... Einmal während ber letzten
vier Jahre kamen bie Deutſchen dem Gewinn bes Krieges meßbar nahe,
Das mar nicht im Frühjahr 1913, als die Armeen Englands und Franke
Tiesia, Griassrungen 24
=,
370 Der Iinterjeebonts:Krieg
reichs unter den deutſchen Sturmangriffen mwanlten. Es war im Srühs
jahr 1917, als die Ausfigten zu Lande günftig erſchlenen. Die Deutjchen,
an der Somme gefchlagen, waren auf die Hindenburglinie zurüdgegangen
und hatten im Weften die Verteidigung aufgenommen. Rußland war noch
ein Sektor im Kriege. Und doch war bies Frühjahr. von 1917 tatſächlich
de kritiſchſte amd tödlichſte Seit, die wir feit Kriegsbeginn burchlebt haben.
Kurze Seit ſchien es, als ob die Flotte verfagt hätte, und unfere Ders
bindungen, von benen alles abhing, durchbrochen werden follten. Wenn
bie Verlufte Englands und des Verbandes an Handelsfchiffen in dem Maps
ftabe des April, Mai und Juni 1917 angebauert hätten, fo hätten bie
Deutſchen ben Krieg gewonnen, bevor das Jahr zu Ende gemwefen wäre.
Aber die Flotte „.. wurde ber Ubootsgefahr Here und verringerte beren
irkſamkeit ſehr.“
Die „Morning Poſt“ vom 3. Oktober 1918 ſchreibt:
„Hätte Deutſchland eine Woche vor Ausbruch bes Krieges feine große
Streitmaht von Kreuzern auf die fernen Seeſtraßen verteilt, fo würde es
vielleicht Werderben über uns gebracht, ficherlih uns fehr ſchwere Ber«
Iufte zugefügt haben. Dann verzögerte bie deutſche GSeefriegsführung bie
große Seefhlaht zur DVerfrüppelung ber englifhen Flotte fo lange, bis
es zu fpät war. ... Später fuchte Deutfchland dann das durch eine Gees
(Hlaht nicht gewonnene Biel durch den LUnterfeehandelsirieg zu erreichen.
Er war die größte Gefahr, ber biefes Land jemals gegenüberftand. Aber
kraft unferer Entfchloffenheit, Erfindungsgabe und unbezähmbar harten Arbeit
wurde Deutichland wiederum ber Siegespreis enteiffen, gerabe als es Ihn
fajt mit Händen greifen konnte,”
Ein fachverftändiger Staatsmann, Chiozza Money, erklärte im Nos
vember 1918 im Unterhaus:
„Im April 1917 waren bie deutſchen Uboote fo erfolgreih, baß Eng»
land in 9 Monaten ruiniert geweſen wäre, wenn bie Serftörungen in bems
felben Tempo fortgedanert hätten,”
Diefe Reutermeldung vom 15. November 1918 könnte dem beut-
ſchen Patrioten wahnfinnig machen, wern er fich vergegenmwärtigt,
welche Verftändnislofigkeit für das MWefen des Seekriegs bei ung herrs
fchen und unfere noch einmal zu rettende Zukunft erdroffeln durfte.
Die eigentümlichfte Erfcheinung bei dieſer bdeutfchen Krifig war
mir, daß diejenigen Nichtmilitärs, die ihre Hoffnung eines erträg-
lichen Kriegsausgangs nacht auf unfere Waffen, fondern auf Wilfone
Die Erfolggmöglichket 371
Kampf für die Freiheit der Meere und Englands freirsillige Vers
ftändigungsneigung festen, fich nicht auf diefe pofitifche Uberzeugung
befchränkten, fondern fie durch eigene Urteile über rein maritimsteche
nifche Fragen glaubten unterbauen zu follen. Sie maften fich, allen
fachmännifchen Autoritäten widerfprechend, an, feftzuftellen, daß mir
im gefchichtlichen Augenblick des Frühjahrs 1916 noch „zu wenig
Uboote befaßen”. Diefe Männer in der Wilhelmſtraße oder auch in
ber Redaktion der „Frankfurter Zeitung‘ erPlärten im Februar 1917
mit anmafender Sicherheit: „Wir beginnen den Ubootskrieg zu rich-
tiger Stunde, weil wir jeßt genug Boote haben.” Als dann ber
durch ihre Schuld verzögerte Unterfeebootskrieg richt mehr fo rafch
durchſchlug, wie er nach den fachmännifchen Feftftelliungen ein Jahr
früher gewirkt haben würde, da verließ jene Männer ihre Keckheit
nicht: ftatt fich zu fchämen, daß die Ubootswirkung durch ihr Ver:
ſäumnis um das entfcheidende Stück verkleinert worden iſt ), ver
urteilten fie hinterher wieder — ihr eignes Verhalten Anfang 1917
verleugnend — den ganzen Ubootskriegl Um zu ermeffen, wie in
Deutſchlands Schiefalsftunde mit dem Seekrieg gefpielt worden if,
ftelle man fich vor, daß im Landkrieg Diplomaten, Sournaliften und
Parlamentarier enticheidende ftrategifche Urteile abgeben wollten. Aber
in der Lebensfrage des Seefriegs war unter Deutfchen alles möglich.
Statt ſich auf die amerifanifche Frage zu befchränfen, deren politifcher
Ernft auch) von mir niemals verfannt worden ift, beruhigte fich der
Deutfche mit feinem Inſtinkt für Selbftvernichtung durch die Formel
„wir hätten 1916 nicht genug Uboote gehabt”. Wie ich für die hintan-
gehaltene Seefchlacht der Sündenbod fein follte, weil angeblich das
Material der Flotte zu fchlecht wäre, fo fchoben jet die, melche Wilſons
wegen den Mut zum Ubootskrieg nicht fanden, vor fich felbft und
vor der Welt die Schuld auf die „zu geringe Anzahl” der Boote 1).
Diefes überall ausgefprengte Gerücht war eg, womit hauptfächlich die
diplomatiſchen und demokratischen Helfer der Reichgleitung den recht-
zeitigen Ubootsfrieg verhindert und an Stelle eines rafchen und much
tigen, dorum auch der Menfchlichkeit am meiften entfprechenden Schlages
) Wenn Chiozja Money fagt, Daß neun Monatserfolge, wie der des April 1917
England ruiniert hätten, fo wäre es alfo noch im Muguft 1916 Zeit gewefen, ein«
sufegen, aber nicht mehr im Februar 1917,
%) fiber den Ubooisbau vor dem Krieg vgl, den Techniſchen Anhang.
248
372 Der Unterſeedoots⸗Krieg
se
ein Schwäche und ſchlechtes Gerotffen verratenbes, unfer Unglück Des
fiegelndes Dahinjiechen gefegt haben).
Denn in Wahrheit Fonnte unfer Übootsbejtand 1916 weit mehr
Yeiften als 1917, wie ich im Februar 1916 vorausgefagt habe. Es
Eommt für den UÜbootskrieg nicht auf die Zahl der Uboote, fondern
fedigfich auf die Verfenfungsziffer an. Für diefe einfache Wahrheit
waren Die hinzögernden Politiker zu Klug. Die Erträgniffe des boots
fanken im Verhältnig, wie die Abwehrmaßnahmen der Gegner ftiegen.
Diefe Maßnahmen erforderten Fahre; die Jahre haben wir den Feinden
geleffen. Unfer Ubootsfieg war nur in einer beſtimmten Zeitipanne
zu gewinnen; dieſe Zeitipanne haben wir mit Angſt und Hoffnung auf
Wilſon verſäumt. Die erfchütternden Zahlen, welche das belegen, Eonnten
der Öffentlichkeit während des Kriegs nicht übergeben werden, woraus
bie Gegner des Ubootskriegs Nutzen für ihre Entftellungen zogen.
Sch greife aus der Summe der Beweiſe nur eine einzige Tatſache
heraus. Im Frühjahr 1915 betrug beim eingefchränkten, d. h. un⸗
genügenden Ubootsfrieg die Verſenkungsziffer für Boot und Reife
17000 Tonnen. Beim unbefchräntten Ubootskrieg beträgt die Ver:
fenkungsziffer nach den Erfahrungen des Jahres 1916 mindeftens dag
Dreifache des eingefchränkten. Man hätte alfo Damals 51000
Tonnen für Boot und Reife mit Sicherheit erzielt. Im
Summer 1917 betrug dasſelbe Ergebnis 14000, im Herbft
1917 nur noch 9000 Zonnen! Wir hatten im Frühjahr 1916
für das bevorftehende Etatsjahr mit zweihundertfünf Ubooten zu rechnen,
die im Dienfi, im Bau oder in der Erprobung ftanden, davon einhundert
fiebenundvierzig im Bau befindliche, die noch während des Etats—
ichres zur Ablieferung kommen follten?),
Hiernach berechne man das Ergebnis, welches ein wirklicher Uboots⸗
krieg im Jahr 1916 gehabt haben müßte. Man wird den Engländern
rechtgeben müffen, daB fie damals den Keieg verloren haben würden,
?) Die linfen Parteien des Meichstags haben an der Werzögerung des Uboots-
krieges eine fo ſchwere Mitſchuld, daß es für mich ein Gebot der Gerechtigkeit ift,
zu erwähnen, Daß einzelne kernhafte Männer in der Sozialdemokratie Anfang 1916
meinen Standpunkt voll geteilt haben, ohne bamit durchzudringen.
?) Auf Das merkwürdige, aber für unfere damaligen Verhältniffe recht begeich:
nende Gerücht, ich hätte im Budgetausſchuß Des Bunbesrats faliche Zahlen nennen
laſſen, gehe ich nicht mehr ein, nachdem es amtliche und gerichtliche Klarftellung
gefunden, allerdings vorher feinen politiſchen Dienſt gegen mi geten et.
Die serktünpelte Waffe 373
wenn wir den Mut gefunden hätten, ihn zu gewinnen. Wenn man
die libootstagebücher des Jahres 1916 burchblättert, findet man, mit
welchem Schmerz bie Kommandenten damals reichfte, ſichere Beute
vor ihren Augen paffieren Iaffen mußten. Man macht fich anſchaulich,
dad fie auf jeder einzelnen Reiſe damals das Fünf bis Sechsfache
hätten leiſten können wie ein Jahr Tpäter.
Im Nachftehenden berichtet beiſpielsweiſe Kapitänleuinant Steine
brink, ein beionders tüchtiger Ubootskommandant, welcher ausprobieren
follte, ob an Hand ber für den UÜbootskrieg 1916 erlaſſenen Beſtim⸗
mungen überhaupt ein Erfolg, ohne dieſe Beſtimmungen zu verlegen,
möglich ſei.
Tagebuch des Kommandanten, Zuli/Auguft 1916.
„Wegen bes zum Torpedoangriff fehr ungünftigen Wetters konnte der
Aufenthalt vor der Seine Mündung nur vier Tage lang, folange Wind und
See ein lingefehenbleiben erleichterten, durchgeführt werden. Während diefer
Beit wurde drei bis acht Seemeilen (ein bis zwei deutſche Meilen) vom Haupts
anſteuerungspunkt entfernt bei Tag und Nacht der einlaufende Dampferverkehr
überwacht, auf feden einzelnen, erreichbaren Dampfer ein Anlauf gefahren und
ſo aus möglichſter Nähe ein Urteil über feinen Charakter genommen. Im
ganzen wurden 41 Taganläufe (d. h. Anläufe mit bem Uboot zum
Torpebofchuß ohne jedoch zu ſchleßen) gefahren; feiner dieſer Dampfer wies
bie als Kennzeihen für Trangporte gegebenen Merkmale auf; auch nad) ihrem
forftigen Ausfehen machten ftc nicht den Eindrud ausgefprochener Transports
dampfer. In der Morgendämmerung dagegen wurden im ganzen ſechs ab»
aeblendete 1500—3900-TonnensDampfer (brei vom Bolliertyp, drei Fracht⸗
bamsfer) geſehen; die Fahrzeuge waren ſchwarz gemalt mit grauen ober
Sraunen Aufbauten und führten keine Flagge. Jedes einzelne Schiff wurde
von einem abgeblendeten Zerilörer, oder einem ober zwei bewaffneten Fiſch⸗
Bampfeen geleitet. Deiner feften Rberzeugung nach waren biefe Schiffe Truppens
ober wichtige Materialiransporte; ba ich diefe Anficht durch bie befohlenen Merks
male (Truppen in großer Zahl, Geſchütz⸗ ober Fuhrparls, Gtellungen an
Ded) aber nicht beſtätigt fand, burfte id} fie ebenfalls nicht angreifen.
Unter den augenblicklichen Bebingungen, unter benen ein Üboot einen Transs
porter befämsfen müßte, ift überhaust nichts zu machen und lohnt bie immer⸗
bin bei der Stärke ber — ig nicht ungefährliche Unternehmung kaum
die Anſtrengungen der Beſatzung.“
Stellungnahme der Flottille zu vorſtehendem Kriegstagebuchauszug:
„Die Abſicht der Unternehmung war, feſtzuſtellen, ob mit den zurzeit
gültigen Beſtimmungen, d. h. nur nad der Wrifeworduung Handelskrieg zu
374 Der Unterſeeboois⸗Krieg
führen und den Torpedoſchuß ohne Warnung nur gegen einwandfrei fefts
geftellte Transporter anzuwenden, bie Schädigung der Transporte für bie engs
lifche Armee in Frankreich, die ich für die michtigfte Aufgabe für die Marine
zurzeit halte, durchzuführen iſt.
Das Ergebnis ift einwandfrei folgendes:
Es ift ausfichtslos, mit diefen Einſchränkungen die Uboote auf den Trans»
gortmegen anzufegen... Die Schädigung der Transportwege wird daher vors
läufig aufgegeben, folange die Beftimmungen für die Führung des Ubootss
Erieges nicht den Torpebofhuß ohne Warnung gegen bie zwiſchen England
und Frankreich verfehrenden Schiffe mit Ausnahme ber Lazarettfchiffe ges
ftatten. f
Der Handelskrieg nad) Prifenordnung wird im meftlichen Teil des Armels
kanals verfucht werden troß der Gefahr, die die Uboote beim Auftauchen laufen.
Diefer Entfchluß iſt zwingend, weil dies zurzeit das einzige Mittel iſt, den
Gegner zu ſchädigen.
Diefes Ergebnis der Unternehmung war vorauszufehen, ich hielt es aber
body für wertvoll, den tatfählihen Nachweis zu führen.“
Es liegt auf der Hand, in wie hohem Maße unfere Uboote den Vers
fauf der Somme-Schlacht hätten beeinfluffen Fönnen. Wer fich über
folche Einzelfragen hinaus Elar deſſen bewußt war, daß dieſer Krieg
tiber dag Dafein des deutfchen Volkes entfchied, Eonnte folche Berichte
über die Verfrüppelung unferer beiten Waffe nicht ohne innerfte Ers
fchütterung leſen.
Unfer Verhalten im Frühiahr 1916 fagte der ganzen Welt mit
Ausnahme einiger deutjchen Diplomaten und Demokraten: Deutfchland
gebt unter,
7
Die Vorgänge, welche zur Aufnahme des uneingefchränkten Lbootss
kriegs am 1. Februar 1917 geführt haben, kann ich als daran Uns
beteiligter nur kurz berühren. Soweit ich unterrichtet bin, find fie
bezeichnend für die Desorganifation der Bethmannſchen Regierungss
weife.
Er hatte, der Anregung Graf Bernftorffs fbattgebend, Wilfon zur
Friedengvermittlung ermuntert und durchkreuzte diefelbe nun ducch
fein eigenes Friedensangebot wie Durch den Ubootskrieg. Allerdings liegt
Der unbejihränkte Ubootskrieg 1917 375
Heute, nach ben Berhandlungen im parlamentarifchen Unterfuchungss
ausſchuß, Elarer, ala bei der Veröffentlichung der erſten Auflage dieſes
Buches zutage, daß Wilfon durch die deutjche Regierung ermutigt wors
den war, den Frieden zu vermitteln und daß infolgedeffen Wilfon durch
den Entſchluß zum Ubootskrieg fich perfönlich verlegt fühlen konnte.
Underfeits ift durch die neueren Veröffentlichungen auch meine frühere
Überzeugung, daß auf dem Mege über Amerika ein für ung brauch:
barer Friede leider niemals zu erlangen war, nur beftätigt worden.
Wilſon und feine Leute haben den deutfchen Vertretern gegenüber in
allen Stadien der Verhandlung immermwährend betont, daß fie England
gegenüber das Gewicht der amerikanischen „Macht nicht in die Wag⸗
ſchale werfen könnten. Das ift die Tatfache, welche die wirklichen Aug:
fichten diefer Friedensaktion beftimmt. Mit ihe entfällt die Möglichkeit,
daß eine von Wilſon zufammengeführte Mächtefonferenz bei der da=
mals in den Ententeländern herrfchenden Stimmung zu einem Ver—⸗
ftändigungsfrieden hätte führen können. Selbftverftändlich hat Wilfon
bie ihm von Bernftorff angebotene Rolle eines Arbiter mundi gerne
ergriffen. Aber jo wie die amerikanische Politik in den Sahren 1914/16
unbefchadet aller edlen, humanitären und neutralen Gefühle praktifch ftets
zu unferen Ungunften gewirkt hat, fo würde, fobald die Konferenz
unter Wilfons Aufpizien wirklich zufammengetreten wäre, das geringe
Intereſſe der Wafhingtoner Politiker für die Erhaltung des Deutfchen
Meiches auch nicht Eräftiger erwacht fein. In Wirklichkeit lagen ihre
Intereſſen und Wünſche eben in einer ganz anderen Linie, jo daß meiner
Überzeugung nach der einzige Weg, zu einem für Deutfchland leiblichen
Srieden zu kommen, damals — wie oben ausgeführt — über Rußland
ging. — Im Herbft 1916 hatte die Oberfte Heeresleitung angefichte des ru⸗
mänifchen Angriffs geglaubt, die durch den Kanzler und den Gejandten
v. Kühlmann unrichtig dargeftellte holländische Kriegsgefahr ernft nehmen zu
müſſen, und hatte deshalb einer, gewilfen Verzögerung des UÜboots⸗
Frieges zugeftimmt. Nach der Niederwerfung Rumäniens veränderte
fich das Bild, Die Oberfte Heeregleitung bezweifelte wohl, daß mir
einen meiteren Kriegswinter (1917/18) aushalten Fönnten. Da nun
der Admiralſtabschef v. Holendorff glaubte verfprechen zu Fönnen,
daß England nach einem halbjährigen Ubootskrieg Friedengreif würde,
fo ergab fi aus dem Wunfch, bis Auguft 1917 zu einer Friedens⸗
möglichfeit zu gelangen, der Anſatz, daß der Ubsotskrieg Im Februar
376 Des Unterfeebonts: Krieg
1917 beginnen müßte, Diefe Berechnung hatte aber nur einen begrenzten
Wert und durfte nicht dogmatifiert werden.
Das letzte Rätſel einer bei aller Gewandtheit gefährlichen Zers
fahrenheit würde darin Liegen, daß Bethmann feiner inneren Über
zeugung zumider im Reichstag die Meinung verbreitete, nunmehr wäre
marinetechnifch und politifch der erfolgverheißende Augenblick für den
uneingefchräntten Ubootskrieg gekommen. Nur nebenbei fei hier daran
erinnert, welche Überhebung berin lag, eine folche Auffaffung gegen
jene Gutachten von Neichsmarineamt, Admiralſtab, Hochfeeflotte,
Marinekorpg und Oberſter Heeresleitung vom Frühjahr 1916 zu ver
treten, jelbjt werm der Admiralftabschef um die Sahresivende 1916/17
jih dem Bethmannfchen Standpımft etwas angepaßt haben follte,
Wie dem auch fei, es war ein Unglüd, daß der Ubootskrieg nun von
einem Staatsmann geleitet wurde, der ihm mit ablehnenden Grund⸗
gefühlen gegenüberitand und ihn deshalb, fo wie er ihn bisher ver
Hindert hatte, nunmehr auch in diefem letzten Stadium noch lähmte.
Sm Jahr 1916 konnten wir es vielleicht noch verantworten, die Wirkung
des Ubootgfriegs durch Ausnahmen zugunften einzelner Neutraler und
anderes zu durchlöchern. Im Jahr 1917 war es dazu zu fpät. Wenn
wir alles auf diefe eine Karte feßten, war erſtes⸗ Erfordernis, daß
alfe militärischen, politifchen, perfonellen und technischen Mittel in den
Dienft diefer Sache geitellt wurden. Die Marine hatte jede andere
Aufgabe zurüdzuftellen, alle irgend verfügbaren Menfchen und Eins
richtungen dem Ubootsbau der Werften und den Motorbau zuzuweiſen.
Die Armee mußte jest die Arbeiter ftellen, die Politik die Kriegsfühs
zung ergänzen, bie Diplomatie nicht abivartend beifeite ftehen, ſondern
jich mit ganzem Herzen bafür einſetzen. Statt deffen wurden Ausnahmen
zugunften europäifcher Neutraler zugelaffen, die die Wirkung des Uboots—
krieges abſchwächten, und auch technifch und militäriſch dem Ubootss
krieg nicht diejenige äußerfte Konzentrierung gegeben, welche allein in
dieſem vorgerüdten Stadium ihm noch die erforderliche Durchſchlags⸗
kraft gewährte. Der Urfehler unferer ganzen Kriegsführung, der Mangel
einer dem englifchen Kriegswillen ebenbürtigen Einigkeit und Feſtigkeit
beftand fort, folange das Bethmannſche Syftem am Ruder blieb,
Wenn fich die Neichsleitung damit beiud, einen Ubootskrieg zu
verantworten, an den fie nicht recht glaubte, und fodann feine Aus⸗
führung zu fehäbigen, fo hatten fich in MWirflichfet die Ausfichten
Srihmwerungen 377
des Ubootskriegs gegen 1916 in gewaltigen Umfang verſchlechtert.
Bis zu meinem Rücktritt hat das Reichsmarineamt ſoviel Uboote
gebaut, wie überhaupt möglich waren. Ich bin dreimal auf allen
Werften herumgereiſt und habe jede Helling perſönlich unterſucht und
feſtgeſtellt, ob eine Mehrleiſtung zu erzielen wäre H.
Es entzieht ſich meiner Kenntnis, ob nach meinem Rücktritt der
Ubootsbau mit derjenigen Kraft weitergefördert worden, die erforderlich
geweſen wäre. Entſcheidend war aber die alle Befürchtungen noch über⸗
treffende Zunahme der feindlichen Abwehrmaßregeln. England war gegen
bie Ubootsgefahr unvorbereitet in den Krieg getreten. Sowie ed die Töt⸗
fichEeit diefer Gefahr erkannte, hat es fich mit Unterſtützung bes hilf—
reichen Amerikas auf die Schaffung von Schugmaßnahmen geworfen, bie
zwar noch nicht 1916, wohl aber 1917 mit Macht zu wirken begannen.
Denn an Maffe wer uns die Entente induftriell überlegen, und fomit
wuchs die Abwehr weit flärker, ais fich die Zahl der Uboote vers
mehren ließ. Wir verloren im Frühjahr 1918 geitweile mehr Üboote
als neu hinzutraten.
Im allgemeinen freilich hatte ſich dies ſchon 1916 vorherſehen laſſen.
Ich nenne einige der wichtigſten dieſer Abwehrmaßregeln: die Um⸗
wandlung von Handelsſchiffen in Kriegsſchiffe durch 15000 Geſchütze
nebſt ausgebildeten Bedienungsmannſchaften, die ſyſtematiſche Bes
wachung der Gewäſſer durch Flieger, Luftſchiffe und Fahrzeuge, aus⸗
gedehnte Verwendung von Unterwaſſer-Schallapparaten, Beſchaffung
von Ubootsjägern, Ubootsfallen, Waſſerbomben; von Hinderniſſen
defenſiver Art wie Netze, Minen; ferner indirekte Maßregeln, wie
die Verdreifachung der amerikaniſchen Werften, der fieberhafte Bau
Nebenbei erwähne ich nur, daß ber UÜbootskrieg, wenn ee 13916 geführs
worden wäre, bes britiſchen Hochfeeflotte vorausfichtlih nicht erlaubt hätte, ih nach
der Schlacht am Skaaerral jo folgerichtig in Scapa Flow veritedi zu halten. Ich
möchte hier noch erwähnen, bag ich bei einer Beratung Anfang 1916 bafür eins
getreten bin, man follte den Kapitänen der in Amerika uſw. liegenden deutichen
Handelsſchiffe den Befehl geben, hinauszufahren und draußen ihre Schiffe zu vers
fenlen, ober fie font unbrauchbar zu machen, Das hätte man ihnen nicht verbieten
können, da fie ja feine Kriegsfchiffe waren, Ballin ſprach dagegen! Die Kapitüne
würden son ben Amerikanern gehüngt (was unmöghcd war), bie ſchönen Schiffe
gingen und für immer verlesen. Das Ergebnis war, daß uns gerade dieſe fehnelis
fahrenden Schiffe 1917/18 dur den Zranspori amerifanifher Truppen uſw.
größten Schaden «etan haben.
378 Dex Unterfeeboots: Krieg
von Frachtſchiffen ), die möglichite Anhäufung von Vorräten, die Aus: °
bildung des Nachrichtendienftes, die Monopolifierung und Kationierung
der Frachträume, die Einrichtung und Ausbildung von Geleitzügen,
deren Aufbau aber Sahre erforderte, eine gewaltige organisatorische
Leiſtung ber Engländer, endlich der beftändig wachſende Druck auf die
Neutralen, der fiplieglich mit dem Raub ihres Schiffgraums endete,
Infolge diefer Maßregeln trat jene Verminderung des Ubootswertes
ein, die, wie oben erläutert, für das einzelne Uboot nur ein Fünftel
ber alten Wirkungskraft übrig ließ. Man vergegenmwärtige ſich allein, daß
ſpäter viele taufend allmählich gebaute Lbootsjäger gegen ung in Tätig:
keit ſtanden.
Unfere Uboote Fonnten im Februar 1916 noch unter den feindlichen
Handelsichiffen haufen, wie Wölfe in Schafsherden; fpäter war es
ein regelrechtes Gefecht, das fie führen mußten. Aus einer Zerſtörungs⸗
arbeit war eine aefahrere und verluftreihe Kampfhandlung geworden.
Es echebt fich nun die Frage, ob der Ubootskrieg, im Frühjahr 1916
ſtatt 1917 begonnen, nicht eben auch ein Jahr früher jene Scharen
amerikanifcher Krieger auf das Feſtland geführt hätte, welche 1918 die
Lage an der Weſtfront zu unfern Ungunften beftimmt haben?
Sch jehe davon ab, daß, wie wir alle, jo auch die Heeresleitung von
diefem gewaltigen amerikanischen Truppenaufgebot überrafcht worden
iſt und fo mit einer nicht unbedenklichen Verdünnung unferer Heeress
Fraft eine Million Krieger im Often feitgelegt hat für mirtfchaftliche
Zwecke, die gegenüber dem Hauptziel des Krieges doch ale nebenfächlich
bezeichnet werden müſſen. Sch möchte nur darauf hinweiſen, daß im
Frühjahr 1916 die Wahrfcheinlichkeit, daß Amerika Truppen herübers
Srachte, viel geringer war als ein Jahr fpäter. Mindeſtens hätte bie
flärkere Wirkung des Ubootskrieges auf den feindlichen Frachtraum fps
wie bie damals noch fo geringe Entwicklung des amerikanifchen Schiffs⸗
baus im Jahr 1916 die Entfaltungsmöglichkeiten für amerifanifche
Heereskraft von vornherein beſchränkt. Die militärifchen Rüftungen
!) Nach amerifaniihen Angaben betrug der Zuwachs an Frachtraum 1916 im
genzen Jahre etwa foniel wie im Sommer 1918 in einem Monat. Selbſt wenn
die Derjenkungsziffer pre Monat infolge der ftärkeren Abwehr im Jahre 1918 nicht
gefallen wäre, fo war ihre qualitative Wirkung Doch, weil fehr viel flärlerer Erfag
geihaffen wurde, um ein Bielfahes geringes im Jahre 1918 gegenüber des gleichen
Mirkung in den früheren Yabren.
Die gegen 1916 veränderte Lage 379
Amerikas feßten in jener Zeit überhaupt erfi ein, Außerdem ft eg zweifel⸗
haft, ob Amerifa 1916 zum Eintritt in den Krieg reif geweſen wäre.
Die Stimmung meitefter Landesteile und einflußreicher Kreife war noch
nicht genügend bearbeitet und fette der Wilfonfchen Preſtigepolitik
ernſte Hemmniſſe entgegen.
Nach Anſicht unſeres Geſandten v. Hintze, der damals von Peking
kommend Amerika durchreiſte, hat erſt die bekannte Mexikodepeſche Zim⸗
mermanns, welche gerade deutſchfreundliche Gebiete der Union am
ſtärkſten verletzte, Wilſon eine entſcheidende Hilfe bei ſeinem Wunſch,
uns mit den Waffen entgegenzutreten, geleiſtet. Ballin, der meine
Anſichten kannte und mir am 19. Juli 1917 ſchrieb, er hätte mannig⸗
fache Anfragen in der letzten Zeit immer dahin beantwortet, daß der
Ubootskrieg, wie er heute geführt wird, „nicht den Tirpitzgedanken
verwirkliche“, fügte daran die Sätze:
AIch habe fon Im letzten Winter brieflih und münblih die Anſicht
ausgeſprochen, daß, wenn Euere Exzellenz am Steuer geblieben wären,
ie ben uneingefchränkten Ubootfrieg jetzt überhaupt nicht begonnen hätten.
Und ich möchte bei der Anficht bleiben, daß, wenn Sie es in Ihrem Amte
miterlebt hätten, wie man den Wilfon an der Nafe herumgeführt hat,
wie man feine ehrgeizigen Friedensbeftrebimgen durchkreuzte und wie man
ihn ſchließlich duch die Mexiko⸗Depeſche in eine unmöglihe Situation vers
feßte, fo würden Sie es ſich gewiß fehr überlegt haben, ob es politifch
und milttärifch richtig fein könnte, den unbegrenzten Ubootkrieg zu vers
finden und einzuführen, ohne Wilfon die Gelegenheit zu geben, fih mit
Anftand aus ber Affäre zu ziehen.
Willen Hätte meines Erachtens — und biefe Anſicht wird niht nur
vom Grafen Bernftorff, vom Prinzen Hapfeld, von Geheimrat Albert, fons
dern auch von allen anderen Leuten geteilt, die bis zum Ausbruch bes
Krieges brüben gewefen find? — niemals uns ben Krieg erflären können,
wenn nicht durch die Meriko-Depefche und durch eine große Reihe anderer
Fehler wir die Bevölkerung des Weſtens und Südens der Vereinigten Stans
ten, die ganz deutſchfreundlich waren, gegen uns aufgebracht hätten.
Was aber der Eintritt Amerikas in den Krieg gegen uns für bie Entente
bedeutet, brauche ich Ihnen nicht zu fagen.”
Meine Amwort vom 23. Jul 1917 wird durch folgende Sätze
gekennzeichnet:
389 Des Unterſee doots⸗ Krieg
In meinem Telegramm an Hesen Baſſermann und Exzellenz Spahn habe
ih die Überzeugung vertreten wollen, daß bie beabjichtigte Neichstagss
erflärung innens und außenpolitifh mie nicht richtig erfcheint. Selbſt wenn
man fi auf ben Standpunkt ftellen wollte, unter Aufgabe bes Ubootss
Erieges fo bald wie möglih mit Wilfon zu einer Einigung zu kommen,
ſo würde es mir von reinem Gefhäftsftandpunft aus nicht richtig erſcheinen,
zur gleichen Seit die Wirkung des Ubootsfrieges vor der ganzen Welt herabs
gufegen und um einen Frieden zu winfeln,
Wie Sie wiffen, Ein ih am 4. Februar 1915 durch bie Erklärung
bes Ubootskriegs nah Art und Zeit überrafgt worden, dies um fo mehr,
ale ich noch am 27. Januar mit dem damaligen Reichskanzler über eine
vorläufige Surüdjtellung des Ubootskrieges einig gewejen war. Nachdem
wie biefen militärifchen Entſchluß, obendrein mit einer gemwilfen Fanfare
in bie Welt gefegt hatten, mußten wir aber daran fefthalten. Durch unfer
beftänbiges, zum Teil würbelofes Zurückweichen vor ben Anrempelungen
Milfons haben wir letteren eigentlich erſt Ereiert. Eine offenſive NMotene
golitif gegen bie unerhörten Unneutralitäten Wilſons wäre für uns das Ges
gebene und gänzlich gefahrlos geweſen. Die Niederborungsnote Wilfons
durften wir niemals annehmen, und zwar aus ganz realen Gründen nicht.
Sch fehe Hierbei ab von der wenig geſchickten und wenig glüdlichen Xrt,
wie wir den GSuffer-Fall felbft diplomatifch behandelt haben. Im Früh—
jahr 1916 hätten uns die Dereinigten Staaten den Krieg nicht erklärt,
Beweis genug dafür find ja die damaligen Verhandlungen im Senat und)
Kongreß In Wafhington. Damals war der gegebene Zeitpunkt, den Uboots—⸗
Erieg in fcharfer Form zu führen; wir fowohl wie unfere Bundesgenoffen
hatten noch einen erheblichen Grab wirtſchaftlicher Kraft einzufegen. Da
Wilſons Wahl noch bevorjiand, war er auch zu einer Kriegserklärung außer
ſtande. Der Ubootsfrieg braucht Zeit, um feine volle Wirlung auss
zuüben; die hatten wir bamals noch zur Verfügung und wären baher auch
Imftande gewefen, der neutralen Siiffahrt größere Konzefiionen zu machen,
als es ſpäter wohl ben entichliegenden Perfonen möglih erfhien. In ber
Kat waren wir am 1. Februar d. J. doch fon recht hart an ben Abgrund
gedrängt. Dazu kommt noch ein weiterer Geſichtspunkt, der fih aus ben
Begenmaßregein ber Engländer gegen den Ubootskrieg ergibt. Sle erwähnen
ja felbft in Ihrem Brief die Geleitzüge; die Geleitzüge werden aber erſt
wirkſam nach einer großen Beichaffung von Ubootsjägern. Zu biefer Bes
Ihaffung haben wir England die erforderlihe Zeit gelaffen, ebenfo zur wirds
famen Urmierung ihrer gefamten Kauffahrteiflotte und zur Ergreifung einer
anderen Reihe Gegenmaßregeln. Quantitstiv Tonnte bie Entente darin mehr
feiften, ala wir in der Vermehrung von Ubooten. Den genauen Grab zu
Brie wechſel mit Dein 381
beſtimmen, wie dieſe Gegenmaßregeln Ne Vermehrung unſerer Uboete kom⸗
penſterten, war ja naturlich vorher nicht moöglich; wer In ſolchen techniſchen
Fragen aber gearbeitet hat, wird wiſſen, daß ſolche Kompenſierung ſtets
erreichbar iſt. Wirtſchaftlich, politiſch und militäriſch war es ſomit ein
Fehler, die energiſche Verwendung der Ubootswaffe hinauszuſchieben. Dieſe
Überzeugung habe ich gehabt gerade aus dem Grunde, weil, wie Sie richtig
vorausfesten, ich das Eingreifen Amerifas in den Krieg niemals unters
ſchätzt habe. Ich weiß fo, daß Sie bie Anſicht vertreten haben, Ich hätte
das Unterfeebootswefen zugunften des Dreadnoughtbaus vernadyläffigt. Ich
bin mir ficyer, daß Sie hierin irren; wir flanden beim Ausbruch, des Krieges
an der Spige des gefamten Unterfeebootswejens. Wir haben freilid damit
nicht renommiert. Im übrigen war das Unterfeeboot für Fernverwendung
nicht fehneller zu entwideln, ald der Motor es geflattete; Automotoren
genügten hierfür nicht.
Was nun bie Wirkung bes Ubootsfriegs in feiner jegigen Form unb
bie Frage feiner Fortführung angeht, fo kann midy die Tatſache, daß ich
feinerzeit eine andere Form gewählt hätte und daß ich feine Chancen In»
folge ber verfpäteten Eröffnung für erheblich verfhledtert halten muß,
nicht davon abhalten, der feften Überzeugung zu fein, Daß uns jegt, nach⸗
dem wir im Februar ben Ubootskrieg erklärt haben, gar nichts anderes
übrig bleibt, als ihn mit zähefter Energie fortzufegen, bis England ger
zwungen iſt, einen Frieden zu machen, ber uns die Grundlagen für bie
Miederherftellung unferer Wirtfhaft und für eine geficherte MWeltftellung gibt.
Ich glaube auch, daß wir einen ſolchen Erfolg durch ben Kampf gegen
ben feinblihen Frachtraum Immer noch, wenn auch ſchwerer und lang»
famer als früher, erseihen können. Hierzu gehört freilich die durch nichts
abgelenkte oder abgeſchwächte Energie der Regierung und ber Nation und
eine die Kriegsführung richtig ergänzende Politik.“
Indes, felbft wern Amerifa 1916 geradefo gehandelt hätte wie
1917, wäre es immer befjer ein Jahr früher gekommen, fo lange wir
und unfere Verbündeten noch in ftärkerer Kraft flanden. Gewiß hätte
Amerika ſtets eine abſolute Niederlage Englands abwenden wollen.
Was aber der Ubootskrieg im Jahr 1916 hätte leiſten können, war:
eine abſolute Niederlage Deutſchlands zu verhindern. Nach den ges
ſamten Erfahrungen damaliger und fpäterer Zeit hätte der Uboots—
Prieg im Sahe 1916 anfangs ein Monatsergebnis von allermindeftens
700000, fyäter wahrſcheinlich aber 1000000 Tonnen gehabt; von
höheren Schäßungen durch erfahrene Kommandanten fehe ich hier ad.
Über die Wirfung läßt fich fo viel ſagen, daß Die beburd) eingetretene
382 Der Unterſeeboots⸗Krieg
Zermürbung der engliſchen Weltwirtfchaft und Wehrkraft, abgefehen
von den allgemeinen politifchen Folgen, unfere Meflfront mefentlich
und dauernd entlaftet?) und die Aufbietung fo großer amerikanifcher
Anftrengungen für den Landkrieg ſtark unterbunden hätte. Nuch hätte
ber Zuwachs an Frachtraum, ben das Jahr 1917 ber Entente brachte,
ein Sabre früher nicht eintreten können, da die neu angelegten Werften
noch nicht funktionierte. Es wäre töricht, zu leugnen, daß auch
meine im Frühjahr 1916 gebildete Anficht über den Ubootsfrieg unfichere
Faktoren enthalten konnte, die das Endergebnis zu verfchieben geeignet
waren. Aber wir hatten damals fchon genügend Erfahrung, um zu ſehen,
daß Amerika, je länger der Krieg dauerte, um fo bedrohlicher für
ung wurde. Es war 1916 fchon gefährlicher geworden ald 1915. Das
var eine laufende Kette, und diefer Entwicklung mußten wir ins
Geſicht ſehen.
Das Ubootskapitel iſt lang und peinvoll. Bei der Art unſeres
politiſchen Syſtems in dieſen letzten Jahren entſteht unvermeidlich ein
trübſeliger Strom verworrener Aften.
Der Anfang des UÜbootskriegs, die Sperrgebietserklärung, war ver
früht, unreif, in ungeeigneter Form und mit unnötiger Fanfare in die
Melt gefebt. Dann wurde nicht durchgehalten und dabei fortwährend
Schwäche und Furcht gezeigt. Es wurde vor Wilfon eingeknickt und
ihm zu einer fleigenden Macht in Amerifa verholfen. Es wurde durch
unfer feheinbar böfes Gewiſſen der engliichen Lesart Vorſchub geleiftet,
daß der Ubootskrieg etwas Unfittliches wäre. So haben wir ung durch
unangebrachtes Verhalten bie Wiederaufnahme des Ubootskrieges ers
Schwert und gefährlicher gemacht. Denn er ſchien nım, nachdem wir
fo lange auf unfer gutes Recht verzichtet hatten, auch nach unferer
eigenen Auffajfung gegen die Menfchlichkeit zu verſtoßen, während Fein
Hahn danach Frähte, wenn England viel Schlimmeres tat. Es übertrifft
an Entichlofjerheit, Graufamkeit und zynifchem Herunterziehen des Geg-
ners unfre deutfche Art um das Vielfache, freilich auch an Gefchied, dem
eigenen Standpunkt fogar dem Ohr des Gegners annehmbar zu machen.
So wurde das deutſche Volk in feiner unbegrenzten Fremdgläubigkeit
) Siehe &, 3734,
Dis Fat⸗ 333
durch unfer Schwanten irre, fah in dem englifchen Hungerkrieg, welcher
den Bankrott und den Umſturz, Schwindfucht und Todesjammer in dies
bis dahin jo blühende Volk trug, geduldig ein Stück göttlichee Weltord-
rung. Demgegenüber follte der Ubootskrieg graufem und unfittlich fein,
er, der feindliche Schiffsladungen traf und den Feind kaum Menſchen⸗
leben Poftete — in all den Jahren noch nicht ſoviele Leben, wie an einem
Tag Deutfche an der Weſtfront fielen oder wie nach erfolgter Waffen
ſtreckung durch die unmenfchlich beibehaltene Hungerblodade täglich an
beutfcher Bevölkerung zugrunde ging! Denn die angellähfiihe Schein
Heiligkeit und Die deutfche Urteilslofigkeit Penmen Feine Grenzen.
Die Befehle an die Unterſeeboots-Kommandanten find eine Kette
von Anſätzen, Hemmungen und Widerfprücen, und haben uns beftes
deutfches Blut gekoftet, dafür den Enderfolg geraubt. Der Unterfee
bootskrieg ift verloren gegangen, weil Deuifchland nicht folgerichtig an
dem Gedanken feitgehalten hat, jedes berechtigte Mittel, das im Seekrieg
zur Verfügung ftand, rückſichtslos bis zum Ende anzumenden.
Wollte man aber diefe Kolgerichtigkeit nicht, dam mußte man im
Frühjahr 1916 die Niederlage Haren Blis annehmen. Sie wäre damals
milder ausgefallen als fpäter. Heer und Diplomatie mußten Fein Mittel,
die Niederlage abzuwenden. Dann mar e8 ein Verbrechen, ben Krieg
gegen England nicht zu beendigen. Die Zeit arbeitete gegen uns,
Noch, aber nicht lange, wußte die Marine ein Mittel, um England
ins Mark zu treffen. Die Frage war nur: wollte man ed auf bie ameri-
kaniſche Gefahr bin wagen? Wenn nicht, dann wurden mir fchwächer
und ſchwächer bis zum Zuſammenbruch. Wenn ja, denn mar fein
Monat zu verlieren. Dies war bie einfache Enticheidung. Über fie
durfte man nicht hinwegtänzeln wollen. Auf Amerifas Vermittlung
gegen England warten, war reiner Zeitverluft, So ſah ich Die Dinge
damals, und fo lagen fie in der Tat, wie bie Folaszeit erwieſen hat.
Die Erklärung vom 8. Februar 1916, daß wir bewaffnete Handels-
fchiffe nun doch angreifen mollten, war eine Spielerei, eine Täufchung
für unfer Bolt, Nachher wurde im Sufferfall eine an ſich rechtmäßige
Torpedierung erft abgeleugnet, dann gemißbilligt. Statt nach dieſem
abermaligen Gehorſam gegen Wilfon nun Far De zu machen, wurde
im Herbft 1916 über Hindenburgs und Scheers Köpfe hinweg bie neue
Halbheit des Ubootskreuzerkriegs probiert, Darauf folgte dag Durchs
einander bes uneingefchränkten Ubootskriegs mit Der Friedensaktion um
384 Der Unterſe ebo ots⸗Kriet
die Jahreswende 1917. Endlich wurde der rückſichtsloſe Ubootskrieg,
der ein Jahr früher noch als der Ausdruck einer ſiegesbewußten ſtarken
Nation erſchienen wäre, als Verzweiflungsſchritt mit halbem Herzen
und ſchon gebrochenem Preſtige unternommen. Nun aber folgte die
neue Krankheitsgeſchichte ſeiner politiſchen Durchlöcherung, baupolitiſchen
Vernachläſſigung und ſtrategiſchen Schwächung unter einem politiſchen
Führer, der ſelbſt an den Erfolg nicht recht glaubte,
Hätte man in Deutfchland die ruffifche Revolution vorherfehen
Fönnen, fo hätien wir den Ubootskrieg 1917 vielleicht nicht als letztes
Mittel anzufehen brauchen. Von der rufjifchen Revolution aber war
im Januar 1917 noch Fein Vorzeichen äußerlich bemerkbar. Auf der
andern Seite überfahen offenbar auch die amtlichen Stellen in Deutfch-
land nicht völlig die verheerende Wirkung unferer diplomatifchen Fehler
in der Behandlung Wilfons, insbefondere von der GSuffernote bis zur
Merifodepefche, welche allein die erfiaunliche Vehemenz möglich mad)
ten, mit der das amerikanische Volk ſich in diefem feinen eigenen
Intereſſen fo fremden Krieg mitreißen ließ.
Es ift ſchwer zu fagen, ob ich als verantwortlicher Staatsmenn,
bei Kenntnis aller damals erreichbaren Einzelheiten, Anfang 1917 den
Ubootskrieg noch gemacht hätte. Unſere verfahrene Lage ließ uns
freilich Faum noch einen andern Ausweg, um zu verfuchen, dem voll
kommenen Ruin zu entgehen. Der Wert des UÜbootskrieges war
Schon gemindert, die mit ihm verknüpfte Gefahr vergrößert. Sch Hatte
si nicht eingeweihter Privatmann damals das innerfie Gefühl, def
es gefährlich fpät wäre, hielt mich aber durd) die Auffaffung der im Amt
Befindlichen Männer überzeugt, DaB ed gewagt werden mußte und
Fönntel), Und in der Tat, hätten wir damals alle Kräfte ohne
1) Da mir amtliche Materiaf nicht zu Gebote ſtand, fo war ich nicht unter:
richtet genug, um meiner eigenen inftinftmäßigen Befürdhtung, daß es 1917 für
den UÜbootskrieg gefährlich fpät wäre, irgendwelchen autoritatinen Wert beizulegen.
Da die Reichsleitung ben Übootskrieg mindeftend als letztes Verzweiflungsmittel
für nötig hielt, und auch deſſen bisherige Geaner jegt unter gänzlichem Meinungs:
umſchwung bie größten Erwartungen vom UÜbootskrieg bei der Öffentlichkeit er:
wedten, jo war mein Verhalten gegeben. Im vertrauten Kreife vermochte ich
freilich meine Befürchtungen Binfichtlih dieſes fetten vielleiht noch wirkſamen
Mettungsmittels nicht zu unterbrüden. Ich entlinne mid, wie ein bekannter
Reichstagsabgeordneter beim Spaziergang im Tiergarten im Februar 1917 auf
mi zueilte, um mich zum Uboetskrieg gu beglückwünſchen, jedoch auf meine
War es zu fpät? 385
Zerfplitterung auf dies Ziel als letzte Chance zufammengefaßt, jo
wie fich England feinerfeits auf die Verhinderung des UÜbootskrieges
eingeftellt hatte; würden wir die innere Durchhaltefraft unfres Volkes
belebt haben, ftatt fie niederzudrüden: dann wäre zivar vielleicht nicht
mehr der Sieg, wie bei einem rechtzeitig (1916) unternommenen
Ubootskrieg, jedoch ein erträglicher Frieden wohl noch immer ers
reicht worden. Die Hberfte Seekriegsleitung war im Spätſom⸗
mer 1918 der Überzeugung, daß troß aller Erfchwerungen Die
Uboote England noch immer fo empfindlichen Schaden zufügten,
daß im Frühjahr 1919 eine erheblich gefteigerte Friedensbereits
[haft zu erwarten wäre. Der Ubootskrieg ift im Oktober 1918
tm ungünftigften Augenblick geopfert worden, ald er gerade durch eine
erhebliche Vermehrung der Uboote wieder in vollen Gang geſetzt war.
Die Marine vertraute in allen ihren Gliedern fo feft auf die Früchte
dieſer ſchweren und opferreichen Arbeit, welche ihre beften Kräfte
um fich gezogen hatte, daß das plößliche Abftoppen des Ubootskrieges
noch vor Abfchluß eines auf den Präliminarfrieden bafierten Waffen:
ſtillſtandes eine vernichtende moralifche Wirkung auf das gefamte Per:
fonal ausübte. Die Mannfchaften fühlten fich betrogen, als plößlich
uf Wilfons Verlangen die zurzeit wichtigfte Kriegsführung von der
Neichgregierung desavouiert wurde. Diefes Gefühl der Enttäufchung
und Entmutigung tft einer der Gründe für die Erfchütterung des Ver:
trauens der Mannfchaften zu ihren Vorgefeßten.
Es hat nicht viel gefehlt zu einem guten Frieden. An der Wehr⸗
macht Tag e8 nicht, wenn wir ihn nicht fanden. Als Hindenburg und
Ludendorff endlich zur Führung berufen wurden, Fonnte die Armee
ihn freilich nicht mehr ſchaffen. Die Marine Eonnte einen brauchbaren
Frieden wohl zweimal greifbar nahe bringen, im Herbſt 1914 mit der
Flotte, im Frühjahr 1916 mit noch größerer Wahrſcheinlichkeit durch
das Uboot. Das Furchtbarfte zu wiſſen ift, daß unfere heutige Lage
nicht nur politifch, fondern auch militärisch vermeidbar war.
forgeneolle Antwort betroffen verftummte. Die Erfahrung, daß im Mai 1917
fogar in den „Times“ eine Angabe darüber zu finden war, ich hätte mich über
den zu fpät begonnenen Ubootskrieg peſſimiſtiſch ausgeſprochen, veranlaßte mich zu
immer peinlicherer Zurüdhaltung meiner Befürchtungen.
Ttepig, Erinnerungen 25
Schlußwort
1
Das deutfche Wolf hat die See nicht verltanden. In feiner Schidfale-
ftunde hat e8 die Flotte nicht ausgenust. Sch kann ihr heute nur noch
das Totendenkmal fegen. Eine Tragödie ohnegleichen hat das deutfche
Volk in feinem rafchen Aufftieg zum Weltvolf und feinem noch rafche
ven Abfinken durch zeitweilige Kleinheit feiner Politik und durch Mangel
an Nationalfinn erlebt.
Uberblickt man das tragifche Schieffal unferer Flotte, das von dem
unferes Volkes nicht zu trennen ift, fo Fönnte man zu der Anficht
kommen, daß jediweder Verfuch eines europäischen Staates, fich gleich:
berechtigte Seegeltung neben England zu verfchaffen, von vornherein
ein vergebliches Bemühen war, Ich glaube, daß eine eingehende und
gerechte Gefchichte zu diefem Endurteil nicht kommen wird.
Spanien war im Befi der damaligen Welt, als England aus einem
Ackerbauvolk fich im Kampfe gegen die fpanifche Silberflotte — West-
ward ho! — zu einem Piratenſtaat entwickelte und fchließlich die
große Armada vernichtete, Spanien Eonnte wohl militärisch erobern
und überfeeifche Kolonien eine Zeitlang halten, doch ihm fehlten Handel
und Wandel, die zweite Grundbedingung dauernder Seegeltung.
Holland hatte reichiten Handel und lockte damit die Begierde Eng:
lands. Es bejaß auch eine gute Kriegsflotte, die einft unter de Ruyter
mit ihren auf London gerichteten Gefchügen ihm einen gerechten Frie—
den erftritt, Holland war aber klein und hatte Fein eigenes Hinter—
land. Deutfchland lag zerriffen durch den Dreißigjährigen Krieg, wäh—
rend Ludwig XIV. den großen gefchichtlichen Fehler beging, feinem
natürlichen Bundesgenofjen Holland in den Rücken zu fallen. Aber
vielleicht hätten fich die Niederlande länger halten und die Zeit über-
brücden Fönnen, bis ihnen aus Deutfchland ein neuer Bundesgenoffe
erwuchs, wenn nicht die Mynheers von Amfterdam zu fehr auf Jahres-
Schlußwort 387
verdienſt geſehen und auf ihren Pfefferſäcken geſeſſen hätten. Trotz
dringender Vorſtellungen ihres großen Admirals ließen fie ihre Sees
macht im Frieden verfallen und brachten Holland den Niedergang.
Frankreichs Aufftieg zur Seegeltung hatte feinen inneren Verhält:
niffen entjprechend geſchwankt; der Weg, den Nichelieu und Colbert
gingen, wurde mehrfach unterbrochen. Troßdem ftand vor Ausbruch
der Nevolution Frankreichs Seegeltung ebenbürtig neben der englifchen.
Mefentlich durch fie war es Wafhington gelungen, die Freiheit Ame—
rikas zu erfämpfen. Suffren hatte in Indien den Engländern die
Mage gehalten, und das Mittelmeer war in der Hauptfache franzöfifch.
Die Revolution vernichtete das Offizierskorps der Flotte und Tieß
Schiffe und Perjonal verkommen. Napoleon hat dann erfahren, daß
e8 felbft feiner Energie und feinem Genie nicht gelingen Eonnte, eine
Seemacht aus dem Boden zu ftampfen, und fo erlag bie zahlen:
mäßig überlegene franzöfiichefpanifche Flotte der höheren Qualität Nel—
ſons und feiner „band of brothers“,
Englands Geepreftige hat dann das 19, Jahrhundert überdauert.
Km die Wende des 20. Schrhunderts befaßt Deutfchland alle Grund:
bedingungen für Seegeltung. MWeltbedeutenden Handel und Gewerbe:
Fleiß, deren Niefenauffchwung faſt zu ſchnell ging, militärifchen Sinn,
organifatorifche Befähigung und Arbeitsfreudigkeit, Staatsfraft und
Baterlandgliebe, Die Zeit war Fnapp, um Langverjfäumtes nachzu=
holen. Aber wir waren nahe vor unferem friedlichen Ziel, als ung
eine unheilvolle Politik den vier flärfiten Seemächten Europas im
Krieg gegenüberftellte, von denen England allein um dag Doppelte
uns überlegen war. Auf emen vollen Sieg, auf ein Niederringen
Englands Fonnten wir von vornherein nicht rechnen, wohl aber Fan
ich die Überzeugung ausfprechen, daß unfere Seemacht — nehmt
alles nur in allem — gut und ſchon ftarf genug war, um England
jo zu bedrängen, daß wir zu emem Frieden kommen Fonnten, der
ung die Möglichkeit gab, unfere fchweren Verluſte wieder auszuheilen.
Um dies zu erreichen, mußten wir das Weſen des gegen Deutfchland
geführten Vernichtungskrieges erkennen, milttärifch und politifch dem
entiprechend verfahren und vor allem unfere Seemacht, einheitlich
geleitet, beizeiten rückſichtslos einſetzen. Verpaffen der Gelegenheiten
erlaubte ung die Gefamtlage nicht.
Schrecklicher als jener Verkauf der alten deutichen Flotte durch
25*
388 Schlußwort
Hannibal Fiſcher iſt das Ende der Kaiſerlichen Marine. Jener Anlauf
unferer Väter war verfrüht mit untauglichen Mitteln, der unſerige
ſpät unternommen, aber nicht zu fpätz auf Preußen-Deutfchland ger
gründet, hätte er gelingen müffen. Ob unfere Enfel ihn noch einmal
aufnehmen Eönnen, bleibt im Dunkel der Zukunft verborgen. Wenn
fie e8 aber tun follten, fo mögen fie aus unferem Verſuch Glauben
ſchöpfen, und lernen.
2
Menn man den Aufftieg PreußenDeutfchlands mit einigem Wirk⸗
Tichfeitsfinn betrachtet, von der vollitändigen Zerrüttung, welche der
Dreißigjährige Krieg hinterließ, bis zu unferer höchften Blüte im Juli
1914, fo fcheint es wie ein Wunder, daß das Werk fomweit gelang.
Mitten in Europa, ungünftig zum Weltmeer Tiegend, mit mäßigen
Naturfchägen bedacht, nach allen Seiten ungeſchützt durch natürliche
Grenzen, dabei umlauert von Völkern, die jeit Jahrhunderten jo wie
heute immer bereit waren, über ung berzufallen, fo ſteht Deutfch-
land da, Vielleicht find dieſe Lebensbedingungen, vielleicht aber in
gleichen Maße die Charaktereigenfchaften unferes Volkes der Grund,
wenn Deutfchlands Entwicklung zur Macht und Blüte nicht aus
dem Volk felbft herausgewachfen ift, fondern faft wie ein Kunſtwerk
fich darftellt, aufgerichtet von einer Reihe von Gtaatsbildnern, die
das Schickſal uns in den lebten drei Jahrhunderten gefchenkt hat.
Kann jemand glauben, der „Ewige“ Reichstag, welcher Friedrich den
Großen in Acht und Bann getan hat, das Frankfurter Parlament
oder fonftige WVolksbefchlüffe würden ung vorwärts gebracht haben?
Preußen-Deutfchland war vielmehr das Werk einzelner Männer, welche
Pflichterfüllung und Unterordnung unter das Intereffe des Staates
verlangten und durchfeßten und die Fähigkeit befaßen, die Zielrichtung
zu geben.
Um die Wende diefes Sahrhunderts waren mwir eingetreten in eine
neue Zeit mit veränderten Lebensbedingungen. Unfer Volk mit blühen:
der Snduftrie war gezwungen, fich an der Weltwirtfchaft im Großen
zu beteiligen, wenn es nicht verfümmern mollte, Die Staaten mwers
den erhalten durch die Kräfte, welche fie gefchaffen haben. Diefe Kräfte
waren für Preußen-Deutfchland die reale Macht und die Hingabe
Shlußwort 389
an das Staatsganze, nicht die in den Wolken fchmebende Phraje der
Völferverbrüderung, die von den Ungelfachfen jo meifterhaft zur Kne⸗
belung des deutfchen Volkes verwertet wird,
Meine Überzeugung war, daß die Sendung Deutfchlands zum Bellen
Europas und der ganzen Welt noch nicht erfüllt war. Es war ung
beinahe gelungen, Deutfchland in die neue Zeit herüberzuführen. Eine
Schon beträchtliche Seemacht ergänzte im hohen Maße die Mittel,
ung einen Frieden in Ehren zu erhalten oder, wenn unvermeidlich,
einen Krieg doch Teidlich zu beftehen. Sie bildete außerdem ein großes
und notiwendiges Organ, um unfer Volk mehr an das Getriebe und
den Geift der Welt heranzubringen. Wenn unfere zukünftige Ohn⸗
macht zur See unferen Niedergang weiter verfchärft haben wird und
einen Wiederaufbau unmöglich macht, werden kommende Gefchlechter
jich diefer Gedanken vielleicht erinnern.
Nachdem Frieden und Krieg, Macht und Ehre verloren, ſtehen
nun die Schuldigen auf den Trümmern und fäljchen die Gefchichte,
jie treiben unferem armen und politifch unbegabten Volk den Glauben
an fich ſelbſt und die Folgerichtigkeit feiner Gefchichte aus, fie ver:
läftern den alten Staat, feine Blüte und feine Leiftungen, darunter
vor allem jet feine Flotte, die in Wirklichkeit unfer größter neuer
politiſcher Trumpf war, Sie geben fich alle Mühe, den Faden zu zer-
reißen, der ung mit der vergangenen Entwicklung verbindet. Der alte
Staat war gewiß in mancher Beziehung verbefferungsbedürftig, er bejaß
aber volle Entwiclungsfähigkeit für die neue Zeit und die Bedürf—
niffe unferer Kinder und SKindeskinder. Die Revolution warf aber
alles über Bord, was uns groß gemacht hatte, fie war das größte
Verbrechen an der Zukunft unferes Volkes,
Der Zuſammenbruch ift nicht unferem alten Staatsfyftem an ich,
jondern feiner unzureichenden perfönlichen Vertretung zuzufchreiben.
Unfere Gefellfchaft war zum Zeil in ein fchwaches Epigonentum vers
ſunken; materialiftifche Gefinnung hatte fich ausgebreitet; der Einfluß
de8 allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts, welches immer
dazu meigt, die Macht in Demagogenhände zu Tegen, war nicht mehr
genügend ausgeglichen durch eine ftarfe Regierung oder eine charakters
fefte Oberfchicht. Sp waren die Männer, die den Staat im Krieg
vertraten, in der Regierung, im Bundesrat und im Reichstag nicht
auf der Höhe ihrer Aufgaben. Hätte nur einer der gejeßgebenden
390 Schlußwort
Faktoren richtig funktioniert, jo wäre das Unheil niemals im dieſem
Umfang eingetreten.
Der Feind ſtellte Diktatoren an die Spitze, die, wo erforderlich,
mit eiſernen Mitteln den Sieges- und Vernichtungswillen ihrer Völker
hochhielten. Bei uns ließ die derzeitige Staatsleitung mit offenen
Augen den inneren Zermürbungsprozeß zu in der gefährlichſten Stunde
Deutſchlands, wo alle Gedanken und alle Herzen gegen den äußeren
Feind hätten gerichtet ſein müſſen. Verſchärft wurden die ſchlechten
Triebe unſeres Volkes durch jenen zerſetzenden undeutſchen Geiſt, der
allmählich in unſerem Volk die Herrſchaft erlangt hat und jetzt alles
durchdringt und dem ſich entgegenzuſetzen das Deutſchtum noch zu
träge ſcheint. Unſere Demokratie hatte den Sinn für das Ganze, für
der Geſamtſtaat bisher ungenügend in fich entwickelt.
Die neue Ara hat ihre Herrfchaft damit begonnen, daß fie unferem
Volk zu feinem fonftigen Unglück noch die Ehre vaubte und es der
Verachtung der Welt preisgab; auf diefe Weife es aber unferen Fein-
den erſt ermöglichte, uns erbarmungslog zu vernichten, denn fie Fonn-
ten jeßt auch den edleren Teilen ihrer eigenen Bevölkerung ſowie der
übrigen Welt den Glauben beibringen, daß wir Verbrecher und Feiner
anderen Behandlung wert feien. Ein fchmerzliches Sinnbild diefer Ent=
wicklung gibt mie Admiral Beatty. Am 28. Auguft 1914 richtete er
an die geretieten Dffiziere und Mannfchaften der untergegangenen
‚Mainz‘ das Signal: Ich Din ſtolz, fo tapfere Männer an Bord
meines Geſchwaders zu begrüßen. Im November 1918 dagegen be:
fahl er feinen eigenen Befagungen vor deren Begegnung mit ben ihre
Schiffe ausliefernden deutschen Mannfchaften: Vergeßt nie, daß der
Feind ein verächtliches Bieſt (despiccable beast) ift.
Wenn ich auch fürchten muB, daß Deutfchland die letzte Stunde
verloren bat, um zu einem Weltvolk aufzufteigen, fo wird es doch
wenigfteng aus der jeht eingetretenen Verfumpfung und Zuchtlofigkeit
fich nur dann zu einem neuen Xeben in Ehren erheben, wenn es bei:
zeiten zur Befinnung kommt und gemäß feinen alten Überlieferungen die
Kräfte erkennt, die es groß gemacht hatten. Sch perfönlich glaube heute
nicht, daß dies dem Weſen nach in einer republifanifchen Staatsform
geſchehen kann; hierzu fehlen ung zu viele von den Eigenschaften,
die den Männern auf dem Rütli zugefprochen wurden; dazu kommt
unfere fchivierige geographifche Lage, auch der beftändige Einftrom un-
Schlußwort 391
deutſcher Elemente und die Spaltung der Konfeſſionen. Alles dies ſcheint
für einen deutfchen Staat den Negulator einer monarchifchen Macht
unentbehrlich zu machen. Das Zerreißen unferer gefchichtlichen Ent:
wicklung war daher, welche Stellung zur DBerfaffungsfrage man auch
geundfätlich einnehmen will, ein Methodenfehler. Die großen Taten
der Hohenzollern, die nicht ausgelöfcht werden können durch began-
gene Fehler, beftimmen notwendig auch die zufünftigen Schickſals—
Iinien unferes Volkes.
Sp wie bei ung der republifanifche Gedanke entwickelt worden ift,
beruht er auf Verfprechungen für die Maffen, die unerfüllbar find.
Die Demokratie bleibt daher, um die Maſſen in der Hand zu be
halten, ftets gezwungen „Rechte“ voran, ‚Pflichten‘ aber im zweite
Linie zu ftellen. Diefer Weg Bann nie zum Aufftieg führen. Auch wenn
die republikanifche Staatsform für Deutfchland ein höheres Maß von
ftaatenbildender Fähigkeit in fich tragen follte, als ich heute zu erfen-
nen vermag, jo werden wir trotzdem zurückkehren müffen zu dem Grunds
prinzip unferes alten Staates, daß nur die Arbeit für das Ganze in
ihrer Endwirkung auch das Wohl des Einzelnen bedeutet, die fchranfen-
lofe Betonung der Partetintereffen oder des individuellen Lebens aber
zur Staatlichen Vernichtung führt.
Heute bleibt es vornehmfte Pflicht aller ſtaatsbewußten Deutfchen,
ſich auf den einen Gedanken zufammenzufchließen, die Vernichtung aller
materiellen und moralifchen Güter zu benimen und dem weiteren Nie
dergang Einhalt gu gebieten. Vom Deutfchtum zu retten, was von ihm
noch zu retten ift, bleibt des Schweißes der Edlen wert.
Unfere Hoffnung aber fei das kommende Gefchlecht. Ein Sklaven:
volk find wir noch nie geweſen. Seit zweitaufend Jahren bat unfer
Volk nach jähem Sturz ftets wieder jich emporgehoben,
Sollten die von mir niedergefchriebenen Erinnerungen dieſem Ziel
+ dienen und für den Glauben an uns felbft eine Unterftügung abgeben,
fo wäre der legte Dienft getan, den ich meinem Vaterlande erweiſen
kann.
Anhang
1. Aug meinen Kriegsbriefen
Die tagebuchartigen Aufzeichnungen, aus denen nachftehend ein Auszug
gegeben wird, find regelmäßig fpät abends oder furz vor Abgang di:
Kuriermappe flüchtig hingemorfen. Sie geben nur Stimmungsbilder über
die zur Zeit fich abfpielenden Kriegshandlungen oder über Perfonen, bie
babei in Betracht Fommen, nicht abgemogene Urteile wieder. Die Kriegs:
briefe find daher beeinflußt durch Augenblickseindrücke, unvollflommene
Zagesnachrichten und ähnllches. Man darf fie daher nicht einzeln heraus:
reißen oder mic) auf gelegentliche Unftimmigfeiten oder Schroffheiten in
der Ausdrucksweiſe feftnageln wollen. An die Möglichkeit einer Veröffent-
lichung habe ich nie gedacht. Wenn ich mich dennoch zu einer teilmeifer
Veröffentlichung entichliefe, fo gefchieht dies, weil die Kriegsbriefe zeigen,
daß die in den Erinnerungen zum Ausdruck kommenden fachlihen und -
allgemein politifchen Anfichten nicht nach beendetem Krieg entftanden find,
fondern fich in allen wefentlichen Punkten mit meiner Beurteilung mährent
des Kriegsverlaufs dedten.
1914
Coblenz, 18. VII.
Eine Welt ift gegen ung mobil gemacht. Wir müſſen durchhalten
bis zum Außerften, das ift die einzige Möglichkeit, unfere Stellung
in der Welt zu behaupten. Bis jet habe ich das Gefühl, daß ich
in diefer Beziehung hier nützlicher bin als in Berlin. Ob es fo bleibt,
chi lo sa? Pohl, Ioggelöft von feiner Behörde, ift zugänglicher. Ach
laffe ihm alle Ehre und habe bisher den Hauptausfchlag gegeben.
Coblenz, 19. VID.
Das Ultimatum von Japan vernichtet eine 20 jährige erfolgreiche
Tätigkeit; aber wir müjjen durch, folange als irgend möglich. Heute
eine ftundenlange Unterredung mit Bethmann und Jagow. Pohl war
auch dabei. Ich Habe alles verfucht, fie feft zu machen. Zum Frühſtück
Kriegsbriefe 1914 393
bei S. M. S. M. war ziemlich befriedigt von den Nachrichten aus
ben Kriegsfchauplägen. Nach Tiſch mußte ich über zwei Stunden mit ihm
im arten fpazieren gehen. Gfüclicherweije gingen wir langſam, und
es war warm. Sch habe alles verjucht, ihn feft zu machen. Zurzeit war
es aber nicht erforderlich. Er überfah die Situation vollftändig und
hatte ganz Blare Anfichten. Wenn er nur nicht Bethmann gehabt
hätte in den letzten Jahren, fo wäre alles bejfer geworden. Er war
ftolz, daß feine ſechs Söhne vor dem Feinde ftänden. Sch gratulierte
ihm dazu. Es wäre dies auch notwendig für die Dynaftie der Hohen⸗
zollern. Er war m. €, etwas zu optimiftifch betreffs der Nieder
zwingung Englands, hielt fich fehr ſtark an die Gerechtigkeit Gottes.
Sch beftätigte dies, fügte aber Hinzu, wir müßten auch imfererjeits
Diefe verdienen. Männer ſeien notwendig an allen Stellen. Jch konnte
doch nicht den Finger in die Wunde legen, befonders da ich die Über
zeugung habe, daß er Bethmanns Unzulänglichfeit vollftändig erkennt.
Coblenz, 20. VID.
Heute vormitteg wieder langes Palaver mit dem fehr bilflofen
Bethmann und mit Jagow. Bethmann hat nur Kontinentauffaljung.
Er fieht nicht, daß wir als rein europätfcher Kontinentalftaat nicht
mehr eriftieren Eönnen. Mach dich trotzdem gefaßt auf die große Möge
lichkeit, daß auf mich fpäter das Anathema fällt.
Goblenz, 21. VOL
Wie Hätte ich perjönlich gemwünfcht, diefen Krieg nicht zu erleben.
Sch kann es immer noch nicht begreifen, daß wir mit Rußland nicht
auf einen modus vivendi kommen Fonnten. Die Balkanftaaten fcheinen
nach den heutigen Nachrichten wieder flau zu machen. Werden wir das
Weltnetz zerreißen, welches das perfide Albion um uns gefponnen hat?
Wie furchtbar recht habe ich Teider gehabt.
Schlenz, 22. VIII.
Es iſt hart, Hier verhältnismäßig untätig zu fien in einem Zeit
punkt, wo die Welt in Flammen fteht. Der Sieg des Kronprinzen von
Bayern hat hier großen Jubel erregt, um fo mehr ald noch weitere
Bolgen desjelben erwartet werden, Wir, die Marine, können 3. 3.
jo wenig dazu tun, und das macht unfere Lage fo ſcheußlich. Die eng
liſche Flotte bleibt in ihren Häfen und wirft als fleet in being. Das
394 Kriegsbriefe 1° |
wird fo felten bei ung verftanden. Die u. der vollen wirken Durch
Yushungerung und Lähmung unferes Wirtſchaftslebenc. Hoffentlich Hilft
der Himmel, fie auch mal leiden zu laſſen, weil fie feelenfos Europa
in Flammen gefest haben. Es ift eine merkwürdige Situation: Oft:
und Nordfee frei, und wir gefchäftlich doch gefnebelt. Vorläufig bes
berrfcht der Landfrieg alles. Wie wird es aber fpäter?
Coblenz, 23. VII.
Nein, troß der bisher einlaufenden Siegesnachrichten, jubeln kann
man nicht, und hoffentlich hält fich unfere Preffe damit zurück. Noch
find Eeine wefentlichen Entfcheidungen gefallen (freilich find im Kampf
füdlich von Met 150 Kanonen genommen) und verftanden wird nicht,
daß die größte Gefahr gegen die Polo fpielenden Engländer immer
beftehen bleibt. Wenn wir gar Feine Flotte gehabt hätten, England
war immer gegen ung feit Sedan. Wenn wir meiter mit der Flotte
geweſen wären, jo hätte es England nicht riskiert, Wenn wir nicht
gänzlich gefchlagen werden, müfjen wir erſt recht Flotte bauen; das
ift der einzige Weg, durch den wir wieder Luft befommen Fönnen
für Erport und Induſtrie. Ich zittere in erfter Linie für unfer Deutfch-
fand, dem ich die Wucht und grimmige Entfchloffenheit nicht in dem
Maß zugetraut hätte; aber zuviel Jämmerlichkeit da droben!
Coblenz, 24. VIIL
Unfere Kriegshäfen find nicht mehr bedroht. Sch bereite weitere
Nußbarmachung des dortigen Perfonals vor, Die Armee hat bisher
ungeheure Erfolge und die Marine nichts. Das macht hier meine
Lage fo ſchrecklich nach all der zwanzigjährigen Anftrengung. Man
wird es doc) nicht verftehen. Es ift immerhin möglich, daß es im der
Nordſee nicht zum Schlagen Fommt, und ferner möglich, wenn aud)
nicht ſehr wahrfcheinlich, daß es früher zum Ende kommt, als wir dach:
ten. Nur England fteht dazwiſchen. Die Kraft der franzöfifchen Armee
it jeßt Schon faft gebrochen. E8 Eommt nun auf die Kämpfe im Norden
an, Seit heute morgen ftehen unfere Truppen (hoffentlich Branden-
burger) im Kampf mit zwei englifchen Divifionen. Wolle Gott die
Erzſchurken vernichten, die unſer Kultureuropa in Flammen gefeßt
haben, Falten Blutes, aus fchnöder Herrfche und Geldfucht. Ich Bann
ivenig fun, und troß ber glorreichen Siege Tiegt es wie ein Alp auf
Kriegsbriefe 1914 395
mir, Du wirft mir tragen helfen, wenn eine Zeit kommt, in der man
mit dem Finger auf mich zeigt. Innerlich bin ich mir freilich abfolut
ficher, in der Flottenfrage den einzigen Weg für Deutfchland eingeichlagen
zu haben, den es gab, wenn unfer Volk nicht herabfinfen jollte,
Coblenz, 25. VII.
Laß dich durch die Mißerfolge im Often nicht ſchrecken. Has war
vorauszufehen. Freilich war vielleicht unfere dortige Führung nicht Ia
im Anfang. Die Kämpfe von Bafel bis über Namur find riefig und
noch nicht dageweſen. Der Kronprinz hat es fehr ſchwer, und Die
Franzoſen fchlagen fich gut. Wir follen nicht zu früh Frahen,
Coblenz, 27. VII.
Den Untergang der „Magdeburg wirft Du gehört haben, ſchade
um das Schöne Schiff! Die „Mainz“ und andere Kreuzer haben einen
verwegenen Streich ausgeführt. Faſt unbegreiflih, daß fie fo durch—
gekommen find. Hier ift alles guter Hoffnung, obwohl der von der
franzöfifchen Heeresleitung allgemein befohlene Rückzug die Hoffnung
wohl vereitelt haben wird, große Heeresteile abzufchneiden. Die Eng:
länder find auch ſchon abgezogen, obgleich ihnen unſere Kavallerie
auf den Hasen ſitzt. Letztere foll aber fehr hungern. Die Gewaltmärfche
der Pommern und Brandenburger find ungeheuer geweſen. Es fcheint,
daB meine Brandenburger gegen die Engländer gefochten haben. Geftern
abend traf ich auf der Nheinpromenade König Ludwig, der mich mit
beiden Händen empfing. Abends beim Kaifer, Yehterer fehr vergnügt,
bejonders über die Söhne. Heute müffen die Entfcheidungen in Preußen
fallen. Man ift etwas beforgt wegen der gewaltigen Übermacht dort.
Zur Freude über unferen Sieg kann ich noch garnicht kommen.
Es haben fo viele Vertrauen zu mir und ich kann jo wenig machen.
Ich muß mich auch zurüchalten, folange die Armee lediglich den Sieg
über die Franzofen im Auge hat und man das Ende garnicht abzu—
jeben vermag.
Coblenz, 28. VII.
Ich bin in großer Sorge wegen der Affäre bei Helgoland. Mir
fcheint, man hat fich überrafchen laſſen. Unfere Teichten Streitkräfte
find nicht ausreichend für folche Scharmüßel. Wenn das jo fortgebt,
396 Kriegsbriefe 1914
werben fie bald zerrieben fein. Die Engländer werden im großen
Bogen ung mit Minen einkefjeln; dann fitt unfere Flotte gefejjelt
drin (bottled). Es it furchtbar für mich! Sch bin immer gegen eine
zu große Feffelung der Flotte gewefen, aber gegen die Anficht von
Hohl, Müller, dem Kaifer und Bethmann mar nichts zu machen.
Freilich Tiegt die Entfcheidung bei Ingenohl, dem man das einzelne
nicht vorschreiben kann. Bei der akuten Angelegenheit überfehe ich natür⸗
lich nicht die Lage. Die Armee fchreitet von Sieg zu Sieg. Die
Lage ift allerdings auch für fie fehrieriger geworden. Meines
Erachtens unterfchät man die Hartnäcigfeit der Engländer auch für
den Ausgang des Landkrieges troß unferer Siege über die englifche
Armee erheblich.
Soblenz, 29. VIIL-
35h kann auch nicht hoffen, daß Wolfl) unter den wenigen von
der „Mainz Geretteten fein wird, dazu waren die Umftände für ihn
zu ungünftig. Die Pleinen Kreuzer find zu toll darauf losgegangen;
aber abgefehen davon, empfinde ich fo bitter, daß fie meines Erach-
tens nicht richtig verwendet zu fein fcheinen. Man fchiet fie nicht vor-
wärts in den Kampf mit gefchüsten Streitkräften, wenn man nicht
große Schiffe und Torpedoboote dicht dahinter hat! Aber ich will
Darüber nicht rechten, denn man überfieht die Vorgänge nicht. Soviel
Scheint mir ficher, daß unfere Flotte nicht Vorteil hat, wenn fie die
Schlacht herausfchiebt. Die Überlegenheit der Engländer an Teichten
Streitkräften ift zu ungeheuer groß, als daß ihnen ein Verluft an diefen
Zeilen etwas ausmacht,
Coblenz, 30. VII.
Morte fehlen mir über die Nachricht von Wolfs Rettung. Opfern
müffen wir ja alle für unfer Land. Es mar aber fo bejonders bitter
für mich, daß diefe Opferung unferer Heinen Kreuzer unnötig erfcheint
infolge falſcher taktifcher Auffaffung. Es ift ja wohl zu früh zum
Urteilen, aber hat Ingenohl den Genius des GSiegers? Pohl hat
ihn ficher nicht. Sch kann aber an den Kaifer garnicht heran im
biefen Dingen, was die Analogie mit dem Generalftab, unterftüht von
Müller, bewirkt hat. Offenbar ift der Kaiſer gegen mich fcharf ge-
9 Der Sohn, Wach-Offizier auf der „Mainz“.
Kriegsbriefe 1914 397
macht. Dabei habe ich die Empfindung, gerade in diefen Fragen mehr
in der Nafe zu haben, als Pohl im ganzen Schädel, Bethmann bearbeitet
Hohl fortwährend, die Flotte nicht einzufeßen. Das wäre der Tod
unferer Flotte nach dem Kriege. Er und die ganze Bande von Diplo:
maten will die Flotte verfaufen beim Friedensjchluß mit England,
dag iſt das ganze Geheimnis,
Luxemburg, 2. IX.
Die große DOffenfivwelle, die wie eine Walze über Frankreich und
Belgien fuhr, rollt doch ſchon langſamer, und das Ende iſt ſchwer
abzufehen. Soeben höre ich, daß die Hauptarmee der Ofterreicher ich
nicht glücklich gefchlagen haben ſoll (ganz entre nous). Das iſt fehr
ſchlimm wegen der Rückwirkung auf den Balkan. Im Großen Haupt:
quartier ift man außer fich. Die Engländer machen Kiejenanftrenguns
gen und find meines Erachtens die gefährlichfien Gegner. Ich glaube,
Provinz Preußen ift vorläufig ficher. Wir haben dort jest ausgezeich-
nete Führer, nachdem die anfänglichen kurzer Hand abgefchoben find.
Sch habe mir aus Longwy Pakete mit Dum-Dumgeſchoſſen (gejchloj-
jen) mitgenommen als Beweis, daß das franzöfifche Kriegsminiſte⸗
rium Dies angeordnet hat.
Zuremburg, 3.IX.
Es ift der Kaifer, der Ingenohl bremſt. Er will nichts mit der
Flotte riskieren. Er will zurüdhalten bis Winter, wenn nicht über:
haupt. Drängen ift jest jeher jchwierig, man weiß nicht wie lange
Frankreich ducchhält, und dann haben wir doch nicht das doppelte
bzw. vierfache gegen uns. Dazu kommt der Winter. Im übrigen habe
ich doch einiges hier genugt, während das Reichgmarineamt vorzüglich
arbeitet. Die ganze Erpedition von Uſedom und Schröder in die Wege
geleitet, und jeßt verfuche ich ein Drittes, Bei der bitteren Not, bie
nach dem Kriege eintritt, ift die Marine meines Erachtens doch ver:
foren, wenn wir nicht einigermaßen Zaten aufzumeifen haben. Die
Kleinigkeiten find nichts und werden durch Mißerfolge ausgeglichen.
Wir find hier im Hauptquartier abgefchlofjener als man glauben follte,
erhalten nur fehr dürftige Nachrichten von der ganzen Armee, Unfere
Stellung wird durch die Verhältniffe bedingt, höchſt unerfreulich. An
mich Eommt Feiner von felbit, da fie mich zu fehr fürchten. Audienz
393 Kriegsbriefe 1914
{ft hier nicht angängig, Pohl kann ich nicht verflagen. Die Analogie
mit Moltke wirkt zu ftarf, Es würde als Vordrängerei abgemiefen
werden. Sch muß mir das auffparen für ganz große Entjchlüffe.
Zuremburg, 4. IX.
Sch fürchte den Kanzler und feine Leute; ich bin durchörungen, daß
fie der großen Zeit nicht gewachfen find, und wie fie den Krieg nicht
verhindert haben durch ihre Politik, fo werden fie auch einen jäm—
merlichen Frieden zuftande bringen. Die Engländer niederträchtig, brutal
als Nation — als einzelne Perjönlichkeit find fie zu achten. Sie haben
fich in hundert Jahren eine Moral zurecht gemacht, an die fie glauben.
Altes iſt gut, gerecht und religiös fogar, was ihnen Nuten bringt.
Alte Völker find ihre Auspreßobjekte nach Gottes Ratſchluß.
Luxemburg, 5. IX.
In Berlin fcheint man etwas fiegestoll geworden zu fein, wie ich
aus verfchiedenen Briefen entnehme, Noch haben wir Feinesivegs ge:
fiegt, den Krieg als Ganzes betrachtet, Wir müßten fchon deshalb
befcheiden fein, weil nur dadurch die Zähigkeit zum endgültigen Giege
uns erhalten bleiden kann. Die fchwerfien Tage werden noch Eommen.
England hebt die ganze Welt auf ung, und die unerhörte Lügenfabrik
verbreitet unfere fogenannten Niederlagen und unfere Niederträchtige
Feit durch alle Länder. Wir haben dem nichts entgegenzufeßen.
Luxemburg, 6. IX.
Sch komme zu nichts, fo viel gibt e8 doch zu tun. Dabei habe ich
wenig Einfluß. Auch die Einwirkung auf Müller ıft reine Waffer:
fuppe. Im übrigen ijt er wieder eingemwickelt von Bethmann, und Pohl
gehört dazu. Das gibt für mich eine höchft traurige Lage. Für die
Urmee wird die Lage ſchwierig. Da ung nicht geglückt ift, große
Zruppenmaffen einzufeffeln und gefangen zu nehmen, kann die fran=
zöfifche Armee durch ihr Eifenbahnne immer andere Pofitionen ein-
nehmen. Die Engländer machen ungeheure Anftrengungen und haben
wieder 40—60000 Mann im Norden gelandet. Es ift zu hoffen,
daß Maubeuge bald fällt und wir dag dort zernierende Armeekorps
frei bekommen, was fehr not tut. Ein Armeeforps wird jetzt ſchon
von Bedeutung. Troß aller Verfprechungen fchlagen die Türken nicht
los. Die Stimmung in Skandinavien ift immer ungünftiger geworden.
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Kriegäbriefe 1914 399
Stalien brennt darauf, gegen ung Toszufchlagen. Die diplomatifche
Leitung läßt die Zügel fchleifen wie vorher. Bleibt Bethmann, fo
wird ficher alles verbruddelt werden!
Sch will jet gleich zum Reichskanzler und verfuchen, ein neues
Unternehmen zu infiradieren.
Luxemburg, 7. IX.
Sch bin immer in Sorge über unfere Diplomaten, bie einerfeits
gleichgültig find gegen den gewaltigen hiftorifchen Vorgang und die
durch ihre Flaumacherei die Engländer immer ftärfen und auf die
englifchen Bluffs hereinfallen. Ber den Sfterreichern fteht es vecht
kritiſch. Hier im Welten wird auf der ganzen Linie gefchlagen. Da
e8 geglückt it, den franzöſiſchen Angriffsbefehl für heute geftern abend
in bie Hand zu befommen und dementjprechend Gegenmaßregeln zu
treffen, jo hoffe ich, werden wir fiegen. Wir müjfen aber mehr ala
ſiegen, denn Italien ift gegen Ofterreich Faum zu halten. E8 ift jest
ficher, daß England große Truppenmaſſen von Afien heranholt. Aber
e8 ginge alles gut, wenn wir einen eifernen Kanzler und einen ‚alten
Kaiſer“ hätten.
?uzemburg, 8. IX.
Die Waffe der Lüge und Beltechung, die England gegen uns an:
wendet, ift eine furchtbare, Die ganze Welt ift gegen uns aufgehekt.
Sch eſſe heute bei Seiner Majeſtät. Unterhaltung wohl über die Paafche:
angelegenheit!). Sch halte fie für etwag verfrüht, aber vielleicht ala
Stimmungsmache zu begrüßen. Auf der anderen Seite wird es bie
Armee verjtimmen. Geftern auch mit Oldenburg lange gefprochen über
die Friedensfrage, desgleichen heute mit dem Ziviladjutanten des Kron—
prinzen (Maltzahn) im Auftrage des letzteren. Durchhalten, durch⸗
halten ift die einzige Lofung für ung; fie ift aber ſchwer zu erfüllen,
Zuremburg, 9. IX.
Bei den Öfterreichern ſoll es gar nicht fo gut ſtehen, und das hält
alle Balkanvölker zurüd, Auch wir im Weften ftehen vor großer
Kriſis. Die Truppen, die wir jet nach dem äußerſten rechten Flügel
ſchicken, Fommen ficher zu fpät. Wir haben den Erfolg unferer erſten
Y Pol. unten zum 10. IX.
400 Kriegsbriefe 1914
Siege überfchägt. Die Franzofen find planmäßig zurückgegangen und
gehen fett mit ungeheuren Maffen und großer Bravour vor, während
unfere Truppen durch Marfchieren ausgepumpt find. Sie werben es
aber doch durchhalten, bis die Nachfchübe herankommen, während die
Franzofen fich auf ihre Nachfchübe zurückgezogen haben. In der Marine
haben mwir Feine Erfolge gehabt. Wenn die Flotte nur erft zum Tragen
kommt und Feine Dummheiten gemacht werden, fo wird fie fich glän-
zend fchlagen. Die Flaumacherei für Frieden ift maßlos töricht. Ge:
rade wenn mir Frieden mit England wünfchen, müßten wir das Maul
fomweit aufreißen mie nur möglich. Diefen Bluff verftehen mir nicht.
Lies den Bericht von Goſchen über die lete Unterredung mit Bethmann
und Jagow.
Luremburg, 10. IX.
Der Kanzler hat mich natürlich im Verdacht, die Paaſche-Affäre
(Einbringung eines fofortigen Antrages zur Verftärfung der Flotte)
mindeftens fuggeriert zu haben. Über den Artikel von Reventlow ift er
Gefonders wild und mittert auch hier das Neichsmarineamt dahinter.
Sin der Türkei will die Sache nicht vorwärts gehen. Ein Teil der
Schuld fällt auf folche, die den Türken Angft machen wegen der Dar:
danellen, was mir unverftändlich ift. Auf dem Balkan herrfcht die Ans
fiht einer großen Niederlage der Hfterreicher. Trifft das zu, dann
können wir alle Hoffnung, die wir auf diefe Ecke und den Iſlam ge:
feßt haben, fallen laſſen. Die Engländer ſchicken ftarfen Nachſchub,
und der Anlauf unferer Armee ıft zunächft zum Stehen gefommen.
Dennoch hoffe ich hier auf endlichen Sieg. Wir haben etwas fpät die
Abſichten der Frangofen erfahren, Unfere Truppenverfchiebungen wer:
ben nicht mehr ganz rechtzeitig eintreffen, Die Franzofen haben ein
dichtes Eifenbahnnet hinter fich. Unfere braven Truppen müffen meift
zu Fuß marfchieren. Die Frangofen haben alle Nachrichten durch ihren
Eiffelturm, wir dagegen faft nichts in diefer Richtung.
Zuremburg, 11. IX.
Der Krieg wird nicht fo kurze Zeit dauern, wie manche denken. Eng»
fand, welches die Urfache von allen Böfen ift, merkt auch, daß es für
feine Weltftellung Fämpft. Im Monat Auguft haben fie 49 % ihres
Handels und Gefchäfts eingebüßt, das wirft einigermaßen. Die Frauen
Kriegsbriefe 1914 401
in England follen befonders wild fein auf uns und reiten mit Herren⸗
fiß durd, die Straßen, um für die Armee zu werben. Sch bin heute
mit Hopman per Auto nach einem Walde gefahren und habe dort einen
fchönen Spaziergang gemacht, fchöne Natur, tiefe Täler. Die forft-
männifch fchlecht behandelten Wälder wirken wohl gerade darum recht
malerifch. Sm ganzen erfcheint mir Luremburg als ein höchft vertroddel-
tes Land, Die ftete Anfpannung aller Kräfte und der Militärdienft in
Deutjchland haben doch glänzende Früchte gezeitigt. Dabei muß man
an das liberale Gezänfe über Militarismus, Zabern-Affäre uſw. denfen,
Wie töricht war das doch alles. Ein großes Verdienft wird man dem
Kaifer laſſen müffen. Er hat die Wehrmacht nicht einfchlafen lafjen,
troß dem Reichskanzler.
Luxemburg, 12. IX.
Das ift es ja eben, daß wir Englands Zuſtimmung zu einem Frieden
nicht bekommen werden, in dem wir ung fchadlog halten dürften. Diefer
Separatfrieden ift eben unmöglich, Wenn mir alfo nicht unterliegen
wollen und ausgelöfcht fein wollen als großes Weltvolk, fo bleibt ung
Feine Wahl, als durchhalten. Deshalb dürfen wir ung auch gar nicht
verleiten laffen, daß wir zu einem Frieden & la Bethmann, Harnad uſw.
kommen wollen und uns öffentlich danach fehnen, denn diefe Flau:
macherei ftärft 3.3. nur England in der Hoffnung: Germaniam esse
delendam.
Meine Konzentrationsauffaffung in der Nordfee habe ich gar nicht
aufgegeben. Sch war nur der Anficht, daß durch das damals geplante und
jeßt ausgeführte Vorgehen des Prinzen Heinrich und durch die Repa—
\ raturnotwendigkeit von „Moltke“ und „Tann“ fowiefo eine Schlacht
| in der Nordfee mit einigem Erfolg kaum möglich fei; dann follten wir
diefe Abficht aber planmäßig auf zehn Tage ganz einſtecken und in diefer
Zeit nach Oſten mit noch viel größeren Kräften und Trara als ge
Ichehen vorgehen, um eine nachhaltigere Wirkung hervorzubringen. Wä-
ren mir nach dem ausgeführten Plan mit der ruffifchen mindeftens
\ gleich ftarfen Flotte tatfächlich zufammengeftoßen, fo hätten mir auch)
bei fiegreichem Kampf Verluſte haben müffen. Es wäre fchade um
jeden Verluft gegen Rußland, eben weil ich der Anficht bin, daß mir
alles gegen England einfezen müffen. Darum: wenn überhaupt, fo
nur mit großer Übermacht gegen Rußland. Ich will ja noch nicht reden,
Tirpig, Erinnerungen 26
402 Kriegsbriefe 1914
Zuremburg, 13. RL.
Die Schlacht ift auf unferem rechten Flügel nicht glücklich geweſen,
während die Garde auf dem linken Flügel von Bülow fiegreich vor⸗
wärts Fam. Der frangöfifche Generaliffimus foll ein ganzer Kerl fein.
Es wäre beffer gemwefen, nach hiefiger Anficht, wir hätten die Truppen
erft etwas verfchnaufen Taffen, ehe wir mweitergingen. Inzwiſchen foll
troß dem Zurücziehen unferer Truppen heute fchon ein erneuter An⸗
griff, namentlich feitens der Engländer, erfolgt fein, und man ift in
Sorge, ob die Nachfchübe noch zur Zeit ankommen können. Wir waren
zu fiegesgewiß und fahen die geplanten Rückzüge der Franzofen und
Engländer ftets als Niederlagen an. Set ift die Stimmung fehr ge
dämpft bez. der hiefigen Lage, befonders weil die Öfterreicher bei Lem⸗
berg nicht flandhalten und nach Hilfe fchreien. Das auszugleichen,
reicht der neue Sieg in Oftpreußen von Hindenburg doch nicht aus,
Auf die polnische Hilfe gebe ich nicht viel. Obwohl die Garde fiegreich
auf ihrem Flügel war, mußten fie doch am letzten Schlachttage bie
Verwundeten liegen laffen.
Das Reichsmarineamt hat glänzend gearbeitet, aber dieſe Art der
Leiſtung wird nicht beachtet und geſchätzt. Der Kaiſer ſucht ſeine eigene
Aufregung zu unterdrücken, aber er iſt ausgefchaltet in militäriſcher
Hinficht. Wenn man an 1870 denkt, diefe Würde, diefer Ernft, dann
der Erifiallflare Mann, der wägen konnte und wagen Bonnte, und
ſchließlich „der Eiſerne“. Angft und bange Fann einem werden, dazu
das fiegestolle Berlin zu einer Zeit, wo noch alles auf dem Spiel fteht.
Nur auf den ungeheuren moralifchen Schwung, mit dem unfere ganze
Nation den perfiden, brutalen Fehdehandfchuh aufgenommen hat, Fann
man wahrhaft ſtolz fein und daher hoffen, zu einem guten Frieden zu
kommen. Es ift aber viel zu früh, über die Art desfelben zu jprechen.
Luremburg, 14. IX.
Hier ift man immer noch in erheblicher Sorge (entre nous). Man
fagt, die I. Armee wollte ihren eigenen Sieg haben und hat an das Ganze
nicht genügend gedacht; fo entftand die Lücke, in die die Engländer mit
großer Gefchieklichkeit hereinftießen, und bisher war es nicht gelungen,
diefe Lücke zu fchließen. Dabei follen fich große Truppenmaſſen nord⸗
mweftlich hinter der I. Armee bilden. Die Franzofen haben ihr ganzes
Eifenbahnneg zur Verfügung umd fcheinen alles nach ihrem linken Flügel
Kriegöbriefe 1914 403
zu fchieben. Unfere Truppen müſſen laufen, daß die Schwarte knackt,
die armen Kerlsl Ob wir das damit gutmachen Fönnen, tft jeßt die
große Frage. Seht merken auch die Spiten der Armee, daß die Be:
deutung Englands als Gegner unterfchägt worden tft. Pohl ift fürchter:
lich, Feine Spur von Aber ift in dem Menſchen. Wenn der liebe Herr:
gott der Marine nicht Hilft, fo fieht es ſchlimm aus,
Luxemburg, 15. IX.
Hier ift die Keifis noch gar nicht vorüber; fie wird fich euch auch
noch in hohen Perfonalveränderungen kenntlich machen, über die ich
nicht fchreiben mag. Sch kann mich ja täufchen, aber ich würde Falken:
hayn nicht gewählt haben, obendrein mit fehr großen Befugniffen. Bei
ber I. Armee wird heftig gefämpft, und die von allen Seiten veran-
laßten Verftärkfungen werden nicht mehr zur richtigen Zeit ankommen.
Das ift alles fehr fatal und die Siegestollheit der Berliner Zeitungen,
bie mir fchon ftets unangenehm war, ftößt mich jeßt noch mehr ab.
Plettenberg hat wirklich dem Kaifer gemeldet, daß bei vielen Garde:
tegimentern die Kompagnien nur 50 Mann ftarf find von 300 Aus»
gerückten. Pohl tut auch mir gegenüber geheimnisvoll, bremft fort:
während Singenohl, was wirklich nicht nötig wäre. Er ift mit Müller
litert, mit dem Kaiſer und Bethmann, jo daß ich eigentlich ganz aus⸗
gefchaltet bin.
Luremburg, 16. IX.
Heut ift jedenfalls ein Krifistag erfter Ordnung. Aber felbft wenn
wir fiegen follten, ift unfere Lage troßdem recht fchlimm gemworden.
Mir müßten eben mehr als bloß in Schlachten fiegen, wenn wir aus
biefem Krieg fo herausfommen wollen, daß wir Ausjicht haben, Deutfch-
land neu aufzubauen. Sch habe mich fchon feit Jahren gefragt: Fann das
gut gehen bei folcher Gefchäftsleitung von oben? Geftern hatte ich Be:
fuch vom Generaldirektor der Dillinger Hütte, Herrn Weinlig, der da:
mals die Entfcheidung für das Eifenwerf in Tſingtau herbeiführte. Ein
energifcher Mann, aus der Kraft des Volkes hervorgegangen! Dagegen
halte man die grünen Kerls H, die einen langen Tifch einnehmen. Diefe
Leute haben ja ben Krieg ber Dfterreicher gegen Serbien im Zuli
) Feld:Uniform der Diplomaten.
25»
404 Kriegsbriefe 1914
nicht geftoppt. Die Gejte: „Serbien geht uns nichts an“, war zu
töricht. Die Oſterreicher fchreien dauernd um Hilfe.
Luremburg, 18. IX.
Als ich den Brief an Dich fchreiben wollte, erſchien plötzlich Hintze,
da war es mit dem Schreiben vorbei. Sch fehe in ihm die einzige Hilfe
gegen eine gewiſſe Sippe. Ob ber Kaifer in der außerordentlich ges
fährlichen Lage unferes Vaterlands fich auffchwingt, ihn zu nehmen,
ift eine andere Frage.
Eine Entſcheidung ift hier noch nicht gefallen, aber Niederlage iſt
wohl abgemwendet. Es fteht mwefentlich beffer als vor einigen Tagen.
Menn wir auch wohl fiegen werden, fo ift doch die Zerfchmetterung der
franzöfifchen Armee nicht gelungen, und die brauchten wir. Italien
fteht auf dem Sprunge, gegen ung zu gehen, und Rumänien ift eben:
falls fehr zweifelhaft geworden. Wollte Gott uns helfen! England rüftet
gewaltig; feine Elitearmee freilich, die fit jeßt in dem großen Schla-
maffel. Man fagt, daß fie fich fo aufgeftellt Hat, daß fie ficher ift
beim Zurücdgehen.
Luxemburg, 19. IX.
Meine Hoffnung auf Hintze ift Teider zu Waffer geworden. Es ift
„ihnen“ geglückt, den gefährlichen Mann abzufchieben. Vielleicht mag
e8 richtig fein vom Kaifer. Eine große Ummälzung wäre nötig geweſen,
welche auffallen mußte, und das ift beffer zu vermeiden. Hintze war
ber Anficht, daß der Mangel an Führung der Zügel die herrfchende
Klaffe, Sieg oder Niederlage gleichviel, um ihre Stellung bringen müßte
und daß fofortiges großes Entgegenfommen (Sozialdemokraten auf
hohen Poften, Wahlrechtsreform in Preußen) das einzige Mittel wäre,
den ungeheuren Schwung der Nation in einigermaßen gnädige Kanäle
zu leiten! Über den Start des ganzen Krieges und den gefamten Zu⸗
fammenbruch feiner Kollegen war er außer fich. Er ift fehr Flug. —
Die Schlacht fteht noch immer. In 2—3 Tagen ift Hoffnung auf
Befjerung. Die Ofterreicher haben ſchauderhaft verfagt, und wir müffen
die Sache jet in die Hand nehmen,
Luremburg, 20. IX.
Durch den Zufammenbruch hier, den ich angedeutet habe und ber in
Berlin ſchon überall bekannt ift, find allein die furchtbaren Opfer
Kriegsbriefe 1914 405
ohne Erfolg gebracht worden und ift Deutfchland in eine überaus ges
fährliche Lage gekommen. Alles ift legten Endes der Spielerei zu ver:
danken. Vielleicht rettet ung das Volk und feine Kraft. Mit dem bis:
herigen Kaftene und Klaſſenweſen ift es vorbei. Sieg oder Niederlage,
wir befommen bie reine Demokratie,
Zuremburg, 21. IX.
Wie ift diefer Krieg ſchwer und vor allem die große, große Gefahr,
daß alles Blut umfonft gefloffen fein follte. Die Stellungnahme von
Rumänien muß fich jeßt entfcheiden; fchlägt fie gegen uns aus, fo
weiß ich Faum was werden foll. Amerika fteht mit feinem Herzen auf -
Seite Englands und liefert Patronen und Kriegsmaterial für Frank:
reich. Gerade in dem Patronenmangel Tiegt aber für uns eine Gefahr.
Die Franzofen werden vorzüglich geführt, während das bei ung leider
nicht der Fall geweſen ift. Körperlich ift Moltke zufammengebrochen.
Laß Feinen Ton darüber verlauten, aber äußerſt gefährlich ift unfere
Lage geworden, weil Ofterreich jo völlig verfagt hat. Sie follen noch
500000 Mann in Galizien haben von 800000 Ausgerückten. Hier im
Weſten ift die Lage für ung auch fchon fehr ſchwer geworden. Sch würde
darüber ſelbſt Dir nichts fchreiben, wenn ich nicht geftern einen Ber:
Iiner Herrn (Automvbilfahrer) gefprochen hätte, der alles wußte und
mir fagte, alles wäre auch in Berlin befannt. Die Engländer fchicken
tatfächlich große Mafjen von Truppen herüber; die Qualität der letz⸗
tern muß allerdings immer fchlechter werden. Es ijt nicht, daß ich
benfe, wir werden hier geradezu gejchlagen, obgleich man auch das
nicht für abfolut unmöglich halten darf. Unfere Truppen find den
Franzoſen an fich überlegen, aber die Franzofen haben die Eifenbahnen
im Rücken und Fönnen fortwährend Verfchiebungen machen, dazu bei
ung der ungeheure Offiziersverluft. Augufta-Regiment 53 Offiziere von
60, I. Garderegiment nur Geringes weniger uff. Neben der obern Füh:
rung ift es der viel karikierte Leutnant, der eg macht; der ift aber
nicht zu erſetzen.
Luxemburg, 22. IX.
Meine Lage hier ift dauernd fcheußlich, denn eigentlich bin ich über:
flüffig. Inzwiſchen ift diefer furchtbare Krieg etwas zum Stehen ge
kommen; aber im ganzen fteht unjere Sache nicht gut. Nachdem unfer
406 Kriegsbriefe 1914
Hauptplan offenbar mißglückt tft, ſtehen wir frontal einer Mbermacht
gegenüber, die alle lokalen Vorteile auf ihrer Seite hat und zweifels
108 ausgezeichnet geführt wird. Amerika fteht in Wirklichkeit auch gegen
ung. Soeben bekomme ich die Nachricht, daß 100000 Sjapaner in
Schantung gelandet, dag zeigt große Abfichten feitens der Japaner, und
unfere Kolonie ift ohne jede Chance jeßt. Das ift befonders furchtbar
für mid. Wenn wir hier fogleich große Siege erlangt hätten, jo wäre
unfere Lage anders. Darauf hatte ich gehofft, als ich in Coblenz den
Standpunkt vertrat, wir dürften Tſingtau nicht ohne Kampf auf:
geben. Someit ich vorausfehen kann, wird unfere Flotte nicht zum
Schlagen kommen.
Luxemburg, 23. IX.
Die Hoffnung auf den Balkan ift faft geſchwunden. Wir find ſchon
froh, daß Rumänien noch 14 Tage warten will, ehe es uns den
Krieg erklärt. Es wird alles davon abhängen, ob die großen Schlach:
ten, wie fie in wenigen Tagen bevorftehen, ung wirklichen Erfolg
bringen. Die Ruffen bringen ungeheure Maffen auf. Ob das arme
DOftpreußen noch einmal Einquartierung von den Moskowitern erhält?
Heute werden die Forts füdlich Verdun befchoffen; eg würde nach
ihrem Fall ein Loch frei; das ift von größter Bedeutung. Es ift fo
fchwer zu beurteilen, ob England wirtfchaftlich mehr leidet als wir.
So weit man bag beurteilen kann, ift das bisher tatfächlich und ent:
gegengefeßt der bisherigen Annahme der Fall.
Luxemburg, 24. IX.
Unmittelbar nach dem Krieg nehme ich den Abfchied. Den Neuaufs
bau der Marine, wenn es dazu überhaupt kommt, muß ein anderer
machen. Pohl, Müller, der Reichskanzler und der Kaiſer haben bie
Flotte zurücgehalten. Ich glaube jebt, daß fie Feinen Schuß abgeben
wird, und mein Lebenswerk endet mit einem Minus,
turemburg, 25. IX.
Alles ift der Anficht, daß das Syftem der Wilhelmftraße aufhören
wird bzw. muß. Vor Frühjahr ift m. E. der Krieg ficher nicht beendet.
Es fteht uns alfo ein harter Winterfeldzug bevor. Dag große Ringen
bier fteht unmittelbar bevor, die militärifche Entfcheidung wird wahre
Icheinlich dabei fallen.
Kriegsbriefe 1914 407
Auf ein Sedan und Meb dürfen wir aber nicht rechnen, nachdem
der glänzende Anlauf durch Fehler auf unferer Seite nicht den ge
wünfchten Erfolg gehabt hat. In Galizien rechnet man mit dem er:
neuten Ringen etwa zum 1. OPtober. Vor Hindenburg follen die Ruffen
jet eine fait abergläubifche Angft haben. Wolle ihm da unten weiter
Erfolg und Glück winken. Der Kriegsminifter behauptete geftern, daß
die Gefahr für das öftliche Oftpreußen vor neuem Einbruch der Horden
deshalb gefchwunden fei, weil 70000 Ruſſenkadaver dermaßen bie
Gegend verpefteten, daß man nicht atmen könne. Wir hatten geftern
eine recht aufregende Nacht. Es Fam die Nachricht, daß die Engländer
durch den großen Belt gebrochen wären. Damit wären Prinz Heinrich
und zwei Gefchwader mit Zubehör abgefangen worden. Sch hatte Pohl
und feine Aiden dringend gebeten, anders zu disponieren, aber vergebens.
Sch war außer mir und habe die ganze Nacht nicht fchlafen Fönnen.
Heute früh ftellte fich die Nachricht als falfch heraus, aber die Eng:
länder planen irgend etwas und wir wiſſen nichts davon, dazu die
Paffivität unferer Flotte, die je Yänger je mehr zum Zwang wird. Der
Ubootserfolg wirft auf vieles zurück. Gott fei Dank, daß wir zu offen:
fiven Zwecken mehr Uboote haben ald England; hoffentlich haben
fie noch mehr Erfolg.
Zuremburg, 26. IX.
Wir, d.h. Hof und Marine find noch hier geblieben. Man ift doch
bes Ausgangs der großen bevorftehenden Kämpfe nicht ficher genug,
und eine Rückverlegung des Großen Hauptquartiers ift doch nicht an⸗
gängig, und Fortfchritte von unferer Seite find nur mäßig gemacht
bisher, und doch haben wir fie nötig, denn die Zeit arbeitet nicht fehr
für uns. Es ift fehr merkwürdig, in welchem Maße wir das umbeliebtefte
Volk der Erde geworden find. Alles mwünfcht, daß wir unterliegen.
Soeben hat mich ber Kronprinz antelephoniert und mir gratuliert zu
U. 9 und ift dann auf unfere Verhältniffe zu ſprechen gekommen. Über
Bethmann, Jagow, den Start des Krieges uſw. Sch habe mich zu:
rückgehalten, ihm aber doch gejagt, daß wir die Kraft hätten durch:
zubalten, und es müßten, wenn nicht das Aufftehen unferer Nation
gegen bie Regierung gehen follte. Der Krieg ift leßten Endes ein Kampf
mit England um Leben oder Tod. Ich hörte foeben von einem Herrn,
der von der Front kommt, daß in der Armee doch der Gedanke durch:
408 Kriegsbriefe 1914
gefickert it, daß die Führung verfagt hätte. Dan ift fehr ernft ges
worden, ſchätzt die Gegner fehr hoch ein, und unfer gewaltiger erſter
Elan ift ohne Erfolg geblieben. In der Nation ift davon ja noch nicht
viel bekannt. Das ift ein Glück, Die Luremburger find ftugig geworden
über unfer Bleiben; fie meinen, es ftehe wohl fchlecht in der Front.
Es fcheint, daß die Schafale, Rumänien und Ftalien, doch abwarten
wollen, wie hier die Entfcheidung fällt. Unfere Hoffnung auf die
Türkei Scheint nach einem Brief von Ufedom volllommen in ein Nichte
zu verfinfen, dann die faulen Öfterreicher, um bie wir bluten. Es iſt
nicht Schön. Aber das Ganze ift doch wohl unvermeidlich geweſen. Ein
auffteigendes Deutfchland paßte niemand,
Luxemburg, 27. IX.
Mas nun die Rohrbachfache anbetrifft (Nohrbach und Sach hatten
angefragt wegen eines Befuches, um eine beffere Orientierung der neu=
tralen Preffevertreter über öffentliche Einrichtungen uſw. zu bewirken),
jo habe ich den Herren zunächft abgeraten zu Eommen. Ein Befuch bei
mir erregt das Miftrauen der ganzen Sippe und wird entjprechend
ausgejchlachtet. Sch habe die Sache aber hier in die Hand genommen
und foll Anderung bewirkt werden. Es kann ja aber nicht befjer werden
unter Bethmann. Wenn das deutfche Volk einmal dahinter Fommt,
gibt es ein Unglück. Wie foll diefer Krieg enden, darin Tiegt dag Rätſel
der Zukunft. Mit denfelben Leuten, die ihn fo töricht eingeleitet haben
oder fich haben treiben laffen, die auf der ganzen Welt nichts gemerkt
und vorbereitet haben, mit diefen Leuten foll ein brauchbarer Frieden
zuftande kommen? Das fcheint mir wahrhaftig eine Quadratur des
Zirkels. Wir effen zwar in demfelben Saal, fprechen aber Fein Wort
miteinander.
Charleville, 28. IX.
Der Katfer hatte fchon vor zwei Tagen in Luremburg Abfchied ges
nommen, und die Verfchiebung der Abreife des Hauptquartiers erweckte
in Luxemburg Mutmaßungen. Deshalb ging e8 heute 1 Uhr los, Drei
Stunden Fahrt durch Sedan hierher. Überall wo gekämpft war, Tagen
die Dörfer ald Ruinen da, mitunter Fein Menfch zu fehen. Sedan,
dag mich fonft fo intereffiert hätte, beachtete ich Faum, fo überwältigend
Kiiegedriefe 1914 4069
ift die Gegenwart. Die Marine ift hier einquartiert Place Carnot Nr. 1,
in dem Haufe eines reichen Snduftriellen oder vielmehr deſſen Witwe,
Der Mann war alt und fie war jung. Wie alles lag und ftand, wurde
das Haus von der Familie verlaffen. Nur der Portier und die Wirt:
chafterin waren bier geblieben, Shre „unique peur“ wäre vor den
Leuten. Als Meuchelmörder und Weiberfchänder find wir natürlich an⸗
gejehen. Wir haben fie denn gründlich beruhigt und ihr verfichert, wir
wären Feine Ruſſen. Es iſt doch ein merfwürdiges Gefühl, fo von einer
fremden, übrigens recht wohlhabenden Häuslichkeit zeitweife Beſitz zu
nehmen. Unten find die Salons, salle à manger, Billard uſw. In der
zweiten Etage merfwürdigermweife lauter Schlafzimmer, ich glaube für die
Kinder erfter Ehe, die erwachfen find. Sch war zuerft in der chambre A
coucher de Madame einquartiert; da das Zimmer nach Norden lag,
babe ich mit einem mehr abjeits gelegenen Zimmer gewechſelt, das
zumeilen etwas Sonne hat. Das Zimmer von Madame war in Ne
naiffancemöbeln, gute Bilder, Kommode voll Sachen. Ein Ankleide⸗
und Wafchraum daneben, aber nirgends ein Bad, fehr merfwürdig. Gebt
muß ich ein Zimmer haben, in dem eine Tochter gewohnt hatte, Neben
dem Hauptmöbel, einem franzöfifchen Bett aus Polifander, fteht ein
Betftuhl, der übrigens der Annehmlichkeit wegen gepolftert ift.
Das ganze Hauptquartier iſt jebt auseinandergerijfen. Generalftab,
Kriegsminifter, Neichskanzler mit Auswärtigem Amt, alle wohnen für
ſich und efjen, glaube ich, auch für fich. Ich Habe die Empfindung,
man will ung nirgends haben. Darin liegt das Schredliche meiner
Lage. Ein Leben lang habe ich gearbeitet wie ein Pferd für die Marine,
und jet, wo es zum Bruch gefommen ift, habe ich nicht einmal Ein:
fluß auf die Verivendung. Sch will gern zugeben, daß die Lage der
Flotte fchiwierig ift, aber weder Pohl noch Ingenohl hat den Genius.
Der erfte Anlauf unferer Armee hat ungeheuer viel Blut gefoftet und
verhältnismäßig wenig eingebracht. „The silent pressure of seapower“'
wird größer werden mit der Zeit. Die Beinen Erfolge unferer Flotte
täufchen mich nicht. Die Kreuzer draußen müffen fchlieglich einer nad)
dem andern fterben aus Mangel an Kohlen und Nahrung und Werk:
flätten. England hat fogar die Schweiz dazu gebracht, Ausfuhrverbote
gegen ung zu exlaffen. Mit Holland ift es ebenfo. Dazu kommt in
Holland noch Abneigung gegen ung. Schweden und Norwegen werben
in vielen Dingen drangfaliert; fo dürfen norwegiſche Zeitungen nicht
410 Kriegsbriefe 1914
mehr nach England. Wenn wir nicht noch Extraglück haben, fo wird die
Lage fehr ernft. Diefes Extraglück hatten wir in der Hand. Es fcheint,
daß Moltke falfch infpiriert war,
Charleville, 29. IX.
Hier it es nicht ſchön. Wenn ich einen Vergleich anftelle mit irgend»
einer deutfchen Stadt gleicher Größe, fo fällt er ganz zugunften der
unferigen aus. Häufer, Straßen, Plätze etwas verloddert. Place Carnot,
obwohl ficher umwohnt von wohlhabenden Bourgeoisfamilien, fieht aus
wie ein ſehr fchlecht gehaltener Ererzierplag. Nirgends ein Raſenplatz
oder fonftige Stadtverfchönerung. Der Hauptplatz, Place Ducale, macht
fich auf dem Bilde fehr viel Hübfcher als er in Wirklichkeit iſt. Ich
laffe mich nach Möglichkeit nicht niederdrüden, nur das ganze Gebaren
von Bethmann uſw. tut es, und zwar unter den jehigen Verhältniffen
ftärfer als zuvor. Ingenohl fragt, um von Pohl und dem Kaifer natür-
lich eine ablehnende Antwort zu bekommen. Sn diefer Lage hilft nur
Handeln auf Gefahr des Kopfes, wenn man glaubt richtig zu handeln,
Das Fragen gefällt mir fchon gar nicht.
Charleville, 1.X.
Hier fteht die Sache ohme vorwärts oder rückwärts zu gehen. Da⸗
bei arbeitet die Zeit nicht für uns. Auch im Oſten Fommen wir nicht
vom Fled. Die Welt fteht gegen uns, auch die Neutralen. Die Riefen-
hoffnungen des Auguft find verflogen. Der Kaifer und Bethmann halten
nicht durch. Erfterer fcheint jogar die Erlaubnis gegeben zu haben, daß
Bethmann bettelm geht. Italien lauert! Sch bin hier völlig unnüß,
babe den Kaifer hier überhaupt noch nicht gefehen. Wie kann der Finish
gut werden bei dem Start! Ein fchier unermeßliches Kapital ift in den
letzten Jahrzehnten verfchleudert, irgendwo und irgendwie mußte der
Krug zu Bruch gehen. Unfer Volk ift gut, das hat es ficher gezeigt.
Große Anderungen werden nach dem Krieg vor fich gehen. Man wird
fich wundern. Das Verbot des „Vorwärts“ iſt eine große Dummheit;
durch Vermittlung verftändiger Sozen wäre etwas Befferes erreicht;
jo wird der Gottesfrieden, den wir fo brennend brauchen, zerriffen.
Die Franzofen werden einfehen, wie töricht ihr Revanchegedanke ge:
weſen ift: „travailler pour l’Angleterre“. Die bulldoggenhafte Energie,
mit der England jeßt verfährt, imponiert mir troß allem.
Ariegäbriefe 1914 411
Sharleville, 2. X.
Sch habe heute einen recht verziveifelten Brief an Capelle gefchrieben.
Heute ift Pohl zu Ingenohl abgereift mit dem Auftrage, er foll ja
nicht herausgeben und etwas tun. Ingenohl ift Fein Führer, fonft
würde er nicht fragen; jeßt hat er die Antwort. Pohl deckt fich durch)
ben Kaifer; Müller ift weich und unficher. Meine Lage ift fcheußlich,
ich bin ganz tfoliert. Ein folches Ende, wie es mir bevorfteht, hat meine
Arbeit nicht verdient.
Nur die ganz niederen Klaffen find hier geblieben. Alles andere ift vor
ben „Barbaren“ geflohen. Sch mache täglich zweimal einen einftündigen
Spaziergang, freilich meift durch die Straßen, denn die Stadt ift fehr
ausgedehnt. Heute früh fah ich die gewaltigen Wieberherftellungss
arbeiten an der hiefigen Maasbrücke und dem Tunnel. Die Leiftung
unferes Volkes ift großartig. Darin befteht unfere einzige Hoffnung,
bie Zügelführung ſchrecklich!
Von Mann zu Mann iſt der Franzoſe nicht mit unſeren Leuten zu
vergleichen; aber ſie werden ausgezeichnet geführt. Sie haben beſſere
Feldgeſchütze als wir und verſtehen ſie erheblich beſſer zu verwenden,
ſind auch ſonſt ſehr geſchickt in der Benutzung des Geländes. Es läßt
ſich gar nicht vorher ſagen, wie und wann die jetzige Situation hier
enden wird. Große Führer ſind hier auch nicht entſtanden, abgeſehen
vom Oſten, wo nach Beſeitigung der erſten, Hindenburg und ſein Stabs⸗
chef Ludendorff Glänzendes geleiſtet haben. Wolle Gott, daß es in
den nächſten Tagen ihnen wieder gelingen möge. Mit der Flotte bin ich
auch gar nicht zufrieden, aber ich bin völlig machtlos, denn obwohl ich
gefragt werden muß, trage ich nicht vor, und „Der Abweſende hat
immer unrecht.“
Charleville, 3. X.
Soeben war Admiral v. Müller hier bei mir. Er war gar nicht
einig mit mir über unſere Seekriegsführung. Bei dieſer Frage ſteht
auch dag Auswärtige Amt dahinter. Müller ift offenbar jetzt voll:
ftändig in deren Händen. Das geht fo weit, daß er fich fogar bezüglich
Hinges hat gänzlich herumbefommen laſſen. „Er hätte fich doch von
ben Herren überzeugen laſſen, daß Hintze große Fehler und Schroff:
heiten begangen hätte, Burz, er müjfe weit fort.” Wie ich dann näher
412 Kriegsbriefe 1914
fragte, kamen unglaubliche, ganz verdrehte Bagatellen heraus — ber
ganze Müller aus dem Herbft 1911.
Heute nachmittag fuhr ich per Auto nach) einem hier in der Nähe
gelegenen Sperrfort, das von unfern Oranaten furchtbar zugerichtet
war. Die Beſatzung des Forts konnte es fehr bald nicht aushalten, Es
muß wirklich über menjchlihe Kraft gegangen fein. Die Granaten
Ichlugen durch alles durch und machten eine Hölle aus dem Fort. Bald
rückte die Befakung von dannen. Der Kommandant bes Forts Fonnte
feine Leute nicht fefthalten, und aus Gram darüber erfchoß er fich felbft.
Eine Landwehrkompagnie hat ihn in dem nicht ganz abrafierten Glacis-
gehölz beerdigt und ein nettes Kreuz darauf errichtet. Auf demfelben
ſteht: „Hier ruht der Kommandant des Forts ..., weil er die ihm an:
vertraute Fefte nicht verlaffen wollte”, und dann etiva folgender Spruch:
„In dieſem Kreuz aus Holze fchlicht, ehrt der deutfche Soldat den
Feind als Ritter feiner Pflicht.‘
Charleville, 4.X.
Diefer Krieg iſt wirklich der größte Wahnfinn, den die weiße Raffe
je begangen hat. Wir fchlagen ung auf dem Kontinent gegenfeitig tot,
damit England den Profit hat. Dabei befommt es das perfive Albion
fertig, auf der ganzen Welt ung als die Schulöigen hinzuftellen. Man
Fönnte allen Glauben an das Gute verlieren. Freilich find wir nicht
ohne Schuld. Das trifft am meiften die Leitenden; aber das Brama⸗
barfieren war auch fonft üblich und mir von jeher widerwärtig. Das
bei ift die Tragikomik, daß, wie Capelle ganz richtig mir neulich fchrieb,
ich nun einmal unter die Chauviniften und Heber gerechnet, würde,
Antwerpen wird fich wohl nicht zu lange mehr halten. Sm übrigen aber
ftehen zwei Feftungslinien quer durch Frankreich fich gegenüber, partie
remise bis jeßt. Ob die neue Führung wirklich gut ift, das Fann man
nicht beurteilen. Vorher war es fehr ſchlimm und es ſickert doch Tangs
ſam durch. Am meiften Ruf hat der Chef des Stabes von Hinden-
burg, General Ludendorff. Er hat aber jeßt eine fehr fchwierige Auf:
gabe vor fich, da die Bundegbrüder in Galizien äußerft mäßig find,
Napoleon III. hatte recht: „on ne s’allie pas avec un cadavre.“
Sharleville, 6. X.
Soeben ift Pohl von Wilhelmshaven zurücdgefommen und hat fich
die Zuftimmung von Ingenobl geholt, daß nichts gemacht wird. Die
Kriegöbriefe 1914 413
Ubootsgefahr und überhaupt der Gedanke, die Flotte zu erhalten, über:
wiegt alles. Pohl hat die geradezu Eindliche Idee, daß die Flotte nach
dem Kriege verdoppelt werden müßte, und Bethmann ſei auch diefer
Anficht, während die hohe Wahrfcheinlichkeit umgekehrt Tiegt, politifch,
finanziell und aus Nückfichten des Ubootsruhms. Es kann auch das
Slottengefeß nicht erhalten bleiben. An die wilden Hoffnungen, Aufftand
ber Inder und der gefamten Mufelmänner zu unfern Gunften glaube ich
ach nicht recht. Harnacks Antwort an die englifchen Gelehrten finde ich
auch gut; aber wir verjtehen ung nicht mehr mit den Engländern, haben
e8 wohl nie getan, feit wir nicht mehr anerkennen wollen, das fie allein
das auserwählte Volk Iſrael find und alle andern Völker nur Zitronen
‚ für fie fein dürfen. Heute befam ich einen langen Brief von Ballın
als Antwort auf einen Brief von mir. Er arbeitet ſtark in Verſtändi⸗
gung mit England und fordert mich darin u.a. auf, zu einem Flotten-
agrement zu kommen mit Churchill, d. h. mit anderen Worten, Auf:
gabe unferer felbftändigen Stellung gegen England und Bafallenftaat
nach franzöfifchem Mufter. Wenn nicht der Tiebe Herrgott ganz befonders
eingreift, wird e8 auch dazu kommen. Der Boden wird nach biefer
Nichtung präpariert, und ich bin das Karnicel des Krieges. Sch werde
mich darein zu finden wiſſen.
Charleville, 7.X.
Ein Sturm in Tſingtau ift abgefchlagen. Die Japaner wollen jet
noch mehr Truppen heranholen. Daß die Engländer fich mit 1000 ran-
gers an der Eroberung von ZXfingtau beteiligen, iſt bezeichnend. Sie
haben jedes Gefühl der Blutsverwandtfchaft verloren ung gegenüber.
Sapaner, Inder, Nigger, alles wird gegen ung gehett. Seht follen auch
bie Portugiefen herangeholt werden. Büchſels Urteil über unfere Füh—
rung bei dem Kreuzergefecht am 28. 8. teile ich auch. Sch darf e8 aber
kaum andeuten; nach Müller ift alles vorzüglich gerwefen. Soeben war
Kapitän Mann bei mir mit Grüßen von Admiral v. Schröder. Unfere
Marinemannfchaften machten fich fehr gut vor Antwerpen. Pohl ift
zurücgefommen, Eleiner und auch größer als je zuvor. Die Refignation
und der Mangel an Initiative bei der Flotte haben mir gar nicht ges
fallen. Dan hat fich ſchon eingelulft in das Nichtetun; für mich ein
Schreclicher Gedanke, und ich bin machtlos,
414 Kriegsbriefe 1914
Charleville, 8. X.
Vom Kaiſer ging ich vorgeftern ganz niedergedrücdt nach Haufe.
Haft eine Stunde Vortrag über ein politifches Gefpräch mit einem
Bourgevis, bei dem er in St. Quentin einlogiert war und dem er feine
ganze politifche Auffaffung dargelegt hatte. Stelle Dir des Kaifers
Großvater vor in feiner Lagel Dann Einzelheiten aus dem Felde. Was
wird aber, wenn er nervös zufammenbricht? Davon ift in der DVer-
fafjung nichts vorgefehen.
Mas mir meine Lage fo ſchwer macht, läßt fich in einem Brief gar
nicht wiedergeben. Sch bin dafür eingetreten, daß Deutfchland in der
Melt eine Stellung befäme. Dazu mußte es u.a. eine Flotte haben.
Diefe Flotte zu bauen, Eoftet lange Zeit; fie ift aber jeßt fchon in er-
heblichem Maße vorhanden, fo daß fie in einem Weltkrieg zum Tragen
kommen müßte. In den Ietten zwei Jahren ift nun von ung und den
Engländern erkannt, daß für die Nordfee dag Unterfeeboot eine ftärfere
Rolle fpielen müßte als bisher. Das hängt mit der technifchen Ents
wicklung zufammen. Mir war auch im letzten Winter ſchon Elar, daß
mir voraugfichtlich die Baſis des Flottengefeßes dementiprechend ändern
müßten. Dazu wären aber Jahre erforderlich. (Nebenbei find wir in
Ubooten ftärker als die Engländer.) Nach den Ereigniffen wird die
heutige Bedeutung der Ubootet) noch überfchäßt. Es ift richtig, daß
die englifche Flotte nicht herankommt. Sch will auch zurzeit nicht, daß
unfere Flotte nach England geht und wir dort fchlagen. Uber ich halte
für abjolut falfch, daß man Ingenohl den Befehl gegeben „nichts zu
riskieren”, gegen Feine Übermacht zu fchlagen. Das heißt mit andern
Morten, unfere Flotte einbalfamieren, und dann ftelle Dir den Frieden
vor. Es gehörte ein Dann von großer Entfchlußkraft dazu, mit unferer
Flotte etwas zu machen, und bei allen guten Qualitäten, das ift Inge⸗
nohl doch nicht.
Dazu kommt dann die politifche Seite. Wie Du wohl von Tarafp
ber weißt, find wir diplomatifch in unverantwortlicher Weife „drifted“
in ben Krieg. Wir haben m. €. jahrelang und noch länger eine Schaufels
politif getrieben, die ung fchließlich mit der ganzen Welt verfeindet hat,
und Bethmann fchmwebte über den Wolken. Deshalb fiel er auch heraus
aus denſelben, ald Englands Botfchafter aus Berlin abreiſte. Man
1) Öemeint ift: gegen Kriegsſchiffe.
Kriegsbriefe 1914] 415
wird fpäter alle Federn in Bewegung ſetzen, um zu fagen, der Bruch
mit England wäre eben nicht erfolgt, wenn „the dangerous man“ nicht
dageweſen wäre, und nun liegt obendrein fein Werk tatenlos fill.
Aber auf mich käme es dabei ja nicht an, fondern auf unfer Volk.
Ich kann mir kaum vorftellen, nachdem die furchtbaren Fehler von der
Heeresleitung im Auguft gemacht worden find, wie wir aus diefem
Kriege mit Ehren herausfommen follen. Die einzige Hoffnung bleibt
das Durchhalten und Durchhaltenfönnen; dazu gehören aber eiferne
Männer, und wenn man die Leute um ben Kaifer und Bethmann fieht,
jo wird man arm an Hoffnung. Nach dem Kriege freilich kommen ges
waltige Umänderungen im Innern. Du weißt ja, wie oft ich gefagt
babe, es muß eine Kataftrophe kommen, man weiß nur nicht wie
und wann. Man fah es daherkriechen und Eonnte doch nichts ändern
und wird zum Schluß als der Schuldige genannt werden. Deshalb wird
mir meine Anmefenheit hier fo ſchwer. Viele haben auf mich ge
rechnet, und ich kann gar nichts ändern und das Wenige, was ich tun
Fönnte auf maritimem Gebiet, wird mir auch verfchlofjen, weil man
das Spielzeug nicht verlieren will. Wie alles, war auch diefes nur
Spielzeug. Sapaner Eommen nicht, das ift Unjinn, aber 20000 Inder
find in Marfeille angefommen und unter Jubel der Bevölkerung die
Rue Cannebiere heraufgezogen, 20000 Kanadier in Le Havre. Portu⸗
giefen Eommen vielleicht auch. Das ift nicht fchlimm, aber der all:
gemeine Zufaß britifcher Kaltblütigkeit zum heißen Franzoſenblut wirft
auch im Felde fehr ftark.
Eharleville, 9. X.
S.M. ließ mich eben zu einer Unterredung rufen. Sch. traf ihn auf
der Straße mit feinem Gefolge. Die Unterredung beftand in der Mit:
teilung, daß Antwerpen gefallen fei. Nachher foll ich zum Efjen om:
men. Der Kaifer war natürlich in rofigfter Laune — General von Befeler
Pour le me£ritel „Die Vettern jenfeits des Kanals würden fich ärgern,
jeßt ginge e8 weiter los.“ Der Kernpunkt, daß nämlich die Befagung
fih Hat nördlich drücken können, fehien ihn weniger zu Fümmern.
Prinz Eitel war auch dabei. Er war geftürzt und follte fich ein paar
Tage verfchnaufen, einfach und brav wie immer. Im ganzen fah er
die Lage aber doch ernft an, mie fie es denn auch ift. Es ift recht
peinlich, daß, wie es feheint, die Ruffen nun noch einmal nach Oft
416 Kriegebriefe 1914
preußen kommen. Diefer fichtbare Erfolg mit Antwerpen tat ung allen
ſehr not, auch nach außen hin. Sch vergaß Dir zu erzählen, daß ich
geftern vormittag in Sedan war und das damalige Schlachtfeld ziem⸗
lich abgefahren bin. Wir waren auf der berühmten Höhe, von der der
alte Kaifer ‚das Schlachtpanorama beobachtete, ich glaube bei Frénois,
dann das Haus bei Donchery, wo Bismard! mit Napoleon zufammenz
traf. Das Haus wird noch von derjelben Frau bewohnt, die damals
jeune femme von 27 Sahren war; fie macht gewiffermaßen ein Gefchäft
daraus, das Zimmer zu zeigen, in dem Bismarck mit Napoleon vers
handelte. Vier Napoleondorg, die „empereur“ ihr gab, find .einge-
rahmt. Es ift eine winzige Stube dürftig möbliert; eine enge Treppe
führt herauf. Weiter nach Bazeille, dort in dem Haug „de la derniere
cartouche“ ift ein Eleines Lokalmuſeum. Ein franzöfifcher Schlachten:
maler bat aus dem Vorgang das Motiv zu einem großen Bilde ge:
nommen, bag auch in Berlin ausgeftellt war (obwohl es die Deutfchen
als Scheufäler darftellt). Durch Sedan felbft und von dort nach dem
Standbild für General Marguerite und feine Reiter. Ein großer Mars
morbloc, auf demfelben „la France“ mit geſenkter Fahne, an der
Vorderfeite der Moment, wo die Kavallerie plöglich vor einem Stein:
bruch fieht und herunterftürzt — etwas Pofe, aber doch ein Stüd
Kunft. Es war ein wundervoller Oftobertag. Wie hätte ich das früher
genofjen; jet hat die harte Realität der Gegenwart und bie Sorge
um unfer Land mit einem Ruck das Intereſſe für diefe große Zeit
weggewifcht. Damals war ich junger Leutnant; wir lagen 6 Donate
auf Schillig NReede, big dag Eis uns hereintrieb. Wir hatten nur drei
Schiffe und draußen waren acht; troßdem haben wir doch zweimal
verjucht, etwas zu machen. Set bin ich ein Mann von 655 ich fiße
bier, und unfere große Flotte Liegt wieder im Hafen. Es ift hart für
mic.
Charleville, 10. X.
Es waren zum Abendeſſen geladen fo viele, als Plab vorhanden war,
Vor ber Suppe wurde diesmal Sekt eingefchenkt. Der Kaifer hielt eine
Rede, in der er zunächit den Heren der Heerfcharen pries und dann
Moltke, der den Plan erdacht, und Befeler, der ihn ausgeführt, dann
drei Hurras! E8 wirkte eigentümlich auf die Anmefenden, die Hervors
hebung Moltfes neben dem andern bei diefer Gelegenheit. Es ift fo vers
Kriegsbriefe 1914 417
kehrt, ihn nicht als Herz und Nierenkranken nach Haufe zu jchieken,
was er in Wirklichkeit it; jo greift das Gift der Gerüchte auch in
der Armee um ſich, und man fragt, wer führt ung? Von den ernften
Herren wurde der Abzug der belgischen Armee in feiner Bedeutung voll
gewürdigt. Ein Uboot von ung hat ihn gefehen, die Leute aber für bloße
‚Flüchtlinge gehalten und nicht geſchoſſen. Man fraat fich, ob die
80000 Belgier und Engländer nicht beffer im Mauſeloch von Ant—
werpen ſteckten, als jest für freie Feldverwendung benußt zu werden,
Trotzdem erleichtert der Fall von Antiverpen doch unjere hiefige Lage.
Auch aus Dftpreußen, wo man geftern recht beforgt war, find heute
ganz gute Nachrichten eingetroffen. Aber immer wieder drängt fich mir
der Gedanke auf, wie kommen mir mit Ehren und ohne zu große bzw.
unerjegliche Einbuße aus diefem Kriege heraus? Ein unverdächtiger
Zeuge, mein Oberftabsarzt, fagte neulich, alle drei Kabinettchefs täten
blindlings, was der Kaiſer fagte. Die ganze Umgebung ift fchließlich
darauf eingeftellt. (Der Kaifer jagte übrigens zu Bethmann und Jagow,
daß fie, die Diplomatie, wicht wieder dag verlieren jollte, was das
deutiche Schwert erivorben. Verlegenes Lächeln ver beiden.) Admiral
dv. Müller bedauert nun auch den Befehl, den Pohl im Muftrag vom
Kaiſer an Ingenohl geſchickt bat und der eigentlich den Befehl des
völligen Einkapjelns der Flotte enthält, dabei obendrein mit Löchern,
deren Verwendung ausfichtslos und gefährlich iſt. Dies iſt ein gefchicht:
liches Dokument, und ih) muß daherfigen und kann nichts tun, um
die Marine vor einer Bläme ohnegleichen zu retten. Wenn nur
der Kriegsminifter ein Mann wäre, mit dem ich mich verjtändigen
könnte; jo habe ich niemand außer Hopman, der ebenſo denkt wie ich
und der mir erzählt, daß endlich die andern Herren unter Pohl au)
zur Erkenntnis gekommen wären,
Charleville, 11. X.
Dee Brief vom 9. 9 M. Fam foeben mit der Abfchrift des Zahl
meijters von der „Mainz. Mein armer Junge, der ficher jo ſtark ge:
fühlt hat, wie wenig gefchiet unfere Führung am 28. Auguſt war.
Aber ob er jebt minder Liste, wenn er fähe, daß dag Werk feines
Vaters To Tchlecht benutzt wird, iſt mie faft zweifelhaft. Von Capelle
hatte ich geftern einen Brief, mit dem ich in ſehr vielen Punkten nicht
einverftanden war. Auch er hat mich nicht verftanden. Diefe großen
Tiepig, Erinnosangen 27
418 Kriegsbriefe 1014
Ichwebenden Fragen find zu ſchwer in Briefen, aljo ohne Nebe und
Gegenrede zu behandeln. Er kommt ja freilich darauf heraus, daß
ich noch ausharren müßte. Das will ich denn vorläufig auch tun, be—
ſonders da eg für mich in Berlin geiftig kaum beffer ift. Capelle meint,
ich wäre hier gewiſſermaßen fleet in being.
Der Fall und die Urt der Eroberung von Antiverpen hat doch Ein:
druck im Auslande gemacht. Man kann ja wohl auch fagen, daß bie
Kraft des deutſchen Volkes fich ſehr gewaltig zeigt — hier im Welten
gegen brei Nationen, im DOften gegen die Slawenwelle, und das ſchlam⸗
pige Dfterreich müffen wir auch noch herausreißen. Heute ift wieder ein⸗
‚mal die Nachricht gefommen, daß die Türkei jet losgehen wollte. Sch
glaube es aber nicht, bevor die Schüffe Fnallen, wir find zu lange ge:
täufcht worden,
Man gönnt den armen Truppen in den Laufgräben das gute Wetter ;
freilich, die Franzofen würden Regen noch) fchlechter ertragen. Ein merk
würdiger Krieg: von den Vogefen über Paris bis an den Kanal ein
langer proviforifcher Feflungsgürtel von beiden Seiten, ber nur mit
ichwerften Blutopfern zu ſtürmen wäre. Auf der anderen Geite eine
mit Hunderten von Millionen erbaute Feftung in zwölf Tagen ohne
fehe große Verlufte genommen. Flieger, Auto Spielen eine ungeahnte
Rolle, wie überhaupt die Technik. Brüden und Zunnels, deren Bau
ſonſt Jahre gedauert hat, werden in vierzehn Tagen hergeitellt. Wenn
man dieſe ungeheure Emfigkeit unferes Volkes fieht, fo muß man zu
dem Glauben kommen, dap es nicht beiiegt werden kann. Nur „the
silent pressure of geapower“ ift da8 Bedenkliche. Wie Herr v. Heydes
brand 1911 im Reichstage ſagte: „England iſt der Feind.” Es ift
auch empörend, wie die Kerls ihren Sport weitertreiben, während auf
Ihe Hetzen hin Europa fich zerfleiſcht.
Charleville, 13. X.
Nur ein paar Zeilen. Sch will heute nach Brüffel und Antwerpen per
Auto und beabjichtige, morgen abend oder übermorgen mittag hierher
zu Fommen Man ift hier im Hauptquartier twieder etwas gehobener
Stimmung durch den Fall von Untwerpen und das Zurückwerfen der
Rufen in Oftpreußen troß deren großer Übermacht. Capelle jagt,
Beihmann, ber die Gefchichte eingebrodt Habe, müſſe auch die Suppe
auselfen. Sch bin doch anderer Meinung, Nur ein jüngerer eifenharter
|
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Kriegebriefe 1914 419
Mann Bann den Finiſh machen. Mit Bethmann wird es die reine
Waſſerſuppe, und dann wollen wir einmal jehen, wohin die Welle geht.
Brüjfel, 13. X.
Die Fahrt hierher war ſehr anftrengend, unmittelbar nach dem Lunch,
Fein Ausruhen und ca. fünf Stunden Fahrt mit Hindernifjen. Sch werde
von Brüſſel nichts zu fehen befommen, denn morgen früh will ich
nach Antwerpen weiter, um Admiral v. Schröder zu fprechen, nach
feinen Wünjchen zu fragen. Man ift hier immer noch im Ungewiſſen,
wo die belgische Armee ſteckt, wahrſcheinlich in Zivilkleidern nach Eng:
land und Holland,
Charleville, 14. X.
Heute nach fünfitündiger Fahrt mit einigen Hemmungen über Namur
die Maas herauf von Brüffel angefommen. Heute abend zum Eſſen
eingeladen bei Seiner Majeftät, wahrscheinlich wegen des Ubootserfolges
im Finnifchen Meerbufen. Der Sohn des Grafen Berkheim hat feine
Sache dort fehr gut gemacht; fchade, daß der Gegner Fein Engländer
war. Diefe Reife war im ganzen für mich fehr anftrengend und nicht
ganz jo erfolgreich als ich vielleicht doch erhoffte. Ehe wir nach Brüfjel
kamen, paffierten wir Charleroi, 1815 Hauptquartier Napoleons vor
der Schlacht von Ligny, jegt eine riefige Fabrikſtadt mit fcheußlicher
Einwohnerfchaft, ein Eleines Häuflein Landflurm im Zentrum zuſammen⸗
gehalten. Nach Charleroi paffierten wir das ganze Schlachtfeld von
Belle-Alliance mit vielen Denkmälern befest. Die merkwürdige Wand:
lung in hundert Jahren trat mir lebhaft wor das geiftige Auge. In
Brüffel, der Millionenftadt, fanden wie eine aufgeregte Bevölkerung,
und nur beim Juſtizpalaſt deutfche Truppen Fonzentriert, ca. 5000,
darunter auch ein Marinedetachement. Einer der Herren vom Feld:
marjchall v. d. Golg erzählte mir von der Zeit, als man eigentlich
nicht wußte, ob wir Antwerpen belagerten oder die belgischen Truppen
Brüſſel; da hätte ihm einer der Notabeln gejagt, „mais, Monsieur, vous
etes les prisonniers.“ Nach dem Fall von Antwerpen ijt die Stim:
mung mohl etwas anders geworden. Golg war etwas beforgt, meil
in Lille und im Norden fich größere Truppenmaſſen gezeigt hätten.
Wie ich aber ſoeben Höre, if die Gefahr befeitigt. Es geht auch hier
immer fehr auf und ab mit den Sorgen.
27°
420 Kriegsbriefe 1914
Charleville, 15. X.
Es müſſen freilich fehr niedrige Seelen fein, die mir zutrauen, ich
wollte aus egoiftijchen (wer ift die Quelle hinten herum? Es mwäre
doch intereffant für mich zu wiſſen) Gründen die Flotte vorwärts
treiben. Dümmeres Könnte ich doc) auch nichts tun, als die Flotte
zum Schlagen und zur Tätigkeit zu bringen, wenn ich der Meinung
wäre, fie würde erfolglos fein. Weil ich eben an ihren Erfolg
alaube und weil ich in der Pafjisität ein Heruntergehen ihres Geiltes
erblicke, habe ich zur Tätigkeit gerrieben. Es braucht ja nicht einmal
bis zur entjcheidenden Schlacht zu gehen, fondern zur Entfaltung
einer Tätigkeit, die Beunruhigung hervorbringt bei den Engländern
und die Chance mit fich bringt, die Torpedoboote in der Nacht zum
Angeiff zu bringen. Die jehige Kriegsführung führt zur Tötung jeder
Initiative und zur allgemeinen Verfumpfung. Damit gebt auch die
Flotte nach dem Kriege zugrunde, Doch genug hiervon! Sch will mic)
ja auch gern refignieren, wenn ich nicht für ganz Deutjchland große
Befürchtungen hegte. Niederzwingen wird man ung nicht, aber mit der
Weltfiellung Deutfchlands kann es leicht vorbei fein.
Es iſt und bleibt merkwürdig, wie fehr unbeliebt wir find und
wie volljtändig unjer ganzer diplomatifcher Dienſt zufammengebrochen
it. Es kommt eine geradezu erfchredende Unfähigkeit an faft allen
Stellen zutage. Doch ih will noch von Antwerpen erzählen. Ich
folgte den Spuren unferer Marinedivifion, die fich ſehr brav gefchlagen
bat. Der alte Seebär Schröder hat feine Sache vortrefflich gemacht,
ſehr energisch und fehr tapfer. Eine Neihe von Schügengräben folgte
der enderen, die Forts auf diefer Linie furchtbar zerfchoffen. Die
Rieſenſtadt Antwerpen beinahe menſchenleer, und zweifelhafte Geftal-
ten zeigten fich, ein merkwürdiger Anblick, Etwas ausgepreft wird
die Marinedivifion von der Armee, aber zur Entfchuldigung muß man
jagen, die Nor war groß. Die aus den Küfienbefeftigungen zuſammen⸗
gefchrapte Matrojenartilleriebrigade, die noch nie Formiert worden war,
mußte aus den Waggons heraus in die Laufgräben. Die Marinedivifion
hatte einen jebr fehweren Stand, eine lange Linie zu verteidigen, Dazu
feine Artillerie außer unferen Bootsfanonen. Dann kam Schröder und
ernpfing mich ſehr herzlich. Es war wirklich eine Freude, mit ihm zu
iprechen und ihn zu hören, nachdem ich fo lange Pohl habe aushalten
mülfen. Sch könnte Schröber richtig beneiden, nicht nur um feinen
Kriegsbriefe 1914 421
Optimismus, jondern um feine Sage, Er fand und fleht vor klaren
Aufgaben und braucht nicht rechts noch links zu ſehen. Ob nun die
Marinedisifion, wie er hofft, von Brügge, Oftende und vielleicht fpäter
von Calais aus Io wichtige Erfolge aufzumeifen bat, iſt ja nicht vor⸗
auszujehen, aber auf die Nerven fallen wird fie mohl den Engländern.
Churchill war zwei Tage vor dem Fall in Antwerpen gemefen, in
feinem Privatauto überall herumgeraft und hatte zum rüdfichtslofen
Miderftand aufgefordert. Als er Jah, daß die Sache fchief ging, ift er
abgefahren und joll jetzt in Frankreich fein. Schröder fuhr mich dann
in Antwerpen herum. Die endlofen Kais und Speicher zeigten faft
nur beutjche Firmen: Antwerpen fog fich aus Deutfchland voll. Wer:
den mir dieſe Stellung wenigſtens behalten? Nachher aß ich mit
Schröder und feinem Stab und fuhr dann noch nach dem Fort Walchem,
bas furchtbar zerfchoffen war. Abends in Brüffel Gefteen früh neun
Uhr ab üher Namur, Givet, Dinant, Revin ufm., hierher, faft nur
Zrümmerhaufen, ab und zu ein Ort, der gänzlich unverjehrt war.
Geftern abend beim Kaiſer, nichts Befonderes. Man war ganz guter
Stimmung und hofft jet alles von ben Reſervetruppen.
Charleville, 16. X.
Hier erwartet man mit Spannung bie weiteren Ereigniffe im Nor⸗
den. Man tft ftelfenmeife zweifelhaft an einem durchichlagenden Erfolg.
Die Engländer haben ſich an das Meer herangefchlängelt und ftehen
Hoch im Norden. Im franzöfifchen Hauptquartier foll ‚ziemliche Ver:
fiimmung herrſchen, und follen die dunklen Xruppen fehlecht fun?
tionieren mit den Weißen zufammen. Der Fall von Antwerpen foll im
Londoner Publikum doch ziemlich eingefchlagen haben. Im übrigen
ſoll die Lügenfabrifation dort jedes glaubliche Maß überflirgen haben.
Charleville, 17. X.
Man ift hier Feineswegs ficher, ob der neue Anlauf, den mir jeit
mit der Armee machen, zu vollem Erfolg führen wird. Es iſt faft ber
leßte große Trumpf, den wir hier einfeßen. Wenn er nicht gelingt, fo
tritt ein, was Jagow mir heute von dem Kriegsende überhaupt ſagte.
Er meinte, der Krieg würde verfumpfen, langſam einschlafen aus
allgemeiner Ermattung. Das märe ſchlimm für uns. Mer daß der
Friedensſchluß Has Bauffehe Rote nicht befriedigen wird, das hefiirchte
422 Kriegsbriefe 1914
ih auch Hei diefer Leitung. An ein Niederwerfen unferes Volkes
glaube ich nicht einen Augenblick. Ein Volk, welches jo glänzende
Eigenschaften gezeigt hat wie Deutfchland in diefem furchtbaren Kriege,
kann nicht niedergemworfen werden. Ob das Erbe, das wir unferen
Kindern hinterlaffen, ein reiches ift, bleibt aber eine andere Frage.
Die Methode unferer Negierungsweife wird freiwillig oder gezwungen
eine andere werden müſſen. Sch Tas heute einige Nuszüge aus den
„Sozialiſtiſchen Monatsheften“, ein der Sozialdemokratie fehr nahe:
ftehendes Organ, Über welches ich mich doch recht gefreut habe. Die
Sozialdemokratie hat begriffen, daß Ihre internationale Idee eine Utopie
ift in der Welt, in der die Dinge hart aufeinanderftoßen, und merkwür⸗
digerweife hat fie auch begriffen, daß nicht Rußland, fondern England
der Feind ift, um den es fich bei diefem Kriege handelt, England, das
ein aufblühendes Deutfchland nicht dulden wollte. Es würde alles gut
gehen, wenn wir politifche Leitung hätten. Ob die neue Urmeeleitung
nicht zu vorfichtig ift, nachdem die anfängliche fo verfagt hat, will ich
nicht beurteilen, Fann es auch nicht genügend, Mitunter hat man eine
folhe Empfindung. Nur gut, daß wenigitens im Oſten vorzügliche
Männer find, die den ruffiichen Koloß aufhalten. Sie würden ihn zer:
kümmern, wenn unfere Bundesgenoffen Feine Ofterreicher, fondern
Preußen wären, Unfere Uboote machen ihre Sache vortrefflich Freilich
werden wir auch bier auf Unfälle gefaßt fein müſſen.
Charleville 18. X.
Was nun bie Früchte der Siege anbetrifft, fo werben fie bei der
Leitung, bie wir Haben, ſicher nicht ausgenützt. Bor allem aber —
und das iſt das Schlimmfte — noch haben wir Beine Giege, die ein
Ausnutzen möglih machen. Wir hatten das Glück in ber Hand und
haben es verſpielt. Ich möchte darüber mich nicht fehriftlich äußern,
obwohl bie Wahrheit oder vielmehr die Tatſache überall ſchon durchſickert.
Borläufig bleibt nur übrig: durchhalten, fo lange wie möglich, und die
andern Fommen laſſen. Nur dann wird für uns ein erträglicher Friede
zuftande kommen. Eine fehe große Enttäufchung fteht m. €. unferem
Volke in jedem Fall doch bevor, wern man feine Rieſenleiſtung und
feinen Blutverluft dabei berückjichtigt. Wenn wir in der inneren Bolitif
nicht die Zügel in die Hand nehmen, fo werden wir nachher gezwungen
werden zu Neformen, die dann über das Verftändige binausgeben.
Kriegsbriefe 1914 423
Das kann aber nach der Verfaſſung nur der Reichskanzler. Unſere
Verfaſſung pafte für den alten Kaifer und Bismarck; fie paßt aber
nicht für den Durchfchnitt. Die Verfaffung und Zeitung fteht nur auf
zwei Augen, das iſt ein Methodenfehler, Wenn aber die zwei Augen
einmal unter dem Durchichnitt fein follten, fo ift es fchlimm. Die Idee,
über das preußifche Staatsminiftertum zu regieren, geht nicht. Geſetzt
den andern Fall, ich käme hier mit Reformen, fo würde man mit Recht
jagen, was geht Sie das an? Und ich würde bei allen um den Saifer
herum angefchwärzt, meine fchivierige Stellung noch unmöglicher, und
ich würde gar nichts erreichen Fönnen. Da müßte es noch viel jchlimmer
Eommen. Wenn der Krieg langjam verfumpfte und einfchliefe, wie Jagow
glaubt, fo wäre es aus mit Deutfchlands Weltftellung. Wir find fo um:
geben von Haß und Ubelwollen der ganzen Welt, daß nur ein großer Steg
uns helfen kann. Man denke; nicht nur Haß der Feinde, fondern faft
fämtlicher Neutralen, vielleicht mit Ausnahme von Schweden und der
Deutfchen Schweiz. Dazu der Kriegsanlaß Serbien!! Wir werden in
der ganzen Welt als die Anftifter angefehen. Laßt Euch mal. eine
Brofchüre geben, die in Holland erfchienen tft und einen Weltbund gegen
ben ungehobelten, überall ftörenden Parvenu Deutfchland nach dem
Frieden propagiert, Wenn fie auch trieft von Haß gegen uns, fo liegt
doch Teider viel Wahres darin. In England führt die ganze Nation
den Krieg mit vollfter Leidenfchaft und bulldoggenartiger Energie.
Das tut freilich unfer Volk auch, aber wie kommen wir der Bulldogge
an ben Leib, befonders da noch fieben andere Hunde uns heben. Unfere
Marine ift fehr brav und tapfer, unfere Führung aber entſetzlich. Sch
hatte geftern mittag ein hartes Nenkontre mit Pohl, weil ich das
Anſetzen der vier Torpedoboote für geradezu unfinnig hielt. Heute
früh Fam die Nachricht, daß diefelben abgefchoffen feien.
Charleville, 19. X.
Heute hatte mich der Neichslanzler gebeten zu einer Beiprechung
über mögliche Friedensbedingungen. Sch habe mi nach Möglichkeit
zurücgehalten, indem ich fagte, erſt müßten wir vollen Sieg haben,
ehe man eigentlich darüber fich äußern Fönnte. Doch hoffentlich bald
mündlich mehr. Sch beabfichtige nämlich, nach Kiel und Wilhelmshaven
zu fahren und über Berlin hierher zurückzukehren.
Nach ſoeben eingegangenen Nachrichten Toll es hier im Weſten
424 Kriegebriefe 1914
günftig ftehen. Die Engländer follen einen wenig gejchieften Angriff
auf die nördlich von Lille ftehenden deutichen Truppen gemacht haben
und unter ſchweren Verluſten zurüdgefchlagen fein; die große Ent:
fcheidung hier wird im wenigen Tagen erwartet, Gott gebe ung hier
einen vollen Sieg. Wir haben ihn Bitter nötig. Der gefährlichfte Feind
bleibt England. Sch empfehle den Artikel von Carl Peters zu Iefen, mit
dem ich ganz übereinflimme, bis auf feinen Vorfchlag, die in Deutich-
land zurzeit vorhandenen Engländer fchlecht zu behandeln, Mit unferer
Kriegsführung zur See bin ich nach wie vor durchaus nicht einverftanden.
Die Abfchlachtung der vier Torpedoboote ift geradezu durch völlig falſche
Auffaffung zuftandegefommen. Wir riskieren an Stellen, wo nur
Zufallsglück uns aus der Affäre ziehen kann, und riskieren da nicht,
wo mwahrfcheinliche Erfolge möglich find. Der Mangel an Snitiative
der Flotte unfererfeits flößt den andern Snitiative ein. Müller ent-
fchuldigt aber immer alles.
Charleville, 20.X.
Geftern abend beim Kaifer, der gänzlich unverändert iſt und mit dem
jich gar nicht ernftlich reden läßt, obwohl ich das verjuchte.
Hamburg, 25. X.
„Emden“⸗Müller Hat wieder jechs Schiffe erwiſcht, und die Eng:
länder find wütend; die „Karlsruhe fogar 13 Stück. Ballin freut fich
nicht darüber, weil es die Engländer immer mehr in Wut bringe. Das
mag richtig fein; troßdem freue ich mich darüber. Ich kann nicht anders.
Eharleville, 9. ZL
Meinen Freudenerguß über das fiegreiche Gefecht an der chilenischen
Küfte wirft du aus Trier befommen haben. Leider Fam der Schmerz
über den Fall von Tſingtau hinterdrein. Eine Arbeit von 19 Jahren
ift damit ausgelöfcht. Von mehreren Seiten habe ich fehr freundliche
Zelegramme befommen, u. a. von dem Präfidenten des Reichstags; auch
der Herzog Johann Albrecht hat fein warmes Mitempfinden ausgedrüdt.
Geftern Vortrag bei S. M. zur Zufriedenheit. Befonderes ift hier nicht
paffiert. Man hofft und hofft im Weften. Sch habe das inftinktive
Gefühl, daß das tropfenweife Einfeen nicht viel Erfolg zeitigen wird.
Heut oormitteg lange Konferenz mit Jagow. Er hatte doch Gründe
acgen Botſchafterwechſel in Nam.
Kriegsbriefe 1914 425
Charleville, 13. XL
Sch babe gelitten und leide nach mehr, daß unfere ganze Politik der
letzten Jahre Blödfinn war, und daß die Zeitung des Reichs — von
©. M. hier abgefehen — jo total verjagte und es noch tut. Sch wollte
ja froh fein, wenn ich perfönliches Vertrauen zur hiefigen Armecleitung
hätte. Beurteilen Fann ich dag freilich nicht, meine Nafe will aber durch-
aus nicht heran. ‘Hier ift gar nichte zu berichten, als daß eben alles
zum Stehen gekommen ift. Sm Oſten fliehen 29 deutſche und öfter:
veichifche Korps gegen 43 ruffische. Die Bundesbrüder zählen freilich
nur halb. Die Türken ſchreien ſchon jeßt nach Munition, und wir haben
Feine abzugeben, ganz abgefehen davon, daß Rumänien nichts mehr
durchläßt. Mein Verfuch, Bülow für Flotow nach Rom zu bringen, ift
wegen alferlei Bedenklichkeiten von Jagow nicht gelungen. Nach dem Kriege
gehe ich unter die Sozen und fuche mir Laternenpfähle aus, aber einen
ganzen Haufen. Denn es müßte einer ganzen Hydra zu Leibe gegangen
werden, wenn es beſſer werden ſollte. Sch bange jetzt vor Über:
rafchungen in der Nordfee und kann mit Pohl gar nicht fertig werden.
Eharlenille, 14. ZI.
Hier dauert das fcheußliche Wetter fort, die armen Kerls in den
Schügengräben! Sch glaube, auch die maßgebenden Leute haben jet
die Hoffnung aufgegeben, daß wir im Norden durchftoßen. Wir kommen
aljo nicht nach Calais, wohin ich mit meiner zweiten Marinedivifion
ftrebte. Es ift Partie remife und wird mohl fo bleiben. Aber fprecht
nicht darüber, Beide Teile liegen fich im Norden völlig erjchöpft
gegenüber, Wir haben hier zirfa 100000 Mann im Norden ver:
foren. Neue Korps haben mir nicht einzuſetzen. Im Often fteht es nicht
ganz fchlecht. Wir werden aber auch dahin noch Truppen fchieben
müfjen, teil die Öfterreicher unglaublich find. Ich fprach eben Oberft
v. Marfchall vom Kabinett, der war, wie übrigens allgemein hier, der
Anſicht, daß die anderen unfere Verlufte ficher auch nicht herausbefonmen
und England nicht fo viel Nachfchub ftellen könnte wie wir. Das mag rich
tig fein, aber Partie remife ift ſchlimm, wenn die $lotte nicht helfen kann.
Geftern Famen recht ungünftige Nachrichten vom Schwarzen Meer,
türfifche Munitionsſchiffe torpediert und die Türken ohne Munition!
Mer hält nun am längſten aus?
4206 Kriegsbriefe 1914
Sharlenille, 15. XL
Sch komme foeben von einer Befprechung mit dem Kriegsminiſter.“
Er war diesmal viel Tiebenswürdiger und weniger erratifch. Der
Grund hierfür Tiegt aber wohl in der Gejamtfituation, die er doch auch
für furchtbar ernft anſieht. Übrigens hat die Qualität der englifchen
Truppen doch fehr nachgelaffen. Soviel erfehe ich, daß im Weiten
vollftändig Remis eingetreten iſt und jedes Eleine WVorfchreiten nur
mit riefigen Blutopfern ermöglicht wird. Dabei drückt das Piratenreich
in fo wnerhörter Weife auf die Neutralen, daß wir für manche
notwendige Artikel doch in recht gefährliche Lagen kommen werden,
Salpeter (Pulver), Autoreifen ufw. Er fihien den Ausweg mehr über
Frankreich zu fuchen als über Rußland. Ich halte das für ganz un-
ganabar, da Rußland und Frankreich fich in verbündetem Zuftand
befinden. Hier iſt andauernd raubes, ſcheußliches Wetter, heute vor-
mittag fchneite e8 ganz gehörig, Stimmung beim Kaifer und um ihn
herum fehr gedrücdt. Sch forge mich um die Flotte, England wartet
wohl bejjeres Wetter ab, dabei ift es unmöglich, mit Pohl zu fprechen.
Sharleville, 17. XL
Gott ſei Dank haben wir im Often in Hindenburg und Lubdendorff
toirflich große Führer, und das wird uns vor dem Schlimmiten be
wahren. Hier im Welten ift das leider nicht in dem Maße der Fall, Ich
ſprach geitern mit dem fehr Elugen und verftändigen ©., der das, was
ich nur als Emdrud meiner Nafe wiedergeben Eonnte, als fein wohl
erwogenes Urteil ausfprechen konnte. Seht ift eine „Hilfe“ hier ein-
getroffen, von der ©, viel hält, doch diefe Andeutungen nur ganz vers
traulich; vielleicht haben fie fpäter für mich Wert. Im Auguſt find
unerhörte Fehler gemacht, Feine Organifation im Bureau des General:
tabs und fpäter Kopflofigkeit, die, wie jeßt hier allgemein eingefehen
wird, zu dem unnötigen und falfchen Rückzug führte. Dadurch ent-
ſtand fchließlich die jegige Lage, aus der uns aber wirkliche Führer
berausbringen Eönnen, denn die Truppen find ausgezeichnet. Für bie
Ichweren „Berthas“ müffen wir warten, bis wieder Pulver genug heran⸗
gefchafft ift. Wir haben feit Beginn des Feldzuges alles von uns
kontraktmäßig vorgefehene Pulver der Armee gegeben, dito Zeug, Pro-
viont und viele andere Materialien.
Heute abend Bin ich mit Admiral v. Pohl u S. M. eingeladen.
Kriegsbriefe 1914 427
Mir werden wohl auch Eiferne Kreuze befommen, die ich gar nicht
regen möchte. Meine Beurteilung unjerer Führung in der Nordſee
und im Hofkriegsrat wird übrigens von T. und von U. und €.
abſolut geteilt.
Charleville, 18. XL
Alſo wie ich mir dachte, bin ich geſtern „gekreuzigt“ worden und
obendrein Erfter Klaſſe. Freude hatte ich gar nicht daran, was wäre
ich unzer anderen Umftänden ſtolz darauf. Ich Eonnte mich auch nicht
enthalten, S. M. zu fagen, das wäre doch gar nicht verdient, worauf
S. M. meinte, wir hier ın Charleville hätten es ja alle nicht verdient. Sch
dachte mit Caprivi, „die Orden fommen mit dem Alter wie die Kinder-
krankheiten“. Wie babe ich nach 1870 jeden beneidet, der dag Kreuz
fih verdient Hatte, und jebt mag ich es gar nicht tragen, denn ich
glaube nicht, daß unfere Flotte etwas macht, und wenn fie dazu
fommt, wird es ungeſchickt. Sch blide gefpannt nach dem Dften,
möchte doch ein ſtarker Erfolg gelingen! Er würde ficher vernichtend
werden, wenn wir nicht fo unterlegen an Zahl dort wären, jo ift nur
auf einen guten Erfolg die Hoffnung zu feßen. Ganz fo ſchwarz wie
L. fehe ih noch nicht. Wenn nur der Kopf anders wäre, die Nation
iſt glänzend und demzufolge Teuppe und Schiff. Die Schiffe ficher
nicht minder, wo fie auch nur einzeln haben handeln dürfen, haben fie
fich glänzend berommen, aber Führung 3 la 28. 8. und Hoffriegsrat
ſchrecklich! Die Engländer haben jet Angſt vor Zeppelinen, vielleicht
nicht mit Unvecht. Sch kämpfe hier, wo ich beranfomme, für ben
Standpunkt, Mefler gegen Meifer, aber für Schikanen bin ich nicht.
3% babe heute bewirkt, daß ein alter englifcher Admiral, der interniert
wurde, nad) Italien herausgelaffen wird. Auch einzelne Fliegerbomben
find falfch, die bleiben odiös, wenn fie eine alte Frau totfchlagen,
und man gewöhnt fich an fie. Könnte man London an dreißig Stellen
in Brand bringen, fo tritt das Odiöſe vor dem Gewaltigen zurück.
Charlenille, 19. XL
Mir müffen ung darüber klar werden: will England den Krieg
aufs Meffer gegen uns oder nieht? Kommt man zu der Überzeugung,
daß es rückfichtslss auf unfere Vernichtung ausgeht, dann müſſen
428 Kriegsbriefe 1914
auch wir ſchonungslos das Mefjer gebrauchen, wenn man an fein
Volk glaubt und mean nicht ein Verbrechen an feiner Zukunft be=
gehen will.
Charleville, 21. XL
Es befuchte mich ein amerikanifcher Sournalift, der mir von Erz
berger empfohlen worden war, dann der ungarifche Minifterpräfident
Graf Tisza. Der Amerikaner war mit feiner Regierung wenig zu=
frieden, ſie würden, meinte er, für Tſingtaus Fall zu zahlen haben.
Er deutete an, unfere Diplomaten hätten Fein Verftändnis für die
Wirkung der Preſſe und ebenfo nicht für transatlantifche Verhäliniffe.
Graf Tisza war ganz zuverjichtlich, bedauerte nur, daß wir nicht ein
paar Korps mehr nach Polen geſchickt hätten. Ich muß auch fagen,
wenn wie hier nur ftehen bleiben wollen, und fo feheint ed, dann
hätten wir auch ein paar Korps entbehren Eönnen, und der Zufammen-
bruch der ruffiichen Armee war ficher.
Charleville, 22. XL
Es wird den Leuten in der Milhelmftraße ſchwer gelingen, mich
als Sündenbock hinzuftellen, dazu wiſſen zu viele Leute das Verfahren
de8 Auswärtigen Amts im Juli, das wahnfinnige Hereinfchlittern
in den Krieg! Faſt gefährlicher find die Leute, Pohl an der Spitze,
welche die Urjache der Inaktivität unferer Flotte auf die Typen:
fragen der Schiffe und auf die Technik werden abjchieben wollen,
weil dahinter der Kaifer ftehen würde. Doch das wollen wir alles dem
lieben Herrgott überlaffen. Das Gefühl, daß ich in den 50 Sahren
meiner Dienftzeit meine Schuldigfeit getan habe, und beionders in
den letzten 18 Jahren, kann mir Feiner nehmen.
Sch möchte U. noch einmal fagen, daß ich durchdrungen von der
Notwendigkeit eines Zollvereins mit Öfterreich wäre, ich habe fchon feit
Luxemburg hierfür gewirkt. Über alle Bedenken müßte man hinweg:
gehen. Graf Tisza macht einen bedeutenden Eindruck, während man
dem Grafen Berchtold, den ich in Berlin. kennen lernte, die Nullität
auf der Stirne ablefen Eonnte.
Charleville, 23, XL
Graf Spee hat nur noch wenig Munition, ein längeres Gefecht
Pann er kaum aushalten. Es wäre ein Wunder, wenn er fich Birch
Sriegsbriefe 1914 429
fchlüge. Ganz Amerika arbeiter für England und Frankreich, und
wenn wir ein paar Kohlen bekommen, ift großes Gefchrei. Es iſt
eine niederträchtige Ungerechtigkeit gegen ung, aber wir würden die
Sache ſchon machen, wenn die Kabinettswirtfchaft nicht wäre, Heute
abend bin ich wieder bei ©. M.
Charleville, 24. XL
Zum Reichstag komme ich nun nicht, Capelle hat wohl recht,
daß ich in eine zu fchwierige Lage dabei kommen würde, Er als mein
präfumptiver Nachfolger kann dabei gleichzeitig jein Debut machen.
Er jchrieb mir übrigens heute zum erften Male, er hätte den Eindrud,
daß die Engländer etwas weich würden, Gott gebe es, aber windelweich.
Charleville, 25. XL
„Garnichts Neues vor Paris.” Alles blickt noch geipannt nad
Oſten. Sicher zu überjehen ift die Lage dort nicht, weil Hindenburg
das Hauptquartier ſchneidet. Die Entſcheidung kann fich noch einige
Zage binziehen, bis die Pommern eingreifen. Für ung iſt ein größerer
Echee nicht anzunehmen und eine Kataftrophe für die ruffifche Armee
durchaus im Bereich der Möglichkeit. Die Ruſſen ziehen freilich auch
Kräfte von allen Seiten heran. Möge dem Eühnen Feldheren doc)
das Glück hold fein. Sch kann mit der Tätigkeit unferer Flotte
unmöglich zufrieden fein; — ich meine natürlich nicht die einzelnen
Schiffe, die haben alle bis jetzt ihre Schuldigkeit getan, wenn fie
Gelegenheit hatten — die beften Chancen haben mir nerpaßt, und
falls die Flotte zum Kragen kommt, wird es ungeſchickt gemacht
werben. Sch habe Müller dringend T. als Chef des Stabes empfohlen
und einen anderen für ihn. Pohl bekomme ich aber hier nicht fort.
Mir ſprechen Dienftliches überhaupt nicht miteinander, damit aber
bin ich praktiſch ausgefchaltet.
Charlerille, 26. XL
Heute zum Frühſtück bei S. M. Ich hatte Gelegenheit, zu Tagen,
wir müßten der Tatſache ins Geficht fehen, daß England aufs Ganze
ginge, dernzufolge eventuell ftarke Mittel anwenden, die Ubootsblodade,
S. DM. ging darauf ein. Geftern abend waren Havenftein (Reichs:
dan) und Helfferih (Deutfche Band) nebit Pohl zum Eifen dort.
430 Kriegsbriefe 1914
Dabei ift das Gejpräch auch hierauf gekommen, und S. M. foll ſich
ablehnend hierüber ausgefprochen haben, unteritüßt von Walentini und
Zreutler. (Schwache halbe Leute.) Heute nach dem Frühſtück widerfprach
Valentint nicht. S. M., Valentini und ich waren in einer Ede, er
meinte freilich, das wäre eine äußerte Maßregel.
Charleville, 22. XI.
Nun geht aljo die Schreiberei wieder los, In Frankfurt mußten
wir Coupe wechſeln und in Met umfteigen. Von Metz hierher ging
es dann durch, Wie der Schaffner „Scharleville, ausiteigen” rief,
war mir nicht übermäßig fröhlich zumute. Unſer Flottenausflug nach
Nordweſten Soll erit genauer unterfucht werden, ehe ein Urteil gefällt
merden könne. Gegen Ingenohl wird vorausfichtlich Feine Flare Hand⸗
babe Sich ergeben, vielleicht gegen mindere Leute, fo daß eine größere
Änderung nicht erreichbar fein wird, Die Schwierigkeit liegt ſchließ—
lich darin, daß der Kaifer mit dem Grundprinzip eben einveritanden ift
und es jo haben will. Sch ſtehe von den Ülteren ganz allein mit
meiner Anſicht. Die Notwendigkeit, auch fpäter in Flandern zu bleiben,
Scheint freilich Durchzudringen.
Charleville, 23. XIL
Sch hatte Gelegenheit mit S. M. über die Nordſee zu —
Er hatte ſchon den Kronprinzen geſprochen, der dabei geweſen
war, und nach deſſen Schilderungen meinte er, eg wäre ein Wun⸗
der, daß den großen Schiffen nichts paſſiert fei, fo viele treibende
Minen und lboote hätten fie gefehen. Unzufrieden war er, daß die
Zorpeboboote nicht angegriffen hätten. Dean Kann die ganze Lage
aber nicht voll beurteilen, wenn man die Tagebücher nicht durch:
fiudiert hat, und dieſe find erft eingefordert. Daß der erforderliche
Spiritus nicht dahintergefteckt hat, Bann man fühlen, das bildet aber
Feine Unterlage. Sch hatte dann Gelegenheit, über Flandern zu fprechen
und mar erfreut, daß er im Ganzen meiner Anficht war,
Charleville, 24. ZIL
Ich hatte beute noch einmal Müller meine Anficht von unferer
Seefriegsfübrung auseinandergejeßt, der er nicht miderfprach, in ge
wiſſem Gegenjag zu früher, Im Hinblick auf das letzte Unternehmen
werden im Auftrag vom Kaiſer noch einige Fragen geftellt merden,
Kriegsbriefe 1914 431
die erft abgewartet werden müſſen. Alles energifche Vorgehen fcheitert
immer wieder.
Soeben komme ich von der Weihnachtsfeier in der prosiforifchen
Kapelle, die jehr hübſch ausgefchmücdt war. Un langen Tafeln die
Geſchenke und die Leute, vorn ein etwas erhöhter Plaß mit Zeppichen
für S. M. und die oberſten Herren, davor die Krippe, nicht fehr
groß, aber hübſch ausgeführt, Dann Fam Göns in feldgrauer Uniform
und dahinter mächtige brennende Chrifibäume. Zuerft wurden drei
Strophen gefungen: Ich bete an bie Macht der Liebe. Dann fprach
Göns kurz und gut. Pleſſen im Namen der Armee dankte dem Katfer
und brachte drei Hurras. S. M. erwiderte einige kräftige Worte,
ging dann durch die Reihen, war recht munter und fehr Leutjelig.
Seder fland vor feinen Play und konnte fich bedanken, was ich
dann auch tat. Am Schluß drei Strophen: Stille Nadıt, heilige Nacht.
Das Ganze war würdig und feierlich.
Sharlenille, 25. XI,
Bemerkungen, bie von vielen Seiten aus Deutfchland an mich
gelangen, drücken mich immer tief herab in meiner Stimmung. Die
Verfaſſung, Yin der lediglich ber Reichskanzler polinfch verantwortlich
ift, macht mich praftifch machtlos, wenn es fich nicht um Refjort-
fragen handelt, und die gibt es im Kriege nicht. Generalſtab und
Admiralftab find die Heeresleitung und unterftehen direkt dem Kaiſer.
Letzterer will den Marinekrieg jo haben, wie er geführt wird und
nicht anders, Für die Fahrt der Flotte nach England bat er Pohl
dag Kreuz Erfter Klaſſe gegeben, das charakterifiert die Sitwation. Daß
ich Dad Prinzip nicht für richtig halte und die Perſon nicht jehr
gerignet, nußt mir nichts, denn es fehlen mir die Unterlagen dafür,
daß ich vecht habe, ganz abgejehen davon, daß mir das fpeziellere
Material vorenthalten wird. Roon befand fich 1870 in gleicher Lage,
ebenjo Falkenhayn. Lebterer fah den Mißerfolg Fommen und Fonnte .
nichts tun Ende Auguft. Stein war 1813 ein völlig freier Dann und
obendrein formell im Dienſt des Zaren. Scharnhorft war auch machtlos
dagegen 1813, bis er Stabschef von Blücher wurde. Blücher ſtand aber
an ber Spike des Heeres. Für Kriegsverwendung bin ich der Marines
Organiſation zufolge Fein Sachverfländiger, und deshalb die Kabinetts-
frage zu flellen, würde mir nur einen fchlechten Abgang ſchaffen. Bloße
432 Kriegsbriefe 1914
Vorjtellungen aber dei S. M. würden meinen Aufenthalt hier nur noch
unerträglicher machen, als er an Sich ſchon ift. Selbſt wenn ich die
Bedenken nicht hätte, mich felbft zum Flottenchef zu empfehlen, würde
SM. mich gar nicht nehmen. Sch habe das feinerzeit mit Pleffen
befprochen. Der Vorſchlag bzw. das Anerbieten müßte doch auch
von S. M. kommen und nicht von mir. Sch würde doch SM.
meine eigenen Bedenken nicht verjchweigen dürfen, ebenfowenig, wie
ich e8 bei der Übernahme des Keichgmarineamts 1897 getan habe, und
das wäre ein Widerfpruch mit der Selbſtempfehlung.
Sharleville, 26. XI.
Beten Dank für deinen intereffanten Tangen Brief, den ich
noch gar nicht recht beantwortet habe. (Enthielt Anregung von
amerifanifcher Seite, Noofevelt ins Große Hauptquartier einzuladen).
Für einen folchen Schachzug — Noofevelt einzuladen — ift unfere
leitende Kafte viel zu jteifbeinig. So etwas von unbrauchbaren Diplo:
maten ift wirklich noch nicht dageweſen. L. ſchickte mir den Brief
eines Amerifaners über die Gründe, weshalb die Stimmung in Amerika
und bejonders in der amerikanischen Preſſe für uns jo yngünftig jei.
Einen wefentlichen Zeil der Schuld maß er der umfererfeits geübten
Behandlung amerikanischer Journaliſten zu. Er verglich die urbane, fich
auf gleiche gefellfchaftlihe Höhe ftellende Haltung der ruffifchen,
englifchen und franzöfifchen Diplomaten mit den fteifen ariftofratifchen
Ablehnungen der unfrigen. Die Herausjendung eines fo formlofen
Schaumfchlägers wie Dernburg wäre nun wieder ein großer Fehler
in entgegengefeßter Richtung; geiftig und formeli auf der Höhe ftehende
Gelehrte oder font prominente Perſonen, die würden gewirkt haben.
Alles muß von oben herab angeordnet werden, die vorhandenen Kräfte
werden nicht flüffig gemacht, im Gegenteil, jede felbftändige Regung
wird unterdrückt, jo ift es ja dem ganzen Konſularkorps feit Sahren
. ergangen. In gleicher Richtung verfährt man ja auch gegen mid).
Ich bin überzeugt, daß meine Unterredung mit Wiegand politifch nur
nüßlich fein kann, trotzdem würde man auf der ganzen Linie gegen
mich losgefchlagen haben, wenn meine Unterredung nicht durch) Zimmer:
mann gebilligt worden wäre. Trotzdem weiß ich noch nicht, ob man
nicht via Pohl, den fie ganz in der Hand haben, mie Unannehmliche
feiten bereiten wird.
Ariegsbriefe 1914 433
Unfere Erfolge in Rußland Eönnen nicht groß geweſen fein, da wir
garkeine Gefchüge genommen haben. Serbien ift von den Hfter-
reichern faft ganz geräumt, und unfere Hoffnung, Munition uf. nach
Konftantinopel zu befommen, ift fehr gering geworden. Die Rumänen
laffen von Rußland aus alles durch und von ung nichts. Das ift
ſchlimm; aber troß allem feße ich noch große Hoffnung auf Hinden-
burg, und die Kraft unferer Armee ift nicht im mindeften erfchüttert.
Aufs Aushalten kommt es an.
Charleville, 28. XIL
Wir haben heute das rechte fcheußliche Charlevilfer Wetter, Regen,
Mind und Kälte und dabei für mich die Unmöglichkeit, mich für
die große Sache betätigen zu Eönnen, nicht einmal mit Ratſchlag für
den Admiralſtab. Es ift namenlos hart für mich, hier auszuhalten.
Die einzige Chance, die ich noch habe, wenn ich fie habe, ift, bei
etwaigen Friedensfragen herangezogen zu werden, aber das liegt fo
fern, und auch da wird alles mich abdrängen.
Charleville, 29. XIL
Wenn Hindenburg nicht doch noch hilft, To fieht es Schlecht aus.
Hier fteht alles, und leider fehlt e8 an Munition, das ift ſehr
ſchlimm und eine merkwürdige Verfäumnis des Kriegsminifteriums,
das offenbar bureaufratifch ftark verfilzt war. Wir haben feit Anfang
des Krieges unfere großen Lazarettvorräte und Munitiongbeftellungen
an die Armee abgegeben, es war aber natürlich nicht ausreichend.
Charlevilfe, 31. XIL
Das furchibare Jahr 1914 geht zur Nüfte, und mas wird dag
Jahr 1915 bringen an Hoffnungen und Enttäufchungen! Ich kann
mich der Befürchtung nicht erwehren, daß beim Friedensfchluß unfer
Volk nach den ungeheuerftien Anftrengungen und Leiſtungen ebenjo
enttäufcht fein wird über die Nefultate, wie vor 100 Sahren. Sch
will aber fchon zufrieden fein, wenn wie nur die Fähigkeit, beffer die
Möglichkeit behalten, ung wieder in die Höhe zu arbeiten. Solange
ich lebe, wird Schmalhans Küchenmeifter bleiben, ich meine das nicht
für ung, fondern für unfer ganzes Volk. Ich las heute in der „Daily
News“ vom 12. Dezember einen Artikel „Lord Fifher und v. Tirpitz“,
der natürlich fehr viel Falfches enthält, aus dem aber doch hervorgeht,
Thrpitz, Etinnerungen 28
434 Kriegsbriefe 1915
wie man lediglich mich als den Leiter unferer Seefriegsführung anz
fieht, ebenfo wie es die Gefchichte tun wird. Sch habe die Flotte
gefchaffen und habe fat nichts zu fagen bei der Verwendung, eine
fehrecdliche Situation für mich. Dabei ift Mar, daß vorwiegend das
Gefhäft von Müller (Stellenbefegung) Bankrott erlitten hat, fonft
hätte die Flotte Großes geleiftet. Das ficht man ja an jedem Einzel
auftreten unferer Schiffe.
1915
Charleville, 1. J.
Heute Kirche, Predigt etwas fehr rhetorifch und mir kaum etwas
gebend. S. M. mich gnädig begrüßt, nachher auf der dreckigen Chauffee
nach Hirfon Vorbeimarfch der Landwehr, Landftürmer und der Stabes:
wache, ich glaube gewiß 5000 Dann. Dann war Hauptquartier und
Dffizierforps aufgebaut, und S. M. ſprach mit jeder Gruppe etwas.
Neujahrsgratulation von Pohl an Müller: „Schügen Sie mich auch
ferner im neuen Jahr“ (d. h. natürlich gegen mich). |
Über U.s Brief fchreibe ich wohl noch. Er irrt fich aber. Es ift
eine fefte Stuckmauer um den Kaifer herum, durch die ich nicht
bindurchfomme, ganz abgefehen davon, daß ich nicht mehr die Nerven
für einen großen Kampf habe. Anderung der Kabinettswirtfchaft kann
nur eintreten nach einem großen Unglück, und davor wolle Gott
Deutſchland bewahren. Im Frieden nachher werden freilich die Geifter
aufeinanderplaßen.
Charleville, 2.L
Die Schiht um den Kaifer iſt zurzeit noch undurchdringlich. Es
ift eben die Eigenart vom Kaifer, er will feinen Entfchluß faffen und
feine Verantwortung tragen. Er foll zu Müller fchon mehrmals
gefagt haben: ‚nun müffe aber die Flotte mal etwas machen,” aber
zum Entfchluß ift er nicht zu bringen, und mir gegenüber weicht er
einfach aus, obgleich ich ihn harangiere, wo und wann ich nur kann.
Müller hat eine große Verantwortung vor unferem Lande, aber ich
glaube, er weiß es kaum. Er beftärft den Kaifer, fih nur an den
ihm untertänigen Pohl zu halten. Dagegen hilft Peine Gewalt meiners
feits, e8 fei denn bei einem großen Unglück.
Kriegsbriefe 1915 455
Charleville, 3.1.
Sch teile deinen Glauben an unfer Volk, aber die Gefahr Tiegt
nahe, daß mir erft durch eine Revolution durchmüfjen, an Stelle der
Evolution.
Charlevilfe, 4. L
Pohl hat fich jet zu meiner grundfäßlichen Auffaffung unferer
Kriegsführung befehrt. Sch hoffe alfo, daß es jetzt beffer geht. Nur
das bleibt übrig: „Was du von der Minute ausgefchlagen uſw.“
und bier handelt es fich nicht bloß um Minuten, fondern um fünf
Monatel Wenn der Kaifer nicht direkt von Müller beeinflußt wird,
muß es jebt vorwärts gehen. Sch glaube, die Verhältniffe drücken
jeßt aber doch zu ftarf, die Flotte muß heran. Möge unfer Herrgott
ihr helfen. Sm günftigften Falle bringt fie die Entfcheidung, aber
damit will ich gar nicht rechnen. Ich will zufrieden fein, wenn fie etwas
mit beiträgt, uns den Frieden zu erfämpfen. Nadelftiche reichen hier⸗
für nicht aus.
Charleville, 5. L
Am Vormittag habe ich unfer neues Vorgehen etivas bearbeitet
und Einigkeit mit Pohl endlich erzielt. Es ſoll jetzt fo gemacht
werden, wie ich in Koblenz und fchon in Berlin gefagt hatte. In
Berlin hatte ich aber noch auf eigene Snitiative von Ingenohl
gerechnet, in Koblenz drängenden Charakter gegeben. Charakteriftijch
für die Wirtfchaft von Müller und Genoffen: die Vorfchläge gehen
in Geftalt einer Denffchrift. Das würde ich in Pohls Stelle einfach
nicht tun, bzw. Vortrag halten und Denkfchrift da laffen, wenn der
Kaifer darauf befteht. Gefchieht das nicht, fo nimmt Müller und
Genofjen plus Bethmann die Entfcheidung in die Hand, aber ich
rechne darauf, daß die Lage im ganzen drückt,
Charleville, 8. J.
Soeben war ich eine Stunde beim Großherzog von Baden. Der
Kanzler hat mich ſchriftlich aufgefordert, ihm meine Anſicht über die
Zukunft Belgiens ſowohl von meinem Reſſortſtandpunkte, als vom
Standpunkt der Zukunft Deutſchlands in einem Schreiben niederzu⸗
legen. Das iſt mir angenehm, denn nun kann ich mich frei infor⸗
28%
436 Kriegebriefe 1915
mieren, ohne gleich in den Verdacht zu Fommen, gegen den Kanzler zu
infpirieren. Capelle befommt heute den Auftrag, mir eine Denk:
Schrift vorzubereiten und herzufchiefen. Sch felbft werde noch nach
Brüffel und Flandern fahren, um die Frage an Ort und Stelle zu
ftudieren, auch Krupp pp. heranziehen. Zollgrenze darf m. E. nicht
fein. Die NRheinländer denken am zeitweilige Lifin!). Iſt der einmal
eingerichtet, dann ift er ſchwer zu befeitigen. Aus Stalien fchlimme
Nachrichten, es will auf Raub ausgehen und zunächit das Trentino
haben, aber P’appetit vient auch für Rumänien. O heiliger Hindenburg,
hilf uns bald, wir haben es nötig. Immer noch fehlt hier Munition,
Mir verlieren täglich Menfchen und können nicht wieder fchießen.
Charleville, 9. L
Vorläufig unterhandelt Müller noch mit Bethmann darüber, eigent-
lich ein haarfträubender Zuftand! Sch denke, etwas Luft wird Ingenohl
wohl gelaffen werden, aber ich habe Fein Vertrauen mehr zu ihm.
Mit Müller hatte ich noch eine ziemlich ſcharfe Auseinanderfegung,
bei der er fehr gereizt und ich fehr ruhig war. Spaßhaft war die
Schriftliche Zuftimmung von Pohl auf meine Zuftimmung zu feinen
Ideen. Er hätte diefe Zuftimmung mit „Genugtuung“ begrüßt, nach-
dem er und Müller die feit fünf Monaten bekämpft hatten!! Aber
Schluß darüber. Meine Hoffnungen find doch nur gering. Mit ihrem
Neujahrswunſch hat J. recht. Mein, meiner Überzeugung nach gut
gelungenes Lebenswerk und diefe Nubanwendung, es ift fchreclich
für mich! Von vornherein waren Chancen, aber es waren doch eben
nur Chancen. Am 16. Dezember aber hatte Ingenohl das Schidjal
Deutjchlands in der Hand. Sch gerate immer in eine innere Aufregung,
wenn ich daran denke.
Ein früher bei ung ausgebildeter rumänifcher Seeoffizier grüßt in
einem Briefe feine alten Kameraden und ſchreibt dabei, er hätte oft
für Deutschland gefprochen, es nüßte alles nichts, in ein paar Wochen
ginge e8 gegen Dfterreich los, dazu Stalten in gleicher Verfaffung !
Sch glaube, es find fchon ultimatumähnliche Drohungen ausgeftoßen.
Dabei ift die Wut über unfere Bundesgenofjen bei unferen Ofttruppen
groß, fie wären nicht mehr vorwärts zu bekommen,
) Zwiſchenzollgrenze (Chinefifch).
Kriegsbriefe 1915 437
Eharleville, 10.1.
Der Anlauf, zu dem ich und Wefterfamp Pohl gebracht haben, ift
praktiſch in nichts zerfallen. Zweifellos haben Müller und Bethmann
die Sache abgefartet und den Kaifer vorher inftruiert. Statt deffen
find aber nun doch Konzeffionen zu machen, halbe Maßnahmen an:
georönet, die m. E. wenig nüßen können, dabei aber große Gefahren
in fich fchließen, es ift fchrecklich. Freilich meine ‚„Unterredung‘ Fönnen
fie nicht aus der Welt fchaffen, und die drückt auf die Dauer. Aber
mit diefer einen Maßregel ift ja doch gar nicht genug getan, fie würde
ja nur dann voll wirkſam geworden fein, wenn wir nach Calais
gekommen wären. Von Flandern aus ift es fehr viel ſchwerer, deshalb
muß außer diefer Maßnahme auch die Flotte heran, und das ift
zurzeit nicht zu erreichen gewefen. Sch warte nun Hopmann ab, um
weiter zu operieren. Dabei muß natürlich zugeftanden werden, daß
in dieſem Augenblid, wo Italien und Rumänien auf der Kippe ftehen,
ein Echee von Ingenohl gefährlich ift, während man hier immer noch
auf Hindenburg gegen Rußland rechnet, der nur durch das Saumetter
zurzeit abgehalten wird.
Charleville, 12. I.
Sch las geftern in der „Frankfurter Zeitung” aus einer Rebe, die
Lord Rofeberry in Dalleith gehalten hat: „Wir ftehen zwei Tatſachen
von größter Bedeutung gegenüber: Erftens, daß die britifche Nation
auf immer unterworfen wäre, wenn fie nicht dis zum legten Schilling
und bis zum legten Mann Fämpft, und zweitens, daß das beutjche
Volk als die größte Militärnation der Welt fich nie wieder erheben
würde, wenn e8 gefchlagen werde.” Diefe Worte charafterifieren m, €.
tatfächlich die Lage, und aus diefer Lage heraus ift Fein Ende abzujehen.
Geftern abend beim Kaifer, wo ein Generalftabsoffizier von Hinden⸗
burg eingetroffen war mit einem Brief für S. M. Wird man wieder
aus Rofalintereffen dasfelbe machen wie feinerzeit? Was haben wir für
fürchterliche Verlufte gehabt damals ohne jeden Gewinn. Der Herr
erzählte übrigens, daß die Ruſſen für Nikolai Nikolajewitſch durchs
Feuer gingen und fie bisher nur gute Gewehre fich gegenüber gehabt
hätten, mit anderen Worten, daß die Kraft der ruſſiſchen Armee nicht
gebrochen fei. Er fragte den Kaifer, was die Flotte machen würde?
Mann hörte die Antwort vom Kaifer: England wolle fie ftets verführen,
438 Kriegöbriefe 1915
aber das täte fie nicht. In Wirklichkeit ift die neue Anweiſung wohl
dank des Einfluffes von W. und 3. befjer geworden, als ich nach den
Auslaſſungen von Pohl fürchten mußte. Ingenohl hat jetzt fo viel Luft,
daß, wenn er nur wirklich will, die Sache vorwärts gehen muß.
Hoffentlich beftraft der liebe Herrgott nicht das Zögern. Dein Drängen
hat doch ſchließlich etwas genüßt. Freilich einen Führer kann ich nicht
fchaffen. Ein anderer Generalftabsoffizier, Oberftleutnant Hentfch, Fam
von Serbien und erzählte von dem dortigen öfterreichifchen Zufammen=
bruch, Tobte die ferbifche Armee fehr und war der Meinung, daß
Rumänien und Stalien fich nicht mehr lange halten laffen würden, das
weiß wohl auch Hindenburg, daher der energifche Drud, Wird man
endlich zu vollen Entfchlüffen Eommen? Sch glaube, damals wäre bie
Entfcheidung anders ausgefallen, wenn fie weniger unter Lofalinterefjen
geftanden hätte. Oberftleutnant Hentfch lobte die öfterreichifche Marine
auf der Donau, in Pola dagegen (Admiral Hauf) ftünde man ganz
unter der italienischen Hypnofe — Liſſa und Tegetthoff feligen An-
gedenkens. Verwandtſchaft von Soffre und French feftgeftellt. Die
Möglichkeit, daß wir deutfche Truppen nach Serbien fchicten, Liegt
leider nicht vor. Das Preftige Ofterreichs auf dem Balkan fcheint end»
gültig zu finfen. Die Mannfchaften, namentlich Deutfche und Ungarn
aus Kroatien recht gut, fie wollten aber durchaus von uns geführt
werden, da ihre eigenen Offiziere verfagen. Bedenklich find die tſchechi⸗
ſchen Mannschaften.
Charleville, 14. 1,
Es gehen große politifche Dinge vor, es feheint faft fo, als ob wir
Ofterreich mehr oder weniger fallen laſſen müffen oder es zwingen,
Stüde von feinem Leibe herzugeben als Futter für die Aasgeier, die es
umlauern.
Hopman hat mir heute noch viel von der Flotte erzählt, aber
keineswegs ganz erfreulich. Tritt dort nicht eine Radikalkur ein, fo
wird nichts daraus, und wir würden England heute fchlagen! Statt
beifen gehen ihre ganzen Gedanken (die Admirale) in die Technik, die
nach allen Richtungen hin zu wünſchen übrig ließe und fie dadurch
binderte, etwas zu leiſten. Aber auf Uboots- und Luftkrieg wird
gedrängt, fonft Fönnte das bdeutfche Volk verftimmt werden über bie
Untätigfeit ber Flotte. Die Flotte iſt da, und der Xegetthoff fehlt.
Kriegäbriefe 1915 439
Es ift zu traurig. Dazu wird unfere Gefamtlage doch recht ernft,
troß des Fleinen Erfolges bei Soiſſons, der dem General von & fogleich
den Pour le mérite eintrug. Übrigens hat fich bei diefer Gelegenheit
doch gezeigt, daß einem gut angelegten Sturmangriff unferer Truppen
die Sranzofen nicht widerftehen. Es waren Brandenburger von der 1870
fo berühmten 5. Divifion.
Eharleville, 15. L
Bei den Wilfenden ift es hier auch recht ernft geworden. Große
Munition mangelt und Fann nicht ſchnell genug gefchafft werden.
Sch werde mich entjchließen müffen, noch weiteres herzugeben, obgleich
fofort Mangel da wäre, wenn Ingenohl ein Führer wäre. Jetzt will
er zwei Geſchwader nacheinander nach Kiel ſchicken zu notwendigen
Ausbildungszweden. Es ift unglaublich, und dabei wird er immer mehr
„gebottelt”. Eine Flotte ift eine ebenfo fchlechte Defenfiowaffe wie die
Kavallerie, vielleicht noch mehr. Alle Vorteile in der Nordjee hat ber,
der die Snitiative hat. Man denfe z. B. auch an die „Emden und
die „Karlsruhe. Der Krieg der verpaßten Gelegenheiten zu Waſſer
und leider auch zu Lande!
Der Frieden wird fchlecht, wenn wir Antwerpen und Flandern nicht
bekommen, da Tiegt die einzige Kompenfation für alle fonftigen Verlufte
in der Welt. Soeben hatte ich Befuch von Monfieur und Madame ©.,
die mir anboten, durch einen Verwandten in England Nachrichten über
Wolf einzuholen. Sch dankte fehr, aber es wäre nicht nötig. Beide,
namentlid) Madame, waren fehr liebenswürdig. Wir haben auch etwas
politifiert; Nichelieu und Colbert hatten recht, Louis XIV. hat den
größten politifchen Fehler gemacht, der Frankreichs Niedergang fchließs
lich verfchuldete. Napoleon I. hatte in feiner Grundidee recht, und auch
jest, wenn man vom Grenzſtreit abfieht, wären die Interefjen Frank:
reichs und Deutfchlandg folidarifch uf. uſw. Er Iehnte nicht ab,
Madame meinte, das wäre ganz richtig, aber jet müßten wir eben
fechten, dem ich natürlich zuftimmte. Es ift ſchade, daß der Verftand
fo wenig die europäifchen Völker regiert, abgefehen von England, das
keine Seele hat. Ob es fich verrechnet hat, werden wir fehen. Die
Neutralen beugen fich alle feiner Macht. Für ung ift in der Beziehung
auf nichts zu rechnen als auf ung felbft. Ein mächtiger, gewaltiger
Bau und nur eine Hydra obendrauf.
440 Kriegsbdriefe 1915
Charleville, 16. 1
Capelle telegraphierte von neuem, ich müßte hier bleiben, Brief folgt.
Die Situation fiheint fehr zu drängen. Es fcheint doch fo, daß das
Keichsamt des Innern fich ſehr verrechnet hat mit feiner Schätung
der Getreidevorräte. Wenn jet nur nicht Flucht auf der ganzen Linie
Fommt. Seht will Ballin nun mit einemmal energifche Seefriegs-
führung, nachdem er bisher ſtets mit dem anderen Klüngel gefchrien hat:
‚tur den Feind nicht reizen.“
Sch bin froh, daß Retzmann von einer Aufgabe zurückgekehrt ift,
die nicht auf Wahrfcheinlichkeit, fondern auf Dufel berechnet war.
Sch hatte Sorge, daß die Sache ſchief gehen würde, wie mit den Torpedo
booten. Die Stimmung bei den Neutralen wird dauernd fchlechter,
ber Bluff von England ift zu groß.
Charlevilfe, 17. L
Weshalb Capelle fo fehr darauf drängt (zweimal telegraphifch), daß
ich hier bleibe, ift mir immer noch nicht klar. Sch kann mir gar nicht
denken, daß die Getreidefrage fo ſchlimm fleht, und einen anderen
Grund weiß ich nicht. Da ich jedenfalld am 27. Januar hier fein
muß, jo iſt meine Flandernreife zunächit in Frage geftellt, Sch habe
die Hoffnung auf J. und die Flotte faft aufgegeben, Seht bleibt
vielleicht die Ubootsfache. Wir müffen aber England durchaus ans
Leder, font machen wir einen Frieden, der unjere MWeltmachtftellung
nicht berückfichtigt, und Deutfchland wird wieder Menfchen erportieren
und nicht Waren. H.s Beſchwerde hat, glaube ich, nicht den Erfolg
gehabt, 5. herauszupfeffern, fondern nur den, daß man H. mehr Futter
gibt und man militärisch fi im Oſten infl. Conrad von neuem
orientiert hat. Hat H. den Erfolg, daß wir mit Rußland ung abfinden
Fönnen, was ich immer für das befte halten würde, fo kann das auch
hierher zurückwirfen, aber gegen England müffen wir mithelfen.
Charleville, 19. J.
Geſtern abend beim Kaiſer. Es kam die Rede auf die Ubootsſache,
Treutler und Valentini ſofort dagegen, Italien würde Angriffsvorwand
haben. Ich wurde etwas ſehr deutlich, wenn wir den Engländern nicht
an den Leib gingen, ſo würden wir uns die Sympathien der Neutralen
noch mehr verſcherzen und erreichten nichts. S. M. will nicht. Er
Kriegsbriefe 1915 441
möchte erft politifch Elarer fehen ufw. Aus dem Ganzen ging hervor,
auch nach Anficht von K., daß man Frieden haben wollte, auch wenn
er faul ift. Der Kaifer erzählte, wie immer die Nerven den Sieg
entfchieden. Langenbe (Schwager von Plefjen) hätte gefagt, als er
den Fall von Port Arthur hörte, die Ruffen hätten vierundzmwanzig
Stunden zu früh Papituliert, fonft hätten fie gefiegt. Sch fagte S. M.,
das wäre fehr richtig, e8 gäbe auch vierundzwanzig Stunden im
weiteren Sinne ber Kriegsentfcheidung. Der Kaifer ſchwieg. v. B. bat
in einem Schreiben an Bethmann begeiftert zugeftimmt. Sch habe ihn
nun bearbeitet, da die Preffe fchweigen müßte, fo müßte fich ein Dußend
prominenter Führer in Handel und Snduftrie zufammentun und ihre An-
ficht über den allein für Deutfchland ausreichenden Frieden zu Füßen des
Thrones niederlegen. Dazu Eonnte ich ihn nicht befommen. Ja, wenn er
gefragt würde, fie wären ja alle einig, die meiften wollten fehr viel mehr
(als ich nämlich), aber es Fünnte fo ausfehen, als ob fie den Kanzler
ftürzen wollten, und dag ginge doch nicht. Sch verfuchte vergeblich,
ihm Plar zu machen, es wäre doch eine hiftorifche Pflicht für ihn und
feine Genoſſen, jo etwas auszufprechen, ehe es zu fpät wäre, es
würde Doch auch den Kanzler, der fich in Zweifeln zermürbt, nur feft
machen. „Ja, er wolle fich dag überlegen ufmw.”’ Ein folches Manko
an Perfönlichkeit in den oberen Etagen bei einer fo großartigen Leiſtung
der Nation ift erfiaunlich und zeigt doch fehließlich eine fchwere Wunde
in unferem Staatsorganismus, die fich bitter rächen muß.
Ich din immer nur erftaunt, daß ber Kaifer mich noch gut be
handelt, er geht zwar um mich herum und läßt mich nicht heran,
aber er denkt wohl, es macht zu viel Auffehen, wenn ich gebe.
Die Flotte kann jet, wenn fie will, aber J. ift ohne Intuition. Da
ift von hier eben nichts zu wollen,
Brüffel, 20.1.
Mir fuhren ab 10 Uhr, diesmal ohne Schwierigkeiten über Charleroi.
Die Bevölkerung war offenbar zurzeit fehr viel weniger aufgeregt als
das erſtemal. Hier will ich Biffing und B. fprechen und morgen nad)
Brügge fahren. Die Gefamtfituation tft mir immer Elarer geworden.
Sch hoffe jeßt vor allem auf Hindenburg Wir müffen Rußland erft
noch einmal fchlagen, dann fcheint mir ein Abkommen mit ihm möglich,
wenn Ofterreich nicht bockig tft. Kaftanienbäume im Sübtirol an Stalien,
442 Kriegebriefe 1915
um leßteres zufriedenzuftellen! Ofterreih muß nach Süboften dort
Raum gewinnen — Bulgarien auch etivas abbefommen, um es an
Ofterreich zu feſſeln. Dafür muß Hfterreich im Nordoften das abgeben,
was nur fchädlich ift und es feiner biftorifchen Aufgabe entfremdet.
Rußland mit Ehren heraus aus der Affäre, kann ung Fleine ev. not-
wendige Berichtigungen geben, namentlich einige Littauer. Gut wäre bag,
aber Feine abfolute Notwendigkeit. Bares Geld ift nicht zu verlangen.
Ein größerer Zeil von Polen wäre für ung nicht erwünfcht. Deshalb
jetzt alles für Hindenburg, was nur möglich, um mit Rußland Schluß
zu machen. Rumänien nichts, wenn es nicht aktiv wird. Dies ift fchon
notwendig, um Ungarn zu befriedigen. Dann Hindenburg hierher mit
abfoluter Vollmacht; der hätte die Pofition, um alles zu machen, fchließ-
lih auf England los, foviel wir Fönnen. Mit Bilfing unterhalten und
großes Einverjtändnis erzielt. Vielleicht fehr wertvolle Unterftügung.
Brügge, 22.L
Se mehr ich jehe von der Neichsleitung durch den Kaifer und ben
Kanzler, je mehr ſchwindet meine Hoffnung. Ich bin heute in Antwerpen
geweſen, hatte B. zum Frühſtück und babe nachher General von H.
geſprochen. H. fagte noch, bevor ich meine Anficht ausfprach, „der
Krieg ift ohne Belgien verloren.” B. meinte, Ballin fei für Antwerpen,
aber der Kanzler pp. und Anhang wollten fich mit dem Kongo abfinden
lafjen. Ein Schleier für folche, die nicht fehen wollen. Die Revifion
des Dreißigjährigen Krieges ift meines Erachtens dann auf immer
verpaßt. Die Stellungnahme von Müller fpricht Bände über die
bejtimmenden Anfichten. Es fei denn, die Nation fpricht ein Wort
mit. Der induftrielle reiche Bourgeois ift aber indolent geworden. Sch
bin nicht nur in Charleville, fondern auch in Berlin völlig ifoliert.
Der Luftangriff auf Yarmouth pp. ift ein Verplempern. London foll
gefchont werden. Auf die City müßte alles, was da fleucht und Ereucht,
Eongentriert werden nach meinem mündlichen und fehriftlichen Votum.
Charleville, 26. I.
In Gedanken bin ich natürlich bei der Flotte. Der Vorftoß ift mit
demſelben Fehler gemacht worden mie ftets, die Flotte war im Hafen
und nicht an der Stelle, wo die Rückendeckung ftehen mußte. Der
Effekt beim Kaiſer wird mohl der fein, daß nun alles eingefapfelt
Kriegsbriefe 1915 443
wird. Sch bin heute abend zum Eſſen und werde verjuchen, auf ein
Virement zu drüden.
Charleville, 6. II.
Heute war eine zweite Unterredung mit Müller, bie infofern leidlich
verlief, als fie zu einem andern modus vivendi führte. Das Schlimme
bei der Aktion mit den Ubooten ift, daß die Berfumpfung vor allem da⸗
durch herbeigeführt werden wird, daß wir jeßt nicht genug haben. Darin
und in der Art des Startes mit Fanfarengeblafe und Drohung an bie
Neutralen Liegt die ſchlimmſte Seite der Angelegenheit. Ich Eonnte
heute Müller aktenmäßig nachweifen, wie von mir durchiveg ein
anderer Weg vorgejchlagen wurde und Pohl fpäter immer patig ablehnte
und nachher die Sache mit dem Kanzler allein abmachte. Der Kaifer
und Müller find in diefer Sache wütend auf Pohl. Mich aber trifft es,
da durch das Interview mit Wiegand die Sache an fich mit meinem
Namen verfnüpft ift und man glaubt, ich wäre der Ausführende. Sch
habe übrigens heute Müller gefagt, daß nur die Pflicht gegen das
Vaterland mich abhielte, den Abſchied jebt zu nehmen; ich würde es
felbftverftändlich nach dem Kriege tun. Im übrigen erzählte ich, wie
vom Auswärtigen Amt und wie in Abgeordnetenkreifen die Sachlage
Eolportiert würde: Ich wäre beim Kaifer gänzlich drunter durch und
hätte Eeinen Einfluß mehr. Das fände ich doch nicht richtig, folange
ich noch im Amte wäre. Diefe Ausführungen waren ihm fehr peinlich.
Der eigentlich große Zwieſpalt zwiſchen dem Kaifer und mir ift der,
daß ich für notwendig gehalten habe, die Flotte einzufeßen, und der
Kaifer nicht wollte. Jetzt ſucht man nach anderen Gründen hierfür
und nach dem Sündenbock.
Die Vorgänge in Preußen find jebt Plar. Die Ruſſen wollten
einen großen Schlag tun, und wenn nicht Hindenburg bei Mafuren
ihnen zuvorgefommen wäre, ftünden die Ruſſen jetzt vor Königsberg
und Danzig.
Charleville, 7. II.
Pohl hat in feiner Eitelkeit und Urteilslofigkeit etwas Gefährliches
eingebroct, was ich auseffen muß. Der ganze Pohlfche Erlaß vom
4. Februar war überflüffig, mir hätten die Verwendung ber Uboote
fich felbft entwickeln laſſen follen, immer ftärker und ftärker, unjeren
444 Kriegsbriefe 1913
Kräfteverhältniffen entfprechend wachjend, Befehlsänderungen wären
bei Annahme meines Vorfchlags nicht notwendig geweſen. Statt dejjen
Fanfare, Bedrohung und demzufolge Aufregung der anderen und Eng-
land gewarnt und vierzehn Tage Zeit gelajfen um fich vorzubereiten.
Die Engländer und Franzofen verftehen fich auf den Bluff, das muß
man ihnen laffen. Sie haben vor den Dardanellen noch gar nichts
erreicht, und wenn die Türken nicht in Panik geraten, werden fie
auch gar nichts erreichen. Außerdem haben die Türken dort acht ihrer
beften Korps ftehen, und da drohen die Engländer mit Landungskorps!
Charlevilfe, 2. IIL
Mann telephonierte noch am Mbend, daß die Note an die Vers
einigten Staaten nun doch veröffentlicht worden fei, troß der neulichen
Behauptung des Kanzlers. Die Preffe und das Publifum werden den
Kern der Sache nicht verftehen. Erftere ift außerdem gefnebelt und
wird im Sinne des Kanzlers geschrieben. (Siehe Lofalanzeiger, 3. IIL 15.)
Auf diefe MWeife wird der Kanzler dem Kaifer gegenüber recht behalten,
Die Kreuzzeitung freilich foll gegen die Note gefchrieben haben.
Charleville, 3. II.
Bon bier abfolut michts zu berichten. Heute war Admiral v. Müller
bei Bachınann, freilich nur auf dem Sprunge, da er mit dem Kaifer zu
General v. Einem fahren mußte, aber zu mir ift er nicht gefommen und
wer offenbar überrafcht, von Geige!) zu hören, daß ich hier fei. Sch
werde nun weiter abwarten. Bethmann ift mit Jagow in Berlin ges
blieben; er will noch ca. 10 Tage dort bleiben wegen der Verhandlungen.
Hier erfährt man michts und führt ein troftlofes Dafein. Nur das
Enjemble in maison Gailly ift außerordentlich angenehm geworden. Wir
paſſen alle fehr gut zufammen, und ich glaube, wir freuen uns alle
daran. Vormittags habe ich einen Eleinen Gang mit Hopman gemacht
und nachmittags mit Bachmann, dem ich etwas von der Stadt zeigte
und dann mit ihm an der fchlangenartig fich windenden Maas entlang
wanderte. Wir hatten heute früh zwar Schnee, aber troßdem geht etwas
wie Frühlingsahnen und Milde durch die Luft. Sch bin jedenfalls froh
darüber.
Die neufte „Frankfurter Zeitung‘ Jobte zwar unjere Antwortnore,
N) Botenmeifter in der Kanzlei.
Kriegsbriefe 1915 445
aber doch nur fehr mäßig! &. erzählte mir von feiner Unterredung
mit Bethmann. Er hatte aus derjelben einen fehr wenig günftigen
Eindruck von dein Lenker unferer Geſchicke empfangen, Er hätte nur
geraft: „Was foll ich machen, was foll ich machen?” Stalien und
Griechenland feien ihm im Traume erfchienen. Pohl hätte ihm etwas
ganz anderes gejagt, als nachher gefchehen. Kurz, fich zermürbend in
Zweifel, daß Gott erbarm. Das kann ja nicht gut gehen am Ende,
Leider ift die Offenfive Hindenburgs zum Stehen gefommen, und
auf Ofterreich ift nicht zu rechnen. Die Ruffen werden über jede Er-
wartung gut geführt und vollziehen auch ihre Operationen mit großer
Geſchicklichkeit. Die Ruffen wollten das gleiche machen wie Hindenburg.
Lebterer Fam ihnen glücklicherweife zuvor, fonft fäßen die Kerls jeht
vor Königsberg. Es feheint fich da von Grodno bis nach PloczE ebenfalls
eine Schübengrabenlinie zu bilden. Das ift fchlimm für une.
Charleville, 4. IIL
Die Entfcheidung der jeßigen Krifis Tiegt zweifelsohne in Rom
und in den Dardanellen bzw. im Durchhalten der Türken. Rumänien
und Genoffen ift doch der Spuk ing Gebein gefahren bei dem Gedanken,
Konftantinopel Eönne ruffifch werden, den rumänifchen Halunfen wäre
e8 eigentlich zu gönnen. Die Türken wollen durchaus ein Uboot haben.
Die Ofterreicher haben abgelehnt, als zu gefährlih. Wir haben ihnen
angeboten, deutfche Beſatzung dafür zu ftellen, bis jeßt ohne Antwort.
Aber die Gefchichte charakterifiert die Ofterreicher. Ihr Admiral Hauß
Eonferviert feine Flotte gegen Stalin. Er möchte wohl ein zweites
Liſſa haben, ob er aber der Tegetthoff dazu ift, ſcheint mir nicht fehr.
Er hat fich mit unferem Marineattachs nur über vorfintflutliche Pflanzen
unterhalten; dies ift fein Spezialjparren. Setzt auf, zum fröhlichen
Sagen zwar nicht, aber zur ſchrecklichen Tafel, bei der ich mir fo
deplaciert vorkomme.
Charleville, 5. IL
Wir haben wahrfcheintich U 8 verloren. Wir mußten ja auf Verluft
gefaßt fein, um fo mehr, als man den Ubooten mit Rücficht auf die
Neutralen recht unangenehme Befchränkungen auferlegt hat, die auf ein
Auftauchenmüffen in zweifelhaften Fällen herauslaufen. Heute mar
Müller auf eine Stunde hier, wir find aber nicht fertig geworden. Den
446 Kriegsbriefe 1915
Derlauf der Sitzung beim Reichskanzler hatte er gar nicht verftanden.
Er meinte, ich hätte eine Schroffheit Hineingebracht, die die Sitzung
beeinflußte und refultatlos gemacht hätte. Unterftaatsfefretär Zimmer:
mann dagegen hat am nächiten Tage Bachmann gejagt, die Sitzung
wäre ja fehr gut verlaufen, wir wären ja alle einig geworden. So war
es nämlich in der Tat, freilich derart, daß der Kanzler und Jagow
nachher allein daftanden. Sch hatte nämlich fehr langſam und ruhig
gefagt, die neue amerikanische Note (Nr. ID wäre erfreulichermweife
fehr höflich gehalten in der Form. Das wäre der erfte Eindrud, Wenn
man aber den fachlichen Inhalt prüfte, fo ftellte fie an ung ein un⸗
würdiges Verlangen (das iſt die „Schroffheit), nämlich ganze Zurüd
nahme des Uboots⸗ und Minenkrieges, und dafür befämen wir praftifch
nichts von England als höchſtens ein paar vereinzelte Kompromiß-
Getreidefchiffe. Über den Vortrag beim Kaifer fagte er, der von Beth-
mann ausgefprochene Verdacht, daß mir Preffeagitation trieben, wäre
vom Kanzler ſehr ungehörig geweſen. Er hätte das auch S. M. gefagt.
Sch hatte dies energifch zurückgemwiefen. Dagegen hätte ich von Verluft
an Preftige gefprochen, und das wäre doch unerhört, wenn ich dem
Reichskanzler fo etwas zutraute. Diefe Auffaffung von Müller ift mir
gänzlich unverftändlih. Darum handelte es fich ja überhaupt, ob der
Eindrud, den die Note machte, ein zu fehiwacher war, und wenn fie
angenommen wird (mas immer noch möglich ift), wir die Blamierten
find. Da wir mit lautem Gefchrei am 4. Februar losgegangen waren
(in diefer Form ganz gegen meine fchriftlich niedergelegte Anficht), fo
mußte durchgehalten werden, um des Kaifers willen. Als ob ich gefagt
hätte, der Kanzler will das Preftige herabdrüden? Das wäre
etwas anderes geweſen. Dann famWiegand- Affäre und meine Stellung
zur Ubootsfrage, die er wohl etwas anders jeßt fieht, ſoweit er über-
haupt DVerftändnis dafür hat. Morgen geht die Unterhaltung weiter,
Des Pudels Kern ift: Er und der Kaifer haben die Flotte zurück
gehalten. Der glänzende Geift vom Auguft vorigen Jahres iſt fort.
Die Flotte hätte glänzend gefchlagen, meines Erachtens mit Erfolg,
denn Schiffe und Perfonal find bejfer als die Engländer. Jetzt fucht
man einen Sündenbock, den jieht man in der Technik, d. h. in
mir, Unterftügt wird dies unwillkürlich durch eine Reihe der untätig
Gebliebenen uſw. Man fucht nach Entfchuldigung. Es ift fomit anzu=
nehmen, daß der Kaifer und Müller pp. Erfolg damit haben werden.
Kriegsbriefe 1915 447
Hätte ich die Flotte doch in den erften Monaten Fommandiert, jetzt
find die Stärke- und fonftigen Verhältniffe allerdings ſehr viel uns
günftiger geworden.
Charlevilfe, 8. IIL
Der Vatikan ſcheint mit feiner ganzen Macht dafür einzutreten, daß
Stalien und Ofterreich nicht in Differenzen Fommen. Merkwürdig iſt diefe
Veränderung. Der Vatikan und das Zentrum haben fich verbunden,
um den alten Kaifer Franz Sofeph zu beftimmen, entgegenftommend
zu fein. Es wäre für uns ja fehr wichtig, wenn auch das Nefultat
zunächft nur ein paſſiv günftiges für ung wäre Das ift aber in
diefem Augenblid doch fchon viel.
Sch las eben einen Artikel, in dem energifch gefordert wird, die
Regierung folle ausfprechen, daß wir Belgien behalten würden. Das
ijt meines Erachtens auch dag einzig Richtige, felbft wenn wir es nachher
nicht behalten würden.
Die Reife von Sir Edward Grey nach Frankreich wird beftätigt. In
Verbindung damit werden Friedensverhandlungen gebracht. Alle mög:
lichen Anzeichen fprechen dafür, daß wir den Engländern nachgeben
wollen. Heute morgen war der Prinz Heinrich bei mir. Er hatte
geglaubt, er follte bei hochmwichtigen Fragen zu Rate gezogen werden
und nun „ſpräche man mit ihm nichts Ernfthaftes”. — Politiker wären
an ihn herangetreten, er folle dem Kaifer ein Licht aufſtecken, wenn
es jo weiterginge, befämen wir nach dem Kriege eine Art Revolution
uſw.; fie wären auch an den Kaifer herangetreten (das ftimmt). Sch
riet dem Prinzen Heinrich ab, die Initiative zu ergreifen, er würde
doch nicht angehört werden. Eine Gruppe von freiftehenden Männern
und bie Fürften Fönnten es tun. Ein Einzelner Fann es nicht und fommt
nicht durch. Prinz Heinrich erzählte auch, man wolle an Hindenburg
berantreten, der follte dann dag Ganze übernehmen. Hindenburg Fann
fih aber doch nicht felbft anbieten; fo bleibt eben alles beim alten.
Heute nachmittag mit Bachmann fpaziert; warmes Frühjahrsmetter,
in Charleville jedenfalls der erſte Frühlingstag.
Charleville, 9. II.
Ahlefelds Anficht, daß wir möglichft die andern anlaufen laſſen
follen bier im Weften, teile ich auch; deshalb müſſen wir das, road
wir an Stoßkraft übrig haben, zurzeit im Oſten bzw. Südoften am
448 Kriegsbriefe 1915
feßen. Natürlich Farm ich das nicht ganz überfehen, aber alle Nachs
richten flimmen darin überein, daß jet dort die größte Gefahr liegt.
Große Entfchlüffe find nötig, die haben ung aber zu rechter Zeit immer
gefehlt in diefem Kriege, Es wiederholt fich die Leitung wie zur Zeit
Friedrich Wilhelms IV.
Hier ift man erftaunt, daß König Konftantin den Mut hat, den
Kampf mit Venizelog aufzunehmen, der am Krieg teilnehmen wollte,
Die Dardanellengefchichte hat die ganze Sippe dort in Aufregung ver-
feßt, aber Feinesmwegs für uns geftimmt. Das ift das Merkwürdige
Dabei, denn kommt Konftantinopel in die Hände der Ruſſen, jo hätten
fih die Balfanftaaten ordentlich in die Neſſeln gefeßt. Das einzig
Unbehagliche in der türkifchen Situation ift der Munitionsmangel.
Mir glaubten ſchon, Rumänien gäbe nach und ließe unfere Munitions-
züge durch. Geftern find fie aber plößlich wieder bodig geworden.
Dabei fließt das Gold von beiden Seiten in die Hände der Halunfen.
Die ungeheure Siegeszuverfichtlichkeit, welche die Engländer in die
Melt pofaunen, und auf der anderen Seite unfere fchredliche Hydra
bringen die neutrale Welt zu dem Glauben an England. Sch erzählte
dir von der Münchner Zeitung und dem Artikel über Belgien und
die Notwendigkeit, Farbe zu bekennen, was die Neichsleitung damit
machen wolle, Seht ift das Blatt Fonfisziert, jedenfalls auf Anweiſung
Bethmanns. Sch Sprach Heute den zur Front gehenden bisherigen (es
ift Schon der zmeite) bayrifchen Militärbevollmächtigten über dieſen
Artikel. Er hat ihn ebenfalls gelefen und ftimmte ihm durchweg zu.
Diefe Münchner Zeitung ſei eigentlich ein unbedeutendes Blatt, der
Auffaß aber offenbar ausgezeichnet und von einem Kenner gefchrieben.
Es Fang fo durch, als ob er fagen wollte, der Auffat wäre vielleicht
infpiriert, in Bayern natürlich, Es eriftiert dort ein Gegenfah zu
den Anfichten des Kanzlers. Lehterer fürchtet von dort Beftrebungen
auf ein neues, modernes „Burgund“. Da mag etivas Richtiges daran
fein, der König von Bayern fagte mir in Coblenz: „Und wenn es
Preußen nicht haben will, nehmen wir es.” Vielleicht ſcherzhaft,
aber mit einem Unterton, |
Charleville, 10. II
Mit dem zeitweiligen Abflauen des Ubootsfrieges hat es feine
Nichtigkeit. Fest find aber genügend draußen. U. hat recht, daß bei
Kriegsbriefe 1915 449
der jetigen Methode der Kriegsgebietserflärung Feine Neutralen abs
geichoffen werden können. Deshalb war ich für Ausfpruch einer
Blockade und Beſchränkung in räumlicher Beziehung; Kanal bis
Southampton und Dftküfte. Dann müßten die Neutralen mwegbleiben,
wenn fie fich nicht dem Abſchießen ausfegen wollten. Für die jetzt
erfoigte Beſchränkung der Tätigkeit der Uboote war der Erlaß vom
4. Februar d. J. unnötig nicht nur, fondern höchſt fehlerhaft. Wir
Eonnten auch ohne Erlaß verfahren, wie jebt gefchehen, regten die
Neutralen nicht auf, bliejen Feine Fanfaren und fteigerten die Wirkung
unjeren Kräften gemäß,
Eharleville, 11. IIL
Daß U 20 verloren ift, weißt du jetzt. Wir find fehr traurig
darüber. Die Ubootsfallen, die die Engländer überall liegen haben, find
gefährlich, und die ganzen englijchen und franzöfiichen Torpedoboote
find hinter unferen Ubooten her. Aber es Hilft nichts, es muß durch
gehalten werden.
Du wirft von der Budgetkommiſſion gehört haben. Alle Parteien
haben fich dort auf das beftimmteite für Angliederung von Belgien
ausgeiprochen. Inſofern war es gut, daß ich nicht dort war, man
hätte mir alles Mögliche wieder angedichtet. Jagow foll fich dabei
gänzlich ausgefchwiegen haben. Soeben habe ich deinen Brief vom
10. erhalten. Wie gern käme ich nach Berlin, aber bei dem fchroffen
Gegenjaß, in dem ich zum Kanzler ftehe, ift es doch beſſer, ich bleibe
bier. Vorwürfe gegen die Marine werden, wie Erzberger an Capelle
gefagt hat, nicht vorfommen, und wenn unfer Etat heranfommt, ift
der Reichskanzler hier. Mit Bachmann arbeitet es fich fehr gut.
Charleville, 12. IIL
Sch freue mich, daß Bachmann in bezug auf die Schlechtmachung
unfereer Schiffe ganz auf meiner Seite fteht und alles von feiner
Seite tut, um dagegen anzugehen. Käme unfere Flotte unter einiger:
maßen günftigen oder doch nicht geradezu ungünftigen Verhältniffen
zum Tragen, fo würde diefe Schlechtmachung mie ein Spuk ver-
fchwinden. Capelle foll heute feinen guten Eindrud aus der Budget:
kommiſſion, die Marine oder den Etat betreffend, mitgebracht haben.
Vielleicht muß ich dann doch noch nach Berlin. Das Auswärtige
Amt hat ein Lob befommen wegen der Amerikanote,
Tirvitz, Erinnerungen 29
450 Kriegsbriefe 1415
Im Dften fteht alles und bier auch. Das ift zu wenig für uns.
Die Dardanellenfrage regt bie Balkanſtaaten auf. Es ift eine gefährliche
Situation, das Umkippen von einen Staat kann verhängnisvoll für
den ganzen Krieg werden. Hindenburg könnte noch einmal hundert
taufend Ruſſen gefangennehmen, das nüst unten nichts. Ein paar
englifche Linienfchiffe herunter würde auf die Neutralen mehr wirken.
Sharlenille, 13. IIL
Stimmung ift bei mir troß des guten Wetters recht flau. Im Weiten
und Dften fteht alles, und man kann kaum abjehen, ob wir noch vor=
wärts Fommen. Langſam muB die Abſperrung Deutichlands auf die
Gemüter wirken, und ob eins von den Gefindeln da unten nicht als
Aasgeier losgeht, weiß man nicht, Mit den Oſterreichern ift gamichte
enzufangen, Die diplomatifche Vorbereitung für einen Weltkrieg war
unglaublich. Eine große Anzahl Botfchafter unbrauchbar, besgleichen viele
Gefandten. Niemals ift wohl vor dem Kriege eine Befprechung feitene
der Keichöregierung mit militärischen Reſſorts geweſen; Wertrauene:
ſeligkeit, daß England neutral bliebe bis zuletzt; dagegen ſeit 190%
fein Zumachs zum Marineetat. In der Armeeleitung Fein Verftändnis
für die Bedeutung Englands im Siriege, dagegen abfolutes Vertrauen
in Das Siegesrezept des toten Schlieffen. Schließlich die Hydra!
Wenn man dies überfieht, kann man wohl düſter in die Zukunft fehen.
Freilich ſieht's in Frankreich und Rußland noch fehlechter aus; aber
wir Kämpfen ja gegen die ganze Welt einfchließlich Amerikas. Der
Getretdedampfer für Belgien hat vorher Waffen abgeladen in England,
Und ich fige hier und kann fo gut wie nichts tun. Die Verwendung
unferer Flotte war ganz falſch, aber Müller, der Kalfer und Pohl
holten abfolut daran feft, auch jeßt noch. Das ift das Niederdrüdendfte.
Freilich it unfere befte Chance jeßt vorbei; der Niefenzumachs ber
englifchen Flotte in diefem Jahre macht fich zu ſehr geltend. Heute mittag
war Müller bei mir, friedliche Unterhaltung gepflogen. Bachmann ift in
Hlandern auf einige Tage. Heut abend ift Graevenitz (württemberg.
Militärbevollmächtigter) bei ung und der neue bayrifche Militärbevolle
mächtigte. Sch fehe fonft wenig Dienfchen, und das Leben verfließt ſehr
eintönig für mich, Selbftverftändlich werde ich für Belgien eintreten;
aber ein Gejpräch mit Bethmann ift abfolut zwecklos. Sch habe mit ihm
ja auch ſchon eine Stunde darüber gefprochen. Seit dem Vortrag beim
Kriegsbriefe 1915 451
Keifer find wir aber gänzlich auseinander. Sch Habe noch nie ein Geſpräch
mit ihm gehabt, bei dem etwas herauskommt. Er ift gänzlich hoffnungs⸗
108, Nur der Wille des Volkes könnte helfen. Für mich iſt auch infofern
Die Zeit nicht gekommen, einen neuen Anlauf zu machen, als gerade jeht
bie Kriegelage nicht überfehber iſt. Müller erzählte Heute, wenige Tage
vor Ausbruch des Krieges hätte ihm Stumm, Keiter der englischen Xb-
teilung im Auswärtigen Amt, noch erflärt, England ginge nicht mit,
es wäre alles Bluff.
Charleville, 14. TIL
Der General v. Einem wor der Meinung, die Franzofen würden in
offener Feldfchlacht nicht gegen uns ftandhalten. Eine folche haben wir
aber nicht mehr, und dagegen wären die Franzofen ausgezeichnet in ber
Geländebenutzung, fehr Frei von bogmatifch taktischen Lehren, und
ihre Geſchütze treffen ausgezeichnet, Heute morgen fagte fich der
Kronprinz bei mir an. Sein Vater war abweſend. Ich habe diesmal
offener mit ihm geiprochen. Er war ernfter als fonft, äußerte ſich Scharf
über die ganze Hydra.
„Eitel Friedrich” (der Hilfskreuzer) hat feine Sache gut gemacht,
wie alle unſere Schiffe, wenn fie Insgelaffen werden. Laß bir einmal
den Brief des Kommandanten des „Cormoran” geben. Dee reine
Nomen, aber die Hege von den japaniſchen, englifchen, franzöſiſchen
und ruſſiſchen Geichwadern war natürlich zu viel. Die Nieberländer
verweigerten ihm alles aus Angft. Die Amerikaner gaben nicht einmal
Kohlen und liefern unferen Feinden Milliarden an Waffen und Dlunition.
Charlesille, 15. IIL
Eigentlich lohnt fich ein ganzer Bogen nicht, denn ich habe gar nichte
zu berichten und habe faft gar nichts mehr zu tun. So mie die Vers
hältniffe liegen, hätte ich qui und gerne noch länger im Berlin bleiben
können. Es ift ſehr ſtill Hier, ich fehe und fpreche Faum einen Menichen
und Farm mich gar nicht betätigen in diefer ſchweren Zeit; das drückt
mich immer befonders mieder. Eine Meine Freude hatten wir durch den
Erfolg unferer Uboote, Der Kommandant von U 29 (früher von U 9)
bat fünf Stüc erledigt, andere Uboote zwei oder drei In London
foll man doch recht erregt darüber fein. Wie ich höre, follen fich die
neuen proviſoriſch Eonftruierten und gebauten Uboote fehr aut gemacht
29*
452 Kriegsbriefe 1915
haben, fo daß fie doch recht nüßlich werden können. Ich wäre fo gern
zum Reichstag in Berlin geblieben; ohne den Kriegsminifter ging ed
aber nicht gut, und jeßt ift es zu ſpät.
Charlevilfe, 16. IIL
Vom Oſten Farın ich nichts melden, das gut ift. Die Ofterreicher
verfagen total wieder. Es fcheint faft, daß fie nicht mehr recht wollen,
der Staat und die Armee find offenbar durch und durch morjch, und
für feine Sntereffen haben wir die „ſchimmernde Wehr“ eingeſetzt ...
Sch bin planmäßig ausgefchaltet und Bann dem nicht ein Ende machen
wegen der allgemeinen Stellung, die ich noch habe, troßdem der ganze
Apparat am Werk ift, um fie zu untergraben. Bethmann muß gefchont
werden, gab mir Müller neulich den Rat. „Geh er; — er hat Fein Glück,“
würde Friedericus Ner gejagt haben. Wenn er doch mit feinem
Krückſtock vom Himmel herabkäme.
Charleville, 17. III.
Nichts Neues vor Paris. Müller war heut bei Bachmann und zur
Abwechſlung in ziemlich düſterer Stimmung, die jedenfalls um den
Kaiſer herum herrſcht. Verurſacht iſt dieſe wohl durch den Umſtand,
daß wir überall zum Stehen gekommen ſind und die Verhandlungen
mit Italien dadurch zum Stillſtand, jedenfalls bisher inſofern nicht zum
Erfolg gekommen ſind, als es nach Erpreſſerart ſeine Forderungen
immer höher ſchraubt. Laß dir das Kriegstagebuch der Ayeſcha geben.
Es enthält zwar für euch etwas viel ſeemänniſche Dinge, der reine
Roman! Die Holländer haben fich dabei nicht fehr nett benommen,
bei etwaiger Veröffentlichung während des Krieges wird man diefe
Stellen wohl ftreichen, was eigentlich zu bedauern ift.
Sm September dachte niemand an einen Purzen Krieg. ı Sch habe
es auch im Zuli und Auguft nie getan. Das Auswärtige Amt glaubte
immer, England in der Hand zu haben und es begäufchen zu Fünnen,
Es tut e8 auch heute noch. Wir mußten und Eonnten den Krieg mit
Rußland vermeiden, unfretwegen hätte es in früheren Jahren auch
nach der Türkei gehen Fönnen, dann wären mir die Ruſſen losgemwefen,
Statt deffen ſetzen wir uns für Öfterreich ein und haben den Lohn
dafür. Bethmann und die Leute um ihn machten Orientpolitif, während
unfer Wirtichaftsleben, ob wir wollten oder nicht, in die weite Welt
Kriegsbriefe 1915 453
ging und ung in Differenzen mit England bringen mußte, aber nicht
zum Krieg, wenn Rußland nicht dabei war unter unferen Gegnern.
Wir müßten diefen Faden wieder aufnehmen. Zu ganzen Entfchlüffen
raffen wir ung aber nicht auf, fondern driften meiter. (Notabene: Drift
ift ein guter deutfcher Ausdruck, der auch in „Abdrift“ vorkommt.)
Charleville, 18. II.
Die Lage wird bei Bethmann und in der Hydra überhaupt ungünftig
beurteilt. Man hofft jebt auf ein Zufammenbrechen Frankreichs. Sch
bin der Anficht, daß wir die Zähne zufammenbeißen müffen, das ift
der einzige Weg. Wie war eg denn mit Fridericus Ner nach Kunerg-
dorf? Und ein folches haben wir jest noch nicht erlebt. Bethmann,
Jagow und ihre Gefolge machen aber nach allen Seiten flau, nur
aus Gründen der inneren Politik, das wird aber nach außen
befannt und wirkt gefährlich,
Dank auch für „Stein. Diefe Männer fcheinen ausgeftorben,
aber welche ftarfe Gruppe hatte er doch um fich, Blücher, Scharnhorft,
Boyen, Öneifenau, ‚a band of brothers,‘ wie Nelfon jagte. Wie aber
ift e8 1914/15! Selbſt der gute Bachmann war entjeßt über die
Hydra; er fand die ganze Gefellfchaft Heute im Gartenbau befchäftigt,
dabei mit herunterhängenden Köpfen. Neulich hatte man im Mifibeet
desjelben Gartens ein Lager von 150 Flafchen des beften Weines
gefunden Es wurde erwogen, ob bei diefen Aufpizien der Buddelei
nicht Dörpfeld herzitiert werden follte.
U. unterfchäßt die tatfächliche Macht der regierenden Hydra, Nach
den Traditionen, mit denen ich aufgewachfen bin, kann ich unmöglich
öffentlich Front dagegen machen; darin läge aber mein eigentliches
Mittel. Im übrigen läßt man mich grundfäßlich nicht heran, Wenn
ich nur Uboote fchneller Heranfchaffen könnte, aber in zwei bis drei
Wochen wird hoffentlich unfer Nachfchub fchon wirken. Unfere Uboots—
kommandanten machen ihre Sache ausgezeichnet; ihre Kriegstagebücher
find Romane,
Charleville, 19. IH.
Herr dv. Mutius vom Auswärtigen Amt Farm gratulieren. Vorher
Flingelte much der Kaiſer mich an, gratulierte mir und brachte mit ale
meiteres Geburtstagsgefchen? die Nachricht, daß Heute zwei engliſche
454 Kriegsbriefe 1915
inienfchiffe vor den Dardanellen geſunken feien, geftern das franzöfifche
Anienfchiff „Bouvet“. Hoffentlich iſt die Nachricht richtig. Dom
Untergang des „Bouvet“ hatten wir fchon ein Zelegramm von Uſedom.
Eine Freude Hat mir die Kaiferin gemacht durch ein fehr gnädiges
Telegramm. Wenn Wünfche Helfen können, bin ich aljo ausreichend
verforgt worden,
Im Oſten follen die Ruſſen immer von neuem große Maffen ins
Gefecht bringen und fehr tapfer und rückſichtslos draufgehen. Selbſt
Eichhorn hätte einen fehr fchiweren Stand, wenn die Rufen mehr
Geſchütze hätten. Die Ofterreicher kommen Eeinen Zoll mehr vorwärts,
Es erjcheint zweifellos, daß die Ruſſen einen gewaltigen Schlag vor:
hatten, fie kamen mit ihren Maffen nur zu ſpät.
Charleville, 20. TIL.
Geſtern abend war eg wieder fehr öde; die Unterhaltung ſchleppte
fich langſam entlang. Der Kaifer jah überall riefige Siege, ich glaube
aber, um fich und feine Unruhe zu beſchwichtigen. Die einzige Freude
war die Beftätigung der englifchen Verlufte vor den Dardanellen.
Der Türken oder richtiger unjere Verluſte waren gering, aber der
Mumnitionsverbrauch empfindlich. Bachmann ift auch entſetzt über bie
Kabinettswirtichaft, ſowohl geſellſchaftlich wie dienftlich.
Charleville, 21. IL
Dein Brief von geftern ift foeben eingetroffen. Sa, ich hätte es wohl
beffer gemacht, wenn man mich herangelafjen hätte. Müller it von
verfchiedenen Seiten dringend gebeten, von Bachmann, Die uſw.,
man jollte mich als Chef der Admiralität für die Dauer Des Krieges
einfegen und mir dann überlaffen, wie und warn ich mit an Bord
ginge. Antwort war immer: „Ausgeſchloſſen, das täte der Kaiſer nie.”
Letzterer will jelbft den Marinefrieg führen, und das könnte er natürlich
nicht bei mir. Ich finne hin und her, mich aus der Lage zu befreien,
in der ich mich befinde, Formell hat Pohl freie Hand, wie kann ich da
eingreifen, wenn er wichte tut bzw. fagt, er hätte Feine Gelegenheit,
Befehlen & tout prix Schlacht zu machen und herauszugeben, Bann
man nicht, das muß ber Betreffende in feiner Bruft haben. Die
Berhältniffe liegen hier anders wie bei dem Landheer. Wir haben heute
Meldung aus Berlin, daß 9 Milliarden gezeichnet ſeien. Das iſt Doch
ein einmütiger Mille, der hier zum Ausdruck kommt. Über Poldhu
Kriegsbriefe 1915 455
hörten wir, daß die Engländer am nächſten Tage nad) dem Unter
gang ihrer Schiffe vor den Darbanellen erneut angegriffen hätten,
Das it Die richtige Art Ebenſo hätten wie am 25. Januar fofort
wieder herausgeben follen, und wenn es nur geweſen märe per far
figura. Uber das Kabinett Hat ben Geiſt ber Flotte untergraben;
jet ift der Bazillus ſchon fehe Hef eingedrungen und ohne flarke
Perſonaländerungen nicht zu beſſern. Bir haben übrigens noch Feine
neuen Nachrichten aus Konſtantinopel. Unſere Berlufte find gering,
such wenig Schaden an den Forts, empfindlich mur der Munitiong-
verbrauch. So wie jest die Verhältniffe Legen, wäre die Forcierung
der Dardanellen ein fchiwerer Schlag für uns. Ein geftriger und wohl
letzter Ausfall bei Przemyſl iſt mißglückt; die Aktivität der Nuffen if
doch groß, jetzt auch in Memel. Trümpfe haben wir nicht mehr.
Hoffentlich ſchreitet im April der UÜbootskrieg weiter vor,
Charleville, 22. III.
Heut abend iſt Diner bei S. M. zu Ehren des Geburtstages weiland
Kaiſer Wilhelms J. Bachmann hatte darauf aufmerkſam gemacht,
daß jetzt ein großer Zeil der engliſchen Flotte vor den Dar—⸗
danellen jei und der Ubootskrieg ſehr viele leichte Streitkräfte abs
forbierte, Denn man etwas machen wollte, fo wäre alſo jetzt eine
gute Zeit. Pohl entrüftet über eine folche Zumutung. Er dächte nicht
daran, etwas zu tun, Dagegen mwolle er fich noch mehr mit Minen
einkapfeln. Es iſt hoffnungslos. Da liegt eine Flotte von 40 ge
panzerten Schiffen, davon mehr als bie Hälfte Überdrendnoughts, über
100 Torpedoboote, und verroftet im Hafen, während Deutjchland in
einem Exiſtenzkampf fich befindet, Sch fiße dabei hier und bin machts
iss, Wenn das nur bie einzige Schuld des Kabinettsfyftens wäre!
Sch habe aber dieje Ziellofigkeit, dieſe Fanfaren dabei jeßt feit mei
Jahrzehnten miterlebt und gefehen, wie jedes Reſſort für fich arbeiter,
alles Sich an „Ihn“ drängt, dem man den Glauben beibringt, alles
ſelbſt zu machen, und von dem fo große Vorteile ausgehen. — Byzanz!
Und nun haben wie diefen furchtbaren Krieg und dasſelbe Durcheins
ander und dieſelbe Ziellofigkeit, vom Geſamtſtandpunkt aus geſehen.
In Konftantinopel, in der Marine, in der Armee, in der Politik Kein
Zufammenarbeiten, faft alles immer noch beſtrebt, nach dem Katfer
zu fchieien, dee umgeben ift von weichen Leuten, Es gäbe mur ein
456 ° Kriegsbriefe 1915
Mittel, Hindenburg würde Reichskanzler und Chef des Generaljtabs
und Chef der Admiralität in einer Perfon. Nun ſehe man die Ova⸗
tionen im Reichstag, da geht doch völlige WVerftändnislofigkeit des
wahren Übels daraus hervor.
Gfücklicherweife trifft der Fall von Przemyſl mit der Niederiage
der Engländer vor den Darbanellen ziemlich zufammen. Das mildert
wohl den Eindruf des erfteren, aber überall greifen die Ruſſen rück
fichtelos an, und die Ofterreicher werden immer gefchlagen, und auch
mir werden nervös. Hindenburg ift am Ende feiner Kräfte. Sch hörte,
daß das der Eindrud von Bethmann fein foll, den diefer von Pofen
zurückgebracht hat.
Charleville, 23, IIL
S. M. feierte die neuen Ritter dee Pour le mörite mit einer Rede,
In welcher er fie gewiſſermaßen mit den Paladinen verglich, die unmeit
von hier bei Sedan mit Kaiſer Wilhelm dem Großen das Deutfche
Reich gefchaffen Hätten. Sch ſaß zwifchen Solms und Lynder. Lebs
terer Elagte über Moltke, der damals im Sternenfaale den Ausfpruch
tat, als die Mitbeteiligung Englands erwähnt wurde: „Se mehr Eng-
länder, defto beſſer.“ Dir fagte er etwas Ühnliches, ald wir nach
Soblenz fuhren und ich ihn darauf aufmerkſam machte, er follte doch
die direkte Einwirkung der englifchen Armee nicht unterfchägen. Wir find
eben nicht nur politifch, fondern auch militärifch in den Krieg herein-
petapert. Keine Überlegung, wie ein Weltkrieg zu führen fei, keinerlei
Gefamtleitung, Eurz, genau fo wie jeßt im Kriege felbft. Sch wollte bei
der Abreife von Berlin über Konftantinopel und die Türkei mit MoltEe
Iprechen, das lehnte er geradezu ab, weil ihn das nicht interejfierte.
Die Stimmung war im ganzen recht flau. Der Fall von Przemyſl
drückte doch ſehr. Wie ich höre, foll fogar an der Front dasfelbe zu
fpüren fein. Sch fprach dann mit General v. X. und verfuchte ans
zubeuten, daß doch eine gröfiere Einheitlichfeit in die Führung des
Ganzen kommen müßte. Der Kaifer müßte einmal feine Macht auf
einige Zeit detachieren, z. B. auf Hindenburg. Sch merkte aber bald,
daß General v. X. folche Gedanken gar nicht paffen; er begnügt fich
mit der Gunft des Kaifers. Bethmann hat geftern überall in dem Sinn
flau gemacht und gearbeitet, daß wir nur noch um Belgien Fämpften,
fonft Fönnten wir den Frieden haben. Davon erfährtnatürlihbas
Kriegsbriefe 1915 457
Ausland und damit entwertet man Belgien als Faufts
pfand, felbft wenn wir es nachher herausgeben wollten.
Der Prinz Adalbert ft hier und verfucht von feinem Water den
Befehl für Pohl zu erwirken, nichts zu tun. Prinz Adalbert fcheint von
Pohl inftruiert zu ſein . Da leßterer nun freie Hand hat, nach eigenem
Ermeſſen zu handeln, fo läge der Sinn diefes Vorgehens nur in- dem
Wunſch von Pohl, durch einen Befehl für das Nichtstun und Die
Paſſivität gedeckt zu werden. Ich fände das unerhört. Der Prinz
Adalbert Fam heute zu Bachmann mit dem Auftrage, daß der Kaiſer
ihm zugeftimmt und er mir und ihm — Admiral Bachmann —
diefe Willensmeinung mitteilen folle. Bachmann lehnte jogleich ab, in
diefer Weiſe nähme er Feine Willensmeinung ©. M. entgegen. Bei
mir iſt Prinz Adalbert noch nicht geweſen. Sch werde ihm ſchön heim⸗
feuchten, Iſt das nicht haarfträubend, Pohl ftellt fich nicht vor den
Kaifer. Meine Befürchtungen betreffend Pohls find Teider mehr als
eingetroffen.
Charleville, 24. II.
Heute vormittag war Prinz Adalbert bei mir, Bachmann kam dazu,
Mir hatten nur allgemeine Unterhaltung. Nachher erfuhr ich durch
Bachmann, daß der Prinz Ndalbert offenbar nicht riskiert hatte, mir
bie Mitteilung zu machen betr. Stilliegens der Flotte als Befehl,
Dahingegen hat er es an Pohl als Befehl des Kaifers telegraphiert.
Ein ganz unerhörter Vorgang, der aber nicht geduldet werden mird.
Charleville, 25. II.
Der liebenswürdige, immer entgegenfommende Bachmann hatte einen
Krach mit dem Reichsfangler, der ihm ein wirklich unglaubliches Schreis
ben geſchickt hat. Es handelt fich um einen geringfügigen lapsus linguae,
den ein Referveoffizier des Berliner Admiralſtabs in einer Privat:
gefellfchaft gemacht hat. Derfelbe hat nämlich gefagt, das Auswärtige
Amt Schiene flau zu machen in der Ubootsfache (damals im Fe
bruar), darob große Erregung beim Neichsfanzler: Der „Mann, der
ein Wähnen Schaffen genannt“, zweimal bei Bachmann, dann drei
Schriftftüce. Diefe Empfindlichkeit ift charakteriftifch für die Leute,
bie unfere Geſchicke lenken in fo ernfter Zeit.
N) Prinz Mdaldert teilt mir unterm 17.11.1919 mit, daß er bei der angezogenen
Miffion auf Befehl gehandelt habe.
458 Kriegsbriefe 1915
Charleville, 26. II.
Der Türke Fam, Oberfi von Frandenberg, und erzählte von der
Uneiniafeit zwifchen Enver, Liman und dem Botſchafter. Der Oberſt
hatte die Suezkampagne initgemacht. Es waren meift arabiſche Truppen,
die «der immer ausgerijfen wären, wenn gejcheffen worden wäre;
fie, die Türken, hätten auch zu wenig gegen das Feuer der Schiffe
machen können. Auf der ganzen ägyptiſchen Geite wären Schützen⸗
gräben mit Sandſäcken uſp. Während des Sommers wären nur
feichte Beunruhigungen möglid, im Herbſt follte es wieder losgehen.
Dann wird es wohl zu ſpät ſein, ſagte ich. Im ganzen ſcheint doch
mit dem Türkiſchen Reich nicht viel los zu ſein. Wir haben uns
merkwürdige Bundesgenoſſen ausgeſucht. Hätten wir Feine Militär
miſſion ſeinerzeit geſchickt, mit England auf dem Balkan Feine anti⸗
ruſſiſche Politik getrieben! Hätten wir flatt deſſen den Ruſſen gejagt,
unſeretwegen geht nach Konſtantinopel, ſo ſäße jetzt der Bär dem
Walfiſche gegenüber, und die ganzen Ziegenhirten vom Balkan flüch—
teten ſich in unſere Arme. General S. klagte wieder ſehr über Mu—
nitions⸗ bzw. Pulvermangel. Dieſe Pulverfrage entſcheidet vielleicht
den Krieg. Der beſtändige Mangel bei uns koſtet uns jeden Tag
mehrere hundert Mann, zuzeiten noch mehr, Die Behördenteilung
zwifchen Kriegsminiftertum und Generalſtab im Frieden ſchwächte den
Geſamtblick für das Nötige.
Tharleville, 26. II.
Here v. N. bat vollitändig recht: Es iſt ein unerhörtes Verſagen
unferer Oberſchicht, mitverfchuldet durch Die Spike, Ich habe das ja
die ganze Zeit jahrzehntelang kommen jehen. Wie oft hatte ich Die
gejagi: „wie die Kataftrophe einmal kommen wird, wüßte ich nicht,
fie müßte aber kommen.“ Deshalb ift es fo fürchterlich, mit dabei
zu fein bzw. dazuzugehören.
Sch fahre heut zu &., aber ohne die Mbficht, mit ihm zu fprechen,
denn ich habe genügend gefehen, daß es nutzlos it. General v. H
nützt mir auch nichts, Er iſt lediglich Soldat, will e8 auch nur fein.
Hindenburg wäre die Rettung. Sch kenne ihn perfönlich aber nur
ganz oberflächlich und habe gar Fein Urteil, ob er auch etwas politifchen
Blick hat. Er foll ein Bluger, befonnener Mann fein; der eigentliche
Spiritus für die kühnen und gemagten Unternehmungen im Dften
Kriegsbriefe 1915 459
ſoll Ludendorff fein. Wenn ich Hindenburg etwas kennte, und irgend»
einen Vorwand hätte, würde ich zu ihm hinfahren. Sch habe übrigens
erfahren, daß der Kronprinz in diefer Richtung tätig fein fol. E
wird aber Eeinen Erfolg haben, oder doch nur dann, wenn ed zu
ſpät iſt. Bethmann und feine Sippe, Ballin und jeht fogar in Reiches
tagskreifen machen alle flau. Frieden mit großem Minus für uns,
aber Frieden Wenn man iyn wirklich will, iſt für den Effekt dee
Sriedensfchluffes nichts ſchlimmer als diefe Klaumacherei. Sch Höre,
daß es in Frankreich doch recht ſchlimm ausfehen joll, und ich glaube,
man hofft auf Caillaux. Ich perſönlich glaube nicht recht daran:
die augenblicklihe Militärdiktatur Poincars-Joffre herrſcht noch, und
dieſe wird von den Engländern an der Gurgel gehalten. Geftern abend
bat die engliſche Admiralität befannt gegeben, daß jie lirfache habe,
anzunehmen, daß U 29 (Mebdigen) in der rischen See geſunken
jei mit der ganzen Beſatzung. Ohne Grumd macht fie eine ſolche
Beröffentlichung nicht, und U 29 iſt überfällig. Es wäre recht traurig.
Meddigen ift vielleicht zu ficher geworden, und dann die für uniere
Uboote fo gefährliche Vorficht gegenüber Neutralen!
Sharleville, 27. IIL
Heute früh war Müller bier und teilte Bachmenn mit, daß es
beim Kaifer nichts erreicht habe. Er hätte geäußert, man folle ihn
serichonen mit Denifchriften, er wolle fich nicht um die Flotte forgen
müſſen, daher der Befehl. Mit Mühe und Not habe Müller erreicht,
daß Bachmann wenigſtens vorher Vortrag halten dürfte; derſelbe fol
Moniag fein. Wenn das jo mweiter geht, jo ſehe ich ein ſchlechtes Ende,
In der Türkei ſteht alles zum Brechen umd dann geht Die Balfanflut
und die Aasgeier gegen Äſterreich. Sch ſehe nur ein Mittel, der
Kaiſer muß auf 3 Wochen oder mehr jich Frank melden, an Stelle
Bethmanns muß Hindenburg Fommen und dieſem alles unterſtellt
werben, zugleich Armee und Marine. Der Kaifer muß zunächſt nach
Berlin, Keffel fuchte mich auf, und er war auch entfeßt über den Kaiſer
und feinen gejundheitlichen Zuſtand. „Er hätte nicht dareingeredet,
er hätte überhaupt nichts getan und fehe ſchon, ſchließlich müßte er
allein die Zeche bezahlen,” jagt der Kaiſer. Kefjel meinte, ber König
von Bayern müßte beſtimmt werden, ihm zuzureden, fich auf einige
Zeit Fran? zu melden. Ich riet ab, wenn irgend möglich müßte es
460 Kriegsbriefe 1915
von ihm felbft kommen mit Hilfe der Kaiſerin. Oberftabsarzt 3.
bzw. der Leibarzt müßten es ärztlich für erforderlich halten, fonft ginge
er nicht auf Urlaub. Bezüglich Hindenburgs lägen große Schwierig:
Eeiten vor, auch deſſen Adlatus Ludendorff könne er nicht leiden.
Es feheint, daß nur mit Hilfe eines größeren Zufammenbruche Ande⸗
rung Eommen Fann, dann aber iſt es zu Spät. Die Annahme, dag
im Südoften jet der Schlüffel des Kriegsausgangs liegt, ſcheint fich
bei vielen jeßt Geltung zu verfchaffen.
Sharleville, 27. II.
Heute früh mußte ich dem Prinzen Leopold von Bayern einen
Befuch machen. Er war wenig informiert, meinte nur, wir müßten
unter allen Umftänden durchhalten. Jetzt erwarte ich den Oberftabs:
arzt, mit dem ich mich über den Urlaub unterhalten möchte. Won
U 29 leider Eeine Nachricht, man muß es verloren geben. Was Du
vom Auswärtigen Amt jchreibft, war fehr intereffant. Aber Die Lage
it dort fo: die früheren Botfchafter (reich, vornehm ufw.) arbeiten
jeßt unter Zimmermann, das paßt natürlich beiden nicht. Im übrigen
din ich mir über den dortigen Zuftand nicht im Zweifel; ich kann aber
Zimmermann nicht fo hoch einfchäßen; ob er wirklich „Blick“ hat
und den fpringenden Punkt erfaßt, ift mir zweifelhaft. Sch habe das
ſchon früher in der Budgetlommilfion nicht finden Fönnen. Un dem
Hereinfchlittern in den jeßigen Krieg im Zuli ift er ſtark beteiligt. Er
war beteiligt, den Öfterreichern freie Hand gegen Serbien zu geben und
Hat fich nicht Stalieng und Numäniens verfichert. Er betrachtete das
nur als eine Frage zwischen Ofterreich und Serbien. Er hielt die
ganze Sache für einen Diplomatenkrieg und wünſchte darin einen
Erfolg. Damals in der Sitzung betreffend Ukrieg führte er das große
Mort. In zwei Tagen war er total umgefallen. Übrigens werde
ich von diefer ganzen Gefelffchaft fo ausgefchaltet, daß ich weder
mit dem Reichskanzler noch mit dem Staatsfefretär zufammen arbeite
und -komme.
Sharleville, 29. II.
Die Stimmung hier it ſehr gedrückt. Falkenhayn fagt, er Eönne
nichts mehr machen. Den Ofterreichern traut man gar nichts mehr zu.
Bethmann und feine Leute gehen ernftlich mit dem Gedanken um, Eng-
Kriegöbriefe 1915 461
land nachzulaufen. Das wäre meines Erachtens das Schlimmite, was
wir tun Fönnten. Meines Erachtens gibt es nur einen Weg: fich mit
Rußland zu vertragen. Hindenburg Fönnte doch nur dann nüßen,
wenn er alles befäme, und das wird der Kaiſer und die gejfamte
Hydra nicht zugeben. Bei diefer aber fitt die tatfächlihe Macht.
Sch werde verfuchen, in nicht zu ferner Zeit nach Berlin zu kommen,
vorher würde ich aber gern den Kronprinzen noch einmal fprechen.
Der Gedanke Ks, im Oſten ftrategifch abzurunden, ift ja ganz
ſchön. Es Fönnte aber nur in Frage kommen, wenn die ruffifche
Armee zufammenbricht, und hierfür find zurzeit Beine Anzeichen vors
handen. Die Kerls greifen fortwährend an, und wenn's mit Land»
fturm ift, wie in Memel. Im übrigen werden wir die ruffifche Ges
fahre dadurch auch nicht los werden für die Zukunft. Die Kerie
müßten nach dem warmen Waffer abgelenkt werden; jtatt deſſen haben
wir im Verein mit England das verhindert und haben jet den Lohn
davon. Daran brauchitt Du übrigens nicht zu zweifeln, daß Beth»
mann und feine Leute nach dem Kriege alles tun werden, um mich
als das Karnidel hinzuftellen. Sch höre kaum einen mir wohlgefinnten
Herrn, der eine Unterredung mit Zimmermann gehabt hat, bei welcher
mir leßterer nicht eins auswiſcht. Es wird dort ſyſtematiſch betrieben,
das hatte ich fchon in Berlin erfahren. Von einer Aussprache mit
Bethmann verfpreche ich mir gar nichts, Sch habe noch nie Dabei
Erfolg gehabt, ich glaube, andere im allgemeinen auch nicht. Er iſt
die unglücklichfte Perjon an feinem Poften, die man hätte mählen
können. Zroßdem will ich es verfuchen, wenn fich die Gelegenheit
gibt. Die ganze Inſtitution, die er in feinem Poften vertritt, if
nur für Ausnahmsriefen richtig, fonft ift fie gefährlich, wie mir
jet und jeit Jahren gefehen haben. Bachmann geht heute zum
Kalfer, um den Befehl betreffend Pohls zu entfcheiden. Vedreme.
Der Kronprinz hat an feinen Vater einen Brief gefchrieben, deffen
Poftfkriptum uns zur Kenntnis gefchieft iſt. Er fordert darin feinen
Bater auf, die Befchränkungen aufzuheben, mit denen jeßt die Uboote
behaftet find, und die veranlaßten, daß wir zuviel davon verlören,
Er fieht recht klar, der Kronprinz, hat Teider nur nicht arbeiten gelernt,
Der Brief foll auch noch andere Dinge enthalten. Sch habe gehört,
daß der Kronprinz auch an Hindenburg denkt. Mein Oberftabsarzt
ſagt, der Kaifer betete förmlich nach einer Erlöfung durch Abfchiebung
462 Kriegsbriefe 1915
der DVerantivortlichkeit, aber dann ftößt er auf die Dauer, mit der
er fich felbft umgeben hat, und ftößt auf fein Selbfigefühl, Der
alte Januſchauer fchrieb mir, der Kaifer würde fich mundern, was
von feinem Königreich Preußen noch übrig geblieben wäre nach dem
Kriege,
Charleville, 30. III.
Bachmann Fam heute ganz traurig von feinem Vortrag zurüd.
Der Kaiſer hörte ihn an, dann hielt er einen halbftündigen Gegen:
vortrag und fagte „Nein“. Einmal follte die Flotte herausgeben, fi
aber nicht Schlagen laſſen. Wenn man das Iehtere nicht wollte, fe
bürfte man fie eben nicht berauslaffen.
Eharleville, 31. IIL
Goltz-⸗Paſcha it hier. Sch Habe ihn aber bisher nicht gefehen.
Er ſoll jedenfalls werben für Einnahme des Serbenzipfels. Gefprochen
Gabe ich einen Feldjäger, Oberleutnant, der am 19. d. M. von Kon
entinopel abgereift ift, und lebhaft fchilderte, wie der Kriegsausgang
ſich jetzt um bie Dardanellen und Serbien drehte. Bachmann und ich
iinb ja auch dieſer Anſicht. Es iſt eben die Frage, ob man bei den
Kruppenanfemmlungen, bie auf gegnerifcher Seite auch bier im Weften
Bottfinden, Truppen trotzdem von Hier fortnehmen kann. Das follte
am beiten jemand entfcheiden, der bier nicht lokal interefftert iſt.
Zeographiſch ausgedrückt, müßte das in Berlin entfchieden werden.
Inzwiſchen find heute wieder recht ungünftige Nachrichten von den
Karpathen gekommen Die Ofterreicher balten nicht. Der Felbjäger
v. R. erzäblte, wie rücdwärts auf den öfterreichifchen Etappen maſſen⸗
haft Dffiziere fähen, in der Front aber nicht. Sehr häufig tft ihm in
Oſterreich die Verwunderung ausgeiprochen, weshalb wir fo viel Söhne
ug guten Familien ins Feuer ſchickten. Dazu dann der Nationali-
tätenhaber und ber Dünkel. Unſer Generalftab erfennt biefe Ver—
hältniſſe erft jest ganz. Der Feldjäger wollte fich auch bei Seiner
Majeſtät melden, Pleſſen aber Ichnte cab. Es wäre nicht genehm
jest für Seine Meojeftät noch mehr von ber Türkei zu hören. Ich
ſehe doch jehr ernfi in unfere Zukunft; die ruffifche Armee Schlägt
ech fehe aut und wird viel beffer geführt als je erwartet wurde,
Die Niederlagen machen fie überrafchend ſchnell wieder gut. Die Fran:
zojen fchlagen fich in der Defenfive ausgezeichnet. Die Engländer find
Kriegäbriefe 1915 463
von uns unterfchäßt. Die Mbermacht iſt gewaltig, und unfere Gefamt-
feitung war leider der Lage nicht gemachten, Trotzdem bin ich der Ans
jicht, daß wir weiter durchhalten müſſen, folange Oſterreich nicht ganz
zufommenbricht. Den Ententemächten iſt aber nicht mit der Nieder
lage Hfterreichs, fondern aflein mit derjenigen Deutfchlands gedient.
Aus U.s Brief Hebe ich nur meinen Wunfch hervor, daß er recht
behalten möge mit der Annahme, die bürgerlichen Parteien wollten
einmütig durchhalten. Erzberger fiheint mir bereits umgefellen, unt
son einem freifonfervativen Parlamentarier hatte ich ebenfs einen Brief,
ber jehe nach Almfallen ſchmeckt. Hapag, Banken, Wilhelmſtraße mit
allen Filialen; und felbft in der Armee außer im Often Feine hervor
tretenden Erſcheinungen. Die Wilhelmſtraße follte, felbft wenn fir
euf ein Minus eingehen wollte, den Mut haben, Plus zu rufen,
wie bie Engländer es in großartigfter Weiſe tun, dann würde Das
Minus wenigftens Peiner werden,
Charleville, 1. IV.
Sch glaube, ich werde ſchwer zu tragen Haben, wenn meine Lebens—
arbeit fcheitern follte. Den Ausgang ber Miſſion des Bringen Adalbert
babe ich ſchon gejchrieden. Der Befehl für Pohl, den Bachmann abs
geſandt Hat, ift durchaus nach meinem Stun, Pohl hat demnach ledig—
lich nach eigenem Ermeifen zu handeln, aber ob er den Drang zum
Handeln hat, iſt eine andere Frage Dabei muß ich anerkennen,
daß die Verhälmiffe für ihn jetzt fehe viel ſchwieriger geworden find,
Die Uboote wirken weiter, aber die Notwendigkeit, die Neutralen za
Schonen, verwäffert die ganze Wirkung und bringt uns beſtändig Vers
fufte, Es fol jeßt das Getreide nach England über norwegifche Häfen
durch norwegische Schiffe gehen. Bachmann war haste von Falkenhayn
zu einer Beiprechung gebeten, ob Oſterreich nicht zu Waffer etwas
tun Eönnte Wir haben geftern Teider die Nachricht erhalten, daß
der Verſuch, vis Donau Munition nach der Türkei zu ſchicken, mi
glückt iſt. Der betreffende Donaudampfer iſt bei dieſem Verſuch
durch die Serben in den Grund geſchoſſen. B. fand die Oberſte
Heeresleitung ziemlich ratlos. Sie wüßte nicht mehr, was ſie noch
tun könne. Wenn man Friedrich den Großen ſtudiert, iſt man immer
erſtaunt und entzückt, wie in den ſchwierigſten Lagen ber neue Ge
danke kommt und mit Blißesfchnelle ausgeführt wird.
464 Kriegsbriefe 1915
Sch weiß nicht, ob U. Homer Lea gelejen hat, der führt aus,
wie es für den Fortjchritt der Welt notwendig wäre, daß die angel-
ſächſiſche Raſſe England plus Amerifa die Welt allein beherrfchen
müfje; dann wäre eine große Armee notwendig, die an der deutfch-
holländiſchen Grenze und in Schleswig das Deutfchtum befämpfen
müffe, weil diefes den Fortfchritt der Welt hemmen würde, wenn man
es nicht zurüddrängte. Von feinem Standpunkt hat der Mann recht.
Augenbliklih iſt Falkenhayn wieder fehr bejorgt um Italien. Die
Verhandlungen jollen in gefährlicher Weije zum Stehen gekommen fein.
Charleville, 2. IV.
Zu Ehren des Karfreitag war ich in der Kirche. Nach der Kirche
war Vorbeimarfch, aber ohne Muſik. Ich fagte dem Kaifer, daß ich
in nächiter Zeit nach Flandern, Berlin und Hamburg wollte wegen
ber Uboote. Wir fprachen dann vom Ubootsfrieg, und ich benußte Die
Gelegenheit, ihm zu fagen, die befohlene Schonung der Neutralen
hätte fich als eine große Gefahr für die Uboote erwiejen, fie würden
bei dem Auftauchen zu leicht gerammt. Der Kaljer ging darauf
gleich zu Bachmann, um ihm einen entjprechenden Auftrag zu geben.
Mir gingen mit einem Heinen Umweg nach Haufe. Kaum angelommen,
kam ſchon Telephon von Müller, es möchte doch erft mit dem Kanzler
in Verbindung getreten werden. Nachher befuchte mich Golg-Pajche.
Er ift hier wegen des Serbenzipfels im Auftrag des Kaifers der
Dsmanen. Er hat hier Unentichloffenheit gefunden. Es ift die große
Enticheidung der Stunde, werden mir swieder zögern und zu jpät
fommen? Hier durchbrechen erfcheint kaum möglich; in Preußen fteht
alles. Die Ofterreicher weichen zurück. Activits, c&lerite, jagte Na-
poleon I. Handeln müſſen wir, aber mie ift das möglich bei der Hydra.
Der Kaifer hat neulich gejagt, er wolle jeßt erft jeden Franzofen aus
dem Elſaß (der Ede bei Belfort) heraushaben. Außerdem wären ihm
die Knochen eines pommerjchen Grenadiers wertvoller als der ganze
Balkan da unten. Dabei find aber Hefatomben geopfert für die Serben-
ftreitigfeit, und des Deutjchen Reiches Schieffalsftunde fteht vor der Tür.
Von feinen Söhnen hört der Kaifer am meiften auf den Prinzen
Eitel, aber der ift zu fehr einfacher Soldat. Müller hat den größten
Einfluß. Er führt beinahe die Staatsgefchäfte, jedenfalls die Marine,
und glaubt es dabei jelber nicht. Sch habe ihm übrigens neulich doch
Ariegäbriefe 1915 4653
meine Anficht gejagt, Bethmann müßte weg. Sa, aber wer an feine
Stelle? Worauf id Hindenburg nannte. Pohl hat an Bachmann
gefchrieben, Prinz Adalbert Hätte ihm den gemejjenen Befehl über:
bracht, nichts mehr zu verfuchen. Pohl behauptet nichts damit zu
tun gehabt zu haben. Inzwiſchen iſt der von Bachmann vedigierte
Befehl zum freieſten Handeln abgegangen. Ich glaube nicht mehr,
daß die Flotte zu einer guten Leiſtung kommt. Es ift der Krieg der
verpaßten Gelegenheiten,
Charleville, 3. IV.
Heute abend zu Seiner Majeſtät befohlen. Morgen abend haben wir
den Fürften Solms hier und den Eleinen Prinzen Waldemar. Der Kaiſer
bat jest wirklich nachgeneben und den Ubosten vollftändig freie Hand
gegeben. In der letzten Zeit war der Ubuotskrieg recht wirkungsvoll,
Der Handel in England hat flarf abgenommen, fett dem 18. Februar
3. B. nach Skandinavien und Hollend um 30 Prozent. Verficherungs:
prämien find riefig aeftiegen, desgleichen Preife der Lebensmittel und der
Löhne in England. Das ift doch immer etivag, womit man zufrieden
jein kann. Falkenhayn iſt heute nach Berlin gefahren. Man ift hier
jehr unruhig wegen Staliens und will dort Truppenkonzentrationen
nach Often feftgeftellt Haben.
Wäre die Entfcheidung im Sinne des Prinzen Adalbert gefallen,
jo läge die Sache anders, dann wären Bachmann und ich aus—
geftiegen. Set Tiegt aber die Sache fo, daß Pohl abfolut Freie Hand
bat und ber Unterfechnotskrieg auch ganz freigegeben iſt.
Sobald die Ruſſen eisfrei find, werden fie etwas unternehmen,
und dann find wir ganz ſchlimm dran, da man hier nervös werden
wird, wie es im vorigen Herbit ſchon der Fall war. Übrigens iſt
e8 den Ruſſen gelungen, viele Minen in der Oftfee bis Nügen zu
fegen. Sch beabfichtige, übermorgen direft nach Brügge zu fahren,
um einige Tage dort zu bleiben,
Heute jagte Müller zu Bachmann, der Kanzler müſſe gefchont
und gehalten werden. Er hätte doch wieder fo ausgezeichnete Worte
bei dee Bismarckfeier gefprochen. Iſt das nicht echt? Sch wundere
mich nur, daß Bismard nicht von feinem Pojtament herunter
geftiegen iſt.
Lirpin, Eeinnerungen 39
466 Kriegöbriefe 1915
Charleville, 4. IV.
Amerika wird weiter Waffen und Munition liefern, und weder die
Iren noch die Deutjchnmerifaner werden das ändern, denn das Ge:
ichäft ıft zu gut. Der Rückzug der Ofterreicher ift zum Stehen ge
kommen, in leiter Stunde trafen die Preußen ein. Bei Stalien liegt jet
die Gefahr. Hindenburg müßte an Stelle Bethmanns kommen, ſonſt
endet die Sache nicht gut. Dank für Wolfs Adreffe, die ich nicht genau
genug wußte. Der arme Kerl tut mir jo leid, aber wäre er viel glück⸗
licher jetzt unter Pohl, der mit Müller den ganzen Seefeldzug ver—
pfuſcht hat? Bachmann erzählte mir heute noch, wie dringend er
Müller gebeten hat, mir die ganze Sache zu unterſtellen, der hätte
aber immer heftig erwidert, der Kaiſer täte es unter keiner Be—
dingung. X. ſchreibt mir auch, ich ſollte es erzwingen. Ich könnte es
doch nur tun, wenn ich ſagte, Pohl iſt unbrauchbar, und dies ohne jede
Unterlage. Ich würde doch dann die Kabinettsfrage ſtellen ohne jeden
Nutzen. Bachmann und ich arbeiten jetzt vollſtändig zuſammen, und
ſo nütze ich Doch noch mehr, als wenn ic) im Unrecht ausſteige.
Charleville, 5. IV.
Geſtern abend wurde es ziemlich ſpät bei angeregter Unterhaltung.
Wild v. Hohenborn gefiel mir recht gut. Wir ſtimmten auch) in vielem
überein. Er meinte, nötigenfalls könnten wir auch gegen Stalien
aushalten, müßten es fogar. Hinter der Front werden bier ftarfe
Kräfte gebildet. Man will wohl erit ganz klar fehen über die Kitchener-
armee. Er fand es auch unrichtig, daß wir bez. Belgiens nicht Farbe
befennen. Die Behandlung der Frage durch den Kanzler erfchiene ala
Schwäche, aber nicht als Wille zum Siege. Der Eleine Prinz Waldemar
war jehr nett, aber ftill, und der alte Solms erzählte Jagdgeſchichten
und firich fich den Schnurrbart.
Charleville, 8. IV.
Prinz Heinrich foll fich hier nach der. harten Aufgabe in Kiel
etwas erholen. Ein Programm wurde zurechtgemact. Der Kaifer
ſaß voller Siegesnachrichten; andere dürfen an ihn nicht herangebracht
werden, unter anderm „iſt in Indien Niefenaufftand” uſw. Die Wiffen:
den blafen Trübſal. Der Katfer und ſein Bruder jchalten auf Eng»
Kriegsbriefe 1915 467
land, Valentin meinte, wären wir nur Graf Metternich!) gefolgt!
Das iſt charakteriftifch. Der Kaifer fucht feinen Troſt in dem meines
Erachtens gefährlichen Gedanken, der erjle Punifche Krieg machte es
nicht, fondern erjt der zweite, dazu müßten wir dann fehr viel Schiffe
bauen. Derartiges ift unfer Unglück und vielleicht Verderben, Und
alles ruft Hoſianna. Kein Begriff von dem Ernft der Lage für die
Zukunft Deutſchlands. Es wäre möglich, daß er fich abfichtlich betrügt.
Kurz, ich habe den Eindruck, daB wir alles verjuchen, England nad
zulaufen.
Charleville, 9. IV.
Heute war Müller bei mir, und ich forderte die Zuficherung, zu
etwaigen Friedensverhandlungen zugezogen zu werden, wie dag mir beim
Anfang des Krieges zugefichert fe. Müller verfprach das. Vielleicht
ijt mein Verlangen infofern zweifchneidig, als dann eine Einwirkung
doch zu ſpät ift, aber ich habe dann mwenigftens mein Gewiſſen be-
ruhige. Müller wußte nichts von irgendwelchen Friedensverhandlungen.
Sch fette ihm noch einmal meinen Geſamtſtandpunkt auseinander
und erzielte momentanen Erfolg. Er meinte, es wäre fo fchlimm,
daß der Kaifer von lauter weichen Hofleuten umgeben ſei. Dieje
Herten wären durch die lange Gewohnheit jämtlich auf die Art des
Kaifers eingeftellt, das wäre jo ſchlimm. An fich felbit dachte er dabei
nicht. Er gab die Eiferfucht auf Hindenburg im Often zu. Bezüglich un-
ferer Flotte wolle der Kaifer nur Ruhe haben und fich nicht forgen müj-
jen, er wiffe ja nicht, ob er jelbft den nächften Tag noch erleben würde.
Heute ift der Kronprinz fehr höflich, aber fehr zurückhaltend gemejen.
Sch habe doch Hoffnung auf ihn. Er Hat freilich nicht arbeiten ge:
lernt, aber er hat ein gutes Urteil, läßt Menfchen arbeiten, ift nicht
eitel und wird Feine SKabinettswirtfchaft treiben. Ich glaube auch,
daß er Menfchenfenntnis hat, Der Kaiſer läßt ihn aber nicht heran.
Müller rühmte fi), ung geholfen zu haben in der Angelegenheit mit
Prinz Adalbert; er hoffte doch, daß Pohl feine Sache machen würde.
Munition nach der Türkei Guben mir Teider nicht durchgebracht.
Da Liegt augenblicklich die Gefahr. Mit Italien augenblicklich etwas
beſſer.
Bis 1912 deutſcher Botſchafter in London.
468 Kriegsbriefe 1915
Sharleville, 10. IV.
Die Nachrichten, die man über die politifche Lage bekomme, find
ftetS fo unficher, daß man nie weiß, was man davon glauben foll.
Heute heißt es u.a., die Stimmung in England fei jehr flau und
England wolle feine Politik anders orientieren, Hoffentlich fallen
wir nicht darauf herein.
Charleville, 11. IV.
W. trat heute an mich heran und erzählte, es hätte fich in
Berlin eine fefte Vereinigung gebildet, zu der die maßgebenden
Perfönlichfeiten gehörten, welche auf jeden Fall mit England fich
arrangieren wollen. Mir war das ja nicht unbekannt. Hapag, Banz
Een, alle früheren Botfchafter und Gefandten, dazu die Wilhelm:
ſtraße, Überläufer in Fülle, „lasciate ogni speranza“, Fünnte man
wirklich fagen. Nach unferen Nachrichten find die Engländer durchaus
nicht boffnungsfreudig. Der Ukrieg wirkt doch ſtark, vermehrt die
inneren Schwierigkeiten, dazu Fommt man mit den Sapfen nicht in
Ordnung. Durchhalten und Snitiative wäre für ung das einzig Richtige.
Unſer Marineattachs in Rom hat recht Ungünftiges berichtet. Eng:
land ſcheint Stalien zu drohen, und das halten fcheinbar die Kerls
nicht aus. Der Straßenraub gegen Ofterreich liegt dem Mann auf der
Straße auch nüher als die zufünftige Pofition im Mittelmeer. Heute
war ich in der Kirche zu Ehren vom Prinzen Heinrich. Necht mäßige
Predigt: Glauben, das heißt Sieg Als ob man dem lieben Herr⸗
gott Dabei nicht etivag helfen müßte, Ich muß nun leider Hopman
abgeben, was mir recht fchmerzlich ift. Capelle kann ich nur für be:
ftimmte Sachen gebrauchen, im übrigen lebt er fchon zu fehr in feiner
Zukunft. Für mich wird der Krieg traurig enden, Wenn ich doch
von Anfang an die Flotte gehabt Hätte, daran muß ich immer
denken.
Charleville, 12. IV.
Geſtern abend in Stenay (kronprinzliches Hauptquartier) war es
ſehr nett. Der Kronprinz freute ſich, mich in Stenay zu ſehen, ſonſt
wäre das ja ſchwierig, weil wir beide „verdächtig“ wären. Dieſe
Kriegsbziefe 1915 469
Bemerkung genügte mir. Heute hatte ich eine Unterredung mit Wild
v. Hohenborn. Derjelbe Hat mir dabei wieder gut gefallen und wurden wir
einig, zufammenzuftehen. Bachmanns Streit mit Bethmann ift immer
noch nicht beendet. Müller hat fich hierbei wieder auf unerhörte Meife
auf Seite Bethmanns geitellt. Sch habe den Verdacht, dad Bachmann
planmäßig das Rückgrat gebrochen werden foll, weil er mit mir
zufammengeht. Bei Übernahme feiner jesigen Stellung hat ihn Müller
immer wieder ermahnt, er müßte unter allen Umftänden mit Beth:
mann gehen. Dazu wäre eigentlich gar Feine Deranlafjung, wenn es
nicht hätte heißen ſollen: „aber nicht mit dem Staatsſekretär.“
Rebmann!) ſchrieb an Hopman: wir Fämpfen im legten Ende
gegen den englifcheamerifanifchenzbelgifch-frangöfifchen Kapitalismus,
der die Welt zu feinen Gunjten vertruften wollte, und wir wären
die einzigen geweſen, die ihren Weg noch allein gegangen wären, und
obendrein mit Erfolg. Ölteuft, Tobaccotruſt, chinefifche Eifenbahn uſw.
Charleville, 13. IV.
Noch ein Eleinee Nachtrag von Stenay. Prinz Heinrich fagte
zum Kronprinzen, gejchimpft würde immer, das wäre auch bei feinem
Großvater und Vater fo gemwefen, und wenn ber Kronprinz an Die
Reihe Fäme, wäre es edenjo. Der Kronprinz fagte, man müßte nur
die Leute fehen, die um den Kaifer wären, dann könne man die Sache
beurteilen. Prinz Heinrich meinte, ex, der Kronprinz, werde fich auch
ſolche Leute wählen, worauf dieſer fagte: Nein, das werde ich nicht tun.
Es war fo falfch, die Kriegszielfrage ganz zu verbieten. Man
hätte doch fagen Fönnen, wir merden micht dulden, daß fich
wieder eine folche Verſchwörung England, Belgien und Frankreich,
bildet, das war doch ein Ziel, und doch ließ es die nötige Freiheit,
Die Flaumacherei des Kanzlers it töricht. Wenn Stalien zu ftoppen
ift, Tiegt die Sache für ung gar nicht fo fehlecht. Aber ich fürchte,
such hier fehlt ung die erforderliche Energie, Ofterreich zu beſtimmen.
Es hat fid) freilich Teider gezeigt, daß dieſes Gebilde fo morſch iſt,
daß wir eg nicht auf die Dauer werden halten Eönnen. Müller fand
fich fchon mit einem Groß-Serbien bzw. Groß-Slawenſtaat ad. Wir
hatten wirklich das fterbende Kamel zu fehr belajtet.
) Mehrjühriger Marineattahe in Wafhinaten.
470 Kriegsbriele 1915
Charleville, 14. IV.
Es ift fchade, daß ich mit Falkenhayn keinerlei Fühlung bekommen
habe. Mas 3. fagt, die andere Partei müffe fich auch zufammentun,
ift infofern ſchwierig, als Leute im Amt nicht illoyal handeln können.
Ich kann amtlich und mit Amtsperfonen meine freie Meimmg fagen,
aber ich Fann nicht mit Parlamentariern 3.8. Eonfpirieren. Was
ich fürchte, ift, daß fich in der freien Oberfchicht Feine Führer finden,
die das aufnehmen. Um Namen zu nennen: Krupp, Hendel uſw.
Krupp, dem ich ja perfönlich näherftehe, konnte ich als Diplomaten
alles fagen, aber den Willen zur Tat Eonnte ich ihm nicht beibringen.
- Wenn diefer Wille wirklich fich in Perfonen und Führern verkörperte,
io wäre die Eingabe des Bundes der Landwirte, bes Hanfabundes ufiv.
für die Freigabe der Befprechung der Kriegsziele nicht fo völlig im
Sande verlaufen, wie fie es tatfächlich ift. Kurzum, ich glaube leider
noch an die Hammelherde, Sie wird zum Reden kommen, wenn nichts
mehr zu ändern fit.
Charleville, 15. IV.
Sch verfuchte, Prinz Heinrich etwas auszuholen über Marinedinge.
Entweder wußte er nichts zu fagen oder er hielt zurück. Sch kann es
noch immer nicht verwinden, daß unfere Flotte im vorigen Herbft
nicht zum Angriff gekommen ift. Ingenohl hatte das Schiefal Europas
in feiner Hand. Die Beziehungen zu Stalien, ich will fagen Verhand-
lungen, find noch nicht abgebrochen, fo befteht noch einige Hoffnung
auf Nichteingreifen. Der franzöfifche Flieger hat richtig fünf Bomben
hier geworfen, leider find nur Deutfche hierbei umgefommen. Jetzt
freuen ſich die Charleviller über ihren Helden, der ung den Schabernaf
gefpielt hat, und mir find wirklich gutmütig genug, den Kerls den
Schaden auszubeffern. Der Kaifer ift wütend; jeßt wird auch Bucking—
ham⸗Palaſt freigegeben. Er glaubte wirklich an eine ftillfchmweigende
Einigkeit der Häupter, fich felbft zu fchonen, eine merkwürdige
Denfungsweife,
Charleville, 17. IV.
Müller beflagte fich über die Zeppelinangriffe, und ich gab ihm
vollkommen Recht. Sch will verfuchen, die Kindereien mit ben
Zeppelinfchiffen zu bremfen. Bachmann war geftern abend zu einem
Kriegshriefe 1913 471
größeren Eijen beim Kriegsminiſter. Da but er dann felbft ent
nehmen Fönnen, wie Pohl fich auch in diefen Kreifen zur Wachtel
gemacht hat mit feinen Kenommiftereien uſw.; „wir mürden London
vernichten, die Armee Lönnte jo etwas nicht. Sin wenigen Wochen
wäre England durch den Ubootskrieg herunter uff.” Und einen fo
Heinen Mann nimmt Miller zum Chef des Admiralſtabs und jebt
zum Slottenchef. Wenn ich nur im Herbft Ingenohl voll hätte be:
urteilen können, wie ich es jet tue, ſo hätte ich noch vielleicht Erfolg
beim Kaifer haben können. Es wird zweifellos planmäßig vom Aus
wärtigen Amt die Amäherung an England in der Preffe gepriefen,
und biefer Standpunkt fteht dem Angliedern von Belgien in irgend:
einee Form ſchroff entgegen. Verfolgen wir die Politif, die Graf
Monts (zweifellos mit Wiffen des Auswärtigen Amts) im „Berliner
Tageblatt” empfiehlt, jo befennen wir ung jest ſchon als gefchlagen,
jinfen zum Landsknecht von England gegen Rußland herab. Die
Gefahr der Rufienflut können mir nur befeitigen durch Ablenkung.
Menn das aber nicht gelingt, und wir müßten noch einmal gegen
Rußland Kämpfen, an der Seite von England, fo haben wir weiter
nichts davon, als daß wir das Blut dabei hergeben müffen. In
der perfiichen Sache mußten mir Rußland unterftügen zur Zeit der
Potsdamer Zuſammenkunft, und wenn das nicht ausreichte, mußten
wir ihnen fagen, geht nad) dem Bosporus, wir haben nichts dagegen.
Dann wäre die ganze Gefellfchaft uns nachgelaufen. Wenn die For:
men auch heutzutage anders liegen, Bismard hat ganz recht gehabt
in dem Grundgedanken.
Charleville, 13, IV.
Heute war ich zur Kirche. Man trifft dort immer die verfchiedenften
Menjchen Heute wor Dallwig anmwefend Wir fprachen über den
Krieg und Famen much auf die Taraſper Zeit. Dallwitz fagte mir dabei,
ich hätte Wort für Wort recht behalten. Sch benußte die Gelegen-
heit, um ihn auf den Drang nach England aufmerffam zu machen,
er Steht in diefer Beziehung auf meinem Standpunkt. Dallwitz ift
der Kandidat von Walentini für den Poften des Kanzlers. Der
Kriegsminifter erfreute mich durch die Bemerkung: „Es rollt, es
rollt”, alfo fol doch die überfchüffige Kraft zum Anſatz gebracht
werden und auf Stalien nicht gewartet werden. Gelingt das Rollen,
472 Kriegähriefe YETD
fo tft es auch der befte Kalte Waſſerſtrahl für Italien. Wenn Hinden⸗
burg dann dem Kaifer zu groß tft, fo tft er ja der rechte Mann. Sch
habe mich fchließlich veebraucht in dem ewigen Rampf mit der Ka—
binettswirtfchaft. Glaubſt du, daß die aufhören wird? Mit diefer
kann ich aber nicht arbeiten, ganz abgefehen davon, daß ein felcher
Poften gar nicht meiner Urt entjprechen würde, Sch babe mit großem
Genuß Tim Kleins „Bismarck“ gelefen. Wie oft mag der alte Recke
fih im Grabe umgedreht haben, fett er tot ift. Sch ſah ſeit Fahren
den Sturm Eommen und Eonnte nichts tun, um ihn abzuwenden. Ich
habe ja auch feit Fahren gejehen, wie die Flotte verfommißte und für
Parade und Inſpektion arbeitete. Sch hatte das ganz klar erkannt und
oft mit meinen näheren Herren befprochen und Eonnte nichts daran
ändern, Wie X. mir neulich fchrieb, hätte es ihm leid getan, daß er
Herbft 1912 mir noch zugeraten hätte, zu bleiben (als der von Holßens
dorff pp. infpirierte unerhörte Brief von S. M. damals Fam). &. hat
abfolut recht, ich habe während des ganzen Sirieges es bitter bereut,
daß ich damals nicht Schluß machte. Sch werde mit Spamung jeßt
äufehen, ob die mit den Montsichen Artikeln eingefente Stellungnahme
Bethmanns irgendeine Wirkung bat. Bethmann bat jegt für feine
antisruffifche Politil die Sozialdemokraten und die Linfsliberalen ganz
auf feiner Seite. Erzberger ift jedenfalls in fein Lager übergegangen,
das will ſehr viel fagn. Man munfelt bier, daß England bie
zu einem gewiſſen Grade Gnade ausüben will. Dann aber öffnen fich
hier Sofort die Arme, um mit England dasjelbe Bett zu befteigen,
troß Rieſenhurras und Fanfaren, alfo abwarten! Unſere Fleinen Üboote
knallen alles nieder, mas ihmen in den Meg Fommt. Der Sanzler
rauft fich die Haare, hat auch den Kaifer wieder nerods gemacht,
Gegen uns ift alles erlaubt, aber unfere Befcheidenheit und Artigfeit
jeßt, wo es fich doch um die Eriftenz handelt, läßt Die anderen an
ınferem Sieg zweifeln. Wenn mir nur nicht einfnicken, fiegen wie,
Charleville, 19, IV.
Müller war heute bei mir und erzählte, der Kaiſer würde vielleicht
Ende des Monats woandershin fahren. Müller bearbeite ich bei folchen
Gelegenheiten, der Kanzler müffe weg. Das ift jet meine Meinung,
Hindenburg muß an feine Stelle, damit das Ausland Angſt bekommt.
Es iſt rührend, man verbietet das Sprechen über das Kriegsziel und
{
Arisgebrieie 101% 473
läßt die Meute los, flau zu machen und einzuknicken in dem Augenblick,
in dein alles darauf ankommt, den Nacken fteif zu halten.
Charleville, 20. IV.
Daß die Sozialdemokraten den Reichskanzler unterſtützen, ſtimmt.
Die Grandfeigneurs find Jammerlappen, die Sereniffimi brave Leute,
Ludwig der Bayer nicht recht verwendbar, Die paar Ponfervativen
Abgeordneten find zu ſchwach. Die Reife von Hintze nach Peking ift
ein wahres Kunſtſtück, befonders bei der „Hilfe“ durch das Auswärtige
Amt. Sch Fönnte verfucht fein, Nachfolger von Berhmann zu werden,
nur um die Kerle herauszufeitern, Aber die Zahlen find fo groß, daß
es troßdem nicht gelingen würde.
Daß England jo maßlos fchimpft, iſt ja höchſt erfreulich; das wäre
doch ein Anzeichen, daß ihnen die Sache ungemütlih wird. Wenn
nur die neue Urt Uboote fchneller fertig würden, und noch zum Tragen
kämen, ehe fih England zu Friedensverhandlungen herbeiläßt. Hier
liefen der Kanzler und feine Organe wieder mit gefträubten Haaren
herum, weil das Beine Ubost den Holländer erfchoffen hat. Der hat
e8 ſich ſelbſt zuzuſchreiben. Statt ftolz und feit gegen das uns nicht
wohlmollende neutrale Holland aufzutreten, winfeln wir und bitten die
Holländer bereits ohne Not um Vergebung. Gott fei Dan? ift Bach-
mann jeßt hier, Der Kanzler beehrt ihm bereits mit feiner Ungnade, und
Müller iſt empörenderweiſe ſtets gegen ung.
Charleville, 21. IV.
Heute ließ mich die Kaiſerin Fommen Sch habe ihr ungeſchminkt
meine Anficht von der Tage dargelegt. Der Kaiſer wäre hier umgeben
und eingefchloffen von einer weichen Maffe („Ja, leider ift es fo, meinte
fie). Ich habe ihr meine Anficht gefagt, wir müßten, wie Friedrich
der Große ſagte, das Herz in Stahl wappnen, auch wenn Italien
Issginge. Wir dürften unter feinen Umfländen einknicken und den um
Hilfe anflehen, der uns ja niederjchlagen wollte. Das Verfahren von
Monts fei unerhört, meinte fie, aber der Katfer ſelbſt würde den
Meg nicht gehen. Sch fagte, Monts wäre nicht vereinzelt und fände
in Verbindung mit der Milhelmftraße. Sch ſagte ihr, Falls Bethmann
zufammenbräche, was ja doch möglich fe, müßte Hindenburg heran.
Ste meinte, der täte es nicht, wäre wohl auch zu fehr reiner Militär.
474 Kregsbriefe 191%
Ich fagte, Ich Hätte mir fagen Iofjen, daß er buch einen gefunden
Menfchenverfiand hätte, und gerade der Umſtand, daß er Militär wäre,
erichiene mir gut, damit Einheitlichfeit in das Ganze käme. Sie meinte
dann, man würde doch micht glauben, daß fie zurüchielte wegen
ihrer fecyg Söhne, worauf ich ihr dam fagte, im Gegenteil, alle, die
die Ehre gehabt hätten, etwas näher in die Verhältniffe hineinzufehen,
richteten ihre Hoffnung gerade auf fie. Deshalb wäre es auch wün-
fchenswert, daß der Kaifer nach Berlin käme, mo die enge Umlagerung
nicht in gleicher Weiſe ftattfinden könnte. Morgen reift fie ab. Sch
glaube, daß fie an der Situation auch nichts ändern Bann.
Menn ©. M. mir den Seekrieg überlaffen wollte und mir über
faffen würde, dahin zu gehen, wo ich wollte, dann würde ich es tun.
Aber davon ift Feine Rede. Berhmann, Müller und Treutler vereint
machen alles, was fie tun können, um die Marine nicht zum Tragen
zu bringen, und der Kaifer fällt nach dem Pleinjten Anlauf fofort um.
Das bier zu erleben und gar nicht ändern zu Eönnen, tft fchrecklich
für mich. Heute abend bin ich bei Herm v. Stumm (dem typifchen
Mitglied des Auswärtigen Amtes) eingeladen, um mit dem türfifchen
Hinanzminifter Djavid Bey zufammenzutommen und ihm einige Elogen
über die Türken zu fagen. Das konnte ich dann nicht abfchlagen.
Sharleville, 22. IV.
Heute kurz vor Tiſch war ber Kriegeminifter bei mir, um vor feiner
Reife nach Flandern mir zum 50 jährigen Dienftjubiläum zu gratu⸗
fieren. Er tat das in fehr herzlichen Worten. Er glaubt immer noch
an einen Erfolg unferer Flotte. Ich glaube es nicht mehr. Sm Herbft
vorigen Sahres wurden die beiten Gelegenheiten verfäumt. Jetzt fcheinen
auch tatfächlich Die Engländer zurüczuhalten. Ihre geographifche Lage
geftattet ihnen dag, ohne daß die Flotte ihren Zweck verfehlt. Sie wirkt
auf alle Neutralen und fchließt uns immer mehr ab. Wenn Englands
Slotteftpreftige erfchüttert worden wäre, jo dächte Stalien nicht daran,
uns als Erprejjer gegemüberzutreten. Um 1 Uhr war ich zur Tafel und
ſaß neben der Kaiſerin; fie geht von hier nach Straßburg, von bort
über Karlsruhe zurüc nach Berlin. An Verlegung des Hauptquartiers
nach Berlin wäre nicht zu denken, meinte fie. Vielleicht geht der Kaifer
auf acht Tage nach Schlefien. Sch beabfichtige deshalb, unmittelbar
nach dem 27. nach Berlin zu kommen. Dievid Bey und der hiefine
Rriegöbriefe 1915 475
Zürfengeneral waren anweſend. Der Kaiſer bezeichnete Falkenhayn
als den Führer fämtlicher Armeen, alfo inkl. Hindenburg.
Die „Frankfurter Zeitung” brachte heute einen langen Artikel,
ber darin gipfelte, daß Rußland ber einzige Feind wäre, mit bem mir
dauernd ringen müßten, der Naturgewalt wegen, mit der die Slamen:
maſſe auf uns drückt. Geſchickter gefchrieben als die Monts-Artikel,
vielleicht von meinem „Freunde“ Stein, jedenfalls infpiriert vom
Auswärtigen Amt. Ich befomme ſchon alle möglichen Glückwünſche
zum Dienjtjubiläum, die mir wirklich fchredlich find.
Kuxhaven, 12. V.
Wir fuhren um Ya10 von Wilhelmshaven ab mit zwei ſehr ſchnellen
Zorpedobooten durch Schiffe, Sperren, Vorpoften bis heraus. Die
See war ruhig. Gegen 12 Uhr in Helgoland, wo ich wohl zum legten:
mal mit Irara erwartet wurde, M. mürde fich wundern, was hier
alles gefchaffen wurde. Einen merkwürdigen Eindruck machte doch bie
Inſel; keine Helgoländer, Feine Badegäfte, Feine Frauen und Feine
Kinder, nur Männer in Wehr und Waffen, Ganz bie Kriegsbedeutung
hat Helgoland doch nicht gezeigt, wie wir früher dachten. Der Krieg
in ber Nordſee fpielt fich in fo anderen Formen ab. Es war fat wind:
ftill und die Sonne warm, dabei eine Luft wie Stahl. Um 2 Uhr
Mittag im Kaſino, das fehr hübſch und behaglich eingerichtet ift. Der
geräumige Speifefaal war bis zum letzten Platz beſetzt, nur die Kom—
mandeure waren aktive Dffiziere, fonft faft nur Referveoffiziere aus
allen Berufsarten. Es herrfchte guter Ton und Eintracht untereinander.
Admiral Jakobſen ſchwang eine Nede auf mich, die ich natürlich bes
antworten mußte und fie in bem Gedanken bzw, dem Stichwort be
endete: Helgoland⸗Oſtende. Um 4 Uhr ab hierher. Sch glaube, mir
trafen gegen 7 Uhr bier ein und fuhren fofort per Auto nach Nord»
holz, unferem LKuftichiffplat. Vor 2 Jahren war dort noch blanke
Heide, jeßt Luftfchiffhalle, Wege. Unſer Luftichiffiwefen iſt jedenfalls
in guten Händen.
478 Kriegsbriefe 1915
Kiel, 13, V.
Prinz Heinrich empfing mich fchon auf dem Bahnhof und Fam
gleich ins Hotel mit. Mit halbftündiger Paufe nach dem Schloß;
Prinzeffin, Frl. v. Plänkner (Hofdame), Seckendorff (Hofmarfchald),
Kapitän z. ©. Heinrich, Kapitän Weiterfampf. Die Prinzeffin außer:
ordentlich verfiert, fie entwickelt eine Riefentätigkeit in Hofpitälern,
Vereinen pp. Geftern früh heraus, Germania, Kaiferliche Merft,
S. M. ©, Kronprinz (Dalwigk), Xorpedoinjpektion, Bildungs:
infpektion (Rebeur), Ubootsinfpektion. Ubootskommandanten ber Elei-
nen Uboote ftrahlten jämtlich; auch die ZTorpedobootsfommandanten
machten vorzüglichen Eindrucd, Es iſt der Krieg der Kapitänleutnants
und Oberleutnante, Manche Admirale verſagten, teilmeis zeitlicher
Zufall, zum anderen Teil Müllers Schuld. Es wimmelt von Marine,
Heine Kerls, diefe Seewehren, und fie kommen nicht zum Tragen!
Abends hatte ich eingeladen Rebeur, Henkel, Dalwigk, Stemens (Uboots⸗
injpeftion), Trotha und meine Herren. Es wurde freimeg geredet und
war jeher nett. X. war außer fich über Pohl, der alles tut, um
VBormände zu finden, nichts zu tun. Beſonders fucht er nach techntichen
Mängeln. Der Prinz will mich) auch heute abbringen. 9 Uhr 12 a, m.
Wilhelmshaven, 13. VIL
Der Tag HE ganz mühlich verbracht worden, jeht geht es auf
5 Uhr. Sch habe mir Admiral Kraft und einige Ubootskommandanten
eingeladen. Geftern abend lange Unterredung mit Y. Es herrſcht
allgemeine Empörung über die Führerlofigfeit in der Marine. Die
öffentliche Meimmg — 830 Prozent — mill mich haben, Dan will
an SM. heran, Trogdem ich Horatius Cocles fpiele, ba die befte
Stunde verpaßt iſt, würde ich feldftverfiändlich annehmen, freilich
unter ber Bedingung freier Macht, Aber dieſe würde ich mir fehon
nehmen, Pohl Hat vollftändig verfpielt, mie Kapitän X. mir fagt.
In feinem Stabe nicht nur, fondern überall fehreit man nach mir,
Alle Hesereien gegen mich find mit einemmal verfchwunden, und
morgen erucifige. Fine geroiffe Genugtuung ift es doch für mich,
Sch glaube nicht, daß es S. M. tun wird, aber wie Gott will. Für
Müller wird es Immer eine Lektion bleiben.
Kriegsbriefe 1915 477
Emanuelsſegen, 20. VI.
14 Tage bleibe ich wohl ficher hier; dann vielleicht nach Oſten.
Hindenburg hat jedenfalls augenblicklich zuviel vor, um ihn zu be
juchen. Sch will auch erſt jehen, wie die Sache fich hier macht. Unfere
feider ziemlich mitgenommene Garde fteht jest der ruffifchen Garde
gegenüber, die von Petersburg herangeheit iſt. Man glaubt daraus
zu entnehmen, daß die Nuffen dag Kette dort einjegen müffen. Falken:
hayn hat Bachmann erzählt, der Kanzler wolle Kurland annektieren;
die Engländer werden dag mit Vergnügen fehen; bann fißen wir feit
auf ein Jahrhundert, und die Ruſſen desgleichen. England lacht fich
ins Fäuſtchen, und wir ziehen aus Belgien ab. Dann hat England
feinen Zweck erreicht, und wir find zu einem reinen Kontinentaljtaat
zurüdgedrängt. Die Leute dahınten in der Türkei und auf dem Balkan
find Falkenhayn gänzlich einerlei. Die ganze Gefellichaft um den
Kaifer herum ift fo langſam eingefchlafen, der Kaifer zeichnet an der
Karte den Kriegsverlauf ein,
Emanuelsſegen, 22. VI.
Bachmann hatte gefteen mit Müller gefprochen. Letzterem ift die
Marinefituation offenbar unheimlich geworden. Die Frage des Ober:
Eommandierenden ſpukt weiter. Sch glaube aber nicht, daß die Ent-
fcheidung für mich fallen wird. Müller fagte geftern, er hätte im
Anfang des Krieges etwas Derartiges angefirebt, da fei aber nichts
daraus geworden. Er hätte nach dem 2, Januar noch einmal beim
Kaiſer einen Verfuch gemacht und mid) genannt, wäre aber gänzlich)
abgefallen: Der Kaifer brauche den DOberfommandierenden nicht, das
Eönne er felber machen, Mir fcheint diefe Verfion nicht recht glaubhaft.
Denn hätte das Müller wirklich tun wollen, fo hätte er doch vorher
mit mie darüber fprechen müſſen. Er hat das nicht nur nicht getan,
fondern hat Pohl genommen an Stelle von Ingenohl, ohne mich)
überhaupt zu hören. Bachmann gegenüber bat er damals, d. h. am
2. Februar, gefagt, vor mir kämen doch noch jüngere Offiziere in
Frage, die nicht fo lange aus der Front wären, z. B. Holtzendorff.
Bei dem geftrigen Zwiegeſpräch zwifchen Bachmann und Müller ift mein
Name nicht erwähnt worden. Sch weiß nicht, ob geſtern; gelegentlich
aber dat er gejagt, Pohl und ich könnten nicht zuſammen arbeiten, und
478 Kriegebriefe 1915
an erfteren glaubt er als Praktikus. Wir fchweben in Sorge, ob wir
Amerika gegenüber weiter zurückweichen werden.
Emanuelsjegen b. Kattowitz, 23. VII.
Enver hat eine Depefihe an Falkenhayn gefchiett, die m. E. einen
drohenden Klang hatte,
Emanuelsjegen, 24. VII
Sch Bann mir auch Feine Vorftellung machen, wie wir Rußland
zum Frieden bringen wollen. Die „Räume“ find zu groß, wir können
doch nicht immer meiter vordringen. Es muß eine Freude für England
fein, daß feine beiden gefährlichiten Gegner fich gegenfeitig fchädigen.
Rußland wird warten, und viele Truppen werden mir nicht frei
befommen für den Welten, felbit wenn wir an ber Buglinie Halt
machen. Seit geftern abend ift Kapitän Erich v. Müller hier, der auch
etwas verzweifelt ift über die Vernachläffigung, die wir dauernd gegen
die Türkei beaehen. Er beurteilt übrigens die innere Lage Englands
günftig für und. Daher auch jet die großen Anftrengungen gegen
die Dardanellen; fallen diefe, fo geht der ganze Balkan gegen uns
108. Falkenhayn fühlt nicht, daß unfere ganze Orientierung gegen
England gerichtet fein müßte, Ohne Hilfe der Ftaliener wäre frei
ih Gallipoli fchwer zu nehmen. Zwei andere Uboote gehen dahin
iebt ab. Vor drei Wochen Eönnen fie fich aber kaum fühlbar machen,
und fie allein Fünnen es auch nicht machen.
Kampf, Weitarp und Bafjermann wollen direft zum Kaifer fahren
wegen der Türkei und megen der Uboote. Sie werden nicht viel er:
reichen. Heute erwarten mir die Note. Die Pantaloni in der Wilhelms
ftraße follen bedenklich fein. Falls die Note grob wird, werden Beth
mann, Jagow uſw. fagen: Das haben wir der Marine zu danken,
Emanuelsjegen, 25. VIL
Amerika ift fo unverfchämt, fo unverhülft probritifch, daß es fchmwer
zu glauben ift, wir würden zu Kreuze Briechen. Doc) halte ich in der
Beziehung alles für möglich. Eine Bemerkung in der Note weit darauf
hin, daß mir fchon unter der Hand Verfprechungen gemacht haben,
ben Ubootsfrieg einzufchränfen. Wir rutfchen mweiter. Aber jett handelt
es fih um ein formelles Bekennen vor aller Welt und vor dem
beutfchen Volk. Die Antwort Bann ſich leicht wochenlang binziehen,
Kriegübziefe 1915 479
Ich kann m. E. ein formelles Abfchwören des Ubootskrieges nicht
mitmachen. Wir geben damit auch die jet einzige Zukunftswaffe
gegen England aus der Hand. Die Ablöfung Mukhtar Pafchag und
die Ablehnung jeder Hilfe für die Türkei von feiten Falkenhayns
drücken mich ebenfalls fehr. Inzwiſchen wird der Druck Englands auf
die Neutralen immer flärker, und mir fpielen Napolium in der Polackei.
Emanuelsfegen, 26. VII.
Heute ab 10 Uhr nach Tefchen, dem Hauptquartier des Erzherzoge
Friedrich. Die Gegend in Galizien war ſehr hübfch; vor ung lag bie
Berggruppe der Beskiden. In Tefchen fehr liebenswürdig empfangen;
alter, gänzlich Harmlofer Herr, mit dem Comad v. Hößendorff wohl
Feine Schwierigkeit hat. Nachher vom Thronfolger empfangen, der noch
jeher jugendlich ift, aber fcheinbar Intereſſen beſitzt. Großer Stab,
dem wir vorgeftellt wurden; ich hörte nur immer Graf Soundfo und
Graf Soundfo. Beim Frühſtück ſaß ich neben dem Oberfommanbieren-
den, ber ſehr ftolz auf feinen einzigen Sohn war. Diefer hat foeben
das Abiturienteneramen beitanden und zwar in ungarischer und deutfcher
Sprache, Sein Vater (Bruder der Königinwitwe von Spanien) hat
ſehr große Befigungen in Ungarn. Er erzählte mir, fein Neffe, der
König von Spanien, hätte gefchrieben, daß man Spanien mit Hunderten
von Millionen zum Eintritt in den PVierverband bearbeitete, jolange er
aber König wäre, würde nichts daraus. Er hätte auch feine Armee
hinter fih. Man war entrüftet in Zefchen über die Unverſchämtheit der
amerifanifchen Note und Eonnte fich nicht vorſtellen, daß wir zurück
weichen würden. (Wenn das nur zutrifft bei unferen Pantalonibefißern.)
Man hofft, die Iſonzolinie halten zu können, war aber nicht ganz
ficher. Leider war Conrad nicht anweſend, er war nach Wien befohlen,
Sch hätte gern die intereffantefte Perfönlichkeit des dortigen Haupt
quartiers Fennengelernt,
An die Wirkung von Kämpf bei S. M. glaube ich nicht recht. Von
Berlin haben wir noch nichts über die Note erfahren. Müller iſt in
Berlin und befpricht mit Capelle die Virements.
Emanuelsjegen, 27. VIL
Geftern vor einem Jahre traf ich in Berlin ein, empfangen mit ber
Meldung, es wäre alles in Ordnung. Sch traute dem Frieden nicht
430 Kriegöbriefe 1915
und habe leider vecht gehabt. Jetzt haben wir fchon 500000 Dann
auf den Schlachtfeldern Liegen lajfen und über eine Million Verwundete.
Dabei ift noch Fein Ende diefes furchtbaren Krieges abzujehen. — Sc
finde auch, daß der empörend fihroffe Ton der Note Fein Nachteil für
uns ift, Näheres von Berlin wiſſen wir noch nicht. In der Wilhelm:
ftraße follen die Meimingen geteilt fein. Here Kriege t) fol freilich
ganz gegen die Uboote umgefchlagen fein. Er denkt wohl, feine Zeit
iſt gefommen, und ein neues modernes Völkerrecht iſt im Werden.
Die Demarche feitens des alten Kampf und Genoffen beim Kaifer
it gefcheitert oder hat ſich zerfchlagen. Der Grund ift mie nicht
befannt; man foll jet etwas anderes planen, bei dem auch ich be:
teifigt werden fol, Morgen werde ich hierüber Efüger fein. Eine Unters
vedung zwiſchen Capelle und Admiral v. Müller hat in Berlin nicht
flattgefunden. Daraus und aus anderen Nachrichten möchte ich fchließen,
DaB bei der Flotte alles beim alten bleibt.
Emanuelsſegen, 28. VIL
Heute hatte ich einen Brief von Eapelle. Er fchreibt mir, daß
Admiral v. Müller offenbar abfichtlich vermieden habe, ihn zu fprechen,
und doß er bie Schaffung eines Oberfommandierenden für die Marine
für ausgefchloffen Hielte; die amerikanische Note folle nicht beantwortet
werden, und die Uboote und ihre Arbeit würden am fchleichenden
Sieber eingehen. Eine akute Krife, die für mich die Möglichkeit gäbe,
auszufleigen, hielte er für unmwahrfcheinlich. Capelle iſt fehr beſorgt
um die Türke, Wie wir die fchmere politische Schlappe ertragen
wollen, weiß er nicht. Er glaubt auch nicht an Rußlands Nachgeben.
Mir haben einen neuen eingehenden Bericht vom 1. Offizier der
‚Mainz‘ über das Gefecht vom 28. Auguft v. J. Sch werde ihn
dir fchifen. Die „Mainz hat fich glänzend gefchlagen, aber pro nihilo.
Fin ausgewechjelter Arzt hat den Bericht auswendig gelernt und nachher
in Deutichland niedergefchrieben.
Alle Anftrengungen, die von Politikern und anderen gemacht wurden,
um Falkenhayn zu bewegen, Sfterreich Mores zu lehren, find vergeblich
geweſen. Wir fehen und hören hier von Pleß wenig. Ich habe deshalb
meinen Plan, nach Danzig zu fahren, wieder aufgenommen. eltern
habe ich an Hindenburg gefchrieben und ihm gejagt, ich wolle ihn
2) Reiter der Rechttabteilung im Auswärtigen Amt.
Kriegsbriefe 1915 481
befuchen, fobald er feine jeßige Unternehmung beendet babe oder doch
in ruhigeres Fahrwaſſer gekommen ſei.
Emanuelsfegen, 29. VII.
Heute vormittag erhielt ich einen Brief von Baffermann, der mir
mitteilte, daß am 1. Auguft eine allerhöchfte Proklamation heraus-
kommen follte, die troß Fanfare einer Schamade ähnlich fein würde.
In ihre wäre die Erklärung enthalten, daß wir Feinen Eroberungskrieg
führen. Die weiteren Worte, daß wir Feine Ausdehnung unferer Reiche:
grenzen erftreben und bereit find, Frieden zu machen, die der urfprüng-
fiche Entwurf erhielt, follen geftrichen fein. Bafjermann meinte, daß
eine folche Proklamation (als Eingeftändnis unferer Niederlage) nach
außen und innen ben fchlimmften Eindruc machen müßte. Er erfuchte
mich, eine Kundgebung folchen Inhalts zu verhindern. Richtig ift, daß
alle infpirierten Blätter und Korrefpondenzen in der gleichen Richtung
gehen. Sch habe fofort nach Berlin telephoniert, mir weitere Unterlagen zu
Ichaffen, dann bin ich nach Pleß gefahren. Der Reichskanzler war aber
ſchon abgereift nach Berlin. Sch befuchte in Pleß Wild v. Hohenborn, der
nichts von der obigen Sache wußte, im übrigen auch entfeßt mar,
indeffen ebenfo mie ich die gegebene Unterlage für nicht genügend er:
achtete, um an Bethmann oder gar an den Kaifer heranzutreten.
Bethmann Pönnte die interpretation als Beleidigung zurückweiſen.
Wild v. Hobenborn ſchien infofern nicht ganz befriedigt von dem Vorgehen
gegen Rußland, als nicht alles fo geglückt fei, wie gehofft, d. h. Feine
Einkreifung, und Rußland würde eben zum Feftfigen kommen und wir
ebenfalls erftarren. Bei Anfang der Bewegung hätte bei billigem An:
gebot Rußland vielleicht nachgegeben, jetzt nicht mehr. Darauf längeres
Gefpräch über die Türkei; er will fich derfelben ernftlich annehmen.
Um 6 Uhr hat fih Mülfer bei mir angefagt. Ich weiß nicht, was
er will, mwahrfcheinlich handelt es ſich um verhältnismäßig unter:
geordnete Perfonalien, die das NReichsmarineamt angehen.
Einliegend der Gefechtsbericht über die „Mainz am 28. Augufl.
Man kann aus ihn entnehmen, welche Kraft in unferer Flotte fteckte,
wenn fie zum Anfang des Krieges zum Anfat gebracht worden wäre.
— Müller war alfo bier und der inhalt, wie ich vermutet habe.
Bon der Proflamation mußte er, beftritt aber den Inhalt. Auch wäre
der Kanzler noch gar nicht entfchloffen geweſen, ob fie überhaupt
Tirpitz, Erinnerungen 31
482 Kriegsbriefe 1915
erlaffen werden follte. Ein Bericht unferes Militärattaches aus Athen
ichildert die Entrüjtung der Griechen über die Drangfalierung der Eng:
länder, welche Griechenland zum Kriege preffen wollten. Nach ihren
Zeitungsartifeln zeigen fie in diefer Hinficht mehr Mut als die Holländer.
Emanuelsfegen, 30. VII
Ihr habt wohl den „Kreuzzeitungs“⸗Artikel von geftern gelefen, der
geht fchon gegen die beabfichtigte Tendenz der Proflamation an. Müller
hat heute mit Zreutler gefprochen, der natürlich fehr befriedigt über
die Tendenz der Proflamation fprach, die gar nichts Bedenkliches hätte.
Im übrigen vermied Müller abfichtlich, auf die Amerikanote einzugehen.
Emanuelsfegen, 31. VIL
Soeben find die Briefe von J. und U. vom 26. eingetroffen. Sie
enthalten mit Recht Empörung über die Note und über unfere Leitung.
Änderung kann nur eintreten, wenn Falkenhayn, Bethmann, Jagow,
Müller und feine Gefinnungsgenoffen gehen, kurz das ganze Syſtem
wechſelt. Dazu bin ich allein nicht imftande. Als die politiichen Parteien
zum Kanzler hingingen wegen der Ubootsfrage, find fie umgefallen, ob:
wohl fie wußten: „‚getrennt marfchieren, vereint ſchlagen“. Ebenfo ift die
Prefje im Begriff, umzufteuern. Nach anfcheinend guten Berichten
wäre nach Abfendung unferer Note Jagow zum amerikanischen Bot:
Ichafter gegangen und hätte inftändig um gute Aufnahme des Angebots
gebeten, der hätte auch zugeſagt. Offenbar wußte Jagow gar nicht,
daß der Botfchafter gar Feinen Einfluß auf den Präfidenten hat, und
wenn er ihn hätte, er feinen Einfluß im umgekehrten Sinn, nämlich
für England angewandt hätte. Behncke fchreibt außer fich über das
Heruntergehen der Ubootsverwendung infolge der Einfchränfung. Daß
die Uboote auch fo „‚Funktionierten‘‘, wie U. fchreibt, hat man Amerika
zweifelsohne gefteckt. Sch habe von vornherein dafür gekämpft, energiſch
gegen Amerika aufzutreten, Eonnte aber nie mehr als per far figura
erreichen, denn Form und Faffung waren nicht in meinem Reffort.
Sch werde fpäter U. meinen eine bis zweiftündigen Vortrag beim
Kanzler zeigen. Sch überzeugte ihn bis zu gewiſſem Grade. Nach
zwölf Stunden war er umgefallen. Wie wenig Rüdhalt man an den
Darlamentariern hat, geht u. a. daraus hervor, daß die National:
liberalen in der belgischen Frage im Begriff find, umzufallen. Was
iſt nun die öffentliche Meinung, von der U, jchreibt, daß ſie hochgeht?
Kriegsbriefe 1915 433
Der Umfchwung der Leitung unferes glänzenden, aber zu befcheidenen
Volkes kann nur von Männern Eommen, die frei daftehen, fie Fann
nicht aus Heer und Marine kommen. Damit will ich nicht fagen, daß
man alles mitmacht. Aber man Pann nicht auf die Straße gehen
und fchreien, wenn man aus dem Amt gegangen ift. Für mich ift es
befonders fchwer, wenn ich an das Hurra denke, welches unfere Feinde
bei der Möglichkeit meines Nücktritts Iosließen, und die daran fich
anfchließenden Wirfungen. Dabei bemerke ich, daß Wild v. Hohen:
born bei meiner neulichen Unterredung fich über mein und Bachmanns
Abfchiedsgefuch äußerte: er für feine Perfon hätte ein folches Ver:
fahren unfererfeits nicht begriffen. Er mißbilligte es offenbar fehr. —
U. hat auch meine Anficht getroffen, daß man womöglich den Erfolg
im Often abwarten müßte.
Emanuelsfegen, 1. VII.
Wir fuhren nach Pleß, den Jahrestag des Kriegsausbruchg Eirchlich
zu begehen. Kleine VBerfammlung vor dem Schloß. Sch fagte S. M.,
er folle nur getroft in die Zufunft fchauen, es ginge ficher alles gut,
wenn wir nur „feſt“ blieben. ©. M. meinte, natürlich blieben wir
feft. Von den Flügeladjutanten hörte ich, daß die Proflamation ver:
öffentlicht wäre, Wir gingen dann in die Eleine Kirche, die voll war
bis auf den lebten Platz. Der Paflor nimmt Entree zum Beten
des Noten Kreuzes. Der Gottesdienft ſehr würdig und erhebend von
einem fehr alten Geiftlichen gehalten, einfach, fchlicht und voll eigner
Überzeugung. „Bis hierher hat der Herr geholfen, verjteht, meine
fieben Brüder und Schweitern, er hat ‚geholfen‘ Gott will alfo, daß
wir ſelbſt das Außerfte tun im reiniten Sinn, dann wird er
helfen” ujw. S. M. ſprach auf dem Wege vom Schloß zur Kirche
weiter vom ziveiten Punifchen Krieg, mit dem er fich offenbar tröftet.
Sch habe nach Möglichkeit dagegen gefprochen. Nach diefem furcht:
baren Ningen gäbe eg eine lange Paufe, 50—100 Jahre, es käme alfo
fediglich darauf an, wie wir diefen Krieg beendeten. Der brave
alte Paftor hatte feine Nede in Rückblick und Ausblick geteilt. Bei dem
Ausblick fagte er: Noch ftehen ung gewaltige Anftrengungen bevor,
um die Feinde niederzuringen und dann die fihweren Kämpfe bei
den Friedensverhandlungen. Da follen wir denn nicht fagen: „Bisher
hat der ‚Herr geholfen,” fondern wir follen uns fagen: „Fürchte dic)
31*
434 Kriegsbriefe 1915
nicht, der Herr fteht hinter dir.” Es war fehr bedauerlich, daß nicht
einmal Xreutler anweſend war. Pohl hatte durch feine erften Aiden
bei Müller wieder verfucht, dasfelbe durchzufegen, was dem Prinzen
Adalbert in Charleville damals nicht gelang!). Er wollte Befehl haben,
daß die Flotte nicht herausgeht. Seht findet Müller diefe Forderung
von Pohl fehr vernünftig. Bachmann war außer fich, hat aber leider
wenig Durchjeßkraft troß feiner der Form nach entfcheidenden Stellung.
Iſt aber bei Müller und dem Kaifer diefe Anficht immer noch feit:
ftehend, fo hat Trotha wenig Ausficht für feine Beftrebungen. Der
Hofmarfchall v. X. trat ein paar Schritt beifeite mit mir vor dem
Schloß und fagte mir, der Kaifer hätte geftern wieder in anerfennender
Meife davon gefprochen, daß ich der einzige gemwefen wäre, der in
den Sahren vor dem Kriege und beim Ausbruch desfelben die durch
England beftehende Gefahr erkannt hätte. Dann fagte £., wir wollten
nicht länger allein fprechen, fonft würde Verdacht gefchöpft. An:
weſend vor dem Schloß waren nur Zreutler, Valentini, Lyncker und
Pleſſen. Iſt das nicht bezeichnend für das Glashaus, in dem ich fie?
Es follen drei preußische Offiziere von den Franzofen Eriegsgericht:
fich erfchoffen werden wegen Nichtigkeiten; Wild wollte mit Nepreffalien
drohen; Bethmann ift dagegen, der Kaifer war dafür. Bethmann
fand es zu brutal. Wild foll mit Treutler über den Fall verhandeln
und war außer fich. Lebteres ift gut, mın erkennt er durch eigene
Erfahrung, was für eine Gefellfchaft die um den Kanzler find.
Emanuelsfegen, 2. VII.
Die Londoner Deklaration ift für uns weniger günftig als U. denft.
Es Fommt dabei immer auf den Begriff der freien Ware heraus.
Nach den bisherigen Beftimmungen würde für ung dort Fein Aqui—
valent für Aufgabe des Ubootskrieges Tiegen. Von Hindenburg hatte
ich eine Depefche mit Dank für meinen Brief und „Brief folgt”. Vom
Dften nichts Neues. Prinz Eitel hat gefchrieben, daß die Garde:
Infanterie wieder fehr große Verlujte gehabt hat. Man Fönnte das ja
hinnehmen, wenn man nur einen Enderfolg im Often erbliden Fönnte.
Dazu Eonnte man fich nicht aufraffen, Hindenburg die ganze Sache
anzuvertrauen. O vanitas vanitatum!
) Wie ich im Oktober 1919 erfahren habe, bezog fich die damalige Unter:
tedung mit dem Kabinettschef ausfchlieflich auf die Einfegung einer oberiten See:
friegsleitung, welche von dem betreffenden Heren dringend befürworteft wurde.
Kriegsbriefe 1915 485
Emanuelsfegen, 3. VIIL
Wir haben Funkſprüche aufgefangen, nach denen bie Engländer
armed parties auf die neutralen Schiffe ſchicken und mit denen
dann unfere Uboote angreifen. Lange geht es mit den Ubooten nicht fo
fort, wenn die Befchränkungen nicht aufhören. Wir planen neue Bor:
fchläge in diefer Beziehung. Sch Fann übrigens nicht finden, daß die -
Leute vom Auswärtigen Amt es jet billig haben, fich an die Bruft
zu fchlagen. Wir find meit über die richtigen Grenzen entgegen:
gekommen und haben vor aller Wit mehr als eine Ohrfeige befommen.
Das war für die Yankees um fo leichter, als fie zweifellos die
Einfchränkung unferes Ubootskrieges von Jagow erfahren haben. Seht
wiſſen es auch die Engländer und jubeln. Ihr Gefchäft wird wieder
fteigen. Der amerifanifche Botschafter in Berlin hat zu einem Sour:
naliften gejagt, das ausgezeichnete deutfche Wolf wüßte gar nicht, daf
fein gefährlichfter Feind das Auswärtige Amt wäre, Betreffend Ruß—
land Hat Wild v. Hohenborn nur gejagt, und zwar ohne pofitive
Unterlage, wenn wir im Anfang des Vorftoßes in Galizien verfucht
hätten, mit Rußland zu unterhandeln, wäre ein Erfolg wohl möglich
geweſen, jet nicht mehr. Jedoch glaubt man um Falkenhayn herum,
daß Petersburg den Winter kaum aushalten würde; es fei denn,
die Türkei fiele zufammen. Rumänien ift nach wie vor völlig un:
zugänglich; man denkt daran, es zu drängen. Ob es militärifch richtig
ift, kann ich nicht fagen. Politifch iſt richtig, gegen Öfterreich energifch
zu fein. Man hat aber vor denen einen gewaltigen und m. E. un:
berechtigten Nefpeft. Hindenburg hat mich fehr freundlich eingeladen.
Sch beabfichtige, am Donnerstag, 5. 8., zu ihm zu fahren. Da er
alle Politif ablehnen foll, fo wird, fürchte ich, der Ertrag nicht groß
fein. Ich werde aber verfuchen, ihm die belgifche und englische Frage von
meinem Standpunkte aus Elarzumachen. Falkenhayn fagte neulich zu
Admiral Bachmann, man darf ihm Niga gar nicht zeigen, fonft
nimmt er e8. Man hat Hindenburg abfichtlich fehr Enapp gehalten,
trotzdem er nur geringe Zahlen forderte,
Emanuelsfegen, 4. VIIL
Sch nehme. als ficher an, daß die Proflamation durch bie in
Berlin entftandene Erregung geändert worden ift. Um jo mehr hat es
mich empört, daß die ganze von Bethmann infpirierte Preſſe den
486 Kriegsbriefe 1915
Morten der Proflamation bezüglich des Eroberungskrieges eine anbere
interpretation unterlegt, als dem Wortlaut entfpricht. Es ift gleich
zeitig fo furchtbar dumm, die Bedeutung unferer Fauftpfänder zu ent-
mwerten, felbft wenn, wie der Kanzler will, wir fie nicht behalten
wollten, Es kommt doch wahrhaftig jest nicht darauf an, die Stim⸗
mung unferes Volkes für die Zeit nach dem Kriege zu „bearbeiten,
fondern unter allen Umftänden den Pferdehandel beim Friedensfchluß
für ung günftig zu geftalten. An den Einfluß des Reichstags glaube
ich nicht recht, nachdem er bei dee Ubootsfache umgefallen ift. ‚Sch
Fann übrigens nicht fagen, daß Capelle in ber Ubootsfrage mich
übel beraten hat. Er hat doch glatt damals meinem Abfchiedsgefuch !)
zugeftimmt, und daß in der Antwort feitgelegt ift, daß Bethmann
und Falkenhayn den Ubootskrieg verfümmert haben, ift doch ebenfo wie
dag Vorhandenfein des Abfchiedsgefuches an fich gut.
„Frankfurter Zeitung” lege ich bei. Es geht die gefamte Kanzler:
preffe in der Richtung, Kurland zu behalten, um dem deutfchen Volt
den Verluft von Belgien plaufibel zu machen. Im Often find wir
heute gut vorwärts gefommen, Die in Berlin und Wien für Bul-
garien finanzierte Anleihe kann mindeftens als eine Annäherung be
zeichnet werden, fie fcheint mir durch den Umſtand noch weiter unter:
ftrichen zu fein, als ein Militärattach6 von Bulgarien — wie mir Mann
joeben erzählte — bei der heutigen Darftellung der Sachlage im
Generaljtabe mit anweſend war. Erjt freilich müffen die Kerls fchießen,
ehe ich an fie glaube. Es märe zu fihön nach den vielen Ent
täufchungen und könnte einen Wendepunkt abgeben.
Der Hauptumftand, der meine Lage in Charlevifle verfchärft hat,
liegt doch in Pohl, der überall dort gegen mich gehetzt hat.
Emanuelsfegen, 5. VIIL
Ach, es ift gut, daß mein alter Herr diefen Krieg und meine Lage
in bdemfelben nicht mehr zu erleben brauchte. Die Stimmung in
der Flotte ift, wie ich überall höre, fehr verzweifelt. Aber Trotha
wird nichts ändern können. Es ift eine zu ungünftige Perfonal
Eonftellation gegen mich; der Kaiſer, der mich an die Flotte nicht
Juni 1915 nach der Luſitania-Note.
Ariegsbriefe 1915 487
heranlaffen will, die Kabinetichefs, die Männer um Bethmann und
dann Falkenhayn. Er entjpricht auch Hindenburgs Wünfchen nicht;
der läuft ihm troßdem aus dem Nuder, Fann es auch. Warfchau
ſoll gefallen fein, wir haben noch Feine amtliche Beftätigung hierfür,
Mann wird fie wohl aus Pleß mitbringen. Nikolai N. ift ein ganzer
Kerl, die große Führung der Ruſſen ausgezeichnet; Organifation, Offis
ziere, Induſtrie ung nicht gewachfen. Se weiter wir nach Rußland
hereinfommen, je mehr freuen fich die Engländer. Es ift auch richtig,
je mehr wir nach Often kommen, je mehr wird auch unfere Politik fich
nach Oſten orientieren. Es ift gar nicht zweifelhaft, daß der Kanzler,
und ich glaube auch jett der Kaifer, und die Leute autour de lui
unter gleichzeitiger Aufgabe von Belgien darauf ausgehen. Ein Artikel
in der „Kreuzzeitung“ war mir auch fehon verdächtig.
Sch habe mir im Reichsmarineamt eine Ausarbeitung über unfere
und die englifche Wirtfchaftsfrage anfertigen laſſen, die für ung fehr
günftig Elingt, befonders nach Einfegen des Ubootsfrieges, der aber
namentlich im Atlantik entjprechend unjeren Anorönungen ftark nach:
gelafjen hat. Auch glaube ich, daß England, wenn auch langſam,
fich beffer der Situation anpaffen wird als bisher. Unjer Volk hat
Ungeheures geleiftet im vergangenen Kriegsjahr, ob es aber ausreicht,
um einen guten Frieden für ung zu erreichen, bleibt leider immer noch
zweifelhaft; die Übermacht gegen uns ift fo ſehr groß und unfere
Politik fchlecht. Ganz Nordamerifa muß man praktisch zu unferen
Feinden zählen. Wenn in der Schweiz ein höheres Bewußtſein für
die Zukunftsgeftaltung Europas beftände, würde fie aktiv eingreifen;
fo tut fie e8 ebenfowenig wie Schweden, und doch würde darin
zweifelsohne die Entfcheidung liegen. Schweden Fünnten wir m. €.
bekommen, wenn wir eg richtig anfingen.
Sn Mann habe ich eine ausgezeichnete Unterftügung und Fann
mich voll auf ihn verlajfen. Er hat je länger je mehr mein volles
Vertrauen gewonnen, und dag will viel jagen. Bei Capelle ift das
niemals in gleichem Grade der Fall geweſen. Seine Klugheit und
fein parlamentarifches Verftändnis habe ich dagegen hochgefchäßt und
verwertet. Seht wird er etwas, wohl teilweis wider Willen, beeinflußt
durch den Umftand, daß er zweifellos als mein Nachfolger beftimmt iſt.
3. C. aehört zu den Deutfchen, die immer überlaufen aus Gefühle:
und anderen NRückfichten. Der Ausfpruch des großen Friedrich von
438 Reiegebriefe 1915
der Kunft der Politik, ift gewiß richtig. (‚Die große Kunft in ber
Politik ift, nicht gegen den Strom zu ſchwimmen, fondern alle Er:
eigniffe zum eigenen Vorteil wenden.) Er paßt aber nicht für die
Momente, wo hätte gehandelt werden müſſen, und vor diefen Fragen
ftand ich während des Krieges und bin an der Mauer, die der Kaifer
um fich errichtet Hat, zerfchellt (Claufewig über die Kataftrophe von
1806). Was hätte ich denn erreicht, wenn ich mich ebenfalls in diefe
Mauer eingefchloffen hätte? Die Macht, fie zu brechen, hatte ich allein
nicht. 1813 war fie von außen zerbrochen, und dennoch war genug
davon übrig geblieben, um Preußen um die Früchte feiner furchibaren
Anftrengung zu bringen, |
Emanuelsfegen, 6. VII.
Die Freude über den Fall von Warfchau ift doch nur halb. Einmal
haben wir nur die mweftliche Hälfte, und dann ift damit wohl der
Beweis geliefert, daß die ruſſiſche Armee im mejentlichen der Um
Flammerung entwifcht ift. Endlich hat die Oberfte Heeresleitung fich
doch überzeugt, daß für die Türkei etwas gefchehen müffe, und zwar
über Serbien hinweg. Eine Reihe von Umftänden haben hierbei ge—
bolfen. Bachmann hat ein energifches Schriftftük an Falkenhayn ge:
richtet zugunften der Türke, Auch unfer Gefandter in Rumänien
bat abgeraten, gegen letzteres zu gehen. Sfterreich will auch gegen
Serbien. Sch habe nur mwenig helfen Fönnen auf indirekte Weife.
Mir müffen meines Erachtens Rumänien wirtfchaftlich jchneiden und
ihm in jeder Weiſe die Falte Schulter zeigen. Das dumme dabei ift,
daß mir in Rumänien Weizen liegen haben, den wir per Vorfchuß
bezahlt haben, eine unglaubliche Dämlichkeit! Aber ich hoffe doch,
daß die Sache in Gang kommt, wenn nur die Türkei bis dahin am
Leben bleibt. Unſere beiden Uboote find unterwegs, möge der Herrgott
fie befchüßen, ich weiß nicht, ob England Wind davon hat. Das
Loch in Flandern wird ftärfer als je bewacht. Truppenanfammlungen
vor den Dardanellen finden beftändig auf den einfach von den Eng:
ländern den Griechen abgenommenen Snfeln ftatt.
Habt ihr das Vertrauensvotum der nationalliberalen Partei ges
fefen? Es beflätigt den Umfall. Vertrauen auf ihre Feftigkeit Fann
man doch Faum haben. Die dritte Veröffentlichung in der „Nord⸗
beutjchen Allgemeinen” von Berichten der belgifchen Geſandten ift
Kriegsbriefe 1915 489
wieder großartig. Sch wundere mich mur, daß das Auswärtige Amt
fie veröffentlicht. Konnten wir nicht auch fo klar fehen, mie dieſe
Herren? Wer von ung diefe Auffaffung vor dem Kriege hatte, mar
die böte noire der Wilhelmftraße. Die Berichte find der reine Hohn
auf unfer beftändiges Nachlaufen. Bei diefer raffinierten Vorbereitung
zum Kriege feitens Englands wurde unferer Marine feit 1909 Fein
Geld mehr bewilligt. Wie anders würde die Marine in den Krieg
gegangen fein, wenn die volle Movelle von 1912 bewilligt wäre,
und nicht 30—40 Millionen jährlich vom Schatzamt und Kanzler ges
ftrichen wären! Die belgifchen Herren fahen ganz richtig, die Flotte
als Schreckgefpenft für den Mob wurde Iediglich als Vorwand von
Grey und Genoffen gebraucht. Unfere fteigende, die Engländer über
flügelnde Stärke in Handel, Induſtrie, kurz die Monopolfucht und
der Ealte Neid, waren die Urfachen. Wir dammelten und ſchwankten
dahin. Rußland haben wir erft mild gemacht durch unfere jüngere
Balkanpolitif. Das hat ja auch U. an den Außerungen des Fürſten
Gagarin gemerkt. Der Fehler ift Faum gut zu machen, und wir
treiben in die dauernde Feindfchaft gegen Rußland.
Emanuelsfegen, 7. VIIL
Geftern ging der Tanz mit den Kanzler wieder los. Der Arger
verfchaffte mir eine fehlaflofe Nacht. Heute vormittag war ich zum
Vortrag bei Bethmann in Pleß. Helfferich (Reichsſchatzſekretär) hatte
ein längeres Schreiben — vielleicht ift es beftellt — an Bethmann
gerichtet, in dem er nicht nur die völlige Preisgabe des Ubootskrieges
forderte, fondern auch eine Mitteilung in diefem Sinne an Wilfon.
Der Kanzler holt fich Hilfe bei Falkenhayn und Müller. Im Prinzip
ift der Kaifer auch wohl gewonnen. Die Sache wird wohl fo gemacht
merden, daß ber SKaifer über Müller entjprechende Anweiſungen an
die Uboote gibt und die Mitteilung an Wilfon unter der Hand gefchieht.
Es ift dasfelbe Verfahren wie beim erften Mal. Man glaubt jett offen
bar, das deutfche Publikum entfprechend vorbereitet zu haben, auch
meinetiwegen. Sch habe von meiner Stellungnahme Fein Hehl ge:
macht. Ihr werdet Ende des Monats mich wohl in Blaſien erwarten
Fönnen. Vorläufig wird noch ein Bericht von Vernflorff erwartet,
der, wie ich Bethmann fagte, felbftverftändlich in dasfelbe Horn bläſt.
Sch glaube, die ganze Sache iſt planmäßig arrangiert. Ob aus meiner
490 Kriegsbriefe 1915
Reife nach dem Oſten noch etwas wird, mweiß ich nicht. Sch bin
feelifch gedrückt. Alle Mühe und Verſuche find umſonſt geweſen.
Emanuelsfegen, 8. VII.
Seit geftern wird ſchwer gekämpft bei den Dardanellen. Die Eng:
länder wiſſen zmeifelschne, daß unfere dortigen Uboote nicht ver:
mendungsbereit find. Demzufolge haben fie ihre ganzen Schiffe heran:
gezogen und neben dem Landangriff ein furchtbares Feuer auf alle
Forts und alle Stellungen Iosgelaffen. Die Lage it offenbar höchſt
kritiſch. Was habe ich, leider vergeblich, gedrängt, unfere Uboote in
größerer Zahl und früher zu ſchicken! Fallen die Dardanellen, fo ift
der Meltfrieg gegen uns entfchieden. Heute vormittag 11 Uhr 30
erneuter Vortrag bei Seiner Majeftät, der mir mitteilte, er wolle
vorläufig Feine Antwortnote an Amerika ſchicken. Er ließ fich frei:
lich ein Loch. Er wollte nur den Bericht von Bernftorff abwarten.
Müller unterwirft fich ganz der Anficht des Kanzlers. Wir ftehen
jedenfalls vor einer feit Wochen vorbereiteten Aktion. Auch Ban
Fen find dazu herangezogen. Nachher Tängere politifche Unter=
haltung. Der Kaifer war wenig gnädig zu mir; ob es die Folge
meiner Stellungnahme ift, weiß ich nicht. Müller behauptete, ber
Kaifer Penne nur ungefähr das Gefprähsthema zwi:
hen mir und Bethmann Wild v. Hohenborn ift von Bach:
mann unterrichtet und war außer fich über die Sache. Bethmann hat
mir zugefagt, ehe er weitere Schritte täte, würde er vorher mit mir
verhandeln. Es fcheint, daß wir durch mein Vorgehen Zeit gewonnen
haben, und das hat doch einigen Wert. Der Kronprinz ift orientiert.
Emanuelsfegen, 9. VII
Müller war zivei und eine halbe Stunde bei mir, und ich habe
ihn ſtark bearbeitet. Zurzeit habe ich ihn überzeugt, aber auf wie lange
ift eine andere Frage. Sch fahre übermorgen nach Berlin, bleibe dort
einen Tag, und dann zu Hindenburg.
Emanuelsfegen, 10. VII.
Alfo heute mittag in Pleß, wo Seine Majeftät mit fehr freundlichen
Morten mir den Pour le merite zur Feier des 25. Sahrestages der
Veligergreifung von Helgoland überreichte unter gleichzeitigem Hinweis
Kriegsbriefe 1915 491
auf die dortigen Häfen und Verteidigungsanlagen. Admiral v. Mülfer
follte ihn mir umbinden. Ob es eine Folge meiner zmweiundeinhalb:
ftündigen Unterredung mar, weiß ich nicht, möchte aber glauben, nein,
da meine Einladung — ohne Bachmann — ſchon vorher erfolgte.
Ich fagte Müller, ich wäre ſehr gerührt, könnte aber mit Nückficht
auf den Verlauf des Seefrieges Feine Freude empfinden. Außerdem
würde mir dadurch der ihm mitgeteilte Entfchluß nur ſchwer gemacht.
Müller meinte, dag wäre ja durch die letzte Stellungnahme des Kanz:
lers binfälfig gemworden. Auf meine weitere Frage, ob der Kaifer
denn durchhalten würde, meinte er ja. Sch hatte aber das Gefühl,
daß Müller im Geifte drei Finger hoch und drei Finger im Rücken
batte. Momentan fcheint die Gefahr abgewendet, wenn nicht ein neuer
Luſitania⸗Fall pafliert, dag fchien mir aus dem Benehmen von Treutler
bervorzugehen. Meine Stellungnahme, falls die Vorfchläge Helfferiche
durchgehen würden, war übrigens fo Fategorifch, wie man es nur ver:
langen Fönnte. Setzt find doch die Noten uſw. fo ausgefallen, daß mir
die Uboote wieder voll aufnehmen Fönnen, fobald fich unfere Lage
an Land günftiger geftaltet, und dann hat mein Verbleiben doch einigen
Nutzen gehabt. Wenn Helfferich durchgedrungen wäre, jo wäre das
nicht möglich geweſen. Die Stellung Pohls bei Müller ift doch er:
fcehüttert. Lebterer fagte, fobald wir gegen neue Landfeinde gefichert
feien, müßten mir die Uboote rückſichtslos verwenden; immer auf
und ab! Sn mancher Beziehung war mein Aufenthalt hier nüß-
lich, troßdem Taffe ich — nota bene unter Abraten von Capelle —
mich nicht abhalten, morgen nach Berlin zu fahren, und übermorgen
abend nach Lötzen. Müller befürwortet letzteres dringend, ich follte
rückhaltlos mit Hindenburg fprechen. Müller und viele find mit Falfen-
hayn nicht zufrieden, und dasſelbe ift bei Hindenburg der Fall. Große
Berlufte durch frontale Angriffe und Feine Zertrümmerung von Ruß—
land. Letteres hat wohl nur Verlufte, aber Feine entfcheidende Schä-
digung gehabt. Anweſend war der alte Erzherzog und viele Diter:
reicher, darunter Conrad v. Hößendorff, mit dem ich mich längere
Zeit unterhalten Eonnte, was nebenbei vom Kaifer fehr bemerkt wurde.
Der junge Knorr hat eine glänzende Minenlegung bemerfftelligt, Ver:
nichtung eines englifchen Hilfskreuzers im Kampf und fonjtiges bes
forgt. Er ift ſchon nahe unferer Küfte zurückgeweſen und dort ab-
gefangen worden. Pohl hatte wieder Feine Aufnahmeftellung vorz
492 Kriegsbriefe 1915
bereitet für den lahmen Hilfsfreuzer, den Knorr führte. Er hatte
120 Mann Befagung und 40 gefangene Engländer mit 4 Offizieren
an Bord. Mit 130 Dann hat er nach Verſenkung feines Schiffes
auf einem fchwedifchen Schoner das Liſter Tief (Sylt) erreicht. Nähere
Umftände find noch unbekannt. Bulgarien gibt meines Erachtens Feine
Beweiſe von Freundfchaft, folange unfere Kanonen an der Donau
ſchweigen; immerhin bat Bulgarien fich ſchon einigermaßen bloß
geftellt.
Berlin, 12. VII.
Ein Tag in Berlin in größter Hiße, Sch muß um 10 Uhr ab nach
Lögen. Hier wenig Erfreuliches, die Leitung der Marine ein großes Durch-
einander: Müller, der Kaifer, Pohl, Prinz Heinrich uſw. Gelegenheit hat
die Flotte wieder verpaßt, als Knorr zurückkam. Im Often gefährliche
und durchaus mit einer Ausficht auf Erfolg angeſetzte Operation, Rus
mänien haben wir vor feiner definitiven Stellungnahme 400 Mil:
fionen Gold gegeben für Getreide und eg macht ung eine lange Nafe,
die Türkei in dauernder Gefahr und Feine Ausficht auf Entfaß durch
Falkenhayn. Friedensfundgebung in der ‚Norddeutschen Allgemeinen”,
die allgemein nur als Schwäche ausgelegt werden wird. Der Kanzler
bat nur eine Direktive im Sinn; Frieden um jeden Preis, England
nicht reizen, Aktion gegen die Uboote nur verfchoben bis nach Reiche:
tag, ‚weil die Vorbereitungen noch nicht genügen und ich zum Fallen
noch nicht reif genug. Trotha hat verzweifelt gefchrieben.
Heute vormittag hatte ich ein langes Gejpräch mit Röſicke, ich
glaube, zufriedenftellend. Wie ich ihm meine Anfichten auseinander:
jeßte und den Urfeind erklärte: ZIruftmagnaten in New Vork, London,
Belgien, Paris, die den dummen ſtarken Panflamismus eingefangen
hätten, war er höchſt erftaunt. Er hätte folche Anficht von mir nicht
erwartet, da ich im Reichstag immer nur von der Linken unterftüßt
fei. Sch fagte ihm: Geduldet auf meinem Poften, alleinftehend und
befämpft von allen Seiten (außerhalb des Parlaments) hätte ich jede
Hilfe angenommen, Zableaul Er verteidigte fehr großen Landerwerb
im Dften als Gegengewicht gegen etwaige belgifche Induſtrievermehrung.
. Nachher mit Graf Taubel), er war fehr erfreut, mich zu fehen. Sch
N) Schmebdifcher Gefandter in Berlin.
Kiegsbriefe 1915 493
habe bei Müller angeregt, den Grofen Taube zum Kaifer zu bringen;
durch meine Abreife Fann ich dort zurzeit nicht mehr tun, was bes
dauerlich ift.
Lötzen, 13. VIIL
Heute 10 Uhr morgens bier eingetroffen. Lange Unterhaltung mit
Hindenburg und Ludendorff, vollftändiges Einvernehmen über die Ges
famtlage. Hindenburg fieht Feine Ausficht, die Lage autour du roi
zu ändern, die Stuckmaſſe wäre undurchdringlih. Er hat den Kater
geradezu angefleht, den Natfchlägen von F. nicht zu folgen. Auch
bei der Ieten großen Operation in Rußland hat er dringend ab—
geraten von dem Verfahren, welches immer frontal fortgefettt wurde,
auf diefe Weife die Ruffen felbit entwifchen ließ und ung fehr viel
Verlufte gekoftet hat. Nach Anficht Hindenburgs und Ludendorffs
wäre fchon vor drei Wochen die ganze ruffische Armee erledigt, wenn
man ihnen gefolgt hätte. Er hat dem Kaifer dem Sinne nach ge
Ichrieben, das ganze Volk, welches fo Ungeheures geleiftet, warte auf
feinen Kaifer, traue aber dem Verfahren der Oberften Heeresleitung
nicht, alles umfonftl Da kann ich mich nicht wundern, wenn auch
ich nichts erreicht habe, mur nimmt Hindenburg dad Gefühl doch für
fein Lebensende mit, etwas Großes trotzdem geleiftet zu haben. Es
ft rührend anzufehen, wie dag Volk ihn hier auf Händen trägt,
fung und alt, Greife und Mütterchen, geſchweige die Jugend, machen
Front, wo er fich nur blicken läßt. Er Fann fich gar nicht bergen
vor Blumen. Die Schlichtheit, Treue und der Charakter, der aus
ihm fpricht, find mahrhaft herzerfrifchend, wenn man aus ber vers
fluchten Bande in Pleß herauskommt. Ich habe frifch von der Leber
weg geredet und er und LZudendorff ebenfo. Er will mich unterflügen
jo gut er kann, für die Türkei und die Uboote Wir find einig
betreffs Rußlands und Belgiens, aber die Zatjache bleibt bejtehen,
daß Falkenhayn das Heft in der Hand hat: Gruppe Hindenburg,
Gruppe Prinz Leopold, Gruppe Mackenſen, alles wird eingeftellt auf
Falkenhayn. —
Heute nachmittag ſehr ſchöne Fahrt mit Spaziergang um einen
Teil der Seen und durch die Feſte Boyen. Erklärung der ruſſiſchen
Stellung. Die Kerls waren doch hölliſch dicht hier dran, und Ruinen
bezeichnen ihre zeitweiſe eroberten Orte. Sehr nette Tafelrunde. Ich
494 Kriegsbriefe 1915
bin gut untergebracht und freue mich, morgen bis Memel mit meinem
Salonmwagen fahren zu können und erft von dort per Auto nach Kibau.
Neun Stunden per Auto von hier wäre etwas viel gemwefen. Außer:
dem kann ich im Salonwagen (Ertrazug) leſen und Pot abfertigen,
bu wirft in den nächften Tagen Feine Briefe von mir befommen Eönnen,
ich kann früheftens am 17. Auguft wieder fchreiben. Hier wird es
ſchon etwas herbſtlich. Morgen früh holt mich Hindenburg um
8 Uhr a.m. zum Spaziergang ab. Er fagte, wie ich auf die Kund-
gebungen der Bevölkerung überall, in Dörfern, auf den Fluren ufm.
binwies: „Ja, die Leute find rührend, aber ich würde gern darauf
verzichten, wenn mein Baiferlicher Herr mich weniger diftanzierte,’
Abendeſſen fehr nett, mit Ludendorff noch mehr geſprochen.
Im Ertrazug Lögen—Memel, 14. VIIL
Es war doch eine Herzenserquikung in Löben mit diefen Leuten
(eine Gejellfchaft von Brüdern, wie Hindenburg fagte) einen vollen
Tag zufammen zu fein Heute morgen von 8—9,30 Uhr machte
ich einen herrlichen Spaziergang mit Hindenburg. Das Seengebiet mit
feinen fchönen Wäldern, feinem melligen, fruchtbaren Boden, den Seen,
die in der Abendfonne wie Dpal glänzten, und am Morgen mie
Silderfluten, zeigte fich wirklich in entzückender Schönheit, die Luft
bon einer herben Kraft und jeßt noch nicht kalt. Hindenburg teilte
vollftändig meine Auffafjung der Verhältniffe. Er Hatte den Kaifer
in Pofen befchtworen, die Sache anders zu machen. Der war aber
von Falkenhayn aufs genauejte vorher inftruiert und fagte ihm, er
(Hindenburg) irre fich uſw. Jetzt haben wir große Verluſte und
keineswegs Vernichtung erzielt, wie es durchaus wahrfcheinlich war,
und treiben langſam und ficher zum Stellungskrieg. Nach den erſten
und ausreichenden Erfolgen unten mußten wir unfern Bahnvorteil
benußen und unfere Armeen in Maffe auf den äußerſten linken Flügel
werfen, da der rechte wegen der Diftanzen und fchlechten Bahnen uſw.
dazu nicht brauchbar war. Er hält dies jet noch für richtig, wenn-
gleich die ganz großen Erfolge nicht mehr möglich, und hat noch)
geftern oder vorgeftern eine energifche Depefche an Falkenhayn ge:
ſchickt in dieſem Sinn, um ganz loyal zu fein, an Falkenhayn und
nicht an den Kaiſer. Er hofft, daß Falkenhayn jest vielleicht doch
ben Gedanken aufgreift. Iſt das Ganze nicht furchibar? Hier hat
Kriegsbriefe 1915 405
man bie Leute und Führung, die alles in Ordnung bringen würden
und zum höchiten Ruhm vom Kaifer felbft die überwältigenden Siege
herbeiführen würden, und man fchiebt fie abfichtlich beifeite. Sch bin
in Lötzen mit überswältigender Freundlichkeit aufgenommen. Hinden:
burg hielt eine mich bejchämende Nede auf mich, die ich fofort be:
antwortet habe. Sch fchloß, vom Oſten wäre in ſchwerſter Zeit Preußen
einft die Sonne aufgegangen, ich hoffte, daß dasfelbe in diefer für
Deutfchland-Preußen ernfien Zeit fich wiederholte. Sch habe hier Fein
Hehl daraus gemacht, daß man die Flotte Fünftlich zurückgehalten
hätte. Sch habe mit Hindenburg auch rückhaltlos meine Lage be:
Iprochen. Er billigte mein Verhalten; ich könnte nicht vor den Kaifer
treten und ihm fagen: „Gib mir die Flotte.” Sch Fonnte Hindenburg
nicht abhalten, mich um 10,45 Uhr auf den Bahnhof zu bringen.
Ludendorff erklärte es ebenfalls für ausfichtslos, die Situation zu
ändern. Übrigens wird Hindenburg von fich aus an Bethmann fchrer
ben und ihn energifch für die Türkei und die Uboote interefjieren.
Sch ſchicke dir feine Stichworte, die Ludendorff mir auf dem Bahn
bof noch gab.
Um 4 Uhr p. m. find wir in Memel, dann per Auto drei Stunden
nach Libau. Die NRuffen haben Hier doch entfeßlich gehauſt, nament:
lich viele Mädchen gefchändet, die nun verzweifelt herumlaufen und
von denen fich viele ertränft haben follen.
Die Demarche von Helfferih ift in Berlin fchon befannt und
wird von Weſtarp und Baljermann für fehr gefährlich gehalten.
Danzig, 18. VI.
Heute Fam die Nachricht von der Luftbefchiefung von London und
der Vernichtung eines Bleinen Kreuzers und eines Deftroyers in ber
Nordfee. Auch die Vernichtung eines großen Transporter im Agäi—
fchen Meer durch ein Pleines Uboot iſt nicht übel. Das ift um fo
erfreuficher, als ich Fein rechtes Ziel fehe für unfere Operation im
Rigaiſchen Deerbufen und die Gefahr durch rufjifche Minen und Uboote
doch fehr groß ift. Einſatz entfpricht jedenfalls nicht dem möglichen
Erfolg. Sch habe dem Oberkommando der DOftfee vergeblich abgeraten.
Libau mar recht intereffant. Man hat dort ein Wilhelmshaven ges
Ichaffen, und als es fertig war, hat man gefunden, daß Reval doch
496 Kriegsbriefe 1915
geeigneter wäre für diefen Zweck, ein echt ruffifches Kunſtſtück! Der
Drt zählt etwa 70—80000 Einwohner und ift Seebad für Kurland.
Für uns, d. h. für die Marine, hätte Libau EFeinen großen Wert.
Die Frage Kurland wurde lebhaft erörtert, und unfere dortigen Armee:
herren waren fehr für Behalten; es wird auch ſchwer fein, es zu
verlaffen. Von einer Neigung, preußifch zu werden, ift in der Be—
völferung ficher nicht die Rede. Vielleicht machen einige baltifche
Barone eine Ausnahme, die fonft fürchten, nach der Wiederbefegung
durch die Ruffen gehängt zu werden. Andererfeits würden aber auch)
Feine großen Schtoierigfeiten entftehen, wenn Kurland zunächft auf
20 Sahre ‚Kolonie würde. Die Einnahme von Kowno und das
fonftige Vordringen unferer Armee find an fich gewiß fehr erfreulich,
aber irgendwie entfcheidend find fie nicht. Wir haben noch abjolut
keine Sicherheit bezüglich der Balkanſtaaten, und die Türkei bleibt
bie große Gefahr.
Danzig, 19. VII.
Geftern abend bei der SKronprinzeffin, fehr Tiebenswürdig emp—
fangen. Die kleinen Prinzen ftanden Fallrepp und dahinter die Mutter,
die außerordentlich wohl und hübſch ausfah. Das Haus (Gefchent
ber klugen Stadt Zoppot) Tiegt entzückend und ift innen ein Schmud:
Fäftchen. Das Hauptzimmer, Parterre, ganz weiß mit etwas Gold,
führt fofort auf die Xerraffe, von der man über Gefträuch ufm.
die ganze Bucht fieht. Eine halbe Stunde Unterhaltung allein. Sch
habe fehr offen gefprochen und befonders für Hindenburg plädiert.
Kapitän Mann erzählte mir, Prinz Joachim hätte einen fehr dring-
fichen Brief an die Kronprinzeffin gefchrieben — jedenfalls behufs
Meitergabe an ihren Mann —, fie möchte doch alles tun, um Hinden⸗
burg zu unterftügen, der ganz untergebuttert würde; fie hätte dann
hinzugefügt: just the same with our old navy man. Mir erzählte die
Kronprinzeffin, Falkenhayn hätte außerordentlich gewonnen durch feine
Erfolge im Often. Sch fagte, es wären nicht die Erfolge von Falken:
bayn, fondern die der Feldgrauen. Meines Erachtens hat Hindenburg
unzweifelhaft recht gehabt. Hindenburg, Ludendorff und Hoffmann
bilden eine hervorragende Gruppe, die die Gefchielichkeit der Ruſſen
im Ausbüchfen aus dem ff. kannte. Unfere Lage ift fo, daß mir
mehr brauchen als bloßen Frontalfieg mit erheblichen Verluften. Die
BIS EL en FOR :
Nregdriefe 1913 497
Sache wäre ſchon mindeftens vor drei Wochen erledigt geweſen. Diefe
drei Wochen Eönnen aber für die Gejellfchaft Griechenland, Nu:
mänien uſw. entfcheidend fein; hoffentlich geht es doch noch gut,
ift aber ſehr gefährlich,
Zwischen Küftein und Berlin, 19. VIEL
Troß des flarfen Schüttelns möchte ich verfuchen, dir ein paar
Morte zu jchreiben, ehe Berlin mich mit feinen Krallen umfängt.
Die Rede des Reichskanzlers habe ich nur im Telegrammauszuge ge:
fefen. Sie wurde mit großem Bravo begrüßt. Das, was er über
die Freiheit der Meere fagte, ift meines Erachtens Wind; über diefe
Art von Freiheit wird er fich mit England verfbändigen Fönnen, Das
wichtigfte in feiner Kede war die Behandlung der Polenfrage. Wir
haben zweifellos Friedensanerhietungen den Ruſſen gemacht; alle aus:
märtigen Blätter find voll davon. Dabet ift wohl die Androhung eines
von Rußland befreiten Polens als Druckmittel benußt worden. Nach
der Rede Bethmanns hat Rußland mit „Nein geantwortet, was vom
Ausland beftätigt wird, Wir ſitzen im Oſten jetzt feft, und Eng:
land wird ſehr zufrieden fein, Ich beadfichtige einige Tage in Berlin
zu bleiben, um mich zu orientieren, dann nach Pleß zum Vortrag
zu fahren und bald nach Berlin zurückzukehren. Da Capelle ernſt—
fich Frank ift, werde ich fpäter doch in Berlin bleiben müfjen, da das
Amt fonft gar nicht funktioniert.
Ich babe U. ganz richtig verftanden betr. feiner Benutzung der
Londoner Deklaration. Sch fürchte aber für den Friedensfchluß, dann
wird fie ale Freiheit der Meere auspofaunt, gibt England alies und
und praktiſch nichts.
Berlin, 22. VII.
„Der Erfolg Bethmanns und Helfferichs machen meine perſön⸗
fiche Lage recht jchwierig. Sch fürchte, der Arabic-Fall wird weiteren
Anlaß zum Sturm gegen die Uboote geben. Wenn eine weitere Ein:
fchränkung erfolgt, jo ift dag für mich ein fehr unglüdlicher Moment,
auf meinem Ausfteigen zu beftehen. Sch habe höchfteng die Kon:
fervativen Hinter mir. Man wird auch fagen, jest ift in erfter Linie
Hilfe für die Türkei nötig und das andere könne warten. Militärijch
iſt das nicht unrichtig. Die Schwierigkeit Tiegt nur darin, ben un⸗
Thrpitz, Erinnerungen 32
498 Kriegsbriefe 1915
befchränkten Ubootskrieg gegen England wieder aufzunehmen, wenn
er einmal vertagt und unterbrochen wird. Sch gehe aber troßdem in
den Augen des Volks als Prinzipienbod, Dazu Eommt, daß, wenn
der Krieg meiter geht — und nach allen Nachrichten aus England
wird er es tun —, man doch vielleicht im Winter darauf wird zurück
Fommen müſſen. Sch habe jeßt die Rede Bethmanns gelefen, die
großen Eindruck gemacht hat wegen ber Kriegsziele und darum feine
Stellung fo gehoben hat. Seder lieſt natürlich das heraus, was ihm
paßt, aber immerhin hat er fich doch weiter gebunden, Vor der Rede
lagen die Verhältniffe anders.
Sch wurde unterbrochen durch Schulze ), der acht Tage Urlaub
bat. Es Tag mir viel daran, ihn zu fprechen, auch wegen des Uboote-
Frieges in Flandern. Er überfah fofort meine außerordentlich ſchwierige
Pofition, war aber feinerjeits troßdem der Anficht, weder ich noch
der Kaifer Fönnte jegt einen Eklat machen. Sch bin deffen nicht fo
ficher, der Kanzler hat eine gute Gelegenheit, mir dag Genick oder
das Nücgrat zu brechen. Mit unferer Riga-Erpedition bin ich ‚gar
nicht zufrieden; troß telegraphifchen Abratens von mir ift es gefchehen,
und wir haben ung tatfächlich blamiert und fehmerzliche Verlufte für
nichts erlitten.
Berlin, 24. VII.
Du wirft zu kurz Eommen in diefen Tagen, denn ich werde von
Beſuchen und Krimsframs erftidt. Dazu haben fich noch viele Leute
gefunden, die mir fcheiftlich gratulieren für eine „Merite“, die ich
nicht anerfenne. Sch babe noch nichts gehört, wie fich der Arabic
Hall geftaltet. Soeben verläßt mich der brave Barnabe?), der mid)
wegen Torpedierung ziveier fpanifcher Schiffe interpellierte. Wir wiffen
natürlich nichts, denn wenn es unfere Uboote gewefen find, fo müffen
fie erft zurüc fein, ehe wir etwas Sicheres erfahren Fönnen. In⸗
zwiſchen arbeitet dann die engliſche Preſſe. Außerdem können ſich
die Engländer alles erlauben und wir nichts. Du haſt ganz recht mit
der langen Rede von Bethmann. Wenn man hinter die Kuliſſen ge—
ſehen hat, ſo beurteilt man die Sentimentspolitik, die wir getrieben
haben, anders. Aber das deutſche Volk iſt immer noch ſentimental,
Korvettenkapitän E. E. Schulze, Erſter Admiralſtabsoffizier des Marineforps,
) Spaniſcher Botſchafter.
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Kriegsbriefe 1915 499
und darum machte die Rede Eindruc, Unſere Diplomaten waren gewiß
miſerabel, aber eine Entfchuldigung haben fie für ſich. Es war ihnen
nie ein „Ziel gefteckt, und wenn es gejchah, wie z. B. die Ver:
brüderung mit England, fo war es ein falfches, weil e8 eben unerreich
bar war und noch ift. Dabei fürchte ich, daß diefer Gedanke noch
gar nicht tot if. Die Schaffung eines felbftändigen Polen uſw.
wird uns auf 100 Jahre mit Rußland verfeinden, und daraus Fann
fehr leicht ein Vafallentum unter England entftehen. Wir find auch
In Belgien fentimental. Anſtatt Flamen gegen Wallonen auszufpielen,
betreuen wir dag Land und ſtärken ein belgifches Ntationalgefühl, welches
eigentlich gar nicht vorhanden ift. Bezüglich der Handelsbeziehungen
nach Sapan und überhaupt der Verfühnung mit den Japs habe ich
fchon verfchiedenes getan. Es führt aber zu meit, mich hierüber jebt
auszulaſſen. Bei meiner Stellung zur Wilhelmftraße, die fortwährend
gegen mich wühlt, ungeachtet meiner bisherigen Zurückhaltung, Fann
ich wenig tum, Die Leute betrachten jedwede Anregung als Eingriff
in ihre Prärogative,
Sn der Wilhelmftraße iſt man ganz kopflos, wie ein befannter
amerikanischer Reporter fagt. Heute abend große Konferenz zmwifchen
Jagow und Gerard, Letzterer weiß natürlich, daß er durch Bluff
faft alles durchſetzen kann. Wir haben fo viel zurüdgezoppt, daß
wir weiter rutfchen werden. Sch war heute bei Löbell, um mich im
allgemeinen zu informieren. Der war auch keineswegs entzückt über
die lange Rede; er faßte fie fo auf, daß die fachliche Spitze lediglich
gegen Rußland ginge und der Kanzler England gegenüber fagte: „Du
bift mir zwar untreu geworden und bift ſehr häßlich geweſen, abeı
troßdem bin ich bereit, Dich von neuem an meinen Bufen zu nehmen,
oder mit andern Worten, „überlaffe mir Rußland und ich überlaffe
dir Belgien‘.
Die Affäre in Kiga ift ein Schulbeifpiel für unfer Durcheinander
in der Marine. Wir haben einen Luftftoß gemacht, und die Rufen
Ichlachten es als großen Seefieg aus. Ich hatte von Libau aus dringend
abgeraten.
Berlin, 25. VIII.
Du haft ja ganz recht mit dem Gedanken, nicht die Verhältniffe
zu zwingen, fondern fich ihnen anzupafien und das Beſte daraus zu
32*
540 Kriegsbriefe 1915
machen. Sch habe das ja auch diefe langen Jahre ziemlich fertig ge>
bracht. Jetzt liegt die Sache doch aber anders. Die abjolute Herrſchaft
bat eben Bethmann und feine Leute, dazu Falkenhayn. Denen bin ich
ein Dorn im Auge, und fie laſſen mich überhaupt nicht heran. Da-
gegen bin ich völlig machtlos. Die eigentliche Urfache liegt, abgeſehen
von der Vergangenheit, in dem Umftand, daß ich nach wie vor an
eine wirkliche Verftändigung mit England nicht glaube und das Prinzip
des Nachlaufens früher und auch jest für unzweckmäßig halte. Dazu
fommen dann im akuten Fall die Schwierigkeiten, die jeder See:
Erieg mit den Neutralen verurfacht. Sch fehe auch die Sachlage gar
nicht bloß unter dem Gefichtspunft an: wie kann ich da herauskommen.
Aber daß man mich planmäßig lahmgelegt hat, darüber kann Fein Zmeifel
fein. Mit der Rede Bethmanns Haft du ganz recht, echt deutjch und
darum erfolgreich! Der Gefchichtsfchreiber nach 50 Jahren wird anders
urteilen, Mit dem Nachtzuge fahre ich ab nach Emanuelsfegen. Ich
verlaffe das Amt und Berlin recht ungern wegen der augenbliclichen
Situation, aber es geht nicht anders. Für mich iſt die Krankheit
von Capelle doch ein großer Ausfall,
Emanuelsjegen, 26. VI.
Es war, wie ich vorausgefehen hatte, ein planmäßig angelegter
Überfalf des Kanzlers auf die Uboote, Er hatte, obwohl ich mit ihm
in Berlin zufammen war, Fein Wort verlauten lafjen. Im Gegenteil
hatte Jagow in der Budgetkommiſſion erklärt, am Ubootskrieg würde
nicht gerührt. Geftern abend erhielt ich in Berlin Befehl, „am näch—
ſten Mittag 12 Uhr Vortrag”. Der Kanzler fuhr im gleichen Zuge;
in Kattowitz erwartete mich Bachmann mit der Nachricht, wir follten
fofort Fommen. Sch fuhr aber zumächft hierher, um mein befjeres
Jackett anzuziehen. Bethmann, Treutler, ich und Bachmann. Erfterer .
riefengtoß; aber er wolle jeßt ruhig fchlafen und nicht immer auf einem
Pulverfoß ſitzen. Er wolle jest Wilfon fagen laſſen, die Uboote hätten
Befehl, Schiffen mit amerifanifcher Befegung nichts zu tun, Wir
wurden nicht einig, da er ganz unnahbar, danach Vortrag. Falken:
hayn war bearbeitet, Admiral v. Müller dito, die übrigen Kollegen
nickten immer Zuſtimmung. Aber dem Kaifer war die Sache un:
behaglich, Er überfah die Tragweite der Entfcheidung und flimmte
ung leife zu, daß man doch erft abwarten müffe, wie ber Tette Fall
s Ariegedriefe 1915 591
ſich zugetragen hätte uſw. Falkenhayn hatte erft ſehr energisch Beth:
mann zugeftimmt; als er fah, daß der Kaifer nicht recht heranmollte,
fieuerte er in bie Politik des Abmwartens um, Müller auch etwas. So
wurde Feine Entjcheidung gefällt. Bethmann wütend, fagte nach Tifch zu
Bachmann, dafür übernehme er nicht die Verantwortung, er ginge nicht
früher aus Pleß, bis eine Entjcheidung in feinem Sinne erfolgt fei uſw.
Er fagte, auch im Auslande glaubte man, er Fönne gegen uns nicht an,
das ginge nicht ufw. Eitelkeit und Empfindlichkeit fpielen dabei eine
geoße Rolle. Er arbeitet num eine Denkfchrift aus, und der Kaifer wird
jich unter dem Druck der gefamten Kamarilla ſtrecken, das ift Feine
Frage. Wir wollen nun Müller bitten, morgen herzufommen, um über
die Möglichkeit eines Kompromiffes zu verhandeln. Bethmann mill
im mejentlichen das mitteilen, mas bereits befohlen iſt): (Mehr
ſoll vorläufig nicht befohlen werden.) Es ift aber immerhin ein Unter:
fchied zwifchen einem Geheimbefehl, der die Engländer doch im Zweifel
läßt, was wir tun, und der Veröffentlichung. Aisdann foll der ganz
große Fall Lufitania einem Schiedsgericht unterbreitet werden und die
Freiheit der Meere in Geftalt der befannten Deklaration angeboten
werden. Damit hat diefer Paſſus in der Rede Bethmanns die Defini-
tion: England behält alles und wir ein Nichte, Er geht zmeifellos
darauf aus, Belgien preiszugeben und Rußland zu zertrümmern unter -
Errichtung eines autonomen Polens. Friedrich der Große und Bismard
werden fich bereits im Grabe umgedreht haben, und an die Wirkung
der Stimme des Schüßengrabeng vor der Entfcheidung in dieſem Sinne
giaube ich nicht, Sie wird erft einfegen, wenn es zu fpät iſt. War
ich nun tum werde, weiß ich nicht, ih muß erft die Entwicklung
biefer Sache abwarten.
Emanuelsſegen, 27. VIIL
Geftern hatte der Kaiſer entfchieden, daß die Inſtruktion für
Bernfiorff zwifchen dem Kanzler und ung verabredet und bejprochen
werden follte. Inzwiſchen bat heute morgen, ohne und zu rufen,
Bethmann den Kaifer herumbekommen. Müller und Treutler kamen
heute nachmittag zu ung. Erfterer wich aus, machte liebenswürdige
Redensarten, Der Kollege teilte mit, daß die Sache bereits entſchieden
—
N) Siehe oben ©. 357.
502 Kriegsbrlefe 1915 R
ſei. Sch glaube nicht, daß ich das einſtecken kann, und fahre morgen
abend nach Berlin. Sch Fenne leider die Inſtruktion nicht, will fie
aber vom Kanzler einfordern und danach handeln. Sch glaube, die
Sache geht mit mir zu Ende. Morgen muß ich noch einen angefagten
Vortrag halten über Libau. Denfelben abfagen, ohne gleichzeitig
meinen Abfchied einzureichen, kann ich nicht. Deshalb fahre ich noch
nach Pleß. Müller verfucht einige Kompromiſſe.
Mit dem definitiven Verlaffen des Hauptquartiers fand diefe Kriegs:
Eorrefpondenz ihr Ende.
IM. Bemerkungen zu unferer Schiffsbaupolitif
1
Die fachmännifche Unterlage des öffentlich gegen die Marine ge
führten Verleumdungsfeldzuges mußten einige Zeitunggfchreiber bes
Ichaffen, die auf Grund früheren Dienftes in der Faiferlichen Marine
fi; von dem Eingeftändnig entbunden fühlten, daß fie weder mit einem
modernen Schlachtfchiff noch mit einem Uboot je dienftlich zu tun ges
Habt heben, Das einhellige Urteil der urteilsfähigen Seeoffiziere blieb
im Hintergrund, weil die Marine nicht getvohnt war, in Zeitungen zu
kämpfen. Neben den öffentlichen Verdächtigungen ging ein in feiner
Art viel gefährlicheres Raunen „eingeweihter“ politifcher Kreiſe.
Zu den Maßnahmen, die mit einer gewiffen Planmäßigfeit, jeden:
fells in großem Umfange von Sntereffenten, um meine Stellung vor
ber Nation, in der Marine und bei dem Kaiſer zu erfchüttern, gehören
die Ausftreuungen, die über die unzureichende Konftruftion unferer
Schiffe und Waffen in Umlauf gefegt wurden. Durch alle möglichen
Kanäle wurde verbreitet, daß unfere Schiffe verkonftruiert, daß fie
namentlich unterarmiert und nicht für das Feuern auf weite Diftanzen
eingerichtet feien. Die Schlacht vom Skagerrak hat zwar den Begen-
beiveis geliefert und Admiral Scheer veranlaßt, dem Kaifer den großen
Anteil, den die Vorzüglichkeit des Materials an dem Erfolg der Schlacht
gehabt hatte, zu melden. Der Kaifer ſah fich unter der Stimmung des
Offizierkorps veranlaßt, in einer Depefche aus Wilhelmshaven biefes
Verdienſt um die Marine noch nach meiner Verabfchledung mir gegen:
über zum Ausdrucd zu bringen. Da aber mit derartigen Behauptungen
auch jest noch Stimmung gemacht wird, und es Intereſſenten gibt,
welche die gefchichtliche Verantwortung der ungenügenden Ausnutzung
unferer tatfächlich vorhandenen Seemacht von fich abfehieben und den
Fehlern zufchieben möchten, die während meiner Amtszeit gemacht fein
follen, gehe ich auf einige diefer mir zw Ohren gefommenen Bor
würfe ein,
504 Vaupoliti⸗
Zunächſt iſt der Eigenart unſeres Volkes zu gedenken, das fremde
Erzeugniſſe leicht höher einſchätzt als die eigenen, Won dieſer Eigen-
art iſt auch unſere Marine, namentlich der engliſchen gegenüber, nicht
frei geweſen. Man war geneigt, die Renommierangaben engliſcher
Firmen als bare Münze anzunehmen und neue techniſche Fortſchritte
auch für ältere Schiffe ſchon als vorhanden zu betrachten. Auch wenn
es uns gelang, engliſches Material zum Vergleich heranzuziehen und
den praktiſchen Gegenbeweis zu liefern, war es doch häufig ſchwer, in
dieſer Hinſicht die Front zu überzeugen, ſobald eine vorgefaßte Meinung
einmal beſtand oder eine äußerliche Überlegenheit, z. B. im Kaliber,
vorhanden war. Sp Eonnten wir z. B. wilfenfchaftlich und technifch
den unumftößlichen Beweis liefern, daß unfer Geſchütz-, Gefchoß- und
Panzermaterial dem englifchen überlegen fei. Es wurde darüber oft
mit dem Schlagwort, das wären Schiefplaßrefultate, hinweagegangen,
ohne zu bedenken, daß nur auf ſolchem Wege einwandfreie Vergleiche
überhaupt möglich wären. Charafteriftifch ift der in einer Denkfchrift
Admiral v. Ingenohls getane Ausspruch, er hätte erft durch die Kriegs:
erfahrung fich die Überzeugung fehaffen können von der ganz aufer-
ordentlichen Wirkung der bei ung eingeführten Panzerfprenggranaten
und ihrer gewaltigen Überlegenheit den entfprechenden englifchen Gra—
naten gegenüber, Auf die Konftruftion diefer VPanzerfprenggranaten
hatten wir aber befonders große Mühe und Arbeit gewandt.
Außer der Eigenart diejer vielfach bei ung vorhandenen Denkungs⸗
weiſe muß beachtet werden, daß eine richtige Beurteilung der gefchaffenen
Seemacht nicht einzelne Lücken herausgreifen darf, fondern dag Ge
Ichaffene ald Ganzes betrachten muß. Lücken mußten - felbftverftänd-
lich in unferer Seerüftung vorhanden fein, denn um eine Seemacht
zu Schaffen, bedurfte e8 der Arbeit einer ganzen Generation, und dieſe
Zeit ift ung vom Schickſal nicht gegeben worden.
Herner muß berückfichtigt werden, daß unfere Marine, gemeffen
an den fremden großen Marinen, fich flets in einer Geldbedrängnig
befand, die namentlich in den letzten 5 Jahren vor dem Kriege durch
die Stellungnahme bes Neichskanzlers die Flottenentwicklung im höchften
Örade hemmend beeinflußte. Bei den Etatsaufftellungen diefer Zeit
wurde ung jedes Jahr, veranlaßt durch den Neichskanzler, vom Reichs⸗
ſchatzſekretär in energifchfter Weife mitgeteilt, daß wir nur mit gez
ringen Mitteln rechnen dürften, und deshalb wurden, um zu Etats:
Baugsiint 503
jummen zu Eommen, über welche überhaupt mit dem Schakamt ver
handelt werden Tonnte, alle von den verjchiedenen Marineteilen ein-
laufenden Forderungen bei ben Vorarbeiten zum Etat aufs äußerfte
befchnitten. Die Marineverwaltung trat fomit bereit3 mit Minimal
forderungen an das Schabamt heran. Anftatt aber eine Anerkennung
für unfer Verhalten zu ernten, zivang ung das Schatzamt noch jedes:
mal ſehr erhebliche Verkürzungen des von uns ale Mindeſtmaß Ee-
zeichneten Etats auf.
Es handelte fich bei den Berhandlungen mit dem Schatzamt in
ben leßten Jahren vor dem Kriege nicht um Summen, bie finanziell
für das Reich wirklich ing Gewicht fielen. 10 Prozent der Militär:
vorlage von 1913 würden ftarf fühlbare Bedürfniffe ver Marine zu
befriedigen imftande geweſen fein. Sch nenne als Beifpiel eine gewiſſe
Beichleunigung der Bauten bemwilligter Fahrzeuge, die Befchaffung von
Heizölvorräten, Verbefferung der artilleriftifchen Kommandoeinrichtungen
der Schiffe, fchnellere Verwertung technifcher Errungenfchaften und
ähnliches. Bei der tatfächlichen Gelöfnappheit, mit der die Marine-
verwaltung rechnen mußte, und der durch Schakamt und Reichstag
ſtark genährten Sorge vor Etatsüberfchreitungen wird man verftehen
können, mit welcher Zurückhaltung über die erreichbaren Mittel die:
poniert werden mußte, und wie wir ftet3 gezwungen waren, die tun=
lichft Eleinen Übel in den Kauf zu nehmen, die deshalb doch eben Übel
blieben. Die verfchiedenen Marineteile, welche die verfaffungsmäßigen
Grundlagen für die Weiterentwicklung der Marine nicht überfehen
Eonnten, fchoben die Schuld ftets dem Staatsſelretär des Neichsmarine-
amts zu, wenn ihre Forderungen nicht bewilligt wurden, in dem Ge:
banken, daß gerade ihre fpezielle Forderung die unerläßlichfte wäre und
der Staatsſekretär fich dafür hätte einfehen müfjen. Wir ftanden
während des Flottenbaus in der Etatshöhe unter den Großmächten
bis 1905 an fünfter Stelle, 1906 (nach dem Ausfall der ruffifchen
Flotte) an vierter, von 1907 (bei Frankreichs Zurückbleiben) bis 1912
an dritter, 1913 (nach dem Wiedererſtarken des rujfifchen Flotten-
baus) wieder an vierter Stelle. So wenig haben wir im „Wettrüften‘
angeführt. Wenn wir auch durch Sparfamkeit und Fleiß die zweit—
ftärkfte Flotte fchufen, fo blieben doch viele Wiünfche unerfüllt.
Sch komme nun auf die Vorwürfe bezüglich unferes Materials
im einzelnen.
596 Baupaitiil
Beim internationalen Wetilauf im Bau ber großen Schiffe
glaubte ich aus politifchen und finanziellen Gründen nicht als ber
Schrittmacher erfcheinen zu dürfen. In großen Änderungen, z.B. bem
Übergang zum Dreadnoughtbau und gelegentlich auch der Steigerung
im Kaliber, find wir den Engländern meift erjt ein Jahr fpäter gefolgt;
troßdem bin ich der Überzeugung, daß, wenn man die technifchen
Perioden ald Ganzes zufammenfaßt, unfer neueres Schiffsmaterial
dem der Engländer überlegen war.
Es kommen für große Underungen noch andere Faktoren in Bes
tracht, die mitbeftimmend waren. So hatten wir 1906 nur eine Firma
in Deutfehland, die obendrein mit englifchem Patent große Schiffg-
mafchinen mit Zurbinendetrieb bauen konnte. Wir mußten ung daher
zunächft befchränten, nur die großen Kreuzer hiermit zu verfehen, und
behielten für das 1906 begonnene Linienfchiffsgefchwader die Kolben:
mafchinen noch bei, deren Beibehaltung mit der von manchen Kritikern
getadelten Zurmaufftellung der fchweren Gefchüge im Zufammenbang
fteht. Anderfeits machte diefe Aufitellung ein Feuern nach beiden Seiten
möglich, was gewiſſe taftifche Vorteile beim Überflügeltiwerden der
eigenen Linie infolge zahlenmäßiger Überlegenheit des Gegners, bei
einem Stoß gegen die feindliche Linie und bei dem Schiffsgemenge
(mölse) in ſich ſchloß. Wir mußten beim Bau der einzelnen Gefchwader
mit Rückſicht auf unfer Wehriyftem auch ſtärker auf Gleichartigkeit
der einzelnen Schiffe untereinander fehen, um den Austaufc) der Manns
schaften, die Auffüllung mit Neferviften nicht zu ſchwierig zu machen
und den Austausch von Neferveteilen zu erleichtern. Dazu kommt ber
taktiſche Vorteil hinzu, den eine folche Gleichartigkeit mit fich bringt.
Mas die fehmwere Xetillerie andetrifft, fo blieb fie im Kaliber mit
Ausnahme der neueften Schiffe hinter den englifchen zurüd, Das
Eonnten wir und aber zugunften anderer Vorteile leiften, denn Die
Durchſchlagskraft unferer ſchweren Geſchütze blieb völlig gleichwertig
der Durchfchlagskraft der Gefchüge englifcher gleichaltriger Schiffe, und
auf diefe Fam e8 in erfter Linie an. Daß unfere Gefchoffe nachher im
Innern des feindlichen Schiffes mwirkten, dafür forgte ihre Art. Als
wir erfuhren, daß die Engländer ihre Gefchükleiftungen wieder ver
mehren wollten, und die Annahme wahrfcheinlich wurde, daß fie auch
ihre, der unfrigen bisher unterlegene Panzerftärke vergrößern würden,
beichloffen wir 1912/13, unter Übergehiing eines Zwiſchenkalibers fo-
Baupelitif 507
gleich auf ein fo hohes Kaliber zu gehen, daß für das vom Jahre 1913
ab in Bau zu gebende Geſchwader wir unter allen Umftänden mit
unferer Steigerung ausfommen Eonnten, und wählten dag 38-cme
Kaliber. In der Tat gingen die Engländer gleichzeitig mit ung zu
diefem Kaliber über.
Die nachfolgende, auf amtlichem Material beruhende Tabelle, zeigt
die erhebliche Unterlegenheit der englifchen Großkampfſchiffe in der
artilleriſtiſchen Durchfchlagsleiftung. Es ift dabei zu bemerken, daß
bie auf deutfcher Seite vorhandenen Vorteile, wie Größe der Panzer:
platten, Qualität des Panzers und des Gefchoßmaterialg nicht berüc-
fichtigt find,
Es ließen fich dicke Bücher fchreiben, um im einzelnen nachzumeifen,
wie wir den Vorteil unferer Kruppfchen Gefchüte über die dicken eng—
liſchen Drahtkanonenrohre ausgenußt haben. Laien, bie fich für dieſe
Fragen interefjieren, möchte ich nur infofeen einen Begriff geben, als
die Gewichte, die wir bei einem etwas geringeren Kaliber ſparen Fonnten,
jehr bedeutend waren, denn jede Vergrößerung übertrug fich fogleich
auch auf die Turmkonſtruktionen mit ihrem fchweren Panzer und fraß
Gewichte. Das wäre aber ein Fehler gemwefen, wenn — wie tatſäch—
lich der Fall — eg für die Durchfchlagsleiftung unferer Geſchütze nicht
nötig und nicht von mwefentlichem Nutzen war, Denn wir befamen diefe
Gewichte nunmehr für andere Zwecke frei. Im Kapitel Flottenbau ift
über die Sinkficherheit unferer Schiffe bereits gefprochen morden, wo
der Gewichtsaufwand ing große ging. Ich will hier nur einige Vor—⸗
teile herausgreifen, die wir vor den englifchen Schiffen voraus hatten
und welche unter anderem durch die rationelle Abmeffung unfrer ſchweren
Kaliber möglich wurden. Wir hatten einige 100 t anzumenden für
unfere Büchfenkartufchen gegenüber den Seidenzeugfartufchen ber Eng:
länder; die Folge war, daß beim Inbrandgehen der Pulverlammern
die englifchen Schiffe in die Luft gingen, wie die Schlachtkreuzer
„Queen Mary”, „Sindefatigable”, „Invincible“, während auf „Seyd⸗
fig”, auf dem ebenfalls Feuer in die Pulverfammer gelangte, wohl
Ausbrennung der betreffenden Pulverfammer und Menfchenverlufte ein-
traten, aber Eeine Erplofionen. Einige hundert Tonnen legten wir zur
Verſtärkung der Schiffshaut noch unterhalb des ſchweren Wafferlinien-
panzers an, um gegen Xrtilferieuntertonffertreffer gemäß unferen Erz
fahrungen bei Verfuchen gegen Schiffsziele beſſer geſchützt zu fein.
Durhfchlagsleiftung der deutſchen und englifhen ſchweren Kanonen bei annähernd gleiche
altrigen Schiffen.
Deutfchland England Die deutihen Gefüge durch
englischen 2
; : : —
Jahr Kaliber Kaliber Panzer ſchlagen den englifchen Panzer
der Klaſſe der Klaſſe der mm i deutschen
Stapel: ſchweren ſchweren Dreh⸗ bei 60° Auftreffwinkel auf w
legung Artillerie Artillerie Gürtel) tutm Gürtel Drehturm
| | =
= 1901 Braunſchweig 23cm 8.K. L/40 | 225 Duncan 30,5 cm L/40 M.IX | 178 | 254 | 5400| 5300 | 2500| 3100
Et 1906 Naſſau 28cm 8.K. L/45 | 290 280 | Dreadnought |30,5cm L/45M.X | 279 | 279 | 6100| 3700 6100 #10
hr
® 1908 Oſtfriesland |30,5cmS$.K.L/50| 300 300 | St. Vincent |30,5cm L/50M.XI| 254 | 279 110100) 6100| 8700| 6100
| |
1909 Kaiſer 350 | 300 Coloſſus 34,3cm L/45 |279|279| 8700| 3600| 8700| 6100
1910 Kaiſer 350 | 300 | Drion (1910/11) | 30,5cm L/45 M. | 305 | 305 | 7300| 5200| 1306| 7800
1911/12 König u 350 | 300 Iron Duke n 305 | 305 | 7300| 5200 | 7300 | 7800
1908 Motte |28cmS,K.L/50 | 270 | 230 Indefatigable : 203 | 178 |10800| 4500 11100 6400
1911 Derfflinger 30,5 cm S.K.L/50| 300 | 270 Tiger 34,3cm L/45 | 229 | 229 111700) 7800|11700| 9500
1913 Baden | 38cm S.K. L/45 | 350 | 350 | Queen Elizabeth | 38,1cm L/45 343 | 356 | 9400 7800\ 87 7800
! | | | )
22)
Baupoutik 509
Unſer vorderer Kommandoturm wog allein 400 Tonnen; er hatte die
außerordentliche Panzerſtärke von 400 mm, und war fo breit, daß
man auf beiden Seiten an den Schornfteinen vorbei direkt nach achtern
ſehen konnte, was für die Gefechtsleitung aus dem Turm von großem
Vorteil war. Die Türme, die einen befonderen Turm für die Artillerie
leitung umfchloffen, hatten direkt fchachtartige Verbindung nach den
unteren Räumen, befonders nac) ber Zentrallommandoftelle, die ſich
mittfchiffs unter Waſſer befand und in einem Mittelgang endete, ber
die elektrifchen Verbindungen in abfolut fchußficherer Lage enthielt; Unfere
Einrichtungen für Nachtgefecht waren hoch entwicdelt, In der Nacht
nach der Schlacht vom Skagerrak erwieſen fich die englifchen Vor:
Eehrungen im Dergleich dazu geradezu jämmerlich, wie mir ein be—
freundeter Offizier erzählt hat. Vollwertige ausgedehnte Mittelartillerie,
hinter Panzer flehend und durch Traverſen geſchützt, hatten mir ent:
gegen ber englifchen Flotte auf allen großen Schiffen. Die Schiffe:
torpedoarmierung unferer großen Schiffe war beſonders ſtark. Co
hatten unfere Linienfchiffe 6—7 Torpedorohre unter Waffer. Bei durch—
gefchlagener Schlacht hätte diefe Stärke allein die Entfcheidung herbei-
führen Eönnen. So könnte ich noch vieles anführen. Es handelt ſich
bier um ein Gebiet, das nur mit einem großen gefchulten Gefchäfts-
apparat und unter Zuhilfenahme zahlreicher Spezialiften überfehen und
bearbeitet werden kann. Die angeführten Beifpiele reichen aber wohl
für den Zweck aus. Sie zeigen auch genügend, mit welchen Verſtänd—
nig diejenigen gewerbsmäßigen Marinefchriftfteftller, die in jeßiger Zeit
fih einen Gewinn durch Schmähungen verfchaffen und ihre Unter
lagen meift nur von mißvergnügten Subalternen haben, einem folchen
Gebiet gegenüberstehen.
Hinfichtlich der Fleinen Kreuzer ift der Vorwurf erhoben worden,
daß diefelben zu leicht armiert geweſen feien. Hierbei ift zu berück—
fichtigen, daß wir von diefer SchiffsElaffe nur jährlich zwei auf Stapel
legen Eonnten — das Flottengefeß hatte urfprünglich drei Kreuzer vor—
gefehen, der dritte Kreuzer wurde feinerzeit vom Reichstag abgelehnt —,
während die Engländer, ihren transatlantifchen Bedürfniſſen ent
ſprechend, das dreis oder vierfache an Zahl pro Jahr auf Stapel gelegt
hatten. Diefer Umftand ermöglichte auch den Engländern, im Kriege
ftets Pleine Kreuzer der modernften Urt unferen Kreuzern, bei denen
auch ältere Jahrgänge verwendet merden mußten, entgegenzuftellen.
510 Baupelitif
Unfere Eleinen Kreuzer mußten ferner fowohl für Auslandsdienft wie
auch für die heimifchen Gewäffer eingerichtet werden; wir legten ded=
halb befonderen Wert auf eine hohe Gefchwindigkeit. Diejenigen eng-
lifchen Eleinen Kreuzer, die mit 15:cm=Öefchügen armiert waren, waren
unferen gleichaltrigen Heinen Kreuzern an Gefchwindigkeit unterlegen.
Die ‚Karlsruhe‘ hat davon hervorragenden Gebrauch gemacht. Da
ihre Aufgabe nicht dag Gefecht war, fo entzog fie fich mit leichter Mühe
ihren Gegnern; fie war zu ihrer Zeit das fchnellfte Schiff auf dem
Atlantik. Wenn man auf das Gefecht und den Verluft der „Emden“
exemplifizieren will, fo muß berücfichtigt werden, daß das englifche
Schiff um vier Jahre jünger und um etwa 2000 t größer war als
die „Enden, einen Vergleich alfo nicht geftattet. Die „Emden“ war
bei ihrem letzten Gefecht infofern noch befonders im Nachteil, als ein
erheblicher Teil der Geſchützmannſchaften unter dem Erften Offizier,
Kapitänleutnant v. Mücke, und zwei anderen Offizieren behufs Zers
ftörung der Funkenftation an Land detachiert und daher bei vem Ge:
fecht nicht anmwefend waren.
Solange nun die Schufdiftanzen der Torpedos geringere waren,
aljo bis etwa 1910/11, und die Torpeboboote daher, um zum Schuß
zu kommen, auf nähere Diftanzen heranfahren mußten, reichte das
10:cm-Gefchüß ber Eleinen Kreuzer in feiner Wirkung nicht nur zur
Befämpfung feindlicher Torpedoboote aus, ſondern war einem Geſchütz
wie die 15 cm hierin infofern überlegen, als es in größerer Anzahl
an Bord gegeben werden konnte und eine größere Feuergefchrwindigkeit
als das größere Kaliber befaß. Was die Wirkung gegen feindliche
Pleine Kreuzer anbetrifft, fo blieb fie allenfalls genügend bis zu dem
Zeitpunkt, in welchem man dem Eleinen Kreuzer einen Seitenpanzer
gab. Für die Verwendung der Eleinen Kreuzer im Auslande erfchien
freilich fchon früher ein größeres Kaliber erwünſcht. Die Intereffen
der heimatlichen Kriegführung, welche, jo wie unfere Verhältniffe Tagen,
die ausfchlaggebenden bleiben mußten, ftanden nunmehr in einem größe:
ren Gegenfaß zur Verwendung im Ausland. Sch habe daher bereits
feit 1910 Vorentwürfe für Eleine Kreuzer mit ſchwererer Armierung
durcharbeiten laffen. Im Jahre 1911 habe ich das Flottenfommando
um Stellungnahme über diefe Frage aufgefordert und ihm Ertramunition
bewilligt, um die Kaliberfrage an praftifchen Verfuchen zu ſtudieren.
Der Erfolg war, daß ſowohl das Flottenfommando unter Admiral
Baupolitik 511
v. Holtzendorff wie der Befehlshaber der Aufklärungsſchiffe ſich für
Beibehalten des 10:cm-Gefchüges als Einheitskaliber für die kleinen
Kreuzer ausſprachen. Der Befehlshaber der Aufklärungsſchiffe betonte
hierbei die dadurch ermöglichte größere Geſchützanzahl unter Beibehal-
fung der geringeren Dimenfionen der Eleinen Kreuzer, was für ihre
Eigenschaft als AntisTorpedobootsfchiffe als Vorteile anzufehen ſei. In
ber Tat waren die Engländer wohl aus ähnlichen Gründen von den
nur mit 15°cm-Gefchügen armierten Eleinen Kreuzern zurüdgegangen
auf folche der Arethufasflaffe, welche mit 10 cm als Hauptarmierung
und je einem 15cm an Bug und He armiert waren. Gegen eine
Urmierung mit zwei Kalibern, die ich ebenfalls zur Erwägung geftellt
hatte, hatten fich alle Sachverftändigen und Kommenbdoftellen aus:
gefprochen. Trotz diefer Vorgänge und der damit verbimdenen finans
zielfen und fonftigen Schwierigkeiten habe ich mich in den erfien Monaten
des Jahres 1912 aus eigener Initiative enifchloffen, eine Kalibers
änderung auf unferen Eleinen Kreuzern vorzunehmen, und da wir zur
gleichen Zeit erfuhren, daß die größere Sorte der englifchen Eleinen
Kreuzer einen Wafferlinienfchuß durch Seitenpanzer erhielt, waren wir
meiner Anficht nach genötigt, als Mindeſtkaliber für die Fleinen Kreuzer
gleich auf das 15:cm-Gefchüh zu gehen, da geringeren Kalibern ge
nügend panzerbrechende Wirkung nicht gegeben werden konnte. Dei
dem hierüber ftattfindenden Simmebdiatvortrag Anfang Mai 1912 ging
der Kaifer entjprechend der Anficht des Flottenkommandos zunächft auf
diefe Anderung nicht ein; er meinte, die Schiffe würden zu groß, und
ein Geſchütz wie das 13 cm ber Armee genügte; ich möge dieſe Frage
fludieren. Da eine Anderung des Kaliberd aber notwendig geworden
wor und nach von mir eingezugenen Erfundigungen bad 13sem=lfenies
geſchütz nicht ausreichte, jo gab ich noch) im Monat Mai den Auftrag,
in die Konfteuftion eines Kleinen Kreuzers mit 15 cm einzutreten.
Ende September 1912 genehmigte Seine Majeftät den inzwiſchen fertig:
geftellten Entwurf für den Eleinen Kreuzertyp mit 15cm des Etate-
jahres 1913. Einer diefer Kreuzer, „Wiesbaden“, fand in der Schlacht
von Skagerrak ein ruhmvolles Ende.
Betreffs unferer Torpebobsote wurde geflagt, daß biefelben nicht
genügenden Heizvorrat hätten. Wir hatten hierbei mit der Schwierig:
Feit zu Fämpfen, daß unfere Kohle nicht dasfelbe Leiftete wie die eng-
liche Torpedobostsfohle, und wenn wir ung auch einen Eleinen Vorrat
5i2 Baupolitik
engliſcher Kohle für unſere Torpedoboote beſchafft hatten, ſo war es
doch unmöglich, für einen längeren Krieg ausreichende Mengen eng—
Tifcher Kohle auf Lager zu halten. Auch bezüglich der Verwendung von
Heizöl als Brennmaterial, waren wir mit Rücficht auf die Schwierig.
Feit der Befchaffung in großem Nachteil gegen England, das völlige
Freiheit in diefer Hinficht befaß. Da wir nicht annähernd genug eigene
Olquellen befaßen, jo waren wir gezwungen, Kriegsvorräte ung zu
halten. Für die großen Schiffe war das zunächſt unmöglich. Ausgaben
von hunderten von Millionen wären erforderlich geweſen; aber ſelbſt
für Torpedoboote mußten mir ung zunächft eine Zurückhaltung auf
erlegen. Im Jahre 1912 waren wir aber doch genötigt, zur reinen
Olfeuerung bei Torpedobooten überzugehen, weil wir die erforderlichen
Sahrtleiftungen mit Kohle nicht mehr erreichen Eonnten. Wir taten
das mit dem Bewußtfein, daß wir mit dem Wegfall der Kohlenbunfer
einen ganz erheblichen Teil der Sink- und Feuerficherheit der Torpedo—
boote aufgaben. Die Engländer waren früher fchon zur reinen Olfeues
rung übergegangen, waren aber in den legten Jahren gelegentlich auf
die Kohle als Heizmaterial zurückgelommen, weil die Betriebskoſten
mit Heizöl ihnen zu groß geworden waren. Man ſieht daraus, daß
auch die Engländer, die in ganz anderer Lage fich befanden als wir,
bis Furz vor dem Kriege in diefer Frage geſchwankt hatten.
Einen anderen Meg, die Dampfftredde der Torpedoboote zu vers
mehren, bot die Vergrößerung des Deplacements, aber gerade die Front
(Flotte und Torpeboinfpeftion) drängte noch in den Jahren 1909 und
1910 auf eine Verkleinerung der Boote, weil fie der Anficht war, daß
größere Boote für die Verwendung in der Schlacht, namentlich beim
Durchbrechen der Linien, zu fehwer zu handhaben feien. Auf dringen:
des Verlangen habe ich im Jahre 1910 den Vorfchlag des Inſpekteurs
des Torpedowefens nachgegeben, eine Serie von Torpedobooten mit ges
ringerem Deplacement und dementfprechend geringerem Kohlenvorrat
bauen zu laſſen, nachdem die Torpedoinfpektion, welcher die Konfteuk:
tion und Bejchaffung der Xorpedoboote oblag, die DVerficherung ab-
gegeben hatte, daß die Dampfftrecke diefer Boote mit Hilfe ftärferer
Olverwendung fich nicht verringern würde, Diefe Zufage der Infpek-
tion ift nicht in Erfüllung gegangen, und im Jahre 1912 find mir
deshalb auf Boote größeren Typs wieder zurückgegangen. Eine mwejent-
Tiche Vermehrung der Dampfſtrecke Fonnte für Torpedoboste nur er—
Baupolitil 513
reicht werden, wenn auch das Deplacement eine mwefentliche Erhöhung
erfuhr. Bei unferen Flottenmanövern in der Oft und Nordfee war
das Bedürfnis für folche Vermehrung der Dampfſtrecke wenig in die
Erfcheinung getreten. Erſt die Zurückhaltung der englifchen Flotte wäh:
rend des Krieges und die fich daraus ergebende Möglichkeit, an der
englifchen Küfte fchlagen zu müffen, ließ das Bedürfnis einer weſent—
lich erhöhten Dampfitrede ftarf in die Erfcheinung treten. Wir hatten
nach Kriegsausbruch eine Anzahl für Argentinien in Deutfchland ges
bauter Boote übernommen. Diefe Boote waren für den Atlantik be—
ſtimmt und fehr viel arößer als die Boote unferes Typs; fie hatten
etwa ein Deplacement von 1800—2000 t. Man fieht, ganz abgefchen
von der finanziellen Frage, daB das ganze Torpedobootswefen damit
auf eine andere Bafis geitellt wird; aus den Torpedobooten werden
auf Koften der Anzahl gewiffermeßen Torpedoſchiffe, die ſelbſt—
verjtändlich auch eine Vermehrung der Artillerie beanfpruchen. Su der
Schlacht vor Sfagerraf waren ſowohl diefe großen, ehemals argen-
tiniichen Boote als auch Boote unferes eigenen: Typs beteiligt. Wie
mir berichtet wurde, haben fich für die Tagfchlacht die Boote unſeres
Typs als geeigneter erwieſen.
Typenfrage und taktifche Zufammenftellung waren für Eleine Kreuzer
und Zorpedoboote 1912 in ein neues Stadium eingetreten. Bei der
bisherigen Ausführung des Flottengefeßes hatten wir ung auf einen
einzigen Kreuzertyp befchränft, der für Auslandsdienft und zugleich für
die heimischen Gemwäffer dienen mußte, Wir waren hierzu genötigt,
weil die geringe Zahl der Schiffe diefer Art, über die wir verfügten,
einen Austaufch für beide Zwecke erforderlich machte. Als wir dann,
wie vorher ausgeführt, zu einer erheblichen Vergrößerung der Eleinen
Kreuzer übergehen mußten, verloren diefe dadurch weſentlich von ihrer
Eigenfchaft als AntiTorpedomwaffe: fie wurden für diefen Zweck zu
groß und zu Eoftbar, und die Geſchwindigkeit Eonnte nicht mehr als
die Grundbedingung ihrer Konftruktion genommen werden. Um zivei
verfchiedene Typen bauen zu Eönnen, hätten wir mehr als zwei Schiffe
pro Jahr bauen, alfo eine Gefeßesänderung vornehmen müffen. Das
verbot fich indefjen von 1912—1914 ſowohl durch die politifchen Ver—
hältniſſe als namentlich durch die Beſchränkung in den Geldmitteln,
welche ung aufgezmungen wurde. Der Weg, den wir daher in Erwägung
genommen hatten, war eine gewiffe Rückkehr zu dem Prinzip, melches
Tirpig, Erinnerungen 33
514 Baupolitik
wir in den erften vierzehn Jahren unferes Torpedoweſens hatten, als
mir noch Eleine Torpedoboote bauten, nämlich jeder Torpedobootsflotille
ein größeres für fie paffendes torpedobootsartiges Geleitfahrzeug mit—
zugeben. Da die Torpedoboote und ihre Organifation — weil nicht
auf hiflorifcher Typengrundlage beruhend — im Flottengefeß felbft
richt feftgelegt waren, fo hätten wir diefen Weg ohne weiteres bes
treten können, fobald die Mittel für die Marine reichlicher floffen. Eine
Eleine, aber in Feiner Weife ing Gewicht fallende Lücke ift hierdurch in
unferer Wehrmacht entftanden, die fich aber bei Vollendung des Flotten-
gefees von felbft gefchloffen hätte. Dies um fo leichter, je deutlicher
der Nuben unferes erweiterten Auslandgdienftes weiteren Kreifen fühl-
bar geworden wäre, Die hier berührte Frage war vor dem Kriege im
ganzen noch nicht reif und hätte für die heimische Kriegführung tak—
tifcher Erprobung bedurft,. ehe wir in größerem Umfang ihre Löfung in
die Hand nahmen,
2
Nun dürfte noch auf die namentlich von fortfchrittlicher Seite ers
hobenen Vorwürfe, die Marineverwaltung hätte unter meiner Leitung
die Entwiclung der Unterfeeboote nicht genügend gefördert und
die Bedeutung derfelben nicht erfannt, infomweit einzugehen fein, als diefe
Vorwürfe nicht fehon in der Sitzung des Hauptausfchuffes des Reichs—
tages vom Frühjahr 1917 eine amtliche und von allen Parteien ans
erkannte Widerlegung gefunden haben.
Beim Ausbruch des Krieges ftanden wir bezüglich der Ubootswaffe
an der Spike aller Marinen.
Mas die technische Entwicklung des Ubootstyps und die Zahl hoch—
entwickelter Uboote anlangt, fo war diefer Erfolg erzielt worden, weil
mir, entjprechend unferen Erfahrungen bei der Entwicklung der Torpedos
waffe auch bei den Ubooten fyftematifch vorgingen und weil wir von
Anfang an grundfäglich ihre Fernverwendung als Ziel nahmen. Uboote,
die nur für den Hafen und engere Küftenverteidigung dienen Fonnten,
hatten für Deutfchland bei feinen bisherigen Küftenverhältniffen Feine
wefentliche Bedeutung.
Abgeſehen von einer großen Reihe von technifchen Unterfragen war
es vornehmlich der Motor, von dem die Entwiclung des Ubootes für
die Fernverwendung abhängig war. Se ftärfer und befjer der Motor,
Baupolitit 515
je mehr näherten wir ung der Fernverwendung und haben wir ung daher
mit aller Kraft auf defjen Entwicklung geworfen,
Zur Gewinnung eines geeigneten Ölmotors wurde nach dem Ab—
fchluß der Erprobungen von „U1” im Beginn des Jahres 1908 eine
Konkurrenz der leiftungsfähigften Motorfirmen auf den Bau eines
850 pferdigen Motors ausgeschrieben. E3 wurden hierzu Verträge ges
fchloffen mit M.-U.:G. Augsburg, M.U.-G. Nürnberg, Germaniawerft
Kiel, Körting Hannover, Fiat Turin. Wir hatten mit dem Körtingfchen
Motor bei U1 ſchon erhebliche Leiftung erzielt, und eg war anzunehmen,
daß auch ſtärkere Mafchinen diefer Art betriebsfähig werden würden.
Beichaffungen von Ubooten diefer Art in großem Maßftabe zu diefem
Zeitpunkt zu machen, wäre aber ein Fehler gemwefen, denn einmal waren
damals eine Reihe von anderen Ubootselementen noch nicht reif und
bedurften notwendiger Weiterentwicklung, um unferen Zwecken zu ge:
nügen. Auch Fannten wir nicht die Einwirkung erheblicher Bootgvergröße:
rung auf die Taucheigenfchaften. Vor allem aber hätte der Körtingmotor
felbft ung Eein für den Krieg voll brauchbares Uboot für Fernverwen⸗
dung verfchafft, weil die Sichtbarkeit der Boote durch Nauchentwicklung
am Tage und Feuererfcheinung bei Nacht zu groß war. Trotzdem haben
wir ung nicht abhalten Iaffen, um die Entwiclung aller übrigen Uboots—
elemente nicht zum Stehen zu bringen, und in den nächiten Jahren im
ganzen 17 Uboote mit Petroleummotor befchafft. Wie töricht der von
demofratifcher Seite gemachte Vorwurf ift, wir hätten in diefen Jahren
Maffenbeftellungen von Ubooten verfäumt und hätten ung dadurch einer
großen Chance für den Weltkrieg begeben, erhellt, ohne auf die jonftigen
Unmöglichkeiten eines folchen Vorgehens einzugehen, am beften aus der
traurigen Tatfache, daß im Kriege unfere Petroleumboote in kurzer
Zeit ein Opfer des Feindes wurden und mir die beiden letzten Boote
diefer Art, welche übrig blieben, wegen ungenügender Kriegsbrauchbar-
Feit aus der Frontverwendung zurüczogen. Wären wir diefem Ent
wicklungsweg gefolgt, fo hätten wir nie mit Augficht auf Erfolg einen
Ubootsfrieg führen Fünnen,
Statt deſſen haben wir alles getan, um neben dem Petroleummotor
andere Motoren zu entwickeln, von denen der Diefelmotor zunächit die
meiften Ausfichten bot. Es gelang mit diefen, eine voll brauchbare
Ubootsmafchine zu bauen, mit der von U19 an bzw. von 1911 ab
unfere Uboote verfehen wurden. Die folchen technifchen Neuerungen
33*
516 Baupolitit
anhaftenden fogenannten Kinderfrankheiten wurden aber doch erft 1913
ganz überwunden, zu einer Zeit alfo, wo wir fchon eine große An:
zahl von Booten mit Diefelmotoren teils fertig, teils im Bau hatten,
Als der Krieg ausbrach, waren wir fomit in der Lage, für die mobil
machungsmäßig telegraphifch zu beftellenden fogenannten M. S.-Boote
einen voll Friegsbrauchbaren, materiell für Fernvermwendung geeigneten
Bootstyp zu befigen. Im Juli 1914 waren fertig 28 Boote, im Bau
begriffen 17, im ganzen 45 Boote. Das große Ubootrefjort in Wil⸗
helmshaven fowie dag Zweigreffort in Helgoland, zu deren Herftellung
ein ganzes Jahrzehnt erforderlich war, Famen der Vollendung nahe,
waren im Anfang des Krieges aber noch nicht voll verwendungsfähig.
Vom technifchen und materiellen Standpunkt hätte im ganzen nach
Lage der Entwicklung des Ubootes für Fernverwendung und der für
Hafen und Werftbauten erforderlichen Zeit ein weſentliches Mehr bie
zum Sommer 1914 nicht gejchaffen werden können. Die Zahl der
fertigen Boote wäre erheblich höher geweſen (41 ftatt 28), wenn die
Induſtrie in der Lage geweſen wäre, ihre Zufagen, die fie vertraglich
gemacht hatte, zu halten, Die von mir im Jahre 1912 in Auftrag
gegebenen Boote U 31—41, welche die Hauptverftärfung der UÜboots⸗
flottillen auf Grund der Ubootsnovelle 1912 bilden follten, follten
vom 1. Oktober 1913 beginnend bis 1. Auguſt 1914 abgeliefert fein.
Da e8 der Germaniawerft nicht möglich war, den von ihr gebauten
Zweitaftmotor betriebfähig zu bekommen, erlitten diefe 11 Boote eine
Verzögerung von faft 11a Jahren; es fehlten alfo nicht nur die Boote,
fondern auch die Beſatzungen waren auf diefen Booten nicht eingefahren,
e8 fehlten die Erfahrungen, die man vom 1.Oftober 1913 ab hätte
fammeln Fönnen, und außerdem belegten diefe Boote noch dazu bie
Germaniamwerft, die infolgedefjen nicht genug aufnahmefähig für bie bei
der Mobilmachung in Auftrag zu gebenden Boote war. Auf der Werft
Danzig war die Bauverzögerung von U29, U39 nicht fo groß, bie
beiden Boote Famen noch im Herbft 1914 in die Front.
Diefer Ausfall der modernften Bootsferie U 31—41 iſt von ſchwer⸗
swiegendfter Bedeutung; ſchuld daran war, daß die beteiligten Firmen
nicht imftande waren zu erfüllen, was fie in Ausficht geftellt hatten.
Die Ubootherftellung ftectte eben noch in den Kinderfchuhen. Hierin
liegt auch einer der Nachmeife, daß mir im Frieden gar nicht mehr
Boote hätten befchaffen Fönnen als tatfächlich gefchehen ift.
Baupoliktik 517
Die Beurteilung der Ausnutzung der materiellen Leiſtungsfähigkeit
unſerer Uboote für die militäriſche Verwendung war Juli 1914 noch
richt abgeſchloſſen. Vor dem Jahre 1912 gingen die Anſichten viel—
fach dahin, daß die Menſchen nicht weſentlich länger als drei Tage
würden aushalten können. Die Feſtſtellung dieſer Frage wurde mit
aller Energie, aber der Menſchen wegen doch mit einer für den Friedens:
zuftand erforderlichen Vorficht betrieben. Zunächſt wurden einzelne Boote
für Dauerfahrten angefegt. Im Winter 1912/13 wurde die ganze
Slottille in die Nordſee gefchickt mit der Aufgabe, nach einem Anmarſch
von 300 Seemeilen (Helgoland— England) jo lange wie möglich draußen
ihre Station angriffsbereit zu halten. Sie blieben 11 Tage draußen.
Bei diefen Übungen wurden eine Reihe von möglichen Verbefferungen
ermittelt, deren Einführung eine erhebliche Verlängerung diefer Zeit
inöglich machen Eonnten. Die hierfür erforderlichen Einrichtungen wurden
fofort angeordnet und haben im Kriege ihren Erfolg bewiefen. Die
Kriegserfahrungen haben dann weitere Verbejierungen an den Booten
gebracht. Die Verbefferungen und Xptierungen ändern aber nichts. an
der Zatfache, daß unfere großen, auf weite Entfernungen entfandten
Uboote lediglich aus dem Bootstyp Deftanden, der vor dem Kriege vor—
handen war, Erft im Sabre 1918 traten größere Boote eines neuen
Typs hinzu,
Als im Auguft bzw. September 1914 die Möglichkeit nahe rückte,
Boote mit geringer Fernveriwendung von Flandern aus gegen Enaland
zu verwenden, wurden Eleine und fpäter mittelgroße Uboote Eonftruiert
und in großer Zahl in Bau gegeben. Für die erjten dieſer Boote waren
Eleine Barfaß- Motoren verwendungsfähig und bei einer größeren Zahl
von Firmen befchaffbar. Im März 1916 waren im ganzen 147 Boote
im Bau, die noch in demfelben Etatsjahr zur Üblieferung kommen follten.
Das war die oberfte Grenze der damaligen Leiftungsfähigkeit unferer
Induſtrie. Für die fpätere Zeit fehlt mie die erforderliche amtliche
Üiberficht,
Ein Vergleich der Entwiclung der Uboote in England und Deren
Beftand bei Ausbruch des Krieges ergibt folgendes:
In England waren 1906 nur Zleine Uboote mit Motoren für Leicht:
öle ala Hafen bzw. enge Küftenboote gebaut worden, von denen nur
eines, und zwar B11, während des Krieges überhaupt in die Erfcheinung
getreten ift. Diefes Boot war nach Tenedos vor den Dardanellen ohne
518 Baupolitik
Beſatzung hingeſchleppt worden, arbeitete alſo von einer nahen Baſis
aus. Im Jahre 1906 begannen Verſuche mit Booten für größeren
Aktionsradius. Es entſtanden die Boote der engliſchen 0-Klaſſe, von
denen eine größere Zahl gebaut worden find. Dieſe find aber zur Fern—
verwendung noch nicht geeignet gewefen. Erft die Boote vom Etatsjahr
1910 an Eonnten Motoren von 800 P.S. für die Verwendung auf größere
Entfernung erhalten. Der Motor war nach Diefelfcher Art Eonftruiert.
Es waren die E-Boote. Von diefen wurde im Juli 1914 dag fiebente
Boot in Dienft geftellt, und diefe englifchen E-Boote Eommen beim Ver—
gleich mit ung eigentlich allein in Betracht. Wohnräume waren in ben-
felben nicht vorhanden und fehlten auch noch bei den während des Krieges
gebauten Booten mindeftens bis zu den 50 Nummern herauf. Ihr
Aufenthalt in der deutfchen Bucht war Ende 1914 auf vier Tage,
fpäter auf ſechs begrenzt; das ergibt eine Beurteilung ihrer Verwendungs⸗
fähigkeit für Fernzwecke. Einige derfelben gingen nach Rußland, fie
wurden big zum Kattegatt begleitet, um dort den Brennftoff aufzufüllen,
Mie wir fpäter in Helfingfors, mo fie vor der Einnahme durch unfere
Truppen 1918 verfenkt wurden, erfahren haben, waren ihre Motoren
ſehr unzuverläffig und „platzten fo oft wie die ruſſiſchen“.
Es ftanden fomit beim Ausbruch des Krieges 7 englifche Uboote
für Fernverwendung gegen 10 deutfche Boote in hoher Vollendung
gegenüber, Wie volllommen kriegsmäßig durchenttwicelt unfer Boots—
typ mar, zeigt der Umftand, daß diefe Boote den ganzen Krieg über
allen Anforderungen genügt haben und bis zulegt mit beftem Erfolg
verwendet werden Fonnten. Diefen Anspruch kann Faum irgendeine
andere Waffe der Armee oder Marine für ihre Friedenskonftruftionen
machen. Die Zahl unferer Boote wäre das Doppelte geweſen, wenn die
verfprochenen Lieferungsfriften von den Baufirmen innegehalten worden
wären. Menn man die von 1906 bis 1909 inkl. in England gebauten
Uboote hinzurechnet und fie gleichftellen will gegen unfere in derfelben
Zeit gebauten größeren und höher entwickelten Petrolboote, fo ergibt
fich für England: 7 plus 10 gleich 17 Boote gegen Deutjchland:
10 plus 15 gleich. 25 Boote. Das wichtigfte bleibt der Umftand, daß
wir ein voll Friegsbrauchbar entwickeltes Uboot für Fernzwecke erprobt
und fertiggeftellt hatten, dasſelbe einfach nachbauen konnten und bes
fondere Verfuche hierfür nicht mehr notwendig waren.
Noch wesentlich ungünftiger ftellt fich für Frankreich ein Vergleich
Baupolitik 519
mit unjerem Stand, Hierfür liegt ein einwandfreies Material vor in
dem Ausfchußbericht der franzöfifchen Kammer vom Suli 1915 und
März 1916. Danach hatte die Firma Augsburg 1907 den erften brauch:
baren, freilich Eleinen Diefelmotor für Frankreich geliefert. Als Frank
reich im Jahre 1910 zu Booten von größerem Aftionsradius übergehen
wollte, ftieß man bei der Konftruftion der hierfür erforderlichen größeren
Motoren auf folche Schwierigkeiten, daß man angefichts folcher Fehl
Schläge fich entjchloß, zu Dampfmotoren troß deren Nachteile zurück
zufehren. Dan war der Anficht, daß eg bejfer wäre, ein unvollfommenes
Uboot mit Dampfbetrieb zu befigen alg gar Eeins. Diefe Boote waren
1915 noch nicht fertig, als man ihren Bau unterbrach, um wieder zu
dem Einbau von Diefelmotoren zurüczufehren. Nach Angabe des
Marineminiſters fei bei den Dampfbooten, abgefehen von ihrer fchlechten
Zauchfähigfeit und großen Sichtbarkeit, die Erftictungsgefahr für das
Perfonal zu groß.
Noch im Fahre 1916 war es den Franzofen nicht geglückt, einen
einwandfreien größeren Diefelmotor herzuftellen. Creufot, die wichtigite
frangöfifche Motorenfirma, hatte noch im Sahre 1916 einen diejer
größeren Motoren zum 40. Male vergebens in Betrieb genommen.
Es ergibt fich mithin, daß Frankreich beim Ausbruch des Krieges
und in den erften Jahren desjelben überhaupt Feine Friegsbrauchbaren
Uboote für Fernverwendung beſaß.
Nach diefem Vergleich kann es nicht wunder nehmen, daß die Eng:
länder auf Grund der franzöfifchen und ihrer eigenen Erfahrungen es
für unmöglich hielten, daß unfere Uboote bis in die Iriſche See gehen
Eonnten, und daß fie daher annahmen, wir hätten verfteckte Verſorgungs—
Schiffe oder geheime Stüßpunkte an ihren Küften. Mein Verwalter in
Sardinien wurde eingefperrt, weil er im Verdacht ftand, einen folchen
Stüßpunft zu unterhalten. Amerika befaß noch bei erfolgter Kriegs:
erklärung gegen ung Feine Uboote für Fernverwendung.
Die vorftehenden Angaben liefern den Beweis, daß mir beim Aug:
bruch des Krieges quantitativ und qualitativ hierin nicht nur an der
Spite der Marinen ftanden, fondern mit unferen Ubooten mehr leiften
Eonnten als alle unfere Gegner zufammengenommen. Mit diejer Tat
fache vergleiche man bie planmäßig verbreitete Lüge von der Vernachläſſi—
gung der Ubootsivaffe.
Bei der Erprobung der Uboote in militärifcher Beziehung trat er—
520 Baupolitil
ſchwerend in Erfcheinung, daß die Gefamtentwiclung der Marine nicht
von einer Stelle geleitet werden Fonnte, Eine Befehlsgewalt über
Kommandoftellen befaß der Staatsfefretär nicht. Selbft bei technifchen
Verfuchen war er auf den guten Willen der Kommandos angemiefen.
Berjtändlicherweife widerftrebten die Frontfommandos allen Erprobungen
für Zwecke der Weiterentwidlung der Uboote. Das Flottenfommando
verlangte, da immerhin fchon eine gewilfe Leitung vorlag, die Boote
für gemeinjchaftliche Übungen mit der Fiotte ſelbſt; es ſah die Uboote
hauptfächlich als Hilfskräfte der Hochfeeflotte an und verwendete fie
zu Sicherheitsgürtel- und Aufnahmeftellungen. Die Aufgaben, welche
Sernunternehmungen barftellten, traten demgegenüber in den Hinter:
grund, fie wurden jedoch in einzelnen Fällen auch dargeftellt, und auch
theoretische Arbeiten hierüber wurden ausgeführt.
Der Krieg, die Taten von Weddigen, Herfing und anderen brachten
die wahre Natur diefer neuen Waffe aber bald zur Geltung. So Fam
es, daß ſchon im September 1914 der Gedanke, die Uboote zum Kampf
gegen den feindlichen Frachtraum zu verwenden, ernitlich in Erwägung
gezogen wurde, Wenn diefe Art der Fernverwendung vor dem Kriege
nicht in dem Vordergrund der militärischen Überlegungen geftanden
hatte, fondern nur die Verwendung der Uboote gegen feindliche See
freitfräfte, fo ift zu berückfichtigen, daß wir vor 1914 über das mög-
liche Maß der Fernverwendung noch Fein ganz vollftändiges Urteil
hatten; vor allem aber ift zu bedenfen, daß der vollftändige Bruch Eng:
lands mit den Feftfegungen der Londoner Deklaration und der Parifer
Konvention von 1856 wohl für möglich gehalten, aber doch nicht in
dem Maße erwartet wurde, als er nachher tatfächlich eintrat.
Um diefe Eünftlich verdunfelte Angelegenheit auch dem Laien klar—⸗
zumachen, faſſe ich die Hauptgefichtspunfte in Furzen Säßen zuſammen.
1. Uboote, welche nur auf kurze Entfernungen, alio nur in der
Nähe der Küfte verwendet werden Eonnten, hatten für Deutfchland
weder politifchen noch militärischen Wert. Wir find daher mit
Überfpringung diefer Periode fofort auf die Entwicklung von Hochfees
UÜbooten ausgegangen,
2. Die Bedeutung des Hochſee-Ubootes ift von uns voll erkannt,
feine Entwiclung fo ſchnell und energifch betrieben, als techniſch
und für die Sicherheit des Perfonals möglich war,
Baupolitil 521
3. Sobald das Hochſee-Uboot Eriegsbrauchbar mar, haben wir tat
jächlich fo viel im Frieden befchafft, als unfere Induſtrie leiſten
fonnte, wovon mein Nachfolger im Frühjahr 1917 den Haus:
haltungsausjchuß des Neichstages unmiderleglich überzeugt hat.
4. Beim Ausbruch des Krieges ftanden wir mit unferen Ubooten
qualitativ und quantitativ, troß unferer fonft befchränkten Flotie,
an der Spiße aller Nationen,
5. Die militärifche Verwendung und bie Dauer derfelben mit bezug
auf die Beſatzung Eonnte erft in die Hand genommen werden,
nachdem dag Hochſee-Uboot tatfächlich vorhanden war.
6.Da letzteres erjt verhältnismäßig Eurze Zeit vor dem Kriege ber
Fall war, Eonnte bei Beginn des Krieges der Umfang feiner Ver—
wendungsmöglichkeit nicht vollfommen überfehen werden,
7. Unfere Feinde waren völlig überrajcht über die bei unferen Ubooten
zutage tretende Leiftung. Diefe Überrafchung hätte Eriegsentfcheidend
werden können, fie gad ung eine befondere, aber zeitlich begrenzte
Chance in die Hand,
8. Die Leitung unſerer Hochfeeflotte legte im Frieden und im Ans
fang des Krieges größeren Wert auf die Verwendung der Uboote
zur Unterftügung des Flottenfampfes feldft in der Art von vor=
gefchobenen Linien, die als Minenſperren wirken follten. Das Reiche:
marineamt dagegen betrieb von Anfang an die Fernverwendung.
9, Für die Fernverwendung fam in Betracht Verwendung gegen feind-
liche Kriegsschiffe und Handelskrieg.
10. Selbftverftändlich waren für leßteren auch ähnliche Errwägungen
von ung angeftellt, wie fie von Percy Scott und in romanhafter
Weiſe von Conan Doyle erzählt werden, der mit vier UÜbooten
Enaland vernichten mwollie,
11. Zweck hatten eingehendere Erwägungen aber erjt, wenn die Uboote
perſonell und materiell ihre volle Hochfeefähigkeit und das Map
derjelben erswiefen hatten.
12. Letzteres Fonnte mit Rückſicht auf das tatfächliche Stadium bes
Ubootes erft während des Krieges felbft gefchehen, größtenteils,
weil die Verbefferungen für die Aushaltfähigfeit der Bejagungen
erft Furz vor dem Kriege hatten angeordnet werden Fönnen.
13. Als wir im Verlauf des Krieges verhältnismäßig bald ein aus—
reichendes Urteil hierüber erlangten, trat die völferrechtlich und auch
522
l
>
15.
16.
17.
18,
19.
20,
Baupolitif
militärisch fchwierige Frage in den Vordergrumd, wie der Handels:
krieg zu führen jet.
‚Diefe Frage war noch nicht genügend ausgereift, als wir Die
Kriegsgebietserklärung am 4. Februar 1915 gegen mein Votum,
aber mit Zuftimmung des Kanzlers erklärten.
In der Marine waren wir zur Überzeugung gekommen, daß ein
UbootssHandelgkrieg auf die Dauer nur wirkffam zu führen jet,
wenn die Uboote auch ohne Warnung torpedieren durften. Diefer
Grundfaß ſchloß gewiſſe Konzeffionen an die Neutralen Feines:
wegs aus.
Für den Uboots-Handelgkrieg gab es bei dem beftehenden und
bisher ftreng von uns innegehaltenen Seerecht Feine Vorgänge.
As England rückfichtslos alle Grundſätze des alten Seerechts
brach durch eine gegen deffen Beftimmungen ausgeführte Blockade
und durch Belegen der freien Nordfee mit Minen, und Amerika
diefes Vorgehen hinnahm, praftifch alfo ein Seerecht „adapted to
the conditions of modern warfare and commerce“ billigte, erwuchs
ung zweifellos ebenfalls dag formale Recht, gleiches mit gleichem
zu vergelten. Das konnten wir mit den Ubooten.
Aber nicht nur diefes formale Necht befaßen wir, fondern auch
das Selbfterhaltungsrecht einer hungernden und um ihre Eriftenz
Fämpfenden Nation gab ung dag Naturrecht.
Sowohl das formale wie das natürliche Recht mußte, nachdem
die Kriegsgebietgerflärung einmal auggefprochen war, von unferer
Keichgleitung der ganzen Welt gegenüber mit nachdrücklicher Ber
ftimmtheit vertreten werden.
Militärifch wurde der Uboots-Handelskrieg wichtig, fobald ber
Schwerpunkt der Entfcheidung nicht im Flottenfampf gefucht wurde
bzw. nicht mehr gefucht werden Eonnte, denn fobald der Uboote-
frieg Hauptkampfmittel wurde, mußte unfere an fich unterlegene
Flotte mehr zurückgehalten werden, weil nur durch ihre Anmefen-
heit die Ausfahrtsftraßen der Uboote aus unferen Gemwäffern frei
und paffierbar gehalten werden Fonnten.
An diefer Stelle möchte ich noch die Anficht unferes erjten Uboots—
fachverftändigen, der feit Beginn der Ubootswaffe angehört, Komman—
dant von U1 mar, die Ubootsfommandanten ausgebildet hat, zahlreiche
Uboote perfönlich abnahm und erprobte und als Führer der Uboote in
Baupolitik 523
Flandern den Orden Pour le mörite erhielt, mit deffen Erlaubnis wieder—
geben. Sie ftammt aus einem Briefe vom Frühjahr 1918, der mir
zugänglich gemacht worden ift. Korvettenkapitän Bartenbach ift einer
der wenigen Seeoffiziere, welcher durch feine Friedenstätigkeit fich in
ber Lage befindet, unjere Ubootsentwiclung voll zu überfehen und gleich-
zeitig die größte Erfahrung des Ubootgkrieges erworben hat.
Korvettenkapitän Bartenbach an Admiral z. D. Did,
Brügge, den 10. April 1918.
Euer Erzellenz,
den gütigen Brief vom 6. 4. will ich, fo gut eg mir ohne Unter:
lagen aus dem Aktenmaterial möglich ift, eingehend beantworten. ...
1. a) Die Entwicklung der Ubootswaffe vor dem Kriege.
Mir haben von vornherein nur nach dem Hochſee-Uboot, dem An—
geiffsboot geftrebt. Es wäre einem nicht von der Notivendigfeit der
HochfeerEigenfchaften der Uboote durchdrungenen Staatsfefretär ein
leichtes gemwefen, fein und der Volfsvertretung Gewiſſen durch den Bau
einer großen Anzahl von Kleinen Booten für billiges Geld zu beruhigen.
Der Großadmiral, der doch weiß Gott mit Geldfnappheit an allen
Eden kämpfen mußte, war doch ſtark in Verfuchung gebracht, um fein
durch die immer teurer werdenden Linienfchiffe, Panzerfreuzer, Tor—
pedoboote (Olfeuerung) fehr Eoftipielig gewordenes Flottengefeß durch-
zuführen, an anderen Eden zu fparen. Dies hat er bei den Ubooten
richt getan, fondern dag militärifch notwendige großzügig vor den Geld-
punkt geftellt und damit eine gefunde Grundlage für die Entwicklung
gelegt. Beweis: U 21, dag imftande war, als gewöhnliches Boot einer
Serie nach) den Dardanellen zu fahren und die Türfei zu retten, viel-
leicht den Krieg entjcheidend zu beeinfluffen, ift im Jahre 1913 nach
einer Bauzeit von mehr als zwei Jahren in Dienft geftellt worden.
Alfo fchon Ende 1910 war die militärifche Erkenntnis biefer Anforde
rungen in die Tat umgefeßt.
Solche Boote Eofteten aber dreimal ſoviel Geld und viel mehr Arbeit
und Zeit, als ein Eleines Boot. Man hätte demnach dreimal foviel bes
fchränft brauchbare Boote, etwa wie die älteren englifchen, franzöſiſchen,
ruſſiſchen, öfterreichifchen, italienifchen ufw. Boote bauen Fönnen. Wir
524 Baupslifit
waren bahnbrechend vorgegangen und flanden im Typ des Ubontes
im Sahre 1914 an der Spitze.
Es muß jeder Menſch einjehen, daß eg ein Beweis für die richtige
Einfchärung einer Waffe ift, wenn der Typ fo vollfommen wie U 21
den höchften Anforderungen gerecht wird, an die Fein Parlamentarier,
fein Zivilift, wohl aber der Großadmiral gedacht hat. Beweis: Als
ich mich Anfang Februar 1912 beim Herren Staatsſekretär meldete,
war die erſte Frage: „Wie lange kann fich eines unferer Uboote vor
der Themſe aufhalten?”
Diefe Frage konnte damals nur ein Seeoffizier ftellen, der den Verz
wendungszweck der Uboote Elar vorausfah. Diefer Verwendungszweck
ſteht auch als erfter Sat in der Verwwendungsvorfchrift für Uboote,
die im Reichgmarineamt, nicht im Admiralſtab ausgearbeitet ift,
obenan: „Ziel der Unterfeebootsausbildung ift die Verwendung an der
feindlichen Küſte.“
Dahin zielten auch die in den Jahren 1912 und 1913 unternommenen
Ubungen der Uboote in Seeausdauer. Im Frühjahr 1912 waren 2 Boote
in die Oſtſee, im Winter 1912 die ganze Flottille in die Nordfee ge—
jchieft mit der Aufgabe, nach einem Anmarfch von 300 Seemeilen
(Helgoland— England) fo lange wie möglich draußen ihre Station ans
griffsbereit zu halten, Sie blieben damals 11 Tage draußen. Diefe
Zatjachen widerlegen auch dag immer wieder auftauchende Märchen,
man hätte vor dem Kriege dem Uboot kaum zugetraut, 24 Stunden
in See bleiben zu Fönnen, Die Uboote find bereits 1909 tagelang mit
der Manöverflotte mitmarfchiert.
Mir hatten alle Urfache, folche Übungen und Erfahrungen vor dem
Kriege geheim zu halten, Diefe Übungen waren vom Großadiniral alg
„technifcher Verſuch“ friſiert befohlen, weil die Front (Flotte, Admiral
tab) in der Erkenntnis noch nicht fo weit war. Ich meine, diefe Tat:
fachen find durchſchlagende Beweiſe dafür, daß der Großadmiral wie
wenige die militärifche Bedeutung der Uboote erkannt hatte.
b) Die Grundbedingung für die Schaffung folcher, wirklich den mili⸗
tärifchen Anforderungen entiprechenden Uboote war die Konftruftion
eines betriebsficheren, fchnellaufenden (wegen der eleftrifchen Lademaſchi—
ten), nicht ſehr ſchweren Motors von mindefteng 850 P.S. Dieje
Mafchinen ftellten eine Höchftleiftung der Motoreninduftrie dar, und
es wurde daher fchon im Jahre 1908 eine großzügige Konkurrenz durch
Baupolitit 525
Snbaugabe der 850 P.8.:Prodemotoren bei den beften Firmen, Mafchi-
nenfabrif Augsburg, Germaniawerft, Fiat-Turin und Deußer Gag-
motorenfabrif in Auftrag gegeben.
Die Petrolmotoren der Firmen Körting und Daimler hatten fich als
nicht entwiclungsfähig erwiefen. Der Vorwurf der Bevorzugung von
Körting ift dadurch widerlegt, dab auf U2 Daimler-Maſchinen ein:
gebaut wurden, die fich aber nicht bewährten, fo daß überhaupt für
Petrolmotoren nur Körting übrig blieb,
Bon diefen Verfuchsmotoren Fonnten nur die Augsburger Diafchinen-
fabrik den Viertaftmotor und die Germaniamwerft den Zweitaktmotor
einigermaßen rechtzeitig vorführen. Allen anderen Firmen war dies
noch nicht einmal big Kriegsbeginn troß allee Mühen und Koſten ges
lungen. Diefe beiden Motortypen wurden nun — für die Boote der
Kaiferlichen Werft Danzig der Augsburger Viertaftmotor, für die Boote
der Germaniamerft der Zweitaktmotor — vorgefehen. Zur Mitarbeit
on der Gewinnung eines brauchbaren Motors war aljo in der groß:
zügigften Weife die gefamte deutfche und fogar die ausländifche (Fiat
Zurin) Motoreninduftrie angefpannt worden, und die deutſche Marine
hatte als erfte einen 850 P.S.=Ölmotor für Uboote, Leider arbeitete der
Zweitaktmotor der Germaniawerft nachher bei weiteren Probeläufen
nicht einwandfrei, was fich, wie weiter unten ausgeführt, bitter bes
merfbar machen follte,
c) Was die Anzahl der in Bau zu gebenden Boote anlangte, fo war
dafür, nachdem der Typ feftftand, die Geldfrage maßgebend und außer:
dem der Gefichtspunkt, daß eine plößliche fprunghafte Entwiclung ver
mieden werden mußte, denn die Privatinduftrie war nur bereit, ſich
auf den Ubootsbau einzurichten, wenn ihre eine fpätere gleichmäßige
Beichäftigung auf diefem Gebiet in Ausficht geftellt werden Eonnte,
d) Die Flottennovelle (Ubootsnovelfe 1912) erhöhte die bisher zur
Verfügung ftehenden Gelder, Sofort wurden fehr energijch Boote be
ftellt. Im Jahre 1912 wurden die Boote U 27—30 (Kaiferliche Werft
Danzig), ferner U31—41 auf der Germaniawerft, U 42 bei Fiat-San
Giorgio in Auftrag gegeben, zufammen 16 Uboote, eine bis dahin uns
erhörte Zahl. Außerdem wurde die Baufumme für ein auf der Weſer—
werft (Dampfboot) in Bau zu gebendes boot bereitgeftellt, aljo für
ein fiebzehntes Uboot. Sch meine, durch diefe Tatfachen ift der Beweis
Schlagend erbracht, daß nach Bewilligung der Ubootsnovelle alles ge
526 Baupolitik
ſchehen ift, die vorhandenen Mittel zum Bau von Ubooten auszunußen.
In dieſem Sahre wurde auch verfucht, den Ubootsbau auf breitere
Baſis zu ftellen, Es wurden folgende Werften angegangen:
Meferwerft: Dampfprojeft. Werft richtete Ubootsfonftruftionsbureau
ein.
Schichau: lehnte grundfäßlich ab.
Vulkan-Hamburg: lehnte ab, ein Konftruftionsbureau einzurichten, wollte
nur fertige Pläne ausführen, falls ihm weitere laufende Aufträge
zugefichert würden,
Fiat-San Giorgio: befam einen Auftrag (U 42).
Für Euere Erzellenz füge ich hinzu, daß die Etatsabteilung damals
in der energifchften Inbaugabe der Uboote und der dadurch herbei-
geführten FZeftlegung der Gelder auf drei Jahre hinaus eine Verlegung
des Budgetrechtes des Neichstages erbliden zu müfjen glaubte.
e) Die Gründe, weswegen bei Kriegsbeginn nicht mehr Uboote an
der Front ftanden, Tiegen lediglich an dem Verfagen der Induſtrie, die
nicht in der Lage war, die vom Großadmiral in Auftrag gegebenen
Boote zu den von ihr angebotenen Terminen fertigzuftellen.
Mir hatten bei Kriegsbeginn in Dienft (U1 und U2 fallen zu Schul-
zwecken aus):
U3 bis U1s, U19 big U27=25 Boote.
Mir hätten nach den von den Firmen angefagten Lieferungsterminen
in Dienft haben müfjen:
U3 bis U41=39 Boote,
Die Kämpfe mit der Induſtrie, die Bauverzögerungen zu vermeiden,
das fcharfe Eingreifen gegen die Germaniamwerft durch den Staats:
jefretär perfönlich, die Maßnahmen gegen den Sinfpekteur find Ew. Er=
zellen; in Erinnerung. Der Ausfall an nicht gewonnenen militärifchen
Erfahrungen mit den neuen Booten U 23 bis U 26, U 31 ufmw., die über
ein Jahr Bauverzögerung hatten, und das Fehlen ausgebildeter Kommanz
danten und Befagungen wog natürlich faft ebenfo fchwer wie das
Fehlen des Materials. Wir hätten am 1. Auguft 1914 ganz anders da=
geftanden, wenn die Snduftrie, die heute den Mund fo voll nimmt,
gehalten hätte, was fie dem Großadmiral vertraglich aus eigenen Ans
gaben versprochen hatte.
Der fachliche Grund für den gröbſten Verfager, das Fehlen der 11
Baupolitik 527
Uboote der Germaniawerft U31 big U41, lag an dem Zweitaktmotor
diefer Werft, der im Auguft 1911 auf Grund eines Probelaufs abe
genommen war und der nachher nicht wieder zum Dauerbetrieb gebracht
werden Eonnte, jo daß wir gezwungen waren, um diefe vielen Boote
nicht endlos zu verzögern, bereits Erjagmotore in Augsburg auf Koften
der Germaniawerft zu befchaffen.!)
An diefen Verhältniffen hätte der Großadmiral auch nichts ändern
Fönnen, wenn noch ein weiteres halbes Dutzend Uboote im Jahre 1912
beftellt worden wären; auch dieje hätten auf die Motore warten müfjen.
Ew. Erzellenz ift bekannt, daß der verantwortliche MajchinenbausBes
amte von feiner Stellung entfernt wurde. Derfelbe Herr wird in der
Rede von Struve namentlich erwähnt als wertvolle Kraft, die nicht
ausgenutzt wurde,
2. Zum Ubootsbau im Kriege Fann ich aus eigener Erfahrung nur
für den Anfang des Krieges mich äußern, da ich fpäterhin durch meine
Aufgaben hier nicht mehr fo im Bilde geblieben bin. Bei der Mobil
machung wurden planmäßig die vertraglichen Ms.-Boote beftellt, und
zwar fofort die Weferwerft herangezogen, weil die Germaniawerft mit
der Fertigftellung der noch rüctändigen Boote U31 bis U41 und
5 öfterreichifcher Uboote ſtark belaftet war. Selbftredend wirkte diefer
Rückſtand aus dem Frieden hindernd auf den Bau neuer Boote. Vor
allem Fam es darauf an, die im Bau befindlichen Boote zu fördern.
Daß dies energifch von der Unterſeeboots-Inſpektion aus geichah, mag
der fcharfe Brief des Reichs-Marine-Amts vom Anfang Auguft 1914
an dag Generaldireftorium von Krupp in Eſſen bemweijen, über den fich
Krupp befchwerte. Schon damals wurde die Arbeiterfrage in die Hand
genommen und Arbeiter von der Kaiferlichen Werft und Flensburg
beichafft.
Die Neubauten Fonnten damals nach menfchlihem Ermeffen mit
ihrer Bauzeit (18 Monate für das erfte Boot) in diefem Kriege, tie
wohl ganz Deutfchland die Sache anfah, nicht mehr zum Tragen fommen.
Diefen Vorwurf will ich für meine Perfon hinnehmen.
Aber fofort mit der Beſetzung der flandrifchen Küfte faßte der Groß:
) Die Zweitaktmotore find endlich nach faft 1’/, jähriger Verzögerung im
Dezember 1914 betrieböflar geworden. Die in Augsburg beftellten Crjagmotoren
fanden auf anderen Booten Verwendung, Anm. des Herausgebers.
528 Baupolitik
admiral den Entſchluß, die kleinen Boote zu bauen, die bis zum Früh—
jahr 1915 fertig werden konnten, um die flandrifchen Häfen mit allen
Mitteln auszunußen, Die Ubootsfpezialiften rieten fogar von dem Bau
folcher Eleinen Boote ab. Der Staatsjefretär befahl den Bau der
32 Fleinen Boote und hat recht behalten, denn dieſe Boote haben, ob-
wohl fie leider aus anderen Gründen nicht alle hier angeſetzt wurden,
treffliche Dienfte geleiftet und fahren heute noch mit Erfolg.
Ein Beweis für den Weitblick des Großadmirals ift die Tatfache,
daß er fofort nach der Beſetzung der flandrifchen Küfte, noch vor dem
Sinrüden der Marine-Diviſion, als erften Seeoffizier einen Uboots-
jpezialiften dorthin entjandte, um die Häfen und Hilfsmittel vom
Standpunkt der Ubootsverwendung aus zu prüfen. Auf diefe Erkundung
daut fich die heute fo wirffame Ausnutzung der flandrifchen Küfte auf.
Über den weiteren Verlauf der Ubooisbefchaffung bin ich im einzelnen
nicht mehr unterrichtet, eg fcheint mir allerdings auch, daß im Jahre
1916 eine Lücke in der Ubootsbefchaffung eingetreten ift. Man hat hier
an der Front das Gefühl, daß nicht großzügig jedes nur mögliche Boot
befchafft wird, fondern daß man verhüten will, ja nicht zu viel Uboote
zu haben,
Zweifellos hat bie Unficherheit, ob Ubootskrieg oder nicht, ihre ſchäd⸗
lichen Folgen auch auf die Ubootsbefchaffung gehabt, denn es liegt auf
der Hand, daß nicht die letzte, äußerſte Anflrengung für die Bereit
ftellung einer Waffe gemacht wird, wenn es noch ganz unficher ift, ob
diefe Waffe jemals zur Anwendung Eommt. Bei der Gefamtlage, bie
alles Rohmaterial und alle Arbeitskräfte für andere wichtige Kriegs:
zwecke beanfpruchte, war es fehr zu erwägen, ob eg richtig fei, aufg
ungemiffe Material und Arbeitskräfte anderen Stellen zu entziehen.
Eine Reichsleitung, die nur wegen der zu geringen Bootszahl den Ubootg-
krieg nicht führen wollte, hätte durch eine beftimmte Zufage bei einer
erheblichen Verftärfung (4.8. Verdopplung) der Bootszahl den Uboots—
krieg aufzunehmen, zweifellos eine rafchere Bereitftellung diefer Boote
herbeigeführt und fich dag Vertrauen erhalten. Dies ift der deutlichfte
Beweis, daß andere Gründe für dag Verhalten der NReichgleitung vor:
lagen und die geringe Bootszahl nur ein Vorwand war.
Mas die Heranziehung weiterer Werften anlangt, fo ift die Forbes
rung von Str. im mwejentlichen berechtigt, ift ja auch tatfächlich gefchehen.
Die Argumente, die Herr dv. G. anführt, treffen nicht zu. Von Geheims
Baupolitii 52%
haltung der Bootskonſtruktionen braucht man nicht mehr viel zu halten,
nachdem die Engländer mehrere Boote in Händen haben.
Motoren werden auch auf Werften gebaut (z. B. Blom und Voß),
die Entwicklung iſt Sache der Marine, Es kommt zurzeit beträchtlich
mehr auf die fabrikmäßige Vervielfältigung der beftehenden Typen an
als auf die Weiterentwiclung.
Für Ew. Erzellenz füge ich hinzu, daß die Baupolitif des Reichs—
marineamts etwa jeit Anfang 1917 von der Front noch viel fchärfer
angegriffen wird als von Herrn Str. Das hat aber mit dem Groß—
admiral nichts zu tun, im Gegenteil, man vermißt deſſen Großzügige
feit und Tatkraft auf Schritt und Tritt.
Die lebten Bauaufträge find alle auf fiharfes Drängen der Front
wefentlich vergrößert worden, als dag Reichsmarineamt urfprünglic)
für möglich bezeichnet hatte.
Aus diefen Gefichtspunkten würde ich empfehlen, die Abwehr der
Ste. Ängriffe nur auf die Perfon des Großadmirals, feine Baupolitit
vor und im Anfange ded Krieges auszudehnen.
Über den Rahmen der Fragen des Herrn v. ©. hinausgehend, möchte
ich Ew. Erzellenz das Material zur Frage, ob wir im Frühjahr 1915
genügend Uboote zum Ubootskrieg hatten, auf Grund meiner Kriegs:
erfahrungen folgende Zatfachen anführen:
Sm Sahre 1915 erreichte ein Uboot das vierfache, im Jahre 1916
dag dreifache der Erfolge des Jahres 1917, troß der damals gültigen
einfchränfenden Befehle. Der Grund hierfür liegt in der zunächſt nicht
vorhandenen und erjt allmählich fish entwickelnden Abwehr. Dieſe Ab-
wehr, die namentlich in der Bewaffnung der Dampfer befteht, Tonnte
gleichzeitig mit der Niefenaufgabe, eine ſtarke Feldarmee mit der nötigen
Artillerie zu verforgen, nicht vafcher durchgeführt werden, als jie tat
fächlich durchgeführt worden ift. England brauchte allein für die Uboot—
abwehr, vorfichtig geſchätzt, 12 000 leichte Geſchütze.
Wir haben dieſe Zeit der Überlegenheit unbenutzt verſtreichen laſſen
und ſahen uns im Februar 1917 vor eine ungleich ſchwierigere Auf⸗
gabe geſtellt als 1915 oder 1916. Wir erreichen heute mit unſerer
Bootszahl bei aufreibendſter Anſpannung der Beſatzungen und harten
Berluften das gleiche Monatsergebnis das wir im Jahre 1915 mit einem
Viertel, im Jahre 1916 mit einem Drittel der Boote mit verhältnigs
mäßig leichter Mühe hätten erreichen können. Diefe Bootszahlen waren
Tirpig, Erinnerungen 34
530 Baupolitil
fowohl 1915 wie 1916 reichlich vorhanden. Den Vorwurf, diefe Aus—
nußung verhindert zu haben, könne alle die nicht von fich abfchütteln,
die gegen den Ubootsfrieg geredet haben, und ebenfo wenig Eönnen fie von
ihren Händen dag Blut abwafchen, dag ſeitdem fließen muß, um gegen
die Abwehr die notwendigen Erfolge zu erringen.
Dazu Eommt der ganz wichtige Punkt, daß der Ausfall an Schiffe:
raum, der ſchon 1915 eingefeßt hätte, die ganzen Jahre fich dauernd
als Fehlend bemerkbar gemacht und ein berartigeg Erftarfen der englifchen
Armee, wie e8 1916 der Fall war, verhindert und verlangfamt hätte.
Die Marine befand fich in den Jahren 1915 bis 1916 in der Lage
einer Sinfanterietruppe, die dem Feinde, der feine Stellung noch nicht
befeftigt hat, gegenüberliegt und genau weiß, daß fie diefe Stellung
nehmen muß, weil anders der Feind nicht zu fchlagen ift. Sie meldet,
daß die Stellung leicht zu nehmen fei. Sie ſieht täglich, wie der Feind
fich ftärfer eingräbt, Drahtverhaue zieht, Artillerie aufftellt, meldet dies
dauernd nach hinten, und bittet um die Erlaubnis, anzugreifen. Diefe
wird ſtets verweigert. Erſt als der Gegner glänzend eingebaut ift, eine
tadellofe Abwehr geübt hat, da kommt die Angriffserlaubnis, und nun
wundert fich alles, daß diefe Stellung, von der erft gemeldet war, daß
fie leicht zu nehmen fei, harte, langwierige Kämpfe und viel Blut Eoftet.
Vielleicht begreift man heute folche Bilder Teichter als die Ausführungen
mit Marinebegriffen.
Mir betrachten es als eine Anmaßung fondergleichen, daß Parlamen:
tarier, Ziviliften fich ein Urteil darüber erlauben, ob die Streitmittel für
eine militärische Aktion ausreichen, die die militärisch verantwortliche
Leitung anfeßen will, Hat man jemals etwas davon gehört, daß 3.2.
jeßt vor Beginn der Meftoffenfive eine Volksvertretung die Beftände an
Munition begutachtet hätte? Was würde wohl Ludendorff jagen, wenn
man ihm mit folchen Dingen käme. Niemand im deutfchen Volke würde
dies begreifen, nur beim Ubootskrieg durfte jeder mitreden. Darüber,
wie eg heute mit ung ftehen würde, wenn wir den Ubootskrieg felbft ver-
fpätet nicht geführt hätten, brauche ich nicht zu fchreiben, meiner Ans
ficht nach müßten wir dann troß der Stärke an der Weftfront unfere
Lage als verzweifelt bezeichnen. Man kann den Standpunkt, wir hätten
1915 und 1916 nicht genügend Uboote gehabt, nicht fcharf genug be—
kämpfen, er ift eine bequeme Ausrede für alle die Leute, die jeßt im
Grunde ihres Herzens fühlen, daß fie mit dem Widerftand gegen den
Baupolitif 531
Ubootskrieg einen verhängnisvollen Fehler gemacht haben. Schließlich
muß doch das Urteil der Leute, die mit den Ubooten arbeiten, dag maß:
gebende fein und nicht das eines Außenftehenden.
Die vorftehenden Ausführungen habe ich wegen der Kürze der Zeit
etwas rajch niederfchreiben müfjen, ich bitte daher gehorfamft, mit dem
Stil nicht zu ſcharf ins Gericht zu gehen. Falls Ew. Erzellenz Vor:
ftehendes zu einer Prefjeveröffentlichung benutzen wollen, bin ich fehr
damit einverftanden. Wir haben viel zu lange zu diefen gefchichtsfälfchen:
den Treibereien geſchwiegen.
Euer Erzellenz ergebenfter
gez. Bartenbach.
34*
Namen- und Sadregiiter
Die Schiffsnamen find mit „...“
Die Zeitungen und Zeitfchriften mit ,. .’ bezeichnet.
A—
Aalands-Inſeln 309.
Adalbert, Prinz, der Altere 2, 5, 11, 16.
— Prinz, Sohn Kaifer Wilhelms 11.
457, 463, 465, 467, 484.
„Prinz Adalbert” 114.
Ndmiralität 35, 36.
— Fehlen einer 129,
Admiralſtab 122, 123.
— Gründung 20,
— Operationöbefehl 1914 129.
—steifen 25.
— und Ubootsfrieg 363, 367.
Agadir 130, 164, 181, 183, 208.
Ahlefeld 447, E
v. Albedyll, Kabinettöchef 135.
Albert, König von Sachſen 9.
— Geheimtat 379
Alexander II. von Rußland 26,
Alexejew, ruffifcher Admiral 64.
Alliancewert Deutfchlands 55, 154, 162,
193,
„Almanſa“, fpanifches Infurgentenfchiff
14,
Alfen 9.
„Amazone" 1, 2.
Amon, Infel in Oftafien 61—69.
Amrum 13.
Anconafall 362.
„Arabic“ 356, 357, 361, 363, 497.
„Arkona“ 7,
Armſtrong 10,
Asquith und deutjche Flotte 176.
— und Kriegführung 255.
— Minifterium 262.
„Audacious“, englifches Kriegsjchiff 114.
Augufta, Prinzeffin, fpätere Kaiferin 92.
Ausfuhrhandel 51.
Auslandsdeutfchtum 71—74.
Auslandskreuzer-Flotte 80,
Auswärtiges Amt 7, 53, 245.
— und Agadir: und Kongoverhandlung
183.
— und England 255, 259,
— und Flotte 180, 194, 201, 308.
— und Kriegsausbruch 211, 217,
225, 232, 243, 246, 303.
— und Oſtaſien 61, 67.
— und Reichömarineamt 213, 327,
— und Ubootfrieg 342, 343, 345, 346,
347, 354, 356, 358, 362.
— und v. Wiegand 341.
— in den Ktiegsbriefen 411, 428, 443,
449, 452, 457, 460, 471, 473, 475,
485, 489.
„Ayeſcha“ 452.
Azoren 5, 7,
218,
Baagoͤ 315.
Bahmann, Admiral 328, 332.
— und Ubootkrieg 345, 348, 349, 353,
354, 356, 357, 359,
— in den Kriegsbriefen 444, 446, 447,
449, 452-455, 457, 459, 461466,
536
469, 470, 473, 477, 483—485, 488,
490, 491, 500, 501.
Bagdaddiplomatie 142,
Balkanpolitif 149.
Ballin und Tirpik 265.
— und Ubootsfrieg 355, 356, 377, 379.
— in den Ktiegsbriefen 413, 424, 440,
442, 459.
Barnabe, fpanifcher Botfchafter 498.
Bartenbach, Korvettenfapitän 523.
Barth, freifinniger Abgeordneter 100.
Ballermann 380, 478, 481, 495.
Batfch, Admiral 3.
Baudiffin, Graf, Admiralftabschef 307.
Beattn, englifcher Admiral 333, 3.
Behnde, Admiral 300, 334, 482.
Belte, die 315.
Bendendorff, ruſſiſcher Minifter 147,
Benedikt XV., Papft 358,
v. Bennigfen 85.
Berchtold, Graf 208, 428. i
— und Kriegsausbruch 210, 212, 214,
215, 221.
Berkfheim, Graf 419.
‚Berliner Tageblatt‘ 279, 471.
Bernftorff, Graf, Botfchafter in Wa:
ſhington, und Ubootfrieg 352, 354,
358, 361, 374, 375, 379, 489, 490, 501.
v. Befeler,Öeneralgouverneur von Polen,
415, 416,
— und Tirpik 150.
Bethmann Hollweg 25, 150, 163,
— und Agadir 181, 182.
— und Belgien 245.
— und Sambon 224.
— und England 202, 254, 256—260, 269.
— und Slottenpolitif 168, 179, 183
bis 186, 191, 193, 194, 201, 218, 247,
266, 269, 276, 310, 327, 328,
— und „Friedenspartei” 196.
— und Grey 216, 217, 222, 226.
— und Haldane 187, 188.
— und Heeresvorlage 251.
— und Jagow 224,
Namen: und Sachregifter
Bethmann Hollmeg und Kabinett 136.
— und Kriegsausbrud) 209, 210, 211,
214, 215, 219, 221, 223, 228, 232
bie 235, 237, 238, 240—244, 247,
— und v. Müller 331.
— und v. Pohl 332.
— und Polenproflamation 149, 151, 367,
— Politik 162, 277, 295, 3%,
— und Nufland 272, 273.
— und Tirpik 156, 166, 195, 196, 213,
214, 225, 239, 246, 253, 254, 260, 366.
— und Ubootöfrieg 343—847, 351—861,
363, 364, 365, 368, 374, 375, 376, 380,
— und Vaterlandepartei 289.
— in den Kriegsbriefen 392, 393, 396
bis 401, 403, 406—408, 410, 413
bis 415, 417—419, 423, 435—437,
441-446, 448—450, 452, 453, 456,
457, 459-461, 465, 466, 469, 472
bis 474, 477, 478, 481, 482, 484 bis
487, 489492, 495, 497, 498, 500
bis 502.
Bettolo, italienifcher Admiral 280.
Bismarck 14, 15, 23, 226, 471, 501,
— und Benedetti 189,
—8 Bindnispolitif 91, 154.
— und Caprivi 90, 163.
— und England 167, 169, 198, 255.
— und Flotte 107, 198.
— an Gerlach 10.
— und Hamburg 3.
— und Italien 240.
— „Songleur” 163.
— und Kaiſer 92, 94.
—$ Politik 253, 279, 280, 287.
— Reichsſchoͤpfung 50, 236,
—$ Neichöverfaffung 140, 423.
— und Roon 90.
— und Rußland 142, 152.
— gegen Stoſch 38,
— und Wehrvorlage 182.
—5 Bollgefeßgebung 9.
„Fuͤrſt Bismard” 88,
Bismarck, Gräfin Wilhelm 89.
Namen: und Eadhregifter
v. Biffing 441, 442,
„Big“ 11, 12.
Blücher 319, 431, 453.
v. Bothwell, Kapitän der „Gazelle“ 3,
„Bouvet“ 454,
Boyen 453.
Braun, Kommandant des „Iltis“ 62, 63.
Brentano, Lujo, und Flottengefeke 95.
„Breslau” 302, 303.
Bryan 350.
Buchanan, englifher Botfchafter in Ne:
teröburg 222,
Büchfel, Admiral 112, 413.
Buͤlow, Graf, Fürft, bei Bismard 94.
— Deutfche Politif 208.
— und England 168, 170, 178, 195.
— und Flottengeſetz 97, 103, 104, 109,
— genen v. d. Hendtiches Reſkript 70,
— und Stalien 350, 425.
— und Kabinett 136.
—8 Kanzlerfchaft 141, 213.
— und „Kriegspartei” 196,
— Rüdtritt 177.
— und Tirpiß 243.
v. Bülow, Generaloberft 402.
Bürkner, Geheimrat 112.
€
Saillaur 459,
Sambon, franzsfifher Botſchafter in
Berlin, und Bethmann 224.
— und v. Jagow 189,
v. Capelle 81.
— und Flottengefeß 82, 83, 100,
— Staatöfefretär 329, 366.
— und Ubootfrieg 348.
— in den Ktiegsbriefen 411, 412, 417,
418, 429, 436, 449, 468, 479, 480,
486, 487, 491, 497, 500.
v. Caprivi 11, 19, 35, 36, 38, 40, 45, 58,
82, 427.
— Ira Saprivi 23—29,
— und Admiralität 122,
— und Bündnis mit England 170,
537
v. Saprivi und Flottenbau 198.
— Grund zum Erwerb Helgnlands 59,
Sapverden 22.
Safement, Sir Roger 15.
Caſtro, Präfident von Venezuela 159.
Sattaro, Ubootsftükpunft 155.
Shamberlain und Bündnis mit Deutfch-
land 170,
— gegen Deutfchland 262.
— Sollyläne 9.
China 21.
— Aufſchließung 61.
— Aufſtaͤnde in 68.
Chinaexpedition 97, 130, 141, 143, 164.
Chiozza Monen 370, 371.
Churchill, Lord der Ndmiralität 291, 413,
421,
— und deutfche Flotte 176.
Slemenceau und Kriegführung 277, 286,
287,
Clevelandbotſchaft 55.
Sohn, Oskar, Abgeordneter 281.
Solbert 388, 439
Sontreras, fpanifcher General 14.
„Sormoran” 451.
Coronel, Schlaht bei 304, 321.
Courcel, Baron de, franzöfifcher Bot:
ſchafter in Berlin 91.
„Creſſy“, englifcher Kreuzer 313.
Gurasao 22.
D
Dr. David, Reichsminiſter 280.
Daͤhnhardt 82.
‚Daily Chroniele“ 187,
‚Daily Mail’ 259.
‚Daily News’ 433.
‚Daily Telegraph“ 268.
Dalwigk 476.
v. Dallwik 471.
Dardanellen, Rettung der 155.
Dehn, Paul 283,
Delagoaangelegenheit 121.
Delcaffe 182.
538
„Derfflinger” 114, 115.
Dernburg 432.
‚Deutfche Allgemeine Zeitung’ 168,
Deutſch-Oſtafrika 59, 67.
Dewey, amerifanifcher Admiral 159,
Djavid Bey 474,
Did, Admiral 454, 523,
v. Diederiche, Admiral 50, 65.
Dörpfeld 453.
Douglas, Archibald, englifcher General
321.
Dreadnought, Beginn des Baues in
England 173, 176.
— Beginn des Baues in Deutfchland
174, 506.
Dreibund 28,
— England, maritime Ergänzung bes 58,
— beutjchsruffifchjapanifcher 153.
Düppel 156,
v. Edardftein, diplomatifche Enthüllungen
171.
‚Seonomift‘ 369,
Eduard VII. und Deutfchland 171,
— und Kaifer Wilhelm 172,
v. Egidy, Kapitän der „Seydlitz“ 334.
Eichhorn, Generaloberft 454.
v. Einem, General 444, 451.
Einkreifungspolitif Englands 172,
Eitel Friedrich, Prinz 415, 464, 484,
„Eitel Friedrich”, Hilfskreuzer 451.
„Emden“ 114, 305, 315, 424, 439, 510,
England, Operationöplan gegen 59,
—3 Schuß feiner Landsleute 15.
— Torpedoboote 35.
—$ Verkennung durch Kruͤgerdepeſche 57.
Enver Paſcha 458, 478.
— und UÜbootskrieg 363.
Erzberger, Briefwechfel mit Tirpitz tiber
Luftfchiffe 119—121.
— und Frieden 278,
— in den Kriegsbriefen 428, 449, 463,
472,
„Erzherzog Friedrich” 4.
Namen: und Sachregiſter
8
v. Falfenhayn und Kriegsausbruch 209,
251.
— und Ubootkrieg 343, 347, 353, 356,
363, 364, 365, 368,
— in den Kriegsbriefen 403, 431, 460,
464, 465, 470, 475, 477-480, 482,
485—489, 491, 493, 494, 496, 500,
501.
Falklands-Inſeln 305,
Faſchoda 103,
— Abkommen über 171,
Fayal 7,
Fiſcher, Hannibal 388,
Fifher, englifcher Admiral 20, 433,
—$ Erinnerungen 222,
— und Flottennovelle 176, 177,
Flandern, ein felbftändiges 157,
v. Flotow, Botfchafter in Nom 425,
Siottenverein 173, 258,
„Fortnightly Review“ 50,
Franke, Profeſſor Otto, und Zfingtau:
Hochſchule 75.
v. Sranfenberg, Oberft 458,
‚Sranffurter Zeitung‘ 196, 197, 230, 274,
279, 371, 437, 444, 475, 486,
Franz Ferdinand, öfterreichifcher Thron:
folger 204.
Stanz Joſef, Kaifer 447,
— und Wilhelm II. 208, 209,
Fredericks, ruffifher Minifter 147,
French, Marfchall 438.
Friedrich der Große 27, 41, 129, 163,
226, 229, 280, 287, 388, 452, 453,
463, 473, 487, 501.
— Eizherzog 479,
— Großherzog von Baden 95, 435,
— Karl, Prinz 9, 17, 24, 26, 51.
„— Sad” 10, 14, 15, 22.
— Wilhelm I., König von Preußen 124,
129,
— Wilhelm IV. 448,
Futſchou 62.
Namen: und Sachregiſter
6
Gablentz 4.
Gaaarin, Fürft 489,
Gambetta 281.
‚Sartenlaube‘ 2, 6.
„Gazelle“ 3,
Georg V., König von England, und
Kriegsausbruch 238.
— und Freiherr von Marfchall 200,
— und Rußland 234.
Gerard, amerikanifcher Botfchafter- in
Berlin, und Tirvitz 217.
— und Ubootkvieg 342, 343, 355, 357,
358, 482, 499,
Gerlach 10.
Gibraltar 10, 14,
„Glocke“, fozialiftifhe Zeitſchrift 279,
Gluͤcksburg, Herzog von, und Tirpik 156.
Gneifenau 255, 453.
„Soeben“ 302, 303.
— bei Imbros 114.
v. d. Golk, Feldinarfchall 80, 419, 462,
464.
— und Flottengeſetz 97.
— und Kriegebeginn 251.
Goͤns, Pfarrer im Hauptqunrtier 431.
Gofchen, Sir Edward 400, 414,
Goethals, Oberft, und Panamafanal 123.
Gothein, Abgeordneter 230.
Graevenitz 450.
„Greif“ 306,
Grey, Sir Edward 447, 489.
— und Dänemark 315.
— und Haldanes Beſuch 186.
— und Sſaſonow 220, 234.
— und Vermittlungsserfchlag 215—219,
222, 223, 226, 238, 245, 247, 254,
Großer Generalftab und UÜbootkrieg 346.
Großer Kurfürft 229,
„Großer Kurfürft” 18, 31.
9
Hanfe, Abgeordneter 230.
Haiti 79,
539
Haldane, englifcher Kriegsminifter 139.
— Befuh in Berlin 185—190, 192 Bis
194, 196, 205.
Slottenverftändigung 184, 201.
— über deutfche Strategie 252.
Hamburg 6, 11.
Hamburger Hafen 12,
— und Bismard 9.
— Kaiſer Wilhelm II. Rede 104.
Hammann, D. 200.
— „Borgefchichte des Weltkrieges“ 171.
v. Harnad, Profeffor 401, 413,
Hatzfeld, Prinz 379.
Hauß, öfterreichifcher Admiral 303, 438,
445,
Havenftein 429,
Hawaii 22.
Hedfcher, fortfchrittliher Abgeordneter
206.
v. Heeringen, Kriegsminifter 251.
— Kapitän 32, 94, 9.
Heinrich, Prinz v. Preußen, in Stalien 93.
— und Kriegsausbruch 238.
— Fackelzug in New York 71.
— und Tirpik 125, 213,
— nad) Tfingtau 9.
— in den Kriegsbriefen 401, 407, 447,
466, 468—470, 476, 492,
— Kapitän 335, 476.
Helfferih und Rufland 261, 262, 272,
— und Ubootfrieg 352, 355, 356, 429,
489, 491, 495, 497.
Helgoland 6.
— Gefecht bei, 1864 4, 8.
— — 1914 39.
— Vortrag über — 18% 59,
Hendel, Fürft 470.
Hentſch, Oberftleutnant 438.
Herfing 520.
Hertling, Freiherr v. und Flottengefek
100.
— NReichöfanzler 287.
Heufner, Admiral 39,
v. Hendebrand 418,
540
v. Heyfing, Gefandter in Pefing 63, 64.
Hindenburg: Feldzugeplan 1915 149,
252, 269.
Hindenburg und Kaifer 139.
— und Lloyd George 256.
— und Marine 338.
— und Tirpik 292.
— und UÜUbootkrieg 367, 383, 385.
— in den Kriegshriefen 402, 407, 411,
426, 429, 433, 436—438, 441, 442,
445, 450, 456, 458—461, 465—467,
472, 473, 475, 477, 480, 484, 485,
487, 4%, 491, 493—49.
v. Hinke, Marineattachee, und Auswaͤr—
tiges Amt 237, 239, 245, 379.
— und Admiral Dewey 159.
— in Peteröburg 148, 149, 152.
— in den Kriegsbriefen 404, 411, 473.
Hinzpeter, Erzieher des Kaifers 133,
Hochleeflotte 25, 119, 126,
— Bau 49,
— Kommando 123,
— Taktik der 41.
Hoffmann, General 496,
„Hogue“, englifcher Kreuzer 313.
Hohenlohe, Reichskanzler, Fuͤrſt 60.
— und Slottengefeke 98, 108.
— und Kabinett 136,
Hollmann, Admiral 39, 45.
— und Kreuzerfrieg 49,
— und Reichömarineamt 81.
— in Rominten 138.
— und Tirpik 44,
— VBertrauensvotum 60.
v. Holftein und Oftafien 65.
— und Rußland 143, 146.
v. Holßendorff, Admiral 332, 360, 363,
365, 375, bil.
Hongkong 66.
— Dods von 61, 63.
Hopman, Admiral 401, 417, 438, 444,
469.
o. Hößendorff 479, 491,
Namen: und Sachregiſter
Hoyos, Graf, Kabinettschef Berchtelds
208,
Humbert, König von Italien 26.
3
„Iltis“ 62, 63, 65.
„Indefatigable“ 333, 507.
v. Ingenohl, Admiral 309, 311, 314 bis
316, 325, 504.
— in den Kriegsbriefen 396, 397, 403,
409412, 414, 417, 430, 436—439
470, 471, 477.
„Invineible“ 334, 507,
Jaͤckh 246, 408.
v. Jagow, Staatöfekretär des Auswaͤr⸗
tigen 237, 245,
— und Sambon 189,
— und England 259.
— und Grey Vermittlung 216, 217,
219, 223, 224.
— und Kriegsausbruch 234, 238,
— und Zirpik 246, 254,
— und Ubootöfrieg 356, 358.
— in den Kriegöbriefen 392, 393, 400,
407, 417, 421, 424, 425, 444, 446, 449,
453, 478, 482, 485, 499, 500,
Jakobſen, Admiral 475.
Jameſons Zug 57.
Japans Ultimatum 77, 392,
Jasmund, Gefecht bei 1.
Fellieoe, Admiral, und Freiherr von
Marfchall 201.
Sefuitengefeß und Flottengefeß 109.
Joachim, Prinz von Preußen 496.
Joffre 438, 459.
Johann Albrecht, Herzog 424,
ee re BEER
K
Kaiſer Wilhelm II., Ira 11.
— und Nuslandefchiffe 122, 131, 202.
— Bedeutung beim Negierungsantritt
132.
— und Bethmann 259, 376.
— und Bismard 88, 92, 3.
Namen: und Sachregiſter
Kaifer Wilhelm II. und Gaprivi 23, 38,
— und Dienftvorfchriften 49,
— und Eduard VII. 172,
— und $lottenbau 50, 79, 133, 179,
180, 183—186, 191, 195, 503.
— und Flottengefeße 85, 86, 102, 104,
105, 107, 108, 109,
— und Flottenfommando 125,
— und SFlottenpolitif 269, 303, 310, 311,
312, 324—328, 338.
— und Slottenverein 173.
— und Franz Tofef 208, 209.
— Friedensliebe 207, 235.
— und Haldane 186—190, 192—194,
in.
— und v. Heyking 63.
— und Hindenburg 139.
— und Kabinett 135.
— in Kiel 40,
— und Kipling 160.
— Konftitution des 135,
— und Kreuzerfrieg 80.
— und Ktiegsausbruch 208, 209, 210,
219, 230, 237—240, 242, 248,249, 254.
— und Marinefabinett 39.
— und Marineforps 302.
— und Marineoberfommando 81.
— und Freiherr v. Marfchall 200.
— und Moltfe 245.
— und Admiral v. Müller 331.
— und Nikolaus II. 146, 272,
— und Oſtaſien 65.
— und ruffifche Politik 150,
— ald Prinz 36, 38,
— und Randbemerkungen 137,
— und Emil Rathenau 134.
— und Reihömarineamt 246.
— in Rominten 137, 138, 139,
— und Seymour 164.
— und Tirpitz 41, 133, 166, 197, 203,
359, 365, 366.
— und Torpedoabwehr 134.
— und Ubootöfrieg 342, 344, 346, 347,
348, 353, 356—859, 362, 367, 368.
541
Kaifer Wilhelm II. und Volk 277.
— in den Kriegsbriefen 393, 395—8397,
399, 401404, 406, 408, 410, 411,
414—417, 419, 421, 424432, 434,
435, 437, 440-444, 446, 447, 450
bis 452, 454-457, 459, 461, 462,
464—467, 469-475, 477-480, 481,
483, 484, 486, 488495, 498, 501.
„Kaiſer“, Flaggſchiff 63.
Kaiſer Friedrich 92.
Kaiſer Wilhelm J. 28, 130, 132, 139, 423.
— als Prinz 92.
Kaiſerin Auguſta Viktoria 139, 454, 460,
473, 474,
Kamerun, Taufchobjekt für Oftafien 64.
Kampf, Neichstagspräfident 478—480,
Kap⸗Kairobahn 189.
Kapp, Generallandfchaftsdireftor 288.
Kapftadt 22,
„Karlder Große“ 104.
„Karlsruhe“ 305, 424, 439, 510,
„Kaſuga“, japanifcher Kreuzer 148,
Kerenskj 151.
v. Keffel 459.
Kiautfchou 63, 65.
Kiderlen: Wächter 143,
— und Slottenverftändigung 185,
— und Maroflofrife 181.
Kiel 4, 8, 18,
— Föhrde 47,
— Marienftation 122,
Kipling 160,
Kitcheners Armeen 251,
Klein, Tim 472,
v. Knorr, Admiral 50,
Köhler, Kapitän der „Karlsruhe 305,
„Köln“ 309,
Kolonialamt und Tſingtau 66,
— und Kreuzerkrieg 67.
Kolonien 21.
— Ermerbung 26.
— Kolonialbuͤrokratie 67.
„Koͤnig Wilhelm“ 5, 6, 7.
„Königsberg“ 305, 315.
542
Kongoverhandlungen 183.
Konftantin, König von Griechenland 448,
v. Köfter, Großadmiral 124.
Kötfchke, H. 225.
Kraft, Admiral 476,
‚Kreuzzeitung‘ 91, 482, 487,
Kriege, Minifterialdireftor 343, 346, 480.
Kriege: Freiheitökrieg 41,
— 1866 41,
— 1870 5, 41, 55.
— [panifch-amerifanifcher 103, 159, 351.
— Burenfrieg 103.
— ruffifchjapanifcher 142, 148.
— Balfankrieg 1912 218.
Kronprinz Wilhelm und „Kriegspartei”
196,
— und Tirpik 286,
— in den Kriegsbriefen 395, 407, 430,
451, 459, 467—469, 490.
Kronprinz von Bayern 39.
Krügerdepefche f. Transvaaldepeſche.
Krupp 10, 436, 470,
v. Kühlmann und Flottenbau 180, 184,
201,
— und Holland 375.
— und Tirpik 19%.
x
Lambsdorff, ruffifher Minifter 147.
Lea, Homer 464,
Lee, Zivillord der Admiralität 173, 180,
v. Leipziger 50,
Lenfh, Paul 279,
Leopold, Prinz von Bayern 460, 493,
Lettow-Vorbeck 67, 305,
v. Lichnowsky, Fürft 58.
— und England 168,
— und Flotte 204.
— und Kriegsausbruch 241,
Lieber, Zentrumsführer und Slotten:
gejeß 100, 101.
Liman-Sanders 458,
v. Lindequift, Kolonialfekretär, Ruͤcktritt
183,
Namen: und Sachregiſter
gift, Friedrich 255,
Lloyd George und Agadir 181, 219,
— und deutfcher Slottenbau 180, 185,
190, 192, 193, 201.
— und Kriegfuͤhrung 255, 256, 263,
277, 286-289,
— und Militarismus 283,
v. Loe, Feldmarfchall 23,
v. Loebell, Stantsminifter, und Tirpitz
213, 499.
Loof, Kommandant der „Königsberg”
305.
v. Zucanus bei Bismard 94,
— und Fefuitengefeß 109,
Ludendorff 367, 385, 530,
— und Bethmann Hollweg 149.
— Kriegsplan 252.
— in den Kriegsbriefen 411, 412, 426,
459, 460, 493496,
Ludwig XIV. 386, 439,
Ludwig, König von Bayern 395, 448,
459, 473,
Luftfchiff 118, 119,
„Zufitania“ 352, 357, 361, 491, 501.
Rufitanianote 353,
v. Lyncker, Chef des Militärkabinetts
456, 484.
— und Kriegsausbruch 209,
M
Mac Kenna, Lord der Admiralität, und
deutfche Flotte 171.
v. Madenfen 255, 493.
„Magdeburg“ 395.
Mahan, amerikanifcher Admiral 47,
„Maine”, amerifanifches Kriegsfchiff 162.
„Mainz“ 113, 309, 390, 395, 396, 417
480, 481.
Malaga 14,
Malta 16.
v. Maltahn, Adjudant des Kronprinzen
399.
‚Manchefter Guardian’ 187, 188, 194,
197,
i
Namen: und Sadıregifter
Manila 121, 141, 158, 164.
Mann, Kapitän 413, 487, 496,
Manteuffel 4.
Marinenfademie 18,
‚Marinerundfchau‘ 98.
Marokko, Eingreifen in 141.
Marokkokriſis 166.
Marſchall, Freiherr von, Botfchafter in
London 195, 200, 201,
v. Marfchall, Oberft 425.
Mar von Baden, Prinz, und Friede 278,
293,
— un: Sonderfriede mit Rußland 272,
— und Tirpik 290, 29.
„Meteor" 306.
Metternich, Graf Wolf 293, 467,
— Botfhafter in London 177, 178, 19%,
200,
— und Flottennovelle 183,
v. Miquel und Flottenvorlage 86.
— bei Bismard 94.
Mittellandfanal 103,
Moltke 14, 40, 93, 122, 130.
v. Moltfe, Generaloberit 93, 227,
— und Saifer 245.
— und Kriegsausbruch 241, 242, 243
252,
— und Tirpitz 251, 254.
— in den Kriegöbriefen 398, 405, 410,
416, 456.
„Moltke“ 401,
Mommfen, Profeffor, und Flottengefek
96.
„Moncalm“, franzoͤſiſches Kriegsſchiff 7.
Monroedoktrin 159.
Monte, Graf 36, 37, 39, 471, 472, 473,
475.
Morning Poft‘ 370,
„Moͤve“ 304, 306.
v.Müde, Kapitänleutnant 510.
Mukhtar Paſcha 479,
v. Muͤller, Admiral, und Bethmann 237,
331.
— und Heeresvorlage 251.
543
v. Müller, Admiral, Hofpolitifer 136.
— und Raifer 331.
— und v. Trotha 292,
— und Tirpik 327, 328, 330,
— und UÜbootsfrieg 346, 353, 356, 365,
368.
— in den Kriegsbriefen 396, 398, 406,
411, 413, 417, 424, 429, 430, 434
bis 437, 442—446, 450-452, 454,
459, 464—467, 469-472, 474, 476
bis 482, 484, 489—493, 500—502,
v. Müller, Kommandant der „Emden“
305.
v. Müller, Erich 478,
Müller: Fulda, Zentrums-Abgeordneter
und Flottengeſetz 108,
v. Mutius 453,
N
Napoleon I. 387, 419, 439, 464,
— 111. 9, 412,
Nautiecus“ 98.
Nelfon 45, 49, 337.
Nikolaj Nikolajewitich 272, 437, 487,
Nikolaus II. und Deutfchland 146,
— und Kriegsausbruch 208, 212, 213,
221, 239,
— und Mord von Serajewo 204, 209,
— und Dftafien 147,
— und Sfafonow 234.
— und Sonderfrieden 246, 253, 267,
270, 271, 272, 273, 367,
— und Tirpik 147, 149, 152,
„Niobe“ 4,
„Nifchin”, japanifcher Kreuzer 148,
‚Norddeutfche Allgemeine Zeitung‘ 86,
488, 492.
Nordoftfeefanal 173, 174, 228, 309,
Northeliffpreffe 177.
„Nowoje Wremja‘ 212,
O
v. Oldenburg-Januſchau 399, 462.
Oſtaſien 9.
544
Dftafien, England und Rußland in 56.
— militätifcher Stüßpunft in 60.
— Pachtvertrag 65.
Oſtſeeſtation 40.
P
Paaſche⸗Affaͤre 400.
Palmerſton 8, 13.
„Panther“ in Agadir 181.
Parlament 2, 56, 84.
v. Payer, Vizekanzler 29,
v. Peez, U. 255, 283.
Peking 64.
— und Tſingtau 68.
Peter, Koͤnig von Serbien 212.
Dr. Peters 67, 255, 424,
Philippinen 159,
Phormio, Athen. Admiral 46.
Pitt 55.
v. Pleſſen 431, 432, 462, 484.
v. Plettenberg 403.
v. Pohl, Admiral 265, 307, 308, 310, 325,
327, 328, 331, 332.
— und Ubootskrieg 342—347.
— in ben Ktiegöbriefen 392, 396—398
403, 406, 407, 409-413, 417, 420,
423, 425, 426, 428, 429, 431, 432,
434-438, 443, 445, 450, 454, 455,
457, 461, 463, 465467, 471, 476,
477, 484, 486, 491, 492,
Poincare, Präfident von Frankreich 459.
— Neife nach Petersburg 214,
Pola, Ubootsftükpunft 155,
Polenproflamation 149, 150.
„Pommern“ 114, 336,
Port Arthur 148,
Poſchan (Dftafien) 68.
Preußen, preußifche Marine 1—10,
„Preußen“ 40, 42,
O
„Dueen Mary“ 333, 507.
R
Radoslawow und UÜbootkrieg 363.
Rantzau, Graf, bei Bismarck 88, 39,
Namen: und Sachregifier
Nathenau, Emil 134.
v. Rebeur, Admiral 114, 476.
Neichsmarineamt 29, 38, 39, 40, 44, 61,
133, 134, 327, 397, 402, 481, 487.
— und Admiralftab 122, 123,
— und auswärtige Politik 140—166,
246,
— und Flottengefeß 84, 85.
— und SFlottennovelle 104, 175.
— und Marineforps 301.
— und UÜbootskrieg 345, 376, 377.
—, 3entralbehörde 53.
Reichstag 7, 33, 39.
— und Slottengefeß 85, 99, 100, 102,
103, 108, 109, 173, 186, 258,
— und Kabinett 136.
— und Ubootöfrieg 356, 366, 372, 376,
486, 492,
Nekınann 440, 469.
Neventlomw, Graf zu 246,
Ner, Graf, Botfchafter in Tokio 77,
Hichelieu 388, 439.
Nichter, Eugen 39,
— gegen Tlottengefeß 98, 99, 100, 109,
— gegen Tirpik 79,
v. Nichthofen und Oſtaſien 61,
— und Rußland 143,
— und Tirpitz 143,
Nidert, freifinniger Abgeordneter 100.
Rohrbach, Paul 246, 408,
NRominten 134.
v. Roon 130, 431.
— und Bismarck 90.
Rooſevelt 208, 432,
— und Slotte 106.
— und Tirpik 156, 161.
— und Venezuela 159, 160.
Roſchdjeſtwensky, ruffifcher Admiral 148,
Roſeberry, Lord 437,
Roeſicke, Abgeordneter 492.
S
Salisbury 107.
v. Salza, ſaͤchſiſcher Geſandter 213.
Namen: und Sachregiſter
Samoa 64, 103, 141.
Samfabucht (Dftafien) 61, 62, 64.
Sankt Jago, Seefchlacht bei 321.
Sanfibar 59.
‚Saturday Review’ 169, 180,
Schäfer, Profeſſor Dietrih, und Flotten:
geſetz 96.
Schantung 66.
Scharnhorft 431, 453.
Scheer, Admiral 332, 334, 335, 336,
338, 383, 503.
Sceidemann 230.
— und Tirpik 292.
— und Frieden 278, 281,
Schimonofefi, Frieden von 76, 77, 164.
Schlieffen, Graf, und Rußland 143.
— und Frankreichs Kriegsplan 244.
—5 Plan 250,
Schmidt, Admiral 300,
Schmoller, Profeffor, und Flottengefeke
96.
v. Schröder, Admiral 302, 341, 397, 413,
419—421,
Schumacher, Profeffor, und Flotten:
geſetz 96.
Schulze, E. E., Korvettenkapitaͤn 498.
Schurz, Karl 159.
Schwartzkopff 32, 33.
Schwarzes Meer 425.
„Seeadler“ 306.
Seeoffizierforps 9, 25, 39, 116, 127,
128, 324.
— und Nuslandsdeutfchtum 73.
— englifches 27,
— Erziehung des 97.
— und Slottennovelle 183,
— Kompetenzen des 127.
— und Torpedomefen 44.
Selborne, Lord der Admiralität 172.
v. Senden:Bibran 40, 125, 330.
Serbien, Ultimatum an 164, 172, 214,
227.
Sering, Profeffor, und Flottengefek 96.
Serennat, das 101, 102, 109,
Tirpis, Erinnerungen
545
„Seydlitz“ 333, 334, 346, 507.
Seymour, englifher Admiral 164.
Siebs, Kaufmann in Hongkong 70.
Siemens 476,
Sfagerraf, Schlacht vor dem 48, 115, 266,
269, 322, 326, 333—837, 367, 377,
503, 509, 511, 513.
Solf, Staatsfekretär 292,
Solms, Fürft 456, 465, 466.
Souchon, Admiral 303,
‚Spzialiftifche Monatshefte‘ 422,
Spahn, Peter 380.
Spee, Graf 304, 305, 428.
Sfafonow und Grey 220, 234,
— und Ktiegsausbruch 212,
Stein, Freiherr von 431,
— und Rußland 152,
v. Stein, Kriegsminifter 475,
Steinbrinf, Kapitänleutnant 373,
Stinnee, Hugo 364,
v. Stofeh 11—24, 26, 29—31, 35, 38,
— Ara Stofh 8, 11—22.
— und YAuslandsdeutfchtum 70.
— Flottenplan 99,
— Operationsplan gegen England 59,
323,
— und Tirpik 52—56, 67, 106,
Strumwe, Abgeordneter 527,
von Stumm 451, 474,
— und Kriegsausbruch 219.
Stürmer, ruffifher Minifter 149, 150,
— und Sonderfrieden 272,
Suhomlinow, ruffifher Kriegsminifter
213, 21.
Sundainfeln, Petroleum der 68,
Suffer:Fall 263, 367, 368, 380, 383,
384,
„Swiftfure” 14,
Smwinemünde, Sufammenfunft von 146,
T
Takuforts 78,
Tanger 164,
„Zann” 401,
39
546
Taube, Graf, ſchwediſcher Gefandter 492,
493.
ZTegetthoff 4, 8, 45, 438.
„Tiger“, englifches Kriegsfchiff 114, 155.
‚Times‘ 252, 385.
Tisza, Graf 428,
— und Kriegsausbruch 210,
„Titanie“ 113,
Togo, japanifcher Admiral 148.
Torpedo 30, 32, 34.
—boot 35, 42.
—boot:Taftif 43, 315, 317, 396.
—boote im Kanal 301,
—boote, englifche 314.
—Flottille 36, 336.
—Inſpektion 36,
—ſchott 113.
— waffe 41, 113,
—weſen 24, 31.
Trafalgar 47.
Transvwaaldepefche 53, 55—57, 59, 80,
164, 168.
Treitfchfe 96.
v. Treutler, Gefandter 347, 353, 356, 358.
— in den Kriegsbriefen 430, 440, 474,
482, 484, 491, 500, 501.
v. Trotha, Admiral 292, 332, 334, 476,
484, 486, 492.
Tryonprozeß 47.
Tſchifu 62, 63.
v. Tſchirſchky, Botfchafter in Wien, und
Kriegsausbruch 212,
Tſchuſaninſeln 61, 62, 64,
Tſchuſimaſtraße 148, 321,
Zfinanfu 67.
Tſingtau 61—78, 148, 271, 406.
n
1.9 113, 313, 315,407.
u 21 315,
Uboote im Kanal 301.
Ubootshandelskrieg 119, 165, 261, 263,
273, 290, 293, 294, 332, 340-386.
Ubootsbau 35, 117, 118,
Namen: und Sachregiſter
Unterfuchungsausfchuß,parlamentarifcher
37%
v. Ujedom 397.
3
v. Valentini 430, 440, 467, 471, 484,
Vaterlandspartei 288, 289.
Venizelos 448,
Venezuelaerpedition 130.
„Bietoria”, fpanifches Infurgentenfchiff
14,
— englifches Kriegsfchiff 47.
Vigo 6.
v. Binde, Abgeordneter 92,
Virenius, ruffifher Kapitän 63, 64.
‚VBorwärts’ 410,
W
Waechter, Sir Mar 330.
Wagner, Profeffor, und Flottengefek 96.
Wahnfchaffe 457.
Walderfee, Graf, und Chinaerpedition
97, 141.
v. Wangenheim, Freiherr, Botfchafter in
Konftantinopel 195, 233, 363,
Warrender, Lady 222.
Wafhington, George 387.
Weddigen 459, 520.
Weinlig, Generaldirektor der Dillinger
Hütten 403.
Wermuth, Schakfekretär 185, 229,
Werner, Kapitän 6, 14, 15, 134,
Weftarp, Graf 478, 495.
Wefterfamp 437.
Weſterkampf, Kapitän 476,
White Andrew, amerikanifcher
fchafter 351.
Whitehead 30, 32.
Widenmann, Kapitän, Attach6 in Konz
don 201, 364,
v. Wiegand, amerifanifher Journaliſt
432, 443, 446.
— und UÜbootskrieg 341.
„Wiesbaden“ 113, 511,
Bot:
Namen- und Sachtegifter
Wild von Hohenborn, Kriegsminifter 363,
466, 469, 482, 483—485, 490.
Wilhelmshaven 5, 6, 7.
— dritte Einfahrt 111.
— Marineftation 122.
Wilſon 276, 287.
— und Amerikas Kriegseintritt 162, 379.
— Drohnoten 153, 268, 290, 291, 369.
— 8 14 Punkte 293, 294.
— und UÜUbootkrieg 337, 350-352, 354
his 356, 359, 362, 367, 368, 371, 372,
374, 375, 380, 382, 383, 385, 482, 489,
500,
„Wolf“ 306.
„Württemberg” 40, 42.
547
Yarmouth 442.
3
Zeebrügge, Befekungsrecht auf 157.
Zeppelin-Luftſchiff 120.
„Zeſarewitſch“, ruſſiſches Admiralſchiff
148.
„Ziethen“ 31.
Zimmermann, Staatsſekretaͤr, und
Kriegsausbruch 209, 211, 225.
— Meriko-Brief 162, 379, 384.
— in den Kriegsbriefen 446, 460, 461.
Zollverein 12.
Zweifrontenkriegs-Gedanke 23—23, 58,
59, 97, 151.
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