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Full text of "Erinnerungen"

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— — — 


* 
—— 























Deutſche Dentwürdigfeiten 


Sinsel & Co., G.m.b.H 


L eıpzig 








Berlin 














E RIWNMERUNdEN 
Erinnerungen 


4 Hred a Tıro,?2 
Alfred'von Tirpik 


Neue durchgeſehene Auflage mit Namen: 
und Sadregifter 





Leipzig 
Derlag von 8.F.Kvehler 
1920 


Copyright by 8. F. Koehler 
Verlag, Leipzig 
1919 


ZellengußMafchinenfas und Deu 
von Oscar Brandftetter in Leipzig 








Vorwort 


Die Verzweiflung, welche alle Deutſchen mit voller Staatsgeſinnung 
erfaßt hat, als unſer für unbeſiegbar gehaltenes Reich zuſammen⸗ 
brach, bat auch den Glauben an uns ſelbſt und an die Folgerichtig— 
Feit unfrer gefchichtlichen Entwickelung zum Neich in Vielen vernichtet. 
Deshalb erjchien es mir als Pflicht, meine Erinnerungen niederzu- 
fchreiben, weil ich den Nachiveis bringen kann, daß unfer altes Staats: 
gebäude nicht morfch und veraltet war, fondern für jede Fortbildung 
die Fähigkeit befaß; daß ferner die politifche Legende, eine rückfichtg- 
loſe Autofratie und eine Friegslüfterne Militärkafte hätten diefen Krieg 
entfeffelt, der Mahrheit ing Geficht fchlägt. Im Befonderen hat der 
Kaifer den Krieg nicht gewollt, er war vielmehr mit feinen beften Kräf: 
ten bemüht, ihn zu verhindern, nachdem er die Gefahr erkannt hatte, 

Wenn die Gefchichte gerecht ift und durch Legendenbildung nicht zu 
ſehr gefälfcht wird, fo dürfte fie erteilen, daß das weitaus größere Maß 
von Verantwortung an diefem Krieg auf Seiten unfrer Feinde Tiegt. 
Nach dem Straßenrecht auf See wird bei Zufammenftößen dem die 
Schuld beigemeffen, der die Gefahr der Lage erzeugt hat, nicht aber dem, 
welcher im letzten Augenblick durch unrichtige Beurteilung einen Fehler 
beim Ausweichen beging. Unfer Unglück aber ift nicht aus der Schaf: 
fung von Macht entfprungen, fondern aus der Schwäche, die fich auf den 
Gebrauch der Macht nicht verftand, weder zur Friedensbewahrung noch 
zum Sriedenfchließen, forie aus der Täuſchung über unfere Gegner, 
über die Natur ihrer Kriegsziele und Kriegführung und tiber das Weſen 
des Wirtſchaftskriegs. 

Um verftändlich zu fein, muß ich nach beftem Wifjen die Wahrheit 
fagen. Dafür muß ich aber die Handlungen noch Xebender in meiner 


VI Vorwort 


Auffaffung darftellen, die von der ihrigen vorausfichtlich abweichen und 
daher vielleicht fehmerzlich empfunden wird. Nichts liegt mir ferner, 
als ihnen unedle Abfichten oder Schuld in gewöhnlichem Sinne vor: 
zuwerfen. 

Nur die verzweifelte Lage Deutſchlands zwingt mich gegen meine per⸗ 
fönliche Neigung bei Xebzeiten zu diefer Veröffentlichung. 


Sm Jagdhaus Zabelsberg. 
April 1919, 
A. v. Tirpitz. 


ee) A TEE — — — 





Seit dem Abfchluß der erften Auflage find zahlreiche neue Tat— 
fachen durch amtliche und private Veröffentlichungen and Licht ges 
treten. Sie haben mir Feine Veranlaſſung geboten, meine Geſamt— 
auffaffung zu ändern, dagegen eine Ergänzung oder präzifere Faſſung 
einiger Stellen ermöglicht. Daß mein Buch von gegnerifcher Seite 
durch tendenziöfe Zufammenftellung und direkte Fälfchungen mißbraucht 
wird, Fann mich nicht berühren. Wer ernftlich beftrebt ift, fich ein 
eigenes Urteil zu bilden, wird das Buch im ganzen leſen müſſen und 
dann urteilen. Aus dem Zufammenhang geriffene Kapitel oder gar 
Sätze geben ein falfches Bild, da fie nur aus dem Vorhergejagten 
richtig zu verftehen find. 


St. Blafien. 
November 1919. 


Be 
a 


Nach beendeter Niederfchrift meiner Erinnerungen empfinde ich es 
als Bedürfnis, allen denen herzlich zu danken, die mich bei meiner Arbeit 
unterftüßt haben. Neben meinen Freunden und meinen alten und jungen 
Kameraden, welche befonders die Nichtigkeit meiner Angaben auf Grund 
der eigenen Belege geprüft haben, gebührt diefer Dank vor allem 
dem Profeffor der Gefchichte an der Frankfurter Univerfität, Herrn 
Dr. Fritz Kern, der mir in verftändnisvollfter und unermüdlichfter Weife 
von Beginn an zur Seite geftanden hat. Sch möchte endlich auch dem 
Verleger, Herren Dr. Koehler, für fein Sntereffe und Entgegenfonmen 
danken, das er dem Buche gewidmet hat. 











Inhalt 


Erſtes Kapitel, In der Preußiſchen Marine .. 
1. Eintritt in den Beruf. Junker und Stüerkes. Preußifche Marine * 
preußiſche Politik. 1866. 1870. Damalige und heutige Kriegsführung. 
2. Außenpolitiſche Strömungen. Das Verhältnis zu England. In Plymouth 
mehr zu Haufe ald in Kiel. Überlegenheit der Engländer. But you 
are not a seagoing nation. 


SwertesRopitel. Ira Stold. ... .... 
1. In Hamburg 1871. Deutſche Fiſcher unter fremder Flagge. Yuslande- 
dienft. Cartagena. 
2. „Das find ja Soldaten”. Die Landmilitarifierung der Marine. Die 
Marineafademie. Der Admiralfiab. Stoſchs Flottengründungsplan. 
3, Wir „erplorieren”. Bielfeitigkeit der Seeinterefien. 


Drittes Kapitel, Ara Caprivi. 2 
1. Saprivis Grundgedanfe. Die Rüftung auf den en er 
Sweifrontenkrieg. Küftenverteidigung. Die zwölf taftifchen Fragen. 
Admiralftabwefen. Unfer erfter Operationsplan. Fehlen eines Bau: 
programms. Der Reichskanzler Caprisi. 
2. Das deutiche Seeoffiziersforps und die Lage des Deutfchtums. 


eresAopitel. In der TZedhnil_. . .. . : 
1. Die Torpedowaffe. In Fiume. Die Ausbildung meiner Urbeitsweife, 
Staatlihe und private Kriegsinduftrie. Das Beſchaffungsſyſtem der 
Marine, 
2. Die Arbeit honoris causa, Die Entwidlung der Torpedoboote. Jedes 
Kriegsihiff ein Kompromiß. 
3. Perfönlichkeiten. 


Fünftes Kapitel. Der neue Kurs. 


Caprivis Abgang von der Admiralität. Die ———7 —— 
der Marinebehörden. Das Chaos. Denkſchriften. Eine „Strafarbeit“. 


Sechſtes Kapitel. Taktiſche Arbeit — — 
1. Auftrag, die Taktik der Hochſeeflotte zu entwickeln. Meine Vorſchule 
hierfür in der taktiſchen Bearbeitung des Torpedoweſens. Die „ſchwarze 
Schar“. 
2. Gefechtsmäßige Ausbildung der Hochſeeflotte. Die Lineartaktik. Der 
Geſchwadergrundſatz. Engländer im Rückſtand. 


Seite 


11 


23 


30 


38 


41 


X Inhalt 


Siebentes Kapitel, Flottenpläne. 
1. Dientfchriften. Eeefchlaht oder Kreuzerkrieg? Die Nottwenbigfeit ei einer 
Flotte für Deutfchland. Briefmechfel mit Stoſch. 
Stellung zu England. 
Mein Operationsplan von 1895. Die Erwerbung Helgolands. 


2: 

3 

Ahhtes Kapitel. Liingtan, u173u...2.:+ — 

1. Notwendigkeit eines deutſchen Stützpunktes in Shina, Eine unmög: 
liche Wahl. Bei den Ruſſen. Zjingtau, nicht Amoy. 

2, Form und Umfang der Pachtung. Tſingtau bleibt dem Neichömarine- 
amt unterftellt. Das „Reich“ der Marine. Wirtfchaftlihe Entwidlung 
und kulturelle Pionierarbeit. 

3, Das Auslandödeutfhtum und die Marine. Feftigung der deutfchen Ge: 
finnung in der Fremde. 

4, Seekarten. Die Hochſchule in Tſingtau. 

5. Der Verluſt Tſingtaus. 


Neuntes Kapitel. Im Reichsmarineamt.. 
1. Noch einmal: Auslandsflotte oder Schlachtflotte? Die Gründe, wes— 
halb wir eine Schlachtflotte brauchten. 
2. Vorbereitung des erften Flottengefeges. Meine Arbeitsweiſe. 
3, Die Gründe für die Gefeßesform. 


Zehntes Kapitel. Bei Bismard N 
1. Stapellauf des „Fürft Bismarck“. Mein erfter Befuch in n Friedrich: 
ruhe. Fataler Anfang. Bismard über das Gleichgewicht zur See, 
2. Fahrt durch den Sachfenmwalbd. 
3, Der letzte Beſuch in Friedrichöruh. 


Elftes Kapitel. Die Flottengejeße 
I. Aufklärung des Volkes über die Seeintereifen, 
2. Das erfte Flottengefeg vor dem Reichstag. 
Die Notwendigkeit eines zweiten Flottengefeßes. 
Unbeabfichtigt rafches Vorgehen. Grundgedanken des Flottenbaues. 
Das zweite Flottengefeß vor dem Reichstag. 


Zmölftes Kapitel, Beim Flottenbau . .. 

1. Technifche Schwierigkeiten. Die Art unfres Schifföbaues. Die Sink: 
fiherheit. Überlegenheit unferer Bauqualität über die fremden Marinen. 

2. Sparfamleit und Geldnöte. Meine Rückſtändigkeit. Uboote und Luft: 
ſchiffe. 

3. Reibungen mit den anderen Marinebehörden. 

4. Stellung zum Parlament. Vom Perſonal. Sind wir auf dem richtigen 
Wege? 

5. Meine letzten Pläne. 


sag 


Gelte 
49 


61 


79 


88 


05 


110 


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Inhatt xl 
Seite 
⸗pllel Unter Dem Kaiſe 132 


Anregungen. Konſtruktive Liebhabereien. Das Kabinettsunweſen. Rand— 
bemerkungen. In Rominten. Mangel an Charakteren. 


Vierzehntes Kapitel. oo. und auswär— 
0 140 


1. Reichsverfaſſung und Geſchäftsgang. Meine ee 
2. Das Verhältnis zu Rußland und zu Japan. 

3, Das Gleichgewicht zur See. Die Heinen Staaten. 

4. Das Verhältnis zu Amerika. 

5. Unfer Friedensbedürfnis. Fehler unferes Auftretens. 


Sünfzehntes Kapitel. England und die deutſche Flotte 167 


1. Die englifhe Wirtfhafiseiferfucht und die „Gefahrenzone” des Slotten: 
baues. 

2, Beginn der englifhen Flottenhege. Unfere Marinenovellen von 1906 
und 1908. Admiral Fiſhers Flottenhetze Erwägungen über ein 
Flottenabkommen mit England. 

3, Agadir. Die Notwendigfeit einer Marinenovelie 1911. Der Streit 
um die Novelle 

4. Die Sendung Haldanes. 

5, Urteile über „meine Flottenpolitif”, 

6. Marfchall in London. Entfpannung ? 


Sechzehntes Kapitel. Der Ausbruch des Krieges . . . 204 


1. Nüdblid. 

2. Die deutfche Politik im Juli 1914, 
3. Das „Kartenhaus“. 

4, Präventivfrieg ? 

Die Schuldfrage. 

Die legten Tage. 

. Der Anteil der Flotte. 


au 


Siebzehntes Kapitel. Hauptfragen des Krieges . . . 250 


. Militärifche Eröffnung. 

. Die Frage des Hauptgegners. 

. Unfere Waffen gegen England. 

. Die Möglichkeit eines Sonderftiedens mit Rußland 
Die Ideen des Krieges. 

. Die innere Politik im Kriege. 

. Die Vaterlandspartet. 

Im Zuſammenbruch 


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XII Inhalt 
Seite 


Achtzehntes Kapitel. Die Hochſeeflotte im Kriege . . 298 


1. Die Marine bei Kriegsbeginn. 

2. Leiftungen der Flotte. 

3. Der Operationsplan. 

4. Meine Gutachten 

5. Lähmung der Flotte. 

6. Mangel einer Oberften Leitung. 
7. Die Schlaht vor dem Skagerraf. 
8. Die legte Phaſe. 


Neunzehntes Kapitel. Der Unterjeebootlrieg . . . . 340 
. Die Entftiehung der Kriegögebietserflärung. 

. Der erite Umfall. 

. Zufitania und Arabie. 

. Das Hin und Her. 

. Mein Rüdtritt. 

. Suffer. 

. Der uneingefchränfte Ubootskrieg 1917. 

. Das Fazit. 


Shlußwort . . A. 17m) En Gi 
Anhagg le nee. SD, 2 


I. Aus meinen Kriegöbriefen. 
Il. Bemerkungen zu unferer Schiffsbaupolitif. 


Namens und Sadhregifter.. ...: « ._ „27. „sr Pre 


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Erftes Kapitel 
In der Preußischen Marıne 


T 

Bon der deutfchen Flottenbegeifterung dee 48er Nevolution war in 
meinen Sinabenjahren kaum mehr etwas zu fpüren, obmohl fie im Jahr 
1864 durch das Gefecht von Jasmund ein wenig wieder auffladerte. Sch 
felbft din auch nicht durch Schwärmerei zur Marine gekommen, fondern 
als unbeabfichtigtes Produkt des feiner Zeit vorauseilenden Bildungs: 
ideals meines Baters. Da diefer an fich felber ven Mangel realiftifcher 
Kenntniffe empfand, fehiette er meinen Bruder und mic ſtatt auf das 
Gymnaſium auf die Nealfchule unferer Heimatftadt Frankfurt a. O. in 
der Abſicht, ung als Primaner die Schule wechſeln zu laſſen. Aber bei 
der damals noch geringen Entwicklung des Realunterrichts war die Schule 
mangelhaft; ich babe zeitlebens in gemwiffer Beziehung an ihr gelitten. 
Unfere Lehrer waren jo antiquiet, daß fie eine Sprache redeten, die mir 
eigentlich garnicht verftanden. Sch war als Schüler fehr ſchwankend, 
zu Meihnachten 1864 die Zenfur mäßig. Mein Schulfreund Maltzahn 
hatte die Abſicht ausgefprschen, zur Marine zu geben, und fo fiel mir 
ein, daß es eine gewiſſe Milderung für die Eitern bedeuten könnte, 
wenn ich den Gedanken mit aufnähme. Mein Vorfchlag wurde daheim 
zunächft mit völligen Stülfchweigen aufgenommen, aber nach einigen 
Mochen rief mich der Vater zu ſich: mein gebrüdtes Weſen wäre 
aufgefallen, die Marine fchiene mie Durch den Kopf zu geben, und, wenn 
ich wollte, follte mir Feine Hinderung in den Weg gelegt werden. 
Niemand Fonnte überrofchter fein als ich; aber was blieb übrig? Ich 
beharrte bei meinem Wort, unterzog mich im Frühjahr 1865 fechzehn- 
jährig der Nufnahmeprüfung im damaligen Seefadetteninftitut in Berlin, 
beitand biefeibe zum Erſtaunen aller als fünfter und wurde Seemann, 

Die Werbefraft der Marine war, wie bemerkt, zu jener Zeit gering. 
Im Sahr 1861 war die Korvette „Amazone“ mit faft ſämtlichen Ka⸗ 


detten, dem Offiziersnachwuchs von mehreren Jahren, an Bord unters 
Eirpig, Silsmezugen 1 


2 In der Preußiihen Kanıns 


gegangen. Diefes Ereignis hatte die Anmeldung von Seefadetten bis auf 
drei im folgenden Jahr hinuntergedrückt. Der geringe Andrang zwang 
auch noch bei meinem Sahrgang außer den zehn Aſpiranten, welche die 
Prüfung beftonden, faft ebenfoviel Ducchgefallene bedingungsweiſe auf- 
zunehmen. Für die Flottenreife der preußischen Intelligenz jener Tage, 
fowie für die deutfche Erbnreigung, alles aus dem Gefichtswinkel der 
inneren Parteipolitik zu befchauen, ift ein Artikel, der damals in der 
„Gartenlaube“ erjchien, bezeichnend. Er befchrieb in Novellenform, wie 
die preußifche Junkerpartei die Tiberale Einrichtung der Marine dadurch 
vernichten wollte, daß fie einen dänischen Kapitän beftach, er follte die 
„Amazone“ rammen. Der Verfaffer diefer bösartigen Albernheit ſchien 
zu überſehen, daß die Mehrheit ber untergegangenen Kadetten ſelbſt 
„Junker“ geweſen waren. Prinz Adalbert traf beim Offizierserfag 
forgfältige Auswahl. 

Im übrigen habe ich in den erften Jahren bei der parlamentarifchen 
Vertretung der Flottengefege gelegentlich noch empfunden, daß gewiſſe 
Eonfervative Kreiſe dem Flottengedanken mißtrauifch gegenüberfianden. 
Er galt nicht als aitpreußifch, er ftand etwas in Mettberverb mit der 
Armee, er jchien mit Induftrie und Handel zu eng verfchwiftert für Die 
damalige Notlage der Landwirtfchaft und die großen mirtfchaftlichen 
Kämpfe der Parteien. Noch gegen das Zweite Flottengefeß von 1900, 
gegen die „gräßliche Flotte‘, wie fie ein Eonfervativer Führer nannte, 
haben vereinzelte Mitglieder der äußerſten Rechten geftimmt, während 
beim liberalen Bürgertum von vornherein neben verbiffenfter Gegner: 
Ichaft überwiegend verftändnisvolle Anhängerſchaft zu finden mar, 

Zunächft hatte der Uniergang der „Amazone“ die Folge, daß 1864 
das Durcheinander von Köpfen in unferem Seeoffizierstorps noch wuchs. 
Schon vorher waren Zeile des Seeoffiziersforps aus der Armee über: 
nommen, von wo befonders Kavalleriften die für den Marinedienſt er: 
forderliche jugendliche Selbſtändigkeit mitbrachten; andere kamen aus 
der deutfchen oder dänischen Marine; wieder andere waren in England, 
Amerika oder Holland ausgebildei. Nun wurden aber auch noch Dans 
ziger „Stüerkes“ aus der Segelſchiffs-Kauffahrtei-Marine eingeftellt, 
um die im Kriege mit Dänemark fühlbar gewordenen Offizierslücken 
zu füllen. Danzig war ja noch unfer eigentlicher Hafen. Diefe Schiffer 
fuhren im allgemeinen nur in der Bleinen Fahrt zwiſchen Danzig 
und England, während bie beſſeren Qualitäten nach der Nordſee gingen. 








Eintritt in den Beruf. Junker und Stüerkes 3 


Diefer Einfchub der vor uns „Hilfsbarone“ genannten, wenig ge⸗ 
bildeten Seebären aus ver damaligen Kauffahrteimarine, darunter 
merfivürdige Perfönlichkeiten, die nach 1870 3. X. ebrengerichtlich 
wieder entfernt wurden, brachte manchen Spaß in unfere Meſſen. 
Sie wurden aber von den Mannfchaften oft nicht ale Autorität ans 
erfannt, während der Offizier aus dem Kadetteninftitut, trotzdem er in 
gewiſſem Sinne mehr Kamerad zum gemeinen Manne war, immer zu: 
gleich auch der Herr blieb. Der Grundſatz Wafhingtons, nur Gentlemen 
zu Offizieren zu nehmen, zeigte auch bei ung feine Richtigkeit. Nur 
Zapferfeit vor dem Feind gibt einen Ausgleich für gute Erziehung. Im 
aligemeinen fehlte es den damaligen Seekadetten an Lehrern, die ale 
Erzieher gelten Eonnten. An „Schuftung“ mangelte e8 nach guter preu- 
Bifcher Sitte nicht; man wurde von einem Kurfus in den andern ge 
zogen, bis man erft nach 41/, Jahren zum Offiziersrang aufftieg. Aber 
die Lehrer wußten dies Menfchenmaterial wenig zu handhaben. Viele 
von den alten preußischen Marineoffizieren gingen deshalb um die Ecke 
oder befamen Schrullen; im beiten Falle wurden fie Autodidakten. Mein 
Jahrgang indeß war begünitigt; wir hatten vorzügliche Vorgeſetzte, an 
die ich dankbar zurückdenke. Der fpätere Admiral Batjch war unfer 
Kommandant. Nicht mit Unrecht jagt man, es hänge von der Art, wie 
die Kadetten im erften Jahre angefaßt werben, ab, ob der Jahrgang, 
die „Crew“, einfchlüge oder nicht. 

Der Dienft gruppierte fich in der Hauptjache darum, die Handhabung 
ber Takelage zu erlernen, Die Segelkunft, wie fie durch die Sahrtaufende 
ausgebildet war, erforderte lange Übung für Offiziere wie Mannschaften. 
Mir haben auf unferen Übungsfahrten verfchiedentlich, wie es bei der 
Seaelzeit nicht anders war, Abenteuer erlebt, welche ung die Tage Mar: 
ryats und Nelfons wie jelbftgefchaute verftehen Tießen. 

Selten kreuzten fich die Wege der preußifchen Marine mit denen ber 
preußischen Politik. Wenn es gefchah, dann etwa in der Weife, wie ung 
die Teilnehmer der „Gazelle“-Fahrt nach Japan 1864 erzählten. In 
der Nähe von Yokohama war ein deutjches Schiff geftrandet und be- 
raubt worden. Der Kommandant der ‚Gazelle‘, Kapitän z. S. von 
Bothwell, zog mit einem Landungsforpe hin, um zu bergen. Unterwegs 
begegnete er einem Daimio, der Kotau verlangte. Unſer Kommandant 
weigerte ſich. Um den Daimio faßen dreitaufend japanische Ritter in 
Stahlrüftungen, den Kopf geſenkt, die Arme über dem Schwert ges 

* 


4 In der Preufilchen Marine 


Preuzt. Schließlich half fich der Kapitän, indem er die Ehrenbezeugung 
anbot, wie fie einem Föniglichen Prinzen in Preußen erwieſen würde, 
Auf diefe Formel einigte man fich: da wurde chargiert, Gewehr zur 
Attacke rechts und im Lauffehwitt vorbei, Auch zu Nepreffalien gegen 
erotifche Staaten wurden die Schiffe verwendet. Im allgemeinen aber 
zogen wir in diefen Zeiten nur auf Übungsfahrten ohne andern Zweck, 
als die Ausbildung der Flotte felbft, hinaus. 

Etwas vom Mittelalter hatten unfere Leiftungen auch noch im Krieg. 
Die „Niobe“ hatte 13866 im Kanal auf ein Zufammentreffen mit der 
öfterreichifchen Dampferkorvette „Erzherzog Friedrich‘ zu rechnen und 
ſollte als Segelfchiff ein Gefecht vermeiden. Sch ftand damals als Nr, 3 
am Vorderladergefchüt, um die Kugeln in die Mündung zu fchieben; 
neben mir lag griffgerecht meine Pike für den Fall, daß ber Feind 
entern und durch die Pforte hindurchdringen wollte. Andere Leute biel- 
ten Enterbeile bereit, um fie in die feindliche Schiffewand zu fchlagen 
und als Stufen zu benugen. Bei den Scillyinfeln fichteten wir ein bei- 
gedrehtes Schiff von der Art des Ofterreichers. Es hielt unter Segel 
offenbar auf ung ab, — ſchraubte dann den Schornitein in Die Höhe 
und folgte uns unter Dampf. Nebel trennte ung während der Nacht. 
Als in der Gegend vor Plymouth der Nebel hochging und wir klar zum 
Gefecht bei den Kanonen ftanden, heißte die Fregatte die norwegiſche 
Flagge und wir Zungen waren um unfere Rampfesfreude betrogen. In 
Kiel Tagen wir fpäter mit geladenen Gefchügen vor den Straßen der 
Altftadt, die zum Waſſer Hinabführen, als die Preußen unter Man- 
teuffel bei Holtenau über den Kanal heranrücten und es fraglich ſchien, 
ob die Hfterreicher unter Gablentz Widerſtand leiften würden oder nicht. 
Gablentz jegte fich aber auf die Bahn und fuhr ab; unfere Muſikkapelle 
fpielte ihm das Geleit. Die öfterreichifchen Offiziere waren in Kiel 
ſehr beliebt gemwejen; ihre vielen Verlobungen gingen ja num entziwei, 
aber fie hatten die Herzen gewonnen, während die Preußen, die den 
fteifen Ladeſtock verſchluckt hatten, die germünfchte Bildung eines eigenen 
Schleswigeholfteinifchen Kleinſtaates ſtören kamen. Troß dem Kriegs— 
zuſtand haben wir uns über Tegetthoffs Seeſieg bei Liſſa gefreut, faſt 
als ob er ein eigener wäre. Die öſterreichiſche Flotte hatte 1864 das 
ſchwere Gefecht bei Helgoland an unſerer Seite ſehr tapfer geſchlagen, 
und Oſterreich galt uns noch als deutſches Bruderland; über ſeine 
Tſchechen und Polen ſah man in damaliger Zeit hinweg 





Im Krieg 1866 5 


Unjer Anfehen im Ausland flieg durch 1866 erheblich, Mir hatten 
vorher einmal in Cadir demütigend empfunden, wie man ung von oben 
herunter anjah und der ſpaniſche Offizier uns bei der MWerftbefichtigung 
warten ließ. Jetzt kamen 1867 in Marfeille die Leute zu ung an Bord 
geftürmt, um die Pruffiens zu fehen; in Nizza wurden Zündnabel- 
gewehre in Sahrmarktsbuden gezeigt. Freilich die franzöfifchen Offi— 
ziere gaben uns teils durch Hochmut, teils durch ſchlechtverhehlten 
Ärger einen Vorgefchmad vo; 1879. 

Im Frühjahr 1870 wurde aus vier verfchiedenen Schiffen unfer erſtes 
Panzergeſchwader gebildet, auf deſſen Flaggichiff ‚König Wilhelm” 
ih als Unterleutnant an Bord war. Prinz Adalbert, der darum ge 
beten hatte, das Gefchwader zu führen, war nicht mehr ganz auf ber 
Höhe, aber der König gab ihm nach einigem Zögern die Führung fo: 
zuſagen als Abjchiedsfeier, um nach den Azoren zu gehen. Die Nuss 
bildung war auch bei den Panzerfchiffen noch durch die Gewohnheiten 
der Segelmarine beeinflußt; mir verfuchten auf der Reife fogar zu 
fegeln, aber die Biefter rührten fich nicht, Die damalige Lage der 
preußischen Marine Eennzeichnet fich in dem Umftand, daß mir in 
deutichen Häfen feine Docks für große Schiffe beſaßen. Es war bei 
Beihaffung der Schiffe wohl nicht genügend beachtet worden, daß 
man ein eifernes Schiff alle Fahre docken muß, um es zu reinigen. 
Das Gefchtwader war daher, als der Krieg mit Frankreich zu ſchwelen 
anfing, mehrere Jahre nicht im Dock geweſen; der „König Wilhelm‘ 
hatte wie wir fpäter fetitellten über 60 Tonnen Miekmufcheln am 
Leibe, die durch Verdidung des Schiffs und Reibung die Schnellig- 
keit von 14 auf 10 Knoten herabgefeßt hatten, Nun zwang ung ein 
Mafchinenfchaden, Plymouth für eine längere Ausbefferungszeit an- 
zulaufen, und der englijche Admiral bot ung das Dod an. Weshalb 
wir es nicht annahmen, ift mir unklar geblieben; man erzählte fich 
damals in der Offiziersmeffe, die Schwierigkeit läge in dem Prinzen, 
der doch nicht die ganze Zeit über im Doc bleiben Fönnte, Wie dem 
jei, wir fuhren ungebodt Mitte Juli durch den Kanal zurüd in der 
Erwartung, von den Franzoſen überfallen zu merden, wogegen mir 
nur mit Erbjen gefüllte Übungsgefchoffe an Bord und ein Schlagrohr 
hatten, das bei jeder Gelegenheit einen Verfager gab. 

Am 16. Zuli in Wilhelmshaven angelangt, wo die Mobilmachung 
im vollen Gange war, konnten wir nicht in den Hafen einlaufen, meil 


6 In der Preußiſchen Marine 


die Schleufen noch nicht fertig waren, blieben alfo auf der Reede. Die 
Gefahren des dockloſen Zuftandes lähmten das Geſchwader; jede Ver: 
feung des Schiffsbodens war unreparierbar und bedeutete Gefechte: 
unfähigkeit. Wir haben nun auf der Außenjade eine harte Zeit erlebt. 
Wir follten eingefeitt werden, wenn Hamburg oder ein anderer Nord- 
feefüftenort angegriffen würde. Wie find aber auch zweimal in See 
gegangen, einmal, um in Höhe der Doggerbanf den beiden neuen 
Franzöfifchen Panzerfchiffen, welche zur Verſtärkung des franzöjischen 
Oſtſeegeſchwaders ausgefandt waren, aufzulauern, das zweitemal, als 
wir nach einem ftarfen Sturm die franzöfifche Flotte zerftreut in Lee 
von Helgoland vermuteten. Mir find aber beidvemal nicht zum Schlagen 
gekommen. Die Armee hat es ung verübelt, daß wir nicht die ganze 
franzöfifche Flotte angriffen, als fie auf dem Rückmarſch plöglich vor 
Milhelmshaven erfchien. Auch wir Jungen waren empört, daß wir 
nicht losgingen, aber die Zurückhaltung war richtig. Wir ftanden drei 
Panzerfchiffe gegen acht, Tiefen nur zehn Knoten Geſchwindigkeit, und 
wenn auch der damalige Kapitän Werner in der „Gartenlaube“ mit 
dem ‚König Wilhelm’ als ftärkftem Schiff der Welt Reklame ge- 
trieben hatte, jo war denn doch eine dreifache Übermacht damit nicht 
auszugleichen. Der Verluft unferes ganzen Beſtandes war beim Feh- 
fen einer Ausbefferungsmöglichkeit zu ertvarten, ohne eigentlichen Nugen. 
Für Nichtfeeleute blieb auch ſchwer zu verftehen, weshalb wir nicht 
menigftens einen Ausfall wagten? Ein angefangenes Gefecht auf See 
kann aber nicht abgebrochen werden, wenn der Feind fehneller if. 
Ssedenfalls wurde der Marine ihre Untätigfeit verdacht, So befamen 
wir nicht einmal Kriegsjahre angerechnet. 

Wir hatten 1870 treffliche Lloyddampfer, die wir zum Kaperkrieg 
hätten bewaffnen Zönnen. Wir hielten ung aber an unfere zu Anfang 
deg Krieges abgegebene Erklärung, daß wir nicht Eapern wollten. Als 
die Franzoſen ihrerfeitd unfere Kauffahrer wegnahmen, änderten wir 
ſchließlich unſeren Standpunkt, mas aber für die erforderlichen Vor 
bereitungen zu ſpät Fam. 

Das damalige Seerecht, jich gründend auf die Parifer Konvention 
von 1856, hinderte die Franzofen, offene Städte zu befchießen, two: 
gegen wir überdies Vergeltung üben Fonnten. Eine Desarmierung uns 
jerer im Ausland fiegenden Kriegsfchiffe war gegen das damals refpek- 
tierte Seerecht. In Vigo nahmen unfere Schiffe Roblen, während 





Im Krieg 1870/71 7 


draußen die franzöſiſchen Schiffe und im Hafen ſelbſt noch als Auf: 
paſſer ein franzöſiſcher Aviſo lag. Auf der offenen Reede von Fayal auf 
den Nzoren umfuhr das franzöfifche Panzerſchiff Moncalm unfere 
dort zu Anker liegende Korvette Arcona, ohne ihr Schaden zu tun. 
Es war eben ein Seekrieg ohne Engländer. Auf die QTüfteleien des 
Seerechts ſetzten auch im fpäteren Weltkrieg die Rechtsgelehrten des Aus⸗ 
märtigen Amtes und des Reichstages noch Die größten Hoffnungen, 
während die Engländer mit jouveräner Gewalt darüber hinmweggegan- 
gen find und nach dem Kriege ein neues Seerecht anftreben werden, 
das ihre Polizeiherrfchaft auf den Meeren ftabiliert. 

Der für die Armee fo glsrreiche Feldzug lag drückend auf ber 
Marine, Dabei war unfer Eriegerifch tatenlofer Dienft auf der Außen⸗ 
iode anftrengend und ſchwer. Wir waren jederzeit auf den Angriff 
unter ungünftigen Verhältnijfen gefaßt. Unfre Minenſperre beunrubigte 
uns mehr als den Feind; die fchlechten Minen riffen fich bei bemwegter 
See los und trieben in der Jade umher. Veonatelang bin ich auf 
bem vorspringenden Sporn des „König Wilhelm” jede Nacht vier 
Stunden Wache gegangen, um auf unfere eigenen Minen zu paffen, 
was bei unfichtigem Spätjahrwetter freilich fo wenig genußt hätte, 
wie die ſchwimmende Holzbarrifade, die vom Bugſprit des Schiffes 
berabhängend die Iojen Minen auffangen follte. 

Die größte „Kriegsleiſtung“ unſres Gefchwaders aber war die 
Einfahrt in die Schleufen von Wilhelmshaven, als der Winter ung 
zwang, die Außenjade zu verlalien. Der Hafen war unfertig; noch 
am 16. Juli hatten die Hammel auf dem Boden der Baffins gemeidet. 
Das Fahrwaſſer nach dem Hafen war noch nicht genügend ausgebag- 
gert; für die Einfahrt mußten wir alfo Munition und Kohlen von 
Bord geben, um das Schiff zu erleichtern. Da trat bei Windftilfe 
am 22. Dezember ſchwerer Eisgang ein, fodaß die Eisfchollen bie 
zur Batteriehöhe aufitiegen und die Ankerfetten durchſchnitten. Kohlen⸗ 
prähme konnten nicht mehr auf die Neede gelangen. et mußte 
die Einfahrt gewagt werden, denn abgefehen von der unter biefen Um: 
ftänden gefährlichen Ausfahrt aus der Jade bei Wangeroog hatten mir 
auch Feine Feuerung mehr an Bord, um etwa nach Norwegen zu gehen. 

Das Einlaufen gelang mit Pnapper Not; am 23. Dezember mittags 
lag alles, was wir befaßen, im Hafenbaifin, und damit war für ung 
der Krieg zu Ende 


8 In ber Dreupifchen Marine 


Aber es entiprach nicht der preußischen Art, unfer verantmortungs- 
lofes Dafein müßig auszußoften. Teils um die Mannszucht aufrecht 
zu halten, teils aus der Meinung heraus, man müßte die Marine 
militärischer anfaffen und auf einen mehr foldatiichen Standpunkt 
bringen, wurde in den Wintermonaten mächtig Snfanteriedienft geübt. 
Die Ara Stoſch warf ihren Schatten voraus, 


2 


Meine Gefühle gegenüber England waren durch Familie und Pe: 
ruf beftimmt. Die Umgebung, in der ich aufmwuchs, war getränft mir 
Erinnerungen an bie Freiheitsfriege; mein Großonkel war Ordonnanz- 
offizier bei York von Wartenburg gewejen; wer fich Anno 13 nicht 
untadelhaft gehalten hatte, auf den mies vaterländifche Gefinnung 
noch in meiner SKinderzeit mit Fingern, Für den alten Verbündeten 
England beftand noch eine ftarfe Vorliebe, welche auch durch Palmer: 
ſtons als kränkend rupfundene Abweiſung deutfcher Flottenmwünfche 
nicht nachhaltig getrübt wurde, ebenſowenig durch die Kumdfchafter: 
dienfte, welche im Jahre 1864 die Briten den Dänen bei Helgoland 
gegen Tegetthoff Teifteten. Allerdings teilte mein Water, der inner: 
politifch zu Liberalen Anfchauungen neigte, die Verftimmung, melche 
im Gneifenaufchen Kreis gegen das felbftfüchtige Großbritannien er- 
wachjen war, und pflegte eigene Kindheitserinnerungen an die anderen 
Verbündeten aus Preußens Erhebungszeit, die Ruſſen. Die Mei: 
nungsverjchiedenheiten der Großen färbten daheim Eindlich auf une 
ab: ich entjinne mich einer häuslichen Feftaufführung, worin meine 
Schwefter den Engländer, mein Bruder, in deſſen Typus das Röfugie- 
blut der beiden Großmütter durchfchlug, den Franzofen fpielte und 
ich als Ruffe die dem Krimkrieg entfprechenden Schläge befam. 

Daß man in England die Preußen noch gelten ließ, erfuhr ich als 
Seefadett aus eigener Anfchauung. Unfern eigentlichen Ausrüftungss 
hafen bildete zwijchen 1864 und 1870 Plymouth, wo noch in langen 
Reihen flußaufwärts die Dreidecker Nelfons und die großen ‚Holz 
Iinienjchiffe des Krimkriegs Tagen und wo wir ung fat mehr zu: 
hauſe fühlten als im idyllifchefriedlichen, nur gegen Preußen noch 
jo mürrifchen Kiel, deſſen Hafen damals erſt ein einziger kleiner 
Dampfer befuhr, der das Mehl von der Swentiner Wafjermühle 
bherüberichleppte. Im Navy⸗-Hotel zu Plymouth wurden wir mie bri- 





In Plymouth mehr zu Hauie als in Kiel 9 


tiſche Midſhipmen behandelt, auch in Bezug auf die Preiſe. Da wir 
armen Waffenbrüder von Waterloo England durch wirtſchaftliche Kräfte 
noch nicht läſtig fielen, wurden wir mit freundlicher Herablaſſung 
geduldet. Unſer winziges Seeoffizierkorps ſah bewundernd zur bri— 
“ tifchen Marine auf, und unſere Seeleute fuhren in jenen Tagen noch 
ebenjoviel auf englischen Schiffen wie auf deutichen. Die Mehrzahl 
unſrer Mannfchaften diente zmölfjährig nach engliſchem Muſter, nur 
der Eleinere Zeil war Rekrutenerſatz; der aber war auf allen Handels: 
marinen, zum Zeil fogar auf der amerifanifchen Kriegsmarine, ge 
fahren und ſprach durchweg engliſch. Mir Offiziere hatten mit den 
englifchen die beiten Beziehungen und hielten die Kameradichaft auf: 
recht bis in die legten Sahre vor dem Weltkrieg, wo das jüngere 
britiſche Offiziersperfonal infolge gefellfchaftlicher Verfchlechterung fei- 

nes Erfabes die Höflichkeit weniger pflog und infolge Tanger Der: 
hetzung fein Benehmen gegen uns zu ändern begann. 

Die Wurzel des britifchen Mißvergnügens ift am 2. September 
1870 gelegt worden. Als unfer Gefchwader im Zuli 1870 bei drohen: 
der Kriegsgefahr vor Dover ankerte, wurden wir von zahlreichen 
Dampfern empfangen, dicht beſetzt mit Menschen, die uns freund- 
ſchaftlich zuriefen: „It is all seitled between France and Prussia,“ 
da fie glaubten, der Friede fer gefichert, nachdem die Hohenzollern'ſche 
Thronkandidatur zurücdgezogen war, Es hieß damals noch: Das arme 
Preußen, daß es nur nicht von Napoleon verichlungen wird, Man jah 
ung als die Überfallenen an. Mit der Schlaht von Sedan fchlug 
bie englifche Stimmung um, allerdings nicht von Marine zu Marine, 
wo wir unverändert ala Couleurfchiwefter behandelt worden find. Es 
fiel mir aber auf, daß die höhere englische Gefellichaft ſofort nach 
dem Krieg nicht mehr auf unferer Seite war, wozu ihr viel ftärferer 
Kulturaustauſch mit Paris und ihre Kühle gegen das, was ale deutſche 
Sormlofigkeit empfunden mwurde, beitrug. 

Die preußifche Marine hatte wenig eigene Überlieferung. Die Expe⸗ 
dition nach Dftafien fand noch als eine Art ruhmreicher Tat da- 
binter, dann ein wenig der Krieg gegen Dänemark (in welchem jedoch 
der Mangel einer eigentlichen Flotte ftarf empfunden wurde, als bie 
vom Prinzen Friedrich Karl gewünſchte Unterftügung der Truppen 
überfchiffung nach Alſen am fehlechten Wetter, den ſchwachen Ma— 
ſchinen unferer Kanonenboote und der Überlegenheit ber bänifchen 


10 In ber Dreußiichen Marine 


Flotte ſcheiterte). Mir rankten uns jozufagen an der britifchen Marine 
empor. Man befchaffte lieber in England. Wenn eine Mafchine ficher 
und ohne Störung arbeitete, ein Tau oder eine Kette nicht riß, dann 
war es beftimmt Fein heimifches Werkſtück, fondern ein Fabrikat 
aus englifchen Werkftätten, ein Tau mit dem berühmten voten Faden 
der britifchen Marine. An den Schiffen, die wir felbjt gebaut hatten, 
brach ungemütlich Teicht etivas. Als ich im Winter 1869 zur Xrtillerie- 
prüfungsfommiffion nad) Berlin Fam, zitterte noch die große vater 
fändifche Frage: Krupp contra Armſtrong in den Gemütern nach, die 
joeben zu Gunften Krupps entjchieden worden war. Die Marine war 
für Armftrong geweſen. Wir Fonnten uns damals nicht vorftellen, 
daß deutfche Geſchütze den englifchen gleichtvertig jein könnten. 

Als im Jahr 1873 eine Engländerin in Gibraltar an Bord des 
„Friedrich Karl“ unfere Mannfchaften fah, die Damals, wie noch 
im Anfang des Weltkriegs, den britifchen, wie ich glaube, überlegen 
geweien find, fagte fie erftaunt: „Don't they look just like sailors?“ 
und als ich fragte, wie fie denn fonft ausfehen follten? ermwiderte fie 
entfchloffen: „But you are not a seagoing nation.‘ 

Im ganzen galt für das Verhältnis, was Bismard 1857 an Ger: 
lach ſchrieb: „Ich habe, was das Ausland anbelangt, in meinem 
Leben nur für England und feine Bewohner Sympathie gehabt und 
bin ftundenweis noch nicht frei davon. Aber die Leute wollen fich ja 
von ung nicht lieben laſſen.“ 


— — — — 





Zweites Kapitel 
Ara Stoich 


1 

Von 1871 bis 1888 hat die Marine unter Landgenerälen gearbeitet. 
Generalleutnant v. Stofeh löſte 1871 den Prinzen Adalbert im Ober: 
befehl ab und übernahm gleichzeitig die Marineabteilung des Kriegs- 
miniftertums, General v. Saprivi folgte ihm als Chef der Admi— 
ralität von 1383 bis zum Beginn der Ara Milhelms des Zweiten. 

Als 1867 auf unfern Schiffen die fchöne Flagge mit dem Adler 
niederging und die mehr dem engliichen Muſter ähnelnde norddeutfche 
Bundesflagge gehißt wurde, war uns Fähnrichen das Verſchwinden 
der preußischen Farben zwar jchmerzlich, aber wir ahnten eine große 
gefchichtliche Wendung und Teerten unjer Glas mit widerfprechenden 
Gefühlen. Das Jahr 18371 drängte die preußifche Erinnerung weiter 
zurüd, wir wurden kaiſerliche Offiziere, und die Marine befam die 
ſchwarzweißrote Kokarde. 

Mit den Hanſeaten vertrugen wir von der Marine uns ſchon zu 
einer Zeit, als ſie noch preußenfeindlich waren und die Armee ab— 
lehnten. Ich lag 1871 als Leutnant mit dem „Blitz“ auf dem Elb⸗ 
from, wo Preußen 1866 gegen die Hamburger Annexionswünſche 
ein Wachtſchiff Hingefet hatte. Der Poſten blieb vergeſſen auf der 
Grenze liegen; wir hatten auch kleine Stromaufgaben, Hafenpolizei; 
im allgemeinen waren wir jedoch nur bemonftrativo — und erfreuten 
ung der Freundjfchaft Hamburgs, bis Siofch im Herbft 1872 heraus: 
befam, daß dort jo ein Schmaroger jaß, und das Kommando auf: 
löfte. Der Hamburger Hafen, voll von Poeſie — das Gemwirr der 
Segler lag am Kai entlang, Balfins waren noch nicht gebaut — 
hatte noch ganz den Charakter des Einfuhrhafens. Die Schiffahrt 
lag vorzugsweise in englifchen Händen und man Fonnte durchſpüren, 
wie fehr der deutfche Haupthafen früher eine Agentur Englands ges 
mefen war. Zum eriten Mal bat im Jahr 1895 die deutfche Flagge 


12 Ara Stoſch 


im Hamburger Hafen bie britifche überholt. Damals ale „Blitz“ auf 
ber Elbe lag, neigten die Hamburger in der Stimmung eines rein 
paffiven Handelsplages noch nach England hinüber, von dem fie ja 
vollitändig abhängig waren, während Deutjchland ihren Kaffee und 
Tabak auf alle Fälle abnehmen mußte, fodaß die Hamburger fich 
auch fpäter noch Tange gegen die Eingliederung in den Zollverein (1888) 
gefiräubt haben. 

Stoſch ging von vornherein von dem Gedanken aus, die deutfchen 
Seeintereffen zu entwickeln, Deutfchtum und deutfche Arbeit in der 
Melt zu Eräftigen und zu ſchützen. Für mich als erften Offizier des 
Kanonenbootes „Blitz“ wurde dieſe Politif zunächſt anfchaulich durch 
den Befehl, die Fischerei zu ſchützen. 

Mit Größerem zufammen war auch die deutjche Heringsfifcherei 
in den Jahrhunderten unfrer Schwäche und Armut zugrundegegangen. 
Erſt Stofch hat die erfte Heringsfifchereigefellfchaft, die fich in Emden 
neu bildete, unterſtützt. Das Unternehmen arbeitete mit Nachteil, da 
wir zu den Heringsgründen einen weiteren Meg hatten, ale die aus- 
Yändifchen Fiicher, und die Steuer von einem Zaler auf die Tonne 
Heringe, die noch aus der friderizianiichen Verwaltung Oſtfrieslands 
ftammte, ein fo junges Gefchäft mit ungefchultem Perfonal nicht zum 
Blühen bringen ließ. Wir haben vor dem Meltkrieg bedauerlichermweife 
noch für weit über 100 Millionen Mark ausländische Fifche, meift 
Heringe, eingeführt, Ein etwas höherer Zollfchug, der angeftrebt wurde, 
ift durch das Schlagwort vom ‚Hering des armen Mannes’ vereitelt 
worden, obwohl am einzelnen Hering beim Tütchenkrämer der Zoll 
gar nicht bemerkbar geworden wäre. Denn allein der Zwiſchenhandel 
auf dem Wege von Emden nach Berlin verdoppelte fchon den Herings- 
preis. 

Die fünf Emdener Logger, die ſich zuerſt auf Heringsfang wagten, 
erbaten alſo militäriſchen Schutz, weil ſie des Lebens und ihrer Netze 
nicht ſicher wären zwiſchen ſchottiſchen und holländiſchen Fiſchern, 
die auf ihren altgewohnten Gründen zu Hunderten fiſchten. Unſer 
altes Holzkanonenboot ſollte gleichzeitig ſtudieren, wie der Fang am 
beſten zu machen wäre, und welche Anhaltspunkte man für die Herings- 
ftröme hätte. Als wir wegen eines Maſtbruchs verfpätet auf bie 
Gründe Famen und unjre Schiffe fuchten — e8 war Juni und um 
Mitternacht taghell auf wohl über 60 Grab nördlicher Breite, bie 


Deutiche Fiſcher unser hollandiſcher Flagg⸗ 13 


See ſtill und bedeckt mit Fiſcherfahrzeugen, Holländern, Schotten 
und ein paar Franzoſen — da konnten wir unſre Schützlinge tage 
lang nicht finden. Endlich fahen wir ein paar Logger, die auf unfre 
Befchreibung paßten, und erkannten im Fernrohr auch wirklich den 
feinen ſchwarz⸗weiß⸗roten Streifen, der uns als Merkmal angegeben 
war. Wie wir aber darauf losgingen, ſetzte der nächfte Logger Segel 
und drückte fich weg. Wir ſchickten einen Schuß hinterher, da ließ 
er dag Segel heruntergehen. Auf unfer Befragen, weshalb fie ihr 
Deutfchtum verleugneten, fagten die Xeute, es wäre ihnen zu unficher 
gewefen, fie hätten riffiert, daß ihnen die Fremden durch die Nee 
fuhren und fie ihnen entzwei riffen. Unfere guten Emdener fuhren 
nämlich unter bolländifcher Flagge und fcheuten fich, als Deutjche 
Farbe zu bekennen. Unfere Heringskapitäne ftammten alle nicht meit 
von der holländifchen Grenze. In Lerwic trafen wir einen, ber bei 
unferem Herannahen die deutliche Flagge hißte, uns befliffen ein 
Tönnchen Matjesheringe an Bord brachte, dann aber fofort in 
See ging und verfchwand Darauf erzählte uns der Offizier 
eines dort Tiegenden niederländifchen Kriegsjchiffes, dieſer Logger, 
der fich heute als Deutjcher auffpielte, wäre erft geftern Nacht als 
Holländer hereingefommen und Hätte auf dem niederländifchen Schiff 
Arzt und Arzneimittel requirirt. Die Heringsgejellfchaft hatte ihren 
Leuten dies eigenartige Verfahren feldit empfohlen. 

So erlebten wir anſchaulich, wie verfchüchtert eim großes Volk 
ohne Seegewalt werden Kann und wie entifremdet wir den Werten 
waren, welche dag Meer uns bot, Es war ja nad) nicht lange her, 
daß Palmerfton gedroht hatte, ein Schiff mit deutlicher Flagge als 
Piraten zu behandeln. Als wie im felben Jahre (1872) bei Amrum 
waren, verfteckten ſich mehrere Finkenwerder Kutter hinter der Sniel, 
weil die englifche Nordfeefifcherflotte mit 80 oder 90 Schiffen die 
See vor Amrum bededte. Wir empfahlen den Finfenwerdern, auge 
zufahren, da uns ja nichts lieber fei, als daß wir einen diefer frem⸗ 
den Fischer bei etwaiger Überfchreitung der DreifeemeilensHoheitsgrenze 
abfaffen Eönnten. Das wollten fie nicht wagen, entgegneten die Finken— 
werder, denn wir wären ja nicht immer zum Schuße da, So fah 
e8 mit nationalem Stolz und unfrer Geltung an ber eigenen Küfte 
aus. Mie waren wir doch feit den Hanfazeiten herabgefommen! 

Stoſchs unausgefeßtes Beitreben, Deutſchlands Seeintereffen nach 


14 Ara Stoſch 

allen Richtungen zu fördern, wurde von Beginn ſeiner Amtszeit an 
unter großen Schwierigkeiten verfolgt. Der Auslandsdienſt überſpannte 
faſt die damaligen Kräfte der Marine. Jeder Kommandant durfte 
aber bei feiner Tätigkeit im Ausland auf Stoſchs nachhaltige Unter 
ftüßung rechnen, auch bei den oft jelbftitändigen und ſchwierigen Ent- 
jchlüffen, welche der Auslandsbienft beim damaligen Mangel an Kabel: 
verbindungen erforderte. Dabei ging es nicht ohne Neibungen mit 
dem Reichsfanzler ab. Im Jahr 1873, als ich wachthabender Offizier 
auf dem „Friedrich Karl” war, befamen wir den Auftrag, die Deut: 
ichen in den ſüdſpaniſchen Hafenftäöten zu fehügen, wo Bürger- 
krieg herrſchte. Wir nahmen dabei einen von den Inſurgenten be 
festen Aviſo unter roter Flagge weg; fchon das fand nicht Bismarcks 
Billigung. Als aber unfer Kommandant Werner auf die Bitte der 
Deutichen wie auch der fpanifchen Stadtverwaltung von Malaga, im 
Verein mit dem britischen Panzerichiff „Swiftſure“ die Infurgenten- 
ſchiffe „Almanſa““ und „Victoria“, welche die Küftenftädte brand- 
ſchatzten, feſtnahm und das Perfonal zuſammen mit ihrem Anführer, 
General Contreras, in Sartagena an Land brachte, Fam aus Berlin 
der Befehl, Werner fer abgeſetzt und unfer Geſchwader follte die Reede 
von Cartagena verlafien. Wie wie nachher erfuhren, war in Berlin 
Stofh mit Moltke zufammen für Werner eingetreten, während Big: 
mard auf feiner Abſetzung beftand und Ihn eigentlich vor's Siriegs- 
gericht bringen wollte. 

Mir hatten in Cartagena mit britifchen Schiffen zuſammen ope- 
viert, Die wir nun zu unjrer Beſchämung im Stiche laſſen mußten. 
In Gibraltar wurde Werner abgelöft. Als er von Bord ging, las 
er und einige Briefe Stoſchs vor und ſchloß mit den Worten: „Das 
fchreibt mir der Menſch,“ er vebellierte alſo fozufagen. Unfre bis 
dahın hochgeachtete Stellung — e3 hatte genügt, daß unfere Flagge 
fich zeigte; wenn es hieß „Federico Carlos estä aqui“, war gleich die 
ganze von Aufſtändiſchen erfüllte Küfte ruhig — ſank mit der Ver» 
leugnung MWerners fo, daß wir nachher große Schwierigkeiten nicht 
nur mit den Aufftändifchen hatten. Mährend vorher fich viele Deutiche 
ihrer Nationalität wieder erinnerten und ihre Zahl in den Konſulats⸗ 
liften beitändig ftieg, ja in Malaga ſich in acht Tagen verdreifacht hatte, 
wurden nunmehr Die Deutichen überall fchlecht behandelt, fchließlich 
in Cartagena fogar ausgeranbt. Daraufhin hefamen mir Befehl, gegen 


Spanifche Fnfurgenten, Werner und Bismard 15 


das befeitigte Cartagena vorzugehen. Nun mar dies aber militäriſch 
mit dem „‚Friedrich Karl” und einem Kanonenboot ſchwierig. Unſer 
neuer Kommandant telegraphierte an Stoich zurüd, es wäre zweifel- 
haft, ob er den Befehl mit feinen Kräften ausführen könnte. Stoſchs 
Antwort Tautete in Flaffifcher, für ihn bezeichnender Schärfe: Es 
würden andere Schiffe zur Unterftühung Elargehalten werden, im 
übrigen gäbe er zu bedenken, daß nicht Schiffe Fämpften, fondern 
Menschen. Wir gingen alfo hin, und der Befehl wurde prompt aus: 
geführt. Aber unfer Anſehen an der ganzen Küfte war einmal ge 
ſunken und das blieb nicht ohne Folgen, auch nicht ohne wirtfchaftliche 
Nachteile. 

Die Engländer pfleaten einen Offizier politiich oder militärifch nicht 
preiszugeben, einerlei, ob feine Handlung aus dem vorgefchriehenen 
Rahmen berausfiel oder nicht. Ob es die Vernichtung der türfifchen 
Flotte bei Navarin oder die Kämpfe um bie Takuforts, ob es die 
Flucht der Tochter des Sultans von Sanfibar, ob es ein Mord- 
olan wie etwa derjenige gegen Sir Roger Gafjement, der Fall 
des „King Stephen” oder gar der Baralong Mord ift, den fie im 
Stillen wahrscheinlich verurteilt haben, grundfählich decken die Eng- 
länder ihre Leute, um die Achtung vor jedem Briten in der Melt und 
die Neigung zur Selbithilfe in den Ihrigen zu ſtärken. Beim eng— 
liſchen Auslandsdienſt wird auf Berwegungsfreiheit gefehen, wobei man 
vorſichtigerweiſe bedenkliche Unternehmungen möglichſt nicht von den 
Chefs der Miffionen, jondern von Nebensrganen vollziehen läßt. Bei 
ung wird die hierarchifche Ordnung unverbrüchlich gewahrt. 

In jenem Fell waren ung jungen Seeleuten Bismarcks Berveg- 
gründe nicht befannt und Werners Bloßitellung infofern nicht ver: 
Händlich, ale es der rechtmäßigen ſpaniſchen Negierung nach unfrer 
Auffaflung nur angenehm jein Eonnte, wenn der Schuß der damals 
noch recht erheblichen deutichen Sntereffen an der Südküſte die In— 
furgenten ſchwächte. Unſrer Verehrung für Bismard hat der Zwiſchen⸗ 
fall, wie jeine fonftigen Reibungen mit Stofch, feinen Eintrag getan. 
Seine einzigartige Größe hatte sielleicht den Nachteil, daß fich auch 
bei ung Seeoffizieren wie überhaupt in Deutfchland, die Befchäftiaung 
mit Politif nicht fehr entmwicelte, da für allee damit Zuſammen⸗ 
hängende durch die Geſtalt des Altmeifters, der uns das Reich ge 
Ichenft hatte, ſozuſagen unabiehbar vorgeſorgt fchien. 


16 Aru Stoſch 
2 

Zum Politiſiren hatten wir überdies ger Feine Zeit. Es war neben 
der Entfaltung der deutſchen Seeintereſſen Stojchs zweiter Grund- 
gedanke, durch welchen er der Marine jein Gepräge gab: daß er fie 
arbeiten lehrte. Sch will nicht fagen arbeiten ohne Fehler; das war 
bei einem Volk, das der See und ihrem Weſen entfrembet war, un- 
möglich. Uber arbeiten überhaupt. Je reifer die Marine wurde und 
je mehr unſer Volk das große Kulturgebiet der See mieder verftehen 
lernte, deſto mehr Früchte hat diefes Arbeitenfönnen getragen. Sch 
erinnere mich der erftaunten Bemerkung englischer Offiziere, als wir 
1890 in Malta mit unferen alten Käften neben den modernen Schiffen 
der Engländer lagen und den ganzen Tag Dienft: taten und fchufteten: 
ivenn fie das ihren Leuten zumuteten, befämen fie Meuterei. Sie 
Fonnten diefe ſtramme Arbeit nicht begreifen, beionders da fie infolge 
der kurzen Dienftzeit der deutichen Mannfchaften nicht ganz zum 
Nutzerfolg führte. Im Parf von Osborne hatten wir im Jahr vorher 
mit einer Landungsdivifion der Königin den Parademarſch vorgeführt. 
Die britifchen Seeoffiziere jagten überrafcht: „Das find ja Soldaten.” 
Der Eindruck war nicht ganz richtig, aber bezeichnend. 

Unter Prinz Ndalbert war ſtreng darauf gefehen worden, daß die 
von der englifchen Marine übernommene Form ſeemänniſch und nicht 
landmäßig war; wenn der Prinz z. B. die Front abging, mußte ber 
riefige blanke Seemannahut auf ben Hinterkopf geſetzt und eine breit- 
beinige Stellung eingensmmen merden; ter Das Achterdeck betrat, 
grüßte die Flagge; der Mann grüßte an Bord den Offizier durch 
Müseabnehmen, den Unteroffizier durch Müselüften, und jo noch 
vielerlei Etiketten: aber Steammftehen gab es nicht, Beim Gegel- 
ererzieren Bonnte man auch die Hände nicht an die Hofennaht halten. 
Die Mannfchaften hatten eine anftrengende und Tebensgefährliche, aber 
ſelbſtſtändige Tätigkeit und die Unteroffiziere in den Toppen handelten 
vielfach auf eigene Fauſt. Menn das Schiff rollte, war jeder auf 
fich felbft geftellt. Das gleichmäßige „„Bimfen‘‘ der Nrmeeausbildung 
fehlte dem Dienftbetrieb der Segelzeit, 

Als wir im Winter 1870 im Milhelmshavener Baſſin Iagen und 
bie Tafelage herunter war, wurden mir, mie. bemerkt, bis zur Erfchlaf- 
fung gedrillt. Unter dem General Stofeh nahm dann die foldatijche 
Richtung einen wohl zu ſchroffen Aufſtieg. Manche älteren Offiziere 





Hiliserifierung des Darins 17 


murrten: da wäre noch ein Fledichen in Preußen geweſen, auf dem 
es fich leben ließ, nämlich die Marine; das habe durchaus nicht länger 
gebuldet werden können. Es gab aber auch folche, die, um fich eine 
gute Nummer zu verichaffen, ven Infanteriedienſt und den Drill meiter 
trieben, als Stofch es wohl felbit beabfichtigt hatte. Die geringe An⸗ 
ziehungskraft ber Marine unter Stoſch veranlafte ihn, auch weniger 
geeigneten Dffizierserfaß aufzunehmen. Dies und die Unmöglichkeit 
der damaligen Marine, taktiſche Schulung zu gewähren, tft mit dafür 
erantwortlich, daß im Anfang des 20. Jahrhunderts die führenden 
Perfönlichkeiten unter den Nömiralsjahrgängen dünn gelät waren. 

Stoſch war als Perfönlichkeit fcharf wie gehadtes Eijen. Er er- 
freute ung bei Inſpektionen leicht durch gewaltige Anfchnauzer, die 
oft den Kern der Sache trafen. So erinnere ich mich einer 
Kritik am Schluß einer Inſpizierung, die mit den lapidaren Worten 
hegann: „Vom Kommandanten bis zum legten Schiffsiungen die reine 
Waſſerſuppe.“ Der Kommandant hatte freilich die Ehre und das 
Pech gehabt im Sommer den Prinzen Friedrich Karl vier Mochen an 
Borb zu führen: eine Art von Befuch, die Stofch ale ftörend für den 
Dienſt anfah. Seinem mächtigen Eingriff in den ganzen Nusbau ber 
Marine kam es zuitatten, daß er neben der Verwaltung noch faft 
die volle militärische Befehlsgewalt in ſich vereinigte, fodaß innere 
Hemmungen leicht von ihm befeitigt werden konnten. 

Die alte preußifche Marine hatte in den zwöltjährigen Mannfchaf: 
ten — long service men — ein Perſonal befejjen, wie wir es nie 
wieder bekommen haben, Stofch führte die Zjährige, richtiger bie 
21/, jährige Dienitzeit ſchroffer durch, als es für die Notwendigkeiten 
der Seefahrt gut war. Mehrfache Mbichaffung der Spezialiiten und 
kurzfriſtige Indienſthaltungsperioden machten troß allem Eifer die von 
ber Admiralität geforderten Leitungen zur Unmöglichkeit. Durch bie 
Streihung von Unteroffiziersfategorien gerieten wir in eine gerabezu 
gefährliche Lage. So wurde das ganze Steuermannsperfonal abge- 
Ihafft und Durch Leute aus der Mannfchaft erſetzt, ſodaß der Dienft 
als Steuermannsmaat Offizieren aufgebürdet werden mußte. 

Wie diefe Aufhebung von notwendigen Spezialiften und bie für 
Seefahrtsausbildung zu kurze 21/, jährige Dienftzeit zu der materiellen 
und perjonellen Differenziertheit der Marine nicht paßte, jo murde 
umgekehrt bie Augsbildung an Land au einer Bedeutung gefchraubi, 

2 ; 


Ziepin, Arinmerunam 


18 Üra Stoſch 


de fie nicht beſaß. Die Sommergeſchwader wurden erft im Mai in 
Dienst geitellt, follten fofort das Höchfte leiften, und flogen im Herbſt 
wieder auseinander, bevor fie etwas konnten. Dafür kamen die Leute 
im Herbft an Land, meift in die fogenannten Stammdiviſionen (Depots), 
aber nicht nach Kategorien geordnet, wie mir das fpäter machten, fon- 
dern geradezu wie Regimenter behandelt. Für Gefechte: und gar für 
Geſchwaderausbildung blieb in den kurzen Sommerübungen Feine Zeit, 
Foum für die rohefte Bordausbildung. Die kriegsmäßige Geſchwader— 
ausbildung glich nach dem Mort eines Admirale dem Verſuch, aus 
Iofem Sand etwas Feftes zu mollen. Die durch diefe Einrichtung 
weſentlich verzögerte Entwicklung der taktifchen Flottenverwendung fällt 
aber nicht allein Stofch felbft zur Laſt. Nach der Gefchwaderübung 
von 1893, welche im bejonderen die Geeignetheit zur kurzen Indienſt⸗ 
haltung feftftellen follte, fprechen mit Ausnahme eines Herm fämt- 
liche Kommandanten und der Admiral fich im bejahenden Sinne aus. 
Diefe Beurteilung zeigt die damals geringe maritimsmilitärifche Schu- 
lung der älteren Seeoffiziere, wie e8 auch gar nicht anders möglich war. 

Strenger Wachtdienſt im militärifchen Begriff wurde auf die Schiffe 
übertragen und fraß Zeit und Kräfte, ohne eigentlichen Wert. Den 
Waffenrock, den Stofch einführte, mußten wir mit Hufarenfchärpe much 
in den Tropen auf Mache tragen, bis einmal ein Offizier auf der 
Kommandobrüde umfiel; dann erfchien das weiße Tropenzeug wieder. 
Ferner wurde Mobilmachung nach Art der Armee eingeführt. Früber 
hatten Indienſtſtellungen Wochen gedauert und fpäter haben wir jie 
fozufagen gar nicht mehr vorgenommen, fondern die Schiffe dauernd 
in Dienft gehalten. Stofch dagegen verlangte, wie ein Regiment in 
drei Tagen mobil gemacht ift, dasjelbe bei Schiffen; daß der kompli⸗ 
zirte Mikrokosmus von Technik, den ein Schiff darftellt, durchſetzt 
von den verſchiedenartigſten Bedürfniffen und Rücfichten, noch einen 
Organismus bildet, wenn in drei Tagen alles Material an Bord ger 
vafft wird, darüber ging man in jener Periode mit einem großen 
Schwamm hinweg. Stoſch ift nie Seemann gemorden, zumal feine 
nicht immer günftig ausgewählten Ratgeber es verabfäumten, ihn aus 
den Armeebegriffen in die unfrigen hinüberzuführen, und nötigenfalls 
auch ihm entgegen zu treten. Es wurde zu viel befohlen und zu wenig 
gefragt, und jo brachte der Untergang des „Großen Kurfürften‘ im 
Jahr 1378, der 4 T. durch Diele Landmilitariſirung der Marine ver: 


Vom Bildungsgang des Seeoffiziers 19 


ſchuldet war, bie Kritik fhirmifch an die Oberfläche. Von da ab murden 
die Bedingungen der Seefahrt und des Schiffsorganismus wieder mehr 
berückſichtigt. Caprivi und ich erhöhten fpäter den Ausbildungsftand 
der Schiffe befonders durch Wiedereinführung einer größeren Stetige 
keit des Perjonals, ſoweit es die für die Differenziertheit der Marine 
zu kurze Dienftzeit zulieh. 

Der von hm zu Kiel gegründeten Marineakademie hat Stojch den 
richtigen Gedanken eingehaucht, weniger Fachwiſſenſchaften zu lehren 
als Allgemeinbildung und Selbftftudium zu fördern. Es wurde viel 
Mathematif getrieben, außerdem Philofophie, Naturs, insbefondere 
Meereskunde, wie wir denn von unfern Reifen viel an die Mufeen ges 
fchieft haben, und Aftronomie, die man allenfalls zu den Fachmwiffen- 
ſchaften rechnen kann. Die Seefriegsgejchichte wurde damals unzu- 
reichend gelehrt, dem Seerecht war wenig abzugerwinnen, Nationalöfong- 
mie trat erſt unter meiner Verwaltung hinzu. Im Lauf der Jahre hat die 
Akademie mehr Fach-Charakter angenommen, obgleich ich immer da: 
gegen gedrückt habe, daß jie zu einer reinen Admiralſtabsvorſchule 
würde oder Gelehrte züchtete, denen die fäuberliche Theorie über bie 
Tat ginge. Sch fuchte auch den materiellstechnifchen Unterricht von 
den Schulen, einjchließlich der Alademie, mehr auf Sonderfurfe ab- 
zufchieben, welche das Neue der rajch veränderten Technik beifer ver- 
mitteln ale die Akademie mit ihrer Befchränfung an Zeit und Modellen. 
Fruchtbarer als der materiellstechnifche Unterricht geftalteten fich in 
den Marinelehranftalten die miffenfchaftlichen Teile der Schiffsbau- 
Iehre und Mafchinenkunde. Nicht, daß der Offizier konſtruieren fol, 
aber er muß Konftruftionen beurteilen können. Die Technik ift heute 
fo untergeteilt, daß der Konſtrukteur felbft die Einzeltechnif verliert. 
Die Denkweiſe des reinen Technikers ift zudem nicht unbedingt für 
andere Aufgaben geeignet. Auch an der Spitze der großen Unter- 
nehmungen ftehen zwar zumellen Techniker mit univerfaler Auffaſſung 
und leiſten dann Großes, häufiger aber findet fich bei Suriften oder 
Kaufleuten die organifatorifche Ader. Für den Seeoffizier aber treten 
in den höheren Stellen zu den militärischen Fragen, insbefondere der 
immer Fomplizierteren Taktik, noch ganz andere organifatorifche, fee 
rechtliche, politifche Materien. Einen Teil feines Lebens muß der höhere 
Seeoffizier in der großen Welt verbracht haben. Höhere Mathematik, 
als Verftandesgymnaftif fo wertvoll, ıft Für den Seeoffizier in gewiſſer 


30 Ara Stoſch 


Beziehung gefährlich, In ihrer Umerjchöpflichkeit abforbiert fie zu fehr, 
und in ihrer Eraftheit Bann fie wie jede Theorie dahin führen, die 
$mponderabilien zu unterfchägen und zu vergefien, daß Feldherrnſchaft 
nicht eine logifche Wifjenfchaft, fondern Intuition ift, zu der in eriter 
Linie Perjönlichkeit gehört. Deshalb darf man die Kategorien, die in 
die höchften Stellungen auffteigen, nicht als Spezialiften fchulen. Es 
ift gut, daß fie einmal in einer Spezialität gearbeitet haben und wiſſen, 
was das heißt, welche Summe von Geift und Arbeit darin ſteckt; doch 
ihre eigene Linie ſoll fich von der technifchen unterfcheiden!). Das 
Spezialiftentum wurde der Marine mehr und mehr gefährlich. Umſo⸗ 
mehr halte ich Stoſchs auf das Allgemeine gerichtetes Bildungsſyſtem 
für richtig. 

Zu Stofchs Beftrebungen, Gleichartigfeit mit der Nrmee zu ſchaffen, 
zählte e8, daß er eine eigene Admiralſtabslaufbahn einrichtete und 
dem ausgedehnten Admiralſtab, den er fchuf, foger ein eigenes Ab⸗ 
zeichen nach Art des „Bildimgsftreifens” des Generalftabs verlieh. 
Man darf aber in der Marine nicht Iange von Bord bleiben, fonit 
verlernt man das Seefahren. Auch ift der Frontdienft bei der Marine 
vielgeitaltiger als bei der Truppe. In der Armee geht der Generolftab als 
zweiter Nervenjtrang neben der Hierarchie der Kommandeure lebenbildend 
durch das Ganze hindurch alg zweite Sicherung, als „Korreferation“ für 
die Kommandeure, mitberuhend auf den perfünlichen Zufammenhängen 
des Korpsgenerelftäblers mit dem Großen Generalftab. In der Marine 
ift ein folches zweites Nervenſyſtem nicht benfhar. Das Zufammenhalten 
großer Maffen, die Aufmarfchfragen und verwandte Probleme fallen hier 
fort; e8 find nur menige Individuen, nämlich die Schiffe, zu führen. 
Auch im Zeitalter der Funkentelearaphie hat fich Die Seefchlächt darin 
nicht geändert, daß der Kommandant an Bord eines Schiffes Allein 
herrfcher fein muß; ebeniomenig kann bei den Gefchmaberftäben der 
Befehlshaber Herren unter Sich haben, die nach außen Verbindung 
haben, Die Stofchiche Admiralſtabslaufbabn tft deshalb wieder bes 


N Beiläufig ermähne ich hier den von Lord Fifher in England eingeführten Grund: 
ſatz, aus dem Offizierskorps einen einzigen Brei zu machen, ſodaß der an der Mafchine 
ausgebildete Herr gleichzeitig ebenfogut auf der Kommantobrüde verwendet werden 
kann. Als Grund für Diefes fogenannte Selborne-Syſtem bezeichnete mir Der britifche 
Marincattache 1913 den Wunfch, Den vordringenden demofratifhen Einfluß namentlich 
ber Trade Unions im Mafchinenperfonal abzuſchwächen, indem man ihm eine milir 
tärifche Spike aab. Einen militärifchen Fortfchritt bedeutet dieſes Syſtem nicht, 


Wir explorieren. Der abgerijjene Saden ber Hana 2] 


jeitigt worden; bie jegt zum Admirolſtab kommandirten Offiziere werden 
beliebig aus ber Front berausgegriffen‘). 

Mie ſehr Stoſch vom Tandmilitärifchen Standpunkt ausging, zeigt 
auch der Flottengründungsplan, den er bei Übernahme feines Amtes 
aufftellte. Seine Schiffsbaupolitik bezweckte als Kern eine Meine, kon⸗ 
zentrirt zu haltende Ausfallsflotte — der „Ausfall“ war ein Land- 
begriff —, während die übrigen Schiffe fih auf die ganze Hüfte ver- 
teilen follten als eine Art Beſatzungstruppe nach der See zu. Mit 
Rückſicht auf die Oftfeehäfen war es dann erforderlich, diefe Schiffe 
flach zu bauen, als ein Zmwitterding aus Seeſchiff und Küftenverteidi- 
gung ohne ausgeiprochenen Charakter. Der Gedanke, einen Teil ber 
Kräfte am der Küfte zu verzetteln, war nicht günftig; denn wenn es 
zum Schlagen Fam, mußte man alles zufammenziehen. Das Vorbild 
ber Truppenverteilung in der Armee paßt nicht für die Flotte; denn das 
Schiff ift an ſich ein Angriffswerkzeug. Über foldhe Dinge aing Stoſch 
mit berrifcher Gewalt hinweg. 

3 

Maren jo Die Anfänge der Neichsmarine durch das überragende 
Preſtige der Armee eigentümlich verzögert, jo eilte Stojch, wie ich ſchon 
erwähnte, feiner Zeit voraus durch Die Energie, mit welcher er unfre 
durch Sahrhunderte vernachläffigte Seegeltung vorantriedb. Der Bes 
ſetzung der Auslandsftationen durch Kreuzer hat Stojch großen Wert 
beigelegt, für jeine Zeit mit Recht, Denn die ftaatlichen Verhältniffe 
etwa in den füdermerilanifchen Staaten, in China oder Japan waren 
noch nicht fo entwidelt, daß diplomatifche oder Eonfularifche Verhand⸗ 
lungen immer genügten; bie tatfächlihe Macht an Ort und Stelle 
gab den Ausfchlag. 

Schon im den Siebziger Jahren war Stoſch der Überzeugung, daß 
wir Kolonien erwerben müßten und ohne Ausbreitung nicht dauernd 
beitehen Könnten. Er fah die Blüte des jungen Reiches für raſch ver: 
gänglich an, wenn mir nicht die entfcheidende Ungunft unferer Lage 
und Gefchichte in letzter Stunde über See ausglichen. Mir hätten 
damals leichter und günftiger zu Kolonien gelangen können, als es 
fpäter der Fall war, Huch abgefehen von Eolontalen Hoffnungen durch- 
drang die Marine ein meltwietichaftlicher MWiffenstrieb, un fo mehr, 

1) Durch die an ſich richtige Aufhebung der Admiralſtabslaufbahn wurde aller: 
dings die Mäglichkeit erjchwert, begabte Führernaturen jung in leitende Stellen zu 
„Hefördem, dach donnte dieſes Erfordernis m. E. aud auf andere Meife erfillit werben. 


22 Ara Stoſch 


als die Nachrichtenſammlung durch Berufskonſuln erſt ſchwach ent⸗ 
wickelt war. Als wir 1872 mit dem „Friedrich Karl“ draußen waren, 
hatten wir auch den Auftrag zu „exploriren“, über alle Orte zu bes 
richten, wofür fie geeignet wären und welche Bedeutung fie wirtſchaft⸗ 
fich für uns haben Fönnten. Ich erinnere mich noch, wie ich die Inſel 
Porto Grande auf den Gapverden erkundet habe, faft unfruchtbar, hohe 
Felfen mit ein paar einzelnen Palmen, aber der gegebene Kohlenplatz 
zwiſchen Kapftadt, Europa und Südamerika. Auch beim Beſuch von 
Curacao hatten wir den Eindrud, daß ein Kauf der Injel erwogen 
wurde, und möglicherweije hing unfer nächjtjähriger Auftrag, nach Hawaii 
zu gehen, mit Ähnlichen zufammen. Uber Deutfchland verftand in 
den Siebziger Jahren derartige Regungen noch nicht. Auch fand 
damals in eigentümlichem Widerfpruch zu unferem politifchen Anjehen 
die befchämende Tatfache, daß wir unfern Bevölkerungszuwachs großen- 
teils ing Ausland abftrömen laffen mußten, noch nicht imftande, ge 
nügend Waren auszuführen ftatt Menfchen. Um alle Fragen des Reichs, 
die mit der See zufammenhingen, bemühte ſich Stojch, insbejondere 
auch um Entfaltung unfres verfümmerten Kauffahrteiweſens. Er fand 
viel Widerftand, erreichte e8 aber, im Bundesratsausfchuß für Sees 
weſen den Ton anzugeben; er benußte das hydrographiſche Amt, bie 
Seewarte, die Beziehungen zum hanfeatifchen Gefandten, um ſich zur 
Geltung zu bringen. Die feemännifchen Schulen, an denen die Kriegs: 
marine wegen des Mannfchaftserfages unmittelbar intereffiert mar, 
das Lotſenweſen, Tonnenweſen, Leuchtfeuerwejen, Vermeſſungsweſen, 
die Fiſcherei, von der ich ſchon oben ſprach, alle Konſulatsangelegen⸗ 
heiten, kurz die ganze Kleinarbeit der Seeintereſſen mar Tätigkeits⸗ 
feld für den unermüdlichen Mann. Die alte Überlieferung, der Technik 
des Auslandes, ingbejondere Englands, den Vorzug zu geben, durch— 
brach er rücfichtelos. Wenn auch die damalige Jugend der deutſchen 
Smöuftrie fogenannte Kinderkrankheiten des technifchen Materials reich 
lich in Erjcheinung brachte, fo hat die Folgezeit doch unferm alten Chef 
fein Vorgehen gedankt. 

Im ganzen hat Stofch Großes geleitet. Er nahm den abgeriffenen 
Faden der Hanſa auf und taftete jich als erfter wieder in eine deutfche 
Zukunft über See hinein. Er tat auch viel, um der Marine Priegerijchen 
Geiſt einzuhauchen. Es wurden Fehler gemacht, aber Spielereien kamen 
damals noch nicht in Frage; ein Schwerer Ernſt charakterijirte die Arbeit. 


Drittes Kapitel 
Ara Caprivi 


1 

Die Ara Stofch Hat troß ihrem angeflrengien Drill iin Grunde den 
Krieg jelbft wenig vor Augen gehabt, entfprechend der Weltlage der 
70 Sahre, Damals tat der junge Reichsadler friedlich feinen erſten 
Slügelichlag über See. Während wir um die Wende des Zwanzigſten 
Sahrhunderts an Beides zu denken hatten, an bie riefenhaft gemachfene 
und doch fo verwundbare Geltung der deutſchen Friedensarbeit in Der 
ganzen Welt, wie auch an die Siriegsgefahren, welche dem Mutterland 
ringsum drohten, hatte Stoſch mit einem unmittelbaren Kriegsgegner 
noch kaum zu rechnen. Das einzige wirkliche Manöver, das Stofch 
abhielt, obendrein Hleinfter Urt, fand 1382 Eurz vor feinem Abgang 
ftatt, In Wahrheit Eonnte man kaum ein Manöver im taktifchen 
Sinne Durchführen, da wir nicht fo weit ausgebildet waren; es wurde 
ſozuſagen nur das Feine Einmaleins geübt. Auf Artillerieererzieren 
und einfache Schießübungen verwandte man viel Zeit, aber der Schwer- 
punkt Tag dabei auf dem Feuern von Zonzentrierten Breitjeiten auf 
nur 200 und 500 m Entfernungen, was alles belagt. 

Mit Caprivi trat mın 1883 ein Chef an die Spige der Admiralität, 
der unter dem Einfluß veränderter Meltverhältnifje, aber auch eigener 
Richtung folgend, feine ganze Arbeit unter den Kriegsgedanken ftellte, 
Caprivi war der ausgefprochne Generalftäbler. Der von Wenigen recht 
verftandene Dann lebte und mebte in der Vorſtellung, die er mir 
gegenüber oft aussprach: „Nächſtes Frühjahr haben wir den Zwei— 
frontenkrieg“. Sedes Fahr erwartete er ihn im nächſten Frühling. 
Er war weit weniger Politiker als Stoſch. Als er fpäter, einige Zeit 
vor Bismarcks Abjchied, zu Kaifer Wilhelm IL beftellt wurde, um dem 
Befehl folgend die etwaige Nachfolge des Kanzlers zu übernehmen, fagte 
er auf dem Weg zum Schloß bitter zum Feldmarfchall Los: „Seht bes 
grabe ich meinen militärifchen Ruhm“, Für die Marine war er nad) 


24 Aru Eaprisi 


dem Ausſpruch des Prinzen Friedrich Karl „zu ſchade“ geweſen und 
hätte eigentlich Chef des Generaljtabs werden müſſen. 

Durch ihn befam die Marine alfo ein militäriſch-politiſches Ziel. 
Ob es ganz das richtige war, bleibe dahingeltellt, aber e8 war Doch 
endlich eine dee. Unter Stofch hatte die Flotte nicht gewußt, für 
welches ftrategifche Ziel fie arbeitete. Überwiegend war man als Folge 
der kurzen Sommerübungen durch das Formale abjorbirt, dag man 
ale „Evolutioniren“ bezeichnen kann. Was bei der Kompagnie das 
Rechts⸗ und Linksſchwenken ift, das wurde geübt. Die Mobilmachung 
ftand nur auf dem Papier. Caprivi infpizirte im Frühjahr 1883 und 
war überwältigt von der ungeheuren Arbeitstätigkeit ohne rechte Leit 
gedanken. 

Da nun Größeres nicht fo rafch zu machen ging und die Marine 
unter Stofch fchon immer daran gekrankt hatte, daß fie etwas leiften 
follte, was fie nicht leiften Eonnte, beſchränkte ſich Caprivi darauf, bie 
zum nächſten Kriege eine ſtarke Küftenverteidigung gegen Rußland und 
Srankreich vorzubereiten. Wenn man den Zmeifrontengedanken nicht 
beachtet, urteilt man leicht ungerecht über feine mangelnde Erkenntnis 
der Aufgaben der Marine. Er jagte: erit muß der Krieg abgemacht 
werden, der übermorgen kommt, und dann Fönnen wir die Marine 
weiterentwickeln. Er arbeitete fich nun perjönlich ein und leitete auch 
jeden Herbſt die Manöver, die jet mit verfchiedenen General- und 
Spezialideen nach Art der Armee eingeführt wurden. Sie richteten 
fich im Mlgemeinen gegen die Küfte; die eine Partei geiff die Küſte 
am, die andere hatte fie zu verteidigen. 

Ich hatte damals als Schöpfer des Torpedoweſens fchon eine ge 
wiſſe Stellung in der Marine errungen und durfte mir über die Rück— 
ftändigfeit unferer Taktik ein Urteil erlauben. Außerdem war ich mit 
Caprivi vervettert, was aber bei feiner Art etwas gefährlich war, ſodaß 
ich den Verwandten nie herauskehrte. Aber ich Eonnte offen reden und 
fagte ihm: Was uns befonders fehlt, ift irgend ein taktifches Vers 
ftändnis; wir wiſſen nicht, wie wir fchlagen ſollen. Caprivi hat alles 
getan, dieje Anregung aufzunehmen. Er ftellte die fogenannien „Zwölf 
taktiichen Fragen” an eine Reihe von Offizieren, denen er ein Urteil 
zutraute. Es wurde immer vorausgejeßt, daß die Franzoſen gegen 
uns flünden, und dann gefragt: Wie wird der Anmarjch geregelt? 
Melde Schlachtordmung nehmen mir ein? Wie verhält man fich im 





Taprivis politiſcher Leirgedanke. Kaltiiche Folgerungen 25 


Melse, weiches (nach Anjicht Caprivi's) umter allen Umftänden eins 
treten wird?!) 

Caprivi richtete Admiralftabgreifen ein, wobei Aufgaben geftellt wur: 
den wie diefe: Rußland und Frankreich erklären uns ben Krieg; die ruf- 
fiiche Flotte will fich mit der franzöfifchen vereinigen und wir follen 
dies verhindern. Aus derartigen Lagen, die als Leitfaden der Über: 
legung dienten, Fam man allmählich von der reinen Küftenverteidigung 
mehr auf die Forderung einer Hochſeeflotte. Caprivis Tätigkeit gip- 
felte darin, daß er unferen erſten Operationsplan bearbeitete, und zwar 
perfönlich, nachdem er fich umterrichtet hatte; dann holte er mich zur 
Korreferation heran. Der Plan beftand etwa darin: Sch follte eine 
Zorpedo-Divifion im Augenblick der Kriegserflärung in Cherbourg ein- 
laufen lajjen, und dann follte die Schlachtflotte, die wir hatten, nach 
Cherbourg gehen und es einfchleßen. Caprivi ift auch der eigentliche 
Vater unferer Mobilmachung. 

Troß feinem taktiſch-ſtrategiſchen Verſtändnis fehlte ihm ein be 
ſtimmtes Bauprogramm, Zwar ſah er ein, daß die Marine nicht von 
der Hand in den Mund leben Eönnte. Aber einmal hatte er doch dem 
Seeweſen fein Lebelang zu fern geftanden; und dann waren die An- 
fichten im Seeoffiziersforps jelbft noch zu ungeklärt, um eine beftimmte 
Baupolitif herauszukriftallifieren. Caprivi ftand dem widerfprechenden 
Durcheinander von Schiffsplänen erftaunt gegenüber, Ich erFlärte ihm 
auf feine häufigen Fragen, daß ein Urteil über die anzuftrebende Geftalt 
der Flotte nur aus der noch nicht erlangten Klarheit der taktifchen 
Borftellungen hervorwachfen könne. Endlich lähmte den Bau auch ber 
politiiche Grundgedanke des Chefs. Noch gelegentlich der Einführung 
der zweijährigen . Dienftzeit in ber Urmeevorlage von 1893 fagte mir 
der Neichsfanzler Caprivi: „Erſt nach Erledigung der völkerpſycho⸗ 
Ingifchen Notwendigkeit des Krieges mit Rußland, dem fich Frankreich 
anfchließen wird, dürfen wir an die Schaffung einer ſtarken deutfchen 
Slotte denken.” Unſere feit Jahrhunderten einfeitig feftländifche Orien- 
tirung ließ ung vor 1896 eben zu leicht überfehen — was Bethmann 
noch im Juli 1914 überfehen hat, — daß die englifche Feitlandspolitif 
der balance of power uns fchon damals in den Arm gefallen wäre, 
wenn wir über den Zweibund gefiegt hätten, 

) Ich meinerfeits halte Das auch jetzt noch für wahricheintich, daß jih eine Au 
Meiterlampf entwideln muß, wenn sine Schlacht ernſtlich durchgeſchlagen wir, 





26 Ara Saprivi 


Sen Wirken im Kanzleramt it ebenfalls vorwiegend aus dem Ges 
danken des Zmeifrontenkrieges zu verftehen, während Politif an ſich 
nicht feine Linie war. Seine PolenfreundlichFeit hatte ihre Wurzel in 
dent Bemühen, für den Krieg und dort Fein zu feindliches Element 
zu fchaffen. Ms ich 1893 wochenlang mit König Humbert von Stalien 
zuſammen war, trug mir Caprivi auf, ihm zu fagen: „Die Entjcheidung 
fällt am Rhein”, Bei der Auflöfung des Rückverficherungsvertrages 
bat bei Gaprivi, wie ich von ihm perfönlich weiß, das Gefühl durch⸗ 
gefchlagen, der Vertrag wäre nicht ganz anftändig angejichts des un: 
vermeidlichen Krieges: er beraube ung außerbem des öfterreichifchen 
Bertrauens. Caprivi war einmal mit Prinz Friedrich Karl bei einem 
amtlichen Beſuch nach 1870 in Rußland geweſen. Er fpürte dort den 
Haß der Veteräburger Dffiziere, den Neid auf das ruhmgekrönte preu= 
Bifche Heer überall durch, etwas, was ich aus eigener Erfahrung bes 
ftätigen Yann. Wir Hatten jozufagen zuviel gefiegt. Caprivi erzählte, 
mie Kaifer Mlerander IL die deutfchen Offiziere auffallend vernache 
läjfigte, bis er einmal in einem der Säle an fie heranfchoß und zu 
Saprivi fagte: „Ihr wißt garnicht, wie ich euch Tiebe, ich darf es euch 
bier bloß nicht zeigen”. Daß Gaprivi bei der Auflöfung des Rückver— 
ficherungsvertrages irgendivie englifchen oder höfifchen Einflüffen unter: 
ftand, halte ich bei feiner Art für ausgefchloffen. Um Defterreich für 
ben Krieg ftärfer an ung zu feffeln, ſchloß er den Handelsvertrag 1891 
mit ihm in einem für unjere Landiwirtfchaft ungünftigen Sinne ab. 

Die Seeintereffen im Sinne von Stofch zu pflegen, fand Caprivi 
feine Zeit, und auch die eigene Veranlagung trieb ihn nicht dazu. Er 
gehörte zu den Söhnen von Beamtene und Offiziersfamilien, denen bie 
wirtſchaftliche Denkweiſe fernliegt und an fich nicht anziehend erfcheint. 
Der einſame, perfönlich bedürfnisiofe Mann brachte für die Lebens⸗ 
entfaltung der Induſtrie und des Handels von ſich aus wenig Emp⸗ 
findung mit. Darum war er urjprünglich ein Gegner der Kolonial- 
ausbreitung, wenn er auch den ihm anbefohlenen militärifchen Zeil 
der Kolonialerwerbung geſchickt und tatkräftig betrieben hat. 


2 
Wenn ich in meiner Amtsführung mich bemüht habe, ben erwerben: 
den Ständen gerecht zu werben und die 1383 abgerilfene Pflege der 
Seeinterejien im Geilt von Stofch, aber mit den inzmwifchen vergrößer⸗ 





„Die Entſcheidung fällt am Ülhein‘ 27 


ten Mitteln wieder aufzunehmen, jo bin ich dabei noch vielfac) auf die 
aus dem Gang der deutjchen Gefchichte erwachſenen Unausgeglichenheiten 
geftoßen. Sparſamkeit und Pleinlich-bürofratiiche Enge am unrechten 
Platz hat unjern Weg in die Welt erſchwert. 

Die Marine hatte reichlichere Veranlaffung, dies zu empfinden und 
hinzuzulernen, als die Armee. Ein gewiſſer Weltblick wurde ihr über: 
haupt durch ihre Aufgabe anerzogen. Daß der Armee bis zum großen 
Krieg das Studium der Welt, insbefondere Englands, weniger am 
Herzen lag; daß fie im Mefentlichen noch mit den alten Zweifronten⸗ 
kriegs⸗Ideen auch in den Weltkrieg zog und mit dem natürlichen Über: 
gewicht, das fie bei der vorherrfchenden Landüberlieferung Deutichlands 
über die Marine befaß, in der Flotte immer noch eine Ari Pionier 
truppe der Armee ſehen wollte, uneingeden? deſſen, daß die eigentliche 
Hauptfront die Seefront war, nachdem uns ein ernfteg, aber nicht aus⸗ 
ſichtsloſes Schickſal zum Zielpunkt einer Meltkoalition gemacht hatte; 
kurz, dies Verbarren auf Saprivis Standpunkt unter völlig veränderten 
Meltverhältniffen, it eine der gefchichtlichen Urfachen des Kriegsvers 
laufe geworden. Jedoch davon [päter. 

Der Seeoffizier war im Gegenjaß zum Landoffizier auf das Studium 
der überjeeifchen Kräfte hingewieſen. Auch Schliff ihm wohl der Um⸗ 
gang mit Ausländern die altpreußifchen Ecken leichter ab, ohne den 
Sinn für die unentbehrlichen Überlieferungen des Staates zu ertöten. 
Denn man darf nie vergeffen, daR gerade Preußen in feinen Offizieren 
eine der wenigen feiten deutjchen Formen gejchaffen hatte und zugleich 
die erfte, welche nach dem völligen Verſinken in Fremdknechtichaft 
feit Friedrich dem Großen uns wieder ein freies Auftreten in der Welt 


ermöglicht bat. 
ght 5 La vie au rol, 


L’honneur pour soi, 
Sacrifiant son bien, 
Chicand pour un rien, 
Voila V’officier prussien. 


Der beutfche Staat war zwifchen 1870 und 1914 noch zu fung, 
um eine eigene deutiche Form auszubilden. Das hat uns in der Welt 
geſchadet. 

Das engliſche Seeoffizierskorps verkehrte mit den deutſchen Kame⸗ 
raden zu Caprivis Zeit noch ohne jede Eiferſucht. Die damals in der 


28 ca Caprivi 

amtlichen Politik vormaltende Neigung, die britiiche Flotte als Er— 
gänzung des Dreibundes amzufehen, rücte uns beinahe in eine Urt 
von Bundesfreundlichkeit, der freilich von England ftets ausgewichen 
wurde, wenn praßtiiche Folgerungen aus ihr in Frage kamen. Im Bere 
kehr mit der franzöftichen Marine half das Preftige von 1870 über 
unfere maritime Unterlegenheit hinweg. Wir bewunderten an ber Hals 
tung der Franzoſen den Stolz einer geichlagenen Nation, die ihre Ehre 
in Peiner Stunde vergißt, und lächelten wohl auch einmal über die roma- 
nische Verve ihres Revanchegefühls 1). 

Die Stimmung gegen das Deutfchtum hat fich feit ben Neunziger 
Fahren aus einer Reihe von Gründen verichärft. Wir Ülteren denken 
beute mit beionderen Empfindungen an jene Zeiten unter Wilhelm I. 
zurüd, da mir noch vornehme Leute in der Welt und gern gejehen 
waren, Dieſe Umbdüfterung unferer Lage hätte aber auch ein Zwei— 
fronienfieg im Sinne Caprivig, wie er noch 1914 den Generalftabsplänen 
entiprach, kaum aufhellen können. Denn fie entftammte vor allem dem 
beijpiellofen Anſchwellen unferes überfeeifchen Abfages und ber durch 
die deutiche Eroberung des MWeltmarktes erzeugten Abneigung. Die 
englifche Mißgunſt gegen unfer Aufftreben war in der Ara Caprivi 
noch Faum jpürbar, aber zehn Jahre darnach, lange vor Beginn unferes 
eigentlichen Flottenbaus, um die Mitte der Neunziger Jahre fchon in 
voller Stärke an den Tag getreten. 








) Eine Heine Szene barakterifirk ben Verkehr. Ale wir 1876 nor Saloniki mis 
einem franzöfilhen Geſchwader zufammentrafen, um uns gemeinfam für die Er— 
mordung von Konfuln Genugtuung zu verichaffen, durften die Franzofen gefellfchaftlich 
mit und nicht verfehren, Fein Glas Mein annehmen, felbft wenn fie ftundenlang 
dienftlih bei uns tätig geweſen waren, Ich führte einem franzöſiſchen Komman: 
danten, der zu und an Bord gefommen mar, den Generalmarfch vor und er konnte, 
ba es ihm imponiert hatte, nicht anbers, ald mich einladen, dasſelbe auch bei ihm 
anzufehen, Ich fuhr Bin, die formalen Höflichleiten wurden alle erfüllt. Aber als 
wir in Die Batterie gingen, wurde dort ererziert und der Batterieoffizier komman⸗ 
dierte: „Direction: Bäbord contre la fregate turque, tribord contre la fregate 
Kronprinz!“, worauf fi die Geſchützmannſchaften umdrehten und mich vergnügt 
angrinften, dev Kommandant aber ſich den Batterieoffizier privatim vomahm. — 
Zu peinlihen Szenen ift ed damals nicht gelommen, wie fpäter bei der mir un: 
ſympathiſchen Bölterichau zur Einweihung des Nordoftfeelanals im Jahr 1895, wo 
Die Frauzoſen und Ruffen fs unangenehm auftraten. 





Landfront und Weltkellung 29 


Mit dem Regierungsantritt Kaifer Wilhelms IL endete die Periode 
der Dlarinegeneräle. Stoſch und Caprivi gehörten zur Ausleſe der 
preußifchen Armee in der größten Epoche Deutfchlande; fie hatten 
die Finheitskriege in leitenden Stellungen mitgemacht. Ich war von 
diefen großgelinnten Xehrmeiftern der Mitarbeit gewürdigt worden und 
babe mich bemüht, die fo verfchiedenen Gedankenrichtungen Beider in 
geräumigeren Verhältniffen zu einem einheitlichen Wer? zuſammen⸗ 
zufchließen, als ich 1897 das Reichsmarineamt übernahm. In der 
Zwiſchenzeit aber Fam aus verfchiedenen Gründen die Marineverwaltung 
Feineswegs zum Gedeihen, jondern verſank fir faft ein Jahrzehnt 
im Chaos. 


Viertes Kapitel 
In der Technik 


1 

Seit meinem neunundzwanzigſten Lebensjahre hatte ich das Glück, 
ununterbrochen auf ſelbſtändigen Poſten verwendet zu ſein, unter denen 
ſich freilich niemals eine Ausruheſtellung befand, wie ſie dem General⸗ 
ſtäbler der Armee dann und warm zuteil wird. Mein Aufſteigen verknüpft 
ſich mit der Entwicklung der Torpedowaffe. 

Whitehead in Fiume hatte den felbfibeweglichen Torpedo erfunden, 
der die vitalen Unterwafferteile des Schiffs, Die bisher höchſtens mit 
ben Rammfporn zu faſſen waren, durch Fernſchuß angreifbar machte, 
aljo eine Revolution der Seetaktik und des Schiffsbaus verfprach. 
Stoſch Hatte den Fifchtorpedo etwas überhaftet eingeführt und in grö- 
Berer Zahl gefauft, bevor er eigentlich Eriegsbrauchbar war. Seine 
Verwendung war noch eine ‚größere Gefahr für den Schüßen als 
für feinen Gegner”. Man war zu optimiftifch geweſen, hatte, wie es 
bei neuen Waffen häufig der Fall ift, die Ummwälzung vorweggenommen, 
bevor die neue Idee praktifch geworden war. 

As Stofch das erkannte, forderte er Herbft 1877 vom Leiter des 
Torpedoweſens und ben einzelnen ihm unterjtellten Offizieren Sonder- 
berichte, die er perſönlich las. Mein Bericht hat ihn auf mich auf- 
merkſam gemacht. Ich wurde im Winter 1877/78 nach Fiume ge 
fchiekt, um bei Whitehead jene Torpedos abzunehmen, die wir nicht 
für brauchbar hielten. Ich feßte es durch, daß mir die Hälfte bes 
Beſtellten zurückgeben durften, die Whitehead andermeitig verfaufte). 


*) Bei biejer Gelegenheit gab die 1878 drohende britiſch-ruſſiſche Kriegögefahr, 
(wobei ih Auftrag hatte, die Ruſſen nah Kräften zu unterſtützen,) einen eigen: 
tümlihen Eindrud vom Verhältnis Ungernd zu Öfterreih. Whitehead, der Stod: 
Engländer geblieben war, wollte nicht an die Ruffen liefern; Die ungarifche Regierung 
unter Tisza erließ ein Ausfuhrverbot für Torpedos, fodaß wir unfere bereit ab: 
genommenen Torpedos, trogdem fie beutiches Eigentum waren, auf Empfehlung 








Grundlagen militäsiichestechnifchen Erfolges 3j 


Set Mai 1878 leitete ich als Kommandant des „Zieten“ das 
Torpedoweſen. Ich fing ſozuſagen mit nichts an, arbeitet: zum Teil 
ale Klempner mit eigener Hand, und ſchuf mir einen Apparat. Als 
1879 der Kronprinz und 1880 ber Sailer Die Marine infpizierien, 
durfte ich das Torpedofcharffchießen vorführen, deſſen unerwartet ficheres 
Gelingen dazu beitrug, Stoſchs durch die Kataftrophe des „Großen 
Kurfürften‘ etwas erfchütterte Stellung wieder zu befeftigen. 

Es ging mir beim Torpedoweſen wie fpäter mit allen neuen Er- 
findungen, fei es Zuftfchiff, Uboot oder anderes, Ich hielt mit ver 
früßten Einführungen zurück, griff aber feſt zu, ſobald ich fah, daß 
wirkliche Entwicklung in der Sache lag. Diefes Verfahren babe ich 
ſtets als das einzig richtige befunden. Mir auch als Staatsſekretär Die 
Ruhe nicht nehmen zu laſſen, war bei dem ungehuldigen Drängen von 
allen Seiten im Zeitalter fich jagender Erfindungen häufig ein ſchwerer 
Teil meiner Aufgabe, aber auch ein fehr wichtiger, ſollten wir in der 
Eurzen Zeit mit Den begrenzten Mitteln eine erftklaffige Flotte anftelle 
eines Mufeums von Erperimenten erhalten. Wir wurden mit unreifen 
Erfindungen überfchüttet, die vermittelft Inſtinktes vorweg gefiebt 
werden mußten, um nicht die Kraft der Behörde zu verzetteln und zu 
überlaften. Sobald ich einmal nicht bremfen Eonnte, wurde der Erfolg 
des Flottenaufbaus durch Haft gefährdet, die bei bem ganzen Unter⸗ 
nehmen unfer größter Feind war 9. 

Bei der Torpedowaffe habe ich zuerft die für Schiffeverhältniffe 
notwendige techniiche Genauigkeit ausgebildet, auf der meine Arbeit 


öfterreichifcher Herren über Die nur eine halbe Stunde entfernte öfterreichifche Grenze 
zu bringen verfuchen mußten, um fie ausführen zu können. Da ftellten die Ungarn 
Honvedpoften auf, ſodaß die Sache biplomatifch geregelt werden mußte, 

V Ein Beifpiel hiefür. Als die Funfentelegraphie auflam, verſprach fie ein in 
der Marine lange gefühltes Bedürfnis nach Befehlsübermittelung von Schiff zu 
Schiff auf größere Entfernungen zu erfüllen. Alles drängte infolgedeffen zur Ein: 
führung in großem Stile, die Marine, die zunächft intereflierte Firma und, wie 
verftändlich, auch der Kaiſer. Und doch war fie noch nicht bordreif und die Er: 
haltung eines geichäftlichen Wettbewerbs ebenfalls noch dringend geboten. Während 
meiner Abwefenheit in Amerika wurde aber ihte Einführung durchgefeßt troß dem 
Sträuben meines Vertreters. Die Folge mar, daß die noch erforberlihe Entwicklung 
zum zeitweiligen GStillftand kam, wie viel Geld für Aptierungen unnötig ausgeben 
mußten und mit diefen technifhen Kinderkrankheiten unendlichen Ürger hatten; es 
blieb natürlich auf mir figen und ich bekam bie Angriffe nun wegen ber neringen 
Tauglichteit, 


32 In ber Lechait 


ſtets beruht hat. Der Whiteheadſche Torpedo war der Idee nach richtig; 
aber es ſteckte in ihm noch zu viel rohe Maſchinenarbeit, er entbehrte 
daher der uhrwerksartigen Sicherheit. Ahnliches hat ſich u. a. beim 
Uboot wiederholt, das ja ebenfalls Qualitätsarbeit erfordert. Dieſe 
Qualitätsarbeit, auf der die Kriegsbrauchbarkeit beruht, haben wir erſt 
in Deutſchland geſchaffen, zuerſt bei der Torpedowaffe, deren große 
Schußſicherheit noch im Krieg von den Engländern nicht ganz eingeholt 
mar. Ms ich 1879 dem Kronprinzen die Whitehead'ſchen Torpedos 
vorführte, mar es troß vielmöchentlichen Vorbereitungen noch immer 
die reine Lotterie, ob fie bei der Vorführung einigermaßen ans Ziel 
fämen oder wilde Sprünge machten, Das Glüd war und hold, aber 
nachher erklärte ich Stofch, wir müßten nun zu eigner Präzifionsarbeit 
übergehen, 

Die Admiralität trat zunächſt am die beutfche Fabrik von Schwarks 
kopff heran, welche für die angeblichen Vorzüge ihrer Bronzetorpedos 
folche Reklame gemacht hatte, daß ihr die Nomiralität ein Monopol 
überlaffen wollte. Hiergegen habe ich mich gewandt, einmal, weil be 
fonders eine Mftiengejellichaft, die das Monopol hat, leicht zu ftark 
auf die Jahresdividende und nicht mehr genügend auf die Fortentwick⸗ 
hung Sieht; fodann weil ich auch hier vom Vorzug des Stahls gegenüber 
ber Bronze mich überzeugte; ferner, weil bei dem fich damals, voll- 
ziehenden Mberaang der größeren fremden Dorinen zur Selbiterzeugung 
boch kein fremdes Geld als Ausgleich für ung nach Deutjchland ge- 
firömt wäre; und endlich, weil die wichtigften Verſuchsarbeiten auf 
den Woſſer nicht von der Firma gemacht werden konnten, jondern unfer 
geiftiges Eigentum waren. So gelana ed mir, itaatliche Torpedowerk⸗ 
ftätten ins Leben zu rufen; die Entwicklung, welche die Torpedomaffe 
nahm, bezeichnet Sich z. B. durch die Steigerung der Schußentfernung, 
die zur Zeit der allgemeinen Einführung des Torpedos in der Marine 
400 Meter betrug umd bis zum Winter 1915/16 auf 12000 Meter 
geftiegen it. 

Die Veritaatlichung der Torpedverzeugung hat nichts an meiner An⸗ 
ficht geändert, daß ich ftaatliche Erzeugungsmerkftätten nur für bes 
jondere Zwecke bezw. nur in befchränktem Maße für zweckmäßig halte, 
während Ausbefferungen meift beffer und vor allem billiger auf ftaat- 
lichen Werfftätten ausgeführt werden als in der Privatinduftrie, 

Um die Anhäufung geldfrefiender Kriegsbeitände möglichlt zu ver⸗ 


Privatinduſtrie und Staatsbedarf 373 


meiden, verfuhr ich als Staatsjefretär nach dem Grundſatz, die Privats 
induftrie und die fonftigen Lieferanten für den Kriegsfall leiftungsfähig 
zu halten. Sch vergab damals unfere Aufträge einfchlieglich Proviant, 
Kleidung, Kohlen uſw. unter der Bedingung, daß die beauftragten Privat: 
betriebe ihre Einrichtungen fo trafen, daß fie im Fall der Mobilmachung 
fort zu einer gefteigerten Erzeugung übergehen Eonnten. Für dieſe 
Mobilmachungsvorbereitungen zahlten wir bei manchen Gegenftänden 
etwas erhöhte Preife. Durch diefen Grundfaß, um defjen willen ich vielfach 
angegriffen worden bin, war es beijpielsweife allein möglich, der Armee 
bis Anfang 1915 mit 2 Millionen Kilogramm Pulver auszuhelfen. 
Die Armee, die fehr viel ftärker fih auf Staatswerfitätten ftügte, 
war auf den ungeheuren Bedarf des Weltkrieges nicht eingerichtet 
gewefen, hatte fich damals nahezu verfchoffen 1) und ift durch die Marine 
aus höchfter Gefahr gerettet worden, 

Das Beichaffungsiyftem der Marine hatte außer dem militärischen 
Vorteil einer als lückenlos anerkannten Mobilmachung den großen öko— 
nomifchen Vorzug, daß wir im Frieden die totliegenden Lagerbeftände 
Elein halten und fo die Enappen Geldmittel, die Deutfchland für ung 
übrig hatte, an anderer Stelle produktiv anlegen Fonnten, im Ernftfall 
aber, geftüßt auf forgfam erwogene Friedenskontrakte, der Gefahr übers 
hafteter Kriegsabfchlüffe überhoben waren. 

Sm Reichstag hat man mir wegen diefer Stellung zur Private 
induftrie und zu fonftigen Lieferanten manchmal Vorwürfe gemacht. 
Man hatte dort den Privatfirmen die großen Aufträge mißgönnt und 
vom Standpunkt des zukünftigen Staatsfozialismug aus mehr dem 
Grundſatz der Staatswerkftätten zugeneigt. Auch bei Fünftigen Kriegen 
würde eine Überfpannung des ftaatlichen Mechanismus und eine Zurück—⸗ 
drängung ber privaten Tatkraft zu den gefährlichiten Krifen führen. 


2 
Ich erwähne Hier eine Einzelheit, die ich nicht ftreifen würde, wenn 
nicht der Umſturz des Staates unfere alten Verhältniffe fo gründlich 
zu verändern drohte. 
Schwargkopff hatte mir den Vorteil auseinandergejeht, der darin 


2) Der zuftändige Offizier im Großen Hauptquartier fagte mir fehon im Dftober 
1914, daß wegen der Pulverknoppheit Verdun nicht mehr angegriffen wurde, da 


man die Kronprinzenarmee feinem Nüdjchlag ausſetzen wollte. 
Sirpig, Erinnerungen 3 


34 In ber Technil 


läge, von feinen Aftien zu kaufen, die, wie vorauszuſehen wer, durch 
die Beftellung der Marine ihren Wert verdreifschten. Ich habe feldft= 
verftändlich Feine Aftien gekauft und hätte jeden Beamten, der anders | 
gehandelt hätte, weggeſchickt. Unfer Staat fett bei feinen Dienern ſtets 
jene vornehme Gefinnung voraus, durch die er unter den preußifchen 
Königen groß geworden war. Ich erinnere an ben Finanzminiftee, 
der den Ankauf ber preußischen Bahnen vermittelte und felbft in den 
Schlechteften Verhältniffen fein Amt verließ. Die Gehälter ftanden 
bei gemifjen hohen Umtern in Eeinem rechten Verhältnis zu beren 
Bedeutung und zu den notwendigen Aufwendungen, Noch ald Staats- 
fefretär habe ich, um den Nepräfentationspflichten zu genügen, an⸗ 
fänglich aus Eigenem zugefeht. Es war felbfiverftändfich, daß unfere 
Beamtenfchaft um Ehre arbeitete. Wir haben mit einem Minimum 
on Koften ein Marimum an fehöpferifcher Arbeit geleiftet. Deshalb 
war bie Staatsverwaltung im alten PreußensDeutfchlend fo billig und 
reinlic), wie nirgends in der Welt. Nach der Verfchleuderung von 
Staatsgeldern, der Schaffung maffenhafter Pfründen, die weniger 
nach Tüchtigkeit als nach politifcher Gefinnung befegt werden, ift zu 
befürchten, daß der neue Staat dem alten nicht gleicht. Der alte 
beutfche Staat ift durch eine Periode der Mittelmäßigkeit in der höch- 
ften Gefahr ſchwach und brüchig geworden; aber verloren ift das 
deutſche Volk erſt, wenn es die Sauberkeit der alten Staatsverwal⸗ 
tung einbüßt. Der Eorrupte Deutfche ift noch ſchlimmer als der For- 
rupte Staliener oder Franzofe, der wenigſtens nie fein Vaterland verrät. 

Der Deutfche kann es fich nicht Teiften, die Reinheit preiszugeben, 
die das Palladium feines alten Beamtenftandes war, denn es fehlen 
ihm andere ftaatliche Eigenfchaften, welche bei faft allen fremden Völkern 
das Gift ber Korruption teilweife immunifiren. Schon im lebten Men- 
fchenalter konnte man auch in der Oberfchicht Deutfchlands den fchädlichen 
Einfluß des eindringenden Materiafismus bemerken in einem Schwächer⸗ 
werden der Charaktere, in einer Verminderung jeneg ldealiftifchen Plus, 
melches das deutſche Volk zu feiner Selbiterhaltung jederzeit wird auf- 
bringen müffen. Denn nur durch felbftlogsfiolge Hingabe an den Staat 
Tann ed das Minus feiner Erdlage ausgleichen, die fchlechten Grenzen, 
die mangelnde Bodenfläche, die mißgünftigen Nachbarn, die Eonfef- 
fionelle Spaltung und das zu junge und zu unfichere Nationalgefühl. 

Indem alfo der Zufall mir in der Entwicklung der Torpedo waffe 


Bon der Torpedoiwaffe zum Korpedatost 35 


die erfte größere Aufgabe fiellte und fich jo günftig erwies, dag wir 
die entjprechenden Leiftungen der anderen Marinen überholten, befam 
ich nebenbei auch einigen Einblic€ in den Gedankenkreis eines technifchen 
Fabrifdireftors. Doch war ich froh, als das Problem des Torpedo— 
boots mich wieder auf mein natürliches Feld, die Taktik, führte. In 
meiner Entwicklung hat fich die Linie vom Techniſchen über das Tak— 
tische zum Organifatorifchen mehrfach wiederholt. 

Stoſch war Gegner der Torpedoboote, die in England ſchon gebaut 
wurden. Als ich aber im Sahre 1882 in feinem Auftrag das erfte 
Manöver ausgearbeitet hatte, fiel es mit unjeren damaligen fchlechten 
Verjuchsbooten immer noch fo günftig aus, daß Stofch für die Torpedo- 
boote Intereſſe gewann. Caprivi, der im Torpedoboot ein feinem ftra= 
tegifchen Grundgedanken entfprechendes Mittel erkannte, beauftragte 
mich dann, das Torpedobootsweſen zu entwideln. Die Anfichten ſchwirr⸗ 
ten durcheinander. Die einen wollten Eleine Küftenboote. Sch forderte 
feefähige Fahrzeuge, die in der Nordſee fchlagen Eönnten. Der Kampf 
für Hochleefahrzeuge gegen den Küſtenſchutzgedanken zieht fich durch 
mein ganzes Wirken bis zum Ubootsbau. 

Noch bevor die bei verfchiedenen deutfchen und englifchen Firmen 
befiellten Modellboote fertig waren, beauftragte mich Caprivi, im 
Sommer 1884 mit den älteren Booten eine geeignete Taktik zu ent⸗ 
wickeln. Seht, wie fpäter in den Neunziger Jahren bei der taktifchen 
Arbeit mit Großſchiffen, ging aljo der taktische Auffchwung dem ſchwer— 
fälligeren technifchen voraus). 

Inzwiſchen liefen die beftellten Boote ein, bei denen die Admiralität 
den Firmen eine Neihe wünſchenswerter Bedingungen, Seefähigkeit, 
Billigkeit, Kleinheit uſw. fehlerhafterweife zur Auswahl überlafjen 
Hatte, Die Firmen mußten alfo ohne militärifches Verſtändnis nach 
eigenem Giß oder Gefchäftstrieb handeln; die eine arbeitete auf Vils 
Tigkeit, die andere auf Schnelligkeit ufw. Jedes Kriegsfchiff it num 
ober ein Kompromiß verjchiedener MWünfche, die in dem bejchränft 
tragfähigen Gebilde niemals alle zugleich erfüllt werden können. In 


2) Vgl. Kapitel VL 
Im übrigen habe ich den „Torpedobootsrauſch“ nie geteilt und Caprivi Darauf 
hingemwielen, daß diefe ihrem Weſen nach (ähnlich dem fpäteren Uboot) technilch 
vergängliche Hilfämaffe und niemals das, worauf es eigentlich ankäme, nämlich eine 
Schlachtflotte, erfegen könnte, 
3% 


s6 In der Technik 


einem gegebenen Deplacement wünſcht man eine beſtimmte Armierung, 
Kohlenvorräte, Bewohnbarkeit, Unſinkbarkeit, Panzerſchutz, Schnellig- 
keit; da wird in den Ausſchüſſen um 25 oder 50 Tonnen hin⸗ und 
hergekämpft, und wollte man alle Geſichtspunkte befriedigen, ſo käme 
man leicht zum 100 o00 Tonnen-Schiff, und hätte erſt nichts er- 
reicht. So muß alfo der ftrategifche Grundgedanke des Schiffs vor 
allem andern feft bejtimmt fein; den aber kann der Natur der Sache 
nach nur die oberſte Marineleitung, nicht die Firma finden. 

Die gelieferten Boote erwiefen fich teilg als ungeeignet, teils als un⸗ 
genügend entwidelt; wir Famen im Sturm vor Norwegen mit ihnen 
in ziemliche Gefahr. Aus den Kämpfen zwifchen den Zechnikern 
der Admiralität und mir um den ZXorpedobootstyp fand Kaprivi den 
Ausweg, 1886 eine Torpedo-Inſpektion zu errichten, die er mir über- 
gab und die nun einheitlich alle Zweige des Torpedoweſens umfaßte. 
Mir entwicelten dag feefähige, mit Artillerie bewaffnete Boot; die 
militärische Ausbildung wie die Werften und Werkftätten wurden jebt 
von einer Hand geleitet, was in jenem Entwicklungsſtadium feine Vor⸗ 
teile hatte. 


3 


Beim alten Katfer hatte ich mich als Torpeboinfpefteur mit anderen 
Offizieren zu melden. Er redete mit den Einzelnen ſo freundjchaftlich 
und väterlich, daß es jeden aufs wärmfte berührte. Zulegt trat er 
in die Mitte, wobei feine Haltung ungeziwungen eine Eönigliche wurde, 
und erinnerte ung in ernjtem Ton an unjre Pflicht. So fchlicht alles 
mar, griff e8 ans Herz; man fühlte die Denfungsart diefes Mannes, 
der in allem, was er tat, nur den Staat vor Augen hatte. Man Fonnte 
fich für ihn in Stüde hauen laſſen. 

Im Jahr 1887 fuhr Prinz Wilhelm, der fpätere Kaifer, zum Jubi⸗ 
läum feiner Großmutter nach England, wo man ihm, wohl fchon wegen 
des Ürzteftreits um feinen Vater, fchlecht aufgenommen hat. Ich führte 
die Zorpedoflottille, die den Prinzen begleitete und überflüſſigerweiſe 
den Engländern vorgeführt werden follte. Da Iernte ich den Prinzen 
kennen, der mit leidenjchaftlichem Intereſſe in alles Technifch-Maritime 
hineinfprang. 

Ein Jahr darauf gab Caprivi die Gefchäfte des Chefs der Admi⸗ 
talität an Graf Monts ab. Diefer hegte gegen alles Torpedowefen uns 











Ausklang des Zeitalters Wilhelms I. 37 


verhohlene Abneigung, die übrigens faft allen älteren Offizieren damals 
eigen war, teils aus einer natürlichen Ablehnung des Neuen, teils 
wohl deshalb, weil nach ihrer Auffaffung jüngere Offiziere dabei zu 
früh in jelbftändige Kommandantenftellungen Famen. Sedenfalls erklärte 
Graf Monts dei der erften Sinfpizierung der Flottille dag Ganze ald 
Paradeftük, das für die Front unverwendbar märe, 

Sch bat darauf beim Kabinettschef einerfeits um ein Bordfommando, 
andererfeits darum, daß dem Grafen Monts bei feinen Beitrebungen 
gegen die Torpedowaffe einige Zurückhaltung auferlegt werden möchte, 


Sünftes Kapitel 
Der neue Kurs 


Kaifer Wilhelm II. hatte fchon als Prinz Schiffstypen ſtizzirt 
und, da er nicht an die Admiralität herankam, ſich für dieje Lieb⸗ 
fingsbefchäftigung einen Schiffsbauer aus der Front geholt. Sofort 
nach der Thronbefteigung befahl er den Chef der Konftruktionsabtei- 
lung zur Beratung zu fih. Diefe Umgehung des Minifters war alt 
preußischen Begriffen ungewohnt und gab Caprivi den formellen An⸗ 
ftoß, den Abfchied einzureichen. Caprivi fchrieb mir, feine Perfon würde 
dem jungen Kaifer auf die Dauer nicht genügen; der Kaifer liebte ihn 
nicht und hat ihn fpäter nur darum zum Neichsfanzler gemacht, weil 
man glaubte, gegen die Bismardfche Fronde eines ftarken Mannes 
zu bedürfen. Der tieffte Grund für Caprivis Abgang war indes, daß 
der Kaifer die Gewalten ber Admiralität teilen wollte, um perjönlich 
beffer eingreifen zu können. Fürft Bismard, der bei feinen Zus 
fammenftößen mit Stofch die in deffen Hand vereinigte Macht un: 
bequem empfunden hatte, begünftigte bedauerlichermweife diefe Zerlegung 
der Marinegewalten (1888), die fchon im Frieden fchädlich, im Krieg 
geradezu als Verhängnis gewirkt hat, 

Zum erjtenmal ift die Marinefpise 1859 gefpalten worden, indem 
die Marineverwaltung und dag Oberfonmando getrennt wurden. Viele 
fache Reibungen, die aus diefer Zerlegung hervorgingen, führten 1871 
zur Wiedervereinigung der gefamten Vollmachten in der Hand von 
Stoſch. Nun wurden alfo 1883 ungeachtet jener älteren Erfahrungen 
Oberfommando und Neichsmarineamt getrennt, außerdem ein bejon- 
deres Marinefabinett bei der Perfon des Monarchen errichtet und 
allen drei Behörden Immediatvortrag bei Seiner Majeftät eingeräumt. 
Das Feld zu Spiel und Gegenfpiel, zu dreis bis vierfach verfchiedener 
Marinepolitif, war eröffnet. 

Nunmehr trat eine Art von Kabinettsregierung in die Erfcheinung, 
wie fie ſchon einmal ſich in die preußische Gefchichte eingegraben hat. 





Zeilung ber Wiarinebehörben 39 


Wenn ſich das Kabinett darauf befchränkt hätte, den Kaiſer hinfichte 
lich der Auswahl der höchſten Beamten zu beraten, und biefen dann 
mit der DVerantwortlichkeit auch die Bewegungsfreiheit zu überlajjen, 
fo wäre gegen ein mit Menfchenfenntnis und Charakter ausgeftattetes 
Kabinett nichts einzumenden gewefen. So wie fich der Zuſtand der 
Dreiteilung entwidelte, wurde er unſer Verhängnis. Erſt als faft alles 
verloren war, im Auguſt 1918 ift Reichsmarineamt und oberfie 
Kommandobehörde, nachdem man fie jahrzehntelang gegen einander 
ausgefpielt hatte, praßtifch wieder in einer Oberſten Seefriegsleitung 
vereinigt und die Einwirkung des Kabinettschefs bei Seite gejchoben 
worden. Die inneren Hemmungen und Kämpfe, welche während bes 
Friedens die fachliche Arbeit der getrennten Behörden beeinträchtigten, 
jind begreiflicherweife der weiteren Öffentlichkeit unbekannt geblieben. 

Wäre dem brennenden Wunſch Kaiſer Wilhelms IL, eine Flotte 
zu fchaffen, ſchon von 1888 an Erfüllung geworden, fo wären wie 
mit ihre vielleicht noch zum Ziel gefommen, bevor die Mächtegruppies 
rung unferer Gegner jo gefährlich werden Eonnte, Das verlorene 
Sahrzehnt von 1388 bis 1897 zwang uns, entweder ein ewiges „Zu 
ſpät“ über die Wünfche deutfcher Seegeltung zu fchreiden oder mit 
dem Flottenbau eine politifche Gefahrenzone zu durchqueren, 

Für den Kaiſer war eg aber 1888 ſchwierig, für die leitenden 
Stellen geeignet vorgebildete Offiziere zu wählen. Die Marine war 
vielleicht noch nicht alt genug, und ber Erfolg von Caprivis Ver 
mühungen, erziehlich auf das Offizierskorps einzumirken, Eonnte erſt 
Ipäter zum Tragen kommen. 

Nach den kurzen Amtsperioden bes Grafen Monte und des Admirals 
Heußner Fam 1890 Admiral Hollmann ind Reichsmarineamt, ein 
vornehm denkender Mann, der aber nicht zur Klarheit über Weg und 
Ziel kam. Hatte Caprivi nach einem für die Marine allerdings nur 
halbrichtigen Grundſatz gearbeitet, fo brach jet eine Zeit der grund 
ſatzloſen Augenblisverfügungen herein. Man war in diefer Epoche 
geneigt, im Keichstag anzufordern nicht fo fehr nach der Notwendige 
keit als nach der MWahrfcheinlichfeit, es bewilligt zu erhalten. Um 
jeden halben Kreuzer wurde im Reichstag geftritten, und die Schlag- 
worte vom „Zickzackkurſe“ und „uferloſen Plänen’, mit denen Eugen 
Nichter im Reichstage gegen die Flotte arbeitete, wurden ſchwer wider- 
legbar. Schlimmer noch war, daß in den Marinebehörden ſelbſt jeder 


40 Der neue Kuss 


etwas anderes wollte und vortrug. Die Ziellofigkeit wurde allgemein 
empfunden und fchuf eine chronische Krife. Das Durcheinander der 
Anfichten drückte fih z. B. aus in einem unorganijch zuſammen⸗ 
gemwürfelten Schiffsbeftand, mit dem gemeinfam zu operieren für den 
Sriegsfall Fein Vertrauen erweden konnte. Gerechterweije wird man 
fagen müffen, daß damals in allen Marinen Unklarheit darüber be= 
ftand, wie fich ein moderner Seefrieg geftalten mürde, 

Nachdem ich von 1889 bis 1890 im Mittelmeer die „Preußen“ 
und dann die „Württemberg Fommandiert hatte, follte ich Ober: 
tverftdireftor werden, wurde aber infolge einer Bemerkung des Reiche» 
Fanzler3 v. Caprivi, ich müßte in einer Laufbahn gehalten werden, die 
mich beffer für verantwortliche Stellungen vorbereite, vom Kaifer im 
Herbft 1890 zum Chef des Stabes der Oftjeeftation ernannt. Die 
Keibungen zwifchen Oberfommando und Reichsmarineamt, die beide 
gleich mangelhaft arbeiteten, zu beobachten, hatte ich dort reichliche 
Gelegenheit. 

Im Frühjahr 1891 faß einmal der Kaifer im Kieler Schloß nad) dem 
Eſſen mit ung Offizieren zufammen; der alte Moltke war zugegen. Auf 
Anregung des Kaifers wurde über die Art diskutiert, wie die Marine 
zu entwiceln wäre. Da kamen in der üblichen Weiſe die verfchiedenften 
Anfichten und wenig Klarheit zutage. Als junger Kapitän hielt ich 
mich beim Gefpräch zurück. Schließlich fagte der Kaifer: „Jetzt habe 
ich euch zugehört, wie ihr ftundenlang räfonnirt habt nach dem Prinzip, 
die Schweinerei muß aufhören, und doch hat Fein einziger einen wirk: 
lich pofitiven Vorschlag gemacht.” Da ftieß mich der Chef des Marines 
Fabinetts, dv. Senden-Bibran, der eine meiner Denkfchriften gelefen 
hatte, aufmunternd an; ich gehorchte, denn mir war es peinlich, wie 
der Kaiſer vor dem alten Feldheren dies vernichtende Urteil fällte. 
Sch fchilderte alfo, wie ich mir die Flottenentwiclung dachte. Da ich 
mir darüber ftetd Aufzeichnungen gemacht hatte, Eonnte ich ohne 
Mühe ein ziemlich vollftändiges Bild entwerfen. 

Am andern Tag ftand der Kaiſer früh auf, ging mit dem Kabinetts- 
chef mehrere Stunden in erregtem Schritt fpazieren und erteilte eine 
Art Strafarbeit für alle Sceoffiziere, die bei der Unterredung beteiligt 
geweſen waren, 








Schftes Kapitel 
Taktifche Arbeit 


1 


Als ich im Januar 1892 zum Chef des Stabes des Oberkommandos 
ernannt wurde mit dem perſönlichen Auftrag des Kaiſers, die Taktik 
der Hochſeeflotte zu entwickeln, hatte ich von allen Offizieren der 
Marine die gründlichſte taftifcheftrategifche Lehrzeit hinter mir. Ge 
fchichtliche Studien haben mich ftets angezogen; die antife und moderne 
Seefriegsgefchichte war mir früh vertraut, und zwar fuchte ich bei 
der Geiftlofigkeit der Darftellungen nach MöglichFeit die urjprünglichen 
Duellen auf. Die Landkriegsgefchichte pflegte ich nicht nur aus Neis 
gung, fondern auch um tiefere piychologiiche Erkenntnis für das eigene 
Fach zu fchöpfen. Sch Habe wohl alles Wefentliche gelefen, was über 
Friedrich den Großen, die Freiheitskriege, 1866 und 1870 gefchrieben ift. 

As junger Artillerieoffizier S. M. Schiffe empfand ich in ben 
Siebziger Jahren aufs ftärkffte die Mechanifierung unſeres damaligen 
Betriebs. Ich firebte, zum Gefechtsmäßigen durchzudringen und er 
innere mich der Freude, welche mir die eriten Anerfennungen meiner 
felbftftändigen Arbeitsweife bereiteten, fo als einmal ein franzöfiicher 
Kapitän nach Vorführung meiner Batterie ernjt bemerkte: „Je vous 
vois travailler pour le but final.“ Die mir 1377 gejtellte Aufgabe, 
die Torpedomwaffe einzuführen, bannte mich, wie erzählt, zunächit in 
ein rein technijches Urbeitsfeld, defjen ſpröde und peinlich erafte Auf— 
gabe, totes Material zu entwicdeln, mir von Haufe aus weniger Tag, 
obwohl fie ähnlich die Mathematik zu meihodifchem Vorgehen erzog. 
Sch begriff aber, daß die neue Unterfeewaffe, deren Geſetze es zu 
finden galt, den Eriegerifchen Tugenden des deutfchen Volks Ausfichten 
gegenüber den größeren Marinen älterer und reicherer Stasten eröff⸗ 


42 Laktiſche Arbeit 


nete, Die in der Technik erlernte präzife Urbeitsmweife Fam bald auch 
den taktijchen Verſuchen zugute. 

Die in den Wintermonaten von mir abzuhaltenden Speztalkurfe 
zur Ausbildung von Offizieren und Unterperfonal im Qorpedodienft 
führten ung zum Studium des Einzelfampfs von Schiff gegen Schiff. 
Darauf war in ber damaligen Zeit noch wenig methodijche Arbeit vers 
wendet gewefen. Auch die Kunjt im freien Manöver des Schiffes 
fuchten wir weiterzuentwickeln. Ausgezeichnete Offiziere ftanden mir 
damals zur Verfügung, die fpäter das von ung Ermittelte und vor 
allem unjere Arbeitsweife auf die anderen Schiffe der Flotte über: 
trugen. Insbeſondere fuchte meine Manöprierfchulung den See— 
offizieren größere Selbitftändigkeit anzuerziehen, als damals bei der 
Sorge um Kollifionen üblich war. Man hatte vor meiner Zeit das 
Einzelfchiff kaum im Manövrieren ausgebildet, fondern gleich in Ge 
ſchwaderverbänden operiert, wo dag eine Schiff durch das andere ge⸗ 
feffelt wird. Mein Grundfaß war nun, den einzelnen Hopliten durchs 
zubilden, bevor man die Phalanr aufitellte. Damit wurde eine fehe 
hohe Sicherheit der Bewegungen erzielt, die befonders auffiel, als ich 
jpäter als Kommandant der ‚Preußen‘ und der „Württemberg beim 
erſten Operieren im Gejchwaderverband von Großſchiffen mit anfchei= 
nender Kühnheit fahren Eonnte, die in Wirklichkeit auf Übung beruhte, 
aber den übrigen Schiffen beim Darniederliegen der inneren Ausbil 
dung vielfach abging. 

Inzwiſchen war neben der Ausbildung des Einzelfchiffes für die 
Menfur auch das Fomplizierte Zufammenoperieren mehrerer Einheiten 
bearbeitet worden, als ich den Auftrag erhalten hatte, für die neue 
Schiffsgattung der Zorpedoboote die Taktik und Organifation zu 
finden. Die ftarfe Gefahr der Zufammenftöße hatte auch bei fremden 
Marinen eine Scheu vor eigentlich Eriegsmäßigen Übungen mit Tor—⸗ 
pedobooten wachgehalten. Parlamentarijch regierte Länder Fonnten erz 
fahrungsgemäß nur ſchwer kriegsmäßige Übungen ihrer Marinen er 
zielen. Wir haben nun die Furcht vor der öffentlichen Meinung am 
Fräftigften überwunden und dadurch einen Vorjprung an Schlagfertigs 
keit erlangt. Bei allen Unfällen unjerer Boote, die fich im kriegs⸗ 
mäßigen Manöver ergaben, bin ich grundjäglich für den betreffenden 
Offizier eingetreten, während ich bei der bloßen Seefahrt ftrengfte fees 
männifche Vorficht verlangte. 








Die „ſchwarze Schar“ 43 


Bei der Entwicklung der Gefechtsformen bemühte ich mich, den 
Offizieren einzuprägen, daß wir auf dem Übungswege wohl allenfalls 
feftzuftellen vermöchten, was geradezu falfch fei, nicht aber das für den 
Krieg unbedingt Richtige finden und Feine Regeln dogmatifch feitlegen 
Eönnten. Darum fei angefichts aller unberechenbaren Kriegsmöglich- 
keiten für die Torpedoboote oberfter taktifcher Grundfaß: ‚Nahe heran 
und auf die Mitte feuern”: mit andern Worten, wenn man zum Ans 
griff kommt, rücfichtslofer Einfaß für den ficherftien Schuß; der den 
Feind treffende Torpedo fer der befte Schuß gegen die feindliche Artil- 
lerie. Der zweite, allgemeinere und mehr in’s Strategifche fallende 
Srundfaß, den ich voranftellte, lautete: „Den Umjtänden gemäß hans 
deln, Das Elingt einfach und felbftverftändlich; jedoch ziehen die meiften 
Menjchen in folchen Lagen vor, nicht nach eigenem verantwortungs⸗ 
sollen Entſchluß, ſondern nach Befehl zu handeln. Sind nun die 
höheren Vorgeſetzten fo veranlagt, daß fie ſelbſt glauben durch Vor: 
jchriften den Erfolg fichern zu können, jo führt dieje für den Ernitfall 
bedenkliche Neigung zu einem Anfchwellen der Reglements und Krieges 
anleitungen. Es hat in ben Sahren vor dem Weltkrieg in unſrer Flotte 
Zeiten gegeben, wo das Stegesrezept zu jeher vorherrjchte, das auch 
deshalb verführerifch wirkt, weil es zu fchönen Gefechtsbildern und 
Parademanövern führt. Nachdem ich feit 1897 zu meinem Leidweſen 
von der Flotte mehr und mehr abgedrängt worden war, fehlte eg mir 
an der Möglichkeit, die auftauchenden Gefahren wirkſam zu befämpfen, 
obwohl ich auf Grund meiner eigenen früheren Arbeit die nachteiligen 
Folgen diefer Methode deutlich zu fehen glaubte. Die Neigung für 
das Außerlich Dekorative und das hierfür nötige Drillen und Bimfen 
yerdrängt leicht durch Routine den lebendigen Geift. 

Unfre Arbeit mit den Xorpedobooten hatte wejentlichen Einfluß 
darauf, daß bereits unter Caprivi die Marineentwicklung vom Küften- 
Ihus zum Hochjeegedanken hinüberging. 

Eine Spezialwaffe wie die Torpedoboote muß, um das Höchite zu 
Teiften, fich als etwas Befonderes und verhältnismäßig Selbftändiges 
im Geſamtkörper der Wehrmacht fühlen dürfen. Später hat man bie 
Torpedoboote vielleicht etwas zu hierarchifch der Flotte eingegliedert und 
ihnen Kreuzer als Vorgefeßte gegeben, was mindeftens für die Nachtverz 
wendung der Torpedoboote mehr Nachteile als Vorteile mit fich bringt. 

Die elf ſchönſten Jahre meines Lebens habe ich im Torpedoweſen 


44 Caktiſche Arbeit 


verbracht, auf „unſern ſchwarzen Geſellen, der wilden verwegenen 
Jagd“. Mit unſern unübertrefflichen Mannſchaften verband uns Drauf⸗ 
gängerluſt und gegenſeitige Kameradſchaft in Sturm und Gefahr. Wir 
Offiziere vom Torpedoweſen bildeten ein Korps im Korps, deſſen ein⸗ 
heitlicher Geiſt von anderer Seite anerkannt, aber auch beneidet und 
bekämpft worden iſt. Als ich Chef beim Stabe des Oberkommandos 
wurde, nahm ich die ganze „Torpedobande“ mit herüber und verfügte 
damit ſofort über einen ausgebildeten Arbeitskörper. Später verſuchte 
ich beim Reichsmarineamt Ahnliches, ſtieß da mit meinen Perſonal⸗ 
wünſchen aber ſchon auf Schwierigkeiten beim Kabinett. 


2 


Als ich nun 1892 ins Oberkommando nach Berlin berufen wurde, 
war mir die Notwendigkeit klar, die Flottenausbildung kriegsmäßiger 
zu geſtalten. Dazu mußte vor allem eine entſprechende Organiſation 
der Flotte geſchaffen und mit der kurzen Sommerindienſtſtellung zu 
gunſten dauernder Indienſtſtellung der Schiffe gebrochen werden. Man 
war damals im Reichsmarineamt an der Arbeit, in falſcher Anlehnung 
an die Armee die ganze Flotte in einer Weiſe zu formieren, welche den 
Schwerpunkt der Marine an Land verlegte ). Sch verhinderte Dies, 
denn nur mit permanenten Formationen, die im Frieden fo fuhren 
und zujammengejegt waren, wie im Kriege, war es auch möglich, die 
Flotte taftifch auszubilden, 

Alsbald nach Übernahme meiner neuen Stellung fuchte ich den 
Staatsjefretär des Neichsmarineamts auf und erklärte ihm, ich würde 
ihn in jeder Beziehung als den Leitenden anerkennen, er müßte mir 
nur in Bezug auf die intellektuelle Ausbildung der Marine freie 
Hand laſſen. Wir find als gute Freunde gejchieden, aber Hollmann 
ging jachlich auf meinen Wunfch nicht ein und äußerte die Anficht, 
das Oberfommando müßte fich verflüchtigen. Beim damaligen Stand 


') Die Schiffe follten bei der Mobilmachung die Hälfte ihrer Befakung zu Neu: 
indienitftellungen abgeben und mit Erſatzmannſchaften aufarfüllt werden. Der ganze 
innere Schiffsorganismus und in Verbindung damit auch die mit Mühe geichulten 
Geſchwaderverbän de wären zerriffen und die Kriegsbereitichaft zerftört worden, Wir 
hätten einen Haufen von Schiffen mit Menfchen darauf gehabt, aber Keine Flotte, 





Sefechtsmäßige Ausbildung ber Hochſeeflotte 45 


unfrer taftifchen Erkenntnis Eonnte diefe Auffaffung aber nur dann 
Anfpruch auf Geltung machen, wenn der Staatsfekretär die taktiſche 
Erziehung der Marine felbit in die Hand nahm, wie es Caprivi ald 
Chef der Admiralität getan hatte. Das beabjichtigte aber Hollmann 
nicht, den die parlamentarifchen Schwierigkeiten völlig abjorbierten. 
Dagegen wurde ein von einer Kommiſſion ausgearbeiteter Ererziera 
Entwurf zum Reglement für die Flotte mit bindender Kraft erhoben. 
Nun enthielt aber diefes Reglement nichts als Evolutionen, d. h. die 
reinen Bewegungen der Schiffe fozufagen im Iuftleeren Raum, die 
Übergänge von einer „Quadrillen-Tour“ in die andere. Der eigents 
liche Gefechtswert fpielte bei ihnen Feine Rolle, Eonnte es auch nicht, 
da man fich nicht klar war, wie man kämpfen wollte, ob nach Art 
von Nelfon oder Tegetthoff. Man erfchöpfte die Phantafie darin, 
möglichit viele Formationen theoretijch zu finden und zu bewegen, von 
denen der Admiral fich dann auswählen jollte, 

Diefes „Karuſſelreiten“ erfettte ich durch den Grundſatz, ung zus 
erft darüber klar zu werden, wie man ſich im Gefecht zu jchlagen 
hätte. Aus den hierauf zugefchnittenen Herbjtübungen 1892 ergab fich 
ein neuer Zwiſt zwifchen Marineamt und Oberfommando, in defjen 
Verlauf (Herbft 1892) jenes Reglement durch einen von mir aus: 
gearbeiteten Entwurf erſetzt worden ift. Zunächft hoben wir die Einzels 
ausbildung der Schiffe und gingen dann ftufenmäßig weiter. Es war 
menfchlich, daß diejer Eingriff von oben her von den Kommandanten 
und dem Gefchmwaderchef nicht angenehm empfunden wurde, und ich 
führte den Spitznamen „Meiſter“. Gegen den Herbft hin zogen wir 
alles, wag wir am Schiffen in der Heimat aufbringen Eonnten, zu 
einer Übungsflotte zufammen, die unter dem perjönlichen Befehl des 
Oberkommandos operierte. Indem wir fie ohne Rückſicht auf die 
Schiffsart zu Schlachtförpern formierten, vereinigten wir Mengen von 
Schiffen, wie fie noch niemals zufammen geübt hatten. Man Eonnte 
auch bier fagen, daß Menfchen fochten, nicht Schiffe. Denn die Flotte 
war ja fo Elein, daß wir nur durch das Zufammenjchrapen der Schul: 
fchiffe, Verfuchsschiffe, Diinenfuchjchiffe und anderer Simulafer größere 
Gefechtsbilder zuftande bringen und Parteien gegeneinander manövriren 
lafjen Eonnten. 

Nun begann dag Operiren im größeren Verband. Dabet fiel eine 
Meihe von bis dahin wert gehaltenen Ererzierformatisnen ohne wei- 


⸗ 


46 Kaltilhe Arbeit 


teres hinweg, auch Keil und Karrs. Wir fanden 1892/4 unſre Linear⸗ 
taktik. Dabei Fam es darauf an, den Gegner, wie immer er ſich be⸗ 
wegte, auf der Mitte unfrer Linie zu halten. Wir fanden ferner unfern 
Gefchwadergrundfaß. Bisher hatte Eeinerlei Theorie der Seefchlacht 
und Feine Klarheit darüber beftanden, welche Schiffsmenge die Fampf- 
Fräftigfte Gefchmadereinheit abgäbe. Mit NRücficht auf das Weſen 
der Lineartaktik einerfeits, den Erfolg unfrer intenfiven Ausbildungs- 
arbeit anderfeits durften wir als günftigfte Norm für die in einer 
Linie fechtenden Verbände die Zahl von acht Schiffen aufitellen; beim 
Vorhandenfein von mehr Schiffen wurden mehrere Gefchwader gebildet, 
die in einer Kombination von Linien kämpfen follten. So. ermuchs 
aus der Taktik eine neue Organifation, die auf das Flottengefe nach- 
mals beftimmend eingewirkt hat. Auf Grund unfrer Ergebniffe habe 
ich auch den alten Namen „Linienſchiff“ wieder in die Kriegsmarine 
eingeführt. | 

Sch Bann mich des Eindruckes nicht erwehren, daß der eigentliche 
Sinn des Geſchwadergrundſatzes zumeilen nicht voll aufgenommen wird. 
Die begreifliche Neigung des Flottenchefs, die gefamte Flotte auch 
als taftifche Einheit zu leiten, trifft nur in gemwiffen Lagen das Richtige. 
Häufig wird dagegen erft eine gewifje Selbjtändigkeit der Gefchwader- 
führer die höchjte Leiftung der Flotte hervorbringen. Je größer die 
Flotte ift, defto ſchwieriger wird ihre gefchloffene Handhabung. Die 
Bewegungen werden dann unbehilflicher, und den Flottenchef verhindern 
leicht Rauch, Regen und vor allem Pulverdampf daran, die Lage der 
einzelnen Zeile zu überblicken. Das ift der wichtigfte Grund, weshalb 
wir das Gefchwader als taftifche Einheit hingeftellt und damit den 
Gefchivaderchefs und den gleichftehenden Gruppenführern das Recht 
gegeben haben, „den Umftänden gemäß” zu handeln. Mit dem vollen 
Erfaffen diefes Gedankens hängt auch das Beftreben zufammen, Organi- 
jation und Methode der Flotte dauernd auf die Heranbildung von 
Hührerperfönlichkeiten einzuftellen. 

Bald nach uns find alle Marinen zu einer Art von Lineartaktik 
übergegangen und haben unfern Gejchmwadergrundfat übernommen. So 
mag es die Heutigen befremden, daß zu Unfang der Neunziger Jahre 
noch Feine Flotte der Melt klare Grundjäße vertrat, daß z. B. 
die Frage „Keil und Karrsé“ in der damaligen Fachliteratur noch eine 
erhebliche Rolle fpielte; während doch fchon der Athener Phormio mit 


Lineartaltik und Beſchwadergrundſad 47 


feiner Linie die nach Landbegriffen auch zur See Karrs bildenden 
Spartaner unter Brafidas befiegt hatte. Während wir auf dem „‚Eleinen 
Exerzierplatz' vor der Kieler Föhrde diefe Dinge empiriſch fanden, 
entwickelte fie gleichzeitig theoretifch aus der Gefchichte der amerikfa- 
nifche Admiral Mahan, den ich fpäter, als ich fein Buch Eennen lernte, 
auf dies feltfame Zufammentreffen hinwies. 

Die Engländer fchienen mir damals in der Taktik ſehr zurück zu 
fein, wovon der Tryon⸗Prozeß infolge des Unterganges der „Victoria“ 
eine Vorſtellung gab. Die Engländer hatten eben die Taktik nicht 
nötig. Die Schlacht von Zrafalgar hatte jeden Wettbewerb in 
der Seegewalt ausgefchaltet, und fo ftand von dba an der Sees 
Frieg, wie in der Praris, fo auch in der theoretifchen Fortbildung 
ſtill, während zu Lande das Gleichgewicht der Mächte die Kriegswiſſen— 
Schaft rege erhielt. Mit ihrer erdrückenden Mbermacht Eonnte die britifche 
Slotte jeden Gegner fo oder fo zufammenfchießen. In einer folchen 
Lage waren wir nicht. Durch unfer Beifpiel wurden dann freilich 
auch die Engländer gezwungen, zu arbeiten und den Seekrieg geiltig 
wieder zu durchdringen. Zunächft haben fich die Engländer noch wenig um 
die Fleine bdeutfche Flotte gefümmert. Erſt durch Dienftfchriften, die 
geftohlen waren oder von einem gefunkenen Zorpedoboot ftammten, 
find die Engländer auf unfre Arbeit aufmerkſam geworden. Seit etwa 
1396 begann in der britifchen Marine dag Gefühl, daß wir Gegner 
feien, und feit fie ung fo anſahen, haben fie uns auch ftudiert und 
namentlich im Manöver ähnliche Wege eingefchlagen. Ste werden es 
nie eingeftehen, daß fie in diefer Hinficht bei uns in die Schule 
gingen; es ift aber fo, und wir waren ung auch ſchon damals bewußt, 
daß die britifche Flotte den neuen Geift ihrer Entwicklung durch ung 
befommen hat. Es war ein Abbild der deutfchen Stellung in der Welt, 
daß eine Marine, die noch fo gut mie Feine Schiffe befaß, methodifch 
führte. Wir mußten entweder Schiffe nachbauen oder unjre Gedanken 
Fremden leihen. Wir haben gebaut, und waren an Güte der Schiffe 
wie der taktifchen Keiftung, nur nicht an Maffe, auch im Weltkrieg noch 
den Engländern überlegen, obwohl da die Zeit ihrer taktischen Erſtarrung 
und ihrer unflaren Manöver längft vorüber war, 

Sene Jahre umfaſſen meine befte Leiftung, die Erfüllung der Flotte 
mit militärifchem Gehalt. Aber dem taftifcheftrategifchen Zeil meines 
Lebenswerks fehlt, wie allen übrigen, der Stempel des letzten Erfolges. 


48 Lekiliche Urbeit 


Das unbearündete Preftige der britifchen Flotte hat den an der Spike 
Deutschlands ftehenden Männern den Mut geraubt, zu Anfang des 
Kriegs, als die deutfche Flotte die beiten Ausfichten hatte, fie um den 
Sieg kämpfen zu laffen. Die Schlacht vor dem Skagerrak ift, durch 
Dunkelheit unterbrochen, nicht bis zu Ende durchgejchlagen morden, 
in welchem Falle fie nach meiner Meinung Ausficht darauf geboten 
hätte, der MWeltgefchichte ein amderes Antlig zu geben. Der deutfchen 
Flotte ift dag bitterjte Schickſal zuteil geworden, und mie blieb es 
verjagt, mit ihr hinauszufahren. 





Siebentes Kapitel 
Flottenpläne 


1 

Aus den taktiſchen Erkenntniſſen ergab ſich von ſelbſt eine beſtimmte 
wünſchenswerte Zuſammenſtellung von Schiffsmaterial. So verdich— 
tete ſich unſre in „Dienſtſchriften“ niedergelegte Oberkommando-Tätig— 
keit auch in konkreten Vorſchlägen für den Bau einer Hochſeeſchlacht— 
flotte. Als ich fpäter aus Oftajien zurückkam und das Staarsſekre— 
tariat übernahm, gab ich auf die Frage: ‚was bringt man im Reiche: 
tag ein?” zur Antwort: „das, was die neunte Dienftfchrift enthält”, 

Trotz der taktischen Ergebniffe der Dienjtjchriften und ihrer Ans 
erfennung durch den Kaijer arbeitete das Keichsmarineamt unter Holl 
mann noch auf den Sireuzerfrieg hin, drängte auch den Kaiſer in diefer 
Richtung und vertrat diejelbe Anfchauung im Reichstag, allerdings 
ohne Syitem, fodaß der Keichstag nach wie vor nicht fehen konnte, wo 
hinaus die Marine wollte, 

Sm Winter 1894/5 follte einer Reihe von Keichstagsabgeordneten 
im Potsdamer Schloß ein Marinevortrag gehalten werden; zuerft hatte 
ich ihn übernehmen follen, dann entjchloß ſich der Kaifer, ihn felber zu 
halten. Ich erfuhr, daß der Kaiſer uneingefchränkt im Sinn des Kreuzer: 
kriegs ſprechen und den Reichstag in diefer Richtung beeinflufjen wollte, 
Am Tage vorher hatte zufällig das Oberfommando Vortrag; ich bes 
nußte die Gelegenheit, um dem Kaiſer den Inhalt der einen Dienfte 
ſchrift vorzutragen, wonach die Schlacht Ziel und Schwerpunft unfrer 
toktifchen und auch organifatorifchen Entwiciung fein müfje. Der Kaifer 
war verſtimmt, vichieicht weil fein Vortragskonzept dadurch geftört 
murde; er fragte mich: „Warum hat denn Nelſon immer nach Fre 
gatten gerufen?” Sch antwortete: „Weil er eine Schlachtflotte hatte.” 
Immerhin bewirkte mein Vortrag, daß der Kaiſer am folgenden Tag 
nicht nur über den Kreuzerkrieg, fondern auch über die Schlachtflotte 
vor den Abgeordneten jprach, die nun allerdings erjt recht nicht wußten, 
worauf man abzielte. Ein Zeil des Reichstags verhielt fich mißtrauifch 
und ablehnend gegen „periönliche Flottenlaunen“; der Marinsreferent 


Zierig, Erinnerungen {1 


50 Slottenpläne 


in der Kommiffion Herr von Leipziger aber ftöhnte an jenem Abend 
in Potsdam ganz offen mir gegenüber: „Wenn wir nur wüßten, welchen 
Meg man eigentlich gehen will.” 

Megen neuer Neibungen mit dem Marineamt’erbat ic) Herbſt 1895 
meine Abkommandierung. Mein Nachfolger wurde Admiral v. Diederichs, 
und an die Spitze des Oberkommandos ſelbſt trat Admiral v. Knorr, ohne 
daß indeß die Reibungen und der Wirrwarr dieſer Jahre ſich verringerten. 
Im Dezember 1895 reichte das Oberkommando eine Denkſchrift über den 
erforderlichen Flottenbau ein; ich erhielt vom Kaiſer Befehl, mic) un⸗ 
mittelbar dazu zu äußern, was um die Jahreswende 1895/6 ſchriftlich 
und mündlich geſchah. 

Zwei Gedankengänge bildeten fich damals heraus: die taftifche 
Totwendigkeit einer Schlacht flotte, wenn wir überhaupt auf See⸗ 
geltung logftrebten und mit Zweck und Nuten Schiffe bauen wollten; 
und die politifche Notwendigkeit, für die unaufhaltfam und reißend 
anmachfenden bdeutjchen Seeintereſſen eine fie fchüßende Flotte zu 
Schaffen. Die Flotte erfchien mir niemals als Selbitzwed, ſondern ftets 
als eine Funktion der Seeinterefjen. Ohne Seemacht blieb die deutjche 
Weltgeltung wie ein Weichtier ohne Schale. Dem Handel mußte bie 
Flagge folgen, wie das andere, ältere Nationalftaaten längft begriffen 
hatten, als e8 bei ung erſt zu dämmern begann; wie die Fortnightly 
Review 1893 bündig und richtig gefchrieben hatte: „Der Handel er- 
zeugt entiveder eine Marine, welche ftarf genug ift, ihn zu fchügen, oder 
er geht in die Hände von fremden Kaufleuten über, welche folchen 
Schuß genießen.” 

Eine gewiffe Sorge und Ahnungslofigkeit, dag Vorherrfchen innerer 
mirtfchaftlicher und fozialer Händel verdunkelten der Mafje des deut- 
chen Volks noch diefe Notwendigkeit. Der Kaifer hatte fie erfannt, 
wozu ihm fein häufiger Aufenthalt in England, wo er fich wie feine 
Geſchwiſter halb zuhaufe fühlte, dienlich war. Indeſſen wurde das Ber 
ftreben des Kaifers, den Sinn für Marineentwicklung zu wecken, be 
einträchtigt durch feine Neigung zu geräufchvollem und verfrühtem 
mweltpolitiichem Auftreten, durch die vom Volk burchgefpürte Schtwierig- 
keit für ihn, ſich in der Welt der Wirklichfeiten zu bewegen. Der 
Flottengedanke wurde im Volk noch vielfach mit Miftrauen aufgenom- 
men. Die Deutfchen fpürten, verwöhnt von dem Glück, in das bie 
Bismarckſche Neichsfchöpfung und das plögliche Umfichgreifen unferer 


» 


Braucht Deutichland eine Flotte? 51 


fo Tange zurücgeftauten wirtfchaftlichen Tüchtigkeit ung verſetzt hatte, 
noch nicht genügend, daß unfre Entfaltung auf dem breiten Rücken 
des britischen Freihandels und der britifchen Weltherrfchaft ſich auf 
Widerruf vollzog. Dem Wachstum unfrer Induſtrie verdankten wir 
das Wachstum unfrer phyfifchen und materiellen Stärke. Wir nahmen 
jährlich faft um eine Million Menfchen zu, das heißt getvannen auf 
dem unveränderlich engen Spielraum der heimischen Scholle alljährlich 
etwas, das dem Zuwachs einer Provinz gleichfam, und dies alles be- 
ruhte auf der Aufrechterhaltung unfres Ausfuhrhandels, der mangels 
eigener Seemacht ausschließlich vom Belieben der Fremden, d. h. der 
Konkurrenten abhing. Wir mußten nach Bismard ‚entweder Waren 
ausführen oder Menfchen”, und es handelte fich bei dem Entfchluß, 
Seemacht zu bilden, letzten Endes um nichts anderes ald um den 
Berfuch, eine fich nicht in eignen Siedelungskolonien, fondern in heimi⸗ 
ſchen Werkftätten vermehrende Bevölkerung deutfch zu erhalten. 
Es war die Frage, ob wir nach der fat jchon vollendeten Auf⸗ 
teilung der Erde nicht zu fpät daran wären; ob überhaupt jene Ent- 
faltung, der wir unfern Nang unter den Großmächten verbankten, 
Fünftlich und auf die Dauer unhaltbar wäre, ob dem rafchen Aufitieg 
nicht ein furchtbarer Niederfchlag folgen müßte, Die leicht zuzufchlagende 
„Dffene Tür“ war für uns dasfelbe wie für die übrigen Weltmächte ihre 
weiten Flächen und unerfchöpflichen Naturſchätze. Dies und dazu unjre 
eingezwängte und gefährdete feftländifche Lage beftärkte mich in der 
Überzeugung, daß Feine Zeit zu verlieren wäre, um den Verſuch der 
Seemachtsbildung zu beginnen. Denn nur eine Flotte, welche Bünd- 
niswert für andere Großmächte darftellte, aljo eine Teiftungsfähige 
Schlachtflotte, Ponnte unjrer Diplomatie dasjenige Werkzeug an bie 
Hand geben, das, zweckentſprechend genüßt, unjre feftländifche 
Macht ergänzte. Hiftsrifch intereffant ift vielleicht, daß auch Prinz 
Friedrich Karl der erſte Soldat der Armee, wie ihn Caprivi bezeich- 
net — biefen Gedanken voll erfaßt und mir gegenüber ausgejprochen 
bat. Ziel mußte fein die Errichtung einer Mächtekonftellation zur See, 
die Schädigungen und Angriffe auf unfre wirtfchaftliche Blüte unwahr— 
fcheinlich machen und den trügerifchen Glanz unfrer damaligen Welt: 
politiß zu einer wirklich ſelbſtändigen Weltftellung ummandeln würde. 
Um dies dem deutfchen Volk begreiflich zu machen, mit der angefichtg 
der ausländifchen Eiferfucht gebotenen Zurückhaltung im Ausdruck, hielt 
4* 





by) Klottenpläne 


ich eine Aufklärung im großen Maßſtab für notwendig; die Frage war, 
ob diefe Aufklärung mangels anderer hierfür tätiger Kräfte von der 
Marineverwaltung felbft in die Hand genommen werden follte, 

Die Gedankengänge jener Tage möchte ich durch Wiedergabe eines 
mit Altmeifter Stojch damals geführten DBriefwechfels verdeutlichen. 


Kiel, 21. 12. 1895. 


h Schwanenweg 25. 
Euer Excellenz ; 2 


beehre ich mich gehorfamft die Bitte auszusprechen, mir mit einigen 
Morten zu fagen, ob nachftehender Gedankengang der Anficht und den 
langjährigen Erfahrungen Euer Ercellenz entfpricht. 

Es handelt fich in der Hauptfache um die Frage, ob ein größerer 
Zufammenfchluß der Seeinterefjen des Neiches als bisher anzuftreben 
und ob als Kriftallifationspunft das Reichs-Marine-Amt zu nehmen 
it. Wenn ich die diesbezügliche Politik, wie Euer Ereellenz Chef der 
Ndmiralität waren, richtig überfehe, fo haben Euer Ercellenz f. 3. nach 
obigem Gefichtspunkt verfahren. Hiftorifch betrachtet ift e8 der Stand» 
punkt, den GColbert und Nichelieu ihrer Zeit einnahmen, ald es ihnen 
darauf ankam, Frankreichs Macht und Wirtichaftsiphäre raſch nach 
diefer Richtung zu erweitern. Wäre für Deutfchland diefer Zweck er- 
reicht, fo wird dag Großwerden der Xeilintereffen von felbft wieder zur 
Lockerung unter einander führen. Bis 1866 lagen unfere Seeintereffen 
völlig darnieder: Seehandel, Erportinduftrie, transatlantifche Kolonien, 
Seefifcherei, transatlantifches Deutfchtum, Kriegsmarine. Mas hier 
von vorhanden war, hatte den Charakter der Parafiteneriftenz. 
Von diefem Ausgang ift noch vieles übrig geblichen. Meiner Anficht nach 
ſinkt Deutfchland im kommenden Jahrhundert fchnell von feiner Groß: 
machtftellung, wenn jeßt nicht energifch, ohne Zeitverluft und ſyſte⸗ 
matifch diefe allgemeinen Seeintereſſen vorwärts getrieben werden. Nicht 
zu geringem Grade auch deshalb, weil in der neuen großen nationglen 
Aufgabe und dem damit verbundenen Wirtſchaftsgewinn ein ftarfes 
Palliativ gegen gebildete und ungebildete Sozialdemokraten liegt. 

Wir können diefe Intereffen nicht „freier Hand nach” (manchefter- 
lich) entwickeln laffen, weil ung feine Zeit mehr für diefe Methode ge: 
blieben ift. Sreilich darf unfer planmäßiges: Vorgehen auch fein „ge⸗ 
heimrätliches” fein. Auf eine gefunde Grundlage Fünnen die vorher ges 
nannten Intereſſen nachher nur geftelit werden durch Macht und zivar 


Der „Paraſit“ und „Civis Germanus sum“ 53 


Seemacht. Sonft Fehlt die Courage, Cheks auf die Zukunft auszuftellen. 
Der „Paraſit“ muß dem Prinzip nach mwechjeln mit dem „eivis Ger- 
manus sum“, Eine befondere Schwierigkeit liegt darin, daß Die Auge 
gaben für militärifche Scemacht zeitlich vor dem vollen Überblic® des 
daraus entftehenden wirtfchaftlichen Nutzens gemacht werden müffen. 
Epiefbürgertum und Srämergeift, der nur an den momentanen per- 
fönlichen Nuten denkt, kommt hinzu. 

Troßdem glaube ich, daß in Deutjchland eine wachjende Strömung 
zu Gunften des vorftchend ſkizzierten Gedankenganges heute befteht. 
Diefe umfaſſend und nachhaltig zu fleigern, wird befondere Aufgabe 
der Zentralbehörde fein. 

Nimmt man das Reichs-Marine-Amt als folche an, fo erwächft 
der Vorteil, an eine Behörde angliedern zu können, welche von allen 
Reiches pp. Behörden jet fchon größere Seeintereffen in fich vereinigt, 
als jede der andern einzeln genommen, ferner an eine Behörde, deren 
Größe und Eriftenzberechtigung von den Geeintereffen übschaupt ab⸗ 
hängt, da die Flotte nur eine Funktion derfelben it. 

Es wäre nun die Frage: wird durch folche anzufirebende Angliederung 
bie Gefahr gefchaffen, daß die anderen nicht militärifchen Seeinterefjen 
zu fehr als Snterefjen ziveiter Ordnung behandelt werden oder umgekehrt, 
daß die ausschließlichen Flottenintereffen durch den Drud und die grös 
Bere Reklame der Erfieren zu Eurz Fommen?... 

Iſt ferner, nachdem feit 1833 ein grundſätzlich entgegengefeßter 
Standpunkt eingenommen worden ift, die anderen Intereſſen bei andern 
Behörden (Ausw. Amt, Reichs-Amt des Innern, der Poft, den einzelnen 
Landesregierungen) fich vecht, wern auch mitunter ſchlecht, geholfen 
haben — noch Zeit und Möglichkeit vorhanden, eine Richtung im Sinne 
der größeren Zufammenfaflung und damit größeren Sraftentfaltung 
ber Seeintereffen einzuſchlagen? ... 


Kurze Zeit darauf ſchrieb mir Stoſch Zolgendes: 
122 2,96. 
Haus Stoſch 
Oeſtrich im Rheingau, 
Mein lieber Abmiral! 
... Heute Komme ich mit einer Trage, Der Zorn ber Engländer 
gegen und, wie er bei Gelegenheit ber Transvaal⸗Depeſche (1896) 


54 Slottenpläne 


zum Ausbruch Fam, findet dort feine Begründung in der Konkurrenz 
Deutfchlands auf dem Weltmarkt. — Da nun die auswärtige Politik 
in England ausschließlich von Handelsintereffen geleitet wird, fo müfjen 
wir auf die Gegnerfchaft jenes Inſelvolkes rechnen. Diefelbe wird zur 
Tat, fobald es den Herren gelingt, fich der Nichtteilnahme Rußlands 
und Frankreichs zu verfichern, und wir wieder irgendiwie unbequem 
werden. 

Mas ich an englischen Abhandlungen in neuefter Zeit gelefen, ent- 
Hält durchiveg die Anfchauung: Deutfchland machen wir mit 
einem Schlage Faput. Sch habe mir alfo die Frage vorgelegt, wie 
führen wir mit einigem Erfolg einen Seefrieg mit England? und ich 
wende mich an Sie mit der Bitte mir diefelbe zu beantworten. Sch 
bemerfe übrigens, daß ich mir einen ‚Kriegsplan zurechtgelegt habe, 
aber da ich auf Ihre maritimen Urteile Wert lege, bin ich fehr geſpannt 
zu hören, was Sie vorfchlagen. Wie ich in Berlin vernommen, ift Ihr 
Abgang nach DOftafien (als Gefchwaderchef) ins Stocden geraten; man 
dent am Ende daran, unfere dortigen Seeftreitkräfte im Intereſſe 
der Heimat zu verringern. So hat man Jhnen Zeit gegeben, fich mit 
großen Fragen zu bejchäftigen, Seien Sie gut und erfüllen Sie meine 
Bitte, 

Adieu, 
Ihr 
v. Stoſch. 


Ich antwortete von Kiel aus am 13. Februar 1896: 


Euer Excellenz 
gütiges Schreiben vom 12. d. Mts. habe ich erhalten und beeile mich, 
dasſelbe zu beantworten... In Berlin haben ſehr dringende und uns 
erwartete Gefchäfte meine dortige Zeit vollfommen ausgefüllt. Wie ich 
Eurer Ercellenz ganz vertraulich und nur für Euer Ercellenz Perfon mits 
teilen möchte, habe ich Gelegenheit gehabt, an allerhöchfter Stelle Eurer 
Ercellenz Anfichten als folche über die erforderliche Marine-Entwicklung 
zur Geltung zu bringen, und ift Hoffnung vorhanden, daß der Faden 
da wieder aufgenommen werden wird, wo er im Fahre 
1883 abgebrochen wurde, Vielleicht darf ich Eurer Excellenz fpät:r 
einmal Näheres darüber mitteilen. Meine Kommandierung nad Afien 
iſt, wie Euer Excellenz Schon willen, ins Schwanken gefoinmen. Sch 





Politik und Seemacht 55 


bin für meine Perſon ſehr betrübt. Es war mein brennender Wunſch 
hinauszugehen, auch wäre es für mein Nervenſyſtem gut geweſen, ein⸗ 
mal auf Jahr und Tag aus aufreibender geiſtiger Tätigkeit heraus⸗ 
zukommen und recht fern von Madrid zu weilen. Ich muß jetzt ab⸗ 
warten, wie das Geſchick für mich ſich entſcheidet. 

Hinfichtlich der Transvaalfrage bin ich entgegen der öffentlichen 

* Meinung und entgegen der Leitung unjerer Politif der Anficht, daß wir 
falfch gehandelt haben!), England läßt eine Brügfierung ?) durch Ame— 
vita, weil fie eine fpätere Sorge in fich fchließt und vor allem, weil 
Amerika ein unangenehmer Gegner tft, Taufen und Deutfchland zahlt 
die Zeche, weil es 3. 3t. jeder Ing Gewicht fallenden Seemacht entbehrt. 
Unfere Politik rechnet als reale Unterlage zur Zeit nur mit der Armee, 
diefe wirft direft aber nur auf unjere Landesgrenzen, darüber hinaus 
nur mittelbar durch den von hier aus übertragenen Drud, Unjere 
Politik verfieht nicht, daß der Alliancewert Deutfchlands felbft für 
europäische Staaten vielfach nicht in unferer Armee, fondern in der 
Flotte liegt. Beifpielsweife: wern Rußland und Frankreich in einer 
Frage gegen England ftehen. Das Hinzutreten unjerer jeßigen Flotte 
ift dafür von zu geringer Bedeutung. Faßt England aber feine Politik 
nach Pitt’fchem Mufter auf, fo wird es unfere Feindfchaft lieber fehen 
als unfere ftrifte Neutralität. In erfterem Falle find wir unter allen 
Umftänden ein höchft wertvolles Objekt, im Falle der Neutralität würden 
wie außerordentlich ald Konkurrent Englands gewinnen. Das weiß 
man in England auch ganz genau, Unferer Politik fehlt bis 
jeßt vollftändig der Begriff der politifchen Bedeutung 
der Seemacht. Wollen wir aber gar unternehmen, in bie Welt 
Hinauszugehen und wirtfchaftlich durch die See zu erjtarken, fo er: 
richten wir ein gänzlich hohles Gebäude, wenn wir nicht gleichzeitig 
ein gewiffes Maß von Scekriegsftärke uns verfchaffen. Indem wir 
hinausgehen, ftoßen wir überall auf vorhandene oder in der Zukunft 
liegende Sintereffen. Damit find Intereſſenkonflikte gegeben. Wie will 
nun die gefchiektefte Politik, nachdein dag Preflige von 1870 verraucht 
if, etwas erreichen ohne eine reale, der Vieljeitigkeit der Intereſſen 
entfprechende Macht? Weltpolitifch vielfeitig ift aber nur 
die Seemacht. Darum werden wir, ohne daß es zum Kriege zu 


!) Durch die Krügerdepefche, 2) Cleveland⸗Botſchaft. 


56 Flottenplane 


kommen braucht, politiſch immer den Fürzeren ziehen. Es iſt dabei 
zu berückſichtigen, daß England den Glauben wohl etwas verloren hat, 
daß wir unſere Armee zu ſeinen Gunſten gegen Rußland ins Feuer 
ſchicken. Umgekehrt kann England Rußland ſchon ſehr erhebliche Kon⸗ 
zeſſionen z. B. in Oſtaſien machen, wenn Deutſchland die Zeche zahlt. 
In letzterem Umſtand liegt die Gefahr, wenn wir z. Zt. in einen Konflikt 
verwickelt werden, der Rußland, Frankreich und England betrifft. Wenn 
wir auch ſagen wollten, wir führen feinen Krieg wegen transatlan⸗ 
tiſcher Intereſſen, fo fagen dagjelbe nicht die anderen drei Staaten 
und fo arbeiten wir fortgefeßt im politifchen Nachteil, 

Es läßt fich über diefe Frage fehr viel mehr fagen. Sch wollte aber 
doch wenigſtens angedeutet haben, daß ich meine Anficht über die augen» 
blickliche Xransvaalfrage nicht ohne Überlegung gewonnen habe. Frei 
lich habe ich diefelbe Anficht gehabt, fobald ich nur die Depefche an den 
Präfidenten Krüger in der Zeitung las. Diefelde war obendrein nicht 
gefchickt vedigiert, denn da England bei Konventionen dieſes Staates 
mit dem Auslande das Billigungsrecht hat — was wir nicht beftreiten 
— fo waren wir nicht in der Lage, dem Transvaal unfere Hilfe ans 
zubieten, 

Diefer Vorfall Bann dennoch fein Gutes haben, und ich würde, um 
unferem Parlament die Augen zu öffnen, eine etwas größere Blamage 
für ung in diefem Sinne fogar für nüßlich Halten. Erſtens, daß die 
Anglomanie an gewilfen Stellen definitiv aufhört und zweitens, daß 
unfere Nation fich aufrafft, eine Flotte zu fhaffen, wie 
diefelbe etwa in Dienftfchrift IX. entwicelt wurde. Dieſe Vorlage foll 
tatfächlih im nächften Etat gemacht werden. Staatsregierung und bie 
Spigen des Parlaments fehen freilich Feine Ausficht auf Erfolg. Sn- 
dem die Marine rüchaltlos den militärischen und politifchen Wert 
unferer jeßigen Flotte darlegt, hat fie wenigftens ihre Schuldigkeit gez 
tan, und die Gefchichte wird andere Leute zur Verantwortung ziehen 
müſſen. 

Ich bin alſo der Anſicht, in den nächſten zwölf Jahren 
eine zeitgemäße Flotte zu ſchaffen, deren Stärke ſich 
dem Sinne nach noch garnicht weit von Ew. Excellenz 
erſter Denkſchrift 1872 au entfernen braud ...... " 


Stellung zu England 57 


Mitten in diefen Briefwechſel waren Jameſons Freifchärlerzug gegen 
die Burenrepublik und die Krügerdepefche hereingepoltert. Der eng— 
fiiche Ausbruch von Haß, Neid und Wut gegen Deutfchland, welchen 
die Krügerdepefche auslöjte, hat mehr ald irgend etwas Underes dazu 
beigetragen, breiteren Schichten des deutfchen Volkes über unjre wirks 
liche Lage und die Notwendigkeit des Flottenbaues die Augen zu öffnen. 

Während aber die deutfche öffentliche Meinung der Krügerdepefche 
zujubelte und fich in den nächjten Jahren in immer wiederholten Scheltes 
feldzügen gegen England Luft machte, hielt ich die Krügerdepefche ſelbſt 
und alle fpäter folgenden Herausforderungen Englands für bedauerlich 
und gefährlich. Es verriet fich in ihnen weitgehende Verkennung Eng- 
lands, feiner Macht und unfrer Ohnmacht. Der ohnehin fchmwierige, 
weil verfpätet unternommene Verfuch der Seemachtsbildung wurde da⸗ 
durch weiter gefährdet, wenn auch Englands damalige Iſolirung und 
feine eigenen Schwierigkeiten mit den Buren die Gefahrenzone, durch 
die wir beim Flottendeu Hindurchmußten, zunächſt den Blicken ver 
deckten. 

Ich ſtehe noch heute auf dem Standpunkt, daß der Verfuch gar nicht 
unterbfeiben Eonnte, durch den Bau einer Flotte ung zur wirklichen 
weltpolitifchen Freiheit hindurchzuarbeiten. Dem deutjchen Volk mird 
e3 in den auf den Weltkrieg folgenden Sahrzehnten nicht erfpart bleiben, 
bie Gegenprobe zu erleben und zu erfahren, was es heißt, dem Bes 
lieben der Angelfachfen ausgejegt zu fein. Wer freilich davon überzeugt 
ift, wie feien von Natur oder infolge unſres gefchichtlichen Zuſpät— 
kommens überhaupt ungeeignet, Seemacht zu bilden, und hätten ung 
infolgedeffen von vornherein in die britiſche Vormundſchaft fügen jollen, 
der muß zu einer Verurteilung meiner damaligen Gedankengänge ges 
langen. Wenn ic) nicht den Glauben an die geoße Zukunft des deutjchen 
Volkes auf der Erde gehabt hätie, würde ich nicht die Kraft beſeſſen 
haben, ihn eine Flotte zu bauen. Infofern habe ich mic) vielleicht ges 
täufcht, wenn ich auch überzeugt bin, daß bei einer Politif der größeren 
Vorficht einerjeits, der größeren Tatkraft anderfeits dieſer Verjuch, zur 
weltpolitiſchen Freiheit durchzudringen, gelungen wäre. Auch noch im 
Meltfrieg hatten wir bei anderer Führung wohlbegrändete Ausficht, ung 
zu behaupten. Wollte man aber bie Flotte nicht bauen und von den 
Neunziger Sahren ab ben Weg des Verzichtes befchreiten, dann hätten 
wir auch Handel und Induſtrie freiwillig zurückſchrauben, unſre Aus: 


58 Flottenpläne 


wanderung wieder in Fluß bringen und unfre Auslandsintereffen vers 
fümmern lafjen müffen. Dann hätten wir, wie Lichnowsky fagt, den 
‚Angelfachfen und den Söhnen Jahwehs“ das Feld überlafjen und 
ung mit dem alten Ruhm begnügen müſſen, das Salz der Erde, der 
Völferdünger zu fein. Eine Sllufion aber war und ift es zu glauben, 
die Engländer hätten ung im Zuftand der Flottenlofigkeit etwa mehr 
gefchont und unfern wirtfchaftlichen Auftrieb ungehemmt fich weiter 
vollziehen laſſen. Sie hätten uns dann wohl fchon früher Halt ges 
boten. Darüber Fonnte fich, wer die Engländer Eannte, nicht im Zmeifel 
fein. Die Vernichtungsrufe in der englischen Publiziftif der Neunziger 
Jahre waren bei weiten nicht dag einzige Anzeichen dafür, daß der un 
bequeme, aber ohnmächtige deutfche Wettbewerber bei der erften ficheren 
Gelegenheit niedergefchlagen werden würde. Der Deutfche, der guts 
gläubig es für fein Necht hielt, fich friedlich auf der Welt augzus 
breiten und allerorten namentlich den englifchen Einfluß zu überflügeln, 
verjete fich im Allgemeinen nur ungenügend in das Gefühl der älteren 
Beier, die in uns den Eindringling erblidten; auch von der eigen- 
tümlichen Zufammenfegung der englifchen Macht, von ihrer Fähigkeit, 
mit geiftigen und materiellen Machtmitteln dag Deutfchtum einzu= 
kejjeln, hatte man bei ung eine ganz unzulängliche Vorftellung, bie 
der Weltkrieg die Wirklichkeit enthüllte, 


3 

Der Pan einer deutſchen Schlachtflotte ift noch ohne Gedanken an 
einen Krieg mit England gefaßt worden. Es wäre politifch wie ſtra⸗ 
tegifch hirnverbrannt erfchienen, die Möglichkeit eines ſpäteren Ans 
griffs auf England zu erwägen. Vor dem Jahr 1896, namentlich 
unter Caprivi, war, wie bemerkt, die Vorftellung beliebt gemwefen, 
England als maritime Ergänzung des Dreibunds gegen Frankreich und 
Rußland aufzufaffen. Auch Verteidigungsmaßnahmen gegen England 
zu entwerfen, lag damals Fein Anlaß vor. Der von mir ausgearbeitete 
DOperationsplan von 1895 faßt den Zweifrontenfrieg ing Auge und 
rechnet bei allen feinen Einzelheiten mit einem neutralen England. 
Sch ging von der Vorausfegung aus, daß wir den Krieg gegen Franf- 
reich nicht als Kreuzerfampf, fondern mit einer Seefchlacht eröffnen 
follten. Hier liegt der Urfprung unfres Schlachtflottenbaues, der dann 
zu Unfang des Jahres 1896 ducch die unvermuteten Drohmaßnahmen 


Mein Operationsplan von 1895, Die Erwerbung Helgolands 59 


der britifchen Flotte, ſowie ducch die immer unverhüllter hervorbrechende 
Handelseiferfucht freilich bald eine englifche Front zu der franzöfifchen 
binzugewinnen mußte. Die Engländer ftellten nach der Krügerdepefche 
ein fliegendes Gefchwader eigens gegen ung in Dienft. Dies warf in 
unsre Flottenbauzüberlegungen einen neuen Gefichtspunft und wur bie 
Beranlafjung, weshalb Stofch feinen Operationsplan zur Verteidigung 
gegen England ausdachte, den er im privaten Meinungsaustaufch mit 
mir erörtert hat. Der erfte amtliche Operationsplan gegen England iſt 
im Admiralftab erft im Lauf des Zwanzigſten Jahrhunderts bearbeitet 
worden, 

Mie fern der Marine vorher diefe englifche Belaftung lag, wie völlig 
wir durch die Arbeit für den Ztveifrontenkrieg in Anfpruch genommen 
waren, zeigt unſer Verhalten gegenüber dem Vertrag, der und 1890 
Helgoland im Austaufch gegen Sanfibar uſw. erwarb. Die Marine 
legte Beinen großen Wert auf die Erwerbung Helgolands. Sch felbft 
hatte allerdings fehon 1870 in einem Brief an meinen Vater, der eine 
Art von erftem Flottenplan enthielt, auch Helgoland gefordert. Aber 
die Möglichkeit, die noch 1870 einem franzöfischen Gefchwader gegeben 
war, dort zu ankern, war nicht mehr zu befürchten, jeitdem wir Torpedos 
hatten. An den Wert Helgolands in einem Krieg mit England aber 
dachten wir überhaupt nicht. Die Bedeutung der Inſel für die See: 
kriegsführung entjtand eigentlich erſt, als ich den technifch gewagten 
Entfchluß faßte, einen Hafen aus ihr zu machen, der (1906) den 
Felſen zum Stützpunkt für Seeftreitfräfte erhob und eine enge Blokade 
unfrer Küfte erſchwerte. 

Caprivi's Grund bei der Ermwerbung Helgolands war alfo nicht 
ſowohl deſſen militärifche Bedeutung, der wir Faum Beachtung ſchenk— 
ten, wie vor allem der Wunjch, fih mit England aut zu ftellent). 
Die erheblichen Zugeftändniffe in Afrika, die er für Verbefferung eines 
„Schönheitsfehlers” der deutfchen Küfte darangab, erregten damals 
in Teutſchland Entrüftung. Sch perfönlich habe den Wert Sanfibars 
im Jahre 1890 nicht fehr hoch eingejchätt, da bei günftiger Ent: 
wicklung Deutfch-Dftafritas der Handel an der Inſel vorbei nach dem 
Seftland ftreben mußte. 

%) Die Marine nahm den neuen Befit infofern fogar mit geteilten Empfindungen 
entgegen, als feine Befeſtigung zunächft der Flotte für die damalige Zeit unver: 
bältnismäßig große Summen entzog. 


60 Flottenplane 


Zur Zeit jenes Briefwechſels mit Stoſch war ich ſchon zum Staats⸗ 
ſekretär auserſeben. Als aber Hollmann im Reichstag ein Vertrauens⸗ 
votum erhielt, zögerte der Neichskanzler Fürſt Hohenlohe mit einem 
Perſonalwechſel. Zu Oſtern 1896 erhielt ich meine Kommandirung 
als Chef der oſtaſiatiſchen Kreuzerdiviſion und damit das Glück, vor 
Übernahme des Reichsmarineamts und Inangriffnahme des Flotten⸗ 
baus noch einmal einen Blick in die überfeeifchen Sintereffen des Deutjche 
tums zu tun. Sch nahm aus Berlin den Auftrag mit, an der chinefifchen 
Küfte einen Pla auszufuchen, wo Deutfchland einen wirtjchaftlich- 
milttäriichen Stützpunkt errichten könnte. 


Achtes Kapitel 
Tſingtau 


1 

An der Aufſchließung Chinas für den Welthandel beteiligte ſich 
deutſche Arbeit an führender Stelle, durfte aber bei der Mandſchu— 
tegierung auf Eein befonderes Verſtändnis dafür rechnen, daß Deutjche 
land ein freundfchaftliches Intereſſe an der Aufrechterhaltung der 
chineſiſchen Unabhängigkeit befaß. Der Mangel eines Stügpunftes 
ſchob uns, von allem andern abgefehen, ſchon darum in’s Hinter 
treffen, weil der einzige Machtfaktor, der die deutfche Arbeit fchüßte 
und auf die frembdenfeindlichen Behörden Eindruck machte, unfer fliegen: 
des Geſchwader, mit Sein oder Nichtſein von den Hongfonger Dods 
und damit von der britifchen Gnade abhing. Sollte der deutiche Handel 
immer mehr aufhören, ein Zwifchenträger zwifchen englifchen und 
chineſiſchen Erzeugniffen zu fein, und deutfche Waren auf den afiatifchen 
Markt werfen, fo bedurfte er ebenjo wie unſer Geſchwader eines eigenen 
Hongkongs. 

Die drei mir aufgegebenen Orte waren Amoy, ein dichtbevölkertes 
Inſelchen mit Vertragshafen nordöſtlich von Hongkong, die nördlich 
davon gelegene öde Samfabucht und die Tſchuſaninſeln an der öft- 
lichen Spitze Chinas bei Schanghat. Tſingtau (Kiautfchou), yon dem 
auf Grund Kichthofenicher Empfehlung früher einmal die Rede ge 
weſen war, wurde mir als ‚fallen gelaſſen“ bezeichnet, weil es zu 
weit nördlich und außerhalb der großen Handelsjtrafe läge; auch 
mein Amtsvorgänger hatte 1895 Zfingtau für unbrauchbar erklärt, 
Außerdem wurden Auswärtiges Amt und Reichsmarineamt bei ihrer 
Vorliebe für Amoy durch politifche Gründe beftimmt; man fürchtete 
nämlich ruffifchen Einfpruch gegen eine Feitfezung im Norden, wäh⸗ 
rend auf die Zfchufaninfeln ein britifches Vorkaufsrecht beftand, 

Noch vor eigenem Augenfchein gelangte ich durch Befragung zahl 
reicher Techniker und Kaufleute, ſowie aus der Literatur, zu ber Übers 


62 Tſingtau 


zeugung, daß alle drei mir aufgegebenen Orte ungeeignet wären und 
daß für den auch hier zu ſpät gekommenen Deutſchen, nachdem die 
Briten ſchon in den Vierziger Jahren die ganze Küſte abgeſucht hatten, 
außer Vertragshäfen und Tſchuſan überhaupt nur noch die ungefaßte 
Perle Tſingtau in Frage käme. Ein Stützpunkt mußte für die Flotte 
brauchbar fein, mwirtfchaftliches Aufblühen verheißen und eine fpätere 
Verteidigung ermöglichen. Hauptbedingung war mir die mwirtfchaftliche 
Entwicklungsfähigkeit; eine rein militärische Baſis zu Schaffen fchien 
mir nicht geraten. 

Sn der Samfabucht Fand ich bei fpäterer Ortsbefichtigung eine fchmale 
Einfahrt, in welcher ein gefährlich ftarfer, wirbelreicher Strom herrichte; 
grüne Sinfeln, die in der riefigen Bucht Tagen, vermwandelten fich bei 
Eintritt der Ebbe im fteile Felfenzinnen. Rings war das öde Haff von 
Gebirgen umgeben, die nur mit Saumtieren befchritten wurden. Wie 
follte diefe Fieber und Typhusbucht je mit der ‚Halbmillionenftadt 
Futſchou in Wettbewerb treten Fönnen, welche nicht weitab jenfeitg der 
Berge am Minfluß den Handel aufnahm! 

Die Tſchuſan-Inſeln eigneten ſich zur Verteidigung fo wenig wie 
Samfabucht oder Amoy. Vor allem aber: fie lagen vor Schanghai 
ähnlich wie Helgoland vor Hamburg. Der Handel ftrebte an ihnen 
vorbei. Verwicklungen mit England waren außerdem mwehrjcheinlich, 
wenn wir darauf losgingen. 

Amoy, ein englifches „‚Settlement”, das mwegzunehmen ung Fein 
Recht zuftand, verjprach wirtjchaftlich geringen Nuten. Es war noch 
Ausfuhrort für Kulis nach Manila; fein Teehandel im Sinken; feine 
für die Segelfchiffe wichtige Lage zu den Monfuns durch die Dampf: 
ſchiffahrt mehr und mehr entwertet; das Ganze im Nückgang. 

In Tſingtau beftand die Möglichkeit Befeftigungen zu fchaffen. 
Eine gefchloffene Bucht war da; das nördliche Klima von Vorteil. 
Das Fehlen einer Wafferjtraße, eine arme übervölferte Provinz als 
Hinterland ſchreckten nicht ab, da überwiegende Anzeichen ungewöhn⸗ 
licher Entwiclungsfähigfeit vorlagen. Alle Nachrichten wiefen in dies 
felbe Richtung. Kurz, ich fah mich, wenn Tfingtau nicht mit in Bes 
tracht kommen jollte, vor eine unmögliche Wahl geftellt. 

Eines Tages traf ich beim Spaziergang. am Tſchifuer Strand den 
Kommandanten des „Iltis“, Kapitänleutnant Braun, meinen alten 
Hlaggleutnant, mit dem ich elf Jahre zufammen gearbeitet hatte und der 


Eine unangenehme Aufgabe 63 


auch noch auf der DOftfeeftation meine rechte Hand geweſen war. Wir 
_ waren aufeinander eingefpielt und er veritand mich fofort, ftudierte 
meine Vorarbeiten und Fam andern Tags an Bord mit den Worten, 
es wäre ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. Sch freute mich 
über fein Urteil, das einzig maßgebende, das ich in jener Lage noch eine 
holen konnte, und erwiderte ihm, ich würde ihm eine Order fchreiben, er 
follte nach Tſingtau gehen, erforfchen und melden. 

Er ging hinaus, wurde bei diefer Gelegenheit vom Taifun erfaßt 
und ertran? mit dem „Iltis“. Ich war nun genötigt, die Segelorder 
nach Berlin zu ſchicken, in welcher der Befehl für Braun zur Unter 
fuchung der Bucht von Kiautjchou enthalten war, Nun fagte ich mir, 
ich müßte auch einen Schritt weitergehen, und, obwohl ich bei der euro- 
päifchen Konkurrenz dag Auffehen lieber nicht erregt hätte, fuhr ich 
felbft mit dem Flaggſchiff „Kaiſer“ nach Kiautſchou. 

Vorher traf ich in Tſchifu den neuen Gefandten, Heren von Heyfing, 
der denfelben Auftrag, wie ich, hatte, mit feiner Gemahlin; ich forderte 
ihn zu einer dienftlichen Befprechung unter vier Augen auf und merfte 
bald, daß ich damit eine Ungefchicklichkeit begangen hatte, da die Fluge 
Frau, die fpätere Verfafferin der „Briefe, die ihm nicht erreichten‘‘, 
der wichtige Mitarbeiter ihres Mannes war. Heyfing berichtete, der 
Kaiſer hätte ihm in Potsdam gefagt, nun hätte ee feinen beiten Ges 
fondten und feinen beften Admiral hinausgefchict, da würden bie 
beiden doch wohl zu einer Perzeption kommen; worauf er denn zielen 
wollte? Darauf hätte Heyking erwidert: „Auf Amoy“. Ich fragte den 
Gefandten: „wie mochten Sie einen Ort nennen, den Sie nicht kennen?“, 
worauf er fagte: „Ich Eonnte doch Seine Majeftät nicht ohne eine po= 
fitive Antwort laſſen.“ 

Darauf einigten wir uns, auf Feinen beftimmten Ort ohne innere 
Überzeugung loszugehen, und ich feßte die Punkte, über die wir und 
verftändigten, fchriftlich auf. Jeder follte die Orte mit feinem Apparat 
unterfuchen und danach wollten wir ung gemeinfam entjcheiden, nach— 
dem ich im Dezember meine Schiffe auf dem Hongkonger Dock — man 
mußte das Doc immer dreiviertel Jahre voraus belegen — hätte über: 
bolen laffen, um zu einer Befigergreifung klar zu fein. 

Dann unterfuchte ich Tfingtau und ging von da, um ben Leuten Er: 
holung im Norden zu gewähren, nach Wladimoftof. Einen alten Freund 
aus Fiume, den Finnen Virenius, traf ich bier als Kommandanten 


64 Klingten 


des ruffifchen Slagafchiffes wieder. Er führte mich bei Zuſammen⸗ 
fünften fiets in einfame Gegenden, was mein deutſches Begriffsver: 
mögen zunächft nicht verftand. Als ich aber einmal Admiral Alexejew, 
den nachmaligen Generalgouverneue der Mandfchuret, bei mir hatte 
und Virenius ald Bekannten behandelte, fragte der Admiral in fonder- 
barem Ton: „So, alte Bekannte?” worauf Virenius erblaßte und fich 
feitdem auffallend von mir zurückhielt. Alexejew mißtraute alfo feinem 
eigenen Slaggfapitän. Ein andermal hatte ich die internationale Ge⸗ 
fellfchaft und die Spizen von Wladiwoſtok zum Bordfejt eingeladen, 
als ich aus Berlin die Nachricht erhielt, der Zar fei deutfcher Admiral 
geworden. Sch Flopfte ang Glas und ließ den Zaren lebenz der anmwejende 
franzöfifche Admiral und die Seinen blieben fühl, die Ruſſen waren 
gezwungen, es freundlich aufzunehmen. 

Alexejew war ausgejprochener Franzojenfreund, Trotzdem hätte ich 
mich als Seeoffizter der Lächerlichkeit ausgefest, wenn ich im Geſpräch 
das Bedürfnis nach einer deutfchen Flottenftetion nicht offen zugegeben 
hätte. Alexejew juchte mich auf die Tſchuſan-Gruppe binzulenfen, von 
feinem Standpunkt begreiflich, denn dann würden wir hier draußen 
dauernd gegen England gehangen haben, Sch ermittelte zuverläffig, 
daß die ruſſiſche Marine den Erwerb Tſingtaus erwogen, aber als für 
ruſſiſche Bedürfniffe überflüffig, ja läftig, wieder aufgegeben hatte, 
Dasjelbe erfuhr ich über Pefing, allerdings zugleich, daß der dortige 
ruſſiſche Geſandte, trog diefer Ablehnung ducch feine Marine, mit An: 
iprüchen auf Tſingtau umging. 

Heyking und die Berliner Stellen fühlten fortwährend in der Richtung 
bes geringiten Widerjiandes vor, die fie bei Amoy oder Samſa ver: 
muteten. Das Oberfommando kam fogar wieder auf die Tſchuſan-Inſeln 
zurüd, wofür einen Augenblid lang der Yustaufch von Kamerun oder 
Samoa erwogen wurde. Sch warnte vor einer chinefifchen Wiederholung 
der deutjchebritiichen Transvaal-Zuſammenſtöße, falls wir uns in der 
Nähe von Schanghai niederließen, und berichtete über Tfingtau als einzig 
in Frage fommenden Platz, falls wir an der Erwerbung eines Stüß- 
punktes in China feſthielten. 

Ende November befam ich aus Berlin den Befehl, vor Amoy zu 
bleiden, das Dock abzubejtellen, die Ablöfung bei mir zu behalten und 
zu einer Aktion fertig zu machen. Auf meine erjtaunte Erfundigung 
drahtete mir Heyking zurücd, Berlin hätte angefragt, ob zwifchen ihm 








Wie es gelang, Kfingtau zu erwerben 65 


und mir Einverftändnis erzielt wäre. Er hätte geantwortet: „Ja, 
Amoy“; die abweifende Haltung Chinas in Eifenbahnfragen gäbe ung 
zum Eingreifen freie Hand. 

Sch lehnte nun die Veranttwortung für diefe Wahl ab. Jede Aktion 
hätte außerdem bei ungenügender Betriebsfähigkeit der Schiffe unter- 
nommen werden müffen. Die leidlichen hinefifchen Befeftigungen Amoys 
mit Kruppgefchügen und ein paar Zaufend Mann Beſatzung hätten 
wir wohl bezwungen; bedenklicher war die Einnahme der volkreichen 
Stadt; vor allem aber, wenn politische Verftimmungen mit England 
binzutraten, Eonnte ung das Docken verweigert werden, dann hingen 
wir mit ausbejferungsbedürftigen Schiffen, auf denen das deutfche 
Anſehen in diefem Zeil der Welt beruhte, Hilflos in der Luft. 

Tage vergingen, und endlich Fam der Befehl, ich follte nach eigenem 
Ermeſſen docden gehen. Von Amoy ift nie mehr die Rede gemwefen. 
Mein Bericht, mit dem ich nach dem Untergang des „Iltis“ die Lage 
hatte aufrollen müfjen, war in den Streit der Meinungen zu Berlin 
bineingeplaßt, der Kaifer hatte einen Ortskenner zu fich befohlen, der 
mir Recht gab. Die technifchen Ermittelungen des von mir für Tſingtau 
erbetenen MWafferbau-Sachverftändigen find in der Offentlichkeit fpäter 
als Ausgangspunkt der Erwerbung Kiautfchous angefehen mworden. 
Als dann zu Ende des Jahres 1897 mein Nachfolger, der Gefchwader: 
chef v. Dieberichs die deutjche Flagge dort hißte, holten die Nuffen ihr 
völferrechtlich Tegendenhaftes ‚‚Necht der erften Ankerung‘ (auf welches 
geftügt England nicht nur Tſingtau, fordern die ganze Welt beanfpruchen 
fönnte, weil überall fchon Engländer geankert hatten) hervor, nicht wohl 
um ung ernftliche Schwierigkeiten zu fchaffen, fondern um durch mög- 
lichſt Hochgefchraubten diplomatischen Einſpruch fich fonftige Vorteile 
zu erfaufen. Daß die Ruſſen ung lieber in den englischen Spielraum 
ſüdwärts verfchoben hätten und unfre Feftfegung in der Nähe von 
Peking, mo fie damals die erfie Rolle fpielten, weniger gern fahen, ift 
Begreiflich; vor der feften Haltung des Katfers wichen fie zurück. 


2 
Die Form der Pachtung hatte ich mie ſchon in Oſtaſien fo zurecht: 
gelegt, daß fie möglichft wenig nach gewaltſamem Eingriff ausfah und 
ben Ehinefen erlaubte, das Geficht zu wahren; zulegt habe ich den 
Pachtvertrag in Berlin gemeinfam mit Herrn v. Holftein aufgefeht. 
Tirpis, Erinnerungen 3 


66 Vingtau 


Als Staatsſekretär des Reichsmarineamts fiel mie nunmehr von 1893 
ab die innere Eroberung des Neuerworbenen, die Rechtfertigung unferes 
Schrittes durch friedliche Kulturarbeit zu; ed galt, mit mäßigem Kas 
pitalsaufivand Werte zu wecken, deren VBorhandenfein die Chinefen 
felbft nicht ahnten, und mit großem Zug in Fleinem Rahmen zu zeigen, 
wozu Deutfchland imftande wäre. Die fechzehn Jahre unferer Arbeit 
in Zfingtau, Torſo geblieben und einer noch weit größeren Entwic- 
lung, die wir vor uns hatten, für immer beraubt, haben fich der frem⸗ 
den Erdhälfte unverwifchbar eingeprägt. Im Vergleich mit dem 55 Jahre 
älteren britichen Hongkong war die Entwicklung des öden Fifcherortes 
zu einer Stadt von 60000 Einwohnern und wichtigem Hafenplaß troß 
erfchwertem Wettbewerbe geradezu ftürmifch und doc, in jeder Hinficht 
gejund. 

Die Größe des Gebiets war genau für unfere Bedürfniffe umfchries 
ben. Sch empfahl, nur foviel zu nehmen, wie für Fünftige Befeftigung 
und Ausbreitung der Siedelungs- und Fabrifanlagen erforderlich war. 
Das ganze Pachtgebiet wurde von ung enteignet. Sch hatte in Oft: 
afien die großen Nachteile kennen gelernt, die eine fchranfenlofe Boden- 
fpeEulation in den dortigen europäiſchen „Settlements“ mit fich ges 
bracht hatte. Eine Frage, die ja auch in der Heimat des Studiums 
wert ift. Wir mußten ung für Tfingtau fofort entfchließen. Sch kaufte 
daher den Leuten das Land zum damaligen Werte ab, vielleicht auch um 
eine Kleinigkeit teurer, um fie zufrieden zu ftellen, was in Anbetracht der 
vorauszufehenden Wertfteigerung Feine Bedeutung hatte. Die Leute konn⸗ 
ten vertraglich auf dem Boden bleiben, folange fie wollten und wir das 
Land nicht brauchten, Außerdem hatten mwir noch einen erweiterten Kreig 
um Zjingtau, die fogenannte neutrale Zone, durch welche wir Truppen 
marfchieren laffen Fonnten, fodaß wir bei den Unruhen in Schantung 
unfere Hand über die nächſte Umgebung gehalten haben. 

Daß Tſingtau nicht dem Kolonialamt unterftellt wurde, habe ich 
grundfäglich ducchgefegt. Die Sache mußte, wenn fie gedeihen follte, 
in einer Hand bleiben. Die Marine hatte unmittelbare militärifche 
Sintereffen dort, ferner Unterfunftsnotiwendigkeiten, Docs, den Hafen 
uſw. Neibungen mit einer befonderen Kolonialverwaltungsbehörde 
wurden beſſer vermieden. Da mir die Verantivortung für den 
oftafiatifchen Stügpunft übernommen hatten, war ich ber Unficht, 
daß wir geeigneter feien, auch die wirtfchaftliche Entwicklung vorans 


Das eigene „Neich“ der Marine 67 


zutreiben. In demjelben Sinne freilich, wie ich in meinem Brief an 
Stoſch die Verknüpfung aller Seeintereffen in der Hand des Reiche: 
marineamts nur für zeitweilig wünfchensiwert erklärte, bis fich diefe 
Sntereffen zu voller Kraft ausgewachfen haben würden, jo hielt ich 
es für möglich, daß auch Tſingtau, wenn es einmal „fertig“ war, fich 
felber von der Marine ablöfen würde. Aber der Zeitpunkt dazu war noch 
nicht gefonmen. Die Reichsbürofratie war diefem eigenen Reich der 
Marine nicht unbedingt freundlich gefinnt. Das Auswärtige Amt zeigte 
eine gewiſſe Eiferfuchtz der fehleunigft nach Tſinanfu geſetzte Konjul 
forgte dafür, daß unfer Einfluß nicht nach Schantung übergriffe. 
Sch teile in mwefentlichen Stücken Carl Peters’ Urteil über unfere 
ursprüngliche Kolonialbureaukratie. Ihr anfängliches Verfagen ift dop⸗ 
pelt bedauerlich, weil der Deutfche als folcher das Zeug zum Koloni= 
fator in hohem Grade befitt. Auch verfteht er eg, die Eingeborenen 
zu befriedigen. Sch erinnere daran, daß Lettow-Vorbeck bei feinem 
Übertritt auf portugiefifches Gebiet von den Eingeborenen als Bes 
freier begrüßt worden ift. Unfere Kolonien hätten fich jedenfalls in 
mancher Hinficht günftiger entwickelt, wenn fie anfänglich mit militä- 
riſchen Heimatsbehördegp vereinigt gemwefen wären. Für die Marine 
ſelbſt wäre das natürlich eine zu große Belaftung geworden. Erſt wenn 
einmal das Flottengefeß fertig ausgeführt war, wollte ich meinem 
Nachfolger die Aufgabe hinterlaffen, vem Bau von Stützpunkten näher 
zu treten. Vom Kolonialamt wurden diefe nicht beachtet, und doch 
waren fie Vorbedingung für die Entwicklung eines etwa notivendig 
twerdenden Kreuzerkriegs und vor allem für die Verknüpfung des über: 
feeifchen Deutfchtums. Aber was hätte man, hiervon abgefehen, 3. B. 
für die Verteidigung von Deutfch-Oftafrika mit Teichter Mühe tun können, 
wenn man fich im Frieden mehr darum gefümmert hättel Die Marine 
bat ja auch für die anderen Kolonien Arbeit und Blut gegeben. 
Für Tſingtau hatten wir nun eine große Reihe von Zechnifern und 
Beamten zur Hand, die wir aus dem großen Topf der Marine nehmen 
und ohne weiteres dahin zurückgeben Fonnten, falls fie fich als ungeeignet 
eriviefen, während das Kolonialamt nur ein bürokratifches Kopfitüd 
war. Wir waren imftande, den Hafen, die Stadt, die Anlagen uſw. 
felber zu bauen. Unfere Mannſchaften haben im Pachtgebiet überall ge= 
arbeitet; wir Fonnten die Marinemwehrpflicht beibehalten und was wir 
an Truppen dort brauchten (ein Seebataillon) war von vornherem 
5* 


68 Klingteu 


den Marineverhältniffen angepaßt; wir hatten Arzte, die ſchon tropen⸗ 
gewöhnt und geübt waren, Lazarette einzurichten uſwp. So fühlten 
wir ung nicht bei jedem Schritt durch Neichsfchagamt und Reichstag 
gefnebelt, wie es beim Neichskolonialamt der Fall gemejen wäre. 

In früheren Tagen war ein ſtarker Handel nach der Kiautfchoubucht 
gegangen, ber mit dem Verfonden des Hafens eingefchlafen war. Da 
wir innerhalb der gegen ſchweren Seegang gejchügten Bucht Felfenriffe 
zum Ausbau eines Binnenhafens benugen Eonnten, wurde biefer mit 
verhältnismäßig geringen Koften gebaut. Dann wurden Kaianlagen und 
Docks gefchaffen, die wir beliebig hätten vergrößern Fönnen. Tſingtau 
fing an, ein Einfuhrplab für das in China ſtark gebrauchte Petroleum 
der Sundasfinfeln zu werden. Ein großartiger Auffchwung des Ortes 
war allein fchon durch die Schantungkohle, einen in Oftafien fehr be 
gehrten Gegenftand gegeben. Der eigene Kohlenplat im Schußgebiet 
war von grundlegender Wichtigkeit. Gerade als der Krieg ausbrach, 
war für Tſingtau auch die Verhüttung der Erze gefichert, die in Poſchan 
gegraben werden. Sch habe dies durchgefeßt, weil Tfingtau in unferer 
abfoluten Herrfchaft vor örtlichen Unruhen gefchügt war. Das zu er: 
tichtende Eiſenwerk mit Stahle und Walzwerk ermöglichte die Anſied⸗ 
lung von Snduftrieunternehmungen. Keine Eifenhütte in ganz Oftafien 
und Weſtamerika hatte ähnliche Ausfichten; der Eiſen- und Stahlmarkt 
dort wäre in unfre Hand übergegangen, und die in diefem Grad ers 
weiterte swirtfchaftliche Bedeutung Deutjchlands mußte unfere politifche 
Stellung heben und auf alle übrigen deutfchen Ausfuhrzweige zurück 
wirken. 

Die Wertſteigerung Tſingtaus war auch deshalb zu erwarten, weil 
an der ganzen näheren Küſte kein einziger natürlicher Hafen lag und 
die Möglichkeit einer günſtigen Eiſenbahnverbindung Tſingtau zur Aus⸗ 
gangsbucht für Peking machen mußte, ja ſogar, was ich zuerſt noch 
nicht überſah, für die Linie nach Moskau über Irkutsk, wodurch die 
beſte Verbindung von Europa nach Oſtaſien nebſt Auſtralien entſtand. 
Die Schantungbahn erſchloß das vernachläſſigte Hinterland Tſingtaus. 
Wir ſtanden vor unbegrenzten Möglichkeiten wirtſchaftlicher Blüte. 

Die Aufſtände in China zwangen uns, den fogenannten Borerfchuß 
buechzuführen, die Umwallung des Stadtaebiets in einer Länge von 
fünf Kilometern von Waffer zu Waffer. So vermieden wir die unmittels 
bare Nachbarſchaft mit China und befeiiigten das Eindringen der Un⸗ 





Kolonifatorifche Tätigleis 69 


ruhen in unfre Nähe zur großen Befriedigung der reichen Chinefen, die 
mit Vorliebe nach Zfingtau ftrömten. Die Chinefen wurden im Gegene 
fat zu Hongkong in einem befonderen Viertel angefiedelt, ein Zuges 
fändnis an die Europäer, das wir allerdings mit Nückficht auf die 
wohlhabenden Chinefen vielleicht nicht hätten durchhalten Fünnen. Die 
Eingeborenen hatten bald Zutrauen zu unferer Gerichtsbarkeit; ihre 
Stadt, der wir in hohem Maße GSelbfiverwaltung Tießen, blühte auf. 

Das Klima war verhältnismäßig gut; es entwickelte fich ein großes 
Babdeleben. Fieber und Typhus haben wir durch ein Waſſerwerk erfolge 
veich befämpft und die Seuchen, die China von Zeit zu Zeit verheeren, 
durch die gejundheitliche Überwachungslinie an der Borerftellung fern- 
gehalten. Den Gefundheitszuftand verbefferten wir auch durch groß: 
zügige Aufforftungen. Unfre Bewaldungsanlagen wurden ein Beifpiel 
für ganz China, wo man bis dahin nicht geglaubt Hatte, daß man ent= 
waldetes Land wieder aufforfter könnte. Die Chinefen hatten den Wald 
bis auf den lebten Halm abgekratt, und die Negenperiode legte große 
Mildfchluchten ins Land. Auch ung gelangen die Waldungen auf dem 
bumusentblößten Gelände im Anfang nur mit Mühe. Zhr fchließlicher 
Erfolg ermöglichte auch andere Anpflanzungen. Diefer Waldfchug impo⸗ 
nierte den Chinefen fo, daß fie die Sache eifrig ftudierten. Wir legten 
Baumfchulen an und unterwiefen die Einheimischen, mit denen wir auch 
hierdurch in ein immer befjeres Verhältnis traten. Rings in der Gegend 
lehrten wir auch dag Okulieren der Obſtbäume, das den Chinefen noch 
fremd war; fie kamen in Maſſen, um fich die Pfropfreifer von ung zu 
holen; die Obſtkultur Schantungs nahm zu. Das erfte moderne Schlachte 
haus Oftafiens, das wir in Tfingtau errichteten, begann ung zu Fleifch- 
erporteuren zu machen. 

Wir bemühten ung, mit den Chinefenbehörden gut zu ftehen; die 
Bernünftigen unter ihnen gelangten immer mehr zu der Überzeugung, 
daß die Befeung Tſingtaus ein Segen für fie war. Die Chinefen haben 
ung anerkannt und find zufehends mehr zu ung gefommen. Vielleicht 
weil fie felbit ein altes Kulturvolk find, haben fie begonnen, ung höher 
zu ftellen als die Angelfachfen. Sch bin nicht der Meinung, daß wir 
vor dem Kriege irgendwie an tatfächlichen Leiftungen hinter den Angels 
jachfen zurückblieben, auch nicht in Polonifatorifcher Hinficht, nicht eine 
mal in Afrika, wo die Verwaltung nur vielleicht etwas großzügiger hätte 
verfahren follen. Ich möchte nicht annehmen, daß wir den Angelfachien 


70 Tſingtau 


irgendeine Weltmiſſion zuerkennen ſollten, die wir nicht ſelbſt wahrſchein⸗ 
lich beſſer vollbracht hätten, wenn nur die materielle Grundlage geſchaffen 
war. Der Deutſche hatte ja noch etwas vom Emporkömmling, er ſtand 
an Selbſthilfe hinter dem Angelſachſen zurück. Aber es war alles ſo 
ordentlich und gediegen bei uns, es waren trotz manchen auf den Schein 
und den Augenblick befohlenen Anordnungen von oben, im Ganzen Lei⸗ 
ſtungen, die ſich ſelbſt durchſetzten auch auf Gebieten, welche die Eng⸗ 
länder als ihre Domäne anfahen, wie dag Kolonifiren, weil bei ung 
noch der deutfche Fleiß dahinterfteckte. 

Der Aufftieg Tfingtaus jedenfalls war ein Steeple Chafe, beſonders 
da es im progreffiven Zeitmaß meiterzugehen verfprach. Auch die Deut: 
ichen Chinas gemwöhnten fich mehr und mehr daran, in Zfingtau 
zu fiedeln und die Stadt ald Sammlungsplag des deutfchen Wefens 
anzufehen. 

3 . 

Dem Auslandsdeutfchtum hatte die Marine ihr Herz gefchenkt, feit 
Stoſch von Beginn feiner Tätigkeit an der Flotte das Ziel fette, bie 
Melt Fennen zu lernen und die Deutfchen in der Fremde heranzuholen. 
Mie hatte doch in den Zeiten unferer Machtlofigkeit deren Heimatſtolz 
darniedergelegen! Im Kriege von 1870 hatte im englifchen Hongkong 
nur ein einziger Deutfcher, Herr Siebs von ber Firma Siemſſen es 
gewagt, fich zu feinem Vaterlande zu befennen; die meiften hatten es 
mit Herrn Schwarzkopf gehalten, der fich in einen Mr. Blackhead ver 
wandelte. Im allgemeinen hat fich, von Europa abgefehen, das Deutfch 
tum aus eigener Kraft nur in den lateinifchen Staaten Südamerikas 
gehalten, obwohl das fo fehlerhafte v. d. Heydtfche Nefkript vom Sahre 
1859 die Auswanderung gerade dorthin zugunften Nordamerikas 
lahmgelegt hatte, in der Meinung, für das zukünftige Wohl der auss 
wandernden, ung boch verloren gehenden Deutfchen väterlich vorzus 
forgen. Als 1900 im Staatsminifterium Graf Bülow vorfchlug, diefes 
Refkript endlich zu befeitigen, fprachen fich noch damals einzelne Stim⸗ 
men für feine Beibehaltung aus! 

Viele Millionen Deutfche, die ausmwanderten, gingen uns innerlich 
wie äußerlich verloren und befruchteten unfre fpäteren fchlimmften 
Gegner. Ohne vergangne und gegenmärtige deutfche Arbeit hätte die 
Entente bei weiten nicht das geleiftet, was fie uns antat; eine ber 
bitteren Erkenntniffe unfrer Lage. 


Auslanbsbeutfchtum und Marine 711 


Mar das Aufgehen im Amerifanertum bei den Verhältniffen, die 
unfere Auswanderer dort antrafen, auch an fich unvermeidlich, fo ent⸗ 
fprang doch die Art und die Schnelligkeit, mit welcher das Aufgeben der 
eigenen Nationalität fich vollzog, unferem wenig ausgeprägten Nationale 
finn. Mit wehem Gefühl Habe ich einen ungeheuren Fadelzug erlebt, 
ben, wenn ich mich recht entfinne, 14000 ehemalige deutfche Soldaten, 
alle in guten Jahren, in New Mor dem Prinzen Heinrich zu Ehren 
brachten. Wenn bei diefen Leuten gelegentlich die Frage der Nationalität 
berührt wurde, fo war der Ausspruch geläufig: Wir denfen an Deutfch- 
land als an unfre Mutter, Amerika ift aber unfre Frau, zu der müffen wir 
ftehen, Auch noch weniger freundliche Erfahrungen Fonnte man drüben 
machen. Die ideellen Güter, welche die Heimat voraus hatte, wurden ver: 
geffen lediglich um der materiellen Vorteile des amerikanischen Lebens willen. 
Sn der Harvardsllniverfität führte mich einmal ein Profejfor aus guter 
deutſcher Familie, der an einer heimifchen Univerfität Privatdozent 
geweſen war. Er war erft vor wenigen Jahren herübergefonmen, er: 
zählte aber, daß er ſchon amerikanischer Bürger geworden fei. Die Art, 
wie er dies ausfprach, berührte mich nicht angenehm, und ich benußte 
eine pafjende Gelegenheit, um mich bei der ferneren Befichtigung einem 
anderen ber amerikanischen Herren anzuschließen. Gegen meine Abficht 
muß der ehemalige Deutfche doch eine Empfindung von dem Eindrud 
feiner Mitteilung auf mich empfangen haben, denn er fagte zu dem 
mich begleitenden Seeoffizier: „Ihr Chef fcheint fich gewundert zu 
haben, daß ich bereits amerikanischer Bürger geworden bin, aber Sie 
werden es verftehen, ich bin hier früher Profefjor geworden, als ich es 
in Deutjchland geworden wäre, und da muß ich doch dankbar fein.” 
Mas der Herr von Deutschland mitgenommen hatte, fpielte offenbar 
keine Nolle mehr. Sch führe folche Beifpiele, deren ich viele in Erinnes 
rung habe, nur an, um den Mangel an nationalem Stolz, Gefinnung 
und Verpflichtung zu charakterifieren, der unferem Volk verhängnis⸗ 
voll anhaftet. 

Bei folchen Erfahrungen und Eindrüden von beutfchen Kultur⸗ 
dünger haben mich Feftftimmungen und Denkmalsenthüllungen, die bei 
ung nicht fehlten, immer mehr Falt gelaffen. Die zehn Millionen Nord: 
amerifaner deutfcher Abkunft haben gemäß ihrem von der Heimat mit- 
gebrachten Nationalcharakter Deutjchland zugrunde gehen lajfen, ohne 
einen Finger zu rühren. Wie andere Rückſicht erzwingen fich die Irlän⸗ 


72 Tſingtau 


der, und doch wird man nicht behaupten wollen, daß Irland ſeinen aus⸗ 
wandernden Kindern mehr Kulturwerte mitgegeben habe als Deutſch⸗ 
land. Mit Schmerz habe ich im Tabernakel der Mormonenſtadt rings 
um mich ſchwäbeln gehört und vernehmen müſſen, wie ein Miſſionar, 
der in das „Land der Heiden geſchickt wurde, um Bekehrungen vor⸗ 
zunehmen, gewiffe Gegenden Deutfchlands als befonders fruchtbar für 
feine Arbeit fehilderte. indes, wenn man auch faft auf der ganzen 
Erde in die Lage Fam, über das eigene Volk, trog feinen großen Lei- 
ftungen, trauern zu müffen, und wenn bei den Deutfchen draußen 
häufig das perſönliche Intereſſe allein den Ausfchlag gab, während jeder 
Engländer faft felbftverftändlich ein Agent des Foreign Office, war, 
fobald es fih um englifche Intereſſen handelte, jo hatte man boch 
in ber letzten Zeit vor dem Kriege angefangen, das reiche Kapital, 
welches wir in unferen Auslandsdeutfchen befaßen, mehr auszunugen. 
Mit der fteigenden Kraft und Würde des Deutschen Reiches, ingbefondere 
mit dem Aufblühen feiner Seegeltung, begann fich auch das Auslands⸗ 
beutfchtum dem Blut und der Kultur nach wieder mehr als berechtigtes 
und verpflichtetes Glied eines großes Körpers zu fühlen. 

Die Heranholung des Auslandsdeutfchtums, das an fich ungünftiger 
über die Welt zerftreut iſt, als die angelfächfifche, ſpaniſche oder felbft 
franzöfifche Auswanderung, ift von unfern Auslandsbehörden bis kurz 
vor dem Krieg nur läffig betrieben worden. Es fehlte ihnen vielfach 
bas warme Gefühl dafür, daß eine große Nation fich auch in ihren 
zerftreuten Gliedern nicht aufgeben darf. Ich will mir nicht das böfe 
Wort zu eigen machen, daß manche unfrer amtlichen Auslandsvertreter 
das Vorhandenfein von Auslandsdeutfchen vorwiegend als Laft emp⸗ 
funden haben; doch muß ich von der Marine fagen, daß fie durchfchnitt- 
lich eifriger war, das Deutfchtum zu binden und mit Stolz auf die 
Heimat zu durchdringen. Wo immer deutfche Anſätze waren, haben wir 
ung für Erftarfung des nationalen Zufammenhangs über See bemüht. 
Um die Deutfchen zufammenzuhalten, waren die verfchiedenften Antäffe 
gut. Wir find über alle Klaffenumterfchiede hinweggegangen, was in 
DOftafien leichter war, als anderswo, weil dort die dienende Schicht 
unter den Deutfchen fehlte. Der Gottesdienft führte ung zufammen; 
an Kaiſers Geburtstag wurde alles eingeladen, mag die deutſche Sprache 
fpricht; an diefem Tag ſah man alle möglichen Leute auf dem Schiff. 
Draußen bindet ja Sprache und Blut viel mehr, und die Grenzftriche 


Schwächen des Deutfchtums und Hefnungen auf Beflering 73 


verwiſchen ſich; die Sftreicher vechneten überall zu uns, fogar bie 
Schweizer. Auch unfre Kauffahrtei, die früher nur zu geneigt mar, 
ſich an die anderen anzufchmiegen, iſt durch diefes Veftreben der Kriegs: 
marine nationaler geworden. 

Wie das Seeoffizierskorps den Dienft am Deutfchtum auffaßte, 
möchte ich aus einem zu meinem Oeburistag März 1914 mir vom Kom⸗ 
mandanten ded „Kaiſer“ aus Südamerika zugegangenen Brief belegen. 


... „Davon bin ic) jedenfalls überzeugter denn je, daß ein Hinaus— 
Ihiden unferer Schiffe für Offiziere und Mannſchaften und für die Schiffe 
felbft eine Notwendigkeit ift; ohne dieſe Maßnahme muß die Marine immer 
fommiffiger werden — id) finde feinen anderen Ausdrud. Es fpielt aber 
doch auch noch Größeres mit. Es gibt fo viel deutſches Blut im Ausland, 
was feftgehalten oder wieder beliebt werden muß. Warum foll die Zeit 
nicht kommen, mo das wieder einmal durchſchlägt; nicht um uns anzu: 
gliedernde Staaten zu bilden, fondern um bei der Raffenbildung fich durch— 
zufegen und für unfer Mutterland natürliche Abſatzgebiete zu ſchaffen, ohne 
die wir daheim ſchließlich erfliden müffen. Denn können wir auch wieder 
auswandern laſſen. Der Brafilioner folonifiert nicht, er befitt feine Urbeite- 
kraft und läßt das Land leer. Die Raffe wird fi) dort erft bilden, wenn 
das Land ſich von außen füllt. Deutfhtum zurüdgeminnen, deutfches Blut 
wieder neu beleben tuen aber feine Gefandtfchaften und Konfulate, auch 
die Schulen können es nur erhalten, wo die Familie noch deutſch empfindet. 
Die Arbeit fann nur von ung geleiftet werden, denn fie braucht eine ſtarke 
patriotiihe Stimme und ein augenfälliges Objelt, an dem man fich bes 
geiftern kann.” 


Und noch aus der tragifchen Tatenlofigkeit ber Marine im Jahr 1915 
Schreibt mir derſelbe: 


... „Das große Werk: Deutſchem Wefen und Sein in ber Welt fein 
Recht zu verihaffen; das kann nur die Marine zum Abſchluß bringen. 
Die nationale Kraft, die in der Heimat auf unferer Monarchie und auf 
unferem ftarfen Heer beruht, fie Binauszutragen in die Melt, dazu ift Die 
Marine gefchaffen, aus diefem Gedanken ift fie für Das Voll geboren. Ich 
höre es aus allen Briefen heraus, die id dann und mann jeßt aus Süd— 
amerifa noch erhalte: die Freude über ben wachſenden deutſchen Beift 
und über den Zufammenfchluß alles Deutfhen, auch da, mo er ſchon ver: 
foren ſchien. Und dann hinterher der Gedanke: menn ber Friede wieder 
eingezogen ift, dann follen unfre Schiffe wiederkommen, das Band deutjchen 
Empfindens unlösber zu knüpfen.“ 


74 Tſingtau 


So begann Wurzeln zu faſſen, was ich in die Marine hineie 
zupflanzen mich bemüht hatte, und fie Fam als Pionier des Deutfche 
tums immer ftärfer zur Wirkung, je weniger bie Flotte gezwungen 
war, ihre ganze jugendliche Kraft im Heimathafen zu verbrauchen. 
Als der Krieg ausgebrochen war, fah ich die unermeßlichen Augfichten 
unfrer Weltgeltung und damit auch unfer heimifches Schickſal daran 
hängen, daß wir den Krieg mit einer Stellung gegen bie Angelfachfen 
verließen. Die durch die Zatjache des Krieges zeritörten Auslande- 
werte Eonnte freilich nur ein Sieg voll erſetzen. Aber auch wenn wir 
der Übermacht mit Würde unterlagen und mit Ehren fielen, Eonnte 
ber deutjche Name in der Welt die Achtung bewahren. Die Zukunft 
des Auslandsdeutfchtums und unjrer ganzen jo Fünftlichen und fo un: 
entbehrlichen Weltftellung hing davon ab, ob es die Menfchen mit Stolz 
erfüllen konnte, Deutjche zu fein. Nichts hatte das gefchäftliche Auf: 
blühen der Japaner in unferer Zeit oder der Deutfchen nach 1870 tiefer 
defruchtet alg die bewiejene Kraft und Zapferkeit. 

Die Welt hatte noch Pla für viele Deutfche, die als folche, nicht 
nur als Lohnſklaven oder Überläufer fremder Raſſen ihr Auskommen 
fänden, fo lange ihnen die Nationalehre zu teuer war, um fie zu ver⸗ 
kaufen. Ein längerer Friedenszuftand, oder fchließlich auch ein Kriege: 
ausgang, der und als ganze Leute zurücließ, hätte unfer Zufpäts 
kommen in leßter Stunde noch ausgeglichen. Wenn wir ein wirkliches 
gleichgeachtetes Weltvolk wurden, wozu die Möglichkeit vorlag, und 
die Heimat dann fo voll von Menfchen wurde, daß wir davon abgeben 
mußten, fo blieben fie in der Ferne deutfch und wurden für ung ein 
Zuwachs ftatt eines Blutverluftes, 

Die weſentlich im Gefichtsfeld der europälfchen Diplomatie auf: 
gewachjenen Politiker, die in der Entfcheidungsftunde des Deutfche 
tums die Reichsſchickſale Ienkten, hatten die Bewegung nie gefühlt, die 
durch die noch bildfame Mafje des Deutfchtums ging. Sie verftanden 
kaum, worüber der Krieg entfchied und was für ung alle, insbefondere 
auch für unſre Arbeiter, daran hing, daß der deutfche Name in jedem 
Winkel der Erde flieg ſtatt fank. 


4 


Es wäre für ung befonderd wichtig gewefen, wenn wir Die deutiche 
Sprache in China vorwärts gebracht hätten, eine ſchwierige Aufgabe, 


Seekarten. Die Hochſchule in Tſingtau 75 


weil ſie der engliſchen als Geſchäftsſprache in manchen Beziehungen 
unterlegen iſt. Eines der Mittel, mit denen England in der ganzen 
Melt feine Sprache ausgebreitet hat, ſind die Seekarten. Indem Eng⸗ 
land faſt die ganzen Meere vermaß, erfüllte es eine große Kulturauf: 
gabe. Sm vorigen Jahrhundert fuhr im wefentlichen alles nach enge 
lichen Karten; andere gab es höchftens in örtlich engen Begrenzungen. 
Auch unsre Kauffahrtei war gewöhnt, mit englifchen Karten zu fahren, 
jelbft da, wo es deutfche Karten gab. Sch unternahm nun in ſyſtema⸗ 
tifcher Weile ein deutjches Weltkartenwerk herzuftellen. Wir befaßen ja 
ſchon Karten von unfern Gemwäffern, die mit größerer Genauigkeit und 
GründlichFeit als die englifchen bearbeitet waren, aber fie hatten manche 
Eigenfchaften, an welche die Schiffer nicht gewohnt waren. Sch febte 
mich nun mit unfrer Seemannswelt in Verbindung, ftellte ihre Neiguns 
gen in allen Einzelheiten bis auf die Form und die Papierart feft, und 
wir Famen zuleßt zu einer Anordnung, die nicht nur genügte, fondern 
mit der unfre Karten die englifchen übertrafen. Nun haben wir ung 
bemüht, zunächft die großen Streden mit Karten zu verfehen, die in 
die hunderte gingen, eine davon war die Fahrt von Deutfchland nach 
Dftafien. Ich veranlaßte dies mit aus dem Grunde, um etivag für die 
Ausbreitung unferer Sprache und die Stärfung bes Deutfchtumg zu tun. 

Dann errichteten wir in Zfingtau eine Hochfchule, von dem Grund: 
fa geleitet, den Shinefen Fulturelle Wohltaten zu erweiſen und in der 
Annahme, daß es fich auch mwirtfchaftlich bezahlte, wenn wir ihnen 
unfere Kultur brächten. Der Standpunkt des Idealiſten, daß es unfere 
Aufgabe fei, Bildung zu verbreiten, war mir nicht fremd, aber dabei 
meine eigentliche Begründung doch, ung felbjt durch folche Vertiefung 
unjerer Arbeit vermehrte Refonanzböten im fernen Often zu fchaffen. 
Die Hochichule wurde unterbaut durch eine Mittelfchule für Chinefen. 
Mir mußten fchnell beginnen, weil fonft die Engländer anfingen, ung 
Wertbewerb zu machen. Deswegen entfchieden wir ung rafch und fprans 
gen in die Hochjichule hinein, ohne daß der Unterbau foweit war, daß 
die Schüler genügend vorgebildet fchienen. Das war aber Nebenjache, 
wir mußten voran. Nicht dag Auswärtige Amt, fondern der von mir 
beauftragte Chinafenner Profeffor Dtto Franke führte im wesentlichen 
die Verhandlungen mit der Pekinger Regierung und vereinbarte in vor⸗ 
bildlicher Weife, daB bei unfern Prüfungen chinefifche Negierungs: 
bevollmächtigte fich beteiligten; damit befamen unfere Prüflinge das 


76 Zfingtau 


Recht auf Anftellung in China, als ob fie eine ftaatliche Prüfung ges 
macht hätten, Wir würden auf diefe Weiſe einen Strom junger Leute 
nach China gelenkt haben, die vollſtändig deutſch fprachen, unfere 
Einrichtungen Fannten und an unfere Erzeugniffe gewöhnt waren. Die 
ärztliche Wiffenfchaft pflegten wir bejonders, da ihre Fonfurrenzlofe 
Höhe fie zu nationalem Pionierdienft für Deutfchland wie weniges an- 
dere befähigt. 

Für den deutfchen Einfuhrhandel wurde unfere Kolonie mehr und 
mehr zum Stapelplag. Wir begannen, eine Mufterausftellung deuticher 
Erzeugniffe zu errichten, eine Reklame erften Ranges, die wir in einer 
englifehen Siedlung nie hätten errichten Fönnen. An der Schwelle Chinas 
fiehend gewährten wir Einblick in unfere eigenen wirtjchaftlichen und 
Eulturellen Leiftungen, achteten dabei die Eigenart des Landes, nahmen 
und erwiefen Gaftfreundfchaft und ermwiderten als „königlicher Kauf: 
mann” Vertrauen mit Vertrauen. Bon Jahr zu Jahr gemann das 
Deutfchtum in dem riefigen Reich feiteren Boden. 


5 

Wir haben alles gehabt, nur nicht eine Politik, welche ung ermög- 
lichte, diefe Probe auf deutfche Bewährung zu einer dauernden Pofition 
zu geftalten. Sch habe Zfingtau feit 1896 nicht wiedergefehen, doch for 
viel Sorgen und Liebe hineingebaut, daß fein Verluſt mich wie ein 
Eörperlicher Schmerz berührte. Mit nur etiva 3—4000 Mann Befagung 
war der Ott, fo wie wir ihn befeftigt hatten, gegen Chinefen unbegrenzt, 
gegen Franzofen, Ruſſen, auch gegen Engländer lange Zeit zu halten. 
Gegen den Angriff einer japanischen Armee hätten wir auch mit großen 
Geldmitteln Feine Feftung bauen Fönnen. Gegen bie ganze Welt voll 
ends Fann man überhaupt nichts behaupten; dafür ift Fein Kraut ges 
wachen. 

Der Gedanke, ung einen ftarfen Stützpunkt in Oftafien zu jchaffen, 
nach dem die Deutfchen grapitieren Fonnten, war richtig; aber die Vorz 
bedingung war, daß wir ung mit Sapan gut ftellten. Troß unferm 
Einfpruch gegen den Frieden von Schimonoſeki 1895 war Fein Schatten 
zwifchen ung und Japan gefährlich, folange Rußland ung gemiffer- 
maßen in die neutrale Zone rückte, Auch nach dem Zufammenbruch der 
ruſſiſchen Oftafienpolitit im Sahre 1905 lag für eine rechtverftandene 
japanifche Politif Fein Anlaß vor, und aus China wegzuwünſchen. Wit 





Das Ende 11 


hätten aber nad) 1905 alles tun müffen, um den Fehler von Schimo- 
noſeki wieder gutzumadhen!). 

Someit ich nach der Richtung hin Einfluß Hatte, der ja gering mar, 

habe ich ftets für ein gutes Einvernehmen mit Tokio gewirkt. Meines 
Wiſſens hat die deutfche Regierung keinen ernften Verfuch unternommen, 
Zuficherungen von Japan, 3.2. hinfichtlich der Neutralifierung Oft- 
afiens, zu erhalten. Über das japanifche Ultimatum war ich nicht 
eigentlich überrafcht. Sch nahm jedoch an, daß Japan eigentlich wegen 
des ſchweren Gegenfages zu Amerika, der früher oder [päter akut wer⸗ 
den muß, unfre Anweſenheit in Ihina wünfchen müßte. Da meinem 
Munich gemäß Tſingtau von Anfang an als Freihafen erklärt wurde, 
im Gedanken, daß wir Dabei als Beſitzer felbft niemals zu kurz kommen 
würden, machte Japan dort Feine fchlechten Gefchäfte; das einzige, mag 
bei diefem freien Handel ihm unfere Gegenivart ernftlich verleiden 
konnte, war fein Hunger nach Kohle. 
- Am 15. Auguft 1914 traf das japanische Ultimatum ein, deffen 
fchroffer Wortlaut fehr ähnlich demjenigen unferer Schimonofefinote 
von 1895 gemwejen fein foll. Bethmann neigte auf den Rat unferes 
Botfchafters in Tokio, des Grafen Rex, dazu, das Ultimatum anzu: 
nehmen. Sch ſetzte die Nichtbeantwortung duch. Gingen wir mit 
Fampflofer Übergabe aus Tſingtau, fo verloren wie es unter allen Um 
fländen; das Bündnis mit Japan, auf das wie hinftreben mußten, war 
aber nur denkbar, wenn wir zuvor in Oftafien unfere Ehre wahrten. 
Yuch jet noch wird es ung zuftatten kommen, daß wir bei dem doch 
‚nicht aufzuhaltenden Ende unferes chinefifchen Kolonialverfuches bie 
„Pflichterfüllung bis zum Außerſten“ hochgehalten haben. Die be 
dingungslofe Übergabe hätte damals die Stimmung in unferem natios 
nalen Daſeinskampf ſchwer niedergedrücdt. Japan als Feind har ung 
nicht mehr gefchadet, als die Hinnahme der Beleidigung gefchadet hätte, 
Außerdem Eonnte im Auguft 1914 noch niemand fagen, wie lange ber 
Krieg dauern würde; die Armee urteilte damals zuverfichtlih in ihrem 
Siegeslauf. Die Möglichkeit, Zfingtau bis zu einem vielleicht nahen 
Kriegsende zu halten, mußten wir mitnehmen. Ein Verſuch, Tfingtau 
an Amerika zu geben, etwa im Umtaufch mit den Philippinen, mußte 
notwendig Icheitern. 





) Kap. 14, 


18 Tſingtau 


Mir hatten die Boxerſtellung militäriſch zu einer geſchloſſenen Um— 
mwallung ausgebaut, die nur einige Infanteriewerke, Gräben und Drahts 
verhaue umfaßte, und die Seefront mit ein paar Krupp’fchen Kanonen, 
die wir von den Takuforts umfonft befommen hatten, gegen Aufftän- 
diſche beftückt. Die letzte Granate war verfchoffen, als Tſingtau fich 
ergab. Wie dreißigtaufend Feinde den Generalfturm eröffneten, der 
mit Artillerie nicht mehr abgewehrt werden Eonnte, handelte es ſich nur 
noch darum, ob der Reſt unferer Befagung fich von den Anlaufenden 
in der nichtummallten Stadt totfchlagen laſſen ſollte. Da hat der 
Gouverneur richtig gehandelt, zu Fapitulieren. In den eroberten Straßen 
fuchten die Sapaner noch lange nach den vermuteten zwölftauſend Deut: 
fchen. Es waren zweitaufend geweſen, dazu vielleicht anderthalbtaufend 
Wehrpflichtige und Freiwillige, die aus der deutſchen Beamten: und 
Kaufmannfchaft aller Siedelungen Chinas in Treuen berangeftrömt 
waren. 


Neuntes Kapitel 
Im Reichsmarineamt 


1 

Als ich im Frühjahr 1897 den Rückberufungsbefehl aus Oſtaſien 
befam und über Amerika heimreifte, teilten mir in Salt Lake City 
neugierige amerikanifche Sournaliften niit, Eugen Richter hätte in den 
Zeitungen bereits gegen mic, als den Fünftigen Staatsſekretär ge 
ſchrieben. Sch war damals parlamentarifch noch nicht genügend ger 
fhult, um meinem unerbittlichen Gegner gegenüber diefe Tatfache aus- 
zufpielen, daß er mich fchon angriff, als er mich noch garnicht kannte. 

Sch fchied mit fchwerem Herzen aus der Front und hatte dem Kaifer 
1895 gefagt, der Flottenbau könnte meines Erachtens nur in Geſetzes⸗ 
form gelingen, zu deren parlamentarifchee Durchführung nach allge 
meinen Erfahrungen eine fogenannte „Schlagſchnauze“, die ich nicht 
befäße, und eine politifche Routine gehörte, die nicht in meiner bisher 
rein militärifchen Linie läge. Ms ich nun im Juni 1897 in Potsdam 
eintraf, fagte mir der Kaifer, es wäre alles fertig für die Flotten— 
kampagne; ich brauchte nur zuzuftimmen. Der Kaifer hatte während 
meiner Abweſenheit Durch eine Kommilfion einen Geſetzentwurf aus⸗ 
arbeiten Taffen, der meines Erachtens aber nicht brauchbar war. Bei 
produftiven Aufgaben habe ich nie Großes von Ausfchüffen gefehen. 
Sie find mehr für Fritifche Leitung. Die Verantwortung verdunfter in 
ihnen, und es fehlt der Ernft gegenüber dem gewaltigen Unterfchied 
zwiſchen Sdee und Verwirklichung. Im vorliegenden Fall war aber der 
Kater von dem Werk feiner Kommiffion fehr eingenommen. Sch erbat 
mir einige Tage Bedenkzeit. 

Diefer Entwurf legte den Schwerpunkt auf eine riefige Auslands: 
flotte. Nun gab es zu jener Zeit nur noch wenige Staatsbildungen 
auf der Erde, wie Haiti ufw., bei denen Schädigungen unferer Rechte 
mit Auslandskreuzern wieder gutgemacht werden Tonnten, ohne daß 


80 Im Reichömarineami 


daraus ein eigentlicher Konflikt entftand. Auch ſchon Staaten wie 
Argentinien verfügten über moderne Kriegsfchiffe, jo daß hinter jedem 
Auslandgkreuzer eine heimiſche Seemacht fiehen mußte, wenn er feinen 
Zweck als Vorpoften erfüllen follte. Wir befaßen zudem Beinen einzigen 
Auslandsſtützpunkt. In meiner ganzen Laufbahn habe ich immer wieder 
zwei namentlich bei Laien beliebte Vorftellungen zu bekämpfen gehabt, 
ben Gedanken eines bejonderen Küftenfchußest) und den Gedanken einer 
Yuslandskreuzerflotte. Daß der befte Küftenfchuß in einer Schlacht⸗ 
flotte befteht, Hat der Meltkrieg bewiefen. Bezüglich des Kreuzer: 
Trieges aber fagte ich dem Kaifer damals etiva folgendes: Da ein 
durchjchlagender Kreuzerkrieg und transozeanifcher Krieg gegen Eng: 
land und andere große Stasten wegen Mangels an auswärtigen Stüßs 
punkten und wegen der geographifchen Lage Deutjchlands vollkommen 
ausgejchlojfen ift, die Fremden Admiralitäten dies auch wiffen, ſo kommt 
es auf einen Schlachtkörper an, der zwifchen Helgoland und der Themfe 
ftehen kann. 

Ich hatte eben in Oftafien wieder die fünftlichen Stelzen unferer 
Meltftellung wahrgenommen. Bon vielen Seiten wurde mir berichtet, 
welche Schivierigkeiten die Engländer allem Deutfchen bereiteten, und 
wie die angeftrebte Uchtung dee „Made in Germany“ und die vom 
Krügertelegramm ausgelöfte Deutfchenhege vor fich gingen. Die Deut: 
ſchen wurden aus den Ortsverwaltungen der Europäerfiedelungen, in 
denen fie früher beteiligt waren, verdrängt, ebenfo aus den englifchen 
Geſellſchaften und Werften. Sch hatte felbft empfunden, wie unfer 
oftafiatifches Geſchwader beim geringften Anlaß durch Verfagung ber 
Docs bewegungsunfähig gemacht werden Eonnte. Man merkte damals, 
Mitte der Neunziger Jahre, wie die Welt anfing, fehnellee zu gehen. 
Der deutfche Handel, die „Offene Tür’, Eonnten nicht mehr durch 
fliegende Gefchwader gefhügt werden; wir mußten an allgemeiner 
Macht zunehmen, d.h. bündnisfähig mit Weltmächten werden. Bünd- 
niswert aber befaß und gab nur eine Schlachtflotte. Ein einziger 
DBerbündeter zur See aber Hätte fogar im fpäteren Weltkrieg genügt, 


’) Selbft ein Militär vom Rang des Feldmarfchalls v. d. Goltz zwang als General: 
inipekteur des Ingenieurkorps durch militärifch, wie militärpolitifch, angefichts des 
Vorhandenfeins einer Schlachtflotte völlig überflüffige Küftenbefeftigungspläne mich 
zur Abwehrung des Gedankens, bie Küfte mit Panzertürmen zu fpiden. 





Entjtehung bes erſten Giotterplanet 81 


uns den Kampf um die freie See mit den günſtigſten Ausſichten zu 
ermöglichen. 

Eine bündnisfähige Flotte zu ſchaffen, war alſo das Erſte; eine 
entſprechende Bundnispolitik ſowie Vermeidung aller weltpolitiſchen Ans 
ſtöße vor Erreichung dieſes Zieles war das Zweite, wonach wir unter 
den erſchwerten politiſchen Umſtänden des Zeitalters zu ſtreben hatten. 
Mit Sorge ſah ich die unbeſonnenen Herausforderungen, die ſich damals 
unſere öffentliche Meinung gegen England erlaubte. Mit Sorge ſah 
ich auch, wie das Draufgängertum des damaligen Marine-Oberkom⸗ 
mandos den Kaiſer bei den Transvaalſchwierigkeiten beriet. Ich bat 
deshalb in demſelben Vortrag, in welchem ich meinen Flotten⸗ 
plan vorlegie, auch darum, bei der Verwendung der Auslandefchiffe 
wegen deren politiſcher Natur gehört zu werden. Der Kaifer und das 
Oberkommando fagten dies zu; e8 wurde aber nachher nicht danach 
gehandelt. Der Kaifer ſtimmte im Übrigen mit einer mich überraschenden 
Sinnesänderung fofort meinem Flottenplan zu, und damit verſchwand 
im Suni 1897 endgültig aus den Entwürfen jene Auslandsflotte, die 
im Kriege zweifellos einen kurzen Atem gehabt hätte, Ohne Bündnis 
mit einer andern Seemacht zweiten Ranges fah ich freilich auch die zu 
bauende Schlachtflotte fchon damals nicht als Wllheilmittel an, wohl aber 
als die notwendige Staffel zu unferer Bündnisfähigkeit und damit 
als einzigen greifbaren Anfag, um England gegenüber jene Selbftäns 
digkeit zu gewinnen, die damals in Deutfchland einftimmig und mit 
Recht gefordert, leider aber auch vielfach in nicht realpolitifcher Sinnese 
art als bereitd vorhanden vorweggenommen mwurbe, 


2 


Mein Vorgänger Hollmann hatie alle Eingänge feines Amtes felber 
gelefen und war infolgedeffen im Stoff untergegangen. Sch befchränkte 
mich nun auf die Vorbereitung des Flottengejeges und überließ die 
laufenden Gejchäfte zunächft meinem Vertreter, In Ems und St. Bla- 
jien, wo mein aus den Tropen mitgebrachter Lungenkatarrh ausheilen 
jollte, verfammelte ich die Herren, die ich mir ausgewählt hatte, damit 
lie das Flottengefeß mit mir bearbeiteten. Herrn v. Capelles ältere parlas 
mentarifche Erfahrung, fein kritiſcher Verftand, feine logiſche Schreibe 
weife waren ein günſtiger Ausgleich zu meiner Veranlagung, die mehr 

Zirpis, Erinnerungen 6 


82 Im Reihemarineamt 


der Intuition folgte, Er war meniger Soldat als Etatsvirtuofe; er 
beherrfchte neben Dähnhardt, der urbanen Umgang mit den Abgeord- 
neten pflog, befonders die Finanzfragen, die bei dem Steuerelend des 
Reichs eine Eniffliche Kunft für ſich umfchloffen. Während ih im 
allgemeinen gradlinig auf ein Ziel losging, ſah Capelle die Schwierig. 
feiten und Bedenken fowie die verfchiedenen Wege, bie zu ihrer Übers 
windung zur Wahl ftanden; die ſchwachen Punkte, mo Gegner einhafen 
Fonnten, fand er zuerft, weniger vielleicht die Smponderabilien. Er 
war mir ebenfo unentbehrlich für die parlamentarifche Arbeit, wie ber 
feurige Herr v. Heeringen für die Aufrüttelung des Volks; Heeringen 
leitete die geiftige Mobilmachung der Maffen in fehr taftvoller Art, 

Meine Urbeitsmweife hatte ftets das Neljonjche: „We are a band 
of brothers“ zum Motto, Seit meinen erften Aufgaben hatte ich Dinge 
vor mir, die perfpektivifch von vielen Seiten betrachtet werden mußten, 
und wer fich nicht als Rapoleon fühlt, der allem feinen perfönlichen 
Stempel aufdrücen darf, muß jich ein Bündel anfchaffen, das ſchwerer 
zu brechen ift als ein einzelner Stab. Wer einem großen Gefchäft 
vorfteht, foll fich davor hüten, felbft alles machen zu mollen. Sch 
hatte bei Caprivi wahrgenommen, daß er zuviel perfönlich verfaßte, 
Denn er etwas in feiner jchönen, gleichmäßigen Handfchrift gefchrieben 
hatte, war es fchmwierig, ihn davon abzubringen; er war fozufagen in 
feine Gedanfengänge verliebt. Die Gefahr habe ich auch bei mir bes 
merkt; um jo mehr hielt ich mich zurüd, um dem an fich Richtigen 
unbefangener gegenüberzufteben, 

Einer der Gründe, mit denen man die Zerftörung der einheitlichen, 
fozufagen fouveränen Admiralität und ihre Zerlegung in Einzelbehörden 
zu rechtfertigen verfucht hat, war die Behauptung, die Gefamtleitung 
ber Marine wäre zu groß für eine Hand. Diefe Behauptung, die auf 
dem Hintergrund ber mißverftandenen Eaiferlihen Kommandogemalt 
ftand, gab aljo die Zügel einem Monarchen in die Hand, der noch weit 
anderes als die Marine regieren folltel Es ift aber falſch zu fagen, daß 
ed ſchwierig wäre, einer vielfeitigen Behörde vorzuftchen. Es kommt nur 
barauf an, daß man Witterung für das Notwendige hat und alles 
übrige auf zuverläffige Helfer abfchiebt. Allerdings muß man die Mits 
arbeiter auch zugewieſen befommen, die man jich ausgelefen har. Sch 
behielt Zeit für das Weſentliche übrig und hätte noch mehr leiften 
mögen. 


Meine Arbeitsweiſe 83 


Por nichts habe ich mich beim Organifieren fo gehütet wie davor, 
einen grundfäglich falſchen Schritt zu tun. Denn bei einmal geſchaf⸗ 
fenen Sehleinrichtungen werden fpäter meift nur die Symptome ver 
deckt, der Urfehler aber nicht mehr gefunden, an dem fich dann Ges 
wohnheiten feftgejeßt und Intereſſen angeklebt haben. Darum foll 
man Organifationen nie auf den Tiſch des Haufes legen, fondern an 
einen gegebenen Punkt fich ankriftallifieren laſſen. Man muß fich 
auch die Möglichkeit offen laſſen, bei fich zeigenden Fehlern die Organi⸗ 
fation ohne eigentliche Zerftörung wieder abzukriitallifieren, denn bei 
radikalen Ummälzungen erkennt man meift nur die Vorteile, felten 
die Nachteile Elar voraus, Bei Organifation kommt es weniger auf fors 
male Logik an, als auf die Güte des Bodens und des Pflanzenkeims. 
Mir haben deshalb auch die Flottengefeße nicht fur, fondern möglichft 
lehnig gehalten, 

Das perfönliche Hervortreten im Reichstag und überhaupt in ber 
Offentlichkeit lag mir nicht. Ich fühlte, je weniger man im Reichstag 
fprach, defto richtiger war es und defto weiter Fam man, zumal bei 
einem außenpolitifch fo heiklen Gebiet wie dem meinigen. Sch glaube, 
auf diefe Weife inneren und ausländischen Gegnern niemals Anläfje 
geboten zu haben. Eine gewiffe Scheu vor dem Getriebe der Offent⸗ 
lichkeit mag mich perfönlich beeinflußt haben. Man hat mir ja 
fpäter wohl vorgeworfen, daß die Marinedebatten im Plenum und 
in den Kommiffionen zu „langweilig“ und „glatt“ verliefen, was 
wohl irgendwelchen Kuliffengeheimniffen zu verdanken wäre. Allerdings 
pflegten wir vertrauliche Befprechungen mit den Parteiführern. Unfer 
Hauptgeheimnig war aber die abjolut genaue Durcharbeitung jeder 
Vorlage, fodaß fie überzeugte und unangreifbar war, Dies gelang 
mit der Arbeitsweife, die ich mir fchon an den Aufgaben ber Siebziger 
Jahre gebildet hatte, indem ich den Gedanken angab, dann im größten 
Maße andere heranzog und erft das Schlußerzeugnig wieder völlig 
durchdachte. In der Negel hat Capelle die von ung durchgejprochenen 
Materien zuerft fchriftlich fefigelegt. Später hat dann neben der forg- 
famen Durcharbeitung der Marinevorlagen vor allem die praftifche Erz 
probung unferer technifchen und organifatorifchen Arbeit ein ſtets 
höheres Kapital parlamentarifchen Vertrauens angefammelt. Andere 
Mittel als unfere gründliche Arbeitsmethode hätten ung niemals zu 
parlamentarifchen Erfolgen verholfen. 

6° 


84 Im Reihsmarineami 


Sm preußtfchedeutfchen Regirungsſyſtem meiner Zeit erichöpften fich 
die Minifter allgemein lieber in ftiller, meift ungelohnter Reffortarbeit, 
als daß fie an der Oberfläche der Öffentlichkeit paradirten. Die ohne 
Sinn für organifches Wachstum und ohne Achtung für die Vernunft 
der Gejchichte dem deutfchen Volk jetzt von internationalen Theoretifern 
übergeftülpte Zwangsjacke des Parlamentarismus wird die alte Zeit 
bald als die gute preifen Iehren. Die neuen Herrfchaften werden fich 
wundern, wie fachlich fie früher regiert worden find und wieviel 
treue Arbeit an Stelle von eitlem Gefchwäß geleiftet worden ift. 

In St. Blafien wurde jedes Wort des Gejegentwurfes in Ges 
meinfchaft wohl zwölfmal umgemworfen. Sch pflegte die Materie zu 
„rollen, ein Ausdruck, mit dem ich manchmal genedt worden bin. 
Weſentlich hielt ich darauf, jedem Mitarbeiter die größtmögliche Selb- 
ftändigkeit zu geben. Sch habe meine Abteilungsleiter dazu gedrängt, 
daß fie die Fragen niemals nur aus ihrem Zeilftandpunft betrachteten; 
jeder follte rückjichtslos urteilen, ald ob er der König wäre und dag 
Ganze allein zu entfcheiden hätte. Vom Bejonderen bleibt dabei immer 
noch genug übrig. So verlangte ich vom Techniker, daß er auch vom 
militärischen Standpunkt aus urteilen lernte, und umgekehrt vom Offi— 
zier die Berückſichtigung des Techniſchen. Nichte halte ich für ver- 
kehrter, als in Beratungen den Vorgefegten herauszufehren, Es kommt 
ja mitunter der Punkt, wo einer entfcheiden muß; aber ich darf fagen, 
daß es im Keichgmarineamt felten auf ein befehlsmäßiges Durchfchlagen 
hinauslief; wir find faft immer zu einer gemeinfamen Anficht gefommen, 
bei der ic, alg primus inter pares den Mitarbeitern das Gefühl, majori= 
fiert zu werden, erfparte und die Freude an der Keiftung ließ, dabei 
aber jelbft etwas Beſſeres und der Menge nach Größeres verrichtete, 
als wenn ich mich in allem hätte fehen wollen. Die Übertragung des 
vor dem Feind notwendigen fchroffen Befehlsgrundfages auf das Büro 
und die großen Dispofitionen, das Arbeiten mit Kreaturen und mecha= 
niſchem Gehorfam, die peinliche Abgrenzung der Refjortsftandpunkte 
lähmen Verantwortung und Entfchlußvermögen, auf die e8 bei Kriegs- 
behörden am meiften anfommt. Wenn man felder weiß, worauf man 
hinauswill, fo Fann man die Untergebenen an ihren guten Seiten 
pacen und bei modernen Organifationen darauf verzichten, perföns 
lich die Laft zehn Zuß zu fürdern, damit man ftatt deſſen allen Ge⸗ 
hilfen die ihrige einen Zoll voranbringen helfe. 


Meshalk ich ein Geſetz brauchte 85 


Mein Tätigkfeitsgebiet gewöhnte mich) an große Dielfeitigkeit. Se 
gegliederter aber ein Organismus wird, defto mehr wächſt auch ber 
Kopf zu einer differenzirten Funktion heraus und darf, um klar zu 
bleiben, nichts mehr von der Arbeit der Glieder übernehmen wollen. 
Sch fehuf mir ringsum Spezialiften, bei denen die Materien im allge 
meinen gut aufgehoben waren, und achtete mur auf die Verbindung, 
jodaß, wenn nötig, die Spezialitäten ſtets an die Spiße herangetragen 
werden konnten. Sch habe dabei das Hochkommen felbftändiger Naturen 
auf jede Weife gefördert, machte aber je länger, defto beftimmter die 
eigentümliche Erfahrung, wie ſpärlich die wirklich fchöpferifchen Kräfte 
find und wie Naturen, die auf zweiten Poften fich bewährt haben, auf 
erften völlig verfagen können. Man kann fich bei Beförderungen ſchwer 
dagegen fchüßen, daß man gelegentlich aus einem guten Erften Offizier 
einen fchlechten Kapitän macht. 


3 


Sm Reichsmarineamt verficherte man mir, daß wir die Gejeßesform 
nicht Öurchbefommen würden. Derfelben Meinung war auch unfer 
zuverläffigfter parlamentariſcher Freund, der nationalliberale Führer 
v. Bennigjen, der riet, es mit jährlichen Berilligungen zu verjuchen. 
Ich beftand aber auf dem Geſetz, entichlojfen, das als unwahrſcheinlich 
Bezeichnete zu wagen und im Fall des Mißlingens auszufteigen. 

Sch brauchte ein Geſetz, um die Stetigkeit des Flottenbaus nad) 
verfchiedenen Flanken zu ſchützen. Außerlich ſprach für die Geſetzes—⸗ 
form am meiften der Umjtand, daß der Reichstag ſich dadurch felber 
die Verfuchung abſchneiden follte, alljährlich neu in techniiche Einzel 
heiten einzugreifen, wie früher, mo jedes Schiff zum ‚‚Ererzitium von 
Debatien’’ geworden war und im Spiel wechfelnder Mehrheiten das 
Reichg-Marineamt nicht das fachlich Wichtigfte, ſondern das, was ges 
tade durchging, forderte, Mit Parteikoalitionen, die Schiffe ald Kom⸗ 
penjationgobjefte behandelten, konnte man keinen Flottenkörper auf- 
bauen, der ein Menfchenalter geduldigen, einheitlichen Wachstums vers 
langte. 

Die zweite Seite, von welcher das Chaos herandrängte, wogegen ich 
ein Geſetz bedurfte, war die Marine ſelbſt. Gerade wo es ſich 
um Spezialkenntniſſe handelt, ſchwirren die Uberzeugungen auseinander. 
Die deutſche Marine war, als ich das Staatsſekretariat antrat, eine 








86 Im Neihömarineams 


Modellfanmlung, wenn auch Feine fo bunte wie die ruffifche Flotte 
unter Nikolaus dem Zweiten. Auch die englifche Marine ift es bis zu 
einem gemilfen Grad; aber dort fpielt Geld Feine Rolle; hatte man 
eine Serie falſch gebaut, fo warf man fie in die Ecke und baute eine 
neue. Das durften mir, ung nicht erlauben. Außerdem hatte man in 
England mehr Verftändnis dafür, daß Anfichten fich ändern, während 
der doftrinäre Deutfche fofort erflärte: da hat er etwas Faljches ge 
baut, Anathema sit. Wenn man dem Deutfchen ein Syſtem vorfeßt, 
glaubt er eher daran. Kleinerer Schwächen der Gefegesform war ich 
mir bewußt, aber ich hatte Feine Wahl, wenn wir unter den gegebenen 
Verhältniffen vorwärtskommen wollten. 

Mber auch des Kaiſers Iebhafter Geift war auf Schiffebau ein- 
geftellt und wurde von allen möglichen Eindrücken und Perjonen gejpeift. 
MWünfche und Vorfchläge find in der Marine billig und mwechjeln mie 
im Kaleidoskop; wenn der Kaifer mit irgend einem Offizier ger 
fprochen oder im Ausland etwas gejehen hatte, war er soll neuer 
Forderungen, Eonfteuierte, warf mir Rückſtändigkeit vor, glaubte mich 
durch Mahnungen aufrütteln zu müffen, und außer durch mehrfache 
Abfchiedsgefuche Eonnte ich jpäter nur durch die gejegliche Bindung jene 
Stetigfeit der Entwicklung fichern, welche die Grundbedingung jedes 
Erfolges war, 

Die Gefegesform hatte noch den fehr großen Vorteil, daß mir 
Foufmännifcher vorgehen und nach vielen Richtungen mirtfchaftlicher 
disponieren Eonnten, wenn wir eine längere Strecke Wegs überblichten. 
Und Sparjamteit, in welcher eine große Summe von Vorausberechnung 
ftedte, war für die Wehrmacht in Deutfchland eine bittere Notwens 
digkeit. 

Schon Anfang Juni 1897 hatte ich eine Unterredung mit dem 
damaligen preußifchen Finanzminifter v. Miquel gehabt, hauptfächlich, 
um die allgemein politifche Seite der Flottenvorlage mit ihm zu er= 
örtern, wobei er mir einige allgemeine Zuficherungen auf Unterftügung 
gab. Sehr unerwartet Fam mir nun am 5. Auguft ein Artikel ber 
„Nordd. Allg. Zeitung”, der, von Miquel infpirirt, ausführte, das an 
fich erftrebenswerte Geſſetz wäre vorläufig nicht zu machen; forts 
fchreitende Entwiclung der Marine fei nötig, müffe aber ohne Befchräns 
ung der parlamentarischen Rechte des Reichstags durchgeführt werden. 

Dieje Veröffentlichung mar ohne Zweifel unzuläffig und für das 


Stepfis und Gleichgültigkeit 87 


Geſetz gefährlich. Trotzdem vermied ich einen offenen Konflikt. Miguel 
war wie das ganze Staatsminiſterium gegen das Geſetz, wollte aber 
des Kaiſers wegen nicht offene und fchroffe Oppofition machen, verz 
jüchte deshalb allgemein abzumiegeln und mich durch Vorftellung der 
Schwierigkeiten von meinem Plan abzubringen Weg er ſah, daß ich 
fejt zu bleiben entichloffen war, wurde er entgegenfommenver. 

Die allgemeine Skepſis bei den Spiken und Sleichgiltigfeir bei 
den Mafien des Volks brachte mich auf den Gedanken, um Bismarcks 
Unterftügung zu werben, 


— — — — 


Zehntes Kapitel 
Be Bismard 


1 

Im Juni 1897 hatte ich dem Kaiſer vorgeſchlagen, dem nächſten 
Schiff, das von Stapel laufen ſollte, den Namen „Fürſt Bismarck“ 
zu geben. Ich wußte, daß der Fuͤrſt oder ſeine Familie den allerdings 
irrigen Verdacht hegte, es wäre im Augenblick ſeiner Verabſchiedung 
ein Schiff mit ſeinem Namen abſichtlich aus der Liſte geſtrichen worden. 
Ich hoffte mit dieſem Schritt die Entfremdung zwiſchen Bismarck und 
der Regierung zu mildern, und wünſchte, im Herbſt die Einladung pers 
fönlich nach Friedrichsruh zu überbringen und bei diefer Gelegenheit mir 
bei dem alten Fürften den Kugelfegen für dad Flottengefeß zu holen. 

Der Kaifer ftimmte nach einigem Zögern zu, ſchickte aber dann von 
fi) aus ein Kabinettsjchreiben an Bismard, worin er ihn zum Stapel: 
lauf eines Schiffes einladen Tieß, ohne jedoch ben Taufnamen zu 
nennen. Er fette bei diefem Gnadenakt die Freude, bie ihm felbft der- 
artige Feftlichkeiten bereiteten, wie ftets auch bei anderen voraus und 
wollte den Fürſten wohl überrafchen. Bismard antwortete ungefähr, 
er wäre ein zu alter Mann für eine folche Sache. Sch befam nun 
ben Befehl, die ziemlich verfahrene Gefchichte wieder einzurenken. 

Sch erbat beim Fürjten brieflih Audienz, um ihm über das beab- 
fichtigte Vorgehen der Marine Vortrag zu halten. Der Brief kam un: 
eröffnet mit der Bemerkung zurüd, der Fürft nähme Eeine Briefe an, 
auf deren Umfchlag nicht der Abfender vermerkt wäre, Auf einen zmeiten 
Brief wurde mir gejagt, ich möchte Fommen 

In Friedrichsruh pflegte man um die Mittagszeit einzutreffen. Graf 
Rantzau, der mir perfönlich befannt war, Fam mir entgegen; ich bat um 
feine Unterſtützung. Als ich eintrat, faß die Familie bei Tifch, der Fürft 
am kurzen Ende der Tafel. Er ftand auf, kühl, aber höflich, ſehr 
Grandfeigneur, und blieb ftehen, bis ich Plab genommen hatte. Er 
war von heftigen neuralgifchen Schmerzen geplagt, bielt Gummikiſſen 
mit heißem Waller an bie Bade, ab gefchabtes Fleiſch und Eonnte 


Bon „Katern” und Horniſſen“ 89 


nur mit Mühe fprechen. Nach dem Genuß von 13/5 Flaſchen Sekt 
wurde er lebendiger. Nach dem einfachen Frühſtück rauchte ihm Gräfin 
Wilhelm Bismard die lange Pfeife an und die Damen verließen den 
Raum. Die Stimmung war ſchwül. Mit einem Male wölbten fich die 
großen Nugenbrauen, er fah mich mit einem vernichtenden Blick an und 
grollte los: „Ich bin Fein Kater, der Funken gibt, wenn er geftreichelt 
wird.” Sonft bin ich nicht fchlagfertig, aber angefichts diefer faſt ver: 
zweifelten Ausfichten Eonnte ich doch nicht frumm fißen bleiben und er 
mwiderte: „Soviel ich weiß, find das nur die ſchwarzen Kater, Durch 
laucht.“ Graf Rantzau griff eifrig ein: „Der Admiral hat Necht, es 
find nur die fchwarzen.” Die Atmofphäre wurde weniger eleftrifch. 
Sch fagte nun meinen Auftrag und er antwortete, er Fönnte nicht mehr 
nach Kiel Eommen, Uniform anziehen und Sporen tragen, und mollte 
nicht als Ruine vor der Öffentlichkeit ftehen, Um etwas Poſitives 
herauszubekommen, erwähnte ich, ob vielleicht eine der Schwieger⸗ 
töchter beim Stapellauf erfcheinen Eönnte? Er erwiberic, da müßte ich 
dieſe fragen; er überließ es der Form nach deren privater Entichließung. 
Darauf berichtete ich meinen perſönlichen Hauptzweck. 

Sch legte meinen Plan dar, bemühte mic, den Fürſten zu überzeugen, 
daß es fih um Feine bloße monarchifche Xiebhaberei handle, wogegen 
ich mich in dieſen Zahren häufig zu verteidigen hatte, und betonte, es 
wäre die Abficht, das fchon 1867 vom Reichstag genehmigte Marines 
programm jeßt, in moderne Form gegofien, durchzuführen. Wir müß- 
ten mit Rückficht auf das kommende Sahrhundert ein gewijfes Mag 
politifcher Seemacht haben, In den Siebziger Jahren wäre das nicht 
fo nötig gewejen, unermeßlicher Ruhm und der Glanz großer Namen 
hätten uns damals über jede Schwierigkeit hinweggeholfen. Seht da⸗ 
gegen würde eine Unterlage realer Macht notwendig, 3.8. angefichts 
unfrer Rage bei einem ruffifcheenglifchen Krieg, mit dem ernfthaft zu 
‚ technen wäre. Sch wäre gekommen, mir feinen Segen zu erbitten, 
wenn wir jet gemäß unfren taktifchen Erfohrungen eine beftimmte 
Flottenmacht fchüfen. 

Bon der militärischen Seite der Sache wollte Bismarck offenbar 
nichts hören, das war nach wenigen Worten herauszufpüren. Von den 
großen Schiffen hielte er nicht viel; mit feinem Freund Roon wäre er 
ber Anficht geweſen, daß man viele Pleine Schiffe brauchte, die wie 
Horniffen um das große Schiff ſchwärmten. Mein Verſuch, ihm bei: 


90 Bei Bismard 


zubeingen, daß das große Schiff die Kraftfonzentration bilde um x 
den einzelnen Stellen die Überlegenheit hätte, gelang nicht febr, eı 
meinte, das möchte für die Bataille rangse gelten, aber er bliebe bei 
den „Horniſſen“ und münfchte durch viele Bleine Schiffe, die man 
draußen in der Welt fahren Iafjen Eönnte, den Auslandsdienſt zu 
pouffieren, Meine Betätigung, es wäre wichtig, wenn mir ein paar 
Muslandshäfen befämen, führte zu einem Ausbruch gegen Caprivi, 
Ausgenommen feinen alten Freund Roon, der bi 1871 das Marine 
minifterium im Nebenamt verjah, hätte er fich nie mit den Marines 
miniftern geftanden. Caprivi wäre immer wie ein hölzerner Ladeſtock 
zu ihm in die Wilhelmftraße gekommen; was hätte man auch viel von 
ihm erwarten können; er hätte als Leutnant ohne Zulage zweiundzwanzig 
Jahre in Berlin die wohlhabenden Kavallerieoffiziere gejehen, deren 
Väter Landgüter gehabt hätten; als er Neichsfanzler wurde, hätte er 
geglaubt, es den Grundbeſitzern eintränfen zu Fönnen. Die Löfung des 
Rückverfiherungsvertrages mit Rußland wäre das furchtbarfte Unheil 
geweſen. Unſre politifche Lage bei einem englifcheruffiichen Konflikt, fo 
erFlärte mie Bismard, wäre durch das Stichwort „Neutralität gegen 
Rußland“ gegeben; das brauchte Rußland, das genügte ihm aber auch. 

Die von mir angeregte Möglichkeit, daß ein neuer Pitt eine folche 
Neutralität eben nicht wünfchen und unfre Feindfchaft vorziehen Fönnte, 
fomwie daß auch andere Konftellationen denkbar wären und nur eine acht 
bare Flottenftärfe ung für Rußland und andre Mächte bündnisfähig 
machen Eönnte, wiege Bismard beinahe zornig von der Hand. Die Eng: 
Linder wären einzeln genommen ganz würdig, aber Krämerfjeelen in 
der Politif, Wenn fie kämen, würden wir fie mit Landwehrkolben tot» 
ſchlagen. Daß eine fcharfe Blockade uns niederzwingen würde, könnte 
er nicht im mindeften verftehen. 

Der alte Fürſt dachte offenfichtlich an das agrariſche Deutjchland 
von 1870 und an dag politifche England von 1864, und verſtand die 
gewaltige Pofition des britifchen Weltreichs im Jahre 1897 nicht mehr. 
Nberhaupt folgte er mehr feinen eigenen, von früher her feititehenden 
Gedankengängen, als daß er fich noch die Mühe nahm, einen Vortrag 
aufzunehmen. In der Hauptjache aber gab er mir Necht: „Sie braus 
chen mich gar nicht davon zu überzeugen, daß wir mehr Marine nötig 
baben.” Er hat mir fpäter die Zuftimmung zu meinem Vorgehen auch 
noch fchriftlich beftätigt. 





Bismard unb das Gleichgewicht zur See 91 


Wie wenig dem Fürften in feinen guten Tagen der Gedanke fremd 
geweſen war, daß mwir eine gewiſſe Bündniskraft gegen England bes 
figen müßten, beweifen die Aufzeichnungen des früheren frangöfifchen 
Botſchafters in Berlin, Barons de Courcel, dem der Fürft 1884, alg 
die Eolonialen Beſtrebungen Deutjchland und Frankreich einander an: 
zunähern fchienen, die Möglichkeit eines Seebündniſſes ziwiichen den 
feftländifchen Nachbarmächten umriß. „Was ich erſtrebe,“ jo fol fich 
der Fürſt damals geäußert babent), „iſt die ‚Herſtellung eines ges 
wiſſen Gleichgewichts auf dem Meere‘, und Frankreich hat in dieſer 
Hinſicht eine große Nolle zu fpielen, wenn es auf unfre Anfichten 
eingehen will. Man fprach Früher viel vom europäiſchen Gleichgewicht; 
das ift ein Wort des 18. Jahrhunderts. Sch glaube indefjen, es wäre nicht 
verjährt, vom „Gleichgewicht auf dem Meere‘ zu fprechen. Sch wünſche 
Beinen Krieg gegen England, dagegen möchte ich es zu der Einficht bringen, 
daß die Flotten der übrigen Nationen ihm gegenüber ein Gleichgewicht 
auf der See heritellen und es zwingen Fönnen, auch auf die Intereſſen 
anderer Nücdficht zu nehmen, wenn fie fich vereinigen. England muf 
fi nur an den Gedanken gewöhnen, daß ein Bündnis zwiſchen Deutfche 
land und Frankreich nicht außer dem Bereich der Möglichkeit liegt.” 

Eine Verföhnung mit Frankreich zumege zu bringen, wäre Bismard 
ſelbſt wohl der einzige Mann geweien. Da e8 aber nicht zu diefer Vers 
ſöhnung kam, waren dem Alternden jene Gedankengänge entfrembet. 
Er fühlte nicht mehr, wie ftarf die von ihm geforderte diplomatifche 
Anlehnung an Rußland, deren Notwendigkeit auch mie Flar war, ans 
gefichts der veränderten Weltlage eine maritime Gleichgewichtspolitif 
und Bündnisfähigkeit zue See als Unterbau verlangte. Bei der bri- 
tifchen Feindfeligkeit gegen ung, wie fie fich feit 1896 fchonungsios 
offenbarte, war die Machtfrage fo geftellt: wie wir, auf unferer über- 
völkerten Scholle zufammengedrängt, den Frieden mit England bewahren 
Fönnten, ohne wirtschaftlich vor feinem KHandelsneid zu fapitulieren, 
oder wie wir, falls England unfere Eindämmung befchließen würde, 
einen Krieg mit ihm beftehen Fönnten, Für Beides diente weder der Zus 
ftand der Flottenlofigkeit noch eine Auslandsflotte zur Abhilfe, fondern 
allein eine Schlachtflotte, deren kriegeriſche Achtbarkeit und Bündnigs 
wert es ben Engländern erfchweren mußte, mit ung anzubinden. Er 





2) Neue Preußiſche (Kreuz:)Seitung 20. Auguſt 1913, 


92 Dei Biömard 


war eben „‚eine neue Zeit angebrochen”, wie ber alte Fürft beim lebten 
Anbli des Hamburger Hafens gefagt hat, als er überwältigt von dem 
ungeheuren Leben, das fich dort feit der nachbismardifchen Zeit ent 
wickelt hatte, an das gemächliche, von den Engländern beherrfchte alte 
Hamburg zurücddachte, 


2 


Nachdem wir zwei Stunden am Tiſch geſeſſen hatten, forderte der 
Fürſt mich auf, mit ihm durch den Sachfenwald zu fahren. Nachmit- 
tagsruhe hielt er nicht. Im Magen rechis und links ftanden große 
Slafchen Bier; die wurden aufgezogen und getrunken; mit feiner Kraft 
ratur mitzukommen, war nicht eben leicht. Um vor dem Kutfcher freiweg 
zu Sprechen, bediente fich der Fürſt einer fremden Sprache und, wie in 
ihm Zartgefühl neben Gewaltſamkeit lebte, fo wählte er das Engliſche, 
von dem er annahm, daß es mir ald Seemann am geläufigften wäre, 
und das er vorzüglich fprach, Er äußerte fich über den Kaiſer ſchonungs⸗ 
log, nahm e8 mir aber nicht übel, wie ich gegen feine ſtarken Yus- 
drücke einwandte, ald Offizier hätte ich für den Kaifer einzutreten. Er 
erzählte, wie die Kaiferin Auguſta 1848 auf die Abdankung des Könige 
und den Thronverzicht des Prinzen von Preußen binarbeitete, und wie 
ee als Führer der Rechten in der Kammer dem Abgeordneten v. Binde, 
der ihm im Auftrag der Prinzeß eine Regentſchaft der Prinzeffin Auguſta 
für den Prinzen Friedrih Wilhelm vorfchlug, zur Antwort gab, er 
würde auf einen folchen Antrag hin beantragen, den Antragfteller zu 
verhaften; wie dann bie Prinzeß noch einmal mit ihm in Potsdam ges - 
ſprochen und ibm, wobei fie heftig auf die Schenkel Elopfte, erklärte, 
es käme ihr nur auf ihren Sohn an, und wie diefer Teßtere, im Flur 
hinter einer Niſche wartend, weinend und mit ausgeſtreckten Händen 
auf ihn zugegangen fei. Von Kaiſer Friedrich fprach er mit Zuneigung; 
er hätte trog ber Kaiferin Viktoria auch während ber Krankheitszeit 
dem Kanzler noch die Stange gehalten. — Dem SKaifer möchte ich 
jagen: er wünfche nichts anderes als allein gelaffer zu werden (to be 
let alone) und in Frieden zu fterben. Seine Aufgabe fei getan, es gebe 
für ihn Feine Zukunft und Feine Hoffnungen mehr, 

Dir fuhren zwei Stunden, trotz zeitweiligem Segen ohne Verdeck; 
ber Fürſt rauchte die Pfeife. Er erzählte von feiner früheren Jagd⸗ 
leidenfchaft, wie er einſt hundert Meilen Fahren Eonnte, um einen 





Letzter Beſuch 93 


Bock zu ſchießen, und wie er jetzt als gebrochener Mann das Wild 
nur noch zu ſehen liebte und es nicht mehr über ſich gewönne, dem 
ſchönen Tier ein Loch ins glänzende Fell zu ſchießen. Er erzählte von 
ſeiner verſtorbenen Frau, die ſeine Stütze geweſen wäre; die Tränen 
traten ihm in die Augen; es war ergreifend, wie er ſeinen Zuſtand zu 
ſchildern vermochte. Er erzählte auch von ſeinen engliſchen Beziehungen 
und wie er im allgemeinen die Seeleute gern gehabt hätte, uns, die 
blaue Couleur, aber nicht die Diarinegeneräle... 

Ich gab acht, daß ich ihm ich möchte fagen Eöntgliche Ehren erwies; 
das lag auch fo im Gefühl, daß mean gar nicht anders konnte. Sch 
jtellte mich beim Ausfteigen militärifch grüßend hin; vor dem Land—⸗ 
haus hatten fich Dienfchen gefammelt und riefen Hurrah. Wir Famen 
zum Übendefjen; ich faß wieder neben Bismard. Da muß id) noch 
einen feinen, taktvollen Zug von ihm erzählen. Ich hätte gern eine 
Photographie mit Unterfchrift von ihm gehabt, wußte aber, wie unan⸗ 
genehm es berührt, wenn man darnach drängt, und hatte als Begleiter 
bes Prinzen Heinrich in Stalien mit Ekel erlebt, wie da um die gegen- 
feitigen Orden und Photographien gekämpft wurde. Es war mir ander: 
feits doch leid geweſen, daß ich feinerzeit nicht gewagt hatte, an den 
alten Moltfe die Bitte um ein Andenken zu richten, als ich ihn unter 
Stoſch in Kiel über das Torpedoweſen informieren und hierbei die 
Abgeflärtheit feines veinen, großen Geiſtes fpüren durfte. Bismard 
nun hat mir die Bitte erfpart, indem er fich meines alten Vaters von 
ber Prima des Grauen Klofters her zu erinnern vorgab und mir fein 
eignes Bild für meinen Damals noch Iebenden Vater einhändiate, 


3 

Ich bin noch zweimal bei dem alten Herrn geweſen, das lehtemal 
im Gefolge des Kaiſers, der fich nach der feierlichen Verabfchiedung 
des nach Tſingtau gehenden Prinzen Heinrich mit der ganzen Gefell: 
fchaft von Rendsburg aus etwas plötzlich in Friedrichsruh angefagt 
hatte. Bismarck empfing den Kaiſer im Rollſtuhl an der befcheidenen 
Eingangstüre des Landhaufes, Wir gingen gleich zu Tiſch, Bismard 
jete fich mit fremder Unterftüßung, war aber, nachdent er jaß, wieder 
ganz friſch. Sch hatte den Play fchräg gegenüber dem Fürjten, neben 
dem der Kaifer faß, zu meiner Seite der fpätere Generaloberft v. Moltke. 
Der Fürſt verfuchte, politische Gefpräche anzufpinnen, über unſer Ders 


04 Be Biämard 


bältnis zu Frankreich ufm. Zu meinem größten Bedauern ging ber 
Kaifer auf diefe Gefpräche nicht ein, fondern es wurbe die an der Eatjer- 
lichen Tafel häufige Anekvötchenunterhaltung geführt. Immer menn 
Bismarck von Politif anfing, vermied es der Kaifer darauf zu achten. 
Moltke flüfterte mir zu: „Es ift furchtbar‘; wir fühlten es ald Mangel: 
an Ehrfurcht vor einem folchen Manne1). Da ſprach Bismarck aus 
irgend einem Zufammenhang heraus ein Wort, das fich ung in feiner 
prophetifchen Schwere eingrub: „Majeſtät, folange Sie dies Offizierg- 
Eorps haben, können Sie fich freilich alles erlauben; follte das nicht 
mehr der Fall fein, fo ift es ganz anders.” An der fcheinbaren Noncha⸗ 
lance, mit welcher das herauskam, als ob nichts darin läge, zeigte fich 
eine großartige Geiftesgegenwart; baran Eonnte man den Meifter er- 
kennen. 

Als wir aufbrachen, begleitete der Fürſt den Kaiſer im Rollſtuhl bis 
an die Türe und dann nahmen wir einzeln Abſchied. Bismarck verab⸗ 
ſchiedete ſich freundlich von Bülow, von Miquel und anderen. Vor 
mir kam der Kabinettschef v. Lucanus daran, der 1890 bei Bismarcks 
Entlaſſung mitgewirkt hatte. Er verſuchte dem Fürſten die Hand zu 
geben und einen Bückling zu machen. Da entwickelte ſich ein merk⸗ 
mwürdiges Schaufpiel, das von gemaltigem Eindrud war. Der Fürft 
faß da wie eine Statue, Bein Muskel rührte fich, er fah ein Loch in 
die Luft, und vor ihm zappelte Lucanus. Der Fürft drüdte an fich 
nichts aus, es lag feine Abneigung in feinen Zügen, aber er war unbe 
wegliche Maske, bis Lucanus begriff und fich entfernte. Dann Fam ich, 
und nach mir mein treuer Kapitän v. Heeringen. Der war fo hingeriffen: 
(er war ein temperamentvoller Herr), daß er fich hinunterbückte und 
dem Fürften die Hand küßte. Sch freute mich darüber; ich hatte auch 
verfucht, dem Fürften etwas zu fühlen zu geben, fomweit man es kann, 
aber die Handlung des Herrn v. Heeringen war ftärfer. Da nahm der 
Hürft Heeringens Kopf und Füßte ihn auf die Stirm, 

Das ift meine legte Erinnerung an Bismarck. 


Vielleicht hatte der Kaifer fich vorgenommen mit Bismard außenpolitifche 
Fragen nıdyz zu erörtern, 


— — — 








Eiftes Kapitel 
Die Flottengefete 


1 

Bon jebt ab trat die Bismardiche Prefje für mich ein. Sch habe 
weiterhin alle Bundesfürften bis zu den Großherzögen einfchließlich 
perjönlich um ihre Unterftügung gebeten und, indem ich ihnen Vortrag 
hielt, das Gefühl der Mitentfcheidung zu vermitteln gefucht. Dies ges 
lang befonders dort, wo ein Fürft wie König Albert von Sachfen, der 
zugleich ein gefchäftskundiger Mann mar, in die Materie ernithaft eins 
drang oder wie der Großherzog von Oldenburg fich durch eigene Leis 
ſtung ein großes Verdienft um unfere Seeintereffen erworben hat, 
oder wo ein mit SHerrjchereigenfchaften alter Art ausgeftatteter Herr 
wie Großherzog Friedrich von Baden ſich aus dem Perjönlichkeits- . 
durchichnitt heraushob, der fich meinem Eindrud nach im letzten 
Menichenalter allgemein in Deutfchland, bei den Fürftenhäufern wie 
bei den Spitzen der einzelnen Berufszweige geſenkt hat. Natürlich 
babe ich auch die Hanfeftädte aufgefucht; ferner die bundesftaatlichen 
Minifter, deren Kennenlernen fi) als gutes Werbemittel erwies, zu⸗ 
mal diefe Sitte des Herumreifens damals noch nicht in Übung mar. 

Dann habe-ich es für mein Recht und meine Pflicht gehalten, den 
‚breiten Schichten begreiflich zu machen, welche Interejjen hier auf dem 
Spiele ftanden; es galt, den verfümmerten Welthorizont des Volkes 
zu weiten; den durch unfere gefchichtliche Entwicklung abhanden ges 
kommenen oder doch zur Seite gedrängten Sinn für die Kulturwerte, 
die mit der See zufammenhingen, zu wecken; die Überzeugung zu ver⸗ 
tiefen, daß wir gebieterifch auf diefen Weg gewieſen waren, wenn mwir 
das zufammengedrängte Deutichtum ohne riefige Auswanderung in der 
Heimat fo blühend erhalten wollten, wie es ſeit Bismards Schutzzoll⸗ 
| Gefeggebung glücklich gedieh. Heeringen organifierte die Nachrichtens 
| abteilung bes Reichsmarineamts; er reifte an den Univerfitäten umher, 
| wo fich fait alle Nationalöfonomen bis zu Brentano hin in großartiger 


96 Die Flottengejege 


Weiſe zur Unterfiügung bereit fanden. Schmoller, Wagner, Sering, 
Schumacher und viele andere wiefen nach, daß die Aufwendungen für 
die Flotte produftive Ausgaben wären, und flellten die Lage Deutfche 
lands dar, die ungeficherte wirtfchaftspolitifche Grundlage unfrer ganzen 
Kultur und Macht, die Gefahr, daß unfer Menfchenüberfluß ftatt 
eines Reichtums eine unerteägliche Xaft werden Fönnte. Sie zeigten, 
wie fehr unſre Weltftellung auf Sand gebaut war, wie die Chamber- 
lainſchen Zollpfäne u. a. ung zum Vegetieren ale armes Kleinvolk ver— 
urteilten, wenn wir nicht die Macht hätten, ein eigenes Wort gegenüber 
den Überfeemächten in die Wagfchale zu werfen. So Fam ein Schwung 
in die Erörterung nationalpolitifcher Fragen, der ein gejundes Gegen- 
gewicht gegen unfruchtbare fozialpolitifche Utopien fchuf. 

Von den großen Hiftorikern, die in einem früheren Menjchenalter 
die öffentliche Meinung führten, war Feiner mehr am Leben, nachdem 
auch Treitſchke geftorben war, der herrlihe Dann, bei dem ich von 
1376 ab an der Univerfität gehört und mir auch privatim, bei Joſty 
neben ihm fißend und meine Fragen auf einen Zettel kritzelnd, hatte 
Nats Holen dürfen. Warum Treitſchkes Geift in der deutfchen Hiſtorie 
- faft erloſchen iſt, verftehe ich nicht. Unfere Weltlage war doch fo 
eindeutig. Wir hörten ohne eine durch Seemacht gedeckte Induſtrie 
auch auf, eine feftländifche Großmacht zu fein, und daß wir faturiert 
wären, wie die weltabgewandte Haltung mancher Gelehrter anzudeuten 
fchien, konnte höchftens von der Frage der deutfchen Einigung gelten. 
Tach der Löfung der Einheitsfrage ftellte fich aber mit voller Gewalt 
die Frage, ob wir im Rahmen der Menfchheit etwas bedeuten follten. 
Es lag vielleicht in der Neuheit und raſchen Entwicklung dieſes poli« 
tifchen Problems, daß die Hiftoriker in ihrer Mehrzahl es nicht fo Elar 
begriffen wie die Nationalöfonomen!), 


V Don Hiftorikern hat mich befonders Dietrih Schäfer unterſtützt. Mommſen 
lebte noch, der mir gern Schiffe geben wollte, aber Fein Geſetz. Ich Habe ihm in 
Geſprächen gefagt, dag mir in feiner Darftellung des zweiten punifchen Krieges 
die Er* nntnid zu fehlen ſchiene, daß Hannibal durch die römifche Seeherrfchaft 
befiegt worden if. So wird auch der Siebenjährige Krieg und die Napoleonifche 
Zeit in Deutſchland meift viel zu einfeitig aufgefaßt. Hätte die in Deutſchland 
herkömmlich gelehrte Gefchichte und mehr daran gewöhnt, in Kontinenten zu denten, 
jo würde auch der Schulpforter Primus Bethmann-Hollweg vielleicht den Angel: 
punkt des Weltkrieges weniger mißverftanden haben. Es war mir ein betrübliches 
Zeichen für Die Enge unferes gefcichtlihen Horizonte, dag die ausgezeichneten 








Wie die Seeintereffen dem Volke bekannt wurden 07 


Auch die Armee mit ihren feftländifchen Überlieferungen folgte dem 
Wandel der MWeltlage nicht gern, wovon ich bald darauf einen Ans 
wendungsfall im Kleinen erlebte durch die unbehilfliche Vorbereitung 
ber leidigen Chinaerpedition, bei deren Durchführung die mangelhafte 
materielle und geiftige Dispofition der Armeeverwaltung für Aufgaben, 
die nicht zum Zweifrontenkrieg gehörten, nur infolge der weltmännifchen 
Perfönlichkeit des Grafen Walderfee weniger in die Erfcheinung trat. 
Doch habe ich bei hervorragenden Militärs, mit denen ich, wie mit 
den Gelehrten, jedoch unter ftärferer Betonung des militärifch-poli= 
tiſchen Gefichtspunftes ſprach, z. B. bei dem Feldmarfchall v. d. Golß, 
Derftändnig gefunden. Wir liefen Verfammlungen und Vorträge abs 
halten, und bemühten ung namentlich, in großem Maßftabe Kühlung 
mit der Preffe zu bekommen. Wir empfingen jede Zeitung ohne Unter: 
ſchied und gaben allen fachliche Aufklärung ohne Polemik, Sie Eonnten 
damit machen, was fie wollten; eine gewiffe Dankbarkeit für das von 
ung gegebene Material prägte fich doch aus, und fo Famen wir vorwärts, 

Die altherkönmliche Gaftfreundfchaft der Marine gab den Ton für 
die Behandlung der Öffentlichkeit. Wir wollten nicht Gitter um ung 
errichten, fondern grundfählich die Flotte als Sache des ganzen Volkes 
behandelt wiffen. Wir ließen Reifen zur Wafferfante machen, zeigten 
die Schiffe und Werften, wandten ung an die Schulen, forderten Schrifte 
fteller auf, für uns zu fehreiben; es Famen Stöße von Romanen und 
Broſchüren. Vom Kultusminifterium follten Preife an die Schulen 
gegeben werden. Die Reichgleitung, ohne welche ein nachgeordnetes 
Reffort wie dag Neichsmarineamt ja nichts unternehmen Fonnte, unters 
füßte uns unter Bülow. Doch würde die Propaganda noch glücklicher 
geweſen fein, wenn dag Staatsminifterium fie übernommen hätte, Wir 
waren noch ſtarke Außenfeiter. In Preußen 3. B. hatten wir Fein Necht 
auf den Staatsapparat. Ferner Eonnte, um eine folche Propaganda zu 
machen, auf Feine etatsmäßige Bewilligung gerechnet werden. Sch habe 
denn auch den ganzen Werbefeldzug fozufagen Eoftenlog mit freiwilligen 
Spenden durchführen können. Auch das war in Deutfchland ein neues 


Bücher U. v. Peez' fo wenig beachtet wurden. Ich habe fie zu Hunderten ver: 
breiten, ferner das Werk des Admirals Mahan überfegen Iaffen, und hoffte nicht 
ohne Grund, daß die Erziehung unferes heranwachſen den Seeoffizierforps die not: 
wendige Erweiterung des politifchzgefchichtlichen Gefichtskreifes der Nation unters 
flüßen würde, 

Tirpitz, Erinnerungen 7 


08 Die Flottengefche 


Verfahren. Das Entfcheidende war, daß der Gedanke zündete; dann 
trug fich der Funken von felber weiter. 

Es offenbarte fich ein gewiffes Bedürfnis der Nation nach) einem 
Ziel, nach einer vaterländifchen Sammlungsparole. Das Volk war 
nicht faturiert. Wenn ein Volk faturiert ift, geht ed nieder. Stillftand 
und Rückgang liegen hart beifammen, Das war bei ung nicht der Fall, 
und binnen Furzem war die Flotte als Lebensfrage anerfannt und 
ein felbftverftännliches Beſitztum der Nation. Freilich, der politisch 
naive Deutſche glaubte vielfach jeßt plößlich, fchon eine mächtige Flotte 
zu bejißen, während es fich erft darum handelte, eine folche zu 
bauen. Übertreibungen und unzutreffende Vergleiche mit England, Herz 
ausforderungen und Taktloſigkeiten in der Preffe, Parlament und ſon⸗ 
ftiger Öffentlichkeit waren troß allen auch von mir unternommenen 
Warnungen nicht ganz zu unterdrücden, 

Es war ja ein entfcheidender Fortfchritt, daß die Nation jebt die 
See Tiebgewann. An nationalem Überfchtwang fündigt der Deutfche 
nur deshalb, weil er als unverbefferlicher politischer Slufionift zwiſchen 
den beiden Ertremen der Machtſcheu und des Machtraufches hin- und 
herſchwankt ). 


2 


Am 15. September 1897 hielt ich dem Reichskanzler Fürften Hohen⸗ 
Iohe zum erften Male Vortrag über die Gefeßesvorlage. Sch führte 
vor allem aus, daß eine Verfchiebung nicht am Pla wäre; im nächften 
Jahre fänden Reichstagswahlen ftatt; zunächft wäre aljo im Fall einer 
Ablehnung die Auflöfung vermeidbar, und ale Wahlferment wenigſtens 
die Marinefrage nicht ungünftig. Der nächfte Reichstag würde fich 
dann bei erfchöpften Parteifaffen ungern auflöfen laſſen. Am 6. Oftober 


) Die Marineverwaltung hat das ihre getan, um der Öffentlichkeit eine nüch— 
terne Bewertung des Erreichten zu ermöglichen. In der Monatsfchrift „Marine: 
rundſchau“ und im „Nautieus”, den wir alljährlich ald Handbuch privaten Charakters 
herausgaben, um uns ohne offiziöfes Gewicht freier über die Seeintereffen und über 
das Tatſächliche ausfprechen zu können, verbreiteten wir Kenntniffe auch über die 
ausländifhen Marinen, Der Abſatz des „Nauticus“ flieg von Jahr zu Jahr, Er 
war und [don im Anfang ein guter Helfer gegen die flottenfeindlichen Brofchüren 
Eugen Richters und anderer; und ald wir die Annahme des erften Flottengeſetzes 
mit den Parlamentariern in meinem Haufe feierten, fließen wir lachend auch auf 
den großen literarifchen Anonymus „Herrn Nautieus” an, 








Zum erfienmal im Neichötag 99 


ftimmte das Staatsminifterium zu. Die Veröffentlichung der Vorlage 
fand an einem Sonntag früh ftatt, jodaß fie 36 Stunden wirkte, bevor 
Eugen Richter, hierdurch bejonders ungnädig geftimmt, im Montags 
Abendblatt dagegen ſchreiben Eonnte, 

Die Flottengegner im Reichstag, aber nicht fie alfein, fträubten fich 
gegen die Sinebelung des parlamentarifchen Bewilligungsrechtes durch 
ein „Aternat“. Eugen Richter wies als Vorbild auf das Schickfal des 
Slottenplanes von 1365 hin, der tros warmem Gefühl für die Marine 
abgelehnt worden wäre, mweil das Verhältnis zur Verfaffungsfrage ein 
noch näheres und mwichtigereg wäre. Gefährlicher als Richter's Unver- 
ſöhnlichkeit war es, daß auch diejenigen Kreife, die materiell die 
Sachlichkeit und gute Begründung unferer Forderungen anerkannten, 
die formale Bewilligung durch Geſetz größtenteils für unmöglich biel- 
ten, jelbjt wenn ich meine ganze Perfon dafür einſetzte. In diefer 
Richtung begegnete ich auch bei den beften Freunden zweifelndem Achfel- 
zuden, Nun Fam e8 mir aber, wie oben dargelegt, gerade auf den 
Grundfat des Geſetzes an. Sch wies darauf hin, daß die 1873 als not= 
wendig anerkannten 14 Panzerfchiffe erft nach 21 Jahren wirklich 
bewilligt und gebaut waren; nur die Gefeßesform gemwährleifte ange 
meffene Baufriften, nur fie könne die Marine aus der Verwirrung, 
Schwäche und inneren Krife reißen, in welche fie unzulängliche parla- 
mentarifche Behandlung geworfen hatte, 

Um diefen Grundfaß d. h. die Geſetzesform zu fchaffen, bes 
fchränfte ich mich im übrigen materiell auf das Außerfte. Wir ver 
langten Feine neuen Steuern oder Anleihen, wir begrenzten unfern Geld⸗ 
bedarf freimillig aufs Enappfte und banden ung hinfichtlich desfelben 
auf fieben (bzw. fechs) Jahre. Wir forderten für jegt nur eine Eleine 
„Ausfallsflotte“, worüber hinauszugehen damals noch Fein Grund vor= 
lag, da die technifchen Vorbereitungen für Schiffsbau im größeren Stil 
überhaupt erſt zu treffen waren. Darum gaben wir diefem erften Schritt 
die Form, daß er im mefentlichen nichts anderes als den Stofch’fchen 
Flottengründungsplan verwirklichte, Das ganze Vorgehen follte nicht 
als Bruch mit der Vergangenheit erfcheinen. Der Küftenverteidigunggs 
gebanfe wurde erwähnt, teils des gefchichtlichen Zufammenhangs willen, 
teils damit ung nicht Angriffsabfichten untergefchoben würden. Auch 
war ja dag Küftenpanzergejchtwader da und wurde in das Geſetz einfach 
hinübergenommen. Da darin zugleich für fpäteren Erſatz der Küften- 

7* 


100 Die Flottengefeße 


panzer vorgeforgt, über die Art des Erſatzes aber nichts bejtimmt wurde, 
fo verblockte dieje Hereinnahme der alten Typen die ſpätere zweckent— 
Iprechende Entwicklung nicht H. 


Das parlamentarifche Gelingen der Vorlage wurde erhofft vermittelt 
ihrer ficheren Grundlegung durch jahrelange taktifche Arbeit, ſodaß fich 
der Plan als eine gefchloffene, nicht plöglich entitandene, fondern zwin— 
gend aus der Erfahrung erwachſene Forderung darftellte. 

Auf Capelles Rat nahm ich in dag erfte Flottengejeß eine Geldgrenze 
hinein. Zumal da die Geldbefchaffung Feine Schwierigkeiten bereitete, 
die erforderlichen Mittel, wie bemerkt, ohne neue Steuern ſchon vor= 
handen waren, hat diefe Geldgrenze dem Neichstag das Gefeß mund» 
gerechter gemacht, ung nachher bei der adminiftrativen Durchführung 
aber Nöte gefchaffen, weil der Geldivert beftändig fiel. 

Um mit den mafgebenden Abgeordneten Fühlung zu bekommen, ließ 
ich durch meine Mitarbeiter Vorbefprechungen einleiten und trat perſön⸗ 
lich ing Gefpräch, nachdem ich die Stimmung fchon kannte. Un Eugen 
Nichter war ja nicht heranzufommen. Aber ein Teil des Freiſinns unter 
Barth und Nickert ging mit. Die Nationalliberalen waren unfere beiten 
Freunde, Um die anfänglich lauen Konfervativen brauchte ich mich nicht 
zu bemühen, da fie mit Ausnahme von Einfpännern grundfäglich für 
MWehrvorlagen ftimmten, immermwährend eingedenk der harten Gefchichte 
und bedrohten Gegenwart Preußen-Deutfchlandg. Das Zünglein an 
der Wage bildete dag Zentrum, 


Freiherr v. Hertling, ein Freund unferer Sache, beziveifelte wie die 
Mehrzahl aller Politiker die Möglichkeit, eine gefeßliche Bindung zu 
erlangen. Er fagte, die bisherige uneinheitliche Behandlung aller Marine— 
fragen hätte es den Gegnern zu fehr erleichtert, Stimmung gegen alle 
Slottenpläne zu machen; zudem ſchwirrten Staatsftreichsgerüchte, 

Unfere Befprechungen mit dem Zentrumsführer Dr. Lieber, der ich 
bei perfönlicher Empfindlichkeit fachlich als fehr geeignet erwies, haben 


1) Die vorhandenen Küftenpanzer tauften wir beim zweiten Flottengefeß auf 
dem Papier in Linienfchiffe um, was nichts Foftete, aber nunmehr keftimmt zum 
Ausdruck brachte, daß der gefeglich feftgelegte Erfaß dieſer Klaffe der Hochfeeflotte 
zugute kommen follte. Die Front verftand den wahren Grund diefer Übernahme 
der alten Schiffe in den gefeglichen Beftand der Flotte nicht, und es entſtand für 
biefe nicht vollwertige Gattung der Ausdrud „ſchwimmende Särge“. 











Der erſte parlamentarifche Erfolg 101 


Schließlich das Geſetz gefichert, Die Ummandlung des Septennats in 
ein Serennat war von Lieber felbit angeregt. 

So wurde der „Sprung über den Stock“, auf den e8 bei diefer erſten 
gefelichen Feftlegung der Seemacht ankam, vollzogen. Der Reiche: 
tag begab fich eines Teiles feines Nechtes, jährlich in die Marines 
entwiclung einzugreifen. Der nationale Gefichtspunft verdrängte den 
des parlamentarifchen VBetätigungstriebes. Leiten Endes hatten mir 
das Parlament darum überzeugen können, weil wir felbft überzeugt 
waren, 


3 


Sm Winter 1893/99 war ich noch feſt entfchloffen, das Serennat 
innezuhalten. Sch war mir aber ftets Elar darüber und habe das auch 
im Reichstag geäußert, daß das erfte Flottengefeß nicht die endgiltige 
Flotte fchuf; daß wir nach Ablauf des Serennats mit Nachfordes 
tungen kommen müßten, wurde offen befprochen. 

Nachdem 1897 die Nation die Frage, ob eine ftarfe Flotte Dafeing- 
berechtigung haben follte, grundſätzlich bejaht, den materiellen Um— 
fang aber eng begrenzt hatte, reifte die Zeit heran, mo wir ung zu ent- 
Schließen hatten, ob der politifche Schritt zur wirklichen Scemacht ges 
wagt werden oder das ganze Unternehmen nur eine grundfägliche Demon 
firation bleiben follte. Sch war perfönlich entfchlojfen, nach dem erften 
Schritt auch den zweiten zu tun, unter Wahrnehmung der innens und 
außenpolitiichen Lage, Ich dachte an ein „ſprungweiſes Vorgehen‘, wo- 
bei in der Zwiſchenzeit der Reichstag möglichht zu ſchonen war, 

Dies Schonen erwies fich aber als fchwierig; denn nachdem man 
angefangen hatte ernſthaft zu bauen, fiegen die Wünſche bald bis in 
die „aſchgraue Pechhütte“. So Fam ich früher als ich felber geahnt 
hatte, aus der Notwendigkeit, die Geldgrenze höherzutreiben, heraus in 
Erwägungen und Vorarbeiten zu einem zweiten Flottengejeß hinein, 

Schon feit Herbft 1898 nahm ich mir zur Richtfchnur, alle Einzel 
heiten des organifatorifchen Vorgehens fo einzurichten, wie e8 für Fünfz 
tige Flottenverſtärkungen zweckmäßig wäre. Da unfere Maßnahmen 
auf ein fernes Ziel hingeordnet waren, wurden fie auch innerhalb der 
Flotte vielfach nicht verftanden und führten zu inneren Reibungen, bie 
hingenommen werden mußten, um den Geſamtplan nicht zu gefährden. 

Im Lauf des Sommers 1899 erkannten wir, daß mit der Novelle 


102 Die Flottengeſetze 


nicht big zum Ablauf des Serennats (1904) gewartet werden könnte, 
und faßten den Entfchluß, fie fpäteftens für 1901 oder 1902 einzu- 
bringen, den Jahres-Etat für 1900 aber fo zu geftalten, daß er ber 
Novelle den Weg freilegte, und bei feiner Einbringung gleich anzu= 
Fündigen, daß mir die Novelle um einige Jahre vorzuziehen gedächten. 
Die eigentliche Entfcheidung über Inhalt und Zeitpunkt der Novelle felbit 
follte dann erft im Frühjahr 1900 nach vorheriger gründlichere Durch- 
arbeitung des Entwurfs und unter Berüdfichtigung der dann vorliegen⸗ 
den politifchen Verhältniffe erfolgen. Für ein folches Vorgehen erbat 
und erhielt ich am 28. September 1899 die Faiferliche Genehmigung. 
Der beim Immediatvortrag anmwejende Chef des Marinekabinetts ſah 
die parlamentarifchen Ausfichten für gering an, worauf der Kater 
meinte, dann würde eben der eiferne Topf (des Willens zur Flotte) 
den irdenen Topf (der Oppofition) zerjchlagen. 

Bei diefem Entfchluß Teiteten mich drei Gründe, Der erfie war 
parlamentarifcher Itatur. Wir reichten mit der 1898 feitgejeßten Geld- 
grenze nicht aus, denn wir hatten die Preisfteigerung der Schiffe 
unterfchäßt. Sollten die zu vergebenden Neubauten nicht durch Geld- 
mangel verfümmern, mußten wir ſpäteſtens 1900 oder 1901, beffer aber 
fofort, an den Neichstag mit der Bitte herantreten, ung von der 
Geldgrenze zu entbinden, 

Taten wir dies aber, fo waren Nüdfragen des Neichstags Über unfere 
Baupläne nach Ablauf des Serennats nicht zu vermeiden. Kündigten 
wir dann die Novelle erjt für 1904 an, dann hätten wir 1899 eine 
Generaldebatte ohne jeden praftifchen Nuberfolg gehabt, So war es 
richtiger, der doch unvermeidlichen parlamentarifchen Erörterung von 
vornherein ein. pofitives Ziel und im günftigften Fall den Charakter 
einer eriten Lefung zu geben. 

Der zweite, noch wefentlichere Grund, der für ein Vorziehen der 
Novelle fprach, war technifcher und verwaltlicher Art. Wir mußten 
darnach ftreben, jedes Jahr möglichft gleich viel Schiffe zu bauen; 
unfer militärifches Ziel und der Stand unfrer Einrichtungen empfahlen 
eine Baurate von drei großen Schiffen im Jahr, Nun wäre an ſich 
das befte geivefen ein einfaches Geſetz, das ben alljährlichen Bau 
von drei Schiffen vorfah. Aber zu einer derartigen Preisgabe feines 
Bernilligungsrechtes hätte der Neichstag fich niemals verftanden. Er 
fügte fich der gefeglichen Feſſelung nur, infoweit fie durch organiz 





Mom erften zum zweiten Flottengejeg 103 


fatorifche Notwendigkeiten begründet war, nämlich durch jenen orga⸗ 
nifchen Flottenplan, der die von ung als taktifche Einheit erprobte und 
Bon der ganzen Welt nachgeahmte Gefchwaderformation ent 
hielt, nicht einzelne Schiffe. Forderten wir geſchwaderweiſe, fo konnte 
ber Reichstag Geſchwader flreichen, aber nicht Schiffe, weil er damit 
feine Zuftändigkeit überfchritten und in das Militärifch-Organifatorifche 
eingegriffen hätte. Aus der gefeßlichen Gejchwaderformation aber ergab 
ſich nun in Verbindung mit der Lebensdauer der Schiffe eine jährlich 
ſchwankende Baurate, Nach dem erften Flottengefeß reichte die Baus 
rate von drei Schiffen big 19015 dann wären wir auf ein Schiff 
gefunken, um erft in fpäteren Jahren unregelmäßig und teilwetje 
über das Dreiertemps hinaus zu fleigen. 

Das Heruntergehen auf ein Schiff nun hätte uns ber Reichstag 
kaum verübelt, wohl aber die fprunghafte Mehrbelaftung des Etats 
beim Wiederanftieg. Ein erhebliches Karren des Bervilligungsmechas 
nismus war da zu befürchten, wie ich denn ähnliche Beſchwerden 1912 
erlebt habe. Diejes Aufr und Niederſchwanken der Baurate nun vers 
mieden wir zunächft, wenn wie ein neues Flottengefeß fo zeitig vor— 
legten, daß fich aus ihn die Beibehaltung des Dreiertempos von ſelbſt 
ergab. 

Der dritte und wichtigfte Grund endlich, weshalb dad damalige 
Auswärtige Amt unter Bülow und ich mit dem zweiten Flottengeſetz 
nicht noch jahrelang warten wollten, war die veränderte Weltlage. Bei 
Samoa waren ein paar unferer Schiffe von Amerikanern und Eng- 
ländern vergewaltigt worden. Diefe Demütigung hatte im Verein mit 
der unglücklichen Manilas-Ungelegenheit die Stimmung für wirkſamere 
Seegeltung in der deutfchen Öffentlichkeit geſtärkt. Andere Zeichen ber 
Zeit waren die Unterwerfung der Franzofen unter den Willen des fees 
beherrfchenden Englands bei Faſchoda und der zur See verlorene Krieg 
der Spanier gegen Amerifa mit der aus ihm folgenden Einbuße an 
Kolonien. Der Burenkrieg endlich warf feine Schatten voraus. Mächtig 
erweiterte Flottenbaupläne fo ziemlich aller Seemächte deuteten auf 
eine fehnellere Entwicklung der Welt, ald wir fie 1897 anzunehmen in 
der Lage geweſen waren, Selbft innenpolitifch drängten die Verhält— 
niffe vorwärts, Der Streit um den Mittellandfanal fehlen ein Vor— 
fpiel zu dem im Jahre 1902 bei der Neuordnung der Handelsvertrage 
drohenden Zuſammenſtoß der wirtichaftlichen Gruppen, in welchen binz 


104 Die Flottengefeke 


einzugeraten für die Flottenfrage die Gefahr unfachlicher Behandlungs⸗ 
weiſe mit fich gebracht hätte, 

So hatte ich mich alfo Ende September 1899 mit Einwilligung bes 
Kaifers bereit gemacht, in den Etat für 1900 möglichft viele une 
bequeme Forderungen bineinzuarbeiten und während der Wintermonate 
1899/1900 mit den Parlamentariern Fühlung zu nehmen und im 
Keichsmarineamt Form und Inhalt einer neuen Novelle vorbereiten 
zu laffen, über deren Einbringung dann im Frühjahr 1900 je nach 
der Weltlage und Volksſtimmung Befchluß gefaßt werden Jollte, 


4 

Da ich wußte, wie ſchwer es der Natur des Kaifers fiel, diefe 
Sache ausreifen zu laſſen und es fich zu verfagen, felbft damit her- 
vorzutreten, hatte ich am 11. Oktober den Staatsſekretär des Aus— 
wärtigen bitten laffen, auf den Kaifer in dem Sinne zu wirken, daß 
er bei dem beabfichtigten Stapellauf S. M.S. „Karl der Große‘ 
in Hamburg eine verfrühte Berührung der Flottenfrage unterlafjen 
möchte. Graf Bülow ging bereitwillig darauf ein und zeigte fich auch 
feinerfeitg beforgt über etwaige pofitifche Außerungen bei diefer Ge— 
legenheit. 

Der Stapellauf fund in Hamburg am 18. Oktober ſtatt und brachte 
die aufſehenerregende Rede des Kaiſers, der im Rahmen eigener Aus—⸗ 
drucksweiſe unſre noch im erſten Vorbereitungszuſtand befindlichen Erz 
wägungen ohne Befragung des Reichskanzlers oder des Staatsſekretärs 
des Auswärtigen in die Offentlichkeit warf. Mit ſeinem Schlagwort 
„Bitter not tut uns eine ſtarke deutſche Flotte“ nahm der Kaiſer die 
Initiative vor dem Volk auf ſich. In verſtärktem Maße hatte die 
Marineverwaltung jetzt mit dem Verdacht zu kämpfen, ihr Vorgehen 
entſpränge „abſolutiſtiſchen Einflüffen, gegen welche die Reichsverfaf: 
jung gefchügt werden müßte“, 

Indes war ich mir unmittelbar nach der Kaiſerrede darüber Elar, 
daß ich nicht ſchweigen Eonnte, fondern entiveder abbremfen oder da⸗ 
hinterfeuern mußte, Im erfien Fall gingen alle Ausfichten verloren. 
Im zweiten mußte überftürzte Arbeit getan werden und die Marjche 
ordnung war verfchoben. Trotzdem blieb Feine Wahl. Doch wünfchte 
ich wenigftene bis zum Zufammentritt des Neichstags zu warfen, um 
mich mit den Abgesröneten zu beſprechen. 











Abbremſen oder Hinterfeuern ? 165 


Der Kaifer dagegen verlangte fofortige Einbringung der Novelle, 
Auch das Zivilfabinett drängte: „Bismarck hätte Doch die ganze Reichs— 
verfaffung in 24 Stunden gemacht; weshalb ich fo zögerte?“ Dan 
wünjchte die Offentlichkeit von der „Zuchthaussorlage” abzulenken, 
darum follte die Marine als Objekt für Erörterungen dienen, 

Während wir alfo der Kaiferrede nachftichen, fteckte das Marineamt 
noch in den erften Vorarbeiten. Die Befchlagnahme deutfcher Reichs⸗ 
poftdampfer durch die Engländer um die Wende des Jahres trug dann 
in die Dedauerlich überhigte Burenbegeiſterung der deutfchen Offent⸗ 
lichkeit einen Zug eigner nationaler Kränkung hinein und erleichterte 
die Einbringung der Novelle zu Anfang des Jahres 1900, zu ber ich 
andauernd ſtürmiſch vom Kaifer gedrängt wurde. Auch war nament- 
lich dank der Mitarbeit der Nationalöfonomen die öffentliche Meinung 
in ſtärkerem Umfang gewonnen, als wir felber erhofft hatten. 

Von Rußland wurde die Novelle begrüßt und Fürft Hohenlohe 
rechnete auch auf Frankreichs flilles Einverftändnis, Won England war 
dag Entgegengejeßte zu erwarten, obwohl der Kaifer bei feiner Nückkehr 
aus England Ende November 1899 den Beifall des beitifchen Hofes 
wie der englifchen Minifter und Marineoffiziere mitzubringen glaubte. 

Wir haben bei der Bearbeitung des zweiten Flottengejeßes lange ges 
ſchwankt, ob wir den Riſikogedanken gegen England in die Begründung 
aufnehmen follten. Am Tiebften Hätte ich England aus dem Spiele 
aelaffen. Aber eine jo ungewöhnliche Forderung, mie fie hier vorlag, 
nämlich die Verdopplung unferer kleinen Seemasht, ließ e8 Faum ums 
gehen, ben eigentlichen Grund wenigftens anzudeuten. Eine ſchweigende 
Haltung England gegenüber war unfrer Öffentlichkeit doch nicht an— 
zuerzieben, die, der eigenen friedfertigen Harmlofigkeit bewußt, über 
die Burenbefämpfer glaubte fittlihe Enteüftung ausgießen zu dürfen. 
Da wir ung vergeblich bemühten, das Poltern gegen England abzus 
dämpfen, fo empfahl eg fich, anläßlich der Flottenberatung mit eigenen 
Erklärungen den Ton nüchterner zu ſtimmen. 

Sch entfchloß mich alfo in der Begründung zum Flottengefeg ben 
Kampfzweck der Flotte, nämlich den einer ehrlichen politifchen Defen- 
jive, klar auszusprechen und wies im Dezember 1899 auch im Reichstag 
darauf Hin, daß für Umfang und Zufammenfegung der deutfihen Marine 
die fchwierigfte Kriegslage zugrunde gelegt werden müſſe. Dieje trete ein, 
wenn wie dent größten unter den möglichen Gegnern zur Ste gegen: 


106 Die Floitengelege 


überftehen. Für diefen Fall müffe die Flotte fo eingerichtet werben, daß 
ihre höchfte Kriegsleiftung, in einem Verteidigungskrieg, auf ber Noröfee 
in einer Seefchlacht Liege. 

Der Late muß hier unterfcheiden zwiſchen taktifcher und politifcher 
Dffenfive. Jedes Kriegsfchiff und daher auch jede Schlachtflotte ift 
technisch und taktifch immer ein offenfives Inſtrument; auch der Geiſt 
ihrer Führung muß, wie Stofch mir in jenem Briefwechfel fehrieb, „zur 
Dffenfive elektrifirt werden”, Politifch aber bot die beabfichtigte deutfche 
Flotte angefichts der doppelt und dreifach ftärferen beitifchen den Enge 
Ländern jede Friedensgewähr, da es Wahnfinn geweſen wäre, bei einer 
fo geringen Ausficht auf Überwälttgung der britifchen Flotte einen 
Krieg vom Zaun zu brechen, 

Tas wir dagegen anftrebten, war, fo ſtark zu fein, daß auch für 
die gewaltige Übermacht der englifchen Floite das Anbinden mit ung 
ein gewiſſes Wagnis bedeuten ſollte. Hierin lag die politifche Defen— 
five ebenfo wie der taktifche Wille zur Schlacht in einem Ders 
teidigungskrieg . 

Eine gewiſſe Volkstümlichkeit gewann alſo der von uns angedeutete 
Riſikogedanke in der Form, daß unſere Flotte nicht größer aber 
auch nicht kleiner gehalten werden ſollte, als nötig wäre, um auch der 
größten Seemacht den Angriff auf uns als ein gewagtes Unternehmen 
erſcheinen zu laſſen. Die Ergänzung dieſes Gedankens wäre geweſen, 
daß eine beachtbare Flotte auch unſre Bündnisfähigkeit ſteigerte. Was 
wir über den Riſikogedanken unmißverſtändlich ſagten und dachten, ging 
in defenſiver Richtung, wurde aber planmäßig von der engliſchen Preſſe 
verdreht. 

Es iſt im Jahr 1900 allgemein empfunden worden, daß Deutſchland 
im Begriff ſtünde, den unvermeidlichen Schritt zur Weltpolitik zu tun 
und ſeinem Handel ſeine Flagge wenigſtens in angenäherter Bedeutung 
folgen zu laſſen. Je weniger große Worte dabei fielen, je weniger (nach 


Rooſevelt Hat im Juli 1908 für die amerikaniſche Flotte geſagt: „Eine erſt⸗ 
klaſſige Schlachtflotte ijt das befte Friedenspfand; eine rein defenfive Flotte ift 
wertlos. Für eine defenfive Flotte eintreten ift etwa dasfelbe, wie die Stiftung 
eined Schulpreifes für Fechten, bei dem nur parirt werden darf. Eine Flotte muß 
ſolange auf Gegner hämmern fünnen, bis er aufs Kämpfen verzichtet.” Im weiteren 
Verlauf feiner Rede drüdte fich Der Präfident freilich auch politifch offenfio aus, was 
unirem Riſikogedanken fern Iag. 





Was das zweite Flottengeſetz follte 107 


bem mie von Bismarck in Friedrichsruh gegebenen Nat) Perfpek:iven 
eröffnet wurden, befto bejfer war es. Während ich es bedauerte, wenn 
der Wille zur Weltmacht, der ja auf unabfichtlichen Wirtſchaftsentwick⸗ 
lungen und natürlichen Kräfteverfchiebungen ruhte, durch programma- 
tische Kundgebungen zu fehr in das mißverftändliche Licht eines bewußten 
Entfchluffeg und Ruckes geftellt wurde, habe ich in Rominten damals 
dem Kaiſer meine Überzeugung unter folgenden Leitgedanken ausges 
drückt. 

„Wenn das Ziel erreicht iſt, haben Eure Majeſtät eine effektive Macht 
von 38 Linienſchiffen mit Zubehör. Dieſer Macht wird nur noch Eng⸗ 
land überlegen fein. Aber auch England gegenüber haben wir ducch 
geographiiche Lage, Wehrſyſtem, Mobilmachung, Torpedoboote, tak⸗ 
tiſche Ausbildung, planmäßigen organiſatoriſchen Aufbau und einheit⸗ 
liche Führung zweifellos gute Ausſichten. 

Abgeſehen von den für uns durchaus nicht ausſichtsloſen Kampfs 
verhältniffen dürfte England aus allgemein politifchen Gründen vom 
nüchternen Standpunkt des Gejchäftsmannes aus jede Neigung, ung 
anzugreifen, verlieren und uns ein folches Maß von Seegeltung zuge 
ſtehen, daß unfere berechtigten überfeeifchen Intereſſen nicht leiden wer⸗ 
ben!). Bon den vier Meltmächten Rußland, England, Amerika und 
Deutfchland find zwei nur über See erreichbar; darum tritt Die Stants- 
macht zue See mehr und mehr in den Vordergrund. 

Salisburys Ausfpruch, die großen Staaten würden größer und 
ftärker, die kleinen Eleiner und ſchwächer, entfpricht der modernen Ent- 
wielung zur Kraftlonzentration, zum Truſtſyſtem. Da Deutfchland 
in Bezug auf Seemacht befonders zurückgeblieben ift, fo wird eg für 
uns eine Lebensfrage, das Verfäumte nachzuholen. In der Ausbildung 
Deutichlands zum Weltinduftrier und -handelsſtaat Liegt offenbar das 
ſtärkſte Mittel, um den Bevälferungsüberfchuß deutfch zu erhalten, 
Diefe Entwicklung ift unaufhaltfam wie ein Naturgefeg. Wenn man 
fie eindämmen wollte, fo bräche fie durch die Dämme. Bei einer der= 
artigen Handels⸗ und induftriellen Entwicklung wachjen die Berührungs⸗ 
und Konflittspunkte mit andern Völkern, darum ift Seemacht uners 
läßlich, wenn Deutfchland nicht raſch niedergehen ſoll. Hier reihen ſich 
politifche Überlegungen, Bündniserwägungen, an, die nicht in meine 
Zuftändigkeit fallen,” 


) Bol. hierzu Rap. 15, 


108 Die Flottengeſetze 


Im Sanuar 1900 entwickelte ich dem Kaifer den Gedanken, daß 
unfer Flottenprogramm nie ausreichen würde, um England angriffes 
weiſe zu bedrohen. Die Schlachtflotte fei niemals für einen transozea- 
nifchen Krieg, fondern ausschließlich für die Verteidigung der heimifchen 
Gewäſſer beftimmt, und es wäre ein Methodenfenler, vor Verwirk— 
lichung der Schlachtflotte die zweite Entwicklungsgruppe der Marine, 
den Auglandsdienft, irgendivie voranzutreiben). 

Die geforderten Auslandskreuzer wurden vom Reichstag tatfächlich 
verweigert, der ja irgend einen Abſtrich machen muß?). Der mili= 
tärifche Kernpunkt des zweiten Flottengefeßes war die Verdopplung der 
Schlachtflotte. Ferner war von Bedeutung ber Wegfall einer Geld: 
grenze. 

5 

Bei den Verhandlungen über dag zweite Flottengefeß fpielte eine 
befondere Nolle der Zentrumsabgeordnete MüllersFulda, eine etwas 
„erratiſche“ Perfönlichkeit, die fpäter wenig mehr hervortrat und auch 
damals meift hinter den Kuliffen gewirkt hat. Er regte zu unferer 
Freude ſelbſt den Fall der Geldgrenze an, die er für eine nach— 
teilige Einfchränkung des Budgetrechtes erklärte, Indem mir von einer 
Geldfeftfegung diesmal überhaupt abfahen, fielen alle finanziellen 
Schwierigkeiten fort. Dem jährlichen Bervilligungsrecht des Reichstags 
wurde in finanzieller Hinficht freie Bahn gelaffen. Der Reichstag 
bewies aber die Einficht, daß er fich in moralifcher Hinficht viel ſtärker 
band als bei irgend einer Geldgrenze. Denn er hatte fich auf ein be= 
ftimmtes Bauprogramm durch das Gefeh gebunden. Wurden nun bie 
Schiffe größer und teurer, fo Eonnte der Neichstag, der ja die Schiffe 
als folche Fraft Gefetes bemilligen mußte, unmöglich aus Geld— 

) Ih benüßte die Gelegenheit, um dem Kaifer aufs neue Zurüchhaltung mit 
öffentlichen Außerungen anzuempfehlen.' 

2) Da wir mehr wie drei große Schiffe im Jahr infolge der Grenzen der ted): 
nifchen Einrichtungen wie der Perfonalvermehrung nicht auflegen Eonnten, wären 
die geftrichenen 6 Kreuzer doch erſt im Jahr 1906 in Auftrag gegeben worden, 
So machte der Abſtrich tatfiichlich nichts aus; ich bemerkte aber bei der Ablehnung 
im Jahre 1900 fofort, wir würden in der gegebenen Frift die Nachforderung einz 
bringen. So entſtand die Kreuzernachforterung. von 1906. Es mar mir lieber, 
dag 1900 der gefamte Auslandstienit aefirichen wurbe; fo blieb ein genügend 
großer Gegenftand für die Nachforterung, zudem einer, der in gewiſſer Hinficht 
größere Volkstümlichkeit geneß ald der Bau einer Schlachtflotte. 





Eine Lex imperfecta 109 


gründen der Technif Vorjchriften machen: er Eonnte die Verantivortung 
niemals dafür übernehmen, daß die gefehlich feſtgeſetzten Schiffe durch 
ungenügende Geldbewilligung zu Elein und fchlecht ausfielen. Durch 
die Lex imperfecta, die das zweite Flottengefeß mit feiner mates 
riellen Bindung, aber finanziellen Offenlaffung darftellte, begab ſich 
der Reichstag tatfächlich der Möglichkeit, das Geld für die fich ver- 
größernden und verteuernden Typen zu verweigern, wenn er fich nicht 
ben Vorwurf zuziehen wollte, minderivertige Schiffe zu bauen. So hat 
fich der Reichstag 1900 juriftifch feitgelegt, den befchlojfenen Floiten- 
plan auszuführen, und moralijch gebunden, ung dabei Feine Geld- 
ſchwierigkeiten mehr zu machen, wie fie beim erften Flottengeſetz fo bald 
eingetreten waren. 

Die Mitverantwortung, meiche der Reichstag durch diefe Faffung 
des zweiten Geſetzes übernahm, hat fich bewährt. Als wir fpäter durch 
die Engländer genötigt wurden, den Niefenjprung zur Dreadnoughte 
klaſſe zu machen, hat der Reichstag mir die Vergrößerung ſelbſt ent 
gegengetragen, die eine abermalige Verdopplung des Kampfivertes, aber 
auch der Koften, immer ſtreng im Rahmen des Gefehes von 1900, 
mit fich führte, 

Um beim Zentrum weniger Widerftand zu finden, hatte ich bie 
Preisgabe des $ 2 des Sefuitengefeges empfohlen, was der Kaifer 
indes auf Lucanus' Kat, dem Bülow beitrat, ablehnte. Es ift auch 
ohne das gegangen. Unfere Mehrheit war größer, als fie bei den 
lebten Militärvorlagen gewejen war, Sch habe im Reichstag niemals 
unüberfteigliche Hinderniffe, vielmehr, eingefchloffen die bürgerliche Linke, 
im großen Ganzen Verftändnis gefunden. Eugen Nichter Elagte mich 
freilich gebrochener Eide an, weil ich im Januar 1899 auf eine Ans 
frage, ob wir vor Ablauf des Serennats Nachforderungen beabfichtigten, 
der damaligen Lage gemäß verneinend geantwortet hatte. Sch darf 
jagen, daß wir den Neichstag jederzeit wahrheitsgemäß unterrichtet 
haben. 

So Fam alfo das zweite Flottengefeß zuftande, von dem ich mir 
bewußt war, daß e8 eine ganz andere politifche Tragweite haben mußte 
als dag erfie, namentlich im Nahmen einer Bündnispolitik, weil es 
für die übrigen Flotten der Welt die Möglichkeit bot, durch Koalitionen 
mit ung ein gewilfes Gleichgewicht auf dem Meere herauftellen. 


Zwölftes Kapitel 
Beim Flottenbau 


1 

Menn man ein großes Ziel erreichen will, ift man nicht immer in der 
Lage, feine letzten Gedanken zu enthüllen. Auch beruht politifche Arbeit 
auf Divination unficherer Faktoren; wie der Seemann bei bedecktem 
Himmel „mit gegißtem Befte d.h. nach Schägung fahren muß, 
oder wie der Ort, auf den man zufteuert, von Ferne feine Lofalfarben 
richt verrät. Oft verfchiebt fich die Ausficht während der Fahrt, und 
es ift für Außenftehende leicht, Widerfprüche zu finden oder Schwierige 
Feiten zu beftreiten. Sie fagen etwa: wenn du nur im Neichdtag ordent- 
lich redeft, dann wird es fich fehon machen. Wer in einer Spezialität 
arbeitet, haftet fich leicht an ihre feit; den Wirbel aller ihn umringen- 
den Verhältniffe fühlt nur der verantwortliche Leiter felbit. 

Der Staatsfefretär follte ein großes Programm, auf defjen Er- 
fülfung er fich der Nation verpflichtet hatte, durchführen vermittelft 
einer einheitlichen Machtbefugnis, die man bei ihm allerfeits voraus⸗ 
fetste, aber ihm von Feiner Seite aus wirklich einräumte. Es galt 
durch Einfegen der ganzen Perfon das Vertrauen der Gefamtheit zu 
rechtfertigen und die ungeahnt vielen und Eräftigen Widerftände nieder 
zufämpfen. 

Wir fanden zunächft vor einem Labyrinth technifcheorganifatorifcher 
Hragen und Meinungsverfchiedenheiten, Sch fand, daß unfre Schiffes 
formen befonderg ungünſtig waren. Es dauerte aber Fahre, bis ich diefem 
Übelftand abhelfen Eonnte durch Schaffung von Schleppanftalten, die ung 
fehlten, weil die Techniker zu wenig davon gehalten hatten, durch Schlepe 
pen von Modellen die befte Form für Schiffsgefchwindigkeit feftzuftellen. 
In der Länge und Größe der Schiffe wurden wir durch die Wilhelms- 
havener Schleufen befchränft. Diefe zwei Umftände trugen dazu bei, 
daß namentlich unfre in der erften Zeit des Flottengefeges gebauten 
Schiffe nicht die Schnelligkeit erlangt haben, die ihre Mafchinenkraft 





Ülfer Anfang ift ſchwer 111 


gerechtfertigt hätte. Die DVerlegenheit war chronisch, bis (1910) die 
dritte Wilhelmshavener Einfahrt gebaut war, Einen großen Nachteil 
gegenüber allen Flottenbauenden Nationen verurfachten ung ferner bie 
Sandbarren unſrer Nordfeeflußmündungen, die verhinderten, ben 
Schiffen den zwecmäßigften Ziefgang zu geben. Sn gewiſſem Sinn 
Eehrte für uns die Beſchränkung wieder, welche den Holländern dee 
17. Sahrhunderts in ihrem Kampf gegen die Engländer teuer zu ftehen 
gefommen iſt. In der Seeſchlacht kämpft nämlich im mefentlichen 
Schiff gegen Schiff; das technifch Entfcheidende ft noch mehr die im 
Einzelichiff angehäufte Kraftkonzentration als die Anzahl der Schiffe. 
Da nun die Holländer wegen der Nordfeeflußläufe -ihre Schiffe 
nicht fo groß bauen Fonnten, wie die Engländer, erlangten biefe Die 
örtliche Überlegenheit. Diefe und viele andere Hemmniſſe galt es alfo 
in kurzen Jahren fo zu überwinden, daß unfre Schiffe troß alfem die 
englifchen an Kampfwert übertrafen, 

Ganz allgemein wurde der Flottenbau erfchiwert durch den damals 
niedrigen Stand unferer Eonftruftiven Technik. Man hatte den Ver⸗ 
mwaltungsbeomten in der Admiralität zuviel Macht über die Technik 
eingeräumt; felbft fozial und in ihren Bezügen waren die Schiffe: 
bauer gedrückt worden. Der ftille Kampf zwiſchen Juriſten und Tech 
nifern war einer der Gründe, weshalb wir den Flottenbau mit mangel- 
haften und zahlenmäßig unzureichendem Perfonal beginnen mußten. Der 
oberfte Techniker der Admiralität Hatte fich individuell eingerichtet, 
verſchloß die eigentlich wiffensiwerten Dinge in feinem Notizbuch und 
buldete Feinen Nebenbuhler. Diefe Lage Eonnte ung einmal zum Nieder⸗ 
bruch führen. Dabei Fonnte die technifche Leiftungskraft nicht wie die 
Drganifetion langfam emporwachfen, fondern follte mit dem Beginn deg 
Flottenbaues fofort vollgereift einfeßen und an Maſſe und Tempo der 
Arbeit plößlich nahezu ebenſoviel bewältigen wie ein Jahrzehnt fpäter. 
Sch bemühte mich darum vom erften Tage ab, die Stellung der Techniker 
zu heben und Nachwuchs zu ſchaffen; ich verfuchte die Herren Eennen zu 
lernen und picte mir die heraus, die zukünftige Konſtrukteure abgeben 
konnten, wozu es ja verhältnismäßig wenige bringen. Die Engländer 
wählen fich einen Chefingenieur mit ziemlich fouveränen Befuaniffen 
und drüden ihm ein Sahresgehalt von 100000 Mark in die Hand, 
Solche „Verſchwendung“, wie fie einer großzügigen alten Ariſtokratie 
anfteht, follte man dem Schatzamt und der demokratifchen Mifgunft 


112 Beim Flottenbau 


unferes Parlaments vorgefchlagen haben! Sch bildete einen Sonder⸗ 
fonds für onftruftive Leiftunggr und überwies daraus Herren, die 
fich ausgezeichnet Hatten, Vergütungen big zu 4000 Mark. Aber ob- 
wohl ich ihnen das Geld durch Brisf ſchickte, mit der Bitte, darüber 
zu ſchweigen, machte fich die deutfche rechtfchaffene Kleinlichkeit darüber 
ber; die Empfänger felber baten um gleichmäßige Verteilung des Fonds 
propter invidiam der anderen! Da war es Fein Wunder, daß die Privat: 
induftrie ung viele gute Techniker mwegangelte; die Herren meldeten 
ſich vielfach nach einiger Zeit Fran? und gingen fofort an eine große 
Firma ab. Trotz diefen und zahlreichen anderen, hier nicht zu erör- 
ternden Schroierigfeiten gelang es mit der Zeit, die englifche Qualität 
des Kriegsfchiffsbaues zu überflügeln, was fich auch bei der Privat: 
induſtrie im Bau der großen Perfonendampfer geltend machte. 

Ein Jahr nach Übernahme meines Amtes war eine fehrwierige Über- 
gangsperiode eingetreten, in welcher mangels anderer leitender Kräfte ein 
Seeoffizier, Admiral Büchſel, als Chefkonftrufteur in die Breſche 
Ipringen mußte, Von den Baubeamten, die ich inzwiſchen für die höheren 
technijchen Aufgaben defignierte und denen ich durch Reifen und be= 
fondere Kommandierungen Gelegenheit gab, fich für ihr großes Ziel 
vorzubilden, fällt ein befonderes Verdienft auf unferen fpäteren Chef: 
Eonfteufteur, Gcheimrat Bürkner. Sein Zufammenarbeiten mit ung 
Seeoffizieren für die gemeinfame und untrennbare Aufgabe empfand 
ich perfönlich ftets als vorbildlich. Auch die anderen technifchen Herren 
haben zu der fich fletig verbeffernden und zuletzt unübertrefflichen 
Konſtruktion ihr volles Teil beigetragen. Die Art unferes Schiffebaues 
und die in ihm Feiftallifierte geiftige Oefamtarbeit möge dem Laien 
an einem Beiſpiel verdeutlicht werden, 

Im Geefampf ift nicht Geländegewinn, fondern Vernichtung des 
Gegners das einzige Ziel; feit Einführung der Dampfkraft und der 
modernen Schußwaffen wird es nicht mehr dur) Enterung, fondern 
nur noch durch Verſenkung erreicht. Solange ein Schiff ſchwimmt, 
behält e8 einen gewiſſen Kampfwert und kann nachher leicht repariert 
werden. Die tödliche Verlegung der Unterwafferteile des Schiffskörpers 
ift darum das letzte Ziel der Angriffswaffen, die Erhöhung der Sint- 
ficherheit das Hauptziel der Schugmaßnahmen, Bis 1906 waren 
unfere Schiffe gegen Unterwaſſerwaffen wenig, die englifchen Schiffe 
noch) im Kriege felbft fchlecht geſchützt. Bei den älteren Schiffen führte 








Wir arbeiten gründlich 113 


ein Zorpebotreffer meift zum Untergang, wie 3.8. der erfolgreiche 
Kampf von UI mit drei großen englifchen Kreuzern zeigt. Gleich 
nach Erledigung des Flottengefeßes ließ ich nun die Frage der Sink- 
ficherheit in eingehende Arbeit nehmen. Wir merkten dabei bald, daß 
wir wirkliche Probefprengungen in größerer Zahl vernehmen mußten, 
um genügendes Erfahrungsmaterial zu fammeln. Da mir moderne 
Schiffe nicht opfern, an alten nicht genügend lernen Fonnten, bauten 
wir eine Sektion eines modernen Schiffes für fich allein und nahmen 
an ihr Sprengverfuche mit Torpedoföpfen vor, deren Verlauf wir jedes- 
mal genau fludierten. Dabei erprobten wir die Möglichkeit, die Spreng- 
kraft dadurch abzufchwächen, daß die Sprenggafe zuerft nicht auf 
Widerftand, fondern auf Teere Räume trafen. Wir ermittelten die ge 
eignetfte Stahlart der verfchiedenen Konftruktionsteile und fanden ferner, 
daß die Sprengmwirkung aufgebraucht wurde, wenn wir fie zwangen, 
Kohlen in erheblicher Maffe zu pulverifieren. Hieraus ergab fich eine 
befondere Anordnung eines Teiles der Kohlenbunker. Der auf diefe 
Meife abgefchwächten Sprengkraft Eonnten wir nunmehr durch eine 
ftarke, forgfam gebaute Stahliwand den Widerftand entgegenfeben, 
der das Schiffsinnere endgültig ficherte. Diefes „Torpedoſchott“ wurde 
glatt und ohne Unterbrechung durch die ganze Länge des wertvollften 
Schiffsteils durchgeführt. Die durch Jahre fortgeferten Verfuche, für 
die wir die Millionen nicht fcheuten, lieferten ferner Auffchlüffe über 
die zweckmäßigſte Materialverwendung und die Baumeife der anfchließen: 
ben Schiffsteile. Darüber hinaus wurde das gefamte Untermwafferfchiff 
durchfonftruiert für den Fall, daß die Lofalifierung der Trefferwirfung 
nicht gelänge, daß mehrere Treffer einfchlügen uſw.; unendliche Arbeit 
wurde auf Einzelheiten verwendet, wie dag Pumpenfyflem oder die Mög: 
lichkeit, das zum Überliegen gebrachte Schiff durch Gegenfluten bes 
ftimmmter Räume wieder fchnell in magerechte Schwimmlage zu ver: 
ſetzen. Wir verzichteten fchließlich völlig auf Verbindung der Unterwaffer: 
räume durch Türen, die beim Untergang der „Titanic“ eine fo verz 
hängnisvolle Rolle gefpielt haben u. a. m. 

Die durch unfer Syſtem erzielte Sinkficherheit hat die Probe be: 
fanden. Unfere Schiffe waren im Gegenſatz zu den britifchen nahezu 
unverwüſtlich. Auf der Eleinen „Wiesbaden“ hämmerte die ganze eng- 
lifche Flotte herum, und das arme Schiff mwollte nicht finken. Die 


„Mainz“, obwohl ganz zufammengefchoffen und torpediert, mar nicht 
Tirpig, Erinnerungen 8 


114 Beim Slotienbau 


unter Waffer zu bekommen, bis ein Offizier und der Torpedomaſchiniſt, 
nachdem alles Übrige von Bord gegangen war, das Schiff durch Öffnen 
der Torpedofchleufen zum Sinken brachten und mit ihm verfanfen. 
Der ausgezeichnete Kommandant der „Emden“ feßte fein Schiff mit 
der äußerſten Kraft auf die SKorallenriffe, und troßdem blieben 
die inneren Konftruftionen heil. Was unfere Schiffe an Minen⸗ 
und Torpedotreffern aushielten, ohne zu ſinken, war erſtaunlich. Bei 
dem Vorftoß des Admiral v. Nebeur auf Imbros erhielt „Goeben“ 
drei ſchwere Minentreffer, konnte aber trotzdem mit eigener Kraft in 
den Bosporus zurückkehren, während ein modernes englifches Linienfchiff, 
der „Audacious“, nach einem einzigen Minentreffer in der Srifchen See 
fan. Nur unfere älteren Schiffe, wie ‚Pommern‘ und „Prinz Adalbert”, 
gebaut zu einer Zeit, ala unfere Unterfuchungen über Sinkficherheit 
noch nicht abgefchloffen waren, bewieſen geringere Widerſtandskraft. 

Daß ein Schiff überhaupt ſchwimmt und durch Bewahrung mag- 
rechter Lage noch einen Gefechtsftend abgibt, ift feine vornehmfte 
Eigenschaft, und darin blieb die englifche Marine fo weit hinter der 
unferigen zurüd, daß allein diefer Qualitätsunterfchied den Ausgang 
einer Seeſchlacht beftimmen Eonnte. Uber auch in allen andern Rich: 
tungen ftrebte unfere Bauleiftung dem Köchftmaß von Schlagkraft zu. 
Indem wir vornehmlich Eigenfchaften erftrebten, die in der Schlacht zur 
Geltung kommen, Eonnte die Güte unferer Schiffe im Frieden nicht ein 
mal von allen Frontoffizieren richtig eingefchätt werden, zumal wir 
zugunften der Schlachtleiftung auf eine Reihe von Renommiereigen- 
Ichaften und Bequemlichkeiten verzichten mußten, die fich im Frieden 
gut machen. Die vollftändige Türenlofigkeit unferer Untermwafferteile 
z. B. mar recht unbequem; derartiges Eonnte aber im Ernftfall das 
Schickſal entjcheiden. In jeder ducchgefämpften Seefchlacht tritt ber 
pſychologiſche Augenblid ein, daß den einen Zeil das Bewußtſein 
durchläuft, „Herrgott, die Feinde ſinken und wir nicht, fie brennen, 
und mir brennen nicht”, und von da an hat er dann faft Feine Ver- 
fufte mehr, während der Gegner alles verliert. Wie unfere Schiffe 
den gleichalterigen englifchen gegenüberftanden, dafür nur eine Zahl 
angabe. Unfer „Derfflinger“ Eonnte, ganz abgefehen von unferer beſſe— 
ven Munition uſw., nach genaufter Feftitellung den fchwerften Panzer 
des britiſchen „Tiger“ fchon auf 11700 Meter durchfchlagen, der 
„Tiger“ den des „Derfflinger“ erft auf 73800 Meter, Eine ähnliche, 





Unfere Schiffe werden gut 115 


ben Nachdenklichen ergreifende Überlegenheit in Armierung und Panzer: 
ftärfe beftand bei faft allen Kampffchiffen gleichen Alters, 

Indem wir nun beim Schiffsbau unfere Gefechtsauffaffung in Stahl 
und Eifen überfegten, gaben wir anderes preis, mas fofortige Anerfen- 
nung erworben und ung fortgefeßte Eritifche Vergleiche mit den Ne- 
Flameangaben ausländischer Baufirmen erfpart hätte, Wir hatten 
ſchwerere Gewichte durch die tiefe und ſchwere Panzerung in der 
MWafferlinie, durch die Sink- und Feuerficherheit, die einzigartige Siche- 
rung der Kommandoteile des Schiffes uſw. 

Für Deutfchlands entfcheidende Entwicklungsjahre hatten wir den 
qualitativen Vorfprung unferer Flotte über die englifche gefichert und 
bamit einen mwefentlichen Ausgleich für unfere geringere Zahl, Wenige 
wußten begreiflicherweife auch in Deutfchland über diefe Überlegenheit 
ganz Beſcheid; viele, aber nicht alle vertrauten den Schöpfern der 
Flotte. Wenn ein Schiff im Frieden ſchwamm, dann traten ja feine 
Eigenfchaften der Solidität und Gefechtskraft gar nicht in die Erfcheis 
nung, dann war e8 gleichgültig, ob es einen dicken oder dünnen Panzer 
trug. In die Erfceheinung dagegen trat und bot deutfcher Nörgelfucht 
mwilffommenen Anlaß, ob wir 3.2. ſchwere Gefchüge mit Fleinerem 
Kaliber führten als die Engländer: nicht fichtbar war, daß mir, ab: 
gefehen von unferen wirkungsvolleren Gefchoffen, mit dem Pleineren 
Kaliber praktifch diefelbe Durchfchlagskraft erreichten, wie die Enge 
länder mit ihrem größeren, daneben aber andere fehr wichtige 
Vorteile erzielten. Die Solidität meiner Xrbeitsweife war ja 
manchem fchon dem Naturell nach zumider und folchen, bie 
aus Fremdländifchen Blendangaben gern Wunfchliften zufammen- 
ftellten, in den Tod verhaßt. Wenn unfere dem Feind fchmählich aus: 
gelieferten Schiffe jet wiffenfchaftlich unterfucht worden find, fo wer⸗ 
den die Engländer bei der Durcharbeitung des Ganzen wie der hundert 
Einzelheiten fich geroundert haben, welchen Gegner fie auf ihrem eigens 
ften Gebiet, dem Schiffsbau, an den Deutfchen hatten. Die Engländer 
haben nicht annähernd die gemwiffenhafte und intelligente Arbeit ges 
habt wie wir. Da die Engländer aber Feine Deutfchen find, fo werden 
fie nur widerwillig zugeben, daß das Fremde beffer war, als ihr Eigenes. 
Sch überwinde mich ſchwer, dies zu betonen, Aber wenn unfer Volk aus 
feinem Schieffal Ternen foll, fo muß es auch die Selbftmörderede in 
feinem Weſen erkennen, Denn erſt nach der Schlacht am Sfagerraf 

8% 


116 Beim Flottenbau 


haben viele begriffen, welche Waffe fie an der deutfchen Flotte befaßen. 
Es war verfäumt worden, rechtzeitig die gefchichtlichen Folgerungen 
aus ihrem Beſitz zu ziehen. 

Als die deutfchen Armeen 1870 mit einem minderwertigen Gemehr 
in den Krieg zogen, fagte man der Truppe: „Das Chaffepot ift nur 
auf weitere Entfernung überlegen. Da lauft ihr drunter weg, und 
dann von 400 Meter ſeid ihr die Überlegenen.” 

Man hatte der deutfchen Marine nur die Wahrheit beizubringen, um 
fie in den erften Krieggmonaten mit unbezwinglichem Überlegenbheitsgefühl 
in die Schlacht ziehen zu laſſen. Statt deſſen wurde in den höheren 
Stellen der Marine zum Teil ein Sport damit getrieben, alle Mängel 
an Einzelheiten zu Eritifieren. Dies trug in das Offizierskorps einen 
für den Ernftfall bedenklichen Zug hinein: es wurde mehr gezmweifelt 
als geglaubt. Daß wir an der einen oder andern Stelle etwas noch 
hätten beffer machen können, ift felbftverftändlich. Aber man betrachte 
das Endergebnis ald Ganzes. Das vermochte unfer Deutfchland von 
1914 nicht. Es hielt es nach dem Spruch auf dem Schießplaß zu 


N „Haft du im Leben hundert Treffer, 
Man fieht’s, man nickt, man geht vorbei, 
Doch nie vergißt der Eleinfte Kläffer, 
Schießt du ein einzigmal vorbei.” 


Das deutfche Volk hat im Grunde ja fo viel Glück gehabt bei feinem 
fpäten, aber zielbewußten und darum noch rechtzeitigen Flottenbau. 
Aber das letzte, entfcheidende Glück blieb ihm verfagt, und dazu trug 
feine eigene Neigung bei, am Heimifchen zu Fritteln und das Fremde 
zu bewundern. Mit aus diefem Grund ift die Flotte nicht rechtzeitig 
eingefeßt worden, woraus fich die fpäter zu fchildernden Folgen ergaben. 


2 

Flottenbau ift angewandte Taktik, aber zugleich auch eine Gelds 
frage. Wir durften uns Feine einzige größere Fehlausgabe erlauben, 
ſollte Deutfchland eine brauchbare Flotte erhalten. Den Arbeitserfolg 
der beteiligten Marineoffiziere und bes mweitverzweigten treuen Beamten: 
ftabes kann nur der gerecht würdigen, der unfere geldliche Feſſelung 
berücfichtigt. Keine fremde Marine hat aus einem Mindeſtmaß von 
Mitteln ein folches Höchftmaß von Leiftung herausgeholt. Der richtige 








Gelönöte 117 


Standpunkt zur Beurteilung dürfte fich ergeben, wenn zwei Fragen 
allen anderen vorangeftellt werden: 1. Konnten wir mehr Mittel 
für die Marine flüffig machen, und 2. Eonnte mit den vorhandenen 
Mitteln mehr und Beſſeres gejchaffen werden? Wenn diefe beiden 
Fragen, wie ich glaube, verneint werden müſſen, fo werden von felbft 
die Seemacht als Gejamtwert betrachtet und die felbftverftändlich 
vorhandenen Lücken urfächlich verftanden werden. Wie mwir 1898 
den Grundſatz dauernder Erhaltung des Schiffsbeftandes Haupt- 
fächlich durch den Verzicht auf jede neue Steuer erfauft haben und 
den Reichstag mit dem ‚Hinweis auf die ‚bereits vorrätigen Geld: 
mittel entwaffnet haben, fo Eonnten wir auch fpäter niemals aus dem 
Vollen fchöpfen. Wir ftanden an Flottenausgaben nicht nur hinter Eng: 
land, fondern durchweg auch weit hinter Amerika, ja, zeitweilig felbft hinter 
Rußland und Frankreich zurück, erreichten aber durch günftigere Auswer: 
tung der Geldmittel, daß wir die zmweitftärffte Flotte daraus bauten. 
Freilich gibt es ja heute Patrioten, die es der deutfchen Marine als 
Schuld anrechnen, daß fie mit den bewilligten Mitteln foviel erreicht hat 1). 

Sparfamfeit bedingt genaue Arbeit und Faufmännifche Grundfäße. 
Das Reichsmarineamt erwarb eine gewiſſe Berühmtheit für Drücken 
ber Preife, Geländefäufe von weiter Hand und dgl, Nie wieder wird 
Deutfchland eine fo große Schöpfung fo billig erhalten. Dies reiche 
Volk, das im Kriege die Milliarden nicht mehr zählen durfte, hat in 
den Zeiten feines Glückes die Millionen, ja felbjt die Tauſende zaus 
bernd in der Hand herumgedreht, mit deren Hingabe an die Wehrkraft 
e8 am ficherften die Dauer des Friedens und feiner Wohlfahrt hätte 
fichern können. Seit dem Rücktritt des Fürften Bülow, der der Marine 
volles Verſtändnis bemwiefen hatte, verfiel fie chronifchem Geldhunger. 
Sch habe um bie notwendigften Mittel mich müde kämpfen müffen, 
weniger mit bem Parlament, das fteigende Einficht bewies, als mit 
dem Keichsfchaßfefretär und dem Neichskanzler, die, der eine durch 
Refjortfanatismus, der andere durch politifche Träume verblendet, in 
biefen für die Rüſtung Deutfchlands entfcheidenden Jahren vieles 
MWünfchenswerte unterdrücten, weil Deutfchland Fein Geld dafür be= 
reit hätte. Das Unauffchiebbare habe ich auch damals durchgefeßt; für 
das andere hoffte ich fehmweren Herzens und mit dem Bemußtfein, im 
Ausbau unferes Wehrfchußes behindert zu fein, auf fpätere Ergänzung. 

) Vgl. den Anhang. 


118 Beim Flottenbau 


Für Nebendinge war jet weniger Raum als je; aber neuen Entwick— 
lungen, wie 3.8. dem Ubootsbau, habe ich troßdem, fobald fie kriegs⸗ 
brauchbar waren, alle Kraft zugemwendet, fo daß wir auch hierin bei 
Kriegsausbruch fämtliche fremde Marinen überflügelt hatten. 

Das Sintereffe gemwiffer politifcher Kreife daran, die Leiftungsfähig- 
Feit der Marine herabzufegen, hat während des Krieges zu einem Ver⸗ 
leumdungsfeldzug gegen meine frühere Amtstätigkeit geführt, durch 
den mir die Neigung der Menfchen, und namentlich der Deutfchen, 
Kritik höher zu bewerten als Schöpfung und das Geleijtete als felbit> 
verftändlich, das noch Fehlende als Unterlaffung zu betrachten, lebendig 
nabegerüct wurde, Sch bin mir auch in den Zeiten der Beliebtheit 
immer darüber Elar geweſen, daß auf augenblickliches Hofianna leicht 
das morgige Grucifige folgt. Daß das Vertrauen in die Marine Fünfts 
lich erfchüttert worden ift, bedauere ich nicht meinetivegen, fondern 
um des Volkes willen, möchte aber mit diefen vermutlich rafch ver 
blaffenden Streitigkeiten den Lefer nicht aufhalten. Sch verweiſe auf ben 
Anhang diefes Buches, der beigefügt ift, um denen, welchen es Freude 
bereitet hat, die treue Keiftung einer Generation herunterzureden, nicht 
durch mißdeutbares Schweigen das Feld ganz allein zu überlaffen. 

Schon im Frieden war ich gewöhnt, mir Rückſtändigkeit vorwerfen 
zu laſſen; die Öffentlichkeit immer aufzuklären, hielt ich angeſichts des 
Auslandes nicht für richtig. Meine von früh an bewährte Methode, 
die Kriegsbrauchbarkeit einer neuen Erfindung vor ihrer allgemeinen 
Einführung abzuwarten, bewahrte vor Rückſchlägen und begründete 
hauptfächlich unfere Erfolge, ſetzte mich aber felbfiverftändlich den 
Vorwürfen der Erfinder und ungeduldiger Patrioten aus. Sch greife 
zwei Beifpiele heraus, das Uboot und das Luftfchiff. Ich habe es ab- 
gelehnt, für Uboote Geld mwegzumerfen, folange fie nur in Küften- 
gewäffern fahren, alfo ung nichts nüßen Eonnten; fobald aber feefähige 
Boote gebaut wurden, war ich der erfte, der fie in großem Stil fürs 
derte und troß dem auferlegten Geldmangel darin big an die Grenze 
unferer technifchen Leiftungsfähigkeit ging. 

Die Frage, wie die Uboote verivendet werben follten, Eonnte praf- 
tifch erft beantwortet werden, wenn das Inſtrument felbft da war. 
Es galt alfo zunächft, Boote für Fernverwendung zu Eonftruieren, 
und fobald dies möglich war, davon foviele zu bauen wie wir Eonnten. 
Dies ift gefchehen und jomit nichts verfäumt worden. 





Meine Rüdftändigfeit 119 


Was man mit der fo gefchaffenen Waffe anfangen würde, muß- 
ten die beſonderen Kriegsnotivendigfeiten ergeben. Hätten die Eng- 
länder das bisherige Seerecht nicht gänzlich zu ihren Zwecken über den 
Haufen geworfen, fo hätte der Ubootshandelskrieg von einem anderen 
Gefichtspunft aus betrachtet werden Fünnen. Sobald die Fernverwen⸗ 
bung der Uboote ermöglicht war, Tag der Handelsfrieg in der Luft; 
es bedurfte Feines befonderen Vaters dieſes Gedankens. Die Hoffnung 
auf die Hochjeeflotte aber machte die Uboote zunächft zu Hilfgorganen 
ber Flottenleitung. Als dann die Umftellung auf den Handelskrieg er 
folgte, war hierfür alles gefchehen, was im Frieden überhaupt hatte 
vorbereitet werden Eönnen. Von der Marine zu erwarten, daß fie alle 
Entwicklungen des Krieges vorherfah und überlegte, ift dasfelbe, mie 
wenn man von der Armee verlangen würde, fie hätte die Tankabwehr 
ſchon im Frieden vorbereiten müffen!), 

Don den Luftfchiffen habe ich als Seeoffizier, der noch die Kraft 
des Windes und die Tücke der Böen auf Segelfchiffen Pennengelernt 
hatte, mir niemals viel verjprochen, worin mir der Krieg recht ges 
geben hat. Meine Erwartung ftellte ich viel mehr auf die Entwicklung 
des Flugweſens. Bei dem Zeppelinraufch, der durch Deutfchland ging, 
hielt ich mich zurück, ohne doch ganz als Stimmungsverderber erfcheinen 
zu dürfen. Sch rücke als Probe für die rings andrängende Verlocdung 
- zu übereilten Einführungen auf diefem wie auf vielen andern Gebieten 
einen Brief nebft meiner Antwort hier ein, 

Eher Erlen Berlin, 27. 8. 1912. 
entjchuldigen, wenn ich Shre Ferien ſtöre; aber es handelt fich um eine 
dringende, wichtige Sachel Förderung unferes Luftichiffbaues. Das 
neue Marineluftfchiff wird einen ungeheuer großen Fortfchritt dar— 
ftellen. Da fcheint mir die Zeit gekommen zu fern, wo man zum ſyſte⸗ 
matiſchen Bau einer Luftflotte übergeht; denn mit der heutigen Art 
nußen wir unfern Vorfprung nicht aus. Der Schöpfer der deutfchen 
Flotte follte auch der Schöpfer der deutfchen Luftflotte fein und wer: 
den! Man braucht einen feſten Bauplan mit allem Zubehör, wenn wir. 
an der Spite bleiben wollen, unter Umftänden niedergelegt in einem 
Geſetze. Die Koften find nicht zu groß, mit 30 Millionen Mark Fönnen 
in 3 Jahren 18—20 3:Schiffe gebaut nebft 9—10 Hallen zu je 
9) Bol. im übrigen den Anhang. 


120 Beim Flottenbau 


2 Schiffen für diefe, famt den Koften der Indienfthaltung für 250 
bis 300 Tage. Diefe Berechnung ftügt fich auf folgende Jahresausgabe 
von 10 Millionen Mark, 


1.7 Bau won. 0 0 es ne 4,50 Mill. 
2..Bah von 3 Dalen bierfür ‘. . . . . ....u2 3,00 Mill. 
3. SndienftHaltung per Schiff per Tag M. 800.—, 

alfo für 6 Schiffe zu 300 Zagen. . ... . 1,44 Mill. 
HT SH IBES a en . 1,06 Mill. 


10,00 Mill. Mark. 


Alſo Fönnte mit 30 Millionen Mark ungemein viel für den Frieden 
und unfere Sicherheit gefchehen. Das Geld dafür iſt vorhanden, zu: 
nãchſt ſchon im Überfchuß von 1911, von dem durch die Wehrvorlage 
nicht alles gebraucht wird; 1912 läßt fich auch gut an und gibt feier 
einen Überfchuß ab. 

Ein foftematifches Vorgehen würde einen großen Wurf darſtellen, 
ſonſt geht es wie bei der Flotte big 1898... 

Indem ich Euer Erzellenz gute Erholung wünfche, bin ich in hoch- 
achtungsvoller Begrüßung 

Euer Erzellenz ergebener 
M. Erzberger, 
M. d. R. 


St. Blaſien, 6. 9. 12. 
Sehr verehrter Herr Erzberger! 


Für Ihren Brief vom 27. Auguſt d. J., der mich außerordentlich inter⸗ 
eſſiert hat, ſage ich Ihnen meinen beſten Dank. Mit großer Freude 
habe ich daraus erſehen, daß Sie in gleicher Weiſe wie für Heer und 
Marine auch ein warmes Intereſſe für die Nutzbarmachung der Luft— 
Schiffahrt im vaterländifchen Wehrintereffe beſitzen. Sch fürchte freis 
lich, fo fchnell wie Sie e8 in Ihrem Briefe ausführen, wird fich die 
neue Waffe doch nicht vorwärts fehieben Taffen. Nach Erledigung 
ber Wehrvorlagen des letzten Jahres wird man nicht mit Unrecht vers 
langen, daß die geforderten Zeppelins bezüglich ihrer Verwendung auf 
hoher See und an der Küfte erft mal erprobt werden. Wäre das nicht 
notwendig, würde man einen begründeten Vorwurf gegen die Regierung 
erheben, daß fie eine größere Forderung für die Luftfchiffahrt, wie Sie 








Ein Ferienbriefmechfel 121 


in Ihrem Briefe ffizzieren, nicht bereits im vorigen Sahre bei den 
Mehrvorlagen geftellt hat. — Eine eingehende Erprobung, verbunden 
mit Bereitftellung und Ausbildung des erforderlichen Perfonals ift 
auc) nach meiner feften Überzeugung unbedingt erforderlich, wenn wir 
nicht ſchwere Rückſchläge erleiden follen. Eine militärische Verwendung 
in großem Stil wird noch manche große Schwierigkeit mit fich bringen, 
aber kommen wird es vielleicht dazu, nur nicht von heute auf morgen, 
wie es Ihr patriotifches Herz erjtrebt und vor Augen fieht. 
Mit freundlichem Gruß 
Ihr ſehr ergebener 
3 v. Tirpitz. 


Betriebſame Ziviliſten und Geſchäftshäuſer, denen es nicht ſowohl auf 
Kriegsbrauchbarkeit als auf Maſſenlieferungen ankam, bildeten nur den einen 
Flügel meiner Kritiker, der andere ſetzte ſich aus Fachmännern zuſammen. 

Um gerecht zu ſein, muß ich bemerken, daß die unheimlichen Sprünge, 
mit welchen die Technik zur Zeit unſeres Flottenbaues vorwärts eilte, 
auch unter den Fachleuten notwendig lebhafte Kontroverfen und ſchwie— 
tige Kompromiffe verurfachte. Jedes Vorausbeftimmen auf längere Zeit 
erwies fich als bedenklich. Jedes Schiff war in dem Augenblick, wo eg 
fertig wurde, in gewiſſem Sinne fchon veraltet, und die Kritiker bedachten 
nicht immer, daß es bei Baubeginn noch nicht anders ausfallen Fonnte. 
Auch in der Gefchichte der fremden Marinen findet man innere Kämpfe, 
fobald die Entwicklung vorangeht. Immerhin war bei ung durch die 
Zerfpaltung der Admiralität beim Regierungsantritt Wilhelms IL. eine 
Urfache innerbehördlicher Reibungen gefchaffen worden, die mich im 
Lauf der Sahre ftärfer zermürbt haben, als etiva das Parlament oder 
bie hervorbringende Arbeit. Sch ftand im Feuer nach allen Seiten. 

Nach Annahme des Flottengejehes war das DOberfommando der 
Marine verfiimmt darüber, daß das Geſetz mit feiner Schlachtflotte 
jo gar nicht jenem unter Mitwirkung des Oberfommandos angefertig- 
ten Entwurf einer Nuslandsflotte entſprach 1). Ich hatte anderfeita 
Einwände gegen die politifche Betätigung des Oberfommandog, die fich 
in den Delagoa⸗ und Manilaangelegenheiten ausgewirkt hatte; eg ges 

Y Vol. oben S. 79f. An der Marineakademie wurde noch einige Zeit hindurch 


für den Kreuzerfrieg und gegen die Hochfeeflotte gelehrt, bis ich durchgriff, da es 
nicht anging, daß unfere Baupolitil von der höchften Bildungsftätte befämpft wurde, 


122 Beim Slottenbau 


nügte wohl, wenn zwei Marineftellen, Reichsamt und Kabinett, an 
der Politif beteiligt waren. Das mir beim Amtsantritt gegebene, 
eigentlich felbftverftändliche Verſprechen, daß ich bei der politifchen 
Verwendung der Auslandsfchiffe gehört würde, mar nicht gehalten 
worden. Sch verlangte nun die Zumeifung der Auslandsfchiffe ans 
Marineamt, bin damit aber beim Kaifer nicht durchgedrungen. In 
diefem Zwift fpielte man die Kommandogemwalt des Oberften Kriegs: 
beren gegen mich aus, die gefchmälert würde, wenn der vom Parlament 
abhängige Staatsfekretär zu umfaſſende Befugniffe erhielte. Gegen diefen 
Einwand Eonnte ich ſchwer etwas fagen und war, um vorwärts zu kom⸗ 
men, genötigt, das Beſte aus ihm zu machen. So habe ich, wobei es 
mehrfach zu meinem Mbfchiedsgefuch Fam, die Zerjchlagung des Ober: 
fommandos in Berlin durchgefeßt, indem ich im Kaifer die Überzeugung 
befeftigte, daß feine eigene Kommandogewalt ein Oberfommando auf 
der einen Seite, dag Neichsmarineamt auf der andern Seite in der 
bisherigen Befugniszuteilung ſchwer neben fich ertrüge, Ein Teil der 
Befugniffe ging nun ang Keichsmarineamt über, der Reſt murde 
teils den gouvernementsartigen Marineftationen in Kiel und Wilhelms— 
baven, teils dem neugebildeten Admiralftab überwieſen). Diefe Zere— 
fpaltung gefchah in Ermangelung des unerreichbaren Beſſeren, der 
Vereinheitlichung der Marine in einer Admiralität, wie fie in England 
ftets und bei ung bis 1888 beftand. 

Ich hatte Caprivi in feiner letzten Amtszeit von ber Teilung der 
Admiralität abgeraten. Caprivi teilte meine Anficht. In den folgenden 
Fahren meiner taktifchen Arbeit hatte ich auf Organifationsverfchiebuns 
gen innerhalb der nun einmal zerfpaltenen Behörden zu große Hoff: 
nungen gejeßt, da ich damals noch nicht klar genug erkannte, daß ber 
Mangel Eriegsmäßiger Arbeit mehr an Perfonen als an Organifationen 
lag. Als ich dann den Flottenbau zu leiten hatte, war e8 für mich und die 
Mehrzahl der urteilsfähigen Offiziere Bar, daß dem Marineamt während 
der Schöpferzeit andere Befugniffe unerläßlich waren als im Beharrungs- 

) Der Admiralftab wurde in fchematifcher Analogie zum Generaljtab gebildet, 
Sch weiß nicht, ob ed ein Glück für die Armee war, daß der Generalftab in Nach: 
wirkung von Moltles Größe dauernd fo felbftändig herauswuchs. Vielleicht ift der 
Generalftab dem technifchen Verftändnis dadurch zu fehr entfremdet und das Kriegs: 
minifterium zu wenig mit dem Krieg befaßt worden. Für die Marine mar jeden: 


falls eine foldhe Abfpaltung des Admiralftabs unrichtig, eine Epigonenidee, aus der 
eine eigentlich nicht Iebensvolle Sammelbehörde entftand, 








Kämpfe ringsumher 123 


zuftend. Welche unumfchränfte Gewalt räumten die Amerikaner nicht 
Goethals ein, als er den Panamakanal bauen follte. Da aber mit der 
Vielföpfigkeit unferer Marine nun einmal gerechnet werden mußte, 
war eine Wielteilung immer noch erträglicher als der Dualismus 
zwifchen einem Oberfommando in Berlin mit Kommandogewalt über 
die ganze Marine und dem Marineamt. E83 Fonnte nicht ausbleiben, 
daß bei diefem Fechten ringsherum mir ‚Herrfchjucht und Abfall von 
meinen eigenen früher beim Oberfommando betätigten Anfichten vors 
geworfen wurde. Richtig ift, daß ich das Durcheinanderlaufen der 
Kräfte von meinem jeweiligen Standort und Werk aus mit verfchiedener 
Front abzumehren hatte, wobei der Fluch der Vielſpältigkeit immer 
wieder an anderer Stelle zutage trat. 

Lebten Endes hängt die Leiftung von Behörden von den Menfchen 
ab, die in ihnen arbeiten. Eine große fchöpferifche Aufgabe Fann nur 
löfen, wer die Überzeugung von der. Richtigkeit feiner Ziele aus der 
eigenen Bruft fchöpft und auch den Weg zum Ziel in den Hauptlinien 


. felbft findet oder ihn fich doch völlig zum geiftigen Eigentum gemacht 


bat. Ratfchläge und Anregungen frömen hinzu und nichts märe 
folfcher, als ihnen nicht volle Beachtung zu ſchenken. Aber die Ent- 
ſcheidung muß an der Stelle bleiben, welche die Schwierigkeiten der 
verantwortlichen Ausführung fühlt. Material, Strategie, Taktik und 
Ausbildung laufen in der Marine fo eng zufammen und find obendrein 
jo rafchen Veränderungen ausgefeßt, daß man fie nicht trennen Fan. 
Die Marine ift daher ein ungemein differenzierter Organismus, in noch 
höherem Maße, als die Armee fchon iſt. 

Der fortwährende Austaufch der für die Zentralbehörden ausgefuchten 
Herren zwifchen Marineamt, Admiralftab und Front nahm dem Ge 
danken, daß der Admiralſtab als marineftrategifche Behörde die Ent- 
wielungsfragen beffer beurteilen Eönnte als das Marineamt, feine jach- 
liche Berechtigung. Das MWünfchbare ift ziemlich grenzenlos und fteht 
immer der Ausführbarfeit gegenüber, 

Mit allen Marinebehörden an Land ftellte fich mit der Zeit ein leid: 
lich ausreichende Arbeitsverhältnis heraus, Auch gelang es, dag natür⸗ 
liche Drängen der Norde und Oftfeeftationen auf Küftenverteidigung 
und Küftenkrieg in Schranken zu halten, da es nur auf Kojten der 
ölotte, d.h. der politifch- militärischen Bedeutung der Marine hätte 


ı befriedigt werden können. Nicht fo Elar lagen die Beziehungen zum 


Kommando der Hochfeeflotte, welches mit deren fortſchreitendem Auf 


124 Beim Slottenbau 


bau an Einfluß gewann und das Beltreben entiwickelte, alles ſchwim⸗ 
mende Material bei fich zu vereinigen. 

Die Franzofen und Engländer ftellten den Chef der Flotte zugleich 
an die Spibe eines Gefchwaders und gaben ihm damit unmittelbar 
eine „Hausmacht“ in die Hand. Aus unfern Anordnungen zur Zeit 
des Oberkommandos war dagegen die Einrichtung ftehen geblieben, 
ben Flottenchef außerhalb der Gefchwaderverbände auf ein befonderes 
Slottenflaggfchhff zu feßen. Wir ſchwankten, ob jenes fremde Ver: 
fahren, für welches die Kriegsgefchichte |prach, oder unfere Einrichtung 
den modernen Verhältniffen beffer entjpräche. Sch wollte die Frage 
durch taktische Verſuche klären Iaffen. Hierbei ftieß ich auf unüber- 
soindlichen Widerftand. Die Frage des Flottenflaggfchiffes entwickelte 
ſich zu einer Reſſort- und Machtfrage. 

Sorge bereitete mir in diefem Zufammenhang die zunehmend mo: 
nopolartige Stellung des Flottenchefs, bei defjen Auswahl nach dem 
Rücktritt Köfters, eines firammen LXehrmeifters in der Art Friedrich 
Wilhelms I., dag Kabinett fich nicht in allen Fällen nur durch fache 
liche Gefichtspunfte, mindeftens nicht durch große Menfchenkenntnis 
beftimmen ließ. Dabei muß anerfannt werden, daß bei diefer Ent- 
wicklung der Flotte die Auswahl fehr befchränft war und das Dienft- 
alter eine zu große Rolle fpielen mußte. Damit war der weitere Nach— 
teil verbunden, daß der Flottenchef, wenn er nach drei Jahren die Flotte 
abgab, meift auch an das natürliche Ende feiner Laufbahn gekommen 
war, feine mit der Flotte gerwonnenen großen Erfahrungen daher nicht 
weiter ausgenußt werden Fonnten. Aus dem Studium der franzöfifchen 
Marine, welche zugänglicher war als die britifche, hatte ich gefehen, daß 
mit Wechfel des Flottenchefs faft ftets auch ein Wechfel der taktifchen Auf⸗ 
faffungen eintrat und ein großer Teil der vorher gewonnenen Erfahrungen 
verloren ging. Im Sammeln und Fortführen diefer Erfahrungen hatte 
ich die Haupttätigkeit der Landbehörde des Admiralſtabs erblickt; nun 
wurde aber deſſen Tebendige Anteilnahme an den Flottenübungen zu= 
nehmend durch die Macht des Flottenchefs erftict. Während ferner 
bei der Armee ein nütlicher Wettbewerb durch dag Nebeneinander ber 
zahlreichen Korpsführer beftand, erftarrte bei der mwiderfpruchslofen 
Stellung des Hochjeechefs deffen Anficht Feicht zum Dogma, während 
nüßliche Reibung auch hierfür Bedürfnis blieb. Um die fchöpferifche Kritik 
wachzubalten, für welche unfere Kaifermanöver nicht ausreichten, und um 
den Aufftieg jelbftändiger Führernaturen zu erleichtern, fowie um gegen— 








Meffortforgen 125 


über dem Drill und den fchönen Gefechtsbildern das Suchen nach Wahr⸗ 
heit zu beleben, trat ich — vergeblich — dafür ein, die einzelnen Flotten- 
teile wesentlich felbftändiger zu Yaffen und nur für die großen Übungen 
zufammenzufaffen, für diefe aber nicht unbedingt ben Flottenchef, fondern 
wechjelnde Führer ohne Rückſicht auf das Dienftalter heranzuziehen. 
Wenn man mir einen Vorwurf daraus machen till, daß ich nicht 
ſchon im Frieden die Vereinigung der Marine in einer Hand durch- 
gejett hätte, fo überfchätt man meine Macht. Bei der Eiferfucht der 
verfchiedenen Spigen und bei der Natur des Kaifers Fonnte ich die 
ſchädlichen Keibungen, die aus der Vielköpfigkeit des Marines 
organismug erwuchfen, nur mildern, nicht befeitigen. Für mich gab 
es nur den Meg, Feiner der Sjmmediatftellen überragenden Einfluß 
einzuräumen, dem Kaifer das Gefühl zu laſſen, daß feiner Prärogative 
nicht vorgegriffen würde, und für den Kriegsfall die Erwartung zu 
begen, daß der Monarch eine Oberfte Seefriegsleitung ſchüfe, die alles 
in einer Hand vereinigte. Das war, wie irrtümlich manchmal ans 
genommen wird, Feine organifatorifche Frage, fondern ausfchließlich 
eine Perfonenfrage. In diefem Sinne war in der Mobilmachungsrang- 
lifte die Stellenbefegung für die Admirale auch nicht vorgefehen. Die 
Nation, die von den Behördehalbheiten und den die Produktion hem⸗ 
menden Kompromiffen nichts ahnte, fchrieb dem Staatsfekretär die Ge- 
famtverantwortung zu, die ich ftarf empfand. Uber mangels einer ein- 
heitlichen Admiralität mußte ich häufig verhandeln ftatt zu handeln. 
Am fchmwierigften wurde die Lage für mich, wenn fchließlich auch 
ber Kabinettschef v. Senden troß feinem ritterlicher Wefen und feinem 
warmen Herzen für das Hochkommen der Marine zeitweilig in Fragen 
meines Refforts eine fehr eigenmillige Politik betrieb. Wie mir unter 
wechjelnden Kampfgruppen und Koterien, die bei der aufßerordentlichen 
Betätigung des Kaifers in Marinefachen mich Faum je zur Ruhe kom⸗ 
men ließen, zumute war, dafür greife ich ein beliebiges Stimmungs⸗ 
bild aus einem älteren Brief von mir an den Prinzen Heinrich heraus: 
„Bezüglich der Großen Kreuzerfrage ift eg mir noch nicht gelungen, 
Seine Majeftät zu überzeugen, daß ein Vorgehen in dem von Allerhöchft: 
demſelben gewünſchten Sinne einen Zufammenbruch unfres Flotten⸗ 
gejeßes bedeutet... Die meiften nicht verantwortlichen Herren, welche 
bei diefer Frage mitreden, überfehen die Sachlage nicht... Es hieße 
doch wirklich ein gutes Erbe um ein Xinfengericht verfaufen, wenn man an 
dem einen noch ausftehenden Kreuzer die Grundprinzipien des Flotten- 


126 Beim Flottenbau 


gefeßes modifizieren wollte. Das kann wohl ein Kabinettschef denken, 
aber nicht ein Staatsfefretär, der das wahre Intereffe Seiner Majeftät 
überfchaut und fich dafür verantwortlich hält. Während früher bei Reichs⸗ 
tagsforderungen ums nichts fo fehr gefchadet hat als eine gewiſſe Ruhe- 
Yofigfeit und ewige Anderungen an den Projekten und Auffaffungen, fo 
haben mir jet gerade nach diefer Richtung ein gewiſſes Vertrauens: 
kapital gefammelt, was unferen Forderungen fehr zugut kommt. Wir 
geben der Oppofition die fchärfften Waffen in die Hand, wenn wir ihr 
die Möglichkeit geben, wieder von der veränderlichen Kriegskunft, dent 
Zickzackkurs uſw. zu fprechen, 

Wollen Euere Königliche Hoheit mir gnädigft zugute halten, wenn 
ich die Feder über diefe Sorgen habe fließen laffen, aber ich bin nahe 
Daran zu verzagen, wenn ich die fchwierige und gefährliche Lage unferes 
Staates bedenke, welche ihren natürlichen Einfluß auf das Marineamt 
ausübt an dem Vorabend einer Novelle, und wenn ich anberfeits fehe, 
wie unverantivortliche Ratgeber die Schwierigkeit in geradezu ungeheuer: 
licher Weife erfchweren und damit im letzten Ende die Intereſſen Seiner 
Majeftät ſchädigen ...“ 

4 

Das Parlament hat mir nicht fo viel Nöte bereitet. Das Unentbehr⸗ 
Tichfte war durchzufeßen; das Vertrauen des Reichstags zur behördlichen 
Behandlung von Wehrfragen hob fich entſchieden. Durch allfeitige Er: 
Fundigung und perfönlichen Augenschein auf Schiffen, Werften ufw. 
überzeugten fich die Abgeordneten von der Art, wie gearbeitet wurde. 
Dabei verfchwanden faſt alle Gegenfäbe zwiſchen Reichstag und Ne 
gierung. Meine verhältnismäßige Unabhängigkeit vom Parlament er: 
möglichte eg mir im übrigen, Quängeleien fich vielfach felber totlaufen 
zu laſſen. Unter einem vein parlamentarifchen Regierungsfyftem bda- 
gegen müßten fchöpferifche Behörden durch die Nationaluntugenden der 
Kleinlichkeit, der Parteimißgunft und der überfließenden Illuſions— 
fähigkeit geradezu erftickt werden. Sinsbefondere Fann der Parlamenta- 
rismus Feine Flotten bauen, auch wenn er, wie in Frankreich, viel 
bafür ausgibt. Den Engländern gelingt es, weil die Eigenschaften 
der Nation und die große gefchichtliche Überlieferung ein feites Funda— 
ment gebaut haben. Parlamentarische Körperschaften wollten auch fchon 
zu meiner Zeit bei Laune gehalten fein; fie verurfachten viel Beſchwich— 
kigungsarbeit und unfruchtbaren Kleinfram, brauchten, wie man ge: 
fagt bat, ftets „eine Kugel, mit der fie fpielen Eonnten.” So mußte ic) 





Dom Perfonal 127 


dem Reichstag, um in den Hauptfragen feft bleiben zu Fünnen, ge 
legentlich Unwichtigeres opfern. Betraf dies zu meinem Bedauern ein⸗ 
mal perfünliche Kompetenzen des Offiziersforpg, wie bei der Herab⸗ 
feßung der Zafelgelder, fo erfüllte das die betroffenen Offiziere nicht 
mit Befriedigung und machte die Front gegen den vom Parlament 
abhängigen Staatsfefretär mobil. Sch habe mich aber ftets bemüht, 
für das Perfonal aller Kategorien einzutreten. 

Sm felben Maße mie die Gefchtvader emporftiegen und fich ein 
Marinereich an den deutfchen Küften ausbreitete, dem Meer Gelände 
durch Deichbau abgewonnen, Dörfer enteignet, ganze Stadtanlagen 
gegründet und mächtige Werkftätten gebaut wurden, wuchs auch die 
vielgegliederte Familie ber Marineangehörigen ing Breite, Wir waren 
bie einzige Neichgeinrichtung, die Hunderttauſende aus landsmann⸗ 
ichaftlicher Sehmeife hinweg in einen gemeinfamen Horizont 309. Die 
Marine wurde ein Schmelztiegel des Deutjchtums. Bevor Eriegerifche 
Zatenlofigkeit der Hochfeeflotte den fie durchftrömenden Geift ertötet 
bat, Eonnie man an ihrem Pulsfchlag die auffteigende Kraft 
Deutfchlands fühlen. Keine Marine der Welt hatte ein fo vor= 
zügliches Mannfchaftsperfonal wie mir in unferen Küftenbenölfes 
rungen, an den Kauffahrteifahrern, die durch den Dienft in ber 
Kriegsmarine mehr und mehr den früheren internationalen Charakter 
abftreiften, und an den Fifchern, die, unentbehrlich namentlich als 
Bemannung unferer Bleinen Schiffe, mit erweitertem geiftigen Ges 
fichtsfreis und beruflichem Ehrgeiz aus der Militärdienftzeit in ihre 
Dörfer Heimkehrten. Als unfere altpreußifchen DOftfeeleute mit ihrer 
Unftelligkeit und unfere Nordfeeleute mit ihrer fchweren Kraft für 
unfer wachſendes Perfonalbedürfnis nicht mehr ausreichten, griffen 
wir auf binnenländifchen Erſatz zurück; der Dienft auf modernen 
großen Schiffen erforderte weniger feemännifche Fähigkeiten als in der 
Segelzeit. Die Süddeutfchen, unter ihnen die Elfäffer, zeichneten ich 
aus. Für das technifche Perfonal wurde der Dienft auf der Marine 
unter Anleitung unſeres vorzüglichen Ingenieurforpg eine hohe Schule; 
um unfere Heizer riſſen fich die Snduftrient). Dem Offizierkorps trat 

1) Da die modernen Schiffe die Vermehrung des aus den ndufiriegegenden 
tefrutierenden Mafchinenperfonald befonders ſtark verlangten und dieſes in ber 
Werftdiviſion verhältnismäßig gefchloffen zufammenblieb, fo waren günftige Herde 
für fozialiftifche Aogitation um fo mehr gegeben, ald die Arbeiter der Werften mit 
dem Mafchinenperfonal der Marine am häufigfien in Berührung kamen. m 
Frieden waren hieraus noch Feine offenen Schäden entſtanden. 


128 Beim Flottenbau 


unfere befte Jugend bei — man gedenke unferer Ubootsfommandans 
ten —, und zwar um fo froheren Mutes, je größer unfere Zufunfts- 
aufgabe fich abzuzeichnen fchien. Wie ftraff in der Marine gearbeitet 
worden ift, Bann fich der Außenftehende Baum vorftellen. Nie ift dem Staat 
freudiger und hingebender gedient worden. Wir fühlten ung als Vor— 
poften eines großen Volkes, das dank feinem Staat fich Freiheit und 
Ebenbürtigkeit unter den Weltvölfern zu erarbeiten im Begriffe ſtand. 

Bald alfo waren wir aus dem Gröbften heraus und Eonnten die 
Ziele erweitern. Mit der ftärferen Löfung der Flotte von Kaferne und 
Heimatküfte wäre fie mehr und mehr in die Nation hineingemwachfen, 
die fo etwas brauchte; die noch heute nicht weiß, welchen Schaß fie 
allein an unferem Seeoffizierskorps befaß. Die rein deftruftiven Toren, 
welche jeßt die Auflöfung des alten Deutfchlandg als eine Tat bes 
jubeln, follen einmal einen Organismus fchaffen, der an gediegener 
Kraft und Hingebung am die Ideale des Ganzen auch nur diefer einen 
unferer alten Reichseinrichtungen gleicht. Die Gefichtspunfte der Welt: 
politi? waren doch am fehärfften in der Marine Eonzentriert; darum 
mußten wir eine Macht werden in der Nation. Als fpäter zu er- 
örternde Umftände und Perſonen den durch die Flotte geficherten Frie— 
den verfcherzt und den durch die Flotte verheißenen Sieg verfäumt 
hatten, ift die Nation freilich fo geſunken, daß fie fich ihrer eigenen 
einftigen Kräfte ſchämt und fich gefällt in Beſchimpfung deffen, mas 
lange ihr Stolz und ihre Freude gemwefen ift. 


Bei meinen Vorfchlägen, um die Organifation Tebendig zu erhalten, 
wie überhaupt bei meiner Neigung, den ftets wechfelnden Bedingungen 
der maritimen KHöchftleiftung nachzugehen, ftieß ich vielfach auf den 
Miderftand der DVerhältniffe und der Sonderrefforts. Sch war nun 
einmal feit 1897 bei manchen Abmiralen als Verwaltungsdirektor 
und Materialbefchaffer der Marine abgeftempelt, obwohl meine eigent- 
liche Entwiclungslinie und Neigung auf dem Gebiete der Flotten⸗ 
führung lagen. So mußte ich in der Folge vieles, was Ich nicht 
biffigen Eonnte, mit anfehen, ohne die Möglichkeit einzugreifen. 

Die geiftige Einheit, welche in den achtziger und in der erften Hälfte 
ber neunziger Fahre die gefamte Marine umfchlang, ging big zu einem 
gewiſſen Grade verloren, Schwerlich hätten die zu Beginn des Krieges 





Sind wir auf dem richtigen Wege? 12% 


zur Führung berufenen Perſönlichkeiten jo verhängnisvoll der politifchen 
Reitung in deren Kampfjcheu nachgegeben, wenn die eingetretene jpezia 
liſtiſche Reſſortpolitik das Kapital unjerer älteren taktijchen Arbeit 
hätte voll ausnügen laffen. Als ich am 30. Juli 1914 den Operations: 
befehl des Admiralſtabes kennen lernte, erſchrak ich über das theore- 
tiſche Spintifieren, das bei der untergeteilten Behandlung der Haupt: 
fragen an gewiſſen Stellen den Geift der entjchloffenen Initiative 
übermwuchert hatte. Trotzdem war die Marine gut; fie hatte ungeheuer, 
wenn auch nicht immer in der zwedmäßigften Richtung, gearbeitet. 
Und fo hätte es nur des richtigen Befehls bedurft, um alle Kräfte 
auszulöfen und die Flotte, fo wie fie war, zum Siege zu führen. 

Mit blutendem Herzen denkt man der Umftände, welche das deutfche 
Volk, nahe feiner höchften Vollendung, ing Dunkel zurückgervorfen haben. 

Zum Ötaunen Europas war das Preußen des achtzehnten Jahr— 
bunderts aus einem gleichgültigen Beltandteil des ohnmächtigen deut- 
ichen Volkes in wenigen Sahren zur Großmacht geworden dank feiner 
milisärifchen Kraftentwicklung und guten Führung durch die Hohen- 
zollernfönige. Ebenfo fchnell und glücklich ſchien das Deutfche Reich 
den verjpäteten Schritt zur Weltmacht nachholen zu können durch die 
raſche und durch viele Umftände begünftigte Bildung einer Seemacht. 
Daß die Nation als ganze noch nicht reif erfchien, um den Ernſt und 
die Notwendigkeit dieſes Unternehmens in allen Zeilen zu begreifen, 
ähnelte ebenfalls der Lage Preußens im achtzehnten Jahrhundert, wel: 
chem die Gefamtnation noch viel verfiändnislojer gegenübergeitanden 
hatte. Nun ftelle man fich aber vor, was aus der preußijchedeutfchen 
Geichichte geworden "wäre, wenn ftatt eines Friedrich Wilhelms 1. 
und Friedrichs des Großen eine vielfach geipaltene Militärbehörde 
unter einer bochwohlläblichen Kriegskammer zu entfcheiden gehabt hätte! 
Was uns am meiften fehlte, war bie einheitliche Admiralität. 


5 

Wenn man mir zuweilen eine einfeitige und ſtumpfe Schlachtflotten⸗ 
politik vorwarf, jo beruhte das auf Verwechſlung. Entſprechend dem 
geſchichtlichen Werdegang unſeres Reiches waren wir ſpät in die Welt 
und auf die See gegangen. Im Getriebe der Welt mußten wir aber 
Intereſſenzuſammenſtöße gewärtigen. Es war wichtig, ſolche zu ver— 
meiden und ſogar etwaige Einſchränkungen unſerer Tätigkeit hinzuneh⸗ 

CTirpith, Erinnerungen 9 


130 Beim Flottenbau 


men, folange der Unterbau der Macht noch nicht gefeftigt war. Erft 
wenn diefe durch unfere Flotte und politifche Anlehnung feititand, . 
konnten wir ung freier auf den Weltmeeren beivegen und Gleichberech- 
tigung fordern. Unjere und infonderheit meine perfönliche Aufgabe Tag 
aljo zuerft in der Schaffung diefer Seemacht, und dies Fonnte nur Die 
Schlachtflotte fein. Zu ihrer ftarken Zufammenhaltung in ber Heimat 
wurden mir auch durch die britischen Drohungen im erjten Jahrzehnt 
diefes Jahrhunderts gezwungen. Unter diefen Bedingungen erfchienen 
mir transatlantifche Erpeditionen, wie der Chinafeldzug, das Vorgehen 
gegen Denezuela oder die Agadirangelegenheit allgemein, auch ab⸗ 
gefehen von ihren bejonderen Nachteilen, unerwünfcht, denn fie löften 
Eiferfucht gegen einen Staat aus, der auf der See noch nicht als gleich» 
berechtigt angejehen werden Eonnte. 

In den letzten Jahren vor dem Krieg fah ich die Zeit aber näher 
kommen, in melcher die Neigung Englands, uns zu überfallen, 
aufhören und einem gefchäftlichen Gebaren auf gleichem Fuße weichen 
würde. Damit eröffnete fich Ausficht auf freiere Bewegung. Dieſe 
hielt ih aber auch aus inneren Dienftgründen für wünfchenswert. Der 
preußifche Militärgeift, auf welchem das ganze nationale Dafein und 
das höhere wirtjchaftliche Leben unferes Volkes fich gründete und 
auch in Zukunft wird gründen müffen, hat eine ſchwache Stelle: die 
Neigung zur Schablone. Es bedarf großer Charaktere und Menfchen> 
Eenner, wie Moltfe, Roon und der alte Kaifer geweſen find, um ben 
lebendigen Geift in der Mafchine wachzuhalten. Dem Preußen muß 
von Zeit zu Zeit ber Zopf abgefchnitten werden, fonft wächſt er zu 
lang. So drohte auch in der Marine ein gewiſſes Erftarren in fleißiger, 
Eorrefter, aber fubalterner Arbeit die überanftrengten Offiziere von 
den großen Gefichtspunften abzuziehen. Zumal bei unjerem Mehr 
ſyſtem mit der kurzen Dienftzeit geriet der Betrieb unferer Schlacht 
flotte in den heimifchen Gewäſſern etwas in Gefahr, über angeipanns 
tem Drill die auffrifchende Berührung mit den überfeeifchen Völkern 
und Ländern zu verlieren. Sch mwünfchte die Offiziere nicht nur im 
„Kommiß“ auszubilden, fondern wollte eg ihnen auch ermöglichen, in 
ber Berliner Gefellfchaft und in der großen Welt heimifch zu werden. 
Insbeſondere für die Ausbildung von Gejchwaderführern zu freierer, 
univerfalerer Denkungsweiſe war ihr felbftändiges Auftreten in ber 
weiten Welt kaum zu entbehren. Ferner forderte auch die Sammlung 


Deine legten Pläne 131 
des Deutichtums auf der ganzen Erde ftärker die Unterjtügung durch 
die Flotte, worüber ich früher geiprochen habe. Sch war endlich der 
Anficht, daß es eine Sendung unferer Flotte fei, durch die im Auss 
land erlangten Anfchauungen befruchtend auf den engen Gefichtskreis 
vielee Deutfcher daheim zurüdzumirken. Sie follte im Verein mit 
dem ftärker an die Heimat zu Fettenden Auslandsdeutfchtum das 
Verftändnis vertiefen für unfere nationale Eriftenz, die infolge der 
Volkszunahme und Snduftrie nicht mehr zwifchen Rhein und Weichjel 
allein lag, fondern mehr und mehr auch ihre Wurzeln in überfeeifche 
Betätigung hatte ſenken müſſen. 

Die zweite Entwiclungsgruppe der Marine, ber Auslandsdienft, 
trat aljo neben der erften, der Schlagkraft, allmählich wieder in den 
Vordergrund. Da Stationgkreuzer für diefen Zweck nicht ausreichten, 
war ich im Begriff, die heimische Flotte organifatorifch fo zu geftalten, 
daß ganze Geſchwaderteile ohne Schaden für ihre Ausbildung auf längere 
Zeit trangatlantifche Verwendung finden fonnten. Das mar zu erreichen 
durch eine andere Form der Refrutenverteilung, derart, daß eines der Ges 
ſchwader im mejentlichen nur mit Leuten des dritten Jahrganges befegt 
war. Sch ftieß bei diefem Vorgehen auf Widerftand beim Flottenfoms 
mando, das, vom Kabinettschef unterftügt, eine ftarke Neigung hatte, 
feit auf feinen Eiern zu fißen, und ſich fogar einem bloß mit zwei 
Schiffen anzuftellenden Verfuch widerjeßte. Um die Wirkung derartigen 
Erfcheinens unferer neueften großen Echiffe in überfecifchen Landen 
praktiſch zu zeigen, feßte ich aber im Sommer 1913 beim Kaifer die 
Meife von zwei Schiffen der „Kaiſer“klaſſe nach den Südftaaten Ame⸗ 
rikas durch. Die friedliche Kulturfendung unferer Schiffe gelang mit 
fo fchlagendem Erfolg, daß reichlichere Reifen unſerer Schlachtflotte 
auf die Dauer nicht hätten verhindert werden Fünnen. Da ein modernes 
Schlachtichiff zugleich die befte Induſtrieausſtellung in Fleinem Maßs 
ftab darftellt, fo war ich auch zu der Annahme berechtigt, auf diefem 
Weg unferen fchaffenden Ständen neue BVerbindungen zuzuführen. 
Eine folche Weiterentwicklung unferer Flotte hätte von felbit dazu ges 
führt, in den Kolonien geeignete Plätze als Stüßpunfte für unfere 
Kreuzer etwas augzugeftalten. Außer Tfingtau hatte ich hiervon bisher 
abgeſehen, da die Zeit noch nicht reif war und die Geldmittel für die 
Blotte nicht zerjplittert werden durften. 





oe 


Dreizehntes Kapitel 
Unter dem Kailer 


Bei der fchier unermeßlichen Fülle von Liebe, Verehrung und vers 
faffungsmäßiger Macht, welche Wilhelm I. feinem Enkel Hinterlajien 
hatte, war der Kaiſer die entjcheidende Perfönlichkeit, von der das 
Gelingen des großen Verfuches abhing, Deutfchland geiitig und materiell 
eine felbftändige Geltung neben dem die Melt polypengleich erraffenden 
Angeljachjentum zu erringen. Kaifer Wilhelm IL hatte die Notwendigkeit, 
hiernach zu ftreben, jchon zur Zeit der Erkrankung feines Vaters er 
Fannt, wie ich bei der Überfahrt zum Jubiläum der englifchen Königin 
jeben konnte. Seine Gedanken umfaßten jchon damals alle mit der 
See zufammenhängenden Lebensbedingungen Deutjchlande. 

Während aber die Gejchäftsgebarung unter unferem unvergeßlicyen 
alten Kaiſer fich durch Klarheit und Feftigfeit charakterifierte, mar 
das, was bei Kaiſer Wilhelm I. mehr in den Vordergrund rückte, die 
Anregung. Ber feiner fchnellen Auffaſſungsweiſe, feiner durch Ein— 
zeleindrücke Teicht ablenkbaren Phantaſie und feinem Selbſtbewußt⸗ 
jein lag die Gefahr nahe, daß unverantmortliche Einflüffe Impulſe 
auslöften, die auszuführen unmöglich oder doch nicht im Einklang mit 
dem Geſamtvorgehen geweſen wäre. Für einen Mann im gehobener 
Stellung wird es ſtets eine ſchwierige innere Lebengarbeit bleiben, ben 
Augenblickserfolg vom dauernden zu trennen. Denn verführerifch und 
niemals ganz trennbar jpiels in das Mejenhafte das nur Dekorative 
hinein: 

„Der Schein, was iſt ee, dem das Weſen fehlt? 
Das Weſen, wär’ es, wenn es nicht erjchiene?” 


Nun war aber Tatfachenfinn die vornehmfte Bedingung für das Gelingen 
des großen Verfuches, und da ber Kaifer mich als Gehilfen gewählt 
hatte, fo erwuchs mir die perfünliche Pflicht, die Stetigfeit des Kurfes, 
den wir fteuerten, zu wahren. Das lag an fich in meiner Ratır, Man 
soird aber vielleicht verftehen, daß diefe Pflicht unter den gegebenen 














Anregungen 133 


Verhältniſſen nicht immer leicht zu erfüllen war. Die Veranlagung 
bes Monarchen war der meinen entgegengejeßt. Manchen Perfönlich- 
keiten wurde leicht im Lauf der Zeit das moralifche Rückgrat gebrochen. 
Sc habe. mich Davor bewahren können. Der Kaifer glaubte mohl auch 
meine organifatorifche Erfahrung nicht entbehren zu follen; aber ich war 
ihm doch ein unbequemer Uintergebener und habe alg folcher alle Stadien 
der Gnade und Ungnade durchgemacht. Ein Befannier fagte mir ein- 
mal, in folchen Lagen wie der meinigen wäre das „Stadium der leich- 
ten Ungnade“ das mwünfchensmwertefte. Sch hatte felbftverftändlich dem 
Kaifer zu laſſen, was nes Kaiſers ift. Ich bemühte mich ftets, erfüllbare 
Wünſche des Monarchen zu befriedigen, auch folche, die mehr in das 
Gebiet der Liebhaberei fielen, foweit ich fie namentlich finanziell vers 
antmorten Eonnte. Weniger Erfolg hatte ich darin, dekorative Ber- 
anfialtungen und Reden, Feftlichkeiten wie die Kieler Woche und Schiffe: 
taufen, etwas zurückzudämmen, da der Kaifer fie für nüßlich für das 
deutſche Publikum hielt, während ich mehr ihre Wirfung im Ausland 
vor Yugen hatte, 

In allen mwefentlichen Punkten, die den Aufbau der Flotte betrafen, 
mußte ich unbeugjam bleiben. Sch habe nicht immer alles äußern Fönnen, 
was ich dachte, habe aber dem Kaifer nur reinen Wein eingefchenkt. 

Unter den Fragen, für welche der Kaifer Anregungen gab, und das 
maren freilich ſehr viele, ragten technifche Konftruftionen hervor, Ges 
bäude, Küftenforts, vor allem aber Schiffe felbft. Die Fragen des 
Hineinpaffens ind Ganze und des Geldes traten dann leicht zurüc. 
Der Kaiſer kannte die fremden Marinen gut und neigte mit deutjchen 
Augen dazu, ihre Vorzüge ftärfer zu ſehen als ihre Nachteile. Wer ihm 
Mißtrauen gegen die Qualität unferes eigenen Materials zutrug, fand 
ftets williges Gehör, Er entwarf mit großem Zalent und Eifer Skizzen 
von Schiffen, ließ fie vervielfältigen und verfchenfte fie reichlich, wie 
befannt auch dem Reichstag, der fie mit geteilten Empfindungen ent 
gegennahm. 

Daß eine mit Wiffenfchaftleen und Praktikern fo ausgeftattete Be 
hörde wie das Meichgmarineamt über reichere Mittel für objektive 
Urteilsbildung als irgendein einzelner Menfch verfügte, wurde nicht 
gern anerkannt, den eigenen Beamten ein gewiſſes Maß von Miß- 
trauen zum Nusdrucd gebracht. Man konnte vom Kaiſer in technifchen 
Dingen auch nicht das Urteil eines durchgebildeten Fachmannes ver- 





134 Unter dem Kaifer 


fangen. So mußte ich einmal fogar den Erfinder eines Perpetuum | 
mobile, den der originelle alte Admiral Reinhold Werner dem Kaifer 
empfohlen hatte, empfangen und feine „Mafchine” vorführen laſſen, 
bis der vom Kaifer dazugeladene Emil Rathenau dem Wundermann 
feinen Nimbus nehmen burfte. J 
Ohne den Kaiſer wäre die Entfremdung Deutſchlands von der 
See und den mit ihr verbundenen Intereſſen und Kulturaufgaben 
nicht überwunden worden; das bleibt ſein geſchichtliches Verdienſt. 
Auch ſonſt haben ſeine Anregungen vielfach Nutzen geſtiftet. Nachteile 
nach außen waren die große Betonung von Zielen und Erfolgen und 
im Innern das dauernde Zuſammentreffen perſönlicher Betätigungs- 
triebe mit den eigentlichen Aufgaben der Landbehörden und der Flotte. 
Das Reichgmarineamt hatte neben feiner übergroßen Arbeit noch häufig 
die Pflicht, Vorkonftruftionen auszuarbeiten für Entwürfe des Kaifers, 
die vielfach an inneren Widerfprüchen litten. In den legten Jahren 
vor dem Krieg war dem Kaiſer beifpielsmeife bekanntgeworden, in 
wie hohem Grade die verbefferte Schießleiftung auf See und die großen 
Schießmweiten moderner Gefchüge es den Torpedobooten erfchmwerten, 
in der Zagfchlacht an den Feind heranzukommen. Er begeifterte fich 
nun für ein Idealſchiff, welches ſchwer gepanzert, fchnell und mit 
vielen Torpedorohren armiert twäre, um den Torpedobooten ihre Auf: 
gabe abzunehmen. Abgefehen davon, daß Schnelligkeit und fchmwere 
Panzerung bei einem großen Schiff im ftarfem Wettbewerb ftehen, 
hätte die unter Waffer anzulegende Torpedoarmierung die Mafchinen- 
und Kefjelräume großenteils rweggenommen. Die Konftruftionsbedingun: 
gen fraßen fich gegenfeitig auf. Wir machten uns aber dem erhaltenen 
Befehl gemäß an die Arbeit, und bei der Unmöglichfeit eines brauchs 
baren Ergebniffes entftand in der Behörde für diefes Projekt der 
Name Homunculus. Als ich dann in Rominten Gelegenheit hatte, 
die Entwürfe vorzulegen und zu erläutern, verzichtete der Kaifer auf 
feinen Gedanken und nahm meine Begründung an. Sch erhielt zur 
Belohnung die Erlaubnis, einen Hirfch zu ſchießen, fo daß ich die 
Klärung der Atmoſphäre meinem forgenvoll in Berlin figenden Chef 
der Zentralabteilung mit den Worten melden konnte: „Hirſch und 
Homunculus tot.“ Bei der lebhaften Sagdneigung des Monarchen war 
die Erlaubnis, einen Hirfch zu fchießen, eine fehr große Auszeichnung. 
Der Kaifer hatte überhaupt das Bedürfnis zu ſchenken und anderen 








Bom Kabinett 135 


eine Freude zu bereiten und war unerjchöpflich in liebensrwürdigen Auf: 
merkſamkeiten. 

Es war zur Mbung geworden, daß ich alljährlich für die letzten 
Septembertage zum Vortrag nach Rominten fuhr. Waldluft und vers 
hältnismäßige Ungeftörtheit bekamen dem Kaifer gut. Er war dort 
ruhiger und gefammelter, als es im großen Getriebe der Welt oder auf 
Reifen für ihn möglich war. In Rominten fand ich beim Kaifer An- 
hören und Ermwägen aller Gründe, Fein Ausbrechen in plößliche ner⸗ 
vöfe Erregung, wie es fonft wohl vorfam und fich in einer gewiſſen 
Unruhe der Augen anfündigte. Ber ſolchen Erfcheinungen pflegte ich 
alfe wichtigen Entfcheidungen ftillfchweigend unter den Tiſch fallen 
zu laſſen. Mit eiligen Fragen war dies freilich nicht immer ausführbar. 
Sch habe mir die Meinung gebildet, daß die Konftitution des Kaifers 
dem Druck der Verantwortung nicht gleichmäßig gewachſen war. Jeden⸗ 
falls hat der Kaifer ſowohl beim Ausbruch wie während des Krieges 
mehrmals vor gejundheitlichen Zufammenbrüchen geftanden, die den 
Ärzten Sorge machten. Damit hängt es vielleicht auch zufammen, daß 
er mit zunehmenden Sahren immer mehr geneigt wurde, den ſchwachen 
Naturen in feiner Umgebung nachzugeben. 

Man mußte den Kaifer unter vier Augen fprechen, ba, wenn Dritte 
anweſend waren, fein eigenes wirkliches Urteil Teicht abgelenkt wurde 
durch den von ihm ſtark gefühlten Drang, bei jeder eigenen Stellung: 
nahme als Kaifer zu erfcheinen. In diefem Umftand murzelte die 
Macht der Kabinette. 

Der Kabinettschef wohnte den dienftlichen Vorträgen des verant- 
wortlichen Rejfortminifters bei, und es mar natürlich, daß nach deſſen 
Meggang ber Monarch die Angelegenheiten mit ihm unter vier Augen 
beſprach. Die Kabinettschefs brauchten alfo nur den richtigen Augen 
blick abzupafjen und fich auf Phantafie und Temperament des Herr: 
ſchers einzuftellen, um ihrer Anficht Geltung zu verfchaffen. Es wird 
wenige Menfchen geben, die in einer folchen Lage fich auf das ihnen 
allein zuftehende Gebiet zu befchränfen vermögen. Caprivi hat, mie 
er mir erzählte, nur einen Kabinettschef gekannt, der ftreng nach diefem 
Grundſatz verfahren wäre, nämlich den General v. Albedyll. Freilich 
hatte unfer alter Kaifer ein ftarkes Empfinden für reffortmäßige Ge- 
Ichäftsbehandlung. Das Übergreifen der Kabinettschefs in ihnen nicht 
zuſtehende Gebiete zeitiate Vorſchläge, die nicht fo abgervogen find mie 


136 Unter dem Railes 


diejenigen der Verantwortlichen, die im Falle bes Miflingens felbft 
vor dem Riß ftehen und die Frage, bevor fie an den Kaiſer gebracht 
wird, durch den Apparat ihrer Behörde bearbeiten laſſen. Ein zu 
langes Verweilen der Kabinettschefs in ihrer Stellung entiprach der 
Scheu des Kaifers, feine gewohnte nächite Unigebung zu mechjeln, 
entfrembete aber den mit dem höfifchen Leben verwachjenden Mann 
der Front; in der Marine wenigftens herrfchte das Empfinden vor, 
daß das Kabinett zu den vielfachen Mißariffen auf feinem eigenen 
Gebiet, dem der Perfonalausmwahl, dadurch Fam, daß Admiral v. Müller 
immer mehr Hofpolitifer und immer weniger Soldat murde. 

Jeder Verfuch der in verantwortlicher Stellung befindlichen Männer, 
dem Übergreifen der Kabinette zu fteuern, feheiterte fchroff; denn da 
die Kabinettschefs die Form geſchickt auf die allerhöchite Perſon zus 
fchnitten, blieb dem Kaifer die Vorftellung vom Kabinett als feinem 
bloßen Kanzliften, der lediglich feinen Willen in Befehlsform zu bringen 
hätte, Bei Mortwechfeln hat der Kaifer dies mir gegenüber mehrfach 
betont. Dft dachte ich an 1806. Beſonders im Krieg ift der Nation 
die von der Kabinettsiphäre ausftrahlende geringe Urteilsfraft wieder 
zum Unheil geworden. Während ich unter Hohenlohe und Bülow 
eine natürliche und verfajfungsmäßige Unterftügung gegen Übergriffe 
des Kabinetts fand, war bei Herrn v. Bethmann das Gegenteil der Fall. 
- Auffällig war mir, daß der Reichstag, ſowohl fein demokratiſcher 
wie fein für die Monarchie ehrlich beforgter Flügel niemals den weſent⸗ 
lichften Fehler des alten Regiments, nämlich den übermächtigen Einfluß 
der Kabinette bekämpft hat. Als es fich im Dftober 1918 darum 
handelte, dem Kaifer und dem Kanzler jede Macht zu nehmen, ver- 
fuhr der Reichstag unter Beifeitefchiebung der Gefchäftsordnung mit 
ftürzender Haft. Aber in den langen Sahren vorher hat fich die Demo: 
Pratie niemal® darum gekümmert, die Verfaſſung zu fchüßen. Piel 
mehr wurde das Beſte, mas wir hatten, nämlich die von rein fachlicher 
Staatsgefinnung getragene Arbeit der Amter, um die ung jede Nation 
der Welt beneidete, tunlichft zwifchen Demokratie und Kabinetten zer: 
rieben; gejchäftigeunproduftive Kräfte der verjchiedeniten Färbung find 
in Deutjchland immer darin einig gemwefen, fchöpferifche Staatstätig- 
Feit zu hemmen. 

Es ift zu befürchten, daß viele, die ihre Pflicht, gegen ben Ka— 
binettseinfluß zu kämpfen, während der ganzen Regierungszeit un 


— — 





Nandbe merkungen 137 


erfüllt gelaſſen haben, fich jet mit um fo größerem Eifer darauf 
legen werden, das ganze alte Regierungsjyjtem hinterher zu verdammen. 
Dabei dürften vermutlich die Eaiferlichen Randbemerkungen eine Rolle 
jpielen, deren Zahl unüberjehbar ift, da der Kaifer gern den Marginal- 
jtil feiner Vorfahren verwendet hat. Um nun aber den gefchichtlichen 
Mert oder Unmert diefer und ähnlicher Augenblickskundgebungen ers 
mefjen zu Fönnen, muß man den Kaifer fehr genau gekannt haben. 
‚uf meine Randbemerfungen darf man mich nicht feitlegen‘‘, hat 
er Telber geäußert. Er war deshalb ſehr erſtaunt, als ich es einmal 
auf Grumd einer folchen Randbemerkung für meine Pflicht anſah, 
meinen Abfchied einzureichen. Bei einer ähnlichen Gelegenheit äußerte 
ber Kater, er pflege doch feinen anderen Miniſtern noch ganz andere 
Dinge zu fagen, ohne daß dieſe gleich daraus Konfequenzen zögen. 
Der Kaifer ſetzte eben ftets voraus, daß feine verantwortlichen Rat- 
geber feine Äußerungen prüften und daß fie das dauernd Beheut- 
iame von bloßen Stimmungsäußerungen zu untericheiden vermöchten. 
Sm allgemeinen nahm auch der Kaifer begründete Einwendungen an. 

Leider haben die Kabinette den Randbemerkungen des Kaijers zu 
einer übertriebenen Scheinbedeutung verholfen. Alle, auch folche, die 
man it den Ämtern nur ale zu prüfende Anregungen auffaßte, wurden 
im Kabinett in derjelben Art wie Bleiſtiftſkizzen eines Künſtlers chemifch 
firiert. So wurde einer jpäteren Gefchichtsfchreibung, welche die Ver— 
bältniffe nicht mehr aus eigenem Augenjchein Eennt, ein Material 
aufbewahrt, das, wenn es faljch bewertet werden ſollte, geeignet ers 
fcheint, von der PVerjönlichkeit des Kaifers felbit, wie auch von der 
Art der Regierung unter ihm, ein recht verzerrtes Bild zu liefern. 
Der Kaifer war in Wahrheit durchaus nicht der Autokrat, als der er 
von unferen Feinden und, unferer Demokratie hingeftellt worden tft. 
Als Unterlage für diefe Behauptung dienen im mefentlichen nur jeine 
Ausfprüche im Stile vergangener Epochen, nicht feine tatjächlichen 


- Handlungen und Entfcheidungen, wenigſtens nicht bei irgendwelchen 


Fragen von größerer Bedeutung. Der Kaifer glaubte fich in hohem 
Maße den gejeßgebenden Faktoren des Neichs unterordnen zu mülfen. 
Das trat bejonderg ſtark während des Krieges hervor. 

Menn ich den Kaifer allein jprach, habe ich mich grundfärlich auf 
mein Nefiort beſchränkt. Dadurch blieb mein Einfluß auf feine Per: 
ſönlichkeit Freilich begrenzt, und ich verlor ihn gänzlich, ald mir im 


138 Unter dem Kaifer 


Krieg die Möglichkeit vertraulicher Ausjprache überhaupt entzogen 
wurde. 

Ständiger Gaft in Rominten war mein Amtsvorgänger, Admiral 
Hollmann, der bei meinen dortigen amtlichen Vorträgen neben dem 
Kabinettschef zugezogen wurde, Seine Ruhe und Sachkenntnig und 
fein perjünliches Unbeteiligtfein wirkten wohltuend, da ihn der Kaifer 
mit Recht als einen Freund, der feine Sjntereffen mwahrnahm, bes 
teachtete. Menn der Kaifer feine amtlichen Gehilfen nicht immer 
ebenfo anſah, auch wenn fie an wirklicher Treue nicht zurückſtanden, 
fo ift mir von Männern, welche die Zugendjahre Wilhelms II. Bannten, 
gefagt worden, daß fein Erzieher Hinzpeter ihm planmäßig Miftrauen 
gegen feine Fünftigen Berater anerzogen habe. Iſt das richtig, fo hat 
Hinzpeter die damaligen preußifchedeutfchen Verhältniffe verfannt, wenn 
ed auch notwendig bleibt, einem Lünftigen Herrfcher Menfchenbeurtei- 
fung anzuerziehen. Sch habe in meinem Eleineren Tätigkeitsfeld immer 
gefunden, daß es beſſer ift und die guten Eigenfchaften ftärker zum 
Tragen bringt, wenn man einem Untergebenen nach vorangegangener 
Prüfungszeit rüchaltlofes Vertrauen entgegenbringt. Mohl wird man 
babei einmal auch bitter getäufcht. 

Im Romintener Jagdhaus hatte ber Faiferliche Haushalt mehr 
bürgerlichen Zufchnitt; e8 gab Hausmannskoſt an Taubgejchmückter 
Tafel. Abends wurde oft gemeinfam vorgelefen. Zu den regelmäßigen 
Beſuchern gehörte der Oberſt der nächltgelegenen ruffifchen Grenz 
garnifon, dem im Scherz empfohlen wurde, Hirfche und Heide zu 
Ichonen, wenn er einmal einrücen follte. In der Tat hat der Zar bei 
Kriegsbeginn den Befehl gegeben, Rominten nicht zu verwüften. Von 
der Marine erwartete der „‚Oberfte Jagdherr“ Waidmannsheil. Es 
hat aber Fahre gedauert, big er mir die grüne Hofjagduniform verlieh. 
Ich wurde oft zur Pirfch in die herbitprangende Romintener Heide 
mitgenommen; aber während meines amtlichen Vortrags durfte Fein 
Hirſch fchreien, dafür forgten meine guren Freunde, die Förfter. 

Die Kaijerin, deren regelmäßige Anmefenheit der Romintener Welt 
die befondere Farbe gab, beteiligte fich grundfäglich nicht an politifchen 
Fragen. Wenn fie aber im wahren Sntereffe ihres Gemahls glaubte, 
einmal eingreifen zu follen, fo tat fie e8 mit Charafter und meiſtens 
mit Erfolg. Sch gedenfe der hohen Frau in mahrhafter Verehrung. 
Ihre Weſensart wurde von allen, melche den Vorzug gehabt haben, 


In Rominten 139 


fie näher Fennenzulernen, als ein Glück für das Land empfunden. Ale 
ber Kaiſer nach den Meinungsverfchiedenheiten, die zwischen ihm und 
Feldmarfchall Hindenburg im Frühjahr 1915 entitanden waren, vom 
Weſten nach dem Often fuhr, Tieß fich die Kaiferin, von Berlin kom⸗ 
mend, in Halle an den Baiferlichen Zug mit einem Magen anhängen 
und überrafchte ihren Gemahl am nächſten Morgen. Das bekannte 
Bild, welches den Kaifer und Hindenburg in Poſen vereinigt darftellt, 
ft von ihre aufgenommen. 


Es iſt vielleicht micht richtig zu fagen, daß dem nachbismardfchen 
Deutfchland die felbftändigen Naturen an fich gefehlt hätten. Dennoch 
bat Haldane die Tragif, die über unferer Arbeit lag, richtig gekenn⸗ 
zeichnet, werm er nach feinem Beſuch 1912, wie mir erzählt worden 
ift, gejagt hat: es fFiele ihm gegen früher auf, welcher Dangel an Cha⸗ 
tafteren in Berlin herrfche. Die beinahe religiöfe monarchiſche Ers 
gebenheit, welche die Perfon Wilhelms I. gefchaffen hatte, ließ eine Frei 
heit der Meinungsäußerung und Charakterbetätigung beftehen, die ſpäter 
unter dem Einfluß der Kabinette mehr und mehr der Forderung 
reinen Gehorfams wich. Die Manneskraft, die 1866 und 1870, ſelbſt 
1848 an die Oberfläche getragen wurde, fchien in der fchiweren Prüfung 
unferer Tage nicht in demjelben Maße vorhanden oder boch nicht an 
ben richtigen Stellen zur Wirkung gebracht. 


Bierzehntes Kapitel 
Reichsmarineamt und auswärtige Politik 


1 

Vom Geſchäftsgang der Reichsleitung machte ſich die Offentlichkeit 
nicht ſelten ein unzutreffendes Bild. Die Bismarckſche Reichsverfaſſung 
hatte Fein Reichsminiſterium geſchaffen. Im preußiſchen Staatsmini- 
ſterium, dem ich angehörte, kamen außenpolitiſche Fragen faſt niemals 
zur Erörterung. Das Reich aber wurde durch einen einzelnen Mann 
geleitet, dem die Reſſortchefs als Untergebene, nicht als Kollegen unter⸗ 
ſtanden. Der Reichskanzler konnte ſelbſt marinepolitiſche Verfügungen 
über den Kopf des Reſſortchefs, ja gegen feinen Willen treffen, ob- 
wohl dem KReichgmarineamt Zeile der Eaiferlichen Kommandogemalt zu: 
ftanden. Das Gegenmittel des Rücktritisgefuchg war nicht in jeder 
politischen Rage verwendbar. Dem Reſſortchef, der mebenbei Offizier 
it, Eonnte ferner der Kaifer ungeachtet des Beamtengejeges den Abs 
jchied erfchweren, und endlich nüßt ſich die Kabinettsfrage bei allzu 
häufigem Gebrauche ab. 

Nun lag es ja in der Hand des jeweiligen Kanzlers, ob er feine 
„Stellvertreter, die. Staatsjekretäre, heranziehen oder über die Grund» 
züge feiner Politik im Unflaren laffen wollte. Die monarchifche Vers 
fafjung des von Bismard! auf feine Perſon zugefchnittenen Kanzlers 
amts enthielt den unfchäßbaren Vorteil, einer überragenden Perfönlichkeit 
zugreifendes Handeln zu erleichtern. Aber ein Reichsminifterium hätte 
bei weniger einzigartigen Kanzlerperfönlichfeiten durch Eollegiale Ber 
handlung grundfäglicher Entjcheidungen eintretende Fehler oder Kopf: 
Iofigkeiten leichter verhindern können. Eine Anderung des Gefchäfte- 
verfahrens hatte aber zur Vorausſetzung entweder ein freundlicheres 
Verhalten des Reichstags und der Bundesftaaten zum Gedanken eines 
Reichsminiſteriums nder ein vielleicht ungewöhnliches Maß von Selbit- 
verleugnung bei dem Mann, der fich nächſt dem Kaifer im Roll: 
bejiß der Macht befand. Die Offentlichfeit feste im allgemeinen eine 





NReichsverfaſſung und Gefchaftsgang 141 


innigere Gemeinbürgſchaft und einen regeren Gedankenaustauſch zwi⸗ 
ſchen den einzelnen Reſſortminiſtern voraus, als tatſächlich beſtand, und 
würde erſtaunt geweſen ſein, zu erfahren, wie wenig fortlaufend und 
zuverläſſig die Information war, die in den ernſten Jahren vor dem 
Krieg einem ſo hochpolitiſchen Reſſort wie der Marine geſpendet wurde. 
Fürſt Bülows Regierung hatte allerdings auch mir ein ganz anderes 
Gefühl von Sicherheit eingeflößt, als die bei ihrer außenpolitiſchen Un— 
erfahrenheit empfindliche und argwöhniſche Narur feines Nachfolgers. 
Zur Groteske wurde die monarchifche Verfaſſung des Kanzleramtes im 
Krieg, als der Kanzler ohne Befragen der Marinebehörden beim Katfer 
feemilitärifche Befehle erivirkte, die praitifch überhaupt nicht ausführ- 
bar waren. 

Die Zahl der poliifchen Schritte, mit denen ich mich au befaſſen hatte, 
war ımter diefen Umftänden nicht groß. LUnbeteiligt war ih z. B. an 
den Sumoahändeln (1399), den Verhandlungen mit England um Die 
Jahrhundertwende, dem Eingreifen in Marokko. Meine Übergehung bei 
der Entjendung des Geſchwaders nach Manila (1898) habe ih an 
früherer Stelle erwähnt. Anläßlich der Chinoerpedition habe ich gegen 
die Entfendung Walderfees und der 24000 Mann gefprochen, da bie 
Ausfendung einer ganzen Armee mißgedeuter werden Tonnte und bie 
ſchon auf der Augreife befindliche Marineinfanterie für den realen Zweck 
genügte. „Der Potsdamer Eprerzierplag muß jebt enticheiden”‘, hieß 
es aber an höchſter Stelle. 

Inſoweit ich aufgefordert wurde, meine politifche Anſicht zu äußern, 
riet ieh 1. grundfählich zur Erhaltung des Friedens, bei dem wir jähr- 
lich gewannen, mährend ein Krieg ung wenig einbringen, dagegen alles 
rauben Fonnte, und deshalb 2. zur Vermeidung aller Zwiſchenfälle durch 
Anbiederungeverfuche, die insbeſondere der Enaländer nicht verträgt, 
oder durch Herausforderungen. Die Sicherung unierer jungen Weltmacht 
aber ſah ich 3. in einer Gleichgemwichtspolitif zur Ger, Sch bedauerte es 
deshalb, wenn wir ung mit Öiterreichellngarn, das zur See nichtig be⸗ 
deutete, zu ſtark auf Gedeih und Verderb verſchwiſterten, und ſah ferner 
nicht ohne Bedenken auf unfere Balkan⸗ und Orientpolitik, weil fie die 
Gefahe romantischer Verfiridung in Nebenitttereſſen mit fich brachte. 
DaB uns von engliicher Seite gelegentlich warm empfohlen wurde, 
unfere Nusdehnung auf dieſer Hintertreppe zur fuchen, beſtärkte mich 
in dieſer Auffaſſung. Wir mußten im Gegenteil alle Kraft zuſammen⸗ 


142 Reihömarineams und auswärtige Politik 


nehmen, um uns die Vorbertreppe zur Welt, ben Atlantifchen Ozean, 
offen zu halten, zumal bie Vorbedingung dazu, ein geficherter Feſt⸗ 
landsfrieden, in dem Verhältnis zu Frankreich dauernd feinen wunden 
Punkt behielt. Sch erachtete uns nicht für ſtark genug, gleichzeitig mit 
der Belaftung unferer Politif durch den meltivirtfchaftlichen Gegen: 
faß zu England, auch Bagdaddiplomatie zu treiben, bei welcher das 
Gefamtintereffe des Volkes weniger gut zu gedeihen verfprach, als 
einzelne wirtfchaftliche Unternehmungen. Sch fürchtete vor allen Dingen 
bei einer nicht ganz auf das Wefentliche gefammelten Politif den 
Verluſt des Vertrauens bei denjenigen Mächten, bie für meine Über 
zeugung den Schlüffel der Lage bildeten: Rußland und Japan. 


2 

Die zeitgemäße Fortbildung der Bismardichen Grundfäge in bezug 
auf unfer Verhältnis zu Rußland war meiner Auffaffung nach eine 
Hauptbedingung erfolgreicher Politif. Dean mußte fich Far werden über 
diejenigen Punkte, in denen vitale ruffifche, aber nicht vitale deutfche 
Intereſſen vorlagen, und in diefen Punkten Rußland entgegenfommen. 
Sch weiß nicht, ob vor dem Weltkriege jemals ein Eräftiger Verſuch in 
der Richtung unternommen worden ift. Auf eine während des ruſſiſch⸗ 
fapanifchen Kriegs unternommme Aktion, die von vornherein Faum 
Erfolg verſprach, komme ich nachher zu fprechen. Unſere Anläufe 
beftanden hauptſächlich in Monarchenbegegmungen, die ja zur Erhaltung 


der alten dynaftifchen Überlieferungen von Wert waren. Aber andere 


Mittel, z. B. durch die Prefje zu wirken, wurden vernachläfjigt. Die 
Ländergier des rufjifchen Kaiſerreichs ſtieß — auch noch nach Abſchluß 
der Entente — mit ben britischen Machtbahnen notwendig zujfammen. 
Da haben wir uns nun auf ber Linie Berlins Konftantinopel-Bagdad 
aufs unglücklichſte dazwiſchengekkemmt. Der Kündigung des Rück⸗ 
verficherungsvertrage® burch uns (1890) war der ruffifchefranzöfifche 
Zweibund gefolgt. Der Panflamismus, der feine Spige gegen Ofterreich 
und uns Fehrte, war im Wachen. Trotzdem beftanden noch vieljeitige 
und ftarke vuffifchedeutfche Überlieferungen und gemeinfame Inter⸗ 
eſſen. Insbefondere war das Zurentum ein weſentlicher Stützpunkt 
für uns, 

So wie freilich die Lage fich feit ber Kündigung des Rückverſicherungs⸗ 
vertrages gefbaltet hatte, habe ich an die Möglichkeit, Rußland zu einem 





Konnten wir 1904 ein Bündnis mit Rußland haben 9 143 


eigentlichen Bündnis zu beivegen, früheftens geglaubt, feitdem dies auf 
dem Weg über Japan möglich geworden wäre. Sch babe wäh— 
vend des ruffischsjapanifchen Krieges am 31. Oftober 1904 einer 
Situng beim Neichskanzler angemwohnt, in melcher Herr v. Holz 
ftein im Verfolg von Eaiferlichen Snitiativfchritten dafür ein- 
trat, Rußland ein Bündnis anzubieten. Der militärische Druck der 
vereinigten Mächte Rußland und Deutfchland follte nach Holitein auch 
den Franzoſen nahelegen, in die an fich fo erſtrebenswerte feitländifche 
Geſamtkoalition überzutreten. Der anmwefende Graf Schlieffen ftellte 
fih auf den rein militärischen Standpunkt. Er jchäßte, die Rufen 
würden wohl noch einige Armeeforps für einen etwaigen Aufmarfch 
gegen Frankreich mobil machen können. Sch bemerkte bei dem vornehmen 
und wortkargen, in feinem Fach jo bedeutenden Strategen bier wie 
fchon feinerzeit bei den Erwägungen über die Chinaerpedition eine ge 
wilfe Vernachläffigung außerfoldatifcher Gedankengänge und hielt im 
übrigen, wie auch der Staatsfekretär des Auswärtigen, Frhr. v. Nichts 
bofen, die pfychologifche Rechnung Holfteins für falfch. Sch bezmeifelte, 
daß ein mit der Piftole erzwungenes Bündnis je die franzöfifchen Kräfte 
für ung mobil machen würde, Ahnlic) habe ich 1911 den kalten Waſſer⸗ 
ftrahl nicht mehr zeitgemäß gefunden, den Kiverlen- Wächter noch einmal 
nach Paris richtete. In jener Sigung von 1904 gab ich ferner dem 
Zweifel Ausdrud, ob eine Verftärfung unjeres ‚Heeres durch ein paar 
ruffifche Korps ung wirklich ftärden würde, umd betonte insbejondere, 
daß ein Bündnis mit Rußland an Stelle des erhofften Erfolges, ung 
über Paris gegen englijche Kriegsgelüfte zu fichern, im Gegenteil die 
damals beftehende Kriegsgefahr vermehren würde. Im Falle eines 
Krieges mit England würden wir aber bei unferer noch unentiicelten 
Flotte — die zudem des Rückhaltes der ruffischen Oftfeeflotte damals 
entbehrt hätte — die Zeche mit unferem Außenhandel und unjeren Kos 
Ionien bezahlen, wobei eg ſchwierig für ung fein würde, zu einent leid» 
lichen Frieden mit England zu gelangen. Herr v. Holftein verfocht feinen 
Plan jehr ſtark. Am Tage darauf fchrieb ich folgenden Brief an Richt⸗ 
bofen: 
Berlin, 1. 11. 04. 

„Die Schwere Frage, welche und geitern beim Herrn Reichskanzler 
bejchäftigte, ift mir noch weiter im Kopf herumgegangen, und dabei 
iſt mir noch klarer geworden, daß nicht nur, wie ich geſtern fchon aus⸗ 


144 Keichsmatineuamt und auswärtige Politil 


führte, die militärijche Bedeutung einer Allianz mit Rußland für uns 
im Seekrieg gleich null ift, fondern daß fie auch für den Landkrieg 
m. €, nicht weſentlich ing Gewicht fällt. Denn felbft, werm günftigften- 
falls die Ruſſen fich dazu auffchwingen follten, uns einige Armeekorps 
mit nach Frankreich zu geben, jo jcheint mir der Nußen von 100 ja 
jelbit 200000 Mann bei einem Kriege, in dem ſich Millionen gegen 
überjtehen, gering, wenn nicht ſogar ausgeglichen durch die Erfchwerung, 
die das Funktionieren unferes militärischen Apparates durch das Hinzus 
treten der ruffifchen Elemente erfahren muß. Der paſſive Nutzen, der 
uns Durch jolche Allianz aus der Sicherheit unjerer Oftgrenze erwachfen 
joll, it aber meines Erachtens jegt ſchon auch ohne die Alliance 
durch den heutigen Zuftand Rußlands erreicht. Jeden Monat, den der 
japanische Krieg Yänger dauert, wird dies augenfcheinlicher hervortreten. 
Auch nach dem Kriege wird Rußland für die Offenfive nach Weſten 
auf Jahr und Tag fo gelähmt fein, daß wir meines Erachtens für die 
große Politik unjere Oftgrenze als tatfächlich unbedroht anfehen Fönnen. 
Bir würden bis auf meiteres mit Landiwehrformationen an der Oft 
grenze auskommen. Hierbei ziehe ich nicht einmal in Rechnung, daß 
nach der Werfönlichkeit des Zaren ein Eingreifen Rußlands bei einem 
Kriege Deutichlands gegen England und Frankreich an ſich unwahrjchein- 
lich fein würde, auch lajje ich die Frage offen, ob mir nicht eine folche 
Sicherheitdzufoge von feiten des Zaren auch ohne Allianz bereits auf 
Grund unjeres bisherigen freundjchaftlichen Verhältniſſes erlangen 
können. 

Hauptſache bleibt immer, daß ein realer, d. h. militäriſcher Nutzen 
aus der Allianz mit Rußland für uns nicht erwächſt. 

Demgegenüber kann doch nicht zweifelhaft fein, daß die Gefahr 
eines Eriegeriichen Zujammenftoßes mit England durch eine ruffiiche 
Allianz für uns wächſt. Es brauchen mur nach Erledigung der ‚Huller 
Streitfrage auf der Reife der ruſſiſchen Argonauten weitere Zwiſchen⸗ 
fälle einzutreten. Um hierbei die verftärfte Gefahr für ung zu ermeſſen, 
ftelle man fich einmal vor, ein deutfcheruffifcher Allianzvertrag würde 
jet öffentlich befannt, würde da nicht die ‚ganze Wut der öffentlichen 
Meinung in England fich ausschließlich gegen ung wenden? Der Allianz⸗ 
gedanfe mit Rußland beruht nur in der Hoffnung, auf. Frankreich 
einen ſolchen Druck muszuüben, daß es alles tut, um England von 
einem Krieg gegen ung abzuhalten. Die Beteiligung Rußlands hierbei 





Brief an Wichthofen vom 1. November 1904 145 


befteht nur in der Bedeutung eines unter anderen Vorausjegungen 
niedergelegten Traktats, alſo eines Blattes Papier, fie befteht nicht in 
realen Werten. In Wirklichkeit ann die erftrebte „Preſſion“ auf 
Frankreich nur durch die Kriegsdrohung Deutjchlands ausgeübt werden. 
Um das zu bewirken, bedarf es aber heutigen Tages Feiner Allianz 
mit Rußland. Wir find ſtark und frei genug, dies jeden Augenblid tun zu 
können; die durch die Allianz bewirkte Verjtärkung der Konfliftsgefahr 
mit England ift aljo für ung etwas nicht unbedingt Nötiges. 

Schließlich bleibt zweifelhaft, ob das Dazmwifchentreten Frankreichs 
die Machthaber in England überhaupt abhalten wird, gegen uns vor- 
zugehen, wenn fie wirklich den Krieg mit uns mwollen, ganz abgejehen 
davon, daß der Vermittlung Frankreichs ficherlich jede Pſyche fehlen 
würde. Sollte dies aber dennoch der Fall fein und England auf den 
Krieg mit ung verzichten, fo würde es um fo brutaler und rüdfichts- 
lofer Japan auf ung hegen, und wenn ich den Vertragsentwurf richtig 
verjtanden habe, jo würde der casus foederis für Rußland nicht ein- 
treten, wenn wir nach Beendigung des Krieges Japan allein gegen 
überftehen. Einen ſolchen Krieg mit einem feindlichen England hinter 
ung Fönnen wir aber ohne feemächtige Freunde nicht führen. Alſo auch 
in diefem Falle gibt uns’ die Allianz mit Rußland nichts Wirkliches. 
Nimmt man fchließlich den ung am meiften intereffierenden Fall, Eng: 
land erflärt uns allein den Krieg und Rußland müßte daraufhin auf 
unfere Seite treten, dann lähmt doch gerade ber bejtehende gegen ung 
gerichtete Zweibund zwiſchen Frankreich und Rußland die Freiheit 
unferer Entfchlüffe Frankreich gegenüber, während die ruffifche Hilfe 
für uns feine Rolle fpielt. Eine pofitive Wirkung für die Friedens: 
chance hätte eigentlich nur die wirklich Elare Defenfivallianz Deutfch- 
lands, Frankreihe und Rußlands zufammen gegen England, und das 
ift doch durch das erwogene Vorgehen 3.3. nicht zu erreichen. 

Nach diefen Überlegungen, welche nur die Hauptpunkte jEizzieren, 
möchte ich meine Anficht dahin präzifieren, daß wir unter tunlichiter 
Aufrechterhaltung der Freundfchaft mit Rußland, infonderheit der kaiſer⸗ 
lichen Beziehungen, doch den Abfchluß eines Staatsvertrages 3.3. nicht 
vornehmen, fondern zunächſt weiteres abwarten. Im ganzen ift ja Zeit 
geroinn und Flottenbau unjere wichtigfte politifche Aufgabe. 

Da die hohe Politif Shre Domäne ift und ich nur als Nebenperjon 
bei diefer Frage beteiligt worden bin, fo richte ich diefe Zeilen an Sie 

Zievig, Sriunerungen 10 


i40 Heichsmarineamt und auswärtige Politik 


nit der Bitte, den Heren Reichskanzler über meinen Standpunkt zu 
orientieren.“ 


Das Bündnisanerbieten, das zwar meiner grundjäglichen Anſchauung 
völlig entfprach, mir aber in dem damaligen akuten Kriegsaugenblic 
gefährlich und außerdem ausfichtslos erfchien, it abgegangen. Wie 
mir Holftein fpäter mitteilte, zeigte Rußland die Kalte Schulter. Ich 
vermute auch, daß die ruffifchen Minifter von dem deutichen Bündnis- 
angebst jchon damals den Weſtmächten gegenüber Gebrauch und bar 
mit Gefchäfte gemacht haben. 

Nikolaus IL feibjt war Deutjchland wohlgeſinnt. Wie von vielen 
politifchen Verhältniſſen und Perſönlichkeiten machte fich die deutſche 
Hffentlichkeit auch vom Zaren ein falfches Bild. Er war ein ehrlicher, 
perfönlich furchtiofer Menſch mit Muskeln von Stahl, deifen bewußte 
Selbftherrfcherwürde ſich paarte mit ber Eorreften Gemöhnung, alle 
an ihn herangetragenen politifchen Angelegenheiten forort den zujtän- 
digen Beamten weiterzugeben. Am innigiten ſehnte ſich Nikolaus U. 
danach, in der Stille bürgerlichen Lebens unterzutauchen. Deshalb liebte 
er Wolfsgarten in Hefjen, mo ihm nichts angenehmer war, als wenn 
er von Befuchern verjchont blieb; deshalb verkehrte er auch gern auf 
der deutjchen Flotte, wo er fich, dem Zwang feiner Stellung entronnen, 
als Menfch unter Menjchen fühlte und fich ung gegenüber offen und 
liebenswürdig gab. 

Unter feinen Xeuten erfchien der Zar halb als en Ge 
fangener. Als wir gelegentlich der Zufammenkunft von Swine— 
münde (1907) dem Zaren entgegenfuhren (gegen die Verabredung, two: 
nach wir vor Anker liegen bleiben und der Zar auf feiner Jacht durch 
bie Flotte durchfahren follte; aber es drängte den Kaifer, dem Zaren 
entgegenzufabren), trafen mir ihn auf der Höhe von Kolberg. Der 
Kaiſer ließ troß des Seeganges das Boot Elar machen und fuhr, was 
die Ruſſen nicht für möglich gehalten hatten, zur ruſſiſchen Kaiferjacht 
hinüber, Nun blieb diefe aber auf dem Winde liegen, jo daß Das 
Schiff ſtampfte. Wir konnten nicht begreifen, weshalb; denn Die ele 
mentare Hilfe eines Schiffes für ein Boot, das auf See anlegt, be 
fteht darin, daß das Schiff beidreht, fo daß eine geſchützte Seite (Lee) 
entſteht. Der Kaifer rief nun, während wir um das He der acht 


Der Bar und ber Kailer 147 


herumfuhren, zum Zaren hinauf: „Niki, wo'nt you make a lau?“ 
Mir jehen, wie der Zar, noch im Socket, verfucht, Anorönungen zu 
treffen. Als wir Längsfeits kommen, bemerken wir, wie oben Parade 
aufgebaut ijt. Aber die Treppe, auf welcher der Kaiſer mit dein üb⸗ 
lichen geoßen Zeremoniell auffteigen follte, wird nicht herabgelaſſen. 
Es bleibt ung nichts übrig als nad) vorn zu fahren, wo eine Geeleiter 
für die Matrojen hing. Der Kaiſer ift außer fih. Wie fehen, wie der 
Zar, ebenfalls fehr erregt, nach vorne ftürzt, während die riejigen 
Kerls in unbeweglichen Kolonnen ſtramm ſtehen; an der nicht herunter: 
gelalfenen Kaiſertreppe halten die ruſſiſchen Großen Lambsporff, 
Bencendorff, Fredericks uſp. Das Überfieigen mar ſchwierig und für 
den Kaifer nicht ungefährlich. Nicht einmal eine Keine wurde ung zus 
geworfen. Der Zar Fam einjam dem Kaifer entgegen; alle andern 
waren in Kadavergehorſam erftarrt, denn die Parade war nun einmal 
im Gange, unjer Eintreffen nicht vorgefeben, und Feiner ber Some 
manbdanten, von denen merkwürdigerweiſe zwei an Bord waren, übers 
nahm troß Bitten unferes Mearineatiaches die Verantwortung für 
einen ber Sachlage entfprechenden Befehl, den bei uns der Wachs 
offizier ganz allein erteilt hätte, 

Der Zar war den ganzen Tag verftimmt über diefe Szene. Wenn 
er mit dem Katfer in ruffifcher Umgebung zufammentraf, fo war ihm 
überhaupt beengter zumute, vielleicht auch, weil der Kaiſer fofort der 
natürliche Mittelpunft jedes Kreijes wurde und fich, wenn er ruffische 
Uniform trug, unter Ruſſen gefellfchaftlich ganz als Ruffe bewegte. 
Dann fühlte ſich der Zar, in deſſen Weſen eine echt ruſſiſche pafjive 
Nefiftenzkraft bei geringer Initiative lag, Leicht überſtrahlt. Die ges 
ſellſchaftliche und politifche Snitiative ging immer von ung aus. ich 
babe die in ihrer Weiſe jeher lebhaften Bemühungen unferes Katfers, 
mit Rußland zu einem guten Verhälmis zu kommen, ſoweit fich mir 
Gelegenheit dazu bot, unterftüst und durfte mid) des befonderen Wohl: 
wollens des Zaren erfreuen, bei deſſen Werfönlichkeit aber ftets ein 
erhebliches Maß von Zurückhaltung geboten war. 

Im Sahre 1903 ſchickte mic) der Katjer zum Zaren nad) Peters: 
burg mit einem heiklen Auftrag, den ich, ſchon weil die engliſch ge 
finnte Barin ihren Gemahl nicht unter vier Augen mit mir ließ, für 
mich behielt, was ſich als richtig eriwiefen hat. Ob diefe fchöne Frau 
geiftig hervorragend war, Bann ich nicht beurteilen; jedenfalls hatte 

In? 


148 Neichsmarineauit und auswärtige Pohtik 


fie nach) meinem Eindrud für ihr deutiches Vaterland nicht viel übrig. 
Sch warnte bei diefer Gelegenheit den Zaren vor ber oftafiatifchen 
Gefahr, die ich bei dem mir bekannten mehr dekorativen Geift der 
ruffifchen DOftafienflotte ſehr ernſt einfchägte. Nikolaus IL, der die 
Japaner perjünlich nicht leiden mochte, entgegnete mir, er hielte die 
Gefahr für vorübergezogen, denn er wäre jest jchon fo ftark, daß 
die Japaner nichts mehr machen Eönnten. Den rujjifchsjapanifchen 
Krieg habe ich in unferem Syntereffe bedauert, und fihon am 2. Sep- 
tember 1904, als man im allgemeinen noch auf den Sieg des ruffifchen 
Soldaten rechnete, ben Reichskanzler die Gefahr entwickelt, die entftünde, 
wenn nach einer ruffischen Niederlage wir in Tfingtau auf Vorpoſten lägen. 
Die Knverfrorenheit, mit welcher die Engländer im Krieg die Jar 
paner unterftügten, war für uns nicht nachahmbar, obwohl wir im 
Rahmen der Neutralität der ruſſiſchen Flotte mit Rat und Tat mehr 
Dienfte erwieſen haben, als die Franzofen. Als indes Admiral Rofch- 
djeſtwenskj bei feiner Ausfahrt mit der ruſſiſchen Dftjeeflotte um bie 
Begleitung des damaligen deutſchen Marineattaches v. Hinte bat, hat 
der Kaiſer diefe Handlung als unneutral abgelehnt. Dagegen hat 
z. B. englifches Perfonal nach Kriegsausbruch die in Italien gebauten 
japanischen Kreuzer „Kaſuga“ und ‚„Nifchin” nach Japan überführt, 
und englifche Offiziere haben im Stabe des Admirals Togo ſowohl 
bei Port Arthur wie in der Tſchuſimaſtraße eine fehr tätige und be 
deutungsvolle Rolle geipielt. In dem Seegefecht bei Port Arthur 
wolite Togo den Kampf unter dem Eindrucd feines wenig Erfolg 
verfprechenden Standes bereits abbrechen, als ihn der Engländer in 
feinem Stabe zum Durchhalten veranlaßte und Eurz darauf das ruffifche 
Admiralsſchiff „Zeſarewitſch“ den entjcheidenden Treffer erhielt. Nach 
der Niederlage, welche die Ruſſen den Engländern demnach ebenfo 
zu verdanken hatten wie den Japanern, begann in Rußland der britifche 
Kurs über den deutjchen zu fteigen. Roſchdjeſtwenskj hat nach feiner 
Rückkehr aus der japanischen Gefangenfchaft dies Hintze gegenüber 
mit dem rufjifchen Volkscharakter erflärt: „Dem, der dem Ruffen hilft 
und freundlich zu ihm ift, gibt er einen Fußtritt, denn er betrachtet 
ihn als feinen Lakaien; wer ihm aber die Knute gibt, dem Füßt er ben 
Saum des Gewandes.“ Trotzdem nun feit 1907 Rußland den Aus: 
gleich mit England annahm, behielt ich die Überzeugung, daB das 
Zarentum unfere Zukunft nicht im tiefiten Grunde bedrohte, 





Fehler unferer Rufjenpolitif 149 


Gegenüber ben zunehmenden Kriegstreibereien ruſſiſcher Sphären 
war die Marine aber nicht bfind. Herr v. Hinge, deſſen Stel 
lung am Petersburger Hofe durch fein Geſchick die des Botſchafters 
überragte, hat bald nach dem japanischen Krieg deutfchfeindliche An⸗ 
geichen im ruffifchen Heer gemeldet, was ihm damals in Potsdam 
verübelt worden ift. Aber man durfte trotzdem die Gefährlichkeit der 
ruſſiſchen Kriegspartei, der Großfürften und ihrer Pariſer Freuns 
binnen, und des Panſlawismus nicht überfchäßen, anderſeits aber es 
nicht unterlaffen, ihnen mit allen Mitteln entgegenzuarbeiten. Unſere 
Balkanpolitik 1908/14, insbefondere auch die Entfendung unferer Milis 
tärmifjion nach Konftantinopel erfchien mir nicht unbedenklich. 

Nikolaus II., der mir bei einer der letzten Unterredungen von fich 
aus gejagt hatte: „Ich gebe Ihnen meine Verficherung, daß ich nie 
mals gegen Deutfchland Krieg führen werde,” wollte auch 1914 Feinen 
Krieg mit ung. Sch laſſe es dahingeftellt, in welchem Umfang wir durch 
richtigere Behandlung des Zaren und ber ferbifchen Frage im Juli 1914 
ben Einfluß der Eriegstreiberifchen Kreife Petersburgs hätten eindäm⸗ 
men Fönnen. 

Der Krieg mit Rußland war der Kardinalfehler unferer Politik, 
ein baldiger Friedengfchluß mit dem Zaren unbedingtes Ziel einer 
nach Sieg ftrebenden Staatskunſt. Diefer Friedensfchluß murde durch 
ben Beitritt der Türkei zu unferer Partei und die Nichtausführung 
des Hindenburgfchen Feldzugsplanes von 1915 unleugbar erſchwert. 
Trotzdem Eonnte noch 1916 ein annehmbarer Frieden gefchloffen wer⸗ 
den, als der Zar, der feinen Thron wanken fühlte, Stürmer zu dem 
Zweck ernannte, um mit ung Frieden zu fchließen. 

Dem Streben Bethmann Hollwegs, feine politifchen Fehler auf bie 
militärifchen Reſſorts abzuladen, entfpricht es, daß der unbegreifs 
lichſte dieſer Fehler, die Polenproflamation vom November 1916, von 
der Wilhelmftraße tunlichft auf General Ludendorff abgewälzt worden 
ft. Dem miderfpricht aber, daß Bethmann fchon in einer Staats⸗ 
minifterialfißung im Winter 1915/16 eine derartige Löfung der pol- 
nifchen Frage als die zweckmäßigſte bezeichnet hat. Nach der Sihung 
ichlug ich einem Kollegen vor, daß, wenn wirklich ein derartiges Vor⸗ 
aehen ernfte Geftaltung annähme, das Staatsminiftertum beſtimmt 
Stellung dagegen nehmen müßte. Nach meiner Verabſchiedung habe 
ich Fury vor der Entfcheidung über Polen den Generalgouverneur 


150 Heichömerineamt und ausmärtige Politif 


9. Beſeler aufgefucht und ihm privatim meine Anficht son der Un: 
zwechmäßigfeit und verhängnisvollen Gefährlichkeit diefes Schritten 
ausgefprochen. Mir war klar, daß damit nicht nur Deutichlend ein 
neuer Feind gefchaffen, fondern auch eine der fetten Möglichkeiten zu 
einem Sonderfrieden abgefchnitten wurde. In der Tat Eonnte infolge 
der hierdurch erzeugten Verfchärfung des Kriegsmillens unferem Frie 
densangebot vom Dezember 1916 Fein zweckwidrigerer Auftakt ge 
geben werden, als die Polenproflamation, die der Zar als „eine Ohr: 
feige in mein Geficht“ bezeichnet haben ſoll und die nach Stürmers 
Ausdrud „ven Frieden getötet hat”. 

Schon Mitte Juli 1914 hatte ich angeſichts des beunrftehenden 
Utimatums an Serbien aus Taraſp meinem Berliner Amtsvertreier 
brieflich die Befürchtung ausgeſprochen, daß Bethmmm Hollwegs Un: 
kenntnis der englischen Politik ung in einen unheilbaren Bruch mit 
Rußland ftürzen könnte. Ohne die Einzelheiten der damaligen Beth: 
mannfchen Diplomatie zu durchichauen, hatte ich gefchrieben: „Man 
braucht fich nur vorzuftellen, was ein englifcher Bismard für eine 
Politif gegen Rußland und Deutfchland treiben mwürde. Der Kanzler 
iſt vollftändig verrannt, verliebt in feine Sdee des Werbens um bie 
Gunft des verfiden Albions. Es ift die Schieffalsfrage des deutfchen 
Volkes. Wir müfjen uns coüte que coüte mit Rußland verſtändigen 
und den Walfifch gegen den Bären fiellen. Alle Sentimentalitäten 
haben zu Schweigen.” 

Berhmann felbft konnte wohl auch vor der Bolenproflamation kei⸗ 
nen Gonderfrieben mit Rußland bekommen, ba biefes glauben mußte, 
baß er es doch em Die Engländer verfaufen würde. Daß der Kaljer 
bie Kraft nicht fand, 1916 einen Frontwechſel unserer Yplitik zu volls 
sehen und Für bieten Zweck Schon damals einen Kanzlerwechſel eins 
treten zu Taflen, war tin Mechängnic, 

Mitſchuldig an bem Unheil iſt die Hinneigung umferer Intellek⸗ 
wellen zur weltlichen Kultur. Sie ift an fich einfeitig, da mir Die alte 
Bildung des Weſtens ja längft in ung aufgenommen haben, feine heu⸗ 
tige glatte, utilitariſtiſch-kapitaliſtiſche Maſſenkultur aber das deutſche 
Weſen vielleicht minder fruchtbar ergänzt, als der querföpfige Idealis— 
mus der Ruffen und des Orients. Indes nicht um Kultur handelte 
es ſich hier, jondern um Politif. Um die deutjche Kultur Präftigen 
und ausbreiten zu können, war vor alfem unfere politiſche Selbftän- 


Fortſeßung der Fehler im Kriege 151 


digkeit gegenüber den Weſtmächten erforderlich. Dieſe Selbſtändigkeit 
aber konnte durch keinerlei Randſtaatenpolitik auch nur annähernd 
ſo geſichert werden, wie durch die tunlichſte Eintracht Deutſchlands mit 
den großen nichtangelſächſiſchen Mächten des Oſtens. 

Gegen alle geſchichtliche Vernunft, aber unter dem Jubel der un: 
belehrbaren deutſchen Demokratie wand Bethmann den Ruhm des 
Polenbefreiers um feine Schläfe. Sch laſfe dahingeſtellt, ob ihn dabei 
mehr fein Fehlurteil über die englifche Politit oder der Wunſch nach 
einem Erfolg, verbunden mit der Gejchicklichfeit der Polen, deutſchen 
Schwächen zu fehmeicheln, beitimmt hat!). Ich ſah die Zukunft 
Deutfchlands nicht bedroht, auch wenn das rufjifche Kaiferreich 
wieder zu vollen Kräften gefommen märe Bedroht ſah ich fie 
nur, wenn wir von unferem Überfechandel, aus welchem fait ein 
Drittel der Deutjchen lebte, abgejchnitten und bei Nichtwiedergervinn 
unferer meltwirtichaftlichen Stellung ber grauenhaften Berelendung 
ausgeliefert rwurden. Für die von England beabfichtigte Abdrängung 
Deutfchlands von der See gab es Feinen Erſatz, felbjt wenn Bethmanns 
Unnahmen zutrafen und mie uns eine Durchdringung des Oſtens 
militärifch leiſten konnten. Mit allen ruſſiſchen Leuten, auch mit 
Kerenskj, hätte ich unter ftarfen Zugeftändniffen jegliche Verftändigung 
aefuscht, die uns nach anderer Seite wirklich die Hände freigab. Ich 
weiß nicht, ob die Weltgefchichte ein Beiſpiel größerer Verblendung 
Eennt, als bie gegenfeitige Vernichtung der Deutjchen und der Ruffen 
in majorem gloriam der Angelſachſen. 

Mindeitens aber durfte man ſich für bie Polen nicht Feitlegen, 
ohne Gegenleiftungen von ihnen zu verlangen. Was müſſen die andern 
Kationen der Belt dafür leiften, daß die Angelfachfen fo gütig find, jie 
zu beherrfchen, und wir verlangten nicht einmal etwas für die Befreiung. 

Bis zum Schr 1837 hatte zwifchen unferer und ber ruſſiſchen 
Morine lange em beinahe maffenbrüderliches Vertrauen geherrſcht. 
Nachdem infolge des erfaltenden politifchen Verhältniffes ein Aus— 
tauſch wertvoller Informationen fortab nicht mehr möglich war, habe 
ich teoß Der Herrfchaft des Zmeifrontenfriegsgedanfens die guten per 
fönlichen Beziehungen zur ruffifchen Marine aufrecht erhalten, indem 
ich ihr Gefälligkeiten erwies, die ung nichts ſchadeten. Ich überwies 


Y) Wal. auch über den älteren Bethmann-Hollweg: Bismard, Gedanken und 
Erinnerungen 1, 110ff.; 2, 13 und 97, 


152 Reihsmarineamt und auswärtige Polttil 


nämlich alle uns angebotenen Erfindungen, von beren Nußen ich 
noch nicht voll überzeugt war, nach Petersburg, wo alles Neue mit 
wahren Heißhunger genommen murde. Man baute dort nach dem Örund- 
fat, aus fämtlichen Regenbogenfarben das weiße Licht zu finden. Ein 
Vorteil war die glühende Verve nicht, mit der die ruffifche Marine⸗ 
leitung ihre Flotte zu einem Konglomerat von Erfindungen ausgeftaltete. 
Sch babe denn auch dem Zaren verjchiedentlich Winke gegeben, bie 
in dem Rat gipfelten: „Laſſen Sich Majeftät nicht foviel Dareinreden, 
fuchen Sie Sich einen Mann aus, den Ste alles allein machen laffen, 
fonft kommt nie Syſtem in die Gefchichte.” Das hohe Maß perjönlichen 
Vertrauens, welches der Zar in deutfche Offiziere, vor allem in Hintze, 
feßte, war ein Poftbares politifches Kapital, das mir allerdings nicht 
mit dem DVerftändnis eines Stein oder Bismard gepflegt haben. Zum 
Beiſpiel wurde der Vertrauenspoften, den mir burch die alte Sitte 
eines preußischen Flügeladjutanten beim Zaren zur Verfügung hatten, 
nach Hinzes Abberufung nicht mebr voll genüßt. 

Japan befand fich nach dem Sieg über Rußland in den größten 
Geldjchwierigfeiten, nachdem die perjönliche Hartnäckigkeit des Zaren und 
bie amerikanische Vermittlung, hinter der fich die engliſche Diplomatie 
gejchieft verbarg, dem ohnehin armen Kaiferreich die erhoffte Kriege- 
entfchädigung vorenthalten hatten, Bon verfchiedener Seite habe ich 
gehört, daß es für Deutfchland zwiſchen 1905 und 1914 mehrfach 
möglich geweſen märe, durch Gewährung einer Anleihe mit Japan 
zu einem Abkommen zu gelangen. Nach meinen perjönlichen Ein 
drücken von japanifchen Staatsmännern, mit denen ich Freundichaft 
pflog, muß ich die Möglichkeit für wahrſcheinlich halten und bin 
überzeugt bavon, daß Japan Fühler nach uns ausgeſtreckt hat, bie 
unjre Diplomatie nicht begriff oder aus Furcht vor den Angelfachfen 
nicht aufzunehmen wagte. Es ift allerdings ſchwierig, die pofitifche 
Seele Japans zu verftehen. 

Hätten wir, ſtatt „Hans Dampf auf allen Gaffen” zu fpielen, 
die wahren Machtbeziehungen durchgefühlt, auf melchen die PolitiP 
ber Welt beruht, fo würden wir ung mit Hilfe Japans vielleicht gegen 
die Möglichkeit des Weltkriegs überhaupt haben fichern können. Noch 
1915, ja 1916, Ponnte Japan den Krieg durch eine Gefte beenden, 
wenn nicht gar ihm eine entjcheidende Wendung zu unſeren Gunften 
geben. Die Vorausſetzung mar, daß mir ung mit Rußland verſtändig⸗ 


Unfer Verhältnis gu Japan 153 


ien und bie Hauptfront gegen die Angeljachfen nahmen. Wir mußten 
mit der aſiatiſchen Großmacht ein Bündnis auf Tod und Leben fuchen. 
Solange die Neichsleitung im Kriege politifch auf Rußland einfchlug 
und die öffentlichften Bemühungen machte, um in ein feites Verhältnis 
zu England zu treten, war nicht zu erwarten, daß Japan zu uns Fam. 
Als wir vor Wilfons Drohnoten einknickten, hat fich Japan mohl von 
bem Gedanken zurückgezogen, mit ung zu einem Verfjtändnig zu kommen. 

Die Japaner find machtgierig und rafffüchtig. Sie find in dieſer 
Beziehung ein Urvolk; fie möchten alles haben. Aber jeht, da fie bie 
vorwaltende Stellung in Dftafien gewonnen haben, wäre es töricht 
von ihnen, fich mit Amerika wegen der Sübfeeinfeln oder der Raſſen⸗ 
ehre zu entzweien. Der Hauptftreitpunft dürfte China bleiben, deſſen 
Markt fich Amerika nicht wieder rauben laſſen wird, bag aber die Japa⸗ 
ner wohl etwa jo zu beherrfchen hoffen, wie ehedem bie Mandſchus. 
Ich glaube nicht, daß die Japaner mit dem Erwachen Chinas als einer 
nahe bevorftehenden Periode rechnen. Sie werden China fo feſt in 
ihre Hand bekommen wollen, daß es ihnen nicht mehr gefährlich mers 
ben Eann, fondern dienftbar werden muß. 

Wenn die Japaner Feine Augenblickspolitiker waren, fo mußten fie 
einjehen, daß Vereinbarungen mit ben Angelfachjen ihnen letzten Endes 
nichts helfen Bönnen und daß ihre Macht auf ſchwachen Füßen ruht, 
folange fie nicht alles tun, um für die Nugeinanderfeßung mit Amerika 
bie beftmögliche meltpolitifche Lage zu fchaffen. Der Sondervertrag, 
ben Japan 1916 mit dem Zaren gejchloffen hat, zeigt immerhin, daß 
feine Staatsflugheit überall Anlehnung fuchte, mo Entfchloffenheit zu 
dermuten war, gegen die Angelfachjen burchzuhalten. Nachdem Ruß⸗ 
lonb und Deutfchland fich gegenfeitig zerfchlugen, iſt freilich ber mögs 
liche beutfcheruffifchsiapanifche Dreibund, ber die Freiheit ber Welt 
gejichert hätte, mindeitens zunächſt dahin, und Japan muß zufehen, 
wie e8 bie ungeheuren Aufgaben, die es fich aufgepadt hat, allein zu 
Ende trägt. Die Zukunft aller nichtangelfächfifchen Großmächte ift 
problematifch. 

3 

Sm Grunde war jedes Kriegsjchiff, das auf ber Welt irgendivo 
außerhalb Englands gebaut wurde, ein Vorteil für uns, weil dadurch 
bas Gleichgewicht zur See geftärkt wurde. Die angelfächjifche All⸗ 
gewalt zur See wie überkaupt in ber Welt mar vor dem Weltkrieg 


154 Reichs marineamt und auswärtige Doltril 


noch nicht für ſakroſankt erklärt. So gut 4 B. Bulgarien oder Rumänien 
neben den Landgroßmächten eigene Heere jcheffen konnten, die zwar 
für ſich nichts, aber durch ihren Bündniswert unter Umftänden fehr viel 
bedeuteten, jo wurden neben der britiichen Fleinere Marinen gebaut, 
weiche unter den Bündnisgedanfen, wie ihn Bismard! ausgefprochen 
bat!), Gewicht erhielten. Wenn man ein englifches Monopol zur See 
anerkannte, fo war nicht nur jeder Flottenbau, nicht nur jede felb- 
ſtändige Politif, fondern ich möchte jagen, jedes freie Selbjtgefühl 
anderer Völker unmöglih. Warum aber bauten Japan, Frankreich, 
Rußland, Amerika, marum bauten Stalien und die Eleinen Staaten 
Schiffe? Wenn man fagt, es märe doch nutzlos, mit der ſtärkſten 
Seemacht in Wettbewerb zu treten, jo hätte es ja für Eeinen Staat Zweck 
gehabt, fich eine Marine zu halten. 

An und für fich befteht Fein Grund, weshalb die Intereffen der Völ⸗ 
fer zur See fich nicht ebenfo auf gegenfeitige Ausgleichung ftellen joll- 
ten, wie zu Lande. Was das Militärifche betrifft, fo hat allerdings der 
an jich Stärkſte zur See durch die Beherrfchung der unbegrenzten Fläche 
mehr voraus als zu Lande. Aber feine Alleinherrichaft kann gebrochen 
werben durch das Schlachtenglüd, das in der Seefchlacht eine noch 
entjcheidendere Rolle spielt, als im Landfrieg, und zmeitens durch 
Bündnilje. Sch ſtand auf dem Gedanken, daß Flotten- und Biindniss 
politik fich ergänzen müffen: eine verliert ohne Die andere ihre durchs 
ichlagende Kraft. Die Bündniskarte mußte aber anders ausfehen, 
je nachbem man fie vom Standpunkt der Welt⸗ und Seepolitif aus ins 
UAuge fahte oder von bem überlieferten Vier Berlin— Paris Wien— 
Deiereburg, welches das gewohnte Befichtsfeld des beutichen Diplo— 
masen umfchrieb. In jenem Zuſammenhang Fonnte mancher leins 
fast wichtiger merben ald manche alte Großmacht. Deutfchland er 
hielt Bundniswert für Staaten, von denen ums bie Ozeane trennten. 
Und da bag zwingende Intereife, welches ung zum Schuß unferer Sees 
geitung den Flottenbau aufgendtigt hatte, ganz parallel Tief mit dem 
Intereſſe ſämtlicher anderer nichtenglifcher Mächte, welche Flotten baus 
ten, jo konnte und mußte die Reichsleitung, wenn fie den Flottenbau 
nicht felbit entiwerten wollte, ihre Ziele um diefen neuen Ungelpunft 
herum gegen früher teils ausweiten, teild aber auch beſchränken. 
Es würde zu weit führen, die Unterlaffungen unferer Diplomatie im 

YRgl. S. 91. 


lie Heinen Marinen fierben mit der Deutichen 155 


einzelnen zu erörtern. In unjerer Lage würde jchon ein einziger nenmenss 
werter Verbündeter von entfcheidendem Einfluß geweſen fein, jei ed 
Rußland, fer es Italien, deſſen Seerüftungen von und ftets tunlichtt 
zu flärfen waren. Japans wohlwollende Neutralität hätte den Xuss 
bruch des Weltkrieges mwahrfcheinlich verhindert. Die zuverläſſig ncus 
trale Haltung Rußlands in einem beutjchsenglifchen Krieg hätte bei 
dem 1914 von ung erreichten Flottenftand genügt, den Dffenfiogeift 
unferer Marine gegen Englend geiftig und materiell völfig freizumachen. 
Um zu ermefjen, welchen Trumpf umfere Flotte damals einer tätigen 
Diplomatie in die Hand gab, muß man fich vergenenmärtigen, daß 
infolge ber durch uns bewirkten Anhäufung Dee englifchen Seeſtreit— 
Fräfte in der Nordſee die englifche Seeherrfchaft im Mittelmeer und in 
ben ofinfiatifchen Gewäſſern praktiſch aufgehoben war. Unſere tatlächs 
liche Bündnispoliti? hat von ber deutſchen Flotte freilich feinen ans 
beren Dienft gefordert, als die Rettung der Dardimellen, deren Off 
nung bie britifche Flotte nicht erzwingen Eonnte, da fie mit zu vielen 
Kräften in der Nordſee gefeffelt war. Der einzige Nutzen Oſterreichs 
für unſere Morine beitand in einer Ausbeſſerungswerkſtatt für unfere 
Mboote in Pola, nebſt dem Ubootsſtützpunkt in Cattaro. Mit Tauter 
feeobmmächtigen, ung von wirklicher Meltpolitif abziebenden Ver— 
bündeten traten mir in einen Krieg in dem bie deutiche Marine 
gegen die Flotten der ganzen Welt ſtand. 

Sicht nur Deuijchland acht aus dem Weltkrieg geſchwächt hersor, 
ſondern euch bie meiften ber nicht angellächfiichen Bölter, bie ſich am 
ben engliſchen Siegeswagen baben ſchirren laſſen. Kine zugleich woge« 
mutigere yunb behutfamere deutſche Politik (wir waren unvorfichtig bei 
aller Burchtiamteit) hätte bie Bilndnisfraft unferer Riſſkoflorte, ben 
einzigen weitpolitiichen Zrumpf, ben mir hei unferer geographiſchen Lage 
beiaßen, ſo ausfpielen können, Daß der Meltfriede gefichert war. Da unfere 
Diplomatie dieg nicht veemocht hat, trat die Verbindung von Biindnigs 
und Flottenpoliti? nicht ing 2eben, Die eine Ronzentrierung unferer 
Ziele und Mittel bedingt haben würde, 

Unter anderem mußten mir alles tun, um die Freundſchaft unſerer 
Heinen Nachbarſtaaten zu erwerben, Geepolitifch mar ein engeres Ber 
hältnis zu Dänemark vom größten Nußen, in diefer Nichtung michtiger 
. B. als das Bündnis mit OÖfterreich, und ich wäre bereit geweſen, 
für eme See und Wirtſchaftsabmachung mit dieſem germaniſchen 


156 Reichdmarineamt unb autwärtige Politik 


Vetternvolk Gebietsopfer zu bringen, welche bie dänischen Empfindungen 
ung gegenüber wieder freundfchaftlich geftalten Eonnten. Verſchiedent⸗ 
lich habe ich bei Gefprächen mit dem ‚Herzog von Glücksburg, einem 
Verwandten des dänifchen Königshaufes, diefen Gedanken einer Über: 
prüfung des Prager Friedens gejtreift. Er war vor etwa einem Jahr⸗ 
zehnt der Anficht, daß Dänemark durch ein Entgegentommen bezüg- 
üch der fogenannten jütifchen Enklaven Nordfchleswigs wohl zu ge 
winnen fein würde. Amtlich mar ich nicht in der Lage, mich mit diefen 
Privatgedanken zu befaffen. Ein derartiges Entgegentommen würde 
ſelbſtverſtändlich entfprechende däniſche Gegenleiftungen vorausgejeßt 
haben. MWerm Dänemark abermals, wie m einer früheren Epoche, 
als Deutfchland am Boden lag, glaubt, unfer Unglück einfeitig aus⸗ 
nußen zu dürfen, fo möge es fich des Endes jener Epoche bei Düppel 
erinnern und e3 deshalb vermeiden, im Herzen bes beutichen Volkes 
abermals einen Stachel zurüdzulaffen. 

Es wäre mein Munfch gemefen, daß unfere Nuslandsvertretungen 
die Intereſſen fEandinavifcher, fehmweizerifcher und holländifcher Priva- 
ter, ſoweit biefe es mwünfchten, taktvoll begünftigten und fich derjelben 
annähmen, als mern es deutfche wären. Diefe Fleinen, für uns 
wie für Die Welt fo wichtigen Staaten felbft würden unfere Macht 
entwicklung freundlich begrüßt haben, menn fie in jeder Schwierigkeit 
einen felbftverftändlichen Rückhalt an ung gefunden und wir es ihnen 
erleichtert hätten, ben Gebanfen „Europa““ unermüdlich und 
gefchieft burch uns vertreten zu fehen. Noofevelt hat mir gelegentlich 
feines Berliner Befuches gefagt: „Sie müßten Holland nehmen.” 
Das war natürlich ein fchlechter. Nat, deffen Gegenteil für ung richtig 
war, Mir durften nicht erobern, fondern wir mußten gewinnen, indem wir 
ben Kleinitaaten mit eigenen ftarfen Seeintereffen die Gewißheit brachten, 
daß ihre Freiheit, Die auch in unferem Intereſſe lag, zuverläffig gegen 
die angelfächfifche Allgemalt gefchüßt würde. 

Es war ein Unglüd für unfer Volk, daß man ihm Fein großes 
Ziel zeigte, und doch lag e8 fo Far vor uns. Als ich vor dem Krieg 
Herrn von Bethmann gelegentlich fogte: Wir müßten der Nation Ziele 
zeigen, fragte er mich erftaunt: „Was denn für ein Ziel” Ich meine, 
e8 hätte darin beilehen müffen, alle freien Völker ohne jede Vors 
mundfchaft der Ungelfachfen zufammenzuführen. Große Worte 
ſchadeten uns nur; aber eine zielbewußte vornehme Propaganda in 


Die Freiheit der feinen Völter. Deutfchland und Curopa 157 


biefer Richtung hätte uns genüßt. Dunn wären die anderen Völker 
Europas auch fo klug geweſen, unjere Stärke mit günftigen Augen 
zu betrachten. Der Slottenbau hatte der Nation im Innern fichtbar 
gut getan; er hatte die Einigkeit der Parteien, den nationalen Sinn 
und Stolz, die Sicherheit unferes Auftretens draußen gehoben und 
befeitigt. Er wäre auch allen fremden VBölfern mit Ausnahme der 
Engländer ftets ſehr erwünjcht geweſen. Unfere Würde als Volk 
und Staat aber verlangte nach einer außenpolitijchen Ergänzung unjeres 
Flottenbaus. Erjt die Eräftige, aber friedliche Unterjtügung der nichts 
angeljächfiichen Völker in ihrer Freiheit gab unjerem Machtzumachs 
die meltpolitifche Berechtigung und Ausficht auf Dauer. In folchen 
entjcheldenden Entwicklungsjahren, wie wir fie durchliefen, darf ein 
Volk jich Feiner Verpflichtung entziehen, die aus jeinem Wachstum 
entfteht. Dies alles wird vermutlich in einigen Jahrzehnten im Be 
wußtſein der Menfchheit immer flärfer heraustreten. 

Als der Krieg ausgebrochen war, vertrat ich weder im Oſten noch 
im Weiten annexioniſtiſche Ziele. Auch ein Deutſchmachen Belgiens 
lag nicht in meinen Wünfchen. Sch hielt es aber für notwendig, daß 
die belgische Küfte nicht unter britifche Oberherrfchaft fallen follte, 
weil dies die fichere Verkümmerung der beutfchen Arbeit und des 
deutjchen Arbeiters nach fich 3081). Ich wünfchte deshalb die Er⸗ 
richtung eines felbftändigen Flanderns, in welchem mir das Be 
ſatzungsrecht auf Zeebrügge Hätten. Während des Krieges begriffen 
denn Deutjche zuerſt die induftrielle Zukunft des flandrifchen Kempens 
landes, und damit trat ein neuer Grund hinzu, die Wirtſchafts⸗ 
freundfchaft zwifchen Rheinland und Belgien frei von britifcher 
Hoheit zu erftreben. Meiner Überzeugung nach werden die Bewohner 
des Scheldelandes im Kauf der Zeit erkennen, daß diefer Gedanke auch 
in ihrem Intereſſe lag. Die Eleinen Staaten Europas werden in bem 
transatlantifchen Machtgebilde der Ungelfachfen verfchtwinden, und die 
Kraft Europas, die im Ausgleich mannigfaltiger felbftändiger Kulturen 
auf engſtem Raum beruht, wird vergehen, und damit Europas Reiche 
tum, fein Übergewicht und die Möglichkeit einer Weltitellung für die 
Staaten unjeres Feſtlandes. „The world is rapidly becoming english.“ 
Unjer Krieg war der vielleicht letzte Freiheitsfampf Europas gegen 
den angelfächfifchen Meltkapitalismus oder vielmehr, er hätte es fein 

V Siehe Kapitel 17. 


158 Neichsmarineamt und auswärtige Politil 


müſſen und fönnen, wenn die Reichsleitung die Idee diefes Krieger 
begeiffen und verwirklicht hätte. Unſre Sozialdemofraten, welche in 
dem Wahne fchwelgten, den Kapitalismus zu bekämpfen, haben durch 
ihr Verhalten im Krieg wie bei feiner Beendigung den Erfolg mi: 
herbeigeführt, daß allerdings das von Ihnen verfolgte deutfche Kapital, 
aus dem aud ber beutjche Arbeiter feine Nahrung zog, großenteils 
erichlagen liegt. Dafür find die Deutfchen aber als Lohnſklaven dem 
angeljächfiichen Kapitalisnus ausgeliefert worden, der weit roher und 
unfozialer, vor allen Dingen aber Fremdherrſchaft iſt. 

Vertrauen erweckt nur ein Staat, der Macht beſitzt und fie zugleich 
mit Feftigkeit wie mit Weisheit verwendet. Wenn wir ber franzöfifchen 
Propaganda in Elſaß-Lothringen und der polnischen im Oſten mit aller 
Entſchloſſenheit enigegentreten mußten, fo durften wir ein weiteres 
Vorbringen bes Dänentums in Nordſchleswig dagegen nur mit 
Kulturmitteln (Eifendahnen, Schulen uſw.), nicht mit Machtmitteln, 
bekämpfen. Daburdy zeigten wir, dab wir zwifchen Lebensfragen 
und Nichtlebensfragen unterjcheiden Eonnten. Wie vielfach würde 
es fih für ung im Krieg bezahlt gemacht haben, wenn wir 
im Srieden Herzenswünjche der dänischen Patrioten erfüllt hätten! 
Sp war ich auch ım Krieg felojt immer dafür, dee Welt zu 
zeigen, daß wir im Gegenjah zu der heuchleriſchen Machtbrutalität 
der Angelſachſen und völlig im Widerſpruch zu den uns ar 
getanen Verleumdungen als „Boche“ oder „Hunne“ den Geift Europas 
reiner und humaner vertraten, als irgendeiner unferer Gegner. Es 
wäre in biefem Zufammenhang mein Wunfch geweſen, daß wir da— 
von abaefehen hätten, bie von England eingeführte barbarifche Sitte 
der Internierung mehr und harmloſer Ziviigefangener mit gleichem 
zu vergelten. Auch war ich dagegen, die von den Feinden bes 
gonnenen Luftangriffe auf offene Städte und Zivilbevölkerungen 
nachzuahmen, jogern dadurch Fein erheblicher militärischer Abbruch ges 
san wurde und jie mehe nur als Nabelitiche wirkten im Gegenfaß zu 
Fonzentrierter Verwendung der Luftroaffe zu beſtimmten großen mili⸗ 
tärijchen Zweden (Londoner City und Dodel). 


4 
Unſer Verhältnis zu Amerika hatte 1898 durch das Erſcheinen 
unſeres Geſchwaders vor Manila eine überflüffige Verſchlechterung er- 





Die Manilas und die Venezuelaaffüre 159% 


litten. Als ich 1896 mit dem oftajiatifchen Geſchwader auftragsgemäß 
die Philippinen auffuchte, trugen mir die damals im Kampf mit den 
Spaniern liegenden Filipinos den Gedanken einer deutichen Schußs 
berrjchaft entgegen und fuchten mich zu bewegen, einen von den Spa: 
niern zum Tode serurteilten Kebellenführer zu retten. Ich babe dieſes 
Eingreifen felbfiveritändlich abgelehnt; auch fpäter ift meines Wiſſens 
der Gedanke, die deutschen Machtintereffen auf die Philippinen zu ers 
fireden, von feiner Stelle in Deutfchland ernithaft erwogen morden. 
Indem wir nun während des ſpaniſch-amerikaniſchen Kriegs mit einem 
Geſchwader, das ftärfer war ale das umerikanifche, vor Manila er: 
Ichienen, erzeugten wir zunächſt Eigliche Beziehungen zwiſchen den 
beiderfeitigen Marinen, wobei gelegentlich eines Zufammenftoßes mit 
Admiral Dewey der damalige Flaggleuimant und ſpätere Staatsjekretär 
v. Dinge durch Ealtes Blut die deutſche Ehre gewahrt und die Konflikts: 
gefahr verhindert Hat. Es blieb aber in den Vereinigten Staaten, bie 
damals mit bewußtem Schwung den Schritt zur Weltpolitik unter: 
nahmen, ber Argwohn haften, wir hätten einen mißglücten Verſuch 
unternommen, auf Jagdgründen zu pirfchen, die fie fich jchon aus⸗ 
gefucht hatten, Diefe von der englifchen Prefje und Diplomatie gez 
ſchickt genährte Veritimmung fchwoll bis zu dem Mißtrauen an, mir 
begten Eroberungsabfichten ouf amerifanifches Gebiet. Die Amertfaner 
waren in europäiſchen Verhältniffen unwiſſend und hinjichtlich der 
Monroelehre empfindlich genug, um derartigen Unfinn zu glauben. 

Als nun im Jahre 1902 die engliiche Regierung und einlud, gegen 
ben etivas räuberhaften Präfidenten von Venezuela, Caſtro, mit Rooſe⸗ 
velts Zuftimmung gemeinfam einzufchreiten, riet ich bei der betreffen- 
den Sitzung im Auswärtigen Amt auf Grund meines Eindrudes von 
der amerikfontfchen Art und der enalifchen Politik davon ab, die eng- 
lifche Aufforderung anzunehmen. Karl Schurz, in dem das Deutich 
amerifanertum damals noch einen Kopf bejaß, hatte mich gewarnt. 
Sch erklärte, daß, wenn es zu einem bewaffneten Zufammenftoß Fäme, 
das Monrvedogma Amerika erhitzen könnte, in welchem Fall und 
die Engländer vermutlich im Stich lafjen würden, 

Leider it es wirklich fo gekommen Sch Hatte dem Sailer 
v0r feiner Reife nach England much noch unmittelbar dringend emp- 
fohlen, fich ein unbedingtes Verfprechen von den Englöndern geben zu 
laſſen, daB fie mir ung durchhalten würden. Ob das geſchah, weiß 


160 NReichsmarineamt und auswärtige Politik 


ich nicht; wir nahmen jedenfalls die englijche Anregung auf. Noofevelt 
aber konnte, jelbft wenn er wollte, die amerifanifche Entrüftung nicht 
im Zaume halten, und die britiiche Preffe war mit Duldung ihrer 
Regierung niederträchtig genug, fofort umzuſchwenken, die Amerikaner 
aufzuheten und über uns „Hunnen“ berzufallen I). 

An irgendwelche Schonung beutfcher Intereſſen war in den Fällen 
nicht mehr zu denken, in denen die beiden angeljächfifchen Weltmächte 
fi) gemeinfam mit ihnen zu befafjen hatten. Ob England dabei wirk: 
lich, wie der amerifanifche Marineattache in London zu dem unferigen 
gejagt hat, einmal der ‚‚neunundvierzigfte Stern im Sternenbanner” 
werben würde oder nicht, war für ung nebenfächlih. England hatte 
fih um bie Jahrhundertwende endgültig zum leßtenmal überlegt, ob 
es fich gegen Amerika wenden wollte, und diefe Frage verneinend ent 
ſchieden. Meine perfönlichen Eindrücde gingen in derfelben Linie mie 
die politifchen Erfahrimgen, und unfere fentimentalen Artigkeiten gegen 
die Union verbejferten die Lage nicht. Es mar mir peinlich, als Augen⸗ 
zeuge der Schenfung des Standbildes Friedrichs des Großen an die 
ſkeptiſchen Yankees beiwohnen zu müſſen. Sch habe den bei ung jo ver⸗ 
bängnisvoll verbreiteten Wahn niemals geteilt, daß die amerikanische 
Macht irgendivann und irgendwie ein ung nüßlicher Helfer gegen die 
britifche Seediktatur werden Fönnte. Auch die Marine der Vereinigten 
Staaten habe ich von allen größeren Marinen ftets verhältnismäßig 
am mwenigften als Aktivum in Rechnung geftellt 2). 


) Damals zahlte der von unferem Kaifer geftreichelte Rudyard Kipling ihm 
bie unglüdliche ‚„„Hunnenrede” aus den Tagen der Shinaerpedition heim in dem 
Gedicht „The Rowers“, worin er die Deutichen als „Goten und ſchamloſe Hunnen“ 
bezeichnet. Diefelbe erftaunlihe Gemillenlofigleit wie im Wenezuelaftreit bemies, 
wieder unter ſchweigender Mitfchuld der britiichen Regierung, die englifche Preſſe 
zwei Jahre fpäter beim Swifchenfall von Hull. Kurze Seit tobte damals die 
Jingopreſſe gegen die Ruſſen, welche in der Nordſee engliiche Fiſcherboote als ver: 
meintlihe japanifche Torpedoboote beſchoſſen hatten, eine Verwechslung, Die ans 
geficht# der offenen Unterftügung Japans durch die englifche Marine nicht einmal 
fo unentichuldbar war. Dann ftoppte der Preffeftuem auf ein unfichtbares Signal 
plöglih ab und wendete ſich zualeich mit der doppelten Wucht genen — das völlig 
unbeteiligte Deutfchland | Das war für jeden, der fehen wollte, eine deutliche Lehre. 

*) Die amerilanifche Marine ald Paſſivum für fi genommen, war fo wenig 
ein gefährliher Gegner wie die franzöfifche; fie beobachtete mit einer gewiſſen 
Eiferfucht, einen wieviel höheren Kriegswert die deutſche Marine erlangte, obwohl 
ihre Baukoſten um Milliarden geringer waren, 


Deutſchland und die angelſächſiſchen Mächte 161 


Je länger fich freilich unfere junge Seegeltung befeftigte, defto 
zahlreicher und freier wurden für ung die weltpolitifchen Möglichkeiten. 
Sp lag es auch, vorausgefeßt, daß der Friede mit England erhalten 
blieb, nicht vom Wege ab, daß zwifchen Amerika und ung fich frucht- 
bare Beziehungen entwidelten. Als Noofevelt, der mich gut Fannte und 
mich öfters lange ins Gefpräch zog, jenen Rat gab, Deutfchland müßte 
die natürliche Herifchaft über die Mündung feines Hauptſtromes 
wiedergeivinnen und die Eleinen niederdeutfchen Staaten am unteren 
Rhein und an der Schelde an fich heranziehen, war er durchaus ehrlich 
und fprach nach feiner Art roughly. Er ging davon aus, daß Englands 
Meltmacht mehr und mehr dahinfchiwände und wir Amerifag natür- 
licher Verbündeter gegen Japan würden, Das englifchejapanifche Bünd- 
nig wirkte dahin, daß Noofevelt dem Wachfen der deutfchen Flotte großen 
Mert beimaß. Bevor die amerikanische Flotte (damals beftand der 
Panamakanal noch nicht) im Jahre 1908 in den Stillen Ozean ent- 
jandt wurde, ließ mich Noofevelt durch feinen Berliner Botjchafter 
nichtamtlich fragen, ob ich dies an feiner Stelle jeepolitifch verantworten 
würde. Sch antwortete: „I should risk it,“ wobei ich in diefer Flotten: 
entjendung auch für ung einen Vorteil jah. In der Tat war eine der 
Folgen jener amerikanischen Flottenreife, daß Auftralien von England 
ſtark zu Amerika hinüberneigte. Erſt durch den Krieg haben wir die 
englischen Kolonien wieder nahe ang Mutterland herangedrängt. Rooſe— 
velt hat mir fpäter feine Photographie mit einer fchmeichelhaften Wid— 
mung unter dem bezeichnenden Zuſatze überfandt: „From one who sent 
the American Fleet round the world.“ 

Die natürlichen Sympathien der Amerikaner waren ja englisch. 
Aber dies ausgenommen beftanden Anfähe für gefchäftliche Beziehun— 
gen zwifchen der amerikanischen Politif und ung. Die Amerikaner 
nahnıen Deutschland vor dem Krieg in jeder Hinficht fehr ernft und 
hatten troß ihrem großzügigen Sammelbegriff von Europa ein feines 
Gefühl für unfere auflteigende Kraft und nüchterne Achtung für die 
darinliegenden Perſpektiven. Sie vechneten bereits mit der Möglichkeit, 
daß unfere wirtfchaftliche und politifche Entwicklung Hand über Hand 
der englifchen vorbeilaufen könnte. Gleichzeitig betrachteten die Ame— 
rikaner fich ſelbſt als die natürlichen Erben der englifchen Kolonien. 
Marteten wie noch einige Zeit im Frieden die Entwicklung ab, fo wuch: 


jen die ung und Amerifa gemeinfamen Intereſſen in natürlichem 
Tirpig, Erinnerungen 1] 


162 Reichsmarineamt und auswärtige Politik 


Prozeß von Jahr zu Jahr. Als wir 1914 in den Krieg hineinfchlitter- 
ten, war eine der ſchwerſten Folgen diefer furchtbaren Tatſache, daß 
wir die angelfächfifche Gemeinbürgfchaft, ſtatt fie einzufchläfern, erſt 
recht zur Entwicklung brachten. 

Die Amerikaner, welche die Selbftentzündung der Pulverfammer 
auf der „Maine in ein Verbrechen der Spanier umgedeutet haben, 
um Kuba anneftieren zu Eünnen, würden den Durchmarfch durch 
Belgien recht kühlen Auges betrachtet haben, wenn er ihren Inter⸗ 
effen entjprochen hätte. Amerika iſt ein melteroberndes Land, was 
unfere Demofraten nicht fehen wollen. Die äußerliche Übermacht unferer 
Gegner brachte die Amerikaner vom erften Tag an zu der (Überzeugung, 
daß wir nicht fiegen würden, wie wir auch nicht fliegen dürften, und legte 
damit ihre Haltung gegen uns grundfäglich feft. Troßdem war Amerika 
1914 bis 1916 einfchließlich noch nicht zum Krieg gegen ung reif und 
Eonnte einer furchtlofen, deutfchen Kriegspolitik nicht in den Arm fallen. 
Erft die Länge des Krieges, die wachſende Sintereffenverflechtung mit 
der Entente, die militärifchen Nöte Englands, die iMlufioniflifche Zauder: 
und Zickzackpolitik Bethmanns mit ihrer Preftigeverfchtebung zugunften 
Wilfons, und fchließlich der Merikobrief Zimmermanns haben 1917 
den Eintritt Amerikas in den Krieg vorbereitet und ermöglicht, der 
noch im Februar 1916, als ich den Ubootkrieg wollte, von Wilſon 
nur mit jeher viel größeren Schiwierigkeiten, ja vielleicht überhaupt 
nicht entfeffelt werden Eonntel), Das Entfcheidende war: Wir mußten 
den Krieg raſch beendigen und durften das Preftige nicht einbüßen. 

Ganz anders war die Lage, wenn der Meltkrieg vermieden worden 
wäre. Ein Eriegerifches Niederfchlagen Englands wurde durch Die 
angelfächlifche Blutsgemeinſchaft nie ertragen. Uber ein friedliches 
UÜberholen Englands durch) ung wäre wie ein Naturvorgang hingenom- 
men worden, hätte dem Deutfchtum auch in der amerikanischen Erb- 
hälfte fleigendes Anſehen verſchafft und uns als wirkliches Welt: 
volk letzten Endes auch bündnisreif für die flärkfte Großmacht der 
Zukunft gemacht, Diefe Möglichkeiten find, wie immer fich das Leben 
Deutfchlandg geftaftet, vorüber, und wenn unfer Volk überhaupt je 
wieder freie Bündnisfähigkeit erlangt, fo kann fich diefe wohl nur 
noch auf Mächte anderen Grades beziehen. Vor dem Weltkrieg hatten 
wir noch reiche Möglichkeiten der Balance, 

*) Rap, 19, 











Der Mangel an Geſchiclichkeit 163 


5 

Der Flottenbau bedurfte, um zu gelingen, de3 Friedens, und 
ficherte feinerfeits, je näher er dem Abſchluß Fam, den Frieden, ben 
Deutfehlend zu feinem ungebrochenen Gedeihen nötiger brauchte und 
bei feiner geographifchen Lage ſchwerer erhalten Fonnte, als irgendein 
anderer Großſtaat. Die Jahrzehnte vor dem Meitkrieg charakterifier- 
ten jich für Deutschland durch Höchite Blüte und höchfte Gefährdung 
bei hohem, aber noch nicht ganz zureichendem Schuß durch eigene 
Macht. Bismarck ift in mehreren Phaſen feines Waltend ald „Jong⸗ 
leur“ bezeichnet worden; auch die ziveifellos fehr geſchickte Perfönlichkeit 
des Fürflen Bülow hat bei ihrem fo bedauerlichen Abgang den Ehren- 
namen „Seiltänger mitbekommen. In der Lage Deutfchlands Fonnte 
nur außerordentliche Anpaffung an wechfelnde Lagen vor Schaden be— 
wahren. Wir durften es ung nicht evlauben, Fehler zu machen. Bis⸗ 
mare ſagte einmal, als über den Reichskanzler-General Caprivi geklagt 
wurde: „Wartet nur, bis ihre einen wirklichen Bureaukraten zum Kanzler 
habt, dann werdet ihe etwas erleben.” Ein flurer Illuſioniſt, wie der 
Nachfolger Bülows, fiel durch fein mangelndes Schätzungsvermögen 
den Verſtrickungen unferer Weltlage zum Opfer, Die Hauptbedingung 
für einen Reiter des Deutfchen Reichs war und wird ſtets bleiben, 
daß er die auswärtige Politif verfteht. Dazu gehört nicht unbedingt 
die diplomatische Schwarzkunft, aber Kenntnis der wirklichen Grund: 
verhältniffe der Welt und Einn für das Wahrfcheinliche. Kanzler 
und Demokratie hatten Feine Vorftellung von der wahren Schwierig: 
Feit und Gefährdung unferer Lage, die mit der Pinzette angefaßt wer— 
den mußie, 

Aber darf ein Volk, das Fein Geſchick für eigene Geſchäfte zeigt und, 
wenn ber richtige Führer fehlt, zur Celdftpreisgade zu neigen 
Scheint, darauf hoffen, daß die Vorfehung es immer wieder durch 
einen Vormund groß macht, wie Friedrich d, Gr. oder Bismarck? Sehen 
wir doch in unferen Tagen die führerlofen Maſſen, kaum zue Macht 
gelangt, mit nichts eifeiger befchäftigt, als damit, alles das abzubauen 
und aufzulöfen, was uns an nationaler Überlieferung, Stolz und 
gutem Willen geblieben iſt. Es iſt, als ob fie verhindern wollten, daß 
je wieder ein großer Patelot aufftchen könne, um in fpäterer Zeit 
das Volk noch einmal durch den breiten Strom feiner Selbſterniedrigung 
hindurchzutragen. 7— 


164 Keichömarinenmt und auswärtige Politik 


Unferer mangelnden Würde im Unglück liegt wie unferer unzuläng- 
lichen Zurückhaltung im Glück die Sllufion zugrunde, als ob der Bes 
engtheit unferer Weltftellung abgeholfen werden Eönnte durch Worte 
und Gefühle, ftatt einzig durch ftraffgefaßte und Flugverwendete Macht. 

Ein gemeinfamer Grundfehler der Politik unferer Zeit war es, das 
große, aber noch nicht zureichende Machtanfehen, welches ung Bismarck 
hinterließ, ftückweife aufzubrauchen durch immer wiederholte Demon- 
firationen, bei denen unfere Friedensliebe, aber auch unſere Nervofität 
durchfchimmerte und auf die leicht ein bloßes Einknicken folgte, jo daß 
fich für ung die verhängnisvolle Charakteriftif als „poltron valeureux“ 
beim Feinde feftjegen Eonnte, Die fchlechte Gewohnheit diefer effekt 
vollen Eingriffe, von Schimonofekt, der Krügerdepefche, Manila über 
die Chingerpedition und Tanger bis Agadir u. a. führte zu dem ſtüm⸗ 
perhaften Schlußglied der Methode in dem Ultimatum an Gerbien 
vom Suli 1914. Es ging lange leidlich, dan? dem Reſpekt, welchen 
der alte preußische Staat und die Tüchtigkeit des deutjchen Volkes ein- 
flößten. Aber richtiger wäre es geweſen, in der Stille zu wachfen und 
weitere Macht anzufammeln; denn wir ftanden 1914 nahe vor dem 
Ziel, daß das bloße Vorhandenfein unferer Macht genügte, den Frie- 
den ohne Nervofität zu bewahren. Es endete in Tragif, daß die am 
meiften friedliebende Politit der Welt die Ungunft unferer Lage zu 
Forrigieren geglaubt hat durch Geften, welche böswilligen Feinden den 
Vorwand Tieferten, uns des Kriegswillens zu verdächtigen und damit 
durch eine der ungeheuerlichiten Verleumdungen der MWeltgefchichte 
unfer Bild zu entſtellen. 

Wir warfen ung den andern in die Arme, ftießen dann wieder bei 
ihnen an und verfäumten Faum eine Gelegenheit, ihnen vorzuhalten, 
wie herrlich weit wir e8 gebracht hätten. Wir verfegten ung nie in die 
Denkweife der anderen, Admiral Seymour, der vom Kaifer das Bild 
„The Germans to the front“ gefchenkt erhielt, hat zu einem beut- 
fchen Waffengefährten gefagt: „Ihr Deutfchen feid fehr vorangekom— 
men; wenn ihr ed ung nur nicht immer unter die Nafe reiben wolltet.“ 
Wir bliefen Fanfaren, die unferer Lage nicht entfprachen. Dann wurden 
alfe wirklichen oder vermeintlichen Verfehlungen und Schäden agita= 
torisch aufgebaufcht und an die Öffentlichkeit gezerrt und unfere demo— 
Eratifche Preffe Tieferte auf diefe Weife dem Ausland den ſcheinbaren 
Beweis, daß Preußen-Deutfchland ein Zuchthaus wäre, 





Unnötiges Demonftrieren 165 ° 


Die Verhältniffe meines Nefforts Liegen mich jedes weltpolitiſche 
Demonftrieren in verdoppeltem Maße verurteilen, Auf der anderen Seite 
fah ich mit Bangen, wie wenig man fich im allgemeinen die politifch- 
ftrategifchewirtfchaftliche Oefamtlage, ihre ungeheueren Ausfichten und 
befonderen Klippen vergegenmwärtigte. Die Gefahr einer Blockade z. B., 
überhaupt eines Krieges mit England, der unfere ganze Weltitellung 
und Zufunft wie mit einem Meſſer abſchneiden Eonnte, wurde, mie 
ich oft beobachten mußte, nicht mit der ihr zufommenden Schwere er⸗ 
faßt. Angefichts des englischen Beftrebens, ung mit einer Koalition 
einzufchnüren, galt es die Nerven zu behalten, großzügig weiter 
zurüften, Reizungen zu vermeiden und ohne Beklemmung abzuwarten, 
bis die fortichreitende Feftigung unferer Seemacht die Engländer ver: 
anlaßte, uns friedlich Luft zu geben. Wir haben von allem dag Gegen: 
teil getan, und fo hat fich gerade in dem Augenblicd, als die Entfpan- 
nung fchon fichtbar wurde, die bereits abziehende Gemitterwolfe noch 
über uns entladen. Die Möglichkeit eines Krieges mit England mußte 
1914 ebenfo vermieden werden, wie 1904, und Eonnte auch, da der 
Kifikogedanke der Flotte fchon gewirkt Hatte, wahrſcheinlich vermieden 
werden, fobald nur unfere politifche Leitung der Gefahr diefes Krieges 
rechtzeitig und fcharf ins Auge geblickt hätte, Hätte ein Tebhafter ent- 
wicelter Sinn für Macht und ihre Gefeße im deutfchen Volk und feinen 
politifchen Führern im Juli 1914 die Sllufion einer örtlichen Be: 
grenzbarkeit des ferbifcheöfterreichifchen Konflikts nicht aufkommen 
laſſen, jo wäre der Weltkrieg damals verhütet worden!), 

Die Schrierigfeit, in einem Krieg mit England zu einem leidlichen 
Sriedensschluß zu Eommen, hat fchon mein oben erwähntes Votum 
von 1904 beftimmt. Nachdem der Weltkrieg ausgebrochen war, hatte 
fiebzehnjähriger Flottenbau die Ausfichten auf einen annehmbaren Fries 
ben mit England immerhin verbeffert, aber nur bei äußerfter Eriege- 
rifcher Energie, diplomatiſchem Geſchick und Zurücktreten alles Perz 
fönlichen bei den Leitenden. Sch vertrat deshalb mit aller mir gegebenen 
Kraft die einzigen Momente, welche diefen Frieden bringen und bie 
Vernichtung fernhalten Fonnten: die Seefchlacht und ben rechtzeitigen 
Ubootskrieg, den Sonderfrieden mit Rußland und die Einigfeit des 
beutfchen Volks gegenüber der freilich von den mentaften Far gefchau: 
ten tödlichen Gefahr, in die wir hineingetaumelt waren. 

N) Rap. 16, 


166 Neichsmatineamt und auswärtige Politif 


Sch bin in diefem Streit unterlegen; die deutfche Illuſionsfähigkeit 
kat wieder einmal Deutfche durch Deutfche befiegt. Durch Schwäche, 
Blindheit und Parteifucht den Krieg verlieren zu fehen, war das Ende 
meiner Laufbahn und meines Glaubens an mein Volk. 

Sch habe gegen unfere Selbftvernichtung angefämpft, ohne bie zus 
reichende Macht zu beiten. Mit meiner eigenen Aufgabe befchäftigt, 
hatte ich nie nach politifcher Macht geftrebt. Im Dezember 1911, nach 
der Maroffofrifis, als mein Streit mit Bethmann begann, teilte 
der Kabinettchef im Augenblick, da ich beim Kaifer zum Vortrag ein- 
trat, mir mit, es ſchwebten Erwägungen, mich zum Reichskanzler zu 
machen. Ich habe darauf während des Vortrags dem Kabinettschef 
einen Zettel mit der Erflärung zugefchoben, ich würde eine folche An: 
vegung, wenn fie an mich hevanträte, ablehnen. Nachfolger Bismarcks 
zu werden, erfchten mir damals undenkbar. Erft nachdem ich im Krieg 
mit angefehen hatte, wie Kopf: und Mutlofigkeit der Führung eine 
unwiederbringliche Ausficht nach der anderen verlor und das Neich dem 
Abgrund entgegenwankte, hätte ich, vorausgefeht, daß man Feine ge: 
eignetere Perfönlichkeit fand, bei allem Bewußtſein meiner Mängel, den 
Sanzlerpoften wahrfcheinlich nicht mehr abgelehnt. Denn fo wie un: 
fere Verhältniffe der Außenwelt erfchienen, wäre mit meiner Perfon 
auch ein Elarer Bruch mit dem herrfchenden Syftem zum Ausdruck ges 
kommen. Man erinnere fich umgekehrt des Zubels in England, als es 
hieß: „Tirpitz exit.“ In diefem Bruch, nicht in irgendwelchen Perfonen- 
wechſel lag unfere einzige Nettung. 

Der Gedanke ift damals vielfach an mich herangetragen worden, 
aber nicht von ber einzigen Stelle, welche die Macht dazu hatte, 


Sünfzehntes Kapitel 
England und die deuffche Flotte 


1 
Manche meinen, das Deutfche Reich hätte zu unferer Zeit ein auf- 
richtiges Freundfchaftsverhältnis mit England erlangen Fünnen, und 
nur Verfäumnis der deutichen Staatsfunft, insbefondere aber unfer 
Slottenbau, habe die Aussicht verfcherzt. Sollte fich diefes Bild in 
beutfchen Köpfen feitfeßen, jo Eönnte man darin zumächft die Regel 
beftätigt finden, daß der Sieger die Gefchichte fchreibt; und der Be: 
jiegte würde fie in diefem Falle fälfchen, um der angelfächfifchen Welt: 
bevrfchaft in feinem hiſtoriſchen Gewiſſen huldigen zu können. 

Nun beftreiten aber die Engländer, den Krieg gegen ung geivollt 
zu haben. Wer alfo in Deutfchland den Flottenbau für den Krieg ver: 
antwortlich macht, kann für diefe Schuld nicht einmal den Gegner ins 
Feld führen. Die Selbftbezichtigung folgt einer falſchen Spur: bie 
gefchichtliche Wahrheit Tiegt vielmehr in einer der leiten Kundgebungen 
Bismards aus dem Jahr 1898, zu einer Zeit, da wir noch Feine Flotte 
befaßen: „Er bedauere, daß die Beziehungen zwifchen Deutfchland 
und England nicht beffer feien, als fie eben find. Bedauerlicherweiſe wiſſe 
er Fein Mittel dagegen, da das einzige ihm bekannte, das darin befteht, 
daß wir unferer deutſchen Snduftrie einen Zaum anlegen, nicht gut 
verwendbar fer.’ 

Ohne auf den Stand eines armen Ackerbaulandes zurüczufinken, 
Fonnten wir England nicht zum Freund und Gönner gewinnen. Aber 
ein Mittel zu mefentlicher Verbefferung der Beziehungen beftand in 
der Schaffung einer deutfchen Flotte, welche den Angriff auf den 
beutfchen Handel für England zu einem gewagteren Gedanfen machte, 
als er dies zur Zeit jener Bismardfchen Außerung war. Sin diefem Sinn 
hat die deutjche Flotte troß verfchiedentlichern Verſagen der deutfchen 
Politik ihre Aufgabe bis in den Zuli 1914 gelöft, und es ift nicht ihre 
Schuld, daß fie ihren friedebewahrenden Zweck nicht noch beffer und 


168 England und bie deutſche Flotte 


länger erfüllen konnte. Es ift für mich ſchwer verftändlich, daß Herr 
v. Bethmann Hollweg die „ſogenannte Flottenpolitif”, die er felbft 
acht Jahre als Kanzler gegengezeichnet hat, auch jest noch befchuldigt?). 
Um fo ſchwerer verftändlich, als er felbft wie Lichnowsky und andere 
Sachverſtändige des Auswärtigen Amtes in den dem Krieg vorangehenden 
Sahren eine fühlbare Entſpannung der deutfcheenglifchen Beziehungen 
feftgeftellt und anerkannt haben, daß der deutfche Flottenbau, je mehr er 
fich feiner Vollendung näherte, die Verbefferung unferes Verhältniffes 
zu England mindefteng nicht verhindert hat. Der Ausbruch des Krieges 
aber entfprang nicht einer Verfchlechterung der deutfchzenglifchen Bes 
ziehungen; man kann fogar eine befonders tragifche Verknüpfung darin 
jehen, daß Deutfchland und England 1914 einander näher gerückt waren, 
als zur Zeit der deutfchen Flottenloſigkeit 1896 oder der deutfchen 
Slottenfchwäche 1904, als es Fürft Bülow gelang, die gefährliche 
Zone zu überbrücken. Die deutfche Flotte hat ihrer Zweckbeſtimmung 
gemäß den Frieden befchüßt. An diefer Plaren Tatſache rütteln heute 
Sntereffenten; dazu Fommt jener Zug der Selbftvernichtung im deut: 
fchen Wefen, der immer gern das Ungünftige glaubt und froh ift, heute 
als unvernünftig fchelten zu Fönnen, was geftern vernünftig fehlen. 

Bis zum Anfang der neunziger Jahre hatte Englands alter Mohl- 
ftand das mweltwirtfchaftliche Parafitendafein des Deutfchtums menig 
gefpürt, Zwar wurde die Stärke unferer induftriellen und Handels: 
entwicklung fehon durch die Anderung unferer Zollpolitik 1879 eingeleitet, 
aber erft nach einem Jahrzehnt inneren Aufbauens gegen außen hin fo 
fühlbar, daß fich in England eine allgemeine Stimmungsänderung vor: 
bereitete, ‘Deren erfter wirtfchaftlicher Rückſtoß war das „Made in 
Germany“, ihr erfter politifcher Ausbruch folgte der Krügerdepefche. 
1896/97 Fam ich aus Afien und Amerika mit dem Eindruck heim, daß 
England unferer zufünftigen Entwicklung möglichft den Weg ver- 
fperren würde. Um die Mitte der neunziger Sahre hatten fich die ton= 
angebenden Klubs beider Hauptparteien, die Sachverftändigen der eng- 
fischen Gefellfchaft für Außenpolitik, in der Überzeugung geeinigt, daß 
Deutfchland der Fommende Feind wäre. Das entfprach dem feit Fahr: 
hunderten geübten Staatsgrundfat der Engländer. 

Es verging, wie immer, ein gemwiffer Zeitraum zwiſchen dem Front 


Y) Deutfche Allgemeine Zeitung vom 27. November 1918. 











Der wahre Grund ber engliſchen Feindſchaft 169 


mwechfel der politifchen Drahtzieher und feinem öffentlichen Ausdruck. 
Es folgte dann die groß angelegte Bearbeitung der englifchen Offent: 
lichkeit, deren Richtung gewieſen wurde etwa durch das Lofungsmwort 
„Germaniam esse delendam“, unter welchem Feldruf die Saturday 
Review ſchon 1897 folgende vielbeachteten Sätze fchrieb: 


„Bismard Hat längſt erkannt, mas fehließlih nun auch das englifche 
Volt einzufehen beginnt, daß es in Europa zmei große, unverföhnliche, 
entgegengejeßte Kräfte gibt, zwei große Nationen, welche die ganze Welt 
zu ihrer Domäne machen und von ihr Handelstribut einfordern möchten. 
England ... und Deutfhland ..., ber deutihe Handlungsreifende und 
der englijhe Haufierer . . . metteifern miteinander in jedem Winkel des 
Erdballes ... Eine Million Heiner Quängeleien fchafft den größten Kriegs- 
fall, ven die Welt je gejehen Kat. Wenn Deutichland morgen aus der 
Melt vertilgt würde, fo gäbe es übermorgen feinen Engländer in ber Welt, 
ber nicht um fo reicher wäre. Völker haben jahrelang um eine Stadt ober 
um eine Erbfolge gefämpft; müffen fie nit um einen jährlichen Handel 
son fünf Milliarden Krieg führen?” 


Lieſt man ſolche prophetifchen Stimmen, die nicht vereinzelt blieben, 
fondern nur Wortführer eines taufendftinmigen Haßchores find, mit 
ber ganzen Schwere, die fie nach der heute vollzogenen Entfcheidung 
befizen, fo fühlt man unmittelbar, daß es den Engländern nicht an= 
genehm fein Eonnte, den ihrem Volk einzuhämmernden Haß fo nackt 
und widerwärtig ſtets nur durch die tatfächlich entfcheidende Handele- 
eiferſucht felbft zu begründen. Sie brauchten Vorwände. Da aber zur 
Zeit, da die Öffentlichkeit mit jenen Gedanken durchſetzt werden follte, 
das erfte Fiottengefeß noch nicht eingebracht war, fehlte der Vorwand 
der Flotte damals gänzlich. Die Lenker der britifchen Sffentlichkeit 
mußten infolgedeffen angebliche deutfche Transvaalgelüfte zur Hilfe 
nehmen. Nach deren Fortfall bedienten fie fich dann der deutfchen 
Slotte, welcher fie, für den englifchen Zeitungslefer berechnet, ſchon 
zu einer Zeit grotesfe Angriffspläne unterfchoben, als fie noch ledig: 
ih auf dem Papier ftand. 

Mit dem Flottengefeß wurde der erfte Grund dafür gelegt, 
daß der englifche Vernichtungswille fich abFühlte, weil er nach voll- 
zogenem Flottenbau nicht mehr fo billig zu befriedigen fein würde. 
Auf der anderen Seite ift felbftverfiändlich, daß die Tatfache des 
Flottenbaues von England als Unbequemlichkeit für die Erhaltung feiner 


170 England und die deutfche Flotte 


Monopolftellung zur See empfunden wurde und daß der Flottenbau 
infofern zunächft unfere diplomatische Rage erfchwerte. Es erhob fich 
die Frage, ob England. nicht gerade, weil wir eine Flotte bauten, fie 
im Keim zu erſticken und alſo einen Präventiofrieg wünfchen würde? 
Diefer Gefahr ftanden wir in der Tat 1904/8 nicht ganz fern; da- 
mals war einerfeits die Ernfthaftigkeit unferer Marinearbeit erkannt, 
anberfeits unſere Kraft noch ſchwach. Nur das Anvorbereitetfein 
Frankreichs bzw. der englifchen Armee verhinderte damals ben Zu— 
fammenftoß. Das war die Gefahrenzone, die wir nach Bülows 
und meiner Anficht zu durchlaufen hatten; im Sahre 1914 war 
fie aber im weſentlichen überwunden, Unſere Marine mar zu 
achtbar gervorden, als daß England fie noch ohne fehr ſchwerwiegende 
Anläffe anzugreifen wünfchte. So wich die Borertonart der neun: 
ziger Sahre mit der Zeit einer vorfichtigeren und nüchterneren Auf- 
faffung, je beachtenswerter Die deutfche Macht zur See mwurbe, und 
in diefem Sinn wirkte die deutfche Flotte feit 1912 mehr und mehr 
als ein Faktor in der Richtung der Friedenserhaltung; Eein englifcher 
Staatsmann hat fich, wenn er ehrlich war, jemals über die friedliche 
Grundrichtung unferer Politik und die reine Abwehrbedeutung unferer 
ölotte im Zweifel bewegt. 

Der Flottenbau hat auch Chamberlain nicht abgehalten, 1901 ein 
Bündnis mit ung zu ſuchen, womit er allerdings im Kabinett ziem⸗ 
lich vereinzelt blieb. Sn Wirklichkeit aber fand die Flotte niemals 
einem Bündnis im Wege, wenn es je ernfthaft von England ins Auge 
gefaßt worden wäre. Aber auch fchon das flottenlofe Deutfchland der 
neunziger Jahre hat, wie mir Caprivi 1893 mitteilte, fich vergeblich 
um ein Bündnis mit England bemüht, 

England fand es nicht nötig und zweckmäßig, förmliche Bündnig- 
verträge mit anderen Mächten zu fchließen, wie wir etiva mit Rumänien 
oder Italien. Es begnügte fich damit, zu den Mächten, bie es für 
feinen Hauptzweck gebrauchen Fonnte, ein allgemeines Vertrauens: 
verhältnis herzuftellen, ohne fich die Hände zu binden, was innenpolis 
tifch bequemer und außenpolitifch wirkfamer war, Vor dem beutfchen 
Slottenbau, nämlich fchon vom Beginn der Handelseiferfucht an, wurde 
auch der Grund zur Ententen- und Einfreifungspofitif gegen Deutfch- 
fand gelegt. 

Die Annäherung der franzöfifchen Diplomatie an England begann 


Die „Sefahrengone” 171 


1898/9 mit dem Abkommen über Fafıhoda, das in Deutichland fo viel 
mißverftanden wurde, und fchon im Januar 1901 beftand innerhalb bes 
britifchen Kabinetts Stimmung für Anfchluß an Frankreich und Rußland 
unter englifchen Opfern in Marokko, Perſien und Chinat). Mit allen 
ben Mitteln, welche die deutfche Staatskunft verfchmähte, bearbeitete 
feitdem die Entente die gefamte Öffentlichkeit ihrer drei Völker, um fie 
unter Zurückdrängung ihrer wechfelfeitigen Gegenfäte gemeinfam auf 
die Front gegen Deutfchlend herüberzufchieben. Die in den neunziger 
Sahren hervorgetretenen Gründe, welche den Engländern eine Nieder: 
mwerfung oder doch Einfchnärung Deutfchlands empfahlen, dauerten 
eben fort, und es Eonnte von unferem Flottenbau nicht verlangt werden, 
daß er die Grundimotive der englifchen Politik änderte, Es war genug, 
wenn die Flotte der Neichsleitung Handhaben bot, den Spielraum 
Deutfchlande troß der Einfreifung dadurch offener zu halten, daß ihr 
bloßes Dafein den Abftand zwifchen Kriegsneigung und Kriegsentfchluß 
bei den Engländern dauernd vergrößerte, 

Im Spätjahr 1904 gab England einen eindrucksvollen Beweis für 
die Hintanfegung der überlieferten Nuffenfeindfchaft hinter die Deut- 
fchenfeindfchaft anläßlich des Teichtfertigen Umfchwenkens beim Huller 
Zwifchenfall 2). Nachdem Sjapan als britifcher Vaſall die Nuffen gebeugt 
hatte, ſah England die Stunde Fommen, wo fein bloßer Druck auf den 
Knopf Frankreih und Rußland gegen Mitteleuropa in Bewegung 
zu feßem vermöchte. Diefe großartige Offenfiopolitif gegen ung war 
aber nur bedingt Eriegerifch. Eine friedfiche Abſchnürung Deutfchlands 
wäre Eduard VII. und feinem Kreis wohl Tieber gewefen als das 
Mürfelfpiel des Kriegs. Der bdeutfche Flottenbau hat nun die Ber 
dingungen einer deutfchebritifchen Verftändigung für ung von Jahr zu 
Jahr verbeffert, indem er die eigene Kriegsneigung Englands zurück 
drängte und den nüchtern denkenden englifchen Politikern die Oberhand 
gab. Während im erften Sahrzehnt des Jahrhunderts der Niefen- 
aufſchwung der deutfchen Induſtrie fich Hanptfächlih deshalb noch 
ohne Machtunterlage vollziehen konnte, weil Frankreich und Rußland 
nicht „‚Fertig” waren, hat fich 1914 umgekehrt gezeigt, daß England 
der am meiften mit dem Krieg zögernde Zeil der Entente geworden 

) D. Hammann, Zur Borgefhichte des Weltkrieges (1918), 1245 H. von Edard» 


ftein, Diplomatiſche Entküllungen zum Urſprung bez Meltfrieges (1918), 17. 
) Dben ©, 160. 


172 Sngland und die beutfche Flotte 


mar. Ohne beutjche Flotte hätten wie zwiſchen den drei Ententemächten 
unfern Handelsmwettlauf damals nicht mehr lange fortführen Fönnen. 
Snfolge der Flotte aber war die unveränderte beutfcheenglifche Grund- 
Spannung weniger gefährlich geworden, Sie ift nach dem fiberein- 
flimmenden Urteil der Eingeweihten in der Zeit vor dem öfterreichifchen 
Ultimatum an Serbien weniger gefährlich gewefen als in ben langen 
Jahren vorher, 

Bon fpäteftens 1903 ab war es aber englifcher Staatsgrundfaß, 
eine militärifche Schwächung Frankreichs durch Deutfchland, mie über- 
haupt eine Eriegerifche Verſchiebung des europäifchen Gleichgewichts 
zugunften der fiärkften Feftlandsmacht, Deutfchlands, nicht mehr zu 
dulden. Es war der unglücklichfte Augenblick der deutjchen Politik, 
als fie im Juli 1914 diefe Grumdtatfache vergaß und bie furchtbare 
Beftätigung erbrachte für dag beißende Wort jenes franzöfifchen Offiziers 
zu einem beutfchen Lazarettarzt: „Vos arm&es sont terribles, mais votre 
diplomatie, c’est — un &clat de rire.“ 


2 

In den erften Jahren der Einfreifungspolitif nahm England den 
deutfchen Flottenbau noch nicht ernft. Man war überzeugt, daß mit 
ben geringen ausgervorfenen Summen Feine erftklaffige Flotte gebaut 
werden könnte. Dan hielt unfere Technik für zu unentwidelt, unferen 
Mangel an organifatorifcher Erfahrung für zu groß und war daran 
gewöhnt, daß fchon zahlreiche preußifche und deutfche Flottenpläne 
ein Stück Papier geblieben waren. Mit anderen Augen wurde unfer 
Flottenprogramm zuerft angefehen im Jahr 1904. Damals führte 
man, mir unerwünfcht, Eduard VII. alles, was wir an Schiffen über- 
haupt befaßen, bei der Kieler Woche vor, und der Kaifer feierte in feinem 
Trinkſpruch „die wiedererftarkende Seegeltung bes neugefchaffenen Deut- 
ſchen Reiches”. König Eduard antwortete Fühl und mechfelte bei ber 
Befichtigung unferer Schiffe mit dem Erften Lord der Admiralität 
Selborne bedeutungsvolle Blicke und Worte, die mir unangenehm auf- 
fielen. Es wurde den Engländern unheimlich, daß wir mit geringen 
Mitteln fo viel ſchufen und eine organifche Entwicklung innehielten, 
deren Planmäßigkeit ihre eigene übertraf. Das geduldige „Steinzauf- 
Stein-Tragen” der deutfchen Arbeitsweife trat ihnen auch hier ale 
gefährlich entgegen. 





Beginn ber Flottenhetze 173 


Die gegen ung gerichtete Konzentrierung britifcher Geſchwader, die Lord 
Fiſher darauf folgen ließ, wurde im Februar 1905 unterftrichen durch eine 
Rede des Zivillordg der Nömiralität Xee, der ohne jeden greifbaren Anlaß 
erflärte, die britifche Flotte würde gegebenenfalls den erſten Schlag 
zu führen wiffen, noch ehe man auf der anderen Seite der Nordfee 
Zeit gehabt hätte, die Kriegserklärung in der Zeitung zu leſen. Das 
Berhalten Englands 1904/5 bewies, daß England damals ftarke Neigung 
hatte, mit einem Eriegerifchen Schlag der ganzen Weltjtellung Deutfch- 
lands den Garaus zu machen. Die damalige Geneigtheit zum Kriege 
wird dadurch begreiflich, daß derjelbe für England noch gar Fein Rififo 
in fich fehloß. Unfer in den Anfängen ftehendes Flottenunternehmen 
aber hoffte die Nömiralität dadurch zu entwerten, daß fie 1905 zum 
Bau der Dreadnoughtklaffe überging, in der Annahme, daß die deutfche 
Marine ähnliche Riefenfchiffe nicht durch den Noröoftfeefanal würde 
fchleufen können. 

Diefe Kette politifcher und maritimer Drohungen, denen eine wilde 
Aufhetzung der öffentlichen Meinung zur Seite ging, erzeugte in weiten 
Kreifen Deutfchlandg berechtigtes Befremden. Einerfeits lag in ben 
maritimen Maßnahmen Englands zwar die Anerkennung, daß unfer 
Flottenbau ernft genommen würde, Auf der anderen Seite aber war 
das nun ſchon faft ein Jahrzehnt währende Verlangen nach unferer 
politifchen Niederbeugung bekannt und der damalige Stand unferer 
Flotte zu Bein, als daß er Maßnahmen, wie die Anſammlung britifcher 
Geſchwader in der Nordfee, erklären Eonnte. Es Tag vielmehr klar 
bie Abficht zugrunde, uns bange zu machen und, wenn möglich, unfern 
Trieb zu mweltpolitifcher Selbjtändigkeit im Keim zu erftiden. 

Sch wurde infolgedeffen in den Jahren 1905/6 von den verfchiedenften 
Seiten beftürmt, eine ſtarke Erhöhung der deutfchen Flottenmacht durch 
zuführen, um ung gegen die britifche Kriegsdrohung befjer zu rüften und 
den Engländern damit politifch eine Lehre zu erteilen. Auch der Kaifer 
ſtand ſtark unter dem Eindruck eines dahinzielenden Werbefeldzuges 
des SFlottenvereind und wünfchte von mir, ich follte im Reichstag 
fordern, daß das Lebensalter unferer großen Schiffe herabgefeßt würde. 
Diefes Lebensalter war, und zwar nur infolge eines parlamentarifchen 
Mifverftändniffes, im Flottengefeß mit 25 Jahren höher angenommen 
als bei den fremden Marinen und führte zu einer beträchtlichen Über: 
alterung unferer Schiffe, 


174 England und die deutſche Fistte 


Troßdem habe ich mich der Einbringung einer folchen Novelle wider 
feßt und Anfang 1906 in diefem Zufammenhang auch ein Abfchiedg- 
gefuch eingereicht. Die Novelle, die ich 1906 einbrachte und die vom 
Reichstag glatt angenommen wurde, enthielt mur die ſechs großen 
Kreuzer, die 1900 vom Reichstag geflrichen, aber fofort von mir als 
Nachforderung für 1906 angekündigt worden waren). Ferner Eonnte 
ich nicht umhin, vom Reichstag die erhöhten Mittel zu fordern, melche 
der Mbergang zum Dreadnoughtbau verurjachte, zu dem ung, wie alle 
anderen Marinen der Welt, die Engländer zwangen. Und endlich mußten 
die Mittel für die durch diefe Größenfteigerung der Schiffe notwendig 
getvordene Erweiterung des Nordoſtſeekanals bewilligt werben. 

Meine Zurückhaltung gegenüber dem auf mich ausgeübten Druck, 
mehr zu fordern, wirkte außenpolitifch beruhigend und verftärkte 
das Vertrauen des Reichstags. Jene Mehrforderungen hätten 1904/5 
nach Lage der Verhältniſſe fehe mahrjcheinlih eine unmittelbare 
Kriegsgefahr heraufbefchtworen, ung dagegen feinen fofortigen Gewinn 
gebracht und obendrein die damalige Verdauungskraft der Marine über: 
ftiegen. Das Ziel aber, auf dag ich aus technifcheorganifatorifchen wie aus 
etatspolitifchen Gründen zuzuftreben hatte, war, möglichft ftetig zu 
bauen. Am vorteilhafteften erwies es fich, wenn wir jährlich drei große 
Schiffe auf Stapel legten, Diefes Bautempo von drei geoßen Schiffen 
im Jahr, das fogenannte „Dreiertempo“, war durch den Bauplan des 
Flottengefeßes nicht gegeben, Unſer Streben ging deshalb dahin, dem 
Slottengefeß Novellen in dem Sinn aufzupfropfen, daß dadurch das 
Dreiertempo ftabiliert würde, Der Teichtefte Weg dafüe war feit 1906, 
das Lebensalter unferer Schiffe nach dem Vorbild der fremden Marinen 
zu verkürzen, alfo die Erſatzbauten zu befchleunigen. Geſchah dies aber, 
fo gelang die Stabilierung des Dreiertempos auch nur annähernd; 
denn es drängten fich dann infolge des urfprünglichen Flottengefehes 
die Erfaßbauten für eine Anzahl von Jahren fo nahe aneinander, daß 
zeitweilig je vier und zeitweilig je zwei Schiffe auf Stapel gelegt 
werden mußten. Diefeg Auf- und Abſchwanken der Bauzahlen gehörte 
zu den Schönheitsfehlern des gefehlichen Bauprogramımg, die aber bei 
deffen überiviegenden Vorteilen in Kauf genommen werden mußten, 
benn der Neichdtag hätte 1898/1900 niemals das Dreiertempg geſetzlich 


) Wal, oben S, 108. 








Meine Baupolitil 175 


fefigelegt, während er dem Geſchwadergrundſatz die gefeßliche Prä- 
gung gab, 

Der Zeitpunkt, an welchem wir die Herabfeßung der Lebensdauer 
fordern mußten, war das Etatsjahr 1908. Nachdem fich im Sommer 
1907, jchon bevor wir ung im Neichsmarineamt über die Novelle 
jchlüffig geworden, ein wahrer Wettlauf zwifchen den Parteien bes 
Zentrums und des Freifinns für die Bewilligung einer Marinenovelle 
erhoben hatte, ging unfere Forderung ohne jede Schivierigfeit über 
die Bahn. Zum erftenmal flimmte der Freiſinn jet nicht nur für 
die Schiffe als folche, fondern auch für den Grundſatz der gefeß- 
lichen Bindung. 

Diefe Novelle brachte Feine Vermehrung der nach dem Flottengeſetz 
verfügbaren Schiffszahl, aber eine erhebliche Verjüngung und damit 
Erhöhung der Kampfkraft. Der Schiffserſatz defchleunigte auch den 
Dreadnoughtbau, der das Vertrauen zu den älteren Schiffeklaffen 
erfchüttert hatte. 

Nach der Novelle von 1908 hatte fich der Bauplan nun fo geftaltet, 
dag vier Sahre hindurch — 1908—1911 — je vier Schiffe, dann 
ſechs Jahre hindurch — 1912—1917 — je zwei Schiffe auf Stapel 
famen, während von 1917 an das Dreiertempo dauernd wurde, Un 
eine allzulange Ausdehnung der Periode des Zweiertempos zu verhüten, 
welche bau⸗ und etatspolitifch flarfe Bedenken hatte, faßten wie im 
Reichsmarineamt zunächft unverbindlich ins Auge, 1915 oder 1916 
das Zweiertempo duch Einfchaltung von einem oder zwei new zu 
fordernden Schiffen zu unterbrechen. Diefe mögliche (noch keineswegs 
beichloffene) künftige Neuforderung wäre dann überhaupt die einzige 
und zwar höchſt unbeträchtliche Erweiterung des Schiffsbeſtandes gegen: 
über dem ursprünglichen Slottenplan von 1900 geworden; denn, wie 
ich ſchon bemerkte, hatten wie 1995 nur bie Vorlage von 1900 wieder: 
hergefteilt und 1908 überhaupt die Schiffszahl nicht vermehrt, 

Diefe Refforterwägungen, mit denen ich bei ihrer außenpolitiſchen 
Tragweite ben Lefer nicht ganz verfchonen konnte, ergaben alfo Eurz 
folgendes Bild: 

1, Wir überfchritten weder 1906 noch 1908 den urjprünglichen, 
der ganzen Welt bekannten Flottenplan von 1909, 

2. Die von ung 1908 wiederhergeftellte Schiffstebensdauer entfprach 
dem alfgemeinen Anſatz aller Marinen, 


176 England und die deutjche Flotte 


3. Es Fam und auf das Dreiertempo an, und wenn nun auch 
wegen ber großen Zahl der aus der vorgejehlichen Bauzeit vorhandenen 
überalterten Schiffe vorübergehend vier Jahre lang vier Schiffe im 
Jahr gebaut wurden, fo glich fich das aus durch eine darauffolgende 
Periode, in welcher jährlich ftets oder doch überwiegend nur zwei 
Schiffe gebaut wurden, 

Trotz dieſer Sachlage verfprach die Verjüngung der Schiffe und 
wohl noch mehr der Umftand, daß wir ebenfalls Dreadnoughts bauen 
Eonnten, unferer Flotte einen fo wefentlichen Zuwachs an Kampftüchtig- 
Feit, daß die britifchen Fachleute, an ihrer Spitze Admiral Fiſher, unfere 
Novelle fcheel betrachteten, Wir hatten bei der Schaffung unferer See- 
macht niemals auf den britifchen Beifall gehofft. Die Flottenpanif 
(navy scare) aber, welche Fiſher jeßt in Szene feßte, verftieß nach 
unferem Gefühl doch gegen die guten Sitten im internationalen Verkehr, 
da die Admiralität und mehrere Mitglieder des Kabinetts nicht davor 
zurüdfcheuten, ihr Land mit übertriebenen und fogar mit wifjentlich 
falfchen Angaben über unſere Baupläne aufzuregend), Der Zufall 
hatte es gefügt, daß die Engländer gerade in jenem Jahr auch nur 
vier Schiffe auf Stapel legten. Die britifche Regierung ergriff den 
hierin liegenden Agitationsftoff, um die Stapellegung von vier weiteren, 
im ganzen alfo acht Dreadnoughts im Jahr 1909 ihrem Publikum 
mundgerecht zu machen. Man gebrauchte gerne den Trick, die im Bau 
befindliche deutsche Flotte möglichft in ihrem erft 1920 zu erreichenden 
Endzuftand, die britifche hingegen in ihrem zeitigen Zuftand von 1908 
einander gegenüberzuftellen. Der britifche Steuerzahler, dem die tat- 
jächliche erdrückende Überlegenheit der britifchen Flotte nicht mit ders 
jelben Anfchaulichkeit bewußt fein konnte wie der britifchen Admiralität, 
wurde durch eine ebenfo gefchickte wie gemwifjenlofe amtliche und Preffes 
agitation mit Unruhe erfüllt und dadurch zu größeren Geldopfern willig 


2) Es wurde im Frühjahr 1909 das törichte Märchen in die Welt gefegt, wir 
bauten über die im Etat bewilligten Summen hinaus heimlich mehr. Diefe von 
völliger Unkenntnis unferer Berfaffungsverhältniffe zeugende Unwahrheit wurde von 
Asquith, dem Erſten Lord der Admiralität Mac Kenna ufw. trotz unferen wiederholten 
Dementis im Parlament Jahre hindurch immer wieder vorgetragen. Winfton Churchill 
räumte mit diefer unehrlihen Methode auch formell auf, indem er in feiner erften 
öffentlich gehaltenen Mede ald Erfter Lord der Admiralität (9, November 1911) 
„Sich freute bezeugen zu Fönnen, daß die Erklärungen des deutichen Minifters über 
den Bauplan durch die Ereigniffe genau beftätigt werden‘, 


Admiral Fifher erzeugt eine Flottenpanit 177 


gemacht. Invafionsangft und nervöfe Furcht vor deutjchen Krieges 
ichiffen, Zeppelinen uno Spionen begann die Gefellfchaft und die 
Maſſen Englands zu durchdringen. 

Der deutsche Botfchafter in London, Graf Wolff-Metternich, fah diefe 
zunehmende Deutfchenfurcht mit wachjender Sorge, Er hatte fich bis 
dahin auf den richtigen Standpunkt geftelft, daß die Engländer fich 
an unfer Flottengejeß gewöhnen müßten und auch gewöhnen würden. 
Die Folgezeit hat bewieſen, daß auch unfer vier Jahre lang anhaltendes 
Viererbautempo für England keinen Kriegsgrund gebildet hat. Die 
Engländer hatten ſich nach dem Urteil unferer Diplomaten im Jahr 
1914 an unferen Flottenbau einfchließlich beider Novellen von 1908 
und 1912 tatfächlich gervöhnt und damit abgefunden. Der Krieg mit 
jeinen unberechenbaren Möglichkeiten ftand ihnen als eine zu ernite 
Angelegenheit vor Augen, und die wiſſenden Männer in London waren 
jich im Elaren darüber, daß es für ung politifch, militärifch und wirt: 
Ichaftlih ein vollfommener Wahnſinn geweſen wäre, England anzus 
greifen. Admiral Fiiher hat e8 auch im Frühjahr 1909 unſerem 
Marineatiache gegenüber offen ausgefprochen, daß die „Flottenpanik“ 
nichts weiter wäre als eines der üblichen Manöver, um dag Parlament 
und die Nation für die Annahme größerer Wehrvorlagen vorzubereiten. 
Die hieraus folgende Trübung des Urteils im britischen Publifum und 
den wachjenden Einfluß der Eriegstreiberifchen Northeliffepreffe hatten 
wir dabei als bedauerliches, aber nicht entfcheidendes Übel in Kauf zu 
nehmen. Einen Kriegsgrund bildete die Deutfchenhege ebenſowenig für 
ung, wie unfer Flottenbau für das britifche Kabinett, und gegenüber dem 
Germaniam esse delendam der früheren Jahre war es in gewiſſer Weife 
ichon ein Fortfchritt in der Sicherung des Friedens, wenn fich das 
englifche Publitum mit dem Gefühl durchörang, daß auch Deutjch- 
land nicht waffenlos daftände, Zugleich aber hoffte man, ung durch 
lautes Gefchrei vor unferem eigenen Deut bange zu machen und gegen 
unfere Flotte einzunehmen, das ficherfte Zeichen, daß der von ung 
betretene Weg richtig war. 

Es iſt begreiflich, wenn auch nicht ganz entjchuldbar, daß Graf 
Metternich unter dem flarken Druck der ihn umgebenden englifchen 
Kreife im Jahre 1908 begann, dag fichere Urteil über die wirklichen, 
tieferliegenden Gründe der englifchedeutjchen Eiferfucht zu verlieren. 
Begreiflich ift es, weil ihm aus engliſchem Mund nunmehr einftimmig 

Tirpig, Erinnerungen 12 


178 England und die deutfche Flotte 


die Behauptung entgegenfcholl, nur der deutjche Flottenbau wäre an 
der Trübung der guten Beziehungen fehuld. Nicht ganz entfchulöbar 
ift eg, weil Graf Metternich einmal die Vorgefchichte der ‚deutjch- 
englifchen Spannung aus den Zeiten unjerer Flottenlofigkeit Bennen, 
anderfeits fich von der rein defenfiven Linie unferer Marinepolitif 
ſowohl aus der Gefamtfituation wie aus den Stärkeverhältniffen der 
beiderfeitigen Flotten heraus überzeugt halten Eonnte und mußte. Aber 
es ift deutfch, fih vom Gegner überzeugen zu laſſen, daß er eigentlich 
recht hat; der Deutfche kann jich unübertrefflich in die vorgetragenen 
Argumente, aber äußerft fchwer in die wahren Beweggründe des anderen 
verjeßen. 

Die Berichte unferes Londoner Botſchafters veranlaßten Fürſt Bülow, 
im Winter 1908/9 in eingehende Erwägungen mit mir einzutreten. 
Sch habe feit Sanuar 1909 in diefen Erörterungen mit dem Kanzler 
mich bereit erElärt, daß der englifchen Negierung unfererfeits mitgeteilt 
würde, wir gäben ung dauernd mit einem Stärfeverhältnis der beider: 
feitigen Flotten zufrieden, welches für alle Zeiten eine gewiſſe Über- 
fegenheit der britifchen Flotte feftlegen würde, Ich nannte zunächit 
als Ausgangspunkt für Verhandlungen ein Stärkeverhältnig von 3:4, 
erklärte mich im meiteren Verlaufe bereit, ein Verhältnis wie 2:3 
anzunehmen und legte mich fchließlich auf die Verhältniszahl von 
10:16 feft. Diefe Zahl iſt zuleßt von der britiſchen Nömiralität unter 
Winſton Churchill vorgefchlagen und von mir fofort angenommen 
worden. Wenn fich Churchill dabei auch gewiſſe Hintertüren offen 
hielt, welche in Wirklichkeit der englifchen Flotte eine größere Übermacht 
als 16:10 verbürgten, fo fah ich darüber hinweg in der Überzeugung, 
daß die planmäßige Vollendung des Flottengefehes die von ung jeder- 
zeit allein angeftrebten Verteidigungszwecke erfüllen würde, 

Mit diefer Feftlegung eines Stärkenverhältniffes der Flotten erhielt 
die britifche Admiralität den Tatbeweis dafür, daß wir grundfäglich 
Feine Angriffsflotte fchaffen wollten. Nach der Anficht aller Autori- 
täten der Seekriegswiſſenſchaft beträgt die numerifche Überlegenheit, 
die bei fonft gleichen Berhältniffen dem Angreifer zur See den Erfolg 
wahrscheinlich macht, etwa 30 vom Hundert, Diefen Vorfprung, 
und einen noch wejentlich größeren, räumten wir den Engländern ein. 
Eine mehr bindende VBerbürgung dafür, daß ung Angriffsahfichten fern- 
lagen, konnten wir nicht geben. 





Erſte Erwägungen über eın Slottenabloumen mit England 179 


Daß es den Engländern aber angenehmer war, wenn wir auch nicht 
einmal eine um 50 oder 100 vom Hundert ſchwächere Flotte befeffen 
hätten, Tag auf der Hand. Einmal wies die Seefriegsgefchichte, 
vielleicht zufälfigermweife, zahlreiche Beijpiele dafür auf, daß auch 
der an fich Schwächere, wenn ihm befondere Umftände und das 
Schlachtenglüc Hold find, ſiegen kann. Vor allem aber war das 
politisch Wichtigfte an der deutfchen Flotte die mweltpolitifche Bünd— 
nisfähigfeit, die fie dem Deutfchen Reich verlieh; und wenn auch 
die Bündnispolitik Deutfchlands fi) von der Britifchen Staats: 
kunſt hatte in die Hinterhand drängen laſſen, fo konnten fich 
diefe Verhältniffe doch einmal ändern. Ein anerfennendes Lob Eng: 
lands Fonnten wir uns aljo nur dadurch erwerben, daß wir auf 
den Flottenbau überhaupt verzichtete, Das unermüdliche Beftreden 
der britijchen Staatskunft ging deshalb in jenen Jahren darauf aus, 
ung die Flotte überhaupt zu verleiden und das Flottengeſetz, wenn 
möglich, zu durchlöchern und dadurch zum Fall zu bringen. 

Der geundfägliche Irrtum, in welchen fih Bethmann-Hollwegs 
Slottenideen bewegten, war nun der Glaube, daß gewiſſe Abftriche an 
unferer Flottenentwicklung, fozufagen Heine Gefälligkeiten, welche wir 
auf maritimem Gebiet den Engländern erwieſen, an der politifchen 
Grundgeftaltung unferes Verhältniffes irgend etwas ändern könnten. 
Ein paar Schiffe mehr oder weniger waren den Engländern einerlei, 
Die Gründe ihres Übelmollens Tagen wefentlich tiefer, als in den von 
ihnen mit großer Meifterfchaft wachgehaltenen Diskuffionen über die 
altjährlichen Flottenetats, 

Bethmann⸗Hollweg fchien mit mir darin einig, daß das Flotten⸗ 
gefeß, die Grundlage unferer gefamten weltpolitifchen Ausfichten, un: 
angetaftet aufrechterhalten werden müffe. Ich meinerfeits war mit 
dem Kanzler darin einig, daß von unferer Seite alles getan werden 
müßte, um eine Verbefferung der Beziehungen zu England anzuftreben. 
Sch habe den Kanzler von den erften Tagen feiner Amtsführung an darin 
unterftüßt, den Engländern in den von ihnen angeregten Einzelfragen 
entgegenzufommen, Insbeſondere habe ich den Kaifer in diefem Sinne 
beeinflußt und meinerfeits nichts unterlaffen, um die feit 1908 ans 
geregten Verhandfungen über eine Flottenverftändigung im Gang zu 
erhalten, 

Bei diefen zuerft duch private Unterhändler gepflogenen und von 

12* 


180 England und bie deutſche Flotte 


englifcher Seite mehrfach ſtark verfchleppten Unterhaltungen gewann 
ich je länger, defto beftimmter den Eindruck, daß es der englifchen 
Regierung mit einer wirklichen Flottenverftändigung nicht ernſt war, 
fondern daß e8 ihr nur darauf ankam, unfer Auswärtiges Amt immer 
tiefer in die Legende einzumiceln, daß die deutfche Flotte an allem 
ſchuld und ohne fie den Deutfchen das Paradies auf Erden ficher wäre. 
Sie arbeitete hierin mit unleugbarem Geſchick, wie jeder bezeugen 
wird, der die Denfungsart unferes damaligen Auswärtigen Amtes 
und die Verfennung der politifchen Pfyche Englands von feiten des 
Kanzlers erfahren hat. Eine Hauptfäule der Anfchauung, daß einer 
deutfchen Weltpolitit Arm in Arm mit England nur die entjeßliche 
deutfche Flotte im Wege ftünde, wurde der deutfche Botjchaftsrat 
in London, v. Kühlmann. 

Daß es der englifchen Regierung mit einer zmeifeitigen Flotten— 
verftändigung nicht ernft war, ging einmal daraus hervor, daß unfere 
Zuftimmung zu ihren Einzelforderungen gar Feine fpürbaren Folgen 
zurückließ Y, fodann vor allem daraus, daß der Kernpunkt jeder der- 
artigen Verftändigung, die beiderfeitige Flottenbegrenzung durch bie 
oben erläuterte Verhältniszahl, von ihnen erft 1913 anerkannt worden 
ift, obwohl Lloyd George fchon 1908 mit diefer Ausſicht gewinkt hatte. 
Trotzdem war zu fpüren und ift von allen Beteiligten angenommen 
und ausgefprochen worden, daß wegen unferes Flottenbaues ein Krieg 
mit England nicht zu befürchten war und die Kriegsgefahr mit jedem 
Jahr unmahrfcheinlicher wurde, im felben Maße, wie der Reſpekt vor 
der deutfchen Flotte wuchs und damit der Krieg auch für den Singo- 
teil des englifchen Volkes immer unprofitabler wurde. Rückſichtsloſe 
Stimmen, wie bie der Saturday Review und des Zivillords Lee, wurden 
immer weniger vernehmbar. So flieg in London namentlich feit 1912 
die Neigung zu einer mehr gefchäftlichen Behandlung des deutfch- 
englifchen Verhältniffes, wovon das 1914 zur Unterzeichnung fertige 
englifchedeutfche KolonialabEommen nur einen Beleg unter anderen dar⸗ 
zuftellen ſcheint. Wenigftens ift es von feinen deutjchen Vätern ale 
ein ernfthaftes Gefchäft aufgefaßt worden. 


») Hierzu zählt z. B. die englifhe Anregung, die beiderfeitigen Flottenbauten 
duch die Marineattachös beauflichtigen zu laſſen. Ich habe dem Kaifer 1909 die 
Einwilligung dazu abgerungen, um hier, wie in allen überhaupt in Stage ftehenden 
Punkten das Odium der Ablehnung von und abzuwälzen, 








Der Fehler der Agadirpolitik. 181 


3 


Die einzige wirkliche Krifis der deutfcheenglifchen Beziehungen zwi⸗ 
ſchen 1904 und 1914 trat im Sommer 1911 ein infolge der Art, wie 
die politifche Reichsleitung verfuchte, den zwifchen uns und den Franz 
zofen ſchwebenden Maroffoftreit zu Tiquidieren. Der damalige Staats: 
fefretär des Auswärtigen Amtes dv. KiderlensWächter, dem, mie fo 
vielen deutfchen Diplomaten, das Organ gerade für England abging, 
hat zwar nicht durch Nachlaufen, aber durch faloppe Gefchäfts- 
behandlung Schaden geftiftet. Auf feine Anregung entfandte am 1. Juli 
1911 der Reichskanzler das Kanonenboot „Panther“ nach der maroffa- 
nischen ‚Hafenftadt Agadir und ließ die britifche Regierung, welche 
nach dem Zweck fragte, mehrere Wochen lang ohne Antwort und im 
unflaren. Die Folge war, daß am 21. Juli Lloyd George eine im 
englifchen Kabinett feftgelegte Rede ablas, worin er Deutjchland warnte, 
ed würde im Fall einer Herausforderung die britiiche Macht an Frank: 
reiche Seite finden. 

Sch hatte von der Entfendung des „Panther“ im Augenblick der 
Abreife in die Sommerfrifche außerdienftlich Kenntnis erlangt. War 
e8 fchon Anzeichen einer. gewiſſen Desorganifation der Neichsleitung, 
daß der Staatsfefretär der Marine vor einer meltpolitifch fo ſchwer⸗ 
wiegenden Schiffsbemwegung nicht gehört wurde, jo war ich mir ander: 
feits der Fehlerhaftigfeit diefer Demonftration auf dem Atlantik von 
demfelben Augenbli an bewußt, in dem ich erfuhr, daß wir Eng. 
land nicht vorher verftändigt hätten. Glaubte Kiderlen, nicht ohne 
eine militärifche Gefte auskommen zu können, fo mußte biefe zu 
Land und ausfchließlich gegen die Franzofen gerichtet erfolgen. Ich 
wäre zwar grundfäßlich gegen eine folche Gefte geweſen. Ein Fähn- 
Yein ift Teicht an die Stange gebunden, aber es Foftet oft viel, 
e8 mit Ehren wieder niederzuholen. Einen Krieg mollten mir ja 
nicht machen. Die gröbfte Fehlrechnung aber beging die Reiche: 
leitung darin, daß fie fich in den erften Juliwochen über ihre Abichten 
in Dunfel hülfte, Kiderlen hat nachträglich verfichert, daß der Kanzler 
niemals daran gedacht habe, maroffanifches Gebiet zu fordern. Nach 
Lloyd Georges Drohrede aber ſah es fo aus, ald ob er nur vor dem 
erhobenen Schwert Englands zurücdgemwichen wäre. Unfer Anjehen 
erlitt in der ganzen Melt einen Stoß, und auch die deutſche öffentliche 


182 England und die deutſche Flotte 


Meinung fand unter dem Eindruck der Schlappe. „England stopped 
Germany,“ war dag Schlagwort der Weltprejfe. 

Es war feit Übernahme der politifchen Leitung durch Bismarck die 
erfte Schwere diplomatifche Niederlage, die uns um fo härter traf, ale 
das tönerne Gebilde unferer damaligen Weltftelung noch nicht ſowohl 
auf Macht, als großenteils auf Preftige ruhte. Bei Delcafjes Ent: 
fernumg (1905) hatte e8 fich noch als wirkſam erwieſen; jeßt aber emp: 
fingen wir den Beweis, wieviel davon fehon verbraucht war. Wenn mir 
die Ohrfeige einfach einſteckten, fleigerten wir die Kriegsfreudigkeit 
Stranfreichs, feinen „neuen Geiſt“ bedenklich und ſetzten ung bei der 
nächiten Gelegenheit einer noch tieferen Demrütigung aus. Es war alfo 
nicht richtig, die erlittene Abfuhr zu verfchleiern, wie die Reichsleitung 
wünſchte, fondern fie offen anzuerkennen und unjere Folgerungen daraus 
zu ziehen. Für einen Staat, der fich bewußt ift, daß die Wohlfahrt 
feiner Bürger nicht auf Befchönigungen, fondern auf Macht und Preftige 
beruht, gibt e8 im folchen Lagen, wenn er den Krieg vermeiden will, 
nur ein Mittel, fein Anſehen wiederherzuftellen: das ıft, zu zeigen, daß 
er fich nicht fürchtet, und zugleich für die nähergerüdte Möglichkeit 
des Ernfifalles den Schuß vor einer Niederlage zu verſtärken. Wir 
mußten das tun, was Bigmard in ähnlichen Fällen getan hatte, nämlich 
in aller Ruhe und ohne aufreizendes Beiwerk eine Wehrvorfage ein- 
bringen, 

Mit diefen Gedanken fuhr ich im Herbft nach Berlin und ftellte 
dem Kanzler vor, daß wir einen diplomatischen Echee erlitten hätten 
und ihn durch eine Flottennovelle heilen müßten. Der Kanzler beftritt 
den Echec, über welchen Ausdrud er fich zum Marinekabinettschef fehr 
gekränkt ausiprach, und fürchtete von einer Novelle den Krieg mit 
England. 

Die von mir ertvogene Novelle ging nicht auf eine eigentliche Vers 
mehrung unferer Flotte aus, fondern auf die Erhöhung ihrer Kriege: 
bereitfchaft. Ein wunder Punkt unſerer Wehrkraft zur See lag in 
dem aliherbftlichen Nekrutenwechfel, der. bei unferer kurzen Dienft- 
pflicht die Schlagfertigkeit der Flotte für eine beftimmte Zahresperiode 
lähmte. Den Weg, um ohne wejentliche Vermehrung der Schiffszahl 
die Kriegsbereitfchaft zu erhöhen, fanden wie in der Aktivierung eines 
Refervegefchwaders, fo daß wir Fünftig über drei flatt zwei ftets im 
Dienft gehaltene Geſchwader verfügten. 


Marum ich 1911 eine Novelle wollte 183 


Durch die hierdurch gewonnene Möglichkeit, die Mannfchaften wäh: 
rend ihrer Dienftzeit nahezu gefchloffen auf demfelben Schiff zu be: 
laſſen, vereinfachten wir nebenbei den mächtig überanftrengten Be: 
trieb der bloßen Bordausbildung und machten das Offizierkorpg freier 
für die zurücgedrängten höheren Aufgaben und für die große See: 
fahrt. Eine ſtärkere Schonung der Perfonalkräfte, die fich vorzeitig 
in einfeitigem Dienft aufrieben, erwies fich insbefondere nötig, um 
den in höhere Stellen aufrücdenden Männern die erforderliche Frifche 
zu bewahren. Dieſe organifatorifche Reform machte baupolitifch ein 
Mehr von nur drei großen Schiffen binnen zwanzig Jahren not 
wendig und erzielte mit einer verfchwindenden Geldfumme eine 
Dualitätsperbefferung der Marine. 

Kein Kenner der britifchen Politik Eonnte glauben, daß England 
durch ein Mehr von drei Schiffen in zwanzig Jahren zum Krieg 
gereizt werden könnte, wenn es nicht ohnehin dazu entfchloffen mar. 
Auch unfer Botfchafter Graf Metternich fah hierin felbftverftändlich 
Feine Kriegsgefahr. 

Bom Jahr 1909 an bis gegen Ende des Weltkrieges iſt ein Mangel 
an Schäbungsvermögen die Signatur der außenpolitifchen Leitung ge: 
weſen. So begann der Kampf der Reichsbureaukratie gegen die Flotten- 
reform unter der Furcht, wir reisten dadurch England zum Krieg. Ein 
willfommeneres Stichwort Eonnten wir den Engländern gar nicht bieten. 

Die Agadir und Kongoverhandlungen wurden vom Auswärtigen 
Amt als diplomatifcher Erfolg frifiert, troß dem Rücktritt des Kolonial- 
ſekretärs v. Lindequift und anderen Erfcheinungen, die gegen eine folche 
Zrübung der nationalen Urteifskraft proteftierten. Sch habe mich 
damals bereit finden laſſen, mit der Novelle bis zum völligen Abſchluß 
der Marofkofache zu warten, um der Regierung ihre Verhandlungen 
nicht zu erfchweren. Der Kaifer, der ohne mein Vorwiſſen auch öffent- 
lich für eine Flottenverftärfung eintrat, entfchied auf Vortrag des 
Kanzler Anfang Oktober im auffchiebenden Sinn. Um durch) eine 
MWehrvorlage einen politifchen Eindrucd zu erzielen, hätte fie zu Beginn 
der Herbfttagung Eommen müfjen und dadurch die unfer Anfehen weiter 
fchädigende Marofkodebatte (im November) verhindern können. Eine 
folche Debatte wäre beffer überlaupt vermieden worden. Ihr Verlauf 
aber machte meines Erachtens ein weiteres Hinzögern innen= tie 
außenpofitich unmöglich, Mir mußten jebt ausfprechen, mas mir 


184 England und die deutſche Flotte 


beabfichtigten, und Eonnten es um fo mehr, als England vollends 
nach der Erledigung der Maroffoverhandlungen aus der Novelle einen 
Kriegsgrund nicht machen konnte Y. 

So beauftragte denn auch der Kaifer am 14. November den Kanzler, 
die Novelle in den Etatsentwurf für 1912 einzuarbeiten. Bethmann 
erflärte fih am 16. mir gegenüber bereit, ließ fich jedoch, tie 
e8 fchien, einen Vorbehalt offen. Er drängte fodann den Kriegsminifter 
zum Einbringen einer Heeresvorlage, was an fich erfreulich war, aber 
zugleich die Flottenvorlage in den Hintergrund fchieben follte, und 
fchüßte die Fommenden Reichstagsmwahlen vor, um den Etat für 1912 
ohne die Flottenvorlage veröffentlichen zu laſſen. Dies Fam innen- 
politifch einem Preisgeben der Novelle gleich und würde außenpolitifch 
unfer Preftige nach allem Vorgefallenen tief herabgedrückt haben. Aus 
London ſchickte Kühlmann Anfang Januar eine Denkfchrift, worin 
diefer wenig glückliche Diplomat das Gelingen der von ihm betriebenen 
Kolonialverftändigung mit England ebenfo irrtümlicherweife vom Nicht 
einbringen der Novelle abhängig machte, wie er ſpäter (1916) durch 
die Fehlprophezeiung der Kriegserflärung Hollands die Entfchlüffe der 
Reichsleitung in der Ubootsfrage beeinflußt hat. 


ı) Vom reinen Meffortfiandpunft aus Eonnte ich ein Verzögern ber Novelle 
um ein Jahr zugeben. Ich muß hier des dritten Vorteild gedenken, den die No: 
velle neben der verbeflerten Kriegsbereitfchaft und der Freimachung bes Ausbildungs⸗ 
perſonals hatte: die Durchbrechung des Zweiertempos. Wenn das Zweiertempo, 
wie 1908 vorgeſehen, ſechs Jahre ununterbrochen währte, ſo entſtand 1918 plötzlich 
eine Mehrforderung von 60 Millionen infolge des erſt dann wieder einſetzenden 
Dreiertempos. Inſolge des uns vom damaligen Schatzſekretär auferlegten Zwanges, 
die ganze Mehrausgabe auf Steuern zu nehmen, wären wir angeſichts des Gteuer- 
elends des Meiches in die allerbedenklichfte Tage gefommen. So war die Über: 
brüdung des Dreiertempos durch Ulternieren mit dem Smeiertempo in der Periode 
1912/7 von hohem Wert. Vol. oben ©. 175. Dafür bedurfte ich ber Novelle 
aber noch nicht für das Etatsjahr 1912, Ein anderer Wunfch, den ich im Herbft 
1911 vertrat, betraf Die Worziehung der Erfagbauten für die Großen Kreuzer, was 
unſre Ausfichten im Krieg tatfächlich erheblich werbeffert hätte, da die Engländer 
gerade in dieſer Schiffsklaſſe ſchwach waren. Bethmanns Widerftand veranlaßte 
mich abe:, dieſe Forderung fallen zu laſſen, um wenigſtens die Reform der Kriegs: 
bereitfchaft durchzuſetzen. Vol. unten ©. 185. Indem mir der Kanzler biefe für 
den Krieg Bedauerliche Einfchränfung abrang, bevor Haldane Fam, und diefe Ein: 
fchränfung dann Bei den Verhandlungen mit Haldane nicht mehr vermertete, Hat er 
ein mefentliches Verhandlungsohjekt aus der Hand gegeben. Siehe ©. 188, 





Dat Mingen um die Novelle 185 


Sm Jamuar ſchlug der Neichskanzler ohne Rückſprache mit mir 
dem Kaifer vor, die Novelle nicht in Gejehesform, fondern mit 
jährlichen Bewilligungen zu machen. Nachdem der Kaifer diefe neue 
Abrwürgung der Novelle abgelehnt hatte, ging der Kanzler auf bie 
Forderung zurück, daß die Bildung des dritten Geſchwaders ftufenmeife 
erfolgen und das Bautempo bis 1917 nur jedes zweite Jahr ein drittes 
Schiff enthalten follte, 

Sch war durch den Kampf mit den vielerlei Überrafchungen, neben 
denen noch entfprechende finanzpolitifche Fineffen des Schatfefretärg 
Wermuth bergingen, fchon fo zurücgedrängt, daß ich die vom Kanz 
Ier geforderten Verzichte annahm, jedoch verlangte, daß Feine meiteren 
Abftriche mehr vorgebracht würden. Der Kanzler wich einer folchen 
Zuficherung aus. Sch erbat nun am 13. Januar 1912 vom 
Kaifer eine Entfcheidung, um dies innen wie außenpolitifch fo 
nachteilige und beim beften Willen nicht geheimbleibende Hin⸗ und 
Herzerren zu beendigen. Der Kaifer verlangte darauf vom Kanzler 
ein klares Eintreten für die Novelle, worauf der Kanzler wieder ohne 
endgültigen Entſchluß Zeit zu gewinnen ſuchte. Am 25. Januar wurde 
die Marinevorlage ihrem Inhalt nach feftgefeßt und am 7. Februar 
in der Thronrede angekündigt. Am Tag darauf traf der englifche 
Kriegsminifter Haldane, von der Reichsregierung geladen, in Berlin ein. 
In dem innenpolitifchen Anfturm gegen die unerläßliche Verbefferung 
unferer Seerüftung begann eine neue Phafe, charalteriſiert durch den 
Hinzutritt eines ausländiſchen Eideshelfers. 


4 

Die Vorerwägungen, die ter Einladung eines britiſchen Staate- 
mannes nach Berlin zwecks unmittelbarer Verhandlungen vorangingen, 
find mir nicht bekannt. 

Vom Kanzler über feine Ziele und Erwartungen im unklaren gelafjen, 
konnte ich erft aus dem Gang der Verhandlungen mit Haldane und 
namentlich ihrem Londoner Nachipiel Elar den Geifteszuftand erkennen, 
worin fich das englifche Kabinett bei diefen Verhandlungen befand. Der 
Nachläffigkeit Kiderlens mar der brutale Gegenfchlag Lloyd Georges 
und auf diefen eine meiner Empfindung nach mangelhafte Haltung 
unferfeits gefolgt. Unſere Befliffenheit in diefem Stadium der Dinge 
erzengte in England mir das Gefühl, mit ums leicht fertig merden zu 


186 England und die deutſche Flotte 


können. Wenn wir jetzt die Engländer nach Berlin einluden, ſo mußten 
wir ja wohl bereit ſein, etwas zu opfern, um nicht die neue Verlegenheit 
einer unfruchtbaren Aufforderung auf uns zu laden. Bethmanns 
Abgeneigtheit, die Novelle vor dem Reichstag zu vertreten, zeigte den 
Engländern den Punkt, wo man uns einſchüchtern und vielleicht ſogar am 
ganzen Flottenbau irremachen, ſowie den Spalt innerhalb der Reichs⸗ 
leitung vertiefen könnte. Die Engländer nahmen alſo das unerwartete 
Geſchenk dieſer Einladung an. Der Vertrauensmann Sir E. Greys, der 
wegen ſeiner 1906 im preußiſchen Generalſtab ausgeübten Erkundungs⸗ 
tätigkeit als deutſcher Vertrauensmann betrachtete Kriegsminiſter Hal- 
dane, wurde nach Berlin entſandt, mit dem Auftrag, uns die Novelle und 
überhaupt den Flottenbau möglichſt zu verleiden. Da man die Bündnis⸗ 
fähigkeit des Kanzlers gegen die deutſche Flotte begriffen hatte, und da 
Haldane überhaupt nicht als Bittender, ſondern als Gebetener kam, ſo 
erübrigte es ſich für das britiſche Kabinett, ihm ernſthafte engliſche 
Anerbietungen an uns mitzugeben. Haldane brachte aber immerhin ein 
Scheingeſchenk mit, von dem zu ſprechen ſein wird. 

Trotzdem das offenkundige Widerſtreben des Kanzlers gegen die 
Novelle ſie außenpolitiſch ſchon ſtark entwertet hatte, bot ſie für eine 
geſchickte Verhandlungskunſt immer noch ein geeignetes Mittel, um 
eine Verſtändigung auf der Grundlage realen Gebens und Nehmens in 
Vorſchlag zu bringen, ſelbſt wenn der engliſche Wille nicht groß war, 
mit uns wie mit Gleichberechtigten zu verhandeln. 

Am 4. Februar hatte der Kaiſer auf privatem Weg das Foreign 
Office wiffen laffen, Deutjchland wäre bereit, in der Frage der Flotten- 
novelle entgegenzufommen, wenn e8 gleichzeitig ausreichende Bürg- 
Ichaften für eine freundliche Orientierung der englifchen Politik erhielte, 
in dem Sinne, daß beide Mächte übereinfämen, an Feiner Kombination 
oder Friegerifchen Verwicklung teilzunehmen, die gegen eine von beiden 
gerichtet wäre. Ein folches Abkommen würde gleichzeitig eine Ver: 
ftändigung über die NRüftungsausgaben ermöglichen. 

Für die Verhandlungen mit Haldane felbft ftellte der Kaifer folgende 
Grundfäße auf: 1. die Flottennovelle ift zunächſt aufrechtzuerhalten, 
2. England foll Elarlegen, welches Programm «8 a) auf Grund der 
Novelle, b) auf Grund deg bisherigen Flottengefeßes verfolgen wollte, 
3. Erörterung eines deutfchebritifchen Bündnis bzw. Neutralitätsver- 
traas, auf Grund deffen die Ausführung der deutfchen Novelle ver: 





Haldanes Beſuch 187 


langfamt werden Eönnte, 4, Forderung, daß England das Ötärfer 
verhältnis 2:1, den ‚Zwei Kiele zu einem’=Standard aufgebe zu: 
gunften eines für ung annehmbaren Stärkeverhältnifjes!). Der Kanzler 
wurde beauftragt, fejtzuftellen, ob Haldane von feiner Regierung zu 
Vorverhandlungen ermächtigt wäre, oder ob er in privater Eigenfchaft 
käme, um zu fondieren. Se nachdem follte der Kanzler im Namen 
des Kaifers oder nur in feinem eigenen fprechen. Außerdem mahnte 
der Kaifer, unjere Trümpfe dürften nicht vorzeitig verfpielt, insbefondere 
müßte das Necht jedes Staates, feine Wehrmacht feldft zu beftimmen, 
zum Ausdruck gebracht und die Flottenvorlage bis zum Empfang eng- 
lifchee Gegenleiftungen voll aufrechterhalten werden. Gerade wenn 
wir innerlich zur Nachgiebigkeit entfchloffen waren, mußten mwir auch) 
meiner Anficht nach, um überhaupt etwas zu erreichen, zurückhaltend 
auftreten, um fo mehr als Haldane, ein geiftig hochftehender, äußerft 
geſchickter Lawyer, zu jenen britifchen Staatsmännern gehörte, die das 
Gefühl hatten, mit unferen deutfchen Politikern zu fpielen. 

Über das anderthalbftündige Geſpräch, das Bethmann am Nach: 
mittag des 8. Februar mit Haldane führte, befigen wir Berichte aus 
ber Umgebung des englifchen Staatsmanns . Wenn fie richtig find, 
fo verjicherte der Kanzler den britiſchen Miniſter feines unausgeſetzten 
Strebens, zu einer Verftändigung mit England zu Fommen, und zeigte 
unverbindlich Neigung, auf Haldanes Anregung eingehend, den Bau 
der Novellenjchiffe auf eine längere Neihe von Jahren zu verteilen. 
Seinerfeits brachte er die Neutralitätsformel in Vorſchlag. Haldane 
wich aus, flellte die „unbedingte Loyalität gegen die Ententen mit 
Frankreich und Rußland” in den Vordergrund und will nach feinem 
Bericht den Kanzler nachdrücklich auf Englands etwaige militärifche 
Pflichten gegenüber Frankreich, Belgien uſw. hingewieſen, ſowie fehr 
ſtark vor einer deuifchen Novelle gewarnt haben, die England mit dem 
„zwei Kiele zu einem“⸗Standard beantworten müßte. Auf die Neutra- 
litätsformel ließ er fich nicht ein, fteilte höchſtens die nichtsfagende 
Bindung, Feine „unprovozierten Angriffe (1) zu unternehmen, 


1) Vgl. oben ©. 173, 

) The Vindication of Great Britain, London 1916, und daneben The Man- 
chester Guardian vom 1. September 1917. Während der Korrektur wird mir 
noch eine dritte Werfion aus dem „Daily Chronicle* von 1918 in beutfcher 
Wiedergabe bekannt. 


188 England und die beutfche Flotte 


in Ausficht. Haldane hielt aljo an der überlieferten Politif Englands 
ung gegenüber feft. 

Der Kanzler beging bei diefem Eröffnungsgefpräch ben Fehler, 
daß er feinem Unterredner den Novellenentwurf mit den von ihm 
ſelbſt gewünſchten Adftrichen befanntgab. Hätte er die urjprüngliche 
Novelle zur Verhandlungsgrundlage gewählt, jo würde er ung ein 
weit größeres Kompenfationsobjeft in die Hand gelegt haben. Um 
bagegen feiner eigenen Friedensliebe eine Folie zu geben, hielt e8 Beth⸗ 
mann für Plug, im Gefpräch mit dem Engländer von den Reſſort⸗ 
vertretern der  deutfchen Mehrkraft, den „Flottenmenſchen“, etwas 
abzurücen. Dies machte auf Haldane einen vorzüglichen Eindruck und 
erleichterte e8 ihm, den vom Kanzler felbft aufgezeigten Spalt in ber 
deutfchen Regierung zu verbreitern und eine „Kriegspartei“ zu erbichten, 
gegen die der Kanzler anfämpfen müßte. 

Am 9. Februar wurde Haldane vom Kaifer empfangen, der dem 
urfprünglich zwifchen Haldane und mir geplanten Geſpräch beizumohnen 
mwünfchte. Der Nudienz ging ein Frühftüd voraus, an dem auch ber 
Kanzler teilnahm. Während des Frühſtücks wurde nicht politifiert, 
doch Tag eine ziemliche Spannung über dem Ganzen. Beim Eintreten 
hatte mic) der Kanzler gebeten, das Flottenftärkenverhältnis von 2:3 
nicht von mir aus zu erwähnen. Weshalb er dag mwünfchte, weiß ich 
nicht; vielleicht fand er es noch zu ungünftig für England. Sm übrigen 
wurde ich vom Kanzler über den Stand der Verhandlungen, insbeſondere 
die Neutralitätsformel, nicht unterrichtet und fpielte bei der nachfolgen- 
den Audienz, vor welcher fich Bethmann entfernt Hatte, teilmeife 
nur die Rolle des Zeugen, da der Kaifer felbft das Gefpräch leitete. 

Zu Eingang der Verhandlung erflärte Haldane, im Namen des 
britifchen Kabinetts und mit Zuftimmung des Königs zu reden, während 
er im Widerfpruch hierzu am Schluß betont hat, die Beſprechung be- 
deutete Tediglich eine private Information). Haldane begann damit, 
ung ein großes afrifanifches Neich in Ausſicht zu ftellen. Während 
der Kaiſer noch im Januar die Folonialen Anerbietungen mit großem 
und nicht unberechtigtem Mißtrauen angefehen hatte, war e8 in ber 


) Der Beriht det Manchefter Guardian vom 1. September 1917 teilt mit, 
daß Haldane vorher „solle Inſtruktionen vom Kabinett befommen hatte”: er follte 
nicht über einen Vertrag verhandeln, durfte aber reden und und einmwideln, wie er 
wollte, und war beauftragt, iiber den Nerlauf an dat Kabinett zu berichten. 


Haldanes Anerbietungen 189 


Zwiſchenzeit gelungen, feinen Ehrgeiz durch das Bild eines mächtigen 
Erwerbs zu reizen, ohne die Schwierigkeiten und Vorbehalte diejer 
Verlockung genügend zu beachten. 

Das Übermaß von Angebot Eolonialer Befistümer, die den Eng: 
ländern ſelbſt nicht gehörten und über die fie gar nicht verfügen Fonnten, 
war auf das Temperament des Kaifers berechnet. Auf mich machte 
es einen peinlichen Eindruc, weil das Mittel zu grob, die Abficht zu 
deutlich war. Schon einmal, von 1898 ab, hatte England verfucht, 
uns durch das Angebot portugiefifcher Kolonien zu ködern, während 
es gleichzeitig die Portugiefen darin bejtärkte, diefe Kolonien überhaupt 
nicht zu verkaufen. Bei dem jeßigen ſcheinbaren Schacher handelte es 
jih darum, uns Ausfichten nicht nur abermals auf portugiefifche, 
jondern auch auf franzöfifche und belgifche Gebiete zu eröffnen. : Damit 
Eonnte England nicht nur ung am Leitfeil führen, fondern nunmehr 
auch den Franzojen und Belgiern unfere Begehrlichkeit beweiſen und 
ihre Abhängigkeit von England verftärfen!). Sch bewunderte Haldane 
in dem Augenblick, als er bei diefem Zufunftsbild für England in 
jchlichter Bejcheidenheit „nur“ die Kap-⸗Kairo⸗Bahn beanspruchte. Damit 
hatte England Afrika! Wenn zu dem englifchen Geſchick im Unterhandeln 

"auch noch die endgültige Überlegenheit an Macht hinzukam, dann wehe 
Deutfchland, und ich muß bei Haldane an das Wort jenes Amerikaners 
denken, der zu einem deutjchen Admiral geäußert hat, wenn er die ihm 
beiderjeits bekannten leitenden Staatsmänner Deutfchlands und Eng- 
lands vergliche, und er ftellte fich beide an einem Verhandlungstiſch 


») Bezüglih Portugals vgl. die Erklärung des Minifterpräfidenten vom 
15, März 1912, Daß es der Entente mehr darauf anlam, 5. B. die Belgier gegen 
uns mißtrauifch zu flimmen, ald etwa deutſche Kolonialwünfche zu befriedigen, be: 
wies der franzöſiſche Botichafter in Berlin im April 1914. In ihrem Wunfd, 
mit den Weftmächten, insbejondere mit England, zu einer Verfiändigung zu ge: 
langen, hatte die Reichsleitung zwilchen der Opferung der deutfchen Flotte und 
folonialen Plänen Hin: und hergeſchwankt. In dem erftaunlidhen Gefpräh, welches 
Jagow zu dem eben erwähnten Zeitpunkt mit dem Vertreter Frankreichs Hatte, 
eröffnete er ihm als feine Privatanficht die Meinung, Deutihland, Frankreich und 
England ſollten gemeinfam ben belgiihen Kongo wirtſchaftlich entwideln. Cambon 
hatte nichts Eiligeres, ald eine folche Auffaffung demonftrativ abzulehnen und 
Jagows Harmlofigfeit zur Aufreizung Belgiens gegen Deutfchland auszufchlachten, 
vielleicht in Erinnerung an Bismarcks meifterhafte Ausnügung der freilich erheblich 
ſchwerer wiegenden Benedettiichen Unklugheiten betreffs Belgiens. 


190 England und die deutjche Flotte 


vor, dann würde er fich wundern, wenn wir am Schluß der Verhand- 
lungen noch Potsdam behielten, 

Sch begann meinerfeits mit der Erflärung, daß ich eine Verftändigung 
Sehr begrüßen würde. Als Haldane im weiteren Gefpräch den Zwei⸗ 
mächte-Standard als britifche Überlieferung bezeichnete, fchlug ich vor, 
zu einer Vereinbarung im Sinne eines Flottenftärfenverhältniffes mie 
2:3 zu kommenz; alſo ich bot das an, was früher Lloyd George umd 
ſpäter Winfton Churchill vorgefchlagen haben. Dies lehnte Haldane 
in höflicher Form ab: England müßte mit feiner Flotte jeder möglichen 
Kombination gewachfen fein. Auf meine Gegenbemerfung, daß dann 
unfere Armee auch jeder Kombination gewachſen fein müßte, während 
fie doch kaum an Zahl fo ſtark wäre, wie jede ihrer beiden Nachbar— 
mächte, erwiderte Haldane, das wäre etwas ganz anderes, Eine maritime 
Konzeffion unjerfeits ftellte er nicht als eine Notwendigkeit bin, die 
er verlangen wollte, meinte aber, daß der Geift des ganzen Abkommens 
unter der Novelle leiden müßte. Er Fam zunächft miteiner gewiſſen 
Verlangfamung im Bau der drei Schiffe heraus: ob wir fie nicht auf 
zwölf Sahre verteilen wollten? Ich verfuchte ihm die Schwierigkeiten 
Elarzumachen, die fich für ung aus einer weiteren Underung der Vorlage 
ergäben, da wir mit Nückficht auf die verföhnliche Stimmung in Eng: ° 
land unfer Programm fchon jeßt weſentlich vermindert hätten. Es 
ſchien mir bei der Verhandlung im Grundfa richtig, nur ſoweit zurück 
zugehen, als unerläßlich war, weil ein weiteres Nachgeben ja ftets 
offen blieb, Ich führte auch aus, daß Haldane bedenken müßte, wie 
Seine Majeftät doch durch die Thronrede gebunden wäre. Haldane 
gab Died zu und meinte, wir müßten bei unſerer Wehrpflicht unfer 
drittes aktives Geſchwader haben. Forderungen für Indienfthaltung 
und Perfonal der Flotte wären England gleichgültig, Er wolle nur 
mehr der Form wegen — es handele fich ja nicht um die Summe 1) — 
ein Zeichen unferes Entgegenktommeng haben. Sollte ich mich nun damit 
begnügen, ein allgemeines maritimes Entgegenfommen für den Fall 
einer politiichen Verftändigung in Ausficht zu ftellen, oder war es 
vichtiger, das Maß unſeres Entgegenkommens ſchon im diefer Unter 
redung zu beflimmen? Sch tat das leßtere, als Haldane felbft vorfchlug, 
wir möchten, „um die Verhandlungen zu fchmieren“, das QTempo des 


ı) Die Novelle brachte ein Mehr von nur 9 Millionen im Jahr! 


„Was verliehen Sie unter Schmieren ?" 191 


Zuwachjes verlangjamen oder wenigſtens das erſte der dra Schiffe 
ftreichen. Er ſkizzierte von fich aus fchriftlich denfelben Vorfchlag, den 
ich mir fchon vorher für mich als mögliches Zugeftändnis aufgezeichnet 
hatte. Sch opferte alfo das Schiff. 

Für ein wirkliches ſolides Neutralitätsahlommen hätte ich die ganze 
Novelle dahingegeben, wie ich den Kaifer vorher hatte wiſſen laffen. 
Sch war mir ja in allen diefen Sahren der Tchweren Verantivortung 
voll bewußt und fah immer die Möglichkeit vor Augen, auf dem Gebiete 
der Flottenrüftung, welche ich niemals als Selbſtzweck betrachtet habe, 
Kompenfationen gegen wirkliche weltpolitifche Ebenbürtigkeit und für 
die Freiheit der Meere einzuräumen, Dieſer friedliche Eventualzwec 
des Flottenbaus war zwei Jahre fpäter feiner Erfüllung ſchon erheblich 
näher, wie das Eingehen Churchill auf die Formel 10:16 bewies. 
Aber auch fchon Anfang 1912, als unfere Flotte fchwächer war als zwei 
Jahre danach, Fonnte ich nicht genau wiſſen, wie groß die Möglichkeit 
eines politifchen Abkommens war, Der Kanzler hatte mir niemals 
Elar gejagt: „Das und das ift das konkrete Ziel, welches wir erreichen 
wollen,” man tappte beim Zufammenarbeiten mit ihm ftets mehr oder 
weniger im Dunkeln, und jo habe ich das dritte Schiff gegen meine 
eigentlichen Verhandlungsgrundfäße ohne jeden Gegenwert dahingegeben, 
um nicht Verhandlungen zu hemmen, die möglicherweije einen Erfolg 
verjprechen konnten. 

Dadurch, daß der Kanzler die urfprüngliche Novelle fchon preise 
gegeben hatte, beſaß ich eigentlich Feine Kompenfationgobjefte mehr für 
Fleine Gefchenke, die in Eolonialer Zukunftsmuſik ausbezahlt wurden. 
Militäriſche Werte durfte ich grundſätzlich nur noch für tatfächliche 
und in gewiſſem Sinne endgültige Bürgfchaften opfern, entweder für 
maritime (Verhältniszahl 2:3) oder für politische (Neutralitätsabkom⸗ 
men). Ohne folche pofitiven Gegenwerte die Novelle Fallen zu laffen, 
das wäre ein einfeitiges Zurückweichen gemwefen. Gerade dag mußten 
wir aber am meiften vermeiden, wenn wir nicht wieder in das Zeit 
alter der englifchen Drohungen, wie 1896 oder 1904/5, zurückfallen 
und ung eine Schraube ohne Ende anlegen wollten. Wir mußten gerade 
den Engländeen gegenüber auf dee Bafis von Gleich zu Gleich ver: 
handeln, wenn wir troß den im Juli 1911 begangenen Fehlern eine 
fortfchreitende Feftigung unfres gegenfeitigen Verhältniffes wollten. 

Es war mir deshalb ungewiß, ob ich nicht in Mirflichkeit fehon 


192 England und die deutiche Flotte 


zu weit gegangen wäre, indent ich als Beweis unferes Entgegenkommens 
einen Teil der ſchon verkürzten Novelle opferte. Mein Zweifel 
löfte fich bald in Klarheit über die wahren englischen Ziele auf. Denn 
nachdem Haldane diefe Konzeffion ohne Gegengabe eingefteckt und jich 
von ihr befriedigt erklärt hatte, ging er weiter und berührte fchließlich 
vorfichtig die Frage, ob denn das Flottengefet felbft ausgeführt werden 
müßte? Hier griff der Kaifer ein, und fo zog Haldane feinen Fühler 
zurüd, Es blieb troßdem die Gewißheit bei mir beftehen, daß bie 
eigentlichen englifchen Wünfche nicht - gegen die: Bagatelle der drei 
Novellenichiffe, fondern gegen das Geſetz ſelber gerichtet waren. Haldane 
gab im Gefpräch gelegentlich felber zu, daß die Vermehrung ber Flotte 
um die Drei Novellenfchiffe materiell überhaupt Feine Rolle fpielte. 

Nachdem wir fcheinbar zu einer völligen Einigkeit gekommen und 
nur deutſcherſeits etwas geopfert war, erklärte, wie bemerkt, Haldane 
das Ganze zunächlt für eine perjönliche Information, Sch habe indes, 
obwohl die fpäteren Verhandlungen in London fich zerfchlugen, an der 
Opferung des Schiffes feftgehalten, um an unferem guten Willen feinen 
Zweifel zu laſſen. 

Ein wirklich gefchäftsmäßiges Verhandeln mit Haldane war durch 
die Gegenwart des Kaifers erfchwert, Als das Gefpräch auf den für 
ung entjcheidenden Punkt, das politifche Abkommen, glitt, wich Haldane 
aus: eine Neutralitätsklaufel wäre nicht möglich wegen der englifchen 
Beziehungen zu Frankreich. 

Als wir das Schloß verließen, jprach fich Haldane befriedigt von 
der Unterredung aus, Sch hatte ihre entnommen, daß 1. die Novelle 
tatfächlich den Engländern Nebenfache, ihr eigentliches Ziel aber wäre, 
unjere Slottenentwiclung zu lähmen, daß 2. hierfür englifcherfeits 
Fein Abkommen angeboten würde, das eine ehrliche Flottenverftändigung 
auf Grund der von Lloyd George 1908 angeregten Verhältniszahl 
bedeutet hätte. Vielmehr follte ftarr der unfere Flotte entiwertende „Zwei 
Kiele zu einem’Standard von uns grundfäglich anerkannt werden, 
was auf die Dauer einem Abbau unferes Flottengefeßes gleichgefommen 
wäre, Nahmen wir den „Zwei Kiele zu einem‘=Standard an, fo brauchte 
England nur einige Jahre hintereinander fich mit dem Bau von vier 
oder gar drei Schiffen zu begnügen, um uns dann vertragsmäßig auf 
den eigenen Bau von zwei bzw, anderthalb Schiffen pro Jahr zurück— 
zudrängen. Damit fiel das Flottengefeß; abgejehen davon, wäre durch 


Mein Eindrud von Haldane 193 


obigen Grundſatz der Riſikogedanke unferer Flotte getötet worden, 
unfere Flotte verlor ihre Dafeinsberechtigung und Deutfchlend feine 
weltpolitiſche Allianzkraft. Man glaubte ung ein derartiges Zurücd- 
weichen zumuten zu dürfen, da wir anfcheinend fo fehr nach einer „Ver: 
ftändigung” um jeden Preis drängten; Daß ferner 3. auch die Beth: 
mannſche Neutralitätsformel nicht in Frage kam, ſondern 4. unfere 
maritime Unterwerfung ausfchließlich belohnt werden follte durch die 
auf die Vhantafie des Kaifers und das Erfolgsbedürfnis einzelner 
Diplomaten berechneten Anwartfchaften auf afrikanifche Beſitztümer der 
engliſchen Schußbefohlenen Franzofen, Belgier und Portugiefen. 

Haldane ging aljo nicht auf gefchäftsmäßiger Grundlage vor: er 
verſuchte es zunächft einmal mit Scheinverhandlungen, bereit, ung 
die Unterwerfung zu verzudern und ung den Schein eines politifchen 
Abkommens und einer Kolonialerwerbung zu gönnen, wenn wir dafür 
praktiſch in ein Vajallenverhältnis traten. 

Englands wirkliches Geſicht entfchleierte noch ein wenig deutlicher 
der erfte Lord der Admiralität Winſton Churchill, der am 9, Februar, 
in derjelden Stunde, als Haldane mit der ihm vom Kaifer geſchenkten 
Bronzebüfte im Arm die Berliner Schloßterppe herunterftieg, zu Glag- 
gow jene Frühſtücksrede hielt, in welcher er die deutfche Floite als 
einen Lupus bezeichnete. 

Solange der Gedanke der Kurusflotte berrfchte, und folange das 
Bauverhältnis 2:3, das einft Lloyd George vorgejchlagen hatte, vom 
engliichen Kabinett felbft zurücgewiefen wurde, war es vergeblich, 
und fchuf uns bei der Denkweiſe unferer Reichsleitung nur diplomatifche 
Nachteile, wenn wir britifche Minifter nach Berlin einfuden, die nichte 
doten, dafür aber nicht ungefchieft Unfrieden zwiſchen uns ſelber fäten. 

Hätte Haldane fich irgendwie zu einem vernünftigen Flottenftärfe 
verhältnis geneigt gezeigt, Jo war ich vorbereitet, ihm zu fagen: wenn 
das Verhältnis 2:3 fich einmal eingebürgert und eine folide Freundfchaft 
zwiſchen unfern Ländern Platz gegriffen hat, dann ift der Zeitpunkt 
gekommen, um auch einen verhältnismäßigen Abbau des Flotten- 
geſetzes feldft zu erörtern. Die nur auf Täuſchung unferer Illuſioniſten, 
nicht auf ein zweifeitiges Gefchäft gerichtete Unterhandlungsart des 
englifchen Minifters Tieß mich aber naturgemäß mit diefem Gedanken 
zurücdhalten, der erft richtig aufgenommen werden Eonnte, nachdem 
England unjere Weltjtellung anerkannt und uns greifbare Gegenwerte 

Tien!s, Erinnerungen 13 


194 England und die deutfche Flotte 


angeboten hätte. Wenn es überhaupt möglich war, England zu ernfis 
haften Verhandeln zu bringen, ſtatt der bisherigen Scheinverhand- 
lungen, fo konnte das nur durch Standhaftigfeit in ber Hauptfrage, 
dem Flottengefeß, erzielt werben. 

Melche Folgerungen zog der Kanzler aus dem Mißerfolg diefes feines 
Verftändigungsunternehmeng, das von vornherein die englifche Seele 
verfannt und auf unmirflichen Vorausſetzungen gefußt hatte? Er fuchte 
einen Sündenbock, und der mußte natürlich im erften Augenblick ich fein, 
weil ich die deutiche Flotte nicht blindlings ohne Gegenwerte dahingab. 

Über das Schlußgefpräch, das Haldane am 10. Februar mit dem 
Kanzler hatte, fagt der im „Mancheſter Guardian‘ veröffentlichte 
Bericht: „Haldane war hauptfächlich in der Flottenfrage intereffiert, 
und fein durchgängiges Argument, daß eine politifche Verftändiaung 
unreal bliebe, folange Deutfchland nicht einige Flottenzugeftändniffe 
machte, erleichterte die Niedergefchlagenheit des Kanzlers nicht, ber 
indes entichloffen mar, wenn er irgend vermöchte, ben Gedanken 
einer Verftändigung mit England nicht an Tirpitz fcheitern zu Taffen.” 

Ich überlaffe e8 dem Lefer, diefes Plädoyer an dem oben wieder— 
gegebenen Inhalt von Haldanes Verhandlung mit mir nachzuprüfen, 
woraus fich ergibt, daß mein Flottenzugeftändnig ohne jede Gegenaabe 
blieb und daß Haldane jelbft die Novelle als nicht entfcheidend be 
handelte. Auch dem Kanzler gegenüber fcheint alfo Haldane Tekten 
Endes auf den Bruch unferes Flottengefeßes hingefteuert zu haben. 

Die Verhandlungen find dann in London meitergeführt worden. 
Ihr Verlauf ftelfte immer Elarer heraus, daß es England nur darmıf 
anfam, ung zu einfeitigen Zugeftändniffen im Flottenbau zu beftimmen, 
shne irgendwie Gegenmwerte zu geben, Das Auswärtige Amt Eonnte 
es gar nicht erivarten, biefe einfeitige Unterwerfung zu vollziehen und 
drängte mich jebt, alle drei Novellenfchiffe fallen zu laſſen. Diefe 
Forderung Fam ber Preisgabe der ganzen Novelle gleich; wir Fonnten 
dann auch das Perfonal nicht mehr anfordern, da die ganze Begründung 
ber Novelle bei Wegfall der Schiffe unlogifch wurde. Daß hierin, 
abgejehen von ber militärischen Schwächung durch Unterbinden ber 
Heform nach allem Vorgefallenen und befonders, nachden ber Kaifer 
ſelbſt fich mit Lord Haldane geeinigt hatte, eine unverantwortliche Eins 
buße an Preftige lag und die fchiefe Ebene betreten war, auf melcher es 
Sein Halten mehr nab, wurde vom Auswärtigen Amt nicht gewürdigt. Die 





Urteile über meine „Polint” 105 


hier nicht im einzelnen zu erzählende weitere Leidensaefchichte der Novelle 
zeigte, daß unfere Diplomatie fich immer mehr auf den Standpunkt zu= 
rückdrängen Tieß, daß England eigentlich das Recht Kätte, das Maß 
unferer Rüftungen zu beftimmen. Das Feitbleiben des Kaifers verhütete 
Schließlich die Chamade eines Fallenlaffens der in der Thronrede feier: 
ih angefündigten Novelle ohne Gegenleiftung der Engländer. Der 
Kanzler muß nach dem ganzen Verlauf ‘der Angelegenheit doc) das 
Gefühl der Unzulänglichkeit unferer Londoner Vertretung gehabt haben, 
denn unſer bisheriger Botfchafter wurde von der beften diplomatifchen 
Kraft, die wir befaßen, dem Freiheren v. Marjchall, abgelöft. 


m 


2 

Fürft Bülow hatte 1908/9, obwohl fehr beforgt um die Beſſerung 
der deuticheenglifchen Beziehungen, die deutfche Würde vollauf gewahrt. 
Dagegen forderte die 1912 von uns eingefchlagene Verhandlungsart 
die Engländer zur Hervorkehrung eines Herrenftandpunftes ung gegen: 
über heraus, ben fie aber in korrekter MWeife wieder verließen, als fie 
bemerften, daß es doch nicht unfere Meinung wäre, die Unterwerfung 
anzunehmen, Die feit diefer Wendung im Frühjahr 1912 fo fühlbar 
serbefferten bdeutfchrenglifchen Beziehungen brachten felbft Bethmann 
und Kühlmann in der dem Weltkrieg vorangehenden ‚Zeit dazu, uns 
unmvunden auszufprechen, daß der von mir eingenommene Standpunkt 
ber richtige gemwejen wäre. Solche Außerungen beider Staatsmänner 
find mie mitgeteilt worden. Am 23. April 1914 in der Frühe hatte 
der Neichsfanzler vor dem BVerlaffen Korfus ein Gefpräch mit dem 
Botichafter v. Wangenheim, deifen Inhalt diefer einem Begleiter in 
einer Form mitteilte, welche diefer am gleichen Tage in einem amt: 
lichen Bericht weitergegeben hat. Danach fagte der Kanzler: „Es fei 
Beine Frage, daß 1911/12 die Tirpisfche Politik die richtige war, und 
daß wir unfer jeßiges ausfichtsreiches Verhältnis zu England nur 
diefer Diarinepolitif verdanken. Er felbft habe das damals nicht fo 
einſchätzen können, bekenne fich aber jebt zu dem Tirpibfchen Stand- 
punkt” Auch noch im Juli 1914 bewies Bethmann durch fein 
Berhalten, daß er in mir ein Friedensinftrument fah. Als dann das 
Unglü vom Suli 1914 aus Gründen entftanden mar, bie von 
der deutſchen Flotte ſehr weit ablagen, iſt Bethmann-Hollweg frei 
Kch auf feine Sündenbocktheorie vom Februar 1912 zurückgeglitten 

13* 


196 England und die deutfche Flotte 


und bat darin reichen Beifall gefunden, einerfeits bei ben Eng- 
ländern, die freilich, da fie ja nach ihrer Behauptung den Krieg 
nicht gewollt haben, der Sache die Wendung geben müfjen, daß 
fie mich zum Kriegstreiber abftempeln, und anderfeits bei der deutſchen 
Deniskratie, Die nach dem Ausgang des Krieges froh ift, ihr 1900/14 
bemwiejenes Verſtändnis für die Notwendigkeit deutfcher Machtgrund- 
lagen nunmehr feierlich abzuſchwören. Ich verfage es mir nicht, eine 
Probe zeitgemäßer deutfcher Gefchichtsdarftellung bier einzuschalten. 
Die ‚Frankfurter Zeitung” fchreibt (1918, Nr. 330): „War nicht 
Lord Haldane in Berlin, ſchlug er nicht einen Vertrag vor, ber 
ung in nur mäßiger Entfernung binter der englifchen Floite 
gelaffen haben würde? Diefen Vorfchlag nahm Bethmann nicht an, 
und wir wiſſen auch wohl, warum. Nicht weil er nicht ſelber gewollt, 
nicht, weil er diefe Löſung nicht als durchaus hinreichend für Deutjch- 
lands berechtigte Intereſſen erkannt hätte, fondern aus erbärmlicher 
Feigheit vor Tirpitz und feinen journaliſtiſchen Spießgefellen, vor der 
Frechen, verbrecherifchen Propaganda, die das Reichsmarineamt auf 
Koften des deutfchen Steuerzahlers betrieb.“ Die niedrige Gefinnung, 
die, abgefehen von der Umvahrheit, aus jolchen leider nicht vereinzelt 
fiehenden Preßäußerungen fpreicht, enthebt England der Mühe, feiner: 
jeits den Beweis für feinen Edelmut und die deutfche Schurkerei 
anzutreten. In Wirklichkeit ifb es fo gemejen, daß der von Haldanc 
gemachte Vorfchlag in leiter Linie die Befeitigung des deutfchen Flotten- 
gefeßes enthielt, und ich erfahre erft aus der „Frankfurter Zeitung” 
die wohl nicht zutreffende Anficht, daß auch der Kanzler diefe Ber 
jeitigung des Flottengefeßes ‚‚als hinreichend für Deutfchlands berechtigte 
Intereſſen erkannt habe. Da muß ich denn wohl der Reſſortbock fein, 
der Haldanes ehrliche Verſöhnung zunichte machte). 


%) Aus der Tendenz des von Haldane infpirierten Buches „The Vindication“, 
eine Friedenspartei (Bethinann) und eine Kriegspartei (Bülow, der Kronprinz, 
ich) zu Fonfteuieren, und aus dem Wunfch, den Kaifer zu Berhmann herüberzuziehen, 
erklärt ſich wohl auch die Gedächtnisſchwäche des Buches, der Kaifer hätte „gegen 
feinen Admiral” das dritte Schiff geftrihen. In Wirklichkeit verlief das Geſpräch 
fo, daß ich Haldane fragte: „Was verftehen Sie unter Schmieren (lubrieation)?* 
Er nannte die Kürzung der Novelle und fchrieb fie ſelbſt auf. Ich erwiderte: 
„Das Eönnen wir annehmen“. Hierauf flimmte der Keifer zu. Haldanes Ge— 
ſchichtsirrtum erklärt fih aus böfem Gewillen: um die Schuld Englands am 
Krieg abzumälzen, mußte er eine Kriegspartei in Berlin erdichten. Mit der noch 


Die „freche, verbrecherifche Propaganda‘ 197 


Zut Deutichland feiner ſelbſt wegen wirklich gut daran, alle ‚die 
befhimpfen zu laſſen, die fich einſt um feine Sicherheit und feinen 
Schuß bemühten? 

Bon ihrem Standpunkt aus ih die Frankfurter Zeitung freilich 
Berechtigt zu fragen, weshalb denn der Kanzler, wenn mein Tun fo 
verhängnisvoll war, nicht die Folgerung zog, mich geben zu laſſen 
(ih habe es ihm 1911/12 fehr Teicht gemacht und mehrfach dem 
Kaiſer meinen Abjchied angeboten) oder aber felbft die verantwortliche 
Gegenzeichnung abzulehnen? 

Meinerfeits ftelle ich eine Frage an diejenigen Deutfchen, welche mut: 
maßen, daß die Engländer 1914 nicht zur Aufrechterhaltung des feft- 
ländiſchen Gleichgewichts oder aus alter Handelseiferfucht, fondern 
um der bdeutichen Slottenpofitif willen in den Krieg eingetreten find. 
Meint man, daß die Novelle von 1912 oder die Ausführung des 
Flottengeſetzes den Kriegsentſchluß zur Reife gebracht hat? 

Die erfte Möglichkeit erledigt fich wohl von felbft. Wenn England 
vor 1912 grundfäglich den Frieden vorzog, fo wird eg durch die zwei 
Schiffe der Novelle doch wohl nicht zum Krieg umgeflimmt worden 
fein. Oder würde England vielleicht die im Juli 1914 entjtandene Lage 
nicht zum Krieg benüßt, Belgien und Frankreich nicht verteidigt haben, 
wenn ich ſtatt eines Novellenfchiffes alle drei weggegeben und eine diplo- 
matifche Niederlage in Kauf genommen hätte? War aber England ohne: 
Gin zum Krieg entfchleffen, dann Fönnte man mir viel eher einen Vorwurf 
daraus machen, daß ich überhaupt etwas weggab und mich fo in gewiſſer 
Weiſe zum Mitfchuldigen derjenigen unferee Minifter gemacht habe, 
welche in der Tat in den Fahren vor dem Weltkrieg unfere Rüftungen 
durch eine unverantwortliche Sparpolitit zu Waffer und zu Lande 
geſchädigt und damit zum Verluft des Kriegs beigetragen haben. 

Die einzige Frage alfo, deren Beantwortung freilich mehr eine Sache 
der Gefinnung ift, bleibt alfo, ob wir überhaupt Eein Flottengeſetz 
beſchließen und ausführen durften. Wer ein friedliches Verdorren der 
deutfchen Überfecwirtfchaft dem Verfuch vorzöge, fie durch eine Gleich— 
gewichtspolitif zur See zu ſchützen, mit dem ift nicht zu ftreiten, und 
der unglückliche Ausbruch und Verlauf des Krieges wird ihm vor denen 
mehr vergröberten Darftellung im „Manchefter Guardien” fih auseinanderfeken 


lohnt nicht mehr. Ich Habe 1916/17 zu den Haldanejchen Verüffentlihungen ges 
ſchwiegen, weil ich damals dem Kaifer felbft eine Erwiderung zu überieffen Hatte. 


198 England und bie deutiche Flotie 


recht geben, welche in diefem Verlauf der Dinge ein unausiweichlichee 
Schickſal an Stelle einer Kette vermeidbarer Fehler erbliden. Ich hätte 
meinem Volk nicht mit ganzer Seele eine Flotte gebaut, wenn ich nicht 
an feine Eigenfchaft, ein wirkliches freies Weltvolf werden zu Eönnen, 
geglaubt hätte. Darin habe ich mich vielleicht getäuſcht. Wenigfteng legt 
die Selbftbezichtigung unferer Demokratie die Vermutung nahe, daß ic) 
mich über die inneren Kräfte unferes Volles getäufcht habe. An 
ihrer Uneinigfeit, nicht an den äußeren Verhältniffen, ift der welt- 
politifche Anlauf gefcheitert, nach meiner Überzeugung, von der mich 
auch der Lärm der Gefchichtsklitterungen niemals abdringen wird. Den 
Engländern wird, nachdem fie ihr Ziel erreicht haben, dieſer inner- 
deutsche Verfuch der Demokratie, fich reinzumafchen von unferem frühe: 
ven Streben nach friedlicher Weltgeltung, nur eine gelajfene Verachtung 
abnötigen. Die zukünftigen Gefchlechter Deutſchlands aber werden die 
Erfahrung darin nachholen, ob die Angelfachjen es einem zur See ohn- 
mächtigen Deutichland erlauben werden, als Snduftrieftaat zu gebeihen. 

Es gibt politifche Stubengelehrte, die fagen: Wir hätten uns noch) 
ein paar Sahrzehnte lang, fo wie Bismarck, bes Flotienbaus und damit 
jeder Reizung Englands enthalten follen, bie wir auf dem Feitland 
ganz Üüberragend geworden wären. Möchten diefe, die alfo im mejent- 
then an Caprivis Standpunkt feſthalten ), beachten, was Big: 
marck ſelbſt über die unvermeidliche deutfcheenglifche Spanmung und 
ihre Gründe geſagt hat?). Nach feinen dreihundertjährigen Staats: 
geundfägen würde England niemals geduldet haben, daß ein fcharfer 
wirtichaftspolitifcher Wettbewerber, am wenigften aber wir, die über- 
vagende Macht auf dem Feftland gewönne, ganz abgefehen von der 
Frage, ob Letzteres Überhaupt ein für ung erfirebenswertes Ziel war. 
England hätte aber um fo rücfichtslofer und unbefangener auch Eriege: 
eifch gegen jede Ausdehnung unſerer Macht auf dem Feſtland gewirkt, 
je weniger e8 felbit ung fürchtete. Darum wurde ſchon in den neunziger 
Jahren in England der Gegenfaß zu Frankreich und Rußland zurück— 
geichraubt, der zu ung berausgearbeitet, 1914 dagegen hatte, durch 
unferen Slottenbau, der die Gefahrenzone faft durchlaufen hatte, gedeckt 
Deutichland ſchon nahezu die Stelle der vierten Weltmacht friedlich 
erobert, ohne daß England einzugreifen noch Gelegenheit gefunden hatte. 

) Oben ©, 25, 

2) Oben ©. 167. 








Hätte uns ein geringerer Flottenbeu vor dem Bernichtungsirieg bewahrt? 199 


Es gehörten außerordentliche Ungeſchicklichteiten umnjerfeits dazu, ihm 
dieſe Gelegenheit fo fpät noch zu verichaffen. Ein hervorragender deut⸗ 
fcher Staatsmann hat diefe Leiftung charakterifiert als ein diplomatifches 
Kunſtſtück erſter Klaffe, Freilich nach der negativen Seite hin. Es gab 
keinen andern Weg zur Weltmacht als über den Flottenbau. Um— 
fonft wird einem Volk die höchſte Wohlfahrt nicht gefchenft. Die 
Seemacht war eine natürliche und nohvendige Funktion für unlere 
Wirtſchaft, deren Welteinfluß mi England und Amerika um die 
Palme firitt und die anderen Völker Schon überholt hatte, Eine folche 
Lage iſt gefährlich, und fie wird unhaltbar, wenn nicht eine achtbare 
Seemacht das Riſiko des Konkurrenten, bei jedem Verſuch, den auf: 
ftrebenden Nebenbuhler totzufchlagen, ſtark erhöht. 

Freilich wird man deutſchen Doktrinären fchwerlih Verſtändnis 
dafür beibringen können, daß folche Entwicklungen wie die zur Überjee 
wirtſchaft und Seemadt fich nicht fommandieren laſſen, fondern orga> 
mic aus der innerſten Volksentwicklung hervorgehen, und daB ein 
Siebzigmillionenvolk auf enger Scholle ohne überragenden Ausfuhr 
Handel buchſtäblich verhungert, 


6 

Die Fahre, die auf den Haldanebefuch folgten, brachten eine Vers 
beilerung der deutjcheenglifchen Beziehungen, die in Deutfchland eins 
mütig begrüßt, allerdings, wie fich zeigen ſollte, zum Zeil etwas faljd; 
bewertet worden iſt. Unſere Flottenpolitit hatte 1912 ihre Friedens: 
liebe beswiejen durch die einfeitige Opferung des dritten Schiffes und 
(dies war der fpringende Punkt) durch das Herabgehen vom Viererbaus 
tempo auf das Ziveiertemps im Jahr 1912. Militäriſch war dies nicht 
unbedenklich, da es ben Vorjprung der Engländer vergrößerte und tat- 
fächlich vom Herbit 1915 ab die Augfichten einee Seeſchlacht für und 
verfchlechterte. Aber diefer Durch Feine Sophiftit mwegzudeuiende Tat⸗ 
beweis unferer Friedensiiche enthielt einen politifhen Wert, der Früchte 
trug und noch weitere getragen hätte, wenn die ſpäter zu bejprechenden 
Vorgänge des Suli 1914 nicht die Entwicklung durchſchnitten hätten I). 

Mit einer gewiſſen Wehmut dende ich an Die Eurze Zeit zurüd, 

2) Im Übrigen lag ber befte Beweis, dag nicht wir das Mettrüften zur Gee 


verfchuldeten, andauernd in dem Wergleih der Flottenbudgets der verſchiedenen 
Seemüdte, Oben ©. 117, 


200 England und die deutjche Flotte 


während welcher Freiherr v. Marfchall als Botfchafter in London wirkte. 
Marfchall hatte in der Zeit vor den Flottengefeßen im Reichstag gelegents 
lich als Staatsfekretär des Auswärtigen auch Marinefragen behandelt, 
und ein früherer Beamter des Auswärtigen Amtes erteilt ihm für diefe 
Tätigkeit dag Zeugnis, daß Fein Minifter „vor der Zeit der fyftematifchen 
Aufklärung, die mit der Berufung des Admirals Tirpitz ins Reiche: 
marineamt Fam, mehr getan hätte, um das Verftändnig für die 
politifchen und soirtfchaftlichen Nachteile unferer Flottenlofigkeit zu 
wecken, als Marfchall” 1). Die lange Verbannung nach Konftantinopel 
hatte die fhaatsmännifchen Fähigkeiten diefes bedeutenden Geiftes zur 
vollen Reife gebracht, als ihn der Kaifer (Mai 1912) zum Nachfolger 
es Grafen MWolff-Metternih auf dem michtigften Außenpoften des 
Neiches ernannte. 

Im Gegenfah zu feinem Vorgänger bemühte fich Freiherr v. Marſchall 
fofsrt, die konkreten Zahlene und Bauverhältniffe der beiderfeitigen 
Marinen, ohne deren Kenntnig ein wirkliches Verhandeln mit England 
gar nicht möglich war, ernſthaft zu fludieren. In diefem Beftreben 
fuchte er auch mich vor feiner Ubreife nach London auf, und mir, 
irellten in einem langen Geſpräch unfer vollftändiges Einvernehmen 
über bie zu befolgende Slottenpolitif feft. 

Marſchall war den englifchen Staatsmännern als ebenbürtiger Gegner 
befannt geworden auf der zweiten Haager Konferenz von 1907, fowie 
durch feine erfolgreiche Tätigkeit in Konftantinopel, Er hatte dort die 
englifhe Macht an einem ihrer meltpolitifchen Brennpunkte zu bes 
obachten Gelegenheit gehabt, und es war ihm gelungen, den Engländern 
bei der Hohen Pforte den Rang abzulaufen. Sein Auftreten in London 
unterbrach nun vorübergehend die deutiche Methode, den Engländern 
nachzulaufen und fich von ihrer Art imponieren zu laſſen. Marſchall 
wußte, daß der Brite um fo höflicher wird, je beftimmter fein Wett: 
bewerber den eigenen Standpunkt vertritt. Er erflärte, daß Deutfch- 
fand feine Wirtfchaftspolitif nicht durchführen Fönnte, ohne ein Machts 
mittel zur See zu befißen, das ung gegen die Notwendigkeit fehüßte, vor 
England auf Schritt und Tritt zurückzumeichen. Als er im Juli 1912 
im BudingbamsPalaft fein Beglaubigungsfchreiben überreichte, würdigte 
ihm der König einer deutfchen Anfprache,. worauf Marfchall auch feiner 


ı) O. Hammann, Der neue Kurs (1918), S. 125f. 


Marſchall a tower of confidence 23 


eits durch grundjäßlichen Gebrauch; des Deutfchen den zuhörenden 
englischen Miniftern Gelegenheit gab, ein bisher von Feinem deutfchen 
Diplomaten bei ihnen vermutetes, überrafchendes Verſtändnis unferer 
Sprache an den Tag zu legen. Bei diejer feierlichen Gelegenheit nun 
beflagte fi Marſchall darüber, daß er feinen font fo guten und 
oielverfprechenden Empfang durch die englifche Preſſe beeinträchtigt 
ſähe infolge einer neuen Flottenpanifrede Churchills: wenn derlei fort 
geſetzt würde, fühlte er feine Kräfte umfonft eingefekt. 

Die mir ein Augenzeuge des Auftritte, unfer damaliger Marine 
attache Kapitän MWidenmann, gefchildert hat, war die Wirkung diefes 
würdigen und feften Auftretens, das auf genauer Überficht der Wer: 
hältniffe beruhte, bedeutend. Niemals hatte in den Jahren der deutſch— 
englifchen Spannung ein deutfcher Staatsmann in England ähnliche 
Beachtung und NRücficht gefunden, und Admiral Sir John Sellicoe 
gab im Geſpräch mit Dritten dem allgemeinen Gefühl Ausdruck, indem 
er von Marſchall fagte: he looks like a tower of confidence. Sein 
früher Tod (September 1912) war für das an ftantsmännifchen Kräften 
fo arme Deutichland ein Verluft von unüberfehbarer Wirkung. 

Sch möchte mich bei der Erörterung der wachfenden englifchen Ver⸗ 
fändigungsneigung auf diejenigen Anzeichen befchränfen, die auf dem 
Gebiet des Flottenweſens liegen. Der Erſte Lord der Admiralität, der 
1912 noch gehofft hatte, unferer „Luxusflotte“ durch Haldane den 
„zwei Kiele zu einem’ Standard aufzureden, nahın 1913 den von 
Aoyd George 1908 und von mir 1912 vorgefchlagenen Standard 
2:3 in der angenäherten Form 10:16 an. Damit war praktiſch 
das deutichsenglifche Flottenabkommen erzielt, und da mir Feine 
Novelle mehr vorhatten, fo waren deutfchebritifche Flottenerörterungen 
dem Grundgehalt nach abgefchloffen, dieſer Zankapfel nach menſch— 
lichem Ermeffen befeitigt!). Ich mwünfchte diefe Entwicklung durch 


) Vgl. auch unten ©. 204. In einer ſehr eingewidelten Form hat Chur: 
Kill noch einmal durch ben Vorfchlag des Baufeierjahres verſucht, dem Flottenz 
gefeg den Hals zu brechen. Die ungünftige Aufnahme diefes Gedankens in Engs 
land felbft enthob uns aber der Notwendigkeit, fih mit ihm eingehender zu bes 
Ihäftigen. Ich erwähne nur nebenbei, daß Bethmann, Kühlmann, das Auswärtige 
Amt und die Fraktionevertreter des Freifinns und bes Zentrums den Gedanken 
damals entfchieden von der Hand gewieſen haben, den Vorfchlag des Baufeierjchres 
ernſthaft zu beachten, wie denn überhaupt von 1912 an, und zwar, wie es ſchien, 
für immer, über unfre Flottenpolitif die vollſte Einigkeit herrfchte. 


202 England und die deutſche Floite 


nichts zu gefährden. Die Zuverläffigkeit deutſcher Politik war unjere 
beite Waffe. Darum babe ich dagegen angefämpft, als Anfang 
1914 bie deutſche SMufionsfähigkeit bereits wieder die deutſch— 
englifche Entjpannung überſchätzte. Damals wünſchte der Kaifer zu: 
ftärkeren Betonung des Auslandsdienftes, die an fich ganz in meiner 
Richtung Tag, die Einbringung eines Nachtragsetats zwecks Bereit: 
ſtellung von vier mweiteren Eleinen Kreuzern, die unfere gefteigerten 
politifchen Intereſſen im Mittelmeer dauernd zum Ausdrud bringen 
ſollten. Ich erhob ftärffte Bedenken gegen die plößliche Einbringung 
eines Nuchtragsetats unter diefer Begründung, der politifche Verwick— 
lungen in der Art erzeugen Bonnte, wie die ohne mein Vormwiffen, aber 
zu meinem Bedauern vollzogene Entjendung dee beutfchen Militär: 
miſſion nach Konftantinopel. Sch erbat durch den Kabinetischef meinen 
Abſchied, worauf die Forderung unterblieb, Im Herbit 1914 wollte 
ich dann meinerjeits einen Nachtragsetat für die zeitweilige Ausreife 
einer Zinienfchiffsdivifion zur Weltausftellung nah Sun Franeisce 
vorlegen !) und dabei die fehlenden Mittel für die ftärkere Indienft- 
haltung im Ausland etatsmäßig nachfordern. Für die Einbringung 
einer neuen Novelle lag nach menſchlichem Ermeifen auch in fernerer 
Zufunft Fein Anlaß vor. An weitere Vermehrung unferer Schlacht: 
ſchiffe habe ich nie gedacht, im Gegenteil für den Fall einer Fortdauer 
s unheimlichen Größenwachsrumes der Schiffe bie Verminderung 
ihrer Zahl als Möglichkeit im Auge behalten. 


Sm jenem Augenbli nach Haldanes Befuch, als bie Engländer ars 
gefichts unferes übermäßigen Drängens nach Verftändigung vorüber 
gehend glaubten, ung in der Art Portugals behandeln zu können, vers 
tveigerte die Londoner Regierung zwar ein Neutralitätsablonmen, 
wollte aber verjprechen, fich nicht an ‚„„unprovszierten (1) Angriffen“ 
gegen ung zu beteiligen, Für diefe nichtsfagende Freundlichkeit ftellten 
fie zwei Bedingungen an den Safer, erjtens, daß die Novelle ganz 
fiele, und zweitens, daß Bethmann Reichskanzler bliebe, Der Kaiſer 
wies dieſe Forderung als Einmifchung in unfere inneren Regierungsver— 


2 Bol. oben ©. 131, 





Ich » dangerons man 293 


hältniſſe formell zurück. Wo zwifchen zwei Völkern, die fich bei richtiger 
Politik ſaturiert zueinander verhalten, wie 4. B. Deutfche und Ruſſen, 
bie Sintereffen weithin zufammenlaufen, kann das Vertrauen zwiſchen 
ben Stoatsmännern gar nicht groß genug fein. Mo aber unüberbrück— 
bare Gegenfäße zwar in Schach gehalten, aber nicht in Gemeinfamteiten 
umgebogen werden konnten, wie zmifchen Deutfchland und England, 
durfte Die Kiebe zu einem Mann eine gewiſſe Temperatur nicht über- 
fchreiten, ohne bedenklich zu mwerden. Doch wurde ber Wunfch ber 
Engländer erfülli, und Bethmann blieb. Ms der Kaifer mir jene Zu— 
mutung erzählte, fügte er bei, ich wäre in demſelben Zuſammenhang 
als ‚a dangerous man‘ bezeichnet worden. Ich eriwiderte, daß mir im 
Reben Fein größerer Lob gefagt worden wäre. 

Sch kannte damals noch nicht genügend die vom politifchen Inſtinkt 
anderer Völfer abweichende Denkrichtung vieler Deutichen, wonach bie 
vom außenpolitifchen Gegner einem Staatsmann befcheinigte „Un- 
gefährlichkeit” geeignet ift, ihn auch dem eigenen Land zu empfehlen. 


Sehzehntes Kapitel 
Der Ausbruch des Krieges 


1 


In der Kieler Woche des Jahres 1914 ſagte mir unſer Londoner 
Botſchafter, Fürft Lichnowsky, mit dem jeßigen beutjchen Flottenbau 
hätte fich England abgefunden; ein Krieg um umjerer Flotte oder 
unferes Handels willen käme nicht mehr in Frage; das Verhältnie 
wäre befriedigend, die Annäherung im Wachſen. Er knüpfte hieran 
die Frage, ob etwa eine neue Flottenvorlage zu erivarten wäre? Meine 
Antwort lautete: „Wir haben Feine mehr nötig.” 

Bei derfelben Kieler Woche war als Ausdruck gebejjerter Beziehun⸗ 
gen zum erjienmal feit neunzehn Jahren ein britifches Linienfchiffs 
geſchwader unfer Gaſt. Sch hatte englische Offiziere und den groß- 
britanniſchen Botichafter zum Frühftüd an Bord, als die Nachricht 
von der Ermordung des öfterreichifchen Thronfolgers eintraf. Zwei 
Zage fpäter fuhren die englifchen Schiffe ab. Sch reifte, wie geplant, 
am 2. Juli zur Kur nach Taraſp. Gene Nachricht hatte uns alle 
unheimlich berührt, Man erwartete irgendivelche Sühne für die düftere 
Tat, infolgedejfen auch eine gewiſſe europäifche Spannung. Einen 
Meltkrieg befürchtete ich nicht. Wer follte die Verantwortung dafür 
übernehmen? Auch wieſen unfere militärischen Nachrichten barauf hin, 
daß, wenn überhaupt, fo früheitens für 1916 mit einem Angriffe: 
Frieg von Nußland aus zu rechnen wäre. Der Verdacht, daß ber 
Mord in Serajewo mit Wijfen des Zaren oder Englands angezettelt 
wäre, wurde nicht gehegt. 

Tägliches Leſen der englifchen Zeitungen hatte zufammen mit amts 
fichen Berichten mich über das Abflauen der Hebe und die fortfchreis 
tende Entjpannung ber deutfcheenglifchen Beziehungen auf dem Laufenz 
den gehalten. Die Grundftimmung freilich, daß man unfere Zurüd- 


Rüdblid 205 


deängung wünſchte, hatte fich nicht geändert, und es durfte Feinen 
Augenblick vergeſſen werden, daß es noch immer englifcher Staats: 
geundfab war, den deuifchen Einfluß einzudämmen. Aber der Augen— 
bi, uns nicderzufchlagen, wurde in England von weiten Seifen 
als verpadt gefühlt. Im Sahr 1897 war die Zerſtörung bes flotten 
Iofen Deutjchen Reiches Faltblütig erörtert worden. Im Jahr 1905 
drohte der Zivillord der Admiralität der noch winzigen deutlichen Flotte 
offen mit dem vernichtenden Überfall. Im Jahre 1908/94 beglei⸗ 
tete wenigſtens eine Flotienpanif, wenn auch Feine Drohung mehr, 
die bosnifche Kriſis; das Schwert ſaß ſchon nicht mehr jo locker, 
der Ton war nicht mehr jo überhedend und brutal, aber noch recht er- 
regt geweſen. In der Agadir und Haldanezeit 1911/12 mifchte fich in 
ben Feindfeligen Ton eine gewiſſe Selbitbeherrichung und mwachfende 
Vorſicht. Als der letzte Verfuch, ung die englifche Oberherrfchaft, aus: 
gedrückt in dem Flottenverhältnis 2:1, aufzunötigen, 1912 son uns 
zurückgemiefen worden war, erklärten jich die britiſchen Miniſter bald 
darauf mit unferem Flottenbau im BVerhälinis 10:16 zufrieden und 
zeigten uns in allen Angelegenheiten mehr Rückſicht. Sie gewährten 
1912/14 unferer Unterflügung des öfterreichifcheungerifchen Stand» 
pundtes Förderung, wobei unerörtert bleiben fol, inwieweit hierbei 
die Vertiefung ruſſiſch-deutſcher Gegenfäge als erwünfchte Nebenwir— 
kung empfunden wurde. Im Juli 1914 beivies England, mie ich ſpäter 
erfahren babe, anfänglich den Wunfch, um Serbiens willen Feinen 
Weltfrieg zu entfefjeln. Hierbei fpielte wohl das bei einem Händler: 
volke beſonders fiarfe Bedürfnis mit, den allgemeinen Frieden fo: 
lange zu erhalten, als das eigene Intereſſe nicht gefährdet war. Da- 
gegen wäre es falſch, diefes Verhalten als Freunöfchaft zu Deutjch- 
land zu erklären. Jeden unbewachten Augenblick würde England benußt 
haben, um das beutfche Vol? in den Zuſtand der Jämmerlichkeit 
zurüczuführen, aus dem es allein der Eiaat ber Hohenzollern und 
Bismards emporgehoben hatte. 

Dabei wor durch das Erſtarken der ruſſiſchen Macht die Gefahr eines 
Meltkriegs im ganzen immer näher gerückt, feit Rußland zur Entente 
getreien war und unſre in vielem verfehlte Nuffenpolitit es nicht 
veritanden hatte, die Spannung zu mildern. Die Rüftungen Rußlands 
und Frankreichs waren bis an die äußerſte Grenze gefteigert worden. 
In ber Begünftigung diefer Kriegevorbereitungen und der ihnen zu— 


206 Der Ausbruch Des Krieges 


grundeliegenden Eroberungsgelüfte tritt Englands gefchichtlihe Schuld 
unmiderleglich zutage, gerade weil es fich felbft infolge des vermehrs 
ten eigenen Kriegsriſikos ung gegenüber vorfichtiger zurüchielt und 
innerhalb der durch England erzeugten labilen Geſamtlage Europas 
bie gefteigerte Erplofiokraft der Entente in gewiſſem Umfang durch 
Fühlere Befinnung ausglich. 

Denn das halbe Jahrhundert friedlichen Wachstums hatte ung zus 
letzt ſchwer angreifbar gemacht. Kabinett und öffentlihe Meinung 
Englands fanden es mehr und mehr im eigenen Intereſſe, uns als 
beften Kunden am Weltgefchäft teiinehmen zu laſſen. Inden fich 
England an diefen Gedanken mehr gewöhnte, traten auch in Deutfch- 
fand diejenigen zurück, welche die englifche Vormacht als etwas Gott- 
gegebenes, deutſche Macht aber als etwas Ungewohntes und Uner- 
laubtes empfunden hatten. Auch folche, die fich früher darauf ein- 
zeftellt Hatten, England nur ja nicht durch eine eigene Marine zu 
„reizen““, begannen angefichts der höflicheren Behandlung des mäch- 
tiger gewordenen Deutfchen Reiches fich in einem durch eigene Kraft 
geachteten und gejchüßten Vaterland wohlzufühlen!), Wir hatten die 
unvermeidliche „Gefahrenzone“ des Flottenbaues nahezu durchlaufen 
and unfer Ziel, die friedliche Gleichberechtigung mit England, ſtand 
vor feiner Erfüllung. 

England befürchtete von ung feinen Angriff. Dafür bürgte ihm 
unfere ungünftige feeftrategifche Lage im naſſen Dreieck, welche bie 
hohe Schlagkraft unferer Marine nicht aufhob, aber beengte und beim 
Mangel feefräftiger Verbündeter den Wunfch nach einem Krieg bei 
feinem verantwortlichen Deutfchen erzeugen Eonnte. Dafür bürgte ebenfo 
dag Verhältnis von fünf deutfchen zu acht englifchen Gefchwabern, 
nit welchem auch wir uns ald Endziel zufrieden erklärt hatten, ferner 





) Die damals überwiegende Yuffafiung der politifchen Kreife bat, wie ich einer 
Flugichrift entnehme, 3. B. der fortichrittlihe Abgeordnete Hedfcher damals in bie 
orte gefaßt: „Weshalb ift die Einkreifungspolitif Englands gegen uns aufgegeben? 
Das danken wir der Schaffung der beutfchen Flotte.” Vgl. auch oben ©. 195. 
Freilich ſchlug nach deutjcher Art Die Tllufion nun zum entgegengejegten Extrem 
um. Statt fidy der gewonnenen Stellung und der Sicherung des Friebend zu 
freuen, beraujhie man fih an ber Vorftellung, die Einkfreifungspolitif wäre mit 
einem Schlag „aufgegeben”. Diefe Übertreibungen nad ber einen wie nach ber 
anderen Seite wurben und zum Verhängnis, 





Die Lage im Juli 1014 207 


die wohlbekannte Friedengliebe des Kaifers und über alles das hinaus 
die einfache Grumdtatfache unferer Weltftellung, daß mir im Frieden 
und durch den Frieden gewannen, wie niemals auch im glorreichften 
Kriege denfbar mar. 

England und Deutfchland erfuhren beide an fich die Mahrheit des 
alten Spruches: Si vis pacem, para bellum, den der Deutfche erſt 
nach unglücklichen Sahrhunderten der Selbjtvernichtung durch feine 
großen preußifchen Könige begriffen hatte, Handel und Wandel ftiegen 
in beiden Ländern reißend empor; die Wehrlaften wurden fpielend 
getragen und wirkten im vollftändigften Sinne produktiv. Am 
politifchen Horizont zeichnete fich der Zuftand wirklichen Gleich— 
gemwichts ab. 

Die britifchen Staatsmänner freilich betonten in ihren Geſprächen 
mit Deutfchen den Umftand nicht, daß es im mefentlichen unfere 
der Vollendung nahe Rifikoflotte in der Nordfee war, was ihre ach- 
tungsvolle Tonart bewirkt und die Wahrfcheinlichkeit eines britifchen 
Angriffs zurücgedrängt hatte. Sie fprachen begreiflichermweife nur von 
ihrer eigenen friedfertigen Gefinnung, weniger von den Tatfachen, 
welche fie verflärkten. Heute find die Engländer ja froh, daß ber 
Krieg gekommen ift, in dem Sinn, wie mir ber amerifanijche Bot: 
Schafter Gerard nach Kriegsausbruch gejagt hat, er begriffe nicht, 
daß mir den Krieg zuließen, denn in wenigen Sahren hätten wir ja 
die Engländer auf friedlihem Wege überholt. Aber im Juli 1914 
Ponnten die Engländer doch Faum vermuten, daß unfere NReichsleitung 
die deutfche Flotte vom Schlagen zurüdhalten würde. Sie dachten 
deshalb nicht leichten Herzens an den Krieg. Die genial aufgebaute 
Einfreifungspolitif, die das edle Wild Deutfchland zu Tode heben 
follte, wor dicht davor, an unfrer herangemwachfenen Machtitellung 
zufchanden zu werden. 

Soweit ich zur Erhaltung des Friedens in Ehren beigetragen hatte, 
ſah ich mit Befriedigung auf meine Lebensarbeit zurück und fühlte den 
Abſchluß des Flottengefeßes nicht mehr fern, womit ich meinem Nlache 
folger ein fertiges Werk in die Hände legen könnte. Mochte diefer 
dann im Kleinkampf ber Behörden und bes Parlaments an der Ramme 
Stehen; die deutſche Marine hatte im Sinne Stoſchs und in meinem 
Sinne ihr Werk getan, wenn fie durch ihre Kraft den Frieden und bie 
Freiheit auf den Dleeren erhielt. 


208 Der Ausbruch des Krieges 


Niemals hat Deutfchland im Lauf feiner langen Gefchichte mäd)- 
tiger und von den Größten der Erde gleicher geachtet dagefianden 
als in jenen Tagen, niemals reicher geblüht. Nach dem Urteil er: 
fahrener Auslandskenner, wie z. B. bes Fürften Bülow in feiner 
„Deutſchen Politik“, waren mir im wefentlichen „über den Berg“ 
und hatten unjer Recht auf Weltgeltung durchgefeßt. Deutfche Kultur 
und Wirtfchaft holten in Oftafien, Afrifa, Südamerika, im nahen Orient 
in vollen Zügen nach, was unfere Gefchichte verjäumt hatte. Nur 
noch ein paar Jahre ruhiger, gefchiefter Führung, und mir waren ale 
Weltvolk nicht mehr zu entwurzeln im Sinn des von Rooſevelt 1904 
gefprochenen Wortes: „Das Gedeihen eines Volkes hat normalerweiſe 
für die anderen Kationen nicht die Bedeutung einer Bedrohung, ſon⸗ 
dern einer Hoffnung.” Ein Zufall, der für die Tragik des Weltkriegs 
in gemwifiem Sinne ſymboliſch ift, hat es gefügt, daß unfrem Londoner 
Botfchafter das bereits paraphierte deutfcheenglifche Kolonialabfommen 
gerade am Zag der Kriegserffärung zum Unterzeichnen überſchickt wurde. 

Die Mißgunſt der Ententemächte durfte in feinem Augenblid unter 
fchäßt werden. Aber die Situation war troßdem für eine deutjche 
Staatskunft nicht verloren, ald im Sommer 1914 die ferbifche Her: 
ausforderung an Sfterreich gefchah. Es mußte nur rechtzeitig und 
offen gehandelt werden. Ein unmittelbare Erfuchen unferes Kaifers 
an ben Zaren, bei der Sühne mitzuwirken, hätte Erfolg verfprochen, 
mindeftens aber unfere politifche Lage günftig beeinflußt. 

Ein bedrohliches Moment Tag, was Deutjchland betraf, niemals im 
Kriegswillen, fondern einzig in der verhängnisvollen Mittelmäßig— 
keit im Amt befindficher Politiker. 


2 


Am 5. Zufi 1914 überreichte der öfterreichifche Botſchafter ein 
von Graf Hoyos, dem Kabinettschef des öfterreichifch= ungarifchen 
Außenminiſters Grafen Berchtold, überbrachtes Handfchreiben des Kai⸗ 
jers Franz Sofeph nebſt einem fchon vor dem Attentat verfaßten 
Promemoria in Potsdam dem deutfchen Kaifer. Darin murde, tie 
man mir nach Taraſp meldete, ausgeführt, daß die Fäden der Mords 
verſchwörung nach Belgrad reichten. Die öfterreichifche Regierung werde 
mit der Forderung nach mweitgehendfter Genugtuung an Serbien heran- 


Der fünfte Juli 1914 209 


treten und, jobald dieſe nicht erfüllt würde, ihre Truppen in Ger: 
bien einmarfchieren laſſen. 

Katier Wilhelm fagte aus ritterlicher Empfindung dem perjönlichen 
Erſuchen des öfterreichifchen Kaiſers Unterftügung und Treue gegen 
die ſerbiſchen Mordgefellen zu. Nach den Ausführungen, die er am 
Bormittag des 6. Juli mieinem Amtsvertreter im Park des Potsdamer 
Neuen Palais machte, hielt der Kaifer ein Eingreifen Rußlands zur 
Dedung Serbiens für nicht wahrfcheinlich, weil der Zar die Könige: 
mörder nicht unterjtügen würde und Rußland zurzeit militärifch und 
finanziell Eriegsunfähig wäre. Der Kaifer ſetzte ferner etwas ſanguiniſch 
voraus, Frankreich würde Rußland bremfen, wegen Frankreichs un: 
günftiger Finanzlage und feines Mangels an ſchwerer Artillerie. Von 
England ſprach der Kaiſer nicht; an Verwicklungen mit dieſem Staat 
murde überhaupt nicht gedacht, Der Kaifer felbft fah alfo weitergreifende 
Gefahren für unmahrfcheinlich an. Er Hoffte, daß Serbien nachgeben 
würde, hielt es aber doch für erforderlich, auch für einen andern Ausgang 
der öfterreichifcheferbifchen Auseinanderſetzung gerüftet zu fein. Er hatte 
aus diefem Grund jchon im Lauf des 5. den Reichskanzler v. Bethmann⸗ 
Hollweg, den Kriegsminifter v. Falkenhayn, den Unterfiaatsjekretär dee 
Auswärtigen Zimmermann und den Chef des Militärkabinetts v. Lyncker 
nach Potsdam befehlen. Es wurde dabei befchloffen, daß Maßnahmen, 
die geeignet wären, politisches Aufſehen zu erregen oder befondere Koften 
zu verurfachen, vermieden werden follten. 

Nach diefem Entjchluffe trat der Kaifer auf Rat des Kanzlers die 
ſchon vorher geplante Nordlandsreije an. 

Es war die verfaffungsmäßige Aufgabe und vornehmfte Pflicht des 
Kanzlers, das Verſprechen an Oſterreich vom politischen Standpunkt 
der deutſchen Intereffen zu prüfen und feine Ausführung in der Hand 
zu behalten. Der Kanzler billigte den Entfchluß des Kaiſers in ber 
Annahme, daß Hfierreichs ohnehin erfchütterte Großmachtftellung in 
Verfall geraten müßte, wenn e8 von dem eroberungslüfternen ferbifchen 
Staat Feine Genugtuung erhielte, Die Erinnerung an die bosniſche 
Krifis von 1908/9 mag mitgefpielt haben. 

Über die politische Betätigung des Kaifers während der Nordlands: 
reife bin ich nicht unterrichtet. Sch Habe indeß Grund zu der Annahme, 
daß er Feine ernjtliche Gefahr für den Weltfrieden bemerkt hat. 
Menn der Kaifer den Frieden nicht für bedroht hielt, ließ er gern der 


Ztrpig, Erinnerungen 14 


210 Der Ausbruch des Krieges 


Erinnerung an ruhmreiche Ahnen freien Lauf. In Augenblicken dagegen, 
die er als Eritifch erkannte, verfuhr er außerordentlich behutjam. Wäre 
der Raifer in Berlin geblieben und hätte der normale Regierung 
apparat gejpielt, fo würde ber Kaifer troß feiner nur ſporadiſchen 
Beichäftigung mit der Auswärtigen Politik vielleicht fchon um die Mitte 
des Monats Wege gefunden haben, um der Kriegsgefahr auszumeichen. 
Da indeß auch der Chef des Generalitabes, der Kriegsminifter, der 
Chef des Admirafftabes und ich während der nächften Zeit von Berlin 
ferngehalten wurden, fo geriet die Angelegenheit unter die monopol- 
artige Regie des Kanzlerg, der, feldit in der großen europäifchen Welt 
unerfahren, nicht imftande war, den Wert feiner Mitarbeiter im Nuss 
mwärtigen Amt zu durchichauen. 

Der Kanzler holte auch fehriftlich jedenfalls von mir feinen Rat ein. 

Die Vorgänge des Juli, insbefondere die Beteiligung Deutfchlandg 
an ihnen, find jest durch eine Reihe zum Teil amtlicher Veröffents 
fichungen fo vollftändig Elargelegt, daß es mir nicht mehr im Inter⸗ 
effe Deutfchlandg zu Liegen fcheint, meine Auffaffung zu verfchweigen. 

Nach den Erfahrungen des Weltkrieges könnte die Frage auf: 
geworfen mwerden, ob das Deutfche Reich fich nicht rechtzeitig mit den 
Nachbarn und Erben der öfterreichifcheungarifchen Monarchie über ihre 
Aufteilung hätte verftändigen follen. Wenn man aber die umgekehrte 
Politif verfolgte, welche dem Treugefühl und der gefchichtlichen Ent- 
wicklung entiprach, und an der Unverfehrtheit und Bündnisfähigkeit 
der habsburgifchen Monarchie Fefthielt, fo Hatte der Kanzler Recht, 
wenn er eine ausreichende Genugtuung Serbiens an Öfterreich für 
notwendig hielt. Denn nur dadurch ließ fich Ofterreich wieder zu einem 
brauchbaren Glied des Dreibundes machen und fein innerer Verfall 
vielleicht aufhalten. Der in Berlin und Wien begangene Fehler be= 
ginnt erft bei der Frage der Ausführung. Bethmann und Berchtold 
vermochten fich troß Graf Tiszas Warnungen nicht vorzuftellen, daß eine 
ausreichende Genugtuung auch anders als durch Drohung mit dem 
militärifchen Einmarfch der Ofterreicher zu befommen wäre. So legtı 
fich Berlin von vornherein auf das doppelte Beſtreben feit, einmal 
dem ſchwankenden Öfterreich Halt zu geben zu rafchem und energifchem 
Handeln, anderfeits aber den Konflikt zu „lokaliſieren“. Oſterreich 
follte für den als wahrfcheinlich angenommenen Fall, daß die ſerbiſche 
Antwort ungenügend ausfiele, auf der Genugtuung durch militärifchen 


Sur Vorgeſchichte des Ultimatums 211 


Einmarſch in Serbien beftehen und Bulgarien nach der Abficht Wiens, 
die in Berlin fEeptifch aufgenommen wurde, Gelegenheit erhalten, 
ſich einer etwaigen militärifchen Operation anzufchliefen. Es folite 
aber alles aufgeboten werden, um ein Übergreifen dieſes örtlich bes 
grenzten Balfankrieges auf Europa zu verhüten. Troß eifrigftem Be 
fireben des Kanzlers, den Frieden unter den Großmächten zu erhal: 
ten, brach der Weltkrieg aber aus, und es erhebt fich deshalb die Frage, 
wie es troß dem unzmeifelhaften Necht Hfterreichs auf Sühne und 
auf Säuberung der ferbifchen Verſchwörungshöhle, wie e8 ferner unge: 
achtet aller Friedensbemühungen der deutfchen Regierung den Feinden 
möglich geworden tft, faft die ganze Welt von der Schuld Deutjch- 
lands am Weltkrieg zu überzeugen? 

Sch beabfichtige im folgenden einiges zur Löſung des Nätfels bei— 
zutragen, was nur ducch Erörterung ber politifchen Pſychologie 
Bethmann⸗Hollwegs möglich ift. 

Schon am 11. Juli befaß, mie ich nad Jahren erfahren Habe, das 
‘ Berliner Auswärtige Amt die Überzeugung, daß die Entente in Belgrad 
zum Nachgeben geraten hätte. Damit hatte der Kanzler Handhaben, 
um den Sinoten zu löfen. Er aber z0g aus ber Annahme, daß die 
Entente den Krieg nicht wollte, den Eurzfichtigen Schluß, daß Oſter⸗ 
reich fich ohne Rückſicht auf die Entente den Einmarfch in Serbien 
wahrfcheinlich erzwingen könnte, ohne den Weltfrieden zu gefährden. 
Denn, wie Zimmermann fchon em 8. Juli gefagt hatte, nahm man 
in Berlin an, „daß, wenn SHfterreih in Serbien einrücdte, England 
und auch Franfreih im Verein mit uns auf Rußland einwirken wür⸗ 
den, um ben Konflift zu lokaliſieren“. Dan unterfchäßte die Feltig- 
keit de8 Zufammenhangs unter den drei Großmächten und darum 
die Gefahr eines allgemeinen Kriegs. Die begreifliche Abneigung der 
Menjchen, begangene Irrtümer einzugeftehen, erfchwert heute dem Kanz⸗ 
ler und den Seinen das offene Bekenntnis zu ihrem damaligen für 
Deutjchland fo verderblichen Optimismus. Ich befize aber in den 
Meldungen meiner eigenen Behörde genügend Spiegelbilder für die 
damalige Stimmung der Wilhelmftraße. 

Am 13. Juli hatte der Kanzler Kenntnis von mwefentlichen Punkten 
des beabfichtigten Ultimatums, worüber ich eine Mitteilung meines 
Amtsvertreters nach Taraſp erhielt. Der betreffende Abſatz des an mich 
gerichteten Schreibens lautet: 

14% 


212 Der Ausbruch des Krieges 


„Unfer Botichafter in Wien, Herr v. Tſchirſchky, hat privatim und auch 
vom Grafen Berchtold erfahren, daß die von Ofterreih an Serbien zu richtende 
Note folgende Forderungen ftellen werte: 

1. Eine Proflamation des Königs Peter an fein Volk, worin er es aufs 
fordert, von ber großferbifhen Agitation Abſtand zu nehmen, 

2. Beteiligung eines höheren öfterreihifchen Beamten an der Unterfuchung 
des Attentats, 

3. Entlaffung und Beftrafung ſämtlicher Offiziere und Beamten, deren 
Beteiligung daran nachgewieſen wird.” 


Davon, daß die Entente in Belgrad zum Frieben geraten hätte, 
wie man bamals in der Wilhelmſtraße optimiftifch annahm, ift mir 
nichts bekannt geworden. Auffällig ift mir noch heute, daß die Entente 
es nicht vermocht hat, über ihre friedensfördernde Einwirkung in 
Belgrad Tchlüffige Dokumente vorzulegen. Die ferbiichen Diordmethoden 
Eonnten freilich nicht gut durch irgendeinen Kulturſtaat in Schug 
genommen swerden. Als ich jene Dlitteilung nach) Taraſp empfing, war - 
indes mein erſter Eindrud, daß diefes Ultimatum für Serbien unan- 
nehmbar wäre und Teicht den Weltkrieg herbeiführen könnte. An bie 
Möglichkeit, einen ferbifcheöfierreigifchen Waffengang gegenüber Ruß 
land zu „lokaliſieren“, habe ich nicht geglaubt, ebenjowenig wie an 
die Neutralität Englands in einem Feſtlandskrieg. In dieſem Sinne 
habe ich an meinen Amtsvertreter gefchrieben und eme Verjtändigung 
mit dem Zaren empfohlen!). 

Diefe Anregung iſt ohne Einfluß geblieben. 

Die Gefahr der Lage fah Ich vor allem darin, daß England das 
Endglied der Ententefeite bildete. 

Die überlieferte Abneigung des Panflamismus gegen das Deutjche 
Reich und die ruſſiſch-öſterreichiſche Eiferfucht auf der Balfanhalbinfel 
deftanden troß der Potsdamer Begegnung von 1910 fort, und die ruſ⸗ 
ſiſche Intelligenz hatte fich durch unfere Balkanpolitik 1908/14 erhißen 
laffen. Die Kreife um die Nowoje Wremja mwünfchten den Krieg, 
wenn auch nicht vor 1916. Dennoch hatten Sfafonow und der Zar 
die Zügel noch genügend in der Hand, fo daß die deutfche Politik den 
ruſſiſchen Erpanfionstried, meiner feſten Überzeugung nach), von ung 


) Siehe oben ©. 150. 





Mein Einbrud von dem geplanten Ultimatum 247 


und von HfterreichUngarn noch immer "ablenken Fornte, wenn fie 
$hm nach anderen, für ung nicht vitalen Fronten bin Luft gab. Erſt 
die Ungefchicklichkett unjerer Politik verjchaffte der ruſſiſchen Kriegs: 
vartei DOberwaffer und machte e8 Suchomlinow zulegt möglich, den 
Zaren zu betrügen. 

Rußland hatte Freilich Fein moralifches Necht, aus der Züchtigung 
Belgrads einen Krieg zu machen, aber man durfte die Gefahr nicht 
unterfchägen, daß weite ruſſiſche Kreiſe dies fordern würden. Sch war 
zwar vor dem Ultimatum davon überzeugt, daß ein vertrauensvolles 
Berhandeln mit dem Zaren die Petersburger Kriegspartei im Jaum 
halten würde; aber wenn mir zu fcharf vorgingen, fo war faft mit 
Sicherheit darauf zu rechnen, daß England entjprechend einer jahr- 
hundertelangen politifchen Überlieferung zur Erhaltung des „feſtlän— 
diſchen Gleichgewichts”, wie e3 dasſelbe verftand, den Krieg entfefjelte, 
Diefe Gefahr, den fchlummernden englischen Kriegemillen zu weder, 
babe ich in einem Gefpräch mit dem Prinzen Heinrich, der mich Mitte 
Juli in Taraſp befuchte, betont. Meine Auffafjungen wurden von dem 
dort anweſenden Staatsminifter v. Loebell und dem fächjifchen Ger 
fandten v. Salza geteüt. 

Die Frage der Unterbrechung meiner Kur wurde dadurch erledigt, 
daß der Kanzler mir den Wunfch ausdrüden Tieß, nicht nad) Berlin 
zurüchzufehren, um Auffehen zu vermeiden. Noch am 24. Juli tele 
phonierte die Neichsfanzlei dem Keichsmarineamt, meine Heimreiſe 
würde die Lage verfchärfen. Eine eigenmächtige Rückkehr Eonnte ich 
weder für Eorreft noch für nutzbringend erachten, zumal der Kanzler, 
bom Ausgang des Novellenftreits von 1912 empfindlich berührt, mic) 
mit einer gewiſſen Eiferfucht von ben auswärtigen Geſchäften fern: 
delt und begonnen hatte, einen Sagenkreis um mich zu verbreiten, 
sis miſchte ich mich in feine Politik. Im übrigen Eonnte ich aug den 
Zagesmeldungen meiner Behörde, die vom Auswärtigen Amt natur- 
gemäß nur lüdenhaft unterrichtet wurde, ein Flares Bild nicht gewin— 
nen und ftand ihnen zufolge wefentlich unter dem Eindrud, daß Feine 
Macht die Verantwortung für einen größeren Konflikt auf fich nehmen 
würde. Man war an folche Spanmmgen feit Schren gewöhnt. Bülow 
war ihrer noch immer Herr geworben. Die Berfchärfung der Lage 
nach ber fÜberreichung des Ultimatums, insbefondere aber die Nach— 
richt von ber Rückkehr unferer Flotte in die heimiſchen Häfen ver- 


214 Der Ausbruch des Krieges 


anlaßte mich fchlieglih, am 27. Juli ohne Anfrage beim Kanzler 
heimzukehren. 

Das Ultimatum wurde der ſerbiſchen Regierung am 23. Juli über— 
reicht. Urfprünglich mar hierfür der 16. Juli in Ausficht genommen; 
Wien verfchob aber die Überreichung, um die Abreife des kriegs— 
treiberifchen Präfidenten Poincar6 aus Petersburg abzumarten. In 
Berlin bedauerte man diefen Auffchub, weil dadurch der frifche Eindrud 
des Attentat und damit dag Motiv des Einfchreiteng verblaßte. Bei 
biefer Meinungsverſchiedenheit zwifchen Wien und Berlin ſchwebte bei- 
den Regierungen die Erhaltung des Weltfriedens als Ziel vor, und 
fie unterfchieden fich nur in der Auffaffung über die Methode, wie in 
das ferbifche Weſpenneſt möglichft fo hineinzugreifen wäre, daß man 
dabei den MWeltfrieden nicht gefährde. Berlin vertrat wohl den riche 
tigeren Standpunkt: Wenn überhaupt einmarfchiert werden jollte, was 
freifich meit gefährlicher war, als Die Urheber des Gedankfene für 
wahrſcheinlich hielten, dann mußte wenigitens rafch und imponierend 
gehandeft werden, gerade um nach) erfolgter Beſetzung eines Faujt- 
pfandes um fo bereitmilfiger zu Verhandlungen jein zu Fönnen. 

Das ſchwerſte pſychologiſche Rätſel gibt die deutjche Politik in 
dem Augendlid auf, da die jerbifche Antwort befannt murbe. 

Serbien nahm am 25. Juli die Forderungen des öſterreichiſchen 
Ultimatums in der Hauptfache an und erflärte ſich bereit, über den 
Reſt zu verhandeln. inwieweit etwa England, Rußland, Frankreich 
und Italien durch einen in Belgrad ausgeübten Druck Ofterreich zu 
einem gewiſſen diplomatifchen Erfolg verholfen haben, entzieht fich 
meiner Kenntnis. Jedenfalls tft nicht zu leugnen, daß bie ferbifche 
Antwort ein unvermutetes Entgegentommen bewies, und ich glaube 
wicht, daß Die öfterreichifche Regierung ein richtiges Augenmaß bes 
faß, als fie diefe Antwort als Grundlage meiterer Verhandlungen für 
unannehmbar erBlärte. Aber Bethmann-Hollweg und Graf Berchtold 
verfannten die Greifbarkeit des fchon erreichten bdiplomatifchen Er- 
Folge. Da die öfterreichifche Ehre gerettet war und auch Bethmannz 
Hollweg einen europäifchen Krieg unbedingt zu verhindern beftrebt 
war, jo konnte wahrfcheinlich am 25. Zuli die Kriegsgefahr abgemen- 
det erfcheinen, wenn Sfterreich feinen Erfolg einftrid. Es Eonnte etwa 
den Serben eine Burze Frift zur fofortigen Erfüllung der hierzu ger 
eigneten Zugeftändniffe ftellen als Bedingung für LUnterhandlungen 





Nach der ferbifchen Antwort 215 


über die refllichen Forderungen. Wenn dann auch für die Neftfordes 
rungen die internationale Aufficht eingetreten wäre, fo vermindert 
das den hohen Wert nicht, welche die mit Zuftimmung Englands voll 
zogene Demütigung Serbiend für Ofterreich befaß. 

Die Dinge find anders verlaufen. Das Steuerruder war den fals 
fchen Weg gelegt, und das Schiff drehte in der einmal aufgenom— 
menen Richtung weiter. Bethmann und Berchtold fahen die Impon⸗ 
derabilien nicht Elar, die fich ergaben, wenn fie dieſe ferbifche Ant: 
wort zum Grund eines Truppeneinmarfches machten. Obgleich die: 
felbe die Möglichkeit bot, weiter zu verhandeln, ging man darüber 
hinweg und beachtete nicht, wie gefährlich man die Petersburger Kriegs- 
partei ftärfte. Das Vertrauen auf die Friedlichkeit der Entente, ing: 
befondere Englands, erzeugte bei den Staatsmännern der Mittelmächte 
die Hoffnung auf Pofalifterung des ferbifchen Streits und führte in 
Wien zu einer Überfteigerung des Tons gegen Serbien. Um Oſterreichs 
Unterhöhlung durch die Serben gründlich zu verhindern, ftürzte man 
fih in eine weit größere Gefahr und fprang, wie man gejagt hat, 
aus Furcht vor dem Regen ins Waffer. 

Die gefpannte Lage veranlafte num insbefondere den Reichskanzler 
und Eir Edward Grey zu Vermittlungsvorfchlägen. Ich Fann den 
Fehler, welchen der Neichskanzler in der Behandlung der mit dem 
25. Juli einfegenden britifchen Vermittlungsvorfchläge nach meiner Über: 
zeugung beging, nicht berühren, ohne vorher Bethmanns guten Willen 
anzuerkennen. 

Der Kanzler hat fein Beftreben, den Weltkrieg zu verhindern, in 
unbedingt überzeugender Weije diplomatifch Eimdgegeben. ch nenne hier 
bie Wiederanfnüpfung der infolge eines ruffifchen Mißverſtändniſſes 
ſtockenden öfterreichifchruffiichen Verhandlungen, weiterhin Bethmanns 
unmittelbare mäßigende Einwirkung auf Wien, beginnend nad) der Ab- 
lehnung der ferbifchen Antwort, und endlich die fpontane Auffteilung 
bes Vermittlungsvorfchlages, die öfterreichifche Belegung Serbiens auf 
ein Fauftpfand bie zur Leiftung der ferbifchen Genugtuung zu be: 
fchränfen. An diefe Beweiſe für Bethmanns Friedenstiebe reihen fich 
andere, bie ſpäter zu befprechen find. Wie war es nun aber möglich, 
daß trotz foviel gutem Willen der Frieden in die Brüche ging? Weil 
die grundfalfche Hoffnung auf einen wirklichen Friedenswillen der 
Entente, insbefondere Englands, welche den Glauben an eine Loka— 


216 Der Ausbruch Des Krieges 


lifierbarfeit der Züchtigung Serbiens erzeugt hatte, jet meiter wirkte 
und bie ohnehin geringe diplomatische Gefchielichfeit unferer Leitung 
noch weiter herabſetzte. 

Als Sir Edward Grey am 26. Juli anregte, England und Deutfc- 
fand möchten unter Heranziehung Frankreichs und Staliens eine ge: 
meinfame Vermittlung unternehmen, verfannte der Kanzler bie fich 
bietende Gelegenheit, ebenfo wie bei Bewertung ber ferbifchen Antwort. 
Englifchen Konferenzvorfchlägen gegenüber war allerdings Vorficht ge: 
boten. Bei Konferenzen der Großmächte befand ſich Deutfchland infolge 
des diplomatifchen Übergewichts der ftärkften Seemacht und ber ent- 
Iprechend parteiifchen Haltung ber Verſammlung erfahrungsgemäß im 
Nachteil. Im diefem Zeitpunfte aber durfte der von Grey vorgefchla- 
gene europäifche „Areopag“, wie ihn Bethmann genannt bat, nicht 
abgelehnt werden, weil er die einzige Möglichkeit bot, um ben Welt 
Erieg vielleicht noch zu vermeiden. Bethmann fonnte Greys Vorfchlag 
einer Botjchafterfonferenz jofort annehmen mit der Bedingung, daft 
jich OfterreicheUngarn fein Fauftpfand in Serbien verfchaffen bürfte, 
wie Grey dies fpäter (am 30. Zuli) auf Bethmann-Hollwegs Vor: 
ſchlag zugeftanden hat. Der Kanzler ftellte jich aber auf einen Stand» 
punkt, der ben Feinden ben Vorwand gab, zu behaupten, ber Kanzler 
bielte es für unter der Würde Ofterreichs, die „‚guten Dienfte” von vier 
Großmächten anzunehmen; überdies wollte fich Deutfchland nicht in 
die ferbifche Sache mifchen; der öſterreichiſch-ſerbiſche Zufammenfteh 
wäre einmal da und unvermeidlih. Man Eönnte nur danach fixeben, 
ihn zu Iofalifieren. Demgemäß drahtete er am 27. Juli an Lichnowsky: 
„Es iſt für uns unmöglich, unferen Bundesgenoffen in biefer Ausein: 
anderfegung mit Serbien vor ein europäifches Gericht zu ziehen.‘ Am 
jelben Tage foll, nach einer Meldung dee öfterreichtichen Botſchafters, 
Sagem biefen von der Abneigung der beutichen Negierung, auf Greys 
Ronferenzvorfchlag einzugehen, unterrichtet haben. 

Der Grad der Loyalität des Grenfchen Borfchlages konnte Zweifeln 
unterliegen. Für die Frage der Annahme durften ſolche Zweifel aber 
nicht entfcheidend fein. Eicherungen mußten bie Mittelmächte ſich 
vorbehalten; Grey hat, mie erwähnt, am 30. Zuli feine Schwierige 
Feiten gemacht, ale Bethmann-Hollweg eine ſolche Sicherung bes öfters 
reichifchen Fauftpfandes verlangte, Wenn Gren feinen Konferenzvor⸗ 
Schlag rom 26. Juli felber zurückgezogen hat, noch bevor ihm beſſen 





Der Konferenzvorfchlag 217 


Ablehnung durch Bethmann-Hollweg befannt wer, fo tt nicht ficher, 
ob ihn dabei die Abficht aeleitet hat, Die Verhandlungen zu erfchweren. 
Vielmehr könnte auch er ſich damals noch etwas von unmittelbaren 
öfterreichifcheruffifchen Verhandlungen verfprochen haben. Er hätte fich 
darin im Einklang mit dem Kanzler befunden, der feinerfeits unter 
Ausfchaltung bes Konferenzgedantens unmittelbar zwiſchen Wien und 
Petersburg zu vermitieln fuchte. 

Der ſekundäre Fehler, den man in Berlin damit beging, bie Kon— 
ferenz auszufchlagen, war ebenfo groß wie der primäre Fehler, daß 
man fich zu ſehr auf die Abneigung der Entente zu einem Krieg ver 
Heß. Bethmann zeigte ſich überempfindlich für die Würde des öfter 
reicheungarifchen Staates, der mit dem Deutfchen Reich nicht tden: 
tifch war, an deſſen Zukunft ung aber gerade die damalige Politif 
des Kanzlers auf Leben und Tod angekettet hatte. Bethmann be: 
hauptete ferner, wir mifchten ung nicht in ein Vorgehen, das von ihm 
und dem Auswärtigen Amt feit dem 5. Juli grundfäglich gebilligt 
worden war. Jagow verhielt ſich fo uminterefjiert an dem ferbijch- 
öfterreichtfchen Konflikt, be er am 27. Juli dem franzöfifchen Bot: 
ichafter geftend, er hätte noch Feine Zeit gefunden, um bie ferbifche 
Antwort an Hfterreich überhaupt zu leſen. Wie find folche diploma⸗ 
tiſchen Fehler in ſchickſalsſchwerer Stunde zu erflären? Sie find nur 
yerftändlich aus ben allgemeinen Wefenszügen bee politifchen Syſtems, 
bag mir feit 1909 am der Spike des Reiches hatten. Es handelte 
fich zwar um die Vermeidung eines Weltkrieges, aber da ein königlich 
sreußifches Kreisgericht ficherlich entfchteden haben würde, Die ge 
vechte öfterreichifehe und Die ungerechte ferbifche Sache wären eine 
rein öſterreichiſch-ſerbiſche Angelegenheit, ſo wer Greys anders lau⸗ 
tender Vorſchlag eben als gegenſtandslos aufzufaſſen. Juriſtiſche Enge 
genügt jedoch nicht zur Erklärung der Inſtinktloſigkeit, mit welcher 
die politiſche Reichsleitung in der Angelegenheit verfuhr. Es liegt hier jene 
tiefere Eigenfchaft zugrunde, die den meiften Schritten der Kanzler: 
zeit zum Verhängnis wurde, bie Wirklichkeitsferne vieler Deutfcher. 


3 


Bethmann⸗Hollweg hatte ſeit Fahren an einem von ihm felöft fo 
Sezeichneten „Kartenhaus“ gebaut, nämlich einer deutfchzenglifchen 


218 Der Ausbruch des Krieges 


Verftändigung, die nicht auf Tatjachen, fondern auf biplomatifchern 
Scöntun beruhte. 

Nichtgefchäftsleute mögen annehmen, daß, wenn man nur irgend» 
wie an den Verhandlungstifch kommt und über ihn weg fich Freund: 
liches fagt, Mißverftändniffe wegräumt und für fernere Zukunft Aus: 
fichten eröffnet, fchon viel gewonnen fei. Die englifche Politik hat 
derlei immer nur benußt, um andere einzumideln; felöft aber hat 
jie den Ausgang der Verhandlungen von den unousgefprochenen Realis 
täten, die unter dem Tiſch liegen bleiben, beftimmen laffen, Nachdem 
Bethmann 1912 daran verhindert worden war, die allein zu unferen 
Gunften ins Gewicht fallende Realität der deutjchen Rifikoflotte für 
englifche Liebenswürdigkeiten und Zufunftsmwechfel in Tauſch zu geben, 
waren die Ausfichten auf eine dauernde und reale Verftändigung 
fühlbar geftiegen. Aber man durfte die zu Englands Gunften fprechen- 
den Realitäten auch nicht Überfehen. Die Welt gehorchte im allge- 
meinen den Weifungen der ftärkften Seemacht. Wir waren der mäch- 
tigfte Widerpart, mußten ung aber gerade deshalb hüten, meiter zu 
gehen, ald unfere eigenen Intereſſen unumgänglich erforderten. Jene 
SMufionen über England, die 1912 unfere Wehrkraft zur See beinahe 
unter den Riſikogedanken hinuntergedrüdt und bamit den unaufhalt⸗ 
ſamen, aber vielleicht Tangfamen Niedergang Deutfchlands entfchieden 
hätten, gefährbeien jett jäh den Frieden. Man ibealifierte die Beweg⸗ 
gründe, welche England in den Balfankfriegen von 1912/14 zur „Loya⸗ 
lität“ gegen Hfterreich und ung veranlaft hatten, und mar deshalb 
des Glaubens, auch ein Balkanfrieg, an welchem Hfterreich felbft ber 
teiligt wäre, könnte auf den Wetterwinkel Europas Iofalifiert bleiben. 

Noch am 9. Juli hatte man im Auswärtigen Amt die nüchterne Ans 
ficht vertreten, England würde fich wohl, wenn mwider alles Erwarten die 
Erhaltung des Weltfriedens nicht gelänge, fofort auf die Seite unferer 


Feinde fehlagen, ohne ben Verlauf des Krieges abzuwarten. Die fried- | 


liche Haltung des Foreign Office in den folgenden Wochen täufchte aber 


den Bethmannſchen Kreis mehr und mehr. Auch im Generalftab foll a 


men zu einer friedlichen Auffaffung Englands geneigt haben. Als nach 3 


der Überreihung des Ultimatums der iwarnende Ausſpruch Greyd 


bekannt wurde: „Die Lage wäre doch recht gefährlich, es könnte Teicht ’ 
ein Krieg der vier Großmächte daraus entftehen,” ba preften bie Ges 
lehrten der Wilhelmftraße aus dieſem Satz die Zuverſicht, Grey hätte 





Das Kastenhaus 219 


ausdrücdlich betonen wollen, daß für die fünfte Großmacht, England, 
Peine Kriegsgefahr beftündel Jagow, Stumm und andere beftärften 
den Kanzler in folchen unbegründeten Vorftellungen. Es gelang, auch 
ben Kaifer in ihnen zu erhalten. Als am 25. Juli die in Norwegen 
befindliche Flotte den Befehl zur Heimkehr erhielt, wollte der Kailer 
fämtlihe Großkampfſchiffe in die Oſtſee ſchicken. Das Auswärtige 
Amt wünſchte Ähnliches, um England nicht zu reizen. Der Kaifer aber 
bat fich damals dem Flottenchef gegenüber fchroff dahin ausgejprochen, 
an der friedlichen Haltung Englands wäre ein Zweifel nit erlaubt. 
Deshalb müßte die ganze Flotte in Bereitfchaft gegen die Ruſſen 
gehen. Nur techniſche Gründe veranlaßten ihn, zuzuftimmen, daß ein 
Zeil der Flotte nach der Nordſee ginge. 

Sch muß gegen das britifche Kabinett den ſchweren Vorwurf erheben, 
daß es, obwohl es die Friedensliebe Bethmanns mie auch feine Art 
genau Eannte, durch Unklarheiten über Englands Verhalten in der Krifis 
eine große Schuld am Kriegsausbruc; auf ſich geladen hat, jelbit wenn 
man annehmen will, daß das englijche Kabinett in jenem Fall wirk- 
lich den Frieden zu Anfang noch mwollte und nicht etwa ſchon zu 
Unbeginn den Hintergedanfen hatte, Bethmann auf ben bereit: 
sehaltenen Spieß auflaufen zu laſſen. Grey hätte den Frieden 
erhalten können, wenn er Bethmann rechtzeitig die Stellung Englands 
klargelegt hätte für den Fall, daß der ferbifcheöfterreichifche Konflikt 
zu europätfchen Weiterungen führen jollte. Daß er dies unterlafjen hat, 
wirkt um fo befremdlicher, als im Juli 1911 Lloyd George im Auftrag: 
des Kabinetts mit einer öffentlichen Drohung nicht gezögert hatte, 
ebivohl damals die Lage bei weiten nicht fo zugeipißt gemejen mar. 
Diesmal wurde mın fogar eine entfprechende Warnung unter vier Augen 
vermieden. Greys Verfchweigen der englifchen Stellungnahme beftärfte 
bie Berliner Einmarfchpolitifer in ihrer Auffaffung Grey und das 
britifche Kabinett wußten genau, daß Bethmann alles tun mürde, um 
einen Krieg mit England zu vermeiden. Sie wußten nebenbei, daß es 
m Deutfchland fehr wenige Politiker gab, welche fich von ver Fähigkeit 
Englands, erbarmungslss ein anderes Volk zu vernichten, eine zur 
treffende Vorfiellung machten. Es konnten ſich nur wenige bei ung 
in bie Seele Englands verjegen, deren Ealte Gleichgültigfeit gegen 
unterworfene Völker, wie 3.2. ren ober Inder, erft das Jahr 191% 
dem Durchfchnittsdeutfchen begreiflich gemacht hat. Vorher dachten viele 


220 Der Ausbruch des Krieges ’ 


bei ung ungefähr, je mwehrlofer Deutfchland märe, defto freieren Lebens- 
jpielraum würde ihm England genehmigen. Nur wenn unfere Politiker 
den wahren Geiſt ber englifchen Politik erfannt hätten, würden fie 
einerjeits aufs äußerſte gerüftet, anderfeits diplomatifch die größte Vor— 
ficht beobachtet haben, um England Feine Gelegenheit zur Vernichtung 
unjeres Volkes zu geben. Die briiifchen Minifter mußten nun, in 
welch furchtbarem Irrtum über die Gefährlichkeit der Lage Deutfch- 
lands fich viele Deutfche bewegten. Sie mußten auch, daß Deutfchland 
us einem Mehr oder Minder von ferbijcher Genugtuung Feine Lebens: 
frage für ſich ſelbſt machen konnte. Trotzdem unterließen fie jede 
rechtzeitige Warnung. Ob es der Gefchichtsfchreibung gelingen wird, 
den wahren Umfang und die Gründe diefer britifchen Zweideutigkeit 
and Kicht zu ziehen, muß ic) der Zußunft überlaffen. 

Die Reichsleitung hat dem deutfchen Volk gegenüber in den Juli⸗ 
sagen durch ihre Weltunkenntnis eine ſchwere Schuld euf fich geladen, 
nicht ober England oder der Entente gegenüber, England, welches 
den franzöfifchen Nevanchemwillen um das fchon halbvergeffene Elſaß— 
Lothringen aufgepeitfcht und den Ruſſen bedeutende Opfer gebracht 
Hatte, um fie gegen Deutfchland zu orientieren, eentete nur die Frucht 
feiner eigenen Beltrebungen, wenn es zum Kriege Fam. Starke Strö— 
mungen, ung anzugreifen, bejtanden in England unvermindert fort, 
ebenfo in Deutichland die nur durch England hervorgerufene gerecht- 
fertigte Sorge, baß die Einkreiſungspolitik doch irgendwann und irgend⸗ 
wie zur Gewalt übergehen würde. Die Frage, ob England gerade im 
Juli 1914 den Zeitpunkt für gegeben hielt, tritt demgegenüber zurück. 
Frgendivann im Juli ift in England ber Moment doch eingetreten, 
son ben Grey im September 1912 zu Sſaſonow gejagt hatte, „daß, 
iwern die in Frage ftehenden Umftände eingetreten fein würden, Eng— 
land alles daran feten würde, um der deutjchen Machtfiellung ben 
fühlbarftien Schlag zuzufügen.” Der Zweifel kann ſich einzig und 
allein auf den genauen Zeitpunft im Juli beziehen, zu welchem fich 
biefer Umfchlag im britifchen Kabinett vollzogen het. England mar 
durch geographifche umd militärijche Umftände in ber glüclichen Lage 
fih im Hintergrund halten und mit gewohnter Meifterfchaft fein pu⸗ 
ritaniſches Humanttätsgeficht auch nody in dem Augenblick mehren 
zu Fönnen, wo es zum Kriege fchon entfchloffen war. Hierdurch hat 
das britifche Kabinett nicht nur das englifche Volk, fondern auch das 


Die englilche Politif DEN 


deutjche, welches ſchon zur Zeit der Goten auf fremde Heuchelei ſtets 
bereingefallen iſt, beſtochen. Suchomlinow hätte niemals das Räder⸗ 
werd des Krieges iñ Gang gejeßt, wenn er nicht die Gemwißheit ge: 
habt hätte, daß die britiiche Macht bereit ſtand einzugreifen. 

Nach den Vorgängen der letzten Jahre war ein Zroeifel darüber 
kaum möglich, daß England eine militäriiche Schwächung Frank: 
reiche buch und niemals zulajfen würde, und beim Einmarſch in 
Serbien mußte mar im ungünftigften Falle doch die Möglich 
keit eined Krieges mit Rußland und damit auch gegen Frank 
sid in Rechnung ſtellen. Da aber Bethmann die zunehmende 
englische Friedlichkeit nicht gern als Wirkung unferer mwachjenden 
Seemacht erkannt, ſondern lieber fentimental aufgefaßt hatte, ſo 
ging wich das Gefühl für die realen Grenzen pdiejer Friedlich 
zeit bei ihm verloren. Die troß allem fteigende englifche Verftändigunge: 
neigung beruhte, wie bemerkt, lediglich auf nüchterner Einſchätzung 
des ſinkenden Eintzäglichkeit eines Krieges. England hatte begon: 
nen, unjere Macht anzuerfennen, folange wir Die einige in eng: 
Üfcher Auffafjung achteten. Wir mochten dieſe als zu weitgehent 
anfehen, mußten ung aber der Weltlage anpaſſen. Bethmann de- 
gegen, der 1912 die Deutschen Intereſſen verkannt hatte, verkannie 
ießt den Umfang der britifchen Anfprüche und hoffte im Juli 1914 
wiederum auf einen Ausgleich des guten Herzens ftatt der Intereſſen. 
Derjelbe ungenügend entwidelte Tatjachenjinn, der die eigenen Staats: 
notwendigkeiten weichlich auffaßte, ſah auch die britifchen Gedanken: 
gänge unjcharf und lieferte deshalb jegt durch ungelenfes Zugreifen die 
Gelegenheit zum Zuziehen der Ententefchlinge. 

England wollte Öfterreich einen gewiſſen dinlomatifchen Erfolg über 
Serbien gewähren, konnte aber eine diplomatische Niederlage Ruflands 
nicht zugeben, ohne fein Eunjtvolles, von ihm gegen Deutfchland aufge: 
bautes Machtgebäude zu erichüttern. Bethmanns und Berchtolds Ein: 
marjchpoliti? beruhte dagegen auf der Erwartung, daß Englands in dei 
legten Ssahren gezeigte Friedensliebe ſoweit ginge, daß fie im Außer: 
fien Fall den Zaren veranlafte, entweder den Serben die überlieferte 
Gönnerſchaft zu verweigern oder einen Feſtlandskrieg ohne englifche 
Hilfe zu wagen. Es fehlte den deutfchen Politikern das Gefühl da— 
für, daß fie damit die Sehne der englifchen Ententepolitik zu durch: 
Schneiden drohten. 


222 Der Ausbruch des Krieges 


England hatte, gerade weil fein Verhältnis zu Frankreich und auch 
zu Rußland nicht auf einem formalen Bündnisvertrag, fondern auf 
loferen Abmachungen beruhte, während des ganzen Einkreifungsjahr> 
zebntes grundfäglich jede Freundlichkeit gegen ung durch unmißver⸗ 
ftändliche Winke nach) der anderen Seite begleitet. Während jenes 
englischen Flottenbefuches in Kiel Ende Juni 1914 Hatte der britiſche 
Botjchafter in Petersburg, Buchanan, eine ſoeben abgefchloffene ruſſiſch⸗ 
britiiche Marinekonvention bekanntgegeben. Die liebenswürdige Frau 
des in Kiel anweſenden Gefchrwaderchefs, Lady Warrender, eine Angels 
kächfin von der Spezies jener politifchen Damen, die wir in Deutſch⸗ 
land kaum fermen, war etwas verlegen, als ich fie mit leichtem Spott 
darauf hinwies: es wäre ung zwar herzlich einerlei, ob im Kriegsfall 
britifche und ruffifche Marineverbände getrennt oder vereinigt operier- 
ten, jeboch Fönnte es leicht mißverftanden werden, wenn derartige 
Gedankengänge gerade in diefem Nugenbli laut würden. Sie bes 
zeichnete Buchanan als einen naiven Tolpatſch. Einerlei ob mit Recht, 
die Tatfache der Konvention als folche hätte ung hellhörig halten können. 

Indem wir durch eine vergröberte und ungeſchickte Nachahmung 
ber bosnifchen Krifis von 1908/9 England vor die Wahl’ jtellten, 
die Großfürftenpartei zu verſtimmen oder den Krieg unter befonderg 
vorteilhaften Umſtänden zu eröffnen, drang die Stimmung jener 
Klubs durch, welche unentivegt an den Krieg dachten und es nur 
von der Gunft des Augenblicks abhängig machten, ung doch noch mit 
Gewalt niederzufchlagen. Die neuerdings veröffentlichten Erinnerungen 
des Admirals Fijcher Haben gezeigt, welches ungeheuerliche Maß an 
Kriegsmwillen gegen ung mächtige Kreife in England beſaßen, lediglich 
erzeugt, wie Fiſher fagt, durch Handelgrivalität. Diefe Kreife, welche 
1905 noch die Eleine deutjche Flotte hatten ‚‚Eopenhagen‘ wollen, waren 
1914 angefichts unjerer großen Flotte zurüchaltender geworden. Als 
aber im Laufe des Zuli England die Sadgafje erkannte, in welche fich 
Bethmann verrannt hatte, wandte es fich von der gejchäftsmäßigen 
Sriedenspolitif der Verftändigung, die es, wenn man feinen Verjiches 
rungen glauben will, bis zu Greys Konferenzvorfchlag innegehalten 
hatte, zu der nicht weniger gefchäftlichen Kriegspolitif, um nunmehr 
als ‚‚perfides Albion“ Rufjen und Deutjche einander umbringen zu lafjen. 

Die Gelegenheit, die wir ihnen boten, Eonnte günftiger nie wieder— 
Fehren. Sie hatten diesmal die Möglichkeit, uns ins moralifche Un- 





Falſche Einjchägung Englands 223 


recht zu jeßen und die Verkehrtheiten unferer Politif in Kriegs: 
treiberei umzudeuten. Sie fonnten die UÜbermacht der Welt gegen 
uns werfen, und indem wir als die Angreifer erfchienen — woran 
Bethmann gar nicht dachte — auch juriftifch unfere eigenen Bünd— 
niffe entwerten. Schließlich war felbit firategifch der Augenblick für 
die Engländer verlodend, was Bethmann nicht wußte und worüber 
er fich bei mir nicht erkundigt hat. Obwohl das britifche Kabinett 
in biefen Krieg nur zögernd eintrat, gewann bei diefer Lage der 
Kriegswille in ihm die Oberhand und legte zulegt durch unterirdifche 
Ermutigungen der Franzojen und damit der Ruſſen den Zünder an 
die Detonationspatrone. 

Berhmann wünfchte keinen Weltkrieg und vermutete nicht deſſen Aus: 
bruch. Gerade deshalb glaubte er, anfänglich, daß Dfterreich einen Lokal⸗ 
krieg wagen dürfte. Es fehlte ihm und Jagow das Organ zurrafchen Um⸗ 
ftellung auf die tatjächliche Lage, daß nämlich die Ententernächte zwar einer⸗ 
feits ein gewiljes Maß von Entgegenfommen zeigten zu einer gemeinfamen 
Löfung der Lofalkrife, anderjeitg aber vor einem Weltkrieg durchaus nicht 
zurückſchreckten. Bethmann und Jagow beharrten bei ihrer Überzeugung 
von der Unvermeidlichkeit, aber Lofalijierbarkeit des ferbifchsöfterreicht 
ſchen Konfliktes während uneinbringlicher Tage, folange, bis die von ihnen 
gröblich unterfchägten zum Kriege treibenden Kräfte innerhalb der Entente 
obgefiegt hatten. Nunmehr trat in Wirkung, daß der franzöfifche Chauvi— 
nismus und die panjlawiftifche Erbitterung in demfelben Grad gejtiegen 
waren, wie fich die englifche Kriegsluft an jich abgefchwächt hatte. Gewiß 
war England die entjcheidende Macht, aber es zügelte die Eriegstreiberifchen 
Kräfte doch nur folange, wie ihm felbit der Frieden vorteilhafter 
erichien als der Krieg. Die Furcht vor der „Intervention“ Europas 
und die Hoffnung, daß die Entente, „vor eine unabänderliche Tat— 
fache geſtellt“, fich darein fügen würde, hatte Bethmann-Hollweg bes 
wogen, Öfterreich zur Einmarfchpolitif freie Hand zu laſſen. So glaubte 
er durch einen raſchen Lofalfrieg an dem allgemeinen Konflikt vorbei- 
zufteuern. Als nun die Antwort Serbiens wider Erwarten nicht völlig 
„negativ“ war und als Grey „‚intervenierte‘‘, fehlte der Inſtinkt, um die 
neue Lage zu begreifen, 

Man hatte in der Wilhelmftraße eine eigentümliche Auffaffung 
von den Möglichkeiten, den heiß erftrebten Frieden zu jichern durch 
eine nervöfe Kriegsbereitfchaft, die lediglich fchwache Vorſpiegelung 


224 Der Ausbruch des Krieges 


war. Diefe Politiker, die niemals gewillt waren, dag Schwert zu 
ziehen, und die leider auch, wie fich gezeigt bat, außerftande waren, 
die militärischen Notwendigkeiten einer Kriegsvordereiiung überhaupt 
su beurteilen, glaubten mit unficheren Eriegerifchen Maßnahmen drohen 
zu können, welche fie felbit nicht ernſt nahmen. 

Das politifche Augenmaß diefer Männer erregt Staunen. Am 20. Juli 
erPlärte Staatsſekretär v. Jagow einem Vertreter des Admiralftabs, Eng- 
{and würde, wenn ed zum Krieg des Dreibundes gegen den Zweibund 
käme, sorausfichtlich nicht mitmachen. Er, Jagow, hätte aber einen Ge: 
banken, wie man die Neigung der Üngländer zur Neutralität viel 
leicht noch verftärken könnte, nämlid; indem wir den Engländern 
drohten, jofort Holland zu befehen, falls fich England gegen uns er- 
Elärte. Natürlich wäre das Ganze nur ein Bluff. Am folgenden Tag 
iagte der Admiral nach Rüdfprache in Reichsmarineamt zu Jagow, fein 
„Bluff“ wäre wohl dag ficherjte Mittel, um England zum Krieg 
gegen ung zu zwingen. Der Abglanz Bismarckſcher Yutorität, der für 
die Offiziere meines Amtes noch über der Wilhelmftraße gelegen hatte, 
verbrauchte fich rajc), und man meldete mir den Vorfall mit dem Zu: 
ſatz: „Man kann fich nur erneut fragen: Wie ift es möglich, daß einer 
folchen Perfönlichkeit die Leitung der auswärtigen Politif Deutſchlands 
anvertraut wird?’ Jagow war gerade wegen feines vorfichtigen Natu: 
tells, das ihm jeden Entjchluß erfchwerte, von Bethmann an die Spiße 
des Auswärtigen Amis gejebt worden. Er wäre der leßte gemwejen, 
Holland zu bejegen, was ja übrigens jedem deutfchen Intereffe zumider 
gelaufen wäre. Über geradefo naiv, wie er ein paar Monate früher 
dem frangöfischen Botfchafter einen Appetit auf belgifche Kolonien vor: 
fpiegelte, den Deutjchland im Beſitz feiner eigenen, noch wenig erfchlof- 
jenen afrikanifchen Reiche in Wirklichkeit nicht beſaß, fo glaubte er aud) 
jest auf England durch eine „ſtarke“ Gefte Eindrud machen zu können. 

Al Bethmann fpäter gewahr wurde, daß England mit dem Krieg 
ernft machen mwürde, brach er vollftändig zufammen. Weshalb aber 
überließ er fich binfichtlich Englands folange feinem eigenen politifchen 
Giß, der doch fo häufig in die Irre ging? Weshalb Hat er in den langen 
drei Wochen alle Warnungen überhört, die aus England und über Eng— 
land an ihn gelangten? Weshalb ſuchte er fich nicht Gemwißheit darüber 
zu verschaffen, wie fich England bei einem Feftlandskrieg verhalten würde? 
Much dieſes Rätſel löſt fich aug der Eigentümlichkeit feines Grundplanes. 





D&D 
— 
© 


Ungerignete Diploinatifcye Methoden 


4 


Am 8. Juli gab der Unterſtaatsſekretär Zimmermann die Direktive 
aus, alle auffälligen Maßregeln, wie Urlaubsunterbrechungen uſw. 
wären zu vermeiden, ebenſo wie das Aufgeben der Kaiferreife unter: 
blieben wäre. Denn die Hauptfache dafür, daß die Abficht des Lofali- 
fierens gelänge, wäre die Vermeidung des Eindrucks, als ob wir 
Hfterreich antrieben, 

Schon in den Verhandlungen des Jahres 1911/12 war mir aufs 
gefallen, daß Bethmann-Hollweg freien und offenen Ausfprachen aus 
dem Wege ging und es vorzog, auch folche Fragen, die ihrer Natur 
vach durch gemeinfame Beratung geregelt werden mußten, nach 
längerent, ausweichendem Hinziehen plötlich durch einfeitig vollzogene 
Tatſachen zu löſen. Dazu Fam die auch von anderen meiner Kollegen 
ſowie von Bethmanns Bewunderern an Ihm früh bemerfte Fähigkeit, 
„etwas zu behaupten, was gar nicht ernft gemeint fein Eonnte, und 
ſich nicht bloß die Frage zu ftellen, wie etwas objektiv ift, fondern 
auch die, wie es ſubjektiv wirkt“ 1). Der Zweck des hier gewählten 
Verfahrens war gut, die Vermeidung des Weltkrieges. Aber das für 
diefen Zweck benußte Mittel war nicht glücklich; denn es hat den Weltkrieg 
wefentlich befördern helfen. Bethmann fah nicht, daß dies Verſehen ung 
leicht als Zweideutigkeit ausgelegt werden Fonnte und außerordentlich ges 
fährlich war. Die Welt wollte nicht glauben, daß DOfterreich folche Noten 
an Serbien fchiete, ohne dag wir davon Kenntnis hätten. Die Methode 
der bureaufratifchen Überrumpelung auf eine europäifche Sache über- 
tragen, Staatsmännern vom Range der englifchen an Stelle einer ver- 
trauenerweckenden offenen Aussprache entgegengebracht, verjeßte Teider 
die an fich fchon geladene Atmofphäre in noch höhere Spannung. 

Wie ich Meldungen vom 11. Juli entnehme, äußerte man im 
Auswärtigen Amt damals die Vermutung, es wäre den Ofterreichern 
lieber gesvefen, wenn wir ihnen die Bundeshilfe gegen Serbien ver- 
weigert hätten. Unfere Bundesbrüder wüßten fo wenig, was fie wollten, 
daß fie jelt bei ung angefragt hätten, mas fie eigentlich von den Serben 
verlangen ſollten. 

Diefer Eindruck war fo wohl Faum richtig. Er zeigte aber, wie wenig 
man in Berlin damit rechnen durfte, daß Öfterreich in der von ihm 


2) 9. Kötfchle, Unfer Reichifanzler, fein Leben und Wirken, Berlin 1916, ©, 18. 


Tirpis, Erinnerungen 13 


226 Der Ausbrud) des Krieges 


felbft zur Nettung feiner Ehre begennenen Aktion feſt bleiben würde. 
Trotzdem verfannte der Kanzler, wie wenig beneidenswert feine Lage 
würde und wie ungeheuer feine Verantiwortung vor der Gefchichte, wenn 
er als Mann erfcheinen wollte, welcher die Zufunft Deutjchlands der 
Wiener Regierung ohne weitere Kontrolle überließ. 

Diefe Haltung mußte unfere Politik um den ihr von Friedrich d. Gr. 
und Bismarck erworbenen Ruf der Aufrichtigkeit bringen. Huch die Ver: 
trauenswürdigfeit ift ein Stück Macht, das teuer gehütet werden will, 
und es ift eine merkwürdige Erfcheinung, daß Politiker mit geringem 
Berftändnis für reale Macht meift auch Eeinen feinen Sinn für die 
Unmägbarkeiten des Preftiges haben. Als Greys Konferenzuorjchlag 
eintraf, glaubte Bethmann feine Stellungnahme fefthalten zu müſſen, 
und fo lehnte er den Vorfchlag ab, d. h. er blieb bei jener Erflärung der 
‚„Michteinmifchung” in die öfterreichifche Sache, wodurch der entjcheis 
dende Augenblick einer möglichen Friedensaftion verloren ging. So 
Eonnte Öfterreich durch feine Kriegserflärung an Serbien (28. Juli) 
die Rage verfchärfen, während die deutfche Politik feftgebannt zwiſchen 
ihren felbftgewählten Schranken ftand. 

Die Engländer mit ihrer Fühlen Gefchäftsart, Machtfragen zu bie: 
kutieren, Eonnten oder wollten Bethmanns anfcheinendes Beifeiteftehen, 
das tatfächlich die Kofalifierung des Streits und die Erhaltung des 
Friedens zwiſchen den Großmächten bezweckte, nicht begreifen. Ihrer 
eignen Denkungsmweife lag es jedenfalls fern, anzunehmen, daß ein 
beutfcher Staatsmann es für etwas Böfes halten Fönnte, offen Ofter- 
veich zu unterflügen und von deutſchen Macht: und Preftigeintereffen 
zu reden. Sie merkten, daß die beutfchen Diplomaten teilg zu miß— 
trauifch, teilg zu vertrauengfelig waren. Zugleich fahen fie die gün— 
ftige Gelegenheit zum Krieg heranwachſen. Wir boten der Entente 
mit den Widerfprüchen unferer Einmarfchpolitit die Handhabe, um 
uns des Präventivfrieges zu bezichtigen. Die ſchwere Anklage der 
Kriegstreiberei, die ung fo unermeßlichen Abbruch getan hat, wurde 
erhoben. 

Allerdings hatte die Einkreifungspolitif der Entente in Deutfchland 
gelegentlich Nervofität hervorgerufen. Denn fie wies zmweifellofe Züge 
einer Verſchwörung auf. Seit Ende 1912 war uns bekannt, daß den 
Serben die Rolle zugedacht war, als Piemont des Balkans die Auf: 
teilung der habsburgifchen Vionarchie zu eröffnen, wenn die Stunde 

















Die Frage des Präventiokriegs 397 


dafür reif wäre, Es Tag feitdem nahe, und it fehon 1913 von 
Hfterreich erwogen, damals aber von ung und Stalien abgelehnt 
worden, diefen Funken auszutreten, bevor er zum Brand würde. 
Wir Fannten ferner ruſſiſche Hußerungen darüber, daß es „1916 
losginge. Man fließ infolgedejfen bei unverantwortlichen und halb: 
unterrichteten Perjönlichkeiten, aber ausfchließlich bei folchen, zu= 
weilen auf die Anficht: „Wenn der Krieg doch unvermeidlich 
if, dann beffer fofort als ſpäter.“ Die „bis 1916 fertigen‘ 
ruſſiſchen Rüftungen waren freilich nicht auf die leichte Achſel zu 
nehmen angefichts der Petersburger Kriegspartei, die tatfächlich in 
der letzten Juliwoche 1914 die europäifche Verwirrung zur Brande 
ftiftung ausgenußt hat. Trotzdem wäre ein deutfcher Präventiofrieg 
gegen Rußland niemals zu rechtfertigen geweſen. Auch bezüglich Eng- 
lands, von Frankreich ganz zu ſchweigen, durfte unfere Vorficht nicht 
einfchlafen. Wenn fich der britifche Löwe feit 1912 mehr und mehr 
buckte, jo hatten wir doch ftets mit der Möglichkeit zu rechnen, daß 
dies das Zufammenkauern vor dem Sprung war, Leife Zweifel derart 
Ichloffen aber großzügiges Zufammenerbeiten mit England auf realer 
Grundlage nicht aus. Wir durften ihm nur Feinen Anlaß zum Sprunge 
bieten. Die Ententen Englands waren bis zu dem Vertrag vom Sep: 
tember 1914 noch locker gemwebt, eine friedliche Löfung der Einkreifungs: 
politif erſchien angefichts der englischen Rifikofchen möglich, wenn 
Deutfchland zugleich mutig und vorfichtig war, unverzagt rüftete, aber 
jede Handhabe für den feindlichen Kriegswillen vermied. 

Daß Deutfchland planmäßig auf den Krieg hingearbeitet haben 
ſolle, ift eine wilde Fabel, die am beften durch unfer fpäter zu jchil- 
derndes Unvorbereitetfein widerlegt wird, Übrigens hat der General: 
oberft v. Moltke, der in den Eritiichen Wochen in Karlsbad fein 
ſchweres Leiden pflegte, mir fpäter verfichert, daß er mit den ganzen 
Verhandlungen nichts zu tun gehabt und Feinesiwegs empfohlen hätte, 
dag Ultimatum an Oerbien als Prüfftein dafür zu verwenden, ob 
die Entente Krieg wollte oder fich dazu noch nicht ftarf genug fühlte. 

Hätte der Kanzler feiner Pflicht gemäß — er mußte fich doch 
vor einer folchen Aktion nach den militärifchen MöglichFeiten in jeder 
Richtung erkundigen — mich gefragt, fo hätte ich ihm fagen müffen, 
daß vom Standpunft der Marine aus die an fich unermwünfchte Kriegs: 
gefahr auch firategifch Feinen günftigen Zeitpunkt fände. Der Dresb- 

15* 


228 Der Ausbruch des Krieges 


noughtbau, durch deffen Einführung England die Kampffraft unferer 
Marine automatisch verdoppelte, hatte erſt vier Jahre lang gewirkt. 
Der Nordofifeefanal war unfertig. Der Höchftftand der Flotte wurde 
erft 1920 erreicht. Einige Schwächen, die unferer Marine infolge 
ihrer Jugend, namentlich in der Führung, anhafteten, Eonnten nur 
mit der Zeit verjchwinden. Selbſt wenn die Schiffszahl einmal nicht 
mehr wuchs, wurde die Flotte mit jedem Jahr bejfer wie junger 
Mein. Das mechanische Vergleichen der Schiffszahlen verlor an Be: 
beutung, je mehr das pfychologifche Moment der innerlichen Feftigung 
Geltung gewann, Bon franzöfifcher Seite war offen der Zmeifel 
geäußert worden, ob wir wirklich jo „töricht“ fein würden, gemäß 
dem Flottengefeh unfere Bauziffer von 1912 ab finken zu laſſen. Wir 
hatten es gewagt und damit England den bündigen Berveis geliefert, daß 
wir Fein Wettrüften betrieben. Trotzdem und obwohl unfere Bündniffe 
zur See Eeine wejentliche oder jichere Unterftügung gewährten, rech— 
nete ich, daß etwa von 1916 ab ein englifcher Angriff feemilitärifch 
nicht mehr wahrfcheinlich fein würde. Jedes Friedensjahr war alſo 
für ung ein unfchäßbarer Gewinn. Über diefe Auffaffungen habe ich bei 
meinen obenerwähnten Öefprächen in Tarafp Eeinen Zweifel gelaffen. 

Der Kanzler hätte durch eine Eollegiale Behandlung der Frage, 
wie fie Fein anderer Staatsmann verſäumt haben würde, die Ver— 
antwortung verteilt. Sch meinerfeits hätte von dem Ultimatum abgeraten. 

Dabei hatte der Kanzler in feiner Scheu vor Klarheit den Ernfifall 
jo wenig vorbereitet, daß Geſamterwägungen zwifchen den politischen 
und militärischen Spitzen niemals ftattgefunden hatten, weder über 
die politifcheftrategifchen Probleme der Kriegsführung, noch über die 
Ausfichten eines Weltkrieges überhaupt. Auch über den Einmarfch 
in Belgien, der, wenn er geſchah, fofort maritime Fragen aufmwarf, 
bin ich niemals unterrichtet worden. Es feheint hier der Einwurf nahes 
zuliegen, ob ich nicht im Frieden meinerfeits auf die Vorbereitung 
einer Mobilmachung der gefamten Neichsleitung zu drängen in ber 
Lage war? Mer die Verhältniffe bei unfern damals regierenden Gtellen 
kennt, wird diefe Frage nicht ftellen. 

Die weltgefchichtlich fchwerfte Schuld Bethmann-Hollwegs liegt nicht 
in feinen Schäßungsfehlern vom Zuli 1914, fondern in den unter: 
laffenen Rüftungen vorher, in den Jahren, als die gegnerische Koalition 
alle ihre Kräfte fammelte und durch Kriegsvorbereitungen in ihren 

















Unfere Vorbereitung zum Kriege 229 


feftländifchen Teilhabern den Entfchluß ftärkte, jede fich bietende Ge: 
legenheit zum bewaffneten Kejfeltreiben gegen Deutjchland auszunüßen. 
Mit geringer Mühe und auf die Dauer kaum fpürbaren Koften 
hätte das deutſche Volk vor dem Schlag dieſes Krieges bewahrt 
werden Eönnen, wenn die ftete Sorge vor ihm auch zu den nötigen 
Vorfichtsmaßregeln Anlaß gegeben hätte. Die Gefahr war da; die 
Folgerungen aus ihr hätten gezogen werden müſſen. Denn Frankreich 
und Rußland waren in ihren Rüjtungen bis an die Grenze ihrer 
Leiftungsfraft gegangen, Frankreich fogar in gewijfem Sinne darüber 
hinaus. Deutfchland und OfterreicheUngarn dagegen fchöpften ihre Kräfte 
nicht annähernd aus. Wie erklärt fich diefe furchtbare Unterlaffung, 
die bei jedem national gefeftigten Volk die fchmwerfte Anklage 
gegen bie verantwortlichen Staatsmänner nach fich gezogen haben 
würde? 

Der Kanzler, unterftüßt durch den Neichsfchaßfefretär Mermuth, 
hatte Angft vor dem Wort „Wettrüſten“. Er glaubte durch Zurück—⸗ 
haltung in Eriegerifcher Bereitichaft dem Frieden zu dienen. Dadurch 
follte die Entente von unferen friedlichen Abfichten überzeugt werden. 
In Wahrheit wußte die ganze Welt, daß wir den Frieden zu erhalten 
wünfchten, erhob aber über unfere unzureichenden Wehrvorlagen ein 
Entrüftungsgefchrei, wie es bei wirklich durchgreifenden Nüftungen 
unferjeit8S auch nicht größer hätte fein Pönnen. Durch die Unzus 
länglichkeit unferer NRüftungen aber Iocerte fich das Schwert bei 
unfern Nachbarn. Hätten wir feit 1909 aus der wachjenden ruffifchen 
Stärke die Folgerung gezogen, wirklich Schritt mit den gegnerifchen 
Rüſtungen zu halten, fo wäre der Frieden und die auf Achtung 
begründete gute Nachbarfchaft Rußlands gefichert worden. Es war ein 
Methodenfehler von vernichtendem Umfang, daß wir in unferer diplos 
matifchen und geographiichen Unterlegenheit uns nicht das Höchſtmaß 
an militärischer Verteidigungskraft ficherten. Was wäre aus Preußen: 
Deutfchland geworden, wenn Friedrich der Große und fein Vater vor 
einem „Rüſtungswettlauf“ mit Oſterreich zurückgeſchreckt wäre? Ein 
Volk, das in ſolchem Wettlauf um die weltiwirtfchaftliche Macht ftand, 
wie wir vor diefem Kriege, darf die Verdächtigung durch Nivalen und 
Pazıfiften nicht fcheuen, wenn es nicht alles verlieren will. 

Tiefe Wahrheit, auf deren Erkenntnis und der Zeit ent|prechenden 
Befolgung der Merdegang des deutfchen Staats feit dem Großen Kur: 


230 Der Ausbruch des Krieges 


fürjten beruht, ift der deutfchen Radikaldemokratie unbekannt geblieben). 
Mit ihren Illuſionen aber, nicht mit der Staatsvernunft und Über: 
lieferung unferes harten gefchichtlichen Leidens> und Werdegangs ftand 
unfere pofitifche Leitung im Bunde. 

Ein nicht unerheblicher Teil der begangenen Unterlaffungen hätte 
aber noch im Zuli 1914 befeitigt werden Eönnen. Am 5. Juli hatte der 
Kaifer gefagt, man müßte troß der Ummahrfcheinlichkeit eines Welt 
Friegs immerhin auf die Möglichkeit eines Zufammenftoßes gefaßt 
fein. Es lag bei der Verknüpfung der europälfchen Bündnisſyſteme 
auf der Hand, daß wir bei jeder folchen Krifis auf das Schlimmfte 
gerüftet fein mußten. Aber was gefchah? 

Mir haben noch im Juli 1914 erhebliche Mengen Brotgetreide nach 
Frankreich ausgeführt. Es herrfchte ein Mangel an Salpeter, welcher 
für die Armee nahezu lebensgefährlich wurde. Kupfer, Nidel und 
andre Priegsnotwendige Stoffe fehlten in hohem Maße, und jede 
Gelegenheit, fie unauffällig zu ergänzen, wurde geradezu gefliffentlich 
außer acht geſetzt. Um die tatfächliche Harmlofigkeit Berlins zu bemeifen, 
auch für den Fall, daß darüber das Land zugrunde ginge, waren wirt 
fchaftlich und induftriell nicht die einfachiten Vorfichtsmaßregeln für 
geipannte Lagen getroffen worden. 

Außer dem Wunfch, bei der Entente keinen falfchen Verdacht aufs 
kommen zu lafjen, dürfte auch der Trieb maßgebend geweſen fein, 
den Etat peinlich innezuhalten. Man hätte leicht in großem Maßftab 
einfaufen und fich dafür, wenn der Frieden erhalten blieb, vom 
Reichstag Indemnität erteilen laſſen können. Der Ernftfall war aber 
augenfcheinlich nicht ernft genommen worden. Die Neichsleitung 
ließ jedes Neffort für fih und im Dunkeln über die Anfichten 
und Abfichten der anderen. Während die einzelnen militärifchen 
Nefforts bei der Mobilmachung nur auf den Knopf zu drüden brauch 
ten, fehlte jeder Gefamtplan für den Fall einer Weltkataſtrophe. Wir 

) Wenn ich häufig gegen die augenpolitifche Verblendung weiter demokratischer 
Kreife angehen muß, fo ift mir wohl bekannt, daß es zahlteiche ehrenhafte und 
dem Vaterlande treue Sozialdemokraten und Radikale gibt, welche volles Verftänd: 
nis für bie deutſchen Staatsnotwendigkeiten gezeigt haben. Ich verftehe unter 
„Demokraten“ in biefem Buch wefentlih die von Scheidemann, Gothein, Haaſe 
und der „Frankfurter Zeitung“ vertretenen mächtigen Richtungen, welche ihrer 


Wirfung nach die Kraft unſeres Staates untergruben. Mit innerer Politik Hat 
diefe meine Stellungnahme nichts zu tun. 





| 




















Die Schuldfrage 231 


fanden uns Ende Zuli 1914 in ein Durcheinander hineingeftellt, und 
zwar bei einem der englifchen Improviſationsgabe im ganzen nicht 
gleichwertigen Talent, worüber auch das fittliche Bewußtſein nicht weg⸗ 
tröften Eonnte, daß das Deutfche Neich unter allen Großmächten ich 
wohl am menigften mit Kriegsmöglichkeiten befchäftigt hatte. Trotz 
diefem felbftmörderifchen Beweiſe unferer Friedengliebe ließ fich infolge 
der nach Kriegstreiberei ausſehenden Heimlichkeiten unferer Politik 
im Juli 1914 die Welt doch von unferer Schuld überzeugen. Wir waren 
das Schaf im Wolfskleid. 


5 


Bei der Erörterung der Schuldfrage begeht man in Deutfchland Teicht 
einen zweifachen Fehler. Einmal Fonftrutert man politifche Verhält— 
niffe gerne allzu logiſch. Aus einer Fülle einzelner Anzeichen ver: 
ſuchen manche zu bemeifen, daß bei dem böfen Willen der Feinde der 
Meltfrieg überhaupt nicht vermieden werden Eonnte. Diefe Anfchauung 
halte ich für irrig. An dem böfen Willen Englands, Frankreichs und 
vieler Nuffen, unfer Neich zu zerfchmettern, kann zwar ein Zweifel 
nicht beftehen. Um fo mehr aber mußten wir ung hüten, ihm eine 
Gelegenheit zur Betätigung zu bieten. Mie ich ſchon 1904 zum Ausdruck 
gebracht babe, war jede Gelegenheit, durch melche wir den Feinden 
Kriegsvorwände boten, peinlich zu vermeiden, weil wir England 
damals im Kriege nicht beikommen und fomit unferen bereits ges 
waltigen Außenhandel nicht retten Fonnten. Die Abfchnürung biefer 
Lebensader ift ja auch im Jahr 1918 ein wefentlicher Grund für den 
Verluft des Krieges geworden. Das wäre 1904 ähnlich geweſen; 
vor allenı Fonnten wir auch durch einen Sieg über Frankreich nicht 
unfern Handel und unfer Dafein ſchützen ). Solange dies fo ftand, 
war e8 ein MWahnfinn, den Feinden Vorwände zum Krieg zu liefern. 
Solange die Einfreifung beftand, gab es für ung tatfächlic nur den 
einen Weg: eine gute Flotte zu bauen, Anlehnung zu fuchen und Anftöße 
zu verhüten, 

Märe es gelungen, 1914 die Krifis zu beſchwören, und hätten mir 
nur noch zwei Fahre Zeit zum Wachstum der Flotte und zur Aug: 
wirkung der großen Armeevorlage von 1913 behalten, jo wäre — 
wie ich wiederholen muß — die Friedensliebe Englands wohl bie auf 


1) Shen ©, 149, 


232 Der Ausbruch des Krieges 


den entfcheidenden Punkt gejtiegen. Ich komme perfönlich über dieſe 
entjeßliche Tatſache nicht hinweg, daß eine etwas vorjichtigere Politik, 
die 1914 den Feinden den Krieg nicht jo bequem gemacht hätte, 
unfere den Engländern fchon nahezu ebenbürtige Wirtichaftsitellung 
voraugfichtlich für immer gefichert und unferem Außenhandel wie unferem 
ganzen nationalen Leben eine noch ftrahlendere Zukunft ftatt grauen- 
vollen Ruines gebracht hätte. Im Zuli 1914 Eonnten wir wohl durch) 
eine gefchicktere Behandlung der ferbifchen Angelegenheit der feind- 
lichen Kriegsluft den Weg verjperren. Ob dann der Weltkrieg trotzdem, 
etwa 1916, ausgebrochen wäre, wer will das beweifen? ‚Sch perfönlich 
bin der beftimmten Anficht, daß damals jedes gewonnene Friedensjahr 
den Frieden immer fefter begründete, wenn mwir nur die ernfte Lage 
unfres Volkes ſtets beherzigten und unfrer Rüftung die entjprechende 
Aufmerkfamkeit fchenkten. Freilich Eönnen nur Männer mit fefter 
Hand und Faltem Blut, von denen befannt ift, daß fie imftande fein 
würden, einen Krieg durchzuführen, in jo gejpannten Lagen auch den 
Frieden erhalten. Wer zu ſtark und zu offen auf Verftändigung aug- 
geht, entfernt fich gerade von ihr, und wer die nationale Würde nicht 
aufs äußerſte hochhält, Fommt unter der harten Gelbitfucht aller 
Nachbarvölfer unvermeidlich zu einem fortgefegten Niedergang der 
nationalen Wohlfahrt und Blüte. 

Den zweiten Fehler der Beurteilungsmweife erblicke ich dort, wo 
der ferbifcheöfterreichifche Zufammenftoß und der Weltkrieg nicht ſcharf 
genug auseinander gehalten werden. Nicht nur das deutjche Volk, 
in feiner Gefamtheit eines der friedliebendften der Melt, fondern auch 
die Regierung Bethmann-Hollwegs ift am Weltkrieg ihrem Willen nach 
völlig unfchuldig. Dagegen hat die damalige deutfche Regierung einen 
Anteil an der Geftaltung der öfterreichifcheferbifchen Angelegenheit, 
indem fie annahm (mas ſich als irrig ermiefen bat), daß 
gerade die Züchtigung Serbiens durch Hfterreichellngarn bie 
drohende Aufteilung der habsburgifchen Monarchie und einen ihrer 
Meinung nach daraus notwendig folgenden Weltkrieg verhüten 
würde. 

Mie ift deingemäß die ganze Schuldfrage zu beantworten? 

Die causa remota des Meltkriegs Tiegt nach dem Urteil aller ehr⸗ 
lichen Kenner der europäischen Vorgänge, 3. B. der belgischen Gefandten, 
in der englifchen Einfreifungspolitif, die in den neunziger Fahren ihren 














Lokaliſierung oder Weltkeieg? 233 


Urſprung nimmt in der Handelseiferſucht, ſich dann hinter Vorwänden 
(Transvaal, Flotte) verſteckt, die Weltpreſſe vergiftet, alle deutfche 
feindlichen Kräfte der Welt zuſammenknüpft und eine gefpannte Lage 
erzeugt, in welcher der leifefte Fehlgriff die fürchterlichſten Ent: 
ladungen hervorbringen Eonnte. 

Der Fehlgriff unfrer Keichgleitung beftand in dem Glauben, einen 
ferbifcheöfterreichifchen Waffengang Iofalifieren zu Eönnen. Im Ber: 
trauen auf die Friedlichkeit und Gerechtigkeit ingbefondere Englands 
hielt fie eine gründliche Zurechtweifung Serbiens zur Sanierung Ofter: 
reichelingarns für tunlich, ohne daß daraus ein Weltkrieg entftünde. 
Alles, was an den Schritten unfrer Neichgleitung von feindlicher 
Seite als Kriegstreiberei gedeutet werden möchte, bezieht fich Tedig- 
lich auf Serbien und auf den Wunfch, HOfterreichellngarn ‚vor einer 
fchwächlichen Haltung gegenüber diefem raubgierigen Klleinftaat zu 
bewahren. Schreden befiel den Kanzler, als die ruffifche Kriegspartei 
feinen Fehlgriff ausnußte und er gewahr wurde, daß fein felfenfefter 
Glaube an Englands Friedlichkeit ihn betrog. Unter der Hypnofe diefes 
Glaubens hatte er unfer Land für einen Weltkrieg auch nicht vorbereitet. 

In dem fchen erwähnten Gefpräch des Neichsfanzlers mit Mangen- 
beim hat der Kanzler nach der MWangenheimfchen Wiedergabe vom 
23. April 1914 auch über „Politik ohne. Krieg” und die Gefahren eines 
Präventivfriegs gefprochen und dabei geäußert, unfer Nationalvermögen 
nähme fo zu, daß wir in zehn big fünfzehn Jahren alle Nationen überholt 
hätten. Dann würden wir in der Weltpolitik, die letzten Endes Wirt: 
Ichaftspolitif wäre, an geficherter Stelle ftehen. Unfere Aufgabe wäre eg, 
uns ohne große Konflikte durch dieſe Zeit durchzuminden. 

So dachte der Kanzler, der ein Vierteljahr fpäter bei Abmefenheit 
der militärischen Neffortchefs die ferbifche Angelegenheit allein mit 
dem Auswärtigen Amt betrieben hat. Wer fo denkt, zettelt Feinen 
Meltkrieg an. Der Kanzler hat felbftverftändlich gewußt, daß ein 
Icharfes öfterreichifches Ultimatum von Serbien Buße verlangen follte, 
wenn er auch defjen Wortlaut nicht Fannte, Aber es ift eine Lüge 
unferer Feinde, daß Bethmann hierbei beabftchtigte, den Weltfrieden 
zu brechen. Es war im Gegenteil feine freilich Eurzfichtige Hoffnung, 
gerade durch fein Verfahren den Weltfrieden nicht nur zu erhalten, 
fondern dauernd zu feftigen. 

Niemand kennt die Fehlfchlüffe umferer damaligen Reichsleitung 


234 Der Ausbruch des Krieges 


betreffs Englands und ihren Mangel an außenpolitifchem Geſchick beſſer 
als ich. Gerade darum Fann ich auch vielleicht beſſer als andere 
beftätigen, daß die NReichsleitung nicht durch den Wunfch nach Krieg, 
fondern durch die Sorge vor dem Krieg zu ihren falſchen Schritten 
gedrängt worden ift. Ihre Kurzficht, nicht ihr böfer Wille, hat der 
englifchen Einfreifungspolitif noch Eurz vor Toresſchluß zum Erfolg 
verholfen. Bethmann und Jagow hatten geglaubt, Sfterreich durch 
eine diplomatische Gefte ftärfen zu Fönnen. Als fie fahen, daß es 
mißlang und der Krieg drohte, waren fie felbft darüber entſetzt. Wie 
kann man über die Schulöfrage fprechen, ohne dieſe mwichtigfte Tat: 
fache in den Vordergrund zu ftelfen! Die Fehlgriffe unferer Leitung 
wiegen moralifch Teicht im Vergleich mit dem Verhalten der Feinde. 

Mer auch nur einigermaßen die Berichte der belgischen Gefandten 
und die zahlreichen Dokumente über die ruffifchen Kriegsvorbereitun: 
gen kennt und die allgemeine Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte 
verfolgt hat, der fragt fich erftaunt, wie überhaupt die Meinung 
aufkommen konnte, Deutfchland wäre der fchuldige Teil am Weltkrieg. 

Nach ihrem Verhalten im Jahre 1919 hat fich die Entente für jeden 
Nachlebenden — auf das mit Lügen überfütterte Gefchlecht der Gegen- 
wart darf vielleicht nicht mehr gezählt werden — das Urteil ſelbſt 
gefprochen. Mit teuflifcher Graufamkeit ift ein ganzes Volk, das 
felbft an etwaigen Fehlern feiner Regierung als Maſſe unfchuldig 
fein würde, von den Engländern, Franzofen und ihrer Gefolgfchaft 
den fchwerften Martern an Leib und Seele unterworfen worden, bie 
je ein Volk im chriftlichen Abendland zu erdulden hatte, Ein Herren- 
vol foll zum Paria erniedrigt, ihm die Würde der Menfchheit ge- 
raubt und nur ein hungriges, fehüchternes Kerkerdaſein gelafjen wer— 
den, nur gerade fo viel, um noch feinen SElavenhaltern auf unbe- 
grenzte Zeit hinaus Fron und Zins leiften zu Fönnen. Und weshalb? 

Im September 1912 war Sſaſonow in London. Aus feinem von 
ber „Prawda“ veröffentlichten Bericht an den Zaren feße ich Folgende 
fchon oben erwähnte Stelle im Zufammenhang hierher: 


„Grey erflärte ohne Schwanken, daf, wenn die in Frage flehenden 
Umftände eingetreten fein würden, England alles daran feßen würbe, um 
ber deutfhen Machtſtellung den fühlbarften Schlag zuzufügen. 

Der König, ber in einer der Unterredungen mit mir biefelbe Frage 
berührte, ſprach ſich noch viel entſchiedener als fein Minifter aus. Mit 








u nn nee EEE EEE — — —⏑⏑ ⏑ — ——————————— —— —⏑—⏑————— —————äöä — 





Wolf und Schaf 235 


fichtliher Erregung erwähnte Seine Majeftät bes Streben Deutichlants 
nad Gleichſtellung mit Großbritannien in bezug auf die Seeftreitfräfte 
und rief aus, daß im Falle eines Zufammenftoßes diefer verhängnisvolle 
Holgen nicht nur für Die deutfhe Flotte, fondern aud für den deutfchen 
Seehandel haben müſſe, denn die Engländer würden jedes deutiche Schiff, 
das ihnen in die Hände fommt, in den Grund bohren. 

Die letzteren Worte fpiegeln augenfheinlih nicht nur perfönlihe Ge: 
fühle ©. Majeflät, fondern aud die in England herrfchende Stimmung 
in bezug auf Deutſchland.“ 


Als die britiichen Staatsmänner hier wie fo Häufig in den Jahren 
vor dem Krieg den Ruffen, natürlich unter dem üblichen Vorwand 
der Flottenpanik, Mut machten, fie Eönnten auf einen unentwegten 
englifchen Vernichtungswillen gegen Deutfchland bauen, mußten fie 
mit 100 % Gewißheit, daß der Kaifer und Bethmann-Hollweg nichte 
als Frieden erftrebten; fie wußten ferner ebenfo gewiß, daß in Peters: 
burg und Paris je eine zum höchſten Einfluß drängende Kriegspartei 
befand und begünftigten diefelbe mit allen Mitteln. Damals verbreitete 
fi) in den Ententeländern eine Atmofphäre, welche nach dem Gefühl 
weiter Kreife den Krieg unausbleiblich machte; diefe Atmofphäre ſprang 
von den Ententeländern aus auch auf Deutjchland über und erzeugte 
bier die Sorge, welche ih z. B. in einem Brief unferes Marine: 
attaches in Tokio vom 10. Juni 1914 mit den Worten finde: 


„Ich bin betroffen über die Gemwißheit, mit ber Bier alles den Krieg 
gegen Deutfchland in naher Zeit für fiher Hält, ... das faum greifbare, 
aber doch fo fharf fühlbare Etwas, das wie eine Art Mitleid über ein 
noch nicht ausgejprochenes ZTodesurteil hier in der Luft liegt.” 


Würden die Archive der Entente geöffnet, bevor das am meiften 
Belaftende aus ihnen verſchwunden ift, die Menfchenfreunde in Eng- 
land oder Amerika würden erfchauern über die mordgierigfte aller 
Lügen, deren fich ihre eigenen Regierungen fchuldig machten, indem 
fie, um die Vernichtung, Zerſtückelung, Ausplünderung und Rechtlog- 
machung der deutschen Nation ihren Völkern mundgerecht zu machen, 
Deutfchland Welteroberungsgelüfte andichteten, von denen im Juli 
1914 niemand in Deutſchland geträumt hat. 


Das deutſche Volk hatte 1914 wirtſchaftlich das engliſche in vielen 


236 Der Ausbruch des Krieges 


Stücen überhoft, welche England als feine Domänen betrachtete. In 
Handel vieler Länder ging Deutfchland bereits vor England, ebenfo in der 
Stahlerzeugung und anderem. Bei diefem mwirtfchaftlichen Wettlauf um 
den erſten Plab aber ftanden wir politifch unerfahren und leicht ver- 
wundbar, feit 1909 auch offenkundig fihlecht geleitet da. Der Rieſe 
Deutjchland konnte und follte den tödlichen Schlag, das Knockout er- 
halten, ds8 ihn wieder zum Zwerge machte Durch den deutſchen 
Fleiß hatten wir, fobald ung Birmard einen Staat gefchenkt hatte, 
alle anderen Völker an wirtfchaftlichem Gedeihen eingehoit oder über: 
holt. Wir fielen andern dadurch unbequem; welches Necht hatten 
wir überhaupt, die Pfründen älterer Meltmächte zu ftören? England 
und Frankreich haben bag Ziel Germaniam esse delendam mit römi- 
ſcher Härte verfolgt und dan? unſern Fehlern auch erreicht. Sie flehen 
heute da als erfolgreiche Schuldige, welche die Maske abgemorfen 
haben, feitdem fie ihre Abficht wahrmachen konnten. Hätte das deutfche 
Volk rechtzeitig das ganze Riſiko gefühlt, worin fich die Schöpfung 
Bismarcks bewegte, fo würde es fich nicht wehrlos gemacht und da⸗ 
durch dem Feind feine Abficht erfüllt haben. Wir waren zu forgloje 
Epigonen. Jetzt aber erleben wir das Schaufpiel, daß die Wölfe, 
welche das Schaf verzehren, fich als Richter über diefeg „verbrecheriſche“ 
Opfer auffpielen. 

Ich kann noch einen weiteren vollgültigen Beweis dafür anführen, 
daß unfere Reichsleitung den Krieg nicht gewollt hat. Sie war näm⸗ 
ich von Anfang an überzeugt, daß wir nicht fiegen würden. Nun 
kann man ihr zwar viel Ungeſchick zutrauen, nimmermehr aber das 
verbrecherifche Zum, einen Krieg zu wollen, von deſſen Ausfichte: 
loſigkeit fie felbft am tiefften durchdrungen war. 

Faft niemand in Deutfchland wollte vor Kriegsausbruch, wie nach 
demſelben, recht begreifen, wie groß die Lebensgefahr in Wirklichkeit 
war. Wir waren teils in gutgläubigen Sllufionen befangen, teils auch 
etwas Üüberheblich, Materialiftifche Lebensauffaffung oder altererbte Par: 
teifucht trübten vielen den Blick. So unterließen wir das, was ung 
retten konnte. Diefes Unvermögen ift unfere Schuld. 


b) 
Am 27. Zuli, als ich in Berlin eintraf, beftand, fo wie ich bie 
Page jetzt überblicke, wohl noch eine Enappe Möglichkeit, das Fries 











Die legten Tage 


10) 


37 


densfchiff an den Klippen vorbeizupreffen und Elarzufcheren. Damals 
machte ich mir, ebenfo wie der Kaifer, der gegen des Kanzlers Wunſch 
aus eigenem Entſchluß heimgefehrt war, und die Minifterfollegen, 
die jet in Berlin zufammenftrömten, ein faljches Bild von der Lage. 
Der Schlüffel zu ihrem Verſtändnis war in der Wilhelmſtraße 
verloren gegangen. Sch erfuhr von den ruffischen Nüftungen und 
glaubte nun auch, die tatfächlich zufällige, feit Monaten angeordnete 
Mobilmachung der englifchen Flotte als eine drohende Maßregel auf 
faffen zu müfjen. Über Bethmanns Handlungen, um in diefer Phafe 
noch den Frieden zu retten, fanden wie jo manchmal die Worte ges 
fchrieben: Zu jpät und halb. 

Am 28. Juli früh defuchte mich der Chef des Marinekabinetts 
v. Mülfer und fprach ich entfegt über feine jüngſten Erfahrungen 
mit Bethmann aus. Er bielte einen Kanzlerwechſel und einen Er- 
fat Jagows durch Hinke für unumgänglich. Die wirkliche Lage über 
ſchaute im übrigen auch Müller nicht. 

Der Kaifer entfaltete, fobald er in Berlin eingetroffen war, eine 
ficberhafte Xätigkeit, um den Frieden zu erhalten. Der Kanzler hatte 
e8 nicht verftanden, den Kaifer wirklich auf dem Laufenden zu erholten. 
Es fiel dem Kaifer ſchwer, einen Karen Ausgangspunkt für eine wirt 
fame diplomatifche Aktion zu finden. Er fagte: „Er wüßte gar nicht, 
was die Öfterreicher wollten. ‚Die Serben hätten doch alles bis auf 
einige Bagatellen zugeftanden. Seit dem 5. Juli hätten die Dfterreicher 
nichts darüber gefagt, was fie vorhätten.” 

Diefe Außerung fiel am 29. Juli abends im Potsdamer Neuen 
Palais, wohin der Kaifer die militäriichen Chefs geladen hatte, um 
fie über feine Verhandlungen mit dem Kanzler zu unterrichten, der 
völlig in die Knie gefunken wäre. Von ben Zweifeln, die Bethmann 
über feine Politik der eriten Juliwochen aufgefliegen fein mußten, 
ahnten wir alle damals nichts. Wir fahen nur mit Schreden, was 
fi) vor unferen Augen abfpielte, einfchließlich des Kaiſers, der ſich 
über Bethmanns Unzulänglichkeit, wie ſchon früher Des öfteren, rüd- 
haltlos ausfprach, aber die Meinung äußerte, er könnte fich von dieſem 
Manne jet nicht trennen, da er das Vertrauen Europas genöffe. 
Der Kaiſer teilte mit, der Reichskanzler hätte vorgefchlagen, wir ſoll— 
ten, um England neutral zu erhalten, die deutfche Flotte durch ein 
Abkommen mit England opfern, — wos er, der Katjer, abgelehnt 


238 Der Ausbruch des Krieges 


hätte. Der Kanzler mußte fich wohl infolgedejjen nach feiner Rüd- 
kehr aus Potsdam am Abend des 29., wo er den britischen Botfchafter 
zu fich beftellte, um ihm hohe Angebote für Englands Neutralität in 
einem bdeutfchefranzöfischen Krieg zu machen, hinfichtlih der Flotte 
Zurüdhaltung auferlegen. Die Anerbietungen, die er bei dieſer Gelegen- 
heit vorbrachte, ſowie die fehneidende Antwort, die ihm Sir Edward 
Grey erteilte, find aus dem englischen Blaubuche (Nr. 85, 101) 
bekannt. Der Öffentlichkeit ift dagegen unbekannt geblieben, daß der 
Kanzler auch wiederum, wie 1912, bereit war, die deutſche Flotte 
zu opfern, in der eigenartigen Vorftellung, daß England in diefem 
Falle einen deutfchen Sieg über Frankreich genehmigen würde. Die 
Kapitulationsverfuche begannen alfo ſchon vor dem Krieg, und ale es viel 
leicht noch Zeit war, ihn zu verhindern. Das auswärtige Amt hatte zwei 
unglückjelige Sdeen: die Öfterreicher müſſen in Serbien einmarjchieren, 
und die deutfche Flotte fteht der vollen Liebe Englands im Wege. Für den 
Fall, daß feine Belgradpolitif den Feinden die Gelegenheit zum Kriege 
geben follte, war es num jedenfalls gedecdt: die deutjche Flotte war an 
allem Tchuld. Die Flottenpolitif des Kanzlers vom 29. Juli, wie diejenige 
von 1911/12 wirft ihren Schatten Teider in den Krieg voraus; denn Die 
vom Kanzler gewünſchte und durchgefete Art unferer Kriegsführung zur 
See bedeutete im Grunde nichts als die langſame Opferung von 
Deutfchlands Flotte und Zukunft, deren augenblicliche Hingabe am 
29. dem Kanzler verfagt worden mar. 

An jenem Tag traf aus England Prinz Heinrich in Potsdam ein 
mit der Meldung von Georg V., daß England in einem Krieg neutral 
bleiben würde. Sch bezmweifelte dies, worauf der Kaifer ermwiderte: 
„Ich babe das Wort eines Königs, dag genügt mir.’ 

Der Wirrwarr, der Europa bewegte und feinem mehr den Über: 
blie® über das Ganze Tieß, fchien ſich am 30. Zuli günftig zu Flären. 
England ftimmte einem auch in Wien angenommenen Vermittlungs- 
vorschlag des deutfchen Kaifers zu. Zwifchen ung und London war 
eine völlige materielle Einigung erzielt. Dies erfuhr ich am 31. Juli 
mittags durch ein Schreiben des Kaifers, das mich aufatmen ließ. 

Schon in den Morgenftunden des 31. Juli: hatte ich aber aus dem 
Admiralfiab erfahren, daß im Auswärtigen Amt der Krieg fir uns 
vermeidlich angejehen würde und daß Jagow angefragt hätte, ob 
wir bereit wären, die englische Flotte anzugreifen. 











Rufjiihe Mobilmachung 239 


Der Widerfpruch Elärte fich mir auf, als ich zmwifchen zwölf und 
ein Uhr mittags die Nachricht von der ruffifchen Mobilmachung er: 
hielt. 

Um halb ein Uhr Hatte mich der Kanzler rufen laſſen, bei mel: 
chem inzwifchen der Eaiferliche Befehl für „drohende Kriegsgefahr” 
vorlag. Ich machte Bethmann auf die zwifchen uns und London 
erzielte Einigkeit aufmerffam und las ihm das Schreiben des Kaifers 
vor, das er noch nicht kannte. Der Kanzler meinte, der Kaifer mifche 
darin mehreres durcheinander. Die ruffiiche Mobilmachung wäre ein 
jo unerhörtes Verfahren gegen uns, daß wir ung dag nicht gefallen 
laffen Fönnten; wenn Rußland fortführe, müßten auch wir mobil: 
mechen, und um unfere Mobilniachung nicht zu fehr in Rückſtand 
geraten zu laffen, hätte ein Ultimatum an den Zaren abgefchict 
werden müffen. Das war auch meine Nuffaffung. Die Blutfchuld 
der für die ruffiiche Mobilmachung Verantwortlichen wird auch 
durch Fein Ungeſchick unferer Regierung gemildert. Trotz der in letzter 
Stunde zwifchen uns und England bergeftellten Einigfeit war durch 
die ruffifche Mobilmachung der Krieg unabwendbar geworden, wenn nicht 
ein Wunder geſchah. Kängeres Zögern unferfeits hätte unfer Gebiet dem 
Heinde ausgeliefert und wäre nicht zu verantivorten geweſen. In Wirflich- 
Feit machten die Ruffen ja ſchon feit dem 25. mobil, und diefer Vor- 
Iprung hat ung ſchwer gefchadet, alg die Kriegsmafchinen einmal rollten. 
Jedoch gab ich dem Kanzler zu verftehen, daß es mir richtig erfchiene, 
in dem Ultimatum noch einmal hervorzuheben, daß fachliche Einiakeit 
beftünde und eine günftige Vermittlung im Gange wäre. Der Kanzler 
erriderte mir ziemlich außer Faffung, das wäre ja dauernd gejagt 
worden und darauf hätte eben Rußland mit der Mobilmachung ges 
antivortet, 

Es ift mir Später manchmal durch den Kopf gegangen, ob ber 
Kaifer nicht hätte rechtzeitig jemand nach Petersburg fehiden follen. 
Der hierfür geeignetfte Mann, Hinte, faß allerdings in Meriko. Sch 
mußte aber beftimmt, daß der Zar Verftändnig für den Gefichtspunkt 
hatte, daß Deutfchland und Rußland bei gegenfeitiger Zerfleifchung nichts 
gewinnen Eonnten, fondern höchfteng Dritte, Zur Entfendung einer Per: 
fönlichkeit war es am 31. Juli natürlich zu fpät. Auch mag es fein, 
daß man mir vorhalten wird, ich überfchäßte die Macht des Zaren und 
unterfchäßte den Panſlawismus. Sch kann bier nur feftftellen, daß 


240 Der Ausbruch des Krieges 


ich, mehr meinem Gefühl ald meinem VBerftande folgend, noch am 
31. Juli dem Kanzler zu jener Einfügung eines friedlichen Abſatzes in 
das Ultimatum geraten habe. Sch hoffte dabei Faum mehr das Rad 
des Schickſals aufzuhalten, welches die ruffiihe Mobilmahung in 
Gang gefeit hatte, jedoc, für jeden Fall die Verantwortung für alles 
Kommende dadurch noch ausfchließlicher auf die Feinde abzumälzen. 

Am 1. Auguft erfuhr ich in der Bundesratsfißung, daß mir dem 
Ultimatum eine Kriegserflärung an Rußland nachgefchieft hätten. Sch 
fand das für Deutfchland ſehr ungünftig. Wir mußten meinem Ge: 
fühl nach den Vorteil, daß wir gegen Rußland mmlitärifch in ber 
Defenfive lagen, diplomatifch dadurch ausnügen, daß wir die Kriege: 
erflärung den Nuffen überließen. Wir durften den Muſchik nicht 
durch die Überzeugung begeiftern, daß der Kaifer den weißen Zaren 
überfallen wollte. Auch die Entiwertung unjeres Bündnisvertraged 
mit Rumänien fiel ins Gewicht, Diefer Vertrag mar, ebenio 
wie der mit Stalien, vom Fürften Bismard auf die Verteidigung 
geftellt worden. Beide Staaten waren uns zur Hilfeleiftung nur 
verpflichtet, wenn ung Rußland, bzw. Frankreich angriffen. Durch 
unfere Kriegserflärung an Rußland gaben wir den Rumänen formell 
das Recht, ung im Krieg allein zu Taffen, ebenfo wie fpäter den 
Stalienern durch unſere Kriegserklärung an Frankreich, Hatte Beth: 
mann wirklich die ungeheuerlichen Nachteile nicht bedacht, welche ung 
erwuchſen, wenn wir den Akt der Kriegserklärung nicht den Feinden 
überliefen? 

Sch hatte den Eindruck, daß auch nad) diefer Richtung unfere Aktion 
völlig unüberlegt und ohne jede Regie verlief, und mein Gefühl frräubte 
fich dagegen, daß wir, die wir doc in Wahrheit die Angegriffenen 
waren, vor der Welt wegen der Juriſten des Auswärtigen Amtes das 
Ddium des Angreifers übernehmen follten, obwohl wir gar nicht 
beabfichtigen Fonnten, in Rußland einzumarfchieren. Sch fragte alfo 
den Kanzler beim Verlaffen der Sikung, weshalb denn die Kriegs— 
erklärung mit unferer Mobilmachung zufammenfallen müßte? 

Der Kanzler erwiderte, das ſei nötig, weil die Armee gleich Trup— 
pen fiber die Grenze fehicken wollte. Die Antivort befremdete mich, 
da e8 fich Doch höchitens um Patrouilfen handeln konnte. Bethmann 
war aber in diefen aanzen Tagen fo aufgeregt und überreizt, daß 
nicht mit ihm zu fprechen war. Ich höre ihn noch, wie er mit er- 




















Unfere Kriegserllärung an Rußland 241 


hobenen Armen wiederholt die unbedingte Notwendigkeit der Kriegs: 
erklärung betonte und damit jede weitere Erörterung abjchnitt. 

Moltke, nachher von mir gefragt, wie es fich mit der Grenzüber- 
fchreitung als Grund unferer Kriegserklärung verhielte, bejtritt, daß 
die Mbficht beftünde, fofort Truppen über die Grenze zu fchiden. 
Er fagte mir auch, daß er auf die Kriegserflärung von feinem Stand- 
punft aus feinen Wert legte. 

Das Rätſel, weshalb wir zuerft den Krieg erklärten, bleibt alſo 
für mich ungelöft., Vermutlich taten wir e8 aus formaljuriftifcher 
Gewiffenhaftigkeit. Die Ruffen fingen den Krieg ohne Erklärung an, 
aber wir glaubten ung nicht ohne eine jolche wehren zu dürfen. 
Außerhalb Deutfchlands hat man für folche Gedanfengänge kein Vers 
ftändnis gehabt. 

Nachmittags zur Eaiferlichen Unterzeichnung des Mobilmachungs⸗ 
befehls ins Schloß gerufen, Fam ich infolge einer Verkehrsſtörung 
verjpätet an, als die Orders ſchon unterzeichnet waren. Sch hörte 
aber, daß ein ruffisches Akzept unferer Kriegserfiärung noch nicht 
vorläge und machte deshalb zum lebten Male einen Verſuch, in dem 
Gedanken, daß es, bis die Ruſſen unjere Kriegserklärung entgegen 
genommen hätten, immer noch Zeit wäre, ihr eine abmildernde Depefche 
nachzufenden. Sch Eonnte mich nicht losmachen von dem Triebe, 
mindeftens das Odium der Kriegserklärung von ung abzumälzen, auch 
wenn wirklich der lebte Funke einer Friedensmöglichkeit erftickt 
jein ſollte. Ich fragte aljo, ob ohne Akzept der ruſſiſchen Re— 
gierung die Feindfeligkeiten unferfeits eröffnet werden jollien, die 
doch angefichts unferes Aufmarfjches im Welten nur in Rauch und 
Scheinmanövern beftehen Eönnten. Da unſere Patrouillen nach Moltkes 
Angabe erft in einigen Tagen die ruffiiche Grenze überjchreiten foll- 
ten, fo brauchten wir doch nicht als Angreifer dazuftehen. 

Die von mir angeregte Frage wurde übertönt durch eine in diefem 
Augenblit einlaufende Depefche Lichnowskys, die uns den Anitoß 
zu einem legten Friedensfchritt gab. Sch babe hierbei Bethmann leb- 
haft unterftüßt, wie auch fpäter auf feine Frage, ob wir den Engländern 
verfprechen Eönnten, die franzöfiiche Küfte nicht anzugreifen, bejahend 
geantwortet und ihm empfohlen, das Anerbieten auch in feine Reichs: 
tagsrede aufzunehmen. Diejer Friedensfchritt war zum Scheitern 
verurteilt, da Lichnowsky ein Mißverftändnis unterlaufen war, doch 

Tirpig, Erinnerungen 16 


242 Der Ausbruch des Krieges 


bat er wenigftens noch einmal bewiejen, daß Deutfchland den Krieg 
nicht wünfchte. 

In der Nacht vom 1. zum 2. Auguft wiederholte fich beim Reiche: 
kanzler der Dijput über unfere Kriegserklärung, diesmal hinfichtlich 
Frankreichs. Der Kanzler meinte, wir müßten Frankreich fofort den 
Krieg erklären, weil wir durch Belgien marfchieren wollten. Ich 
warf ein, ich hätte ſchon nicht verftanden, weshalb man die Kriegs- 
erklärung an Rußland mit der Mobilmachung veröffentlicht hätte; 
ich könnte auch Eeinen Nuten darin fehen, die Kriegserflärung gegen 
Frankreich früher loszulaſſen, als bis wir in Frankreich ſelbſt ein- 
marfchierten. Sch verwies auf Berichte des Botjchafters in London, 
nach denen der Durchmarfch durch Belgien den Krieg mit England 
unmittelbar zur Folge haben müßte, und rührte an die Frage, ob 
die Armee eine Möglichkeit befäge, den Durchmarjch durch Belgien 
aufzuhalten. Moltke erklärte, daß es Feinen anderen Weg gäbe. Ich 
erhielt den Eindrud, daß es ausgefchloffen war, in den Mechanismus 
der Transporte einzugreifen. Sch erklärte, dann müßte unfererfeits 
mit dem fofortigen Krieg gegen England gerechnet werden. Jeder 
Tag wäre ein Gewinn für die Mobilmachung der Marine. Deshalb 
müßte die Mitteilung an Belgien jo fpät wie möglich erfolgen. Dan 
fagte mir zu, bis zum zweiten Mobilmachungstag zu warten, was 
aber nicht befolgt worden ift. Daß BeihinannzHollweg ſchon am 
29. Juli dem britifchen Botfchafter, damit den gefamten Entente- 
mächten und Belgien felbit, die Möglichkeit Eriegerifcher Operationen 
in Belgien eröffnet hatte, war mir damals unbekannt. Es war dies 
in der dee gejchehen, gerade mit England ein Vertrauensverhältnig 
jogar über den Feſtlandskrieg hinweg zu bewahren, 

Der Eindruf von der Kopfiofigfeit unferer politifchen Leitung 
wurde immer beunrubigender. Der Durchmarfch durch Belgien fchien 
ihe vorher nicht eine feftitehende Zatfache gemwefen zu fein. Seit 
der ruſſiſchen Mobilmachung machte der Kanzler den Eindrucd eines 
Ertrinkenden. 

Während ſich die Juriſten des Auswärtigen Amts in die Doktor⸗ 
frage vertieften, ob wir nun ſchon mit Rußland im Kriege ſtünden 
oder noch nicht, ſtellte ſich nebenbei heraus, daß man vergeſſen hatte, 
Oſterreich zu fragen, ob es mit uns gegen Rußland kämpfen wollte. 
Das ſollte nun nachgeholt werden. Ebenſo hatte Italien keine Nach: 


ne A ee ar ach 
— — — 





Unſere Kriegserklärung an Frankreich 243 
richt von unſerer Kriegserklärung gegen Rußland befommen!). Beim 


Herausgehen fprachen die Militärs mit mir entjeßt über den Zus 
ftand der politischen Leitung. Nicht weniger befümmerte mich aber 


der Eindruck, daß der Generalitab die Bedeutung eines Krieges gegen 


England nicht richtig einfchäßte und darüber rückſichtslos zugunften 


| des Krieges gegen Frankreich hinwegging, weil er anfcheinend nur auf 


einen kurzen Krieg eingeftellt war. Die Entfcheidungen der Stunde 
wurden in nichts geleitet durch vorerwogene politifcheftrategifche Mobil 
machungspläne für den Geſamtkrieg. 

Der Kaifer war, als er das Scheitern feiner Friedensbemühungen 


| erkannte, ins Innerſte getroffen. Ein alter Vertrauter, der mit ihm in 
den erften Augufttagen zuſammenkam, äußerte, er hätte nie ein jo 


tragifches und zerfiörtes Geficht gefehen, wie das bes Kaiſers in 
diefen Tagen. 

Die erregien Ausfprachen zwifchen Bethmann und Moltke festen 
fih am 2. Auguft in meinem Beifein beim Kaifer im Echloffe fort. 


| Moltke legte Eeinen Wert auf eine formelle Kriegserkflärung an Franf- 
\ reich. Er wies eine Reihe feindlicher Handlungen der Franzojen nach, 


die ihm berichtet worden waren; der Krieg fei tatfächlich da und die 
Entwicklung nicht aufzuhalten. Ich legte wiederholt dar, ich Fännte nicht 


einſehen, weshalb überhaupt eine Kriegserflärung an Frankreich erfolgen 
) müßte, die immer einen aggrejfiven Beigeſchmack hätte; die Armee 
könnte doch auch ohne folche big zur franzöſiſchen Grenze marjchieren. 


) Daß Öfterreich fich feine eigne Kriegserflärung an Rußland noch lange über: 
legen und und dadurch vor ſchwere Stunden ftellen würde, Fonnte ich damals nicht 
überfehen. Noch ain 5. Auguft vormittags hat das Reichömarineamt das Auswärtige 
Amt wegen unferer Mittelineerfchiffe ſchriftlich gedrängt, endlich die Rriegserflärung 
DÖfterreichs zu erwirken, Moltke fagte mir zu meinem Entfegen, wenn die Öfterreicher 


zurückzuckten, hätten wir einen Frieden um jeden Preis fchließen müffen. Uber auch 


— — et Eh 


die Regie der ferbifchen Angelegenheit war durchaus unzureichend geiwejen. Den 
Serben Krieg zu erllären ohne Einmarich, und über ein Fauftpfand zu verhandeln, 
dad man nicht Hatte, das erfchwerte die diplomatifhe Lage. Man hätte, wenn 
man fchon den Einmarſch wollte, in der Minute des Ablauf des Ultimatums, 
bevor die Serben Zeit hatten, die Semliner Brüde zu fprengen, Belgrad befeken 
und nach genommenem Fauftrfend verhandeln müffen. Wir behielten alfo Öfter: 
reich weder hinfichtlich des Ultimatums noch Hinfichtlich des Weltkriegs in der Hand. 
Von ben Unterlaffungsfünden gegen Italien will ich hier nicht reden. ch habe 
ſpäter, foweit es meine Stellung zuließ, alles in Bewegung gefekt, um die Ent: 
fendung des Fürften Bülow nah Rom zu ermöglichen. 
15* 


244 Der Ausbruch des Krieges 


Der Kanzler meinte, ohne Kriegserflärung an Frankreich Eönnte 
er die Sommation an Belgier nicht überreichen. Mir ift diefer Grund | 
unverftändlich geblieben. 

Gerade die belgifche Frage hätte von Anfang an unfere Diplomatie | 
zu befonders vorfichtigem Auftreten veranlaffen follen. Der Generals 
ftab hatte feit Jahrzehnten die Möglichkeit des Durchmarfches durch ' 
Belgien ernjthafter erwogen, feitdem nämlich fich die franzöfifche 
Nevanchepolitif auf die ruſſiſchen Armeen zu fügen begann. Daß 
bei einem deutfch-frangöfifchen Krieg die Franzofen mindeftens intel- | 
leftuell die Angreifer waren, darüber konnte in der ganzen Welt ein 
Zweifel nicht beftehen. In der Abwehr eines franzöfifchen Revanche: | 
frieges nun, der uns an ber Weichjel ebenfo wie an Maas und Mofel 
bedrohte, Eonnte unjer Durchmarfch durch das neutrale Belgien in 
den Augen der Welt nur gerechtfertigt erfcheinen, wenn die politische i 
Dffenfive Frankreichs gegen uns Elar zutage Tag. 

Die Sonderbearbeiter der Frage im Generalftab, welche ſich des 
furchtbaren Ernſtes der Lage Deutſchlands naturgemäß in beſonderem 
Maße bewußt waren, hatten in den letzten Jahren vor dem Krieg aus 
allerlei Anzeichen die Überzeugung geivonnen, daß die Franzofen und | 
Engländer durch Belgien marfchieren würden, um die Rheinlande anz 
zugreifen. Tatſächlich griffen die Franzofen im Jahr 1914 allerdinge 
in Lothringen an, fo wie Schlieffen e8 immer vorausgefeßt hatte. Doch 
verfügten wir über Belege dafür, daß die Weſtmächte Belgien ale 
Kriegsfchauplag in Ausficht nahmen. Auch für die politifchemilitärifche 
Hinneigung maßgebender belgifcher Kreije zur Entente gab es fchon vor 
der Eröffnung der belgifchen Archive umfängliche Anzeichen. Da nun der 
Kanzler über die belgijche Frage unterrichtet fein mußte, jo war es feine 
Aufgabe, den vom Generalftab gegen einen ruffifchefranzöfischen Angriff 
für notwendig erachteten Durchmarfch durch, Belgien diplomatifch ent 
Iprechend vorzubereiten. Nichts iſt in dieſer Richtung gefchehen. Die 
ftrategifche Offenfive Deutfchlands durch Belgien hatte politifch die 
ſchwerſten Bedenken; diefe wurden nur gemildert, wenn unfere Politif 
mit doppelter Vorficht und GefchieflichFfeit die Welt Flar davon über: 
zeugte, daß wir ung politifch in der Defenfive befanden. Luden 
wir aber den faljchen Schein auf ung, politifch die Angreifer zu 
fein, dann rücte auch die tatfächlich reine Notwehrmaßregel des ber 
gifchen Durchmarfches in das verhängnigvolle Licht eines brutalen Ge 


0 


. — — 








Die belgifche Frage 245 


mwaltfchrittes. Die Feinde befamen einen übermwältigenden Stoff, ung 
zu verleumden, in die Hand, wenn wir nad) dem Ultimatum an 
Serbien, nach der Ablehnung des Greyſchen Konferenzvorfchlages, nach 
ber formellen Kriegserflärung an Rußland und Frankreich auch noch 
durch Belgien marfchierten. Wie zweifelhaft und zmweideutig war die 
belgische Neutralität und ihre von England veranlaßte Verteidigung 
mit den Waffen! Nur unfer vollendetes politifches Ungeſchick hat 
biefem Land die legendäre Märtyrerkrone geflochten. Wir fpielten in 
allem das Prävenire, wie um den Feinden ihr Spiel zu erleichtern. Der 
Generalftab war nicht die "Stelle, um die politifche Rückwirkung ftra= 
tegifcher Notwendigkeiten allein zu beurteilen. Das von Bethmann 
aufgebrachte ‚Unrecht an Belgien aber gab den Feinden überdies 
auch noch die Beftätigung ihrer Verleumdungen gegen und und ver- 
wirrte im meiteren Verlauf der Entwiclung das NRechtsgefühl unferes 
eigenen Volkes in unheilvolliter Art. 

Diefe Überlegungen über die belgifche Frage find von mir erft 
im Lauf des Krieges gewonnen worden, da ich im Frieden wie beim 
Kriegsausbruch über diefe ganze Frage nicht unterrichtet worden bin. 
Die diplomatifchen Fehler aber, die wir bei der Aufrollung der Ope— 
rationen im MWeften begingen, waren mir unmittelbar in jener 
Sitzung Mar. 

Nach dem Weggang bes Kanzlers aus der Sitzung beklagte fich 
Moltfe beim Kaifer über den „deplorablen“ Zuftand der politifchen 
Leitung, die EFeinerlei Vorbereitungen für die Lage befäße und jeßt, 
da die Lawine im Rollen wäre, immer noch an nichts als juriftifche 
Noten dächte, 

Sch beftätigte dem Kaifer, meiner Anficht nach hätte das Aus: 
mwärtige Amt feit mehreren Sahren nicht funktioniert; es wäre aber 
nicht meine Sache gemwefen, den Kaifer hierin zu beraten. Der Ernft 
der Stunde zwänge mich, die Grenzen meines Reſſorts einmal zu 
überjchreiten: ,‚Der Kanzler ift mein Vorgefehter, ich habe über ihn 
nicht zu urteilen; aber rufen Eure Majeftät Hinke zurüd, um Jagow 
durch ihn zu erſetzen.“ 

Hintze ift wirklich aus Mexiko zurückgerufen worden und hat fich 
zum Großen Hauptquartier durchgefchlagen, wurde aber von dort auf 
Betreiben des Auswärtigen Amts fofort nach Pefing ernannt und 
hatte fich ein zweites Mal in Verfleidung um die Erde zu begeben. 


246 Der Ausbruch des Krieges 


Er befaß eine Reihe von Erfahrungen, die ihn vergleichsmweife wohl 
am meiften befähigt hätten, den Sonderfrieden mit dem Zaren zuwege 
zu bringen, der 1916 Priegsentfcheidend und greifbar zu haben war, 


= 

Am 6. Auguft befuchte mich Jagow, um mir nahezulegen, daß 
dag Reichsmarineamt Feine politischen Nachrichten an den Kaijer geben 
möchte, — was niemals gefchehen wart). Sch machte Vorhaltungen 
wegen ber völligen Deroute der politischen Reitung, die für den Kriegs- 
fall doch gewiſſe Vorüberlegungen hätte tueffen follen. Jetzt müßten 
wir alle verfügbare Kraft gegen den mächtigften unferer Feinde kehren. 
Auf meine Frage, was werden würde, wenn mir Frankreich und 
Rußland befiegten, England aber nicht, zuckte Jagow die Achfeln. 
Der Gegenfab der Anfichten trat zutage, als ich fagte: „Konnten 
Sie nicht Rußland die Durchfahrt durch die Dardanellen und alles 
Mögliche verfprechen, um den Krieg zu verhindern?” Jagow erwiberte: 
‚Denn Sie ung ein Eleines Flottenagreement mit England gegeben 
hätten, wäre der Krieg nicht nötig gemefen.” 

Es gehörte nach allem, was dem Auswärtigen Amt über den Kriegs- 
ausbruch bekannt fein mußte, eine ziemliche Kühnheit dazu, die deutjche 
Flotte als Kriegsurfache zu bezeichnen. Aber der Kanzler und das 
Auswärtige Amt haben von nun an viel Liebe und Sorgfalt auf die 
Verbreitung und Kräftigung diefer Legende verwendet. Das ging zur 
Seite dem noch weit verhängnisvolleren Kampf gegen die deutfche 
Slotte, um fie im Krieg vom Schlagen abzuhalten. 

Menn deutjche Heere in Belgien und Frankreich einmarfchierten, 
ja überhaupt, wenn wir mit Rußland und Frankreich erfolgreich hands 

) Man hat mir häufig vorgeworfen, daß ich eine eigene Molitif getrieben und 
in&b.fondere durch die Nachrichtenabteilung politiſche Beeinfluſſung bemirkt hätte. 
Das ift durchaus unrichtig; ich habe mich im Gegenteil ftets, auch im Kriege, der 
äußerſten Zurüchaltung auf diefem Gebiete befleifigt, wie aus dem bisher ln: 
befannten, was Diefe Erinnerungen bringen, deutlich zu Tage treten muß. Daran 
wird nichtd geändert, wenn wirklich hier und da ein eifriger Offizier in der Nachs 
richtenabteilung die Grenzen des Reſſorts gegen mein Wiffen und Wollen über: 
Ihritten haben follte. Cbenfo unwahr ift die Behauptung, mit der Bethmann auch 
dem Kuifer gegenüber zu arbeiten pflegte, daß ich mit Dem ausgezeichneten Schrift: 
fieller Graf E. zu Reventlow, der im Anfang des Krieges zuſammen mit Rohrbach 
und Jäckh meinem Umtövertreter bei der Brarbeitung der Auslandöpreffe ausgeholfen 
hatte, während bes Krieges in Verbindung geftanden und ihn beeinflußt hätte, 








Die „Schuld” der Flotte 247 


gemein wurden, hätte auch ein völlig flottenlofes Deutjchland England 
zum Gegner gehabt. Unfere Übermacht auf dem Feftland wollte Eng: 
land nach feiner überlieferten Politik nicht dulden, jelbft wenn es 
feine förmlichen Ententen mit jenen Mächten hatte. Wenn überhaupt 
die deutfche Flotte in der Situation vom Juli 1914 eine Rolle fpielte, 
dann hat fie gegen die Verlockung Englands zum Krieg gebremft 
und Greys Bemühungen für den Frieden mit veranlaßt. Das enge 
liſche Verhalten in den Sahren unferer Flottenlofigkeit und Flotten⸗ 
Schwäche liefert den Beweis, daß England auch damals fich bietende 
Gelegenheiten, ung mit fremder Hilfe niederzufchlagen und unfere 
Vorherrſchaft zu verhindern, nicht vorübergelaffen, ja vielleicht Teich» 
teren Herzens ergriffen hätte, als es im Juli 1914 das Inftrument 
der Ententen in Bewegung geſetzt hat. Ich ſpreche Selbjtverftänd: 
fiches aus, aber die eifrige deutfche Neigung zur GSelbjtvernichtung 
ermöglichte es fchon im Herbft 1914 dem Neichsfanzler und feinen 
Helfern, Argwohn gegen das einzige damalige Nettungsmittel Deutfch- 
lands, — die Flotte auszuftreuen. Es wurde hierdurch ermöglicht, die 
Spur der Juliwochen, der wirklichen Kriegsentftehung für das Urteil 
Bieler zu verwifchen. Bald hörte ich zuverläfjig, daß zwiſchen der 
Reichskanzlei und der Redaktionsſtube gemwiffer Zeitungen Einverftänd- 
nis darüber erzielt wäre, man fähe mir fchon von meitem bad Be⸗ 
wußtſein an, der Schuldige an diefem Kriege zu fein. Einfichtslofe 
deutſche Kreife redeten e8 bald den Feinden nach, die Autofratie und 
die Militärkafte hätten den Krieg verbrochen; und diejenigen, welche 
nicht ihrem Willen nach, aber in Wirklichkeit die Zerftörung der Mon⸗ 
archie eingeleitet und die Fundamente deutfcher Kraft und Selbftändig- 
Feit ind Wanken gebracht haben, drängten fich nach der Revolution 
angeblich danach, vor einem Staatsaerichtshof die „ Wahrheit” zu fagen. 

Die Mifdeutbarkeit der Bethmannfchen Politit im Juli 1914 hat 
nicht nur unſere dinlomstiiche Lage im Krieg und beim Friedens: 
ſchluß verfchlechtert, fondern auch die deutfche Neigung zur Selbft: 
bezichtigung in einer Weiſe geftärkt, welche die ganze fernere Zufunft 
unferes Volkes zu befchatten droht. Denn die Feinde, welche die 
Schuld am Krieg auf das deutfche Volk abzuladen wünfchen, fanden 
im Schoß des deutfchen Volkes felbft gefällige Agenten, um ung ein- 
zureden, daß wir den Krieg vom Zaum gebrochen hätten. Die Mifgriffe 
der deutfchen Politik in diefen Wochen habe ich angedeutet, und fie jollen 


248 Der Ausbrud) des Krieges 


nicht befchönigt werden. Niemals aber find wir die Schuldigen am 
Krieg. Schuldig am Krieg wie an feiner barbarifchen Führung find 
einzig und allein die Machthaber in London, Paris und Petersburg. 
Mie Eonnte darüber auch nur der Teifefte Zweifel auflommen? Wie 
kann das deutfche Wolf vergeffen, daß die belgifchen Gefandten, bell- 
fichtiger als die deutfchen Diplomaten, den Kriegswillen der Entente 
und ihre gegen Deutfchland gefponnene Verfchwörung mehrere Jahre 
vor dem Krieg unzweideutig bloßgelegt Haben? Die Schuld der Entente 
liegt auch feft in ihren Taten: fie, die Elſaß-Lothringen dem deut- 
ſchen Mutterland entreifien, das deutfche Wolf zum Lohnfklaven des 
angelfächfifchen Kapitalismus machen, die öfterreicheungarifche Mon- 
archie auflöfen und das türkifche Neich vernichten wollte; fie, die mit 
Schwert, Hunger, Snternierung, Handelsraub und moralifcher Ver: 
giftung Fämpfte, bis das Sterben unferes Volkes befiegelt war; fie, 
welche die feit Sahrzehnten gezeigte Feindfchaft fofort in die Tat um— 
fette, als ihr die Verhandlungen des Juli 1914 hierzu eine bejonders 
günftige Gelegenheit boten; fie wird fich durch die heuchlerifche Aus: 
nüßung unferer unglücdlichen Politif nicht auf die Dauer dem melt- 
gefchichtlichen Urteil über ihre Verbrechen am Geifte der Menfchheit 
entziehen können. 


8 


Sch habe in diefem Bericht mich fo beftimmt ausgedrückt, weil offi- 
ziöfe Stellen fich auch heute noch bemühen, die begangenen Fehler zu 
vermwifchen. Die moralifche Schuldlofigkeit unferer damaligen Regierung 
Fann aber nur Plargelegt werden durch eine offene Darftellung ihrer 
diplomatischen Unzulänglichkeit; und nur hierdurch kann hiſtoriſch nach- 
gewieſen werden, daß der Kaifer an dem damaligen Vorbeigreifen der 
Regierung unbeteiligt war. Wenn andere Stellen gefehlt haben, fo ift 
das nicht gefchehen durch den Willen zum Krieg, der auch ihnen gänz⸗ 
lich abging, aber durch Mangel an geradem und Elarem Denken. 

Jetzt ftrömte unfer Volk zu den Fahnen und fuchte in dem jubeln: 
den Opfergeift des Augufis 1914 und in der niemals wieder von 
deutfchen Augen zu verfchauenden Kraftfülle des preußifchedeutjchen 
Staates den Überfall abzumehren, den eine Burzfichtige Staatsfunft den 
lauernden Nachbarn erleichtert hatte. Das Nationale war damas im 
Auffteigen, das hatte das deutſche Volk fchon 1911 gezeigt, ald es 








Regierung und Voll 249 


ſich von einer fehmwächlichen Regierung nicht über die erlittene Krän- 
tung beruhigen ließ. Das zeigte es num mit ergreifender Gewalt, 
als der Kaifer den Ruf zu den Waffen ergehen Tief. Unſer Volk 
mußte damals nicht, wie unjere politifche Leitung fich geirrt hatte, 
und unter wie erdrückend ungünftigen Bedingungen es in den unvor- 
bereiteten Krieg ging. Es wußte fich frei von Schuld, und mar es 
in Wirflichkeit. Aber Feines der unzähligen Friedensangebote unferer 
Regierung hat England zum Erbarmen bewegt, nachdem e8 die Schwäche 
unferer Regierung erkannt und aus ihr troß Deutſchlands damals noch 
hoher Kraft und Gefundheit die Gemwißheit unferes Unterganges ge: 
ſchöpft hatte. 

Und doch wäre es der Weltkoalition troß beifpiellofer Übermacht 
nicht gelungen, uns zu befiegen, wenn unfere innere Einigfeit mit 
denjenigen Mitteln aufrecht erhalten worden wäre, die den Überliefe- 
rungen unferer Väter und der Gefahr der Stunde entfprachen. Aber 
welches Heldentum unfere Truppe auch bewies, daheim zog die Ne: 
gierung die Erbfehler des Volkes und die zeritörenden Elemente groß, 
bis Englands Wunfch erfüllt und dag blühendfte und befte Volk der Erde 
auf einen unerhörten Tiefſtand heruntergedrücdt worden mar. 

So ift e8 dem alten Piratenftaat England wiederum gelungen, 
Europa fich felbft zerfleifchen zu Iaffen und durch Hineinwerfen der 
eigenen Macht und Anwendung brutalfter Mittel den Sieg auf die 
Seite zu bringen, welche feinen materiellen Sntereffen entfprach. Die 
Freiheit und GSelbfländigkeit der Völker des europäifchen Feftlande 
ift jeßt dahin und ihre Kulturblüte hierdurch vielleicht auf immer 
vernichtet. 

Aber gerade aus diefem Erfolg wird für England felbft geboren 
werden der Tag des Gerichte, 


Siebzehntes Kapitel 
Hauptfragen des Krieges 


1 


England hoffte unfer Land durch die ruffifhe Dampfwalze zu 
erdrücen, während die franzöfifch-belgifchebritifche Armee der unfrigen 
Einhalt geböte, und beabfichtigte den Krieg dann zu floppen, wenn 
die Gefahr eines zu großen ruffifchen Sieges entftünde. Der Feind 
nahm an, daß Staliens Abfall unfere Berechnungen ummerfen und 
unjere zahlenmäßige Überlegenheit im Weſten wãhrend der entſcheiden⸗ 
den Wochen beſeitigen würde. 

Die wohlbegründeten feindlichen Siegeshoffnungen wurden getäuſcht 
durch die Art, wie unſer Militärapparat ſeinen Dienſt tat, und die 
Schnelligkeit, womit wir Belgien einnahmen. Die ruſſiſchen Maſſen 
erfüllten, was man von ihnen erwarten konnte. Aber ſie hatten das 
Unglück, bald auf große Feldherren zu ſtoßen, welche, vom Schlachten⸗ 
glück begünſtigt, die beſten Eigenſchaften unſeres Volks in Waffen 
durch großartige Manöver zur Geltung brachten. 

Der Schlieffenſche Plan, Frankreich über Belgien anzugreifen, war 
an ſich wohl geeignet, die erſte Lebensgefahr von Deutſchland ab— 
zuwenden. Ich vermag nicht zu beurteilen, ob der mir bis zum 
Kriegsausbruch unbekannt gebliebene Plan bei der zunehmenden 
kriegstechniſchen Entwicklung zum Grabenkampf angeſichts unſerer 
politiſchen Weltlage und den gegenſeitigen Stärkeverhältniſſen un— 
bedingt richtig war. Jedenfalls hätte er von ſolchen ausgeführt 
werden müſſen, welche das Genie beſaßen, eine ſo rieſenhafte 
Operation bei den naturgemäß eintretenden Zwiſchenfällen voll zu 
beherrſchen. Für die ungeheure Umgehungsbewegung konnte unſere 
Heeresleitung den Sicherheitskoeffizienten gar nicht reichlich genug be— 
meſſen; ſie hat ihn aber zu knapp genommen. Das Heer war im 
Frieden zu klein gehalten, die Wehrkraft Deutſchlands in verhängnis— 
voller Unterlaſſung nicht genügend ausgeſchöpft worden. Ende 1911 














Nilitäriſche Eröffnung des Krieges 251 


regte der Kanzler eine Heeresvorlage an; diefelde war aber wohl nicht 
groß genug, und die von 1913 Fam für die volle Wirkung im Kriege 
zu fpät. Sch felbft hatte auf eine Anregung des Admirals von Müller 
hin vor Weihnachten 1911 dent Kriegsminifter von Heeringen vor: 
gefchlagen, mit mir zufammen auf einer fofort einzubringenden Wehr: 
vorlage zu beftehen, und meine Bereitfchaft dazu ausgedrüdt, meine 
Forderungen gegenüber denen der Armee in zweite Linie zu ftellen. 
Sm Hauptquartier war man im Herbft 1914 der Meinung, daß 
ber Krieg gegen Frankreich gewonnen worden wäre, wenn die zwei 
Armeekorps zur Stelle geweſen wären, welche fich der Generalftab 
1911/12 entgegen den Forderungen feiner Fachleute hatte abhandeln 
lofjen. Dazu Fam die Unterfchäßung der britifchen Armee, die man 
ih in unfrem Publikum immer noch gern in der Art der Alderfhot: 
Zommies mit Mügchen und Spazierſtock vorftellte. Me ich nach Kriegs: 
ausbruch den Generalftabschef warnte, diefe Truppe, die gewiffermaßen 
aus lauter Sergeanten beftände, zu leicht zu bewerten, antwortete er: 
„Die arretieren wir,” Er fah bei diefer Hoffnung wohl noch nicht vor: 
aus, daß er in den Eritifchen Tagen Veranlaffung haben würde, zwei 
Armeeforps für die Oftfront gerade vom rechten Flügel heraus: 
zuziehen. Noch im Spätherbft 1914 begegnete ich im Großen Haupt: 
quartier Zweifein an dem Ernft der neuen Kitchenerarmeen. Im Auguft 
1914 fchrieb ich aus Koblenz: „Die Schwierigkeiten Fommen erft, wenn 
die Armee glaubt über den Berg zu fein.” 

Es erfchien mir damals vor allem wichtig, die englischen Etappenlinien, 
zu durchfchneiden und nach Calaig zu Eommen. Alles Übrige wäre ung 
feichter gefallen, werm wir erft die Engländer durch Abfchneiden vor 
den SKanalhäfen gezwungen hätten, die Überfchiffung nach Cherbourg 
oder gar nach Breit vorzunehmen, alfo über den Atlantif fiatt über 
eine Birmenfee, was dem Krieg in Frankreich ein anderes Geficht 
gegeben hätte, 

Sch habe Moltke vergeblich hierzu gedrängt, und auch Feldmarſchall 
von der Golf, der meinen Standpunft teilte, drang nicht durch. 
Auf die Entfchliefungen Falkenhayns konnte ich Eeinen Einfluß ge 
innen. Mein Wunfch, die englifchen Etappenlinie zu durchfchneiden, 
wäre von der See aus meiner Anficht nach nur durch eine Seefchlacht 
der Hochfeeflotte ausführbar geworden, nicht durch alleiniges Vorftoßen 
ber leichten Streitkräfte. Bei meinem Drängen nach Betätigung der 


252 Hauptfragen des Krieges 


Slotte, von dem fpäter zu fprechen ift, war dies nur ein ZTeilgefichte- 
punkt. Seine nachträgliche Beftätigung gibt in diefem Augenblick 
(Anfang 1919) Lord Haldane, der, Zeitungsmeldungen zufolge, in 
einem Brief an die „Times“ es als Fehler der deutjchen Strategie 
bezeichnet, daß „ſie zögerte, fofort von ihren Ubooten und Torpedo— 
booten Gebrauch zu machen, um den Transport der britifchen Armee 
nach ihrer Mobilifierung am Morgen des 3. Auguft zu verhindern”, 
Hätten wir dies planmäßig vorbereitet und dann verfucht, fo mwäre 
zweifellos die englifche Hochfeeflotte erfchienen, und die Seefchlacht 
hätte fich dann, je früher defto befjer, entwickelt. 

Moltke war ein ſchwerkranker Mann, Die Zügel fchleiften gerade im gez 
fährlichiten Zeitpunkt am Boden, die Einheitlichkeit in den Operationen der 
Armeen ging verloren. Zu Moltke hatte ich troß feines Unglücks alg Perfön- 
lichEeit volles Vertrauen gehabt. Sein Nachfolger machte nicht den Ein- 
druck, jo vorgefchult zu fein, um die Aufgabe zu bewältigen, die nach der 
Marnefchlacht mit der Ausweitung zu einem Erfchöpfungskrieg ins 
Ungemeffene flieg. Die Armee hatte bis dahin mur ein einziger Ge: 
banfe beſeelt: Cannä. Im Erfchöpfungskrieg aber mußte die Über: 
macht des Feindes dank feiner Seeherrfchaft immer ftärfer zum Tra— 
gen Fommen. Alle Landfiege verfickerten in der beifpiellos ungünftigen 
Gefamtlage Deutfchlands. Eingefeilt zwiſchen Landfeinde, konnten mir 
uns nicht allein dadurch retten, daß mir ung wie ein Sigel rings 
unangreifbar machten. Denn unfere Lebensfäden Tiefen über See. 
Darum Fonnten uns nur größte Kühnheit und Gefchloffenheit 
retten. Auch der Landfrieg mußte fich dem Gefamtziel eingliedern. 
Nach der Marnefchlacht mußte die Armee umlernen. Die damalige 
Dberfte Heeresleitung ließ das Suchen nach großen Endzielen ver: 
miffen. Hindenburg und Ludendorff aber, welche 1915 die Vernich- 
tung der ruffifchen Armeen durch Überflügelung von Kowno her in 
Ausficht ftellten und deshalb mit dem Frontalangriff von Gorlice 
her nicht übereinftimmten, durften ihren Kriegsplan nicht ausführen. 
Wenn er glücte, wäre ihre Stellung gegenüber dem Hauptquartier 
freilich eine überragende geworden. Im Krieg braucht man ein be 
ſtimmtes großes politifches Ziel, auf das man mit Fonzentrierten po» 
Kitifchemilitärifchen Kräften losgeht. Und zwar entfcheidet im Krieg 
ber Hauptgegner. Teilfiege über Nebengegner find beftenfalls Mittel 
zum Zweck. Das eigentliche Ziel durfte mır eins fein: bie feindliche 





Das politifchzmilitärifche Hauptziel 253 


Koalition ins Herz zu treffen. Ob wir dies Ziel erkannten, davon hing 
unjer Schiefal ab, 

Mer war aber der Hauptgegner? Für mich zweifellos der, welcher 
die größten Mittel und den umfaſſendſten Kriegswillen beſaß. Das 
politiiche Hien der Entente war ſtets London geweſen; es wurde 
immer flärker auch zum militärifchen Gehirn. Bis zu jenem Auf- 
bau einer neuen Oftfront im Sahre 1918 hat es Feine mejentliche 
Chance ausgelaffen. Demgegenüber mußten wir auch alle Siege über 
Rußland als Zeilfiege auffaffen, die dazu dienen follten, unfere Kraft 
gegen den Hauptfeind frei zu machen, indem fie einen rajchen Sonder: 
frieden mit dem Zaren ermöglichten. 

Keine Zerſtücklung des Zarenreichs aber, auf welche die deutjche 
Diplomatie und Demofratie ausgingen, half und etwas, wenn mir 
den Hauptfeind nicht trafen. 


2 


Mit Recht fchreibt das Volksgefühl nicht den Militärs, fondern 
dem Staatsmann Bismard das Hauptverdienit an den gewonnenen 
Kriegen zu, welche ung frei, einig und mohlhabend gemacht haben. 
Solange unfer Volk gefund und treu, unfere Wehrfraft unüberwind- 
lich war wie in den erften Jahren des Meltfriegs, hatte die 
Staatskunſt politifche, militärifche und maritime Handhaben ges 
nug, um aus dem Krieg gegen England, in welchen fie hinein= 
geraten war, mit Ehren wieder herauszufommen. Die Armee, die 
in ihrem Sondergebiet nicht. darauf gedrillt war, England zu be- 
kämpfen, unterjchäßte diefen für fie fozufagen unangreifbaren Geg- 
ner. Sch war als Schwarzfeher verfchrien und im „Lion d’Or“ zu 
Charleville ging die Nede: „Es iſt Eein Offizier im Großen Haupt: 
quartier, der nicht glaubt, daß der Krieg vor dem 1. April 1915 
zu Ende geht außer dem Herrn Staatsfekretär der Marine” 5 
der angeljächjifchen Welt wurde ich als ein Gegner angejehen, deffen 
Sfolterung innerhalb der deutfchen Neichsleitung mit Befriedigung ver- 
zeichnet wurde. Denn dies begreifliche Vorwalten feftländifcher Ges 
jichtspunfte bei der Armee wäre ungefährlich geblieben, wenn nur 
der Kanzler mit mir ging. Ohne richtige Politik, welche die maritime 
Lage mitberückfichtigte, war jedenfalls der Krieg auch militärifch ſchwer zu 
gewinnen, Wenn aber der Kanzler das Wefen des Weltkriegs begriffen 


254 Hauptfragen des Krieges 


hätte, wäre auch die Armee willig geivejen, den englischen Etappen: 
Iinien gleich zu Anfang des Feldzugs eine größere Bedeutung beizu: 
mejjen. Es wären dann auch jene feesmilitärifchen Schläge gegen 
England ausgeführt worden, von denen in diefem und den folgenden 
Kapiteln die Rede fein wird. 

Am 19. Auguſt 1914 fagte ich dem Kanzler in Gegenwart von 
Moltfe und Jagow: Was wir gegen Nußland erreichen können, drückt 
nicht auf England, fondern entlajtet es. Die DVerhältniffe haben 
ung gezwungen, mit einer Front zu ſchlagen, die nicht unferen po- 
litiſchen Intereſſen entfpricht. Der deutfcheruffifche Krieg ift in Eng— 
fang fehr volfstümlich, Die englifchen Staatsmänner find unbedingt 
entfchloffen, bis zum Ende durchzuhalten. Unfere Zukunft Fann nur 
gerettet werden, wenn wir England bedrängen. Es Fommt für die 
Entjcheidung des Kriegs einzig darauf an, ob Deutfchland oder Eng. 
land länger durchhalten kann. Unbedingt notwendig ift es, Calais 
und Boulogne zu befeten. 

Diefer Gedankengang fchien dem Kanzler nicht einzuleuchten. Er 
meinte, wir müßten felbft im Fall eines im Weften glüdlichen Kriegs 
uns dort einfchränfen und unfere Kraft nach Often wenden. Schon in 
der erjten Augufihälfte hatte der Kanzler einem gemeinfamen Bekannten 
erklärt: „Der Krieg mit England ift nur ein Gewitterftuen, der rafch 
vorüberbrauft. Nachher wird das Verhältnis beffer als je.” Bethmann 
ging darauf aus, eine Verftändigung mit England zu fuchen, und er 
hielt es deshalb für richtig, diefes Land auch mit unferen Kriegs: 
bandlungen fchonend anzufaljen. England wäre „eine Bulldogge, die 
man nicht reizen dürfte‘. Bethmann fuchte jet nach der Freundfchaftgs 
hand, die er bei Greys Konferenzvorfchlag nicht gefunden hatte. Er 
überfah, daß England, nachdem es einmal den Krieg unternommen, 
run in klarer und Fühler Folgerichtigkeit diefen Krieg auch gemwinnen 
wollte. Der landmilitärifche Standpunkt der Armee, eine gewiſſe Nach- 
giebigkeit des Kaiſers und die unklaren politifchen Vorftellungen weiter 
deutfcher Kreife gaben dem Kanzler die Möglichkeit, fein zufanımen- 
geftürztes Kartenhaus immer aufs neue aufzubauen. Er dachte an 
Greys Friedlichkeit in den erſten Juliwochen zurüd, und da er deren 
Grund, den großen Ernft des Riſikos bei einem Seekrieg, nie begriffen 
hatte, fo fette er diefelbe Friedlichkeit auch noch voraus, als England 
ben Entſchluß zum Krieg gefaßt hatte und durch die Begleitumſtände 








Unterredungen mit dem Kanzler 255 


des Kriegsausbruchs, ſowie durch die Nichtbefeßung der Kanalküſte, 
die Zurückhaltung der deutfchen Marine und die Ereignijje an der Marne 
in der Ausficht auf den Sieg beftärkt worden war. England folgte jeßt, 
wie ich oben bemerkte, feinen alten Überlieferungen, im Krieg gegen 
die jeweils ftärffte feftländifche Konkurrenzmacht zu wachſen. Mit 
puritanifchem Pharifäertum war die praktifcheutilitariftifche britische 
Politik, beherrfcht von den Intereffen des angelſächſiſchen Kapitals, ganz 
einheitlich entfchlojfen, das Deutjchtum um fo härter und unerbittlicher 
zu befämpfen, je näher bis zum Juli 1914 ſchon die Möglichkeit gelegen 
hatte, daß wir ung friedlich durchſetzten. Wie Eonnte man glauben, 
daß England die Chance nicht voll ausnüßen würde, die ihm jetzt 
gegeben war, um den ihm beinahe fchon über den Kopf gewachſenen 
Wettbewerber doch noch, und zwar in letzter Stunde, niederzufchlagen! 
England fleigerte feine Kriegsentfchloffenheit, je mehr es fie bei ung 
vermißte. Lloyd Georges Einfluß wuchs über denjenigen Asquiths 
empor. Bel uns vollzog ich die umgekehrte Entwicklung; die entfchloffene 
Richtung wurde zurückgedrängt. Diefer Weg mußte mit Sicherheit 
zur Niederlage führen. 

Seit 1911 hatte unjere Politik aus chronischem Mißverftehen Enge 
lands beftanden. Seit wurde das fortgefeßt. Die Preſſe erhielt die 
Anweifung, nicht feherf gegen England zu verfahren. Wiederholt wurde 
das in den Sitzungen der Prejjevertveter zu Berlin von feiten des 
Auswärtigen Amtes eingefchärft. Den Engländern ift dag natürlich 
nicht verborgen geblichen, und fie zogen daraus ihre Schlüffe, freis 
fich die umgekehrien, als Michel annahm. 

Meil unfere Offentlichkeit Englands Willen und Kräfte nicht Fannte, 
nahm man fie halb als nicht vorhanden und ſah nicht, daß mir 
unfere Niederlage annehmen mußten, wenn es nicht gelang, England 
fo zu bedrängen, daB es eine Ausföhnung für vorteilhafter hielt. Die 
Erkenntnis Englands, deren Anſätze von Oneifenau und Friedrich Lift 
bis zu Karl Peters und A. v. Peez reichen, war nicht Durchgedrungen. 
In Bismards Zeit, welche hauptfächlih als Lehrmeifterin für Die 
Gegenwart herangezogen wurde, hatten notwendigerweife andere Pro: 
bleme und Bedingungen unferer Politi? zugrunde gelegen. Außerhalb 
ber Marine überfah man die Art von Englands Macht und feine Ent- 
fchlojfenheit, ung zurüczudrängen, um fo bereitwilliger, ald man fich 
Feine Vorfteliung davon machte, welche Mittel wir ſelbſt ſchon bejaßen, 


256 Hauptfingen bes Krieges 


um diefem Willen Englands entgegenzutreten. Die Marine aber war 
noch zu jung und zu wenig verwachfen mit der Nation, um fie mit ihrer 
Sehmeife zu durchdringen. Diefe im Laufe des Krieges fich fteigernde 
Vereinfamung der Marine, welche ftraffe Staatsgefinnung mit übers 
feeifcher, für einen Weltkrieg geeigneter Erfahrung verband, zeigte, daß 
die Nation oder ihre Oberfchicht für einen folchen Krieg nicht veif war. 
In den erften Kriegsmonaten traten noch Männer aus allen Kreifen 
des Volkes an mich mit der Forderung heran, die Flotte zum Schlagen 
zu bringen; wenn fpäter die öffentliche Meinung hierin erlahmte, fo 
folgte fie nur der von der politifchen Leitung eingefchlagenen Richtung. 

Am 27. und 28. Nuguft habe ich anläßlich meines Planes, ein 
Marinekorps zur Kriegsführung gegen England von Flandern aus zu 
bilden, den Kanzler erneut beftürmt, feine Politit gegen England zu 
Fonzentrieren. Es war mir ſchon damals kaum begreiflich, wie man 
den Krieg gegen England allein zu Lande gewinnen wollte; vier Wochen 
fpäter, als die Heeresfronten angefangen hatten, zu erftarren, erfchien 
dies als eine völlige Utopie. 

Sch fland, wie bemerkt, im Hauptquartier und bejonders gegenüber 
den Diplomaten allein. Über meine Art der Auffaffung Eonnte ich faſt 
mit feinem mehr reden. In diefer Umgebung, die bewußt und unbewußt 
gegen mich in unrichtigem Optimismus übereinftimmte, habe ich 
mich oft gefragt: Bin ich mit Blindheit gefchlagen oder find es bie 
andern alle? Sehe ich zu ſchwarz? Habe ich mich in meiner ganzen 
Lebensarbeit über Englands hartnädigen Herrfchaftswillen wirklich ge- 
täufcht? Die führenden Kreife ftanden dem Wefen der Seegewalt und 
dem uns drohenden Schieffal ftumpf gegenüber; fie wollten nicht fehen, 
daß England unfere Seeinterefjen zum Verfiegen bringen wollte. Als 
die Entwicklung des Krieges mir leider recht gab, enthüllte fich mir erſt 
der fürchterliche Sinn jenes Wortes: but you are not a seagoing nation. 

Sch ftellte dem Kanzler immer wieder vor, daß England nicht auf- 
hören würde zuzufchlagen, folange Ausficht beftünde, unfere Weltftellung 
zu brechen. Unfere Demokratie hätte dies am allermeiften fürchten 
müffen. Predigte doch Lloyd George: „Ich fürchte nicht v. Hindenburg, 
v. Madenjen und alle die anderen Vons, fondern den deutfchen 
Arbeiter.” Se länger fich das Knockout hinzog, defto gefährlicher wurde 
es für uns. Denn die britiiche Hauptwaffe, die Flotte, Eonnte nur 
durch lange Jahre der Blockade wirken. Auch zu Land vergingen Jahre, 














Unterredungen mit dem Kanzler 257 


58 England fein eigenes Heer gefchaffen hatte, nachdem es Feinen 
raſchen Sieg durch fremde Heere errang. Unternahm aber England 
biefe gigantifchen Anftrengungen, die feine eigene Wirtfchaftsordnung 
aufs Spiel feten, dann wollte es fich auch in riefenhaftem Umfang 
bezahlt machen und ein Wiederaufleben des deutfchen Volks nicht in 
Sahrhunderten befürchten brauchen. 

Auf meine Verfuche, den Kanzler von feiner unrichtigen Beurteilung 
und Behandlung Englands abzubringen, fprach Bethmann, feiner Eigen: 
art gemäß, feine Anſicht wenig pofitio aus. Es blieb aber nicht zweifel- 
haft, daß er in feinem alten Ideengang beharrte. Als am 19. Auguft 
ber Kanzler mir mitteilte, daß die Engländer Holländifche und für 
Holland beſtimmte Getreidefchiffe nach England mwegführten, war er 
nicht zu bewegen, diefen Neutralitätsbruch in der von mir empfohlenen 
Form an den Pranger zu ftellen. Ich fagte ihm fchon damals: „Jeder 
offen gezeigte Wunfch, mit England zur Verftändigung zu kommen, 
wird das Gegenteil bewirken ımd uns als Schwäche ausgelegt. Die 
äußerste Hartnärkigkeit, die mir England zeigen, iſt das einzige Mittel, 
um e8 zum Einlenken zu ſtimmen.“ 

Ich ftelle hier feft, daß mein Eintreten für einen gefchlsffenen 
Kampfwillen gegen England in den Jahren 1914/18 die Regierung 
niemals daran gehindert hat, einen Verfländigungsfrieden mit Enge 
land zu fuchen. Sch fpreche hier nicht in Verteidigung. Denn das in 
die Maffen geworfene Schlagwort, ich hätte die Negierung an einem 
rechtzeitigen Frieden mit England gehindert, ift zu töricht, als daß ich 
mich dagegen zu verteidigen hätte. Niemals in den ganzen Jahren trat 
meines Wiſſens eine Stunde ein, in welcher England ung einen anderen 
Frieden gewährt hätte als den Frieden der Vernichtung. Niemals war 
mein Einfluß derart, daß ich eine Friedensmöglichkeit hätte durchkreuzen 
Fönnen, auch wenn ich gewollt hätte, und niemals hat der Kanzler mir 
eine greifbare Friedensmöglichkeit eröffnet. Sch fpreche hier vielmehr 
von einem einfachen Gefichtspunkt der politifchen Taktik, der um fo 
wichtiger wurde, je mehr fich unfere Lage verfchlechterte. Gerade wenn 
man zu einem leidlichen Verzichtsfrieden mit England kommen wollte, 
mußte man, im Kriege begriffen, einen Präftigen Kampfesmwillen gegen 
England zeigen und die Annäherung an Rußland fuchen. Ein folcher 
taktifcher Geſichtspunkt iſt fo einfach und elementar, daß ihn alle 
Völker mit Ausnahme des deutfchen befolgen. In den Lebensfragen 


Tirvis, Erinnerungen 17 


258 Dauptfragen des Krieges 


der Nation Scheint aber der Deutfche nicht genug Leidenschaft aufzus 
bringen, um dieſen Grundfaß zu beherzigen!). Die legte Ausficht, 
einen leidlichen Frieden mit England zu finden, ging verloren, als 
wir die umgelehrte Taktik der öffentlichen Friedensangebote befchritten. 
Um feinen guten Willen zu zeigen, gibt der Deutfche gern beim inter 
nationalen Gefchäft feine Trümpfe von vornherein dem Gegner in bie 
Hand, in der Hoffnung, ihn dadurch freundlich zu ftimmen. Von den 
Friedensangeboten an ſah die britifche Staatskunſt mit unbeirrbarer 
Sicherheit unfere innere Zerbröcklung fortfchreiten. Der natürliche 
Inſtinkt mußte e8 verbieten, den Kriegsgegner mur mit der einen Hand 
zu fchlagen, mit der anderen zu ftreicheln. So aber verfuhren mir, 
um ben Hauptfeind „nicht zu reizen”. Befonders wer den Engländer 
Fennt, weiß, daß man ihn nur durch Feftigkeit und äußerſte Ent 
Schloffenheit zu einem billigen Abkommen veranlaffen kann. Welche 
berechtigte Kritit haben Iren, Inder, Agypter und andere unterjochte 
Völker an uns geübt. Sie mußten aus langer, leidenreicher Er⸗ 
fahrung, wie man Briten behandeln muß, Sie bofften, durch 
ung zur Freiheit zu gelangen und erlebten es num, wie wir durch eine 
verkehrte Taktik uns felbft inmerlich zum Untergebenen der Angel 
fachfen machten, als unfere äußere Kraft noch machtvoll daftand, 

Als am 4. September 1914 alle bürgerlichen Parteien des Reiche: 
tags, damals noch in ungebrochener Einigkeit, eine wirkſame Demon- 
ftration gegen England planten, indem fie von fich aus ohne mein Zutun 
eine Ergänzung des Flottengefeßes vorfchlugen, verhinderte der Kanzler 
den Antrag. Eine folche Politif des Unterdrückens nationaler Ents 
fchloffenheit in einem folchen Krieg war krankhaft. 


») Ih mußte ihn zu fchäßen, au wenn er mir unbequem fiel. So hatte 
mir beifpielöweife ein Jahrzehnt früher der Klottenverein, indem er weiter gehende 
Forderungen vertrat ald ich felbft, und mich heftig und perfönlich unangenehm 
angriff, tatfächlich Die Durchfegung meiner gemäßigten Forderungen beim Meichds 
tag erleichtert. In dieſem Sinn, als taktifhe Hilfe für die Megierung, um gu 
Friedensverhandlungen den unentbehrlihen Rüdhalt an einer feflen Stimmung 
im Volt zu haben, ift fpäter die Vaterlandspartei gegründet worden. Ich wunderte 
mich oft und wundere mich noch heute, wie auch Fuge Leute die Wirkung des 
Flaumachens auf das Ausland fo gar nicht fühlten und deshalb Die Vaterlandes 
partei vielfach für eine Brutftätte von kritifiofem Optimismus anfahen. Ihren 
eigentlihen Sinn konnten nur Diejenigen verftehen, welche den vollen Inſtinke 
bafitr befaßen, dag wir nah außen fämpften, 





Bethmann⸗Hollweg und England 259 


Als ich in den erften Tagen bes November erfuhr, daß die Engländer, 
um den Zugang zum Kanal zu fperren, ein Kriegsgebiet durch Minen: 
legen in der offenen Nordfee gefchaffen und damit einen befonders 
ftarfen Bruch des beftehenden Seerechts begangen hatten, war Jagow 
nicht zu bewegen, die von mir entworfene Proteftformel abzugeben. 
Das Auswärtige Amt arbeitete vielmehr mit dem für folche Materien 
bisher nicht zuftändigen Admiralitab eine andere Erflärung aus, bie 
von Spezialiften des internationalen Rechts vielleicht ſchön gefunden 
werden mag, praftifch aber mehr fehadete als nüßte, da fie mit ihren 
furiftifchen Spisfindigfeiten Zweifel an unferem bisher ftreng beob⸗ 
achteren Fefihalten am Wölkerrecht erweckten. Sie war wirkungslos, 
weil fie den Vorbehalt der Vergeltung nicht enthielt. 

Daß es beijer geweſen wäre, ben Engländern feiten Kampfwillen 
zu zeigen, bejtätigte fich durch immer neue Erfcheinungen. Darum 
zitterte man in England, daß der Kanzler fallen und eine Bräftigere 
Kriegsführung Plat greifen Fönnte; darum ftiegen in London die Kurſe, 
als mein Rücktritt fich vollzog. Umgekehrt legten die Engländer es 
geſchickt darauf an, den Kanzler am Ruder zu erhalten. Seit fie 
1911/12 einen Einbli in feine Gefchäftsgebarung erlangt hatten, fehlen 
er ihnen bie befte Gewähr für den Sieg zu bieten. Weite deutfche Kreife 
blickten deshalb auf Bethmann als den Vertrauensmann Europas, und 
unfere Demokratie, welcher feine Schwäche umd Unflarheit aus anderen 
Gründen gleichfalls unentbehrlich war, pflegte gerne diefe Legende. Der 
Mann, ber das deutfche Preftige zerftört und durch feine Diplomatie 
der Welt das gefährlichite Material gegen ung geliefert hatte, follte 
geeignet fein, die Engländer nachjichtig gegen ung zu flimmen Der 
Kaiſer aber glaubte fich an den Mann gebunden, der fich der deutfchen 
Demokratie und den Engländern empfahl, So blieb Bethmann und 
wurde gehalten, teogdem er in drei langen Kriegsiahren Eeinen Beweis 
dafür erbracht hat, daf England ihm einen billigen Frieden gewähren 
wollte. Uber die Engländer erklärten ja, an ihrer Unverföhnlichfeit 
wären nur die Vertreter der deutſchen Wehrfraft fehuld, nicht Bethe 
mann, und wenn erjt unfere Wehrfraft zerjtört wäre, würde es und 
gut gehen. Das wurde von vielen guten Deutfchen ernftlich für wahr 
genommen. 

Mie felbft Blätter vom Schlag der „Daily Mail” durch Lob des 
Kanzlers ihn nicht zu bisfreditieren, fondern zu feftigen hofften, dafür 


17° 


260 Hauptfragen dest Krieges 


ein paar Sätze aus ihrem Artikel „Der Kanzler und der Seeräuber” 
vom 31. Auguſt 1915 (nach unjerem Arabie-Rüczug): „Es ift ſchwer, 
in Bethmanns Kampf mit Zirpig nicht mit ihm zu fompathifieren. 
Im vergangenen Jahr war er Kanzler nur dem Namen nad). Sein 
Gefchäft war vielfach, Deutfchland aus den Verwiclungen zu ziehen, die 
ihm die wirklichen Leiter der deutfchen Politik, die Armee und die 
Marinebehörden auferlegt haben. Sie verfolgen ihren Lauf mit ber 
üblichen Außerachtiegung der Zivilanficht. Sein Amt ift, hinter ihnen 
aufzumifchen. Endlich beginnt er, eine Stimme zu fordern in ber 
Entjcyeidung der Politik, deren diplomatifche Folgen von ihm, nicht 
von ihren Urhebern getragen werden müſſen.“ Derlei wurde bei ung 
Stellen vorgelegt, die es für bare Münze nahmen!), 

Die handgreiflichen Beweiſe dafür, daß England und Frankreich vor 
erſt mindeftens feinen Verjtändigungsfrieden abfchließen wollten, wurden 
überhört. Unfer Friedensangebot vom Dezember 1916, bag, fomeit 
ich unterrichtet bin, durch großes Entgegenfommen begleitet war, wurde 
mit Hohn und dem befannten Eroberungsprogramm der Entente be 
antwortet. Schon damals hätte man fich ähnlichen Bedingungen 
gegenübergefehen, wie fie im November 1918 die deutfche Regierung 
angenommen hat. Trotzdem wurde vom Kanzler und der Demokratie 
noch immer nicht begriffen, daß ihre Taktik falfch war. Die jchiefe 
Ebene wurde weiter befchritten, die Zuverficht des deutſchen Volkes 
untergraben, die der Feinde befeftigt durch eine ununterbrochene Kette 
von Kapitulationsanträgen. 

Das Schlimmfte war, daß diefe Politik fich mit Illuſionen auf einen 
Oſtſieg verquicte. Wollte man England für unbefiegbar halten und 
deshalb unjere Niederlage fofort annehmen, fo war das immer noch 
beffer als ein jahrelanger Erfchöpfungskrieg mit dem gleichen Ende. 
Aber aus inneren Parteigründen kämpfte eine gewiffe Preffe in Deutfch- 
land gegen den Zarismus, Mit ihnen arbeitete leider unfere politische 
Leitung zufammen. Auf die vermeintliche Unbefiegbarkeit Englande 

) Wie dagegen das wirkliche Bild unferer Verhältniffe in die englifchen Volks- 
kreife eingedrungen war, davon hat mir ein deuticher Offizier nad) der Rückkehr 
aus britifcher Kriegsgefangenfchaft ein charakteriftifches Meines Beilpiel erzählt. Ex 
hatte im Lager einen zum Militär eingezogenen englifchen Kohlenhändler von feinen 
Kameraden mit dem Namen des Meichslanzlerd belegen hören; ald er nach dem 


Grund fragte, erhielt er zur Antwort: „We call him always Bethmenn Hollweg, 
because he says things which one must not say.“ 


Sılnllonen 261 


baute man einen deutſchen Sieg über den ‚Zarismus”l Sch möchte 
hierfür ein bezeichnendes Beiſpiel anführen. Ein Beamter der Wilhelm: 
fteaße entwickelte diefe bequem auf Englands Sieg zu gründende deutfche 
Zukunft am 12. April 1916 mit folgenden Säßen: 


„Für uns als Zentralmacht Europas ift es in erfter Linie notwendig, 
auf dem Kontinent zu fiegen und bier unfere Nachbarn zentripetal um 
uns zu gruppieren.!) Diefes Ziel durften mir nicht fompromittieren, 
Indem mir uns ohne Not in ein Abenteuer?) ſtürzen. Von dieſer unferer 
feften europäilhen Bafis aus mollen wir planmäßig unfere Weltftellung 
und unferen Außenhandel ausbauen. Was bisher in diefer Richtung ges 
ſchehen ift, ift ja nur Dilettantismus. Jede Schädigung Englands if 
natürlich willkommen, aber umbringen fönnen wir es nun einmal nicht. 
Deshalb müffen mwir foviel Kraft und Kredit in der Welt refervieren, baß 
wir nad) dem Krieg unfere Überflügelung der Engländer fortfegen. Ges 
fährlihe ungenugte Kraft liegt in Zukunft im ruſſiſchen Boden, nicht im 
durchlöcherten englifhen Geldbeutel. Ich glaube, daß der Frieden auf 
Koften Rußlands eine möglihe Löfung bietet. Da er ja auf Koften des 
reaktionären Rußlands gehen würde, fo würde uns das auch Fünftige 
Verftändigungen ad hoc mit einer anderen ruffifchen Regierung nicht ver= 
ſchließen. Werden wir in Europa ftarf und zur Vormacht gen DOften, fo 
wird die Verftändigung mit England nicht ſchwer und vielleiht einmal 
ber Fall eintreten, daß Albions Sntereffe mit dem ber ſtärkſten Kontinentals 
macht im beiderfeitigen Intereffe zufammenläuft.” 


Anfang Juli 1916 informierte Staatsfekretär Helfferich?) die Häup⸗ 
ter der deutfchen Bundesftaaten mit folgenden Gedankengängen, die 
ich einer Denkichrift aus jenen Tagen entnehme: 

Wir müſſen zmwifchen England und Rußland optieren, um auch im 
fpäteren Frieden Rückendeckung gegen einen diefer beiden Hauptfeinde 
zu gewinnen. Diefe Entfcheidung hat für England und gegen Rußland 
auszufallen, weil das ruffifche Programm mit unferer Stellung ala 
Vormacht mweitenropäifcher Kultur und unferem Verhältnis zu Oſter⸗ 
reich-Ungarn, Balkan, Türkei unvereinbar ift. Zwifchen England und 
Deutfchland ift dagegen eine Zeilung der Sinterefjeniphären möglich. 
Deshalb Feine Flotte als Eriftenznotmwendigfeit für Deutfchland, das _ 
9) Polen! 9) Ubootötrieg. 

») Wie ich foeben Dez. 1919 erfahre, hat die erwähnte Denkfchrift, die unter 
dem Namen de3 Staatsminifters Helfferich umlief, einen anderen bither unbefannt 
gebliebenen Berfaffer, 


262 Hauptfragen bes Krieges 


für möglichfte Schwächung Rußlands. Wir müffen an einer Stelle 
ganze Arbeit tun, ftatt an vielen halbe. Englands Intereffen würden 
ung geftatten, gegen Rußland ganze Arbeit zu tun. Die entfchiedene 
Frontftellung gegen Rußland gibt unferem Verhalten im Weltkrieg 
die fittliche Grundlage wieder, die im Eintreten für Ofterreich-Ungarn 
befteht, nicht aber im Kampf für die Freiheit der Meere. Die Ent- 
rüftung ber deutfchen Öffentlichkeit gegen England ift alfo auf Ruß- 
land abzulenken. Soweit Helfferih. Er fchließt diefen —— 
mit den Sätzen: 


„Obige Ausführungen werden dem Einwand begegnen, daß ſie die 
Rechnung ohne den Wirt machen, inſofern gerade in England Haß und 
Vernichtungsgelüſte jede Verſtändigung unmöglich machen. Chamberlain 
kennzeichnet die Geſinnung mit der Forderung, die ihm auch ſchon vor 
dem Kriege entgegengetreten fei: ‚We must crush Germany‘; Chambers 
lain und mit ihm unfere Zeitungen und Flugblätter laffen aber den Nebens 
faß fort, welcher die logiſche Erflärung für die Feindfhaft enthält, nämlich 
ben Saß: ‚before it cerushes us.‘ 

In diefen Abgrund tiefen gegenfeitigen Mißtrauens, welches eine ges 
miffenlofe Demagogie gezeitigt und bie Staatsleitungen nicht zu verhindern 
gewußt haben, welches aber in den tatfählihen politiihen Verhältniſſen, 
d. b. in ben Eriftenzbedingungen beider Länder in feiner Weiſe begründet 
tft, Tiegt die Zragif der Tage, und nur hohe flaatsmännifche Weisheit, ver: 
bunden mit einem alles nieberzmingenden Willen, welcher von beiden 
Seiten gleih ftarf fein müßte, fann ben verfahrenen Karren aus bem 
Sumpfe der Demagogie herausziehen. Diefe Hoffnung ift nit fo eitel 
als fie fcheinen mag; denn dem bemagogifhen Minifterium Asquith ift 
feine ewige Dauer befchieden. Der Wunſch der Engländer, uns zu vers 
nichten, mag zum Teil die Möglichkeit einer Verftändigung ausfchließen; 
es nötigt aber feineswegs dazu, ben Kampf ba aufzunehmen, wo fie uns 
möglichermweife überlegen find, bas ift auf dem Waffer und in Agypten.“ 


Auch Helfferich fah alfo nur ganz vage Hoffnungen auf eine Vers 
ftändigung mit England und nirgends etwas Greifbares. Aber diefe 
leeren Münfche genügten ibm und feinen Gefinnungsgenoffen, um 
während ber Eoftbaren und zur Rettung Deutfchlands gegebenen Jahre 
gerabe das Einzige zurüczuhalten, wos England zum Einlenken 
bringen Eonnte, nämlich unſere Verftändigung mit dem Zaren und 
die äußerſte Entfaltung unferer Machtmittel zur See Wir fchlugen 
ber englifchen Seegewalt nicht bie Wunden, bie wir ihr beibringen 


Eine Dentſchrift Helfferihs 263 


Eorınten, und fo erreichten wir durch Sentimentalität, überkluges Red) 
nen und unmilitärifche Auffaffung des Seekriegs, daß in England der 
Mille Sich durchſetzen Eonnte, dem ftarfen deutfchen Nebenbuhler ſchon 
in diefem Kriege jenen Mehr endgültigen Schlag zu verjegen, 
von dem er nie wieder aufftehen könnte. Im Herbft 1916, als die 
englifche Ubootsabwehr einem gewiffen Abfchluß entgegenging und 
unfer Mangel an Mut durch den Sufferfall weltbefannt geworden 
war, wagte Lloyd George fchon das Wort vom Knockout. 

Jene oben wwiebergegebene Hoffnung eines deutſchen Sieges auf 
Grund eines englifchen Sieges erfcheint wie ein Rätſel, obwohl fie 
leider die Schickſale Deutfchlande in der fchwerften Stunde beftimmen 
durfte. An dem Preftige Englands abprallend, nahm die deutfche 
Staatsfunft wie ein Querfchläger den ihr von England gewieſenen 
blinden Lauf gegen Rußland. Unzählige Deutfche in der Heimat und 
an der Front hatten einen richtigeren Inſtinkt, aber er Fam nicht zur 
Geltung. 

Zu diefer Weltanfchauung der Wilhelmftraße gehörte dann noch meiter 
ber unbezwingliche fromme Glaube, daß einem flottenlojen Deutſch⸗ 
land das „‚Überflügeln‘’ Englands willig eingeräumt würde, während 
einem feemächtigen Deutfchen Reich das nicht geftattet wäre. Wenn 
der Kanzler und feine Leute auf eine rafche und völlige Freundfchaft 
mit England nach dem „Gewitterſturm“ rechneten, fo glaubten fie 
dies eben durch Preisgabe der deutfchen Flotte erzielen zu können. 
Noch im Oktober 1918 Haben deutfche Politiker umter Preisgabe des 
Ubootsfriegs die Gnade der Angelfachfen zu erfaufen gemwähnt. Das 
Erwachen Deutfchlands nach dem November 1918 war graufam. 
Beſſere Erkenntnis nübt jebt nichts mehr, ; 

Mein Standpunkt war: Entweder wir hielten England für uns 
befiegbar und nahmen dann die Niederkige je eher deito bejjer an. 
Oder aber wir verfuchten durch Einfaß aller militärifchen und politifchen 
Mittel Englands Unbefiegbarkeit zu erſchüttern. Praktiſch kam für 
mich felbftverftändlich nur der zweite Weg in Frage. Dann mußte man 
aber Elar den Weg fehen, den man gehen wollte. Alles Klügeln und 
Harren, das nicht von dieſer Alternative ausging, führte ins DVer- 
derben. ‚Hiervon, nicht aus Refforterwägungen irgendwelcher Art, find 
meine Kämpfe für die Beſetzung der Kanalküfte, für die Seefchlacht 
und für den rechizeitigen Ubootskrieg ausgegangen. 


264 Dauptisagen bes Krieges 


3 

Welche Mittel befaßen wir aber, um auf England militärisch zu 
brüden? 

Bei Ausbruch des Krieges war ich überrafcht, zu erfahren, daß 
ber mir geheim gehaltene Operationsplan der Marine nicht vorher 
mit der Armee vereinbart worden war. Die Armee ging von ber 
für fie wohl erklärlichen Auffaffung der Geekriegsführung und 
überhaupt des Krieges gegen England als einer Nebenfache aus. 
Deshalb Hätte e8 einer vor dem Krieg unter Vorfiß des Reichs— 
kanzlers vorzunehmenden Aufftellung eines Einheitsplanes für einen 
Dreifrontenkrieg oder Weltkrieg bedurft. Eine folche Bejprechung 
war aber, wie früher bemerkt, unterblieben. Nur eine einheitliche 
Oberſte Seefriegsleitung hätte die Autorität bejejfen, um während bes 
Krieges felbft das in der Marine angefammelte größere Maß an 
Kenntnis und Urteil über die Macht Englands zur Geltung zu bringen; 
eine folche Oberſte Seefriegsleitung aber wurde nicht gefchaffen. 

Von den drei Möglichkeiten, England zu bekämpfen, will ich zunächft 
die Frage der Kanalküfte berühren. Ende Auguft war vorauszufehen, 
daß die Operationen der Armee uns an die flandrifche Küfte führen 
und die Einnahme Antwerpens nur eine Frage der Zeit fein mwürbe. 
Eine Seekriegsführung von Flandern aus und eine nicht unmefentliche 
Verbefferung unferer feeftrategifchen Lage wurde damit möglich. Da 
von mir als Staatsfekretär diefe Ausficht in die Wirklichkeit umgeſetzt 
werden konnte, fo ergriff ich fie mit aller Kraft, und zwar durch 
Schaffung des Marineforpg und Ausbau der flandrifchen Küftel). 
Darüber hinaus aber hätte es das Ziel einer fcharffichtigen Kriegs⸗ 
leitung fein müffen, Calais zu nehmen. Solange die Armee Hoffte, 
Paris zu erobern, erwartete ich, daß ung der Gewinn der Küfte 
von felbft zufiele. Sch Iaffe die Frage offen, inwieweit es richtig 
war, nicht die Küfte von vornherein zum Ziel zu nehmen. Unfere 
Artillerie Eonnte auf Kap Grinez aufgeftellt, den Verkehr durch den 
Kanal erheblich erfchweren, unfere GSeeftreitfeäfte Eonnten von dort 
aus ftärfer wirken. Die beftändige Störung des auf die Theme 
eingeftellten Verkehrs hätte dem englifchen Wirtfchaftskörper eine ſchwere 
Stockung zugefügt, welche damals, als die deutfche innere und äußere 
Kraft noch völlig ungebrochen daftand, die Friedenggeneigtheit hätte 

) Rap. 18, 


Unjere Waffen gegen England 265 


weſentlich erhöhen Fönnen. Dazu kam fpäter die Möglichkeit, von 
Kap Grinez aus London felbit zu deichießen, was fich bei längerer 
Kriegsdauer bedeutend wirkſamer hätte geftalten laſſen, als unjere 
1918 ausgeführte Befchießung von Paris. Ich bin, wie früher bemerkt, 
ſtets gegen alle militärifch belanglojen Kriegsmaßnahmen aufgetreten, 
zu denen gelegentliche Fliegerangriffe auf Städte des Hinterlandes 
gehörten. Eine tatjächlich wirkfame, Fonzentrierte Befchießung Londons 
dagegen mit allen Mitteln vom Lande und aus der Luft wäre gerecht 
fertigt gemwefen als eines der Mittel, um den unmenfchlichen Krieg 
abzufürzen, bejonders da England in der härteften Weile das Völker⸗ 
recht nur fo weit gelten ließ, als es in feinem Intereſſe Tag. 

Das zweite Mittel, um England zu bedrängen, war die Seefchlacht. 
Die Entente hat uns durch die britifchen Linienfchiffe befiegt, welche 
die Hungerblodade ermöglichten und deren Preftige alle Völker der 
Melt vor den englifhen Wagen fpannte. Linienfchiffe in erfter Linie 
Fonnten ung retten. Von allen Vorwürfen, welche gegen mich erhoben 
worden find, hat mich nur der einzige ernfthaft befchäftigt, daß ich 
nicht noch mehr Schlachtfchiffe gebaut Hätte. Indes hat der Leſer 
fhon aus einem früheren Abfchnitt diefes Buches eine Vorftellung 
davon empfangen, daß die Schlacht für unferen Flottenbeftand nicht 
ausſichtslos geweſen wäre. Über die inneren Gründe, welche die Marine 
damals gelähmt haben, werde ich im folgenden Kapitel zu fprechen 
Haben. Hier muß ich nur den Hauptgrund vorweg nehmen, das 
Verſagen unjerer politifchen Leitung. 

Der Kanzler vertrat, wie dargelegt, die Auffaffung, England dürfte 
nicht gereizt werden, wenn wir zu einer Verftändigung mit ihm kommen 
wollten; auch müßte die Flotte bei Kriegsende möglichft unverfehrt 
vorhanden fein, um bei den Friedensverhandlungen ein Gewicht aus: 
zuüben. Den letzteren Grund habe ich ebenfowenig jemals begreifen 
Eönnen wie den erften. Auch andere Perfönlichkeiten wirkten in diefem 
Einne. So ſchrieb Ballin an den Kabinettschef und an mich, wir follten 
ung mit der „fleet in being“ begnügen; dag wäre für den Verlauf 
bes Krieges das einzig Richtige. Diefer Auffaffung fchloß fich der 
Kubinettschef an, der niemals befonders vom Frontgeift berührt geweſen 
und in feiner Smmediatitellung mehr und mehr zum Kompromiß- 
polititer geworden war. Unter feiner und des Reichsfanzlers Einwirkung 
Hand Admiral v. Pohl, der mir noch am 12. November 1915 gefchrieben 


266 Hauptfragen bes Krieges 


bat, daß „der Herr Reichskanzler mir (Wohl) gegenüber während meiner 
Tätigkeit als Chef des Aömiralftabes mehrfach den Standpunkt vers 
treten hat, daß es durchaus geboten fei, dad die Flotte zum Friedens: 
fchluß unverfehrt erhalten bleiben müßte”. 

Es war nach meiner Auffaffung der helle Widerfinn, die Flotte in 
Matte zu verpaden. Die fleet in being hatte Sinn für England, 
weil deſſen Flotte dadurch ihren Zweck, die Meere zu beherrichen, 
erfüllte. Für Deutfchland aber, deffen Ziel es fein mußte, das Meer 
fih frei zu halten, war der Grundſatz unfinnig. Ferner durften 
wir den Krieg nicht zum Erfchöpfungsfrieg ausarten lafjen und 
mußten verfuchen, Die Sache Eurz zu mahen Wie klug es bie 
Engländer angefangen haben müſſen, die Entfchlußkraft maß 
gebender Männer in Deutfchland zu lähmen, dafür zeugt der Auss 
fpruch, den einer der nächiten Berater des Kaiſers nach der Schlacht 
vor dem Skagerrak getan haben foll und der fich jedenfalls durchaus 
in die Gefamtftimmung dieſer Kreife einfügt: „Schade! Wir waren 
nahe daran geweſen, von England Frieden zu bekommen.” Unter 
folchen Einflüffen ift des Kaifers eigenes Werk zerftört morben. Im 
Juli 1914 trieb die politifche Leitung eine gefährliche Politik, die, wenn 
fie überhaupt gewagt werden follte, nur auf eine feemächtige Reichs— 
gemalt gegründet werden Eonnte. Als der Krieg aber da war, wurde 
die Flotte tunlichft entwertet und der unmögliche Verfuch unternommen, 
den Krieg gegen England vor Paris zu geminnen, vor allem aber 
England durch militärisch fchonende Behandlung zu einem für und 
gnädigen Frieden umzuftimmen, der nun einmal nicht zu befommen 
war. Im Frieden hatte der Kanzler unfere Flotte im Innerſten 
weggewünſcht; im Krieg tat er, als ob fie nicht vorhanden wäre. Die 
deutſche Reichsleitung hatte fich eben niemals mit dem Gedanken befaßt, 
wie man einen Krieg gewinnt, fondern diefe Sorge dem Generalftab 
der Armee überlaffen, der wiederum nicht zufländig mar für die politi- 
fchen, wirtfchaftlihen und feeftrategifchen Fragen eines Meltkriegs, 
So blieb des Kanzlers einzige Hoffnung für den Kriegsabfchluß die 
auf — die Gutmütigfeit der Engländer. 

Nun werden manche fragen: Was hätte uns ſelbſt günftigftenfallg 
eine glückliche Seefchlacht genügt? Waren die Engländer nicht in ber 
Lage, ihre Noröfeefloite bald wieder aus ihren Reſerven zu ergänzen, 
nötigenfalls aber franzöfifche Schlachtkräfte mit heranzuziehen? 


Die Brage bes Seeſchlacht 267 


Demgegenüber ift zu fagen, daß die Weltgeltung ber Engländer 
toejentlich auf dem Glauben an ihre unbefiegbare Armada beruht. Ein 
beutfcher Seeſieg oder felbft nur ein für England zweifelhafter Ausgang 
ber Schlacht Hätte das Anſehen Großbritanniens aufs fchwerfte ges 
troffen. Man muß den Eindruck unferes Seefiegs bei Coronel auf dag 
Ausland beobachtet haben, um die Bedeutung eines: folchen Preftige- 
verluftes für England richtig einzufchäßen. Die Engländer waren ſich 
der Wirkung diefer Waffentat bewußt; darum nahmen fie eine über: 
twältigende Streitmacht aus der Heimat fort, um die Niederlage von 
Coronel auszuiveren. Aus Furcht vor einem größeren Preftigeverluft 
verfuhren fie auch unferer Nordfeeflotte gegenüber je länger je mehr 
mit der äußerſten Vorſicht. Ob eine glückliche Seeſchlacht für ung 
1914 die Wirkung gehabt hätte, die Blocdade zu fprengen oder nicht, 
war damals noch nicht entfcheidend; denn die Engländer Eonnten bei 
ihrer überfeeifchen Stellung und dem VBorhandenfein Japans fich einer 
erheblichen Schwächung ihrer Seemacht nicht ausſetzen. Der Gefamt- 
verlauf des Krieges wurde ein anderer, wenn wir damals an Preftige 
zur See gewannen. Der Übertritt Staliens ins feindliche Lager wäre 
verhindert worden, unfere Stellung zu den ſkandinaviſchen Staaten 
veränderte fich mit einem Schlage . Insbeſondere aber wuchs Die 
Neigung des Zaren zum Sonderfrieden und unfere Ausficht auf eine 
Verftändigung mit Japan in demſelben Verhältnis, wie unfere Flotte 
durch mwuchtige Betätigung nad) Art der Armee unfer Breftige hob 
und das englifche ſchwächte. Die englifche Flotte aber mindefteng 
ſtark zu reduzieren, dazu hatten wir unbeftreitbar die Kräfte. Die 
britifche Seemacht Tag wie ein Alpdruck auf der ganzen Welt der nicht 
angellächfifchen Mächte. Für die Fleinen Seemächte waren wir, nicht 
England, ber natürliche Rückhalt. Alles ſchaute auf ung, Es mar bie 


2) Befonberer Erwägung fhien mir eine Beſetzung und Befeftigung ber Aalands⸗ 
infeln wert, die mie von fchwedilchen Freunden empfohlen wurde, Mit bem Bes 
fig der Nalandeinfeln ald Stützpunkt hatten wir den Bottniſchen Meerbufen, bie 
Hauptverlehrsfiraße zwifchen Nußland und England unterbunden und das MWohls 
wollen der Schweden verftärft. Mit dem Sinken unferes Preſtiges glitt bie 
Stimmung und das Gefchäftsintereffe Schwedens immer ſtärker nad England 
hinüber. Der Mangel einer Gefamtmobilmahung vor bem Krieg und bie refforts 
mäßige Ubgegrenziheit des Admiralſtabs mir gegenüber bemirkten, daß ich mich erfl 
im Krieg felbft mit der Frage einer Abrieglung Rußlands Zur bie Beſetzung ber 
Kalendeinfeln beſchäftigen Tonnte. 


268 Hauptfragen des Krieges 


legte Stunde der Freiheit der Welt. Auf der See wurde um noch größere 
Dinge gerungen als zu Lande; und dort, auf der See, Fämpften auch 
bie heimlichen Sympathien vieler unjerer augenblicklichen Gegner auf 
unferer Seite. Nur ftärkfte Mittel Eonnten ung retten. Wir mußten 
bie „Grand Fleet“ mindeftens empfindlich fchädigen. Jede Durch— 
löcherung der britifchen Seegewalt aber warf fofort die indijche, ägype 
tifche Frage uſw. auf, entzog England die weiteren Bundesgenofjen, 
die es brauchte, um uns zu befiegen, und ſtimmte es zum Frieden. 
England war ſich der Gefahr bewußt und fchäßte unfere Seefräfte 
richtiger ein, als es bei ung daheim geſchah; deshalb hatte es gezögert, 
in den Krieg zu treten und deshalb vermied es nachher die Schlacht. 
Unfere Ausfichten ftanden im eriten Jahre gut, aber auch fpäter noch 
leidlich. Die englifche Preffe äußerte fih im fpäteren Verlauf des 
Krieges im Sinne der britifchen Admiralität, indem fie vor der Sees 
fchlacht warnte. England könnte nichts gewinnen durch eine „precipitate 
and costly action“. ‚Solange die deutjche Flotte fich verfteckt, ernten 
wir alle Vorteile der Seegewalt,“ fchrieb der Daily Telegraph. War 
diefe Seegewalt von ung beftritten und ungewiß, fo hatten wir min: 
deſtens eine bejfere Stellung den Neutralen gegenüber. So wie die 
englische Flotte verfuhr, Eonnten wir nur durch Offenfivgeift, nicht 
durch paffives Abwarten etwas gewinnen. Nur mit faft unerträglichen 
Schmerz kann man an die mweltverändernde Wirkung denken, welche 
eine durchgefchlagene Seefchlacht in den erſten Kriegsmonaten gehabt 
haben würde. Ja fchon eine unausgefochtene Schlacht in der Art der 
Begegnung vor dem Skagerrak hätte damals Großes gewirkt, während 
diefeg fiegreiche, aber nicht durchgefchlagene Treffen troß unferer Vorteile 
dabei nach faft zwei Kriegsjahren feinen nachhaltigen politischen Erfolg 
mehr erzielen Eonnte. Die allgemeinen Verhältniffe hatten fich ja 
inzwifchen fchon zu fehr zugunften Englands verfchoben und befeftigt, 
und die damals noch neutralen Völker hatten den Glauben an unferen 
Endfieg nach dem Einknicken vor Wilfons Niederborungsnote fchon 
verloren. 

Selbft eine für uns unglüdliche Seefchlacht hätte unfere Aug: 
fichten nicht weſentlich verfchlechtert. Eg war mit Sicherheit anzunehmen, 
daß die Engländer ebenfoviel verloren mie wir. Schlimmeres als ihr 
Nichtgebrauch konnte unferer Flotte überhaupt nicht zugefügt werden. 

Die angebliche Dlinderwertigfeit der deutfchen Schiffe tft damals 





Die „Minderwerdigleit” unferer Schiffe 259 


als Ausrede erfunden und verbreitet worden, um die Untätigkeit ber 
Flotte zu rechtfertigen; es ift dies eine der traurigften und unheil⸗ 
vollften Verleumdungen der deutſchen Gefchichte. 

Die „Flottenpolitik“ der Vorkriegsjahre follte nach des Kanzlers 
Wunſch als eigentliche Urfache des Weltkriegs hingeftellt werden, obgleich 
fich England 1896 oder 1905 gegen das flottenlofe oder flottenſchwache 
Deutichland weit herausfordernder verhielt als im Juli 1914, nachdem 
wir eine Flotte gebaut und fie 1911/12 nicht preisgegeben hatten. Sollten 
aber die Flottenpolitif und ich als fchuldig erfcheinen, fo mar doch bie 
Derfon des Kaifers beim bejten Willen nicht von der Flottenpolitif 
zu trennen. Ohne ihn wäre fie gar nicht möglich gemwejen. Nun beab- 
fichtigte Bethmann durch ein grundfägliches Fallenlafjen der Flotten⸗ 
politif, d. h. in Wahrheit unferer Machtitellung gegen England, bie 
Sreundfchaft und den Frieden von England zu erfaufen. Diefem Wahn, 
ber der Natur des Weltkriegs widerſprach, hätte der Kaiſer als Führer 
bes Seekriegs widerftreben müſſen. Wenn man nun aber den Glauben 
verbreitete, daß die Flotte aus dem Grund nicht eingejegt werden 
Fönnte, weil fie nicht leiftungsfähig und ihre Material fchlecht wäre, 
fo war ich allein verantwortlich und der Kaifer für den Nichtgebrauch 
ber Waffe vor dem Volk entlaftet. Aus dem Zwieſpalt der politifchen 
MWeltanfchauung zwiſchen der Kanzlerpartei und mir entiprang fo eine 
Flut von Verdächtigungen gegen das Material der Flotte, die erft 
durch die Probe vor dem Skagerraf ad absurdum geführt murde. 
Vorher hatte man aber den Kaijer damit im Hintanhalten der Flotte 
beftärkt und die Tatkraft der Marine gelähmt. Hätte fich der Kaifer 
anders beraten laffen und wäre er feinem eigenen, innerften Trieb 
gefolgt, fo läge Deutfchland heute wohl nicht in Trümmern. 

Das altüberlieferte, wenn auch für unfere Zeit unerprobte englifche 
Seepreftige hat uns befiegt. Es fenkte in die Herzen der bei uns 
leitenden Männer die Furcht, unfere Flotte einzufegen, folange es 
dafür Zeit war. Und fo begann mit dem Nichtgebrauch der beiten, ja 
zunächſt einzigen Waffe gegen England das Trauerfpiel der verpaßten 
Gelegenheiten !). 

Nachdem hierdurch, ferner durch Italiens Eintritt in ben Krieg 
und durch die Nichtausführung des Hindenburgfchen Kriegsplans für 


) Für bie Einzelheiten fiehe Kap, 18. 


270 Hauptfragen bed Krieges 


1915 die Aussicht auf den ruffifchen Sonderfrieden und damit auf 
die Löſung des Knotens zunächſt ferngerückt war, fiel uns Anfang 
1916 mit dem zur Ausführung gereiften Ubootskrieg noch einmal 
ein Gnadengefchen? des Himmels zur Rettung Deutichlands in den 
Schoß. Ein fpäteres Kapitel wird die Gefchichte der Verworrenheiten 
erzählen, denen zufolge auch diefes legte enticheidende Kriegsmittel 
um das ausfchlaggebende Jahr zu fpät eingeſetzt und jo die Sicherung 
unferer Zufunft verloren worden tft. Anfang 1916 waren wir, da die 
Zeit gegen uns arbeitete, nicht mehr ftarf genug, um ein meitered 
fchleichendes Xufbrauchen unſerer Kräfte und unferes Preftiges zu 
ertragen. 

Sch bin damals aus dem Dienft gefchieden, weil die enticheidenden 
Perjönlichkeiten unfere Ausfichten zur See nicht erkannten und nicht 
dem wahren Ernft unferer Lage entfprechend handeln wollten. Der 
MWirtjchaftskrieg war zur Hauptjache, die Armeefront war trog den 
ungeheuren Kraftleiftungen, welche ihr die Abmehrfchlachten abnötigten, 
zum Nebenkriegsichauplag geworden. Auch die großen Führer, welche 
1916 am die Spitze der glorreichen Armee traten und ihre Krafi er⸗ 
neuerten, jahen fich jege nur noch begrenzten Entfaltungsmöglichkeiten 
gegenüber. Der Augenbli war gekommen, mo, wie im Siebenjährigen 
Krieg, der Sonverfrieden mit dem Zaren für uns endgültig zur Lebens⸗ 
frage wurde, 

4 

Im Herbft 1916 Hatte ich Geſpräche mit deutfchfreundlichen Ruffen, 
benen zufolge ich, im Zufammenhange mit anderen Anzeichen, glaube, 
daß die Möglichkeit eines Friedensfchluffes beitand. Sch konnte und 
kann natürlich nicht voll überfehen, zu welchen Bedingungen ein folcher 
Friede erreichbar war. Aber man könnte fich wohl folgende Vers 
bandlungsgrundlage als mwahrfcheinlich erfolgreich vorſtellen: Wir 
hätten die ferbifche Frage entgegenkommend erledigen müfjen, ins 
dem mir bie zehn vom Zaren 1914 angenommenen Punkte des 
Ultimatums anerkannten und über bie reftlichen zwei ein Schieds— 
gericht‘ entfcheiden ließen, fo daß im ganzen ein ruffiicher Erfolg ohne 
öfterreichifche Niederlage eintrat. Wir fonnten zur ftrategifchen Sicherung 
Dftpreußens gegen ähnliche Überfälle die Narerlinie verlangen und 
dafür den Rufjen ein entfprechendes Stück Oſtgaliziens anbieten, wofür 
fih Oſterreich erforderlihenfallg im Sandſchak Novibazar und in 


Die Möglichkeit eines Sonderfriedens mit Rußland 271 


Albanien ſchadlos hielt, Wir vermittelten den Ruſſen die Durchfahrt 
durch die Dardanellen für Kriegsfchiffe und, wenn fie ein Bündnis 
mit uns fchloffen, eine Inſel im Agätfchen Meer. Die Bagdadbahn 
gäben wir auf oder ließen die Ruffen an ihr teilhaben. Wir überließen 
ihnen Perfien und übernähmen die ruffifchen Schulden an Frankreich. 
Die Bedingungen konnten noch günftiger geftellt werden, wenn es den 
Ruſſen gelang, auch unferen Frieden mit Japan zu vermitteln. Ber 
züglic) Konftantinopels mußten die Ruſſen einfehen, daß mir bie 
Türkei nicht fallen laffen könnten. Wir hätten aber verfprechen follen, 
unfere Türkenpolitik allmählich abzubauen. Für die perfönlichen Auf: 
wendungen der Großfürften uſw. fonnte geforgt werden. 

Ofterreich war für einen folchen Frieden zu gewinnen und dann auch 
Stalien zur Verftändigung gezwungen. 

Den Japanern hätte man anbieten Fönnen, fie follten Tſingtau 
an China zurückgeben; und wir behielten es ohne DBefeftigungen in 
Macht, derartig, daß dort Japaner und Deutfche zu gleichen Rechten 
wirkten. Wir zahlten ihnen dafür eine gewiſſe Kriegskoſtenentſchädi⸗ 
gung und fchlügen ein Bündnis vor derart, daß wir uns zur Bundes: 
hilfe verpflichteten, wenn Japan außer von einer außereuropäifchen 
Macht auch von einer europälfchen angegriffen würde, fie umgekehrt, 
wenn wir außer von europäifchen auch von einer außereuropäifchen 
Macht angegriffen würden. Alles das foll nur ungefähr bedeuten, 
auf welchen Boden etwa verjucht werden mußte, mit Rußland und 
Sapan zur Verftändigung zu kommen. Die Hauptfache dabei war und 
blieb zweifellos die englandfeindliche Orientierung unferer Gefamt 
politif. Die rufficheiapanifche Annäherung des Sahres 1916 bot bie 
Unterlage zu diefem letzten großen antiangeljächfifchen Bund. 

Man hätte dies alles durch eine perfönliche Unterredung mit bem 
Zaren einleiten müffen. Denke ich mich in die Lage eines Manneg 
hinein, dem der Zar vertraute, fo hätte diefer ihm etwa folgendes 
fagen können: „Majeſtät haben mich ausdrücklich verfichert, daß Sie 
feinen Krieg mit dem Deutfchen Reich mollten. Sch glaube, daß 
es dag größte Unglüd ift, wenn Deutfche und Rufjen einander ſchwächen, 
und werm e8 darin fein Halten gibt, fo fcheint die zukünftige Entwicklung 
beider Völker und der Thron der Hohenzollern und der Romanoınd 
gefährdet. Ich Habe erfahren, daß E M. überzeugt davon find, daß 
ich Die Freundſchaft mit Rußland ftets obenan ftellte, Geben Sie mir 


272 Hauptfingen des Krieges 


bementjprechend einen Mann zum Verhandeln, bei dem ich nicht das 
Gefühl habe, übers Ohr gehauen zu werden.” Die Wirkung liegt nun 
freilich weniger in dem, was man fagt, als wie man die Gefühle des 
Unterredners aus Intuition und alter Beziehung trifft. Der Zar hatte 
Sinn für die Sprechweife z. B. eines Offiziers. Sch weiß aus eigener 
Erfahrung, daß es möglich war, fo mit ihm zu reden. In Stürmer 
hatte er überdies bereits den geeigneten Unterhändler ernannt. 

Eine derartige Befprechung hätte herbeigeführt werden können durch 
ein Handfchreiben des Kaifers an den Zaren, das deſſen Selbitgefühl 
wieder herjtellte und ihm mit der Tonart, die auf den Zaren ficher 
wirkte, gejagt hätte, reale Gegenſätze unüberfteiglicher Art lägen zwiſchen 
den alten Freunden nicht vor, das Unglück drohte aber unheilbar zu 
werden. Er ſchriebe ihm dies in Sorge um ihre Dynaftien und im 
Vertrauen auf feine Diskretion mit der Gemißheit, daß der Zar den Brief 
nicht als Aktenſtück verwerten würde. 

Die Groffürftenpartei Eonnte, nachdem Nikolaj Nikolajervitfch entfernt 
tvar, Feine unüberwindlichen Hinderniffe entgegenfegen. Der Zar mar 
ein ehrenhafter Mann. Eine folche Möglichkeit, aus ber Sackgaſſe 
herauszukommen, wäre ihm verlocend erfchienen, und eine folche Unter- 
nehmung hätte bei der damaligen Stimmung am Zarenhofe nicht 
anders als mit einem Erfolg enden können. 

Der Anknüpfungsverfuch durch die viel zu auffällige Entfendung 
bes hierfür wenig geeigneten Prinzen Mar von Baden war zum Scheitern 
verurteilt. Ebenjo der verfrühte Verfuch über den dänifchen Königshof, 
der nur die Dänen in unfer Friedensbedürfnis einmweihte. Vor allem 
aber gelang nichts derart, folange Bethmann immer noch auf die 
Ruſſen einhieb, fo daß fie glauben mußten, er würde fie an bie 
Engländer und Polen verraten. Sch frage mich, ob es den deutfchen 
Anhängern des Kanzlers felbft verborgen bleiben Eonnte, daß feine 
Perfönlichkeit die Nealifierung der Petersburger Friedensftimmuns 
gen erjchwerte. Der Zar hätte vermutlich einen direkten Schritt 
des Kaijers fo beantwortet: Ich bin zum Frieden bereit, aber nur 
mit einer Regierung, welche mir Gewähr gibt für einen englandfeind- 
lichen und rujjenfreundlichen Kurs, und die auch Japans Vertrauen 
genießt. Der Geift unferer politifchen Leitung, wie er etwa aus der 
oben angeführten Helfferichichen Denfichrift fpricht, mußte allerdings 
biefe beite Chance für Deutfchlande Rettung verpaffen. 


Berfäumte Gelegenheit 273 


Mir hatten in unferer ganzen Gefchichte niemals den Ruffen ſoviel 
zur bieten wie 1916. 

Es eröffneten fich dann noch meitere, entferntere Perfpeftiven, 
ſo 3. B. eine Reviſion des Prager Friedens für den Fall, daß Dänemark 
im Gefolge Rußlands in ein engeres Verhältnis zu uns beiden trat, 
wie e8 den natürlichen Sintereffen und der geographifchen Lage Däne- 
marks zu Rußland und Deutfchland entfpricht. "Wir Eonnten unter Ber: 
mittlung des Zaren die Franzofen durch Mbtretung etwa des von 
ihnen eroberten Fleinen Stückes Elfaß bei ihrer damaligen Lage ebenfalls 
zum Frieden veranlafjen. Der ganze Fejtlandsfrieden mußte und konnte 
von Petersburg her aufgerollt werden. 

Als die jelbitmörderifche Politik Bethmanns und der deut|chen Demo— 
Fratie den Polenftaat errichtete, die Ruffen in neue Feindfchaft trieb 
und in die Revolution gleiten ließ, als endlich der unter verfchlechterten 
Umfiänden verjpätet begonnene Ubootskrieg und diplomatifches Un: 
geſchick die amerifanifche Krieaserflärung heraufbefchworen!), war die 
äußere Lage Deutſchlands fo feftgefahren, daß fortan die Entfcheidung 
des Kriegs hauptfächlich in inneren Faktoren zu fuchen war, im Wirte 
ichaftsfrieg, in den Nerven und der vaterländiichen Oefinnung bes 
deutfchen bzw. des. englifchen Volkes. 


5 

Die Angelfachlen hatten vol erkannt, daß in fo ungeheurem Ningen 
die Macht der Ideen den Sieg auf den Flügeln trägt. Sie riefen 
hinaus in allen Sprachen: ‚Hört ihr Völker der Erdenrunde, hier ift 
ein Volk unter ung, welches bejtändig die Eintracht ftört, Krieg er= 
Plärt und bie Welt erobern will, während mir euch ſtets nur bie 
Hreiheit bringen. Mit dem Elfaß hat es angefangen, jeßt verfucht ed 
dasjelbe in Belgien, und wenn es Erfolg hat, fommt ihr daran. 
Dies Volk wird von einer blutigen Militärs und Junkerkaſte in Sklaven⸗ 
ketten gehalten, und der Kater, ihr Autofrat, läßt nach Belieben die 
Welt in Flammen aufgehen. Helft uns das VoIP niederzufchlagen, 
damit mir es nach Verdienſt beitrafen können. Erft wenn das ers 
reicht ift, Fönmen wir den von allen edlen Menfchen gemünjchten 
Völkerbund fchließen, und Friede wird auf Erden fein. Die Menfche 


) Ran. 19, 
Tirpig, Erinnerungen 18 


274 Hauptfragen det Krieges 


heit wird eine Herde von Lämmern bilden, und fomweit nötig wollen 
wir freiwillig den Hirten abgeben.” So etwa floß ed von den Xippen 
ber angelfächfifchen Führer in taufend Tönen und zähejter Wieder: 
holung. An folchen Reden beraufchten fie fich felbit und ihre Völker, 
Damit diefe aber auch den nötigen Haß aufbrachten, um den Krieg 
bis aufs Meffer durchzuführen, riefen fie in die Welt: „Seht bieje 
Deutfchen, welche die Kunftwerke Frankreichs zerftören, feine Frauen 
ſchänden ımd den Kindern in fatanifcher Wolluft die Hände abhaden.” 
Dazu rollte Das Gold des Feindes in allen Ländern und auch in Deutiche 
fand, wo es nur Boden fand. Aber ſchlimmer als das, man fahte 
ben Michel an feiner Weltfremöheit und an jenem Zug ber Gelbft: 
vernichtung, der unfere taufendjährige Gefchichte wie ein blutiger Faden 
durchläuft. Man benuste mit Geſchick den auch in Deutfchland ftellen- 
toeife eingedrungenen internationalen Kapitalismus und jenes Ferment 
der Dekompofition, welches in Organen wie der „Frankfurter Zei⸗ 
tung” eine fo geſchickte Vertretung hat. 

Mas ftellte num die politische Führung Deutfchlande diefen geiſtigen 
und Faufmännifchen Waffen unferer Feinde entgegen? 

Sie Eonnte fagen: „Ihr Angelfachfen habt feit Sahrhunderten die 
Dölfer des europätichen Feſtlands gegeneinandergetrieben. Aus 
Stammesreften und Länderfegen hat Preußen das zerfplitterte Deutfche 
tum wieder zufammengefaßt, und je ftärker es wurde, je mehr hat 
es fich zu ber Erfenntnis durchgerungen, daß es unfere Sendung 
fei, für die Freiheit Europas einzutreten, gegenüber den jenfeits der 
Meere entftchenden Riefenmächten. Denn in feiner vom Meer ums 
flojfenen mannigfaltigen Gliederung wird Europa ftets die höchſten 
geiltigen Werte erzeugen, wenn feine vielen, eng aneinanderftoßenden 
Einzelfulturen fich frei entwickeln und gegenfeitig befruchten können. 
Deutfchland fteht und fällt mit Europa und Europa mit ihm. Darum 
Hegt e8 im eigenften Intereſſe Deutfchlands, die Völker des euros 
päiſchen Feftlands völlig frei und damit Teiftungsfähig zu erhalten. 
Ihr Angelfachfen aber unterjocht bie Wölfer Teiblich und geiftig. Seht, 
ihr Völker der Erde, wieviele von euch mehr oder weniger fchon zum 
vegetierenden Wafallenleben Herabgefumfen find, und wie groß biefe 
Gefahr in der Zukunft erft wird, Wir kämpfen daher für die Freis 
heit aller Völker der Erde gegen die alles verfchlingende Tyrannei 
bes Angelſachſentums 








Propaganda 275 


Ihr werft ung Militarismus und Autokratie vor, mährend bei 
euch zur Aufrechterhaltung des Kriegsmillens die fchärffte Diktatur 
befteht, die die Gefchichte kennt, und einzelne Männer ohne Rüds 
ficht auf perſönliche Freiheit oder demofratifche Grumdfäge die mis 
Ktärifche Gewalt mit drafonifcher Strenge ausüben. Mit eurem Ges 
Schrei über unferen Militarismus meint ihre in Wirklichkeit die allein 
in der Welt noch frei daftehende Macht Deutfchlands, das feine eigenen 
Mege geht und das Gleichgewicht Europas erhalten könnte. Euere 
Machthaber in der City von London und der Wallſtreet von New York 
wiſſen ganz genau, daß nur diefes Deutfchland ihnen noch im Wege 
steht, ihre kapitaliſtiſchen „Verſtändigungsgedanken“ auf die ganze 
Melt zu übertragen. Gelingt e8 ihnen aber, dieſen legten Stein weg⸗ 
zuräumen und das unbeſchränkte Meltmonopol zu erringen, Dann 
freilich wird eine pax Britannica bie Kirchhofsruhe der Welt für 
lange Zeiten herbeiführen,” 

Ein ähnlicher Gedankengang wie der vorftehend umriſſene hätte 
auch fchon vor dem Kriege mit allen Mitteln verbreitet werden müſſen, 
do unfer Vol? der großen Ziele fehr entbehrte, der nationale Sinn 
bei uns nicht gleichmäßig entwickelt, die Macht der Angelſachſen faljch 
bewertet, die Erkenntnis, daß wir der Macht nach außen nicht ent 
behren können, von Eosmopolitifchen Utopien vielfach überwuchert war. 
Sm Kriege aber, als es ſich um Sein oder Nichtfein handelte, mußte 
ber Willen zum Leben entflammt und wachgehalten werden. 

Mas tat dagegen unfere politifche Keitung? Wohl wehrte fie manch⸗ 
mal Derleumdungen ab. Im übrigen Plang ihre Zonart etwa fo: 
‚Bir haben zwar den Krieg erklärt, wir wollen uns aber nur vers 
teidigen, nicht euch fchlagen. Wir haben Belgien zwar Unrecht ges 
tan, wollen es aber nachher möglichft wieder gutmachen; wir wollen 
ed micht ganz erobern, aber boch etwas davon behalten. Ein Ziel, 
einen Zweck, eine Idee haben wir bei diefem Kriege überhaupt nicht. 
Mir kämpfen zwar für das Gleichgewicht auf dem Deere, aber vor⸗ 
erft nur mit Worten, da wir zugleich verhindern müffen, daß bie 
reaktionäre und zudem fo beftechliche ruffifche Beamtenfchaft wieder 
die ritterlichen Polen beherrfche. Daß die Angelfachjen fich durch bie 
Veidige Flotte bedrückt fühlen, kann ich verftehen; ich billige ihnen 
zu, daß fie fo fühlen, obwohl unfere Flotte eigentlich nur halb fo 
ſtark ift wie die englijche allein genommen, Seid doch hierüber nicht 

18° 


276 Hauptfragen bes Krieges 


fo böfe, ich, euer Freund, habe die Teidige Flotte nicht verhindern 
können, obwohl ich als Reichskanzler eigentlich die Macht dazu ges 
habt hätte und verantwortlich bin. Auch Habt ihr nicht ganz une 
recht, wern ihr fagt, wir find meniger demokratiſch als ihr ein- 
gerichtet. Eine zufammenfafjende Staatsfraft war zwar aus unferer 
Eigenart, unferer gefchichtlichen Erfahrung und unferer geographifchen 
Lage nötig, und der Kaifer befitt auch nicht die verfafjungsmäßige 
Macht wie der Präfident Wilfon, aber wir wollen das fchon ändern. 
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten mir das Elſaß mit feinem 
Vogefemvall längſt den franzöfifchen Propagandiften ausgeliefert, damit 
es ganz frei fei. Die Fraktionsintereffen des Reichstags unterftüge 
ich im Grunde lebhaft, um den demokratiſchen Gedanken bei ung 
zum Durchbruch zu bringen. Es wäre zwar bejfer, wenn wir folche 
inneren Veränderungen erft nach dem Kriege vornähmen, benn fie 
lenken die Augen unferes Volkes zu fehr von dem furchtbaren Exrnit 
feiner Schickſalsſtunde ab; aber ich fühle im Einverftändnis mit meinen 
demofratifchen Freunden, daß wir durch unfere Demokratifierung euere 
Zuneigung und die gute Gefinnung der Welt uns fichtlih erwerben. 
Darum gehe ich fchon jeßt in diefer Richtung vor, und da ich euch 
edle Gejinnung auch als heutiger Feind zubillige, fo werden mir bald 
zu einem Frieden kommen, der gerecht iſt nach allen Seiten.” 

Um folchen Gedankengängen in Deutfchland Geltung zu verfchaffen, 
wurde der natürliche Inſtinkt unferes Volkes, wie er beim Krieges 
ausbruch überwältigend zutage trat, planmäßig durch Preffezenfur und 
durch ein von der Wilhelmſtraße ausgehendes Kanalſyſtem des 
Stimmungsdrücdens, vor allem aber durch den von der Demokratie 
entfachten Streit um innere Kriegsziele abgelenft und gebrochen, jo 
daß fchließlich tatfächlich die Moral unferes Volkes und die Kraft 
feines MWiderftandes niedergingen und es den Glauben an fich felbft 
verlor. Bei der großen Gefahr, gegen die wir fanden, mie jeder 
* Staatsmann überſehen mußte, war hoher Flug der Sdeen und volle 
Erhaltung der Moral vom eriten Tag des Krieges an unerläßlich, 
menn wir den Kampf beitehen und zu einem Ende Eommen wollten, 
das ung ermöglichte, die ſchweren Schläge des Kriegs einigermaßen 
zu heilen und die Sendung Preußen-Deutfchlands fortzuführen. 

Aus taufend Wunden blutend, fchlecht genährt, mit dem Rücken 
an hie Mand der Heimat gelehnt, ſtand der befte Teil des Deutfchtums 


Die Idee des Krieges und bie innere Dolın! 277 


im Kampf um fein Dafein, als ihn die Mand von hinten zer 
ichlagen wurde und er, die Beſinnung verlierend, in Fieberdelirien 
ausbrach. 

Der Fluch der Geſchichte und unſerer Nachkommen, falls das 
Deutfchtum erhalten bleibt, wird auf denen lajten, die hierzu beis 
ettagen haben, 


6 

Die politiſche Leitung ward nicht rechtzeitig Bundesgenojfen und 
Sympathien; fie gab dem beuifchen Volk Feine ermutigenden Ideale 
für den Krieg. Sie hat ihm aber auch die Augen nicht geöffnet 
für bie Schrecken der Niederlage. Das Schlagwort vom reinen Ber: 
teidigungsfrieg war eine Sllufion, die ung ind Verderben führen mußte, 
weil England unjere Weltftellung während des Krieges fchon zeritört 
hatte; da war nichts zu verteidigen mehr, fondern günftigftenfalls 
durch den Frieden neu aufzubauen. Das bdeutiche Wolf Fonnte nicht 
keben, ohne durch ben Friedensfchluß diefen Wiederaufbau zu fichern. 
Die gedankenloſe Phrafe vom reinen Verteidigungskrieg verjchleierte 
den Maſſen diefe Notwendigkeit. Wie anders Lloyd George, der vom 
Knockout Sprach! Diejenigen Deutfchen aber, welche die Alternative Elar 
fahen und wahrheitsgemäß ausiprachen, baß entweder England feinen 
Vernichtungswillen sder wir unferen Lebenswillen ducchfegten und daß 
ed ein Drittes nicht gäbe, wurden von unfrer Regierung dem Hab 
ber einfichtslofen Maffen preisgegeben. Bethmann tat genau das Gegen 
teil der Staatsvernunft, mit welcher Lloyd George und Clemenceau 
ihre Völker zum Sieg führten. Stets richteten der Kanzler und feine 
demagogifchen Freunde die fcharfe Spige ihrer Politit nach innen 
ſtatt nach außen. Damit aber erſchlugen fie den Widerſtandswillen 
des Volkes und bereiteten ben Zuſammenbruch vor, bis das Volk 
und feine zur Herrſchaft gelangten Demagogen ſich waffenlos ben 
Geinden zu Füßen legten mit bem Kuf: „Wir, die wir fiets an 
das Weltgewiſſen glaubten, ſchwören ab ben fluchwürdigen Macht⸗ 
politikern, welche euch als raubgierige Feinde auffaſſen möchten. 
Wir wollten niemals den Sieg, ja wir fürchteten ihn, da er das Joch 
der Autokratie und Militärkaſte auf dem Nacken bes geknechteten 
deutſchen Volkes gelaſſen hätte, Seht hat die Niederlage das deutſche 
Volt son ber Zwingherrſchaft bes Kalfers und der VNilitärs befreit, 


2783 Hauvptfragen des Krieges 


glücklich und einer herrlichen Zufunft würdig gemacht, Jetzt zwingen 
wir euch, nicht Durch haffensiwürdige Macht, fondern durch fchöne 
und gute Worte, das beutfche Volk zu Tieben und feine Intereffen 
zu fördern. Wir wollen das Vertrauen des Auslandes erwerben, wir 
machen den Weg frei vom Imperialismus zum Idealismus, das heißt, 
wir fäen in deutfche Herzen nicht den Haß gegen den Imperialismus 
der Briten, die uns verhungern ließen, ober gegen Franzoſen und 
Polen, die unjeren Leib in Fegen reißen, fondern den Haß gegen 
die Männer, welche das Deutfche Reich einft mächtig gemacht, Armee 
korps und Schiffe zu feinem Schuß gefchaffen und unfere Wohl 
fahrt durch einen feften Damm gegen habgierige Nachbarn gefchügt 
haben.” 

Diefes Ende der beutfchen Macht ift vorbereitet worden durch bie 
Betörung der deutſchen Maſſen feit Anfang des Krieges. Die Vor: 
fpieglungen, die Scheideman und Genoffen mit Duldung ber Re 
gierung dem beutfchen Volk gemacht haben, berühren nach der Furcht 
baren mittlerweile eingetretenen Wahrheitsprobe heute erfchütternd. Sie 
enthielten etwa Folgendes: 

1. „Wenn Deutfchland fich nur demokratifiert, ift der WVerftän- 
digungsfriede da. Nur Monarchte und Militärmacht verhindern ih.“ 

Nachdem die Northeliffepropaganda zur Unterwühlung unferes 
Heeres ſich mit Erfolg diefes ihr von der deutfchen Demokratie ges 
lieferten Sprengftoffes bedient hatte, ruhten Prinz Mar von Baben, 
Erzberger und Scheidemann nicht, bis fie ihren „Frieden bes Rechts, 
nicht den der Macht” unter DBefeitigung von Monarchie, Militär 
macht, Ehre und Freiheit des beutichen Volkes erprobt hatten. 

2. „Wenn wir nur offen erFlären, daß wir Belgien herausgeben 
wollen, jo ift der Verftändigungsfrieden ba,” j 

So flogen feit 1917 unaufhörlich die Friedenstauben über unfere 
Grenzen hinaus, den Verzicht auf Belgien in ihren Schnäbeln tragend. 
Jedes biefer Angebote feftigte bei den Feinden den Entfchluß, ab- 
zumerten, bis ihr Kriegsziel, der Ruin Deutfchlande, durch den offer 
bar wirkenden inneren Zerfall erreicht wäre. 

3. „Die Zunfer, Schloibarone und Annerioniften Gaben ben Krieg 
gemacht und verlängeen ihn, um zu verdienen, Werfen wir ſie nieder, 
jo reichen die befreiten Völker fich die Hände, und ber ewige Friebe 
iſt da 





Parteiſucht und Weltürgerium 279 


Schon die Römer Zonnten auf die innere Zwietracht der Deuts 
ſchen ihre Politif aufbauen. Der Entente kam zu Hilfe auch noch der 
Neid verhetzter Klaffen, die immer bereit find, die wirklichen Erhalter 
threr eigenen wirtfchaftlihen Eriftenz zu vernichten, weil diefe „mehr 
verdienen als fie ſelbſt. 

So begrüßten viele Deutfche die „Morgenröte der Revolution“. 
Unfer ſtarkes, ftolzes, geachtetes Reich ift zerbrochen, nicht vom Feind, 
fondern von innen her. Weil das Volf nicht reif war, feine politifche 
Aufgabe in dem von Bismarck errichteten Rahınen zu erfüllen, brach 
das unbefiegte Heer zufammen. Der Mann auf der Straße fühlt in 
London oder Paris von felbft, was dem Staate nüßt. Bei ung fammelt 
er ſich Illuſionen aus einer gewiſſen Preſſe und Parteirichtungen, bie 
ihn wie Hans im Glück immer darüber hinwegzutäuſchen verftehen, daß 
er von Stufe zu Stufe herunterſinkt. Erſt im März 1919 ftellte der 
Sozialiſt Paul Lenfch in der „Glocke“ feſt, wie kleinlaut jene Tlemente 
Sei und würden, bie wie das ‚Berliner Tageblatt” und die Preffe 
feines Schlages jahrelang verficherten, wir brauchten nur die „All 
Beutfchen” zum Teufel jagen und offene Erflärungen über Belgien 
abgeben, und ein billiger Frieden wäre ung ficher. Ob die von Lenich 
charakterifierte Preſſe je Fleinlaut wird, weiß ich nicht, Wohl aber 
bin ich mir, mie jeder, der die Auslafjungen z. B. ber „Frank—⸗ 
furter Zeitung‘ mit einiger Aufmerkſamkeit verfolgt hat und nach 
feiner Sefinnung auf dem Boden des Deutfchen Reiches fteht, dar 
über Blar, daß im Frieden und im Krieg diefeg Blatt den Todfeinden 
Deutichlande der Mirkung nach in bie Hände gearbeitet hat. Mit 
einer bei englifchen oder Franzöfifchen Zeiningen undenkbaren natios 
nalen Inſtinktloſigkeit hat Diefe Zeitung den Staat befehdet und 
feit Bismards Zeit ſtets Diejenigen Entichlüffe befürmorter, welche 
Deutſchlands Macht und Mürde zu ſchwächen geeignet waren; fie 
it dem Deuifchtum in tedem Eritiichen Augenblick in den Rüden ges 
fallen; und fie hat zuleßt folgerichtig die Revolution, d. 5. ben Ruin 
der deutichen Ehre und Zufunft, freudig begrüßt. Bei der Betörung 
hes beutfchen Volks aber bedient fich dieſe Zeitung gefchteft des melt- 
dürgerlichen Dünfels vieler unferer Volksgenoſſen, welche die Seele 
anderer nationalftoizer Völker gar nicht verſtehen. Sie Schließen von 
fich felbft auf die Fremden. Treuberzig und aid oder auch unklar 
und pflichiwergefien verſäumen fie jede Möglichket zu pelitiichen 


330 Hauptfragen des Krieget 


Geſchäft und zur Kraftentfaltung. Sie ſehen nicht, wie jede Schwaͤcht 
ſofort ein Vordringen der Feinde und vermehrte Angriffe nach ſich 
zieht; ſie ſehen nicht, daß Deutſchlands Freiheit und erträgliche Wirt⸗ 
ſchaftsgeſtaltung bei unſerer Weltlage nur durch verdoppelte Einig— 
keit, Lauterkeit und Opfergeſinnung Aller erhalten werden kann. 

Ein anderer Sozialiſt, der Reichsminiſter Dr. David, ſagte Ans 
fang 1919: „Der Hauptgrund unferer Niederlage wäre die Schwäche 
unferes nationalen Staatsgefühls.” Das ift fehr richtig. Schon vor 
langen Sahren hat mir ein italienifcher Freund, Admiral Bettolo, 
gejagt: „Die einzigen gefährlichen Sozialisten find die Deutfchen, da 
fie ein Dogma, eine Keligion aus ihrer Parteilehre machen und in 
erfter Linie Genoffen, erft in zweiter Deutfche find. Bei den eng- 
Kfchen, franzöfifchen und fogar bei unferen italienischen Sozialiſten 
iſt das umgekehrt.” Meine im Herbft 1914 vorübergehend genährte 
Hoffnung, die national verfbändigen Eleniente würden in der So— 
zialdemofratie die Oberhand gewinnen, zerram bald in Nichte. Zu 
tief ſaß die jahrzehntelange internetionaliftifche Propaganda des 
Marxismus, der beſchränkte Klaffenneid und der deutiche Hang zu 
Utopien. Eine Reihe tüchtiger Männer in der Sozialdemokratie bewies 
während des Krieges gefunden nationalen Inſtinkt. Hätte die Regie 
rung fie geftärkt, ftatt einfichtslofen oder böswilligen Demagogen bes 
internationalen Flügels nachzulaufen, fo wäre in der Schule des Kriege 
bie Arbeiterfchaft vielleicht zuverläffig zu deutſcher Staatsgefinnung 
berangereift, dann würde e8 ihr in der Melt jeßt wohl ebenjo gut 
ergehen wie der englilchen Mrbeiterfchaft. Aber die Linke bewies dem 
preußifchedeutfchen Staat, dem beiten aller Staaten, ſchnöden Undank. 
Die Staatsiweisheit und Überlieferung Friedrichs das Großen und 
Bismarcks galten als überlebt im Vergleich zu den Anſchauungen von 
Ügitatoren, deren bloße Namen zu nennen dem Gefühl der Deutichen 
widerſtreben muß, obgleich diefe doppeljinnigen Perfönlichkeiten unfer 
Land nicht nur ruinieren, fondern zum Lohn zuleßt auch regieren durften. 

So kämpften meitefte Kreife unferes Volks mit Leidenfchaft an 
gegen die Wahrheitslicbe derjenigen, welche von Anfang an fagten: 
Wir inögen tun was wir wollen und dem Feind anbieten was wir 
wollen, dieſer Krieg endet doc; entweder mit unjerer vollen Selbſt⸗ 
behauptung oder unferer Zerſchmetterung. 

Indem aber Deutſche feldft einen folden Standpunkt befämpften, 


Die Kaitil der Demeitutie 281 


kaͤhmten fie unjere Kräfte von innen heraus, Nach den eriten Krieges 
jahren mußten die Feinde, daß ſich Deutichland innerlich an diefem 
Gegenſatz zerrieb. Dies gab ihnen größere Zuverficht als ihre äußere 
Mbermacht. Scheidemann glaubte durch Tauten und heftigen Verzicht 
auf den Gedanken des Siege die „Genoſſen“ in Feindesland zum 
gleichen Vorgehen zu ermutigen, Er bemerkte nicht, daß er gerade 
umgefehrt wirkte und durch fein Verhalten den Chauviniften in Fein: 
besland Oberwaſſer über die Friedensfreunde verfchaffte. Und was für 
andere, wirkliche Annerioniften gab e8 doch bei den Feinden, vers 
glihen mit dem, was in Deutfchland fo bezeichnet wurde, 

Ein Bekenntnis zu pofitiven Kriegszielen durch die Regierung und 
die Mehrheitsparteien hätte tatlächlich Verhandlungen über einen Ver⸗ 
ftändigungsfrieden mit England richt verhindert, fondern gerade ge⸗ 
fördert. Der Deutjche allein verfennt, daß Siegesziele, deren Wünfche 
barkeit der eigenen Bevölkerung begreiflich gemacht wird, geſchäfts⸗ 
mäßig die Forderungen der Gegner draußen herabftimmeit, 

Es gibt eben im Defeinsfampf eines Volkes nur eine Stimmung, 
weiche feine Waffen unüberwindlich macht. Sie liegt in den Worten: 


„Du mußt fteigen oder ſinken, 
Du mußt herrſchen und gewinnen 
Dover bienen und verlieren, 
Leiden oder triumphieren, 
Hammer oder Amboß fein.” 


Die Maflen wußten infolge des Verhaltens von Regierung und 
Parteiführern gar nicht, daß die geſchmähten Annerioniften nichts 
weiter vertreten als dieſe Wahrheit. Sie fahen in ihnen Ungeheuer 
und verurteilten fie, ohne fie zu kennen. 

Der Abgeordnete Cohn lehrte fie: 


„Der Krieg geht für die Reichen, 
Der Arme zahlt mit Leichen I“ 


Das Mort „Kriegsverlängerer“ wurde zum Schimpfwort, Gambeita 
war von feinem Bolle in den Himmel gehoben worden, weil er ihm 
durch feine Gabe, ben Krieg zu verlängern, günftigere Friedens: 
bedingungen, vor allem die Ehre und das Selbfivertrauen, die Grunde 


lage jedes nationalen Wohlſtandes, geretiet hatte. Das deutſche Bolt 


282 Sauptfragen bes Krieges 


fah nicht, daß England keinen Werftändigungsfrieden haben wollte — 
role prompt wäre jede Möglichkeit bazu unfererfeitd aufgegriffen wor⸗ 
den! —, fondern nur darauf wartete, bis die Unvernunft unjerer 
mißleiteten Maſſen die „Kriegsverlängerer“ gejtürzt, d. h. die Samms 
lung ber Kräfte und Anſpannung ber Energie zerftört haben würde, 
Das Ziel der Feinde war, wie heute auch dem blödeften Blick offen 
fiegen muß, unfer Untergang. Zu einem Verftändigungsfrieden hatte 
England ſchon deshalb Feine Veranlaffung, weil es denfelben bei der 
Art unferer Politi? und der von ihr beeinflußten Kriegsführung immer 
noch zur rechten Zeit haben konnte. England wollte alfo mehr. Da 
aber war für jeden rechten Deutfchen auch der längſte Kampf und 
bie geringfte Ausficht auf Sieg lieber aufzunehmen, als das vers 
nichtende Endurteil ohne zwingende Notwendigkeit anzuerkennen. Letz⸗ 
teres war glatter Volksverrat. 

Ich verfenne natürlich feinen Augenblick, welgen Anfechtungen 
die Nervenkraft der Mafjen des deutichen Volles infolge der Hunger: 
blockade ausgefeßt war. Die phyſiſchen und ſeeliſchen Einwirkungen 
diefes graufamften aller Kriegsmittel, deſſen Einführung in den moders 
nen Krieg England vorbehalten war, dürfen nicht unterfchäßt werben 
und bilden für die allmählich nachlaffende Widerftandskraft im Volke 
eine ftarfe Entfchuldigung. Umfomehr aber erwuchs den Führern ber 
Nation, überhaupt jedem meiterfehenden Politiker die Pflicht, nüchtern 
bie Zufammenhänge zu erkennen und alle Mittel einzufegen, um bie 
Kampfkraft aufrecht zu erhalten und richtig zu orientieren Wo aber 
ber Wille, zu fiegen, fehlt, de erlahmt ganz natürlich auch die Kraft Dazu. 

Mein fogenannier „Annerionismus’ beftand in einer peſſimiſtiſchen 
und leider durch bie Gefchichte beibätigten Auffaſſung unferer mwirts 
ſchaftlich⸗politiſchen Zukunft. Sch Eonnte mich mit Vertröftungen auf 
einen Nechtsfrieden und Völkerbund nicht zufrieden geben, fo wie es 
ellerlei internationalsFapitaliftiiche und ſozialiſtiſche Mitbürger taten, 
Ich fragte mich? mie ein Kriegsende befchaffen fein mußte, welches 
beim beutichen Volk in feiner fehmterigen Erdlage Gleichberechtigung 
mit ben andern, natürlichen Weltmächten ficherte? Unfere Weltmacht 
hörte erft dann auf eine Fünftliche zu fein, wenn mir die mittel 
europäifche Stelfung als primus inter pares erreichten, in melcher bie 
Mehrheit der europäifchen Völker bie Sicherung ihrer eigenen vollen 
Freiheit erblickt hätte. Dirk mer das gegebene Ziel Bevor es em 


« 


Annexionismus 283 


reicht war, entſprach die Macht Deutſchlands ſo wenig der Stellung 
des deutſchen Volkes in der Welt, wie im 18. Zahrhundert die Stel⸗ 
tung Preußens feinen realen Kräften entſprochen hatte, 

„Der Raum it bie Zukunft”; diefer Satz gilt für die Reiche 
der Briten, Amerikaner, Ruſſen und felbft ber in Nordafrika ers 
mweiterungsfähigen Franzofen. Raum in diefem Sinne war für des 
im Herzen Europas eingezwängte Deutfche Reich niemals zu ge 
winnen. Seine Zukunft berußte auf Keiftung in der ganzen Welt 
und für die ganze Melt, und fie konnte bei der tatfächlichen politifchen 
Lage nur gefichert werden durch Bonzentrierie Verteidigungskraft dee 
Landes, welche die andern in Achtung erhielt Das ft in Wahrheit 
ber Grund, weshalb die Feinde den preußifchen Militarismus zerbrechen 
wollten. Dann war es mit uns überhaupt vorbei, Für den Zaren 
sder die Franzoſen waren Millionenheere vielleicht ein unſittlicher 
Lurus: denn wer dachte je daran, dieſe Länder anzugreifen? Daß 
dagegen Deutfchland zu feiner Verteidigung zum Ausgleich feiner beis 
fpiellos ungünftigen Raums und Grenzverhältniffe und angefichts feiner 
feit Sahrhunderten eroberungsluftigen Nachbarn einer ftarfen Militär 
macht bedarf, bag Hatte fogar Uoyd George am Neujahr 1914 aus: 
drücklich betätigt; und mer wollte es nach den Enderfahrungen des 
Weltkriegs heute noch beftreiten? Weltpolitiſch verteidigungsfähig und 
lebensfähig aber war nach 1914 das Deutiche Reich nur denn, wenn 
e3 die Engländer von der Dberherrfchaft über Belgien entfernte, 

Einen vollen deutſchen Waffenfieg im Sinn son 1870 habe ich 
auch vor dei Marnefchlacht niemals erwartet. Die Umerifaner würs 
Gen uns auf alle Fälle um viele Früchte eines Sieaes beraubt haben. 
Soll doch ſchon vor einem Jahrhundert (1815) der Präfident ber 
Bereinigten Staaten troß der damaligen Feindſchaft zu England in 
einer Botſchaft das Wort gefprochen haben: „Den Kern, der in Deutfche 
End liegt, nicht zur Entwicklung fommen zu Taffen, wird das Ziel 
einer entſchloſſenen Staatsfunft ſein.“ 1) Mleinerfeits mar ich der Uns 
ſicht, daß ein voller Waffenfieg von Feiner Seite wahrſcheinlich, darum 
bie Entſcheidung in den moralifchen Willens» und Widerſtandskräften 
zu ſuchen wäre Gelang es, dem beutichen Bol? die Augen dafür 
za Sfinen, was bie britiſche Vorherrſchaft in Belgien bedeutete, fo 
Das Wort iſt mie nur belannz aus A. ©, Pess und BDeul Dekn, Englends 
Barherstchef Tus der Seit ber Inntinentallersee (ID) 8. 243, 


254 Haupifragen des Arieges 


zroeifelte ich nicht, daß wir auch die Kräfte enifalten würden, um 
beim Friedensjchluß eine ſolche Gefahr abzumenden. Fremdherrſchaft 
wor bas Los des deutſchen Volks bei einer Niederlage. Beſſer aber 
als dies Helotentum anzunehmen, war es noch, die Diöglichkeiten 
bes Siegs bis zum äußerſten zu verjuchen. 

Die Vermehrung der Volkszahl feit 1870, auf welcher das Stei⸗ 
gen unferee Wohlfahrt und Macht beruhte, Eonnte bei unferer ges 
ringen Bodenfläche nicht mehr agrariſch daheim untergebracht mer: 
dem. Landhunger führte aljo, wie fchon in den Anfängen der deut 
schen Gefchichte, zur Abwanderung und Entdeutſchung des Volks: 
überfchuffes. Eine Fünftliche Erweiterung des Nahrungsfpielraums ber 
Heimat brachte nur die Induſtrie und der Handel, Selbſt bei gleiche 
bleibender Volkszahl indes hätten wir nicht mehr das vorwiegend 
agrariſche Deutfchland der vorigen Generation bleiben Fünnen, da nach 
1370 die Flächen Amerikas und Rußlands in Wettbewerb mit unjerer 
Agrarausfuhr traten und diefelde weſentlich zum Verfiegen brachten. 
Unjere Ausfuhr an Rohſtoffen mußte, damit die Volkszahl fleigen 
oder auch nur gleichbleiben Eonnte, vervielfacht werden durch die Aus- 
fuhr von Fabrifaten. Zu deren Erzeugung mußten wir mwieber viele 
Kohftoffe einführen, ebenſo wie für die Lanowirtfchaft, damit fie 
ihren Ertrag zur Ernährung der vermehrten Volksmaſſen erhöhen 
könnte. Ein Abſtoppen von Ein und Ausfuhr bedeutere unter folchen 
Umftänden ein qualvolles Siechtum des ganzen Volkskörpers, einen 
in der ganzen Gejchichte beifpiellofen Sturz von Wohlfahrt in Elend. 
Eine Millionenarmee hungernder und arbeitslofer Proletarier, ein eni- 
wurzeltes Volk, das fich felbft aegenjeitig vernichten muß, um für 
ven Heft wieder Färglichen Lebensipielraum zu ſchaffen: diefes Bild 
lag mährend des Sirieges ald Alpdruck auf mir. Die oberflächlichen 
Außerungen der meifien, Deutichland würde fchon wieder hochkommen, 
beruhigien mid nicht. Denn ic) ſah nicht, wie und 100 das anders 
gejcheben follte, als indem wir unfer Machtgebiet dauernd bis an 
die Kanalküſte erſtreckten. 

Denn in der Geſchichte hat der Beſitz der niederländifchen Kuſten 
ſtets über die Bormacht Englands auf dem Fefiland entjchieden. Eng: 
land betrachtet die belgische Frage feit alters als feine eigene. Saßen 
bie Engländer in Antwerpen, fo faßen fie au im Haag und in 
Kin und beherrſchten von Ihren alten Einfallstoren an Schelde und 


= 


Die Hanbrifche Küſte 285 


Niederrhein aus das Feftland. Nur wenn Deutfchland die Mans: 
lande, die faſt taufend Jahre zum Deutfchen Neich gehört Hatten, 
wieder in feine Obhut nahm, Eonnte das deutfche Volk einigermaßen 
feine Kriegsverfufte bereinbringen. Denn eine Ausfuhr, mie fie bie 
1914 die Grundlage unferes Volksdafeins geworden mar, feht eine 
politische Meltgeltung voraus, Nur deutſche Träumer, die nicht wuß⸗ 
ten, wovon fie felber lebten, Fonnten fich einbilden, daß die Angel- 
fachfen ein Deutfchland, vor dem fie nicht eine gewiſſe Furcht emp⸗ 
fänden, wieder fo viel und fo ungehindert in der ganzen Welt für 
eigene Rechnung verdienen laſſen würden! Unfere Weltitellung aber 
hatten wir vor 1914 noch zum großen Zeil nicht auf wirkliche Macht, 
fondern auf das Anfehen von 1870 gegründet. Wenn mir dies An⸗ 
fehen nicht bewahrten, d. 6. auf gleichem Fuß mit England aus dem 
Krieg hervorgingen, fo ftarb alles ab, was wir in der Welt gefchaffen 
hatten. Unſere Heimat blühte durch unſere Auslandsgeltung; dieſe 
aber ſchwand dahin mie die alte Hanla, wenn wir nicht eine freie 
Stellung gegenüber England gewannen. 

Allein Schon um die ungeheuren unmittelbaren Kriegsverlufte in 
Überfee auszugleichen, mußten wir mit einer verbreiterten mirtfchaft- 
lichen Grundlage aus dem Krieg hervorgehen in einem Zeitalter, wo 
nach britifchem Ausfpruch die Großen unaufhaltfam größer, die Kleinen 
Pleinee murden. Die Behauptung der vor dem Krieg vorhandenen 
deutfchen Wirtichaftsftellung in Antwerpen, die Befreiung des ſtamm⸗ 
verwandten Flanderns von mwallonifchefranzöfifcher Fremdherrſchaft, die 
Fernhaltung ber Engländer von der feitländiichen Küjte, das mar 
mein einziges materielles Kriegsziel; e8 kann nicht als annerioniftifch 
bezeichnet werden 1). Sch übergehe hier die feeftrategifchen Giefichtgs 
punfte, die unfere Lage im nafjen Dreieck unhaltbar erfcheinen ließen, 
wenn England Belgien und Holland in feinen Konzern zog und feine 
politifche Macht bis zur Ems erftredte, 

Mas hätte es wohl fchaden Fönnen, wenn das ganze beutfche Volt 
fich die Befreiung der Vlamen als ernftes Ziel gefett hätte, und wäre 
dies etwa unfittlicher gerwefen, als die erneute Annerion des deutfchen 
Elfaffes durch die Franzofen? Dabei hätte man den Vlamen bie 
Selbftändigkeit gelaffen, während die Kranzofen den Elfäffern nicht 


1) Siehe oben S. 157, 


286 Hauptfragen des Krieges 


einmal Selbfiverweltung gewähren wollen. Der Unterfchied iſt nur, 
daß der Franzoſe nach feiner Sinnesart Herrfhaft für fein gutes Recht 
Hält und der Deutiche ihm dies auch gerne zubilligt, während ihn das 
böfe Gewiſſen befällt, werm er felbit einmal an Einfluß gewinnen foll, 

Unfer Ziel mußte fein, die wirtichaftliche Blüte unjeres Volkes zu 
erhalten, unfere Herzlande am Rhein vor der Verfümmerung, unjere 
Hanfeftädte vor dem Zurückſinken in englifche Agenturen und unferen 
ganzen Volkskörper vor dem ihm von England zugedachten Erſtickungs⸗ 
tode zu retten, ſowie das künſtliche Gebäude unferer Weltftellung nad) 
feinem Einfturz neu zu unterbauen, Ein Kriegsende aber, weiches Eng 
land an Maas und Schelde ftehen ließ, bedeutete für uns wie für 
Das törichte, in fich felber uneinige Feitlandseuropa das Ende der 
freien Wohlfahrt, und durfte erft zugegeben werden, wenn wirklich 
bie letzte Möglichkeit eines befferen Ausganges erfchöpft war. 

Ein neutrales Belgien aber gab e8 nach dem Kriege nicht, fo wenig, 
wie es feit 1905 ein folches gegeben hatte. Belgien und Holland 
lebten vom Blute Deutichlands, ald Mündungsgebiet unferes Wirk 
ſchaftslebens. Wir hatten das Sintereffe, fie in Freiheit blühen zu 
laſſen, während England fie als Brüdenköpfe zu benügen wünſcht. 

Die Regierung mußte wie Uoyd George und Clemencem, dem 
Wolf ein Äußeres Kriegsziel zeigen, auch um es abzulenken vom 
fruchtlofen und öden inneren Bürgerzwift um Reformen, die in einem 
geichlagenen Deutfchland doch Feine Partei mehr beglücken konnten. 
Die Regierung mußte das Volk lehren, auf das Wefentliche zu ſchauen 
und Nebendinge liegen zu laſſen. 

Sch war mir son Kriegsbeginn an darüber Plar, daß einem ver: 
lorenen Krieg mit einer gewiſſen Notwendigkeit die Revolution folgen 
toürde, wenn ich es auch niemals für möglich gehalten hätte, daß 
es Deutfche gäbe, die noch vor Friedensjchluß der Verführung zum 
Umfturz und zur Auslieferung der Gefamtheit an den äußeren Feind 
erlägen. Angefichts unferer zum inneren und äußeren Abgrund führens 
der Politik fahen auch andere ſchwarz; der Kronprinz hat mich fchon 
1915 gefragt, ob ich glaubte, daß er noch zur Regierung gelangen 
würde, Brach aber der alte Staat zufammen, fo ſank auch die Kraft 
bes beutfchen Volks, denn diefes hat fich bisher immer unfähig er 
wieſen, ohne ftraffe Führung fich Wohlfahrt zu erringen. Es bedarf 
bed preußifchedeutichen Staat. Sein Schußengel war die Überliefe⸗ 





Schwäche ais Verbote der Revolutisn 287 


rung Friedrichd des Großen und Bismarcks. Denn es fehlt unferem 
Volk der eigene politiiche Genius, wie er 3.2. bie Franzoſen durch 
dringt. 

Mir befaßen eine ftarfe Monarchie, weil das deutfche Volk durch 
feine Gefchichte darüber belehrt worden war, daß es ohne eine folche 
in feiner gefährdeten Lage nicht beftehen könnte. Nun aber bauten 
wir fie mitten in der höchften Gefahr ab, während bie Feinde den 
umgekehrten Weg der ftrengften Machtzuſammenfaſſung befchritten. 
Mir verloren fo nicht nur den Vorſprung der einheitlichen Führung, 
welchen wir bei Kriegsbeginn noch gehabt hatten. Wir fügten viel 
mehr zu unferer materiellen Unterlegenheit auch noch die geiftige und 
fittliche, indem wir im letzten Kriegsjahr Diktatoren wie Wilfon, 
LAoyd George und Clemenceau einen müden, gealterten Mann wie 
Hertling gegenüberftellten und fchließlich rein deſtruktiven Parteiführern 
geftatteten, die Macht unter ſich zu verteilen. 

Die innere Gefundheit eines Volkes hängt zufammen mit der Mögs 
Vichkeit, freie Kräfte nach außen zu entwickeln. Die Deutfchen, die 
ihre Kräfte im Innern gegen fich felber betätigten, Teiteten damit 
eine neue Periode des Verfalls ein, worin dag arme Wolf über den 
Verluft feines Wohlftandes, feiner Würde und feiner großen Ges 
ſichtspunkte hinweggetäuſcht werden foll durch das traurige Schaus 
ſpiel ich um die „Macht“ balgender Demagogen. 

ebenfalls, von welcher Seite man es betrachtete, war bie einzige 
Rettung vor dem unermeßlichen Unglüd, daß fich das Volk bis in 
feine legten Tiefen mit Fiarem Gefühl der drohenden Leiden, mit 
Heldenſinn und mit Treue gegen den überlieferten Staat erfüllte 
Dann wäre ed uns auch möglich gemwefen, fo fange auszuharren wie 
die Franzoſen, und das beutjche Volk hätte dann leiblich und fitts 
lich nicht bie Prüfungen und Erniedrigungen erdulden müffen, die 
Km feine Schwäche, fein innerer Zufammenbruch auferlegt haben, 


7 


Der Mangel an Verftändnis für biefe Gedankengänge und ber 
chroniſche Methodenfehler, den Regierung und Demokratie in bezug 
auf bie Herbeiführung des Friedens begingen, fanden einen verderbs 
chen Ausdruck in ber Friedensrefolution vom Juli 1917. Es mar 


288 Hauptfragen des Krieges 


mir fofort Flar, daß nach diefem augenfcheinfichen Nervenzuſammen⸗ 
druch die Ausfichten ſowohl für die Herbeiführung eines baldigen 
Verzichtfriedens wie auch für ein meiteres erfolgreiches Durchhalten 
des Krieges ganz außerordentlich herabgejunfen waren. Wenn in Eng: 
land jemals Neigung zu einer Kriegsbeendigung durch Verftändigung 
beftanden hätte, nach diefer Probe unferer moraliſchen und politijchen 
Haltungslofigkeit mußte der bekannte Xloyd George-Ausjpruch doppelte 
Bedeutung erlangen, daß England einen DVerzichtfrieven niemals an⸗ 
zuftreben brauche, weil es ihn von uns unter allen Umjtänden immer 
noch befommen könnte. Um aber einen Sonderfrieden mit Rußland 
zu erlangen, war der betretene Weg erft recht ungangbar. 

Sollte bei diefer Sachlage noch Rettung erhofft werden — große 
Hoffnung Ponnte nicht mehr beitehen —, jo mußte der Verfuch ges 
macht werden, tm deutfchen Volk eine nationale Gegenbewegung zu 
entfachen, die im Auslande den Eindruck hervorrief, daß die deutſche 
MWiderftandsfraft doch noch Tebendig war, die ferner der Regierung 
für eine Eräftige und Pluge Politik einen Rückhalt bot, und die end- 
fich nach Möglichkeit ein weiteres Herabgleiten auf der fchiefen Ebene 
der öffentlichen Friedensangebote verhinderte. Das find die Bemweg- 
gründe gemejen, die den Generallandfchaftsdireftor Kapp und eine 
Anzahl oftpreußifcher Männer aus allen Parteien zur Gründung der 
Deutfchen Vaterlandspartei geführt haben. Die erfte der drei ge 
mwünfchten Wirkungen, der Eindrw im Auslande, wurde durch den 
gewaltigen nationalen Schwung der Bewegung ohne Zweifel erreicht. 
Die deutfche Regierung aber war meit entfernt, zu erkennen, welches 
Snftrument mit der Vaterkandspartei in ihre Hände gelegt war. Sie 
magte nicht darauf zu fpielen und tat im Gegenteil alles, um die 
Bewegung zu hemmen. Diejes Verhalten wurde ihr durch die fofort 
einjegende Gegenwirkung der Väter der Friedensrefolution vor⸗ 
gefchrieben, welche, um Recht zu behalten, es in einer mohlorganifierten 
unmwahrhaftigen Kampagne verftanden, ber Vaterlandspartei inners 
politifche Ziele unterzufchieben und fie als reaftionär zu verdächtigen. 
Man hat ferner in völliger, echt deutſcher Verkennung bes Begriffe 
eines „Kriegsziels“ der Vaterlandspartei und mir „Annexionismus“ 
vorgeworfen. Abgefehen davon, daß fich die Führung der Vaterlands⸗ 
partei auf die Vertretung einzelner Annerionsforderungen nicht eins 
gelafien und Tediglich “in ber belgifchen Frage, als dem Kernpunkte 





Die Vaterlandspartei 289 


England gegenüber, beftinunte Forderungen aufgeitellt hat, Handelt es 
ſich um die erörterte Notwendigkeit, bem kämpfenden Volke Verſtänd—⸗ 
nis für unfere zufünftigen Xebensnotwendigkeiten zu geben. Die Regie 
rung hatte dag bei uns leider unterlaifen Sie hätte dann wenig⸗ 
ftens dankbar fein jollen, wenn eine große Volksbewegung ihr dieſe 
Aufgabe abnahm, und hätte fich diefer Bervegung fo bedienen follen, 
wie es eine englilche oder franzöfifche Regierung ficherlicy getan hätte. 
Gerade dann, wenn es erforderlih und möglich war, einen Ber: 
zichtsfrieden zu ſchließen, woran die DBaterlandspartei die Regierung 
niemals verhindern Fonnte, war die Regierung in der Lage, geſtützt 
auf das Beſtehen der Waterlandspartei, erträglichere Bedingungen zu 
erzielen, Es fällt ferner aber entjcheidend ind Gewicht, daß mähe 
rend der ganzen Zeit des Beſtehens ber Vaterlandspartei tatlächlich 
eine wirkliche Chance zu einem Verfländigungsfrieden nicht gegeben 
war. Nur die dauernde, jeder tatfächlichen Unterlage entbehrende Vor⸗ 
fpiegelung der deutfchen Demofratie, als wenn Deutfchland nur zus 
zugreifen Hätte, um einen annehmbaren Frieden zu erhalten, hat es 
möglich gemacht, denen mit einem Erfolg den Namen Kriegsver⸗ 
längerer anzuhängen, deren Auffaſſungen, wenn fie von Anfang an 
zur Geltung gefommen wären, eine fchnellere Beendigung des Krieges 
auf dem einen oder dem anderen Mege mit fich gebracht hätten. 
Kriegsverlängerer find diejenigen, melche die deutfche Widerftandge 
Eraft dauernd untergraben und der Entente jene Sicherheit gegeben 
haben, der Lloyd George Ausdrucd verlieh. 

Die Vaterlandspartei hat ihre Ziel nicht erreicht und von dem Augen- 
blick an auch nicht erreichen Fünnen, als ihr neben der Feindfchaft 
der Urheber der Friedensreislution der ſtraffe Apparat des preußifch- 
deutjchen Staates entgegengejeßt wurde. Trotzdem ift wohl ihre po: 
litiſche Aufflärungsarbeit nicht vergeblich gemejen. Wenn ung ferner 
etwas Hoffnung geben Fann, daß noch einmal der nationale Ge- 
danke ein ſtarkes und mohnliches deutsches Haus mieder aufbauen 
wird, jo liegt fie in der Tatſache, daß nach drei fchweren Kriegs- 
jahren, troß der Wirffamkeit Bethmanns und der Demofratie, eine 
Bewegung von fo gemwaltigem Schwung und tiefer Vaterlandsliebe 
möglich war wie die der DVaterlandspartei, Die geiltige und materielle 
Befreiung des unter Fremdherrſchaft geſunkenen deutfchen Vaterlandes 


und die Grundlegung eines neuen Wohlſtandes kann nur beginnen, 
Zirpta, Erinnerungen 19 


290 Hauptfeagen des Krieges 


wern Unglück gur Erkenntnis führt und aus ber Erkenntnis ber 
opferbereite Wille zur Erhaltung bes Deutichtums in allen Klaſſen 
und Schichten erwacht. 


8 


As im Oktober 1918 die zur Macht gelangten Demokraten dem 
furchtbaren, in der Weltgefchichte feit Karthago unerhörten Irrtum zu 
unterliegen drohten, daß man fich in die Gnade des Feindes begeben 
fönnte, ohne zugrunde zu gehen, fchrieb ich folgenden Brief an den da⸗ 
maligen Reichsfanzler Prinz Mar von Baden, 

Berlin, 17. Oftober 1918. 
Euer Großherzoglichen Hoheit 

Befehlen gemäß überfende ich ehrerbietigft nachfolgend meine Anficht 
über die heutige Lage. 

Die politifche Methode, welche wir England und Umerifa gegen- 
über vor und vor allem mährend des Krieges eingefchlagen haben, 
halte ich für grundfäglih falſch. Wir festen Auffafjungen voraus, 
die wir, aber nicht die anderen haben. In diefer Methode erblickte ich 
eine der mwefentlichiten Urſachen des jeigen Krieges und unferer heutigen 
Lage. Das mit raffinierter politiſcher Klugheit und zähefter Sons 
ſequenz verfolgte Ziel der Anglo-Amerifaner war die Vernichtung 
Deutfchlands als weiterer Schritt zur Weltherrſchaft ihres Kapitaligs 
mus. Nur infomweit wir Kraft und befonders Haltung zeigten, konnten 
wir den Eindruck erzeugen, das Gefchäft rentiere nicht, und Fonnten 
damit leidliche Bedingungen erzielen. Die befländig wiederholten, öffent: 
lichen Friedensangebote waren Methodenfehler unfererjeits. Wilfon 
fteigerte feine Forderungen mit jedem dieſer Schritte. Wir begriffen 
nicht, daß mir Falten Erpreffern gegenüberfianden. Ihre Friedeng- 
und Völkerbeglückungsauslaſſungen find ehrlich, aber in naiveiter 
Weife nur für die eigenen Völker verftanden; außerdem berechnet auf 
die politiſche Ahnungsloſigkeit unferes Volkes. 

Unfer letztes Friedens: und Waffenftillftande-Angebot, welches in 
feinem Entgegenfommen auf eine Großmachtftellung Deutfchlands be= 
veits verzichtete, beantwortete Wilfon fachlich dadurch, daß er von 
ung zunächft völlige Mehrlogmachung verlangt. Er weiß genau, daß 
die Einftellung des Wbootskrieges jeden etwaigen weiteren Widerſtand 





Briefe an Prinz Mar non Baden 251 


Deutfchlands unmöglich macht. Das Verlangen der Einftelung des 
Übootsfrieges, über deffen heutige und zufünftige Bedeutung man fich, 
wie Churchills Rede zeigt, im Feindeslager vällig im Haren tft, ift der 
Kern der WilſonNote, der umbüllt wird son dem Pathos der fitt- 
lichen Entrüftung. Da diefe Entrüftung, auf den Seefrieg befchräntt, 
allzu durchfichtig fein würde, müſſen ſchamloſe Nerleumdungen des 
Heeres als weitere Umbüllung dienen. Gleichzeitig peitfcht er das 
durch den Siegestaumel und die Wut feiner Leute ans Außerfte auf. 
Das würde er ficher nicht tun, wenn er uns nachher mit einiger 
Schonung behandeln wollte, Das Gegenteil wird der Fall fein, une 
geachtet der DVerfprechungen unter der Hand. Letztere find politifcher 
Erpreſſertrick. 

Die Antwort Wilſons zeigt ferner, daß es ein Irrtum war, wenn 
man etwa angenommen hat, daß die Entente uns den Gefallen hin 
Fönnte, einen alsbaldigen Waffenftillftand unter Bedingungen zu ge 
währen, die uns die Möglichkeit geben würden, unjer Heer und unfere 
Grenzen für den Fall des Scheiterns ber Friebensverhandlungen in 
Verteidigungszuſtand zu ſetzen. 

Uns bleibt nur ein Mittel, beſſere Bedingungen, vielleicht ſogar 
die Erhaltung des Deutſchtums zu erlangen: Aufruf des ganzen Volkes 
zur entſchloſſenſten Verteidigung unſerer Ehre und unferer Lebens— 
möglichkeiten, begleitet von ſofortiger Handlung, die nach außen und 
innen nicht den mindeſten Zweifel an unſerem Willen beſtehen laſſen 
kann. Dieſes Verfahren iſt ſelbſt dann richtig, wenn wir auch jetzt 
noch entgegenkommend zu antworten geneigt ſind. Tun wir Letzteres, 
ſo bleibt freilich die Gefahr beſtehen, daß weder der Feind noch wir 
ſelbſt an unſeren Ernſt glauben. Der von der Heimat ausgegangene 
Niedergang unſeres Ehrgefühls und unſerer Moral iſt über die Etappen 
in die Kampffronten eingedrungen. Die Truppen können nicht mehr 
ſtandhalten und kämpfen, werm ſie nur zu deutlich ſehen, daß die 
Heimat Alles aufgibt. Wofür ſollen die Mannfchaften kämpfen, wie 
jollen die Offiziere die Moral der Truppen bochhalten? Das ift unter 
folchen Umſtänden unmöglich. 

Entſchloſſene Verſtärkung unferer Weſtfront durch alle nur ver: 
fünbaren Dlannfcaften, Formierung von Bürgerbataillonen zur Auf— 
rechterhaltung ber Dronung in ber Heimat, rückſichtsloſe Fortſetzung 
des Ubootskrieges, der ſehr viel ſtärker gewirkt bat, ala man bei une 

19” 


292 Hauptfragen des Krieges 


glaubt. Einwirkung auf die Piyche der Mannjchaften durch alle er 
denkbaren Mafiregeln, gleiche Beköfligung von Offizieren und Dann» 
ſchaften, Aufklärung in weiteſtem Maße durch den Staatsorganismug, 
um was es fich praftiich Handelt. Jeder Deutiche muß begreifen, 
daß andernfalls unjer Volt herabſinkt zu Lohnſklaven unferer Feinde. 

Um diefen Weg durchzuführen, iſt diktatoriiche Macht unerläß- 
lich, wie e8 unſere Feinde getan haben, in direfiem Gegenjaß zu 
unferem Verfahren. Es ift gang gleich, welche innere Parteirichtung 
diefe Gewalt ausübt. Sie muß nur ihre Macht einzig und allein gegen 
ben äußeren Feind richten, 

Das find, flüchtig diktiert, aber jahrelang überlegt, meine Ans 
fichten, die mit Chaupinismus, Annerionstrieb oder Mangel an Ber: 
ftändnis für unfer Frievensbedürfnis nicht das Geringfte zu tun haben, 
fondern nur an die Rettung unjeres Volkes denken aus ſchwerſter 
Gefahr. Vielleicht gelingt es ihnen nicht, Auf jeden Fall bietet diefer 
Meg die einzige Ausficht auf Gelingen, der andere Meg führt mit 
Sicherheit zu einem fchmachvollen Ende, 

Wenn Euere Großherzoglihe Hoheit noch win Urteil über unfere 
maritime Lage haben wollen, jo empfehle ich dringend, den augenblic®- 
lich bier anmwefenden Herrn Admiral von Trotha, Chef des Stabes 
der Hochjeeitreitträfte, Eurz zu empfangen Niemand ift Imftande, 
ein jo ruhiges und auch allgemeines Urteil hierüber abzugeben als 
diefer Offizier, der von dem Vertrauen der ganzen Marine getragen 
wird, Soviel ich weiß, wohnt derſelbe beim Chef des Marinekabinetts 
Admiral von Müller. 

Abſchrift dieſes Schreibens!) Habe ich mit Rückſicht auf die Dring⸗ 
lichkeit mir erlaubt, dem Generalfeldmarfchall von Hindenburg und 
dem Staatsſekretär Erzellenz Scheidemann zu überfenden, 


Euer Großherzoglichen Hoheit 
verharre ich in größter Ehrerbietung 
v. Nirpii, 


— PORT OR & 

Y) Prinz Mar hat diefen Brief forgiam gelefen und ihn mit marlierten Stellen 
an die anderen Staatsſekretäre, jedenfalld an den Vizekanzler von Paper und Staats: 
jefretär Golf weitergegeben. Am 17. und 18. Oktober war die Mehrheit in der 
Meichsregierung für Werhandeln mit den Waffen in der Hand. Am 19, Oktober 
war es ober der Scheidemann-Richtung unter Hinzuziehung bes Bierfiie befonders 








Yan Dujammenbruc 293 


Die Regierung des Prinzen Mar von Baden unterlag dent ums 
erhörten Schwindel volksfremder Einflüfterungen. Der Ubootskrieg 
wurde aufgegeben, die Kapitulation eingeleitet, der Rechtsfriede auf 
Grund der 14 Punkte Wilfons mit der Entente „vereinbart“ und jeder 
Andersdenkende, jeder wahrhaft deutſch Geſinnte in Acht getan, obwohl 
Armee und Marine ohne jeden Zweifel bis zum Frühjahr 1919 hätten 
durchhalten und dadurch wirkliche Friedensverhandlungen hätten decken 
können. In diefen fchmwärzeften Tagen der deutfchen Gejchichte, als wir 
die volle Fähigkeit noch befaßen, mit dem Schwert in der Hand dem 
gleichfalls Eriegsmüden Feind den Vorfchlag zu einem gerechten Frieden 
zu machen, dieſe Möglichkeit aber von ung ftießen, um im Chaos unters 
zugehen, fchrieb ich als Vorjigender der Varerlandspartei einen zweiten 
Brief an den Reichskanzler. 

Berlin, den 30. Dfteber 1918, 
Euer Großherzogliche Hoheit 

haben meinen ehrerbietigen Brief vom 17. d. M. gnädig auf 
genommen; aber in einer wichtigen Beziehung, nämlich bezüglich des 
Übootskrieges, eine Entfcheidung getroffen, der ich, und mie ich höre, 
auch die Marine⸗ und HUrmeeautoritäten, widerraten haben. Die gegen: 
märtige Lage läßt es mir ald Pflicht erſcheinen, einen Mm meinem 
damaligen Briefe wicht genfigend betonten Gedanken auch jekt nach 
Euerer Großherzoglichen Hoheit zu unterbreiten, 

Jeder militärifche Rückzug, wenn er nicht in kataſtrophaler Flucht 
enden ſoll, muß geleitet fein mit zeitweiligen und paffenden Kehrt 
mendungen gegen ben nachdringenden Feind. Dasfelbe gilt zweifels⸗ 
ohne und vielleicht noch in veritärftem Maße bei einem politifchen 
Rückzug. Selbſt wenn wir uns Elar darüber zu fein glauben, daß 
wir militärifch nichts mehr erreichen können, muß man fich ftete 
gegenmärtig halten, daß auch auf der gegnerifchen Seite der Wunfch, 
feine großen Opfer mehr zu bringen, aus rein pfychologifchen Gründen 
jehr Hoch geſtiegen iſt. Franfreich rettete 1871 durch feine damalige 
Haltung much nach erfolgtem Waffenftillftande Belfort in den Friedene: 


unglüdlich gemählten Grafen Wolff: Metternich gelungen, die Mehrheit in der Reichs— 
gegierung umzuftimmen. Dat auf osllige politifche Inftinktlofigfeit berechnete Ver: 
langen Wilfons, ung vor Eintritt in Die Verhandlungen zunächft wehrlos zu machen, 
wurde erfüllt, unb damit der Außerfte Niedergang Deutichlands entfchieden, 


294 Hauptfrngen des Krieges 


verbandlungen. Wenn im Kampf ein Soldet den Degen übernikt, To 
fann er auf Pardon rechnen. Gefchieht dies aber auf politichemn 
Gebiet, macht ber Unterliegende fich völlig wehrlos und ergibt er fich 
ohne Haltung, fo hewirkt er beim Sieger das Gegenteil von Rüdficht, 
er erwedt vielmehr den Wunſch rückſichtsloſer „Beſtrafung“. 

Aus diefen Gründen kann ich mir, abgejehen von der durch Jahr: 
hunderte nachwirkfenden Schach, rein materiell gedacht, Feinen fchlechs 
teren Frieden denken, als folchen, der uns aufgezwungen werden 
würde, wenn wir zu einer Zeit einfach Eapitulieren, wo noch ein erheb⸗ 
liches Maß von MWideritandskraft bei ung vorhanden ift. Der Feind, 
der legtere genau einzufchägen mweiß, wird ung bei einer folchen vor: 
zeitigen Wehrlosmachung nicht milder behandeln, fondern brutaler und 
roher, weil zu dem Bollgefühl des Siegers noch hinzutreten wird ein 
Gefühl der Verachtung des Gegners. Es kommt in diejer Frage 
wiederum der Unterfchied in unferer Denkungsweiſe und derjenigen 
unjerer Feinde im Berracht. In diefer Hinficht würde es für ung 
günttiger liegen, wenn wir den Frieden über England gefucht hätten 
und nicht über Amerika und Wilſon Y. 

Sch möchte fchließlich noch auf folgendes hinmeifen: Unfere Feinde 
befinden fich jeßt nicht nur in vollem Siegestaumel, fondern ihre 
Völker haben auch das Gefühl, dem feit Jahren erſehnten Frieden, 
dem Ende der Opfer und Leiden, unmittelbar nahe gerüct zu jein. 
Alle Nerven der großen Maſſen jind auf diejen Punft gejpannt. Ent 
fchließen wir uns jeßt, infolge feindlicher Zumutungen, zu einem 
politifchen „Halt! Front!”, zeigen wir dem Feinde noch einmal in 
ganz Plarer Entfchloifenheit die Zähne, und erklären feine Forderungen 
für unannehmbar, fo wird bie plößlich auftauchende Notwendigkeit, 
den Kampf forrzufegen, von größter pinchologifcher Wirkung fein. 
Es wird ſich der kampfesmüden Maffen unierer Feinde eine furcht: 
bare Enttäuschung bemächtigen, und fehr bedeutende Kräfte werden 
jich in der Richtung entfalten, die Regierungen zu einer Abmilderung 
Ihrer Bedingungen zu veranlaffen. In Verbindung mit dem mwachfen: 


1) Ich meinte natürlich nicht, daß es vorteilhnfter wäre, fidh in die Gnade Eng: 
lands ſtatt Wilſons zu geben. Cine foldhe Kapitulation bedeutete auf alle Fälle 
den nationalen Untergang. Ich meinte vielmehr, daß für Verhandlungen mit dem 
Schwert in der Hand England, wor allem dank dem llhootsfieg, der verhältnis: 
mäßig geſchäftlichſte Senner geweſen wäre, und bin Diefer Anficht auch heute noch. 


Das Spitem Bethmann 205 


den, heldenhaften MWiderftanb om unſerer Front, und in Verbindung 
auch mu der fehr begründeten Furcht vor dem Boljchewismus, wird 
eine ſolche Deutliche Haltung Die einzige fein, die uns erträgliche Be 
dingungen verjchaffen kann, 


Euer Großherzogliche Hoheit 
verharre ich in größter Chrerbietung 
v, Tirpitz. 


Sch hatte, als ich dies fchrieb, nur noch vorſchwindende Hoff 
nungen darauf, daß den „regierenden““ Männern die Bejinnung mieders 
Pehren Lönnte, Mit diefem Brief endet meine politische Betätigung, 


Der unglückliche Ausgang des Krieges gibt denen, melche biefen 
Ausgang verfchuldet haben, vor der urteilslofen Maſſe die Handhabe, 
freilich nicht das Recht, diejenigen anzuflagen, welche den Krieg hätten 
gewinnen oder mindeitens ehrenvoll beendigen Fönnen, wenn man ihnen 
freie Hand gelaffen hätte. Fin Staatsgerichtshof foll eingejegt werden; 
wird er eingefest, fo gehören Andere auf die Anklagebanf und darunter 
viele, die jeßt den Nichter fpielen wollen, Sch würde e8 gern ver- 
mieden haben, perfönliche Empfindungen Anderer zu treffen, Doch 
muß ich vor der Gefchichte das Syſtem an den Pranger ftellen, 
welches ung verderbt hat. 

Diefes politiiche Spitem, melches Bethmann=Hollweg wohl unab- 
fichtlich, aber tatfächlich zur Entfaltung gebracht hat und welches auch 
heute noch in faft grotesfer Steigerung lebt, umfaßt die Preisgabe un- 
ferer ftaatlichen Errungenschaften infolge blindgläubigen Nachlaufens 
hinter den erprefferischiten und verlogenften Vorjpieglungen des Aus⸗ 
lands und hinter eigenen internationaliftifchen Schwärmereien. Alle 
Überlieferungen und Leidenserfahrungen unferer Gefchichte fcheinen ver: 
geffen und müſſen neu erlebt werden. 

Diefes Syſtem hat meiner Überzeugung nach unferen angriffe: 
Yuftigen Nachbarn die Gelegenheit oder den Vorwand für den Krieg 
gegeben. Es hat im Innern unfere Politif zermürbt, jo daß das Voll 
die erforderliche moralifche Kraft verlor, um den Meltkrieg durch 
zuhalten. Dasfelbe Spftem ift die mejentliche Urſache, weshalb bie 


v 
296 Hauptfragen des Krieges 


Stärke unferer Flotte in dieſem Kriege nicht zum Tragen gekommen (fl. 
Dasfelbe Spitem hat unſere Politif nach der falfchen Richtung, näm⸗ 
lich auf die Zerfchlagung Rußlands und Schonung Englands orientiert. 
Dasfelbe Syftem hat unfere an Zorheit und Mürdelofigfeit beiſpielloſe 
Kapitulation im Herbit 1918 verfchuldet, und die ſchwere Folge diefes 
Schritts durch weitere Fehler verſchärft. Dasfelde Syſtem mütete nad) 
der Revolution gegen bie letzten Reſte ftaatlicher Vernunft, fo daß es 
eine Schmach und Strafe geroorden zu fein feheint, ein Deutfcher zu 
fein. Das war mir einft höchites Glück und Stolz gewefen. Wenn 
ftraff geführt, gibt es Fein leiftungsfähigeres Volk als das uniere, 
Mber in der Hand fchlechter und untauglicher Führer ift das deutſche 
Volk fich felber der größte Feind. Es wird der fchwarzrotgoldenen 
Kopie eines Staates, die ihm jeßt zugermutet wird, in Kürze über: 
drüffig fein. Aber wird dann noch etwas übrig fein son der Subftanz 
des guten alten Staates, um den ung die Feinde fo beneidet haben, 
daß fie feine Kräfte: Monarchie, Wehrhaftigkeit, Integrität und Fleiß 
der Beamtenfchaft, Itaatenbildendes Preußentum und todesverachtende 
Vaterlandsliebe mit Hilfe umferer radikalen Demokratie zerftören 
mußten? 

Wir ftehen heute fchlimmer da als nach dem breifigjährigen Kriege. 
Ohne ein neues Potsdom und ohne eine furchtbar ernfte Selbft: 
befinnung und geiftige Erneuerung, ohne eine nach außen tätige und 
würdige Staatsvernunft wird dag deutfche Volk nie wieder auf freiem 
Grunde wohnen und allmählich oder rafch nach Bildung und Zahl aus 
ber Reihe der großen Völker ausfcheiden; dann wird auch ein neues 
Meimar nicht möglich fein. Von der höchften Höhe zur tiefften Tiefe 
ging unfer Sturz. Man foll nicht leichtfertig vom Wiederaufbau reden, 
jolange man immer noch tiefer ſinkt. Der Aufſtieg iſt furchtbar ſchwer 
und hart. Er kann und wird gelingen, wenn das Volf einig in ent= 
Ichloffenem nationalen Dulden und Wollen, fo wie Franzofen, Staliener, 
Engländer, Serben, ja neuerdings felbft die Inder es find. Solange wir 
das Volk mit dem ſchwächſten Notionalgefühl find, das jeden Länder⸗ 
raub oder fonftige Schmach, die ung angetan wird, mit Verſöhnungs⸗ 
reden erwidert, damit ftraflos macht ımd zu neuem Raub einlädt, jo- 
lange wir ohne den erforderlichen Nationalſtolz den Sitten und Formen 
anderer Völker nachlaufen und folange ung das Bekämpfen anderer 
Deutfcher von anderer Parteirichtung wichtiger ift als das Zuſammen⸗ 





Der Henaft ohne Reiter 297 


balten gegen außen, ſolange kann Deutſchland nur ſinken, nicht gefunden, 
In der Alemannenſchlacht riefen die Deutfchen ihren Häuptlingen zu 
„Herunter von den Dferben‘ und verloren die Schlacht. Deutſche Zwie⸗ 
tracht Hat uns auch jegt wieder zu Fall gebracht, denn politifch und im 
gewiſſen Schichten auch ſittlich war unſer Gefchlecht feiner Zeit nicht 
gewachien. 

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ließen mir aljo die Pflicht 
erwachſen, diejes Syſtem zu befämpfen. 

Wenn dagegen.das deutiche Volk aus dem Taumel des Zuſammen⸗ 
bruchs erwacht und fi mit Stolz und Rührung der ungebeuren 
Kraft, Tugend und Opferbereitichaft erinnert, weiche es im preußiſch⸗ 
deutſchen Staat much noch mährend des Krieges felbit hat entfalten 
Pönnen, Io wird es die Erinnerung an den Weltkrieg neben feine 
höchſten nationalen Heiligtümer” ftellen dürfen. Wie wir troß unferer 
geringmwertigen Bundesgenoffen einer fo furchtbaren gewaltigen Über: 
macht itandhielten, wie wir der englifchen Weltverſchwörung gegen und 
teogten, der Berleumdung unierer friedlichen Gefinnung und dem 
brutalen Wernichten unzähliger deutſcher Einzeleriftenzen in allen Erd» 
teilen ungeachtet jahrelang den Mur nicht finfen ließen, und wie unfere 
Männer zu Waſſer und zu Lande es verfianden haben, den Feind 
zu treffen und ſich felbit zu opfern: Daran mögen fich Eünftige 
Gefchlechter unferes Volkes bewundernd ihren Glauben ſtärken. Aber 
Deutſchland war wie zu Luthers Tagen „ein meidlicher Hengft, dem 
nur eines mangelt, der Reiter”. Der aufgezwungene Kampf war zuerjt 
in jeder Hinficht ausfichtsvoll, er gewährte ſogar nach allen begangenen 
Fehlern noch im Dftober 1918 die Möglichkeit, einen Vernichtungs⸗ 
frieden abzumehren. Aber innerpolitifche Begebrlichkeit, welche die gan: 
zen Kriegsiahre hindurch immer bereit geweſen war, por dem Feind 
zu kapitulieren, hatte die Zügel der führerlofen Nation ergriffen. 


Üchtzehntes Kapitel 
Die Hochfeeflotre im Kriege 


I 

Sch ſtehe vor dem fihmerzlichiten Tel meiner Aufgabe, nämlich 
mich darüber auszufprechen, weshalb unjere Flotte, nachdem unjere 
Politik den Ausbruch des Krieges nicht harte vermeiden können, ung 
feinen gerechten Frieden hat eritreiten dürfen, fondern ſelbſt das fchmach- 
vollfte Ende gefunden hat. Es liegt nicht in meiner Abficht, eine fees 
Eriegegefchichtliche Darftellung zu geben. Es kommt mir, dem Zweck 
des ganzen Buches entjprechend, nur darauf am, die mejentlichiten 
Gefichtspunfte für die Beurteilung unferer Flotte hervorzuheben. Zus 
nächit möchte id) darauf binweifen, daß auch unfere Armee, die bei 
Kriegsbeginn in hoher Vollendung daftand, der ungeheuren Übermacht 
ichlieglich unterlegen ift. Den Einwand, daß wir ohne Flotte den Welt: 
krieg nicht befonımen hätten, habe ich früher zurückgewieſen, denn ed 
war für England ſeit Jahrzehnten zum Staatsgrundjag geworden, ein 
Niederwerfen Frankreichs nicht zu dulden, 

Unfere Seemacht war im Jahr 1914 zwar ſchon fehr beträchtlich, 
aber zur ficheren Erfüllung des für Krieg und Frieden geltenden Rififo- 
prinzips noch nicht reifz fie war noch in voller Entwicklung begriffen, 
als jie den fünf größten Seemächten gegenübergeftellt wurde, zu denen 
1917 noch Amerika hinzutrat. 

Trotz allem bin ich auch heute noch der Überzeugung, und das iſt dag 
Zragifche an dem Endergebnis: die Flotte hätte es fchaffen, fie hätte 
uns zu einem ehrenvollen Frieden verhelfen Bönnen, wenn fie richtig 
zur Ausnugung gebracht wäre. Die Flotte war gut, das Perfonal voll 
Kampfbegierde, in hohem Ausbildungsitand, das Material dem eng- 
lifchen überlegen. Das fichtbarfte Zeichen für den militärischen Wert 
unferer Flotte und die hohe Einfchägung ihrer Leiftungsfähigkeit durch 
den Gegner lag wohl in der Tatfache, daß die Engländer, je länger ber 





Die Marine bei Kriegsbeginn 209 


Krieg dauerte, beito Seflimmter einen Zufammenftof mit ihr vermieden, 
Sie haben tro immer wachjender Überlegenheit unjere Ötreitfraft 
niemals mit Vorbedacht angegriffen. Rein Zuſammenſtoß iſt von ihrer 
Geite geſucht. Unfere Flotte iſt fchließlih von derjelben Krankheit er: 
faßt worden, von der ganz Deutichland verfeucht wurde. Wenn fie auf 
den großen Schiffen einige Zage früher als in der Armee und offen- 
fichtlicher in die Erfcheinung getreten iſt, jo liegt ein mejentlicher Grund 
hierfür im den engen Beziehungen, Die fi auf den Werften zwiſchen 
den verhegten Ürbeitermajjen und dem Schiffsperionel, namentlich 
den Heizern, herausbilden konnten. Dieje parteipolitiiche Bewegung, 
deren Leitung in Berlin jaß, wurde von der damaligen Reichsleitung 
geduldet. 

Wie im ganzen Volk, fo berrfihte bei Beginn des Krieges auch in 
ber Marine das fichere Gefühl, daß es in Deutjchland niemand gab, 
ber den Krieg erftrebt hätte. So geichidt es England auch angefangen 
hatte, als es die ihm 1914 fich bietende Gelegenheit ausnußte: fein 
lang vorbereiteter Plan, Deutichlands Zukunft zu vernichten, war doch 
au offenkundig geweſen. Demzufolge war der Geiſt unferer Flotte 
zu Beginn des Krieges hoch geftimmt und ließ das Beſte erwarten, 
Alte Reſerviſten ftellten bei den Mujterungen das Gejuch an ihre Offis 
ziere, an den Gefchügen verwendet zu werden und nicht in Sicherheit 
unter Dec beim Munitionsmannen. Unſere Torpedoboots kommandan⸗ 
ten hofften auf den Befehl „Flagge Z vor“1). Die Seekadetten und 
Fähnriche der gejchloffenen Marineſchule und der außer Dienjt geftell- 
ten Schulfchiffe begehrten ſtürmiſch an Bord zu kommen, fei e8 auch 
nur, um als Läufer des Kommandanten Verwendung zu finden. Die übe 
lichen Belohnungen bei Nekordleiftungen im Kohlen wurden von den 
Eohlenden Heizern und Matrojen abgelehnt: „Wir arbeiten ohne Be— 
lohnung.“ GSeeoffiziere und Ingenieure wetteiferten, das Schiff auf 
höchſte Gefechtsbereitichaft zu befommen. 

Jeder Angehörige der Marine war fich bei Kriegsbeginn barüber 
Plar, einem Feind entgegenzutreten, der über eine ftarfe Übermacht 
gebot und deſſen Unbefiegbarkeit auf See fait zum Dogma geworden 
war. Franzofen, Ruſſen, Staliener wurden ald Gegner fozufagen gar 
nicht gerechnet, Schon im Frieden harte fich Die deutfche und die eng 


) Eignot zum fing" 


300 Die Hochfecflotte im Kriege 


lifche Marine gegenfeitig in befonderer Weiſe geachtet, Er ift freilich 
eine reine Erfindung, daß damals in ben deutfchen Seeoffiziersmeilen 
auf den „Tag“ (der Schlacht mit Englands Flotte) angeftoßen wurde. 
Diefe Lüge gehört in Das große Kapitel ber ums angedichteren Angriffs⸗ 
abiichten, mit denen die Weltpreſſe überfchmemnt morden iſt. Dazu 
mar doch die Sympathie mit dem englischen GSeeoffiziersforps vor dem 
Kriege noch zu ſtark, und unfere vornehme Sefinnung hätte Derartiged 
völlig unmöglich gemacht, ganz abgefehen von der Torheit eines Wun⸗ 
iches, mit einem doppelt jo ſtarken, tüchtigen Gegner kämpfen zu 
wollen. 

Bevor ich auf Die beiden Haupturfachen eingehe, weshalb unfere 
Flotte den Enderfolg ihres Dafeins nicht hat erreichen können, will ich 
ein kurzes Bild neben von den tatlächlichen Wirfungen, welche fie auf 
die Geſtaltung des Kriegsverloufes ausgeübt hat, 


2 

In unferer Heimat hielt die Flotte unfere langgeſtreckte Küfte von 
Memel bis zur Ems ganz allein von jedem feindlichen Angriff frei; 
kein Kanonenſchuß iſt auf unſere Küfte gefeuert worden. Durch prafs 
tifch umbedingte Beherrjchung der Oſtſee ficherte die Flotte die freie 
Zufuhr von Waren, namentlich von Erzen, die ein dringendes Erforders 
nis für unfere Kriegeinduftrie waren, fie deckte den linken Flügel unfe 
res Heeres im Diten gegen rückwärtige Überfälle, die von den Ruſſen 
geplant waren umd die im der zwilchen Rußland und England 1914 
abgeichloifenen Marinefonvention wohl ebenfalls eine Rolle gefpielt 
haben. Die Flotte ermöglichte Ipäter den Nachichub unferes Heeres» 
Flügels über See. Durch die erfolgreiche Unternehmung gegen Oſel 
und den Moonſund trug die Flotte unter den Nömiralen Schmidt und 
Behncke im glüclichiten Zufammenarbeiten mit der Armee dazu bei, 
ben legten Widerftand der Rufen zu brechen. 

Da unfere Flotte nicht gefchlagen war und die Engländer infolge 
beifen nicht zur engen Blockade unferer Küſten übergehen Fonnten, 
ermöglichte fie eg den nordifchen Mächten und auch Holland, gegen 
über den Drohungen Englands in einer neutralen Haltung zu vers 
bleiben. Als unfere Flotte im erften Sahrzehnt dieſes Jahrhunderts 
noch ſchwach war, hatte England eine Landung in Fütland vorbereitet, 
alfo eine Vergewaltigung Dänemarks nach der Art, wie fpäter Griechen⸗ 





Zeitungen der Flotte 301 


land behandelt wurde, vorgefehen. Angeſichts der deutfchen Flotte war 
das unausführbar, 

Man ftelle ſich vor, umfere Flotte wäre vollftändig gefchlagen wor⸗ 
den oder wäre überhaupt nicht vorhanden geweſen; welche Folgen 
hätte das alsbald für unfere wirtfchaftliche und militärische Lage gehabt. 
Mit eingedrückter, ja auch nur ſtark bedrohter Nordfront hätten wir 
unfere Oft und Weftfeont nicht halten können. Uber Weiteres kommt 
Hinzu. Unfere Flotte zwang die Engländer zu einer riefigen Vergröße- 
tung der eigenen Seemacht, Allein das Perjonal ihrer eigenen Flotte 
wurde mehr alg verdreifacht. Von englijcher Seite wird der perjonelle 
Gejamtaufmand für die Kriegsführung auf dem Waſſer mit 11/, bie 
2 Millionen Menjchen wohl nicht zu Hoch berechnet, eine Zahl, die Doch 
eine jehr große Entlaftung unferer eigenen Weſtfront bedeutete, 

Sch Habe fchon im vorigen Kapitel davon geiprochen, welchen Schlag 
für England die Einnahme der franzöfifchen Kanalhäfen durch die Armee 
bedeutet hätte. Diefe Beſetzung durch ung wurde aber erjt dann zu einer 
wirklichen, vielleicht entjcheidenden Gefahr für England, wenn wir eine 
Flotte hatten, um dieſe Häfen als Stützpunkte ausnügen zu können. 
In diefer Hoffnung wurde das Marinekorps gebildet, die einzige uns 
mittelbare Kriegsleiſtung, die ich im Rahmen des Reichsmarineamts 
feldit für den Kampf gegen England ins Werk jegen konnte. 

Unfere Armee hat die Nordhäfen Frankreichs nicht erreichen können, 
fondern nur die flandrifchen Häfen, welche nach ihrer geographijchen 
Lage eine erheblich geringere Bedeutung hatten, da jie Beine unmittel- 
bare Bedrohung des Kanals daritellten, Dazu Fam, daß bei ihrer Art 
hier nur Üboote und Torpedoboste zur Verwendung gebracht werden 
Eonnten, Immerhin gewährten jie ben großen Vorteil, daß die Ent⸗ 
ferrung von dort nach der englifchen Küſte nur den vierten Zeil des 
Abſtandes von den deutjchen Flußmündungen betrug. Aus diejem Grunde 
wurden kleine Uboote hierfür verwendbar, die fich in verhältnismäßig 
kurzer Zeit befchaffen hießen. Angriffe der engliſchen Seeftreitfräfte 
auf Zeebrügge und Oſtende waren zu gewärtigen. Da mir nun zweifels 
haft war, ob die Urmee geneigt wäre, die erforderliche Einrichtung Der 
Küftenverteidigung zu übernehmen, und da andrerjeits die Landfronten 
unferer Neichsfriegshäfen nicht mehr eigentlich bedroht waren, fo er⸗ 
ſchien zweckmäßig, aus dem hierdurch verfügbar gewordenen Perſonal 
ein Marinekorps zur Verteidigung der flandriſchen Küſte zu bilden, 


302 Die Hochſeeflotte iin Krirge 

Die Heeresleitung twilligte nur unter der Bedingung ein, daß es unter 
den Befehl der Armee käme. Um überhaupt etwas zu erreichen, ſtimmte 
ich diefer Bedingung zu, obwohl nach allen Erfahrungen die Marine 
dei gemeinfamen Operationen mit der Armee leicht in die Gefahr gerät, 
für ihre eigenen Zwecke zu Burz zu kommen, Der Kaifer ging auf den 
Plan mit großem Verjtändnis ein und gab mir für diefe Aufgabe außer: 
ordentliche Vollmachten. Die Marineinfanterie, welche aus zwei Bas 
taillonen drei Regimenter bildete, ſtellte troß diefer ftarken Verdünnung 
dan? ihrer dreijährigen Dienftzeit vom erften Tag ab eine Kerntruppe 
dar. Die aus den verjchiedenen Forts und Pläsen zujammengeholte 
Matrofenartillerie follte ihre Infanterieausbildung in der Nähe von 
Brüffel nachholen, mußte aber infolge der Eriegerifchen Ereianiffe im 
September teilweife fofort aus der Bahn gegen die aus Antwerpen vor 
ſtoßende belgische Armee ins Feuer gejchieft werden. Die Truppe fand 
ſchon dabei ihren Mann, wie ſpäter bei der Eroberung Antwerpens und 
in vierjährigem Ötellungsfampf. Das Marineforps unter Admiral 
dv. Schröder machte die Seeflanfe unferer Weſtfront mit der Zeit uns 
angreifbar und baute die flandrifchen Häfen mit Behelfsmitteln zu 
brauchbaren Stürpunften für den Torpedoboots= und Ubootskrieg aus, 
Unfere dortigen Seejtreitfräfte, obwohl ich leider nicht die Macht harte, 
fie durch vermehrte Zuteilung aus der Heimat jo jtarf zu machen, wie 
Admiral Schroeder und ich gerrünfcht hätten, blieben ein empfindlidjer 
ppfahl im Fleifche Englands bis an den Herbft 1918 heran. 

In den erſten Monaten des Krieges entwickelte fich ferner der öft- 
liche Teil des Mittelmeeres zu einem Kriegstheater von fleigender Bes 
Deutung, 

Bereits am 3. Auguſt hatte ich, da Nachricht über den Abfchluß eines 
Bündnifjes mit der Türkei eintraf, trotz Bedenfen des Admiralſtabs⸗ 
chefs für „Soeben und ‚Breslau, unfere Mittelmeerdivifion die 
Anweiſung erlangt, den Durchbruch nach Konftantinopel zu verfuchen. 
Um 5. Auguſt wurde diefer Befebl noch einmal zurücgenommen, weil 
der Botjchaft in Konftanrinopel bei der dortigen Lage die Ankunft der 
Schiffe im Augenblic noch nicht erwünscht fchien. Die Schiffe erhielten 
Anweifung, nad) Pola zu geben oder nach dem Atlantik durchzubrechen, 

Zwiſchen Oſterreich, Italien un) ung beitand vom Frieden ber vin 
Marıneablommen, nach welchern im Fall eines Krieges unjere gefamten 
Seeſtreitkräfte in der Straße von Meffine gegen ben Zweibund vers 





Flandern — Mittelmeer 303 


einigt werben follten, Den Obecbefehl über die Dreibundflotte follte 
der öfterreichtfche Admiral Haus führen auf italienischen Vorſchlag; 
ich laſſe es dahingeftellt, ob er je ernfthaft gemeint war. Der Kaifer 
mar befonders ſtolz auf unfer Mittelmeergejchwader, während ich 
das Fehlen befonders der „Goeben“ in ber Nordſee bedauerte. 
Als „Goeben“ und ‚Breslau‘ nach erfolgreicher Beſchießung algerifcher 
Küftenpläge in Mefjina einwafen, blieben ſowohl die Ftaliener wie die 
Ofterreicher aus, und Stalien, das ftrenge Neutealität erflärt hatte, 
gewährte den Schiifen in Meffina Faum einmalige Kohleneinnahme. 
An beiden Ausgängen der Meerenge Ereuzten feindliche Schiffe. Da 
Hfterreich noch an feine der ung feindlichen Mächte den Krieg erflärt 
batte, ſtanden der Hilfeleiftung feitens der öfterreichifchen Flotte Forms 
Schwierigkeiten entgegen. Auf Verlangen bes Reichsmarineamts er: 
hielten wir am Nachmittag des 5. Auguft vom Auswärtigen Amt die 
Antwort, unfer Botjchafter in Wien wäre angemiefen, die Kriegserklä⸗ 
rung dringend zu verlangen. Am Abend Fam die Nachricht, daß dei 
öſterreichiſche Seebefehlshaber nach Lage, Entfernung und Bereitſchafts⸗ 
grad der öfterreichifchen Flotte nicht imftande wäre, zu helfen — ein 
Mbbild unferer politifchen Siriegsvorbereitung überhaupt. Unter diefen 
Umftänden wurde dem Admiral Souchon telegeaphijch überlajjen, mo 
bin er durchbrechen wollte. Er bat daraufhin, dem erften Befehl ent 
fprechend, die Richtung nad) Konftantinopel gewählt, 

Die ganze türkifche Frage erhielt durch das Gelingen dieſes Durch: 
bruchs die entfcheidende Wendung. Wenn mir auch vor Ausbruch des 
Krieges unſere Orientpolitik fchief erfchienen war, weil eine Befreiung 
von der politifchen Einkreifung Deutfchlands nur auf dem Wege über 
Rußland Ausfichten Hatte, fo fiel jedes Bedenken in diefer Richtung 
fort, ſeitdem wir ung tetjächlih mit Rußland im Kriegszuftand bes 
farden. Dementfprechend habe ich die Türkei fo weit mir möglich 
ivar, unterjtügt. Ihre Schwäche ließ eine wirkliche Neutralität auf 
die Länge nicht zu. Die Ankunft unferer Schiffe ermöglichte es, daß 
die Türkei für, jtatt gegen ung ausgefpielt wurde. Die nun folgende 
Unterftügung der Türkei durch die deutiche Marine unter ſchwierigen 
Umſtänden ift ein Kapitel für fi. Hier fol nur hervorgehoben werden, 
dad unjere Marine wefentlich an ber ruhmoollen Verteidigung der Dar: 
danellen beteiligt ift und damit zur Rettung von Konitantinopel beige- 
tragen hat. Von diefer Rettung hing Sieg oder Niederlage auf ber für 


304 Die Hochfeefioste im Kriege 


die Mittelmächte fo wichtigen Balfanfront ab. Der Zufahrmeg nach Ruß— 
land vom Mittelmeer aus blieb gefchlojfen. Das Offenbleiben der Vers 
kehrswege nach Vorderafien ermöglichte die fchwere Bedrohung Englands 
m Ügnpten und Meſopotamien und zog ſtarke englische Heere und 
Seetransportmittel dorthin ab, Es wird bei unferer Eontinentalen 
Denkungsweife leicht überjehen, daß der von England unternommene 
Verſuch, die Dardanellen mit feiner Flotte zu forcieren, nur beshalb 
mit unzureichenden Mitteln vor fich ging und daher fcheiterte, weil 
unfere eigene Flotte England zwang, den größten Teil feiner Flotte 
in der Nordſee Fonzentriert zu halten. Die Fernmirfung unferer Flotte 
ſchützte die Türkei, Huch Ofterreidh haben wir durch Entfendung von 
Ubooten unterftügt und in Pole und Cattaro Stüßpunfte errichtet, 

Der Eintritt Japans warf den Plan eines Krieges umferes Kreuzer: 
gefchwaders gegen den feindlichen Handel und gegen die dortigen 
britiſchen Streitkräfte über den Haufen und ließ ihm nur den Verfuch 
übrig, fich nach der Heimat durchzufchlagen. Auf der Heimreife ver 
richtete das Geſchwader unter dem tapferen Grafen Spee ohne nennens⸗ 
merte eigene Verluſte das an Chiles Küfte jkationierte engliſche Ge 
ſchwader, deſſen Chef noch kurz vor dem Kriegsverhängnis freundfchafte 
lich mit Spee verkehrt hatte. Nur ein Eleiner englijcher Kreuzer entkam 
aus diefer Schlacht bei Coronel, 

Der dem Grafen Spee nach dem ſtarken Verbrauch verbleibende Reſt 
an Munition ſchien mir für eine zweite Schlacht nicht mehr hinreichend, 
Anderfeits hatten noir Nachricht von der Zufammenziehung ftarfer eng» 
Sifcher Keäfte an der Oſtküſte Südamerifas. Ich fchlug deshalb vor, 
Spee, mit dem wir nach Valparaiſo drahtlofe Verbindung hatten, freis 
zuftellen, die Oftküfte Südamerikas zu meiden, um in der Mitte des 
Atlantik oder auf der afrikanischen Seite nad) Norden zu gehen. Deine 
Abjicht dabei war, dem Grafen Spee bemerflich zu machen, daß weitere 
Siriegshandlungen mit Nücdficht auf den Munitionsmangel von ihm 
nicht mehr erwartet würden und daß der Schwerpunkt feiner Auf 
gabe nunmehr in der Rückkehr nad) der Heimat läge. Spee Formte dann, ° 
mit einzeln fahrenden Schiffen die unendliche Weite des Atlantik auge 
nugend, in ähnlicher Weiſe wie fpäter die „Möme’ uſw. heimkehren. 
Dann wäre das Preftige von Coronel in der ganzen Welt gewahrt ges 
blieben. | 

Da Graf Spee über die Kriegslage micht unterrichtet wor, ſchien 





Dftafien — Kreuzertrieg 303 


mir ein folcher Hinweis von Haufe wünſchenswert. Der Admiral—⸗ 
ftabschef hielt indes die Benachrichtigung Spees nicht für zweckmäßig. 
Es Fam über diefe Frage zu Meinungsverfchiedenheiten zwifchen ihm 
und mir, Der Admiralſtabschef wollte dem Grafen Spee nicht vor⸗ 
greifen, weil derjelbe nach feiner Meinung befjer über den Stand der 
englifchen Streitkräfte unterrichtet fein müfje, ala wir felbit. Leider 
war dies nicht der Fall. Unfer Kreuzergeſchwader ift bei den Falklands- 
infeln durch eine von Spee nicht vermutete große Übermacht, bei der 
jich zwei Dreadnoughtkreuzer befanden, vernichtet worden. 

Man fragt fich, was den ausgezeichneten Admiral bewogen haben 
mag, bie Falflandsinfeln anzulaufen. Die dortige englifche Funken: 
ftation zu zerflören, hatte nicht viel Zweck, denn fobald fie die Meldung 
abgegeben hatte: „Hier fteht das deutſche Geſchwader“, war ihr Beftes 
getan. Vielleicht erklärt fich das Unternehmen aus der Sorge, welche 
die Tapferen bei ihrer Unkenntnis der Lage bewegte, ber Krieg nähere 
fich feinem Ende, ohne daß fie noch zur Reiftung kämen. Nachdem 
der Sieg bei Coronel bei unferen Landsleuten in aller Welt den Stolz 
auf ihr Deutfchtum erhöht hatte, fenkte der Untergang der Beſatzungen, 
die, Graf Spee mit feinen Söhnen an der Spike, die Unterwerfung 
ablehnten, Achtung und Wehmut in jedes Herz 

Auch die in verfchiedenen Erdteilen flationierten einzelnen Kreuzer 
haben ihre Schuldigfeit voll getan. Diefer Kreuzerkrieg, ber beim 
Mangel an Stützpunkten Feine lange Dauer haben Eonnte, war vom 
Admiralftab jehr gut vorbereitet. Agenten, Kohlen und Proviantver: 
forgung Elappten, jolange das Preftige Deutfchlands in der Welt nicht 
im Niedergehen war. Die Taten Kapitän z. ©. v. Drüllers auf der „Ems 
ben’ und die der ‚Karlsruhe‘ waren ruhmreich und wirffam. Der Kom⸗ 
, mandant der „Karlsruhe, Kapitän z. S. Köhler, dachte nicht daran, 
die Erlaubnis zur Heimfahrt zu befolgen; mit vier Hilfsſchiffen im 
Atlantif arbeitend, umfchwärmt von englifchen Kreuzern, aber bauend 
auf feine überlegene Schnelligkeit, ftrebte er nach neuen Erfolgen, bie 
ihn felbft und fein Schiff eine Erplofion vernichtete, die roahrfcheinlich 
von einem im Ausland gefauften unficheren Sprengftoff herrührte, 
Die ‚„„ Königsberg” unter Kapitän 3. ©. Loof ift nach fcharfen Kämpfen 
gegen große Übermacht erlegen. Der Kommandant und ein erheblicher 
Zeil der Beſatzung haben dann ben Feldzug in Oftafrifa unter Gene= 
tal v. Lettow⸗Vorbeck mitgemacht. Biel Ehre haben gute treue Deutjche 


Tirpis, Erinnerungen 22 


306 Die Hochfeeflotte im Kriege 


auch von fpäteren Kreuzerfahrten heimgebracht. Kühnfter Unterneh: 
mungsgeift führte die Hilfskreuzer Meteor”, „Greif“, „Möwe“, 
„Seeadler‘‘, „Wolf durch die englischen Gewäſſer hindurch nach dem 
Ozean. Der Geift, den fie zeigten, mar aber der Geift der Hochjees 
flotte, denn fie waren von deren Offizieren und Mannfchaften bejeht. 
Nachhaltige Wirkung auf den Verlauf des Krieges Eonnten unfere Aus— 
landsjchiffe nicht bringen, da fie ohne jede Hilfe durch eigene Stütz⸗ 
punfte in abgemeffener Zeit erliegen mußten. Immerhin tft Das, was 
wir an Verluften dem Feind beigebracht haben, mindeftens dreimal fo 
groß als das, was wir felbft dabei eingefegt haben. Merkivürdig dabei 
ift die Erjcheinung, daß das Erliegen unferer Schiffe nie auf offener 
See, fondern ftets dann eintrat, wenn die Kreuzer notgedrungen mit 
dem Lande in Berührung kamen. 

Denn man fich diefe Wirkungen unferer Flotte auf die Geftaltung des 
Krieges vor Augen hält, jo wird man anerkennen müfjen, daß ihre Taten 
groß und ruhmreich waren, Mir ift außer dem legten Zufammenfturz 
Fein Fall befannt, in dem das Perfonal fich nicht mit größter Tapfer⸗ 
Feit und Hingabe gefchlagen und bei bem unfere perfonelle und qua- 
fitative Überlegenheit fich nicht dargetan hätte. Man wäre nicht unbe 
rechtigt zu fagen, gegen eine fünffache Übermacht ohne Stützpunkte 
draußen, in ungünftigfter feeftrategifcher Lage daheim, fei nicht mehr 
zu verlangen gemwejen. Und dennoch, unfere Marine war jo gut, daß 
von ihr das Höchite hätte erreicht werden können, wenn es gefordert 
und nicht gehemmt worden wäre. 

Damit fomme ich auf die beiden wefentlichiten Urfachen, weshalb 
das höchite Ziel für die Marine, dag Erftreiten eines gerechten Fries 
dens, nicht Hat erreicht werden Eönnen. Die Hemmungen, welche 
der militärifchen Leiſtung der Marine aus politifchen Gründen während 
de8 ganzen Krieges auferlegt wurden, find die eine fchon früher bes 
jprochene Urſache ihres erfchütternden Loſes. Die andere Urfache ift 
der Mangel einer einheitlichen verantwortlichen Leitung der gejamten 
deutjchen Seemacht. 


3 
Die Operationspläne, welche ich in den neunziger Fahren nieder 
gelegt und damals auch dem Einverftändnis des Chefs des General 
fiabes unterbreitet hatte, waren fämtlich bon der wohlwollenden New 


Der Operatiensplan 307 


tralität Englands ausgegangen. Nachdem fich dieſe politifche Voraus: 
fegung feit Mitte der neunziger Jahr geändert hatte, war ich als 
Staatsfefretär bei der Bearbeitung der Operationspläne refjortmäßig 
nicht mehr beteiligt. Doch habe ich je nach der Perfönlichkeit des 
Admiralftabschefs die Anfichten mit ihm darüber ausgetaufcht. Als 
Graf Baudifjin 1908 Admiralitabschef war, hatte er den fofortigen 
rückſichtsloſen Einfag der aktiven Flotte zur Schlacht in den Vorder: 
grund der Operation geftellt und dabei mein volles Einverftändnigs 
gefunden. In den legten Jahren vor dem Krieg wurde aber der Ope— 
tationsplan vom Admiralſtab auch mir gegenüber ald Geheimnis 
behandelt. 

Der Operationsplan, ben mir nun gemäß dem fpäter zu befprechen: 
den Kabinettsbefehl vom 30. Juli 1914 der Admiralſtabschef v. Pohl 
für den Fall einer englifchen Kriegserklärung vorlegte, beftand zu 
meiner Überrafchung aus einer kurzen Anmeifung für den Chef der 
Mordfeeflotte, vorläufig gegen England den Kleinkrieg zu führen, 
bis eine ſolche Schwächung des Gegners erzielt fei, daß man zum 
Einjegen der Flotte übergehen könne; follte fich vorher eine gute Aug: 
fiht auf Erfolg bieten, fo könne auch dann fchon gefchlagen werden. 

Für den fogenannten Kleinfrieg war In jener Zeit in der Preſſe, un: 
ter anderem auch von verabfchiedesten Secoffizieren ftarf geworben 
worden. Man überfah, daß deffen ganze Nusfichten von dem durchaus 
unmahrfcheinlichen guten Willen des Gegners abhingen, ung folche 
zu gewähren. Nur wenn die Engländer ſich rach Ausbruch des Krieges 
fofort zu einer engen Blocade unferer Küften entichlofjen hätten, 
kam der Kleinfrieg in Betracht; ob er felbit in diefem Falle richtig 
geweſen wäre, fei dahingeitellt. Die Nachrichten aus England, ing: 
befondere die Anlage der britifchen ftrategifchen Manöver machten aber 
jene papierne Annahme einer engen Blockade der deutjchen Bucht von 
vornherein unmahrfcheinlich. 

Der Admiralftabschef perfönlich glaubte den Drang der Engländer, 
zum Schlagen zu kommen, höher einfchägen zu follen und erwartete, 
daß es demgemäß zu einer Schlacht bei Helgoland fommen müffe, 
mad, wenn es eintrat, natürlich für ung am günftigften gemwejen 
wäre. Mie ich fpäter erfahren habe, gingen die Sonderbearbeiter 
im Wdmiralftab bei diefer Frage von dem Gedanken aus, daß dag 
ftrategifche Verbalten der Engländer in den erften Wochen des Krieges 

2 


308 Die Hochſeeflotte im Kriege 


fih Bar herausftellen müſſe und dementfprechend neue Direktiven 
gegeben werden Fönnten; fie waren auch der Anficht, daß das Hinzu⸗ 
treten einiger Großkampffchiffe der Kaiferklaffe und die mobilgemachten, 
aber zunächit noch nicht Eriegsbereiten Reſervegeſchwader die Aus- 
fichten einer Schlacht vom Oktober ab noch günftiger gejtalten würden, 
als in den erfien Wochen, An Hemmungen aus politifchen Gründen 
wurde an Feiner Stelle der Marine gedacht, Nein zahlenmäßig be 
trachtet, war jene Auffafjung nicht unrichtig. Es Tag nur das Beden- 
fen vor, daß eine erfte Direktive, welche Zurüdhaltung empfahl, 
Teicht dahin führen Eonnte, bei der Unberechenbarkfeit der feindlichen 
Handlungen unmiederbringliche günſtige Gelegenheiten zu verfäumen 
und dem Feinde Vorteile zu bringen, die wir nicht zu überfehen im- 
ftande waren. Sch erhob deshalb Einwendungen gegen dieſen Opera⸗ 
tionsplan, die vom Nömiralftabschef nur inſoweit anerkannt wurden, 
als eine Änderung vorgenommen wurde, bahingehend, daß, fobald fich 
eine Gelegenheit böte, nicht gefchlagen werden könne, fondern müffe. 
Ich glaubte, daß hiermit dee Chef der Nordfeeflotte noch genügende 
Freiheit zum Handeln behielte. 

Für die fofortige Betätigung unferer Flotte fprach, abgefehen von 
ben politifchen Momenten der Umftand, daß mwahrfcheinlich nicht un= 
erhebliche britifche Schlachtkräfte für Die Zruppenüberfchiffung über 
den Kanal feftgehalten wurden, ferner, daß die Engländer für den 
modernen Seekrieg nicht wefentlih mehr Erfahrung beſaßen als wir, 
endlich, daß fie bei Beginn des Kriegs die Überlegenheit unferer 
Schiffsmwaffen und unſeres Materials noch nicht kannten. Auf die 
furchtbare, als Mberrafchungsmoment doppelt wirkſame Kraft un 
ferer Panzerfprenggranaten find fie wohl noch nicht einmal durch 
ihre Niederlage bei Coronel, fondern erft durch das Kreuzergefecht 
vom 24. Januar 1915 aufmerkfjam geworben. Für rafches Schlagen 
Iprach endlich der heilige Kampfeseifer des gefamten Perfonals, dag 
mit den Großtaten der Armee wettzueifern fehnlichit wünſchte. 

Ungünftig wirkte für eine fofortige Schlacht der Umftand, daß bie 
gefamte englische Flotte bei Kriegsausbruch infolge der Probemobil- 
machung ſchon Bampfbereit war, während dies bei ung nur auf die 
aktiven Geſchwader zutraf. Ferner hatte Pohl zum Bedauern feiner 
Offiziere dem Drängen des Auswärtigen Amts nachaegeben, welches 
die Flotte bei ihrer Rückkehr von Norwegen ber barmloferen Er⸗ 





Aktivität oder Zurücdhultung } 309 


fcheinung willen zmwifchen dem Norde und dem Dftjeehafen zu teilen 
wünfchte. Infolge dieſes Schrittes, der zwar unfere Friedengliebe 
wiederum beurkundete, aber die Kriegsbereitfchaft fchädigte, mußte 
die nach Kiel geleitete Flottenhälfte erjt nach Auffüllung der Kohlen 
uſw. den noch nicht einwandfreien Nordoſtſeekanal durchlaufen, um 
fi) mit dem Reſt zu vereinigen!) Der Flottenchef v. Ingenohl 
wurde ducch Diefe Umflände gegen die Erwartung vieler Offiziere 
beftärkt zu einer ftreng defenſiven Auffaffung des Operationsbefehls 
bezüglich der Schlachtfiotte, Einige Fühne Minenunternehmungen an 
der englifchen Küſte veränderten die Lage nicht. Ingenohl erwartete 
die Engländer in der Helgoländer Bucht in defenfiver Form, welche 
der Feind nad) einiger Zeit herausfinden mußte. So kam der 28. Yuguft 
heran und mit ihm ein in feinen Nace und Nebenwirkungen für 
die Keiftung der Marine verhängnisvofler Tag. 

Englifche Bleine Kreuzer und Torpedoboote neuefter Art hatten 
gegen unſere zwiſchen Helgoland und der Küfte fichenden Vorpoſten⸗ 
finien am frühen Morgen in dieftigem Wetter einen Vorſtoß gemacht 
und hierbei ein älteres Torpedoboot verfenkt. Als die englifchen 
Fahrzeuge jich darauf feewärts zurüczogen, wurde unjeren in ben 
Flußmündungen Tiegenden kleinen Kreuzern der Befehl gegeben, die 
Verfolgung aufzunehmen. Diefe, über die Gejamtlage nicht unter: 
richtet, gingen von ihren Ankerplätzen allein und unter Zurüclaffung 
der ihnen zugeteilten Zorpedobootsflottillen mit dem ganzen Unge— 
ſtüm des erften Kampfes los und trafen etwa fechzig Meilen von 
Helgoland auf eine große Zahl feindlicher Aufflärungsftreitkräfte, 
darunter auch vier Schlachtkreuzer. Ob ſchwere Geſchwader dahinter- 
fanden, blieb zweifelhaft. „Köln“ und „Mainz“ wurden hier im 
Feuer der weit überlegenen Macht tapfer kämpfend zufammengefchoffen, 
big fie wegſanken. 

Entjcheidend ſcheint mir, daß beim Anmarfch der Engländer nicht 
fofort befohlen worden war: die ganze Flotte mit allem, was fie 


1) Der Kanal war bei Ausbruch des Krieges noch nicht vollkommen fertig, Die 
Tiefe jtellenweife unzureichend. Verletzungen, befonders der Schiffsfchrauben, traten 
ein, welche bei den fpäteren Offenfivunternehinungen nachteilig wirkten, da fie 
zum Teil erft auf See in die Erfcheinung traten, durch Verringerung der Ge: 
Ichwindigfeit, übergroßen Kohlenverbrauch uſw. 


310 Die Hochfeefloite im Kriege 


hat, heraus! Maren größere Kräfte der britifchen Flotte in der Bucht, 
fo konnte es Glücklicheres für ung gar nicht geben als hier in der 
Nähe unferer Häfen zum Schlagen zu kommen. Hatte der Engländer 
aber nur geringere Stärke und wich aus, fo befam die Flotte wenigiteng 
die Möglichkeit einer einzigartigen Schulung im Entwiceln der geſam⸗ 
ten Seeftreitfräfte aus den Flußmündungen und im Vereinigen mit dem 
Ausblick auf einen Kampf. Das gejchah leider nicht und auch ein 
Nachjchieben von Streitkräften fand nicht ftatt. E38 wurde nur der 
Befehl für eines der Geſchwader erteilt, fich in höhere Fahrbereit⸗ 
Schaft zu feßen. Da ich im Hauptquartier den ganzen Vorgang zu= 
nächft nicht verftand, erbat ich mir fchriftliche Aufklärung von einem 
Bekannten, der an ihm beteiligt geweſen war, und mies zugleich 
auf die Folgen hin, die entftänden, wenn die Flotte nicht zum Schlas 
gen käme. Sin der Antwort, die ich erhielt, wurde der Gedanke der 
Slottenleitung, die Engländer in der Helgoländer Bucht in Anlehnung 
an unfere dortigen Minenjperren zu erwarten, als richtig anerkannt; 
ber Verluſt der Kreuzer wäre nur durch ihr Draufgängertum vers 
fchuldet. Im Gegenſatz zu dieſer Anficht fand die Kritik ber 
meiften Offiziere. Auch die Mannfchaften waren enttäufcht, daß 
fie nicht zum Schlagen Fämen, und ihr herbes Urteil machte ſich 
ftellenweife in bedenklicher Form Luft. Bemerkungen wurden mit 
Kreide an die Wand gefchrieben, aus denen der Wunſch ſprach, an 
den Feind zu kommen, 

Daß im Anfang eines folhen Krieges Fehler gemacht werden, 
{ft natürlich. In diefem Falle waren offenbar Wirkungen der in des 
fenfivem Geifte gehaltenen Operationspläne zutage getreten. Es war 
nun Sache der Oberſten Srieggleitung hier einzugreifen und auf bie 
zweifellos begangenen Fehler hinzuweijen. Dann war der eingetretene 
Schaden leicht ausgebeffert. 

Aber das Gegenteil trat ein. Der Kaifer wollte derartige Verlufte 
nicht haben, und der Reichskanzler erhielt vermehrte Handhaben für 
die im vorigen Kapitel geichilderte grundfäßliche Zurückhaltung ber 
Flotte. Ausdrud dafür, daß Bethmanns Auffaffung Geltung ge 
wann, waren die Anordnungen, welche der Kaifer nach Vortrag Pohls, 
zu dem ich wie ftets nicht zugezogen wurde, erließ, um die Initiative 
des Chefs der Hochfeeflotte noch weiter einzufchränken: Schiffsver: 
luſte müßten vermieden werden, Auslaufen ber Flotte und überhaupt 





Der 28. Yuguft und feine Folgen 311 


größere Unternehmungen müßten vorher die Zuſtimmung des Kaifers 
erhalten u. A. 

Nachdem ich hiervon mündlich Kenntnis erhalten hatte, nahm ich die 
erfte Gelegenheit wahr, um dem Kaifer das grundfäßlich Fehlerhafte 
einer folchen Knebelung darzulegen. Einen Erfolg hatte diefer Schritt 
nicht, im Gegenteil entftand von diefem Tage ab eine wachjende und 
von verfchiedenen Seiten geförderte Entfremdung zwifchen dem SKaifer 
und mir. Wenig fpäter lief in Berlin die Nachricht um, ich triede aus 
parlamentariſchen Rückſichten die Flotte in die Schlacht. 


4 


Als Beifpiel meines damaligen Strebens veröffentliche ich im fol 
genden einige Gutachten, die ich an den Chef des Admiralſtabs ge 
richtet habe, Ihr Ziel war, die Schlacht herbeizuführen. Im Aus: 
druck habe ich mich ftellenmweife den vorherrjchenden Anjchauungen 
bis zu einem gewifjen Grade angepaßt, um überhaupt etwas erreichen 
zu Eönnen. So habe ich 3.8. bie an jich richtige, aber vom Admiral 
ftabschef und Kabinettschef einfeitig in den Vordergrund geftellte Auf: 
faſſung anerkannt, daß es für uns erfirebenswert wäre, die Schlacht 
nicht allzu fern von Helgoland zu fchlagen. Die Hauptjache war für 
mich freilich nicht diefer Ort, fondern daß überhaupt gejchlagen wurde. 
Damals wurde ferner im Hauptquartier ber Gedanke einer fünftigen 
Verdoppelung der Flotte hin und her gemwälzt. Gegen diefe falſche Zu> 
kunftsmuſik habe ich ftets angefämpft, und darauf bezieht ſich Ab- 
fat 7 in meiner Außerung vom 16. September, woraus in kaum 
glaublicher Verdrehung von den Gegnern der Seefchlacht jener Ver: 
dacht Eonftruiert wurde, es käme mir vor allem auf künftige parlas 
mentarische Erfolge an. 

Zuremburg, den 16. September 1914. 

Eurer Exzellenz ftelle ich, bezugnehmend auf unfere heutige Beiprechung, 
die nachftehenden Ausführungen ergebenft zur Verfügung: 

1. Der Bericht des Admirals von Ingenohl vom 12.8. M. — Gg. 1738 


A 1 — beftätigt meine von vornherein vertretene Anficht, daß mir 
durdy den fogenannten Kleinkrieg einen Kräftenusgleih nicht erlangen 
werben, 


2. Das Biel unferes gefamten militärifhen und abminiftrativen Vorgehens 
feit etwa 20 Jahren iſt die Schlacht gewefen. Deshalb haben wir in 


312 


147 


* 


Die Hochſecflotte Im Kriege 


der Schlacht relativ ſtets bie beiten Chancen, Mit Rückſicht auf unfere 
numerifche Unterlegenheit müffen wir indes anftreben, fie nicht zu weit 
von Helgoland zu fchlagen, höchſtens 100 Geemeilen entfernt davon. 


. Unfere befte Chance für eine erfolgreihe Schlacht war in ben erſten 


2 bis 3 Wochen nad) der Kriegserflärung. 


. Die Chancen bafür werden in der meiteren Zukunft für uns nicht 


beffer, fondern fchlechter, weil die englifche Flotte einen erheblich 
größeren Zuwachs an Neubauten erhält als wir und in voller Mbung 


bleibt. 


nn 


S\ 


90 


© 


. Dazu kommt, daß der anfangs glänzende Geift unferer Flotte herunter: 


gehen muß durch die Ausfichtslofigkeit, zum Schlagen zu kommen. 


.Es kommt darauf an, daß man das Vertrauen zu unferer Flotie 


bat, daß die englifche Flotte in einer Schlacht mit der unfrigen 
mehr ober wenigftens ebenfoviel Einbuße erleiden wird, als wir. Sch 
perfönlich habe dies Vertrauen. Die letzte Entfcheidung kann meines 
Erachtens freilih nur derjenige Mann treffen, der die Verantwortung 
dafür hat, das ift der Hochfeechef. Er muß aud das Vertrauen zu fi) 
felbft dafür haben, den Genius des Sieges in feinem Herzen tragen. 
Faſt immer in ber Weltgeſchichte haben Kleinere Flotten größere ges 


ſchlagen. 


. Den Nutzen eines Intakthaltens unferer Flotte bis zum Friedensſchluß 


vermag ich nicht einzujehen. 

Wenn wir nad) einem fo furcdhtbaren Kriege, wie der von 1914, 
zum SFriedensihluß kommen, ohne daß die Flotte geblutet und ges 
leiftet hat, fo werben wir nichts mehr für die Flotte befommen. 
Alles überhaupt vorhandene recht fpärlihe Geld wird in die Armee 
gehen, und der große Verſuch Seiner Majeftät des Kaifers, Deutſch⸗ 
land zur Seemacht zu erheben, wird vergebens gemacht fein. 


. In der nächſten Seit muß indeffen mit der Schlacht noch gewartet 


werben, bis die Türkei definitiv losgefchlagen hat und bis bie Haupts 
entiheidung im Weiten gefallen ift. 


. Das Herausfhiden unferer drei disponiblen großen Schladhtkreuzer 


ohne andere Streitkräfte und ohne Soutien gegen bie angenommene 
feindliche Blodabelinie bei Lindesnaes halte ich deshalb nicht für richtig, 
weil der Einfag an diefer Stelle mir zu hoch erfcheint gegen den mög: 
lihen Gewinn. 


v. Tirpitz. 
An den Chef des Admiralſtabes der Marine hier. 





Dein Kampf Kir die Seeſchlacht 313 


Sharlesille, den 1. Oktober 1914. 


Euerer Exzellenz beehre ich mich folgende Bemerkungen zu dem mir 
zur Kenntnis gegebenen Schreiben bes Kommandos ber Hochſeeſtreitkräfte 
vom 25. IX. 1914 zur Verfügung zu ftellen: 

Ich Bin der Anfiht, daß die Ubootsgefahr früher wohl zw gering, 
jeßt nach dem Erfolg von U 9 aber zu hoch gefhäßt wird), 

Das Treffen vom Uboot aus ijt außerordentlich fchwierig, wenn bas 
Schiff höhere Fahrt macht und in Ubootsnähe öfter Kurs wechſelt. Vor 
dem Angriff von U 9 hatten alle drei Kreuzer mit zehn Knoten Fahrt ge 
bummelt. Hogue und Creſſy lagen bei ben Torpedoſchüſſen geftoppt. 

Trotzdem ift unfere Helgolandede durch die häufige Anmwefenheit feind- 
licher Uboote zum Ausgangspunft von Dffenfivbemegungen jchlechter ge: 
eignet, als wir nach Friedenserfahrungen bisher annahmen. Hierzu trägt 
aber vielleiht noch mehr als das feindliche Uboot die gewaltige Größe 
unferer Flotte bei, die aus ben engen Flußfchläuden herausbefilieren muß. 
Unfere Friedensübungen haben uns diefe Tatjache nicht genügend vor Augen 
geführt. 

Die Flotte befindet fig mim in der Gefahr, entweber faft nublos hinter 
unferen Strombartifaden den Krieg über zu verbringen, während Deutiche 
land den Kampf um feine Erifteny als größere Macht auf der Erde führt, 
oder aber, um der Ehre willen gezwungen zu werden, zur Schlacht heraus: 
zugehen, wenn bie Ausfiht auf Erfolg äußerſt gering ift. 

Die feige Wirkung unferer Flotte (20 Großfampffchiffe, zirfa 25 Vor: 
breadnoughts, 100 Torpedoboote ufw.) hätte audy erreicht werden können 
mit fehe viel geringeren Streitkräften, wenn man ſich auf die Verteidigung 
ber Oſtſee beichränft hätte, 

Die volle Wirkung einer „Fleet in being‘ füllt dagegen die engs 
lifche Flotte aus, außerordentlicher immer ftärfer werdender Drud auf bie 
Neutralen, vollfte Vernichtung des deutſchen Seehandels, praktiſch vollfte 
Wirkung der Blodade, beftändiges Mberjchiffen von Truppen nah Frank: 
reih. Damit hängt zufammen Nachrichten-Iſolierung Deutfchlands, Aufs 
hetzung der ganzen Welt gegen uns. 

Die englifhe Flotte und damit England ift Deutfchlands gefährlichfter 
Feind. 

Dem Stärkeverhältnis beider Flotten entſpricht die Nutzbarmachung unſerer 
doch ſehr ſtarken Seemacht in keiner Weiſe. Ich will mich auf die weiteren 
Gründe hierfür nicht weiter einlaſſen, ſondern nur eine Tatſache kon⸗ 
fatieren, der man ind Auge fehen muß. 


) Es handelt fi) hier um die taktifche Uboootsgefahr für Kriegsfchiffe. 





314 Die Hochfeeflotte im Kriege 


Ich fehe aus diefem Grunde auch nicht ein, meshelb die volle Ins 
taftheit der Flotte für den Friedensſchluß irgendwelchen politifchen Eins 
fluß haben Tann. 

Was nun den zweiten Punkt anbetrifft, daß mir gesmungen merben 
Eönnen, um der bloßen MWaffenehre megen, unter ungünftigen Berhält: 
niffen zur Schlacht herauszugeben, fo brauchen die Engländer nur eines 
Morgens Helgoland von Norden aus zu bombardieren. Ein Gefchmaber 
mit hoher Gefchwindigfeit, großen Abftänden der Schiffe und Zickzackkurſen 
genügt hierzu. Weiter dahinter fteht in biefem Falle die ganze englifche 
Flotte, d. h. Alles, was fie an Hochfeeftreitfräften haben, eingefchloffen bie 
Korpedoboote. In der beutfchen Bucht vor unferen Flußmündungen ftehen 
in biefem vorbereiteten Falle nicht ein Bis zwei Uboote — mehr können 
die Engländer für die hauernde Stationierung in der Helgoländer Bucht 
wohl faum aufbringen —, fonbern alles, mas England an Ubooten von 
weiterem Aktionsradius befitt. 

An diefer Notwendigkeit, um ber Ehre willen in ungünftiger Lage 
und nicht volllommen vorbereitet ſchlagen zu müffen, fehe ich zurzeit bie 
größte Gefahr für unfere Flotte, 

Verharrt unfere Flotte auch weiterhin in ihren bisherigen zurückhaltenden 
Stellungen, jo wird ihre moralifche Stärke und Leiſtung mit nicht abfeh» 
baren Folgen herabgehen, 

Ich bin aus diefen Gründen der Anficht, daß die Initiative des Abmirals 
son Ingenohl in Feiner Weile eingeengt werden barf und daß es ihm völlig 
überlaffen bleiben muf, was er unter ben vorliegenden Verhältniſſen zu 
tun für möglich und richtig hält. Er darf auch nicht gehalten fein, fragen 
zu müffen, denn auch darin liegt eine Lähmung feiner Initiative. Er 
allein muß entfcheiden. Nach meiner perfönlichen Anficht befitt unfere 
Slotte erheblih mehr Schlachtkraft, ald es unferer jegigen Kriegführung 
entipricht. Das, gilt befondere von unferen gänzlich unverbrauchten Tor⸗ 
pebobootsftreitfräften. Daß die englifhen Torpedoboote fchlecht angreifen 
können, haben fie am 28. 8. bemiefen., 

Sch bin aus bdiefen Gründen der Anficht, daß weitere Vorſtöße unferer 
gelamten Schlachtflotte unbedingt erforderlich geworden find. Wenn ic 
mich auf ben Fall vom 22. September beziehe, in dem ber bereits ans 
geordnete Ausfall unferer drei großen Kreuzer unterblieb, weil in ber 
Nähe von Lindesnaes je 12 und 16 Schiffe gemeldet wurden, weshalb 
konnte unfere gefamte Flotte nicht herausgehen? Es ift unmwahrfcheinlich, 
baf die gefamte englifche Flotte ſolche Fahrten macht, und felbft wenn wir 
erfannt hätten, daß wir nicht nur die J., fondern die gefamte englifche Flotte 
vor uns hatten, fo konnten wir durch entfprehende Dispofitionen die Schlacht 








Für die Scefchlacht 315 


wohl erheblih zurüdlegen, z. B. dadurch, das die langfameren Schiffe 
auf gleichem Kurſe in 50 Seemeilen Abitand folgten. (Staffeln.) 

Nun wird eingewendbet, daß bei ſolchen Vorftößen, Die zur Schlacht 
führen, unfere havarterten Schiffe auf dem Rückzuge verloren find. Woher 
weiß man, daß viel havarierte Schiffe überhaupt vorhanden find? Heißt 
es nicht vielleicht: Entweder oder? wird in einer großen Schlacht nicht die 
Mehrzahl der havarierten Schiffe torpebiert werden, folange der Ausfall 
noch zweifelhaft ericheint? Sind bie Engländer nicht in einer ähnlichen 
Lage? Die langen Nächte beginnen jegt, und da follten unfere ungleich 
höher geichulten Zorpedoboote der englifchen Flotte gegenüber verfagen? 

Ferner wird eingewendet, der Rückzug nad unferen Flußmündungen 
würde uns verlegt werden durch die aus dem fühlichen England kommenden 
Slottenteile. ft denn die Diitanz foviel größer von Lindesnaes nad) Helgo> 
land als von England ebendahin? Sind denn, wenn wir die Initiative 
ergreifen, alle englifchen Flottenteile zum fofortigen Auslaufen und Zu⸗ 
ſammenſchließen bereit? Das Sufammenfcließen iſt dort ebenfo ſchwer, 
wie bei und. Bei Hoek van Holland oder in ähnlicher Reichweite werden 
in Sufunft nicht viel englifche Schiffe mehr ftehen, Nur der Initiative 
ift das Glüd hold. (Emden, U 9, Königsberg, U 21.) Tritt aber dennoch 
bie Situation ein, daß wir nicht nad) Helgoland, fondern ins Kattegatt 
zurüdgehen müſſen, fo find mir dort zu Haufe und die Engländer nicht. 

Abmiral von Ingenohl verlangt nım, daß die Belte geöffnet werben 
follen. Auf eine ſolche Forderung Eönnen die Dänen nach den Vorgängen 
nicht eingehen. Sie follte fchon aus dem Grunde unter feinen Umftänden 
geftellt werden, meil fie in England fofort befannt würde. 


Das Yurüdgehen durch Kattegatt und Belte muß im Motfalle ohne 
zu fragen geichehen. Übrigens hat Dänemarf im Anfang des Krieges 
und zu verftehen gegeben, daß es ben Fleinen Belt in zmel Teile teile, 
in den bäniichen Zeil bei Baagö, ben es fperrte, und in den deutichen Teil, 
den Aroefund, den wir zu verforgen hätten. Hinter diefen Vorwand, daf 
wir den beutichen Teil des Heinen Beltes benugt hätten, Fönnte ſich Däne⸗ 
marf zurüdziehen, im übrigen handelt es ſich auf deutfcher Seite nicht 
um eine Dffenfive von den Belten aus, fonbern formell um bie Rettung 
bavarierter Schiffe. Es wäre ein Akt der Notwehr. Dänemarf mürbe 
uns deshalb nicht den Krieg erklären, höchftens würde England die Paffage 
durch die Belte auch für fich verlangen. Das tut es fegt nur deshalb nicht, 
weil es noch nicht feinem Vorteil entfpricht. Anerkannt hat es die Berech⸗ 
tigung Dänemarks, die Belte zu fperren, nicht (ef. Sir E. Grey und Ants 
wort des R.K.). Die Dänen haben nach den bisherigen Regeln der Neu— 
tralität tatfächlih auch gar nicht das Internationale Mecht, Dies zu tun. 


316 Die Hochfeellstte in Kriege 


Alfo die Paffage durch den Kleinen Belt tft für uns frei, Der bisherige 
Nutzen ber Belifperrung durch die Dänen ift allerdings ins Gegenteil um» 
geichlagen. 

Ein für uns günftiger Ausgleich der Kräfte durch den Kleinkrieg ift 
nach den bisherigen Erfahrungen nicht zu erwarten, eher Tann das Gegens 
teil eintreten, was das Urteil über unfere Flotte nur ungünftig beeinfluffen 
ann. Einen ähnlichen Eindrud wird an und für ſich ſchon die bevorftehende 
Erftürmung Tſingtaus und die langfam aber ficher zu erwartende Vernich⸗ 
tung unferer Auslandsfreuger hervorrufen. 

Nichts Ipriht dagegen, Admiral v. Ingenohl vollfte Freiheit des Hans 
delns zu geben. Meiner Anficht nach erforbert es der Verlauf des Krieges 
im Ganzen. Operationen und Streitkräfte in der Oſtſee find danach ein- 
zurichten. 

v. Tirpitz. 


An den Chef des Admiralſtabes der Marine hier. 


Großes Hauptquartier, den 11. Oktober 1914. 


Das von Euerer Exzellenz auf Grund Ihres Immediatvortrages an 
ben Hochjecchef gerichtete Schreiben vom 6. X. d. J. — 168 — gibt mir 
Veranlaffung, Euerer Erzellenz folgende Bemerkungen zur Verfügung zu 
ftellen: 

1. Die Direltive, daß bie Flotte ſich zurüdhalten und Aktionen ver: 
meiben foll, die zu größeren Verluften führen Eönnen, wird meinem 
Erachten nah zur Folge haben, daß ſich für die Flotte bie Ge: 
legenheit einer Schlachtentfcheidung überhaupt nicht bieten wird. Sie 
wird vielmehr nur dann unter günftigen Umftänden zum Gchlagen 
fommen, wenn fie verjucht, durch Vorftöße, wie fie auch der Hochfee- 
chef in feinem Schreiben vom 25. IX. 1914 — Gg. 2030 0 — vor: 
gefhlagen hat, den Gegner in Situationen zu bringen, bie geftatten, 
gegen Teile der feindlichen Flotte vorzugehen oder nächtliche Tor⸗ 
pebobootsangriffe gegen ihn anzufegen. Das Erfcheinen unſerer Flotte 
außerhalb der Helgoländer Bucht muß in den Dispofitionen der feind⸗ 
lichen Slottenleitung Unficherheit hervorrufen und Gegenmafregeln ver: 
anlafjen, die die feindliche Flotte oder weſentliche Teile von ihr in bie 
Nähe unferer Küfte bringen werden, Nur fo, d. h. durch Initiative 
unfererjeits, kann ji) die Flotte die Gelegenheit zur Schlacht oder 
doch wenigftens zur erfolgreichen Torpedobootsverwendung fchaffen. Über: 
läßt fie die Initiative dem Gegner und wartet in den Flußmündungen 
ab, bis biefer die Schlacht gemwijjermaßen anbietet, fo wird fie ftets flart 
überlegene und vorbereitete Streitkräfte vor fi; haben, gegen melde 








Gr die Seeſchlacht 317 


fie ich aus den Flußmündungen faum noch mit Ausfiht auf Erfolg 
entwideln Tann. 

2. Die energifche Verwendung von Korpebobooten tft meines Erachtens 
nur möglid, wenn biefe mit ftarfen Streitkräften, am Beften mit der 
ganzen Flotte als Rüdhalt, zum Anfat gebracht werden, Andern⸗ 
falls treffen fie bald auf überlegene gemiſchte Streitkräfte, fo daß 
fie nichts erreichen werden. Dagegen bin id} der Anficyt, daß, wenn es 
uns gelingt, unfere Xorpebobootsflottille entweder in der Tagſchlacht 
ober in nächtlihem Angriff gegen weſentliche Teile ber englifchen Flotte 
zum Anja zu bringen, wir große Erfolge erzielen werden. Dafür 
bürgt mir ihre auf fahrzehntelanger Schulung beruhende gute Durchs 
bildung, 

3. Das dauernde Liegen unferer Geſchwader in den Flußmündungen kann 
auf die Gefechtsbereitfhaft unferer Flotte nicht ohne nachteilige Folgen 
bleiben. Es fehlt nicht nur dem Flottenverband die Möglichkeit der 
Aufrechterhaltung feiner taftifhen Durchbildung, fondern, ohne dafi 
dem Perfonal der geringfte Vorwurf zu machen ift, muß auch mit 
Naturnotwendigkeit der glänzende Geift unferes Perſonals dadurch bes 
einflußt werben, ba ihm immer mehr bie Ausficht auf eine Eriegerifche 
Betätigung entrüct wird, 

v, Tirpißz. 
An den Ehef des Admiralſtahes der Marine bier. 


5 


Ich meinte nicht, daß die Schlacht in jedem Fall und an jedem 
Ort geſucht werden dürfte. Ich wünſchte vielmehr, daß die Nordſee— 
flotte durch ſtändige Tätigkeit eine Lage herbeiführte, welche die Eng— 
länder näher an uns heranzöge, Entwidelte fich fo eine Schlacht aus 
unferer Initiative, nicht allzu fern von unferen Gemwäffern, jo mar 
auch, namentlich im erften Teil des Krieges, die Möglichkeit gegeben, 
daß die Engländer nicht ihre gefamten Streitkräfte vereinigt in die 
Schlacht fegten. Die Gefchichte diefes Krieges, die zu fehreiben ich 
bier nicht beabfichtige, wird zeigen, daß folche Gelegenheiten fich ges 
boten haben. Im Anfang des Krieges hatte fich noch nicht fo Elar 
wie ſpäter die Lage herausgearbeitet, daß die Britifche Flotte ihren 
Daſeinszweck ſchon dadurch erfüllte, daß fie ſtill bei Scapa Flom 
ruhte. Die öffentliche Meinung der feindlichen Ränder hätte es da⸗ 

1 


318 Die Hochfeeflotte im Kriege 


mals den Engländern nicht fo leicht gemacht, eine Schlacht zu ver 
meiden. Schon Eleinere Erfolge unfererjeits hätten den Feind an 
uns berangetrieben. 

Dazu kam das verhältnismäßig günftige Zahlenverhältnis unferer 
Schlachtflotte zu der englijchen im erften Kriegsjahrt). Ferner mußte 
der fehlerhafte, zwecklos aufreibende Kleinfrieg die Kampffreudig- 
Feit der Flotte herunterdrücen. Wenn auch die moralijche Epann- 
fraft unſeres Perjonals bis in das Jahr 1918 hinein ausbielt und 
unfere Eeemacht zu jeder Aktion fähig machte, wie vor Oſel Ende 1917 
bewieſen wurde, fo ift doch nicht zu bezweifeln, daß die planmäßige 
Unterwühlung durch die unabhängigen Sozialdemokraten, welche das 
Ende der deutschen Seemacht wie des ganzen Reichs allein möglich 
gemacht bat, infolge der Untätigkeit der Marine eine gewiffe Auf: 
nabmefäbigfeit vorfand. 

Die Echlachtichiffe waren in oder vor den Flußmündungen, hinter 
den Sperren liegend, ohne anfchaulichen Zweck und fcheinbar endlos 
angenagelt; der ſchwere aber eintönig wiederholte Dienft wurde nach 
fünfs bis fiebenjährigem ununterbrochenen Bordleben faft unerträg- 
ih. Alle ohnehin Eargen Friedenabequemlichfeiten waren aus den 
eijernen Kälten ausgeräumt. Dabei jederzeit auf dem Anftand, darum 
wenig Urlaub und kaum je Nusfpannung. So wurde mit der Zeit ein 
Leben, das nur Naturen mit Fijchblut nicht niederfchlagend fanden, 
eine Schule der Kritik und ein Nährboden für umftürzlerifche Krank 
heitsträner. 

Mährend aber, einem een Grundſatz der Difziplin ent- 
ſprechend, namentlich bei aroßen Aufgeboten die Strafen für die 
ihlechten und fchwachen Elemente im Kriege verjchärft werden müſ— 
jen, gaben wir gemäß dem ganzen Verfahren unferer Reichsleitung 
dem Wunfch unferer WVolfsvertreter nach, milderten die Strafen und 
unteraruben weiter die Autorität der Vorgefegten durch ein Übermaß 
son Umneftieerlafjen. Unſere Feinde handelten im entgegengejeßten 


”) Unjer bis 1914 infolge des Virrerlautempos von 1908/11 ftattliher Zuwachs 
ſank von 1915 ab infolge des 1912 einfekenden Sweiertempos. Vgl oben S 199. 
Gleichzeitig Fam der Niefenzumachd der Engländer aus den Baujahren 1910/13 
herein, den wir bei der Kürze der englifhen Bauzeiten fehon vom Frühjahr 1915 
ab erwarteten, während er tatjächlich erft im Herbft 1915 den Umſchwung zu 
unſeren Ungunften gebracht hat. 





Ausſichten einer Seefchlacht 319 


Einn, ebenfo wie wir im Sabre 1813 es taten. Als damals eine 
innere Auflöfung unferer fchlefifchen Landwehren drohte, gingen wir 
jogar jo weit, mit Blüchers Zuftimmung die für die Stimmung der 
Freiheitsfriege an fich anftößige Prügelftrafe wieder anzumenden. In den 
von uns erlebten ſchwerſten Tagen Deutfchlands aber betätigte fich 
das zerfeende Syſtem unferer Regierung, im Krieg die Zügel zu 
locern, auch innerhalb des militärifchen Dienftes. Das Vorgefegten: 
perfonal erkannte wohl den Schaden, hatie fich aber den von oben 
fommenden Unsrönungen zu fügen. Die Flottenleitung hat nach den 
Sabotageerfcheinungen im Sommer 1917 vergeblich die Reichsleitung 
auf die Notwendigkeit hingewiefen, den Berliner Krankheitsherd für 
Landesverrat augzubrennen. Den Ernft diefer Bewegung für die Marine 
hatte fie wohl auch noch nicht voll erkannt. Sch felbft, mit den Erfah— 
rungen einer 51 jährigen Dienjtzeit in der Marine, habe eine folche 
Meuterei, wie fie im Herbft 1918 tatfächlich eintrat, für völlig unmöge 
lich gehalten. 

Als 1917 die Führer der unabhängigen Eozialiften, ftatt, wie die 
Marine erwartet hatte, wegen Landesverrats angeflaat zu werden, durch 
Reichstag und Keichgregierung gefchüßt wurden und ihre teuflifche Bes 
tätigung fortfegen durften, war im Grunde das Ende der veutfchen 
Macht zur See bejiegelt. 

Überall da, wo die Zentralftelle des Umfturzes Feine Verbindung 
mit den Schiffsbefagungen hatte, wie auf Schiffen in dem öftlichen 
Zeil der Oftjee, oder dort, wo diefe gar unter Gefahren und ſchweren 
DVerluften in beitändiger Fühlung mit dem Feind blieben, war die 
Moral ungebrochen. Große Schiffe in verhältnismäßiger Untätiafeit 
find, wie die Seefriegsgefchichte aller Völker zeigt, fehwer in Ord— 
nung zu halten. Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts verfiel 
die englische Flotte vor der Themfe und im Kanal der Meuterei, fo 
daß das Parlament mit den Meuterern verhandeln mußte. Während 
aber für jene Zeit fchlechte Koſt (zweifelhaftes Salzfleifch und Schiffs: 
zwieback, graufame und ziemlich willfürliche Prügelftrafen, zahlreiche 
Hinrichtungen ufw.) eine gewiſſe Unterlage für den Aufruhr gaben, 
fehlte unferen Leuten jeder ernftliche Anlaß zur Befchwerde. Die 
Mehrzahl von ihnen wußte wohl nicht, was fie tat, während die Leiter 
der Bewegung die feelifche Erfchlaffung der Leute ausnutzten, um die 
Meuterei auf den großen Schiffen zum Ausbruch zu bringen. 


320 Die Hochfeeflotte im Kriege 


Für die Ausfichten des Kleinkriegs muß man, abgefehen von feiner 
grundfäßlichen Unrichtigkeit, auch ftets berüdfichtigen, daß wir ges 
rade in den für den Kleinkrieg erforderlichen Streitkräften mit Eng: 
land niemals in Wettbewerb treten Eonnten. Die großen Eolonialen 
Bedürfniſſe Englands fchließen dies aus. Unfere Flottenentwiclung 
war auch aus diefem Grunde auf die Schlacht Fonzentriert. Ferner 
war die Möglichkeit, daß eine Schlacht fich aus ber englifchen Ini⸗ 
tiative flatt aus der unferigen heraus entrwidelte, für uns gefährlich. 
Die Engländer brauchten nur einen Scheinangriff auf unfere Küften 
zu unternehmen. Mit einem Angriff z. B. auf Borkum oder Sylt 
Eonnten fie ung leicht zur Schlacht zwingen. Für einen folchen Fall konn⸗ 
ten fie ihre ganze Flotte einfchließlich eines Teiles der Küftenftreitkeäfte 
zur Stelle holen. Wir fchlugen dann zwar in der Nähe unferer Häfen, 
aber gegen eine überwältigende Ubermacht und an einem Ort, welcher 
durch Minen und Uboote für ung noch ganz befonders unficher und daher 
ungünftig hätte gemacht werden können. Freilich haben die Engländer, 
wie fich gezeigt hat, die qualitative Überlegenheit unferer Flotte jo richtig 
eingefchäßt, daß fie eine Schlacht nicht einmal unter jo günftigen 
Umftänden aufgefucht haben. 

Die englifchen Geſchwader aber gewannen während der Kriegs: 
jahre in dem großen Seeraum, der ihnen zu Gebote ftand, an See— 
gewohnheit und Kriegserfahrung und glichen damit die anfängliche 
Überlegenheit unferer Schulung, die Frucht unferes Friedensfleißes 
aus, und erfüllten fich mehr und mehr mit dem Gefühl, die unbezwing- 
liche englifche Seegemwalt der napoleoniſchen Kriege fortzufegen. 

Drganifation, Ausbildung, Anfchauungsmweife und Geift unferer 
Flotte waren auf rafches Handeln und offenfives Zupaden erzogen, 
wie das deutfche Landheer auf den Bewegungskrieg. Die Schlacht war 
unfere befte Chance. Die Engländer hofften, je länger je mehr, auch ohne 
Schlacht ihren Zweck zu erreichen, Uns lag es daher ob, fie zur Schlacht 
zu zwingen. Nur dann handelten wir politisch und frategifch richtig, 
wenn mir die Initiative an ung riffen. Durch ihre Nichtausnußung verlor 
die Schlachtflotte die Rechtfertigung ihres Dafeins. Sie büßte die Kraft, 
die fie in fich enthielt, ein, und enttäufchte die Hoffnungen der Nation 
wie ihre eigenen Erwartungen. Wären die Armee und die Diplomatie im⸗ 
ftande gemwefen, einen günftigen Ausgang zu erzielen, fo war die Verfüms 
merung ber Seewaffe gewiß zu ertragen. Uber, wie im vorigen Kapitel 








Zusfichten einer Seeſchlacht 321 


auseinandergeieht wurde, war eg eine verhängnisvolle Einbildung, 
welche die Wurzel des Kriegsverluftes wurde, daß die Teitenden Pers 
fönlichkeiten mwähnten, ohne fcharfe militäriſche und politifche Front 
gegen England heil aus dem Krieg herauskommen zu Fünnen. 

Die Ausfichten einer modernen Seefchlacht find fehivierig zu beur⸗ 
teilen. Beim Abmwägen der beiderfeitigen Chancen wird leicht zu fehe: 
matifch verfahren. Dan vergleicht oft nur die Stärken nach den 
Schiffsliften, glaubt für beide Teile einen gleichen Abzug für repa= 
voturbedürftige Schiffe machen zu müffen und bedenkt dabei nicht, 
daß der Zeil, aus deffen Initiative heraus fich die Schlacht entwickelt, 
einen für fich günftigen, für den Gegner ungünftigen Moment wählen 
Fann. Die zahlenmäßige Überlegenheit bleibt natürlich ſtets von Bedeu: 
tung, aber, wenn fie nicht übermächtig ift, kommen neben ihr in Betracht: 
Güte des Perfonals und Materials, Höhe der taktifchen Ausbildung und 
Wert der Führer, Die meiften Seefiege der Welt find von der Minders 
zahl erkämpft worden. Wenn die Flotten eine gewiſſe Größe über: 
fleigen, wird es ſchwer, die Überlegenheit auf der Wafferfläche taf- 
tifch zur Geltung zu bringen, denn in der Hauptfache kämpft in der 
Seeſchlacht doch Schiff gegen Schiff. Da es auf See Fein Gelände 
gibt, Umflügelungen u. a. eine viel geringere Bedeutung haben als 
zu Land, fpielt auch die zahlenmäßige Übermacht nicht diefelbe Rolle, 
tote die „größten Bataillone” an Land. Das gleichzeitige Feuern 
mehrere Schiffe auf ein Ziel iſt dei den heute möglichen großen Ent: 
fernungen von recht zweifelhaften Nuten, da es die artilleriftifche 
Beobachtung erfchwert, und bedingt jedenfalls eine Vergeudung dev 
fpärlichen und während des Gefechtes nicht erfegbaren Munition. 
Ferner hat fich bei allen GSeegefechten des lebten Jahrhunderts bie 
Erfahrung ber Neljonfchen Zeit beftätigt!), daß im Gefecht gemöhn- 
lich eine Kriſis eintritt: von dem Augenblid ab, da ein Schiff ein- 
mal die Feuerüberlegenheit erlangt hat, finft die Kampfkraft feines 
Gegners jäh zum völligen Ende ab, während der Sieger, fofern er 
nur Überroafferverlegungen erlitten hat, ziemlich ungebrochen für neue 
Verwendung bdafteht. So hat in ben wenigen durchgefchlagenen Sees 
Schlachten der modernen Zeit der Unterlegene alles verloren, der Sieger 
erftaunlich wenig gelitten, wie bei Vernichtung der fpanifchen Flotte 
vor St. Jago, der Schlacht von Tſchuſima, der Schlacht von Coronel. 


N Der englifche General Arhibald Douglas A treatise on Naval Gunnery 1829, 
Zirpifi, Erinnerunsen 21 


322 Die Hochſeeſtotte im Kriege 


Auf dieſe Weiſe braucht die Heinere Flotte, wern nur ihre einzelnen 
Schiffe einen höheren inneren Wert haben, in gewiſſen Grenzen auch 
dem an Zahl fiärkeren Feind gegenüber nicht zu verzagen. Das Be 
mwußtfein der Mberlegenheit im einzelnen Schiff ıft deshalb die Grund- 
lage für den Geift der ganzen Flotte. Wer will beurteilen, wie das 
Ende der Schlacht von Skagerra? verlaufen märe, wenn die Nacht 
nicht dazmwifchen Fam. Man braucht fich nur zu vergegenmärtigen, 
daß bei den großen Entfernungen, auf welche die Engländer das Ger 
fecht zu führen vorzogen, ihre Gefchüge nur etwa fiebzig Schuß, die 
unferigen dagegen fehr viel mehr aushielten, ohne ihre Zreffähigkeit 
ſtark einzubüßen. Nach der Schlacht ging durch unfere Flotte das 
klare Gefühl der Überlegenheit. 

Mas unfere Seefriegsführung in der erften ausfichtsreichen Zeit 
lähmte, war nächft den bekannten politifchen Hemmungen das Pre: 
ftige Englands zur See, das auch auf unfere Marine wirkte, mwenig- 
fteng bei manchen älteren Offizieren, bie fich und unfere junge Marine 
nicht richtig einfchäßten. Das fehon im Frieden beliebte und teilweiſe 
von oben begünftigte Nörgeln am Material unferer Flotte wirkte 
nicht günftig auf eine Tatkraft, die über die erhaltenen Direktiven 
hätte hinausgehen müffen. Man fei in diefem Punkte gerecht und 
vergleiche die Lage der Marine vom Jahr 1914 nicht mit derjenigen 
ber Urmee von 1870, welche durch die 1364 und 1866 als voran. 
gegangene Prüfung das volle Bewußtſein ihrer Kraft und die Kennt 
nis, den richtigen Führer zu beiten, hatte, 

Die außerordentlich ſchwierig war auch die Lage für den Flotten- 
ef. Er follte nur unter günftigen Bedingungen eine Schlacht wagen. 
Unfere ungünftige feeftrategifche Lage erfchwerte aber fehr, fie zu 
erkennen, während wir aus den Funfmeldungen ber Engländer ents 
nehmen Fonnten, daß der Feind flets unterrichtet war, fobald größere 
Streitkräfte von ung auch nur die Flußmündungen verliefen. Die 
Möglichkeit, auf eine ungünftige Gelegenheit zu ftoßen, war fomit ges 
geben. Auf eine erhebliche numerifche Überlegenheit des Feindes mußte 

tan flets gefaßt fein. Dabei Fonnte der Flottenchef von feiner lokal bes 
geenzten Stelle die politifchemilitärifche Lage und damit die Notwendige 
Feit, in gegebener Zeit zur Schlacht zu Fommen, nicht überfeben. Eben: 
fowenig wie bie allgemeinen Folgen einer Niederlage, mit deren Mögs 
lichkeit er doch zweifelsohne auch rechnen mußte. Non diefer Verant- 


* 














Die Gegner der Seeſchlacht 323 


wortung hätte er daher grundfäglic) entlaftet werden müſſen. Auf dieſe 
Frage werde ich noch zurückkommen, 

Sp wie politifch der Kanzler, der Kabinettschef und der Admiral⸗ 
fiabschef die Lage auffaßten, waren fie Gegner einer offenfiven Tätige 
Feit unferer Flotte gegen England. Sie konnten fich erhöhte Geltung 
verſchaffen durch die Nückficht, die man auf die ruffische Flotte neh— 
men zu müfjen glaubte. Mein Grundgedanke drang nicht durch, 
daß man die Kräfte jederzeit zu einem Hauptfchlag, fei es gegen den 
Hauptfeind oder einmal dazwifchen gegen einen Nebenfeind, mög: 
lichſt geſchloſſen zuſammenhalten mußte. Es ſind in der ganzen 
erſten Zeit ohne wirklichen Nutzerfolg erhebliche Kräfte der Flotte 
für die Oſtſee abgeſplittert worden, jedoch kaum jemals ſo große, 
daß ſie dort einen entſcheidenden Schlag hätten führen können. Aus 
dem Gefühl heraus, daß doch etwas geſchehen müßte, wurden ver⸗ 
ſchiedene Unternehmungen bis in die Nähe des Finniſchen Meerbuſens 
angeſetzt, die ſich aber ſtets als Luftſtöße erwieſen und die Verſamm— 
lung unſerer Kräfte in der Nordſee verzögerten oder unterbrachen. 
Die Beſchäftigung mit Oſtſeefragen ging bei den Gegnern einer gegen 
England zu ſuchenden Seeſchlacht ſoweit, daß die Auffaſſung an 
mehreren Stellen Platz griff, den Schwerpunkt der Flotte überhaupt 
in die Oſtſee zu verlegen. Sie fand u.a, ben Beifall des Kabinetts— 
chefs. Für mich wäre dies nur dann in Frage gekommen, wenn wir 
in der Nordjee Feine Ausficht mehr hatten, die Engländer zum GSchlas 
gen zu bringen. Dann Eonnte der alte Stoſchſche Operationsplan in 
ber Weiſe aufleden, daß wir durch einen ganz großen Schlag gegen 
Rußland in Gemeinfchaft mit der Armee diefes zum Sonderfrieden 
geneigter machten bzw, die Engländer verlocten, ihm mit ihrer maris 
timen Hauptmacht zu Hilfe zu eilen?). 


2 Gh erwähne Bier, daß mir kei Kriegkausbrud eine Abmachung mit Däne: 
mark getroffen hatten, wonach der große Belt unter dänifcher Gewähr für alle 
Kriegsführenden geſchloſſen werden follte. England erkannte aber dad Hecht Düne: 
marks Hierzu garnicht an und die fchmochen dänifchen Beltfperten wären, wenn 
die Engländer in die Ditfee dringen mwoilten, unfchwer übertannt worden. Diefe 
in den erſten Kriegstagen leider audy von mir gebilligte Abmachung wurde für 
und zum Nachteil, weil wir glaubten, die Rüdjicht auf Dänemark auch im weiteren 
Kriegsverlauf einhalten zu follen, während fie uns hemmte, unfere unglüdliche 
ſeeſtrategiſche Lage in ber beutichen Bucht durch Nusnusung des Kattegats und 


Skagerrals zu verbeffen. 
rn, = 
Ai 


334 Die Hochleefiotte im Kriege 


Ich habe in der ganzen erften Kriegszeit gegen die Entfremdung 
ber Flotte von ihrem großen Ziel und Zweck angekämpft. Das brave 
Perjonal der Flotte wußte nicht, wie häufig ich mich einfegte, um 
der ftrategifchen DOffenfive Geltung zu verjchaffen. Der größte Teil 
des Offiziersforpg fpürte das Verhängnis wohl. Der Kaifer ſah 
ſich veranlaßt, den Zweifel der Flotte, ob die Seekriegführung auf 
dem richtigen Wege fei, verfchiedentlich auch durch Anſprachen zu be 
fchwichtigen. Am 7. September 1915 erging eine Kabineitsorder gegen 
die „unrichtige und Verſtimmung eriveckende Auffaffung der ganzen 
Lage der Marine’’1),. Der Katfer mahnte, „den Geift freudiger Pflicht 
erfüllung hochzuhalten wuch dori, wo bisher Feine Gelegenheit zu 
Eriegerifcher Betätigung vor dem Feinde war oder fie nach menſch⸗— 
lichem Ermeſſen nach der ganzen Kriegsgeftaltung überhaupt nicht 
eintreten wird... Gerade bei den äußerft vermwidelten Verhältniffen 
diefes Krieges muß von den Offizieren Vertrauen in die Oberfte 
Kriegsleitung verlangt werden, die in Abwägung aller militärischen 
und politifchen, fich dem Blick der Allgemeinheit mehr oder weniger 
entziebenden Faktoren entjcheidet, wo vorgegangen wird und wo zurück 
gehelten werden muß...” Die Order bezeichnet es dann meiter als 
„ſchweren politifchen Fehler”, die Flotte angefichts der ſtrategiſchen 
Verhältniffe in der Nordſee unter von vornherein ungünftigen Ver 
hältniffen einzufegen, und fchließt nach einem Verbot an die Offiziere, 
fih über den Ubootsfrieg ein Urteil anzumafßen, mit den Worten: 
„Ich verlange damit in letzter Linie die pflichtmäßige Unterordnung 
unter Meinen Willen als Oberfter Kriegshere, der Sch die ſchwere 
Verantwortung für die Zufunft des Neiches trage und von dem gerade 
die Marine überzeugt fein follte, daß er glüctich fein würde, fie 
hemmungslos dem Feind entgegenwerfen zu Eönnen.” Die Tragik 
im Verhalten des Kaiferd bricht mit den Testen Worten hervor. 
Mer, um den englischen Löwen nicht zu reizen, dem Kaiſer bag dem 
Geift diejes Weltkrieges widerfprechende Snbannfchlagen der Flotte 
angeraten hatte, überfah wohl, daß diefer Standpunkt das eigene Werk 


) Ich führe den mefentlihen Inhalt diefer Kabinettsorder im Wortlaut Bier 
an, weil fie, tendenziös abgekürzt, won gewilfenlofen Zeitungsfchreibern als Beweis 
für den fehlechten Geift in der Flotte benugt worden ift. Das Gegenteil iſt der 
Gall; Die Order ift verenlaft worden, weil die Berater des Kailerd glaubten, den 
überfhäumenden Rampfgeift ber Flotte zügeln zu müffen. 





Die Rabinettserder vem 7. September 1315 325 


des Kaiſers zerfiören mußte. Wie konnte man eine Flotte bauen, ohne 
fie im Lebenskampf des Volkes einzufegen! Wie konnte man anderfeits 
jene Politif machen, die Bethmann im Juli 1914 betrieb, außer im 
Vertrauen auf ein feemächtiges Deutfches Neich! 

Bei jedem fich bietenden Anlaß habe ich meine dem Geift biefer 
Kabinettsorder wideriprechende Auffajfung mündlich oder fchriftlich dem 
Chef des Admiralftabes mitgeteilt. Ähnliche Dokumente dem Kaifer uns 
mittelbar einzureichen, erfchien mie ausfichtslos und hätte als Übers 
fchreitung meines Reſſorts die Spennung nur verfchärft. Sch vereins 
famte mehr und mehr. Schon im Spätherbit 1914 wagten mir wohl⸗ 
gefinnte Perjönlichkeiten aus der nächften Umgebung des Kaiſers 
mich nur noch nach eingetretenem Abenddunkel in meinem Quartier 
aufzufuchen, um fich feinen Mißdeutungen auszuſetzen. 

Die Empfindlichkeit des Admiralſtabschefs hatte mich davon ab: 
gehalten, mit dein Chef der Hochfeeflotte Ingenohl, einem perföns 
lich tapferen und ritterlichen Manne, unmittelbare Fühlung zu neh: 
men. Erft der Eindrud, den ich am 25. Oktober in Wilhelmshaven 
von der Arbeitsweije des Flottenfommandog empfing, verſtärkte meine 
Bedenken darüber, ob das bisherige untätige Verhalten der Flotte 
fediglih auf die vom Hauptquartier erhaltenen Weifungen zurück 
zuführen wäre. Nach der Befprechung mit mir erwirkte fich Ingenohl 
die Erlaubnis des Kaifers zu einem Vorftoß auf Yarmouth, den 
er am 3. November ausführte. Dies und ein boffnungsvoller Brief 
Ingenohls vom 9. November, werin er mir fein Vertrauen auf die 
Slotte im Fall eines Zufammenftoßes mit den Engländern, das er 
von folchen Vorjtößen erwartete, Eundgab, gab mir die nächfte Aufgabe, 
ihm tunlichfte Freiheit des Handelns zu verfchaffen. Das Kabinett 
ftand damals wohl mit Recht noch auf dem Standpunkt, daß ein 
Wechfel in der Perfon des Flottenchefs mindeftens verfrüht wäre, 
Erft der Verlauf der fpäteren Vorftöße vom 12. Dezember und bes 
fonder8 vom 24. Sanuar 1915 veranlaften die Ablöfung Ingenohls, 
an deſſen Stelle Pohl trat. Diejer Verfonenwechfel, bei welchem 
der Kabinettschef ein Benehmen mit mir gefliffentlich vermied, Töfte 
innerhalb der Marine eine Bewegung aus, welche darin gipfelte, 
die verjchiedenen anordnenden Stellen der Marine vereinigt in eine 
Hand mit entfprechender Machtbefugnis zu legen. 


326 Die Hochfeeflstie im Kriege 


6 

Aberblickt man die verwidelte Art der Seekriegsführung auf den 
getrennten Schauplägen fowie die Begrenzung unjerer Keiftungsfähig- 
keit binfichtlich des perjonellen und materiellen Zumwachjes, jo kann 
man nicht darüber im Zweifel fein, daß zur Zufammenfaffung und 
wirkfamen Verwendung unferer Kriegsmittel eine einheitliche Leitung 
das dringendfte war. Wie die im Frieden jelbftändig nebeneinander 
laufenden Behörden der Landarmee unter eine Oberſte Heeresleitung 
geftellt wurden, fo hätte auch die Marine im Krieg eine einheitliche 
Spite befommen müſſen. Die Tragödie unferes Seekrieges ift in der 
einen Tatjache ausgedrücdt, daß die Marine erft im September 1918 
eine Oberſte Seefriegsleitung erhalten hat. 

Auch den Iandmilitärifchen und politifchen Behörden gegenüber 
konnte nur eine einheitliche Seefricgsleitung diejenige Autorität gegen: 
überftellen, die nötig gewefen wäre, um den Krieg gegen England mit 
Erfolg zu führen. 

Daß der Kaifer ſich perfünlich die Führung feiner Liehlingswaffe 
vorbehielt, war Fein Erſatz. Denn abgefehen von den fonftigen Pflich- 
ten, die den Herricher in Anfpruch nahmen, Eonnte eine fo ungeheure 
fachmännifche Verantwortung wie z. B. der Befehl bald zur Schlacht 
zu kommen, auch nicht ihm perfönlich aufgebürdet werden. Das Ka- 
binett hat den Monarchen übel beraten, als es ihm, d. h. damit auch 
fich felbft, die unmittelbare Beſtimmung über die Hochfeeflotte vor 
behielt. Die Folge war, daß dag vom Kaifer felbft gefchaffene Macht 
mittel zue See gewiffermaßen im Kabinett vermoderte. Der Entjchluß, 
die Flotte einzufegen, Bonnte dort nicht gefaßt werden. Man fuchte 
nach Entſchuldigung für die eigene Schwäche und verfiel fo darauf, 
das Material der Flotte fchlecht zu machen. Als es nach Skagerrak 
den Zweifelnden wie Schuppen von den Augen fiel und fie erfann- 
ten, wie ſehr unfere Schiffe den britifchen überlegen waren, ift es 
für die Neue gefchichtlich fchon zu fpät geweſen. 

Ob der Admiralftabschef, der Staatsfekretär oder eine andere Ma— 
rineftelle den Oberbefehl erhielt, war an fich gleichgültig und eine 
reine Perfonenfrage, Es mußte die Perfönlichkeit fein, welche in 
ber Diarine dag höchſte Anfehen und Vertrauen genoß. War dies ber 
Admiralftabschef, fo durfte er dann freilich nicht, wie es infolge der 
Behördenfpaltung im Kriege eintrat, fich einen haftig Improvijierten 





Die Frage ber Oberfien Seekriegsleitung 327 


Apparat für organiſatoriſche, politifche, völkerrechtliche und wirtfchaft: 
liche. Angelegenheiten neu fchaffen, fondern mußte die hierfür längſt 
im Frieden ausgebauten Einrichtungen bes Reichsmarineamts benüßen. 
Der Dualigmus im Krieg zeitigte eine allmähliche Entgliederung der 
altbewäsrten Behörden und ein ungleichmäßiges und vielfach uner- 
probtes Arbeiten der neu hervorgerufenen Stellen und bei deren naturs 
gemäß entitehender Eiferjucht eine unheilbare Minderung der Autorität 
ber Marine im Nat des Kaifers und bei der Nation. Der Kanzler 
und das Auswärtige Amt aber haben in Fragen, für welche big- 
ber das Keichsmarineamt allein zuftändig war und Yangjährige Er: 
fahrungen gefammelt hatte, ſich an den Nömiralftabschef gewandt, 
ber aus der Friedenstätigkeit wohl nicht überfah, daß eine unzu⸗ 
fängliche Erledigung der fo an ihn herangetragenen, feiner Behörde 
bisher fremden Fragen das Anſehea der Marine mindern mußte. 

Wenn ich auch das ganze Unglück, welches die unzufammenhän- 
gende Behandlung der Marinefragen im Krieg über die Nation ver: 
hängt Hat, nicht ahnen Eonnte, fo trieb mich doch ſchon am 29. Sul 
1914 ein ficheres Gefühl dazu an, den Kaiſer durch den Kabinetts⸗ 
chef bitten zu Iaffen, Marineamt und Admiralftab in eine Hand zu legen. 

Märe der Nöomiralftabschef eine geeignete Perfönlichkeit gemwefen, 
fo hätte ich ihn vorgefchlagen, fo wie ich fpäter, an einer anderen 
Löſung verzmweifelnd, im Hauptquartier dem Admiral v. Pohl in Gegen: 
wart ber anderen Offiziere angeboten habe, mich ganz unter ihn zu 
fellen, wenn er nur feine Entfchlüffe vorher mit mir befprechen 
wollte. Zum Oberleiter der fo vereinigten Behörden Ponnte ich aber Pohl 
nach dem einftimmigen Urteil des Seeoffizierforps dem Kaifer nicht vor: 
Schlagen. Er war ein guter Seemann und vortrefflicher Navigateur. Er 
hatte auch ein Gefchmwader fehr gut geführt, darüber hinaus gingen aber 
feine Fähigkeiten nicht. Sch fagte dem Kabinettschef demzufolge am 
29. Juli, daß unter den obwaltenden Perfonalverhältnifjen die genannte 
Aufgabe wohl mir übertragen werden müßte, 

Nach Vortrag bei Seiner Majeftät teilte Admiral v. Müller mir 
mit, daß fich der Katfer hierzu nicht hätte entfchließen Fönnen, daß 
er aber meine Mitwirkung in der Weiſe fichern wollte, daß ich in 
allen die Seefriegsführung betreffenden Fragen vom Chef des Admi⸗ 
ralſtabs gefragt und meine abweichenden Anfichten Seiner Majeftät 
mitgeteilt werden follten. Ein Sabinettsfchreiden, welches diefe uns 


328 Die Hochfeeflette im Kriege 


glückfelige Halbheit feftlegte, wurde am 30. Zuli dem Admiralſtabs— 
chef und mir zugeftelft, blieb aber im meiteren Verlauf ein Stüd 
Papier. 

Die Marine hat fpäter die Meinung laut werben laſſen, ich hätte 
bamals, als mein Einfluß noch etwas galt, eine gefchichtliche Stunde 
verfäumt, indem ich auf der Forderung einer einheitlichen Seekriegs⸗ 
leitung nicht bis in die Ichten Folgerungen beharrte. Indes nur mer 
die Mefensart des Kaifers nicht kennt, kann fich einen günftigeren 
Erfolg davon verfprechen, wenn ich mit meinem Erfuchen unmittel- 
bar an den Kaifer berangetreten wäre oder den Abſchied erbeten 
hätte, Erfteres hätte der Katfer doch erft nach Beratung mit dem 
Kabinettschef entfchieden. Letzteres wäre mir ficherlich verweigert 
worden. Dann aber auf dem MAbfchiedsgefuch zu beharren, weil 
eine von mir felbft erbetene Erhöhung meiner Stellung abge: 
fchlagen worden mar, verbot fih für mich als Offizier. Ich 
hätte nur fchwere Mißhelligkeit chne Nuten erzeugt. Auch die Armee 
hat zwei Sahre lang auf die von ihr erfehnte Führung warten müfjen, 
und der im Winter 1914/15 vom erjten Vertrauensmann ber 
Armee in diefer Hinficht geäußerte Wink hat nichts gebejfert, fon: 
dern nur ihm ſelbſt die Möglichkeit weiteren Wirkens erfchwert. 

Sch habe getan, was ich Eonnte; das weitere mußten andere vers 
fuchen. Wie fie e8 taten und mit welchem Erfolg, das kann ich, da 
ich felbft bei diefen Erörterungen ausgefchaltet blieb, am Beſten durch 
einen mir zur Verfügung geftellten Auszug des Tagebuches des Ad- 
mirals Bachmann erläutern. 

„2. Sebruar 1915. ... Der Kabinettshef teilte mir mit, daß ih an 
die Stelle des Admirals v. Pohl treten follte.e Sch bat, mid, wenn es 
noch möglich wäre, nicht für diefe Stelle in Betracht zu ziehen, mweil ich 
ben Poſten des Admiralftabschefs im Großen Hauptquartier für ein Unding 
hielte. Die Seefriegsführung ließe fih mach meiner feften Überzeugung 
nit von dem meit im Binnenlande befindlihen Großen Hauptquartier 
aus leiten und dürfte nicht abhängig fein von jedesmal einzuholenden 
Allerhöchſten Entfheidungen. Sie müffe vielmehr einheitlich für alle Kriegs: 
fhaupläge dur) einen .... mit den Seeftreitfräften in engiter Fühlung 
ftehenden Oberbefehlshaber geleitet werden, der mit ben meitelten Voll: 
machten ausgeftattet fei und ... jeden Augenblid felbjtändig entfcheiden .. . 
könne. ©. M. müffe fih de facto des Oberbefehls über die Flotte bes 
geben und fih auf die Erteilung ganz allgemeiner Richtlinien für bie 





Bemühungen für eine Oberite Seeltiegsfeitung 329 


Kriegsführung beſchränken. Ich hatte nach den früheren Mobilmachungs: 
beflimmungen überhaupt nie anders gedacht, ald daß ein ſolcher Ober: 
befehlshaber fofort nach Ausbruch des Krieges ernannt werden würde. 
Der jet beftehende Zuftand: Hochſeechef, Oberbefehlshaber der Oſtſeeſtreit— 
fräfte und Marinekorps auf je einem Kriegsichauplag befehligend, dazu der 
Chef des Admiralftabes im Großen Hauptquartier als fogenannter Leiter... ., 
aber ohne jede eigene Befehlsgewalt fei meiner Anfiht nad) verderblich 
und müffe fo ſchnell wie möglich befeitigt werden ... 

Auf die Frage des Kabinettschefs, wer denn nad) meiner Anficht ale 
Oberbefehlshaber in Frage käme, ermwiderte ih: .... Meines Erachtens 
füme jest nur noch ber Grofadmiral von Tirpitz dafür in Betracht, der 
Mann, der die deutſche Flotte gefhhaffen habe und deffen Name unauf: 
löslih mit ihr verbunden fei. Er genöffe in der Marine und beim Volle 
bie größte Autorität und befize die nötigen perfönlichen Eigenfchaften für 
diefen wichtigſten Poften der Marine. 

Admiral von Müller meinte, Großadmiral von Tirpitz fei 18 Jahre aut 
bem praeftifchen Marinedienft heraus und fünne daher fo große Seeflreit- 
fräfte, wie fie jest mobil gemacht feien, nicht mehr führen. 

Hierauf ermwiderte ih: Für die praftifche Führung fämen doch in erfter 
Linie ber Flottenchef und die Verbandschefs in Frage, außerdem ließe fich 
das rein Technifche der Gefamtführung leicht durch Beigabe eines erfahrenen 
Stabes bemältigen. Ich fei jederzeit bereit, unter Verzicht auf meine 
immediate Stellung Stabschef zu werden, wenn man mich dafür geeignet erachte. 

Der Kabinettschef erklärte, Großadmiral von Tirpitz ale Oberbefehle: 
haber einzufegen, fei dennoch ausgefchloffen; er unterftände als Staats: 
fefretär dem Neichsfanzler, auch habe er ſich während des Krieges mit den 
Stellen, mit denen er zu tun gehabt hätte, fo vielfach überworfen, daß 
aus feiner Einfezung als Oberbefehlshaber auch weiterhin Konflikte zu er: 
warten feien. Außerdem habe er im Seeoffizierforps viel an Vertrauen 
eingebüßt, da das Material!) unferer Flotte nicht allen Anforderungen ent: 
ſprochen hätte. 

Ich wandte ein, daß Großabmiral von Tirpitz doch leicht für die Dauer 
bes Krieges von der Stellung als Staatsjefretär enthoben und Admiral 
von Gapelle an feiner Stelle zum ÖStaatsfefretär gemacht werden könne, 
daß meines Erachtens die bisherigen Konflikte des Großadmirals von Tirpiß, 
deren Urfache mir übrigens unbefannt wäre, im Hinblid auf die Ausfchaltung 
des hochverdienten Mannes aus der Leitung der Marine milder zu beur- 
teilen feien und daß das Urteil der Front über dag Material wenigſtens 
in vielen Punkten voreilig und ungerecht fei. 


2) Bezüglich des Materials fiehe Seite 113ff, und Anbang 


339 Die Hochſeeflotte im Ariege 


Admiral von Müller erklärte ſchließlich noch, eine ſolche Neuorganijation 
liege fih im Kriege nicht improvifieren, fie hätte, wenn man fie haben 
molite, ſchon im Frieden vorbereitet werden müſſen. 

Hierauf konnte ih nur fagen, daß fih nah meinem Dafürhalten bie 
Einfegung des Oberbefehlshabers durch eine Kabinettsorder von wenigen 
Zeilen machen lalfen würde. 

Der Kabinettshef brach die Diskuffion damit ab, daß er fagte, jetzt fei 
nichts mehr an der Tatſache zu ändern, daß ich zum Chef des Admiral 
flabes ernannt worden fei. ...“ 


Mehrere andere hochgeitellte Offiziere haben mie von ähnlichen 
Anläufen berichtet, welche fie mit demfelben Ergebnis unternommen 
hätten. Sch übergehe diefelben bier. Der tiefere Grund meiner Aug: 
Schaltung war der Unterfchied der ftrategifchen Grundauffaffung zwiſchen 
dem Kabinett und mir, Als die Schlacht am Skagerraf endlich der Verz 
dächtigung des Materials, die als Vorwand gegen mich in dag Land 
binausgetragen wurde, den Boden entzogen hatte, war ich fchon ver: 
abjchiedet und die Geſamtlage zu unferen Ungunften verwandelt. 

Die eigenartige, nicht leicht zu verjtebende Perfönlichkeit des Kas 
Hinettschefs v. Müller hat an den Schickſalen Deutfchlands einen uns 
verhältnismäßigen Anteil. Der in Schweden großgemwordene und duch 
eine lange höfiſche Laufbahn gegangene Tiebenswürdige, Eünftierifch 
veranlagte, bei den Damen des Hofes und in der Geſellſchaft wohl 
gelittene Dann befaß dabei etwas vom Fanatiker; er war Abftinenzler, 
Dazifift, Freund von Sir Mar Waechter!). Er war nicht in erfter Linie 
Seeoffizier. Er hatte im Gegenfat zu feinem Amtsvorgänger Senden dag 
Weſen des Preußentums gerade in feinen edlen und wertvollen Auße 
rungen nicht in feine Auffaffungsweife aufgenommen. Er ift in geriffem 
Sinn den Verfuchungen feiner Stellung erlegen, weil er zu weich war 
und ein unficheres Urteil über Perfonen und militärifche Dinge befaß. 
Bei Rückfprachen Tieß er fich Ieicht überzeugen, aber ebenfo leicht von 
einem Dritten wieder umftimmen. Schöne Nedeformen, wie fie Beths 
mann=-Hollmeg anwenden konnte, beftachen den felbft ſprachgewandten 
Mann, der, von feiner Macht durchdrungen und im Kabinettswejen 
febend, „zwar nicht alles durchfegen, aber alles verhindern konnte“. 
Auch er wollte nur das Beſte. Es war aber ein Unglüd, daß zwei 
fo Eongeniale Naturen wie Bethmann und Müller zu fo enger Arbeites 
gemeinschaft kamen. 

9) Im der erſten Auflage war der Name werwechlelt worden. 








Ablehnung der Oberſten Seeiriegsieitung 331 


Der Kaifer hat ben ſummierten Einfluß der Auffaſſung beider Herren 
auf feine eigene an fich meift treffendere Urteilsbildung leider nicht 
beizeiten erkannt. Er fah vielmehr in Müller gerade einen vorzüge 
lichen Vermittler zwifchen zwei fo entgegengejeäten Naturen wie Beth: 
manıı und ich es waren. Aber ein Vermittler war Müller gerade nicht, 
das hatte ſich fchon in den Friedensjahren gezeigt, denn er trat faſt auge 
nahmslos auf die Seite Bethmanns; er mußte, wie er ſich dann auss 
zubrücen pflegte, zu feinem Bedauern gegen feine Couleur ftinmen. 

Es iſt das Wort gefallen: „Sch werde nicht zwifchen Mich und 
Meine Marine einen andern ſetzen.“ Für die Sllufion, daß der Oberfte 
Kriegsherr jelber mit der Flotte operierte, waren Naturen am Plate, 
welche den Kaifer auch gern bei Eleineren linternehmungen bis in 
die Einzelheiten hinein um feine Weifungen befragten. Der Reichs⸗ 
kanzler und der Kabinettschef, welche Pohl feit in der Hand hatteır, 
benüßten feine Eigenart, um in ihm die NRefjorteiferfucht mir gegen: 
über ins Krankhafte anfchwellen zu laſſen. Sch möchte annehmen, 
daß hierbei das ſchwere innere Leiden fchon beigetragen hat, dem er 
ein Jahr fpäter erlag. Als ich Eurz vor feiner legten Erkrankung mit 
ihm zufammen teaf, fprach er mir gegenüber fein Bedauern aus, 
nicht mit mir zufammen gegangen zu fein. 

SH war ins Hauptquartier mit übergefiedelt und blieb dafelbft, 
folange ich noch hoffen Eonnte, meinen Einfluß auf den Kaiſer nicht 
ganz zu verlieren. Sch habe mich aber dort unter der mir fremden 
Weſensart ber ausfchlaggebenden Perfönlichkeiten mehr und mehr zer: 
rieben. Jetzt glaube ich, daß die Stellung des Staatsſekretärs, die 
von allen Seiten gedrückt und möglichit ausgehöhlt wurde, eine flärs 
tere geblieben wäre, wenn ich meinen Sitz in Berlin beibehalten 
hätte. Ein Oberbefehlshaber oder richtiger ein Chef der Admiralität 
dagegen hätte micht an einen beftimmten Ort gebunden fein dürfen, 
fondern je nach den Aufgaben im Hauptquartier, in Berlin, in Wil: 
helmshaven oder in befonderen Fällen an Bord fich frei beivegen 
müſſen. Daß er etwa immer auf dem Flaggſchiff ſäße, wo er ben 
Überbii® über die Zufammenhänge hätte verlieren müſſen, wäre ebenfo 
veraltet gewefen, wie wenn ein moderner Armeeführer ftändig zu Pferd 
auf dem Feldherenhügel hielte, 

Ich muß e8 mir hier verfagen zu berichten, welche Schäden ber 
Mangel an Oberleitung und die Selbftändigfeit der einzelnen Marine 


332 Die Hochleeflatte im Kriege 


ftelfen und Kriegsfchaupläge im einzelnen bewirkt bat, Der Heffte 
Schmerz blieb für die meiften Offiziere das Yusbleiben der Schlacht, 
das fie mit ſchweren Ahnungen für Deutjchlands und der Marine 
Zukunft erfüllt hat. 1806 war die Zeit zu Eurz, als daß viele bie 
Kataftrophe hätten kommen fehen; bier aber erkannten fie viele, 


7 


Dei der don der Marine mit Verwunderung aufgenommenen Er—⸗ 
nennung Pohls zum Flottenchef hatte der Kabinertschef Bedacht darz 
auf genommen, ihm im Hauptquartier einen Nachfoiger zu geben, 
der fi) der Marinepolitik Bethmanns gefügig erwieſe. Doch täufchte 
die Menfchenkenntnis des Kabinettschefs ihm wie fo oft, wenn er 
jest Admiral Bachmann hierfür geeignet erachtete. Bachmann vers 
trat vielmehr die in der Marine vorherrfchenden Anfichten mit folcher 
Geradheit, daß ihm feine Stellung als Xomiraljtabschef bald er- 
jchwert wurde und er ſchon im September 1915 in Admiral v. Holtzen⸗ 
dorff einen Nachfolger erhielt. 

Mährend feiner Amtsführung hatte e8 Bachmann erreicht, dem 
Slottenchef völlige Handlungsfreiheit zu erwirken. Pohl war frei 
lich auf feinem Standpunkt des Oftjeefrieges ftehen geblieben und 
glaubte fich an mündliche Direktiven, die ihm ber Kaifer mitgegeben 
hatte, halten zu follen. Zugleich ſchienen tatfächlich die Ausfichten 
einer Schlacht fich zu unferen Ungunften zu verfchieben durch den 
Zuwachs englifcher Neubauten und das ftärker bemerfbare Zuſammen⸗ 
halten der gegnerifchen Gefamtmacht. Der Ubootsfrieg trat in den 
Vordergrund der Operationen, der nach meiner und Bachmann Auf: 
fajfung 1915 in der Form nicht zweckmäßig ohne meine Zuftimmung 
durch Pohl und Bethmann eröffnet worden war. 

Als Admiral Scheer Anfang Sanuar 1916 den erfrantten Admiral 
v. Pohl als Flottenchef ablöſte, übernahm er mit dem von ihm er: 
wählten Stabschef v. Trotha das Kommando in dem feften Willen, troß 
der ungünftiger gewordenen Kriegslage die Flotte ftärfer zum Tragen 
zu bringen. Demgemäß trat er auch der durch die vorangegangene 
Untätigfeit der Flotte eingetretenen Ermüdung der Geifter mit Er— 
folg entgegen. Die Abficht, zum Schlagen zu fommen, wurde 1916 
fchon erheblich erfchwert durch den von England unter gewaltigen Ans 
ſtrengungen unternommenen Verfuch, unjere Nordfeeede von Borkum 


Bechſel in der Fisttenleitung 333 


bis nach Jütland durch weite Minenfelder gegen untere Hochfeeitreit- 
Eräfte und Uboote abzufchließen. Um dieſen Zweck des Feindes zu 
pereiteln, mußten wir eine große Drganijation fchaffen aus Fahr: 
zeugen, welche nach einem beftünmten Syſtem Fahrjtraßen durch 
dieſe Minenfelder offen und gefahrlos halten mußten. Mit der Zeit 
entwickelte fich hieraus ein äußerſt anftrengender, gefehrvoller Dienit, 
der manches Opfer gekoſtet, aber bis zum Kriegsende feinen Zweck 
im Wefentlichen erfüllt bat. Durch diefe Fahrſtraßen mußte die Flotte 
hindurch, um in die freie Nordfee zu gelangen und auf gleichem 
Wege den Rückmarſch bewerkitelligen. Man fieht, wie erfchwert die 
Operationen der Flotte im Verhältnis zu den Vorjahren geworden waren, 

Bei einem der weit ausholenden Vorſtöße, der urfprünglich in 
der Richtung auf England geplant war, trafen unfere Kreuzerkräfte, 
die im ziemlicher Entfernung von unferem Gros flanden, vor dem 
Skagerrak auf die an Zahl überlegenen Kreuzerkräfte der Engländer 
und griffen fofort an. Schon nach Eurzer Zeit jtellte fich in dem fo 
entftehenden Kampf eine erhebliche Überlegenheit unferer Schiffe ber: 
aus. Es ftanden anfänglich ſechs englifche Schlachtkreuzer unferen 
ünf Schlachtfreuzern gegenüber. Die Luft war zu diefem Zeitpunkt 
Eriftallklar, die Gefechtsentfernung zu Beginn etwa 15000 Meter. 
Achtzehn Minuten nach Feuereröffnen flog der Schlachtkreuger „In⸗ 
defatigable”, zwanzig Minuten fpater die „Queen Mary‘ in die Luft Y. 
Im meiteren Verlauf des Gefechtes erhielten die Engländer eine mes 
fentliche Verſtärkung durch fünf neuefte, erft im Kriege fertig ge 
wordene Linienfchiffe der Queen=ElifabethFlaffe, deren Heizmaterinl, 
gänzlich aus Heizöl beftehend, diefen Schiffen eine fo hohe Gefchwins 
digkeit gegeben hatte, daß fie fich an dem Kreuzergefecht beteiligen 
fonnten. Sie hängten ſich an die englifchen Kreuzer an und griffen 
auf hohe Entfernung in den Kampf ein. Bis zu dem Augenblick, 
wo der englijche Admiral Beatty, unfere Schlachtflotte fichtend, eine 
Kehrtfchwenfung machte und auf nördlichen Kurs ging, hatte fich 
die Kampfkraft unſeres Gefchwaders fo gut wie nicht verändert. 
Das meiftbefchädigte Schiff, die „Seydlitz“, hatte drei ſchwere Treffer 
erhalten, davon einen 38 Zentimeter, wie fich fpäter aus den Geſchoß— 
ſprengſtücken feftftellen Tieß. Auch ein Torpedotreffer, den dieſes Schiff 

) Man gedente hierbei der verbrecherifchen Nusfireuungen über die angeblie 
Vündermertigkeit unferer großen Kaliber, 


334 Die Hochleeflstte im Kriege 


Ipäter von einem englifchen Zerfiörer erhielt, hatte fo gut wie Feinen 
Einfluß, da feine Wirkung ducch das Torpedolängsfchoit aufgefangen 
wurde. In den Fommenden Phafen der Schlacht Eonnte die „Seydlitz“ 
einen zweimaligen Stoß auf das englifche Gros mit Höchſtgeſchwindig— 
Feit mitmachen, wobei fie noch weitere zwanzig ſchwere Gefchoßtreffer 
erhielt. Trotzdem iſt fie mit eigener Mafchinenkraft in den Hafen 
eingelaufen. Aus dem frifchen Gefühl der überftandenen Gefahr her 
aus fchickte mir der tapfere Kommandant, Kapitän v. Egidy, zu met 
ner Freude im Namen der Offiziere und Mannfchaften ein warmes 
Danktelegramm für das ausgezeichnete Schiffgmaterialt). 

Admiral Scheer und fein Stabschef v. Trotha entnahmen aus den 
Sunfenmeldungen, daß das Kreuzergefecht zu einem Zuſammenſtoß 
mit der Grand Fleet führen mußte, deren numerifche Überlegenheit 
und in biefem Stadium einheitliche Zufammenfegung aus Linienfchiffen 
der Großkampfklaſſe fie voll überfahen. Es bleibt ihr großes hiſto— 
riſches Verdienſt, daß fie mit äußerſter Kraft der Mafchinen zur 
Schlacht drängten. Sie ſchätzten die perfonellen und materiellen Eigen: 
jchaften unferer Flotte richtiger ein, als es bisher gefchehen mar, 

Als demgemäß unfere Schlachtflotte die nach Norden ablaufenden 
englifchen Schlachtkreuzer und Linienfchiffe unter Feuer nahm, konn⸗ 
ten infolge der „vorlichen” Pofition des Gegners außer den Schlacht 
kreuzern, die Sich der Flotte vorgefeßt hatten, nur die Spitzenſchiffe 
der „‚König“Elaffe unter Admiral Behnde zu Schuß kommen. Der 
englifche Admiral zwang, allmählich von nördlichen Kurſe auf öſt—⸗ 
lichen gehend, unfere Spitze gleichfalls zum Abbiegen. Nachdem biefe 
noch vorher in wenigen Minuten den neu hinzugefommenen Schlacht: 
Preuzer „Invincible“ und zwei Panzerfreuzer der „Warrior““laſſe 
niedergefämpft hatte, ftieß fie plötzlich auf das in Qualm und Dunft 
fiegende, in Tanger Linie entwickelte Gros ber englifchen Flotte, Die 
Sofort mit fämtlichen Schiffen ein ſchweres Feuer eröffnen Fonnte, 
Die Lage war durch Zufall für unfere Flotte taktifch fehr ungünftig 
geworden. Nicht nur hätten unfere Schiffe unter dem Feuer ber 
ganzen feindlichen Flotte aufmarfchieren müffen, wenn fie in gute 
taftifche Pofition hätten gelangen wollen, fondern die Beleuchtung 
mar jest auch derartig, daß die deutfchen Schiffe fich gegen den weft 
9) Dantestundgebungen von der ganzen Flotte zeigten mir, daß die Erkenntnis 
som Wert unferer Schiffe fih in der Feuerprobe durchgefegt Hatte, 





Skagerrak 335 


lichen Abendhimmel als Silhouetten abhoben, alſo in den vorüber 
gehenden Augenblicken guter Sichtigkeit ausgezeichnet für Die artille⸗ 
riſtiſche Beobachtung daftanden, während umgekehrt der Dunft, der Im 
Dften Tag, bie Schiffsrümpfe der Engländer jo verbarg, daß ihre 
Stellung fait nur aus dem Aufdligen der Gefchüge erkennbar wurde, 
Admiral Scheer entzog fich feiner auf diefe Weife gefährlich gewor— 
denen Lage, indem er durch gleichzeitige Kehriwendung mit unferer 
ganzen Flotte zunächft zurüdging, ein Manöver, das im tobenden 
Geſchützfeuer wohl nur wenige Flotten der Welt auszuführen imftande 
geweſen wären. Er wurde bei dieſem Manöver unterjlügt durch zei 
unferer Torpedobootsflottillen unter Kapitän z. S. Heinrich, welche die 
gefährliche Lage unferer Flotte erfannten, das Gros der englischen Flotte 
angriffen und das gefamte Feuer des Feindes auf ſich Ienften. Als 
Admiral Scheer die erforderliche neue Gefechigformetion mit feiner 
Flotte gebildet hatte, drehte er nochmals auf den Feind zurüd, um 
den Angriffsftoß zu wiederholen. Die eintretende Nacht machte über⸗ 
legte Kampfformationen aledann unmöglich. Wenn die englifche Flotte 
in dieſer Phafe ein Gefühl der Überlegenheit gehabt hätte, fo würde 
fte unserer Flotte unter allen Umftänden an der Klinge geblieben fein, 
denn Da wir noch ein älteres Geſchwader der Vordreadnoughtperiode 
dei ung hatten, die englifche Flotte aber ausfchließlich aus neuen Groß: 
fampfichiffen befiand, jo waren fie der unferigen auch an Gejamt- 
flottengefchwindigfeit überlegen und verfügten außerdem euch noch 
über eine Gruppe von Schlachtfchiffen mit befonders hoher Geſchwin⸗ 
digkeit, 

Admiral Scheer, wie auch die ganze Flotte erwarieten unter biefen 
Verhältniſſen mit Beſtimmtheit eine Erneuerung des Kampfes am 
nächften Morgen. Sie zogen es aber vor, diefen Kampf in größerer 
Nähe der von Minen freien Fahrſtraße zu beftehen, und befchlojfen 
deshalb, in der Nacht ſich dorthin in die Nähe von Hornsriff zu Des 
geben. Als der Tag anbrach, war weit und breit die See leer, bis 
ein Luftfchiff meldete, daß ein neuerer größerer Flottenteil weit weſt— 
wärts im Anmarfch fe. Es hat fich fpäter herausgefiellt, daß es 
ſich in Wirklichkeit um dag Gros der englifchen Flotte handelte, weis 
ches ober bald nach Norden abdampfte. Für die Bewegung der eng- 
liſchen Flotte iſt wahrscheinlich, daß fie nach Eintreten der Duntel 
beit Heim Abdampfen nah Weſten den Stand unferer Flotte ſüdlich 


336 Die Hochfeeflotie im Kriege 


pajjierte und daß in etwas weiterem Abſtand die Nachhut, beitchend 
aus Kreuzern und einem großen Zeil der englifchen Torpedobootsſtreit⸗ 
Eräfte folgte. Durch die zwifchen Gros und Nachhut jo entftehende Lücke 
muß dann unjere Flotte bei ihrem Abmarfch nach Süden durd): 
geftoßen fein. Dadurch entftand aber für die Maſſen der englifchen 
Zoorpedoboote unterftüßt durch Kreuzer das Glüd einer unvergleichlich 
günjtigen Angriffsmöglichkeit auf unfere in langer Linie gefchloffen 
dampfende Flotte. Der Angriff erfolgte mit Tapferkeit, aber wenig 
Geſchick. Unjere „Pommern“, ein Vordreadnoughtichiff, ging dabei 
verloren. Über mehrere englifche Kreuzer und mindeſtens ſechs Tore 
pedoboote gingen unter dem Feuer unferer Schiffe in hellen Flam⸗ 
men auf, die hoch über die Maſten der Schiffe gen Himmel fchlugen. 
Es war, fo fehrieb mir ein hoher Offizier des Flottenftabes, ale ob 
wir durch eine brennende Allee fuhren. Dazu Teuchteten die Schein: 
werfer und fpielte die Funfentelegraphie. Es ift daher nicht möglich, 
daß das noch nicht weit abjtehende englifche Gros im Unklaren über 
das DVerbleiben unferer Flotte wer, 

Unſeren eigenen Torpedobooten wurde eine ähnliche Angriffsmög: 
fichfeit vom Schickſal nicht gewährt, fie fanden in der Nacht die 
englifche Flotte nicht, Ihre große Schulung für folche Lage Fam 
sicht zum Xragen. 

Am 1. Juni nachmittags traf unfere Flotte in den Flußmündungen 
ein, dag Derfonal gehoben und in gewiſſer Weife überrafcht von 
dem Erfolg und von der bewiefenen perjonellen und materiellen Über: 
fegenheit. Die meiften hatten gar nicht gewußt, wie gut unfere Flotte 
war. Sie dachten nach diefer Schlacht, wo die Gunft der Verhältz 
riffe nicht einmal auf unjerer Seite war, und wo von der ganzen 
Flotte nur die Panzerfreuzer und die Spisenjchiffe eines Geſchwaders 
voll zum Tragen gekommen find, nun an den Erfolg, den wir hätten 
erwarten Eönnen, wenn wir im Anfang des Krieges eine gute Stunde 
fuchten und dann die Flotte einfezten. Trotz Minderzahl und tak— 
tifcher Ungunft der Umftände betrug unfer Verluft nur ein Drittel 
des britischen, 

Admiral Scheer hat im Laufe des Jahres 1916 noch mehrmals 
ernfilich verfucht, die englische Flotte zum Schlagen zu befommen. 
Sie vermied aber ganz offenfichtlic eine „costly und precipitated - 
action“, und um bei Scava Flow oder vor Dover eine Schlacht zu 


Die legte Phaſe 337 


ichlagen, dazu waren die zahlenmäßige Unterlegenheit unferer Hochſee⸗ 
flotte zu groß und die Verhältniffe für uns zu ungünftig. 

Befonders bemerkenswert ift ein Vorftoß, der unfere Flotte bis 
auf dreißig Seemeilen ab von Sunderland heranführte und in Fühlung 
mit der englifchen Flotte brachte; fie ging unfererfeits durch eine 
ſchwere Regenböe verloren. Als es darauf aufflarte, war von ber 
englifchen Flotte nichts mehr zu fehen. 


8 


Mit Einfegen des fcharfen Ubootskrieges am 1. Februar 1917 
wurde die Bedrängung unferer Nordfeegebiete durch Minenfelder im: 
mer flärfer, die Schwierigkeit, die Ausgangsftraßen freizuhalten, im⸗ 
mer größer. Die dauernde Anwefenheit unferer fchweren Streitkräfte 
zur Deckung der Minenfuchverbände wurde mehr und mehr unerläßlich. 

Eine Möglichkeit blieb, die bis zulebt unfere Lage noch hätte ums 
werfen können. Man Eonnte den Ubootskrieg völlig unterbrechen, 
die Uboote zurücziehen und den Verfuch machen, fie beim Kampf 
der Flotten mitzuverwenden. Aber der einmal unternommene Uboots⸗ 
Erieg, der nach allen unferen Nachrichten England ſtark bedrängte, 
verlor feine Wirkung, wenn man eine viele Wochen umfafjende Paufe 
eintreten ließ und dem Feind für längere Zeit völlig freie Schiffahrt 
gewährte; man hätte gewifjermaßen von neuem anfangen müffen. 
Dazu war der Nutzen der Uboote in der Schlacht felbit bei den großen 
Gejchwindigkeiten der Hochjeeichiffe faft völlig dem Zufall ausgeſetzt. 
Er beruhte mehr im Unfichermachen von Meeresteilen, vergleichbar 
etwa mit einem beweglichen Minenfelde, und in der Gefahr, welche 
die Uboote für bewegungsunfähig gewordene Schiffe des Feindes bil: 
deten. 

Ob es nicht möglich geweſen wäre, dem Ubootskrieg überrafchende 
wechjelnde Wendungen zu geben und dadurch, ſowie durch Hinaus—⸗ 
ſenden von Kreuzern das Verteidigungsiyftem der Gegner zu beein 
trächtigen, zeitweife oder teilweiſe ſogar unwirkſam zu machen, will 
ich unerörtert laſſen. 

Als wir aber die einzige Waffe, welche die Engländer im Oktober 
1918 noch ſtark bedrängte, den Ubootskrieg, dem Verlangen Wilſons 
opferten, und als Folge davon jeder, der nur etwas Urteil über un⸗ 


ſere Feinde und den Sinn des ganzen Krieges beſaß die erbarmungs⸗ 
Tirpitz. Erinnerungen 22 


338 Die Hochſeeflotte im Kriege 


Iofeften, fchmachvollften Waffenftillftandsbedingungen erwartete, dba 
entfchloß fich Admiral Scheer jene jeßt allein übriggebliebene Mög— 
lichkeit einer Verwendung der Uboote für die Flotte auszunußgen. Es 
war ihm erft vor Eurzem unter dem Druck der Verhältniffe und mit 
Zuftimmung des Feldmarfchalls Hindenburg endlich gelungen, den Kaifer 
und den Kabinettschef zu beftimmen, daß die Leitung der Gefamt- 
marine in feiner Hand vereinigt würde. Eine größere Zahl von Ubooten 
der Flotte vorausgefchift und für eine beftinnmte Gegend angeſetzt, 
Fonnte immerhin einen gemiffen Ausgleich unferer zahlenmäßigen 
Unterlegenheit bringen und vor allem nach der Schlacht den Rückzug 
unferer Flotte decken, wenn fie etiva gefchlagen werden follte. Es follte, 
um dem allgemeinen Zurücdfluten der Armee in Flandern durch eine 
offenfive Handlung verftärkte Haltung zu geben, ein Vorftoß unferer 
Schnellen Seeftreitfräfte nach dem Oftausgange des Kanals unternom⸗ 
men werden, zu deren Deckung die Schlachtflotte felbft, unterftüßt 
durch Uboote und Minenfelder eine Aufnahmeftellung an der hollän- 
bifchen Küfte einnehmen follte. Die Möglichkeit einer Schlacht 
mußte dabei natürlich vorgefehen werden. Kam es wirklich dazu, 
fo Eonnte bei dieſer Anlage die Schlacht mit guten . Ausfichten 
angenommen werden, und war das Schlachtenglük uns günftig, jo 
Eonnte diefe beſonders gut vorbereitete Unternehmung das Schickfal 
unferes Volkes noch einmal wenden. Wie aber dag Gift der Revo— 
lution von den ſchwachen Lenkern des alten Staates vier Jahre hin- 
durch faft befördert, jedenfalls nicht bekämpft, von der Heimat über 
bie Etappe bis in die Fronttruppen eingedrungen war, fo hatte es 
auch in die Marine Eingang gefunden, ohne daß es äußerlich erfenn- 
bar gemwefen wäre. Die Revolution brach über die Flotte herein, 
die Demokratie fchlug Deutfchland die letzte Rettungsmöglichkeit aus 
ber Hand und rühmte fich ihrer Tat. 

Wie falfch mußte ein tapferes Volk geführt worden fein, damit fich 
feine Sinne fo verwirren Bonnten! Dem Gehorfam, welche der alte 
Staat feinen Angehörigen zum Guten anerzogen hatte, auch für eine 
Schlechte Sache treu, lieferten jeßt Deutiche die ausgezeichneten Schiffe 
an den Feind aus. Die Welt möge gerecht urteilen und bedenken, daß 
dieſelben Männer, welche fich unter einer Revolutionsregierung dem 
Befehle zur Schiffsübergabe fügten, früher Heldentaten — 
hatten, wo immer es durften. 





Der lintergang ber deutlichen Seemacht 339 


Das Verſchwinden der deutfchen Marine hat auch ben anderen 
Pleineren Marinen in der Welt die Lebenskraft geraubt. Ihre Be: 
beutung und ihre Selbſtändigkeit beruhte auf der Bündnisfähigkeit 
gegen das englifche Monopol, Wir haben diefes mweltpolitifche Ges 
feß nie ganz begriffen. Die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts 
zur See beruht jet einzig auf der amerifanischen Marine, 
Sch glaube aber nicht am die Ernfihaftigfeit der Gegenſätze zwifchen 
den beiden angelfächfiichen Mächten. Ihr Kapitalismus unterjocht 
gemeinfam alle übrigen Völker. Und diefe haben, um ihre Freiheit 
zu behaupten, feit dem Zufammenbruch der deutjchen Flotte Feinen 
Rückhalt mehr. 


22°» 


Neunzehntes Kapitel 


Der Unterfeebootd-Krieg 


1 

Je mehr England nach den Vorgängen der erften Kriegsiwochen feine 
Seeftreitfräfte zurüdhielt, um uns die Gelegenheit zur fchnellen mili- 
tärifchen Entfcheidung zu entziehen und mit allen Mitteln wirtfchaftlich 
zu erdroffeln, um fo mehr erwuchs unferer Marine die Notwendigkeit, 
den Gegner mit gleichen Waffen zu bedrängen. Das wirffamfte Kampf: 
mittel, dag wir gegen den englifchen Handel befaßen, war das Unterfee- 
boot. Bei feiner Verwendung gegen den feindlichen Frachtraum mar 
von vornherein klar, daß die bisherigen Seerechtsbeftimmungen, bie 
im weſentlichen aus der alten Seglerzeit ftammten, nicht genau für 
bie neuen DVerhältniffe paßten. Am eheften Eonnten die Negeln der 
alten Blockade zur Anwendung gebracht werden. Im amerikanifchen 
Sezeffionsfriege waren die Blocadebrecher von den Schiffen der Nord 
Staaten auch einfach niedergefchoffen worden, freilich mit Kanonen, weil 
man Torpedos damals noch nicht hatte. Ebenfo wie die Engländer von 
ihrer Kriegsgebietserflärung fagten, fie wäre „in effect a blockade 
adapted to the conditions of modern warfare and commerce“, fonnten 
auch wir für eine Uboots-Blocade ohne Zweifel ein formales Recht in 
Anfpruch nehmen. Allerdings mußte in der Aufnahme feitens der 
Neutralen mit einem Unterfchied zwifchen Handlungen Englands und 
jolchen Deutfchlandg gerechnet werden. infolge der Seemacht, Über: 
tieferung und diplomatifchen Gefchicklichfeit der englifchen Machthaber 
wird von den Neutralen nahezu alles hingenommen, was England auf 
See tut; wenn Deutichland aber entiprechend vorging, mußte mit 
ganz anderem Widerſtande der nicht Eriegführenden Staaten gerechnet 
werden. Bei einem Krieg mit England waren wir von vornherein 
ftärfer „gehandicapt“, alg den meiften Deutfchen Flar war. 

Die Hauptfchwierigkeit war aus den Beziehungen zu Amerika zu 
erwarten, bejonderg nachdem diefes Land, entgegen dem Weſen der 





Das Interview mit Wiegand 341 


Neutralität, fich bald nach Ausbruch des Krieges zu einem Urfenal 
für unfere Feinde entwickelt hatte. Da im Nordatlantif der Fracht 
verkehr meift unter englifcher Flagge geht, fo mwuÄte jeder Kampf gegen 
englifchen Frachtraum die amerifanifchen Kriegslieferanten fchädigen. 
Wir Hatten ſchon bei unferen Auslandskreuzern, die auf das Gemiffen- 
haftefte nach den Regeln des alten Seerechts verfuhren, beobachten 
können, eine wie wenig unpartelifche Haltung die Vereinigten Staaten 
ung gegenüber einnahmen. 

Aus diefer Erwägung heraus habe ich, um die Stimmung drüben 
zu fondieren und vorzubereiten, in November 1914 den amerifanifchen 
Sournaliften v. Wiegand empfangen und ihn gefragt, was wohl Amerika, 
nachdem e8 die fErupellofe englifche Durchbrechung des bisherigen See⸗ 
rechts geduldet hätte, fagen würde, wenn wir mit einer Unterfeeboots- 
Blockade antiworteten, wozu wir doch zweifellos berechtigt wären. Die 
Unterredung wurde mit Genehmigung des Ausiwärtigen Amts veröffent- 
licht. Später ift die Behauptung aufgeftellt worden, der Gedanke des 
Unterfeebootskrieges fei dadurch verraten, die Engländer unnötig gereizt 
worden. Beides ift unzutreffend und bedeutungslos. Die Verwendung 
der Unterfeeboote gegen englifchen Frachtraum war in der Preffe fchon 
während der erften Zeit des Krieges, ja bereits vor dem Krieg er 
Örtert, und wenn überhaupt noch eine Ausficht vorhanden war, die 
britifche Regierung dahin zu bringen, daß fie fich in der Außeracht- 
laffung des Seerechts Schranken auflegte, fo war dies nur Dadurch 
möglich, daß man ihr eine ‚geladene Flinte vor Augen hielt, Politifche 
Folgen konnten nur dann entftehen, wenn man losſchoß. 

Schon vom Beginn des November ab hatten bei den leitenden 
Marinebehörden Erörterungen über einen etwaigen Unterſeebootskrieg 
eingefeßt. Am 7. November 1914 ftellte der Chef des Admiralſtabes 
ben Entwurf einer Unterfeeboots-Blockadeerflärung der ganzen Küften 
Großbritanniens und Irlands zur Erörterung. Ich machte darauf 
aufmerkſam, daß bei der Neuheit der Waffe die Ubootshlodade völker— 
vechtlich bisher nicht behandelt wäre. Den Zeitpunkt für die Blockade— 
erflärung dürfte man nicht früher wählen, als bis eine einigermaßen hin- 
reichende Anzahl von Ubooten zur Stelle wäre 1). E8 fehlen mir fraglich, 
ob nicht beffer der Fommandierende Admiral bes Marinekorps in Flan- 

1) Bezüglich der Frage, ob wir im Frieden mehr Uboote hätten bauen Fönnen, 
vgl ben Ankang- 


342 Der Unterjeeboots-Krieg 


dern die Blockadeerklärung ausfpräche, damit nicht Kaifer und Regierung 
in diefer Angelegenheit fefigelegt würden. „Die Blockade von ganz Engs 
land“, fo ſchloß ich mein Eurzes Votum, „klingt zu ſehr nach Bluff, 
Blockade zunächſt dee Themſe fcheint mir beſſer.“ Sch ‚hielt es für 
richtiger, erft einmal im Kleinen anzufangen und zu fehen, wie die Dinge 
militärifch und politifch Taufen würden. Eine folche Beſchränkung hätte 
unferen Mitteln beffer entfprochen und die Welt allmählich an den neuen 
Sperrgedanken gewöhnt. Wir hätten Amerifa gefchont, insbefondere 
die ftets auf Liverpool fahrenden atlantifchen Paffagierdampfer nicht 
berührt und fo die Gefahr verringert, 

Admiral v. Pohl machte ſich meinen Standpunkt nicht zu eigen. 
Am 15. Dezember legte er mir den Entwurf eines Schreibens an das 
Auswärtige Amt vor, in dem er Zuftimmung zur Eröffnung des Unter- 
feebootsfriegs Ende Januar erbat, und zwar follte der englifche Kanal 
und die fämtlichen das Vereinigte Königreich umgebenden Gewäſſer 
als Kriegsgebiet erklärt werden. Das Schreiben erwähnte noch eine 
Außerung des amerikantfchen Bootfchafters Gerard, aus welchem der 
Chef des Admiralſtabs fchließen zu können glaubte, daß von feiten 
Amerikas Fein allzu großer Widerfpruch zu erwarten wäre. 

Am 16. Dezember 1914 erwiderte ich auf diefen Vorfchlag folgendes: 


„Euer Erzellenz beehre ich mic auf das Schreiben vom 15. Dezember 
zu erwidern, daß Ich bie Abſendung des Ihm beiliegenden Erfuchens an das 
Auswärtige Amt für verfrüht halte. 

Man kann meines Erachtens von dieſem nicht gut jetzt ſchon eine Auße⸗ 
rung barüber verlangen, ob im Februar nächſten Jahres gegen eine fo 
folgenfchwere Maßnahme, wie fie die beabfichtigte Ubootsunternehmung bar> 
ftellt, politifche Bedenken beftehen. 

Sch habe aber auch Bedenken gegen bie von Euer Erzellenz beabjichtigte 
Methobe der Kriegsführung. Der Unterfeebootskrieg ohne Blodabeerklärung, 
wie er von Euer Exzellenz vorgefchlagen wird, geht meines Erachtens in 
feiner Wirkung auf die Neutralen fehr viel meiter als eine regelrechte 
Blockade und iſt deswegen politifh erheblich gefährlicher. 

Die bisherigen Kriegserfahrungen haben leider gezeigt, daß Deutſch— 
land auf die Hanbelsintereffen der Neutralen mehr Nüdficht nehmen muß 
als England. Auch die Bezugnahme auf die Maßnahmen der Engländer, 
bie das Befahren ber nördlichen Nordſee als gefährlich bezeichnet haben, 
fcheint mir nicht ganz zutreffend. Die Engländer haben einmal bas Gebiet 
nicht von fih aus für gefährbet erflärt, fondern auf Grund ber (freilich 


— 


Verfchiedene Auffaffungen über die Methode 343 


falfchen) Behauptung, dag wir Minen gelegt hätten, und zweitens, daß 
neutrale Schiffe fi) der Gefahr ausfesten, für beutfhe Minenleger ges 
halten und entiprechend behandelt zu werben. 

Sch darf Euer Erzellenz auch zur Erwägung anheimftellen, ob es wirk: 
lich angebracht ift, das Privatgefpräh des Botjchafters Gerard mit dem 
Vorfigenden der Bremer Handelsfammer ald Beweismittel für ein fo 
rigorofes Vorgehen ins Feld zu führen, wie es ber geplante Ubootskrieg be: 
deutet. Schließlich Fönnte ich glauben, daß amtliche Stellen bei uns, bie 
völferrechtlihe und moralifhe Bedenken ſchon gegen eine Unterfeeboots- 
blodabe hegen, foldhe Bedenken in noch ungleich höherem Maße gegen dieſe 
Art des Vorgehens geltend machen werden. Der von Euer Erzellenz auf: 
geftellte Entwurf dürfte diefen Proteft eher fteigern als befeitigen. 

Abgefehen von Vorftehendem bin ich aber durchaus der Anficht, dag 
ein planmäßiges Vorgehen in großem Stil gegen ben englifchen Handel 
mit Unterfeebooten innerhalb ber Marine auf das energifchfte und mit 
allen Mitteln vorbereitet werben muß. In meinem Gejchäftsbereich ges 
ſchieht dies.” 


Admiral v. Pohl antwortete mir hierauf, er Fönnte meiner Anficht, 
daß es für den geplanten Schritt noch zu früh wäre, nicht beitreten. 
Nach eingehenden Erörterungen mit dem Auswärtigen Amt und auf 
Grund einer Denkfchrift des dortigen Minifterialdirektors Kriege habe 
man fich auch entichloffen, an der Form der Kriegsgebietserflärung 
feftzuhalten und nicht diejenige der Blockade zu wählen. Das Auswärtige 
Amt wäre durchaus bereit, diefe neue Form zu vertreten. Juriſtiſch⸗ 
doftrinäre Erwägungen gaben alfo den Ausfchlag. 

Im weiteren Verlauf empfahl ich dem Chef des Admiralſtabes 
noch, fich wegen des Unterfeebootsfrieges vor Unterredung mit dem 
Reichskanzler das Einverftändnis des Generalftabschefs v. Falkenhayn 
womöglich fchriftlich zu fichern. Soweit mir bekannt, blieb auch diefer 
Rat unbeachtet. 

Am 27. Januar 1915 wurde ich vom Reichskanzler zu einer Unter: 
redung über dieſe Frage aufgefordert. Sich legte dar, daß wir England 
gegenüber nur vorwärts kämen, wenn wir ihm felbft den Krieg fühlbar 
machten; die Uboots-Blockade würden wir in irgendeiner Form m. €. 
nicht vermeiden können. Über die juriftifche und politifche Seite der 
Ungelegenheit fei ich nicht hinveichend unterrichtet, um die Zweck⸗ 
mäßigfeit der Form ohne weiteres abfchließend beurteilen zu können. 
Der Reichskanzler lehnte in dieſem Gefpräch die Möglichkeit und Not: 


344 Der Unterfeeboots:Krieg 


wendigkeit eines Unterſeeboots⸗Handelskrieges nicht grundfählich ab. 
Politifche Verhältniffe erlaubten jedoch nach feiner Anficht nicht, vor 
Frühjahr oder Sommer 1915 eine Entfcheidung zu fällen. Sch war 
mit einem folchen Auffchub der noch nicht genügend durchgearbeiteten 
Ubootsfrage unbedingt einverflanden. Unter anderem hielt ich es für 
richtig, die Fertigftellung der Unterfeeflotte für Flandern und der dortigen 
Merfteinrichtungen abzumarten. 

Sm übrigen fagte ich bei diefer Gelegenheit Herrn von Bethmann 
auf eine dahingehende Frage, daß bei der Neuheit des Kampfmittels 
vom militärifchen Standpunkt aus eine unbedingte Zuficherung feiner 
Wirffamkeit natürlich nicht gegeben werden Fönnte. Sch war jedoch 
überzeugt, daß unfere Maßnahme einen gewaltigen Eindrud machen 
und daß fehr viele Handelsfchiffe durch die ihnen drohende Gefahr 
abgefchrecdt werden würden. 

Nach diefen Vorgängen wird man begreifen, wie außerordentlich 
verblüfft ich war, als bereits wenige Tage nach dieſem Geſpräch, 
nämlich am 4. Februar 1915 in Wilhelmshaven Admiral v. Pohl im 
Einverftändnis mit dem Neichsfanzler dem Kaifer die Kriegsgebiets- 
und Ubootserflärung vorlegte. In diefer Erklärung wurden die Gewäſſer 
rings um Großbritannien und Srland einfchließlich des Kanals ale 
Kriegsgebiet erklärt und gejagt, daß jedes in diefem Gebiet angetrof- 
fene feindliche Kauffahrteifchiff zerftört würde, ohne daß es immer 
möglich fein toürde, die dabei der Belakung und den Paffagieren 
drohenden Gefahren abzuwenden. Auch neutrale Schiffe Taufen im 
Kriegsgebiet Gefahr, da es angefichtd des von der britifchen Regierung 
angeordneten Mißbrauches neutraler Flaggen nicht immer vermieden 
werden kann, daß die auf feindliche Schiffe berechneten Angriffe 
auch neutrale Schiffe treffen. Für letztere wurde die Fahrt nördlich 
der Shetlandsinfeln und ein Streifen an der holländischen Küfte frer 
gelaffen. Man wird den Unterfchied diefer Erklärung von meinem 
eigenen Vorfchlag ohne meiteres erkennen. Sch wünfchte zunächft nur 
eine Ubootsblodade der Themſe. Eine Blocdade ift effektiv, wenn 
jedes Schiff, das die Zone paffiert, im erheblicher Gefahr der Weg— 
nahme oder Vernichtung fteht Wenn mir alles auf die Themfe 
zufammenzogen, um eine abfolute Sperrung des Verfehrs, auch für 
neutrale Schiffe, herbeizuführen, fo blieb doch die übrige Küfte Frei, 
und fo konnten bei diefer Mz der Nusführung wirkſame Beſchwerden 








Die Kriegögebietserflärung 345 


der Neutralen zunächft nicht vordommen. Im Admiralftab war man 
mit der Ausarbeitung meines Gedankens der Themfefperre befchäftigt, 
als Pohl unter dem 31. Januar auf einmal unter Berufung auf den 
Keichskanzler die Sache umwarf. Durch bie Ausdehnung des Sperr- 
gedanfeng auf die ganze Küfte wurde er weniger wirffam, rechtlich 
unklar und mehr herausfordernd. Es mangelte diefer Erklärung bie 
Effeftivität, die Subftanz, und dadurch regte fie den Widerfpruch 
an. Sie minderte den Kredit unjerer eigenen Erklärungen und damit 
in gewiſſem Sinne auch das Preftige der deutfchen Marine herab. Sie 
fah etwas nach Bluff aus und durch die in der Erflärung liegende 
Unklarheit, nämlich das jichtbare Beftreben, die Neutralen zu fchonen, 
aber zugleich die Drohung, es nicht zu tun, erregten wie Zweifel an un- 
ſerem Necht auf diefe Kriegsführung. Jedenfalls mar diefe Kriegs: 
gebietserklärung, wenn ich von der juriftifchen Seite abfehe, politisch 
und militäriſch unzweckmäßig. Welche Gründe vorgelegen haben, unter 
Übergehung meines Votums den UÜbootskrieg in Szene zu feßen, ift mir 
nicht befannt geworden. Sedenfall® war ich wieder einmal, diesmal 
wohl in einer der wichtigften Fragen meines Nefforts, ungehört geblie- 
ben, der Ubootskrieg über meinen Kopf hinweg und gegen meinen 
Willen en in einer Form, die nicht Glück verhieß Y. 


2) Unterm Datum bes 2. Februar, eingegangen am 3. Februar, teilte der Abd: 
mitalftab dem Reichsmarineamt mit, daß der Reichöfanzler der Kriegsgebietserklärung 
zugeftimmt hätte, deren beabfichtigter Wortlaut übermittelt murde. Hiervon 
habe ich nicht8 erfahren; denn meine Abreife von Berlin nach Wilhelmshaven erfolgte 
am 3. früh. Da nad) dem Kabinettöbefehl vom 30. Juli 1914 derartige Entſchlüſſe 
ohne mein Votum gar nicht erfolgen Eonnten, fo befteht der begangene Fehler 
darin, daß eine Entfcheidung von diefer Tragweite getroffen wurde, ohne meine 
Außerung abzuwarten. Ein folcher Schritt mußte doch durchgearbeitet werden, 
bevor man zu einem Entfchluffe am. Admiral Bachmann fchreibt mir über feinen 
| Anteil an den Ereigniffen: „Ich Habe meine Bedenken gegen eine fo frühzeitige 
Aufnahme des Uboots:Krieges dem Admiral von Pohl gegenüber am 2. Februar 
1915, als ich nach Berlin berufen war, um zu erfahren, daß ich Chef des Admiral: 
ftabes werden follte, unverhohlen zum Ausdrud gebracht. Diefer wies meine Be: 
denken: geringe Zahl von Ubooten, keine Stüßpunlte in Flandern und anderswo, 
| Unerfahrenheit im Uboots-Handelskriege uſw. zurüd und erflärte, die Frage fei 
ſchon entſchieden; Meichslanzler, Auswärtiges Umt, Generalftab hätten zugeftimmt 
| und bie Taiferliche Genehmigung ftände unmittelbar bevor. Ald ich am 6, Februar 
| mein neues Umt antrat, war die Kriegsgebietserlärung mit der Unterfchrift von 
| | Betjmann und Pohl erlaffen.“ 





346 Der Unterfeebootd:Krieg 


Der Katfer ftimmte zu. Ich ftand zufällig dabet, Fonnte aber aus 
ber ganzen Situation heraus nur noch die Anderung erreichen, baß 
man in der Erflärung auf den englifchen Flaggenmißbrauch Bezug 
nehmen möchte. 

Der meltgefchichtliche Entjchluß mar, wie ich fpäter erfuhr, am 
2. Februar in einer Situng beim Reichskanzler mit Zuftimmung 
des Auswärtigen Amts, im Beifein des Reichsamts des Innern und 
fcheinbar ohne Widerfpruch des Großen Generalftabs gefaßt worden. 
Nach der Sitzung hat am Spätabend desfelben Tages kurz vor Pohls 
Abfahrt nach Wilhelmshaven die juriftiiche Autorität des Auswärtigen 
Amts, Minifterialdirektor Kriege, im Auftrag des Reichskanzlers beim 
Mömiralftabschef gegen deffen Bedenken noch eine Anderung in der 
Faſſung der Kriegsgebietserflärung durchgefeht. Sch ermähne dies nur, 
um das enge Zufammenarbeiten der hinzugezogenen Dienftftellen und 
das völlige Einverftändnis des Neichskanzlers mit dem Vorgehen des 
Admiralftabes zu zeigen. Admiral v. Müller Hat am 8. März 1915 
fich brieflich darüber mie folgt geäußert: „Ich habe ebenfo wie ber 
Staatsfefretär die Art der Inſzenierung des Ubootshandelskrieges nicht 
gebilligt. Der Zeitpunkt war fchlecht gewählt, die Mittel nicht genügend 
bereitgeftellt, und die Nedaktion der Ankündigung mar Außerft uns 
geſchickt. Pohl hat die Zuftimmung des noch fehr fachunkundigen Reiche: 
Panzlers gefunden und hat dann den Kaiſer am 4. Februar auf ber 
Bootsfahrt durch den Wilhelmshavener Hafen nach der „Seydlitz“ 
mit der verabredeten Faffung der Bekanntmachung überrumpelt. Es 
war illoyal von Pohl, nicht vorher mit dem Staatsſekretär über bie 
Saffung der Ankündigung zu fprechen. Er mar aber auch illoyal gegen 
mich, deſſen Rat er jonft immer geſucht hat, wenn es fich um wich: 
tige Entjchließungen handelte. Er wollte durchaus die Veröffentlichung 
unter feinem Namen losſchießen, und da war allerdings ber 4. Februar 
der äußerfte Zeitpunkt, denn an dieſem Tage hatte er das Kommando 
der Hochfeeftreitkräfte fchon übernommen und war damals fchon ſtreng⸗ 
genommen nicht mehr Chef des Admiralſtabes.“ 

Der Stein war ind Rollen gebracht. Am 18. Februar 1915 follte 
der Unterfeebootsfrieg beginnen, der nach Bethmanns gegen meinen 
Rat gefaften Entfchluß jedem auf England oder Irland fahrenden Schiff 
den Untergang androhte. 


Der erfte Unfall 347 


2 

Nachdem vor der ganzen Welt feierlich und mit einer gewiſſen 
Fanfare die meines Erachtens verfrühte und unglückliche Erklärung 
einmal abgegeben war, galt es feftzubleiben, follte die Würde und 
damit die Macht des Reichs nicht einen fchmweren Stoß und die Zuver: 
ficht der Feinde eine verhängnisvolle Stärkung erfahren. 

Am 12. Februar erging die erite Note Amerikas gegen den Linter- 
feebootsfrieg, die den verantwortlichen Stellen doch kaum unerwartet 
kommen konnte. Trotzdem fchlug von diefem Tage an zum Erftaunen 
Pohls die Stimmung des Auswärtigen Amts in der Ubootsfrage um. 
Deffen Vertreter im Hauptquartier, Treutler, hat fpäter geäußert, 
der Kanzler wäre von Pohl mißverftanden worden, während Pohl 
die Möglichkeit eines Mißverftändniffes auf das beftimmtefte bejtritt, 
da er dem Reichskanzler die Bedeutung genau auseinandergefeßt hätte, 
Noch ehe alfo der am 4. Februar geborene Ubootskrieg den erften 
Atemzug getan hatte, eilten feine eigenen Väter erſchreckt, ihn zu 
erfticken. 

Nach meiner Auffaffung Eonnte ein Verzicht auf den Ubootskrieg 
durch uns allenfalis dann in Betracht Eommen, wenn England auf 
dem Gebiet des Seekriegsrechts entfprechende Zugeftändniffe machte. 
Dazu genügte nach Anficht der Zivifftellen, daß England fich auf den 
Boden der Londoner Deklaration ftellte. Sch hielt es wohl für möglich, 
daB England in folcher Weife einlenkte, wenn es die Gefahren des 
Ubootskrieges für noch größer hielt als den Nußen, der ihm aus der 
Nichtbeachtung der Londoner Deklaration erwuchs. Damit hätten wir 
uns abfinden Eönnen, denn obwohl die Londoner Deflaration nicht 
gerade entfcheidende Lockerungen unferer Abfchnürung zur See bot, fo 
hätten die Engländer doch wenigſtens durch ihre Annahme einen ſtarken 
Preftigeverluft erlitten und wir, wenn ıder fcharfe Ubootskrieg nun 
anmal vorläufig aufgehoben werden follte, damit wenigftens etwas 
erreicht. 

Für die Beantwortung der Note wartete der Neichskanzler die Zu: 
ſtimmung weder des Admiralſtabschefs noch die meinige ab, verhinderte 
vielmehr mit Hilfe des Marinekabinetts unfere von Falkenhayn ge 
forderte Hinzuziehung und ſchickte den beabfichtigten Entwurf unmittel- 
bar dem Kaifer zu, der fich damals in Lötzen befand, Gegen dieſes 
Sefchäftsverfahren Tegte der nmeuernannte Chef des Admiralſtabes, 


348 Der Unterfeebootd:Krieg 


Admiral Bachmann, am 14. Februar beim Kaifer Verwahrung ein, 
ebenfo gegen den Inhalt des Entwurfes felbft, der das Hinz und Her⸗ 
fallen unferer Politik den Feinden in gefährlicher Weife enthüllen mußte. 

Am Abend des 15. Februar erhielt der Chef des Admiralftabes 
unvermutet vom Kaifer den Befehl, den uneingefchränkten Ubootskrieg 
nicht wie angekündigt, am 18. Februar, fondern erjt auf befonderen 
Ausführungsbefehl zu beginnen. Zugleich wurden am 15. Februar 
die Ubootsfommandanten angemiefen, neutrale Schiffe im Sperrgebiet 
zu fchonen. Ferner traf ein Telegramm des Kabinettschefs ein folgenden 
Inhalts: Der Kaifer wollte eine umgebende telegraphifche Meldung 
barüber haben, ob und in welchem Maße eine Gewähr dafür über: 
nommen werden Eönnte, daß innerhalb 6 Wochen nach Beginn des 
neuen Handelsfrieges England zum Einlenken gezwungen fein würde. 
Meine Stellungnahme fei in der Antwort mitzutelegraphieren. 

Bei dein übergeoßen Entgegenfommen, welches unfere ſpäter (am 
17. Februar) abgejondte Antiwortnote Amerika bewies, lag der Schwer: 
punkt in der Aufforderung, die amerikanifche Regierung möchte einen 
Weg finden, um die Beachtung der Londoner Deflaration auch von 
feiten Englands zu erlangen; dann würde die deutfche Regierung aus 
der ſo gefchaffenen neuen Sachlage gern die Folgerungen ziehen. Das 
hieß mit anderen Worten, wir würden dann fogar die Verwendung 
von Ubooten nicht nur gegen den neutralen Frachtraum im Sperr: 
gebiet, fondern auch gegen den feindlichen Frachtraum felbft aufgeben. 
Diefer Auffaffung, daß es unfer Ziel fein müßte, England auf 
den Boden der Londoner Deklaration zu bringen, ftand ich, wie fchon 
gejagt, nicht geundfählich ablehnend gegenüber, und fo erging folgendes 
Telegramm nach Lötzen: „Staatsſekretär und Admiralftabschef find 
überzeugt, daß England 6 Wochen nach Beginn des neuen Handels: 
Frieges einlenfen wird, wenn es gelingt, von Anfang an alle für diefe 
Kriegführung verwendbaren Machtmittel energijch einzufegen.” Wir 
hatten uns über das Telegramm des Kabinettschef3 und die zu er— 
teilende Antwort des längeren den Kopf zerbrochen. Wir gervannen die 
Überzeugung, man wollte ung durch die Anfrage wegen der 6 Wochen 
zu einer verneinenden Antwort zwingen und dann den Rückzug vor 
Amerika ausfchließlich durch unſer Votum rechtfertigen. Ich entfinne 
mich noch der Worte des Admirals v. Capelle: „Auf eine bumme 
Frage gehört eine Dumme Antwort.” In der Tat war es eine unbillige 


Die „Sechs Wochen“ und Die Londoner Deklaration 349 


und allen militärischen Grundfägen mwiderfprechende Forderung, daß 
man und auf eine folche zeitlich begrenzte Friſt feftlegen wollte; 
andererfeits Eonnte in der Tat Doch angenommen werden, daß bei der 
großen, damals noch durch Eeinerlei Gegenmittel gehemmten Wirkung 
einer wenn auch verhältnismäßig Fleinen Zahl von Unterfeebooten Eng> 
land veranlaßt würde, nachzugeben und auf den Boden der Londoner 
Deklaration zu treten. Wir fahen hier zum erften Male jenes unfelige 
Terminſetzen für Eriegerifche Operationen, das fpäter noch fo oft eine 
bedenkliche Rolle gefpielt hat. Sch habe ein folches Verfahren ftets für 
falfch gehalten, aber ebenfo wie fpäter wurde ſchon jeßt die Marine 
geradezu gewaltfam dazu gedrängt. 

Natürlich war es nicht ausgefchloffen, daß England in hochmütiger 
Unterfchäßung des Unterfeebootskrieges vielleicht doch hartnäckig bleiben 
würde. In diefem Falle hätten wir den fcharfen Ubootskrieg fortführen 
müſſen; unferem eigenen Intereſſe wäre diefe Löfung am dienlichften 
gewejen. Der LUbootsfrieg aber, wie er am 18. Februar begonnen 
wurde, namentlich mit dee Einfchränfung, daß dabei Feine neutralen 
Schiffe zur Verfenkung Eommen dürften, mußte von vornherein ohne 
wirkliche Kraft bleiben, da die englifchen Schiffe, was fie nach unferer 
ficheren Kenntnis vorher ſchon großenteild getan hatten, nun erft 
eecht unter neutraler Flagge fuhren. Der von der britifchen Admira⸗ 
lität ihren Kauffahrern empfohlene Flaggenmißbrauch war damit fehr 
wirkſam geworden. Viele tapfere Ubootsbefagungen find diefen Ans 
ordnungen zum Opfer gefallen. Man möge fich nur des Baralong- 
mordes erinnern. 

Wir Tiefen die Kriegsgebietserflärung beftehen, behielten alfo bie 
Amerifa verftimmende Schale des Ubootgkrieges bei, um der öffentlichen 
Meinung Deutfchlands den Anfchein von Haltung zu zeigen, höhlten 
aber durch die auf Veranlaffung der politifchen Leitung geänderten 
Befehle ar die Ubootsfommandanten den militärifchen Kern heraus, 
handelten aljo ſtark mit dem Wort und fchüchtern mit der Tat. 
Die Kriegsführung der Uboote war jeßt gemäß Bachmann Vorherfage 
wirkungslos für den Endjieg des deutichen Volkes, bot aber noch 
Stoff genug für Zwiſchenfälle und Verärgerung mit Amerika. 

Die ſchon gejagt, waren Admiral Bachmann und ich, wenn mwir aud) 
die erlaffene Ubootserklärung für verfrüht und der Form nad) nicht 
für glücklich angefehen hatten, der Anficht, daß, nachdem fie einmal 


350 Der Unterfeebootö: Krieg 


in die Welt herausgegangen war, Deutfchland auf jede Gefahr Hin 
feftbleiben mußte. 

Wenn wir auf die erfte amerikanische Note höflich aber beftimmt 
ablehnend geantwortet hätten, fo wäre nach meiner Überzeugung damals 
und fpäter eine Kriegserklärung nicht erfolgt, ebenjo Fein Abbruch der 
Beziehungen. Amerika war noch nicht fo verärgert und einfeitig ge⸗ 
worden, hatte noch Reſpekt vor uns und war noch nicht fo fehr in 
feine Ententes-Darlehen verwicelt. Der für Seerecht empfängliche Sinn 
der Amerikaner empfand felbft die unneutrale Haltung feines Landes 
als unbehaglich. Staatsfekretär des Auswärtigen war noch der Pazifift 
Bryan. Es wäre Wilfon damals unmöglich geweſen, fein Land feindlich 
gegen ung feftzulegen. Darin lag für ung noch eine große Chancet), 
Auch für die damals vom Fürften Bülow geführten Neutralitätd- 
verhandlungen mit Stalien mwünfchte unfere römifche Botſchaft tele 
graphifch „das unabänderliche Fefthalten an unferem Standpunkt und 
die Aufrechterhaltung des Reſpekts vor der Kraft Deutfchlands und 
feiner Flotte‘. Es war unerläßlich, von vornherein gegen Amerika eine 
offenfive Notenpolitif hinfichtlich deffen unneutraler Haltung zu führen; 
gegen bie Waffen und Munitionglieferungen, die Handhabung der 
drahtlofen Zeiegraphie zuungunften Deutfchlands, die ftillfchmweigende 
Anerkennung der völferrechtsmwidrigen Blockade Englands, das Ver: 
fahren gegen unfere Auslandgfreuzer oder gegen die neutrale Poft uſw. 
mußte Beſchwerde über Beſchwerde erhoben werden. Eine folche Politik 
Amerika gegenüber war ungefährlich, denn wir brauchten ja Fein Ulti⸗ 
matum an den Schluß eines fcharfen Proteftes zu fegen. Wenn mir 
auch die im Krieg machfende englifcheamerifanifche Gemeinbürgjchaft 
vielleicht nicht verhindert hätten, ſo wäre fie doch wahrfcheinlich weniger 
gefährlich geworden. Wir hätten allen Elementen in den Vereinigten 
Staaten, welche der Richtung Wilfons miderftrebten, ben Deutfchen, 
Stländern, Quäkern, Baummoll-Interefjenten ein Elares Stichwort ge: 
geben, um melches fie fich hätten fammeln können. Die Methode, 
mit welcher wir die Amerikaner behandelten, fchlug nie bie richtigen 
Saiten an. Wenn mir fagten: „Ihr Amerikaner habt ja formell 
ganz recht, wenn ihr Munition uſw. liefert, aber fchön iſt es nicht 
von euch,” fo bemwirften wir gerade das Gegenteil von dem, was mir 


) Pol. auch unten S, 379f, 








Wilſons Erprejjerpolitit 351 


wollten, wie die Folgezeit bemwiefen hat, ganz abgejehen davon, daß 
tatfächlich die Umgeftaltung Amerikas in ein Arfenal für unfere Feinde 
der Sache nach der unerhörtefte Neutralitätsbruch war, den es gab. 
Zwifchen Amerika und Deutjchland lag fogar in diefer Hinficht ein 
Sonderfall bereits vor. Im fpanifcheamerikanifchen Kriege hatten wir 
auf PVorftellung des amerikanifchen Botfchafters Andrew White ein 
mit Waffen für Kuba beftimmtes Schiff in Kurhaven zurückgehalten. 

Behandelten wir die Ubootsfrage mit Fühler Folgerichtigkeit, fo 
hereiteten roir den Boden für die Auffaffung, daß es fich bei unferem 
Ubootskrieg nicht um eine Frage der Vergeltung für den Hungerfrieg 
handelte, wie leider von ung “*ets allein betont wurde, fondern um 
eine Berechtigung, die fich Elar und unmiderleglich aus dem von Eng- 
land feldft zu Beginn des Krieges gejchaffenen Völkerrecht zur See 
ergibt. Die neue Waffe konnte nicht in Auffaffungen aus der Zeit der 
Segelfchiffe vor hundert Jahren gepreßt werden, fondern hatte das 
Recht auf neue Normen. Glaubt jemand ernftlich, daß in einem 
zufünftigen Kriege andere Völker, die um ihr Dajein kämpfen, nicht 
in gleicher Weife wie wir ſich der Ubootswaffe ıbedienen werden, ſelbſt 
wenn neue völferrechtliche Beftimmungen dies verbieten follten? 

Wir mußten jpäteftens im Februar 1915 erkennen, daß die Politif 
Wilſons erprefferifche Züge aufwies. Wir hatten in dem ernfthaften 
Beftreben, neutrale Schiffe zu fchonen, den Amerikanern angeboten, 
ihre Schiffe das Sperrgebiet paffieren zu Tafjen, wenn fie einwandfrei 
als neutrale erkennbar würden (durch Geleitzüge). Amerika bezeugte 
nicht jo viel guten Willen, hierauf einzugehen. Wenn englifche Uboote 
in der Dftfee, fogar in fchwedifchen Zerritorialgeroäjfern oder in der 
Adria unfere Handelsfchiffe torpedierten, alfo genau dasjelbe und 
Schlimmeres als wir taten, fo regte das niemand in der Welt auf. Das 
ungeheure Buch der unbefümmertiten englifchen Völkerrechtsbrüche blieb 
in Amerika zugefchlagen und ungelefen. Man ftarrte immer auf die 
Seite, worauf der dentjche Ubootskrieg ftand. An diefer Ungerechtigs 
Reit der Welt hatte die Schwächlichfeit unferer Politif, Die den Ein- 
druc des böfen Gewiſſens hervorrufen mußte, mwejentlichen Anteil, 
Vergebens habe ich wiederholt beim Neichskanzler auf den Charafs 
ter der Wilfonfchen Politif hingewieſen und dringend befürwortet, mit 
diefer Tatſache fich abzufinden. Dadurch aber, daß mir eine gerechte 
und grundfägliche Stellung nach der anderen räumten, haben wir nur 


352 Der Unterſeeboots⸗Krieg 


erreicht, daß Wilfon in feinen Anſprüchen und in feiner Taktik des 
Drohens immer meiter ging. Forderungen, die wir noch in den erften 
Kriegsjahren bei ruhiger Feftigkeit ohne Gefahr eines Bruches hätten 
ablehnen Fönnen, haben fich mehr und mehr zu Preftigefragen ver: 
härter. Während unfer Anfehen bei allen feefahrenden Nationen un- 
ermeßlichen Schaden erlitt, weil ihnen unfer eignee Glaube an den 
Sieg erfchüttert fchien, haben wir Wilfon immer mehr auf einen Stand» 
punkt heraufgefchraubt, deſſen Behauptung ihm fchließlich zur Ehrens 
jache geworden ift. Von den praftifchen Vorteilen, die ung bei einer 
nachgiebigen Haltung von Bethmann, Helfferich, Graf Bernftorff u. a. 
eifrig in Ausficht geftellt wurden, iſt ung nicht ein einziger zugefallen, 
Amerika hat uns auch nie wirklich greifbare Konzejfionen gemacht. 
Bei der deutfchen Sllufionsfähigkeit Fam es ohne folche aus. Mit dem 
Sinfen unferes eigenen Prefliges und des Glaubens der Neutralen an 
unfern Sieg wurde auch der für ung allein richtige Weg einer politifchen 
Neumendung zu Japan und Rußland, je länger der Krieg dauerte, 
um jo mehr erfchwert. 
3 

Am 7. Mai 1915 wurde die „Luſitania“ torpediert, ein englifcher 
Perfonendampfer, der zugleich als Hilfskreuzer in der britifchen Marines 
(hiffslifte fand. In frevelhaftem Keichtfinn hatten fich troß der 
Warnung unferes VBotfchafters auf diefem bewaffneten und ſchwer 
mit Munition beladenen Kreuzer amerikanische Bürger eingefchifft, 
die bei der Verſenkung ums Leben Famen. Der Kommandant des 
Ubootes, welches die „Luſitania“ torpedierte, hat übrigens den an 
gegriffenen Dampfer erft als ‚Rufitania” erkannt, als das Schiff 
unterging und fich zur Seite legte. Da er das Schiff von vorn angriff, 
Eonnte er die Zahl der Maften und Schornfteine vorher nicht erkennen, 
Nachdem der Torpedo getroffen hatte, erfolgte eine zweite Erplofion 
im Innern des Schiffes durch die an Bord befindlichen Munitiong: 
mafjen. Durch diefen Umftand allein trat das fofortige Sinken ber 
„Luſitania“ und der große Verluſt an Menfchenleben ein. Sch war 
zu der Zeit in Berlin und telegraphierte am 9. Mai ins Hauptquartier, 
es wäre jegt dringende Staatsnotwendigkeit, den Rechtsftandpunft zu 
wahren; Entgegenfommen gefährde unfere Etellung mehr als Feftigkeit. 
Man Eonnte die Menfchenleben bedauern, mußte aber zu unferem guten 
Recht ftehen. Dann erhöhte fich unfer Preftige in Amerika, und bie 





Der Lufitaniafall 353 


Kriegsgefahr wurde dadurch am ftärkften vermindert. Am 12. Mai ant- 
wortete mir der Kabinettschef, daß der Kaifer mit meinem Standpunft 
einverftanden wäre. Am 15. Mai erhielten wir die erfte amerikanifche 
Luſitania“⸗Note, welche die Mißbilligung der Qorpedierung durch 
uns und entjprechenden Schadenerfaß verlangte. Wir antworteten hin⸗ 
zögernd. Es begann erneut ein mochenlanges Hinz und Herberaten 
zwifchen den verichiedenen Neichsftellen. Am 31. Mai fand in Pleß 
eine allgemeine Beſprechung darüber unter dem Vorſitz des Kaifers 
ſtatt. Admiral v. Müller teilte Admiral Bachmann und mir gleich bei 
der Ankunft mit, der Neichskanzler lehnte die Verantwortung für die 
Führung des Ubootgkrieges in der bisherigen Form ab. Der Gefandte 
v. Zreutler und General v. Falkenhayn wären derſelben Anficht wie der 
Kanzler. Der Chef des Admiralftabs und ich vertraten dagegen den 
Standpunkt, daß das Verlangen des Reichskanzlers, den Ubootskrieg 
fo zu führen, daß Feine politifchen Konflikte entjtänden, militärisch 
nicht durchführbar wäre. Seine Majeftät müßten daher entfcheiden, 
ob der UÜboctsfrieg überhaupt geführt werden follte oder nicht. Der 
Kaiſer ſtimmte unferer Auffaffung zu und fagte, wenn der Kanzler nicht 
die Verantwortung übernehmen wollte, den Ubootskrieg überhaupt aufz 
zugeben, jo bliebe es bei ben bisherigen Befehlen. Das Ergebnie 
der Beratung war alfo ein Befehl an die Ubootsfommandanten, der 
einen erneuten zufammenfafjenden Hinweis auf die bereits früher 
angeordnete Schonung der Neutralen enthielt, die Verſenkung eng: 
tifcher Schiffe dagegen ohne Ausnahme beftehen Tieß. 

Schon am 2. Juni aber überfandte der Reichsfanzler ein Erfuchen 
an den Chef des Aömiralftabes, auch die Schonung „feindlicher“ 
großer Paffagierdampfer anzuerfermen. Davon war in der Beſprechung 
vom 31. Mai nicht die Rede gewefen. Admiral Bachmann trug feine 
Gegengründe vor, die vom Reichskanzler aber nicht anerfannt wurden. 
Herr dv. Bethmann vief daraufhin eine neue Entfcheidung des Kaiſers 
über die militärifche Führung des Ubootsfrieges an, ohne ung heran- 
äuziehen. Am 5. Juni erging demgemäß vom Kaifer der Befehl, 
Paſſagierdampfer, auch folche des Feindes, nicht zu verfenken. Ein 
Telegramm mit furzer Darlegung der Gegengründe, in Ießter Stunde 
vom Chef des Abmiralftabes und mir an den Kaifer abgefandt, blieb 
unberückſichtigt. 

Der Kanzler hatte nicht die Entſchlußkraft, den ——— ganz 


CThropitz, Erinnerungen 


354 Der Unterfeebonts:Krieg 


aufzugeben. Aber er wollte ihn doch fcheinbar führen, um der deutſchen 
Öffentlichen Meinung gegenüber das Geficht zu wahren. In Wirf- 
fichfeit aber konnten nach Diefem Befehl große Dampfer überhaupt 
nicht mehr angegriffen mwerden, denn für die Uboots-Kommandanten 
mar die Unterfcheidung zwifchen Paffagier- und Frachtdampfer in den 
allermeiften Fällen unmöglich, Sowohl Admiral Bachmann wie ich 
reichten wegen des Gefchäftsverfahrens des Neichskanzlers unferen 
Abichied ein, der aber, und zwar bei mir in ungnädigjter Form, 
abgelehnt wurde, 

Am 2. Zuni berichtete unfer Botfchafter aus Wafhington über eine 
Audienz bei Wilfon, der ihm geſagt hätte, daß jein Beitreben auf 
gänzliche Aufhebung des Ubootskrieges ginge. Wir follten durch feine 
Preisgabe einen Appell an die öffentliche politifche Sittlichkeit richten, 
da nur durch eine Verftändigung hierüber, nicht mehr durch die Waffen, 
der Krieg endgültig entichieden werden könnte. Graf Bernftorff empfahl 
dringend, darauf einzugehen, dann wäre Husficht auf ein Waffen- 
ausfuhrverbot vorhanden, andernfalls würde möglicherweife ein Abbruch 
der Diplomatifchen Beziehungen erfolgen und eine Öteigerung der 
MWaffenausfuhr ins Ungemefjene. M. E. überjah der Borfchafter hiers 
bei, dab die amerikanische Kriegsindufirie fich, ſoviel überhaupt in 
ihrem Vermögen ftand, trotzdem fteigern würde und daß es eine 
utopifche Hoffnung war, von Amerika ein Sonderverbot für Waffen: 
ausfuhr zu erlangen. 

Anfang Juni ging endlich die Antwort des Auswärtigen Amts auf 
die amerifanifchen Lufitaniasforderungen ab. Diefe veranlaßte eine 
neue amerikanische Note, welche zwar unfreundlich und ablehnend, 
aber doch fo gehalten war, daß eine Beantwortung nicht formell er⸗ 
forderlich war. Damit war die Angelegenheit vorläufig erledigt. Wir 
führten den Ubootsfrieg nach einer Methode weiter, bei der er nicht 
leben und nicht fterben Fonnte, 

Eine große Zahl mir befannter Herren, die mit amerifanifchen 
Verhältniffen eingehend vertraut waren, äußerten die beftimmte Anficht, 
daß unfere Notenpolitik Wilfon und feinen Hintermännern gegen- 
über grundfäglich falfch wäre. Selbft folche, die im übrigen ihren 
ganzen Einfluß aufboten, um mit England und Amerifa zu baldiger 
Verftändigung zu Eommen, ftimmten mit dem bureaufratifchejuriftifchen 
Mege, den das Auswärtige Amt immer wieder einfchlug, nicht überein. 


Ballin und Heifterich 353 


So ſchrieb Herr Ballin am 1. Auguſt 1915 in bezug auf unſere Antwort⸗ 
note wegen des Luſitaniafalles: 


„Ich befinde mich auch ſetzt noch in bezug auf bie weitere Behanblung 
dieſer amerikaniſchen Angelegenheit im sollten Gegenfak zu der Auffaſſung 
ber Wilhelmſtraße. Die legte Note hätte ſofort, d. 5. alfo innerhalb 24 Stuns 
Ben beantwortet werden müflen, und bie Beanimertung war fo Leicht, 
Man hätte einfach zu Tagen gehabt: „Die Katjerlihe Regierung bedaueri 
Iebhaft, aus ber Note, melde Euer Exzellenz im Auftrage Ihrer Regierung 
air zu übermitteln bie Güte hatten, zu erfehen, daß bie Regierung ber Ver⸗ 
einigten Staaten von Nordamerika nicht gemwillt iſt, Das weitgehende Ente 
gegenfommen anzuerkennen, welches bie Kaiſerlich deutſche Regierung in 
ihrer legten Antwortnote bekundet Hat. Die Kaiſerlich deutſche Regierung 
fonm unter biefen Umftänden nur den Wunſch ausſprechen, daß die Bürger 
ber Wereinigten Stasien in entſprechenber Form von ihrer Regierung 0% 
warnt werden, ſich auf Schiffe zu begeben, welche zur Flagge feinblicher 
Möchte gehören und bie von der deutſchen Reglerung bezeichnete Kricgszone 
zu paſſieren beabſichtigen.“ 

Meines Erachtens Hätte, wie geſagt, innerhalb 24 Stunden eine berartig« 
kurze Antwori dem Mr. Gerard zugeftellt werden müſſen. Daß wir wieber 
vierzehn Tage brüten, beingt die Amerikaner zu dem Eindrud, als hätten 
die deutſchen verantwortlihen Männer wieder bie Hoſen voll. Daß die 
Leute in Wafhingeon Hemdsärmelpolitifer find, weiß man bo, und bie 
Behandlung foicher amerifanifcher Angelegenheiten müßte ſich auf bie Pſyche 
dieſer Nation einftellen,” 


Soweit Ballin, doch möchte ih auch einen Verireter ber gegen 
tetligen Auffaſſung zum Wort Eommen laſſen. Stostsfekretär Helffes 
zich fchrieb am 5. Auguſt 1915 an den Reichskanzler, um anzuregen, 
daß der UÜbootskrieg während einiger Wochen, unter Umſtänden auch 
drei Monate lang noch, weizer eingeihränft werben ſollte. Er glaubte, 
daß die amerikanische Regierung und poſitiv eingeladen hätte, an ber 
Freiheit der Meere mitzuarbeiten. Darum hoffte er, daB ein Rückzug 
unferfeitd vor der amerikantichen Note eine gemeinfame Front Amerikas 
und Deutichlands gegen England herjtellen würde. Die Baumwoll—⸗ 
pflanzer würden einen fo ſtarken Druck auf Wilfon ausüben, daß 
die deutfche Webindufirie vor Stillegung und Hunger bewahrt werden 
könnte. Wenn wir Wilfon diefe „good chance“ böten, für feine Ideale 
sinzutreten, jo müßte er fie benutzen. Deutſchland aber follte, Is 


23° 


356 Der Unterfeebonts:Krieg 


meinte Helfferich, feine Gegner einzeln erledigen, wie der Horatier der 
Sage die drei ihm verfolgenden Kuriatier, indem er nämlich einen 
geſchickten Rückzug antrat und fie fo teilte. Der Vorwurf der Schlapp⸗ 
beit Eönnte der deutſchen Regierung bei einem folchen Rückzug fo 
soenig gemacht werden, wie dem Horatier. Helfferih nahm alfo an, 
daß der Prejtigeverluft nicht zählte und daß die Weltmächte fo töricht 
fein würden, wie die drei Kuriatier ber Fabel, 

Sch vermute, daß Ballin die Amerikaner beſſer zu behandeln vers 
ftanden hat, als Bethmann oder Helfferich. Sedenfalld haben wir 
nach dem Arabicfall noch fehr viel mehr zugegeben, als Helfferich 
vorschlug, aber nicht einen Baummolldallen befommen. Überdies hatten 
wir Wilfon ſchon beim erften Notenwechfel im Februar 1915 Ges 
fegenheit gegeben, eine derartige Sintereffengemeinfchaft zu fchließen, 
auf welche die unverwüftliche deutſche Illuſionsfähigkeit Jahr um 
Jahr wartete, obwohl ung auch im beiten Fall die Londoner Deklara- 
tion, Diefes A und O der Zuriften im Auswärtigen Amt, Feine Friegss 
entfcheidenden Vorteile gebracht hätte. 

Im Ausschuß des Neichstages erklärte Otaatsfekretär v. Jagow 
am 15. Nuguft, daß wir ung durch Amerifa im Ubootskrieg nicht bes 
einfluffen laſſen würden. Sobald aber der Reichstag im MWefentlichen 
erledigt war — geichloffen wurde er am 27. Auguft — ging ber 
Neichskanzler, unterftüst von Falkenhayn und Admiral v. Müller 
mit aller Macht darauf aus, die Einftellung des Ubootsfrieges zu ers 
wirken. Die Verſenkung des englifchen Dampfers „Arabic murde 
als Anlaf genommen, obwohl eine Ubootsmeldung über den Vorgang 
überhaupt noch micht vorlag und ebenfowenig eine amerikaniſche Bes 
fchwerde darüber. Wie Gefandter v. Treutler beim fpäteren Vor⸗ 
trag bei Seiner Majeftät ausgeführt hat, Bam es auf den Xrabics 
Fall felbft gar nicht an, fondern auf eine endgültige Verftändigung 
mit Amerika. 

Entgegen feiner mir am 7. Auguft gemachten Zufage überrumpelte 
ber Neichskanzler den Admiral Bachmann und mich mit ber Ent 
fcheidung. Die Marine follte vor eine abgemachte Tatſache geftellt 
werden. Sch wurde Furz vor Abgang des Nachtzuges am 25. Auguft 
telegraphifch nach Pleß gerufen zum Vortrag am nächften Morgen. 
Nur auf der Eurzen Fahrt von Kattowitz nach Pleß Eonnte ich mich 
mit Admiral Bachmann in Verbindung ſetzen. In Pleß am 26. Nuguft 


Der Hrabicfall 357 


angelangt, hatten wir fofort kurze Beſprechung beim Reichskanzler. 
Er bezeichnete auf Grund einer Meldung unferes Merineattaches in 
Wafhington und einer Auperung des Botfchafters Gerard die Lage 
als ſehr ernft. Er, der Neichskanzler, könnte nicht dauernd auf Vul- 
Fanen wandeln. Es follte an den Botfchafter nah Waſhington telcs 
graphiert werden, die Ubootskommandanten hätten beftimmten Befehl, 
feinerlei Pajjagierdampfer ohne Warnung und ohne dad den Paffe- 
gieren und Bejagungen Gelegenheit zur Rettung gegeben fei, zu tors 
pedieren. Die Frage des Schadenserfages für „Luſitania““ follte einem 
Schiedsgericht unterbreitet werden. Wir müßten ferner die Vereinigs 
ten Staaten bitten, England zu veranlafjen, fich auf den Boden der 
Londoner Deklaration zu ftellen. Sch wies barauf hin, daß der Kanye 
ter die Bedeutung der Londoner Deklaration offenbar überfchägte und 
daß ferner ein Schiedsgericht über den Luſitania-Fall mit aller Sicher: 
heit zu unferen Ungunften ausfallen würde, da internationale Feſt⸗ 
ſetzungen über UÜboote noch nicht beſtänden. 

Bei der Beſprechung wurde Feine Einigung erzielt, und fo folgte 
alsbald beim Kaifer der Vortrag, der durch die im geöffneten 
Nebenzimmer wartende Frühftücdstafel abgefürzt war. Sch hob her 
vor, daß wir unter allen Umftänden doch eine Meldung des Uboote- 
fommandanten über die Verſenkung des „Arabic“ abwarten müßten, 
ehe Entfcheidungen getroffen würden Wenn Mißhelligkeiten mit 
Amerika zurzeit durchaus vermieden werden müßten, fo Fönnten wir 
die Uboote für einen gewiſſen Zeitraum aus den englifchen Gemäffern 
überhaupt zurüdziehen und nad; dem Mittelmeer fchiden, mie ic} 
das dem Reichskanzler gegenüber {chen in einer Befprechung vom 
7. Auguft erwähnt hatte. Gm übrigen ließe ſich meines Erachtens 
eine ausreichende Note für Amerika entwerfen, welche doch den Grund» 
ſatz des Lbootsfrieges nicht aufgäbe. Bachmann, der über die Stine 
mung in Amerika günftige Nachrichten hatte, wies in dem gemein- 
ſchaftlichem Vortrage vor dem Kaifer darauf hin, daß eine öffentliche 
Erklärung, mie fie der Neichstanzler haben wollte, nicht nötig fet, 
da eine Anmeifung der Uboote, Pafjagierdampfer zu fchonen, tatſächlich 
bereits feit Anfang Juni beftände und nur geheimgehalten worden fei, 
da fie nicht im Einklang mit den Erflärungen in unferen Antwortnoten 
an Amerika ftände Gäbe man jebt diefe Erklärung öffentlich, ſo 
erklärte man damit die feindliche Behauptung der Unzuläffigkeit des 


358 Der Unterfecheots: Krieg 


Uübootskrieges Für zutreffend Man brauchte, wenn überhaupt etwas 
gefagt werden müßte, mir zu erflären, daß für Die nötige Sicherung 
der Paſſagierdampfer im Ubootskriege geforgt würde, bag ‚Wie‘ 
waäre unſere Sache, Ein voreiliges Aufgeben des Ubootskrieges — 
und darauf lefe die vom Kanzler gewünſchte Erklärung hinaus — 
müßte als ein Zeichen ber Schwäche aufgefaßt werben und könnte 
me ungünſtig auf die Stimmung im Reiche und bei den Neutrale 
wirken. Trotz Widerſpruch des Neichskanzlere und bed Vertreters 
. 33 Auswärtigen Amts, v. Zreutler, entſchied der Kaiſer im Sinne 
des Vorſchlages der Miarinevertreter, wonach die Depefche an den 
Botſchafter in Waſhington nicht abgeben follte Er befahl, daß zus 
nächſt vom Reichskanzler, ben Chef des Admiralſtabes und mir eine 
nötigenfalls an die Vereinigten Staaten abzugebende Erklärung 
eorbereitet und Ihm vorgelegt werden follte. 

Am nächſten Tage, 27. Auguſt, führte der Reichskanzler trotz dieſer 
Maren Entſcheidung einen neuen Entſchluß des Katfers in feinem 
Sinne berbei, ohne mi und den Chef des Admiralſtabes irgendwie 
heranzuziehen. Diefe letzte Entjcheibung wurde ung am Nachmittag 
besielben Tages mündlich Buch ben Gefendten v. Treutler mitgeteilt 
mit dem Hinzufügen, daß eine entiprechende Desefche an ben Bor 
ichafter in Waſhington Schon abgegangen fer. Um dieſe Entfcheidung 
zu befördern, wor angeblich gerade im rechten Augenblick auch noch 
eine Depefche des Papſtes eingetroffen, die uns in biefer Richtung 
drängte. „Jetzt Freien fie ung aus der Hand‘, erklärte Gerard am 
27. Auguſt; er ſchätzte offenbar unfere Diplomaten gering ein und 
wußte, daß Amerika mit ihnen alles machen könnte. Zu Amerikanern 
hatte er, nach Mitteilung eines Amerifaners, ſchon am 24. Auguſt auf 
Grund eines Unerbietens v. Jagews gejagt: „Amerika wird es gui 
safnehmen; ich bin nur neugierig, wie es Deutschland aufnehmen wird 
Seht muß entweder Tirpitz ben Abſchied nehmen oder Jagow.“ Bereits 
am 27. Auguſt erichienen in englifchen und amerikanischen Zeitungen 
Achkel in dem Sinne „Tirpitz exit“. Dieie Nachrichten waren alio 
son ber Deutschen Zenſur, mit anccren. Morten vom Auswärtigen Ami 
durchgelaſſen werden, noch ehe die Eatjerliche Entſcheidung vorlag. Damit 
war ber Ubootskrieg zunächſt erledigt, ein ſchallendes Triumphgeſchrei 
Amerikas und unſerer Feinde die Folge. Deutſchland hatte in ungewöhn⸗ 
lichem Maß an Preſtige eingebüßt. Die neutrale Wet war erfüllt 





Tirpitz exit, Mein Ubjchiedsgefuch 359 


von dem Zurückweichen Deutfchlands, während bie Stellung Wiljong 
überall und namentlich in Amerifa in die Höhe ſchnellte. 

Auf Grund dieſes Überrumplungsverfahrens des Neichskanzlers habe 
ih am 27. Auguft Seine Majeſtät um Ablöfung von meinem Poften 
als Staatsſekretär gebeten, wobei ich mich zu jeder anderen Ver: 
wendung als Soldat zur Verfügung fiellte Am 30. Auguft murde 
mein Geſuch abichlägig beſchieden. „Undererfeits”, jo hieß es in der 
Kabinettsorder, „iſt Mir bei diefen wie bei vielen vorangegangenen 
Fällen die Überzeugung geworden, DaB ein Zufammenarbeiten des 
Reichskanzlers mit Ihnen in den Marinefragen, welche das Gebiet: 
der Auswärtigen Politik berühren — und das find fo ziemlich alle 
Fragen der Seektiegsführung — ausgefchloffen iſt“. Auf meine regel 
mäßige berotende Mitwirkung auf diefem Gebiet müßte daher ver- 
zichtet werden. „Sie von ber Stellung als Staatsjefretär des Reiche: 
marineamts zu entbinden, lehne ic aber auf das allerbeftimmiefte 
ob, Sie können nicht im Zweifel darüber fern, daß ein Wechſel 
in biefer Stellung während des Krieges — ganz befonders bei den 
augenblieklichen Perfonalverhältniffen im Neichsmarineamt — nicht 
mr empfindliche Nachteile für das Arbeiten der ganzen Marine 
haben muß, jondern daß das Ausscheiden Ihrer Perfon aus dem Amte 
im gegenwärtigen Augenblick die bedenklichften Folgen im Sn= und 
Huslande zeitigen würde, die zu vermeiden Meine wie Shre heilige 
Pflicht iſt. Zudem kann ich einem Offizier im Kriege nicht geftatten, 
auf Grund von Meinungsverfchiedenheiten bezüglich der Verwendung 
der Seeſtreitkräfte, über die Ich als oberjter Kriegsherr in letter 
Linie und mit vollem Bewußtſein meiner Verantwortung entfcheide, 
feinen Abſchied zu erbitien.” 

Nachdem ich erlärt hatte, daß der Inhalt diefer Kabinettgorder 
mein Verbleiben im Amt unmöglich machte, wurde mir vom Kaifer 
eine Eurze Privataudienz bewilligt und zugleich eine Remedurorder 
zugefichert. Sch erhielt alſo am 19. September 1915 die Fatferliche 
Zufage, daB es durchaus in der Abſicht des Kaifers läge, meine „Anz 
fichten über affe wichtigen marinepolitifchen Fragen einzuholen‘. Darauf- 
Hin habe ich mich emtichloffen, nicht auf meiner Enthebung zu be 
ſtehen. Eine große Zahl von Politikern und ſehr hohe Perfonen hatten 
mich in ber gleichen Nichtung beftürmt. 

Admiral Bachmann jedoch, der gegen die Mberrumpelung des Kaifers 


360 Der Unterfeeboots:Krieg 


durch den Reichskanzler proteftiert hatte, wurde abgelöft und durch 
Admiral z. D. von Holtendorff erfegt. Admiral von Holgendorff 
war nach dem Kaifermanöver von 1912 in den Ruheſtand getreten. 
Er hatte fich vor feiner Ernennung bei mehrfachen Gelegenheiten für 
den Standpunkt des Herrn von Bethmann ausgefprochen. Er erhielt 
die Anweiſung, feinen Aufenthalt regelmäßig nicht im Hauptquartier, 
fondern in Berlin zu nehmen, wie fich dasjelbe in jener Zeit auch für 
mich aus den Verhältnijfen ergab. 


4 


Es wird von Wert fein, zu fehen, wie fich der Ubootsfrieg vom 
Standpunkt der Flottenleitung entwidelte, welche, abgejehen von dem 
Mittelmeer, von Flandern und von der Oftfee, mit feiner Führung 
berraut war. Der damalige Chef des Stabes beim Flottenftommando 
Sat mir hierüber folgende tabellarifche Mitteilungen gemacht, 


4. II. 15. Erflärung bes Kriegsgebiets. 

14. II. 15. Erſuchen aus zwingenden politifhen Gründen, den entfanbten 
Ubooten funfentelegraphifchen Befehl zu geben, verläufig Schiffe mit 
neutralen Flaggen nicht anzugreifen. (Befehl war nad damaligem 
Stand der Uboots-Funfentelegraphie nicht ausführbar, da Boote ſchon 
weit weg waren. Im übrigen fuhr damals jedes Schiff unter neutraler 
Slagge.) 

15. II. 15. Befehl aus dem Hauptquartier, Us und Hanbelskrieg gegen Neu⸗ 
trale nicht 18. Februar, fondern erft auf befonderen Ausführungs- 
befehl beginnen. Infolge diefes Befehls mußten die Boote der nächften 
Ablöfung zurücgehalten werden, aljo eine Paufe eintreten, 

18. II. 15. Für die dänifche und fchwedifche Schiffahrt wird ein Streifen 
zwifchen Lindesnäs und Tyne freigegeben, in dem nicht verfeucht und 
verſenkt werden darf. 

20. II. 15. Ausführungsbefehl für Nordſee und engliihen Kanal. Ameris 
kaniſche und italienische Flagge foll auch in diefen Gebieten geſchont 
werden. Ein freier, geſicherter Streifen für die Skandinavier nad 
England wird vorgefehen, 

22. I. 15. Ausführungsbefehl für Weftküfte. Worficht gegen amerikanifche 
und italienifche Flagge befonders empfohlen. 

7. III. 15. Der freie Streifen für Skandinavier wird aufgehoben, berfelbe 
foll aber nicht durch Minen verfeucht werden; er bleibt fahlih alſo 
faft ungefährbet. 








Das Hin und Her 36} 


30. III. 15. Der freie Streifen wird ganz aufgehoben, 

2. IV. 15. Nach Verluft einiger Uboote durch Ubootsfallen: Sicherheit ber 
Fahrt ber eigenen Boote geht allen anderen Rüdfichten voran. Auf: 
tauchen ber Boote nicht mehr erforberlid. 

18. IV. 15. Neue Warnung zur Schonung der Neutralen. 

24. IV. 15. Desgleichen. 

7. V. 15. „Luſitania“⸗Fall. In der Flotte als großer Erfolg angejehen. 
Englifcher, alfo feindliher Dampfer, bem feine der bisherigen Eins 
ſchränkungen zuftand, außerdem armiert. Kommandant ins Haupts 
quartier gerufen, vom Kabinettschef fehr ungnäbig behandelt. 

&. VI. 15. Befehl, Feine großen Paffagierbampfer anzugreifen, auch nicht 
feindliche. 

26. VL 15. Flottenchef fchreibt an Abmiralftab: 

„Meiner Anſicht nad, die von ber ganzen Flotte geteilt wird, 

bürfen wir im Ubootskrieg Feine Nachgiebigfeit zeigen. Gründe: 

1. Jedes Surüdweihen von ber Sriegsgebietserflärung muß alt 
politifche Niederlage angelehen merden. 

2. Abſicht der Kriegsgebietserflärung war, Englands Import unb 
Erport zu treffen, nicht Vernichtung beftimmter Schiffe. Scho⸗ 
nung und Entihädigung ber Neutralen für Berfenktungen zieht 
Handel unter neutraler Flagge nach England geradezu groß. 

3. Nachgeben gibt der feindlichen Behauptung Nahrung, daß die ber 
abjichtigte Kriegsführung barbariſch wäre. 

4. Nur energifche Durhführung bes Ubootsfrieges verwandelt Bor: 
züge der infularen Lage Englands ins Gegenteil. Auch für Deutfch> 
lands fünftige Entwidlung von umgeheurer Bedeuting. Zurüds 
weichen gibt die Wirkung der Umaffe gegen England aus ber 
Hand.” 

Flottenchef bittet, feine Gründe perſönlich gegenüber der politifchen 
Zeitung vertreten zu dürfen, da er Verantwortung für bie Führung 
bes Ukrieges von vornherein übernommen. Die perfönlihe Vertretung, 
des Flottenchefs wird abgelehnt, dafür der Führer der Uboote und 
ein Ubootsfommandant zur Ausfunfterteilung zum Keichskanzler bes 
fohlen. 

19. VII. 15. „Arabic“-Fall. Graf Bernftorff erklärt in Amerifa, Kom⸗ 
mandant würde beftraft. (1lbootsfommandanten werden erneut auf Inne— 
haltung der befohlenen Beſchränkungen hingemiefen.) 

27. VIII 15. Befehl, bis Lage Flargeftellt, feine weiteren Uboote zum Hans 
delskrieg auszufenden. 


362 Der Unterſeeboots⸗Krieg 


29. VII. 15. Befehl, bis auf weiteres audy feine Heinen Paffagierbampfer 
ohne Warnung und Nettung der Bejagung zu verfenken. 

1, IX. 15. Flottenchef telegraphiert an Kabinettschef für ben Kaiſer, daß 
diefer Vefch! nur mit äußerfier Gefährdung der Uboote durchzuführen fet, 
die er nicht vertreten könne; ftellt daher feine Stellung zur Verfügung. 
Antwort vom Kabinetischef, nad; der Seine Majeftät fih Einſprüche 
bes Flottenchefs gegen Allerhöchften Befehl verbitten müßte. 

18. 1X. 15. Gefamtlage erfordert, daß für nächſte Wochen jede Mögliche 
keit für Verſtöße gegen bie Ausführungsvorfäriften des Abootskrieges 
vermieden würden. Daher Befehl, jede Art UÜbootskrieg an MWeilr 
küſte und Kanal einzuftellen, in der Mordfee nur Ubootskrieg nad 
Prifenordaung zu führen. Praktiſch gänzliches Aufhören jeder Uboots— 
verwendung. 

Ep meit die Eindrüde von der Flotte aus. Ordre, Kontreordre, 
Desordre! 

Wenn man dieſe Befehle und Gegenbefehle muſtert, die zum Teil 
unausführbar waren, und ferner den Umſtand bedenkt, daß ſie erſt 
durch die verſchiedenen Kommandos an bie einzelnen Ubootskomman— 
danten gelangten, fo wird man verjtehen Eönnen, welche Verwirrung 
and Erbitterung ſich bei diefen herausbilden mußte durch das uns 
aufhörliche und fich oft widerſprechende Eingreifen ber politifchen Leis 
tung und des Kabinetts. Eigene Tatkraft, Auffalfung der Kameraden 
und wohl auch diejenige der unmittelbaren Vorgeſetzten drängten zur 
Leiſtung. Beſtrafung und Siriegsgericht drohten den tapferen Ubootd- 
lommandanten, wenn fie bie unklaren Befehle mißverſtanden oder 
irgendwelche politifchen Schwierigkeiten fich zeigten, 

Mie anders hat England in Ähnlichen Fragen der Seemacht ve 
fahren! Seit Jahrhunderten gilt dert der Grundfab, daß alle Hands 
lungen ber britifchen Seeoffiziere nach außen gedeckt wurden, wenn 
fie nur energifch waren. 


5 
Sm Dezember 1915 wurde zivar bie öſterreichiſche Regierung, 
die im „Ancona“⸗Fall einen bemerfendwerien und twohlbegründeten 
Üchtungserfolg über Wilfon davongerragen hatte, durch das deutſche 
Auswärtige Ami zum Pater peccavi veranlaßt, Ungefähr gleichzeitig 
aber wer in ber Huffaffung ber bdeutfchen Heeresleitung bezüglid) 
des Ubootskrieges eine Änderung eingetreten. Die Armeefronten waren 








Erwagungen um die Jahreswende 1915/16 353 


erftarrt und eine Entfcheibung bes Krieges immer ſchwieriger geworden, 
Wohl unter diefem Eindruf fanden auf Erjuchen der Heeresleitung 
am 30, Dezember 1915 und am 5. Sanur 1916 Sitzungen über 
ben Ubootskrieg im Kriegsminiſterium flott. General v. Falkenhayn 
teilte mit, daß, nachdem Bulgarien jeßt auf unſere Seite getreten 
wäre, er ben unbeſchränkten Ubootskrieg annehmen mollte, wenn Die 
Marine Erfolg gewährleifte. Falkenhayn hatte — nach feiner An—⸗ 
gabe — im Herbit 1915 ben Reichskanzler in der Belämpfung bet 
Ubootskrieges umterftüßt, weil er auf Grund der Angaben des Aus: 
wärtinen Amts gefürchtet hatte, daß Bulgarien fich dadurch abhalten 
daſſen könnte, ung beizutreten, Deitteilungen von Enver, Außerungen 
son Radoslawow und som Botſchafter v. Wangenheim beitreiten 
übrigend Diefe Annahme aufs entfchiedenftet). 

Bet der Sitzung im Kriegsminiſterium führte ich Die Mögfichlei 
und Ausführbarkeit des Ubvotskrieges aus. Ich empfahl anfiatt der 
früheren Kriegsgebietserklärung eine Art Sperrung des Handels 
verkehrs mit England, Admiral v. Holtendorff bezeichnete die Er: 
Öffnung des UÜbootskrieges als eine Erlöfung für die Marine, empfahl 
ober, ihn erſt am 1. März zu begimmen, Über den Entfchluß zum 
Übootskrieg und den Anfangstermin murde zwischen Falkenhayn, 
Holgendorff, dem Kriegsminiſter Wild v. Hohenborn und mir söllie 
Einigung erzielt. 

Die mündliche Stellungnahme Holtendorffs für die Verwendung 
des Wbootsfrieges wurde beitätigt Durch eine Denkſchrift des Admiral 
ſtabs vom 7. Januar. Wenn wir die Einſchränkung beim Uboote 
krieg fallen ließen, ſo hieß es da, könnte auf Grund der früheren 
Erfahrungen in ſichere Ausſicht geſtellt werden, daß ber engliſche 
Widerſtand in längſtens einem halben Jahre gebrochen wurde. Die 
amerikaniſche Gefahr wurde anerfarmt, aber ausgeführt, daß, wenn 
nit bis Herbſt 1916 eime für Deutfchland günftige Entjcheidung 
erziwungen merbe, dann bie Hoffnung auf einen Friedensichluf 
ſchwinde, der Deutichland Für Die nächlten Sahrzehnte ein aelicher: 
red, wirtſchaftlich entwicklungsfähiges Dajein bringen Fönnte Fine 
weitere Denkſchrift des Admirolſtabs ähnlichen Inhalts vom 12. Fer 


2) Eine holländiſche Dreffemeldung aus ber zweiten Hälfte Yuauft 1915 Beingte, 
daß Bulgarien gezögert hätte, das Bündnis mit uns zu fchließen, als es ſah, wie 
witz nach Dem Arahie-Falle nor Amerika und England Kotau machten. 


364 Der Unterjeebootd: Krieg 


bruar 1916 ging an eine größere Zahl wirtfchaftlicher Sachverftändiger, 
die ſich fämtlich zuftimmend äußerten und im Mllgemeinen in der 
jofortigen Aufnahme des unbefchränften Ubsotskrieges die einzige 
und letzte Chance für Deutfchland erblickten. 

Meinerfeits wurde im Februar 1916 eine Denkfchrift über die 
Notwendigkeit und Ausführbarkeit des Ubootskrieges an den Chef des 
Generalftabes überfandt!). Über Diele Denkfchrift ſowie über bie ganze 
Uboorsfrage hatte Kapitän Widermann in meinem Yuftrage mit Ges 
neral v. Falkenhayn am 11. und 12. Februar eine eingehende Unter» 
vedung im Hauptquartier. Falkenhayn fagte etwa: „Wir find alle 
darüber einig, daß England bis zur Entfcheidung Kämpfen will. Die 
Entjcheidung liegt im Beſitz Belgiens. Geben wir Belgien heraus, 
jo find wir verloren. Sch habe mich für den UÜbootskrieg entfchieden 
und rechne beſtimmt auf feine Ausführung. Sch werde mich voll 
für ihn einfegen und ihn durchſetzen.“ 

In ſchroffem Gegenfag zu der Anſchauung bed Kanzlers war 
ich mir fchon damals darüber Far, daß eine weitere Verzögerung, 
des Ubootskrieges die höchfte Gefahr mit ſich brächte, und habe die 
erwähnte Denkichrift mit folgenden Sägen gefchloffen, die fich zum 
Unglück Deutfchlands fpäter als richtig erwiefen haben: „Unbedingt 
notwendig ift die alsbaldige und rückſichtsloſe Einfegung der Uboots⸗ 
waffe. Ein längeres Hinausfchieben des ungehemmten Ubootskrieges 
würde England Zeit zu weiteren militärifchen und mirtjchaftlichen 
Abwehrmaßregeln laſſen, würde unfere Verluſte fpäter nur er— 
böhen und den baldigen Erfolg in Frage ftellen. Je eher die Uboots— 
waffe eingeſetzt wird, defto eher wird der Erfolg eintreten, defto rafcher 
und energifcher wird Englands Hoffnung, uns durch einen Erfchöpfungss 
krieg niederzuringen, vereitelt werden. Mit England ift aber auch 
der Koalition unferer Gegner das Rückgrat gebrochen.‘ 

Eine große Zahl von Korporationen und Perfönlichkeiten war it 
biefer Zeit an den Reichsfanzler zwecks Befürwortung des Uboots⸗ 
Erieged berangetreten. Unter diefen möchte ich ein Schreiben Hugo 
Stinnes’ an den Kanzler anführen, das nach eingehender Information 
in Schweden zu faft gleicher Zahlenrechnung Eommt, wie meine Denk 
Ichrift. Diefe Eingaben von Politikern und anderen Perjönlichkeiten 


*) Eine ähnliche Denkſchrift war vorher an den Reichskanzler gegangen. 


Mein Rücktritt 365 


in beachtenswerten Stellungen waren in Feiner Weiſe von mir vers 
anlaßt worden. 

Am 23. Februar hatte ich in Wilhelmshaven zufällig Gelegenheit, 
dem Kaifer zu fagen, wie ich mit Freuden vernommen hätte, daß ein 
ernftlicher Krieg gegen den englifchen Frachtraum in Ausjicht genommen 
würde. Die Frachtraumfrage wäre zur Entfcheidungsftage des ganzen 
‚Krieges geworden, und eg dürfte nicht gezögert werden. Es handelte 
fich für das Deutfhtum um einen Dafeinsfampf. Die Pleinen neu= 
tralen Staaten ergäben Eeine mwejentliche Gefahr. Der Kaiſer müßte 
zu einem Entjchluß kommen. 

Der entjcheidende Vortrag beim Kaifer fand am 6. März 191% 
flott, und zwar, troß der obenerwähnten Nemedurorder, ohne meine 
Hinzuziehung. Sch habe, alge ich nichtamtlih Nachricht von einer 
bevorſtehenden Sitzung erhielt, bei Admiral v. Müller anfragen laffen, 
ob der Kaifer mich zu den Befprechungen erwartete. Admiral v. Müller 
gab hierauf die Antwort: ‚Nein, Seine Majeftät hat die Anweſen— 
heit des Herrn Staatsſekretärs nicht befohlen.” Der KReichskanzler, 
Falkenhayn, Holgendorff waren anweſend. Der Ubootskrieg murde 
gegen Falkenhayns Votum auf unbejtimmte Zeit vertagt. Am 8. März 
habe ich mich erfranft gemeldet und erhielt mit mwendender Poft 
telegraphifch angekündigt die Aufforderung, meinen Abſchied einzu- 
zeichen. Ich fandte darauf folgendes Gefuch ab: 


Berlin, den 12. März 1916. 


„Euerer Maieftät habe ich mit vollen Kräften gedient, um das 
Lebenswerk Euerer Majeftät zu fördern, dem deutfchen Volk den 
Weg über die See und in die Welt zu meifen. 

Sn dem Entjcheidungsfampf gegen die Feinde, die uns dieſen 
Meg ber nationalen Entwicklung mit dem Schwert vertreten tollen, 
Haben Euere Majeftät meinem Kate nicht folgen Fünnen. 

Den Einfluß, den Euere Majeftät mir miederbolt allergnädigft 
zugelichert hatten, habe ich bei den legten großen Entſcheidungen über 
die Amvendung unferer Seemacht nicht mehr ausüben können. 

Mein Amt, Euerer Majeität Regierung vor dem Bol? in der 
Fragen der Seegeltung zu vertreten, vermag ich nicht mehr pflicht 
mäßig zu verjehen. Die ſchwere Sorge, das Lebenswerk Euerer Majeität 
und die nationale Zukunft Deutfchlands auf dem betretenen Wege 


366 Der Unterfeeboots: Krieg 


sufammenbrechen zu ſehen, macht es mir Elar, daß meine Dienſte 
Fuerer Maieftät Regierung micht mehr von Nutzen fein Eonnten. 

Meine frühere Bitte, mid; von meinen Pflichten zu entheben, haben 
Euere Majeſtät nicht zu genehmigen geruht. 

Die Zermürbung meiner ſeeliſchen Kräfte durch bie in letzter 
Zeit gejleigerten inneren Kämpfe, unter denen ich geſtanden hate, 
machte e8 für mich jedoch unabweislich, Euerer Majeftät zu melden, 
daß ich die Geſchäfte bes Staatsſekretärs des Reichemarineanits nicht 
ehe zu führen vermag. 

Nach Euerer Majeſtät allergnädigſten Entſchließung darf ih mu 
mehr alleruntertänigit bitten, mir den Abſchieb aus meinem Ya 
„is Staatsſekretär in Gnaden zu bewilligen.“ 

L 


Am 17. März erhielt ich den Abſchied. Admiral v. Eapelle wurde 
mein Nachfolger. Er wer im Sommer 1915 entſchiedener Anhänger 
des Ubootskrieges. Vor Übernahme feines Amtes hatte er fich jept 
sber verpflichten müſſen, in allen maritim-politiſchen Fragen fich dem 
Reichskanzler anzujchließen. Dazu wurde der UÜbootskrieg gerechnet. 

Meine Stellung beim Katjer und Kanzler war im März 1916 
in verbraucht, daß ich damit rechnen mußte, nächfiend durch irgend 
eine beliebige Weranlaffung zum Gehen gezwungen zu werden, 
Schwere Kränkungen hatte ich ſchon vorher über mich ergehen laſſen 
mäüffen Ich erbat den Abſchied, nachdem meine nächiten Berater 
zur Überzeugung gelommen waren, er wäre jeßt nicht mehr aufs 
jujchieben, da meine Ausfchaltung entgegen allen Zuficherungen mir 
die Möglichkeit eriprießlichen Wirkens endgültig abfchnitte. Ebenſo 
hatte ich aus der Umgebung bed Kaiſers gehört, daß mein Vers 
hältnis zu ihm als unmiederherfiellbar betrachtet würde. Ich ſah 
uns zum Abgrund rollen und konnte die Vertretung vor dem Reiches 
tag und die Verantwortung vor der Nation für das Wagnis einer 
weiter hinzögernden Kriegsführung nicht mehr tragen. Trotzdem nahm 
ich meinen Rücktritt nicht leicht, da ich die Gewißheit befaß, daß 
er die Siegeszuverficht der Feinde beleben würde, Sch Hatte dem 
Koifer angeboten, meinen Abgang durch Krankheitsgründe unauffälfiger 
zu geftalten; doch wurde diefe Handhabe nicht ergriffen, und ich 
konnte den Eindruck des Ereigniffes nur dadurch müdern, daß ich 


Der Suſſex jall 367 


bie mie von weiteſten Kreiſen zugedachten Ehrungen ohne Rückſicht 
auf bie Gefühle der Demonftranten im Einvernehmen mit bem Ober 
Eommando der Marken unterbrüdte, 

Hätte ich sorausgefehen, daß die Schlacht am Skagerrak meine 
Stellung wieder flärfen und daß Hindenburg und Ludendorff an die 
Spige kommen jollten, fo würde ich wohl allen Demütigungen zum 
Aroß verſucht haben, suszuharren; und dann würde bei Bethmanns 
im Herbft 1916 jo erſchütterter Stellung möglicherweiſe die Polen 
proflamation unterblieben, ber Friede mit bem Zaren EFräftiger am 
gejtrebt und der Ubsotsfrieg noch rechtzeitig begonnen mworben ſein 
Aber wer will der Torfehung in die Karten bliden? 


6 

Am 24. Mär; 1916 wurde der franzöfische Dampfer „Sufjier” 
torpediert. Auf eine entiprechende Anfrege der Vereinigten Staaten 
wurde vom Admiralſtab am 10. April vor Eintreffen der Meldung 
des betreffenden Ubootskommandanten geantsvortet, daß die deutſche 
Megierung annehmen müßte, bad die Beſchädigung des „Suſſex“ 
auf eine andere lirfache als den Angriff eines deutſchen Ubootes zurück⸗ 
zuführen fe, Nachher traf aber bie Meldung ein, dag die „Sufjer“ 
doch von einem unferer Uboote torpediert worben war. Der Dampfer 
war nach Meldung des bejonders erfahrenen und umfichtigen Uboots⸗ 
fommandanten wie ein Kriegsſchiff geftrichen, und auf feinem De 
befand fich eine große Anzahl englifcher Truppen in Unifsem, Der 
Kommandant des Ubootes glaubte daher auch formell im Recht zu fein, 

Huf unfere Note vom 10. April, deren tatfächliche Unrichtigkeit 
von Amerika nachgewiefen wurde, erfolgte die bekannte amerifantiche 
Miederborungsnote vom 20. April, die ein unverzügliches Aufgeben 
der bisherigen deutſchen Methode bes Übootskrieges verlangte und 
mit Abbruch der Beziehungen zur deutſchen Regierung drohte. Nach 
Bebanntiverden dieſer Note habe ich am 24. April noch einmal 
eine Denkichrift an den Kaifer geſchickt mit der dringenden Bitte, 
Wilſon nicht nachzugeben. Eine Antwort auf diefe Denkſchrift iſt 
mir nicht zuteil geworden; dagegen hat Die Regierung am 4. Mai eine 
Note an Amerika gerichtet, welche den amerikanifchen Forderungen wich, 
aber die amerifanifche Regierung aufforderte, bei der großbritanniſchen 
Regierung diejenigen völkerrechtlichen Normen durchzufegen, die vor 


368 Der Unterfeeboots:Krieg 


dem Kriege anerkannt waren. Falls diefe Schritte der Vereinigten 
Staaten nicht zum Erfolg führten, würde fich die deutfche Regierung 
einer neuen Sachlage gegenüberfehen, für die fie ſich volle Freiheit 
der Entjchliegung vorbehalten müßte. 

Milfon hatte die Beitrafung des Ubootsfommandanten verlangt, 
welcher die „Suſſex“ torpediert hatte. Der Kommandierende Admiral 
bes Marinekorps in Flandern ließ keine Beftrafung eintreten, da der 
Ubootsfommandant im Recht gemwefen märe; daraufhin wurde ber 
Kommandant vom Kaifer felbft beftraft. Der ſchwache Reſt von 
Unterfeebotskrieg, ben wir noch gehabt hatten, erlofch praktiſch, aus 
genommen im Mittelmeer. 

Bezeichnend für die Kräfte, welche gegen den Ubootskrieg arbeiteten, 
iſt die Mitteilung eines Augenzeugen über die Vorgänge, welche fich 
nach Eingang meiner obenerwähnten Denfichrift im Hauptquartier 
abfpielten. Sie fei den Ubootsgegnern fehr unerwünfcht gekommen, 
der Kaifer habe aber von ihr einen nachhaltigen Eindruck erhalten, 
wohl weil ihr Inhalt ihn in der eigenen Beurteilung beftärkte, fo 
Daß er fich entjchloffen habe, die Note Wilfons abzulehnen und den 
Ubootsfrieg nunmehr ohne Einfchräntung zu führen. Diefen Entfchluß 
habe der Kaifer dem Kanzler und der Heeresleitung mitgeteilt. Eins 
wände des erfteren blieben zuerit ohne Erfolg. Der Kaifer fei aber 
nachher von dem Kabinettschef v. Müller jtarf bedrängt worden, dem 
Kanzler nachzugeben, was fchlieglich auch geſchah. Bei diefem Vorgang 
habe der Umſtand eine Rolle gefpielt, daß der Chef des Admiralſtabes 
im Gegenfaß zu feinen früheren Denfichriften dem Kabinettschef gegen: 
über fich zu dem Standpunkt des Kanzlers befehrt hätte. Bei diefem 
legten Entfchluß des Kaifers fcheint die Heeresleitung nicht mehr gehört 
zu fein. Sedenfalls reichte der General v. Falkenhayn umgehend feinen 
Abfchied ein, der aber nicht bemilligt wurde. 

Die Suffer-Note war ein entjcheidender Wendepunkt des Kriegs, 
der Beginn unjerer Kapitulation. Alle Welt fah, daß wir vor Amerika 
niederbrachen. Seit diefer Entfcheidung ging eg mit uns rückwärts. 
Die fittliche Entrüftung über den Ubootsfrieg in England und in 
Amerifa war anfangs nur ein Bluff gemwefen, um uns abzufchreden. 
Allmählich war es mehr geworden. Diejerigen in Deutfchland, die 
ein feines Gefühl hatten für die ideale und im Grund doc, höchſt 
veale Macht des Preftiges, wurden durch die Annahme der Nieder: 


Ein Wendepuntt bes Kriegt 286 
Sorungsncte Wilſons tief erfchütter England wurde buch die Enb 
scheidungen vom März und Mei 1916 von ber ftärfiten materiellen 
Lebensgefahr befreit, welche e8 je im Lauf feiner Gefchichte bedroht 
hatte. Indem das deutfche Volk das Gnadengefchen? des Uboots⸗ 
Eriegs, das ihm als legte Chance in den Schoß gefallen war, vers 
ſchmähte, entichied e8 nicht nur feinen eigenen Austritt aus der Reihe 
der Meltoölker, fondern verftärkte auch den Willen Englands, nuns 
mehr durchzuhalten bis zur völligen Vernichtung des deutſchen Volkes, 
Der Ubootskrieg, im Frühjahr 1916 fchranfenlos aufgenommen, 
enthielt unfichere Faktoren wie jede ftrategifchepolitifchewirtfchaftliche 
Berechnung. Uber es läßt ſich heute gewiſſer ale je fagen, daß er 
die Engländer zu einer verföhnlichen Stimmung gebracht hätte, bie 
ſich zwar wohl nie fo kläglich und unverftändig geäußert hätte, wie 
bie Sriedensrefolution unferer Reichstagsdemokratie von 1917 — bazu 
ind die Engländer ein zu politifches Volk —, aber materiell für 
ung zu einem annehmbsren Friedensſchluß ausgereicht hätte, Sm Früh⸗ 
jahr 1916 war freilich Fein Monat mehr zu verlieren, — nicht nur 
wegen bes Wachstums der feindlichen Aewehrmaßnehmen, fordern 
ach wegen des Rückgangs unferer eigenen Widerſtandskraft. Wenn 
denn nach Tängftens einjährigem Frachtraumkrieg in England die Not 
gefühlt worden wäre, würden bie Moral unferes eigenen Volkes und 
feine Kraftreferven noch fo bach geltenden haben, daß mir die Wirkung 
abwarten konnten. Für die burchichlagende Kraft eines damals unter: 
zommenen UÜbootstriegs und für die Lebensgefahr, die damit über 
England ſchwebte, kann Ich jet eine lange Neihe englifcher Bekennt⸗ 
niffe anführen, welche unjere Demokratie und andere Sintereffenten 
vergeblich in Vergeſſenheit ſinken laſſen möchten Noch 1917, ein 
Sahe zu ſpät, waren wir dicht sor dem Ziel, fo daß man erfennen 
konnte, daß der Ubootsfrieg, auch nur ein halbes Jahr früher be 
gonnen, noch durchgeſchlagen heben würde, 
So ſchreibt z. B. der „Economiſt“ vom 7. September 1918: 


„Wenn auch wenige damals bie drohende Gefahr erkannten, find wir 
dem Verluſt des Krieges ſehr nahe gekommen, weil wir vergaßen, daß eine 
Kampfbeherrſchung der Meere ohne Wert iſt, wenn man nicht die Mittel 
beſitzt, die beherrſchten Meere zu nugen ... Einmal während ber letzten 
vier Jahre kamen bie Deutſchen dem Gewinn bes Krieges meßbar nahe, 
Das mar nicht im Frühjahr 1913, als die Armeen Englands und Franke 


Tiesia, Griassrungen 24 


=, 


370 Der Iinterjeebonts:Krieg 


reichs unter den deutſchen Sturmangriffen mwanlten. Es war im Srühs 
jahr 1917, als die Ausfigten zu Lande günftig erſchlenen. Die Deutjchen, 
an der Somme gefchlagen, waren auf die Hindenburglinie zurüdgegangen 
und hatten im Weften die Verteidigung aufgenommen. Rußland war noch 
ein Sektor im Kriege. Und doch war bies Frühjahr. von 1917 tatſächlich 
de kritiſchſte amd tödlichſte Seit, die wir feit Kriegsbeginn burchlebt haben. 
Kurze Seit ſchien es, als ob die Flotte verfagt hätte, und unfere Ders 
bindungen, von benen alles abhing, durchbrochen werden follten. Wenn 
bie Verlufte Englands und des Verbandes an Handelsfchiffen in dem Maps 
ftabe des April, Mai und Juni 1917 angebauert hätten, fo hätten bie 
Deutſchen ben Krieg gewonnen, bevor das Jahr zu Ende gemwefen wäre. 
Aber die Flotte „.. wurde ber Ubootsgefahr Here und verringerte beren 
irkſamkeit ſehr.“ 


Die „Morning Poſt“ vom 3. Oktober 1918 ſchreibt: 


„Hätte Deutſchland eine Woche vor Ausbruch bes Krieges feine große 
Streitmaht von Kreuzern auf die fernen Seeſtraßen verteilt, fo würde es 
vielleicht Werderben über uns gebracht, ficherlih uns fehr ſchwere Ber« 
Iufte zugefügt haben. Dann verzögerte bie deutſche GSeefriegsführung bie 
große Seefhlaht zur DVerfrüppelung ber englifhen Flotte fo lange, bis 
es zu fpät war. ... Später fuchte Deutfchland dann das durch eine Gees 
(Hlaht nicht gewonnene Biel durch den LUnterfeehandelsirieg zu erreichen. 
Er war die größte Gefahr, ber biefes Land jemals gegenüberftand. Aber 
kraft unferer Entfchloffenheit, Erfindungsgabe und unbezähmbar harten Arbeit 
wurde Deutichland wiederum ber Siegespreis enteiffen, gerabe als es Ihn 
fajt mit Händen greifen konnte,” 


Ein fachverftändiger Staatsmann, Chiozza Money, erklärte im Nos 
vember 1918 im Unterhaus: 


„Im April 1917 waren bie deutſchen Uboote fo erfolgreih, baß Eng» 
land in 9 Monaten ruiniert geweſen wäre, wenn bie Serftörungen in bems 
felben Tempo fortgedanert hätten,” 


Diefe Reutermeldung vom 15. November 1918 könnte dem beut- 
ſchen Patrioten wahnfinnig machen, wern er fich vergegenmwärtigt, 
welche Verftändnislofigkeit für das MWefen des Seekriegs bei ung herrs 
fchen und unfere noch einmal zu rettende Zukunft erdroffeln durfte. 

Die eigentümlichfte Erfcheinung bei dieſer bdeutfchen Krifig war 
mir, daß diejenigen Nichtmilitärs, die ihre Hoffnung eines erträg- 
lichen Kriegsausgangs nacht auf unfere Waffen, fondern auf Wilfone 





Die Erfolggmöglichket 371 


Kampf für die Freiheit der Meere und Englands freirsillige Vers 
ftändigungsneigung festen, fich nicht auf diefe pofitifche Uberzeugung 
befchränkten, fondern fie durch eigene Urteile über rein maritimsteche 
nifche Fragen glaubten unterbauen zu follen. Sie maften fich, allen 
fachmännifchen Autoritäten widerfprechend, an, feftzuftellen, daß mir 
im gefchichtlichen Augenblick des Frühjahrs 1916 noch „zu wenig 
Uboote befaßen”. Diefe Männer in der Wilhelmſtraße oder auch in 
ber Redaktion der „Frankfurter Zeitung‘ erPlärten im Februar 1917 
mit anmafender Sicherheit: „Wir beginnen den Ubootskrieg zu rich- 
tiger Stunde, weil wir jeßt genug Boote haben.” Als dann ber 
durch ihre Schuld verzögerte Unterfeebootskrieg richt mehr fo rafch 
durchſchlug, wie er nach den fachmännifchen Feftftelliungen ein Jahr 
früher gewirkt haben würde, da verließ jene Männer ihre Keckheit 
nicht: ftatt fich zu fchämen, daß die Ubootswirkung durch ihr Ver: 
ſäumnis um das entfcheidende Stück verkleinert worden iſt ), ver 
urteilten fie hinterher wieder — ihr eignes Verhalten Anfang 1917 
verleugnend — den ganzen Ubootskriegl Um zu ermeffen, wie in 
Deutſchlands Schiefalsftunde mit dem Seekrieg gefpielt worden if, 
ftelle man fich vor, daß im Landkrieg Diplomaten, Sournaliften und 
Parlamentarier enticheidende ftrategifche Urteile abgeben wollten. Aber 
in der Lebensfrage des Seefriegs war unter Deutfchen alles möglich. 
Statt ſich auf die amerifanifche Frage zu befchränfen, deren politifcher 
Ernft auch) von mir niemals verfannt worden ift, beruhigte fich der 
Deutfche mit feinem Inſtinkt für Selbftvernichtung durch die Formel 
„wir hätten 1916 nicht genug Uboote gehabt”. Wie ich für die hintan- 
gehaltene Seefchlacht der Sündenbod fein follte, weil angeblich das 
Material der Flotte zu fchlecht wäre, fo fchoben jet die, melche Wilſons 
wegen den Mut zum Ubootskrieg nicht fanden, vor fich felbft und 
vor der Welt die Schuld auf die „zu geringe Anzahl” der Boote 1). 
Diefes überall ausgefprengte Gerücht war eg, womit hauptfächlich die 
diplomatiſchen und demokratischen Helfer der Reichgleitung den recht- 
zeitigen Ubootsfrieg verhindert und an Stelle eines rafchen und much 
tigen, dorum auch der Menfchlichkeit am meiften entfprechenden Schlages 


) Wenn Chiozja Money fagt, Daß neun Monatserfolge, wie der des April 1917 
England ruiniert hätten, fo wäre es alfo noch im Muguft 1916 Zeit gewefen, ein« 
sufegen, aber nicht mehr im Februar 1917, 

%) fiber den Ubooisbau vor dem Krieg vgl, den Techniſchen Anhang. 


248 


372 Der Unterſeedoots⸗Krieg 


se 


ein Schwäche und ſchlechtes Gerotffen verratenbes, unfer Unglück Des 
fiegelndes Dahinjiechen gefegt haben). 

Denn in Wahrheit Fonnte unfer Übootsbejtand 1916 weit mehr 
Yeiften als 1917, wie ich im Februar 1916 vorausgefagt habe. Es 
Eommt für den UÜbootskrieg nicht auf die Zahl der Uboote, fondern 
fedigfich auf die Verfenfungsziffer an. Für diefe einfache Wahrheit 
waren Die hinzögernden Politiker zu Klug. Die Erträgniffe des boots 
fanken im Verhältnig, wie die Abwehrmaßnahmen der Gegner ftiegen. 
Diefe Maßnahmen erforderten Fahre; die Jahre haben wir den Feinden 
geleffen. Unfer Ubootsfieg war nur in einer beſtimmten Zeitipanne 
zu gewinnen; dieſe Zeitipanne haben wir mit Angſt und Hoffnung auf 
Wilſon verſäumt. Die erfchütternden Zahlen, welche das belegen, Eonnten 
der Öffentlichkeit während des Kriegs nicht übergeben werden, woraus 
bie Gegner des Ubootskriegs Nutzen für ihre Entftellungen zogen. 
Sch greife aus der Summe der Beweiſe nur eine einzige Tatſache 
heraus. Im Frühjahr 1915 betrug beim eingefchränkten, d. h. un⸗ 
genügenden Ubootsfrieg die Verſenkungsziffer für Boot und Reife 
17000 Tonnen. Beim unbefchräntten Ubootskrieg beträgt die Ver: 
fenkungsziffer nach den Erfahrungen des Jahres 1916 mindeftens dag 
Dreifache des eingefchränkten. Man hätte alfo Damals 51000 
Tonnen für Boot und Reife mit Sicherheit erzielt. Im 
Summer 1917 betrug dasſelbe Ergebnis 14000, im Herbft 
1917 nur noch 9000 Zonnen! Wir hatten im Frühjahr 1916 
für das bevorftehende Etatsjahr mit zweihundertfünf Ubooten zu rechnen, 
die im Dienfi, im Bau oder in der Erprobung ftanden, davon einhundert 
fiebenundvierzig im Bau befindliche, die noch während des Etats— 
ichres zur Ablieferung kommen follten?), 

Hiernach berechne man das Ergebnis, welches ein wirklicher Uboots⸗ 
krieg im Jahr 1916 gehabt haben müßte. Man wird den Engländern 
rechtgeben müffen, daB fie damals den Keieg verloren haben würden, 

?) Die linfen Parteien des Meichstags haben an der Werzögerung des Uboots- 
krieges eine fo ſchwere Mitſchuld, daß es für mich ein Gebot der Gerechtigkeit ift, 
zu erwähnen, Daß einzelne kernhafte Männer in der Sozialdemokratie Anfang 1916 
meinen Standpunkt voll geteilt haben, ohne bamit durchzudringen. 

?) Auf Das merkwürdige, aber für unfere damaligen Verhältniffe recht begeich: 
nende Gerücht, ich hätte im Budgetausſchuß Des Bunbesrats faliche Zahlen nennen 
laſſen, gehe ich nicht mehr ein, nachdem es amtliche und gerichtliche Klarftellung 
gefunden, allerdings vorher feinen politiſchen Dienſt gegen mi geten et. 





Die serktünpelte Waffe 373 


wenn wir den Mut gefunden hätten, ihn zu gewinnen. Wenn man 
die libootstagebücher des Jahres 1916 burchblättert, findet man, mit 
welchem Schmerz bie Kommandenten damals reichfte, ſichere Beute 
vor ihren Augen paffieren Iaffen mußten. Man macht fich anſchaulich, 
dad fie auf jeder einzelnen Reiſe damals das Fünf bis Sechsfache 
hätten leiſten können wie ein Jahr Tpäter. 

Im Nachftehenden berichtet beiſpielsweiſe Kapitänleuinant Steine 
brink, ein beionders tüchtiger Ubootskommandant, welcher ausprobieren 
follte, ob an Hand ber für den UÜbootskrieg 1916 erlaſſenen Beſtim⸗ 
mungen überhaupt ein Erfolg, ohne dieſe Beſtimmungen zu verlegen, 
möglich ſei. 

Tagebuch des Kommandanten, Zuli/Auguft 1916. 

„Wegen bes zum Torpedoangriff fehr ungünftigen Wetters konnte der 
Aufenthalt vor der Seine Mündung nur vier Tage lang, folange Wind und 
See ein lingefehenbleiben erleichterten, durchgeführt werden. Während diefer 
Beit wurde drei bis acht Seemeilen (ein bis zwei deutſche Meilen) vom Haupts 
anſteuerungspunkt entfernt bei Tag und Nacht der einlaufende Dampferverkehr 
überwacht, auf feden einzelnen, erreichbaren Dampfer ein Anlauf gefahren und 
ſo aus möglichſter Nähe ein Urteil über feinen Charakter genommen. Im 
ganzen wurden 41 Taganläufe (d. h. Anläufe mit bem Uboot zum 
Torpebofchuß ohne jedoch zu ſchleßen) gefahren; feiner dieſer Dampfer wies 
bie als Kennzeihen für Trangporte gegebenen Merkmale auf; auch nad) ihrem 
forftigen Ausfehen machten ftc nicht den Eindrud ausgefprochener Transports 
dampfer. In der Morgendämmerung dagegen wurden im ganzen ſechs ab» 
aeblendete 1500—3900-TonnensDampfer (brei vom Bolliertyp, drei Fracht⸗ 
bamsfer) geſehen; die Fahrzeuge waren ſchwarz gemalt mit grauen ober 
Sraunen Aufbauten und führten keine Flagge. Jedes einzelne Schiff wurde 
von einem abgeblendeten Zerilörer, oder einem ober zwei bewaffneten Fiſch⸗ 
Bampfeen geleitet. Deiner feften Rberzeugung nach waren biefe Schiffe Truppens 
ober wichtige Materialiransporte; ba ich diefe Anficht durch bie befohlenen Merks 
male (Truppen in großer Zahl, Geſchütz⸗ ober Fuhrparls, Gtellungen an 
Ded) aber nicht beſtätigt fand, burfte id} fie ebenfalls nicht angreifen. 

Unter den augenblicklichen Bebingungen, unter benen ein Üboot einen Transs 
porter befämsfen müßte, ift überhaust nichts zu machen und lohnt bie immer⸗ 
bin bei der Stärke ber — ig nicht ungefährliche Unternehmung kaum 
die Anſtrengungen der Beſatzung.“ 

Stellungnahme der Flottille zu vorſtehendem Kriegstagebuchauszug: 

„Die Abſicht der Unternehmung war, feſtzuſtellen, ob mit den zurzeit 
gültigen Beſtimmungen, d. h. nur nad der Wrifeworduung Handelskrieg zu 


374 Der Unterſeeboois⸗Krieg 


führen und den Torpedoſchuß ohne Warnung nur gegen einwandfrei fefts 
geftellte Transporter anzuwenden, bie Schädigung der Transporte für bie engs 
lifche Armee in Frankreich, die ich für die michtigfte Aufgabe für die Marine 
zurzeit halte, durchzuführen iſt. 

Das Ergebnis ift einwandfrei folgendes: 

Es ift ausfichtslos, mit diefen Einſchränkungen die Uboote auf den Trans» 
gortmegen anzufegen... Die Schädigung der Transportwege wird daher vors 
läufig aufgegeben, folange die Beftimmungen für die Führung des Ubootss 
Erieges nicht den Torpebofhuß ohne Warnung gegen bie zwiſchen England 
und Frankreich verfehrenden Schiffe mit Ausnahme ber Lazarettfchiffe ges 
ftatten. f 

Der Handelskrieg nad) Prifenordnung wird im meftlichen Teil des Armels 
kanals verfucht werden troß der Gefahr, die die Uboote beim Auftauchen laufen. 
Diefer Entfchluß iſt zwingend, weil dies zurzeit das einzige Mittel iſt, den 
Gegner zu ſchädigen. 

Diefes Ergebnis der Unternehmung war vorauszufehen, ich hielt es aber 
body für wertvoll, den tatfählihen Nachweis zu führen.“ 


Es liegt auf der Hand, in wie hohem Maße unfere Uboote den Vers 
fauf der Somme-Schlacht hätten beeinfluffen Fönnen. Wer fich über 
folche Einzelfragen hinaus Elar deſſen bewußt war, daß dieſer Krieg 
tiber dag Dafein des deutfchen Volkes entfchied, Eonnte folche Berichte 
über die Verfrüppelung unferer beiten Waffe nicht ohne innerfte Ers 
fchütterung leſen. 

Unfer Verhalten im Frühiahr 1916 fagte der ganzen Welt mit 
Ausnahme einiger deutjchen Diplomaten und Demokraten: Deutfchland 
gebt unter, 


7 


Die Vorgänge, welche zur Aufnahme des uneingefchränkten Lbootss 
kriegs am 1. Februar 1917 geführt haben, kann ich als daran Uns 
beteiligter nur kurz berühren. Soweit ich unterrichtet bin, find fie 
bezeichnend für die Desorganifation der Bethmannſchen Regierungss 
weife. 

Er hatte, der Anregung Graf Bernftorffs fbattgebend, Wilfon zur 
Friedengvermittlung ermuntert und durchkreuzte diefelbe nun ducch 
fein eigenes Friedensangebot wie Durch den Ubootskrieg. Allerdings liegt 


Der unbejihränkte Ubootskrieg 1917 375 


Heute, nach ben Berhandlungen im parlamentarifchen Unterfuchungss 
ausſchuß, Elarer, ala bei der Veröffentlichung der erſten Auflage dieſes 
Buches zutage, daß Wilfon durch die deutjche Regierung ermutigt wors 
den war, den Frieden zu vermitteln und daß infolgedeffen Wilfon durch 
den Entſchluß zum Ubootskrieg fich perfönlich verlegt fühlen konnte. 
Underfeits ift durch die neueren Veröffentlichungen auch meine frühere 
Überzeugung, daß auf dem Mege über Amerika ein für ung brauch: 
barer Friede leider niemals zu erlangen war, nur beftätigt worden. 
Wilſon und feine Leute haben den deutfchen Vertretern gegenüber in 
allen Stadien der Verhandlung immermwährend betont, daß fie England 
gegenüber das Gewicht der amerikanischen „Macht nicht in die Wag⸗ 
ſchale werfen könnten. Das ift die Tatfache, welche die wirklichen Aug: 
fichten diefer Friedensaktion beftimmt. Mit ihe entfällt die Möglichkeit, 
daß eine von Wilſon zufammengeführte Mächtefonferenz bei der da= 
mals in den Ententeländern herrfchenden Stimmung zu einem Ver—⸗ 
ftändigungsfrieden hätte führen können. Selbftverftändlich hat Wilfon 
bie ihm von Bernftorff angebotene Rolle eines Arbiter mundi gerne 
ergriffen. Aber jo wie die amerikanische Politik in den Sahren 1914/16 
unbefchadet aller edlen, humanitären und neutralen Gefühle praktifch ftets 
zu unferen Ungunften gewirkt hat, fo würde, fobald die Konferenz 
unter Wilfons Aufpizien wirklich zufammengetreten wäre, das geringe 
Intereſſe der Wafhingtoner Politiker für die Erhaltung des Deutfchen 
Meiches auch nicht Eräftiger erwacht fein. In Wirklichkeit lagen ihre 
Intereſſen und Wünſche eben in einer ganz anderen Linie, jo daß meiner 
Überzeugung nach der einzige Weg, zu einem für Deutfchland leiblichen 
Srieden zu kommen, damals — wie oben ausgeführt — über Rußland 
ging. — Im Herbft 1916 hatte die Oberfte Heeresleitung angefichte des ru⸗ 
mänifchen Angriffs geglaubt, die durch den Kanzler und den Gejandten 
v. Kühlmann unrichtig dargeftellte holländische Kriegsgefahr ernft nehmen zu 
müſſen, und hatte deshalb einer, gewilfen Verzögerung des UÜboots⸗ 
Frieges zugeftimmt. Nach der Niederwerfung Rumäniens veränderte 
fich das Bild, Die Oberfte Heeregleitung bezweifelte wohl, daß mir 
einen meiteren Kriegswinter (1917/18) aushalten Fönnten. Da nun 
der Admiralſtabschef v. Holendorff glaubte verfprechen zu Fönnen, 
daß England nach einem halbjährigen Ubootskrieg Friedengreif würde, 
fo ergab fi aus dem Wunfch, bis Auguft 1917 zu einer Friedens⸗ 
möglichfeit zu gelangen, der Anſatz, daß der Ubsotskrieg Im Februar 


376 Des Unterfeebonts: Krieg 


1917 beginnen müßte, Diefe Berechnung hatte aber nur einen begrenzten 
Wert und durfte nicht dogmatifiert werden. 

Das letzte Rätſel einer bei aller Gewandtheit gefährlichen Zers 
fahrenheit würde darin Liegen, daß Bethmann feiner inneren Über 
zeugung zumider im Reichstag die Meinung verbreitete, nunmehr wäre 
marinetechnifch und politifch der erfolgverheißende Augenblick für den 
uneingefchräntten Ubootskrieg gekommen. Nur nebenbei fei hier daran 
erinnert, welche Überhebung berin lag, eine folche Auffaffung gegen 
jene Gutachten von Neichsmarineamt, Admiralſtab, Hochfeeflotte, 
Marinekorpg und Oberſter Heeresleitung vom Frühjahr 1916 zu ver 
treten, jelbjt werm der Admiralftabschef um die Sahresivende 1916/17 
jih dem Bethmannfchen Standpımft etwas angepaßt haben follte, 

Wie dem auch fei, es war ein Unglüd, daß der Ubootskrieg nun von 
einem Staatsmann geleitet wurde, der ihm mit ablehnenden Grund⸗ 
gefühlen gegenüberitand und ihn deshalb, fo wie er ihn bisher ver 
Hindert hatte, nunmehr auch in diefem letzten Stadium noch lähmte. 
Sm Jahr 1916 konnten wir es vielleicht noch verantworten, die Wirkung 
des Ubootgfriegs durch Ausnahmen zugunften einzelner Neutraler und 
anderes zu durchlöchern. Im Jahr 1917 war es dazu zu fpät. Wenn 
wir alles auf diefe eine Karte feßten, war erſtes⸗ Erfordernis, daß 
alfe militärischen, politifchen, perfonellen und technischen Mittel in den 
Dienft diefer Sache geitellt wurden. Die Marine hatte jede andere 
Aufgabe zurüdzuftellen, alle irgend verfügbaren Menfchen und Eins 
richtungen dem Ubootsbau der Werften und den Motorbau zuzuweiſen. 
Die Armee mußte jest die Arbeiter ftellen, die Politik die Kriegsfühs 
zung ergänzen, bie Diplomatie nicht abivartend beifeite ftehen, ſondern 
jich mit ganzem Herzen bafür einſetzen. Statt deffen wurden Ausnahmen 
zugunften europäifcher Neutraler zugelaffen, die die Wirkung des Uboots— 
krieges abſchwächten, und auch technifch und militäriſch dem Ubootss 
krieg nicht diejenige äußerfte Konzentrierung gegeben, welche allein in 
dieſem vorgerüdten Stadium ihm noch die erforderliche Durchſchlags⸗ 
kraft gewährte. Der Urfehler unferer ganzen Kriegsführung, der Mangel 
einer dem englifchen Kriegswillen ebenbürtigen Einigkeit und Feſtigkeit 
beftand fort, folange das Bethmannſche Syftem am Ruder blieb, 

Wenn fich die Neichsleitung damit beiud, einen Ubootskrieg zu 
verantworten, an den fie nicht recht glaubte, und fodann feine Aus⸗ 
führung zu fehäbigen, fo hatten fich in MWirflichfet die Ausfichten 








Srihmwerungen 377 


des Ubootskriegs gegen 1916 in gewaltigen Umfang verſchlechtert. 
Bis zu meinem Rücktritt hat das Reichsmarineamt ſoviel Uboote 
gebaut, wie überhaupt möglich waren. Ich bin dreimal auf allen 
Werften herumgereiſt und habe jede Helling perſönlich unterſucht und 
feſtgeſtellt, ob eine Mehrleiſtung zu erzielen wäre H. 

Es entzieht ſich meiner Kenntnis, ob nach meinem Rücktritt der 
Ubootsbau mit derjenigen Kraft weitergefördert worden, die erforderlich 
geweſen wäre. Entſcheidend war aber die alle Befürchtungen noch über⸗ 
treffende Zunahme der feindlichen Abwehrmaßregeln. England war gegen 
bie Ubootsgefahr unvorbereitet in den Krieg getreten. Sowie ed die Töt⸗ 
fichEeit diefer Gefahr erkannte, hat es fich mit Unterſtützung bes hilf— 
reichen Amerikas auf die Schaffung von Schugmaßnahmen geworfen, bie 
zwar noch nicht 1916, wohl aber 1917 mit Macht zu wirken begannen. 
Denn an Maffe wer uns die Entente induftriell überlegen, und fomit 
wuchs die Abwehr weit flärker, ais fich die Zahl der Uboote vers 
mehren ließ. Wir verloren im Frühjahr 1918 geitweile mehr Üboote 
als neu hinzutraten. 

Im allgemeinen freilich hatte ſich dies ſchon 1916 vorherſehen laſſen. 
Ich nenne einige der wichtigſten dieſer Abwehrmaßregeln: die Um⸗ 
wandlung von Handelsſchiffen in Kriegsſchiffe durch 15000 Geſchütze 
nebſt ausgebildeten Bedienungsmannſchaften, die ſyſtematiſche Bes 
wachung der Gewäſſer durch Flieger, Luftſchiffe und Fahrzeuge, aus⸗ 
gedehnte Verwendung von Unterwaſſer-Schallapparaten, Beſchaffung 
von Ubootsjägern, Ubootsfallen, Waſſerbomben; von Hinderniſſen 
defenſiver Art wie Netze, Minen; ferner indirekte Maßregeln, wie 
die Verdreifachung der amerikaniſchen Werften, der fieberhafte Bau 





Nebenbei erwähne ich nur, daß ber UÜbootskrieg, wenn ee 13916 geführs 
worden wäre, bes britiſchen Hochfeeflotte vorausfichtlih nicht erlaubt hätte, ih nach 
der Schlacht am Skaaerral jo folgerichtig in Scapa Flow veritedi zu halten. Ich 
möchte hier noch erwähnen, bag ich bei einer Beratung Anfang 1916 bafür eins 
getreten bin, man follte den Kapitänen der in Amerika uſw. liegenden deutichen 
Handelsſchiffe den Befehl geben, hinauszufahren und draußen ihre Schiffe zu vers 
fenlen, ober fie font unbrauchbar zu machen, Das hätte man ihnen nicht verbieten 
können, da fie ja feine Kriegsfchiffe waren, Ballin ſprach dagegen! Die Kapitüne 
würden son ben Amerikanern gehüngt (was unmöghcd war), bie ſchönen Schiffe 
gingen und für immer verlesen. Das Ergebnis war, daß uns gerade dieſe fehnelis 
fahrenden Schiffe 1917/18 dur den Zranspori amerifanifher Truppen uſw. 
größten Schaden «etan haben. 


378 Dex Unterfeeboots: Krieg 


von Frachtſchiffen ), die möglichite Anhäufung von Vorräten, die Aus: ° 
bildung des Nachrichtendienftes, die Monopolifierung und Kationierung 
der Frachträume, die Einrichtung und Ausbildung von Geleitzügen, 
deren Aufbau aber Sahre erforderte, eine gewaltige organisatorische 
Leiſtung ber Engländer, endlich der beftändig wachſende Druck auf die 
Neutralen, der fiplieglich mit dem Raub ihres Schiffgraums endete, 

Infolge diefer Maßregeln trat jene Verminderung des Ubootswertes 
ein, die, wie oben erläutert, für das einzelne Uboot nur ein Fünftel 
ber alten Wirkungskraft übrig ließ. Man vergegenmwärtige ſich allein, daß 
ſpäter viele taufend allmählich gebaute Lbootsjäger gegen ung in Tätig: 
keit ſtanden. 

Unfere Uboote Fonnten im Februar 1916 noch unter den feindlichen 
Handelsichiffen haufen, wie Wölfe in Schafsherden; fpäter war es 
ein regelrechtes Gefecht, das fie führen mußten. Aus einer Zerſtörungs⸗ 
arbeit war eine aefahrere und verluftreihe Kampfhandlung geworden. 

Es echebt fich nun die Frage, ob der Ubootskrieg, im Frühjahr 1916 
ſtatt 1917 begonnen, nicht eben auch ein Jahr früher jene Scharen 
amerikanifcher Krieger auf das Feſtland geführt hätte, welche 1918 die 
Lage an der Weſtfront zu unfern Ungunften beftimmt haben? 

Sch jehe davon ab, daß, wie wir alle, jo auch die Heeresleitung von 
diefem gewaltigen amerikanischen Truppenaufgebot überrafcht worden 
iſt und fo mit einer nicht unbedenklichen Verdünnung unferer Heeress 
Fraft eine Million Krieger im Often feitgelegt hat für mirtfchaftliche 
Zwecke, die gegenüber dem Hauptziel des Krieges doch ale nebenfächlich 
bezeichnet werden müſſen. Sch möchte nur darauf hinweiſen, daß im 
Frühjahr 1916 die Wahrfcheinlichkeit, daß Amerika Truppen herübers 
Srachte, viel geringer war als ein Jahr fpäter. Mindeſtens hätte bie 
flärkere Wirkung des Ubootskrieges auf den feindlichen Frachtraum fps 
wie bie damals noch fo geringe Entwicklung des amerikanifchen Schiffs⸗ 
baus im Jahr 1916 die Entfaltungsmöglichkeiten für amerifanifche 
Heereskraft von vornherein beſchränkt. Die militärifchen Rüftungen 

!) Nach amerifaniihen Angaben betrug der Zuwachs an Frachtraum 1916 im 
genzen Jahre etwa foniel wie im Sommer 1918 in einem Monat. Selbſt wenn 
die Derjenkungsziffer pre Monat infolge der ftärkeren Abwehr im Jahre 1918 nicht 
gefallen wäre, fo war ihre qualitative Wirkung Doch, weil fehr viel flärlerer Erfag 
geihaffen wurde, um ein Bielfahes geringes im Jahre 1918 gegenüber des gleichen 
Mirkung in den früheren Yabren. 


Die gegen 1916 veränderte Lage 379 


Amerikas feßten in jener Zeit überhaupt erfi ein, Außerdem ft eg zweifel⸗ 
haft, ob Amerifa 1916 zum Eintritt in den Krieg reif geweſen wäre. 
Die Stimmung meitefter Landesteile und einflußreicher Kreife war noch 
nicht genügend bearbeitet und fette der Wilfonfchen Preſtigepolitik 
ernſte Hemmniſſe entgegen. 

Nach Anſicht unſeres Geſandten v. Hintze, der damals von Peking 
kommend Amerika durchreiſte, hat erſt die bekannte Mexikodepeſche Zim⸗ 
mermanns, welche gerade deutſchfreundliche Gebiete der Union am 
ſtärkſten verletzte, Wilſon eine entſcheidende Hilfe bei ſeinem Wunſch, 
uns mit den Waffen entgegenzutreten, geleiſtet. Ballin, der meine 
Anſichten kannte und mir am 19. Juli 1917 ſchrieb, er hätte mannig⸗ 
fache Anfragen in der letzten Zeit immer dahin beantwortet, daß der 
Ubootskrieg, wie er heute geführt wird, „nicht den Tirpitzgedanken 
verwirkliche“, fügte daran die Sätze: 


AIch habe fon Im letzten Winter brieflih und münblih die Anſicht 
ausgeſprochen, daß, wenn Euere Exzellenz am Steuer geblieben wären, 

ie ben uneingefchränkten Ubootfrieg jetzt überhaupt nicht begonnen hätten. 
Und ich möchte bei der Anficht bleiben, daß, wenn Sie es in Ihrem Amte 
miterlebt hätten, wie man den Wilfon an der Nafe herumgeführt hat, 
wie man feine ehrgeizigen Friedensbeftrebimgen durchkreuzte und wie man 
ihn ſchließlich duch die Mexiko⸗Depeſche in eine unmöglihe Situation vers 
feßte, fo würden Sie es ſich gewiß fehr überlegt haben, ob es politifch 
und milttärifch richtig fein könnte, den unbegrenzten Ubootkrieg zu vers 
finden und einzuführen, ohne Wilfon die Gelegenheit zu geben, fih mit 
Anftand aus ber Affäre zu ziehen. 


Willen Hätte meines Erachtens — und biefe Anſicht wird niht nur 
vom Grafen Bernftorff, vom Prinzen Hapfeld, von Geheimrat Albert, fons 
dern auch von allen anderen Leuten geteilt, die bis zum Ausbruch bes 
Krieges brüben gewefen find? — niemals uns ben Krieg erflären können, 
wenn nicht durch die Meriko-Depefche und durch eine große Reihe anderer 
Fehler wir die Bevölkerung des Weſtens und Südens der Vereinigten Stans 
ten, die ganz deutſchfreundlich waren, gegen uns aufgebracht hätten. 

Was aber der Eintritt Amerikas in den Krieg gegen uns für bie Entente 
bedeutet, brauche ich Ihnen nicht zu fagen.” 


Meine Amwort vom 23. Jul 1917 wird durch folgende Sätze 
gekennzeichnet: 


389 Des Unterſee doots⸗ Krieg 


In meinem Telegramm an Hesen Baſſermann und Exzellenz Spahn habe 
ih die Überzeugung vertreten wollen, daß bie beabjichtigte Neichstagss 
erflärung innens und außenpolitifh mie nicht richtig erfcheint. Selbſt wenn 
man fi auf ben Standpunkt ftellen wollte, unter Aufgabe bes Ubootss 
Erieges fo bald wie möglih mit Wilfon zu einer Einigung zu kommen, 
ſo würde es mir von reinem Gefhäftsftandpunft aus nicht richtig erſcheinen, 
zur gleichen Seit die Wirkung des Ubootsfrieges vor der ganzen Welt herabs 
gufegen und um einen Frieden zu winfeln, 

Wie Sie wiffen, Ein ih am 4. Februar 1915 durch bie Erklärung 
bes Ubootskriegs nah Art und Zeit überrafgt worden, dies um fo mehr, 
ale ich noch am 27. Januar mit dem damaligen Reichskanzler über eine 
vorläufige Surüdjtellung des Ubootskrieges einig gewejen war. Nachdem 
wie biefen militärifchen Entſchluß, obendrein mit einer gemwilfen Fanfare 
in bie Welt gefegt hatten, mußten wir aber daran fefthalten. Durch unfer 
beftänbiges, zum Teil würbelofes Zurückweichen vor ben Anrempelungen 
Milfons haben wir letteren eigentlich erſt Ereiert. Eine offenſive NMotene 
golitif gegen bie unerhörten Unneutralitäten Wilſons wäre für uns das Ges 
gebene und gänzlich gefahrlos geweſen. Die Niederborungsnote Wilfons 
durften wir niemals annehmen, und zwar aus ganz realen Gründen nicht. 
Sch fehe Hierbei ab von der wenig geſchickten und wenig glüdlichen Xrt, 
wie wir den GSuffer-Fall felbft diplomatifch behandelt haben. Im Früh— 
jahr 1916 hätten uns die Dereinigten Staaten den Krieg nicht erklärt, 
Beweis genug dafür find ja die damaligen Verhandlungen im Senat und) 
Kongreß In Wafhington. Damals war der gegebene Zeitpunkt, den Uboots—⸗ 
Erieg in fcharfer Form zu führen; wir fowohl wie unfere Bundesgenoffen 
hatten noch einen erheblichen Grab wirtſchaftlicher Kraft einzufegen. Da 
Wilſons Wahl noch bevorjiand, war er auch zu einer Kriegserklärung außer 
ſtande. Der Ubootsfrieg braucht Zeit, um feine volle Wirlung auss 
zuüben; die hatten wir bamals noch zur Verfügung und wären baher auch 
Imftande gewefen, der neutralen Siiffahrt größere Konzefiionen zu machen, 
als es ſpäter wohl ben entichliegenden Perfonen möglih erfhien. In ber 
Kat waren wir am 1. Februar d. J. doch fon recht hart an ben Abgrund 
gedrängt. Dazu kommt noch ein weiterer Geſichtspunkt, der fih aus ben 
Begenmaßregein ber Engländer gegen den Ubootskrieg ergibt. Sle erwähnen 
ja felbft in Ihrem Brief die Geleitzüge; die Geleitzüge werden aber erſt 
wirkſam nach einer großen Beichaffung von Ubootsjägern. Zu biefer Bes 
Ihaffung haben wir England die erforderlihe Zeit gelaffen, ebenfo zur wirds 
famen Urmierung ihrer gefamten Kauffahrteiflotte und zur Ergreifung einer 
anderen Reihe Gegenmaßregeln. Quantitstiv Tonnte bie Entente darin mehr 
feiften, ala wir in der Vermehrung von Ubooten. Den genauen Grab zu 











Brie wechſel mit Dein 381 


beſtimmen, wie dieſe Gegenmaßregeln Ne Vermehrung unſerer Uboete kom⸗ 
penſterten, war ja naturlich vorher nicht moöglich; wer In ſolchen techniſchen 
Fragen aber gearbeitet hat, wird wiſſen, daß ſolche Kompenſierung ſtets 
erreichbar iſt. Wirtſchaftlich, politiſch und militäriſch war es ſomit ein 
Fehler, die energiſche Verwendung der Ubootswaffe hinauszuſchieben. Dieſe 
Überzeugung habe ich gehabt gerade aus dem Grunde, weil, wie Sie richtig 
vorausfesten, ich das Eingreifen Amerifas in den Krieg niemals unters 
ſchätzt habe. Ich weiß fo, daß Sie bie Anſicht vertreten haben, Ich hätte 
das Unterfeebootswefen zugunften des Dreadnoughtbaus vernadyläffigt. Ich 
bin mir ficyer, daß Sie hierin irren; wir flanden beim Ausbruch, des Krieges 
an der Spige des gefamten Unterfeebootswejens. Wir haben freilid damit 
nicht renommiert. Im übrigen war das Unterfeeboot für Fernverwendung 
nicht fehneller zu entwideln, ald der Motor es geflattete; Automotoren 
genügten hierfür nicht. 

Was nun bie Wirkung bes Ubootsfriegs in feiner jegigen Form unb 
bie Frage feiner Fortführung angeht, fo kann midy die Tatſache, daß ich 
feinerzeit eine andere Form gewählt hätte und daß ich feine Chancen In» 
folge ber verfpäteten Eröffnung für erheblich verfhledtert halten muß, 
nicht davon abhalten, der feften Überzeugung zu fein, Daß uns jegt, nach⸗ 
dem wir im Februar ben Ubootskrieg erklärt haben, gar nichts anderes 
übrig bleibt, als ihn mit zähefter Energie fortzufegen, bis England ger 
zwungen iſt, einen Frieden zu machen, ber uns die Grundlagen für bie 
Miederherftellung unferer Wirtfhaft und für eine geficherte MWeltftellung gibt. 

Ich glaube auch, daß wir einen ſolchen Erfolg durch ben Kampf gegen 
ben feinblihen Frachtraum Immer noch, wenn auch ſchwerer und lang» 
famer als früher, erseihen können. Hierzu gehört freilich die durch nichts 
abgelenkte oder abgeſchwächte Energie der Regierung und ber Nation und 
eine die Kriegsführung richtig ergänzende Politik.“ 

Indes, felbft wern Amerifa 1916 geradefo gehandelt hätte wie 
1917, wäre es immer befjer ein Jahr früher gekommen, fo lange wir 
und unfere Verbündeten noch in ftärkerer Kraft flanden. Gewiß hätte 
Amerika ſtets eine abſolute Niederlage Englands abwenden wollen. 
Was aber der Ubootskrieg im Jahr 1916 hätte leiſten können, war: 
eine abſolute Niederlage Deutſchlands zu verhindern. Nach den ges 
ſamten Erfahrungen damaliger und fpäterer Zeit hätte der Uboots— 
Prieg im Sahe 1916 anfangs ein Monatsergebnis von allermindeftens 
700000, fyäter wahrſcheinlich aber 1000000 Tonnen gehabt; von 
höheren Schäßungen durch erfahrene Kommandanten fehe ich hier ad. 
Über die Wirfung läßt fich fo viel ſagen, daß Die beburd) eingetretene 


382 Der Unterſeeboots⸗Krieg 


Zermürbung der engliſchen Weltwirtfchaft und Wehrkraft, abgefehen 
von den allgemeinen politifchen Folgen, unfere Meflfront mefentlich 
und dauernd entlaftet?) und die Aufbietung fo großer amerikanifcher 
Anftrengungen für den Landkrieg ſtark unterbunden hätte. Nuch hätte 
ber Zuwachs an Frachtraum, ben das Jahr 1917 ber Entente brachte, 
ein Sabre früher nicht eintreten können, da die neu angelegten Werften 
noch nicht funktionierte. Es wäre töricht, zu leugnen, daß auch 
meine im Frühjahr 1916 gebildete Anficht über den Ubootsfrieg unfichere 
Faktoren enthalten konnte, die das Endergebnis zu verfchieben geeignet 
waren. Aber wir hatten damals fchon genügend Erfahrung, um zu ſehen, 
daß Amerika, je länger der Krieg dauerte, um fo bedrohlicher für 
ung wurde. Es war 1916 fchon gefährlicher geworden ald 1915. Das 
var eine laufende Kette, und diefer Entwicklung mußten wir ins 
Geſicht ſehen. 


Das Ubootskapitel iſt lang und peinvoll. Bei der Art unſeres 
politiſchen Syſtems in dieſen letzten Jahren entſteht unvermeidlich ein 
trübſeliger Strom verworrener Aften. 

Der Anfang des UÜbootskriegs, die Sperrgebietserklärung, war ver 
früht, unreif, in ungeeigneter Form und mit unnötiger Fanfare in die 
Melt gefebt. Dann wurde nicht durchgehalten und dabei fortwährend 
Schwäche und Furcht gezeigt. Es wurde vor Wilfon eingeknickt und 
ihm zu einer fleigenden Macht in Amerifa verholfen. Es wurde durch 
unfer feheinbar böfes Gewiſſen der engliichen Lesart Vorſchub geleiftet, 
daß der Ubootskrieg etwas Unfittliches wäre. So haben wir ung durch 
unangebrachtes Verhalten bie Wiederaufnahme des Ubootskrieges ers 
Schwert und gefährlicher gemacht. Denn er ſchien nım, nachdem wir 
fo lange auf unfer gutes Recht verzichtet hatten, auch nach unferer 
eigenen Auffajfung gegen die Menfchlichkeit zu verſtoßen, während Fein 
Hahn danach Frähte, wenn England viel Schlimmeres tat. Es übertrifft 
an Entichlofjerheit, Graufamkeit und zynifchem Herunterziehen des Geg- 
ners unfre deutfche Art um das Vielfache, freilich auch an Gefchied, dem 
eigenen Standpunkt fogar dem Ohr des Gegners annehmbar zu machen. 
So wurde das deutſche Volk in feiner unbegrenzten Fremdgläubigkeit 





) Siehe &, 3734, 


Dis Fat⸗ 333 
durch unfer Schwanten irre, fah in dem englifchen Hungerkrieg, welcher 
den Bankrott und den Umſturz, Schwindfucht und Todesjammer in dies 
bis dahin jo blühende Volk trug, geduldig ein Stück göttlichee Weltord- 
rung. Demgegenüber follte der Ubootskrieg graufem und unfittlich fein, 
er, der feindliche Schiffsladungen traf und den Feind kaum Menſchen⸗ 
leben Poftete — in all den Jahren noch nicht ſoviele Leben, wie an einem 
Tag Deutfche an der Weſtfront fielen oder wie nach erfolgter Waffen 
ſtreckung durch die unmenfchlich beibehaltene Hungerblodade täglich an 
beutfcher Bevölkerung zugrunde ging! Denn die angellähfiihe Schein 
Heiligkeit und Die deutfche Urteilslofigkeit Penmen Feine Grenzen. 

Die Befehle an die Unterſeeboots-Kommandanten find eine Kette 
von Anſätzen, Hemmungen und Widerfprücen, und haben uns beftes 
deutfches Blut gekoftet, dafür den Enderfolg geraubt. Der Unterfee 
bootskrieg ift verloren gegangen, weil Deuifchland nicht folgerichtig an 
dem Gedanken feitgehalten hat, jedes berechtigte Mittel, das im Seekrieg 
zur Verfügung ftand, rückſichtslos bis zum Ende anzumenden. 

Wollte man aber diefe Kolgerichtigkeit nicht, dam mußte man im 
Frühjahr 1916 die Niederlage Haren Blis annehmen. Sie wäre damals 
milder ausgefallen als fpäter. Heer und Diplomatie mußten Fein Mittel, 
die Niederlage abzuwenden. Dann mar e8 ein Verbrechen, ben Krieg 
gegen England nicht zu beendigen. Die Zeit arbeitete gegen uns, 
Noch, aber nicht lange, wußte die Marine ein Mittel, um England 
ins Mark zu treffen. Die Frage war nur: wollte man ed auf bie ameri- 
kaniſche Gefahr bin wagen? Wenn nicht, dann wurden mir fchwächer 
und ſchwächer bis zum Zuſammenbruch. Wenn ja, denn mar fein 
Monat zu verlieren. Dies war bie einfache Enticheidung. Über fie 
durfte man nicht hinwegtänzeln wollen. Auf Amerifas Vermittlung 
gegen England warten, war reiner Zeitverluft, So ſah ich Die Dinge 
damals, und fo lagen fie in der Tat, wie bie Folaszeit erwieſen hat. 

Die Erklärung vom 8. Februar 1916, daß wir bewaffnete Handels- 
fchiffe nun doch angreifen mollten, war eine Spielerei, eine Täufchung 
für unfer Bolt, Nachher wurde im Sufferfall eine an ſich rechtmäßige 
Torpedierung erft abgeleugnet, dann gemißbilligt. Statt nach dieſem 
abermaligen Gehorſam gegen Wilfon nun Far De zu machen, wurde 
im Herbft 1916 über Hindenburgs und Scheers Köpfe hinweg bie neue 
Halbheit des Ubootskreuzerkriegs probiert, Darauf folgte dag Durchs 
einander bes uneingefchränkten Ubootskriegs mit Der Friedensaktion um 


384 Der Unterſe ebo ots⸗Kriet 


die Jahreswende 1917. Endlich wurde der rückſichtsloſe Ubootskrieg, 
der ein Jahr früher noch als der Ausdruck einer ſiegesbewußten ſtarken 
Nation erſchienen wäre, als Verzweiflungsſchritt mit halbem Herzen 
und ſchon gebrochenem Preſtige unternommen. Nun aber folgte die 
neue Krankheitsgeſchichte ſeiner politiſchen Durchlöcherung, baupolitiſchen 
Vernachläſſigung und ſtrategiſchen Schwächung unter einem politiſchen 
Führer, der ſelbſt an den Erfolg nicht recht glaubte, 

Hätte man in Deutfchland die ruffifche Revolution vorherfehen 
Fönnen, fo hätien wir den Ubootskrieg 1917 vielleicht nicht als letztes 
Mittel anzufehen brauchen. Von der rufjifchen Revolution aber war 
im Januar 1917 noch Fein Vorzeichen äußerlich bemerkbar. Auf der 
andern Seite überfahen offenbar auch die amtlichen Stellen in Deutfch- 
land nicht völlig die verheerende Wirkung unferer diplomatifchen Fehler 
in der Behandlung Wilfons, insbefondere von der GSuffernote bis zur 
Merifodepefche, welche allein die erfiaunliche Vehemenz möglich mad) 
ten, mit der das amerikanische Volk ſich in diefem feinen eigenen 
Intereſſen fo fremden Krieg mitreißen ließ. 

Es ift ſchwer zu fagen, ob ich als verantwortlicher Staatsmenn, 
bei Kenntnis aller damals erreichbaren Einzelheiten, Anfang 1917 den 
Ubootskrieg noch gemacht hätte. Unſere verfahrene Lage ließ uns 
freilich Faum noch einen andern Ausweg, um zu verfuchen, dem voll 
kommenen Ruin zu entgehen. Der Wert des UÜbootskrieges war 
Schon gemindert, die mit ihm verknüpfte Gefahr vergrößert. Sch Hatte 
si nicht eingeweihter Privatmann damals das innerfie Gefühl, def 
es gefährlich fpät wäre, hielt mich aber durd) die Auffaffung der im Amt 
Befindlichen Männer überzeugt, DaB ed gewagt werden mußte und 
Fönntel), Und in der Tat, hätten wir damals alle Kräfte ohne 


1) Da mir amtliche Materiaf nicht zu Gebote ſtand, fo war ich nicht unter: 
richtet genug, um meiner eigenen inftinftmäßigen Befürdhtung, daß es 1917 für 
den UÜbootskrieg gefährlich fpät wäre, irgendwelchen autoritatinen Wert beizulegen. 
Da die Reichsleitung ben Übootskrieg mindeftend als letztes Verzweiflungsmittel 
für nötig hielt, und auch deſſen bisherige Geaner jegt unter gänzlichem Meinungs: 
umſchwung bie größten Erwartungen vom UÜbootskrieg bei der Öffentlichkeit er: 
wedten, jo war mein Verhalten gegeben. Im vertrauten Kreife vermochte ich 
freilich meine Befürchtungen Binfichtlih dieſes fetten vielleiht noch wirkſamen 
Mettungsmittels nicht zu unterbrüden. Ich entlinne mid, wie ein bekannter 
Reichstagsabgeordneter beim Spaziergang im Tiergarten im Februar 1917 auf 
mi zueilte, um mich zum Uboetskrieg gu beglückwünſchen, jedoch auf meine 


War es zu fpät? 385 


Zerfplitterung auf dies Ziel als letzte Chance zufammengefaßt, jo 
wie fich England feinerfeits auf die Verhinderung des UÜbootskrieges 
eingeftellt hatte; würden wir die innere Durchhaltefraft unfres Volkes 
belebt haben, ftatt fie niederzudrüden: dann wäre zivar vielleicht nicht 
mehr der Sieg, wie bei einem rechtzeitig (1916) unternommenen 
Ubootskrieg, jedoch ein erträglicher Frieden wohl noch immer ers 
reicht worden. Die Hberfte Seekriegsleitung war im Spätſom⸗ 
mer 1918 der Überzeugung, daß troß aller Erfchwerungen Die 
Uboote England noch immer fo empfindlichen Schaden zufügten, 
daß im Frühjahr 1919 eine erheblich gefteigerte Friedensbereits 
[haft zu erwarten wäre. Der Ubootskrieg ift im Oktober 1918 
tm ungünftigften Augenblick geopfert worden, ald er gerade durch eine 
erhebliche Vermehrung der Uboote wieder in vollen Gang geſetzt war. 
Die Marine vertraute in allen ihren Gliedern fo feft auf die Früchte 
dieſer ſchweren und opferreichen Arbeit, welche ihre beften Kräfte 
um fich gezogen hatte, daß das plößliche Abftoppen des Ubootskrieges 
noch vor Abfchluß eines auf den Präliminarfrieden bafierten Waffen: 
ſtillſtandes eine vernichtende moralifche Wirkung auf das gefamte Per: 
fonal ausübte. Die Mannfchaften fühlten fich betrogen, als plößlich 
uf Wilfons Verlangen die zurzeit wichtigfte Kriegsführung von der 
Neichgregierung desavouiert wurde. Diefes Gefühl der Enttäufchung 
und Entmutigung tft einer der Gründe für die Erfchütterung des Ver: 
trauens der Mannfchaften zu ihren Vorgefeßten. 

Es hat nicht viel gefehlt zu einem guten Frieden. An der Wehr⸗ 
macht Tag e8 nicht, wenn wir ihn nicht fanden. Als Hindenburg und 
Ludendorff endlich zur Führung berufen wurden, Fonnte die Armee 
ihn freilich nicht mehr ſchaffen. Die Marine Eonnte einen brauchbaren 
Frieden wohl zweimal greifbar nahe bringen, im Herbſt 1914 mit der 
Flotte, im Frühjahr 1916 mit noch größerer Wahrſcheinlichkeit durch 
das Uboot. Das Furchtbarfte zu wiſſen ift, daß unfere heutige Lage 
nicht nur politifch, fondern auch militärisch vermeidbar war. 
forgeneolle Antwort betroffen verftummte. Die Erfahrung, daß im Mai 1917 
fogar in den „Times“ eine Angabe darüber zu finden war, ich hätte mich über 


den zu fpät begonnenen Ubootskrieg peſſimiſtiſch ausgeſprochen, veranlaßte mich zu 
immer peinlicherer Zurüdhaltung meiner Befürchtungen. 


Ttepig, Erinnerungen 25 


Schlußwort 


1 


Das deutfche Wolf hat die See nicht verltanden. In feiner Schidfale- 
ftunde hat e8 die Flotte nicht ausgenust. Sch kann ihr heute nur noch 
das Totendenkmal fegen. Eine Tragödie ohnegleichen hat das deutfche 
Volk in feinem rafchen Aufftieg zum Weltvolf und feinem noch rafche 
ven Abfinken durch zeitweilige Kleinheit feiner Politik und durch Mangel 
an Nationalfinn erlebt. 

Uberblickt man das tragifche Schieffal unferer Flotte, das von dem 
unferes Volkes nicht zu trennen ift, fo Fönnte man zu der Anficht 
kommen, daß jediweder Verfuch eines europäischen Staates, fich gleich: 
berechtigte Seegeltung neben England zu verfchaffen, von vornherein 
ein vergebliches Bemühen war, Ich glaube, daß eine eingehende und 
gerechte Gefchichte zu diefem Endurteil nicht kommen wird. 

Spanien war im Befi der damaligen Welt, als England aus einem 
Ackerbauvolk fich im Kampfe gegen die fpanifche Silberflotte — West- 
ward ho! — zu einem Piratenſtaat entwickelte und fchließlich die 
große Armada vernichtete, Spanien Eonnte wohl militärisch erobern 
und überfeeifche Kolonien eine Zeitlang halten, doch ihm fehlten Handel 
und Wandel, die zweite Grundbedingung dauernder Seegeltung. 

Holland hatte reichiten Handel und lockte damit die Begierde Eng: 
lands. Es bejaß auch eine gute Kriegsflotte, die einft unter de Ruyter 
mit ihren auf London gerichteten Gefchügen ihm einen gerechten Frie— 
den erftritt, Holland war aber klein und hatte Fein eigenes Hinter— 
land. Deutfchland lag zerriffen durch den Dreißigjährigen Krieg, wäh— 
rend Ludwig XIV. den großen gefchichtlichen Fehler beging, feinem 
natürlichen Bundesgenofjen Holland in den Rücken zu fallen. Aber 
vielleicht hätten fich die Niederlande länger halten und die Zeit über- 
brücden Fönnen, bis ihnen aus Deutfchland ein neuer Bundesgenoffe 
erwuchs, wenn nicht die Mynheers von Amfterdam zu fehr auf Jahres- 


Schlußwort 387 


verdienſt geſehen und auf ihren Pfefferſäcken geſeſſen hätten. Trotz 
dringender Vorſtellungen ihres großen Admirals ließen fie ihre Sees 
macht im Frieden verfallen und brachten Holland den Niedergang. 

Frankreichs Aufftieg zur Seegeltung hatte feinen inneren Verhält: 
niffen entjprechend geſchwankt; der Weg, den Nichelieu und Colbert 
gingen, wurde mehrfach unterbrochen. Troßdem ftand vor Ausbruch 
der Nevolution Frankreichs Seegeltung ebenbürtig neben der englifchen. 
Mefentlich durch fie war es Wafhington gelungen, die Freiheit Ame— 
rikas zu erfämpfen. Suffren hatte in Indien den Engländern die 
Mage gehalten, und das Mittelmeer war in der Hauptfache franzöfifch. 
Die Revolution vernichtete das Offizierskorps der Flotte und Tieß 
Schiffe und Perjonal verkommen. Napoleon hat dann erfahren, daß 
e8 felbft feiner Energie und feinem Genie nicht gelingen Eonnte, eine 
Seemacht aus dem Boden zu ftampfen, und fo erlag bie zahlen: 
mäßig überlegene franzöfiichefpanifche Flotte der höheren Qualität Nel— 
ſons und feiner „band of brothers“, 

Englands Geepreftige hat dann das 19, Jahrhundert überdauert. 

Km die Wende des 20. Schrhunderts befaßt Deutfchland alle Grund: 
bedingungen für Seegeltung. MWeltbedeutenden Handel und Gewerbe: 
Fleiß, deren Niefenauffchwung faſt zu ſchnell ging, militärifchen Sinn, 
organifatorifche Befähigung und Arbeitsfreudigkeit, Staatsfraft und 
Baterlandgliebe, Die Zeit war Fnapp, um Langverjfäumtes nachzu= 
holen. Aber wir waren nahe vor unferem friedlichen Ziel, als ung 
eine unheilvolle Politik den vier flärfiten Seemächten Europas im 
Krieg gegenüberftellte, von denen England allein um dag Doppelte 
uns überlegen war. Auf emen vollen Sieg, auf ein Niederringen 
Englands Fonnten wir von vornherein nicht rechnen, wohl aber Fan 
ich die Überzeugung ausfprechen, daß unfere Seemacht — nehmt 
alles nur in allem — gut und ſchon ftarf genug war, um England 
jo zu bedrängen, daß wir zu emem Frieden kommen Fonnten, der 
ung die Möglichkeit gab, unfere fchweren Verluſte wieder auszuheilen. 
Um dies zu erreichen, mußten wir das Weſen des gegen Deutfchland 
geführten Vernichtungskrieges erkennen, milttärifch und politifch dem 
entiprechend verfahren und vor allem unfere Seemacht, einheitlich 
geleitet, beizeiten rückſichtslos einſetzen. Verpaffen der Gelegenheiten 
erlaubte ung die Gefamtlage nicht. 

Schrecklicher als jener Verkauf der alten deutichen Flotte durch 

25* 


388 Schlußwort 


Hannibal Fiſcher iſt das Ende der Kaiſerlichen Marine. Jener Anlauf 
unferer Väter war verfrüht mit untauglichen Mitteln, der unſerige 
ſpät unternommen, aber nicht zu fpätz auf Preußen-Deutfchland ger 
gründet, hätte er gelingen müffen. Ob unfere Enfel ihn noch einmal 
aufnehmen Eönnen, bleibt im Dunkel der Zukunft verborgen. Wenn 
fie e8 aber tun follten, fo mögen fie aus unferem Verſuch Glauben 
ſchöpfen, und lernen. 


2 


Menn man den Aufftieg PreußenDeutfchlands mit einigem Wirk⸗ 
Tichfeitsfinn betrachtet, von der vollitändigen Zerrüttung, welche der 
Dreißigjährige Krieg hinterließ, bis zu unferer höchften Blüte im Juli 
1914, fo fcheint es wie ein Wunder, daß das Werk fomweit gelang. 
Mitten in Europa, ungünftig zum Weltmeer Tiegend, mit mäßigen 
Naturfchägen bedacht, nach allen Seiten ungeſchützt durch natürliche 
Grenzen, dabei umlauert von Völkern, die jeit Jahrhunderten jo wie 
heute immer bereit waren, über ung berzufallen, fo ſteht Deutfch- 
land da, Vielleicht find dieſe Lebensbedingungen, vielleicht aber in 
gleichen Maße die Charaktereigenfchaften unferes Volkes der Grund, 
wenn Deutfchlands Entwicklung zur Macht und Blüte nicht aus 
dem Volk felbft herausgewachfen ift, fondern faft wie ein Kunſtwerk 
fich darftellt, aufgerichtet von einer Reihe von Gtaatsbildnern, die 
das Schickſal uns in den lebten drei Jahrhunderten gefchenkt hat. 
Kann jemand glauben, der „Ewige“ Reichstag, welcher Friedrich den 
Großen in Acht und Bann getan hat, das Frankfurter Parlament 
oder fonftige WVolksbefchlüffe würden ung vorwärts gebracht haben? 
Preußen-Deutfchland war vielmehr das Werk einzelner Männer, welche 
Pflichterfüllung und Unterordnung unter das Intereffe des Staates 
verlangten und durchfeßten und die Fähigkeit befaßen, die Zielrichtung 
zu geben. 

Um die Wende diefes Sahrhunderts waren mwir eingetreten in eine 
neue Zeit mit veränderten Lebensbedingungen. Unfer Volk mit blühen: 
der Snduftrie war gezwungen, fich an der Weltwirtfchaft im Großen 
zu beteiligen, wenn es nicht verfümmern mollte, Die Staaten mwers 
den erhalten durch die Kräfte, welche fie gefchaffen haben. Diefe Kräfte 
waren für Preußen-Deutfchland die reale Macht und die Hingabe 


Shlußwort 389 


an das Staatsganze, nicht die in den Wolken fchmebende Phraje der 
Völferverbrüderung, die von den Ungelfachfen jo meifterhaft zur Kne⸗ 
belung des deutfchen Volkes verwertet wird, 

Meine Überzeugung war, daß die Sendung Deutfchlands zum Bellen 
Europas und der ganzen Welt noch nicht erfüllt war. Es war ung 
beinahe gelungen, Deutfchland in die neue Zeit herüberzuführen. Eine 
Schon beträchtliche Seemacht ergänzte im hohen Maße die Mittel, 
ung einen Frieden in Ehren zu erhalten oder, wenn unvermeidlich, 
einen Krieg doch Teidlich zu beftehen. Sie bildete außerdem ein großes 
und notiwendiges Organ, um unfer Volk mehr an das Getriebe und 
den Geift der Welt heranzubringen. Wenn unfere zukünftige Ohn⸗ 
macht zur See unferen Niedergang weiter verfchärft haben wird und 
einen Wiederaufbau unmöglich macht, werden kommende Gefchlechter 
jich diefer Gedanken vielleicht erinnern. 

Nachdem Frieden und Krieg, Macht und Ehre verloren, ſtehen 
nun die Schuldigen auf den Trümmern und fäljchen die Gefchichte, 
jie treiben unferem armen und politifch unbegabten Volk den Glauben 
an fich ſelbſt und die Folgerichtigkeit feiner Gefchichte aus, fie ver: 
läftern den alten Staat, feine Blüte und feine Leiftungen, darunter 
vor allem jet feine Flotte, die in Wirklichkeit unfer größter neuer 
politiſcher Trumpf war, Sie geben fich alle Mühe, den Faden zu zer- 
reißen, der ung mit der vergangenen Entwicklung verbindet. Der alte 
Staat war gewiß in mancher Beziehung verbefferungsbedürftig, er bejaß 
aber volle Entwiclungsfähigkeit für die neue Zeit und die Bedürf— 
niffe unferer Kinder und SKindeskinder. Die Revolution warf aber 
alles über Bord, was uns groß gemacht hatte, fie war das größte 
Verbrechen an der Zukunft unferes Volkes, 

Der Zuſammenbruch ift nicht unferem alten Staatsfyftem an ich, 
jondern feiner unzureichenden perfönlichen Vertretung zuzufchreiben. 
Unfere Gefellfchaft war zum Zeil in ein fchwaches Epigonentum vers 
ſunken; materialiftifche Gefinnung hatte fich ausgebreitet; der Einfluß 
de8 allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts, welches immer 
dazu meigt, die Macht in Demagogenhände zu Tegen, war nicht mehr 
genügend ausgeglichen durch eine ftarfe Regierung oder eine charakters 
fefte Oberfchicht. Sp waren die Männer, die den Staat im Krieg 
vertraten, in der Regierung, im Bundesrat und im Reichstag nicht 
auf der Höhe ihrer Aufgaben. Hätte nur einer der gejeßgebenden 


390 Schlußwort 


Faktoren richtig funktioniert, jo wäre das Unheil niemals im dieſem 
Umfang eingetreten. 

Der Feind ſtellte Diktatoren an die Spitze, die, wo erforderlich, 
mit eiſernen Mitteln den Sieges- und Vernichtungswillen ihrer Völker 
hochhielten. Bei uns ließ die derzeitige Staatsleitung mit offenen 
Augen den inneren Zermürbungsprozeß zu in der gefährlichſten Stunde 
Deutſchlands, wo alle Gedanken und alle Herzen gegen den äußeren 
Feind hätten gerichtet ſein müſſen. Verſchärft wurden die ſchlechten 
Triebe unſeres Volkes durch jenen zerſetzenden undeutſchen Geiſt, der 
allmählich in unſerem Volk die Herrſchaft erlangt hat und jetzt alles 
durchdringt und dem ſich entgegenzuſetzen das Deutſchtum noch zu 
träge ſcheint. Unſere Demokratie hatte den Sinn für das Ganze, für 
der Geſamtſtaat bisher ungenügend in fich entwickelt. 

Die neue Ara hat ihre Herrfchaft damit begonnen, daß fie unferem 
Volk zu feinem fonftigen Unglück noch die Ehre vaubte und es der 
Verachtung der Welt preisgab; auf diefe Weife es aber unferen Fein- 
den erſt ermöglichte, uns erbarmungslog zu vernichten, denn fie Fonn- 
ten jeßt auch den edleren Teilen ihrer eigenen Bevölkerung ſowie der 
übrigen Welt den Glauben beibringen, daß wir Verbrecher und Feiner 
anderen Behandlung wert feien. Ein fchmerzliches Sinnbild diefer Ent= 
wicklung gibt mie Admiral Beatty. Am 28. Auguft 1914 richtete er 
an die geretieten Dffiziere und Mannfchaften der untergegangenen 
‚Mainz‘ das Signal: Ich Din ſtolz, fo tapfere Männer an Bord 
meines Geſchwaders zu begrüßen. Im November 1918 dagegen be: 
fahl er feinen eigenen Befagungen vor deren Begegnung mit ben ihre 
Schiffe ausliefernden deutschen Mannfchaften: Vergeßt nie, daß der 
Feind ein verächtliches Bieſt (despiccable beast) ift. 

Wenn ich auch fürchten muB, daß Deutfchland die letzte Stunde 
verloren bat, um zu einem Weltvolk aufzufteigen, fo wird es doch 
wenigfteng aus der jeht eingetretenen Verfumpfung und Zuchtlofigkeit 
fich nur dann zu einem neuen Xeben in Ehren erheben, wenn es bei: 
zeiten zur Befinnung kommt und gemäß feinen alten Überlieferungen die 
Kräfte erkennt, die es groß gemacht hatten. Sch perfönlich glaube heute 
nicht, daß dies dem Weſen nach in einer republifanifchen Staatsform 
geſchehen kann; hierzu fehlen ung zu viele von den Eigenschaften, 
die den Männern auf dem Rütli zugefprochen wurden; dazu kommt 
unfere fchivierige geographifche Lage, auch der beftändige Einftrom un- 


Schlußwort 391 


deutſcher Elemente und die Spaltung der Konfeſſionen. Alles dies ſcheint 
für einen deutfchen Staat den Negulator einer monarchifchen Macht 
unentbehrlich zu machen. Das Zerreißen unferer gefchichtlichen Ent: 
wicklung war daher, welche Stellung zur DBerfaffungsfrage man auch 
geundfätlich einnehmen will, ein Methodenfehler. Die großen Taten 
der Hohenzollern, die nicht ausgelöfcht werden können durch began- 
gene Fehler, beftimmen notwendig auch die zufünftigen Schickſals— 
Iinien unferes Volkes. 

Sp wie bei ung der republifanifche Gedanke entwickelt worden ift, 
beruht er auf Verfprechungen für die Maffen, die unerfüllbar find. 
Die Demokratie bleibt daher, um die Maſſen in der Hand zu be 
halten, ftets gezwungen „Rechte“ voran, ‚Pflichten‘ aber im zweite 
Linie zu ftellen. Diefer Weg Bann nie zum Aufftieg führen. Auch wenn 
die republikanifche Staatsform für Deutfchland ein höheres Maß von 
ftaatenbildender Fähigkeit in fich tragen follte, als ich heute zu erfen- 
nen vermag, jo werden wir trotzdem zurückkehren müffen zu dem Grunds 
prinzip unferes alten Staates, daß nur die Arbeit für das Ganze in 
ihrer Endwirkung auch das Wohl des Einzelnen bedeutet, die fchranfen- 
lofe Betonung der Partetintereffen oder des individuellen Lebens aber 
zur Staatlichen Vernichtung führt. 

Heute bleibt es vornehmfte Pflicht aller ſtaatsbewußten Deutfchen, 
ſich auf den einen Gedanken zufammenzufchließen, die Vernichtung aller 
materiellen und moralifchen Güter zu benimen und dem weiteren Nie 
dergang Einhalt gu gebieten. Vom Deutfchtum zu retten, was von ihm 
noch zu retten ift, bleibt des Schweißes der Edlen wert. 

Unfere Hoffnung aber fei das kommende Gefchlecht. Ein Sklaven: 
volk find wir noch nie geweſen. Seit zweitaufend Jahren bat unfer 
Volk nach jähem Sturz ftets wieder jich emporgehoben, 

Sollten die von mir niedergefchriebenen Erinnerungen dieſem Ziel 
+ dienen und für den Glauben an uns felbft eine Unterftügung abgeben, 
fo wäre der legte Dienft getan, den ich meinem Vaterlande erweiſen 
kann. 


Anhang 


1. Aug meinen Kriegsbriefen 


Die tagebuchartigen Aufzeichnungen, aus denen nachftehend ein Auszug 
gegeben wird, find regelmäßig fpät abends oder furz vor Abgang di: 
Kuriermappe flüchtig hingemorfen. Sie geben nur Stimmungsbilder über 
die zur Zeit fich abfpielenden Kriegshandlungen oder über Perfonen, bie 
babei in Betracht Fommen, nicht abgemogene Urteile wieder. Die Kriegs: 
briefe find daher beeinflußt durch Augenblickseindrücke, unvollflommene 
Zagesnachrichten und ähnllches. Man darf fie daher nicht einzeln heraus: 
reißen oder mic) auf gelegentliche Unftimmigfeiten oder Schroffheiten in 
der Ausdrucksweiſe feftnageln wollen. An die Möglichkeit einer Veröffent- 
lichung habe ich nie gedacht. Wenn ich mich dennoch zu einer teilmeifer 
Veröffentlichung entichliefe, fo gefchieht dies, weil die Kriegsbriefe zeigen, 
daß die in den Erinnerungen zum Ausdruck kommenden fachlihen und - 
allgemein politifchen Anfichten nicht nach beendetem Krieg entftanden find, 
fondern fich in allen wefentlichen Punkten mit meiner Beurteilung mährent 
des Kriegsverlaufs dedten. 


1914 
Coblenz, 18. VII. 

Eine Welt ift gegen ung mobil gemacht. Wir müſſen durchhalten 
bis zum Außerften, das ift die einzige Möglichkeit, unfere Stellung 
in der Welt zu behaupten. Bis jet habe ich das Gefühl, daß ich 
in diefer Beziehung hier nützlicher bin als in Berlin. Ob es fo bleibt, 
chi lo sa? Pohl, Ioggelöft von feiner Behörde, ift zugänglicher. Ach 
laffe ihm alle Ehre und habe bisher den Hauptausfchlag gegeben. 


Coblenz, 19. VID. 

Das Ultimatum von Japan vernichtet eine 20 jährige erfolgreiche 
Tätigkeit; aber wir müjjen durch, folange als irgend möglich. Heute 
eine ftundenlange Unterredung mit Bethmann und Jagow. Pohl war 
auch dabei. Ich Habe alles verfucht, fie feft zu machen. Zum Frühſtück 








Kriegsbriefe 1914 393 


bei S. M. S. M. war ziemlich befriedigt von den Nachrichten aus 
ben Kriegsfchauplägen. Nach Tiſch mußte ich über zwei Stunden mit ihm 
im arten fpazieren gehen. Gfüclicherweije gingen wir langſam, und 
es war warm. Sch habe alles verjucht, ihn feft zu machen. Zurzeit war 
es aber nicht erforderlich. Er überfah die Situation vollftändig und 
hatte ganz Blare Anfichten. Wenn er nur nicht Bethmann gehabt 
hätte in den letzten Jahren, fo wäre alles bejfer geworden. Er war 
ftolz, daß feine ſechs Söhne vor dem Feinde ftänden. Sch gratulierte 
ihm dazu. Es wäre dies auch notwendig für die Dynaftie der Hohen⸗ 
zollern. Er war m. €, etwas zu optimiftifch betreffs der Nieder 
zwingung Englands, hielt fich fehr ſtark an die Gerechtigkeit Gottes. 
Sch beftätigte dies, fügte aber Hinzu, wir müßten auch imfererjeits 
Diefe verdienen. Männer ſeien notwendig an allen Stellen. Jch konnte 
doch nicht den Finger in die Wunde legen, befonders da ich die Über 
zeugung habe, daß er Bethmanns Unzulänglichfeit vollftändig erkennt. 


Coblenz, 20. VID. 

Heute vormitteg wieder langes Palaver mit dem fehr bilflofen 
Bethmann und mit Jagow. Bethmann hat nur Kontinentauffaljung. 
Er fieht nicht, daß wir als rein europätfcher Kontinentalftaat nicht 
mehr eriftieren Eönnen. Mach dich trotzdem gefaßt auf die große Möge 
lichkeit, daß auf mich fpäter das Anathema fällt. 


Goblenz, 21. VOL 

Wie Hätte ich perjönlich gemwünfcht, diefen Krieg nicht zu erleben. 
Sch kann es immer noch nicht begreifen, daß wir mit Rußland nicht 
auf einen modus vivendi kommen Fonnten. Die Balkanftaaten fcheinen 
nach den heutigen Nachrichten wieder flau zu machen. Werden wir das 
Weltnetz zerreißen, welches das perfide Albion um uns gefponnen hat? 
Wie furchtbar recht habe ich Teider gehabt. 


Schlenz, 22. VIII. 

Es iſt hart, Hier verhältnismäßig untätig zu fien in einem Zeit 
punkt, wo die Welt in Flammen fteht. Der Sieg des Kronprinzen von 
Bayern hat hier großen Jubel erregt, um fo mehr ald noch weitere 
Bolgen desjelben erwartet werden, Wir, die Marine, können 3. 3. 
jo wenig dazu tun, und das macht unfere Lage fo ſcheußlich. Die eng 
liſche Flotte bleibt in ihren Häfen und wirft als fleet in being. Das 


394 Kriegsbriefe 1° | 


wird fo felten bei ung verftanden. Die u. der vollen wirken Durch 
Yushungerung und Lähmung unferes Wirtſchaftslebenc. Hoffentlich Hilft 
der Himmel, fie auch mal leiden zu laſſen, weil fie feelenfos Europa 
in Flammen gefest haben. Es ift eine merkwürdige Situation: Oft: 
und Nordfee frei, und wir gefchäftlich doch gefnebelt. Vorläufig bes 
berrfcht der Landfrieg alles. Wie wird es aber fpäter? 


Coblenz, 23. VII. 


Nein, troß der bisher einlaufenden Siegesnachrichten, jubeln kann 
man nicht, und hoffentlich hält fich unfere Preffe damit zurück. Noch 
find Eeine wefentlichen Entfcheidungen gefallen (freilich find im Kampf 
füdlich von Met 150 Kanonen genommen) und verftanden wird nicht, 
daß die größte Gefahr gegen die Polo fpielenden Engländer immer 
beftehen bleibt. Wenn wir gar Feine Flotte gehabt hätten, England 
war immer gegen ung feit Sedan. Wenn wir meiter mit der Flotte 
geweſen wären, jo hätte es England nicht riskiert, Wenn wir nicht 
gänzlich gefchlagen werden, müfjen wir erſt recht Flotte bauen; das 
ift der einzige Weg, durch den wir wieder Luft befommen Fönnen 
für Erport und Induſtrie. Ich zittere in erfter Linie für unfer Deutfch- 
fand, dem ich die Wucht und grimmige Entfchloffenheit nicht in dem 
Maß zugetraut hätte; aber zuviel Jämmerlichkeit da droben! 


Coblenz, 24. VIIL 

Unfere Kriegshäfen find nicht mehr bedroht. Sch bereite weitere 
Nußbarmachung des dortigen Perfonals vor, Die Armee hat bisher 
ungeheure Erfolge und die Marine nichts. Das macht hier meine 
Lage fo ſchrecklich nach all der zwanzigjährigen Anftrengung. Man 
wird es doc) nicht verftehen. Es ift immerhin möglich, daß es im der 
Nordſee nicht zum Schlagen Fommt, und ferner möglich, wenn aud) 
nicht ſehr wahrfcheinlich, daß es früher zum Ende kommt, als wir dach: 
ten. Nur England fteht dazwiſchen. Die Kraft der franzöfifchen Armee 
it jeßt Schon faft gebrochen. E8 Eommt nun auf die Kämpfe im Norden 
an, Seit heute morgen ftehen unfere Truppen (hoffentlich Branden- 
burger) im Kampf mit zwei englifchen Divifionen. Wolle Gott die 
Erzſchurken vernichten, die unſer Kultureuropa in Flammen gefeßt 
haben, Falten Blutes, aus fchnöder Herrfche und Geldfucht. Ich Bann 
ivenig fun, und troß ber glorreichen Siege Tiegt es wie ein Alp auf 











Kriegsbriefe 1914 395 


mir, Du wirft mir tragen helfen, wenn eine Zeit kommt, in der man 
mit dem Finger auf mich zeigt. Innerlich bin ich mir freilich abfolut 
ficher, in der Flottenfrage den einzigen Weg für Deutfchland eingeichlagen 
zu haben, den es gab, wenn unfer Volk nicht herabfinfen jollte, 


Coblenz, 25. VII. 

Laß dich durch die Mißerfolge im Often nicht ſchrecken. Has war 
vorauszufehen. Freilich war vielleicht unfere dortige Führung nicht Ia 
im Anfang. Die Kämpfe von Bafel bis über Namur find riefig und 
noch nicht dageweſen. Der Kronprinz hat es fehr ſchwer, und Die 
Franzoſen fchlagen fich gut. Wir follen nicht zu früh Frahen, 


Coblenz, 27. VII. 

Den Untergang der „Magdeburg wirft Du gehört haben, ſchade 
um das Schöne Schiff! Die „Mainz“ und andere Kreuzer haben einen 
verwegenen Streich ausgeführt. Faſt unbegreiflih, daß fie fo durch— 
gekommen find. Hier ift alles guter Hoffnung, obwohl der von der 
franzöfifchen Heeresleitung allgemein befohlene Rückzug die Hoffnung 
wohl vereitelt haben wird, große Heeresteile abzufchneiden. Die Eng: 
länder find auch ſchon abgezogen, obgleich ihnen unſere Kavallerie 
auf den Hasen ſitzt. Letztere foll aber fehr hungern. Die Gewaltmärfche 
der Pommern und Brandenburger find ungeheuer geweſen. Es fcheint, 
daB meine Brandenburger gegen die Engländer gefochten haben. Geftern 
abend traf ich auf der Nheinpromenade König Ludwig, der mich mit 
beiden Händen empfing. Abends beim Kaifer, Yehterer fehr vergnügt, 
bejonders über die Söhne. Heute müffen die Entfcheidungen in Preußen 
fallen. Man ift etwas beforgt wegen der gewaltigen Übermacht dort. 
Zur Freude über unferen Sieg kann ich noch garnicht kommen. 

Es haben fo viele Vertrauen zu mir und ich kann jo wenig machen. 
Ich muß mich auch zurüchalten, folange die Armee lediglich den Sieg 
über die Franzofen im Auge hat und man das Ende garnicht abzu— 
jeben vermag. 


Coblenz, 28. VII. 

Ich bin in großer Sorge wegen der Affäre bei Helgoland. Mir 
fcheint, man hat fich überrafchen laſſen. Unfere Teichten Streitkräfte 
find nicht ausreichend für folche Scharmüßel. Wenn das jo fortgebt, 


396 Kriegsbriefe 1914 


werben fie bald zerrieben fein. Die Engländer werden im großen 
Bogen ung mit Minen einkefjeln; dann fitt unfere Flotte gefejjelt 
drin (bottled). Es it furchtbar für mich! Sch bin immer gegen eine 
zu große Feffelung der Flotte gewefen, aber gegen die Anficht von 
Hohl, Müller, dem Kaifer und Bethmann mar nichts zu machen. 
Freilich Tiegt die Entfcheidung bei Ingenohl, dem man das einzelne 
nicht vorschreiben kann. Bei der akuten Angelegenheit überfehe ich natür⸗ 
lich nicht die Lage. Die Armee fchreitet von Sieg zu Sieg. Die 
Lage ift allerdings auch für fie fehrieriger geworden. Meines 
Erachtens unterfchät man die Hartnäcigfeit der Engländer auch für 
den Ausgang des Landkrieges troß unferer Siege über die englifche 
Armee erheblich. 


Soblenz, 29. VIIL- 

35h kann auch nicht hoffen, daß Wolfl) unter den wenigen von 
der „Mainz Geretteten fein wird, dazu waren die Umftände für ihn 
zu ungünftig. Die Pleinen Kreuzer find zu toll darauf losgegangen; 
aber abgefehen davon, empfinde ich fo bitter, daß fie meines Erach- 
tens nicht richtig verwendet zu fein fcheinen. Man fchiet fie nicht vor- 
wärts in den Kampf mit gefchüsten Streitkräften, wenn man nicht 
große Schiffe und Torpedoboote dicht dahinter hat! Aber ich will 
Darüber nicht rechten, denn man überfieht die Vorgänge nicht. Soviel 
Scheint mir ficher, daß unfere Flotte nicht Vorteil hat, wenn fie die 
Schlacht herausfchiebt. Die Überlegenheit der Engländer an Teichten 
Streitkräften ift zu ungeheuer groß, als daß ihnen ein Verluft an diefen 
Zeilen etwas ausmacht, 


Coblenz, 30. VII. 
Morte fehlen mir über die Nachricht von Wolfs Rettung. Opfern 
müffen wir ja alle für unfer Land. Es mar aber fo bejonders bitter 
für mich, daß diefe Opferung unferer Heinen Kreuzer unnötig erfcheint 
infolge falſcher taktifcher Auffaffung. Es ift ja wohl zu früh zum 
Urteilen, aber hat Ingenohl den Genius des GSiegers? Pohl hat 
ihn ficher nicht. Sch kann aber an den Kaifer garnicht heran im 
biefen Dingen, was die Analogie mit dem Generalftab, unterftüht von 
Müller, bewirkt hat. Offenbar ift der Kaiſer gegen mich fcharf ge- 


9 Der Sohn, Wach-Offizier auf der „Mainz“. 





Kriegsbriefe 1914 397 


macht. Dabei habe ich die Empfindung, gerade in diefen Fragen mehr 
in der Nafe zu haben, als Pohl im ganzen Schädel, Bethmann bearbeitet 
Hohl fortwährend, die Flotte nicht einzufeßen. Das wäre der Tod 
unferer Flotte nach dem Kriege. Er und die ganze Bande von Diplo: 
maten will die Flotte verfaufen beim Friedensjchluß mit England, 
dag iſt das ganze Geheimnis, 


Luxemburg, 2. IX. 

Die große DOffenfivwelle, die wie eine Walze über Frankreich und 
Belgien fuhr, rollt doch ſchon langſamer, und das Ende iſt ſchwer 
abzufehen. Soeben höre ich, daß die Hauptarmee der Ofterreicher ich 
nicht glücklich gefchlagen haben ſoll (ganz entre nous). Das iſt fehr 
ſchlimm wegen der Rückwirkung auf den Balkan. Im Großen Haupt: 
quartier ift man außer fich. Die Engländer machen Kiejenanftrenguns 
gen und find meines Erachtens die gefährlichfien Gegner. Ich glaube, 
Provinz Preußen ift vorläufig ficher. Wir haben dort jest ausgezeich- 
nete Führer, nachdem die anfänglichen kurzer Hand abgefchoben find. 
Sch habe mir aus Longwy Pakete mit Dum-Dumgeſchoſſen (gejchloj- 
jen) mitgenommen als Beweis, daß das franzöfifche Kriegsminiſte⸗ 
rium Dies angeordnet hat. 


Zuremburg, 3.IX. 


Es ift der Kaifer, der Ingenohl bremſt. Er will nichts mit der 
Flotte riskieren. Er will zurüdhalten bis Winter, wenn nicht über: 
haupt. Drängen ift jest jeher jchwierig, man weiß nicht wie lange 
Frankreich ducchhält, und dann haben wir doch nicht das doppelte 
bzw. vierfache gegen uns. Dazu kommt der Winter. Im übrigen habe 
ich doch einiges hier genugt, während das Reichgmarineamt vorzüglich 
arbeitet. Die ganze Erpedition von Uſedom und Schröder in die Wege 
geleitet, und jeßt verfuche ich ein Drittes, Bei der bitteren Not, bie 
nach dem Kriege eintritt, ift die Marine meines Erachtens doch ver: 
foren, wenn wir nicht einigermaßen Zaten aufzumeifen haben. Die 
Kleinigkeiten find nichts und werden durch Mißerfolge ausgeglichen. 
Wir find hier im Hauptquartier abgefchlofjener als man glauben follte, 
erhalten nur fehr dürftige Nachrichten von der ganzen Armee, Unfere 
Stellung wird durch die Verhältniffe bedingt, höchſt unerfreulich. An 
mich Eommt Feiner von felbit, da fie mich zu fehr fürchten. Audienz 


393 Kriegsbriefe 1914 


{ft hier nicht angängig, Pohl kann ich nicht verflagen. Die Analogie 
mit Moltke wirkt zu ftarf, Es würde als Vordrängerei abgemiefen 
werden. Sch muß mir das auffparen für ganz große Entjchlüffe. 


Zuremburg, 4. IX. 

Sch fürchte den Kanzler und feine Leute; ich bin durchörungen, daß 
fie der großen Zeit nicht gewachfen find, und wie fie den Krieg nicht 
verhindert haben durch ihre Politik, fo werden fie auch einen jäm— 
merlichen Frieden zuftande bringen. Die Engländer niederträchtig, brutal 
als Nation — als einzelne Perjönlichkeit find fie zu achten. Sie haben 
fich in hundert Jahren eine Moral zurecht gemacht, an die fie glauben. 
Altes iſt gut, gerecht und religiös fogar, was ihnen Nuten bringt. 
Alte Völker find ihre Auspreßobjekte nach Gottes Ratſchluß. 


Luxemburg, 5. IX. 

In Berlin fcheint man etwas fiegestoll geworden zu fein, wie ich 
aus verfchiedenen Briefen entnehme, Noch haben wir Feinesivegs ge: 
fiegt, den Krieg als Ganzes betrachtet, Wir müßten fchon deshalb 
befcheiden fein, weil nur dadurch die Zähigkeit zum endgültigen Giege 
uns erhalten bleiden kann. Die fchwerfien Tage werden noch Eommen. 
England hebt die ganze Welt auf ung, und die unerhörte Lügenfabrik 
verbreitet unfere fogenannten Niederlagen und unfere Niederträchtige 
Feit durch alle Länder. Wir haben dem nichts entgegenzufeßen. 


Luxemburg, 6. IX. 

Sch komme zu nichts, fo viel gibt e8 doch zu tun. Dabei habe ich 
wenig Einfluß. Auch die Einwirkung auf Müller ıft reine Waffer: 
fuppe. Im übrigen ijt er wieder eingemwickelt von Bethmann, und Pohl 
gehört dazu. Das gibt für mich eine höchft traurige Lage. Für die 
Urmee wird die Lage ſchwierig. Da ung nicht geglückt ift, große 
Zruppenmaffen einzufeffeln und gefangen zu nehmen, kann die fran= 
zöfifche Armee durch ihr Eifenbahnne immer andere Pofitionen ein- 
nehmen. Die Engländer machen ungeheure Anftrengungen und haben 
wieder 40—60000 Mann im Norden gelandet. Es ift zu hoffen, 
daß Maubeuge bald fällt und wir dag dort zernierende Armeekorps 
frei bekommen, was fehr not tut. Ein Armeeforps wird jetzt ſchon 
von Bedeutung. Troß aller Verfprechungen fchlagen die Türken nicht 
los. Die Stimmung in Skandinavien ift immer ungünftiger geworden. 








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Kriegäbriefe 1914 399 


Stalien brennt darauf, gegen ung Toszufchlagen. Die diplomatifche 
Leitung läßt die Zügel fchleifen wie vorher. Bleibt Bethmann, fo 
wird ficher alles verbruddelt werden! 

Sch will jet gleich zum Reichskanzler und verfuchen, ein neues 
Unternehmen zu infiradieren. 


Luxemburg, 7. IX. 

Sch bin immer in Sorge über unfere Diplomaten, bie einerfeits 
gleichgültig find gegen den gewaltigen hiftorifchen Vorgang und die 
durch ihre Flaumacherei die Engländer immer ftärfen und auf die 
englifchen Bluffs hereinfallen. Ber den Sfterreichern fteht es vecht 
kritiſch. Hier im Welten wird auf der ganzen Linie gefchlagen. Da 
e8 geglückt it, den franzöſiſchen Angriffsbefehl für heute geftern abend 
in bie Hand zu befommen und dementjprechend Gegenmaßregeln zu 
treffen, jo hoffe ich, werden wir fiegen. Wir müjfen aber mehr ala 
ſiegen, denn Italien ift gegen Ofterreich Faum zu halten. E8 ift jest 
ficher, daß England große Truppenmaſſen von Afien heranholt. Aber 
e8 ginge alles gut, wenn wir einen eifernen Kanzler und einen ‚alten 
Kaiſer“ hätten. 


?uzemburg, 8. IX. 

Die Waffe der Lüge und Beltechung, die England gegen uns an: 
wendet, ift eine furchtbare, Die ganze Welt ift gegen uns aufgehekt. 
Sch eſſe heute bei Seiner Majeſtät. Unterhaltung wohl über die Paafche: 
angelegenheit!). Sch halte fie für etwag verfrüht, aber vielleicht ala 
Stimmungsmache zu begrüßen. Auf der anderen Seite wird es bie 
Armee verjtimmen. Geftern auch mit Oldenburg lange gefprochen über 
die Friedensfrage, desgleichen heute mit dem Ziviladjutanten des Kron— 
prinzen (Maltzahn) im Auftrage des letzteren. Durchhalten, durch⸗ 
halten ift die einzige Lofung für ung; fie ift aber ſchwer zu erfüllen, 


Zuremburg, 9. IX. 

Bei den Öfterreichern ſoll es gar nicht fo gut ſtehen, und das hält 
alle Balkanvölker zurüd, Auch wir im Weften ftehen vor großer 
Kriſis. Die Truppen, die wir jet nach dem äußerſten rechten Flügel 
ſchicken, Fommen ficher zu fpät. Wir haben den Erfolg unferer erſten 


Y Pol. unten zum 10. IX. 


400 Kriegsbriefe 1914 


Siege überfchägt. Die Franzofen find planmäßig zurückgegangen und 
gehen fett mit ungeheuren Maffen und großer Bravour vor, während 
unfere Truppen durch Marfchieren ausgepumpt find. Sie werben es 
aber doch durchhalten, bis die Nachfchübe herankommen, während die 
Franzofen fich auf ihre Nachfchübe zurückgezogen haben. In der Marine 
haben mwir Feine Erfolge gehabt. Wenn die Flotte nur erft zum Tragen 
kommt und Feine Dummheiten gemacht werden, fo wird fie fich glän- 
zend fchlagen. Die Flaumacherei für Frieden ift maßlos töricht. Ge: 
rade wenn mir Frieden mit England wünfchen, müßten wir das Maul 
fomweit aufreißen mie nur möglich. Diefen Bluff verftehen mir nicht. 
Lies den Bericht von Goſchen über die lete Unterredung mit Bethmann 
und Jagow. 


Luremburg, 10. IX. 

Der Kanzler hat mich natürlich im Verdacht, die Paaſche-Affäre 
(Einbringung eines fofortigen Antrages zur Verftärfung der Flotte) 
mindeftens fuggeriert zu haben. Über den Artikel von Reventlow ift er 
Gefonders wild und mittert auch hier das Neichsmarineamt dahinter. 

Sin der Türkei will die Sache nicht vorwärts gehen. Ein Teil der 
Schuld fällt auf folche, die den Türken Angft machen wegen der Dar: 
danellen, was mir unverftändlich ift. Auf dem Balkan herrfcht die Ans 
fiht einer großen Niederlage der Hfterreicher. Trifft das zu, dann 
können wir alle Hoffnung, die wir auf diefe Ecke und den Iſlam ge: 
feßt haben, fallen laſſen. Die Engländer ſchicken ftarfen Nachſchub, 
und der Anlauf unferer Armee ıft zunächft zum Stehen gefommen. 
Dennoch hoffe ich hier auf endlichen Sieg. Wir haben etwas fpät die 
Abſichten der Frangofen erfahren, Unfere Truppenverfchiebungen wer: 
ben nicht mehr ganz rechtzeitig eintreffen, Die Franzofen haben ein 
dichtes Eifenbahnnet hinter fich. Unfere braven Truppen müffen meift 
zu Fuß marfchieren. Die Frangofen haben alle Nachrichten durch ihren 
Eiffelturm, wir dagegen faft nichts in diefer Richtung. 


Zuremburg, 11. IX. 

Der Krieg wird nicht fo kurze Zeit dauern, wie manche denken. Eng» 
fand, welches die Urfache von allen Böfen ift, merkt auch, daß es für 
feine Weltftellung Fämpft. Im Monat Auguft haben fie 49 % ihres 
Handels und Gefchäfts eingebüßt, das wirft einigermaßen. Die Frauen 





Kriegsbriefe 1914 401 


in England follen befonders wild fein auf uns und reiten mit Herren⸗ 
fiß durd, die Straßen, um für die Armee zu werben. Sch bin heute 
mit Hopman per Auto nach einem Walde gefahren und habe dort einen 
fchönen Spaziergang gemacht, fchöne Natur, tiefe Täler. Die forft- 
männifch fchlecht behandelten Wälder wirken wohl gerade darum recht 
malerifch. Sm ganzen erfcheint mir Luremburg als ein höchft vertroddel- 
tes Land, Die ftete Anfpannung aller Kräfte und der Militärdienft in 
Deutjchland haben doch glänzende Früchte gezeitigt. Dabei muß man 
an das liberale Gezänfe über Militarismus, Zabern-Affäre uſw. denfen, 
Wie töricht war das doch alles. Ein großes Verdienft wird man dem 
Kaifer laſſen müffen. Er hat die Wehrmacht nicht einfchlafen lafjen, 
troß dem Reichskanzler. 


Luxemburg, 12. IX. 


Das ift es ja eben, daß wir Englands Zuſtimmung zu einem Frieden 
nicht bekommen werden, in dem wir ung fchadlog halten dürften. Diefer 
Separatfrieden ift eben unmöglich, Wenn mir alfo nicht unterliegen 
wollen und ausgelöfcht fein wollen als großes Weltvolk, fo bleibt ung 
Feine Wahl, als durchhalten. Deshalb dürfen wir ung auch gar nicht 
verleiten laffen, daß wir zu einem Frieden & la Bethmann, Harnad uſw. 
kommen wollen und uns öffentlich danach fehnen, denn diefe Flau: 
macherei ftärft 3.3. nur England in der Hoffnung: Germaniam esse 
delendam. 

Meine Konzentrationsauffaffung in der Nordfee habe ich gar nicht 
aufgegeben. Sch war nur der Anficht, daß durch das damals geplante und 

jeßt ausgeführte Vorgehen des Prinzen Heinrich und durch die Repa— 
\ raturnotwendigkeit von „Moltke“ und „Tann“ fowiefo eine Schlacht 
| in der Nordfee mit einigem Erfolg kaum möglich fei; dann follten wir 
diefe Abficht aber planmäßig auf zehn Tage ganz einſtecken und in diefer 
Zeit nach Oſten mit noch viel größeren Kräften und Trara als ge 
Ichehen vorgehen, um eine nachhaltigere Wirkung hervorzubringen. Wä- 
ren mir nach dem ausgeführten Plan mit der ruffifchen mindeftens 
\ gleich ftarfen Flotte tatfächlich zufammengeftoßen, fo hätten mir auch) 
bei fiegreichem Kampf Verluſte haben müffen. Es wäre fchade um 
jeden Verluft gegen Rußland, eben weil ich der Anficht bin, daß mir 
alles gegen England einfezen müffen. Darum: wenn überhaupt, fo 
nur mit großer Übermacht gegen Rußland. Ich will ja noch nicht reden, 

Tirpig, Erinnerungen 26 


402 Kriegsbriefe 1914 


Zuremburg, 13. RL. 

Die Schlacht ift auf unferem rechten Flügel nicht glücklich geweſen, 
während die Garde auf dem linken Flügel von Bülow fiegreich vor⸗ 
wärts Fam. Der frangöfifche Generaliffimus foll ein ganzer Kerl fein. 
Es wäre beffer gemwefen, nach hiefiger Anficht, wir hätten die Truppen 
erft etwas verfchnaufen Taffen, ehe wir mweitergingen. Inzwiſchen foll 
troß dem Zurücziehen unferer Truppen heute fchon ein erneuter An⸗ 
griff, namentlich feitens der Engländer, erfolgt fein, und man ift in 
Sorge, ob die Nachfchübe noch zur Zeit ankommen können. Wir waren 
zu fiegesgewiß und fahen die geplanten Rückzüge der Franzofen und 
Engländer ftets als Niederlagen an. Set ift die Stimmung fehr ge 
dämpft bez. der hiefigen Lage, befonders weil die Öfterreicher bei Lem⸗ 
berg nicht flandhalten und nach Hilfe fchreien. Das auszugleichen, 
reicht der neue Sieg in Oftpreußen von Hindenburg doch nicht aus, 
Auf die polnische Hilfe gebe ich nicht viel. Obwohl die Garde fiegreich 
auf ihrem Flügel war, mußten fie doch am letzten Schlachttage bie 
Verwundeten liegen laffen. 

Das Reichsmarineamt hat glänzend gearbeitet, aber dieſe Art der 
Leiſtung wird nicht beachtet und geſchätzt. Der Kaiſer ſucht ſeine eigene 
Aufregung zu unterdrücken, aber er iſt ausgefchaltet in militäriſcher 
Hinficht. Wenn man an 1870 denkt, diefe Würde, diefer Ernft, dann 
der Erifiallflare Mann, der wägen konnte und wagen Bonnte, und 
ſchließlich „der Eiſerne“. Angft und bange Fann einem werden, dazu 
das fiegestolle Berlin zu einer Zeit, wo noch alles auf dem Spiel fteht. 
Nur auf den ungeheuren moralifchen Schwung, mit dem unfere ganze 
Nation den perfiden, brutalen Fehdehandfchuh aufgenommen hat, Fann 
man wahrhaft ſtolz fein und daher hoffen, zu einem guten Frieden zu 
kommen. Es ift aber viel zu früh, über die Art desfelben zu jprechen. 


Luremburg, 14. IX. 

Hier ift man immer noch in erheblicher Sorge (entre nous). Man 
fagt, die I. Armee wollte ihren eigenen Sieg haben und hat an das Ganze 
nicht genügend gedacht; fo entftand die Lücke, in die die Engländer mit 
großer Gefchieklichkeit hereinftießen, und bisher war es nicht gelungen, 
diefe Lücke zu fchließen. Dabei follen fich große Truppenmaſſen nord⸗ 
mweftlich hinter der I. Armee bilden. Die Franzofen haben ihr ganzes 
Eifenbahnneg zur Verfügung umd fcheinen alles nach ihrem linken Flügel 


Kriegöbriefe 1914 403 


zu fchieben. Unfere Truppen müſſen laufen, daß die Schwarte knackt, 
die armen Kerlsl Ob wir das damit gutmachen Fönnen, tft jeßt die 
große Frage. Seht merken auch die Spiten der Armee, daß die Be: 
deutung Englands als Gegner unterfchägt worden tft. Pohl ift fürchter: 
lich, Feine Spur von Aber ift in dem Menſchen. Wenn der liebe Herr: 
gott der Marine nicht Hilft, fo fieht es ſchlimm aus, 


Luxemburg, 15. IX. 

Hier ift die Keifis noch gar nicht vorüber; fie wird fich euch auch 
noch in hohen Perfonalveränderungen kenntlich machen, über die ich 
nicht fchreiben mag. Sch kann mich ja täufchen, aber ich würde Falken: 
hayn nicht gewählt haben, obendrein mit fehr großen Befugniffen. Bei 
ber I. Armee wird heftig gefämpft, und die von allen Seiten veran- 
laßten Verftärkfungen werden nicht mehr zur richtigen Zeit ankommen. 
Das ift alles fehr fatal und die Siegestollheit der Berliner Zeitungen, 
bie mir fchon ftets unangenehm war, ftößt mich jeßt noch mehr ab. 
Plettenberg hat wirklich dem Kaifer gemeldet, daß bei vielen Garde: 
tegimentern die Kompagnien nur 50 Mann ftarf find von 300 Aus» 
gerückten. Pohl tut auch mir gegenüber geheimnisvoll, bremft fort: 
während Singenohl, was wirklich nicht nötig wäre. Er ift mit Müller 
litert, mit dem Kaiſer und Bethmann, jo daß ich eigentlich ganz aus⸗ 
gefchaltet bin. 


Luremburg, 16. IX. 

Heut ift jedenfalls ein Krifistag erfter Ordnung. Aber felbft wenn 
wir fiegen follten, ift unfere Lage troßdem recht fchlimm gemworden. 
Mir müßten eben mehr als bloß in Schlachten fiegen, wenn wir aus 
biefem Krieg fo herausfommen wollen, daß wir Ausjicht haben, Deutfch- 
land neu aufzubauen. Sch habe mich fchon feit Jahren gefragt: Fann das 
gut gehen bei folcher Gefchäftsleitung von oben? Geftern hatte ich Be: 
fuch vom Generaldirektor der Dillinger Hütte, Herrn Weinlig, der da: 
mals die Entfcheidung für das Eifenwerf in Tſingtau herbeiführte. Ein 
energifcher Mann, aus der Kraft des Volkes hervorgegangen! Dagegen 
halte man die grünen Kerls H, die einen langen Tifch einnehmen. Diefe 
Leute haben ja ben Krieg ber Dfterreicher gegen Serbien im Zuli 


) Feld:Uniform der Diplomaten. 
25» 


404 Kriegsbriefe 1914 


nicht geftoppt. Die Gejte: „Serbien geht uns nichts an“, war zu 
töricht. Die Oſterreicher fchreien dauernd um Hilfe. 


Luremburg, 18. IX. 

Als ich den Brief an Dich fchreiben wollte, erſchien plötzlich Hintze, 
da war es mit dem Schreiben vorbei. Sch fehe in ihm die einzige Hilfe 
gegen eine gewiſſe Sippe. Ob ber Kaifer in der außerordentlich ges 
fährlichen Lage unferes Vaterlands fich auffchwingt, ihn zu nehmen, 
ift eine andere Frage. 

Eine Entſcheidung ift hier noch nicht gefallen, aber Niederlage iſt 
wohl abgemwendet. Es fteht mwefentlich beffer als vor einigen Tagen. 
Menn wir auch wohl fiegen werden, fo ift doch die Zerfchmetterung der 
franzöfifchen Armee nicht gelungen, und die brauchten wir. Italien 
fteht auf dem Sprunge, gegen ung zu gehen, und Rumänien ift eben: 
falls fehr zweifelhaft geworden. Wollte Gott uns helfen! England rüftet 
gewaltig; feine Elitearmee freilich, die fit jeßt in dem großen Schla- 
maffel. Man fagt, daß fie fich fo aufgeftellt Hat, daß fie ficher ift 
beim Zurücdgehen. 


Luxemburg, 19. IX. 

Meine Hoffnung auf Hintze ift Teider zu Waffer geworden. Es ift 
„ihnen“ geglückt, den gefährlichen Mann abzufchieben. Vielleicht mag 
e8 richtig fein vom Kaifer. Eine große Ummälzung wäre nötig geweſen, 
welche auffallen mußte, und das ift beffer zu vermeiden. Hintze war 
ber Anficht, daß der Mangel an Führung der Zügel die herrfchende 
Klaffe, Sieg oder Niederlage gleichviel, um ihre Stellung bringen müßte 
und daß fofortiges großes Entgegenfommen (Sozialdemokraten auf 
hohen Poften, Wahlrechtsreform in Preußen) das einzige Mittel wäre, 
den ungeheuren Schwung der Nation in einigermaßen gnädige Kanäle 
zu leiten! Über den Start des ganzen Krieges und den gefamten Zu⸗ 
fammenbruch feiner Kollegen war er außer fich. Er ift fehr Flug. — 
Die Schlacht fteht noch immer. In 2—3 Tagen ift Hoffnung auf 
Befjerung. Die Ofterreicher haben ſchauderhaft verfagt, und wir müffen 
die Sache jet in die Hand nehmen, 


Luremburg, 20. IX. 


Durch den Zufammenbruch hier, den ich angedeutet habe und ber in 
Berlin ſchon überall bekannt ift, find allein die furchtbaren Opfer 


Kriegsbriefe 1914 405 


ohne Erfolg gebracht worden und ift Deutfchland in eine überaus ges 
fährliche Lage gekommen. Alles ift legten Endes der Spielerei zu ver: 
danken. Vielleicht rettet ung das Volk und feine Kraft. Mit dem bis: 
herigen Kaftene und Klaſſenweſen ift es vorbei. Sieg oder Niederlage, 
wir befommen bie reine Demokratie, 


Zuremburg, 21. IX. 

Wie ift diefer Krieg ſchwer und vor allem die große, große Gefahr, 
daß alles Blut umfonft gefloffen fein follte. Die Stellungnahme von 
Rumänien muß fich jeßt entfcheiden; fchlägt fie gegen uns aus, fo 
weiß ich Faum was werden foll. Amerika fteht mit feinem Herzen auf - 
Seite Englands und liefert Patronen und Kriegsmaterial für Frank: 
reich. Gerade in dem Patronenmangel Tiegt aber für uns eine Gefahr. 
Die Franzofen werden vorzüglich geführt, während das bei ung leider 
nicht der Fall geweſen ift. Körperlich ift Moltke zufammengebrochen. 
Laß Feinen Ton darüber verlauten, aber äußerſt gefährlich ift unfere 
Lage geworden, weil Ofterreich jo völlig verfagt hat. Sie follen noch 
500000 Mann in Galizien haben von 800000 Ausgerückten. Hier im 
Weſten ift die Lage für ung auch fchon fehr ſchwer geworden. Sch würde 
darüber ſelbſt Dir nichts fchreiben, wenn ich nicht geftern einen Ber: 
Iiner Herrn (Automvbilfahrer) gefprochen hätte, der alles wußte und 
mir fagte, alles wäre auch in Berlin befannt. Die Engländer fchicken 
tatfächlich große Mafjen von Truppen herüber; die Qualität der letz⸗ 
tern muß allerdings immer fchlechter werden. Es ijt nicht, daß ich 
benfe, wir werden hier geradezu gejchlagen, obgleich man auch das 
nicht für abfolut unmöglich halten darf. Unfere Truppen find den 
Franzoſen an fich überlegen, aber die Franzofen haben die Eifenbahnen 
im Rücken und Fönnen fortwährend Verfchiebungen machen, dazu bei 
ung der ungeheure Offiziersverluft. Augufta-Regiment 53 Offiziere von 
60, I. Garderegiment nur Geringes weniger uff. Neben der obern Füh: 
rung ift es der viel karikierte Leutnant, der eg macht; der ift aber 
nicht zu erſetzen. 


Luxemburg, 22. IX. 

Meine Lage hier ift dauernd fcheußlich, denn eigentlich bin ich über: 
flüffig. Inzwiſchen ift diefer furchtbare Krieg etwas zum Stehen ge 
kommen; aber im ganzen fteht unjere Sache nicht gut. Nachdem unfer 


406 Kriegsbriefe 1914 


Hauptplan offenbar mißglückt tft, ſtehen wir frontal einer Mbermacht 
gegenüber, die alle lokalen Vorteile auf ihrer Seite hat und zweifels 
108 ausgezeichnet geführt wird. Amerika fteht in Wirklichkeit auch gegen 
ung. Soeben bekomme ich die Nachricht, daß 100000 Sjapaner in 
Schantung gelandet, dag zeigt große Abfichten feitens der Japaner, und 
unfere Kolonie ift ohne jede Chance jeßt. Das ift befonders furchtbar 
für mid. Wenn wir hier fogleich große Siege erlangt hätten, jo wäre 
unfere Lage anders. Darauf hatte ich gehofft, als ich in Coblenz den 
Standpunkt vertrat, wir dürften Tſingtau nicht ohne Kampf auf: 
geben. Someit ich vorausfehen kann, wird unfere Flotte nicht zum 
Schlagen kommen. 


Luxemburg, 23. IX. 

Die Hoffnung auf den Balkan ift faft geſchwunden. Wir find ſchon 
froh, daß Rumänien noch 14 Tage warten will, ehe es uns den 
Krieg erklärt. Es wird alles davon abhängen, ob die großen Schlach: 
ten, wie fie in wenigen Tagen bevorftehen, ung wirklichen Erfolg 
bringen. Die Ruffen bringen ungeheure Maffen auf. Ob das arme 
DOftpreußen noch einmal Einquartierung von den Moskowitern erhält? 

Heute werden die Forts füdlich Verdun befchoffen; eg würde nach 
ihrem Fall ein Loch frei; das ift von größter Bedeutung. Es ift fo 
fchwer zu beurteilen, ob England wirtfchaftlich mehr leidet als wir. 
So weit man bag beurteilen kann, ift das bisher tatfächlich und ent: 
gegengefeßt der bisherigen Annahme der Fall. 


Luxemburg, 24. IX. 

Unmittelbar nach dem Krieg nehme ich den Abfchied. Den Neuaufs 
bau der Marine, wenn es dazu überhaupt kommt, muß ein anderer 
machen. Pohl, Müller, der Reichskanzler und der Kaiſer haben bie 
Flotte zurücgehalten. Ich glaube jebt, daß fie Feinen Schuß abgeben 
wird, und mein Lebenswerk endet mit einem Minus, 


turemburg, 25. IX. 

Alles ift der Anficht, daß das Syftem der Wilhelmftraße aufhören 
wird bzw. muß. Vor Frühjahr ift m. E. der Krieg ficher nicht beendet. 
Es fteht uns alfo ein harter Winterfeldzug bevor. Dag große Ringen 
bier fteht unmittelbar bevor, die militärifche Entfcheidung wird wahre 
Icheinlich dabei fallen. 





Kriegsbriefe 1914 407 


Auf ein Sedan und Meb dürfen wir aber nicht rechnen, nachdem 
der glänzende Anlauf durch Fehler auf unferer Seite nicht den ge 
wünfchten Erfolg gehabt hat. In Galizien rechnet man mit dem er: 
neuten Ringen etwa zum 1. OPtober. Vor Hindenburg follen die Ruffen 
jet eine fait abergläubifche Angft haben. Wolle ihm da unten weiter 
Erfolg und Glück winken. Der Kriegsminifter behauptete geftern, daß 
die Gefahr für das öftliche Oftpreußen vor neuem Einbruch der Horden 
deshalb gefchwunden fei, weil 70000 Ruſſenkadaver dermaßen bie 
Gegend verpefteten, daß man nicht atmen könne. Wir hatten geftern 
eine recht aufregende Nacht. Es Fam die Nachricht, daß die Engländer 
durch den großen Belt gebrochen wären. Damit wären Prinz Heinrich 
und zwei Gefchwader mit Zubehör abgefangen worden. Sch hatte Pohl 
und feine Aiden dringend gebeten, anders zu disponieren, aber vergebens. 
Sch war außer mir und habe die ganze Nacht nicht fchlafen Fönnen. 
Heute früh ftellte fich die Nachricht als falfch heraus, aber die Eng: 
länder planen irgend etwas und wir wiſſen nichts davon, dazu die 
Paffivität unferer Flotte, die je Yänger je mehr zum Zwang wird. Der 
Ubootserfolg wirft auf vieles zurück. Gott fei Dank, daß wir zu offen: 
fiven Zwecken mehr Uboote haben ald England; hoffentlich haben 
fie noch mehr Erfolg. 


Zuremburg, 26. IX. 

Wir, d.h. Hof und Marine find noch hier geblieben. Man ift doch 
bes Ausgangs der großen bevorftehenden Kämpfe nicht ficher genug, 
und eine Rückverlegung des Großen Hauptquartiers ift doch nicht an⸗ 
gängig, und Fortfchritte von unferer Seite find nur mäßig gemacht 
bisher, und doch haben wir fie nötig, denn die Zeit arbeitet nicht fehr 
für uns. Es ift fehr merkwürdig, in welchem Maße wir das umbeliebtefte 
Volk der Erde geworden find. Alles mwünfcht, daß wir unterliegen. 
Soeben hat mich ber Kronprinz antelephoniert und mir gratuliert zu 
U. 9 und ift dann auf unfere Verhältniffe zu ſprechen gekommen. Über 
Bethmann, Jagow, den Start des Krieges uſw. Sch habe mich zu: 
rückgehalten, ihm aber doch gejagt, daß wir die Kraft hätten durch: 
zubalten, und es müßten, wenn nicht das Aufftehen unferer Nation 
gegen bie Regierung gehen follte. Der Krieg ift leßten Endes ein Kampf 
mit England um Leben oder Tod. Ich hörte foeben von einem Herrn, 
der von der Front kommt, daß in der Armee doch der Gedanke durch: 


408 Kriegsbriefe 1914 


gefickert it, daß die Führung verfagt hätte. Dan ift fehr ernft ges 
worden, ſchätzt die Gegner fehr hoch ein, und unfer gewaltiger erſter 
Elan ift ohne Erfolg geblieben. In der Nation ift davon ja noch nicht 
viel bekannt. Das ift ein Glück, Die Luremburger find ftugig geworden 
über unfer Bleiben; fie meinen, es ftehe wohl fchlecht in der Front. 
Es fcheint, daß die Schafale, Rumänien und Ftalien, doch abwarten 
wollen, wie hier die Entfcheidung fällt. Unfere Hoffnung auf die 
Türkei Scheint nach einem Brief von Ufedom volllommen in ein Nichte 
zu verfinfen, dann die faulen Öfterreicher, um bie wir bluten. Es iſt 
nicht Schön. Aber das Ganze ift doch wohl unvermeidlich geweſen. Ein 
auffteigendes Deutfchland paßte niemand, 


Luxemburg, 27. IX. 


Mas nun die Rohrbachfache anbetrifft (Nohrbach und Sach hatten 
angefragt wegen eines Befuches, um eine beffere Orientierung der neu= 
tralen Preffevertreter über öffentliche Einrichtungen uſw. zu bewirken), 
jo habe ich den Herren zunächft abgeraten zu Eommen. Ein Befuch bei 
mir erregt das Miftrauen der ganzen Sippe und wird entjprechend 
ausgejchlachtet. Sch habe die Sache aber hier in die Hand genommen 
und foll Anderung bewirkt werden. Es kann ja aber nicht befjer werden 
unter Bethmann. Wenn das deutfche Volk einmal dahinter Fommt, 
gibt es ein Unglück. Wie foll diefer Krieg enden, darin Tiegt dag Rätſel 
der Zukunft. Mit denfelben Leuten, die ihn fo töricht eingeleitet haben 
oder fich haben treiben laffen, die auf der ganzen Welt nichts gemerkt 
und vorbereitet haben, mit diefen Leuten foll ein brauchbarer Frieden 
zuftande kommen? Das fcheint mir wahrhaftig eine Quadratur des 
Zirkels. Wir effen zwar in demfelben Saal, fprechen aber Fein Wort 
miteinander. 


Charleville, 28. IX. 


Der Katfer hatte fchon vor zwei Tagen in Luremburg Abfchied ges 
nommen, und die Verfchiebung der Abreife des Hauptquartiers erweckte 
in Luxemburg Mutmaßungen. Deshalb ging e8 heute 1 Uhr los, Drei 
Stunden Fahrt durch Sedan hierher. Überall wo gekämpft war, Tagen 
die Dörfer ald Ruinen da, mitunter Fein Menfch zu fehen. Sedan, 
dag mich fonft fo intereffiert hätte, beachtete ich Faum, fo überwältigend 








Kiiegedriefe 1914 4069 


ift die Gegenwart. Die Marine ift hier einquartiert Place Carnot Nr. 1, 
in dem Haufe eines reichen Snduftriellen oder vielmehr deſſen Witwe, 
Der Mann war alt und fie war jung. Wie alles lag und ftand, wurde 
das Haus von der Familie verlaffen. Nur der Portier und die Wirt: 
chafterin waren bier geblieben, Shre „unique peur“ wäre vor den 
Leuten. Als Meuchelmörder und Weiberfchänder find wir natürlich an⸗ 
gejehen. Wir haben fie denn gründlich beruhigt und ihr verfichert, wir 
wären Feine Ruſſen. Es iſt doch ein merfwürdiges Gefühl, fo von einer 
fremden, übrigens recht wohlhabenden Häuslichkeit zeitweife Beſitz zu 
nehmen. Unten find die Salons, salle à manger, Billard uſw. In der 
zweiten Etage merfwürdigermweife lauter Schlafzimmer, ich glaube für die 
Kinder erfter Ehe, die erwachfen find. Sch war zuerft in der chambre A 
coucher de Madame einquartiert; da das Zimmer nach Norden lag, 
babe ich mit einem mehr abjeits gelegenen Zimmer gewechſelt, das 
zumeilen etwas Sonne hat. Das Zimmer von Madame war in Ne 
naiffancemöbeln, gute Bilder, Kommode voll Sachen. Ein Ankleide⸗ 
und Wafchraum daneben, aber nirgends ein Bad, fehr merfwürdig. Gebt 
muß ich ein Zimmer haben, in dem eine Tochter gewohnt hatte, Neben 
dem Hauptmöbel, einem franzöfifchen Bett aus Polifander, fteht ein 
Betftuhl, der übrigens der Annehmlichkeit wegen gepolftert ift. 

Das ganze Hauptquartier iſt jebt auseinandergerijfen. Generalftab, 
Kriegsminifter, Neichskanzler mit Auswärtigem Amt, alle wohnen für 
ſich und efjen, glaube ich, auch für fich. Ich Habe die Empfindung, 
man will ung nirgends haben. Darin liegt das Schredliche meiner 
Lage. Ein Leben lang habe ich gearbeitet wie ein Pferd für die Marine, 
und jet, wo es zum Bruch gefommen ift, habe ich nicht einmal Ein: 
fluß auf die Verivendung. Sch will gern zugeben, daß die Lage der 
Flotte fchiwierig ift, aber weder Pohl noch Ingenohl hat den Genius. 
Der erfte Anlauf unferer Armee hat ungeheuer viel Blut gefoftet und 
verhältnismäßig wenig eingebracht. „The silent pressure of seapower“' 
wird größer werden mit der Zeit. Die Beinen Erfolge unferer Flotte 
täufchen mich nicht. Die Kreuzer draußen müffen fchlieglich einer nad) 
dem andern fterben aus Mangel an Kohlen und Nahrung und Werk: 
flätten. England hat fogar die Schweiz dazu gebracht, Ausfuhrverbote 
gegen ung zu exlaffen. Mit Holland ift es ebenfo. Dazu kommt in 
Holland noch Abneigung gegen ung. Schweden und Norwegen werben 
in vielen Dingen drangfaliert; fo dürfen norwegiſche Zeitungen nicht 


410 Kriegsbriefe 1914 


mehr nach England. Wenn wir nicht noch Extraglück haben, fo wird die 
Lage fehr ernft. Diefes Extraglück hatten wir in der Hand. Es fcheint, 
daß Moltke falfch infpiriert war, 


Charleville, 29. IX. 

Hier it es nicht ſchön. Wenn ich einen Vergleich anftelle mit irgend» 
einer deutfchen Stadt gleicher Größe, fo fällt er ganz zugunften der 
unferigen aus. Häufer, Straßen, Plätze etwas verloddert. Place Carnot, 
obwohl ficher umwohnt von wohlhabenden Bourgeoisfamilien, fieht aus 
wie ein ſehr fchlecht gehaltener Ererzierplag. Nirgends ein Raſenplatz 
oder fonftige Stadtverfchönerung. Der Hauptplatz, Place Ducale, macht 
fich auf dem Bilde fehr viel Hübfcher als er in Wirklichkeit iſt. Ich 
laffe mich nach Möglichkeit nicht niederdrüden, nur das ganze Gebaren 
von Bethmann uſw. tut es, und zwar unter den jehigen Verhältniffen 
ftärfer als zuvor. Ingenohl fragt, um von Pohl und dem Kaifer natür- 
lich eine ablehnende Antwort zu bekommen. Sn diefer Lage hilft nur 
Handeln auf Gefahr des Kopfes, wenn man glaubt richtig zu handeln, 
Das Fragen gefällt mir fchon gar nicht. 


Charleville, 1.X. 


Hier fteht die Sache ohme vorwärts oder rückwärts zu gehen. Da⸗ 
bei arbeitet die Zeit nicht für uns. Auch im Oſten Fommen wir nicht 
vom Fled. Die Welt fteht gegen uns, auch die Neutralen. Die Riefen- 
hoffnungen des Auguft find verflogen. Der Kaifer und Bethmann halten 
nicht durch. Erfterer fcheint jogar die Erlaubnis gegeben zu haben, daß 
Bethmann bettelm geht. Italien lauert! Sch bin hier völlig unnüß, 
babe den Kaifer hier überhaupt noch nicht gefehen. Wie kann der Finish 
gut werden bei dem Start! Ein fchier unermeßliches Kapital ift in den 
letzten Jahrzehnten verfchleudert, irgendwo und irgendwie mußte der 
Krug zu Bruch gehen. Unfer Volk ift gut, das hat es ficher gezeigt. 
Große Anderungen werden nach dem Krieg vor fich gehen. Man wird 
fich wundern. Das Verbot des „Vorwärts“ iſt eine große Dummheit; 
durch Vermittlung verftändiger Sozen wäre etwas Befferes erreicht; 
jo wird der Gottesfrieden, den wir fo brennend brauchen, zerriffen. 

Die Franzofen werden einfehen, wie töricht ihr Revanchegedanke ge: 
weſen ift: „travailler pour l’Angleterre“. Die bulldoggenhafte Energie, 
mit der England jeßt verfährt, imponiert mir troß allem. 


Ariegäbriefe 1914 411 


Sharleville, 2. X. 


Sch habe heute einen recht verziveifelten Brief an Capelle gefchrieben. 
Heute ift Pohl zu Ingenohl abgereift mit dem Auftrage, er foll ja 
nicht herausgeben und etwas tun. Ingenohl ift Fein Führer, fonft 
würde er nicht fragen; jeßt hat er die Antwort. Pohl deckt fich durch) 
ben Kaifer; Müller ift weich und unficher. Meine Lage ift fcheußlich, 
ich bin ganz tfoliert. Ein folches Ende, wie es mir bevorfteht, hat meine 
Arbeit nicht verdient. 

Nur die ganz niederen Klaffen find hier geblieben. Alles andere ift vor 
ben „Barbaren“ geflohen. Sch mache täglich zweimal einen einftündigen 
Spaziergang, freilich meift durch die Straßen, denn die Stadt ift fehr 
ausgedehnt. Heute früh fah ich die gewaltigen Wieberherftellungss 
arbeiten an der hiefigen Maasbrücke und dem Tunnel. Die Leiftung 
unferes Volkes ift großartig. Darin befteht unfere einzige Hoffnung, 
bie Zügelführung ſchrecklich! 

Von Mann zu Mann iſt der Franzoſe nicht mit unſeren Leuten zu 
vergleichen; aber ſie werden ausgezeichnet geführt. Sie haben beſſere 
Feldgeſchütze als wir und verſtehen ſie erheblich beſſer zu verwenden, 
ſind auch ſonſt ſehr geſchickt in der Benutzung des Geländes. Es läßt 
ſich gar nicht vorher ſagen, wie und wann die jetzige Situation hier 
enden wird. Große Führer ſind hier auch nicht entſtanden, abgeſehen 
vom Oſten, wo nach Beſeitigung der erſten, Hindenburg und ſein Stabs⸗ 
chef Ludendorff Glänzendes geleiſtet haben. Wolle Gott, daß es in 
den nächſten Tagen ihnen wieder gelingen möge. Mit der Flotte bin ich 
auch gar nicht zufrieden, aber ich bin völlig machtlos, denn obwohl ich 
gefragt werden muß, trage ich nicht vor, und „Der Abweſende hat 
immer unrecht.“ 


Charleville, 3. X. 


Soeben war Admiral v. Müller hier bei mir. Er war gar nicht 
einig mit mir über unſere Seekriegsführung. Bei dieſer Frage ſteht 
auch dag Auswärtige Amt dahinter. Müller ift offenbar jetzt voll: 
ftändig in deren Händen. Das geht fo weit, daß er fich fogar bezüglich 
Hinges hat gänzlich herumbefommen laſſen. „Er hätte fich doch von 
ben Herren überzeugen laſſen, daß Hintze große Fehler und Schroff: 
heiten begangen hätte, Burz, er müjfe weit fort.” Wie ich dann näher 


412 Kriegsbriefe 1914 


fragte, kamen unglaubliche, ganz verdrehte Bagatellen heraus — ber 
ganze Müller aus dem Herbft 1911. 

Heute nachmittag fuhr ich per Auto nach) einem hier in der Nähe 
gelegenen Sperrfort, das von unfern Oranaten furchtbar zugerichtet 
war. Die Beſatzung des Forts konnte es fehr bald nicht aushalten, Es 
muß wirklich über menjchlihe Kraft gegangen fein. Die Granaten 
Ichlugen durch alles durch und machten eine Hölle aus dem Fort. Bald 
rückte die Befakung von dannen. Der Kommandant bes Forts Fonnte 
feine Leute nicht fefthalten, und aus Gram darüber erfchoß er fich felbft. 
Eine Landwehrkompagnie hat ihn in dem nicht ganz abrafierten Glacis- 
gehölz beerdigt und ein nettes Kreuz darauf errichtet. Auf demfelben 
ſteht: „Hier ruht der Kommandant des Forts ..., weil er die ihm an: 
vertraute Fefte nicht verlaffen wollte”, und dann etiva folgender Spruch: 
„In dieſem Kreuz aus Holze fchlicht, ehrt der deutfche Soldat den 
Feind als Ritter feiner Pflicht.‘ 


Charleville, 4.X. 

Diefer Krieg iſt wirklich der größte Wahnfinn, den die weiße Raffe 
je begangen hat. Wir fchlagen ung auf dem Kontinent gegenfeitig tot, 
damit England den Profit hat. Dabei befommt es das perfive Albion 
fertig, auf der ganzen Welt ung als die Schulöigen hinzuftellen. Man 
Fönnte allen Glauben an das Gute verlieren. Freilich find wir nicht 
ohne Schuld. Das trifft am meiften die Leitenden; aber das Brama⸗ 
barfieren war auch fonft üblich und mir von jeher widerwärtig. Das 
bei ift die Tragikomik, daß, wie Capelle ganz richtig mir neulich fchrieb, 
ich nun einmal unter die Chauviniften und Heber gerechnet, würde, 
Antwerpen wird fich wohl nicht zu lange mehr halten. Sm übrigen aber 
ftehen zwei Feftungslinien quer durch Frankreich fich gegenüber, partie 
remise bis jeßt. Ob die neue Führung wirklich gut ift, das Fann man 
nicht beurteilen. Vorher war es fehr ſchlimm und es ſickert doch Tangs 
ſam durch. Am meiften Ruf hat der Chef des Stabes von Hinden- 
burg, General Ludendorff. Er hat aber jeßt eine fehr fchwierige Auf: 
gabe vor fich, da die Bundegbrüder in Galizien äußerft mäßig find, 
Napoleon III. hatte recht: „on ne s’allie pas avec un cadavre.“ 
Sharleville, 6. X. 


Soeben ift Pohl von Wilhelmshaven zurücdgefommen und hat fich 
die Zuftimmung von Ingenobl geholt, daß nichts gemacht wird. Die 





Kriegöbriefe 1914 413 


Ubootsgefahr und überhaupt der Gedanke, die Flotte zu erhalten, über: 
wiegt alles. Pohl hat die geradezu Eindliche Idee, daß die Flotte nach 
dem Kriege verdoppelt werden müßte, und Bethmann ſei auch diefer 
Anficht, während die hohe Wahrfcheinlichkeit umgekehrt Tiegt, politifch, 
finanziell und aus Nückfichten des Ubootsruhms. Es kann auch das 
Slottengefeß nicht erhalten bleiben. An die wilden Hoffnungen, Aufftand 
ber Inder und der gefamten Mufelmänner zu unfern Gunften glaube ich 
ach nicht recht. Harnacks Antwort an die englifchen Gelehrten finde ich 
auch gut; aber wir verjtehen ung nicht mehr mit den Engländern, haben 
e8 wohl nie getan, feit wir nicht mehr anerkennen wollen, das fie allein 
das auserwählte Volk Iſrael find und alle andern Völker nur Zitronen 
‚ für fie fein dürfen. Heute befam ich einen langen Brief von Ballın 
als Antwort auf einen Brief von mir. Er arbeitet ſtark in Verſtändi⸗ 
gung mit England und fordert mich darin u.a. auf, zu einem Flotten- 
agrement zu kommen mit Churchill, d. h. mit anderen Worten, Auf: 
gabe unferer felbftändigen Stellung gegen England und Bafallenftaat 
nach franzöfifchem Mufter. Wenn nicht der Tiebe Herrgott ganz befonders 
eingreift, wird e8 auch dazu kommen. Der Boden wird nach biefer 
Nichtung präpariert, und ich bin das Karnicel des Krieges. Sch werde 
mich darein zu finden wiſſen. 


Charleville, 7.X. 


Ein Sturm in Tſingtau ift abgefchlagen. Die Japaner wollen jet 
noch mehr Truppen heranholen. Daß die Engländer fich mit 1000 ran- 
gers an der Eroberung von ZXfingtau beteiligen, iſt bezeichnend. Sie 
haben jedes Gefühl der Blutsverwandtfchaft verloren ung gegenüber. 
Sapaner, Inder, Nigger, alles wird gegen ung gehett. Seht follen auch 
bie Portugiefen herangeholt werden. Büchſels Urteil über unfere Füh— 
rung bei dem Kreuzergefecht am 28. 8. teile ich auch. Sch darf e8 aber 
kaum andeuten; nach Müller ift alles vorzüglich gerwefen. Soeben war 
Kapitän Mann bei mir mit Grüßen von Admiral v. Schröder. Unfere 
Marinemannfchaften machten fich fehr gut vor Antwerpen. Pohl ift 
zurücgefommen, Eleiner und auch größer als je zuvor. Die Refignation 
und der Mangel an Initiative bei der Flotte haben mir gar nicht ges 
fallen. Dan hat fich ſchon eingelulft in das Nichtetun; für mich ein 
Schreclicher Gedanke, und ich bin machtlos, 


414 Kriegsbriefe 1914 


Charleville, 8. X. 

Vom Kaiſer ging ich vorgeftern ganz niedergedrücdt nach Haufe. 
Haft eine Stunde Vortrag über ein politifches Gefpräch mit einem 
Bourgevis, bei dem er in St. Quentin einlogiert war und dem er feine 
ganze politifche Auffaffung dargelegt hatte. Stelle Dir des Kaifers 
Großvater vor in feiner Lagel Dann Einzelheiten aus dem Felde. Was 
wird aber, wenn er nervös zufammenbricht? Davon ift in der DVer- 
fafjung nichts vorgefehen. 

Mas mir meine Lage fo ſchwer macht, läßt fich in einem Brief gar 
nicht wiedergeben. Sch bin dafür eingetreten, daß Deutfchland in der 
Melt eine Stellung befäme. Dazu mußte es u.a. eine Flotte haben. 
Diefe Flotte zu bauen, Eoftet lange Zeit; fie ift aber jeßt fchon in er- 
heblichem Maße vorhanden, fo daß fie in einem Weltkrieg zum Tragen 
kommen müßte. In den Ietten zwei Jahren ift nun von ung und den 
Engländern erkannt, daß für die Nordfee dag Unterfeeboot eine ftärfere 
Rolle fpielen müßte als bisher. Das hängt mit der technifchen Ents 
wicklung zufammen. Mir war auch im letzten Winter ſchon Elar, daß 
mir voraugfichtlich die Baſis des Flottengefeßes dementiprechend ändern 
müßten. Dazu wären aber Jahre erforderlich. (Nebenbei find wir in 
Ubooten ftärker als die Engländer.) Nach den Ereigniffen wird die 
heutige Bedeutung der Ubootet) noch überfchäßt. Es ift richtig, daß 
die englifche Flotte nicht herankommt. Sch will auch zurzeit nicht, daß 
unfere Flotte nach England geht und wir dort fchlagen. Uber ich halte 
für abjolut falfch, daß man Ingenohl den Befehl gegeben „nichts zu 
riskieren”, gegen Feine Übermacht zu fchlagen. Das heißt mit andern 
Morten, unfere Flotte einbalfamieren, und dann ftelle Dir den Frieden 
vor. Es gehörte ein Dann von großer Entfchlußkraft dazu, mit unferer 
Flotte etwas zu machen, und bei allen guten Qualitäten, das ift Inge⸗ 
nohl doch nicht. 

Dazu kommt dann die politifche Seite. Wie Du wohl von Tarafp 
ber weißt, find wir diplomatifch in unverantwortlicher Weife „drifted“ 
in ben Krieg. Wir haben m. €. jahrelang und noch länger eine Schaufels 
politif getrieben, die ung fchließlich mit der ganzen Welt verfeindet hat, 
und Bethmann fchmwebte über den Wolken. Deshalb fiel er auch heraus 
aus denſelben, ald Englands Botfchafter aus Berlin abreiſte. Man 


1) Öemeint ift: gegen Kriegsſchiffe. 


Kriegsbriefe 1914] 415 


wird fpäter alle Federn in Bewegung ſetzen, um zu fagen, der Bruch 
mit England wäre eben nicht erfolgt, wenn „the dangerous man“ nicht 
dageweſen wäre, und nun liegt obendrein fein Werk tatenlos fill. 
Aber auf mich käme es dabei ja nicht an, fondern auf unfer Volk. 
Ich kann mir kaum vorftellen, nachdem die furchtbaren Fehler von der 
Heeresleitung im Auguft gemacht worden find, wie wir aus diefem 
Kriege mit Ehren herausfommen follen. Die einzige Hoffnung bleibt 
das Durchhalten und Durchhaltenfönnen; dazu gehören aber eiferne 
Männer, und wenn man die Leute um ben Kaifer und Bethmann fieht, 
jo wird man arm an Hoffnung. Nach dem Kriege freilich kommen ges 
waltige Umänderungen im Innern. Du weißt ja, wie oft ich gefagt 
babe, es muß eine Kataftrophe kommen, man weiß nur nicht wie 
und wann. Man fah es daherkriechen und Eonnte doch nichts ändern 
und wird zum Schluß als der Schuldige genannt werden. Deshalb wird 
mir meine Anmefenheit hier fo ſchwer. Viele haben auf mich ge 
rechnet, und ich kann gar nichts ändern und das Wenige, was ich tun 
Fönnte auf maritimem Gebiet, wird mir auch verfchlofjen, weil man 
das Spielzeug nicht verlieren will. Wie alles, war auch diefes nur 
Spielzeug. Sapaner Eommen nicht, das ift Unjinn, aber 20000 Inder 
find in Marfeille angefommen und unter Jubel der Bevölkerung die 
Rue Cannebiere heraufgezogen, 20000 Kanadier in Le Havre. Portu⸗ 
giefen Eommen vielleicht auch. Das ift nicht fchlimm, aber der all: 
gemeine Zufaß britifcher Kaltblütigkeit zum heißen Franzoſenblut wirft 
auch im Felde fehr ftark. 


Eharleville, 9. X. 

S.M. ließ mich eben zu einer Unterredung rufen. Sch. traf ihn auf 
der Straße mit feinem Gefolge. Die Unterredung beftand in der Mit: 
teilung, daß Antwerpen gefallen fei. Nachher foll ich zum Efjen om: 
men. Der Kaifer war natürlich in rofigfter Laune — General von Befeler 
Pour le me£ritel „Die Vettern jenfeits des Kanals würden fich ärgern, 
jeßt ginge e8 weiter los.“ Der Kernpunkt, daß nämlich die Befagung 
fih Hat nördlich drücken können, fehien ihn weniger zu Fümmern. 
Prinz Eitel war auch dabei. Er war geftürzt und follte fich ein paar 
Tage verfchnaufen, einfach und brav wie immer. Im ganzen fah er 
die Lage aber doch ernft an, mie fie es denn auch ift. Es ift recht 
peinlich, daß, wie es feheint, die Ruffen nun noch einmal nach Oft 


416 Kriegebriefe 1914 


preußen kommen. Diefer fichtbare Erfolg mit Antwerpen tat ung allen 
ſehr not, auch nach außen hin. Sch vergaß Dir zu erzählen, daß ich 
geftern vormittag in Sedan war und das damalige Schlachtfeld ziem⸗ 
lich abgefahren bin. Wir waren auf der berühmten Höhe, von der der 
alte Kaifer ‚das Schlachtpanorama beobachtete, ich glaube bei Frénois, 
dann das Haus bei Donchery, wo Bismard! mit Napoleon zufammenz 
traf. Das Haus wird noch von derjelben Frau bewohnt, die damals 
jeune femme von 27 Sahren war; fie macht gewiffermaßen ein Gefchäft 
daraus, das Zimmer zu zeigen, in dem Bismarck mit Napoleon vers 
handelte. Vier Napoleondorg, die „empereur“ ihr gab, find .einge- 
rahmt. Es ift eine winzige Stube dürftig möbliert; eine enge Treppe 
führt herauf. Weiter nach Bazeille, dort in dem Haug „de la derniere 
cartouche“ ift ein Eleines Lokalmuſeum. Ein franzöfifcher Schlachten: 
maler bat aus dem Vorgang das Motiv zu einem großen Bilde ge: 
nommen, bag auch in Berlin ausgeftellt war (obwohl es die Deutfchen 
als Scheufäler darftellt). Durch Sedan felbft und von dort nach dem 
Standbild für General Marguerite und feine Reiter. Ein großer Mars 
morbloc, auf demfelben „la France“ mit geſenkter Fahne, an der 
Vorderfeite der Moment, wo die Kavallerie plöglich vor einem Stein: 
bruch fieht und herunterftürzt — etwas Pofe, aber doch ein Stüd 
Kunft. Es war ein wundervoller Oftobertag. Wie hätte ich das früher 
genofjen; jet hat die harte Realität der Gegenwart und bie Sorge 
um unfer Land mit einem Ruck das Intereſſe für diefe große Zeit 
weggewifcht. Damals war ich junger Leutnant; wir lagen 6 Donate 
auf Schillig NReede, big dag Eis uns hereintrieb. Wir hatten nur drei 
Schiffe und draußen waren acht; troßdem haben wir doch zweimal 
verjucht, etwas zu machen. Set bin ich ein Mann von 655 ich fiße 
bier, und unfere große Flotte Liegt wieder im Hafen. Es ift hart für 
mic. 

Charleville, 10. X. 


Es waren zum Abendeſſen geladen fo viele, als Plab vorhanden war, 
Vor ber Suppe wurde diesmal Sekt eingefchenkt. Der Kaifer hielt eine 
Rede, in der er zunächit den Heren der Heerfcharen pries und dann 
Moltke, der den Plan erdacht, und Befeler, der ihn ausgeführt, dann 
drei Hurras! E8 wirkte eigentümlich auf die Anmefenden, die Hervors 
hebung Moltfes neben dem andern bei diefer Gelegenheit. Es ift fo vers 





Kriegsbriefe 1914 417 


kehrt, ihn nicht als Herz und Nierenkranken nach Haufe zu jchieken, 
was er in Wirklichkeit it; jo greift das Gift der Gerüchte auch in 
der Armee um ſich, und man fragt, wer führt ung? Von den ernften 
Herren wurde der Abzug der belgischen Armee in feiner Bedeutung voll 
gewürdigt. Ein Uboot von ung hat ihn gefehen, die Leute aber für bloße 
‚Flüchtlinge gehalten und nicht geſchoſſen. Man fraat fich, ob die 
80000 Belgier und Engländer nicht beffer im Mauſeloch von Ant— 
werpen ſteckten, als jest für freie Feldverwendung benußt zu werden, 
Trotzdem erleichtert der Fall von Antiverpen doch unjere hiefige Lage. 
Auch aus Dftpreußen, wo man geftern recht beforgt war, find heute 
ganz gute Nachrichten eingetroffen. Aber immer wieder drängt fich mir 
der Gedanke auf, wie kommen mir mit Ehren und ohne zu große bzw. 
unerjegliche Einbuße aus diefem Kriege heraus? Ein unverdächtiger 
Zeuge, mein Oberftabsarzt, fagte neulich, alle drei Kabinettchefs täten 
blindlings, was der Kaiſer fagte. Die ganze Umgebung ift fchließlich 
darauf eingeftellt. (Der Kaifer jagte übrigens zu Bethmann und Jagow, 
daß fie, die Diplomatie, wicht wieder dag verlieren jollte, was das 
deutiche Schwert erivorben. Verlegenes Lächeln ver beiden.) Admiral 
dv. Müller bedauert nun auch den Befehl, den Pohl im Muftrag vom 
Kaiſer an Ingenohl geſchickt bat und der eigentlich den Befehl des 
völligen Einkapjelns der Flotte enthält, dabei obendrein mit Löchern, 
deren Verwendung ausfichtslos und gefährlich iſt. Dies iſt ein gefchicht: 
liches Dokument, und ih) muß daherfigen und kann nichts tun, um 
die Marine vor einer Bläme ohnegleichen zu retten. Wenn nur 
der Kriegsminifter ein Mann wäre, mit dem ich mich verjtändigen 
könnte; jo habe ich niemand außer Hopman, der ebenſo denkt wie ich 
und der mir erzählt, daß endlich die andern Herren unter Pohl au) 
zur Erkenntnis gekommen wären, 


Charleville, 11. X. 

Dee Brief vom 9. 9 M. Fam foeben mit der Abfchrift des Zahl 
meijters von der „Mainz. Mein armer Junge, der ficher jo ſtark ge: 
fühlt hat, wie wenig gefchiet unfere Führung am 28. Auguſt war. 
Aber ob er jebt minder Liste, wenn er fähe, daß dag Werk feines 
Vaters To Tchlecht benutzt wird, iſt mie faft zweifelhaft. Von Capelle 
hatte ich geftern einen Brief, mit dem ich in ſehr vielen Punkten nicht 
einverftanden war. Auch er hat mich nicht verftanden. Diefe großen 

Tiepig, Erinnosangen 27 


418 Kriegsbriefe 1014 


Ichwebenden Fragen find zu ſchwer in Briefen, aljo ohne Nebe und 
Gegenrede zu behandeln. Er kommt ja freilich darauf heraus, daß 
ich noch ausharren müßte. Das will ich denn vorläufig auch tun, be— 
ſonders da eg für mich in Berlin geiftig kaum beffer ift. Capelle meint, 
ich wäre hier gewiſſermaßen fleet in being. 

Der Fall und die Urt der Eroberung von Antiverpen hat doch Ein: 
druck im Auslande gemacht. Man kann ja wohl auch fagen, daß bie 
Kraft des deutſchen Volkes fich ſehr gewaltig zeigt — hier im Welten 
gegen brei Nationen, im DOften gegen die Slawenwelle, und das ſchlam⸗ 
pige Dfterreich müffen wir auch noch herausreißen. Heute ift wieder ein⸗ 
‚mal die Nachricht gefommen, daß die Türkei jet losgehen wollte. Sch 
glaube es aber nicht, bevor die Schüffe Fnallen, wir find zu lange ge: 
täufcht worden, 

Man gönnt den armen Truppen in den Laufgräben das gute Wetter ; 
freilich, die Franzofen würden Regen noch) fchlechter ertragen. Ein merk 
würdiger Krieg: von den Vogefen über Paris bis an den Kanal ein 
langer proviforifcher Feflungsgürtel von beiden Seiten, ber nur mit 
ichwerften Blutopfern zu ſtürmen wäre. Auf der anderen Geite eine 
mit Hunderten von Millionen erbaute Feftung in zwölf Tagen ohne 
fehe große Verlufte genommen. Flieger, Auto Spielen eine ungeahnte 
Rolle, wie überhaupt die Technik. Brüden und Zunnels, deren Bau 
ſonſt Jahre gedauert hat, werden in vierzehn Tagen hergeitellt. Wenn 
man dieſe ungeheure Emfigkeit unferes Volkes fieht, fo muß man zu 
dem Glauben kommen, dap es nicht beiiegt werden kann. Nur „the 
silent pressure of geapower“ ift da8 Bedenkliche. Wie Herr v. Heydes 
brand 1911 im Reichstage ſagte: „England iſt der Feind.” Es ift 
auch empörend, wie die Kerls ihren Sport weitertreiben, während auf 
Ihe Hetzen hin Europa fich zerfleiſcht. 


Charleville, 13. X. 

Nur ein paar Zeilen. Sch will heute nach Brüffel und Antwerpen per 
Auto und beabjichtige, morgen abend oder übermorgen mittag hierher 
zu Fommen Man ift hier im Hauptquartier twieder etwas gehobener 
Stimmung durch den Fall von Untwerpen und das Zurückwerfen der 
Rufen in Oftpreußen troß deren großer Übermacht. Capelle jagt, 
Beihmann, ber die Gefchichte eingebrodt Habe, müſſe auch die Suppe 
auselfen. Sch bin doch anderer Meinung, Nur ein jüngerer eifenharter 


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Kriegebriefe 1914 419 


Mann Bann den Finiſh machen. Mit Bethmann wird es die reine 
Waſſerſuppe, und dann wollen wir einmal jehen, wohin die Welle geht. 


Brüjfel, 13. X. 

Die Fahrt hierher war ſehr anftrengend, unmittelbar nach dem Lunch, 
Fein Ausruhen und ca. fünf Stunden Fahrt mit Hindernifjen. Sch werde 
von Brüſſel nichts zu fehen befommen, denn morgen früh will ich 
nach Antwerpen weiter, um Admiral v. Schröder zu fprechen, nach 
feinen Wünjchen zu fragen. Man ift hier immer noch im Ungewiſſen, 
wo die belgische Armee ſteckt, wahrſcheinlich in Zivilkleidern nach Eng: 
land und Holland, 


Charleville, 14. X. 

Heute nach fünfitündiger Fahrt mit einigen Hemmungen über Namur 
die Maas herauf von Brüffel angefommen. Heute abend zum Eſſen 
eingeladen bei Seiner Majeftät, wahrscheinlich wegen des Ubootserfolges 
im Finnifchen Meerbufen. Der Sohn des Grafen Berkheim hat feine 
Sache dort fehr gut gemacht; fchade, daß der Gegner Fein Engländer 
war. Diefe Reife war im ganzen für mich fehr anftrengend und nicht 
ganz jo erfolgreich als ich vielleicht doch erhoffte. Ehe wir nach Brüfjel 
kamen, paffierten wir Charleroi, 1815 Hauptquartier Napoleons vor 
der Schlacht von Ligny, jegt eine riefige Fabrikſtadt mit fcheußlicher 
Einwohnerfchaft, ein Eleines Häuflein Landflurm im Zentrum zuſammen⸗ 
gehalten. Nach Charleroi paffierten wir das ganze Schlachtfeld von 
Belle-Alliance mit vielen Denkmälern befest. Die merkwürdige Wand: 
lung in hundert Jahren trat mir lebhaft wor das geiftige Auge. In 
Brüffel, der Millionenftadt, fanden wie eine aufgeregte Bevölkerung, 
und nur beim Juſtizpalaſt deutfche Truppen Fonzentriert, ca. 5000, 
darunter auch ein Marinedetachement. Einer der Herren vom Feld: 
marjchall v. d. Golg erzählte mir von der Zeit, als man eigentlich 
nicht wußte, ob wir Antwerpen belagerten oder die belgischen Truppen 
Brüſſel; da hätte ihm einer der Notabeln gejagt, „mais, Monsieur, vous 
etes les prisonniers.“ Nach dem Fall von Antwerpen ijt die Stim: 
mung mohl etwas anders geworden. Golg war etwas beforgt, meil 
in Lille und im Norden fich größere Truppenmaſſen gezeigt hätten. 
Wie ich aber ſoeben Höre, if die Gefahr befeitigt. Es geht auch hier 
immer fehr auf und ab mit den Sorgen. 

27° 


420 Kriegsbriefe 1914 


Charleville, 15. X. 

Es müſſen freilich fehr niedrige Seelen fein, die mir zutrauen, ich 
wollte aus egoiftijchen (wer ift die Quelle hinten herum? Es mwäre 
doch intereffant für mich zu wiſſen) Gründen die Flotte vorwärts 
treiben. Dümmeres Könnte ich doc) auch nichts tun, als die Flotte 
zum Schlagen und zur Tätigkeit zu bringen, wenn ich der Meinung 
wäre, fie würde erfolglos fein. Weil ich eben an ihren Erfolg 
alaube und weil ich in der Pafjisität ein Heruntergehen ihres Geiltes 
erblicke, habe ich zur Tätigkeit gerrieben. Es braucht ja nicht einmal 
bis zur entjcheidenden Schlacht zu gehen, fondern zur Entfaltung 
einer Tätigkeit, die Beunruhigung hervorbringt bei den Engländern 
und die Chance mit fich bringt, die Torpedoboote in der Nacht zum 
Angeiff zu bringen. Die jehige Kriegsführung führt zur Tötung jeder 
Initiative und zur allgemeinen Verfumpfung. Damit gebt auch die 
Flotte nach dem Kriege zugrunde, Doch genug hiervon! Sch will mic) 
ja auch gern refignieren, wenn ich nicht für ganz Deutjchland große 
Befürchtungen hegte. Niederzwingen wird man ung nicht, aber mit der 
Weltfiellung Deutfchlands kann es leicht vorbei fein. 

Es iſt und bleibt merkwürdig, wie fehr unbeliebt wir find und 
wie volljtändig unjer ganzer diplomatifcher Dienſt zufammengebrochen 
it. Es kommt eine geradezu erfchredende Unfähigkeit an faft allen 
Stellen zutage. Doch ih will noch von Antwerpen erzählen. Ich 
folgte den Spuren unferer Marinedivifion, die fich ſehr brav gefchlagen 
bat. Der alte Seebär Schröder hat feine Sache vortrefflich gemacht, 
ſehr energisch und fehr tapfer. Eine Neihe von Schügengräben folgte 
der enderen, die Forts auf diefer Linie furchtbar zerfchoffen. Die 
Rieſenſtadt Antwerpen beinahe menſchenleer, und zweifelhafte Geftal- 
ten zeigten fich, ein merkwürdiger Anblick, Etwas ausgepreft wird 
die Marinedivifion von der Armee, aber zur Entfchuldigung muß man 
jagen, die Nor war groß. Die aus den Küfienbefeftigungen zuſammen⸗ 
gefchrapte Matrojenartilleriebrigade, die noch nie Formiert worden war, 
mußte aus den Waggons heraus in die Laufgräben. Die Marinedivifion 
hatte einen jebr fehweren Stand, eine lange Linie zu verteidigen, Dazu 
feine Artillerie außer unferen Bootsfanonen. Dann kam Schröder und 
ernpfing mich ſehr herzlich. Es war wirklich eine Freude, mit ihm zu 
iprechen und ihn zu hören, nachdem ich fo lange Pohl habe aushalten 
mülfen. Sch könnte Schröber richtig beneiden, nicht nur um feinen 





Kriegsbriefe 1914 421 


Optimismus, jondern um feine Sage, Er fand und fleht vor klaren 
Aufgaben und braucht nicht rechts noch links zu ſehen. Ob nun die 
Marinedisifion, wie er hofft, von Brügge, Oftende und vielleicht fpäter 
von Calais aus Io wichtige Erfolge aufzumeifen bat, iſt ja nicht vor⸗ 
auszujehen, aber auf die Nerven fallen wird fie mohl den Engländern. 

Churchill war zwei Tage vor dem Fall in Antwerpen gemefen, in 
feinem Privatauto überall herumgeraft und hatte zum rüdfichtslofen 
Miderftand aufgefordert. Als er Jah, daß die Sache fchief ging, ift er 
abgefahren und joll jetzt in Frankreich fein. Schröder fuhr mich dann 
in Antwerpen herum. Die endlofen Kais und Speicher zeigten faft 
nur beutjche Firmen: Antwerpen fog fich aus Deutfchland voll. Wer: 
den mir dieſe Stellung wenigſtens behalten? Nachher aß ich mit 
Schröder und feinem Stab und fuhr dann noch nach dem Fort Walchem, 
bas furchtbar zerfchoffen war. Abends in Brüffel Gefteen früh neun 
Uhr ab üher Namur, Givet, Dinant, Revin ufm., hierher, faft nur 
Zrümmerhaufen, ab und zu ein Ort, der gänzlich unverjehrt war. 
Geftern abend beim Kaiſer, nichts Befonderes. Man war ganz guter 
Stimmung und hofft jet alles von ben Reſervetruppen. 


Charleville, 16. X. 


Hier erwartet man mit Spannung bie weiteren Ereigniffe im Nor⸗ 
den. Man tft ftelfenmeife zweifelhaft an einem durchichlagenden Erfolg. 
Die Engländer haben ſich an das Meer herangefchlängelt und ftehen 
Hoch im Norden. Im franzöfifchen Hauptquartier foll ‚ziemliche Ver: 
fiimmung herrſchen, und follen die dunklen Xruppen fehlecht fun? 
tionieren mit den Weißen zufammen. Der Fall von Antwerpen foll im 
Londoner Publikum doch ziemlich eingefchlagen haben. Im übrigen 
ſoll die Lügenfabrifation dort jedes glaubliche Maß überflirgen haben. 


Charleville, 17. X. 

Man ift hier Feineswegs ficher, ob der neue Anlauf, den mir jeit 
mit der Armee machen, zu vollem Erfolg führen wird. Es iſt faft ber 
leßte große Trumpf, den wir hier einfeßen. Wenn er nicht gelingt, fo 
tritt ein, was Jagow mir heute von dem Kriegsende überhaupt ſagte. 
Er meinte, der Krieg würde verfumpfen, langſam einschlafen aus 
allgemeiner Ermattung. Das märe ſchlimm für uns. Mer daß der 
Friedensſchluß Has Bauffehe Rote nicht befriedigen wird, das hefiirchte 


422 Kriegsbriefe 1914 


ih auch Hei diefer Leitung. An ein Niederwerfen unferes Volkes 
glaube ich nicht einen Augenblick. Ein Volk, welches jo glänzende 
Eigenschaften gezeigt hat wie Deutfchland in diefem furchtbaren Kriege, 
kann nicht niedergemworfen werden. Ob das Erbe, das wir unferen 
Kindern hinterlaffen, ein reiches ift, bleibt aber eine andere Frage. 
Die Methode unferer Negierungsweife wird freiwillig oder gezwungen 
eine andere werden müſſen. Sch Tas heute einige Nuszüge aus den 
„Sozialiſtiſchen Monatsheften“, ein der Sozialdemokratie fehr nahe: 
ftehendes Organ, Über welches ich mich doch recht gefreut habe. Die 
Sozialdemokratie hat begriffen, daß Ihre internationale Idee eine Utopie 
ift in der Welt, in der die Dinge hart aufeinanderftoßen, und merkwür⸗ 
digerweife hat fie auch begriffen, daß nicht Rußland, fondern England 
der Feind ift, um den es fich bei diefem Kriege handelt, England, das 
ein aufblühendes Deutfchland nicht dulden wollte. Es würde alles gut 
gehen, wenn wir politifche Leitung hätten. Ob die neue Urmeeleitung 
nicht zu vorfichtig ift, nachdem die anfängliche fo verfagt hat, will ich 
nicht beurteilen, Fann es auch nicht genügend, Mitunter hat man eine 
folhe Empfindung. Nur gut, daß wenigitens im Oſten vorzügliche 
Männer find, die den ruffiichen Koloß aufhalten. Sie würden ihn zer: 
kümmern, wenn unfere Bundesgenoffen Feine Ofterreicher, fondern 
Preußen wären, Unfere Uboote machen ihre Sache vortrefflich Freilich 
werden wir auch bier auf Unfälle gefaßt fein müſſen. 


Charleville 18. X. 


Was nun bie Früchte der Siege anbetrifft, fo werben fie bei der 
Leitung, bie wir Haben, ſicher nicht ausgenützt. Bor allem aber — 
und das iſt das Schlimmfte — noch haben wir Beine Giege, die ein 
Ausnutzen möglih machen. Wir hatten das Glück in ber Hand und 
haben es verſpielt. Ich möchte darüber mich nicht fehriftlich äußern, 
obwohl bie Wahrheit oder vielmehr die Tatſache überall ſchon durchſickert. 
Borläufig bleibt nur übrig: durchhalten, fo lange wie möglich, und die 
andern Fommen laſſen. Nur dann wird für uns ein erträglicher Friede 
zuftande kommen. Eine fehe große Enttäufchung fteht m. €. unferem 
Volke in jedem Fall doch bevor, wern man feine Rieſenleiſtung und 
feinen Blutverluft dabei berückjichtigt. Wenn wir in der inneren Bolitif 
nicht die Zügel in die Hand nehmen, fo werden wir nachher gezwungen 
werden zu Neformen, die dann über das Verftändige binausgeben. 





Kriegsbriefe 1914 423 


Das kann aber nach der Verfaſſung nur der Reichskanzler. Unſere 
Verfaſſung pafte für den alten Kaifer und Bismarck; fie paßt aber 
nicht für den Durchfchnitt. Die Verfaffung und Zeitung fteht nur auf 
zwei Augen, das iſt ein Methodenfehler, Wenn aber die zwei Augen 
einmal unter dem Durchichnitt fein follten, fo ift es fchlimm. Die Idee, 
über das preußifche Staatsminiftertum zu regieren, geht nicht. Geſetzt 
den andern Fall, ich käme hier mit Reformen, fo würde man mit Recht 
jagen, was geht Sie das an? Und ich würde bei allen um den Saifer 
herum angefchwärzt, meine fchivierige Stellung noch unmöglicher, und 
ich würde gar nichts erreichen Fönnen. Da müßte es noch viel jchlimmer 
Eommen. Wenn der Krieg langjam verfumpfte und einfchliefe, wie Jagow 
glaubt, fo wäre es aus mit Deutfchlands Weltftellung. Wir find fo um: 
geben von Haß und Ubelwollen der ganzen Welt, daß nur ein großer Steg 
uns helfen kann. Man denke; nicht nur Haß der Feinde, fondern faft 
fämtlicher Neutralen, vielleicht mit Ausnahme von Schweden und der 
Deutfchen Schweiz. Dazu der Kriegsanlaß Serbien!! Wir werden in 
der ganzen Welt als die Anftifter angefehen. Laßt Euch mal. eine 
Brofchüre geben, die in Holland erfchienen tft und einen Weltbund gegen 
ben ungehobelten, überall ftörenden Parvenu Deutfchland nach dem 
Frieden propagiert, Wenn fie auch trieft von Haß gegen uns, fo liegt 
doch Teider viel Wahres darin. In England führt die ganze Nation 
den Krieg mit vollfter Leidenfchaft und bulldoggenartiger Energie. 
Das tut freilich unfer Volk auch, aber wie kommen wir der Bulldogge 
an ben Leib, befonders da noch fieben andere Hunde uns heben. Unfere 
Marine ift fehr brav und tapfer, unfere Führung aber entſetzlich. Sch 
hatte geftern mittag ein hartes Nenkontre mit Pohl, weil ich das 
Anſetzen der vier Torpedoboote für geradezu unfinnig hielt. Heute 
früh Fam die Nachricht, daß diefelben abgefchoffen feien. 


Charleville, 19. X. 

Heute hatte mich der Neichslanzler gebeten zu einer Beiprechung 
über mögliche Friedensbedingungen. Sch habe mi nach Möglichkeit 
zurücgehalten, indem ich fagte, erſt müßten wir vollen Sieg haben, 
ehe man eigentlich darüber fich äußern Fönnte. Doch hoffentlich bald 
mündlich mehr. Sch beabfichtige nämlich, nach Kiel und Wilhelmshaven 
zu fahren und über Berlin hierher zurückzukehren. 

Nach ſoeben eingegangenen Nachrichten Toll es hier im Weſten 


424 Kriegebriefe 1914 


günftig ftehen. Die Engländer follen einen wenig gejchieften Angriff 
auf die nördlich von Lille ftehenden deutichen Truppen gemacht haben 
und unter ſchweren Verluſten zurüdgefchlagen fein; die große Ent: 
fcheidung hier wird im wenigen Tagen erwartet, Gott gebe ung hier 
einen vollen Sieg. Wir haben ihn Bitter nötig. Der gefährlichfte Feind 
bleibt England. Sch empfehle den Artikel von Carl Peters zu Iefen, mit 
dem ich ganz übereinflimme, bis auf feinen Vorfchlag, die in Deutich- 
land zurzeit vorhandenen Engländer fchlecht zu behandeln, Mit unferer 
Kriegsführung zur See bin ich nach wie vor durchaus nicht einverftanden. 
Die Abfchlachtung der vier Torpedoboote ift geradezu durch völlig falſche 
Auffaffung zuftandegefommen. Wir riskieren an Stellen, wo nur 
Zufallsglück uns aus der Affäre ziehen kann, und riskieren da nicht, 
wo mwahrfcheinliche Erfolge möglich find. Der Mangel an Snitiative 
der Flotte unfererfeits flößt den andern Snitiative ein. Müller ent- 
fchuldigt aber immer alles. 


Charleville, 20.X. 
Geftern abend beim Kaifer, der gänzlich unverändert iſt und mit dem 
jich gar nicht ernftlich reden läßt, obwohl ich das verjuchte. 


Hamburg, 25. X. 

„Emden“⸗Müller Hat wieder jechs Schiffe erwiſcht, und die Eng: 
länder find wütend; die „Karlsruhe fogar 13 Stück. Ballin freut fich 
nicht darüber, weil es die Engländer immer mehr in Wut bringe. Das 
mag richtig fein; troßdem freue ich mich darüber. Ich kann nicht anders. 


Eharleville, 9. ZL 

Meinen Freudenerguß über das fiegreiche Gefecht an der chilenischen 
Küfte wirft du aus Trier befommen haben. Leider Fam der Schmerz 
über den Fall von Tſingtau hinterdrein. Eine Arbeit von 19 Jahren 
ift damit ausgelöfcht. Von mehreren Seiten habe ich fehr freundliche 
Zelegramme befommen, u. a. von dem Präfidenten des Reichstags; auch 
der Herzog Johann Albrecht hat fein warmes Mitempfinden ausgedrüdt. 
Geftern Vortrag bei S. M. zur Zufriedenheit. Befonderes ift hier nicht 
paffiert. Man hofft und hofft im Weften. Sch habe das inftinktive 
Gefühl, daß das tropfenweife Einfeen nicht viel Erfolg zeitigen wird. 
Heut oormitteg lange Konferenz mit Jagow. Er hatte doch Gründe 
acgen Botſchafterwechſel in Nam. 





Kriegsbriefe 1914 425 


Charleville, 13. XL 

Sch babe gelitten und leide nach mehr, daß unfere ganze Politik der 
letzten Jahre Blödfinn war, und daß die Zeitung des Reichs — von 
©. M. hier abgefehen — jo total verjagte und es noch tut. Sch wollte 
ja froh fein, wenn ich perfönliches Vertrauen zur hiefigen Armecleitung 
hätte. Beurteilen Fann ich dag freilich nicht, meine Nafe will aber durch- 
aus nicht heran. ‘Hier ift gar nichte zu berichten, als daß eben alles 
zum Stehen gekommen ift. Sm Oſten fliehen 29 deutſche und öfter: 
veichifche Korps gegen 43 ruffische. Die Bundesbrüder zählen freilich 
nur halb. Die Türken ſchreien ſchon jeßt nach Munition, und wir haben 
Feine abzugeben, ganz abgefehen davon, daß Rumänien nichts mehr 
durchläßt. Mein Verfuch, Bülow für Flotow nach Rom zu bringen, ift 
wegen alferlei Bedenklichkeiten von Jagow nicht gelungen. Nach dem Kriege 
gehe ich unter die Sozen und fuche mir Laternenpfähle aus, aber einen 
ganzen Haufen. Denn es müßte einer ganzen Hydra zu Leibe gegangen 
werden, wenn es beſſer werden ſollte. Sch bange jetzt vor Über: 
rafchungen in der Nordfee und kann mit Pohl gar nicht fertig werden. 


Eharlenille, 14. ZI. 


Hier dauert das fcheußliche Wetter fort, die armen Kerls in den 
Schügengräben! Sch glaube, auch die maßgebenden Leute haben jet 
die Hoffnung aufgegeben, daß wir im Norden durchftoßen. Wir kommen 
aljo nicht nach Calais, wohin ich mit meiner zweiten Marinedivifion 
ftrebte. Es ift Partie remife und wird mohl fo bleiben. Aber fprecht 
nicht darüber, Beide Teile liegen fich im Norden völlig erjchöpft 
gegenüber, Wir haben hier zirfa 100000 Mann im Norden ver: 
foren. Neue Korps haben mir nicht einzuſetzen. Im Often fteht es nicht 
ganz fchlecht. Wir werden aber auch dahin noch Truppen fchieben 
müfjen, teil die Öfterreicher unglaublich find. Ich fprach eben Oberft 
v. Marfchall vom Kabinett, der war, wie übrigens allgemein hier, der 
Anſicht, daß die anderen unfere Verlufte ficher auch nicht herausbefonmen 
und England nicht fo viel Nachfchub ftellen könnte wie wir. Das mag rich 
tig fein, aber Partie remife ift ſchlimm, wenn die $lotte nicht helfen kann. 
Geftern Famen recht ungünftige Nachrichten vom Schwarzen Meer, 
türfifche Munitionsſchiffe torpediert und die Türken ohne Munition! 
Mer hält nun am längſten aus? 


4206 Kriegsbriefe 1914 


Sharlenille, 15. XL 
Sch komme foeben von einer Befprechung mit dem Kriegsminiſter.“ 

Er war diesmal viel Tiebenswürdiger und weniger erratifch. Der 
Grund hierfür Tiegt aber wohl in der Gejamtfituation, die er doch auch 
für furchtbar ernft anſieht. Übrigens hat die Qualität der englifchen 
Truppen doch fehr nachgelaffen. Soviel erfehe ich, daß im Weiten 
vollftändig Remis eingetreten iſt und jedes Eleine WVorfchreiten nur 
mit riefigen Blutopfern ermöglicht wird. Dabei drückt das Piratenreich 
in fo wnerhörter Weife auf die Neutralen, daß wir für manche 
notwendige Artikel doch in recht gefährliche Lagen kommen werden, 
Salpeter (Pulver), Autoreifen ufw. Er fihien den Ausweg mehr über 
Frankreich zu fuchen als über Rußland. Ich halte das für ganz un- 
ganabar, da Rußland und Frankreich fich in verbündetem Zuftand 
befinden. Hier iſt andauernd raubes, ſcheußliches Wetter, heute vor- 
mittag fchneite e8 ganz gehörig, Stimmung beim Kaifer und um ihn 
herum fehr gedrücdt. Sch forge mich um die Flotte, England wartet 
wohl bejjeres Wetter ab, dabei ift es unmöglich, mit Pohl zu fprechen. 


Sharleville, 17. XL 

Gott ſei Dank haben wir im Often in Hindenburg und Lubdendorff 
toirflich große Führer, und das wird uns vor dem Schlimmiten be 
wahren. Hier im Welten ift das leider nicht in dem Maße der Fall, Ich 
ſprach geitern mit dem fehr Elugen und verftändigen ©., der das, was 
ich nur als Emdrud meiner Nafe wiedergeben Eonnte, als fein wohl 
erwogenes Urteil ausfprechen konnte. Seht ift eine „Hilfe“ hier ein- 
getroffen, von der ©, viel hält, doch diefe Andeutungen nur ganz vers 
traulich; vielleicht haben fie fpäter für mich Wert. Im Auguſt find 
unerhörte Fehler gemacht, Feine Organifation im Bureau des General: 
tabs und fpäter Kopflofigkeit, die, wie jeßt hier allgemein eingefehen 
wird, zu dem unnötigen und falfchen Rückzug führte. Dadurch ent- 
ſtand fchließlich die jegige Lage, aus der uns aber wirkliche Führer 
berausbringen Eönnen, denn die Truppen find ausgezeichnet. Für bie 
Ichweren „Berthas“ müffen wir warten, bis wieder Pulver genug heran⸗ 
gefchafft ift. Wir haben feit Beginn des Feldzuges alles von uns 
kontraktmäßig vorgefehene Pulver der Armee gegeben, dito Zeug, Pro- 
viont und viele andere Materialien. 

Heute abend Bin ich mit Admiral v. Pohl u S. M. eingeladen. 





Kriegsbriefe 1914 427 


Mir werden wohl auch Eiferne Kreuze befommen, die ich gar nicht 
regen möchte. Meine Beurteilung unjerer Führung in der Nordſee 
und im Hofkriegsrat wird übrigens von T. und von U. und €. 
abſolut geteilt. 


Charleville, 18. XL 


Alſo wie ich mir dachte, bin ich geſtern „gekreuzigt“ worden und 
obendrein Erfter Klaſſe. Freude hatte ich gar nicht daran, was wäre 
ich unzer anderen Umftänden ſtolz darauf. Ich Eonnte mich auch nicht 
enthalten, S. M. zu fagen, das wäre doch gar nicht verdient, worauf 
S. M. meinte, wir hier ın Charleville hätten es ja alle nicht verdient. Sch 
dachte mit Caprivi, „die Orden fommen mit dem Alter wie die Kinder- 
krankheiten“. Wie babe ich nach 1870 jeden beneidet, der dag Kreuz 
fih verdient Hatte, und jebt mag ich es gar nicht tragen, denn ich 
glaube nicht, daß unfere Flotte etwas macht, und wenn fie dazu 
fommt, wird es ungeſchickt. Sch blide gefpannt nach dem Dften, 
möchte doch ein ſtarker Erfolg gelingen! Er würde ficher vernichtend 
werden, wenn wir nicht fo unterlegen an Zahl dort wären, jo ift nur 
auf einen guten Erfolg die Hoffnung zu feßen. Ganz fo ſchwarz wie 
L. fehe ih noch nicht. Wenn nur der Kopf anders wäre, die Nation 
iſt glänzend und demzufolge Teuppe und Schiff. Die Schiffe ficher 
nicht minder, wo fie auch nur einzeln haben handeln dürfen, haben fie 
fich glänzend berommen, aber Führung 3 la 28. 8. und Hoffriegsrat 
ſchrecklich! Die Engländer haben jet Angſt vor Zeppelinen, vielleicht 
nicht mit Unvecht. Sch kämpfe hier, wo ich beranfomme, für ben 
Standpunkt, Mefler gegen Meifer, aber für Schikanen bin ich nicht. 
3% babe heute bewirkt, daß ein alter englifcher Admiral, der interniert 
wurde, nad) Italien herausgelaffen wird. Auch einzelne Fliegerbomben 
find falfch, die bleiben odiös, wenn fie eine alte Frau totfchlagen, 
und man gewöhnt fich an fie. Könnte man London an dreißig Stellen 
in Brand bringen, fo tritt das Odiöſe vor dem Gewaltigen zurück. 


Charlenille, 19. XL 

Mir müffen ung darüber klar werden: will England den Krieg 
aufs Meffer gegen uns oder nieht? Kommt man zu der Überzeugung, 
daß es rückfichtslss auf unfere Vernichtung ausgeht, dann müſſen 


428 Kriegsbriefe 1914 


auch wir ſchonungslos das Mefjer gebrauchen, wenn man an fein 
Volk glaubt und mean nicht ein Verbrechen an feiner Zukunft be= 
gehen will. 


Charleville, 21. XL 

Es befuchte mich ein amerikanifcher Sournalift, der mir von Erz 
berger empfohlen worden war, dann der ungarifche Minifterpräfident 
Graf Tisza. Der Amerikaner war mit feiner Regierung wenig zu= 
frieden, ſie würden, meinte er, für Tſingtaus Fall zu zahlen haben. 
Er deutete an, unfere Diplomaten hätten Fein Verftändnis für die 
Wirkung der Preſſe und ebenfo nicht für transatlantifche Verhäliniffe. 
Graf Tisza war ganz zuverjichtlich, bedauerte nur, daß wir nicht ein 
paar Korps mehr nach Polen geſchickt hätten. Ich muß auch fagen, 
wenn wie hier nur ftehen bleiben wollen, und fo feheint ed, dann 
hätten wir auch ein paar Korps entbehren Eönnen, und der Zufammen- 
bruch der ruffiichen Armee war ficher. 


Charleville, 22. XL 

Es wird den Leuten in der Milhelmftraße ſchwer gelingen, mich 
als Sündenbock hinzuftellen, dazu wiſſen zu viele Leute das Verfahren 
de8 Auswärtigen Amts im Juli, das wahnfinnige Hereinfchlittern 
in den Krieg! Faſt gefährlicher find die Leute, Pohl an der Spitze, 
welche die Urjache der Inaktivität unferer Flotte auf die Typen: 
fragen der Schiffe und auf die Technik werden abjchieben wollen, 
weil dahinter der Kaifer ftehen würde. Doch das wollen wir alles dem 
lieben Herrgott überlaffen. Das Gefühl, daß ich in den 50 Sahren 
meiner Dienftzeit meine Schuldigfeit getan habe, und beionders in 
den letzten 18 Jahren, kann mir Feiner nehmen. 

Sch möchte U. noch einmal fagen, daß ich durchdrungen von der 
Notwendigkeit eines Zollvereins mit Öfterreich wäre, ich habe fchon feit 
Luxemburg hierfür gewirkt. Über alle Bedenken müßte man hinweg: 
gehen. Graf Tisza macht einen bedeutenden Eindruck, während man 
dem Grafen Berchtold, den ich in Berlin. kennen lernte, die Nullität 
auf der Stirne ablefen Eonnte. 


Charleville, 23, XL 


Graf Spee hat nur noch wenig Munition, ein längeres Gefecht 
Pann er kaum aushalten. Es wäre ein Wunder, wenn er fich Birch 


Sriegsbriefe 1914 429 


fchlüge. Ganz Amerika arbeiter für England und Frankreich, und 
wenn wir ein paar Kohlen bekommen, ift großes Gefchrei. Es iſt 
eine niederträchtige Ungerechtigkeit gegen ung, aber wir würden die 
Sache ſchon machen, wenn die Kabinettswirtfchaft nicht wäre, Heute 
abend bin ich wieder bei ©. M. 


Charleville, 24. XL 

Zum Reichstag komme ich nun nicht, Capelle hat wohl recht, 
daß ich in eine zu fchwierige Lage dabei kommen würde, Er als mein 
präfumptiver Nachfolger kann dabei gleichzeitig jein Debut machen. 
Er jchrieb mir übrigens heute zum erften Male, er hätte den Eindrud, 
daß die Engländer etwas weich würden, Gott gebe es, aber windelweich. 


Charleville, 25. XL 

„Garnichts Neues vor Paris.” Alles blickt noch geipannt nad 
Oſten. Sicher zu überjehen ift die Lage dort nicht, weil Hindenburg 
das Hauptquartier ſchneidet. Die Entſcheidung kann fich noch einige 
Zage binziehen, bis die Pommern eingreifen. Für ung iſt ein größerer 
Echee nicht anzunehmen und eine Kataftrophe für die ruffifche Armee 
durchaus im Bereich der Möglichkeit. Die Ruſſen ziehen freilich auch 
Kräfte von allen Seiten heran. Möge dem Eühnen Feldheren doc) 
das Glück hold fein. Sch kann mit der Tätigkeit unferer Flotte 
unmöglich zufrieden fein; — ich meine natürlich nicht die einzelnen 
Schiffe, die haben alle bis jetzt ihre Schuldigkeit getan, wenn fie 
Gelegenheit hatten — die beften Chancen haben mir nerpaßt, und 
falls die Flotte zum Kragen kommt, wird es ungeſchickt gemacht 
werben. Sch habe Müller dringend T. als Chef des Stabes empfohlen 
und einen anderen für ihn. Pohl bekomme ich aber hier nicht fort. 
Mir ſprechen Dienftliches überhaupt nicht miteinander, damit aber 
bin ich praktiſch ausgefchaltet. 


Charlerille, 26. XL 

Heute zum Frühſtück bei S. M. Ich hatte Gelegenheit, zu Tagen, 
wir müßten der Tatſache ins Geficht fehen, daß England aufs Ganze 
ginge, dernzufolge eventuell ftarke Mittel anwenden, die Ubootsblodade, 
S. DM. ging darauf ein. Geftern abend waren Havenftein (Reichs: 
dan) und Helfferih (Deutfche Band) nebit Pohl zum Eifen dort. 


430 Kriegsbriefe 1914 


Dabei ift das Gejpräch auch hierauf gekommen, und S. M. foll ſich 
ablehnend hierüber ausgefprochen haben, unteritüßt von Walentini und 
Zreutler. (Schwache halbe Leute.) Heute nach dem Frühſtück widerfprach 
Valentint nicht. S. M., Valentini und ich waren in einer Ede, er 
meinte freilich, das wäre eine äußerte Maßregel. 


Charleville, 22. XI. 

Nun geht aljo die Schreiberei wieder los, In Frankfurt mußten 
wir Coupe wechſeln und in Met umfteigen. Von Metz hierher ging 
es dann durch, Wie der Schaffner „Scharleville, ausiteigen” rief, 
war mir nicht übermäßig fröhlich zumute. Unſer Flottenausflug nach 
Nordweſten Soll erit genauer unterfucht werden, ehe ein Urteil gefällt 
merden könne. Gegen Ingenohl wird vorausfichtlich Feine Flare Hand⸗ 
babe Sich ergeben, vielleicht gegen mindere Leute, fo daß eine größere 
Änderung nicht erreichbar fein wird, Die Schwierigkeit liegt ſchließ— 
lich darin, daß der Kaifer mit dem Grundprinzip eben einveritanden ift 
und es jo haben will. Sch ſtehe von den Ülteren ganz allein mit 
meiner Anſicht. Die Notwendigkeit, auch fpäter in Flandern zu bleiben, 
Scheint freilich Durchzudringen. 


Charleville, 23. XIL 

Sch hatte Gelegenheit mit S. M. über die Nordſee zu — 
Er hatte ſchon den Kronprinzen geſprochen, der dabei geweſen 
war, und nach deſſen Schilderungen meinte er, eg wäre ein Wun⸗ 
der, daß den großen Schiffen nichts paſſiert fei, fo viele treibende 
Minen und lboote hätten fie gefehen. Unzufrieden war er, daß die 
Zorpeboboote nicht angegriffen hätten. Dean Kann die ganze Lage 
aber nicht voll beurteilen, wenn man die Tagebücher nicht durch: 
fiudiert hat, und dieſe find erft eingefordert. Daß der erforderliche 
Spiritus nicht dahintergefteckt hat, Bann man fühlen, das bildet aber 
Feine Unterlage. Sch hatte dann Gelegenheit, über Flandern zu fprechen 
und mar erfreut, daß er im Ganzen meiner Anficht war, 


Charleville, 24. ZIL 

Ich hatte beute noch einmal Müller meine Anficht von unferer 
Seefriegsfübrung auseinandergejeßt, der er nicht miderfprach, in ge 
wiſſem Gegenjag zu früher, Im Hinblick auf das letzte Unternehmen 
werden im Auftrag vom Kaiſer noch einige Fragen geftellt merden, 





Kriegsbriefe 1914 431 


die erft abgewartet werden müſſen. Alles energifche Vorgehen fcheitert 
immer wieder. 

Soeben komme ich von der Weihnachtsfeier in der prosiforifchen 
Kapelle, die jehr hübſch ausgefchmücdt war. Un langen Tafeln die 
Geſchenke und die Leute, vorn ein etwas erhöhter Plaß mit Zeppichen 
für S. M. und die oberſten Herren, davor die Krippe, nicht fehr 
groß, aber hübſch ausgeführt, Dann Fam Göns in feldgrauer Uniform 
und dahinter mächtige brennende Chrifibäume. Zuerft wurden drei 
Strophen gefungen: Ich bete an bie Macht der Liebe. Dann fprach 
Göns kurz und gut. Pleſſen im Namen der Armee dankte dem Katfer 
und brachte drei Hurras. S. M. erwiderte einige kräftige Worte, 
ging dann durch die Reihen, war recht munter und fehr Leutjelig. 
Seder fland vor feinen Play und konnte fich bedanken, was ich 
dann auch tat. Am Schluß drei Strophen: Stille Nadıt, heilige Nacht. 
Das Ganze war würdig und feierlich. 


Sharlenille, 25. XI, 


Bemerkungen, bie von vielen Seiten aus Deutfchland an mich 
gelangen, drücken mich immer tief herab in meiner Stimmung. Die 
Verfaſſung, Yin der lediglich ber Reichskanzler polinfch verantwortlich 
ift, macht mich praftifch machtlos, wenn es fich nicht um Refjort- 
fragen handelt, und die gibt es im Kriege nicht. Generalſtab und 
Admiralftab find die Heeresleitung und unterftehen direkt dem Kaiſer. 
Letzterer will den Marinekrieg jo haben, wie er geführt wird und 
nicht anders, Für die Fahrt der Flotte nach England bat er Pohl 
dag Kreuz Erfter Klaſſe gegeben, das charakterifiert die Sitwation. Daß 
ich Dad Prinzip nicht für richtig halte und die Perſon nicht jehr 
gerignet, nußt mir nichts, denn es fehlen mir die Unterlagen dafür, 
daß ich vecht habe, ganz abgejehen davon, daß mir das fpeziellere 
Material vorenthalten wird. Roon befand fich 1870 in gleicher Lage, 
ebenjo Falkenhayn. Lebterer fah den Mißerfolg Fommen und Fonnte . 
nichts tun Ende Auguft. Stein war 1813 ein völlig freier Dann und 
obendrein formell im Dienſt des Zaren. Scharnhorft war auch machtlos 
dagegen 1813, bis er Stabschef von Blücher wurde. Blücher ſtand aber 
an ber Spike des Heeres. Für Kriegsverwendung bin ich der Marines 
Organiſation zufolge Fein Sachverfländiger, und deshalb die Kabinetts- 
frage zu flellen, würde mir nur einen fchlechten Abgang ſchaffen. Bloße 


432 Kriegsbriefe 1914 


Vorjtellungen aber dei S. M. würden meinen Aufenthalt hier nur noch 
unerträglicher machen, als er an Sich ſchon ift. Selbſt wenn ich die 
Bedenken nicht hätte, mich felbft zum Flottenchef zu empfehlen, würde 
SM. mich gar nicht nehmen. Sch habe das feinerzeit mit Pleffen 
befprochen. Der Vorſchlag bzw. das Anerbieten müßte doch auch 
von S. M. kommen und nicht von mir. Sch würde doch SM. 
meine eigenen Bedenken nicht verjchweigen dürfen, ebenfowenig, wie 
ich e8 bei der Übernahme des Keichgmarineamts 1897 getan habe, und 
das wäre ein Widerfpruch mit der Selbſtempfehlung. 


Sharleville, 26. XI. 

Beten Dank für deinen intereffanten Tangen Brief, den ich 
noch gar nicht recht beantwortet habe. (Enthielt Anregung von 
amerifanifcher Seite, Noofevelt ins Große Hauptquartier einzuladen). 
Für einen folchen Schachzug — Noofevelt einzuladen — ift unfere 
leitende Kafte viel zu jteifbeinig. So etwas von unbrauchbaren Diplo: 
maten ift wirklich noch nicht dageweſen. L. ſchickte mir den Brief 
eines Amerifaners über die Gründe, weshalb die Stimmung in Amerika 
und bejonders in der amerikanischen Preſſe für uns jo yngünftig jei. 
Einen wefentlichen Zeil der Schuld maß er der umfererfeits geübten 
Behandlung amerikanischer Journaliſten zu. Er verglich die urbane, fich 
auf gleiche gefellfchaftlihe Höhe ftellende Haltung der ruffifchen, 
englifchen und franzöfifchen Diplomaten mit den fteifen ariftofratifchen 
Ablehnungen der unfrigen. Die Herausjendung eines fo formlofen 
Schaumfchlägers wie Dernburg wäre nun wieder ein großer Fehler 
in entgegengefeßter Richtung; geiftig und formeli auf der Höhe ftehende 
Gelehrte oder font prominente Perſonen, die würden gewirkt haben. 
Alles muß von oben herab angeordnet werden, die vorhandenen Kräfte 
werden nicht flüffig gemacht, im Gegenteil, jede felbftändige Regung 
wird unterdrückt, jo ift es ja dem ganzen Konſularkorps feit Sahren 
. ergangen. In gleicher Richtung verfährt man ja auch gegen mid). 
Ich bin überzeugt, daß meine Unterredung mit Wiegand politifch nur 
nüßlich fein kann, trotzdem würde man auf der ganzen Linie gegen 
mich losgefchlagen haben, wenn meine Unterredung nicht durch) Zimmer: 
mann gebilligt worden wäre. Trotzdem weiß ich noch nicht, ob man 
nicht via Pohl, den fie ganz in der Hand haben, mie Unannehmliche 
feiten bereiten wird. 


Ariegsbriefe 1914 433 


Unfere Erfolge in Rußland Eönnen nicht groß geweſen fein, da wir 
garkeine Gefchüge genommen haben. Serbien ift von den Hfter- 
reichern faft ganz geräumt, und unfere Hoffnung, Munition uf. nach 
Konftantinopel zu befommen, ift fehr gering geworden. Die Rumänen 
laffen von Rußland aus alles durch und von ung nichts. Das ift 
ſchlimm; aber troß allem feße ich noch große Hoffnung auf Hinden- 
burg, und die Kraft unferer Armee ift nicht im mindeften erfchüttert. 
Aufs Aushalten kommt es an. 


Charleville, 28. XIL 

Wir haben heute das rechte fcheußliche Charlevilfer Wetter, Regen, 
Mind und Kälte und dabei für mich die Unmöglichkeit, mich für 
die große Sache betätigen zu Eönnen, nicht einmal mit Ratſchlag für 
den Admiralſtab. Es ift namenlos hart für mich, hier auszuhalten. 
Die einzige Chance, die ich noch habe, wenn ich fie habe, ift, bei 
etwaigen Friedensfragen herangezogen zu werden, aber das liegt fo 
fern, und auch da wird alles mich abdrängen. 


Charleville, 29. XIL 

Wenn Hindenburg nicht doch noch hilft, To fieht es Schlecht aus. 
Hier fteht alles, und leider fehlt e8 an Munition, das ift ſehr 
ſchlimm und eine merkwürdige Verfäumnis des Kriegsminifteriums, 
das offenbar bureaufratifch ftark verfilzt war. Wir haben feit Anfang 
des Krieges unfere großen Lazarettvorräte und Munitiongbeftellungen 
an die Armee abgegeben, es war aber natürlich nicht ausreichend. 


Charlevilfe, 31. XIL 

Das furchibare Jahr 1914 geht zur Nüfte, und mas wird dag 
Jahr 1915 bringen an Hoffnungen und Enttäufchungen! Ich kann 
mich der Befürchtung nicht erwehren, daß beim Friedensfchluß unfer 
Volk nach den ungeheuerftien Anftrengungen und Leiſtungen ebenjo 
enttäufcht fein wird über die Nefultate, wie vor 100 Sahren. Sch 
will aber fchon zufrieden fein, wenn wie nur die Fähigkeit, beffer die 
Möglichkeit behalten, ung wieder in die Höhe zu arbeiten. Solange 
ich lebe, wird Schmalhans Küchenmeifter bleiben, ich meine das nicht 
für ung, fondern für unfer ganzes Volk. Ich las heute in der „Daily 
News“ vom 12. Dezember einen Artikel „Lord Fifher und v. Tirpitz“, 
der natürlich fehr viel Falfches enthält, aus dem aber doch hervorgeht, 


Thrpitz, Etinnerungen 28 


434 Kriegsbriefe 1915 


wie man lediglich mich als den Leiter unferer Seefriegsführung anz 
fieht, ebenfo wie es die Gefchichte tun wird. Sch habe die Flotte 
gefchaffen und habe fat nichts zu fagen bei der Verwendung, eine 
fehrecdliche Situation für mich. Dabei ift Mar, daß vorwiegend das 
Gefhäft von Müller (Stellenbefegung) Bankrott erlitten hat, fonft 
hätte die Flotte Großes geleiftet. Das ficht man ja an jedem Einzel 
auftreten unferer Schiffe. 


1915 
Charleville, 1. J. 

Heute Kirche, Predigt etwas fehr rhetorifch und mir kaum etwas 
gebend. S. M. mich gnädig begrüßt, nachher auf der dreckigen Chauffee 
nach Hirfon Vorbeimarfch der Landwehr, Landftürmer und der Stabes: 
wache, ich glaube gewiß 5000 Dann. Dann war Hauptquartier und 
Dffizierforps aufgebaut, und S. M. ſprach mit jeder Gruppe etwas. 
Neujahrsgratulation von Pohl an Müller: „Schügen Sie mich auch 
ferner im neuen Jahr“ (d. h. natürlich gegen mich). | 

Über U.s Brief fchreibe ich wohl noch. Er irrt fich aber. Es ift 
eine fefte Stuckmauer um den Kaifer herum, durch die ich nicht 
bindurchfomme, ganz abgefehen davon, daß ich nicht mehr die Nerven 
für einen großen Kampf habe. Anderung der Kabinettswirtfchaft kann 
nur eintreten nach einem großen Unglück, und davor wolle Gott 
Deutſchland bewahren. Im Frieden nachher werden freilich die Geifter 
aufeinanderplaßen. 


Charleville, 2.L 

Die Schiht um den Kaifer iſt zurzeit noch undurchdringlich. Es 
ift eben die Eigenart vom Kaifer, er will feinen Entfchluß faffen und 
feine Verantwortung tragen. Er foll zu Müller fchon mehrmals 
gefagt haben: ‚nun müffe aber die Flotte mal etwas machen,” aber 
zum Entfchluß ift er nicht zu bringen, und mir gegenüber weicht er 
einfach aus, obgleich ich ihn harangiere, wo und wann ich nur kann. 
Müller hat eine große Verantwortung vor unferem Lande, aber ich 
glaube, er weiß es kaum. Er beftärft den Kaifer, fih nur an den 
ihm untertänigen Pohl zu halten. Dagegen hilft Peine Gewalt meiners 
feits, e8 fei denn bei einem großen Unglück. 








Kriegsbriefe 1915 455 


Charleville, 3.1. 

Sch teile deinen Glauben an unfer Volk, aber die Gefahr Tiegt 
nahe, daß mir erft durch eine Revolution durchmüfjen, an Stelle der 
Evolution. 


Charlevilfe, 4. L 

Pohl hat fich jet zu meiner grundfäßlichen Auffaffung unferer 
Kriegsführung befehrt. Sch hoffe alfo, daß es jetzt beffer geht. Nur 
das bleibt übrig: „Was du von der Minute ausgefchlagen uſw.“ 
und bier handelt es fich nicht bloß um Minuten, fondern um fünf 
Monatel Wenn der Kaifer nicht direkt von Müller beeinflußt wird, 
muß es jebt vorwärts gehen. Sch glaube, die Verhältniffe drücken 
jeßt aber doch zu ftarf, die Flotte muß heran. Möge unfer Herrgott 
ihr helfen. Sm günftigften Falle bringt fie die Entfcheidung, aber 
damit will ich gar nicht rechnen. Ich will zufrieden fein, wenn fie etwas 
mit beiträgt, uns den Frieden zu erfämpfen. Nadelftiche reichen hier⸗ 
für nicht aus. 


Charleville, 5. L 

Am Vormittag habe ich unfer neues Vorgehen etivas bearbeitet 
und Einigkeit mit Pohl endlich erzielt. Es ſoll jetzt fo gemacht 
werden, wie ich in Koblenz und fchon in Berlin gefagt hatte. In 
Berlin hatte ich aber noch auf eigene Snitiative von Ingenohl 
gerechnet, in Koblenz drängenden Charakter gegeben. Charakteriftijch 
für die Wirtfchaft von Müller und Genoffen: die Vorfchläge gehen 
in Geftalt einer Denffchrift. Das würde ich in Pohls Stelle einfach 
nicht tun, bzw. Vortrag halten und Denkfchrift da laffen, wenn der 
Kaifer darauf befteht. Gefchieht das nicht, fo nimmt Müller und 
Genofjen plus Bethmann die Entfcheidung in die Hand, aber ich 
rechne darauf, daß die Lage im ganzen drückt, 


Charleville, 8. J. 

Soeben war ich eine Stunde beim Großherzog von Baden. Der 
Kanzler hat mich ſchriftlich aufgefordert, ihm meine Anſicht über die 
Zukunft Belgiens ſowohl von meinem Reſſortſtandpunkte, als vom 
Standpunkt der Zukunft Deutſchlands in einem Schreiben niederzu⸗ 
legen. Das iſt mir angenehm, denn nun kann ich mich frei infor⸗ 

28% 


436 Kriegebriefe 1915 


mieren, ohne gleich in den Verdacht zu Fommen, gegen den Kanzler zu 
infpirieren. Capelle befommt heute den Auftrag, mir eine Denk: 
Schrift vorzubereiten und herzufchiefen. Sch felbft werde noch nach 
Brüffel und Flandern fahren, um die Frage an Ort und Stelle zu 
ftudieren, auch Krupp pp. heranziehen. Zollgrenze darf m. E. nicht 
fein. Die NRheinländer denken am zeitweilige Lifin!). Iſt der einmal 
eingerichtet, dann ift er ſchwer zu befeitigen. Aus Stalien fchlimme 
Nachrichten, es will auf Raub ausgehen und zunächit das Trentino 
haben, aber P’appetit vient auch für Rumänien. O heiliger Hindenburg, 
hilf uns bald, wir haben es nötig. Immer noch fehlt hier Munition, 
Mir verlieren täglich Menfchen und können nicht wieder fchießen. 


Charleville, 9. L 


Vorläufig unterhandelt Müller noch mit Bethmann darüber, eigent- 
lich ein haarfträubender Zuftand! Sch denke, etwas Luft wird Ingenohl 
wohl gelaffen werden, aber ich habe Fein Vertrauen mehr zu ihm. 
Mit Müller hatte ich noch eine ziemlich ſcharfe Auseinanderfegung, 
bei der er fehr gereizt und ich fehr ruhig war. Spaßhaft war die 
Schriftliche Zuftimmung von Pohl auf meine Zuftimmung zu feinen 
Ideen. Er hätte diefe Zuftimmung mit „Genugtuung“ begrüßt, nach- 
dem er und Müller die feit fünf Monaten bekämpft hatten!! Aber 
Schluß darüber. Meine Hoffnungen find doch nur gering. Mit ihrem 
Neujahrswunſch hat J. recht. Mein, meiner Überzeugung nach gut 
gelungenes Lebenswerk und diefe Nubanwendung, es ift fchreclich 
für mich! Von vornherein waren Chancen, aber es waren doch eben 
nur Chancen. Am 16. Dezember aber hatte Ingenohl das Schidjal 
Deutjchlands in der Hand. Sch gerate immer in eine innere Aufregung, 
wenn ich daran denke. 

Ein früher bei ung ausgebildeter rumänifcher Seeoffizier grüßt in 
einem Briefe feine alten Kameraden und ſchreibt dabei, er hätte oft 
für Deutschland gefprochen, es nüßte alles nichts, in ein paar Wochen 
ginge e8 gegen Dfterreich los, dazu Stalten in gleicher Verfaffung ! 
Sch glaube, es find fchon ultimatumähnliche Drohungen ausgeftoßen. 
Dabei ift die Wut über unfere Bundesgenofjen bei unferen Ofttruppen 
groß, fie wären nicht mehr vorwärts zu bekommen, 


) Zwiſchenzollgrenze (Chinefifch). 


Kriegsbriefe 1915 437 


Eharleville, 10.1. 


Der Anlauf, zu dem ich und Wefterfamp Pohl gebracht haben, ift 
praktiſch in nichts zerfallen. Zweifellos haben Müller und Bethmann 
die Sache abgefartet und den Kaifer vorher inftruiert. Statt deffen 
find aber nun doch Konzeffionen zu machen, halbe Maßnahmen an: 
georönet, die m. E. wenig nüßen können, dabei aber große Gefahren 
in fich fchließen, es ift fchrecklich. Freilich meine ‚„Unterredung‘ Fönnen 
fie nicht aus der Welt fchaffen, und die drückt auf die Dauer. Aber 
mit diefer einen Maßregel ift ja doch gar nicht genug getan, fie würde 
ja nur dann voll wirkſam geworden fein, wenn wir nach Calais 
gekommen wären. Von Flandern aus ift es fehr viel ſchwerer, deshalb 
muß außer diefer Maßnahme auch die Flotte heran, und das ift 
zurzeit nicht zu erreichen gewefen. Sch warte nun Hopmann ab, um 
weiter zu operieren. Dabei muß natürlich zugeftanden werden, daß 
in dieſem Augenblid, wo Italien und Rumänien auf der Kippe ftehen, 
ein Echee von Ingenohl gefährlich ift, während man hier immer noch 
auf Hindenburg gegen Rußland rechnet, der nur durch das Saumetter 
zurzeit abgehalten wird. 


Charleville, 12. I. 


Sch las geftern in der „Frankfurter Zeitung” aus einer Rebe, die 
Lord Rofeberry in Dalleith gehalten hat: „Wir ftehen zwei Tatſachen 
von größter Bedeutung gegenüber: Erftens, daß die britifche Nation 
auf immer unterworfen wäre, wenn fie nicht dis zum legten Schilling 
und bis zum legten Mann Fämpft, und zweitens, daß das beutjche 
Volk als die größte Militärnation der Welt fich nie wieder erheben 
würde, wenn e8 gefchlagen werde.” Diefe Worte charafterifieren m, €. 
tatfächlich die Lage, und aus diefer Lage heraus ift Fein Ende abzujehen. 

Geftern abend beim Kaifer, wo ein Generalftabsoffizier von Hinden⸗ 
burg eingetroffen war mit einem Brief für S. M. Wird man wieder 
aus Rofalintereffen dasfelbe machen wie feinerzeit? Was haben wir für 
fürchterliche Verlufte gehabt damals ohne jeden Gewinn. Der Herr 
erzählte übrigens, daß die Ruſſen für Nikolai Nikolajewitſch durchs 
Feuer gingen und fie bisher nur gute Gewehre fich gegenüber gehabt 
hätten, mit anderen Worten, daß die Kraft der ruſſiſchen Armee nicht 
gebrochen fei. Er fragte den Kaifer, was die Flotte machen würde? 
Mann hörte die Antwort vom Kaifer: England wolle fie ftets verführen, 


438 Kriegöbriefe 1915 


aber das täte fie nicht. In Wirklichkeit ift die neue Anweiſung wohl 
dank des Einfluffes von W. und 3. befjer geworden, als ich nach den 
Auslaſſungen von Pohl fürchten mußte. Ingenohl hat jetzt fo viel Luft, 
daß, wenn er nur wirklich will, die Sache vorwärts gehen muß. 
Hoffentlich beftraft der liebe Herrgott nicht das Zögern. Dein Drängen 
hat doch ſchließlich etwas genüßt. Freilich einen Führer kann ich nicht 
fchaffen. Ein anderer Generalftabsoffizier, Oberftleutnant Hentfch, Fam 
von Serbien und erzählte von dem dortigen öfterreichifchen Zufammen= 
bruch, Tobte die ferbifche Armee fehr und war der Meinung, daß 
Rumänien und Stalien fich nicht mehr lange halten laffen würden, das 
weiß wohl auch Hindenburg, daher der energifche Drud, Wird man 
endlich zu vollen Entfchlüffen Eommen? Sch glaube, damals wäre bie 
Entfcheidung anders ausgefallen, wenn fie weniger unter Lofalinterefjen 
geftanden hätte. Oberftleutnant Hentfch lobte die öfterreichifche Marine 
auf der Donau, in Pola dagegen (Admiral Hauf) ftünde man ganz 
unter der italienischen Hypnofe — Liſſa und Tegetthoff feligen An- 
gedenkens. Verwandtſchaft von Soffre und French feftgeftellt. Die 
Möglichkeit, daß wir deutfche Truppen nach Serbien fchicten, Liegt 
leider nicht vor. Das Preftige Ofterreichs auf dem Balkan fcheint end» 
gültig zu finfen. Die Mannfchaften, namentlich Deutfche und Ungarn 
aus Kroatien recht gut, fie wollten aber durchaus von uns geführt 
werden, da ihre eigenen Offiziere verfagen. Bedenklich find die tſchechi⸗ 
ſchen Mannschaften. 


Charleville, 14. 1, 

Es gehen große politifche Dinge vor, es feheint faft fo, als ob wir 
Ofterreich mehr oder weniger fallen laſſen müffen oder es zwingen, 
Stüde von feinem Leibe herzugeben als Futter für die Aasgeier, die es 
umlauern. 

Hopman hat mir heute noch viel von der Flotte erzählt, aber 
keineswegs ganz erfreulich. Tritt dort nicht eine Radikalkur ein, fo 
wird nichts daraus, und wir würden England heute fchlagen! Statt 
beifen gehen ihre ganzen Gedanken (die Admirale) in die Technik, die 
nach allen Richtungen hin zu wünſchen übrig ließe und fie dadurch 
binderte, etwas zu leiſten. Aber auf Uboots- und Luftkrieg wird 
gedrängt, fonft Fönnte das bdeutfche Volk verftimmt werden über bie 
Untätigfeit ber Flotte. Die Flotte iſt da, und der Xegetthoff fehlt. 





Kriegäbriefe 1915 439 


Es ift zu traurig. Dazu wird unfere Gefamtlage doch recht ernft, 
troß des Fleinen Erfolges bei Soiſſons, der dem General von & fogleich 
den Pour le mérite eintrug. Übrigens hat fich bei diefer Gelegenheit 
doch gezeigt, daß einem gut angelegten Sturmangriff unferer Truppen 
die Sranzofen nicht widerftehen. Es waren Brandenburger von der 1870 
fo berühmten 5. Divifion. 


Eharleville, 15. L 

Bei den Wilfenden ift es hier auch recht ernft geworden. Große 
Munition mangelt und Fann nicht ſchnell genug gefchafft werden. 
Sch werde mich entjchließen müffen, noch weiteres herzugeben, obgleich 
fofort Mangel da wäre, wenn Ingenohl ein Führer wäre. Jetzt will 
er zwei Geſchwader nacheinander nach Kiel ſchicken zu notwendigen 
Ausbildungszweden. Es ift unglaublich, und dabei wird er immer mehr 
„gebottelt”. Eine Flotte ift eine ebenfo fchlechte Defenfiowaffe wie die 
Kavallerie, vielleicht noch mehr. Alle Vorteile in der Nordjee hat ber, 
der die Snitiative hat. Man denfe z. B. auch an die „Emden und 
die „Karlsruhe. Der Krieg der verpaßten Gelegenheiten zu Waſſer 
und leider auch zu Lande! 

Der Frieden wird fchlecht, wenn wir Antwerpen und Flandern nicht 
bekommen, da Tiegt die einzige Kompenfation für alle fonftigen Verlufte 
in der Welt. Soeben hatte ich Befuch von Monfieur und Madame ©., 
die mir anboten, durch einen Verwandten in England Nachrichten über 
Wolf einzuholen. Sch dankte fehr, aber es wäre nicht nötig. Beide, 
namentlid) Madame, waren fehr liebenswürdig. Wir haben auch etwas 
politifiert; Nichelieu und Colbert hatten recht, Louis XIV. hat den 
größten politifchen Fehler gemacht, der Frankreichs Niedergang fchließs 
lich verfchuldete. Napoleon I. hatte in feiner Grundidee recht, und auch 
jest, wenn man vom Grenzſtreit abfieht, wären die Interefjen Frank: 
reichs und Deutfchlandg folidarifch uf. uſw. Er Iehnte nicht ab, 
Madame meinte, das wäre ganz richtig, aber jet müßten wir eben 
fechten, dem ich natürlich zuftimmte. Es ift ſchade, daß der Verftand 
fo wenig die europäifchen Völker regiert, abgefehen von England, das 
keine Seele hat. Ob es fich verrechnet hat, werden wir fehen. Die 
Neutralen beugen fich alle feiner Macht. Für ung ift in der Beziehung 
auf nichts zu rechnen als auf ung felbft. Ein mächtiger, gewaltiger 
Bau und nur eine Hydra obendrauf. 


440 Kriegsbdriefe 1915 


Charleville, 16. 1 

Capelle telegraphierte von neuem, ich müßte hier bleiben, Brief folgt. 
Die Situation fiheint fehr zu drängen. Es fcheint doch fo, daß das 
Keichsamt des Innern fich ſehr verrechnet hat mit feiner Schätung 
der Getreidevorräte. Wenn jet nur nicht Flucht auf der ganzen Linie 
Fommt. Seht will Ballin nun mit einemmal energifche Seefriegs- 
führung, nachdem er bisher ſtets mit dem anderen Klüngel gefchrien hat: 
‚tur den Feind nicht reizen.“ 

Sch bin froh, daß Retzmann von einer Aufgabe zurückgekehrt ift, 
die nicht auf Wahrfcheinlichkeit, fondern auf Dufel berechnet war. 
Sch hatte Sorge, daß die Sache ſchief gehen würde, wie mit den Torpedo 
booten. Die Stimmung bei den Neutralen wird dauernd fchlechter, 
ber Bluff von England ift zu groß. 


Charlevilfe, 17. L 

Weshalb Capelle fo fehr darauf drängt (zweimal telegraphifch), daß 
ich hier bleibe, ift mir immer noch nicht klar. Sch kann mir gar nicht 
denken, daß die Getreidefrage fo ſchlimm fleht, und einen anderen 
Grund weiß ich nicht. Da ich jedenfalld am 27. Januar hier fein 
muß, jo iſt meine Flandernreife zunächit in Frage geftellt, Sch habe 
die Hoffnung auf J. und die Flotte faft aufgegeben, Seht bleibt 
vielleicht die Ubootsfache. Wir müffen aber England durchaus ans 
Leder, font machen wir einen Frieden, der unjere MWeltmachtftellung 
nicht berückfichtigt, und Deutfchland wird wieder Menfchen erportieren 
und nicht Waren. H.s Beſchwerde hat, glaube ich, nicht den Erfolg 
gehabt, 5. herauszupfeffern, fondern nur den, daß man H. mehr Futter 
gibt und man militärisch fi im Oſten infl. Conrad von neuem 
orientiert hat. Hat H. den Erfolg, daß wir mit Rußland ung abfinden 
Fönnen, was ich immer für das befte halten würde, fo kann das auch 
hierher zurückwirfen, aber gegen England müffen wir mithelfen. 


Charleville, 19. J. 

Geſtern abend beim Kaiſer. Es kam die Rede auf die Ubootsſache, 
Treutler und Valentini ſofort dagegen, Italien würde Angriffsvorwand 
haben. Ich wurde etwas ſehr deutlich, wenn wir den Engländern nicht 
an den Leib gingen, ſo würden wir uns die Sympathien der Neutralen 
noch mehr verſcherzen und erreichten nichts. S. M. will nicht. Er 





Kriegsbriefe 1915 441 


möchte erft politifch Elarer fehen ufw. Aus dem Ganzen ging hervor, 
auch nach Anficht von K., daß man Frieden haben wollte, auch wenn 
er faul ift. Der Kaifer erzählte, wie immer die Nerven den Sieg 
entfchieden. Langenbe (Schwager von Plefjen) hätte gefagt, als er 
den Fall von Port Arthur hörte, die Ruffen hätten vierundzmwanzig 
Stunden zu früh Papituliert, fonft hätten fie gefiegt. Sch fagte S. M., 
das wäre fehr richtig, e8 gäbe auch vierundzwanzig Stunden im 
weiteren Sinne ber Kriegsentfcheidung. Der Kaifer ſchwieg. v. B. bat 
in einem Schreiben an Bethmann begeiftert zugeftimmt. Sch habe ihn 
nun bearbeitet, da die Preffe fchweigen müßte, fo müßte fich ein Dußend 
prominenter Führer in Handel und Snduftrie zufammentun und ihre An- 
ficht über den allein für Deutfchland ausreichenden Frieden zu Füßen des 
Thrones niederlegen. Dazu Eonnte ich ihn nicht befommen. Ja, wenn er 
gefragt würde, fie wären ja alle einig, die meiften wollten fehr viel mehr 
(als ich nämlich), aber es Fünnte fo ausfehen, als ob fie den Kanzler 
ftürzen wollten, und dag ginge doch nicht. Sch verfuchte vergeblich, 
ihm Plar zu machen, es wäre doch eine hiftorifche Pflicht für ihn und 
feine Genoſſen, jo etwas auszufprechen, ehe es zu fpät wäre, es 
würde Doch auch den Kanzler, der fich in Zweifeln zermürbt, nur feft 
machen. „Ja, er wolle fich dag überlegen ufmw.”’ Ein folches Manko 
an Perfönlichkeit in den oberen Etagen bei einer fo großartigen Leiſtung 
der Nation ift erfiaunlich und zeigt doch fehließlich eine fchwere Wunde 
in unferem Staatsorganismus, die fich bitter rächen muß. 

Ich din immer nur erftaunt, daß ber Kaifer mich noch gut be 
handelt, er geht zwar um mich herum und läßt mich nicht heran, 
aber er denkt wohl, es macht zu viel Auffehen, wenn ich gebe. 

Die Flotte kann jet, wenn fie will, aber J. ift ohne Intuition. Da 
ift von hier eben nichts zu wollen, 


Brüffel, 20.1. 

Mir fuhren ab 10 Uhr, diesmal ohne Schwierigkeiten über Charleroi. 
Die Bevölkerung war offenbar zurzeit fehr viel weniger aufgeregt als 
das erſtemal. Hier will ich Biffing und B. fprechen und morgen nad) 
Brügge fahren. Die Gefamtfituation tft mir immer Elarer geworden. 
Sch hoffe jeßt vor allem auf Hindenburg Wir müffen Rußland erft 
noch einmal fchlagen, dann fcheint mir ein Abkommen mit ihm möglich, 
wenn Ofterreich nicht bockig tft. Kaftanienbäume im Sübtirol an Stalien, 


442 Kriegebriefe 1915 


um leßteres zufriedenzuftellen! Ofterreih muß nach Süboften dort 
Raum gewinnen — Bulgarien auch etivas abbefommen, um es an 
Ofterreich zu feſſeln. Dafür muß Hfterreich im Nordoften das abgeben, 
was nur fchädlich ift und es feiner biftorifchen Aufgabe entfremdet. 
Rußland mit Ehren heraus aus der Affäre, kann ung Fleine ev. not- 
wendige Berichtigungen geben, namentlich einige Littauer. Gut wäre bag, 
aber Feine abfolute Notwendigkeit. Bares Geld ift nicht zu verlangen. 
Ein größerer Zeil von Polen wäre für ung nicht erwünfcht. Deshalb 
jetzt alles für Hindenburg, was nur möglich, um mit Rußland Schluß 
zu machen. Rumänien nichts, wenn es nicht aktiv wird. Dies ift fchon 
notwendig, um Ungarn zu befriedigen. Dann Hindenburg hierher mit 
abfoluter Vollmacht; der hätte die Pofition, um alles zu machen, fchließ- 
lih auf England los, foviel wir Fönnen. Mit Bilfing unterhalten und 
großes Einverjtändnis erzielt. Vielleicht fehr wertvolle Unterftügung. 


Brügge, 22.L 

Se mehr ich jehe von der Neichsleitung durch den Kaifer und ben 
Kanzler, je mehr ſchwindet meine Hoffnung. Ich bin heute in Antwerpen 
geweſen, hatte B. zum Frühſtück und babe nachher General von H. 
geſprochen. H. fagte noch, bevor ich meine Anficht ausfprach, „der 
Krieg ift ohne Belgien verloren.” B. meinte, Ballin fei für Antwerpen, 
aber der Kanzler pp. und Anhang wollten fich mit dem Kongo abfinden 
lafjen. Ein Schleier für folche, die nicht fehen wollen. Die Revifion 
des Dreißigjährigen Krieges ift meines Erachtens dann auf immer 
verpaßt. Die Stellungnahme von Müller fpricht Bände über die 
bejtimmenden Anfichten. Es fei denn, die Nation fpricht ein Wort 
mit. Der induftrielle reiche Bourgeois ift aber indolent geworden. Sch 
bin nicht nur in Charleville, fondern auch in Berlin völlig ifoliert. 
Der Luftangriff auf Yarmouth pp. ift ein Verplempern. London foll 
gefchont werden. Auf die City müßte alles, was da fleucht und Ereucht, 
Eongentriert werden nach meinem mündlichen und fehriftlichen Votum. 


Charleville, 26. I. 

In Gedanken bin ich natürlich bei der Flotte. Der Vorftoß ift mit 
demſelben Fehler gemacht worden mie ftets, die Flotte war im Hafen 
und nicht an der Stelle, wo die Rückendeckung ftehen mußte. Der 
Effekt beim Kaiſer wird mohl der fein, daß nun alles eingefapfelt 





Kriegsbriefe 1915 443 


wird. Sch bin heute abend zum Eſſen und werde verjuchen, auf ein 
Virement zu drüden. 


Charleville, 6. II. 

Heute war eine zweite Unterredung mit Müller, bie infofern leidlich 
verlief, als fie zu einem andern modus vivendi führte. Das Schlimme 
bei der Aktion mit den Ubooten ift, daß die Berfumpfung vor allem da⸗ 
durch herbeigeführt werden wird, daß wir jeßt nicht genug haben. Darin 
und in der Art des Startes mit Fanfarengeblafe und Drohung an bie 
Neutralen Liegt die ſchlimmſte Seite der Angelegenheit. Ich Eonnte 
heute Müller aktenmäßig nachweifen, wie von mir durchiveg ein 
anderer Weg vorgejchlagen wurde und Pohl fpäter immer patig ablehnte 
und nachher die Sache mit dem Kanzler allein abmachte. Der Kaifer 
und Müller find in diefer Sache wütend auf Pohl. Mich aber trifft es, 
da durch das Interview mit Wiegand die Sache an fich mit meinem 
Namen verfnüpft ift und man glaubt, ich wäre der Ausführende. Sch 
habe übrigens heute Müller gefagt, daß nur die Pflicht gegen das 
Vaterland mich abhielte, den Abſchied jebt zu nehmen; ich würde es 
felbftverftändlich nach dem Kriege tun. Im übrigen erzählte ich, wie 
vom Auswärtigen Amt und wie in Abgeordnetenkreifen die Sachlage 
Eolportiert würde: Ich wäre beim Kaifer gänzlich drunter durch und 
hätte Eeinen Einfluß mehr. Das fände ich doch nicht richtig, folange 
ich noch im Amte wäre. Diefe Ausführungen waren ihm fehr peinlich. 
Der eigentlich große Zwieſpalt zwiſchen dem Kaifer und mir ift der, 
daß ich für notwendig gehalten habe, die Flotte einzufeßen, und der 
Kaifer nicht wollte. Jetzt ſucht man nach anderen Gründen hierfür 
und nach dem Sündenbock. 

Die Vorgänge in Preußen find jebt Plar. Die Ruſſen wollten 
einen großen Schlag tun, und wenn nicht Hindenburg bei Mafuren 
ihnen zuvorgefommen wäre, ftünden die Ruſſen jetzt vor Königsberg 
und Danzig. 


Charleville, 7. II. 

Pohl hat in feiner Eitelkeit und Urteilslofigkeit etwas Gefährliches 
eingebroct, was ich auseffen muß. Der ganze Pohlfche Erlaß vom 
4. Februar war überflüffig, mir hätten die Verwendung ber Uboote 
fich felbft entwickeln laſſen follen, immer ftärker und ftärker, unjeren 


444 Kriegsbriefe 1913 


Kräfteverhältniffen entfprechend wachjend, Befehlsänderungen wären 
bei Annahme meines Vorfchlags nicht notwendig geweſen. Statt dejjen 
Fanfare, Bedrohung und demzufolge Aufregung der anderen und Eng- 
land gewarnt und vierzehn Tage Zeit gelajfen um fich vorzubereiten. 

Die Engländer und Franzofen verftehen fich auf den Bluff, das muß 
man ihnen laffen. Sie haben vor den Dardanellen noch gar nichts 
erreicht, und wenn die Türken nicht in Panik geraten, werden fie 
auch gar nichts erreichen. Außerdem haben die Türken dort acht ihrer 
beften Korps ftehen, und da drohen die Engländer mit Landungskorps! 


Charlevilfe, 2. IIL 


Mann telephonierte noch am Mbend, daß die Note an die Vers 
einigten Staaten nun doch veröffentlicht worden fei, troß der neulichen 
Behauptung des Kanzlers. Die Preffe und das Publifum werden den 
Kern der Sache nicht verftehen. Erftere ift außerdem gefnebelt und 
wird im Sinne des Kanzlers geschrieben. (Siehe Lofalanzeiger, 3. IIL 15.) 
Auf diefe MWeife wird der Kanzler dem Kaifer gegenüber recht behalten, 
Die Kreuzzeitung freilich foll gegen die Note gefchrieben haben. 


Charleville, 3. II. 


Bon bier abfolut michts zu berichten. Heute war Admiral v. Müller 
bei Bachınann, freilich nur auf dem Sprunge, da er mit dem Kaifer zu 
General v. Einem fahren mußte, aber zu mir ift er nicht gefommen und 
wer offenbar überrafcht, von Geige!) zu hören, daß ich hier fei. Sch 
werde nun weiter abwarten. Bethmann ift mit Jagow in Berlin ges 
blieben; er will noch ca. 10 Tage dort bleiben wegen der Verhandlungen. 
Hier erfährt man michts und führt ein troftlofes Dafein. Nur das 
Enjemble in maison Gailly ift außerordentlich angenehm geworden. Wir 
paſſen alle fehr gut zufammen, und ich glaube, wir freuen uns alle 
daran. Vormittags habe ich einen Eleinen Gang mit Hopman gemacht 
und nachmittags mit Bachmann, dem ich etwas von der Stadt zeigte 
und dann mit ihm an der fchlangenartig fich windenden Maas entlang 
wanderte. Wir hatten heute früh zwar Schnee, aber troßdem geht etwas 
wie Frühlingsahnen und Milde durch die Luft. Sch bin jedenfalls froh 
darüber. 

Die neufte „Frankfurter Zeitung‘ Jobte zwar unjere Antwortnore, 


N) Botenmeifter in der Kanzlei. 





Kriegsbriefe 1915 445 


aber doch nur fehr mäßig! &. erzählte mir von feiner Unterredung 
mit Bethmann. Er hatte aus derjelben einen fehr wenig günftigen 
Eindruck von dein Lenker unferer Geſchicke empfangen, Er hätte nur 
geraft: „Was foll ich machen, was foll ich machen?” Stalien und 
Griechenland feien ihm im Traume erfchienen. Pohl hätte ihm etwas 
ganz anderes gejagt, als nachher gefchehen. Kurz, fich zermürbend in 
Zweifel, daß Gott erbarm. Das kann ja nicht gut gehen am Ende, 

Leider ift die Offenfive Hindenburgs zum Stehen gefommen, und 
auf Ofterreich ift nicht zu rechnen. Die Ruffen werden über jede Er- 
wartung gut geführt und vollziehen auch ihre Operationen mit großer 
Geſchicklichkeit. Die Ruffen wollten das gleiche machen wie Hindenburg. 
Lebterer Fam ihnen glücklicherweife zuvor, fonft fäßen die Kerls jeht 
vor Königsberg. Es feheint fich da von Grodno bis nach PloczE ebenfalls 
eine Schübengrabenlinie zu bilden. Das ift fchlimm für une. 


Charleville, 4. IIL 

Die Entfcheidung der jeßigen Krifis Tiegt zweifelsohne in Rom 
und in den Dardanellen bzw. im Durchhalten der Türken. Rumänien 
und Genoffen ift doch der Spuk ing Gebein gefahren bei dem Gedanken, 
Konftantinopel Eönne ruffifch werden, den rumänifchen Halunfen wäre 
e8 eigentlich zu gönnen. Die Türken wollen durchaus ein Uboot haben. 
Die Ofterreicher haben abgelehnt, als zu gefährlih. Wir haben ihnen 
angeboten, deutfche Beſatzung dafür zu ftellen, bis jeßt ohne Antwort. 
Aber die Gefchichte charakterifiert die Ofterreicher. Ihr Admiral Hauß 
Eonferviert feine Flotte gegen Stalin. Er möchte wohl ein zweites 
Liſſa haben, ob er aber der Tegetthoff dazu ift, ſcheint mir nicht fehr. 
Er hat fich mit unferem Marineattachs nur über vorfintflutliche Pflanzen 
unterhalten; dies ift fein Spezialjparren. Setzt auf, zum fröhlichen 
Sagen zwar nicht, aber zur ſchrecklichen Tafel, bei der ich mir fo 
deplaciert vorkomme. 


Charleville, 5. IL 

Wir haben wahrfcheintich U 8 verloren. Wir mußten ja auf Verluft 
gefaßt fein, um fo mehr, als man den Ubooten mit Rücficht auf die 
Neutralen recht unangenehme Befchränkungen auferlegt hat, die auf ein 
Auftauchenmüffen in zweifelhaften Fällen herauslaufen. Heute mar 
Müller auf eine Stunde hier, wir find aber nicht fertig geworden. Den 


446 Kriegsbriefe 1915 


Derlauf der Sitzung beim Reichskanzler hatte er gar nicht verftanden. 
Er meinte, ich hätte eine Schroffheit Hineingebracht, die die Sitzung 
beeinflußte und refultatlos gemacht hätte. Unterftaatsfefretär Zimmer: 
mann dagegen hat am nächiten Tage Bachmann gejagt, die Sitzung 
wäre ja fehr gut verlaufen, wir wären ja alle einig geworden. So war 
es nämlich in der Tat, freilich derart, daß der Kanzler und Jagow 
nachher allein daftanden. Sch hatte nämlich fehr langſam und ruhig 
gefagt, die neue amerikanische Note (Nr. ID wäre erfreulichermweife 
fehr höflich gehalten in der Form. Das wäre der erfte Eindrud, Wenn 
man aber den fachlichen Inhalt prüfte, fo ftellte fie an ung ein un⸗ 
würdiges Verlangen (das iſt die „Schroffheit), nämlich ganze Zurüd 
nahme des Uboots⸗ und Minenkrieges, und dafür befämen wir praftifch 
nichts von England als höchſtens ein paar vereinzelte Kompromiß- 
Getreidefchiffe. Über den Vortrag beim Kaifer fagte er, der von Beth- 
mann ausgefprochene Verdacht, daß mir Preffeagitation trieben, wäre 
vom Kanzler ſehr ungehörig geweſen. Er hätte das auch S. M. gefagt. 
Sch hatte dies energifch zurückgemwiefen. Dagegen hätte ich von Verluft 
an Preftige gefprochen, und das wäre doch unerhört, wenn ich dem 
Reichskanzler fo etwas zutraute. Diefe Auffaffung von Müller ift mir 
gänzlich unverftändlih. Darum handelte es fich ja überhaupt, ob der 
Eindrud, den die Note machte, ein zu fehiwacher war, und wenn fie 
angenommen wird (mas immer noch möglich ift), wir die Blamierten 
find. Da wir mit lautem Gefchrei am 4. Februar losgegangen waren 
(in diefer Form ganz gegen meine fchriftlich niedergelegte Anficht), fo 
mußte durchgehalten werden, um des Kaifers willen. Als ob ich gefagt 
hätte, der Kanzler will das Preftige herabdrüden? Das wäre 
etwas anderes geweſen. Dann famWiegand- Affäre und meine Stellung 
zur Ubootsfrage, die er wohl etwas anders jeßt fieht, ſoweit er über- 
haupt DVerftändnis dafür hat. Morgen geht die Unterhaltung weiter, 
Des Pudels Kern ift: Er und der Kaifer haben die Flotte zurück 
gehalten. Der glänzende Geift vom Auguft vorigen Jahres iſt fort. 
Die Flotte hätte glänzend gefchlagen, meines Erachtens mit Erfolg, 
denn Schiffe und Perfonal find bejfer als die Engländer. Jetzt fucht 
man einen Sündenbock, den jieht man in der Technik, d. h. in 
mir, Unterftügt wird dies unwillkürlich durch eine Reihe der untätig 
Gebliebenen uſw. Man fucht nach Entfchuldigung. Es ift fomit anzu= 
nehmen, daß der Kaifer und Müller pp. Erfolg damit haben werden. 


Kriegsbriefe 1915 447 


Hätte ich die Flotte doch in den erften Monaten Fommandiert, jetzt 
find die Stärke- und fonftigen Verhältniffe allerdings ſehr viel uns 
günftiger geworden. 


Charlevilfe, 8. IIL 

Der Vatikan ſcheint mit feiner ganzen Macht dafür einzutreten, daß 
Stalien und Ofterreich nicht in Differenzen Fommen. Merkwürdig iſt diefe 
Veränderung. Der Vatikan und das Zentrum haben fich verbunden, 
um den alten Kaifer Franz Sofeph zu beftimmen, entgegenftommend 
zu fein. Es wäre für uns ja fehr wichtig, wenn auch das Nefultat 
zunächft nur ein paſſiv günftiges für ung wäre Das ift aber in 
diefem Augenblid doch fchon viel. 

Sch las eben einen Artikel, in dem energifch gefordert wird, die 
Regierung folle ausfprechen, daß wir Belgien behalten würden. Das 
ijt meines Erachtens auch dag einzig Richtige, felbft wenn wir es nachher 
nicht behalten würden. 

Die Reife von Sir Edward Grey nach Frankreich wird beftätigt. In 
Verbindung damit werden Friedensverhandlungen gebracht. Alle mög: 
lichen Anzeichen fprechen dafür, daß wir den Engländern nachgeben 
wollen. Heute morgen war der Prinz Heinrich bei mir. Er hatte 
geglaubt, er follte bei hochmwichtigen Fragen zu Rate gezogen werden 
und nun „ſpräche man mit ihm nichts Ernfthaftes”. — Politiker wären 
an ihn herangetreten, er folle dem Kaifer ein Licht aufſtecken, wenn 
es jo weiterginge, befämen wir nach dem Kriege eine Art Revolution 
uſw.; fie wären auch an den Kaifer herangetreten (das ftimmt). Sch 
riet dem Prinzen Heinrich ab, die Initiative zu ergreifen, er würde 
doch nicht angehört werden. Eine Gruppe von freiftehenden Männern 
und bie Fürften Fönnten es tun. Ein Einzelner Fann es nicht und fommt 
nicht durch. Prinz Heinrich erzählte auch, man wolle an Hindenburg 
berantreten, der follte dann dag Ganze übernehmen. Hindenburg Fann 
fih aber doch nicht felbft anbieten; fo bleibt eben alles beim alten. 
Heute nachmittag mit Bachmann fpaziert; warmes Frühjahrsmetter, 
in Charleville jedenfalls der erſte Frühlingstag. 


Charleville, 9. II. 

Ahlefelds Anficht, daß wir möglichft die andern anlaufen laſſen 
follen bier im Weften, teile ich auch; deshalb müſſen wir das, road 
wir an Stoßkraft übrig haben, zurzeit im Oſten bzw. Südoften am 


448 Kriegsbriefe 1915 


feßen. Natürlich Farm ich das nicht ganz überfehen, aber alle Nachs 
richten flimmen darin überein, daß jet dort die größte Gefahr liegt. 
Große Entfchlüffe find nötig, die haben ung aber zu rechter Zeit immer 
gefehlt in diefem Kriege, Es wiederholt fich die Leitung wie zur Zeit 
Friedrich Wilhelms IV. 

Hier ift man erftaunt, daß König Konftantin den Mut hat, den 
Kampf mit Venizelog aufzunehmen, der am Krieg teilnehmen wollte, 
Die Dardanellengefchichte hat die ganze Sippe dort in Aufregung ver- 
feßt, aber Feinesmwegs für uns geftimmt. Das ift das Merkwürdige 
Dabei, denn kommt Konftantinopel in die Hände der Ruſſen, jo hätten 
fih die Balfanftaaten ordentlich in die Neſſeln gefeßt. Das einzig 
Unbehagliche in der türkifchen Situation ift der Munitionsmangel. 
Mir glaubten ſchon, Rumänien gäbe nach und ließe unfere Munitions- 
züge durch. Geftern find fie aber plößlich wieder bodig geworden. 
Dabei fließt das Gold von beiden Seiten in die Hände der Halunfen. 
Die ungeheure Siegeszuverfichtlichkeit, welche die Engländer in die 
Melt pofaunen, und auf der anderen Seite unfere fchredliche Hydra 
bringen die neutrale Welt zu dem Glauben an England. Sch erzählte 
dir von der Münchner Zeitung und dem Artikel über Belgien und 
die Notwendigkeit, Farbe zu bekennen, was die Neichsleitung damit 
machen wolle, Seht ift das Blatt Fonfisziert, jedenfalls auf Anweiſung 
Bethmanns. Sch Sprach Heute den zur Front gehenden bisherigen (es 
ift Schon der zmeite) bayrifchen Militärbevollmächtigten über dieſen 
Artikel. Er hat ihn ebenfalls gelefen und ftimmte ihm durchweg zu. 
Diefe Münchner Zeitung ſei eigentlich ein unbedeutendes Blatt, der 
Auffaß aber offenbar ausgezeichnet und von einem Kenner gefchrieben. 
Es Fang fo durch, als ob er fagen wollte, der Auffat wäre vielleicht 
infpiriert, in Bayern natürlich, Es eriftiert dort ein Gegenfah zu 
den Anfichten des Kanzlers. Lehterer fürchtet von dort Beftrebungen 
auf ein neues, modernes „Burgund“. Da mag etivas Richtiges daran 
fein, der König von Bayern fagte mir in Coblenz: „Und wenn es 
Preußen nicht haben will, nehmen wir es.” Vielleicht ſcherzhaft, 
aber mit einem Unterton, | 


Charleville, 10. II 


Mit dem zeitweiligen Abflauen des Ubootsfrieges hat es feine 
Nichtigkeit. Fest find aber genügend draußen. U. hat recht, daß bei 








Kriegsbriefe 1915 449 


der jetigen Methode der Kriegsgebietserflärung Feine Neutralen abs 
geichoffen werden können. Deshalb war ich für Ausfpruch einer 
Blockade und Beſchränkung in räumlicher Beziehung; Kanal bis 
Southampton und Dftküfte. Dann müßten die Neutralen mwegbleiben, 
wenn fie fich nicht dem Abſchießen ausfegen wollten. Für die jetzt 
erfoigte Beſchränkung der Tätigkeit der Uboote war der Erlaß vom 
4. Februar d. J. unnötig nicht nur, fondern höchſt fehlerhaft. Wir 
Eonnten auch ohne Erlaß verfahren, wie jebt gefchehen, regten die 
Neutralen nicht auf, bliejen Feine Fanfaren und fteigerten die Wirkung 
unjeren Kräften gemäß, 


Eharleville, 11. IIL 

Daß U 20 verloren ift, weißt du jetzt. Wir find fehr traurig 
darüber. Die Ubootsfallen, die die Engländer überall liegen haben, find 
gefährlich, und die ganzen englijchen und franzöfiichen Torpedoboote 
find hinter unferen Ubooten her. Aber es Hilft nichts, es muß durch 
gehalten werden. 

Du wirft von der Budgetkommiſſion gehört haben. Alle Parteien 
haben fich dort auf das beftimmteite für Angliederung von Belgien 
ausgeiprochen. Inſofern war es gut, daß ich nicht dort war, man 
hätte mir alles Mögliche wieder angedichtet. Jagow foll fich dabei 
gänzlich ausgefchwiegen haben. Soeben habe ich deinen Brief vom 
10. erhalten. Wie gern käme ich nach Berlin, aber bei dem fchroffen 
Gegenjaß, in dem ich zum Kanzler ftehe, ift es doch beſſer, ich bleibe 
bier. Vorwürfe gegen die Marine werden, wie Erzberger an Capelle 
gefagt hat, nicht vorfommen, und wenn unfer Etat heranfommt, ift 
der Reichskanzler hier. Mit Bachmann arbeitet es fich fehr gut. 


Charleville, 12. IIL 

Sch freue mich, daß Bachmann in bezug auf die Schlechtmachung 
unfereer Schiffe ganz auf meiner Seite fteht und alles von feiner 
Seite tut, um dagegen anzugehen. Käme unfere Flotte unter einiger: 
maßen günftigen oder doch nicht geradezu ungünftigen Verhältniffen 
zum Tragen, fo würde diefe Schlechtmachung mie ein Spuk ver- 
fchwinden. Capelle foll heute feinen guten Eindrud aus der Budget: 
kommiſſion, die Marine oder den Etat betreffend, mitgebracht haben. 
Vielleicht muß ich dann doch noch nach Berlin. Das Auswärtige 
Amt hat ein Lob befommen wegen der Amerikanote, 

Tirvitz, Erinnerungen 29 


450 Kriegsbriefe 1415 


Im Dften fteht alles und bier auch. Das ift zu wenig für uns. 
Die Dardanellenfrage regt bie Balkanſtaaten auf. Es ift eine gefährliche 
Situation, das Umkippen von einen Staat kann verhängnisvoll für 
den ganzen Krieg werden. Hindenburg könnte noch einmal hundert 
taufend Ruſſen gefangennehmen, das nüst unten nichts. Ein paar 
englifche Linienfchiffe herunter würde auf die Neutralen mehr wirken. 


Sharlenille, 13. IIL 

Stimmung ift bei mir troß des guten Wetters recht flau. Im Weiten 
und Dften fteht alles, und man kann kaum abjehen, ob wir noch vor= 
wärts Fommen. Langſam muB die Abſperrung Deutichlands auf die 
Gemüter wirken, und ob eins von den Gefindeln da unten nicht als 
Aasgeier losgeht, weiß man nicht, Mit den Oſterreichern ift gamichte 
enzufangen, Die diplomatifche Vorbereitung für einen Weltkrieg war 
unglaublich. Eine große Anzahl Botfchafter unbrauchbar, besgleichen viele 
Gefandten. Niemals ift wohl vor dem Kriege eine Befprechung feitene 
der Keichöregierung mit militärischen Reſſorts geweſen; Wertrauene: 
ſeligkeit, daß England neutral bliebe bis zuletzt; dagegen ſeit 190% 
fein Zumachs zum Marineetat. In der Armeeleitung Fein Verftändnis 
für die Bedeutung Englands im Siriege, dagegen abfolutes Vertrauen 
in Das Siegesrezept des toten Schlieffen. Schließlich die Hydra! 
Wenn man dies überfieht, kann man wohl düſter in die Zukunft fehen. 
Freilich ſieht's in Frankreich und Rußland noch fehlechter aus; aber 
wir Kämpfen ja gegen die ganze Welt einfchließlich Amerikas. Der 
Getretdedampfer für Belgien hat vorher Waffen abgeladen in England, 
Und ich fige hier und kann fo gut wie nichts tun. Die Verwendung 
unferer Flotte war ganz falſch, aber Müller, der Kalfer und Pohl 
holten abfolut daran feft, auch jeßt noch. Das ift das Niederdrüdendfte. 
Freilich it unfere befte Chance jeßt vorbei; der Niefenzumachs ber 
englifchen Flotte in diefem Jahre macht fich zu ſehr geltend. Heute mittag 
war Müller bei mir, friedliche Unterhaltung gepflogen. Bachmann ift in 
Hlandern auf einige Tage. Heut abend ift Graevenitz (württemberg. 
Militärbevollmächtigter) bei ung und der neue bayrifche Militärbevolle 
mächtigte. Sch fehe fonft wenig Dienfchen, und das Leben verfließt ſehr 
eintönig für mich, Selbftverftändlich werde ich für Belgien eintreten; 
aber ein Gejpräch mit Bethmann ift abfolut zwecklos. Sch habe mit ihm 
ja auch ſchon eine Stunde darüber gefprochen. Seit dem Vortrag beim 








Kriegsbriefe 1915 451 


Keifer find wir aber gänzlich auseinander. Sch Habe noch nie ein Geſpräch 
mit ihm gehabt, bei dem etwas herauskommt. Er ift gänzlich hoffnungs⸗ 
108, Nur der Wille des Volkes könnte helfen. Für mich iſt auch infofern 
Die Zeit nicht gekommen, einen neuen Anlauf zu machen, als gerade jeht 
bie Kriegelage nicht überfehber iſt. Müller erzählte Heute, wenige Tage 
vor Ausbruch des Krieges hätte ihm Stumm, Keiter der englischen Xb- 
teilung im Auswärtigen Amt, noch erflärt, England ginge nicht mit, 
es wäre alles Bluff. 


Charleville, 14. TIL 

Der General v. Einem wor der Meinung, die Franzofen würden in 
offener Feldfchlacht nicht gegen uns ftandhalten. Eine folche haben wir 
aber nicht mehr, und dagegen wären die Franzofen ausgezeichnet in ber 
Geländebenutzung, fehr Frei von bogmatifch taktischen Lehren, und 
ihre Geſchütze treffen ausgezeichnet, Heute morgen fagte fich der 
Kronprinz bei mir an. Sein Vater war abweſend. Ich habe diesmal 
offener mit ihm geiprochen. Er war ernfter als fonft, äußerte ſich Scharf 
über die ganze Hydra. 

„Eitel Friedrich” (der Hilfskreuzer) hat feine Sache gut gemacht, 
wie alle unſere Schiffe, wenn fie Insgelaffen werden. Laß bir einmal 
den Brief des Kommandanten des „Cormoran” geben. Dee reine 
Nomen, aber die Hege von den japaniſchen, englifchen, franzöſiſchen 
und ruſſiſchen Geichwadern war natürlich zu viel. Die Nieberländer 
verweigerten ihm alles aus Angft. Die Amerikaner gaben nicht einmal 
Kohlen und liefern unferen Feinden Milliarden an Waffen und Dlunition. 


Charlesille, 15. IIL 

Eigentlich lohnt fich ein ganzer Bogen nicht, denn ich habe gar nichte 
zu berichten und habe faft gar nichts mehr zu tun. So mie die Vers 
hältniffe liegen, hätte ich qui und gerne noch länger im Berlin bleiben 
können. Es ift ſehr ſtill Hier, ich fehe und fpreche Faum einen Menichen 
und Farm mich gar nicht betätigen in diefer ſchweren Zeit; das drückt 
mich immer befonders mieder. Eine Meine Freude hatten wir durch den 
Erfolg unferer Uboote, Der Kommandant von U 29 (früher von U 9) 
bat fünf Stüc erledigt, andere Uboote zwei oder drei In London 
foll man doch recht erregt darüber fein. Wie ich höre, follen fich die 
neuen proviſoriſch Eonftruierten und gebauten Uboote fehr aut gemacht 

29* 


452 Kriegsbriefe 1915 


haben, fo daß fie doch recht nüßlich werden können. Ich wäre fo gern 
zum Reichstag in Berlin geblieben; ohne den Kriegsminifter ging ed 
aber nicht gut, und jeßt ift es zu ſpät. 


Charlevilfe, 16. IIL 


Vom Oſten Farın ich nichts melden, das gut ift. Die Ofterreicher 
verfagen total wieder. Es fcheint faft, daß fie nicht mehr recht wollen, 
der Staat und die Armee find offenbar durch und durch morjch, und 
für feine Sntereffen haben wir die „ſchimmernde Wehr“ eingeſetzt ... 
Sch bin planmäßig ausgefchaltet und Bann dem nicht ein Ende machen 
wegen der allgemeinen Stellung, die ich noch habe, troßdem der ganze 
Apparat am Werk ift, um fie zu untergraben. Bethmann muß gefchont 
werden, gab mir Müller neulich den Rat. „Geh er; — er hat Fein Glück,“ 
würde Friedericus Ner gejagt haben. Wenn er doch mit feinem 
Krückſtock vom Himmel herabkäme. 


Charleville, 17. III. 


Nichts Neues vor Paris. Müller war heut bei Bachmann und zur 
Abwechſlung in ziemlich düſterer Stimmung, die jedenfalls um den 
Kaiſer herum herrſcht. Verurſacht iſt dieſe wohl durch den Umſtand, 
daß wir überall zum Stehen gekommen ſind und die Verhandlungen 
mit Italien dadurch zum Stillſtand, jedenfalls bisher inſofern nicht zum 
Erfolg gekommen ſind, als es nach Erpreſſerart ſeine Forderungen 
immer höher ſchraubt. Laß dir das Kriegstagebuch der Ayeſcha geben. 
Es enthält zwar für euch etwas viel ſeemänniſche Dinge, der reine 
Roman! Die Holländer haben fich dabei nicht fehr nett benommen, 
bei etwaiger Veröffentlichung während des Krieges wird man diefe 
Stellen wohl ftreichen, was eigentlich zu bedauern ift. 

Sm September dachte niemand an einen Purzen Krieg. ı Sch habe 
es auch im Zuli und Auguft nie getan. Das Auswärtige Amt glaubte 
immer, England in der Hand zu haben und es begäufchen zu Fünnen, 
Es tut e8 auch heute noch. Wir mußten und Eonnten den Krieg mit 
Rußland vermeiden, unfretwegen hätte es in früheren Jahren auch 
nach der Türkei gehen Fönnen, dann wären mir die Ruſſen losgemwefen, 
Statt deffen ſetzen wir uns für Öfterreich ein und haben den Lohn 
dafür. Bethmann und die Leute um ihn machten Orientpolitif, während 
unfer Wirtichaftsleben, ob wir wollten oder nicht, in die weite Welt 





Kriegsbriefe 1915 453 


ging und ung in Differenzen mit England bringen mußte, aber nicht 
zum Krieg, wenn Rußland nicht dabei war unter unferen Gegnern. 
Wir müßten diefen Faden wieder aufnehmen. Zu ganzen Entfchlüffen 
raffen wir ung aber nicht auf, fondern driften meiter. (Notabene: Drift 
ift ein guter deutfcher Ausdruck, der auch in „Abdrift“ vorkommt.) 


Charleville, 18. II. 

Die Lage wird bei Bethmann und in der Hydra überhaupt ungünftig 
beurteilt. Man hofft jebt auf ein Zufammenbrechen Frankreichs. Sch 
bin der Anficht, daß wir die Zähne zufammenbeißen müffen, das ift 
der einzige Weg. Wie war eg denn mit Fridericus Ner nach Kunerg- 
dorf? Und ein folches haben wir jest noch nicht erlebt. Bethmann, 
Jagow und ihre Gefolge machen aber nach allen Seiten flau, nur 
aus Gründen der inneren Politik, das wird aber nach außen 
befannt und wirkt gefährlich, 

Dank auch für „Stein. Diefe Männer fcheinen ausgeftorben, 
aber welche ftarfe Gruppe hatte er doch um fich, Blücher, Scharnhorft, 
Boyen, Öneifenau, ‚a band of brothers,‘ wie Nelfon jagte. Wie aber 
ift e8 1914/15! Selbſt der gute Bachmann war entjeßt über die 
Hydra; er fand die ganze Gefellfchaft Heute im Gartenbau befchäftigt, 
dabei mit herunterhängenden Köpfen. Neulich hatte man im Mifibeet 
desjelben Gartens ein Lager von 150 Flafchen des beften Weines 
gefunden Es wurde erwogen, ob bei diefen Aufpizien der Buddelei 
nicht Dörpfeld herzitiert werden follte. 

U. unterfchäßt die tatfächliche Macht der regierenden Hydra, Nach 
den Traditionen, mit denen ich aufgewachfen bin, kann ich unmöglich 
öffentlich Front dagegen machen; darin läge aber mein eigentliches 
Mittel. Im übrigen läßt man mich grundfäßlich nicht heran, Wenn 
ich nur Uboote fchneller Heranfchaffen könnte, aber in zwei bis drei 
Wochen wird hoffentlich unfer Nachfchub fchon wirken. Unfere Uboots— 
kommandanten machen ihre Sache ausgezeichnet; ihre Kriegstagebücher 
find Romane, 


Charleville, 19. IH. 

Herr dv. Mutius vom Auswärtigen Amt Farm gratulieren. Vorher 
Flingelte much der Kaiſer mich an, gratulierte mir und brachte mit ale 
meiteres Geburtstagsgefchen? die Nachricht, daß Heute zwei engliſche 


454 Kriegsbriefe 1915 


inienfchiffe vor den Dardanellen geſunken feien, geftern das franzöfifche 
Anienfchiff „Bouvet“. Hoffentlich iſt die Nachricht richtig. Dom 
Untergang des „Bouvet“ hatten wir fchon ein Zelegramm von Uſedom. 
Eine Freude Hat mir die Kaiferin gemacht durch ein fehr gnädiges 
Telegramm. Wenn Wünfche Helfen können, bin ich aljo ausreichend 
verforgt worden, 

Im Oſten follen die Ruſſen immer von neuem große Maffen ins 
Gefecht bringen und fehr tapfer und rückſichtslos draufgehen. Selbſt 
Eichhorn hätte einen fehr fchiweren Stand, wenn die Rufen mehr 
Geſchütze hätten. Die Ofterreicher kommen Eeinen Zoll mehr vorwärts, 
Es erjcheint zweifellos, daß die Ruſſen einen gewaltigen Schlag vor: 
hatten, fie kamen mit ihren Maffen nur zu ſpät. 


Charleville, 20. TIL. 

Geſtern abend war eg wieder fehr öde; die Unterhaltung ſchleppte 
fich langſam entlang. Der Kaifer jah überall riefige Siege, ich glaube 
aber, um fich und feine Unruhe zu beſchwichtigen. Die einzige Freude 
war die Beftätigung der englifchen Verlufte vor den Dardanellen. 
Der Türken oder richtiger unjere Verluſte waren gering, aber der 
Mumnitionsverbrauch empfindlich. Bachmann ift auch entſetzt über bie 
Kabinettswirtichaft, ſowohl geſellſchaftlich wie dienftlich. 


Charleville, 21. IL 

Dein Brief von geftern ift foeben eingetroffen. Sa, ich hätte es wohl 
beffer gemacht, wenn man mich herangelafjen hätte. Müller it von 
verfchiedenen Seiten dringend gebeten, von Bachmann, Die uſw., 
man jollte mich als Chef der Admiralität für die Dauer Des Krieges 
einfegen und mir dann überlaffen, wie und warn ich mit an Bord 
ginge. Antwort war immer: „Ausgeſchloſſen, das täte der Kaiſer nie.” 
Letzterer will jelbft den Marinefrieg führen, und das könnte er natürlich 
nicht bei mir. Ich finne hin und her, mich aus der Lage zu befreien, 
in der ich mich befinde, Formell hat Pohl freie Hand, wie kann ich da 
eingreifen, wenn er wichte tut bzw. fagt, er hätte Feine Gelegenheit, 
Befehlen & tout prix Schlacht zu machen und herauszugeben, Bann 
man nicht, das muß ber Betreffende in feiner Bruft haben. Die 
Berhältniffe liegen hier anders wie bei dem Landheer. Wir haben heute 
Meldung aus Berlin, daß 9 Milliarden gezeichnet ſeien. Das iſt Doch 
ein einmütiger Mille, der hier zum Ausdruck kommt. Über Poldhu 





Kriegsbriefe 1915 455 


hörten wir, daß die Engländer am nächſten Tage nad) dem Unter 
gang ihrer Schiffe vor den Darbanellen erneut angegriffen hätten, 
Das it Die richtige Art Ebenſo hätten wie am 25. Januar fofort 
wieder herausgeben follen, und wenn es nur geweſen märe per far 
figura. Uber das Kabinett Hat ben Geiſt ber Flotte untergraben; 
jet ift der Bazillus ſchon fehe Hef eingedrungen und ohne flarke 
Perſonaländerungen nicht zu beſſern. Bir haben übrigens noch Feine 
neuen Nachrichten aus Konſtantinopel. Unſere Berlufte find gering, 
such wenig Schaden an den Forts, empfindlich mur der Munitiong- 
verbrauch. So wie jest die Verhältniffe Legen, wäre die Forcierung 
der Dardanellen ein fchiwerer Schlag für uns. Ein geftriger und wohl 
letzter Ausfall bei Przemyſl iſt mißglückt; die Aktivität der Nuffen if 
doch groß, jetzt auch in Memel. Trümpfe haben wir nicht mehr. 
Hoffentlich ſchreitet im April der UÜbootskrieg weiter vor, 


Charleville, 22. III. 

Heut abend iſt Diner bei S. M. zu Ehren des Geburtstages weiland 
Kaiſer Wilhelms J. Bachmann hatte darauf aufmerkſam gemacht, 
daß jetzt ein großer Zeil der engliſchen Flotte vor den Dar—⸗ 
danellen jei und der Ubootskrieg ſehr viele leichte Streitkräfte abs 
forbierte, Denn man etwas machen wollte, fo wäre alſo jetzt eine 
gute Zeit. Pohl entrüftet über eine folche Zumutung. Er dächte nicht 
daran, etwas zu tun, Dagegen mwolle er fich noch mehr mit Minen 
einkapfeln. Es iſt hoffnungslos. Da liegt eine Flotte von 40 ge 
panzerten Schiffen, davon mehr als bie Hälfte Überdrendnoughts, über 
100 Torpedoboote, und verroftet im Hafen, während Deutjchland in 
einem Exiſtenzkampf fich befindet, Sch fiße dabei hier und bin machts 
iss, Wenn das nur bie einzige Schuld des Kabinettsfyftens wäre! 
Sch habe aber dieje Ziellofigkeit, dieſe Fanfaren dabei jeßt feit mei 
Jahrzehnten miterlebt und gefehen, wie jedes Reſſort für fich arbeiter, 
alles Sich an „Ihn“ drängt, dem man den Glauben beibringt, alles 
ſelbſt zu machen, und von dem fo große Vorteile ausgehen. — Byzanz! 
Und nun haben wie diefen furchtbaren Krieg und dasſelbe Durcheins 
ander und dieſelbe Ziellofigkeit, vom Geſamtſtandpunkt aus geſehen. 
In Konftantinopel, in der Marine, in der Armee, in der Politik Kein 
Zufammenarbeiten, faft alles immer noch beſtrebt, nach dem Katfer 
zu fchieien, dee umgeben ift von weichen Leuten, Es gäbe mur ein 


456 ° Kriegsbriefe 1915 


Mittel, Hindenburg würde Reichskanzler und Chef des Generaljtabs 
und Chef der Admiralität in einer Perfon. Nun ſehe man die Ova⸗ 
tionen im Reichstag, da geht doch völlige WVerftändnislofigkeit des 
wahren Übels daraus hervor. 

Gfücklicherweife trifft der Fall von Przemyſl mit der Niederiage 
der Engländer vor den Darbanellen ziemlich zufammen. Das mildert 
wohl den Eindruf des erfteren, aber überall greifen die Ruſſen rück 
fichtelos an, und die Ofterreicher werden immer gefchlagen, und auch 
mir werden nervös. Hindenburg ift am Ende feiner Kräfte. Sch hörte, 
daß das der Eindrud von Bethmann fein foll, den diefer von Pofen 
zurückgebracht hat. 


Charleville, 23, IIL 

S. M. feierte die neuen Ritter dee Pour le mörite mit einer Rede, 
In welcher er fie gewiſſermaßen mit den Paladinen verglich, die unmeit 
von hier bei Sedan mit Kaiſer Wilhelm dem Großen das Deutfche 
Reich gefchaffen Hätten. Sch ſaß zwifchen Solms und Lynder. Lebs 
terer Elagte über Moltke, der damals im Sternenfaale den Ausfpruch 
tat, als die Mitbeteiligung Englands erwähnt wurde: „Se mehr Eng- 
länder, defto beſſer.“ Dir fagte er etwas Ühnliches, ald wir nach 
Soblenz fuhren und ich ihn darauf aufmerkſam machte, er follte doch 
die direkte Einwirkung der englifchen Armee nicht unterfchägen. Wir find 
eben nicht nur politifch, fondern auch militärifch in den Krieg herein- 
petapert. Keine Überlegung, wie ein Weltkrieg zu führen fei, keinerlei 
Gefamtleitung, Eurz, genau fo wie jeßt im Kriege felbft. Sch wollte bei 
der Abreife von Berlin über Konftantinopel und die Türkei mit MoltEe 
Iprechen, das lehnte er geradezu ab, weil ihn das nicht interejfierte. 

Die Stimmung war im ganzen recht flau. Der Fall von Przemyſl 
drückte doch ſehr. Wie ich höre, foll fogar an der Front dasfelbe zu 
fpüren fein. Sch fprach dann mit General v. X. und verfuchte ans 
zubeuten, daß doch eine gröfiere Einheitlichfeit in die Führung des 
Ganzen kommen müßte. Der Kaifer müßte einmal feine Macht auf 
einige Zeit detachieren, z. B. auf Hindenburg. Sch merkte aber bald, 
daß General v. X. folche Gedanken gar nicht paffen; er begnügt fich 
mit der Gunft des Kaifers. Bethmann hat geftern überall in dem Sinn 
flau gemacht und gearbeitet, daß wir nur noch um Belgien Fämpften, 
fonft Fönnten wir den Frieden haben. Davon erfährtnatürlihbas 





Kriegsbriefe 1915 457 


Ausland und damit entwertet man Belgien als Faufts 
pfand, felbft wenn wir es nachher herausgeben wollten. 

Der Prinz Adalbert ft hier und verfucht von feinem Water den 
Befehl für Pohl zu erwirken, nichts zu tun. Prinz Adalbert fcheint von 
Pohl inftruiert zu ſein . Da leßterer nun freie Hand hat, nach eigenem 
Ermeſſen zu handeln, fo läge der Sinn diefes Vorgehens nur in- dem 
Wunſch von Pohl, durch einen Befehl für das Nichtstun und Die 
Paſſivität gedeckt zu werden. Ich fände das unerhört. Der Prinz 
Adalbert Fam heute zu Bachmann mit dem Auftrage, daß der Kaiſer 
ihm zugeftimmt und er mir und ihm — Admiral Bachmann — 
diefe Willensmeinung mitteilen folle. Bachmann lehnte jogleich ab, in 
diefer Weiſe nähme er Feine Willensmeinung ©. M. entgegen. Bei 
mir iſt Prinz Adalbert noch nicht geweſen. Sch werde ihm ſchön heim⸗ 
feuchten, Iſt das nicht haarfträubend, Pohl ftellt fich nicht vor den 
Kaifer. Meine Befürchtungen betreffend Pohls find Teider mehr als 
eingetroffen. 


Charleville, 24. II. 

Heute vormittag war Prinz Adalbert bei mir, Bachmann kam dazu, 
Mir hatten nur allgemeine Unterhaltung. Nachher erfuhr ich durch 
Bachmann, daß der Prinz Ndalbert offenbar nicht riskiert hatte, mir 
bie Mitteilung zu machen betr. Stilliegens der Flotte als Befehl, 
Dahingegen hat er es an Pohl als Befehl des Kaifers telegraphiert. 
Ein ganz unerhörter Vorgang, der aber nicht geduldet werden mird. 


Charleville, 25. II. 

Der liebenswürdige, immer entgegenfommende Bachmann hatte einen 
Krach mit dem Reichsfangler, der ihm ein wirklich unglaubliches Schreis 
ben geſchickt hat. Es handelt fich um einen geringfügigen lapsus linguae, 
den ein Referveoffizier des Berliner Admiralſtabs in einer Privat: 
gefellfchaft gemacht hat. Derfelbe hat nämlich gefagt, das Auswärtige 
Amt Schiene flau zu machen in der Ubootsfache (damals im Fe 
bruar), darob große Erregung beim Neichsfanzler: Der „Mann, der 
ein Wähnen Schaffen genannt“, zweimal bei Bachmann, dann drei 
Schriftftüce. Diefe Empfindlichkeit ift charakteriftifch für die Leute, 
bie unfere Geſchicke lenken in fo ernfter Zeit. 


N) Prinz Mdaldert teilt mir unterm 17.11.1919 mit, daß er bei der angezogenen 
Miffion auf Befehl gehandelt habe. 


458 Kriegsbriefe 1915 


Charleville, 26. II. 

Der Türke Fam, Oberfi von Frandenberg, und erzählte von der 
Uneiniafeit zwifchen Enver, Liman und dem Botſchafter. Der Oberſt 
hatte die Suezkampagne initgemacht. Es waren meift arabiſche Truppen, 
die «der immer ausgerijfen wären, wenn gejcheffen worden wäre; 
fie, die Türken, hätten auch zu wenig gegen das Feuer der Schiffe 
machen können. Auf der ganzen ägyptiſchen Geite wären Schützen⸗ 
gräben mit Sandſäcken uſp. Während des Sommers wären nur 
feichte Beunruhigungen möglid, im Herbſt follte es wieder losgehen. 
Dann wird es wohl zu ſpät ſein, ſagte ich. Im ganzen ſcheint doch 
mit dem Türkiſchen Reich nicht viel los zu ſein. Wir haben uns 
merkwürdige Bundesgenoſſen ausgeſucht. Hätten wir Feine Militär 
miſſion ſeinerzeit geſchickt, mit England auf dem Balkan Feine anti⸗ 
ruſſiſche Politik getrieben! Hätten wir flatt deſſen den Ruſſen gejagt, 
unſeretwegen geht nach Konſtantinopel, ſo ſäße jetzt der Bär dem 
Walfiſche gegenüber, und die ganzen Ziegenhirten vom Balkan flüch— 
teten ſich in unſere Arme. General S. klagte wieder ſehr über Mu— 
nitions⸗ bzw. Pulvermangel. Dieſe Pulverfrage entſcheidet vielleicht 
den Krieg. Der beſtändige Mangel bei uns koſtet uns jeden Tag 
mehrere hundert Mann, zuzeiten noch mehr, Die Behördenteilung 
zwifchen Kriegsminiftertum und Generalſtab im Frieden ſchwächte den 
Geſamtblick für das Nötige. 


Tharleville, 26. II. 

Here v. N. bat vollitändig recht: Es iſt ein unerhörtes Verſagen 
unferer Oberſchicht, mitverfchuldet durch Die Spike, Ich habe das ja 
die ganze Zeit jahrzehntelang kommen jehen. Wie oft hatte ich Die 
gejagi: „wie die Kataftrophe einmal kommen wird, wüßte ich nicht, 
fie müßte aber kommen.“ Deshalb ift es fo fürchterlich, mit dabei 
zu fein bzw. dazuzugehören. 

Sch fahre heut zu &., aber ohne die Mbficht, mit ihm zu fprechen, 
denn ich habe genügend gefehen, daß es nutzlos it. General v. H 
nützt mir auch nichts, Er iſt lediglich Soldat, will e8 auch nur fein. 
Hindenburg wäre die Rettung. Sch kenne ihn perfönlich aber nur 
ganz oberflächlich und habe gar Fein Urteil, ob er auch etwas politifchen 
Blick hat. Er foll ein Bluger, befonnener Mann fein; der eigentliche 
Spiritus für die kühnen und gemagten Unternehmungen im Dften 





Kriegsbriefe 1915 459 


ſoll Ludendorff fein. Wenn ich Hindenburg etwas kennte, und irgend» 
einen Vorwand hätte, würde ich zu ihm hinfahren. Sch habe übrigens 
erfahren, daß der Kronprinz in diefer Richtung tätig fein fol. E 
wird aber Eeinen Erfolg haben, oder doch nur dann, wenn ed zu 
ſpät iſt. Bethmann und feine Sippe, Ballin und jeht fogar in Reiches 
tagskreifen machen alle flau. Frieden mit großem Minus für uns, 
aber Frieden Wenn man iyn wirklich will, iſt für den Effekt dee 
Sriedensfchluffes nichts ſchlimmer als diefe Klaumacherei. Sch Höre, 
daß es in Frankreich doch recht ſchlimm ausfehen joll, und ich glaube, 
man hofft auf Caillaux. Ich perſönlich glaube nicht recht daran: 
die augenblicklihe Militärdiktatur Poincars-Joffre herrſcht noch, und 
dieſe wird von den Engländern an der Gurgel gehalten. Geftern abend 
bat die engliſche Admiralität befannt gegeben, daß jie lirfache habe, 
anzunehmen, daß U 29 (Mebdigen) in der rischen See geſunken 
jei mit der ganzen Beſatzung. Ohne Grumd macht fie eine ſolche 
Beröffentlichung nicht, und U 29 iſt überfällig. Es wäre recht traurig. 
Meddigen ift vielleicht zu ficher geworden, und dann die für uniere 
Uboote fo gefährliche Vorficht gegenüber Neutralen! 


Sharleville, 27. IIL 

Heute früh war Müller bier und teilte Bachmenn mit, daß es 
beim Kaifer nichts erreicht habe. Er hätte geäußert, man folle ihn 
serichonen mit Denifchriften, er wolle fich nicht um die Flotte forgen 
müſſen, daher der Befehl. Mit Mühe und Not habe Müller erreicht, 
daß Bachmann wenigſtens vorher Vortrag halten dürfte; derſelbe fol 
Moniag fein. Wenn das jo mweiter geht, jo ſehe ich ein ſchlechtes Ende, 
In der Türkei ſteht alles zum Brechen umd dann geht Die Balfanflut 
und die Aasgeier gegen Äſterreich. Sch ſehe nur ein Mittel, der 
Kaiſer muß auf 3 Wochen oder mehr jich Frank melden, an Stelle 
Bethmanns muß Hindenburg Fommen und dieſem alles unterſtellt 
werben, zugleich Armee und Marine. Der Kaifer muß zunächſt nach 
Berlin, Keffel fuchte mich auf, und er war auch entfeßt über den Kaiſer 
und feinen gejundheitlichen Zuſtand. „Er hätte nicht dareingeredet, 
er hätte überhaupt nichts getan und fehe ſchon, ſchließlich müßte er 
allein die Zeche bezahlen,” jagt der Kaiſer. Kefjel meinte, ber König 
von Bayern müßte beſtimmt werden, ihm zuzureden, fich auf einige 
Zeit Fran? zu melden. Ich riet ab, wenn irgend möglich müßte es 


460 Kriegsbriefe 1915 


von ihm felbft kommen mit Hilfe der Kaiſerin. Oberftabsarzt 3. 
bzw. der Leibarzt müßten es ärztlich für erforderlich halten, fonft ginge 
er nicht auf Urlaub. Bezüglich Hindenburgs lägen große Schwierig: 
Eeiten vor, auch deſſen Adlatus Ludendorff könne er nicht leiden. 
Es feheint, daß nur mit Hilfe eines größeren Zufammenbruche Ande⸗ 
rung Eommen Fann, dann aber iſt es zu Spät. Die Annahme, dag 
im Südoften jet der Schlüffel des Kriegsausgangs liegt, ſcheint fich 
bei vielen jeßt Geltung zu verfchaffen. 


Sharleville, 27. II. 

Heute früh mußte ich dem Prinzen Leopold von Bayern einen 
Befuch machen. Er war wenig informiert, meinte nur, wir müßten 
unter allen Umftänden durchhalten. Jetzt erwarte ich den Oberftabs: 
arzt, mit dem ich mich über den Urlaub unterhalten möchte. Won 
U 29 leider Eeine Nachricht, man muß es verloren geben. Was Du 
vom Auswärtigen Amt jchreibft, war fehr intereffant. Aber Die Lage 
it dort fo: die früheren Botfchafter (reich, vornehm ufw.) arbeiten 
jeßt unter Zimmermann, das paßt natürlich beiden nicht. Im übrigen 
din ich mir über den dortigen Zuftand nicht im Zweifel; ich kann aber 
Zimmermann nicht fo hoch einfchäßen; ob er wirklich „Blick“ hat 
und den fpringenden Punkt erfaßt, ift mir zweifelhaft. Sch habe das 
ſchon früher in der Budgetlommilfion nicht finden Fönnen. Un dem 
Hereinfchlittern in den jeßigen Krieg im Zuli ift er ſtark beteiligt. Er 
war beteiligt, den Öfterreichern freie Hand gegen Serbien zu geben und 
Hat fich nicht Stalieng und Numäniens verfichert. Er betrachtete das 
nur als eine Frage zwischen Ofterreich und Serbien. Er hielt die 
ganze Sache für einen Diplomatenkrieg und wünſchte darin einen 
Erfolg. Damals in der Sitzung betreffend Ukrieg führte er das große 
Mort. In zwei Tagen war er total umgefallen. Übrigens werde 
ich von diefer ganzen Gefelffchaft fo ausgefchaltet, daß ich weder 
mit dem Reichskanzler noch mit dem Staatsfefretär zufammen arbeite 
und -komme. 


Sharleville, 29. II. 

Die Stimmung hier it ſehr gedrückt. Falkenhayn fagt, er Eönne 
nichts mehr machen. Den Ofterreichern traut man gar nichts mehr zu. 
Bethmann und feine Leute gehen ernftlich mit dem Gedanken um, Eng- 








Kriegöbriefe 1915 461 


land nachzulaufen. Das wäre meines Erachtens das Schlimmite, was 
wir tun Fönnten. Meines Erachtens gibt es nur einen Weg: fich mit 
Rußland zu vertragen. Hindenburg Fönnte doch nur dann nüßen, 
wenn er alles befäme, und das wird der Kaiſer und die gejfamte 
Hydra nicht zugeben. Bei diefer aber fitt die tatfächlihe Macht. 
Sch werde verfuchen, in nicht zu ferner Zeit nach Berlin zu kommen, 
vorher würde ich aber gern den Kronprinzen noch einmal fprechen. 
Der Gedanke Ks, im Oſten ftrategifch abzurunden, ift ja ganz 
ſchön. Es Fönnte aber nur in Frage kommen, wenn die ruffifche 
Armee zufammenbricht, und hierfür find zurzeit Beine Anzeichen vors 
handen. Die Kerls greifen fortwährend an, und wenn's mit Land» 
fturm ift, wie in Memel. Im übrigen werden wir die ruffifche Ges 
fahre dadurch auch nicht los werden für die Zukunft. Die Kerie 
müßten nach dem warmen Waffer abgelenkt werden; jtatt deſſen haben 
wir im Verein mit England das verhindert und haben jet den Lohn 
davon. Daran brauchitt Du übrigens nicht zu zweifeln, daß Beth» 
mann und feine Leute nach dem Kriege alles tun werden, um mich 
als das Karnidel hinzuftellen. Sch höre kaum einen mir wohlgefinnten 
Herrn, der eine Unterredung mit Zimmermann gehabt hat, bei welcher 
mir leßterer nicht eins auswiſcht. Es wird dort ſyſtematiſch betrieben, 
das hatte ich fchon in Berlin erfahren. Von einer Aussprache mit 
Bethmann verfpreche ich mir gar nichts, Sch habe noch nie Dabei 
Erfolg gehabt, ich glaube, andere im allgemeinen auch nicht. Er iſt 
die unglücklichfte Perjon an feinem Poften, die man hätte mählen 
können. Zroßdem will ich es verfuchen, wenn fich die Gelegenheit 
gibt. Die ganze Inſtitution, die er in feinem Poften vertritt, if 
nur für Ausnahmsriefen richtig, fonft ift fie gefährlich, wie mir 
jet und jeit Jahren gefehen haben. Bachmann geht heute zum 
Kalfer, um den Befehl betreffend Pohls zu entfcheiden. Vedreme. 
Der Kronprinz hat an feinen Vater einen Brief gefchrieben, deffen 
Poftfkriptum uns zur Kenntnis gefchieft iſt. Er fordert darin feinen 
Bater auf, die Befchränkungen aufzuheben, mit denen jeßt die Uboote 
behaftet find, und die veranlaßten, daß wir zuviel davon verlören, 
Er fieht recht klar, der Kronprinz, hat Teider nur nicht arbeiten gelernt, 
Der Brief foll auch noch andere Dinge enthalten. Sch habe gehört, 
daß der Kronprinz auch an Hindenburg denkt. Mein Oberftabsarzt 
ſagt, der Kaifer betete förmlich nach einer Erlöfung durch Abfchiebung 


462 Kriegsbriefe 1915 


der DVerantivortlichkeit, aber dann ftößt er auf die Dauer, mit der 
er fich felbft umgeben hat, und ftößt auf fein Selbfigefühl, Der 
alte Januſchauer fchrieb mir, der Kaifer würde fich mundern, was 
von feinem Königreich Preußen noch übrig geblieben wäre nach dem 
Kriege, 

Charleville, 30. III. 

Bachmann Fam heute ganz traurig von feinem Vortrag zurüd. 
Der Kaiſer hörte ihn an, dann hielt er einen halbftündigen Gegen: 
vortrag und fagte „Nein“. Einmal follte die Flotte herausgeben, fi 
aber nicht Schlagen laſſen. Wenn man das Iehtere nicht wollte, fe 
bürfte man fie eben nicht berauslaffen. 


Eharleville, 31. IIL 

Goltz-⸗Paſcha it hier. Sch Habe ihn aber bisher nicht gefehen. 
Er ſoll jedenfalls werben für Einnahme des Serbenzipfels. Gefprochen 
Gabe ich einen Feldjäger, Oberleutnant, der am 19. d. M. von Kon 
entinopel abgereift ift, und lebhaft fchilderte, wie der Kriegsausgang 
ſich jetzt um bie Dardanellen und Serbien drehte. Bachmann und ich 
iinb ja auch dieſer Anſicht. Es iſt eben die Frage, ob man bei den 
Kruppenanfemmlungen, bie auf gegnerifcher Seite auch bier im Weften 
Bottfinden, Truppen trotzdem von Hier fortnehmen kann. Das follte 
am beiten jemand entfcheiden, der bier nicht lokal interefftert iſt. 
Zeographiſch ausgedrückt, müßte das in Berlin entfchieden werden. 
Inzwiſchen find heute wieder recht ungünftige Nachrichten von den 
Karpathen gekommen Die Ofterreicher balten nicht. Der Felbjäger 
v. R. erzäblte, wie rücdwärts auf den öfterreichifchen Etappen maſſen⸗ 
haft Dffiziere fähen, in der Front aber nicht. Sehr häufig tft ihm in 
Oſterreich die Verwunderung ausgeiprochen, weshalb wir fo viel Söhne 
ug guten Familien ins Feuer ſchickten. Dazu dann der Nationali- 
tätenhaber und ber Dünkel. Unſer Generalftab erfennt biefe Ver— 
hältniſſe erft jest ganz. Der Feldjäger wollte fich auch bei Seiner 
Majeſtät melden, Pleſſen aber Ichnte cab. Es wäre nicht genehm 
jest für Seine Meojeftät noch mehr von ber Türkei zu hören. Ich 
ſehe doch jehr ernfi in unfere Zukunft; die ruffifche Armee Schlägt 
ech fehe aut und wird viel beffer geführt als je erwartet wurde, 
Die Niederlagen machen fie überrafchend ſchnell wieder gut. Die Fran: 
zojen fchlagen fich in der Defenfive ausgezeichnet. Die Engländer find 





Kriegäbriefe 1915 463 


von uns unterfchäßt. Die Mbermacht iſt gewaltig, und unfere Gefamt- 
feitung war leider der Lage nicht gemachten, Trotzdem bin ich der Ans 
jicht, daß wir weiter durchhalten müſſen, folange Oſterreich nicht ganz 
zufommenbricht. Den Ententemächten iſt aber nicht mit der Nieder 
lage Hfterreichs, fondern aflein mit derjenigen Deutfchlands gedient. 

Aus U.s Brief Hebe ich nur meinen Wunfch hervor, daß er recht 
behalten möge mit der Annahme, die bürgerlichen Parteien wollten 
einmütig durchhalten. Erzberger fiheint mir bereits umgefellen, unt 
son einem freifonfervativen Parlamentarier hatte ich ebenfs einen Brief, 
ber jehe nach Almfallen ſchmeckt. Hapag, Banken, Wilhelmſtraße mit 
allen Filialen; und felbft in der Armee außer im Often Feine hervor 
tretenden Erſcheinungen. Die Wilhelmſtraße follte, felbft wenn fir 
euf ein Minus eingehen wollte, den Mut haben, Plus zu rufen, 
wie bie Engländer es in großartigfter Weiſe tun, dann würde Das 
Minus wenigftens Peiner werden, 


Charleville, 1. IV. 

Sch glaube, ich werde ſchwer zu tragen Haben, wenn meine Lebens— 
arbeit fcheitern follte. Den Ausgang ber Miſſion des Bringen Adalbert 
babe ich ſchon gejchrieden. Der Befehl für Pohl, den Bachmann abs 
geſandt Hat, ift durchaus nach meinem Stun, Pohl hat demnach ledig— 
lich nach eigenem Ermeifen zu handeln, aber ob er den Drang zum 
Handeln hat, iſt eine andere Frage Dabei muß ich anerkennen, 
daß die Verhälmiffe für ihn jetzt fehe viel ſchwieriger geworden find, 
Die Uboote wirken weiter, aber die Notwendigkeit, die Neutralen za 
Schonen, verwäffert die ganze Wirkung und bringt uns beſtändig Vers 
fufte, Es fol jeßt das Getreide nach England über norwegifche Häfen 
durch norwegische Schiffe gehen. Bachmann war haste von Falkenhayn 
zu einer Beiprechung gebeten, ob Oſterreich nicht zu Waffer etwas 
tun Eönnte Wir haben geftern Teider die Nachricht erhalten, daß 
der Verſuch, vis Donau Munition nach der Türkei zu ſchicken, mi 
glückt iſt. Der betreffende Donaudampfer iſt bei dieſem Verſuch 
durch die Serben in den Grund geſchoſſen. B. fand die Oberſte 
Heeresleitung ziemlich ratlos. Sie wüßte nicht mehr, was ſie noch 
tun könne. Wenn man Friedrich den Großen ſtudiert, iſt man immer 
erſtaunt und entzückt, wie in den ſchwierigſten Lagen ber neue Ge 
danke kommt und mit Blißesfchnelle ausgeführt wird. 


464 Kriegsbriefe 1915 


Sch weiß nicht, ob U. Homer Lea gelejen hat, der führt aus, 
wie es für den Fortjchritt der Welt notwendig wäre, daß die angel- 
ſächſiſche Raſſe England plus Amerifa die Welt allein beherrfchen 
müfje; dann wäre eine große Armee notwendig, die an der deutfch- 
holländiſchen Grenze und in Schleswig das Deutfchtum befämpfen 
müffe, weil diefes den Fortfchritt der Welt hemmen würde, wenn man 
es nicht zurüddrängte. Von feinem Standpunkt hat der Mann recht. 
Augenbliklih iſt Falkenhayn wieder fehr bejorgt um Italien. Die 
Verhandlungen jollen in gefährlicher Weije zum Stehen gekommen fein. 


Charleville, 2. IV. 

Zu Ehren des Karfreitag war ich in der Kirche. Nach der Kirche 
war Vorbeimarfch, aber ohne Muſik. Ich fagte dem Kaifer, daß ich 
in nächiter Zeit nach Flandern, Berlin und Hamburg wollte wegen 
ber Uboote. Wir fprachen dann vom Ubootsfrieg, und ich benußte Die 
Gelegenheit, ihm zu fagen, die befohlene Schonung der Neutralen 
hätte fich als eine große Gefahr für die Uboote erwiejen, fie würden 
bei dem Auftauchen zu leicht gerammt. Der Kaljer ging darauf 
gleich zu Bachmann, um ihm einen entjprechenden Auftrag zu geben. 
Mir gingen mit einem Heinen Umweg nach Haufe. Kaum angelommen, 
kam ſchon Telephon von Müller, es möchte doch erft mit dem Kanzler 
in Verbindung getreten werden. Nachher befuchte mich Golg-Pajche. 
Er ift hier wegen des Serbenzipfels im Auftrag des Kaifers der 
Dsmanen. Er hat hier Unentichloffenheit gefunden. Es ift die große 
Enticheidung der Stunde, werden mir swieder zögern und zu jpät 
fommen? Hier durchbrechen erfcheint kaum möglich; in Preußen fteht 
alles. Die Ofterreicher weichen zurück. Activits, c&lerite, jagte Na- 
poleon I. Handeln müſſen wir, aber mie ift das möglich bei der Hydra. 
Der Kaifer hat neulich gejagt, er wolle jeßt erft jeden Franzofen aus 
dem Elſaß (der Ede bei Belfort) heraushaben. Außerdem wären ihm 
die Knochen eines pommerjchen Grenadiers wertvoller als der ganze 
Balkan da unten. Dabei find aber Hefatomben geopfert für die Serben- 
ftreitigfeit, und des Deutjchen Reiches Schieffalsftunde fteht vor der Tür. 

Von feinen Söhnen hört der Kaifer am meiften auf den Prinzen 
Eitel, aber der ift zu fehr einfacher Soldat. Müller hat den größten 
Einfluß. Er führt beinahe die Staatsgefchäfte, jedenfalls die Marine, 
und glaubt es dabei jelber nicht. Sch habe ihm übrigens neulich doch 





Ariegäbriefe 1915 4653 


meine Anficht gejagt, Bethmann müßte weg. Sa, aber wer an feine 
Stelle? Worauf id Hindenburg nannte. Pohl hat an Bachmann 
gefchrieben, Prinz Adalbert Hätte ihm den gemejjenen Befehl über: 
bracht, nichts mehr zu verfuchen. Pohl behauptet nichts damit zu 
tun gehabt zu haben. Inzwiſchen iſt der von Bachmann vedigierte 
Befehl zum freieſten Handeln abgegangen. Ich glaube nicht mehr, 
daß die Flotte zu einer guten Leiſtung kommt. Es ift der Krieg der 
verpaßten Gelegenheiten, 


Charleville, 3. IV. 


Heute abend zu Seiner Majeſtät befohlen. Morgen abend haben wir 
den Fürften Solms hier und den Eleinen Prinzen Waldemar. Der Kaiſer 
bat jest wirklich nachgeneben und den Ubosten vollftändig freie Hand 
gegeben. In der letzten Zeit war der Ubuotskrieg recht wirkungsvoll, 
Der Handel in England hat flarf abgenommen, fett dem 18. Februar 
3. B. nach Skandinavien und Hollend um 30 Prozent. Verficherungs: 
prämien find riefig aeftiegen, desgleichen Preife der Lebensmittel und der 
Löhne in England. Das ift doch immer etivag, womit man zufrieden 
jein kann. Falkenhayn iſt heute nach Berlin gefahren. Man ift hier 
jehr unruhig wegen Staliens und will dort Truppenkonzentrationen 
nach Often feftgeftellt Haben. 

Wäre die Entfcheidung im Sinne des Prinzen Adalbert gefallen, 
jo läge die Sache anders, dann wären Bachmann und ich aus— 
geftiegen. Set Tiegt aber die Sache fo, daß Pohl abfolut Freie Hand 
bat und ber Unterfechnotskrieg auch ganz freigegeben iſt. 

Sobald die Ruſſen eisfrei find, werden fie etwas unternehmen, 
und dann find wir ganz ſchlimm dran, da man hier nervös werden 
wird, wie es im vorigen Herbit ſchon der Fall war. Übrigens iſt 
e8 den Ruſſen gelungen, viele Minen in der Oftfee bis Nügen zu 
fegen. Sch beabfichtige, übermorgen direft nach Brügge zu fahren, 
um einige Tage dort zu bleiben, 

Heute jagte Müller zu Bachmann, der Kanzler müſſe gefchont 
und gehalten werden. Er hätte doch wieder fo ausgezeichnete Worte 
bei dee Bismarckfeier gefprochen. Iſt das nicht echt? Sch wundere 
mich nur, daß Bismard nicht von feinem Pojtament herunter 
geftiegen iſt. 

Lirpin, Eeinnerungen 39 


466 Kriegöbriefe 1915 
Charleville, 4. IV. 

Amerika wird weiter Waffen und Munition liefern, und weder die 
Iren noch die Deutjchnmerifaner werden das ändern, denn das Ge: 
ichäft ıft zu gut. Der Rückzug der Ofterreicher ift zum Stehen ge 
kommen, in leiter Stunde trafen die Preußen ein. Bei Stalien liegt jet 
die Gefahr. Hindenburg müßte an Stelle Bethmanns kommen, ſonſt 
endet die Sache nicht gut. Dank für Wolfs Adreffe, die ich nicht genau 
genug wußte. Der arme Kerl tut mir jo leid, aber wäre er viel glück⸗ 
licher jetzt unter Pohl, der mit Müller den ganzen Seefeldzug ver— 
pfuſcht hat? Bachmann erzählte mir heute noch, wie dringend er 
Müller gebeten hat, mir die ganze Sache zu unterſtellen, der hätte 
aber immer heftig erwidert, der Kaiſer täte es unter keiner Be— 
dingung. X. ſchreibt mir auch, ich ſollte es erzwingen. Ich könnte es 
doch nur tun, wenn ich ſagte, Pohl iſt unbrauchbar, und dies ohne jede 
Unterlage. Ich würde doch dann die Kabinettsfrage ſtellen ohne jeden 
Nutzen. Bachmann und ich arbeiten jetzt vollſtändig zuſammen, und 
ſo nütze ich Doch noch mehr, als wenn ic) im Unrecht ausſteige. 


Charleville, 5. IV. 


Geſtern abend wurde es ziemlich ſpät bei angeregter Unterhaltung. 
Wild v. Hohenborn gefiel mir recht gut. Wir ſtimmten auch) in vielem 
überein. Er meinte, nötigenfalls könnten wir auch gegen Stalien 
aushalten, müßten es fogar. Hinter der Front werden bier ftarfe 
Kräfte gebildet. Man will wohl erit ganz klar fehen über die Kitchener- 
armee. Er fand es auch unrichtig, daß wir bez. Belgiens nicht Farbe 
befennen. Die Behandlung der Frage durch den Kanzler erfchiene ala 
Schwäche, aber nicht als Wille zum Siege. Der Eleine Prinz Waldemar 
war jehr nett, aber ftill, und der alte Solms erzählte Jagdgeſchichten 
und firich fich den Schnurrbart. 


Charleville, 8. IV. 

Prinz Heinrich foll fich hier nach der. harten Aufgabe in Kiel 
etwas erholen. Ein Programm wurde zurechtgemact. Der Kaifer 
ſaß voller Siegesnachrichten; andere dürfen an ihn nicht herangebracht 
werden, unter anderm „iſt in Indien Niefenaufftand” uſw. Die Wiffen: 
den blafen Trübſal. Der Katfer und ſein Bruder jchalten auf Eng» 








Kriegsbriefe 1915 467 


land, Valentin meinte, wären wir nur Graf Metternich!) gefolgt! 
Das iſt charakteriftifch. Der Kaifer fucht feinen Troſt in dem meines 
Erachtens gefährlichen Gedanken, der erjle Punifche Krieg machte es 
nicht, fondern erjt der zweite, dazu müßten wir dann fehr viel Schiffe 
bauen. Derartiges ift unfer Unglück und vielleicht Verderben, Und 
alles ruft Hoſianna. Kein Begriff von dem Ernft der Lage für die 
Zukunft Deutſchlands. Es wäre möglich, daß er fich abfichtlich betrügt. 
Kurz, ich habe den Eindruck, daB wir alles verjuchen, England nad 
zulaufen. 


Charleville, 9. IV. 


Heute war Müller bei mir, und ich forderte die Zuficherung, zu 
etwaigen Friedensverhandlungen zugezogen zu werden, wie dag mir beim 
Anfang des Krieges zugefichert fe. Müller verfprach das. Vielleicht 
ijt mein Verlangen infofern zweifchneidig, als dann eine Einwirkung 
doch zu ſpät ift, aber ich habe dann mwenigftens mein Gewiſſen be- 
ruhige. Müller wußte nichts von irgendwelchen Friedensverhandlungen. 
Sch fette ihm noch einmal meinen Geſamtſtandpunkt auseinander 
und erzielte momentanen Erfolg. Er meinte, es wäre fo fchlimm, 
daß der Kaifer von lauter weichen Hofleuten umgeben ſei. Dieje 
Herten wären durch die lange Gewohnheit jämtlich auf die Art des 
Kaifers eingeftellt, das wäre jo ſchlimm. An fich felbit dachte er dabei 
nicht. Er gab die Eiferfucht auf Hindenburg im Often zu. Bezüglich un- 
ferer Flotte wolle der Kaifer nur Ruhe haben und fich nicht forgen müj- 
jen, er wiffe ja nicht, ob er jelbft den nächften Tag noch erleben würde. 
Heute ift der Kronprinz fehr höflich, aber fehr zurückhaltend gemejen. 
Sch habe doch Hoffnung auf ihn. Er Hat freilich nicht arbeiten ge: 
lernt, aber er hat ein gutes Urteil, läßt Menfchen arbeiten, ift nicht 
eitel und wird Feine SKabinettswirtfchaft treiben. Ich glaube auch, 
daß er Menfchenfenntnis hat, Der Kaiſer läßt ihn aber nicht heran. 
Müller rühmte fi), ung geholfen zu haben in der Angelegenheit mit 
Prinz Adalbert; er hoffte doch, daß Pohl feine Sache machen würde. 

Munition nach der Türkei Guben mir Teider nicht durchgebracht. 
Da Liegt augenblicklich die Gefahr. Mit Italien augenblicklich etwas 
beſſer. 


Bis 1912 deutſcher Botſchafter in London. 





468 Kriegsbriefe 1915 
Sharleville, 10. IV. 


Die Nachrichten, die man über die politifche Lage bekomme, find 
ftetS fo unficher, daß man nie weiß, was man davon glauben foll. 
Heute heißt es u.a., die Stimmung in England fei jehr flau und 
England wolle feine Politik anders orientieren, Hoffentlich fallen 
wir nicht darauf herein. 


Charleville, 11. IV. 


W. trat heute an mich heran und erzählte, es hätte fich in 
Berlin eine fefte Vereinigung gebildet, zu der die maßgebenden 
Perfönlichfeiten gehörten, welche auf jeden Fall mit England fich 
arrangieren wollen. Mir war das ja nicht unbekannt. Hapag, Banz 
Een, alle früheren Botfchafter und Gefandten, dazu die Wilhelm: 
ſtraße, Überläufer in Fülle, „lasciate ogni speranza“, Fünnte man 
wirklich fagen. Nach unferen Nachrichten find die Engländer durchaus 
nicht boffnungsfreudig. Der Ukrieg wirkt doch ſtark, vermehrt die 
inneren Schwierigkeiten, dazu Fommt man mit den Sapfen nicht in 
Ordnung. Durchhalten und Snitiative wäre für ung das einzig Richtige. 
Unſer Marineattachs in Rom hat recht Ungünftiges berichtet. Eng: 
land ſcheint Stalien zu drohen, und das halten fcheinbar die Kerls 
nicht aus. Der Straßenraub gegen Ofterreich liegt dem Mann auf der 
Straße auch nüher als die zufünftige Pofition im Mittelmeer. Heute 
war ich in der Kirche zu Ehren vom Prinzen Heinrich. Necht mäßige 
Predigt: Glauben, das heißt Sieg Als ob man dem lieben Herr⸗ 
gott Dabei nicht etivag helfen müßte, Ich muß nun leider Hopman 
abgeben, was mir recht fchmerzlich ift. Capelle kann ich nur für be: 
ftimmte Sachen gebrauchen, im übrigen lebt er fchon zu fehr in feiner 
Zukunft. Für mich wird der Krieg traurig enden, Wenn ich doch 
von Anfang an die Flotte gehabt Hätte, daran muß ich immer 
denken. 


Charleville, 12. IV. 

Geſtern abend in Stenay (kronprinzliches Hauptquartier) war es 
ſehr nett. Der Kronprinz freute ſich, mich in Stenay zu ſehen, ſonſt 
wäre das ja ſchwierig, weil wir beide „verdächtig“ wären. Dieſe 








Kriegsbziefe 1915 469 


Bemerkung genügte mir. Heute hatte ich eine Unterredung mit Wild 
v. Hohenborn. Derjelbe Hat mir dabei wieder gut gefallen und wurden wir 
einig, zufammenzuftehen. Bachmanns Streit mit Bethmann ift immer 
noch nicht beendet. Müller hat fich hierbei wieder auf unerhörte Meife 
auf Seite Bethmanns geitellt. Sch habe den Verdacht, dad Bachmann 
planmäßig das Rückgrat gebrochen werden foll, weil er mit mir 
zufammengeht. Bei Übernahme feiner jesigen Stellung hat ihn Müller 
immer wieder ermahnt, er müßte unter allen Umftänden mit Beth: 
mann gehen. Dazu wäre eigentlich gar Feine Deranlafjung, wenn es 
nicht hätte heißen ſollen: „aber nicht mit dem Staatsſekretär.“ 
Rebmann!) ſchrieb an Hopman: wir Fämpfen im legten Ende 
gegen den englifcheamerifanifchenzbelgifch-frangöfifchen Kapitalismus, 
der die Welt zu feinen Gunjten vertruften wollte, und wir wären 
die einzigen geweſen, die ihren Weg noch allein gegangen wären, und 
obendrein mit Erfolg. Ölteuft, Tobaccotruſt, chinefifche Eifenbahn uſw. 


Charleville, 13. IV. 

Noch ein Eleinee Nachtrag von Stenay. Prinz Heinrich fagte 
zum Kronprinzen, gejchimpft würde immer, das wäre auch bei feinem 
Großvater und Vater fo gemwefen, und wenn ber Kronprinz an Die 
Reihe Fäme, wäre es edenjo. Der Kronprinz fagte, man müßte nur 
die Leute fehen, die um den Kaifer wären, dann könne man die Sache 
beurteilen. Prinz Heinrich meinte, ex, der Kronprinz, werde fich auch 
ſolche Leute wählen, worauf dieſer fagte: Nein, das werde ich nicht tun. 

Es war fo falfch, die Kriegszielfrage ganz zu verbieten. Man 
hätte doch fagen Fönnen, wir merden micht dulden, daß fich 
wieder eine folche Verſchwörung England, Belgien und Frankreich, 
bildet, das war doch ein Ziel, und doch ließ es die nötige Freiheit, 
Die Flaumacherei des Kanzlers it töricht. Wenn Stalien zu ftoppen 
ift, Tiegt die Sache für ung gar nicht fo fehlecht. Aber ich fürchte, 
such hier fehlt ung die erforderliche Energie, Ofterreich zu beſtimmen. 
Es hat fid) freilich Teider gezeigt, daß dieſes Gebilde fo morſch iſt, 
daß wir eg nicht auf die Dauer werden halten Eönnen. Müller fand 
fich fchon mit einem Groß-Serbien bzw. Groß-Slawenſtaat ad. Wir 
hatten wirklich das fterbende Kamel zu fehr belajtet. 





) Mehrjühriger Marineattahe in Wafhinaten. 


470 Kriegsbriele 1915 


Charleville, 14. IV. 

Es ift fchade, daß ich mit Falkenhayn keinerlei Fühlung bekommen 
habe. Mas 3. fagt, die andere Partei müffe fich auch zufammentun, 
ift infofern ſchwierig, als Leute im Amt nicht illoyal handeln können. 
Ich kann amtlich und mit Amtsperfonen meine freie Meimmg fagen, 
aber ich Fann nicht mit Parlamentariern 3.8. Eonfpirieren. Was 
ich fürchte, ift, daß fich in der freien Oberfchicht Feine Führer finden, 
die das aufnehmen. Um Namen zu nennen: Krupp, Hendel uſw. 
Krupp, dem ich ja perfönlich näherftehe, konnte ich als Diplomaten 
alles fagen, aber den Willen zur Tat Eonnte ich ihm nicht beibringen. 
- Wenn diefer Wille wirklich fich in Perfonen und Führern verkörperte, 
io wäre die Eingabe des Bundes der Landwirte, bes Hanfabundes ufiv. 
für die Freigabe der Befprechung der Kriegsziele nicht fo völlig im 
Sande verlaufen, wie fie es tatfächlich ift. Kurzum, ich glaube leider 
noch an die Hammelherde, Sie wird zum Reden kommen, wenn nichts 
mehr zu ändern fit. 


Charleville, 15. IV. 

Sch verfuchte, Prinz Heinrich etwas auszuholen über Marinedinge. 
Entweder wußte er nichts zu fagen oder er hielt zurück. Sch kann es 
noch immer nicht verwinden, daß unfere Flotte im vorigen Herbft 
nicht zum Angriff gekommen ift. Ingenohl hatte das Schiefal Europas 
in feiner Hand. Die Beziehungen zu Stalien, ich will fagen Verhand- 
lungen, find noch nicht abgebrochen, fo befteht noch einige Hoffnung 
auf Nichteingreifen. Der franzöfifche Flieger hat richtig fünf Bomben 
hier geworfen, leider find nur Deutfche hierbei umgefommen. Jetzt 
freuen ſich die Charleviller über ihren Helden, der ung den Schabernaf 
gefpielt hat, und mir find wirklich gutmütig genug, den Kerls den 
Schaden auszubeffern. Der Kaifer ift wütend; jeßt wird auch Bucking— 
ham⸗Palaſt freigegeben. Er glaubte wirklich an eine ftillfchmweigende 
Einigkeit der Häupter, fich felbft zu fchonen, eine merkwürdige 
Denfungsweife, 


Charleville, 17. IV. 

Müller beflagte fich über die Zeppelinangriffe, und ich gab ihm 
vollkommen Recht. Sch will verfuchen, die Kindereien mit ben 
Zeppelinfchiffen zu bremfen. Bachmann war geftern abend zu einem 


Kriegshriefe 1913 471 


größeren Eijen beim Kriegsminiſter. Da but er dann felbft ent 
nehmen Fönnen, wie Pohl fich auch in diefen Kreifen zur Wachtel 
gemacht hat mit feinen Kenommiftereien uſw.; „wir mürden London 
vernichten, die Armee Lönnte jo etwas nicht. Sin wenigen Wochen 
wäre England durch den Ubootskrieg herunter uff.” Und einen fo 
Heinen Mann nimmt Miller zum Chef des Admiralſtabs und jebt 
zum Slottenchef. Wenn ich nur im Herbft Ingenohl voll hätte be: 
urteilen können, wie ich es jet tue, ſo hätte ich noch vielleicht Erfolg 
beim Kaifer haben können. Es wird zweifellos planmäßig vom Aus 
wärtigen Amt die Amäherung an England in der Preffe gepriefen, 
und biefer Standpunkt fteht dem Angliedern von Belgien in irgend: 
einee Form ſchroff entgegen. Verfolgen wir die Politif, die Graf 
Monts (zweifellos mit Wiffen des Auswärtigen Amts) im „Berliner 
Tageblatt” empfiehlt, jo befennen wir ung jest ſchon als gefchlagen, 
jinfen zum Landsknecht von England gegen Rußland herab. Die 
Gefahr der Rufienflut können mir nur befeitigen durch Ablenkung. 
Menn das aber nicht gelingt, und wir müßten noch einmal gegen 
Rußland Kämpfen, an der Seite von England, fo haben wir weiter 
nichts davon, als daß wir das Blut dabei hergeben müffen. In 
der perfiichen Sache mußten mir Rußland unterftügen zur Zeit der 
Potsdamer Zuſammenkunft, und wenn das nicht ausreichte, mußten 
wir ihnen fagen, geht nad) dem Bosporus, wir haben nichts dagegen. 
Dann wäre die ganze Gefellfchaft uns nachgelaufen. Wenn die For: 
men auch heutzutage anders liegen, Bismard hat ganz recht gehabt 
in dem Grundgedanken. 


Charleville, 13, IV. 

Heute war ich zur Kirche. Man trifft dort immer die verfchiedenften 
Menjchen Heute wor Dallwig anmwefend Wir fprachen über den 
Krieg und Famen much auf die Taraſper Zeit. Dallwitz fagte mir dabei, 
ich hätte Wort für Wort recht behalten. Sch benußte die Gelegen- 
heit, um ihn auf den Drang nach England aufmerffam zu machen, 
er Steht in diefer Beziehung auf meinem Standpunkt. Dallwitz ift 
der Kandidat von Walentini für den Poften des Kanzlers. Der 
Kriegsminifter erfreute mich durch die Bemerkung: „Es rollt, es 
rollt”, alfo fol doch die überfchüffige Kraft zum Anſatz gebracht 
werden und auf Stalien nicht gewartet werden. Gelingt das Rollen, 


472 Kriegähriefe YETD 


fo tft es auch der befte Kalte Waſſerſtrahl für Italien. Wenn Hinden⸗ 
burg dann dem Kaifer zu groß tft, fo tft er ja der rechte Mann. Sch 
habe mich fchließlich veebraucht in dem ewigen Rampf mit der Ka— 
binettswirtfchaft. Glaubſt du, daß die aufhören wird? Mit diefer 
kann ich aber nicht arbeiten, ganz abgefehen davon, daß ein felcher 
Poften gar nicht meiner Urt entjprechen würde, Sch babe mit großem 
Genuß Tim Kleins „Bismarck“ gelefen. Wie oft mag der alte Recke 
fih im Grabe umgedreht haben, fett er tot ift. Sch ſah ſeit Fahren 
den Sturm Eommen und Eonnte nichts tun, um ihn abzuwenden. Ich 
habe ja auch feit Fahren gejehen, wie die Flotte verfommißte und für 
Parade und Inſpektion arbeitete. Sch hatte das ganz klar erkannt und 
oft mit meinen näheren Herren befprochen und Eonnte nichts daran 
ändern, Wie X. mir neulich fchrieb, hätte es ihm leid getan, daß er 
Herbft 1912 mir noch zugeraten hätte, zu bleiben (als der von Holßens 
dorff pp. infpirierte unerhörte Brief von S. M. damals Fam). &. hat 
abfolut recht, ich habe während des ganzen Sirieges es bitter bereut, 
daß ich damals nicht Schluß machte. Sch werde mit Spamung jeßt 
äufehen, ob die mit den Montsichen Artikeln eingefente Stellungnahme 
Bethmanns irgendeine Wirkung bat. Bethmann bat jegt für feine 
antisruffifche Politil die Sozialdemokraten und die Linfsliberalen ganz 
auf feiner Seite. Erzberger ift jedenfalls in fein Lager übergegangen, 
das will ſehr viel fagn. Man munfelt bier, daß England bie 
zu einem gewiſſen Grade Gnade ausüben will. Dann aber öffnen fich 
hier Sofort die Arme, um mit England dasjelbe Bett zu befteigen, 
troß Rieſenhurras und Fanfaren, alfo abwarten! Unſere Fleinen Üboote 
knallen alles nieder, mas ihmen in den Meg Fommt. Der Sanzler 
rauft fich die Haare, hat auch den Kaifer wieder nerods gemacht, 
Gegen uns ift alles erlaubt, aber unfere Befcheidenheit und Artigfeit 
jeßt, wo es fich doch um die Eriftenz handelt, läßt Die anderen an 
ınferem Sieg zweifeln. Wenn mir nur nicht einfnicken, fiegen wie, 


Charleville, 19, IV. 

Müller war heute bei mir und erzählte, der Kaiſer würde vielleicht 
Ende des Monats woandershin fahren. Müller bearbeite ich bei folchen 
Gelegenheiten, der Kanzler müffe weg. Das ift jet meine Meinung, 
Hindenburg muß an feine Stelle, damit das Ausland Angſt bekommt. 
Es iſt rührend, man verbietet das Sprechen über das Kriegsziel und 


{ 


Arisgebrieie 101% 473 


läßt die Meute los, flau zu machen und einzuknicken in dem Augenblick, 
in dein alles darauf ankommt, den Nacken fteif zu halten. 


Charleville, 20. IV. 

Daß die Sozialdemokraten den Reichskanzler unterſtützen, ſtimmt. 
Die Grandfeigneurs find Jammerlappen, die Sereniffimi brave Leute, 
Ludwig der Bayer nicht recht verwendbar, Die paar Ponfervativen 
Abgeordneten find zu ſchwach. Die Reife von Hintze nach Peking ift 
ein wahres Kunſtſtück, befonders bei der „Hilfe“ durch das Auswärtige 
Amt. Sch Fönnte verfucht fein, Nachfolger von Berhmann zu werden, 
nur um die Kerle herauszufeitern, Aber die Zahlen find fo groß, daß 
es troßdem nicht gelingen würde. 

Daß England jo maßlos fchimpft, iſt ja höchſt erfreulich; das wäre 
doch ein Anzeichen, daß ihnen die Sache ungemütlih wird. Wenn 
nur die neue Urt Uboote fchneller fertig würden, und noch zum Tragen 
kämen, ehe fih England zu Friedensverhandlungen herbeiläßt. Hier 
liefen der Kanzler und feine Organe wieder mit gefträubten Haaren 
herum, weil das Beine Ubost den Holländer erfchoffen hat. Der hat 
e8 ſich ſelbſt zuzuſchreiben. Statt ftolz und feit gegen das uns nicht 
wohlmollende neutrale Holland aufzutreten, winfeln wir und bitten die 
Holländer bereits ohne Not um Vergebung. Gott fei Dan? ift Bach- 
mann jeßt hier, Der Kanzler beehrt ihm bereits mit feiner Ungnade, und 
Müller iſt empörenderweiſe ſtets gegen ung. 


Charleville, 21. IV. 

Heute ließ mich die Kaiſerin Fommen Sch habe ihr ungeſchminkt 
meine Anficht von der Tage dargelegt. Der Kaiſer wäre hier umgeben 
und eingefchloffen von einer weichen Maffe („Ja, leider ift es fo, meinte 
fie). Ich habe ihr meine Anficht gefagt, wir müßten, wie Friedrich 
der Große ſagte, das Herz in Stahl wappnen, auch wenn Italien 
Issginge. Wir dürften unter feinen Umfländen einknicken und den um 
Hilfe anflehen, der uns ja niederjchlagen wollte. Das Verfahren von 
Monts fei unerhört, meinte fie, aber der Katfer ſelbſt würde den 
Meg nicht gehen. Sch fagte, Monts wäre nicht vereinzelt und fände 
in Verbindung mit der Milhelmftraße. Sch ſagte ihr, Falls Bethmann 
zufammenbräche, was ja doch möglich fe, müßte Hindenburg heran. 
Ste meinte, der täte es nicht, wäre wohl auch zu fehr reiner Militär. 


474 Kregsbriefe 191% 


Ich fagte, Ich Hätte mir fagen Iofjen, daß er buch einen gefunden 
Menfchenverfiand hätte, und gerade der Umſtand, daß er Militär wäre, 
erichiene mir gut, damit Einheitlichfeit in das Ganze käme. Sie meinte 
dann, man würde doch micht glauben, daß fie zurüchielte wegen 
ihrer fecyg Söhne, worauf ich ihr dam fagte, im Gegenteil, alle, die 
die Ehre gehabt hätten, etwas näher in die Verhältniffe hineinzufehen, 
richteten ihre Hoffnung gerade auf fie. Deshalb wäre es auch wün- 
fchenswert, daß der Kaifer nach Berlin käme, mo die enge Umlagerung 
nicht in gleicher Weiſe ftattfinden könnte. Morgen reift fie ab. Sch 
glaube, daß fie an der Situation auch nichts ändern Bann. 

Menn ©. M. mir den Seekrieg überlaffen wollte und mir über 
faffen würde, dahin zu gehen, wo ich wollte, dann würde ich es tun. 
Aber davon ift Feine Rede. Berhmann, Müller und Treutler vereint 
machen alles, was fie tun können, um die Marine nicht zum Tragen 
zu bringen, und der Kaifer fällt nach dem Pleinjten Anlauf fofort um. 
Das bier zu erleben und gar nicht ändern zu Eönnen, tft fchrecklich 
für mich. Heute abend bin ich bei Herm v. Stumm (dem typifchen 
Mitglied des Auswärtigen Amtes) eingeladen, um mit dem türfifchen 
Hinanzminifter Djavid Bey zufammenzutommen und ihm einige Elogen 
über die Türken zu fagen. Das konnte ich dann nicht abfchlagen. 


Sharleville, 22. IV. 

Heute kurz vor Tiſch war ber Kriegeminifter bei mir, um vor feiner 
Reife nach Flandern mir zum 50 jährigen Dienftjubiläum zu gratu⸗ 
fieren. Er tat das in fehr herzlichen Worten. Er glaubt immer noch 
an einen Erfolg unferer Flotte. Ich glaube es nicht mehr. Sm Herbft 
vorigen Sahres wurden die beiten Gelegenheiten verfäumt. Jetzt fcheinen 
auch tatfächlich Die Engländer zurüczuhalten. Ihre geographifche Lage 
geftattet ihnen dag, ohne daß die Flotte ihren Zweck verfehlt. Sie wirkt 
auf alle Neutralen und fchließt uns immer mehr ab. Wenn Englands 
Slotteftpreftige erfchüttert worden wäre, jo dächte Stalien nicht daran, 
uns als Erprejjer gegemüberzutreten. Um 1 Uhr war ich zur Tafel und 
ſaß neben der Kaiſerin; fie geht von hier nach Straßburg, von bort 
über Karlsruhe zurüc nach Berlin. An Verlegung des Hauptquartiers 
nach Berlin wäre nicht zu denken, meinte fie. Vielleicht geht der Kaifer 
auf acht Tage nach Schlefien. Sch beabfichtige deshalb, unmittelbar 
nach dem 27. nach Berlin zu kommen. Dievid Bey und der hiefine 


Rriegöbriefe 1915 475 


Zürfengeneral waren anweſend. Der Kaiſer bezeichnete Falkenhayn 
als den Führer fämtlicher Armeen, alfo inkl. Hindenburg. 

Die „Frankfurter Zeitung” brachte heute einen langen Artikel, 
ber darin gipfelte, daß Rußland ber einzige Feind wäre, mit bem mir 
dauernd ringen müßten, der Naturgewalt wegen, mit der die Slamen: 
maſſe auf uns drückt. Geſchickter gefchrieben als die Monts-Artikel, 
vielleicht von meinem „Freunde“ Stein, jedenfalls infpiriert vom 
Auswärtigen Amt. Ich befomme ſchon alle möglichen Glückwünſche 
zum Dienjtjubiläum, die mir wirklich fchredlich find. 


Kuxhaven, 12. V. 

Wir fuhren um Ya10 von Wilhelmshaven ab mit zwei ſehr ſchnellen 
Zorpedobooten durch Schiffe, Sperren, Vorpoften bis heraus. Die 
See war ruhig. Gegen 12 Uhr in Helgoland, wo ich wohl zum legten: 
mal mit Irara erwartet wurde, M. mürde fich wundern, was hier 
alles gefchaffen wurde. Einen merkwürdigen Eindruck machte doch bie 
Inſel; keine Helgoländer, Feine Badegäfte, Feine Frauen und Feine 
Kinder, nur Männer in Wehr und Waffen, Ganz bie Kriegsbedeutung 
hat Helgoland doch nicht gezeigt, wie wir früher dachten. Der Krieg 
in ber Nordſee fpielt fich in fo anderen Formen ab. Es war fat wind: 
ftill und die Sonne warm, dabei eine Luft wie Stahl. Um 2 Uhr 
Mittag im Kaſino, das fehr hübſch und behaglich eingerichtet ift. Der 
geräumige Speifefaal war bis zum letzten Platz beſetzt, nur die Kom— 
mandeure waren aktive Dffiziere, fonft faft nur Referveoffiziere aus 
allen Berufsarten. Es herrfchte guter Ton und Eintracht untereinander. 
Admiral Jakobſen ſchwang eine Nede auf mich, die ich natürlich bes 
antworten mußte und fie in bem Gedanken bzw, dem Stichwort be 
endete: Helgoland⸗Oſtende. Um 4 Uhr ab hierher. Sch glaube, mir 
trafen gegen 7 Uhr bier ein und fuhren fofort per Auto nach Nord» 
holz, unferem LKuftichiffplat. Vor 2 Jahren war dort noch blanke 
Heide, jeßt Luftfchiffhalle, Wege. Unſer Luftichiffiwefen iſt jedenfalls 
in guten Händen. 


478 Kriegsbriefe 1915 


Kiel, 13, V. 

Prinz Heinrich empfing mich fchon auf dem Bahnhof und Fam 
gleich ins Hotel mit. Mit halbftündiger Paufe nach dem Schloß; 
Prinzeffin, Frl. v. Plänkner (Hofdame), Seckendorff (Hofmarfchald), 
Kapitän z. ©. Heinrich, Kapitän Weiterfampf. Die Prinzeffin außer: 
ordentlich verfiert, fie entwickelt eine Riefentätigkeit in Hofpitälern, 
Vereinen pp. Geftern früh heraus, Germania, Kaiferliche Merft, 
S. M. ©, Kronprinz (Dalwigk), Xorpedoinjpektion, Bildungs: 
infpektion (Rebeur), Ubootsinfpektion. Ubootskommandanten ber Elei- 
nen Uboote ftrahlten jämtlich; auch die ZTorpedobootsfommandanten 
machten vorzüglichen Eindrucd, Es iſt der Krieg der Kapitänleutnants 
und Oberleutnante, Manche Admirale verſagten, teilmeis zeitlicher 
Zufall, zum anderen Teil Müllers Schuld. Es wimmelt von Marine, 
Heine Kerls, diefe Seewehren, und fie kommen nicht zum Tragen! 
Abends hatte ich eingeladen Rebeur, Henkel, Dalwigk, Stemens (Uboots⸗ 
injpeftion), Trotha und meine Herren. Es wurde freimeg geredet und 
war jeher nett. X. war außer fich über Pohl, der alles tut, um 
VBormände zu finden, nichts zu tun. Beſonders fucht er nach techntichen 
Mängeln. Der Prinz will mich) auch heute abbringen. 9 Uhr 12 a, m. 


Wilhelmshaven, 13. VIL 

Der Tag HE ganz mühlich verbracht worden, jeht geht es auf 
5 Uhr. Sch habe mir Admiral Kraft und einige Ubootskommandanten 
eingeladen. Geftern abend lange Unterredung mit Y. Es herrſcht 
allgemeine Empörung über die Führerlofigfeit in der Marine. Die 
öffentliche Meimmg — 830 Prozent — mill mich haben, Dan will 
an SM. heran, Trogdem ich Horatius Cocles fpiele, ba die befte 
Stunde verpaßt iſt, würde ich feldftverfiändlich annehmen, freilich 
unter ber Bedingung freier Macht, Aber dieſe würde ich mir fehon 
nehmen, Pohl Hat vollftändig verfpielt, mie Kapitän X. mir fagt. 
In feinem Stabe nicht nur, fondern überall fehreit man nach mir, 
Alle Hesereien gegen mich find mit einemmal verfchwunden, und 
morgen erucifige. Fine geroiffe Genugtuung ift es doch für mich, 
Sch glaube nicht, daß es S. M. tun wird, aber wie Gott will. Für 
Müller wird es Immer eine Lektion bleiben. 





Kriegsbriefe 1915 477 
Emanuelsſegen, 20. VI. 


14 Tage bleibe ich wohl ficher hier; dann vielleicht nach Oſten. 
Hindenburg hat jedenfalls augenblicklich zuviel vor, um ihn zu be 
juchen. Sch will auch erſt jehen, wie die Sache fich hier macht. Unfere 
feider ziemlich mitgenommene Garde fteht jest der ruffifchen Garde 
gegenüber, die von Petersburg herangeheit iſt. Man glaubt daraus 
zu entnehmen, daß die Nuffen dag Kette dort einjegen müffen. Falken: 
hayn hat Bachmann erzählt, der Kanzler wolle Kurland annektieren; 
die Engländer werden dag mit Vergnügen fehen; bann fißen wir feit 
auf ein Jahrhundert, und die Ruſſen desgleichen. England lacht fich 
ins Fäuſtchen, und wir ziehen aus Belgien ab. Dann hat England 
feinen Zweck erreicht, und wir find zu einem reinen Kontinentaljtaat 
zurüdgedrängt. Die Leute dahınten in der Türkei und auf dem Balkan 
find Falkenhayn gänzlich einerlei. Die ganze Gefellichaft um den 
Kaifer herum ift fo langſam eingefchlafen, der Kaifer zeichnet an der 

Karte den Kriegsverlauf ein, 


Emanuelsſegen, 22. VI. 


Bachmann hatte gefteen mit Müller gefprochen. Letzterem ift die 
Marinefituation offenbar unheimlich geworden. Die Frage des Ober: 
Eommandierenden ſpukt weiter. Sch glaube aber nicht, daß die Ent- 
fcheidung für mich fallen wird. Müller fagte geftern, er hätte im 
Anfang des Krieges etwas Derartiges angefirebt, da fei aber nichts 
daraus geworden. Er hätte nach dem 2, Januar noch einmal beim 
Kaiſer einen Verfuch gemacht und mid) genannt, wäre aber gänzlich) 
abgefallen: Der Kaifer brauche den DOberfommandierenden nicht, das 
Eönne er felber machen, Mir fcheint diefe Verfion nicht recht glaubhaft. 
Denn hätte das Müller wirklich tun wollen, fo hätte er doch vorher 
mit mie darüber fprechen müſſen. Er hat das nicht nur nicht getan, 
fondern hat Pohl genommen an Stelle von Ingenohl, ohne mich) 
überhaupt zu hören. Bachmann gegenüber bat er damals, d. h. am 
2. Februar, gefagt, vor mir kämen doch noch jüngere Offiziere in 
Frage, die nicht fo lange aus der Front wären, z. B. Holtzendorff. 
Bei dem geftrigen Zwiegeſpräch zwifchen Bachmann und Müller ift mein 
Name nicht erwähnt worden. Sch weiß nicht, ob geſtern; gelegentlich 
aber dat er gejagt, Pohl und ich könnten nicht zuſammen arbeiten, und 


478 Kriegebriefe 1915 


an erfteren glaubt er als Praktikus. Wir fchweben in Sorge, ob wir 
Amerika gegenüber weiter zurückweichen werden. 


Emanuelsjegen b. Kattowitz, 23. VII. 
Enver hat eine Depefihe an Falkenhayn gefchiett, die m. E. einen 
drohenden Klang hatte, 


Emanuelsjegen, 24. VII 

Sch Bann mir auch Feine Vorftellung machen, wie wir Rußland 
zum Frieden bringen wollen. Die „Räume“ find zu groß, wir können 
doch nicht immer meiter vordringen. Es muß eine Freude für England 
fein, daß feine beiden gefährlichiten Gegner fich gegenfeitig fchädigen. 
Rußland wird warten, und viele Truppen werden mir nicht frei 
befommen für den Welten, felbit wenn wir an ber Buglinie Halt 
machen. Seit geftern abend ift Kapitän Erich v. Müller hier, der auch 
etwas verzweifelt ift über die Vernachläffigung, die wir dauernd gegen 
die Türkei beaehen. Er beurteilt übrigens die innere Lage Englands 
günftig für und. Daher auch jet die großen Anftrengungen gegen 
die Dardanellen; fallen diefe, fo geht der ganze Balkan gegen uns 
108. Falkenhayn fühlt nicht, daß unfere ganze Orientierung gegen 
England gerichtet fein müßte, Ohne Hilfe der Ftaliener wäre frei 
ih Gallipoli fchwer zu nehmen. Zwei andere Uboote gehen dahin 
iebt ab. Vor drei Wochen Eönnen fie fich aber kaum fühlbar machen, 
und fie allein Fünnen es auch nicht machen. 

Kampf, Weitarp und Bafjermann wollen direft zum Kaifer fahren 
wegen der Türkei und megen der Uboote. Sie werden nicht viel er: 
reichen. Heute erwarten mir die Note. Die Pantaloni in der Wilhelms 
ftraße follen bedenklich fein. Falls die Note grob wird, werden Beth 
mann, Jagow uſw. fagen: Das haben wir der Marine zu danken, 


Emanuelsjegen, 25. VIL 

Amerika ift fo unverfchämt, fo unverhülft probritifch, daß es fchmwer 
zu glauben ift, wir würden zu Kreuze Briechen. Doc) halte ich in der 
Beziehung alles für möglich. Eine Bemerkung in der Note weit darauf 
hin, daß mir fchon unter der Hand Verfprechungen gemacht haben, 
ben Ubootsfrieg einzufchränfen. Wir rutfchen mweiter. Aber jett handelt 
es fih um ein formelles Bekennen vor aller Welt und vor dem 
beutfchen Volk. Die Antwort Bann ſich leicht wochenlang binziehen, 





Kriegübziefe 1915 479 


Ich kann m. E. ein formelles Abfchwören des Ubootskrieges nicht 
mitmachen. Wir geben damit auch die jet einzige Zukunftswaffe 
gegen England aus der Hand. Die Ablöfung Mukhtar Pafchag und 
die Ablehnung jeder Hilfe für die Türkei von feiten Falkenhayns 
drücken mich ebenfalls fehr. Inzwiſchen wird der Druck Englands auf 
die Neutralen immer flärker, und mir fpielen Napolium in der Polackei. 


Emanuelsfegen, 26. VII. 

Heute ab 10 Uhr nach Tefchen, dem Hauptquartier des Erzherzoge 
Friedrich. Die Gegend in Galizien war ſehr hübfch; vor ung lag bie 
Berggruppe der Beskiden. In Tefchen fehr liebenswürdig empfangen; 
alter, gänzlich Harmlofer Herr, mit dem Comad v. Hößendorff wohl 
Feine Schwierigkeit hat. Nachher vom Thronfolger empfangen, der noch 
jeher jugendlich ift, aber fcheinbar Intereſſen beſitzt. Großer Stab, 
dem wir vorgeftellt wurden; ich hörte nur immer Graf Soundfo und 
Graf Soundfo. Beim Frühſtück ſaß ich neben dem Oberfommanbieren- 
den, ber ſehr ftolz auf feinen einzigen Sohn war. Diefer hat foeben 
das Abiturienteneramen beitanden und zwar in ungarischer und deutfcher 
Sprache, Sein Vater (Bruder der Königinwitwe von Spanien) hat 
ſehr große Befigungen in Ungarn. Er erzählte mir, fein Neffe, der 
König von Spanien, hätte gefchrieben, daß man Spanien mit Hunderten 
von Millionen zum Eintritt in den PVierverband bearbeitete, jolange er 
aber König wäre, würde nichts daraus. Er hätte auch feine Armee 
hinter fih. Man war entrüftet in Zefchen über die Unverſchämtheit der 
amerifanifchen Note und Eonnte fich nicht vorſtellen, daß wir zurück 
weichen würden. (Wenn das nur zutrifft bei unferen Pantalonibefißern.) 
Man hofft, die Iſonzolinie halten zu können, war aber nicht ganz 
ficher. Leider war Conrad nicht anweſend, er war nach Wien befohlen, 
Sch hätte gern die intereffantefte Perfönlichkeit des dortigen Haupt 
quartiers Fennengelernt, 

An die Wirkung von Kämpf bei S. M. glaube ich nicht recht. Von 
Berlin haben wir noch nichts über die Note erfahren. Müller iſt in 
Berlin und befpricht mit Capelle die Virements. 


Emanuelsjegen, 27. VIL 


Geftern vor einem Jahre traf ich in Berlin ein, empfangen mit ber 
Meldung, es wäre alles in Ordnung. Sch traute dem Frieden nicht 


430 Kriegöbriefe 1915 


und habe leider vecht gehabt. Jetzt haben wir fchon 500000 Dann 
auf den Schlachtfeldern Liegen lajfen und über eine Million Verwundete. 
Dabei ift noch Fein Ende diefes furchtbaren Krieges abzujehen. — Sc 
finde auch, daß der empörend fihroffe Ton der Note Fein Nachteil für 
uns ift, Näheres von Berlin wiſſen wir noch nicht. In der Wilhelm: 
ftraße follen die Meimingen geteilt fein. Here Kriege t) fol freilich 
ganz gegen die Uboote umgefchlagen fein. Er denkt wohl, feine Zeit 
iſt gefommen, und ein neues modernes Völkerrecht iſt im Werden. 

Die Demarche feitens des alten Kampf und Genoffen beim Kaifer 
it gefcheitert oder hat ſich zerfchlagen. Der Grund ift mie nicht 
befannt; man foll jet etwas anderes planen, bei dem auch ich be: 
teifigt werden fol, Morgen werde ich hierüber Efüger fein. Eine Unters 
vedung zwiſchen Capelle und Admiral v. Müller hat in Berlin nicht 
flattgefunden. Daraus und aus anderen Nachrichten möchte ich fchließen, 
DaB bei der Flotte alles beim alten bleibt. 


Emanuelsſegen, 28. VIL 

Heute hatte ich einen Brief von Eapelle. Er fchreibt mir, daß 
Admiral v. Müller offenbar abfichtlich vermieden habe, ihn zu fprechen, 
und doß er bie Schaffung eines Oberfommandierenden für die Marine 
für ausgefchloffen Hielte; die amerikanische Note folle nicht beantwortet 
werden, und die Uboote und ihre Arbeit würden am fchleichenden 
Sieber eingehen. Eine akute Krife, die für mich die Möglichkeit gäbe, 
auszufleigen, hielte er für unmwahrfcheinlich. Capelle iſt fehr beſorgt 
um die Türke, Wie wir die fchmere politische Schlappe ertragen 
wollen, weiß er nicht. Er glaubt auch nicht an Rußlands Nachgeben. 

Mir haben einen neuen eingehenden Bericht vom 1. Offizier der 
‚Mainz‘ über das Gefecht vom 28. Auguft v. J. Sch werde ihn 
dir fchifen. Die „Mainz hat fich glänzend gefchlagen, aber pro nihilo. 
Fin ausgewechjelter Arzt hat den Bericht auswendig gelernt und nachher 
in Deutichland niedergefchrieben. 

Alle Anftrengungen, die von Politikern und anderen gemacht wurden, 
um Falkenhayn zu bewegen, Sfterreich Mores zu lehren, find vergeblich 
geweſen. Wir fehen und hören hier von Pleß wenig. Ich habe deshalb 
meinen Plan, nach Danzig zu fahren, wieder aufgenommen. eltern 
habe ich an Hindenburg gefchrieben und ihm gejagt, ich wolle ihn 


2) Reiter der Rechttabteilung im Auswärtigen Amt. 








Kriegsbriefe 1915 481 


befuchen, fobald er feine jeßige Unternehmung beendet babe oder doch 
in ruhigeres Fahrwaſſer gekommen ſei. 


Emanuelsfegen, 29. VII. 


Heute vormittag erhielt ich einen Brief von Baffermann, der mir 
mitteilte, daß am 1. Auguft eine allerhöchfte Proklamation heraus- 
kommen follte, die troß Fanfare einer Schamade ähnlich fein würde. 
In ihre wäre die Erklärung enthalten, daß wir Feinen Eroberungskrieg 
führen. Die weiteren Worte, daß wir Feine Ausdehnung unferer Reiche: 
grenzen erftreben und bereit find, Frieden zu machen, die der urfprüng- 
fiche Entwurf erhielt, follen geftrichen fein. Bafjermann meinte, daß 
eine folche Proklamation (als Eingeftändnis unferer Niederlage) nach 
außen und innen ben fchlimmften Eindruc machen müßte. Er erfuchte 
mich, eine Kundgebung folchen Inhalts zu verhindern. Richtig ift, daß 
alle infpirierten Blätter und Korrefpondenzen in der gleichen Richtung 
gehen. Sch habe fofort nach Berlin telephoniert, mir weitere Unterlagen zu 
Ichaffen, dann bin ich nach Pleß gefahren. Der Reichskanzler war aber 
ſchon abgereift nach Berlin. Sch befuchte in Pleß Wild v. Hohenborn, der 
nichts von der obigen Sache wußte, im übrigen auch entfeßt mar, 
indeffen ebenfo mie ich die gegebene Unterlage für nicht genügend er: 
achtete, um an Bethmann oder gar an den Kaifer heranzutreten. 
Bethmann Pönnte die interpretation als Beleidigung zurückweiſen. 
Wild v. Hobenborn ſchien infofern nicht ganz befriedigt von dem Vorgehen 
gegen Rußland, als nicht alles fo geglückt fei, wie gehofft, d. h. Feine 
Einkreifung, und Rußland würde eben zum Feftfigen kommen und wir 
ebenfalls erftarren. Bei Anfang der Bewegung hätte bei billigem An: 
gebot Rußland vielleicht nachgegeben, jetzt nicht mehr. Darauf längeres 
Gefpräch über die Türkei; er will fich derfelben ernftlich annehmen. 

Um 6 Uhr hat fih Mülfer bei mir angefagt. Ich weiß nicht, was 
er will, mwahrfcheinlich handelt es ſich um verhältnismäßig unter: 
geordnete Perfonalien, die das NReichsmarineamt angehen. 

Einliegend der Gefechtsbericht über die „Mainz am 28. Augufl. 
Man kann aus ihn entnehmen, welche Kraft in unferer Flotte fteckte, 
wenn fie zum Anfang des Krieges zum Anfat gebracht worden wäre. 
— Müller war alfo bier und der inhalt, wie ich vermutet habe. 
Bon der Proflamation mußte er, beftritt aber den Inhalt. Auch wäre 


der Kanzler noch gar nicht entfchloffen geweſen, ob fie überhaupt 
Tirpitz, Erinnerungen 31 


482 Kriegsbriefe 1915 


erlaffen werden follte. Ein Bericht unferes Militärattaches aus Athen 
ichildert die Entrüjtung der Griechen über die Drangfalierung der Eng: 
länder, welche Griechenland zum Kriege preffen wollten. Nach ihren 
Zeitungsartifeln zeigen fie in diefer Hinficht mehr Mut als die Holländer. 
Emanuelsfegen, 30. VII 

Ihr habt wohl den „Kreuzzeitungs“⸗Artikel von geftern gelefen, der 
geht fchon gegen die beabfichtigte Tendenz der Proflamation an. Müller 
hat heute mit Zreutler gefprochen, der natürlich fehr befriedigt über 
die Tendenz der Proflamation fprach, die gar nichts Bedenkliches hätte. 
Im übrigen vermied Müller abfichtlich, auf die Amerikanote einzugehen. 


Emanuelsfegen, 31. VIL 


Soeben find die Briefe von J. und U. vom 26. eingetroffen. Sie 
enthalten mit Recht Empörung über die Note und über unfere Leitung. 
Änderung kann nur eintreten, wenn Falkenhayn, Bethmann, Jagow, 
Müller und feine Gefinnungsgenoffen gehen, kurz das ganze Syſtem 
wechſelt. Dazu bin ich allein nicht imftande. Als die politiichen Parteien 
zum Kanzler hingingen wegen der Ubootsfrage, find fie umgefallen, ob: 
wohl fie wußten: „‚getrennt marfchieren, vereint ſchlagen“. Ebenfo ift die 
Prefje im Begriff, umzufteuern. Nach anfcheinend guten Berichten 
wäre nach Abfendung unferer Note Jagow zum amerikanischen Bot: 
Ichafter gegangen und hätte inftändig um gute Aufnahme des Angebots 
gebeten, der hätte auch zugeſagt. Offenbar wußte Jagow gar nicht, 
daß der Botfchafter gar Feinen Einfluß auf den Präfidenten hat, und 
wenn er ihn hätte, er feinen Einfluß im umgekehrten Sinn, nämlich 
für England angewandt hätte. Behncke fchreibt außer fich über das 
Heruntergehen der Ubootsverwendung infolge der Einfchränfung. Daß 
die Uboote auch fo „‚Funktionierten‘‘, wie U. fchreibt, hat man Amerika 
zweifelsohne gefteckt. Sch habe von vornherein dafür gekämpft, energiſch 
gegen Amerika aufzutreten, Eonnte aber nie mehr als per far figura 
erreichen, denn Form und Faffung waren nicht in meinem Reffort. 
Sch werde fpäter U. meinen eine bis zweiftündigen Vortrag beim 
Kanzler zeigen. Sch überzeugte ihn bis zu gewiſſem Grade. Nach 
zwölf Stunden war er umgefallen. Wie wenig Rüdhalt man an den 
Darlamentariern hat, geht u. a. daraus hervor, daß die National: 
liberalen in der belgischen Frage im Begriff find, umzufallen. Was 
iſt nun die öffentliche Meinung, von der U, jchreibt, daß ſie hochgeht? 








Kriegsbriefe 1915 433 


Der Umfchwung der Leitung unferes glänzenden, aber zu befcheidenen 
Volkes kann nur von Männern Eommen, die frei daftehen, fie Fann 
nicht aus Heer und Marine kommen. Damit will ich nicht fagen, daß 
man alles mitmacht. Aber man Pann nicht auf die Straße gehen 
und fchreien, wenn man aus dem Amt gegangen ift. Für mich ift es 
befonders fchwer, wenn ich an das Hurra denke, welches unfere Feinde 
bei der Möglichkeit meines Nücktritts Iosließen, und die daran fich 
anfchließenden Wirfungen. Dabei bemerke ich, daß Wild v. Hohen: 
born bei meiner neulichen Unterredung fich über mein und Bachmanns 
Abfchiedsgefuch äußerte: er für feine Perfon hätte ein folches Ver: 
fahren unfererfeits nicht begriffen. Er mißbilligte es offenbar fehr. — 
U. hat auch meine Anficht getroffen, daß man womöglich den Erfolg 
im Often abwarten müßte. 


Emanuelsfegen, 1. VII. 

Wir fuhren nach Pleß, den Jahrestag des Kriegsausbruchg Eirchlich 
zu begehen. Kleine VBerfammlung vor dem Schloß. Sch fagte S. M., 
er folle nur getroft in die Zufunft fchauen, es ginge ficher alles gut, 
wenn wir nur „feſt“ blieben. ©. M. meinte, natürlich blieben wir 
feft. Von den Flügeladjutanten hörte ich, daß die Proflamation ver: 
öffentlicht wäre, Wir gingen dann in die Eleine Kirche, die voll war 
bis auf den lebten Platz. Der Paflor nimmt Entree zum Beten 
des Noten Kreuzes. Der Gottesdienft ſehr würdig und erhebend von 
einem fehr alten Geiftlichen gehalten, einfach, fchlicht und voll eigner 
Überzeugung. „Bis hierher hat der Herr geholfen, verjteht, meine 
fieben Brüder und Schweitern, er hat ‚geholfen‘ Gott will alfo, daß 
wir ſelbſt das Außerfte tun im reiniten Sinn, dann wird er 
helfen” ujw. S. M. ſprach auf dem Wege vom Schloß zur Kirche 
weiter vom ziveiten Punifchen Krieg, mit dem er fich offenbar tröftet. 
Sch habe nach Möglichkeit dagegen gefprochen. Nach diefem furcht: 
baren Ningen gäbe eg eine lange Paufe, 50—100 Jahre, es käme alfo 
fediglich darauf an, wie wir diefen Krieg beendeten. Der brave 
alte Paftor hatte feine Nede in Rückblick und Ausblick geteilt. Bei dem 
Ausblick fagte er: Noch ftehen ung gewaltige Anftrengungen bevor, 
um die Feinde niederzuringen und dann die fihweren Kämpfe bei 
den Friedensverhandlungen. Da follen wir denn nicht fagen: „Bisher 
hat der ‚Herr geholfen,” fondern wir follen uns fagen: „Fürchte dic) 

31* 


434 Kriegsbriefe 1915 


nicht, der Herr fteht hinter dir.” Es war fehr bedauerlich, daß nicht 
einmal Xreutler anweſend war. Pohl hatte durch feine erften Aiden 
bei Müller wieder verfucht, dasfelbe durchzufegen, was dem Prinzen 
Adalbert in Charleville damals nicht gelang!). Er wollte Befehl haben, 
daß die Flotte nicht herausgeht. Seht findet Müller diefe Forderung 
von Pohl fehr vernünftig. Bachmann war außer fich, hat aber leider 
wenig Durchjeßkraft troß feiner der Form nach entfcheidenden Stellung. 
Iſt aber bei Müller und dem Kaifer diefe Anficht immer noch feit: 
ftehend, fo hat Trotha wenig Ausficht für feine Beftrebungen. Der 
Hofmarfchall v. X. trat ein paar Schritt beifeite mit mir vor dem 
Schloß und fagte mir, der Kaifer hätte geftern wieder in anerfennender 
Meife davon gefprochen, daß ich der einzige gemwefen wäre, der in 
den Sahren vor dem Kriege und beim Ausbruch desfelben die durch 
England beftehende Gefahr erkannt hätte. Dann fagte £., wir wollten 
nicht länger allein fprechen, fonft würde Verdacht gefchöpft. An: 
weſend vor dem Schloß waren nur Zreutler, Valentini, Lyncker und 
Pleſſen. Iſt das nicht bezeichnend für das Glashaus, in dem ich fie? 

Es follen drei preußische Offiziere von den Franzofen Eriegsgericht: 
fich erfchoffen werden wegen Nichtigkeiten; Wild wollte mit Nepreffalien 
drohen; Bethmann ift dagegen, der Kaifer war dafür. Bethmann 
fand es zu brutal. Wild foll mit Treutler über den Fall verhandeln 
und war außer fich. Lebteres ift gut, mın erkennt er durch eigene 
Erfahrung, was für eine Gefellfchaft die um den Kanzler find. 
Emanuelsfegen, 2. VII. 

Die Londoner Deklaration ift für uns weniger günftig als U. denft. 
Es Fommt dabei immer auf den Begriff der freien Ware heraus. 
Nach den bisherigen Beftimmungen würde für ung dort Fein Aqui— 
valent für Aufgabe des Ubootskrieges Tiegen. Von Hindenburg hatte 
ich eine Depefche mit Dank für meinen Brief und „Brief folgt”. Vom 
Dften nichts Neues. Prinz Eitel hat gefchrieben, daß die Garde: 
Infanterie wieder fehr große Verlujte gehabt hat. Man Fönnte das ja 
hinnehmen, wenn man nur einen Enderfolg im Often erbliden Fönnte. 
Dazu Eonnte man fich nicht aufraffen, Hindenburg die ganze Sache 
anzuvertrauen. O vanitas vanitatum! 

) Wie ich im Oktober 1919 erfahren habe, bezog fich die damalige Unter: 
tedung mit dem Kabinettschef ausfchlieflich auf die Einfegung einer oberiten See: 
friegsleitung, welche von dem betreffenden Heren dringend befürworteft wurde. 





Kriegsbriefe 1915 485 


Emanuelsfegen, 3. VIIL 

Wir haben Funkſprüche aufgefangen, nach denen bie Engländer 
armed parties auf die neutralen Schiffe ſchicken und mit denen 
dann unfere Uboote angreifen. Lange geht es mit den Ubooten nicht fo 
fort, wenn die Befchränkungen nicht aufhören. Wir planen neue Bor: 
fchläge in diefer Beziehung. Sch Fann übrigens nicht finden, daß die - 
Leute vom Auswärtigen Amt es jet billig haben, fich an die Bruft 
zu fchlagen. Wir find meit über die richtigen Grenzen entgegen: 
gekommen und haben vor aller Wit mehr als eine Ohrfeige befommen. 
Das war für die Yankees um fo leichter, als fie zweifellos die 
Einfchränkung unferes Ubootskrieges von Jagow erfahren haben. Seht 
wiſſen es auch die Engländer und jubeln. Ihr Gefchäft wird wieder 
fteigen. Der amerifanifche Botschafter in Berlin hat zu einem Sour: 
naliften gejagt, das ausgezeichnete deutfche Wolf wüßte gar nicht, daf 
fein gefährlichfter Feind das Auswärtige Amt wäre, Betreffend Ruß— 
land Hat Wild v. Hohenborn nur gejagt, und zwar ohne pofitive 
Unterlage, wenn wir im Anfang des Vorftoßes in Galizien verfucht 
hätten, mit Rußland zu unterhandeln, wäre ein Erfolg wohl möglich 
geweſen, jet nicht mehr. Jedoch glaubt man um Falkenhayn herum, 
daß Petersburg den Winter kaum aushalten würde; es fei denn, 
die Türkei fiele zufammen. Rumänien ift nach wie vor völlig un: 
zugänglich; man denkt daran, es zu drängen. Ob es militärifch richtig 
ift, kann ich nicht fagen. Politifch iſt richtig, gegen Öfterreich energifch 
zu fein. Man hat aber vor denen einen gewaltigen und m. E. un: 
berechtigten Nefpeft. Hindenburg hat mich fehr freundlich eingeladen. 
Sch beabfichtige, am Donnerstag, 5. 8., zu ihm zu fahren. Da er 
alle Politif ablehnen foll, fo wird, fürchte ich, der Ertrag nicht groß 
fein. Ich werde aber verfuchen, ihm die belgifche und englische Frage von 
meinem Standpunkte aus Elarzumachen. Falkenhayn fagte neulich zu 
Admiral Bachmann, man darf ihm Niga gar nicht zeigen, fonft 
nimmt er e8. Man hat Hindenburg abfichtlich fehr Enapp gehalten, 
trotzdem er nur geringe Zahlen forderte, 


Emanuelsfegen, 4. VIIL 

Sch nehme. als ficher an, daß die Proflamation durch bie in 
Berlin entftandene Erregung geändert worden ift. Um jo mehr hat es 
mich empört, daß die ganze von Bethmann infpirierte Preſſe den 


486 Kriegsbriefe 1915 


Morten der Proflamation bezüglich des Eroberungskrieges eine anbere 
interpretation unterlegt, als dem Wortlaut entfpricht. Es ift gleich 
zeitig fo furchtbar dumm, die Bedeutung unferer Fauftpfänder zu ent- 
mwerten, felbft wenn, wie der Kanzler will, wir fie nicht behalten 
wollten, Es kommt doch wahrhaftig jest nicht darauf an, die Stim⸗ 
mung unferes Volkes für die Zeit nach dem Kriege zu „bearbeiten, 
fondern unter allen Umftänden den Pferdehandel beim Friedensfchluß 
für ung günftig zu geftalten. An den Einfluß des Reichstags glaube 
ich nicht recht, nachdem er bei dee Ubootsfache umgefallen ift. ‚Sch 
Fann übrigens nicht fagen, daß Capelle in ber Ubootsfrage mich 
übel beraten hat. Er hat doch glatt damals meinem Abfchiedsgefuch !) 
zugeftimmt, und daß in der Antwort feitgelegt ift, daß Bethmann 
und Falkenhayn den Ubootskrieg verfümmert haben, ift doch ebenfo wie 
dag Vorhandenfein des Abfchiedsgefuches an fich gut. 

„Frankfurter Zeitung” lege ich bei. Es geht die gefamte Kanzler: 
preffe in der Richtung, Kurland zu behalten, um dem deutfchen Volt 
den Verluft von Belgien plaufibel zu machen. Im Often find wir 
heute gut vorwärts gefommen, Die in Berlin und Wien für Bul- 
garien finanzierte Anleihe kann mindeftens als eine Annäherung be 
zeichnet werden, fie fcheint mir durch den Umſtand noch weiter unter: 
ftrichen zu fein, als ein Militärattach6 von Bulgarien — wie mir Mann 
joeben erzählte — bei der heutigen Darftellung der Sachlage im 
Generaljtabe mit anweſend war. Erjt freilich müffen die Kerls fchießen, 
ehe ich an fie glaube. Es märe zu fihön nach den vielen Ent 
täufchungen und könnte einen Wendepunkt abgeben. 

Der Hauptumftand, der meine Lage in Charlevifle verfchärft hat, 
liegt doch in Pohl, der überall dort gegen mich gehetzt hat. 


Emanuelsfegen, 5. VIIL 


Ach, es ift gut, daß mein alter Herr diefen Krieg und meine Lage 
in bdemfelben nicht mehr zu erleben brauchte. Die Stimmung in 
der Flotte ift, wie ich überall höre, fehr verzweifelt. Aber Trotha 
wird nichts ändern können. Es ift eine zu ungünftige Perfonal 
Eonftellation gegen mich; der Kaiſer, der mich an die Flotte nicht 


Juni 1915 nach der Luſitania-Note. 











Ariegsbriefe 1915 487 


heranlaffen will, die Kabinetichefs, die Männer um Bethmann und 
dann Falkenhayn. Er entjpricht auch Hindenburgs Wünfchen nicht; 
der läuft ihm troßdem aus dem Nuder, Fann es auch. Warfchau 
ſoll gefallen fein, wir haben noch Feine amtliche Beftätigung hierfür, 
Mann wird fie wohl aus Pleß mitbringen. Nikolai N. ift ein ganzer 
Kerl, die große Führung der Ruſſen ausgezeichnet; Organifation, Offis 
ziere, Induſtrie ung nicht gewachfen. Se weiter wir nach Rußland 
hereinfommen, je mehr freuen fich die Engländer. Es ift auch richtig, 
je mehr wir nach Often kommen, je mehr wird auch unfere Politik fich 
nach Oſten orientieren. Es ift gar nicht zweifelhaft, daß der Kanzler, 
und ich glaube auch jett der Kaifer, und die Leute autour de lui 
unter gleichzeitiger Aufgabe von Belgien darauf ausgehen. Ein Artikel 
in der „Kreuzzeitung“ war mir auch fehon verdächtig. 

Sch habe mir im Reichsmarineamt eine Ausarbeitung über unfere 
und die englifche Wirtfchaftsfrage anfertigen laſſen, die für ung fehr 
günftig Elingt, befonders nach Einfegen des Ubootsfrieges, der aber 
namentlich im Atlantik entjprechend unjeren Anorönungen ftark nach: 
gelafjen hat. Auch glaube ich, daß England, wenn auch langſam, 
fich beffer der Situation anpaffen wird als bisher. Unjer Volk hat 
Ungeheures geleiftet im vergangenen Kriegsjahr, ob es aber ausreicht, 
um einen guten Frieden für ung zu erreichen, bleibt leider immer noch 
zweifelhaft; die Übermacht gegen uns ift fo ſehr groß und unfere 
Politik fchlecht. Ganz Nordamerifa muß man praktisch zu unferen 
Feinden zählen. Wenn in der Schweiz ein höheres Bewußtſein für 
die Zukunftsgeftaltung Europas beftände, würde fie aktiv eingreifen; 
fo tut fie e8 ebenfowenig wie Schweden, und doch würde darin 
zweifelsohne die Entfcheidung liegen. Schweden Fünnten wir m. €. 
bekommen, wenn wir eg richtig anfingen. 

Sn Mann habe ich eine ausgezeichnete Unterftügung und Fann 
mich voll auf ihn verlajfen. Er hat je länger je mehr mein volles 
Vertrauen gewonnen, und dag will viel jagen. Bei Capelle ift das 
niemals in gleichem Grade der Fall geweſen. Seine Klugheit und 
fein parlamentarifches Verftändnis habe ich dagegen hochgefchäßt und 
verwertet. Seht wird er etwas, wohl teilweis wider Willen, beeinflußt 
durch den Umftand, daß er zweifellos als mein Nachfolger beftimmt iſt. 

3. C. aehört zu den Deutfchen, die immer überlaufen aus Gefühle: 
und anderen NRückfichten. Der Ausfpruch des großen Friedrich von 


438  Reiegebriefe 1915 


der Kunft der Politik, ift gewiß richtig. (‚Die große Kunft in ber 
Politik ift, nicht gegen den Strom zu ſchwimmen, fondern alle Er: 
eigniffe zum eigenen Vorteil wenden.) Er paßt aber nicht für die 
Momente, wo hätte gehandelt werden müſſen, und vor diefen Fragen 
ftand ich während des Krieges und bin an der Mauer, die der Kaifer 
um fich errichtet Hat, zerfchellt (Claufewig über die Kataftrophe von 
1806). Was hätte ich denn erreicht, wenn ich mich ebenfalls in diefe 
Mauer eingefchloffen hätte? Die Macht, fie zu brechen, hatte ich allein 
nicht. 1813 war fie von außen zerbrochen, und dennoch war genug 
davon übrig geblieben, um Preußen um die Früchte feiner furchibaren 
Anftrengung zu bringen, | 


Emanuelsfegen, 6. VII. 

Die Freude über den Fall von Warfchau ift doch nur halb. Einmal 
haben wir nur die mweftliche Hälfte, und dann ift damit wohl der 
Beweis geliefert, daß die ruſſiſche Armee im mejentlichen der Um 
Flammerung entwifcht ift. Endlich hat die Oberfte Heeresleitung fich 
doch überzeugt, daß für die Türkei etwas gefchehen müffe, und zwar 
über Serbien hinweg. Eine Reihe von Umftänden haben hierbei ge— 
bolfen. Bachmann hat ein energifches Schriftftük an Falkenhayn ge: 
richtet zugunften der Türke, Auch unfer Gefandter in Rumänien 
bat abgeraten, gegen letzteres zu gehen. Sfterreich will auch gegen 
Serbien. Sch habe nur mwenig helfen Fönnen auf indirekte Weife. 
Mir müffen meines Erachtens Rumänien wirtfchaftlich jchneiden und 
ihm in jeder Weiſe die Falte Schulter zeigen. Das dumme dabei ift, 
daß mir in Rumänien Weizen liegen haben, den wir per Vorfchuß 
bezahlt haben, eine unglaubliche Dämlichkeit! Aber ich hoffe doch, 
daß die Sache in Gang kommt, wenn nur die Türkei bis dahin am 
Leben bleibt. Unſere beiden Uboote find unterwegs, möge der Herrgott 
fie befchüßen, ich weiß nicht, ob England Wind davon hat. Das 
Loch in Flandern wird ftärfer als je bewacht. Truppenanfammlungen 
vor den Dardanellen finden beftändig auf den einfach von den Eng: 
ländern den Griechen abgenommenen Snfeln ftatt. 

Habt ihr das Vertrauensvotum der nationalliberalen Partei ges 
fefen? Es beflätigt den Umfall. Vertrauen auf ihre Feftigkeit Fann 
man doch Faum haben. Die dritte Veröffentlichung in der „Nord⸗ 
beutjchen Allgemeinen” von Berichten der belgifchen Geſandten ift 














Kriegsbriefe 1915 489 


wieder großartig. Sch wundere mich mur, daß das Auswärtige Amt 
fie veröffentlicht. Konnten wir nicht auch fo klar fehen, mie dieſe 
Herren? Wer von ung diefe Auffaffung vor dem Kriege hatte, mar 
die böte noire der Wilhelmftraße. Die Berichte find der reine Hohn 
auf unfer beftändiges Nachlaufen. Bei diefer raffinierten Vorbereitung 
zum Kriege feitens Englands wurde unferer Marine feit 1909 Fein 
Geld mehr bewilligt. Wie anders würde die Marine in den Krieg 
gegangen fein, wenn die volle Movelle von 1912 bewilligt wäre, 
und nicht 30—40 Millionen jährlich vom Schatzamt und Kanzler ges 
ftrichen wären! Die belgifchen Herren fahen ganz richtig, die Flotte 
als Schreckgefpenft für den Mob wurde Iediglich als Vorwand von 
Grey und Genoffen gebraucht. Unfere fteigende, die Engländer über 
flügelnde Stärke in Handel, Induſtrie, kurz die Monopolfucht und 
der Ealte Neid, waren die Urfachen. Wir dammelten und ſchwankten 
dahin. Rußland haben wir erft mild gemacht durch unfere jüngere 
Balkanpolitif. Das hat ja auch U. an den Außerungen des Fürſten 
Gagarin gemerkt. Der Fehler ift Faum gut zu machen, und wir 
treiben in die dauernde Feindfchaft gegen Rußland. 


Emanuelsfegen, 7. VIIL 

Geftern ging der Tanz mit den Kanzler wieder los. Der Arger 
verfchaffte mir eine fehlaflofe Nacht. Heute vormittag war ich zum 
Vortrag bei Bethmann in Pleß. Helfferich (Reichsſchatzſekretär) hatte 
ein längeres Schreiben — vielleicht ift es beftellt — an Bethmann 
gerichtet, in dem er nicht nur die völlige Preisgabe des Ubootskrieges 
forderte, fondern auch eine Mitteilung in diefem Sinne an Wilfon. 
Der Kanzler holt fich Hilfe bei Falkenhayn und Müller. Im Prinzip 
ift der Kaifer auch wohl gewonnen. Die Sache wird wohl fo gemacht 
merden, daß ber SKaifer über Müller entjprechende Anweiſungen an 
die Uboote gibt und die Mitteilung an Wilfon unter der Hand gefchieht. 
Es ift dasfelbe Verfahren wie beim erften Mal. Man glaubt jett offen 
bar, das deutfche Publikum entfprechend vorbereitet zu haben, auch 
meinetiwegen. Sch habe von meiner Stellungnahme Fein Hehl ge: 
macht. Ihr werdet Ende des Monats mich wohl in Blaſien erwarten 
Fönnen. Vorläufig wird noch ein Bericht von Vernflorff erwartet, 
der, wie ich Bethmann fagte, felbftverftändlich in dasfelbe Horn bläſt. 
Sch glaube, die ganze Sache iſt planmäßig arrangiert. Ob aus meiner 


490 Kriegsbriefe 1915 


Reife nach dem Oſten noch etwas wird, mweiß ich nicht. Sch bin 
feelifch gedrückt. Alle Mühe und Verſuche find umſonſt geweſen. 


Emanuelsfegen, 8. VII. 

Seit geftern wird ſchwer gekämpft bei den Dardanellen. Die Eng: 
länder wiſſen zmeifelschne, daß unfere dortigen Uboote nicht ver: 
mendungsbereit find. Demzufolge haben fie ihre ganzen Schiffe heran: 
gezogen und neben dem Landangriff ein furchtbares Feuer auf alle 
Forts und alle Stellungen Iosgelaffen. Die Lage it offenbar höchſt 
kritiſch. Was habe ich, leider vergeblich, gedrängt, unfere Uboote in 
größerer Zahl und früher zu ſchicken! Fallen die Dardanellen, fo ift 
der Meltfrieg gegen uns entfchieden. Heute vormittag 11 Uhr 30 
erneuter Vortrag bei Seiner Majeftät, der mir mitteilte, er wolle 
vorläufig Feine Antwortnote an Amerika ſchicken. Er ließ fich frei: 
lich ein Loch. Er wollte nur den Bericht von Bernftorff abwarten. 
Müller unterwirft fich ganz der Anficht des Kanzlers. Wir ftehen 
jedenfalls vor einer feit Wochen vorbereiteten Aktion. Auch Ban 
Fen find dazu herangezogen. Nachher Tängere politifche Unter= 
haltung. Der Kaifer war wenig gnädig zu mir; ob es die Folge 
meiner Stellungnahme ift, weiß ich nicht. Müller behauptete, ber 
Kaifer Penne nur ungefähr das Gefprähsthema zwi: 
hen mir und Bethmann Wild v. Hohenborn ift von Bach: 
mann unterrichtet und war außer fich über die Sache. Bethmann hat 
mir zugefagt, ehe er weitere Schritte täte, würde er vorher mit mir 
verhandeln. Es fcheint, daß wir durch mein Vorgehen Zeit gewonnen 
haben, und das hat doch einigen Wert. Der Kronprinz ift orientiert. 


Emanuelsfegen, 9. VII 

Müller war zivei und eine halbe Stunde bei mir, und ich habe 
ihn ſtark bearbeitet. Zurzeit habe ich ihn überzeugt, aber auf wie lange 
ift eine andere Frage. Sch fahre übermorgen nach Berlin, bleibe dort 
einen Tag, und dann zu Hindenburg. 


Emanuelsfegen, 10. VII. 

Alfo heute mittag in Pleß, wo Seine Majeftät mit fehr freundlichen 
Morten mir den Pour le merite zur Feier des 25. Sahrestages der 
Veligergreifung von Helgoland überreichte unter gleichzeitigem Hinweis 








Kriegsbriefe 1915 491 


auf die dortigen Häfen und Verteidigungsanlagen. Admiral v. Mülfer 
follte ihn mir umbinden. Ob es eine Folge meiner zmweiundeinhalb: 
ftündigen Unterredung mar, weiß ich nicht, möchte aber glauben, nein, 
da meine Einladung — ohne Bachmann — ſchon vorher erfolgte. 
Ich fagte Müller, ich wäre ſehr gerührt, könnte aber mit Nückficht 
auf den Verlauf des Seefrieges Feine Freude empfinden. Außerdem 
würde mir dadurch der ihm mitgeteilte Entfchluß nur ſchwer gemacht. 
Müller meinte, dag wäre ja durch die letzte Stellungnahme des Kanz: 
lers binfälfig gemworden. Auf meine weitere Frage, ob der Kaifer 
denn durchhalten würde, meinte er ja. Sch hatte aber das Gefühl, 
daß Müller im Geifte drei Finger hoch und drei Finger im Rücken 
batte. Momentan fcheint die Gefahr abgewendet, wenn nicht ein neuer 
Luſitania⸗Fall pafliert, dag fchien mir aus dem Benehmen von Treutler 
bervorzugehen. Meine Stellungnahme, falls die Vorfchläge Helfferiche 
durchgehen würden, war übrigens fo Fategorifch, wie man es nur ver: 
langen Fönnte. Setzt find doch die Noten uſw. fo ausgefallen, daß mir 
die Uboote wieder voll aufnehmen Fönnen, fobald fich unfere Lage 
an Land günftiger geftaltet, und dann hat mein Verbleiben doch einigen 
Nutzen gehabt. Wenn Helfferich durchgedrungen wäre, jo wäre das 
nicht möglich geweſen. Die Stellung Pohls bei Müller ift doch er: 
fcehüttert. Lebterer fagte, fobald wir gegen neue Landfeinde gefichert 
feien, müßten mir die Uboote rückſichtslos verwenden; immer auf 
und ab! Sn mancher Beziehung war mein Aufenthalt hier nüß- 
lich, troßdem Taffe ich — nota bene unter Abraten von Capelle — 
mich nicht abhalten, morgen nach Berlin zu fahren, und übermorgen 
abend nach Lötzen. Müller befürwortet letzteres dringend, ich follte 
rückhaltlos mit Hindenburg fprechen. Müller und viele find mit Falfen- 
hayn nicht zufrieden, und dasſelbe ift bei Hindenburg der Fall. Große 
Berlufte durch frontale Angriffe und Feine Zertrümmerung von Ruß— 
land. Letteres hat wohl nur Verlufte, aber Feine entfcheidende Schä- 
digung gehabt. Anweſend war der alte Erzherzog und viele Diter: 
reicher, darunter Conrad v. Hößendorff, mit dem ich mich längere 
Zeit unterhalten Eonnte, was nebenbei vom Kaifer fehr bemerkt wurde. 
Der junge Knorr hat eine glänzende Minenlegung bemerfftelligt, Ver: 
nichtung eines englifchen Hilfskreuzers im Kampf und fonjtiges bes 
forgt. Er ift ſchon nahe unferer Küfte zurückgeweſen und dort ab- 
gefangen worden. Pohl hatte wieder Feine Aufnahmeftellung vorz 


492 Kriegsbriefe 1915 


bereitet für den lahmen Hilfsfreuzer, den Knorr führte. Er hatte 
120 Mann Befagung und 40 gefangene Engländer mit 4 Offizieren 
an Bord. Mit 130 Dann hat er nach Verſenkung feines Schiffes 
auf einem fchwedifchen Schoner das Liſter Tief (Sylt) erreicht. Nähere 
Umftände find noch unbekannt. Bulgarien gibt meines Erachtens Feine 
Beweiſe von Freundfchaft, folange unfere Kanonen an der Donau 
ſchweigen; immerhin bat Bulgarien fich ſchon einigermaßen bloß 
geftellt. 


Berlin, 12. VII. 

Ein Tag in Berlin in größter Hiße, Sch muß um 10 Uhr ab nach 
Lögen. Hier wenig Erfreuliches, die Leitung der Marine ein großes Durch- 
einander: Müller, der Kaifer, Pohl, Prinz Heinrich uſw. Gelegenheit hat 
die Flotte wieder verpaßt, als Knorr zurückkam. Im Often gefährliche 
und durchaus mit einer Ausficht auf Erfolg angeſetzte Operation, Rus 
mänien haben wir vor feiner definitiven Stellungnahme 400 Mil: 
fionen Gold gegeben für Getreide und eg macht ung eine lange Nafe, 
die Türkei in dauernder Gefahr und Feine Ausficht auf Entfaß durch 
Falkenhayn. Friedensfundgebung in der ‚Norddeutschen Allgemeinen”, 
die allgemein nur als Schwäche ausgelegt werden wird. Der Kanzler 
bat nur eine Direktive im Sinn; Frieden um jeden Preis, England 
nicht reizen, Aktion gegen die Uboote nur verfchoben bis nach Reiche: 
tag, ‚weil die Vorbereitungen noch nicht genügen und ich zum Fallen 
noch nicht reif genug. Trotha hat verzweifelt gefchrieben. 

Heute vormittag hatte ich ein langes Gejpräch mit Röſicke, ich 
glaube, zufriedenftellend. Wie ich ihm meine Anfichten auseinander: 
jeßte und den Urfeind erklärte: ZIruftmagnaten in New Vork, London, 
Belgien, Paris, die den dummen ſtarken Panflamismus eingefangen 
hätten, war er höchſt erftaunt. Er hätte folche Anficht von mir nicht 
erwartet, da ich im Reichstag immer nur von der Linken unterftüßt 
fei. Sch fagte ihm: Geduldet auf meinem Poften, alleinftehend und 
befämpft von allen Seiten (außerhalb des Parlaments) hätte ich jede 
Hilfe angenommen, Zableaul Er verteidigte fehr großen Landerwerb 
im Dften als Gegengewicht gegen etwaige belgifche Induſtrievermehrung. 
. Nachher mit Graf Taubel), er war fehr erfreut, mich zu fehen. Sch 


N) Schmebdifcher Gefandter in Berlin. 





Kiegsbriefe 1915 493 


habe bei Müller angeregt, den Grofen Taube zum Kaifer zu bringen; 
durch meine Abreife Fann ich dort zurzeit nicht mehr tun, was bes 
dauerlich ift. 


Lötzen, 13. VIIL 

Heute 10 Uhr morgens bier eingetroffen. Lange Unterhaltung mit 
Hindenburg und Ludendorff, vollftändiges Einvernehmen über die Ges 
famtlage. Hindenburg fieht Feine Ausficht, die Lage autour du roi 
zu ändern, die Stuckmaſſe wäre undurchdringlih. Er hat den Kater 
geradezu angefleht, den Natfchlägen von F. nicht zu folgen. Auch 
bei der Ieten großen Operation in Rußland hat er dringend ab— 
geraten von dem Verfahren, welches immer frontal fortgefettt wurde, 
auf diefe Weife die Ruffen felbit entwifchen ließ und ung fehr viel 
Verlufte gekoftet hat. Nach Anficht Hindenburgs und Ludendorffs 
wäre fchon vor drei Wochen die ganze ruffische Armee erledigt, wenn 
man ihnen gefolgt hätte. Er hat dem Kaifer dem Sinne nach ge 
Ichrieben, das ganze Volk, welches fo Ungeheures geleiftet, warte auf 
feinen Kaifer, traue aber dem Verfahren der Oberften Heeresleitung 
nicht, alles umfonftl Da kann ich mich nicht wundern, wenn auch 
ich nichts erreicht habe, mur nimmt Hindenburg dad Gefühl doch für 
fein Lebensende mit, etwas Großes trotzdem geleiftet zu haben. Es 
ft rührend anzufehen, wie dag Volk ihn hier auf Händen trägt, 
fung und alt, Greife und Mütterchen, geſchweige die Jugend, machen 
Front, wo er fich nur blicken läßt. Er Fann fich gar nicht bergen 
vor Blumen. Die Schlichtheit, Treue und der Charakter, der aus 
ihm fpricht, find mahrhaft herzerfrifchend, wenn man aus ber vers 
fluchten Bande in Pleß herauskommt. Ich habe frifch von der Leber 
weg geredet und er und LZudendorff ebenfo. Er will mich unterflügen 
jo gut er kann, für die Türkei und die Uboote Wir find einig 
betreffs Rußlands und Belgiens, aber die Zatjache bleibt bejtehen, 
daß Falkenhayn das Heft in der Hand hat: Gruppe Hindenburg, 
Gruppe Prinz Leopold, Gruppe Mackenſen, alles wird eingeftellt auf 
Falkenhayn. — 

Heute nachmittag ſehr ſchöne Fahrt mit Spaziergang um einen 
Teil der Seen und durch die Feſte Boyen. Erklärung der ruſſiſchen 
Stellung. Die Kerls waren doch hölliſch dicht hier dran, und Ruinen 
bezeichnen ihre zeitweiſe eroberten Orte. Sehr nette Tafelrunde. Ich 


494 Kriegsbriefe 1915 


bin gut untergebracht und freue mich, morgen bis Memel mit meinem 
Salonmwagen fahren zu können und erft von dort per Auto nach Kibau. 
Neun Stunden per Auto von hier wäre etwas viel gemwefen. Außer: 
dem kann ich im Salonwagen (Ertrazug) leſen und Pot abfertigen, 
bu wirft in den nächften Tagen Feine Briefe von mir befommen Eönnen, 
ich kann früheftens am 17. Auguft wieder fchreiben. Hier wird es 
ſchon etwas herbſtlich. Morgen früh holt mich Hindenburg um 
8 Uhr a.m. zum Spaziergang ab. Er fagte, wie ich auf die Kund- 
gebungen der Bevölkerung überall, in Dörfern, auf den Fluren ufm. 
binwies: „Ja, die Leute find rührend, aber ich würde gern darauf 
verzichten, wenn mein Baiferlicher Herr mich weniger diftanzierte,’ 
Abendeſſen fehr nett, mit Ludendorff noch mehr geſprochen. 


Im Ertrazug Lögen—Memel, 14. VIIL 

Es war doch eine Herzenserquikung in Löben mit diefen Leuten 
(eine Gejellfchaft von Brüdern, wie Hindenburg fagte) einen vollen 
Tag zufammen zu fein Heute morgen von 8—9,30 Uhr machte 
ich einen herrlichen Spaziergang mit Hindenburg. Das Seengebiet mit 
feinen fchönen Wäldern, feinem melligen, fruchtbaren Boden, den Seen, 
die in der Abendfonne wie Dpal glänzten, und am Morgen mie 
Silderfluten, zeigte fich wirklich in entzückender Schönheit, die Luft 
bon einer herben Kraft und jeßt noch nicht kalt. Hindenburg teilte 
vollftändig meine Auffafjung der Verhältniffe. Er Hatte den Kaifer 
in Pofen befchtworen, die Sache anders zu machen. Der war aber 
von Falkenhayn aufs genauejte vorher inftruiert und fagte ihm, er 
(Hindenburg) irre fich uſw. Jetzt haben wir große Verluſte und 
keineswegs Vernichtung erzielt, wie es durchaus wahrfcheinlich war, 
und treiben langſam und ficher zum Stellungskrieg. Nach den erſten 
und ausreichenden Erfolgen unten mußten wir unfern Bahnvorteil 
benußen und unfere Armeen in Maffe auf den äußerſten linken Flügel 
werfen, da der rechte wegen der Diftanzen und fchlechten Bahnen uſw. 
dazu nicht brauchbar war. Er hält dies jet noch für richtig, wenn- 
gleich die ganz großen Erfolge nicht mehr möglich, und hat noch) 
geftern oder vorgeftern eine energifche Depefche an Falkenhayn ge: 
ſchickt in dieſem Sinn, um ganz loyal zu fein, an Falkenhayn und 
nicht an den Kaiſer. Er hofft, daß Falkenhayn jest vielleicht doch 
ben Gedanken aufgreift. Iſt das Ganze nicht furchibar? Hier hat 





Kriegsbriefe 1915 405 


man bie Leute und Führung, die alles in Ordnung bringen würden 
und zum höchiten Ruhm vom Kaifer felbft die überwältigenden Siege 
herbeiführen würden, und man fchiebt fie abfichtlich beifeite. Sch bin 
in Lötzen mit überswältigender Freundlichkeit aufgenommen. Hinden: 
burg hielt eine mich bejchämende Nede auf mich, die ich fofort be: 
antwortet habe. Sch fchloß, vom Oſten wäre in ſchwerſter Zeit Preußen 
einft die Sonne aufgegangen, ich hoffte, daß dasfelbe in diefer für 
Deutfchland-Preußen ernfien Zeit fich wiederholte. Sch habe hier Fein 
Hehl daraus gemacht, daß man die Flotte Fünftlich zurückgehalten 
hätte. Sch habe mit Hindenburg auch rückhaltlos meine Lage be: 
Iprochen. Er billigte mein Verhalten; ich könnte nicht vor den Kaifer 
treten und ihm fagen: „Gib mir die Flotte.” Sch Fonnte Hindenburg 
nicht abhalten, mich um 10,45 Uhr auf den Bahnhof zu bringen. 
Ludendorff erklärte es ebenfalls für ausfichtslos, die Situation zu 
ändern. Übrigens wird Hindenburg von fich aus an Bethmann fchrer 
ben und ihn energifch für die Türkei und die Uboote interefjieren. 
Sch ſchicke dir feine Stichworte, die Ludendorff mir auf dem Bahn 
bof noch gab. 

Um 4 Uhr p. m. find wir in Memel, dann per Auto drei Stunden 
nach Libau. Die NRuffen haben Hier doch entfeßlich gehauſt, nament: 
lich viele Mädchen gefchändet, die nun verzweifelt herumlaufen und 
von denen fich viele ertränft haben follen. 

Die Demarche von Helfferih ift in Berlin fchon befannt und 
wird von Weſtarp und Baljermann für fehr gefährlich gehalten. 


Danzig, 18. VI. 


Heute Fam die Nachricht von der Luftbefchiefung von London und 
der Vernichtung eines Bleinen Kreuzers und eines Deftroyers in ber 
Nordfee. Auch die Vernichtung eines großen Transporter im Agäi— 
fchen Meer durch ein Pleines Uboot iſt nicht übel. Das ift um fo 
erfreuficher, als ich Fein rechtes Ziel fehe für unfere Operation im 
Rigaiſchen Deerbufen und die Gefahr durch rufjifche Minen und Uboote 
doch fehr groß ift. Einſatz entfpricht jedenfalls nicht dem möglichen 
Erfolg. Sch habe dem Oberkommando der DOftfee vergeblich abgeraten. 
Libau mar recht intereffant. Man hat dort ein Wilhelmshaven ges 
Ichaffen, und als es fertig war, hat man gefunden, daß Reval doch 


496 Kriegsbriefe 1915 


geeigneter wäre für diefen Zweck, ein echt ruffifches Kunſtſtück! Der 
Drt zählt etwa 70—80000 Einwohner und ift Seebad für Kurland. 
Für uns, d. h. für die Marine, hätte Libau EFeinen großen Wert. 
Die Frage Kurland wurde lebhaft erörtert, und unfere dortigen Armee: 
herren waren fehr für Behalten; es wird auch ſchwer fein, es zu 
verlaffen. Von einer Neigung, preußifch zu werden, ift in der Be— 
völferung ficher nicht die Rede. Vielleicht machen einige baltifche 
Barone eine Ausnahme, die fonft fürchten, nach der Wiederbefegung 
durch die Ruffen gehängt zu werden. Andererfeits würden aber auch) 
Feine großen Schtoierigfeiten entftehen, wenn Kurland zunächft auf 
20 Sahre ‚Kolonie würde. Die Einnahme von Kowno und das 
fonftige Vordringen unferer Armee find an fich gewiß fehr erfreulich, 
aber irgendwie entfcheidend find fie nicht. Wir haben noch abjolut 
keine Sicherheit bezüglich der Balkanſtaaten, und die Türkei bleibt 
bie große Gefahr. 


Danzig, 19. VII. 

Geftern abend bei der SKronprinzeffin, fehr Tiebenswürdig emp— 
fangen. Die kleinen Prinzen ftanden Fallrepp und dahinter die Mutter, 
die außerordentlich wohl und hübſch ausfah. Das Haus (Gefchent 
ber klugen Stadt Zoppot) Tiegt entzückend und ift innen ein Schmud: 
Fäftchen. Das Hauptzimmer, Parterre, ganz weiß mit etwas Gold, 
führt fofort auf die Xerraffe, von der man über Gefträuch ufm. 
die ganze Bucht fieht. Eine halbe Stunde Unterhaltung allein. Sch 
habe fehr offen gefprochen und befonders für Hindenburg plädiert. 
Kapitän Mann erzählte mir, Prinz Joachim hätte einen fehr dring- 
fichen Brief an die Kronprinzeffin gefchrieben — jedenfalls behufs 
Meitergabe an ihren Mann —, fie möchte doch alles tun, um Hinden⸗ 
burg zu unterftügen, der ganz untergebuttert würde; fie hätte dann 
hinzugefügt: just the same with our old navy man. Mir erzählte die 
Kronprinzeffin, Falkenhayn hätte außerordentlich gewonnen durch feine 
Erfolge im Often. Sch fagte, es wären nicht die Erfolge von Falken: 
bayn, fondern die der Feldgrauen. Meines Erachtens hat Hindenburg 
unzweifelhaft recht gehabt. Hindenburg, Ludendorff und Hoffmann 
bilden eine hervorragende Gruppe, die die Gefchielichkeit der Ruſſen 
im Ausbüchfen aus dem ff. kannte. Unfere Lage ift fo, daß mir 
mehr brauchen als bloßen Frontalfieg mit erheblichen Verluften. Die 





BIS EL en FOR : 
Nregdriefe 1913 497 


Sache wäre ſchon mindeftens vor drei Wochen erledigt geweſen. Diefe 
drei Wochen Eönnen aber für die Gejellfchaft Griechenland, Nu: 
mänien uſw. entfcheidend fein; hoffentlich geht es doch noch gut, 


ift aber ſehr gefährlich, 


Zwischen Küftein und Berlin, 19. VIEL 

Troß des flarfen Schüttelns möchte ich verfuchen, dir ein paar 
Morte zu jchreiben, ehe Berlin mich mit feinen Krallen umfängt. 
Die Rede des Reichskanzlers habe ich nur im Telegrammauszuge ge: 
fefen. Sie wurde mit großem Bravo begrüßt. Das, was er über 
die Freiheit der Meere fagte, ift meines Erachtens Wind; über diefe 
Art von Freiheit wird er fich mit England verfbändigen Fönnen, Das 
wichtigfte in feiner Kede war die Behandlung der Polenfrage. Wir 
haben zweifellos Friedensanerhietungen den Ruſſen gemacht; alle aus: 
märtigen Blätter find voll davon. Dabet ift wohl die Androhung eines 
von Rußland befreiten Polens als Druckmittel benußt worden. Nach 
der Rede Bethmanns hat Rußland mit „Nein geantwortet, was vom 
Ausland beftätigt wird, Wir ſitzen im Oſten jetzt feft, und Eng: 
land wird ſehr zufrieden fein, Ich beadfichtige einige Tage in Berlin 
zu bleiben, um mich zu orientieren, dann nach Pleß zum Vortrag 
zu fahren und bald nach Berlin zurückzukehren. Da Capelle ernſt— 
fich Frank ift, werde ich fpäter doch in Berlin bleiben müfjen, da das 
Amt fonft gar nicht funktioniert. 

Ich babe U. ganz richtig verftanden betr. feiner Benutzung der 
Londoner Deklaration. Sch fürchte aber für den Friedensfchluß, dann 
wird fie ale Freiheit der Meere auspofaunt, gibt England alies und 
und praktiſch nichts. 


Berlin, 22. VII. 

„Der Erfolg Bethmanns und Helfferichs machen meine perſön⸗ 
fiche Lage recht jchwierig. Sch fürchte, der Arabic-Fall wird weiteren 
Anlaß zum Sturm gegen die Uboote geben. Wenn eine weitere Ein: 
fchränkung erfolgt, jo ift dag für mich ein fehr unglüdlicher Moment, 
auf meinem Ausfteigen zu beftehen. Sch habe höchfteng die Kon: 
fervativen Hinter mir. Man wird auch fagen, jest ift in erfter Linie 
Hilfe für die Türkei nötig und das andere könne warten. Militärijch 


iſt das nicht unrichtig. Die Schwierigkeit Tiegt nur darin, ben un⸗ 
Thrpitz, Erinnerungen 32 


498 Kriegsbriefe 1915 


befchränkten Ubootskrieg gegen England wieder aufzunehmen, wenn 
er einmal vertagt und unterbrochen wird. Sch gehe aber troßdem in 
den Augen des Volks als Prinzipienbod, Dazu Eommt, daß, wenn 
der Krieg meiter geht — und nach allen Nachrichten aus England 
wird er es tun —, man doch vielleicht im Winter darauf wird zurück 
Fommen müſſen. Sch habe jeßt die Rede Bethmanns gelefen, die 
großen Eindruck gemacht hat wegen ber Kriegsziele und darum feine 
Stellung fo gehoben hat. Seder lieſt natürlich das heraus, was ihm 
paßt, aber immerhin hat er fich doch weiter gebunden, Vor der Rede 
lagen die Verhältniffe anders. 

Sch wurde unterbrochen durch Schulze ), der acht Tage Urlaub 
bat. Es Tag mir viel daran, ihn zu fprechen, auch wegen des Uboote- 
Frieges in Flandern. Er überfah fofort meine außerordentlich ſchwierige 
Pofition, war aber feinerjeits troßdem der Anficht, weder ich noch 
der Kaifer Fönnte jegt einen Eklat machen. Sch bin deffen nicht fo 
ficher, der Kanzler hat eine gute Gelegenheit, mir dag Genick oder 
das Nücgrat zu brechen. Mit unferer Riga-Erpedition bin ich ‚gar 
nicht zufrieden; troß telegraphifchen Abratens von mir ift es gefchehen, 
und wir haben ung tatfächlich blamiert und fehmerzliche Verlufte für 
nichts erlitten. 


Berlin, 24. VII. 


Du wirft zu kurz Eommen in diefen Tagen, denn ich werde von 
Beſuchen und Krimsframs erftidt. Dazu haben fich noch viele Leute 
gefunden, die mir fcheiftlich gratulieren für eine „Merite“, die ich 
nicht anerfenne. Sch babe noch nichts gehört, wie fich der Arabic 
Hall geftaltet. Soeben verläßt mich der brave Barnabe?), der mid) 
wegen Torpedierung ziveier fpanifcher Schiffe interpellierte. Wir wiffen 
natürlich nichts, denn wenn es unfere Uboote gewefen find, fo müffen 
fie erft zurüc fein, ehe wir etwas Sicheres erfahren Fönnen. In⸗ 
zwiſchen arbeitet dann die engliſche Preſſe. Außerdem können ſich 
die Engländer alles erlauben und wir nichts. Du haſt ganz recht mit 
der langen Rede von Bethmann. Wenn man hinter die Kuliſſen ge— 
ſehen hat, ſo beurteilt man die Sentimentspolitik, die wir getrieben 
haben, anders. Aber das deutſche Volk iſt immer noch ſentimental, 


Korvettenkapitän E. E. Schulze, Erſter Admiralſtabsoffizier des Marineforps, 
) Spaniſcher Botſchafter. 


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Kriegsbriefe 1915 499 


und darum machte die Rede Eindruc, Unſere Diplomaten waren gewiß 
miſerabel, aber eine Entfchuldigung haben fie für ſich. Es war ihnen 
nie ein „Ziel gefteckt, und wenn es gejchah, wie z. B. die Ver: 
brüderung mit England, fo war es ein falfches, weil e8 eben unerreich 
bar war und noch ift. Dabei fürchte ich, daß diefer Gedanke noch 
gar nicht tot if. Die Schaffung eines felbftändigen Polen uſw. 
wird uns auf 100 Jahre mit Rußland verfeinden, und daraus Fann 
fehr leicht ein Vafallentum unter England entftehen. Wir find auch 
In Belgien fentimental. Anſtatt Flamen gegen Wallonen auszufpielen, 
betreuen wir dag Land und ſtärken ein belgifches Ntationalgefühl, welches 
eigentlich gar nicht vorhanden ift. Bezüglich der Handelsbeziehungen 
nach Sapan und überhaupt der Verfühnung mit den Japs habe ich 
fchon verfchiedenes getan. Es führt aber zu meit, mich hierüber jebt 
auszulaſſen. Bei meiner Stellung zur Wilhelmftraße, die fortwährend 
gegen mich wühlt, ungeachtet meiner bisherigen Zurückhaltung, Fann 
ich wenig tum, Die Leute betrachten jedwede Anregung als Eingriff 
in ihre Prärogative, 

Sn der Wilhelmftraße iſt man ganz kopflos, wie ein befannter 
amerikanischer Reporter fagt. Heute abend große Konferenz zmwifchen 
Jagow und Gerard, Letzterer weiß natürlich, daß er durch Bluff 
faft alles durchſetzen kann. Wir haben fo viel zurüdgezoppt, daß 
wir weiter rutfchen werden. Sch war heute bei Löbell, um mich im 
allgemeinen zu informieren. Der war auch keineswegs entzückt über 
die lange Rede; er faßte fie fo auf, daß die fachliche Spitze lediglich 
gegen Rußland ginge und der Kanzler England gegenüber fagte: „Du 
bift mir zwar untreu geworden und bift ſehr häßlich geweſen, abeı 
troßdem bin ich bereit, Dich von neuem an meinen Bufen zu nehmen, 
oder mit andern Worten, „überlaffe mir Rußland und ich überlaffe 
dir Belgien‘. 

Die Affäre in Kiga ift ein Schulbeifpiel für unfer Durcheinander 
in der Marine. Wir haben einen Luftftoß gemacht, und die Rufen 
Ichlachten es als großen Seefieg aus. Ich hatte von Libau aus dringend 
abgeraten. 


Berlin, 25. VIII. 
Du haft ja ganz recht mit dem Gedanken, nicht die Verhältniffe 


zu zwingen, fondern fich ihnen anzupafien und das Beſte daraus zu 
32* 


540 Kriegsbriefe 1915 


machen. Sch habe das ja auch diefe langen Jahre ziemlich fertig ge> 
bracht. Jetzt liegt die Sache doch aber anders. Die abjolute Herrſchaft 
bat eben Bethmann und feine Leute, dazu Falkenhayn. Denen bin ich 
ein Dorn im Auge, und fie laſſen mich überhaupt nicht heran. Da- 
gegen bin ich völlig machtlos. Die eigentliche Urfache liegt, abgeſehen 
von der Vergangenheit, in dem Umftand, daß ich nach wie vor an 
eine wirkliche Verftändigung mit England nicht glaube und das Prinzip 
des Nachlaufens früher und auch jest für unzweckmäßig halte. Dazu 
fommen dann im akuten Fall die Schwierigkeiten, die jeder See: 
Erieg mit den Neutralen verurfacht. Sch fehe auch die Sachlage gar 
nicht bloß unter dem Gefichtspunft an: wie kann ich da herauskommen. 
Aber daß man mich planmäßig lahmgelegt hat, darüber kann Fein Zmeifel 
fein. Mit der Rede Bethmanns Haft du ganz recht, echt deutjch und 
darum erfolgreich! Der Gefchichtsfchreiber nach 50 Jahren wird anders 
urteilen, Mit dem Nachtzuge fahre ich ab nach Emanuelsfegen. Ich 
verlaffe das Amt und Berlin recht ungern wegen der augenbliclichen 
Situation, aber es geht nicht anders. Für mich iſt die Krankheit 
von Capelle doch ein großer Ausfall, 


Emanuelsjegen, 26. VI. 

Es war, wie ich vorausgefehen hatte, ein planmäßig angelegter 
Überfalf des Kanzlers auf die Uboote, Er hatte, obwohl ich mit ihm 
in Berlin zufammen war, Fein Wort verlauten lafjen. Im Gegenteil 
hatte Jagow in der Budgetkommiſſion erklärt, am Ubootskrieg würde 
nicht gerührt. Geftern abend erhielt ich in Berlin Befehl, „am näch— 
ſten Mittag 12 Uhr Vortrag”. Der Kanzler fuhr im gleichen Zuge; 
in Kattowitz erwartete mich Bachmann mit der Nachricht, wir follten 
fofort Fommen. Sch fuhr aber zumächft hierher, um mein befjeres 
Jackett anzuziehen. Bethmann, Treutler, ich und Bachmann. Erfterer . 
riefengtoß; aber er wolle jeßt ruhig fchlafen und nicht immer auf einem 
Pulverfoß ſitzen. Er wolle jest Wilfon fagen laſſen, die Uboote hätten 
Befehl, Schiffen mit amerifanifcher Befegung nichts zu tun, Wir 
wurden nicht einig, da er ganz unnahbar, danach Vortrag. Falken: 
hayn war bearbeitet, Admiral v. Müller dito, die übrigen Kollegen 
nickten immer Zuſtimmung. Aber dem Kaifer war die Sache un: 
behaglich, Er überfah die Tragweite der Entfcheidung und flimmte 
ung leife zu, daß man doch erft abwarten müffe, wie ber Tette Fall 





s Ariegedriefe 1915 591 


ſich zugetragen hätte uſw. Falkenhayn hatte erft ſehr energisch Beth: 
mann zugeftimmt; als er fah, daß der Kaifer nicht recht heranmollte, 
fieuerte er in bie Politik des Abmwartens um, Müller auch etwas. So 
wurde Feine Entjcheidung gefällt. Bethmann wütend, fagte nach Tifch zu 
Bachmann, dafür übernehme er nicht die Verantwortung, er ginge nicht 
früher aus Pleß, bis eine Entjcheidung in feinem Sinne erfolgt fei uſw. 
Er fagte, auch im Auslande glaubte man, er Fönne gegen uns nicht an, 
das ginge nicht ufw. Eitelkeit und Empfindlichkeit fpielen dabei eine 
geoße Rolle. Er arbeitet num eine Denkfchrift aus, und der Kaifer wird 
jich unter dem Druck der gefamten Kamarilla ſtrecken, das ift Feine 
Frage. Wir wollen nun Müller bitten, morgen herzufommen, um über 
die Möglichkeit eines Kompromiffes zu verhandeln. Bethmann mill 
im mejentlichen das mitteilen, mas bereits befohlen iſt): (Mehr 
ſoll vorläufig nicht befohlen werden.) Es ift aber immerhin ein Unter: 
fchied zwifchen einem Geheimbefehl, der die Engländer doch im Zweifel 
läßt, was wir tun, und der Veröffentlichung. Aisdann foll der ganz 
große Fall Lufitania einem Schiedsgericht unterbreitet werden und die 
Freiheit der Meere in Geftalt der befannten Deklaration angeboten 
werden. Damit hat diefer Paſſus in der Rede Bethmanns die Defini- 
tion: England behält alles und wir ein Nichte, Er geht zmeifellos 
darauf aus, Belgien preiszugeben und Rußland zu zertrümmern unter - 
Errichtung eines autonomen Polens. Friedrich der Große und Bismard 
werden fich bereits im Grabe umgedreht haben, und an die Wirkung 
der Stimme des Schüßengrabeng vor der Entfcheidung in dieſem Sinne 
giaube ich nicht, Sie wird erft einfegen, wenn es zu fpät iſt. War 
ich nun tum werde, weiß ich nicht, ih muß erft die Entwicklung 
biefer Sache abwarten. 


Emanuelsſegen, 27. VIIL 

Geftern hatte der Kaiſer entfchieden, daß die Inſtruktion für 
Bernfiorff zwifchen dem Kanzler und ung verabredet und bejprochen 
werden follte. Inzwiſchen bat heute morgen, ohne und zu rufen, 
Bethmann den Kaifer herumbekommen. Müller und Treutler kamen 
heute nachmittag zu ung. Erfterer wich aus, machte liebenswürdige 
Redensarten, Der Kollege teilte mit, daß die Sache bereits entſchieden 


— 


N) Siehe oben ©. 357. 


502 Kriegsbrlefe 1915 R 


ſei. Sch glaube nicht, daß ich das einſtecken kann, und fahre morgen 
abend nach Berlin. Sch Fenne leider die Inſtruktion nicht, will fie 
aber vom Kanzler einfordern und danach handeln. Sch glaube, die 
Sache geht mit mir zu Ende. Morgen muß ich noch einen angefagten 
Vortrag halten über Libau. Denfelben abfagen, ohne gleichzeitig 
meinen Abfchied einzureichen, kann ich nicht. Deshalb fahre ich noch 
nach Pleß. Müller verfucht einige Kompromiſſe. 


Mit dem definitiven Verlaffen des Hauptquartiers fand diefe Kriegs: 
Eorrefpondenz ihr Ende. 





IM. Bemerkungen zu unferer Schiffsbaupolitif 


1 


Die fachmännifche Unterlage des öffentlich gegen die Marine ge 
führten Verleumdungsfeldzuges mußten einige Zeitunggfchreiber bes 
Ichaffen, die auf Grund früheren Dienftes in der Faiferlichen Marine 
fi; von dem Eingeftändnig entbunden fühlten, daß fie weder mit einem 
modernen Schlachtfchiff noch mit einem Uboot je dienftlich zu tun ges 
Habt heben, Das einhellige Urteil der urteilsfähigen Seeoffiziere blieb 
im Hintergrund, weil die Marine nicht getvohnt war, in Zeitungen zu 
kämpfen. Neben den öffentlichen Verdächtigungen ging ein in feiner 
Art viel gefährlicheres Raunen „eingeweihter“ politifcher Kreiſe. 

Zu den Maßnahmen, die mit einer gewiffen Planmäßigfeit, jeden: 
fells in großem Umfange von Sntereffenten, um meine Stellung vor 
ber Nation, in der Marine und bei dem Kaiſer zu erfchüttern, gehören 
die Ausftreuungen, die über die unzureichende Konftruftion unferer 
Schiffe und Waffen in Umlauf gefegt wurden. Durch alle möglichen 
Kanäle wurde verbreitet, daß unfere Schiffe verkonftruiert, daß fie 
namentlich unterarmiert und nicht für das Feuern auf weite Diftanzen 
eingerichtet feien. Die Schlacht vom Skagerrak hat zwar den Begen- 
beiveis geliefert und Admiral Scheer veranlaßt, dem Kaifer den großen 
Anteil, den die Vorzüglichkeit des Materials an dem Erfolg der Schlacht 
gehabt hatte, zu melden. Der Kaifer ſah fich unter der Stimmung des 
Offizierkorps veranlaßt, in einer Depefche aus Wilhelmshaven biefes 
Verdienſt um die Marine noch nach meiner Verabfchledung mir gegen: 
über zum Ausdrucd zu bringen. Da aber mit derartigen Behauptungen 
auch jest noch Stimmung gemacht wird, und es Intereſſenten gibt, 
welche die gefchichtliche Verantwortung der ungenügenden Ausnutzung 
unferer tatfächlich vorhandenen Seemacht von fich abfehieben und den 
Fehlern zufchieben möchten, die während meiner Amtszeit gemacht fein 
follen, gehe ich auf einige diefer mir zw Ohren gefommenen Bor 
würfe ein, 


504 Vaupoliti⸗ 


Zunächſt iſt der Eigenart unſeres Volkes zu gedenken, das fremde 
Erzeugniſſe leicht höher einſchätzt als die eigenen, Won dieſer Eigen- 
art iſt auch unſere Marine, namentlich der engliſchen gegenüber, nicht 
frei geweſen. Man war geneigt, die Renommierangaben engliſcher 
Firmen als bare Münze anzunehmen und neue techniſche Fortſchritte 
auch für ältere Schiffe ſchon als vorhanden zu betrachten. Auch wenn 
es uns gelang, engliſches Material zum Vergleich heranzuziehen und 
den praktiſchen Gegenbeweis zu liefern, war es doch häufig ſchwer, in 
dieſer Hinſicht die Front zu überzeugen, ſobald eine vorgefaßte Meinung 
einmal beſtand oder eine äußerliche Überlegenheit, z. B. im Kaliber, 
vorhanden war. Sp Eonnten wir z. B. wilfenfchaftlich und technifch 
den unumftößlichen Beweis liefern, daß unfer Geſchütz-, Gefchoß- und 
Panzermaterial dem englifchen überlegen fei. Es wurde darüber oft 
mit dem Schlagwort, das wären Schiefplaßrefultate, hinweagegangen, 
ohne zu bedenken, daß nur auf ſolchem Wege einwandfreie Vergleiche 
überhaupt möglich wären. Charafteriftifch ift der in einer Denkfchrift 
Admiral v. Ingenohls getane Ausspruch, er hätte erft durch die Kriegs: 
erfahrung fich die Überzeugung fehaffen können von der ganz aufer- 
ordentlichen Wirkung der bei ung eingeführten Panzerfprenggranaten 
und ihrer gewaltigen Überlegenheit den entfprechenden englifchen Gra— 
naten gegenüber, Auf die Konftruftion diefer VPanzerfprenggranaten 
hatten wir aber befonders große Mühe und Arbeit gewandt. 

Außer der Eigenart diejer vielfach bei ung vorhandenen Denkungs⸗ 
weiſe muß beachtet werden, daß eine richtige Beurteilung der gefchaffenen 
Seemacht nicht einzelne Lücken herausgreifen darf, fondern dag Ge 
Ichaffene ald Ganzes betrachten muß. Lücken mußten - felbftverftänd- 
lich in unferer Seerüftung vorhanden fein, denn um eine Seemacht 
zu Schaffen, bedurfte e8 der Arbeit einer ganzen Generation, und dieſe 
Zeit ift ung vom Schickſal nicht gegeben worden. 

Herner muß berückfichtigt werden, daß unfere Marine, gemeffen 
an den fremden großen Marinen, fich flets in einer Geldbedrängnig 
befand, die namentlich in den letzten 5 Jahren vor dem Kriege durch 
die Stellungnahme bes Neichskanzlers die Flottenentwicklung im höchften 
Örade hemmend beeinflußte. Bei den Etatsaufftellungen diefer Zeit 
wurde ung jedes Jahr, veranlaßt durch den Neichskanzler, vom Reichs⸗ 
ſchatzſekretär in energifchfter Weife mitgeteilt, daß wir nur mit gez 
ringen Mitteln rechnen dürften, und deshalb wurden, um zu Etats: 











Baugsiint 503 


jummen zu Eommen, über welche überhaupt mit dem Schakamt ver 
handelt werden Tonnte, alle von den verjchiedenen Marineteilen ein- 
laufenden Forderungen bei ben Vorarbeiten zum Etat aufs äußerfte 
befchnitten. Die Marineverwaltung trat fomit bereit3 mit Minimal 
forderungen an das Schabamt heran. Anftatt aber eine Anerkennung 
für unfer Verhalten zu ernten, zivang ung das Schatzamt noch jedes: 
mal ſehr erhebliche Verkürzungen des von uns ale Mindeſtmaß Ee- 
zeichneten Etats auf. 

Es handelte fich bei den Berhandlungen mit dem Schatzamt in 
ben leßten Jahren vor dem Kriege nicht um Summen, bie finanziell 
für das Reich wirklich ing Gewicht fielen. 10 Prozent der Militär: 
vorlage von 1913 würden ftarf fühlbare Bedürfniffe ver Marine zu 
befriedigen imftande geweſen fein. Sch nenne als Beifpiel eine gewiſſe 
Beichleunigung der Bauten bemwilligter Fahrzeuge, die Befchaffung von 
Heizölvorräten, Verbefferung der artilleriftifchen Kommandoeinrichtungen 
der Schiffe, fchnellere Verwertung technifcher Errungenfchaften und 
ähnliches. Bei der tatfächlichen Gelöfnappheit, mit der die Marine- 
verwaltung rechnen mußte, und der durch Schakamt und Reichstag 
ſtark genährten Sorge vor Etatsüberfchreitungen wird man verftehen 
können, mit welcher Zurückhaltung über die erreichbaren Mittel die: 
poniert werden mußte, und wie wir ftet3 gezwungen waren, die tun= 
lichft Eleinen Übel in den Kauf zu nehmen, die deshalb doch eben Übel 
blieben. Die verfchiedenen Marineteile, welche die verfaffungsmäßigen 
Grundlagen für die Weiterentwicklung der Marine nicht überfehen 
Eonnten, fchoben die Schuld ftets dem Staatsſelretär des Neichsmarine- 
amts zu, wenn ihre Forderungen nicht bewilligt wurden, in dem Ge: 
banken, daß gerade ihre fpezielle Forderung die unerläßlichfte wäre und 
der Staatsſekretär fich dafür hätte einfehen müfjen. Wir ftanden 
während des Flottenbaus in der Etatshöhe unter den Großmächten 
bis 1905 an fünfter Stelle, 1906 (nach dem Ausfall der ruffifchen 
Flotte) an vierter, von 1907 (bei Frankreichs Zurückbleiben) bis 1912 
an dritter, 1913 (nach dem Wiedererſtarken des rujfifchen Flotten- 
baus) wieder an vierter Stelle. So wenig haben wir im „Wettrüften‘ 
angeführt. Wenn wir auch durch Sparfamkeit und Fleiß die zweit— 
ftärkfte Flotte fchufen, fo blieben doch viele Wiünfche unerfüllt. 

Sch komme nun auf die Vorwürfe bezüglich unferes Materials 
im einzelnen. 


596 Baupaitiil 


Beim internationalen Wetilauf im Bau ber großen Schiffe 
glaubte ich aus politifchen und finanziellen Gründen nicht als ber 
Schrittmacher erfcheinen zu dürfen. In großen Änderungen, z.B. bem 
Übergang zum Dreadnoughtbau und gelegentlich auch der Steigerung 
im Kaliber, find wir den Engländern meift erjt ein Jahr fpäter gefolgt; 
troßdem bin ich der Überzeugung, daß, wenn man die technifchen 
Perioden ald Ganzes zufammenfaßt, unfer neueres Schiffsmaterial 
dem der Engländer überlegen war. 

Es kommen für große Underungen noch andere Faktoren in Bes 
tracht, die mitbeftimmend waren. So hatten wir 1906 nur eine Firma 
in Deutfehland, die obendrein mit englifchem Patent große Schiffg- 
mafchinen mit Zurbinendetrieb bauen konnte. Wir mußten ung daher 
zunächft befchränten, nur die großen Kreuzer hiermit zu verfehen, und 
behielten für das 1906 begonnene Linienfchiffsgefchwader die Kolben: 
mafchinen noch bei, deren Beibehaltung mit der von manchen Kritikern 
getadelten Zurmaufftellung der fchweren Gefchüge im Zufammenbang 
fteht. Anderfeits machte diefe Aufitellung ein Feuern nach beiden Seiten 
möglich, was gewiſſe taftifche Vorteile beim Überflügeltiwerden der 
eigenen Linie infolge zahlenmäßiger Überlegenheit des Gegners, bei 
einem Stoß gegen die feindliche Linie und bei dem Schiffsgemenge 
(mölse) in ſich ſchloß. Wir mußten beim Bau der einzelnen Gefchwader 
mit Rückſicht auf unfer Wehriyftem auch ſtärker auf Gleichartigkeit 
der einzelnen Schiffe untereinander fehen, um den Austaufc) der Manns 
schaften, die Auffüllung mit Neferviften nicht zu ſchwierig zu machen 
und den Austausch von Neferveteilen zu erleichtern. Dazu kommt ber 
taktiſche Vorteil hinzu, den eine folche Gleichartigkeit mit fich bringt. 

Mas die fehmwere Xetillerie andetrifft, fo blieb fie im Kaliber mit 
Ausnahme der neueften Schiffe hinter den englifchen zurüd, Das 
Eonnten wir und aber zugunften anderer Vorteile leiften, denn Die 
Durchſchlagskraft unferer ſchweren Geſchütze blieb völlig gleichwertig 
der Durchfchlagskraft der Gefchüge englifcher gleichaltriger Schiffe, und 
auf diefe Fam e8 in erfter Linie an. Daß unfere Gefchoffe nachher im 
Innern des feindlichen Schiffes mwirkten, dafür forgte ihre Art. Als 
wir erfuhren, daß die Engländer ihre Gefchükleiftungen wieder ver 
mehren wollten, und die Annahme wahrfcheinlich wurde, daß fie auch 
ihre, der unfrigen bisher unterlegene Panzerftärke vergrößern würden, 
beichloffen wir 1912/13, unter Übergehiing eines Zwiſchenkalibers fo- 





Baupelitif 507 


gleich auf ein fo hohes Kaliber zu gehen, daß für das vom Jahre 1913 
ab in Bau zu gebende Geſchwader wir unter allen Umftänden mit 
unferer Steigerung ausfommen Eonnten, und wählten dag 38-cme 
Kaliber. In der Tat gingen die Engländer gleichzeitig mit ung zu 
diefem Kaliber über. 

Die nachfolgende, auf amtlichem Material beruhende Tabelle, zeigt 
die erhebliche Unterlegenheit der englifchen Großkampfſchiffe in der 
artilleriſtiſchen Durchfchlagsleiftung. Es ift dabei zu bemerken, daß 
bie auf deutfcher Seite vorhandenen Vorteile, wie Größe der Panzer: 
platten, Qualität des Panzers und des Gefchoßmaterialg nicht berüc- 
fichtigt find, 

Es ließen fich dicke Bücher fchreiben, um im einzelnen nachzumeifen, 
wie wir den Vorteil unferer Kruppfchen Gefchüte über die dicken eng— 
liſchen Drahtkanonenrohre ausgenußt haben. Laien, bie fich für dieſe 
Fragen interefjieren, möchte ich nur infofeen einen Begriff geben, als 
die Gewichte, die wir bei einem etwas geringeren Kaliber ſparen Fonnten, 
jehr bedeutend waren, denn jede Vergrößerung übertrug fich fogleich 
auch auf die Turmkonſtruktionen mit ihrem fchweren Panzer und fraß 
Gewichte. Das wäre aber ein Fehler gemwefen, wenn — wie tatſäch— 
lich der Fall — eg für die Durchfchlagsleiftung unferer Geſchütze nicht 
nötig und nicht von mwefentlichem Nutzen war, Denn wir befamen diefe 
Gewichte nunmehr für andere Zwecke frei. Im Kapitel Flottenbau ift 
über die Sinkficherheit unferer Schiffe bereits gefprochen morden, wo 
der Gewichtsaufwand ing große ging. Ich will hier nur einige Vor—⸗ 
teile herausgreifen, die wir vor den englifchen Schiffen voraus hatten 
und welche unter anderem durch die rationelle Abmeffung unfrer ſchweren 
Kaliber möglich wurden. Wir hatten einige 100 t anzumenden für 
unfere Büchfenkartufchen gegenüber den Seidenzeugfartufchen ber Eng: 
länder; die Folge war, daß beim Inbrandgehen der Pulverlammern 
die englifchen Schiffe in die Luft gingen, wie die Schlachtkreuzer 
„Queen Mary”, „Sindefatigable”, „Invincible“, während auf „Seyd⸗ 
fig”, auf dem ebenfalls Feuer in die Pulverfammer gelangte, wohl 
Ausbrennung der betreffenden Pulverfammer und Menfchenverlufte ein- 
traten, aber Eeine Erplofionen. Einige hundert Tonnen legten wir zur 
Verſtärkung der Schiffshaut noch unterhalb des ſchweren Wafferlinien- 
panzers an, um gegen Xrtilferieuntertonffertreffer gemäß unferen Erz 
fahrungen bei Verfuchen gegen Schiffsziele beſſer geſchützt zu fein. 





Durhfchlagsleiftung der deutſchen und englifhen ſchweren Kanonen bei annähernd gleiche 


altrigen Schiffen. 
















































Deutfchland England Die deutihen Gefüge durch 
englischen 2 
; : : — 
Jahr Kaliber Kaliber Panzer ſchlagen den englifchen Panzer 
der Klaſſe der Klaſſe der mm i deutschen 
Stapel: ſchweren ſchweren Dreh⸗ bei 60° Auftreffwinkel auf w 
legung Artillerie Artillerie Gürtel) tutm Gürtel Drehturm 
| | = 
= 1901 Braunſchweig 23cm 8.K. L/40 | 225 Duncan 30,5 cm L/40 M.IX | 178 | 254 | 5400| 5300 | 2500| 3100 
Et 1906 Naſſau 28cm 8.K. L/45 | 290 280 | Dreadnought |30,5cm L/45M.X | 279 | 279 | 6100| 3700 6100 #10 
hr 
® 1908 Oſtfriesland |30,5cmS$.K.L/50| 300 300 | St. Vincent |30,5cm L/50M.XI| 254 | 279 110100) 6100| 8700| 6100 
| | 
1909 Kaiſer 350 | 300 Coloſſus 34,3cm L/45 |279|279| 8700| 3600| 8700| 6100 
1910 Kaiſer 350 | 300 | Drion (1910/11) | 30,5cm L/45 M. | 305 | 305 | 7300| 5200| 1306| 7800 
1911/12 König u 350 | 300 Iron Duke n 305 | 305 | 7300| 5200 | 7300 | 7800 
1908 Motte |28cmS,K.L/50 | 270 | 230 Indefatigable : 203 | 178 |10800| 4500 11100 6400 
1911 Derfflinger 30,5 cm S.K.L/50| 300 | 270 Tiger 34,3cm L/45 | 229 | 229 111700) 7800|11700| 9500 
1913 Baden | 38cm S.K. L/45 | 350 | 350 | Queen Elizabeth | 38,1cm L/45 343 | 356 | 9400 7800\ 87 7800 
! | | | ) 
22) 


Baupoutik 509 


Unſer vorderer Kommandoturm wog allein 400 Tonnen; er hatte die 
außerordentliche Panzerſtärke von 400 mm, und war fo breit, daß 
man auf beiden Seiten an den Schornfteinen vorbei direkt nach achtern 
ſehen konnte, was für die Gefechtsleitung aus dem Turm von großem 
Vorteil war. Die Türme, die einen befonderen Turm für die Artillerie 
leitung umfchloffen, hatten direkt fchachtartige Verbindung nach den 
unteren Räumen, befonders nac) ber Zentrallommandoftelle, die ſich 
mittfchiffs unter Waſſer befand und in einem Mittelgang endete, ber 
die elektrifchen Verbindungen in abfolut fchußficherer Lage enthielt; Unfere 
Einrichtungen für Nachtgefecht waren hoch entwicdelt, In der Nacht 
nach der Schlacht vom Skagerrak erwieſen fich die englifchen Vor: 
Eehrungen im Dergleich dazu geradezu jämmerlich, wie mir ein be— 
freundeter Offizier erzählt hat. Vollwertige ausgedehnte Mittelartillerie, 
hinter Panzer flehend und durch Traverſen geſchützt, hatten mir ent: 
gegen ber englifchen Flotte auf allen großen Schiffen. Die Schiffe: 
torpedoarmierung unferer großen Schiffe war beſonders ſtark. Co 
hatten unfere Linienfchiffe 6—7 Torpedorohre unter Waffer. Bei durch— 
gefchlagener Schlacht hätte diefe Stärke allein die Entfcheidung herbei- 
führen Eönnen. So könnte ich noch vieles anführen. Es handelt ſich 
bier um ein Gebiet, das nur mit einem großen gefchulten Gefchäfts- 
apparat und unter Zuhilfenahme zahlreicher Spezialiften überfehen und 
bearbeitet werden kann. Die angeführten Beifpiele reichen aber wohl 
für den Zweck aus. Sie zeigen auch genügend, mit welchen Verſtänd— 
nig diejenigen gewerbsmäßigen Marinefchriftfteftller, die in jeßiger Zeit 
fih einen Gewinn durch Schmähungen verfchaffen und ihre Unter 
lagen meift nur von mißvergnügten Subalternen haben, einem folchen 
Gebiet gegenüberstehen. 

Hinfichtlich der Fleinen Kreuzer ift der Vorwurf erhoben worden, 
daß diefelben zu leicht armiert geweſen feien. Hierbei ift zu berück— 
fichtigen, daß wir von diefer SchiffsElaffe nur jährlich zwei auf Stapel 
legen Eonnten — das Flottengefeß hatte urfprünglich drei Kreuzer vor— 
gefehen, der dritte Kreuzer wurde feinerzeit vom Reichstag abgelehnt —, 
während die Engländer, ihren transatlantifchen Bedürfniſſen ent 
ſprechend, das dreis oder vierfache an Zahl pro Jahr auf Stapel gelegt 
hatten. Diefer Umftand ermöglichte auch den Engländern, im Kriege 
ftets Pleine Kreuzer der modernften Urt unferen Kreuzern, bei denen 
auch ältere Jahrgänge verwendet merden mußten, entgegenzuftellen. 


510 Baupelitif 


Unfere Eleinen Kreuzer mußten ferner fowohl für Auslandsdienft wie 
auch für die heimifchen Gewäffer eingerichtet werden; wir legten ded= 
halb befonderen Wert auf eine hohe Gefchwindigkeit. Diejenigen eng- 
lifchen Eleinen Kreuzer, die mit 15:cm=Öefchügen armiert waren, waren 
unferen gleichaltrigen Heinen Kreuzern an Gefchwindigkeit unterlegen. 
Die ‚Karlsruhe‘ hat davon hervorragenden Gebrauch gemacht. Da 
ihre Aufgabe nicht dag Gefecht war, fo entzog fie fich mit leichter Mühe 
ihren Gegnern; fie war zu ihrer Zeit das fchnellfte Schiff auf dem 
Atlantik. Wenn man auf das Gefecht und den Verluft der „Emden“ 
exemplifizieren will, fo muß berücfichtigt werden, daß das englifche 
Schiff um vier Jahre jünger und um etwa 2000 t größer war als 
die „Enden, einen Vergleich alfo nicht geftattet. Die „Emden“ war 
bei ihrem letzten Gefecht infofern noch befonders im Nachteil, als ein 
erheblicher Teil der Geſchützmannſchaften unter dem Erften Offizier, 
Kapitänleutnant v. Mücke, und zwei anderen Offizieren behufs Zers 
ftörung der Funkenftation an Land detachiert und daher bei vem Ge: 
fecht nicht anmwefend waren. 

Solange nun die Schufdiftanzen der Torpedos geringere waren, 
aljo bis etwa 1910/11, und die Torpeboboote daher, um zum Schuß 
zu kommen, auf nähere Diftanzen heranfahren mußten, reichte das 
10:cm-Gefchüß ber Eleinen Kreuzer in feiner Wirkung nicht nur zur 
Befämpfung feindlicher Torpedoboote aus, ſondern war einem Geſchütz 
wie die 15 cm hierin infofern überlegen, als es in größerer Anzahl 
an Bord gegeben werden konnte und eine größere Feuergefchrwindigkeit 
als das größere Kaliber befaß. Was die Wirkung gegen feindliche 
Pleine Kreuzer anbetrifft, fo blieb fie allenfalls genügend bis zu dem 
Zeitpunkt, in welchem man dem Eleinen Kreuzer einen Seitenpanzer 
gab. Für die Verwendung der Eleinen Kreuzer im Auslande erfchien 
freilich fchon früher ein größeres Kaliber erwünſcht. Die Intereffen 
der heimatlichen Kriegführung, welche, jo wie unfere Verhältniffe Tagen, 
die ausfchlaggebenden bleiben mußten, ftanden nunmehr in einem größe: 
ren Gegenfaß zur Verwendung im Ausland. Sch habe daher bereits 
feit 1910 Vorentwürfe für Eleine Kreuzer mit ſchwererer Armierung 
durcharbeiten laffen. Im Jahre 1911 habe ich das Flottenfommando 
um Stellungnahme über diefe Frage aufgefordert und ihm Ertramunition 
bewilligt, um die Kaliberfrage an praftifchen Verfuchen zu ſtudieren. 
Der Erfolg war, daß ſowohl das Flottenfommando unter Admiral 





Baupolitik 511 


v. Holtzendorff wie der Befehlshaber der Aufklärungsſchiffe ſich für 
Beibehalten des 10:cm-Gefchüges als Einheitskaliber für die kleinen 
Kreuzer ausſprachen. Der Befehlshaber der Aufklärungsſchiffe betonte 
hierbei die dadurch ermöglichte größere Geſchützanzahl unter Beibehal- 
fung der geringeren Dimenfionen der Eleinen Kreuzer, was für ihre 
Eigenschaft als AntisTorpedobootsfchiffe als Vorteile anzufehen ſei. In 
ber Tat waren die Engländer wohl aus ähnlichen Gründen von den 
nur mit 15°cm-Gefchügen armierten Eleinen Kreuzern zurüdgegangen 
auf folche der Arethufasflaffe, welche mit 10 cm als Hauptarmierung 
und je einem 15cm an Bug und He armiert waren. Gegen eine 
Urmierung mit zwei Kalibern, die ich ebenfalls zur Erwägung geftellt 
hatte, hatten fich alle Sachverftändigen und Kommenbdoftellen aus: 
gefprochen. Trotz diefer Vorgänge und der damit verbimdenen finans 
zielfen und fonftigen Schwierigkeiten habe ich mich in den erfien Monaten 
des Jahres 1912 aus eigener Initiative enifchloffen, eine Kalibers 
änderung auf unferen Eleinen Kreuzern vorzunehmen, und da wir zur 
gleichen Zeit erfuhren, daß die größere Sorte der englifchen Eleinen 
Kreuzer einen Wafferlinienfchuß durch Seitenpanzer erhielt, waren wir 
meiner Anficht nach genötigt, als Mindeſtkaliber für die Fleinen Kreuzer 
gleich auf das 15:cm-Gefchüh zu gehen, da geringeren Kalibern ge 
nügend panzerbrechende Wirkung nicht gegeben werden konnte. Dei 
dem hierüber ftattfindenden Simmebdiatvortrag Anfang Mai 1912 ging 
der Kaifer entjprechend der Anficht des Flottenkommandos zunächft auf 
diefe Anderung nicht ein; er meinte, die Schiffe würden zu groß, und 
ein Geſchütz wie das 13 cm ber Armee genügte; ich möge dieſe Frage 
fludieren. Da eine Anderung des Kaliberd aber notwendig geworden 
wor und nach von mir eingezugenen Erfundigungen bad 13sem=lfenies 
geſchütz nicht ausreichte, jo gab ich noch) im Monat Mai den Auftrag, 
in die Konfteuftion eines Kleinen Kreuzers mit 15 cm einzutreten. 
Ende September 1912 genehmigte Seine Majeftät den inzwiſchen fertig: 
geftellten Entwurf für den Eleinen Kreuzertyp mit 15cm des Etate- 
jahres 1913. Einer diefer Kreuzer, „Wiesbaden“, fand in der Schlacht 
von Skagerrak ein ruhmvolles Ende. 

Betreffs unferer Torpebobsote wurde geflagt, daß biefelben nicht 
genügenden Heizvorrat hätten. Wir hatten hierbei mit der Schwierig: 
Feit zu Fämpfen, daß unfere Kohle nicht dasfelbe Leiftete wie die eng- 
liche Torpedobostsfohle, und wenn wir ung auch einen Eleinen Vorrat 


5i2 Baupolitik 


engliſcher Kohle für unſere Torpedoboote beſchafft hatten, ſo war es 
doch unmöglich, für einen längeren Krieg ausreichende Mengen eng— 
Tifcher Kohle auf Lager zu halten. Auch bezüglich der Verwendung von 
Heizöl als Brennmaterial, waren wir mit Rücficht auf die Schwierig. 
Feit der Befchaffung in großem Nachteil gegen England, das völlige 
Freiheit in diefer Hinficht befaß. Da wir nicht annähernd genug eigene 
Olquellen befaßen, jo waren wir gezwungen, Kriegsvorräte ung zu 
halten. Für die großen Schiffe war das zunächſt unmöglich. Ausgaben 
von hunderten von Millionen wären erforderlich geweſen; aber ſelbſt 
für Torpedoboote mußten mir ung zunächft eine Zurückhaltung auf 
erlegen. Im Jahre 1912 waren wir aber doch genötigt, zur reinen 
Olfeuerung bei Torpedobooten überzugehen, weil wir die erforderlichen 
Sahrtleiftungen mit Kohle nicht mehr erreichen Eonnten. Wir taten 
das mit dem Bewußtfein, daß wir mit dem Wegfall der Kohlenbunfer 
einen ganz erheblichen Teil der Sink- und Feuerficherheit der Torpedo— 
boote aufgaben. Die Engländer waren früher fchon zur reinen Olfeues 
rung übergegangen, waren aber in den legten Jahren gelegentlich auf 
die Kohle als Heizmaterial zurückgelommen, weil die Betriebskoſten 
mit Heizöl ihnen zu groß geworden waren. Man ſieht daraus, daß 
auch die Engländer, die in ganz anderer Lage fich befanden als wir, 
bis Furz vor dem Kriege in diefer Frage geſchwankt hatten. 

Einen anderen Meg, die Dampfftredde der Torpedoboote zu vers 
mehren, bot die Vergrößerung des Deplacements, aber gerade die Front 
(Flotte und Torpeboinfpeftion) drängte noch in den Jahren 1909 und 
1910 auf eine Verkleinerung der Boote, weil fie der Anficht war, daß 
größere Boote für die Verwendung in der Schlacht, namentlich beim 
Durchbrechen der Linien, zu fehwer zu handhaben feien. Auf dringen: 
des Verlangen habe ich im Jahre 1910 den Vorfchlag des Inſpekteurs 
des Torpedowefens nachgegeben, eine Serie von Torpedobooten mit ges 
ringerem Deplacement und dementfprechend geringerem Kohlenvorrat 
bauen zu laſſen, nachdem die Torpedoinfpektion, welcher die Konfteuk: 
tion und Bejchaffung der Xorpedoboote oblag, die DVerficherung ab- 
gegeben hatte, daß die Dampfftrecke diefer Boote mit Hilfe ftärferer 
Olverwendung fich nicht verringern würde, Diefe Zufage der Infpek- 
tion ift nicht in Erfüllung gegangen, und im Jahre 1912 find mir 
deshalb auf Boote größeren Typs wieder zurückgegangen. Eine mwejent- 
Tiche Vermehrung der Dampfſtrecke Fonnte für Torpedoboste nur er— 





Baupolitil 513 


reicht werden, wenn auch das Deplacement eine mwefentliche Erhöhung 
erfuhr. Bei unferen Flottenmanövern in der Oft und Nordfee war 
das Bedürfnis für folche Vermehrung der Dampfſtrecke wenig in die 
Erfcheinung getreten. Erſt die Zurückhaltung der englifchen Flotte wäh: 
rend des Krieges und die fich daraus ergebende Möglichkeit, an der 
englifchen Küfte fchlagen zu müffen, ließ das Bedürfnis einer weſent— 
lich erhöhten Dampfitrede ftarf in die Erfcheinung treten. Wir hatten 
nach Kriegsausbruch eine Anzahl für Argentinien in Deutfchland ges 
bauter Boote übernommen. Diefe Boote waren für den Atlantik be— 
ſtimmt und fehr viel arößer als die Boote unferes Typs; fie hatten 
etwa ein Deplacement von 1800—2000 t. Man fieht, ganz abgefchen 
von der finanziellen Frage, daB das ganze Torpedobootswefen damit 
auf eine andere Bafis geitellt wird; aus den Torpedobooten werden 
auf Koften der Anzahl gewiffermeßen Torpedoſchiffe, die ſelbſt— 
verjtändlich auch eine Vermehrung der Artillerie beanfpruchen. Su der 
Schlacht vor Sfagerraf waren ſowohl diefe großen, ehemals argen- 
tiniichen Boote als auch Boote unferes eigenen: Typs beteiligt. Wie 
mir berichtet wurde, haben fich für die Tagfchlacht die Boote unſeres 
Typs als geeigneter erwieſen. 

Typenfrage und taktifche Zufammenftellung waren für Eleine Kreuzer 
und Zorpedoboote 1912 in ein neues Stadium eingetreten. Bei der 
bisherigen Ausführung des Flottengefeßes hatten wir ung auf einen 
einzigen Kreuzertyp befchränft, der für Auslandsdienft und zugleich für 
die heimischen Gemwäffer dienen mußte, Wir waren hierzu genötigt, 
weil die geringe Zahl der Schiffe diefer Art, über die wir verfügten, 
einen Austaufch für beide Zwecke erforderlich machte. Als wir dann, 
wie vorher ausgeführt, zu einer erheblichen Vergrößerung der Eleinen 
Kreuzer übergehen mußten, verloren diefe dadurch weſentlich von ihrer 
Eigenfchaft als AntiTorpedomwaffe: fie wurden für diefen Zweck zu 
groß und zu Eoftbar, und die Geſchwindigkeit Eonnte nicht mehr als 
die Grundbedingung ihrer Konftruktion genommen werden. Um zivei 
verfchiedene Typen bauen zu Eönnen, hätten wir mehr als zwei Schiffe 
pro Jahr bauen, alfo eine Gefeßesänderung vornehmen müffen. Das 
verbot fich indefjen von 1912—1914 ſowohl durch die politifchen Ver— 
hältniſſe als namentlich durch die Beſchränkung in den Geldmitteln, 
welche ung aufgezmungen wurde. Der Weg, den wir daher in Erwägung 
genommen hatten, war eine gewiffe Rückkehr zu dem Prinzip, melches 

Tirpig, Erinnerungen 33 


514 Baupolitik 


wir in den erften vierzehn Jahren unferes Torpedoweſens hatten, als 
mir noch Eleine Torpedoboote bauten, nämlich jeder Torpedobootsflotille 
ein größeres für fie paffendes torpedobootsartiges Geleitfahrzeug mit— 
zugeben. Da die Torpedoboote und ihre Organifation — weil nicht 
auf hiflorifcher Typengrundlage beruhend — im Flottengefeß felbft 
richt feftgelegt waren, fo hätten wir diefen Weg ohne weiteres bes 
treten können, fobald die Mittel für die Marine reichlicher floffen. Eine 
Eleine, aber in Feiner Weife ing Gewicht fallende Lücke ift hierdurch in 
unferer Wehrmacht entftanden, die fich aber bei Vollendung des Flotten- 
gefees von felbft gefchloffen hätte. Dies um fo leichter, je deutlicher 
der Nuben unferes erweiterten Auslandgdienftes weiteren Kreifen fühl- 
bar geworden wäre, Die hier berührte Frage war vor dem Kriege im 
ganzen noch nicht reif und hätte für die heimische Kriegführung tak— 
tifcher Erprobung bedurft,. ehe wir in größerem Umfang ihre Löfung in 
die Hand nahmen, 


2 


Nun dürfte noch auf die namentlich von fortfchrittlicher Seite ers 
hobenen Vorwürfe, die Marineverwaltung hätte unter meiner Leitung 
die Entwiclung der Unterfeeboote nicht genügend gefördert und 
die Bedeutung derfelben nicht erfannt, infomweit einzugehen fein, als diefe 
Vorwürfe nicht fehon in der Sitzung des Hauptausfchuffes des Reichs— 
tages vom Frühjahr 1917 eine amtliche und von allen Parteien ans 
erkannte Widerlegung gefunden haben. 

Beim Ausbruch des Krieges ftanden wir bezüglich der Ubootswaffe 
an der Spike aller Marinen. 

Mas die technische Entwicklung des Ubootstyps und die Zahl hoch— 
entwickelter Uboote anlangt, fo war diefer Erfolg erzielt worden, weil 
mir, entjprechend unferen Erfahrungen bei der Entwicklung der Torpedos 
waffe auch bei den Ubooten fyftematifch vorgingen und weil wir von 
Anfang an grundfäglich ihre Fernverwendung als Ziel nahmen. Uboote, 
die nur für den Hafen und engere Küftenverteidigung dienen Fonnten, 
hatten für Deutfchland bei feinen bisherigen Küftenverhältniffen Feine 
wefentliche Bedeutung. 

Abgeſehen von einer großen Reihe von technifchen Unterfragen war 
es vornehmlich der Motor, von dem die Entwiclung des Ubootes für 
die Fernverwendung abhängig war. Se ftärfer und befjer der Motor, 





Baupolitit 515 


je mehr näherten wir ung der Fernverwendung und haben wir ung daher 
mit aller Kraft auf defjen Entwicklung geworfen, 

Zur Gewinnung eines geeigneten Ölmotors wurde nach dem Ab— 
fchluß der Erprobungen von „U1” im Beginn des Jahres 1908 eine 
Konkurrenz der leiftungsfähigften Motorfirmen auf den Bau eines 
850 pferdigen Motors ausgeschrieben. E3 wurden hierzu Verträge ges 
fchloffen mit M.-U.:G. Augsburg, M.U.-G. Nürnberg, Germaniawerft 
Kiel, Körting Hannover, Fiat Turin. Wir hatten mit dem Körtingfchen 
Motor bei U1 ſchon erhebliche Leiftung erzielt, und eg war anzunehmen, 
daß auch ſtärkere Mafchinen diefer Art betriebsfähig werden würden. 
Beichaffungen von Ubooten diefer Art in großem Maßftabe zu diefem 
Zeitpunkt zu machen, wäre aber ein Fehler gemwefen, denn einmal waren 
damals eine Reihe von anderen Ubootselementen noch nicht reif und 
bedurften notwendiger Weiterentwicklung, um unferen Zwecken zu ge: 
nügen. Auch Fannten wir nicht die Einwirkung erheblicher Bootgvergröße: 
rung auf die Taucheigenfchaften. Vor allem aber hätte der Körtingmotor 
felbft ung Eein für den Krieg voll brauchbares Uboot für Fernverwen⸗ 
dung verfchafft, weil die Sichtbarkeit der Boote durch Nauchentwicklung 
am Tage und Feuererfcheinung bei Nacht zu groß war. Trotzdem haben 
wir ung nicht abhalten Iaffen, um die Entwiclung aller übrigen Uboots— 
elemente nicht zum Stehen zu bringen, und in den nächiten Jahren im 
ganzen 17 Uboote mit Petroleummotor befchafft. Wie töricht der von 
demofratifcher Seite gemachte Vorwurf ift, wir hätten in diefen Jahren 
Maffenbeftellungen von Ubooten verfäumt und hätten ung dadurch einer 
großen Chance für den Weltkrieg begeben, erhellt, ohne auf die jonftigen 
Unmöglichkeiten eines folchen Vorgehens einzugehen, am beften aus der 
traurigen Tatfache, daß im Kriege unfere Petroleumboote in kurzer 
Zeit ein Opfer des Feindes wurden und mir die beiden letzten Boote 
diefer Art, welche übrig blieben, wegen ungenügender Kriegsbrauchbar- 
Feit aus der Frontverwendung zurüczogen. Wären wir diefem Ent 
wicklungsweg gefolgt, fo hätten wir nie mit Augficht auf Erfolg einen 
Ubootsfrieg führen Fünnen, 

Statt deſſen haben wir alles getan, um neben dem Petroleummotor 
andere Motoren zu entwickeln, von denen der Diefelmotor zunächit die 
meiften Ausfichten bot. Es gelang mit diefen, eine voll brauchbare 
Ubootsmafchine zu bauen, mit der von U19 an bzw. von 1911 ab 


unfere Uboote verfehen wurden. Die folchen technifchen Neuerungen 
33* 


516 Baupolitit 


anhaftenden fogenannten Kinderfrankheiten wurden aber doch erft 1913 
ganz überwunden, zu einer Zeit alfo, wo wir fchon eine große An: 
zahl von Booten mit Diefelmotoren teils fertig, teils im Bau hatten, 

Als der Krieg ausbrach, waren wir fomit in der Lage, für die mobil 
machungsmäßig telegraphifch zu beftellenden fogenannten M. S.-Boote 
einen voll Friegsbrauchbaren, materiell für Fernvermwendung geeigneten 
Bootstyp zu befigen. Im Juli 1914 waren fertig 28 Boote, im Bau 
begriffen 17, im ganzen 45 Boote. Das große Ubootrefjort in Wil⸗ 
helmshaven fowie dag Zweigreffort in Helgoland, zu deren Herftellung 
ein ganzes Jahrzehnt erforderlich war, Famen der Vollendung nahe, 
waren im Anfang des Krieges aber noch nicht voll verwendungsfähig. 

Vom technifchen und materiellen Standpunkt hätte im ganzen nach 
Lage der Entwicklung des Ubootes für Fernverwendung und der für 
Hafen und Werftbauten erforderlichen Zeit ein weſentliches Mehr bie 
zum Sommer 1914 nicht gejchaffen werden können. Die Zahl der 
fertigen Boote wäre erheblich höher geweſen (41 ftatt 28), wenn die 
Induſtrie in der Lage geweſen wäre, ihre Zufagen, die fie vertraglich 
gemacht hatte, zu halten, Die von mir im Jahre 1912 in Auftrag 
gegebenen Boote U 31—41, welche die Hauptverftärfung der UÜboots⸗ 
flottillen auf Grund der Ubootsnovelle 1912 bilden follten, follten 
vom 1. Oktober 1913 beginnend bis 1. Auguſt 1914 abgeliefert fein. 
Da e8 der Germaniawerft nicht möglich war, den von ihr gebauten 
Zweitaftmotor betriebfähig zu bekommen, erlitten diefe 11 Boote eine 
Verzögerung von faft 11a Jahren; es fehlten alfo nicht nur die Boote, 
fondern auch die Beſatzungen waren auf diefen Booten nicht eingefahren, 
e8 fehlten die Erfahrungen, die man vom 1.Oftober 1913 ab hätte 
fammeln Fönnen, und außerdem belegten diefe Boote noch dazu bie 
Germaniamwerft, die infolgedefjen nicht genug aufnahmefähig für bie bei 
der Mobilmachung in Auftrag zu gebenden Boote war. Auf der Werft 
Danzig war die Bauverzögerung von U29, U39 nicht fo groß, bie 
beiden Boote Famen noch im Herbft 1914 in die Front. 

Diefer Ausfall der modernften Bootsferie U 31—41 iſt von ſchwer⸗ 
swiegendfter Bedeutung; ſchuld daran war, daß die beteiligten Firmen 
nicht imftande waren zu erfüllen, was fie in Ausficht geftellt hatten. 
Die Ubootherftellung ftectte eben noch in den Kinderfchuhen. Hierin 
liegt auch einer der Nachmeife, daß mir im Frieden gar nicht mehr 
Boote hätten befchaffen Fönnen als tatfächlich gefchehen ift. 


Baupoliktik 517 


Die Beurteilung der Ausnutzung der materiellen Leiſtungsfähigkeit 
unſerer Uboote für die militäriſche Verwendung war Juli 1914 noch 
richt abgeſchloſſen. Vor dem Jahre 1912 gingen die Anſichten viel— 
fach dahin, daß die Menſchen nicht weſentlich länger als drei Tage 
würden aushalten können. Die Feſtſtellung dieſer Frage wurde mit 
aller Energie, aber der Menſchen wegen doch mit einer für den Friedens: 
zuftand erforderlichen Vorficht betrieben. Zunächſt wurden einzelne Boote 
für Dauerfahrten angefegt. Im Winter 1912/13 wurde die ganze 
Slottille in die Nordſee gefchickt mit der Aufgabe, nach einem Anmarſch 
von 300 Seemeilen (Helgoland— England) jo lange wie möglich draußen 
ihre Station angriffsbereit zu halten. Sie blieben 11 Tage draußen. 
Bei diefen Übungen wurden eine Reihe von möglichen Verbefferungen 
ermittelt, deren Einführung eine erhebliche Verlängerung diefer Zeit 
inöglich machen Eonnten. Die hierfür erforderlichen Einrichtungen wurden 
fofort angeordnet und haben im Kriege ihren Erfolg bewiefen. Die 
Kriegserfahrungen haben dann weitere Verbejierungen an den Booten 
gebracht. Die Verbefferungen und Xptierungen ändern aber nichts. an 
der Zatfache, daß unfere großen, auf weite Entfernungen entfandten 
Uboote lediglich aus dem Bootstyp Deftanden, der vor dem Kriege vor— 
handen war, Erft im Sabre 1918 traten größere Boote eines neuen 
Typs hinzu, 

Als im Auguft bzw. September 1914 die Möglichkeit nahe rückte, 
Boote mit geringer Fernveriwendung von Flandern aus gegen Enaland 
zu verwenden, wurden Eleine und fpäter mittelgroße Uboote Eonftruiert 
und in großer Zahl in Bau gegeben. Für die erjten dieſer Boote waren 
Eleine Barfaß- Motoren verwendungsfähig und bei einer größeren Zahl 
von Firmen befchaffbar. Im März 1916 waren im ganzen 147 Boote 
im Bau, die noch in demfelben Etatsjahr zur Üblieferung kommen follten. 

Das war die oberfte Grenze der damaligen Leiftungsfähigkeit unferer 
Induſtrie. Für die fpätere Zeit fehlt mie die erforderliche amtliche 
Üiberficht, 

Ein Vergleich der Entwiclung der Uboote in England und Deren 
Beftand bei Ausbruch des Krieges ergibt folgendes: 

In England waren 1906 nur Zleine Uboote mit Motoren für Leicht: 
öle ala Hafen bzw. enge Küftenboote gebaut worden, von denen nur 
eines, und zwar B11, während des Krieges überhaupt in die Erfcheinung 
getreten ift. Diefes Boot war nach Tenedos vor den Dardanellen ohne 


518 Baupolitik 


Beſatzung hingeſchleppt worden, arbeitete alſo von einer nahen Baſis 
aus. Im Jahre 1906 begannen Verſuche mit Booten für größeren 
Aktionsradius. Es entſtanden die Boote der engliſchen 0-Klaſſe, von 
denen eine größere Zahl gebaut worden find. Dieſe find aber zur Fern— 
verwendung noch nicht geeignet gewefen. Erft die Boote vom Etatsjahr 
1910 an Eonnten Motoren von 800 P.S. für die Verwendung auf größere 
Entfernung erhalten. Der Motor war nach Diefelfcher Art Eonftruiert. 
Es waren die E-Boote. Von diefen wurde im Juli 1914 dag fiebente 
Boot in Dienft geftellt, und diefe englifchen E-Boote Eommen beim Ver— 
gleich mit ung eigentlich allein in Betracht. Wohnräume waren in ben- 
felben nicht vorhanden und fehlten auch noch bei den während des Krieges 
gebauten Booten mindeftens bis zu den 50 Nummern herauf. Ihr 
Aufenthalt in der deutfchen Bucht war Ende 1914 auf vier Tage, 
fpäter auf ſechs begrenzt; das ergibt eine Beurteilung ihrer Verwendungs⸗ 
fähigkeit für Fernzwecke. Einige derfelben gingen nach Rußland, fie 
wurden big zum Kattegatt begleitet, um dort den Brennftoff aufzufüllen, 
Mie wir fpäter in Helfingfors, mo fie vor der Einnahme durch unfere 
Truppen 1918 verfenkt wurden, erfahren haben, waren ihre Motoren 
ſehr unzuverläffig und „platzten fo oft wie die ruſſiſchen“. 

Es ftanden fomit beim Ausbruch des Krieges 7 englifche Uboote 
für Fernverwendung gegen 10 deutfche Boote in hoher Vollendung 
gegenüber, Wie volllommen kriegsmäßig durchenttwicelt unfer Boots— 
typ mar, zeigt der Umftand, daß diefe Boote den ganzen Krieg über 
allen Anforderungen genügt haben und bis zulegt mit beftem Erfolg 
verwendet werden Fonnten. Diefen Anspruch kann Faum irgendeine 
andere Waffe der Armee oder Marine für ihre Friedenskonftruftionen 
machen. Die Zahl unferer Boote wäre das Doppelte geweſen, wenn die 
verfprochenen Lieferungsfriften von den Baufirmen innegehalten worden 
wären. Menn man die von 1906 bis 1909 inkl. in England gebauten 
Uboote hinzurechnet und fie gleichftellen will gegen unfere in derfelben 
Zeit gebauten größeren und höher entwickelten Petrolboote, fo ergibt 
fich für England: 7 plus 10 gleich 17 Boote gegen Deutjchland: 
10 plus 15 gleich. 25 Boote. Das wichtigfte bleibt der Umftand, daß 
wir ein voll Friegsbrauchbar entwickeltes Uboot für Fernzwecke erprobt 
und fertiggeftellt hatten, dasſelbe einfach nachbauen konnten und bes 
fondere Verfuche hierfür nicht mehr notwendig waren. 

Noch wesentlich ungünftiger ftellt fich für Frankreich ein Vergleich 





Baupolitik 519 


mit unjerem Stand, Hierfür liegt ein einwandfreies Material vor in 
dem Ausfchußbericht der franzöfifchen Kammer vom Suli 1915 und 
März 1916. Danach hatte die Firma Augsburg 1907 den erften brauch: 
baren, freilich Eleinen Diefelmotor für Frankreich geliefert. Als Frank 
reich im Jahre 1910 zu Booten von größerem Aftionsradius übergehen 
wollte, ftieß man bei der Konftruftion der hierfür erforderlichen größeren 
Motoren auf folche Schwierigkeiten, daß man angefichts folcher Fehl 
Schläge fich entjchloß, zu Dampfmotoren troß deren Nachteile zurück 
zufehren. Dan war der Anficht, daß eg bejfer wäre, ein unvollfommenes 
Uboot mit Dampfbetrieb zu befigen alg gar Eeins. Diefe Boote waren 
1915 noch nicht fertig, als man ihren Bau unterbrach, um wieder zu 
dem Einbau von Diefelmotoren zurüczufehren. Nach Angabe des 
Marineminiſters fei bei den Dampfbooten, abgefehen von ihrer fchlechten 
Zauchfähigfeit und großen Sichtbarkeit, die Erftictungsgefahr für das 
Perfonal zu groß. 

Noch im Fahre 1916 war es den Franzofen nicht geglückt, einen 
einwandfreien größeren Diefelmotor herzuftellen. Creufot, die wichtigite 
frangöfifche Motorenfirma, hatte noch im Sahre 1916 einen diejer 
größeren Motoren zum 40. Male vergebens in Betrieb genommen. 

Es ergibt fich mithin, daß Frankreich beim Ausbruch des Krieges 
und in den erften Jahren desjelben überhaupt Feine Friegsbrauchbaren 
Uboote für Fernverwendung beſaß. 

Nach diefem Vergleich kann es nicht wunder nehmen, daß die Eng: 
länder auf Grund der franzöfifchen und ihrer eigenen Erfahrungen es 
für unmöglich hielten, daß unfere Uboote bis in die Iriſche See gehen 
Eonnten, und daß fie daher annahmen, wir hätten verfteckte Verſorgungs— 
Schiffe oder geheime Stüßpunkte an ihren Küften. Mein Verwalter in 
Sardinien wurde eingefperrt, weil er im Verdacht ftand, einen folchen 
Stüßpunft zu unterhalten. Amerika befaß noch bei erfolgter Kriegs: 
erklärung gegen ung Feine Uboote für Fernverwendung. 

Die vorftehenden Angaben liefern den Beweis, daß mir beim Aug: 
bruch des Krieges quantitativ und qualitativ hierin nicht nur an der 
Spite der Marinen ftanden, fondern mit unferen Ubooten mehr leiften 
Eonnten als alle unfere Gegner zufammengenommen. Mit diejer Tat 
fache vergleiche man bie planmäßig verbreitete Lüge von der Vernachläſſi— 
gung der Ubootsivaffe. 

Bei der Erprobung der Uboote in militärifcher Beziehung trat er— 


520 Baupolitil 


ſchwerend in Erfcheinung, daß die Gefamtentwiclung der Marine nicht 
von einer Stelle geleitet werden Fonnte, Eine Befehlsgewalt über 
Kommandoftellen befaß der Staatsfefretär nicht. Selbft bei technifchen 
Verfuchen war er auf den guten Willen der Kommandos angemiefen. 
Berjtändlicherweife widerftrebten die Frontfommandos allen Erprobungen 
für Zwecke der Weiterentwidlung der Uboote. Das Flottenfommando 
verlangte, da immerhin fchon eine gewilfe Leitung vorlag, die Boote 
für gemeinjchaftliche Übungen mit der Fiotte ſelbſt; es ſah die Uboote 
hauptfächlich als Hilfskräfte der Hochfeeflotte an und verwendete fie 
zu Sicherheitsgürtel- und Aufnahmeftellungen. Die Aufgaben, welche 
Sernunternehmungen barftellten, traten demgegenüber in den Hinter: 
grund, fie wurden jedoch in einzelnen Fällen auch dargeftellt, und auch 
theoretische Arbeiten hierüber wurden ausgeführt. 
Der Krieg, die Taten von Weddigen, Herfing und anderen brachten 
die wahre Natur diefer neuen Waffe aber bald zur Geltung. So Fam 
es, daß ſchon im September 1914 der Gedanke, die Uboote zum Kampf 
gegen den feindlichen Frachtraum zu verwenden, ernitlich in Erwägung 
gezogen wurde, Wenn diefe Art der Fernverwendung vor dem Kriege 
nicht in dem Vordergrund der militärischen Überlegungen geftanden 
hatte, fondern nur die Verwendung der Uboote gegen feindliche See 
freitfräfte, fo ift zu berückfichtigen, daß wir vor 1914 über das mög- 
liche Maß der Fernverwendung noch Fein ganz vollftändiges Urteil 
hatten; vor allem aber ift zu bedenfen, daß der vollftändige Bruch Eng: 
lands mit den Feftfegungen der Londoner Deklaration und der Parifer 
Konvention von 1856 wohl für möglich gehalten, aber doch nicht in 
dem Maße erwartet wurde, als er nachher tatfächlich eintrat. 
Um diefe Eünftlich verdunfelte Angelegenheit auch dem Laien klar—⸗ 
zumachen, faſſe ich die Hauptgefichtspunfte in Furzen Säßen zuſammen. 
1. Uboote, welche nur auf kurze Entfernungen, alio nur in der 
Nähe der Küfte verwendet werden Eonnten, hatten für Deutfchland 
weder politifchen noch militärischen Wert. Wir find daher mit 
Überfpringung diefer Periode fofort auf die Entwicklung von Hochfees 
UÜbooten ausgegangen, 

2. Die Bedeutung des Hochſee-Ubootes ift von uns voll erkannt, 
feine Entwiclung fo ſchnell und energifch betrieben, als techniſch 
und für die Sicherheit des Perfonals möglich war, 





Baupolitil 521 


3. Sobald das Hochſee-Uboot Eriegsbrauchbar mar, haben wir tat 
jächlich fo viel im Frieden befchafft, als unfere Induſtrie leiſten 
fonnte, wovon mein Nachfolger im Frühjahr 1917 den Haus: 
haltungsausjchuß des Neichstages unmiderleglich überzeugt hat. 

4. Beim Ausbruch des Krieges ftanden wir mit unferen Ubooten 
qualitativ und quantitativ, troß unferer fonft befchränkten Flotie, 
an der Spiße aller Nationen, 

5. Die militärifche Verwendung und bie Dauer derfelben mit bezug 
auf die Beſatzung Eonnte erft in die Hand genommen werden, 
nachdem dag Hochſee-Uboot tatfächlich vorhanden war. 

6.Da letzteres erjt verhältnismäßig Eurze Zeit vor dem Kriege ber 
Fall war, Eonnte bei Beginn des Krieges der Umfang feiner Ver— 
wendungsmöglichkeit nicht vollfommen überfehen werden, 

7. Unfere Feinde waren völlig überrajcht über die bei unferen Ubooten 
zutage tretende Leiftung. Diefe Überrafchung hätte Eriegsentfcheidend 
werden können, fie gad ung eine befondere, aber zeitlich begrenzte 
Chance in die Hand, 

8. Die Leitung unſerer Hochfeeflotte legte im Frieden und im Ans 
fang des Krieges größeren Wert auf die Verwendung der Uboote 
zur Unterftügung des Flottenfampfes feldft in der Art von vor= 
gefchobenen Linien, die als Minenſperren wirken follten. Das Reiche: 
marineamt dagegen betrieb von Anfang an die Fernverwendung. 

9, Für die Fernverwendung fam in Betracht Verwendung gegen feind- 
liche Kriegsschiffe und Handelskrieg. 

10. Selbftverftändlich waren für leßteren auch ähnliche Errwägungen 
von ung angeftellt, wie fie von Percy Scott und in romanhafter 
Weiſe von Conan Doyle erzählt werden, der mit vier UÜbooten 
Enaland vernichten mwollie, 

11. Zweck hatten eingehendere Erwägungen aber erjt, wenn die Uboote 
perſonell und materiell ihre volle Hochfeefähigkeit und das Map 
derjelben erswiefen hatten. 

12. Letzteres Fonnte mit Rückſicht auf das tatfächliche Stadium bes 
Ubootes erft während des Krieges felbft gefchehen, größtenteils, 
weil die Verbefferungen für die Aushaltfähigfeit der Bejagungen 
erft Furz vor dem Kriege hatten angeordnet werden Fönnen. 

13. Als wir im Verlauf des Krieges verhältnismäßig bald ein aus— 
reichendes Urteil hierüber erlangten, trat die völferrechtlich und auch 


522 


l 


> 


15. 


16. 


17. 


18, 


19. 


20, 


Baupolitif 


militärisch fchwierige Frage in den Vordergrumd, wie der Handels: 
krieg zu führen jet. 


‚Diefe Frage war noch nicht genügend ausgereift, als wir Die 


Kriegsgebietserklärung am 4. Februar 1915 gegen mein Votum, 
aber mit Zuftimmung des Kanzlers erklärten. 

In der Marine waren wir zur Überzeugung gekommen, daß ein 
UbootssHandelgkrieg auf die Dauer nur wirkffam zu führen jet, 
wenn die Uboote auch ohne Warnung torpedieren durften. Diefer 
Grundfaß ſchloß gewiſſe Konzeffionen an die Neutralen Feines: 
wegs aus. 

Für den Uboots-Handelgkrieg gab es bei dem beftehenden und 
bisher ftreng von uns innegehaltenen Seerecht Feine Vorgänge. 
As England rückfichtslos alle Grundſätze des alten Seerechts 
brach durch eine gegen deffen Beftimmungen ausgeführte Blockade 
und durch Belegen der freien Nordfee mit Minen, und Amerika 
diefes Vorgehen hinnahm, praftifch alfo ein Seerecht „adapted to 
the conditions of modern warfare and commerce“ billigte, erwuchs 
ung zweifellos ebenfalls dag formale Recht, gleiches mit gleichem 
zu vergelten. Das konnten wir mit den Ubooten. 

Aber nicht nur diefes formale Necht befaßen wir, fondern auch 
das Selbfterhaltungsrecht einer hungernden und um ihre Eriftenz 
Fämpfenden Nation gab ung dag Naturrecht. 

Sowohl das formale wie das natürliche Recht mußte, nachdem 
die Kriegsgebietgerflärung einmal auggefprochen war, von unferer 
Keichgleitung der ganzen Welt gegenüber mit nachdrücklicher Ber 
ftimmtheit vertreten werden. 

Militärifch wurde der Uboots-Handelskrieg wichtig, fobald ber 
Schwerpunkt der Entfcheidung nicht im Flottenfampf gefucht wurde 
bzw. nicht mehr gefucht werden Eonnte, denn fobald der Uboote- 
frieg Hauptkampfmittel wurde, mußte unfere an fich unterlegene 
Flotte mehr zurückgehalten werden, weil nur durch ihre Anmefen- 
heit die Ausfahrtsftraßen der Uboote aus unferen Gemwäffern frei 
und paffierbar gehalten werden Fonnten. 


An diefer Stelle möchte ich noch die Anficht unferes erjten Uboots— 
fachverftändigen, der feit Beginn der Ubootswaffe angehört, Komman— 
dant von U1 mar, die Ubootsfommandanten ausgebildet hat, zahlreiche 
Uboote perfönlich abnahm und erprobte und als Führer der Uboote in 





Baupolitik 523 


Flandern den Orden Pour le mörite erhielt, mit deffen Erlaubnis wieder— 
geben. Sie ftammt aus einem Briefe vom Frühjahr 1918, der mir 
zugänglich gemacht worden ift. Korvettenkapitän Bartenbach ift einer 
der wenigen Seeoffiziere, welcher durch feine Friedenstätigkeit fich in 
ber Lage befindet, unjere Ubootsentwiclung voll zu überfehen und gleich- 
zeitig die größte Erfahrung des Ubootgkrieges erworben hat. 


Korvettenkapitän Bartenbach an Admiral z. D. Did, 


Brügge, den 10. April 1918. 
Euer Erzellenz, 


den gütigen Brief vom 6. 4. will ich, fo gut eg mir ohne Unter: 
lagen aus dem Aktenmaterial möglich ift, eingehend beantworten. ... 


1. a) Die Entwicklung der Ubootswaffe vor dem Kriege. 

Mir haben von vornherein nur nach dem Hochſee-Uboot, dem An— 
geiffsboot geftrebt. Es wäre einem nicht von der Notivendigfeit der 
HochfeerEigenfchaften der Uboote durchdrungenen Staatsfefretär ein 
leichtes gemwefen, fein und der Volfsvertretung Gewiſſen durch den Bau 
einer großen Anzahl von Kleinen Booten für billiges Geld zu beruhigen. 
Der Großadmiral, der doch weiß Gott mit Geldfnappheit an allen 
Eden kämpfen mußte, war doch ſtark in Verfuchung gebracht, um fein 
durch die immer teurer werdenden Linienfchiffe, Panzerfreuzer, Tor— 
pedoboote (Olfeuerung) fehr Eoftipielig gewordenes Flottengefeß durch- 
zuführen, an anderen Eden zu fparen. Dies hat er bei den Ubooten 
richt getan, fondern dag militärifch notwendige großzügig vor den Geld- 
punkt geftellt und damit eine gefunde Grundlage für die Entwicklung 
gelegt. Beweis: U 21, dag imftande war, als gewöhnliches Boot einer 
Serie nach) den Dardanellen zu fahren und die Türfei zu retten, viel- 
leicht den Krieg entjcheidend zu beeinfluffen, ift im Jahre 1913 nach 
einer Bauzeit von mehr als zwei Jahren in Dienft geftellt worden. 
Alfo fchon Ende 1910 war die militärifche Erkenntnis biefer Anforde 
rungen in die Tat umgefeßt. 

Solche Boote Eofteten aber dreimal ſoviel Geld und viel mehr Arbeit 
und Zeit, als ein Eleines Boot. Man hätte demnach dreimal foviel bes 
fchränft brauchbare Boote, etwa wie die älteren englifchen, franzöſiſchen, 
ruſſiſchen, öfterreichifchen, italienifchen ufw. Boote bauen Fönnen. Wir 


524 Baupslifit 


waren bahnbrechend vorgegangen und flanden im Typ des Ubontes 
im Sahre 1914 an der Spitze. 

Es muß jeder Menſch einjehen, daß eg ein Beweis für die richtige 
Einfchärung einer Waffe ift, wenn der Typ fo vollfommen wie U 21 
den höchften Anforderungen gerecht wird, an die Fein Parlamentarier, 
fein Zivilift, wohl aber der Großadmiral gedacht hat. Beweis: Als 
ich mich Anfang Februar 1912 beim Herren Staatsſekretär meldete, 
war die erſte Frage: „Wie lange kann fich eines unferer Uboote vor 
der Themſe aufhalten?” 

Diefe Frage konnte damals nur ein Seeoffizier ftellen, der den Verz 
wendungszweck der Uboote Elar vorausfah. Diefer Verwendungszweck 
ſteht auch als erfter Sat in der Verwwendungsvorfchrift für Uboote, 
die im Reichgmarineamt, nicht im Admiralſtab ausgearbeitet ift, 
obenan: „Ziel der Unterfeebootsausbildung ift die Verwendung an der 
feindlichen Küſte.“ 

Dahin zielten auch die in den Jahren 1912 und 1913 unternommenen 
Ubungen der Uboote in Seeausdauer. Im Frühjahr 1912 waren 2 Boote 
in die Oſtſee, im Winter 1912 die ganze Flottille in die Nordfee ge— 
jchieft mit der Aufgabe, nach einem Anmarfch von 300 Seemeilen 
(Helgoland— England) fo lange wie möglich draußen ihre Station ans 
griffsbereit zu halten, Sie blieben damals 11 Tage draußen. Diefe 
Zatjachen widerlegen auch dag immer wieder auftauchende Märchen, 
man hätte vor dem Kriege dem Uboot kaum zugetraut, 24 Stunden 
in See bleiben zu Fönnen, Die Uboote find bereits 1909 tagelang mit 
der Manöverflotte mitmarfchiert. 

Mir hatten alle Urfache, folche Übungen und Erfahrungen vor dem 
Kriege geheim zu halten, Diefe Übungen waren vom Großadiniral alg 
„technifcher Verſuch“ friſiert befohlen, weil die Front (Flotte, Admiral 
tab) in der Erkenntnis noch nicht fo weit war. Ich meine, diefe Tat: 
fachen find durchſchlagende Beweiſe dafür, daß der Großadmiral wie 
wenige die militärifche Bedeutung der Uboote erkannt hatte. 

b) Die Grundbedingung für die Schaffung folcher, wirklich den mili⸗ 
tärifchen Anforderungen entiprechenden Uboote war die Konftruftion 
eines betriebsficheren, fchnellaufenden (wegen der eleftrifchen Lademaſchi— 
ten), nicht ſehr ſchweren Motors von mindefteng 850 P.S. Dieje 
Mafchinen ftellten eine Höchftleiftung der Motoreninduftrie dar, und 
es wurde daher fchon im Jahre 1908 eine großzügige Konkurrenz durch 








Baupolitit 525 


Snbaugabe der 850 P.8.:Prodemotoren bei den beften Firmen, Mafchi- 
nenfabrif Augsburg, Germaniawerft, Fiat-Turin und Deußer Gag- 
motorenfabrif in Auftrag gegeben. 

Die Petrolmotoren der Firmen Körting und Daimler hatten fich als 
nicht entwiclungsfähig erwiefen. Der Vorwurf der Bevorzugung von 
Körting ift dadurch widerlegt, dab auf U2 Daimler-Maſchinen ein: 
gebaut wurden, die fich aber nicht bewährten, fo daß überhaupt für 
Petrolmotoren nur Körting übrig blieb, 

Bon diefen Verfuchsmotoren Fonnten nur die Augsburger Diafchinen- 
fabrik den Viertaftmotor und die Germaniamwerft den Zweitaktmotor 
einigermaßen rechtzeitig vorführen. Allen anderen Firmen war dies 
noch nicht einmal big Kriegsbeginn troß allee Mühen und Koſten ges 
lungen. Diefe beiden Motortypen wurden nun — für die Boote der 
Kaiferlichen Werft Danzig der Augsburger Viertaftmotor, für die Boote 
der Germaniamerft der Zweitaktmotor — vorgefehen. Zur Mitarbeit 
on der Gewinnung eines brauchbaren Motors war aljo in der groß: 
zügigften Weife die gefamte deutfche und fogar die ausländifche (Fiat 
Zurin) Motoreninduftrie angefpannt worden, und die deutſche Marine 
hatte als erfte einen 850 P.S.=Ölmotor für Uboote, Leider arbeitete der 
Zweitaktmotor der Germaniawerft nachher bei weiteren Probeläufen 
nicht einwandfrei, was fich, wie weiter unten ausgeführt, bitter bes 
merfbar machen follte, 

c) Was die Anzahl der in Bau zu gebenden Boote anlangte, fo war 
dafür, nachdem der Typ feftftand, die Geldfrage maßgebend und außer: 
dem der Gefichtspunkt, daß eine plößliche fprunghafte Entwiclung ver 
mieden werden mußte, denn die Privatinduftrie war nur bereit, ſich 
auf den Ubootsbau einzurichten, wenn ihre eine fpätere gleichmäßige 
Beichäftigung auf diefem Gebiet in Ausficht geftellt werden Eonnte, 

d) Die Flottennovelle (Ubootsnovelfe 1912) erhöhte die bisher zur 
Verfügung ftehenden Gelder, Sofort wurden fehr energijch Boote be 
ftellt. Im Jahre 1912 wurden die Boote U 27—30 (Kaiferliche Werft 
Danzig), ferner U31—41 auf der Germaniawerft, U 42 bei Fiat-San 
Giorgio in Auftrag gegeben, zufammen 16 Uboote, eine bis dahin uns 
erhörte Zahl. Außerdem wurde die Baufumme für ein auf der Weſer— 
werft (Dampfboot) in Bau zu gebendes boot bereitgeftellt, aljo für 
ein fiebzehntes Uboot. Sch meine, durch diefe Tatfachen ift der Beweis 
Schlagend erbracht, daß nach Bewilligung der Ubootsnovelle alles ge 


526 Baupolitik 


ſchehen ift, die vorhandenen Mittel zum Bau von Ubooten auszunußen. 
In dieſem Sahre wurde auch verfucht, den Ubootsbau auf breitere 
Baſis zu ftellen, Es wurden folgende Werften angegangen: 


Meferwerft: Dampfprojeft. Werft richtete Ubootsfonftruftionsbureau 
ein. 

Schichau: lehnte grundfäßlich ab. 

Vulkan-Hamburg: lehnte ab, ein Konftruftionsbureau einzurichten, wollte 
nur fertige Pläne ausführen, falls ihm weitere laufende Aufträge 
zugefichert würden, 

Fiat-San Giorgio: befam einen Auftrag (U 42). 

Für Euere Erzellenz füge ich hinzu, daß die Etatsabteilung damals 
in der energifchften Inbaugabe der Uboote und der dadurch herbei- 
geführten FZeftlegung der Gelder auf drei Jahre hinaus eine Verlegung 
des Budgetrechtes des Neichstages erbliden zu müfjen glaubte. 


e) Die Gründe, weswegen bei Kriegsbeginn nicht mehr Uboote an 
der Front ftanden, Tiegen lediglich an dem Verfagen der Induſtrie, die 
nicht in der Lage war, die vom Großadmiral in Auftrag gegebenen 
Boote zu den von ihr angebotenen Terminen fertigzuftellen. 

Mir hatten bei Kriegsbeginn in Dienft (U1 und U2 fallen zu Schul- 
zwecken aus): 

U3 bis U1s, U19 big U27=25 Boote. 

Mir hätten nach den von den Firmen angefagten Lieferungsterminen 
in Dienft haben müfjen: 

U3 bis U41=39 Boote, 

Die Kämpfe mit der Induſtrie, die Bauverzögerungen zu vermeiden, 
das fcharfe Eingreifen gegen die Germaniamwerft durch den Staats: 
jefretär perfönlich, die Maßnahmen gegen den Sinfpekteur find Ew. Er= 
zellen; in Erinnerung. Der Ausfall an nicht gewonnenen militärifchen 
Erfahrungen mit den neuen Booten U 23 bis U 26, U 31 ufmw., die über 
ein Jahr Bauverzögerung hatten, und das Fehlen ausgebildeter Kommanz 
danten und Befagungen wog natürlich faft ebenfo fchwer wie das 
Fehlen des Materials. Wir hätten am 1. Auguft 1914 ganz anders da= 
geftanden, wenn die Snduftrie, die heute den Mund fo voll nimmt, 
gehalten hätte, was fie dem Großadmiral vertraglich aus eigenen Ans 
gaben versprochen hatte. 

Der fachliche Grund für den gröbſten Verfager, das Fehlen der 11 





Baupolitik 527 


Uboote der Germaniawerft U31 big U41, lag an dem Zweitaktmotor 
diefer Werft, der im Auguft 1911 auf Grund eines Probelaufs abe 
genommen war und der nachher nicht wieder zum Dauerbetrieb gebracht 
werden Eonnte, jo daß wir gezwungen waren, um diefe vielen Boote 
nicht endlos zu verzögern, bereits Erjagmotore in Augsburg auf Koften 
der Germaniawerft zu befchaffen.!) 

An diefen Verhältniffen hätte der Großadmiral auch nichts ändern 
Fönnen, wenn noch ein weiteres halbes Dutzend Uboote im Jahre 1912 
beftellt worden wären; auch dieje hätten auf die Motore warten müfjen. 
Ew. Erzellenz ift bekannt, daß der verantwortliche MajchinenbausBes 
amte von feiner Stellung entfernt wurde. Derfelbe Herr wird in der 
Rede von Struve namentlich erwähnt als wertvolle Kraft, die nicht 
ausgenutzt wurde, 

2. Zum Ubootsbau im Kriege Fann ich aus eigener Erfahrung nur 
für den Anfang des Krieges mich äußern, da ich fpäterhin durch meine 
Aufgaben hier nicht mehr fo im Bilde geblieben bin. Bei der Mobil 
machung wurden planmäßig die vertraglichen Ms.-Boote beftellt, und 
zwar fofort die Weferwerft herangezogen, weil die Germaniawerft mit 
der Fertigftellung der noch rüctändigen Boote U31 bis U41 und 
5 öfterreichifcher Uboote ſtark belaftet war. Selbftredend wirkte diefer 
Rückſtand aus dem Frieden hindernd auf den Bau neuer Boote. Vor 
allem Fam es darauf an, die im Bau befindlichen Boote zu fördern. 
Daß dies energifch von der Unterſeeboots-Inſpektion aus geichah, mag 
der fcharfe Brief des Reichs-Marine-Amts vom Anfang Auguft 1914 
an dag Generaldireftorium von Krupp in Eſſen bemweijen, über den fich 
Krupp befchwerte. Schon damals wurde die Arbeiterfrage in die Hand 
genommen und Arbeiter von der Kaiferlichen Werft und Flensburg 
beichafft. 

Die Neubauten Fonnten damals nach menfchlihem Ermeffen mit 
ihrer Bauzeit (18 Monate für das erfte Boot) in diefem Kriege, tie 
wohl ganz Deutfchland die Sache anfah, nicht mehr zum Tragen fommen. 
Diefen Vorwurf will ich für meine Perfon hinnehmen. 

Aber fofort mit der Beſetzung der flandrifchen Küfte faßte der Groß: 


) Die Zweitaktmotore find endlich nach faft 1’/, jähriger Verzögerung im 
Dezember 1914 betrieböflar geworden. Die in Augsburg beftellten Crjagmotoren 
fanden auf anderen Booten Verwendung, Anm. des Herausgebers. 


528 Baupolitik 


admiral den Entſchluß, die kleinen Boote zu bauen, die bis zum Früh— 
jahr 1915 fertig werden konnten, um die flandrifchen Häfen mit allen 
Mitteln auszunußen, Die Ubootsfpezialiften rieten fogar von dem Bau 
folcher Eleinen Boote ab. Der Staatsjefretär befahl den Bau der 
32 Fleinen Boote und hat recht behalten, denn dieſe Boote haben, ob- 
wohl fie leider aus anderen Gründen nicht alle hier angeſetzt wurden, 
treffliche Dienfte geleiftet und fahren heute noch mit Erfolg. 

Ein Beweis für den Weitblick des Großadmirals ift die Tatfache, 
daß er fofort nach der Beſetzung der flandrifchen Küfte, noch vor dem 
Sinrüden der Marine-Diviſion, als erften Seeoffizier einen Uboots- 
jpezialiften dorthin entjandte, um die Häfen und Hilfsmittel vom 
Standpunkt der Ubootsverwendung aus zu prüfen. Auf diefe Erkundung 
daut fich die heute fo wirffame Ausnutzung der flandrifchen Küfte auf. 

Über den weiteren Verlauf der Ubooisbefchaffung bin ich im einzelnen 
nicht mehr unterrichtet, eg fcheint mir allerdings auch, daß im Jahre 
1916 eine Lücke in der Ubootsbefchaffung eingetreten ift. Man hat hier 
an der Front das Gefühl, daß nicht großzügig jedes nur mögliche Boot 
befchafft wird, fondern daß man verhüten will, ja nicht zu viel Uboote 
zu haben, 

Zweifellos hat bie Unficherheit, ob Ubootskrieg oder nicht, ihre ſchäd⸗ 
lichen Folgen auch auf die Ubootsbefchaffung gehabt, denn es liegt auf 
der Hand, daß nicht die letzte, äußerſte Anflrengung für die Bereit 
ftellung einer Waffe gemacht wird, wenn es noch ganz unficher ift, ob 
diefe Waffe jemals zur Anwendung Eommt. Bei der Gefamtlage, bie 
alles Rohmaterial und alle Arbeitskräfte für andere wichtige Kriegs: 
zwecke beanfpruchte, war es fehr zu erwägen, ob eg richtig fei, aufg 
ungemiffe Material und Arbeitskräfte anderen Stellen zu entziehen. 
Eine Reichsleitung, die nur wegen der zu geringen Bootszahl den Ubootg- 
krieg nicht führen wollte, hätte durch eine beftimmte Zufage bei einer 
erheblichen Verftärfung (4.8. Verdopplung) der Bootszahl den Uboots— 
krieg aufzunehmen, zweifellos eine rafchere Bereitftellung diefer Boote 
herbeigeführt und fich dag Vertrauen erhalten. Dies ift der deutlichfte 
Beweis, daß andere Gründe für dag Verhalten der NReichgleitung vor: 
lagen und die geringe Bootszahl nur ein Vorwand war. 

Mas die Heranziehung weiterer Werften anlangt, fo ift die Forbes 
rung von Str. im mwejentlichen berechtigt, ift ja auch tatfächlich gefchehen. 
Die Argumente, die Herr dv. G. anführt, treffen nicht zu. Von Geheims 








Baupolitii 52% 


haltung der Bootskonſtruktionen braucht man nicht mehr viel zu halten, 
nachdem die Engländer mehrere Boote in Händen haben. 

Motoren werden auch auf Werften gebaut (z. B. Blom und Voß), 
die Entwicklung iſt Sache der Marine, Es kommt zurzeit beträchtlich 
mehr auf die fabrikmäßige Vervielfältigung der beftehenden Typen an 
als auf die Weiterentwiclung. 

Für Ew. Erzellenz füge ich hinzu, daß die Baupolitif des Reichs— 
marineamts etwa jeit Anfang 1917 von der Front noch viel fchärfer 
angegriffen wird als von Herrn Str. Das hat aber mit dem Groß— 
admiral nichts zu tun, im Gegenteil, man vermißt deſſen Großzügige 
feit und Tatkraft auf Schritt und Tritt. 

Die lebten Bauaufträge find alle auf fiharfes Drängen der Front 
wefentlich vergrößert worden, als dag Reichsmarineamt urfprünglic) 
für möglich bezeichnet hatte. 

Aus diefen Gefichtspunkten würde ich empfehlen, die Abwehr der 
Ste. Ängriffe nur auf die Perfon des Großadmirals, feine Baupolitit 
vor und im Anfange ded Krieges auszudehnen. 

Über den Rahmen der Fragen des Herrn v. ©. hinausgehend, möchte 
ich Ew. Erzellenz das Material zur Frage, ob wir im Frühjahr 1915 
genügend Uboote zum Ubootskrieg hatten, auf Grund meiner Kriegs: 
erfahrungen folgende Zatfachen anführen: 

Sm Sahre 1915 erreichte ein Uboot das vierfache, im Jahre 1916 
dag dreifache der Erfolge des Jahres 1917, troß der damals gültigen 
einfchränfenden Befehle. Der Grund hierfür liegt in der zunächſt nicht 
vorhandenen und erjt allmählich fish entwickelnden Abwehr. Dieſe Ab- 
wehr, die namentlich in der Bewaffnung der Dampfer befteht, Tonnte 
gleichzeitig mit der Niefenaufgabe, eine ſtarke Feldarmee mit der nötigen 
Artillerie zu verforgen, nicht vafcher durchgeführt werden, als jie tat 
fächlich durchgeführt worden ift. England brauchte allein für die Uboot— 
abwehr, vorfichtig geſchätzt, 12 000 leichte Geſchütze. 

Wir haben dieſe Zeit der Überlegenheit unbenutzt verſtreichen laſſen 
und ſahen uns im Februar 1917 vor eine ungleich ſchwierigere Auf⸗ 
gabe geſtellt als 1915 oder 1916. Wir erreichen heute mit unſerer 
Bootszahl bei aufreibendſter Anſpannung der Beſatzungen und harten 
Berluften das gleiche Monatsergebnis das wir im Jahre 1915 mit einem 
Viertel, im Jahre 1916 mit einem Drittel der Boote mit verhältnigs 
mäßig leichter Mühe hätten erreichen können. Diefe Bootszahlen waren 

Tirpig, Erinnerungen 34 


530 Baupolitil 


fowohl 1915 wie 1916 reichlich vorhanden. Den Vorwurf, diefe Aus— 
nußung verhindert zu haben, könne alle die nicht von fich abfchütteln, 
die gegen den Ubootsfrieg geredet haben, und ebenfo wenig Eönnen fie von 
ihren Händen dag Blut abwafchen, dag ſeitdem fließen muß, um gegen 
die Abwehr die notwendigen Erfolge zu erringen. 

Dazu Eommt der ganz wichtige Punkt, daß der Ausfall an Schiffe: 
raum, der ſchon 1915 eingefeßt hätte, die ganzen Jahre fich dauernd 
als Fehlend bemerkbar gemacht und ein berartigeg Erftarfen der englifchen 
Armee, wie e8 1916 der Fall war, verhindert und verlangfamt hätte. 

Die Marine befand fich in den Jahren 1915 bis 1916 in der Lage 
einer Sinfanterietruppe, die dem Feinde, der feine Stellung noch nicht 
befeftigt hat, gegenüberliegt und genau weiß, daß fie diefe Stellung 
nehmen muß, weil anders der Feind nicht zu fchlagen ift. Sie meldet, 
daß die Stellung leicht zu nehmen fei. Sie ſieht täglich, wie der Feind 
fich ftärfer eingräbt, Drahtverhaue zieht, Artillerie aufftellt, meldet dies 
dauernd nach hinten, und bittet um die Erlaubnis, anzugreifen. Diefe 
wird ſtets verweigert. Erſt als der Gegner glänzend eingebaut ift, eine 
tadellofe Abwehr geübt hat, da kommt die Angriffserlaubnis, und nun 
wundert fich alles, daß diefe Stellung, von der erft gemeldet war, daß 
fie leicht zu nehmen fei, harte, langwierige Kämpfe und viel Blut Eoftet. 
Vielleicht begreift man heute folche Bilder Teichter als die Ausführungen 
mit Marinebegriffen. 

Mir betrachten es als eine Anmaßung fondergleichen, daß Parlamen: 
tarier, Ziviliften fich ein Urteil darüber erlauben, ob die Streitmittel für 
eine militärische Aktion ausreichen, die die militärisch verantwortliche 
Leitung anfeßen will, Hat man jemals etwas davon gehört, daß 3.2. 
jeßt vor Beginn der Meftoffenfive eine Volksvertretung die Beftände an 
Munition begutachtet hätte? Was würde wohl Ludendorff jagen, wenn 
man ihm mit folchen Dingen käme. Niemand im deutfchen Volke würde 
dies begreifen, nur beim Ubootskrieg durfte jeder mitreden. Darüber, 
wie eg heute mit ung ftehen würde, wenn wir den Ubootskrieg felbft ver- 
fpätet nicht geführt hätten, brauche ich nicht zu fchreiben, meiner Ans 
ficht nach müßten wir dann troß der Stärke an der Weftfront unfere 
Lage als verzweifelt bezeichnen. Man kann den Standpunkt, wir hätten 
1915 und 1916 nicht genügend Uboote gehabt, nicht fcharf genug be— 
kämpfen, er ift eine bequeme Ausrede für alle die Leute, die jeßt im 
Grunde ihres Herzens fühlen, daß fie mit dem Widerftand gegen den 











Baupolitif 531 


Ubootskrieg einen verhängnisvollen Fehler gemacht haben. Schließlich 
muß doch das Urteil der Leute, die mit den Ubooten arbeiten, dag maß: 
gebende fein und nicht das eines Außenftehenden. 

Die vorftehenden Ausführungen habe ich wegen der Kürze der Zeit 
etwas rajch niederfchreiben müfjen, ich bitte daher gehorfamft, mit dem 
Stil nicht zu ſcharf ins Gericht zu gehen. Falls Ew. Erzellenz Vor: 
ftehendes zu einer Prefjeveröffentlichung benutzen wollen, bin ich fehr 
damit einverftanden. Wir haben viel zu lange zu diefen gefchichtsfälfchen: 
den Treibereien geſchwiegen. 


Euer Erzellenz ergebenfter 
gez. Bartenbach. 


34* 








Namen- und Sadregiiter 








Die Schiffsnamen find mit „...“ 
Die Zeitungen und Zeitfchriften mit ,. .’ bezeichnet. 


A— 

Aalands-Inſeln 309. 

Adalbert, Prinz, der Altere 2, 5, 11, 16. 

— Prinz, Sohn Kaifer Wilhelms 11. 
457, 463, 465, 467, 484. 

„Prinz Adalbert” 114. 

Ndmiralität 35, 36. 

— Fehlen einer 129, 

Admiralſtab 122, 123. 

— Gründung 20, 

— Operationöbefehl 1914 129. 

—steifen 25. 

— und Ubootsfrieg 363, 367. 

Agadir 130, 164, 181, 183, 208. 

Ahlefeld 447, E 

v. Albedyll, Kabinettöchef 135. 

Albert, König von Sachſen 9. 

— Geheimtat 379 

Alexander II. von Rußland 26, 

Alexejew, ruffifcher Admiral 64. 

Alliancewert Deutfchlands 55, 154, 162, 
193, 

„Almanſa“, fpanifches Infurgentenfchiff 
14, 

Alfen 9. 

„Amazone" 1, 2. 

Amon, Infel in Oftafien 61—69. 

Amrum 13. 

Anconafall 362. 

„Arabic“ 356, 357, 361, 363, 497. 

„Arkona“ 7, 

Armſtrong 10, 


Asquith und deutjche Flotte 176. 

— und Kriegführung 255. 

— Minifterium 262. 

„Audacious“, englifches Kriegsjchiff 114. 

Augufta, Prinzeffin, fpätere Kaiferin 92. 

Ausfuhrhandel 51. 

Auslandsdeutfchtum 71—74. 

Auslandskreuzer-Flotte 80, 

Auswärtiges Amt 7, 53, 245. 

— und Agadir: und Kongoverhandlung 
183. 

— und England 255, 259, 

— und Flotte 180, 194, 201, 308. 

— und Kriegsausbruch 211, 217, 
225, 232, 243, 246, 303. 

— und Oſtaſien 61, 67. 

— und Reichömarineamt 213, 327, 

— und Ubootfrieg 342, 343, 345, 346, 
347, 354, 356, 358, 362. 

— und v. Wiegand 341. 

— in den Ktiegsbriefen 411, 428, 443, 
449, 452, 457, 460, 471, 473, 475, 
485, 489. 

„Ayeſcha“ 452. 

Azoren 5, 7, 


218, 


Baagoͤ 315. 

Bahmann, Admiral 328, 332. 

— und Ubootkrieg 345, 348, 349, 353, 
354, 356, 357, 359, 

— in den Kriegsbriefen 444, 446, 447, 
449, 452-455, 457, 459, 461466, 


536 


469, 470, 473, 477, 483—485, 488, 
490, 491, 500, 501. 

Bagdaddiplomatie 142, 

Balkanpolitif 149. 

Ballin und Tirpik 265. 

— und Ubootsfrieg 355, 356, 377, 379. 

— in den Ktiegsbriefen 413, 424, 440, 
442, 459. 

Barnabe, fpanifcher Botfchafter 498. 

Bartenbach, Korvettenfapitän 523. 

Barth, freifinniger Abgeordneter 100. 

Ballermann 380, 478, 481, 495. 

Batfch, Admiral 3. 

Baudiffin, Graf, Admiralftabschef 307. 

Beattn, englifcher Admiral 333, 3. 

Behnde, Admiral 300, 334, 482. 

Belte, die 315. 

Bendendorff, ruſſiſcher Minifter 147, 

Benedikt XV., Papft 358, 

v. Bennigfen 85. 

Berchtold, Graf 208, 428. i 

— und Kriegsausbruch 210, 212, 214, 
215, 221. 

Berkfheim, Graf 419. 

‚Berliner Tageblatt‘ 279, 471. 

Bernftorff, Graf, Botfchafter in Wa: 
ſhington, und Ubootfrieg 352, 354, 
358, 361, 374, 375, 379, 489, 490, 501. 

v. Befeler,Öeneralgouverneur von Polen, 
415, 416, 

— und Tirpik 150. 

Bethmann Hollweg 25, 150, 163, 

— und Agadir 181, 182. 

— und Belgien 245. 

— und Sambon 224. 

— und England 202, 254, 256—260, 269. 

— und Slottenpolitif 168, 179, 183 
bis 186, 191, 193, 194, 201, 218, 247, 
266, 269, 276, 310, 327, 328, 

— und „Friedenspartei” 196. 

— und Grey 216, 217, 222, 226. 

— und Haldane 187, 188. 

— und Heeresvorlage 251. 

— und Jagow 224, 


Namen: und Sachregifter 


Bethmann Hollmeg und Kabinett 136. 
— und Kriegsausbrud) 209, 210, 211, 
214, 215, 219, 221, 223, 228, 232 
bie 235, 237, 238, 240—244, 247, 

— und v. Müller 331. 

— und v. Pohl 332. 

— und Polenproflamation 149, 151, 367, 

— Politik 162, 277, 295, 3%, 

— und Nufland 272, 273. 

— und Tirpik 156, 166, 195, 196, 213, 
214, 225, 239, 246, 253, 254, 260, 366. 

— und Ubootöfrieg 343—847, 351—861, 
363, 364, 365, 368, 374, 375, 376, 380, 

— und Vaterlandepartei 289. 

— in den Kriegsbriefen 392, 393, 396 
bis 401, 403, 406—408, 410, 413 
bis 415, 417—419, 423, 435—437, 
441-446, 448—450, 452, 453, 456, 
457, 459-461, 465, 466, 469, 472 
bis 474, 477, 478, 481, 482, 484 bis 
487, 489492, 495, 497, 498, 500 
bis 502. 

Bettolo, italienifcher Admiral 280. 

Bismarck 14, 15, 23, 226, 471, 501, 

— und Benedetti 189, 

—8 Bindnispolitif 91, 154. 

— und Caprivi 90, 163. 

— und England 167, 169, 198, 255. 

— und Flotte 107, 198. 

— an Gerlach 10. 

— und Hamburg 3. 

— und Italien 240. 

— „Songleur” 163. 

— und Kaiſer 92, 94. 

—$ Politik 253, 279, 280, 287. 

— Reichsſchoͤpfung 50, 236, 

—$ Neichöverfaffung 140, 423. 

— und Roon 90. 

— und Rußland 142, 152. 

— gegen Stoſch 38, 

— und Wehrvorlage 182. 

—5 Bollgefeßgebung 9. 

„Fuͤrſt Bismard” 88, 

Bismarck, Gräfin Wilhelm 89. 








Namen: und Eadhregifter 


v. Biffing 441, 442, 

„Big“ 11, 12. 

Blücher 319, 431, 453. 

v. Bothwell, Kapitän der „Gazelle“ 3, 

„Bouvet“ 454, 

Boyen 453. 

Braun, Kommandant des „Iltis“ 62, 63. 

Brentano, Lujo, und Flottengefeke 95. 

„Breslau” 302, 303. 

Bryan 350. 

Buchanan, englifher Botfchafter in Ne: 
teröburg 222, 

Büchfel, Admiral 112, 413. 

Buͤlow, Graf, Fürft, bei Bismard 94. 

— Deutfche Politif 208. 

— und England 168, 170, 178, 195. 

— und Flottengeſetz 97, 103, 104, 109, 

— genen v. d. Hendtiches Reſkript 70, 

— und Stalien 350, 425. 

— und Kabinett 136. 

—8 Kanzlerfchaft 141, 213. 

— und „Kriegspartei” 196, 

— Rüdtritt 177. 

— und Tirpiß 243. 

v. Bülow, Generaloberft 402. 

Bürkner, Geheimrat 112. 


€ 

Saillaur 459, 

Sambon, franzsfifher Botſchafter in 
Berlin, und Bethmann 224. 

— und v. Jagow 189, 

v. Capelle 81. 

— und Flottengefeß 82, 83, 100, 

— Staatöfefretär 329, 366. 

— und Ubootfrieg 348. 

— in den Ktiegsbriefen 411, 412, 417, 
418, 429, 436, 449, 468, 479, 480, 
486, 487, 491, 497, 500. 

v. Caprivi 11, 19, 35, 36, 38, 40, 45, 58, 
82, 427. 

— Ira Saprivi 23—29, 

— und Admiralität 122, 

— und Bündnis mit England 170, 


537 

v. Saprivi und Flottenbau 198. 

— Grund zum Erwerb Helgnlands 59, 

Sapverden 22. 

Safement, Sir Roger 15. 

Caſtro, Präfident von Venezuela 159. 

Sattaro, Ubootsftükpunft 155. 

Shamberlain und Bündnis mit Deutfch- 
land 170, 

— gegen Deutfchland 262. 

— Sollyläne 9. 

China 21. 

— Aufſchließung 61. 

— Aufſtaͤnde in 68. 

Chinaexpedition 97, 130, 141, 143, 164. 

Chiozza Monen 370, 371. 

Churchill, Lord der Ndmiralität 291, 413, 
421, 

— und deutfche Flotte 176. 

Slemenceau und Kriegführung 277, 286, 
287, 

Clevelandbotſchaft 55. 

Sohn, Oskar, Abgeordneter 281. 

Solbert 388, 439 

Sontreras, fpanifcher General 14. 

„Sormoran” 451. 

Coronel, Schlaht bei 304, 321. 

Courcel, Baron de, franzöfifcher Bot: 
ſchafter in Berlin 91. 

„Creſſy“, englifcher Kreuzer 313. 

Gurasao 22. 


D 


Dr. David, Reichsminiſter 280. 
Daͤhnhardt 82. 

‚Daily Chroniele“ 187, 

‚Daily Mail’ 259. 

‚Daily News’ 433. 

‚Daily Telegraph“ 268. 
Dalwigk 476. 

v. Dallwik 471. 

Dardanellen, Rettung der 155. 
Dehn, Paul 283, 
Delagoaangelegenheit 121. 
Delcaffe 182. 


538 


„Derfflinger” 114, 115. 

Dernburg 432. 

‚Deutfche Allgemeine Zeitung’ 168, 

Deutſch-Oſtafrika 59, 67. 

Dewey, amerifanifcher Admiral 159, 

Djavid Bey 474, 

Did, Admiral 454, 523, 

v. Diederiche, Admiral 50, 65. 

Dörpfeld 453. 

Douglas, Archibald, englifcher General 
321. 

Dreadnought, Beginn des Baues in 
England 173, 176. 

— Beginn des Baues in Deutfchland 
174, 506. 

Dreibund 28, 

— England, maritime Ergänzung bes 58, 

— beutjchsruffifchjapanifcher 153. 

Düppel 156, 


v. Edardftein, diplomatifche Enthüllungen 
171. 

‚Seonomift‘ 369, 

Eduard VII. und Deutfchland 171, 

— und Kaifer Wilhelm 172, 

v. Egidy, Kapitän der „Seydlitz“ 334. 

Eichhorn, Generaloberft 454. 

v. Einem, General 444, 451. 

Einkreifungspolitif Englands 172, 

Eitel Friedrich, Prinz 415, 464, 484, 

„Eitel Friedrich”, Hilfskreuzer 451. 

„Emden“ 114, 305, 315, 424, 439, 510, 

England, Operationöplan gegen 59, 

—3 Schuß feiner Landsleute 15. 

— Torpedoboote 35. 

—$ Verkennung durch Kruͤgerdepeſche 57. 

Enver Paſcha 458, 478. 

— und UÜbootskrieg 363. 

Erzberger, Briefwechfel mit Tirpitz tiber 
Luftfchiffe 119—121. 

— und Frieden 278, 

— in den Kriegsbriefen 428, 449, 463, 
472, 

„Erzherzog Friedrich” 4. 


Namen: und Sachregiſter 


8 

v. Falfenhayn und Kriegsausbruch 209, 
251. 

— und Ubootkrieg 343, 347, 353, 356, 
363, 364, 365, 368, 

— in den Kriegsbriefen 403, 431, 460, 
464, 465, 470, 475, 477-480, 482, 
485—489, 491, 493, 494, 496, 500, 
501. 

Falklands-Inſeln 305, 

Faſchoda 103, 


— Abkommen über 171, 


Fayal 7, 

Fiſcher, Hannibal 388, 

Fifher, englifcher Admiral 20, 433, 

—$ Erinnerungen 222, 

— und Flottennovelle 176, 177, 

Flandern, ein felbftändiges 157, 

v. Flotow, Botfchafter in Nom 425, 

Siottenverein 173, 258, 

„Fortnightly Review“ 50, 

Franke, Profeſſor Otto, und Zfingtau: 
Hochſchule 75. 

v. Sranfenberg, Oberft 458, 

‚Sranffurter Zeitung‘ 196, 197, 230, 274, 
279, 371, 437, 444, 475, 486, 

Franz Ferdinand, öfterreichifcher Thron: 
folger 204. 

Stanz Joſef, Kaifer 447, 

— und Wilhelm II. 208, 209, 

Fredericks, ruffifher Minifter 147, 

French, Marfchall 438. 

Friedrich der Große 27, 41, 129, 163, 
226, 229, 280, 287, 388, 452, 453, 
463, 473, 487, 501. 

— Eizherzog 479, 

— Großherzog von Baden 95, 435, 

— Karl, Prinz 9, 17, 24, 26, 51. 

„— Sad” 10, 14, 15, 22. 

— Wilhelm I., König von Preußen 124, 
129, 

— Wilhelm IV. 448, 

Futſchou 62. 





Namen: und Sachregiſter 


6 

Gablentz 4. 

Gaaarin, Fürft 489, 

Gambetta 281. 

‚Sartenlaube‘ 2, 6. 

„Gazelle“ 3, 

Georg V., König von England, und 
Kriegsausbruch 238. 

— und Freiherr von Marfchall 200, 

— und Rußland 234. 

Gerard, amerikanifcher Botfchafter- in 
Berlin, und Tirvitz 217. 

— und Ubootkvieg 342, 343, 355, 357, 
358, 482, 499, 

Gerlach 10. 

Gibraltar 10, 14, 

„Glocke“, fozialiftifhe Zeitſchrift 279, 

Gluͤcksburg, Herzog von, und Tirpik 156. 

Gneifenau 255, 453. 

„Soeben“ 302, 303. 

— bei Imbros 114. 

v. d. Golk, Feldinarfchall 80, 419, 462, 
464. 

— und Flottengeſetz 97. 

— und Kriegebeginn 251. 

Goͤns, Pfarrer im Hauptqunrtier 431. 

Gofchen, Sir Edward 400, 414, 

Goethals, Oberft, und Panamafanal 123. 

Gothein, Abgeordneter 230. 

Graevenitz 450. 

„Greif“ 306, 

Grey, Sir Edward 447, 489. 

— und Dänemark 315. 

— und Haldanes Beſuch 186. 

— und Sſaſonow 220, 234. 

— und Vermittlungsserfchlag 215—219, 
222, 223, 226, 238, 245, 247, 254, 

Großer Generalftab und UÜbootkrieg 346. 

Großer Kurfürft 229, 

„Großer Kurfürft” 18, 31. 


9 
Hanfe, Abgeordneter 230. 
Haiti 79, 


539 


Haldane, englifcher Kriegsminifter 139. 

— Befuh in Berlin 185—190, 192 Bis 
194, 196, 205. 
Slottenverftändigung 184, 201. 

— über deutfche Strategie 252. 

Hamburg 6, 11. 

Hamburger Hafen 12, 

— und Bismard 9. 

— Kaiſer Wilhelm II. Rede 104. 

Hammann, D. 200. 

— „Borgefchichte des Weltkrieges“ 171. 

v. Harnad, Profeffor 401, 413, 

Hatzfeld, Prinz 379. 

Hauß, öfterreichifcher Admiral 303, 438, 
445, 

Havenftein 429, 

Hawaii 22. 

Hedfcher, fortfchrittliher Abgeordneter 
206. 

v. Heeringen, Kriegsminifter 251. 

— Kapitän 32, 94, 9. 

Heinrich, Prinz v. Preußen, in Stalien 93. 

— und Kriegsausbruch 238. 

— Fackelzug in New York 71. 

— und Tirpik 125, 213, 

— nad) Tfingtau 9. 

— in den Kriegsbriefen 401, 407, 447, 
466, 468—470, 476, 492, 

— Kapitän 335, 476. 

Helfferih und Rufland 261, 262, 272, 

— und Ubootfrieg 352, 355, 356, 429, 
489, 491, 495, 497. 

Helgoland 6. 

— Gefecht bei, 1864 4, 8. 

— — 1914 39. 

— Vortrag über — 18% 59, 

Hendel, Fürft 470. 

Hentſch, Oberftleutnant 438. 

Herfing 520. 

Hertling, Freiherr v. und Flottengefek 
100. 

— NReichöfanzler 287. 

Heufner, Admiral 39, 

v. Hendebrand 418, 


540 


v. Heyfing, Gefandter in Pefing 63, 64. 

Hindenburg: Feldzugeplan 1915 149, 
252, 269. 

Hindenburg und Kaifer 139. 

— und Lloyd George 256. 

— und Marine 338. 

— und Tirpik 292. 

— und UÜUbootkrieg 367, 383, 385. 

— in den Kriegshriefen 402, 407, 411, 
426, 429, 433, 436—438, 441, 442, 
445, 450, 456, 458—461, 465—467, 
472, 473, 475, 477, 480, 484, 485, 
487, 4%, 491, 493—49. 

v. Hinke, Marineattachee, und Auswaͤr— 
tiges Amt 237, 239, 245, 379. 

— und Admiral Dewey 159. 

— in Peteröburg 148, 149, 152. 

— in den Kriegsbriefen 404, 411, 473. 

Hinzpeter, Erzieher des Kaifers 133, 

Hochleeflotte 25, 119, 126, 

— Bau 49, 

— Kommando 123, 

— Taktik der 41. 

Hoffmann, General 496, 

„Hogue“, englifcher Kreuzer 313. 

Hohenlohe, Reichskanzler, Fuͤrſt 60. 

— und Slottengefeke 98, 108. 

— und Kabinett 136, 

Hollmann, Admiral 39, 45. 

— und Kreuzerfrieg 49, 

— und Reichömarineamt 81. 

— in Rominten 138. 

— und Tirpik 44, 

— VBertrauensvotum 60. 

v. Holftein und Oftafien 65. 

— und Rußland 143, 146. 

v. Holßendorff, Admiral 332, 360, 363, 
365, 375, bil. 

Hongkong 66. 

— Dods von 61, 63. 

Hopman, Admiral 401, 417, 438, 444, 
469. 

o. Hößendorff 479, 491, 


Namen: und Sachregiſter 





Hoyos, Graf, Kabinettschef Berchtelds 
208, 
Humbert, König von Italien 26. 


3 

„Iltis“ 62, 63, 65. 

„Indefatigable“ 333, 507. 

v. Ingenohl, Admiral 309, 311, 314 bis 
316, 325, 504. 

— in den Kriegsbriefen 396, 397, 403, 
409412, 414, 417, 430, 436—439 
470, 471, 477. 

„Invineible“ 334, 507, 

Jaͤckh 246, 408. 

v. Jagow, Staatöfekretär des Auswaͤr⸗ 
tigen 237, 245, 

— und Sambon 189, 

— und England 259. 

— und Grey Vermittlung 216, 217, 
219, 223, 224. 

— und Kriegsausbruch 234, 238, 

— und Zirpik 246, 254, 

— und Ubootöfrieg 356, 358. 

— in den Kriegöbriefen 392, 393, 400, 
407, 417, 421, 424, 425, 444, 446, 449, 
453, 478, 482, 485, 499, 500, 

Jakobſen, Admiral 475. 

Jameſons Zug 57. 

Japans Ultimatum 77, 392, 

Jasmund, Gefecht bei 1. 

Fellieoe, Admiral, und Freiherr von 
Marfchall 201. 

Sefuitengefeß und Flottengefeß 109. 

Joachim, Prinz von Preußen 496. 

Joffre 438, 459. 

Johann Albrecht, Herzog 424, 


ee re BEER 


K 
Kaiſer Wilhelm II., Ira 11. 
— und Nuslandefchiffe 122, 131, 202. 
— Bedeutung beim Negierungsantritt 
132. 
— und Bethmann 259, 376. 
— und Bismard 88, 92, 3. 





Namen: und Sachregiſter 


Kaifer Wilhelm II. und Gaprivi 23, 38, 

— und Dienftvorfchriften 49, 

— und Eduard VII. 172, 

— und $lottenbau 50, 79, 133, 179, 
180, 183—186, 191, 195, 503. 

— und Flottengefeße 85, 86, 102, 104, 
105, 107, 108, 109, 

— und Flottenfommando 125, 

— und SFlottenpolitif 269, 303, 310, 311, 
312, 324—328, 338. 

— und Slottenverein 173. 

— und Franz Tofef 208, 209. 

— Friedensliebe 207, 235. 

— und Haldane 186—190, 192—194, 
in. 

— und v. Heyking 63. 

— und Hindenburg 139. 

— und Kabinett 135. 

— in Kiel 40, 

— und Kipling 160. 

— Konftitution des 135, 

— und Kreuzerfrieg 80. 

— und Ktiegsausbruch 208, 209, 210, 
219, 230, 237—240, 242, 248,249, 254. 

— und Marinefabinett 39. 

— und Marineforps 302. 

— und Marineoberfommando 81. 

— und Freiherr v. Marfchall 200. 

— und Moltfe 245. 

— und Admiral v. Müller 331. 

— und Nikolaus II. 146, 272, 

— und Oſtaſien 65. 

— und ruffifche Politik 150, 

— ald Prinz 36, 38, 

— und Randbemerkungen 137, 

— und Emil Rathenau 134. 

— und Reihömarineamt 246. 

— in Rominten 137, 138, 139, 

— und Seymour 164. 

— und Tirpitz 41, 133, 166, 197, 203, 
359, 365, 366. 

— und Torpedoabwehr 134. 

— und Ubootöfrieg 342, 344, 346, 347, 
348, 353, 356—859, 362, 367, 368. 


541 


Kaifer Wilhelm II. und Volk 277. 

— in den Kriegsbriefen 393, 395—8397, 
399, 401404, 406, 408, 410, 411, 
414—417, 419, 421, 424432, 434, 
435, 437, 440-444, 446, 447, 450 
bis 452, 454-457, 459, 461, 462, 
464—467, 469-475, 477-480, 481, 
483, 484, 486, 488495, 498, 501. 

„Kaiſer“, Flaggſchiff 63. 

Kaiſer Friedrich 92. 

Kaiſer Wilhelm J. 28, 130, 132, 139, 423. 

— als Prinz 92. 

Kaiſerin Auguſta Viktoria 139, 454, 460, 
473, 474, 

Kamerun, Taufchobjekt für Oftafien 64. 

Kampf, Neichstagspräfident 478—480, 

Kap⸗Kairobahn 189. 

Kapp, Generallandfchaftsdireftor 288. 

Kapftadt 22, 

„Karlder Große“ 104. 

„Karlsruhe“ 305, 424, 439, 510, 

„Kaſuga“, japanifcher Kreuzer 148, 

Kerenskj 151. 

v. Keffel 459. 

Kiautfchou 63, 65. 

Kiderlen: Wächter 143, 

— und Slottenverftändigung 185, 

— und Maroflofrife 181. 

Kiel 4, 8, 18, 

— Föhrde 47, 

— Marienftation 122, 

Kipling 160, 

Kitcheners Armeen 251, 

Klein, Tim 472, 

v. Knorr, Admiral 50, 

Köhler, Kapitän der „Karlsruhe 305, 

„Köln“ 309, 

Kolonialamt und Tſingtau 66, 

— und Kreuzerkrieg 67. 

Kolonien 21. 

— Ermerbung 26. 

— Kolonialbuͤrokratie 67. 

„Koͤnig Wilhelm“ 5, 6, 7. 

„Königsberg“ 305, 315. 


542 


Kongoverhandlungen 183. 

Konftantin, König von Griechenland 448, 

v. Köfter, Großadmiral 124. 

Kötfchke, H. 225. 

Kraft, Admiral 476, 

‚Kreuzzeitung‘ 91, 482, 487, 

Kriege, Minifterialdireftor 343, 346, 480. 

Kriege: Freiheitökrieg 41, 

— 1866 41, 

— 1870 5, 41, 55. 

— [panifch-amerifanifcher 103, 159, 351. 

— Burenfrieg 103. 

— ruffifchjapanifcher 142, 148. 

— Balfankrieg 1912 218. 

Kronprinz Wilhelm und „Kriegspartei” 
196, 

— und Tirpik 286, 
— in den Kriegsbriefen 395, 407, 430, 
451, 459, 467—469, 490. 

Kronprinz von Bayern 39. 

Krügerdepefche f. Transvaaldepeſche. 

Krupp 10, 436, 470, 

v. Kühlmann und Flottenbau 180, 184, 
201, 

— und Holland 375. 

— und Tirpik 19%. 


x 


Lambsdorff, ruffifher Minifter 147. 

Lea, Homer 464, 

Lee, Zivillord der Admiralität 173, 180, 

v. Leipziger 50, 

Lenfh, Paul 279, 

Leopold, Prinz von Bayern 460, 493, 

Lettow-Vorbeck 67, 305, 

v. Lichnowsky, Fürft 58. 

— und England 168, 

— und Flotte 204. 

— und Kriegsausbruch 241, 

Lieber, Zentrumsführer und Slotten: 
gejeß 100, 101. 

Liman-Sanders 458, 

v. Lindequift, Kolonialfekretär, Ruͤcktritt 
183, 


Namen: und Sachregiſter 


gift, Friedrich 255, 

Lloyd George und Agadir 181, 219, 

— und deutfcher Slottenbau 180, 185, 
190, 192, 193, 201. 

— und Kriegfuͤhrung 255, 256, 263, 
277, 286-289, 

— und Militarismus 283, 

v. Loe, Feldmarfchall 23, 

v. Loebell, Stantsminifter, und Tirpitz 
213, 499. 

Loof, Kommandant der „Königsberg” 
305. 

v. Zucanus bei Bismard 94, 

— und Fefuitengefeß 109, 

Ludendorff 367, 385, 530, 

— und Bethmann Hollweg 149. 

— Kriegsplan 252. 

— in den Kriegsbriefen 411, 412, 426, 
459, 460, 493496, 

Ludwig XIV. 386, 439, 

Ludwig, König von Bayern 395, 448, 
459, 473, 

Luftfchiff 118, 119, 

„Zufitania“ 352, 357, 361, 491, 501. 

Rufitanianote 353, 

v. Lyncker, Chef des Militärkabinetts 
456, 484. 

— und Kriegsausbruch 209, 


M 


Mac Kenna, Lord der Admiralität, und 
deutfche Flotte 171. 

v. Madenfen 255, 493. 

„Magdeburg“ 395. 

Mahan, amerikanifcher Admiral 47, 

„Maine”, amerifanifches Kriegsfchiff 162. 

„Mainz“ 113, 309, 390, 395, 396, 417 
480, 481. 

Malaga 14, 

Malta 16. 

v. Maltahn, Adjudant des Kronprinzen 
399. 


‚Manchefter Guardian’ 187, 188, 194, 


197, 


i 





Namen: und Sadıregifter 


Manila 121, 141, 158, 164. 

Mann, Kapitän 413, 487, 496, 

Manteuffel 4. 

Marinenfademie 18, 

‚Marinerundfchau‘ 98. 

Marokko, Eingreifen in 141. 

Marokkokriſis 166. 

Marſchall, Freiherr von, Botfchafter in 
London 195, 200, 201, 

v. Marfchall, Oberft 425. 

Mar von Baden, Prinz, und Friede 278, 
293, 

— un: Sonderfriede mit Rußland 272, 

— und Tirpik 290, 29. 

„Meteor" 306. 

Metternich, Graf Wolf 293, 467, 

— Botfhafter in London 177, 178, 19%, 
200, 

— und Flottennovelle 183, 

v. Miquel und Flottenvorlage 86. 

— bei Bismard 94. 

Mittellandfanal 103, 

Moltke 14, 40, 93, 122, 130. 

v. Moltfe, Generaloberit 93, 227, 

— und Saifer 245. 

— und Kriegsausbruch 241, 242, 243 
252, 

— und Tirpitz 251, 254. 

— in den Kriegöbriefen 398, 405, 410, 
416, 456. 

„Moltke“ 401, 

Mommfen, Profeffor, und Flottengefek 
96. 

„Moncalm“, franzoͤſiſches Kriegsſchiff 7. 

Monroedoktrin 159. 

Monte, Graf 36, 37, 39, 471, 472, 473, 
475. 

Morning Poft‘ 370, 

„Moͤve“ 304, 306. 

v.Müde, Kapitänleutnant 510. 

Mukhtar Paſcha 479, 

v. Muͤller, Admiral, und Bethmann 237, 
331. 

— und Heeresvorlage 251. 


543 


v. Müller, Admiral, Hofpolitifer 136. 

— und Raifer 331. 

— und v. Trotha 292, 

— und Tirpik 327, 328, 330, 

— und UÜbootsfrieg 346, 353, 356, 365, 
368. 

— in den Kriegsbriefen 396, 398, 406, 
411, 413, 417, 424, 429, 430, 434 
bis 437, 442—446, 450-452, 454, 
459, 464—467, 469-472, 474, 476 
bis 482, 484, 489—493, 500—502, 

v. Müller, Kommandant der „Emden“ 
305. 

v. Müller, Erich 478, 

Müller: Fulda, Zentrums-Abgeordneter 
und Flottengeſetz 108, 

v. Mutius 453, 


N 


Napoleon I. 387, 419, 439, 464, 

— 111. 9, 412, 

Nautiecus“ 98. 

Nelfon 45, 49, 337. 

Nikolaj Nikolajewitich 272, 437, 487, 

Nikolaus II. und Deutfchland 146, 

— und Kriegsausbruch 208, 212, 213, 
221, 239, 

— und Mord von Serajewo 204, 209, 

— und Dftafien 147, 

— und Sfafonow 234. 

— und Sonderfrieden 246, 253, 267, 
270, 271, 272, 273, 367, 

— und Tirpik 147, 149, 152, 

„Niobe“ 4, 

„Nifchin”, japanifcher Kreuzer 148, 

‚Norddeutfche Allgemeine Zeitung‘ 86, 
488, 492. 

Nordoftfeefanal 173, 174, 228, 309, 

Northeliffpreffe 177. 

„Nowoje Wremja‘ 212, 


O 
v. Oldenburg-Januſchau 399, 462. 
Oſtaſien 9. 


544 


Dftafien, England und Rußland in 56. 

— militätifcher Stüßpunft in 60. 

— Pachtvertrag 65. 

Oſtſeeſtation 40. 

P 

Paaſche⸗Affaͤre 400. 

Palmerſton 8, 13. 

„Panther“ in Agadir 181. 

Parlament 2, 56, 84. 

v. Payer, Vizekanzler 29, 

v. Peez, U. 255, 283. 

Peking 64. 

— und Tſingtau 68. 

Peter, Koͤnig von Serbien 212. 

Dr. Peters 67, 255, 424, 

Philippinen 159, 

Phormio, Athen. Admiral 46. 

Pitt 55. 

v. Pleſſen 431, 432, 462, 484. 

v. Plettenberg 403. 

v. Pohl, Admiral 265, 307, 308, 310, 325, 
327, 328, 331, 332. 

— und Ubootskrieg 342—347. 

— in ben Ktiegöbriefen 392, 396—398 
403, 406, 407, 409-413, 417, 420, 
423, 425, 426, 428, 429, 431, 432, 
434-438, 443, 445, 450, 454, 455, 
457, 461, 463, 465467, 471, 476, 
477, 484, 486, 491, 492, 

Poincare, Präfident von Frankreich 459. 

— Neife nach Petersburg 214, 

Pola, Ubootsftükpunft 155, 

Polenproflamation 149, 150. 

„Pommern“ 114, 336, 

Port Arthur 148, 

Poſchan (Dftafien) 68. 

Preußen, preußifche Marine 1—10, 

„Preußen“ 40, 42, 

O 

„Dueen Mary“ 333, 507. 


R 
Radoslawow und UÜbootkrieg 363. 
Rantzau, Graf, bei Bismarck 88, 39, 


Namen: und Sachregifier 


Nathenau, Emil 134. 

v. Rebeur, Admiral 114, 476. 

Neichsmarineamt 29, 38, 39, 40, 44, 61, 
133, 134, 327, 397, 402, 481, 487. 

— und Admiralftab 122, 123, 

— und auswärtige Politik 140—166, 
246, 

— und Flottengefeß 84, 85. 

— und SFlottennovelle 104, 175. 

— und Marineforps 301. 

— und UÜbootskrieg 345, 376, 377. 

—, 3entralbehörde 53. 

Reichstag 7, 33, 39. 

— und Slottengefeß 85, 99, 100, 102, 
103, 108, 109, 173, 186, 258, 

— und Kabinett 136. 

— und Ubootöfrieg 356, 366, 372, 376, 
486, 492, 

Nekınann 440, 469. 

Neventlomw, Graf zu 246, 

Ner, Graf, Botfchafter in Tokio 77, 

Hichelieu 388, 439. 

Nichter, Eugen 39, 

— gegen Tlottengefeß 98, 99, 100, 109, 

— gegen Tirpik 79, 

v. Nichthofen und Oſtaſien 61, 

— und Rußland 143, 

— und Tirpitz 143, 

Nidert, freifinniger Abgeordneter 100. 

Rohrbach, Paul 246, 408, 

NRominten 134. 


v. Roon 130, 431. 
— und Bismarck 90. 


Rooſevelt 208, 432, 

— und Slotte 106. 

— und Tirpik 156, 161. 

— und Venezuela 159, 160. 
Roſchdjeſtwensky, ruffifcher Admiral 148, 
Roſeberry, Lord 437, 

Roeſicke, Abgeordneter 492. 


S 
Salisbury 107. 
v. Salza, ſaͤchſiſcher Geſandter 213. 





Namen: und Sachregiſter 


Samoa 64, 103, 141. 

Samfabucht (Dftafien) 61, 62, 64. 

Sankt Jago, Seefchlacht bei 321. 

Sanfibar 59. 

‚Saturday Review’ 169, 180, 

Schäfer, Profeſſor Dietrih, und Flotten: 
geſetz 96. 

Schantung 66. 

Scharnhorft 431, 453. 

Scheer, Admiral 332, 334, 335, 336, 
338, 383, 503. 

Sceidemann 230. 

— und Tirpik 292. 

— und Frieden 278, 281, 

Schimonofefi, Frieden von 76, 77, 164. 

Schlieffen, Graf, und Rußland 143. 

— und Frankreichs Kriegsplan 244. 

—5 Plan 250, 

Schmidt, Admiral 300, 

Schmoller, Profeffor, und Flottengefeke 
96. 


v. Schröder, Admiral 302, 341, 397, 413, 
419—421, 

Schumacher, Profeffor, und Flotten: 
geſetz 96. 

Schulze, E. E., Korvettenkapitaͤn 498. 

Schurz, Karl 159. 

Schwartzkopff 32, 33. 

Schwarzes Meer 425. 

„Seeadler“ 306. 

Seeoffizierforps 9, 25, 39, 116, 127, 
128, 324. 

— und Nuslandsdeutfchtum 73. 

— englifches 27, 

— Erziehung des 97. 

— und Slottennovelle 183, 

— Kompetenzen des 127. 

— und Torpedomefen 44. 

Selborne, Lord der Admiralität 172. 

v. Senden:Bibran 40, 125, 330. 

Serbien, Ultimatum an 164, 172, 214, 
227. 

Sering, Profeffor, und Flottengefek 96. 

Serennat, das 101, 102, 109, 
Tirpis, Erinnerungen 


545 


„Seydlitz“ 333, 334, 346, 507. 
Seymour, englifher Admiral 164. 
Siebs, Kaufmann in Hongkong 70. 
Siemens 476, 

Sfagerraf, Schlacht vor dem 48, 115, 266, 
269, 322, 326, 333—837, 367, 377, 
503, 509, 511, 513. 

Solf, Staatsfekretär 292, 

Solms, Fürft 456, 465, 466. 

Souchon, Admiral 303, 

‚Spzialiftifche Monatshefte‘ 422, 

Spahn, Peter 380. 

Spee, Graf 304, 305, 428. 

Sfafonow und Grey 220, 234, 

— und Ktiegsausbruch 212, 

Stein, Freiherr von 431, 

— und Rußland 152, 

v. Stein, Kriegsminifter 475, 

Steinbrinf, Kapitänleutnant 373, 

Stinnee, Hugo 364, 

v. Stofeh 11—24, 26, 29—31, 35, 38, 

— Ara Stofh 8, 11—22. 

— und YAuslandsdeutfchtum 70. 

— Flottenplan 99, 

— Operationsplan gegen England 59, 
323, 

— und Tirpik 52—56, 67, 106, 

Strumwe, Abgeordneter 527, 

von Stumm 451, 474, 

— und Kriegsausbruch 219. 

Stürmer, ruffifher Minifter 149, 150, 

— und Sonderfrieden 272, 

Suhomlinow, ruffifher Kriegsminifter 
213, 21. 

Sundainfeln, Petroleum der 68, 

Suffer:Fall 263, 367, 368, 380, 383, 
384, 

„Swiftfure” 14, 

Smwinemünde, Sufammenfunft von 146, 


T 
Takuforts 78, 
Tanger 164, 


„Zann” 401, 
39 


546 


Taube, Graf, ſchwediſcher Gefandter 492, 
493. 

ZTegetthoff 4, 8, 45, 438. 

„Tiger“, englifches Kriegsfchiff 114, 155. 

‚Times‘ 252, 385. 

Tisza, Graf 428, 

— und Kriegsausbruch 210, 

„Titanie“ 113, 

Togo, japanifcher Admiral 148. 

Torpedo 30, 32, 34. 

—boot 35, 42. 

—boot:Taftif 43, 315, 317, 396. 

—boote im Kanal 301, 

—boote, englifche 314. 

—Flottille 36, 336. 

—Inſpektion 36, 

—ſchott 113. 

— waffe 41, 113, 

—weſen 24, 31. 

Trafalgar 47. 

Transvwaaldepefche 53, 55—57, 59, 80, 
164, 168. 

Treitfchfe 96. 

v. Treutler, Gefandter 347, 353, 356, 358. 

— in den Kriegsbriefen 430, 440, 474, 
482, 484, 491, 500, 501. 

v. Trotha, Admiral 292, 332, 334, 476, 
484, 486, 492. 

Tryonprozeß 47. 

Tſchifu 62, 63. 

v. Tſchirſchky, Botfchafter in Wien, und 
Kriegsausbruch 212, 

Tſchuſaninſeln 61, 62, 64, 

Tſchuſimaſtraße 148, 321, 

Zfinanfu 67. 

Tſingtau 61—78, 148, 271, 406. 


n 
1.9 113, 313, 315,407. 
u 21 315, 
Uboote im Kanal 301. 
Ubootshandelskrieg 119, 165, 261, 263, 
273, 290, 293, 294, 332, 340-386. 
Ubootsbau 35, 117, 118, 


Namen: und Sachregiſter 


Unterfuchungsausfchuß,parlamentarifcher 
37% 
v. Ujedom 397. 


3 


v. Valentini 430, 440, 467, 471, 484, 

Vaterlandspartei 288, 289. 

Venizelos 448, 

Venezuelaerpedition 130. 

„Bietoria”, fpanifches Infurgentenfchiff 
14, 

— englifches Kriegsfchiff 47. 

Vigo 6. 

v. Binde, Abgeordneter 92, 

Virenius, ruffifher Kapitän 63, 64. 

‚VBorwärts’ 410, 


W 


Waechter, Sir Mar 330. 

Wagner, Profeffor, und Flottengefek 96. 

Wahnfchaffe 457. 

Walderfee, Graf, und Chinaerpedition 
97, 141. 

v. Wangenheim, Freiherr, Botfchafter in 
Konftantinopel 195, 233, 363, 

Warrender, Lady 222. 

Wafhington, George 387. 

Weddigen 459, 520. 

Weinlig, Generaldirektor der Dillinger 
Hütten 403. 
Wermuth, Schakfekretär 185, 229, 
Werner, Kapitän 6, 14, 15, 134, 

Weftarp, Graf 478, 495. 

Wefterfamp 437. 

Weſterkampf, Kapitän 476, 

White Andrew, amerikanifcher 
fchafter 351. 

Whitehead 30, 32. 

Widenmann, Kapitän, Attach6 in Konz 
don 201, 364, 

v. Wiegand, amerifanifher Journaliſt 
432, 443, 446. 

— und UÜbootskrieg 341. 

„Wiesbaden“ 113, 511, 


Bot: 








Namen- und Sachtegifter 


Wild von Hohenborn, Kriegsminifter 363, 
466, 469, 482, 483—485, 490. 

Wilhelmshaven 5, 6, 7. 

— dritte Einfahrt 111. 

— Marineftation 122. 

Wilſon 276, 287. 

— und Amerikas Kriegseintritt 162, 379. 

— Drohnoten 153, 268, 290, 291, 369. 

— 8 14 Punkte 293, 294. 

— und UÜUbootkrieg 337, 350-352, 354 
his 356, 359, 362, 367, 368, 371, 372, 
374, 375, 380, 382, 383, 385, 482, 489, 
500, 

„Wolf“ 306. 

„Württemberg” 40, 42. 


547 


Yarmouth 442. 


3 

Zeebrügge, Befekungsrecht auf 157. 

Zeppelin-Luftſchiff 120. 

„Zeſarewitſch“, ruſſiſches Admiralſchiff 
148. 

„Ziethen“ 31. 

Zimmermann, Staatsſekretaͤr, und 
Kriegsausbruch 209, 211, 225. 

— Meriko-Brief 162, 379, 384. 

— in den Kriegsbriefen 446, 460, 461. 

Zollverein 12. 

Zweifrontenkriegs-Gedanke 23—23, 58, 
59, 97, 151. 


— — — — — — — er zer Er er er Wr Wr * 


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