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Full text of "Erinnerungen aus meinem Zusammenleben mit Georg Berthold Niebuhr : dem Geschichtschreiber Roms"

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* aus meinem Zuſammenleben 


fi EN mit 
Georg Berthold Niebuhr, 
dem Geſchichtſchreiber Roms. 
Bon 
4 Franz Lieber, 


Profeſſor der Geſchichte und politiſchen Oekonomie in Columbia 
(Sid: Carolina), 


Verfaſſer des Stranger in America u. a. 


Aus dem Engliſchen überſetzt 


von 


Dr. Karl Thibaut. 


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gi Heidelberg. 
»der Uuiliberſitäts⸗ Buchhandlung von C. F. Winter. 
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EB Din. 


Biographiſche Skizze. 


Biographiſche Skizze. 


| 


Berthold Georg Niebuhr, der berühmte Geſchicht⸗ 
ſchreiber Rom's, war der Sohn von Carſten Nie⸗ 
buhr. Er war geboren zu Copenhagen den 27ten 
Auguſt 1776; aber, ehe er fein zweites Jahr erreicht 
hatte, erhielt fein Vater (ein Deutſcher) eine Anftel- 
lung in Deutſchland, und zwar im Süd⸗Ditmarſt⸗ 
ſchen, wohin er ſeinen Sohn mitnahm. Die nach⸗ 
ſtehende Beſchreibung ſeiner erſten Erziehung iſt aus 
der, von ihm verfaßten, Biographie ſeines Vaters 
entlehnt. 

„Mich Lehrte er engliſch und franzöſiſch, — auf 
jeden Fall beſſer, als an einem ſolchen Ort Unter⸗ 
richt zu haben geweſen wäre, — auch etwas Ma⸗ 
thematik, und würde darin viel weiter gegangen 
ſeyn, wenn nicht leider Mangel an Luſt und Trieb 


4 


bei mir ihm die Freude verdorben hätte. Das war 
freilich mit ſeinem Unterricht verbunden, daß er, der 
von Jugend auf keinen Begriff davon hatte, wie 
man nicht jede dargebotene Belehrung mit der größ⸗ 
ten Freudigkeit und Ausdauer ergreifen und feſthal⸗ 
ten könne, — unluſtig zu lehren ward, wenn wir 
uns unaufmerkſam und unluſtig zu lernen zeigten. 
Da der erſte Unterricht, welchen ich im Latein em⸗ 
pfing, ehe ich das Glück hatte, des vortrefflichen 
Jägers Schüler zu werden, ſehr mangelhaft war, ſo 
half er mir auch darin nach, und las mit mir als 
Knaben Cäſars Commentarien: wobei ſich feine eis 
genthümliche Art darin äußerte, daß er mich noch 
mehr auf die alte Geographie, als auf die Geſchichte 
ſelbſt hinzog; das alte Gallien von d'Anville, für 
den er eine ganz eigene Verehrung hatte, lag immer 
vor uns, ich mußte jeden genannten Ort aufſuchen 
und in ſeiner Lage angeben können. Grammatiſch 
war ſein Unterricht durchaus nicht; er beſaß die 
Sprachen, ſo weit er ſie kannte, durch Anſchauun⸗ 
gen und Totaleindrücke. Dieß, und feine Meinung, 
man verdiene nicht zu lernen was man ſich ſelbſt nicht 
größtentheils erarbeite, ſo daß der Lehrer nur im 


5 


Allgemeinen helfe und aus der ſonſt gar nicht zu lö⸗ 
ſenden Verlegenheit ziehe, war Urſache, daß ſein 
Verſuch, mich im Arabiſchen zu unterrichten, da er 
ſchon zu ſehr entwöhnt war, es zu reden, um mir 
die Sprache auf dieſe Art beizubringen, und die 
ſonſt der Grammatik gar nicht entohnigt ſeyn kann, 
zu ſeinem Leidweſen und meiner Beſchämung nicht 
gelingen wollte. Als ich es nachher ſelbſt erlernte 
und ihm Ueberſetzungen ſandte, war er ſehr glücklich.“ 


„Ich erinnere mich ſehr lebhaft mancher Erzäh⸗ 
lungen vom Weltgebäude und vom Orient aus den 
Kinderjahren, wenn er den Knaben beſonders Abends 
vor dem Schlafengehen auf den Knieen hielt, und 
ihn damit, anſtatt Mährchen, ſpeiste. Die Geſchichte 
Mohammeds, der erſten Khalifen, namentlich Omars 
und Alis, für die er die tiefſte Verehrung hatte, die 
der Eroberungen und Ausbreitung des Islam, die 
der Tugenden der damaligen Heroen des neuen Glau⸗ 
bens, die Geſchichte der Türken, prägten ſich mir 
früh und mit höchſt anmuthigen Farben ein: auch 
waren die Geſchichtsbücher hierüber faſt die erſten, 
welche in meine Hände kamen.“ 


„Ich erinnere mich auch, wie er etwa in meinem 
zehnten Jahr am Weihnachtsabend, um mir das Feſt 
zu verherrlichen, die Hefte, welche ſeine über Afrika 
geſammelten Nachrichten enthielten, aus dem faſt 
prächtigen Kaſten, der ſeine Manuſeripte, von Kin⸗ 
dern und Hausgenoſſen wie eine Bundeslade verehrt, 
bewahrte, hervornahm und mit mir las. Er hatte 
mich gelehrt, Charten zu zeichnen, und, von ihm 
ermuntert und unterſtützt, entſtunden gleich Charten 
von Habbeſch und Sudan.“ 

„So war es ihm denn ſehr willkommen, wenn 
ich zu ſeinem Geburtstage zuſammengetragene Geo⸗ 
graphieen orientaliſcher Länder, wie ſie dem Kinde 
gerathen konnten, oder Uberſetzungen von Reiſebe⸗ 
ſchreibungen überreichte. Er wünſchte urſprünglich 
nichts anderes, als daß ich fein Nachfolger in Reifen 
im Orient werden möchte. Aber der Einfluß einer 
ſehr zärtlichen und ängſtlichen Mutter auf meine 
phyſiſche Erziehung verdarb dieſen Plan in ſeiner 
Grundlage; ihrer Einrede opferte der Vater nachher 
den Gedanken auf, hier doch noch wieder auszuhel⸗ 
fen und in die erſte Bahn einzulenken. Es war eine 
Lieblingsidee für ihn geweſen, das ausnehmende 


7 


Wohlwollen, deſſen er ſich in England erfreute, und 
das Verdienſt, welches er in Hinſicht der Schifffahrt 
auf dem obern Theil des rothen Meeres um die bri⸗ 
tiſche oſtindiſche Compagnie hatte, zu benutzen, um 
mich als Jüngling nach Indien zu bringen: welches 
ihm vielleicht gelungen ſeyn würde. Mit dieſem Ge⸗ 
danken, deſſen Vereitelung ihm übrigens ſpäter ſo 
lieb war, wie mir ſelber, war manches in ſeinem 
Unterricht verwandt. So bediente er ſich vorzüglich 
gern engliſcher Lehrbücher, gab mir viele engliſche 
Werke aller Art in die Hände, ſogar ſehr früh re⸗ 
gelmäßig engliſche Zeitungen: Umſtände, welche ich 
hier nicht erzähle, weil fie auf mich einen entfchet- 
denden Einfluß für das reifere Leben gehabt haben, 
ſondern weil ſie ihn darſtellen.“ 


Der Verkehr mit mehreren ausgezeichneten Ge⸗ 
lehrten, beſonders mit J. H. Voß, dem berühmten 
Überſetzer des Homer, flößte ſchon frühzeitig dem 
jungen Niebuhr eine beſondere Liebe für die Claſſiker 
ein. Sein Vater war genau bekannt mit dem be⸗ 
rühmten Büſch, welches die Urſache war, daß Nie⸗ 
buhr ſich auf einige Zeit in Hamburg aufhielt, wo 


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er ſich mit den kaufmänniſchen Geſchäften bekannt 
machte. Hier war er auch in heſtändigem Verkehr 
mit Klopſtock, welcher überhaupt große Liebe für die 
Jugend hegte. Von 1793 bis 1794 ſtudierte er die 
Rechte auf der Univerſität zu Kiel ; aber feine Nei- 
gung zu den Claſſikern dauerte fort. In feinem 
neunzehnten Jahre ging er auf die Univerſität zu 
Edinburgh, um unter Leitung der damals ſo be⸗ 
rühmten Profeſſoren dieſer Anſtalt die Naturwiſſen⸗ 
ſchaften zu ſtudieren. Er blieb anderthalb Jahre in 
Edinburgh, und machte dann eine ſechs monatliche 
Reiſe durch England. Hierdurch erwarb er ſich eine 
vielſeitige Bekanntſchaft mit den Einrichtungen dieſes 
Landes, unterſtützt wie er war durch ein Gedächtniß, 
von deſſen Kraft der Verfaſſer, während ſeines lan⸗ 
gen Aufenthalts bei Niebuhr, die überraſchendſten 
Beweiſe geſehen hat. 

Nach ſeiner Rückkehr aus England ward er als 
Privatſecretair bei dem Däniſchen Finanzminiſter an⸗ 
geſtellt. In dieſer Lage hatte er die günſtigſte Ge⸗ 
legenheit, die Verwaltung des Grafen A. P. Bern⸗ 
ſtorff genau zu ſtudieren, ein Umſtand, der, wie er 
ſelbſt in der oben erwähnten Lebensbeſchreibung ſeines 


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Vaters fagt, einen weſentlichen Einfluß auf die Rich⸗ 
tung ſeines ganzen Lebens hatte. 

Einige Zeit darauf ward er zum Director der 
Bank ernannt. Im Jahr 1801 war er Zeuge des 
Bombardements von Copenhagen. 

Das Eindringen der Franzoſen in Deutſchland 
(welches er immer als ſein wahres Vaterland liebte) 
betrübte ihn ſehr. Ein Beweis ſeiner Geſinnung in 
dieſer Hinſicht iſt feine Überfegung der erſten Philip⸗ 
pika des Demoſthenes, welche er dem Kaiſer Alexan⸗ 
der widmete, in Begleitung eines bemerkenswerthen 

Aufrufs an dieſen. Im Jahr 1806 kam er in Preu⸗ 
5 ßiſche Dienſte; aber gleich nach ſeiner Ankunft zu 
Berlin änderte die Schlacht von Jena die ganze Lage 
des Königreichs. 

In Königsberg, wohin er dem Hof gefolgt war, 
ward er zu einem der Räthe ernannt, welche die öf⸗ 
fentlichen Angelegenheiten unter Hardenberg bis zum 
Tilſiter Frieden leiteten. Alsdann nahm er einen 
thätigen Antheil an der Organiſation der Preußiſchen 
Staaten unter dem Miniſter Stein. Im Jahr 1808 
ward er mit einem beſonderen Auftrag nach Holland 
geſchickt, wo er vierzehn Monate blieb, während 


10 


deren er, trotz feiner öffentlichen Geſchäfte, einige 
Zeit für ſeine Studien erübrigen konnte. Bei ſeiner | 
Rückkehr nach Berlin ward er zum Geheimen Staats⸗ 
rath und zeitlichen Mitarbeiter im Finanzweſen er⸗ 
nannt. Als im Jahr 1810 die Berliner Univerſität 
gegründet ward, beredeten ihn ſeine Freunde, ſeine 
erſten Vorleſungen über Römifche Geſchichte zu hal⸗ 
ten; und dieſe wurden von ſeinen Zuhörern mit 
ſolchem Beifall aufgenommen, und fo ſehr von Butt⸗ 
mann, Heindorf, Spalding und Savigny gerühmt, 
daß er 1811 und 1812 die zwei Bände über Rö⸗ 
miſche Geſchichte herausgab. 

Als die Preußen gegen die Franzoſen lcbrachen 
gründete er unter dem Titel „Preußiſcher Correſpon⸗ 
dent“ ein Journal zu Berlin; und im Jahr 1814 
ward er wieder nach Holland geſchickt, um eine An- 
leihe mit England zu unterhandeln. Bei ſeiner Rück⸗ 
kehr nach Berlin verlor er in demſelben Jahre ſeine 
Gattin, und, gleich darauf, ſeinen Vater. Um 
nach dieſen Unglücksfällen ſeinen Geiſt zu zerſtreuen, 
entwarf er die Biographie ſeines Vaters, und gab zu⸗ 
gleich mit Buttmann und Heindorf die von Angelo Maio 
zu Verona entdeckten Fragmente des Fronto heraus. 


11 


Im Jahr 1816 heurathete er zum zweiten Male 
und ward zum Preußiſchen Miniſter am päbſtlichen 
Stuhl ernannt. Als er auf ſeiner Reiſe nach Rom 
durch Verona kam, entdeckte er in der Bibliothek 
der Cathedrale der Stadt die Inſtitutionen des Gajus. 
Der Hauptzweck ſeiner Sendung war der, mit dem 
Pabſte die Reorganiſation der catholiſchen Kirche in 
den Preußiſchen Staaten zu bewirken, was denn auch 
endlich durch das Preußiſche Concordat feſtgeſtellt 
ward, als Fürſt Hardenberg im Jahr 1822 nach 
Rom kam. Das Reſultat hiervon iſt die Bulle 
De Salute Animarum. Pius der Siebente, ſelbſt 
ein Freund der Wiſſenſchaften, hatte große Achtung 
für Niebuhr. Kurz vorher, ehe er nach Italien 
kam, hatte er ſeine Aufmerkſamkeit auf die Wichtig⸗ 
keit der Codices rescripti gerichtet, und die Ent⸗ 
deckung des Gajus vermehrte noch ſein Intereſſe für 
die Sache, ſo daß er zu Rom viele Zeit auf eine 
genaue Unterſuchung der Manuſeripte der Vatikani⸗ 
ſchen Bibliothek verwandte. Als aber Angelo Maio 
zum Aufſeher der Bibliothek ernannt war, ward 
Niebuhr durch deſſen übel angebrachte Eiferſucht ab⸗ 
gehalten, ſeine gelehrten Arbeiten frei und ungehin⸗ 


12 


dert fortzuſetzen. Indeß machte er deren | Refultat 
der Welt in einer Sammlung von unedirten Frag⸗ 
menten des Cicero und Livius (Rom, 1820) be⸗ 
kannt; und als in der Folge das gute Verſtändniß 
zwiſchen Maio und Niebuhr wiederhergeſtellt war 
(eine Folge der uneigennützigen Freimüthigkeit des Letz⸗ 
teren), nahm er thätigen Antheil an Maio's Heraus⸗ 
gabe der wichtigen Fragmente Cicero's De Republica. 

Sein Aufenthalt in Rom verſchaffte ihm eine 
genaue Bekanntſchaft mit den Localitäten der Stadt, 
und einen deutlicheren Begriff von deren Geſchichte 
und vormaligem Zuſtande. Der Verfaſſer glaubt, daß 
Niebuhr mit den Überbleibſeln der alten Stadt beſſer 
bekannt war, als irgend ein Alterthumsforſcher des 
Ortes ſelbſt; und gieng man mit ihm über das alte 
Forum, fo glaubte man einen Führer aus der claſſi⸗ 
ſchen Zeit zur Seite zu haben — ſo klar lag die 
ganze Scene vor ſeinem Auge. Seine Kenntniſſe in 
dieſer Beziehung zeigen ſich in ſeiner Abhandlung: 
„Wachsthum und Abnahme des alten, und Wieder⸗ 
herſtellung des neuen Rom's“, welche im erſten Theil 
der Beſchreibung Rom's abgedruckt iſt, die Bunſen 
und Plattner herausgeben. Jedoch iſt ſie auch in ſeiner 


13 


Sammlung kleinerer Schriften erſchienen. Mehreres 
derſelben Art wird von ihm in den folgenden Theilen 
des ſo eben erwähnten intereſſanten Werkes erſcheinen. 
In dieſer Zeit ſchrieb er auch mehrere Lateiniſche Ab⸗ 
handlungen in den Atti dell' Academia di Archeolo⸗ 
gia, über die von Gau aus Nubien gebrachten Grie⸗ 
chiſchen Inſchriften, und eine Deutſche Abhandlung 
über das Zeitalter des Curtius und Petronius, in 
den Verhandlungen der Berliner Academie. 

Im Jahr 1823 verließ er Rom, und gieng, ehe 
er nach Deutſchland zurückkehrte, nach Neapel. Hier 
verwandte er täglich in der Bibliothek dieſer Stadt 
mehrere Stunden auf die Vergleichung der beſten 
Handſchrift des Grammatikers Chariſius. In der 
Schweiz hielt er ſich ſechs Wochen zu St. Gallen auf 
und unterfuchte mühſam die Manuferipte der Biblio⸗ 
thek; und hatte er auch mehr erwartet, als er wirk⸗ 
lich fand, ſo entdeckte er doch wenigſtens mehrere 
Überbleibſel der ſpäteſten römiſchen Dichtkunſt, näm⸗ 
lich Gedichte des Merobaudes. 

Er ließ ſich zu Bonn nieder, wo die Preußiſche 
Regierung eine Univerſität gegründet hatte. Er 
ſchrieb hier, im Winter von 1823 auf 1824, den 


14 


Theil der Römiſchen Geſchichte, welchen er noch voll⸗ 
endet hat. Er ward zum Mitglied des Staatsraths 
ernannt, deſſen Sitzungen er zu Berlin beiwohnte. 
Der Verfaſſer bewahrt noch eine dankbare Erinnerung 
an einen, ihm in dieſer Zeit von Niebuhr abgeſtatteten, 
Beſuch, als er in Folge einer politiſchen Verfolgung 
gefangen ſaß, und an die Befreiung aus ſeiner Haft, 
welche ihm Niebuhr durch ſeine Vermittelung aus⸗ 
wirkte. Und dieſe Güte hatte um ſo viel größeren 
Werth, als Niebuhr's eigene politiſche Grundſätze 
von den Männern, die am Staatsruder waren, mit 
einigem Argwohn betrachtet wurden. 

Nach ſeiner Rückkehr nach Bonn beſchloß er, vor 
Herausgabe des dritten Bandes, die zwei erſten Bände 
ſeiner Römiſchen Geſchichte umzuarbeiten, indem 
weitere Nachforſchungen ſeine Anſichten in verſchiede⸗ 
nen Hinſichten geändert hatten. Er begann nun auch 
wieder ſeine Vorleſungen; und die einlaufenden Ho⸗ 
norare verwandte er zu Preiſen für wiſſenſchaftliche 
Fragen, oder zur Unterſtützung armer Studierenden. 
Der erſte Theil (zweite Ausgabe) erſchien 1827, und 
er ward ſo günſtig aufgenommen, daß 1828 die 
dritte Ausgabe davon erſchien. Der zweite Theil 


45 


| ward, in feiner neuen Geſtalt, erſt wenige Monate 
vor ſeinem Tode vollendet; und er ſagt in der Vor⸗ 
rede, daß der traurige Einfluß der neueren politi⸗ 
ſchen Ereigniſſe auf ſeinen Geiſt ſich in der Art, wie 
er den letzten Theil ſeines Werkes umgearbeitet habe, 
kund gebe. Der Theil des dritten Bandes, welchen 
er beendet hatte, und worin die Römiſche Geſchichte 
vom Lieinianiſchen Geſetz bis zum letzten Viertheil 
des fünften Jahrhunderts fortgeführt iſt, wird wahr⸗ 
ſcheinlich bald erſcheinen. 
7 


Niebuhr's Thätigkeit war groß. Jeder Gelehrte 
wird in ſeinem Geſchichtswerke leicht die ausgedehnte 
und ununterbrochene Arbeit erkennen, die es erfor⸗ 
derte. Ja, gegen das Ende ſeines Lebens, fügte 
er ſich noch zu ſeinen übrigen Arbeiten die Aufgabe 
hinzu, eine neue Ausgabe der Byzantiniſchen Ge⸗ 
ſchichtſchreiber vorzubereiten. Er ſelbſt machte den 
Anfang mit einer kritiſchen Ausgabe des Agathias, 
und gewann thätige Mitarbeiter, während er die 
Ausführung des Planes leitete. Zur ſelben Zeit 
veranſtaltete er eine Sammlung ſeiner Abhandlungen 
in den Verhandlungen der Berliner Academie und 


16 


im Rheiniſchen Muſeum, welches er ſeit 1827 mit 
Profeſſor Brandes herausgab. Sein Ruhm iſt über 
Europa verbreitet, und in Amerika iſt er ebenſo 
verehrt. Er ſtarb den 21ten Januar 1831, in ei⸗ 
ner Periode ſeines Lebens, da man mit Recht noch 
Großes von ihm erwartet hatte. Seine Gattin ſtarb 
am 1 1ten deſſelben Monats. 


Erinnerungen 
* Rn 


Nie buh r. 


Erinnerungen an Niebuhr. 
Einleitung. 


Ale diejenigen, welche Wiſſenſchaft und Wahrheit 
lieben, werden, glaube ich, freudig aufnehmen, was 


nur irgend dazu beiträgt, mit klareren Umriſſen 


den Character, die Fähigkeiten und geiſtige Thätig⸗ 
keit des Geſchichtſchreibers Niebuhr in's Licht zu 
ſetzen — eines Mannes, deſſen Arbeiten ſchon einen 
ſo mächtigen Einfluß auf einen wichtigen Zweig des 
menſchlichen Wiſſens ausgeübt haben „und eine ſtei⸗ 
gende Wirkung auf jedes kommende Geſchlecht ha⸗ 


ben werden. Mit dieſem Gedanken übergebe ich 


dem Publikum die folgenden Blätter. 
Schon öfters war mir, ſeit dem Tode dies 
großen Mannes, der Gedanke gekommen, daß die⸗ 


- 


20 


jenigen, welche des ſeltenen Glückes genoſſen, mit 


ihm auf vertrautem Fuß zu ſtehen, der Wiſſen⸗ 
ſchaft einen wichtigen Dienſt leiſten könnten, wenn 
ſie Alles, was ihnen in Beziehung auf feine Stu⸗ 
dien, Meinungen und die wichtigeren Ereigniſſe 
ſeines Lebens bekannt geworden, veröffentlichen woll⸗ 
ten. Bei öfterem Nachſuchen in meinen Papieren 
ſtieß ich auf ſo manche, auf mein Zusammenleben 
mit Niebuhr bezügliche, Bemerkungen, daß ich den 
Entſchluß faßte, Alles daraus zu ſammeln, was 
von allgemeinem Intereſſe ſcheinen dürfte, und deſſen 


Bekanntmachung weder ein Verrath an ſeinem, mir 


geſchenkten, Vertrauen, noch eine Verletzung des 
Privatintereſſe irgend einer Perſon ſeyn könnte. 


Aus den nachſtehenden Blättern wird man er⸗ 
ſehen, daß Niebuhr mich in feinem Haus zu einer 
Zeit und Periode meines Lebens aufnahm, in wel⸗ 
cher der billige Leſer noch nicht jene urtheilsvolle 
Vorſicht erwarten kann, i die erforderlich geweſen 
wäre, um ſorgfältig die bedeutendſten Thatſachen 
und zu verſchiedenen Zeiten don ihm geäußerten 
Anſichten anzumerken; ſelbſt wenn meine natürliche 


— . . — 


2 r 


21 


Neigung darauf hingegangen wäre, eine ſo ſyſte⸗ 
matiſche Sammlung von Tiſchgeſprächen anzulegen. 
Ich war aus Griechenland zurückgekehrt, ge⸗ | 
täuſcht in meinen heißeſten Wünſchen; trauernd, 
wie nur eine enthufiaftifche Jugend trauern kann, 
wenn ihre ſüßeſten Hoffnungen erſt eben von der 
kalten Wirklichkeit vernichtet ſind. Um dieſe Zeit 
war es, als Niebuhr, dem weder meine Familie, 
noch irgend Etwas von mir ſelbſt bekannt war, 
mich wie der wohlwollendſte Freund in ſeinem Hauſe 
aufnahm. Er ſagte zu mir, in einer Sprache, die 
ſich tief in mein Herz eingegraben hat: „Seyn Sie 
nicht muthlos; kommen Sie zu mir, und finden 
Sie ſich in meinem Hauſe wieder.“ Bei einer an⸗ 
deren Gelegenheit, als er bemerkte, daß ich meinen 
Vorſatz, in Geſellſchaft mehrerer Freunde den Va⸗ 
tikan zu beſuchen, aufgegeben hatte, und zwar, um 
Etwas zu vollenden, wovon er gewünſcht hatte, 
daß ich es thun ſollte, ſagte er: „Ich bin unzu⸗ 
frieden mit Ihnen. Sie hätten ſchon bemerkt ha⸗ 
ben ſollen, daß ich wünſche, Sie lebten mit mir, 
wie mit einem Bruder.“ Da ich in beſtändigem 
Verkehr mit ſolch einem Freund und Wohlthäter, 


— 


22 


mit ſolch einem Führer in Rom lebte, wo deſſen 
ganze Kunſtgeſchichte und Schönheit auf meine 
Seele eindrang, wie eine neue Welt, von deren 
Natur ich nur eine ſchwache Ahnung wie im Traume 
gehabt, aber, ſie kennen zu lernen, immer gewünſcht 
hatte, ſo begreift man leicht, daß mein Geiſt oft 
zu ſehr beſchäftigt und mein Leben zu ſehr ange⸗ 
ſtrengt war, als daß ich Zeit und Geduld hätte 
haben können, es ruhig zu überſchauen, und mich 
Alles deſſen, was ich ſah und hörte, regelmäßig zu 
erinnern. Zwar führte ich ein Tagebuch; aber 
oft habe ich es unterlaſſen, etwas aufzuzeichnen, 
was jetzt ſehr intereſſant ſeyn möchte. | 

Ich erkläre daher, daß die adh enden Blät⸗ 
ter durchaus keine vollſtändige Angabe jeder inte⸗ 
reſſanten oder wichtigen Anſicht, welche Niebuhr 
während unſeres Zuſammenlebens ausgeſprochen, 
ſeyn ſollen; und eben ſo wenig der wichtigſten Er⸗ 
eigniſſe und Meinungen. Abgeſehen von dieſer 
Mangelhaftigkeit meines Tagebuchs muß ich hier 
erwähnen, daß meine Papiere in der Folge von 
der Polizei verſiegelt wurden und deren genaue 
Prüfung beſtehen mußten. Manche davon giengen 


23 


verloren durch dieſes Verfahren, andere in Folge 
des wandernden Lebens, welches ich ſeitdem führte. 
Immer aber hoffe ich, daß man diejenigen, welche 
übrig geblieben find, für hinlänglich intereſſant hal⸗ 
ten wird, und daß ſie den Leſer in den Stand ſetzen 
5 werden, ſich eine genauere Vorſtellung von dem aus⸗ 
gezeichneten Manne, auf den ſie ſich beziehen, zu 
machen; auch werden fie ihm, in mancher Hinſicht, 
eine intereſſante Einſicht in die verſchiedenen Urſa⸗ 
chen gewähren, welche ihn zu ſeinem großen Werk 
führten, oder deſſen Vollendung beförderten. Kurz 
ich bin überzeugt, fie werden ſowohl für das unge 
lehrte, als auch das gelehrte Publikum von pſycho⸗ 
logiſchem Intereſſe ſeyn. | 

Ich hätte die verſchledenen Fragmente unter ge⸗ 
trennte, allgemeine Rubriken bringen können; aber 
es ſchien mir, daß dieſe Anordnung gerade das Ver⸗ 
ſprechen hätte erwarten laſſen, daß ich etwas Voll⸗ 
ſtändiges geben würde. Auf der andern Seite 
glaubte ich dadurch jedenfalls das mannigfaltige, 
flüchtige Colorit, zu verwiſchen, welches ſie doch be⸗ 
halten mußten, um ganz natürlich zu bleiben. Ich 
gebe fie daher) wie ich fie geſammelt habe. 


24 


Wer mich kennt, wird wiſſen, daß ich unfähig 
bin, zu ändern oder auszuſchmücken, wenn ich die 
Worte eines Mannes wiederzugeben verſpreche, an 
den ich nicht zurückdenken kann ohne vermiſchte Ge⸗ 
fühle der Trauer, Ehrfurcht und Dankbarkeit, die 
ich demſelben ſchuldig bin als meinem beſten Freund. 
Denen meiner Leſer, welche mich nicht perſönlich ken⸗ 
nen, kann ich nur dasjenige anbieten, welches ſie 
in dem Werk ſelbſt finden werden und in der Stel⸗ 
lung, die ich a durch meine früheren Werke unter 
ihnen eingenommen habe, als meine Garantie für 
die Wahrheit, deren ich nur gedenken will. Dieß 
kann auch allein dieſen Blättern Werth geben. Das 
meiſte, worauf der Leſer ſtoßen wird, iſt wörtliche 
Ueberſetzung; wenige Umſtände oder Ausſprüche habe 
ich aus dem Gedächtniß und auch nur dann nieder⸗ 
geschrieben, wenn ſie ſich va in meine 
Seele eiugeprägt hatten. | 

Einer Reihe ven anderen Umftänden erinnere ich 
mich noch mit großer Beſtimmtheit; allein ich ent- 
halte mich deren Mittheilung, aus Furcht, ich könnte 
von der ſtrengen Wahrheit abweichen. Manche der 
intereſſanteſten Aeußerungen ließ ich aus, weil ſie 


* 


55: 


Perſonen auf eine Weiſe hätten berühren können, 
wie es gewiß nicht Niebuhr's Abſicht geweſen war. 
Ebenſo habe ich Alles dasjenige weggelaſſen, wovon 
ich mir denken konnte, daß er es ſelbſt, an meiner 
Stelle, unterdrückt haben würde; jedoch mit Aus⸗ 
nahme derjenigen Umſtände, wodurch die Vortreff⸗ 
lichkeit ſeines Characters an's Licht geſtellt wird 
Ich brauche wohl nicht hinzuzuſetzen, daß es von 
meiner Seite eine Anmaßung geweſen wäre, hätte 
ich blos diejenigen Meinungen Niebuhr's anführen 
wollen, welche gerade mit meinen eigenen zuſam⸗ 
mentrafen. Ich wünſche, dem Leſer die Annehm⸗ 
lichkeit zu bereiten, ſich ein lebendigeres Bild von 
ihm zu machen; und damit ſtehen meine eigenen An⸗ 
ſichten in keinem Zuſammenhang. $ / 

| Damit man genau das Weſen und die Bedeu⸗ 
tung der nachſtehenden Ideen auffaſſe, wird es noth⸗ 
wendig ſeyn, das Verhältniß kennen zu lernen, in 
welchem ich zu Niebuhr ſtand. Der Leſer wird hiezu 
in den Stand geſetzt werden durch nachſtehende Er⸗ 
zählung, welche zugleich ſo wohlthuend für mein 
Herz iſt, indem ich ſie als Abtragung eines Theils 
meiner Schuld für die, mir von ihm erwieſene, Güte 


} 


26 


betrachte; einer Schuld, deren Abtragung fo duch 
mein ängſtlicher Wunſch war. 

Ich gieng im Jahr 1821 nach Gtlechenlanb, 
angetrieben durch jugendliche Begierde, den unter⸗ 
drückten und aufſtrebenden Abkömmlingen eines Vol⸗ 
kes beizuſtehen, welches alle civiliſirte Nationen lie⸗ 
ben und bewundern. Nachdem ich manches Unge⸗ 
mach und bittere Täuſchungen erfahren hatte, und 
Da ich weder zum Gefecht, noch zu irgend einer Art von 

bloßem Unterhalt gelangen konnte, ſo geringfügig 
dieſer auch geweſen wäre, ſo entſchloß ich mich, im 
Jahr 1822 zur Rückkehr, wie auch ſo mancher an⸗ 
dere Griechenfreund zu thun gezwungen war. Die 
kleine Summe, welche ich aus dem Verkauf beinahe 
alles deſſen, was ich beſaß, zuſammengebracht hatte, 
war ſchnell dahingeſchwunden; ich würde Hungers 
geſtorben ſeyn, wenn ich noch länger geblieben wäre. 
Ehe daher mein Geld ganzlich aufgezehrt war, gieng 
ich zu Miſſolunghi als Paſſagier auf ein kleines, 
nach Ankona beſtimmtes, Schiff. Anderthalb Seudi 
war Alles, was in meiner Börſe blieb, nachdem ich 
den Capitain der Tartane bezahlt hatte. — gewiß 
viel Geld für eine ſo traurige Bequemlichkeit, oder 


27 
vielmehr, für den Mangel an aller Bequemlichkeit. 
f Indeß wird man ſich darüber nicht wundern, wenn 
ich ſage, daß ich hülflos und der Schiffscapitain ein 
Grieche war. Wir hatten eine ſtürmiſche Fahrt, 
während deren wir genöthiget waren 4 in der Bay 

von Gorzola, an Dalmatiens Küſte, Schutz zu ſu⸗ 
| chen; am Abend vor Oſtern liefen wir in Ankona 
ein. Ich erinnerte mich, von einem meiner Univerſitäts⸗ 
freunde in Deutſchland gehört zu haben, daß er vor⸗ 
habe, die Pandecten aufzugeben und ſich auf die ſchö⸗ 
nen Künſte zu verlegen. Nun dachte ich, wenn er 
alſo gethan habe, ſo möge er wohl jetzt in Rom 
ſeyn. Daher ſchickte ich an einen der erſten Künſtler 
dieſer Stadt, den ich jedoch nur durch ſeinen Ruf 
kannte, einen Brief und ſchloß in dieſen einen an⸗ 
deren an meinen Freund mit ein, in der Hoffnung, 
jener habe von dieſem vielleicht etwas gehört. In 
dieſem Brief bat ich um Geld, damit ich die Ko⸗ 
ſten der Quarantaine bezahlen könne; könnte ich 
dieß nicht, ſo ſey der Capitain, welcher mich herge⸗ 
| bracht, angewieſen, die Quarantainekoſten für mich 
zu bezahlen, allein dafür ſey ich ihm verpflichtet, 
| an Bord des Schiffes zu dienen. Dieſe Einrichtung 


28 | BER, 


iſt indeß ganz billig. Denn die Vorficht verbietet 
die Berührung einer jeden Sache, die von den, in 
der Quarantaine befindlichen, Leuten herrührt; die 
Anſtalt muß alſo ſelbſt alle Artikel der Bequemlich⸗ 
keit und des Lebensunterhaltes auf Credit vorſtrecken. 
Hiemit würde nun aber oft Mißbrauch getrieben 
werden, hätte 5 nicht die Quarantaineanſtalt das 
Recht, ſich an den Capitain, und dieſer, ſich an 
ſeine Paſſagiere zu halten. So ſtand mir alſo die 
ſchöne Ausſicht bevor, lange Zeit hindurch als Ma⸗ 
troſe an Bord eines Griechiſchen Schiffes zu dienen, 
bis wir endlich in irgend einem großen Hafen vor 
Anker gehen würden, wo ich dann einen Conſul 
meiner eigenen Nation fände, dem ich meine Lage 
eröffnen könnte und der dann geneigt wäre, mich 
zu unterſtützen, bis ich von Hauſe die Mittel zu 
meiner Rückkehr erhielte. Doch mein Freund war 
in Rom und hatte Geld; und ſo überſandte er mir, 
mit der Bereitwilligkeit eines deutſchen Studenten, 
auf einmal Alles, was er hatte. 

Unglücklicher Weiſe ſtarb eine alte Frau, welche 
mit uns aus Griechenland gekommen war, kurz 
nach unſerem Antritt der Quarantaine, und wir 

wer | 


29 


wurden zu vierzig Tagen contumacia verurtheilt. 
Endlich erſchien der Tag der Erlöſung. Meine Ab⸗ 
ſicht war natürlich, nach Rom zu gehen; und kaum 
hatten wir pratica, — wie ſo paſſend von den Ita⸗ 
lienern die Erlaubniß, zu gehen, wohin man will, 
genannt wird, da alle Gefangenſchaft ja nur ein 
Leben in der Theorie iſt, — ſo gieng ich auf die Po⸗ 
lizei, um die nöthige Signatur meines Paſſes nach 
Rom zu erhalten. | | 

Mein Paß war in den elendeſten Umſtänden. 
Als ich beſchloß, nach Griechenland zu gehen, lebte 
ich in Dresden, allein nicht unbewacht, da ich erſt 
eben das Gefängniß, worin ich aus politiſchen Grün⸗ 
den eingeſchloſſen war, verlaſſen hatte. Ich konnte 
ſchlechterdings keinen Paß für eine gewiſſe Dauer 
erhalten, am wenigſten zu einer Reiſe nach Frank⸗ 
reich; und doch hatte ich meinen Weg nach Marſeille 
zu nehmen, wo ich mich nach Griechenland einſchif⸗ 
fen wollte. Ich nahm daher einen Paß zu einer 
Reiſe nach Nürnberg, und zwar nur auf die kurze 
Zeit von vierzehn Tagen. Wie ich nun einmal im 
Beſitz dieſes Papiers war, ſo leerte ich ein Dinten⸗ 
faß über die Worte aus, welche erklärten, der Paß 


30 

ſey nur für fo kurze Zeit gültig. Auf meiner Reife 
war er in jedem kleinen Ort vifirt worden, fo daß 
er am Ende ehrbar genug ausſah. Als ich in 
Nürnberg ankam, ſagte ich, den entſtellenden Din⸗ 
tenklecks habe ich der Ungeſchicklichkeit eines Polizei⸗ 
beamten zu verdanken, und erhielt meinen Paß 
nach München viſirt. Um eine weitere Signatur 


nach der Schweiz zu erhalten, } wählte ich abfichtlich 


die Zeit, da die vornehmſten Legationsbeamten bei 
einem Eſſen ſeyn mußten, indem ich vorgab, ich ſey 
in größter Eile. Der Paß ward viſirt. Ich reiſte 
durch die Schweiz, und an der Franzöſiſchen Gränze 
erhielt ich, dem Reglement gemäß, einen proviſori⸗ 
ſchen Paß, während man mir den meinigen ab⸗ 
nahm, um ihn nach Paris zu ſchicken. Von da 
konnte ich ihn mir nach jedem Ort, den ich angeben 
wollte, ſenden laſſen. Man erräth wohl leicht, daß b 
ich keine Luſt hatte, meinen alten Paß wieder ein⸗ 
zulöſen; und ſo war es dieſer proviſoriſche, franzöſt⸗ 
ſche Paß, mit dem ich meinen Weg durch das Poli⸗ 
zeibüreau in Ankona zu machen hatte. "S 
So war denn in meinem Paß eine gewaltige 5 
Lücke. Dazu erklärte der Polizeibeamte, ein ſehr 


31 


höflicher Mann, daß ſie wenige Tage zuvor von 
Rom aus die Ordre erhalten hätten, keinem, der 
von Griechenland komme, ſeinen Paß zu viſtren, es 
ſey denn zur directen Reiſe nach ſeiner Heimath. Ich 
war wie vom Donner gerührt. 

„Wollen Sie mich abhalten, Rom zu ſehen?“ 
ſagte ich, wahrſcheinlich mit einem Ton, der die 
Trauer verrieth, welche die getäuſchte Hoffnung in 
mir hervorbrachte; denn der Beamte erwiederte in 
gütigem Ton: „Sie ſehen, carissimo mio, ich kann 
nicht anders. Sie ſind ein Preuße, und ich muß Ih⸗ 
ren Paß nach Deutſchland, Ihrer Heimath, viſiren; 
Ihr dortiger Miniſter mag ihn zurück nach Rom ſig⸗ 
niren. Oder ich will ihn nach jedem andern Ort 
Ihrer Wahl in Toskana viſiren; denn durch Toskana 
müſſen Sie reiſen, um nach Deutſchland zu kommen.“ 

Ich glaube, ich war nie betrübter, als da ich das 
Polizeibüreau verließ. Ich war von Marſeille nach 
Griechenland geſegelt, und war nun nach Ankona 
zurückgekehrt. Sollte ich meinen Weg um Rom her⸗ 
um nehmen, ohne die ewige Stadt zu ſehen? — ohne 
ſie vielleicht jemals noch in meinem Leben ſehen zu 


können? * 


32 


Ein Däne, welcher zu demſelben Zweck, wie ich, 
nach Griechenland gegangen, von Miſſolunghi aus 
mit mir gereiſt war, und mit dem ich nun zuſam⸗ 
men wohnte, ſah ſich eben ſo getäuſcht, als ich. 
Wir giengen nach Hauſe und warfen uns ſtillſchwei⸗ 


gend und verzweiflungsvoll auf unſer gemeinſchaftli⸗ 


ches Bett. Konnten wir es wagen, ohne Päſſe nach 
Rom zu gehen? Gewiß würden uns unterwegs die 
Gensd'armen aufgehalten haben, zumal da unſer 
elender Anzug wenig dazu geeignet war, jeden Ver⸗ 
dacht von dieſen Dienern der öffentlichen Sicherheit 
fern zu halten. Wir konnten auf keine Weiſe ein 
Mittel, unſere heißen Wünſche zu befriedigen, erſin⸗ 
nen, und dennoch konnten wir uns noch nicht ent⸗ 
ſchließen, ihnen zu entſagen. Während wir ſo da 
lagen und nachſannen, nahm ich mechaniſch eine 
Karte von Italien zur Hand; wir blickten darauf 
umher „und unſer Schmerz erhöhte ſich nur noch 
mehr, als der klaſſiſche Boden mit ſeinen tauſender⸗ 
ley Ideenverbindungen ſich ſo deutlich unſern Augen 
darſtellte. Plötzlich durchleuchtete uns ein Gedanke, 
welcher uns eine mögliche Art zeigte, wie wir unſere 


33 


Wünſche befriedigen konnten, auf die wir faſt ſchon 
verzichtet hatten. a 

Die Karte ließ uns bemerken, daß die ſüdweſtliche 
Gränzlinie von Toskana ſich bis in die Nähe Rom's 
erſtreckt. Die Straße von Ankona nach Orbitello, 
einem Toskaniſchen Ort, dachten wir uns der nach 
Rom faſt gleich. Wären wir einmal nahe bei der 
Stadt, ſo zweifelten wir nicht, daß wir es durch⸗ 
ſetzen würden, hineinzukommen; und wären wir erſt 
darin, ſo wollten wir ſchon Mittel finden, darin zu 
bleiben. 

Ich eilte ſtehenden Fußes zur Polizei, gab vor, 
ich habe einen Brief erhalten, der mir anzeige, ein 
Freund von mir ſey zu Orbitello, und bat den Be⸗ 
amten, meinen Paß nach dieſem Ort zu viſiren. „Or⸗ 
bitello, fügte ich hinzu, iſt im Toskaniſchen gelegen, 
wie Sie wiſſen“. 

Bekanntlich ſind die Italiener im n 
außerordentlich ſchlechte Geographen; und der Mann, 
von welchem in dieſem Augenblick die Befriedigung 
meiner füßeften Wünſche abhieng, frug einen andern 
Beamten in einem anſtoßenden Zimmer, ob Orbi⸗ 
tello auf Toskaniſchem oder Römiſchem Gebiet liege. 


3 


34 
Ich gieng in das nächſte Zimmer, zeigte mit zittern⸗ 
der Hand, daß Orbitello innerhalb der Farbe liege, 
die vas Toskaniſche Gebiet von den übrigen Italiens 
unterſcheide — es war grün, wie ich mich noch wohl 
erinnere — und zu meiner unſäglichen Freude ant⸗ 
wortete der Beamte: „Ja, mein Herr, es gehört 
zu Toskana!“ „Dann viſiren Sie nur den beiden 
Herren den Paß nach dieſem Ort! „lautete die er⸗ 
freuliche Antwort; und ich eilte damit aus dem 
Büreau, um nicht meine innere Bewegung zu ver⸗ 
rathen. i 

Hatte mir mein ängſtlicher Wunſch, nach Rom 
zu kommen, die Gunſt dieſer zwei Polizeibeamten 
erworben, oder lag die Urſache davon in etwas An⸗ 
derm: ſo viel ift gewiß, daß fie uns mit der größten 
Güte behandelten. Und dennoch hätte ich keinen von 
ihnen tadeln können, wenn er uns in ehrfurchtsvoller 
Entfernung von ſich abgehalten hätte; ſo ſchmutzig 
war unſer ganzes Aeußere. Der Beamte, den ich 


das Glück gehabt, in der Geographie zu unterrich . - 


ten, erſtreckte ſeine Güte ſogar ſo weit, uns zu einer 
Spazierfahrt einzuladen. Jedoch dieß lehnten wir 
vorſichtig ab. g 


35 


Wir mietheten einen Vetturino und verließen 
Ankona möglichſt ſchnell. Zu Nepi hatten wir den 
Kutſcher davon zu unterrichten, daß wir nach Rom 
zu gehen vorhatten und nicht nach Orbitello, da ſich | 
wenige Meilen jenſeits Nepi, bey Colonetta, die 
Straßen theilen. Eine Kleinigkeit brachte ihn mit 
ſeinen Einwendungen zur Ruhe; und als wir in 
der Nähe Rom's waren, ſprangen wir aus dem 
Wagen, bedeuteten den Vetturino 5 er ſolle unſere 
Mantelſäcke behalten, bis wir fie ahholen würden, 
und traten in die Porta del Popolo, als wären die 
Portale der Kirchen und der Obelisk in deren Nähe 
nichts Neues für uns. Mein Herz klopfte mir, als 
wir uns der friedlich ausſehenden Schildwache der 
päbſtlichen Truppen näherten, und zwar heftiger, als 
es je bei Annäherung eines feindlichen Grena⸗ 
diers ſchlug; und meine Freude war unbeſchreiblich, 
als ich glücklich vorbei war, und ſah und fühlte, daß 
ich in Ko war. 

Ich fand den oben erwähnten Freund; er theilte 
mit mir ſeine Wohnung. Nachdem ich mich von 
den erſten Aufregungen, veranlaßt durch die Freude 
des Wiederſehens, etwas erholt, einen flüchtigen 


36 


Ueberblick über die Wunder Rom's und das Bewußtſeyn 
gewonnen hatte, auf ſeinem heiligen Boden zu ſtehen, 
dachte ich über meine Lage nach. Ohne Erlaubniß 
| der Polizei konnte ich nicht lange in Rom bleiben; 

und dieſe konnte ich wiederum nicht erlangen ohne 
ein Gertificat des Miniſters meines Vaterlandes, daß 
mein Paß in Ordnung ſey. Gerade das Gegentheil 
war nun der Fall, wie der Leſer weiß; und ich 
ſchämte mich in der That, meinen Paß auf der Preu⸗ 
ßiſchen Geſandtſchaft vorzuzeigen. Ich beſchloß alſo, 
meine Lage dem Geſandten, Herrn Niebuhr, frei⸗ 
müthig zu eröffnen, indem ich hoffte, daß ein Ge⸗ 
lehrter, welcher die Römiſche Geſchichte geſchrieben 
hatte, nicht ſo grauſam ſeyn könnte, mich aus Rom 
wegzuweiſen, ohne mir Zeit zu geſtatten, es zu ſehen 
und zu ſtudieren. Dennoch gieng ich nicht ohne große 
Furcht zur Preußiſchen Geſandtſchaft: denn lief meine 
Sache unglücklich ab, ſo war es klar, daß ich gerade 
des Aufenthalts der wenigen Wochen an dem intereſ⸗ 
ſanteſten Ort der Welt beraubt werden würde eines 
Aufenthalts, der mir doch vergönnt war, ehe man 
die Polizeiverordnungen auf mich angewendet hätte. 

Von Niebuhr war mir perſönlich nichts bekannt; eben 


37 


ſo wenig wußte ich, ob er ſich berechtiget glauben 
könnte, meine Wünſche zu erfüllen, obgleich er leicht 
deren Lebendigkeit bemerken mußte. Er wußte nichts 
von mir; und dann, wie konnte ich vor ihm erſchei⸗ 
nen? Wahrhaftig nicht in einem ſehr für mich ein⸗ 
nehmenden Zuſtand. 4 
Der Preußiſche Miniſter reſidirt im Palazzo Or⸗ 
ſini oder, wie er eben ſo oft genannt wird, Teatro 
di Marcello; denn der Pallaſt ſteht auf und zwiſchen 
den Trümmern des Theaters, welches Auguſt erbaute 
und ſeinem Neffen Marcellus widmete. Das Herz 
ward mir ſchwerer und ſchwerer, je mehr ich mich 
dem ehrwürdigen Gebäude nahete i an welches ſich 
eine vollſtändige Geſchichte knüpft, von den Zeiten 
des Alterthums durch die mittleren Zeiten hindurch, 
da es den ſtolzen Bewohnern zu einer Burg diente, 
und ſo bis zu den neueſten Zeiten herab. Der Ge⸗ 
danke, daß man mir mißtrauen könnte, hielt mich 
für einen Augenblick ab, mich dem Gebäude mehr zu 
nähern. Ich finde jetzt, daß ich in der Folge unter 
eine, mir zugehörende, Abbildung deſſelben die Worte 
ſchrieb: „In questa rovina ritrovai la vita.“ 


38 


Ich ſah den Miniſter nicht, er hatte dringende 
Geſchäfte; aber der Geſandtſchaftsſeeretair empfing 
mich mit einer Güte, welche mir an's Herz drang, 
zumal da ihre Wirkung auf mich durch den Contraſt 
mit allem Dem, was ich vor Kurzem erlitten hatte, 
noch erhöht ward. Ich erzählte einfach meine Ge⸗ 
ſchichte; er gieng zu dem Miniſter und kam mit einem, 
von deſſen eigener Hand beſchriebenen, Papier zurück, 
auf deſſen Vorweiſung die päbſtliche Polizei mir den 
Aufenthalt in Rom zu geſtatten hatte: „Denn“, ſagte 
er, „es iſt klar, daß Sie ohne Mittel nicht fort⸗ 
kommen können; und da Sie für den Augenblick 
wohl in Geldverlegenheit ſind, ſo hat der Miniſter 
mich beauftragt, Ihnen dieſes als eine Anleihe ein⸗ 
zuhändigen. Sie können es ohne unangenehmes Ge⸗ 
fühl annehmen, denn es iſt der Theil einer Summe, 
welche Prinz Heinrich (Bruder des regierenden Kö⸗ 
nigs, dazumal in Rom) zu Herrn Niebuhr's Ver⸗ 
fügung geſtellt hat, um damit aus Griechenland zu⸗ 
rütkgekehrte Männer zu unterſtützen. Prinz Heinrich 
wünſcht natürlich nicht, die Namen derer zu wiſſen, 
welche durch dieſe Mittel unterſtützt worden ſind. So 
brauchen Sie alſo kein Bedenken zu tragen.“ 


39 


Ich hatte noch eine andere Bitte zu thun. Ich 
war voll Begierde, Niebuhr's Römiſche Geſchichte in 
Rom ſelbſt zu leſen; allein es war mir nicht ge⸗ 
lungen, ein Exemplar davon zu bekommen. Des⸗ 
halb frug ich, ob ich wohl eines aus Niebuhr's Bib⸗ 
liothek borgen könnte. Hier ſetzte meine Offenherzig⸗ 
keit den Seeretair in Verlegenheit, und er bemerkte 
ſehr richtig, daß der Miniſter am Ende ja noch gar 
nichts von mir wiſſe. Ich fühlte die Richtigkeit ſei⸗ 
ner Bemerkung und antwortete, ich wünſche ſo ſehr, 
das Werk gerade in dieſem Augenblick wieder durch⸗ 
zuſehen, daß ich es als eine Pflicht gegen mich ſelbſt 
betrachtet habe, eine ſo kühne Bitte zu wagen, ob⸗ 
gleich ich mir wohl bewußt ſey, daß ich meine Hoff⸗ 
| nung auf deren Erfüllung auf nichts anderes, als 
auf deren Honnetetät ſtützen könne. Er rieth mir, 
ich möge den Miniſter ſelbſt darum bitten, was ich 
am folgenden Tage thun könne, zu einer Stunde, zu 
welcher er den Wunſch ausgeſprochen habe, mich zu 
ſehen. 

Als ich am nächſten Morgen zu der beſtimmten 
Zeit kam, wie ich meinte, begegnete Niebuhr mir auf 
der Treppe, da er gerade im Begriff war, auszu⸗ 


40 


gehen. Er empfing mich mit Güte und Freundlich⸗ 
keit, kehrte mit mir in ſein Zimmer zurück, ließ mich 
meine ganze Geſchichte erzählen und zeigte ſich ſehr 
erfreut darüber, daß ich ihm in Beziehung auf Grie⸗ 
chenland, welches für ihn nicht ohne Intereſſe zu ſeyn 
ſchien, manche Nachweiſung geben könnte. Unſere 
Unterhaltung hatte mehrere Stunden gedauert, als 
er abbrach und mich bat, zum Mittageſſen wieder⸗ 
zukommen. Ich zögerte, die Einladung anzunehmen, 
was er aber nicht zu bemerken ſchien. Er dachte 
wahrſcheinlich, daß man in meiner Lage froh ſeyn 
müſſe, eine Einladung dieſer Art zu erhalten; und, 
in der That, Jeder hätte ſich wohl gefreut, zum 
Mittageſſen bei ihm eingeladen zu ſeyn, zumal in 
Rom. Als ich ſah, daß er meine Gründe, eine 
ſo ſchmeichelhafte Einladung abzulehnen, nicht ahn⸗ 
dete, ſagte ich, indem ich einen Blick auf meinen An⸗ 
zug warf: „Ich bin wirklich nicht in einem Zuſtand, 
um mit einer Excellenz zu Mittag zu eſſen.“ Er 
ſtampfte mit dem Fuß und ſagte mit einiger Lebhaf⸗ 
tigkeit: „Glaubt man denn immer, daß die Diplo⸗ 
maten ſo kaltherzig ſind! Ich bin derſelbe, der ich 
zu Berlin war, als ich meine Vorleſungen hielt. 


41 


Das war kleinlich!“ — Gegen ſolche Gründe konnte 
kein Argument vorgebracht werden. | 

Ich erinnere mich an dieſes Mittageſſen mit Freude. 
Seine Unterhaltung, überfließend an reicher und 
mannigfaltiger Kenntniß und treffenden Bemerkun⸗ 
gen; ſeine große Güte; die Bekanntſchaft der Ma⸗ 
dame Niebuhr; ſeine liebenswürdigen Kinder, welche 
ſo ſchön waren, daß, als ich in der Folge mit ihnen 
ausgieng, die Weiber auszurufen pflegten: „Ma 
guardate, guardate, che angeli!“; eine gute 
Mahlzeit (welche mir ſeit langer Zeit nicht zu Theil 
geworden war) in einem hochgewölbten Gemach, vef- 
fen Decke auf Art der Italieniſchen Palläſte bemahlt 
war; ein Gemählde des milden Francia ganz in der 
Nähe; das Geräuſch eines murmelnden Springbrun⸗ 
nens im Garten, und die erfriſchenden Getränke in 
Kühlgefäßen, welche ich erſt den Tag zuvor in man⸗ 
chen der meiſterhafteſten Gemälde der Italieniſchen 
Schule abgebildet geſehen hatte; — kurz, mein Be⸗ 


wußtſeyn, an Niebuhr's Tiſche zu ſeyn, in ſeinem 


Haus zu Rom, und alles dieſes in ſo grellem 
Contraſt mit meinen vormaligen und oft widrigen 
Leiden — würde mir dieſen Augenblick zu einem der 


. 


42 


vollkommenſten Freude und Glückſeligkeit gemacht 
haben, hätte mich nicht ein Umſtand geſtört, welcher 
ohne Zweifel hier eine bloße Kleinigkeit ſcheinen wird. 
Und doch weicht die Wirklichkeit oft gar ſehr von deren 
Beſchreibung ab. Dinge von großer Wirkung für 
den Augenblick werden leicht wie Luft, und andere, 
Schatten und Dünſte in der Wirklichkeit, wachſen zu 
Gegenſtänden der bedeutendſten Wichtigkeit an, wenn 
die Feder ſie aus der Erinnerung darſtellt; — eine 
Wahrheit, welche, beiläufig geſagt, ſowohl auf 
unſer tägliches Leben, als auch auf Ereigniſſe der 
mächtigſten Wirkungen ihre Anwendung findet; — 
und der prüfende Tact iſt es daher, welcher eines der 
nothwendigſten, wenn auch höchſt ſchwierigen, Erfor⸗ 
derniſſe eines tüchtigen Geſchichtſchreibers ausmacht. 
Mein Anzug beſtand bis jetzt in nichts Beſſerem, 
als einem Paar ungeſchwärzter Schuhe, wie man 
deren nicht ſelten in der Levante trägt; einem Paar 
Socken von grober, Griechiſcher Wolle; bräunlichen 
Beinkleidern, wie ſolche oft die Schiffscapitaine des 
Mittelländiſchen Meeres tragen; einem kurzen, blauen 
Ueberrock, durch den zwei Kugeln hindurchgegangen 
waren — ein Schickſal, welchem auch die blaue Tuch⸗ 


' | 43 


kappe hatte unterliegen müſſen. Die Socken waren 
außerordentlich kurz und bedeckten kaum die Knöchel; 
daſſelbe war auch mit den Beinkleidern der Fall; fo 
daß, wenn ich ſaß, Beide mir die Gnade verſagten, 
zuſammen zu ſtoßen, und zwar mit einer Halsſtarrig⸗ 
keit, welche mich an den unverſöhnlichen Geiſt der 
beiden Brüder in Schiller's Braut von Meſſina er⸗ 
innerte. Es traf ſich, daß bey Niebuhr außer ſeiner 
Frau noch eine andere Dame zu Tiſche war; und 
meine Verlegenheit war nicht gering, als, gegen 
Ende der Mahlzeit, die Kinder aufſprangen und auf 
dem Boden umherſpielten, und ich meine armen Ex⸗ 
tremitäten den offenherzigen Bemerkungen des ſcharf⸗ 
ſichtigen Kindervölkchens preisgegeben ſah; zumal da 
ich zugleich jene ruhigen, mehr prüfenden, Momente 
nach dem Eſſen fürchtete, da ich bey den Damen den 
Caffee nehmen mußte, unbeſchützt von der freund⸗ 
lichen Bedeckung des Tiſches. Herr Niebuhr bemerkte 
vielleicht, daß mich Etwas in Verlegenheit ſetzte, und 
er verdoppelte noch, wo möglich, ſeine Güte. 

Nach Tiſche ſchlug er einen Spaziergang vor, und 
bat die Damen, uns zu begleiten. Ich bedauerte ſie; 
aber da gerade ein Herr von ihrer Bekanntſchaft ein⸗ 


44 


getreten war, welcher den Vorſchlag, uns zu begleiten, 
mit Vergnügen annahm, ſo ward ihnen die Ver⸗ 
legenheit erſpart, meinen Arm anzunehmen. Herr 
Niebuhr, gewiß in Erinnerung deſſen, was ich ihm 
am Morgen über meine eigene Erſcheinung geſagt 
hatte, faßte mich in den Arm „und gieng lange Zeit 
ſo mit mir. Als wir zurück waren und ich Abſchied 
nehmen wollte, frug er mich, ob ich ſonſt einen 
Wunſch habe. Ich ſagte ihm, ich wünſche ſein Ge⸗ 
ſchichtswerk zu leihen. Er hatte nur Ein Exemplar, 
welches er mit Noten verſehen hatte und deshalb nicht 
ausleihen wollte. Jedoch ſagte er, er wolle mir ein 
anderes verſchaffen. Was aber feine übrigen Bücher 
betraf, ſo gab er mir den Schlüſſel zu ſeiner Bib⸗ 
liothek, damit ich mir hole, was ich nur wolle. Er 
lachte, als ich mit Büchern beladen zurückkam, und 
entließ mich auf die gütigſte Weiſe. | 
Kurze Zeit darauf hatte ich das Vergnügen, ihn 
und Herrn Bunſen, welcher dazumal ſein Secretair 
war, jetzt aber an ſeiner Stelle Miniſter iſt, nach 
Tivoli zu begleiten, wo wir mehrere Tage blieben, 
und in einem, dem Cardinal Conſalvi zugehörenden, 
Hauſe wohnten. Einige Tage darnach lud er mich 


45 


ein, bei ihm zu wohnen und, falls es mir recht ſey, 
ihn in der Erziehung ſeines Sohnes Markus zu unter⸗ 
ſtützen. So ward mir die beſtändige Geſellſchaft 
dieſes ſelten- begabten Mannes, und zwar bei Tiſche 
und bei ſeinen täglichen Spaziergängen nach Tiſche, 
was denn für mich die lehrreichſten Stunden meines 
Lebens waren. Er gab auch dem Dänen, deſſen ich 
erwähnte, die Mittel, in ſein Vaterland zurückzu⸗ 
kehren. lad 

Niebuhr ſchlug mir vor, eine Beſchreibung meiner 
Reiſe durch Griechenland zu verfaſſen. Anfangs 
trug ich Bedenken, dieſes zu thun, da ich nur ein 
klägliches Gemählde entwerfen konnte; allein er zeigte 
mir, wie ſehr eine wahre Skizze des damaligen Zu⸗ 
ſtandes der Dinge dieſes unglücklichen Landes Noth 
thue, ſowohl für die Griechen, als auch für diejeni⸗ 
gen jungen Männer, welche etwa Luſt hätten, zu 
unternehmen, was ich unternommen hatte. Abge⸗ 
ſehen von der Arbeit ſelbſt, warf ich ihm ein, wie 
ich nur wenig Anderes zu berichten habe, als das 
Reſultat einer traurigen Erfahrung, und daß ich ſo 
meine offenen Wunden, die kaum zu heilen ange⸗ 
fangen, nur wieder aufreißen würde. Allein er ver⸗ 


46 


ſicherte mich, ich würde weit mehr Befriedigung füh⸗ 
len, wenn ich erſt die Arbeit vollendet haben würde. 
Ich machte mich alſo an das Werk; und, was ich 
Nachmittags und Abends niedergeſchrieben hatte, las 
ich nach dem Frühſtück ihm und ſeiner Gattinn im Gar⸗ 
ten vor. Seine Bemerkungen während dem Fort⸗ 
rücken der Arbeit waren für mich von dem größten 
Werth. “) | 

Im Sommer begleitete ich Niebuhr und feine Fa⸗ 
milie nach Albano, wo wir uns einige Zeit auf⸗ 
hielten; und im März 1823, als er den Geſandt⸗ 
ſchaftspoſten zu Rom verließ, nahm er mich mit ſich 
nach Neapel. Von da kehrten wir im Monat Mai 
nach Rom zurück, welches wir wieder nach ohngefähr 
einer Woche verließen. Die Reiſe gieng über Flo⸗ 
renz, Piſa und Bologna nach Tyrol; und in In⸗ 
ſpruck nahm ich Abſchied von dieſer Familie, welche 
allein dazu beigetragen hatte, mir mein Leben erträg⸗ 


*) Das Werk kam heraus unter dem Titel: „Tagebuch meines 
Aufenthaltes in Griechenland“ Leipzig, 1823; und eine Hol⸗ 
ländiſche Ueberſetzung deſſelben, unter dem veränderten und 
lockenden Titel: „Der Deutſche Anacharſis“ Amſterdam, 
188. 


A 


1 


lich zu machen. Niebuhr nahm ſeinen Weg nach der 
Schweiz, wo er ſechs Wochen in St. Gallen zu⸗ 
brachte, um die Manufcripte der daſigen Bibliothek 
zu unterſuchen; von da gieng er nach Bonn. 
i Niebuhr beehrte mich mit ſeiner Correſpondenz; 
und da ich, nach meiner Rückkehr nach Berlin, aber⸗ 
mals gefangen geſetzt ward, machte er mir, als er 
nach der Hauptſtadt berufen ward, um den damals 
gehaltenen Sitzungen des Staatsraths beizuwohnen, 
einen Beſuch in Köpnik, dem Ort meiner Gefangen⸗ 
ſchaft. Dieſen Act ſeiner Güte habe ich mit größter 
Dankbarkeit anzuerkennen, zumal, da er ſelbſt zu 
jener Zeit vielleicht nicht ohne einen gewiſſen Grad 
von politiſchem Mißtrauen angeſehen ward. Ich 
habe Grund, zu glauben, daß ich meine zweite Be⸗ 
freiung größtentheils ſeinen Bemühungen verdanke. 
Während jener Sitzung des Staatsraths that man 
bedeutende Schritte zur Errichtung einer National⸗ 
bank; allein Niebuhr, welcher den, damals über 
Europa ſo allgemein verbreiteten, Papierſchwindel 
verabſcheute, und glaubte, daß eine Nationalbank 
dieſes Uebel mächtig vermehren, und nur ein verführe⸗ 
riſches und ſchnelles Mittel zu verderblichen Geldge⸗ 


48 


ſchäften der Regierung ſeyn würde, ſtrengte jeden 
Nerv an, um der Errichtung einer Bank vorzubeu⸗ 
gen. Es gelang ihm; und als 1825 die denkwür⸗ 
dige Revolution in der kaufmänniſchen Welt Statt 
hatte, wünſchte er ſich Glück, ein noch größeres Un⸗ 
heil in Preußen durch ſeine, dagegen gerichteten, Be⸗ 
mühungen abgewandt zu haben. In einem Brief 
an den Graf Bernſtorff, damaligen Miniſter der aus⸗ 
wärtigen Angelegenheiten, datirt vom 22ten Februar, 
1826 (er ſandte mir das Schreiben offen, indem es 
ein Empfehlungsbrief war, den ich übergeben ſollte, 
falls ich einen gewiſſen Plan verfolgen würde, den 
ich Niebuhr mitgetheilt hatte)“) ſagte er, nachdem er 
ſeine Erkenntlichkeit für eine, ihm von der Regie⸗ 
rung bewilligte, Gunſt ausgeſprochen hatte: „Ich 
darf mich zu einer kleinen Gunſt berechtiget glauben, 
und zwar blos und allein dafür, daß ich der Er⸗ 
richtung der Bank vorgebeugt habe. Was würde 
nicht Staat und Publikum gelitten haben, wäre 
dieſes Project ausgeführt worden! Wie viel mehr 
Familien wären zu Grunde gerichtet worden!“ — 


) Der Brief ward nicht abgegeben. 


49 


Die Gunſt, von der er fpricht, war nichts weiter, 
als ein paſſenderes Arrangement der Auszahlung 
ſeines Gehaltes, indem er durch den Bankerott eines 
Hauſes, in welchem er den größten Theil ſeines Ver⸗ 
mögens niedergelegt, einen beträchtlichen Verluſt er⸗ 
litten hatte. | 

Als ich mich in London aufhielt, war die Uni⸗ 
verſität dieſer Stadt im Zuſtand der Organiſation, 
und ich hatte vor, um den Lehrſtuhl der deutſchen 
und der nordiſchen Sprachen einzukommen. Che ich 
aber nähere Schritte dazu gethan hatte, ward ich ver⸗ 
anlaßt, nach Amerika zu gehen. Mittlerweile hatte 
ich nach Deutſchland wegen Zeugniſſen geſchrieben, um 
durch dieſe meine Tüchtigkeit zur gewünſchten Pro⸗ 
feſſur zu beweiſen. Niebuhr ſchickte mir bereitwillig 
alsbald das verlangte Papier und ſprach darin ſeine 
Meinung in Ausdrücken aus, welche mir die größte 
Freude machten, obgleich ich nie Gelegenheit hatte, 
davon Gebrauch zu machen. Der Brief, in wel⸗ 
chem er mir dieſes Papier überſandte und welcher 
vom 28ten März, 1827, datirt iſt, enthält folgende 
Stelle, welche ſo wohl als Beitrag zu einer näheren 

4 


50 


Bekanntſchaft mit ihm ſelbſt, als auch in allgemeiner 
Beziehung, nicht ohne Intereſſe ſeyn dürfte. 

„Einliegendes enthält die Empfehlung, welche ich 
Ihnen mit vielem Vergnügen überſende, indem die⸗ 
ſelbe eben ſo ſehr mit meiner Ueberzeugung überein⸗ 
ſtimmt, als meine Wünſche für Ihr Glück mit mei⸗ 
nem Herz in Einklang ſind. Möge ſie Ihnen auf 
dem einen oder andern Wege von Nutzen ſeyn! Die 
Coneurrenz wird groß ſeyn; und es werden Männer 
nicht fehlen, welchen die Unterſtützung anweſender 
und einflußreicher Freunde zur Seite ſteht. Im All⸗ 
gemeinen vertraue ich auf Ihren guten Stern, wel⸗ 
cher Sie bis jetzt noch nicht verlaſſen hat; jedoch in 

dieſem beſonderen Fall könnte es wohl ſeyn, daß Sie 
8 kein Glück hätten!. 

„Nach meiner Anſicht ſind bei Errichtung der 
Londoner Univerſität zwei ſehr verſchiedene Elemente 
thätig — die Whigs und die Radicalen. Beide ge⸗ 
hören einer Zeit an, welche vorüber iſt. Die Erſten 
wiſſen nicht recht was ſie wollen, auſſer Macht und 
Unabhängigkeit von der Regierung, im Sinne der 
alten Barone, blos und allein reducirt und be⸗ 


51 


zogen auf ihre eigene Zeit:“) ihr Beſitzthum iſt ihr 
Idol e . 3 } . 3 ; 
Sie haben eben fo ſehr, als die Tories, eine elende 
Verachtung gegen die Fremden, namentlich gegen 
uns Deutſche. Dieß ſage ich im Allgemeinen; doch 
davon giebt es manche Ausnahme, und die meiſten 
meiner Freunde in England ſind Whigs. Sie wer⸗ 
den jetzt wohl ſchon die Radicalen kennen gelernt 
haben: obgleich frei von manchem Vorurtheil der 

zwei anderen Partheyen, und weniger inſolent gegen 


*) Der Leſer möge ſich an die Zeit erinnern, da Niebuhr den 
Brief ſchrieb. In der gegenwärtigen Zeit bedeutet der Name 
Whig etwas Anderes. Ueberdieß darf man nicht vergeſſen, 

daß Niebuhr, obgleich er ein aufmerkſamer Beobachter ſeiner 
Zeit war, ſo wie ſie an ihm vorüberſtrich, manche Eindrücke 
erhalten hatte, als die Whigs noch eine ganz andere Stel⸗ 
lung hatten, als die war, welche ſie 1827 einnahmen. Ich 
kann im Allgemeinen nur ſagen, daß manche Leſer, obgleich 
entfernt von der Billigung der modernen politiſchen Beſtand⸗ 
loſigkeit (jede Periode hat ihre eigene), bemerken werden, 
daß Niebuhr öfters mit zu vieler Anhänglichkeit auf die ver⸗ 
gangene Zeit zurückblickte, und ſo den Werth der gegenwär- 
tigen zu ſehr herabſetzte, wie denn das nicht ſelteu bei Ge⸗ 
ſchichtſchreibern der Fall iſt. 


52 


fremde Nationen, laſſen ſie dennoch beſonders Uns 
gerade weniger Gerechtigkeit widerfahren, als den 
andern fremden Nationen. Ihre politiſche Oekono⸗ 
mie iſt eine ſchaale Weisheit; aber wenigſtens haben 
fie großes Intereſſe an der Wohlfahrt der Million, 
während ihnen ihre eigene phyſiſche Wohlfahrt weni⸗ 
ger am Herzen liegt. Dieß will jedoch viel ſagen 
in dieſen Zeiten des Egoismus — des Krebſes, an 
dem England auf den Tod darniederliegt. Herr —, 
welcher ein einflußreicher Mann in den Univerſitäts⸗ 
Angelegenheiten ſeyn wird, gehört, im guten Sinn, 
zu dieſer Parthey; ebenſo Herr — (den Sie auf 
dem Comtoir feiner Compagnie, Nro. — — Straße 
finden werden). Gehen Sie zu Beiden mit meinen 
dringendſten Empfehlungen: Beide hängen mit Hef⸗ 
tigkeit an der politiſchen Oekonomie; nehmen Sie ſich 
daher bey ihnen mit Ihren Worten etwas in Acht. 
Vielleicht kann Ihnen mein Name auch bey Herrn 
Brougham von Nutzen ſeyn; ſuchen Sie mit ihm be⸗ 
kannt zu werden; ich weiß, Sie werden ihn ſchon 
für ſich einzunehmen wiſſen. Bemühen Sie ſich um 
die Bekanntſchaft des Herrn Grote, welcher mit einer 
Griechiſchen Geſchichte beſchäftigt iſt; er wird Sie 


53 


ebenfalls gut aufnehmen „wenn Sie ihm meine Ach⸗ 
tung vermelden. Wenn Sie erſt beſſer mit ihm be⸗ 
kannt ſind, möchte es ſich wohl der Mühe verlohnen, 
daß Sie ſich die Probebogen ſeines Werkes verſchaff⸗ 
ten, um es zu überſetzen. Ich erwarte ſehr viel von 
dieſem Werk, und will Ihnen hier einen Verleger 
verſchaffen. Sollte der Marquis von Lansdown im 
Stande ſeyn, Ihnen zu nützen, ſo gehen Sie auf 
jeden Fall zu ihm; mein Name, davon bin ich feſt 
überzeugt, wird Ihnen bei ihm von Nutzen ſeyn. 
Sie ſollten ſich noch nach andern Büchern umthun, 
auſſer dem des Herrn Grote ; fo. wird, zum Beiſpiel, 
die Reiſe nach Cyrenaika wohl keinen anderen Ueber⸗ 
ſetzer finden. Reiſen dieſer Art, welche Inferiptio- 
nen u. dgl. enthalten, fänden wohl Verleger in 
Deutſchland, zumal wenn ein Philologe — wie zum 
Beiſpiel ich ſelbſt — einige Noten und eine Vorrede 
hinzufügen wollte: aber dazu wäre es nöthig, daß 
man das Original in Händen hätte. Wenn Sie 
die Inſcriptionen der Reiſe nach Cyrenaika ſchicken, 
(aber kopirt auf die möglichſt ſorgfältige Art, mit 
allen Bemerkungen des Verfaſſers, geſchrieben auf 
das dünnſte Briefpapier mit Erſparung des Raums) 


54 


und dieſe an Herrn Weber in Bonn, und, auf der 
inneren Seite, an Geheimerath Niebuhr, für das 
Rheiniſche Muſeum, adreſſiren wollen, ſo kann ich 
Ihnen zwei Friedrichsd'or für jeden Bogen anbieten, 
welchen die Inſcriptionen, Ueberſetzungen und meine 
Noten anfüllen. Aber ſie müſſen ſehr ſorgfältig ab⸗ 
geſchrieben ſeyn! Ohne Zweifel finden Sie Jeman⸗ 

den, mit deſſen Hülfe Sie dieſelben collationiren kön⸗ 
nen. Geben Sie allemal die Titel mit großer Ge⸗ 
nauigkeit. — Ich möchte wohl wiſſen, wie das Unter⸗ 
nehmen der Herren Hare und Thirlwood vorrückt. — 
Der Raum mangelt, um weiter zu ſchreiben: in der 
That iſt obendrein meine Zeit beſchränkt. Fünf Viertel⸗ 
jahre habe ich an meiner Geſchichte mit einer An⸗ 
ſtrengung gearbeitet, die meine Kräfte faſt erſchöpft 
hat: ich finde es ſchwer, nun noch fortzufahren“ 
u. ſ. w. ö g 
Ehe ich mich nach Amerika einſchiffte, meldete ich 
Niebuhr meinen Wunſch, mit dem beſten Deutſchen 
Blatt in Verbindung zu treten; und in Boſton er⸗ 
hielt ich einen langen Brief von ihm, vom 13ten 
September 1827 datirt, aus welchem das Nach⸗ 
ſtehende entnommen iſt. Ä | 


55 


„Ich habe Ihren Abſchiedsbrief aus London er⸗ 
halten, lieber Freund, und via Hamburg, den Brief, 
welchen Sie an mich auf der See geſchrieben haben. 
Ich erſehe daraus, daß Sie glücklich in der Neuen 
Welt angelangt ſind, obgleich Sie über dieſen Punkt 
nichts beigefügt haben. Von Neu⸗MPork werden Sie 
auf guten Landſtraßen und in Kutſchen, die gewiß 
von denen, welche frühere Reiſende beſchrieben haben, 
ſehr verſchieden ſind, nach Boſton gegangen ſeyn, 
8 wo es nicht allein mein und meiner ganzen Familie | 
herzlicher Wunſch, ſondern auch unſere zuverſichtliche 
Hoffnung iſt, daß Sie glücklich ſeyn werden, ſo weit 
dieſes in einem fremden und nicht anregenden Lande 
möglich iſt. Ihren Entſchluß, nach Amerika zu gehen, 
billige ich ſo durchaus, daß ich, wenn Sie zuvor 
meinen Rath hätten verlangen können, Sie unbe⸗ 
dingt dazu angetrieben haben würde. Denn es iſt in 
England nur ein ſehr geringes Glück für denjenigen, 
welcher nicht mitten in der regeſten Thätigkeit ſteht; 
— und der, wie es mit dem Ausländer der Fall ist, 
nur das Zuſehen hat. Die Neu⸗Engliſchen Staa⸗ 
ten, in welchen Sie leben, ſind in der That ihres 
Namens würdig, welcher ſüdlich von dem Potowmak 


56 


.. 


nicht mehr paſſend ſeyn würde. Sie ſind England 
ohne Ariſtokratie und Tradition, nur allein arbeit⸗ 
ſam und thätig in der materiellen Welt; deshalb . 
ohne ſchöne Illuſionen, aber auch ohne Engliſche 
politiſche Heucheley. Bewahren Sie ſich nur davor, 
daß Sie nicht in eine Vergötterung des Landes und 
dieſes Zuſtandes der Dinge verfallen, welcher ſo 
blendend ift, weil er die materielle Welt in günſti⸗ 
gem Lichte zeigt. Sie werden dieß können, wenn 
Sie aufmerkſam auf ſich ſelbſt ſind: Sie haben Ur⸗ 
theil und philoſophiſchen Tact genug, um ſich davor 
zu hüten. Bleiben Sie ein Deutſcher und ſagen Sie 
zu ſich ſelbſt, ohne Tag und Stunde zu zählen, daß 
der Tag und die Stunde kommen wird, da Sie im 
Stande ſeyn werden, zurückzukehren. 

Zufolge Ihrem Wunſche, eine literäriſche Conne⸗ 
xion mit Deutſchland zu behalten, ſchrieb ich an 
Baron Cotta, auf den Sie ebenfalls gedacht haben. 
Da die Allgemeine Zeitung keinen Correſpondenten 
in Amerika hat, ſo rechnete ich auf eine günſtige 
Aufnahme; und darin habe ich mich auch nicht ge⸗ 
irrt. Baron Cotta ſchlägt Ihnen vor, zu correſpon⸗ 
diren für 1) die Allgemeine Zeitung; 2) das Mor⸗ 


9 


57 


genblatt; 3) das Kunſtblatt; 4) das Literatur: 
Blatt; 5) das Polptechniſche Journal; 6) die 
Politiſchen Annalen; und 7) für das Ausland, ein 
Journal, welches blos für Neuigkeiten aus fremden 
Ländern beſtimmt if. tet. 

„In Beziehung auf Ihre Correſpondenz mit der 
Allgemeinen Zeitung will ich verſuchen, Ihnen einige 
Fingerzeige zu geben, indem faſt alle Correſponden⸗ 
ten dieſes Blattes (wenn auch nicht alle ohne Aus⸗ 
nahme) ihren Standpunkt falſch gewählt haben. Ich 
wäre faſt in Verſuchung gerathen, eine Abhandlung 
über dieſen Punkt zu ſchreiben, hätte ich Zeit dazu; 
aber ich bin gedrängt in der That. Deshalb abſtra⸗ 
hiren Sie für fich ſelbſt, und es mag fo in conereto 
genügen, daß die Correſpondenz aus den Vereinig⸗ 
ten Staaten eine zweifache ſeyn muß, und zwar A. 
über Einheimiſche, B. über Ausländiſche Angelegen⸗ 
heiten. — Ad. A. Sie hat anzugeben a. den Zuſtand 
der Dinge, b. Ereigniſſe. In Beziehung auf a. 
denke ich, daß weitläufige ſtatiſtiſche und ethnogra⸗ 
phiſche Berichte eigentlich mehr die Sache größerer 
Blätter ſind, — zum Beiſpiel der Politiſchen An⸗ 
nalen. Aber Berichte über moraliſche und perſön⸗ 


58 


liche Zuſtände, kurz gefaßt, gehören der Zeitung an: 
| zum Beiſpiel, Nachricht über die Perſonen, aus 
welchen die Regierung zuſammengeſetzt iſt; über die 
Verhältniſſe und Beziehungen zwiſchen den ver⸗ 
ſchiedenen Staaten; ob zwiſchen dieſen Staaten Col⸗ 
lifionen Statt finden, und, wenn dieſes der Fall iſt, 
ob ſich vieſelben noch vermehren; Gewalten und In⸗ 
tereſſen, wodurch große Ereigniſſe und Veränderungen 
vorbereitet werden; die Beziehungen zu fremden Län⸗ 
dern u. dgl. — b. Die zu beſchreibenden Ereigniſſe find 
die allgemeinen der Union, und die der einzelnen 
Staaten. Unter dieſe Rubrik gehören nicht allein 
politiſche Ereigniſſe in eigentlichem Sinn, ſondern 
auch legislative Acte; und nicht allein die allgemeine 
Legislation der Vereinigten, ſondern auch die der Ein⸗ 
zelnen Staaten: zum Beiſpiel, wenn ein Staat ſeine 
Verfaſſung, oder feine Civil» und Criminalgeſetze 
ändert; — in Beziehung auf die Föderativ⸗Regie⸗ 
rung, Veränderungen, neue Anordnungen in der 
Lands und See⸗ Macht, abgeſehen von einzelnen 
ſtatiſtiſchen Notizen, namentlich vergleichenden, welche 
das materielle Wachsthum zeigen; Volkszählungen 
u. dgl. Einzelne Anekdoten gehören mehr eigentlich 


59 


inſdas Morgenblatt. — B. dieſe Correſpondenz muß 
ſowohl die benachbarten Britiſchen Provinzen, als 
auch Mexiko und Südamerika in ſich begreifen. Auf 
die Erſteren richten Sie eine beſondere Aufmerkſam⸗ 
keit, da wir von dort her durch Reiſende ſo wenige 
Nachrichten erhalten. Sie müſſen aus Zeitungen 
und Flugſchriften ſammeln, welche ſelten Europa 
erreichen, außer wenn ſie einem paar Dutzend Leuten 
in England zugeſchickt werden. Zu dem ſind hier 
ſtatiſtiſche Berichte von der größten Wichtigkeit, um 
zu zeigen, ob Fortſchritte gemacht werden, oder um⸗ 
gekehrt; ferner, Berichte über die Beziehungen zwi⸗ 
ſchen dem Mutterlande und den Colonieen. In 
Beziehung auf die independenten Staaten müſſen Sie 
ganz in der Art ſchreiben, wie ſolche für die Ver⸗ 
einigten Staaten angegeben iſt. Die Aufgabe iſt 
nicht leicht! Ich verlange von einem Zeitungscorre⸗ 
ſpondenten ganz daſſelbe, was ich mir in meinen 
Berichten an den König zu thun auferlegte, als ich 
Miniſter war, und was ich als Staatsſecretair der 
auswärtigen Angelegenheiten von jedem diplomatiſchen 
Agenten erwarten würde. Es iſt höchſt wichtig, daß 
man gewiſſenhaft und bis auf den Buchſtaben treu ſey. 


5 998 

Der Correſpondent einer Zeitung iſt der Ge⸗ 
ſandte „nicht des Eigenthümers derſelben, ſondern 
des Publikums. Ehe Sie Ihre Correſpondenz be⸗ 
ginnen, ſchauen Sie ruhig umher, und ſuchen Sie 
Ihren wahren Geſichtspunkt. Was den Streit zwi⸗ 
ſchen den nördlichen und ſüdlichen Staaten betrifft, ſo 
bin ich entſchieden Yankee und Anti⸗ Virginianer. 
Doch, ich habe nun einundfünfzig Jahre, und käme 
ich dort hin, ſo würde ich weder den Erſteren unbe⸗ 
dingt beitreten, noch den Letzteren unbedingt ent⸗ 
gegen ſeyn. ie 

„Eine Sache kann ich Ihnen nicht genug an's 
Herz legen. Sie dürfen es nicht übel nehmen, beſter 
Freund; es iſt nicht in Beziehung auf Sie geſagt, 
aber es muß eine große, ſich weit erſtreckende Un⸗ 
tiefe ſeyn, weil alle Zeitungs⸗Correſpondenten dar⸗ 
auf ſcheitern: Keine politiſchen Abhandlun⸗ 
gen und Allgemeinheiten, ſondern That⸗ 
ſachen, einfach und kurz berichtet. Wenn 
Sie auf Notizen über Entdeckungen ſtoßen, es ſey 
von der Südſee, dem Inneren von Amerika, dem 
Fluß Columbia, oder von den inneren Niederlaſſun⸗ 
gen an dem Miſſouri, Arkanſas u. ſ. f., ſo denken 


61 

Sie an Ihren Freund, wie Sie ihm mit dieſen Din⸗ 
gen große Freude machen werden, und ſchicken Sie 
dieſelben zur Aufnahme in die Extra- Bogen der 
Allgemeinen Zeitung; denn dieſes Blatt iſt von der 
ganzen Menge einzig und allein dasjenige, auf 
welches ich bei der entſetzlichen Beſchränkung meiner 
Zeit einige Aufmerkſamkeit richte. | 
„Indem ich Ihnen nach Boſton ſchreibe, fühle 

ich ſchwer auf mir eine Briefſchuld rückſichtlich des 
Herrn — in Boſton, und zwar in Beziehung auf 
ihn ſelbſt wegen einem achtbaren Artikel über mein 
Geſchichtswerk, und dann, inſofern er, als Seere⸗ 
tair der Academie, mich in deren Namen mit einem 
Brief beehrt hat. Wie alt iſt ſchon dieſe Schuld! 
Wenn aber Herr —, und jeder Andere, welcher 
von mir vernachläßigt zu ſeyn glaubt, weiß, in 
welchem Grade ich ſeit Wiederaufnahme der Fort⸗ 
ſetzung meiner Geſchichte mit Arbeit überladen bin, 
fo werden fie mir ſämmtlich verzeihen. Auſſer mei⸗ 
nem Geſchichtswerk habe ich nun auch „das Muſeum“ 
(eine Zeitſchrift), und die Leitung der neuen Aus⸗ 
gabe der Byzantiniſchen Geſchichtſchreiber. Ich kann 
wohl ſagen, daß die letztere Arbeit allein ſchon 


4 


- 


62 


ganz hinreichend ſeyn möchte, manchen Andern nie⸗ 
derzubeugen, beſonders wenn er zu gleicher Zeit 
Vorleſungen zu halten hätte. Sie verurſacht mir 
eine unerläßliche Correſpondenz, welche keinen Auf⸗ 
ſchub leidet. Auſſerdem muß ich noch des abſcheu⸗ 
lichen Zeitverluſtes durch die Reiſenden erwähnen. 
Darum allein bitte ich Sie, mein lieber Freund, — 
geben Sie nicht leicht Empfehlungsbriefe: dieſe 
Menſchen morden mir meine Zeit.“) Sagen Sie da⸗ 
her dem Herrn — meine angelegentlichſten Empfeh⸗ 
lungen und auch, daß ich, trotz meines Stillſchwei⸗ 
gens, ihm ſehr viel Dank wiſſe. Ich glaube nicht 
zu irren, wenn ich wünſche, daß Sie beſonders Ihn 
zu Ihrem Freund in der neuen Welt erwählen, und 
daß Sie hinſichtlich der Correſpondenz mit ihm con- 
feriren. Vielleicht theilen Sie ihm aus dieſem Briefe 
etwas mit. i . | 
Das Papier ift voll bis zum Rand, deshalb 


kann ich nur hinzufügen: Gott ſegne Sie! Meine 
| Ä / 


*) Es ift bekannt von Erneſti, daß er, wenn jemand einen Be⸗ 
ſuch über zehn Minuten ausdehnte, aufzuſtehen, nach einer 
großen Uhr zu weiſen, und zu ſagen pflegte: „Sie ſind ſchon 
zehn Minuten hier geweſen“. N 


63 


Frau und Kinder grüßen Sie. Markus denkt an 
Sie und ſpricht von Ihnen, als hätten wir Rom 
erſt vor wenigen Wochen verlaſſen. Ich wünſche von 
Ihnen zu hören; wenn ich nicht ſchreibe, ſo zögern 
Sie deshalb nicht mit Ihrer Nachricht. Heute habe 
ich Ihnen einen wahren Freundſchaftsdienſt gethan. 
Die Geſundheit meiner Frau iſt nur mittelmäßig; 
die meiner Kinder, vortrefflich; meine eigene, im Ab⸗ 
nehmen. Der Ihrige“ u. ſ. f. 

Niebuhr's beklagenswerther Tod erfolgte im Ja⸗ 
nuar 1831. 

Es war meine Abſicht, zu zeigen, in welchem 
Verhältniß ich zu dieſem vortrefflichen Manne ſtand; 
aber ich hatte nicht vor, Alles mitzutheilen, was er 
mir war, noch was ich ihm verdanke, ſo ſtarke Ein⸗ 
drücke meine Seele auch durch dieſe Ideenverbindun⸗ 
gen erhalten hat. Deshalb beſchließe ich hier meine 
Erzählung. 

Der urtheilsvolle Leſer wird unter den nachſte⸗ 
henden Aphorismen leicht diejenigen, welche eine feſt⸗ 
ſtehende Meinung ausſprechen, von anderen unter⸗ 
ſcheiden, welche nur eine gelegentliche Anſicht, die 
er gefaßt hatte, wiedergeben. Aber alle, fo frheing 


4 


64 


es mir, dienen dazu, ein genaueres Bild von ihm zu 
entwerfen. A 

Es wird für Manche nicht unintereffant ſeyn, 
Einiges von den Gewohnheiten und perſönlichen 
Eigenthümlichkeiten eines ſo een Mannes 
kennen zu lernen. 

Niebuhr war mager und klein von Geſtalt; ſeine 
Stimme war ſehr ſcharf tönend. Er ſah nicht gut 
in die Ferne, und machte ſo öfters ganz wunderbare 
Mißgriffe. Brillen waren ihm unentbehrlich; und 
einmal mußte ich eine ganze Tagreiſe machen, um 
ſeinen Dollond zu holen, welcher vergeſſen worden 
war. Er lebte ſehr frugal; Wein mit Waſſer war 
ſein gewöhnliches Getränk; er wußte guten Wein 
wohl zu ſchätzen, trank aber ſelten welchen. Er ra⸗ 
ſirte ſich oft, während er im Zimmer auf und ab⸗ 
gieng; und wenn ich zugegen war, pflegte er den⸗ 
noch während der gefährlichen Operation zu reden. 
Vor dem Rauchen hatte er einen großen Widerwillen; 
aber er ſchnupfte ſo übermäßig, daß er es ſich end⸗ 
lich abgewöhnen mußte. Er ſchrieb nicht, wie jener 
alte Gelehrte, ein ganzes Buch mit Einer Feder; 
aber er bediente ſich einer Feder ſehr lange, ehe er 


% 65 
jie wieder ſchnitt, indem er fie nach allen Seiten drehte, 
um ſich immer fo der ſcharfen Spitze bedienen zu kön⸗ 
nen. Dennoch ſchrieb er eine nette und leſerliche 
Hand. 0 
Sein ſeltenes Gedächtniß ſetzte ihn in den Stand, 
oft ohne Feder zu arbeiten; und ich fand ihn öfters 
in einer liegenden Stellung auf dem Sopha, indem 
er das Werk eines alten Autors über ſeinem Haupte 
hielt. Es waren dieß nicht Werke, welche er zu ſei⸗ 
ner Erholung las, ſondern er ſtudierte ſolche häufig 
mit der angeſtrengteſten Aufmerkſamkeit. Sein Ge⸗ 
dächtniß war in der That für Andere faſt unbegreif⸗ 
lich. Er erinnerte ſich beinahe einer jeden Sache, 
welche er zu irgend einer Periode ſeines Lebens ge⸗ 
leſen hatte. Er war ohngefähr zwanzig Jahre alt, 
als er zu Edinburgh ſtudierte, und ich war zugegen, 
als er ſich in Rom mit einem Engländer über einen 
politiſchen Punkt unterhielt, welchen er zur Zeit ſei⸗ 
nes Aufenthalts in dieſem Lande in den Engliſchen 
Blãttern geleſen hatte. Die Sache war für den Frem⸗ 
den, der ein Mitglied des Parlaments war, wenn 
ich mich recht erinnere, von Wichtigkeit. Niebuhr 
bat mich, Dinte und Papier zu holen, und dictirte 
N . 5 


66 


mir ſogleich, zur großen Ueberraſchung des Engliſchen 
Beſuchers, eine bedeutende Anzahl von Zahlen. Welch 
unermeßliche Gewalt müßte ein ſolcher Mann in einer 
berathſchlagenden Verſammlung haben, und zwar blos 
wegen ſeines unerſchöpflichen Gedächtniſſes! Er ver⸗ 
kannte nicht die große Wichtigkeit dieſer Gabe, welche, 
obgleich nur ein Werkzeug, dennoch das nützlichſte 
und wichtigſte aller Werkzeuge für jegliches Unter⸗ 
nehmen iſt, und nur von denen gering geſchätzt wird, 
welche ſie nicht beſitzen. Auch giebt es kein feſthal⸗ 
tendes Gedächtniß ohne moraliſchen Werth ſowohl 
für Individuen, als für Nationen; und es war eine 
wahre Bemerkung von Göͤthe's Freund in Straßburg, 
daß ein Mann von ſchlechtem Gedächtniß nothwendig 
dem Laſter der Undankbarkeit ausgeſetzt ſey! 
Niebuhr und ich hatten eines Tages über die große 
Gewalt geſprochen, welche ein Mann von zähem Ge⸗ 
dächtniß oft über einen Andern, damit nicht eben jo 
begabten, hat, und zwar blos durch eine Reihe von 
Thatſachen und Angaben, wenn auch die Macht des 
Arguments entſchieden auf ver andern Seite iſt; und 
wie nothwendig es deshalb wird, das Gepächtniß zu 
üben. Er ſagte: „Ohne ein ſtarkes Gedächtniß, 


s ! 67 
wäre ich nimmer im Stande geweſen, meine Geſchichte 
zu ſchreiben; denn Auszüge und Noten würden nicht 
ausgereicht haben; ſie hätten nur wieder eine unzu⸗ 
gängliche Maſſe gebildet, hätte ich nicht den Inhalt 
im Kopf gehabt.“ 

Gibbon, obgleich er nicht ſagt, wie viel von ſei⸗ 
nem ganzen Ruhm er ſeinem vortrefflichen Gedächt⸗ 
niß verdankt, giebt uns wenigſtens eine Anekdote in 
ſeinen „Memoiren meines Lebens und meiner Schrif⸗ 
ten“ ), welche beweiſt, in welch hohem Grade er 
ſich dieſes Segens erfreute und ihn richtig zu ſchätzen 
wußte. Es iſt ganz offenbar, daß das geſundeſte 


) Gibbon ſagt: — „Die Ode, welche er, (Voltaire) bei feiner 
erſten Ankunft an den Ufern des Genfer Sees gedichtet hatte, 
„O maison d' Aristippe, O jardin d’Epicure“ u. |. f. war als 
ein Geheimniß einem Herrn mitgetheilt worden, bei dem ich 
eingeführt war. Dieſer erlaubte mir, dieſelbe zweimal zu 
leſen; ich wußte ſie auswendig; und, da meine Diskretion 
meinem Gedächtniß nicht gleich kam, ſo hatte der Verfaſſer 
. ber Ode alsbald den Verdruß, die Abſchrift eireuliren zu 
ſehen. Bei m Niederſchreiben dieſer trivialen Anekdote wollte 
ich doch ſehen, ob mein Gedaͤchtniß abgenommen habe; aber ö 
ich finde mit Vergnügen, daß jede Zeile des Gedichts noch 
immer mit friſchen und unauslöſchlichen Zügen in mir ein⸗ 
gegraben ſteht “ 


68 


Urtheil und der klarſte Verſtand nicht in die Veweg⸗ 
gründe der Zeitalter, welche er beſchreibt, hätten ein⸗ 
dringen können } hätte nicht ſein Gedächtniß immer 
alle die unzähligen Thatſachen in Bereitſchaft gehabt, 
von denen der Hiſtoriker ſeine Ahſtraktionen machen 
muß. | | | 
Mackintosh, keine kleine Autorität für die wahre 
Art, die Geſchichte zu ſtudieren, ſagt: „Der Genius 
der Geſchichte wird genährt durch, das Studium der 
urſprünglichen Erzähler, und durch eine kritiſche 
Prüfung der kleinſten Thatumſtände. Sinnreiche 
Betrachtungen und prahlende Ausſchmückungen ſind 
elende Subſtitute für dieſe beſſeren hiſtoriſchen Ele⸗ 
mente; und ihre Stelle wird noch ſchlechter ausge⸗ 
füllt durch Lebendigkeit oder Scherz, welche gerade da, 
wo ſie am meiſten wirkſam find, das ernſte und tiefe 
Intereſſe an den Angelegenheiten der Menſchen, wel⸗ 
ches der Geſchichtſchreiber einzuflößen trachtet, auch 
im höchſten Grade vernichten.“ Ueberhaupt wird 
man finden, daß eine Verbindung Statt hat zwiſchen 
der Geneigtheit, in Allgemeinheiten zu verfallen, und 
dem Mangel an anhaltendem Studium der hiſtoriſchen 
Details, oder an dem guten Gedächtniß, welches den 


69 


Gelehrten in den Stand ſetzt, ſich in den vergangenen 
Zeiten faſt wie in ſeinen eigenen zu Hauſe zu fühlen, 
indem er alle die kleineren Facta in einem lebendigen 
Gemählde ſeinem Geiſt vorführt — und zwar gegen⸗ 
wärtig ohne ſelbſtbewußte Anſtrengung des Geiſtes, 
als wäre es die Wirklichkeit ſelbſt. Dieſes iſt nicht 
allein wahr rückſichtlich der Hiſtoriker, ſondern auch 
in Beziehung auf die Philoſophen und alle diejenigen, 
welche ſich mit Raiſonnements über die wichtige Punkte 
abgeben. Rouſſeau hätte wahrſcheinlich nicht ſo weit⸗ 
läufig Aufregungen der Empfindung und durch die 
Gefühle eingegebene Gedanken geſchildert, hätte es 
ihm nicht ‚fein ſchwaches Gedächtniß, über welches er 
ſich ſo ſehr beklagt, unmöglich gemacht, ſeine Ur⸗ 
theile genauer von Facten und der, durch dieſe er⸗ 
worbenen, Erfahrung herzuleiten. 

Als wir von Rom nach Hauſe reiſten, hatte Nie⸗ 
buhr für ſeine zwei Wagen zwei Vetturino's gedun⸗ | 
gen, welche uns bis nach Inspruck brachten. Der 
eine von dieſen konnte weder leſen noch ſchreiben; der 
andere war ziemlich im Stande, ſeine Rechnungen zu 
ſühren; beide hatten ihren Herrn alle ihre Aus⸗ 
gaben und ganze Einnahme bei ihrer Rückkehr in 


70 


Rom zu verrechnen. Der eine, welcher ſchreiben ge⸗ 
lernt hatte, ſchien beſtändig darüber in Unruhe zu 
ſeyn, ob er auch mit den Summen, welche er von 
Niebuhr empfangen hatte, ſeine Ausgaben richtig be⸗ 
ſtreite, während ſein Gefährte uns nicht ſo beſorgt 
vorkam. Auf unſere Nachfrage erfuhren wir, daß 
der Letztere ſich wirklich blos auf ſein Gedächtniß ver⸗ 
ließ, und daß er im Stande war, jede geringſte, für 
ſich und ſeine Pferde gemachte, Ausgabe anzugeben, 
und zwar, wo und wann er ſie gemacht hatte. Es 
war dieß ein erſtaunliches Beiſpiel von einem Gedächt⸗ 
niß und Niebuhr ſagte: „Am Ende hat Plato nicht 
ſo unrecht in dem, was er über die Erfindung der 
Buchſtaben jagt“. “) 


) In dem Phädrus, Nia und 275, finden mir Folgendes, als 
Worte des Soerates (Schleiermacher's Ueberſetzung): „Ich 
| habe gehört, zu Naukratis in Aegypten ſey einer von den 
dortigen alten Göttern geweſen, dem auch der Vogel, welcher 
Ibis heißt, geheiliget war, er ſelbſt aber der Gott habe 
Theuth geheißen. Dieſer habe zuerſt Zahl und Rechnung er⸗ 
funden, dann die Meßkunſt und die Sternkunde, ferner das 
Bret⸗ und Würfelſpiel, und ſo auch die Buchſtaben. Als 
König von ganz Aegypten habe damals Thamus geherrſcht in 
der großen Stadt des oberen Landes, welche die Hellenen 
das ägyptiſche Thebe nennen, den Gott ſelbſt aber Ammon. 


71 


Eine nicht weniger auffallende Eigenthümlichkeit 


Niebuhr's war die, daß er arbeiten und ſchreiben 


+ 7 


Zu dem ſey Theuth gegangen, habe ihm ſeine Künſte Pi 
fen, und begehrt, fie möchten den andern Aegyptern mitge⸗ 


theilt werden. Jener fragte, was doch eine jede für Nutzen 


gewähre, und jenachdem ihm, was Theutb darüber vor⸗ 
brachte, richtig oder unrichtig dünkte, tadelte er oder lobte. 
Vieles nun ſoll Thamus dem Theuth über jede Kunſt dafür 
und dawider geſagt haben, welches weitläufig wäre alles an⸗ 


zuführen. Als er aber an die Buchſtaben gekommen, habe 


Theuth gefagt : Dieſe Kunſt, o König, wird die Aegypter 
weiſer machen und gedächtnißreicher „denn als ein Mittel 


für den Verſtand und das Gedächtniß iſt ſie erfunden. Jener 


aber habe erwiedert: O kunſtreichſter Theuth, Einer weiß, 


was zu den Künften gehört, an's Licht zu gebähren; ein An⸗ 
derer zu beurtheilen, wie viel Schaden und Vortheil ſie denen 


bringen, die ſie gebrauchen werden. So haſt auch Du jetzt 


2. 


als Vater der Buchſtaben aus Liebe das Gegentheil deſſen 
geſagt, was ſie bewirken. Denn dieſe Erfindung wird der 
Lernenden Seelen vielmehr Vergeſſenheit einflößen aus Ver⸗ 
nachlaſſgung des Geächtniſſes, weil fie im Vertrauen auf 
die Schrift ſich nur von auſſen vermittelſt fremder Zeichen, 
nicht aber innerlich fich ſelbſt und unmittelbar erinnern wer⸗ 


den. Nicht alſo für das Gedächtniß, ſondern nur für die 


„Erinnerung haſt Du ein Mittel erfunden, und von der Weis⸗ 


heit bringſt Du Deinen Lehrlingen nur den Schein bei, nicht 


die Sache ſelbſt. Denn indem fie nun vieles gehört haben 


ohne Unterricht, werden fie ſich auch viel wiſſend zu ſeyn dün⸗ 


ken, da. ſie doch unwiſſend größtentheils find, und ſchwer zu 


behandeln, ſie dünkelweiſe geworden ſtatt weiſe. 


72 


konnte, während ein großer Lärm um ihn war. 
Weder das Spielen ſeiner Kinder in demſelben Zim⸗ 
mer, noch die laute Unterhaltung Anderer pflegten 
ihn zu ſtören, wenn er einmal die Feder in der 
Hand hatte. Er erinnert uns in dieſer Beziehung 
an Lambert, deſſen Abſtraktionskraft ihn in den 
Stand geſetzt haben ſoll, eine ſeiner luminöſeſten 
Schriften über mathematiſche und optiſche Gegenſtände 
in der Ecke eines beſuchten Zimmers eines öffentlichen 
Caffehauſes zu ſchreiben. 

Obgleich die ganze Reihe der ee immer 
ſeinem Geiſt gegenwärtig war, — und dieſes zeigte 
ſich am ſtärkſten, wenn er auf eine neue Inſeription, 
Ruine, oder die Ueberbleibſel eines Manuſeripts oder 
dgl. ſtieß, — fo eitirte er dennoch immer ungern der 
. Ausſchmückung wegen; auch brachte er nicht in ſeine 
Briefe oder andere Mittheilungen Stellen aus den 
alten Schriftſtellern. Ich erinnere mich nicht, daß 
er ſich jemals über dieſen Gegenſtand geäußert hätte; 
aber ich glaube, es würde ſeinem Geiſt nicht ange⸗ 
paßt haben. Daß er zu vertraut mit ihnen war, um 
eitel auf Citate zu ſeyn, verſteht ſich von ſelbſt; aber 
ich glaube außerdem, daß Citate der Art mit der 


73 


Form ſeines Geiſtes nicht harmonirt haben würden: 
denn dieſer ſah zu ſehr auf den reellen Zuſtand der 
Dinge im Alterthum, als daß er dieſe zierenden Er⸗ 
läuterungen ſich hätte erlauben können, ausgenom⸗ 
men, wenn eine wahrhaft ſcharfſinnige Anwendung 
davon gemacht werden konnte. Anſtatt zu glauben, 
daß eine Anſicht blos deshalb Werth habe, weil ſie 
von einer ſehr zurückliegenden Autorität beſtätigt ſey, 
erklärte er vielmehr oft das Alterthum durch Beiſpiele, 
genommen aus der neuſten Zeit, wie auch ſein Ge⸗ 
ſchichtswerk zeigt. Es mag hier erinnert werden, 
daß die Vorrede ſeiner Geſchichte von Rom nur drei 
Citate enthält: das eine derſelben, aus einem alten 
Autor, iſt von ihm im Deutſchen gegeben; ein ande: 
res iſt von Göthe; und das einzige in fremder Sprache 
iſt Spaniſch; alle aber ſind ſo einfach, daß ſie faſt 
den Charakter von Citaten verlieren. 

Ini Allgemeinen mag hier bemerkt werden, daß 
das Beibringen von Citaten aus Claſſikern, oder 
in der That aus irgend einem Schriftſteller über⸗ 
haupt, welches zur Oftentation oder zur bloßen Aus⸗ 
ſchmückung der Rede geſchieht, von den Deutſchen 
als pedantiſch betrachtet wird, oder ihnen auch viel⸗ 


74 

leicht die Freude zu verrathen ſcheint, welche der ei⸗ 
tirende Schriftſteller oder Redner darüber hat, daß 
es ihm gelungen iſt, die Schwierigkeit der Erlernung 
einer fremden Sprache zu überwinden. Dennoch gab 
es eine Zeit, da der „Rector“ eines deutſchen Gym⸗ 
naſiums den verſchiedenen Reihen des Einmaleins große 
Beſtärkung zu verleihen geglaubt hätte, wenn er hatte 
zeigen können, daß Cicero einer derſelben erwähnt 
habe. Jetzt aber gilt das Citiren unter den Gelehr⸗ 
ten Deutſchlands nicht mehr von gutem Ton. Sie 
leſen alle zu viel, um ſtolz darauf zu ſeyn; und ſie 
haben auch, im Allgemeinen geſprochen, nicht ſo viel 
Reſpect vor Autoritäten, in welchem Zweig der Wiſ⸗ 
ſenſchaften oder Künſte es auch ſey, um Stellen aus 
älteren Autoren für wirkſame Beſtärkungen des 
Werthes ihrer eigenen Schriften anzuſehen. Ganz 
anders verhält es ſich mit der Achtung, welche ſie der 
Geſchichte irgend eines Gegenſtandes zollen; denn 
hier iſt auf Seite der 3 allerdings oft Pe⸗ 

danterie. 
Der Deutſche e in Beziehung auf die⸗ 
ſen Punkt iſt ein anderes Beiſpiel der Verſchieden⸗ 
heit der Anſicht, welche die Deutſche und Engliſche 


75 


Nation von der Periode hat, die von den Deutſchen 
öfters die Perükenzeit genannt wird, — etwa gleich⸗ 
bedeutend mit Zeit der Steifigkeit und Pedanterie. 
Dieſer Sinn würde in England auf keine Weiſe mit 
einem ähnlichen Ausdruck verknüpft werden, weder 
in Beziehung auf Politik „noch Literatur. Bei einer 
anderen Gelegenheit habe ich weitläufiger von dieſer 
auffallenden Verſchiedenheit geſprochen“). Niebuhr 
liebte größte Einfachheit der Schreibart, wenn auch 
ſein früheres Deutſch bisweilen ſeine innige Vertraut⸗ 
heit mit dem Lateiniſchen verrathen mag. 

Man kann nicht ſagen, daß Niebuhr ein entſchie⸗ 
den heiteres Naturell hatte; doch liebte er die Fröh⸗ 
lichkeit und fand Geſchmack an einem Scherz. Das 
platte Luſtſpiel im St. Carlino zu Neapel macht ihm 
großes Vergnügen, und wir begaben uns oft nach 
| dieſem Tempel herzlicher Fröhlichkeit während unſeres 
Aufenthalts in dieſer Stadt. Ich konnte ihn immer 
ſehr mit Erzählung eines drolligen Vorfalls beluſti⸗ 
gen. Er war ein guter Menſch, und deshalb war 


*) „The Stranger in America,, Band 1, p. 116 u. ff. der Lon⸗ 
doner , p. 75 und 76 der Philadelphier Ausgabe. 


76 


fein Herz dem Frohſinn offen. „Kommen Sie!“, 
ſagte er eines Tages zu Neapel, „laſſen Sie uns 
wieder die Makaroni⸗Eſſer ſehen“ ; denn das ge⸗ 
ſchickte Herunterſchlingen der endloſen und geſchmei⸗ 
digen Röhren dieſes „zauberiſchen Vegetabils“, wie 
der Hanswurſt ſich ausdrückt, hatte ihn höchlich be⸗ 
luſtigt. Jedoch war er weit davon entfernt, an einer 
Sache Gefallen zu finden, die nur im geringſten nach 
Rohheit ſchmeckte. Seine Gefühle waren alle geläu⸗ 
tert und die eines zart organiſirten Geiſtes. 
Ich habe ihn zu wiederholten Malen ſich mit ſei⸗ 
nen Kindern auf dem Boden umherwälzend angetrof⸗ 
fen; und er frug die Zuſchauer ebenſowenig, ob ſie 
Kinder hätten, als es ein Mann that, welcher allen 
Vätern, die mit ihren Kindern auf dem Boden zu 
ſpielen lieben, mit ſeinem königlichen Beiſpiel vor⸗ 
angieng. ö | ; a 
Seine Einfachheit war ſehr groß; er konnte ver⸗ 
geben, wo Andere lange nachgetragen haben würden. 
Offenheit war ein beſonders hervorſtechender Zug 
ſeines bewunderungswerthen Characters. Ich fand 
ihn eines Tages blaß und frug ihn, ob ihm nicht 
wohl ſey. „Ich bin betrübt“ ſagte er, „und habe 


— 


77 


nicht gut geſchlafen. Ich habe meinen Markus geſtern 
Abend geſtraft, denn ich glaubte gewiß, daß er die 
Unwahrheit geſagt hätte; die Beweiſe ſchienen mir 
überzeugend zu ſeyn; und dennoch fand ich hinter⸗ 
her, daß er unſchuldig war“. Er bat den Knaben 


verſchiedene Male um Verzeihung. Seine Liebe zu 


feinen Kindern war auſſerordentlich groß; für ſeine 
erſte Frau (nicht die Mutter dieſer Kinder) bewahrte 
er eine heilige Erinnerung. Ich habe ihn und ſeine 
zweite Frau (eine Verwandte ſeiner erſten) in ſtill⸗ 
ſchweigender Betrachtung vor ihrem Portrait ſtehen 
ſehen. Sie war eine ungewöhnliche Frau geweſen, 
welcher er alles vorlas, bevor er es herausgab. Er 
ſagte einmal zu mir, er glaube, wenige Bücher, mit 
Ausnahme medieiniſcher und juriſtiſcher, ſollten ſo 
geſchrieben ſeyn, daß ſie die Frauen nicht leſen 
könnten; und er war es, der mir rieth, in meiner 
Reiſe durch Griechenland dasjenige in einer Lateiniſchen 
Note zu geben, wovon er glaubte, daß es zu in⸗ 
tereſſant ſey, um ausgelaſſen, und dennoch unge⸗ 
eignet, von Weibern geleſen zu werden.“) „Wenn 


) Er fügte ſelbſt zu der Note folgende Worte hinzu, als 
wären ſie von meiner Hand: „ Denique hoc moneo, me, Anglo- 


78 


denn auch eine Frau Latein kann“, fügte er hinzu, 
„nun ſo iſt es ja für den Verfaſſer genug, angezeigt 
zu haben, daß das Lateiniſche nicht für ſie gemeint ſey.“ 
Da ich von dieſer Note zu meinem Tagebuch 
(von ſo ſchmerzlichem Intereſſe für denjenigen, wel⸗ 
cher die Urſachen der allgemeinen Moralität oder De⸗ 
moraliſation unterſucht) geſprochen habe, ſo will ich 
hier hinzufügen, daß der testis idoneus, deſſen ich dort 
in Beziehung auf eine, mir gemachte, Mittheilung über 
eine Verſchwörung des Landvolks in einem Theile 
Norddeutſchlands erwähnt habe (ein Ereigniß, welches 
eben ſo eigenthümlich, als widrig und von beſonde⸗ 
rem Intereſſe für den politiſchen Oekonomen iſt), 
Herr Niebuhr ſelbſt iſt. (Man ſehe p. 77. meines 
obenerwähnten Tagebuchs in Griechenland.) 
Sein phyſiſcher Muth war nicht groß; obgleich 
Ueberzeugung und Pflichtgefühl ihn dazu vermögen 
konnten, ſich ſelbſt irgend einer Gefahr auszuſetzen. 


rum exemplo, qui itinerum narratione perscribenda foedas 
quasdam res nesessario aitigerunt, Latino sermone usum esse in 
his rebus disputandis, ne seilicet matronarum pudorem offende- 
rem, quas a libello meo perlegendo minime absterritas, neque 


illum legisse,'üis rubori esse vellem. 


79 


Er kam leicht in Furcht in Beziehung auf ſich ſo⸗ 
wohl, als auch auf ſeine Familie. Eine Fiſchgräte, 
welche ihm während unſeres Mittageſſens zu Mola 
di Gaeta im Halſe ſtecken blieb, brachte ihn in ein 
wahres Entſetzen. NE: sau 

Sein Geiſt war dahin gebildet, den Menſch in 
ſeinen verſchiedenen Verhältniſſen, wie im Handel, 
dem Ackerbau, der Politik, zu beobachten. Es 
machte ihm Freude, ſeine ſo geſammelten Kenntniſſe 
auf längſt verſtrichene Zeiten anzuwenden, mit denen 
er durch ein raſtloſes Studium, ausgebreitete Sprach⸗ 
kenntniſſe und ein lebendiges Gedächtniß ſo vertraut 
war. Er war ein Politiker in der Geſchichte, und 
ein hiſtoriſcher Philolog. Seine Combinationskraft 
war bedeutend, wie der Leſer wohl aus ſeinen Wer⸗ 
ken wiſſen wird. Dieſe machte die Kraft ſeines Geiſtes 
aus. Obgleich er die ſchönen Künſte liebte, und 
ihm Meiſterwerke Freude machten, ſo hatte er, glaube 
ich, doch kein ſcharfes Auge für dieſelben; auch war ſeine 
Liebe zu den ſchönen Künſten nicht Sache ſeiner in⸗ 
nerſten Seele. Sie bildeten keine Sphäre, in der 
ſein Geiſt ſich mit Unabhängigkeit bewegen konnte. 


/ 


80 


Rückſichtlich der Politik gehörte Niebuhr zu denen, 
welche mehr rückwärts, als vorwärts ſehen. Sein 
Herz war mit dem Volk; aber die neuen RR 
Principien waren ihm zuwider. 

Kein Gelehrter war je unpartheiiſcher als er; 
er liebte die Wiſſenſchaft, wo ſie ſich nur zeigte. Zur 
Förderung eines tüchtigen botaniſchen Werkes behülf⸗ 
lich zu ſeyn, war ihm eben ſo wichtig, als irgend 
eine hiſtoriſche Unterſuchung; und er ſagte mir ein⸗ 
mal, daß er zur Zeit der Demüthigung Preußen's 
vorgeſchlagen hätte, die Mitglieder der königlichen 
Akademie, wozu er ſelbſt gehörte, ſollten dem kleinen 
Gehalt, welches ſie als Akademiemitglieder bezogen, 
entſagen, damit man mit der vereinigten Summe 
einen der erſten Wa eme nach Berlin berufen 
könne. | | 

Er war lebendig, und zu Zeiten ungeduldig, wie 
dieſes meiſt Männer von thätigem Geiſte ſind. Eines 
Tages war er ſehr böſe über einen Bedienten, nach 4 
welchem er zu wiederholten Malen gerufen hatte und 
der ihn lange Zeit hindurch warten ließ, während 
die Zeit einer wichtigen Zuſammenkunft mit Cardinal 
Conſalvi bereits verſtrichen war. „Ah Eccelenza “, 


U 


81 
ſagte der Diener, 1 viaggiin questo palazzo sono 
lunghi“. Ich mußte lachen über dieſe hyperboliſche 


Rede; und er ſchloß ſich mir darin alsbald an „ob⸗ 
gleich ſeine Lage in der That kritiſch war. Ein an⸗ 


derer Bediente ſagte bei einer ähnlichen Gelegenheit, 
und mit ähnlichem Erfolg: „Che vuol che dica? 


Se avessi per ogni cosa una testa sola.“ 

Alle Gedanken auf den folgenden Blättern, welche 
ohne weitere Bemerkung von mir wiedergegeben ſind, 
hat man als die wörtlichen Ausſprüche Niebuhr's 
an zu betrachten. | | 


Bhilapeiphia, April, (835 


Erinnerungen. 


nn 


Die Freiheit hängt nicht allein von der 

b Geſetzgebung ab. 

Bei den meiſten der neueren Verſuche, freie Inſti⸗ 
tutionen zu gründen, haben die Nationen den gro⸗ 
ßen Irrthum begangen, daß ſie die Freiheit einzig 
oder hauptſächlich in der Geſetzgebung ſuchten; und 
doch hängt die Freiheit wenigſtens eben ſo ſehr von 
der Verwaltung, als von irgend einem andern Ele⸗ 
mente ab. Die Engländer ſind die einzige neuere Na⸗ 
tion Europa's, welche die Sache anders behandelt 
hat; und die Freiheit von Nordamerika beruhet 
auf dieſem großen, ihm aus Alt⸗England zugekom⸗ 
menen, Gute wirklich weit mehr, als auf der reprä⸗ 
ſentativen Form ſeiner Regierung, oder irgend einer 
andern Sache. Wir werden von der Büreaukratie 
verſchlungeu; aller Gemeinſinn iſt erſtickt. Und ſo⸗ 


h 83 
dann, was nützt ein repräſentativer und debattirender 
Rath, wie in Frankreich, wenn alles Uebrige auf 
dem Prineip dieſer concentrirten Büreaukratie 
beruhet, — wenn der Miniſter das allgemeine Geſetz 
in allen feinen Details anzuwenden hat? Mit ſolch 
einer Gewalt kann in den meiſten Fällen eine Kam: 
mer erkauft werden; und dann iſt der Einfluß des 
Miniſters erſt recht abſolut, indem der ganze Haß 
auf die nominalen Geſetzgeber fällt. Aber hier (in 
Rom), in Spanien und in Portugal iſt weder das 
Britiſche Princip, noch eine büreaukratiſche Ordnung, 
Syſtem und Präciſton. In dieſen Ländern findet 
ein unabhängiges Handeln der verſchiedenen Glieder, 
aber nicht der kleineren Bezirke Statt. Unſer Stein“) 


*) Baron Carl von Stein, eine Zeit lang Preuß iſcher Staats⸗ 
miniſter, . Stein, wie ihn der Moniteur nannte, 
als durch einen aufgefangenen Brief verrathen worden war, 
daß er insgeheim für die Befreiung Deutſchlands von Frank⸗ 
reich arbeite, und Napoleon ihn geächtet hatte. Die Ten⸗ 
denz der Preußiſchen Regierung, wie auch in der That faſt 
aller Regierungen des Continents von Europa, war lange 
Zeit hindurch geweſen, alle Macht ſo viel als möglich zu 
eoncentriran, und durch eine uniforme Büreaukratie zu regie⸗ 
ren. Herr von Stein, eben ſo weit entfernt von der Billie? 
gung der modernen Prineipien von liberaler Repräſentativ⸗ 


* 


34 


hat viel gethan, um dieſen gefunden Gang der 
Dinge wieder in's Leben zu rufen. 
Eng land. 

Mein früherer Aufenthalt in England gab mir 
einen wichtigen Schlüſſel zur Römiſchen Geſchichte. 
Es iſt nothwendig, das bürgerliche Leben aus eige⸗ 
ner Beobachtung zu kennen, um ſolche Staaten, 
wie die des Alterthums, zu verſtehen. Eine Reihe 
von Dingen in der Römiſchen Geſchichte hätte ich 
nimmer verſtanden, ohne England beobachtet zu 
haben. Nicht daß dazumal die Idee, eine Römiſche 
Geſchichte zu ſchreiben, klar in mir war; ſondern, 


regierung, als von der Meinung, büreaukratiſche Concen⸗ 

tration ſey wohlthätig für das Volk, bewog den König von 

Preußen, die wohlbekannte Städteordnung hervorgehen 
zu laſſen; ein Geſetz, durch welches das Privilegium der 
Selbſtregierung in einem gewiſſen Grade den Städten des 
Königreichs wieder eingeräumt ward. Niebuhr, der eine 
ſehr hohe Meinung von Baron von Stein hatte, glaubte 
auch, daß dieſe Städteordnung die Grundlage eines ausge⸗ 
breiteten und höchſt wohlthätigen Geſetzgebungsſyſtems ge⸗ 

worden ſeyn würde, wäre Stein auf ſeinem Poſten geblie⸗ 

ben. In der Vorrede zu dem Werk, welches in der nächſten 
Note angeführt iſt, ſpricht er dieſe Anſicht aus. 


e 


85 


als in einer ſpäteren Periode der Gedanke in mei⸗ 
nem Geiſt immer und immer beſtimmter ward, kam 
mir alle Beobachtung und Erfahrung, die ich in 
England gewonnen, zu Hülfe; und mein Entſchluß 
war gefaßt. ; | 


Niebuhr's Werk über Großbritannien. 

Er gab ſein Werk über Großbritannien “) nach 
jener unglücklichen Zeit heraus, da ein fremdes 
Volk über uns mit einem grauſamen Schwert und 
einer herzloſen Büreauecratie herrſchte, um zu zeigen, 
was Freiheit iſt. Die, welche uns unterdrückten, 
nannten ſich immer die Vorboten der Freiheit ge⸗ 
rade recht in dem Augenblick, da ſie das Herzblut 
unſeres Volks ausſogen; und wir mußten zeigen, 
was Freiheit in der Wirklichkeit iſt. f 


Geſchichtſchreiber Nom's. 
Das große Unglück iſt geweſen, daß, mit Einer 
oder zwei Ausnahmen, diejenigen, welche über Rö⸗ 


— 


*) Darſtellung der innern Verwaltung Großbritanniens, von 
Freiherrn von Vincke herausgegeben von G. B. Niebuhr, 
Berlin 1815. 9 


86 
miſche Geſchichte gejchrieben haben, entweder kein 
Zeug dazu hatten, oder keine Staatsmänner waren. 
Und doch kann Niemand eine Geſchichte dieſes großen 
Volkes ſchreiben, ohne ein Staatsmann zu Jen, und 
noch dazu ein practiſcher. 


Daſſelbe. 


Kein Wunder, daß in der gtömiſchen Geſchichte 
ſo wenig gethan iſt; denn ein Römiſcher Geſchicht⸗ 
ſchreiber ſollte ein verſtändiger, wohlbeleſener Phi⸗ 
lologe ſeyn, und ein practiſcher Staatsmann. 

[Ich fragte, ob manche Perioden der Römiſchen 
Geſchichte nicht auch militäriſche Kenntniſſe erforder⸗ 
ten. Niebuhr antwortete: — ] 8 

Die Römiſche Geſchichte kann verſtanden werden 
von einem Staatsmann, der kein General iſt; aber 
nicht von einem General, der kein Staatsmann ift; 
denn der Fortſchritt des Geſetzes iſt es, der den ei⸗ 
gentlichen Beſtandtheil der Römiſchen Geſchichte aus⸗ 
macht. Militäriſche Kenntniß in einem bedeutenden 
Grade iſt immer nothwendig, das gebe ich zu; aber 
die kann man ſich ja dann verſchaffen, ohne daß 
man Soldat zu ſeyn braucht. | 


87 
Niebuhr und Gibbon. 


Wenn Gott mir nur mein Leben ſo lange ſchenkt, 
daß ich aufhören kann, wo er das iſt 
alles, wofür ich bete. 

[Nach einer Pauſe ſetzte er hinzu —] 30 „wenn. 
mein Leben länger gefriſtet würde, ich wollte doch 
noch manches mehr thun. Viel iſt noch zu leiſten 
übrig. Ihre Generation hat noch ein großes Stück 
vor ſich, lieber . 


Carnot. 

Für Carnot habe ich große Achtung. In eini⸗ 
‚gen Punkten iſt er der größte Mann ſeines Jahr⸗ 
hunderts. Sein Werth ift erhabener Art. Wenn 
er ein neues Syſtem der Taktik erfindet, um es den 
alten Armeen Europas entgegenzuſetzen; nach dem 
Heere eilt; lehrt, wie man mit jenem ſiegen könne, 
und nach Paris zurückkehrt, jo erſcheint er groß in 
der That. Obgleich ich ſeinen politiſchen Anſichten 
entgegen bin, ſo iſt doch in ihm eine republikaniſche 
Größe, welche Achtung gebietet. Meine Liebe zu 
ihm mag eine Anomalie ſeyn; aber es iſt nun ein⸗ 
mal go. EN 


88 


1 e Derſelbe. 


Hätte ich auf der weiten Welt nichts übrig, als 
ein Stück Brod, ich wollte ſtolz ſeyn, wenn 55 es 
mit Carnot Wellen könnte. 


Holland und Belgien. — Der König und 
die König inn der Niederlande, 5 


| 34 war mit dem König der Niederlande gut 
bekannt, als er in großer Zurückgezogenheit zu Ber⸗ 
lin lebte, nachdem er von den Franzoſen aus Hol⸗ 
land vertrieben worden war. Er hatte für meine 
Geſchichte großes Intereſſe; er las und ſtudierte ſehr | 
viel. Er iſt ein Character von ächtem Werth; ſo 
auch die Königinn; ſie iſt eine Frau von der rein⸗ 
ſten Seele, mild und wohlthätig. Es iſt dieſes ein 
Paar, welches ſo heiß, als irgend ein anderes, das 
jemals auf dem Thron ſaß, das Glück ſeines Volks 
wünſcht. Ich glaube, wenig Frauen, in welchem 
Rang ſie auch im Leben ſtehen mögen „ſind an Vor⸗ 
trefflichkeit der Königinn der Niederlande zu verglei⸗ 
chen. Der König verlangte meine Meinung rück⸗ 


74 89 


ſichtlich der Vereinigung von Holland und Belgien “), 
und der Conſtitution. Sie wiſſen, er war abge⸗ 
neigt, Belgien zu nehmen. Ich erklärte ihm ſehr 
poſitio, daß dieß nimmer gehen würde; wenn Belgien 
und Holland unter demſelben Scepter zu ſtehen ge⸗ 
zwungen würden, ſo müßten ſie wenigſtens getrennt 
bleiben, wie Norwegen und Schweden. f In der 

That iſt viel mehr Grund da für eine Trennung der 
Holländer und Belgier. Sie haben nichts mit ein- 
ander gemein: Sprache, Religion, Intereſſen — 
alles iſt ſich direct entgegengeſetzt. Die Belgier ſind 
armſelige Copieen der Franzoſen. Ich kann nicht 
glauben, daß die gegenwärtige Einrichtung gut en⸗ 
den wird: ich habe in der Sache eine ſehr ernſtliche 


5 Ich 5 ich bin in dieſer Angabe genau; ganz ſicher bin 
ich darin, daß er mir ſagte, er habe ſeine Anſichten, ſo wie 
ich ſie hier wiedergegeben habe, dem König mitgetheilt, was 
er wohl ſchwerlich gethan haben würde, hätte man ihn nicht 
dazu aufgefordert. Aber ich meine, er ſagte mir beſtimmt, 
der Plan der Verfaſſung ſey ihm gezeigt worden. ueberdieß 
glaube ich, daß er mir ſagte, der König ſey rückſichtlich der 
Trennung der Regierungen von Holland und Belgien ſeiner 
Meinung geweſen, aber ſeine Räthe hätten ihn überſtimmt. 
— Obige Bemerkung datirt von dem Jahr 1822. 


90 

Furcht und Beſorgniß. Gott möge geben, daß 
meine Befürchtungen ungegründet ſeyen und meine 
Ahnungen auf nichts zurückgeführt werden! 


— — —— 


Niebuhr's Kenntniß des Lateiniſchen. 
Ich bin nun im Stande, Lateiniſch zu ſchreiben; 
es ſind erſt wenig Jahre her, daß ich das ſagen 
konnte. Ich konnte es immer ſchreiben, was man 
ſo nennt; und ich that es mit dem Vergnügen, wel⸗ 
ches wir empfinden, wenn wir ziemlich geläufig eine 
fremde Sprache, namentlich eine alte, ſchreiben 
können; aber jetzt fühle ich, daß das Latein mein 
eigen iſt. Ich ſehe, daß ich es nicht allein correct, 
ſondern auch wie meine eigene Sprache fihreibe: ja, 
über manche Gegenſtände ziehe ich vor mich in die⸗ 
ſem Idiom auszudrücken. Ich ſehe mit Vergnügen, 
daß mir dieß die Italiener geſtatten; denn, obgleich 
ſie in der Philologie und Alterthumskenntniß weit 
hinter den Deutſchen zurückgeblieben ſind, ſo haben 
ſie doch allezeit gut Lateiniſch geſchrieben. Es iſt 
dieß noch immer ihre Sprache. Sehen Sie nur 


91 


meinen Markus; wie leicht liest er die Lateiniſche 
Ueberſetzung des Homer! i . 

[Markus, Niebuhr's Sohn, damals ohngefaͤhr 
vier Jahre alt, hatte das Italieniſche als ſeine erſte 
Sprache gelernt. Seine Aeltern hatten anfangs vor, 
Deutſch mit ihm zu reden, während ſeine Wärterinn, 
eine Italienerinn, ihm das Idiom ihres Landes bei⸗ 
brachte. Aber die Folge davon war (was unter 
ähnlichen Umſtänden keineswegs gewöhnlich der Fall 
zu ſeyn pflegt), daß das Kind nun gar nicht reden 
wollte. Die Aeltern beſchloſſen daher weislich, das 
Deutſche für ein oder zwei Jahre ganz bei Seite zu 
ſetzen. Er lernte nun das Italieniſche ſehr ſchnell. 
Als ich in Herrn Niebuhr's Haus kam, hatte Mar⸗ 
kus angefangen, eine Lateiniſche Ueberſetzung des 
Homer zu leſen, worin er fo reißende Fortſchritte 
machte, daß er bald das Lateiniſche mit weniger Bei⸗ 
hülfe, ausgenommen der, welche ihm das Tlalieni⸗ 


ſche verfiafte, REED konnte. 


92 
8 v mer. | 
Welche Weisheit ift im Homer! Mit Ausnahme 
weniger Stellen iſt dieß das wahre Buch für die 
Kinder. Ich weiß von keiner Geſchichte, auſſer Ro⸗ 
binſon Cruſoe, welche die Kinder ſo ſehr bezaubert, 
als Homer. Alles iſt natürlich, einfach und der 
Faſſungskraft eines Kindes angemeſſen. Und dann, 
wie vortrefflich bereitet er nicht vor auf die ganze 
Kenntniß des Alterthums, ohne die wir heut zu Tage 
nicht weiter kommen können! Wie viel tauſend Dinge 
und Sagen verſteht nicht das Kind auf einmal durch 
die Kenntniß dieſes Gedichts! Die ganze Odyſſee iſt 
die ſchönſte Kinvergefihichte. Haben Sie jemals Po⸗ 
pe's Ovyſſee geleſen? [3% antwortete verneinend.] 
Nun, antwortete er, ſo müſſen Sie wenig⸗ 
ſtens einige Stücke daraus leſen; es iſt ein lächerliches 
Ding, ſo elend, wie die Franzöſiſchen Heroen Grie⸗ 
chenlands in Perücken. Nicht ein Hauch von Alter⸗ 
thum iſt in Pope's Ueberſetzung. Er hätte ſo viel 
als er Luſt hatte, ändern, und dieß eine Reproduc⸗ 
tion nennen können; aber, dieſe ihres antiken Gei⸗ 
ſtes berauben, hieß uns einen Leichnam ſtatt eines 


93 


lebendigen Weſens geben. Die Arbeit iſt von gar 
kleinem Werth. Wie total verſchieden iſt die Art, 
in welcher der Deutſche Voß die Sache gehandhabt 
hat! Er zeigt zugleich, daß er weiß und fühlt, daß 
das Gedicht antik iſt; und er will es fo laſſen. Seine 
Ueberſetzung kann gewiß in verſchiedenen Theilen 
verbeſſert werden; aber er hat den Homer zu einem 
Deutſchen Werk gemacht, das jetzt von Jedermann 
geleſen wird; er hat Großes geleiſtet. Sie glauben 


es vielleicht nicht, aber es iſt wirklich wahr, daß die 


Voßiſche Ueberſetzung des Homer großen Einfluß auf 
Ihre eigene Erziehung gehabt hat. Ja, ich ſage, 
indem ich wohl erwäge, was ich ſage, daß der Ein⸗ 
fluß der Arbeiten Voßens auf die ganze Deutſche 
Nation ſo groß ſeyn wird, daß die andern Nationen 
dieß fühlen und anerkennen werden. 

[I er Leſer wird ſich bei dieſer Bemerkung an 
dasjenige erinnern, was Niebuhr ſpäter in der Vor⸗ 
rede zu der zweiten Ausgabe ſeiner Geſchichte von 
Rom ſchrieb :! . 

„Wir hatten nun eine Literatur, die unferer 
Nation und Sprache würdig war; wir hatten Leſſing 
und Göthe; und dieſe Literatur umfaßte, was keine 


94 


gethan hatte, einen großen Theil der griechiſchen und 
römiſchen, nicht nachgebildet, ſondern zum zweiten⸗ 
mal geſchaffen. Das verdankt Deutſchland Voß, 
den „der Enkel Kind und Enkel als Wohlthäter 
preiſen muß: von dem eine neue Aera des Verſtänd⸗ 
niſſes des Alterthums anhebt, indem er, was die 
Klaſſiker vorausſetzen, wie ihre Vorſtellungen von 
der Erde und ihren Göttern, wie ihr Leben und 


Hausweſen, aus ihnen ſelbſt zu entdecken wußte: 


der Homer und Virgil ſo verſtand und auslegte, 
als wären ſie nur im Raum von uns entfernte Zeit⸗ 
genoſſen. Sein Vorgang wirkte auf viele; auf mich, 
vom Kindesalter her, auch die perſönliche Ermunte⸗ 
rung des väterlichen Gaſtfreunds.“ 


Niebuhr's Sprachkenntniſſe. | 
Ich hatte in feiner Bibliothek eine Ruſſiſche 


Grammatik und einige Ruſſiſche Bücher gefunden, 
und frug ihn, ob er jemals dieſe Sprache ſtudiert 


habe. Er antwortete: ] | 
O ja 1 wollte den ganzen Slaviſchen Sprach⸗ 
ſtamm ni ht unberührt laſſen, und ich wünfihte , 


95 


wenigſtens alle E ur op if chen Sprachen zu ver⸗ 
ftehen. Jedermann kann fie lernen; es iſt leicht 
genug, wenn wir einmal drei wiſſen. Ich verſtehe 
nun alle Sprachen Europa's ziemlich gut, mein 
Plattdeutſch mit inbegriffen. Davon muß ich aber 
die Slaviſchen Idiome ausnehmen; ich habe nicht 
viel in denſelben geleſen; doch kenne ich fie. Haben 
Sie jemals Holländiſch getrieben? 
Noch nicht, antwortete ich.] 

Nun, fuhr er fort, vernachläſſigen Sie das nicht. 

Es iſt gut, wenn man es verſteht, ſowohl um deſ⸗ 
ſen ſelbſt willen, als auch zu einer beſſeren Kennt⸗ 
niß des Deutſchen und Engliſchen. Das Studium 
dieſer Sprache wird Ihnen manches zu lachen geben. 


1 


Eine Holländiſche Ueberſetzung des Pindar iſt, mei⸗ 


ner Meinung nach, das ergötzlichſte Ding von der 
Welt. Sie klingt für ein Deutſches Ohr daſsert lä⸗ 
geruch 5 


*) Die Engländer und Amerikaner find ſehr geneigt, mit dem 
Worte Holländiſch ¶ Duleh) gewiſſe Ideen zu verbinden, und 
ganz beſonders mit den Worten Holländiſche Sprache 


(Dutch language), welche ſehr ſtark zum Lächerlichen hin⸗ 


neigen. Sie vergeſſen dabei ganz, daß derjenige Theil der 


96 
Reden Sie die meiſten der Wee g mer | 
Sie kennen? fragte ich.] 
Ja, faſt alle, antwortete er, ausgenommen die 
Slaviſchen, wie ich Ihnen ſagte. 
[Und finden Sie niemals, daß aus der Vermi⸗ 
ſchung gleichartiger Sprachen eine Störung erwächſt 2] 


* 


Engliſchen Sprache, auf welchem, zufolge dem Ausſpruch N 
der tiefſten Forſcher derſelben, hauptſächlich ihr kräftiger und 
edler Character beruhet, das Erbtheil eines, ihr mit dem 
Holländiſchen gemeinſchaftlichen, Sprachſtammes iſt — des 
alten Plattdeutſchen. Ich hatte nicht Zeit gefunden, das 

Holländiſche zu ſtudieren; meine Arbeiten hatten mich nicht 
zur Holländiſchen Literatur geführt; und, da ich aus einer 
Provinz gebürtig bin, in welcher Hochdeutſch geſprochen 
wird, und ich deshalb nicht den natürlichen Schlüſſel zu der 
Holländiſchen Sprache — das Plattdeutſche — beſaß, fo war 
mir das Holländiſche ganz unbekannt. Dann und wann fie⸗ 
len mir in dieſer Sprache geſchriebene Bücher in die Hände; 

aber ich konnte fie nicht leſen. Meine Ueberraschung war 
daher groß, als ich, nachdem ich das Engliſche mit ziemli⸗ 
cher Vollkommenheit erlernt hatte, auf ein Holländiſches 
Buch ſtieß, und fand, daß ich es mit Leichtigkeit leſen konnte. 
Ich will damit nicht ſagen, daß ein Engländer, der nicht 
Deutſch kann, das Holländiſche ſo ohne weiters verſtehen 
würde; aber mein Beiſpiel zeigt auf eine auffallende Meile, 
wie viel näher das Engliſche mit dem W als 
dem n verwandt iſt. 


0 


Nicht oft, obgleich ich nicht läugnen kann, daß 
es einige Zeit brauchen würde, bevor ich im Stande 
wäre, correct Spaniſch zu ſchreiben. Ich würde 
wahrſcheinlich manche Italicismen *) hinein bringen. 
Im Allgemeinen mengen gut erzogene, und beſon⸗ 
ders, literäriſch gebildete, Leute nicht durch einander; 


nur der Ungebildete redet ein Gewälſch, indem er 


) Als der König von Preußen nach dem Congreß zu Verona 
Rom beſuchte, hatte er den Baron Alexander von Humboldt 
von Paris rufen laſſen, damit er ihn auf ſeiner Reiſe durch 
Italien begleite. Es war während dieſer Reiſe, als ich ihn 
in Herrn Niebuhr's Haufe ſagen hörte, das Reden der Ita⸗ 
lieniſchen Sprache, obgleich er derſelben vollkommen Mei⸗ 
ſter ſey, habe ihm große Mühe gemacht; denn das Spani⸗ 
ſche, in dem er ſo viel geſchrieben und welches er mehrere 
Jahre hindurch geredet habe, miſche ſich ihm immer hinein. 
Indeſſen muß dieß vor Herrn von Humboldt's Ankunft zu 
Rom ſchon in bedeutend geringerem Grade der Fall geweſen i 
ſeyn. Ich erinnere mich, daß er, als ich in den Salon der BE £ 
Preußischen Geſandtſchaft trat und zum erſten Mal dieſen 
großen Mann ſah, ohne zugleich zu wiſſen, wer er war, mich 
aus dem einen oder andern Grunde für einen Italiener hielt, 
und mich dem zufolge in gutem Italieniſch anredete. Ich, 
meinerſeits, glaubte, er wäre ein Franzoſe, und redete ihn 
demgemäß an. Meine Ueberraſchung war nicht klein, als 
endlich Herr Niebuhr hereintrat und ihn auf Deutſch anredete. 


7 


98 


ſowohl verſchiedene Sprachen durcheinander mengt, 
als auch deren Character herabwürdigt. Sehen Sie 
nur auf die Domeſtiken, die mit Reiſenden hieher 
nach Rom kommen, oder leſen Sie die Werke ge⸗ 
lehrter Männer und Verhandlungen aus dem gemei- 
nen Leben, welche in einer Zeit geſchrieben ſind, da 
zwei verſchiedene Stämme, die zuſammen lebten, ſich g 

noch nicht völlig mit einander vermiſcht hatten. Man 
hat mir geſagt, die Deutſchen in Pennſylvanien meng⸗ 

ten Deutſch und Engliſch auf eine ganz barbariſche 
Art durcheinander. 

Bei Gelegenheit dieſer Aeußerung Niebuhr's 
über die Sprache der Deutſchen Auswanderer in 
Pennſyloanien hatte ich die Abſicht, hier über dieſen 
eigenthümlichen Jargon, welcher in mehr als Einer 
Hinſicht von Intereſſe iſt, einige Bemerkungen mit⸗ 
zutheilen. Ich fand jedoch, daß es mir unmöglich 
war, dieſelben auf einen kleineren Raum, als den 
von acht oder zehn Seiten, zuſammen zu drängen. 
Dieß ſchien mir aber für dieſes Buch ſo gänzlich 
auſſer allem Verhältniß, daß ich mich gezwungen 
ſah, meine, unter den Dentſchen Pennſylvaniens ge⸗ 
machten, Bemerkungen, und die, zur Erläuterung 


4 
| 


NW 


geſammelten, Beiſpiele für eine künftige Gelegenheit 
zurückzuhalten. Das Studium dieſes barbariſchen 
Dialekts iſt von dem höchſten Intereſſe für den, wel⸗ 
cher über Corruption der Sprachen nachforſcht, — 
einen Gegenſtand, welcher für jeden Philologen von 
größter Wichtigkeit iſt. Denn der Gang der Cor⸗ 
ruption iſt es gerade, auf welchen uns das Stu⸗ 
dium der Formation unſerer meiſten Sprachen 
natürlich hinführt. Bei einer Unterſuchung der 


8 Deutſchen Sprache in Pennſylvanien finden wir eine 


Sprache in dem Moment der Umgeſtaltung, durch 
welchen die meiſten neueren Europäiſchen Idiome 
hindurchgegangen ſind — einem Zuſtand roher, nach⸗ 
läſſiger Vermengung und zurückſtoßender Entartung. 
Denn mit Sprachen geht es, wie mit Nationen: 
Aufruhr und Geſetzloſigkeit hören auf zu exiſtir en, 
ſobald wie ein Zuſtand feſtgeſtellter Legitimität 
aus dem ſchwankenden Zuſtande der Dinge hervor⸗ 
geht. Für den, welcher die Engliſche Sprache ſtu⸗ 
diert, iſt dieſe entartete Tochter des Deutfchen Idioms 


von ganz beſonderem Intereſſe. Er findet eine Wieder⸗ 


holung faſt eines jeden einzelnen Bildungsproeeſſes, 
durch welchen ſeine eigene Sprache urſprünglich hin⸗ 


100 


durchgieng. Freilich bleiben dieſe Bildungsproceſſe 
in dem Pennſylvaniſchen Deutſch oft nur auf einer 
Anfangsſtufe, und werden nie weiter kommen, in⸗ 
dem es unmöglich iſt, daß dieſer Dialekt ſich jemals 
zur Unabhängigkeit erhebe. Er wird verſchlungen 
werden, ehe er zur Reife gelangt, wie es mit ſo 
manchen Amalgamirungen von Sprachen im Anfang 
des Mittelalters der Fall war.] 


Mißbrauch der Gewalt. 
Wer nur irgend Gewalt hat, mißbraucht ſie. 


Daſſelbe. 

Bei einer andern Gelegenheit ſagte er:] 

Wer nur irgend Gewalt hat, mißbraucht ſie ; 
jedes Blatt der Geſchichte beweist die Thatſache: — 
Individuum, Körperſchaft, das Volk: das iſt alles 
daſſelbe; Gewalt wird gemißbraucht; und dennoch 
muß ſie bald der Eine, bald der Andere haben. 
Das große Problem ſcheint zu ſeyn, daß man die 
Gewalt alſo verleihe, daß der möglichſt kleine Nach⸗ 


101 
theil daraus erwachſe. Aber, um dieß zu bewirken, 
reicht es nicht allein hin, die Schwingen der Gewalt 
zu beſchneiden. Urtheilsloſe Befchränfung der Ge: 


walt führt uns zu eben ſo vielen übelen Folgen, als 
unbegränzte Gewalt. 


Wichtigkeit einer guten Handſchrift. 

Eine ſchlechte Handſchrift ſollte man niemals ver⸗ 
zeihen; ) ſie verräth eine ſchimpfliche Trägheit; in 
der That, das Ueberſenden eines ſchlecht geſchriebenen 
Briefes an einen Nebenmenſchen iſt eine ſo unver⸗ 
ſchämte Handlung, wie ich nur irgend eine weiß. 
Kann es etwas Unangenehmeres geben, als wenn 
man bei der Eröffnung eines Briefes ſieht, daß 
es lange Zeit brauchen wird, ihn zu entziffern? 
Auſſerdem iſt es um die Wirkung eines Briefes ge⸗ 
than, wenn wir ihn buchſtabiren müſſen. Sonder⸗ 
bar, wir vermeiden es ſorgfältig, andere Leute nur 
mit Kleinigkeiten zu beläſtigen, oder vor ihnen in 


*) Niebuhr ſchrieb eine beſonders leſerliche und ſchöne Hand; 
ein Vorzug, deſſen ſich eben nicht viele Deutſche Gelehrte 
rühmen können. 


En 8 Lee 
u a ae re Al 0 


102 


einem Anzuge zu erſcheinen, welcher Nachläſſigkeit 
und Sorgloſigkeit verräth; und dennoch denkt man 
nicht an die unangenehme Mühe, welche es koſtet, 
einen ſchlecht geſchriebenen Brief zu leſen. In Eng⸗ 
land erfordert der Anſtand eine gute und leſerliche 
Handſchrift; bei uns ſcheint es, als wenn das ent⸗ 
gegengeſetzte Princip anerkannt wäre n). Wenn auch 


) Es ſcheint mir mit der Schrift gerade wie mit der Kleidung 
zu ſeyn; wir ſollten uns gut und nett kleiden; aber, ähnlich 
wie bei zu gutem Anzuge, zeigt auch eine pedantiſch ſchöne 
Handſchrift, daß der Schreiber mehr an die Buchſtaben, als 
an den Sinn gedacht hat. Indeſſen bedenke man, daß es bei 
weitem ſchwerer iſt, mit Deutſchen Buchſtaben gut und leſer⸗ 
lich zu ſchreiben, als mit Römiſchen. Deshalb ſchreibt man 
in Deutſchen Handſchriften die Namen für die Drucker meiſt 

mit den Letzteren. Die Engländer ſchreiben von allen Na⸗ 
tionen am beſten, indem ſie ſich dieſes Alphabets bedienen; 
nächſt ihnen die Amerikaner. Die Franzoſen ſchreiben im 

1 Allgemeinen ſchlecht, namentlich die Frauen; die Italiener, 

5 ganz erbärmlich; und die Spanier, kaum leſerlich, zum großen 

9 KLeidweſen ihrer fremden Handelscorreſpondenten. Es iſt der 
Mühe werth, zu bemerken, daß die zwei letzt⸗ genannten 
Nationen durch ihre Handſchrift zeigen, daß ſie hinter der 
allgemeinen Europäiſchen Civiliſation zurückgeblieben ſind. 
Sie fahren fort, ſich der zuſammengezogenen Buchſtaben, 
Abbreviaturen, Verzierungen und Schnörkel zu bedienen, 
welche vor einem Jahrhundert bei allen Europäern im Ge⸗ 


‘ 


a 7 


103 


nicht Viele durch ihre ſchöne Handſchrift eine glänzende 
Laufbahn gemacht haben mögen, ſo weiß ich doch, 
daß nicht Wenige durch eine ſchlechte die ihrige zu 
Grunde gerichtet haben. Die wichtigſten Bittſchriſ⸗ 
ten werden oft blos deshalb mit ungünſtiger Stim⸗ 
mung geleſen, oder ganz bei Seite gelegt, weil ſie 
fo ſchlecht geſchrieben ſind. 


brauch waren. Die Schreibkunſt iſt in den letzten Jahrhun⸗ 
derten ſehr vorgerückt; man vergleiche nur Manuſcripte der 
jetzigen Zeit mit denen, welche wir aus der Zeit der Refor⸗ 
mation beſitzen. Der Fortſchritt dieſer Kunſt zeigt auch nicht 
weniger die allgemeine Tendenz der Zeit, als ſo manche 
andere Zweige der menſchlichen Thätigkeit, die häuslichen 
Bequemlichkeiten u. ſ. f. Während die alte Eoftipielige Kunſt, 
überaus ſchön und geſchmackvoll auf Pergament zu ſchreiben, 
auſſer Gebrauch gekommen iſt, hat fich die gewöhnliche Hand⸗ 
fehrift von Jedermann durch den täglichen, praetiſchen Ge⸗ 

brauch mächtig verbeſſert. Die eine, koſtbar und von erclu⸗ 
fivem Character, gehörte einem ariftocratifchen Zeitalter 
an; die andere iſt characteriſtiſch in einer Zeit populärer 
Tendenz. 5 


104 


Wichtigkeit, Alles gleich eorreet zu 

ſchreiben. 

Hüten Sie ſich, jemals etwas von dem, was 
Sie einmal niedergeſchrieben haben, auszuſtreichen. 
Strafen Sie ſich ſelbſt dadurch, daß Sie ein: oder 
zweimal etwas ſo hingehen laſſen, obgleich Sie ſe⸗ 
hen, daß Sie es beſſer geben könnten. Das wird 
Sie daran gewöhnen, in Zukunft ſorgſamer zu ſeyn; 
und Sie werden nicht allein viel Zeit erſparen, ſon⸗ 
dern auch richtiger und deutlicher denken. Ich ſtrei⸗ 
che faſt niemals aus, noch ändere ich, was ich einmal 


geſchrieben habe, nicht einmal in meinen Depeſchen 


an den König. Wer niemals verſucht hat, gleich 
correct zu ſchreiben, weiß nicht, wie leicht dieſes am 
Ende iſt, vorausgeſetzt, daß ſeine Gedanken klar 
und wohl geordnet ſind; und das ſollten ſie doch 
ſeyn, ehe man die Feder auf das Papier ſetzt. 

[Der Leſer wird ſich an das auffallende Zuſam⸗ 
mentreffen dieſer Worte Niebuhr's und deſſen, was 
wir in Gibbon's „Memoiren meines Lebens und 
meiner Schriften“ leſen, erinnern. Dort heißt es 
nämlich, er pflege oft in ſeinem Gemach auf und 


105 


ab zu gehen, um eine Phraſe abzuründen, ehe er 
verſuche, ſie niederzuſchreiben. Ich kann es mir nicht 
verſagen, folgende Stelle deſſelben Werkes hier an⸗ 
zuführen. Gibbon ſagt: „Ich will zwei Thatſachen 
hinzufügen, welche wohl ſelten bei; der Ausarbeitung 
von ſechs, oder wenigſtens fünf, Quartanten vor⸗ 
gekommen find. 1) Mein erſtes, rohes Manu- 
ſeript, ohne irgend eine weitere Abſchrift, iſt in die 
Druckerei geſchickt worden. 2) Nicht Ein Heft iſt 
von irgend eines Menſchen Auge geſehen worden, 
auſſer von denen des Verfaſſers und Druckers. Die 
Fehler und Verdienſte ſind ausſchließlich meine ei⸗ 
genen.] | 


145 


Napoleon's Handſchrift. 


Je mehr Napoleon's Macht wuchs, deſto ſchlech⸗ 
ter ward ſeine Handſchrift, ſo daß es zuletzt öfters 
ſogar ſeinen Miniſtern unmöglich war, ſie zu ent⸗ 
ziffern. Manchmal waren ſie in großer Verlegenheit, 
einer lief zu dem andern, und keiner konnte ſein Ge⸗ 
kritzel herausbringen, welches natürlich nur immer 


106 


die wichtigſten Gegenſtände betraf, während bei Voll: 
zug feiner Befehle große Eile gefordert ward. 


a Pergament. 

Wir hatten von verſchiedenen Papiergattungen 

geredet: ö | I 
Wenn ich reich wäre, möchte ich auf nichts, 


als auf Pergament ſchreiben; ich liebe es auſſer⸗ 


ordentlich. 


Michel Angelo. — Erſter König von 

Italien. | 

[Wir hatten über Italien geredet; feine große 
Beſtimmung, unter Eine Regierung vereinigt zu 
werden, — den heißen Wunſch eines jeden großen 
Italieners von der Zeit an, da Dante fein O Ita- 
lia, di dolor ostello ſchrieb, bis zu den letzten 
Zeiten; von Machiavelli und den, zur Vereinigung 
Italiens von ihm vorgeſchlagenen, Mitteln; von den 
großen und verſchiedenen Eigenſchaften, welche von 
einem Wiederherſteller der Italieniſchen Nationali⸗ 


* 


107 


tät zu verlangen wären; — und ich hatte gefagt, 
daß ich, fo ſonderbar es auch klingen möge, die 
Schriften des Michel Angelo niemals leſen, noch 
ſeine Werke betrachten könnte, ohne daran zu den⸗ 
ken, daß er von dem, für den erſten König von 
Italien erforderlichen, Stoffe war.] 

Es freut mich wahrhaftig, erwiederte er, daß 
Sie das ſagen; es iſt auch meine Meinung. Er 
war ein großer Mann, ein Mann von ächtem 
Schrot und Korn. Ja, Michel Angelo wäre unter 
gewiſſen Umſtänden der rechte Mann geweſen; aber 
es iſt freilich in keines Sterblichen Macht, dieſe zu 
ſchaffen. | 


— 0. 


Machiavelli. 
Machiavelli, obgleich er in ſeinen Anſichten über 
die frühere Römiſche Geſchichte bedeutende Irrthümer 
begangen, war ein großer und weiſer Mann. Seine 
Intelligenz iſt vom erſten Rang, und er wußte ziem⸗ 
lich, was er wollte. Das wiſſen beiläufig geſagt, 
nur große Geiſter; jedoch nicht alle. 


108 


Niebuhr's väterlicher Wunſch. 


Ich wünſche, mein Sohn möge das werden, was 
ich nicht werden konnte; ich will keine Mühe ſparen, 
um ihm alle die Vorzüge zu verſchaffen, welche ich 
nicht hatte. 


Spalding. — Niebuhr's Nömiſche 
Geſchichte. 


Vielleicht würde ich meine Römiſche Geſchichte 
nie geſchrieben haben, hätten mich nicht Männer, 
wie Savigny und Spalding, auf die ſreundlichſte Art 
dazu aufgemuntert. 

Spalding war einer meiner theuerſten Freunde. 
Er las mein Manuſcript; und mit welcher Freude 
erhielt ich es von ihm zurück, da er lobte, aufmun⸗ | 
terte und Verbeſſerungen vorſchlug! Ich rechne 
meine Bekanntſchaft mit ihm zu den glücklichſten Er⸗ 
eigniſſen meines Lebens. 


109 


Niebuhr's Römiſche Gefchichte. 

Die unglückliche Zeit der Demüthigung Preußens 
hat Antheil an der Production meiner Geſchichte. 
Wir konnten wenig mehr thun, als ſehnlichſt auf 
beſſere Tage hoffen und auf dieſe vorarbeiten. Was 
war mittlerweile zu thun? Etwas mußte doch ge⸗ 
ſchehen. Ich gieng zurück zu einer großen, aber 
längſt dahin geſchwundenen, Nation, um meinen 
Geiſt und den meiner Zuhörer zu ſtärken. Es gieng 
uns wie Tacitus. 1 


Kath für die Jugend. 

Er hatte bemerkt, daß ich ſeit einiger Zeit nicht 
heiter war, und ſagte:] 

Ich glaube, ich verſtehe Ihre Schwermuth. Mein 
theuerer Freund, beten Sie zu Gott: „Ich will. 
Deine Gebote halten, gieb mir dagegen Ruhe.“ 
Eine gütige Vorſehung wird ein ſo einfaches Gebet 
nicht verſchmähen. Es iſt nicht die Beſtimmung von 
Menſchen Ihres Characters, von der Kindheit bis 
zum Alter ruhig auf dem Pfad des Glaubens zu 


110 


1 


wandeln. Sie müſſen kämpfen, aber ſeyn Sie un⸗ 
beſorgt. Mancher vor Ihnen hatte durch denſelben 
Kampf hindurch zu gehen. Halten Sie Ihren Geiſt 
thätig und Ihre Seele rein, und Alles wird gut 
werden. Welchen Anblick Ihnen auch die Welt um⸗ 
her darbieten mag, halten Sie feſt an der Liebe zur 
Wahrheit. Sie können es nicht abwenden, daß Sie 
alt werden vor Ihrem Alter; aber es giebt heut zu 
Tage Manche, wie es mir ſcheint, welche muthwillig 
ihre Jugend verlieren, und ihren Geiſt mit Sorgen 
und Kümmerniſſen trüben, die ſie nur dem Namen 
nach kennen. Die Kraft des Mannsalters beruhet 
ganz auf einem geſunden und natürlichen, nicht zu 
frühreifen, Seelenzuſtand in der Jugend. 


Zeichen der ſchnellen Flucht der Zeit. 
[Niebuhr hatte mich gefragt, ob ich ein gewiſſes 
(ich habe vergeſſen, welches) Buch geleſen hätte; auf 
meine verneinende Antwort erwiederte er: ] 
| Nichts zeigt mir in der That jo auffallend, daß 
ich zu einer Generation gehöre, welche ſchnell durch 
eine andere verdrängt werden wird, als die Thatſache, 


L 


111 


daß Bücher, die zur Zeit meiner Jugend mit Leiden⸗ 
ſchaft geleſen wurden, von Leuten Ihres Alters gar 
nicht gekannt ſind. Die Meinung, welche Ihre Ge⸗ 
neration über zur Zeit meiner Jugend erſchienene 
Bücher hat, ſetzt mich bereits in den Stand, mein 
Urtheil über die Literatur meiner jüngeren Tage mit 
der Meinung der Nachwelt zu vergleichen. i 

Je häufiger Bücher herausgegeben werden, deſto 
früher erſcheint dieſer Vorläufer der Beurtheilung. 
Es ſchien mir in verſchiedener Hinſicht nöthig zu ſeyn, 
mit der Literatur des Tages Schritt zu halten; aber 
Schriften leichterer Gattung ſind ſo zahlreich gewor⸗ 
den, daß es ſchlechterdings unmöglich iſt, neben den 
„Studien ernſter Art und des Berufs jegliche Erſchei⸗ 
nung zu leſen. Deshalb erſann ich folgendes Mittel. 
Ich laſſe immer ein halbes Jahr nach Herausgabe 
eines Werkes verſtreichen, auſſer wenn der Name 
des Autors für mich von hinreichendem Gewicht iſt, 
um es gleich zu leſen. Wenn noch von dem Buch 
nach Verlauf dieſer Zeit geſprochen wird, und man 
mich noch fragt „Haben Sie dieſes oder jenes Buch 
geleſen?“ ſo leſe ich es. Auf dieſe Art laſſe ich die 


Zeit für mich urtheilen; und der Leſer hat keinen 


112" 


Begriff, wie viel Mühe ich mir damit erſpare. Ich 
gewinne dadurch, daß ich keine Zeit verliere; und ich 
gewinne, indem ich nicht gezwungen werde, eine 
große Maſſe von Büchern, welche gleich Motten und 
Fliegen kommen und gehen, zu durchlaufen.] 


Niebuhr's Gedächtnißkraft. 

Als ich eben aus Griechenland zurückgekehrt war, 
und ihm gewiſſe Oertlichkeiten beſchrieb, fragte er 
mich nach Nebenwegen, Ueberbleibſeln von Brun⸗ 
nen, auf Anhöhen hinlaufenden Pfaden, und andern 
kleinen Einzelheiten, als wenn er ſelbſt dort geweſen 
wäre. Da manche dieſer Gegenſtände noch eriſtiren, 
und ich ſie geſehen hatte, ſo war ich ne über 
dieſe genaue Kenntniß.] 

O, ſagte er, ich vergeſſe niemals, was ich ein⸗ 
mal geſehen, geleſen oder gehört babe ). 


*) Beiſpiele des auſſerordentlichen Gedächtniſſes Niebuhr's ſind 
in der Vorrede gegeben worden. Ich könnte hier leicht noch 
eine Reihe anderer hinzufügen. 


113 


Frankreich eine Republik. 


Nur diejenigen, welche gar nichts von der Ge⸗ 
ſchichte wiſſen, oder niemals die jetzt eriſtirenden Re⸗ 
publiken beobachtet und ſtudiert haben, können einen 
Augenblick der Meinung ſeyn, Frankreich ſey fähig, 
eine Republik zu werden. Nicht Eines der vielen, 
zur Erbauung einer Republik nöthigen, Materiale 
iſt in Frankreich. Es iſt ganz unmöglich. Dennoch 
giebt es verrückte Gehirne, welche in gutem Glauben 
eine Franzöſiſche Republik wünſchen; und manche 
von denen, welche thun, als ob ſie daran glaubten, 
ſind eines Beſſeren überzeugt. | 


Parteien in Frankreich. 

Meiner Meinung nach ſtehen die Sachen in 
Frankreich ſchlecht; weder die eine, noch die andere 
Partei gewährt eine erfreuliche Ausſicht. Die Roya⸗ 
liſten handeln manchmal, als wären ſie wahnſinnig; 
und in der Oppoſition ſind ausgezeichnete Männer, 
welche ihre ganze Lebenszeit im Widerſpruch gegen 
die Principien, zu welchen ſie ſich zu bekennen vor⸗ 

f 8 


114 


geben, hingebracht haben. Ihre Kühnheit muß man 
zum wenigſten bewundern. Männer, die das Volk 
zu Hauſe und in fremden Ländern zur Verzweiflung 
getrieben haben, geben ſich nun für Liberale aus 1 
Doch ſo wenig bleiben die Dinge im Gedächtniß 
Ich kann ſagen, Wenige erinnern ſich, wie ehrlos 
ſich einer bei uns benahm, der nun als der erſte 
in den Reihen der Liberalen ſigurirt. Sie wiſſen 
ſehr wohl, es gab keinen größeren Blutigel und kein 
gewaltthätigeres Werkzeug der Tyrannei unter den 
Franzoſen, als „ damals Inten- 
dant de la Mark de Brandenbourg; und nun 
ift er ein großer und lärmender Liberaler. Er hat 
ſich mit dem alten Spruch entſchuldigt, daß nicht Er, 
ſondern die ihm gegebenen Befehle oppreſſiv geweſen 
ſeyen —: es iſt nicht wahr. Warum haben andere 
Diener Napoleon's, obgleich ſie eben ſo genau waren 
in Vollziehung der verderblichen Befehle ihres rück⸗ 
ſichtsloſen Gebieters, nicht ſo gehandelt? Gewiß, 
dieſe, wie jener, konnten unſerem armen Volk keine 
glückliche Zeit bringen; aber ſie zeigten wenigſtens, 
daß fie ein Herz hatten; und fo durch und durch gut⸗ 
müthig iſt der Deutſche, daß man dieß immer mit 


115 
Dankbarkeit anerkannte. Doch Jener pflegte denen, 
welche ihm die ernſteſten Vorſtellungen machten, zu 
ſagen: „In einem halben Jahrhundert wird das 
Land ſich wieder erholt haben, und nicht eine Spur 
von Elend mehr übrig ſeyn“ —, in Holland hörte 
man ihn ſagen: „Que fait cela a PEmpereur 2“ 
Das Volk ergrimmte im Innerſten ſeines Herzens. 
Die Franzoſen haben während der Zeit ihrer Erobe⸗ 
rungen einen ſehr entſchiedenen Characterzug an den 
Tag gelegt, nämlich — Geiz. Ich ſage dieß von 
allen, von den höchſten bis zu den niedrigſten; ihre 
Geldgier war ekelhaft. Sie waren damals zu jung, 
um manche Einzelheiten wiſſen zu können; ich aber 
weiß ſie. Die mancherlei Kunſtgriffe, zu welchen 
fie, um Geld zu erpreſſen, ihre Zuflucht nahmen, 
würden jetzt faſt unglaublich erſcheinen. Andere 
Nationen haben nicht dieſen niedrigen Zug bei ihren 
Eroberungen verrathen. Sie haben zwar immer 
Contributionen erhoben, und die Engländer in Indien 
waren gewiß nicht allzu delikat; aber die Sache ge⸗ 
ſchah nicht auf ſo niedrige Art, und von jedem nur 
in ſeiner Sphäre. Wie ſehr haben wir oft gelacht, 
ſo traurig auch die Zeit war, wenn welche von den 


116 


hochtönenden Proklamationen und Bülletins Napo⸗ 
leon's erlaſſen wurden, und alle Franzoſen darin 
als die unbefleckteſten Ritter dargeſtellt wurden, voll 
von Ehrgefühl und Hingebung für eine große Sache, 
— und wir dann dieſe Trompetenſtöße mit der 
Wirklichkeit verglichen. Sie waren in ihrem inneren 
Weſen niedrig, und, wie ſich von felbſt verſteht, 
ohne die geringfte Schaam. Davon gab es Ausnah⸗ 
men, wie Sie wiſſen. Wie ganz anders haben Un⸗ 
ſere Generäle in Frankreich gehandelt! 


Pius des Siebenten Meinung über 
Prinz Hohenlohe. 
Als der Pabſt (Pius der Siebente) eines Tages 
mit mir von Prinz Hohenlohe ſprach, ſagte er: 
„Questo far dei miracoli?“ Dabei ſchüttelte er 


ſehr bezeichnend den Kopf, zum Ausdruck eines ge⸗ 
waltigen Zweifels “). | 


*) Alexander Leopold, Prinz von Hohenlohe, jetzt Domherr zu 
Großwardein in Ungarn, hat ſich durch ſeine Wunderthaten 
großen Ruf erworben. Diejenigen, welche er aus der Ferne 
verrichtete, indem er eine beſtimmte Zeit angab, da die lei⸗ 


117 


Intereſſe des Pabſtes an Niebuhr's 
Arbeiten. — Sein Segen. 


Es ſcheint dem Pabſt (Pius dem Siehenten) 
großes Vergnügen zu machen, ſich mit mir über 
meine Nachforſchungen im Vatikan zu unterhalten, 
und er thut dieß niemals, ohne der Zeit zu geden⸗ 
ken, da er Profeſſor der Griechiſchen Sprache war. 
Vielleicht fühlt er ſich behaglicher mit mir, als mit 


den katholiſchen Geſandten. Wenn er nur irgend 


kann, hält er mich nach der Audienz zurück, um mit 
mir noch ein bischen zu ſprechen. Er ſcheint mir ein 
auſſerordentlich guter und frommer Mann zu ſeyn: 
ich fühle eine wahre Verehrung für ihn. Ich ſtellte 
ihm einmal meinen Markus vor; er gab ihm ſeinen 
Segen und ſagte mit wahrhaft ehrwürdigem Lächeln: 


dende Perſon und er zur ſelben Minute beteten, (die nöthige 
Deduction wegen der verſchiedenen Grade der Länge ward 
dabei immer gemacht) haben die größte Aufmerkſamkeit er⸗ 
regt. Prinz Hohenlohe war in Rom geweſen, wo ſein Be⸗ 
tragen Pius dem Siebenten ſo wenig wahre apoſtoliſche 
Demuth verrathen zu haben ſcheint, daß er weit davon ent⸗ 
fernt war, an ſeine Wunder zu glauben, als man in Rom 
davon erzählte. | 


118 


„Der Segen eines alten Mannes wird ihm kein Leid 
thun“ ) BE 


) Bourienne, in feinem Leben Napoleon Bonaparte s, er 
zählt eine ähnliche Aneedote von Pius dem Siebenten, als. 
er, wenige Tage vor Napoleon's Krönung, die kaiſerliche 
Druckerpreſſe zu Paris in Augenſchein nahm. Es iſt ſehr 
möglich, daß der wohlwollende Pius dieſe gütigen Worte 
wiſſentlich als die Worte eines Andern ausſprach; denn man 

erzählt, daß ſich derſelben zuerſt ein Pabſt bediente, welcher 
einen Engländer der Wuth des Volks preisgegeben ſah, als 
dieſer bei dem Vorübergehen des Pabſtes nicht nieverknien 
wollte. „Knie nieder, mein Sohn“, ſoll der Pabſt zu dem 
an Engländer geſagt haben, „eines alten Mannes Segen wird 
' 3 dir auf keine Weiſe ſchaden Dieſelbe Aneedote erzählt man 
von Sir Horace Walpole und Pabſt Benedikt dem Sech⸗ 
zehnten (Eambertini). Jener ſtattete zur Zeit, da fein Vater 
Premierminiſter von England war, dem Haupt der katholi⸗ 
ſchen Kirche einen Beſuch ab: er zögerte, niederzuknien, da 
dieß zu für ſeinen Vater, den großen Whigminiſter, unan⸗ 
genehmen Gerüchten Veranlaſſung gegeben haben würde. 
Der Pabſt, als er dieſes Zaudern bemerkte, ſoll auf das 
bewunderungswürdige Mittel, die Schwierigkeit zu beſeitigen, 
gekommen ſeyn, daß er ſeinen Segen nur als den eines al⸗ 
ten Mannes, und nicht in ſeiner kirchlichen Würde anbot. 
Der Gebrauch mag wohl damals von dem heut zu Tage 
verſchieden geweſen ſeyn. Jetzt erwartet man von keinem 
Proteſtant, daß er vor dem Pabſt niederknie. Herr Nie⸗ 
buhr, der Miniſter eines proteſtantiſchen Monarchen, beugte 
feine Knie nur leicht, wenn er dem Pabſt amtlich aufwartete,— 


119 


Eitronen vom Pabſt überſandt. 


Sehen Sie, junger Freund, ſagte zu mir eines 
Tages Herr Niebuhr, hier hat mir der Pabſt einen 
Korb voll Citronen geſchickt, die in ſeinem Garten 
gewachſen find. Ich will ſie in Zucker einmachen 
laſſen und meinen katholiſchen Freunden in Berlin 
zuſenden. Welch hoher Genuß wird das für fie ſeyn! 
Welches Feſt wird das werden fur die Kleinen 
N 


eine Art, ſich den Monarchen zu ak 7 85 fruher ge⸗ 
wöhnlich war, und noch jetzt in ene Ländern im Ge⸗ 
brauch iſt. l 

Wenn heut zu Tage eine Anzahl von PR Katholiken 
und Proteſtanten, dem Pabſt vorgeſtellt werden, — zum 
Beiſpiel, die Dffteiere eines Amerikaniſchen Kriegsſchiffes, — 
ſo müſſen die Katholiken ihre Namen vor der Audienz nie⸗ 
derſchreiben. Sie werden zuerſt angenommen, und zu der 
gewöhnlichen Ceremonie des päbſtlichen Pantoffel Kreuz 
Kuſſes und der Ertheilung des Segens zugelaſſen. Die Pro⸗ 


— 


teſtanten nähern ſich ihm, wie man allen andern Souve⸗ 


rainen a wen pflegt. 


120 


Niebuhr's Vater. — Franklin. 


- [Ih hatte die, von Niebuhr verfaßte, Lebensbe⸗ 
ſchreibung ſeines Vaters geleſen, und ſagte: „Ihr 
Vater ſcheint mir Franklin etwas ähnlich zu ſeyn;“ 
indem ich damit nur auf ihre Einfachheit, unermüd⸗ 
liche Thätigkeit und Begierde au genauer Kenntniß 
anſpielte.] 

Wirklich? ſagte er, ganz erſtaunt; es war keine 
Liſt in meinem Vater. Im Gegentheil, mein Vater 
war ein Mann von äußerſt einfältigem Herz. Ich 
kann die Aehnlichkeit nicht ſehen. Mein Vater hatte 
keine Weltklugheit. 

[Ich erklärte mich näher, und er Min. mit mir 
übereinzuftimmen.] 


Heinrich der Vierte, König von 
Frankreich. 


Ich hatte ihn gefragt, ob er nicht glaubte, daß 
Heinrich der Vierte für Frankreich und ganz Europa 
Wunder gethan, und ſein Vaterland vor der Revo⸗ 
lution bewahrt haben würde, wenn er das Volk in 


121 


feinem Wunſch, den Proteſtantismus einzuführen, 
unterſtützt hätte — eine Frage, welche aus dem Mangel 
an hinlänglicher Kenntniß jener Periode hervorgieng.] 

Meinen Sie das? ſagte er; ich zweifle in der 
That ſehr daran; aber ich bin nicht genug Meiſter 
der Franzöſiſchen Geſchichte jener Zeit. 

[Er ſagte dieß mit unbeſchreiblicher Einfalt 
und Beſcheidenheit, ohne daß er nur im geringſten 
die Abſicht hätte durchblicken laſſen, als wolle er 
mich auf die Unzulänglichkeit meines Wiſſens aufmerk⸗ 

ſam machen.] 


„Anſehn des Geſetzes bei den Römern. 


Die Bedeutung, welche das Wort Geſetz bei 
den Römern hatte, und der Gehorſam, den man 
dieſer abftracten Autorität erwies, find hiſtoriſche 
Züge dieſer großen Nation. Sie ſind den Völkern 
des Alterthums überhaupt viel mehr eigen; und in 
den neueren Zeiten nur dem bürgerlichen Geiſt der 

Engländer und deren Kinder in Amerika vergleichbar. 


.422 


Athen. — Sparta. | 
Die alten Philoſophen haben die ariſtokratiſchen 
Verfaſſungen von Sparta geprieſen; aber ich will 
in der That zehnmal lieber all die Athenienſiſche 
Zügelloſigkeit, ſo ſchlecht ſie auch wirklich war, als 
die Ordnung der Dinge in Lacedämon. Was haben 
ſie gethan oder hervorgebracht, mit Ausnahme einiger 
evelen Beiſpiele von Selbſtaufopferung? Dieſe Bei⸗ 
ſpiele ſind edel, das iſt wahr; aber wenn ein Land 
nichts aufzuweiſen hat, als Bereitwilligkeit zur Auf⸗ 
opferung ſeiner ſelbſt, ſo ſcheint dieß nur etwas ganz 
Negatives zu ſeyn. Es iſt leicht in dieſem Leben, 
Alles für einen einzelnen Gegenſtand aufzuopfern; 
wie denn faſt alle menſchlichen Kräfte in ihrer gan⸗ 
zen Verſchiedenheit und Thätigkeit für den einzigen 


Zweck aufgeopfert wurden, Sparta zu einem krieges 


riſchen Staat zu machen: aber das iſt gerade die 
Schwierigkeit, daß man Syſteme auffinde, in wel⸗ 
chen allen den verſchiedenen Elementen ihre wahre 
Sphäre angewieſen wird. Und dennoch (fügte er 
nach einer Pauſe hinzu) macht bei dem Allen Sparta 
einen ſchönen Theil des ganzen Gemähldes des be⸗ 
günſtigten Griechenlands aus. 


1 


* 


| 123 
Heuchleriſche Kritiker. 
[Wir hatten von albernen, in einem offentlichen 


Blatt über ſeine Römiſche Geſchichte gemachten, Be⸗ 
merkungen geſprochen, welche ihn des Skepticismus 


? beſchuldigten, und in einem Ton abgefaßt waren, 


der nur zu ſehr verrieth, daß der Verfaſſer derſel⸗ 
ben in ſeine Critik die Anklage des Unglaubens hin⸗ 
ein zu bringen wünſchte, obgleich er nicht die Dreiſtig⸗ 
keit hatte, es zu thun. 

Es war eine Zeit, ſagte Niebuhr, da ein Mann 
wohl für feine Freiheit, ja ſogar für fein Leben, ge⸗ 
fürchtet haben würde, hätte er gewagt, zu behaup⸗ 
ten, was ich behauptet habe. Die Philologen hät⸗ 
ten Verrath geſchrieen, und die Theologen es wie 
einen Angriff auf ſie ſelbſt betrachtet. Die öffentliche 
Meinung hätte ihn geſteinigt. Und gerade jetzt giebt 
es gar manche Leute, welche nicht auszusprechen 
wagen, was ſie über dieſen Punkt denken, weil ſie 
fühlen, fie könnten ſich lächerlich machen. 

[Ich ſagte, ich hätte wirklich einen Artikel ges 


ſehen, gerichtet gegen Wolf's Subſtitutrung meh⸗ 


rerer Homeriſcher Dichter für Einen Homer. Er 


ſchließe mit der Deklamation, daß, wenn man dieſe 


124 


Conjectur annehme, es auch für die Moſaiſchen Bücher 
keine Sicherheit mehr gebe, und wir über kurz und 
lang anſtatt des Einen Befreiers der Hebräer einen 
kn Moſaiſcher Autoren zu ſehen bekommen wür⸗ 

Es war ein Englischer Artikel, welcher zu die⸗ 
05 Art von Rückwärts⸗ Raiſonniren — ſo gewöhn⸗ 
lich unter den Feinden der Ruhe und des männlichen 
Strebens nach Wahrheit — ſeine Zuflucht genom⸗ 
men hatte. Ich fügte hinzu: „Ich werde wahrlich 
nie die Gefühle vergeſſen, welche ſich in mir regten, 
als die Reſultate der Forſchungen Wolf's uns zu⸗ 
zuerſt in der Schule auseinandergeſetzt wurden. Es 
war das Gefühl eines wirklichen Kummers. Ich 
hatte ein ſchönes Ideal verloren; der blinde, inſpi⸗ 
rirte, ehrwürdige Rhapſode war dahin.“ 

Wohl, ſagte Niebuhr, und Sie wiſſen, daß er 
von manchen Philologen wahrhaft wüthend angepackt 
ward, als ein Barbar, als ein Zerſtörer eines der 
ſchönſten Bilder, die wir aus dem Alterthum hatten! 
Was Sie fühlten, das verſtehe ich vollkommen. 
Daſſelbe gieng auch in mir vor; aber Wahrheit bleibt 
Wahrheit, und Sie würden gewiß nicht die Reſul⸗ 5 
tate zurückhalten wollen, zu denen ich richtig gelangt 


125 


zu ſeyn glaube. Es däuchte wohl Manchem erfreu⸗ 
licher der Gedanke, eine beſondere Gottheit bewache 
einen jeglichen Baum, jede Blume ſey einem andern 
Gott geheiligt, als der Glaube, Ein Gott herrſche 
über alles und jegliches Ding: ſollte er ihn deshalb 
verwerfen, weil er die Träume ſeiner Kindheit zer⸗ 
ſtört? Nichts iſt leichter in dieſer Welt, als ein 
allgemeines und vom Volk angenommenes Vorur⸗ 
theil gegen einen Menſchen hervorzubringen. Seyn 
Sie immer außerordentlich auf Ihrer Hut, wenn 
Sie ein allgemeines Geſchrei gegen einen Mann ver⸗ 
nehmen, weil er in religiöſen oder wiſſenſchaftlichen 
Materien etwas aufgeſtellt hat. Was die Furcht 
vor der Critik betrifft, ſo verräth dieſe nur Schwäche. 
Bis jetzt habe ich noch keinen gefunden, der ſich feſt 
in ſeinem Glauben gefühlt, und dennoch Forſchungen 
in der Bibel geſcheut hätte. Auf jeden Fall ziemen 
ſolche Angriffe, wie die gegen Wolf oder mich, 
Proteſtanten am wenigſten. 
Die Wahrheit, erwiederte ich, ſcheint von man⸗ 
chen Leuten betrachtet zu werden wie ein Ding — 
wie etwas außerhalb ihnen — wie ein Apfel, den 
man effen mag oder nicht; aber nicht als das Eine, 


126 


große Object alles Lebens und aller Exiſtenz, — die 
abſorbirende Aufgabe des Menſchen, dasjenige, in 
deſſen Erforſchung wir nur Gott nahe kommen!] 

Sehr oft, verſetzte er, ſpricht Egoismus, wel⸗ 
cher nicht geſtört ſeyn mag; oder Kleinheit des Gei⸗ 
ſtes, welche nicht den Muth hat, einen lang geheg⸗ 
ten Irrthum anzuerkennen; oder Intereſſe, wenn 
man ſich bemüht, uns glauben zu machen, nur ein 
heiliger Eifer treibe den Verfolger an. 


Die Römer im Wefentiihen Landbauer. 


Man begeht einen ſehr 8 Irrthum, wenn 
man die Römer ausſchließlich als ein kriegeriſches 
Volk betrachtet. Sie waren im Weſentlichen Feld⸗ 
bauer; ſie liebten den Feldbau; und ihre größten 
Männer richteten darauf große Aufmerkſamkeit. Die⸗ 
ſen Umſtand muß man immer bei dem Studium der 
Römiſchen Geſchichte vor Augen haben; er allein 
erklärt eine Reihe von Erſcheinungen in ihrer poli⸗ 
tiſchen Entwickelung. Meine Kenntniß des Landle⸗ 
bens und Feldbaues ſowohl, als meine Bekanntſchaft 


127 


mit der Geſchichte der Ditmarſchen haben mir in meinen 
hiſtoriſchen Unterſuchungen große Hülfe geleiſtet. 
Dieſe Ditmarſchen waren ein wahrhaft eigenthüm⸗ 
licher Stamm, — ſo tapfere Freunde der Freiheit, 
als es jemals gegeben hat. 


N Daſſelbe. 

[Als ich mit ihm durch die Campagna Felice 
und Oberitalien reiſte, rief er oft aus:] 

Sehen Sie hier, was für vortreffliche Landbauer 
dieſe Italiener find; wie ſie ihre Felder mit der Sorg⸗ 
ſamkeit eines Gärtners bauen! So war es immer: 
die Römer liebten den Landbau. Ä 


Zeitverluſt. 

Man hatte früher viel mehr Zeit, als wir jetzt 
haben: nehmen Sie nur alle die Zeit, die darauf 
geht mit Morgenbeſuchen und Abendgeſellſchaften. 
Ich ſpreche von den Gelehrten von Fach. Sonſt 
hätten ſie nicht ſo viele Folianten und Quartanten 
ſchreiben können. 


128 


Metaphyſik. 


Ich trage eine ganz beſondere Sorge, daß ſich 
die Metaphyſik nicht in meine hiſtoriſchen Studien 
miſche. Es ſollte möglich ſeyn, daß zwei Gelehrte, 
die zwei gänzlich verſchiedenen philoſophiſchen Syſte⸗ 
men angehören, zu denſelben Reſultaten gelangten, 
was den hiſtoriſchen Fortſchritt und die Entwickelung 
einer Nation betrifft. 


Daſſelbe. 


Ich habe es aufgegeben metaphyſtſche Bücher 
zu leſen. 


Friedrich Heinrich Jacobi. | 

Jacobi war ein ungewöhnlich reiner Menſch. 

Er erſchien mir immer wie ein Weſen aus einer bef- 

ſern Welt, das nur auf kurze Zeit bei uns verweile. 

Es iſt gut, daß ſolche Weſen hier von Zeit zu Zeit 
erſcheinen; ſie ermuthigen die armen Sterblichen. 


129 
Niebuhr's Umgang mit andern Gelehrten. 


In der traurigen Zeit der Franzöſiſchen Unter- 
drückung hatten wir in Berlin einen philologiichen 
Eirkel: Schleiermacher, Buttmann, Böckh waren 
Mitglieder. Wir lernten viel von einander a und 
wie fröhlich waren dieſe Abende! Wir belehrten, er⸗ 
munterten, berichtigten, belebten einander. 


[Was Schleiermacher und Buttmann betrifft, ſo 
bin ich gewiß, daß ich hier keine falſche Angabe 
mache; und ich glaube, keinen Irrthum begangen 
zu haben, zur Zeit, da ich dieſen Aphorism nieder⸗ 
ſchrieb, wenn ich den Namen des ausgezeichneten 
Philologen Böckh denen der zwei andern zugeſellte. 
Ob Niebuhr auch Spalding's erwähnte, erinnere ich 
mich nicht. — Es wird mir wohl vergönnt ſeyn, das 
Ende der Vorrede von Niebuhr's Geſchichte hier 
wiederzugeben: „Dafür ſegne ich das geliebte An⸗ 
denken meines verewigten Spalding; dafür ge 
ſtattet mir, Euch öffentlich Dank zu ſagen, S a⸗ 
vigny, Buttmann und Heindorf, ohne 
welche und unſern hingeſchiedenen Freund ich mich 
wohl nie zu dieſem Werk ermuntert gefühlt hätte, 

9 


130 


ohne deren liebende Theilnahme und belebende Ge⸗ 

genwart es ſchwerlich ausgeführt wäre.“ 

i Schleiermacher ſagt, in der Vorrede zur erſten 
Ausgabe ſeiner meiſterhaften Ueberſetzung des Plato, 
datirt vom April, 1804. „Viele Verdienſte haben 

um die Ueberſetzung meine Freunde G. L. Spalding 

und L. F. Heindorf durch Auffindung des Richtigen 
und durch Warnung vor Mißgriffen.“] 


Der Vatikan. 

Es ſind unermeßliche Schätze im Vatikan; aber 
es iſt unmöglich, den rechten Gebrauch davon zu 
machen. Ich werde jetzt von Maio begünſtigt, we⸗ 
nigſtens ſo ſehr, als nur irgend einer; aber man 
kann dieß nicht mit andern Bibliotheken vergleichen. 
Hier waltet eine übelangebrachte, den Forſcher be⸗ 
ſtändig hemmende, Eiferſucht, welche einer fo vor⸗ 
trefflichen Anſtalt ganz unwürdig iſt. Außerdem 
iſt die, mir dort zum Arbeiten geſtattete, Zeit viel 
zu kurz. | 


4 


131 
Kalifen. 


Es war in der That ein großer Gedanke, wel- 
cher dem alten Arabiſchen Geſetz zu Grunde lag, 
»daß kein Kalife das Recht habe, mehr auszugeben, 
als er ſich durch ſeiner Hände Arbeit verdienen konnte. 
Außer dieſem gehörte ihm der fünfte Theil der Beute: 
aber in jenen Zeiten der Arabiſchen Größe würde 
ein Kalife für ſehr niedrig gehalten worden ſeyn, wenn 
er ſeinen Antheil nicht wieder zur Vertheilung zu⸗ 
rückgegeben hätte. Heut zu Tage verkaufen ſie all⸗ 
gemein ihre Handarbeit zu ungeheueren Preiſen: oft 
wird ein Mann dadurch zu Grunde gerichtet, daß 
ihn der Dey aus beſonderer Gnade zum Käufer der 
Handarbeit des Herrſchers auserſteht. 


Slaviſch. 9105 
Ich halte die alte Slaviſche Sprache, wie ſie in 
. Servien geſprochen wird, für die vollendetſte der le⸗ 
benden Sprachen Europa’: ſie hat ganz das Treu⸗ 
herzige und Kräftige der Deutſchen Sprache, und 
eine philoſophiſche Grammatik. Die Ruſſen pflegten 
mich auszulachen, wenn ſie mich bei dem Studium 


132 


der Slaviſchen Sprachen antrafen; ſo wenig ſind ſie 
noch eine Nation, daß ſie nicht einmal ihre Mutter⸗ 
ER lieben. A 


Idee der Unreinigkeit mit dem Weibe 
verknüpft. | 
[Ich hatte zu Rom ein Verbot geleſen in der 
Kirche Santa Praxede bei einer Kapelle, in welcher 
zwei Heilige und ein Stück von der Säule aufbe⸗ 
wahrt werden, an welche Chriſtus gebunden war, 
als man ihn geiſſelte. Das Verbot lautete: E di- 
feso a tutte le donne di entrare in questa san- 
tissima capella sotto pena di scomonanza. Als 
ich den Küſter um den Grund dieſes Verbots fragte, 
ſagte er: „Weil dieß eine hochheilige Kapelle iſt.“ 
Ich erzählte Niebuhr davon und er ſagte, indem er 
die Achſeln zuckte: | 
Das ſtammt aus dem Heidenthum her mit man⸗ 
chen Vorſtellungen ähnlicher Art. Wie Sie wiſſen, 
durften im Alterthum die Weiber nicht in manche 
Tempel; und in Aſien iſt noch heut zu Tage der 
Begriff von Unreinigkeit in hohem Grade mit dem 


133 


Weibe verknüpft. Das Legen wächſerner Nachbil⸗ 
dungen von Ohren, Augen und andern Gliedern 
auf den Altar eines Heiligen iſt ganz ein Gebrauch 
des Alterthums. Die Biſchöfe haben ſich oft ge⸗ 
nöthigt geſehen, dieſe beſondere Art der Frömmig⸗ 
keit zu unterſagen, wenn von den Schutzheiligen 
oder der Jungfrau Dinge verlangt wurden, die ſich 

ſchlecht mit veligiöfer Reinheit vertrugen. 5 


Palladium. 


* 


15 3 habe ein Palladium nach Berlin zu ſchicken; 
es koſtet jetzt zweihundert Seudi; im Mittelalter 
koſtete es gegen fünfzehnhundert. Man kann dieß 
als einen Maßſtab des Werthes, den das Volk auf 
die päbſtliche Autorität legt, betrachten; denn das 
Geld iſt, wie Sie wiſſen, ſehr im Werth geſunken. 


Schlacht auf dem weißen Berge. 


Wäre die Schlacht auf dem weißen Berge nicht 
verloren gegangen, ſo würde Venedig proteſtantiſch 
geworden feyn: es war ſchon auf dem Punkt, es zu 


134 


werden. Die Folgen, welche dieſes Ereigniß nach 
ſich gezogen haben würde, ſind nicht zu berechnen. 


Fra Paolo. 


Fra Paolo iſt einer der ſchönſten und größten 
Charaktere, die es jemals gegeben hat. 


Einfluß der Religion im alten und neuen 
Rom. 


[Wir giengen zuſammen ſpazieren, und laſen 
folgende, an eine Kirche geſchriebenen, Worte: „In- 
dulgentia plenaria quotidiana vivis defunctisque“; 
und ich bemerkte en passant, e das Seipio 
geſehen hätte!“! 

Ja, erwiederte Niebuhr; und dennoch waren die 
Römer immer ein Volk, welches für religiöſe Auto⸗ 
rität große Achtung hatte. Zwiſchen dem, was wir 
eben laſen, und den Zeiten, auf welche Sie an⸗ 

ſpielen, iſt ein natürlicherer Zuſammenhang, als 
Sie wahrſcheinlich ſelbſt gewahr werden. Der Pon⸗ 
tifer war immer eine höchſt wichtige Perſon, und 


135 


der Ausdruck, Geſetze ſanctioniren, das iſt, ſie hei⸗ 
lig machen, oder mit geheiligter Autorität ſtem⸗ 
peln, zeigt ſchon die politiſche n der Re⸗ 
ligion im alten Rom. 

In der That, ſchon das Wort Religion allein 
deutet die mächtige, bindende Gewalt an, wel 
dieſe bei den Römern hatte. 


Verluſt der Mexikaniſchen Literatur. 

Welch unermeßlicher Schatz für die Geſchichte 
der Civiliſation iſt für immer verloren gegangen 
durch den Befehl des erſten Biſchofs von Mexiko, 
die ganze einheimiſche Literatur zu verbrennen! Viel⸗ 
leicht ein noch bedeutenderer, als der, den Omar's 
Feuersbrunſt vernichtete. Ein größerer Verluſt hat 
nie die Welt getroffen. 9 


Todesſtrafe gegen den Nicht⸗Siegenden. 

Admiral Byng ward erſchoſſen, weil er den Feind 
gemieden hatte, anſtatt ihn anzugreifen. Er ward 
wegen Feigheit hingerichtet. Dennoch war er viel⸗ 


136 


4 ü 
leicht ein Opfer des Miniſteriums. Venedig ſtrafte 
den General, der nicht ſiegte. Die Alten waren oft 
nicht weniger ſtreng, wie man weiß; das Betragen 
der Athener ift wohl bekannt; und vielleicht hätte 
Frankreich zur Zeit der Republik einem Einfall von 
auſſen nicht entgehen können, hätte man nicht ſo kur⸗ 
zen Proceß mit den Generalen gemacht — entweder 
Sieg, oder euere Köpfe fliegen herunter. 


Geeiſtliche Uebungen. 


Esercizj spirituali find geiftliche Uebungen, auf⸗ 
erlegt von dem Offizio für kleinere Vergehungen. 
Sie werden meiſt in einem Kloſter verrichtet, wo die 
Leute manchmal eine Woche oder vierzehn Tage blei⸗ 
ben. Zuweilen ſind ſie ſehr angemeſſen, zuweilen 
nicht. Alle Profeſſoren der Propaganda und Sa- 
pienza, alle Prieſter, Aerzte, Oberaufſeher der 
Archive und Leute der Art, welche den Franzoſen 
den Eid der Treue geſchworen hatten, mußten ihr 
Vergehen durch ſolche Uebungen abbüßen. Einige 


137 


Profeſſoren mußten die Scala Santa ) (im Lateran) 
auf den Knien hinaufrutſchen. 

Chronik von Cölln. 
N Die Chronik von Cölln, welche bis zum Jahr 
1400 hinabgeht, iſt vielleicht die beſte Deutſche 
Chronik. 15 rer 


Gutsbeſitzer bei Albano. 
Joſeph in Egypten. 

Als ich mit dem Miniſter und ſeiner Familie in 
Albano lebte (wir brachten die heißeſten Tage des 
Monats Auguſt an dieſem lieblichen Orte zu), gieng 
ich einmal mit ihm und ſeinem Sohn nach Lariecia 
ſpazieren. Das Verhältniß des Bearbeiters des 
Bodens zum Beſitzer war beſtändig ein Gegenſtand 


) Die Scala Fanta, dicht dei dem Lateran, halten die Gläu⸗ 
beigen für die Treppe des Pallaſtes von Pilatus, gebracht 
von Jeruſalem nach Rom. Das Blut des Erlösers iſt dar⸗ 

auf geträufelt, und ſie wird ſo hoch verehrt, daß man ſie 
nur kniend beſteigt. Der Zuſammenlauf der Frommen war 

zu jeder Zeit ſo groß, daß dieſe marmornen Stufen mehr⸗ 
mals abgenutzt wurden. Man fand daher für nöthig, die 
urſprünglichen Stufen mit großen Flieſenſteinen zu bedecken. 


138 


von hohem Intereſſe für den großen Hiſtoriker. Er 
ſagte:] 7 | 

Dieſes bezaubernde Land gehört keinem der Be⸗ 
wohner der Häuſer, die Sie da herum ſehen; ſie 
bekommen für ihre Arbeit nur einen ſehr kleinen 
Theil des Ertrags. Lariccia *) war einſt reich; 
aber im Mittelalter wüthete hier eine zerſtörende 
Hungersnoth, und die armen Bewohner ſahen ſich, 
um ihr Leben zu retten, genöthigt, das Land, wel⸗ 
ches ſie beſaßen, an die Familie der Savelli zu ver⸗ 
kaufen. Sie erhielten dagegen Saatkorn, behielten 
aber nur ein jämmerliches Theil des Ertrags. Nur 
vier Familien entgingen dieſem Unglück und blieben 
zinsfreie Grundeigenthümer. Das Beſitzthum der 
Savelli kam in die Hände der mächtigen Familie 
der Chigi, welche bald darauf die Ländereien der 
vier, welche freie Grundeigenthümer geblieben wa⸗ 
ren, verſchlangen. So gehört nun jetzt dieſes ganze 
reizende Vallariccia der Familie der Chigi. Die 
Geſchichte Joſeph's, wie ſie im ſiebenundvierzigſten 
Capitel der Geneſis erzählt wird, iſt ein ſehr gefähr⸗ 
liches Vorbild für einen ſchlauen Miniſter: „Gieb 


*) Lariccia iſt das alte berühmte Aricia. 


139 


mir Dein Land und Deine Freiheit, und ich gebe 
Dir Brod.“ Ich kann wohl ſagen, dazu nahm 
man ſeine Zuflucht, als mit den verhungerten La⸗ 
riccianern der Handel abgeſchloſſen ward. 


Griechiſche Revolution. — Große 
Erforderniſſe eines Befreiers. 

[Wir ſprachen eines Tages, wie wir häufig tha⸗ 
ten, über Griechenland, ſein ungewiſſes Schickſal, 
und wie ſchön ſeine Zukunft ſeyn könnte.] 

Ich weiß, ſagte Niebuhr, daß die ganze Revo⸗ 
lution zu früh und gegen die Wünſche der beſten 
Lenker der ganzen Sache ausgebrochen iſt. Nichts 
iſt ſo ſchwer in Dingen dieſer Art, als daß man die 
ſeltene moraliſche Kraft des Abwartens beſitze, und 
zu dem den Scharfblick und den Charakter, um zu 
ſagen: „Jetzt iſt es an der Zeit.“ Überdieß iſt es 
kaum jemals möglich, auch von den beſt angelegten 
Minen politiſche Pinſel abzuhalten, welche die Lunte 
hineinſtecken, oder fie auf andere Art ſprengen, ehe 
der rechte Augenblick gekommen iſt. Dann iſt die 
Zeit da, daß der Mann ſich zeige; und wenige von 
denen, welche noch ſo urtheilsvoll Entwürfe machen, 


140 


beſitzen diejenige Vereinigung von Eigenſchaften, 

welche auf der Stelle neue Mittel für jedes neue 

unerwartete Ereigniß erfindet. Das erheiſcht aber 

nicht allein politiſche Weisheit, ſondern politiſches 
Genie. 


Ali Paſcha's Muth. | 
Ali Paſcha war der muthigſte Mann feiner Zeit. 
Er blieb ſich gleich in jeglichem Moment ſeines Lebens. 
[Iſt es nicht gewagt, bemerkte ich, ihn als den 
muthigſten Mann ſeiner Zeit zu bezeichnen 2. Wie 
könnte man das überzeugend darthun? Doch, laſſen 
Sie uns ihn mit einem Andern vergleichen, zum 
Beiſpiel, mit Napoleon. Halten Sie ihn für feſter, 
als Napoleon ?] | | 
Allerdings, antwortete er. Sie können fich den⸗ 
ken, daß ich die lächerlichen Geſchichtchen von Napo⸗ 
leon's Feigheit nicht glaube; aber ich glaube, daß 
Ali Paſcha nicht erblaßt ſeyn würde, wäre er, an 
Napoleon's Stelle, am 18ten Brümaire in die ge⸗ 
ſetzgebende Verſammlung getreten. 


— —— 


141 


Graf Deſerre. 


[Niebuhr hatte die höchſte Achtung für Graf 
Deſerre, Siegelbewahrer von Frankreich während 
der Adminiſtration des Herzogs von Decazes; zwi⸗ 
ſchen beiden waltete eine intime Freundſchaft. Er 
ſagte einmal zu mir!! | | 

Graf Deſerre ift der tiefſte Denker, den ich unter 
den Franzoſen kenne. Er erinnert mich an jenes 
dahingeſchwundene Franzöſiſche Geſchlecht ernſter, 
denkender Männer, die mit der St. Bartholomäus⸗ 
Nacht untergegangen zu ſeyn ſcheinen. Ich fühle 
für dieſen Mann eine wahre Liebe. | 


Beſuch zu Pompeji mit Graf Deſerre. 


[Niebuhr ſah oft den Grafen Deferre während 
unſeres Aufenthalts zu Neapel, wo der Letztere da⸗ 
mals Franzöſiſcher Geſandter war. Beide Familien 
beſuchten zuſammen Pompeji. Als wir bis an die 
Knöchel durch die Aſche gingen, ſagte Niebuhr:] - 

„Man muß geſtehen, wäre Joſeph hier geblie⸗ 
ben, ſo könnten wir jetzt mehr von der alten Stadt 
ſehen, und wahrſcheinlich gemächlicher einhergehen.“ 


142 


„Ohne Zweifel“ antwortete der Graf; „aber ich 
würde dann nicht das ſeltene Vergnügen haben, mit 
Ihnen hier umher zu wandeln.“ | 


— — — 


Klopſtock. — Graf Deſerre's Bekannt⸗ 
ſchaft mit ihm. 


[Graf Deſerre (geboren 1774) war noch ſehr 
jung, als er (1791) auswanderte. Er war ge⸗ 
zwungen, ſich ſeinen Unterhalt dadurch zu verdienen, 
daß er in einer Stadt in Schwaben — Biberach, 
wenn mich nicht mein Gedächtniß trügt — Schule 
hielt. Hier machte er ſich vollkommen mit der 
Deutſchen Literatur bekannt und fuhr in Hamburg 
fort, dieſelbe zu ſtudieren, wo ihn Napoleon zum 
Präſident des Appellationsgerichts ernannt hatte, 
nachdem dieſe Hanſeſtadt für eine bonne ville des 
grand empire erklärt worden war. Als, bei unſe⸗ 
rer Ausflucht nach Pompeji, die Rede auf die Deut⸗ 
ſchen Schriftſteller kam, machte man die Bemer⸗ 
kung, daß wenige Deutſche jemals die ganze Meſ⸗ 
fiade gelefen hätten, fo wie auch das Verlorene Pa⸗ 
radies nur wenigen Engländern bekannt iſt.] 


! 143 

„Da machen Sie einmal meinen jungen Freund 
hier ſchaamroth,“ ſagte Niebuhr zu Graf Deſerre, 
„und recitiren Sie eine Stelle aus Klopſtock. Ich 
darf wohl behaupten, er hat ihn niemals geleſen. 
Es ſollte mich wundern, wenn es doch der Fall 
wäre.“ ö Br: 
Ich antwortete: „ich bitte um Vergebung, ge- 
ſtehe aber offenherzig, daß ich die Meſſiade wohl 
niemals ganz geleſen haben würde, wenn ich nicht 
im Gefängniß geweſen wäre, wo ich Zeit gefunden, 
von mir bis dahin vernachläſſigte Schriftſteller zu 
leſen.“ | 

„Aber können Sie eine Stelle herſagen?“ er⸗ 
wiederte Niebuhr; und er ſelbſt reeitirte eine ziem⸗ 
lich lange. 

Graf Deſerre folgte nach und ſagte eine eben ſo 
lange Stelle her; während ich nur die ſechs oder 
acht erſten Hexameter wiederholen konnte, und mich 
beſchämt fühlte. 


Die Franzoſen. 
„Ich glaube,“ ſagte Niebuhr zu Graf Deſerre, 
„daß wenig Dinge auf die Franzöſiſche Nation eine 


144 


heilſamere Wirkung haben würden, als die Wieder⸗ 
aufnahme eines recht ſorgfältigen und gründlichen 
Studiums der Philologie und der Alterthumskunde. 
Es würde dazu beitragen, ſie beſtändiger zu machen, 
ihnen mehr Achtung für die Geſchichte und ſo die 
Überzeugung einflößen, daß ſie nur Ein Glied in 
der großen Kette der Nationen ſind.“ | 

J, Ja,“ ſagte der Graf, „es würde unſere Gei⸗ 
ſter von den ewigen Projekten etwas ablenken und 
das Volk dahin vermögen, nicht Alles in der Zu: 
kunft zu ſuchen.“ BR 


Napoleon, und Alexander's W 
von Thorwaldſen. 


[Niebuhr fagte zu Graf Deſerre, Thorwaldſen 
habe, zum Empfang Napoleon's bei deſſen Beſuch 
in Rom, in einem der Gemächer des päbſtlichen Pal⸗ 
laſtes, den ſchönen Triumphzug Alexander's in faſt 
unglaublich kurzer Zeit, in Basrelief, vollendet.] 
| „Denn jo war es befohlen worden,“ fuhr Nie- 
buhr fort; „und nun könnte die Frage entſtehen, 
ob Thorwaldſen ein ſo erhabenes Kunſtwerk hervor⸗ 


145 


gebracht haben würde, wäre er nicht gezwungen ge⸗ 
weſen, ſogleich und für ihn zu ſchaffen. Seine 
Energie war eoneentrirt.“ 


„Gerade dieſe Concentration der Energie in An⸗ 
dern iſt es,“ antwortete Graf Deſerre, „in welcher | 
Napoleon ein fo großer Meifter war. Kein Menſch 
verſtand je ſo gut das große Geheimniß, einen Jeg⸗ 
lichen zum Arbeiten und zum Schaffen zu bringen. 
Hoch oder niedrig, Politiker oder Künſtler, das war 
alles eins; er vermochte Jeden zu der möglichſt gro⸗ 
ßen Anſtrengung ſeiner Kräfte. Er ſetzte die ganze 
Welt in Bewegung, und zwar in eine Bewegung, 
die ſeinen Plänen gerecht war. 


Kleine Häuſer im Alterthum. | 


[Man ſprach in Pompeji von dem beſchränkten 
Raum der Häuſer und Tempel, und den wirklich 
kleinlichen Dimenſtonen der Gemächer. Graf De⸗ 
ſerre hatte bemerkt, die Alten könnten von häuslicher 
Bequemlichkeit keine großen Begriffe gehabt haben. 
Niebuhr antwortete:] Ra | 

| 10 


146 


Unfere Begriffe von Zeit und Raum find ganz 
relativ. Alle ihre Diſtanzen waren kleiner, als die 
unſrigen, wenigſtens zu der Zeit, da der Styl, in 
welchem dieſe Häuſer erbaut find, auffam. _ 
en fragte, ob nicht vielleicht noch ein anderer 
Grund darin liegen könne, daß der Abſolutismus 
oder die unbeſchränkte Macht ſich, wie Aſien und die 
Palläſte der Kaiſerzeit zu Rom zeigten, in großen 
Dimenfionen gefalle, während ein volksthümlicher 
Geiſt kleinere Bauten hervorbringe?] 

Gewiß, ſagte Niebuhr: betrachten Sie nur die 
kleinen Häuſer und Gemächer in England. Dieß 
paßt freilich nicht zu den Hütten der jetzt Unter⸗ 
drückten. „ | | 5 

[Wäre es meine Aufgabe, meine Anſichten mit⸗ 
zutheilen, ſo wollte ich meine Bemerkung hier ſo⸗ 


wohl weitläufiger angeben, als auch modificiren. 


Aber ich habe wiederzugeben, was Niebuhr ſagte.] 


Häuslichmachung der Lazzaroni. 
Es war eine weiſe Maßregel der Franzöſiſchen 
Adminiſtration in Neapel, den Lazzaroni Arbeit zu 
geben, und ſie theils mit baarem Geld, theils mit 


147 


häuslichen Geräthſchaften, namentlich Matratzen und 
Sachen der Art, zu bezahlen. Machen Sie einen 
Mann häuslich, ſo civiliſiren Sie ihn. Manche 
mögen wohl ihre Matratzen wieder verkauft und in 
ihren Körben zu ſchlafen fortgefahren haben, aber 
manche auch nicht. Eine Matratze führte ſie darauf, 
ein Bett zu kaufen, in einem Zimmer zu ſchlafen, 
ſich mit manchem andern Hausgeräth zu verſehen — 
kurz, häuslich zu werden im wahren Sinne des 
Worts. | 


Joſeph Bonaparte's Negierung 
in Neapel. | 
Hiftorifche Thatſachen muß man anerkennen; — 
. . „ welcher mehr von der Regierung von 
Neapel weiß, als vielleicht irgend einer, ſagt, daß 
Joſeph Bonaparte's Verwaltung den Künſten und 
Wiſſenſchaften, dem Handel und Allem einen mäch⸗ 
tigen Aufſchwung gegeben, und Rechtlichkeit in der 
Adminiſtration hergeſtellt haben würde — si cela est 
possible in dieſem Lande, ſetzte er hinzu, indem er 
die Achſeln zuckte. f 


148 
Einfluß der Krone. 


Eine conſtitutionelle Monarchie kommt nicht weit 
ohne einen bedeutenden Einfluß auf das repräſenta⸗ 
tive Element des Volks. 


5 Piſa. 
Piſa gibt dem Forſcher der mittelalterlichen Zu⸗ 
ſtände in Italien eben ſo klare Begriffe, als Pom⸗ 
peji dem Alterthumsforſcher. 


Clauſur der Klöſter. 


[Niebuhr, ſein Sohn Markus und ich beſuchten 
ein Kloſter deſſen Mönche uns ſehr beunruhigt 
ſchienen durch den Verdacht, der kleine Markus ſey 
ein Mädchen; wahrſcheinlich ſeiner langen, blon⸗ 
den Haarlocken wegen. Sie zauderten, uns den 
Eintritt zu geſtatten, und als ſie ſogar nicht einmal 
Niebuhr's beſtimmter Verſicherung, das Kind ſey ein 
Knabe, vertrauen wollten, ſagte er, mit einem et⸗ 
was ſarcaſtiſchen Lächeln: 

So ſagt doch, wie überſteht Euer Gewiſſen die 
weiblichen Flöhe, von denen ich wohl ſagen darf, 


149 


daß ſie in Hülle und Fülle in Eurem Kloſter vor- 
handen ſind? 

[Das ſtets bereite Ah! che vuol che diea ? wat 
auch hier die Antwort. Jedoch ward die Erlaubniß 
ertheilt. Auf unſerm Heimweg ſagte Niebuhr :] 

Sie lächelten bei meiner Bemerkung über die 
Flöhe. Aber wiſſen Sie, daß manche Klöſter die 
Katze, als mit unter der Clauſur begriffen, verban⸗ 
nen? Jedoch könnte man Manches ſagen für dieſe 
Ausſchließuug von Hausthieren verſchiedener Art 
aus einer Geſellſchaft, deren Charakter ein rein con⸗ 
templativer ſeyn fol. 


Mafregeln, welche die Euftur des Bo- 
dens in manchen Theilen Italiens 
fördern würden. 


[Während unſeres Aufenthalts zu Albano beſuch⸗ 
ten wir die Rotunda. Herr Niebuhr glaubte, eine 
alte Mauer, welche man für ein Werk Domitian's 
hält, ſey nichts weiter, als der Überreſt eines Deut⸗ 
ſchen Lagers. Wir ſahen dann die St. Paulskirche 
— ein Kloſter für Miſſionäre, wo Niebuhr ſagte:] 


150 


Zwei Maßregeln würden ſehr ſchnell und weſent⸗ 
lich die Wohlfahrt Italiens befördern: Wenn die 
größten Landeigenthümer — zum Beiſpiel die Prin⸗ 
zen Cchigi hier — gezwungen würden, den größten 
Theil ihrer Grundſtücke als Erbzinsgüter zu verpach⸗ 
ten, ſo daß der Bebauer des Bodens wenigſtens zum 
Theil wieder Eigenthümer des Landes würde; und 
wenn man jedem Bewohner eines Kloſters die Er⸗ 
laubniß gäbe, es mit einer angemeſſenen lebensläng⸗ 
lichen Penſion zu verlaſſen. Wo alle Mitglieder 
eines Kloſters darin übereinſtimmen würden, von 
dieſer Bewilligung Gebrauch zu machen, könnte man 
aus dem Kloſtergut ein Capital bilden, von dem 
man dann einen Theil zum Unterhalt der Mönche 
beſtimmen könnte. Dieſen müßte man dann nichts⸗ 
deſtoweniger die Hoffnung vorhalten, daß ſie ſich 
durch einen nützlichen Beruf in eine noch beſſere 
Lage bringen könnten, zum Beiſpiel, als Lehrer, 
Gehülfen in Hoſpitälern, Druckereien der Re⸗ 
gierung. Der Reſt des Kloſtervermögens ſollte in 
ſolchen Fällen zugleich zu einem lebendigen Capital 
gemacht werden; aber nicht durch Raub von Seiten 
der Regierung, noch durch Verſchlingung dieſes 


151 


koſtbaren Gutes durch die Schatzkammer, — kurz, 
keine Confiscation! Im Gegentheil, die weiſe 
Anwendung deſſelben ſollte zugleich einen Theil des⸗ 
jenigen Säculariſationsſyſtems bilden, welches im 
Lauf der Zeit durchgreifen muß. Denn man kann 
nicht annehmen, daß Italien ſeines Wohlſtands durch 
dieſe unermeßliche Vergeudung für immer beraubt 
bleiben wird. Die Klöſter haben viel Gutes ge⸗ 
wirkt, und waren einſt dem Geiſt und ſogar den 
Bedürfniſſen der Zeit ganz angemeſſen. Aber die 
Zeit ändert ſich. Was heute weiſe iſt, kann nach 
hundert Jahren das Gegentheil ſeyn. Manche Klö⸗ 
ſter brauchen nie aufgehoben zu werden. 


Niebuhr ſtrebt nicht nach dem Adelstitel. 

Man hat mich gefragt, ob ich den Adelstitel 
wolle. Ich könnte es nie über mich gewinnen, von 
einem ſolchen Anerbieten Gebrauch zu machen. Ich 
würde das Andenken meines Vaters zu beſchimpfen 
glauben, den ich doch von ferne nicht erreicht habe. 


—— —ę—ę— 


152 


Thorwaldſen. 
Thorwaldſen hat nicht jene plaſtiſche Sicherheit 
oder Feſtigkeit, welche die Alten in fo hohem Grade 
auszeichnet. Sie können bei Thorwaldſen ſehen, 
daß er von außen arbeitet; ; Sie ſehen nur die Ober⸗ 
fläche. Ganz anders iſt es mit den Werken der 
alten Meiſter; ſie ſehen aus, als wären ſie von 
innen heraus erwachſen “). g 
- [36 antwortete: — Es thut mir Leid, daß in 
dieſem Fall mein Gefühl dem Ihrigen gerade ent⸗ 
gegengeſetzt iſt. Erſt geſtern ſah ich wieder Thor⸗ 
waldſen's unvergleichlichen Schäferknaben und ſeine 
Grazien; und, als ich ſie ſo betrachtete, ward es 
in mir plötzlich klar, wie den Künſtler des Alter⸗ 


) Es verſteht ſich von ſelbſt, daß ich dieſe Meinung Niebuhr's 
nur in der Abſicht gebe, ihn geuauer ſelbſt, nicht aber, um 
Thorwalvpſen zu characteriſiren. f 

Ich habe ſchon in der Vorrede meine Mennung darüber 
aausgeſprochen, in wie weit Niebuhr Sinn für die ſchönen 
Künſte hatte. Es kann für uns deshalb intereſſant ſeyn, das 
Urtheil eines Napoleon über den Homer zu vernehmen, da⸗ 
mit wir den Helden ſelbſt beurtheilen können; aber ſein Lob 
wird ſchwerlich unſere Verehrung für das Gedicht erhöhen. 


— 


153 


thums eine Liebe zum Werk ſeiner eigenen Hände 
überkam, und er zu den Göttern flehte, ſie möch⸗ 


ten ihm Leben einhauchen. Ich fühlte nach der Be⸗ | 


trachtung dieſer himmlischen Werke einen Schauder, 
wenn ich bedachte, daß ſie nur von Stein wären, 
unterworfen jedem mechaniſchen Geſetz, dem die phy⸗ 
ſiſche Natur zu gehorchen hat. Ich kann mich nicht 
der Erklärung enthalten, obgleich ich deshalb für 
einen Heretiker gehalten zu werden Gefahr laufe, 
daß einige Werke Thorwaldſen's, zu denen ich den 
Schäferknaben rechne, mir den vollendetſten Bild⸗ 
hauerwerken des Alterthums gleich zu kommen ſchei⸗ 
nen. Zu dem iſt es Thorwaldſen, der mich in die 
Kunſt der Alten eingeführt hat. Ich bin oft mit 
Entzücken durch den Vatican gegangen — ein Ent⸗ 
zücken, das ich früher niemals empfunden hatte, und 
wie ganz anders erſchienen mir alle dieſe Zeugniſſe 
der Vollkommenheit des Alterthums, nachdem ich 
Thorwaldſen verſtanden hatte! Wenigſtens hoffe 8 
ich, daß ich ihn verſtanden habe. 

Alles, was Niebuhr erwiederte, war:] 

Und möchten Sie daſſelbe von Canova ſagen? 

[Nein, gewiß nicht, ſagte ich.] 


154 


Napoleon's Charakter. 


[ch war von einem Gang nach dem Capitol 
zurückgekommen, und bemerkte, wie ſehr ich von 
der Aehnlichkeit des Mundes, Kinnes und der Wan⸗ 
gen des koloſſalen Kopfs des Claudius mit denſel⸗ 
ben Partien bei Napoleon betroffen worden ſey; 
und wie ich zu meiner Ueberraſchung bemerkt habe, 
daß alle die Caracallas, Domitians u. ſ. f. das 
große, runde Kinn Napoleon's hätten.] 5 

Demohngeachtet, ſagte Niebuhr, war Napoleon 
nicht grauſam. Er pflegte freilich nicht zu zaudern, 
Menſchenleben aufzuopfern, wenn es galt, ſeine po⸗ 
litiſchen Plane durchzuſetzen; aber er hatte keine 
Freude daran, es zu zerſtören, noch weniger Schmer⸗ 
zen zu verurfachen; eben fo wenig tödtete er aus bloßer 
Rache. Freilich glaube ich, es koſtete ihm wenig, 
ein Opfer zu verlangen, wenn er es für nöthig 
hielt. In ſeinem Character herrſchte zu ſehr ein 
eiſerner Wille vor, als daß er in einem ſolchen 
Fall hätte zaudern konnen. 


155 


Emigrés. 


Ich erinnere mich, daß, als Napoleon den Emi⸗ 
granten die Rückkehr geſtattet hatte, mich die Freunde, 
welche ich unter ihnen hatte, zu fragen pflegten, ob 
ich es mit ihrer Pflicht verträglich halte, wenn ſie von 
der Erlaubniß Gebrauch machten. Ich antwortete 
ſtets, ſie ſollten zurückkehren; es möge herrſchen, 
wer da wolle, Ufurpator oder nicht: Frankreich ſey 
ihr Vaterland, und nach Frankreich müßten ſie zu⸗ 
rück. Die Engländer haben in Betreff der neuen 
Regierungen und Dynaſtien eigene Anſichten. 


—— — 


Napoleon. 


Napoleon wußte Menſchen wie Hunde abzurich⸗ 
ten. Er pflegte auf ihnen herumzutreten; dann 
zeigte er ihnen wieder ein Stück Brod und ſtrei⸗ 
chelte fie: da hüpften fie alle herbei. Kein Mo⸗ 
narch hatte je ſo viele abſolute Werkzeuge ſeines 
abſoluten Willens, als Napoleon. Ich ſpreche nicht 


156 


allein von feinen unmittelbaren Dienern; nein, 
Prinzen und Fürſten zeigten ſich eben ſo abgerichtet. 


Märtyrer. 

Wir beſuchten den Tempel des Claudius, oder 
die Kirche Santo Stefano Rotondo, wo Pommerancio 
und Antonio Tempeſta ihre Geſchicklichkeit und Fer⸗ 
tigkeit aufgeboten haben, um alle die verſchiedenen 
Scenen des Märtyrthums zu malen.] | 

Die Märtyrer, bemerkte Niebuhr, waren genug 
gequält, aber die meiſten dieſer Darſtellungen ſind 
Fictionen. Dieß in Betreff der Geſchichte; und 
was die ſchönen Künſte betrifft, fo iſt das Efelhafte 
gewiß nicht ihr Gebiet. N 


Antikes Meſſer von Stein. 
[Während unſeres Aufenthalts zu Albano hatte 
Niebuhr gehört, daß man ein altes ſteinernes Meſ⸗ 
fer bei Cori (dem alten Cora, der Stadt Latium 
auf der Volseiſchen Gränze, welche der Leſer, in 
Niebuhr's Geſchichtswerk oft erwähnt gefunden zu 


157 


haben, ſich erinnern wird, gefunden habe. Er 
fragte mich, ob ich ihm das Meſſer verſchaffen 
könnte; ich ſtieg ſogleich zu Pferde, meine Flinte 
quer über dem Sattel, als machte ich eine Excur⸗ 
ſton in Griechenland. Die Gegend war damals 
unſicher, und mein Weg gieng durch's Gebirge, 
abwärts von der großen Straße. So ſehr auch 
Niebuhr das Meſſer zu bekommen wünſchte, ſo nahm 
er doch Anſtand, als ich kam, um Abſchied zu neh⸗ 
men; und ich hatte Mühe, ihn zu überreden, daß 
er mich gehen ließ. Ich mußte für das antike Meſ⸗ 
jer einen hohen Preis bezahlen, indem der Bauer, 
welcher es gefunden hatte (in der Nähe des Tem⸗ 
pels des Herkules auf Corimonte) leicht ſah, daß 
ich in der Abſicht, es zu kaufen, von weit herge⸗ 
kommen war. Da ich meinen Wirth nach dem 
Bauer fragen mußte, ſo war mein Auftrag als⸗ 
bald durch den ganzen kleinen Ort bekannt. Als 
ich von meiner Reiſe durch einen ſehr intereſſanten 
Theil der klaſſiſchen Gegend (bei welcher ich gern 
länger verweilte, überſchritte nicht ſchon die Länge 
dieſes Eingangs weit den Raum, welchen Niebuhr's 


158 


eigene Bemerkung einnehmen wird) zurückkehrte, 
war er über meine Beute ſehr erfreut und fagte:] 

Dieſes Meſſers bediente man ſich nur zu Opfern 
nach einem Friedensſchluß. Es iſt ſehr alt. Spre⸗ 
chen Sie mir gar nicht vom Kaufpreis; für mich 
haben dieſe Dinge ſo was vom Werth einer Reli⸗ 
quie. Es freut mich, daß Sie es bekommen haben. 


* 


Monte Cavo. 

IIch beſtieg mit ihm Monte Cavo; ich genoß 
mit Niebuhr der weiten und lehrreichen Ausſicht. 
Was ich da genoß, ſah und lernte, iſt tief in 
meine Seele eingegraben. Meine Augen — und 
ich bin ſo glücklich, ganz beſonders gute zu beſitzen 
— ſchweiften über jene weite Ebene, von der jede 
Stelle von hohem, claſſiſchen Intereſſe iſt. Denn 
hier iſt es, wo ſich der Rieſe Rom erhob, der die 
Welt beherrſchte, und noch jetzt auf das Leben und 
die Gedanken eines jeden von uns einwirkt. Der 
dunkelblaue, ruhige, ſtille, reine Qcean, unberührt 
von den Jahrtauſenden, welche über ſeine Wellen 
hingegangen, erzählte, wie ein mächtiger Zeuge, von 


159 


den, durch feine Gefahren und Sgenhen begeiſter⸗ 
ten, alten Barden; von den Römiſchen, nach Car⸗ 
thago oder Spanien geſendeten, Flotten; von den 
Sarazenen, die hier landeten und plünderten; und 
von all den Ereigniſſen bis zu den letzten Zeiten 
herab, da der Britiſche Seeheld von Inſel zu In⸗ 
ſel, von Ufer zu Ufer flog, als wären dieſe Waſ⸗ 
ſer mit allen ihren Winden ſein Gebiet. Als ich 
dann die fernen Inſeln und ſogar Giglio ) erblickte, 
konnte ich nicht anders, als in Worte ausbrechen, 
welche ausdrückten, wie mächtig die Geſchichte; die 
Natur; Niebuhr's Gegenwart; ſein liebliches Kind; 
das Kloſter, wo Jupiter einſt einen Tempel hatte; 
die Spuren alter Schöpferkraft — aus längſt, längſt 
verſtrichenen Zeiten; die noch wohlerhaltene Straße, 
obgleich vor tauſend Jahren angelegt — wie mäch⸗ 
tig das alles auf mich wirkte. Hier, ſagte ich, 
muß ein Hiſtoriker ſeinen Beruf fühlen, oder nie⸗ 
mals; und hier oder nirgend muß man ſich in De⸗ 
muth beugen. Der Mönch, welcher uns die nähe⸗ 
ren und ferneren Gegenſtände zeigte, ſagte, an be⸗ 


*) Das alte Igilium. 


160 


ſonders günſtigen Tagen könne man bei dem Schein 
der untergehenden Sonne Corſika und Sardinien 
unterſcheiden. Niebuhr's Freude war auſſerordent⸗ 
lich groß, und ward nur dadurch geſcmälert daß 
er nicht ſo weit ſehen konnte, als ich. Ich glaube, 
daß die Stelle in ſeinem Geſchichtswerk, wo er von 
Alba, der Ausſicht vom Gipfel dieſes Berges und 
den alten Monumenten in deſſen Nähe ſpricht, das 
Gepräge der Empfindungen trägt, die damals an 
dieſem Orte in ihm obwalteten ; obgleich er ſie mit 
der Ruhe der Schreibart zurückhalten mußte, die 
ſich für ein Werk ziemt, welches die Geſchichte einer 
Nation, und nicht die Gefühle und Erfahrung ei⸗ 
nes Individuums, beſchreibt). Wir blieben lange 
an dieſem heiligen Ort, und ich erinnere mich, daß 
er wiederholt ausrief: Könnte ich nur Ihre Augen 
borgen!!! 

In der That, ſagte er, dieſer Ort iſt erhaben; 
und ich würde viel darum geben, wenn ich jene 
Ausſicht von Akrokorinth aus genoſſen hätte, wie 


) Man ſehe Niebuhr's Röm Geſch. zweite Auflage. 7. p. 205, 
206. 


161 


Sie dieſelbe beſchreiben “). Ausſichten dieſer Art 


ſind außerſt lehrreich; und fie berichtigen das vorge- 


faßte Bild von Gegenden und Orten, von denen wir 
viel gehört und geleſen BER Aber hätte ich nur 
Ihre Augen! 

Ich fragte ihn, ob er c mit derſelben Savie 


rigkeit zu kämpfen gehabt habe, die mir in Griechen⸗ 


land aufgeſtoßen ſey. Ich hätte nämlich Mühe ge⸗ 
habt, das wirkliche, topographiſche Gemälde meinem 
Geiſt einzuprägen ohne Beimiſchung des Bildes, 


welches ich mir vorher entworfen, oder, ich möchte 


faſt ſagen, angeeignet hatte. Denn die Vorſtellun⸗ 
gen von gewiſſen Ortlichkeiten und Gebieten des 
Alterthums ſowohl, als der jetzigen Zeit, hatten 


ſich mir, bevor ich ſie geſehen, und blos durch das 


viele Leſen und Hören, ſo lebendig eingeprägt daß 


ich es in vielen Fällen ſchwer fand, das vorgefaßte 


Bild ganz zu vertilgen und dafür das aus eigener 
Anſchauung berichtigte an die Stelle zu ſetzen. 


) In meinem Tagebuch während meines Aufenthalts in Grie⸗ 


chenland, in einer, der Vorrede beigefügten, Note. 
11 


’ 


Br IR 
In einem gewiſſen Grade hatte auch ich mit dieſer 
Schwierigkeit zu kämpfen, aber lange nicht ſo ſehr, 


als Sie; denn Ihre Einbildungskraft iſt viel leben⸗ 
diger. Es iſt dieß einer von den Tributen, die Ihr 


Leute mit lebhafter Einbildungskraft für die Genüſſe 
bezahlen müßt, welche Euch aus eben dieſer elle 
zufließen. 

[Es möchte in der Int wohn u ſeyn, be 
merkte ich, zu entſcheiden, auf welche Seite, Alles 
abgewogen, die Wagſchale herabſinkt — die Schale 
der Freude oder die des Leides. 


Eine lebendige Einbildungskraft iſt eine große 
Gabe, ſagte Niebuhr, vorausgeſetzt, daß von früher 


Jugend an die Erziehung darüber wache. Wo nicht, 


ſo iſt ſie nichts, als ein für alle Arten von Sämerei 


gleichmäßig üppiger Boden. 80 | 
Ich pflege an Orten, wie der iſt, an dem wir 


damals waren, panoramiſche Eroquis zu entwerfen; 


das heißt, ich zeichne die, rings um mich hervortre⸗ 


tenden, Gegenſtände, wie ſie ſich mir zeigen, halb 


in der Perſpective und halb in der Vogelperſpective. 
Ich habe ſie als höchſt werthvolle Memorandas für 


mein Tagebuch befunden; und als ich damals an 


— - 


F 


163% 


| dieſem Ort einen ſolchen entwarf, belobte Niebuhr 
ſehr dieſe Art, eine weite an N 
ſchreiben. l 


Preußens Fall. 


5 An demſelben Tage ſahen wir, als wir Morgens 
auf unſern Eſeln den Berg hinanritten, Eichbäume, 
welche, in Folge einer Reihe von Ideenverbindun⸗ 
gen, die Veranlaſſung waren, daß er mir nachſte⸗ 
hende einfache Anekdote erzählte: 


Als nach der Schlacht von Jena für Preußen 
Alles verloren ſchien, ſprach ich eines Tages auf 
meiner Reiſe nach Königsberg mit meinem Kutſcher, 
einem alten Landmann, über den beklagenswerthen 
Zuſtand der Dinge. " „Nun, ſagte der Bauer, ich 
verſtehe das nicht; dieſe Schlacht von Jena iſt doch 
am Ende nur Eine Schlacht; und ich habe noch nie⸗ 
mals eine alte, geſunde Eiche mit Einem Hieb ge⸗ 
fällt. Alles kann ja nicht verloren ſeyn.“ Hätten 
nur Alle ſo gedacht, wie dieſer Bauer; die Sache 
wäre anders abgelaufen. 55 


164 


[Wenn Alle gedacht hätten, wie dieſer Bauer, 
ſo wäre der Eichbaum geſund geweſen; aber, daß 
der Baum auf Einen Streich darnieder fiel, iſt der 
wahre Beweis, daß die Eiche nicht geſund war.] 


i Canova. 

[Ein gentiluomo vom päbſtlichen Hof, ſchwarz 
angekleidet und mit einem Degen an der Seite, be⸗ 
nachrichtigte den Miniſter von Canova's Tod. Ich 
war zugegen; Niebuhr fagte:] 

Da iſt ein guter Menſch weniger. Canova war 
ein vortrefflicher Mann, freiſinnig in ſeltnem Grade, 
gütig, ohne Neid und Eiferſucht, gläubig, fromm, 
ein denkender Kopf zugleich. Er hatte eine wahre 
Anhänglichkeit für Pius den Siebenten, welche wohl 
noch durch des Pabſtes Mißgeſchick und ſein würdiges 
Betragen im Unglück vermehrt ward. Canova pflegte 
von ihm mit wahrhaft erbauender Wärme zu ſprechen. | 
Ich billige feinen Einfall, für die Kirche feines klei⸗ 
nen Geburtsorts ein Gemälde zu verfertigen. Glau⸗ 

ben Sie nicht, daß ſo ein Kunſtwerk ſchon an ſich 
| dem ganzen kleinen Poſſagno einen Schwung geben 


165 


wird? Es wird das geiftige Element in dem Dorf 
aufrichten; es wird eine ſichtbare Verbindung zwi⸗ 
ſchen den Bewohnern dieſes unbedeutenden Orts und ö 
einem begabten und vielwirkenden Mann begründen 
— und das nenne ich ein großes Vermächtniß hin⸗ 
terlaſſen. So haben öffentlich errichtete Statuen einen 
großen, moraliſchen Werth; ſie erwecken, erinnern, 
belehren. Wie oberflächlich ſind diejenigen, welche 
da meinen, dieſe Dinge ſeyen nur Beweiſe übertrie⸗ 
bener Dankbarkeit oder Schmeichelei! Allerdings hat 
man damit Mißbrauch getrieben — mit was iſt es 


nicht ſo gegangen? Canova war i immer bereit, junge 


Künſtler zu unterſtützen und zu leiten; und ſein Ge⸗ 
danke, für die e unter ihnen Preiſe aus⸗ 
zuſetzen, war vortrefflich. 

[Dieſe letztere Bemerkung mag mit der Thatsache 


in Zuſammenhang ſtehen, daß Niebuhr, nach ſeiner 5 
Rückkehr von Rom, den Gehalt, welchen er als 


Profeſſor an der Univerſität zu Bonn bezog, zu 
Preiſen ausſetzte, welche den beſten Abhandlungen 
über auserwählte und von ihm ſelbſt aufgegebene 
Fragen zuerkannt werden ſollten.] 


166 
Abläſſe. 


Ich hatte die Kirche del Nome di Maria beſucht, 
welche an dem Platz der Trajansſäule „zum Anden⸗ 
ken der Befreiung Wiens von den Türken im Jahr 
1683, erbaut ward, und hatte da auf einer Mar⸗ 
morplatte folgende Inſchrift gefunden: 

PER CONCESSIONE DEI somMI Ponriricı Sısto V. 
InnooEnzo XII. BENEDETTo XIV. E PIO VI. Cox- 
FERMATA DAL REGNANTE PIO VII. Cm NUR VISITA 
QUESTA ‚CHIESA ADEMPIENDO LE ALTRE OPERE IN- 
GIUNTE ACQUISTA TUTTE LE INDULGENZE ANNESSE 
ALLA VISITA DI QUALUNQUE ALTRA CHIESA DI Roma. 

(Durch die Gnade der Päbſte Sixtus des Fünften, 
Innocenz des Zwölften, Benedict des Vierzehnten 


und Pius des Sechſten, beſtätigt durch den dermal 


regierenden Pius den Siebenten: Wer dieſe Kirche 
beſucht und zugleich die andern auferlegten (Buß⸗) 
Werke vollbringt, dem werden alle, mit dem Beſuch 
der übrigen Kirchen nn Indulgenzen zu 
Theil.) | 


Ich erzählte Niebuhr von dieſem allesumfaſſenden 
Ablaß, indem ich ihn mit den Traktaten verglich, 


ve ee 


n — m aciten RE ru, 


? 2 4067 


welche Bedingungen bewilligen „gleich den begünſtigt⸗ 


ſten Nationen.“ Er ſagte ] 


Sie lächeln; aber eben dieſes Ausdrucks bediente 
man ſich bei der Bewilligung von Begünſtigungen 
an Kirchen oder Societäten “). Es ift merkwürdig, 


daß die Römiſche Kirche ſo eigenſinnig daran feſtge⸗ | 


halten hat, den Begriff des Ablaſſes fo weit auszu⸗ 


*) Man nennt einen Altar privilegirt, wenn mit demſel⸗ 
ben irgend ein beſonderer Ablaß verbunden iſt. Als wir die 
Kirche Santa Agnetia beſuchten, erzählte uns der Unter⸗ 

pfarrer, welcher uns die Kirche zeigte (was in der That als 
ein Gegenſtand des allgemeinen Glaubens ganz bekannt if), 
daß, ſobald wie am Hauptaltar eine Meſſe geleſen it, eine 
ex Seele das Fegfeuer verläßt, und zwar nothwendiger Weile 
verläßt —, „Tanto & privileggiata la nostra chiesa!" fuhr er 
fort. „Per aliro si trova indulgenza plenaria per anima per \ 
la quale la mesta é detta à ‚questo altare, (indem er nach 
dem Altar wies) „al giorno della festa della nostra chiesa. 
E 2 banma pella quale si logge la messa non sta più nel pur- 
gatorio, allora etce una altra, vereli uscire debbe una a forza 
della messa, " 23) N 
(So privilegirt iſt unſere Kirche! Ueberdieß erhält voll⸗ 
kommenen Ablaß die Seele, für welche an dieſem Altar 
eine Meſſe geleſen wird an dem Feſttag unſerer Kirche. Iſt 
aber dieſe Seele, für welche man die Meſſe lieſt, nicht 
mehr im Fegfeuer „dann verläßt es eine andere, weil kraft 
der Meſſe eine Seele herausfahren muß.) 


168 


dehnen. Denn ich glaube, daß, wenn Rom den 


empörenden Mißbrauch der Abläſſe, ſo wie er in 


Deutſchland vor der Reformation getrieben ward, 
alsbald abgeſtellt hätte, die letztere auf lange Zeit 


hinausgeſchoben worden ſeyn würde. „Verlangt 


nicht zu viel,“ iſt eine Maxime von höchſter Wichtig⸗ 
keit, ſowohl für den armen Kärner, der von der 


| Arbeit ſeines Pferdes lebt, als für einen König oder 


Pabſt, — für Miſſionäre, für erfolgreiche politiſche 
Geſellſchaften, Nationen, kurz, für Jedermann. 
[Ich bemerkte, daß, wenn Jemand ſyſtematiſch 


durch ganz Rom gehen und ſich mit Beten an den 
beſtimmten Tagen und angegebenen Altären die an⸗ 


gebotenen Abläſſe verſchaffen wollte, er leicht einen 
Ablaß für eine Million Jahre ſammeln könnte.] 
Ohne Zweifel, antwortete Niebuhr; aber Sie 


wiſſen, daß ſich dieſe Abläſſe, welche oft auf einmal 


für mehrere tauſend Jahre ertheilt werden, bis in 
das Fegfeuer erſtrecken, und daß Sie, wenn Sie des 
ganzen Ablaſſes nicht bedürfen, den Saldo zu Gun⸗ 
ſten eines Jeden, welcher Ihnen dazu tauglich ſcheint, 
übertragen können. Das iſt es, was ſo manchen 
Italiener zum Atheiſten macht. Sie können das 


| BER 1 > 


169 


nicht hinunterwürgen, und deshalb ſtoßen ſie alles 
von ſich, was damit zuſammenhängt. Die Sachen 
ſtehen wegen dieſer Extravaganzen in manchen katho⸗ 
liſchen Gegenden ſehr ſchlecht. In Südamerika geht 
kaum jemand anders, als Weiber, zur Meſſe. Und 
doch findet ein wahrhaft frommes und ergebenes 
Herz durch alle dieſe Labyrinthe ſeinen Weg zu Gott. 
Es gibt Manche, welche dieſe Fragen unentſchieden 
laſſen, wie jeder Menſch in ſo vielen Fällen des 
Lebens zu thun genöthigt iſt, wenn er, ohne ſeine 
poſitive und wohlerwogene Zuſtimmung zu geben, 
ſich nichtsdeſtoweniger zu einer Reform nicht berufen 
fühlt. Und nicht wenige von dieſen ſind unter den 
höchſten Würdeträgern der Kirche, den Päbſten ſelbſt. 
Aber das wollte ich nicht ſagen: ich meine, es gibt 
Menſchen, welche in ihrer Frömmigkeit jedes Jota 
von dieſen Dingen glauben, und deren Seelen deſ⸗ 
ſenungeachtet rein wie Schnee ſind. — Es war ſonſt 
ein alter Franziskaner hier, der uns oft beſuchte; er 
iſt jetzt Biſchof von Corfu ). Ich halte ihn für 
einen ſo guten und wahrhaft religiöſen Menſchen, als 


5 \ 
) Ich hoffe, mich darin nicht zu irren. Indeß könnte es auch 
eine der andern Joniſchen Inſeln ſeyn. 


\ 


17⁰ | 
ich nur je einen geſehen habe — überfließend von 
der Milch menſchlicher Güte. Und dennoch glaubte 
er an jede Doctrin und Obſervanz der Römiſchen 
Kirche, an alle intoleranten Gebote gegen uns, 
und, ich habe nicht den geringſten Zweifel, an alle 
Wunder und was nur irgend ſein Orden von St. 
Franziskus glaubt. Seine natürliche religiöſe Anz 
lage war zu Träftig: ich kann mir unter feiner reinen 
Erſcheinung einen Heiligen denken. — Markus war 
noch ganz klein zu der Zeit, da ich den alten Mann 
kannte; das Kind pflegte oft nach dem Strick des 
ehrwürdigen Franziskaners zu greifen und daran zu 
ziehen, als wolle es Pferd mit ihm ſpielen. Ich 
war manchmal beſorgt, er möchte darüber in Verle⸗ 
| genheit gerathen, indem es in feinen Augen als eine 
Art von Entweihung erſcheinen könnte; aber er lä⸗ 
chelte immer mit der größten Güte über das Kind ). 
Ich bin gewiß, daß er nicht die Verdammung aller 
Ketzer gewünſcht haben würde; eben ſo wenig glaubt 
oder fühlt er wahrscheinlich, daß dieſe Statt haben 


*) Welcher Gegenſtand für ein Gemählde! Cbenſo vortrefflich 
rückſichtlich der Kunſt wegen des edlen Contraſtes, als we⸗ 
gen deſſen tiefer Bedeutung. i 


ns nn 


Sue. et er DE en ni u. 
“ “ — 


171 


wird; aber er mag ſich wohl Mühe geben, ſeinen 
Geiſt hiezu, als einem Glauhensartikel, zu zwingen. 
Die Religion iſt ein ſo ätheriſches Ding, daß wir, 

ſobald wir fie auf Artikel des Glaubens zurückfüh⸗ f 


ren, das heißt, die weſentlichen Beſtandtheile, die 


man in allen übrigen Dingen ſucht, haben wollen, 
zu Conſequenzen geführt werden, von denen die eine 
oder andere ſich mit dem poſitiven und lebendigen 


Glauben nicht verträgt. Es ſind harte Sachen in 


den Artikeln der Engliſchen Kirche, in dem Calvinis- 


. mus, in den ſymboliſchen Büchern (der Lutheraner); 


aber Gott iſt weiſer, als alle, und ſeine Macht er⸗ 
reicht die Herzen, wo es auch ſey. { 

[Ich feste hinzu, daß ich eine fihnelle Bergeöfer 
rung der Anzahl der Jahre der, mit den verſchiedenen 
Altären verknüpften „Indulgenzen wahrgenommen, 
und zwar in zunehmendem Grade, je näher ich Rom 


gekommen ſey; bis ich denn endlich zu Rom faſt in 


jeder Kapelle dieſen Uberſtuß von Abläſſen angetrof⸗ 
fen habe. Dagegen müſſe in Böhmen der arme 
Gläubige auf ſeinen Knien einen bedeutenden Hügel 
hinaufrutſchen, und bekomme am Ende doch nur auf 
neun Jahre Ablaß. Wenn es auch dem ganzen 


2 


Syſtem zufolge natürlich ſey, daß Rom von Indul⸗ 
genzen überfließe, weil ja hier die abſolvirende Macht 
ihren Sitz habe, zu der ſo mancher fromme Pilger 
wallfahre, um ſeine Seele zu entladen, ſo ſolle 
man doch wenigſtens einen Unterſchied zwiſchen Ein⸗ 
geborenen und Fremden machen. Denn ſonſt hätten 
es ja die Erſteren wirklich gar zu leicht; und, ob⸗ 
gleich es räthlich ſeyn möge, große politiſche Privi⸗ 
legien an das Geburtsrecht eines Individuums zu 
knüpfen, ſo ſcheine es doch mit der ganzen Idee der 
Chriſtlichen Kirche übel zuſammen zu ſtimmen, daß 
man Privilegien von ſolcher Wichtigkeit für das 
Seelenheil mit dem bloßen Domieil in Rom ver⸗ 
knüpfe.] 


Nichts iſt in der That merkwürdiger „antwortete 
er, als die Einzelheiten und die Anwendung mancher 
dieſer Doctrinen. Ich war darüber oft in Verwun⸗ 
derung, wenn ich Dispenſationen für Preußiſche Un⸗ 
terthanen auszuwirken hatte; doch das iſt alles nur 
ſyſtematiſche Conſequenz. | 


173 


Beſuch im Collegio Nomano. 


[Von dem goldenen, ſchön gearbeiteten Hals⸗ 
band, welches in dem Grabmahl Kaiſers Otto des 
Zweiten gefunden ward und nun in dem Collegio 
Romano aufbewahrt wird, meinte Niebuhr, es ſey 
zugleich mit der Kaiſerinn von Conſtantinopel herge⸗ 
bracht worden. Es ſchien ihm in dem Collegio 
nichts ſo ſehr zu gefallen, als das Kunſtwerk, wel⸗ 
ches den Knaben vorſtellt, der die Grille hafıht.] 


Capuceini, Secretair des Cardinals 
Conſalvi. . 
Capuceini (dazumal Secretair des Cardinals Con⸗ 
ſalvi, des Staatsſecretairs Pius des Siebenten) iſt 
ein Mann von ſeltnem Verdienſt und Character: er 
arbeitet mit äußerſter Anſtrengung, und dennoch hat 
er nur einen ſehr kleinen Gehalt. Eines Tages unter⸗ 
hielt ſich mit mir der Cardinal und rühmte ihn ſehr; 
ich ſtimmte von ganzem Herzen mit ein, und nahm 
die Gelegenheit wahr, auf Capuecini's unverhältniß⸗ 
mäßigen Gehalt anzuſpielen, und wie er bei einem 
Regierungswechſel, der ſich jo leicht zutragen könne, 


1 74 | 
wahrſcheinlich ganz vergeſſen werden würde. Der 
Cardinal fagte, er wiſſe das, aber er werde nie die 
wichtigen Dienſte vergeſſen, welche ihm ſein Secretair 
geleiſtet habe. | 
[Warum, fragte 1 hat er en aber noch nicht 
befördert?! a 
Weil er ſeiner bedarf, antwortete Niebuhr. Viel⸗ 
leicht wünſcht er nicht, daß er ſich unabhängig fühle. 
Es iſt eine der ernſteſten Prüfungen der an der Spitze 
der Regierung befindlichen Männer, ob ſie ihre ver⸗ 
trauten Gehülfen und wirklich mitarbeitenden Secre⸗ 
taire gehörig belohnen, wenn dieſe Männer von 
Verdienſt und Talent ſind. Wenige beſtehen dieſe 
Probe; und Capuccini wird nicht der erſte ſeiner 
Claſſe ſeyn, der eben durch ſeine eigene Brauchbar⸗ 
keit ſeiner eigenen Laufbahn im Wege ſteht. Wäre 
er für den Cardinal Conſalvi nicht ſo unentbehrlich ) 
fo würde er ſchon ſeit geraumer Zeit im Beſitz einer 
fchönen Anftellung ſeyn. Man hat Miniſter und 


> Könige oft undankbar genannt, weil fie ihre Seere⸗ 


taire nicht befördert haben; aber dieß entſprang oft 
nicht aus Undankbarkeit, ſondern aus der Kenntniß 
ihres großen Werthes, und auch aus Indolenz, der 


175 


wir alle unterworfen find. Es iſt eine unbequeme 
Sache, ſein Regifter, ſeinen Schreiber, Denker — 
alles zu verlieren, und dann obendrein wieder die 
Mühe zu haben, es hinzubringen, daß einen der 
neue Secretair verſteht. Kein Beamter iſt in der 
That ſo ſchwer zu finden, als ein Seeretair, der 
ganz paſſend iſt. Manchmal hält man ſie vorſätzlich | 
nieder, damit ſie nicht nach Unabhängigkeit ſtreben. 


* 


— — — 


Vorſtellungen vom Alterthum. 


[Ich hatte Niebuhr geſagt, daß ich ihm eine 
richtigere Vorſtellung von dem Alterthum, oder, 
ich möchte ſagen, ein richtigeres Gefühl für daſſelbe 
verdanke. Bis zur Zeit, da ich mit ihm bekannt 
geworden, wäre mir das Alterthum etwas gänzlich 
von uns Getrenntes geweſen, und es habe mir ge⸗ 
ſchienen, daß dieſelben Motive der Handlungen 
kaum auf die Menſchen der alten und neuen Zeit 
angewandt werden könnten. Ich hätte faſt niemals 
meine eigenen Gefühle, Freuden oder Leiden als 
Schlüſſel zum Verſtändniß der Gedanken gebraucht, 


U 


176 


welche mir die alten Dichter und Schriftſteller ein⸗ 
geflößt hatten. Meine Reiſe in Griechenland hätte 
mich für eine andere Auffaſſung dieſer Zeiten, die 
den Jahren nach ſo weit hinter uns zurückliegen, 
und uns doch durch die Civiliſation, welche wir 
von ihnen überkommen haben, und durch unſere 
Erziehung ſo nahe ſind, vorbereitet; aber mein Um⸗ 
gang mit ihm habe mich, wie ich hoffe, in ein nähe⸗ 
res Verhältniß zu dem Alterthum gebracht.] 

Es gab Zeiten, ſagte Niebuhr, da man es faſt 
als eine Herunterſetzung der Alten angeſehen haben 
würde, wenn ein Philologe es verſucht hatte, ihre 
Geſchichte oder Sprache durch ähnliche Beziehungen d 
oder Erſcheinungen aus unſerer eigenen Zeit zu er⸗ 
klären. Die claſſiſche Literatur war zur Zeit des 
Wiederaufblühens der Wiſſenſchaften Allem über⸗ 
legen, was die neueren Nationen hatten; deshalb 
nahmen dieſe Alles, was von den Alten herkam, 
mit einer Verehrung auf, welche an nichts zweifeln 
ließ, und keine Beſeitigung widerſprechender An⸗ 
ſichten über dieſelben verlangte. Aber Sie werden 
bemerken, daß, wo nur ein practiſcher Mann, zum 
Beiſpiel, ein Staatsmann, ſich mit den Alten ab⸗ 


* 


177 


gab, er ſie ganz anders behandelte, als ein Schul⸗ 
mann. Der Letztere gieng mit den Alten um, als 
wären ſie ſchlechterdings eine, auſſerhalb der Sphäre 
der Wirklichkeit liegende, Sache; und dieß iſt in 
der That noch mit Manchen der Fall. Auf der 
andern Seite findet man wohl eine Art von leicht⸗ 
fertiger, impertinenter Familiarität, und eine ſolche 
herrſchte nicht gar ſelten unter den neueren Fran⸗ 
zoſen vor der Revolution. Ihre einzige Aufgabe 
iſt die, zu divertiren, und zwar durch den Contraſt, 
welcher durch eine unerwartete Vergleichung zwiſchen 
den entlegenſten Gegenſtänden und denen unſeres 
täglichen, gewöhnlichen Lebens hervorgebracht wird. 
Das iſt bloßes Amüſement, und kann auch nur 
den Kleingeiſtigen beluſtigen. Es mag freilich manch⸗ 
mal witzig ſeyn; aber das iſt eine ganz andere 
Sache. | 


— — — 


Einfluß der Deutſchen Stämme auf die 
Italieniſche Sprache. 
Es iſt eine feſtſtehende Behauptung der Italie⸗ 
ner, daß die erobernden Nationen, namentlich die 
4 12 


178 


IT 
Deutfchen, die Lateiniſche Sprache zerſtört und da⸗ 
durch die Italieniſche geſchaffen hätten. Sie ſind 
ſehr im Irrthum; denn das Italieniſche Idiom iſt 
in der That ſehr wenig mit Germaniſchem vermiſcht. 
Ich ſpreche von den Worten; was die grammatiſchen 
Formen betrifft, ſo ſind dieſe aus der neueren Zeit. 


Das alte Verbum und Subſtantivum hörte auf zu . 


exiſtiren, ſo wie der Geiſt der Alten entflohen war. 
Auſſerdem exiſtirten zahlloſe Formationen des Ita⸗ 
lieniſchen bei den Römern, wenn auch nur im nie⸗ 
dern Volk. Die Verwandlung des us und um 
in o iſt nichts, als eine nachläßige Ausſprache; und 


es giebt Inſchriften, welche zeigen, daß ſich dieſes 


nicht allein auf die niedrigſten Claſſen beſchränkte. 
In der That iſt es in der ſchnellen Rede eine ſehr 
natürliche Verwandlung ). So iſt auch der Ge⸗ 
brauch des habere als Hülfzeitwortes alt; dieß. zei⸗ 


*) Der Leſer, welcher Niebuhr's Römiſche Geſchichte kennt, 
wird ſich der 634ften Note des iſten Bandes (p. 266 der Aten 
Ausgabe) erinnern, wo er zwei Inſchriften giebt, und dann 
hinzugefügt: „Ich habe die rohe Schreibart gemildert, und 
ſogar die Bezeichnung aufgeopfert, daß das endende s in 
prog natus, quoius , das gleiche m in Taurasiam, Cesaunam, 
Aleriam, optumum und omnem, nicht ausgeſprochen ward. 


179 


gen mehrere Stellen in Griechiſchen und Römiſchen 
Schriftſtellern. 

Ich erwiederte, der Gebrauch des ey o im Neu⸗ 
griechiſchen zeige daſſelbe.] 

Allerdings, antwortete er; und in Betreff 8 
Artikels, der verſchiedenen zuſammengeſetzten Con⸗ 
junctionen und der Präpoſitionen können Sie Alles 
ſehr leicht verfolgen. Sie entftanden in geſunkenen 
Zeiten, da das Volk nicht mehr daran dachte, ge⸗ 
nau und männlich zu reden, und alle die verſchie⸗ 
denen Beziehungen mit 7 grammatiſcher Schärfe 
aufzufaſſen. Bemerken Sie, wie viel Worte die 
Kinder und gemeinen Lente brauchen, um nur 
eine einfache Geſchichte zu erzählen, wenn ſie nicht 
von Leidenſchaft erregt ſind. Denn dieſe, das iſt 
ſicher, iſt beredt und kurz. Es iſt nur des gebil⸗ 
deten, doch kräftigen und männlichen, Geiſtes Sa⸗ 
che, gedrängt zu ſprechen und zu ſchreiben. 


Ausſprache des Lateiniſchen. 
[Auf meine Frage, welche von den verſchiede⸗ 
nen Arten, das Lateiniſche auszuſprechen, er für 


180° | 


die beſte halte, antwortete er, er habe die Italie⸗ 
niſche Ausſprache angenommen. Auf meine weitere 
Frage, Warum? erwiederte er:] g 

Ich habe eine Reihe von Gründen; aber in 
der That würde die Gegenfrage, Warum ſollten 
wir die Italieniſche Ausſprache nicht annehmen? 
eine vollkommen gute Antwort ſeyn. Was die 
Ausſprache des c betrifft, fo iſt es klar, daß die 
Römer es nicht auf die Deutſche Art ausſprachen, 
Zizero denn das iſt durchaus ein rauher, nordi⸗ 
ſcher Laut. Es wie Sisero (mit hartem s) aus⸗ 
zuſprechen, iſt eben ſo verkehrt; keine Inſchrift oder | 
andere Spur leitet uns zur Annahme, daß die Rö⸗ 
mer das c als gleichgeltend mit dem s gebraucht 
hätten. Ueberdieß, wenn wir ſehen, daß jede Na⸗ 
tion das Lateiniſche nach Maßgabe ihrer Mutter⸗ 
ſprache ausſpricht, ſo iſt es widerſinnig, zu behaup⸗ 
ten, daß der einen oder andern Ausſprache die rich⸗ 
tige ſey, ausgenommen die der Italieniſchen ſelbſt. 
Daß das g nicht wie das harte Deutſche g ausge⸗ 
ſprochen ward, erſcheint als klar aus der Thatſa⸗ 
che, daß es die meiſten Nationen weich ausſprechen. 
Ueberhaupt liest ſich das Lateiniſche viel beſſer auf 


A 181 
die Italieniſche Art; und meiner Meinung nach 
bedürfen viele Stellen in den Dichtern dieſer Aus⸗ 
ſprache, um ihren vollen Werth zu erhalten. Man 

ſollte ſich dazu verſtehen, dieſe Ausſprache anzuneh⸗ 
men; denn es iſt doch zu lächerlich, daß man die⸗ 
ſelbe Sprache in jedem Lande anders ausſpricht 
und allen Eigenthümlichkeiten der verſchiedenen Idi⸗ 
ome unterwirft. Die Spanier behaupten zuweilen, 
ſie ſeyen durch Tradition in den Beſitz der wah⸗ 
ren Römiſchen Ausſprache gekommen. Es iſt aber 
eben ſo unſinnig, daß die, deren Sprache noch um 
ſo vieles mehr gemiſcht iſt, und deren Land niemals 
mehr als eine Provinz war, eine beſſere Ausſprache 
behalten haben ſollten, als das Volk des Mutter⸗ 
landes ſelbſt! Das Italieniſche iſt noch heut zu Tag, 
in einem gewiſſen Grade „ein Lateiniſcher Dialect. 


— 


Orthographie. 


Ich fragte ihn i wie er ein gewiſſes Wort 
ſchreibe; er beantwortete meine Frage, und ſagte 
dann: 8 5 N 


182 


Im Allgemeinen habe ich immer gefunden, daß 
diejenigen, welche ſich hauptſächlich mit der Ortho⸗ 
graphie beſchäftigen, kleine Geiſter ſind. Die Or⸗ 
thographie iſt manchmal nicht unwichtig aber nur 
unbedeutende Menſchen machen ſich daraus ein Ge⸗ 
ſchäft, und ſchlagen die nen Veränderun⸗ 
gen vor ). | | 


Das Lateiniſche Wort „Obscenus.“ 

Ich bemerkte Herrn Niebuhr, wie häßlich ich 
die Neapolitaniſchen Weiber finde. Er fagte: ] 

Es ift ſehr möglich, daß ſich obscenus (häßlich) 
von Opseus, Oscus herleitet, „wie die Oskaner“, g 
von jeher eine häßliche Rage. Die Römer bedien⸗ 
ten ſich vielleicht anfänglich des Wortes Oskaner, 


— 


2 
) Ich brauche wohl kaum zu bemerken, daß Niebuhr nur feine 
geringe Achtung für diejenigen ausſprechen wollte, welche 
mit den wichtigſten Arbeiten beſchäftigt zu ſeyn glauben, 
wenn ſie neue Arten der Rechtſchreibung einzuführen vor⸗ 
ſchlagen, u. ſ. f. Denn ein Mann, wie er, würde Unwiſ⸗ 
ſenheit in dieſem Gebiet ſo wenig, wie jede andere Art der 
men gebilligt haben. 


= 


183 


um damit die unſprünglichen und rohen Bewohner zu 
bezeichnen, etwa wie man villain im Engliſchen ge⸗ 
braucht, welches urſprünglich nichts anders, als vil 

lager (Bauer) bedeutet; oder wie das Deutſche 
| „ Welſche! (urſprünglich „Fremde“ ) zur Bezeichnung 
der Italiener, und dann Ungläubiger und ränkevol⸗ 
ler Menſchen gebraucht ward *). 


Ferdinand der Vierte von Neapel. 

Als wir in den Stud) zu Neapel an dem Pie⸗ 
deſtal der Statue Königs Ferdinand des Vierten die 
Inſchrift laſen, welche etwa ſo lautet: 

„Ferdinando IV., augusto, etc. religionis 
et securitatis publicae Protectori invicto“, etc. 
zuckte er die Achſeln und fagte: ] | 

Wahrhaftig in ver That! invictus! Dreimal 
jagte man ihn aus ſeiner Hauptſtadt! 


*) Verrius apud Fest, in Oscum leitet das Wort wirklich von 
Opscus her, jedoch weil die Osci oder Opsci „turpi contuetu- 
dine olim laborasse dicuntur“; aber nicht als gleichbedeutend 
mit „häßlich, roh“ und daher „von ſchlimmer Vorbedeutung“ 
u. ſ. w. Ne 


184 | ER 


Der h. Franziskus. 


Wir waren auf unſerem Heimweg begriffen von 
der Cathedrale von Aſſiſi, der Hauptkirche der Fran⸗ 
ziskaner, — denn in Affift war ihr Schutzheiliger 
geboren, und auf dem Platz, wo jetzt der ſchöne 
Münſter ſteht, hatte er die erſte Anregung zur Fröm⸗ 
migkeit gefühlt, — als Niebuhr ſagte:] 

Der h. Franziskus war ein großer Mann. Der 
h. Benedict hat nur für die moraliſche Erhebung der 


höheren Claſſen gearbeitet. Es war eine nothwen⸗ 


dige Folge ſeines Syſtems. Das Augenmerk des h. 
Franziskus gieng dahin, für die Aermſten und Ge⸗ 
ringſten zu arbeiten. Vieles, das jetzt extravagant 
ſcheint, mag es in feiner Zeit nicht geweſen ſeyn; viel 
mag in der Folge übertrieben worden, und manche 
Punkte in ſeinem Character mögen wirklich ertrava⸗ 
gant geweſen ſeyn. Wo iſt ein großer Mann, der 
nicht ſeine Monomanie hätte? Manche von ſeinen 
Wunderthaten ſind erdichtet, andere mögen wahr ſeyn. 
Ich denke, ſie laſſen ſich durch den unbedingten Glau⸗ 
ben erklären, welchen er gebot und forderte. Daß 
er ſchon zur Zeit ſeiner Jugend ſo viele und ſo glü⸗ 


185 


hende Anhänger fand, und die, für fein Zeitalter 
und ſeinen beſonderen Zweck ſo verſtändigen, Regeln 
ſeines Ordens entwarf, zeigt hinlänglich, daß er ein 
auſſerordentlicher Mann war. Das Evangelium 
sine glossa iſt in der That merkwürdig, und, was 
mehr iſt, als das, groß, weit ſeiner Zeit voraus. 
Wenn ihn dialektiſche Spitzfindigkeiten überall umring⸗ 
ten, und man die Erklärungen der Bibel über die 
Bibel ſelbſt ſetzen wollte, ſo durchdrang er alle dieſe 
Labyrinthe, und hielt ſich an das einfache Evange⸗ 
lium. Er wollte kein Grundeigenthum, auſſer ſo 
viel, als die Brüder anbauen könnten. Dieß än⸗ 
derte ſich freilich unmittelbar nach ſeinem Tod. 
Zur ſelben Zeit erhob ſich der Orden der Dominika⸗ 
ner, — ein Orden „der gerade von ſeinem Grün⸗ 
der ſelbſt das Gepräge der Verfolgung überkam, 
und mit Mord und Todtſchlag durch die folgenden 
Jahrhunderte einhergieng. In der That hat es ſich 
oft zugetragen, daß die Franziskaner da beſchützten, 
wo die Dominikaner verfolgten. 

Ich freute mich, dieſe Meinung von ſeinen Lip⸗ 
pen zu vernehmen, und ſagte ihm, wie ſehr ich die 
Morgenhymne des h. Franziskus bewundere. Ich 


186 
ſey nur darüber betrübt, daß die Nachfolger eines 
ſo großen Mannes unmittelbar die Gränzen ihrer 
Verehrung überſchritten und dieſelben durch einen 
Aberglauben verrückt hätten, der manchmal von zu⸗ 
rückſtoßender Plumpheit ſey; denn, ſagte ich, ein 
Mönch, mit dem ich auf dem Capitoliniſchen Hügel 
durch das Kloſter des h. Franziskus gieng, ſprach 
von ſeinem heiligen Schutzpatron, als ſtände dieſer 
wenigſtens Chriſtus gleich; dabei erzählte er mir 
einige höchſt abgeſchmackte Wunderthaten. Das, 
fuhr ich fort, erinnert mich an die Wärterinn in der 
Familie des Herrn „(dazumal Geiftlichen der 
Preußiſchen Geſandſchaft), welche eines Tages ſagte: 
„Es iſt ſehr Schade, daß die Jungfrau Maria nicht 
Gott iſt; es wäre viel beſſer für uns arme Sünder, 
als nun, da Gott Gott iſt“.] 0 

Etwa hundert Jahre nach dem Tod des h. Fran⸗ 

ziskus, fagte Niebuhr, glaubten Manche wirklich, er 

ſey der Parakletus oder Tröſter geweſen. Kein 
Heiliger war jemals allgemeiner verehrt. 


* 


N 


187 


Heinrich Georg Pertz. 

Ich ſchreibe lesbar, und nicht langſaͤm, und ich 
arbeite nicht langſam; aber ich weiß von keinem, der 
irgend an Schnelligkeit des Arbeitens mit Herrn 
Pertz verglichen werden könnte. Er, liest Ma⸗ 
nuferipte mit treffendem Urtheil, und er macht 
ſeine Auszüge ſchneller, als andere nur copiren 
könnten. Dieſe Art der Raſchheit iſt für diejenigen 
ſehr wichtig, welche ſich ganz ſolchen Studien, wie 
die unfrigen find, ergeben haben; und dennoch iſt 
es eine Sache, die mit den anderen erforderlichen 
Eigenſchaften eines großen Gelehrten in gar keinem 
Zuſammenhang ſteht. 


2 
— 


Niebuhr's Keuntniß des Franzöſiſchen. 


Ich habe ein gut Theil Franzöſiſch geleſen, nicht 
allein die Schriftſteller vom erſten, ſondern auch 
alle vom zweiten und dritten Rang. Ich glaube 
correct Franzöſiſch zu ſchreiben. 


—ͤ— — — 


188 


l 


Mifgriffe der Cortes. 


Die Cortes haben mehrere fatale Fehler began⸗ 
gen. Sie haben die Gemeindegüter verkauft. Den⸗ 
noch beſaßen manche arme Bergbewohner auf der 
ganzen Welt nichts, als ihren Antheil am Gemeinde⸗ 
gut; ſo ſind ſie arm bis zum Verhungern und des⸗ 
halb heftige Royaliſten geworden. Auf ähnliche Art 
beraubten ſie die Garde ihrer Privilegien. Man 
mag ein ſolches Corps auflöſen; aber es fortbeſtehen 
laſſen und es dennoch verletzen — es ſeiner alten 
Privilegien berauben, heißt aus ihnen eben ſo viele 
bewaffnete Feinde machen. 


Literäriſche Gewalt von Paris. 


Die literäriſche Diktatur von Paris über Frank⸗ 
reich hat manche gute, aber auch manche üble Fol⸗ 
gen gehabt. Man erwähnt kaum des beſten Buchs, 
kommt es zu Marſeille oder Bordeaur heraus. C'est 
publié dans la province, iſt genug, um ein Buch 
mit eins der Vergeſſenheit zu übergeben. Dieſe Dic⸗ 
tatur hat Gleichförmigkeit hervorgebracht und deshalb 


g | 189 


in einem gewiſſen Grad vor literäriſcher Zügelloſig⸗ 
keit bewahrt; aber ſie hat auch Tyrannei herbeige⸗ 
führt, und zwar gerade in einem Gebiet, wo Tyran⸗ 
nei am wenigſten erträglich iſt. 


Machiavelli. Segretario Fiorentino. 

| (Wir ſprachen von Machiavelli, und ich bemerkte, 
es ſey merkwürdig, daß man ihn ſo oft il Segreta- 
rio nenne; was doch wenig mit der allgemein be⸗ 
folgten Sitte der Italiener übereinſtimme ).] 


*) Obgleich die Italiener in Ertheilung von Titeln wie eccel- 
lenza (welchen ſich in der That jeder, der einen ganzen Rock 
hat, anmaßen kann) ſehr freigiebig ſind, ſo machen ſie doch 

= wenig Gebrauch von Titeln, wie der obige ift. Bei der An⸗ 
rede von Perſonen exiſtiren noch in Italien Gebräuche, wel⸗ 
che die andern Nationen längſt verkafien haben. Des Tauf⸗ 
namens, mit dem vorausgehenden Signor, bedient man ſich 
beſtändig ſtatt des Familiennamens; und der Reiz, welcher 
für ſo Manche mit der Erinnerung an Italien verknüpft iſt, 
rührt wahrſcheinlich zum Theil von dem eigenthümlichen Ge⸗ 
fühl her, welches ſich in uns regt, wenn wir uns alle zu⸗ 
gleich mit dem Namen unſerer Kindheit rufen hören, wäh⸗ 
rend es faſt unſerm Gedächtniß entſchwunden iſt, daß wir 
einen ſolchen Namen haben. 


x 


10 ’ 5 


Wiſſen Sie nicht den Grund davon? erwiederte 
Niebuhr. Die Cenſur hatte den „Fürſt“ und andere 
Werke Machiavelli's verboten; in Folge deſſen war 
es unterſagt, ihn zu eitiren, oder, in der That, 
ſeinen Namen bei einem Citat zu drucken; aber ge⸗ 

gen die Subſtituirung des Il Segretario Fiorentino 
für ſeinen Namen war nichts einzuwenden. So iſt 
wahrſcheinlich die Benennung ſo allgemein geworden. 


7 


Italieniſche Bibelüberfegungen. 


Diodati's Italieniſche Bibel *) iſt eine vortreff⸗ 
liche Ueberſetzung: manche Stellen find äußerſt' ſchön; 
aber ſie iſt von einem Ketzer. Die approbirte Ueber⸗ 
ſetzung nimmt, mit allen Erklärungen und Erläute⸗ 
rungen, eine ſo große Reihe von Bänden ein, daß 
ſie wenige Italiener beſitzen; daher iſt das Leſen der 
Bibel in Italieniſcher Sprache de facto verboten. 


*) La Sacra Bibbia, tradotta in lingua Italiana da Giovanni Dio- 
dati, di nation Lucchese, 1640. Stampata a Geneva. 


191 


Preßfreiheit. 


Vollkommene Preßfreiheit ſollte man als die 
höchſte Belohnung den beſten Bürgern ertheilen. 
Der Staat hat fo wenig, womit er belohnen kann. 
Was iſt ein Orden! Welcher feinfühlende Mann 
gäbe was für ſo ein Ding! — es ſey denn, daß die 
Nicht⸗Ertheilung deſſelben eine pofitive Vernachläſſi⸗ 
gung oder Beleidigung in ſich ſchlöße. Die abſolute 
Preßfreiheit den Männern zu nehmen, welche nichts⸗ 
deſtoweniger der Jugend auf Univerſitäten lehren 
ſollen, iſt wahrhaft inconſequent. 

; Ich bemerkte, daß, wenn der Staat allezeit zu 
entſcheiden hätte, wer des Genuſſes der Preßfreiheit 

würdig ſey, am Ende keine große Freiheit heraus⸗ 

kommen werde.] F ee 

Vielleicht, antwortete er; aber fe könnte wie 
eine Art wiſſenſchaftlicher Pairswürde ſeyn, die nie⸗ 
mals, oder doch nicht lege entzogen werden 
dürfte. > 
[ Der Gedanke, unverdauet er unanwendbar, 
wie er war — abgeſehen von einem höheren Ge⸗ 
ſichtspunkt, dem des Rechts, — war gewiß Acht 


192 


4 


Deutſch; inſofern hier das Schreiben von Büchern, 
in den Bereich politiſcher Privilegien gezogen iſt, 
und alſo als etwas bei der ganzen Nation Gewöhn⸗ 
liches (was es in der That iſt) vorausgeſetzt wird. 


Alexander Hamilton. 


Alexander Hamilton war einer der gewaltigſten 
Geiſter der neueren Zeiten. Er hatte Reſourgen in 
ſich, wie keiner ſeiner Zeitgenoſſen. 


— ͥ m — 


Theilbarkeit des Landes. 


Es iſt eine Pflicht der Regierungen, zu verhüten, 
daß man Realgüter nicht in ſo kleine Stücke theile, 
daß ſie dadurch für den Bebauer gänzlich nutzlos 
werden. Ein ſolches Geſetz exiſtirte in der Ditmar⸗ 
ſiſchen Republik; und die Conſtitution von Schwe⸗ 
den enthielt eine Vorſchrift zum ſelben Zweck. 

[Ich ſagte, die N um Jena bezeuge die 
Wahrheit ſeiner Bemerkung vielleicht mehr, als irgend 
ein anderes Land. Seitdem habe ich eine kleine Be⸗ 


193 


kanntmachung erhalten — „Bericht an den Minifter 
des Innern über die Theilung der ſpannfähigen 
Bauernhöfe und Zerſtücklung des Grundeigenthums in 
der Provinz Weſtphalen“, 1824, von Herrn v. Vincke, 
Ober ⸗Präſident der Provinz. Der Verfaſſer dieſer 
amtlichen Schrift iſt derſelbe Hr. v. Vincke, welcher 
zu Anfang des Buchs in einer Note als der Verfaſ⸗ 


ſer des Werks über die Innere Verwaltung Eng⸗ 


lands (welches Niebuhr herausgab) angeführt wor⸗ 
den iſt. Die eben erwähnte Flugſchrift führt die 
Thatſache an, daß vor die Gerichtshöfe am Rhein 
Proceſſe um einen halben Quadratſchuh Landes ge⸗ 
bracht worden ſind. Die Aufgabe derſelben iſt, 
auf drei, von dem Miniſter des Innern (an wel⸗ 
chen der Ag gerichtet ift) vorgelegte, Fragen zu 
antworten — 

1. Was soft man als das minimum eines ee 
fähigen Bauernhofs annehmen? 

2. Welche Geſetze ſind erforderlich für Fälle der 
Vererbung, des erzwungenen Verkaufs u. ſ. f.? 

3. Iſt eine Beſchränkung, Landgüter zu verpfänden, 
oder mit Schulden zu belaſten, räthlich, oder wie kann 
dieſem durch allgemeine Maßregeln vorgebeugt werden? 

13 


194 


Das Werk, obgleich nur eine Flugſchrift von 
zwei und fünfzig Seiten, iſt in verſchiedener Bezie⸗ 
hung von hohem Intereſſe für den politiſchen Oeko⸗ 
nomen; und es iſt hier ſo vollſtändig angeführt 
worden, um die Aufmerkſamkeit darauf zu lenken, 
da es ſonſt leicht überſehen werden könnte.] 


Letzter Wille, im Ausland errichtet. 

Ein Preuße muß ſeinen letzten Willen in Rom 
nach Römiſchen Geſetzen aufſetzen. Der Preußiſche 
Miniſter hat in ſolchen Fällen nicht die Gewalt ei⸗ 
nes Juſtizcommiſſarius. Er ſollte fie aber haben 8 
denn dieſer Mangel an eigener Vollmacht kann den 
Erben eines Preußiſchen Unterthanen ſehr große Un⸗ 
annehmlichkeiten zuziehen. As 


Wahrhaft große Dinge. 
| Jedes wahrhaft Große, wo der Geiſt auf den 
Geiſt wirkt, rührt von dem Individuum her: die 
Tyrannei oder Dummheit handelt in Maſſen. 


195 
Carnot. 5 

Carnot erfand eine neue Taktik, und zeigte die 
Art, damit zu fechten und zu ſiegen. Während er 
beſchäftigt war, die Rieſenpläne für die fünf Ar⸗ 
meen zu entwerfen, ſchrieb er ein mathematiſches 
Werk von dem höchſten Werth, und machte in der⸗ 
ſelben Zeit mehrere ſehr angenehme kleine Gedichte. 

Er war wirklich ein mächtiges Genie. 


Valez. ku 
Valez iſt vielleicht einer der biederſten Männer, 
welche in der Spaniſchen Revolution auftraten. 


General Vaudoncourt. 
Wilhelm von Vaudoncourt iſt einer der unter⸗ 
richtetſten Offiziere, die jemals geſchrieben haben. 
Ich achte ſein Werk über Hannibal's Feldzüge ſehr 
hoch. Seine Unterſuchungen über den Weg, welchen 
Hannibal einſchlug, find meiſterhaft. 


196 


Klopftod. | 


[Wir waren auf Klopſtock zu reden gekommen, 
den Niebuhr während ſeines Aufenthalts in Hamburg 
viel geſehen hatte; denn er brachte drei Monate 
hindurch wenigſtens dreimal wöchentlich einen großen 
Theil des Tages mit dieſem Dichter zu. Meine ver⸗ 
ſchiedenen Fragen ſetzten mich in den Stand, Nach⸗ 
ſtehendes zu ſammeln:] 

Klopstock hatte mich lieb; er dutzte mich. Im 
Alter von ſechs und zwanzig Jahren beſuchte er die 
Schweiz, nachdem er die erſten Geſänge der Meſſiade 
herausgegeben hatte: — ſeine Reiſe war ein wahrer 
Triumphzug. Alt und Jung, Männer, Weiber und 
Kinder kamen ihm entgegen. Klopſtock ſprach nicht 
gern von ‚feiner Meſſiade; das Gedicht befrie⸗ 
digte ihn nicht. Seine religiöſen Anſichten hatten ſich 
auch in Manchem geändert. Er begnügte ſich ge⸗ 
wöhnlich mit dem allgemeinen Eindruck einer Sache; 
er ſtrebte nicht ſehr, in Einzelheiten einzugehen. 
Seine Kenntniß des Lateiniſchen gieng nicht tief; ich 
half ihm bei ſeinen grammatiſchen Unterſuchungen 
in dieſer Sprache. Er war träg, trotz ſeiner Liebe 


197 


zum Schlittſchuhlaufen, und nachläſſig. Sie kennen 
wohl die Thatſache, daß Manche ſein Schlittſchuhlau⸗ 
fen als eines Barden des Meſſias unwürdig betrach⸗ 
teten. Er war ſtets bei guter Geſundheit. 


Horaz. 

Demohngeachtet, ſagte Niebuhr zu mir, als ich 
ihn nach ſeiner Meinung über Horaz fragte und 
offen bekannte, daß ich nicht ſo viel Geſchmack an 
ihm finde, als Manche zu thun ſchienen oder vorgä⸗ 
ben — demohngeachtet war Horaz ein großer 
Mann ). In Heinen Sermones werden Sie 


) Ich zweifele nicht daran, daß Niebuhr'n dieſes „großer 
Mann“ in der Wärme des Geſprächs entſchlüpfte. Denn 
man kann den nicht Groß nennen, welcher in einer Zeit, wie 
die ſeinige war, nur das Elend ſieht. Ein Mann kann einen 
großen Geiſt, eine große Seele haben; aber ein großer 
Mann muß handeln, und zwar in einer Art, welche 
Einfluß auf die Welt hat, indem ſie etwas Neues ſchafft. 
In dieſem Sinn war Dante nicht allein ein großer Dichter, 
ſondern auch ein großer Mann. Dieſe kurze Erörterung er⸗ 
innert mich an ein Wort Schiller's, welches ich vielleicht 
anderswo nicht die Gelegenheit haben würde, zu erzählen, 
und das der Leſer hier mit Vergnügen leſen wird. Der ver⸗ 
ſtorbene Profeſſor Pfaff in Halle erzählte mir, daß Schil⸗ 


198 


den tiefen und heftigen Kummer über den Zuſtand 
ſeiner Zeit finden, obgleich er ſich äußerlich zu ſtellen 
ſucht, als lächle er darüber; doch es iſt ein bitteres 
Lächeln. Mit Ausnahme ſeiner Oden ſollte Horaz 
nie in den Schulen geleſen werden, denn es braucht 
einer ausgebreiteten Erfahrung im wirklichen Leben, 
um ihn zu verſtehen. | | 


Ignatius Potocki. 

Ignatius Potocki iſt einer der ſchönſten Charactere, 
vielleicht der ſchönſte von allen, in der unglücklichen 
Geſchichte von Polen: man kann mit wahrer Freude f 
bei ihm verweilen. 


ler bei einem Geſpräch über Herder und Gothe zu ihm ſagte: 
„Herder iſt eine Sirene; Göthe iſt ein großer Mann“. Daß 
Schiller hier eine Platoniſche Sirene, welche die Sphaͤren⸗ 
muſik hervorbringt, und nicht die lockenden Homeriſchen Si⸗ 
renen Win, ſcheint klar zu ſeyn. 


199 


ueberreſte der Sewionen. 


Als i im Jahr 1780, unter Pius dem Sechſten — 
eine Epoche, die man die neue Auguſteiſche Epoche 
genannt hat — die Grabmäler der Seipionen ent⸗ 
deckt wurden, ſchleppte gelehrter Vandalismus die 
Sarkophage fort — denn es war die Sitte der Sci⸗ 
pionen, ihre Todten zu begraben, — nahm die 
Ueberreſte heraus, und würde ſie auf's Feld gewor⸗ 
fen haben, hätte man ſie nicht aus Barmherzigkeit 
gekauft und nach REM gebracht, wo fie a 


I 


wurden. 


2 


Sbakspeare frühzeitig nach Deutſchland 
verpflanzt. 80 | 

Diejenigen, welche bor kurzem die Deutſche Lite⸗ 
ratur wieder aufleben machten, — ich meine Klop⸗ 
ſtock und die Theilnehmer am Bremer Wochenblatt 
— waren zuerſt mit Shakspeare unbekannt; ich meine, 
ſie hatten den großen Dichter nicht eigentlich ſtudiert, 
und er übte auf ſie damals keinen Einfluß aus. 
Doch gab in Norddeutſchland eine herumziehende 


200 


Schauſpielertruppe einige ſeiner Stücke, zum Bei⸗ | 
fpiel den Hamlet, bald nach dem dreißigjährigen 
Krieg. Wie ſehr dieſe Stücke verſtümmelt und ver⸗ 
unſtaltet wurden, iſt eine andere Frage; vielleicht 
waren ſie nicht viel mehr abgeändert, als ſie es jetzt 
auf der Engliſchen Bühne find ). 


Antieipirter Straferlaß. 

Als die Joniſchen Inſeln unter Venetianiſcher 
Herrſchaft ſtanden, konnte man vom Statthalter für 
noch nicht begangene Verbrechen Verzeihung erhalten. 
Natürlich ward dafür ein hoher Preis verlangt. Daſ⸗ 
ſelbe, glaube ich, geſchah manchmal in Graubünd⸗ 
ten. In der Theorie ſtand es darum nicht ſchlechter, 
als um die antieipirten Abläſſe, welche in Deutſch⸗ 


„) Ein Mann, welcher in den Vereinigten Staaten den höchſten 

Poſten bekleidet hat, und im Anfang dieſes Jahrhunderts in 
amtlicher Eigenſchaft zu Berlin lebte, ſagte einſt zum Ver⸗ 
faſſer, daß der einzige Ort, wo er den ächten Shakspeare 
geſehen habe, Berlin geweſen ſey. Er wollte damit den un⸗ 
verkürzten und unveränderten Zuſtand bezeichnen, in wel⸗ 
chem die Dramen dieſes Dichters in der Preuß iſchen Haupt⸗ 
ſtadt aufgeführt wurden. 


201 
land zum Skandal eines jeden, der nur das leiſeſte 
Gefühl für Moralität hatte, verkauft wurden. 


— ꝛ—— 


Sklaverei hat niemals in Aſien exiſtirt. 

Die Leibeigenſchaft war in Aſien, ſelbſt in den 
früheſten Zeiten, unbekannt; aber die Helleniſchen 
Stämme hatten dieſes Inſtitut. Die Neugriechen 
waren nie Leibeigene im wahren Sinn des Worts; 
ja, die Türken haben vielleicht dieſes Inſtitut in der 
Moldau und Wallachei abgeſchafft. 


natur 


Proteſtanten in der Türkey. 
Zahlloſe Proteſtanten flohen, vor der Regie⸗ 
rung Joſeph's des Zweiten 1 aus Oeſterreich in die 
Türkey, und gründeten große Dörfer. 


Toleranz des Mufti. 
Der vorletzte Mufti erhielt den Befehl, die, 
allen Muſelmännern gegebene, Erlaubniß, die Grie⸗ 


202 


chen zu morden, zu unterzeichnen. Er aber bewies 
aus dem Koran, daß er das nicht thun une und 
ward nach Ba verbannt. 


> 


Türkische Gewiſſenhaftigkeit. 


Als Friederich der Zweite ſich alle Mühe gab, 
die Türken zum Krieg gegen die Ruſſen zu bewegen, 
erhielt er zur Antwort: „Kannſt Du fünfundzwan⸗ 
zig Jahre aus zwanzig machen?“ Es exiſtirte näm⸗ 
lich zwiſchen Rußland und der Türkey ein Waffen⸗ 
ſtillſtand, welcher noch fünf Jahre zu laufen h hatte. 


— 


Herodot. 


Es iſt unmöglich, einen wahrheitsliebenderen 
Mann, als Herodot, zu finden; und dennoch hat 
er Manches berichtet, das nicht wahr iſt. 


203 


Die Kaiſer Maximilian und Ferdinand. 
— Guſtav Adolph. — Lutheraner und 
| Calviniſten. 


Man kann Maximilian nicht neutral nennen; er 
war mehr als neutral. Er wünſchte, daß man den 
Kelch den Layen gebe, und bemühte ſich, den Pabſt 
zur Geſtattung der Prieſterehe zu bewegen; ſeine 
Räthe waren größtentheils Proteſtanten. Das iſt 
in der That mehr als blos neutral. Aber Ferdinand 
war finſter, bigott, grauſam und leidenſchaftlich. 
An ſeinem Hof zu Grätz ward nur Spaniſch geſpro⸗ 
chen. Auch in dieſer Hinſicht würde Deutfehland 
ſehr gewonnen haben, hätte Guſtav es erlebt, 
ſelbſt den Kaiſerthron zu beſteigen. Guſtas hatte 
eine weſentlich Deutſche Erziehung. Er ſprach und 
ſchrieb das Deutſche gern; Ferdinand nicht. 
Guſtav, von einem Deutſchen Stamm, mit feiner 
Erziehung, ſeinen Gefühlen, ſeiner Denkart, war 
mehr ein Deutſcher, als Ferdinand, welcher ſeinen 
Gefühlen nach ein Spanier war. Hätte Guſtav den 
Kaiſerthron beſtiegen, ſo würde er alsbald von dem 
ganzen Lande, welches ſo ſehr zur Reformation hin⸗ 


204 


neigte, als ein Deutſcher betrachtet worden ſeyn. 
Aber er fiel; die Lutheraner und Calviniſten ver- 
ließen einander; und nach Luther gab es keinen gro⸗ 
ßen Mann mehr unter den Proteſtanten. Wie es 
immer in Deutſchland war: man konnte keinen Plan⸗ 
macher finden, oder, was auf daſſelbe hinausläuft, 
jeder war ein Planmacher. a g 


Bauernkrieg. 
Man kann nicht läugnen, daß die Bauern in 


dem Bauernkrieg urſprünglich das Recht auf ihrer 
Seite hatten. Aber es konnte zu nichts führen. 


— 


Wohlſtand in Deutſchland vor dem 
Dreißigjährigen Krieg. 

Nirgends in Deutſchland kehrte der Wohlſtand 

zurück, welcher vor dem Dreißigjährigen Krieg 

herrſchte. Die Veränderung tft faſt unglaublich. Aber. 

die Lage des Bauern iſt jetzt viel beſſer, als damals. 


205 


Wo nur die freien Reichsſtädte herrſchten, ward der 
Landmann auf eine empörende Art tyranniſirt. 


\ 


— — 


Verhältniß der im Kriege Getödteten. 


Das Verhältniß der Todten zu den Verwunde⸗ 
ten war im Siebenjährigen Krieg wie eins zu drei; 
in der Campagne von 1813, wie eins zu fünf. Man 
manövrirt jetzt mehr, als früher. | 


Bewäſſerung und Anbau der Campagna 
Romana. 


Könnte die Campagna Romana bewäſſert wer⸗ 
den, wie in den alten Zeiten, ſo würde man das 
Land als ebenſo fruchtbar erfinden, als aller Italie⸗ 
niſche Boden es iſt, der bewäſſert wird. Jetzt iſt 
ſie unbebaut und bringt nichts hervor, als die Mala⸗ 
ria. Bei Tivoli, zum Beiſpiel, iſt Waſſer genug. 
Der Arbeitslohn der Leute, welche von Ankona kom⸗ 
men, würde zu theuer ſeyn; und hier iſt Niemand, 
wegen der Malaria und des Fiebers. Die Gräben 


206 


und Schleuſen könnte man anlegen und alsdann das 
Land Erbpächtern überlaſſen. Die Pächter würden 
obendrein auſſer dem Zins einen bedeutenden Gewinn 
machen; und dazu würde ein beſſerer Geſundheitszu⸗ 
ſtand wieder in der Campagna hergeſtellt werden. 


— nn 


Einführung der Muskete in Deutſchen 
| | Armeen. 
Lanzen, Piken, Streitkolben u. ſ. w. waren im 
| Anfang des Spaniſchen Erbfolgekriegs noch ſehr im 
Gebrauch; bei weitem mehr, als die Musketen. 
Aber in den erſten Zeiten des Kriegs waren die 
Schlachten ſo mörderiſch, daß die Truppen beider⸗ 
ſeits bald nur aus jungen Leuten beſtanden. Viel⸗ 
leicht verſtanden ſie nicht, die Lanzen und Piken zu. 
handhaben, und dieß beſchleunigte den Gebrauch des 
Schießpulvers; denn jene Waffen erfordern mehr 
Uebung, als die Muskete. Wie viel mehr wurden die 
Römiſchen Soldaten in Vergleich mit den unfrigen 

in den Waffen geübt! 


— —— 


‚207 


Barlamentärifche Ordnung der Spani⸗ 
ſchen Cortes. 


Die Regulirungen der Spaniſchen Cortes verdie⸗ 
nen die höchſte Achtung, während die der Franzöſi⸗ 
ſchen Kammer ſchlecht find. Dieſe parlamentäriſchen 
Regulirungen ſind von größter Wichtigkeit, und ſehr 
ſchwer zu entwerfen, wo eine berathſchlagende Ver⸗ 
ſammlung plötzlich geſchaffen wird, und ſich nicht, 
wie es mit dem Britiſchen Parlament der Fall iſt, 
ſtufenweiſe gebildet hat. Der Sprecher der Cortes 
hat die Argumente von beiden Seiten kurz zuſam⸗ 
menzufaſſen: welches die inconſequenteſte und nutz⸗ 
loſeſte Einrichtung zu ſeyn ſcheint „ die man ſich nur 
denken kann, und zwar eben ſo ſehr, als das Nicht⸗ 
Reſümiren des Richters in den Jüry⸗Gerichtshöfen 
der ſüdlichen Vereinigten Staaten zu tadeln ift.] 


Spaniſcher Character. 


Die Spanier haben immer die Eigenthümlichkeit 
gezeigt, daß es, einzeln genommen, edle, ja große 
Männer unter ihnen gibt; daß ſie aber nicht wiſſen, 


208 


wie man vereinigt handeln müſſe. Die Generäle 
Grollmann, Lützow und Dohna, welche unter ihnen 
gegen die Franzoſen dienten, ſagen, daß ſie in off⸗ 
ner Schlacht ganz kläglich ſind; keiner traut dem an⸗ 
dern. Sie pflegten zu ſagen: „Wir find wohl Wil⸗ 
lens, zu fechten; aber unſer Nachbar = Regiment 
will nicht;“ und ſo flohen ſie, kamen jedoch am näch⸗ 
ſten Tag wieder zurück. Aber niemand zeigt mehr 
Ausdauer und ficht beſſer in zerſtreuten Banden. 
Unter Engliſchen Officieren, welchen ſie vielleicht 
mehr vertrauten, als ſich ſelbſt, ſchlugen ſie ſich beſ⸗ 
ſer. Eben ſo war es, als ſie gegen die Römer kämpf⸗ 
ten; nur in Banden fochten ſie gut. Unter Cartha⸗ 
giſchen Officieren waren ſie gute Soldaten. 

Ihre Juriſten find ohne Syſtem. } 

Was ihre Sitten und moralifchen Zuſtände, na⸗ 
mentlich zu Madrid, betrifft, ſo haben mir mehrere 
meiner Freunde, welche jie aus eigner Beobachtung 
gut kennen, geſagt: „Leſen Sie den Gil Blas; die 
Spanier find noch dieſelben.“ 


209 


Skulptur in Rom. 

Gegen das Jahr 1300 waren zu Rom noch we⸗ 
nig Statuen über dem Boden; — der Neptun auf 
dem Capitol, Markus Aurelius, die zwei Gladia⸗ 
toren, und wenig andere. Alles über der Erdober⸗ 
fläche war zu Kalk verbrannt worden. Es iſt ein 
großes Glück, daß Rom ſo entvölkert war, ſonſt 
hätte es das Schickſal von Bologna getheilt. Ein 
alter Schriftſteller ſagt, eine der Mauern des Late⸗ 
dran ſey aus Statuen erbaut worden. Man denke 
ſich nun, welch unermeßliche Kunſtſchätze die Alten 
in Rom zuſammen gebracht haben mußten; denn 
faſt alles, was wir ſehen und bewundern, iſt aus 
der Erde gegraben worden; und doch iſt es nur die 
Nachleſe. Es überſteigt alle unſere Begriffe. Im 
Mittelalter gab es für Pilger, die nach Rom ka⸗ 
men, einen kleinen Wegweiſer, in welchem die weni⸗ 
gen Statuen, die man dazumal ſah, auf eine ſehr 
naive Art erklärt wurden. Viele Antiken ſtellten 
Heilige vor, wie man ſich denken kann. | 


14 


ou | | g 


Cäſar.— Mirabeau. — Brutus. 
! Cato. 

Cäſar war eine unbändige Natur, wie Mira⸗ 
beau. Es iſt unmöglich, daß man ſich Cäſar groß 
genug vorſtelle. Die Guten verließen ihn; mit wem 
konnte er ſich verbinden, und auf wen konnte er 
ſeinen Hebel ſtützen, auſſer auf die Schlechten? Solch 
ein Geiſt konnte unmöglich in Ruhe ſeyn, Er 
konnte er allein bleiben. 

Ich habe keinen Zweifel daran, daß man Cäſar 
mit vollem Vertrauen hätte nahen können, wenn er 
einmal ſeine Macht feſtgeſtellt gehabt haben würde. 

Die Handlung des Brutus war gerecht; darüber 
kann kein Zweifel ſeyn. Denn ein Mann, der in 
einer Republik thut, was Cäſar that, ſteht auſſer⸗ 
halb des Geſetzes dieſer Republik. Er hat ſein Le⸗ f 
ben verwirkt nach den Geſetzen ſeines Staats. Es 
kann nicht anders ſeyn. Männer, die eine neue Zeit 
herbeiführen, müſſen gegen diejenigen Geſetze han⸗ 
deln, welche der Vergangenheit angehören. Die 

Zeiten wären unter Cäſar nicht ſo ſchlecht geweſen, 
als ſie es nach ſeinem Tode wurden. 


211 


Brutus war ohne Zweifel eine reine, edle Seele; 
aber die Zeit hatte ſich geändert. 

Cato ſtarb im rechten Augenblick ; denn, wie auch 
die Dinge ausgefallen ſeyn möchten, kein Wirkungs⸗ 
kreis hätte ſich für AIR nach der Schlacht bei Aertun 
Saen 


\ 2 

Abkunft des Pabſtes Pius des Siebenten. 

1 Ein Adeliger ſagte, indem er vermuthlich nicht 
daran dachte, daß Niebuhr ſelbſt nicht von einer 
adeligen Familie herſtammte: „Ich höre, der jetzige 
Pabſt iſt nicht einmal von Familie.“ . 

O, was das betrifft, ſagte Niebuhr lächelnd, 
ſo hat man mir geſagt, daß Chriſtus ſelbſt kein Mann 
von Familie war; und der h. Petrus, wenn ich 
mich recht erinnere, war nur von niederer Herkunft. 
Hier in Rom bekümmern wir uns um ſo was nicht. 


Pʒtarteigeiſt. | 
Vor kurzer Zeit las ich in einem Spaniſchen mi⸗ 
niſteriellen Blatt, daß man bei einer gewiſſen Ge⸗ 


212 


legenheit, im Spaniſchen Amerika, das „ infame !“ 
Geſchrei Viva la patria gehört habe. Zu ſolchen 
Extremen führt der Parteigeiſt. Unter Karl dem 
Zweiten durfte ein Mann, der kein Wüſtling war, 
nicht hoffen, für loyal gehalten zu werden. Es giebt 
keine Tugend, oder ſonſt was Gutes auf der ganzen 
Welt, das nicht zu der einen oder andern Zeit einem 
Mann Verdacht, oder gar Verderben zugezogen 
hätte. 


Geſchichte des Mittelalters. 


Eine genügende Geſchichte des Mittelalters kann 
nur auf eine vollſtändige Geſchichte der Leibeigen⸗ 
ſchaft gegründet werden. 


Der Deutſche Orden. 


Eine Eroberung, welche den Deutſchen große 
Ehre macht (vielleicht die einzige, von der man das 
ſagen kann) iſt die von Preußen durch den Deutſchen 
Orden. Sie verletzten Niemanden, gründeten Städte, 
und das Land war in blühendem Wohlſtand. Man 


213 


kann nicht daſſelbe von den Eroberungen der Ritter 
vom Schwert ſagen. 


— __. 2. 


Croaten. 


Die Croaten waren nie Leibeigene⸗ 


Höerkules. 

Ich finde, daß die Geſchichte des Herkules mei⸗ 
nen Markus ſehr anzieht. Es geht durch den gan⸗ 
zen Character dieſes Helden eine Gutmüthigkeit hin⸗ 
durch, welche große Reize für ein Kind hat. 


Flemming. — Opitz. — Logau.— 
Scultetus. 


Flemming, und, nächſt ihm, Opitz und Logau 
— wie groß ſind ſie! Zu jeder andern Zeit würden 
ſie Meiſterwerke geſchaffen haben, die ewig fortge⸗ 
dauert hätten. Aber ihrem Jahrhundert fehlte es 
an Allem, — ich meine, in Deutfchland := fie konn⸗ 
ten nichts ausrichten. Da iſt ein Gedicht), welches 


214 


noch eriſtirt: 1 Oeſterliche Triumphpoſaune“ von 
Scultetus, der frühzeitig ſtarb. Sicher verkündet 
dieſes Gedicht, obgleich mit aller der Künſtelei feines 
Zeitalters behaftet, ein wahrhaft großes Genie. 


Galilei. 
[Ich ſagte zu Niebuhr, Galilei hätte entweder 
gleich widerrufen, und ſo ſeine gänzliche Verachtung 
gegen die unduldſamen Vertheidiger der Unwiſſenheit 
zeigen; oder, nachdem er einmal ſich deſſen gewei⸗ 
gert, nun auch nimmer nachgeben ſollen.] 
Niebuhr erwiederte: Er ward wirklich zu Nom 
gefoltert; und kein Menſch kann verantwortlich ſeyn 
für das, was er thut, während er von der Folter 
geängſtigt wird. Auſſerdem können Handlungen 
dieſer Art in verſchiedenem Licht betrachtet werden; 
und junge Leute, wie Sie, beurtheilen dieſelben ganz 
anders, als Männer von reiferem Alter. 


Hi Franzöſiſche Noyaliſten. 
Ich habe hier in meinem Hauſe den Franzöſiſchen 
Geſandten Dinge ſagen hören, welche nichts Gutes 


215 
verkünden, wenn fie die Anfichten der Mehrzahl der 
Emigranten ausſprechen; und ich fürchte, ſie ſpre⸗ 
chen ſie wirklich aus, denn er war lange der ver⸗ 
traute Freund Ludwig's des Achtzehnten. Sie haſ⸗ 
ſen Alles, was aus einer Zeit nach der Revolution 
herrührt. Daß fie ihre eigenen Gefühle haben müſ⸗ 
ſen, in Beziehung auf dieſes Ereigniß, iſt natürlich; 
aber ſie ſollten allen Haß vergeſſen, und ſich vor 
allen Dingen aller Begierde nach Rache begeben, 
welche einige von ihnen, man kann es wohl behaup⸗ 
ten, in nicht geringem Grade mit ſich herumtragen. 


1 


— — 


Prieſter zur Zeit des Ariſtophanes. 


Zur Zeit des Ariſtophanes waren die Griechiſchen 
Prieſter wirklich eben fo ſehr geſunken, als es die Fran⸗ 
ziskaner, zum Beiſpiel, jetzt ſind. Sie waren ver⸗ 
achtet als laſſe, faule Menſchen; ſie bettelten oben⸗ 
drein, dazumal wie jetzt. 


216 


Mißshelligkeit zwifchen dem Pabſt und 
dem Maestro di Palazzo. 


Ich ſagte Niebuhr'n, daß Signore ö 
Profeſſor der Mathematik in der Sapienza, mir er⸗ 
N zählt hätte, der Profeſſoer . . . habe ein Com⸗ 
pendium über die Aſtronomie geſchrieben, der Mae- 


stro di Palazzo aber, ein Dominikaner, das im- 


primatur verweigert. Der Verfaſſer beklagte ſich 
bei dem Pabſt, welcher das imprimatur geſtattete. 
Der Dominikaner verweigerte dennoch. Der Pabſt 
legte das Buch der Inquiſition vor, in welcher im⸗ 


mer ein Dominikaner präſidirt, und die Heilige Be⸗ 
horde bewilligte das imprimatur. Der Maestro di 


Palazzo verweigerte dennoch. Da befahl der Pahſt, 


ein anderer Biſchof ſolle das imprimatur geben, 


und das Buch ward endlich gedruckt! 

Dieß hatte ſich ohngefähr zwei Jahre, bevor ich 
es an Niebuhr erzählte, ereignet.] 

Er ſagte: Der Dominikaner konnte nur deshalb 
wagen, ſo zu handeln, weil der Pabſt nicht befohlen 
hatte, das imprimatur „in carica“ zu geftatten, 
und er ſo nicht untrüglich war —, wenigſtens hatte 


217 


er nicht erſt die Meſſe der Anrufung des Heiligen 
Geiſtes gehört. | 

[Man hatte nur erlaubt, in dieſem oder einem 
andern Handbuch der Aſtronomie für die Studiren⸗ 
den in der Sapienza das Syſtem des Kopernikus in 
einer Note zu geben, wo dann geſagt war, Koper⸗ 
nikus habe jo gelehrt.] | 


Contubernium. 

Ich frug Niebuhr, ob er mir eine genaue Nach⸗ 
richt über das contubernium geben könne. Er ſagte 
er ſey niemals im Stande geweſen, etwas ganz Be- 
friedigendes über dieſen Gegenſtand aufzufinden.] 


Marius und Sylla. 


Marius und Sylla waren nicht bloß Bluthunde. 
Die Lage der Dinge brachte ſie, wie es ſo oft der 
Fall iſt, zu dem, was ſie thaten. Jeder von beiden 
war im Recht und im Unrecht; es iſt immer ſo, wo 
Parteien exiſtiren. Es iſt nicht zu läugnen, daß ſie 
beide von Ideen bewegt wurden. 


218 


Die Bourbons. 

Der eigentliche Zweck des, (im Jahr 1823) ge: 
gen Spanien vorgeſchlagenen, Kriegs war der, das 
große Bourboniſche Bündniß, wie es gegen Ende 
des ſiebenzehnten Jahrhunderts errichtet war, wieder 
herzuſtellen. Alles Andere war bei dieſer Angele⸗ 
genheit jenem großen Ziele der Bourbons unter⸗ 
geordnet. | 


* 


— — — 


Candia. 

Candia war, ſelbſt als es unter Venetianiſcher 
Herrſchaft ſtand, faft ganz unabhängig. Es exi- 
ſtirte ein höchſt ſonderbares Verhältniß zwiſchen 
den Bewohnern und dem Statthalter. 


Napoleon und Alexander. “ 
Griechenland, | 
Napoleon und Alexander waren beinahe über den 
Plan übereinſtimmend, die Türkey zu theilen; Con⸗ 
ſtantinopel allein blieb die ſchwere und ungelöſte Frage. 


219 


5 Klöſter. 


Theils die Entſtehung, theils die ſchnelle Ver⸗ 
mehrung der Klöſter leitet ſich von dem allgemeinen 
CElende in den erſten Jahrhunderten des Chri⸗ 
ſtenthums her. Die wahrhaft traurigen Zeiten 
zwangen die armen Menſchen zu klöſterlicher Zu⸗ 
rucgezogenheit 


Spanier. 

Ein alter Schriftſteller fagt: „Die Spanier find 
Adler auf ihren Pferden, Löwen in ihren Feſtun⸗ 
gen, Weiber im freien Felde.“ Die Berichte derer, 
welche mit ihnen gegen die Franzoſen dienten, ſtim⸗ 
men damit überein. Erbärmlich in offner Schlacht, 
waren ſie wirklich Löwen in Saragoſſa. Dieſer 
Characterzug ſcheint alt zu ſeyn; die Numantiner 
haben das gezeigt. ö 


220 


Urſprung des Carnavals. 


Es iſt keineswegs gewiß, wann das Carnaval ent⸗ 
ſtand, — ob es aus der neuen Ordnung der Dinge 


erwuchs, oder ob es eine Umbildung heidniſcher Feſte 


iſt. Ich glaube, die Faſtnachtsſpiele ſind Deutſchen 
Urſprungs. | | 


Menſchliche Körperkraft. 


Es iſt erwieſen, daß, in Holland, gegen Ende 
des ſiebenzehnten Jahrhunderts vier Männer ganz 
dieſelbe Körperkraft hatten, die ein Jahrhundert ſpä⸗ 
ter fünf beſaßen. Die Nahrung hatte ſich weſentlich 
geändert. a | 


— m 


Einfluß der Päbſte. 

Das Anſehn der Päbſte war von großem Nutzen 
für die Menſchheit. Es war die concentrirende und, 
nicht ſelten, ſchützende Gewalt, während Alles in 
Barbarei und Verfall gerieth, und dit Auflöſung 
des Geſellſchaftsbandes allgemein war. 


EEE 


221 


Alte Landſtraßen. 

Die alten Römiſchen Landstraßen, deren fo man⸗ 
che angelegt wurden, hatten auf jeder Seite erhöhete 
Fußpfade für die Wanderer. Sie dachten nicht blos 
an die Pferde, wie unſere neueren Ingenieurs. 


Vereinigte Staaten und England. 


Wenn die Vereinigten Staaten nicht eine Con⸗ 
föderation bildeten, ſondern ihre großen Kräfte 
in Einer mächtigen Regierung concentrirt hätten, fo 
würde alsbald ein Krieg mit England um die Ober⸗ 
herrſchaft zur See ausbrechen. Das möchte dann für 
Letzteres ein Peloponneſiſcher Krieg werden, rückſicht⸗ 
lich innerer Spaltung, Uebervölkerung und Er⸗ 
ſchöpfung. 


Leo der Große. 


Leo der Große verdient 'ſeinen Namen. Er war 
ein wahrhaft großer Mann, ein mächtiger Geiſt. 


222 


Die Franzoſen in Italien. 


Tags vorher, ehe die Franzoſen Rom verließen, 
verlangten ſie die ſilbernen und goldenen Kapſeln 
der Siegel in den Archiven. Das Silber, welches 
man, ſogar ohne Rückſicht für die Werke Benvenuto 
Cellini's, allein aus der St. Peterskirche ſchleppte, 


war unermeßlich. Doch ein gutes Theil mögen die 


Italiener ſelbſt bei Seite geſchafft haben. 


Geburten. 


Die Italieniſchen Aerzte haben mir verfichert, 
daß das Verbrechen der Verhinderung der Geburt 
in Italien unglaublich allgemein iſt. Als, unter 


Franzöſiſcher Herrſchaft, das Volk Beſchäftigung | 


fand, wuchs die Bevölkerung ſchnell; aber das Elend 
brachte das Laſter zurück. 


21 — 1 


Ganganelli. 


Pabſt Ganganelli ward nicht vergiftet; er ſtarb 
an ſeiner unvernünftigen Gewohnheit, in der Sonne 


223 


zu liegen, ſogar als er ſchwer erkrankt war. Auf⸗ 
ſerdem trugen ſeine Gewiſſensbiſſe über die Aufhe⸗ 
bung des Jeſuiterordens, welche er aus bloßer Will⸗ 
fährigkeit für den Bourboniſchen Hof und gegen ſeine 
Überzeugung bewerkſtelligt hatte, dazu bei, ſeine Ge⸗ 
ſundheit zu untergraben. 


Attila. 


Am Hof des Attila ſprach man Lateiniſch, und 
man bediente ſich deſſelben als Communikationsmit⸗ 
tels mit den Italienern und andern Nationen. At⸗ 
tila ſelbſt verſtand Latein, und es wurden Fargen 
in dieſer Sprache an feinem Hof aufgeführt. Procop 

hat intereſſante Stellen über dieſen Punkt. 


Schmeichelei gegen Bavelsan: 


„Napoleon est notre Dieu“ sagte Ney zu den 
Profeſſoren der Univerſität von Helmſtädt. Sie wiſ⸗ 
ſen, daß der Erzbiſchof von Paris ihn in einem, an 
feine Biſchöfe gerichteten, Hirtenbrief homme de 


224 


la droite de Dieu nannte: und Fabre de l' Ande, 
Präſident des Tribunals, ſchrieb an Napoleon's 
Mutter: „La conception que vous avez eue, 
en portant dans votre sein le Grand Napoléon, 
n'a été sürement qu'une inspiration divine“! 
Doch gerade unter uns, mein Freund, ward von 
Schuften die Schmeichelei zu einem gleichen Grad 
von ſchaamloſem Wahnſinn getrieben. Eben jetzt, 
da ich dieß erzähle, findet es ſchon keinen Glauben 
mehr; und doch iſt es eine Thatſache. Wie oft hat 
man nicht geſagt: „Gott ſchuf Napoleon, und ru⸗ 
hete!“ Was iſt der Menſch! Dieß ereignete ſich erſt 
geftern: wie über alle Maßen niedrig! 


Lucian Bonaparte. | 

Ich ſah Lucian Bonaparte ſeit meinem Aufenthalt 

zu Rom. Ich habe große Achtung für ihn, und er 
ſcheint mich zu lieben. Er lud mich zu wiederholten 
Malen ein; aber, Sie wiſſen, meine Stellung er⸗ 
laubt mir eben nicht, einen intimen Umgang mit 
ihm zu unterhalten. Seine Monomanie ſind ſeine 
Verſe. Er hat mir von ſeinen Franzöſiſchen Gedichten 


228 
vorgelefen, ohne Reim, indem er fo das alte Me⸗ 
trum nachgeahmt zu haben glaubte. Denken Sie 
ſich ein Gedicht, welches, in Betreff der Form, blos 
auf dem Metrum beruhet, und das in einer Spra⸗ 
che, welche keine Proſodie und kaum was von 
Rhythmus hat! Es iſt eine Marotte, wenn es je 
eine gegeben hat! Es giebt auf der Welt keinen 
Grund für die Schließung der Zeile, oder des Ver⸗ 
ſes, wie er nämlich das fo nennt, wo Er ſchließt; 
er hätte gerade ſo gut noch fortfahren können. Aber, 
wie geſagt, ich habe große Achtung für ihn. 


Cöleſtin der Fünfte. 
Man iſt weit entfernt, hiſtoriſch ſicher zu wiſſen, 
ob Cöleſtin der Fünfte der päbſtlichen Krone aus 
Ueberzeugung entſagte, oder ob, und durch welche 
Mittel, und aus welchen Gründen, er hiezu durch 
die Familie Gaetano vermocht ward. Ich will da⸗ 
mit nicht ſagen, er ſelbſt habe die Ueberzeugung ge⸗ 
wonnen gehabt, daß, obgleich er im Beſitz der Ge⸗ 
walt ſey zu binden und zu löſen, dennoch keinem 

8 15 


226 


ſterblichen Weſen wirklich dieſe Gewalt zukomme; 
aber er mag wohl beſcheidenlich bei ſich erkannt ha⸗ 
ben, daß Er nicht fähig ſey, die Menſchheit zu bin⸗ 
den und zu löſen; und ſo freiwillig a dem 
g a gewichen ſeyn. 


St. beterskirche 


Spanien bezahlte fi onſt jährlich achtzigtauſend Dol⸗ 
lars zur Reparatur des Gebäudes der St. Peters⸗ 
kirche. Daſſelbe Land bezahlte eine große Summe 
für den Lateran. Es ſind alle Jahr ſehr koſtſpielige 
Reparaturen nöthig, um zu verhüten, daß die Kup⸗ 
pel nicht zuſammenſtürze. Sie hat ſchon einige Riſſe; 
und dieſe vermehren ſich da es an Geld zur Repa⸗ 
ratur fehlt. Ein Erdbeben würde alsbald dieſes Rie⸗ 
ſenwerk in eine Ruine verwandeln. Um die Kup⸗ 
pel geht jetzt ein eiſerner Reif von mehreren Millio⸗ 
nen Pfunden an Gewicht. Die liegenden Güter, 
welche zur fabbrica gehören und deren Ertrag blos 
für die Reparaturen verwendet werden, ſind lange 
nicht hinreichend. | 


227 


Italieniſche Sprache. 

Man begeht einen Irrthum, wenn man annimmt, 
alle barbariſchen Worte ſeyen in die Italieniſche 
Sprache durch die Germaniſchen Stämme eingeführt 
worden. Es ſind in derſelben manche von Griechi⸗ 
ſchem, Afrikaniſchem und anderem Urſprung, aus 
Kleinaſten und verſchiedenen andern Theilen der 
Welt. Sie wurden von den Sklaven gebracht, war⸗ 
den üblich im gemeinen Volk, und, als die lingua 
volgare fich zum Rang einer eigenthümlichen, un: | 
abhängigen Sprache erhoben hatte, behielt man 0 
mit bei. 5 

[Was Niebuhr hier behauptet, mag n 
kühn erſcheinen, welcher ſich nicht denken kann, wie 
ein, durch Sklaven eingebrachtes, Wort jemals all⸗ 
gemein angenommen werden konnte. Man muß 
ſich erinnern, daß manche Theile der Erde unzählige 
Sklaven geliefert haben, und daß Sklaven von ge⸗ 
wiſſen Ländern für gewiſſe Handwerke vorgezogen 
wurden. Dieſe konnten dann leicht eines der Worte 
ihrer Mutterſprache nach Rom verpflanzen und es 
in ihrem neuen Wohnort für einen, mit ihren Hand⸗ 


1 . 
| 


228 


werfen und Beſchäftigungen verwandten, Gegenftand 
firiren. Aber auch ohne dleſe letztere Erklaͤrungs⸗ 
weiſe iſt es möglich, daß fremde Worte, obgleich ſie 
nur von Sklaven eingebracht waren, allgemein ge⸗ 
bräuchlich wurden. Die Negerſklaven der ſüdlichen 
Theile der Vereinigten Staaten und Weſtindiens le⸗ 
ben ohne alle, mit der, welche unter den Sklaven 
des Alterthums Statt hatte, vergleichbare, Commu⸗ 
nication, und dennoch ſind manche ganz fremde 
Worte in allgemeinem Gebrauch unter ihnen, trotz 
ihres Urſprungs aus den verſchiedenſten Gegenden 
Afrikas. So iſt das Wort „Bukra“ *) (weißer 


*) Thomas Bee, Esg. von Charleston (Süd - Carolina), 
glaubt, daß dies merkwürdige Wort nicht von einem Afrika⸗ 
niſchen Wort abgeleitet iſt, ſondern von dem Spaniſchen 
„Bucaro", einer Art Thon, die man in Amerika findet. Das 
Diccionario de la Academia ſpricht von drei Sorten des — 
caro — weiß, roth und ſchwarz; aber Herr Bee iſt der Mei⸗ 
nung, daß der weiße oder rothe Thon dieſer Gattung bei 
weitem häufiger und allgemeiner unter dem Wort bucara 
verſtanden werde. Das Neger- Wort „Brautus“, (wohlfeil) 
leitet Derſelbe von dem Spaniſchen „barato" (wohlfeil) her. 
Der Verkehr zwiſchen Nationen führt oft Worte ein, wo 
wir ſie nicht erwarten würden. Der allgemeine Gebrauch 
derſelben iſt oft ganz überraſchend. Das Wort „hammock", 
im Franzöſiſchen „hamac*, oder „branle", im Holländiſchen 


229 


Mann), allen Sklaven gemeinſchafttich, welche von 
Eigenthümern Engliſcher Abkunft gehalten werden. 
Man nehme nun an, daß dieſe Sklaven ſich in der 
Farbe gar nicht von uns ſelbſt unterſchieden; daß ſie 
die Schullehrer unſerer Kinder wären und in unſe⸗ 
ren Haushaltungen und Familien manche bedeutende 


„hang mal und „hangmat‘, woraus das Deutſche „Hangematte" 
gebildet ward, (dasjenige, wodurch es den Deutſchen Wor⸗ 
ten angepaßt ward, und die Bedeutung, welche es hat, 
ſtimmt ſehr gut mit der Sache, die es bezeichnet, zuſammen), 
im Spaniſchen „hamaca". im Italieniſchen „amaca“ oder 
branda americana“ u. ſ. w. wird von meinem ausgezeichne 
ten Freund, M. dü Ponceau, aus Philadelphia, von dem 
Caraibiſchen Wort „hamac" hergeleitet, welches ein „Bett“ 
bedeutet d. h. eine! Hangematte; denn ſie hatten allein dieſe 
ſchwebenden Betten im Gebrauch, und die (Weſtindiſchen) 
Seeräuber (buccaneers) brachten dieſes Wort zu den verſchie⸗ 
denen Nationen. M. dü Ponceau fand das Caraibiſche Wort 
„hamac" in dem „Diet. Caraibe, par le Rev. Pöre Raymond, 
Breton, Religieux de Vordre des Freres Pröcheurs. et Vun des 
quatre premiers Missionnaires Apostoliques en I Iile de la Gar- 
deloupe etc." ; Auxerre 1665. Derſelbe gab (1667 Auxerre) 
eine Cäraibiſche Grammatik heraus. Warum iſt „gogo", 
„manger & gogo“, (eſſen, fo viel man Luft hat) nun durch ganz 
Frankreich gebräuchlich, obgleich es wahrſcheinlich, demſel⸗ 
ben gelehrten Philologen zufolge, von dem Baskiſchen Wort 
„gogoa" (Wille) herſtammt? \ 


230 


Stelle ausfüllten; und daß das Engliſche Idiom 
vermittelſt eines, dem, welcher die Römiſche Sprache 
veränderte, ähnlichen Proceſſes, durch die lingua 
volgare der Sklaven verdrängt würde, — das Wort 
„Bukra“ würde ſich ſicherlich in der neuen Sprache 
feſtſetzen, jo wie ſich zio, zum Beiſpiel, im Italie⸗ 
niſchen firirt hat. Da ich von dieſem Gegenſtand 
hier handle, ſo wird es mir wohl erlaubt ſeyn, hin⸗ 


zuzufügen, daß die Kreoliſche Sprache — die Spra⸗ 


- che des ſtumpfen, kindiſchen, hülfloſen Geiſtes des 
Sklaven — zahlreiche Umwandlungen aus der alten, 
cultivirten Sprache in den Barbarismus zeigt, wo 
Armuth an Gedanken und Armuth an Ausdruck 
gleichmäßig charakteriſtiſch find; ganz ähnlich den Ver⸗ 


wandlungen, wodurch das Lateiniſche in das Italie⸗ 


niſche umgeſtaltet ward. Heut zu Tage kann man un⸗ 


ter Leuten der niedrigſten Claſſe in Italien Ausdrücke 


vernehmen, welche, mit dem Lateiniſchen verglichen, 
vollkommen Kreoliſch für ein Ohr klingen, welches 
nur irgend einmal den armen Neger ſeine kindiſche 
und, gerade deshalb, manchmal nicht ganz unange⸗ 
nehme, Sprache hat plappern hören. > 


231 


Niebuhr's Geſchichtowerk. 


Obgleich ich Veranlaſſung hatte, manche meiner } 
Meinungen zu modifieiren, und obſchon mein Aufent⸗ 
halt zu Rom mir einen ſo viel klareren Begriff und 
reineres Bild“) vom alten Rom verſchafft hat, ſo 
freue ich mich dennoch, daß ich mir von dem Ganzen 
aus ſo großer Entfernung ein ſo richtiges en 
nee hatte. 


Muth. 


[Wir ſprachen von einer Perſon, deren perſon⸗ 
lichen Muth wir bezweifelten. Ich bemerkte, ich 
hätte meine Zweifel rückſichtlich der Unterſcheidung 
zwiſchen phyſiſchem und moraliſchem Muth; und, 
obgleich ich mir denken könne, daß ein Mann von 
phyſiſchem Muth zage, wenn er moraliſche Kühnheit 
zeigen ſolle, ſo zweifele ich doch, ob ein Feiger je⸗ 
mals großen moraliſchen Muth zeigen könne.] 


*) Niebuhr's topographitche Kenntniß aller verſchiedenen Perlo- 
den von Rom war in der That ſo, wie uur er ſie beſitzen 
konnte. Der Antheil, den er an der Beſchreibung der Stadt 
Rom (von Bunſen und Plattner, 1829) hat, iR bekannt. 


232 9 5 


Sie ſind ſehr im Irrthum, erwiederte Niebuhr: 
ich habe keinen phyſiſchen Muth, und dennoch hoffe 
ich, daß ich, was den moraliſchen Muth betrifft, 
wie ein Mann handeln würde. Es hat viele Beiſpiele 
gegeben, welche beweiſen, daß Sie Unrecht haben. 

Wir verſtanden uns wohl nicht ganz einander. 
Was Niebuhr bei einem, von Natur furchtſamen, 
Mann moraliſchen Muth nannte, kann das Bewußt⸗ 
ſeyn der Pflicht ſeyn. So kannte ich ſelbſt einen 
Officier, welcher offen bekannte, er ſey von Natur 
aus die größte Memme; aber er geſtattete nicht die⸗ 
ſer Schwäche, ſich zu zeigen, und focht ſo gut, daß 
er einen Orden erhielt. Daß ich meine Unterſchei⸗ 
dungslinie nicht gut zog, braucht nicht erinnert zu 
werden; und ich glaube, es würde leicht ſeyn, dieß 
mit mehr Schärfe hervorzuheben, hätte ich hier meine 
eigenen, und nicht Niebuhr's Meinungen anzuführen. 


Ein Capuziner. 


Etwas Merkwürdiges trug ſich jüngſt in Neapel 
zu. Der Beichtvater des Königs von Neapel iſt ein 
Capuziner: er wünſchte einen Orden, mit dem damit 


a 2233 
verknüpften Gehalt. Der König bewilligte ihm den⸗ 
ſelben: aber der Erzbiſchof verweigerte dem Mönch 
die Erlaubniß, das Ordenszeichen auf ſeinem Capu⸗ 5 
zinergewand zu tragen. Man appellirte an den Pabſt; 
er bewilligte durch Dispenſation f daß der Capuziner 
die gewöhnliche Kleidung der Geiſtlichen mit dem 
Ordenszeichen trage. Aber es entſtand eine neue 
Schwierigkeit wegen des Bartes. 


Venetianer. 

Die Venetianer, in ihrer tiefgedachten Politik, 
haben niemals Feudalismus unter ſich geduldet. Sie 
hatten zwar Adelige, aber keinen Feudalismus unter 
ihnen. Ihre Regierung, ariſtokratiſch für die, wel⸗ 
che beherrſcht wurden, war die der Gleichheit unter 
den Herrſchern. 


Unwiſſenheit in Nom. | 
[Ich war nicht im Stande geweſen, in Rom 
eine ordentliche Karte von Italien, oder einem Theil 
deſſelben, zu kaufen zu finden. Alles, was ich ge⸗ 


234 


funden hatte, war eine Karte von 1763, und eine 
andere von 1790 oder da herum; und man hatte mir 


in der stamperia camerale geſagt, ich würde nicht 


erlangen können, was ich wünſche. Ich konnte nicht 
umhin, den fattore zu fragen, ob ſie ſich nicht 
ſchämten, daß fie nicht einmal in ihrer alma cittä 
eine rechte Karte hätten. „Che vuol che dica 2%, 
von einem Achſelzucken begleitet, war hier abermals 
die Antwort. Ich erzählte dieß Niebuhr:] 

Die Unwiſſenheit und Trägheit gehen manchmal 
über alle Begriffe. Die Tradition beherrſcht Rom. 


Trotz dem, daß ſie die Antiquitäten und Ruinen vor N 


ihren Augen haben, herrſcht doch ſo wenig For⸗ 
ſchungsgeiſt und geſunde, thätige Unterſuchung. Vor 
mehreren Jahrhunderten ſagte man, eine Statue be⸗ 
deute, aus dem einen oder andern Grund, dieß oder 


jenes, obgleich diejenigen, welche ihr ihren Namen 


gaben, nicht die Hälfte deſſen davon wußten, was 


man jetzt weiß; ; und dabei bleibt es nun mit dem 


Namen für immer. Es gab vortreffliche Ausnahmen, 


aber nun geht's eher wieder rückwärts. Seit die 


Franzöſiſche Regierung hier aufgelöſt worden iſt, 
richtet der ängſtliche Wunſch, den früheren Zuſtand 


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235 


der Dinge wiederherzuſtellen, die ganze Aufmerkſam⸗ u 
keit auf dieſen Einen Punkt, und alles Forſchen iſt 
vergeſſen, oder doch als etwas Modernes und faſt 
Verwerfliches angeſchen. 


Testa. — Nostro. 

[Ich ſagte ſcherzweiſe, daß ich wohl wiſſen möchte, 
ob das Lateiniſche Wort testa, ein Topf, in der 
Bedeutung ftieg, und endlich auf Italieniſch Kopf 
bedeutete, oder ob der Kopf im Werth ſank und 
einem leeren Topf gleich ward. Capo, für Kopf, 
war noch im Mittelalter gebräuchlich.] 

Sey ihm, wie ihm wolle, antwortete Niebuhr, 
es giebt ein Wort, welches ganz klar den Bildungs⸗ 
proceß zeigt, durch welchen die neueren, aus dem 
Lateiniſchen entſtandenen, Sprachen hindurchzugehen 
hatten. Die Römiſchen Soldaten brachten das Wort 
rostrum, welches in gemeiner Redeweiſe bei ihnen 
Mund bedeutete, nach Spanien; ſo wie unſere Sol⸗ 
daten in ähnlicher Art „Schnute“ oder „Schnabel“ 
zu ſagen pflegten: aber nun bedeutet rostro⸗ im 
Spaniſchen Antlitz, und iſt reines Caſtilianiſch. 


236 EN 1 


Orakel. 


Mit den Orakeln der Alten iſt es ein wunderba⸗ 


res Ding. Es iſt leicht zu ſagen, Alles war eine 
Liſt der Prieſter; aber dieſe Prieſter ſelbſt waren 
ein Theil des Volks. Ueberdieß genügten wohl ſol⸗ 
che Erklärungen für die Zeit der Franzöſiſchen Phi⸗ 
loſophen, wie man ſie nannte; aber heut zu 
Tage wollen wir Unterſuchungen, die tiefer gehen. 
Woher kommt es doch, daß ſie vom Volk ſo lange 
geachtet wurden? Wie trug es ſich zu, daß wir 
ſie in der einen oder andern Geſtalt aller Orten an⸗ 
treffen? Oder ſtanden die Menſchen in jener älteſten 
Zeit der Natur näher? a 


Frühe Civiliſation. 

Es ſcheint, daß die Civiliſation durch eine un⸗ 
mittelbare Inſpiration entſtanden ſeyn muß; denn, 
woher kommt es, daß kein Stamm, obgleich vor 
Jahrhunderten in einem wilden Zuſtand entdeckt, ſeit⸗ 
dem ohne den Impuls fremder, ſchon civiliſirter, 

Nationen fortgeſchritten iſt? Dazu lehrt die Mytho⸗ 


— 
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237 


logie faft einer jeden Nation, deren Civiliſation aus 
entfernten Zeiten datirt, daß ein Gott oder eine 
Göttinn herabſtieg, um die Menſchen im Ackerbau, 
im Gebrauch des Eiſens, und in andern anfänglichen 
Künſten zu unterrichten. Ich begreife kaum, wie die 
Menſchen von ſich ſelbſt die complicirte Kunſt des 
Brodbackens in einer ſo frühzeitigen Periode erfun⸗ 
den haben ſollten, als die war, in welcher wir ſie 
ſchon mit dieſem unumgänglich nöthigen Lebensmit⸗ 
tel ben antreffen). 


*) Dieſe letzten Bemerkungen meines verehrten Freundes und 
Führers veranlaſſen mich, zu wiederholen, was ich ſchon in 
der Einleitung geſagt habe, daß ich nicht ſo eingebildet war, 
mir das Recht anzumafen , anzuführen oder wegzulaſſen, 
was von ihm herrührte, jenachdem ich ſelbſt damit überein⸗ 
ſtimmte oder nicht; und daß ich eben ſo wenig den Werth 
ſeiner Anſichten durch die Angabe meiner eigenen einer, 5 
gen ne konnte. 


0 


238 


Nachſtehendes iſt die Ueberſetzung einer kleinen 
Abhandlung über die Allegorie in dem erſten Geſang 
des Dante, welche Niebuhr bei dem Durchleſen die⸗ 
ſes großen Dichters niederſchrieb, und, wenn ich mich 
recht erinnere, für eine der gelehrten Geſellſchaften 
zu Rom beſtimmt, oder dort wirklich vorgeleſen hatte. 5 
Gewiß iſt, daß ich dieſelbe (mit feiner Erlaubniß) 
von dem Italieniſchen Original, welches ich in einer, 

mir von ihm geliehenen, Ausgabe Dante's fand, 
copirt habe. Allen Freunden des großen Gelehr⸗ 
ten, welche mit Dante bekannt ſind, wird dieß eine 
willkommene Gabe feyn.] 10 


Es wird allgemein von allen Commentatoren des 
Dante angenommen, daß in der Allegorie, mit der 
ſein göttliches Gedicht beginnt, der Wald (la selva), 
in welchem der Dichter in der Racht umherirrt, durch den⸗ 
jieenigen Zuſtand der menſchlichen Seele erklärt werden 
müſſe, da ſie in Laſter und Leidenſchaften verwickelt 
iſt; der Hügel (il colle), den die Strahlen der 
Sonne umgeben, als Allegorie für die Tugend zu 
nehmen ſey; und die wilden Thiere (le fere), wel⸗ 
che ihn bei Erſteigung des Hügels anfallen, durch 


239 
das Laſter des fleiſchlichen Gelüſtes, des Stolzes und 
des Geizes zu deuten ſeyen. Dieſe Auslegung ſcheint 

mir durchaus irrig und mit dem Sinn mehrerer Stel⸗ 
len unvereinbar zu ſehn. 


Man laſſe diejenigen, welche dieſe Auslegung 
als eine ganz ausgemachte Sache vorſchlagen, uns 
erklären, wie der Dichter ſagen konnte, „der große 
Hund von la Scala“ werde den Geiz tödten; und 
wie der Dichter, nachdem er den Wald, welchen fie für 
ein Bild des Reiches der Leidenſchaften und der La⸗ 
ſter anſehen, verlaſſen hatte, an dieſem Ort von 
einigen dieſer niedrigen Leidenſchaften angegriffen 
wurde H wie, endlich, die heitere Erſcheinung einer 
dieſer laſterhaften Neigungen ſeine Hoffnung ſtärken 
konnte, indem ſie ihm Kraft gab, zur Tugend zu 
gelangen. | | | | 


Gäbe es für die Auslegung des Dante eine Über⸗ 
lieferung, ſo müßten wir uns unbezweifelt deren 
Autorität unterwerfen; aber, da die Mehrzahl der 
neueren Commentatoren gezeigt hat, daß die alten 
Ausleger den Sinn mehrerer Stellen auf eine ſonder⸗ 
bare Art mißverſtanden haben, ſo wird es erlaubt 


240 
ſeyn, eine neue und einfachere uns zu ver⸗ 
ſuchen. | 


Es ſcheint mir, daß Dante nicht von dem, was 
dem menſchlichen Schickſal gemeinſchaftlich iſt, wie 
dem Zuſtand der Sündhaftigkeit und der Anſtren⸗ 
gung, ſich zur Tugend zu erheben, geſprochen haben 
muß; noch daß er ſo weit von den Dogmen ſeines 
Glaubens abgewichen ſeyn würde, als er doch ge 
than hätte durch die Annahme „der Menſch gerathe 

in die Sündhaftigkeit und verlaſſe fie wieder während 
ſeines Lebens; ſondern daß, im Gegentheil, Alles 
aus ſeinem Leben, und den, mit dieſem verknüpften, | 
Einzelheiten erläutert werden muß. 


Die ganze Allegeri⸗ ſcheint ſich auf e Art 
ganz einfach zu erklären: Dante bekennt ſelbſt, er 
ſey, nachdem ſeine Jugendzeit verſtrichen, in einem 
Zuſtand des Elends geweſen, da la diritta via era 
smarrita, und er ſich ſelbſt in die Finſterniß der 
Nacht gehüllt ſah; — welches ſagen will, daß er, von 
Leidenſchaften angefallen „jene Wachſamkeit über ſich 
ſelbſt, und jene Kraft, ſich ſelbſt, den Geboten der 
wahren Vernunft und den ewigen Geſetzen gemäß, 


241 


zu leiten, verloren hatte, ohne welche der Menſch 
ſeines vollkommen freien Willens verluſtig geht, — 
ein Zuſtand, in den ſich die Seele unvermerkt und 
plötzlich verſetzt ſieht wie er, der, „voll von Schlafn 
(pien di sonne); an ſolch einen unbekannten Ort 
geführt ward. Aber dieſer Zuſtand des Geiſtes iſt 
nicht ſo anhaltend, daß er nicht wachſame Momente ge⸗ 
ſtatte, während derer wir vor unſern Augen das 
Licht der Wahrheit und der Weisheit ſehen. Daß 
dieſe Wahrheit nicht allein die weltliche Weisheit, ſon⸗ 
dern die, durch die Offenbarung erleuchtete, Weis⸗ 
heit ſey, ſcheint mir durch den, von den Sonnen: 
ſtrahlen umleuchteten, Hügel angedeutet zu werden. 
Er enthüllt ſich dem Dichter, und zeigt ihm 
den Pfad aufwärts zum Gipfel; aber die wilden 
Thiere treten ihm als Hinderniſſe auf ſeinem Weg 
entgegen. Ich glaube nicht, daß Dante mit dieſen 
wilden Thieren etwas anderes, als die Hinderniſſe, 
die ihn veranlaßten, das weitere Fortſteigen bis zur 
Spitze des Hügels aufzugeben, andeuten wollte. 
Vielleicht ſind ſie Individuen, und beſondere Feinde 
des Dichters: vielleicht find fie Perfonificationen, 
e 16 


242 


welche ich nicht im Stande bin, hinreichend zu erklä⸗ 
ren: aber dieß zeigt nicht, daß meine Anſicht un⸗ 
haltbar iſt. Was den Wolf (carca di brame) be⸗ 
trifft, ſo ſcheint es offenbar, daß er die Partei der 
Guelphen, oder die der Römiſchen Kirche bezeichnet, 
— der Wolf iſt ja überdieß das eigentliche Wahrzei⸗ 
chen Roms, in Rückſicht auf deſſen Urſprung; daß 
die vielen Thiere, mit denen er ſich verbindet (molti 
son gli animali, a cui s'ammoglia), die verſchie⸗ 
denartigen Elemente andeuten, aus welchen, zu ver⸗ 
ſchiedenen Zeiten, die Partei der Guelphen zuſam⸗ 
mengeſetzt war, und daß der Prieſter von dem 
Haupt der Ghibellinen beſiegt werden würde, indem 
der Dichter hierin die gewöhnliche Weiſe dichteriſcher 
Prophezeiung befolgt. Non salirai tu alla cima, 
ſagt Virgil, per questa strada: das heißt, es iſt 
unmöglich, daß Du zur Weisheit gelangſt, wenn 
Du in der Welt wanderſt, wie Du bisher gethan haft; 
es iſt nöthig, daß Du ſie verläßeſt, und daß 
Du, durch die Betrachtung des menſchlichen Lebens, 
ſeiner Fehler und Laſter, — zu welchem Zweck die Füh⸗ 
rung eines, blos durch das natürliche Licht erleuch⸗ 
teten, Weiſen hinreichend iſt — dich vorbereiteſt, 


243 


um zur Kenntniß der übernatürlichen Dinge im Rei⸗ 
che Gottes zu gelangen, welche durch das Stu⸗ 
dium der heidniſchen RENT nicht erreicht wer⸗ 
den kann. 

Auf dieſe Art, fo ſcheint es mir, wird der ver⸗ 
wickelte Knoten dieſer e 9 3 alle Gewalt⸗ 
ſamkeit gelöſt. n 


Einleitung 


Die Freiheit hängt nicht allein von der r Befehge 


bung ab 
England | 
Niebuhr's Werk über Großbrilannien 
Geſchichtſchreiber Rom's 
Niebuhr und Gibbon 
Carnot 
Holland und Belgien. — Der ii: und die Kb 
niginn der Niederlande 
Niebuhr's nn des Lateiniſchen 
Homer 
Niebuhr's Sprachreunmiſe 
Mißbrauch der Gewalt e 
Wichtigkeit einer guten Handſchrift 8 
Wichtigkeit, Alles gleich correct zu ſhrelben 
Napoleon's Handſchrift 
Pergament 


Seite 
19 


N N T 8 


87 


8 


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101 
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246 


Michel Angelo. — Erſer u von Italien 
Machiavelli 

Niebuhr's väterlicher Wunſch 

Spalding. — Niebuhr's Römiſche Geſchichte 
Niebuhr's Römiſche Geſchichte 
Rath für die Jugend l 
Zeichen der ſchnellen Flucht der Zeit 
Niebuhr's Gedächtnißkraft a 
Frankreich eine Republik 

Parteien in Frankreich 


N 


Pius des Siebenten Meinung von Prinz Soheniche 
Intereſſe des Pabſtes an Niebuhr's Arbeiten. — 


Sein Segen 
Citronen vom Pabſt überſandt 

Niebuhr's Vater. — Franklin 

Heinrich der Vierte, König von Wente 
Anſehn des Geſetzes bei den Römern 
Athen. — Sparta 

Heuchleriſche Kritiker ; 
Die Römer im weſentlichen Landbauer 
Zeitverluft 

Metaphyſik 8 

Friederich Heinrich Jacobi 0 
Niebuhr's Umgang mit andern Gelehrten 
Der Vatifan | 
Kalifen 


1426 


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128 
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131 


Slaviſch 

Idee der Unreinigkeit mit dem webe: De 
Palladium 

Schlacht auf dem weißen Leh 

Fra Paolo t 2 5 


Einfluß der Religion im alen 10 neuen Kom 8 


Verluſt der Mexikaniſchen Literatur 
Todesſtrafe gegen den Nicht⸗Siegenden 
Geiſtliche Uebungen | 
Chronik von Cölln 

Gutsbeſitzer bei Albano. — Joseph in e 


Griechiſche Revolution. — Große en ei⸗ 


nes Befreiers 
Ali Paſcha's Muth 
Graf Deſerre ; 
Beſuch zu Pompeji mit Graf 3 


Klopſtock. — Graf Deſerre's Bekanntſchaft mit ihm 


Die Franzoſen 


Napoleon, und Alexander's RER von n Ther- 


waldſen ; 
Kleine Häuſer im Alterthum 
Häuslichmachung der Lazzaroni , 
Joſeph Bonaparte's Regierung in Neapel 
Einfluß der Krone 
Piſa 


188 
134 


Clauſur der Klöfter . re - 


247 


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148 


248 


Seite 
Maßregeln, welche die Cultur des Bodens in man: 
chen Theilen Italiens fördern würden 146 
Niebuhr ſtrebt nicht nach dem Adelstite!! 151 
Thorwaldſen naar. ra T. en 
Napoleon's Character d . „ ene 
Gigs i nat dm mil s i ze Tre 
Napoleon Fe eee u um 
Märtyrer csg r d Nos 
Antikes Meſſer von Stein . ene 
Monte Cavo 2 . Mar H . 158 
E 3. NE u 
Canova e - { h 164 
Abläſſe . e . ER, 166 
Beſuch im Collegio Romans un aan 
Capuceini, Secretair des Cardinal Conſalvi re RS 
Vorſtellungen vom Altertum { 175 


Einfluß der Deutſchen Stämme auf die Jaaleniſche 
Sprache aon ee 


Ausſprache des Lateiniſchen . Fenn 
Orthographie 5 Ä „„ 181 
Das Lateiniſche Wort „Opscenu . 15082 
Ferdinand der Vierte „„ : 
Det 9. Franziskus es en., ee ens, 
Heinrich Georg Pertz . 1.8587 


Niebuhr's Kenntniß des mnie i * 
Mißgriffe der e g 3 - . 188 


1 a x 


Eiteräcifihe Gewalt von Paris 
Machiavelli. — Segretario Fiorentino 


Italieniſche Bibelüberſetzungen 5 


Preßfreiheit 

Alexander Hamilton FR 

Theilbarkeit des Landes 

Letzter Wille im Ausland errichtet 

Wahrhaft große Dinge 

Carnot 

Valez 

General 1 

Klopſtock 

Horaz ; \ \ 

Ignatius Potock !! 

Ueberreſte der Scipionen 

Shakspeare frühzeitig nach Deut talen SER 

Anticipirter Straferlaß | 

Sklaverei hat niemals in Aſien eriſtirt 

Proteſtanten in der Türkey 

Toleranz des Mufti | 

Türfifche Gewiſſenhaftigkeit 

Herodot 8 r 5 

Die Kaiſer Maximilian und Ser — Onſav 

Adolph. — Lutheraner und N 

Bauernkrieg 

Wohlſtand in Deutfehland v vor dem Dreißigjäßeigen 
Krieg 


250 


Verhälniß der im Kriege Getödteten 


Bewäſſerung und Anbau der Campagna Romana 
Einführung der Muskete in Deutſchen Armeen 
Parlamentariſche Ordnung der eee Cortes 


Spaniſcher Charakter 

Skulptur in Rom ; e 
Cäſar. — Mirabeau. — Brutus. — Cato 
Abkunft des Pabſtes Pius des Siebenten 
Parteigeiſt 

Geſchichte des Mittelalters 

Der Deutſche Orden 

Croaten : g . 
Herkules 

i Flemming. — Dip. - — 8 — Seultets 
Galilei 

Franzöſiſche Royaliiten 

Prieſter zur Zeit des Ariftophanes 


Mißhelligkeit zwiſchen dem Pabſt und dem Maestro 


di Palazzo 
Contubernium 
Marius und Sylla 
Die Bourbons 
Candia \ 
Napoleon und RAD: — - Grpnlan N 
Klöſter 
Spanier 


Urſprung des Carnavals 
Menſchliche Körperkraft 
Einfluß der Päbſte 
Alte Landſtraßen a 
Vereinigte Staaten und England 
Leo der Große 5 f 
Die Franzoſen in Italien 
e Geburten 
Ganganelli 
Attila 
Schmeichelei gegen She 
Lucian Bonaparte 
Cöleſtin der Fünfte 
St. Peterskirche 
Italieniſche Sprache 
Niebuhr's Geſchichtswerk 
cb 
Ein Capo: 3 
Venetianer er 
Unwiſſenheit in Rom a . » 
Testa. — Rostro 
Orakel 
Frühe Civiliſation 
Abhandlung über die Allegorie im BR Geſang 
des Dante 


Berichtigungen. 


Seite 23 Zeile 11 v. o. fl, Kurz“ l. Kurz, 


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— 69 — 
— 107 — 


1 


8 v. u. zwiſchen „Bonnetetät“ und „üben“ 
ein Komma. 

8 v. u. fl. ahndete⸗ l. „ahnete*. 
9 v. o. ſt. „Raiſonnements über die wich⸗ 


tige Punkte“ l. „Forſchungen über wich⸗ 


tige Punktes. 
2 v. u. zwiſchen „wiſſen“ und „beiläufig“ 


ein Komma. 


10 v. o. zwiſchen EN und „er“ ein 
Komma. g 


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