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Full text of "Ernst Hamburger Collection 1913-1980"

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52       Sonntag,  8.  März  1970    Nr.  111     (Fernausgabe  Nr.  66) 


LITERATUR  UND  KUNST 


3lcuf  ,%rd)cr  Leitung 


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Lied-  und  Kantatenproduktion,  übrigens  auch 
einer  entsprechend  stark  entwickelten  Orgelbau- 
kunst steht  allerdings  auch  die  Tatsache  gegen- 
über, daß  Paul  Gerhard  auf  das  ostpreußische 
Kirchenliedschaffen  ebenso  wenig  wie  Johann 
Sebastian  Bach  auf  die  Königsberger  Kantoren 
und  Organisten  gewirkt  hat. 

Wie    sehr    Ostpreußen    auf    dem    Gebiet    des 
Kirchenhaus  Gewaltiges  geleistet  hat,  geht  schon 
daraus  hervor,  daß  Hubatsch  diesem  Thema  nicht 
nur  im  darstellenden   Band  I   immer  wieder  viel 
Aufmerksamkeit   geschenkt,   sondern   sogar   einen 
besondern    Band    II    des   Gesamtwerks   gewidmet 
hat.    Von    Hubatschs    langjähriger    Mitarbeiterin 
Iselin    Gundermann    betreut    und    herausgegeben, 
enthält   dieser   auch   technisch   hervorragend   aus- 
gestattete   Band    neben    genauen    Verzeichnissen 
nicht  weniger  als  715  Bilder  ostpreußischer  evan- 
gelischer  Kirchen   und,    in   einem   wohldokumen- 
tierten Textteil,  Bemerkungen  «zur  Baugeschichte 
der   ostpreußischen   Kirchen»    sowie   eine   genaue 
Beschreibung     sämtlicher     evangelischer     Gottes- 
häuser  und   kirchlicher  Anstalten.   Hubatsch   und 
Gundermann  zeigen  hier  außer  den  zu  evangeli- 
schen Andachtsstätten  umgewandelten  ehemaligen 
Ordenskirchen  und  den  als  Folge  der  Notzeiten 
wie    der    Hinwendung    zur    Innerlichkeit    einfach 
gehaltenen  Predigtkirchen  des  Retablissements  zu 
Beginn  des  18.  Jahrhunderts  im  weitern  die  zahl- 
reichen, von  Berlin  aus  programmierten  romani- 
schen oder  gotischen  Neubauten  des  19.  Jahrhun- 
derts wie  die  sogenannten  Jubiläumskirchen  und 
damit  natürlich  auch  die  Eigentümlichkeiten  der 
jeweiligen  Bauzeit;  sie  weisen  die  Eigenheiten  des 
Stils  den  grundverschiedenen   Eigenarten  der  Be- 
völkerung   —    der    Bauern,    Städter,    Gutsherren, 
der  Obei-iänder,  Natangcr,  Litauer  oder  Masurcn 
—   zu  und  orientieren  über  Baumeister  und  Ar- 
chitekten, Bildhauer,  Maler  und  Orgelbauer,  wel- 
che   in    vielen     auswärtigen     und    einheimischen 
Werkstätten  nicht  nur/schlichte  Gotteshäuser  ge- 
baut,'sondern  diese  iuch  mit  kunstvollen  Altar- 
aufbauten,  Kanzeln,/Gestühl,   Beichtstühlen,   Or- 
geln und  Orgelprosj/ekten  geschmückt  haben. 


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Schließlich  gelingt  es  Hubatsch  in  glücklicher 
Weise,  durch  die  Erinnerung  an  bedeutende  Für- 
sten, Beamte,  Theologen  und  Pfarrer  das  Bild  der 
evangelischen     Kirche    Ostpreußens    lebendig    zu 
machen.  Oft  nur  in  Form  knapper  Hinweise,  oft 
ausführlicher  skizziert  er  das  Lebensbild  und  Le- 
benswerk zahlreicher  Persönlichkeiten.  Ob  es  sich 
nun  um  einen  einfachen  Doripfarrer  handelt  wie 
Michael    Burckhardt,   der   33   Jahre   lang   treu    in 
ein  paar  Nehrungsdörfern  «gegen  Gleichgültigkeit, 
Trägheit,    Armut,    Stumpfsinn»    ankämpfte,    um 
den     unbestrittenen     Führer     der     Königsberger 
Orthodoxie   Johann    Jacob   Quandt.   der  als   viel- 
seitig   begabter    Philologe   außer   den    klassischen 
Sprachen  Französisch,  Englisch,  Holländisch,  He- 
bräisch, Arabisch  und  Syrisch  verstand,  dazu  zu- 
gleich «der  einzige  deutsche  Redner»  war  (Fried- 
rich   IL:    «Ich    habe    niemals    besseres    Deutsch, 
schönere  Wendungen  und  einen  fließenderen  zier- 
lichen  Vortrag   gehört   als   von    Herrn   Quandt»). 
um    den    Feldprediger    Franz    Albert    .Schultz,    in 
dessen    Regiment    es    keinen    Soldaten    gab,    «der 
nicht    seine    Bibel    aufschlagen    und    die    Sprüche 
mitlesen     konnte»,     oder    um     geistliche     Wider- 
standskämpfer wie  die  Pfarrer  Arnoldt  und  Do- 
nalitius,    die    mit    Bibelsprüchen    beziehungsweise 
Predigttexten  der  russischen  Besetzung  schon  im 
Siebenjährigen   Krieg   die   Stirn   boten    —    gerade 
diese  Ausführungen  zeigen  noch  einmal  das  eigent- 
liche   und    tiefste    Anliegen    des    Verfassers:    aus 
dei     Geschichte    der    evangelischen    Kirche    Ost- 
preußens   die    Kraft,    die    Zuversicht,    vor    allem 
aber  die  Liebe  zu  gewinnen,  die  jeder  Christ  heule 
in   seinem   Verhältnis   zur   Kirche   dringender   als 
je  benötigt. 

Daß  unter  solchen  Voraussetzungen  sämtliche 
Hilfsmittel  und  Methoden  des  Historikers  — 
Quellennachweise,  Bibliographien,  biographische 
Daten,  Sach-  und  Namenregister  —  einwandfrei 
eingesetzt  werden,  sei  dankbar  nur  am  Rande 
noch  vermerkt. 

Walther  Hubatsch:  Geschichte  der  evangelischen  Kirche 
Ostpreußens.  3  Bände  Vandenhoeck  und  Ruprecht,  Göt- 
tingen 1968/69. 


Bemerkungen 


2  u  IV  e  r  k 


VlT^V  1 


Deutschland  vor  1914 

Fritz  Fischers  und  des 
I 
^         Von  Peter  Stadler 


Fritz  Fischers  «Griff  nach  der  Weltmacht» 
(1961)  mit  seiner  umfangreichen  Darstellung  der 
deutschen  Kriegszielc  im  Ersten  Weltkrieg  ist 
das  wenn  nicht  meistgelesene,  so  doch  meist- 
diskulierte  und  meistumstrittene  deutsche  Ge- 
schichtswerk der  196()er  Jahre  gewesen.  An  zwei 
Historikerkongressen  (dem  deutschen  \or\  1964 
und  dem  internationalen  von  1965)  stand  es  im 
Kreuzfeuer  erregter  Voten  und  Gegenvoten.  Das 
hängt  mit  seiner  nur  scheinbar  gegenwartsent- 
rückten,   in    Wirklichkeit    aber    eminent    zeitge- 


Grafen  Otto   zu  S  to  Ihe  rg-fVe  r  n  ige  rode 


scher  hält  sich  darstellerisch  zwischen"'  diesen 
beiden  Polen  etwa  in  der  Mitte  —  er  geht  zwar 
aus  von  den  gesellschaftlich-ökonomischen  Trieb- 
kräften und  Strukturen,  schwenkt  aber  im  win- 
dui^sreichen  Verlauf  seiner  Schilderung  dann 
dach  in  mehr  herkömmliche  Bahnen  ein. 
/  Als  Voraussetzung  und  Symptom  der  deut- 
schen Sonderentwicklung  nach  ISSO  vermerkt 
^r  eine  sich  steigernde  Unruhe  und  Divergenz 
^der    Kräfte;    «Denn    hier    wurde    die    Spannung   l 


in    allen    Ländern    verbreitet,    also    eine    gesamt- 
europäische Erscheinung. 

Fischer    weist    auf    den    Konjunkturrückgang 
des  Jahres   1913  hin.  der  bei  den  Unternehmern 
die  ohnehin   schon  vorhandene   Bereitschaft,  den 
steigenden   Sozialleistungen   und  der  sogenannten 
«Versicherungsseuche»  Einhalt  zu  gebieten,  noch 
verstärkte.  Der  Gedanke,  einen  siegreichen  Krieg 
zur    Aufhebung    des    demokratischen    Reichstags- 
wahlrechts   auszunutzen,    scheint    aber    doch    nur 
ganz    vereinzelt    ventiliert    worden    zu    sein.    Daß 
die    Konkurrenzschwierigkeilen    auf    dem    Welt- 
markt eine  Kanalisierung  des  deutschen   Exports 
in  Richtung  Türkei  bewirkten,  ist  ebenso  bekannt 
wie  das  intensivierte  deutsche  Interesse  am  klein- 
'asiatisch-mesopotamischen  Raum,  das  sich  daraus 
ergab.   Aber  ließen  nicht  gerade  solche   Kapital- 
investitionen eine  friedliche  Entwicklung,  wie  sie 
sich    nach    dem    Zweiten    Balkankrieg    durchaus 
wieder    als    möglich    erwies,    wünschenswert    er- 
scheinen?   .Albert    Ballins   pessimistische    Einsicht, 
«daß  unsere  ewig  sich  erweiternde  Industrie  auch 
einen      ewig      sich      erweiternden      Absatzmarkt 
braucht  und  daß  diese  Erweiterung  unserer  Aus- 
landsmärkte immer  ernster  gefährdet  wird»,  steht 
sicher  stellvertretend  für  manche  ähnlich  formu- 
lierten   Sorgen.    Aber    sie    impliziert    keineswegs 
einen  Kriegswillen,  und  auch  Fritz  Fischer  unter- 
schiebt ihr  diese  Intention  nicht.  Eir  weist  jedoch 
auf  die  Nachbarschaft  anderer  schwerindustrieller 
Stimmen     hin,    die    solchen     ungünstigen     Lage- 
beurteilungen «ein  aktives,  drängendes  Moment» 
gegeben    hätten.    So   etwa   diejenige    Hugenbeigs. 
der  als  Vorsitzender  des  Krupp-Direktoriums  imd 
Mitglied   des    Direktoriums   des   Zentralverbandes 
deutscher  Industrieller  anläßlich  einer  Ansprache 
im   April    1914   die   Hoffnung   äußerte   auf   «eine 
befreiende    Kraftprobe,    hinter   der    uns   ein    kla- 
rerer und  weiterer  Himmel   und  die   Möglichkeit 
winkt,  an  unsere  ganze  wirtschaftliche  und  poli- 
tische Zukunft  sehr  viel  größere  Maßstäbe  anzu- 
legen, als  wir  es  bisher  in  unserer  Bescheidenheit 
getan  haben». 

Solche  Hinweise  auf  die  Notwendigkeit  eines 
kommenden  Krieges  hat  der  Verfasser  in  großer 
Zahl  gesammelt  —  aus  Reden,  Denkschriften, 
Zeitungsartikeln  —  unCf  solche  Aeußcrungen 
minuziös  als  Fundament  seines  Plädoyers  ausge- 
arbeitet. Man  darf  das  Gewicht  mancher  Stimmen 
fnicht  einfach  verringern.  Eines  der  beachtens- 
werten Ergebnisse  des  Buches  scheint  mir  darin 
izu  liegen,  daß  er  der  alldeutschen  Bewegung  eine 
wirkungsvollere  Funktion  innerhalb  der  deut- 
|Schen  Politik  zumißt,  als  es  bisher  geschehen  ist, 
daß  er  ihre  Wirkungen  auf  die  Führungsschichten 
iin  Industrie  luid  Militär  verfolgt.  Sicherlich  er- 
scheint gar  manches  vorweg,  was  dann  in  der 
Kriegszieldebatte  an  Breitenwirkung  gewinnt, 
manches  auch,  was  als  prekäre  Vorwegnahme 
totalitärer  Staatsauffassung  fast  noch  fremd  in 
der  Welt  vor  1914  anmutet.  Dazu  gehört  das 
üble  Buch  des  alldeutschen  Chefideologen   Hein- 


li'zwischen    der    alten     monarchisch-feudalen 


un*ü' 


schichtlichen   Fragestellung   zusammen.   Am   Bei-  ||üer  neuen  bürgerlich-kommerziellen  Struktur  im 
spiel  des  Ersten  Weltkrieges  entzündete  sich  die    '^asch  aufgestiegenen   Industriestaat  nie  ganz  aus- 


prinzipielle  Auseinandersetzung  um  Kriegsschuld 
und  Kriegsverantwortung,  die  dem  Zweiten  ge- 
genüber kaum  am  Platz  gewesen  wäre  —  denn 
über  Hitler  bestand  unter  den  ernstzunehmenden 
Historikern  ein  weitgehender  Meinungskonsens. 
Das  Herausfordernde  an  den  vohmiinös  vorge- 
tragenen Thesen  des  Hamburger  Historikers  be- 
stand aber  darin,  daß  er  in  den  deutschen  Kriegs- 


^getragen:  hier  konnte  die  soziale  Frage  unter  dem 
Druck  des  Bündnisses  von  Junkertum  und 
»Schwerindustrie  bis  1914  in  voller  Schärfe  fort- 
'bestehen;  und  hier  erfolgte  schließlich  der  Ein- 
tritt in  das  Zeitalter  der  Weltpolitik  und  Welt- 
wirtschaft zu  einem  relativ  ungünstigen  Zeit- 
punkt, als  die  Welt  schon  weitgehend  unter  die 
etablierten  Mächte  verteilt  war.»  Daraus  folgt  als 


zielen   von    1914—1918   deutliche  Vorwegnahmen  |  weitere  Präinisse:  «Spätestens  seit  1911,  so  glaube 
nationalsozialistischer  Hegemonialpolitik   in   ihrer 
ganzen     Uferlosigkeit    wahrnehmen     zu     können 
glaubte.  Die  Sorgfalt  der  Beweisführung  im  ein- 
zelnen ist  häufig  angefochten  worden,  das  Mate- 
rial als  Ganzes  aber  ließ  sie  doch  nicht  bagatelli- 
sieren.   Das    war    das    eine.    Eine    weitere,    viel- 
fachem   Widerspruch   ausgesetzte   These   Fischers 
lautete    dahin,    daß    schon    der    Krieg    von    1914 
von   deutscher   Seite   durchaus   bewußt    entfesselt 
worden    sei.    Das    lief   auf   eine    Erneuerung   des 
Versailler    Kriegsschuldspruches    hinaus,    wie    sie 
so  nebenbei   nicht  zu  bewerkstelligen   war.   Fritz 
Fischer  hat  sich,  offenbar  in  Anerkennung  dieses 
Sachzwanges,    erneut    hinter   die    Akten    gemacht 
und   legt    nun   als    Ergebnis   seines   Suchens   und 
Kombinierens  ein   neues,  kaum   minder  umfang- 
reiches   Werk    vor:    «Krieg    der    Illusionen.    Die 
deutsche  Politik  von  1911  bis  1914». 

1911  ist  das  Jahr  der  zweiten  Marokkokrise, 
dieser  letzten  eben  noch  mit  friedlichen  Mitteln 
geschlichteten  Auseinandersetzung  Deutschlands 
mit  seinen  weltpolitischen  Antagonisten.  Warum 
hat  Fischer  gerade  dieses  Jahr  zum  Ausgangs- 
punkt gewählt  anstelle  der  geläufigeren  Zäsuren 
von  1.S90  oder  1901/04?  Man  muß  hier  einiges 
vor;iiissct/cn.    l'ni    1*>30   überraschte   ein   genialer 


ich  zeigen  zu  können,  wurden  Kräfte  eines  neuen 
völkischen  Nationalismus  freigesetzt,  die  das  Ge- 
füge   des    alten    bürokratischen    Obrigkeitsstaates 
aufzubrechen  drohten.»   Denn  der  Rückschlag  in 
der   zweiten    Marokkokrise    führte   zum    «Durch- 
bruch   der    nationalen    Opposition»,    zum    Willen 
einer    um     den     Kronprinzen     und     I  irpitz    sich 
ischarenden    Oppositionsgruppe,    ein    «neues    Ol- 
rnütz»  um  jeden  Preis  zu  vermeiden  und  «Guil- 
iaume  le  timide»   nötigenfalls  über  den   Kanzler 
hinweg    zu    kriegerisch    beherzten     Entschlüssen 
fortzureißen.   Von   diesem   Wendepunkt   an   zieht 
sich  für  den  Verfasser  ein  roter  Faden  durch  das 
Gewirr  der   Ereignisse   und   Zusammenballungen, 
der  wirtschaftlich-politischen  Gruppierungen   und 
Gegengruppierungen;    da    ist    das    Feuer   an    die 
Zündschnur   gelegt    und    frißt    sich    unaufhaltsam 
fort,  bis  es   1914  die  große  Exph^sion  phmmäßig 
auslöst.   Der  leitende   Gedanke   steht   mithin   fest 
—    auf  beinahe  .SOO  .Seiten   wird   der  Ablauf  auf 
Grund    einer    imponierend    komponierten    Matc- 
rialfülle  an  Zitaten  herausgearbeitet,  variiert  und 
erweitert,   dann   wieder  reduziert    — ,   strukturelle 
Abschnitte  legen  sich  zwischen  solche  vorwiegend 
erzählerischen     Charakters.     Interessant     ist      das 
Buch  bestimmt,  auch  eine  der  detailliertesten  und 


rieh  Class  '■<\Venn  ich  der  Kaiser  war»  (em 
peinlicher  Druckfehler  macht  auf  S.  3,50  aus  dem 
Kaiser  einen  Käser)  mit  seinen  auf  ein  diktato- 
rial-antisemitischcs  Ermächtigungsregime  hinaus- 
laufenden Forderungen.  Dieses  Buch  dürfte,  wie 
so  manche  alldeutsche  oder  antisemitische  Buch- 
schrift aus  der  Zeit  unmittelbar  vor  1914,  zu  den 
geistigen  Nahrinigsmitteln  Adolf  Hitlers  gezählt 
haben.  Sicherlich  waren  da  Kräfte  am  Werk, 
über  die  man  nicht  einfach  hinwegsehen  darf. 
ein  Gleiches  gilt  von  den  vielen  Pressestimmen. 
Um  aber  zu  einem  gültigen  Urteil  über  den  Stel- 
lenwert solcher  Meiniingsäußerimgen  zu  gelan- 
gen, müßte  man  ein  möglichst  umfassendes  Spek- 
trum deutscher  Pressestimmen  überhaupt  anlegen 
und  daraus  zu  ermitteln  suchen,  wie  weit  etwa 
extreme  und  kriegsevozierende  Ansichten  durch 
andere  neutralisiert  oder  aber  summiert  wurden. 

Fi.scher  selbst  leistet  dazu  einen  wohl  unfrei- 
willigen Beitrag,  wenn  er  (in  einem  anderen  Zu- 
sammenhang) die  in  einer  konservativen  Zeitung 
erhobene  I'orderung  nach  besseren  Beziehinigen 
zu  Rußland  (wie  zu  Bismarcks  Zeiten)  erwähnt, 
die  nun  sicherlich  nicht  mit  der  sonst  mehrfach 
auftauchenden  Forderung  nach  einem  Präventiv- 
krieg gegen  dieses  Land,  der  einem  weiteren 
russischen  Rüstungsausbau  zuvorkommen  sollte, 
in  Einklang  zu  bringen  ist.  Fischer  erwähnt  auch 
die  sicherlich  verhängnisvolle  Russophobie  des 
Osteuropahistorikers  und  Kaisergünstlings  Theo- 
dor vSchiemann.  Doch  hat  gerade  dieser  Cielchrte 
ausgleichend  die  Pflege  guter  Beziehungen  zu 
England  gefordert.  Allgemein  wäre  zu  bedenken, 
wieweit  nicht  auch  in  anderen  Fändern  Natio- 
nalisten, Wirtschaftsexpansionisten  und  Militari- 
sten den  Tenor  der  Presse  beeinflußt  inid  viel- 
leicht bestimmt  haben.  Den  Vorwurf  einer  zu  aus- 
schließlichen Begrenzung  auf  deutsche  Voten. 
^cw    sich    I  ischers    «Griff    nach    der    Weltjiu» 


Es  kommt  dem  Verfasser  zugute,  daß  er  sel- 
ber Angehöriger  dieser  Führungsschicht  ist  und 
daß  sich  ihm  private  Nachlässe  erschlossen  haben, 
die  anderen  Forschern  kaum  zugänglich  gewor- 
den wären.  Zudem  hat  Otto  Graf  zu  Stolberg- 
Wernigerode  (Jahrgang  1893)  die  von  ihm  ge- 
schilderte Zeit  noch  selber  erlebt,  während  Fritz 
Fischer  (Jahrgang  1912)  sich  ihr  gegenüber  in  der 
Normalsituation  des  Historikers  befindet,  das 
heißt  sie  aus  den  Quellen  und  vom  Hörensagen 
kennt.  Dennoch  oder  vielleicht  gerade  deshalb 
hat  die  «Unentschiedene  Generation»  bei  weitem 
nicht  das  .Aulsehen  erregt,  das  dem  imponie- 
renderen  Werk  Fischers  in  so  reichlichem  Maße 
zuteil  geworden  ist.  Das  hängt  sicherlich  mit  den 
Zeitströmungen  zusammen:  die  «junge  Gene- 
ration», welcher  Stolberg-Wernigerode  sein  Buch 
widmet,  interessiert  sich  im  ganzen  wohl  mehr 
für  die  empordrängenden  als  für  die  ihren  Status 
bewahrenden  Schichten.  Dazu  kommt,  daß  die 
einleitenden  «allgemeinen  Bemerkungen  zur  deut- 
schen Außen-  und  Innenpolitik»  zu  den  schwä- 
cheren Teilen  des  Buches  gehören:  da  findet 
sich  wenig,  was  anderweitig  nicht  auch  schon  und 
sogar  besser  gesagt  worden  wäre.  Auf  dem  Höhe- 
punkt der  Darstellung  steht  der  Verfasser  jedoch 
dann,  wenn  er  sich  dem  eigentlichen  Thema 
seines  Buches  zuwendet.  Er  geht  aus  von  der 
Monarchie,  bietet  eine  sehr  abgewogene  und 
doch  recht  kritische  Charakterisierung  Wil- 
helms II.,  des  Kronprinzen  und  der  wichtigsten 
unter  den  damaligen  deutschen  Fürsten.  Dann 
wendet  er  sich  den  Ständen  zu,  beschäftigt  sich 
in  einläßlicher,  die  bekannten  Darlegungen  GoU- 
witzers  variierender  Darstellung  mit  den  Standes- 
herren der  Hofgesellschaft,  mit  dem  Adel  in  der 
ganzen  Vielfalt  seiner  Stufen  und  seiner  regio- 
nalen Verwurzelung. 

Einen  wirklich  geschlossenen  Charakter  hat  / 
die  ostelbische  Grundbesitzerklasse  bewahrt,  de- 
ren Kontakte  mit  den  anderen  Bevölkerungs- 
schichten verhältnismäßig  gering  geblieben  sind, 
die  im  allgemeinen  auch  eine  geringe  Reiselust 
bezeugt  und  sich  ungern  von  den  Gütern  trennt. 
Da  es  Eliteschulen  nach  englischer  Art  in 
Deutschland  höchstens  für  den  katholischen  Adel 
gab,  fehlte  es  außerhalb  der  Kadettenanstalten 
gleichwohl  an  den  Möglichkeiten,  eine  wirklich 
homogene  Führungsschicht  heranzubilden.  So 
gab  es  in  Deutschland  «auch  kein  Leitbild,  das 
dem  Typus  des  englischen  Gentleman  entsprach». 
Die  Normalausbildung  führte  über  das  Gymna- 
sium an  die  Universität,  wo  jedoch  das  standes- 
gemäße Leben  vor  allem  auf  das  Corps  und 
weniger  auf  das  Studium  ausgerichtet  zu  sein 
hatte.  Dem  Adel  gegenüber  bildete  das  wohl- 
habend gewordene  Bürgertum  keine  innerlich 
wirklich  geschlossene  und  gefestigte  soziale 
Gruppe. 

Es    hatte    dein    Selbstverständnis    des    Adels 
zumal  in  Preußen  nichts  Ebenbürtiges  entgegen- 
zusetzen, strebte  vielmehr  nach  Möglichkeit  einen 
adeisgleichen  Status  an.  Bezeichnend  für  die  so- 
ziale Stufung  des  mittleren  und  kleineren  Bürger- 
tums  sind   die   verhältnismäßig   vielen    Schichten, 
die   im    wörtlichen   Sinne    «dazwischen»    standen: 
«die  Techniker,  die  nicht  Diplomingenieure  wer- 
den   konnten,    die    Halbgebildeten,    die    sich    von 
den    Akademikern    mißachtet   fühlten,   die   Ange- 
stellten,   die    keinen     Beamtenstatus     erreichten, 
kleinere  und  mittlere  Beamte,  denen  der  Aufstieg 
in  die  höhere  Kategorie  verwehrt  war».  Die  Sozial- 
demokratie,   die    in    den    Reichstagswahlen    von 
1912  zur  stärksten  Partei  wurde,  wuchs  zu  einer 
eigentlichen    VolJUpartei    an,    was    ihr    eine    ent- 
schieden   oppositionelle    Haltung    erschwerte    und 
verwehrte.   Mit  Recht  wurde  darauf  hingewiesen, 
daß  es  ja  mit  einer  kleineren  Zahl  von  Abgeord- 
neten   im    August     1914    leichter    gefallen    wäre, 
die  Kriegskredite  abzulehnen.  Es  sind  aber  mehr 
nur   beiläufig   abrundende   Partien,   die   der   Ver- 
fasser den  unteren  Schichten  des  Volkes  widmet: 
der  vierte  Stand   ist   beispielsweise   nur  mit  einer 
knappen    Seite    bedacht.    Die    gewichtigsten    Ab- 
schnitte   gelten    den    Beamten,    den    Diplomaten, 
den  Offizieren   und  dem  Offiziersstand,  abschlie- 
ßende  Betrachtimgen   ähnlich   der  Staatsführung. 
Sie  enthalten  viele  wertvolle  Urteile,  wobei  sich 
Ansätze   ständischer  Selbstkritik    mit   historischer 
Analyse  und  Herleitung  durchdringen.  Der  Autor, 
iler  inehrere   wertvolle   Untersuchimgen   zur   Bis- 
marck-Zeit  geschrieben  hat  und  in  den  Jahren  vor 
1945    den    I. ehrstuhl    für    Neuere    Geschichte    in 
Rostock  innehatte,  kennt  durchaus  die  kritischen 
Fragestellimgen.  denen  sein  Thema  ausgesetzt  ist. 
Aber  er  macht  sie  sich  nur  mit  starken  Einschrän- 
kimgen   zu   eigen.   So  notiert   er  zwar  den   gegen 
die    Konservativen    der   wilhelminischen    Zeit    er- 
hobenen Vorwurf,  daß  sie  zu  einer  rein  ökonomi- 
schen    Interessengemeinschaft     geworden      seien, 
läßt    sich    jedoch    auf    eine    schlüssige    Stelhuig- 


/ 


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reichen,  von  lierliii  ;iiis  proizramniicrteii  n^inani- 
schcn  oder  gotischen  Neubaiilen  des  19.  Jahrhun- 
derts wie  die  sogenannten  Jubiläumskirchen  und 
damit  natürUch  auch  die  Eigentümlichkeiten  der 
jeweihgen  Bauzeit;  sie  weisen  die  Eigenheiten  des 
Stils  den  grundverschiedenen  Eigenarten  der  Be- 
völkerung" —  der  Bauern,  Städter,  Gutsherren, 
der  Oberländer,  Natanger,  Litauer  oder  Masuren 
—  zu  und  orientieren  über  Baumeister  und  Ar- 
chitekten, Bildhauer,  Maler  und  Orgelbauer,  wel- 
che in  vielen  auswärtigen  und  einheimischen 
Werkstätten  nicht  nuryschlichte  Gotteshäuser  ge- 
baut, sondern  diese  /ich  mit  kunstvollen  Altar- 
Gestühl,  Beichtstühlen,  Or- 
ikten  geschmückt  haben. 


aulbaulcn,   Kanzeln, 
geln  und  Orgelprosi 


it    Bibelsprüchen    bezicl 
ler  russischen  Besctzun] 
Krieg   die   Stirn   boten 
fingen  zeigen  noch  einmal 
iste    Anliegen    des    Verlj' 
der    Geschichte    der    evangelischen    Kirciie    Usi 
preußens    die    Kraft,    die    Zuversicht,    vor    allem 
aber  die  Eiebe  zu  gewinnen,  die  jeder  Christ  heute 
in   seinem    Verhältnis   zur    Kirche   dringender   als 
je  benötigt. 

Daß  unter  solchen  Voraussetzungen  sämtliche 
H  fsmittel  und  Methoden  des  Historikers  - 
Quellennachweise,  Bibliographien,  biographische 
Daten,  Sach-  und  Namenregister  -  einwandfrei 
eingesetzt  werden,  sei  dankbar  nur  am  Rande 
noch  vermerkt. 

Walthcr  Hubatsch:  Geschichte  der  evangelischen  Kirche 
Ostpreußens.  3  Bände  Vandenhoeck  und  Ruprecht.  Göt- 
lingen  1968/69. 


Deutschland  vor  1914 


Bemerkungen  zu   Werk/n   Fritz   Fischers  und  des  Grafen  Otto  zu  Sto Ibe rg-We rnigerode 


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\Mo^  ^ ' 


Von  Peter  Stadler 


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j. 


i." 


'  iFritz  Fischers  «Griff  nach  der  Weltmacht» 
(1961)  mit  seiner  umfangreichen  Darstellung  der 
deutschen  Kriegsziele  im  Ersten  Weltkrieg  ist 
das  wenn  nicht  meistgelesene,  so  doch  meist- 
diskutierte und  meistumstrittene  deutsche  Ge- 
schichtswerk der  1960er  Jahre  gewesen.  An  zwei 
Historikerkongressen  (dem  deutschen  von  1964 
und  dem  internationalen  von  1965)  stand  es  im 
Kreuzfeuer  erregter  Voten  und  Gegenvoten.  Das 
hängt  mit  seiner  nur  scheinbar  gegenwartsent- y 
rückten,    in    Wirklichkeit    aber    eminent    zeilge 


scher    hält    sich    darstellerisch    zwischen    diesen 
beiden  Polen  etwa  in  der  Mitte   -   er  geht  zwar 
aus  von  den  gesellschaftlich-ökonomischen  Trieb- 
kräften  und  Strukturen,   schwenkt   aber   im   win- 
dur^sreichen    Verlauf    seiner    Schilderung    dann 
dcjch  in  mehr  herkömmliche  Bahnen  ein. 
/  Als   Voraussetzung   und    Symptom    der   deui- 
^hen    Sonderentwicklung    nach     KSSO    vermerkt 
/er   eine   sich   steigernde    Unruhe    und    Divergenz 
,der    Kräfte;     «Denn    hier    wurde    die    Spannui^g^ 
zwischen    der    alten     monarchisch-feudalen     und* 


schichtlichen    Fragestellung   zusammen.   Am   Bei-  |der  neuen  bürgerlich-kommerziellen  Struktur  rni 


Spiel  des  Ersten  Weltkrieges  entzündete  sich  die 
prinzipielle  Auseinandersetzung  um  Kriegsschuld 
und  Kriegsverantwortung,  die  dem  Zweiten  ge- 
genüber kaum  am  Platz  gewesen  wäre  —  denn 
über  Hitler  bestand  unter  den  ernstzunehmenden 
Historikern  ein  weitgehender  Meinungskonsens. 
Das  Herausfordernde  an  den  voluminös  vorge- 
tragenen Thesen  des  Hamburger  Historikers  be- 
stand aber  darin,  daß  er  in  den  deutschen  Kriegs 


Wasch  aufgestiegenen  Industriestaat  nie  ganz  aus- 
getragen; hier  konnte  die  soziale  Frage  unter  dem 
^  Druck     des     Bündnisses     von     Junkertum     und 
Schwerindustrie  bis   1914   in   voller  Schärfe  fort- 
■bestehen;   und   hier  erfolgte   schlief51ich  der   Ein- 
tritt  in   das  Zeitalter  der  Weltpolitik   und   Welt- 
wirtschaft   zu    einem    relativ    ungünstigen    Zeit- 
punkt, als  die  Welt  schon  weitgehend   unter  die 
etablierten  Mächte  verteilt  war.»  Daraus  folgt  als 


zielen  von   1914—1918  deutliche  Vorwegnahmen  |  weitere  Prämisse:  «Spätestens  seit  1911,  so  giauhe 


nationalsozialistischer  Hegemonialpolitik  in  ihrer 
ganzen  Uferlosigkeit  wahrnehmen  zu  können 
glaubte.  Die  Sorgfalt  der  Beweisführung  im  ein- 
zelnen ist  häufig  angefochten  worden,  das  Mate- 
rial als  Ganzes  aber  ließ  sie  doch  nicht  bagatelli- 
sieren. Das  war  das  eine.  Eine  weitere,  viel- 
fachem Widerspruch  ausgesetzte  These  Fischers 
lautete  dahin,  daß  schon  der  Krieg  von  1914 
von  deutscher  Seite  duichaus  bewußt  entfesselt 
worden  sei.  Das  lief  auf  eine  Erneuerung  des 
Versailler  Kriegsschuldspruches  hinaus,  wie  sie 
so  nebenbei  nicht  zu  bewerkstelligen  war.  Fritz 
Fischer  hat  sich,  offenbar  in  Anerkennung  dieses 
Sachzwanges,  erneut  hinter  die  Akten  gemacht 
und  legt  nun  als  Ergebnis  seines  Suchcns  und 
Kombinierens  ein  neues,  kaum  minder  umfang- 
reiches Werk  vor:  «Krieg  der  Illusionen.  Die 
deutsche  Politik  von  1911  bis  1914». 

1911  ist  das  Jahr  der  zweiten   Marokkokrise, 
dieser  letzten  eben  noch  mit  friedlichen  Mitteln 
geschlichteten    Auseinandersetzung    Deutschlands 
mit  seinen  weltpolitischen   Antagonisten.   Warum 
hat   Fischer   gerade   dieses   Jahr   zum    Ausgangs- 
punkt gewählt   anstelle  der  geläufigeren  Zäsuren 
von   1890  oder   1901/04?   Man   muß  hier  einiges 
voraussetzen.   Um    1930  überraschte  ein  genialer 
junger    Außenseiter    der    deutschen    Geschichts- 
wissenschaft,   Eckart    Kehr,    seine    wenig    begei- 
sterten Zunftgenossen  mit  dem  sorgfältig  fundier- 
ten   Hinweis   auf   den    eminent    kapitalexpansiven 
Unterbau  der  deutschen  Flotten-  und  Weltmacht- 
politik. Damit  bahnte  sich  eine  Verschiebung  der 
Gewichte   an.   die   allerdings   vorerst    noch    nicht 
wirksam  wurde.  Jene  Abhandlungen  blieben  we- 
nig   beachtet;    sie    sind    erst    1965    durch    Hans 
Ulrich    Wehler    unter    dem    Titel     «Primat    der 
Innenpolitik»  neu  herausgegeben  worden  und  ent- 
halten   eine    sehr    interessante,    soziologisch    aus- 
gerichtete   Strukturanalyse    des    deutschen    Impe- 
rialismus.   Diese    Sehweise    wurde    erweitert    und 
komparatistisch  bereichert  durch  das  große  Werk 
des  gleichfalls  jungen  Historikers  Wolfgang  Hall- 
garten:   «Imperialismus  vor   1914».   das    1933   er- 
scheinen   sollte,    aber    der    Zeitumslände    wegen 
erst    1951    (in    Neuauflage    1964)    herauskommen 
und    zu     wissenschaftlicher     Wirkung      gelangen 
konnte.    So    wog    noch    bis    in    die    1950er   Jahre 
in    der   Beurteilung   der   Vorgänge   und    Entwick- 
lungen um  und  nach  1900  die  politisch-diplomatie- 
geschichtliche  Betrachtungsweise   vor.  die   in   den 
Darstellungen  der   Brandenburg,  Onckcn,   Langer 
und  zuletzt  noch  von  Luigi  Albertini  mit  großer 
Meisterschaft  gehandhabt  worden  war.  Fritz  Fl- 


ieh zeigen  zu  können,  wurden  Kräfte  eines  neuen 
völkischen  Nationalismus  freigesetzt,  die  das  Ge- 
füge   des    alten    bürokratischen    Obrigkeitsstaates 
aufzubrechen  drohten.»   Denn  der  Rückschlag  in 
der   zweiten    Marokkokrise    führte   zum    «Durch- 
bruch   der    nationalen    Opposition»,    zum    Willen 
einer    um     den     Kronprinzen     und    Tirpitz    sich 
scharenden    Oppi^sitionsgruppe,    ein    <  neues    OI- 
mütz»   um   jeden   Preis  zu  vermeiden   und   «Guil- 
laume  le  timide»    nötigenfalls   über  den   Kanzler 
hinweg    zu    kriegerisch     beherzten     Entschlüssen 
fortzureißen.   Von   diesem   Wendepunkt   an   zieht 
sich  für  den  Verfasser  ein  roter  Faden  durch  das 
Gewirr  der  Ereignisse   und   Zusammenballungcn, 
der  wirtschaftlich-politischen  Gruppierungen   und 
Gegengruppierungen;    da    ist    das    Feuer    an    die 
Züiidschnur   gelegt    und    frißt    sich    unaufhaltsam 
fort,  bis  es  1914  die  große  Explosion  planmäßig 
auslöst.   Der  leitende  Gedanke   steht    mithin  fest 
~   auf  beinahe  800  Seiten  wird  der  Ablauf  auf 
Grund    einer    imponierend    komponierten    Matc- 
rialfülle  an  Zitaten  herausgearbeitet,  variiert  und 
erweitert,   dann   wieder  reduziert    — .   strukturelle 
Abschnitte  legen  sich  zwischen  solche  vorwiegend 
erzählerischen     Charakters.     Interessant     ist      das 
Buch  bestimmt,  auch  eine  der  detailliertesten  und 
zugleich    geballtesten    Explikationen    der    letzten 
Vorkriegsjahre.   Man   wird   es  auf  jeden   Fall   zu 
Rate  ziehen  müssen.  Wie  steht  es  aber  mit  den 
Ergebnissen? 

Schon  der  Versuch,  mit  den  Mitteln  einer 
integralen  Historie  die  sozio-politischen  Basen 
des  nahenden  Verhängnisses  freizulegen,  gelingt 
nur  teilweise.  Gerade  die  an  sich  sehr  instruk- 
tiven \Nirtschaftsgeschichtlichcn  Partien  über  den 
«Zwang  zum  Export»  und  über  die  «Vorherr- 
schaft von  Junkertum  und  Großindustrie»  führen 
vielfach  zu  .Schlüssen,  die  keineswegs  einen 
Zwang  zum  Krieg  nahelegen.  Fischer  führt  zu 
wiederholten  Mafen  Planungen  eines  mittel- 
europäischen Wirtschaftsraumes  an.  die  in  deut- 
schen Wirtschafts-  und  Wissenschallskreisen  ent- 
worfen wurden,  selbst  der  Gedanke  einer  euro- 
päischen Zollunion  klingt  an.  Doch  ergibt  sich 
aus  dem  Kontext,  daß  solchen  Erwägungen  weni- 
ger politische  Hegemonialabsichlen  zugrundelie- 
gen als  vielmehr  die  Intention,  gegen  die  grö- 
ßeren Wirlschaftsräiime  der  Vereinigten  Staaten 
oder   Rußlands  ein   ansprechendes  Gegengewicht 

(zu  schaffen.  Auch  der  zutreffend  diagnostizierte 
und  im  einzelnen  belegte  «Antisozialismus  als 
Klammer  der  bürgerlichen  Parteien»  war  doch 
vor    allem    innenpolitisch    bedingt    und    überdies 


auf  die  NaLliharschaft  aiulcrer  sehwcrindiistricllcr 
Stimmen  hin,  die  solchen  ungünstigen  I.age- 
beuiteilungen  «ein  aktives,  drängendes  Moment» 
gegeben  hätten.  So  etwa  diejenige  Hugenbergs. 
der  als  Vorsitzender  des  Krupp  Direktoriums  und 
Mitglied  des  Direktoriums  des  Zentralvcrbandes 
deutscher  Industrieller  anläßlich  einer  Ansprache 
im  April  1914  die  Hoffnung  äußerte  auf  «eine 
befreiende  Kraftprobe,  hinter  der  uns  ein  kla- 
rerer und  weiterer  Himmel  und  die  Möglichkeit 
winkt,  an  unsere  ganze  wirtschaftliche  und  poli- 
tische Zukunft  sehr  viel  größere  Maßstäbe  anzu- 
legen, als  wir  es  bisher  in  unserer  Bescheidenheit 
getan  haben». 

Solche  Hinweise  auf  die  Notwendigkeit  eines 
kommenden   Krieges  hat  der  Verfasser  in  großer 
Zahl    gesammelt     —    aus    Reden.    Denkschriften, 
Zeitungsartikeln     —     unff    solche      Aeußerungen 
minuziös  als  Fundament  seines  Plädoyers  ausge- 
arbeitet. Man  darf  das  Gewicht  mancher  Stimmen 
'/'nicht    einfach    verringern.    Eines    der    beachtens- 
werten  Ergebnisse  des  Buches  scheint  mir  darin 
zu  liegen,  daß  er  der  alldeutschen  Bewegung  eine 
wirkungsvollere     Funktion     innerhalb    der    deut- 
schen Politik  zumißt,  als  es  bisher  geschehen  ist, 
daß  er  ihre  Wirkungen  auf  die  Führungsschichten 
in    Industrie   und    Militär   verfolgt.   Sicherlich   er- 
scheint   gar   manches   vorweg,   was   dann    in    der 
Kricgszieldebatte     an      Breitenwirkung     gewinnt, 
manches    auch,    was    als    prekäre    Vorwegnahme 
totalitärer    Staatsauffassung    fast    noch    fremd    in 
der   Welt    vor    1914    anmutet.    Dazu    gehört    das 
üble  Buch  des  alldeutschen  Chefideologen  Hein- 
aich    Cl,'iss     «Wenn     ich     x\cr    Kaiser    war»     (ein 
'  peinlicher  Druckfehler  macht  auf  S.  350  aus  dem 
Kaiser  einen   Käser)  mit  seinen  auf  ein   diktato- 
rial-antisetnitisches    Ermächtigungsregime   hinaus- 
laufenden Forderungen.   Dieses  Buch  dürfte,  wie 
so  manche  alldeutsche  oder  antisemitische  Buch- 
schrift aus  der  Zeit  unmittelbar  vor  1914,  zu  den 
geistigen    Nahrungsmitteln    Adolf   Hitlers   gezählt 
haben.    Sicherlich    waren    da    Kräfte    am    Werk, 
über   die    man    nicht    einlach    hinwegsehen    darf. 
ein  Gleiches  gilt   von   den   vielen    Pressestimmen. 
Um  aber  zu  einem  gültigen  Urteil  über  den  Stel- 
lenwert   solcher    Meinungsäußerungen    zu    gelan- 
gen, müßte  man  ein  möglichst  umfassendes  Spek- 
trum deutscher  Pressestimmen  überhaupt  anlegen 
und   daraus   zu   ermitteln    suchen,   wie   weit    etwa 
extreme   und    kriegsevozierende   Ansichten   durch 
andere  neutralisiert  oder  aber  sunmiiert  wurden. 

Fischer  selbst   leistet  dazu  einen   wohl   unfrei- 
willigen  Beitrag,  wenn  er  (in  einem  anderen  Zu- 
sanmienhang)  die  in  einer  konservativen   Zeitung 
erhobene    I  oiderung   nach    besseren    Beziehungen 
zu   Rußland   (wie  zu   Bismarcks  Zeiten)   erwähnt, 
die  nun   sicherlich  nicht  mit  der  sonst  mehrfach 
auftauchenden   Forderung  nach  einem   Präventiv- 
krieg   gegen    dieses    Land,    der    einem    weiteren 
russischen    Rüstungsausbau    zuvorkommen    sollte, 
in  FLinklang  zu  bringen  ist.  Fischer  erwähnt  auch 
die    sicherlich    verhängnisvolle    Russophobie    des 
Osteuropahistorikers  und    Kaisergünstlings  Theo- 
dor Schiemann.  Doch  hat  gerade  dieser  Gelehrte 
ausgleichend    die    Pflege    guter    Beziehungen    zu 
England  gefordert.  Allgemein  wäre  zu  bedenken, 
wieweit   nicht   auch   in   anderen   Ländern    Natio- 
nalisten,  Wirtschaftsexpansionisten    und    Militari- 
sten  den   Tenor   der   Presse   beeinflußt    und   viel- 
leicht bcstinmit  haben.  Den  Vorwurf  einer  zu  aus- 
schließlichen    Begrenzung    auf    deutsche     Voten, 
den   sich   Fischers   «Griff   nach   der   Weltmacht  * 
gefallen  lassen  mußte,  wird  man  auch  dem  vor- 
liegenden  Werk   nicht   ganz  ersparen   können.    In 
dieser  Hinsicht  war  schon  Hallgartens  Werk  uni- 
versaler und  deshalb  abgewogener.  Aber  das  darf 
doch   nicht    dazu    veranlassen,   über   dieses   Werk 
einfach   hinwegzugehen    —    dazu  ist  es  bei   allen 
anzubringenden    Vorbehalten    denn    doch    zu   we- 
sentlich.     Und      manche      Phase     der      Ereignis- 
geschichte   —    etwa  die   Mission   Haldanes    —    er- 
scheint doch  in  einem  neuen  Licht. 


Im  Unterschied  zu  Fritz  Fischers  Werk  ver- 
zichtet «Die  unentschiedene  Generation»  des 
Grafen  Otto  zu  Stolberg-Wcrnigerode  auf  das 
Durchexerzieren  eines  bestimmten  Beweises.  Das 
Interesse  des  Verfassers,  der  «Deutschlands  kon- 
servative Führungsschichten  >  am  Vorabend  des 
Ersten  Weltkrieges  untersucht,  gilt  .den  Men- 
schen, ilie  in  dieser  Zeit  gelebt  haben,  und  vor- 
nehmlich jener  Minderheit,  die  sich  im  Besitz 
der  Regierungsgewalt  befand  oder  die  durch  tlcn 
Einfluß,  den  sie  auf  Staat  und  Gesellschaft  aus- 
übte, als  führend  zu  betrachten  ist».  Dabei  ging 
es  ihm  darum,  «die  Handlungsmotive  von  ein- 
flußreichen Persönlichkeiten  oder  ganzer  Grup- 
I  pen    aus   Quellen    erster   Hand    kennenzulernen».  | 


helnis  IL.  des  Kronprinzen  und  der  wichtigsten 
unter  den  damaligen  deutschen  Fürsten.  Danq 
wendet  er  sich  den  Ständen  zu,  beschäftigt  sich 
in  einläßlicher,  die  bekannten  Darlegungen  Goll- 
witzers  variierender  Darstellung  mit  den  Standes- 
herren der  Hofgesellschaft,  mit  dem  Adel  in  der 
ganzen  VieUalt  seiner  Stufen  und  seiner  regio- 
nalen Verwurzelung. 

Einen  wirklich  geschlossenen  Charakter  hat 
die  ostelbische  Cirundbesitzerklasse  bewahrt,  de- 
ren Koniakte  mit  K\cn  anderen  Bevölkerungs- 
schichten verhältnismäßig  gering  geblieben  sind, 
die  im  allgemeinen  auch  eine  geringe  Reiselust 
bezeugt  und  sich  ungern  von  den  Gütern  trennt. 
Da  es  Eliteschulen  nach  englischer  Art  in 
Deutschland  höchstens  für  den  katholischen  Adel 
gab,  fehlte  es  außerhalb  der  Kadettenanstalten 
gleichwohl  an  den  Möglichkeiten,  eine  wirklich 
homogene  Führungsschicht  heranzubilden.  So 
gab  es  in  Deutschland  «auch  kein  Leitbild,  das 
dem  Typus  des  englischen  Gentleman  entsprach». 
Die  Normalausbildung  führte  über  das  Gymna- 
sium an  die  Universität,  wo  jedoch  das  standes- 
gemäße Leben  vor  allem  auf  das  Corps  und 
weniger  auf  das  Studium  ausgerichtet  zu  sein 
hatte.  Dem  Adel  gegenüber  bildete  das  wohl- 
habend gewordene  Bürgertum  keine  innerlich 
wirklich  geschlossene  und  gefestigte  soziale 
Gruppe. 

Es    hatte    dem    Selbstverständnis    des    Adels 
zumal  in  Preußen   nichts  Ebenbürtiges  entgegen- 
zusetzen, strebte  vielmehr  nach  Möglichkeit  einen 
adelsgieicnen  Status  an.  Bezeichnend  für  die  so- 
ziale Stufung  des  mittleren  und  kleineren  Bürger- 
tums  sind   die   verhältnismäßig   vielen   Schichten, 
die   im   wörtlichen   Sinne   «dazwischen»   standen: 
«die  Techniker,  die  nicht  Diplomingenieure  wer- 
den   konnten,    die    Halbgebildeten,    die    sich    von 
den    Akademikern    mißachtet   fühlten,   die   Ange- 
stellten,   die    keinen     Beamtenstatus     erreichten, 
kleinere  und  mittlere  Beamte,  denen  der  Aufstieg 
in  die  höhere  Kategorie  verwehrt  war».  Die  Sozial- 
demokratie,   die    in    den    Reichstagswahlen    von 
1912  zur  stärksten  Partei  wurde,  wuchs  zu  einer 
eigentlichen    Volk&partei    an,    was    ihr    eine    ent- 
schieden  oppositionelle    Haltung   erschwerte   und 
verwehrte.   Mit  Recht  wurde  darauf  hingewiesen, 
daß  es  ja  mit  einer  kleineren  Zahl  von  Abgeord- 
neten   im    August     1914    leichter    gefallen    wäre, 
die  Kriegskredite  abzulehnen.  Es  sind  aber  mehr 
nur   beiläufig    abrundende    Partien,   die   der   Ver- 
fasser den  unteren  Schichten  des  Volkes  widmet; 
der  vierte  Stand   ist   beispielsweise   nur  mit  einer 
knappen    Seite    bedacht.    Die    gewichtigsten    Ab- 
schnitte   gelten    den    Beamten,    den    Diplomaten, 
den  Offizieren  und  dem  Offiziersstand,  abschlie- 
ßende  Betrachtungen    ähnlich   der  Staatsführung. 
Sie  enthalten  viele  wertvolle  Urteile,  wobei  sich 
Ansätze   ständischer  vSelbstkritik   mit   historischer 
Analyse  und  Herleitung  durchdringen.  Der  Autor, 
der  mehrere  wertvolle   Untersuchungen   zur   Bis- 
marck-Zeit  geschrieben  hat  und  in  den  Jahren  vor 
1945    den    Lehrstuhl    für    Neuere    Geschichte    in 
Rostock  innehatte,  kennt  durchaus  die  kritischen 
Fragestellungen,  denen  sein  Thema  ausgesetzt  ist. 
Aber  er  macht  sie  sich  nur  mit  starken  Einschrän- 
kungen zu  eigen.   So  notiert  er  zwar  den  gegen 
die    Konservativen    der   wilhelminischen    Zeit   er- 
hobenen Vorwurf,  daß  sie  zu  einer  rein  ökonomi- 
schen    Intcressengetneinschaft     geworden      seien, 
läßt    sich    jedoch    auf    eine    schlüssige    Stellung- 
nahme hinsichtlich  der  Berechtigung  oder  Nicht- 
berechtigung    des    Vorwurfs    nicht    ein.    Die    von 
Fischer   ins   Zentrum   gerückte    Frage   nach   dem 
wachsenden     EinHuß    des      Alldeutschtums      auf 
Beamtenschaft  und  Offizierskorps  greift  er  eben- 
falls auf  und  stellt  einen  erhöhten   Anfälligkeits- 
grad   dieser    Körperschaften    fest,    glaubt    jedoch, 
daß  die  Staats-  und  die  Heerführung  von  solchen 
Einwirkungen     frei    geblieben     seien.     Es    gehört 
eben    zum    Wesen    tier    «unentschiedenen    Gene- 
ration», daß  in  ihr  alle  Möglichkeiten  offen  waren, 
die    zerstörerischen    Elemente    des    Radikalismus 
aber    noch    unter    Kontrolle    blieben.    Wer    also 
eine  eindringende  historisch-soziologische  System- 
kritik   des    deutschen     Konservatismus    erwartet, 
wird    hier    nicht    auf    seine    Rechnung    kommen. 
Doch  beruht  in  der  Fülle  der  Beispiele,  aus  wel- 
cher  der   Verfasser   zu   schöpfen   vermag,    in   der 
abwägenden    Cierechti<.ikeit    und    zurückhaltenden 
Bencvolen/    des    Urteils    die    Stärke    und    im    ge- 
wissen   Sinne    auch    die    Unersetzlichkeit    seines 
Buches. 


r-rit/  Fischer:  Krieg  der  Illusionen.  Die  deutsche  Politik 
von   1911   bis   1914.  Drostc-Verlag.  DiUseldorf   I%9. 

Otto  Gral' /ii  Siolbcry-VVernigerode:  Die  unentschiedene 
Generation.  Deutschlands  konservative  Führungsschichten 
am  Vorabend  des  Ersten  Weltkrieges.  Verlag  R.  Olden- 
bourg,   München  und  Wien   1968. 


h. 


VV 


r 


DAS  PARLAMENT 


DAS  POLITISCHE  BUCH     13 


Nr.  52/31.  Dezember  1977 


Eine  Herausforderung 
für  denkende  Zeitgenossen 

gefallen  lassen,  nicht  nur  auf  „geneigte"  -  wie  vom  ^.«^f.^^Tl'^^^^esp^^^^^^^  7J 
Sondern  auch  auf  garstige,  ärgerliche  und  auf  a  P^^^".  ^J^^^J^.^^^f^^^^^^^^^^^^ 
treffen  Das  ist  denn  auch  kein  Wunder,  denn  es  wird  hart  mit  jenen  vertan 
ren  die  un-  aber  auch  solchen,  die  redlich  auf  ihre,  dem  Gewissen  oder  der 
WUsenschaft  verpflichtete  Art  die  Probleme  ihr.r  Zeit  angingen  und  sie  zu- 
mindest ordentlich,  wenn  auch  nicht  letztendlich  geregelt  zu  haben  glauben. 
Wissenschaft,  auch  die  in  der  von  Balluseck  gegeißelten  klassisch-rationalisti- 
schen Form,  ist  durchaus  dialektisch  und  damit  widersprüchlich! 


Nehmen  wir  also  die  Kritik  vorweg: 
Die  Abrechnung  mit  der  herrschenden 
Schul-Weisheit.   die   der  Autor  erbar- 
mungslos  exekutiert,   scheint  mir  bis- 
weilen die  ebenso  simple  wie  fordern- 
de,   bald   gütige,   bald   einschneidende 
Aufgabe  derer  zu  mißdeuten,  die  for- 
schend   oder    handelnd    als    Wissen- 
schaftler. Politiker.  Arzte,  Lehrer  sich 
den  Forderungen  der  Zeit  stellen,  sie 
zu  enüllen  versuchen  und  dabei  ganz 
oder  zum  Teil  scheitern.  Dies  vorweg, 
weil  wohl   jeder   Leser   zuerst   einindl 
sich  in  eine  Abwehrstellunn,  gedrängt 
fühlt,   verteidigend,   was   sein    (bisher) 
gesicherter     Bestand     war     und     was 
leichten  Herzens  fahren  zu  lassen  von 
ihm  kaum  verlangt  werden  kann,  ihm 
vom  Autor  aber  zugemutet  wird. 

Mit  dem  Titel  schließt  von  Ballu- 
seck an  Jean  Pauls  „Dämmerungen 
für  Deutschland"  an.  Es  wäre,  so  be- 
ginnt das  Geleitwort,  „für  den  Verfas- 
ser kein  angenehmer  Umstand,  wenn 
man  den  Titel  des  Buches  deutlich 
fände  anstatt  dunkel  und  vieldeutig" 
—  so  die  Eingangsworte  von  Jean 
Paul  selbst,  die  der  Autor  in  Vereh- 
rung für  den  „skurrilen  Souverän  der 
deutschen  Sprache"  übernimmt. 


Unter  den  wünschenswert  vielen 
Lesern  dieses  Buches  wird  kaum  einer 
sein,  wie  immer  er  sich  letztlich  dazu 
stellt,  der  nicht,  wie  Walter  Dirks  von 
sich  bekennt,  „einige  Male  zusammen- 
zuckt". Das  Buch  erscheint  mir,  wenn 


Lothar  von  Balluseck:  „Auf  Tod  und  Le- 
ben". Letzte  Dämmerungen  für  Deutsch- 
land. Hohwacht-Verlag,  Bonn-Bad  Go- 
desberg  1977;  192  Seiten,  geb.  DM 
1980. 


damit  auch  unzureichend  charakteri- 
siert, als  die  tiefenpsychologisch  mo- 
tivierte und  instrumentierte  Entlar- 
vung politischen,  wissenschaftlichen, 
ideologischen  und  traditionalistischen 
Scheins  —  und,  weit  darüber  hinaus- 
gehend und  hier  erst  seine  Bedeutung 
gewinnend,  als  eine  Entschleierung 
des  entsprechenden  Seins. 

Der  Autor  läßt  alle  denkbaren  Vor- 
urteile im  negativen  wie  im  manchmal 
auch  berechtigten  positiven  Sinne  bei- 
seite und  geht  an  der  Erscheinungen 
Kern  heran.  Leiden  müssen  so  gut  wie 


alle  Denkmethoden,  sei  es  die  dialek- 
tische, die  rationalistische,  seien  es 
die  'liebgewordenen  Vorstellungen 
vom  Normalen  oder  Anormalen,  vom 
Gesunden  oder  Ungesunden,  sei  es. 
der  Glaube  an  die  Wissenschaftlicn- 
keit  unseres  Weltbildes  und  der  dar- 
aus fließenden  Entscheidungen  —  im- 
mer wieder  werden  unter  den  sicn 
überlagernden  Verpackungen  diP 
nackten  Tatsachen  hervorgezogen. 
Dabei  geht  es  weniger,  meist  gai 
nicht,  um  Klage  und  Anklage,  viel- 
mehr um  Richtigstellung  und  den  Ver- 
weis auf  neu  zu  ziehende  Schlüsse. 

Für    den    Verlasser    mag    und    soll 
wohl  dieses  Buch  —  in  einem  reich- 
haltigen   Autorendasein    an    hervorra- 
gender Stelle  stehend  —  so  etwas  wie 
die  Summe  mühevoller,   auch  quälen- 
der Überlegungen  und  befreiender  bi- 
kenntnisse  sein.  Er  zeigt  sich  außeror- 
dentlich belesen  und  kundig  auf  über- 
raschend vielen  Wissensgebieten.  Da- 
bei stützt  er  sich  in  seiner  Argumen- 
tation vielfach  auf  Autoren,  die  nicht 
unbedingt  in,  oder  aber  auch  weit  ne- 
ben den  überlieferten  und  etablierten 
Denktraditionen  stehen.  Nicht  zu  ver- 
wechseln indes  sind  diese  Denker  mit 
Sektierern,    vor    welchem    Fehlschluß 
nicht  eindringlich  genug  gewarnt  wer- 
den kann.  Manchen  Lesern  wird  man- 
ches, ja  vieles  schockierend  vorkom- 
men.  Wir   sagten   dies   schon   anfangs 
kritisch,   hier'  nun   ganz   anders:   denn 
von   Ballusecks  Buch  will  ein  hilfrei- 
ches   sein,    das    trotz    pessimistischer 
Grundeinstellung  von  der  skeptischen 
Hoffnung    ausgeht,    dem    Verständnis- 
vollen zur  Erkenntnis  zu  verhelfen. 

Fragt  man  nach  einem  Gesamturteil, 
das    besonders    auch    den    Nutzen    für 
die  politische  Bildung  im  Auge  hat,  so 
wird  man  folgern  können:  Der  Verfas- 
ser  setzt   die    Kenntnis   der    gängigen 
Diskussion  um  die  modernen  Wissen- 
schaftstheorien     voraus.      Hat      man 
sich  jedoch   in   das   Werk   eingelesen, 
so   sind  die  mitgeteilten   Erkenntnisse 
in   der  Tat   vielfach   verblüftend,   und 
sie    sind    in    dem   Sinne    politisch   bil- 
dend, als  sie  den  Schlüssel  zum  Ver- 
stehen  des   alltäglich   auf  den   Bürge-- 
eindringenden    Vordergründigen    bie- 
ten.   Von    einem    prominenten    Leser 
als  „nach  Form  und  Inhalt  hinreißend" 
bezeichnet,    kann    das    Buch    Erhebli- 
ches dazu  leisten,  die  Diskussion  über 
umstrittene,    vielfach    gar    nicht    ver- 
standene Fragen  anzuregen.  Rede  und 
Widerrede,      Wort      und      Widerwort 
könnten    so    manche    neue    Klangfär- 
bung  finden,   könnten  mit  mehr  Aus- 
sicht   auf    Erkenntnis    abgeklopft,    ge- 
wertet und  gewichtet  werden.  Ein  sel- 
tenes, ganz  besonderes  Buch. 

Eugen  Stamm 


Wie  der  „Zentrumsturm"  zerbrach 


rjie  Dusche  Zentrumspartei  -  im  Kampf  gegen  B.smarck  war  sie  entstanden 
•-'und  gewachsen,  als  Mittel  —  und  Mittlerpartei  hatte  se  sich  im  Kaiser- 
reich und  Tn  der  Weimarer  Republik  gehalten,  im  Schwanken  .wischen  Ab- 
Vhnung  des  Nationalsozialismus  und  Anlehnung  an  eine  ->"  "  "|^,  J«!"'"'^ 


Keqierung    war   sie    innerlich   zerbrochen,    bevor    sie 
dußen  vollends  zerschlagen  wurde 


Die    Endphase    der   Deutschen    Zen- 
trumspartei   schildert   Rudolf   Morsey, 
ein    guter     Kenner    der    Zentrumsge- 
•  chichte.  Es  ist  dies  eine  zweite  Fas- 
sung   der    bereits    1960    erschienenen 
Studie,  die  in  dem  Sammelwerk  „Das 
Ende    der     Parteien     1933-     enthalten 
war.    Inzwischen    gab    es    neue    For- 
schungsergebnisse,        differenziertere 
Deutungen  und  auch  eine  rege  öffent- 
liche Diskussion,  die  um  die  Frage  der 
Anfälligkeit     einer     kirchlichen,     also 
auf    Autorität     ausgerichteten     Partei 
gegenüber   einem   autoritären   Regime 
kreiste  —   eine   Diskussion,    die   sich, 
wie  Morsey  kritisiert,  nicht  selten  in 
eben   dieser  historisch  haltlosen  oder 
unergiebigen  These  verrannte. 

Eine  Überarbeitung  der  ersten  Stu- 
die war  jedenfalls  angebracht.  Neu 
nmgefügt  wurde  das  einleitende  Ka- 
pitel   „Zwischen    Politik   und   Kirche- 


Rudolf  Morsey:  „Der  Untergang  des  po- 
litischen Katholizismus**.  Die  Zentrunr»s- 
partei  zwischen  christlichem  Selbstver- 
ständnis und  .Nationaler  Erhebung" 
1932/33.  Belser-Veriag,  Stuttgart/Zürich 
1977;  280  Selten,  Leinen  DM  32,-. 


mit  den  Unterkapiteln    „Das  Dilemma 
der    Zentrumspartei",    „Zwischen    den 
Fronten".  »Die  Problematik  der  geist- 
lichen     Führerschaft".       ..Mitglieder, 
Fraktion,     Parteifinanzierung,     Partei- 
presse".   Wie    die    Stärken    der    Zen- 
trumspartei  zugleich   ihre   Schwächen 
waren,   ist  hier   gut   herausgearbeitet. 
Sie  war  im   Kulturkampf  zur   Vertre- 
umg     katholischer     Interessen,     vor- 
nehmlich  weltanschaulicher   und   kul- 
turpolitischer Art,  gegründet  worden, 
aber  nicht  nur  in  der  Defensive  gegen 
das  Staatskirchentum  und  den  moder- 
nen    Freisinn,     sondern     auch     zum 
Schutz     der     Katholiken     im     neuen 
Reich,    die    von    dessen    Grunder    als 
„Reichsfeinde"    abgualifiziert    worden 
waren. 

Dieser  Gründungszweck  ist  mehr 
und  mehr  verwässert  worden.  Dem 
modernen  Verständnis  von  Politik 
und  Partei  widerstrebte  zunehmend 
eine  ausgesprochen  und  ausschließ- 
lich konfessionelle  Formation.  Die 
deutschen  Katholiken  wuchsen  in  das 
neue  Reich  hinein,  die  Zentrumspartei 
gewann  mit  ihren  20—25  Prozent  der 


Bücher  zum  Thema  Urlaub  und  Tourismus 


Hans  Bensmann:  „Die  Reise-Gesell- 
schaft'*. Deutschlands  Urlauber  und 
die  Tourismus-Industrie.  Droste-Verlag, 
DüsseldoH  1976;  260  Seiten,  Lin&on  DM 
26,80. 

Rund  30  MiJl'cnen  Bundesbürger 
machen  im  Jahr  eine  Urlaubsreise. 
Die  touristische  Industrie  —  Reise- 
veranstalter, Transportunternehmen, 
Fremdenverkehrsorte  und  -verbände 
—  kurbelt  das  Geschäft  an,  das  Mil- 
liarden umsetzt  und  Millionen  in  Be- 
wegung hält.  Die  Reise  in  den  Urlaub 
gehört^  zu  den  selbstverständlichen 
Konsumgütern,  in  den  Massenmedien 
spielt  das  Thema  Tourismus  eine  im- 
mer größere  Rolle. 

Der  grenzenlose  Boom  hat  aber  in 
den  letzten  Jahren  nicht  nur  unge- 
ahnte Chancen,  sondern  auch  Proble- 
me mit  sich  gebracht:  Die  bevorzug- 
ten Ziele  an  den  Sonnenstränden  des 
Südens  oder  innerhalb  der  Bundesre- 
publik platzen  während  der  Hochsai- 
son aus  den  Nähten.  Andere  Gebiete 
werden  von  der  touristischen  Welle 
überrollt,  wieder  verlassen  und  blei- 
ben als  Ruinen  zurück.  Volkswirt- 
schaften leben  vom  Tourismus,  Um- 
welt wird  zerstört.  Politische  und 
wirtschaftliche  Entscheidungen  beein- 
flussen massiv  Reisepläne.  Der  einzel- 
ne Tourist  sieht  sich  einer  permanen- 
ten Kampagne  gegenüber,  die  ihm 
den  Duft  der  weiten  und  die  Schön- 
heiten der  nahen  yMelt  verspricht  — 
die  Realität  muß  er  selbst  erfahren. 


aus,  ohne  sich  der  selbstzerstöreri- 
schen Wirkung  ihres  Tuns  bewußt  zu 
sein.  Und  der  Druck  auf  die  Erho- 
lungslandschatten, das  Massenpen- 
deln zwischen  Stadt  und  Land  wird  in 
Zukunft  nocli  zunehmen.  Wie  kann 
man  diese  Entwicklung  in  Ordnung 
bringen  und  die  Nachfrage  nach  den 
immer  knapper  werdenden  Erholungs- 
landschaften befriedigen,  ohne  ihnen 
weitere  irreparable  Schäden  zuzufü- 
gen? 

Prof.  Krippendorf  analysiert  die  be- 
drohliche Situation  und  faßt  seine 
durch  sorgfältig  ausgewähltes  Bildma- 
terial ergänzten  Überlegungen  in  14 
Thesen  zusammen,  die  nicht  nur  für 
Tourismus-Produzenten,  sondern  auch 
für  den  Konsumenten  interessant 
sind.  — ^~" 


J.  Albrecht  Cropp:  „Von  der  Nordsee 
auf  die  Zugspitze".  Eine  Wanderung 
durch  Deutschland.  Mit  einem  Vorwort 
von  Philipp  Rosenthal.  Verlage  alpha  9/ 
Eschborn-Taunus  und  Hailwag,  Stutt- 
gart-Bern. 198  Selten  mit  82  z.  T. 
doppelseitigen  Farbaufnahmen  und  113 
schwarz-weißen  Abbildungen,  7  Karten- 
skizzen mit  Wegbeschreibungen.  Lei- 
nen DM  49,—. 

Weiträumige  Wanderungen  werden 
bei  den  deutschen  Wanderfreunden 
immer  beliebter.  Zu  den  passionierten 
Weilwanderern     gefiört     seit     Jahren 


Schaftsraum  des  Menschen  eingeglie- 
dert. Mit  der  Touristik  unserer  Zeit 
hat  diese  Entwicklung  einen  Höhe- 
punkt erreicht.  Eine  Gesamtdarstel 
lung  des  Alpenraums  und  aeinet 
Menschen  kommt  daher  einem  brei 
ten  Interessentenkreis  entgegen.  Ait- 
tor  und  Verlag  haben  sich  die  Aufga- 
be gestellt,  eine  Darstellung  des  Al- 
penraums zu  geben,  in  der  alle  Per- 
spektiven von  allgemeinem  Interesse 
angeschnitten  sind.  Der  Umfang  die- 
ses Lexikons  zwingt  bei  einigen  The- 
men zur  Auswahl  und  Kürze. 

Breit  aufgefächert  sind  Landschaf- 
ten, Täler,  Flüsse,  Gebirgsgruppen 
und  Berge.  Die  Berge  wurden  nach 
geographischen,  bergsteigerischen, 
touristischen  und  skisporllichen  Kri- 
terien aufgenommen.  Klettertechni- 
sches wurde  auf  das  Wesentliche  be- 
schränkt —  doch  wird  genug  geboten, 
um  auch  den  Laien  mit  dem  Bergstei- 
gen vertraut  zu  machen.  Besonders 
beachtet  wurde  die  neuzeitliche  Ter- 
minologie im  Alpinismus.  Geologische 
Begriffe  und  Zusammenhänge  sind 
ausiühüich  behandelt.  Aus  der  Tier- 
und  PfkwTenwelt  wird  das  Typische 
und  Interessante  gebracht.  Hingewie- 
sen sei  besonders  auf  die  Aspekte 
der  UmweHbedrohung  und  die  Schil- 
derung der  Naturparks. 

Eine  Reihe  längerer,  einen  Themen- 
komplex zusammenlassender  Artikel, 
qeben  Überblicksdarstellungen  und  er- 

//f    sonst    in    einem 


nalparks,  der  in  Kürze  in  der  Hochge- 
birgslandschait  rund  um  Konigsee 
und  Watzmann  als  großartigstes  Na- 
turschutzprojekt Mitteleuropas  ent- 
stehen wird. 

Kamen  in  rien  letzten  Jahren  in  das 
rund  21  000  Hektar  große  Gebiet,  das 
schon  Alexander  von  Humboldt  „zu 
den  schönsten  der  Erde'  zählte,  rund 
2  5  Millionen  Touristen,  so  wird  die 
Attraktivität  dieses  Bergparadieses, 
das  für  viele  Pflanzen-  und  Tiergat- 
tungpn  eine  wirkliche  Arche  Noah 
werden  könnte,  noch  zunehmen.  Zu- 
nehmen wird  auch  das  Interesse  der 
Besucher  an  präziser  Information 
über  den  Nationalpark. 

Geologische  Entstehung  und  ökolo- 
gischer Kreislauf,  Pflanzen-  und  Tier- 
arten in  den  einzelnen  Regionen  und 
viele  andere  Fragen  werden  hier  vom 
kompetentesten  Fachmann  engagiert 
und  verständlich  erklärt.  Die  zehn 
wichtigsten  und  aufschlußreichsten 
Wanderrouten  im  Nationalpark  wer- 
den anhand  von  Karten  genau  be- 
schrieben. Der  Führer  durch  den  Na- 
tionalpark Berchtesgaden  birgt  einp 
Fülle  von  Informationen  für  jeden 
Bergwanderer  und  Naturfreund." 

Nachzutragen  wäre  1977  zu  diesem 
Verlagstext,  daß  der  Forstmeister  und 
Hochgebirgsökologe  Dr.  Georg  Mei- 
ster von  seinem  Posten  ah  Planer  des 
Nationalparks  zurückgetreten  ist.  An 
welchen   Widerständen   er  gescheitert 


Mandate  im  Reichstag  eine  Schlüssel- 
stellung, war  seit  1890  Regierungspar- 
tei,  zum   Kompromiß   gezwungen   und 
immer  mehr  dazu  von  sich  aus  bereit. 
Diese  Entwicklung  setzte  sich    in   der 
Weimarer  Republik  fort;  das  Zentrum 
gehörte       zur        liberal-demokratisch- 
sozialen Weimarer  Koalition,   war  bis 
1932  an  allen  Reichsregierunqen  betei- 
ligt. Nicht  nur  dadurch  fühlte  es  sich 
zur     Mittlerposition     zwischen     Links 
und  Rechts  berufen,  auch  durch  seine 
eigene  Zusammensetzung   war   es   auf 
Vermittlung    und    Ausgleich    angewie- 
sen. Denn  dieses  Zentrum   war,  wenn 
auch  im  begrenzten  katholischen  Rah- 
men,   eine    Volkspartei,    die    Bauern, 
Mittelständler,     Arbeiter    und     Unter- 
nehmer  in   ihren   Reihen   hatte,   deren 
Interessen  unter  einen  Hut  zu  bringen 
waren,     was     mit     wachsender     Wirt- 
schaftskrise   immer    schwerer    wurde 
Auch  die  politischen   Unterschiede  in 
der   Partei   traten   stärker   hervor:   alle 
Strömungen    waren    im    Zentrum    ver- 
treten,    mit     katholischen    Vorzeichen 
und  in  gewisser  Parteidisziplin  freilich 
—     Linke     und      Rechte,      Christlich- 
Soziale,    Nationale,    Konservative    und 
Monarchisten. 

In  der  Endphase  der  Weimarer  Re- 
publik begann   sich   das   Dilemma  der 
Zentrumspartei    zuzuspitzen,    existenz- 
bedrohend   zu    werden.    Immer    mehr 
katholische       Wähler       identifizierten 
sich  nicht  mehr  mit  der  konfessionel- 
len Partei.  Der  Versuch  des  Zentrums- 
politikers   Brüning,    als    Reichskanzler 
die  Republik  wirtschaftlich  zu  stabili- 
sieren und  politisch  auf  die  Mitte  ein- 
zupendeln,  war   gescheitert.   Ein   Aus- 
bau  des    „Zentrumsturms",    der   gebo- 
ten gewesen  wäre,  war  nicht  möglich, 
weil'  keine  Einigung  zu  erzielen    war, 
ob    dieser    Ausbau    nach    Links    oder 
nach    Rechts    erfolgen   sollte,    weil    er 
auf  jeden  Fall   die  Mittelposition  und 
damit  das  Zentrum  selber  in  Frage  ge- 
stellt hätte. 

In  dieser  Situation  erinnerte  sich 
die  Partei  —  über  ein  halbes  .lahrhun- 
dert  nach  dem  Kulturkampf  und  bei 
weit  fortgeschrittenem  Säkularisie- 
rungsprozeß —  an  ihr  konfessionelles 
Einigungsband,  und  es  wieder  fester 
7u  knüpfen,  nahmen  sich  die  „Zen- 
trumsprälaten"  vor,  die  neue  Partei- 
führung, an  der  Spitze  Prälat  Kaas. 
Das  beschleunigte  den  Untergang  der 
Partei. 

Das  Interesse  der  Kirche,  das  ein 
Reichskondordat  verlangte  und  das 
die  neue  Reichsregierung  unter  Hitler 
zugestehen  konnte,  brachte  die  Partei 
in  eine  Nähe  zu  den  neuen  Machtha- 
bern,  die  weder  mit  den  Cirundsätzen 
noch'  mit  den  politischen  Auffassun- 
gen eines  Großteils  der  Zentrumsmit- 
glieder und  der  Zentrumswähler  zu 
vereinbaren  war.  Die  in  einer  langen 
Parteigeschichte  geradezu  in  Fleisch 
und  Blut  übergegangene  Bereitschaft 
zum  Punktieren  und  Kompromisse- 
srhließen  führte  bis  zu  Versurhen,  mit 
der  neuen  Regierung  zu  koexistieren, 
wenn  nicht  gar  zu  koalieren. 

Die     von     „politischen     Amateuren" 
geführte  Partei  zeigte  seit  dem  Herbst 
1932  Neigung,  mit  den  Nationalsozia- 
listen  und  den  Deutschnationalen  zu- 
sammenzuarbeiten,     jedenfalls      eine 
von   diesen  beiden  Parteien  gebildete 
Regierung  zu  tolerieren,  um  auf  diese 
Weise,  wie  Morsey  schreibt,  „die  Dik- 
tatur  einer   Partei   verhindern    und   in 
einer  Art  von  historischer  Parallelität 
das  .gelungene'  Zähmungskonzept  ge- 
genüber   dem    Sozialismus    nach    1918 
nunmehr   gegenüber   dem    Nationalso- 
zialismus wiederholen  zu  können".  Im 
Sammelbecken    des   Zentrums    gab    es 
auch     starke     nationale     Kräfte,     die 
glaubten,  besonders  nachdem  Hindrn- 
burg  Hitler  die   Hand   gedrückt   hatte, 
daß  das    „Dritte   Reich"    in   der   Konti- 
nuität des    „Zweiten   Reiches"    stünde. 
So  kam  es  zum  Zusammenbruch  des 
Zentrumsturins,  der  von  innen  heraus 
gesprengt   und   schließlich   von   außen 
her  zerstört  wurde.  Morsey  resümiert: 
„Die  Zentrumsführung  schwankte  zwi- 
schen illusionären  Hoffnungen  auf  ein 
Auslaufen    der    rcvolutionärejT__VVolle 


und   auf   das   Funktionieren    des  Zäh- 
mungskonzeptes   auf    der    einen    und 
der  Zweckmäßigkeit  und  dem  Ausmaß 
politischer   Vorleistungen   auf  der  an- 
deren  Seite.   Unter   ihnen   kommt   der 
Zustimmung  zu  den  Ermächtigungsge- 
setzen  im  Reich   und   in   den   Ländern 
die  größte  Bedeutung  zu,  auch  wenn 
diese  Gesetze  im  Prozeß  der  national- 
sozialistischen   Machtbefestigung    kei- 
neswegs jene  entscheidenden  Etappen 
darstellen,  die  ihnen  im  Ruckblick  im- 
mer   noch    zugemessen    werden."     Im 
Juli    1933    verfiel    das    Zentrum    dann 
der    „zwangsweisen    Selbstauflösung". 
Viele    Zentrumsführer     wurden     poli- 
tisch verfolgt,  auch  katholische  Politi- 
ker  und   Kleriker   beteiligten   sich   an 
der  Widerstandsbewegung  gegen  Hit- 
ler. 

Nach  1945  wurde  die  Konseguenz 
aus  dem  Dilemma  der  Zentrumspartei 
gezogen,  die  CDU  und  die  CSU  als  in- 
terkonfessionelle, liberale,  demokrati- 
sche und  soziale  Parteien  gegründet. 
Der  „politische  Katholizismus",  auch 
wenn  er  noch  eine  Zeitlang  und  hie 
und  da  aufflackerte,  war  tatsächlich 
1933  untergegangen  —  wie  es  Rudolf 
Morsev  in  seiner  nicht  nur  wissen- 
schaftlich bedeutenden,  sondern  auch 
politisch  wichtigen  Studie  zeigt. 

Franz  Herre 

tiitiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiHiiniiimiimiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiin 

Zeitschriftenschau 

(Die  Verlage.  Herausgeber  und  Bezugs- 
bedingungen der  Zeitschriften  können 
in  jeder  Buchhandlung  ertragt  werden.) 


liberal  12/77 

Hans  Wolfgang  Rubin:  Die  Aufgaben  der 
Liberalen: 

Ingo  von  f^ünch:  Grundsätzliche  Fragen 
des  modernen  Verständnisses  der  Grund- 
rechte; 

Gertiard  Walter:  Betrieb  und  Gesellschafts- 
politik; 

Friedrich-Wilhelm  K  i  r  c  t»  ti  o  f  f  :  Bildungs- 
und  Beschäftigungssystem; 

Dokumentation: 

Georg  D  e  n  z  I  e  r  .  Das  Papsttum  und  die 
Menschenrechtf!  im  19.  Jahrhundert  -  Im 
Kampf  gegen  Freiheit,  Gleichheit  und  Brüder- 
lichkeit; 

Detlef  P  u  h  I  :  Die  Entwicklung  der  EG  und 
des  Mittelmeerraums. 

Politische  Didaktik  4/77 

Thema:  Das  Schulbuch 

als  Gegenstand  Politischen  Unterrichts 

Gerd  Stein  Die  politische  Dimension  des 
pädagogischen  Hilfsmittels  Schulbuch.  Oder: 
Von  der  Unzulänglichkeit  einer  nur  fachwissen- 
schaftlich-didaktischen Schulbucharbelt: 

Walter  Müller:  Schulbuchzulassung:  Ein 
Indiz  für  den  parapädagogischen  Charakter 
von  Schule: 

Hans-Jörg  B  i  r  k  :  Schulbuchzulassung:  Rechts- 
grundlagen und  Praxis  heute; 

Volker  N  i  t  z  s  c  h  k  e  :  Schüler  untersuchen 
Schulbücher  ~  Eine  Unterrichtseinheit  für  die 
Primarstufe; 

F'ank  Nonnenmacher  Schüler  verglei- 
chen Schulbücher.  Eine  Unterrichtseinheit  für 
die  Sekundarstufe  1 


yiwppppwwupiiiiiiiiiiiliin 


;:t«rtitb<;ti>3  Bu'xwspost 


iMAiMh 


r^f'.ttef». Sperrt. 


Zugunsten  der  1967  gegründeten  .Stif- 
tung Deutsche  Sporthilfe"  gibt  die  Bun- 
despost eine  Serie  von  Zuschlagsmar- 
ken heraus.  Der  erste  Wert,  mit  einem 
Skisport-Motiv,  erscheint  am  12.  Januar. 


Jürgen    Henningsen:    Des    linken    Kate- 
chismus drei  falsche  Artikel; 
Joachim  Sech.  Landesschulbuchkommission 
Nordrhein-Westfalen     -     Ein     Modell    für    die 
Schulbuchprufung  in  der  Bundesrepublik? 

Dietrich  Z  i  t  z  I  «  f  f     Anschriften  und  Medien 
zum  Thema  „Schulbuch" . 

Osteuropa  12/77 

Mira   T  h  e  i  I  :   Eine  neu©  Schulreform   in  Ju- 
goslawien. 

Annen  Ute  G  a  b  a  n  y  i  :  Das  ..Bu_kar£ai£f_JaiL 


Freitag,  den  14.  JulM967 


POLITIK 


ZEIT  Nr.  28 -Seite  9 


I 


( 


Ein  Deutscher  aus 
Leidenschaft 

Zum  Tode  des  Historikers  Gerhard  Riller 


Von  Karl-Heinz  Janßen 


Wir  saßen,  ein  Dutzend  Studenten,  in  seiner 
gemütlichen    Studierstube,    deren  ^  Wände 
durch  Bücher  verstellt,  deren  Tcppiche  mit  Akten 
überladen  waren.  Gerhard  Ritter  liebte  es,  von 
Zeit  zu  Zeit  junge  Menschen  zum  zwanglosen 
Gesprädi  einzuladen,  wozu  in   den   überfüllten 
Hörsälen  oder  den  überlaufenen  Seminaren  nie 
Zeit  blieb.  Irgendwann  kam  dann  der  Augen- 
blick, wo  er  sich  behaglich  zurücklehnte  und  den 
Rock  öffnete,  so  daß  die  Uhrkette  sichtbar  wurde, 
die  nach  Altväterart  über  der  Weste  hing;   er 
schnitt  sich  schweigend  eine  Zigarre  zurecht,  dann 
zuckte  es  belustigt  in  seinen  Augcnwmkcln,  und 
man  konnte  sicher  sein,  daß  jetzt  eine  seiner  vie- 
len Schnurren  folgen  würde,   die  er  hinreißend 
erzählen  konnte.  In  solcher  Stimmung  kam  die 
Unterhaltung  auf  einen  alemannischen  Heimat- 
dichter mit  leicht  „brauner"  Vergangenheit.  Einer 
von  uns  glaubte,  ihm,  dem  ehemaligen  Gestapo- 
häftling,  imponieren   zu   können,   indem  er  sich 
abfällig  über  den  Dichter  äußerte:   „Jetzt  sitzt 
er  da  auf  seiner  Burg,  schaut  nach  Kolmar  rüber 
und  jammert  über  das  verlorene  deutsche  Elsaß." 
Ritter  antwortete  nur:  „Ist  ja  auch  ein  Jammer!" 
Der     Freiburger     Historiker     hat     es     immer 
schmerzlich    empfunden,    daß  _  das    Straßburgcr 
Münster  nicht  mehr  deutsch  sei.  Er  hat  nie  seine 
Freude  über  den  Anschluß  Österreichs  verhehlt, 
wiewohl   er  es   tief  bedauerte,   daß   gerade   der 
verabscheute  Demagoge  Hitler  den  Ruhm  davon- 
trug. Er  dachte  und  fühlte  so  national  wie  sein 
Freund  Goerdeler;  er  hatte  nichts  dagegen,  wenn 
man  ihn  einen  Konservativen  nannte. 

Gerhard  Ritter  gehörte  zu  den  wenigen,  die 
nach  der  Katastrophe  von  1945,  mitten  in  einem 
\on  fremden  Truppen  besetzten  Lande,  mutig 
für  das  Lebensrecht  und  für  die  Ehre  des  deut- 
schen Volkes  ihre  Stimme  erhoben.  Als  es  Mode 
war,  unsere  Nation  als  von  Grund  auf  böse  und 
verderbt  anzuprangern  und  seine  Geschichte  als 
eine  Kette  blutiger  Raubzüge  gegen  friedliebende 
Nachbarvölker,  als  ein  Schauspiel  machtlüsterner 
Tyrannen  und  unterwürhger  Sklaven  darzustel- 
len, da  lehrte  er  unbeirrt,  daß  sich  die  Deutschen 
ihrer  tausendjährigen  Geschichte  nicht  zu  schä- 
men brauchten.  Wo  er  nur  konnte  —  auf  inter- 
nationalen Kongressen,  in  Leserbriefen  an  große 
ausländische  Zeiumgen  —  trat  er  der  Geschichts- 
klitterung entgegen,  die  Martin  Luther,  I-ned- 
ridi  den  Großen  und  Bismarck  zu  Vorläufern 
Adolf  Flitlers  stempeln  wollte.  Ritter,  der  Bio- 
graph Luthers  und  Friedrichs,  der  LIerausgeber 
der  textkritischen  Ausgabe  von  Bismarcks  Ge- 
sammelten Werken,  der  Gegner  Hitlers  --  er 
durfte  es  sofort  nach  dem  Zusammcnbrudi  wagen, 
wieder  von  Vaterlandsliebe  zu  reden. 

Von  da  an  ließ  die  Zeitgeschichte  Ritter  nicht 
aus  ihrem  Bann.  Manche  Kollegen   im   Ausland 
bedauerten,   daß   er   nicht  wieder  zur   Reforma- 
tionsgeschichte zurückkehrte,  um  die  er,  der  Nach- 
fahre einer  hessischen  Pastoren-  und  Gelehrten- 
familie,   sich    bleibende    Meriten    erworben    hat. 
Aber  er  war  überzeugt,  daß  Historie  nicht  lebens- 
fremd sein  dürfe:  „Wie  sollten  wir  sichere  Schritte 
in  die  Zukunft  tun,  wenn   wir  den   historischen 
Standort  unserer  Gegenwart  nicht  genau  kennen 
und  nichts  Näheres  von  der  historisch  geworde- 
nen Struktur  des  Geländes  wissen,  in  dem  wir  uns 
bewegen?"  Er  wollte  nicht,  wie  viele  seines  Fachs, 
Geschichte  nur  vom  Rande,  nur  vom  elfenbeiner- 
nen Turme  aus  schildern. 

Schon  während  des  Krieges  machte  er  sich 
daran,  das  Problem  des  Militarismus  zu  erfor- 
schen. Er  wollte  das  Unfaßbare  begreifen,  wieso 


ein  von  Natur  aus  eher  biederes  und  lamm- 
frommes Volk  einem  Erzmilitaristen  ins  Ver- 
derben folgen  konnte,  freiwillig  und  ohne  auf- 
zumucken.'Nach  1945  mußte  die  Arbeit  an  dem 
großen  Werk,  für  das  er  mit  sicherem  Sprachge- 
fühl den  schönen  Titel  „Staatskunst  und  Kriegs- 
handwerk" fand,  etliche  Jahre  lang  ruhen,  ehe 
ihn  das  westliche  Ausland  an  die  erbeuteten 
Archive  heranließ.  Tag  für  Tag  vergrub  er  sich 
nun  in  Berge  von  Akten,  die  er  sich  in  Kopien 
aus  England  und  Amerika  kommen  oder  von 
seinen  „T^manuensen"  zusammentragen  ließ. 

Die  intensive  Beschäftigung  mit  der  wilhel- 
minischen Zeit  hat  Ritter  seelisch  tief  erschüttert. 
Der  einstige  preußische  Oberlehrer,  der  Kriegs- 
freiwillige' des  Ersten  Weltkrieges,  mußte  von 
A-ielen  geliebten  Vorstellungen  Abschied,  nehmen. 
Auch  er  hätte  seinen  Söhnen  —  dem  Gefallenen 
und  dem  Heimgekehrten  —  nach  1945  zurufen 
können,  was  sein  Münchner  Kollege  Karl  Alexan- 
der von  Müller  in  die  Klage  faßte:  „Wir  Älteren 
können  des  Gefühls  nicht  Herr  werden,  daß  nie- 
mand mehr  weiß,  wie  schön  die  Welt  sein  kann, 
der  die  Jahre  vor  1914  nicht  erlebt  hat."  Auf  das 
Deutschland  seiner  Jugend,  das  solange  vom 
Strahlenglanz  der  Erinnerung  überdeckt  schien, 
fielen  nun  dunkle  Schatten.  y\ber  Ritter  war  als 
Forscher  zu  unbestechlich,  zu  wahrheitsliebend, 
als  daß  er  die  Augen  vor  Schuld  und  Schwäche, 
vor  Fehlern  und  Versäumnissen  deutscher  Staats- 
männer und  Militärs  hätte  verschließen  Jüinnen. 

Dennoch   traf  es   ihn   schwer,   als   Anfang   der 
sechziger    Jahre    F'ritz    Fischer    in    seinem    Buch 
„Griff  nach  der  Weltmacht"  zwischen  Kaiser-  und 
Hitlerrcich      eine      Kontinuität     herstellte      und 
Deutschland   ziemlich   eindeutig   mit   der   Allem- 
schuld  am  Ersten  W^-ltkrieg  belastete.  Ritter,  dein 
im  Gegensatz  zu  Fischer  die  Archive  in  der  DDR 
verschlossen  geblieben  waren,  mußte  alle  l'aktcn 
und  Daten  des  eben  abgeschlossenen  dritten  Ban- 
des von  „Staatskunst  und  Kriegshandwerk"  noch- 
mals prüfen.  Und  nicht  nur  das:   Fr  fühlte  sich 
lierausgefordert    durch    Fischers    Thesen,    die    er 
nicht    anders    als    eine    „Katastrophe"    verstehen 
wollte.     Leidenschaftlich     setzte     er     sich     gegen 
Fischers  Geschichtsbild   zur  Wehr;   in   manchmal 
verletzender  Form  verdammte  er  die  Thesen  des 
jüngeren   Kollegen,    die   von    der   Öffentlichkeit, 
voi-T  einer    durch    Erinnerungen    unbeschwerten 
lugend  und  erst  recht  vom  mißtrauischen  Aus- 
ian"d  so  begierig  aufgenommen  wurden.   „Meme 
Arbeitskraft  ist' noch  leidlich",  schrieb  er  mir  im 
April  1962,  „aber  der  3.  Band  macht  sehr  viel 
Mühe,  und  ich  bin  manchmal  so  weit,^  daß  ich  an 
der  Möglichkeit  seiner  Bewältigung  fast  zu  ver- 

auch  noch  die  fürchterliche  Aufgabe  vor  mir  habe, 
mich  mit  dem  unglückseligen  Buch  von  Fischer 
auseinanderzusetzen." 

Im  Streit  um  die  Kriegsschuld  \on  1914  waren 
die  beiden  Professoren   nur   um  Nuancen   von- 
einander entfernt.  Wo  Fischer  von  bewußter  Ab- 
sicht sprach,  da  wollte  Ritter  nur  politische  Blind- 
heit  sehen,   aber   er   räumte   durchaus   ein,    daß 
auch  sie  zur  historischen   Sdiuld  werden   könne. 
Darüber  hätte  sich  diskutieren  lassen,  wären  hier 
nicht  zwei  Generationen,  zwei  verschiedene  Kon- 
zeptionen gegenwärtiger  Geschichtsschreibung  auf- 
einander geprallt.  Wo  Fischer  und  seine  Schüler, 
nicht  ganz  fern  der  marxistischen  Geschichtsauf- 
fassung,  die   Politik   des   Deutschen   Reiches    \or 
allem  als  Produkt  der  herrschenden  gesellschaft- 
lichen und  wirtschaftlichen  Kräfte  begriffen,  wo 
sie  Firmenbilanzen  und  Produktionsziffern,  Kor- 


In  Deutschlands  schwers;en  Jahren:  Gerhard  Ri 


porationen  und  Aur>ichts^re  für  wichtiger  hiel- 
ten als  persönliche  EntscPidungen  eines  Staats- 
mannes, da  wehrte  sich  Rii  er  gegen  den  Irrglau- 
ben, „als  ob  anonyme  Kräf  e,  ökonomisch-soziale 
Gegebenheiten  den  Gang  Jer  Politik  im  Großen 
bestimmten  und  nicht  der  lebendige  Wille  poli- 
tisch-aktiver Person  lichkeitjn''. 

Ritter  war  seiner  ganzeWNatur  nach  nicht  da- 
zu geschaffen,  eine  statisch.  Zu  candsschilderung 
zu  geben  oder  anStcllc  der  .istoi  sehen  Erzählung 
historische  Analysen  zu  schreiben.  „Wem  die  Ge- 
schichte als  Drama  orsdieinj,  der  muß  wünschen, 
ihren  Ablauf  in  einer  loi,  l^'.v,  zustellen,  die  den 

sehen  Tempo  entspricht."  Tnm  war  Geschichts- 
schreibung nie  bloße  Komfi  ilation,  nie  nur  flei- 
ßiges Faktensammeln  —  e'  verstand  sein  Fach 
'  als  künstlerische  Aufgabe,  er  wollte  gestalten: 
„Historie  höheren  Stils  em  >teht  erst  da,  wo  der 
gestaltlose  historische  Stoff  :  .ur  lebendigen  Gestalt 
geformt  wird."  Ein  begHuletes  Erzählertalent 
und  der  ganze  Reichtum  /[er  deutschen  Sprache 
standen  ihm  zu  Gebote.  \\l|-  wollte  leugnen,  daß 
seine  Biographien  über  Lu\fher,  über  den  großen 
Preußenkönig,  über  den  I  Reichsfreiherrn  vom 
Stein,  über  Goerdeler  uni  seine  Passagen  über 
Bethmann  Hollweg  zum  bleibenden  Bestand 
deutscher  Literatur  in  di.sfem  Jahrhundert  ge- 
hören? Ritter  muß  allein  deswegen  sdion  in  einer 
Reihe  genannt  werden  n^k  Ranke,  Mommsen, 
Droysen,  Treitschke,  Delbrlück  und  Meinecke. 
„Historiker    sein    heißtifzu    neunzig    Prozent 


Aufnahme:  Erich  Retzlaff 

üer  (1888-1967)  nach  dem  Zweiten  Weltkrieg 


guter  Stil",  sagte  er  einmal,  dabei  bewußt  über- 
treibend, denn'  er  verstand  auch  sonst  viel  von 
seinem  Handwerk.  Ihm  war  die  gleiche  Gabe  zu 
eigen,  die  er  gern   dem   Altmeister  Ranke  nach- 
rülimte,  der  angeblich   nur  mit  dem  Zeigefinger 
in  i.ku  Aktenberg  zu  stoßen  brauchte,  um  sofort 
das  wichtigste  Dokument  zu  finden:  Er  vermochte 
Wesentliches    vom   Unwichtigen   zu   trennen.   Er 
wußte  komplizierte  Zusammenhänge  durchschau- 
bar zu  machen,  er  ging  immer  von  lebensnahen 
„Fragestellungen"  aus,  ohne  daß  ihm  die  Historie 
zur      Tagespublizistik      entartete.      Er      besaiS 
die   Spürnase   eines   Kriminalisten,   die  kritische 
Di.tan..  dc3  GeLl;:ten  unvl  d^s  £eurige,TempiYa- 
ment  des  engagierten  Schriftstellers:  „Der  wahre 
Historiker  ist  immer  mit  dem  Herzen  bei  seiner 

Sache."  j     tt     j 

jede  Biographie  geriet  ihm  unter  der  Hand  zur 
umfassenden   Darstellung  einer   ganzen  Epoche. 
Er  wollte,  wie  Ranke,  die  „Mär  der  ganzen  Welt- 
geschichte"   auffinden.   Einen   gewaltigen  Bogen 
von  sechs   Jahrhunderten  umspannt  sein  Lebens- 
werk,  seine  Bibliographie   enthält  an   die  drei- 
hundert Titel.   In  seinen  Kollegs  las  er  geistes- 
geschichtliche und  verfassungsgeschichdiche  Essays, 
die  sogar  bis  ins  Altertum  führten.  Ritter  war  in 
der  Tat   der   letzte   universale  Historiker,  viel- 
leicht, wie  sein   Freund  und  Bewunderer  Pcrcy 
Ernst'   Schramm    meint,    die    „Endgestalt    einer 
Epoche",  denn  mehr  und  mehr  greift  auch  in  der 
Geschichtswissenschaft    das    Teamwork    um   sich, 
weil  einfach  die  Kraft  eines  einzelnen  nicht  mehr 


ausreidit,   die  gewaltigen  Stoffmassen  und  ver- 
sdiiedenen  Wissensgebiete  zu  beherrschen. 

Dennoch  bleibt  der  Wissenschaftler  Gerhard 
Ritter  als  Persönlichkeit  ein  Vorbild  auch  fiir  die 
nachfolgenden  Generationen  in  der  Geisteswissen- 
schaft. Er  hat  ihnen  vorgelebt,  daß  die  Wissen- 
schaft nicht  lebensfremd  zu  sein  braucht,  daß  auch 
der  Gelehrte  zuweilen  aus  seiner  Studierstube 
ausbrechen  und  sich  in  das  Getümmel  des  politi- 
schen Tageskampfes  stürzen  muß. 

Viele  seiner  Verehrer,   die  ihm  seine  tapfere 
Haltung  und  seinen  Leidensweg  im  Dritten  Reich 
hoch  anrechneten,  waren  jedoch  bestürzt,  als  sich 
Ritter  während  der   „Spiegel"-Afl"äre  vehement 
und  blindwütig  auf  die  Seite  der  Staatsautontat 
schlug.  Wieso,  fragten  sie,  ergreift  ein  Mann  des 
20.  Juli  nicht  Partei  für  die  Rebellion  des  kriti- 
schen Geistes  gegen  die  Bevormundung  des  Staa- 
tes, wieso  kann  er  offenbares  Unrecht  gutheißen, 
wieso  in  das  Verdammungsurteil  gegen  eine  freie, 
kritische  Presse  einstimmen?  Doch  sie  vergaßen, 
daß  Ritter  den  20.  Juli  immer  nur  als  eine  Aus- 
nahmesituation verstanden  hat,  verursacht  durdi 
die  Perversion  einer  Staatsführung,  die  als  „ver- 
brecherisch"   abzuurteilen    er   sich   nicht   scheute. 
Aber  im  Grunde  war  er  ein  Mann  der  Staats- 
räson, kein  Nachfahre  der  48er-Revolution  (wie 
konnte  er  spotten  über  das  Parlament  der  Pro- 
fessoren!) und  mitnichten  der  Französischen  Re- 
volution. Überhaupt  waren  ihm  alle  „Literaten, 
Journalisten,  Rechtsanwälte"  in  der  Politik  ver- 
jial>t,  sah  er  immer  die  Demokratie  in  Gefahr, 
zum   „Tummelplatz  der  Bloß-Betriebsamen"  zu 
werden.   Darum   mußte   ihn   die   Rechtfertigung 
publizistischen  Landesverrats  auf  die  andere  Seite 
der  Barrikaden  rufen,  auf  die  Seite  des  Staates. 
Ritters  Liberalismus  war  von  der  Art  des  Frei- 
hcrrn  vom  Stein,  „daß  wahre  Freiheitsgesinnung 
sidi  nicht  gegen  den  Staat  kehrt,  sich  nicht  in  der 
Sicherung  \md  Behauptung  einer  privaten  Frei- 
heitssphäre  erschöpft,   sondern   sich   erst  im  Be- 
wußtsein der  Mitverantwortung  für  das  Gemein- 
wohl   vollendet".    Überhaupt    wollte    ihm    der 
Reichsfreiherr  auch  in   diesem  Jahrhundert  noch 
„als    ein    Idealbild    aufrechter    deutscher   Männ- 
lichkeit" erscheinen. 

Sie  reizten  ihn  zur  Darstellung:  die  Männ- 
lichen, Trutzigen  (Luther),  aber  auch  die  schuld- 
haft Verstrickten,  die  großen  Willensmenschen 
(Bismarck),  die  um  der  Macht  willen  zuweilen 
die  Schranken  des  Rechts  durchbrechen,  aber  letzt- 
lich doch  ihre  Flandlungen  von  der  nüchternen 
Staatsräson  diktieren  lassen  und  nicht  von  ver- 
blendeter Leidenschaft.  Er  war  sich  dessen  be- 
wußt, daß  die  reine  Staatsvernunft  das  Seltenste 
ist,  daß  jeder  große  Staatsmann  der  „Dämonie 
der  Macht"  (so  der  Titel  seines  wohl  tiefschür- 
fendsten Werkes)  ausgesetzt  ist,  daß  alles  Men- 
schendasein in  unauflöslidie  Interessengegensätze 
verwoben,  alles  Mensdienwerk  unzulänglich 
bleibt. 

Er  forderte  vom  Staatsmann  wie  vom  Histori- 
ker, die  Doppelnatur  des  Menschen,  das  Ringen 
zwischen  Gott  und  dem  Dämon  illusionslos  zu 
erkennen.    „Wahre   Historie   ist   eine   männliche 
Wissenschaft",    bekannte    er.    Sein    persönliches 
I  eben  war  nicht  eben  arm  an  Schicksalsschlagen: 
Der  älteste  Sohn  fiel  am  Weihnachtsabend  1941 
in  Rußland  (ihm  widmete  er  eine  ergreifend  zu 
lesende  Totenklage);  im  Winter  1944/45  hatte  er 
täglich  den  Tod  vor  Augen,  bis  ihn  sdüießlicli 
die  Russen  aus  den  Fängen  der  Gestapo  befrei- 
ten; Ende  der  fünfziger  Jahre  drohte  er  zu  er- 
blinden, doch  konnten  zwei  gewagte  Operationen 
ihm  das  Augenlicht  retten.  Nie  versiegte  seine 
Lebenszuversicht;  noch  im  hohen  Alter  reiste  er 
auf  dem  Moped  kreuz  und  quer  durch  Sizilien. 

Das  Aktenstudium  hielt  ihn  jung  wie  einst  den 
alten  Ranke,  dem  er  auch  äußerlidi  immer  mehr 
zu    ähneln   begann.    Entspannung   vom    seclisdi 
wie  körperlich  aufreibenden  Tageswerk  suchte  er 
in  der  Kammermusik  oder  in  der  Natur,  in  sei- 
nem   Haus    im    Hochschwarzwald.    Bis    zuletzt 
arbeitete  er  weiter  am  vierten  Band  von  „Staats- 
kunst und  Kriegshandwerk",  dem  vielleicht  nodi 
ein  fünfter  folgen  sollte.  Im  Oktober  wollte  er 
noch  einen  Vortrag  auf  dem  Freiburger  Histori- 
ker-Kongreß halten,  und  zum   Abschlufb  seines 
Lebenswerkes  gedachte  er,  eine  moderne  deutsdie 
Gesdiichte  zu  schreiben.  Er  wurde  der  selbstge- 
stellten  Aufgabe   nicht   müde,    «dem   Satan   ein 
Stüdc   vernünfdger   Weltordnung   abzutrotzen*. 
Sein  Lieblingswort  war  das  lutherisdie  .Dennodi  . 


Seile  10  -  ZEIT  Nr.  28 


POLITISCHlp  BUCH 


Freitag,  den  14.  Juli  1967 


Chruschtschows 
nachträglicher  Sieg 

Die  enlsclieideiulen  Elemente  seiner  Politik  wurden  beibehalten 


Edward  Crankshaw:  Der  rote  Zar:  Nikita 
Chruschtschow.  Aus  dem  Amerikanischen  von 
Günther  Danehl.  S.  Fischer  Verlag,  Frankfurt; 
344  Seiten,  24,—  DM. 

Nikita  Sergejcwitsch  Chruschtschow  war  der 
typischste  Russe  unter  allen  bisherigen  kom- 
munistischen Machthabern  im  Kreml.  Er  kam 
wohl  dem  am  nächsten,  was  wir  gern  als  die 
russische  „schirokaja  natura"  bezeichnen:  jene 
grandios-bestürzende  Mischung  nämlich  ^  von 
Grausamkeit  und  Gutmütigkeit,  robuster  Grob- 
heit und  vitaler  Lebensfreude.  Chruschtschow  be- 
saß von  allem  etwas;  er  war  der  erste  Sowjet- 
herrscher, der  alle  Welt  diese  Stärken  und  Schwä- 
chen des  russischen  Charakters  aus  unmittelbarer 
Nähe  miterleben  ließ.  Dem  Volke  kam  er  unver- 
gleichlich näher  als  der  aus  der  Distanz  verehrte 
Lenin  und  der  unnahbare  Stalin,  auch  wenn  er 
weder  über  die  messerscharfe  Intelligenz  des 
einen  nodi  die  staatsmännische  Gerissenheit  des 
anderen  verfügte. 

Auch  seine  Biographen  —  es  sind  schon  über 
ein  halbes  Dutzend  —  können  Chruschtschow 
eine  gewisse  Sympathie  nicht  versagen.  Crank- 
shaw, ein  führender  Rußlandkenner  im  britischen 
Journalismus,  hat  Chruschtschows  Laufbahn  bis 
in  dessen  nur  in  den  Umrissen  bekannte  Kind- 
heits-  und  Jugendjahre  zurückverfolgt;  er  ist 
dem  gestürzten  Sowjetführer  persönlich  begegnet 
und  hat  ihn  zu  Hause  und  im  Ausland  „an  der 
Arbeit"  gesehen.  Crankshaws  Buch  über  Chru- 
schtschow wurde  mehr  als  eine  Biographie.  Es 
wurde  ein  mit  vielen,  bisher  unbekannten  Fakten 
bereicherter  Ausschnitt  aus  45  Jahren  sowjetischer 
Politik,  mit  der  sich  Leben  und  Karriere  Chru- 
schtschows immer  mehr  verflocht,  um  auf  der 
Höhe  seiner  Macht  fast  identisch  zu  werden. 

Chruschtschow  war  jedoch  nicht  der  „rote  Zar", 
wie  ihn  der  etwas  unglückliche  deutsche  Buchtitel 
vorstellt.  Er  war  weniger  und  mehr  zugleich. 
Crankshaw  (wie  übrigens  auch  Lazar  Pistrak, 
dessen  Buch  über  Chruschtschow  Crankshaw  viel 
verdankt,  und  Wolfgang  Leonhard  in  seiner  aus- 
gezeichneten Chruschtschow-Biographie)  zeigt 
uns  deutlich  die  charakterlichen  und  intellektuel- 
len Grenzen  dieses  russisch-ukrainischen  Bauern- 
sohnes, seine  Fehler  und  Irrtümer,  seine  völlige 
Unterwerfung  unter  Stalins  Diktat  gerade  wäh- 


rend der  schrecklichen  Zeit  der  „Säuberungen*, 
seinen  offenen  Antisemitismus,  seine  ToUpatschig- 
keit  und  Launenhaftigkeit  als  Staatsmann. 

Trotz   alldem  hatte  Chruschtschow   den  mei- 
sten seiner  Vorgänger  eine  entscheidende  Gabe 
voraus:  die  Bereitschaft  und  Fähigkeit,  aus  be- 
gangenen Fehlern  zu  lernen.  Nirgends  hat  er  diese 
Gabe  deutlicher  und  mit  größerem  Mut  gezeigt 
als     nach     dem     gescheiterten     Kuba-Abenteuer. 
Chruschtschow,    der    wenige    Jahre   zuvor   noch 
fast  abergläubisch  an  die  politische  Wirkungskraft     r 
nuklearer  Raketen  geglaubt  hatte,  erkannte  da-     i. 
mals  ihre  Grenzen  und  wohl  auch  jene  der  von     % 
ihm  gelenkten  Sowjetmacht. 

Ungleich  seinen  zaristischen  Vorgängern  stand 
er  an  der  Spitze  der  nunmehr  zweitgrößten 
Weltmacht;  der  ihm  daraus  erwachsenden  Verant- 
wortung ist  er  sich  in  den  letzten  Jahren  seiner 
Herrschaft  zunehmend  bewußt  geworden.  Wahr- 
scheinlich gegen  wachsenden  Widerstand  in  der 
sowjetischen  Führungsspitze  versuchte  Chru- 
schtschow, seine  Außenpolitik  darauf  umzustellen 
und  die  Welt  von  seiner  Koexistenzbereitschaft 
zu  überzeugen.  Ob  er  dabei  allerdings  so  weit 
ging,  sich  kurz  vor  seinem  Sturz  „mit  West- 
deutschland zu  einigen  und  den  Genossen  Ulbricht 
zu  verkaufen",  wie  Crankshaw  schreibt,  ist  zwei- 
felhaft. Chruschtschow  blieb,  bei  aller  Anpas- 
sungsfähigkeit, der  ideologisch  gläubige,  oft 
messianisch  eifrige  Führer  des  Mutterlandes  der 
kommunistischen  Revolution.  Das  .setzte  auch 
ihm  und  seiner  Politik  genau  umschriebene  Gren- 
zen, die  zu  überschreiten  er  weder  willens  noch 

in  der  Lage  war.  t>     i     • 

Es  ist  die  Schwäche  in  Crankshaws  Buch,  in 
dem  man  Chruschtschow  schließlich  als  Held  ab- 
treten sieht,  daß  sich  der  Autor  zu  sehr  von  der 
farbigen  Persönlichkeit  des  Hauptdarstellers  und 
den  Höhepunkten  seiner  Laufbahn  gefangenneh- 
men läßt  und  dabei  allzuleicht  übersieht,  wie 
viele  ungelöste  oder  von  ihm  erst  geschaffene 
Probleme  der  gestürzte  Sowjetführer  seinen  farb- 
loseren Nachfolgern  überließ.  Vielleicht  besteht 
Chruschtschows  größter  Sieg  darin,  daß  trotz  der 
wohl  unvermeidlichen  „Enteil ruschtschowisierung" 

nach  seinem  Sturz  die  entscheidenden  Elemente 
seiner  Politik  beibehalten  wurden. 

Curt  Gasteyger 


Kirche  des  Konzils 

Vieles  blieb  uu>ollendct,  aber  der  Sauerteig  wirkt  weiter 


Josef  Schmitz  van  Vorst:  Kirche  gestern  — 
Kirche  morgen.  Aufzeichnungen  1962  bis  1966. 
Verlag  Kepplerhaus,  Stuttgart;  300  Seiten, 
18,80  DM. 

Am  Ende  seines  Buches  schreibt  der  Autor, 
vieles  auf  dem  Vatikanischen  Konzil  sei 
unvollendet  geblieben;  doch  eben  durch  diese 
Lücken  hindurch  vermöge  der  Sauerteig  der 
großen  katholischen  Kirchenversammlung  weiter- 
zuwirken.  Nicht  von  ungefähr  wählte  Schmitz 
van  Vorst  den  Untertitel  „Aufzeichnungen".  Diese 
Form  der  schildernden,  betrachtenden,  wenn  auch 
thematisch  geordneten  Notizen  ergab  sich  aus 
der  Arbeitsweise  des  Journalisten  und  Korre- 
spondenten, dessen  tägliche  Konzilsberichtserstat- 
tung in  der  „Frankfurter  Allgemeinen"  ausführ- 
liche und  sachkundige  Information  bot. 

Die  „Aufzeichnungen"  sind  mehr  als  eine 
Sammlung  dessen;  sie  vervollständigen  und  er- 
gänzen, sie  lassen  neben  dem  vordergründigen 
Geschehen,  der  fast  parlamentarisch-geschäftigen 
Bemühung  ums  Metaphysische,  das  einem  solchen 
Konzil  theologischer  und  hierarchischer  Sach- 
walter Christi  unvermeidlich  anhaftet,  auch  den 
Hintergrund  sichtbar  bleiben:  den  weiten  histo- 
rischen und  geistigen  Horizont  einer  so  univer- 
salen, altehrwürdigen  Institution  wie  es  die 
katholische  Kirche  ist,  die  sich  mutig  den  Zwei- 
feln, Schwächen  und  Herausforderungen  einer 
Welt  stellt,  die  ihr  anders  zu  entgleiten  drohte. 

Die    Form    der    „Aufzeichnungen",    in    denen 


Man  braucht  nur  einige  Stichworte  zu  nennen, 
die  Schmitii  van  Vorst  gibt,  um  das  weite  Feld 
zu  ermesse;!,  auf  dem  diese  Kirche  mit  und  seit 
dem  Konzil  wichtige  Schritte  tat,  ohne  sich  des 
Ziels  schon  immer  ganz  gewiß  zu  sein:  „Ent- 
mythologisierung  der  Kurie"  —  „Ende  des 
Kreuzzugsgeistes"  —  „Beginn  des  großen  Dia- 
logs«  —   „Religionsfreiheit   —   eine  kopernika- 

nische  Wende". 

Von    Pius    XII.    über    Johannes    XXIII.    bis 
Paul  VI.,  der  die  Tiara  ablegte,  reicht  der  „Ab- 
bau   des    übersteigerten    kirchlichen    Autontäts- 
verständnisses",  wie  es  der  Autor  einmal  nennt, 
ohne  daß  klerikale  Enge  durch  laxe  Liberalität 
ersetzt    würde.    Der    Erfolg    des    Reformwerks, 
dem   sich    diese   Kirche    verschrieben    hat,    hängt 
wesentlich  —  das  lehrt  dieses  Buch  —  von  der 
Abgrenzung   des    „Aggiornamento",   der   Anpas- 
sung an  die  gegenwärtige  Welt,  ab.  Eine  Institu- 
tion,   die   sidi   nicht    von    dieser   Welt   herleitet, 
doch  für  diese  Welt  dasein  will,  kann  sich  nicht 
mehr    darin    genügen,    ihr    dogmatisches    Selbst- 
verständnis zu  hüten.  Sie  muß  Verständnis  zei- 
gen, Antworten  geben,  wo  Krieg,  Bevölkerungs- 
druck, Hunger,  Unfreiheit  und  Unmenschlichkeit 
den    Menschen    als    Ebenbild    Gottes    in    Frage 

stellen.  .  , 
Wie  diese  Notwendigkeit  die  Traditionen  und 
Konventionen  der  römischen  Kurie  zu  durch- 
brechen beginnt,  mit  Schwierigkeiten  und  Rück- 
schlägen auch,  wie  sich  die  Vielfalt  des  Denkens 
in  der  Einheit  eines  Glaubens  regt  und  aus  der 
ru-^-]R    "jni^arü^cn    —   lateinischen    Klarheit 


a^i<ie«^it/n(/   Umm«  iiririiffiii>of<iTfiiAwfrirttiiifiniiiiii(fifririit) 


Wollte  Chruschtschow  den  Genossen  Ulbricht  an  Bonn  verkaufen? 


Aufnahme;  Paris-Match 


Provokation  des  Selbstverständlichen 

Plädoyer  für  die  Respeklieruiij»  der  DDW  —  Die  Lberschälzimo  der  neuen  Oslpolitik 


Eberhard  Schulz:  An  Ulbricht  führt  kein  Weg 
mehr  vorbei.  Hoffmann  und  Campe  Verlag, 
Hamburg  1967,  266  Seiten,  DM  19,80. 

Es  ist  merkwürdig:  seihst  im  milden  Klima  der 
Großen  Koalition  muß  ein  Autor  das,  was 
Vernunft  und  historisciie  Erfahrung  gleicher- 
maßen gebieten,  noch  als  provozierende  Thesen 
anpreisen.  So  weit  aUo^ist  es  mit  der  deutschen 
Politik  gekommen.  Das  Plädoyer  unseres  Ver- 
fassers für  eine  neue  Deutschlandpolitik,  die  end- 
lich die  Existenz  des  zweiten  deutschen  Staates,  in 
welchen  juristischen  Formen  auch  immer,  zur 
Kenntnis  nimmt,  enthüllt  die  Tiefe  der  deutschen 
Mißverständnisse  über  die  eigene  Lage.  Zu  lange 
und  zu  naiv  —  in  beidem  sei  Eberhard  Schulz 
zugestimmt  —  haben  wir  Formeln  und  Wunsch- 
bilder für  Wirklichkeiten  genommen. 

Unser  Autor  veranstaltet  ein  Scherbengericht 
über  den  Schlußteil  der  Ära  Adenauer.  Inwie- 
fern Fehlentwicklungen  und  Mißverständnisse 
schon  früher  angelegt  waren,  spart  er  aus.  Daß 
wir  aber  zumindest  ^  den  sechziger  Jahren 
immer  stärker  gegen  d"  Strom  der  internationa- 
len Entwicklung  gesdiwommen  sind,  wird  im 
Detail  nachgewiesen,  ^icht  zuletzt  in  unserem 
Verhältnis  zu  den  osteuropäischen  Staaten  und 
zur  Sowjetunion.  Daß  wir  mit  ihren  Interessen 
noch  nie  wirklich  gerejinet  haben,  indem  wir  uns 
auf  den  moralischen  iprotest  beschränkten,  wird 
auch  bei  Schulz  zum  eigentlichen  Sündenfall  der 
deutschen  Außenpolitik. 

Was    die    GroßmatJit    Sowjetunion    seit    1945 
für  die  Weltpolitik  bjedeutete,  das  zu  wissen  ist 
nun    einmal    die   eler  entare    Voraussetzung    für 
jede  '  rationale     Pol;^;k     in     Mitteleuropa.     Im 
Grunde  war  schon  sejt  1949  die  Machtverteilung 
in  Europa  fixiert.  Wilr  haben  es  nur  lange  nicht 
gemerkt,  weil  sich  diet  beiden  Blöcke  noch  feind- 
lich  gegenüberstanden!.   Spätestens   aber  zu   dem 
Zeitpunkt,  zu  dem  die  beiden  Hauptbeteiligten 
in  Washington  und  ijloskau,  eindeutigen  natio- 
nalen Interessen  folgelid,  sich  in  Europa  auf  dei 
Basis  des  Status  quo!  zu  arrangieren  begannen, 
mußten  wir  bemerke!,  in  welche  Sackgasse  wir 
gerieten.  Beteiligten  4ir  uns  an  der  Politik  der 
Entspannung,    so   anerkannten    wir   faktisch    die 
deutsche  Teilung.  Tatdn  wir  es  nicht,  so  mußten 
wir    als    Friedensstörei    gelten,    denen    man    erst 
recht  jedes  Zugeständnis  verweigerte.  Deswegen 
haben   wir  auch   langd  Jahre   beteuert,   friedlich 
sein  zu  wollen,  aber  glj^ichzeitig  die  Revision  des 
Status  quo   verlangt   uind   brachten   uns  zwangs- 
läufig   in    Ost    und    >Ji'est    ins    Zwielicht.    Noch 
schlimmer  aber  ist,  da|ß  wir  unsere  Lage  durch 
juristische  Dcnkoperatibncn   rationalisierten   und 
so  gar  nicht  bemerkten,  warum  wir  auf  der  in- 
ternationalen Bühne  iiiimer  mehr  Akteuren  nur 
noch  Mißtrauen  einflößten. 

An  dieser  Vcrwcchsliing  der  Außenpolitik  mit 
der  Wahrung  höchst  zweifelhafter  völkerrecht- 
licher Gesichtspunkte  zeigt  unser  Autor  auch,  daß 
er  einen  größeren  Ehrgeiz  hat,  als  ein  paar  The- 
sen mehr  aufzustellen,  so  prägnant  sie  auch  im 
Tenor  des  Buches  zusammengefaßt  sein  mögen. 
Eberhard   Schulz,   der  stellvertretende   Direktor 


wir  das  Problem  der  völkerrechtlichen  Anerken- 
nung überschätzt  haben  und  noch  immer  über- 
schätzen; kein  Wunder,  bei  der  vornehrnlich 
juristischen  Ausbildung,  durch  die  die  meisten 
unserer  Diplomaten  hindurchgehen.  Diese  Denk- 
weise veranlaßte  die  Regierung  der  Großen  Koa- 
lition, die  bloße  Aufnahme  diplomatischer  Be- 
ziehungen mit  Rumänien  als  ungeheuren  Erfolg 
der  Bonner  Neuorientierung  zu  werten.  Unser 
Verfasser  setzt  dagegen:  „Die  völkerrechtliche 
Anerkennung  eines  Staates  oder  die  Aufnahme 
diplomatischer  Beziehungen  zu  einem  Regime 
sind  heute  keine  lebenswichtigen  Vorgänge  mehr, 
sondern  eher  Akte  der  Verwaltungsroutine,  deren 
Bedeutung  für  die  Öffentlichkeit  noch  etwas  von 
dem  Schimmer  fürstlicher  Traditionen  vergoldet 
wird.  Es  ist  menschlich  verständlich,  daß  die  Per- 
sonen, die  bei  diesen  internationalen  Akten  im 
Mittelpunkt  stehen,  die  Außenminister,  Völker- 
rechtler und  Diplomaten,  geneigt  sind,  den  For- 
malitäten noch  eine  prägende  Kraft  zuzumessen, 
die  ihnen  in  der  Realität  nicht  mehr  zukommt." 
Das  ist  ein  notwendiges  und  richtiges  Wort.  Es 
ist  nur  erstaunlich,  daß  in  Deutschland  so  auf- 
rührerisch klingt,  was  man  in  jedem  politologi- 
schen Proseminar  lesen  und  hören  kann. 

Freilich,  gerade  die  prinzipiellen  Teile  des 
Buches  enthalten  einige  Mängel.  Schulz  ist  nicht 
ehrgeizig,  nicht  präzise  genug.  Die  Riditung 
stimmt,  aber  sie  bedürfte  der  besseren  Begrün- 
dung. Unser  Autor  meint,  daß  man  an  Stelle 
der  staatlichen  Wiedervereinigung,  die  nicht  mehr 
erreichbar  sei,  die  Wiedervereinigung  des  Volkes 
setzen  solle.  Damit  kommt  ein  höchst  umstritte- 
ner und  in  seiner  Bedeutung  noch  unklarerer  Be- 
griff ins  SpitfJ.  Was.  iit  deau  das  dcut&ihe  Volk? 
Wie  macht  man  denn  Wiedervereinigung  eines 
Volkes,  wenn  staatliche  Fragen  ausgeschlossen 
sein  sollen?  Genügen  dazu  ein  normaler  Reise- 
verkehr, die  Verbesserung  der  Lebensverhältnisse 

usw.?  ,., 

Unser   Verfasser  hätte   gut   daran   getan,   tur 


dieses  Problem  das  alte  Begrifltspaar  Kultur- 
nation— Staatsnation  einzuführen,  das  ja  fiir 
die  deutsche  Geschichte  so  viel  bedeutet  und,  wie 
sich  gerade  auf  Grund  der  Darlegungen  von  Eber- 
hard Schulz  zeigen  ließe,  auch  für  die  Zukunft 
sehr  viel  bedeuten  wird.  Die  Chance,  die  uns 
nämlich  bleibt,  besteht  in  der  Tat  darin,  die 
deutsche  Kulturnation  auch  in  Zukunft  zu  erhal- 
ten, auch  wenn  wir  in  getrennten  Staaten  leben, 
wobei  wir  allerdings  nicht  in  den  Fehler  verfal- 
len sollten,  die  prägende  Kraft  staatlicher  Ge- 
meinwesen und  staatlicher  Interessen  für  das  Be- 
wußtsein von  Menschen  auch  über  den  politischen 
Raum  hinaus  zu  unterschätzen.  Kritisch  ließe  sich 
auch  noch  anmerken,  daß  eine  Analyse  _  des 
Deutschlandproblems  heute  eine  systematische 
Darstellung  der  Position  der  Bundesrepublik  in 
der  gegenwärtigen  Weltpolitik  voraussetzt.  Die 
Explikation  der  westdeutschen  Staatsräson  wäre 
geboten,  um  Grenzen  und  Möglichkeiten  der 
Bonner  Politik  besser  zu  kalkulieren. 

Solche  einschränkenden  Bemerkungen  sollen 
den  Wert  des  Buches  nicht  mindern.  Es  leidet  im 
Formalen  daran,  daß  es  eine  nicht  ganz  ge- 
glückte Mischung  von  publizistischen  Thesen  und 
wissenschaftliche^  Analyse  ist.  Das  Ideal  wäre  ein 
pointiertes,  politisch  wirksames  Argument,  das 
auf  einer  breiten  wissenschafllichen  Basis  beruht. 
Eberhard  Schulz  hätte  ein  solches  Buch  durchaus 
schreiben  können.  Nehmen  wir  also  die  jetzige 
Publikation  als  einen  Vorgriff,  der  aufhorchen 
läßt  und  dessen  Richtung  uns  überzeugt.  Sie  sei 
der  Großen  Koalition  wärmstens  zur  Lektüre 
zu  empfehlen,  denn  man  braudit  schon  viel  Opti- 
mismus, wenn  man  glauben  soll,  daß  wir  seit 
Dezember  1966  an  die  Stelle  eines  bankrouen 
außenpolitischen  Konzepts  eine  neue,  durchdachte 
Strategie  gesetzt  hätten.  So  weit  sind  wir  nodi 
lange  nidit,  und  gerade  deswegen  ist  eine  so  wohl 
begründete  Provokation  hochwillkommen.  Aber 
ob"  unsere  Politiker  noch  Zeit  und  Lust  haben, 
Büdier  zu  lesen?  Waldemar  Besson 


Ostlidi  der  Elbe 

Eine  Beaeifiiiiiift  mit  c1(mii  Vergangenen 


Horst  Mönnidi  (Herausgeber):  Wiederbegeg- 
nung mit  DeutschKand.  Deutschlands  Mitte, 
Deutschlands  Osten.  Verkig  Mensch  und  Ar- 
beit München;  240  Seiten,  29,80  DM. 

Horst   Mönnich   nennt    dieses   Buch    „Wieder- 
begegnung". Er  meint  damit  wohl  die  seelische 
AiTstrengung  des  Hinschauens,  der  Auseinander- 
setzung nnt  dem  Vergangenen,  Veränderten  und 
Verlorenen.  Diese  Wiederbegegnung  ist  zum  Teil 
eine  Neubegegnung,  da  politische  und  wirtschatt- 
liche  Aktualität  hier  keineswegs  vermieden  wird. 
So  enthält  der  Band  als  erstes  Bild  das  bekannte 
Photo   von   der  Flucht  in   der  Bernauer  Straße; 

'  istrie- 


ist  demgemäß  höc+ist  unterschiedlich.  Ebenso  viel- 
seitig setzen  sich  die  Bilder  aus  mittelalterlichen 
Stichen,  Gemälden  verschiedener  Jahrhunderte 
und  modernen  Pressephotos  zusammen. 

Häufig  wird  die  Brücke  von  der  Vergangen- 
heit zur  Gegenwart  geschlagen,  indem  Texte  aus 
verschiedenen   Zeiten,   die   sich   jedoch   inhaltlidi 
entsprechen,  parallel  nebeneinander  gestellt  wer- 
den. Hin  und  wieder  wird  ein  Gedicht  oder  eine 
Prosastelle  aus  dem  Bezug  der  Zeit  gelöst  und 
auf  eine  moderne  Situation  übertragen;  so  steht 
das    berühmte    Sonett    von    Andreas    Gryphius 
„Tränen  des  Vaterlandes",  das  im  Dreißigjähri- 
gen Krieg  gesdirleben  wurde,  im  Zusammenhang 


% 


\ 


V 

s 


inen  noch  die  stavitsmännisdie  Gerissenheit  des 
anderen  verfügte. 

Auch  seine  Biographen  —  es  sind  schon  über 
ein  halbes  Dutzend  —  können  Chruschtschow 
eine  gewisse  Sympathie  nicht  versagen.  Crank- 
shaw,  ein  führender  Rußhindkenner  im  britischen 
Journalismus,  hat  Chruschtschows  Laufbahn  bis 
in  dessen  nur  in  den  Umrissen  bekannte  Kind- 
heits-  und  Jugendjahre  zurückverfolgt;  er  ist 
dem  gestürzten  Sowjetführer  persönlich  begegnet 
und  hat  ihn  zu  Hause  und  im  Ausland  „an  der 
Arbeit"  gesehen.  Crankshaws  Buch  über  Chru- 
schtschow wurde  mehr  als  eine  Biographie.  Es 
wurde  ein  mit  vielen,  bisher  unbekannten  Fakten 
bereicherter  Ausschnitt  aus  45  Jahren  sowjetischer 
Politik,  mit  der  sich  Leben  und  Karriere  Chru- 
schtschows immer  mehr  verflocht,  um  auf  der 
Höhe  seiner  Macht  fast  identisch  zu  werden. 

Chruschtschow  war  jedoch  nicht  der  „rote  Zar*, 
wie  ihn  der  etwas  unglückliche  deutsche  Buchtitel 
vorstellt.  Er  war  weniger  und  mehr  zugleich. 
Crankshaw  (wie  übrigens  auch  Lazar  Pistrak, 
dessen  Buch  über  Chruschtschow  Crankshaw  viel 
verdankt,  und  Wolfgang  Leonhard  in  seiner  aus- 
gezeichneten Chruschtschow-Biographie)  zeigt 
uns  deutlich  die  charakterlichen  und  intellektuel- 
len Grenzen  dieses  russisch-ukrainischen  Bauern- 
sohnes, seine  Fehler  und  Irrtümer,  seine  völlige 
Unterwerfung  unter  Stalins  Diktat  gerade  wäh- 


der  Spitze  der  nunmc 
facht;  der  ihm  daraus  erw. 
ist  er  sich  in  den  letzi 
haft  zunehmend  bewußt 
scheinlich  gegen  wachsenden  Widerstand  in  der 
sowjetisdien  Führungsspitze  versuchte  Chru- 
schtschow, seine  Außenpolitik  darauf  umzustellen 
und  die  Welt  von  seiiK^r  Koexistenzbereitschaft 
zu  überzeugen.  Ob  er  dabei  allerdings  so  weit 
ging,  sich  kurz  vor  seinem  Sturz  „mit  West- 
deutschland zu  einigen  und  den  Genossen  Ulbricht 
zu  verkaufen",  wie  Crankshaw  schreibt,  ist  zwei- 
felhaft. Chruschtschow  blieb,  bei  aller  Anpas- 
sungsfähigkeit, der  ideologisch  gläubige,  oft 
messianisch  eifrige  Führer  des  Mutterlandes  der 
kommunistischen  Revolution.  Das  setzte  auch 
ihm  und  seiner  Politik  genau  umschriebene  Gren- 
zen,  die  zu  überschreiten  er  weder  willens  noch 
in  der  Lage  war. 

Es  ist  die  Schwäche  in  Crankshaws  Buch,  in 
dem  man  Chruschtschow  schließlich  als  Held  ab- 
treten sieht,  daß  sich  der  Autor  zu  sehr  von  der 
farbigen  Persönlichkeit  des  Hauptdarstellers  und 
den  Höhepunkten  seiner  Laufbahn  gefangenneh- 
men läßt  unci  dabei  allzuleicht  übersieht,  wie 
viele  ungelöste  oder  von  ihm  erst  geschaffene 
Probleme  der  gestürzte  Sowjetführer  seinen  farb- 
loseren Nachfolgern  überließ.  Vielleicht  besteht 
Chruschtschows  größter  Sieg  darin,  daß  trotz  der 
wohl  unvermeidlichen „Entchruschtschowisierung'* 
nach  seinem  Sturz  die  entscheidenden  Elemente 
seiner  Politik  beibehalten  wurden. 

Curt  Gasteyger 


Kirche  des  Konzils 

Vieles  blieb  um  olleiidel,  aber  der  Saiierlei«;  wirkt  weiter 


Josef  Schmitz  van  Vor  st:  Kirche  gestern  — 
Kirche  morgen.  Aufzeichnungen  1962  bis  1966. 
Verlag  Kepplerhaus,  Stuttgart;  300  Seiten, 
18,80  DM. 

Am  Ende  seines  Buches  schreibt  der  Autor, 
vieles  auf  dem  Vatikanischen  Konzil  sei 
unvollendet  geblieben;  doch  eben  durch  diese 
Lücken  hindurch  vermöge  der  Sauerteig  der 
großen  katholischen  Kirchenversammlung  weiter- 
zuwirken.  Nicht  von  ungefähr  wählte  Schmitz 
van  Vorst  den  Untertitel  „Aufzeichnungen".  Diese 
Form  der  schildernden,  betrachtenden,  wenn  auch 
thematisch  geordneten  Notizen  ergab  sich  aus 
der  Arbeitsweise  des  Journalisten  und  Korre- 
spondenten, dessen  tägliche  Konzilsberichtserstat- 
tung in  der  „Frankfurter  Allgemeinen"  ausführ- 
liche und  sachkundige  Information  bot. 

Die  „Aufzeichnungen"  sind  mehr  als  eine 
Sammlung  dessen;  sie  vervollständigen  und  er- 
gänzen, sie  lassen  neben  dem  vordergründigen 
Geschehen,  der  fast  parlamentarisch-geschäftigen 
Bemühung  ums  Metaphysische,  das  einem  solchen 
Konzil  theologischer  und  hierarchischer  Sach- 
walter Christi  unvermeidlich  anhaftet,  auch  den 
Hintergrund  sichtbar  bleiben:  den  weiten  histo- 
rischen und  geistigen  Horizont  einer  so  univer- 
salen, altehrwürdigen  Institution  wie  es  die 
katholische  Kirche  ist,  die  sich  mutig  den  Zwei- 
feln, Schwächen  und  Herausforderungen  einer 
Welt  stellt,  die  ihr  anders  zu  entgleiten  drohte. 

Die  Form  der  „Aufzeichnungen",  in  denen 
zuweilen  blitzartig  die  Erkenntnis  des  tieferen 
Zusammenhangs  vermittelt  wird  und  sogar  reich- 
lich Raum  für  das  Anekdotische  bleibt,  für  das 
Menschliche  (und  Allzumenschliche),  das  eben  den 
Katholizismus  soviel  humaner,  weltgerechter  sein 
läßt  als  den  Puritanismus  und  Perfektionismus 
moderner  Ideologien  —  solche  Form  des  Buches 
wird  dem  Fragmentarischen  gerecht,  das  dem 
Ereignis  selbst  anhaftete. 


Man  braucht  nur  einige  Stichworte  zu  nennen, 
die  Schmitz  van  Vorst  gibt,  um  das  weite  Feld 
zu  ermessea,  auf  dem  diese  Kirche  mit  und  seit 
dem  Konzil  wichtige  Schritte  tat,  ohne  sich  des 
Ziels  schon  immer  ganz  gewiß  zu  sein:  „Ent- 
mythologislerung  der  Kurie"  —  „Ende  des 
Kreuzzugsgeistes"  —  „Beginn  des  großen  Dia- 
logs" —  „Religionsfreiheit  —  eine  kopernika- 
nische  Wende". 

Von  Pius  XII.  über  Johannes  XXIII.  bis 
Paul  VI.,  der  die  Tiara  ablegte,  reicht  der  „Ab- 
bau des  übersteigerten  kirchlichen  Autoritäts- 
Verständnisses",  wie  es  der  Autor  einmal  nennt, 
ohne  daß  klerikale  Enge  durch  laxe  Liberalität 
ersetzt  würde.  Der  Erfolg  des  Reformwerks, 
dem  sich  diese  Kirche  verschrieben  hat,  hängt 
wesentlich  —  das  lehrt  dieses  Buch  —  von  der 
Abgrenzung  des  „Aggiornamento",  der  Anpas- 
sung an  die  gegenwärtige  Welt,  ab.  Eine  Institu- 
tion, die  sich  nicht  von  dieser  Welt  herleitet, 
doch  für  diese  Welt  dasein  will,  kann  sich  nicht 
mehr  darin  genügen,  ihr  dogmatisches  Selbst- 
verständnis zu  hüten.  Sie  muß  Verständnis  zei- 
gen, Antworten  geben,  wo  Krieg,  Bevölkerungs- 
druck, Hunger,  Unfreiheit  und  Unmenschlichkeit 
den  Menschen  als  Ebenbild  Gottes  in  Frage 
stellen. 

Wie  diese  Notwendigkeit  die  Traditionen  und 
Konventionen  der  römischen  Kurie  zu  durch- 
brechen beginnt,  mit  Schwierigkeiten  und  Rück- 
schlägen auch,  wie  sich  die  Vielfalt  des  Denkens 
in  der  Einheit  eines  Glaubens  regt  und  aus  der 

—  gewiß  großartigen  —  lateinischen  Klarheit 
und  Geborgenheit  heraustritt,  um  sich  der  Un- 
sicherheit des  „ökumenischen"  Alltags  zu  stellen 

—  das  wird  in  diesem  Buch  vielleicht  auch  den 
Nichtgläubigen  faszinieren  können. 

Leider  nur  wenig  berührt  wird  in  dem  Buch 
die  päpstliche  Ostpolitik,  die  direkte  und  in- 
direkte Reaktion  des  Konzils  auf  die  Existenz 
einer  großen  kommunistisch  oder  doch  „links" 
orientierten  Welt,  Hansjakob  Stehle 


rovoKation  ües  Selbstverständlichen 

Plädoyer  für  die  Respeklioiiiii«,^  der  J)I)U  _  Die  Iherschülziing  der  neuen  O^lpolilik 


Eberhard  Schulz:  An  Ulbricht  führt  kein  Weg 
mehr  vorbei.  Hoffmann  und  Campe  Verlag, 
Hamburg  1967,  266  Seiten,  DM  19,80. 

C^s  ist  merkwürdig:  seihst  im  milden  Klima  der 
*-^  Großen  Koalition  muß  ein  Autor  das,  was 
Vernunft  und  historiscne  Erfahrung  gleicher- 
maßen gebieten,  noch  als  provozierende  Thesen 
anpreisen.  So  weit  aho^ist  es  mit  der  deutschen 
Politik  gekommen.  Das  Plädoyer  unseres  Ver- 
fassers für  eine  neue  Deutsdilandpolltlk,  die  end- 
lich die  Existenz  des  zweiten  deutschen  Staates,  in 
welchen  juristischen  Formen  auch  immer,  zur 
Kenntnis  nimmt,  enthüllt  die  Tiefe  der  deutschen 
Mißverständnisse  über  die  eigene  Lage.  Zu  lange 
und  zu  naiv  —  in  beldem  sei  Eberhard  Schulz 
zugestimmt  —  haben  wir  Formeln  und  Wunsch- 
bilder für  Wirklichkeiten  genommen. 

Unser  Autor  veranstaltet  ein  Scherbengericht 
über  den  Schlußteil  der  Ära  Adenauer.  Inwie- 
fern Fehlentwicklungen  und  Mißverständnisse 
schon  früher  angelegt  waren,  spart  er  aus.  Daß 


wir    aber    zumindest 


n'-t)* 


f 


len 


sechziger 


Jahren 


immer  stärker  gegen  dÄ  Strom  der  internationa- 


len Entwicklung  gesdiwommen  sind,  wird  im 
Detail  nachgewiesen,  iMcht  zuletzt  in  unserem 
Verhältnis  zu  den  osteuropäischen  Staaten  und 
zur  Sowjetunion.  Daß  wir  mit  ihren  Interessen 
noch  nie  wirklich  gerejinet  haben,  indem  wir  uns 
auf  den  moralischen  Protest  beschränkten,  wird 
auch  bei  Schulz  zum  ^Mgentllchen  Sündenfall  der 
deutschen  Außenpolitik. 

Was  die  Großmaciit  Sowjetunion  seit  1945 
für  die  Weltpolitik  oedeutete,  das  zu  wissen  ist 
nun  einmal  die  eleAntare  Voraussetzung  für 
jede  '  rationale  PolWk  in  Mitteleuropa.  Im 
Grunde  war  schon  se'lt  1949  die  Machtverteilung 
in  Europa  fixiert.  Wilr  haben  es  nur  lange  nicht 
gemerkt,  weil  sich  die!  beiden  Blöcke  noch  feind- 
lich  gegenüberstanden.   Spätestens   aber   zu   dem 

e  beiden  Hauptbeteiligten 
in  Washington  und  Moskau,  eindeutigen  natio- 
nalen Interessen  folge  id,  sich  in  Europa  auf  der 

zu   arrangieren   begannen, 

in  welche  Sackgasse  wir 

ir  uns  an  der  Politik  der 


Basis  des  Status  cjuo 
mußten  wir  bemerke 
gerieten,  Beteiligten  ^ 


', 


kannten    wir    faktisch    die 


Entspannung,    so   ane: 

deutsche  Teilung.  Tat(  n  wir  es  nicht,  so  mußten 
wir  als  Friedensstöre  gelten,  denen  man  erst 
recht  jedes  Zugeständi  iIs  verweigerte.  Deswegen 
haben  wir  auch  lange  Jahre  beteuert,  friedlich 
sein  zu  wollen,  aber  ghichzeltig  die  Revision  des 
Status  quo  verlangt  uind  brachten  uns  zwangs- 
läufig in  Ost  und  West  ins  Zwielicht.  Noch 
schlimmer  aber  ist,  daiß  wir  unsere  Lage  durch 
juristische  Denkoperatibnen  rationalisierten  und 
so  gar  nicht  bemerkter|,  warum  wir  auf  der  in- 
ternationalen Bühne  irhmer  mehr  Akteuren  nur 
noch  Mißtrauen  elnflößien. 

An  dieser  Verwcchslimg  der  Außenpolitik  mit 
der  Wahrung  höchst  zweifelhafter  Völkerrecht- 
lieber  Gesichtspunkte  zeigt  unser  Autor  auch,  daß 
er  einen  größeren  Ehrgeiz  hat,  als  ein  paar  The- 
sen mehr  aufzustellen,  so  prägnant  sie  auch  im 
Tenor  des  Buches  zusammengefaßt  sein  mögen. 
Eberhard  Schulz,  der  stellvertretende  Direktor 
des  Forschungsinstitutes  der  Deutschen  Gesell- 
schaft für  auswärtige  Politik,  sucht  nach  den  tie- 
feren Gründen  für  unsere  Fehldeutungen  und 
Fehlhaltungen.  Darum  scheint  mir  auch  der  Ab- 
schnitt  „Was  ist  ein  Staat  noch  wert?"  ein  Kern- 
stück seines  Arguments  zu  sein. 

Mit  Recht  unterziehi;  Eberhard  Schulz  das 
Konzept  der  staatlichen  Souveränität  einer 
ätzenden  Analyse.  Er  macht  sonnenklar,  wie  sehr 


wir  das  Problem  der  völkerrechtlichen  Anerken- 
nung überschätzt  haben  und  noch  immer  über- 
schätzen; kein  Wunder,  bei  der  vornehmlich 
juristischen  Ausbildung,  durch  die  die  meisten 
unserer  Diplomaten  hindurchgehen.  Diese  Denk- 
weise veranlaßte  die  Regierung  der  Großen  Koa- 
lition, die  bloße  Aufnahme  ciiplomatlscher  Be- 
ziehungen mit  Rumänien  als  ungeheuren  Erfolg 
der  Bonner  Neuorientierung  zu  werten.  Unser 
Verfasser  setzt  dagegen:  „Die  völkerrechtliche 
Anerkennung  eines  Staates  oder  die  Aufnahme 
diplomatischer  Beziehungen  zu  einem  Regime 
sind  heute  keine  lebenswlchtiiien  Vorsänse  mehr, 
sondern  eher  Akte  der  Verwaltungsroutine,  deren 
Bedeutung  für  die  Öffentlichkeit  noch  etwas  von 
dem  Schimmer  fürstlicher  Traditionen  vergoldet 
wird.  Es  ist  menschlich  verständlich,  daß  die  Per- 
sonen, die  bei  diesen  internationalen  Akten  Im 
Mittelpunkt  stehen,  die  Außenminister,  Völker- 
rechtler und  Diplomaten,  geneigt  sind,  den  For- 
malitäten noch  eine  prägende  Kraft  zuzumessen, 
die  ihnen  in  der  Realität  nicht  mehr  zukommt." 
Das  ist  ein  notwendiges  und  richtiges  Wort.  Es 
ist  nur  erstaunlich,  daß  in  Deutschland  so  auf- 
rührerisch klingt,  was  man  In  jedem  politologi- 
schen Proseminar  lesen  und  hören  kann. 

Freilich,  gerade  die  prinzipiellen  Teile  des 
Buches  enthalten  einige  Mängel.  Schulz  ist  nicht 
ehrgeizig,  nicht  präzise  genug.  Die  Riditung 
stimmt,  aber  sie  bedürfte  der  besseren  Begrün- 
dung. Unser  Autor  meint,  daß  man  an  Stelle 
der  staatlichen  Wiedervereinigung,  die  nicht  mehr 
erreichbar  sei,  die  Wiedervereinigung  des  Volkes 
setzen  solle.  Damit  kommt  ein  höchst  umstritte- 
ner und  in  seiner  Bedeutung  noch  unklarerer  Be- 
griff ins  Spiel.  Was  ist  dena  das  deutiidae  VoJk.^ 
Wie  macht  man  denn  Wiedervereinigung  eines 
Volkes,  wenn  staatliche  Fragen  ausgeschlossen 
sein  sollen?  Genügen  dazu  ein  normaler  Reise- 
verkehr, die  Verbesserung  der  Lebensverhaltnisse 
usw.? 

Unser   Verfasser   hätte   gut   daran   getan,   für 


dieses  Problem  das  alte  Begriffspaar  Kultur- 
nation— Staatsnation  einzuführen,  das  ja  für 
die  deutsche  Geschichte  so  viel  bedeutet  und,  wie 
sich  gerade  auf  Grund  der  Darlegungen  von  Eber- 
hard Schulz  zeigen  ließe,  auch  für  die  Zukunft 
sehr  viel  bedeuten  wird.  Die  Chance,  die  uns 
nämlich  bleibt,  besteht  in  der  Tat  darin,  die 
deutsche  Kulturnation  auch  in  Zukunft  zu  erhal- 
ten, auch  wenn  wir  in  getrennten  Staaten  leben, 
wobei  wir  allerdings  nicht  in  den  Fehler  verfal- 
len sollten,  die  prägende  Kraft  staatlicher  Ge- 
meinwesen und  staatlicher  Interessen  für  das  Be- 
wußtsein von  Menschen  auch  über  den  politisdien 
Raum  hinaus  zu  unterschätzen.  Kritisch  ließe  sich 
auch  noch  anmerken,  daß  eine  Analyse  des 
Deutschlandproblems  heute  eine  systematische 
Darstellung  der  Position  der  Bundesrepublik  In 
der  gegenwärtigen  Weltpolitik  voraussetzt.  Die 
Explikation  der  westdeutschen  Staatsräson  wäre 
geboten,  um  Grenzen  und  Möglichkelten  der 
Bonner  Politik  besser  zu  kalkulieren. 

Solche    einschränkenden    Bemerkungen    sollen 
den  Wert  des  Buches  nicht  mindern.  Es  leidet  im 
Formalen    daran,    daß    es    eine    nicht    ganz    ge- 
glückte Mischung  von  publizistischen  Thesen  und 
wissenschaftlicher  Analyse  ist.  Das  Ideal  wäre  ein 
pointiertes,   politisch   wirksames   Argument,   das 
auf  einer  breiten  wissenschaftlichen  Basis  beruht. 
Eberhard  Schulz  hätte  ein  solches  Buch  durchaus 
schreiben  können.  Nehmen  wir  also  die  jetzige 
Publikation   als  einen   Vorgriff,   der  aufhorchen 
läßt  und  dessen  Richtung  uns  überzeugt.  Sie  sei 
der   Großen   Koalition   wärmstens   zur  Lektüre 
zu  empfehlen,  denn  man  braucht  schon  viel  Opti- 
mismus,  wenn   man  glauben   soll,   daß  wir  seit 
Dezember   1966  an   die  Stelle  eines   bankrotten 
außenpolitischen  Konzepts  eine  neue,  durchdadite 
Strategie  gesetzt  hätten.  So  weit  sind  wir  nodi 
lange  nicht,  und  gerade  deswegen  ist  eine  so  wohl 
begründete  Provokation  hochwillkommen.  Aber 
ob  unsere  Politiker  noch  Zelt  und  Lust  haben, 
Bücher  zu  lesen?  Waläemar  Besson 


Ostlidh  der  Elbe 

Eine  Beaeiriums:  mil  dojn  Voriraiiireiieii 


Horst  Mönnich  (Herausgeber):  Wiederbegeg- 
nung mit  Deutschland.  Deutschlands  Mitte, 
Deutschlands  Osten.  Verlag  Mensch  und  Ar- 
beit München;  240  Seiten,  29,80  DM. 

Horst  Mönnich  nennt  dieses  Buch  „Wieder- 
begegnung". Lr  meint  damit  wohl  die  seelische 
Anstrengung  des  Hinschauens,  der  Auseinander- 
setzung mit  dem  Vergangenen,  Veränderten  und 
Verlorenen.  Diese  Wiederbegegnung  ist  zum  Teil 
eine  Neubegegnung,  da  politische  und  wirtschaft- 
liche Aktualität  hier  keineswegs  vermieden  wird. 
So  enthält  der  Band  als  erstes  Bild  das  bekannte 
Photo  von  der  Flucht  in  der  Bernauer  Straße; 
ebenso  werden  Aufnahmen  moderner  Industrie- 
anlagen Mitteldeutschlands  gezeigt. 

Der  Herausgeber  bemüht  sich  um  eine 
lebendige  Ganzheit  der  Darstellung,  indem  er  das 
Wesentliche  und  Typische  einer  jeden  Landschaft 
in  allen  Lebensbereichen  aufzuspüren  versucht. 
Die  Beiträge  umfassen  Geschichte  und  Gegen- 
wart; sie  stammen  aus  der  Dichtung,  aus  Chro- 
niken,  aus   der  modernen   Presse.   Ihre  Qualität 


ist  demgemäß  höchst  unterschiedlich.  Ebenso  viel- 
seitig setzen  sich  die  Bilder  aus  mittelalterlichen 
Stichen,  Gemälden  verschiedener  Jahrhunderte 
und  modernen  Pressephotos  zusammen. 

Häufig  wird  die  Brücke  von  der  Vergangen- 
heit zur  Gegenwart  geschlagen,  indem  Texte  aus 
verschiedenen  Zeiten,  die  sich  jedoch  inhaltlidi 
entsprechen,  parallel  nebeneinander  gestellt  wer- 
den. Hin  und  wieder  wird  ein  Gedicht  oder  eine 
Prosastelle  aus  dem  Bezug  der  Zeit  gelöst  und 
auf  eine  moderne  Situation  übertragen;  so  steht 
das  berühmte  Sonett  von  Andreas  Gryphius 
„Tränen  des  Vaterlandes",  das  im  Dreißigjähri- 
gen Krieg  geschrieben  wurde,  im  Zusammenhang 
mit  der  Zerstörung  Breslaus.  Unter  der  Über- 
schrift „Klage  um  Dresden"  sind  auf  einer  Seite 
ein  Beitrag  von  Gerhart  Hauptmann  (1945), 
eine  Zeitungsnotiz  (1965)  und  eine  Stelle  aus  den 
Klageliedern  Jeremias  zusammengestellt.  Auch 
Witze  und  Anekdoten  enthält  dieser  Band,  so- 
fern sie  die  Mentalität  der  Bevölkerung  eines 
bestimmten  Landstriches  verdeutlichen.      U.  v.  K. 


\ 


Was  ist 


»Ich  als  Verfahrensingenieur  würde  sagen: 

daß  LINDE  für  mich  ein  Begriff  für  Tieftemperatur- 

und  Verfahrenstechnik  ist.  Und  für  technische  Gase. 

Und  für  eine  Reihe  weilerer  Erzeugnisse*,  die  ich  gar  nicht 

alle  aufzählen  kann.  LINDE  ist  nun  einmal  für  viele 

ein  Begriff  für  Vieles.  Eine  Vielfalt  mit  System.  Wozu? 

>Zukunftssichere  Unternehmungspolitik<, 

sagen  die  Leute  von  LINDE.« 


*  Er  meint  folgende,  weilere  Arbeitsgebiete  von  LINDE: 

Källe-  und  Klimatechnik  •  Küh!häu';er  •  Technische  Gase  •  Schweißtechnik 

Hydrauh'k  •  Traktoren  •  Gabelstapler  •  Transportkarren 

GroO-Kompressoren  •  Expansionsturbinen  •  Druckluftwerkzeug« 

Hausgerät« 


Und«  Anticngeseiiichof),  Wittoao« 


der  Freihei 


Vorwort  von  Franz  Josef  Strauß.  Herausgegeben  von 
Paul  Bucher,  Seewald  Verlag,  Stuttgart;  311  Seiten, 
Leinen  DM  19,80. 

Wer  liest  sdion  Bundestagsieden  im  Proto- 
koll nach,  wer  besitzt  oder  bemüht  schon 
Archive,  um  wichtige  Aussagen  in  Artikeln 
wiederzufinden?  Mit  der  Sammlung  von  Re- 
den und  Aufsätzen  des  CSU-Abgeordneten 
Baron  v.  Guttenberg  setzt  der  Seewald-Verlag 
eine  verdienstvolle  Tradition  fort,  liefert  er 
eine  Auswahl  von  Stellungnahmen  eines 
Mannes,  den  man  als  das  konservative  Ge- 
wissen des  Bundestages  bezeichnen  kann,  zu 
außenpolitischen  und  grundsätzlichen  Fragen 
der  deutschen  .-»olitik. 

Baron  von  Guttenberg  verfügt  nicht  nur 
über  die  Gabe  der  prägnanten  Formulierung 
und  rednerisches  Talent  in  der  parlamentari- 
schen Debatte,  er  ist  auch  der  bedeutendste 
außenpolitische  Kopf  der  CSU  und  ein  politi- 
scher Denker  von  hohen  Graden.  Seine  denk- 
würdige Rede  vom  27.  Mai  1970,  in  der  er  sich 
in  eindrucksvoller  Weise  grundsätzliche  mit 
der  Ostpolitik  der  Regierung  Brandt  ausein- 
andersetzte, wurde  vom  AZ-Studio  Bonn  als 
Schallplatte    herausgebracht    und    gab    wohl 


auch  den  Anstoß  zu  dem  vorliegenden  Sam- 
melband. 

Wer  etwas  über  das  Selbstverständnis 
eines  modernen  Konservativen  und  über  die 
Motive  des  oppositionellen  Mißtrauens  ge- 
genüber der  Ostpolitik  der  SPD-FDP-Koalition 
wissen  möchte,  findet  es  hier  zusammenge- 
tragen. Guttenbergs  Äußerungen  zur  Außen- 
politik in  der  Zeit  von  Ende  1959  bis  zum 
Herbst  1970  gehören  nicht  nur  zu  den  bedeu- 
tenden zeitgeschichtlichen  Quellen,  sie  ent- 
halten auch  manchen  hochaktuellen  und  zu- 
kunftweisenden Satz,  so  z.B.  wenn  er  1959 
dem  Gedanken  einer  gleichgewichtigen  Trup- 
penverminderung in  Ost-  und  Westeuropa 
entgegenhält,  daß  nicht  die  mit  Truppen  voll- 
gestopften Räume  die  politischen  Spannungen 
erzeugen,  sondern  die  Bedrohung  des  Friedens 
zu  den  Truppenmassierungen  in  Europa  ge- 
führt hätten.  Er  folgert  daraus,  daß  jede  Vor- 
aussetzung für  eine  auf  ein  militärisches 
Vakuum  in  Europa  gerichtete  Politik  fehle, 
solange  die  militärische  Macht  nicht  aus- 
schließlich in  den  Dienst  der  eigenen  Sicher- 
heit gestellt  werde. 

Guttenbergs  Kritik  an  den  außenpolitischen 
Vorstellungen   der   Sozialdemokraten,    manch- 


sein  politisches  Wüktiü  ii-  -.-  üu.,  iiuijuv 
eines  finanziell  unabhängifion  Mannes  ver- 
standen, sondern  als  leidenschaftliches  Enga- 
gement für  sein  Volk,  «  .r  die  Einigung 
Europas  und  die  Bewahrunq  der  Freiheit.  Das 
hat  ihm  in  allem  Widerstreit  der  Meinungen 
immer  auch  die  hohe  AdiUuig  seiner  politi- 
schen Gegner  eingetragen. 

Es  wäre  Guttenbergs  Leitungen  und  Gaben 
eher  angemessen  gewesen,  eine  ausführliche 
Würdigung  aus  berufener  Feder  in  den  Band 
aufzunehmen  als  den  kn.ippen  Auszug  aus 
einer  Dissertation  über  Rhetorik  im  Deutschen 
Bundestag.  Die  vom  Her-uisgeber  gewählte 
Gliederung  der  Einzelbeilräge  scheint  von 
ihrer  Logik  her  nicht  konsequent  durchgeführt 
zu  sein,  und  auch  so  bände  Fehler  wie  die 
Bezeichnung  von  Indira  Gandhi  als  indische 
Staatspräsidentin  in  einer  Bildunterschrift 
hätten  sich  wohl  vermeiden  lassen.  In  einem 
kurzen  Vorwort  hat  sein  Parteivorsitzender, 
Franz  Josef  Strauß,  dem  Autor  die  Reverenz 
erwiesen.  Die  Leser  seiner  Reden  und  Auf- 
sätze werden  ihm  ihren  R' ^pekt  ebensowenig 
verweigern  können  wie  kitnttige  Historiker. 

H.  H.  Schneider 


n 


Dieter  Golombek 


Die  politische  Vorgeschichte  des  Preußenkonkordats 


Reihe  B,  Forschungen  Band  4  der  Veröffentlichungen 
der  Kommission  für  Zeitgeschichte  bei  der  Katholi- 
schen Akademie  in  Bayern.  XXIV  und  135  S.,  Matthias- 
Griinwald-Verlag,    Mainz;   Leinen   DM   29,—. 

Vom  Titel  her  richtet  sich  diese  Arbeit  an 
den  Fachhistoriker,  zumal  den  Spezialisten  im 
kirchenhistorischen  Bereich.  Ihm  bietet  Golom- 
bek eine  sorgfältige  Analyse  der  Verhandlun- 
gen zwischen  preußischer  Staatsregierung  und 
Kurie  (1926—1929),  die  eine  allmähliche  Ent- 
schärfung des  Konfliktstoffes  einzelner  Kon- 
korüaismateiien  ermoglichLeu  und  sc.iließiicti 
zu  einem  für  beide  Teile  annehmbaren  Kom- 
promiß führten.  Die  Kurie  stimmte  einer  Lö- 
sung zu,  bei  der  die  Schultrage  ausgeklammert 
blieb. 

Im  Verlauf  der  Untersuchung  wird  die  Ent- 
wicklung einer  einheitlichen  Meinung  im  preu- 
ßischen Staatsministerium  ebenso  erkennbar 
wie  die  Willensbildung  im  preußischen  Land- 
tag. Die  ganze  Darstellung  ruht  auf  einer  Er- 
läuterung der  kirchenrechtlichen  Ausgangs- 
tage, des  Kräfteverhältnisses  zwischen  den  in 
der  Konkordatsfrage  aktiven  Parteien  und  der 
international  isolierten  Stellung  des  Weimarer 


Staates.  Eine  Analyse  der  kirchenpolitischen 
C:)rdnungsvorstellungen,  die  einerseits  im  La- 
ger der  Konkordatsbefürworter  (katholische 
Kirche  und  Zentrum.),  andererseits  bei  bedincf- 
ten  (Teile  der  evangelischen  Kirche,  DNVP, 
DVP,  DDP  und  SPD)  und  unbedingten  Kon- 
kordatsgegnern (Evangelischor  Bund  und  KPD) 
bestanden,  wird  geschickt  in  den  Untersu- 
chungsablauf eingebaut. 

Indessen  möchte  man  dieses  Buch  nicht  nur 
der  „Zunft"  der  Historiker  empfehlen.  Gehört 
es  doch  zur  Spezies  jener  historischen  DarsltM- 
lungen,  die  —  verständlich  und  flüssig  ge- 
schrieben —  den  Blick  des  interessierten  Laien 
für  die  unmittelbare  Gegenwart  schärfen.  Wel- 
chen Grad  &n  Entspanntheit  das  Verhältnis 
zwischen  katholischer  Kirche  und  Staat  in  der 
Bundesrepublik  erreicht  hat,  zeigt  der  Ver- 
gleich mit  der  von  Golombek  gemessenen 
Hochspannung,  die  das  kirchlich-staatliche 
Verhältnis  im  Prozeß  der  Konkordatsverhand- 
lungen bestimmte.  Welches  Maß  an  Entifleolo- 
qisierung  und  Entkonfessionalisierung  sich  in 
den  bundesrepublikanischen  Parteien  durch- 
gesetzt hat,  lehrt  der  Vergleich  mit  den  vom 
Konkordatsproblem   in  den  Parteien  Weimars 


und  Preußens  mobilisierten  ideologischen  und 
konfessionellen  Positionen. 

Golombek  kann  seine  Aibeit  unter  anderem 
auf  eine  Reihe  bislang  un^schlossener  Akten- 
bestände und  insbesonder  ■  auch  auf  den  Nach- 
laß des  langjährigen  prei:f^ischen  Kultusmini- 
sters C.  H.  Becker  stützen.  Schade  nur,  daß  der 
Autor  keinen  Zugang  zu  drehlichen  Archiven 
halte,  so  daß  der  Prozeß  der  innerkirchlichen 
Willensbildung  unerforLc'Lt  bleiben  mußte. 

*■■*         Klaus   {..lüniher 


.  ,,.;,  .  ,ins  auch  \()n  Lenin  zururlT  uie  Anirfr 
poiogen  stützen  sich  auf  den  jungen  Marx  und 
gehen    von    seiner    Entfremdungstheorie    aus. 

Beide  Sdiulen  erstreben  den  Entwurf  eines 
geistigen  Modells,  das  die  möglichst  vollstän- 
dige "Erkenntnis  der  objektiven  Wirklichkeit 
mit  einer  widerspruchsfreien  Erklärung  des 
menschlichen  Lebens  verbindet.  Beide  bemü- 
hen sich  um  eine  selbständige  Weiterentwick- 
lung der  marxistischen  Philosophie,  deren 
Rückstände  aufgeholt  und  deren  Lücken  ge- 
schlossen werden  sollen.  Die  offizielle  Doktrin 
als  Gralshüter  der  dogmatischen  Tradition  — 
in  ihrer  Moskauer  wie  in  ihrer  Pekinger 
Variante  —  hält  das  für  unnötig  und  revi- 
sionistisch. Aber  die  Bildung  von  verschie- 
denen Denkschulen  begann  auf  dem  Boden 
der  offiziellen  Doktrin  selbst,  als  man  in 
Moskau  versuchte,  sich  vom  Stalinismus  abzu- 
setzen und  die  Erkenntnisse  der  modernen 
Wissenschaft  zu  rezipieren. 

Dahm  spricht  von  „ideologiezersetzender 
Sachlichkeit".  Seit  Mitte  der  fünfziger  Jahre 
sind  nacheinander  alle  (acht)  Prinzipien  des 
Dialektischen  und  Historischen  Materialismus 
in  Frage  gestellt  worden.  Vielleicht  am  radi- 
kalsten durch  den  bulgarischen  Philosophen 
PoJikarov,  nach  dem  das  Bewußtsein  ebenso 
ewig  wie  die  Materie  ist;  selbst  ihre  anorga- 
nischen Formen  besäßen  die  Eigenschaften 
Widerspiegelung,  Information  und  Bewußt- 
sein. Das  verträgt  sich,  meint  Dahm,  nicht 
mehr  mit  einer  materialistischen  Philosophie. 
Wenn  die  Welt  eine  dynamische  Ordnung 
informativer  Beziehungen  ist,  muß  ihre  Ge- 
setzlichkeit geistigen  Ursprungs  sein. 

Die   häufige   Verwendung   des   Begriffs    .In- 
formation' in  beiden  Schulen  verrät  den  Ein- 
bruch   der    Kybernetik    in    das    marxistische 
Denken.  Ihm  widmet  der  Autor  ein  besonders 
interessantes  Kapitel.  Einige  Marxisten  glau- 
ben an  die  Fähigkeit  kybernetischer  Maschi- 
nen, sich  in  Subjekte  und  damit  in  Lebewesen 
zu  verwandeln.  Andere  bestreiten  diese  Mög- 
lichkeit ganz  entschieden,  weil  Computer  der 
menschlichen  Programmierung  bedürfen  —  die 
Maschine  kann  zwar  erkennen,  aber  nicht  den- 
ken. Eine  dritte  Gruppe  sieht  die  Rückkoppe- 
lung schon  in  das  Fundament  der  Materie  ein- 
gebaut, so  daß  es  keinen  Wesensunterschied 
zwischen  den  verschiedenen  Formen  des  Seins 
cjibt.    Die    Rezeption    der    Kybeinelik    hal    die 


.inderen  hvlllen  hnnnniT  f-s  si< 
einen  Autstand  des  Denkens,  der  durchaus 
noch  nicht  „gescheitert"  ist.  Kolakowski  hat 
eine  eigene  Schule  begründet. 

Dahm  wird  der  heutigen  Vielfalt  des  mar- 
xistischen und  über  den  Marxismus  hinaus- 
schwingenden  Denkens  bei  weitem  nicht  ge- 
recht. Außerdem  fehlt  ihm  noch  die  Fähig- 
keit, sidi  klar  und  einfach  auszudrücken.  Der 
Autor  führt  jedoch  tief  in  die  innere  Proble- 
matik einiger  Marxismen  und  ihren  Konflikt 
mit  der  offiziellen  Doktrin  ein.  Neu  ist,  daß 
die  Anregung  für  die  Bildung  der  anthropo- 
logischen Schule  von  einem  sowjetischen 
Philosophen  ausging.  Auch  die  scientistische 
Schule  schlug  zuerst  in  Moskau  Wurzeln.  Es 
werden  viele  Namen  genannt,  die  man  sich 
einprägen  sollte.  Günter  Barisch 


lllllllllllllltllllltlllflllllltlillMlllillllliillliilHIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII 

Zeitschriftenschau 

Deutschland  Archiv,  Heft  1/1971: 

Wilfried    Schulz:    Festungsmentalität    in    Ost-Berlin; 

Joachim    Nawrocki:    Über    Autorität    und    Vernunft 

der  Wirtschaftsplaner; 

Czeslaw  Jackowscki:  Der  Warschauer  Vertrag  — 

ein  Schlüssel  zur  friedlichen  Zukunft; 

Gerhardt   Wettig:    Entspannung  in  Berlin^; 

Marlies  Jansen:  Deutschlandpolitik  der  SED  auf  Eis; 

*  '  *  •  Zur  Verfassunqsmaßigkeit  eines  „Staatsvertrages 

zwischen     der    Bundesrepublik     Deutschland     und     der 

DDR   (I); 

Karl  Wilhelm   F  r  i  c  k  e  :  Der  diplomatische  Dienst  der 

DDR; 

Hans  Theodor  Schmidt:  Das  Strafrecht  in  Deutsch- 
land  nach   der   Kapitulation: 

Gisela  H  e  I  w  i  g  :  Die   Darstellung  der  Frau  im  Lese- 
buch; 

Die  politische  Meinung,  Heft  134/1971: 

Bruno  Heck:  Blick  nach  vorn; 
Karl   Willy  Beer:  Wandel   durch   Annäherung?; 
Anton  Böhm  :  Der  Soziaiismus  und  die  SPD; 
Hans-Peter  Schwarz:  Absichten  und  Aussichten  für 
Europa; 

Waldemar  B  e  s  s  o  n  :  Die  schleichende  Entfremdung; 
Jans  Hacker:  Sicherheit  nach  den  Verträgen?; 
Robert  Bauer:  Die  falschen  Reformen; 
Horst  D  i  e  m  e  I  :  Mißverstandene  Demokratie; 
Wolfram  von  Raven:  Moskaus  Macht  auf  den  Mee- 
ren: ^  . 
Ferdinand  Otto  M  i  k  s  c  h  e  :  Rückwirkungen  aus  Asien. 

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„Ich  bin  Bürger  der  DDR  und  lebe  in  der  Bundesrepublik" 


Rudolf  Pettinger: 

Arbeiterkinder  und  weiterführende  Schule 


Empirische  Untersuchungen  über  Einflußfaktoren  auf 
die  Schulentscheidungen  von  Arbeitereltern.  Marbur- 
ger Pädagogische  Studien,  Neue  Folge,  Band  6.  Ver- 
lag Julius  Beltz,  Weinheim;  249  Seiten,  kart.  DM  26,—. 

Der  Autor  definiert  das  Ergebnis  seiner 
Untersuchungen  mit  der  Feststellung,  daß  die 
bestehende  Ungleichheit  der  Bildungschancen 
nicht  formell  ist,  sondern  auf  gewachsenen 
Ungleichheiten  beruht,  die  eine  durchaus 
existente  rechtliche  Chancengleichheit  unter- 
laufen. 

Das  1.  Kapitel  seiner  auf  gründlichen  Um- 
fragen beruhenden  Arbeit  soll,  im  Anschluß 
an  Pichts  Thesen  vom  Bildungsrückstand  der 
BRD,  den  statistischen  Nachweis  von  Ungleich- 
heiten im  weiterführenden  Schulwesen  erbrin- 
gen. Im  2.  Kapitel  wird  die  Ungleichheit  der 
Bildungschancen  für  sozial  unterrepräsentierte 
Gruppen  herausgestellt.  Kapitel  3  zieht  die 
Bilanz  der  Diskussion  über  die  Ursachen  sol- 
cher Ungleichheiten.  Kapitel  4  und  5  teilen  die 
Ergebnisse  eigener  empirischer  Untersuchun- 
gen mit.  Und  Kapitel  (i  bringt  schließlich  Vor- 
schläge zur  Verringerung  bestehender  Benach- 
teiligungen, wobei  vernünftigerweise  auf  die 
Konstruktion  eines  weiteren  organisatorischen 
Modells  zur  Reform  des  Schulwesens  verzich- 
tet wird. 

Im  statistischen  Teil  der  Untersuchung  treten 
als  „rückständige  "  Bundesländer  auf:  Saarland, 
Rheinland-Pfalz,        Baden-Württemberg        und 
Nordrhein-Westfalen;    zur    Spitzengruppe    ge- 
hören:    Schleswig-Holstein,     Bremen,     Berlin- 
West,    Hamburg    und    Hessen.    Niedersachsen 
und   Bayern   repräsentieren   den    Durchschnitt. 
Wie  relativ  angreifbar  die  Verwertung  solcher 
Statistiken  und  ihrer  Aussagen  ist,  zeigt  z.  B. 
die    von    Pettinger    nicht    berücksichtigte    Tat- 
sache, daß  etwa  die  hohen  Abiturientenzahlen 
in  Berlin  und  Hessen  nicht  ohne  weiteres  ver- 
gleichbar   sind,    weil    hier    die    in    den    Saar- 
brückener   Vereinbarungen    festgelegten    Lei- 
stungsforderungen im  Gegensatz  zu  den  ande- 
ren   Ländern    nicht    eingehalten    wurden.    Die 
Untersuchungen   unterstreichen  bekannte  Tat- 
sachen: Arbeiterfamilien  stellen  knapp  5  "  o  der 
Abiturienten,  aus  Bauernfamilien  kommen  gar 
nur  2,2  "/o,  während   Akademiker,  Angestellte 
und  Beamte  allein  70  ""n  der  Abiturienten  stel- 
i,.p     Her    Antf'i'    <I<.r    M,Wlrti(>n    Ijpfit    liri    rinrm 


besonders  in  mangelhaften  Kontakten  zwi- 
schen Schule  und  Elternhaus  gerade  auf  der 
gymnasialen  Ebene,  während  die  Realschule 
hier  entschieden  besser  abschneidet.  Ererbte 
Vorrechte  und  Benachteiligungen  auf  dem  Ge- 
biet der  Bildung  lassen  sich  nach  Meinung  des 
Autors  nur  durch  eine  rechtzeitige  und  um- 
fassende Information  der  Elternschaft  abbauen. 

Das  Gesamtergebnis  dieser  Untersuchung 
sollte  als  Material  für  weiterführende  Über- 
legungen betrachtet  werden.  Für  sich  gesehen 
bleibt  die  gewonnene  Aussage  mager  und 
führt  kaum  über  bereits  Erkanntes  hinaus. 

Volkmar  Kellermann 


Zwölf  Interviews  von  Barbara  Grunert-Bron- 
n  o  n  ,  mit  einem  Nachwort  von  Uwe  Johnson. 
Piper  Verlag,  München;  130  Seiten,  kartoniert  DM6,—. 

Die  Bereitschaft  der  Bundesregierung,  auf 
dem  Wege  zur  Entspannung  in  Europa  auch 
das  Verhältnis  zur  DDR  zu  entkrampfen,  in- 
terpretiert die  SED-Oligarchie,  aus  Angst  vor 
„ideologischer  Aufweichung",  als  Versuch  der 
Unterwanderung  und  cuitwortet  darauf  mit 
einer  Politik  der  strikten  „Abgrenzung"  zwi- 
schen den  beiden  deutschen  Staaten,  die  an- 
geblich nichts  mehr  miteinander  verbindet. 
Wie  groß  die  Entfremdiiiig  tatsächlich  gewor- 
den i'^st,  durch  Versagen  auf  unserer  Seite, 
durch  systematische  Indoktrination  auf  der  an- 
deren, wird  aus  den  Interviews  von  Barbara 
Grunert-Bronnen  bedrückend  deutlich,  auch 
wenn  man  voraussetzt,  daß  die  Aussagen  der 
zwölf  Befragten  nicht  typisch  sind  für  die 
Haltung  der  3,5  Millionen  Flüchtlinge,  die 
zwischen  1949  und  1961  die  DDR  verlassen 
haben. 

Zu  Wort  kommen  Angehörige  verschie- 
dener Berufe  und  Altersklassen:  der  Jüngste 
(Kraftfahrer)  ist  25  Jahre  alt,  der  Älteste 
(Schauspieler)  37.  Allen  wurden  die  gleichen 
Fragen  vorgelegt:  nach  ihrer  sozialistischen 
Erziehung,  nach  ihrem  augenblicklichen  Ver- 
hältnis zur  DDR,  unter  welchen  Bedingungen 
sie  wieder  dorthin  zurückkehren  würden,  wie 
sie  die  Bundesrepublik  erlebt  haben  und  was 
sie  an  ihr  kritisieren. 


Beruflich  und  materiell  haben  alle,  wenn 
auch  unter  erheblichen  Schwierigkeiten,  Fuß 
gefaßt,  aber  zur  geistigen  und  politischen 
Heimat  ist  ihnen  die  Bundesrepublik  nicht 
geworden.  Ihre  Seelenlage  erinnert  an  die 
prominenter  Ex-Kommunisten  wie  etwa 
Koestler  und  Silone.  Von  ihnen,  aber  auch 
von  Männern  wie  Kurt  Fischer  und  Alfred 
Kantorowicz  unterscheiden  sie  sich  allerdings 
wesentlich  dadurch,  daß  sie  nicht  —  oder  noch 
njeht  —  genügend  Distanz  zu  ihrem  Erleben 
gewinnen  können  und  deshalb  behindert  sind, 
außerhalb  der  Geborgenheit  eines  ideolo- 
gischen Kollektivs  sich  zu  behaupten,  das 
ihnen  die  Selbstverantwortung  weitgehend  ab- 
nahm. 

Die  Interviewten  haben  die  DDR  aus  den 
verschiedensten  Gründen  verlassen,  aber  sie 
sind  keineswegs  fertig  mit  ihr.  Dazu  sitzt  das 
drüben  Erlebte  zu  tief.  Ihre  sozialistische  Er- 
ziehung hat  ihnen  den  Blick  geschärft  für  die 
Diskrepanz  zwischen  dem  idealen  Anspruch 
der  Gesellschaftsordnung  hier  und  dort  und 
der  sehr  viel  weniger  idealen  Realität  in  bei- 
den Teilen  Deutschlands.  Sie  halten  sich  fast 
alle  für  überzeugte  Sozialisten,  sind  es  aber 
sicher  nicht  im  Sinne  der  SED.  Ihre  Kritik  an 
der  Bundesrepublik,  die  natürlich  nicht  frei 
ist  von  anerzogenen  Vorurteilen,  wird  in  star- 
kem Maße  auch  bestimmt  von  Ressentiments, 
die  aus  der  Enttäuschung  zu  großer  Erwar- 
tungen  entstanden.   Sie   richtet   sich  fast   ein- 


Jugendmarken  1971 


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hellig  gegen  den  Mangel  an  Gemeinschafts- 
bewußtsein, an  Solidarität,  an  politischem 
Engagement.  Bezeichnend  für  die  besondere 
Art  der  Bewußtseinsspaltung  der  Befragten 
ist,  daß  sie  das  materialistische  Denken  der 
Bundesbürger  verdammen  und  im  gleichen 
Atemzug  die  materiellen  Vorteile  betonen, 
welche  die  DDR  ihren  Bürgern  bietet. 

Die  Mitbürger,  die  hier  zu  Wort  kommen, 
sind,  wie  Uwe  Johnson  im  Nachwort  schreibt 
—  er  selbst  gehört  zu  ihnen  — ,  Kinder,  die 
das  Elternhaus  enttäuscht  oder  im  Zorn  ver- 
lassen haben  und  sich  doch  nicht  völlig  von 
ihm  lösen  können.  Sie  leben  als  heimatlose 
Bürger  eines  nicht  existierenden  idealen 
Deutschland  unter  uns.  Sie  haben  es  schwer 
mit  uns  und  wir  mit  ihnen,  aber  jeder  Ver- 
such, ihnen  aus  ihrer  Vereinzelung  herauszu- 
helfen und  sie  damit  zu  bewahren  vor  dem 
endgültigen  Absacken  in  die  Resignation  oder 
in  den  Radikalismus,  wäre  ein  Beitrag  dazu, 
die  Entfremdung  zu  überwinden. 

Hermann  Simon 


Kurz  notiert 

Jerusalem.  Dieser  von  Moshe  Tavor  einge- 
leitete Bildband  von  Hanns  Reich  zeigt  zwar 
die  5000  Jahre  alte,  drei  Religionen  heilige 
Stadt,  doch  erkennt  man  beim  Betrachten  der 
Bilder,  daß  wir  es  nicht  mehr  mit  der  Stadt 
Davids  zu  tun  haben,  die  wir  aus  der  Bibel 
kennen.  Das  Jerusalem  von  heute  ist  eine 
Stadt  von  orientalischer  Aktivität,  mit  Stra- 
ßencafes, wild  hupenden  Taxis  und  Omni- 
bussen, bevölkert  von  Arabern  in  weißen  Bur- 
nussen, orthodoxen  Juden  mit  Schläfenlocken 
und  breitkrempigen  Hüten,  von  Immigran- 
ten aus  vielen  arabischen  Ländern  Vorder- 
asiens und  Afrikas,  aber  auch  von  nach 
westlicher  Art  gekleideten  modernen  Israelis. 
Die  ausgezeichneten  Photos  und  der  instruk- 
tive Text  vermitteln  ein  plastisches  Bild  des 
Lebens  in  Jerusalem.  (Hanns  Reich  Verlag, 
München;  96  Tiefdrucktafeln,  8.  Farbtafeln, 
24  Seiten  Text,  Leinen  DM  26,80.)  H.  L. 

African  Book  Trade  Directory.  Mit  diesem  von 
Sigfred  Taubert  bearbeiteten  und  herausgege- 
benen Nachschlagewerk  liegt  das  grundlegende 
Informationsmittcl  vor,  das  für  die  Entwick- 
lung und  Förderung  des  afrikanischen  Buch- 
handels unentbehrlich  ist.  Es  bietet  das  für  den 
Buchhandel  wichtige  Adressenmaterial  aller 
afrikanischen  Staaten  nach  dem  gegenwärtigen 
Stand.  In  vielen  Teilen  der  afrikanischen  Ver- 
lags- und  Buchwelt  kann  man  seit  einigen  Jah- 
ren einen  rapiden  Fortschritt  beobachten.  Man 
kann  daher  mit  Sicherheit  annehmen,  daß  es 
nicht  mehr  lange  dauern  wird,  bis  der  afrika- 
nische Buchhandel  eine  Größe  haben  wird,  die 
die  Publikationen  der  afrikanischen  Länder  für 
die  übrige  Welt  mehr  und  mehr  attraktiver 
macht.  Für  ein  ausgewogenes  Verhältnis  zwi- 


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Dienstag,  19.  Aprü  1966 


91euc  3iird]cr  3cittittg 


Fernausgahe  Nr.  106     BUtt  2 


Europa  unter  der  Herrschaft 
der  Diktatoren 

Zu  einem  Buch  von  Elizahelh  Wiskeniann 

A.  C.  Zur  Gcschicliio  dos  Europa  clor  Zwisclion- 
kriogszcit,    übor   (lio    eine    Fülle    von    Dokiunontar- 
inatprial    vorliegt,   sind   bis   honte    nnr   woniiro   nrn- 
tassondo  Darstollun^on   orscliionon,  dio  das  Tlioma 
wirklioh  bowiiltist  liabon.   Dies   ist  nm  so  erstann- 
liolior,    als   dio    Poriodisiornng;    der    K]kh'Iio    inilio 
Abscbnitto       Nachkrioofsrliaos,       Sdioinprosporität, 
\VoltA\irt-s<-lialtskriso       und        nationalso/ialistisclio 
l'.edrohung    mit    don    Sti<-li.jaliron    1923,    1929    nnd 
1933    dnn-h    die    Kroignisso    eindontig    gegeben    ist 
und  sieb  die   KntAvickhingon  .'.er  violtaltigen   euro- 
päiscben    Staatenwolt    mübolos    in    dieses    Sclioma 
einordnen    lassen,   oiine   daß   man    den   bistonscbon 
Tatsachen    allzu   stark    Zwang    antun    müßte.    Man 
wird  es  deshalb  begrüßen,  daß  heute  in  englisrlier 
Sprache  ein  Buch  vorliegt,  das  in  knappster  Form 
einen    sachliehon    Ueberbtiek    über    diese    wielitigo 
Periode    der    europüiscdien    (Teschiohte    gibt.*    Die 
Autorin    des    Werkes,    FJizahrth    Wishrnunui,    hat 
einen   großen    Teil    des    von    ihr   gesidiilderten    Ge- 
sfhehens   als    Auslandkorrespondenlin    in    verscdiie- 
denen    Landern    des    Kontinents    selber    mitorle])t ; 
gelockerte     journalistische     Dai-stollung     verbindet 
sich  in  dem  Buch  mit  der  Genauigkeit  und  Akribie 
der  wissenschaftlich    geschulten    Historikerin.    Per- 
sJüilichc  Erlalirung  und   intensives  Quellenstudiiun 
bilden    die   Gnnidlage    für   ein   spannend   geschrie- 
benes Buch,  in  dem  die  Erregung  über  die  Tragik 
des  Geschehens,   über   die   begangenen    Fehler,   die 
Versäumnisse    und     die    verpaßton     Gelegenheit/^n 
durch  alle  Objektivität  hindurdischimmert. 

p:ii7.ab(>th     Wiskeniann     ist     es     gelungen,     auf 
^\eniger    als    2G0    Seiten    dio    tiint'undzwanzig    er- 
eignisreichen   Jalire    europäischer    Geschichte    zwi- 
schen  1919    und    1945   zu    schildern,   ohne    daß   sie 
irgendwie   etwas   Wesentliclies   übersehen   oder  der 
Bcschriinktheit    dos    Raumes    geopfert    hätte.    Die 
Verfasserin  geht  den   Geschelieu   in   den   einzelnen 
Ländern    Europjis    bis    ins    kleinste    Detail    exakt 
nach,   und   zwar  nicht   nur   bei    den    Großmächten, 
sondern    auch    bei     den    mittleren    und    kleineren 
Staaten.  p:ingehend  liescbäftigt  sie  sich  dabei  unter 
ondorom  mit  dem    Fiasko   der   Demokratie   in   den 
meisten     der     1919     gcschalTenen     neuen     Staaten 
Mittel-  und   Osteuropas.   Als   Beispiel  sei   hier  auf 
den    Abschnitt   über   Polen   liingewiesen.    Das    dik- 
tatorische Regime  Pilsudskis,  der    192t)  die  Macht 
übernommen  hatt<\  wird  cals  ein  Rogimont  geschil- 
dert^ dessen  Methoden  weniger  an  den  italienis<-hen 
Fascismus     als    an     das     System     erinnoHon,    mit 
welchem    in    den    sechziger    Jahren    des    19.  Jahr- 
luinderts  Preußen  und  Oesterreich  regiert  wurden. 
In    kritischer    Sicht    wird    die    Miu^erhcHrvpolifik 
des   sich    zu    l^nrecht   als   Großmacht   gebärdenden 
neuen  Polen  beurteilt  und  mit  einem  kleinen,  aber 
deutlichen    Seitenhieb   gegen    die    deutsche   Ueber- 
hebbchkeit,  die  das  polni.sche  Volk  in  Bauseh  nnd 


innen   don   Weg  zu   ebnen.   Den   20.  Juli   1932,   als 
Papon  durch  einen  kalten   Staatsstreich  die  demo- 
kratische   preußische    Regierung    ausschaltete    und 
diese    widerstandslos    abtrat,    betrachtet    Elizabeth 
Wiskeniann    als    das    eigentliche    f^nde    der   Demo- 
kratie in  Deutschland.  Mit  Schärfe  kritisiert  sie  die 
selbstni(*»rderische  Politik  der  Kommunisten,  die  ihre 
ILauptangrilTe  gegen  die  Sozialdemokratie  richteten 
und   Hitler  bewußt  an  die  Macht  kommen   ließen. 
All  jene,  die  sich  auf  ihren  guten  Glauben  beriefen, 
werden    dun-h    den    Hinweis    auf    das    Telegramm 
Hitlers  vom  Sommer  1932,  in  dem  er  sich  mit  den 
Mr.rdern    von   Potem]>a  solidarisch   erklärte,   daran 
erinnert,  daß  d(>r  Nationalsozialismus  sein  brut<iles 
Gesiclit  schon  lange  vor  der  Machtergreifung  ent- 
hüllt hatte.  Die  Autorin  wertet  es  als  ein  Zeichen 
von  ^fut,  daß  am  5.  März  1933,  nach  dem  Reichs- 
tagsbrand   und    unter    s<-liärfstem    Terror,    m    den 
letzten  halbwegs  Ireien  Wahlen  sk-h  dennoch  mehr 
als  die  Hälfte  der  Deutschen  gegen  den  National- 
sozial ismns  aussprach. 

Elizabeth  Wiskemanns  Buch  z>eugt  von  einer 
souveränen  Beherrschung  der  Materie.  Es  zeichnet 
sich  vor  allem  aus  durch  eindrückliche  und  in  aller 
Knappheit  treffende  Charakteristiken  der  führen- 
den Politiker  der  Zwischenkriegszeit  und  des 
Zweiten  Weltkriegs.  Wer  eine  objektive  Ein- 
führung in  das  politische  Geschehen  der  Jahre  von 
1919  bis  1945  will,  wird  zu  diesem  Buch  greifen, 
das'  in  vorzüglicher  Weise  den  Sinn  für  das 
Wesentliche  mit  einer  spannungsvollen  Dar- 
stellung vorbindet. 

Das  neue  Osteuropa 

F.  M.   Seit  dem   Auftauchen   de-   Wunschbildes 


einer      direkten      amerikanisch-sowjetischen      Ver- 
ständigung   und    dem    Ausbruch     des     chinesisch- 
sowjetischen    Konfliktes    ist    das    kommunistische 
Osteuropa  etwas  in  den  Schatten  der  großen  Welt- 
politik geraten  —  ganz  im  Gegensatz  zur  Epoche 
nach    1956,   als   man    im    Satellitenreich    einen    der 
wichtigsten     Angelpunkte     der     weltweiten      Aus- 
einandei^etzung  zwischen  der  freien  Welt  und  dem 
Kommunismus     sah.      Dementsprechend      ist     die 
Literatur  über  Osteuropa  im   Westen   seltener  ge- 
worden;   besonders    amerikanische,    aber    teilweise 
auch  deutsche  und  französistdie  P^xporten  in  kom- 
munistischen   Fragen    interessierten   sich    mehr  für 
die  Sowjetunion  oder  China  direkt  und  behandelten 
das    europäische    Satellitonreich    lediglich    als    eine 
Art  Accessoire.  Das  nicht  zuletzt  unt^r  dem  Ein- 
lluß    de  Gaulies    entstandene    neue    Konzept    einer 
Art     europäischer     «Wiedervereinigung»      beginnt 
erst   jetzt  auch    in   der   internationalen    Politologie 
und    Publizistik    wieder   vermehrtes    Interesse    für 
Osteuropa  zu  wecken. 

Dir    naehstalinistisrlie    Enlwirklung 

Es  ist  besonders  wertvoll,  daß  gerade  jetztUin 
ausgezeichnete^  Werk  erschienen  ist,  das  die  ga^.«, 
nachsta  1  i nis-fi.sche  Entwicklung  Osteuropas  bis  ;.h- 


Bilder  aus  Israel 


Existenz  auf-nhauen. 


-ff.  Woher  stammt  die  Faszination  Israels?  Die 
Frage   überfällt   jeden,   der  don   jungen   Stwit  der 
Juden    zum    erstenmal    besucht.   11  cd    M'iv)wrr   hat 
sich  mit  der  Kamera  <laran  gemacht,  eine  Antwort 
zu   finden  —  und  gibt  sie  auf  jeder  der  1(>0  Bild- 
tafeln des  Bandes  «/^/•«^/  —  Land  ohne  Beispiel» 
(Verlag  Heinz  Moos,  München,  1966).  Die  Karg- 
heit und  großartige   Leere  der  Wüste  findet  sich 
hier  neben  der  Ueppigkeit  der  Felder,  auf  die  das 
belebende  Wasser  hingeleitet  wird.  Es  ist  nicht  das 
einzige  Gegensatzpaar.  Es  gibt  den  Gegensatz  zwi- 
schen (iroßsta<lt  und  ländlicher  Siedlung,  zwischen 
Industriewerk    und    wissenschaftlichem    Laborato- 
rium,    zwis<-hon     friedlicher     Siodlungsarboit     und 
Spuren  des  Kriegs,  der  1948  nicht  endete,  sondern 
noch    immer    vveiter   geht.    Vor   allem    aber    tindet 
sich    in    <liesem    Band   eine    Andeutung   des   Reich- 
tums an  Gestalten  und  Gesichtern   dieses  Landes: 
Mäd«hen    und    Bui-schen    in   der   ITnifonn,   bärtige 
Patriarchen,    Strenggläubige   im   orthodoxen   Vier- 
tel  Jerusalems,   Siedler   und    Fischer,   Dru.sen   und 
Beduinen,   Männer  an   der  Drehbank   und  Jugend 
in  den  S<-hnlen,  Neueinwanderer  und  Sabres  -     die 
im  Land  Geborenen  — ,  Feiernde  und  Betende. 

Gabriella  Rosenthal  hat  auf  zwanzig  Seiten 
einen  knappen  Umriß  der  geographischen  Eigen- 
arten   und   der  historischen    Bezüge   zu   geben   ver- 


eifert  damit  dem  photographischen  Auge  Hcd 
Wimmors  nach,  das  auch  der  genauen  Inforniation 
den  \'orzug  gibt  vor  dem  maleris<-hen  Schein. 
Israel  besticht  nicht  durch  landschaftliche  Schön- 
heit, sondern  durch  das  atemraubende  Tempo,  in 
dem  ein  kleines  Stück  mittelöstlicher  Landschaft 
in  einen  modernen  Industriestaat  venvandelt  w\rd. 
Es  ist  die  menschliche  Leistung,  die  zählt  und  die 
in  diesem  Bildband  ihre  eindrucksvolle  Wieder- 
gabe findet. 

♦ 

Auch  ein  Schweizer  hat  sich  vor  kurzem  zum 
Thema  der  Aufbauarbeit  in  Israel  vernehmen  las- 
sen. Es  ist  (rnstav  Kpli  vom  Landesverband  freier 
Schweizer  Arbeiter,  der  in  einer  in  der  Fehrschen 
Buchhandlung  in  St.  Gallon  ei-schionenen  Broschüre 
das  Wesen  dieses  Landes  auf  die  Fonnel  bringt: 
Eintra<-ht.  Redlichkeit,  Fleiß.  Ihn  interessierten 
ver^tändlicherweise  vor  allem  die  wirtschaftspoli- 
tischon  Aspekte  des  Landes,  das  er  während  der 
letzten  Wahlen  studierte.  So  gibt  er  neben  einer 
sehr  eingehenden  und  wohlabgewogenen  Analy.-^e 
der  mächtigen  Arbeiterorganisation  Histndnit  vor 
allem  ein  Bild  des  sich  wandelnden  Stiuitsbewußt- 
seins  der  israelischen  Gesellschaft,  die,  aus  dem 
harten  (irifT  der  Pionierzeit  entlassen,  allmählich 
die  Vorteile  und  die  Problematik  des  Wohlfahrts- 


ÄVV*. 


bonos  Hu«li,  in  (Um  (V\o  iMToj^un*^'  iiiu-r  .TTö 
.los  GesoViohons,  üImt  «lio  hotrniijronon  Fohlor.  die 
Vorsiinmnis^o  un.l  .lio  von»aßton  Golojronhoilrn 
«luroh  allo  ()U,)oktivitUt  liiii(1unlistliimmort. 

Elizal)oth     Wiskoninnn     ist     os     golunj^on,     auf 
woni^or    als    'JC>0    Soiton    ilio    liinluiulzwan/.ig    cr- 
oio-nisroiolion    Jaliro    ouropiii-«-lior    Gosclnohto    zwi- 
schen  1910   und   1945   zn   scl.il.lorn,   olmc   daß   sie 
irgondwio   otwa.s   Woisontliohos   üborsolion   odor   <lor 
Bcsohränkthoit    dos    Raumos    ^oopfort    hättr.    Dio 
Verfasserin  ^oht  den   (Tosoholion   in   den   einzelnen 
Ländern    Europas    bis    ins    kleinste    Detail    exakt 
naoh     und   /war   nicht   nur   bei    den   Großrnacht^^n, 
.f.ndern    auch    bei    den    mitthTon    und    kleineren 
Staaten.  Eingehend  beschäftigt  sie  sich  dabei  unter 
;uulerem   mit   dem   Fiasko   der  Demokratie   m   den 
Mioiston     der     1910     g:esclialT<'nen     neuen     Staaten 
Mittel-  und   Osteuropas.   Als   Beis])iel   sei  hier  aiii 
(Ion    \bschnitt   über   Polen   liinprewiesen.    Das    dik- 
tatorische Regime  Pilsudskis,  der  1926  die  Macht 
übernommen  hatte,  wird  als  ein  Regiment  gesc  iil- 
<lert,  dessen  ^Lethoden  weniger  an  den  italienischen 
Eascismus     als    an     das     System     erinnerten     mit 
welchem    in    den    sechziger    Jahren    des    19.  Jabr- 
luinderis  Preußen  und  Oestorreich  regiert  wurden. 
In    kritischer    Sicht    wird    die    Minderheit enjmhUk 
des   sich    zu    Unrecht   als   Großmacht   gebärdenden 
neuen  Polen  beurteilt  und  mit  einem  kleinen,  aber 
deutlicher:    Soitenhieb    gegen    die    deutsche    Leber- 
heblichkeit, die  da^  polnische  Volk  in  Bausch  und 
Rogen    als   unfähig   bezeichnete,    die    Aufbauarbeit 
l'olens   bei    der   Errichtung   eines    eigenen    Ostsee- 
hafens in  Gdingen  gewürdigt. 


Als  zweites  Beispiel,  dem  sich  beliebig  weitere 
anfügen  ließen,  sei  auf  die  Darstellung  der  poli- 
tischen Verhältnisse  im  republikanisclien  Spanien 
am  Vorabend  des  Bürgerkrieges  hingewiesen.  Die 
komplizierte  Vielfalt  der  Bewegungen  aiif  der 
politischen  Linken,  die  Anarchisten  und  Syn- 
dikalisten, die  Kommuniston  aller  Schattierungen, 
deren  Bestrebungen  zum  Teil  wirr  durchoinandor- 
liefe.n,  was  1037  in  Barcelona  zu  einem  eigentlichen 
l^.ürgerkrieg  im  Bürgerkrieg  führte,  wird  über- 
sichtlioh  zusammengefaßt.  Die  Tragikomödie  der 
Sichtintervention  erfährt  eine  kritische  ^\  urdi- 
gung. 

Trotz  der  ausführtichon  Behandlung  der  Details 
wird  der  große  Zug  im  Gang  der  Ereignisse  nicht 
aus  den  Augen  vertorcn.   So  arbeitet  die   Autorin 
klar  heraus,  wie  der  Zusammenbruch  der  Weimarer 
Kopublik    im    Jahre    193:J    dio    antidemokratischen 
Tendenzen   in  den  übrigen  Ländern  Europas  ver- 
stärkte und  jene  Lähmung  des  Widerstandswillens 
herbeiführte,    der    es    Hitler    ertaubt-e,    seine    poli- 
tischen   Triumphe     zu     feiern.    Der     Niedergang 
Frankreichs  und  die  verhängnisvolle  Appoa.sement- 
Politik  Großbritanniens  unter  Baldwin  und  Chnm- 
bcrlain    worden    eingehend    geschildert..     Man    be- 
dauert e^  hier,  daß  das  Thema   des  Buches  —  es 
erschien  in   einer  Paporback-Sei*k   über  die   euro- 
päische Geschichte  seit  dem  16.  Jahrhundort  —  auf 
Europa  beschränkt  blieb;  Amerika  und  der  Ferne 
Osten  bleiben  praktisch  außortialb  der  Betrachtun- 
'-en,  und  auch  Rußland  erscheint  gelegentlich  allzu 
stark  an   den   Rand   gedrängt,.   Es   zeigt  sich,   daß 
CS    fa.st    unmr»glich    ist,   euro])äische    Gegonwarts- 
gcschichte    zu     schreiben,    ohne     die     Perspektiven 
weltweit    auszudolMien.    Cianz    deutlich    wird    diese 
Verflechtung  dos  Geschehen.^  beim   Zicciten    Welt- 
l'rieg,    der   keine    europäische,    sondern    eine    welt- 
uinspannon<le    Auseinandersetzung     war,    die     zu- 
mindest   seit    1941     weitgohond    durch    außoreuro 
päische  Mächte  bestimmt  wurde.  Dieser  Beschrän- 
kung auf  das  europäische  Geschehen  und  den  auto- 
matisch   daraus    resultioronden    Mängeln    wird    je- 
doch mit  Geschick  begegnet,  indem  in  kurzen  Hin- 
weisen  auch   die  überseeischen   Entwi.-klungon,^  so- 
uoit  diese  für  Europa  wichtig  waren,  ir    den  Kreis 
iler  Betrachtungen  gezogen  werden. 

Besonderes  Roliof  gewinnt  die  Schilderung  beim 
Abschnitt  ül)er  das  Aufkommen  Hitlers,  vor  allem 
bei  der  Charakterisierung  der  verhängnisvollen 
Rolle,  die  Leut<}  wie  Ilugenberg,  Schacht  und 
Papen  in  den  entscheidenden  Jahren  vor  dem 
30.  Januar  1933  spielten.  So  heißt  es  von  Schacht, 
er  habe,  indem  er  auf  allen  Parties  von  Bankiers 
und  Botschaftern  nicht  müde  geworden  sei  zu  er- 
klären, Hitler  allein  könne  Deutschland  retten, 
wohl  mehr  als  irgendein  anderer  Einzolmensch  da- 
zu   beigetragen,   Hitler    sowohl    nach    außen    wie 


j'J4.)  Will,  Wirrt  zu  rtio 
vorzüglitlier    Weise     <l(ij 
ii<he      mit      einer      spanl 
vorbindet. 

Das  neue  Osteuropa 

r.  M.   Seit  dem   Anftiiuchen   des   Wunschbildes 
einer      direkten      amerikanisch-sowjetischen      Ver- 
ständigung   und    dem    Ausbruch     dos     chinesistdi- 
sowjotischen    Konfliktes     ist     das     kommunistische 
Osteuropa  etwas  in  den  Schatten  der  großen  Welt- 
politik geraten  —  ganz  im  Gegensatz  zur  Epoche 
nach    1956,   als   man    im    Salellitenreich   einen    der 
wichtigsten     Angelpunkte     der     weltweiten      Ans- 
ein an  dei-sotzung  zwis<lien  der  freien  Welt  und  dem 
Kommunismus     sah.      Doniontsprec  hend      ist     die 
Literatur  über  Osteuropa  im   Woston   seltener  ge- 
worden;   besonders    anioiikanische,    aber    teilweise 
auch  deutsclio  und   franz;>sischc   Experten   in  kom- 
munistischen   Fragen   interessierten   sich   mehr  für 
dio  Sowjetunion  oder  China  direkt  und  behandelten 
das    europäische    Satellitonroich    lediglich    als   eine 
Art  Accessoirc.  Das  nicht  zuletzt  unt^^r  dem   Ein- 
fluß   de  Gaullos    entstandene   neue    Konzept   einer 
Art     europäischer     «Wiedervereinigung»      l>eginnt 
erst   jetzt  auch   in   der   internationalen   Politologie 
und  'Publizistik    wieder   vermehrtes    Interesse   für 
Osteuropa  zu  wecken. 

Dir   nachstalinistisohc   Entwicklung 

Es  ist  besonders  wertvoll,  daß  gerade  jetzt  ei r 
ausgezeichnetes^  Werk  erschienen  ist,  das  die  gaVA 
nachst^linistische  Entwicklung  Osteuropa.s  ^is  J^. 
gegenwärtigen  Zeitpunkt  aus  sich  selbst  hcrai^^ 
darzust^'llen  sucht  und  insbesondere  den  Prozeß 
der  zunehmenden  Emanzipation  und  DifTö- 
renzierung  der  Satellitenstaaten  horausarbeitej. 
J.V.Brown,  ein  brttischer,  seit  längerer  Zeit  in 
Mittoleuropa  arbeitender  Konner  der  osteuro- 
päischen Verhältnisse,  analysiert  in  seinem  englisch 
erschienenen  Werk  '<The  New  Eastcrn  hurope» 
die  teilweise  komplizierten  Prozesse,  welche  jedes 
einzelne  der  Satcllitenländer  in  den  letzten  Jahren 
durchgemacht  hat  und  die  dazu  geführt  haben, 
daß  man  von  diesem  Teil  der  Welt  heute  nicht 
mehr  als  von  einer  Einheit  spre<-hen  kann.  Brown 
behandelt  denn  auch  jedes  Land  im  wesonthchen 
separat,  nach  Sachgebieten  geordnet,  und  versucht 
lediglich  jeweils  am  Anfang  oder  am  Ende  der 
ent^sprochenden  Kapitel  zusammenhängende  Tntor- 
protationon  zu  geben.  Zuerst  werden  die  innon- 
])oIitischon  Entwicklungen  gewürdigt,  dann  die 
Wirtsdiaft  im  allgemeinen  und  im  Zusammenhang 
damit  auch  die  Versuche  von  Reformen  sowie 
weiter  Landwirtschaft  und  Kultur.  Ein  beson- 
deres Kapitel  analysiert  die  Entwicklung  der  Be- 
ziehungen jedes  einzelnen  osteuropäis(  hon  Landes 
—  Jugoslawien  wird  im  Buche  nicht  behandelt  - 
zur  Soivjetnnion,  Rumänien  und  Albanien  erfahren 
in  diesem  Rahmen  wiederum  eine  gesondert<^  Wür- 
digung. Den  Schluß  macht  die  Darstellung  der 
Beziehungen  Osteuropas  zum  Westen  sowie  eine 
Zusammenstellung  der  gegenwärtig  in  den  einzel- 
nen Ländern  maßgebenden  Persiuilichkeiten  mit- 
samt den  recht  ausführlich  gehaltenen  Biographien 
der  Hauptakteurc. 

Die  Darstellungen   sind   bemerkenswert  präzise 
gelialten   und   die   Interpretationen   fast   durchweg 
tretl'sidier.  Brown  hütet  sich  vor  Ueberschätzung<>n 
des    P^manzipationsprozesses    in    Osteuropa,    aber 
iintors<diätzt  ihn   auch   nicht.    Als  bemerkenswert  os 
Ergebnis  seiner  Analyse  des  neuen  Osteuropa  halt 
erlöst,  daß  jene  Staaten,  die  195G  an  der  Spit/e 
(lor  Entwicklung  nach  vorn  standen,  also  Ungarn 
und  Polen,  heute  als  Promotoren  neuer  Wege  aus- 
gt^chaltot   sind,    während    andere   Länder,   wie   (he 
Tschechoslowakei    und    Rumänien,    gleichs.-im    von 
den  letzten  auf  die  ersten  Plätze  v«)rge,stx)ßen  sind. 
Der  Person  Chnuschtschc2VS  mißt  Brown  sicher  vn 
Recht   eine   große   Rolle   im    allgemeinen    Emanzi- 
pationsprozoß    zu.    Noch    erachtet   as   auch    Brown 
für  verfrüht,  allgemeine   Schlüsse  zu   ziehen,  aber 
er  wertet  bereits  die  Zwischenbilanz  vom  westlichen 
Standpunkt    aus    trotz    allen     Widerspnichen    als 
j  sehr  ennuligend. 


.'>t:i 


.fr   Woher  stammt  die  Faszination  Israels!  Die 
Frage   überfällt   jeden,  der  den   jungen   Staat  der 
Juden   zum   erstenmal   besucht.   Hed   \V immer  ha 
sich  mit  der  Kamera  daran  gemacht.  ^^^ ^^^^^^^l"^ 
zu  finden  -    und  gibt  sie  auf  jeder  der  IbO  Bild- 
tafeln des  Bandes  ^hrael  —  Land  ohne  heisyneh 
(Verlag  Heinz  Moos,  München,  19G6).  Die  Karg- 
heit und  großartige   Leere  der  Wiiste   findet  sich 
hier  neben  der  Uopi>igkeit  der  Felder,  aut  die  das 
belebende  Wasser  hingeleitet  wird.  Es  ist  nicht  das 
einzige  Gegensatz])aar.  Es  gibt  den  Gegensatz  zwi- 
s<lien  Großstadt  und  ländlicher  Siedlung,  zwis<-hon 
Industriewerk    und    wissenschaftlichem     Laborato- 
rium,    zwischen     friedlicher     Siodlungsart)Oit     und 
Spuren  des  Kriegs,  der  1948  nichi  endete,  sondern 
noch    immer    weiter   geht.    Vor   allem    aber    l'mdet 
^ich    in   diesem    Band   eine    Andeutung   des   hoich- 
tums  an  Gestalten  und  Gesichtern   dieses  Landes: 
ATädchen    und   Burschen   in   der   l'niform,   bärtige 
Patriarchen,    Strenggläubige   im   orthodoxen   Vier- 
tel  Jerusalems,   Siedler  und   Fischer,   Drusen   und 
Beduinen,  Männer  an   der   Drehbank   und   Jugend 
in  den  Schulen,  Xoiioinwanderer  und  Sabres  —  die 
im  Land  Geborenen  — ,  Feiernde  und  Betende. 

Gabnella  Rosenthal  hat  auf  zwanzig  Seiten 
einen  knappen  Umriß  der  geographischen  Eigen- 
arten und  der  historischen  Bezüge  zu  geben  ver^ 
.acht.  Sic  bleibt  sachlich  und  beinahe  trocken  und 


eifert  damit  dem  photographischen  Auge  Hed 
Wimmers  nac  h.  das  auch  der  genauen  Information 
den  Vorzug  gibt  vor  dem  malerisrlien  Schein. 
Israel  besticht  nicht  durch  landschaftliche  Schön- 
heit, sondern  dunh  das  atomraubende  Tempo,  in 
dem  ein  kleines  Stück  mittelüst lieber  Landschaft 
in  einen  modernen  Industnestaat  verwandelt  wird. 
F.s  ist  die  menschliche  Leistung,  die  zählt  und  die 
in  diesem  Bildband  ihre  eindrucksvolle  Wieder- 
gabe findet. 

Auch   ein   Schweizer  hat  sich  vor  kurzem   ziun 
Thema  der  Aufltauarbeit  in  Israel  vernohmen  las- 
sen. lOs  ist  (instav  Kgh  vom  Landesverband  freier 
Schweizer  Arbeiter,  der  in  einer  in  der  Fehrschen 
Buchhaucllunir  in  St.  Gallon  erschienenen  Broschüre 
das  Wesen   dieses  Landes  auf  dio   Formol   bringt: 
Eintracht,    Redlichkeit,    Fleiß.    Ihn    interessierten 
verständlicherweise   vor  allem   die   wirtschaftspoli- 
tischon    Aspekte   des   Landes,   das  er   während   der 
letzten    Wahlen    studierte.   So  gibt  er  neben   einer 
solir   eingehenden    und    wohlabgewogenen    Analyse 
der  mächtigen  Arbeiterorganisation  Histadrut  vor 
allem  ein  Bild  des  sich  wandelnden  Staatsbewußt- 
seins   der    israelischen    Gesellschaft,   die,    aus    dem 
harten   Griff  der   Pionierzeit   entlassen,   allmahlicdi 
die  Vorteile  und  die  Problematik  des  Wohlfahrts- 
staates zu  spüren  beginnt.. 


darf  nicht  irreführen;  obschon  das  Buch  kurz  vor 
der  unerwarteten  Absetzung  Chru.schtxlicws  er- 
schien, hat  es  seine  aktuelle  Bedeutung  behalten. 
Es  ist  allerdings,  wie  schon  Titel  und  Anlage  aus- 
sagen, gleichsam  eine  ahschlioßende  Darstellung 
einer  Epoche,  jener  nämlich,  in  der  die  ganze 
Problematik  Osteuropas  um  Jugoslawien  und 
später  um  den  auftauchenden  Gegensatz  zwischen 
Moskau  und  Peking  kreiste. 

Honte    hat    sich     dies    grundlegend     geändert: 
Jugoslawien  ist  vor  allem  mit  seinen  inneren  Pro- 
blemen  besc'häftigt,   und   seine   Ausstrahlungskratt 
im  übrigen  Osteuropa  ist  mehr  als  beschränkt.  Aut 
der  andern  Seite  ist  auch  der  Kcmflikt  mit  Peking 
in    Ost<^uropa    kein    Problem    mehr,    das    dcMi    ost- 
europäischen   Kcmimuniston    Kopfzerbrechen    oder 
Qualen   der  Wahl   verursachen   würde,  sondern   im 
Gegenteil  —   wenigstens    für  einige   von   ihnen   — 
eine     ho<liwi11kommt-ne     Handhabe,     um     Distanz 
gegenüber    dem     übermächtigen     ^Foskau     zu     ge- 
winnen. Rumänion  zum   Beispiel   hat  seine  Politik 
der   Unabhängigkeit   gerade    auf    das    Prinzip    der 
Einheitlichkeit  und  Gleichmäßiskoit  dei   Beziehun- 
gen   zu    allen    sozialistischen    Ländern    gegründet. 
Sogar    im    Falle    Albaniens    mochte    diese.s    Motiv 
ausschlaggebend  gewesen  sein. 

Aus  der  wachsenden  Distanz  zu  Moskau  ist 
gerade  wie<ler  das  entstanden,  wa,s  Ströhm  in 
seinem  Buch  so  ausgezeichnet  darstellt,  nämlich 
das  Hervortreten  de.s  Balkanraumes  als  selbständi- 
gos  Zentrum.  Strühm  stellt  dies  dar  anhand  der 
Entwicklung  in  Jugoskiwien  und  Albayiien,  al>er 
er  geht  zum  Schluß  auch  noch  auf  die  Emanzi- 
pationstendenzen  Bumänienfi  ein.  Dio  Evolution  m 
dic-^en  drei  Ländern  erfolgtx^  wcnler  parallel  noch 
in  gegenseitigem  Einvernehmen;  aber  gerade  in 
letzter  Zeit  zeigen  sich  Ansätze  einer  gewissen 
Synchronisierung,  die  nun  allerdings  ihren  Pol 
nicht  mehr  in  Belgrad,  sondern  in  Bukarest  zu 
haben  sdieint- 

Angelpunkte    Rumänien 
und   Tschechoslowakei 


•  Elizabeth  Wiskemann,  Europe  of  the  Dictators 
1919_1945.  The  Fontana  History  of  Europe.  Collins, 
London. 


Der   Balkan   als   Kraflzentrum 

Von  einem  andern  Ausgangspunkt  aus  gelangt 
Carl  Gustaf  Ströhm  in  seinem  bereits  vor  zwei  Jah- 
ren erschienenen  Buch  «Zwischen  Chruschtschew 
und  Mao»'  im  wesentliclien  zu  ähnlichen  Ergeb- 
nissen. Ströhm  nimmt  Jugoslawien  zum  Mittel- 
punkt seiner  Darstellung  und  analysiert  die  poli- 
tische Entwicklung,  welche  sich  seit  dem  Ende  des 
Zweiten  Weltkrieges  im  ganzen  südosteuropäischen 
I  Raum  um  dieses  Land  herum  abspielte.  Der  Titel 


Kcben  den  erwähnten  zusammenfassenden  Dar- 
stellungen sin<l  in  letzter  Zeit  zwei  Werke  erschie- 
nen, welche  die  Entwicklung  in  Einzelstaaten  zum 
Gegenstand    haben.    Ghita    lonescu    behandelt    in 
seinem     ^Covimunism    in    Rumania    1944 — 1962»' 
die  Politik  der  rumänischen  Kommunistx^n  von  der 
Vorkriegszeit  über  den  ganzen  Kneg  hinweg  zur 
Machtergreifung  und  bii  zu  den   ersten   Ansätzen 
einer    Unabhängigkeit    von    Moskau.    Es    ist    die 
erste  Darstellung  dieser  Art,  und  wenn  die  rumä- 
nischen   Kommunisten,    wie    sie    es    angekündigt 
haben,     demnächst     eine     neue     offizielle     Partci- 
geschichte   veröffentlichen    werden,    wird    ihr   zum 
Vergleich  bereits  cm  gutes,  von  westlichem  Stand- 
punkt   aus    geschriebenes    Werk    gegenüberstehen. 


lonescus  Studie  ist  präzis  und  wohldokumentiert ; 
oin  wissenschaftliches  Work  vor  allem  und  keine 
Apologie.  Vielleicht  ist  das  Buch  etwas  zu  früh 
hcrau.-^gokommen ;  es  wäre  interessant  gewesen, 
wenn  auch  noch  die  ersten  Schntte  der  neuen 
UnabhängigkoitÄpolitik  hätten  behandelt  werden 
können. 

Anders    geartet    ist    das    Werk,    das    ein    guter 
Kenner    der    Tschcclio>lowakoi    unter    dem    Pseud- 
onym    Chri.stian     WHIar^     und     unter     dem     Titel 
«Die     höhiw.^ci'P     Zitadelle»*     über    dio     Tschecho- 
slowakei  voröffontlicht  hat.   Hier   werden   nicht   in 
erster   Linie    Fakten   darge^ollt,  sondern   Ideen   in 
Zusammonhänge     eingeordnet     und     interpretiert. 
Von    frühester   Zeit   an   wird   der   Wordegang   do-s 
tschechischen     Volkes     analysiert     und     wird     auf 
einige   Erscheinungen   hingewiesen,   die   sich   schon 
in  vorirangonon  Jahrtiundorten  unter  den  Tschechen 
bemerkbar  machten  und  die  olYonsichtlich  in  vielem 
den     Schlüssel     zum     Verständnis     der     heutigen 
Situation  liefern.  Willars  weist  auf  den  radikalen, 
egalitären   und    nationalistisch    unterbauten    Demo- 
krattsmus  der  huf'sifi.^chen  Brtcnung  hin,  mit  dem 
die  Tschechon    für  die  damalige   Epoche  geradezu 
<ailtramodern»    waren    und    mit    dem    sie   ein   ganz 
neues   Element  in  die  europäische  Ge^schichte  hin- 
einbrachten.   Dio   gleiche   Tendenz   glaubt   Willars 
in  der  ganzen  fschechischen  Erneuorungsbewegung 
und    heute    auch    im    tsc-hochi schon    Kommunismus 
festzust4>llon.    Tatsächlich    war    der    Kommunismus 
in    koincMu    andern    osteuropäischen    Land    derart 
radikal     gloiclimac  herisch     wie     in     der    Tschecho- 
slowakei, und  heute  ist  die  ausgeprägte  Abneigung 
^Xi'^(-n  jode   h'crm  von  Elitenbildung  und   Differen- 
zierung  wieder  eines   der   wichtigsten    Hindernis-o 
für  die  in   Wirtschaft  und  Gesellschaft   angestreb- 
ten   Reformen.    Willars    stellt    im    übrigen    über- 
zeugend dar,  daß  bereits  für  Musarifk  und  die  ei-ste 
Republik    dieser   radikal    gleichmachertsche    Demo- 
kratismus ein  schweres  Problem  war.  Als  politische 
Ideengeschichte    ist    Willars    Buch    zweifellos    das 
beste,  das  seit  langer  Zeit  über  die  Tschechen  und 
die  Tschechoslowakei  geschrieben  wurde.  Es  kommt 
nicht    zu    optimistischen    Schhißfolgerungen,    aber 
es  regt  wie  kaum  oin  anderes  zeitgenössisches  Werk 
über    ein    osteuropäisches    Volk    zur    ernsthaften 
Diskussion  und  zum  Nachdenken  an. 


tj.  F.  Brown:  The  New  p:astern  Europe;  the 
Khnishchev  Era  and  after.  Verlag  Frederick  A.  Prae- 
ger,  New  York  1 066. 

«Carl  Gustaf  Ströhm:  Zwischen  Mao  und  Chru- 
schtschew; Wandinngen  des  Kommunismus  in  Südost- 
curopa.  Verlag  Kohlhammer,  Stuttgart  1964. 

»Ghita  Tone.scu:  Communisra  in  Rumania  1944  bis 
]1>62.  Oxford  University  Press,  London  1964. 

«Christian    Willars:      EHe     böhmische     Zitadelle: 
CSR  —  Schicksal  einer  Staatsidee.  Verlag  Fritz  Mo1 
den,  Wien  1965. 


1 


l 


I 


« 

X 


work  of  ethologists  on  the  innate 
behavioral  mechanisms  by  which  ag- 
gression  is  inhibited  before  fatal  in- 
juries  have  been  inflicted  suggests  that 
complete  ruthlessness,  if  we  ever 
achieve  it,  is  one  of  our  cultural 
attainments.  Game  theory  implicitly 
carries  the   ruthlessness  of  true  games 


into  real  life. 

None  of  these  Problems  will  prevent 
it  from  having  its  contemporary  suc- 
cess  and  we  can  be  sure  that  its 
vocabulary -Utilities,  equilibrium 
Points,  mixed  strategies,  Pareto  opti- 
mal, minimax  play,  and  so  forth-will 
find  a  place  in  the  repertory  of  every 


business    Consultant    under    forty.    For 

his  purposes,  Dr.  Morton  Davis's  book 

is  excellent,  contenting  itself  with  the 

usual  View  that  "players  doii't  look  to 

the  game  theorists  for  moral  principles; 

they  already  have  their  own.  All  they 
ask  for  is  to  find  a  strategy  that  will 
suit    their    purpose,    selfish    or    other- 


wise.'*  It  is  Rapoport's  distinction  that 
he  feels  disquiet  about  this  orthodox 
Position.  For  one  thing,  he  doubts 
whether  game  theory  will  in  practice 
help  anyone  to  compete  more  success- 
fully.  More  profoundly,  and  I  think 
rightly,  he  suspects  that  the  apparent 
neutrality  of  the  theory  conceals  moral 
assumptions  of  its  own.  □ 


Weimar  and  the  Intellectuals :  II 


Weimar  Germany*s  Left-Wing 
Intellectuals:  A  Political  History  of 
the  Weltbühne  and  Its  Circle 

by  Istvan  Deak. 
California,  346  pp.,  $9.75 

Kurt  Tucholsky  and  the  Ordeal 
of  Germany,  1914-1935 
by  Harold  L.  Poor. 

Scribner's,  285  pp.,  $7.95 

Social  Conservatism  and  the  Middle 
Classes  in  Germany,  1914-1933 
by  Herman  Lebovics. 
Princeton,  248  pp.,  $8.50 

Weimar  Culture:  The  Outsider  as  Insider 

by  Peter  Gay. 

Harper  &  Row,  205  pp.,  $5.95 


Carl  E.  Schorske 


I 


While  Weimar's  leftist  intellectuals  were 
being  ground  up  by  events,  a  rightist 
intelligentsia  was  Coming  into  its  own. 
Herman  Lebovics  has  explored  the 
process  by  which  the  social  ideas  of 
conservative  critics  of  modern  society 
were  gradually  assimilated  by  the  Ger- 
man  middle  class  and  became  ideologi- 
cal  fuel  for  the  fascist  political  ma- 
chine. Because  the  values  of  his  char- 
acters  are  remote  from  our  own, 
Lebovics's  book  does  not  speak  so 
directly  to  the  contemporary  political 
sensibility  as  do  Deak*s  and  Poor's 
studies  of  the  left-wing  intellectuals  of 
the  Weltbühne,  which  I  discussed  in 
the  last  issue.  But  Lebovics  provides  a 
better  understanding  of  the  interaction 
of  ideas  with  the  social  development 
that  enabled  the  enemic.  ot  th'»  Re- 
public  to  ".ubvert  it.  One  comes  away 
from  the  book  with  a  strengthened 
sense  that  the  fundamental  differences 
between  Weimar  Germany  and  present- 
day  America  make  analogizing  a  dubi- 
ous  game.  One  becomes  aware  also  of 
shortcomings  in  the  German  left  intelli- 
gentsia which  neither  Deak  nor  Poor 
discerns. 


I 


n  Lebovics's  title,  Social  Conserva- 
tism and  the  Middle  Classes  in  Ger- 
many, 1914-1933,  the  term  "middle 
classes"  needs  clarification.  The  word 
which  the  author  would  have  used,  had 
our  language  a  clear  equivalent  for  it, 
is  ^^Mittelstand.*'  The  term  means 
"middle  estate,'*  implying  Status  in  a 
feudal,  hierarchical  order,  as  distinct 
from  "class,**  which  refers  to  position 
in  a  socio-economic  order.  Yet  ''^Mittel- 
stand,''  for  all  its  feudal  ring,  is  not  a 
truly  •  feudal  term.  It  arose  in  the 
nineteenth  Century,  and  was  developed 
by  conservative  social  theorists  to  ap- 
ply  to  the  pre-industrial  artisans,  shop- 
keepers,  peasants,  etc.  threatened  by 
the  new  industrial  capitalism.  The  term 
expressed  both  nostalgia  for  the  lost 
Privileges  and  rights  of  medieval  guilds- 
men,  and  a  claim  to  Status  independent 
i-     qf  wealth.   Above  all,  the  concept  of 

20 


"estate**  offered  a  psychological  refuge 
-though  no  economic  defense-against 
the  two  modern  classes  which  were 
squeezing  the  industrial  middle  class 
between  them:  big  capital  and  big 
labor. 

The  American  reader  mindful  of  the 
history  of  our  own  pre-industrial  mid- 
dle class  will  be  Struck  by  the  differ- 
ences between  the  responses  of  the 
American  and  German  little  man  to 
the  cruel  process  of  economic  modern- 
ization.  The  ideological  defenses  of 
American  farmers  and  small  business- 
men  against  big  capital  in  the  late 
nineteenth  Century  emerged  from  the 
democratic  individualist  tradition.  In 
their  political  and  social  programs- 
trust-busting,  railway  and  Utility  regula- 
tion,  land  grants  for  public  higher  edu- 
cation-the  threatened  little  men  justi- 


which  had  at  least  fed  their  egos  while 
it  bled  their  sons.  The  November 
Revolution  seemed  to  make  the  ero- 
sion  of  security  total.  It  brought  to  the 
heim  of  State  the  political  formations 
first  of  the  powerful  unions,  then  of 
the  big  corporations-the  two  principal 
enemies  of  the  class  that  wished  to  be 
no  class. 


Bc 


•oth  economically  and  socially,  the 
German  Mittelstand  desperately  needed 
the  special  protection  of  the  State.  The 
Weimar  Repubjic,  Lebovics  shows,  was 
neither  able  nor  willing  to  provide  it. 
In  the  title  of  his  first  chapter, 
"Organize  or  Perish,"  Lebovics  ex- 
presses  the  real  need  of  the  pre- 
industrial  social  mass  which  had  sur- 
vived  into  the  Weimar  Republic  only 
half-assimilated   into   moder«  capitalist 


fied  their  special  interests  as  indistin- 
guishable  from  the  general  public  inter- 
est. 

Even  in  their  later,  soured  manifes- 
tations,  such  as  in  the  Taft  and 
Goldwater  movements,  they  professed 
an  ideology  of  rugged  individualism 
rather  than  one  of  corporate  Status. 
American  populism  developed  under 
the  same  economic  conditions  as  the 
German  '"völkisch"  nationalist  move- 
ment. Both  adopted  some  measure  of 
racism  to  justify  their  hatred  of  those 
above  and  their  fears  of  those  below. 
But  the  fact  that  in  late  nineteenth- 
century  Germany,  corporate  capitalism 
grew  out  of  a  feudal  social  order, 
rather  than  an  individualistic  liberal- 
democratic  one  as  in  America,  made 
all  the  difference  in  the  social  and 
political  responses  of  the  victimized 
pre-industrial  strata  in  the  two  coun- 
tries.  This  difference  has  relevance  for 
those  who  would  read  the  fortunes  of 
the  US  in  the  tea  leaves  of  Weimar. 

World  War  I  provided  the  Mittel- 
stand, 'ike  the  rest  of  German  society, 
with  a  nationalistic  outlet  for  its 
pent-up  aggressions.  But  the  Imperial 
war  economy,  with  its  fattening  of  big 
business  and  concessions  to  big  labor, 
only  accelerated  the  economic  decline 
of  the  artisans,  farmers,  and  small 
businessmen.  Politically,  too,  defeat  hit 
them  with  particular  force,  destroying 
cpnfidence   in  the   national  monarchy 


society.  Although  the  Weimar  Constitu- 
tion stipulated  that  "the  independent 
agricultural,  industrial,  conimercial  Mit- 
telstand shall  be  fostered  by  legislation 
and  administration,"  this  was  inter- 
preted  in  the  narrowest  way  The  State, 
Said  the  Minister  of  Economics,  had 
only  to  ensure  the  middle  classes  *'free 
participation  in  the  economic  process." 
In  Short,  the  Mittelstand  could  only 
hope  for  as  much  support  from  the 
Hberal  State  as  it  could  develop  power 
in  the  market  place  to  exact  it. 

Fragmented  as  they  were,  the  in- 
dependent middle  classes  could  not 
succeed  in  organizing  politically  or 
economically  to  secure  a  place  in  the 
Republic  equal  to  that  of  big  labor,  big 
business,  or  big  agriculture.  The  ablest 
and  most  fortunate  were  absorbed  into 
the  corporate  structure  as  a  white- 
coUar  class,  the  "new  Mittelstand." 
The  Great  Depression,  however,  knew 
no  distinction  between  new  Mittelstand 
and  old.  Completing  the  destruction  of 
the  economic  security  of  both,  it  laid 
them  open  to  the  Nazis.  "Organize  and 
Perish'*  is  the  apt  title  of  Lebovics*s 
final  chapter  describing  the  mobiliza- 
tion  of  the  neglected  and  embittered 
men  of  the  Mittelstand  into  the  Nazi 
party. 

Lebovics  devotes  the  major  part  of 
his  book  to  the  conservative  thinkers 
who  provided  the  elements  of  a  social 
theory  for  the  unprotected  Mittelstand. 


Under  the  flau  of  politics,  their  ideas 
were  threshed  into  constituents  of  Nazi 
ideology.  Lebovics  is  not  the  first  to 
seek  the  intellectual  origins  of  Nazism 
in  conservative  theory;  older  American 
historians,  such  as  Fritz  Stern,  Klemens 
von  Klemperer,  and  Stuart  Hughes 
have  already  done  much  work  on  this 
question,  studying  the  ideas  of  the 
precursors  of  Nazism  by  analyzing  the 
intellectual  traditions  and  personal  ex- 
periences  from  which  the  ideas  arose. 
Lebovics  adds  a  new  dimension  by 
tracing  the  transformation  of  conserv- 
ative ideas  as  they  passed  from  the 
academic  world  through  the  medium 
of  journalism  into  the  political  arena. 

.he  trail    blazers  of    Lebovics's  group 
of    theorists    are     two     Professors    of 
economics,  Werner  Sombart  and  Edgar 
Salin.    Neither  originated   in   the  lower 
middle   class;   both   espoused   its  cause 
out  of  genuine  sympathy   with  its  lot 
as    a    victim    of    capitalism.     Sombart 
began  as  a  maverick  socialist,  trying  to 
incorporate   Marx 's  conception  of  eco- 
nomic   process    especially    that   of   the 
concentration     of    economic     power— 
into  his  analysis  of  Germany's  special 
development.    In    the    1890s,  he  stood 
among   those   who,  with  the  Marxists, 
cheerfully    proclaimed    the   old   Mittel- 
stand to   be  dying.   He  even  cautioned 
the    Social    Democrats    against    allying 
themselves    with   that    moribund   class. 
With     this    background     of    economic 
realism,  Sombart  avoided  the  character- 
istic  nineteenth-century  social-conserva- 
tive     dream     of    a    return    to    a    pre- 
industriai  era. 

His  acceptance  of  modern  indus- 
trialism,  however,  did  not  mean  that 
Sombart  accepted  capitalism.  At  first 
he  looked  to  Social  Democracy  and  the 
big  labor  unions  to  curb  it.  Then  he 
turned  against  Social  Democracy, 
seeing  it  as  infected  by  business  oppor- 
tunism  and  other  unsavory  character- 
istics  of  late  capitalism.  Like  capitalism 
itself,  the  working  class  had  become 
overorganized,  bureaucratic,  devital- 
ized. 

Without  losing  the  sense  of  econom- 
ic realism  which  was  the  basis  of  his 
awareness  of  the  plight  of  the  middle 
class,  Sombart  turned  to  ideas  of 
Community.  Before  1914,  he  looked 
briefly  for  "social  harmony"  in  the 
collaboration  of  big  business  and  big 
labor.  During  World  War  I  he  sought 
Community  in  the  military  nation-state. 
Finally  under  Weimar,  he  found  it  in 
the  tenaciously  surviving  artisan  and 
peasant  class.  In  the  face  of  the  sharp 
vicissitudes  of  the  postwar  economy, 
Sombart  concluded  that  it  was  not  the 
old  Mittelstand  that  was  declining,  as 
he  had  believed  in  1900,  but  capitalism 
itself.  Whereas  Communists  believed 
that  the  economic  crisis  created  the 
conditions  of  revolution,  Sombart  saw 
it  as  opening  the  way  to  "German 
socialism.**  State  planning,  directed 
toward  curbing  the  power  of  business 
and  labor  and  toward  strengthening  the 

The  New  York  Review 


old  middle  ciass,  would  pave  the  way 
to  social  regeneration.  Sombart  con- 
ceived  his  future  bourgeois  ulopia  not 
very  differently  from  William  Morris  in 
News  from  Nowhere;  peasant  sim- 
plicity  and  bourgeois  comfort  would 
create  an  idyllic  contentment  beyond 
"the  uniformity  of  a  grey  proletarian 
poverty."  How  the  Proletariat  was  to 
be  brought  to  share  in  these  blessings 
troubled  Sombart  much  less  than  it  did 
Morris.  The  German  state  would  find  a 
way. 

Jo   Sombart's    critique  of  capitalism 
and   ideas  of  redemption   through  na- 
tionalism    and    state    planning,    Edgar 
Salin    added    a    dangerous    touch    of 
poetry.    A   follower  of  Stefan  George, 
Salin  deplored  the  quality  of  life  under 
capitalism    and   the  Philistinism   of  the 
German   burgher  as   much  as  any  left 
radical.    But   where   the   radical   critics 
looked  to  socialism  and  democracy  for 
renewal,    Salin    called    for    a    German 
Caesar   who  would  restore  heroism   to 
modern   life  and  resolve  the  raw  con- 
flicts  of  crass  economic  interest  which 
were     poisoning    the     national     scene. 
Lebovics   recounts  with  sympathetic 
understanding    Salin's    polemic    against 
an    economic     theory     based    on    the 
natural-scientific   model   in   favor   of  a 
social-ethical   one.    Salin's   rejection   of 
economic    rationalism,    windy    and   ro- 
mantic  though  it  was,  was  based  on  a 
genuine    humanism,    and   he   spoke   to 
real  psychological  problems  of  the  class 
that  later  became  Hitler's  troops.  Lebo- 
vics    responds    more    positively     than 
perhaps    an    older    generation    liberal 
could     to    Weimar's    neglect    of    this 
Stratum: 

The  anomie  feit  by  the  middle 
classes  that  had  been  engendered 
by  the  radical  alterations  in  their 
Position  in  society  was  well  suited 
to  arouse  pity  in  those  with  a 
finely  attuned  moral  sense.  The 
failure  of  the  democratic  govern- 
ments  of  Weimar  to  solve  the 
agrarian  question  was  a  serious 
shortcoming  too.  .  .  . 


The   Views   of   the  academic  spokes- 
men   of   social   conservatism    had   little 
appeal    until    they    were    fortified    by 
nationalist    aggressiveness   and    adapted 
to    the    Situation    of    the    new    Mittel- 
stand,    the     white-collar     class.     Ernst 
Niekisch,  a  national  Bolshevik  who  had 
been   expelled   from   the   Social   Demo- 
cratic   Party    for   heresy,    introduced    a 
strain    of    Marxist    militancy    into    the 
developing  ideology  of  the   new  right. 
By     identifying     capitalism     with     the 
Western     powers,     Niekisch     found     a 
formula  to  make  the  Germans  a  "revo- 
lutionary  people."  He  built  an  ideologi- 
cal    bridge    between    Mittelstand    and 
Proletariat     by     representing    both     as 
victims    of   international   capitalist    op- 
pression  under  the  Versailles  System. 

German    capitalists,    complicit    with 
the    Western    powers,    had    passed    the 
bürden  of  reparations  on  to  the  middle 
and    lower    classes.    "Liberation    from 
social  oppression,"  Niekisch  wrote,  "is 
impossible  without  emancipation  from 
national  enslavement."  Here  truly  was 
a    "national    socialist,"    one    who    syn- 
thesized     nationalist     aggression     with 
class  conflict  in  order  to  shatter  both 
the   Versailles  System   and   the  Weimar 
Republic. 

In  the  Journals  of  Niekisch  and  other 
right-wing  intcllectuals,  the  middle-class 
grievances  which  Sombart  and  Salin 
addressed  in  their  economic  programs 
acquired  political  form.  On  the  one 
band,      the     neoconservativc     Journals 


conveyed    popularized    academic    ideas    | 
into  lower  middle-class  homes  and  beer 
halls;  on  the  other  hand,  they  extract- 
ed  and  emphasized  the  moral  content 
of  extreme  nationalism  so  as  to  dignify 
and  rationalize  right-wing  street  politics 
for   the    more  squeamish  of  the  bour- 
geoisie.    The    most    intellectual   of   the 
conservative    Journals,    Die    Tat,   vigor- 
ously    agitated   for   a   so-called   "Third 
Front"  that  would  unite  the  victims  of 
the     Weimar     "system"     of    capitalist 
exploitation    and    foreign    domination. 
Workers,     old    and    new    Mittelstand, 
socially    conscious    entrepreneurs,    aca- 
demic  youth,   and   the   more   sophisti- 
cated   younger   officers  of  the  Reichs- 
wehr,     such     were     the     constituents 
whom  Die   Tat  summoned   to  create  a 
new     social-authoritarian      polity.      In 
1932,    the    Tat    group    looked    to   the 
enigmatic    "social    general,"    Kurt   von 
Schleicher,    to    supplant    the    Republic 
with  a  State  of  their  Third  Front.  They 
got  Hitler's  Third  Reich  instead. 

Was     the      Third     Reich     what     the 
neoconservativc    intelligentsia    wanted? 
No.    Almost    all   of   them    rejected   the 
Nazis,    and   those   who,   like    Sombart, 
welcomed  them  soon  found  themselves 
rejected.    The    right-wing    intelligentsia 
provided  the  ideological  mgredients  for 
the    Nazi    movement,    but    in    politics 
they    proved    to    be    the    prisoners    of 
their   own   dreams.   Hitler  shared   their 
middle-class     sentimentalism     about     a 
World    of    peasants    and    artisans,    but 
only   to  fire  his  will  to  power.   Hitler 
was   nothing  if  not  modern,  and  mo- 
dernity   meant  to  accept   technological 
rationality  and  big  business.  He  did  not    l 
love     modern     corporate     capital,    but    I 
without   it  Hitler  could  not   succeed  in    | 
making   his   military   welfare  state.   Al- 
most instinctively,  he  distinguished  be- 
tween the  ideological  ingredients  need- 
ed  to  make  a  mass  movement,  and  the 
concrete  policies  that  would  win  over 
the    social    groups    necessary    to   grasp 
and  maintain  power.  If  the  intcllectuals 
who  provided   him   the  greatest  service 
in    the    first    task    would    allow    their 
communitarian   idealism  to  interfere  in 
the    second,    so    much    the    worse    for 
them. 


n 


The    recent     studies    of    the    political 
intelligentsia   of   left   and    right    illumi- 
nate  the  Weimar  political  tragedy  most 
clearly   when   taken   together.  For  Wei- 
mar's intcllectuals  distilled  and  magni- 
fied    the    ironies  of  the  German  Situa- 
tion.   Comparison    reveals   that    the   in- 
dependent     intelligentsia     of    left    and 
right  had   more  in  common  than  they 
cared  to  admit.   Both  groups  came  to 
socialism    malgre   eux,   not   because  of 
clearly    formulated    class    interest    but 
because     of    their    strong    humanistic 
convictions.    The    ethical    impossibility 
of    capitalism    motivated    both.    Both 
espoused     revolution    out     of    frustra- 
tion-frustration  not  with  class  rule  but 
with     liberal     democratic     institutions 
that  did  not  work.  The  left  encouraged 
social   revolution    to   realize    the    tradi- 
tional     bourgeois     airns     of     political 
democracy,  the  right  urged  a  political 
revolution     to    realize    the    traditional 
bourgeois  aims  of  social  Community. 

But  if  the  left  and  right  loosely 
shared  certain  intellectual  concerns, 
each  side  was  blind  to  the  values  of 
the  other.  The  Weltbühne  had  no 
sympathy  for  the  yearning  for  Com- 
munity; Die  Tat  attached  no  value 
to  individual  liberty.  Thus  two  Cle- 
ments of  the  middle-<:lass  tradition,  the 
medieval-social      and      the      modern- 


QQj 


i99 


That's  what  Allen  Ginsberg  calls  the  poetry  of  Michael  McCIure. 

The  London  Times  Literary  Supplement  refers  to  McCIure's 
work  as  ''one  of  the  most  remarkable  achievennents  in 
rprpnt  American  literature."  ..  .. 

Ifar  Is  McCIure  at  his  most  protoplasmically  energet.c 
and  remarkable  seif.  It  contains,  among  others     13 
Mad  Sonnets";  the  poem  "The  Surge,    for  Stan 
Brakhage,  the  avant-garde  filmmaker;  the 
entire    Love   Lion  Book,   a   powerfui 
poem    of    erotic    love;     "Poisoned 
Wheat,"   McCIure's  classic  anti- 
Vietnam  War   poem;   and   "The 
Sermons  of  Jean  Harlow  and  the 
Curses  of  Billy  the  Kid"  (Re- 
member  McCIure's  contro- 
versial  play,  The  Beard?) 


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By  Michael  McCIure 

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Mythopoesis 

Mythic  Patterns  in  Literary  Classics 
By  Harry  S/oc/iower 

Mythopoesis  is  an  ambitious  study  of  myth  patterns  *^'j»«^^^"^^ J^^'^^ 
the  Book  of  Job  to  the  extistentialists.  Dr.  Slochower  prov.des  a  system- 
atfc  reexamination  of  our  major  literary  classics  that  combmes  anthro- 
noLTcarDSVChoanalytic,  and  literary  critical  perspectives.  H.s  approach 
C^L^fes  a  Sal  of  the  ever-increasing  specialization  of  human^t.c 
Tdies-  it  cons  dLrs  Freudian  motifs  as  determining  factors  in  the  modern 
fr^teileclua!  drama.  but  its  overall  perspective  is  the  v.ew  of  ^ythopoes.s 
Ts  the   Center  in   whi^   the   various   cultural    forms   meet   and   form   an 

"'^The'tht^  is  explored  through  a  careful.  -itical.  and  literate  exam. 
nation  of  works  from  Sophocles  and  Aeschylus  to  Th^ f'^'^^  ^™ 
and  Don  Quixote,  from  Hamlet  and  Goethe's  Faust  to  The  Brothers 
Karamozovanö  Moby  Dick,  concluding  with  modern  mythopoet.c  class.cs 
suTh  as  Gide  s  r/7eseas,  Mann's  Magic  Mountain,  Kafka,  and  the  ex.sten- 

t*?!;^^^-  clothbound,  $13.95 

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Mav  21,  1970 


j 


I 


THE  CRITICS'  CHOICE 


HIOH  FIDELITY 

•■To  say  that  the  AR-4  (forerunner  of  the  AR-4«|  is  the  best  of  this  class  would  be  to 
p  esume  too  much  in  the  way  of  individual  listener  preterence,  it  would  perhaps  be  mo  e 
?o  the  Point  to  say  that  we  have  heard  nothing  better,  so  far  at  least  m  th.s  pnce  class. 


HiFi/Stereo  Review 


"This  Ifrequency  response)  would  be  remarkable  for  any  Speaker,  and  in  our  experience 
IS  unijue  för  any  Speaker  in  the  price  class  of  the  AR.4« . . .  We  know  of  no  con,pet,t,vely 
priced  Speaker  that  can  compare  with  it." 

REVUE«s 

DISQUES  ^        ,  ... 

••There  has  been  nothing  like  it,  and  the  least  I  can  write  is  that  th,s  Speaker  ,s  astonishing 
. . .  a  model  Speaker  in  its  class." 


Hl-H 


"All  in  all,  it  is  difficult  to  see  how  AR  has  achieved  this  Performance  at  the  price." 

The  AR-4X  is  priced  f  rom  $57  to  $63  depending  on  cabinet  fmish.  Literature  on  other  AR  products 
is  available  for  the  asking. 


Acoustic  Research  Inc- 

24  Thorndike  Street.  Cambridge,  Massachusetts  02141 
Overseas  Inquiries:  Write  to  AR  International  at  above  address 


Paul  R  Ehrlkh 
Anne  H.  Ehrlich 


Population 


Resources 


Environment 


ISSUES  IN  HUMAN  ECOLOGY 


"The  best  Single 
descriptive  and  analytic 
treatment  of  the  subject 
I  have  yet  seen    , 
Telling  and  courageous." 

Robert  L   Heilbroner, 
The  New  York  Review 
of  Books,  April  23,  1970 


Paul  Ehrlich  is  one  of  the  most  farsighted,  outspoken  prophets  of  the 
environment  movement  in  this  country.  If  this  book  does  not  arouse  us  to  the 

dangers  we  face,  none  will!" 

^  Stewart  L.  Udall 


II 


"One  of  the  year's  most  important  books." 


Saturday  Review,  April  4,  1970 


libertarian,   were   arruyed   against    each 
other.     This    confrontation    ot    values 
reminds    us,    howcver.    that    the    same 
components     ot      bourgeois     tradition 
which    were    successiuUy    integrated    in 
Sweden  or   Switzerland   to  make  bour- 
geois    Society     weather     its    crisis    of 
capitalism    were    present    in    Germany 
too.  The  German  crisis  was  played  out 
within     the     middle     class,     with     the 
communitarians,    ironically,    espousing 
the  authoritarian  State  while  the  liber- 
tarian rationalists  ignored  the  desperate 
need     of     the    Mitte.lstand     for    social 
Integration  and  personal  dignity. 

The    populär       novels    of    the    period 
reveai    the    same    polarization    of    the 
bourgeois    class    as    that    expressed    by 
the   pohtical  intellectuals.   On   the  one 
side,     the     so-called     Blubo     literature 
(from  Blut  und  Boden,  blood  and  soil) 
glorified    provincial  Hfe;  on  the  other, 
"asphalt      literature"     chronicled     the 
pleasures  and  pains  of  life  in  the  eitles. 
The    urbane   leftist    intellectual  poured 
his    contempt    on    Blubo    kitsch,    but 
would  not  miss  the  latest  Vicki  Baum. 
The  moraUzers  of  the  right  condemned 
urban  kitsch  as  "degenerate,''   but   de- 
voured  the  Imperialist  bucolics  of  Hans 
Grimm's      Volk     ohne     Raum.      Both 
groups,  however,  read  the  best  seller  of 
the     Republic's    twilight    years:     Hans 
Fallada's    Little   Man,    What   Now'   Its 
helpless    antihero    of    the    new    Mittel- 
stand incarnated  the  negations  of  both 
bourgeois    traditions:    in   him    Commu- 
nity   appeared    as   social    victimization, 
liberty     as     anomie.     All     seemed     to 
recognize    in    this    novel    the    ultimate 
middle-class    product    of    the    Republic 

that  failed. 

How   strikingly  different  is  the  ideo- 
logical     alignment     in     America!     Here 
republican     individualism,     which    the 
Welthühne      radicals      had      promoted 
against  the  mihtary-industrial  complex, 
serves  as  the  ideology  of  the  national- 
istic    right.    Again    in    contrast    to  Ger- 
many,   communitarianism    in    America 
has  been  assimilated  by  the  left,  which 
is    enriching    the    democratic    hentage 
with    participatory    forms   drawn    from 
the    utopian   collcctivist   tradition.   The 
communitarian  impulse  that  under  Wei- 
mar   was    most    fully    identified    with 
nationalism.    militarism,    and    political 
authoritarianism    has    in    America    be- 
come  a  part   of  the  radical  Opposition 
to   all    three.    Yet   with  respect   to   the 
greaf    middle    class,    the    American   left 
intellectuals    seem    to    be    prisoners   of 
the  same  urban  snobbishness  as  that  of 
their      earlier      German      counterparts. 
They    too    allow     their    contempt    for 
traditional   middle-class  values  to  stifle 
their  sympathies  and  bhnd  them  to  the 
real  psychological  needs  of  that  impor- 
tant   Stratum    which    in    the    end    will 
probably   determine  the  fate  of  all  of 

US. 


"For  every  American  interested  in  understanding  and  solving  the  critical 
Problem  of  overpopulation  and  our  deteriorating  environment,  this  thoughtfui 

new  book  is  a  must."  tw^.««« 

Senator  Joseph  D.  Tydings 

"I  have  read  it  from  cover  to  cover  and  am  now  busily  recommending  it  to  all 

•^y  ^"*'"^'"  Pete  Seeger 

The  new  book  by  the  authors  of  the  Population  bomb 
$8.95  at  all  bookstores  now. 


W.  H.  FREEMAN  AND  COMPANY 

660  Market  Street 

San  Francisco,  California  94104 


the    Problem    which    Peter    Gay   boldly 
tackles   in    Weimar   Culture:    Ehe  Out- 

staer  as  Insider. 

(,ay\   subtitle    announces   the   thesis 
by     which    he     tries    to    organize    the 
Chaos.  Weimar  culture   was  created  by 
the  "Outsiders"  of  the  prewar  Empire- 
Jews,    democrats,    socialists-  who    were 
"propelled    by    history    into  the  inside 
for  a  Short,  dizzying,  fragile  moment." 
Although     clearly     formulated    at    the 
outset,    this    thesis    is    allowed    to   die 
away    in    the    analysis    which    follows. 
Gay  does  not  show  us  how  and  why 
cultural    production    originated    in   the 
Outsider    groups.    Countless    important 
figures    Mann,     Kilke,     Meinecke,    for 
example-were    neither    Jews    nor    pre- 
war     democrats     nor     socialists,     yet 
were  central   to  Weimar's  cultural  life. 
And  did  the  old  outsiders-those  who 
helped    to    form   the   "counter-culture" 
of   Hmpire-really    become   insiders?   It 
was  not  easy  under  Weimar  for  radicals 
of    any    kind    to    become    'Insiders." 
What    Weimar    gave    was   freedom-but 
only    the   freedom    of   the    market.    In 
those  remarkably  large  sectors  of  intel- 
lectual life   where  state  patronage   was 
involved,     such     as     classical     theater, 
opera,   and    the   universities,    persistent 
bureaucratic  conservatism  generally  sus- 
tained  tradition  against  those  who  tried 
to  blaze  new  paths. 

Despite    its   weaknesses,  Gay 's  "out- 
sider"  thesis  serves  to  remind   us  that 
most  of  what   we  think  of  as  Weimar 
culture    the  international  style  in  archi- 
tecture,    expressionist    art    and    poetry, 
symbolic   and   iconographic  analysis  in 
the  arts,  depth  psychology,  existential- 
ist    philosophy,  and  atonal   music    was 
largely  conceived  as  the  counter-culture 
of  Empire  (much  of  it  in  Austria),  and 
was    well     on    the    way    to    maturity 
before  the   Republic  was  born.   In  the 
culture     as     in     the     politics    of    the 
Republic  the  persistence  of  the  social 
conditions  of  the  Empire  gave  prewar 
ideas  and  emotional  responses  continu- 
ing  vitality. 


I 


III 


"How   much   do   we   know   about   the 
Thirteenth    Century,"    Johan    Huizinga 
once     asked,     "when     we    have    read 
through  all  the  papal  calendars  of  State 
papers  but  do  not  know  the  dies  iraeV 
Much   the   same    might   be   said   about 
the  attempt  to  understand  the  Weimar 
Republic  from  political  sources  alone. 
Indeed,   the   most  glaring  weakness  of 
the  works  of  Deak,  Poor,  and  Lebovics 
is    their    lack    of    sensitivity    for    the 
aesthetic  culture  to  which  the  Weimar 
intellectuals  belonged.  Yet  if  one  wants 
to    understand     that    intense,    divided 
culture,    which    had    lost    its    binding  . 
ethos    and    its    shared    Images,    where 
shall  one  seek  the  'dies  irae'n  That  is 


n    culture    as       in    politics-and   here 

Gay  produces  evidence  that  contradicts 

his  thesis- the  essence  of  Weimar,  of  its 

Suspension    between    the  once-was  and 

the  not-yet,  was  that  no  one  could  be 

clearly     identified    as    an     "outsider." 

Everyone,  including  even  the  presidents 

of  the  Republic,  the  socialist  Ebert  no 

less     than     his    monarchist     successor, 

General  Hindenburg,  feit  themselves  to 

be    "outside."   Frecisely    the   difficulty 

of  identifying  the  establishment  makes 

Weimar  society   so  very  different  from 

our  own. 

The   great  merit  of  Gay's  book  lies 
not  in  its  rather  dubious  thesis,  but  in 
the  comprehensive  inventory  of  cultur- 
al   currents    it    provides.    There    is    an 
engaging  empirical  freshness  about  the 
work.     An     urbane     explorer    of    the 
consummately    urban    part   of   Weimar 
culture,  Gay  conveys  the  excitement  of 
his    own     first    encounters    with    the 
atmosphere  of  Weimar-or  more  accu- 
rately,    of   Berlin.    As  he   ranges   from 
expressionist      theater      to      historical 
theory,  his  prose  often  glitters  with  the 
promise   of   pleasure   like   a    sequinned 
dress  of  Marlene  Dietrich.  Gay  knows 
how    to    recapture    from    the    reminis- 
cences  of  Stefan  Zweig,  Bruno  Walter, 
Max   Beckmann,  and  others  the  dyna- 
mism  of  raw,  sophisticated  Berlin. 

Gay  does  not  confine  his  study  to 
the  racy  world  of  cabaret  and  art,  that 
part  of  Weimar  culture  which  most 
non-German  intellectuals  at  one  time 
took  to  be  the  whole,  but  deals  with 
aspects  of  intellectual  life  which  have 

Tke  S€W  York  Review 


"  s^;  ?  "ö  s^'ööjiiys' " 


never  been  explored.  He  traces  the  rise 
of  the  semiprivate  institute  as  a  device 
for  developing  new  kinds  of  Knowledge 
not   congenial    to   the  academic   man- 
darins  of  the  old  regime  who  contin- 
ued  to  dominate  the  universities.  Thus 
the  Hochschule  für  Politik,  supported 
by   a   progressive  industrialist,  was  de- 
signed  to  liberate  German  poUticai  and 
social    studies  from   the   legalistic   for- 
malism  of  academia.  The  Hochschule^ 
original    name    of    1918,    "School    of 
Citizenship,"    well    conveys   the   Inten- 
tion of  its  liberal  founders  to  provide 
the  republic  with  republicans,  and  with 
a  social  science  relevant  to  their  needs. 


Institute   at   Hamburg  were  more  eru- 
dite  and  less  political.  Here  the  tradi- 
tional  German  preoccupation  with  the 
classical     heritage     was     updated     by 
symbolic  analysis  and  attentiveness  to 
the  chthonic  and  irrational  aspects  of 
culture.   This   refined   scholarly   intelli- 
gentsia   explored   the   role  of  myth  in 
the  culture  of  the  past,  even  as  myth 
began    to    appear    in    Weimar   political 
culture  to  provide  new  political  groups 
with  their  integrating  creeds.  Peter  Gay 
makes   clear    that    when    Dionysus  re- 
turned    to    Germany,    he    appeared    in 
many  diverse  camps. 

Gay  also  includes  many  other  reveal- 


The  more  radical  Institute  for  Social 
Research   in   Frankfurt,  established  by 
independent  Marxists,  provided  a  Cen- 
ter   for   original   talents   in   humanistic 
and   social   studies  which   no  so-called 
"socialist    country"   has  yet   matched: 
Herbert   Marcuse  in  philosophy,  Walter 
Benjamin  in  literature,  Erich  Fromm  in 
psychology,  Leo  Lowenthal  in  sociolo- 
gy,  Theodor  Adorno  in  musicology.  If 
they  were  held  at  arm's  length  by  the 
academic  establishment,  these  intellec- 
tual  mavericks  were,  on  their  part,  not 
uniformly  eager  to  penetrate  it.  Unlike 
the  men  of  the  Hochschule,  they  knew 
themselves  to  profit  intellectually  from 
their    insecurity     of     Status,     on    the 
border  between  the  orthodox  world  of 
learning   and    the    freer    realm    of  the 
unattached    intelligentsia.    They    deep- 
ened  political  criticism  with  their  sensi- 
tive explorations  of  culture,  both  elite 
and    populär,    and    sharpened    cultural 
analysis     with    the    critical    spirit    of 
Marxist  politics. 

The  scholars  gathered  in  the  Warburg 


ing  sides  of  Weimar  culture:  "the 
cartelization  of  culture"  by  the  Com- 
munications empires  of  Hugenburg  and 
Ullstein,  who  adapted  both  media  and 
message  to  many  different  publics;  the 
complex  fashions  in  poetic  taste  which 
enabled  men  of  the  most  diverse 
political  persuasions  to  celebrate  the 
romantics  Hölderlin  and  Kleist  as  cul- 
ture-heroes;  the  significance  of  Rilke 
and  Hofmannsthal. 

_he  introduction     of  so  many  topics 
in  rapid   succession  makes  Gay's  book 
richly   suggestive,  but  sometimes  tanta- 
lizingly    superficial.    Too    seldom   does 
Gay  have  a  firm  enough  grasp  of  the 
works  of  the  thinkers  or  artists  whom 
he  uses  in  his  cultural  collage.   In  the 
disconcerting    manner    of    a    textbook 
writer,  he  reduces  to  shallow  formulas 
even  such  complex  figures  as  Hölderlin 
or    Rilke.    Both    poets   as   young   men 
were    searching   for    the   right  relation- 
ship     of    politics    and     art     for     their 
societies.   From   memoirs  or  interviews 


Richard  Brauligaris 


ROMMEL  DRIVES  ON  DEEP  INTO  ECYPT    |    ^^^^  .^^.^  j^^.,,  pocms 

from  the  book: 


|ulcs  Vcrnc  /ucchini 


Leu  arc  \valkini;(>n  the-  nnK>n  t(Kla\ , 
plantini;  tlinr  f(K)tsti-ps  as  if  tks  win- 

/uciluni  on  a  dcaJ  worlJ 
w  liilc-  ()\ er  3,000,000  ptoplc-  star\ i  kkUmiIi 

cviTV  \ian>n  a  livin;:;<iiK. 
l.irth 


'^*T''Z:     (  riricalC  \\n  ( )pcTicr 


1  Iure-  is  somi'thiiT^  wroni; 
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anS  others  a?e  set  in  juxtapSsition  with  passages  from  such  visjonary  poets 
as  Wi  liam  Blake  Coleridge  and  Wordsworth  and  writmgs  of  Eastern 
mvS  To  explore  as  thi  author  says.  "the  similarities  between  the  world 
7psychedeli c'vl^on  and  the  world  of  imaginative  literature-numerous. 
striking.  and  of  the  essence.  They  share  a  mode  of  be.ng  and  of 
apprehension,  a  constellation  and  a  view  of  life. 

This  is  an  unforgettable  journey  mto  the 
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"This  book  contains  a  concen- 
trated  dose  of  the  raw  stuff 

of  our  times Do  not  ünder- 

estimate   the  prejudices   you 
may  bring  to  this  book, " 

RAMSEY  CLARK 


5.^2 


V 


Transcript  of  the  Contempt  Citations,  Sentences, 
and  Responses  of  the  Chicago  Conspiracy  10 

Foreword  by  RAMSEY  CLARK,  Introduction  by  HARRY  KALVEN,  JR. 


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THE 


The  University  of  Iowa 

announces 
The  Second  Annual  Institute  for  Afro-American  Studies 


The  Culture  of  Black  America: 
An  Interdisciplinary  Approach 


sponsored  by 
The  National  Endowment  for  the  Humanities 

Topic  for  1970: 


The  Harlem  Renaissance 
August  10-21,  1970 


Open  to  thirty  College  teachers  with  at  least  an  M.A.  degree  and  a  recommendation  from 
an  appropriate  administrative  official  guaranteeing  financial  support  and  authomation  to 
teach  at  least  one  Afro-American  course  during  1970-71.  AU  participants  will  rece.ve 
tuition,  air  transportation,  and  sixteen  dollars  per  day.  Participant  support  will  be 
provided  in  equal  portions  by  the  endowment  and  the  participant's  home  Institution,  l^ull 
scholarships  are  available  for  teachers  whose  Colleges  are  unable  to  provide  for  their 
support. 


For  further  information  and  application 
forms  write  to: 

Robert  A.  Corrigan 

DirectOT,  Institute  for  Afro-American  Culture 

305  F.nglish-Philosophy  Building 

The  University  of  Iowa 

Iowa  City,  Iowa  52240 


Gay    can    show   us  well   enough   what 
Weimar  intellectuals  thought  about  the 
ideas  of  Hölderlin  or  Rilke,  but  only  a 
knowledge  of  their  lives  and  works  can 
lay    bare    what    historical    significance 
those   perceptions  had   as  attempts  to 
define  and  meet  the  Weimar  Situation. 
Gay    Shows    his   capacity    for    more 
probing   analysis    in    his    treatment   of 
Thomas    Mann's    Magic    Mountain,    in 
which  he  finds  a  clinical  parable  of  late 
Imperial    Germany's    deceptive    health. 
He  captures  the  lightly  fevered  atmos- 
phere    of    high   bourgeois   society,   the 
persistent  low  throbbing  of  the  experi- 
ence  of  war,  the  sense  of  living  in  the 
provisional.    But    this   treatment   is  an 
exception.    For    the    most    part,    Gay 
flattens  out  the  ideas  of  intellectuals- 
even    those  of  such  major  significance 
for    European   culture  as  Heidegger  or 
Hofmannsthal-into     brightly     colored 
pieces  for  use  in  his  historical  mosaic. 
The  function  of  the  mosaic  is  in  part 
to   teil   a  moral   tale.   Gay's  values  are 
firmly  those  of  America's  older  genera- 
tion    liberals,   appreciative   of  aesthetic 
culture  but  suspicious  of  the  world  of 
instinct    with    which    it    is    connected. 
Not    for   nothing   has   Peter   Gay   been 
the    historian    of    the    Enlightenment. 
Having  chronicled  its  rise  in  the  eight- 
eenth  Century   in  his  major  works,  he 
turns    to    Weimar    now    to    sketch    its 
destruction. 


^ffimar    Culture    begins    with    a    de- 
scripvion    of   the   "community    of   rca- 
son,"   a   Community    composed   largely 
of    hien    pensant    academic    men    who 
supported    the    Republic    out    of    good 
sense,  when   not   out  of  conviction.  It 
ends    in     the    destruction    of    "objcc- 
tivity"  by  youth  revolting  on  behalf  of 
the  Nazis.  Between  beginning  aiul  end, 
''poetry'^    and    a    ''hunger    tor    whole- 
ness,"  which  Gay  rcgards  as  incompat- 
ible  with  the  acceptance  of  the  modern 
World,    do    their    corrosive    work.    His 
chapters    succeed    each    other   along   a 
sequence    of    three    polarities:     reason 
versus   poetry;  democracy   versus  Com- 
munity;  father   versus   son.    Gay   is  an 
avowed  partisan  of  reason,  democracy, 
and  fatherhood  over  poetry,  communi- 
tarianism,  and  sons.  Tragedy  lies  in  the 
defeat  of  what  he  loves  by  that  which 
he  distrusts. 

The    "secret    Germany"    which    hol- 
lows  out  the  Community  of  reason  is 
the  realm  of  poetry.  Gay  sees  poetry's 
role     in     Germany    as    "one    of    the 
historical     instruments    of    perdition." 
Goethe  and  Schiller  become  sources  of 
bad    politics:    "Goethe's    politics    was 
apathy,    Schiller's    tyrannicide;   neither 
was  a  mode  calculated  to  prepare  men 
for   parliamentary    compromises;   both, 
in    calling    for    something   higher   than 
politics,    helped    to    call   in    something 
lower-barbarism."      This      astonishing 
Statement     reveals     quite     clearly     the 
particular  form  of  political  orthodoxy 
to    which    Gay    would    confine    what 
Shelley    once    called    the   "unacknowl- 
edged    legislators    of    the    world,"    the 
poets.  The  victory  of  National  Social- 
ism.   which  a  young  generation   would 
see  as  the  subjection  of  life  to  rational 
Organization,  Gay  sees  as  the  outcome 
of    a     process    m     which     "song    was 
substituted  for  thought." 

At  his  best,  Gay  uses  a  more 
nuanced  approach  to  explain  the  fate 
of  the  Enlightenment  under  Weimar. 
He  brings  out  the  fascination  of  his 
rationalists  with  the  poetic  (or  even 
the  mythic  and  mystical).  He  shows 
that  some  good  democrats  like  Gropius 
shared    with    more    conservative   social 


organicists  the  "hunger  for  wholeness." 
Yet  Gay  is  so  wedded  to  the  spirit  of 
John  Locke  that  he  treats  affirmation 
of  the  poetic,  let  alone  the  mystical,  as 
a  suspicious  flirtation  with  unsavory 
instinct. 

His  conviction  of  the  incompatibility 
between    feeling   and    reason    misleads 
him    into    defining   expressionism    and 
the    new    objectivism    (Neue    Sachlich- 
keit)   as    opposites,    the    first    aligned 
with  the  sons  and  the  second  with  the 
fathers.  The  Bauhaus  he  places  square- 
ly  in  the  second  camp.  Yet  even  before 
World    War  I    the    expressionist    artists 
and   rationalistic   architects   who  made 
the  Bauhaus  had  found  each  other,  and 
embraced  each  other's  work  as  comple- 
mentary.  In  the  cool  geometricity  of  a 
building    by    Breuer    or    Gropius,    one 
could  sustain  the  febrility  of  an  expres- 
sionist    painting.    In    an    expressionist 
play,    the    Stripping    down    of    human 
characters   to   anonymous  archetypes- 
"Man"     and     "Woman"     rather     than 
named  characters -directly  parallels  the 
abstraction,    the    simple    volumes    and 
clear    lines,    in    Bauhaus    architecture. 
The   Bauhaus   not    only    had    lies  with 
Herwarth    Walden's   expressionist    liter- 
ary    Journal,    Der    Sturm,     but     itself 
published  the  graphic  works  of  expres- 
sionist artists.* 

Gay's   Identification  of  expressionism 
with    the   sons   and   Neue   Sachlichkeit 
with  the  fathers  produces  the  ultimate 
in     confusion     when     he     reaches    his 
final    chapter,    "The    Revenge    of    the 
Father."  The  revenge  takes  the  form  of 
a  victory  of  Sachlichkeit  over  emotion- 
al revolt,  with  Mann's  Magic  Mountain 
and    the    Bauhaus    oddly    classed    with 
President    Hindenburg  as  exemplars  of 
the    constructive    responsibility    of   the 
middle    years    of    Weimar.     Yet    Gay 
closes  his  chapter  with  a  discussion  of 
the     dcsertion     of     the     Republic     by 
youth.    Is    this    part    of    the    father's 
revenge?   Gay  teils  us  that  in  Weimar's 
father-and-son      literature      there      was 
"confusion   over  who  was  who"  from 
the  Start.   But   he  falls  into  the  confu- 
sion    himself.     For     the     youth     that 
revolted     were     no     followers     of    the 
expressionists  (whose  books  they  freely 
burned),   but  young  men  of  the  upper 
and   middle   class   completing   in   more 
radical  forms  the  work  of  their  nation- 
alistic  fathers. 

Gay's  oedipal  model  here,  especially 
after  he  has  linked  it  to  the  cultural 
manifestations  of  expressionists  (sons) 
and  objectivists  (fathers),  creates  a 
hopeless  conceptual  tangle.  Which 
fathers  are  avenging?  And  whose  work 
are  the  sons  doing?  The  university 
rowdies,  after  all,  were  linked  with  the 
conservative  Alte  Herren,  "the  old 
boys,"  whose  social  power  had  been 
left  unbroken  by  the  Republicans. 
Geflerational  categories  only  obscure 
the  social  dynamics  of  counterrevolu- 
tion,  which  transcended  any  genera- 
tional lines. 

Although  he  has  denied  any  Inten- 
tion to  draw  parallels  between  Weimar 
and  America,  Gay's  placement  of  the 
Student  revolt  so  prominently  at  the 
end  of  his  work  suggests  at  least  the 
inspiration  of  the  present.  In  diction 
hardly  unfamiliar  to  the  current  scene, 
Gay  cites  Thomas  Mann  as  among  the 
many  "responsible  republicans  .  .  urg- 
ing  the  students  toward  patience,  and 
toward    an    appreciation    of    the    true 

*Recently  reissued  by  Lund  Hum- 
phnes,  Hans  M.  Wingler,  ed.:  Graphic 
Work  from  the  Bauhaus;  translated  by 
Gerald  Onn. 

The  New  Y'orK  Ä^v/e»a  . 


24 


y 


freedom  that  comes  with  rationality 
and  discipline."  But  the  students  to 
whom  Mann's  words  were  spoken,  if 
they  understood  that  "true  freedom" 
any  better  than  their  parents,  were  no 
longer  within  earshot  of  "responsible 
republicans"  who  had  earlier  failed  to 
address  their  problems.  Those  were  the 
Problems  of  the  archaistically  oriented 
middle  class,  caught  once  more  in 
economic  crisis.  Only  Lebovics's  ideoi- 
ogists  and  the  Nazis  could  any  longer 
reach  them. 


W 


eimar  Culture  is  a  book  written  to 
open  up  its  subject,  not  to  close  it. 
Among  the  important  questions  Gay's 
work  raises  is  the  relationship  between 
culture  and  politics.  Gay  rarely  tackles 
the  question  directly.  Yet  he  is  a  man 
of  such  pronounced  conviction  that  he 
judges  virtually  every  cultural  tendency 
by    the    Standards    of    liberal    political 


rationalism. 

In  his  analysis  of  The  Magic  Moun- 
tain, Gay  describes  the  character  of 
Settembrini:  "The  unrepentant  child  of 
the  Enlightenment,  well-meaning,  ra- 
tionalist,  predictable  in  his  anti- 
clericalism,  his  Opposition  to  censor- 
ship,  his  optimism.  .  .  ."  To  Mann,  this 
character,  however  lovable,  was  as 
anachronistic  in  1924  as  Settembrini's 
antagonist,  the  Catholic  fanatic  Naph- 
ta.  Not  so  to  Gay,  who  states,  however 
wistfully,  "What  Weimar  needed 
was  precisely  more  Settembrinis- 
perhaps  a  little  less  naive  and  a  little 
more  laconic-liberals  whoUy  disen- 
chanted  with  political  myths  and  meta- 
physical  Schwärmerei.'''' 

Thomas  Mann  and  many  other  hu- 
manists  who  feared  for  the  Republic 
knew  that  the  Settembrinis  too  lived 
by  political  myth  and  by  Schwärmerei, 
however    antimetaphysical.     Only     the 


Triste  Trinidad 

The  Loss  of  El  Dorado 

by  V.  S.  Naipaul. 
Knopf,  334  pp.,  $7.50 

J.  H.  Elliott 

/  swear  that  this  tobacco 
It's  perfect  Trinidado 
By  the  very  Mass 
Never  was 
Better  gear 
Than  is  here  .  .  .  . 

The  words  floated  down  from  the 
minstrels'  gallery  during  a  feast  at  a 
Cambridge  University  College  last  De- 
cember.  They  come  from  the  Airs  or 
Fantastic    Spirits    to    Three    Voices   of 


.  .  the    associa- 

But     so,     too, 

was     another- 

For    what    eise 


hook,  ar?d  is  but  narrow;  the  north 
part  is  very  mounteynous,  the  solle  is 
very  excellent  .  .  ." 

Tobacco,  Trinidado 
tion  was  automatic. 
thanks  to  Raleigh, 
Trinidado,  El  Dorado. 
was  Trinidad  but  the  gateway  to  that 
fabulous  realm,  now  believed  to  be 
located  somewhere  in  the  large  and 
beautiful  empire  of  Guiana,  the  realm 
of  El  Dorado?  The  legend  was  an  cid 
one-far  older  than  Sir  Walter  Raleigh, 
who  gave  it  an  enhanced  European 
currency  and  a  new  lease  of  life.  Some 
time   in  the  past,  well  betöre  thefirst 


Settembrinis  did  not  realize  it,  and 
that  increased  the  vulnerability  of  the 
World  they  wished  to  save.  In  this 
respect,  Weimar's  left-wing  intellec- 
tuals,  with  their  acerbic  criticism  of 
the  Republic's  failures,  were  more 
realistic  than  the  orthodox  liberals  and 
Vernunftsrepuhlikaner. 

Yet  who  would  assert  that  the 
radicals  had  the  key  to  the  unborn 
kingdom?  They  too  were  prisoners  of 
their  pre-1914  counter-culture  which, 
for  all  its  brilliance,  could  not  develop 
a  politics  capable  of  dealing  with  the 
return  of  the  repressed  in  the  German 
middle  class.  Whether  American  intel- 
lectuals,  with  their  different  assets  and 
liabilities,  will  address  our  similar  Prob- 
lem more  effectively  surely  cannot  be 
prophesied  by  analogy  to  the  Weimar 
experience,  D 

(This  is  the  second  part  of  a  two-part 
review.) 


\  SISTINE 
CARTOONS 

BY 
L.C.  Phillips 

extraordi  nary  book   of  poems 


Thomas  Weelkes,  and  date  from  1608. 
At  the  time  of  their  composition,  both 
tobacco  and  "Trinidado"  had  only 
quite  recently  impinged  on  the  collec- 
tive  consciousness  of  Englishmen, 
many  of  whom  may  well  have  instinc- 
tively  associatcd  them  with  the  name 
of  the  last  of  the  great  heroes  of 
Eli/.abethan  England,  Sir  Walter  Ra- 
leigh. It  was  he  who  had  helped  to 
popularize  the  new  craze  for  smoking; 
and  he,  too,  who  had  introduced  them 
to  Trinidad  in  his  best  seller  of  l  596, 
The  Discoverie  of  the  Large  and  Bewti- 
ful  Empire  of  Guiana.  'This  iland  of 
Irinidado   hath    the   form    of  a  sheep- 


Spaniard  had  set  foot  on  the  mainland 
of  South  America,  the  Indians  in  the 
uplands  of  Bogota  had  been  accus- 
tomed  to  cover  the  body  of  one  of 
their  number  with  powdered  gold  and 
throw  him  into  a  sacred  lake.  The 
Spaniards  first  heard  the  story  in  the 
1530s,  and  the  search  for  El  Dorado, 
the  gilded  one,  was  on. 

Vom  the  first,  it  was  a  curiously 
unsatisfying  search,  for  no  one  was 
quite  sure  what  he  sought  or  where  it 
was  to  be  found.  The  adventurers- 
Germans  as  well  as  Spaniards-who 
toUed  over  the  hot  plains  of  the  vast 


Stretch  of  land  between  the  coasts  of 
Venezuela  and  the  banks  of  the  Ama- 
zon struggled  on  in  faith  and  hope,  but 
were  very.  short  on  charity.  As  was  to 
be  expected,  frightened  Indians  told 
them  what  they  wanted  to  hear-how, 
somewhere  to  the  east  (it  was  always 
to  the  east),  there  was  not  only  a 
golden  man,  but  even  a  golden  city.  It 
lay,  they  said,  on  the  shores  of  a  lake, 
ringed  by  high  mountains.  Its  exact 
location  was  never  quite  clear.  but 
eventually  it  acquired  a  name  the  city 
of  Manoa. 

It  was  an  elderly  Spanish  captain, 
Antonio  de  Berrio,  a  veteran  of  the 
European  wars  of  Charles  V  and  Philip 
II,  who  switched  the  direction  of  the 
quest  from  the  central  plains  to  the 
uplands  of  Guiana.  Marching  from 
Tunja  he  at  last  glimpsed  a  great 
cordillera,  which  must  surely  be  the 
mountain  ränge  that  hid  the  golden 
city.  He  devoted  the  rest  of  his  life  to 
heroic  attempts  to  skirt  the  cordillera 
and  penetrate  to  El  Dorado. 

His     search     took     him     down     the 

Orinoco  to  the  waters  of  the  Atlantic, 

and     it     brought     him,    in    September 

1591,  to  the  isle  of  Trinidad,  which  he 

perceived     to     be     an    ideal    base    for 

further  expeditions  along  the  Orinoco. 

In    the    following   year   his   lieutenant, 

Domingo  de  Vera,  formally  settled  the 

Island,  and   Berrio   laid   his  plans  for  a 

great      new      expedition.      But      Berrio 

proved    to    be  one  of  those   men   who 

dream  of  great  things  and  stumblo  over 

little   ones.    His   life   was  dogged   by    ill 

luck,    and    in    April    1595    fatc    played 

another    cruel    trick    when    Sir    Walter 

Raleigh    put   in  at   Port   of   Spain   with 

four    ships,    overpowered    the   garrison, 

and  took   Berrio  into  custody.   Ai  the 

same     moment     as    Vera     was     trium- 

phantly    recruiting    soldiers    and    colo- 

nists    in    Seville,    Raleigh    was    quietly 

appropriating    Berrio's    one    remaining 

Icgacy,  the  secret  of  El  Dorado. 

It  was  Raleigh  who  preserved  Ber- 
rio's name  for  posterity,  but  it  was  not 
until  the  late  Professor  Harlow  dis- 
covered  his  original  reports  to  Philip  II, 
and  published  them  in  1928  in  his 
edition  of  Raleigh's  Discovery  of  Gui- 
ana, that  Berrio  acquired  a  historical 
Personality.  What  more  can  be  said 
about  Berrio  beyond  Harlow's  docu- 
ments  and  commentary?  Not,  it  must 
be  confessed,  very  much.  But  Berrio, 
that  last,  obsessed  relic  of  the  age  of 


/  wüs   imprvssed   by    the   s/utT 
expressive  power  ot(  thr)  writinfi 

—  Maurice  Giro(Ii<is 

Including,  NAPALM:  ODE  TO 
VAGINAL  JELLY  .  .  .  thr  most 
severe  und  poetic  judgment  oi 
Viel  Ncim  war-politics  ever  pub- 
lished. 

-  Edmond  DevogheLiere 

.   .    .   monumental  cartoons  .   .   . 

that    title  just   swings   right   on 

in  the  cozmic  consciousness  of 

.    .    .    how    bis    poetryliiestyle- 

sentience  makes  yr  mnuth  water 

yr  bram  plead  yr  innards  thank- 

iul.  Which  is  beside  (his)  "sheer 

expressive    power"    of    writing 

whole  commitments   in  a  world- 

view   like   every  patternsbcih'd 

piece  of  buckshot  yr  brain  gors 

barrellingout  to.    .    o  l   havi    n<> 

negative   or   withheld  sense   ol 

the    poetry    and    man    whiti    /j- 

comes    down     to     th.it    ultiuvt, 

suttce  .  .  .1  BeUeviY<ni  l  lliv< 

Heard    You.     as    all    Chtymn' 

needs  could  say  no  mort  -(h<    s/ 

tht'    best    damn    Wi)rd-jorkey    in 

USA. 

-  Gary  t.  Ider 
ntw  eastern  ad(fress 

Box  1669^     ^L'_?lLf°-  ^"^^^^ 

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25 


May  21,  1970 


\V 


Seite  14 


DAS  PARLAMENT 


Nr.  19/ 9.  5. 1970 


POLITI 


BUCH 


Gert  Buchheit: 


Die  anonyme  Macht 


Aufgaben,  Methoden,  Erfahrungen  der  Geheimdienste. 
Al(ademlsche  Verlagsanstalt,  Frankfurt;  373  Seiten, 
Leinen   DM   29,—. 

Wer  heute  aus  dem  überreichlichen  Ange- 
bot der  sogenannten  Spionageliteratur  ein 
Budi  herausgreift,  muß  schon  Glück  oder  eine 
gute  Hand  haben,  will  er  mehr  als  nur  vor- 
dergründige Unterhaltungslektüre  finden,  und 
das  ist  selten  der  Fall.  Um  so  dankbarer  ver- 
zeichnet man  dann  eine  Publikation,  die  zu 
den  raren  Ausnahmen  zählt  und  die  gehegten 
Erwartungen  erfüllt.  Gert  Budiheits  jüngste 
Monographie  über  die  Geheimdienste  ist  eine 
solche  Rarität.  Sie  holt  nach,  was  längst  über- 
fällig war:  eine  systematische  Gesamtdarstel- 
lung jener  Einrichtungen  und  Organisationen, 
die  hinter  all  den  Tausenden  Agenten  und 
Spionen  stehen  und  ihre  Einsätze  leiten,  die 
aber  ihrer  Struktur  und  Aufgabe  gemäß  zu- 
meist im  Dunkel  der  Anonymität  bleiben. 

Nach  der  mit  großer  Sachkunde  und  schrift- 
stellerischer Brillanz  geschriebenen  Einführung 
von  Wilhelm  von  Schramm  kommt  der  Verfas- 
ser gleich  zum  Thema.  Er  beginnt  mit  einer 
kurzen  Rückschau  auf  die  in  letzter  Zeit  ge- 
führten  Diskussionen   über   Sinn   und   Zweck 
geheimer    Feindaufklärung,    um    daran    eine 
grundsätzliche  Deutung  der  Funktionen  eines 
Geheimdienstes  zu  knüpfen.  Diese  erstrecken 
sich  nach  seiner  Gliederung  auf  die  Nachrich- 
tenbeschaffung  (=    Informationsfunktion),   die 
Abwehr  gegnerischer  Spionage  und  Sabotage 
(=    Schützfunktion),    die    Gegenspionage    und 
die  Planung  und  Ausführung  geheimer  Kom- 
mandounternehmen.     Daraus      ergeben      sich 
zwangsläufig  die  einzelnen  Aufgabenbereiche 
für  einen  geheimen  Nachrichten-  und  Abwehr- 
dienst:  die  ständige  und  aufmerksame  Beob- 
achtung   des    Kriegspotentials    der    ausländi- 
schen Staaten,  der  vorsorgliche  Geheimschutz 
der  eigenen  militärischen  Kräfte  und  die  Über- 
wachung verfassungsfeindlicher  und  umstürz- 
lerischer Elemente.  In  der  Bundesrepublik  tei- 
len  sich   der   Bundesnachrichtendienst    (BND), 
der  Militärische   Abschirmdienst    (MAP)    und 


durch  werden  diese  in  die  Lage  versetzt,  den 
Inhalt  der  übermittelten  Meldung  mit  anderen 
vorliegenden  Nachrichten  zu  vergleichen  und 
aus  dem   Ergebnis   die   notwendigen  Schlüsse 
zu  ziehen.  Gibt  dagegen  ein  Nachrichtendienst 
eine  wichtige  Meldung  ohne  Kommentar  nach 
oben  weiter,  läuft  er  Gefahr,  daß  seine  Mit- 
teilung bagatellisiert  oder  in  ihrem  Wert  ver- 
kannt wird.  Der  Verfasser  führt  dafür  beson- 
ders   markante     Beispiele     aus     dem     letzten 
Weltkrieg    an.    In   gewisser   Hinsicht   vorbild- 
lich   funktioniert    die    Nachrichtenauswertung 
in    den    USA.    Dort    steht    dem    Direktor    des 
Geheimdienstes  („CIA"   --   „Central  Intelligen- 
ce    Agency")     ein    eigener    Nachrichten-Aus- 
schuß, das  „United  States  Intelligence  Board" 
(USIB),  zur  Seite,  der  die  auf  den  verschieden- 
sten Wegen  eingegangenen    Nachrichten    zu- 
sammenfaßt und  gleichzeitig  die  Vordringlich- 
keit der  noch  zu  beschaffenden  Informationen 
festlegt.  In  welcher  Besetzung  dieser  Ausschuß 
arbeitet  und  wie  oft  er  zusammenkommt,  be- 
schreibt Buchheit  in  einem  gesonderten  Kapi- 
tel.  Er   stützt   sich   dabei   auf   Quellen   ersten 
Ranges  wie  den  früheren  amerikanischen  Ge- 
heimdienstchef, Allen  W.  Dullen,  und  den  frü- 
heren Direktor  der  CIA,  Admiral  William  Red 
Raborn. 

Schwieriger  war  es  dagegen  für  den  Autor, 
grundlegend  Neues  über  die  sowjetischen 
Nachrichtendienste  und  Sicherheitsorgane  zu 
erfahren.  So  ist  denn  auch  das  meiste,  was  er 
im  einschlägigen  Abschnitt  über  das  Komitee 
für  Staatssicherheit  (KGB)  und  den  Nachrich- 
tendienst der  Roten  Armee  (GRU)  beriditet, 
nur  aus  anderen  Veröffentlichungen  sorgfältig 
zusammengetragen.  Daß  er  dabei  die  allerjüng- 


ste  Publikation  über  den  sowjetischen  Ge- 
heimdienst von  Norman  Lucas  übersah,  ist 
nicht  unbedingt  ein  Mangel,  denn  was  der 
englische  Kriminalreporter  darin  an  Wissens- 
wertem bietet,  geht  über  bereits  Bekanntes 
kaum  hinaus. 

Fachliterarisches  Neuland  betritt  Buchheit 
mit  seiner  Darstellung  des  lotchinesischen 
Geheimdienstes.  Er  beschreibt  darin,  wie  sich 
Maos  Spionagechef,  Chao  Yun,  vom  Schang- 
haier Universitätsstudenten  bis  zum  fünftmäch- 
tigsten Mann  des  Staates  und  „ranghöchsten 
Nachrichtenoffizier  der  Welt"  emporgearbei- 
tet hat  und  heute  über  den  wohl  umfangreich- 
sten östlichen  Spionageapparat  gebietet. 

Hauptträger  der  rotchinesischen  Auslands- 
spionage ist  nach  Angaben  des  Verfassers  die 
„Neue  Chinesische  Nachrichtenagentur  Hsin- 
Hua",  die  in  über  60  Ländern,  darunter  auch 
in  der  Bundesrepublik,  Filialen  unterhält  und 
über  außergewöhnlich  große  Geldmittel  ver- 
fügt. Als  Zentrum  der  Spionageunternehmun- 
gen Pekings  in  Europa  gilt  die  chinesische 
Botschaft  in  Bern,  wo  laut  Buchheit  eine  „ge- 
tarnte Spionageequipe  von  rund  200  Personen 
arbeitet".  Außer  in  der  schweizerischen  Haupt- 
stadt arbeitet  Peking  auch  von  Albanien  aus 
und  mit  Hilfe  der  Kommunistischen  Partei  Bel- 
giens, die  vom  maoistisch  orientierten  Jacques 
Grippa  geleitet  wird. 

Zum  Schluß  beschäftigt  sich  der  Autor  noch 
mit  der  immer  wieder  gestellten  Frage,  ob  der 
Zweite   Weltkrieg   durch   Verrat    entschieden 
worden  sei.   Unter  Auswertung  einschlägiger 
Untersuchungen  kommt  er  zu  der  Feststellung, 
daß  im  letzten  Krieg  zwar  viel  verraten  wurde 
—   Buchheit   zählt   die    verschiedenen   Spione 
und  Agentenringe   auf,   die  für  Rußland   und 
die  Alliierten  arbeiteten  — ,  daß  aber  das  we- 
nigste davon  beim  Gegner  Glauben  fand  und 
gegen  Deutschland  verwendet  wurde.  Die  Er- 
fahrungen mit  Doppelagenten,  „umgedrehten" 
Spionen  und  Pannen   im  Funkverkehr  ließen 
es    der    militärischen    Führung   angezeigt    er- 
scheinen, Spionage  und  Verrat  nie  höher  zu 
bewerten   als   einen   hilfreichen  Beitrag,   eine 
lokale  Operation  schneller  als  sonst  möglich 
zu  einem  erfolgreichen  Ende  zu  führen.  Von 
einer     kriegsentscheidenden    Bedeutung     des 
Verrats    kann    daher    keine    Rede   sein.    Man 
möchte  wünschen,  daß  mit  dieser  Bekräftigung 
Buchheits  jetzt  endgültig  das  letzte  Wort  zu 
diesem  Thema  gesprochen  ist. 

Kenner  der  Materie  werden  auch  mit  beson- 
derer Aufmerksamkeit  und  Zustimmung  die 
sachgerechte  Kritik  des  Autors  an  mancher 
mangelhaften  Arbeitsweise  der  früheren  Ab- 
wehr lesen.  Buchheit  räumt  in  erfrischender 
Weise  mit  manchen  liebgewordenen  Legenden 
auf,  an  denen  so  mancher  „alter  Hase"  auch 
heute  noch  spinnt.  Die  verantwortlichen  Poli- 
tiker werden  dagegen  aus  den  Passagen  ler- 
nen können,  in  denen  sich  der  Verfasser  mit 
den  aktuellen  Problemen  der  Leitung  eines 
Geheimdienstes  sowie  seiner  Lenkungs-  und 
Koordinierungsorgane  beschäftigt. 

Fazit:  ein  hervorragendes  Buch  und  ein  sehr 
aktuelles  Notabene  für  alle,  die  mit  dem  ge- 
heimen Nachrichtendienst  beruflich  oder  poli- 
tisch zu  tun  haben.  Alfred  Sdiickel 


Propheten  des  Nationalismus 


Herausgegeben  von  Karl  S  c  h  w  e  d  h  e  I  m.  Mit  Bei- 
trägen von  Gerd-Klaus  Kaltenbrunner,  Alfred 
Prügel,  Günther  Scholz,  Clara  M  e  n  c  k  , 
Margarete  P  I  e  w  n  I  •  ,  Han«  von  Hülsen,  Jür- 
gen Lütge  und  Dieter  L  a  1 1  m  a  n  n  ,  einem  Vor- 
wort von  Ekkehart  Rudolph  und  einem  Nachwort 
von  Karl  Schwedhelm.  Paul  LI«!  Verlag.  Mün- 
chen; 320  Selten,  kart.  Studienauegabe  DM  16,-,  Lei- 
nen DM  23,—. 

Wahrscheinlich  gibt  es  unter  den  nach  1930 
Geborenen  nur  wenige,  denen  Namen  wie 
Paul  de  Lagarde,  Julius  Langbehn  und  Hans 
Blüher  noch  etwas  sagen.  Mit  dem  „Turnva- 
ter" Jahn  und  dem  preußischen  Historiker 
Heinrich  von  Treitschke  mögen  einige  viel- 
leicht noch  vage  Vorstellungen  verbinden; 
Ludwig  Klages  mag  anderen  als  Verfasser  des 
Werkes  „Handschrift  und  Charakter"  bekannt 
sein  und  Eugen  Dühring  als  der  Adressat  von 
Friedrich  Engels'  Schrift  „Anti-Dühring  .  Aber 
wie  viele  der  heute  Lebenden  sind  sich  nodi 
bewußt,  wie  tief  das  Denken  und  mehr  noch 
das  Fühlen  ihrer  Urgroßväter,  Großvater  und 
Väter  von  diesen  und  einigen  anderen  Man- 
nern geprägt  und  wie  unheilvoll  dadurch  die 
Geschichte  der  letzten  150  Jahre  auf  eine  uns 
kaum  noch  verständliche  Weise  beemflußt 
wurde? 

Man  muß  es  deshalb  begrüßen,  daß  die 
Essays  über  diese  „Propheten  des  Nationalis- 
mus", geschrieben  für  eine  Sendereihe  des 
Süddeutschen  Rundfunks,  auch  dem  Leser  zu- 
gänglich gemacht  wurden,  zumal  sie  sich  um 
äußerste  Objektivität  bemühen  und  sich  jeder 
Verteufelung  enthalten.  Vielleidit  wirkt  ge- 
rade deshalb  diese  Galerie  .volkischer  und 
nationalistischer  Irrlehrer  so  beklemmend. 

So  groß  die  Unterschiede  ihres  intellektuel- 
len Niveaus  und  ihrer  Intentionen  audi  wa- 
ren —  man  stelle  etwa  Klages  und  Bartels 
gegenüber.  Moeller  van  den  Brück  und 
Dietrich  Eckart,  Treitschke  und  Jahn  oder  Düh- 
ring und  Blüher  -,  so  verhängnisvoll  wirk- 
ten sie  doch  letzten  Endes  zusammen  rn  dem 
Resultat  der  Desorientierung  und  Entpolitisie 
fung  vieler  Deutschen,  so  daß  schließlich  eine 
Atmosphäre  des  wirklichkeitsblinden  Irationa- 
lismus  und  Rassismus  entstand,  die  sidi  m 
einem  Exzeß  des  Nationalismus  entlud  an 
dessen  Folge,  den  Zusammenbruch  von  1945. 
wir  uns  dieser  Tage  erinnern. 

Von  Gerd  Kaltenbrunner  werden  yorge- 
stellt:  Eugen  Dühring.  ein  bedeutender 
Kopf  der  sich  in  einen  hemmungslosen  Haß 
aeqen  die  schöne  Dreieinigkeit  von  Profes- 
L?en  Juden  und  Socialjudodemokraten"  hin- 
einsteigerte,  Houston  Stewart  Chamber- 
1  a  i  n  .  der  in  Deutschland  heimisch  gewor- 
dene Brite,  Künder  eines  heroischen  Neu-Ger- 
manentums  und  Verfasser  der  -Grundlagen 
des  19.  Jahrhunderts";  Arthur  Moeller 
van  den  Brück,  der.  tief  beeindruckt 
vom  Mystizismus  Dostojewskis,  die  ..konser- 
vative Revolution"  propagierte;  Ludwig  Kl  a- 
ges.    dessen   Werk    „Der   Geist   als   Wider- 


sacher der  Seele";  den  irrationalen  Tenden/nn 
im  Denken  der  Deutsdien  neuen  Auftrieb  gab. 

Von  Alfred  Prügel  werden  porträtiert:  Paul 
de  Lagarde,  der  sich  vom  religiösen  zum 
nationalen  Schwärmer  von  der  Wiedererrich- 
tung des  Stauferreiches  wandelte;  Heinrich 
von  Treitschke,  der  mit  pathetischen 
Reden  und  Schriften  die  nationale  Hybris  an- 
heizte und  mit  dem  Schlagwort  „Die  Juden 
sind  unser  Unglück!"  dem  Antisemitismus  sein 
primitivstes,  aber  wirkungs-  und  verhängnis- 
vollstes „Argument"  lieferte;  Walter  Flex, 
der  „Wanderer  zwischen  beiden  Welten",  er- 
füllt von  schwärmerischem  Patriotismus  und 
pseudoreligiöser  Opferbereitschaft,  aber  auch 
naiv-skrupellos  in  der  Forderung  der  deut- 
schen Herrschaft  über  Osteuropa  und  Rußland. 

Günther  Schloz  macht  uns  bekannt  mit 
Friedrich  Ludwig  Jahn,  dem  Prediger  des 
„reinen  Volkstums"  und  des  unversöhnlichen 
Franzosenhasses,  und  mit  Hans  Blüher, 
dem  antisemitischen  Verfechter  des  Männer- 
bundes und  Führerkultes.  Clara  Monck  ver- 
sucht dem  „Rembrandtdeutschen"  Julius 
Langbehn  gerecht  zu  werden,  der  eine 
Weltanschauung  der  elitären  Überlegenheit 
des  niederdeutsch-nordischen  Menschen  zu- 
sammenbraute. Margarete  Plewnia  befaßt  sich 
mit  Dietrich  Eckart,  dem  glücklosen  Dra- 
matiker und  völkischen  Reimeschmied.  Hans 
von  Hülsen  schildert  den  in  pathologischen 
Judenhaß  verbohrten  dithmarsischen  Dickschä- 
del Adolf  Bartels.  Jürgen  Lütge  schreibt 
über  Erwin  Guido  Kolbenhey  er  und  des- 


Geschichte  der  sozialen  Ideen  in  Deutschland 


Zeltschriftenschau 

Europa  Archiv,  Heft  8/1970: 

Katharina  Pocke:  Europa-Politik  nach  Den  Haag. 
Neubeginn   in  der  europäischen   Integration?: 

Richard  H.    Noite:    Eskalation  im  Nahen  Osten; 

H.  Jon    Rosönbaum:    Die  Außenpolitik   Brasiliens 

in  den  sechziger  Jahren; 

Dokumente  zur  Ostpolitik  der  Bundesrepublik 
Deutschland.  Teil  I:  Vom  Regierungswechsel  im  Herbst 
1969  bis  Januar  1970. 


unl«r 


ri^l^n    fCöniotums-   eine  Ethik:  und  zugleich 


sen    „Bauhütten-Metaphysik",    die    als    rassi- 
stisdi-biologistische  Weltanschauung  dem  Ras- 
senmord    gedanklich     den     Weg     bereitete. 
Schließlich  führt  Dieter  Lattmann   ein   in  die 
Gedankenwelt   von   Hans    Grimm,     dessen 
Blut  und   Boden  verherrlidiender,   Verstädte- 
rung   und    Industriealisierung    verdammender 
Roman    „Volk   ohne   Raum"    die   Ausbreitung 
eines  Denkens  förderte,  das  durch   „rassische 
Überlegenheit"  jede  imperiale  Expansion  und 
Annexion  gerechtfertigt  sah. 

Ergänzt  werden  die  vierzehn  Essays  durch 
die  einleitende,  konzentrierte  Geschichte  des 
deutschen  Nationalismus  von  Ekkehart  Ru- 
dolph (der  sich  leider  zu  der  indiskutabel  ver- 
allgemeinernden Charakterisierung  der  rebel- 
lierenden Jugend  als  „langhaarig  und  unge- 
waschen" hinreißen  läßt)  und  durch  das  Nach- 
wort von  Karl  Schwedhelm.  Er  weist  noch  ein- 
mal  hin    auf   die    Wirklichkeitsblindheit,    den 


■rt'iky'-'^^' 


mandounternehmen.  Daraus  ergeben  sidi 
zwangsläufig  die  einzelnen  Aufgabenbereidie 
für  einen  geheimen  Nadiriditen-  und  Abwehr- 
dienst:  die  ständige  und  aufmerksame  Beob- 
achtung des  Kriegspotentials  der  ausländi- 
schen Staaten,  der  vorsorglichie  Geheimschutz 
der  eigenen  militärischen  Kräfte  und  die  Über- 
wachung verfassungsfeindlidier  und  umstürz- 
lerischer Elemente.  In  der  Bundesrepublik  tei- 
len sich  der  Bundesnachrichtendienst  (BND), 
der  Militärische  Abschirmdienst  (MAD)  und 
das  Bundesamt  für  Verfassungsschutz  (BfV)  in 
diese  Aufgaben.  Gert  Buchheit  stellt  ihre  Or- 
ganisationen in  einem  eigenen  Absdinitt  vor. 

Wie  Informationen  beschafft  und  ausgewer- 
tet werden,  beschreibt  Buchheit  ausführlich 
und  recht  anschaulich  im  Kapitel  „Die  Infor- 
mationsfunktion". Darin  erfährt  der  Leser,  daß 
ein  beträchtlicher  Teil  der  Nachrichten,  die  von 
einem  Geheimdienst  zusammengetragen  und 
verwertet  werden,  aus  Zeitungen,  Zeitschriften 
und  militärischen,  t»^-dinischen,  wirtschaftlichen 
und  wissenschaftlich«^-n  Fachblättern  sowie  aus 
Rundfunkmeldungen  des  Auslandes  stammt. 
Dazu  kommen  dann  noch  die  im  Rahmen  des 
normalen  diplomatischen  Verkehrs  eingehen- 
den Meldungen  der  Auslandsvertretungen  mit 
ihren  oft  sehr  detaillierten  Attache-Berichten. 
Diese  fallen  bereits  unter  die  Geheimhaltung, 
weil  sie  in  aller  Regel  Fragen  und  Probleme 
behandeln,  die  in  die  Sicherheitsphäre  des  be- 
treffenden Landes  hineinreichen.  Die  auf  die- 
sen Wegen  erhaltenen  Informationen  werden 
schließlich  durch  das  von  den  eigenen  Agenten 
gelieferte  „Geheimmaterial"  ergänzt.  Das  Sich- 
ten, Vergleichen  und  Auswerten  aller  dieser 
Meldungen  obliegt  einer  eigenen  Abteilung  in 
der  „Zentrale",  die  es  dem  Leiter  des  Dienstes 
zur  Vorlage  beim  politischen  oder  militäri- 
schen Vorgesetzten  aufbereitet. 

Buchheit  schildert  diese  Prozeduren  einge- 
hend im  zweiten  Teil  seines  Buches.  Er  weist 
dort  auch  darauf  hin,  daß  die  beste  Methode 
für  einen  geheimen  Nachrichtendienst,  der  sei- 
ner Regierung  zuverlässiges  Material  liefern 
will,  darin  bestehe,  jede  einigermaßen  wich- 
tige oder  aufschlußreiche  Nachricht  oder  Zu- 
sammenstellung von  Nachrichten  zu  kommen- 
tieren und  beides,  Meldung  und  Kommentar, 
an  die  zuständigen  Stellen  weiterzugeben.  Da- 


tendienst der  Roten  Armee  (GRU)  berichtet, 
nur  aus  anderen  Veröffentlichungen  sorgfältig 
zusammengetragen.  Daß  er  dabei  die  allerjüng- 


^in  nervörrt 
aktuelles  Notabene  für  alle,  die  mit  dem  ge- 
heimen Nachrichtendienst  beruflich  oder  poli- 
tisch zu  tun  haben.  Alfred  Schickel 


vom  Mystizismus  Dostojewskis,  die  „konser- 
vative Revolution"  propagierte;  Ludwig  K  1  a  ■ 
g  e  s ,    dessen   Werk    „Der   Geist   als   Wider- 


Geschichte  der  sozialen  Ideen  in  Deutschland 


Herausgegeben  von  Helga  G  r  e  b  i  n  g  unter  Mitar- 
beit von  Wilfried  Gottsclialch,  Friedrich  K  a  r  - 
r  e  n  b  e  r  g  ,  Franz  Josef  S  t  e  g  m  a  n  n.  Deutschet 
Handbuch  der  Politik  Band  3.  Günter  Olzog  Verlag, 
München;  757  Seiten,   Leinen  DM  95, — . 

Eine  Ausführliche  und  umfassende  Darstel- 
lung der  Geschichte  der  sozialen  Ideen  in 
Deutschland  hat  seit  langem  gefehlt.  Bisherige 
Beschreibungen  konzentrierten  sich  entweder 
mehr  auf  die  Ausformung  der  kapitalistischen 
Wirtschaftsverfassung  (z.  B.  W.  Sombart)  oder 
auf  die  Arbeiterbewegung  (H.  Herkner  und  in 
neuerer  Zeit  C.  Jantke,  H.  Grebing  und  W. 
Abendroth).  Die  hervorragende  sozialwissen- 
schaftliche Studie  von  Werner  Hof  mann: 
„Ideengeschichte  der  sozialen  Bewegung"  lei- 
det etwas  unter  der  durch  ein  Taschenbuch 
bedingten  Kürze,  bringt  aber  andererseits  die 
gesamte  internationale  Entwicklung. 

Eine  auf  Deutschland  beschränkte  Darstel- 
lung wie  die  vorliegende  Veröffentlichung 
konnte  sehr  detailliert  die  Ursachen  des  sozia- 
len Konflikts  aufzeigen  und  die  verschiedenen 
Konzeptionen  verfolgen,  die  zur  Lösung  oder 
zur  Abwehr  der  „sozialen  Frage"  im  Laufe 
eines  Jahrhunderts  entworfen  wurden.  Dabei 
mußte  auch  die  soziale  Fürsorge  der  beiden 
Kirchen  adäquat  gewürdigt  werden,  denn  sie 
waren  diejenigen  Oroanisationen,  die  in  der 
zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  die  So- 
zialpolitik des  Staates  entscheidend  mitgeprägt 
hatten  und  vor  allem  nach  dem  Zweiten  Welt- 
krieg eine  intensive  Arbeit  zur  Klärung  des 
sozialen  Problembewußtseins  geleistet  haben. 

Entsprediend  den  Trägern  der  sozialen  Ideen 
wurde  im  vorliegenden  Handbuch  der  Stoff  in 
drei  Abschnitte  unterteilt.  Der  einleitende  und 
umfangreichste  Beitrag  gilt  der  „Ideenge- 
schichte des  Sozialismus  in  Deutschland"   (W. 


Internationale  Beziehungen 


Herausgegeben  von  Karl  Friedrich  Bracher  und 
Ernst  Fraenkel.  Fischer-Lexikon  Bd.  7.  Fischer- 
Bücherei,  Frankfurt;  346  Seiten,  kart.  DM  4,50 

Mit  dem  neuen  Band  des  Fischer-Lexikons 
versuchen  die  Politikwissenschaftler  Bracher 
(Bonn)  und  Fraenkel  (Berlin)  in  Coproduktion 
mit  zahlreichen  Fachkollegen,  „eine  Einfüh- 
rung in  Hauptgebiete  und  wichtige  Fragestel- 
lungen der  Internationalen  Politik  zu  geben". 
Dieser  Absicht  gemäß  werden  in  über  vierzig 
Artikeln  Erscheinungsformen  und  Interdepen- 
denzen  dargestellt,  welche  das  Bild  der  welt- 
politischen Gegenwart  bestimmen. 

In  Sonderheit  hat  man  den  Organisationen 
multinationaler  Zusammenarbeit  wie  UNO, 
EFTA,  COMECON,  OECD  usw.  informative 
Artikel  gewidmet.  Das  Zentralproblem  unse- 
rer Zeit,  die  Friedenssicherung  und  ihre  stän- 
dige Gefährdung,  wird  in  den  Abschnitten 
„Abrüstung  und  Rüstungskontrolle"  (E.  Forn- 
dran),  „Frieden  und  Krieg"  (K.  D.  Bracher)  und 
„Balance  of  Power"  (H.-A.  Jacobsen)  mit  akri- 
bischer  Sorgfalt  behandelt.  Darüber  hinaus 
veranschaulichen  fundierte  Kommentare  zur 
Berlin-  und  Deutschlandfrage,  zu  Währungs- 
und Kolonialproblemen,  zum  Rassismus  und 
sonstigen  politischen  „Ismen"  das  komplexe 
Beziehungsgewebe  der  internationalen  Politik. 
Bei  der  Darstellung  der  Methoden  der  Außen- 
politik hätte  die  theoretische  Grundlegung  der 
Ziel-Mittel-Projektionen  noch  ausführlicher 
sein  können. 

Das  Verdienst  der  übrigen  Mitarbeiter  wird 
nicht  geschmälert,  wenn  man  den  Artikel  „Ent- 
wicklungspolitik" von  Richard  Behrendt  beson- 
ders   hervorhebt.    Grund    dazu    gibt    die    sehr 


dezidierte  Kritik  an  der  bisherigen  Entwick- 
lungsförderung. Behrendt  warnt  eindringlich 
vor  einer  Fassadenkultur,  die  aus  der  Negie- 
rung der  starken  Unterschiede  zwischen  der 
Suprastruktur  der  Institutionen,  Funktionäre 
und  „Entwicklungsgesten"  einerseits  und  der 
statisch  verharrenden  Infrastruktur  vieler  Ent- 
wicklungsländer andererseits  gefährlich  her- 
vorwächst. 

Aktualitätsbezug  und  Informationsleistung 
auch  der  übrigen  Artikel  sind  so  hervorra- 
gend, daß  sie  den  Auswahlcharakter  des  lexi- 
grafischen  Taschenbuches  und  damit  das  hin 
und  wieder  vergebliche  Suchen  nach  einem 
Begriff  fast  wettmachen.  Das  Format  des  Fi- 
scher-Lexikons bestimmte  zwar  die  Quantität 
der  Artikel,  ihre  wissenschaftliche  Güte  aber 
ein  Autorenteam,  in  dem  neben  Bracher  und 
Fraenkel  die  bekanntesten  Politologen  und 
Zeitgeschichtler  als  Bearbeiter  der  einzelnen 
Sachgebiete  zusammenwirkten.  Außer  den 
Namen  qualifizierter  Nachwuchs-Wissenschaft- 
ler stehen  renommierte  Forscher  wie  Anspren- 
ger,  Herzfeld,  Hofer,  Jacobsen,  Pross,  von 
Simson,  Oberndörfer,  Stourzh,  Verdross,  G.  A. 
Ritter  und  C.  C.  Schweitzer  im  Autorenver- 
zeichnis. 

Eine  sehr  nützliche  weiterführende  Biblio- 
graphie und  ein  zuverlässiges  Register  mit 
rund  1  600  Stichwörtern  erlauben  eine  schnelle 
und  zugleich  eingehende  Information,  da  sich 
dank  der  Querverweise  im  Text  politische 
Einzelphänomene  sehr  leicht  den  übergreifen- 
den Sachzusammenhängen  zuordnen  lassen. 
Der  neue  Band  stellt  somit  eine  lang  vermißte 
Ergänzung  zum  Fischer-Lexikon  Nr.  2  „Staat 
und  Politik"  dar.  Mantred  Funke 


Gottschalch) ;  es  folgen  eine  „Geschichte  der 
sozialen  Ideen  im  deutschen  Katholizismus" 
(F.  J.  Stegmann)  und  eine  „Geschichte  der  so- 
zialen Ideen  im  deutschen  Protestantismus"  (F. 
Karrenberg). 

Die  differenzierte  und  mit  Quellenauszügen 
belegte  Untersuchung  von  W.  Gottschalch 
über  den  deutschen  Beitrag  zu  Theorie  und 
Praxis  des  Sozialismus  bringt  vor  allem  eine 
sinnvolle  Gegenüberstellung  der  Wechselbe- 
ziehungen zwischen  den  sozioökonomischen 
Verhältnissen  und  den  politisch-sozialen  Ideen. 
Bei  deren  kritischer  Würdigung  wird  die  Ge- 
fahr der  Einseitigkeit  einer  nur  ökonomischen 
oder  nur  personalen  Geschichtsauffassung  ver- 
mieden. 

Wie  sehr  die  sozialen,  wirtschaftlichen  und 
politischen  Probleme  der  Weimarer  Republik 
auch  die  Gegenwart  beeinflussen,  das  haben 
die  jüngsten  Diskussionen  um  die  Räteverfas- 
sung und  die  erweiterte  Mitbestimmung  ge- 
zeigt. Das  Kapitel  über  die  „Aufgaben  des  So- 
zialismus in  der  Phase  des  organisierten  Ka- 
pitalismus" gehört  deshalb  zu  den  interessan- 
testen Abschnitten  des  Buches.  Leider  ist  der 
Vorwurf  Gottschalchs  nur  allzu  berechtigt,  daß 
die  Konzeptionen  einer  Wirtschaftsdemokratie 
in  den  ersten  Jahren  nach  1918  unter  dem  Ein- 
druck der  Restauration  und  des  Faschismus 
nur  noch  ideologiekritisch  weitergeführt  wur- 
den. Die  sozialphilosophischen  Theorien  der 
Selbstentfremdung,  des  antiautoritären  Kamp- 
fes, die  Verlockungen  einer  organischen  und 
universalistischen  Gesellschaftsauffassung  für 
den  Mittelstand  oder  die  Kontroverse  über 
Parteienoligarchie  und  Rätedemokratie  in  den 
Jahren  vor  1933  sind  schließlich  immer  noch 
aktuell.  Diese  Gedanken  spiegeln  die  Angst 
und  das  Unverständnis  einer  Gesellschaft  ge- 
genüber ihren  eigenen  sozioökonomischen  Be- 
dingungen. 

Ein  schwerwiegender  Mangel  des  Buches  ist 
es,  daß  gerade  im  Hinblick  auf  die  strittigen 
und  daher  ungelösten  Fragen  in  der  Weimarer 
Republik  das  Dritte  Reich  in  allen  Beiträgen 
ausgelassen  wird.  Da  die  zeitgeschichtliche 
Literatur  zunehmend  auch  die  sehr  wichtigen 
sozialgeschichtlichen  Aspekte  des  National- 
sozialismus berücksichtigt,  ist  das  Fehlen  die- 
ses Zeitraumes  in  einem  Handbuch  unver- 
ständlich. Daß  in  einer  so  umfangreichen  Dar- 
stellung einzelnen  Autoren  je  nach  Standort 
oder  Interessen  des  Verfassers  unterschied- 
liches Gewicht  beigemessen  wird,  ist  wohl 
nicht  zu  vermeiden.  Ein  auch  objektiver  Man- 
gel ist  jedoch,  daß  der  seinerzeit  einflußrei- 
che Lorenz  von  Stein  kaum  erwähnt  wird. 
Immerhin  hatte  er  mit  seiner  Konzeption  eines 


In  der  Sondermarken-Serie  „Fremdenver- 
kehrsorte" gibt  die  Deutsche  Bundespost  nach 
dem  Wertzeichen  „Rothenburg  ob  der  Tauber' 
am  //.  Mai  diese  30-Pfennig-Marke  „Oberam- 
mergau' aus  Anlaß  der  Passionsspiele  heraus. 


„sozialen  Königtums"  eine  Ethik  und  zugleich 
Strategie  der  sozialen  Befriedigung  entwor- 
fen, die  später  die  Grundlage  für  die  Bis- 
marcksche  Sozialgesetzgebung  bildete. 

Die  Geschichte  der  sozialen  Ideen  im  deut- 
schen Katholizismus  und  Protestantismus  of- 
fenbart insgesamt  für  das  19.  Jahrhundert  und 
selbst  bis  1933  ein  fast  erschreckendes  Unver- 
ständnis der  Kirchen  gegenüber  den  Ursachen 
sozialer  Not  und  eine  völlige  Unangemessen- 
heit der  angebotenen  Hilfsmittel.  Daß  es  Ver- 
treter der  beiden  Konfessionen  waren,  die  als 
erste  tatkräftig  halfen  und  die  Aufmerksamkeit 
des  Staates  wie  der  Gesellschaft  auf  die  „so- 
ziale Frage"  lenkten,  kann  nur  ein  geringer 
Trost  sein  —  bedenkt  man  den  Widerstand, 
den  die  Kirchen  lange  Zeit  einer  sozial  ge- 
rechten Veränderung  der  Wirtschafts-  und 
Gesellschaftsverfassung  entgegensetzten. 

Der  Mangel  an  konkreten  Vorschlägen  zur 
Lösung  sozialer  Konflikte  klingt  auch  noch  in 
dem  Beitrag  von  F.  J.  Stegmann  nach.  Die  ein- 
zelnen Konzeptionen  innerhalb  der  katholi- 
schen Soziallehre  werden  zwar  in  ihrem  Ver- 
hältnis zueinander  und  vor  allem  zu  den  Lehr- 
sätzen der  verschiedenen  Sozialenzykliken  ge- 
prüft. Eine  originäre  Zuordnung  zu  den  Grund- 
elementen christlicher  Ethik,  wie  sie  beispiels- 
weise in  der  Bergpredigt  zum  Ausdruck  kom- 
men, vermißt  man  leider  zu  oft.  Es  fehlt  auch 
eine  eingehende  ideologiekritische  Analyse 
der  von  der  katholischen  Soziallehre  entwor- 
fenen Gesellschaftstheorien  sowie  eine  Dar- 
stellung, inwieweit  die  Kirche  selbst  für  be- 
stimmte historische  Herrschaftsverhältnisse 
den  dogmatischen  überbau  geliefert  hat,  selbst 
also  nicht  nur  auf  vorgefundene  Verhältnisse 
reagierte.  Ganz  allgemein  scheint  es  der  katho- 
lischen Soziallehre  lange  Zeit  weniger  um  die 
konkreten  Probleme  des  Menschen  in  der  mo- 
dernen Industriegesellschaft  als  um  dessen 
ethische  Existenz  in  der  Gesellsdiaft  über- 
haupt gegangen  zu  sein.  Davon  zeugen  die 
harten  Diskussionen  um  die  korporative  Wirt- 
schafts- und  Gesellschaftsverfassung  oder  um 
das  Subsidiaritätsprinzip  und  heute  die  Fra- 
gen nach  mehr  Eigentum  und  Mitbestimmung. 
Allerdings  hat  sich  nach  dem  Ende  des  Zwei- 
ten Weltkrieges  ein  erheblicher  Wandel  voll- 
zogen, unterstützt  durch  die  Enzykliken  Jo- 
hannes XXIII.  und  Paul  VI.,  die  die  Besse- 
rung der  realen  Nöte  des  Menschen  etwas 
mehr  in  den  Vordergrund  stellen. 

Einen  noch  stärkeren  Wandel  hat  der  Pro- 
testantismus und  sein  Verhältnis  zu  Staat  und 
Gesellschaft  durchgemacht.  Von  der  engen 
Bindung  zwischen  Thron  und  Altar  und  einer 
kirchlichen  Sozialpolitik,  die  sich  als  soziale 
Befriedung  im  Sinne  einer  Verteidigung  staat- 
licher Autorität  verstand,  bis  hin  zu  den  Denk- 
schriften der  vergangenen  Jahre  war  ein  wei- 
ter Weg.  Karrenberg  beschreibt  mit  der  ge- 
botenen Kritik  die  Veränderung  des  Ver- 
ständnisses für  gesellschaftliche  Fragen  inner- 
halb der  protestantischen  Kirche,  insbesondere 
im  Hinblick  auf  den  Sozialismus.  Sehr  inter- 
essant ist  auch  hier  wieder  der  Abschnitt  über 
die  Weimarer  Zeit,  in  der  sich  mit  dem  be- 
ginnenden Widerstand  gegen  den  Nationalso- 
zialismus eine  evangelische  Sozialethik  her- 
ausformte, die  in  den  Nachkriegs  jähren  eine 
tragfähige  Grundlage  für  Diskussionen  und 
Lösungsvorschläge  gesellschaftlicher  Konflikte 
bildete.  Als  bestimmender  Wesenszug  dieser 
Ethik  mag  ein  Satz  Karl  Barths  dienen:  „Der 
mündige  Christ  kann  nur  ein  mündiger  Bürger 
sein  wollen,  und  er  k€uin  auch  seinen  Mit- 
bürgern nur  zumuten,  als  mündige  Bürger  zu 
existieren."  Klaus  W.  Wippermann 


Ergänzt  werden  die  vierzehn  Essays  durch 
die  einleitende,  konzentrierte  Geschichte  des 
deutschen  Nationalismus  von  Ekkehart  Ru- 
dolph (der  sich  leider  zu  der  indiskutabel  ver- 
allgemeinernden Charakterisierung  der  rebel- 
lierenden Jugend  als  „langhaarig  und  unge- 
waschen" hinreißen  läßt)  und  durch  das  Nach- 
wort von  Karl  Schwedhelm.  Er  weist  noch  ein- 
mal hin  auf  die  Wirklichkeitsblindheit,  den 
Provinzialismus,  die  monomanische  Besessen- 
heit und  auf  den  Bruch  in  der  Persönlichkeit 
fast  aller  dieser  Propheten  des  Nationalismus. 
Ihre  Kurzbiographien  und  Porträts,  Literatur- 
verzeichnis, Anmerkungen  und  Register  run- 
den den  Band  zu  einem  gelungenen  Ganzen. 

Hermann  Simon 


Kurz  notiert 


Sehen  —  Beurteilen  —  Handeln.  Lese-  und 
Arbeitsbuch  zur  politischen  Bildung  und  So- 
zialkunde von  WoUgang  Hilligen.  Für  die  Se- 
kundarstufe, das  7.  bis  10.  Schuljahr  bestimmt, 
bietet  die  gründlich  umgearbeitete  und  ak- 
tualisierte Neuauflage  des  bewährten  Werkes 
eine  sachliche  Basis  für  den  gemeinschafts- 
kundlichen Unterricht.  Wohltuend  unterschei- 
det sich  das  Buch  von  der  Vielzahl  einschlägi- 
ger Angebote  durch  Vermeidung  jeglicher 
Schwarz-Weiß-Malerei.  So  werden  Positives 
und  Negatives  sowohl  im  westlich-demo- 
kratischen wie  im  östlich-sozialistischen  Sy- 
stem angemerkt,  erscheint  die  Zeitgeschichte 
in  ihren  wesentlichen  Bezügen  zur  Vergangen- 
heit, wenn  auch  Dialoge  wie  der  auf  S.  84  in 
dieser  Form  unter  Umständen  mehr  Unheil  als 
Nutzen  stiften  könnten.  Als  Arbeitsbuch  bie- 
tet sich  der  neue  „Hill igen"  auch  zum  Selbst- 
studium an.  Er  gibt  keine  vorgeformten  Ant- 
worten auf  die  zahlreichen  gestellten  Fragen, 
sondern  fordert  den  Leser  zum  eigenen  Durch- 
denken auf,  verlangt  von  ihm  eine  Stellung- 
nahme, eine  eigene  Position.  Der  starke  so- 
ziologische Akzent  vermittelt  ausreichend 
Stoff  auch  für  die  Diskussion  im  innerschuli- 
schen Bereich  (z.  B.  das  Kapitel  über  die  Schü- 
lermitverwaltung). Kleine  Fehler  —  auf  der 
Übersichtskarte  S.  240  ist  Albanien  als  Mit- 
glied des  Europarats  verzeichnet  —  können 
ohne  Schwierigkeit  ausgemerzt  werden;  an 
der  Brauchbarkeit  des  Werks  besteht  kein 
Zweifel,  auch  wenn  es  durch  sein  eigenes 
Engagement  zum  Widerspruch  autfordert.  Ge- 
rade das  aber  zeigt,  daß  es  in  der  Politik  keine 
Wertfreiheit  gibt.  (Hirschgraben  Verlag, 
Frankfurt;  320  S.  mit  zahlreichen  Karten  und 
Graphiken  geb.  DM  9,80).  V.  K. 

„Der  gewitzte  Staatsbürger".  In  diesem  in 
Quizform  aufgebauten  Taschenbuch  bietet  Ge- 
org Fabian,  der  bereits  durch  mehrere  Veröf- 
fentlichungen zur  politischen  Bildung  bekannt 
wurde,  eine  Fülle  von  Informationen  über 
Staat  und  Politik,  Kirche  und  Kultur,  Wirt- 
schaft und  Recht.  Im  Betrieb  und  am  Stamm- 
tisch, in  der  Familie,  in  Gruppen  und  Vereinen 
wird  sicher  audi  über  Politik  geredet.  Man 
kann  aber  nur  mitreden,  wenn  man  gut  infor- 
miert ist;  andernfalls  bleibt  man  ein  politi- 
scher Dilettant.  Dieses  kleine  Nachschlage- 
werk will  das  Verständnis  für  die  politischen 
Grundstrukturen  und  Funktionen  wecken,  zur 
Bildung  der  Urteilsfähigkeit  beitragen  und  zu 
politischem  Handeln  anregen.  Heute  ist  Quiz 
ein  allerseits  beliebtes  Ratespiel.  Deshalb 
wählte  auch  der  Autor  die  Form  dieses  auf- 
gelockert plaudernden  Frage-  und  Antwort- 
spiels, um  dem  Leser  die  Informationen 
schmackhaft  zu  machen.  Nach  dem  Motto  „Der 
Vater  fragt,  der  Sohn  antwortet',  oder  auch 
umgekehrt,  können  sich  nun  die  Vertreter 
beider  Generationen  prüfen,  wer  schließlich 
auf  dem  Gebiete  der  Politik  der  „Gewitztere' 
ist.  Das  Buch  eignet  sich  nicht  nur  zum  Selbst- 
studium sondern  auch  für  Schulen  und  zur 
Vorbereitung  von  staatsbürgerlichen  Quizver- 
anstaltungen. (Verlag  J.  Pfeiffer,  München, 
vierte,  verbesserte  Auflage  1969;  192  S.,  kart. 
DM  6,50).  E.  L. 


Nr.  19/ 9.  5. 1970 


DAS  PARLAMENT 


Seite  13 


DRINGLICHE    FRAGEN    IM    BUNDESTAG 


\ 
1 


( 


(Fortsetzung  von  Seite  10) 

Identitätstheorie   aus,   oder   verläßt   sie   di'iss 
mit  dieser  Erklärung  in  diesem  Augenblick? 

Bundesminister  Sdieel:  Ich  darf  wiederholen, 
Herr  Abgeordneter,  was  ich  soeben  gesagt 
habe,  daß  die  Bundesregierung  für  sich  selbst 
handelt  und  keine  territorialen  Forderungen 
an  irgend  jemanden  hat,  daß  sie  aus  diesem 
Grunde  die  bestehende  Grenzführung  Polens 
respektiert  und  auch  in  einem  Abkommen  zu 
respektieren  bereit  ist. 

(Abg.  Rasner:  Das  ist  überhaupt  keine 
Antwort!) 

Dr.  von  Bismarck  (CDU) :  Herr  Bundesaußen- 
minister, ich  darf  die  Frage  nodi  einmal  stel- 
len: verläßt  die  Bundesregierung  damit  die 
Identitätstheorie,  oder  hat  sie  sie  damit  schon 
verlassen? 

Bundesminister  Sdieel:  Herr  Abgeordneter, 
ich  möchte  die  Haltung  der  Bundesregierung 
nidit  auf  eine  Theorie  stützen,  sondern  an  den 
praktischen  Erfordernissen  messen. 

(Beifall  bei  den  Regierungsparteien.  —  Lachen 
und  Aha-Rufe  von  der  CDU/CSU.) 

Das  habe  ich  soeben  getan. 

(Anhaltende   Zurufe  von   der   CDU/CSU.) 

Kiep  (CDU):  Herr  Bundesaußenminister, 
nachdem  der  Kollege  Wienand  hier  dargelegt 
hat,  daß  die  öffentliche  Diskussion  über  Teile 
von  Vertragstexten  etc.  während  schwebender 
Verhandlungen  zu  unterbleiben  habe  und  sol- 
che Diskussionen,  wenn  überhaupt,  in -den  zu- 
ständigen Ausschüssen  stattfinden  müßten, 
darf  ich  Sie  fragen:  würden  Sie,  wenn  dem  so 
ist,  dem  Hohen  Hause  mitteilen,  daß  Sie  die 
Absicht  haben,  die  Informationspolitik  der 
Bundesregierung  und  die  Äußerungen  führen- 
der Politiker  der  beiden  Parteien,  die  diese 
Regierung  tragen,  diesem  vom  Kollegen  Wie- 
nand hier  vorgeschlagenen  Verhalten  anzu- 
passen? 

(Beifall  bei  der  CDU/CSU.) 

Bundesminister  Sdieel:  Herr  Kollege,  die  In- 
formationspolitik der  Bundesregierung  in  die- 
ser Frage  stützt  sich  erstens  auf  die  Regie- 
rungserklärung, ferner  auf  die  Erklärungen 
der  Bundesregierung  zur  Lage  der  Nation  und 
im  übrigen,  soweit  es  das  Haus  angeht,  auf 
ihre  Darlegungen  im  Auswärtigen  Ausschuß 
des  Deutschen  Bundestages. 

(Beifall  bei  den  Regierungsparteien.) 

Die  Abgeordneten  dieses  Hauses,  gleich  wel- 
cher Partei  sie  angehören,  sind  völlig  frei 
darin,  ihre  eigenen  politischen  Meinungen  aus- 
zudrücken, wo  sie  es  wollen. 

(Zurufe  von  der  CDU/CSU:  Aha!  —  Abg.  Dr. 
Barzel:  Danke  schön  1) 

Dr.  Czaja  (CDU):  Herr  Bundesaußenminister, 
mit  welchen  Gründen  könnte  die  Bundesregie- 
rung bei  einem  von  Ihnen  soeben  angekün- 
digten Grenzvertrag  den  von  Anfang  an  offe- 
nen völkerrechtlichen  Dissens  zwischen  der  so- 
genannten Feststellung  einer  angeblichen,  bis- 
her völkerrechtlich  nicht  fixierten  Grenze  ganz 
Deutschlands  im  Osten  und  der  Unberührtheit 
der  von  Ihnen  angeführten  Verträge  widerle- 
gen, und  wie  könnte  sie  die  sich  daraus  erge- 
bende Niditigkeit  soldier  Verträge  widerle- 
gen? 

Bundesminister  Sdieel:  Es  gibt  darin  keinen 
Dissens,  Herr  Abgeordneter.  Ich  darf  wieder- 
holen: wir  werden  ein  Abkommen  anstreben, 
in  dem  wir  die  Westgrenze  Polens  respektie- 
ren und  feststellen,  daß  die  Integrität  des  Ter- 
ritoriums von  uns  geachtet  wird.  Wir  stellen 
die  in  den  Verträgen  mit  unseren  westlichen 
Verbündeten  vorbehaltenen  Rechte  nidit  in 
Frage,  in  einem  Friedensvertrag  eine  endgül- 
tige Regelung  der  deutschen  Grenzfragen  zu 
finden. 

(Zuruf  von  der  CDU/CSU:  Ein  offener  Dissens! 
—  Weitere  Zurufe  von  der  CDU/CSU.) 

Dr.  Barzel    (CDU):   Herr  Bundesaußenmini- 
ster, ist  die  Bundesregierung  auch  dabei,  eine 


Absichtserklärung  für  die  Haltung  der  Bundes- 
regierung der  Bundesrepublik  Deutschland  für 
den  Fall,  daß  es  zu  einer  friedensvertraglichen 
Regelung  kommt,  abzugeben? 

Bundesminister  Sdieel:  Nein,  Herr  Abgeord- 
neter. 

Dr.  Marx  (Kaiserslautern,  CDU):  Herr  Bun- 
•desaußenminister,  darf  ich  noch  einmal  präzi- 
sierend fragen,  ob  Sie  bereit  sind,  im  Aus- 
wärtigen Ausschuß  —  ich  frage  deshalb,  weil 
es  Diskussionen  über  Einlassungen  unserer 
Regierungsvertreter  in  den  Kommissionen 
von  Zentralkomitees  in  Osteuropa  gibt  —  die 
notwendige  und  eingehende  Information  zu 
geben  und  dort  auf  die  gestellten  Fragen  auch 
zu  antworten? 


Bundesminister  Scheel:  Herr  Abgeordneter, 
das  ist  bisher  immer  geschehen.  Es  wird  auch 
weiter  geschehen,  und  zwar  je  nach  dem  Ver- 
lauf der  Verhandlungen,  die  wir  führen. 

Dr.  Marx  (Kaiserslautern,  CDU):  Herr  Bun- 
desaußenminister, ich  frage,  ob  Ihnen  denn 
entgangen  ist,  daß  bei  einigen  der  letzten  Sit- 
zungen zumindest  eine  Seite  des  Hauses 
durchaus  nicht  den  Eindruck  hatte,  daß  ihre 
Fragen  dort  beantwortet  worden  seien. 

(Abg.  Mattick  [SPD]:  Unerhört!) 

Bundesminister  Sdieel:  Herr  Abgeordneter, 
das  muß  ich  Ihrer  Beurteilung  überlassen.  Die 
Bundesregierung  gibt  auf  jeden  Fall  die  Ant- 
worten, die  sie  für  richtig  hält. 

(Beifall  bei  den  Regierungsparteien.) 


Anhörung  der  Vertriebenen 


Dr.  Czaja  (CDU): 


Hat  die  Bundesregierung  vor  ihren  Gesprä- 
chen in  Warschau  und  zwischen  deren  ein- 
zelnen Phasen  die  Vertreter  der  Deutschen 
gehört  und  diese  über  ihre  Absichten  infor- 
miert, deren  persönliche  Rechte  hier  auch 
betroffen  sind? 

Dr.  Dahrendorf, 

Parlamentarischer  Staatssekretär 
beim  Bundesminister  des  Auswärtigen: 

Die  Vertreter  der  Deutschen  sind  die  Abge- 
ordneten dieses  Hohen  Hauses.  Selbstver- 
ständlich will  die  Bundesregierung  die  Abge- 
ordneten des  Hauses  nicht  nur  hören,  sondern 
ihnen,  wie  es  sich  gehört,  die  Entscheidung 
über  alle  Fragen  in  unseren  Gesprächen  mit 
Warschau  überlassen. 

Sollte  in  Ihrer  Frage  besonders  auf  die  Ver- 
treter der  vertriebenen  Deutschen  angespielt 
sein,  so  kann  ich  darauf  antworten,  daß  wir 
sie  vor  dem  Beginn  der  Warschauer  Gespräche 
gehört  haben.  Die  Argumente  der  Vertriebe- 
nen sind  uns  bekannt.  Sie  werden  in  unseren 
Gesprächen  berücksichtigt;  denn  es  ist  unsere 
Absicht,  alle  Gruppen  im  Lande  von  der  Poli- 
tik, die  wir  verfolgen,  zu  überzeugen.  Es  muß 
zugleich  klar  sein,  daß  die  politischen  Ent- 
scheidungen, die  getroffen  werden,  nicht  nur 
einem  Teil  der  Menschen  in  der  Bundesrepu- 
blik gelten  können. 

Dr.  Czaja  (CDU):  Herr  Staatssekretär,  ist 
Ihnen  bekannt,  daß  in  der  Sitzung  im  Bundes- 
kanzleramt, der  Sie  beiwohnten,  den  unmittel- 
bar Betroffenen,  deren  Menschen-  und  Grup- 
penrechte ja  betroffen  sind,  zugesagt  worden 
ist,  daß  diese  Gespräche  rechtzeitig  vor  ge- 
wichtigen grundsätzlichen  politischen  Erwä- 
gungen fortgesetzt  werden,  und  ist  dies  er- 
folgt? 

Parlamentarischer  Staatssekretär  Dr.  Dahren- 
dorf: Herr  Kollege,  wenn  ich  mich  an  diese 
Sitzung  recht  erinnere,  war  vor  allem  davon 
die  Rede,  daß  eine  solche  Unterrichtung  recht- 
zeitig vor  gewichtigen  politischen  Entscheidun- 
gen erfolgt.  Politische  Entscheidungen  sind  bis- 
her nicht  gefallen;  denn  es  hat  bisher  nur 
Vorgespräche  gegeben. 

Dr.  Czaja  (CDU) :  Herr  Staatssekretär,  warum 
haben  die  Vertreter  der  Bundesregierung  da- 
bei nie  im  Sinn  einer  wirklich  ausreichenden 
und  wahrheitsgetreuen  Information  dargelegt, 
ob  und  daß  die  Bundesregierung  die  Absicht 
habe,  der  Anerkennung  der  üder-Neiße-Linie 
als  endgültiger  Grenze  politisch  Vorschub  zu 
leisten? 

Parlamentarischer  Staatssekretär  Dr.  Dahren- 
dorf: Die  Bundesregierung  hat  an  allen  Punk- 
ten, an  denen  sie  ihre  Absichten  dargelegt  hat, 
das  wahrheitsgetreu  getan.  Im  übrigen  sind 
die  Absichten  der  Bundesregierung  vor  allem 
hier   in   diesem   Hause   und   im   Auswärtigen 


Ausschuß  erörtert  worden.  Ich  halte  das  für 
den  geeigneten  Weg,  wenngleich  ich  auch  gern 
noch  einmal  betone,  daß  eine  Unterrichtung 
anderer  und  betroffener  Gruppen  auch  in  Zu- 
kunft erfolgen  soll. 

Dr.  Klepsch  (CDU):  Herr  Parlamentarisdier 
Staatssekretär,  halten  Sie  es  für  möglich,  daß 
die  Mitglieder  des  Zentralkomitees  der  Kom- 
munistischen Partei  Polens  umfassender  über 
die  Absichten  und  Vorschläge  der  Bundes- 
regierung unterrichtet  sind  als  der  Auswärtige 
Ausschuß  des  Deutschen  Bundestages? 

Parlamentarischer  Staatssekretär  Dr.  Dahren- 
dorf: Nein,  das  halte  ich  nicht  für  möglich. 

Freiherr  von  Fircks  (CDU):  Herr  Staats- 
sekretär, meinen  Sie  nicht,  daß  in  solch  einer 
Schicksalsfrage  der  formale  Zeitpunkt  der  Ent- 
scheidungen den  Betroffenen  nicht  mehr  die 
Möglichkeit  gibt,  zu  einer  Meinungsbildung 
mit  den  Menschen  zu  kommen,  die  sie  dann 
gegenüber  der  Bundesregierung  zu  vertreten 
haben,  und  daß  daher  nachher  eine  Lücke  klafft 
zwischen  der  Information,  die  die  Bundesregie- 
rung über  die  gewählten  Vertreter  darüber 
bekommt,  welche  Meinung  die  Betroffenen 
vertreten,  und  den  Entscheidungen,  die  die 
Bundesregierung  auf  der  Grundlage  der  Kennt- 
nis der  Meinungen  und  Vorstellungen  dieser 
Millionen  Deutschen  dann  tatsächlich  zu  tref- 
fen bereit  ist? 

Parlamentarischer  Staatssekretär  Dr.  Dahren- 
dorf: Herr  Kollege,  ich  bin  in  meiner  Äuße- 
rung davon  ausgegangen,  daß  zwischen  Mit- 
teilung und  Entscheidung  nicht  etwa  eine 
Woche,  sondern  ein  längerer  Zeitraum  liegt. 
Denn  es  ist  für  die  Bundesregierung  wie  für 
uns  alle,  glaube  ich,  ganz  unentbehrlich,  daß 
in  diesen  wichtigen  Fragen  keine  undiskutier- 
ten Entscheidungen  getroffen  werden.  Dabei 
gilt  die  Forderung  nach  Diskussion  sowohl  für 
dieses  Hohe  Haus  als  auch  für  die  betroffenen 
Gruppen  als  auch  für  die  Wähler  und  Bürger 
in  der  Bundesrepublik  ganz  allgemein.  Es  muß 
also  hinlänglich  Zeit  dafür  sein.  Aber  diese 
Zeit  ist  erst  dann  gekommen  bzw.  kann  erst 
dann  beginnen,  wenn  entscheidungsreife  Vor- 
lagen für  eine  solche  Diskussion  vorhanden 
sind.  Ich  darf  hinzufügen,  daß  im  übrigen  viele 
von  uns  seit  langem  Wege  dafür  suchen,  die 
Argumente,  die  für  oder  gegen  die  eine  oder 
andere  Entscheidung  sprechen,  öffentlich  aus- 
zutragen. 

Dr.  Slotta  (SPD):  Herr  Staatssekretär,  sind 
Sie  mit  mir  der  Meinung,  daß  man  hier  nicht 
in  der  Form  sprechen  kann  —  ich  meine  nicht 
die  Sadie  —  wie  die  Kollegen  argumentiert 
haben? 

(Abg.  Rasner  [CDU]:  Keine  Zensuren  von  der 
Regierungsbank,  bitte!) 

Parlamentarisdier  Staatssekretär  Dr.  Dahren- 
dorf: Ich  muß  Ihnen  dazu  sagen,  daß  es  mir 
nicht  liegt,  zu  der  Form  Stellung  zu  nehmen. 
Ich  kann  Ihre  Frage  also  nur  zur  Kenntnis 
nehmen. 


Politik  in  Hörfunk  und  Fernselien 

Aus  den  Programmen  der  Rundfunk-  und  Fernsehanstalten 
in  der  Zeit  vom  13.  Mai  bis  19.  Mai  1970 

Die  ständigen  Programmteile  mit  politischem  Inhalt  (Nachrichten,  Kommentare, 
Presseschauen  und  tagesaktuellen  Magazinsendungen)  sind  nicht  aufgeführt. 


Mittwoch,  13.  Mai 


Da«  politisch«  G«sprach  (8.15-17.15  DW) 

Front  gegen  den  Kommunlamu»      Die  Truman-Dok- 

trin  (9.00  RB  1) 

Zur  Geschieht«  des  Impsriallsmus  '  Die  glücklichen 

Inseln   (9.00  SWF  2) 

Au«  d«m   Br«m«r   Parlamentsgebäude:   Übertragung 

von  der  Sitzung    der  Bürgerschaft   (16.30  RB   2) 

Demoakopl«  —  Volkes  Stimme?   (17.00  SDR  2) 

Bundesparteitag  der  SPD  (19.30  SR  1) 

ZDF    Magazin    '    Informationen    und    Meinungen    zu 

Themen  der  Zeit  (20.15  ZDF) 


Zwischen  Aufstand  und  Reform  —  Was  wollen  die 

Priestergruppen?       Ein    Bericht  von   Gerhard   Adler 

(20.18  SWF  2) 

Bericht  vom  Parteitag  der  SPD  (21.00  DF) 

Bundesparteitag     der    SPD     in     Saarbrücken    (21.45 

NDR  WDR  1) 

Parteitag   der   SPD   1970   /    Berichte    und    Interviews 

(22.06  DLF) 

Bericht    aus    Amerika         Es    spricht    Klaus    Bölling 

(22.10   NDR  WDR  1) 


Donnerstag,  14.  Mai 


W«lt«pl«g«l    /    Auslandskorrespondenten    berichten 
(8.45!  17.45   DW) 

Ost-W««t-Forum     /     Politik,     Wirtschaft,     Ideologie 
(10.30  HR  2) 

ZDF   Magazin   /    Informationen   und    Meinungen    zu 
Themen   der  Zeit  (11.30  ARDZDF-V) 
Fri«d«n«forschung:  3)  Die  Verflechtung  von  Rüstung, 
Wirtschaft    und    Wissenschaft    /    Von    Fritz    Vilmar 
(17.30   DLF) 

Di«  T«ch«ch«n  und  die  Deutschen  /  Geschichte  ei- 
ner tausendjährigen  Nachbarschaft  /  5)  Die  Repu- 
blik —  von  St.  Germain  bis  München  (19.30  HR-F) 
Auf  «In  Wort,  Herr  Nachbar!  Bilder  aus  dem 
Bayerischen  Landtag  (19.30  BR-ST) 
Bund««part«itag  dar  SPD  (1930  SR  1) 
Wir  schalton  um  nach  Butzbach  /  Übertragung  einer 
Bürgerversammlung  mit  hessischen  Politikern  (20.15 
HR-F) 

Forum   Südwest   !   Ein   aktuelles  Schwerpunktthema 
mit  Berichten   und   Kommentaren   (20.15  SWF-F) 


Der  8.  Mal  /  Erinnerungen  an  1945  und  ein  Stun- 
denbuch von  heute  .'  Von  Luc  Jochimsen  (20.35  NDR/ 
WDR  1) 

Kriegsverhütung  und  Friedensförderung  '  Acht  Re- 
ferate aus  der  Heidelberger  Forschungsstätte  der 
Evangeli.schen  Studiengemeinschaft  /  7)  Das  Prob- 
lem der  B-Waffen  /  Von  Ernst-Ulrich  von  Weiz- 
säcker  (21.30  RB  2) 

Bundesparteitag  der  SPD  in  Saarbrücken  (21.45 
NDR  WDR    1) 

Bericht  vom  SPD-Parteitag  in  Saarbrücken  (21.45 
ZDF) 

Open  End  '  Aktuelles  Streitgespräch  zwischen  Poli- 
tikern und  Literaten  Leitung  Hans  Werner  Richter 
(21.50  NDRRB'SFB-F) 

Parteitag  der  SPD  1970  Berichte  und  Interviews 
(22.05    DLF) 

Städte  im  Krieg  —  Leningrad  Ein  Film  von  Bruce 
Norman   und   Michael   Darlow  (22.50   DF) 


Freitag,  15.  Mai 


Zum    B«ispi«l    Pr««««fr«lheit    —    Anmerkungen    zu 

einem   Grundrecht   (8.15^  17.15  DW) 

Der   Dlcht«r   und    dl«    Politik:    Ernst    Junger    (15  25 

SWF  2) 

Zwischen  Chaos  und  Fortschritt  —  Italien  im  neuen 

Jahrzehnt    /    Von    Luigi    Barzmi    (20.05    NDR  SFB   3) 

Abschied  von  Don  Camillo  —  Neues  über  den 
Familienstreit  zwischen  Kommunisten  und  Katholi- 
ken in  Italien  '  Eine  Reportage  von  Jürgen  Möller 
(20.15  DF) 

100  Jahr«  deutsch«  Ostpolitik  Eine  Dokumentation 
über  die  Zeit  von  1870  bis  1970  .   3)   Der  Krumme 


Weg  nach  Stalingrad  —  Hitlers  Strategie  und  Tak- 
tik im  Osten  1933  bis  1945  Von  Hans  Adolf  Jacob- 
son   (20.15   SRSDRSWF-F) 
Bericht  aus  Bonn   (21.00  DF) 

Mit    Konflikten    leben  ...    Erziehung    zur    Friedens- 
fahigkeit    '    Bericht  von   Monika  Schlecht   und   Hans 
Jochen  Gamm   (21.15  NDR  RB  SFB-F) 
Dar  W«ltspi«gel       Berichte  von  Auslandskorrespon- 
denten  (22.00  BR  1) 

Die    Beamten    /    1.    Teil:    Die   Weimarer   Republik   / 
Ein  Bericht  von  Joseph  Wulf  (22.00  SWF  2) 
Politische  Bücher:  Die  dritte  Welt  (22.05  NDR  WDR  1) 


Samstag,  16.  Mai 


Bericht  aus  Bonn   (9.40    18.40  DW) 
W«r  Ist  w«r?    '   Bundesminister   über   sich   selbst 
Der    Chef    des    Bundeskanzleramtes    Horst    Ehmke 
(11.30  BR  1) 

Da«  Wort  hat  der  Bundestagsabgeordnete  Egon 
Susset  (CDU),  Wimmental  über  Heilbronn  (13.05 
SDR  2) 

Au«  d«m  Maximllianaum  Kommentar  zur  bayeri- 
schen   Landespolitik   /   Von    Bernhard    Ocker   (13.20 

BR  1) 

Q««prich  mit  lung«n  Politikorn  (14.30  SWF  2) 
Ostaurop«    und    wir    /    Berichte,    Kommentare    und 
Meinungen  (15.30  BR  2) 


Llnderspiegal  /  Informationen  und  Meinungen  aus 
der  Bundesrepublik  (17.15  ZDF) 
Pro  &  Contra  Aktuelles  aus  Wirtschaft  und  Sozial- 
politik /  England  in  der  EWG  /  Eine  konkrete  ^r- 
spektive  —  kontrovers  gesehen  (19.15  BR-ST) 
Wo  uns  d«r  Schuh  drückt  /  Es  spricht  der  Regieren- 
de Bürgermeister  von  Berlin,  Klaus  Schütz  (19.20 
SFB-F) 

Wl«  g«r«cht  «ind  dl«  St«u«rn7  /  Eine  kritische 
Analyse   /    Von    Charlotte    Rothweiler   (21.00   SR   2) 

Georg  Forstsr  —  Ein  deutscher  Republikaner  des 
18  Jahrhunderts  Von  Helmuth  Bauer  und  Winfried 
Schafhausen  (22.05  BR  2) 


Sonntag,  17.  Mai 


Pollllseh««  Tag«buch  /  Von  Johannes  Gross  (10.05        D«mokrati«ch    l«b«n        Von    Hartmut    von    Hentig 
419.05   DW)  (^7.30  WDR   3) 


iW^m^: 


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Bundesminister  Scbeel:  Es  gibt  darin  keinen 
Dissens,  Herr  Abgeordneter.  Idi  darf  wieder- 
holen: wir  werden  ein  Abkommen  anstreben, 
in  dem  wir  die  Westgrenze  Polens  respektie- 
ren und  feststellen,  daß  die  Integrität  des  Ter- 
ritoriums von  uns  geachtet  wird.  Wir  stellen 
die  in  den  Verträgen  mit  unseren  westlichen 
Verbündeten  vorbehaltenen  Rechte  nicht  in 
Frage,  in  einem  Friedensvertrag  eine  endgül- 
tige Regelung  der  deutschen  Grenzfragen  zu 
finden. 

(Zuruf  von  der  CDU/CSU:  Ein  offener  Dissens! 
—  Weitere  Zurufe  von  der  CDU/CSU.) 

.  Dr.  Barzel   (CDU):   Herr  Bundesaußenmini- 
ster, ist  die  Bundesregierung  auch  dabei,  eine 


Vorgespräche  gegeben. 

Dr.  Czaja  (CDU) :  Herr  Staatssekretär,  warum 
haben  die  Vertreter  der  Bundesregierung  da- 
bei nie  im  Sinn  einer  wirklich  ausreichenden 
und  wahrheitsgetreuen  Information  dargelegt, 
ob  und  daß  die  Bundesregierung  die  Absicht 
habe,  der  Anerkennung  der  Oder-Neiße-Linie 
als  endgültiger  Grenze  politisch  Vorschub  zu 
leisten? 

Parlamentarischer  Staatssekretär  Dr.  Dahren- 
dorf:  Die  Bundesregierung  hat  an  allen  Punk- 
ten, an  denen  sie  ihre  Absichten  dargelegt  hat, 
das  wahrheitsgetreu  getan.  Im  übrigen  sind 
die  Absichten  der  Bundesregierung  vor  allem 
hier   in   diesem   Hause   und   im   Auswärtigen 


andere  Entscheidung  sprechen,  öffentlich  aus- 
zutragen. 

Dr.  Slotta  (SPD):  Herr  Staatssekretär,  sind 
Sie  mit  mir  der  Meinung,  daß  man  hier  nicht 
in  der  Form  sprechen  kann  —  ich  meine  nicht 
die  Sache  —  wie  die  Kollegen  argumentiert 
haben? 

(Abg.  Rasner  [CDU]:  Keine  Zensuren  von  der 
Regierungsbank,  bitte!) 

Parlamentarischer  Staatssekretär  Dr.  Dahren- 
dorf:  Ich  muß  Ihnen  dazu  sagen,  daß  es  mir 
nicht  liegt,  zu  der  Form  Stellung  zu  nehmen. 
Ich  kann  Ihre  Frage  also  nur  zur  Kenntnis 
nehmen. 


Schutz  von  Diplomaten 


NATO  nicht  „Weitpolizist" 

Aus  der  Fragestunde  des  Deutschen  Bundestages  /  47.  Sitzung  am  24.  4.  1970 


Schlee  (CDU/CSU): 

Warum  betrachten  es  überstaatliche  Orga- 
nisationen, z.B.  die  UNO  oder  die  NATO, 
nicht  als  ihre  weltpolizeiliche  Aufgabe,  ge- 
gen VeHbrechen  gegeü  das  Völkerrecht  wie 
bei  der  Entfi&hrung  und  Ermordung  des  deut- 
schen Botschafters  Karl  Graf  von  Spreti,  ge- 
meinsam vorzugehen? 


Scheel, 

Bundesminister  des  Auswärtigen: 

Die  Befugnisse  internationaler  Organisatio- 
nen richten  sich  nach  ihren  Satzungen. 

Die  NATO  ist  eine  regionale  Organisation, 
die  der  gemeinsamen  Verteidigung  ihrer  Mit- 
gliedstaaten gegen  bewaffnete  Angriffe  dient; 
„weltpolizeiliche  Aufgaben"  obliegen  ihr  nicht. 

Die  Vereinten  Nationen  haben  nur  bei  einer 
Bedrohung  oder  einem  Bruch  des  Friedens  und 
angesichts  von  Angriffshandlungen  gewisse 
Zwangsbefugnisse.  Die  Voraussetzungen  für 
ein  solches  Einschreiten  der  Vereinten  Na- 
tionen liegen  nicht  bereits  dann  vor,  wenn  ein 
Staat  in  einem  Einzelfall  seine  völkerrechtliche 
Verpflichtung  zum  Schutz  eines  bei  ihm  akkre- 
diesem  Fall  in  erster  Linie  Sache  des  Entsen- 
ditierten  Diplomaten  nicht  erfüllt  hat.  Es  ist  in 


destaates,  auf  die  Völkerrechtsverletzunq  zu 
reagieren.  Die  Bundesregierung  hat  das  der 
Regierung  Guatemalas  gegenüber  getan.  Sie 
hat  in  diesem  Zusammenhang  auch  erklärt, 
daß  sie  weltweite  Schritte  zur  Verbesserung 
des  Schutzes  von  Diplomaten  für  erforderlich 
hält;  sie  sieht  darin  eine  wichtige  Aufgabe 
auch  für  die  Vereinten  Nationen. 


Erster  nicht 
ausgelöster  Diplomat 


Schlee  (CDU/CSU): 

Ist  der  deutsche  Botschafter  Karl  Graf  von 
Spreti  der  erste  der  in  den  letzten  Jahren  in 
den  lateinamerikanischen  Staaten  entführten 
Diplomaten  und  Politiker  gewesen,  der  nicht 
ausgelöst  und  dadurch  vor  dem  Tode  be- 
wahrt wurde? 

Scheel, 

Bundesminister  des  Auswärtigen: 

Ich  beantworte  Ihre  Frage  mit  Ja. 


Verbesserung  der  Sicherheit 


Benda  (CDU/CSU): 


Welche  Maßnahmen  zum  Schutz  der  deut- 
schen Diplomaten  in  den  in  Frage  kommen- 
den Ländern  beabsichtigt  die  Bundesregie- 
rung zu  ergreifen,  nachdem  Botschafter  Graf 
von  Spreti  in  Guatemala  ermordet  wurde, 
ohne  daß  die  dortige  Regierung  das  Not- 
wendige getan  hat,  um  ihn  aus  der  Gewalt 
der  Entführer  zu  befreien? 


Scheel, 

Bundesminister  des  Auswärtigen: 

Noch  am  selben  Tage,  an  dem  die  Ermor- 
dung des  Botschafters  bekannt  wurde,  hat  das 
Auswärtige  Amt  eine  Arbeitsgruppe  einge- 
setzt, die  die  Frage  prüft,  welche  Maßnahmen 
getroffen  werden  können  und  sollen,  um  die 
Sicherheit  der  Bediensteten  der  deutschen 
Auslandsvertretungen   und    ihrer   Familienan- 


gehörigen über  die  geltenden  Dienstvorschrif- 
ten hinaus  zu  verbessern. 

Die  Arbeitsgruppe  hat  ihre  Tätigkeit  sofort 
aufgenommen.  Ihr  gehören  alle  zuständigen 
Referate  des  Auswärtigen  Amts  an,  sie  wird 
je  nach  Bedarf  um  Vertreter  anderer  Res- 
sorts, insbesondere  des  Bundesministeriums 
des  Innern,  erweitert. 

Die  Arbeitsgruppe  hat  die  süd-  und  mittel- 
amerikanischen Auslandsvertretungen  sofort 
durch  Drahterlasse  über  mögliche  Sofortmaß- 
nahmen zur  Verstärkung  der  eigenen  Sicher- 
heit unterrichtet  und  um  umgehende  Bericht- 
erstattung über  die  Lage  gebeten.  Aufgrund 
der  hierzu  laufend  eingehenden  Berichte  wer- 
den die  Auslandsvertretungen  angewiesen, 
welche  zusätzlichen  Maßnahmen  sie  von  der 
Regierung  des  Gaststaates  unter  Anbietung 
der  Gegenseitigkeit  fordern  sollen.  Die  Ar- 
beitsgruppe prüft  zur  Zeit  im  Benehmen  mit 
allen  deutschen  Auslandsvertretungen,  welche 
Maßnahmen  unter  Berücksichtigung  der  be- 
sonderen Umstände  des  jeweiligen  Einzel- 
falles und  örtlicher  Verhältnisse  von  der  Bun- 
desregierung zur  Verbesserung  dieses  Schut- 
zes getroffen  werden  können. 

Die  , zweite  Gruppe  der  eingeleiteten  Maß- 
nahmen bezieht  sich  auf  eine  verstärkte  in- 
ternationale Zusammenarbeit  bei  Sicherheits- 
vorkehrungen. Kontakte  sind  hierzu  aufge- 
nommen und  werden  in  den  nächsten  Tagen 
weiter  ausgedehnt.  Aufgrund  der  bisherigen 
Erfahrungen  läßt  sich  eine  erfreuliche  interna- 
tionale Solidarität  zur  Durchführung  gemein- 
samer Maßnahmen  unter  den  befreundeten 
Nationen  feststellen.  Ziel  dieser  Aktion  ist 
vor  allem  eine  weitgehende  Zusammenarbeit 
und  gegenseitige  Unterstützung  der  Vertre- 
tungen der  verschiedenen  Staaten  an  Ort  und 
Stelle  bei  der  Durchführung  von  Schutzmaß- 
nahmen zur  Vorbeugung  und  Abwehr  von 
verbrecherischen  Angriffen  auf  Auslandsbe- 
dienstete. 

Darüber  hinaus  bemüht  sich  die  Bundesre- 
gierung, auch  internationale  Organisationen 
für  eine  Behandlung  dieser  Frage  zu  interes- 
sieren. Sie  denkt  hierbei  an  eine  gemeinsame 
Ächtung  von  Gewaltmaßnahmen  gegen  Un- 
beteiligte als  Mittel  der  politischen  Ausein- 
andersetzung sowie  an  eine  Konkretisierung 
der  völkerrechtlichen  Normen,  die  den  Schutz 
und  die  Unverletztlichkeit  diplomatischer  Ver- 
treter zum  Inhalt  haben. 


(11.30  BR  1) 

Om  Wort  hat  der  Bundestagsabgeordnete  Egon 
Susset  (CDU),  Wimmental  über  Heilbronn  (13.05 
SDR  2) 

Au«  dem  Maximllianeum  Kommentar  zur  bayeri- 
schen Landespolitik  /  Von  Bernhard  Ocker  (13  20 
BR  1) 

Gesprich  mit  jungen  Politikern  (14.30  SWF  2) 
Osteuropa    und    wir    /    Berichte,    Kommentare    und 
Meinungen  (15.30  BR  2) 


Politik  /  England  in  aer  twu  /  tine  Konnrete  ner- 
spektive  —   kontrovers   gesehen   (19.15   BR-ST) 
Wo  uns  der  Schuh  drückt  /  Es  spricht  der  Regieren- 
de  Bürgermeister   von    Berlin,    Klaus   Schütz   (19.20 
SFB-F) 

Wie  gerecht  sind  die  Steuern?  Eine  kritische 
Analyse   /    Von    Charlotte    Rothweiler   (21.00   SR   2) 

Georg  Forster  —  Ein  deutscher  Republikaner  des 
18.  Jahrhunderts  Von  Helmuth  Bauer  und  Winfried 
Schafhausen  (22.05  BR  2) 


Sonntag,  17.  Mai 


Politlachas  Tagebuch  /  Von  Johannes  Gross  (10.05 
+19.05  DW) 

Friada  ata  poiitlache  Aufgal>e  Von  Professor  Ernst 
M.  Wallner  (10.30  SWF  2) 

Orttzait  /  Berichte  aus  fünf  Kontinenten  (11.30 
ZDF) 

Protokoll  einer  Generation:  8.  Mai  1945  /  Rückblick 
mit  StraBeninterviews  vom  März  1970  /  Von  Uwe 
Jochimsen  (15.00  SDR  2) 

Wo  una  dar  Schuh  drückt  /  Es  spricht  der  Regie- 
rende Bürgermeister  von  Berlin,  Klaus  Schütz 
(17.15   SFB    1) 


Von    Hartmut    von     Hentig 
Besprochen      von      Dietrich 


Demokratisch    leben 

(17.30   WDR   3) 
Politische     Bücher 
Schwarzkopf   (17.45   DLF) 

Deutschland  und  die  Weit  /  Ein  Bericht  von  Wolf- 
gang Wagner  (18.05  DLF) 

Wo  uns  der  Schuh  drückt  Es  spricht  der  Regie- 
rende Bürgermeister  von  Berlin,  Klaus  Schütz  (19.40 
RIAS  1  •  2) 

Bonner   Perspektiven   /    Informationen   und    Meinun- 
gen  aus   der   Bundeshauptstadt   (19.55  ZDF) 
Der  angeklagte  Kläger  —  Julius  Hay,   Dichter  und 
Revolutionäre  '  Aus  der  Reihe  Ost  und  West  (22.55 
DF) 


Montag,  18.  Mai 


Aua  Politik  und  Zeltgeschehen:  Der  geteilte  Siegfried 
—  Ein  Brite  erfährt  Nachkriegsdeutschland  (8.15  - 
17.15  DW) 

Bonner  Perspektiven  /  Informationen  und  Meinun- 
gen aus  der  Bundeshauptstadt  (11.00  ARD/ZDF-V) 
intarnationalar  Frühschoppen  /  Sechs  Journalisten 
aus  fünf  Ländern  an  einem  Tisch  Gastgeber:  Wer- 
ner Höfer  (12.00  WDR  2;  DF:  NDR  2;  RB  2;  SDR  2) 


Das  politische  Buch  /  Besprechung  von  Neuerschei- 
nungen (13.45  HR  2) 

Bücher,    Bücher,    Bücher ...        Politik   schwarz    auf 
weiß       Von    Otto   Wolfert   (19.55  ZDF) 
Die   Ostpolitik  der  Ära   Adenauer  /  Von   Waldemar 
Besson  (20.00  WDR  3) 

Beamte   in   der  Bundesrepublik   Deutschland  /  Von 
Joseph  Wulf  (21.00  WDR  3) 


Dienstag,  19.  Mai 


Blickpunkt    /    Analysen,    Dokumente,     Kommentare 
(8.45    17.45   DW) 

Auf  dam  Wage  zum  Zweiten  Weitkrieg  /  Friedens- 
politik und  Kriegsvorbereitungen  (9.05  NDR'WDR  1) 
Carl  Schurz  182»-1906  (10.00  BR  1) 
Ende  und  Anfang  /  Erinnerungen  an  die  Kapitula- 
tion 1945  /  Von  Manfred  Franke  (10.10  DLF) 
Macchlavalll:   Der   neue   Staat   (15.00  SR   2) 
Im   Qasprich   —   Politik    In   fünf   Ländern   /    Heute 
unter    anderem:    Erwachsenenbildung'    Filmbericht 


von    Hans    Eberhard    Kießling    /    Leitung    Eberhard 
Kruppa    (20.15   NDR  SFB  RB-F) 

Ost-West-Forum     '     Politik,     Wirtschaft,     Ideologie 
(20.30  HR  1) 

Dar  Weltspiegel   '  Berichte  von  Auslandskorrespon- 
denten  (22.00  BR  1) 

KompaB  —  Gedankengange  zwischen  Ost  und  West 
(22.00  RIAS  2) 

Städte  Im  Krieg  —  Berlin     Ein  Film  von  Annemarie 
Weber  und  Michael  Darlow  (22.35  DF) 


AbkOrzungan  für  dia  Sander  und  Ihre  Programme: 


ARO/ZDF-V    —    Fernsehen    Qemeinschaftsprogramm 
1.  und  2.  Fernsehen  am  Vormittag 
BR  -  Bayerischer  Rundfunk 
BR-St  —  Bayerischer  Rundfunk  Fernsehen  —  Stu- 
dienprogramm 

DF  -  Deutschea  Fernsehen  Gemeinachaftsprogramm 
(ARO) 

DLF  —  Deutschtandfunk 

DW     —     Deutscha    Wella    (Deutsches    Programm 
Europa) 

HR  -  Hassischer  Rundfunk 

HR-F  -  Hessischer  Rundfunk  Fernsehen  —  3.  Pro- 
gramm 

NOR  >  Norddeutscher  Rundfunk 
NDR/RB/SF8-F   -  3.   Farnaehprogramm  daa  Nord- 
deutschen Rundfunks,  Radio  Bramena  und  des  Sen- 
ders Freiea  Berlin 


RB  —  Radio  Bremen 
RIAS  -  RIAS  Berlin 
SR  -  Saarländischer  Rundfunk 

SFB  -  Sender  Freies  Berlin  (1  -  Hauptprogramm; 
2  -  Gemeinschaftsprogramm;  SFB/NDR  und  Wo- 
chenendprogramm) 

SFB-F    —    Regionalprogramm    Fernsehen   des   SFB 
SDR  —  Süddeutscher  Rundfunk 
SWF  —  Südwestfunk 
WDR  -  Westdeutscher  Rundfunk 
WDR-F     -     Westdeutschor     Rundfunk     Fernsehen 
3.  Programm 
ZDF  —  Zweites  Deutschea  Fernsehen 

Hörfunk  —  1  -  1.  Programm 

2  •  2.  Programm 

3  —  3.  Programm 


Samstag/Sonntag,  13./14.  Januar  1968 


Süddeutsche  Zeitung  Nr.  12 


Seite  7 


Zur  Verabschiedung  der  neuen  Sfrafgesefze 


Kriminalität  im  „Staat  der  Sittlichkeit« 

Zur  herrsche-dm  Id.ologte  poBen  di.  Verbrechen  nicM.  deren  .ich  jung.  DDR-Barger  .chuldig  machen 


Berlin,  12.  Januar 

Gerichtsberichte  sind  in  den  Zeitungen  der 
DDR   eine    Seltenheit.    Nur    wenn    sie    gesell- 
schaftspolitischen   Zwecken    dienen,   etwa    der 
Abschreckung  oder  der  Umerziehung,  werden 
sie    veröffentlicht.    Noch    seltener    erscheinen 
Nachrichten  über  Kriminalfälle.  Erst  wenn  sich 
die  Verbrechen  nicht  mehr  geheimhalten  las- 
sen   werden  sie  gedruckt.  Schamhaft  heißt  es 
dann  in  einigen  wenigen,  versteckten   Zeilen: 
Eine  72jährige  Rentnerin  aus  Petershagen  im 
kreis  Strausberg  ist  das  Opfer  eines  Sexual- 
mordes geworden.  Wie  aus  einer  amtlichen  Mit- 
teilung hervorgeht,  ist  der  inzwischen  gefaßte 
Täter  bereits  zweimal  wegen  Sittlichkeitsver- 
brechen vorbestraft." 

Wir  haben  keine  jugendlichen  Bankräuber; 
bei  uns  wird  an  den  Schulen  nicht  mit  Rausch- 
gift gehandelt;  wir  haben  keine  jugendlichen 
Dirnen       oder       Landstreicher",       behauptete 
DDR-Generalstaatsanwalt   Josef   Streit,   als  er 
1965  eine  Statistik  vorlegte,  aus  der  hervorge- 
hen  sollte,   daß   die   Kriminalität   in   der   DDR 
rückläufig  sei.  Insbesondere  die  Jugendkrimi- 
nalität. Er  nannte  dies  das  Ergebnis  der  huma- 
nistischen   Jugend-    und    Bildungspolitik    der 
DDR     Doch    andrerseits    mußte    Streit    schon 
damals  zugeben,  daß  die  Kriminalität  der  jun- 
gen   Leute    zwischen    dem    14.    und    dem    25. 
Lebensjahr  „unbefriedigend  stagniert". 

So  ist  es  in  der  Tat:  Obwohl  die  „Statisti- 
«;chen  Jahrbücher  der  DDR"  die  Belastungszif- 
fern nach  Altersgruppen  stets  verschweigen,  ist 
bekannt,  daß  der  Anteil  der  14-  bis  253ahrigen 
an  den  festgestellten  Straftaten  seit  Jahren  bei 
etwa  50  Prozent  liegt.  Dabei  muß  berücksichtigt 
werden,  daß  dieser  Personenkreis  nur  ein  Fünf- 
tel der   Gesamtbevölkerung   ausmacht,   mitnin 
unter  den  straffällig  gewordenen  DDR-Burgern 
mehr  als  doppelt  so  stark  vertreten  ist,  als  nach 
seinem  Bevölkerungsanteil  zu  vermuten  wäre. 
Das  staatliche  Archiv  veröffentlichte  kürzlich 
eine   Statistik,    aus    der   hervorging,    daß    sich 
zwar  die  absolute  Zahl  der  von  Jugendlichen 
und  Heranwachsenden   begangenen   Straftaten 
zwischen   1960  und   1964  von  46  869  auf  45  825 
verringerte,    ebenso    aber    auch    das    Durcn- 
schnittsalter  der  Täter.  Auch  1966  gab  man  zu 
daß  „fast  die  Hälfte"  der  Täter  jünger  als  25 
Jahre  war. 

1966  sind  in  der  DDR  124  524  Straftaten  regi- 
striert worden.  Dabei  fiel  zweierlei  auf:  1.  die 
besonders  hohe  Zahl  der  Diebstähle  und  Unter- 
schlagungen (60  471)  und  2.  die  Häufigkeit  der 
-  bei  geringer  Verkehrsdichte  -  begangenen 
Verkehrsdelikte  (16  025).  Die  erste  Zahl  erklart 
sich  aus  den  vielen  Ladendiebstählen  Jugendli- 
cher die  zweite  aus  dem  beträchtlichen  Alko- 
holkonsum. 67,7  Prozent  aller  Verkehrsdelikte 
wurden  unter  Alkoholeinfluß  begangen. 

Kampf  mit  dem  Flaschenteufel 

Der  Alkoholkonsum  bereitet  dem  SED-Re- 
gime schon  seit  langem  Sorgen.  Bei  52  Prozent 
der  Fälle  von  Raub  und  Notzucht  spielte  der 
Alkohol  eine  Rolle.  Auch  die  vorsätzlichen  Kor- 
perverletzungen gingen  zu  58  Prozent  auf  Alko- 
holeinfluß zurück.  Da  nach  Ansicht  der  SED 
Sozialismus  einerseits  und  Kriminalität  sowie 
Alkoholmißbrauch  als  Stimulans  der  Kriminali- 
tät andrerseits  miteinander  unvereinbar  sind, 
fand  sie  für  die  sich  ständig  ausbreitende  Trun- 
kenheit folgende  Erklärungen:  1.  historisch 
soziale  Gewohnheiten  in  Verbindung  mit  be- 
stimmten Trinksitten,  2.  Wohlstands-,  Prestige- 
und  Repräsentationsdenken,  3.  „Freizeitgestal- 
tung". 

Die  Neue  Zeit,  das  Blatt  der  Ost-CDU, 
forderte  kürzlich  ein  rigoroses  Trinkverbot  am 
Arbeitsplatz:  „Die  gefährlichen  Folgen  des 
Alkoholmißbrauchs  werden  zweifellos  oft  noch 
unterschätzt.  Wie  sollte  es  sonst  zu  erklären 
sein,  daß  auch  heute  noch  in  manchen  Betrie- 
ben die  Unsitte  besteht,  junge  Arbeiter  bei 
jedem  denkbaren  Anlaß  zum  Alkoholgenuß  zu 
animieren."  Das  Blatt  wagte  es  sogar,  die  kom- 
munistische Jugendorganisation  zu  rügen:  „In 
manchen  FDJ-Grundorganisationen  glaubt 
man,  die  stimulierende  Wirkung  des  Alkohols 
bei  der  Entwicklung  eines  sinnvollen  Jugendle- 
bens nicht  entbehren  zu  können." 

Doch  der  Flaschenteufel,  den  die  SED  zu  be- 
kämpfen aufruft,  ist  nicht  allein  am  Stand  der 
Kriminalität  in  der  DDR  schuld.  Wie  in  der 
Bundesrepublik  stammen  viele  Täter  aus  Fami- 
lien, die  materiell  gesichert  sind  und  als  stabil 
gelten,  also  keine  kriminelle  Vergangenheit 
aufweisen.  Insbesondere  diese  Tatsache  ver- 
setzte die  SED  in  arge  Verlegenheit:  Da  die 
Jugend  spätestens  seit  dem  Bau  der  Berliner 
Mauer  direkten  „verderblichen  westlichen  Ein- 
flüssen" entzogen  ist,  stehen  die  Kriminalstati- 
stiken in  krassem  Widerspruch  zur  der  marxisti- 
schen Behauptung,  daß  der  sozialistischen  Ge- 


Von  unserem  Redaktionsmitglied  Willi  Kinnigkeit 

Seilschaft  das  Verbrechen  wesensfremd  sei.  Die  gesucht  hatte.  Sie  wurde  nun  ^0^0/^^^^!!^^^ 
Frklärune  daß  es  sich  um  einen  „subjektiven  Stadtgericht  wegen  versuchten  Mordes  in  Tat- 
wtderhalfoto  Einheit    mit    schwerer   Brandstiftung    zu    zehn 


nicht  bestimmender  und  im  Prinzip  überwun- 
dener, aber  noch  existenter  demoralisierender 
Umstände,  Traditionen,  Lebens-  und  Denkge- 
wohnheiten" handle,  stellt  eine  Bankrotterklä- 
rung doktrinärer  Erziehungsarbeit  dar:  Damit 
gibt  die  SED  nämlich  zu,  daß  sogar  noch  die 
Rudimente  „kapitalistischer  Wolfsmoral"  Ein- 
fluß auf  die  Bevölkerung,  speziell  die  Jugend, 
haben. 

Die  Partei  ist  denn  auch  äußerst  beunruhigt 
darüber,  daß  insbesondere  Jugendliche  an  Ver- 
gewaltigungen,  Autoeinbrüchen,   Körperverlet- 
zungen, Morden  und  Raubmorden  beteiligt  sind 
und    ebenso    rohe    Züge    wie    die    kriminellen 
Altersgenossen      in      kapitalistischen      Gesell- 
schaftssystemen   aufweisen.    Vom    Stadtgericht 
Berlin  beispielsweise  wurde  der  24jährige  Gun- 
ter Susdorf  zu  lebenslangem  Zuchthaus  verur- 
teilt, weil  er  eine  19jährige  Krankenschwester 
überfallen  hatte.  Das  Mädchen  war  von  ihm  in 
der   S-Bahn   gepackt   und   durch   Messerstiche 
schwer   verletzt   worden.    Als    die   Überfallene 
laut  um  Hilfe  rief,  antwortete  Susdorf:  „Schrei 
nur,  hier  hört  dich  doch  keiner."  Dann  schleifte 
er  sie  zur  Abteiltür  und  versuchte,  das  Mädchen 
aus  dem  Zug  zu  werfen.  Es  konnte  sich  wehren, 
bis  der  Zug  die  nächste  Station  erreicht  hatte. 
14  Blutübertragungen  aber  waren  nötig,  um  es 
am  Leben  zu  erhalten. 

Die  Prostitution  ist  zwar  offiziell  abgeschafft, 
doch  blüht  sie  im  verborgenen.  Manchmal 
kommt  die  Sache  heraus  wie  im  Fall  einer 
24jährigen,  die  sich  ständig  in  Tanzlokalen  her- 
umgetrieben und  dort  Männerbekanntschaften 


einheit    

Jahren  Zuchthaus  verurteilt.  Sie  hatte  sich 
scheiden  lassen  wollen,  jedoch  nicht  die  Zu- 
stimmung ihres  Mannes  erhalten.  Daraufhin 
legte  sie  ihre  beiden  Kinder  ins  Bett  und 
steckte  die  Wohnung  in  Brand.  Zufällig  kam 
ihr  Mann  früher  nach  Hause,  so  daß  die  Kinder 
noch  gerettet  werden  konnten. 

Hin  und  wieder  versucht  das  SED-Regime 
über  seine  eigenen  Kriminalprobleme  dadurch 
hinwegzutäuschen,  daß  es  „Bilanzen  des  Grau- 
ens" (Neue  Zeit)  veröffentlichen  läßt,  die  über 
das  grassierende  Verbrecherunwesen  in  der 
Bundesrepublik  uiformieren  sollen.  Dann  lobt 
man  sich  selbst:  „Wir  in  der  DDR  können  im 
Kampf  gegen  fiie  Kriminalität  auf  einmalige 
Ergebnisse  verWeisen . . .  Für  widerliche  und 
barbarische  Lebensweisen  gibt  es  in  unserer 
Gesellschaft  keinei  Boden.  Die  Deutsche  Demo- 
kratische Republik  ist  und  bleibt  der  Staat  der 
Sittlichkeit  und  des  Anstandes." 

Wenn  man  fi^ich  Gerichtsberichte  wie  den 
über  die  „Köpenicker  Desperados"  liest,  zwei- 
felt man  an  der  Glaubwürdigkeit  solcher 
Postulate.  Ein  junger  Mann  namens  Hinz  stand 
vor  Gericht.  Am  Halswirbel  hatte  er  sich  die 
Worte  eintätowieron  lassen:  „Hier  abtrennen." 
Zusammen  mit  anderen  jungen  Räubern  hatte 
er  ein  altes  Rentnerpaar  überfallen  und  auf 
bestialische  Weise  gefoltert. 

Eine  23jährige  FDJ-Funktionärin  erwürgte 
ihr  uneheliches  Kind  und  verbarg  die  Leiche 
vier  Monate  lang  im  Kleiderschrank.  Eine 
18jährige  wiederum  befehligte  eine  Bande  von 
Einbrechern.  Ein  Arzt  aus  Mecklenburg  vergif- 


I  tete  seine  Frau,  weil  er  ein  Verhältnis  mit  einer 
20jährigen  hatte.  Und  im  Dezember  vergange- 
nen Jahres  mußte  das  Stadtgericht  Berlin  den 
18  Jahre  alten  Gerd  P.  zu  lebenslangem  Zucht- 
haus verurteilen,  weil  er  seine  65jährige  Groß- 
mutter erwürgt,  die  Leiche  in  die  Besenkammer 
geschleppt  und  anschließend  in  derselben  Woh- 
nung seine  Verlobung  gefeiert  hatte. 

Die  Kriminologen  der  DDR  haben  bis  heute 
kein  Rezept  gefunden,  wie  sich  die  These  be- 
wahrheiten ließe,   in  einer  sozialistischen   Ge- 
sellschaft gebe  es  keinen  Grund  für  „delinquen- 
tes  Verhalten".  Eine  fast  hektische  Betriebsam- 
keit auf  höchster  Ebene  deutet  auf  Hilflosigkeit 
hin.  1964  fand  das  erste  internationale  Sympo- 
sium zum  Thema  „Jugendkriminalität  und  ihre 
Bekämpfung     in     der     sozialistischen     Gesell- 
schaft" statt.  Im  vergangenen  Monat  beschäf- 
tigte sich  ein  zweites  Symposium  mit  der  Rück- 
fallkriminalität.  Dazwischen   wurde   eine   For- 
schungsgemeinschaft „Jugendkriminologie" 
gegründet.  Im  März  1965  hatte  sich  das  Zentral- 
komitee der  SED  eingeschaltet  und  eine  Konfe- 
renz über  Jugendkriminalität  abgehalten.  Auch 
das  Oberste  Gericht  der  DDR  beschäftigte  sich 
mehrfach  mit  dem  Thema,  schließlich  sogar  der 
Staatsrat. 


Die     Betriebe     wurden     aufgerufen,     „Pro- 
gramme zum  Kampf  gegen  die  Jugendkrimina- 
lität"    zu    entwickeln.     FDJ-Ordnungsgruppen 
wurden  eingesetzt,  damit  die  „Einhaltung  der 
sozialistischen  Gesetzlichkeit"  gewährleistet  sei. 
Doch  am  Ende  mußte  der  stellvertretende  Ge- 
neralstaatsanwalt   Harri    Harrland    bekennen: 
„Es  ist  ein  Faktum,  das  wir  mit  der  bestge- 
meinten Tätigkeit  der  Rechtspflege  allein  nicht 
aus  der  Welt  schaffen  können,  daß  Jahr  für 
Jahr  eine  neue  Kriminalitätsreserve  in  ziemlich 
konstanter  Größe  in  das  Strafmündigkeitsalter 
hineinwächst...    Trotz   der    erreichten   Ergeb- 
nisse zeigt  sich  auch,  daß  bei  einer  Reihe  von 
schwerwiegenden  Straftaten  in  den  letzten  Jah- 
ren kein  wesentlicher  Rückgang  zu  verzeichnen 
ist.  Der  Rückgang  der  Kriminalität  bezieht  sich 
in  der  Hauptsache  auf  Delikte  von  geringerer 
gesellschaftlicher  Bedeutung." 

Bekümmert  fragte  der  Wissenschaftliche  Bei- 
rat für  Jugendforschung  beim  DDR-Minister- 
rat: „Wie  ist  es  möglich,  daß  gerade  bei  der 
Jugend  und  nicht  bei  den  älteren  Jahrgängen, 
die  noch  unter  kapitalistisch-imperialistischen 
und  faschistischen  Lebensbedingungen  groß 
geworden  sind,  eine  so  hohe  Kriminalitätsbela- 
stung zu  finden  ist?" 


Taten  in  Zahlen 


Straftatengruppe 


1960 


1961 


1962 


1963 


1964 


1965 


1966 


Vorsätzliche  Körperverletzung  .    .    . 

Notzucht 

Übrige  Sexualdelikte 

Diebstahl  und  Unterschlagung  .  .  . 
Betrug,  Untreue,  Urkundenfälschung 

Brandstiftung 

Wirtschaftliche  Straftaten  .... 
Straftaten  gegen  den  Arbeitsschutz  . 
Verkehrsdelikte: 

mit  Personenschaden 

ohne  Personenschaden     .... 

mit  Transportgefährdung  .  .  . 
Mord,  Totschlag  (einschl.  Versuch)    . 

Fahrlässige  Tötung  .     . , 

Raub,  Erpressung 


8730 

781 

7  029 

62978 

6  650 

2212 

2020 

401 

3187 
6973 
867 
156 
190 
350 


8  801 

732 

7109 

70016 

5  860 

1590 

1951 

336 

3  416 

8914 

1064 

162 

149 

390 


9  508 

766 

7  551 

84  635 

8385 

1827 

2196 

334 


10  678 
987 

7  605 
91699 

8  274 
1722 

843 
361 


2953 

3  075 

10776 

11733 

1632 

1174 

125 

134 

141 

154 

371 

422 

9427 

761 

5662 

72169 

6  893 

1195 

454 

438 

2416 

11542 

1031 

110 

93 

331 

9  487 
658 

5  314 
68  520 

6323 
873 
192 
490 

1931 

10764 

857 

114 

76 

381 


10106 
708 

5  258 
60471 

6  234 
865 
188 
533 

2  259 

12  969 

797 

113 

71 

315 


; 


Vorgeschichte  der  SPD-Perspektiven 


1 


Parteigrundsätze  von  Gotha  bis  Godesberg 

^^gesellschaftspolitische  Programmatik  der  deutschen  Sozialisten  in  den  letzten  hundert  Jah 


ren 


Die  Sozialdemokratische  Partei  Deutschlands 
hat  mit  den  Richtlinien  für  den  „Übergang  zu 
den  siebziger  Jahren",  die  sie  ihren  Unterver- 
bänden zur  Diskussion  vorlegte,  eine  neue  Pro- 
grammdebatte eröffnet.  Auf  dem  nächsten  Par- 
teitag in  Nürnberg  soll  daraus  eine  Art 
Aktionsprogramm  entwickelt  werden.  Die  Par- 
teipresse der  SPD  betont,  es  handle  sich  nicht 


Von  unserem  Redaktionsmitglied  Immanuel  Birnbaum 

Gesellschaftsordnung    führen 


Abänderung,  sondern  um  eine  Anwen-     tischer  Schulen  miteinander  nnischt. 


um  eine  _  _  „ 

düng  des  geltenden  Godesberger  Programms 
von  1959.  Tatsächlich  ist  die  Entwicklung  der 
sozialdemokratischen  Programmatik  seit  einem 
runden  Jahrhundert  ständig  im  Fluß.  Das  be- 
ruht nicht  nur  auf  der  Veränderung  der  gesell- 
schaftlichen Zustände  in  Deutschland,  die  alte 
Analysen  und  Forderungen  überholt  hat.  Es  ist 
auch  der  Ausdruck  einer  geistigen  Wandlung 
innerhalb  des  demokratischen  Sozialismus. 

Ein  kurzer  Rückblick  auf  die  älteren  Pro- 
gramme zeigt,  daß  die  Ideenentwicklung  m  der 
deutschen      sozialistischen      Bewegung      nicht 
immer  gradlinig  war.  Es  gab  Auseinanderset- 
zungen zwischen  den  beiden  großen  Denkrich- 
tungen, von  denen  die  eine  aus  dem  Staatssozia- 
lismus  von  Philosophen  wie   Johann   GottlieD 
Fichte  und  von  praktischen  Politikern  wie  Fer- 
dinand Lassalle  ausging,  die   andere  von  den 
Theorien  über  die  Entwicklung  der  modernen 
Wirtschaft,  wie  sie  Karl  Marx  und  Friedrich 
Engels    formuliert    haben.    Kompromisse    zwi- 
schen   beiden    Richtungen    kennzeichnen    den 
Inhalt    der   meisten    älteren    Programme.   Das 
Zurücktreten   theoretischer   Auffassungen   von 
der   Automatik   der   kapitalistischen   Entwick- 
lung, der  Verzicht  auf  ein  philosophisch  kon- 
struiertes Geschichtsbild,  stärkere  Betonung  sitt- 
licher Motive  für  politische  und  soziale  Forde- 
rungen und  die  Ableitung  des  sozialwirtschaft- 
lichen Programms  aus  dem  Wesen  der  Demo- 
kratie werden  immer  mehr  bezeichnend  für  die 
programmatischen  Neuformulierungen  der  letz- 
ten 40  Jahre. 

Das  Leipziger  Programm  des  von  Lassalle 
begründeten  Allgemeinen  Deutschen  Arbeiter- 
vereins von  1866  verlangt  die  „Beseitigung  der 
Unterdrückung  jeglicher  Art,  namentlich  im 
.Wegfall  der  Ausbeutung  der  kapitallosen 
Arbeit  durch  das  Kapital".  Den  Weg  dazu  sahen 
die  Verfasser  dieses  Programms  im  allgemei- 
nen, gleichen  und  direkten  Wahlrecht.  Dadurch 
hoffen  sie  „den  jetzigen  Staat,  in  welchem  die 
Unterdrückten  die  ungeheuere  Mehrheit  bilden, 
ihren  gerechten  Ansprüchen  gemäß"  umzuge- 
stalten. Diesen  demokratischen  Optimismus  der 


Lassalleaner  haben  Marx  und  Engels  nie  ge- 
teilt. 

Ihre  Schüler  Wilhelm  Liebknecht  und  Bebel 
schlössen  sich  aber  einige  Jahre  später  mit  der 
Gefolgschaft  Lassalles  zusammen,  und  die 
fusionierte  Sozialistische  Arbeiterpartei 
Deutschlands  beschloß  1875  in  Gotha  ein  neues 
Programm,  das  Formulierungen  beider  theore- 

'  .--.-^    j-)£^  heißt 


es:  „Die  Defreiung  der  Arbeit  erfordert  die 
Verwandlung  der  Arbeitsmittel  in  Gemeingut 
der  Gesellschaft...  Sie  muß  das  Werk  der 
Arbeiterklasse  sein,  der  gegenüber  alle  anderen 
Klassen  nur  eine  reaktionäre  Masse  sind."  Wie- 
derum wird  die  staatliche  Umgestaltung  vom 
allgemeinen,  gleichen,  direkten  Wahlrecht  er- 
hofft, aber  auch  von  einer  Militärreform  auf 
der  Grundlage  allgemeiner  Wehrhaftigkeit: 
Volkswehr  an  Stelle  der  stehenden  Heere.' 
Marx  und  Engels  haben  dieses  Programm  als 
„konfus"  abgelehnt.  Engels  hat  auch  die  Formel 
von  der  „einen  reaktionären  Masse"  für  falsch 
erklärt. 

Theoretisch     einheitlicher     formuliert     war 
dann  das  von  Karl  Kautsky  entworfene  Erfur- 
ter Programvi  von  1891.  Es  übernahm  die  An- 
schauungen von  Marx  und  Engels  über  die  Ent- 
wicklung  der   kapitalistischen   Wirtschaft,   die 
angeblich,  „mit  Naturnotwendigkeit"  zum  Un- 
tergang des  Kleinbetriebes  und  zur  Monopoli- 
sierung der  Produktionsmittel  durch  kolossale 
Großbetriebe  führe,  auf  Kosten  des  Proletari- 
ats, aber  auch  der  „versinkenden  Mittelschich- 
ten" der  Kleinbürger  und  Bauern.  Radikal  for- 
dert der  Marxist  Kautsky   „Verwandlung  des 
kapitalistischen    Privateigentums    an    Produk- 
tionsmitteln -  Grund  und  Boden,  Gmben  und 
Bergwerke,  Werkzeuge,  Maschinen,  Verkehrs- 
mittel —  in  gesellschaftliches  Eigentum". 


Kommt  der  ,,große  Kladderadatsch*! 

In  der  Wahl  des  Weges  aber  bleibt  auch  die- 
ses Programm  demokratisch  und  reformistisch. 
Es  verlangt  zwar  „Erklärung  der  Religion  zur 
Privatsache",  begnügt  sich  aber  mit  Sofortfor- 
derungen, die  inzwischen  zum  größten  Teil 
längst  erfüllt  sind:  Achtstundentag,  Verbot  der 
Kinderarbeit,  Sicherstellung  des  Koalitions- 
rechtes. Kautsky  glaubte  als  Schüler  der  Ent- 
wicklungslehre Darwins  nicht  mehr  wie  der 
Hegelianer  Marx  an  den  „Umschlag"  der  sozia- 
len Entwicklung  in  revolutionären  Wendungen 
(Realdialektik),  aber  immer  noch  an  die  Auto- 
matik der  geschichtlichen  Tendenz,  die  zu  der 


erhofften    neuen 
müsse. 

Die   grundlegende   Kritik   dieser   Geschichts- 
deutung brachten  die  nüchternen  Untersuchun- 
gen des  „Revisionisten"  Eduard  Bernstein   den 
Bismarcks     Sozialistengesetz     zum     Flüchtling 
gemacht  und  der  in  England  eine  fortgeschrit- 
tene   Industriegesellschaft    studiert    hatte     Er 
stellte  dort  fest,  daß  die  angeblich  „versinken- 
den Mittelschichten"   unter  dem   Kapitalismus 
weiterbestehen     und    sogar     no'.h/uf  steigen 
könnten  und  daß  der  „große  Kladderadatsch 
niemals  automatisch  eintreten  werde.  Weniger 
Glaube  und  mehr  Aktion  war  seine  Forderung. 
Der  Gegensatz  zwischen  den  beiden  Richtungen 
spiegelt  sich  noch  in  den  Programmen  der  wah- 
rend des  Weltkrieges  gespaltenen  sozialdemo- 
kratischen  Parteien.  Die   "Unabhängigen     be- 
schlossen 1919  in  Leipzig  ein  neues  Programm, 
n  dem  sie  als  Altmarxisten  „Diktatur  des  Pro- 
letariats" forderten  und  als  Mittel  dafür  auch 
das  Rätesystem  anwenden  wollten.  Die  Mehr- 
heitssozialdemokraten formulierten  dagegen  ihr 
Programm  1921  in  Görlitz  mit  emem  Bekennt- 
nis zur  demokratischen  Republik.  Sie  forderten 
nur  die  „Überführung  der  großen  konzentrier- 
ten Wirtschaftsbetriebe"  in  Gemeineigentum. 

In  dem  nächsten  Programm  der  wiederverei- 
nißten  Partei  (Heidelberg  1925)  kommt  das 
Wort  „Klassenkampf"  nicht  mehr  vor.  Auch  die 
von  Bernstein  kritisierte  Theorie,  daß  die 
Arbeiterschaft  im  Kapitalismus  immer  niehr 
verelenden  müsse,  wird  nicht  mehr  wiederholt. 
Dafür  wird  jetzt  von  den  einheitlichen  Interes- 
sen der  Arbeiter,  Angestellten  und  Intellektuel- 
len jeder  Art  gesprochen.  Das  aktuelle  Sofort- 
programm wird  breiter  entwickelt  als  m  frühe- 
ren Dokumenten.  Aufhebung  des  Bildungspri- 
vilegs der  Besitzenden  wird  gefordert,  das  Be- 
triebsrätesystem soll  jetzt  zum  Mitbestim- 
mungsrecht der  Arbeiterklasse  an  der  Organi- 
sation der  Wirtschaft  ausgebaut  werden. 

Nach  dem  Zweiten  Weltkrieg  hat  die  deut- 
sche Sozialdemokratie  ihr  Programm  in  Godes- 
berg 1959  neu  formuliert.  Es  erschien  als  ein 
Erfordernis  der  Zeit,  den  Begriff  Sozialismus 
gegen  seinen  Mißbrauch  sowohl  durch  die 
Nationalsozialisten  als  auch  durch  die  Kommu- 
nisten abzusichern.  So  wurde  die  Ablehnung 
jeder  Diktatur  und  totalitärer  Herrschaft  noch 
schärfer  betont  als  früher.  ^.Sozialismus  wird 
nur  durch  die  Demokratie  verwirklicht,  die 
Demokratie  durch  den  Sozialismus  erfüllt.  Was 
unter  Sozialismus  zu  verstehen  sei,  wird  in  dem 


Godesberger  Dokument  allerdings  nicht  deut- 
lich. Es  heißt  da:  „Der  Sozialismus  ist  eine  ddu- 
ernde  Aufgabe  -  Freiheit  und  Gerechtigkeit  zu 
erkämpfen,  sie  zu  bewahren  und  sich  m  hnen 
zu  bewähren  ...  Der  demokratische  Sozialismus 
erstrebt  eine  neue  Wirtschafts-  und  Sozialord 
nung."  Diese  neue  Ordnung  selbst  wird  also 
nicht  mehr  Sozialismus  genannt.  Die  lyriscn 
g  Mummten  Autoren  dieses  P-gramms  nannten 
^  ^  o^r^nvme  Kraft,  die  die  Neuora- 

Letzte 


vielmehr  die  anonyme  Kraft,  die  die  Neuord- 


nung herbeiführen  solle,  Soziahsmus. 
Wahrheiten  wolle  der  Sozialismus  nicht  ver- 
Sen,  aus  Achtung  vor  den  Glaubens^nt- 
scheldungen  des  Menschen  Die  Sozialdemokra- 
tie  will  seit  Godesberg  also  nicht  mehr  eine 
gem^^isame  geistige  Heimat  i^-r  J^^^^f  ^^^, 
bilden,  sondern  eine  Aktionsgemeinschaft  zur 
Erreichung  bestimmter  politischer  Ziele. 


Benedikt    Kautsky,    ein 
Kautsky,    der    das    geistig 


Ein  Sohn  berichtigt  den  Vater 

Sohn    jenes    Karl 
geschlossene,    aber 
ruchle;chrchts7hiloTophi"sch  dogmatische  Er- 
furter ^Programm  entworfen  hatte,  empf^^^^^^^^ 
Godesberg    am    wirkungsvollsten    die    Abkehr 
von    jeder    theoretischen    Grundlage    früherer 
Irt     Ein    anderer    Mitautor    der    Godesberger 
Formul'rungen,     der    Bayer    Walde-ar    von 
Knoeringen,  setzte  durch,  daß  unter  den  prakti 
fchen  Forderungen  die  bildungspolitischen  an 
erste  Stelle  gerückt  wurden.  „Alle  Vorrechte  im 
Zugang  zu  Bildungseinrichtungen  müssen  be- 
seitigt werden." 

In  den  Godesberger  Forderungen  für  eine 
bessere  Sozialordnung  wird  dann  deutlich  ge- 
sagt was  die  Sozialdemokratie  nicht  mehr  will, 
wlbr^d  die  Formulierungen  der  positiven 
zfele  mehr  dehnbar  gehalten  sind.  „Das  private 
E^enZn  an  Produktionsmitteln  hat  Anspruch 
id  För( 
r  gere 
dert...   Wirksame    öffentliche 


^Jshüu  und  Förderung,  soweit  es  nicht  den 
Aufbau  einer  gerechten  Sozialordnung  hin- 
dert .  Wirksame  öffentliche  Kontrolle  muß 
Machtmißbrauch  der  Wirtschaft  verhindern 
Einkommen  und  Vermögen  «^nd  iingerecht  ver- 
teilt. Das  ist  die  Schuld  einer  Wirtschafts-  und 


Steuerpolitik,  die  die  Einkommens-  und  Vermo- 
censbildung  in  wenigen  Händen  begünstigt  .. 
fTie  Lohn-  und  Gehaltspolitik  ist  ein  geeignetes 


Mittel,  um  Einkommen  und  Vermögen  gerech- 
ter zu  verteilen." 

Solche  Sätze  bedürfen  der  Ausfüllung  und 
Ergänzung.  Sie  machen  ein  ne^es  Aktionspro- 
gramm für  die  nächste  Zukunft  notwendig. 


/ 


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Seite  8 


Das  pctitisclhe  Biaclh 


Freitag/Samstag/Sonntag,  5./6.a.  Januar  1968/  Nr.  5- 6 


Antisemitismus  —  Krankheit  der  Kirche 


FRIEDRICH  HEER:  Gottes  erste  Liebe.  2000  Jahre 
Judentum  und  Christentum  —  Genesis  des  oster- 
ieMschen  Katholiken  Adolf  Hm^r^Bechtle  Ver- 
lag, München.  740  Seiten,  Leinen  4S  DM. 

Wenn  sich  der  Christ  der  Frage  ,De  Judaeis' 
zuwendet,  dann  steht  er  heute,  im  Umbruch  der 
Jahrtausende,  am  Scheideweg.  Er  muß  entwe- 
der die  Tradition  der  Kirche  in  Frage  stellen 
oder  den  Weg  weitergehen,  auf  dem  die  Papste 
konsequent  bis  zu  Pius  XII.  gegangen  sind.- 
Das  ist  die  provokante  Kernthese  des  Katholi- 
ken Friedrich  Heer,  seine  Antwort  auf  die 
durch  Hochhuths  ,.Stellvertreter"  aufgerissene 
Frage  nach  der  Stellung  der  Christen  zu  den 

Juden.  .    , 

Was   Heer   zusammengestellt    hat   an    .luaen- 
feindlichen   Äußerungen   und   Aktivitäten   von 
den  Kirchenvätern  bis  zu  den  Kirchenfuhrern 
unserer  Tage,  zeigt  die  eigentliche  Wurzel  des 
Antisemitismus,   seinen   irrationalen,   nie   ganz 
aufklärbaren  Grund:  die  reUgiöse  Feindschaft 
gegen  die  „Gottesmörder".  Nicht  wirtschaftliche 
Auseinandersetzungen  oder  rassistische  Vorur- 
teile sind  die  eigentliche  Ursache  der  Judenver- 
folgungen.    Darüber    hinaus    verführen     Heer 
ziemlich  verwegene  tiefenpsychologischc  Argu- 
mente sogar  zu  behaupten:   „Der   mörderische 
Judenhaß    von    Christen,    vom    4.    bis    zum    LO. 
Jahrhundert,    richtet    sich    in    seiner    tiefsten 
Dimension  gegen  den  Juden  Jesus."  Denn  dem 
Himmelskaiser,  dem  Gottessohn,  sei  im  frühen 
Christentum    der    Vorzug    vor    dem    Menschen 
Jesus,  „dem  frohen,  selbstsicheren  jungen  Juden 
aus  Galiläa"  gegeben  worden.  Im  dann  sichtba- 
ren    Exodus   der   Kirche   aus   der   Geschichte" 
sieht  Heer  die  Ursache  der  Krankheit  der  Kir- 
che  Und  darauf  zielt  eigentlich  sein  ausführli- 
ches Buch:  die  Krankheit  der  Kirche  an  einem 
Symptom,   dem  Antisemitismus,   nachzuweisen 


Besonders  greift  Heer  immer  wieder  auf  die 

Greuelschrift    Maurice    P^^^^^  ^J"^'^.^^^',    ''.y^"^," 
schwörung  gegen  die  Kirche".  Madrid  1963      i 
dem    Buch,    das    an    alle    Konzilsvatervei teilt 
wurde,  wird  behauptet,  die  ..jüdischen  treimau 
rerischen   und 


testen:  Der  „Encjllisung"  stand  nichts  im  Weg, 
das  spürten  sie  bald.  Dabei  verweist  Heer  dar- 
auf daß  Proteste  wahrscheinlich  nicht  nutzlos 
ge^^•esen  wären,  vie  der  Stop  des  Euthanasie- 
programms beweis'.  Papst  Pius  XII.  habe  dage- 


aauptet,  die   -^-^^^^^^^^     ^;n  ^  ^^1  auf  die  Frage,  warum  er  nicht  ge- 
kommunistischen    Verschwoici        ge  ..,,.,. ^,,„^„  ,,,..  juden   nrotestiere   ge- 


hätten  einen  Überraschungscoup  auf  das  Konzil 
geplant.  Pinay:  ,.Die  Nazis  taten  nur,  was  die 
heilige  katholische  Kirche  bei  verschiedenen 
Gelegenheiten  während  der  letzten  14  Jahr- 
hunderte als  Maßnahme  angeordnet  hat.  um  die 
Christenheit  vor  der  Eroberungs-  und  umsturz- 
lerischen  Tätigkeit  der  jüdischen  Infiltration  zu 

bewahren."  .    i^     . 

Heer    schont    niemand.    Er    schildeit    —    zu 
knapp  allerdings  -  die  Toleranz  der  evangeli- 
schen Bischöfe  gegenüber  dem  NS-Regime  und 
er  untersucht  genauer  als  bisher  die  Rolle,  die 
etwa  die  Kardinäle  Graf  von  Galen  und  Faul- 
haber von   1933  bis  1945  gespielt  haben.  Ihren 
Widerstand  gegen  das  NS-Regime  sieht  er  nur 
als  Verteidigung  der  engstverstandenen   Ip^--- 
essen  der  Kleruskirche.  Die  Rolle  Pius  XII.  er- 
scheint   bei   Heer   noch   weit    dubioser   als   bei 
Hochhuth.  Er  ist  bei  Heer  ein  Mann  der  „Ord- 
nung"   Gefangener  der  kirchlichen  Vergangen- 
heit   der  sein   Schlüsselerlebnis   hat.   als  Kom- 
munisten ihn.  den  päpstlichen  Nuntius,  in  Mün- 
chen mit  der  Pistole  bedrohen. 

Den  Beginn  der  christlichen  Judenfeindschaft 
sieht  Heer  freilich  bereits  vor  1900  Jahren:  In 


gen  die  Ausrottur.s.^  der  Juden  protestiere 
antwortet:  ..Vergessen  Sie  nicht,  daß  Millionen 
von  Katholiken  in  den  deutschen  Armeen  die- 
nen. Soll  ich  sie  in  Gewissenskonflikte  brin- 
gen''" 

-.(^er  fragt  im  S'hlußkapitel  seines  Buches: 
Sc^b'^tmord  der  Christenheit  oder  christliche 
und  jüdische  Wiedergeburt?"  Denn  die  Kirchen 
hätten  zu  den  Lebensfragen  der  Gegenwart, 
zur-  Atomkrieg  beispielsweise,  nichts  zu  sagen, 
da  die  Kirche  keine  Theologie  der  irdischen 
Wirklichkeit  besitze  Heers  Antwort,  die  sicher- 
lich auch  kein  Rezept  für  das  20.  Jahrhundert 
isi  •  Diese  erschreckende  Tatsache  beruht  aut 
der  '  Nichteinwurzelung    des    Christentums    in 


.erstand  gegen  das  NS-Regime  siem  er  nur     u^-     — —  ,^  ^  ^^  ^^^^^t:  in  jüdischer 

Verteidigung  der  engstver.standenen^Inter-  de;-^Eidreich,  '^s^^^^^^^,  Gottesfurcht,  Men- 
schenliebe. Erdliebe.  Weltliebe,  Weltfreude, 
Geschlechtsfreude.  G.^genwartsfreude  und  Zu- 
kunftshoffnung."  Manired  F.  Schröder 

Drei  deutsche  Politiker 

EMIX'RITTER:  Radowir.  -  Windthorst  -  ^'tepf-- 
tc^Drei  Vorläufer  der  CDU. Warte-Vcrlag,Fmnk- 

den  Evangelien   und  bei   Paulus   scheinen   ihm     M^rtlSüd.  291  Seiten,  HuMeinen,  16,80  DM. 
dTzudte    Wurzeln     gelegt.     Den     eigentlichen/^    Die    in    diesem    kleinen   Band    vereinten   de 
kiichlichen  Antisemitismus  führt  Heer  aber  v«<r     Politikerporlräts  charakterisieren  recht  g^jt    ^^ci 
knchlichenAniK^^^   „.h   ..inpn   manichäischen     verschiedene  Stadien  der  deutschen  innenpoii- 

schen  Entwicklung.  Der  Frühzeit  eines  politi- 
schen Lebens  in  Deutschland  gehört  Radowitz 
an.  der  viel  umstritten-^  preußische  Staatsmann, 
General  und  Beratei  König  Friedrich  Wil- 
helms IV.  Umfangreiche  Zitate,  die  Ritter  gibt 
vergegenwärtigen  eindrücklich  die  Gedanken  und 
Pläne  von  Radowitz;  sie  nehmen  manches  Spa- 
tere   vorweg,     lassen    aber    auch    die    großen 


allem  auf   Augustin 

Dualismus  zurück. 

Heer  gibt  auch  einen  Abriß  von  zwei  Jahr- 
Symptom,  dem  Antisemitismus,  nach.uvve.sen.  tausenden  r^^^J}^'^,,  r^i^-hundti', 
SO  iii  es  eigentlich  gar  nicht  das  geworden   was     ^.«^^'„^^^^^„''"/^tSen  Einfluß  der  Juden  im 

-^Ti^r^Äi=is^=sywor^  i?9ji^in  ^;£rUÄ  r  =: 

^.^^:^^^i:^J^^^'^^-     ^---^T,^:^^.:^^^.^:!^^     Schwi;Äten-7r-.ennen,    die    damals    eine. 
htsS!rrai.er.a^^^nd:^r^^^^^^^^^ 

:^^^^T^^^^o^^^    ^}^^d^Z^^Z^.^Z     .rhrhun?r-=-'-r"   vertS 
Kirche  freilich  eindrmghcher  dargestelltln  der     !  .°"     ™  '  o!!l"nderung    Luthers  antiiüdische 
krausen    Mischung    aus    Informafon.    hjston-     .n^d.^hen   0^,'^^t,;;°^;;'j"e'he  Antisemitismus,  die 

aschkenasischen    Judentums    in 


sehen  und  theologischen  Überlegungen  ist  frei- 
lich eine  eindrucksvolle  Materialsammlung  ver- 
borgen sind  viele  gründliche  Überlegungen 
enthalten,  die  beweisen,  daß  die  Schrecken  des 
Tausendjährigen  Reiches  nicht  ein  plötzlicher, 
durch  nichts  erklärbarer  Amoklauf  waren. 

Eines  allerdings  ist  Heer  nicht  ganz  gelun- 
gen: die  Mitwirkung  der  Kirche  bei  der  Entste- 
hung des  modernen  Antisemitismus  im  19. 
Jahrhundert  hinreichend  darzulegen,  der  ja 
vorwiegend  im  säkularen  Raum  entstand  und 
von  Theolügen  nur  sekundär  unterstützt  oder 
geduldet  wurde.  Aber  vielleicht  war  emfach 
das  Schweigen  auf  die  Frage:  „Christ,  wo  ist 
dein    Bruder    Israel?"    die    tiefste    Schuld    der 

■•    :hon     Kirche; 


Blütezeit    des    ,  ^.     a- 

Polen    im    16.   Jahrhundert    und   des   sephardi- 
schen  in  der  Türkei,  die  Judenmorde  in  Polen 
(die  sich  in  einer  eigenen  Art  von  Antisemitis- 
mus erhalten   haben,   der  noch   heute  in   Polen 
außerordentlich  lebendig  ist)  sind  weitere  Mar- 
kierungen   auf    dem    geschichtlichen    Weg    der 
Juden.    Mit    dem    Versuch    der    Synthese    des 
Judentums  mit  dem  Deutschtum   im   19.  Jahr- 
hundert entsteht  gleichzeitig  eine  neue  antise- 
mitische Strömung,  angeheizt  schließlic-h  durch 
die     Protokolle  der  Weisen  von  Zion".  Der  An- 
tisemitismus in  Frankreich,  wo  so  gut  wie  keine 
Juden  leben,  erlebt  seinen  Höhepunkt  im  Drey- 
fus-Prozeß,  wozu  der  Bischof  von   Nancy    191fi 


\ 


Windthorst:    erfolgreicher    Anwalt,    hannover- 
scher    Minister,     dann    Reichstagsabgeordneter 
und   unbestrittener   Führer   des   Zentrums,   das 
unter  ihm  zu  einer  Partei  wurde,  mit  der  .lede 
Regierung  des  Kaiserreichs  zu  rechnen  hatte  — 
auch    Bismarck.    dessen    großer    parlamentari- 
scher  Gegen-   und   Mitspieler   Windthorst   war. 
Mit  Stegerwald,  von  den  christlichen  Gewerk- 
schaften    herkommend     und     verschiedenthch 
Heichsminister  in  der  Weimarer  Repubhk  In  t 
uns    dann    der    PoUtikev    des    20.  Jahrhunderts 
entgegen.  Alle  drei  war.>n  in  ihrer  Art  bedeu- 
tende Porsö-I^^bkoiton    i^'iß.  an  ihr  Leben  und 
Wirken  erinnert  wird,  darf  «1«  ^^f ^""f"!!^,^I|^^ 
Beitrag    zur    Geschichte    des    Parlamentarismuh 
in  Deutschland  betrachtet  werden.  ^i,. 


DIE    PREUSSEN,    im    Janrc    ii>o-    -u    ^';;  "^  <.'    '"^^^ 
,,,,)uut.    war    das    einzige    FiinimastvollschiU    der 
Welt    In  der  Salpeterjahrt  trug  es  auf  jeder  semer 
-wöli  Chile-Reisen  mo  tons  Ladung  nach  Europa 
Zic<nigslänng  führte  jede  dieser   Fahrten   ziveima 
nn  d"s  gefilräUete   Kap   Hoorn.  Kapitän   HemncI 
mssen,    der    soioohl    die   FünfmastUark   Potosi    une 
eins  Vollschiif  Preußen   bc.fchl.pt  hat,  soll  von  die- 
sem   gewaltigen   Segler   mit   seinen   5560   Quacrat- 
netern  Segelüäcke  gesagt  haben:  „Die  Potosi  habe 
ch    immer    gesegelt,    aber    die    Preußen    is     doch 
.nanäimal  mit    mir  gesegelt.-^    Die   ^iHsm,  ,ou      t 
d(.v-  Titelbild  eim-r  .soebrr.  erschienenen  f^roßfonna- 
tig^n  Dokumentanon  „Der  Segelschiife  große  Zeit 
olese    Koproduktion  mehrerer  Verlage  rn  ««rsc/    e- 
Aenen  Ländern  ist  weit  mehr  als   ein  prachtvolles 


Nachschlage-    und    Schmökerwerk,    das    Seefahrer 
ältester    und    jüngster     Generationen     verzaubern 
kann:    sie    ist    zugleich    eine    allgemein    interessie- 
rende    Kulturgeschichte     von     Columbus     bis    zur 
Tragödie  der  Pamir   im  Jahre   1957.   Entdeckungen 
und  Freibeuterei,  Handel  und  Kriege,  Skorbut  und 
Navigationsprobleme,  Gallionsfiguren  und  Flaggen, 
Schiffhaukunst  und  Wettbeioerb  -  das  sind  einige 
Slichworte  für  die  imponierende  Reise  durch  ftnif- 
Jahrhunderte.   Kapitäne   und   Mannschaften   haben 
sich.    u:ie    Herausgeber    Joseph  Jobe    bemerkt,    im 
Kielwasser  ihrer  Schiffe  eine  Legende  geschaffen, 
die    über    ihre    Zeit    hiuansreidu.    (Verlag    Delats, 
Kia^iuy  6i  Co.,  Bielejeid'B.yU  i,  ::2S--Uu.  -<..  u-u- 
reproduktionen,  40  weitere  farbige  Darstellnngenso^ 
wie  280  Zeichnungen  und  Photos,  Ganzleinen  120 DM). 


Seite  6 


MB  —  8.  März  1968 


/^ 


Nr.  10 


Gegen  Erstarrung  der  Ideologie 


Im  Zusammenhang  mit  den  Vor- 
gängen   in    der    Tschechoslowakei, 
die  K.L.  im  MB  Nr.  6  vom  9.  Fe- 
bruar  1968   in  seinem  Artikel   „Be- 
wegung   im    Ostblock"     gewürdigt 
hat,    darf    man    es    vielleicht    auch 
als   ein  Symptom  betrachten,   dass 
—  nach  der  aussenpolitischen  Ent- 
fremdung   seit    dem    Junikrieg     in 
Israel    —    das    Staatliche    Jüdische 
Museum  in  Prag  vor  einigen  Tagen 
ein  neues  Heft  der  Zeitschrift  „Ju- 
daica  Bohemiae"   (III,  2)   zur  Ver- 
sendung gebracht  hat,  in  dem  jü- 
dische  Themen    mit    grosser    Sym- 
pathie behandelt  werden.  Sogar  ei- 
ne äussere  Kleinigkeit     ist  bemer- 
kenswert:   diese    Postsendung    aus 
Prag    ist    frankiert    mit    den    dem 
1000jährigen    Jubiläum    der    böhmi- 
schen Judenscliaft  gewidmeten,  die 
Bilder  altjüdischer  Prager  Denkmä- 
ler tragenden  Briefmarken,  von  de- 
nen es  in  Zeitungsmeldungen  hiess, 
dass  sie  nach  dem  Juni-Krieg  aus 
dem  Verkehr  gezogen  worden  sind. 
Das  Heft  ist  dem  Andenken  des 
im  Jahre   1967  verstorbenen  Prager 
hebräischen   Gelehrten   Otto   Mune- 
les  gewidmet  und  enthält  in  deut- 
scher   Sprache    einen    Auszug    aus 
den  historischen  Arbeiten  von  Ruth 
Gladstein-Kestenberg    (Haifa),     von 
denen    ausdrücklich      gesagt    wird, 
dass    sie   in   Israel    in   der   hebräi- 
schen Zeitschrift  „Zion"  erschienen 
sind;    Ruth    Gladstein    arbeitet    be- 
kanntlich   an    einer    mehrbändigen 
Geschichte  der  böhmischen  Juden, 
deren  erster  Band  demnächst  vom 
Leo     Baeck-Institut     herausgegeben 
werden    soll.    Ein    anderer    Beitrag 
stammt  von  Professor  Guido  Kisch 
(New    York-Basel),    „Das    jüdische 
Prag  vor  zwei  Generationen",  eine 
Kurzbiographie  des  Vaters  des  Ver- 
fassers, Rabbiner  Alexander  Kisch. 
Darin  wird  das  Lob  der  alten  Zeit 
gesungen,     der     Kaiserzeit     ebenso 
wie     der     ersten     (Masaryk-)  Repu- 
blik. Zu  Alexander  Kisch  hat  Kai- 
ser Franz  Josef  1899  anlässlich  der 
Hochflut   des   Antisemitismus   nach 
dem  Hilsner-Prozess  die  berühmten 
Worte    gesprochen:    „Ich   büi    sehr 
empört  über  diese  Rohheiten". 

Eine    wertvolle    Ergänzung    der 
Ausführungen     von     Guido     Kisch 
über   die   Zustände     im   Prag     der 
Jahrhundertwende  finden  wir  übri- 
gens in  der  bezaubernden  Autobio- 
graphie des  Bruders  des  Verfassers, 
des    leider    zu    früh    verstorbenen 
Professor  Bruno  Kisch  (Wanderun- 
gen    und     Wandlimgen.     Die     Ge- 
schichte eines  Arztes  im  20.  Jahr- 
hundert. Greven  Verlag,  Köln),  der 
in  Prag  studiert  hat  und  später  in 
Köln   und   schliesslich   in   Amerika 
Professor    war.    Bruno    Kisch    be- 
schreibt das  alte  jüdische  Prag  mit 
grosser    Liebe,    er    war    auch     ein 
grosser      österreichischer     Patriot, 
und  sein  Lebensweg  ist  nicht  nur 
für   Medizmer,   sondern   auch   vom 
jüdischen      Gesichtspunkt      höchst 
aufschlussreich.  (Auf  seinen  Wunsch 
wurde   Bruno   Kisch   in   Jerusalem 
beigesetzt,   seine   Tochter   imd   En- 
kel leben  in  Israel.) 

Am  interessantesten  in  dem  Heft 


der  „Judaica  Bohemiae"  ist  die  Äus- 
serung   von    Professor    Frantischek 
Graus   von   der   Prager   Universität, 
Mitglied  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften,     der    in    seinem    Aufsatz,' 
„Prolegomena    zu    einer    Geschieht^ 
der  Juden  in  den  Böhmischen  Län- 
dern"  in   prmzipiellen  Darlegungen 
weit  über  den  Rahmen  des  Sp^zial-  ' 
themas  hinausgeht.  Bei  seiner  Wür- 
digung der  Juden-Emanzipation  des 
19.    Jahrhunderts     bemerkt     Graus 
„Auf    einmal    wurden    den    Kräften 
des  Individuums  Möglichkeiten  ge- 
öffnet,   die    den    Wert    des    Indivi- 
duums zeigten  und  die  Problematik 
eüier  jeden  vollständigen  Opferung 
des     Individuums     einer     Gemein- 
schaft offenbarten..."  Der  Verfasser 
sieht  den  eigentlichen  Sinn  der  jü- 
dischen    Geschichte     —     offenbar 
meint     er     den     allgemein-gültigen 
Sinn   —   in    „der   Warnung,   wohin 
die  sinnlose  imd  vollständige  Opfe- 
rung des  Individuums  führen  muss 
—  zu  einer  Erstarrung  in  einer  sich 
wandelnden   Welt..."    Und   er    zieht 
daraus   die   Folgerung:    „Kein   Kol- 
lektiv    und    keine    Ideologie    kann 
straflos    auf    die    Dauer    die    Opfe- 
rung des   Individuums  fordern,  oh- 
ne  selbst   an   diesem  Opfer  zu  er- 
starren." (Hervorhebung  von  mir.— 
R.W.)    Solche    Worte,    in    Prag    ge- 
druckt, lassen  einen  gewiss  aufhor- 
chen.  Es   klingt   wie   ein   Plädoyer 
an    eine    ganz    andere    Adresse    als 
die   der   Verfasser   einer   künftigen 
jüdischen  Geschichte. 

Noch    eine    zweite    Lehre    zieht 
der   tschechische   Gelehrte   aus   der 
jüdischen   Geschichte;    oder   hat   er 
diese   Einsicht   anderswo   erworben 
und  benützt  die  jüdische  Geschich- 
te nur  als  Anlass   (oder  Vor  wand) 
seiner     Stellungnahme?     £r     sieht 
nämlich  in  der  jüdischen  (^schich- 
te   „eine   Warnimg    vor   einer    sinn- 
losen Nationalisierung,  vor  der  Ein- 
kapselung    in   das   Eigene   und   die 
Ablehnung    des    Fremden".    Ander- 
seits   hat    er    Verständnis,  für    den 
modernen  jüdischen  Nationalismus: 
„Ein   Teil    der   Juden   hat   sich    im 
20.   Jahrhundert   dazu  entschlossen, 
sich     als     neuzeitliche     Nation     zu 
konstituieren  —  und  niemand  wird 
ihnen  dieses  Recht  versagen  können 
oder   diese   Entscheidung   verübeln, 
denn   sie   geschieht   in   einer  natio- 
nalistischen Welt  und  nach  Erfah- 
rungen, deren  Bitterkeit  unermess- 
lich  ist.  Wohl  wird  man  aber  die 
gesamte    Nationalisierung     des    Le- 
bens   im    19.    und    20.    Jahrhundert 
bedauern   dürfen   und    sie    als   Irr- 
weg ansehen." 

So  gesprochen  von  dem  Vertre- 
ter einer  Nation,  die  in  den  letz- 
ten hundert  Jahren  einer  der  ent- 
schiedensten Vorkämpfer  des  poli- 
tischen  Nationalismus  war  und  viel 
zur  nationalen  Aufspaltung  Europas 
beigetragen  hat.  Man  kann  die  For- 
mulierung solcher  Einsichten  nur 
mit  Respekt  begrüssen,  als  hoff- 
nungsvolles Symptom  dafür,  dass 
der  menschliche  Geist  frei  ist  imd 
auf  die  Dauer  keine  Ideologie  zur 
Erstarrung  des  Denkens  führen 
kann.  ROBERT  WELTSCH 


In  der  Stadt  und  auf  dem  Lande 

Neues  zur  Geschichte  der  Juden  in  Südwestdeutschland 


,  Im  Schlusswort  zu  seiner  rei- 
ches Material  verarbeitenden  Stu- 
die mit  dem  vorsichtig  gewählten 
Titel  „Von  den  Juden  in  der  Pfalz" 
(Speyer,  Ende  1967/  führt  Hermann 
Arnold  aus,  was  alles  und  wie  vie- 
les noch  zu  bearbeiten  übrig  blei- 
be: die  sprachlich-mundartlichen 
Zusammenhänge  west  jiddisch-süd- 
pfälzisch; die  wissenschaftliche  Auf- 
nahme der  noch  vorhandenen  Syn- 
agogen und  Mikwoth;  eine  Samm- 
lung der  hebräischen  Epigraphik 
(Grabstein-Inschriften);  eine  Aus- 
wertung der  Schulakten  des  19. 
Jahrhunderts;  und  schliesslich  Bio- 
graphien bedeutender  pfälzischer 
Juden.  Wenn  er  diese  Andeutungen 
macht,  so  ist  sich  Dr.  Arnold  be- 
wusst,  dass  solche  und  andere  Un- 
tersuchungen einen  Bearbeiter  voll 
beanspruchen  dürften. 

Das   neue   Buch   will   keine   Ge- 
schichte   der    Juden    in    der    Pfalz 
sein.  Im  Kern  ist  es  eher  eine  de- 
mographische   Studie,    einer    sozial 
exponierten    Minderheit    gewidmet. 
Sie   geht   der   Bevölkerungsentwick- 
lung  nach.   Sie   untersucht   die   so- 
zialen  Verhältnisse   von   der   recht- 
lichen   Stellung   der   Juden   bis    zu 
ihrer  Betätigungssituation.  Das  Gan- 
ze ist  zeitlich  in  zwei  grosse  Perio- 
den   eingeteilt:    1500    bis    1800    und 
1800  bis  etwa   1930.  Die  Zäsur  bil- 
det    die    Französische     Revolution. 
Während    im    ersten    Zeitraum    das 
Verhältnis    der    Juden    zur    Obrig- 
keit,    ihre     Wohnbesitzbegründung, 
ihr    Grunderwerb,    ihre    beschränk- 
ten  Betätigungs-   und   Erwerbsmög- 
lichkeiten im  Vordergrund  der  Be- 
trachtung   stehen     (auch     die     Er- 
scheinung     der      vagabundierenden 
Betteljuden  wird  in  diesem  Zusam- 
menhang  berührt),   spielen    in    der 
zweiten,    uns    näher    liegenden    Pe- 
riode   Gesichtspunkte    wie    Berufs- 
struktur der  jüdischen  Bevölkenmg 
in    gewissen    Bezirken    und    Orten 
und   die   jüdische   Bevölkerungsent- 
wicklung  (auch  verglichen  mit  der 
Gesamtbevölkerung)  eine  hervorste- 
chende   Rolle.    Neben    einer    knapp 
informierenden    allgemeinen   Ueber- 
sicht,   die   zuweilen   sogar   bis   1938 
reicht,   ist  hier  viel  nützliches  sta- 
tistisches  Material   über   Geburten- 
ziffern,  Heiraten   und   Sterblichkeit 
zusammengetragen.        Aber       auch 
Aspekte    der    Einwanderung,     Aus- 
wanderung   und    Binnenwanderung 
werden    hier    behandelt.    Nach    Dr. 
Arnold    sprechen    mehrere    Gründe 
für    die    Annahme,    dass    seit    1648 
osteuropäische   Juden    in   grösserer 
Zahl  in  die  Pfalz  gelangt  sind,  und 


AUS  LinRATUR,  KUNST   UND  WISSENSCHAFT 


In  Santa  Barbara  (Kalifornien), 
wo    sie    seit    ihrem    Abschied    von 
der   Opembühne    (1945)    lebt,   voll- 
endete die  Sängerin  Lotte  Lehmann 
am  27.  Februar  das  80.  Lebensjahr. 
1945  wurde  sie  als  Lehrkraft  an  die 
Mtisikakademie  der  Universität  von 
Kalifornien  in  Santa  Barbara    be- 
rufen.  Daneben   war   die   Sängerin 
auch  als  Regisseur  in,  Malerin  und 
Autorin    tätig:     in    ihren    Büchern 
„My  Many  Lives"  und  „More  than 
Singing"    gab    sie     wertvolle    Hin- 
weise auf  die  Behandlung  der  von 


ihr     gesungenen     Opernrollen     und 

Lieder. 

Die  Salzburger  Max-Reinhardt- 
Forschungsstätte  zeigt  derzeit  auf 
Einladung  des  österreichischen 
Kulturinstitutes  in  Rom  eine  Aus- 
stellung, die  dem  Lebenswerk  Max 
Reinhardts  gewidmet  ist.  Für  die- 
se Schau  stellte  die  Stadt  Rom  die 
Räume  im  Palazzo  delle  Esposizioni 
zur  Verfügung.  Die  Ausstellimg  um- 
fasst  12  Abteilimgen,  die  den  ein- 
zelnen Absclmitten  in  Werken  Rein- 
hardts  gewidmet   sind. 


zwar  als  Flüchtlinge  vor  der  Ver- 
folgung durch  die  Kosaken  (1648/ 
49)  und  später  durch  die  Polen 
(1655/60).  Bei  der  Emigration  im 
19.  Jahrhundert,  an  der  die  Pfälzer 
wesentlich  beteiligt  waren,  werden 
zeitlich  und  zahlenmässig  Unter- 
schiede zwischen  der  Gesamtbevöl- 
kerung und  der  jüdischen  Bevölke- 
rung festgestellt.  Unter  „Binnen- 
wanderung" untersucht  Arnold  u.a. 
auch  die  „Heiratsschranken"  zwi- 
schen Stadt-  und  Land  Juden. 

Hermann  Arnold,  Oberregierungs- 
medizinalrat  in  Landau,  kommt  von 
der  Biologie  und  der  Soziographie 
her.   Er   hat   1958   über    „Vaganten, 
Komödianten  und  Briganten"  gear- 
beitet imd  1966  ein  Buch  über  ,J)ie 
Zigeuner,  Herkunft  und  Leben  der 
Stämme    im     deutschen    Sprachge- 
biet" geschrieben.  Ihn  interessieren 
die  biologischen  Vorgänge,  die   so- 
zialen   Faktoren    imd    die    sozialge- 
schichtliche Entwicklung  vor  allem 
von    Minderheiten.     Unter    solchen 
Gesichtspunkten     sind     Entstehung 
und    Gestaltung    der    vorliegenden 
Schrift  zu  verstehen.  Sie  ist  mit  50 
statistischen     Tabellen      durchsetzt 
und   mit   einem   stattlichen   wissen- 
schaftlichen Apparat  versehen.  Aus- 
serdem sind  ihr  eine  Liste  von  72 
jüdischen   Friedhöfen   in   der   Pfalz 
(mit    Grössenangabe    und    Bezeich- 
nung  des   Eigentümers)    und   etwa 
30,      grossenteils      vom      Verfasser 
selbst     gemachten     Fotoaufnahmen 
von   Mikwoth   und   Synagogen    (Al- 
senz,  Kimweiler,  Gommersheim,  In- 
genheim    und     Landau)     und    von 
Friedhöfen,  Grabsteinen  und  Grab- 
inschriften   (Grünstadt,    Annweüer, 
Alsenz,     Wachenheim,     Winnweiler, 
Ingenheim   und   Essingen)    beigege- 
ben. Man  muss  wissen,  dass  bis  in 
die    Anfänge    der    30er    Jahre    sich 
die  nahezu  7700  Juden  in  der  Pfalz 
auf    etwa    150    Städte    und    Dörfer 
verteilten. 

„Wer  nach  den  pfälzischen  Ju- 
den forscht",  so  ist  in  der  Einlei- 
tung zu  lesen,  „erlebt  mit  Erschüt- 
tenmg,  wie  rasch  eine  blühende 
Bevölkenmgsgruppe  vergehen  kann. 
Nur  noch  Friedhöfe,  standesamtli- 
che Register,  wenige  ehemalige 
Schulhäuser,  Reste  von  Synagogen 
und  jiddische  Lehnwörter  in  der 
Mundart  geben  Kunde  von  den  Ju- 
den in  der  Pfalz".  Die  Arbeit,  Band 
56  der  Veröffentlichungen  der  Pfäl- 
zischen Gesellschaft  zur  Förderung 
der  Wissenschaften,  ist  im  Verlag 
dieser   (3esellschaft   erschienen. 

E.  G.  L. 


„Auf  dem  Wege  zur  Versöhnung" 


(Schluss  von  S.  5) 

wegen.  (Die  deutsche  Ausgabe  wird 
von  Hoffmann  und  Campe  vorbe- 
reitet.) Und  wie  ist  das  Echo? 
Norwegische  Kritiker  erklären:  „Ei- 
nes der  Bücher,  die  mich  am  tief- 
sten ergriffen  haben..."  (CJordon 
Johnsen).  „Ein  herrliches  Buch  — 
berauschend,  aber  auch  zum  Den- 
ken einladend..."  (Ingvar  Haddal). 
„,Auf  dem  Wege  zur  Versöhnung' 
ist  ein  Buch,  das  man  immer  wie- 
der lesen  sollte  —  ein  Serum  gegen 
'alle  vergiftenden  Kräfte,  die  uns 
weismachen  wollen,  es  habe  doch 
alles  keinen  Zweck..."  (Sigurd  Ja- 
kobsen).  „Lest  Max  Tau  —  dies  ist 
ein  herzerquickendes  Buch  unter 
der  so  notwendigen  Devise:  es  ist 
nicht  vergebens!"  (Pater  Rieber- 
Mohn).  „Ich  glaube,  Max  Tau  ist 
ein  besserer  Realpolitiker  als  man- 
che,  die   sich   mit    dieser   Bezeich- 


nung schmücken,  ein  Realpolitiker 
des  Guten..."  (öyvind  Seip  Berg- 
grav).  „Ein  seltener  Inspirator  im 
norwegischen  Geistesleben...  ein  Ge- 
nie des  Herzens...  ein  Reichtum  für 
unser  Land..."  schreibt  „K."  in 
„Sogn  og  Fjordane". 

So  urteilt  die  norwegische  Kri- 
tik, einmütig  zustimmend  und  be- 
geistert. Die  Buchhändler  taten  ein 
übriges  und  wählten  aus  der  Fülle 
des  Angebots  Max  Taus  Buch  als 
eines  der  fünf  besten  des  Jahres, 
Und  mehrere  Zeitungen  schlugen 
ihn  für  den  Nobelpreis  vor,  den 
Friedenspreis,  der  ja  in  Oslo  ver- 
liehen wird.  Gewiss,  die  Mühlen  des 
Nobelkomitees  mahlen  manchmal 
recht  langsam,  aber  niemand  in 
Norwegen  würde  sich  wundem, 
wenn  Max  Tau  den  Preis  erhielte. 

KARL  CHISTIANSEN, 

Hoböl  (Norwegen) 


wmm 


Süddeutsche  Zeitung  Nr.  15 


fcttilUbw 


Samstag/Sonntag,  17./18.  Januar  1970 


GISELA  UELLENBERG 


Die  verhinderte 
Revolte 

Zu  neuen  Dokumentationen  der  deutschen 
Jugendheivegung:  1.  Die  Wandervogel^eit  (1890-1919) 


Hat  die  Jugendbewegung,  diese  einzigar- 
tige  und   typisch   deutsche   Absage   von 
Bürgersöhnen   und    -töchtern    an   einige 
Spielregeln   ihrer  Umwelt,  für   das  Bürgertum 
von  heute,  das  sich  von  einer  die  ganze  Welt  auf- 
rüttelnden   Revolte    seiner    jungen    Generation 
herausgefordert  sieht,  noch  irgendeinen  anderen 
als  einen  sentimentalen  Erinnerungswert?  Sind 
Dokumentationen  wie  das  auf  drei  umfangreiche 
Bände  angelegte  Sammelwerk  des  Eugen  Die- 
derichs  Verlags  „Die  Grundschriften  der  deut- 
schen Jugendbewegung"    (dieser   Artikel   stützt 
sich  auf  den  von  Werner  Kindt  herausgegebenen 
Band    II:    Die    Wandervogelzeit)    nur    für    den 
Historiker  von  Interesse,  der  einmal  aus  der  Zu- 
sammenschau von  Ursachen  und  Wirkungen  die 
Geschichte  unseres  Jahrhunderts  zu  schreiben 
haben  wird?  Sicherlich  nicht;  denn  die  Politiker, 
die  Pädagogen,  die  Soziologen  und  last  not  least 
auch  die  Theologen,  die  sich  mit  großer  Verspä- 
tung ihren  jugendlichen  Angreifern  zu  stellen 
beginnen,    können    nicht    warten,    bis    die    Ge- 
schichtswissenschaft   es    ihnen    abnimmt,     die 
Lehre  aus  der  Vergeblichkeit  eines  Protests  ge- 
gen die  damals  wie  heute  fest  etablierte  bürger- 
liche Gesellschaft  zu  ziehen    —  eines  Protests, 
der  nicht  zur  Revolte  wurde,  sondern  „Bewe- 
gung" war  und  blieb  und  möglicherweise  eben 
deshalb   von    einer    anderen    „Bewegung"    ver- 
schlungen wurde,  die  sie  ahnungslos  selber  vor- 
bereitet  hatte;   der   beklemmende   Gleichklang 
des  Vokabulars,  von  der  „deutschen  Seele"  bis 
zur  „artgemäßen  Kultur",  von  der  „Sturmschar" 
bis  zum  „Männerbund",  vom  „Führer"  bis  zum 
„Reich"  —  um  nur  einiges  zu  nennen  —  lieferte 
einem  Wolf  den  Schafspelz,  der  ihm  ermöglichte, 
sich  die  Deutschen  mit  Hilfe  ihrer  Ideale  hörig 
zu  machen. 

Die  eine  Bewegung  ist  ohne  jene  andere  nicht 
denkbar  —  das  ist,  sieht  man  die  Lauterkeit  der 
ersten  Impulse,  den  Adel  des  Widerwillens  ge- 
gen heuchlerisches  Spießertum  und  erstik- 
kende  Bürgerlichkeit,  die  Sehnsucht  nach 
Natürlichkeit,    Echtheit    und    Ursprünglichkeit, 


sehen  einer  Bewegung  und  einer  Revolte  buch- 
stäblich sinnlich  evident:  Die  Wandervogelju- 
gend begegnete  dem  Mißtrauen  und  den  mora- 
lischen Vorbehalten  ihrer  Umwelt  nicht 
dadurch,  daß  sie  deren  Moral  und  Normen  prin- 
zipiell in  Frage  stellte  —  sie  distanzierte  sich  von 
ihnen  nur,  insoweit  sie  nicht  von  der  Realität  ge- 
deckt, die  Befolgung  der  Gesetze  zur  Konven- 
tion, wenn  nicht  Heuchelei,  und  Sitte  zur  Unsitte 
geworden  war.  Der  Wandervogel  war  „weder 
konservativ  noch  revolutionär".  „Der  Gegen- 
stand und  Sachverhalt  dieser  Bewegung  ist  viel- 
mehr die  praktisch  verwirklichte  Selbsterzie- 
hung in  jugendlichen  Gemeinschaften"  (W.  Flit- 
ner). 

Diese   Jugend   wandte    sich    nicht    gegen   die 
Grundsätze  der  älteren  Generation;  sie  bemühte 
sich  darum,  sie  weniger  mechanisch  und  auto- 
matisch als  jene,  dafür  aber  umso  aufrichtiger 
und  zuverlässiger  zu  erfüllen.  Sie  erlebte,  daß  sie 
in  den  großen  Städten,  aber  auch  in  ihren  Schu- 
len und  Familien  keine  Luft  mehr  bekam,  weder 
für  ihre  Lungen  noch  für  ihren  Geist.  Sie  zog  in 
die  Wälder,  um  wieder  atmen  zu  lernen.  Jung 
sein  hieß,  die  verbrauchte  Luft  nicht  mehr  zu  er- 
tragen; es  hieß,  sich  der  Lähmung  aller  schöpfe- 
rischen Instinkte  bewußt  zu  werden,  die  sie  mit 
dem  Hineinwachsen  in  eine  festgefügte  Erwach- 
senenwelt befallen  würde.  Es  hieß,  sich  die  Frei- 
heit seiner  Entscheidungen  und  seiner  Selbst- 
verwirklichung retten.  Man  wollte  nicht  prinzi- 
piell anderes  als  das,  was  die  Erwachsenen  woll- 
ten, aber  man  wollte  es  reiner,  tiefer,  echter.  So 
wehrte  sich  der  Wandervogel  beispielsweise  er- 
folgreich gegen  die  von  General  von  der  Goltz 
unternommenen  Versuche,  die  Jugendbewegung 
in  den  Dienst  der  Wehrertüchtigung  zu  stellen 
und  sie  in  den  zur  Pflege  des  Wehrkraftgedan- 
kens   von    ihm    gegründeten    Jungdeutscluland- 
bund   aufzunehmen,   aber   man   begründete   die 
Ablehnung  damit,  daß  der  Wandervogel  „von  all 
den  bestehenden  Vereinigungen  seinen  Mitglie- 
dern für  den  Krieg  die  besten  Grundlagen  mit 
auf  den  Weg"  gebe.  Man  wollte  sich  immer  „von 


des  deutschen  Idealismus,  zu  denen  sich  die 
Schicht,  aus  der  sie  stammten,  das  gebildete 
Bürgertum,  bekannte.  Weil  man  diesen  Idealis- 
mus mit  Deutschsein  gleichsetzte,  sah  man  es  als 
eine  der  wichtigsten  Aufgaben  an,  das  „Völki- 
sche" zu  kultivieren,  nationale  Traditionen 
bewußt  zu  pflegen  —  und  was  auf  den  ersten 
Blick  wie  romantische  Schwärmerei  für  altes 
Volksgut  in  Handwerk  und  Kunst,  in  Tracht, 
Lied  und  Tanz  aussah  und  im  allgemeinen  auch 
nichts  anderes  war,  enthüllte  in  der  Auseinan- 
dersetzung einzelner  Gruppen  mit  dem  „volks- 
fremden" Judentum  schon  in  der  Zeit  vor  dem 
ersten  Weltkrieg  eine  der  verderblichsten  Fol- 
gen dieser  „Selbstbesinnung":  sie  legte  den 
Keim  für  das  gute  Gewissen,  mit  dem  später 
weite  Teile  dieses  nach  wie  vor  „idealistischen", 
„vaterländisch  gesinnten"  Volkes  einen  der 
furchtbarsten  Vernichtungsakte  aller  Zeiten  als 
notwendige  „Reinigung"  verstanden. 

Der  Wandervogel  war  eine  idealistische  Bewe- 
gung. Aber  er  vertrat  Ideale,  die  sich  dem  Mi(3- 
brauch  am  willigsten  anbieten.  Wer  sie  als 
„romantisch"  abtun  zu  können  glaubt,  verkennt 
das  Gefährliche  des  typisch  deutschen  Hangs, 
die  Ursprünge,  das  Völkische,  das  Blut,  auch  das 
Natur-  (gleich  Heimat-)erlebnis  zu  mythisieren. 
Er  verkennt  auch  die  Verführungskraft  des  Eli- 
tebewußtseins, das  in  jeder  Absonderung  von 
einzelnen  oder  sich  als  Bund  von  einzelnen  ver- 
stehender Gemeinschaft  steckt.  Nicht  zufällig 
war  Nietzsches  Zarathustra  einer  der  Heiligen 
der  Wandervögel.  Und  nicht  zufällig  gibt  es  nur 
eine  deutsche  Jugendbewegung.  Ein  Äquivalent 
für  den  spezifischen  Gemütswert  von  „Heimat" 
findet  sich  anderswo  so  wenig  wie  eine  genaue 
Entsprechung  für  den  Mythos  vom  ..Reich".  Der 
Hang  zum  Irrationalen,  der  sich  hier  ausdrückt, 
der  Glaube  an  das  „Wesen"  und  das  „Wesent- 
liche" —  auch  dies  Begriffe,  die  sich  in  keine  an- 
dere Sprache  übertragen  lassen  —  hat  mit  der 
„Natur"  eines  Volkes  wchl  kaum  etwas  zu  tun. 
sicherlich  aber  sehr  viel  mit  seinem  geschicht- 
lich gewordenen  Selbstverständnis. 

Da  die  Wertung  des  Irrationalen  als  des 
eigentlich  Schöpferischen,  Göttlichen,  eine  ur- 
alte Tradition  hat  (und  Gott,  der  Inbegriff  des 
Lebendigen,  sich  tatsächlich  nur  in  schöpferi- 
schen Impulsen  offenbart,  die  sich  der  rationa- 
len Erklärung  entziehen  und  dennoch  als  „wirk- 
lich" erlebt  werden),  konnte  die  Irrationalität 
des  „Erlebnisses"  von  jeher  sehr  leicht  zum 
Rechtfertigungsgrund  von  Emotionen  werden, 
deren  unerbittliche  Leidenschaft  sich  gerade  an 
der  Überlegenheit  der  verteidigten  „heiligen" 
Werte  entzündete. 

Wo  das  Selbstgefühl  des  einzelnen  und  mehr 
noch  eines  Volkes  sich  auf  irrationale  Werte  be- 
ruft, ist  höchste  Wachsamkeit  geboten.  Die  be- 
rechtigte Furcht  anderer  Volker  vor  der  „Irra- 
tionalität" der  Deutschen  hat  ihre  Ursache  in 
einem  Selbst-  und  Uberle^enheitsbewußtsein, 
das  aus  solcher  mythischen  Begründung  unge- 
heure Kräfte  bezieht.  Weil  der  Wandervogel  die- 
ses typisch  deutsche  Selbstbewußtsein  nicht 
grundsätzlich  in  Frage  stellte,  es  vielmehr  ledig- 
lich von  seinen  Schlacken  reinigen  wollte,  um  es 
neu  rechtfertigen  zu  können,  arbeitete  er  un- 
schuldig-schuldig jener  anderen  Bewegung  vor. 


dustrie-   und  Arbeitergesellschaft  keinen  ihrer 
bürgerlichen  Maßstäbe  und  keines  ihrer  Rechte 
zu   opfern    bereit   war,    völlig    außerhalb    ihres 
Blickfelds  lagen.  Solche  Blindheit  und  egozen- 
trische   Selbstbeschränkung    als    das    Versagen 
dieser    Bewegung    vor    den    Forderungen    des 
historischen  Augenblicks  zu  brandmarken,  kann 
nur  den  Sinn  haben,  einer  Gesellschaft,  die  sich 
der  Erfüllung  dieser  unerledigten  Forderungen 
immer    noch    widersetzt,    die    Augen    für    die 
Zwangsläufigkeit  einer  Jugendrevolte  zu  öffnen, 
die  ihre  Lehre  aus  der  Geschichte,  auch  und  ge- 
rade auch  aus  der  Geschichte  einer  Jugendbe- 
wegung, die  nicht  zur  Revolte  wurde,  gezogen 
hat.  Aber  auch  eine  revolutionäre  Jugend  wird 
sich   diese   Lehre   erst   vollständig   zueigen   ge- 
macht haben,  wenn  sie  zur  Einsicht  der  Besten 
jener    alten    Jugendbevs^egung    kommt,    die    im 
eigenen  Ich  das  primäre  Objekt  der  Erziehung 
und  Veränderung  entdeckten.  Wer  nicht  nur  die 
Verhältnisse,   sondern   die   Gesellschaft   ändern 
will,    muß    Personen    ändern.    Personen    ändert 
man  nicht  durch  tödliche  Gewalt,  sondern  durch 
das  lebendige  Beispiel. 

(Ein  zweiter  Aufsatz  wird  sich  mit  den  katholi- 
schen Jugendverbänden  befassen.) 


MARTIN  WALSER 


Fiction 


So  wie  Hegel  in  der  Logik  „Sein,  reines  Sein  — 
ohne  alle  weitere  Bestimmung,  in  seiner  unbe- 
stimmten Unmittelbarkeit . . ."  beschreiben  kann, 
als  stünde  er  weit  außerhalb,  so  beschreibt  Mar- 
tin Walser  in  seinem  neuesten  Text  sein  „Ich" 
und  das,  was  dieses  Ich  tut,  woran  es  trägt,  was 
es  will,  was  es  immer  wieder  versucht.  Dabei  gibt 
Walser  dem  Ich  —  seinem  Bodensee-Ich,  das 
nach  München  verschlagen  ist  und  dabei  die  Ge- 
gend um  den  Staehus  als  Zone  befremdlich  groß- 
städtischer Abenteuer  begreift  —  immer  wieder 
die  Chance,  von  neuem  anzufangen.  Aber  das  Ich 
gerät  trotz  dieser  Erzähler-Freiheit  nur  in  im- 
mer erneuerte,  meist  unsinnige,  wenn  auch  amou- 
röse  Verstrickungen.  Äußerste  Objektivität  ge- 
genüber dem  Ich  schlägt  um  in  reinste  Erzähl- 
Subjektivität.  Sprache  wird  dabei  so  sehr  als  be- 
kannt, allzu  bekannt  vorausgesetzt,  daß  sie  zu 
Verkürzungen  förmlich  einlädt.  Virtuosität  und 


Eindruck  habe,  München  bestehe  vor  allem  auä 
Frauen.    Vor   mir   geht   eine.    Schwarze,   gelbe, 
Bluse,  Hose,  weit  aus,  aber  dann  auch  eng,  jetzt 
hält  sie  vor  einem  Stoß  Zeitungen,  nimmt  keine, 
also  liest  sie,  hat  nur  diesen  kurzen  Rockriegel 
an  in  Schockorange,  was  frei  Hängendes,  das  nur 
auf  den  Schultern  aufliegt,  plissiert,  grün,  luftig, 
imd  wenn  sie  sich  bückt,  stürzt  es  mit,  jetzt  muß 
sie  sich  mit  der  flachen  Hand  den  Bauch  reiben, 
ein  bißchen  genügt,  und  sie  reibt  das  ganze  Kleid 
durcheinander.   Vorsichtig  trete  ich  hinter  sie, 
ein  Schlapphut,  pink,  und  schon  sieht  sie  nicht, 
wie  ich  an  sie  herantrete  und  mitlese,  was  sie  da 
liest,  eine  ausgesuchte  Botschaft.  Houston  (AP) 
Die  45jährige  May  Hyatt,  die  an  Gehirnentzün- 
dung leidet  und  seit  fast  6  Jahren  in  tiefer  Be- 
wußtlosigkeit liegt,  wurde  in  einem  Pflegeheim 
in  Houston  (Texas)  von  ihrem  Mann  getötet.  Wie 
schon  viele  Male  vorher  besuchte  Hyatt,  der  als 
Verwaltungsangestellter    arbeitete,    auch    jetzt 
wieder  seine  Frau.  Kurz  nachdem  er  ihr  Kran- 
kenzimmer betreten  hatte,  gab  er  einen  Pisto- 
lenschuß auf  den  Kopf  seiner  Frau  ab  und  schoß 
sich  dann  selbst  in  die  Schläfe.  Er  starb  kurz 
darauf.    Die    Filmrechte    sind    noch    zu    haben. 
Möchten  Sie  diese  Frauenrolle  übernehmen.  Wir 
könnten  gleich  Probeaufnahmen  machen.  Aber 
bitte  rasch,  denn  ich  weiß  nicht,  wie  lange  ich 
diese  Laune  durchhalte.  Nachdem  sie  das  gele- 
sen hatte,  entriß  die  22jährige  ihrem  Begleiter 
seine    Taschenuhr,    strangulierte    ihn    mit    der 
Uhrenkette,  biß  sich  die  Pulsader  auf  und  rannte 
in   eine   Seitenstraße.   Die   herbeigeeilte  Polizei 
fand  die  Ohnmächtige  in  einer  Hofeinfahrt  hin- 
ter mehreren  Mülleimern.  Ihr  Zustand  wird  als 
ernst  bezeichnet.  Über  die  Motive  für  ihre  Tat 
konnte  nichts  in  Erfahrung  gebracht  werden.  Da 
ich   meines   Wadenmuskelschmerzes   wegen   an 
der  Verfolgung  nicht  teilnehmen  konnte,  ging 
ich    langsam   weiter.   Kein   Wunder,  daß   schon 
bald  ein  anderes  Mädchen  vor  mir  hergeht.  Ich 
steige  ihr  nach.  Es  ist  eine  klägliche  Beschäfti- 
gung, gewiß.  Aber  da  mir  jeder  Schritt  Schmer- 
zen macht,  gleicht  sich  das  wieder  aus.  Auch 
habe  ich  was  in  einer  Zahnlücke,  was  ich  nicht 
herauskriege.  Aber  es  läuft  gegen  mich  keine 
Anklage    wegen    Zechbetrugs.    Sonst    wäre    es 
wirkhch  nicht  auszuhalten.  Wahrscheinlich  geht 
sie  jetzt  gleich  zu  einem  Damenfriseur  hinein. 
Oder  zu  Lodenfrey,  in  eine  Abteilung,  die  für 
mich  verboten  ist.  Ich  kann  mir  Geld  beschaffen. 
Das  zur  Person.  Ich  bin  parasitär.  Dann  habe  ich 
noch  das  Privileg,  folgenden  Satz  mitzuteilen:  In 
der  nächstbesten  Autohandlung  kaufte  ich  mir 
einen  Porsche  Targa  Florio.  Am  Bremspedal  ließ 
ich  mir  eine  weichere  Feder  einbauen,  weil  mein 
linker    Wadenmuskel    mir    nicht    erlaubt,    eine 
harte  Bremspedalfeder  durchzudrücken.  Selbst 
während  der  Türkenkriege  hätte  ich  mir  zu  hel- 
fen gewußt.  Prinz  Eugen  war  zwar  durchweg 
jünger  als  ich.  Er  hätte  mich  erschießen  lassen. 
Aber  ich  hätte  auf  dem  Weg  zur  Hinrichtungs- 
stätte plötzlich  türkisch  gesprochen.  Dann  hät- 
ten sies  ihm  gemeldet.  Und  schon  wäre  ich  sein 
Spion  gewesen  und  wäre  erst  später  von  den 
Türken  hingerichtet  worden.  Sie  wollte  schon 
um  meine  Porscheschnauze  herumbiegen,  als  ich 
leise  rief.  Sie  erinnerte  sich  zum  Glück  an  diese 
Szene  und  stieg  ein.  Hoppla,  sagte  sie.  Ich  versu- 
che,  solche  Autos  rasch  wieder  zu  verkaufen. 


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irr.     ..^•.-■.•.  •■ 


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einem  Wolf  den  Schafspelz,  der  ihm  ermöglichte, 
sich  die  Deutschen  mit  Hilfe  ihrer  Ideale  hörig 
zu  machen. 

Die  eine  Bewegung  ist  ohne  jene  andere  nicht 
denkbar  —  das  ist,  sieht  man  die  Lauterkeit  der 
ersten  Impulse,  den  Adel  des  Widerwillens  ge- 
gen    heudilerisches     Spießertum     und     erstik- 
kende     Bürgerlichkeit,     die     Sehnsucht     nach 
Natürlichkeit,    Echtheit    und    Ursprünglichkeit, 
die  jene  Jugend  damals  buchstäblich  in  Bewe- 
gung   setzten,    nämlich    auf    die    Wanderschaft 
trieben,  ein  wahrhaft  Schaudern  erregender  Be- 
fund. Und  wenn  ein  so  reiner  Impuls  wie  der, 
aus    dem    die  »Jugendbewegung    entstand,    den 
Mißbrauch  nicht  verhindern  konnte,  der  mit  die- 
sen Idealen  getrieben  wurde,  was  hätte  ihn  dann 
verhindern  können  oder  müssen?  Läßt  die  Mani- 
pulation   von    Idealen    nur    Schlüsse    auf    die 
schmutzigen  Hände  derer  zu,  die  sie  erfolgreich 
betrieben?   Oder  zwingt  die  Manipulierbarkeit 
von  Idealen  zu  Schlüssen  auf  deren  wahren  Cha- 
rakter? Oder  auf  den  Charakter  derer,  die  sich 
kraft  dieser  Ideale  manipulieren  lassen? 

Am  Anfang  der  Wandervogelzeit  stand  —  das 
kann  man  in  den  Dokumenten  wieder  und  wie- 
der lesen  —  nicht  eine  Ideologie,  sondern  ein 
Trieb:  „Ein  großer  Trieb  ging  durch  das  ganze 
Land. . ."  (Hans  Breuer)  —  der  Trieb  zu  wandern. 
Erst  in  einer  zweiten  Phase  wurde  das  Wandern 
als     Hinauswandern     aus     einer     Gesellschaft, 
wurde  der  Umgang  mit  der  Natur  als  Protest  ge- 
gen   die    Unnatur    einer    saturierten,    in    ihren 
Konventionen     gefangenen     Gesellschaft     ver- 
standen   und    sehr    bewußt    als    Mittel    einer 
neuen       Selbstfindung      und      Selbsterziehung 
des    jungen    Menschen    eingesetzt.    Triebe    sind 
irrational,  und  auch  wenn  sie  in  der  —  von  der 
heutigen   Triebentfesselung   her   gesehen   völlig 
harmlosen  —  Form  des  Wandertriebs  auftreten, 
der  im  innigen  Kontakt  mit  der  Natur,  in  der  Er- 
oberung der  heimatlichen  Landschaft,  im  einfa- 
chen Leben  und  dem  Stolz  darauf,  der  Krücken 
der  Zivilisation  nicht  zu  bedürfen,  seine  volle 
Befriedigung  fand,  wird   er  von  der  in  einem 
streng  durchrationalisierten  Gefüge  banaler  Ge- 
wohnheiten und  enger  Moralbegriffe  lebenden 
Gesellschaft,   die   sich  noch   dazu   Verlogenheit 
vorwerfen  lassen  muß,  mit  Mißtrauen  betrachtet 
werden. 

Mißtrauen    macht    hellsichtig,    und    daß    der 
Wandertrieb  eine  sexuelle  Komponente  enthielt, 
wurde  von  den  Gegnern  des  Wandervogels,  zu 
denen  der  überwiegende  Teil  der  Lehrerschaft 
und  der  Geistlichkeit  gehörte,  schärfer  gesehen 
als  von  seinen  Befürwortern.  Diese  begegneten 
der  Verdächtigung  entweder  mit  einem  um  so 
nachdrücklicheren    Bekenntnis    zur    „Reinheit" 
ihres  Wollens  (und  also  etwa  mit  der  anfänglich 
entschiedenen    Ablehnung    der    Aufnahme    von 
Mädchen),  und  zur  Notwendigkeit  der  Sublimie- 
rung.  „Reif  werden  und  rein  bleiben"  war  die 
Devise  des   „Wanderers  zwischen   beiden   Wel- 
ten", der  Walter  Flex'  von  Millionen  gelesene 
Erzählung  zu  ungeheurer  Wirkung  verhalf.  Oder 
aber  der  Sexualtrieb  wurde,  wie  von  Hans  Blü- 
her und  seinen  Anhängern,  einseitig  im  Sinne 
platonischer  Homoerotik  interpretiert,  zum  päd- 
agogischen Eros  zwischen  älterem  Führer  und 
jungem  Geführten  überhöht  und  die  Begegnung 
mit  dem  anderen  Geschlecht  dadurch  eher  noch 
radikaler  verhindert. 

Daß  der  Naturtrieb,  der  als  Wandertrieb  die 
Jugend  in  Bewegung  setzte,  die  Tabuierung  des 
Geschlechtlichen,  auch  als  das  Verhältnis  zwi- 
schen wandernden  Jungen  und  Mädchen  lang- 
sam natürlicher  und  unbefangener  wurde,  nicht 
durchbrochen  hat,  unterscheidet  den  auslösen- 
den irrationalen  Impuls  von  damals  nicht  nur 
graduell  von  dem,  der  ein  halbes  Jahrhundert 
später  der  Bewußtwerdung  der  Jugend  voraus- 
ging; die  Durchsetzung  einer  vollständigen 
sexuellen  Freiheit  macht  den  Unterschied  zwi- 


unternommenen  Versuche,  die  Jugendbewegung 
in  den  Dienst  der  Wehrertüchtigung  zu  stellen 
und  sie  in  den  zur  Pflege  des  Wehrkraftgedan- 
kens   von    ihm    gegründeten    Jungdeutschland- 
bund  aufzunehmen,   aber   man   begründete  die 
Ablehnung  damit,  daß  der  Wandervogel  „von  all 
den  bestehenden  Vereinigungen  seinen  Mitglie- 
dern für  den  Krieg  die  besten  Grundlagen  mit 
auf  den  Weg"  gebe.  Man  wollte  sich  immer  „von 
dem  Verdacht  freihalten,  eine  Wehrkraft-Wehr- 
macht-Militärspielbewegung zu  sein".  Der  Satz 
stammt  von  dem  ehemaligen  Kapitänleutnant 
Hans  Paasche,  der  im  1.  Weltkrieg  als  radikaler 
Kriegsgegner  ins  Gefängnis  kam  und  zur  Zeit 
der  Arbeiter-   und   Soldatenräte  angeblich  auf 
der   Flucht   von    rechtsradikalen    Soldaten   er- 
schossen wurde. 

Aber  der  Antimilitarismus  der  übrigen  Wan- 
dervögel war  weniger  konsequent,  konnte  es  bei 
jungen  Menschen,  die  zu  einer  „fast  fanatischen 
Liebe  zum  Volkstum"  erzogen  waren,  angesichts 
eines  „Volkskriegs"  auch  gar  nicht  sein:  die  Be- 
geisterung, mit  der  sie  in  ihn  zogen,  brauchte 
ihnen  nicht  suggeriert  zu  werden;  wie  von  selbst 
vollzog  sich  der  Wechsel  von  der  Suche  nach  den 
nationalen  Ursprüngen  zum  Kampf  für  das 
nationale  Ziel. 

Er  vollzog  sich  um  so  bedingungsloser,  als  es 
ein  Ziel,  das  außerhalb  ihrer  selbst  lag,  für  die 
Wandervögel  nie  gegeben  hatte.  Die  Prinzipien 
ihrer  Selbstfindung,  Selbsterziehung  waren  die 


redhtlgte  jjurcnt  ahaerer  VoiKer  vor  aer  „irra- 
tionalität"   der  Deutschen  hat   ihre  Ursache   in 
einem    Selbst-    und    Überlegenheitsbewußtsein, 
das  aus  solcher  mythischen  Begründung  unge- 
heure Kräfte  bezieht.  Weil  der  Wandervogel  die- 
ses    typisch    deutsche     Selbstbewußtsein     nicht 
grundsätzlich  in  Frage  stellte,  es  vielmehr  ledig- 
lich von  seinen  Schlacken  reinigen  wollte,  um  es 
neu  rechtfertigen  zu  könnea,  arbeitete  er  un- 
schuldig-schuldig jener  andtren  Bewegung  vor, 
die  sich  die  Emütionaiität  dtues  auf  irrationale 
Werte    sich    gründenden    nationalen    Selbstbe- 
wußtseins schamlos  und  ohne  auf  ernsthaften, 
nämlich    geschlossenen   Widerstand    zu    stoßen, 
zunutze  machen  konnte. 

Spätestens  da  zeigte  sich,  daß  eine  Jugend  ihre 
Bewegung  nicht  imgestrafi  als  „apolitisch"  ver- 
steht, wie  die  Statuten  des  Wandervogels  es  ver- 
langten. Auch  das  Ausweichen  vor  politischer 
Auseinandersetzung  ist  eine  in  höchstem  Maße 
politische  Entscheidung.  Deshalb  zeigt  sich  hier 
am  deutlichsten  der  nicht  nur  individualistische, 
sondern  der  Klassencharakter  der  Jugendbewe- 
gung. Die  Wandervögel,  zumindest  die  der  Zeit 
vor  dem  1.  Weltkrieg,  sahen  keine  Veranlassung 
zur  Rebellion  gegen  eine  Klasse,  mit  der  sie  sich 
schon  dadurch  identifizierten,  daß  sie  —  als 
Schüler  höherer  Lehranstalten  —  ganz  selbst- 
verständlich unter  sich  blieben.  Ihr  Augenmerk 
war  so  ausschließlich  auf  Selbstfindung,  Selbst- 
bewährung, Selbstertüchtisung  gerichtet,  daß  die 
Problematik  einer  Gesellschaft,  die  auch  als  In- 


stätltischer  Abenteuer  begreift  —  immer  wieder 
die  Chance,  von  neuem  anzufangen.  Aber  das  Ich 
gerät  trotz  dieser  Erzähler-Freiheit  nur  in  im- 
mer erneuerte,  meist  unsinnige,  wenn  auch  amou- 
röse  Verstrickungen.  Äußerste  Objektivität  ge- 
genüber dem  Ich  schlägt  um  in  reinste  Erzähl- 
Subjektivität.  Sprache  wird  dabei  so  sehr  als  be- 
kannt, allzu  bekannt  vorausgesetzt,  daß  sie  zu 
Verkürzungen  förmlich  einlädt.  Virtuosität  und 
Ironie  sollen  einen  Prosaversuch  zuEammerhal- 
ten,  der  das  moderne  Deutsch  als  soziologisches 
Faktum  begreift,  fern  aller  unvermittelten  Ge- 
sellschaftskritik. Unser  Vorabdruck  ist  der  An- 
fang von  den  Münchner  Erlebnissen  des  Walser- 
schen  Ich.  Der  vollständige  Text  wird  unter  dem 
Titel  „Fiction"  im  Februar  im  Suhrkamp-Verlag 
erscheinen. 

Ich.  Es  gibt.  Ich  gehe.  In  die  Stadt.  Eine 
Menge  Menschen.  Es  gibt  immer.  Wo  ich  hin- 
komme. Eine  Menge  Bilder.  Ich  folge.  Es 
kommt  mir  bekannt  vor.  Jeder  erzählt,  daß  er 
ging.  Ich  ging  über  den  Stachus.  Mein  linker 
Waden muskel  schmerzt.  Ich  darf  nicht  mehr  auf 
dem  Ballen  auftreten.  Sobald  ich  nur  auf  der 
Ferse  auftrete,  schmerzt  der  Wadenmuskel 
nicht.  Wenn  Leute  auf  mich  zukommen,  denen 
ich  nicht  durch  Hinken  auffallen  will,  bleibe  ich 
einfach  stehen.  Mein  Muskel  fühlt  sich  riesig  an. 
Kein  Wunder,  daß  ich  denke,  ich  schleppe  mei- 
nen linken  Wadenmuskel  durch  die  Stadt.  Kein 
Wunder,  daß  ich  unter  diesen   Umständen  den 


Aber  ich  hätte  auf  dem  Weg  zur  Hinrichtungs- 
stätte plötzlich  türkisch  gesprochen.  Dann  hät- 
ten i-ie's  ihm  gemeldet.  Und  schon  wäre  ich  sein 
Spion   gewesen  und  wäre  erst  später  von  den 
Türken  hingerichtet  >vorden.   Sie  wollte  schon 
um  meine  Porscheschnauze  herumbiegen,  als  ich 
leise  rief.  Sie  erinnerte  sich  zum  Glück  an  diese 
Szene  und  stieg  ein.  Hoppla,  sagte  sie.  Ich  versu- 
che,  solche   Autos  rasch  wieder  zu  verkaufen. 
.Soviel  Geld  verdiene   ich  nämlich  auch  wieder 
nicht.   Es  gibt  richtige  Notzeiten  bei  mir.  Ich 
fahre  dann  zu  einem  höheren  Festangestellten, 
klage  über  meinen  Wadenmuskel  und  leihe  mir 
einen  Vorschuß.  Fahren  wir  also,  solange  wir  das 
Auto   noch   haben,   zum   Aumüller  hinaus.   Sie 
wollte  aber  lieber  zum  Weinbauer.  Grünwald, 
bitte,  wie  Sie  wollen.  Ich  sage  jetzt  schon  voraus, 
daß  sie  einen  winzigen  Langhaardackel  bei  sich 
hatte.  Natürlich  spielt  vorerst  der  Wadenmuskel 
die  größere  Rolle.  Ohne  diesen  Schmerz  hätte 
ich  nicht  den  Mut  gehabt,  ein  solches  Auto  ein- 
zuführen, und  ohne  ein  solches  Auto  hätte  ich 
nicht    gewagt,     diesen     Eroberungsversuch    zu 
machen.  Das  ist  nicht  wahr.  Soviel  vermag  ein 
Wadenmuskelschmerz   auch   wieder   nicht.   Das 
Mädchen,  vergessen  wir  doch  nicht:  dieses  Mäd- 
chen. Ich  traue  mich  mit  keinem  Wort  mehr  an 
dieses  Mädchen  heran.  Gehen  wir,  bitte,  noch 
einmal   zurück.   Mindestens   bis  zum   Lenbach- 
platz.  Die  Frauentürme  spielen  auch  eine  Rolle. 
Die    Obszönität    dieser   beiden    Türme    ist.    Ich 
sollte  es  immerzu  kalt  regnen  lassen.  Aus  dem 


DEUTSCHE  WANDERVÖGEL  layern  an  einem  See  in  Finnland. 


PHOTO:  ARCHIV 


A 


■  ^m, 


c;^rr..fn^/Sonntag,  17./18.  Januar  1970  /  Nr.  15 


^ttnUetm 


seit  Jahren  verlassenen  Gehöft  grunzen  verkru- 
stete Schweine.  Eines  richtet  sich  auf.  Offenbar 
eine  Mutation.  Bachmusik.  Und  der  Idiot  heißt 
August   und   sagt,   er  wisse   genau   noch   ]eden 
Satz   den  der  Oberschulrat  bei  der  Einweihung 
der  Hüttener  Volksschule  gesagt  habe.  Es  regnet 
August  ins  Gesicht.  Der  Oberschulrat  hat  gesagt, 
die  Hüttener  Volksschule,  die  er  hiermit  der  Ge- 
meinde übergebe,  sei  die  modernste  weit  und 
breit  August  hat  eine  hohe  löchrige  Stimme.  Er 
ist  im  Spülraum  des  Krankenhauses  der  tonan- 
gebende Mann.  Er  sagt  natürlich,  daß  er  dem 
Küchenchef  Einfluß  im  Spülraum  gestatte.  Ich 
habe  schon  60  Mark  Schulden  bei  Kohler.  Und 
die  Uhr  könnte  längst  abgeholt  werden,  wenn 
ich  25  Mark  hätte.  Die  Ärzte  essen  nicht  mit  den 
Schwestern.  Die  Schwestern  essen  nicht  mit  dem 
Personal   Das  Personal  ißt  nicht  mit  den  Putz- 
frauen. Aber  Pasohni.   Aber  er  ist  mit  Orson 
Welles  befreundet.  Sagt  P.  H.  Kennen  Sie  ihn. 
Ich  möchte  Ihnen   damit  nur  sagen,   falls   Sie 
mich  eine  Stunde  anhören  würden,  wäre  das  für 
mich.  Ein  solches  Mädchen  wie  Sie.  Mir  gehört 
kein  verregnetes  Gehöft.  Die  Sonne  scheint.  Vor- 
her löste  sich  ein  Mädchen  Ihres  Alters  nur  mit 
ungeheurer  Mühe  von  einem  Mann.  Er  ging  in 
den  Alten  Botanischen  Garten.  Sie  ging  Rich- 
tung  Lodenfrey.   Verstehen   Sie   mich.   Es   gibt 
offenbar  Mädchen,  die  waren  lieber  mit  einem 
zusammen,  als  daß  sie  sich  von  einem  trennten. 
Falls  so  etwas  bei  Ihnen  der  Fall  ist,  würde  ich 
gern  eine  Stunde  mit  Ihnen.  Nachher  können  Sie 
sich  ja  frei  entscheiden.  Lassen  wir's  bei  diesem 
Porsche.  Obwohl  sie  mir  ja  unheimlich  verkom- 
men vorkommt,  wenn  sie  jetzt  gleich  einsteigt. 


Ich  bin  radikal.  Treue  um  Treue.  Sie  soll  es 
schön    haben.    Sie    steigt    ein.    Entsetzlich.    Ich 
wollte  ihr  sofort  meinen  Schmerz  mitteilen.  Sie 
war  so  was  von  entgegenstrebend.  Nein.  War  sie 
nicht.  Sie  saß  finster.  Vorgebeugt.  Ellbogen  auf 
ihren  Knien.  Ich  sagte.  Ich  fühlte,  dies  war  ein 
Augenblick,  von  dem  mein  weiteres  Leben.  Da 
sagte  ich  ihr  auch.  Ich  war  zu.  Entweder.  Das 
gibt  es.  Dieses  Mädchen.  Das  geht  vom  Lenbach- 
platz  in  Richtung  Lodenfrey  und  wird  von  einem 
gekätscht.  Ich  war  wirklich  bereit,  mein  bisheri- 
ges   Leben    aufzugeben.    Mir    schwebte    sofort 
Arbeit  vor.  Ich  sagte,  gut,  wenn  Sie  Grünwald 
vorziehen.  Halt,  biegen  S'  ein,  da,  in  den  Augusti- 
ner-Garten, den  mag  ich  so  gern.  1  Kalbsbraten 
glac.  mit  Semmelknödel,  1  Tellerfleisch,  1  Bier. 
Der  Dackel  holt  aus  dem  Kies  immer  wieder 
schwarze  Hühnerknochen.  Sie  springt  jedes  Mal 
auf  und  nimmt  sie  ihm  aus  den  Zähnen,  Das  sind 
doch  Röhrenknochen,  wenn  er  die  zerbeißt,  hat 
er  ein  Stück  in  der  Luftröhre  und  ich  kann  ren- 
nen. Die  Bedienung  bezeichnet '  sich  selbst  als 


stocknarrisch.  Ich  wundere  mich  darüber,  daß 
man  so  alte  Hühnerknochen  ohne  weiteres  an- 
fassen kann.  Dann  legt  sie  die  Knochen  auf  einen 
noch  nicht   abgetragenen   Teller,   der  auf  dem 
Nebentisch  steht.  Dann  zur  Bank.  Neuvians.  Die 
ist  noch  zu.  Solange  auf  eine  Bank  in  den  Anla- 
gen  Dann  wieder  zur  Neuvians-Bank.  Sie  muß 
Geld  holen.  Fragt  mich,  ob  sie  gleich  wechseln 
soll,  oder  erst  in  Nizza.  Mir  hat  man  schon  er- 
klärt, was  vorteilhafter  ist.  Aber  wenn  eine  Ent- 
scheidung zwnschen  zwei  Möglichkeiten  zu  tref- 
fen ist,  vergesse  ich,  welche  die  vorteilhafte  ist. 
Man  müßte  im  Stande  sein,  nur  die  vorteilhafte 
im  Gedächtnis  zu  behalten  und  die  andere  zu 
vergessen.  Sage  ich  ihr.  Sie  schaut  mich  zum  er- 
stenmal an.  als  wären  wir  einander  fremd.  Also. 
Sie  wissen's  nicht.  Nein.  Ich  bleib  mit  dem  Dak- 
kel  auf  Neuvians'  Stufen  sitzen,  kassiere  BUcke. 
Dann  in  eine  Drogerie.  Einen  Bademantel  kau- 
fen. Mein  V/adenmuskel.  Wir  gehen  das  ja  alles 
zu   Fuß.    In   der   Drogerie   gab   es   keinen.   Nur 
einen.  Einen  roten.  Und  der  war  auch  nichts.  Ich 
konnte  mich  leider  nicht  setzen.  Mein  Hündchen 
wurde  wieder  bewundert.  Dann  eben  zu  Beck 
am  Rathauseck.  2.  Etage,  links.  Der  rote  in  der 
Drogerie  war  eben  doch  nicht  so  schlecht.  Sie 
ging  trotzdem  in  die  Umkleidekabine.  Ich  im  Be- 
reich. Sie  zeigt  sich  mir  erst  gar  nicht.  Der  fällt 
nicht  schön.  Aber  nebenan  klappt  es.  Und  noch 
eine   Leinenbadetasche,    grellorange,   innen   der 
Boden  weißes  Plastik,  19,60  u.  39,50.  Lassen  Sie 
mich  das,  bitte.  Dann  will  ich  noch  in  die  inter- 
nationale Buchhandlung,  The  naked  Lunch,  ein- 
fach als  Test.  Ist  das  unanständig?  Leider  zur 
Zeit  nicht  am  Lager.  Dann  ins  Luitpold.  Kaffee 
und  Käsesahne.  Bitte,  für  mich  nur  Kaffee.  In 
die   Apotheke   vis   ä  vis,   wo  sie   alles   auf  den 
Namen  ihrer  Mutter  aufschreiben  lassen  kann. 
Ich  warte  an  der  heißen  Wand.  Zum  nächsten 
Lutthansa -Laden.  Ich  buche  für  sie,  als  wäre  ich 
der  Glückliche,  einen  Rückflug  für  den  23..  Nizza 
ab  18.45,  20  Uhr  an  Frankfurt,  dann  zur  Zeit,  ja 
nur  nach  Nürnberg,  macht  nichts,  wird  sie  abge- 
holt, noch  Wäsche  in  der  Praxis,  nein,  das  macht 
sie  morgen,  übermorgen  fährt  sie,  also,  auf  Wie- 
dersehen, machen  Sie's  gut,  mein  Wadenmuskel 
macht  mir  ganz  schön,  hören  Sie,  ich  bitte  Sie, 
ohne  Sie  hab  ich  keinen  Porsche,  stehe  ich  wirk- 
lich saudumm  in  München  und  warte  auf  den 
Zug,  der  durch  die  Hitze  wohin  fährt.  Hätte  ich 
ihr   die   Flugkarte   bezahlen    sollen?    Natürlich. 
Das  war  der  Fehler.  230  Mark.  An  so  was  laß  ich 
es  scheitern,  das  sieht  mir  gleich.  Was  tu  ich 
jetzt  mit  230  Mark.  Ich  kann  nicht  weiterleben 
ohne  sie,  habe  ich  mir  gesagt.  230  Mark,  mein 
Gott.  Viel  Geld.  Aber  wenn  man  nicht  weiterle- 
ben kann.  Gehen  wir  doch,  BITTE,  noch  einmal 
zurück.  Zum  Lenbachplatz. 


Gefühle  und  seinen  Zustand  zu  beurteilen  in 
dem  Augenblick,  da  er  sie  zu  erklären  glaubt. 
Der  einzige  Mensch,  der  nichts  Gültiges  über 
sein  eigenes  Herz  zu  sagen  hat,  ist  derjenige,  der 
verkündet,  daß  er  es  verschenkt  habe. 

Zu  Anfang  gelüstot  es  einen  nach  einer  Frau: 
man  macht  sich  falsche  Vorstellungen  von  ihr; 
man  erwartet  von  ihr  eine  gewisse  erfreuliche 
Erregung,  die  die  j^alanten  Reden  und  kleinen 
Lobsprüche  begleitet;  man  ergreift  die  Gelegen- 
heit es  den  Romanhelden  gleichzutun;  man 
träumt  von  einer  zärtlichen  Neigung,  wobei  es 
wenig  darauf  ankommt,  wem  sie  zuteil  wird; 
man  wählt  eine  Lebensgefährtin,  ohne  zu  wis- 
sen, ob  sie  brauchbüi  ist .  . .  Zu  guter  Letzt  liebt 
man  sie.  Manchmal. 


Eine  Frau  „lieben"  heißt  fast  immer,  sie  nicht 
entbehren  können   in  dem  Augenblick,  da  uns 
ihre  Anwesenheit  zugemessen  wird.  Aus  dieser 
Liebe '  kann  man  koine  Schlüsse  ziehen  auf  die 
Zeit     da    uns    dieselbe    Anwesenheit    auferlegt 
wäre   Dennoch  bieten  die  Männer  weiterhin  der 
Dame  ihrer  Träume  die  Ehe  an,  weil  dieses  Wort 
ein    Unendlich    beschwört,    dessen    Rausch    die 
Wonnen  der  flüchtigen  Liebe  erhöht.  Und  auch 
desha'b,  weil  die  Madchen  gelernt  haben,  diesen 
Preis  bezahlen  zu  las.sen:  „Du  v/illst  mich  für 
eine  Stunde?  Vierzig  Jahre  wirst  du  mich  haben. 
Entweder  das  eine  oder  das  andere."  Ist  es  da 
verwunderlich,    daß   so    viele    Männer   mogeln, 
nachdem  sie  derart  für  dumm  verkauft  worden 
sind? 


fügen,  der  Hierarchie.  Ebenso  wird  die  Theorie 
der  Liebe  von  einer  großen  Zahl  von  Leuten  ver- 
breitet, die  niemals  Liebe  kennengelernt  haben 
und  sie  niemals  kennenlernen  werden,  ausge- 
nommen ihre  Mißerfolge  und  ihr  falscher 
Schein. 

„Ein  schönes  Paar"  . . .  Jedermann  wünscht, 
daß  der  gutaussehende  junge  Mann  das  anmu- 
tige junge  Mädchen  heirate.  Als  ob  es  das  Ziel 
der  Ehe  sei,  uns  mit  einer  dekorativen  Kompar- 
serie zu  umgeben.  Jedenfalls  wird  das  schöne 
Paar  aufhören,  schön  zu  sein.  Von  diesem 
Augenblick  an  sollte  seine  Geschichte  schön 
sein. 

Seitdem  fast  alle  Neugeborenen  überleben  und 
die  Alten  das  Sterben  hinauszögern,  mußte  es 


dem  sozialen  Instinkt  überlassen  bleiben,  die 
Zahl  der  Menschen  mit  anderen  Mitteln  zu  be- 
schränken. Das  hatte  er  in  den  zivilisiertesten 
Ländern  schon  zu  tun  begonnen.  Hingegen  gefiel 
man  sich  darin,  auch  diesen  Ersatzmechanismus 
zu  verfälschen.  Es  gibt  einen  dritten:  den 
Krieg ...  Zu  spät:  Die  Wissenschaft  und  die 
Humanitätsduselei  haben  auch  ihn  schon  un- 
brauchbar gemacht ! 


Der  Bourgeoisie  kann  man  auf  dem  Gebiet  der 
Ethik  zwei  recht  beachtliche  Verdienste  gut- 
bringen: eine  gewisse  äußere  Würde;  und  die 
Geburtenkontrolle.  Weder  die  eine  noch  die  an- 
dere haben  diese  Klasse  überlebt,  vielmehr  sind 
nur  deren  Nachteile  und  Fehler  auf  jene  überge- 
gangen, die  ihr  nachfolgt. 


PAUL  KONRAD  KURZ 


Roman 


ROBERT  POULET 


Die  ganz 


Das  Kino  hat  bei  uns  die  amourösen  Sitten 
zerrüttet  weil  es  eine  amerikanische  Kunst  ist 
und  sie  sich  in  der  Darstellung  der  Liebe  auf  den 
sexuellen  Reflex  der  Amerikaner  stützt,  der  sehr 
viel  weniger  prompt  ist  als  der  unsere. 

Damit  sich  der  Mann  jenseits  des  Atlantiks 
sexuell  erregt,  bedarf  es  sehr  bestimmter  und 
nachdrücklicher   Bemühungen,    von   denen   der 
zehnte  Teil  genügen  würde,  um  den  franzosi- 
schen Mann  zu  entflammen.  Man  braucht   als 
Bewpis  nur  den  Kuß  auf  den  Mund,  der  in  latei- 
nischen Ländern  gut  und  gerne  in  den  Bereich 
der  eigentlichen  Sinnlichkeit  gehört,  wahrend  er 
in    angelsächsischen    Ländern    sogar    zwischen 
Mutter  und  Sohn,  zwischen  Vater  und  Tochter 
gang  und  gäbe  ist.  Wenn  eine  Französin  vor  dem 
Aufkommen  des  Kinos  ihrem  Verehrer  die  Lip- 
pen bot,  dann  gab  sie  damit  zu  erkennen,  daß  sie 
der  letzten  Hingabe  nicht  mehr  fern  war.  Und 
aus  gutem  Grunde,  denn  von  nun  an  versetzte  sie 
den  Verehrer  in  die  Lage,  dieser  Hingabe  anzu- 
nehmen     .    Außerdem    unterstellte    diese    ent- 
scheidende Liebkosung,  daß  die  Intimität  gesi- 
chert war.  Die  Linie,  die  die  schlichten  Kennzei- 
chen der  Zuneigung  von  den  Präliminarien  der 
Umarmung  trennt  ^  also  den  öffentlichen  und 
den  privaten  Bereich  -  verlief  zwischen  dem 
Arm  um  die  Taille  und  dem  geküßten  Mund. 
Doch  auf  der  Lemwand  sahen  Millionen  euro- 
päischer Zuschauer,  daß  sich  junge  Amerikane- 
rinnen in  aller  öf f<-'ntlichkeit  von  bedeutungslo- 
sen    Flirts"  küssen  ließen,  obwohl  sie  keines- 
wegs" die  Absicht  hatten,  sich  ihnen  hinzugeben. 
Die  iugendliche  Nachäfferei  konnte  dem  Verlan- 
gen  nicht   Widerslehen,    diese   Verhaltensweise 
nachzuahmen,  die  indes  bei  uns  einen  anderen 


und  die 
Wohlstands  -  Ge 

Zu  einer  englischen  Untersuchung 


"  ^  •  4      »  uini^ti  Thntnas  und  W  ilf  ried  van  der  Will  haben  sich  in  einem 

^T^::r^Z^S:X^  erschienen  ist  .OB  Seiten.  ..0  OM>.  mit 

dem  „Deutschen  Roman  und  der  Wohlstandsgesellschaft"  ausemandergesetzt. 


Trotz  zahlreicher  Ansätze  in  Monatsschrif- 
ten und  Feuilletons  wurde  von  der  deut- 
sclien  Germanistik  und  Literarkritik  bis- 
her weder  über  die  erste  Periode  der  deut- 
schen Nachkriegsliteratur  noch  über  die  Periode 
der  deutschen  Wohlstandsgesellschaft  eine  zu- 
gleich materialkundige  und  einen  Zusammen- 
hang herstellende  Arbeit  vorgelegt. 

Man     weiß,     daß     die     deutsche     Hochschul- 
germanistik   die    Auseinandersetzung    mit    der 
Literatur   nach    45,   und   also   mit   der   eigenen 
Gegenwart,    bis    in    die    jüngste    Zeit    sträflich 
ausgelassen  hat.  Nunmehr  kommt  eine  Arbeit 
von  außen.  Nicht  aus  den  von  Germanistik  über- 
fließenden USA,  sondern  aus  dem  ehemals  ger- 
manistisch   unterentwickelten    England.    Sieht 
man  von  Roy  Pascal  und  Michael  Hamburger 
oder  von  Martin  Esslin  ab,  so  ist  bisher  von  jen- 
seits der  Themse  nur  wenig  deutsche  Literarkri- 
tik in  das  Ursprungsland  seiner  Texte  zurückge- 
flossen. Die  Beschäftigung  nüt  Literatur  ist  im 
angelsächsischen    Raum    weit    weniger    in    die 
Sa  ■  — -  ^-*        ^4.^*i^^ 


Konservativen,  negativ  gewertet,  figuriert  Gai- 
ser  der  freilich  nur  im  „Schlußball"  mit  Klein- 
stadthänden   in   die   Wohlstandsschüssel  langt. 
Gaiser    zeigt    im    Gegensatz    zu    den    übrigen 
Romanautoren  so  etwas  wäe  einen  „positiven'* 
Horizont,  einen  von  der  Jugendbewegung,  vom 
heroischen    Bild    des    Menschen,    von    „heiler" 
Natur,  vom  Mythischen  und  vom  Christlichen 
herkommenden    „Glauben".    Das   Problem    der 
Identität  der  Person  entsteht  für  seine  Figuren 
nicht.  Was  das  Mißfallen  der  beiden  Literarhi- 
storiker erregt,  könnte  als  Frage  nach  Genera- 
tion und  Herkunft,  nach  der  Basis  des  Lebensge- 
fühls auch  neutraler  gesehen  werden.  Ein  Sei- 
tenblick auf  Hans  Erich  Nossack  oder  auf  Max 
Frisch  hätte  hier  wohlgetan. 

Die  übrigen  genannten  fünf  Autoren  ver- 
treten als  zeitgenössisdie  Intellektuelle  das 
Antüdeologische  und  die  mehr  oder  minder 
ausdrückliche  Utopie  einer  rationalen  Gesell- 
schaft auf  der  Grundlage  einer  international 
gesonnenen  Humanität.   Koeppens  Ausweichen 


l^-'-^-VJ 


Die  ganz 

konventionelle  Liebe 

Ketzerische  Gedanken  contre  Vamotir 

lede  Wahrheit  habe  zwei  Seiten,  findet  der  Belgier  Robert  Poulet,  und  die  Kehrseite,  die  sich 
dem  Blick  entzieht,  sei  nicht  die  weniger  interessante.  In  drei  Aphorismen-Sammlungen  hat  er 
Gedanken  Contre  la  Jeunesse"  (Wider  die  Jugend  -  vor  zwei  Jahren  im  Klett- Verlag  auf  deutsch 
^rsl™  ,»e  ramour«  und  „Contre  la  plebe"  aufgezeichnet.  Wir  veröffentlichen  hier  Aus- 
züge aus  der  zweiten,  die  im  Frühjahr  in  der  Übersetzung  von  Margaret  Carroux  gleichfalls  bei 
Klett  herauskommt;  sie  ist  mit  dem  Prix  Sainte-Beuve  ausgezeichnet  worden. 


Es  ist  ärgerlich,  daß  die  Menschen  zur 
Liebe  tauglich  sind,  ehe  sie  eine  Ahnung 
von  deren  Wesen  haben  und  ihre  Folgen 
ermessen  können.  Aber  das  Schlimmste  ist. 
daß  sie  dann  nur  auf  die  falsche  Weise  lieben 
können.  Und  das,  weil  sie  ihre  Informationen 
auf  diesem  Gebiet  aus  Büchern  beziehen.  Wahr- 
scheinlich praktizieren  die  der  Natur  nahen  Ge- 
schöpfe die  Vereinigung  der  Geschlechter,  ohne 
gekünstelte  Elemente  hineinzumengen,  die  der 
Welt  des  „Gefühls"  entlehnt  sind.  Kurz  gesagt, 
die  Zivüisation  hat  die  Liebe  verdorben,  und 
zwar  durch  ein  Übermaß  von  Idealismus,  dessen 
lächerliche  und  entwürdigende  Wirkungen  be- 
sonders im  Laufe  der  Jugend  auftreten.  Wenn 
man  die  Menschheit  neu  erschaffen  könnte,  dann 
müßte  man  die  Pubertätszeit  um  fünfzehn  oder 
zwanzig  Jahre  hinausschieben. 

Diese  Babys,  die  in  fünf  Minuten  neue  Babys 
erzeugen.  Und  so  immer  weiter,  bis  die  ganze 
Welt  im  Infantilismus  untergegangen  ist. 

Ganz  gewiß  werden  sich  die  Frauen  niemals 
verrechnen,  wenn  sie  auf  die  Faulheit  der  Män- 
ner bauen.  Es  gibt  wenig  Lieben,  bei  denen  der 
Mann  nicht  in  gewissem  Maße  immer  den  Weg 
des  geringsten  Widerstandes  einschlägt.  Insbe- 
sondere der  moderne  Mann,  der  wenig  Zeit  und 
vv^enig  Phantasie  hat.  Er  trifft  gar  keine  Wahl 
mehr,  denn  Wählen  setzt  Verzögerungen  voraus, 
eine  Reihe  von  Überlegungen  und  Umstellun- 
gen.  Man  nimmt,   was  man   findet.   Schicksale 
regeln  sich  in  zehn  Minuten,  wie  beim  Roulette- 
spiel.   Man    verführt    seine    Klassenkameradin, 
man  heiratet  die  Nachbarstochter,  nachdem  man 
flüchtig  mit  der  einen  und  mit  der  anderen  die 
übliche  Komödie  aufgeführt  hat:  plötzliche  Lei- 
denschaft, du  bist  mir  unter  allen  anderen  vom 
Schicksal    bestimmt,    ich    könnte    sterben    vor 
Liebe,  usw.  Die  Liebschaften  und  Ehen  scheitern 
aus  Schlappheit,  haben  Bestand  aus   Gewohn- 
heit, gehen  auseinander  aus  Mangel  an  Mut.  Die 
Phantasie  ist  zu  rege  und  der  Wille  zu  schwach. 
Man  kann  sich  nur  an  jemanden  anschließen, 
den  man  heiß  liebt,  und  dieses  unerhörte  Privi- 
leg läßt  man  einem  x-beliebigen  zukommen. 

Man  kennt  die  Liebe  durch  jene,  die  sie  nicht 
gekannt  haben:  Racine,  Stendhal,  Chardonne  . . . 

Die  Literatur  über  die  Liebe  scheint  sich  das 
Ziel  gesetzt  zu  haben,  eine  Wahrheit,  die  allzu 
oft  scheitert,  durch  eine  rührende  und  dekora- 
tive Fiktion  zu  ersetzen. 


Ein  Gefühl,  das  die  Aufrichtigkeit  des  Begeh- 
rens besäße,  unendlich  wäre  v/ie  die  Leiden- 
schaft und  außerdem  ehrenwert  und  gerechtfer- 
tigt wie  die  eheliche  Zärtlichkeit,  das  ist  die  kon- 
ventionelle Liebe,  wie  sie  in  den  Romanen  be- 
schrieben und  im  Leben  vorgeschrieben  wird. 
Das  Ärgerliche  ist.  daß  es  sie  nicht  gibt. 


päischer  Zuschauer,  daß  sich  junge  Amerikane- 
rinnen in  aller  Öffentlichkeit  von  bedeutungslo- 
sen „Flirts"  küssen  ließen,  obwohl  sie  keines- 
wegs" die  Absicht  hatten,  sich  ihnen  hinzugeben. 
Die  jugendliche  Nachäfferei  konnte  dem  Verlan- 
gen nicht  widerstehen,  diese  Verhaltensweise 
nachzuahmen,  die  indes  bei  uns  einen  anderen 
Sinn  erhält,  und  zf^ar  durch  die  völlig  verschie- 
dene Wirkung,  die  si(  auf  einen  der  Partner  aus- 
übt —  und  sogar  auf  den  anderen,  ein  treffendes 
Beispiel  für  das,  was  an  den  fremdländischen 
Sitten  absurd  ist. 

Überdies  ist  die  Bedeutung  der  Filmsprache 
verfälscht  worden.  Wenn  in  Paris  eine  Frau 
einem  Mann  in  die  Arme  sinkt,  dann  bedeutet 
das  —  noch  heute  - .  daß  sie  ihm  die  letzte  Gunst 
zugestehen  wird.  So  ist  das  nicht  in  einem  Holly- 
wood-Film, aber  da  tauscht  man  sich. 

Irregeführt  durch  das  Kino,  haben  die  franzö- 
sischen Mädchen  die  Fähigkeit  verloren,  bei  der 
amourösen  Koketteiie  eine  wichtige  Nuance 
zum  Ausdruck  zu  bringen.  Jetzt  muß  explizite 
gesagt  werden,  was  man  akzeptiert,  was  man  zu 
tun  bereit  ist,  und  vovon  bis  auf  Widerruf  nicht 
die  Rede  sein  kann.  Die  Art  und  Weise,  wie  die 
Jungen  den  Mädchen  den  Hof  machen,  ist  von 
widerwärtiger  Platti^eil;  es  ist  gar  nicht  mehr 
spannend:  Man  schläft  miteinander,  oder  man 
schläft  nicht  miteinander.  Ich  sage  nicht,  daß  die 
durch  die  männliche  Widerspenstigkeit  der  her- 
kulischen Yankees  hervorgerufene  Zv/eideutig- 
keit  die  einzige  Ursache  dieses  Wandels  war. 
Etwas  Schuld  hat  sie. 


„Ich  liebe  sie!"'  •—  „Ach  so.  Sie  lieben  sie!"  Als 
ob"  dieses  Verb  zu  allem  paßte,  alles  erklärte! 
Man  fügt  nicht  hinzu,  wie  man  müßte:  „Lieben 
Sie  sie  so.  daß  Sie  eine  aufregende  Nacht  mit  ihr 
verbringen  möchten  oderfünf  langweilige  Jahre? 
.  .  .  Des  Haders  müde?  .  . .  Unfreiwillig?  .  . .  Aufs 
Geratewohl?  .  .  .  Weil  sie  die  erste  ist  —  oder  die 
letzte?  .  .  .  Alles  wohlüberlegt?  . .  .  Ohne  eigent- 
lich zu  wissen,  warum?  .  .  .  Den  Kopf  verloren 
oder  an  etwas  anderes  gedacht  .  . .  Wegen  ihres 
linken  Ohrs,  ihres  Ganges,  eines  Blicks,  etwas 
bloß  Dahergeredetem.  eines  Rocks,  der  ihr  gut 
steht,  wegen  ihres  Geldes?  Aus  Berechnung?  . .  . 
Wie  in  einem  Traum?  . . .  Handelt  es  sich  darum, 
ein  wenig  auf  einer  Bank  zu  plaudern,  gemein- 
sam nach  Spanien  zu  fahren  und  dann  Schluß, 
eher  sechs  Menschen  umbringen  als  auf  sie  ver- 
zichten, und  auch  sie  umbringen?  ...  Mit  ihr  eine 
Familie  gründen  oder  sie  nur  im  Kino  an  sich 
drücken?    Ihr    mit    feierlichen    Schwüren    Ihr 
Leben  weihen?  Mit  der  Absicht,  die  Schwüre  zu 
brechen,   oder   so   aufrichtig   wie  es   nur   geht? 
Aber  in  diesem  Fall,  um  die  Aufrichtigkeit  bald 
zu  revidieren,  um  zu  erkennen,  daß  Sie  sich  ge- 
täuscht haben,  und  mit  hundert  anderen  anzu- 
fangen? .  . .  Lieben  und  achten  Sie  sie?  Oder  lie- 
ben und  hassen  Sie  sie?  Lieben  Sie  ihr  Traum- 
bild, das  Symbol  der  Weiblichkeit,  Ihr  eigenes 
Ebenbild;  alle  oder  niemanden?  ...  Und  wenn 
Sie  sagen,  Sie  lieben  sie,  wollen  Sie  damit  nicht 
sagen,  was  jedermann   sagt?   Oder  um  irgend 
etwas  zu  sagen?  . . .  Nennen  Sie  nicht  die  Ab- 
wechslung, die  in  Ihrem  Leben  gang  und  gäbe 
ist,  gern  Liebe?" 

Wenn  jemand,  der  liebt,  auf  diese  Fragen  eine 
Antwort  gibt,  spricht  er  sich  selbst  das  Urteil. 
Wenn  er  nicht  antwortet,  spricht  er  sich  auch 
das  Urteil.  Aber  das  haben  schon  Millionen  Män- 
ner vor  ihm  getan;  weil  sie  der  Verlegenheit,  in 
die  eine  Frau  sie  bringt,  nicht  entgehen  können, 
ohne  sie  ihrer  Liebe  zu  versichern,  und  weil  das 
ein  Wort  bar  jedes  Sinnes  ist.  Oder  aber  ein  un- 
endlich vielsinniges  Wort,  was  auf  dasselbe  hin- 
ausläuft. 

Daraus  folgt,  daß  es,  wenn  man  erklärt,  man 
liebe,  nichts  regelt,  nichts  beweist,  außer  daß  es 
für  denjenigen,  der  spricht,  unmöghch  ist,  seine 


Unsere   Vorfahren   hatten   eine   Strategie   für 
Gefühl  und  Sinnlichkeit  aufgestellt,  vom  Salon 
des  Bordells  bis  zu  dem  der  Mme  Recamier,  die 
dem  Rhythmus  des  Mannes  entsprach  und  ihm 
erlaubte,     alle     seine    Hilfsmittel     aufzubieten, 
wobei   den   Frauen   die  Möglichkeit   blieb,   sich 
damit  abzufinden  oder  nicht,  je  nach  ihrer  Nei- 
gung und  der  Lage.  Dieses  Kartenhaus,  das  aus 
Konventionen,  Angriffs-  und  Vertcidigungsmit- 
teln,  maßvollen  Konzessionen  und  stets  abände- 
rungsfähigen und  erklärbaren  Verhaltensweisen 
bestand,     ist     bedauerlicherweise     eingestürzt, 
nachdem  es  drei  Jahihunderte  überdauert  hatte. 
Die  galante  Liebe  darf  nur  noch  als  Erinnerung 
zählen.  Sie  wird  durch  etwas  anderes  ersetzt,  das 
sich  zu  ihr  in  etwa  verhält  wie  Esperanto  zur 
Sprache  von  Mallarmc.  Wohlgemerkt,  weder  die 
eine  noch  das  andere  enthält  wahre  Liebe.  Ein 
subtiles  Spiel  ist  auf  ganz  dumme  Weise  durch 
plumpes  Spiel  ersetzt.  Der  Einsatz  bei  beiden  ist 
das  Flechtwerk  verschiedener  Freuden,  die  ein 
Glacis  um  die  Befriedigung  des  Begehrens  bil- 
den. 

Zweifellos  bringt  man  es  leichter  fertig, 
jemanden  zu  lieben,  den  man  nicht  liebt,  als 
jemanden,  den  man  liebt. 

Es  gibt  keine  unglückliche  Liebe,  keine  erkal- 
tete Liebe,  keine  Verzweiflung  aus  Liebe; ebenso- 
wenig, wie  es  eine  ausschUeßlich  positive  Elek- 
trizität gibt.  Die  Liebe  beginnt,  wenn  der  Strom 
einsetzt.  Vorher  sind  es  nur  Sehnsüchte,  Enttäu- 
schungen oder  Verirrungen.  Ein  junger  Mann, 
den  seine  Schöne  zurückgewiesen  hat,  stürzt  sich 
ins  Wasser.  „Er  stirbt  aus  Liebe!"  Nein,  er  stirbt 
aus  Mangel  an  Liebe.  Männer  bringen  sich  um, 
weil  sie  nicht  dem  Mut  haben,  nachdem  sie  bei 
einer  Frau  gescheitert  sind,  ihr  Glück  bei  einer 
anderen  zu  versuchen.  Othello,  Werther  und  so 
weiter:  Leute,  die  für  die  Liebe  nicht  geeignet 
sind. 

Heute  wird  die  Gesellschaftstheorie  von  einer 
großen  Zahl  von  Leuien  aufgeslol'.t.  Hie  tnrihig 
sind,  sich  der  ersten  gescUschaftlichtn  Regel  zu 


manistisch     unterentwickelten    England.     Sieht 
man  von  Roy  Pascal  und  Michael  Hamburger 
oder  von  Martin  Esslin  ab,  so  ist  bisher  von  jen- 
seits der  Themse  nur  wenig  deutsche  Literarkri- 
tik  in  das  Ursprungsland  seiner  Texte  zurückge- 
flossen. Die  Beschäftigung  nüt  Literatur  ist  im 
angelsächsischen    Raum    weit    weniger    in    die 
Sackgasse   werkimmanenter   Interpretation    ge- 
laufen. Der  Blick  auf  die  gesellschaftliche  Um- 
welt ging  nie  verloren,  und  die  soziologischen 
Quellen  begannen  früher  als  hierzulande  auch  in 
die  Germanistik  zu  fließen. 

Man  erinnert  sich,  der  amerikanische  Har- 
vard-Ökonom J.  Kenneth  Galbraight  veröffent- 
lichte 1958  „The  Affluent  Society"  (deutsch  1959 
als  „Gesellschaft  im  Überfluß"  erschienen).  Die 
englischen  Germanisten  Richard  H.  Thomas 
(geb.  1912)  und  Wilfried  van  der  Will  (geb.  1935) 
publizierten  ihre  Untersuchungen  zum  deut- 
schen Roman  der  fünfziger  und  sechziger  Jahre 
1968  unter  dem  soziologischen  Titel  „The  Ger- 
man  Novel  and  the  Affluent  Society".  Jetzt  liegt 
die  überarbeitete  und  erweiterte  deutsche  Über- 
setzung vor. 

Jede  größere  gesellschaftliche  Veränderung 
verändert  auch  das  Gegenüber  und  die  Bedin- 
gungen, Objekt  und  Subjekt  der  Literatur.  Nach 
Ansicht  der  beiden  Autoren  wurde  die  literari- 
sche „Tabula-rasa"-Situation  nach  45  über- 
schätzt, der  Beginn  des  wirtschaftlichen  Wieder- 
aufstiegs und  die  sich  ausbreitende  Wohlstands- 
gesellschaft als  literarische  Zäsur  unterschätzt. 
Methodisch  betrachtet  sich  die  Untersuchung 
..literatursoziologisch  nur  insofern,  als  sie  die  für 
eine  kritische  Interpretation  notwendigen  sozio- 
logischen Kenntnisse  berücksichtigt".  Später 
heißt  es  im  Kapitel  über  Martin  Walser:  „An  die 
Stelle  weltan.schaulicher  Dogmatik  ist  soziologi- 
sche Einsicht  getreten."  In  einem  einleitenden 
Essay  beschreibt  Thomas  literar-  und  gesell- 
schaftsgeschichtliche Voraussetzungen.  Verän- 
derungen des  Romans,  des  Erzählerbewußtseins, 
der  Gesellschaft.  „Eine  allerorten  pluralistisch 
verstandene  Gesellschaft,  entgegen  der  älteren 
Vorstellung  vom  organisch  einheitlichen  Cha- 
rakter, drängt  dem  Individuum  widersprüch- 
liche Forderungen  und  Möglichkeiten  aus  ver- 
schiedenen Richtungen  auf."  Goethes  „unent- 
rinnbare Identität  des  Selbst"  war  schon  bei 
Nietzsche,  war  im  Roman  bei  Robert  Musil,  jetzt 
aber  in  fast  jeder  kritischen  Erfahrenssumme  in 
die  Brüche  gegangen. 

Zeitlich  beginnt  die  Thematik  des  aufsteigen- 
den Wohlstands  mit  Wolfgang  Koeppens  „Tau- 
ben im  Gras",  geschrieben  nach  dessen  eigenen 
Worten  „kurz  nach  der  Währungsreform,  als  das 
deutsche    Wirtschaftswunder    im    Westen    auf- 
ging", veröffentUcht  1951.  Den  Durchbruch  des 
neuen  deutschen  Romans  sehen  Thomas  und  van 
der  Will  um  1958/59  mit  Gaisers  „Schlußball", 
Bölls  „Billard  um  halb  zehn",  mit  der  „Blech- 
trommel" von  Grass  und  Johnsons  „Mutmaßun- 
gen über  Jakob".  Im  gleichen  Jahr  1959  sagte 
Günter  Eich  in  seiner  Büchnerpreis-Rede:  „Es 
wird  Ernst  gemacht,  die  perfekt  funktionierende 
Gesellschaft  herzustellen.  Wir  haben  keine  Zeit 
mehr,  ja  zu  sagen.  Wenn  unsere  Arbeit  nicht  als 
Kritik   verstanden   werden   kann,   als   Gegner- 
schaft und  Widerstand,  als  unbequeme  Frage 
und    als    Herausforderung    der    Macht,    dann 
schreiben  wir  umsonst,  dann  sind  wir  positiv 
und  schmücken  das  Schlachthaus  mit  Geranien." 
Im  folgenden  Jahr  kam  Martin  Walsers  Roman 
„Halbzeit"   dazu;   der   Typ   des   Vertreters   und 
Handlungsreisenden  auch  hierzulande.  Ein  Sei- 
tenblick auf  die  Lyrik  hätte  im  gleichen  Jahr 
Enzensbergers     „Landessprache"     gezeigt.     Die 
Zäsur  ist  erkennbar. 

Im  Hauptteil  analysieren  Thomas  und  van  der 
Will  die  Romane  von  Gerd  Gaiser,  Wolfgang 
Kocppen,  Heinrich  Böll.  Günter  Grass,  Martin 
Walser,  Uwe  Johnson.  Als  einziger  Vertreter  der 


Frisch  hätte  hier  wohlgetan. 

Die    übrigen    genannten    fünf    Autoren    ver- 
treten    als     zeitgenössisdie     Intellektuelle     das 
Antiideologisdie    und    die    mehr    oder    minder 
ausdrückliche  Utopie   einer   rationalen   Gesell- 
sdiaft   auf   der   Grundlage   einer   international 
gesonnenen  Humanität.  Koeppens  Ausweichen 
auf   Relsebüdier   wird   nicht   mehr   betrachtet. 
Bölls  Auseinandersetzung  mit  der  Wohlstands- 
welt   beginnt    mit    den    Satiren    von    1952/53. 
Die  Verunsicherung  der  Individualität  gegen- 
über der  sie  umstellenden  Wirklichkeit  beginnt 
im   „Haus   ohne   Hüter",    bricht   im   „Billard"- 
Roman  durch.  In  den  „Ansichten  eines  Clowns" 
ist  „die  Wirklichkeit  zum  erstenmal  die  Gegen- 
wart der  pluralistischen  Gesellschaft  der  Bun- 
desrepublik". Mit  der  Kritik  der  Wohlstandsge- 
sellschaft als  Auswahlprinzip  der  Romane  geht 
es  nicht  ganz  so  streng  zu.  Der  exzellent  analy- 
sierte „Blechtrommer'-Roman  —  van  der  Will 
kennt  ihn  aus  seinen  Picaro-Studien  —  hat  ja 
mit  der  Wohlstandsthematik  kaum  etwas  ge- 
mein, wohl  aber  mit  der  Rollenthematik,  die  van 
der  Wills  Schlußkapitel  einholt.  Auch  die  „Hun- 
dejahre" stoßen  erst  im  dritten  und  schwächsten 
Romanteil  auf  bundesdeutschen  Wohlstandsbe- 
trieb.   Ähnliches    gilt    von    Johnsons    „Drittem 
Buch  über  Achim",  einer  Art  Detektivgeschichte 
über  eine  festzustellende  Identität.  Daß  John- 
sons schwächere  „Zwei  Ansichten"  dagegen  aus- 
fallen,  hat   mit   dem   Abschluß   der  Arbeit   im 
Herbst   1966  zu  tun.  Der  neugierig  weiterboh- 
rende Leser  bedauert  natürlich,  daß  keine  von 
den  Frauen  —  Wohmann,  Eisner,  Rasp  —  ins 
Blickfeld  kommt.  Frischs  „Homo  Faber"  hätte 
berücksichtigt  werden  sollen. 

Im  Verlauf   der   Lektüre   wird   immer   deut- 
licher,    daß     die     Darstellung     des     deutschen 
Romans    in    der    Wohlstandsgesellschaft    einen 
zweiten  Pol  hat:  den  der  Rolle  und  Identität.  Es 
.scheint,   als  habe  van  der  Will  diesen  Aspekt 
stärker  hereingeholt.  Und  von  hierher  erschei- 
nen  die   Romane   von   Grass,   Johnson.   Martin 
Walser,  der  im  Nachhinein  hereingeholte  ..Gan- 
tenbein"  von   Frisch,   erschiene   sogar   „örtlich 
betäubt"   im   Licht   einer   breiten   thematischen 
Bahn  der  Verunsicherung  von  Identität.  Van  der 
Wills    Schlußüberlegungen    zum    Problem    der 
Spannung    empirische    und    fiktionale    Gesell- 
schaft, zum  Begriff  der  plurahstischen  Gesell- 
schaft, zu  Literatur  und  Markt,  zum  Schriftstel- 
ler als  Intellektuellen,  zum  genannten  Rollenda- 
sein, führen  über  den  einleitenden  Ansatz  und 
zum  Teil  auch  über  die  Romananalysen  hinaus. 
Insofern   ist   die   Darstellung   nicht    ganz   inte- 
griert, werden  Materialteile  sichtbar.  Man  hätte 
gern  Beziehungen  zum  „Nouveau  Roman"  und 
zu  der  in  den  mittleren  sechziger  Jahren  sicht- 
bar  werdenden    ..dokumentarischen    Literatur- 
hergestellt gesehen.  In  dem  von  Will  erwähnten 
Vorwort  Martin  Walsers  zu  Erika  Runges  ..Bott- 
roper Protokollen"  wird  nicht  nur  dokumentii- 
risches  Aufmerken,  sondern  auch  das  Problem 
der  vom  intellektuellen  Schriftsteller  nicht  dar- 
gestellten   und    nicht    darstellbaren    Welt    der 
Arbeit  deutlich. 

Die  beiden  englischen  Germanisten  haben  der 
gegenwaitsscheuen  deutschen  Germanistik  eine 
kenntnisreiche,  auf  soziologischem  Nenner  auf- 
gebaute, exemplarische  Untersuchung  zum 
Roman  und  zur  Kritik  der  Wohlstandsgesell- 
.schaft  gegeben.  Daß  es  bei  einer  so  gegenwarts- 
nahen Untersuchung  Auslassungen  und  Rand- 
unschärfen  gibt,  liegt  in  der  Schwierigkeit  der 
Sache.  Eine  erste  umfassende  Darstellung  unse- 
rer zweiten  literarischen  Periode  seit  45  liegt 
vom  Roman  her  vor.  Höllerers  „Sprache  im 
technischen  Zeitalter",  Enzensbergers  „Kurs- 
buch", Baumgarts  „Frankfurter  Poetikvorlesun- 
gen" signalisieren,  so  meine  ich,  den  Einstieg  in 
die  dritte. 


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MB 


5. 


*^^raar 


1968 


Seite  7 


/^7 


Zur  Geschichte  der  Juden  in  Deutschland 


1/ 


I.  WERTHEIM/MAIN 


Die  von  Dr.  Eugen  Ludwig  Rapp, 

Professor  für  semitische  und  afri- 
kanische Sprachen  an  der  Univer- 
sität Mainz,  angeregte  wissenschaft- 
liche (auch  fotographische)  Aufnah- 
me von  kunst-  und  kulturhistorisch 
wertvollen  Grabsteinen  und  Grab- 
steininschriften auf  dem  am 
Schlossberghang  gelegenen,  würdig 
hergerichteten,  altehrwürdigen  jüdi- 
schen Friedhof  in  Wertheim/Main 
geht  weiter;  sie  erstreckt  sich  jetzt 
bis  auf  das  Jahr  1699.  Solche  Ar- 
beiten sind  naturgemäss  auch  von 
der  Wittenmg  abhängig.  Der  bis 
ins  15.  Jahrhundert  zurückgehende 
Friedhof  wird  häufig  besucht,  nicht 
nur  von  Ausländern,  die  zu  der  al- 
ten jüdischen  Gemeinde  famüiäre 
Beziehungen  haben.  Bis  ins  Jahr 
1938,  also  fast  500  Jahre  lang,  ist 
der  Friedhof  belegt  worden.  Ein 
Grabstein  mit  dem  Datum  vom  13. 
Oktober  1469  trägt  diese  (aus  dem 
Hebräischen  übersetzte)  Inschrift 
„Hier  ist  ein  rechtschaffener  und 
zuverlässiger  Mann  bestattet,  der 
Herr  Mordechai,  der  Sohn  des 
Herrn  Meir,  sein  Andenken  gerei- 
che zum  Segen,  der  begraben  wur- 


de am  5.  Wochentage,  am  6.  Mar- 
cheschwan  des  Jahres  230  der  klei- 
nen Zeitrechnung  im  sechsten  Jahr- 
tausend. Seine  Seele  sei  aufbewahrt 
im  Beutel  des  Lebens,  im  Garten 
Eden.  Amen".  Erich  Langguth,  der 
historisch  geschulte  Wertheimer 
Stadtarchivar  und  Genealoge,  der 
sich  insbesondere  um  die  Erhal- 
tung des  jüdischen  Friedhofs  der 
Stadt  bemüht  und  verdient  macht, 
hat  erst  kürzlich  wieder  darauf 
hingewiesen,  dass  eine  Geschichte 
dieses  Friedhofs  noch  nicht  ge- 
schrieben ist.  Professor  Rapp  hat 
im  „Wertheimer  Jahrbuch"  1961/62 
einen  gewissen  Anfang  gemacht,  in- 
dem er  dort  die  Texte  von  insge- 
samt 72  datierbaren  Grabsteinen 
wiedergegeben  und  mit  Ueberset- 
zung  und  kurzen  Erläuterungen  ver- 
sehen hat.  Heute  existiert  eine  jü- 
dische Gemeinde  in  dieser  zu  Ba- 
den gehörenden  alten  Mainstadt 
nicht  mehr.  Bis  in  die  30er  Jahre 
war  sie  der  Sitz  des  gleichnamigen 
Rabbinatsbezirks,  der  etwa  zehn 
Gemeinden  umfasste;  zu  ihnen  ge- 
hörten als  die  grösseren  Wertheim 
und  Tauberbischofsheim. 


II.  WESTFALEN 


Schon  früh,  im  Jahre  1886,  ist 
Professor  Franz  Boas  (Minden  I.W. 
1858  —  New  York  1942)  nach  Ame- 
rika gegangen.  Er  unternahm  ins- 
besondere in  Kanada  ausgedehnte 
Forschungsreisen.  Ende  1931  hielt  er 
in  der  Columbia-Universität  in  New 
York  einen  Vortrag  über  „Rasse  imd 
Kultur".  An  den  Schluss  stellte  er, 
dem  die  politisch-geistige  Entwick- 
lung im  Deutschland  jener  Zeit,  vor 
allem  das  allmähliche  Aufblühen 
der  biologisch  verankerten  antise- 
mitischen Rassentheorie  nicht  ent- 
gangen war,  den  Satz:  das  Verhal- 
ten eines  Volkes  wird  nicht  we- 
sentlich durch  seine  biologische  Ab- 
stammung bestimmt,  sondern  durch 
seine  kulturelle  Tradition;  die  Er- 
kenntnis dieser  Grundsätze  werde 
der   Welt   und   besonders   Deutsch- 


land   viele    Schwierigkeiten    erspa- 
ren... 

Jetzt,  25  Jahre  nach  Boas'  Tod, 
ist  Dr.  Bernhard  Brilling,  Oberku- 
stos an  der  Universität  Münster 
i.W.,  den  Vorfahren  des  Anthropo- 
logen nachgegangen.  In  einem  in 
den  „Mitteilungen  des  Mindener 
Geschichts-  und  Museumsvereins" 
erschienenen  Aufsatz  stellt  er  auf- 
grund eingehender  (und  dement- 
sprechend zitierter)  archivarischer 
Forschungen  fest,  dass  sich  Boas' 
Vorfahren  väterlicherseits  bis  gegen 
Ende  des  17.  Jahrhunderts  zurück- 
verfolgen lassen;  sie  lebten  in 
Werther  bei  Bielefeld.  Die  Vorfah- 
ren der  Mutter  gehörten  zu  den  al- 
ten westfälisch-jüdischen  Familien, 
sie  kamen  aus  dem  im  Fürstbistui?* 
Minden  gelegenen  Petershagen  (We- 
ser). 


NEUE   STUDIEN  UND  MATERIALIEN 


Bis  zum  sogenannten  Anschluss 
Oesterreichs  an  das  Deutsche  Reich 
konnte  sich  die  im  14.  Jahrhundert 
entstandene    imd    im    ausgehenden 
17.    wiedererstandene    jüdische    Ge- 
meinde Eisenstadt/Burgenland   ihre 
politische  Selbständigkeit  bewahren. 
Sie  war  nicht  nur  bekannt  als  eine 
alte  Stätte  jüdischer  Gelehrsamkeit, 
sondern  auch  dadurch,  dass  sie  im 
westjüdischen    Bereich    die    einzige 
politische    jüdische    Gemeinde    war. 
Als  Heft  51   der   „Burgenländischen 
Forschungen",     1966    herausgegeben 
vom  Burgenländischen  Landesarchiv 
in  Eisenstadt,  ist  eine,  mit  zahlrei- 
chen Abbildungen  ausgestattete  Stu- 
die von  Joseph  Klampfer  über  das 
Eisenstadter  Ghetto  erschienen.  Sie 
umfasst  eine  kurze  Geschichte  der 
Juden    dieser    Stadt,    reichend    bis 
zur  Vertreibung  bzv/.  „Aussiedlung" 
der  etwa  550  Juden  aus  Stadt  und 
Bezirk   Eisenstadt.   Am   1.   Septem- 


In  den  von  dem  bekannten  Ge- 
schichtsprofessor Dr.  Fritz  Fischer 
(mit  Unterstützung  der  Stadt)  her- 
ausgegebenen „Hamburger  Studien 
zur  neueren  Geschichte"  (Europäi- 
sche Verlagsanstalt,  Frankfurt  a.M. 
1967)  ist  als  Band  9  erstmals  ein 
Beitrag  zur  Geschichte  der  Hambur- 
ger Juden  herausgegeben.  In  ihm  be- 
handelt Helga  Krohn,  gestützt  auf 
im  Hamburgischen  Staatsarchiv  auf- 
bewahrte Akten  des  Senats  und  der 


ber  1964  wohnten  im  ganzen  Eisen- 
stadter Bezirk,  worauf  ausdrücklich 
hingewiesen  ist,  nur  wieder  -  16 
Juden!  Unter  den  bekannten  Per- 
sönlichkeiten, die  der  jüdischen  Ge- 
meinschaft der  Stadt  ihr  Gepräge 
gaben,  sind  auch  Akiba  Eger,  der 
1761  dort  geboren  war  (und  1837 
in  Posen  gestorben  ist)  und  Dr.  Is- 
rael Hildesheimer  (1820—1899),  der 
Schöpfer  der  Eisenstadter  Jeschi- 
wah,  genannt,  dessen  Briefe,  auch 
aus  seiner  dortigen  Amtszeit,  in  ei- 
ner Auswahl  1966  vom  Leo-Baeck- 
Institut  herausgegeben  worden  sind. 
Die  Schrift  enthält  schliesslich  die 
Namen  der  Gemeindevorsteher  von 
1822  bis  1938,  der  jüdischen  Richter 
von  1688  bis  1938,  auch  der  Lehrer 
und  Kantoren.  Grosse  Teile  der  Ge- 
burten-, Heirats-  und  Sterberegister 
etwa  der  60  Jahre  ab  1880  sind 
abgedruckt. 


alten  jüdischen  Gemeinde,  die  Sta- 
dien vor  allem  der  sozialen  Ent- 
wicklung der  jüdischen  Gesamtheit 
in  der  ersten  Hälfte  des  vorigen 
Jahrhunderts,  als  sich  die  Eman- 
zipation langsam  Bahn  brach.  Im 
Mittelpunkt  stehen  die  Problematik 
einer  beruflichen  Umschichtung,  wie 
sie  zwischen  1815  und  1850  versucht 
wurde,  und  die  Stellung  und  Be- 
deutimg der  Juden  im  Hamburger 


Lükalnotiz 


die     selige 
nur   einige 


Es  scheint,  dass 
Donaumonarchie  nicht 
der  besten  Journalisten  in  deut- 
scher Sprache  hervorgebracht  hat 
—  man  entschuldige,  wenn  das 
Feindespaar  Theodor  Herzl  und 
Karl  Kraus  hier  in  einem  Atem 
genannt  sei  —  sondern  auch  aus- 
gezeichnete Vertreter  in  einigen 
nahen  und  fernen  Hilfsberufen  der 
Presse;  man  denke  beispielsweise 
an  den  von  Peter  Altenberg  ver- 
ewigten Kaffeehauskellner,  der  von 
jedem  seiner  Stammgäste  wusste, 
welche  Zeitungen  und  in  welcher 
Reihenfolge  er  sie  von  ihm  zur 
Lektüre    gebracht    haben    wollte. 

Auch  Herr  Blum  —  vor  seiner 
Einwanderung  in  Israel  Besitzer 
einer  Fabrik  in  Ungarn  —  gehörte 
in  die  Kategorie  der  lobenswerten 
Hilfsarbeiter  im  Zeitungsgev/erbe. 
Nicht  nur  in  der  Entschlossenheit, 
mit  der  er  sich  an  seinem  Ver- 
kaufsstand in  der  Jerusalemer  Ben- 
Yehuda- Strasse  auf  seine  neue 
Arbeit  umgestellt  hat,  liegt  der 
Beweis  seiner  Würde,  sondern  auch 
in  der  fast  philosophischen  Skepsis, 
mit  denen  er  stets  seine  Blätter 
an  den  Mann  und  an  die  Frau 
bringt  —  eine  Haltung,  die  ihn 
fast  zu  einem  Berufsbruder  der 
Journalisten  gemacht  hat,  sind  die 
doch  erst  wirklich  gute  Zeitungs- 
schreiber, die  gegenüber  den  Ereig- 
nissen, die  sie  berichten  sollen,  die 
vorsichtige  mentale  Zurückhaltung 
haben,  die  auf  dem  Wissen  beruht, 
dass    auch     in    den    grossen    und 


kleinen  Küchen  der  (jescliichte 
nur  mit  Wasser  gekocht  wird,  und 
dass  man  nicht  alles  für  unabwert- 
bare  Mün2:e  nehmen  darf,  was  man 
so  erfährt. 

Auch  zeigte  Herr  Blum  stets  sei- 
nen selbstbewussten  Stolz  vor  der 
Diktatur  des  schlechten  Geschmacks. 
Zugleich  ein  Ritter  und  Gentleman 
seines  Berufs  und  Diener  am 
Publikum  hat  er  sich  zwar  nicht 
gerade  geweigert,  zweit-  und  dritt- 
klassige  Presseerzeugnisse  zu  füh- 
ren, zeigte  aber  dem  Kunden  doch 
recht  deutlich,  was  er  von  ihnen 
hielt  —  nämlich  gar  nichts.  Vom 
„M.B."  hingegen  hatte  er  eine  sehr 
hohe  Meinung.  Als  ich  einmal  bei 
ihm  nach  einer  bestimmten  Num- 
mer des  Blattes  fragte  und  im 
Scherz  bemerkte,  dass  sie  teuer 
sei,  antwortete  er  fast  vorwurfsvoll- 
beleidigt: „Das  „M.B."  kann  gar 
nicht  billiger  sein.  Das  ist  das 
beste  Blatt  von  allen",  und  mit- 
leidig-herablassend  fügte  er  hinzu: 
„Aber    das    verstehen    Sie    nicht..." 

Nun  haben  wir  gehört,  dass  Herr 
Blum  beschlossen  hat,  sich  ins 
Privatleben  zurückzuziehen,  nach- 
dem er  so  viele  Jahre  hindurch 
in  seiner  Zeitimgsfeste  Wind,  Wet- 
ter und  den  wildesten  Schlagzeilen 
getrotzt  hat.  Seine  vielen  ihm 
bekannten  und  auch  die  ihm 
anonym  gebliebenen  Freunde  wün- 
schen üim  noch  viele  gute  Tage 
seines     Lebens     Abendausgabe     zu 


gemessen. 


ERICH    GOTTGETREU 


Internationales  Erbrecht 


In  der  Literatur  zum  internatio- 
nalen Erbrecht  nimmt  das  Quellen- 
werk von  Prof.  Dr.  M.  Ferid  und 
Prof.  Dr.  K.  Firsching  „Internatio- 
nal»!« Erbrecht"  (C.  H.  Beck'sche 
Verlagsbuchhandlung,  München  und 
Berlin)  einen  hervorragenden  Platz 
ein,  nicht  nur  weil  es  die  Quellen 
des  Erbrechts  der  einzelnen  Länder 
mit  systematischen  Darstellungen 
des  ^materiellen  Erbrechts  und  des 
Kollisionsrechts  der  Staaten  bringt, 
sondern  auch  weil  durch  die  Lose- 
blattausgabe ermöglicht  wird,  das 
Werk  auf  dem  neuesten  Stand  zu 
halten,  was  für  die  Benutzung  in 
der  Rechtspraxis  von  grösster  Be- 
deutung ist. 

Die  letzte  sechste  Lieferung  ent- 
hält vor  allem  eine  Neubearbeitung 
des  Erbrechts  der  wichtigsten  Staa- 
ten der  U.S.A.  wie  New  York,  Illi- 
nois und  California.  Dies  ist  beson- 
ders wichtig,  weil  das  Rechtsden- 
ken und  der  Aufbau  des  Rechts- 
systems der  Vereinigten  Staaten  so- 
wie die  praktische  Behandlung  so 
sehr  von  dem  kontinental-europäi- 
schen Recht  abweicht,  dass  blosse 
Hinweise  auf  Änderungen  nicht  ge- 
nügen würden. 

Im  Abschnitt  Deutschland  sind 
u.a.  das  dort  am  1.  Januar  1966  in 
Kraft  getretene  Uebereinkommen 
über  das  auf  die  Form  letzwilliger 
Verfügungen  anzuwendende  Recht 
sowie  Ergänzungen  zum  Erbschafts- 
steuerrecht aufgenommen.  Auch  die 
Kapitel  Oesterreich  und  Schweiz 
sind  ergänzt  worden. 

Daneben  bringt  diese  Lieferung 
für  das  erste  der  Länder  des  skan- 
dinavischen Rechtskreises  das  Erb- 
gesetz von  Dänemark.  Aufgenom- 
men sind  ferner  die  in  Belgien  gel- 


tenden erbrechtlichen  Vorschriften, 
soweit  sie  von  denen  des  jetzt  gel- 
tenden französischen  Code  Civil  ab- 
weichen. In  Spanien  fehlt  es  auf 
dem  Gebiete  des  Erbrechts  noch 
an  einer  Rechtseinheit  und  so  gut 
das  hier  abgedruckte  Erbrecht  des 
Codigo  Civil  nicht  in  einer  Reihe 
von  Provinzen  wie  etwa  dem  wich- 
tigen Katalonien  mit  der  Stadt  Bar- 
celona, wo  auch  heute  noch  beson- 
deres provinziales  Recht  Anwen- 
dung findet.  Femer  wurden  die 
erbrechtlichen  Vorschriften  des  neu- 
en Bürgerlichen  Gesetzbuches  der 
Tschechoslowakei  aufgenommen,  die 
am  1.  April  1964  in  Kraft  getreten 
sind,  jedoch  richtet  sich  das  Erb- 
recht nach  dem  am  Tage  des  To- 
des des  Erblassers  geltenden  Recht. 

Für  die  kommenden  Lieferungen 
sind  vorgesehen  das  Erbrecht  Gross- 
britanniens, der  Niederlande  und 
vor  allem  auch  eine  weitgehende 
Neubearbeitung  des  Erbrechts  Is- 
raels, die  infolge  des  —  im  Wort- 
laut bereits  früher  wiedergegebenen 
—  Erbgesetzes  von  1965  notwendig 
geworden  ist. 

Wünschenswert  wäre  es,  dass 
auch  bei  den  wichtigen  europäi- 
schen Ländern  die  praktische  Ar- 
beit durch  ein  Stichwortregister  er- 
leichtert würde,  wie  dies  etwa  bei 
dem  Band  U.S.A.  bereits  geschehen 
ist. 

Diese  Hinweise  sind  auch  an 
dieser  Stelle  von  Interesse,  weil 
sich  gezeigt  hat,  dass  gerade  auf 
dem  Gebiete  des  Erbrechts  sich 
ständig  Fragen  ergeben,  die  auf  der 
Verbreitung  der  Mitglieder  jüdi- 
scher Familien  über  die  verschie- 
densten Länder  beruhen. 

Dr.  RUDOLF  LEVY 


Wirtschaftsleben.  Zu  beiden  Aspek- 
ten wird  viel  aufschlussreiches  Ma- 
terial geliefert.  Ueberhaupt  zeichnet 
sich  diese  Arbeit  auch  in  anderen 
Abschnitten  (jüdisch-kulturelle  Re- 
formen; Kampf  um  die  bürgerliche 
Gleichstellung)  durch  die  sorgfälti- 
ge  Berücksichtigung   und   die    wis- 


senschaftlich einwandfreie  Zitierung 
bisher  ungenutzter  Quellen  aus.  Ge- 
rade das  hebt  den  Wert  dieser  Stu- 
die, mit  der  die  geschulte,  jüdisch 
interessierte  junge  Wissenschaftle- 
rin die  jüdische  Hamburg-Literatur 
bereichert  hat. 

E.  G.  LOWENTIIAL 


/ 


) 


Seite  24  —  ZEIT  Hn  49 


lITrnÄTUR 


Pu:nri\9t„  de^  ?t>    Dtzembev  1968 


Ein  F 


('  u  er 


aui  (KT  I  JtlC 

KiTist  Blochs  .,A(lu'is«)nis  im  (  lirislciiliim 


\  (Hl  I'  ri(:(li"i(  ii  I  leer 


Im  Rahmen  tlcs  let/tcn  Philosoplun  Kun-rcsM-s 
kam  es,  in  Wien,  zu  eiiu-ni  /iis.innncii  .k.In 
F.rnst  Blochs  niit  einem  ViMir.ici  .In  IMSSK, 
der  den  akademischen  Raliinni  spi\-ii;.;u-.  1>h' 
Schatten  von  I'raj;  her  hcihohim  da  nniuli- 
akademische  Sonne,  deren  Licht  iin  Vdhi.i;'  nivlii 
so  redit  leuchten  komitc.  Somieiiiiiisu  rnis.  Mm 
schenfinsternis.  Da  stand  a!s>)  der  jmi-i'  \iu>\ 
]\\öch  ((ieist  ist  an  kein  Kalcndtraher  -ihimden) 
und  sddeuderte  seine  Blitze,  h-^ljnr.:,  jor  (i)}ni>l; 
mtnts:  tiic  Misere  der  Phih)sophie  liaii-i  .in  der 
Geschichie  der  Anenipiindun-en  von  I'hiii)M>plien, 
die  dem  je  vermeintlich  erspiiiuii  „/.eiti;cist"  ihr 
philosophierendes  Mäntelchcu  unih,in;;cn.  Woin 
ger  sensible  Geislc-r  haschen  dnrki  nach  einem 
Zipfel  vom  Mantel  der  Macht  der  M;ichtii;en 
und  stellen  sich  als  Ideologen  /iir  Vcilü-un^. 

Nichts  von  Anempfmdung.  hier,  hei  l'a'nst  lUoch. 
„rlickit'ti  ist  vevgeblid),  der  äcniiiii'^f  Roch,  so 
auch  der  herretihujte  reißt:'  Bloch  will  wcilcr 
eineni  „bürgerlichen  Eslahlnhmcnr  lu.Ji  einem 
,,rioch  halb   '/.aristisch-soziahstisd.'or   dienen. 

So  im  Vorwort  z,u  seinem  neutn  liuch  — 

Ernst  Bloch:  ^Athcisinus  im  Christtiiium"  — 
Zur  Religion  des  Exodus  utid  des  Reiches; 
Suhrkamp  Verlag,  liankiurt;  363  S.,  brosch. 
16,—  DM. 

Der  jüdische  Marxist  Ernst  Blücli  l-^t  ein^^  Ver 
wandter  des  „trühesicn  Propheten,  Amos",  aut 
den  er  sich  mit  Recht  gern  beruft.  Es  gilt  heute 
noch,  im  Banne  von  philosemitiscli-anti>.emiti:idier 
Befangenheit  (Philosemitismus  und  Antisemitis- 
mus sind  siamesische  Zwillinge),  als  undelikat, 
von  „jüdischem  Marxismus"  zu  sprechen.  Kon- 
servative und  reaktionäre  Ideologen  haben  lange 
vor  Hitler  von  Katheder  und  Kanzel  gegen  den 
„roten  Teufel",  den  „jüdischen  Marxismus"  ge- 
wettert. 

Rot  ist,  bei  Bloch,  die  I-arbe  der  Großen  Holf- 
nung.  Seine  Frohe  Botschaft  in  Rot  und  Gold 
ist  nur  verständlich,  wenn  man  diesen  Propheten 
sieht  als  das,  was  er  ist:  ein  Mann,  der  vom 
Sinai  herkommt,  durch  die  Jahrtausende  der  jü- 
dischen und  christlichen  Traditionen  schreitet, 
immer  wieder,  ehrfürchtig  und  unruhig,  halt- 
macht, dann  t/eiterschreitet,  über  Marx,  den 
Großen  Bruder,  vor  dem  er  keine  Angst  hat, 
hmaus. 

jüdischer  Majxlsmus:  Wir  erleben  gegenwärtig 


cr-^lrii  Knilkeili.  die  el.dilicrte  Koie  Kiidie,  di  n 
Ki>uii  lempel,  in  I  r.i;;c'  sicilieii.  l'.s  Mi;d  diesel 
Inii  M(iii\e,  vselJie  sie  /um  l'.intritt,  v.uv  Krilik, 
/inii  Ausinit  (wi-iin  möglich)  bewegen.  Ihr  reli- 
',;i()sei  liiipuls  drängt  sie  weiter:  „Das  da  kann 
do^h  iKiIii  wahr  sein."  --  „Sieht  die  (. erecht  ig 
keil  so  ans?" 

In  der  Sprache  I  i  nsi  l'.loehs  (im  VorspruJi  /u 
„Atheismus  iin  ( .lirisient um"  )  i'eilsi  das:  „Dcnkcii 
lU    ("/i>vrsth}r>li-}i.  .,./.■'    t<t   ./ws    hcslc   iin   der 

Rchf^io}!,  ditjs  SIC  Kct/cr  hcrvorrnjl ."  Russische, 
ukrainische,  |)olnische,  deutsche  Marxisten  (nicht 
nur  in  der  DDK)  erschrecken  tödlich  ob  dieser 
l'jcunruhigung,  die  dnrJi  jüdische  Marxisten  ko^i- 
stituliv  111  den  staatlich,  poli/eilidi,  armecpoli- 
tisji  etablierten  roten  Kirchenbau  huu  ingctra - 
gen  w  ird. 

Vermchtung  der  Ketzer:  In  eben  diesem  heu- 
tigen Moment,  in  dem  der  Moskauer  Krem!,  um 
ilcn  Gdanz  seiner  rubineiien  Sterne  vor  jeeler 
„Verunreinigung"  zu  sdmtzen,  zu  neuer  Ketzer- 
jagd aus/iehi,  die  im  Innern  dem  Erzketzer, 
dem  roten  ürigenes  Trotzkij  gilt,  der  seit  Jah- 
ren eine  russisdie  junge  Intelligenz  unterwan- 
dert, und  im  Außen  lito  gilt,  in  eben  dem 
Moment,  in  dem  im  kurialen  Rom  nidu  minder 
beunruhigende  Parallelphänomene  sichtbar  wer- 
den, veröllentlidit  also  Ernst  ßlodi  sein  Budi 
„Atheismus  im  C^hristeiuunr'. 

Das  Hohelied  der  Ket/.er  ist  seit  Gottfried 
.Arnold,  einem  Lehrmeister  Goethes,  bis  zur  Cjc- 
genwari  (Niggs  Buch  der  Ketzer)  verschieden 
moduliert  woVden.  Nie  jedoch  so  global,  so  fron- 
tal —  mit  Angriffen  an  drei  Fronten.  Bloch 
greift  eine  altjüdische,  eine  kirchenchnstüdie  und 
die  „marxistische"  Orthodoxie  in  einem  an. 
Wenn  er  Molochzüge  in  Jahwe  anvisiert,  nimmt 
er  damit  Molochzüge  im  Kyrioskult  der  Kirche 
und  in  roten  Staatskirchen  aufs  Korn. 

Sturz  der  Götzen!  Jede  etablierte  Religion 
wird  Götzendienst.  Ist  bereits  Götzendienst;  sie 
verstellt,  sie  verbaut,  sie  versperrt  dem  Menschen 
i.\cn  Fortschritt  seiner  Menschwerdung.  Jede  eta- 
blierte Religion  tötet  das  religiöse  Element  n,: 
Mensdien,  das  Messianische.  „Das  Mcssianiscb': 
ist  das  rote  Geheinviis  jeder  revoln'tionär,  jcdet 
in  Fiille  sich  haltenden  Aujklarun'^:" 

Aufklärung:  Die  jüdischen   Marxisten  ^^  urdcn 
und    werden    in    den    Staaten    der    neuen    roten 


Ernst  Bloch 


fbes:  den  vei  wunschenen  Menschen.  Den  Men- 
schen im  Aufstand,  den  Menschen,  der  aufredu 
stehen  und  gehen  Icrten  möchte.  Er  kann  dies 
nur  im  Aufstand  gegi-n  alle  seine  Herren  und 
Herrgötter.  \ 

„Es  rettet  euch  kein>h'"hres  Wesen,  kein  K]o\u 
kein  Kaiser,  kein  Tribi\n."  i:)iese  Losung,  im  Text 
vitieri,  wird  von  Bloch  als  in  Schlüsselwort  ver- 
standen, das,  richti'.^  vervendet,  Tendenzen, 
wörtlich  Spannungti^,  Str^angen,  Ströme  an- 
zeii-t,  die  in  der  Bibel  selbvrVL  gegen  sind. 

.lis  cn  .iihc  stisdies  Fvange 


>o 


ker  eles  Kirdienchristentums  wie  etwa  Tolstoj 
sehr  zu  beachten  ist)  ein  Ikonokiast.  Die  hohe 
Fragwürdigkeit  Blochs,  die  sich  jeder  verharm- 
losenden Anemphndung  oder  Ablehnung  seines 
.'\nspruchs  verwehrt,  wird  in  diesem  Moment 
besonders  /ichtbar.  Bloch  zertrümmert  nicht,  als 
ein  Riese^kind,  die  Spielzeuge  der  Menschen- 
kinder, al\.  da  sind:  Bauten  und  Bilder,  Wort- 
gemälde, 'Dichtungen,  Symphonien,  Theologien 
und  andere  kunstvolle  schöne  Gebilde.  Bloch  ist 
ein  ergrid'cner  Freund  allen.  Lebens,  allen  echten 
Lebens.  ,Er  läßt,  au!^  seine  Weise,  mehr  gelten  im 


im  Blick  auf  deti  Mensdien  Jesu«:,  auf  seinen 
Kampf  für  das  Reid»  Gottes  aui  dieser  Erde, 
Ansätze  einer  „Theologie  der  Revolution"  ge- 
bildet, die  m  Südamerika  wohl  ernst  zu  nehmen 
ist.  m  Europa  vielleicht  in  modischen  Anempfin- 
dungen   steckenbleibt. 

Bloch  aber  drängt  weiter.  Jesus  ist  tür  ihn  eine 
,,Wi(r7.el  Mensch,  die  noch  nicht  geblüht  hat". 
Dieser  Bezug  gilt,  im  letzten  Kapitel  seines  neuen 
Buches,  »Marx  und  dem  „Abtun  der  Entfreni' 
r///;/^".  Um  es  kurz  zu  sagen:  Bloch  :>t  der  Über- 
zeuiiuni;,  daß  lesus  \on  Nazareth  und  Karl 
Mar.x,  daß  die  Frohe  Botschaft  des  Jesus  und  die 
Frohe  Botsdiaft  Marx'  bis  heute  noch  nicht  zum 
Blühen,  gesdiweige  denn  zum  großen  Frucht - 
tragen  gekonmien  suid. 

Die  Frohe  Botsdiaft  Jesu  wurde  von  der  Kirche 
und  tien  jeweiligen  historischen  christlichen  Esta- 
blishments überdeckt,  kaserniert,  zur  Ideologie 
je  herrschender  Gruppen  pervertiert.  Die  Frohe 
l)Otsdiafl  Marx'  wurde  in  „zaristisch-sozialisti- 
sdien"  Istablishments  auch  in  abstrakten  „ortho- 
doxen" Marx-Theologien  erstickt. 

Frnsi  Blodi  möchte  beide  befreien,  mdern  et 
grollend  und  liebend  ihre  Versddüsselung  in  Bil- 
dern umkreist,  um  den  Feuerkern  freizulegen.  Er 
wehrt  sich  dagegen,  daß  kirdilich  mterpretierte 
Innerlidikeit  und  Jcnscitigkeif  das  Hirrimel- 
reidi  ersetzen,  und  er  wehrt  sich  dagegen, 
daß  Marx'  hohe  Intention  einer  ..Resur- 
rektion  i\cr  Natur"  durch  immer  neue  blutrote 
Unterdiückungen  des  Aufstandes  des  Mensdien 
(als  revolutionäre  Erhebung  des  Menschen  zu 
seiner  Menschenwürde)  liquidiert  werden.  Bloch 
möchte  den  i  evolutionären  Kern  m  der  ganzen 
Bibel  und  vorzüglich  im  Christentutn  und  den 
religiösen  Kern  im  Marxismus  freilegen,  indem 
er  in  beiden  weltgeschichtlichen  Bewegungen  das 
messianische  Element  aufzeigt. 

Bloch  glaubt  an  eine  mögliche  gesdiichtsmäch- 
tige  künftige  Allianz  von  Christentum  und  Mar- 
xismus. Diese  setzt  voraus,  daß  beide,  Christen- 
tum und  Marxismus,  sich  in  ihren  verschütteten 
liefen  ernster  nehmen  als  zumeist  bisher: 
lüenn  christlich  die  Emanzipation  der  Müh- 
seligen und  Beladenen  z:;irklich  noch  gemeint  ist, 
•nenn  marxistisch  die  Tiefe  des  Reichs  der  Frei- 
heit wirklich  siibsta7iziicrender  Inhalt  des  rciolu- 
tsonärcn  Bewußtseins  bleibt  und  wird,  dann  wird 
die  Allianz  zwischen  Revolution  und  Christen 
tum  in  den  Bauernkriegen  flicht  die  letzte  ge- 
wesoi  sein  —  diesmal  jnit  Erfolg.  Auf  dem 
Schwert  Florian  Geyers,  des  großen  Kämpfers 
aus  dem  Bauernkrieg,  soll  eingeritzt  gewesen 
seiti:  nulla  criix,  nulla  Corona:  Das  waren  auch 
die  Stichworte  eines  sich  unendlich  tinentfremde- 
ten  Christentums,  und  das  noch  weiterhin  drin- 
gende, so  unausgeschöpjt  Emanzipatoriscbe  darin 
gibt  eben  das  Stichwort  eines  seiner  tiefen  Dimen- 
sionen einmal  bewußt  gewordenen  Marxismus. 
Vivant  sequentes;  es  vereinigen  sich  dann  Mar- 
xismus und  Traum  des  Unbedingten  im  gleid)en 
Gang  und  Feldzugsplan.  Das  nicht  ?nehr  ent- 
fremdete Humanuni,  das  Ahnbare,  noch  Ungc- 
iundcne  seiner  möglichen  Welt,  beides  steht 
unabdingbar  im  Experiment  Zukunft,  Exper'- 
ment  Welt.i 

'^'       '  '  ■  « -1    •     jusäni  CKristU 


im^' 


,..  CT  leben     wir  ^^  wirKlicli  mit,  oucr^lescn  wir  es 
nur  in  der  Zeitung?)  den  Exodus  jüdiiclier  Mar- 
xisten aus  Polen,  die  Verfolgung  jüdisdier  Mar- 
xisten in  der  UdSSR,  ihre  Verdriiiigung  in  der 
Tschedioslowake^i.   Nidit   alle   jüdischen    Marxi- 
sten sind  aus  dem  Geblüt  der  Ernst  Blochs    Das 
Phänomen  Bloch  sollte  uns  jedoch  -eradc  heute 
erinnern  an  einige  Phänomene  des  jüdischen  Mar- 
xismus im   neunzehnten   und   zwanzigsten   Jahf- 
hundert.  Marx,  Trot^kij,  Rosa  Luxemburg;  vui- 
kanisdie    Leidenschaft,    prophetische    Rrah.    Als 
Trotzkij  in  Alma  Ata,  an  der  chinesischen  Grenze, 
dtn  Tod   seiner  lochter  Nina  erlähri,  erhall  er 
einen  Trostbrief  des  Freundes  Kakowski  aus  Mos- 
kau: „Lieber  Freund,  ich  trauere  sclimerzlich  um 
Ninotsclika,umDich,umEud)  alle.  Du  trägst  sdvm 
lange  das  schwere  Kreuz  des  revolutionären  M;\r\i 
sten..."  Trotzkij  appelliert  l'^OI  an  das  zwan 
zigste  ]ahrhundert:  Jhwi  srnt»,  .lu-.o!  .  .  .  Wan' 
ich  einer  der  Himmelskörper,  sn  vviinle  \c.\  völlig 
unbeteiligt    auf   diesen    e]en*len    I'm'iI    \«)n    St.tnb 
und  Schmutz  herabblicken.,.    Aber   ich   bin   en 
Mensch.    Die   Weltgeschichte,   iHc    h-.r   c!un    ka.i- 
herzigen  Genießer  der  Wissenstii.ili.  liir  dich,  cLt 
Buchhalter  der  I'wigkeit,  nur  cm   (nilHU'.uUMuKr 
Augenblick   im    Kommen   und   GcIk.  n   dir   /riteii 
ist   —  für  mich  bedeutet   sie  .d'U-s!    S<.  i.u-.-.c ■•  i«h 
lebe,    werde    ich    für   die   Zul-unH    K.'.npt..:<,    ,,„• 
strahlende  Zukunft,  in  der  dei    M-n^rh,  sc  stark 
und  schön,  Herr  über  den  dahjiKiKiidcn   Suum 
der  Gcsdtichte  sem  wird,   um   seine   Wassir  uein 
grenzenlosen  Horizoait  der  Schiniheii,  der  l^reude 
und  des  Glückes  entgegenzutühren!  ..." 

Diese  Sätze  könnten  in  einem  Vorwon  /u 
„Das  Prinzip  HotTnung"  und  zu  „Atheismus  im 
Christenrum"  stehen.  Es  emphehlt  sich,  das  neue 
Buch  Blochs  korrespondierend  mi;  seinem  bekann- 
ten FLiupiwerk  zu  lesen.  Die  beiden  Werke  er- 
hellen sich  gegenseitig. 

1904  befürchtete  Trotzkij,  &a^I  selbst  „Marxens 
Löwenhaupt"  dem  neuen  Robespierrc  Lenin  zum 
Opfer  fallen  würde.    Mitten   im  ersten   Irührot 
der   Revolution    der   Bolschewiki,   die   sich   sehr 
langsam  zur  ., Weltrevolution"  ausfaltet,  befürch- 
tet Rosa  Luxemburg  bereits,  daß  die  Revolution 
abgewürgt,   erdrosselt,   pervertiert   werde.^  Judi- 
scher   Marxismus:    In    den   1  ändern    des    Zaren- 
reiches entlaufen  sehr  junge  Knaben   i\\\i\   Mad- 
chen ihrem   jüdischen  Vaterhaus,  dem  Haus  des 
Erzvater-Zaren,   und    treten    illegalen    sozialisti- 
schen und  kommunistischen  Bünden  und  Parteien 
bei.  Der  Aufstieg  des  Sozialismus  m  Westeunn^-^ 
ist  undenkbar  ohne  Männer  und  I-rauen  jüdischer 
Herkunft. 

Messianische    Teuer    brennen   in    diesen    jungen 
Seelen:   Sie   suchen   ein    Reich   der  Gerechtigkeit, 
der  praktizierten  Gerechtigkeit  hier,  heute,  mor- 
gen, auf  dieser  Erde.    Em   Reich   der  Wahrheit, 
Reich  des  Weltfriedens.  Man  täusche  sich  nicht: 
Es  ist  dieses   jüdische,  prophetische,   messianische 
Salz,   das   die   groi^^e  Unruhe,   die   Bewegung   in 
den     weltgeschichtlich     relevanten     so/iabstisdien 
und  kommunistischen  Parteien  tragt,  l-ällt  dieses 
Salz    aub,    wird    es    demonstrativ    ausgeschieden 
(wie  bereits  durch  Trotzkijs  Verbannung  aus  der 
DdSSR  Stalins),  dann  versumpert  und  vcrsumptt 
die  Bewegung  schnell.  Kleinbürgertum.  Bürokra- 
tismus, Orthodoxie  eii\er  Partei-Kirdn-  überneh- 
men die  Macht. 

Jüdischer  Marxismus  in  den  Oststa.iU'n  l.iuo- 
pas  1918  bis  1968:  Es  sind  „dieselben"  lungen. 
unruhigen  jüdischen  Geister,  die  im  Zarcp, reich 
in  die  sozialistischen  und  kommunistischen  Bv 
wegungen  eintraten  und  diese  messianisch  mobi- 
lisierten, die.  als  erste  oder  /umindest  unter  den 


bindung  eines  messianischen   Eiemen;.>  n'.it  einer 
persönlichen   Kultur   und    wissenschaftlichen   Bil- 
dung,   die    der    ersten,    zweiten,    dritten    (wcst 
europäisdien)  Aufklärung  zugehört. 

Aufklärung:   Marxistisc+ie  Orthodoxe  gefallen 
sich  gern  in  jener  Eitelkeit  und  Starre,  die  hxier- 
ten   Denkern   eigen    sind,    i.rnst    Blodi   als   einen 
Mystagogen,  einen  Mythomanen,  einen  „Schwär- 
mer" abzuiun,  der  eben  seinem  Thomas  Münzer. 
seinem  Schelling,   im   ganzen   der  deutschen   und 
westeuropäischen     mythologisierenden     idealisti- 
sdien    Philosophie    auf    den    leim    gegangen    sei. 
Diese    T,;mpelhüier    übersehen    (mdit    selten    em 
Besseres,  das  sie  nidii  auszusagen  wagen,  wissend 
xerM-hweigend),  dais  europäisdie  Hochaul klärur.L; 
lu-uh,    im    zwanzigsten    Jahrhundert,    nicht    d.e 
(innner    /••im    Sddinnni-ii    sidi     v/e-uiemk-n)    '. -e- 
M-li.ific    einrr    „ms; ninu'in  i!en    Veriuinir'    (\Kr; 
ijnikiieimcr)    iKirciben    mödiic.   l.iiur   Vcrimnlt 
alsi),  die  im   Dienslc  des  Sysicir.s  mul  ;-sva!s  iler 
„Mauerkirdie"  (Luther,  Bernhard  von  Gkiirvaux 
fol-L-nd)   das    verteidigt,    was   eben   --_  etwa   cien 
Rclormkoinmunistcn     m     der    Tsdtechoslowake: 
-rvcniilH-r   --   dem    Pla«i>oll   em^pn.-diend    veru;- 
di;;;l    Wiidrii  niub. 

AiilklHruii;.;,    w;c    Biovh    sie    vrrsicht,    isi    ( )ll 


mm;    d.M-    Vi'niuiili:    nrugie-ng    ,nii    immer    neue 
initU-ckuiiv;iM;,  offen   <lem   ollenl'aren   Cjchcmmis 

Vb'llsdl.  .      , 

In  diesem  Sinne  br;,;ibl  sich  Ernst  Blöd)  w.eder 
aui  seine  groli^e  Reise  („Reise"  bedeutet  im  deut- 
sdicn  ursprünglich:  Kriegsfahrt,  Ausfahrt  zur 
avauiurc.  Fahrt  durch  die  Höllen,  in  neue  Him- 
mel) Die  Reise  geht,  jahriausendc  zurück,  '/u- 
nädist  m  die  Lande  der  Bibel,  in  die  Landschaf- 
ten des  sogenannten  Alten  und  des  Neuen  Testa- 
ments. Bloch  sucht  keine  Ungeheuer,  Drachen, 
Rieben,   verwunsdiene   Prinzessinnen,   wohl   aber 


,c  ii.'f  -        uicne    liicologie 

vom  „Tod  Gottes",  f  von  ei-^-m  „atheistischen 
Christenrum"  ist  hied.  bei  Pdoch,  nicht  gemeint. 
Ihm  geht  es  nicht  «Lrum.  eine  ältlich;-  Sadie 
durch  eine'-»  neuen  Zuckerhut  schmackiiafl:  zu 
machen.  Bloch  will  a^ch  nicht  (wie  ihm  wohl- 
ir.einende  SpöticV  •/.usdUeiben)  eine  neue  Pvcligion 
begründen.  Bhv-h  wÜl  aufzeigen,  l^^^  es  in  der 
ganzer.  Bibel  (beider  Testamente)  um  dieses  „hm 
und  Alles"  gehl:  \y?\  A^n  Menschem. 

!".s  cmpftf'hlt  sich  sehr,  um  den  Voll  klang  ent- 
scheidender Kapitel  in  „Atheismus jm  Christe-v 
tum"  zu  vernclimen,  :'.u'-  Einstimmung  die  Ml)^e^- 
und  Christus-Kap'tel  im  „Prinzip  Hoiliumg" 
nachzulesen.  In  Bknlü  Vcrsit>n:  Moses  ist  nie;,., 
einiadi  der  Moses  d^T  jüdischen  Kuhreligi;;n. 
Jesus  ist  nicht  einf.id-.  der  Christus  Cion  c^- 
Kirche,  Gott  ist,  als  eine  ungeheure  Chitlre, 
.iiideres  und  mehr,  .■!?  jene  zugeben  wollen,  die 
ihn,  .ils  ein  kosti)are>^  und  heikles  her,  m  ek.r 
l"alle  ihrer  Theologien  bi  den  Goldenen  Häusern 
ti-r  Pharaonen,  Vxw>\  ■.  •-.  iv'sterköi^ig::  getanüen- 
zuhaiten  meinci. 

Marx'   berühmte   W  (U-te   ,,/V/o/,  /e   ;/e  sni-^   /ms 
Marxislc''    kann,,    VAoyW.    imentiim   emspredie-;! 
bereits  Jesus  von  sidi  sagen:  Ldi  bin  kern  (  ..r:  • 
Nun,    gerade    hier   h  d)en    cvangclisdie    unI    im 
Nachzugsx  erfahren  au.'n  katholische  BilndwisvMi 
schaltler    einige    Arbitü,    für    Blochs    Durdibnui. 
vorgeleistet.    Bloch    bcrLitzt    dankbar    die     !-or- 
sdumgen   eines  Gerhard    vom    \\^i\   zu    Proi^i;  In- 
kreisen des  Alten  Testaments  und  setzt  sidi  ■J.^rn 
mit   Theologen   wie   T.arth    und   Bultmann    au». 
einander. 

Bloch  geht  in  meiner  Entmyth'>logisierung  ent- 
sdueden  weiter  als  christliche  Theologen:  Ais 
Tcmpelstürmer  ist  er  ledoch,  was  bedeutsam  ist, 
nicht  auch  (was  mit  dem  Blick  auf  östlidie  Knti- 


DEUTSCHE   BIBLIOGRAPHIE 

Wichtige  Werke  deutschsprüd..ger  Verloyo.  die   jetz»  erschienen  und  be.  uns  eingegangen  sind; 


Belletristik 

Johannes  R.  Becher:  , Abschied":  .o-vn 
1106-1107,  Rowohll  Taschenbuch  v'erlay; 
Rembek:  309  S„  3,80  DM 
Carnilo  Jose  Cela/Pablo  Picasso:  „Geschich- 
ten ohne  Liebe^  aus  dorn  Spanischor.  von 
Rainer  Specht;  Piopyläen  Verlag,  Bs.tm; 
154  S.,  Abb.,  75-  DM 

Hans-Helmut  Decker-Voigl:  „-er  zwoitö 
Schritt  vor  dem  ersten",  Romar;:  Gieiizinac- 
Voriag,  Wolfenbülte!;  250  S.,  13,30  DM 
ETA.  Hoffmann:  ..Lebensarisichten  ries 
Katers  Murr'',  mit  103  Zeicr.nu.-.ac;i  vom 
Josef  Hegenbarth,  Eugen  üiederichs  Ve.'ag, 
Düsseldorf;  384  S.,  24,-  DM 
Hanns  Dieter  Husch:  .,Ai_Gh.eb!ues  umo'  an- 
dere Sprechgesänge":  Sanssouci  ve.iag, 
Zürich;  142  S.,  9,80  DM 

Max  Jacob;  ..Der  Würfelbecher"  -  GecJichte 
in  Prosa;  Suhrkamp  Verlag,  Frankfu.l;  BS  S, 
b  80  DM 

James  Joyce:  „Giacomo  Joyce",  zweispra- 
chige Ausgabe,  aus  dem  Englischen  von 
Klaus  Reichert;  Suhrkamp  Verlag,  Fra.ikijrt; 
81  S.,  35,-  DM 

Alexander  Klugo:  „Die  Artisten  in  der 
Zirkuskuppel:  ratlos";  Piper  Verlag,  Mün- 
chen; 144  S.,  5,-  DM 


Paul  Pt;('Oell  Mok  „Die  Etablierten",  Ro- 
nvn..  ai!3  -.lern  Amorikanischen  von  Manja 
V^'iikVjns;  Verlag  C.  Meyer,  Frankfurt;  3G0  S., 
18  00  DM 

il.-ins  Schumacher:  „In  der  Rechnung  ein 
H-^r.ie,'  Grischichtf  i;  Artemis  Verlag,  Stutt- 
gart; 184  S.,  16,80  DM 

Richar'.'  Vv'einer:  „Der  leere  Stuhl  und  andere 
Prosa'-,  aus  dem  Tschechischen  von  Franz 
Peier  Kunze!;  Suhrkamp  Verlag,  Frankfurt; 
.14-:  3  ,  n,8ö  DM 

Sachliferafur 

Claude  Arthaud:  ..Welt  der  Genies'^  -  Wie 
große  Künstler  wohnten,  aus  dem  Franzö- 
sischen von  Wolfc:ang  Pfeiffer-Belli:  Keyser- 
sche  Verlagsbuchhandlung,  München:  314  S., 
Abb.,  96,-  DM 

Hermann  Bahr:  „Zur  Überwindung  des  Na- 
turalismus" -  Theoretische  Schriften  1887 
bis  1904,  ausgewählt  von  Gotthart  Wunberg: 
Kohlhammer  Verlag,  .  Stuttgart;  244  S., 
18,50  DM 

Robeit     R.     Bell:     „Voreheliche    Sexualität": 
rororo     sexologie     8009.     Rowohlt     Verlag, 
Reinbek;  151  S.,  230  DM 
H.    P.    Bleuel:    .^Deutschlands    Bekenner"    - 
Professoren   zwischen    Kaiserreich    und    Dik- 


^cn    ütis^,  Mcn:>chcn   als   maiuhc    „konbcrvativcn" 
(k'istcr.  ''jloch  ist  so  durch  und  durch  revolutio- 
när, dali\er  es  sich  leisten  kann.  Ungeheures  und 
Un'^eheuörliclies  wahrzunehmcMi:  von  der  Schlan- 
ge im  Paradies  bis  zu  so  manchen  „abwci^igen", 
in  der   BiV'l  schmal  erv/p.hnten   Oberlicferungen, 
die    ihrer    Ausmer/ung    durch    die    priesterliche 
Bürokratie  der  kultisch  fixiertefi  Jahwc-Religitni 
entgingen,    ßloch    begibt    sich    zunäclist    auf    die 
Su'le  nach  den  ctth^^istischen   Kiementen,  die  zu- 
mnde^t  in  für  ihn  kostbarer,  Spurenelementen  im 
Alten    testamei-.t   /.niV'.'gen   sind,   uyM\  v/ender  sieh 
-iarn  In  vollem  I'.insat/   dein  Menschen  Jesus  zu. 
„AtJici--»mus  im  (.'hriMer.tum" :  „OasTleich  Cjot- 
t'.'s  ist   mitten  unier  euch"   (nicht,   wie  spintuali- 
sl;r'.'pd    ,ii!/ulani;e   übersct/.t    wurde,    „in   euch"). 
l\i-     lüde    Je^UN    kämpTt    für    di<-    Ankunit    iIcs 
Ke  chc.s  Outtes  mi'icn  in  iheser  Web.  „So  i<t  Jesus 
,t!s   l'jfipihvr  v<i'/  d'':/   l\<i)WY)i  y^cr/il)!(l    i\ oitloi, 
tnul  Ulli  iinind  junhlclcn  der  1  h-hcfr/oto   iinii 
d:c  l-hansäL-r  dtu   Ma?i!i,  dcf/i  d.is   Volk  a)iJ)ing 
iLiik.    19,   -/(V;,   dem   die    iicsarntc   Pric>[cr-Thvo- 
hr.itic    inid    (usc!>:c>fili:^i<>!i,    li'U'    sie    r<cit    l.sra 
i!'/d   Sehoühi  stdhdniert   jrou'ni   \::(r,   /.iir   ver 
?/.'•. '''.7.'/'v'.<u.' *(•;.'  *.^  elt  '.:'.■  :)(>rif" 

J''eiiJit  111  dc)i   Auren  dusrr  Weil  ■icn'.de  )inhl 
er,!   !'.n:iil(^^ei    \il'r.  .hnn)    ,/;/>    l\u-;t/.   ;^e;.c-'-laye}i , 
■inide)}!  (/(•)    ^idcoitl'.ille   iHüireyte)    dt  r   ro'lhiii 
d'iii;!    Weit,  dü^-   'f^roße   i'.cetHjd.n    e;>i<-)   .nidereu 
i)hue  U>ite}drüehi!Uf^  mid  ! lerreni^oli." 

Bloch  kann  sich  tür  seine  Auftassunj;  des  Jesus 
\;)ii  Naz.ireth  als  Ketzer,  als  Menschensohn- 
iVcssi:i.>,  der  nichts  mir  dem  uaii'-  jenseitigen 
Kynoi-Chn^ui.>  der  Grorskirche  zu  tun  hat,  nut 
eine  evangelische  I'orschung  stützen,  die  fünf 
Generationen  uml'af.st.  Am  nächsten  kommt  Bloch 
hier  Martin  Werner  (den  Bloch  r.ichi  als  Zeugen 
beiun).  In  <\en  letzten  Jahren  haben  sich  zudem, 


tatut;     Sciietz     Verlag,     München:     225     S., 
19,80  DM 

EÜenne  de  ia  Boetie.  „Über  die' freiwillige 
Knechtschaft  des  Menschen'  aus  dem  Fran- 
zösischen von  M.  Koneffke,  herausgegeben 
und  eingeleitet  von  Heinz-J.  Heydorn: 
Europäische  Verlaqsansf^lt.  Frankfurt;  116  S 
kart.  6,-  DM.  Ln.  10-  DM 

1  othar-Günther  Buchheim:  „Otto  Mueller'^; 
Üuchheim  Verlag,  Fcldafing;  92  S.,  Abb.. 
29.80  DM 

Jean  Bühler:  „Biafra'"  -  Tragödie  eines  be- 
gabten  Volkes,   aus  dem   Französischen   von 
Br>at    Christoph    Bäschün;    Flamberg    Verlag. 
Zürich;  158  S..  Abb.,  U,-  DM 
Sorot  Eiigelmann:   „Die   Macht  a,m   Rhein'-   -' 
fx/leine    Freunde,    die    Geldgiganfen.    Bd.    2; 

Die  neuen  Reicfien":  Schneekluth  Verlag, 
München;  335  S.,  Abb.,  19.80  DM 
Franz  Gooss  Manfred  R.  Beer:  „Prager  An- 
schlage" -  Bilddokumenle  des  gewaltbsen 
V\/;go;. Standes;  uüsiein  Verlag,  Berlin;  127  S., 
2,60  DM 

Hans  Grassl:  ..Aufbruch  zur  Romantik"  - 
Bayerns  Beitrag  zur  deutscnen  Geistesge- 
srhVjhte  1765  bis  1785;  Becksche  Verlags- 
buchhandlung, München;  494  S..  Abb., 
Ö5,-  DM 

Gerhard  Graubor:  „Theaterbau'  -  Aufgabe 
und     Planung;     Verlag     Callwey.     München; 

loG  S.,  Abb..  53,-  DM 

Wax  Horkheimer:  „Kritische  Theorie":  S- 
Fischer  Verlag,  Frankfurt;  Bd.  I  376  S..  Bd.  II 
358  S.,  je  Bd.  25,-  DM 


tum"  t>eieuihteiJ  Jen  batz  ?m  Vor^rudi:'  „t^i^ 
cm  Atheist  kann  ein  guter  Christ  sein,  nur  hhi 
Christ  kann  ein  guter  Atheist  sein.'"  Beiden,  detn 
Atheisten  wie  dem  Christen,  wird  in  Jeder  ge- 
schichtlichen Stunde  (wir  erinnern  an  die  Trost- 
worte Rakowskls  an  Trotzkij)  das  schwere^ Kreuz, 
auferlegt,  die  jeweiligen  „Hcrrengötter",  ihre 
Tempel  aus  Stein  und  Stahl  zu  zertrümmern,  um 
die  juni;e  Pflanze  Mensch  freizulegen,  ihr  Erd- 
reich zum  Einwurzeln,  Wadisen,  Blühen  und 
Fruchttragen  freizukämpfen.  Die  Provokation 
des  Ernst  Bloch  gilt,  wörtlich  verstanden  als  ein 
liroi'ocarc,  ein  Anruf  der  Tiefenschidueii.  der 
sdiöpferi sehen  Substanz  (diese  ist  ohne  das  mes- 
siani.sche  Element  nicht  zu  denken)  Marxisten 
und  Christen  in  gleicher  Weise. 

Diese  Provokation  hat  nichts  mit  modisdicn 
„Proviikationcn"  von  Berufsjugendlidien  /u  tun. 
Die  Weligescliidite  ist  kern  Happening.  Blochs 
militanter,  glaubiger  Optimismus  wäre  ein  „rudT 
loser  Optimismus",  wenn  er  nicht  ständig  dies 
im  Auge  behielte:  die  Gewinnung  voti  Todesinur. 
In  zumindest  diesem  einen  Sinne  ist  Ernst  Bloch 
dem  hohen  Barock  und  den  barocken  Wellbau- 
mcisuiii  verwandt:  Svin  Denken  kreist  imtner 
liui  die  (ifwinnung  einer  ars  moriendi.  Die  wahre 
,/;s  ,,}>/, nidi,  dir  Kunst,  den  Menschen  richtig  zu 
lirlnn  uml  dergestalt  die  Aufklärung  weiter- 
/ui reiben  (mit  dem  Hirn  fühlen,  mit  dem  Hei-zen 
denken  lernen),  ist  eine  Schwester  der  ars  mu- 
Yieudi,  der  Kunst  des  Todesmutes. 

„Quellen  des  Lebensmutes'*  und  „Quellen  des 
möglichen  Todesmutes"  sind  im  letzten  eins.  Ernst 
Bloch,  blickt  auf  „die  katastrophale  Verlassenhcn 
con  KreHz'\ 

„  .  .  .  wie  die  bisherige  menschliche  Geschichte 
iuiv  erst  Vorgeschichte,  Vorzeit  ist,  so  hält  die 
vorhandene,  wenn  auch  noch  so  umgreifende 
hosmische  \'atur  einen  Raum  besetzt,  auf  den  sie 
)ncht  hingehört.  Das  eben  war  logosmythisch,  dir 
letzte  Freisetzung,  Sprengsetzung  des  Christlichrn 
hc treffend,  im  Mythos  des  Eschaton  bedeutet,  .m 
Symbol  eines  Neuen  Jerusalem  —  gar  nidn  tiei 
drinnen,  erst  recht  nicht  hoch  droben,  aber  rmt 
zusammengelegtem,  zu  totaler  Freundlichkeit  ge- 
wordenem Heiynalraiim  von  Welt." 

In  diesem  Sinne  spricht  Ernst  Bloch  l%8  sein 
„Spero  ergo  ero"  —  ich  hoffe,  also  werde  idi  sein. 
Bloch  möchte  die  im  Christeinuni  und  Marxisrau.< 
investierten  Glaubenskräfte  des  Mensdien  frei- 
ii-sen,  aus  vielfacher  Verfremdung,  aus  Kirchen- 
bann  und  Parteibann  in  beiden,  indem  er,  um 
offene  Zukunft  zu  gewinnen,  immer  wieder  bei 
den  Icucrn  des  Sinai  einkehrt. 

Wer  also  heute  meint,  den  „Utopisten"  Erii^r 
Bloch,  den  „Schwärmer"  für  Münzer  und  die 
Täufer,  leicht  oder  schlankweg  abfertigen  zu 
können,  der  sehe  sich  vor:  und  besehe  die  Feuer 
brande,  die  \o\^  dem  Manne  Moses  zu  dem 
Manne'  Ernst  Bloch  dem  Menschen  Führung  und 
(Geleit  gaben,  indem  sie  ihn  in  „Bewegung"  hal- 
wn,  m  ständiger  Unruhe.  Der  Mensch  ist  hier 
Jas  Wesen,  das  sich  nie  beruhigen,  nie  befrieden 
lassen  darf,  solange  es  Versklavung  des  Menschen 
i'iht. 

„Ich  bin  gekommen,  ein  l'euer  anzuzünden  aul 
1  rden;  was  wollte  ich  lieber,  als  es  brennte  sdion" 
(Luk.  12,  49).  In  tiefer  Herzensfreude  und  Gei- 
siesfreude  beruft  sich  Ernst  Blodi  auf  dieses 
lesus-Wort  und  kommentiert  es  mit  Verse«  Wil- 
liam Blakes  „in  der  auf  1789  beziehbaren  Folge- 
rung: ,Der  Geist  des  Aufruhrs  schoß  vom  Heiland 
nieder  '  Und  in  den  Weinbergen  Frankreichs 
erschien  da^  Licht  seiner  Wut."^ 


I 


.'■^^-, 


\ 


/ 


9kuf  3Mrd)cr^citting 


FEUILLETON 


Donnerstag,  28.  März  196?;     FPTnatisjjabe  Nr.  86       39 


7 


Zur  Problematik  der  historischen  Erfassung  des  Sozialismus 


Der  Sozialismus  ak  politisch  wirkende  Utopie 
ist  ^Geschichte  geworden.  Das  läßt  sich  natürlicher- 
weLse  am  deutlichsten  eben  an  seiner  historisch- 
politischen Publizistik  erkennen,  die  sich  hundert 
Jahre  lang  kämpferisch  und  aktuell  präsentiert 
hat,  nun  aber  in  jüngster  Zeit  zusehemls  weniger 
polemisch  und  ihrem  Gegenstand  gegenüber  distan- 
zierter geworden  ist.  Die  Zeit,  die  sich  immer  merk- 
licher —  bei  Fünfzig.! ah rfeiem,  wie  jener  der  Rus- 
sischen Revolution,  wird  dergleichen  plötzlich  be- 
^ißt  _  zwisc^hcn  den  Betrachter  und  die  frag- 
lichen Ereignisse  schiebt,  schafft  von  selbst  jene 
Entrücktheit,  die  der  Avissenschaftlichen  Erfassung 
des  geschichtlichen  Gegenstand«  so  förderlich  ist. 
Die  einst  glaubensvoll  vorgetragenen  sozialistischen 
Ij<>sung<^n  von  Gesellschafts-,  Staats-  und  Wirt- 
schaftsproblemen sind  von  der  Geschichte  über- 
schichtet worden- 

Ein   unübersehbarer   Tatbestand   verunklärt   al- 
lerdings diese  Historisierung  des  Phänomens,   das 
sich  als  Sozialismus  einigermaßen  definieren  ließe. 
Daß  es  Weltmächte  gibt,  die  zAvar  mit  den  histori- 
schen    Gcnossensx'hafts-     und     Gemeinsch<aftsideen 
wenig  zu  tun  haben,  sich  a.l)er  dennoch  sozialistisch 
und  komiTuin istisch  nennen,  trägt  nicht  nur  zur  be- 
kannten  S])rachverw'irrung  unserer  Tage  bei,  son- 
d<»rn  behindert  eben  auch  den  Prozeß  der  Distan- 
zicrung.  Dariiber,  ob  und  wie  weit  man  Ideen  der 
einstigen    Weltverbesserer-Sozialisten    in    Rußland 
und  China  realisiert  sehen  will,  ist  gCAviß  nicht  im 
Ton  des  abgeklärten  Rückblicks  zu  reden.  Solchen 
Fragen  wird  die  unpolemischc  Publizistik  von  Hi- 
stx^rikern  des  Sozialismus  nicht  gerecht.  Denn  diese 
sachli<'he    Historiographie    fordert,    keinen    andern 
Widerspruch    mehr    heraus    als    den    der    wissen- 
schaftlichen   Diskussion.    Auf    sie    beschränkt    sich 
unsere  Auseinandersetzung  mit  einigen  jüngst  er- 
schienenen Büchern.  Die  alle  in  ihrer  Wissenschaft- 
lichkeit   und    in    ihrer    Gesinnung   —    sei    sie    nun 
dem   Sozialismus   verpflichtet  oder  nicht  —  ernst 
zu  nehmen  sind. 

MONOGRAPHIEN 

Die   nachgerade   tiefe   geschichtliche    Dimension 
des  Sozialismus  bringt  Helga  Grehing  eindrücklich 
zu  Bewußtsein  mit  ihrer  «Geschichte  der  deutf^chen 
A  rheiterhcwegu  ng»        ( N  ymphenburger       Verl  ags- 
handlung,  München).   In  klarer  und  ausgewogener 
Gliederung  vermittelt  die  Verfasserin  einen  großen 
lTel)erblick      über     die      ideologischen,   politischen, 
kirchlichen,  soziologischen,  biographischen  und  sta- 
tistischen Gegebenheiten,  die  sich  aus  ihren  umfas- 
senden   Studien   herauskristallisiert    haben.    Da   sie 
sehr  viel   zu  bieten  hat,  tut  sie  es  in  lexikalischer 
Knappheit,   die   aber   dafür   wirklich    Wesentliches 
taßt.    Auch    wenn    sich    Helga    Givbing    zu    einem 
recht  entschiedenen   Sozialismus  Ijekennt-,  bleibt  sie 
doch   sachlich   und   gelegentlich    sogar  sehr  kritisch 


.sondern  auch  die  sozialen  Aspekte  der  industriellen 
Revolution    unt^r    \äelen    psychologischen,    juristi- 
schen und  allgemein  menschlichen  Gesichtspunkten. 
Unter   dem    Titel    «Die    Soziale   Frage»    haben 
Wolfram  Fischer  und  Georg  Bajor  einen  Sammel- 
band «A>M<?re  Studien  :::ur  Lage  der  Fahrikarheiter 
in  den,  Friihphasen  der  Jndmtriallsierung»  heraus- 
gegelM^n     und     eingeleitet      (K.  F.  Koehler- Verlag, 
Stuttgart).    Die   einzelnen    Aufsätze   —    von    Eric 
J.  Hobsbawm,      Arthur    J.  Taylor,      Ray    Ginger, 
Gaston    V.  Rimlinger,    Wolfram    Fischer,    Werner 
Conze    u.  a.    —    sind   aus    wLssenschaftlichen    Zeit- 
schriften abgednickt  und  zum  größeren  Teil  aus 
dem  Englischen  übersetzt ;  sie  behandeln  denn  auch 
vor  allem  den  «Modell fall  Großbritannien»  in  bei- 
spielhaft gründlichen  und  reich  mit   Anmerkungen 
aasgestatteten  P^firterungen.  Der  Sanmielband  er- 
hebt und  erfüllt  \\r\\er  den   hier  vorgestellten   Bü- 
chern   den    Anspruch    geschichtlicher    Forschungs- 
arbeit am  besten ;  er  zeigt  am  meisten  die  vornehme 
Distauziertheit  des  objektiven  Historikerethos  dem 
Stoff  gegenüber  und  ist  auch  am  mühseligsten  und 
dürrsten  als  Lektüre. 

DOKUMENTE 

Ein    Komitee,    dessen    Vorsitz    Herbert    lAlthy 
innehat,   ist  mit  der  großangelegten  Edition  einer 
neuen    Reihe,    «Dokumente    der    Weltrevolution», 
hen^orgetreten    (Walter- Verlag,    Ölten).    Sie    will 
in  Quellentexteu,  deren  Verständnis  durch  Einlei- 
tungen   erleicht-ert    wird,    eine    übersichtliche    Be- 
standesaufnahme der  Geschicht-e  des  revolutionären 
Sozialismus  bieten,  von  den  mehr  oder  weniger  phi- 
losophischen   Theoretikern    im    Gefolge   der   Fran- 
ztVsischen    Revolution    bis    zu    den    Praktikern    des 
heutigen    sogenannten    Sozialismus    in    aller    Welt. 
Das   große   Unternehmen   hat   viel    F.inleuchtendes. 
Im  Vergleich  zur  überreichlich  angebotenen  inter- 
pretierenden    und     popularisierenden     Sekundär- 
literatur gibt  es  ja  wirklich   nur  wenig  greifbare 
gedruckte    Primärdokumente    zur    Greschichte    der 
kommunistivschen  I.^hre  und  Praxis.  So  ist  es  zwei- 
fellos  s(>hr   verdienstlich,    diesem    Mangel    abzuhel- 
fen;   verdienstlich    auch    dann,    wenn    sich    zeigen 
sollte,  daß  di<'  Texte,  auf  die  bisher  nur  mit  Mühe 
zurückgegriffen    werden   konnte,   gar   nicht   so   be- 
deutend  sind,    wie    sie    im    Spiegel    der    Sekundär- 
literatur  erschienen.    Zwei    Bände    der    Reihe   sind 
bereits  herausgekommen,  auf  sie  sei  hier  etwas  nä- 
her eingegangen. 

Der  erst-e  Band,  «Die  frühen  Soz-ialislen», 
herausgegeben  von  Frits  Kool  und  Werner  Krause 
und  eingeleitet  von  Peter  Stadler,  bezieht  sich  auf 
die  Epoche  von  der  Französis<dien  Revolution  bis 
zum  Scheitern  der  Revolutionen  von  1848.  Ueber- 
aus  vielsagende  Quellentexte  repräsentieren  we- 
sentlich jene  Reihe  seltsamer  Propheten  französi- 
scher,  deutscher   und    englischer    Nationalit-ät,    von 


sucht  noch  Haß;  weder  Habgier  noch  Ehrfurcht; 
keine  Müßiggänger  oder  kaum;  keine  Faulenzer,  keine 
rrunkenboldc,  keine  Diebe.  ...  Man  wird  der  Straf- 
;esot.7,e,  der  Gerichte,  der  Gendarmen  ...  entraton 
tonnen.» 

Hermann   Piittmann:   «Gefängnis-   und   Todesstra- 
fen sind  abgeschafft.  —  Vergehen  wie  Faulheit,  Un- 
näl.Ugkeit  etc.  werden  mit  Verweisen,  Ent/.ichung  der 
.Vrbeit    (XB.    Arbeit    in    unserem    Sinne    ist    Lebens- 
renuß\    Ausschließung    von    VerwaUnngsstollen    etc. 
iwstraft.  —  Unnatürliche  Verbrechen,  wie  Mord  und 
Diebstahl,    werden   mit    Verweisung    aus    der    Gcmein- 
schuft    (Exil)    bestraft.   ...    Alle  niederträchtigen   In- 
stitutionen,  die  mit  hundsföttiseher  Arbeit  im  Laute 
1er  Jahrhunderte  zum  Ruin  der  Völker  und  Menschen 
erzeugt  wurden,  werden  untergehen.  Kein  vStaat  mehr, 
der  ülx>r  dem  Volke  steht;  keine  Kirche  melir,  die  den 
Menschen    verdummt;     kein     individuelles    Vermögen 
mehr,  das  den  Bruder  vom  Bruder  scheidet;  keine  fa- 
talen Standesunterschiede,  keine  alberne  Nationalität, 
kf^ine  unglückliclie  Ehe,  keine  Bordelle,  keine  Armen- 
häuser, keine  stehenden  Heere,  keine   Zollstätten,  kei- 
ne Zuchthäuser,  keine  Schafotte  mehr! !» 

Schon  diese  zitierten  Stellen  dürften  hinlänglich 
yx'igen,  daß  bei  weitem  nicht  alles,  was  hier  an 
Quellen  texten  wiedergegeben  wird,  von  überzeit- 
licher Bedeutung  ist.  Der  eine  oder  andere  dieser 
Autoren  wäre  wohl  bereits  als  mehr  oder  weniger 
lielicns würdiger  Schwärmer  unter  die  verstaubten 
Kuriositäten  geraten,  wenn  nicht  aus  der  zx-itgeniks- 
sischen  Perspektive  heraus  auch  kleine  Denker  zu 
übertriebener  Geltung  kämen.  So  bemerkt  auch 
Stadler  in  seiner  ausgezeichneten  Einleitung,  man 
iiabe  in  den  letzten  Jahren  viel  Aufhebens  um  Ba- 
b<nif  gemacht;  demgegenüber  müsse  doch  auf  «das 
Dilettantische  dieses  Ideologen»  hingewiesen  wer- 
den. 

Manche  naive  Schwärmereien  früher  Sozialisten 
viinlen    heute    niclit    mehr    so    eifrig    aufgewärmt, 
>v('nn   sie   nicht   zur   Vorgeschichte   heutiger   Groß- 
mä(dite    gerechnet    würden.    Das    läßt    der    zweite 
Band     der     Reihe     erkennen:      Denn      «,  Arbeit  er- 
dcmokralie     oder     Parteidiktatur»,     herausgegeben 
von  Frits  Koni  und  Erwin  Oberländer  und  einge- 
hntet  von   Oskar  Anweiler.  Er  sammelt  oppositio- 
nelle Verlautbarungen,  die  sich  bei  der  Errichtung 
der  Sowjetunion  vergeblich  meldeten.  Die  unmittel- 
bare Konfrontation  mit  dem  gleichzeitig  erschiene- 
n<m  ersten  Band  macht  erst  recht  bewußt,  wie  we- 
nig der  in   Rußland  realisiert«  Kommunismus  mit 
den    sozialistischen    Utopien    des    10.  Jahrhunderts 
zu  tun  hat. 

Er.s<diütternd  siml  die  Dokumente,  die  von  dem 
wirklich  spontanen  und  freiheitlichen  Aufstand  der 
Matrosen  und  Arbeiter  in  Kronstadt  vom  Februar 
und  März  1921  berichten;  Trotzki  hat  ihn  niederge- 
s<hlagen.  In  den  Mitteilungen  des  Kronst^^dter  Re- 
volutionskomitees  lesen  wir: 

<Als  die  Arlteiterklasse  die  Oktoberrevolution  zum 
Erfolg  führte,  hoffte  sie,  ihre  Befreiung  /.u  erlangen. 
Das  Ergebnis  aber  war  eine  noch  größere  Versklavung 
der  menscillichen  P.>rsönUclikeit.  Die  Ma<-ht  des  Po- 
livfiraonaTrhismus  ging  in  die  Hände  der  kommunisti- 
schen  Eindringlinge   übor,   die   den    WeH^tätige^^ 


Die  Namen  des  Alpsteingebiets 

Es  ist  erfreulich,  daß  auch  kleinere  Kantone 
es  wagen,  die  Eigenart  und  Vielfalt  ihrer  Kultur 
durch  eine  Schriftenreihe  bekannt  zu  machen.  So 
emdieinen  seit  1964  in  rascher  Folge  die  Appenr^ 
■rller  Hefte.  Während  das  ei-ste  Hott  sich  ail- 
ge,n(Mn  mit  <ler  Sprache  des  Appc^/elleryolkes  1h;- 
.chäftigte,  gilt  das  neueste  (das  Doppelbett  b/7) 
den  Kamen,  und  zwar  ausschnittsweise  und  bei- 
spielhaft den  Namen  des  Aipsteingebiets. 

Stefan  Sonderegger,  Professor  an  der  Universi- 
tät Zürich,  der  seinerzeit  die  Orts-  und  Flurnamen 
s(Miies  lleimatkantons  gesammelt  und  sie  einer- 
seits in  einer  methodis<h  richtungweisenden  Namen- 
c-rammatik,  andei-seits  iu  einer  aufschlußreichen 
Cirundlogung  einer  Siedlun-sgescliichte  ausgewer- 
tet hat.  fühi-t  uns  hier  rund  tausend  Namen  des 
appenzellischen,  toggenburgischen  und  rheint^h- 
schen  Teils  des  Säntismassivs  vor  und  erklart 
uns  ihre  Herkunft,  ihren  Sinn,  ihre  Rolle  im  ge- 
samten Namengefüge. 

Das  rund  hundert  Seiten  starke  Heft  gliedert 
sich   in   zwei   Teile:    einen   historischen   und  einen 
systematischen.     Einleitend    führt     der    Verfasser 
aus    wie   unsere    Gebilde   mit   ihren    Gipfeln   und 
Gewässern,    Wäldern    und    Weiden,    Wegen    und 
Siedlungen    im    Laufe    einer    jahrhundertelangen 
Entwicklung    vom    Menschen    erschlossen    worden 
sind  und  wie  das  Auftreten  eines  Nani(>ns  jeweils 
beweist,    daß    der    Mensch    die    betrelTende    Stelle 
geistig  in  seinen  Besitz  genommen  hat.  Obwohl  die 
schriftliche   Aufzeichnung   der   Namen   lückenhaft 
ist  und  oft  mit  großer  Verspätung  erfolgt,  so  laßt 
sich    doch   aus   den   Hainen,  sobald   mau  sie  histo- 
risch aufreiht,  in  großen  Zügen  die  sich  ändernde 
Einstellung  des   iMenschen  zum  Gebirge  erkennen. 
So    haftet    zum    Beispiel    der    Name    «Säntis»    zu- 
nächst (wie  auch  jetzt  n^K-h  der  Alpname  «Sämtis») 
an  einer  Alp  und  ist  aus  dem  Namen  ihres  truh- 
mittclalterlichen    Besitzers   /u   erklären;    seit   dem 
11.  Jahrhundert     tauchen     mit    der    starkem    Er- 
schließung   der    Bei-gweiden    die    innerrhodischen 
Alimamen  auf,  später  aucli  genauere  Grenzpunkte- 
und  Weidenamen;  die  Namen  einzelner  Gipfel,  wie 
«Altmannv;,  «Hoher  Kasten»,  werden  offenbar  erst 
im  Zuge  des  geogrni)hisch-naturwissenscliaftlichen 
Interesses  an  der  schweizerischen  Gebirgswelt  be- 
kannt;  noch   jünger  sind  Namen  für  jMerkpunkte 
des    Fremdenverkehrs    und    des    Bergsportes.    Die 
(ieschichte  der  Namengebung  und  der  Nnmcnübcr- 
liefening    wird   in   solcher    Sicht    überraschend   zu 
einem  Stück  Kulturgeschichte.  Größere  Zitate  und 
verschiedene  Reproduktionen  aus  Gebirgsbeschrei- 
bungen     des     18.  Jahrhunderts     bilden     in     diesem 
ersten  Teil  einen  reizenden  Abschnitt. 

Im  systematischen  Teil  ordnet  Sonderegger  die 
«Bcrgna'men»,  das  heißt  die  Namen  von  Alpeji 
und  ihivn  Teilweiden,  von  Bergspitzen  und  -masai- 


'-r. 


:>f^J 


,„*'w  <i 


kannton   Sprachverwirrung'  unsoror  Tape  l)oi    son- 
dern behin<lort  rbon  an<-l.  den  Prozeß  der  Distan- 
zicrnnj?.  Danil3or,  ob  und  wie  weit  man  Ideen  der 
einst ij?en    \Vellverl)€>s.^rer-So7-ialisten    in    Kußland 
„nd  China  realisiert  sehen  will,  ist  gewiß  nacht  im 
Ton  des  abgeklärten  Rückblicks  zu  reden.  Solchen 
FVac^n  wird  die  unpolemische  Publizistik  von  11 1- 
storTkeni  des  Sozialismus  nicht  gerecht.  Denn  diese 
sHchliche    Historiographie    fordert    keinen    andern 
Widers]»ru..h    mehr    iieraas    als    den    der    wissen- 
.^•haftlichen    Diskussion.    Auf    sie    beschnmkt    sich 
unsere  Auseinamiersetzung  mit  einigen  jungst  er- 
schienenen Büchern.  Die  alle  in  ihrer  Wussenschatt- 
li.hkeit   und    in    ihrer   Gesinnung   -    sei    sie    mu 
dem   Sozialismus   verpflichtet  o<ler  nicht  -  ernst 
zu  nehmen  sind. 

MONOGRAPHIEN 


Die   nachgerade   tiefe   geschichtlu-he  ;>nnension 
des  Sozialismus  bringt,  Helga  Grehingcmdvnokheh 
.u  Bewußtsein  mit  ihrer  .GrsM^^fe  der  äeuU^ 
Arbciterhewegmm       (Nymphenburger       \  erlags- 
indlung,  München).  In  klarer  und  ausgewogene. 
Gliederung  vcnnitteli  die  Verfasserin  einen  großen 
Feberblick      übc-r     die     ideologisclien    politische^, 
kirchlichen,  soziologischen,  biographischen  und  sUi- 
tistischen  Gegebenheiten,  die  sich  aus  ihren  umias- 
senden    Studien   herauskristalhsiert   haben    Da   m( 
^br  viel  zu  bieten  hat,  tut  sie  es  in  1^>^^^^^  ';<'^^;; 
Knappheit,   die   aber   dafür  wirklich   Wesenth<-he. 
laßt     Au<-h    wenn   sich    Helga   Givbmg    zu    einem 
recht  entschiedenen  Sozialismus  bekennt    bleib    s,e 
aoch  sachlich  und  gelegentli(^h   sogar  sehr  kritisch 
als  Historikerin.  . 

Biographien  sind  ei-schienen.  Sie  liaben  mil  ih- 
rem spezifisch  menschlichen  Gehalt  ohnehin  efwas 
V^-söhnliches.   Was  einmal  leidenschaftludie  Erre- 
cninc^  hervorrief,  trägt  in  der  Rückschau  ott  nur  zu 
:ehr^len  Stempel  der  Vergänglichkeit,  die  zur  Be^ 
sinnung  stimmt.  Rosa  Luxemburg  -  ihr  ^ode^  ag 
wird  sich  bald  zum  fünfzigstenmal  .l^ijren  --  hat 
.ich  auf  dem  Büchermarkt  beachtlich  in  Erinner- 
ung gerufen.  Die  groß  angelegte  Biographie  <</?a.a 
LLn^bnrg.  von  Peier  Netll  Lst  von  Kar    Römer 
aus   dem   Englischen  übertragen  worden    (I^^^^P^^" 
heuer    und    Witsch,    Köln).     Der    Verfasser     de 
iibrio-ens  auch  neue  Quellen  einschlössen  hat,  bleibt 
trotz   seiner   spürbaren   Verbundenheit   mit   seiner 
Heldin  anscheinend  neutral.  Er  versUn-kt  sich  gerne 
hinter  ihr,  doch  nicht  ohne  ab  ""^\^'"  77^7,^2 
um  geistreich  oder  auch  nur  geistreichelnd   Hiebe 
nach  Ost  und  West  auszuteilen.  Die  s<dion  seit  19.3J 
bekannte,    erste    große    Biographie    «^^^  /.iixem- 
hnrgs  von  Paul  Frölich  i.st  kurz  vor  Nettls  Werk 
m   dritter   Ausgabe  erschienen    ( Europa i.s<-hc   \  er- 
lagsanst^lt,  Frankfurt).  Beide  Ix^bensschilderungen 
werden  nicht  verfehlen,  Sympathien  für  die  außer- 
ordentliche Frau  hervorzurufen,  die  ja  allein  schon 
durch    ihren    Mäiiyrertod    immer    wieder    Anteil- 
nahme wecken  wird. 

Die  Biographie  <^Heinrich.  Brami»,  mit  der 
Julie  Braun-Vogehtein  schon  1932  Sympathien 
für  einen  ideal  gesinnten  Sozialisten  geworbeii  hat, 
i.t  um  unveröffentlichte  Dokumente  und  Briete 
vennehrt,  in  zweiter  Auflage  erschienen.  (Deutsche 
Verlagsanstalt,  Stuttgart). 

So   etwas   wie   Mai^idenkult   manifestiei-t   sich, 
da    die    an    sich    gewiß    eher   untedeiitende    z^^^lte 
To<-hter   von   Karl    Marx   einer   ausführlichen    Bio- 
graphie -  in  englischer  Sprache  -  würdig  be  un- 
>    den    worden    ist:     «The    Life    of    Eleanor    Marx 
■I8.3r3_i8()8   —   A    Socialist   Tragedy»    (Clarendon 
Pres.     Oxford).    Der    Verfasser,    ChuschwM    Tsy- 
■ukl  'ist  der  Meinung,  daß  die  unglückliche  Sozia- 
Ustin    —    ihre    schauspielerischen    Ambitionen    zei- 
tia-ten  wenig  Erfolg,  ihre  Liebe  zu  einem  Betnigcr, 
<uTr  sie  ausbeutete,  trieb  sie  in  den  Freitod  --  auch 
olme  den  bekannten  Vater  eine  bedeutende  Gestalt 
wäre.   Obwohl  er  damit   seinen  Gegenstand  sicher- 
lich überschätzt,  schildert  er  ihn  doch  re<dit  glaub- 
würdig und  ohne  die  widerlichen  Zeichen  des  Per- 
sonenkults. •  ,    ^       7  •  L. 

In    der   Reihe   ^Persönlichkeit    und   Geschichten 
sind    in    ausgewogenen,   knappen    Biographien   s^it 
langem   schon    auch   hei-vorragcnde    Sozialisten    be- 
rücksichtigt worden;    in   den  letzten   Jahren  <<^ri- 
,tidr  BrimuU  von  Maurice  Bamnont,  «Karl  Marx» 
von  Peter  Stadler  und  zuletzt  «August  BeheH  von 
Ernst     Schraepler     (Musterschmidt-Verlag,     Got- 
tingen).   Der   selbe    Verlag    hat    in    der    vortreff- 
lichen    «Quenensammlung    zur    Kulturgeschichten 
herausgegeben     von     Wilhelm     Treue,     wiederholt 
sozialgeschichtliche    Themen    beackern    la.^n     zu- 
letzt im  überaus  umsichtig  konzipierten  Band  17: 
<cQucllen       :ur       Geschichte       der       mdustnellen 
Evolution».    Tn    breiter    Streuung    ^^^  ^f  ^^^^^  ^ 
mit    großer    Treffsicherheit    ausgewählten     iextc 
nicht    nur    die     naturwissfinschaftlicb-teohmseheu, 


h  des  objektiven  llistoril 
l)er  und  ist  auch  am  müh 
Ix^ktüre. 

DOKUMENTK 
Ein    Komitee,    d«.sen    Vorsitz    f^-^^J^ 

inneliat,  ist  mit  der  ^^-^--^^^'^Zc^^^^^^^^^ 
neuen     Reihe,    <^noh-^'^^»^\^''  JfT  J^^^^^ 
hen'orgetreten     (Walter- Verlag,    Ölten).    Sie    wü 
in  QueUentexten,  deren  VersUim  ms  dur<di  Ein^ei 

tunoSen    erleichtert,    wird,    eine    "^l>^''^^^'^^7^^  n^j-^^'^^ 
Itamlesauf nähme  der  Geschichte  des  revolut^naren 

So  Ivlismus  bieten,  von  den  "-^'-f  ^T^^f  ^^ra   - 
losophischen    Theoretiken.    '^^'^'^fj^l,;""^^ 
.ösischen    Revolution    bis    zu    den    ^  7™^^^ 
heutigen    sogenannten    Sozialismus    in    «'^^^    ;;f^- 
Das  ^roße   Unternehmen   hat   viel    Einleuchtendes. 
?^%Cc.eicli  zur  überreichlich  angebotenen  inter- 
pretierenden    und     popularisierenden      ^^^"ndai^ 
'S^r  gibt   es  ja   wirklich  nur  ^^^^ 
credruckte    Primärdokumente    zur    Gesc'hichte    der 
kommun^  I^l^re  und  Praxi.^  So  ist  c^  zwei- 

felt sehr  verdienstlich,  diesem  Mangel  abzuhel- 
fen;' verdienstlich  auch  dann,  wenn  ^ich  zeigen 
sollie,  daß  d\o  Texte,  auf  die  b.>her  nur  mit  Muhe 
/nrück-ecriffen  wer.len  konnte,  gar  nicht  so  be- 
bend ^ind,  wie  sie  im  Spiegel  der  Sekundär- 
literatur erschienen.  Zwei  Bände  der  Reihe  sind 
bereits  heraasgekommen,  auf  sie  sei  hier  etwas  na- 
her eingegangen. 

Der    erste     Band,     «Die    frühen     So^mhsten», 
herausgegeben  von  Frits  Kool  und  Werner  Krause 
und  eingeleitet  von  Peter  Stadler,  bezieh    sich  auf 
aie   Epoche  von  der   Franz;>sis<-hen   I^^v^^^^^^J^J;;^ 
zum  Scheitern  der  Revolutionen   von    1848.    Ucher- 
aus    vi(>lsagende    Quellentexte    repräsentieren    we- 
sentlich  jene   Reihe   seltsamer  P^'^^^*'»   ^f^"^;);^; 
scher,   deutscher  und   englischer   Nationaliüit,    von 
l^obert   Owen,  Babeul"  mid   den   Babouvis  en  über 
Saint-Simon,   Fourier,  lx>uis  Blanc,  Weitling  und 
ie  ihi^n  Anhängern  bis  zu  Karl  Grün    Moses  Hes. 
und  den  von   diesen  Beeinfkißten.  Mit  Recht  sind 
die   Klassiker   Marx   und    Engels    weggelassen,   da 
ihre  Werke    ja  leicht  zugänglich  sind.   Um  so  fri- 
scher und  uiikonkurrenzierter  präsentieren  sich  all 
die    Ideen   und    Träume   von    Ikarien,   von    großen 
Familien         Phalansterien,        communautes        und 
Menschheitsgemeinschaften,  die  hier  in  Erinnerung 
'berufen  werden  -  eifrige  Untei-suchungen  über  die 
Ouelle  aller  Uebel  und  Laster  in  der  Einrichtung 
,1er  Gesellschaft  -  ein  ungeheurer  Glaube  an  die 
Oroanisierbarkeit  des  Glücks.  l\lan  kiüinte  darüber 
wefnen  -   lächeln  nicht,   daran   hindert   einen   die 
politische  Begriffsverwirrung,  auf  die  noch  zurück- 
zukommen ist.  Eine  kleine  Auswahl  von  lapidaren 
Formulierungen  dürife  aber  besser  als  aller  Kom- 
mentar deutlich  machen,  wie  weit  zurück  all  diese 
Visionen  und  U^eberlegungen  liegen 


.  11.  11  lor^pekllvc  Ikthus  ;ui<-h  kK'ine 
iib<'rtnelMmer  Geltung  kämen.  So  l>emerkt  auch 
Stadler  in  seiner  ausgezeichneten  Einleitung,  man 
habe  in  den  letzten  Jahren  viel  Aufhebens  mn  Ba- 
Ix'uf  gemacht;  demgegenüber  müsse  doch  auf  «da.s 
Dilettantische   dieses    Ideologen»    hingewiesen    wer- 


den. 


Manche  naive  Schwännereien  früher  Sozialisten 
würden    heute    nicht    mehr    so    eifrig    aufgewännt, 
wenn   sie   nicht   /.ur   Vorgeschichte   heutiger   Groß- 
mächte   gi'rechnet    würden.    Das    läßt     der    zweite 
Band      der      Reihe     erkennen:      Denn      «Arbeit  er- 
demokratic     oder     Parteidiktatur^,     herausgegeben 
von  Frits  Koni  un<l  Erwin  Oberländer  und  einge- 
leitet von   Oskar  Anwciler.  Er  sammelt  oppositio- 
nelle Verlautbarungen,  die  sich  bei  der  Erric^htung 
der  Sowjetunion  vergeblich  meldeten.  Die  unmittel- 
bare Konfrontation  mit  dem  gleichzeitig  erschiene- 
nen ersten  Band  mat-ht  erst  recht  bewußt,  wie  we- 
nig der  in   Rußland  realisierte  Kommunismus  mit 
den    .sozialistischen    l'topien    des    10.  .lahrhunderts 
zu  tun  hat 


ncnri  de  Salwt-Simon:  «Das  Goldene  Zeitalter  des 
Menschengeschlechts,  es  ist  nicht  hinter  uns,  es  steht 
uns  bevor:  es  liegt  in  der  Vervollkommnung  der  ge- 
o]ls.haftlichen  Ordnung;  unsere  Väter  Imben  es  nicht 
croschen.  unsere  Kinder  werden  es  eines  Tages  erleben. 
\n  uns  ist  es,  ihnen  den  Weg  zu  ebnen.» 

Franz  Stromeycr:   «Der   Zorn  z.B.   h<*St  ."\<''\t  u''; 
sprünglich  in  der  Menschennatur  . .  .  Die  Traghe,     is 
nich     ursprüngli<-h    im    Menschen,    im    Gegenteil    hegt 
h     der    Menschennatur   ein    dringend^'s    ""vc^tilgbares 
Verlangeu   nach    steter   Betätigung.    Die   Trägheit   be- 
steht n^r  in  dem  natürlichen  Wunsehe,  d,e  Qual   und 
den  Ueberdruß  einer  unseren  natürlichen  Anlagen  und 
Xei<rungen  ni<'ht    entspreehenden  Tätigkeit  /u  vermei- 
den ..  .Könnten  wir  in  dieser  Weise  alle  Ausschwei- 
fungen,   alle    Laster    .  .  .    einer    besonderen    Beaehtung 
unterziehen,    so    würden    wir    imstande    sein,    augen- 
seheinlich    darzulegen,    daß    dieselben    ...    nur    durch 
äußere,    zufälhge,   einer    Aenderung   zuganghche    Um- 
stände'erzeugt\erden.   Es   handelt   sich    also   darum 
die  ffcsellschaftliehen  Einrichtungen  so  zu  treffen,  dab 
solche  zufällige,  äußere  Umstände  . . .  soviel  als  mog- 
lieh f>cseitigt  und  vermieden  werden.» 

Hippolyte  Benaud:  «Das  Böse,  das  ist  die  Unwis- 
senheit. Das  Böse  verschwindet  mit  dem  Wissen.» 

CrracchiK<i  BoJjeuf:  «Wir  werden  ]>eweisen,  daß 
Grund  und  Boden  nicht  einzelnen,  sondern  alhMi  ge- 
hört Wir  werden  beweisen,  daß  es  widersinnig  und 
ungereciit  ist,  eine  größere  Belohnung  für  denjenigen 
zu  verlangen,  dessen  Arbeit  oinen  höheren  Grad  von 
Intelli'-enz,  mehr  Fleiß  und  geistige  Anstrengung  er- 
fordert;  daß  diese  keineswegs  die  Kapazität  seines 
Magens  vergrößern.» 

WiUi07n  Thompson:  «Gleichheit  der  körperlichen 
oder  geistigen  Anstrengung  aller,  soweit  sie  nicht 
phvsisch  untaugheh  sind,  ist  die  einzige  gerechte  und 
vernünftige  Basis  der  Gleichheit  des  Genusses.^ 

Jean  Reynaud:  «Proletarier  nenne  ich  diejenigen, 
die  den  gesamten  Reichtum  der  Nation  erzeugen,  ... 
Bourgeois  nenne  ich  diejenigen  . .  .,  die  mit  vollen  Zü- 
gen die  Gegenwart  genießen». 

Victor  Considerant:  «Tn  einem  Phalansterium  ist 
der  Diebstahl  unmöglich.»  Es  wird  dort  «überhaupt 
keine  Faulen  mehr  geben».  Die  Einführung  des  Bozic- 
tären  Regimes  wird  «das  Elend  und  die  Bettelei  aus 
der  Welt  schaffen». 

FAienne  Cahet:  «Keine  Arme,  keine  Reiche  wird  es 

gehen,  keine  Knechte;  keine  Ausbeuter,  keine  Ausge- 

l  beuteten;  keine  Sorgen,  keine  Aengste;  weder  Eifer- 


Erschütternd  sind  die  Dokumente,  die  von  dem 
\Mrklich  spontanen  und  freiheitlichen  Aufstand  der 
Matrosen  und  Arbeiter  in  KroiLstadt  vom  Februar 
und  März  1921  bericliten;  Trotzki  hat  ihn  niederge- 
s<  hlagen.  In  den  Mitteilungen  de.s  Kronst.idter  Re- 
v«»lutionskomitees  lesen  wir: 

^  Als  die  Arbeiterklasse  die  Oktoh.Mrevohition  zum 
Erfolg  führte,  hoffte  sie,  ihre  Befreiung  /u  erlangen. 
Dis  Ergebnis  aber  war  eine  noch  größere  Versklavung 
der    menschlielien    PersönUchkeit.    Die    Macht   des    Po- 
liivpimonarchismus  ging  in  die  Hände  der  kommunisti- 
sdken  Eindringlinge  über,   die  den    Werktätigen   statt 
dir   Freiheit   ständige    FurcKt   vor   d.'r   Folterkammer 
dßr  Tscheka  brachten,  deren  Greueltaten  die  der  (^end- 
armerieverwaltung  des  zaristischen  Regimes  noch   um 
ein  Vielfaches  übertrafen.   .  .  .   Das   Leben  unter  dem 
Joeh    der   kommunistischen   Diktatur   ist   schrecklicher 
als  der  Tod  ovworden.»  — -  Der  Revolutionäre  Dreier- 
ausscliuß  des  technischen  Arbeiterbataillons  von  Kron- 
stadt   rief    den     k(nnmunistischen     Parteiführern     zu: 
«Genug  der  ({ewalttaten,  genug  des  Betrugs.  Weg  mit 
euch !    Daßt  uns   frei   atmen   ...   Wo  sind  unsere  Ver- 
treter?! Warum  können  sie  nicht  für  uns  eintreten  und 
unsere   Brüder,   die   in   den    Gefängnissen   schmaehten, 
b(>freien?  Nein,  ihr  Betrüger,  lange  genug  haben  wir 
eurer  Schönrederei  zngeliört.» 

Das   Aufrüttelnde   der   Dokumente   «Die   Wabr- 
heit    über    Kronst^idt»    dürfte    die    beste    Wirkung 
dieses    Buches    ausmachen.    Im    Vonvort    wird    sie 
allerdings  nach   Kräften   heral)gestimmt.   Die  froi- 
heitsdui^^tigen  urs])rünglichen  Räte  —  heißt  es  — 
wären  wohl  «kaum  geeignet  gewesen,  das  Land  zwi- 
schen den  Klii>]M'n  der  wirtschaftlichen  Zerrüttung, 
der  politischen  Wirren  und   der  ausländischen  In- 
terventionen  himlurchzusl<niern».   «Daß   die    Kron- 
siadter   Aufständischen    1021    die    Forderung   nach 
frei  gewählten  und  souveränen  Räten  erhoben  und 
dabcrvon  den  Hoffnungen  des  .Jahres  1917  inspi- 
riert w^urdcn,    ist   l^ezoichnend   für   die   dem   Ideal 
innewohnende    Kraft,   as   beweist    aber   keineswegs 
seine  Durchführbarkeit.» 

Ein  solches  Urteil  bezeugt  auf  seine  Weise,  wie 
wenig  mit  der  praktischen  Verwirklichung  jener 
Ideafe  zu  reehnen  war  und  ist,  die  der  Revolution 
\on  1017  den  Schwung  gaben;  aueh  wenn  die 
Sowjetunion  «sie  nie  förmlich  aufgegeben  hat».  So 
bleibt  die  Frage,  ob  hier  nicht  unter  dem  Kamen 
.Wellrevolution»  Dinge  zusammengereiht  sind,  die 
nicht  zusammengehören. 


11  M>     L'uiic      '  laluTunTruTäng^ 

rMcd  ilirMU       Uli       li<lUii  •  .  I 

i:n  w n-khing    vom    Menschen    en.<.ldossen    ^.^ 

sind  und  wie  das  Auftreten  <'ines  Namens  jewcds 

»"weist,    daß    der    Meii.-h    die    ^>f  ^^f^^,^  ^ 

rjeistig  in  seinen  Besitz  genommen  hat.  Obwolil  die 

S^.nmi<-he    Aufzeichnung   der   Namen    l^-»-^^ 

st  und  oft  mit  großer  Verspätung  erfolgt,  so  laßt 

ich   doch   aus   d(.i   Manien,  sobahl   man  «^e  i'»«^; 

sch  aufreiht,  in  große,  Zügen  dio  sudi  ändernde 

Einstellung  d!.   Mens<l.en   zum   Gebirge  ei^ennen. 

So    haftet    zum    Beispiel    der    Name    «^^»Vi''tis»^ 
nächst  (wie  auch  .letzt  n.Kdi  der  A  pname  «Samhs») 
an  einer  AI,)  und  ist  aus  dem  Namen  ihres  1  ruh- 
mittelalterlichen    Besitzers   zu    erklären ;    seit    dem 
11.  Jahrhundert    tauchen     mit    der    starkern    t.r 
sehließung    der    Bei-gweiden    die    innerrhoduschen 
Alpnamen  auf,  später  auch  genauere  ^renzpunkte- 
und  Weidenamen;  die  Namen  einzelner  Giptel,  wie 
«Altniann»,  «Hoher  Kasten»,  werden  oilenbar  erst 
i,n  Zuge  (h.s  goographisch-imturwisscnschaltichen 
Interesses  an  der  schweizerischen  Gebirgswelt  be- 
kamit;   no.h   .iünger  sind   Namen    für  Merkpunkte 
<los    Fremdenverkehrs    und    des    Bergsportes.    Die 
(}esehi<lite  der  Namengebung  und  der  Namen uber- 
lieJenmg   wird   in   solcher    Sicht    überraschend   zu 
einem  Stück  Kulturgeschichte.  Größere  Zitate  uncl 
verschiedene  Reproduktionen  aus  Gebirgsbeschrei- 
bungen    des    18.  Jahrhunderts    bilden     in    diesem 
ersten  Teil   einen  reizenden  Abschnitt. 


Im  svstematischen  Teil  ordnet  Sonderegger  die 
«Bergnamen»,    das    heißt    die    Namen    von    Alpeii 
und  ihren  Teilweiden,  von  Bergspitzen  und  -i;^assi- 
ven       Schneefeldern     und     Höhlen,     von     Wegen, 
Pässen  und  Grenzpunkten,  von  Wäldern  und  üe- 
wilssern,  nach  ihrer  Bezeichnungsfunktion,  Obw'ohl 
nicht  jede  Deutung  der  zahlreichen  Namen  völlig 
überzeugt,  so  werden  doch  die  Motive  der  Namen- 
gebung  gut  überschaubar.  Es  zeigt,  sich  da  etwa, 
daß   die   Namen   von   W^äldern   und    Bergseen   oft 
nach  den  Namen  zugehöriger  Alpen  geprägt  sind, 
daß   manche   Gipfelbczeichnungen   von   den   tieter 
o-el(Krenen    Alpen  gleichsam   hinan fgerutscht  sind; 
neben   Namen  aus  der  Sicht  des  Viehliii-tcn    (zum 
Beispiel    «Chüeboden»,    «Schaf ler»)    stehen   solche 
aus  der  Sicht  des  Jägers   («Gamsloch»)    oder  des 
Bergsteigers    («Trittli»).    Das   Alpsteingebirge   er- 
scheint  auf   diese   Weise   als  farbiges  Mosaik   de^ 
ordnenden    und    wertenden    Sprachgeistes.    Dabei 
sind   bildhafte   Namen  wie  etwa  «Ofen»,  «Rasier- 
messer» oder  «Na.scnlöcher»  eindrücklichc  Beispiele 
volkstümlicher  Namengebung. 

Wer  immer,  ob  Heimatfreund  oder  Namen- 
kundler, ob  Einheimischer  oder  Gast  des  Alpstein- 
gebietes', zu  dieser  ansprechenden  Schrift  greift, 
welche  'wissenschaftliche  Qualität  in  allgemein- 
verständlicher Form  darbietet,  wdrd  reichen  Gewinn 
davontragen.*  Rudolf  Trüb 

*  Stefan  Sonderegger:  Der  Alpstein  im  Lichte  der 
Bergnamengebung.  Das  Land  Appenzell,  Heft  6/7.  Ver- 
lag Appenzeller  Hefte,  Herisau  1967. 


Gerhard  Frick 


Alemannische   Gedichte 

eb    Aus  dem  Schwarzwald  stammt  ein  Viertel- 
hundert   «Gedichte   in    Wiesentäler   Mundart»    %-on 
Gerhard  Jung,    die    William     Afatheson    für    das 
fünfzehnte      Bändcheii      der     «01tn(;r      Liebhaber- 
Drucke»    bestimmt   hat.    Schon    der   Tite     « M  urzlc 
nn  Blatt»  läßt  erkennen,  daß  man  auf  kleine  Be- 
sonderheiten achten  muß,  wenn  man  die  Eigenart 
dieses  ScOiwarzwalddialektes  erfassen  will,  (jerhard 
Jung  hält  Eindrücke  aus  dem  Naturleben  und  aus 
dem  tätigen  Alltag  in  seinen  Vei-sen  fest    Aber  er 
verweilt  iewcils  nicht  lang  bei  ihnen,  sondern  laßt 
sogleich   die   lebenskundliche   Lehre  folgen,   die   er 
daraus   gewinnt.    So    mahnt   er   wohlmeinend    und 
deutlich  zur  Zusammenarbeit  und  zum  eintrachtigen 
Zusammenstehen.    Für    Stimmungen    des    ünmnts 
empfiehlt  er  das  Wandern  als  heilkräftige  Debung, 
und   die   Heimat   wird   mit   unpathetischer   Ueber- 
zeugung  gepriesen.  Einzelne  Gedichte  wenden  sich 
an   Persönlichkeiten   von   Gerhard   '/""g«   Umkreis 
Ser    entdecken     Sinnbildhaftes    «Am    Webstuhl» 
und  bei  einem  «Alten  Holzmacher».  Eine  Gedicht- 
folge läßt  alle  Arbeitskräfte  sprechen,  die  in  einer 
Gießerei  ein  Werkstück  entstehen  lasseii.  Auch  das 
«Roti  Chrüz»  erhält  einen  ^hyvj^Ä^n  Gruß.   (Vei- 
lag  der  Freunde  der  Oltner  Liebhaber-Drucke.) 

Kunsl  in  Zürich.  Die  Galerie  in  d^r  KUeweid, 
Zürich-Leimbach,    zeigt    seit    22.  März    bis    zum 


"1     Vpril  Bilder  von  Ernst  Georg  Heussler,  Paris, 
und  Plai^tiken   von  Hermann  Klöckler,  Oberalbis 
—  In  einer  Ausstellung  «konkreter  Poesie»  stellt 
die   Galerie   Stummer  £'   Hubschmid  Posters,   Ob- 
jekte und  Projekte  vei-schiedcncr  Künstler  vor. 

Literarischer  Club.  oc.  Dem  Vortragszyklus  des 
Liferarischcn    Clubs    war    ein    ei ndrückl icher    Ab- 
schluß   beschieden.    Der    Präsident    Arthur    llany 
konnte  in  Peter  Brogle  einen  Referenten  begrüßen, 
der  als  Schauspieler  zu  den  Suchenden  gebort,  der 
Routine    abgew^nndt    bleibt    und    unglücklich    ist, 
wenn  einem  weitern  Tiefgang  der  Darste  hing  Ein- 
halt geboten  wird.  Das  Thema  freilich,  das  Brogle 
an  Texten  von  Kafka,  Thomas  IMami,  Brecht    H. 
Hediger,   Grock    und   aus   eigenen    Skizzen   enttal- 
tete,  hieß  für  einmal  nicht  Theater,  sondern  Zir- 
kus  Was  für  ein  Ziel  hatte  der  Rclerent  im  Blick? 
Er  wollte  der  Geringschätzung  des  Artistcnberutes 
entgegentreten  und  die  Welt  des  Zirkus  fachkun- 
dig erhellen.  So  zeigte  er  auf,  wie  hart  und  präzis 
<\or  Artist  zu  arbeiten  liat,  bis  da5  D nmogl ich e  ge- 
lingt.  Im   Theater  ist  ein   «Hänger»   einzurenken, 
im  Zirkus  wird  er  zum  Verhängnis.  Der  Schauspie- 
ler sieht  sich  umsorgt  von  Helfern.  Er  muß  sich 
um  die  Technik  nicht  bemühen.  Der  Artist  hat  alles 
von   Grund   auf   zu    kennen   und    zu    ubenvachen. 
Brogle    wünscht    sich    für    die    Thcaterarbeit    ein 
wenig  von  dieser  Disziplin.  Diesen  Ausführungen 
folgte  eine  überraschende  Demonstration,  cipgclei- 
tet  durch  den  Vortragenden  selber,  der  durch  be- 
wußt  nervöses   Suchen   nach   einem   «offenkundig» 
verlegten  ]\ranuskript  beiläufig  Aepiel  und  Oran- 
gen aus  der  Mappe  fallen   ließ  und   so   dem   be- 
kannten    Artisten     und     Mitbesitzer     des     Zirkus 
Royal,  Cony  Gasser,  Gelegenheit  bot,  sein  stiipen- 
des  Können  als  Jongleur  vor  einem  «instruierten» 
\  Publikum  unter  Beweis  zu  stellen. 


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Page  6 


MEMOIRS  BY  TWO  GERMAN  JEWS 


A  SERVANT  TO  JEWRY 

Martin  Rosenbluth's  Reminiscences 

Martin  Rosenbluth's  reminiscences*  form  a 
desirable  and  valuable  first-hand  contribution  to 
the  knowledge  of  former  German  Jewry  and  of 
the  Services  rendered  by  German  Jews  to  the 
Zionist  World  movement.  The  first  half  of  the 
book  is  devoted  to  the  early  years  the  author 
spent  at  Messingwerk,  near  Eberswalde,  north  of 
Berlin.  Martin  Rosenbluth's  father,  as  the 
numerous  friends  of  the  Rosenblueth  clan  will 
recall,  was  an  executive  of  the  metal  firm  of  Aron 
Hirsch  und  Sohn,  Halberstadt,  which  had  acquired 
Messingwerk  from  the  Prussian  Crown  in  1863. 
A  small,  but  vigorous  Jewish  community 
developed,  with  Gustav  Hirsch,  the  factory 
director,  serving  as  the  Hazan  in  the  Shool. 
Services  were  according  to  the  Hildesheimer 
brand  of  Jewish  Orthodoxy. 

Jewish  Orthodoxy  and  German  Culture 

The  German  classical  authors  were  given  equal 
weight    in    the    upbringing    of    the    Rosenblueth 
children.      The    political    outlook    was    "kaiser- 
treu ■'.     One  of  the  author's   brothers  was  killed 
in   Service   during   the   First  World   War.     About 
the  turn  of  the  Century,  the  late  Lazarus  Barth, 
a  kin&man   of  the   Hirsch   family,  and  an  ardent 
proponent  of  the  Zionist  credo,  was  transferred  to 
Messingwerk.       However,     Martin     Rosenbluth's 
conversion    was    achieved    only    later,    during    his 
university  years  in  Berlin,  by  the  late  Professor 
Eugen   Taeubler.      "German   Zionists,"   Taeubler 
said,   "need   never   regret   the   influence   of   their 
upbringing    and    their    education.      Their    "finest 
thoughts,   their  dreams,  their  imaginations  would 
always  be  deeply  influenced  by  their  heritage  of 
German  childhood  songs  and  fairy  tales  ;  by  the 
remcmbranca   of  German   hüls  and  forer.ts,  fields 
and    flowers  ;    by    the    beautiful    music    of   German 
composers  and  the  immortal  writings  of  the  great 

il        •  Martin    Rosenbluth  :    Go   Forth   and    Serve.      Early    Years 
'     and    Public    Life.      Herzl    Press,    New    York,    1961.      318pp. 


KELLERGEIST 

ADVISES  A.J.R.  READERS 


Choose  Hallgarten— 
Choose  ßne 


Ask  tor  ih»m  by  name! 

l(  you  have  any  difficulty  in  frnding 

HALLGARTEN    wines,   wrile  to  u$ 

(or  assistance 


S.  F.  &  0.  HALLGARTEN 

1,  Crutch«d  Friars,  London,  E.C.3 


German   authors  ;    by  ^  the   teachings   of   German 
scholars  and  scientists." 

The  second  part  of  the  book  records  some  high- 

lights  of  the  fifty-one  years  (from  1910-61)  Martin 

Rosenbluth    spent    in    the    service    of    the    World 

Zionist  Movement  in  Central  Europe,  Copenhagen, 

since  1933  in  London  and  since  1940  in  New  York, 

Rosenbluth     personifies     what     another     author 

(Richard  Lichtheim,  Die  Geschichte  des  Deutschen 

Zionismus,  Jerusalem.   1954.  p.  9)  has  smgled  out 

as  the  characteristic  contribution  of  German  Jews 

to  the  Zionist  cause,  viz.  sense  of  Organisation  and 

discipline.     Its  importance  is  perhaps  less  obvious 

than   spectacular,  dramatic  Propaganda   successes, 

But     without     the     most     intimate     co-operation 

between      forceful      propagandists      and      patient 

administrators,     the     dream     could     never     have 

become    stable    reality.     Only    insiders    will    ever 

realise    the    efforts    invested    by    Dr.    Rosenbluth 

since  the   proclamation  of  the  State  of  Israel   in 

1948,  in  establishing  and  maintaining  the  name  of 

the   State   as   a   good   credit  risk   inside   the  Wall 

Street  community  of  bankers  and  financiers. 

It  is  gratifying  to  know  that  his  achievements 
were  appreciated  by  the  Israel  Government  which 
granted  citizenship  to  Dr.  and  Mrs.  Rosenbluth 
even  though  they  were  neither  born  in  the  country 
nor  have  ever  lived  within  its  borders  except  for 
Short  periods  as  visitors. 

En|ivened  by  Anecdotes 

Dr.  Rosenbluth's  narrative  is  enlivened  by 
numerous  anecdotes,  as  a  charming  raconteur  of 
which  he  commands  a  deserved  reputation  among 
his  friends  and  admirers.  He  could,  no  doubt. 
have  easily  doubled  the  space  allotted  to  him,  by 
filling  in  worthwhile  details.  For  instance :  the 
last  phase  of  Messingwerk  (after  he  had  left  the 
place)  witnessed  the  establishment  of  a  Hachshara 
(retraining)  centre  for  Halutzim. 

While  in  New  York.  Dr.  Rosenbluth  co-operated 
with  the  German-Jewish  Representalive  Commit- 
tee  of  the  World  Jewish  Congress.  He  has  also 
been  a  member  of  the  Board  of  Directors  of  the 
American  Federation  of  Jews  from  Central 
Europe,  Inc.  since  its  inception.  He  has  devotedly 
and  ably  served  both  the  Zionist  cause  and  the 
collective  interests  of  the  German  Jews.  May  he 
bc  bles5»ed  with  many  more  years  to  witncss  and 
cnjoy  the  fruition  of  his  labour. 

DR.  H.  G.  REISSNER. 

FRANKFURT   BEFORE   THE   FIRST 

WAR 

This  dclightful  litlle  book*  is  by  a  lawyer  v\ho 
Icft  his  home-town  Frankfurt  early  in  1936  and 
scttlcd  in  what  was  then  Palestinc.  While  living 
at  Ramot  Hashavim  it  occurred  to  him  that  his 
children.  born  over  there,  s-hould  know  something 
about  their  father's  past.  his  family  background 
and  his  education.  So  he  wrote  thcse  chaptcrs 
about  his  childhood.  the  town.  the  family,  reli- 
gion,  schooling  and  fatherland.  They  are  followed 
by  copious  notes  on  pcrsonalities  mentioned  in  the 
tcxt,  institutions  and  some   Hebrew  words. 

Spier  was  the  son  of  a  prosperous-  businessman. 
whose  shoe-shop  was  well  known  in  old  Frankfurt 
as  "  der  Schuh-Spier ".  Neither  his  father  nor 
his  mother  was  born  at  Frankfurt,  both  had 
moved  to  that  centre  towards  the  end  of  the  last 
Century,  as  did  many  other  Jews  from  villages  or 
smaller  towns.  Like  so  many  of  their  fellow- 
Jew9.  the  family  lived  in  the  cast  end  of  the 
town,  near  the  Zoological  Garden,  and  the  little 
boy  could  hear  from  his  nursery  the  notes  of  the 
exotic   birds  kept  in   that  menagerie.     Hence   the 

*  Selmar  Spier.  Vor  1914.  Erinnerungen  an  Frankfurt, 
geschrieben  in  Israel.  Frankfurt  a.M.  1961.  Verlag  Waldemar 
Kramer.      DM.    6.80. 


AJR  INFORMATION  January,  1962 

original  title  of  his  first  chapter,  "Der  Ruf  des 
fremden  Vogels".  The  Spiers  were  fairly  Ortho- 
dox, eating  kosher  food,  but  their  shop  was  not 
closed  on  Saturdays.  The  reader  of  *' Vor  1914" 
gets  an  idea  of  the  author's  piety  even  before 
opening  the  book,  as  its  cover,  done  after  some 
old  print,  shows  Frankfurfs  Central  Synagogue  in 
Allerheiligenstrasse,  which  many  emigrants  remem- 
ber  so  well.  Spier  received  his  first  education  in 
a  school  later  to  be  called  after  its  founder, 
Samson  Raphael  Hirsch,  a  strictly  Orthodox 
establishment.  It  was  a  gloomy  place,  where 
incompetent  masters  would  often  flog  their  little 
victims. 


The  Goethe  Gymnasium 

When     he     was     twelve     years     old     he     was 
transferred    to    a    Grammar    School,    the    Goethe 
Gymnasium,  a  stately  building  in  the  western  part 
of  the  city,  a  so-calied   Reformgymnasium  where 
Latin  was  no  longer  the  first  foreign  language  to 
be  taught,  but  followed  French  in  the  fourth  year 
of  the  curriculum.     It  was  1905  when  Spier  and  I 
became  proud  pupils  in  that  school,  he  entering  a 
form  called   U   III.   while   I   was  a  mere  "Quin- 
taner "'.     We  did  not  have  the  same  masters,  but 
even   so,  Spicr's  description  of  conditions  in  our 
school  was  of  great  interest  to  mc,  as  it  musjj^e 
to   all   those   who   survived   the   First  World   War 
and  like  to  remember  a  now  distant  past.    Once  a 
year  our  headmaster  read   out  the  names  of  the 
bovs   who   moved   up   to   a   higher   form,  and   as 
he    came    from    the    far    North    of    Germany,    he 
pronounced   Spier's   name   like   the   English   word 
spear,   which   gave   us   Frankfurters  great  amuse- 

ment.  .      ,  „     , 

Spiers    last   chapter,    "  Das   Vaterland    ,   has    a 
more  general  appeal.     Deeply  interested  in  history 
and     politics,    the    author    here    deals    with    the 
problematic     position     of     a     young     Jew     in     a 
Christian  state  and  society.     Those  school-leavers 
who  did  not  enter  business  could  as  a  rule  only 
choose   between   law    and   medicine   as   a    career. 
Spier  chose  the  former.  but  his  book  stops  short 
before  he  went  to  the  university.     His  book  is  a 
"  must "  for  all  Frankfurters,  but  so  great  are  bis 
literaiy  i»kill,  his  Icarning  and  hi'-  hiimour  that  it 
can  be  warmly  recommended  also  to  those  in  or 
from   other  parts  of  Germany,  and  to  Jews  and 
Gentiles  alike.  W.  MOREL. 


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^  THE  NEW  YORK  riMF.^  WEDNESDAY,  SEPTEMBER  13.  1967 


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mation 


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Srhuplro  Black  Star 

d  States  in  1964 

1  will  Sit  on  the 
hrone,  which  is 
high  and  covered 
ind  26,733  jewels. 
Fath-Ali,  a  19th- 
lah  of  the  last 
lasty,  the  Qajars, 
d  for  a  favorite 
)  was  known  as 
hanoum,  which 
!  Peacock. 

ctcd  Sitting 

»  throne  is  wide 
only  one  person, 
5s  will  Sit  on  a 
sted    chair    near- 

press  has  taken 
with  the  design 
mation  wardrobe 
and  10  high-born 
tendants,  whose 
I  not  yet  been  an- 

e  of  Dior  in  Paris 

Sketches  of  her 
d  her  attendants' 
'  the  Emprcss's 
HS.  The  clothes 
made  in  the 
elicr  of  a  Swiss- 
n  coulurier,  Mon- 

figure    with     a 

1  mustache,  Pierre 

representative  in 

id    has   the   right 

)ior  label. 

ne,  Anyway 

of  Monsieur  Pier- 
ressmakers  havc 
Dg  on  the  clothes 
\6  of  June.  Asked 
ib  would  be  done, 
up  his  eycs  and 


R.  W.  Pershing 
Becomes  Fiance 
Of  Shirley  Gay 

Special  to  The  New  York  Time«! 

WATER  MILL.  L.  1.,  Sept. 
12— The  engagemcnt  of  Miss' 
Shirley  Hildreth  Gay  and 
Lieut.  Richard  Warren  Per- 
shing. U.S.A.,  has  been  made 
known  by  her  parents,  Mr. 
and  Mrs.  Philip  Dumaresque 
Gay. 

Mr.  Pershing  is  the  son  ox 
Mr.  and  Mrs.  F.  Warren  Per- 
shing of  New  York  and 
Southampton.  He  is  the 
grandson  of  the  latc  General 
of  the  Armics  John  J.  Per- 
shing and  Mrs.  Pershing. 

Miss  Gay  was  graduatcd 
from  Northfield  School  in 
Fast  Northfield,  Mass.,  and 
Bennelt  College  in  Millbrook, 
N.  Y.  She  is  on  the  cditorial 
staff  of  Vogue  jnagazine. 

The  prospective  bride  is 
the  granddaughter  of  the  late 
Mr.  and  Mrs.  William  Otis 
Gay  of  Boston.  New  York  and 
Southampton,  and  of  Mr.  and 
Leon  Pclletreau  Hildreth  of  ' 
Southampton.  She  is  a  de- 
.scendant  of  William  Bradford, 
second  Govcrnor  of  Plymouth 
Colony.  Her  fathcr  is  an  in- 
spector  for  tho  Grumman 
Aircraft  Engineering  Corpo- 
ration in  Sag  Ffarbor. 

Lieutenant  Pershing  is  an 
alumnus  of  Phillips  Exeter 
Acadcmy  and  Yalc  College, 
where  Im  was  a  member  of 
Fence  Club  and  Skull  and 
Bones.  He  recently  completed 
training  at  Fort  Benning,  Ga., 
and  will  be  assigned  to  the 
101  st  Airborne  Division  at 
Fort  Campbell,  Kentucky. 

He  is  also  the  grandson  of 
the  late  Mrs.  Frederick  Bcck- 
man  and  tho  late  Mr.  Freder- 
ick Lloyd  Richards,  both  of 
New  York,  and  a  grcat-grand- 
son  of  the  late  Senator  Fran- 
cis E.  Warren  of  Wyoming 
and  the  late  Jules  S.  Bache 
of  New  York.  His  father  is  a 
senior  partner  of  Pershing  & 
Co.,  Stockbrokers. 


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The   engagemcnt   of   Miss 
Marina  Leonie  Kellen  to  Leo- 
pold-Bill   von     Brcdow     has 
been  announced  by  her  par- 
ents,  Mr.   and  Mrs.   Stephen 
Max  Kellen  of  784  Park  Ave- 
nue   and    Ridgefield,    Conn. 
Mr.  von  Bredow  is  the  son  of 
Mrs.   Leopold-Waldemar  von 
Bredow    of    Les     Diablerets,     | 
S  Witzerland,      formerly      of 
Potsdam,  Germany,   and   the 
late    Major    von    Bredow    of 
the  Gemian  Army.  ^. 

The  couple  plan  to  be  mar-    \  . 
ried  hcre  in  January.  \ 

The  bride-to-be,  an  alumna    \ 
of  the  Brearley   School,   at-    K 
tended  the  New  York  School, 
of   Interior  Design   and   the 
University    of    Lausanne    in 
Switzerland.  She  operated  a 
multilingual     guide     service 
here    called    Keys    to    New 
York. 

Mi.ss  Kellen  was  presented 
in  1959  at  a  dinner-dance 
given  by  her  parents  and  at 
the    International    Debutante 

Ball. 

Mr.  von  Bredow,  a  great- 
grandson  of  Prince  Otto  von 
Bismarck,  first  ChanccUor  of 
the  Second  German  Empire, 
scrved  with  the  German  For- 
eign Office  in  Brüssels,  West 
Africa  and  Fast  Pakistan  and 
with  the  German  Observcr 
Mission  to  the  United  Na- 
tions.  He  is  second  sccrctary 
in  the  Foreign  Office  in 
Bonn. 

A  graduate  of  the  Human- 
istisches Gymnasium  in  Basel, 
Switzerland,  he  also  studied 
law  at  the  University  of  Bas- 
el and  at  the  University  of 
Freiburg  in  Germany,  receiv- 
ing  a  master's  degrce  in  1955 
from  the  latter. 

Miss  Kellcn's  father  is 
President  of  Arnhold  and  S. 
Bleichroeder,  Inc.,  invest- 
ment  bankers  here.  Her  great 
grandfather.  the  late  Georg 
Arnhold  of  Dresden,  Ger- 
many, foundcd  the  banking 
house  of  Arnhold  Brothers, 
Dresden  and  Berlin,  in  1864. 
The  house  was  merged  with 
the  S.  Bleichroeder  Bank  of 
Berlin. 

Miss  Kellen  is  also  Ihe 
granddaughter  of  Mrs.  Hans 
Arnhold  of  the  Ritz  Tower 
Hotel,  formerly  of  Berlin,  and 
the  lato  Mr.  Arnhold.  and  of 
Mrs.  Max  Kellen  of  Baden, 
Swii/'Miand,  formerly  of  Ber- 
;ir  -id  the  late  Max.  Katz- 
ra.'.iirnbogen. 

Her  fiance  is  tlie  grandson 
of  the  late  Mr.  and  Mrs.  Wi- 
chard von  Bredow  ..f  Bredow, 
Germany.  and  th<  ..e  Prince 
and  Princess  1.  oert  von 
Bismarck  of  .Scidnhausen 
and  Friedrichsru.      .ermany. 


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Miss  Marina  L.  Kellen 

Mrs.  Lewis  Has  a  Son 
A  son  was  born  on  Aug.  30 
in  London  to  Mr.  and  Mrs. 
Richard  Lewis  of  Harrington 
Sound,  Bermuda.  Mr.  Lewis 
is  an  opera  and  concert 
tenor.  His  wife,  the  former 
Elizabeth  Robertson,  is  the 
daughter  of  Fyfe  Robertson, 
British  radio  and  television 
director  and  commentator, 
and  Mrs.  Robertson  of  Bux- 
ted,  Sussex,  England.  The 
child  has  been  named  Nigel 
James. 


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Marina  L.  Kellen  Is  Betrothed       L 
To  Leopold-Bill  von  Bredow    ' 


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Halbmonats. BeMoge      des      "Aufbau"      fOr       Unterhaltung       und      Wissen 


No.  278 


Marxismus:  Dogma  und  Wirklichkeit 


Gedanken  zum  150.  Geburtstag  von  Karl  Marx  am  5.  Mai 


Von  HEINZ  PÄCHTER 


Welch  glücklicher  Zufall,  dass 
wir  in  diesen  Tagen  nicht,  wie, 
im  vorigen  Jahre,  den  hundert- 
sten   Veröffentlichungstag    des 
«^Kapital"    feiern,   sondern  den 
150.   Geburtstag  seines  Verfas- 
sers.   Denn    das   Rad    der   Ge- 
schichte   hat    die    langwierige 
Dissertation  über  den  Mehrwert 
nunmehr  gründlich  zermahlen 
—  nicht  ohne  mit  ihrem  Staube 
die  Gefilde  der  Geschichte  kräf- 
tig "au  düngen!  —  aber  es  hebt 
ins  hellste  Licht  unserer  zeitge- 
nössischen Diskussion  die  flam- 
menden   und    quälenden    "Ju- 
gendschriften" von  Karl  Marx, 
dem  Achtundvierziger.  Der  Pat- 
riarchenbart des  Gründers,  der 
als  Staate  Philosoph  über  russi- 
schen Banketten  und  sozialisti- 
schen   Kongressen   prangt,    er- 
scheint   uns   heute   wieder    als 
der  zornige  Bart  eines  Prophe- 
ten. Der  Gelehrte,  der  zwanzig 
Jahre  lang  täglich  in  die  Biblio- 
thek  des    Britischen   Museums 
pilgerte  und  mühsam  die  Selbst- 
zeugnisse unser  er  es  Wirtschafts- 
systems   zusammenklaubte, 
moclite  ein  Führer  für  die  Mas- 
sen des  viktorianisch-wilhelmi- 
nischen  Zeitalters  sein,  die  sei- 
ne Schriften  nicht  lesen  konn- 
ten, aber  darin  —  wie  die  From- 
men in  einem  heiligen  Schrein 

die    Versicherung    bewahrt 

glaubten,  ihr  Weg  zum  Heil  sei 
unwiderstehlich  und  wissen- 
schaftlich beweisbar.  Im  19. 
Jahrliundert  war  es  notwendig. 
dass  diese  Versicherung  in  der 
magischen  Sprache  einer  unzu- 
gänglichen Wissenschaft  gege- 
ben wurde. 

Der  junge  Marx  rief  den  Men- 
schen auf,  sich  gegen  seine  Um- 
stände  aufzulehnen  imd  seine 
Verhältnisse  selbst  zu  formen; 
die    marxistischen    Lehrbücher 
lehren,  es  seien  die  Umstände, 
die  den  Menschen  schüfen,  und 
die  Verhältnisse  würden  schon 
melir   oder   minder  von   selbst 
die  ersehnte  Umwälzung  herbei- 
führen.      Die       Arbeiterklasse 
brauchte   sich   nur  zu   organi- 
sieren, um  dann  im  gegebenen 
Moment  die  alte  Maschine  von 
den  bankrotten  Kapitalisten  zu 
übernehmen.  Inzwischen  hatte 
die   marxistische   Wissenschaft 
nichts  zu  tun,  als  aus  des  Mei- 
sters grossem  Zitatenschatz  je- 
weils die  bereits  vorausgesehene 
und  vorausbedachte  Antwort  zu 
ziehen.  Diese  Werke  werden  noin 
von  eifrigen  Philologen  mit  Ak- 
ribie und  Gelehrsamkeit  ediert 
und  interpretiert. 

Denn  Marx  glaubte  nicht,  wie 
die    meisten    anderen   Philoso- 
piien,  dass  er  ein  für  alle  Zeiten 
gültiges  Lehrgebäude  erriclitet 
haibe  ("Wir  sagen  dem  Proleta- 
rier nicht:   hier  ist  die  Wahr- 
heit,  hier   knie   nieder");    son- 
dern wie  heute  jeder  Klippschü- 
ler weiss,  entdeckte  er  das  so- 
ziologische  Gesetz,  dass  Ideen 
Sich    nach    den    gesellschaftli- 
dhen  und  geschichtlichen  Ver- 
hältnissen    wandeln.    Er    war 
nicht  so  töricht  zu  meinen,  dass 
seine  eigenen  Ideen  von  diesem 
Gesetz     ausgenommen    wären. 
Ja   er   ging   sogar  noch  einen 
Schritt  weiter:  wenn  Leute  un- 
ter   veränderten    Bedingungen 
an   einer    Idee   festhalten,   die 
vielleicht   einmal   ganz  richtig 
war,  so  wird  diese  Idee  zur  Fes- 
sel weiteren  kritischen  Denkens 
imd  darum  falsch,  blosse  Ideo- 
logie oder  religiöses  Dogma.  Bei 


Marx  ist  die  Wahrheit  nie  das 
Abbild  einer  sich  stets  gleich 
bleibenden  Wirklichkeit,  son- 
dern ist  immer  sich  entwickeln- 
de Erkenntnis,  die  im  Prozesse 
des  Erkennens  selbst  das  Objekt 
(die  Welt)  umgestaltet.  Das  ist 
in  der  modernen  Physik  ein 
ganz  geläufiger  Vorgang,  aber 
nur  Marx  hat  ihn  konsequent 
auf  die  Gesellschaftswissen- 
schaft angewandt,  wo  er  natur- 
gemäss  ein  viel  allgemeineres 
Phänomen  ist. 

Wie    intim    die    Theorie    bei 
Marx    mit     der     umwälzenden 
Praxis  verbunden  ist,  das  lässt 
sich  an  Marxens  eigener   Gei- 
stesentwicklung  und    insbeson- 
dere   an    der    fortschreitenden 
Verfeinerung  seiner  Geschichts- 
auffassung zeigen.  In  jenen  Ju- 
gendschriften, die  uns  heute  so 
vertraut  anmuten,   klagt  Marx 
noch  über  die  Entfremdung  des 
Menschen,       seine       "Entmen- 
schung" durch  die  kommerziel- 
le Zivilisation.  Aber  im  Unter- 
schied zu  seinen  Freunden,  den 
Radikalen  von  damals  —  Jung- 


hegelianern, Feuerbachianern 
und  "wahren"  oder  "deutschen" 
Sozialisten,  die  den  heutigen 
Psycho-Anarchisten,  Marcuse- 
Jüngern  und  "Neuen"  Linken 
entsprechen  —  erkannte  Marx, 
dass  man  diesen  Verlust  des 
"natürlichen"  Menschen  nicht 
wieder  rückgängig  machen 
kann,  indem  man  sioli  dagegen 
auflehnt. 

Da  die  Entfremdung  ein  Pro- 
dukt gesellschaftlicher  Entwick- 
lung ist.  muss  sie  durch  gesell- 
schaftliche Kräfte  überwunden 
werden,  und  diese  können  nur 
einer    Klasse     angehören,     die 
selbst  völlig  entmenscht  und  da- 
her  zu    einer    totalen    Umwäl- 
zung der  Gesellschaft  bereit  ist. 
Ganz  im  Sinne  der  Apokalypse 
lebte  Marx  damals  in  der  Er- 
wartung, dass   die   "Erfüllung" 
des  Kapitalismus  seinen  Unter- 
gang hervorbringen  würde. 

Aber  wie  sollte  man  sich  die- 
ses Sich -Selbst-Überschlagen  des 
Kapitalismus  vorstellen?  Durch 
den  grossen  "Kladderadatsch", 
den   jedermann    für    das   Jahr 


1848     erwartete?     Darauf    gab 
Marx     im      "Kommunistischen 
Manifest"  1847  die  überraschen- 
de Antwort:  Keineswegs.  Nicht 
nur  musste  der  Sozialismus  auf 
die  Entwicklung  des  Kapitalis- 
mus   warten;    auch    die    totale 
Revolution  konnte  nur  als  Fort- 
setzung der  "bürgerlichen"  Re- 
volution gewonnen  werden,  und 
als  der  März-Sturm  tatsächlich 
ausbrach,     gab     Marx     seinen 
Kommunisten    genaue     Anwei- 
sung,   wie    sie    den    "radikalen 
Flügel   der   Bourgeoisie   weiter- 
treiben sollten.  Ein  neues  Sta- 
dium in  Marx'  Denken  war  er- 
reicht, in  dem  er  nun  von  der 
"permanenten  Revolution" 
sprach.  Als   die  Revolution   ge- 
schlagen   war    oder    in    einem 
schmählichen  Kompromiss  zwi- 
schen Fürsten  und  Bourgeoisie 
endete,    da    wandte    sich    nun- 
mehr   Marx    seiner   Lebensauf- 
gabe zu,  eine  selbständige  Po- 
litik  und  Ökonomie   der  prole- 
tarischen   Klasse     zu    entwik- 
keln,   die   in  ständigem  Kampf 
um     ihre     Lebensbedingungen 


Karl  Marx  schreibt  an  seine  Frau 


Mein  Herzliebchen. 

Ich  schreibe  Dir  wieder,  weil 
ich  allein  bin  und  weil  es  mich 
geniert,  immer  im  Kopf  Dialoge 
mit  Dir  zu  halten,  ohne  dass 
Du  etwas  davon  weisst  oder 
hörst  oder  mir  antworten 
kannst.  Schlecht,  wie  Dein  Por- 
trät ist,  leistet  es  mir  die  besten 
Dienste,  und  icli  begreife  jetzt, 
wie  selbst  "die  schwarzen  Ma- 
donnen", die  seh impfier testen 
Porträts  der  Mutter  Gottes,  un- 


Jenny Marx 


verwüstliche    Verehrer    finden 
konnten,  und  selbst  mehr  Ver- 
ehrer als  die  guten  Porträts.  Je- 
denfalls ist  keins  dieser  schwar- 
zen   Madonnenbilder    je    mehr 
geküsst    und    angeäugelt    und 
adoriert  worden  als  Dein  Photo- 
graph, das  zwar  nicht  schwarz 
ist,   aber  sauer,   und  durchaus 
Dein  liebes,  süsses,  "dolce"  Ge- 
sicht nicht  widerspiegelt.  Aber 
ich  verbessre  die  Sonnenstrah- 
len,  die   falsch   gemalt   haben, 
und  finde,  dass  meine  Augen, 
so  sehr  verdorben  vom  Lamp>en- 
licht  und  Tobacco,  doch  malen 
können,  nicht  nur  im  Traum, 
sondern     auch     wachend.    Ich 
habe   Dich  leibhaftig  vor  mir, 
und   ich   trage    Dich    auf    den 
Händen,    und    ich    küsse    Dich 
von    Kopf    bis    Fuss,    und    ich 
falle  vor  Dir  auf  die  Knie,  und 
ich  stöhne:  "Madame,  ich  liebe 
Sie."  Und  ich  liebe  Sie  in  der 
Tat,  mehr  als  der  Mohr  von  Ve- 


nedig   je    geliebt    hat.    Falsch 
und  faul  fasst  die  falsche  und 
faule  Welt  alle  Charaktere  auf. 
Wer    von    meinen    vielen    Ver- 
leumdern  und  schlangenzüngi- 
gen  Feinden  hat  mir  je  vorge- 
worfen,   dass    ich    berufen    sei, 
eine    erste    Liebhaber  rolle    auf 
einem  Theater   zweiter  Klasse 
zu    spielen?    Und    doch    ist    es 
wahr.  Hätten  die  Schufte  Witz 
besessen,  sie   hätten  "die  Pro- 
duktions  und  Verkehrsverhält- 
nisse"   auf    die    eine   Seite    ge- 
malt und  mich  zu  Deinen  Füs- 
sen  auf  der  anderen.  Look  to 
this  picture  and  to  that  —  hät- 
ten   sie    drunter    geschrieben. 
Aber   dumme  Schufte   sind   es 
und  dumm  werden  sie  bleiben, 
in  saeculum  saeculorum. 
Momentane     Abwesenheit     ist 
gut,    denn    in    der    Gegenwart 
sehen  sich  die  Dinge  zu  gleich, 
um  sie  zu  unterscheiden.  Selbst 
Türme  erscheinen  in  der  Nähe 
zwerghaft,  während  das  Kleine 
und  Alltägliche  in  der  Nähe  be- 
trachtet zu  sehr  wächst.  So  ist 
es     mit     den     Leidenschaften. 
Kleine  Gewohnheiten,  die  durch 
die  Nähe,  mit  der  sie  einem  auf 
den  Leib  rücken,  leidenschaft- 
Uche     Form     annehmen,     ver- 
schwinden, sobald  ihr  unmittel- 
barer   Gegenstand    dem    Auge 
entrückt    ist.    Grosse    Leiden- 
schaften,  die   durch   die   Nähe 
ihres    Gegenstandes   die    Form 
von  kleinen  Gewohnheiten  an- 
nehmen, wachsen  und  nehmen 
ihr  naturgemässes  Mass  wieder 
ein   durch    die    Zauberwirkung 
der  Ferne.  So  ist  es  mit  meiner 
Liebe.    Du    brauchst    mir    nur 
durch  den  blossen  Traum  ent- 
rückt zu  sein,  und  ich  weiss  so- 
fort, dass  die  Zeit  ihr  nur  dazu 
gedient  hat,   wozu  Sonne   und 
Regen  den  Pflanzen  dient,  zum 
Wachstum.  Meine  Liebe  zu  Dir, 
sobald    Du    entfernt    bist,    er- 
scheint als  was  sie  ist,  als  ein 
Riese,  in  die  sich  alle  Energie 
meines      Geistes      und      aller 
Charakter   meines  Herzens  zu- 
sammendrängt. Ich  fühle  mich 
wieder  als  Mann,  weil  ich  eine 
grosse  Leidenschaft  fühle,  und 
die  Mannigfaltigkeit,  worin  uns 
das  Stadium  und  moderne  Bil- 


dung verwickeln,  und  der  Skep- 
tizismus, mit  dem  wir  notwen- 
dig alle  subjektiven  und  objek- 
tiven Eindrücke  bemängeln, 
sind  ganz  dazu  gemacht,  uns 
alle  klein  und  schwach  und 
quängelnd  und  unentschieden 
zu  machen.  Aber  die  Liebe, 
nicht  zum  Feuerbachschen 
Menschen,  nicht  zum  Mole- 
schottschen  Stoffwechsel,  nicht 
zum  Proletariat,  sondern  die 
Liebe  zum  Liebchen  und  na- 
mentlich zu  Dir.  macht  den 
Mann  wieder  zum  Mann. 

Du  wirst  lächeln,  mein  süsses 
Herz,  und  fragen,  wie  ich  auf 
einmal  zu  all  der  Rhetorik 
komme?  Aber  könnte  ich  Dein 
süsses  weisses  Herz  ans  Herz 
drücken,  so  würde  ich  schwei- 
gen und  kein  Wort  sagen.  Da 
ich  nicht  küssen  kann  mit  den 
Lippen,  muss  ich  mit  der  Zunge 
küssen  und  Worte  machen.  Ich 
könnte  in  der  Tat  sogar  Verse 
machen  und  Ovids  "Libri  Tri- 
stium",  zu  deutsch  Bücher  des 
Jammers,  nachreimen.  Er  war 
bloss  vom  Kaiser  Augustus  ver- 
bannt. Ich  aber  bin  von  Dir  ver- 
bannt, und  das  begriff  Ovid 
nicht. 


Es  gibt  in  der  Tat  viele  Frauen- 
zimmer  auf   der  Welt,   und   ei- 
nige darunter  sind  schön.  Aber 
wo   finde   ich  ein  Gesicht  wie- 
der, wo  jeder  Zug,  selbst  jede 
Falte    die    grössten    und   süs.se- 
sten   Erinnerungen   meines  Le- 
bens   wieder    erweckt?    Selbst 
meine  unendlichen  Schmerzen, 
meine    unersetzlichen    Verluste 
lese  ich  in  Deinem  süssen  Ant- 
litz,  und    ich   küsse   mich   weg 
über    den    Schmerz,    wenn    ich 
I>ein  süsses  Gesicht  küsse.  "Be- 
graben in  ihren  Armen,  aufer- 
weckt   von    ihren    Küs,sen"    — 
nämlich  in  Deinen  Armen  und 
von    Deinen    Küssen,    und    ich 
.^henke    den   Brahmanen    und 
dem  Pythagoras  ihre  Lehre  von 
der     Wiedergeburt     und     dem 
Christentum    seine    Lehre    von 
der  Auferstehung  .  .  . 
Ade     mein     süsses     Herz.     Ich 
küsse  Dich  vieltausendmal  und 
die  Kinder 

Dein  Karl 


Die  Karl-Marx-Gedächtnismarke 
der  Deutschen  Bundespost 

das  Bewusstsein  vom  Pro- 
zess       der       gesellschaftlichen 
Entwicklung    gewinnen    sollte. 
Diese    kritische    Methode,    die 
Entwicklung   des   gedanklichen 
Widerspruchs     aus     gegebenen 
geschichtlich  -  gesellschaf  tliolien 
Verhältnissen,  ist  der  eigentli- 
che Inhalt  des  Denkens  Marx' 
in  seinen  mannigfachen  Anwen- 
dungen. Wer  diese  Methode  an- 
wendet, kann  sich  Marxist  nen- 
nen, selbst  wenn  er  den  soge- 
nannten    "Materialismus"     für 
Metaphysik,    die   Dialektik   für 
eine  Spielerei  und  die  Wert-  und 
Mehrwertlehre  für  Talmudistik 
hält. 

Vor  Marxens  Lehrsätzen,  die 
grossenteils  auf  Beobachtungen 
und    Vorstellungen,   ja    wissen- 
schaftlichen    Moden     des     19. 
Jahrhunderts  beruhen,  brauch- 
ten  die   herrschenden  Klassen 
keine  Angst  au  haben.   Weder 
hat    er    die    Klassen    entdeckt 
noch  den  Klassenkampf  erfun- 
den. Auch  die  Mehrwert-Theo- 
rie war  bereits  in  der  englischen 
Ökonomie     vorgebildet.     Selbst 
die  Theorie  von  der  Akkumula- 
tion des  Kapitals  und  das  Ge- 
setz der  wiederkehrenden  Kri- 
sen —  lange  für  einen  spezifi- 
schen Beitrag  der  marxistischen 
Ökonomie  gehalten  —  hat  der 
bedeutende   Marxist  Hilferding 
für  "klassenmässig  neutral"  er- 
klärt, ja  man  kann  ohne  Über- 
treibung sagen,  dass  viele  kon- 
krete Beobachtungen  von  Marx 
—  etwa  das  Gesetz  der  Konzen- 
tration —  und  sogar  viele  seiner 
Lehrmeinungen,  wie  die  ökono- 
mische Verursachung  der  Krie- 
ge,   heute    Allgemeingut    auch 
der  nicht-marxistischen  Ökono- 
mie und  in  allen  Lehrbüchern 
zu  finden  sind.  Er  teilt  dieses 
Schicksal  mit  Freud  —  dass  er 
gerade  von  denen,  die  ihn  am 
meisten  bestehlen,  auch  am  wü- 
tendsten verlästert  wird.  Aber 
was    all  diesen   vermeintlichen 
oder  unbewussten  Nachläufern 
fehlt,    ist    Marxens    spezifische 
Methode    der   Verbindung    von 
Theorie  und  Praxis,  jene  schnei- 
dende  Konkretheit   der   Unter- 
suchung, die  die  Wahrheit  nicht 
für  gefunden  hält,  ehe  sie  nicht 
überwunden    ist,    und    die    der 
Menschheit      neue      Aufgaben 
stellt,    indem    sie    sie    verwirk- 
licht .  .  . 


ili«4lViMii«ll 


imiiiliiiw 


Die  Karl-Marx-Marke  der 

Deutschen  Demokratischen 

Republik 


Ein  falscher 
Friedrich  Engels 


Das  Erbe  des  Sozialismus 


Notizen  über  neu  erschienene  Schriften 


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Von  Dr.  HELMUT  HIRSCH 

Man  kennt  sie  aus  unzähli- 
gen Reproduktionen,  die  ver- 
schiedenen Aufnahmen  von 
Karl  Marx  und  Friedrich  En- 
gels, die  sie  in  der  Pracht  ihrer 
Vollbarte  zeigen,  jenes  Frei- 
heitssynibols  der  48er  Revolu- 
tionäre. Recht  bekannt  ist  auch 
das  hier  wiedergegebene  Solda- 
bildness,  auf  dem  erst  ein 
leichter  Flaum  die  Oberlippe 
bedeckt.  Es  schmückt  viele  west- 
liche und  östliche  Publikatio- 
nen, so  die  von  1961  bis  1966 
unter  den  Auspizien  des  Insti- 
tuts für  Gesellschaftswissen- 
schaften beim  Zentralkomi- 
tee der  SED  erschienene  zwei- 
bändige historisch  -  biographi- 
sche Studie  Der  junge  Engels 
von  Horst  Ullrich.  Zukunftig 
werden  wir  jedoch  die  Anfänge 
der  Karriere  des  "Generals" 
(wie  Engels  als  Militärsachver- 
ständiger von  seinen  Freunden 
genannt  wurde)  anders  zu  illu- 
strieren haben.  Denn  dieses 
Bildnis  stellt  nicht  ihn  dar,  son- 
dern seinen  heftigsten  Gegner, 
nämlich  seinen  Vater. 

Hierfür  gibt  es  zunächst  do- 
kumentarische     Hinweise.      In 
Friedrich     Engels'     Testament 
vom    29.    7.    1893,    das    Eduard 
Bernstein    als    einer    der    Voll- 
strecker am  18.  9.  1929  im  "Vor- 
wärts" veröffentlichte,  heisst  es 
gleich    zu    Beginn:    "Ich    ver- 
mache    meinem     Bruder    Her- 
mann das  jetzt  in  meinem  Be- 
sitz befindliche  Ölgemälde  mei- 
nes   Vaters,    und    falls   der   ge- 
nannte   Bruder    ihm    im    Tode 
vorangehen  .sollte,  vermache  ich 
es  seinem  Sohn  Hermann".  Am 
14.  8.  1895,  also  kurz  nach  En- 
gels   Ableben,    bestätigte    Emil 
Engels  seiner  Mutter:  "Ein  aus- 
führliches, englisch  atogefasstes 
Testament  hat  er  hinterlassen 
und  zwei  Freunde  zu  Vollstrek- 
kern  ernannt.  Onkel  Hermann 
bekommt    ein     kleines    Ölbild, 
welches    Grosspapa    als    Soldat 
darstellt,    sonst    bekommt    die 
ganze      Familie      Engels      gar 
nichts".  Hermann   Engels    (der 
Dritte)    bewahrt    das    Portrait 
bis   zum   heutigen   Tag   in   der 
Bngelsschen  Villa  zu  Engelskir- 
chen aüt. 

I>och  —  vielleicht  fielen  En- 
gels' Erben  einer  seiner  häufi- 
gen Eulenspiegeleien  oder  ei- 
nem namentlich  in  seinen  alten 
Tagen  bei  ihm  vorkommenden 
Erinnerungsfehler  zum  Opfer? 
Sollte  der  Abgebildete  nicht 
doch  etwa  Friedrich  Engels  Ju- 
nior sein,  dem  er  tatsächlich 
ähnlich  sieht?  Ikonographische 
Fakten  verneinen  eine  solche 
Frage.  Die  weiss  eingefasste 
Schulterklappe  mit  der  gelben 
Ziffer  7,   die   auf   den   anschei 


Friedrich  Engels,  der  Vater 

Photo:    Müller,    Engelskirchen 

nend  retouschierten  Reproduk- 
tionen nicht  zu  erkennen  ist, 
deutet  auf  die  7.  Artillerie-Bri- 
gade von  1816  hin,  die  hernach 
im  Westfälischen  Fussartillerie- 
Regiment  Nr.  7  des  7.  Armee- 
korps aufging.  Engeln'  Vater, 
der  1816  gerade  20  war,  damals 
seit  zwei  Jahren  im  Barmer 
Geschäft  der  Eltern  arbeitete 
und  mit  23  heiratete,  bekam 
im  Jahr  darauf  den  Stammhal- 
ter, der  Marxens  lebensläng- 
licher Freund  werden  sollte. 
Mithin  könnte  der  Vater  wohl 
1817  bis  1818  in  Münster  ge- 
dient haben. 

Der    "richtige"    Engels    aber, 
den  es  in  die  Nähe  der  Berliner 
Universität  zog.  leistete  seinen 
Militärdienst   vom   Herbst   1841 
bis  zum  Herbst  1842  im  Garde- 
Fusß  -  Artillerie  -  Regiment.    Er 
schickte  der  Lieblingsschwester 
Marie  nicht  nur  eine  köstliche 
Skizze  von  seiner  Uniform,  son- 
dern auch  deren  genaueste  Be- 
schreibung:  "blau  mit  schwar- 
zem Kragen,  an  dem  zwei  gelbe 
Streifen  sind,  und  mit  schwar- 
zem,   gelbgestreiften    Aufschlä- 
gen nebst  rot  ausgeschlagenen 
Schössen.  Dazu  die  roten  Ach- 
selklappen   mit    weissen    Rän- 
dern". Auch  die  Zeichnung  hob 
die  beiden  Streifen  der  Berliner 
Montierung    hervor    und    para- 
dierte ausserdem  einen  mächti- 
gen Schnauzer,  gegen  den  das 
Münsteraner       Bärtchen       ein 
Schatten  war. 

Kennern  war  ehedem  die  Pro- 
venienz unseres  Porträts  nicht 
unbekannt  (wie  der  an  Hans 
Stein,  Mitarbeiter  des  Moskauer 
Marx-Engels  -  Institutsdirektors 
D.  Rjazanoff,  gerichtete  Brief 
von  Emil  Engels  (10.  2.  1928» 
im  Internationalen  Institut  für 
Sozialgeschichte,  Amsterdam 
zeigt).  Vier  Jahrzehnte  genüg- 
ten jedoch,  um  das  merkwür- 
dige Bild  eines  Sohnes  zu 
schaffen,  der  sein  eigener  Va- 
ter ist. 


"Moi,  je  ne  suis  pa^  Marxi- 
ste"  ("ich  bin  kein  Marxist") 
hat  Karl  Marx  selbst  einmal 
geschrieben.  Auch  die  flüchtig- 
ste Beschäftigung  mit  seinem 
Werk  zeigt,  wie  schwierig  es  ist, 
seine  Theorien  in  das  Korsett 
einer  fixierten  Ideologie  zu 
zwängen.  Das  Marx-Gedenk- 
jahr sollte  ein  besonderer  An- 
lass  sein,  die  Schriften  von 
Marx  zu  studieren  und  seine 
Ideen  im  Zusammenhang  mit 
der  Gesamtentwicklung  des  So- 
zialismus zu  sehen.  Für  einen 
solchen  prüfenden  Blick  ist 
eine  Reihe  neuer  und  neu  her- 
ausgegebener Schriften  von  ho- 
hem Wert. 


Walter  Rathenau  sagte 


"Was  Marx 


.// 


Goethe  nannte  die  Romantik 
"kranke  Kunst".  Mit  Recht. 
Denn  die  Romantik  entstammt 
nicht  dem  Drang  nach  Mittel- 
alterlichkeit, sondern  die  Mit- 
telalterlichkeit wurde  gemacht 
von  Menschen,  die  für  ihre 
trüben  Seelen  Verkörperungen 
suchten. 

Am  Zweige  der  tristen  Kunst 
wächst  die  Sentimentalität,  die 
slawische  Schwermut,  die  My- 
stik, die  Satirik,  die  Kindelei. 

Auch  starke  Menschen  kön- 
nen schwermütige  Stunden  er- 
leben: aber  diese  Stimmung 
ist  bei  ihnen  flüchtig,  verach- 
tet, zum  mindesten  gebändigt. 

Ein  Dichtwerk,  das  "einen 
Gedanken"  verkörpert,  wäre 
nichts  als  eine  elende  Charade. 
Das  wahre  Dichtwerk  ist  ein 
unendlich  vieldeutiges  Gleich- 
nis: keine  Lösung  ist  gewollt, 
jede  ist  gestattet. 

So  tut  man  den  grossen  Wer- 
ken   das    kläglichste    Unrecht, 


wenn  man  sie  auf  einen  einzel- 
nen "Gedanken"  gewaltsam  re- 
duziert. 

Da  kommt  einer  und  lehrt: 
Der  Gedanke  des  "Faust"  ist, 
"wer  strebt,  kann  gerettet  wer- 
den". 

Armseligkeit!— Was  ist  Faust 
und  was  ist  solch  ein  Gedanke! 
Alle  höchste  Kunst  ist  unbe- 
wusst  und  dämonisch  in  die 
Welt  getreten.  Ja,  man  darf 
sagen  (was  unerhört  scheint), 
dass  sie  in  ihren  vollkommen- 
sten Äusserungen  stets  nur  eine 
unbeabsichtigte  Nebenwirkung 
war. 

Die  Epik  war  Erinnerungs- 
mittel für  wichtige  Vorgänge. 
Rhythmen  und  Melodien  lassen 
sich  leichter  behalten  als  unge- 
messene Rede.  Die  Schönheit 
homerischer  und  biblischer  Dar- 
stellung ist  keine  Kunst,  son- 
dern unbewusste  Spiegelung 
harmonischen  Geistes. 


wirklich  sagte 

Eine    Art   Führer   durch    das 
Gesamtwerk     Karl    Marx     hat 
Ernst  Fischer  mit  seinem  Buch 
"Was      Karl      Marx      wirklich 
sagte"  geschaffen  (Molden-Ver- 
lag,  Wien).  Fischer,  der  intelek- 
tuelle    Führer    der    österreichi- 
schen Kommunisten,  der  neuer- 
dings durch  seinen  Protest  ge- 
gen     den      letzten      Moskauer 
Schriftstellerprozess     hervorge- 
treten ist,  rektifiziert  viele  land- 
läufigen   Irrtümer     (zum    Bei- 
spiel entlarvt  er  die  "Opium  für 
das  Volk"-Phrase  als  eine  Ver- 
fälschung   der    Ideen    Marx'). 
Besonders   wichtig  ist   Fischers 
Hinweis   auf   Marx'    Satz,    dass 
der  Kommunismus   als  solcher 
nicht    daß    Ziel    der    mensch- 
lichen   Entwicklung    sei.    "Zum 
wirklichen  Leben  des  Menschen 
gilt  es  vorzudringen,  zum  posi- 
tiven   Humanismus":    das    ist 
eine  zentrale  These  dieses  Marx- 
Interpreten. 

Ein  ähnlich  wertvolles  Nach- 
schlagwerk ist  Iring  Fletschers 
Dokumentation  "Der  Marxis- 
mus —  Seine  Geschichte  in  Do- 
kumenten", deren  abschliessen- 
der Band  vor  einiger  Zeit  er- 
schienen ist  (R.  Piper  &  Co 
Verlag,  München).  Er  ist  dem 
politischen  Aspekt  des  Marxis- 
mus gewidmet.  Alle  Lager  kom- 
men zu  Wort,  Marx  selbst,  die 
Reformisten  und  die  Revolutio- 
näre; ein  Abschnitt  zitiert  so- 
zialistische Kritiker  der  rus- 
sischen Revolution. 

^'Aufruf 
zum  Sozialismus" 

Ein  Manifest,  das  zu  einem 
grossen  Teil  aus  einer  ebenso 
geistvollen  wie  sarkastischen 
Polemik  gegen  den  Marxismus 
besteht,  ist  neu  erschienen:  Gu- 
stav Landauers  leidenschaft- 
licher "Aufruf  zum  Sozialis- 
mus" (Politische  Texte,  Euro- 
päische Verlagsanstalt,  Frank- 
furt). Es  hat  seit  seiner  ersten 
Publikation  1>11  zwar  keine 
breite,  aber  eine  sehr  intensive 
Wirkung  ausgeübt,  und  die  Ge- 
schichte hat  Landauer  in  vieler 
Beziehung  Recht  gegeben.  Für 
ihn  ist  der  Marxismus  ("die 
papierne  Blüte  am  geliebten 
Dornenstrauch  des  Kapitalis- 
mus") eine  PseudoWissenschaft 
—    Sozialismus    bedeute     aber 


nicht  Wissenschaft,  sondern 
Gestaltung  und  Tat.  Der  Her- 
ausgeber Hans-Joachim  Hey- 
dorn hat  einen  feinen  klären- 
den Essay  beigesteuert,  der  mit 
Recht  Landauers  Verwurzelung 
im  Judentum  akzentuiert:  denn 
sein  Sozialismus  ist  in  allen  Fa- 
sern mit  dem  mosaischen  und 
prophetischen  Erbe  verbunden. 

Martin  Bubers  Stimme 

Eine  Fortsetzung  und  Verbrei- 
terung    der     Argumente     Lan- 
dauers findet  sich  in  einer  Sam- 
melschrift  Martin   Bubers,   die 
der    Verlag    Jakob    Hegner    in 
Köln    unter     dem    Titel    "Der 
utopische   Sozialismus"   heraus- 
bringt   (die    Studie    "Pfade    in 
Utopia"    aus    dem    Jahre    1950 
mit  dem  1952  erschienenen  Es- 
say "Zwischen  Gesellschaft  und 
Staat"    kombinierend).    Buber, 
der   sich   in   einem   besonderen 
Kapitel  mit  Landauer  als  dem 
letzten    grossen    sozialistischen 
Utopisten    beschäftigt,     folgert 
aus   dem   sov; jetrussischen  Bei- 
spiel,   dass    "die    Beziehungen 
der  Menschen  im  wesentlichen 
unverändert   bleiben,   wenn  sie 
in   eine   sozialistisch-zentralisti- 
sche    Machtordnung    eingefügt 
sind".  Das  heisst:    der  verheis- 
sene    "Sprung    aus    dem   Reich 
der  Notwendigkeit  in  das  Reich 
der  Freiheit"  hat  sich  nicht  ver- 
wirklicht.    Gemeinschaft,     das 
macht   auch   Buber   klar,  muss 
organisch  w'achsen.  Bubers  Ruf 
nach     einer     gesellschaftlichen 
"Restrukturierung"    trifft    den 
Mittelpunkt  der  heutigen  Welt- 
auseinandersetzung; hoffnungs- 
voll  spricht   er   von   der  wach- 
senden "Auflehnung  gegen  die 
massierte     oder     kollektivierte 
Einsamkeit". 

Bebeis    Mahnung 

iDe  Hegner-Bücherei  lenkt 
unsere  Aufmerksamkeit  auch 
wieder  auf  einen  der  grossen 
Führer  der  deutschen  Sozial- 
demokratie. Ein  Querschnitt 
durch  August  Bebeis  Reden  und 
Schriften  i  "Politik  als  Theorie 
und  Praxis")  zeigt,  wie  dieser 
hervorragende  politische  Prak- 
tiker sich  mit  seinen  Prophe- 
zeiungen gründlich  irren  konn- 
te. Bebel  verkündete  kurz  vor 
dem  Erfurter  sozialdemokra- 
tischen Parteitag  (1891)  den  be- 
vorstehenden Untergang  der 
bürgerlichen  Gesellschaft:  "Der 
Blödeste  kann  doch  nicht  mehr 
leugnen,  dass  die  Sintflut 
naht". 

Gleichzeitig  aber  wird  man 
daran  erinnert,  dass  dieser  Ra- 
dikale die  Sozialdemokratie  als 
eine  Partei  sah,  "die  beständig 
lernt  und  in  beständiger  geisti- 
ger Mauserung  begriffen  ist". 
Und  daran,  dass  Meinungsfrei- 
heit ihm  als  grundpfeiler  des 
Sozialismus  erschien:  "Eine  auf 
vollkommener  demokratischer 
Gleichheit  beruhende  Gesell- 
schaft kennt  und  duldet  keine 
Unterdrückung.  Nur  die  vollste 
M  e  i  nungsverschiedenheit  er- 
möglicht den  ununterbroche- 
nen Fortschritt,  der  das  Lebens- 
prinziip  der  Gesellschaft  ist". 


Gespräch   im   Dunklen 

Du  armer  Gott,  du  kannst  dich  nicht  mehr  retten 

vor  unsrer  Hirne  fürchterlicher  Brut. 

Wir  werfen  Flammen  in  die  Wolkenbetten 

darin  du  einst  geruht, 

und  unser  grossen  Bomben  ü^berknall 

zerreisst  die  Stille  deiner  Fernen. 

Dein  Wort  geht  unter  in  dem  Widerhall. 

Uralte  Sicht  aus  ungezählten  Sternen 

wird  dir  verbündet  durch  den  Feuerschein, 

mit  dem  wir  Dunkelheit  noch  dunkler  machen. 

Wir  lassen  dich  mit  Hass  und  Tod  allein. 

Wir  können  nicht  mehr  weinen  —  nur  noch  lachen. 

Gelächter  der  Verdammten,  ohne  Herz 

und  ohne  Freude,  ohne  Sinn  und  Glück. 

Wir  werfen  die  Geschütze  himmelwärts. 

Sie  treffen  dich. 

Kein  Trost  fällt  uns  zurück. 

Hilde  Marx 


Ein  Aussenseiter 

Ein  Gegenspieler  Bebeis  wird 
durch  die  neu  aufgelegte  Bio- 
graphie Julie  Braun  -  Vogel- 
steins: "Heinrich  Braun  —  Ein 
Leben  für  den  Sozialismus" 
(Deutsche  Verlags  -  An.stalt, 
Stuttgart)  in  scharfem  Relief 
herausgemeisselt.  Die  zuerst 
1932  erschienene,  nunmehr 
überarbeitete  und  dokumenta- 
risch bereicherte  Arbeit  zeigt, 
wie  Heinrich  Braun  den  grössten 
Teil  seines  Lebens  "in  der  Un- 
rast eines  zermürbenden  Stel- 
lungskrieges verkämpft"  hat. 
Idealist  und  Autokrat,  ein  Gü- 
tiger und  Gebender,  kompro- 
misslos seinen  Ideen  ergeben 
(er  gehörte  zu  den  "Reformi- 
sten"), im  persönlichen  Leben 
zwischen  steilem  Aufschwung 
und  jähen  Wellentälern  hin- 
und  hergeri^ssen,  scheiterte  er 
im  Grunde  an  seiner  Unfähig- 
keit, den  Parteiapparat  zu  mei- 
stern. 

Heinrich  Braun  war  viermal 
verheiratet  (die  Biographin  war 
seine  vierte  und  letzte  Frau; 
die  dritte  war  Lily  Braun,  die 
Verfasserin  der  berühmten 
"Memoiren  einer  Sozialistin'* 
und  Mutter  des  im  Ersten  Welt- 
krieg gefallenen  Otto  Braun, 
an  dessen  reinen  jugendlichen 
Idealismus  sich  so  viele  Hoff- 
nungen geknüpft  hatten).  Die 
Schilderung  des  Lebensweges 
des  aussergewöhnlichen  Man- 
nes ist  nicht  immer  sehr  straff 
organisiert  und  an  vielen  Stel- 
len von  billigen  Abstraktionen 
überwuchert.  Und  doch  bietet 
sie  das  faszinierende  Bild  eines 
ringenden  Menschen,  der,  wenn 
er  auch  am  Rande  der  politi- 
schen Massenbewegung  stand, 
den  deutschen  Sozialismus  auf 
seine  besondere  Weise  befruch- 
tet hat:  zum  Beispiel  durch 
sein  18B8  gegründetes,  äusserst 
einflussreiches  "Archiv  für  so- 
ziale Gesetzgebung  und  Stati- 
stik". 

Rosa  Luxemburg: 
ein  Meisterporträt 

Vor  allem  muss  hier  Peter 
Nettls  "Rosa  Luxemburg"  no- 
tiert werden  (Verlag  Kiepen- 
heuer &  Witsch,  Köln— Berlin). 
Diese  Biographie  über  die  in- 
tensivste Persönlichkeit  der 
deutschen  sozialistischen  Bewe- 
gung ist  so  autoritativ  wie  nur 
wenige  politische  Geschichts- 
werke. Ihr  Erscheinen  stellt 
ein  grosses  literarisch-histori- 
sches Ereignis  dar. 

Nettl,  ein  britisclier  Polito- 
loge und  Soziologe,  besitzt  eine 
seltene  Ga)be:  er  kombiniert 
forschende  Präzision  mit  stili- 
stischer Lebendigkeit.  Die  Fülle 
des  Materials,  das  in  dem  dick- 
leibigen (über  900  Seiten  umfas- 
senden) Band  verarbeitet  ist, 
gleicht  einer  vielschichtigen 
Partitur.  Das  Deskriptive  mischt 
sich  zwanglos  mit  dem  Analyti- 
schen, und  hinter  den  poli- 
tischen werden  immer  wieder 
auch  die  menschlichen  Züge 
sichtbar.  Nettl  schildert  Rosa 
Luxemburg  als  "Kind  ihrer 
Zeit,  der  optimistischen  Vor- 
kriegswelt des  Friedens  und 
Fortschritts",  als  Moralistin 
und  Prophetin,  die  "auf  einma- 
lige Weise  vollkommene  Treue 
zum  dialektischen  Materialis- 
mus vereinigt  mit  einem  unein- 
geschränkten Bekenntnis  zu 
den  humanistischen,  befreien- 
den Aspekten  der  revolutionä- 
ren Demokratie".  Und  er  be- 
tont: "Vor  einer  deformierten 
Revolution  hatte  sie  mehr 
Angst  als  vor  einer  gescheiter- 
ten". 

Es  ist  die  Geschichte  einer 
entflammten  Aktivistin.  Sie 
zeigt,  dass  es  in  der  Politik 
keine  fixen  Formeln  gibt.  Jede 
Zeit  und  jede  Generation  muss 
ihren  eigenen  Weg  und  ihre 
eigene  Form  der  Aktion  finden. 

Will    Schaber 


\ 


Nr.  2 


^lli  __  10.  Januar  1969 


Seite  3 


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.'•,it\jX*S. 


AUSSENHANDEL 


Der  Export  von  Baumwollfäden 
und  fertigen  Textilwaren  stellt  Is- 
raels zweitgrössten  Industrieexport 
dar  —  er  erreichte  im  vorigen  Jahr 
$  50  Millionen. 

Im  Jahre  1968  betrug  die  israe- 
lische Ausfuhr  nach  dem  Iran  etwa 
$  10,5  Millionen. 

Grosse  Nahrungsmittel  Importeu 
re  in  den  Vereinigten  Staaten  began 
nen  mit  dem  Import  von  St.  Peter- 
Fischen  aus  dem  Kinereth. 

Solei     Boneh    erhielt    den    Auf- 
trag,   ein    grosses    Bürogebäude    in 
Nairobi  zu  bauen    -  es  handelt  sich 
uni  ein  Objekt  von  $  16  Millionen. 
Zwischen  Juli    1967   und   Novem- 
ber 1968  wurden  landwirtschaftliche 
Produkte   aus  den  besetzten  Gebie- 
ten  im  Werte  von  IL  86  Millionen 
über  den  Jordan  exportiert.  In  der 
gleichen  Zeit  kamen  aus  Jordanien 
Waren   im   Werte   von   etwa   IL    17 
Millionen   in  die  besetzten  Gebiete. 
Im   Dezember    1968   importierten 
Kaufleute    in   den    besetzten    jorda- 
nischen  Gebieten   Waren   im   Werte 
von  $  750  000.-  über  israelische  Hä- 
fen;   früher    gingen    diese    Importe 
über  Akaba  oder  Beirut. 


Die  Berliner  Juden  der  Emanzipationszeit 


FINANZEN 


Der  Banknotenumlauf  ging  in  der 
vergangenen  Woche  wiederum  um 
IL  23,4  Millionen  auf  ca.  IL  1  124 
Millionen  zurück;  die  Deckung  be- 
steht in  IL  161  Millionen  in  Gold 
und  IL  963  Millionen  in  auslandi 
scher  Währung. 

Im  Dezember  1968  stiegen  die 
Gesamteinnahmen  der  Regierung 
auf  IL  315  Millionen  gegenüber  IL 
264  Millionen  im  Dezember  196'<. 
In  den  ersten  neun  Monaten  des 
laufenden  Finanzjahres  betrugen 
die  Staatseinnahmen  IL  2.464  Mülio- 
nen,  IL  492  Mülionen  mehr  als  m 
der 'gleichen  Zeit  des  Vorjahres. 


VERSCHIEDENES 


Der   am   31.  Mai    1968   verstorbe- 
ne    letzte     Direktor     des     Berliner 
Gesamtarchivs    der    deutschen    Ju- 
den, mein  alter  Freund  und  Kollege 
Dr.  Jacob  Jacobson,  hat  mit  seinem 
noch    kurz    vor    seinem    Tode    er- 
schienenen  Werke    „Jüdische   Trau- 
ungen   in    Berlin    1759-1813"    (Ver- 
lag Walter  de  Gruyter  &  Co.,  Ber- 
lin   1968)    seine    Trilogie    über    die 
Berliner   Judengemeinde   vor,   wäh- 
rend  und   nach    der    Emanzipation 
abschliessen    können    und    sie    als 
sein  Vermächtnis  für  die  zukünfti- 
gen  Forscher   einer   wichtigen   und 
entscheidenden      Epoche      preussi- 
sehen   Judentums   hinterlassen.   Die 
drei  Werke,  zu   denen   ausser   dem 
bereits    erv/ähnten   Buch   noch   die 
1938  erschienenen  „Jüdischen  Trau- 
ungen in  Berlin  1723-1759"  und  die 
1962  herausgekommenen  ..Judenbür- 
gerbücher   der    Stadt  Berlin"   über 
die  Berliner  jüdischen  Stadtbürger 
von    1791-1851,   gehören,    enthalten 
zusammen  eine   Art  biographisches 
Nachschlagewerk    der    Berliner    Ju- 
denheit  von  1723-1851.  Dies  ist  die 
Zeit,    in    der    sich    die    Mitglieder 
der    Berliner    jüdischen    Gemeinde 
von   (ordinären   und   privilegierten) 
Schutz  Juden  in  (juristisch  gleichbe- 
rechtigte) preussische   Staatsbürger 
und    Berliner    Stadtbürger    verwan- 
delten. Diese  Verwandlung  war  be 
gleitet    von    einer    Aenderung    der 
gesamten  geistigen  und  kulturellen 
Einstellung     der     Berliner     Juden- 
schaft, deren  jüdisches  Bewu.'^stsoin 
unter   dem   Einfluss   der   in   Berlin 
besonders  stark  vertretenen  Aufklä- 
rung  und   der   verhältnismässig   to- 
leranten Umwelt,  zu  der  besonders 
die     Beamtenschaft    zählte,     immer 
.sclwächer     geworden     war.     Die.se 
Verminderung    der    jüdischen    Sub- 
stanz    stiess     auf     keinen     grossen 
Widerstand,    da    Berlin    kerne    alte 
jüdische   Tradition    besass,  wie   sie 
die   grossen   und   älteren   jüdischen 
Gemeinden    von    Frankfurt.    Fürth, 
oder    Hamburg    aufwiesen.    Ebenso 
wenig    gab    es    in    Berlin    eine   be- 
deutende    Talmud-Hochschule     und 
jüdische    Gelehrte,    die    im    Stande 
waren,    sich    mit    den    neuen    Rich- 
tungen auseinanderzusetzen. 


Die  israelische  Wirtschaft  gab 
im  vergangenen  Jahre  nahezu  IL 
60  Millionen  für  Reklame  aus,  34' o 
mehr  als  im  vorhergehenden  Jahr. 

Zur  Zeit  werden  in  Israel  150 
neue  Telefonanschlüsse  pro  Tag 
hergestellt. 


KATHOLISCHE   KIRCHE 

denten    in    Zusammenhang    brachte 
mit  einer  Aeusserung  des  „L'Osser- 
vatore  Romano"  über  die  F'rage  der 
Beschneidung,  also  eine  rein  theolo- 
gische Auseinandersetzung,  die  nicht 
das   Geringste   mit   der   Politik   des 
Vatikans  in  den  Fragen  des  Mittle- 
ren Ostens  zu  tun  hat.  Solche  Über- 
treibungen   nützen    unserer    Sache 
wenig,   ja   sie    schädigen   das   jüdi- 
sche Volk  in  der  Welt.  In  unserer 
Beziehung    zur    Kirche    haben    wir 
diese  Beziehungen  zu  berücksichti- 
gen.  Es   gibt   dabei   noch   manches 
Ambivalente,  wie  überhaupt  in  der 
Haltung   des   Vatikans    gegenwärtig 
auf  vielen  Gebieten  eine  Ambivalenz 
besteht,    die    sich    nach    innen    wie 
nach    aussen   richtet,   ist   doch    die 
Kirche  selbst  in  einer  schweren  Kri- 
se  in  deren  Rahmen  Papst  Paul  VI. 
eine  wichtige  Rolle  spielt.  Wir  ha- 
ben dazu  als  Juden  nichts  zu  sagen, 
aber  wir  sollten  jedenfalls,  soweit  es 
Israel  betrifft,  uns  der  grössten  Zu- 
rückhaltung   befleissigen.    geht    es 
doch  dabei  um  sehr  wichtige  Inter- 
essen  unserer   Volks    in    der   Welt, 
soweit    die    katholische    Kirche    in 
ihr  Einfluss  besitzt. 


Die   Berliner   Gemeinde   war   un 
ter    dem    Einfluss    der    staatlichen 
Selektion   und  unter    der    Aufsicht 
der  preussischen  Behörden  entstan- 
den.    Nach    den    preussischen    Ju- 
dengesetzen      wurden      Juden      in 
Preussen  nur  aufgenommen,  die  ei- 
nen   gewissen    Vermögensstand    er 
reicht    hatten    (abgesehen    von    Ge 
meindebedienten.  die  aber  nicht  als 
vollprivilegierte    und    ansässige    Ju- 
den galten).  In  Berlin  konnten  sich 
daher    nur    solche    Juden    als    ..an- 
gesetzt" bezw.  vergleitet  halten,  die 
dem  preussischen  Staat  von  Nutzen 
waren,  z.B.  durch  Militärbelieferun- 
gen,   durch    die     Silberbeschaffung 
für  die  Münzen  oder  indem  sie  der 
Entwicklung  der  Industrie  dienten. 
Diese,    aufgrund    ihrer    Fähigkeiten 
und    wirtschaftlichen    Potenz    privi- 
legierten  preussischen    Schutzjuden 
büdeten  die  offiziell  anerkannte  Ge- 
meinde. Sie  stellten  die  Vorsteher, 
sie    erwählten    die    Rabbiner    und 
die    anderen    für    den    Kultus    be- 
nötigten   Beamten    der    Gemeinde, 
die  aber   nur   als   zeitweilig   gedul- 
dete  Famulizjuden   und   Gemeinde- 
bediente   galten.    Auf    diese    Weise 
gerieten  natürlich  die  Gemeindean- 
gestellten  in   ein   völlig   abhängiges 
Verhältnis   zu   den  Vor.stehern.   de- 
nen sie  daher  auch  nicht  imponie- 
ren   konnten,    selbst    wenn    sie    jü- 
disches   Wissen    besassen.    Solange 
die     Rabbiner    als     Vertreter    und 
Verwalter    der    jüdischen    Gerichts- 
barkeit,  d.h.   als    Richter   m^d   Ent- 
scheider    in    Personenstandsangele- 


^-enheiten    innerhalb    der    jüdischen 
Gemeinde    zuständig   waren,   besas- 
sen   die    Rabbiner    trotzdem    noch 
eine    gewisse    Autorität,    die    auch 
von   den   staatlichen   Behörden   an- 
erkannt   wurde.    Aber    das    Bestre- 
ben  der   Generalprivilegierten,   also 
der  obersten  Klasse  der  Juden,  die 
allmählich     in     die     Gruppe     der 
Gross-Bourgeoisie   aufgestiegen  war 
lind    sich    im    Verlauf    ihres    wirt- 
schaftlichen Aufstieges  von  religiö- 
sen Vorurteilen  —  wie  sie  es  nann- 
ten   —    befreit    hatte,    ging    dahin, 
sich     nun     auch     der     „Bevormun- 
dung"   durch  die    jüdischen    Geset- 
ze bezw.  die  Rabbiner,  die  die  Ge- 
setze  praktizierten   und   ihnen  Gel- 
tung   zu     verschaffen     suchten,    zu 
entziehen.    Daher    unterstützten   sie 
die     ohnehin     bestehende     Neigung 
der     „aufgeklärten"    Beamten,    die 
rabbinische  Gerichtsbarkeit  der  Ju- 
den aufzuheben.  In  Verfolgimg  sol- 
cher Tendenzen  wurden  später  Gut- 
achten angefertigt,  die  zu  dem  Er- 
aebnis  kamen,  dass  überhaupt  kei- 
ne    Rabbiner     für     den     jüdischen 
Kultus    benötigt    wurden,   wodurch 
es    der    Regierung    leicht    fiel,    die 
Rabbiner  ihrer  Funktionen  zu  ent- 
kleiden   und    die    reichen   General- 
privilegierten völlig  unabhängig  von 
den   Rabbinern   und  von   dem  von 
ihnen   vertretenen   jüdischen   Recht 
zu  machen. 

Es     ist     nicht     zu     verwundern, 
dass  mit  der  Degradierung  der  Rab- 
biner,  die  sich   aus   der   Aufhebung 
ihrer  richterhchen  Funktionen  ergab, 
nicht  nur  die  Autorität  des  Rabbi- 
nats   überhaupt,   sondern  auch   die 
der  jüdischen  Religion  und  der  jü- 
dischen Gemeinde  geschwächt  wur- 
de    Der    Versuch    David    Friedlan- 
ders, der   aus   dem   Judentum   eine 
von   allen   Vorschriften   und   Geset- 
zen  freie   Weltanschauung   für   sich 
gemacht   hatte,   auch   das  Christen- 
tum   in   eine    solche    (durch   seinen 
Vorschlag  eines  Christentums  ohne 
Dogmen)     zu     verwandeln,     erfuhr 
von    Seiten    der    christlichen    Theo- 
logen    eine    energische     Zurückwei- 
sung.   Die    aufgeklärten    .Juden,    die 
sich  von  der  Last  befreien  wollten, 
die    ihnen   die    selbst   nur    formale 
Zugehörigkeit    zur    jüdischen    R'?!^- 
uion    auferlegte,    gaben    schliesslich 
nach   und   nahmen   die  Tpufe   ohne 
irgendwelche  Bedingungen  daran  zn 
knüpfen,  wie  es  David  Friedländer 
noch   versucht   hatte. 

Wie  schwach  die  religiöse  Kraft 
des    Judentums    bei    den    Hofjuden 
und    bei    den    privilegierten    Juden 
Preussens   war  und  wie  gering   ihr 
mnerer  Widerstand,  ergibt  sich  aus 
der    Tatsache,    dass    die    Angehöri- 
gen  dieser   wirtschaftlich   sehr    gut 
gestellten    Schicht    die    Diskrepanz 
Zwischen       ihrer       wirtschaftlichen 
Machtposition    und    den   Beschran- 
kungen   ihres    persönlichen    Lebens 
nicht  ertragen  7ai  können  glaubten. 
Insbesonders     empfanden     sie     die 
Bestimmungen,  die  ihnen  die  judi- 
sche   Religion,   wenn    auch    nur    in 
geringem    Masse,    auferlegte,    lastig 
bei    ihrem    Verkehr    mit    Nichtju- 
den.  Demnach  ist  es  selbstverständ- 
lich,   dass    die    von    der    jüdischen 
Religion  gegen  die  Assimilation  auf- 
gerichteten Schranken  sehr  schnell 
fielen,   als   diese   Schicht   des   jüdi- 
schen   Grossbürgertums    die    alten 
Ideale   der   jüdischen   Religion   ver- 
loren   bezw.    über   Bord    geworfen 
hatte. 

Die  später  selbst  getaufte  Rahel 
Lewin  (Vamhagen)  hatte  behaup- 
tet, dass  ..halb  Berlin"  sich  taufen 
Hesse.  Man  muss  den  Hintergrund 
die^^er  Bemerkung  kennen,  um  fest- 
zustellen, was  Rahel  wirklich  ge- 
meint hat.  Der  jüdische  Historiker 
Heinrich    Grätz    und    auch    andere. 


die  diesen  Hintergrund  nicht  kann- 
ten,  nahmen  diese  Worte   wörtlich 
und  gaben  dadurch  Anlass  zu  dem 
Schlagwort    von    der    Massentaufe 
der  Berliner  Juden  um  die  Wende 
des   19.  Jahrhunderts.  Ebenso  wur- 
den dadurch   falsche  Vorstellungen 
nicht   nur    vom    Berliner,    sondern 
auch  vom  deutschen  Judentum  er- 
zeugt,  das  damals  durch  das   Ber- 
liner Judentum  gar  nicht  vertreten 
wurde.    Bei    dem    Ausspruch    der 
Rahel  handelt  es  sich  nicht  nur  um 
eine    ..durch    die    Tatsachen    nicht 
gestützte  grobe  Verallgemeinerung" 
(Bulletin     des     LBI,    8.     Jg.,    1965. 
S.  82,  Anm.  90).  sondern  um  eine 
Aeusserung,   die    aus    dem    eigenen 
engen   Gesichtskreis   der   Rahel   er- 
klärlich   ist.    Ihr    Ausspruch    bezog 
.sich   nämlich  nur   auf  den   kleinen 
Kreis  der  BerUner   ..Jüdischen  Ge- 
sellschaft",   zu    der    auch    Raheis 
Eltern  gehörten.  Von  ihrem  engen 
Gruppenstandpunkt     aus     gesehen, 
hielten  die  Angehörigen  der  führen- 
den Schicht  der  Berliner  jüdischen 
Gemeinde  ihre  eigene  kleine,  durch 
sozialen  Status  und  wirtschaftliche 
Position  ausgezeichnete  Gruppe  fiir 
die"      Berliner     Judenschaft,     die 
für  sie  mit  ..Berlin"  identisch  war. 
Und    von    dieser    kleinen    obersten 
Gruppe    der    Berliner    Judenschaft 
Hessen    sich   tatsächlich    die   Hälfte 
oder    sogar    mehr    als    die    Hälfte 
taufen.    Dies    trifft    aber    nicht    für 
die  Angehörigen  des  jüdischen  Mit- 
telstandes zu,  der  die  Mehrzahl  der 
Berliner    Juden    ihrer    wirtschaftli- 
chen Position  nach  bildete. 


Das  ist  die  Bedeutung  der  miss- 
verstandenen  Worte   Rahel   Lewins, 
die    selbst    zu    dieser    Schicht    der 
Getauften  gehörte.  Es  waren  geistig 
und     kulturell    hochstehende    Men- 
schen, die  sich  vom  Judentum  los- 
gelöst  hatten,    die   von    ihm   nichts 
mehr   wissen  wollten  und   ihre  Fä- 
hit'keiteTi    und    Kenntnisse    in    den 
Dienst    der   Umwelt    stellten.    Diese 
Umwelt   kam   ihnen   mit   ausgebrei- 
teten Armen  entgegen,  nachdem  sie 
die    Juden    zur    Kapitulation     und 
Entjudung    gezwungen     hatte.     Die 
deutsche  Kultur,  die  deutsche  Wis- 
senschaft   und   die  deutsche   Litera- 
tur   gewannen    aus    diesem    Reser- 
voir    ein     Menschenmaterial,     das 
sich    bemühte,    seine  besten   Fähig- 
keiten   nun    ungehindert    durch   ir- 
gendwelche Beschränkungen  gesetz- 
Hcher    oder    religiöser    Art    entwik- 
keln   zu   können. 

In  dem  letzten  Buche  Jacobsons 
über  die  Heiraten  der  Berliner  Ju- 
den    in     der    Zeit     von     1759-1813 
sind   die   nach   dem  Gesetze   Moses 
und  Israels  m  Berlin  geschlossenen 
Ehen  verzeichnet.  Ein  grosser  Teü 
der    Ehepartner    selbst    oder    deren 
Kinder  liessen  sich  dann  allerdings 
taufen,  wie   aus   den  Bemerkungen 
Jacobsons   ersichtlich,  die  man  bei 
den  einzelnen  Eheeintragungen,  be- 
sonders   aus    der    Gruppe    der    Ge- 
neralprivilegierten,   findet.    Zahlrei- 
che   Namen    könnte    man    nennen, 
die    oerade    damals   das    Judentum 
verliessen  und  im  Christentum  ihre 
neue   Heimat   fanden.   Die  meisten 
dieser    Namen    haben    im    Berliner 
Kulturleben     eine     Rolle     gespielt. 
Ihre   jüdische   Herkunft   blieb   aber 
bekannt,  auch  wenn  sie  sie  durch 
eine    Aenderung    ihrer    allzu    judi- 
schen   Familiennamen    unkenntlich 
machen  wollten.  Heute  blicken  ih- 
re   Nachkommen    sogar    mit    Stolz 
auf    ihre    jüdischen    Vorfahren    zu- 
rück oder  sie  suchen  sie  gar  wie- 
der    Ich    nenne    hier    nur    die   Na- 
men   der    Familien    Ebers,   des   be- 
rühmten Aegyptologen.  und  Eberty, 
des  Rechtshistorikers,  die  beide  aus 
de.n    T^iimilinnnamen    Ephraim    ab- 
gewandelt      wurden.       sowie     den 


Seite  4 


MB  —  10.  Januar  19(>9 


j 


\ 


Nr.  2 


f  t 


DER     KONSUL    VON     FLORENZ" 


„Das  ist's,  was  Florenz  tat,  ei- 
ne kleine  Stadt  von  Geldhändlern, 
um  nicht  zu  sagen  Wucherern, 
Wollkämmern  und  Stoffwebem  mit 
einer  geringen  militärischen  Kraft 
und  fast  keiner  politischen  Autori- 
tät. Das  florentinisierte  Italien  üb- 
te seinen  sintflutartigen  Einfluss 
auf  die  gesamte  Welt  des  weissen 
Mannes  aus  und  darüber  hinaus, 
zu  einer  Zelt,  als  Italien  'nur  ein 
geographischer  Begriff  war.  Ar- 
meen mögen  den  Weg  bereiten  oder 
nicht.  Auf  lange  Sicht  wird  Ein- 
fluss verbreitet  durch  Kunsthand- 
werker. Handwerker,  Architekten, 
Holzbildner  und  Steinmetzen,  Schrift- 
steller, Lehrer,  Sänger,  Tänzer, 
Gaukler,  Clowns,  Hausierer,  Medi- 
zinmänner, Friseure,  Geiger,  wie  er 
im  späten  Altertum  von  Griechen 
und  dann  mehr  und  mehr  von  Sy- 
rern, Juden  und  Gopten  verbreitet 
wurde,  denselben  Menschen,  die 
zunächst  soviel  zur  Auflösung  der 
hellenischen  Welt  beitrugen,  und 
dann  zur  Rettung  Europas  davor, 
auf  eine  Misthaufen-Wirtschaft  und 
Berserker-Barbarei  herabzusinken  ' ' 

Mit  diesen  Worten  schliesst  Her- 
nard  Berenson  das  Kapitel  über 
Florenz  in  seiner  Schrift  „Aesthe 
lies  and  History"  (Pantheon  Books. 
1948).  Darin  wird  man  erinnert 
beim  Lesen  eines  Buches  aus  der 
Feder  eines  in  Russland  geborenen, 
in  England  lebenden  früheren  Di- 
plomaten und  Schriftstellers,  David 
Tutaev,  das  nun  auch  in  deutscher 
Übertragung  vorliegt:  „Der  Konsul 
von  Florenz.  Die  Rettung  einer 
Stadt"  (aus  dem  Englischen  von 
Dr.  Eugen  Haas  —  Econ- Verlag, 
Düsseldorf  und  Wien  1967).  Es  be- 
schäftigt sich  mit  dem  Schicksal 
der  Stadt  Florenz,  ihrer  Bewohner 
und  ihrer  Kunstschätze,  in  den  Ta- 
gen des  Zweiten  Weltkrieges,  als 
nach  der  Absetzung  Mussolinis  und 
Uebergang  der  römischen  Regie- 
rung auf  die  Seite  der  Alliierten 
der  Nordteil  Italiens  in  den  Hän- 
den der  Deutschen  blieb,  wo  nach 
der  Befreiung  Mussolinis  die  Repu- 
blik der  Neo-Faschisten  entstand, 
die  auch  Florenz  umfasste.  Es  ist 
im  Grunde  nur  eine  kleine  Episode 
aus  der  Geschichte  des  grossen 
Krieges,  um  die  es  hier  geht,  und 


Ein  Beitrag  zum  Studium  menschliclien  Geistes  und  Wahnes 


nicht  einmal  eine  ausschlaggebende, 
war  doch  das  Schicksal  Italiens 
besiegelt,  nachdem  die  Alliierten 
den  Süden  erobert  hatten.  Was  Tu- 
taev in  seinem  Buch  schildert,  dar- 
unter auch  die  Kämpfe  vor  und 
um  Florenz,  das  bildet  den  Hin- 
tergrund für  die  Darstellung  einer 
menschlichen  Tragödie.  Ihr  Held 
ist  der  deutsche  Konsul  von  Flo- 
renz, Dr.  Gerhard  Wolf,  und  der 
Gegenstand  seines  Wirkens  ist  die 
Rettung  der  Stadt  Florenz,  ihrer 
Kunstschätze  und  ihrer  Menschen, 
vor  allem  der  besonders  gefährde- 
ten, darunter  die  Juden  der  Stadt, 
der  alte  versteckt  lebende  Bernard 
Berenson,  viele  Ausländer  und  Men- 
schen des  italienischen  Volkes,  die 
dem  Faschismus  und  den  nationalso- 
zialistischen Unterdrückern  feindlich 
gesinnt  waren.  Dr.  Wolf,  der  im 
Jahre  1954  zum  Ehrenbürger  der 
Stadt  Florenz  ernannt  worden  ist. 
gehörte  nicht  unmittelbar  zu  dem 
Kreise  der  sogenannten  deutschen 
Widerstandsbewegung,  obgleich  man- 
che Fäden  von  ihm  zu  ihren  Men- 
schen führten.  Sein  Widerstand  war 
anderer  Art.  Er  beruhte  auf  der 
scheinbaren  Einfügung  in  ein  Sy- 
stem, das  er  aus  tiefstem  Herzen 
verabscheute,  auf  der  Durchkreu- 
zung seiner  unsinnigsten  Massnah- 
men, und  allerdings  auch  auf  der 
Uebernahme  von  grossen  persönli- 
chen Risiken,  wenn  es  um  die  Ret- 
tung von  Menschen  und  Menschen- 
werken höchsten  Ranges  ging.  Da- 
bei fand  der  Konsul  in  den  Reihen 
der  Deutschen  so  manchen  Helfer, 
unter  seinen  unmittelbaren  Mit 
arbeitern  in  Florenz  wie  vor  allein 
bei  seinem  Freunde,  dem  deut 
sehen  Gesandten  bei  der  italieni- 
schen Regierung  und  später  bei 
derjenigen  der  neofaschistischen 
Republik,  ür.  Rudolf  Rahn.  Mit 
ihm  verband  ihn  das  gemeinsame 
Studienerlebnis  in  Heidelberg,  vor 
allem  bei  Gundoif;  für  beide  war 
Stefan  George  eine  Gestalt,  die  ge- 
wiss nicht  zu  dem  Dritten  Reiche 
des  Linzer  Gefreiten  führte. 

Die  Vorgänge,  die  von  Tutaev 
dargestellt  werden,  sind  deshalb 
so    besonders    interessant,    weil   sie 


Die  Berliner  Juden 


(Schluss  von  S.  3) 

von  Heine  verspotteten  Namen  Hit- 
zig (aus  Itzig  gebildet),  oder  den 
Namen  Friebe,  den  sich  der  Ber- 
liner Bankier  Zacharias  Fränkel 
Veitel  Ephraim  gab  (zu  seinen 
Nachkommen  gehörte  Dr.  Adolph 
von  Batocki-Friebe,  der  während 
des  ersten  Weltkrieges  Oberpräsi- 
dent von  Ostpreussen  war).  Als 
weitere  bekannte  Familien  Hessen 
sich  noch  nennen  die  Familien 
Bing,  Caspar,  Friedländer,  Gans, 
Heydemann  und  natürlich  die  Fa- 
milie Mendelssohn.  —  Ihre  Nach- 
kommen findet  man  in  den  ver- 
schiedenen Nachschlagebüchern  und 
Gelehrtenlexika. 

Neben  den  Generalprivilegierten 
und  ihren  Nachkommen  stellte 
selbstverständlich  gerade  die  jüdi- 
sche Intelligenz  einen  grossen  An- 
teil an  den  Tauf  Juden.  Dem  Juden- 
tum durch  ihre  Erziehung  und  ihr 
Streben  entfremdet,  von  der  Um- 
welt wegen  ihres  Judentums  nicht 
anerkannt  und  zurückgestossen, 
entschloss  sich  der  grösste  Teil  der 
damaligen  jüdischen  Intellektuellen, 
den  Lockungen,  die  ihnen  die  Taufe 
versprach,  nachzugeben.  Aerzte,  die 
keine   Anstellung  erhalten  konnten, 


Juristen,  die  als  Juden  nicht  zu  Be- 
amten ernannt  wurden,  traten  zum 
Christentum  über.  Ihre  Namen  auf- 
zuzählen, würde  mehrere  Seiten  in 
Anspruch   nehmen. 

Es  ist  von  Interesse  das  Mate- 
rial durchzuarbeiten,  das  von  Ja- 
cobson auf  Grund  einwandfreier 
dokumentarischer  Unterlagen  in  be- 
wunderswerter  Reichhaltigkeit  und 
Vollständigkeit  in  seinem  Werk 
über  die  , .Jüdischen  Trauungen" 
unterbreitet  wurde.  Dabei  kann 
man  feststellen,  auf  welchen  Gebie- 
ten und  wodurch  sich  diese  Nach- 
kommen der  alten  Berliner  Schutz- 
juden   ausgezeichnet    haben. 

Die  allgemeine  Kultur  und  vor 
allem  die  deutsche  Kultur  ist  durch 
diese  Nachkommen  der  Juden  be- 
reichert worden.  Die  deutsche  Ju- 
denheit  und  speziell  die  Berliner 
jüdische  Gemeinde  hat  bei  diesem 
Zusammenprall  der  Aufklärung  mit 
einem  Judentum,  das  auf  die 
Emanzipation  gar  nicht  vorbereitet 
war  und  deren  Führerschaft  kein 
jüdisches  Selbstbewusstsein  besass, 
einen  schweren  Substanzverlust,  be- 
sonders in  den  Reihen  seiner  gei- 
stigen Führungsschicht,  erlitten. 

B.  BRILLING 


eine  Art  von  Miniatur  des  grossen 
Kriegsgeschehens  bilden,  das  Schick- 
sal einer  Stadt,  von  bestimmten 
Menschen,  von  bestimmten  Objek- 
ten höchster  Bedeutung  für  die 
menschliche  Kultur.  Gleichzeitig  ist 
der  Lauf  der  Dinge  kompliziert 
durch  die  Verschlingung  des  Kriegs- 
geschehens mit  den  Vorgängen  ei- 
nes Bürgerkrieges,  den  Auseinan- 
dersetzungen zwischen  den  uner- 
bittlichen Faschisten  und  den  Teilen 
der  italienischen  Bevölkerung,  die 
ihnen  offen  feindlich  oder  doch 
jedenfalls  mit  sehr  grosser  innerer 
Zurückhaltung  gegenüberbestanden. 
Die  Grausamkeit  dieser  Art  des 
Bürgerkrieges  übersteigt  vielleicht 
noch  das  Mass  des  Grauens,  das 
der  Krieg  selbst  bedeutete.  Dabei 
handelt  es  sich  bei  all  dem,  was 
in  und  um  Florenz  geschah,  um 
Ereignisse,  die  auf  dem  Hinter- 
grund der  Gesamtgeschichte  des 
Zweiten  Weltkrieges  vor  der  Sil- 
houette des  russischen  Feldzuges 
und  der  Kamine,  die  in  Auschwitz 
und  an  anderen  Orten  rauchten, 
nahezu  als  ..harmlos"  zu  bezeich- 
nen wären.  Umso  stärker  kommt 
der  Charakter  des  Mannes  zum 
Ausdruck,  der  in  dieser  Situation 
um  jeden  Fussbreit  Menschlichkeit 
und  Vernunft  kämpfte,  auch  wenn 
er  die  Tragödie  der  Stadt  Florenz 
am  Ende  nicht  verhindern  konnte. 
Der  Verfasser  des  Buches  schiebt 
dabei  die  Schuld  nicht  einzig  und 
allein  den  Deutschen  zu,  sondern 
in  gewissem  Masse  auch  dem  Un- 
verstände auf  alliierter  Seite.  Ge- 
wiss, Dr.  Wolf  und  seine  Mitarbei- 
ter vermochten  Menschen  Schutz 
zu  gewähren,  Italienern,  Juden  und 
anderen,  auch  der  berühmte  Beren- 
son stand  —  zumindest  indirekt  — 
unter  diesem  schützenden  Einfluss. 
In  weitem  Umfange  konnte  er  die 
Absichten  zur  Plünderung  der 
Kunstschätze  durch  gewisse  deut- 
sche „Experten"  durchkreuzen,  aber 
es  gelang  nicht,  die  schweren,  mi- 
litärisch völlig  unsinnigen  Vernich- 
tungen zu  verhindern,  die  in  Flo- 
renz durch  die  Sprengung  fast  al- 
ler seiner  Brücken  und  auch  von 
Stadtvierteln  am  Arno-Ufer  eintra- 
ten, darunter  der  vielleicht  schön- 
sten Brücke  der  Welt,  der  nach 
den  Plänen  Michelangelos  erbauten 
Brücke  Santa  Trinita.  Der  Besu- 
cher der  Stadt  kann  heute  die 
exakt  wiederaufgebaute  Brücke  be- 
wundern, aber  das,  was  am  Ufer 
des  Flusses  vernichtet  worden  ist, 
fällt  auch  jetzt  noch  durch  Lücken 
oder  durcii  Neubauten  ins  Auge. 
Dennoch  konnte  immerhin  die  Stadt 
als  ganze  erhalten  werden,  obwohl 
niemand  der  Verantwortlichen,  auf 
keiner  Seite  der  kämpfenden  Li- 
nien, den  Mut  hatte,  ein  klares 
Wort  zu  ihrem  Schutze  auszuspre- 
chen. 

Der  Bericht  über  diesen  gehei- 
men Kampf  um  Menschen  und 
Dinge,  die  ihr  Eigenleben  führen, 
ist  ein  bedeutsames  Dokument  hu- 
maner Gesinnung  und  auch  mensch- 
lichen Mutes.  Er  ist  umso  wir- 
kungsvoller, als  sich  solche  Gesin- 
nung unter  den  Bedingungen  einer 
nahezu  absoluten  Herrschaft  der 
Gewalttätigkeit  und  Brutalität  pri- 
mitivster Art  entfalten  musste.  Ge- 
rade der  relativ  beschränkte  Mass- 
stab der  Vorgänge,  die  hier  geschil- 
dert werden,  zeigt  mit  grösster 
Deutlichkeit  die  beiden  gewaltigen 
Kräfte,  die  miteinander  in  einer 
historischen  Konfliktsituation  rin- 
gen: die  Kraft  der  Gestaltung,  die 
dem  Menschen  innewohnt,  und  die 
in  dieser  Stadt  Florenz,  deren  Cha- 


rakter in  den  eingangs  zitierten 
Worten  Berensons  gekennzeichnet 
wurde,  einen  so  überragenden  Aus- 
druck gefunden  hat;  und  die  an- 
dere Kraft,  die  dem  Wahne  des 
Menschen  entspringt,  er  könne 
durch  die  Anwendung  von  Gewalt, 
durch  den  Krieg,  durch  die  Ver- 
nichtung von  Menschenleben  und 
Menschen  werken,  den  Keim  zu  et- 
was Neuem,  etwas  Beständigem 
legen. 

Wahrscheinlich  kennen  viele  Le- 
ser dieser  Zeilen  und  des  hier  er- 
örterten Buches  Florenz  und  lieben 
es  wie  selten  einen  Ort.  Als  vor 
zwei  Jahren  die  Ueberschwemmung 
des  Arno  die  Stadt  bedrohte,  er- 
griffen Sorge  und  spontane  Hilfs- 
bereitschaft weite  Teile  der  Welt. 
Aber  es  frage  sich  jeder  selbst,  ob 
in  ihm,  der  zumindest  die  Fähig- 
keit des  Nacherlebens  dessen  be- 
sitzt, was  menschlicher,  ja  göttli- 
cher Geist  an  einem  solchen  Punk- 
te der  Erde  hervorbringen  konnte, 
nicht  dennoch  auch  die  Möglichkeit 
jenes  Wahnes  existiert,  der  in 
Kampf  und  Krieg  unter  Menschen 
und  Völkern  etwas  Unausweichli- 
ches, ja  zu  Bejahendes  erblickt, 
wenn  damit  ein  Ziel  in  erreichbare 
Nähe  gerückt  erscheint?  Das  Pa- 
radox der  menschlichen  Seele,  in 
der  die  Schöpferkraft  wohnt  und 
die  dunkle  Strömung  der  Vernich- 
tung, ist  ungelöst.  In  jedem  von 
uns  wirkt  etwas  von  beiden  Kräf- 
ten, die  meisten  sind  sich  dessen 
nicht  einmal  bewusst.  Eine  Darstel- 
lung wie  diejenige  über  den*  he- 
roischen Kampf  des  Konsuls  von 
Florenz  kann  ihren  Sinn  darin  fin- 
den, dass  sie  beim  Leser  die  boh- 
rende Frage  weckt,  ob  er  selbst 
sich  von  jenem  Wahn  frei  machen 
kann,  der  da  glaubt,  dass  die  Welt 
oder  auch  nur  ein  kleines  Stück 
chen  von  ihr  durch  Gewalt,  durch 
Vernichtung  vor  allem  von  mensch- 
lichem Leben,  auch  nur  erhalten 
werden  kann  —  von  Neuschaffung 
gar  nicht  zu  reden.  Der  alte  Be 
renson,  aus  dessen  Tagebüchern  in 
Tutaevs  Bericht  häufig  zitiert  wird, 
wusste  es  besser.  Und  unbewusst 
haben  all  diejenigen  es  besser  ver- 
standen, die  dafür  sorgten,  dass 
in  alten  Zeiten  Europa  nicht  in 
die  Barbarei  versank,  darunter  auch 
so  manche  unserer  eigenen  Vorfah- 
ren, auf  die  wir  stolz  sein  können. 

oe. 


Redaktion :  Tel-A\  iv.  Rambamstr.  Ift, 
POB  1480.  Tel.  614411.  Anzelgen- 
Aniiahnio  :  Ettlinger's  Advertisinsr, 
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Anzeigen-Annahme  in  Jerusalem :  H. 
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Bitaon  Ltd.,  Tel-Aviv,  Rambamstr.  15. 
Verantwortlich  :  Dr.  Hans  Tramer. 
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yk^c^r  /K^t-^^ 


/ 


AUFBAU 


/ 


/ 


(^A 


FncUy,  F»bruTy  4,    1966 


Kein '  'Taschkent' '  für  Israel 


(Fortseizunir  von  Seite  1) 

Wilson  und  Ausseniministeo:  Ste- 
wart einsciialten. 

Der  Gedankengang  von  Elbans 
Politik  ist,  den  dauernden  Waf- 
fenlieferungen in  die  Länder 
des  mittleren  Ostens  mit  einer 
grossangelegten  Friedensoffen- 
sive zu  begegnen.  "Wir  sassen 
nicht  passiv  mit  veiischränkten 
Armen  da,  als  unseren  arabi- 
schen Nachbarn  schwere  An- 
griffswaffen  aus  dem  Ausland 
zuströmten.  Aber  was  wir  vor 
allem   wollen,   ist  ein  Ende   des 


Kairo,  I>amaskus  und  Bagdad 
lautete  ganz  ähnlich. 

In  diesem  Zusammenhang  ist 
eine  etwas  seltsame  Meldung 
aus  Tunis  beachtlich.  Mongi 
Slim,  der  Aussenminister  Tune- 
siens, dementierte  ein  Gerücht, 
dass  er  siöh  nach  Teheran  und 
New  Delhi  begeben  wolle,  um 
dort  über  eine  Vermittlung  im 
Konflikt  zwischen  Israel  und 
den  Arabern  zu  sondieren.  Eine 
solche  Absicht  bestehe  in  Tunis 
nioht. 

Zwar  ist  richtig,  dass  Tunesien 


Wettrüstens   in   unserer   Region.  |  seine       extremistischen       arabi- 


Wenn  es  den  Grossmächten 
nicht  gelingt,  dem  mittleren 
Osten  eine  Atmosphäre  des  Frie- 
dens aufTuu-zwingen,  dann  wer- 
den wir  die  notwendigen  Initia- 
tiven von  uns  aus  ergreifen." 

Erster  und  drastischster  Aus- 
druck dieser  israelischen  Frie- 
densipolitik  war  der  Versuch,  die 
*'Tashkent-Former'  auf  Israels 
Grenzen  anzuwenden;  wie  erin- 
nerlich, hatten  sich  in  Tash-kent 
Indien  und  Pakistan  verpflich- 
tet, ihre  Truppen  von  der  Grenze 
abzuziehen  und  eine  Konflikt- 
lößung  mit  friedlichen  Mitteln 
zu  suchen 


sehen  Brüder  immer  wieder  zur 
Mässigung  und  zur  Ko-Existenz 
mit  Israel  mahnt;  aber  anderer- 
seits hat  sich  Mongi  Shm,  als 
er  noch  Delegierter  seines  Lan- 
des bei  den  Vereinten  Nationen 
in  New  York  war,  zur  damai-i- 
gen       israelischen      Delegierten 


Golda  Meir  stets  ausgesprochen 
unhöflich  benomanen.  Als  er 
Präsident  der  Vollversammlung 
war  und  Präsident  Kennedy 
diese  besuchte,  war  Golda  Meir 
die  einzige  Delegierte,  die  von 
Monigi  Slim  dem  amerikanischen 
Präsidenten  nicht  i>erßönlich 
vorgestellt  wurde.  Dieser  Mann 
ist  kaum  der  passende  Kandidat 
für  eine  Friedensvermittlung 
zwischen  Israel  und  den  Ara- 
bern. 

Letzthin  wurde  nach  längerer 
Pause  wieder  einmal  eine  Was- 
serstation auf  israelischem  Bo- 
den, im  Dorfe  Juval  in  Galilea. 
durch  Terrorakt  besöhädigt.  Die 
nächtlichen  Täter  waren  aus 
Syrien  gekommen  und  entflohen 
über  die  libanesische  Grenze.  Es 
mag  dies  ein  Einzelfall  gewesen 
sein;  aber  sollte  es  sich  um  den 
Beginn  einer  neuen  Terrorwelle 
und  neue  Zuspitzung  der  Lage 
handeln,  dann  wäre  das  für  eine 
israelische  Friedens  -  Initiative 
ein  sehr  schlechter  Auftakt. 


Bonn  ohne  starke  Führung 


(Fortsetzung:  von  Seite  3)        1  her  allen  Grund,  immer  wieder 

schon  im  Wahlkampf  mehr  eine  '  auf   Klarheit  zu   drängen.   Aber 
_     .  ,    ,    ...     „„  „,     ,.     ..     ,  wenn  in  einer  parlamentarischen 

,  suonen  Regierungsbeteiligung  als  die  Ab-  !  Demokratie  nicht  nur  die  Regie- 

Freilich  "hat  das  Wort  von  der  ^^sung  der  CDU/CSU  durch  die  ^ung,  sondern  auch  die  Opposi- 
Tashkent  -  Formel  auf  Israels  i  SPD  angestrebt  hatte.  So  hält  tion  sich  taub  stellt,  dann  kann 
arabische  Nachbarn  wenig  Ein-  [  die  SPD  auch  gegenüber  der  .  es  lange  dauern  bis  ein  solches 
druck  gemacht.  Als  erste  rea- |  schwachen  Regierung  Erhard  an  Drängen  Wirkung  hat.  Innen- 
gierten die  Zeitungen  in  Beirut:  i  ihrem  müden,  unkämpferischen    politisch  ist  das  Haushaltssiche- 


I 


rungsgesetz  mit  seinen  Kürzun- 
gen auch  der  Wiedergutmachung 
zwar    in    Kraft,     aber    rigorose 


die     Prinzipien     von     Tashkent  '  und  keinen  Erfolg  vensprechen- 

seien  für  die  Palästina-Situation    den  Oppositionsstil  fest.  Sie  stellt 

unanwendbar.       Im      Gegenteil    die   Regierung    nicht   im   Paria- 

schlugen   die   Zeitungen   in   Bei-   ment,  um  die  Klärung  der  vielen    Sparmassnahmen     blieben     aus^ 

rut    daraufhin    einen    besonders  |  Fragen  zu  erzwingen,  denen  Er-  |  Das   Budget   für   1966   geht  mit 

aggressiven    Ton    an:     im    März  j  hard  und  sein  immer  umstritte-    seinem     69     Milliarden-Volumen 

werde  in  Kairo  eine   Konferenz    ner    werdender    Aussenminister    weit    über    die    Steigerung    des 

der      Ministerpräsidenten      und   Schröder  beharrlich  ausweichen.  ;  Bruttosozialprodukte  hm a^^ 

Generalstabschef  der  arabischen  ^--.-'i-    ji 

Länder  einen  Plan  gemeinsamer 

Entwicklung    atomarer    Waffen 

^^ns^^Zf^ '^-^1^'?'    damit   sei    es 
__reriii5K,^,       ::L'^t^f»chen   Staa- 
ts   :ki\    Fiie- 
i^n     mit     Israel 
pressiert    sei.    Das    Echo    aus 


So  steht  in  der  Bundesrepublik  \  behält    daher   seine    gefährliche 


dem  Unbehagen  über  die  Regie 
rung  keineswegs  eitel  Wohlgefal- 
len an  der  SPD  gegenüber.  Pro- 
filierte deutsche  Zeitungen,  wie 
etwa  die  liberale  "Zeit"  in  Ham- 
burg oder  der  mehr  konservative 
"Rheinische  Merkur"  haben  da- 


MIL 


^■J 


MIL 


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Bank  Leumi  is  one  of  thc  worltTs  largest  banks,  with  Offices  in  London, 
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inflationistische  Wirkung 

Das  Bild  der  Bonner  Politik 
wird  ergänzt  durch  die  Schwie- 
rigkeiten in  den  deutsch-israe- 
lischen Wirtschaftsverhandiun- 
gen,  die  kurz  vor  dem  Ende  des 
vergangenen  Jahres  sichtbar 
wurden,  als  die  Regierung  Is- 
rael erst  einmal  einen  75  Millio- 
nen-Kredit zur  Verfügung  stellte, 
ohne  dass  weitere  Einzelheiten 
mitgeteilt  wurden.  Auf  die  Dauer 
wird  sich  auf  diese  Weise  nicht 
ein  klares  Abkommen  über  Art 
und  Umfang  der  deutschen 
Wirtschaftshilfe  nach  Auslaufen 
des  Wiedergutmachungsabkom- 
mens ersetzen  lassen.  Die  Bun- 
desrepublik und  Israel  haben 
keinen  Gund,  auf  lange  Sicht 
vertraulichen  oder  geheimen 
Absprachen  den  Vorzug  geben 
zu  wollen.  Das  könnte  sehr  leicht 
zu  einem  späteren  Zeitpunkt  zu 
einer  von  beiden  Seiten  nicht  ge- 
wollten Belastung  des  Verhält- 
nisses werden. 
Das  Fehlen  einer  starken  Füh- 


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/    Nürnberg  ehrt 
Richard  Willstaetler 

I>as  Realgymnasiuim  der  Stadt 
Nürnberg  hat  seinen  Namen  ge- 
ändert, Das  Lehrerkollegium, 
der  Elternbeirat  der  Schule  und 
das  Bayerische  Kultusaniniste- 
rium  haben  gemeinsam  und 
übereinstimimend  beschlossen, 
der  Schule  den  Namen  ihres  be- 
rühmtesten Abiturenten,  des 
grossen  Chemikers  Richard  Will- 

j  staetter     a872-1942j     zu     geben. 

j  Die  Namensuimnennung  fand  im 
Rahmen  einer  Feierstunde  statt, 
an  der  rund  siebenhundert  Per- 
sonen  teilnahmen. 

Richard  Willstaetter.  in  Karls- 
ruhe als  Sohn  jüdischer  Eltern 
geboren,  kam  mit  seiner  Fami- 
lie nach  Nürnberg,  als  er  elf  Jah- 
re alt  war:  1Ö90  bestand  er  am 
Realgymnasium  die  Reifeprü- 
fung als  brilliantester  Schüler 
.seiner  Generation.  In  München 
studierte  er  Chemie;  er  war  43 
Jahre  alt,  als  er  für  seine  bahn- 
brechenden Arbeiten  über  Pflan- 
zenstoffe, insbesondere  die  Frei- 
legung von  Chlorophyll .  den  No- 
belpreis für  Chemie  erhielt.  Sei- 
ne praktischen  biologischen  Ar- 
beiten waren  die  Grundlage  der 
Ernährung&politik  der  deutschen 
Regierung  im  ersten  Weltkrieg; 
dennoch  legte  er  noch  vor  1933, 
pfer  vieler  Anschuldigungen, 
erbittert  seinen  Lehrstuhl  nie- 
er,  verlor  später  auch  alle  son- 
stigen Aemter  un<i  musste  1939 
schliesslich  bei  Nach^t^und  Nebel 
Deutschland  verlassen.  Er  starb 
wenig  später  in  der  Schweiz. 

Bei  der  Nürnberger  Feier  im 
Realgymnasium  hielt  ein  ehema- 

:  liger  Schüler  Willstaetters.  Pro- 
fessor Kuhn  von  der  Universität 
Heidellberg,  die  Festrede,  der  die 
Ausgabe  von  Stipendien  —  zu- 
meist finanziert  von  der  chemi- 
schen Industrie  Deutschlands 
und  der  Schweiz  —  für  begabte 
Chemiestudenten  bekivnn  tgab , 
die  fortan  als  "Willstaetter-Preis" 
verteilt  werden  sollen.  Der  Di- 
rektor der  Schule  rüh^mte  in  sei- 
ner Ansprache,  dass  Willstaetter 
"der  Erinnerung  an  seine  Schu- 
le ebenso  treu  geblieben  sei  wie 
dem  Glauben  seiner  Väter  .  .  . 
Höchste  Achtung  verdient  die 
Tapferkeit,  mit  der  Willstaetter 
sein  wahrhaft  erschütterndes 
Schicksal  trug  .  .  .  Mit  der  Wahl 
des  Namenspatrons  schliessen 
wir  alle  ehemaligen  jüdiscihen 
Schüler  unserer  Anstalt  in  unser 
ehrendes  Gedenken  ein." 

An  der  Feier  nahm  u.  a.  auch 
Senator  Jean  Mandel  teil,  Vor- 
sitzender der  jüdischen  Gemein- 
de Fürth  und  einziges  jüdisches 
^Mitglied  des  Bayerischen  Sena- 
tes. Kurt   L.   Metzger 

rung  in  Bonn  Ist  natürlich  nicht 
nur  mit  Schwächen  der  Parteien 
und  der  Politiker  zu  begründen, 
Aussenpolitisch   ist    der   Manöv- 
rierraum für  Bonn  noch  kleiner 
'  geworden      und      innenpolitisch 
I  sind  die  guten  Jahre  des  Wirt- 
'  Schaftswunders    vorüber.    Beides 
der  öffentlichkeit  zu  sagen,  zu 
;  erklären    und    daraus   politische 
Konsequenzen  zu  ziehen,  hat  die 

die  Regierung  allein  nicht  die 
Kraft.  "Schmerzliche  Entschei- 
dungen", von  denen  Adenauer 
als  für  die  deutsche  Politik  eines 
Tages  unausweichlich  gespro- 
chen hat,  dürften  sich  tatsäch- 
lich nur  fällen  la.ssen,  wenn 
CDU/CSU  und  SPD  zumindenst 
auf  Zeit  Partner  in  der  Regie- 
rung werden.  Das  aber  kann  Er- 
hard nicht  wollen,  während  die 
SPD  mit  ihrem  artigen  regie- 
rungsfähigen Verhalten  das  Ziel 
zu  erreichen  hofft. 


ZlZl  Broadway,  New  York,  N.T.  1002S 

Phone   iZlZ)   TR  3-7400 

Cable  Address:  Aufbau  New  York 


Manfred  George 

Editor  1939—1965 

Acting    Editor:    Dr.    Hans    Stei- 

nitz;  Advertising^  Manager:  John 

M.  Harold;  Circulation  Mana^^er: 

Werner  D.  Wohl. 

AUFBAU  COMMITTEE:  Alfred 
Prager  (Chairman),  Ludwig  Low- 
enstein  (President),  Michael 
Schnaittacher  (Trcasurcr).  Nor- 
bert Goldenberir  (Budget  Direc- 
tor),    Fritz    Schleger    (Director). 


ACHTUNG.  Für  unverlantt« 
Einsendung  ton  Manuskripten 
und  unverlangtem  anderen  Ma- 
terial (Photos,  Ausschnitte,  etc.) 
kann  keine  Verantwortunir  über- 
nommen werden.  Rücksendungen 
können  nur  erfolgen,  wenn  ein 
adressiertes  und  frankiertes  Ku- 
vert beigefügt  ist. 


SUBSCRIPTION    flATES: 

$1^.00    for    two    ycars;    $9. 00    for    on*    y*att 

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M*mb*r    of    Audrt    Bureau    of    Circtlation. 

RM.  U.  S.   Pat.  Off.   No.  422,891 

Publishod  wc«kly  by  Now  World  Club,    %n%, 

Snt«red  as  second-ciass  matter  Jaruarr  Jtk, 

1940,   at   the  New  York   Post   Offic*  undar 

Act  of  March  3.   1879. 

Alle  vierzehn  Tage  erscheinen  dlt 
Beilagen  "Der  Zeitgeist",  "Die  West- 
küste" und  "Die  Wiedergnitma<;hung* 

Copyright    I9«S    by    N*w    World   Club,    Ine. 

Tj'pe  set  by  Pentagon  Prlnting  Co. 


Vol.  XXXII— No.  5 

ABC 


Feb.  4,  196« 

442      ABC 


Ehrungen  Prof.  E.  J.  Gunribels 

Professor  E.  J.  Gumibel,  der 
führen<le  G'Melvi"-te- 
schaften  der  Statistik  und  Ver- 
sicherungsmathematik,  der  frü- 
her in  Heidelberg  und  Gren'>ble 
lehrte  und  jetzt  der  Fakultät  der 
New  Yod'ker  Columbia-Univeri- 
tät  angehört,  hat  vom  Bundes- 
gesundheitsdienst  der  Vereinig- 
ten Staaten  ein  Stipendiuh.  zur 
Fortführu).g  seiner  Studien  über 
die  Statistische  Theorie  der  Ex- 
tremwerte erhalten.  Senator  Ro- 
bert Kennedy  (New  York)  schick- 
te Ihm  aus  diesem  Anlajss  ein 
Glückwunschtelegraimim,  das  der 
Gelehrte  erhielt,  bevor  er  nocli 
über  die  Bewilligung  des  Stipen- 
diums informiert  worden  war, 
und  das  demnach  die  erste  Nacli- 
richt  über  die  bevorstehende  Eih- 
rung  war. 

Professor  Gumbels  Buch  über 
dieses  Arbeitsfeld. "The  Statistica 
of  Extremes"  (Columbia  Univer- 
sity  Press.  New  York)  ist  .mittler- 
weile in  japanischer  Ueberset- 
zung  erschienen  und  erscheint 
jetzt  auch  in  russischer  Ueber- 
setzung.  -tz 


Lerntag  der  ^Tederation" 

Sunday,   February  6, 
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American  Federation  of  Jews 
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I  Avenue  at  45  Street)  —  Second 
i  Lerntag:.  Morning  session  10  am. 
!  to  12:30  p.m.  Lecture  by  Mr.  Pe- 
;  ter  Stadclmayer.  Program  Di- 
j  rector  of  Goethe  House:  "Ger- 
I  man  Developments  since    1945.'* 

Joint  Luncheon  session:   2  p.m. 

to  2:30  p.m.   Afternoon  session: 

2  p.m.  to  4  p.m.:  Lecture  by  Dr. 

Joachim  Prinz.  President  of  the 
j  American  J  e  w  i  s  h  Congress: 
j  "German-Jewish  Relations  since 

1945". 


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Geschichte  -  national  verengt 


ABBA  EBAN:  Dies  ist  mein  Volk.  Die  Geschichte 
der  Juden.  Droemersche  Verlagsanstalt,  Zürich. 
447  Seiten,  Leinen,  20,80  DM. 

Die  Geschichte  der  Juden  von  den  ältesten 
Patriarchensagen  bis  zur  Gegenwart  —  das  ist 
ein  faszinierendes  Thema,  denn  welches  andere 
Volk  ist  durch  die  Jahrtausende  hindurch  so  eng 
mit  der  Weltgeschichte  verbunden  wie  dieses! 
Im  19.  Jahrhundert  hat  ein  gelehrter  Rabbiner, 
(^raetz,  diese  Geschichte  als  Religions-  und  Gei- 
stesgeschichte zu  schreiben  versucht,  im  20. 
Jahihundert  ein  ostjüdischer  Sozialist,  Dubnow, 
als  sozialgeschichtliches  Entwicklungsbild. 
Beide  Werke  sind  vielbändige  und  vielschichtige 
Darstellungen,  in  manchen  Teilen  noch  immer 
lesenswert.  Das  neue  Buch  des  israelischen 
Außenministers  Eban  ist  für  ein  breiteres  Publi- 
kum geschrieben,  flüssig,  schwungvoll  und  in 
seiner  Art  ebenso  einseitig  wie  die  Werke  seiner 
gelehrten  Vorgänger. 

Es  sieht  die  jüdische  Geschichte  von  einem 
streng  nationalen  Gesichtspunkt,  mit  der  Staats- 
bildung der  Zeit  König  Davids  als  erstem  und 
der  Staatsgründung  der  Zionisten  in  unserem 
.Jahrhundert  als  zweitem  Höhepunkt.  Alles,  was 
dazwischen  liegt,  interessiert  den  Autor  vor 
allem  im  Hinblick  auf  Bewahrung  und  Gefähr- 
dung einer  nationalen  Volkssubstanz.  Dadurch 
kommt  zu  kurz,  was  das  Judentum  der  Mensch- 
heit gegeben  hat,  kommt  auch  viel  zu  kurz  weg, 
was  es  von  seiner  Umwelt  her  an  Werten  auf- 
nahm. Beides  kann  ein  gebildeter  Mann  wie 
Eban  natürlich  nicht  ignorieren;  er  will  es  auch 
—  schon  aus  nationalem  Stolz  —  nicht  ver- 
schweigen. Aber  die  jüdische  Religion  interes- 
.viert  ihn  im  Grunde  nur  als  ein  Überbau  natio- 
naler Entwicklung,  und  wenn  jüdische  geistige 
Leistungen  universale  Bedeutung  gewinnen,  be- 
trachtet er  sie  immer  etwas  sorgenvoll  als  Sym- 
ptome einer  Assimilation  an  die  Umwelt  auf 
Kosten  der  Volkssubstanz. 

Das  Buch  wird  trotzdem  schon  durch  seine 
Zusammenschau  des  vielseitigen  Themas  und 
seine  suggestive  Schreibweise  jedem  Leser  Ein- 
druck machen.  Man  muß  es  freilich  vorsichtig 
benutzen,  auch  wegen  seines  allzu  pietätvollen 
Umgangs  mit  jüdischen  Traditionen,  die  die 
deutsche,  holländische,  englische  Religionswis- 
senschaft schon  weit  kritischer  behandelt  hat. 
Die  monarchistische  Legende  von  dem  jungen 
David,  der  den  Philisterriesen  Goliath  erschla- 
gen haben  soll,  hat  zwar  nicht  nur  die  jüdische, 
sondern  auch  die  christliche  Erbauungsliteratur 
und  Balladendichtung  mit  einem  beliebten  Stoff 
versorgt.  Aber  neben  dieser  an  drei  biblischen 
Stellen  so  königsfromm  retuschierten  Überliefe- 
rung ist  doch  immer  noch  eine,  zweifellos  ältere 
in  der  Bibel  übriggeblieben,  wonach  der  Besie- 
ger des  Philisters  ein  Ritter  namens  Eljakim  ge- 
wesen ist. 

Ein  paar  Jahrhunderte  später  weiß  der  Autor 
die  Bedeutung  der  persischen  Weltreichsbildung 
und  andeutungsweise  auch  der  persischen 
Nationalitätenpolitik  für  die  Erhaltung  des 
Restes  der  Juden  in  einer  eigenen  Gemeinschaft 
zu  würdigen.  Aber  der  Einfluß  persischen  Den- 
kens auf  die  Bildung  religionsgeschichtlicher 
Begriffe  wie  der  des  Menschensohnes  (bei 
Daniel)  und  ihr  Weiterwirken  im  Christentum 
bleibt  außerhalb  seines  Gesichtskreises.  Audi  in 
der  Auseinandersetzung  zwischen  dem  Hellenis- 
mus und  dem  Judentum  geht  er  nicht  .so  sehr  der 
starken  griechisclien  Einwirkung  auf  spätjüdi- 


sches Denken  nach  als  vielmehr  der  Abwehr  der 
Hellenisierung  durch  die  Makkabäer.  Jesus  ist 
für  Eban  nur  ein  jüdischer  Prophet,. den  er  übri- 
gens den  Pharisäern  zurechnet. 

Religionsgeschichtliche  Unterscheidungen 

sind  auch  sonst  nicht  seine  Stärke:  schon  in  der 
frühkananäischen  Zeit  schreibt  er  den  jüdischen 
Stämmen  eine  „monistische"  Gottesvorstellung 
zu,  während  die  Geschichte  der  Eroberung  des 
Landes    doch    Dutzende    von    Zeugnissen    ihrer 
Scheu  vor  anderen  Göttern  neben  dem  eigenen 
Stammesgott  bewahrt.  Einige  Verlegenheit  be- 
reitet Eban   auch   die  Annahme   der  jüdischen 
Religion    durch    die    herrschende    Schicht    des 
frühmittelalterlichen  Chasarenreiches  im  heuti- 
gen Südrußland,  die  nicht  aus  Semiten  bestand. 
Verständnisvoller    folgt    der    Autor    der    Ge- 
schichte   der    Juden    im    späteren    Mittelalter, 
wobei    er    den    Zusammenbruch    der    jüdischen 
Kulturblüte  in  Spanien  als  ein  Exempel  der  Un- 
möglichkeit   dauernder    jüdischer    Existenz    in 
fremder    Umwelt    behandelt.    Zu    kurz    kommt 
dabei    wieder    der    Einfluß    der    nichtjüdischen 
Traditionen  auf  die  spanischen  Juden,  großartig 
bezeugt  in  der  langen  Liste  ihrer  Übersetzungen 
aus  dem  Arabischen.  Lehrreich  ist  der  Überblick 
über  die  Verteilung  der  aus  Spanien  Vertriebe- 
nen  auf  andere  Länder.   Eine  verständnisvolle 
Skizze  der  ostjüdischen  My.stik  des  Chassidismus 
wird  durch  eine  weniger  fundierte  Geschichte 
der  Emanzipationsbewegung,  zumal  in  Deutsch- 
land,   ergänzt.    Die    gröbsten    Irrtümer    dieses 
Kapitels  kommen  wohl  auf  Kosten  der  Überset- 
zer: Humboldt  war  kein  Abgeordneter  und  Ga- 
riel  Riesser,  der  Sprecher  der  liberalen  Juden  in 
der     Frankfurter     Nationalversammlung,     kein 
Preuße.  Deutsche  Geschichte  ist  auch  sonst  ver- 
zeichnet. Weder  hat  Bismarck  eine  Staatsform 
nach  dem  Gedanken  von  Kant  schaffen  wollen 
noch  waren  die  deutschen  Konservativen  Schü- 
ler des  (Nationalliberalen)  Treitschke. 

Sachkundiger  wird  dann  die  Darstellung  der 
Entstehung  des  Zionismus  in  Osteuropa  und  der 
Formierung  seines  Programms  durch  Theodor 
Herzl,  Weizmann  und  andere  politische  Führer. 
Die  Geschichte  der  Staatsgründung  und  der  ihr 
vorangehenden  Auseinandersetzungen  mit  der 
britischen  Mandatsmacht  hat  der  Autor  selbst 
miterlebt.  Er  schildert  sie  mit  innerer  Anteil- 
nahme und  feiert  die  Wiedergeburt  einer  neuen 
Nation  im  alten  Lande  der  Bibel.  Als  das  zweite 
Zentrum  des  Judentums  in  der  Welt  erkennt  er 
aber  die  zahlenmäßig  weit  stärkere  jüdische  Be- 
völkerung der  Vereinigten  Staaten  an.  Daß  dort 
jüdische  Religiosität  sich  differenzierter  entfal- 
tet als  in  Israel,  wo  sich  alle  Energie  auf  den 
wirtschaftlichen  Aufbau  und  die  militärische 
Verteidigung  konzentrieren,  kommt  allerdings 
nicht  zur  Sprache.  Ebans  Sorge  gilt  vielmehr  den 
Assimilationstendenzen  des  amerikanischen 
Judentums  an  sein  nichtjüdisches  Milieu.  Ge- 
genüber den  arabischen  Gegenspielern  des 
neuen  zionistischen  Staates  findet  er  einige  ver- 
söhnliche Worte.  Die  Problematik  der  Entwick- 
lung Israels  nach  dem  militärischen  Sieg  von 
1967  und  der  daduich  verhäiteten  Verieindung 
mit  den  Nachbarn  wird  noch  nicht  benandelt. 

Man  kann  von  einem  aktiven  Politikei-  wie 
Eban  nicht  erwarten,  daß  er  ein  unparteiisches 
Bild  der  Nation  gibt,  für  die  er  spricht;  er  ist  ihr 
Anwalt.  Wer  sich  das  im  Bewußtsein  hält,  wird 
viel  aus  dem  Buche  lernen  k<)nnen.  Der  Leser 
sollte  aber  nicht  vergessen,  daß  die  Tiadition. 


aus  der  die  großen  Figuren  des  Urchristentums 
und  moderne  Denker  von  Spinoza  bis  Karl  Marx 
hervorgingen  (die  sich  alle  aus  dieser  Tradition 
entfernten),  daß  dieses  geistige  Erbe  noch  weit 
reicher  ist  als  der  nationalpolitische  Hinter- 
grund des  kämpfenden  Zufluchtslandes  viele; 
Verfolgter.  Immanuel  Birnbau): 

Der  Berliner  Reichstag 

KLAUS-PETER   SCHULZ:   Der  Reichstag   gesten^ 
—  morgen.  Kranich-Verlag,  Berlin.  320  Seiten,  Lei- 
nen, 28  DM. 

Die  Neugier,  die  der  Autor  mit  dem  Titel  sei- 
nes   Buches    weckt,    bleibt    unbefriedigt.    Dcj^ 
Sozialdemokrat  Klaus-Peter  Schulz  weiß  auf  di( 
Frage,  was  mit  dem  für  100  Millionen  Mark  wie- 
der aufgebauten  Reichstagsgebäude  in  Westber-| 
lin  geschehen  soll,  nur  zu  sagen,  daß  er  sich  dort 
nicht  ein  Museum,  sondern  „eine  Stätte  der  poli-l 
tischen  Lebendigkeit  und  des  gesamtdeutschen! 
Bewußtseins"  wünscht.  Im  übrigen  hofft  er  au| 
die  Phantasie  derer,  „die  bei  aller  Verstrickunj 
in  den  Knäuel  einer  oft  unentwirrbar  anmuten] 
den    Gegenwartsproblematik    noch    zu    echter| 
Visionen  fähig  sind". 

Im  Vergleich  dazu  haben  sich  Christdemokra-j 
ten  wesentlich  genauer  geäußert.  Aus  ihren  Rei 
hen    kam    beispielsweise    der    Vorschlag,    ein 
Bannmeile  um  das  Areal  hart  an  der  Mauer  z 
ziehen  und  hinter  der  wilhelminischen  Fassad-^ 
Brandt  und  Stoph  verhandeln  zu  lassen.  Freilic 
ist  dieser  Gedanke  der  Verwirklichung  so  fen 
wie  der.  in  dem  Haus  ohne  Parlamentarier  d; 
Parlamentarier  ohne  Haus,  die  Mitglieder  de 
Ostberliner  Volkskammer,  tagen  zu  lassen.  ,j 

Nun  wollte  Schulz  sich  allerdings  nicht  dara.^ 
beschränken,  die  Frage  der  Nutzung  eines  mei 
leerstehenden  Gebäudes  zu  lösen.  Sie  diente  ih' 
vielmehr   als   Ausgangspunkt   einer  Würdigui 
des    deutschen    Parlamentarismus,    von    seine 
Anfängen  in  der  Frankfurter  Paulskirche  bis  z' 
unrühmlichen  Abdankung  im  Jahre  1933,  vollz 
gen  in  der  KroU-Oper,  da  der  Reichstag  seh 
abgebrannt  war.  Schulz  bietet  viele  Details  c 
für  das  Ganze  gilt  das  Urteil,  das  er  im  Vorwo 
selbst  spricht:  „Er  hat  sich  absichtlich  nicht  i 
eine  wissenschaftliche  Darstellung  bemüht,  so 
dern    lediglich    zur    Geschichte    des    deutsch. 
Reichstags    und    seiner    ehemaligen    Bewohrj 
spontan   alles   das   niedergeschrieben,   was   il 
hierzu  eingefallen  ist." 

Texte  zum  Nachschlagen 

MICHAEL  SCHWEITZER:  Internationale  Oru 
sotionen.  Verlag  Gehlen,  Bad  Homburg.  314  Seil 
broschiert,  8,80  DM. 

Da  das  Bändchen  unkommentierte  Texte 
öffentlicht,  ist  es  am  zweckmäßigsten,  hier  ar, 
geben,  um  welche  Verfassungen  von  Organ, 
tionen  oder  welche  Pakte  es  sich  handelt:  \ 
kerbund   1919,  UNO,  ILO  (Arbeitsorganisati 
OAS    (Organisation    Amerikanischer    Stac 
Europarat,  Liga  der  Arabischen   Staaten, 
(Organisation       der       Afrikanischen       Ein 
NATO,  WEU  (Westeuropäische  Union),  SE 
(Südostasienpakt)     und    Warschauer    Pakt 
nützlich  es  für  den  mit  der  Zeitgeschichte 
faßten    sein    mag.    diese    Texte    griffbere. 
haben  —  der  breitere  Kreis  der  Nichtfach 
dürfte  aus  den   nackten,  den   nicht  erläutt  'J 
Wortlauten  kaum  viel  Honig  saugen.  Das  gl* 
gilt  für  die  acht  Seiten  Literaturhinweise: 
einer  Angabe  wie  etwa  „BASSET:  The  Lc 
of  Nations  (1928)"  ohne  Verlagsort  und  ohne 
loilung,  ob  es  sich  um  eine  Quellenedition 
Sekundäj-literatur  handelt,  wird  nur  dei-  ei 
lene  Benutzer  großer  Bibliotheken  etwas  ai. 
gen  können. 


REFERENCEi 


Karl  Erich   Born,    Der   soziale   und  wirtschaftliche   Strukturwandel 

^ Deutschlands    in  Viertel jahsschrift    fuer   Jozial 

und   v/irtschaf  tsgeschichte  ,  1965,^.261 

Theodor   Geiger,      Die   soziale  Schichtung   des   deutschen   Volkes, Stuttgart 
/^  1932, Neu  druck    1967 


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Die  gleiche  Sprache: 
Erst  für  Hitler  -  jetzt  für  Ulbricht 


von  Simon  Wiesenthal 
am  6.  September  1968 


in  Wien 


eine  Dokumentation 

der 

deutschland-berichte 


Inhalt 


Seite 


Die  gleiche  Sprache  wie  in  der  Hitlerzeit 

Die  Pressekonferenz  von  Simon  Wiesenthal 
im  Presseclub  Concordia  in  Wien 
am  6.  September  1968 

Nationalsozialistische  Elemente  in  Presse  und 
Propaganda  der  Deutschen  Demokratischen  Republik 


11 


Notwendige  Vorbemerkungen 

Prominente  NSDAP-Mitglieder  im  Dienst 
der  DDR-Propaganda 

Dokumente  zu  den  39  Fällen 


12 


25 


39 


Die  internationale  Presse  reagierte  überrascht 


67 


KönlostraS«  17  a 


Die  gleiche  Sprache  wie  in  der  Hitlerzeit 
Simon  Wiesenthals  Dokumentation 

Als  Simon  Wiesenthal,  der  Leiter  des  Dokumentationszentrums  des  Bun- 
des jüdischer  verfolgter  des  Naziregimes,  am  6.  September  1968  xm 
Presseclub  Concordia  in  Wien  seine  Dokumentation  "Nazionalsozialist.- 
sche  Elemente  in  Presse  und  Propaganda  der  Deutschen  Demokratischen 
Republik"  vorlegte,  wollte  man  es  nicht  glauben.  Mehr  als  ein  Jahr- 
zehnt trommelt  die  sowjetzonale  Propaganda,  die  Führung  der  "DDR", 
iimer  wieder  auf  der  Bundesrepublik  Deutschland  herum,  nur  in  West- 
deutschland säßen  die  Nazis.  Im  Bereich  der  kommunistischen  SED  von 
Walter  Ulbricht,  so  hat  er  es  formuliert,  hätten  alle  Nazis,  die  sich 
nunmehr  zur  komir.unistischen  Einheitspartei  bekennen,  ihre  Vergangen- 
heit hinter  sich  gelassen.  So  einfach  also  ist  es  auf  der  anderen 
Seite  Deutschlands. 

Die  Dokumentation  Wiesenthals  zeigt  nun  deutlich,  warum.  Die  gleichen 
Leute,  die  im  "Völkischen  Beobachter",  der  Parteizeitung  der  NSDAP, 
gegen' Juden  hetzten,  die  die  Gewalt  predigten,  sind  umgestiegen.  Sie 
wurden  Anhänger  Ulbrichts.  Diese  Konzentration  nationalsozialistischer 
Propaganda-Experten,  vor  allem  im  "Agitprop-Apparat"  der  Zone  ist  3a 
kein  Zufall.  Sie  ergibt  sich  aus  der  Verwandtschaft  von  Nationalsozia- 
lismus und  Komir^unismus  in  vielen  Zielen  und  Methoden.  Chruschtschow 
zun  Beispiel  formulierte  einst:  "Wir  werden  den  Kapitalismus  begraben" 
und  die  Nationalsozialisten  marschierten  auf  das  Lied:  "Denn  heute  ge- 
hört uns  Deutschland  und  morgen  die  ganze  Welt" .  In  der  Propagandame- 
thode sind  sich  beide  Systeme  gleich:  agitatorische  Erfassung  und 
Durchdringung  aller  Lebensbereiche  -  gesteigert  bis  zum  agitatorischen 
Terror.  Die  totale  Kontrolle  des  menschlichen  Bewußtseins  wird  ange- 
strebt. 

Wenn  man  die  Dokumente  und  die  Zusammenstellung,  die  Wiesenthal  erar- 
beitet hat,  durchblättert,  so  wird  deutlich,  wie  stark  das  Publika- 
tionswesen der  sowjetischen  Besatzungszone,  der  "DDR",  von  diesen  Leu- 
ten beherrscht  wird.  Sie  brauchen  ja  nicht  viel  Umschulung.  Wiesenthal 
sagt  deutlich,  daß  ja  nur  wenige  Worte  genügten,  um  glauben  zu  machen, 
der  Artikel  habe  nicht  im  "Völkischen  Beobachter",  sondern  in  der  heu- 
tigen Parteizeitung,  die  noch  bis  vor  wenigen  Jahren  auf  den  gleichen 
Maschinen  wie  der  "Völkische  Beobachter"  gedruckt  wurde,  im  "Neuen 
Deutschland",  gestanden.  Er  schildert  es  in  seiner  Pressekonferenz 
an  einigen  Beispielen. 


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Neue  Gruppen  haben  sich  formiert,  zum  Beispiel  in  der  Zeitschrift 
"Die  deutsche  Außenpolitik"  mit  Aust,  Kregel  und  Kroger,  die  Gruppe 
im  "Neuen  Deutschland"  unter  Führung  von  Kretzscher  mit  den  einfluß- 
reichen Helfern  Kegel,  Dengler,  Siebenmorgen.  Damit  sind  zwei  wichti- 
ge Punkte  der  gesamten  Publizistik  innerhalb  der  Zonenpresse  genannt. 
Eine  sehr  wichtige  "Mannschaft"  ist  die  sogenannte  "Nationaldemokra- 
tische Gruppe",  von  der  meistens  im  Zusammenhang  mit  der  "DDR"  über- 
haupt nicht  gesprochen  wird,  die  aber  bewußt  von  Ulbricht  gegründet 
wurde,  um  die  "nationalen"  Elemente  auf  gleichem  Kurs  mit  eigener 
Flagge  zu  halten.  Eine  Dreiergruppe  kann  m.an  zu  den  leitenden  Publi- 
zisten zählen:  Es  sind  Stößlein,  Zander  und  HofS.  Dazu  gehören  nach 
Arnold,  Ball,  Caspar,  Hampe,  Hempelmann,  Riess,  Scurla  und  der  vor 
kurzem  verstorbene  Stiehler.  Auch  die  CDU-Ost,  die  auch  eine  Satelli- 
tenpartei Ulbrichts  ist,  hat  ihre  eigenen  ehemaligen  NS-Publizisten 
mit  Höhn  und  Gast  an  der  Spitze,  mit  Schnabel  und  Ulrich.  Diese  Grup- 
pierungen sind  bedeutsam,  weil  sie  im  Gegensatz  zu  einem  freien  demo- 
kratischen Staat  mit  dieser  handvoll  Leuten  in  der  Lage  sind,  die  ge- 
samte öffentliche  Meinung  zu  manipulieren.  In  unserem  Staat,  wo  die 
Presse  frei  ist,  gibt  es  derartige  Einflüsse  nicht.  Man  muß  daher  die 
Wiesenthal 'sehe  Dokumentation  unter  dem  Gesichtspunkt  lesen,  daß  hier 
die  gleichen  Töne  gegen  Zionisten,  gegen  Israel,  von  den  gleichen 
Schreibern  geblasen  werden,  wie  einst  unter  der  braunen  Herrschaft. 
Darin  liegt  die  Bedeutung,  im  Gleichklang  der  Töne.  Darin  liegt  die 
Bedeutung  der  Arbeit  Simon  Wiesenthals.  Er  hat  der  Welt  gezeigt,  daß 
sie  nicht  auf  die  Moralprediger  aus  Ostberlin  hereinfallen  soll,  um 
zu  glauben,  dort  habe  sie  ein  "sauberes"  Deutschland  im  Gegensatz  zur 
Bundesrepublik  vor  sich.  Die  Dokumentation  Simon  Wiesenthals  zeigt 
vielmehr,  daß  diese  Leute  die  Vergangenheit  nur  zu  ihrem  propagandi- 
stischem Geschäft  benutzen,  daß  es  ihnen  nicht  darum  geht,  wie  sie 
immer  behaupten,  einen  neuen  Geist,  eine  freie  Meinung  gegen  die  alte 
Diktatur  zu  stellen.  Darum  ist  es  wichtig,  das,  was  in  Wien  am  6. 
September  der  Öffentlichkeit  übergeben  worden  ist,  festzuhalten.  Da- 
rum haben  wir  diese  Dokumentation  mit  dem,  was  Simon  Wiesenthal  auf 
seiner  Pressekonferenz  sagte,  in  diesem  Heft  festgehalten. 


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Die  Pressekonferenz  von  Simon  Wiesenthal  im  Presseclub  "Concordia" 

in  Wien  am  6.  September  1968,  lo.3o  Uhr 

Hof rat  Rudolf  Kalmar,  Ehrenpräsident  des  Journalistenverbandes: 

Die  heutige  Pressekonferenz  ist  einem  alten  Bekannten,  dem  Diplom- 
Ingenieur  Simon  Wiesenthal,  gewidmet.  Das  Thema,  das  er  behandelt, 
lautet:  "Nationalsozialistische  Elemente  in  Presse  und  Propaganda 
der  Deutschen  Demokratischen  Republik".  Ich  habe  zum  Thema  selbst 
nichts  zu  sagen  und  bitte  Herrn  Ingenieur  Wiesenthal,  das  Wort  zu 
ergreifen. 

Wiesenthal:  Meine  sehr  geehrten  Damen  und  Herren,  liebe  Kollegen  und 
Kolleginnen!  Die  Ergebnisse  der  Arbeit,  die  ich  Ihnen  heute  vorgelegt 
habe,  war  vor  Jahresfrist  geplant.  Sie  wurde  durch  die  Schreibweise 
der  Zeitungen  der  Deutschen  Demokratischen  Republik  ausgelöst,  die 
sich  krass  unterschieden  von  der  Schreibweise  der  Zeitungen  des  Ost- 
blocks. Nachdem  ich  selber  fast  alle  östlichen  Sprachen  beherrsche 
und  die  Terminologie,  die  verwendet  wird,  kenne  -  ich  lebte  zwei  Jah- 
re in  der  Sowjetunion,  ich  war  in  Polen,  studierte  in  der  Tschechos- 
lov;akei  -  fiel  mir  gleich  auf,  daß  in  den  Zeitungen,  sei  es  in  "Neues 
Deutschland",  sei  es  in  "Deutsche  Außenpolitik"  oder  wie  sie  alle 
heißen,  eine  Terminologie  verwendet  wurde,  die  an  etwas  bestimmtes 
erinnert  hat. 

Wir  machten  in  unserem  Büro  so  etwas  wie  ein  Puzzlespiel.  Wir  nahmen 
alte  Zeitungen  von  vor  3o  Jahren,  den  "Völkischer  Beobachter"  oder 
das  "Schwarze  Corps"  und  entfernten  einige  Worte  und  ersetzten  sie 
durch  die  gebräuchlichen  Worte  in  der  Presse  der  DDR.  Das  heißt, an 
die  Stelle  des  Wortes  "Jude"  schrieben  wir  "Zicnist"  und  anstatt  "Na- 
tionalsozialismus" "Friedenslager  oder  sozialistisches  Lager".  Und 
auf  einmal  sahen  diese  Artikel  so  aus,  als  wären  sie  nicht  vor  3o 
Jahren,  sondern  vor  etwa  einem  halben  oder  einem  Jahr  in  der  Presse 
erschienen.  Das  "Dokumentationszentrum"  befaßt  sich  prinzipiell  nur 
mit  Kapitalverbrechen.  Von  Zeit  zu  Zeit  haben  wir  auch  eine  Dokumen- 
tation über  Dinge  herausgegeben,  die  mit  Mord  als  solchem  nichts  zu 
tun  haben.  Wir  haben  zum  Beispiel  auch  im  vorigen  Jahre  eine  Dokumen- 
tation über  Leute,  die  in  der  Bundesrepublik  tätig  sind,  herausgegeben, 
die  früher  Eesatzungsblätter  der  Nazis  geleitet  haben.  Wir  haben  eine 
Dokumentation  über  Herrn  Dr.  Tötter,  der  noch  vor  zwei  Jahren  Presse- 
chef des  Deutschen  Beamtenbundes  war. 

Früher  leitete  er  die  "Brüsseler  Zeitung",  und  schrieb  darin  blutrün- 
stige Artikel.  Durch  die  ständige  Propaganda  aus  der  DDR  in  Richtung 


Westen  war  es  irgendwie  auch  schwer  zu  glauben  -  vielleicht  haben 
wir  einen  Teil  der  Propaganda  in  unser  Unterbewußtsein  aufgenoirmen  - 
daß  auch  dort  Leute  sein  können, die  ihre  Feder  in  die  Tinte  von 
Goebbels  eingetaucht  haben  und  gegen  die  Demokratie,  gegen  die  Juden 
verwendet  haben.  Diese  Schreibweise  brachte  unn  auf  die  Idee,  der  Sa- 
che nachzugehen.  Ich  glaube,  die  Journalisten  hier  im  Saal  sind  sich 
dessen  bewußt,  was  es  heißt,  in  einem  abgeriegelten  Staat  zu  recher- 
chieren, ich  war  m.ir  im  klaren,  wenn  ich  jemanden  nach  Ostberlin  schik- 
ken  sollte,  nur  um  die  Liste  der  Mitarbeiter  von  "Neues  Deutschland" 
mitzubringen,  da  würde  ich  ihn  zwei  oder  drei  Jahre  nicht  wiedersehen. 
Die  Dokumentation,  die  ich  Ihnen  vorlege,  hat  keinen  Anspruch  komplett 
zu  sein.  Im  Verlaufe  von  mehreren  Monaten  haben  wir  aus  verschiedenen 
Archiven,  aus  Veröffentlichungen,  aus  SS-  und  Partei-Listen  die  Anga- 
ben herausgeholt  und  geben  Ihnen  heute  39  Namen  bekannt.  Wir  hatten 
bedeutend  mehr,  aber  wir  wollten  die  Sache  nicht  verwirren,  wir  woll- 
ten nur  diese  Leute  in  die  Dokumentation  hereinbringen,  die  heute  eine 
Position  innerhalb  der  Presse  und  Propaganda  haben  oder  die  in  der  Na- 
zizeit eine  derartige  Position  hatten,  auch  wenn  sie  heute  auf  weni- 
ger wichtige  Posten  abgesetzt  wurden. 

Ich  möchte  vorausschicken:  Diese  Dokumentation  ist  keine  Waffe  inner- 
halb eines  "Kalten  Krieges".  Wir  haben  unser  Dokumentationszentrum. 
Ich  persönlich  habe  im  Laufe  der  Jahre  bewiesen,  daß  für  mich  die 
Nachforschungen  nach  nationalsozialistischen  Aktivitäten  und  Aktivi- 
sten keine  Einbahnstraße  ist.  Sie  soll  auch  keine  Einbahnstraße  blei- 
ben, denn  wenn  Anti-Faschismus,  dann  gegen  alle,  die  Faschisten  sind 
oder  die  sich  faschistischer  Methoden  bedienen.  Ich  möchte  sagen,  daß 
wir  die  Aufklärungskampagnen  aus  der  DDR  und  die  Dokumente,  die  aus 
der  DDR  gekommen  sind,  immer  begrüßt  haben,  auch  wenn  wir  wußten  und 
überzeugt  sind,  daß  sie  nicht  der  Gerechtigkeit  dienen  sollten,  son- 
dern als  politischer  Trumpf.  Dadurch  hat  sich  vieles  erhellt.  Aber 
diese  Leute,  die  jahrelang  das  Monopol  ausgeübt  haben,  der  ständige 
Ankläger  zu  sein,  sollen  auch  einmal  sehen,  daß  diese  Rolle  ihnen 
nicht  zu  Gesicht  steht,  daß  der  erhobene  Zeigefinger  in  Richtung  We- 
sten, mit  dem  sie  immer  operiert  haben,  einmal  auch  umgedreht  werden 
kann  gegen  diese  Leute  selbst.  Wir  müssen  verstehen,  daß  die  Presse 
und  Propaganda  in  einem  totalitären  Staat  eine  besondere  Rolle  spielt. 
Sie  wirkt  nicht  meinungsbildend  oder  willensbildend  unter  der  Bevölke- 
rung, sondern  vermittelt  Befehle  von  oben,  um  richtungsweisend  zu  sein, 
denn  es  gibt  keine  öffentliche  Meinung,  nur,  die  eben  von  oben  kommt. 


in  dieser  Dokumentation  werden  Sie  Leute  finden,  wie  zum  Beispiel  den 
Pressechef  der  DDR-Regierung,  Kurt  Blecha.  Sie  finden  hier,  wann  er 
zur  NSDAP  ging,  seine  Mitgliedsnummer.  Ein  Pressechef  einer  Regierung 
in  einem  solchen  Staat  hat  mindestens  die  Bedeutung  eines  Ministers 
in  einem  westlichen  Staat.  Sie  werden  hier  unter  den  Leuten  auch  den 
Präsidenten  der  Reichsrundfunkkammer  finden.  Ich  habe  Ihnen  einen 
Auszug  der  Erklärung  von  Hans  Fritzsche  in  Nürnberg  beigelegt,  was  er 
über  Herrn  Horst  Dressler-Andress,  der  heute  im  Agit-Prop  tätig  ist, 
gesagt  hat.  Wie  erfolgte  die  Machtübernahme  im  Rundfunk?  Herr  Dressler- 
Andress  ist  seit  1929  Parteigenosse  gewesen.  Er  war  der  Gründer  des  na- 
tionalsozialistischen Rundfunks,  er  bestimmte  alles,  er  war  der  Kunst- 
mäzen. Sie  werden  hier  eine  Zeitung  "Deutsche  Außenpolitik"  aus  Ost- 
berlin beigelegt  finden.  Der  Chefredakteur,  Herr  Aust,  ein  National- 
sozialist. Wir  geben  an  wo  und  für  wen  er  tätig  war.  Ein  weiterer 
Leiter  in  dieser  Zeitung,  Herr  Gesandter  Kegel.  Wir  legen  Ihnen  ein 
Schreiben  bei  vom  Auslandsnachrichtendienst  der  NSDAP  an  Herrn  Kegel 
nach  Warschau.  Er  war  getarnt  in  Warschau,  im  Jahre  1937  als  Korres- 
pondent der  "Breslauer  Neuesten  Nachrichten" .  Es  gibt  nicht  viele 
Korrespondenten  von  Zeitungen,  die  einen  diplomatischen  Status  haben, 
wenn  er  ihn  hat,  dann  braucht  er  ihn.  In  dieser  Zeitung  "Deutsche 
Außenpolitik"  schreibt  auch  ein  Herbert  Kroger.  Dieser  Mann  war  bex 
der  SS  und  war  für  das  SD-Hauptamt  tätig.  Auch  von  der  alten  Garde 
des  Führers  haben  wir  einen  in  der  Sammlung.  Ich  habe  den  Namen  ver- 
gessen, aber  sie  finden  ihn.  Ein  Parteigenosse  aus  dem  Jahre  1925  mit 
einer  Parteinummer  von  ll.ooo  bei  neuneinhalb  Millionen.  Wir  haben 
darunter  auch  einen  österreichischen  Illegalen,  der  im  Jahre  1939  an 
die  Reichskanzlei  geschrieben  hat,  wir  haben  dort  den  Text,  er  bittet 
seine  Verdienste  um  die  Ostmark  anzuerkennen.  Es  sind  Kriegberichter 
da.  Wir  legen  Ihnen  Artikel  vom  "Völkischen  Beobachter"  dieser  Leute 
bei.  Sie  sind  heute  in  der  Presse  der  SED  und  der  NDP,  sowie  in  der 
LDP  und  der  Ost-CDU  tätig.  Und  nun  ein  markanter  Satz  einer  Kriegsbe- 
richterstattung: "Unsere  Tiegerpanzer  zerquetschen  die  asiatischen 
Untermenschen  wie  die  Wanzen".  Einer  war  ein  sehr  wichtiger  Mann.  Er 
ist  vor  einigen  Monaten  verstorben.  Herr  Wilhelm  Stiehler,  Stadtver- 
ordneter in  Leipzig.  Er  war  eine  Zeit  lang  auch  in  der  Volkskammer, 
ich  habe  eine  Reihe  von  antisemitischen  Artikeln,  die  er  geschrieben 
hat.  ES  sind  Leute,  die  in  ihrem  Lebenslauf  zur  Aufnahme  an  die  NSDAP 
geschrieben  haben,  daß  sie  sich  verdient  gemacht  haben  um  die  Entju- 
dung  der  deutschen  Kultur.  Und  das  sind  die  Ent juder,  die  heute  dort 
in  der  Presse  tätig  sind  und  die  Krokodilstränen  heute  vergießen  um 
zu  zeigen,  daß  irgendwie  hier  oder  dort  ein  Antisemit  tätig  ist.  Das 


8 

Stimmt.  Aber  das  soll  uns  vielleicht  nur  ablenken  von  dem,  daß  auch 
dort  diese  Leute  tätig  sind.  Um  zu  diesen  39  Namen  zu  kommen,  haben 
wir  etwa  600  Namen  durchgearbeitet.  Nicht  bei  allen  konnten  wir  alles 
überprüfen  und  nicht  alles  schien  uns  wichtig. 

Als  diese  Dokumentation  fertig  war,  es  war  im  April  dieses  Jahres, 
begannen  die  Ereignisse  in  der  Tschechoslowakei,  und  wir  wollten  nicht 
durch  diese  Publikation  irgendwie  beschuldigt  werden,  daß  wir  uns  in 
einen  Konflikt  einmischen.  Für  die  anderen  wäre  es  ein  Trumpf  gewor- 
den, sie  hätten  gesagt:  Natürlich  die  Juden  aus  dem  Ausland,  die 
kämpfen  an  gegen  die  Gegner  von  Dubcek  usw.  Da  sagten  wir  uns  nein, 
wir  warten  damit.  Es  ist  das  erste  Mal,  daß  man  mit  einer  derartigen 
Dokumentation  herauskommt.  Die  Zeit  spielt  keine  Rolle.  Es  wird  der 
Zeitpunkt  kommen,  sonst  hätten  wir  Juden,  wie  schon  seit  Jahrhunder- 
ten einmal  den  Sündenbock  abgegeben. 

Der  Zeitpunkt  war  gekommen.  Am  vorvorigen  Sonntag  stand  in  der  SED- 
Zeitung  "Neues  Deutschland"  ein  Artikel  "In  Prag  regiert  der  Zionis- 
mus". Jetzt  sahen  wir,  daß  diese  Leute  am  Ende  ihrer  Argumente  sind: 
"Der  Jude  ist  schuld".  Und  als  die  Besetzung  der  Tschechoslowakei  im 
Jahre  1939  endgültig  erfolgt  ist,  da  erschien  im  "Völkischen  Beobach- 
ter" auch  eine  Überschrift:  "In  Prag  regiert  das  Judentum".  Ich  glau- 
be nicht,  daß  es  hier  notwendig  ist  zu  erklären,  daß  unter  den  14 
Millionen  Tschechoslowaken  nur  14. 000  Juden  leben,  also  ein  Promille. 
Daß  die  überwiegende  Mehrheit  von  ihnen  weit  über  60  Jahre  alt  ist 
und  daß  es  sich  hier  um  Leute  handelt,  die  mit  kleinen  Ausnahmen  über- 
lebende aus  dem  Konzentrationslager  sind.  Und  daß  die  Leute,  die  Bin- 
dungen an  Israel  und  an  den  Zionismus  hatten,  wie  auch  in  anderen 
Ostblockstaaten  mit  Ausnahme  der  Sowjetunion,  dieses  Land  längst  ver- 
lassen haben.  Ich  glaube,  mit  diesen  einleitenden  Worten  habe  ich  den 
Zweck  der  heutigen  Pressekonferenz  umrissen,  und  ich  bin  bereit,  so- 
weit ich  dazu  im  Stande  bin,  Ihnen  auf  Ihren  Fragen  Antwort  zu  geben. 

Fragen  der  Journalisten 

Frage:  "Ist  Ihnen  die  Identität  der  Journalisten  bekannt,  die  in  der 
Ostdeutschen  Presse  jetzt  besonders  in  der  anti- tschechischen  Kampag- 
ne hervortreten? 

Wiesenthal:  Diese  Artikel  sind  meistens  nicht  gezeichnet.  Es  kommen 
Redaktionsartikel.  Wir  kennen  nur  einzelne  Journalisten,  die  in  diesen 
Zeitungen  tätig  sind,  aber  ich  sagte  eingangs:  Wenn  jemand  z.B.  die 
Liste  der  Mitarbeiter  vom  "Kurier"  in  Österreich  haben  möchte  oder 
von  der  "Welt"  in  Hamburg  schafft  er  es  an  einem  Nachmittag  ohne  Be- 
schwerden. Das  schafft  er  aber  nicht  beim  "Neues  Deutschland".  Nicht 
in  einem  halben  Jahr. 


Frage:  Frage  zum  Fall  Schnabel.  Ob  es  gerechtfertigt  ist,  ihn  in  die- 
ser Liste  aufzunehmen.  Raimund  Schnabel  war  zwar  HJ-Bann-Führer,  hat 
sich  aber  dann  als  ganz  junger  Mensch  in  Gegnerschaft  zum  Nationalso- 
zialismus gestellt,  wurde  zum  Tode  verurteilt,  wurde  dann  in  das  KZ 
Mauthausen  eingeliefert  und  hat  nach  dem  Kriege  die  Dokumentation 
"Macht  ohne  Moral"  in  der  Bundesrepublik  veröffentlicht,  hat  dann 
"Die  Frommen  in  der  Hölle  -  Priester  in  Dachau"  geschrieben  und  er 
ist  jetzt  nicht  Redakteur  einer  Zeitung,  sondern  freischaffender 
Schriftsteller  in  der  DDR.  Ich  glaube  nicht,  daß  es  gerechtfertigt 
ist,  ausgerechnet  Raimund  Schnabel  in  diese  Liste  hineinzunehmen. 

Wiesenthal:  Ich  glaube  ja.  Ich  habe  mich  der  Mühe  unterzogen,  dieses 
Buch,  das  Raimund  Schnabel  in  der  Nazi-Zeit  geschrieben  hat,  zu  le- 
sen. Auch  der  Herr  Herbert  Scurla,  der  seine  Bücher  den  Kameraden, 
die  für  Führer  und  Vaterland  im  Kampf  gegen  Polen  gefallen  sind,  ge- 
widmet hat,  schreibt  heute  ein  Buch,  zum  Beispiel:  "Die  Begegnungen 
mit  Rachel  Levin" .  Das  sagt  gar  nichts,  denn  solche  Leute,  die  heute 
demokratisch,  sagen  wir  quasi  demokratisch  gesinnt  sind,  wenn  sie  in 
den  westlichen  Zeitungen  schreiben,  dann  werden  sie  von  der  DDR  ange- 
prangert und  wir  wissen  es  und  das  ist  nicht  das  erste  Mal.  Daher 
haben  wir  diese  Leute  aufgenommen.  Immerhin  war  einer  der  Pressechef 
der  Hitler- Jugend.  Wir  wissen,  wie  frei  ein  freischaffender  Journa- 
list in  einem  östlichen  Staat  heute  sein  kann.  Daher  schien  es  uns 
für  wichtig,  auch  diesen  Mann  mit  hineinzunehmen. 


Pmletaner  aller  Länder,  vereinigt  euch! 

Neues  Deutschland 

ORGAN  DESZENTRALROMITEES  DER  SOZIAUSHSCHEN  EINHEITSPARTEI  DEUTSCHIANDS 


15.  Juni  1967 


I 


Das  Gewissen  der  Menschheit  ist  aufgerüttelt 


Die  Ereignisse  im  Nahen  Osten,  der  wiederholte  Überfall 
der  imperialistisch  denkenden  und  handelnden  herrschenden 
Klasse  Israels  gegen  die  arabischen  Nachbarstaaten,  hoi  uns, 
die  Mitglieder  der  Sektion  „Karikaturisten  und  ^^l^^^^}^' 
ner".  zutiefst  empört.  In  einer  Zeit,  da  *°g''?  JJ^^^^^^^^" 
auf  friedliche  Städte  und  Dörfer  der  Demokratischen  Kcpubl  k 
Vietnam  fallen,  da  Napalm  und  Giftgas  Leben  "'^^Gludc  n 
Südvietnam  vernichten,  ist  das  Gev/.ssen  der  M«"^^*^^*  «^J". 
gerüttelt  worden.  Trotz  weltweiter  Verurteilung  des  J^enka 
nischen  Angriffs  auf  Frieden  und  Sicherheit  haben  d'«  g'^'- 
dien  Kräfte  erneut  gewagt,  den  Kriegsbrand  in  einen  anderen 
Teil  der  Erde  zu   tragen. 

An  der  Seite  Kys  und  Eschkols.  am  Mekong  und  am  Golf 
von  Akabo.  überfallen  die  gleichen  ''"P«^'°''^*"^^f "  .^°'?^' 
Frauen.  Kinder  und  Greise,  verwüsten  Hauser.  Äcker  und  Po- 
briken.  die  gleichen  Mörder,  die  seit  zwei  Generationen  auch 
Europa  in  Schutt  und  Asche  legten.  Wieder  bliesen  Fanfa  ^n 
zu  neuem  Blitzkrieg,  wurden  100  000  Menschen  einer  anderen 
Sprache  und  Sitte  aus  ihrer  Heimat  ^^pogl  ^\oXsä^^n\^^^^^^^^ 
treiber  und  Lieferer  von   Kriegsmaterid  in  USA.  Westdeutsch- 


.U^"^ 


lond  und  Großbritannien  begeistert  da  capo.  Aber  der  Überfall 
auf  die  VAR,  Syrien  und  Jordanien  wird  nicht  menschlicher,  nie- 
mals geredeter,  weil  diesmal  statt  der  Stars  and  Stripes  der 
Davidstern  als  mißbraudites  Symbol  der  Aggression  voran- 
flattert.  Dieser  Krieg  ist  kein  Blitzsieg,  als  >^«:^dTen  'hn  d^ 
Westprvsse  darzustellen  liebt,  sondern  eiri  Überfall,  ein« 
fJrdiihofe  moralisd>e  urvd  gesellsdiaftlidie  Niederlage  für  das 
Land  fsroei. 

Wir  Karikaturisten  der  DDR  sd><ießen  uns  den  Protesten 
aus  aller  Welt  an.  Wir  verurteilen  den  Überfall  auf  die  ara- 
bischen Länder.  Wir  fordern  nidit  nur  die  strikte  Einhaltung 
der  Feuereinstellung,  sondern  audi  den  Ab^"5  a"«;^  'sroeli- 
schen  Truppen  aus  okkupiertem  Lande  in  ihre  Ausgangsstel- 
lungen. 

Diese  Resolution  wurde  am  13.  Juni  1967  auf  einer 
Beratung  der  Sektion  „Kankaturisten  und  Pressezeich- 
ner" im  Verband  der  Deutschen  Journalisten  angenom- 
men. 


Nationalsozialistische  Elemente 


in  Presse  und  Propaganda 


der 


Deutschen 
Demokratischen  Republik 


12 


DOKUMENTATIONSZENTRUM 


DES 


BUNDES    JÜDISCHER    VERFOLGTER    DES    NAZiREGIMES 


10  10 


WIEN     I.     RUDOLFSPLATZ     7/II1 


BANKVERBINDUNG« 

ALLGEMEINE  WI  RTSCH  AFTS  B  AN  K  WIEN 

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WIEN,  den 

Telefon  63  90  932,  63  30  302 


6.  September  1968 


Pressekonferenz 
6.  September  1968 
Presseclub  Concordia 


Nationalsozialistische  Elemente  in  Presse 


und  Propaganda 


der  Deutschen  Demokratischen  Republik 


Eine  aktuelle  Dokumentation 


Notwendige  Vorbemerkungen 

Der  Anlaß»  die  Repräsentanten  der  Öffentlichkeit  heute 
in  den  Presseclub  zu  bitten,  ist,  an  den  bisherigen  Themen 
der  Pressekonferenzen  des  "Dokumentationszentrums"  gemessen, 
etwas  ungewöhnlich:  Es  geht  diesmal  nicht  darum,  die  An- 
klage gegen  bisher  verborgene  Naziverbrecher  zu  erneuern 
oder  von  müde  gewordenen  Behörden  die  Ahndung  ans  Licht 
gekommener  Taten  in  der  NS-Zeit  zu  fordern.  Wir  halten  es 
vielmehr  für  geboten,  mit  dieser  Dokumentation  -  die  der- 
zeit gewiß  als  "heiß"  gelten  darf  -  den  Hintergrund  besorg- 
niserregender internationaler  Entwicklungen  zu  beleuchten 
lind  Zusammenhänge  aufzuzeigen,  welche  Historiker  und  Poli- 
tiker zu  sehr  ernsten  Überlegungen  und  Vergleichen  anregen 

könnt  en • 


13 


-,r  ''<:»-• 


Fast  täglich  spielen  neue  Meldungen  in  das  Thema  dieser 
Dokumentation  hinein;  das  gesammelte  und  zusammengefaßte 
Material  spräche  auch  für  sich  allein  sehr  deutlich.  Im 
Hinblick  auf  die  Spannung  und  die  stürmischen  Vorgänge  in 
tmserer  Nachbarschaft  bedarf  es  aber  doch  einer  Einleitung 
xmd  Abgrenzung,  die  vor  Mißverständnissen  schützt: 

1.  Dieser  Arbeit  kann  nicht  die  Absicht  unterlegt  werden, 
sich  in  einen  Konflikt  zwischen  anderen  Ländern  einzumischen. 
Sie  wurde  vor  mehr  als  einem  Jahr  in  Angriff  genommen;  das 
Ergebnis  lag  schon  vor  mehreren  Wochen  bereit ;  die  Ereig- 
nisse in  der  CSSR  haben  uns  dedoch  veranlaßt,  mit  der  Publi- 
zierung zuzuwarten  -  bis  von  einer  Normalisierung  der  Lage 
gesprochen  werden  konnte. 

2.  Diese  Arbeit  entspringt  der  Initiative  des  Dokumen- 
tationszentrums und  geht  nicht  etwa  auf  irgendjemandes  Auf- 
trag zurück;  es  handelte  sich  auch  gleichsam  um  ein  inter- 
nationales Vorhaben  -  wir  haben  unsere  Tätigkeit  gegen  den 
Ungeist  des  Nationalsozialismus  und  der  mit  ihm  verwandten 
Ideologien  immer  als  umfassende  und  internationale  Aufgabe 

betrachtet. 

5.  Mit  der  Charakterisierung  der  Persönlichkeit  und  der 
Tätigkeit  ehemaliger  NSDAP-Mitglieder  in  der  DDR-Publizistik 
verbindet  sich  keineswegs  der  Ruf  nach  Maßregelung  oder  Be- 
strafung. Doch  kommt  es  darauf  an,  diese  Leute  und  ihre  Auf- 
traggeber -  die  sich  wieder  in  wachsendem  Maß  der  "Zionisten" 
als  Sündenböcke  für  ihre  Schwierigkeiten  bedienen  -  welt- 
anschaulich einzuordnen  und  moralisch  zu  qualifizieren. 


14 


Was  diese  Dok\imentation  auslöste 

Der  Sechstage-Krieg  im  Juni  1967  beherrschte  wochen- 
lang die  Ausgaben  der  großen  Zeitungen  in  aller  Welt,  eben- 
so die  Kommentare  und  Berichte  im  Rundfunk  und  im  Fern- 
sehen. Aus  hunderten  uns  zur  Verfügung  stehenden  Aus- 
schnitten und  Dokumenten  aus  den  Ostblockländern  ergab 
sich  -  in  Übereinstimmung  mit  der  Politik  der  kommunisti- 
schen Regierungen  -  das  Bild  einer  proarabischen  und  anti- 
israelischen Meinungskampagne.  Aggression,  Verleumdung  und 
maßlose  Übertreibungen  kennzeichneten  diese  Kampagne;  zwi- 
schen den  Stimmen  aus  der  DDR  und  aus  den  anderen  Ostblock- 
staaten fiel  jedoch  sofort  ein  kraßer  Unterschied  in  der 
Terminologie  ins  Auge.  Die  in  der  DDR  verwendeten  Ausdrücke, 
Begriffe  \md  ideologischen  Denkmodelle  schienen  nicht 
kommunistischen  Ursprungs  zu  sein.  Sie  erinnerten  sofort 
viel  stärker  an  den  "Völkischen  Beobachter",  den  "Stürmer" 
und  das  "Schwarze  Korps".  Daneben  drängte  sich  auch  der 
Vergleich  mit  der  aktuellen  Schreibweise  der  "Deutschen 
National-  und  Soldaten-Zeitung"  auf,  deren  Ton  jenem  der 
aus  der  DDR  kommenden  Blätter  aufs  äußerste  nahe  kam. 

Es  lag  damit  auf  der  Hand,  dieser  doppelten  Affinität 
nachzuspüren,  den  ideologischen,  handwerklichen  und  personel- 
len Verwandtschaftsgrad  im  Zuge  sorgfältiger  Nachforschungen 
und  Analysen  zu  prüfen.  Dabei  ergab  sich  auf  der  Ebene  der 
Ideologie  sehr  rasch  die  Hypothese,  daß  wir  es  im  einen 
wie  im  anderen  Fall  mit  Diktat\iren  zu  tun  haben  -  mit  einem 
System  also,  in  dem  Zeitungen  und  Journalisten  nicht  zur 
politischen  und  gesellschaftlichen  Willensbildung  beitragen 


15 


dürfen,  sondern  die  von  oben  kommenden  Befehle  auszu- 
führen haben.  Dazu  kommt,  daß  das  Gebiet  der  ÜDR  seit  min- 
destens 35  Jahren  nicht  mehr  demokratisch  regiert  wird, 
der  freie  Journalismus  also  mit  großer  Wahrscheinlichkeit 

erloschen  ist. 

Diese  Überlegungen  erklärten  aber  noch  nicht  den  großen 

Unterschied  zwischen  dem  Ton  in  der  DDR  und  den  übrigen 
Ostblockstaaten;  der  Verwandtschaftsgrad  zum  National- 
sozialismus mußte  im  Pressewesen  ein  höherer  sein.  Ein 
kleines  Experiment  bei  der  Analyse  der  Texte  führte  da  zu 
einem  verblüffenden  Ergebnis:  V/enn  man  in  den  Kommentaren 
der  DDR-Blätter  das  Wort  "Israeli"  durch  "Jude"  sowie  "fort- 
schrittliche Kräfte"  durch  "Nationalsozialismus"  ersetzte, 
glaubte  man  plötzlich  eine  Vorlage  aus  Goebbels  Propaganda- 
ministerium vor  sich  zu  haben.  Die  Ähnlichkeit  der  Gedanken 
und  Begriffe  ergab  sich  aber  auch,  wenn  man  den  umgekehrten 
Weg  ging  und  probeweise  Artikel  aus  der  NS-Zeit  mit  Vokabeln 
aus  dem  DDR-Wortschatz  ausstattete. 

Worauf  frappierende  Parallelen  zurückzuführen  sind 

Diese  auffallenden  Parallelen  führten  von  der  ideologi- 
schen Ebene  weg  -  hier  mußte  nachgeforscht  werden,  wie  weit 
etwa  Werkstatt  und  Personen  mit  jenen  der  NS-Ära  identisch 
sind.  Dieses  Vorhaben,  nachzuforschen,  erschien,  wenn  man 
die  Verhältnisse  in  der  DDR  in  Rechnung  stellt,  als  nicht 
einfach.  Die  Erfahrungen  im  Umgang  mit  den  dortigen  Behörden 
brachten  uns  schon  vor  längerer  Zeit  dazu,  Naziverbrecher, 
die  sich  in  der  DDR  aufhalten,  "abzubuchen"  und  deren  so 
gut  wie  aussichtslose  Verfolgung  gar  nicht  mehr  zu  versuchen 


16 


1^  ,<  - 


"s'j 


.13  Beispiel  .ag  dienen,  .a.  »ir  einmal  einen  An.e- 
.».i,en  der  Toten^op^-Standarte .  die  bei.  Ohetto  .n  Lublxn 
hörigen  a  Abgeordneter 

stationiert  war,  ausforschten  -  doch  er 

Vin  anderer  Abgeordneter  hatte,  wie  sich 
der  Volkskammer.  Ein  anaerei-  ^i^b 

A^   vnikscerichtsprozessen 
4.^11-1-*.   als  Beisitzer  in  VoiKsgeixv.!   i- 
herausstellte,  ais  cex  vai-ten 

.^,ie«,  die  »it  de.  Ven.r.eiluns  »-  Tod  geendet  ha«en. 
und  i.  Zentralkomitee  der  SED  fand  sie.  ein  nenn.  de. 
,,.  Kommandantur  des  Konzentrationslagers  Saonsenhausen 

tätig  gewesen  war.  ^tworteten  Vertreter 

Diesbesüslioh  zur  Rede  gestellt ,  antwor 
...  „BK  -  darunter  der  oft  als  Ne.en^äger  .u  Prozessen 
in  der  Bundesrepublik  gesonic«e  Prof.  Priedrich  Kaul  - 

stets  ausweiciieiid. 

„it  umso  größeren  Schwierigkeiten  wuBte  hier  gerechnet 
„erden,  da  sich  unsere  Untersuchungen  gegen  fest  im  Sattel 
.itzende  Punktionäre  des  Prcpagandaapparats ,  gegen  aner- 
.a^te  Autoren  und  Redakteure  in  leitender  Stellung  rieh- 

w^rr   T^ersönliche  Recherchen 
teten.  Es  blieb  hier  nur  der  Weg   personll 

in  .er  BDR  hätten  zweifellos  zu  rascher  Verhaftung  gefuhrt  - 
,lne  Liste  von  mit  Kamen  zeichnenden  DDR-Publizisten  zu- 
ssmmenzustellen  und  in  den  verfügbaren  Unterlagen  nach  An- 

tK-r.  oHi-t-zten  uns  auf  Archive, 
haltspunkten  zu  suchen.  Wir  stutzten  un 

QQ  „«fl  der  NSDAP,  auf  verschiedene 
Bibliotheken,  Listen  der  SS  und  der  rJüUAr, 

Veröffentlichungen  in  den  letzten  zehn  Jahren. 

Bas  Ergebnis  hat  alle  Erwartungen  -  oder  Befürchtungen  - 
.hertroffen.  Die  angeschlossene  Liste  enthält  39  Personen, 
aie  der  NSDAP  angehörten  und  in  der  NS-Zeit  einflußreiche 
Posten  hatten,  heute  aber  in  der  Presse,  im  Hundfunk  und 


17 


in  den  Propagandastellen  der  DDR  mindestens  den  gleichen 
Einfluß  besitzen.  Da  gibt  es  ehemalige  Parteigenossen, 
SS-Männer,  SA-Führer,  Vertrauensleute  der  Gestapo,  Ange- 
hörige von  Propagandakompanien,  Mitarbeiter  des  NS-Rund- 
funks,  des  "Völkischen  Beobachters" ,  des  "Schwarzen  Korps" , 
Beamte  des  Propagandaministeriums,  Mitglieder  des  "SS- 
Rasse-  und  Siedlungs-Hauptamts",  Angehörige  der  berüchtig- 
ten' "Legion  Condor".  Sie  tragen  heute  Orden  der  DDR,  be- 
kleiden in  vielen  Fällen  die  Stellung  eines  stellvertreten- 
den Chefredakteurs  (der  weniger  Repräsentationspflichten 
zu  erfüllen  hat),  bilden  in  einigen  Blättern  -  wie  in  der 
Redaktion  des  "Neuen  Deutschland"  und  der  "Deutschen  Außen- 
politik" -  eigene  Nazi-Cliquen. 

Diese  ehemaligen  NSDAP-Mitglieder  und  -Funktionäre  im 
Pressewesen  der  DDR  stellen  die  natürliche  und  -  sobald  die 
Beweise  einmal  gesammelt  sind  -  auch  sehr  einfache  Erklärung 
für  die  Terminologie"  der  DDR-Zeitungen  dar.  Diese  Leute  in 
diesen  Funktionen  zu  beschäftigen,  ist  für  die  Machthaber 
auch  bequem:  Da  sie  das  System  der  Diktatur  bereits  gewohnt 
sind,  lassen  sie  sich  leichter  lenken  als  auf  dem  Boden  der 
Demokratie  gewachsene  oder  jüngere,  von  revolutionären  Ideen 
geleitete  Journalisten.  Ebenso  bequem  ist  es  für  die  NSDAP- 
Anhänger  selbst  -  sie  können  ihre  alte  Linie  unter  einem 
anderen  Machthaber  weiter  pflegen. 

Wir  müssen  uns  dabei  vor  Augen  halten,  daß  diese  Dokumen- 
tation nicht  vollständig  ist  und  nicht  vollständig  sein 
kann.  Wir  gingen  nxir  vom  Material  über  den  Sechstage-Krieg 
aus  und  beschränkten  die  überprüfving  a\if  den  Sektor  der 


7'- 


18 


"^"i^: 


Publizistik.  Eine  Reihe  von  Informationen  mußte  auch  des- 
halb ausgeschieden  werden,  weil  sie  nicht  erhärtet  werden 
konnten  und  wir  uns  nicht  der  Gefahr  aussetzen  durften, 
etwa  einer  Anti-DDR-Propaganda  zu  erliegen* 

Im  Zusammenhang  damit  ist  festzustellen,  daß  die  von 
der  DDR  betriebene  laufende  Aufklärung  über  ehemalige  NS- 
Punktionäre,  die  in  der  Bundesrepublik  Deutschland  mehr 
oder  weniger  wichtige  Stellungen  einnehmen,  notwendig  und 
wünschenswert  ist.  Das  darf  Jedoch  nicht  von  der  Tatsache 
ablenken,  daß  ehemalige  und,  wie  man  sieht,  heute  noch 
aktive  Nationalsozialisten  in  der  DDR  eine  angenehme  Heim- 
statt und  eine  schöne  Karriere  in  ihrem  alten  Beruf  ge- 
funden haben. 

Worin  die  Gefahr  lie^t 

Wir  stehen  seit  einiger  Zeit  vor  dem  Phänomen,  daß 
Schwierigkeiten  in  den  Ostblockstaaten  regelmäßig  zu  schwe- 
ren Angriffen  auf  die  Reste  der  Jüdischen  Bevölkerung  in 
diesen  Ländern  führen.  So  war  es  vor  einem  Jahr  in  Polen, 
dessen  Regieriings-  und  Parteistellen  eine  Kampagne  gegen 
die  "Zionisten"  aufbauten  \ind  den  alten  Antisemitismus 
wiederzuerwecken  suchten,  um  interne  Schwierigkeiten  besser 
bewältigen  zu  können.  Ähnliche  Töne  gab  und  gibt  es  in  der 
Sowjetunion;  schon  wenige  Tage  nach  dem  Akutwerden  der 
CSSR-Krise  wurde  die  Version  laut,  die  "Konterrevolution" 
werde  von  den  "Zionisten"  betrieben. 

In  der  CSSR  machte  man  sich  sogar  die  Mühe,  einen  ge- 
fälschten Brief  des  Dokumentationszentrums  herzustellen 


19 


rw:'^^' 


und  aus  Gründen  der  Provokation  in  Umlauf  zu  setzen.  Für 
diesen  nachgemachten  Brief,  der  dem  Stil  der  "Protokolle 
der  Weisen  von  Zion"  angepasst  wurde,  hat  man  sich  ein  Blatt 
unseres  Briefpapiers  und  ein  Faksimile  der  Unterschrift  des 
Leiters  (Dipl.-Ing.  Simon  Wiesenthal)  besorgt;  er  enthält 
die  erfundene  Mitteilung,  dass  die  Demokratisierung  der  CSSR 
im  Interesse  des  Judentums  und  Israels  liege. 

Während  des  Eichmann-Prozesses  hielt  Prof.  Friedrich  Kaul 
als  Vertreter  der  DDR  im  April  1961  eine  Pressekonferenz  in 
Jerusalem.  Er  wurde  unter  anderem  gefragt,  warum  die  Deutsche 
Demokratische  Republik  den  Opfern  der  Naziherrschaft -keine 
Wiedergutmachung  leiste,  warum  sie  geraubtes  Gut,  das  sich 
gewiss  auch  auf  DDR-Gebiet  befinde,  nicht  den  rechtmässigen 
Besitzern  zurückgebe.  Oder  warum  die  Regierung  der  DDR  nicht 
wenigstens  die  in  Polen,  der  CSSR  oder  Ungarn  lebenden  Nazi- 
opfer entschädige. 

Prof.  Kaul,  durch  diese  Fragen  in  die  Enge  getrieben,  ant- 
wortete: "Die  Deutsche  Demokratische  Republik  leistet  eine 
besondere  Art  der  Wiedergutmachung.  Sie  besteht  darin,  dass 
wir  die  Nazis  aus  ihren  Stellungen  entfernt  haben  und  dass 
ein  Nazi  in  der  DDR  zu  keiner  wichtigen  Position  gelangen  kann." 

Ganz  abgesehen  davon,  dass  eine  solche  Antwort  auf  die 
Frage  nach  der  Entschädigung  der  Naziopfer  nicht  akzeptiert 
werden  kann,  hat  sich  die  Behauptung  des  DDR-Vertreters  nun 

auch  als  unwahr  erwiesen. 

Jene  NSDAP-Mitglieder,  die  in  diesem  Land  eine  neue  Existenz 

gefunden  haben,  wären  nicht  weiter  zu  beachten  -  hätten  sie 

dort  nicht  Gelegenheit,  in  wirksamer  Weise  und  sogar  unter 


"  IS 


20 


dem  Zeichen  des  Kommunismus  ihrer  alten,  unheilvollen 
Ideologie  zu  dienen.  Und  gäbe  es  nicht  ernste  und  mahnende 
Hinweise  darauf,  dass  der  Ungeist  des  Nationalsozialismus 
auch  ausserhalb  der  Redaktionen  und  Propagandabüros  dieser 
Länder  eine  Auferstehung  feiert. 


1«.  Juli 

1M7 

Nf.  1»1 

3X  Mwgong 


SetrlinetiSeituno 


Prwi  15  H 

(bai  16>*Hi9«( 

Aut^ob« 

outvörti 

20  Pf) 


.Machen  Sio  nur  so  weiter,  Kollege  Dayanl" 


Zeichnung:  Schnitt 


Israels  Verteidigungsminister 

Moshe  Dayan  wird  in  der 

sowjetzonalen  Presse  mit 

Hitler  verglichenl 


21 


Proletarier  aller  Länder.vereinigt  euch! 


Neues  Deutschland 

Organ  des  Zentralkomitees  der  Soziaustischen  Einheitspartei  Deutschlands 


23.  Jahrgang  /  Nr.  190 


Berlin,  Donnerstag,  11.  JuU  1968 


Berliner  Ausgabe  /  Eünzelpreis  15  Pf 


Komplott  Bonn  -Tel  Aviv 

Pauls  prahlt:  ,,Alle  Erwartungen  übertrotten" 


Berlin  (ND).  „Das  .  Venhälitnis  awi- 
sdien  der  Bumdesrejwblik  und  Israel  hat 
sich  in  einem  Ausmaß  ipoöitlv  entwlk- 
kelt,  das  alle  Erwartungen  übertroffen 
hat."  Diese  BÜamz  zog  gestern  Rolf 
Pauls  in  einem  Intervleiw  mit  DPA  nach 
Albsdiluß  seiner  dreijährigen  Tätigkeit 
als  erster  westdeutsdier  Botsdiafter  in 
Israel.  „Ich  ha-be  nldit  erwartet", 
prahlte  Pauls,  „daß  wdr  In  der  Entwldc- 
lung  der  Bezlehuntfen  zwlsd^en  Israel 
und  der  BundttiVsi^bHk  In  ^drel  Jplh- 
ren  so»  weit  kombKin  kfdnnA,  wie  es  ge- 
schehen Ist."  Diese  Entwicklung  sei 
durdi  die  prolsraellsche  Haltung  Bonns 
während  des  Nahostkrieges  und  in  der 
Folgezelt  „ganz  wesentlldi  gefördert" 
wonden. 

Pduls  bestätigt  damit,  daß  das  Im- 
perialistische KompJott  zwischen  Bonn 
und  Tel  AvW  tonmer  enger  wind.  Dieses 
Bündnis,  das  -  wie  Walter  Ulbricht 
kürzlich  in  seinem  vieJIbeafditeten  Inter- 
view für  die  Kairoer  Zeltung  „AI  Gum- 
hurya"  feststellte  -  „a\if  der  gemeln- 
sashen  Gegnerschaft  zum  soeialen  Fort- 
schritt  der    Völker,    den    Expansions- 


bestrebungen gegenüber  den  Nachbar- 
staaten, dem  Drang  nadi  Revision  der 
Grenzen  und  Annexion  fremder  Ge- 
biete und  dem  Streben  nach  Verfü- 
gungsgewalt üiber  Atom-Waffen"  beruht, 
hat  erat  in  Jüngster  Zelt  wiederum  sei- 
nen friedensgefähiidenden  CSiarakter 
offenbart.  Die  Regierungen  beider  Staa- 
ten weigern  sldi  In  gegenseitiger  Ab- 
sprache, den  Atomiwaffenaperrvertrag 
zu  nni&^iSfmexk  ^  ujnd  ♦  efttW**"  '««««^ 
Ihn  eine  züg^ljoae  ttetiae,  BeMÄ^ntlich 
besteht  bereits  seit  einem  Jalhrzahht 
zwdsdien  Bonn  und  Tel  Aviv  eine  „laut- 
lose" Zusammenarbeit  „auf  dem  Ge- 
biet der  Erforaduing  und  Nutzung  von 
Kernenergie",  die  Immer  intensiver 
wird. 

Der  israelische  Botsdiafter  Aaher  Ben 
Nathan  hat  erat  vor  kurzem  erkllärt,  daß 
die  umfassende  militärische  Zusam- 
.menarbelt  zwischen  Westdeutsdiland 
und  Israel  „edne  nicht  zu  übersehende 
Rolle"  bei  der  Entwicklung  der  Beeie- 
hungen  zwischen  beiden  Staaten 
spielt  habe. 


f.wt-rzyri  JTjriftTTrtnrfcjg 


22 


Pmletarier  edler  Länder,vereinigt  euch! 


Neues  Deutschland 

■^     ^  "^"^  ^"^  "^"^  ,,„  c^^T»! TCTi«rHFN  FtNHEITSPARTEI  DEUTSCHLANDS 

Organ  des  Zentralkomitees  der  SoziAUSTiscHENtmHEUbmn ^ 


23.  Jahrgang  /  Nr.  213 


Berlin,  Sonnabend,  3.  August  1968 


Berliner  Ausgabe  /  Einzelpreis  15  Pf 


Komplott  ßonn-Te/  Aviv 


Von  Rolf  Oünthor,  Kairo 


Die  Feststellung  i*n  ii^fg'^f"   Sf* 
meinsamen     Kommumqu*     UdSöK- 
VAR,  daß  der  imperialistische  west- 
deutsche  Staat    nach   wie   vor    den 
israelischen     Aggressor     unterstutzt, 
dürfte  auf  die  Inspiratoren  der  'Bon- 
ner „neuen"   Nahostpolitik  wie  eine 
kalte    Dusche    gewirkt    haben.    Tat- 
sächlich   hat    das    Brondtsche    Täu- 
schungsmanöver von  der   „Neutrali- 
tät"    der    westdeutschen    Regierung 
im    Nahostkonflilkt   wenige   täuschen 
können.     Führende     Zeitungen     der 
VAR   veröffentlichen     immer    wieder 
Beiträge,    die   an    die   Tatsache    er- 
innern,    daß    es    auch    von    West- 
deutsdilond  bezahlte  Waffen  waren, 
die    im    J-uni    1967    Araber    töteten. 
Zugleich   enthüllen   sie   neue   Seiten 
des  Komplotts  Bonn-Tel  Avjv. 

So  pubMzierte  das  ASU-Orgon  „AI 
Gu-mhuriya"   dieser  Tage  einen  um- 
fassenden •  überbMdc  über  die  west- 
deütsdie    Unterstützung    Israe  s    vor 
und  nadi  der  Aggression.  I>l«  Unter- 
suchung      vermittelt     viele     Detail* 
über  die  Bonner  Hilfe  bei  der  Vor- 
bereitung   der  Aggression,    die   sich 
laut   „AI  Gumhuriya"  Jn  versdiiede- 
nen   Formen   vollzog:  durch   direkte 
Lieferung  von  Waffen,  die  Lieferung 
von   Hilfsmitteln    militärischen   Cha- 
rokters.  durch  die  Bereitstell urvg  von 
Maschinen  und  Ausrüstungen  zur  Er- 
riditung    einer    Kriegsindustrie,    die 
Ausbild-ung      israelischer      Offiziere 
und    SoWaten    in    Westdeutschland 
und  durch  die  Zusammenorbelt  auf 
dem  Gebiet  der  Atomforscbung. 

Besonders  der  atomaren  Koopera- 
tion Bonn-Tel  Aviv,  kn  d«r  sie  eine 
heraufziehende  Gefahr  für  die  ara- 
bischen Länder  erblickt,  widmet  „AI 
Gumhuriya"   viKjrnende  Worte:   ..Die 
Gefahr,     daß    Urael     durch     Wesl- 
deutschloTvd     zu     Atomwaffen     ge- 
lange, taudite  bei  der  letzten  israel  - 
sehen  Aggression  gegen  die  arab  • 
sdien    Länder   auf.    Das    war.     als 
Westdeutschland  zu  Beginn  des  Juni 
17  Tonnen  Schutxmasken  und  aridere 
Apparaturen  nach  Israel  sandte  . . . 


Die  Zeitung  verweist  darauf,  daß 
Israel     mit   westdeutschen    Anleihen 
einen    Atommeiler    zur    „Entsalzung 
von     Meerwasser"     errichtete,      der 
aber   „nebenbei"    so  viel   Plutonium 
produziert,  daß  pro  Johr  zwei  Atom- 
bomben hergestellt  werden  könnten. 
Weiter  heißt  es:  „Oie  grundlegenden 
Atomiforschungen  werden   von   west- 
deutschen       Wissenschaftlern       am 
Weizmann-Institut  in  Rehovot  betrie- 
ben.    Diese     israelischen     Atomfor- 
schungen   werden   u.    o.    aus     dem 
westdeutschen      Budget      finanziert. 
Westdeutschland  zahlte  dafür  in  der 
Zeit  von    i960  bis    1966    insgesamt 
25,4  Millionen  DM." 


Noch  der  Israelischen  Aggression 
habe  Bonn  seine  militärische  Hilfe 
für    Israel    fortgesetzt,    seine    wirt- 

sdiaftlidie  nodi  •'^**^\'  "^' .  ^^J^^ 
huriya"  schreibt:  .Am  17.  JuU  1967 
stellte  die  American  Bank  ot  Import 
&  Export  (bekannt  als  f  inannier  des 
Internationalen  Waffengeschäfts  im 
Rahmen  der  USA-Globalstrategie  - 
R.  G.)  mehrere  Millionen  Dollar 
für  Waffenkäufe  zur  Verfüauna, 
einen  großen  Teii  erhielten  Groß- 
brltannien  und  Westdeutsdilarijg  .  •  • 
Es  Ist  bekannt,  wohin  diese  Waren 
gingen  . . . 

Die  Regierung  In  flbnn  gab  Israel 
neben  den  bisherigen  Anleihen  eine^ 
weitere     Anleihe    von     160    Mi  Io- 
nen.. .   Sie  bemühte  sidi.   ihre  Un- 
terstützung für  Israel  vom  offiziellen 
Staatsapparat    ouf    Organisationen 
zu  verlagern,  die  keinen  ^•9l*r^ng^- 
diorokter  trogen  ...  Am  11.  J-uH  1967 
händigte    CDU-Mlnlster    Berida    a  s 
Vorsitzender      der      Israellsdi-Oeul- 
sdien  Freundsdioftsaesellsdioft    ira- 
eis  BotsdKrfter  in  Bonn   1.3   Millio- 
nen iDM  als  Beitrag  zum  Wiederauf- 
bau des   besetzten  Teils  Jerusalems 
aus.    So   erklärte   die   westdeutsdie 
Regierung  Ihie  öbereinstimmung  mit 
der    Illegalen    Annexion    Jerusal^s 
durch  Israel." 


\ 


23 


Proletarier  aller  Länder.vereinigt  euch! 


Neues  Deutschland 

Organ  des  Zentralkomitees  der  Soziaustischen  Einheitspartei  Deutschlands 


23.  Jahi-gan«      Ni.  219 


Berlin,  Freitag,  9.  Auguül   1968 


Bc-ilinei   Ausgabe  /  Einzelpreis  15  Pf 


Nahosf-Aggressoren  und 
ihre  Bonner  Sprachrohre 


ex«  Machthaber  Israels  sind  von 
der  Tollwut  der  Aggressivität  ge- 
podct.  Die  bisher  üblidien  syste- 
motisdien  Verletzungen  der  Feuer- 
einstellung vom  Juni  1967  weiten 
»dh  immer  mehr  zu  barbarischen 
Kriegshand^ungen  a<is. 

Israelische  Rugzeuge  fliegen  tief 
in  jordanisches  Gebiet  ein  und  wer- 
fen Ihre  Spreng-  und  Napalmbom- 
ben ob  rrvlt  der  ^Begründung",  daß 
damit  die  Widerstandsbewegung  in 
den  okkupierten  arabischen  Gebie- 
ten, also  ganz  anderen  Ortes,  ge- 
troffen werden  soll. 

Wiederholt  sind  die  israelischen 
Machthaber  vor  dem  Versuch  ge- 
warnt worden,  mehr  als  1,5  Millio- 
nen Araber  gewaltsam  dem  israe- 
lischen Staat  einzuverleiben.  Jetzt 
zeigt  es  sich  immer  mehr,  daB  dies 
nie  gelingen  kann.  Kein  Polizei- 
terror, keine  Sondergerichte  und 
Konzentrationslager  vermögen  den 
FreÜheltswMlen  der  Unterjochten  zu 
brechen. 

Anstatt  daraus  die  einzig  ver- 
nünftige SdiluBfolgerung  zu  ziehen 
urvd  die  okkupierten  arabischen  Ge- 
biete zu  röumen,  wie  es  in  den  Be- 
schlüssen der  Vereinten  Nationen 
gefordert  wird,  führen  die  israe- 
lischen Militaristen  einen  brutalen 
Krieg  gegen  Dörfer  und  Siedlungen 
orcbisdier  Länder.  Den  unvermeid- 
lichen Folgen  Ihrer  Aggressionen 
suchen  sie  mit  neuer  Aggression  zu 
begegnen. 


Es  gibt   wenige  Zeitungen   in  der 
Welt     die     das     zu     entschukiigen 
suchen.  Zu  den  widerwärtigen  Aus- 
nahmen gehört  selbstverstöndiich  die 
Springer-Presse.  So  heißt  es  z.  B.  in 
der  „Welt" :  „Die  im  Sturzflug  abge- 
worfenen   Bomben    und    dos    Punkt- 
feuer der  Bordkanonen    richten   sich 
nicht  gegen  einen  arabischen  Staat." 
Wohlgemefkt:     Die      Bomben      und 
Granaten     foilen     auf    jordanisches 
Gebiet,    doch    der    arabische    Stoat 
Jordanien   ist  noch    dieser  Sprlnger- 
schen    Logik    nicht   davon    betroffen. 
Gehirnverrenkungen     eines    Geistes- 
kranken? Weit  gefehlt. 

Wie  ihre  Vorgänger  bemühen  sich 
die  westdeutschen  Militaristen  und 
ihre  Sprachrohre  krampfhaft  um  die 
Beschönigung  und  Bemäntelung  von 
Aggressionen,  weil  sie  selber  Aggres- 
sior^en  rm  Schilde  führen.  Zudem 
sind  sie  an  den  isroelischen  Aggres- 
sionen mitbeteiligt  -  durch  wirt- 
schaftliche Unterstützung  und  mili- 
tärische Hilfe,  wie  eben  erst  In  einer 
DDR-Stellungnohme  erneut  nachge- 
wiesen worden  ist. 
• 

Die  neuen  israelischen  Aggres- 
sionsakte beweisen  die  Dringlia>keit 
der  in  der  Erklöruna  der  komnuj- 
nistisdien  und  Ärt>eiterporteien 
sozioiistischer  Länder  bekräftigten 
Forderung  noch  Abzug  der  israe- 
lischen Truppen  aus  den  okkupier- 
ten arabischen  Gebieten.  Diese 
Forderung  ist  die  Stimme  aller  Völ- 
ker. O.  H. 


,",¥•' 


24 


Proletarier  aller  Länder,  vereinigt  euch! 

Neues  Deutschland 

ORGAN  DES  ZENTRALKOMITEES  DER  SOZIAUSTISCHEN  EINHEITSPARTEI  DEUTSCHLANDS 


23   Jahrgang     Nr.  224 


Berlin,  Mittwoch,  14.  August  1968 


Berliner  Ausgabe      Einzelpreis  15  Pf 


'.J,-^ 


Warum  Israel 

nicht 
unterzeichnet 

Von  Hans  L  •  b  r  e  c  h  t 

Dutzende  Staaten  unterzeichneten  schon 
den  Atomwaffensperrvertrag,  darunter  auch 
arabische  Nachbarstaaten  Israels.  Aber 
Israel  unterschrieb  bis  jetzt  noch  nicht,  ob- 
wohl progressive  Kreise  im  Lande  die  Un- 
terschrift fordern.  Außerdem  sollte  man 
meinen,  daß  ein  Land,  welches  ständig  in 
die  Welt  hinausschreit,  es  fühle  sich  be- 
droht, besonders  daran  interessiert  wäre, 
daß  keine  Kernwaffen  im  Nahen  Osten 
stationiert  werden.  n     -i 

Israel  ist  ein  kleines  Land.  Seine  Bevöl- 
kerung ist  zum  Teil  auf  engem  Raum  kon- 
zentriert. Es  würde  von  einem  Kernwaffen- 
krieg besonders  schwer  betroffen.  Worum 
unterschreibt  es  also  nicht? 

Israelische  Zeitungen,  die  der  Regierung 
nahestehen,   erklären,   daß   die    Regierung 
sich  vorher  mit  befreundeten  Staaten  bera- 
ten müsse,  bevor  sie  dem  Sperrvertrag  bei- 
treten könne.  Wenn  man  die  sogenannten 
Freunde  -  Frankreich  gilt  heute  nicht  mehr 
als    befreundeter  Staat    -   Israels    durch- 
sieht,    die     nicht     unterschrieben     haben; 
bleibt  eigentlich   nur  Westdeutschland    üb> 
rig.    Und    das    hat    seine    besondere    Be- 
wandtnis.     Westdeutschland     arbeitet     an 
einer  eigenen  Kernwaffenproduktion,  Eirien 
Teil  der  Produktion  hat  es  in  fremde  Län-i 
der  verlagert.   Zu   den   Ländern,   die  west- 
deutschen   Kernphysikern    Forschungskapa- 
zitäten    auf     ihrem     Territorium     zur    Ver- 
fügung   stellen,    gehört    auch    Israel.    Die 
Bonner  Regierung,  der   „Volkswagenfonds 
und      andere     westdeutsche      Institutionen 
überwiesen     während     der     letzten     Jahre 
schon    einige    Dutzend    Mihionen    DM    an 
das     „Weizmonn-Institut"     in     Rehovot    zu 
Forschungszwecken,      an     denen     Wissen- 
schaftler   und    Techniker   Westdeutschlands 

beteiligt  sind. 

Darum     zögert    Israel,    den    Kernwatten- 
sperrvertrog  zu  unterzeichnen. 


Prominente  NSDAP-Mitglieder 


im  Dienst 


der  DDR-Propaganda 


26 


DOKUMENTATIONSZENTRUM 


DES 


BUNDES   JODISCHER    VERFOLGTER   DES   NAZIREGIMES 


Prominente  NSDAP-Mitglieder  im  Dienst  der  DDR-Propaganda 


Eine  Dokximentation 


Kurt  Blecha 

Vom  Spät-Parteigenossen  zum  Pressechef  der  DDR-ReKlerunp;. 

Als  Leiter  des  Presseamts  beim  Vorsitzenden  des  Minister- 
rats ist  Blecha  einer  der  wichtigsten  Leute  im  Propaganda- 
apparat  der  DDR.  Ihm  untersteht  die  Nachrichtenagentur  ADN; 
er  ist  für  die  gesamte  Nachrichtenpolitik  der  Regierung  ver- 
antwortlich; er  bestimmt,  was  der  Bevölkerung  über  die  Vor- 
gänge in  der  DDR  selbst  und  über  das  soziale,  politische 
und  kultxirelle  Leben  in  der  ganzen  Welt  bekannt  wird. 

Eintritt  in  die  NSDAP:  1.  September  19^1,  Mitgliedsnummer 
8,65^.832. 


Hans  Walter  Aust 

yntn  V-Marin  fiPT»  fieBtapo  zum  Chefredakte\ir  des  außenpolitischen 

Organs  der  DDR. 

Als  Chefredakteur  des  DDR-Organs  "Deutsche  Außenpolitik" 
verfügt  Aust  über  das  aiißenpolitische  Sprachrohr  der  Regie- 
rung .Er  ist  seit  1960  Träger  des  "Vaterländischen  Verdienst- 
ordens " . 

Eintritt  in  die  NSDAP:  1.  Mai  1955,  Mitgliedsnummer  2,657.972. 

Ab  Februar  1954  arbeitete  Aust  im  Leitabschnitt  Berlin  ehren- 
amtlich für  die  Gestapo;  am  2.  Februar  ;)955  avancierte  er 
zum  V-Mann  (Kenn-Nummer  000168) ,  wurde  in  die  Reichsleitung 
des  "Reichsverbandes  deutscher  Schriftsteller"  geschleust 
und  hatte  dort  die  weltanschauliche  xind  politische  Haltung 
der  Mitglieder  zu  überwachen.  Seine  Berichte  gingen  an  den 
OberSsfinitt  8,  Abschnitt  III  des  Reichs-Sicherheitsdienstes 
in  Berlin.  Daneben  schrieb  Aust  unter  verschiedenen  Decknamen 
(häufig  unter  Gert  Holten)  für  das  SS-Organ  "Schwarzes  Korps  • 
Im  Jänner  '^942  überwarf  sich  Aust  mit  dem  SD,  kam  vor  Gericht 
und  erhielt  wegen  "Heimtücke"  zwei  Jahre  Gefängnis  -  eine 
damals  außerordentlich  milde  Strafe.  (Beilagen; 


27 


Dr«  Richard  Arnold 

Vom  "Etit.mder"  des  NS-Kulturlebens  zum  Chefredakteur  in  der  DDR. 

Dr.  Arnold  ist  heute  Chefredakteur  des  »DP-Blattes  "Der 
nationale  Demokrat"  und  Inhaber  des  "Vaterlandischen  Ver- 
dienstordens" * 

Eintritt  in  die  NSDAP:  1.  April  1955,  Mitgliedsnummer  1,792.249. 

Dr.  Arnold  war  im  Dritten  Reich  zunächst  Ministerialrat  im 
Volkshildungsministerium  des  Landes  Thüringen;  von  1959  Dis 
1945  arbeitete  er  im  Reichsmini  st  er  i\im  für  Wissenschaft, 
Erziehung  und  Volksbildung  in  Berlin.  In  seinem  Personalakt 
bei  der  NSDAP  findet  man  deutliche  Hinweise  auf  diese  Arbeit. 
Dr.  Arnold  schrieb  in  einem  Lebenslauf,  er  sei  zustandig 
für  die  vollständige  Entjudung  des  deutschen  Geisteslebens. 
Diese  Entjudung  ist  nicht  nur  personell  durchzufuhren  -  durch 
Beseitigung  aller  Juden  und  Judenknechte  aus  Wissenschaft, 
Erziehung  und  Volksbildung.  Es  geht  um  die  Tilgung  jeglicher 
Spur  Judengeistes  aus  der  deutschen  Kultur". 

Kurt  Herwart  Ball 

Vom  Chefredakteur  der  SS-Zeitschrift  z\im  Mitarbeiter  des 

DDR-Propagandaamt  s . 

Kurt  Ball  schreibt  heute  Artikel  für  die  NDP-Presse,  ist  aber 
auch  Mitarbeiter  des  Propagandaamts  der  DDR. 

Eintritt  in  die  NSDAP:  1.  Mai  1955,  Mitgliedsnummer  5,545.700. 
Ball  war  lange  Zeit  Chefredakteur  der  SS-Zeitschrift  "Hammer" 
und  schrieb  für  das  SS-Zentralorgan  "Schwarzes  Korps  ,  für 
"Freiheitskampf"  und  "Deutschlands  Erneuerung".  Er  trat  aber 
auch  als  Verfasser  einschlägiger  Romane  auf  (1956:  "Germanische 
Sturmflut",  1958:  "Die  Wege  der  Wolfssöhne");  seine  Bucher 
wurden  vom  Schulungsamt  der  SS  als  Lektüre  empfohlen.  Der 
Reichssender  Leipzig  stufte  in  einer  Besprechung  am  50.  April 
1956  die  Bücher  Balls  als  "Kan^pf Schriften  des  nordischen 
Geistes"  ein.  (Beilagen) 

Johannes  Caspar 

Vom  Befürworter  der  Nürnberger  Rassengesetze  zum  Redakteur 

in  der  DDR.  . 

Johannes  Caspar  ist  heute  als  Hedakteur  der  "Mitteldeutschen 
Neuesten  Nachrichten"  tätig. 

Eintritt  in  die  NSDAP:  1.  April  1950,  Mitgliedsnummer  227.744. 
Altparteigenosse . 

In  der  NS-Zeit  arbeitete  Caspar  als  Redakteur  des  "Wald- 
heimer  Tagblattes";  die  Nürnberger  Rassengesetze  nannte  er 
damals  "ein  notwendiges  chirurgisches  Heilverfahren  . 


28 


Dr>  Gerhard  Dengler 

Vom  Freund  hoher  SS-Führer  zur  Hauptverwaltung  Aufkläriing 
m  der  DDR>  — — 

Dr.  Dengler  begann  seine  Nachkriegskarriere  in  der  Redaktion 
des  SED-Zentralorgans  "Neues  Deutschland"»  arbeitete  von 
1955  bis  1958  als  Korrespondent  dieses  Blattes  in  Bonn  und 
wurde  1959  stellvertretender  Vorsitzender  des  Büros  des 
Nationalrats-Präsidiums.  Derzeit  in  der  Hauptverwaltung 
Aufklärung  tätig. 

Eintritt  in  die  NSDAP:  1.  Mai  1957»  Mitgliedsnummer  5,^70.128. 

Dengler  gehorte  zum  Freundeskreis  des  SS-Obergruppenführers 
Eberstein. 


Horst  Dreßler-Andreß 

Vom  Präsidenten  der  NS-Reichsrundfunkkammer  z\am  Mitarbeiter 
des  Agitprop  in  der  DDR 

Dreßler-Andreß  machte  sich  als  Verfasser  zahlreicher  Artikel 
in  Kulturzeitschriften  der  DDR  einen  Namen;  er  wirkt  als 
Regisseur  und  Oberspielleiter  und  ist  Mitarbeiter  des  Agitprop. 

Eintritt  in  die  NSDAP:  1.  Mai  1950,  Mitgliedsnummer  257.^55* 
Altparteigenosse . 

Dreßler-Andreß  gilt  als  Begründer  und  erster  Leiter  der  ge- 
samten nationalsozialistischen  Rundfiinkpolitik;  er  war  zu- 
nächst als  Ministerialrat  im  Reichsministerium  für  Volksauf- 
klärung und  Propaganda,  später  Präsident  der  Reichsr\indf\ink- 
kammer.  In  dieser  Funktion  verfaßte  er  mehrere  ideologische 
Schriften,  darunter  "Der  Rundfunk  -  das  Verkündungsmittel 
der  nationalsozialistischen  Weltanschauungseinheit"  und 
"Der  Rundfunk  -  das  Instrument  des  neuen  Staates".  In  einem 
Brief  an  Heinrich  Himmler  hob  der  berüchtigte  Massenmörder 
SS-Obergruppenführer  Kurt  Daluege  die  Verdienste  Horst  Dreßler- 
Andreß'  um  den  Rundf\ink  besonders  hervor. 

An  einem  seiner  Beiträge  wird  auch  die  Auffassung  Dreßler- 
Andreß'  von  der  Kunst  deutlich.  Er  schrieb;  "Der  National- 
sozialismus hat  die  Bedeutung  der  Kunst  für  die  geschicht- 
liche Gestaltung  erkannt  und  bereits  die  ideelle  Voraus- 
setzung für  die  Betreuung  der  Künste  durch  die  Organisationen 
des  Propagandaministeriums  und  der  Kulturkammern  geschaffen. 
Damit  ist  der  Staat  der  erste  Mäzen  der  Kunst  geworden." 

1959  wandte  sich  Dreßler-Andreß  der  reinen  Parteiarbeit  zu. 
Er  kam  als  Propagandaleiter  der  NSDAP  nach  Krakau  und  ein 
Jahr  später  in  derselben  Funktion  nach  Lublin.  Zu  diesem  Ver- 
waltungsbezirk gehörten  übrigens  die  Massenvernichtungslager 
Majdanek  \and  Belzec. 

Am  7.1.1946  schilderte  Hans  Fritzsche,  einer  der  Haugtange- 
klagten  vor  dem  Internationalen  Militärtribunal  in  Nürnberg, 
die  Rolle  Dreßler-Andreß*  bei  der  Machtübernahme  am  50.1 •1955« 
(Erklärung  Fritzsohe  und  andere  Beilagen.) 


s--'i! 


29 


Dr.  Egbert  von  Frankenberp:  tind  Proschlitz 

Vom  Altparteigenossen  zum  Milltärkommentator  in  der  DDR> 

Dr.  Frankenberg  arbeitet  derzeit  als  Militärkommentator  im 
Agitprop  der  DDR;  er  zälilt  zu  den  Autoren  des  Milit arver- 
lages  der  "Nationalen  Volksarmee"  und  ist  Vorstandsmitglied 
der  Arbeitsgemeinschaft  ehemaliger  Offiziere. 

Eintritt  in  die  NSDAP:  1.  April  1951»  Mitgliedsnummer  516*855» 
ab  7.  November  1952  Mitglied  der  SS. 

In  den  Jahren  1957  und  1958  war  Prankenberg  als  Plieger- 
hauptmann  ("Legion  Condor")  freiwilliger  Teilnehmer  am 
spanischen  Bürgerkrieg  und  kämpfte  gegen  die  Antifaschisten. 


Werner  Gast 

Vom  SA-Sturmführer  zum  Vorstandsmitglied  des  Verbandes 

deutscher  Journalisten. 

Gast  arbeitet  bei  verschiedenen  Zeitungen  in  der  DDR  mit, 
er  gehört  dem  Zentralvorstand  des  Verbandes  deutscher 
Journalisten  an. 

Eintritt  in  die  NSDAP:  1.  Oktober  1950,  Mitgliedsnummer  519*080, 
Altparteigenosse . 

Er  brachte  es  als  Altparteigenosse  bis  zum  SA-Sturmführer 
in  der  Gruppenführung  Berlin-Brandenburg,  wurde  allerdings 
am  50.  Juli' 1945  wegen  Kameradschafts-Diebstahls  zu  vier 
Jahren  Gefängnis  verurteilt  und  aus  der  SA  ausgeschlossen. 


Dr.  Karlheinz  Gerstner 

Vom  Günstling  von  Kriegsverbrechern  zum  Chefreporter  der 

"Berliner  Zeitung". 

Gerstner  wurde  1963  mit  der  Verdienstmedaille  der  DDR  ausge-^^ 
zeichnet  \ind  arbeitet  als  Chefreporter  der  "Berliner  Zeitung  . 

Eintritt  in  die  NSDAP:  1.  Mai  1955,  Mitgliedsnummer  2,675.180. 

Während  des  Krieges  war  Gerstner  als  Legationssekretär  an 
der  deutschen  Botschaft  in  Paris;  zu  seinen  besonderen  Gönnern 
zählten  Botschafter  Otto  Abetz  (wegen  Kriegsverbrechen  zu 
20   Jahren  Zuchthaus  verurteilt)  und  SS-Standartenf uhrer 
Helmuth  Knochen.  Dr.  Gerstner  verfaßte  eine  Reihe  von  Bro- 
schüren für  die  Wehrmacht,  er  soll  aber  auch  den  Kontakt  mit 
der  Resistance  gepflegt  haben.  Die  Widerstandsgruppen  Pierre 
Reval  \md  Jacques  Robinet  behaupteten.  Beweise  dafür  zu  be- 
sitzen, daß  er  sich  als  Agent  provocateur  betätigte.  Eine  von 
Dr.  Gerstner  damals  für  die  Wehrmacht  verfaßte  Broschüre  tragt 
den  Titel  "Vemiggertes  Frankreich". 


3o 


Fritz  Gralmann 

Vom  NSDAP-Mitglied  zum  Mitarbeiter  der  PropaKandaabteiluns 

a:er  Ost-CI>U.     "" 

Gralmann  gehört  seit  1952  dem  Hauptvorstand  der  Ost-CDU  an 
SrSilet  in  deren  P^opagandareferat.  Außerdem  ist  er 
auch  für  die  Hauptverwaltung  Aufklarung  tatig;  vor  sechs 
J^ren^rde  er  in  das  Präsidium  der  deutsch-franzosischen 
Gesellschaft  der  DDR  berufen. 

Eintritt  in  die  NSDAP:  1.  September  19^,  Mitgliedsnummer 
7,827.592. 


Lieselotte  Otting 

Von  der  "Leben3born"-Pörderin  zum  Vorstandsmitfilied  der 

liiberaldemokratischen  Partei  in  der  uuS. 

T.iftselotte  OttinK  betreut  im  Zentral  vorstand  der  LDP  das 
ReflJaf  ISltS  Sd  Publizistik;  auch  sie  gehört  dem  Präsidium 
der  deutsch-französischen  Gesellschaft  an. 

Eintritt  in  die  NSDAP:  1.  Mai  1955,  Mitgliedsnummer  2,280.^88, 
Sie  war  in  der  NS-Zeit  Pörderungsmitglied  des  berüchtigten 
"Lebensborn,  e.V.".  Nach  einer  Definition  Himmlers  diente 
diese  Organisation  zur  "Förderung  des  rassebewußten  Ge- 
schlechtsverkehrs der  SS  und  zur  Aufnordung  des  deutschen 
Volkes". 


Karl  Kurt  Hampe 

Vom  Pressereferenten  des  SA-Stabschefs  zum  Virtschafts- 

iredaktetir  in  der  DDK. 

Hampe  ist  derzeit  als  Wirtschaftsredakteur  der  "Thüringer 
Neuesten  Nachrichten"  tätig. 

Eintritt  in  die  NSDAP:  1.  Juni  1951,  Mitgliedsnummer  55^.^07- 
Altparteigenosse . 

Noch  vor  der  Machtübernahme,  1951,  war  er  Reichsamtsleiter 
SrNSDAP  in  Gerlitz;  1954  wurde  er  für  seine  Verdienste  um 
die  Entjudung  der  deutschen  Presse  in , Sachsen  zum  Gaustellen- 
leiter befördert.  Sechs  Jahre  später  übernahm  Hampe  das 
pjesseref erat  des  Stabschefs  der  SA  -  von  dort  aus  dirigierte 
er  die  gesamte  SA-Publizistik. 


Dr.  Franz  Hempelmann 

Vom  NS-Parteigenosaen  zum  Chefredakteur  der  "BrandenburRi- 

schen  Neuesten  Nachrlcnten"_^ 

Dr.  Hempelmann  ist  Funktionär  der  NDP  und  leitete  zeitweilig 


Nr.  45 


MB  —  8.  November  1968 


Seite  5 


99 


Juden   Im  öffentlichen 

Ein  grundlegendes  Werk 


Leben   Deutschlands" 

von   Ernest  Hamburger 


50  JAHRt:  NACH  DER   NOVEMBERRKVOLUTION 


In    diesen    Tagen    gedenkt    man 
der    deutschen    Revolution    des    9. 
November  1918,  der  damals  erweck- 
ten   Hoffnungen    und   der    nachfol- 
genden   Enttäuschungen.    Der    Um- 
sturz des  Kriegsendes  war  ein  neu- 
es   Glied    in    der    Kette    der    miss- 
Rlückten     Revolutionen     der     deut- 
schen   Geschichte    -~    vom    Bauern- 
kriege im  16.  Jahrhundert  über  die 
Marz-Revolution   von    1848   bis   zum 
Umsturz  des  Kaiserreiches.  Es  mag 
sein,  dass  in  diesem  Versagen  eine 
Eigenschaft    des    deutschen    Volks- 
charakters   begründet    ist,    der    sei- 
nem Wesen  nach  nicht  revolutionär 
ist.  Aber  wir  dürfen  dabei  nicht  ver- 
gessen, dass  die  Gegenkraft,  die  sich 
in     der     Bismarckschen     Formulie- 
rung   von    „Blut    und    Eisen"    aus- 
drückt,  zu   keinen   dauerhaften   po- 
litisch-sozialen Zuständen         in 
Deutschland  geführt  hat,  und  zwar 
lange   vor  Bismarck,   wenn   wir   an 
das     Schicksal    Preussens     denken, 
wie  es  von  Friedrich  dem  Grossen 
geschaffen     worden     ist.    Für     Bis- 
marcks  Reich  ist  dies  evident  und 
nicht    weniger    für    dasjenige    von 
1933,   als  man   in  einer  alles  Mass 
sprengenden    Form    die  Lehre   von 
Blut    und   Eisen    zu   verwirklichen 
trachtete.    So   ist   die   deutsche  Ge- 
schichte  gewiss   nicht   ohne   Tragik 
in  ihren  Wendungen  von  Extrem  zu 
Extrem,    von    revolutionärer    Hoff- 
nung  zu   der    Illusion,   die  auf   die 
gewaltsame    Zusammenfassung    der 
Volkskräfte   im   Innern  und  zu  ih- 
rer Durchsetzung   nach   aussen  hin 
tendiert. 

Ks  bleibt  die  Fruae.  ob  da^  deut- 
sche Volk  und  seine  politischen 
und  geistigen  PLihrer  die  Lehre  der 
Geschichte     begriffen     haben     und 


sich    in    unseren    Tagen    zu    einem 
neuen    Prinzip    bekCiinen,    das    viel- 
leicht dem   „deutschen  Wesen"  und 
der  Position  Deutschlands  unter  den 
Völkern    Europas    angemessen    ist. 
Nicht   Revolution,  nicht   Unterdrük- 
kung   der    Freiheit   im    Innern   und 
nach    aussen    hin    können    der    Be- 
gabung   dieses   Volkes    und   seinem 
Glücke    dienen,    sondern    die    Aus- 
nutzung seiner   immensen  Reserven 
an    Beharrlichkeit    und     Fleiss,    an 
Erfindungsgabe    und   auch   schöpfe- 
rischer  Kraft.  Es  wäre  nichts  Neu- 
es in  der  Geschichte,  dass  ein  Volk 
eine   Lehre  aus  den  Zusammenbrü- 
chen  zieht  und   sich   dadurch   eine 
beständige  Basis  für  seine  Existenz 
schafft.   Ein   naheliegendes   Beispiel 
ist     Schweden,     einst     erfüllt     von 
Grossmachtstreben,      bis     es      sich 
nach    dem    Zusammenbruch    unter 
Karl  XII.  auf  sich  selbst  zurückzog 
und  eine  Zukunft  auf  die  immanen- 
ten Kräfte  gründete,  die  das  Volk  zu 
Wohlstand  und    auch   zu   bedeutsa- 
men   geistigen    Leistungen    geführt 
hat.   Vielleicht   darf   man  auch   die 
Schweiz  heranziehen,  wo  nach  einer 
Periode  des  Kampfes  um  die  Frei- 
heit  die  Tendenz   zur  Entwicklung 
der    eigenen,    ursprünglich    so    be- 
schränkten Kräfte  mehr  und  mehr 
in  den  Vordergrund  trat  und  dem 
Lande  inneren  Frieden,  äussere  Si- 
cherheit und  Reichtum  in  materiel- 
ler wie  auch  in  geistiger  Beziehung 
gegeben    hat.    Steht    das    deutsche 
Volk    nach     dem    Zusammenbruch 
des    zweiten    Weltkrieges    am    Be- 
ginn  einer   solchen   Epoche,   in  der 
es  weder  revolutionär  noch  aggres- 
siv nach   innnn  vn6   aussen  auftritt 
und    sich    auf    Werte    besinnt,    die 
ihm   die   Tragik   der   Vergangenheit 
ersparen? 


dass  sein  zweiter  Teil,  der  sich  mit 
der    nachfolgenden    Entwicklung    in 
der    Weimarer    Republik    bis    1933 
beschäftigen  soll,  in  absehbarer  Zeit 
vorliegen   wird.   Die   Fülle   der   Tat- 
.sachen,    die    auf    den    .'■)62    Textsei- 
ten vor  dem  Leser  erscheinen,  auch 
der  Umfang  des  Quellennachweises 
zeigen  dies  deutlich,  wobei  es  sich 
bei   den  Quellen  zum   grossen  Teil 
nicht  nur   um    gedrucktes    Material 
handelt,    sondern     um.     Dokumente 
aus    Archiven   und    um    perstinliche 
Auskünfte    aller    Art.    Sicher    wird 
es  möglich  sein,  dem  Autor  diesen 
oder  jenen  sachlichen  Fehler  nr.*h- 
zuweisen,   wenn   man    im   einzelnen 
in.sbesondere    die    Darstellung    der 
persönlichen  Schicksale  untersucht, 
die    dem    Buch    seinen    besonderen 
Charakter  geben.  Hamburger  hat  ja 
nicht    allein    eine    Darstellung    des 
Ablaufes   einer    bestimmten    Zeitpe- 
riode  unter    einem    speziellen    Ge- 
sichtspunkt   vorgelegt,    sondern    er 
hat    vor   allem     -    und   darin    liegt 
der    besondere    Wert    der    Untersu- 


chung   —    diesem    Skelett    das    le- 
bendige   Fleisch    eingefügt    in    der 
Schilderung  des  Wirkens  der  Män- 
ner,   die    in    dieser    Periode    aufge- 
treten   sind.    Das    gilt    sowohl    für 
die    relativ    kleine    Zahl    von  Juden 
oder  getiiuften  Juden,  die  in  Regie- 
rung  iun\  \  erwaltuni;  eine  wichtige 
Rolle   gespielt   haben,  wie  auch  für 
die   Juden   als  Abgeordnete    in    den 
verschiedenen  Parlamenten  von  den 
Tagen    der     1848er    Revolution    bis 
/.um   November   1918.  Ohne  zu  wer- 
ten, darf  man  vielleicht  sagen,  dass 
uns  die  Porträts  jüdischer  Abgeord- 
neter      der       Sozialdemokratischen 
Partei     besonders    gefesselt    haben; 
vielleicht    lag    dieses    Thema    dem 
Autor    besonders    nahe,    kannte    er 
doch    sehr    viele  der    Abgeordneten 
jener   Periode   persönlich  aufs   eng- 
ste,   soweit    sie   mit    ihrem   Wirken 
in   die   Republik  hinüberreichen,   in 
der    Dr.    Hamburger    selbst    in    die 
Reihe  der  sozialdemokratischen  Par- 
lamentarier eingetreten  ist. 


VERGLEICH  \()N  ZWEI  AUTOREN 


EIN  BlfH  ZI  R  RECHTEN  STUNDE 


Es   sind  solche  Fragen,   die  sich 
an  einem  Gedenktage  wie  demjeni- 
gen  aufdrängen,    an   dem    Deutsch- 
land  den    Schritt    von    der    Monar- 
chie   zur    Republik    in    der    Stunde 
der     militärischen    Niederlage     tat. 
Nur    ein    Zufall    ist    es.    aber    ein 
glücklicher,    wenn   gerade   jetzt   ein 
sehr   bedeutsames   Werk  erschienen 
ist,  welches  u.a.  auch  auf  die  Zeit 
jener  Revolution    in   mancher   Hin- 
sicht   Licht    wirft,    soweit    nämlich 
Juden  als   Politiker   an   ihr  teilnah- 
men.  Es   ist   das   Buch  von   Ernest 
Hamburger   „Juden  im   öffentlichen 
Leben  Deutschlands.  Regierungsmit- 
glieder, Beamte  und  Parlamentarier 
in    der    monarchischen   Zeit    1B4R- 
1918"  (Schriftenreihe  wissenschaftli- 
cher Abhandlungen  des  Leo  Baeck 
Instituts  19,  J.C.B.  Mohr  [Paul  Sie- 
laeckl     Tübingen     1968).     Der    Ver- 
fasser   des   Werkes    ist    aufs    beste 
dafür  qualifiziert,  dieses  Thema  7U 
erforschen.  Er  war  in  der  Weima- 
rer   Republik    als    Oberregierungs- 
rat in  Breslau  ein  hoher  Beamter, 
gehörte     der     Sozialdemokratischen 
Partei  an,  die  er  als  Abgeordneter  im 
Preussischen    Landtag    vertrat,   und 
gelangte  nach  seiner  Auswanderung 
schliesslich  nach  New  York,  wo  er 
viele  Jahre  im  Apparat  der  Verein- 
ten Nationen  tätig  gewesen  ist.  Zu- 
gleich war  er  in  allen  Phasen     sei- 
nes    Lebensganges     an     jüdischen 
Dingen    interessiert    und    ist    heute 
mit   dem    New   Yorker    Arbeitszen- 
trum des  Leo  Baeck   Instituts  eng 
verbimden.     dessen     Anregung     das 
Werk  sein  Entstehen  verdankt. 

Wenn  wir  es  zunächst  einmal  all- 
gemein charakterisieren  wollen,  so 
zeichnet   es    sich    durch   die    Eigen- 


schaften    aus,     die    der    Verfasser 
mitbringt;   die   scharfe  Analyse  des 
Juristen  in  der  Darstellung  von  Zu- 
sammenhängen, ihrer  Ursachen  und 
Folgen,   eine   gewisse   Distan7ierung 
von  Dingen  imd  Menschen,  die  ge- 
rade der   Verwaltungsbeamte   besit- 
zen muss,  die  genaue  Kenntnis  der 
Vorgänge,    die    der    Autor   z.T.    be- 
reits miterlebt  hat  und  die  für  sei- 
ne  eigene    Entwicklung    in    jungen 
Jahren  bestimmend  waren,  bevor  er 
in    der    Weimarer    Republik    .selbst 
als    Beamter    und    Politiker    seinen 
Platz   fand.   Auf   der   anderen   Seite 
findet  sich  Freiheit  von  jeder  Dog- 
matik,     etwa    einer    marxistischen, 
oder  auch  einer  bestimmten  Ideolo- 
gie. Dabei  leuchtet  vor  allem  in  der 
Bewertung    der    Leistung    und    der 
Mängel  von  Menschen  eine  liberale 
Grundlage    hindurch,    der    Einfluss 
einer    Erziehung,    die    sich  um    die 
Jahrhundertwende    volh^og    imd    in 
den     Ideen    des     19.    Jahrhunderts 
ihre  Basis  besitzt.  Damit  kein  Miss- 
verständnis   entsteht:     Es     ist     ein 
Werk   voller  Tatsachen,   der   Darle- 
gung   politischer   imd    sozialer    Zu- 
sammenhänge   und    des    Auftretens 
und  der  Wirkun.^  einer  langen  Rei- 
he   von    Persönlichkeiten.    Wertung 
im  subjektiven  Sinne  ist  demgegen- 
über relativ   selten,   auch   wenn   es 
an   manchen   Stellen   deutlich   wird, 
wie    sehr    der    Verfasser    an     den 
Ergebnissen     der    politischen     Ent- 
wicklung inneren  Anteil  nimmt  und 
im    Grunde    seines    Herzens    nicht 
ohne    Leidenschaft    dieses    Quellen- 
werk  zusammengetragen  hat.   Denn 
es  ist  ein  Quellenwerk  ersten  Ran- 
ges,   das    hier    entstanden   ist    imd 
von    dem    wir   nur   hoffen    können. 


Wie      der      Verfasser      bemerkt, 
konnte    er   das    im    Jahre   1966    er- 
schienene   Buch    von    .lacob    Toury 
„Die  politischen  Orientierungen  der 
Juden  in  Deutschland.  Von  Jena  bis 
Weimar"      (Schriftenreihe      wissen- 
schaftlicher  Abhandlungen   des  Leo 
Baeck     Instituts     15,    J.C.B.     Mohr 
[Paul  Siebeck]   Tübingen   1966)  nur 
noch  in   einigen   Fussnoten   berück- 
srchtigen.  •  Toury s    Arbeit    (die    wir 
im   ,>IB"  Nr.  47  voom  25.   Novem- 
ber 1966  an  dieser  Stelle  gewürdigt 
haben)    überschneidet    sich    in    ge- 
wisser   Hinsicht    mit    der    Untersu- 
chung  Hamburgers.   Vor   allem  gilt 
dies   für   jenes-   Kapitel,   in   dem   er 
sich  mit  den  Juden  als   Wähler  be- 
fasst.     Aber    während    der     israeli- 
sche   Autor    im    wesentlichen    jüdi- 
sche   Quellen    heranzieht     und    die 
Dintie    damit   überhaupt    vor    allem 
als    Gegenstand    der   jüdischen    Ge- 
schichte betrachtet,  wobei  er  selbst, 
einer   jüngeren   Generation    angehö- 
rig,  die  Entwicklung   aus   zeitlicher 
imd   geographischer  Distanz  heraus 
empfindet,    baut    Hamburger    seine 
Untersuchimg    in    ersier    Linie    auf 
deutschen  Quellen  auf;  ihm  ist  der 
Gegenstand  mindestens  ebenso  sehr 
Teil  der  deutschen  Entwicklung  wie 
der   jüdischen,   wobei   auch  die   jü- 


dische   Haltung    weniger    als    auto- 
nome   Erscheinung    erscheint,    son- 
dern  als   Glied   der    deutschen   Ge- 
samtwelt, in  welche  die  Juden  ein- 
gegliedert waren  bzw.   sich  einglie- 
dern   wollten   oder    sollten.    Damit 
wird   gerade  auf  den  Gebieten,   wo 
sich  das  Thema  überdeckt,  die  jetzt 
vorliegende     Darstellung     zu     einer 
komplementären    Untersuchung    für 
das  Toury  sehe  Buch;   es  wäre  eine 
interessante     Aufgabe,     im     einzel- 
nen die.se  Erörterimg  gleicher  oder 
ähnlicher   Probleme   miteinander   zu 
vergleichen  und  daraus  Schlüsse  zu 
ziehen.     Hingewiesen    sei    z.B.    auf 
das  Kapitel  bei  Toury,  das  sich  mit 
dem     Gedanken     eines     „jüdischen 
Zentrums"    beschäftigt    (S.    276    ff) 
imd  dem  kurzen  Abschnitt  über  das 
gleiche  Thema  bei  Hamburger  „Der 
Freisinn    als    .jüdisches    Zentrum' " 
(S.  143  ff);   schon  aus   der  Formu- 
lierung kann  man   den  Unterschied 
erkennen,    abgesehen    davon,    dass 
Hamburger  diesem  Ciegenstand  eine 
Druckseite   v.'idmet,  Toury    dagegen 
neimzehn  Seiten.  Dies  ist  aber  nur 
ein  Bei:5piel  für  die  Differenzierung, 
die    gewiss    vom    Standpunkt    der 
Forschungsaufgaben  des  Leo  Baeck 
Instituts  nur  positiv  zu  werten  ist. 


DER    AUIBAIT    DES    WERKES 


In     seinem     Vorwort     sagt     der 
Autor,  das  Buch  solle  „das  Ringen 
der    Juden    um    ihre   Aufnahme    in 
die   gesetzgebenden    Körperschaften 
und  die  staatlichen  Exekutivorgane 
.schildern".     Es    wolle    , .ferner    ein 
Bild    derjenigen    zeichnen,    die    im 
Reichstag    und    in    den    Landtagen 
als    Abgeordnete    oder    in    leitenden 
Stellen    in    Regierung,    Verwaltung 
und     Justiz     hervorgetreten     sind". 
Die  Darstellung  gliedert  sich  in  drei 
Teile.   Das   erste   Kapitel   behandelt 
das  Thema  der  Juden  in  Regierung 
und  Verwaltuntr,  wobei  der  Verfas- 
ser auch  auf  die  Periode  des  Vor- 
märz   zurückgreift    und    damit    so- 
wohl die  erste  Emanzipationsperio- 
de   wie    auch    die    Periode    der   er- 
.sten    Reaktion    miteinbezieht.     Das 
zweite    Kapitel    schildert    die    Stel- 
Inng    der    Juden    als    Wähler    und 
das  dritte,  bei  weitem  umfangreich- 
ste Kapitel,  das  mehr  als  zwei  Drit- 
tel  des  Werkes  imifasst.  stellt   das 
Wirken  von  .luden  als  Abgeordnete 
dar.  Von  besonderer  Wichtigkeit  er- 
scheinen   uns    auf    der   einen    Seite 


die   Zusammenfassungen,   die   Ham- 
burger    immer     wieder     vornimmt, 
und    —    wie    bereits    bemerkt,    — 
die  Porträts  jüdischer  Persönlichkei- 
ten    und     auch     gelegentlich     von 
Nicht  Juden,   die  in   der  Debatte  ei- 
ne  Rolle    spielten   als   Gegenspieler 
von  Juden  und  von  spezifischen  jü- 
dischen Forderungen.  Diese  Porträts 
von  wechselnder  Länge  je  nach  der 
Bedeutung    der    geschilderten    Per- 
sönlichkeiten, gelegentlich  auch  ent- 
sprechend dem  vorliegenden  Mate- 
rial      sind      gerade       durch       die 
Sachlichkeit    unseres    Autors    nicht 
nur  wertvoll,  sondern  z.T.  in  ihrer 
Zurückhaltung    glänzend.    Als    Bei- 
spiele, die  willkürlich  herausgegrif- 
fen sind,   meinen   wir   Eduard   Las- 
ker,  oder   das   Kapitel   über   einige 
Sozialdemokraten,    die    uns    beson- 
ders   nahe    gestanden    haben,    wie 
Hugo  Haase.  Eduard  Bernstein  und 
Oskar     Cohn.     Gerade     solche    Ab- 
schnitte sind  mit   dem   Herzen  ge- 
schrieben, mit  einem  warmen  Her- 

> 


Seite  6 


MB  —  8.  NcWember  1908 


Nr.  45 


H.  \V.  GOLDSTEIN 


Die  jüdische  Turnerschafl  Bar  Kochba  Berlin  wurde  vor  70  Jahren  gegründet 


Sport  und  Loibesübungen  gehö- 
ren heute  zu  den  Selbstverständlich- 
keiten, und  wir  vorj^essen.  dass  es 
noch  nicht  so  lange  her  ist.  als 
die  Forderung  danach  Ausdruck  ei- 
ner beinahe  revolutionären  Gesin- 
nung war,  insbesondere  für  die  jun 
gen  jüdischen  Menschen  in  den 
kleinen  und  grösseren  Gemeinden 
Europas. 

Die  Assimilation  hat  um  die 
Jahrhundertwende  in  Preussen- 
Deutschland  ihren  Höhepunkt  er- 
reicht. Berlin,  die  junge  Hauptstadt 
des  Reiches,  erlebte  wirtschaftlich 
und  kulturell  einen  unerhörten  Auf- 
schwung. In  den  jüdischen  Studen- 
tenkreisen beschäftigte  man  sich 
ernsthaft  mit  den  neuen  Parolen; 
Nordaus  ..Muskeljudentum"  findet 
Resonanz. 

Die   Initiative   ging   von   Wilhehn 
Lcvi,   dem  späteren   Rabbiner,   aus. 
aber  ein  Turnverein  braucht  Turn- 
lehrer, um  die  Erlaubnis  zu  erhal- 
ten,   und    so    mussten    drei    junge 
Studenten.    R.    Blum.    H.    Jalowitz, 
M.  Zirker  eine  Prüfung  ablegen;  an- 
dere   besuchten   Vorturnerkurse    in 
der  Deutschen  Turner  schalt.  Es  sind 
48  junge  Menschen,  die  am  22.  Ok- 
tober   1898  den    Bur    Kochba   grün- 
den. Die  jüdische  Gemeinde  Berlin 
weigerte    sich,    die   Turnhalle   ihrer 
Knabenschule     zur     Verfügung     zu 
stellen,    aber    das    Jugendamt    der 
Stadt   gab   einen   Turnsaal.   Der  er- 
ste Turnabend  fand  am  5.  Dezem- 
ber  1898   statt. 

Die  ersten  Nummern  der  ,, Jüdi- 
schen Turnzeitung.  Officielles  Or- 
gan des  jüdischen  Turnvereins  Bar 
Kochba  Berlin"  erschienen  im  Jah- 
re 1900.  Die  ersten  Jahrgänge  ge- 
iDen  eine  interessante  Lektüre, 
kraftstrotzende  Gedichte,  mit  denen 
sie  sich  anspornen,  wie  nett  werden 


die   Turnfahrten    beschrieben,    wird 
von    'Spielen    und    Hebungen    ohne 
Geräte'.     .Freiübungen    ohne     Bela- 
stung* berichtet.  Auseinandersetzun 
gen  mit  jüdischen  Gruppen  und  der 
Pres.se  folgten.  Der  Herbst  des  Jah- 
res   1900    bringt    zwei    Erfolge,    es 
wird    eine    'Lehrling.sabteilung'    ge- 
gründet und  damit  der  Rahmen  ei- 
ner    akademischen     Bewegung     ge 
sprengt.  Die  jüdische  Gemeinde  er- 
laubte   die    Benutzung    ihrer   Turn- 
halle. 

Durch  die  Turnzeitung   wird  ein 
Kontakt    mit     anderen    Gemeinden 
und  Gruppen    hergestellt.    Man    er- 
fuhr, dass  es  einen  jüdischen  Turn- 
verein  in   Konstantinopel   seit    1895. 
in  Philippopel  seit  1898.  eine  Israe 
litische    Turnerschaft    in    Hamburg 
.seit   1898  gab.   In  Bialitz-Biala  wird 
eine  jüdische  Sportorganisation  1899 
gegründet,     in     Wien     im     gleichen 
Jahr,    eüie    zweite    1900.    Es   folgen 
Sofia    1899.    Bukarest    1899,   Halber- 
stadt und  Mährisch  Ostrau  1900. 

Man    schrieb    fleissig    Briefe    an 
die    Turnzeitung.    Die    ersten   Rufe 
nach       einer       Vereinigung       wer- 
den  laut.   Im    März    1903   beschlos- 
sen   die    400    Mitglieder     des    Bar 
Kochba.    eüien    Verband    jüdischer 
Turnvereine  zu  gründen,  der  auf  dem 
6.   Kongress   im   gleichen  Jahr   ent- 
steht.   „Die      jüdische   Turnerschaft 
bezweckt  die  Pflege  des  Turnens  als 
Mittel  zur  körperlichen  Hebung  des 
jüdischen    Stammes    im   Sinne    der 
national-jüdischen  Idee."  Der  Name 
wurde   von  der   Deutschen  Turner- 
schaft   übernommen,    die  .  oft    offan 
antisemitisch   eingestellt    war.    Aus 
Graz    wird    1908,    berichtet:    'in  der 
deutschesten  Stadt  Oesterreichs  ver- 
.•ianunelten  .^^^ich  4500  Turner  im  Zei- 
chen des  Arierparagraphen'.  In  Dis- 
kussionen vergleicht  man   sich   ger- 


ne mit  ihr,  die  auch  in  den  ver- 
.schiedenen  Ländern  Turngruppen 
hat,  ohne  sich  um  die  politischen 
Belange  der  Länder  zu  kümmern. 

Die   Jüdische  Turnerschaft   setzt 
sich  im  Gründungsjahr  aus  13  Ver- 
einen  zusammen:    die   fünf   Vereine 
in   Bulgarien,    in   einem    Landesver- 
band zusammengeschlossen,  bleiben 
der    Vereinigung    fern,    unterhalten 
aber    Kontakt    mit    ihr    durch    die 
Turnzeitung.   In  Palästina  wird  die 
erste  Turngruppe   1906  in  Jaffa  ge- 
gründet. Es  fehlen  Turnlehrer.  Nach 
der   Einwanderung  von  Elias  Auer- 
bach und  Ernst  Hermann,  1909,  wird 
der  Geist  des  Bar  Kochba  ins  Land 
gebracht.  Es  entstehen  Gruppen  in 
Petach  Tikwa,  Rischon  le  Zion,  Re- 
chowoth.   Ness   Ziona,  Gedera;  spä- 
ter   folgen    Vereine    in    Jerusalem, 
Sichron  Ja'akow,  Ekron,  Haifa,  Bei- 
rut. Das  hebräische  Gymnasium  sen- 
det 1908  seinen  Turnlehrer,  Zwi  Oloff , 
zur    Ausbildung    nach    Deutschland 
und  in  die  Schweiz.  Aus  einem  In- 
terview lernen  wir  Einzelheiten  über 
den  Turnbetrieb.  'Häufig  bildet  der 
gemeinsame   Dreschplatz  der   Kolo- 
nie   den    Versammlung.sort!'    Volks- 
feste   werden    zu    einer    ständigen 
Einrichtung,   die   die   Jugend   Jaffas 
mit  den  Kolonien  vereinigt,  Pferde- 
rennen,     Preisschiessen,      Wettlauf. 
Springen    und    Ringkampf.    In    den 
Pessachtagen  1908  improvisieren  sie 
ein  Schar  turnen  auf  dem  Festplatz 
in  Rechowoth. 

Ein  besonderes  Problem  stellen 
die  Kommandoworte  dar.  Man  sieht 
in  Berlin  ein,  dass  die  deutschen 
Ausdrücke  nicht  die  Jugend  in  Pa- 
lästina, in  der  Türkei  und  Bulga- 
rien ansprechen,  im  Jahre  1908  er- 
bittet man  Vorschläge  und  Berich- 
te über  Versuche  mit  hebräischen 
Ausdrücken... 


„Juden  im  öffentlichen  Leben  Deutschlands" 


zen,  das  der  Autor  aber  zu  zügeln 
versteht,  weil  er  als  Historiker 
wirkt.  Dennoch  bricht  hier  und  da 
in  der  positiven  Wertung  wie  auch 


in  der  Kennzeichnung  von  Fehlur- 
teilen und  Fehlhandlungen  dieses 
Herz  durch,  nicht  zum  Schaden 
der  Darstellung. 


IDEOLOGISCHE  PROBLEME 


Hamburger   will    kein    „ideologi- 
sches" Buch  liefern,  er  ist  ein  Sach- 
historiker,   den    die     ..Philo.sophie" 
der    Vorgänge,    wie    man    dies    im 
englischsprachigen   Bereich  zu  nen- 
nen pflegt,  erst  in  zweiter  Linie  in- 
teressiert.   Dennoch    beschäftigt    er 
sich  gelegentlich  mit  Problemen,  die 
in    den    theoretischen    Bereich    hin- 
überspielen.  So   stellt   er   in   seiner 
Schlussbetrachtung    die    Frage,    ob 
es    so    etwas    wie    ein    spezifisches 
Verhalten     jüdischer     Abgeordneter 
und    Mitglieder    der    Exekutive    ge- 
i^eben    hat.    Er     ist     VeiHlhremeine- 
rungen    gegenüber    skeptisch,    den- 
noch  aber  kommt   er   zu  dem   Er- 
gebnis,   dass    es    bestimmte    Eigen- 
schaften und  Verhaltensweisen  gab, 
die  bei  einer  relativ  grösseren  An- 
zahl  von   Juden   anzutreffen   waren 
als    bei     NichtJuden.     Er    schildert 
dann    solche    typischen     Haltungen 
wie  etwa,  dass  mit  einer  Ausnahme 
alle  jüdi.schen  Abgeordneten  die  To- 
desstrafe    verwarfen;      andererseits 
verschweigt     er     aber     auch    nicht, 


dass   sich   manche  Juden   oder   Ab- 
geordnete   jüdischer    Herkunft    auf 
politische    Linien    begaben,    die    in 
keiner   Weise    mit    dem    zu    verein- 
baren sind,  was  man  vielleicht  als 
spezifisch    jüdisches    geistiges    Gut 
bezeichnen   mag.  Gerade  unter  den 
Gesichtspunkten    des    Halbjahrhun- 
dert Gedenkens    an    die    Revolution 
von     1918    sind    die     Ausführungen 
über   die   Stellung   der   Sozialdemo- 
kratischen   Partei     im    Kriege    und 
in    der    Revolutionszeit    interessant, 
aus    der    hervorgeht,    in    welchem 
Mftsse  es  Juden  waren,  die  an  der 
USP1>    Anteil    nahmen,    sodass    last 
ein   Drittel  der  Fraktion  aus  Juden 
bestand,    die    auch    im    Kriege    den 
Gedanken     des     Internationalism.us 
nicht   aufgaben.   Aber   auch   die   in- 
nere    Unsicherheit     dieser     Partei, 
wird   beleuchtet,    die    zwischen  den 
beiden  grossen  Richtungen  des  So- 
zialismus,     der      Sozialdemokratie 
und  dem   K(jmmunismus.   zerrieben 
worden  ist 


VON    BISIVIARCK  ZU    SOMBAIIT 


Hamburger  behandelt  die  be 
rühmte  Rede  des  jungen  Bismart-k. 
in  der  er  sagte,  er  gönne  den  Ju- 
den alle  Rechte,  nur  nicht  das.  in 
einem  christlichen  Staat  ein  ob 
rigkeitliches  Amt  zu  bekleiden.  Er 
würde  sich  tief  niederjzedrückt  füh 


len,  wenn  er  sich  gegenüber  als 
Repräsentanten  des  Königs  einen 
Juden  dächte,  dem  er  gehorchen 
.sollte.  Das  war  im  Jahre  1847.  Ge 
gen  Ende  der  Periode,  die  hier  er 
örtert  wird,  steht  die  berühmte 
Aeus.serung    von     Werner     Sombart 


Die  Jüdische  Turnerschaft  wird 
in  Landeskreise  eingeteilt.  Es  ent- 
steht der  deutsche,  der  westöster- 
reichische, der  Kreis  Galizien-Buko- 
wina,  der  es  trotz  Schwierigkeiten 
auf  27  Vereine  bis  zum  Kriegsaus- 
bruch bringt,  Bulgarien  mit  10 
Gruppen  und  die  Türkei.  In  Palä- 
stina erfolgt  der  Zusammenschluss 
erst    1912. 

Der    deutsche    Kreis    organisiert 
Turnfahrten     nach     Palästina,     1913 
und  1914.  Der  Weltkrieg  unterbricht 
die  Turnerei.  Nach  dem  Krieg  ging 
die   Initiative  von   den   Gruppen   in 
Deutschland   aus,  die   sich  im  Sep- 
tember   1919    zu    einer    Tagung    in 
München      zusammenfanden,      aber 
erst  auf  dem  12.  Zionlstenkongress, 
August   1921,   wurde  die   Neuorgani- 
sation   der    Jüdischen  Turnerschaft 
proklamiert,  und  unter  der  Führung 
der   Gruppen    in   Deutschland   wird 
der    Makkabi-Weltverband    geschaf- 
fen,  auf   dem   „Turntag"   in   Karls- 
bad, 1923,  wird  Heinrich  Löwe  zum 
Präsidenten  gewählt.  Das  Präsidium 
wird    1925    nach    Wien    verlegt,    bis 
1929,    als    die    neue    Leitung    unter 
Dr.  Lelew  er  mit  Fritz  Bernstein,  Dr. 
Richard   Blum,  Dr.  Friedenthal   die 
Parole   einer   palästinensisch   ausge- 
richteten   Erziehungsarbeit    prokla- 
miert.    Der     Plan     der     Makkabia 
kommt    auf,    der    1932    verwirklicht 
werden    kann,    nachdem   ein  Sport- 
platz in  Tel-Aviv  geschaffen  wurde. 
Berichtigung.     In    dem    Auf  sat  z 
„Erinnerungen    an     Paul     Lazarus" 
in    der    vorigen    No.    des    MB    ist 
am  Ende  des  vierten  Absatzes  ein 
Druckfehler  unterlaufen.  Das  Im  Zu- 
sammenhang  mit   einer   Predigt   in 
der    Nazi-Epoche    angeführte    Zitat 
muss     heissen:      ,,Dei-m     1000     Joiiz'o 

Sind   in  Deinen  Augen  wie  der  ge- 
strige Tag." 


vom  Jahre  1912,  in  der  er  die  Mei- 
nung vertrat,  den  Juden  gebühre 
die  volle  Emanzipation,  aber  sie 
sollten  nicht  in  vollem  Masse  von 
ihr  Gebrauch  machen.  Diese  Mei- 
nung hatte  ihre  Parallele  in  der 
Kunstwart-Debatte  aus  dem  glei- 
chen Jahre,  die  sich  aber  vor  allem 
mit  der  Stellung  der  Juden  im 
Kulturleben  Deutschlands  beschäf- 
tigte (siehe  hierzu:  Moritz  Goldstein 
..German  Jewrys  Dilemma  before 
1914"  —  Jahrbuch  II  des  Leo  Baeck 
Instituts,  1957). 

Es  liegt   vielleicht  nicht   im   Sin- 
ne des  Verfassers  des  hier  bespro- 
chenen   Werkes,    die    Aeusserungen 
Bismarcks  und  Sombarts  miteinan- 
der in  Beziehung  zu  setzen  und  das 
Ergebnis     seiner     Forschungsarbeit 
als    einen    Beitrag    zur    Erkenntnis 
der    Tragik     der    deutsch-jüdischen 
Geschichte  zu  bezeichnen.  Hier  geht 
es   um   die   Eroberung   von   Positio- 
nen    im     öffentlichen     Bezirk     der 
Verwaltung,  der  Rechtsprechung  der 
der  Exekutive  und  der  Parlamente. 
Wie  Dr.  Hamburger  selbst  gelegent- 
lich mit  Recht  sagt,  war  der  Anteil 
von   Juden   an    diesen   Gebieten  je- 
denfalls  bis   1918   relativ   gering  ge- 
messen an  ihrer  Beteiligung  an  Wis- 
.senschaft,     Kunst    imd    Wirtschaft. 
Aber  dennoch  war  es  eben  ein  neu- 
ralgischer  Punkt,   um   den   es   hier 
geht,    wie    es    von    Bismarck,    der 
seine    antisemitische    Gesinnung    in 
keiner   Weise   zu   verbergen   suchte, 
seiner  Zeit   entsprechend   nicht   we- 
niger deutlich  formuliert  wurde  als 
von    Sombart.    der    trotz    allen    ge 
genteiligen    Behauptungen    nun    ge- 
wiss nicht  als  ein  Antisemit  dekla 
riert  werden  kann,  auch  nicht  was 
sein   Auftreten  in  der  Zeit   der  Na 


ziherrschaft  betriff:.  Sombart  hatte 
in  einer  mehr  allgemeinen  und  weit 
vornehmeren  an  die  Adresse  der  Ju- 
den gerichteten  Form  etwas  Ähnli- 
ches zum  Ausdruck  gebracht.  Das 
Auf  und  Ab  im  Einfluss  von  Juden 
auf  Exekutive,  Verwaltung  und  Le- 
gislative, die  Unsicherheit  ihrer  ei- 
genen Haltung  und  nicht  zuletzt  die 
Tatsache,  dass  ein  sehr  grosser  Teil 
der  Persönlichkeiten,  die  auf  all 
diesen  Gebieten  erfolgreich  wirken 
konnten,  die  Taufe  nahmen  oder 
sich  vom  Judentum  zumindest  ab- 
wandten, zeigt  die  Problematik,  die 
niemals  zu  überwinden  war  und 
die  dann  ihren  Einfluss  auf  die 
weitere  Entwicklung  in  der  Wei- 
marer Republik  ausübte.  Es  ist 
möglicherweise  nicht  nur  die  Ab- 
neigung gegen  Ideologie  oder  „Phi- 
losophie", die  dazu  geführt  hat, 
dass  im  Index  von  Hnmburgerr. 
Werk  der  Name  Sombarts  nicht 
auftaucht... 

Aber  dies  ist  schon  eine  Bemer- 
kung, die'  ein  wenig  über  unsere 
Aufgabe  hinausführt,  ein  Werk  zu 
würdigen,  das  einen  bedeutenden 
Baustein  zum  Verständnis  der 
deutsch-jüdischen  Geschichte  im 
vergangenen  und  im  beginnenden 
neuen  Jahrhundert  darstellt.  Ham- 
burgers Leistung  als  Forscher,  der 
das  Material  nicht  nur  in  uner- 
müdlicher Kleinarbeit  zusammenge- 
tragen hat.  sondern  es  in  seiner 
Darstellung  wirklich  beherrscht, 
kann  nicht  hoch  genug  anerkannt 
werden.  Mit  Spannung  erwarten 
wir  den  für  uns  so  besonders  in- 
teressanten zweiten  Teil,  der  der 
Weimarer  Republik  gewidmet  sein 
soll  KURT   LOEWENSTEIN 


-4- 


ii-rich   ^.:ollenb£rt;,.^ls   .-;o  uarmist   vor  MuencLen, Berlin   1129 


J(^ 


Die    ..uencbtner  Raeterepublik.    Zeu.^nisse  und   Konii.ientare    e    .    Tankred  Ijorst ,  >t-^»-» 

E.und  E.   Iiannover,   Politische   Justiz  1^.18-1932  ^J/     ^ ^/ 

lu  Deutschen   Heicli,    }J{:IY  Dez.  1^13   ueber   Lisnrr 

Richard  ^i.    f.  Conifort ,  Revolutionary  xiaraburg,    Stanford   1966 

llax   . Harburg,    ^lU:;  me  i-n..n  Auf  zei  dinun^'en, 

nub-cr  uebt-r  die  r^evolution    in  Der  Jude    III, lovember/Dez.  1^.13 


.-crsey,    Die    .  eutsche    Zentrumspartei 

Verhandlungen    c.er  Nationalversaiuiilun^  St.i:.    band    527,^^.    ilSo  {^namentliche 

.^bsti  nun,  ueber  uen  ^'rie.  ensvertrag) 

f^ /^  ^..^W  ^^^  ..vi^V/.  /^^e^i^^^^^^  A^^^ 


'■"•'<-"Si3 


$ 


The  Death  of  Dr#   Lasker. 
Dying  on  bis  way  home  from  a  dinner  party. 


ihe  cause  of  bis  decease  probably  over-work  -  i'Le   German   statesnian'ö 

career  and   aobievenients# 


Dr«   Ddouard  Lasker,    the    erainent  German   statesmant    ^ormed  one  of 
a  small  dinner  party  at  i.r«   *lesse    .u  Seligman's  residence,    Ko   2    .ast 
Forty-sixtb-dtreet ,Tbursday    evening.   He  was  in  unusually  cbeerful 
spirits  and   obatted  pleasantly  about  bis  recent    journeyinßs   in  tbis 
country   and  bis    inoumbent   departure  for  boiiie    in   tbe   steamer  kain  on 
tbe  26tb  inst.    *'I  bave  a  great    deril   to  do   wben  Parlia   ent    begins," 
be   said.    About  11  o^oIock  Dr»   Lasker  bade  bi^.^   last    good-nigbt   and 
walked  down  Fiftb-avenue   in  Company  with  Äir»    august    uai>8enTian,a 
California  gentleman,    wbo   is   stopping  at   tbe   Gilsey  Kouse#      For   a 
llttle   isbile    Dr.   Lasker   oontinued  to   talk  about  bis    .oafrican  visit 
and   the  extremely  pleasant   reiations  he  bad  formed   vvi  th   a  few  prominent 
people,     it  Fortietb-street  lAr.    .»asserraan   noticed  thai  bij  companion 
seemed  tired,   and  ituuMx  offered  bim  bis  arm»    "Perhaps   we  bave   been 
Walking  too  fast   for   you,    Doctor"  be   said« 

(Tbe   next  paragrapbs   oo;-tain  detailed  indications  about  tbe  last 
bours   of  tbe  dying  man   and  \^hat    v^as  d.ne   to   save  bis  life) 

Ä  dispatch  wms  sent   to  Dr.   Laskers  brother,:uorris  lasker  in  Galveston, 
Texas»   Dr.   Lasker  bad  lived  in  I^ew  York   at  Uo   102  Lexington-avenue, 
be  bad  been  introduce     to    tbe   landlady  by  bis  cousin,i.r.   h#.\ioLt€r, 
livin£   at  ..o  822  Lexington-avenue.   Tbe    cousingals^.,    was  notified  of   tbe 
sad   occurrence.JUawn  was   just    briaking  wben   the   undertaker  toor:  Dr.   Laskers 
body  to   tbe  room  be  bad  quitted   only  a  few  bours   before  apparentii 
in   good  bealtb.   kssrs   V*asserman  ana   üeligman  watcbei   by  it   until   the 
people   in   the  bouse  were     astir.    ix-oecretarj   Carl  ochurz,    a  lont; 
personal  friend   of   tbe  deceaseö,    was  made  aware  of  tbe   TactSiana  bad 
arrlvea  early  at   the   house.    ''Poor  fellow/*  he  said,    as  be   stood  by 
tbe   lifeless   form  of   bis  friend,    "be  x;as  a  grand   good  man.'' 

Larly  yesterday  morning   a  dispatch   was  received  from  Mr.   fviorrls 
Lasker   in  Oalvesxon,   directin^     tbat  tbe   body  of  bi  :>  brotber  sbou-..d  be 
emtbalmed  and   statirig   tbat   be   was   then   on  bis   way  to   X^ew-Yoii^.    "Tbe 
reraains  vill   be    taken   to   Gerruaay  probably  next   Thursday",said  a  relative 
•••••    ibe   doctor  was  unmarriedg    but   be  bad  anotber   brotner  and  relatives 
in  Berlin,  i  resumabiy  tbere   will  be   funeral   ceremonies  of   some  sort 
bere,    but   no  ai  rangements  hiive  yet   been  made*'. 

k  representative  mt  a  looal   German  society  wbo   was  in   the   room 
said    tbat    in  all  probability    tbe   Gernian  orbanisat Ions   ir    tbe  City  would 
hol!   meetinf's   today  to   take   action... 


Cn  June  22  last  Dr.   Lasker  came   to    *merica   to  see  bis  brotber  and   to 
ke  a   study  of  the  free   institutioiis  and   repubiican  syate  i  of   eovernmcnt. 
He  reoain/ed  in   tbis  Cit^.    for  about   a  montb  after  bis  arrivel   ,and 


i<-V  >  'f 


9 


-2- 


türoueh  Mr.   ^churz.  Mr.   öeligman,   and  a  ftw  other  acqulantances  was 
feiJ^n^ample  opportunity   to   ivather   the   inforo.ation  and   «^tatisUos  he 
«as  in  searor,   of.  Ue  went   aest  *itß  the  Villard  party  to  attend  tue 
ostentatlou^  openim;  «f  the  Northern  Pacific  i^ailroad.    crom  there  he 
«nt   to   ial^eston   U>  viait  bis   brother.    In  hi.   travels  he   was  sho«. 
preat   attention  irom  all  olasses  of  people  ami  partioulariy  Di 
Übrrai-thinklng  Geman..    v*o   «ere    in  sy.pathy  v-tth   his   parlianientary 
co'ox'se  In  their   fathtrlaAd.  He  v.as/profoundly  impressed  by  the  great 
oharitible  institutions   in  this  »ountry   ana   the-r  read:/    ..eans  ol 
carlng  for  Se  maiaxod  and  unfortunate.   bein,:  a  ^-"^f  ^,if jy^^J'^^J^f^i^i^^ 
aome  attention  to  the    judtcial   system,   also,    ana   madc  dilife.ent  inqulrlea 
on  the   subject  during  s  brief  stay   in   y^ashintton.    it  «as  tm^   dooU-r  . 
Intention  aurint    the  reraainö   r  of  his  stay  in  this   countr,    to  fivt 
some   attention  to   the   local  Eebre«  institutions.    ^.bout    ^^°^^f^^^ 
Dr.   -asker     v.as  taken  ill.   and  Dr.  Jacobi  ^as  ^^''^ ^"^ '^^''''^f^ 
oomplainea  at  that  tlnie  of  loss  of  phyaioal  energy  am.    {^^^^'^ 
and  was  advised   to  take  neeaed   rest  beforc   gonme  back  to   Ger..iany 
to   resuBie  his  p  rliamentary  dutic.s. 

Ihere  «ere   sevcral  cailers  «r  Lo  1Q£  ^exlngton-avenue   yest^rday. 
though  Dr.   Lasker  rorely  spce  of  his  apartments.    and  but   few  ^ne%  the 
addrels.  Col.    Ochiltree.the  «all-known  Texan  ..ongresaman   sent    ^J^h^^ 
Card  in  the  afternoon.in  ^uirinf,  if  there   whs  «"^f  i;;!   *^^«i„^^^-  ^°^i\f  * 
"    1  met  Dr.   Lasker  while  he  was  in  'iexas"  he  said.    "his  brother  is  an 
old   friend  of  mine.    >.c   fo  ßht   in   the   Confed  rate  ^^^y /«e^f'?^'  ^^^  „^ 
cane   o  t  o'"   the   war   with  nothin^  but   his  musket,    and  now  he   is  one  of 
the   wealthies?  raai    in  Oalveston.    I  was  charned  by  the   <^°°J°^^ J^^F«^^-"^ 
knov^ledge  of   cur   finanoial   and   legislative  f  f^^"„«»  ,^f  vln     Sd  he 
coracany  often.    1  traveled  from  Texas  to  Louisiana  '^^^^ .  ^^^»    ^"%t'^,^^ 
afterward  viaite.  me  in   ..ashinfton.  Ue  occuuieo  my  seat   on  the  floor 
of  the  Eouse.   and    I  introduoed  hi     to    the   ..'resident.    ^  f^^^^'    f.  ^"  ., 
Borry.   very  aorry     -  and  the   Congressnan  bustlcd  out.  ..r.  Lraoi.vogel, 
an  eminent  Oerman  writer.now  visitin     the   City,    also  ^f  ^^^  *°  P^^ 
his   respects.   a  Qevinan  lawyer  called  i^ho  said  he  use.  to  ^.nov.  l.err 
iasKer  in   the   zenith  of  his  po.er  in  Gerrnany.    -It   ««^ /y  hi^  StereS 
in  the   farnous  Gruendungsschwindel   cuse  in   187S  t   at   ^%fi"*^,^Jt^*'-^'-^ 
bis   heaith,"  he  said.     The  dootor   alle xge^    and   proyed  J^at   .ount 
Putbus,    a  meaiber   of    royalty.was   m  the   scheme.  he  lea   m   the  debate 
for   14  days.ani   v.as  soon  afterwaras  do«i  with  nervous  pcostration. 
The  neoDle    were  so   entbusiastio  at  his  success   that   they  tooK  the 
horses   ffom  hi.  carriage  and    drew  hi     home.    I^ell   remeaber  with  ^hat 
anxiety  they   looked  for  hourly  bulletina  of  bis  health. 

•i'he  lA«t   speech  which  Dr.   Lasker  laade  was  at  the   annual  meeting 
of  lAount  üinai  hosoital,   which   took  pl .ce  on  1  st   ..unday.   -unong;  other 
?Jiags  he   sa?d    :°  During  my  whoie    joumey  through  ^mrica     tne  benevolent 
institutions  of   the   Jewa  have   made  an  especially  ««^^f .«»'»;,'  ffif/.^'-f^^y 
i  iDression  upon  me.    -md  the  caieful  conservation  of  this  hol^^  duty  in- 
SuSes  me  somewhat  to  overlook  the  fact  that    I  have   seen  otherwise  very 
littlc  attempt  of  the  .»'ews  M   ämerlca  to   preserve    the   traditions  Ox    the 
older   times,\en   the   Deity  selected   Israel   to   be.as   it   wer*,    a   teacher 
and   a  monitor  to  the  nations,    a     large  portion  of  the  national  duty,   as 
i  take   it,    was  to   conslst   in  the  exhibition  ox    that   oharitable  dispositlon 


7 


-3- 

and  aotlve  sympath^jr  whlch  mark  the  Jewish  heart.  /oid  the  assemblage 
today  gives  me  ample  proof  that  this  po rtlon  of  the  national  mission 
is  abundantly  dischar^ed.  I  can  recaii  nothing  of  all  that  i  have 
seen  in  my  journey  in  Uiierica  which  has  had  so  refreshing  and 
inspiring  an  effect  upon  me,  as  these  evidences  that  the  Jev^s,  who 
are  freer  here  than  in  any  other  lands  devote  themselves  with  all 
the  more  energy  and  aevotion  to  the  development  of  benevoience,  and 
thU8  testify  to  the  i^ast  power  for  good  which  lies  inherent  in  the 
Jewish  race  ^herewer  they  may  be  domic^iled»" 


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DAS  PARLAMENT 


Seite  11 


Nr.  11  /  14.  3. 1970 


Vor  fünfzig  Jahren: 


Der  erste  Notstand  der  Weimarer  Republik 

Der  Kapp-Putsch  am  13.  März  1920  /  von  Aured  s*i*ei 


Die  Weimarer  Republik  bestand  noch  nicht 
ein    Jahr,    da    verdichteten    sich    im    Winter 
1919/20   die   Anzeichen  dafür,   daß   die   ablen- 
nende   Haltung   rechtskonservativer   Gruppen, 
zu  denen  ehemalige  Freikorpsführer  und  hö- 
here Reichswehrkommandeure  stießen,  gegen- 
über dem  neuen  demokratischen  Staatswesen 
immer    bedrohlichere    Formen     annahm      Die 
rechtsoppositionellen  Kreise  versuchten,  durch 
Druck  auf  die  Regierung  eine  Änderung  der 
verfassungsmäßigen  Verhältnisse  in  Deutsch- 
land zu  erreichen.  Sie  forderten  die  Auflosung 
der     Verfassunggebenden     Nationalversamm- 
lung,   die    angesichts    der    unsicheren    innen- 
politischen  Lage   auch   nach   Erledigung   ihrer 
eigentlichen    Aufgaben   -   der    Ausarbeitung 
einer    neuen    Reichsverfassung    und    der    Ent- 
scheidung   über    Annahme    oder    Ablehnung 
des  Versailler  Friedensvertrags  sowie  der  Er- 
richtung   einer    vorläufigen    Reichsgewalt     - 
nicht   auseinandergegangen  war,   sondern   als 
parlamentarisches    Gremium   weitertagte,    und 
verlangten  Wahlen  zum  Reichstag.   Von   sol- 
chen Wahlen  versprachen  sich  die  Führer  der 
Rechtsopposition  eine  erhebliche  Stärkung  ih- 
rer   Stellung,    war    doch    seit    Bekanntwerden 
der  ungemein  harten  Friedensbedingungen  des 
Versailler  Vertrages  eine  Woge  der  Empörung 
durch  das  deutsche  Volk  gegangen  und  hatte 
den  nationalistischen  Parteien  großen  Zulaut 
qebracht.  Entsprechend  ging  das  Ansehen  der 
Nationalversammlung,    die    sich   trotz    größter 
Bedenken  für  die  Annahme  des  Friedensver- 
trages entschieden  hatte,  immer  mehr  zurück. 

Neben  dem  ungerechten  Kriegsschuldartikel 
231    und   den  unmäßig  hohen  Reparationsfor- 
derungen der  Siegermächte  erregten  besonders 
die    rigorosen    Abrüstungsbestimmungen    des 
Versailler  Vertrages  die  deutsche  Öffentlich- 
keit  Der  Artikel  160  des  Vertrages  begrenzte 
die   Stärke   des   deutschen  Heeres   auf   sieben 
Infanterie-  und  drei  Kavalleriedivis^ioneii  mit 
insgesamt    100  000   Mann;    die    Friedensstarke 
des  deutschen  Heeres  betrug  jedoch  vor  dem 
Ersten  Weltkrieg  über  760  000  Mann.  Das  be- 
deutete, daß  viele  Berufssoldaten  und  Offiziere 
nadi  der  von  den  Alliierten  geforderten  Ver- 
ringerung   der   Streitkräfte    entlassen    werden 
mußten  und  ohne  Beruf  dastanden.  Als    etzte 
Frist   für   die   Entlassung   war  von   der   Iriter- 
alliierten    Militärmission    der    31.    März    1920 
qesetzt    worden.    Dieser    Termin    beunruhigte 
besonders   jene  Reichswehrverbande,  die  von 
der  Auflösung  betroffen  waren  und  /wischen 
Januar  und  April  1920  entlassen  werden  soll- 
ten   Es  handelte  sich  um  über  60  000  Mann, 
die  mit  ihrer  Verabschiedung  gleichzeitig  vor 
die  Frage  ihrer  weiteren  wirtschaftlichen  und 
beruflichen  Existenz  gestellt  wurden. 

Zur  Sorge  um  ihre  Zukunft  gesellte  sich 
noch  die  Meinung,  daß  die  Herabminderung 
des  Heeresbestandes  von  der  Regierung  ohrie 
Not  betrieben  werde.  Man  vertrat  innerhalb 
der  Armee  die  Auffassung,  daß  es  in  der 
Macht  der  Reichsleitung  gelegen  sei,  m  der 
Frage  der  Abmusterung  weitere  Zugestand- 
nisse von  den  Alliierten,  besonders  von  den 
Engländern,  zu  erreichen.  Jede  weitere  Ent- 
lassung aus  dem  Heer  wurde  daher  als  eine 


gelenkten  Aufstand  in  Deutschland  stehe  un- 
mittelbar bevor,  wollte  seine  Verbände  unter 
allen   Umständen   zusammenhalten.   Er   wider- 
setzte  sich  daher   dem   Auflösungsbefehl   und 
versuchte   in  einer  persönlichen  Unterredung 
mit    Reichswehrminister    Noske    am    7.    März, 
die  Zurücknahme  dieser  Anordnung  zu  erwir- 
ken   Noske  lehnte  das  Ansinnen  ab  und  ent- 
hob General  von  Lüttwitz  seines  Kommandos^ 
Dieser  begab  sich  daraufhin  am  10.  März  1920 
7U   Reichspräsident   Friedrich   Ebert   und   ver- 
lanqte  unverzügliche  Neuwahlen  zum  Reichs- 
laq     Wahl    eines    anderen    Reichspräsidenten 
durch     das     Volk.     Ersetzung     verschiedener 
Reichsminister      durch      nichtparlamentarische 
Fachminister   und  eine   ganze   Reihe   weiterer 
Maßnahmen,  die  ebenso  gegen  die  Bestimmun- 
gen des  Versailler  Friedensvertrages  verstie- 
ßen wie  gegen  den  Fortbestand  der  Republik 
gerichtet  waren. 

Ebert  beantwortete  diese  in  ultimativer 
Form  vorgebrachten  Forderungen  mit  der  Ent- 
lassung des  Generals.  Gleichzeitig  erließ  die 
Reichsregierung,  die  von  den  heim  ichen  Vor- 
bereitungen der  Putschisten  Nachricht  erhalten 
hatte,  Haftbefehle  gegen  Kapp,  Bauer  und 
Pabst,  die  aber  nicht  mehr  aufgeführt  werden 
konnten. 


Brigade  Ehrhardt  marschiert 

Die   Rebellen   kamen   der   Regierung   zuvor^ 
In  der  Nacht  vom  12.  auf  den  13.  März  1920 
marschierte  die  Brigade  Ehrhardt,  mit  seh waiz- 
weiß-roten  Fahnen  und  dem  Hakenkieuz  auf 
dem  Stahlhelm,  von  ihrem  Lager  Dobentz  na* 
Berlin.    Am    13.    März    ließ    Kapitän    Ehrhardt 
durch    zwei    Generale    die    -^nunmehr    bis 
7  Uhr  morgens  des  folgendes  Tages  befriste- 
ten -  Forderungen,  die  General  von  Luttwitz 
dem  Reichspräsidenten  gestellt  hatte,   wieder- 
holen und  verlangte  dazu  den  RürktTiU  Nos- 
kes.  der  durch  einen  General  ersetzt  werden 
sollte.  Die  Reichsregierung  lehnte  auch  dieses 
Ultimatum  ab.  Wehrminister  Noske  versuchte, 
unterstützt  vom  Chef  der  Heeresleitung,  Ge- 
neralmajor   Walther    Reinhardt,     mit     Regie- 
rungstruppen den  Kampf  gegen  die  Meuterer 
aufzunehmen,  hatte  jedoch  keinen  Erfolg,   da 
die    Mehrzahl    der    Kommandeure,    an    ihrei 
Spitze    der    Chef    des    allgemeinen    Truppen- 
amtes     im     Reichswehrministerium,     General 
von   Seeckt,  die  Ansicht  vertrat,  die  Truppen 
würden    nicht    auf    ihre    Kameraden    schießen^ 
Daraufhin    entschloß    sich    das    R?ichskabinett 
auf  Anraten  des  Vizekanzlers  Schiffer    DDP), 
Berlin  zu  verlassen,   um  sich  die  Handlungs- 
freiheit zu  erhalten. 

Während  sich  Reichspräsident  und  Reichs- 
regierung zunächst  nach  Dresden  und  spater 
nach  Stuttgart  begaben,  besetzten  /l'«  Auf- 
ständischen das  Regierungsviertel  in  Berlin^ 
Wolfgang  Kapp  ernannte  sich  eigenmächtig 
zum  Reidiskanzler  und  Preußischen  Ministe  - 
Präsidenten  und  übertrug  General  vjn  Lut - 
Witz  das  Reichswehrministerium.  Die  National- 
versammlung und  die  Preußische  Landesver- 
sammlung ließ  er  für  aufgelöst  .erklaren  und 
ein    „Regierungsprogramm   der    inneren    Ruhe 


Generalstreik  aus  und  legten  damit  das  Wirt- 
schafts-  und  Verkehrsleben  in  Berlin  lahm. 
Der  Kreis  um  Kapp  konnte  sich  nicht  erwei- 
tern und  die  drohenden  Erlasse  der  Putschi- 
sten gegen  Streik  und  Dienstverweigerung 
blieben  ohne  Wirkung. 

In    jenen   Gegenden   freilich,    in    denen    der 
Einfluß  der  Gewerkschaften  und  der  republika- 
nischen Kräfte   aul   Grund   der  Bevölkerungs- 
struktur schwach  war,  fand  der  nationalistische 
Rechtskurs  der  Putschisten  mehr  Zustimmung. 
So  drohte  bei  längerer  Herrschatt  des  „Reichs- 
kanzlers' Kapp  die  Einheit  des  Reiches  verlo- 
ren zu  gehen;  Deutschland  schien  sich  zu  tei- 
len   Zur  rechtmäßigen  Regierung  hielten  bud- 
deutschland  und  der  deutsche  Westen;  gegen 
sie   wandte   sich   der   Norden   und   der   Osten 
des    Reiches.    In    Ostpreußen,    Schlesien    und 
Pommern  wurde  Kapp  größtenteils  anerkannt. 
Die    Reichswehrführer    in    Mecklenburg    und 
Schleswig-Holstein    rissen   die   Macht   an    sich 
und    legten    die    verfassungsmäßigen    Regie- 
rungsbehörden lahm,  auch  der  Marmebefehls- 
haber  in  Kiel  trat  hinter  Kapp.  Deutschnatio- 
nale  und  (anfänglich  und  weniger  offen)  auch 
die  Deutsche  Volkspartei  Gustav  Stresemanns 
stellten  sich  auf  den   „Boden  der  Tatsachen 
und  verlangten  w,e  die  Putschisten  Neuwah- 
len. 

Die    Parteien    der    Regierungskoalition    — 
SPD,    Zentrum,    Deutsche    Demokratische    Par- 
tei   --    wandten    sich    ihrerseits    in    Autrufen 
gegen   den    „verbrecherischen,  mit   aller  Krat 
zu  bekämpfenden  Verfassungsbruch  .  Die  Ver- 
mittlungsversuche   des    Vizekanzlers    Schiffer 
scheiterten   an   der  Festigkeit   der    rechtmäßi- 
gen   Reichsregierung.    Reichspräsident     Ebert 
und   Regierungschi-f  Bauer  zogen  eine  deutli- 
che   Trennungslin:o    zwischen    sich    und    dem 
Rebellen-Regime  m  Berlin.  Ihre  Beharrlichkeit 
zahlte  sich  bald  aus,  denn  schon  ^^  ..^^^^^^^^ 
Tage,  dem   15.  März  1920,  tauchten  für  Kapp 
als    Folge    des    allgemeinen    Streiks    unüber- 
windliche  Schwierigkeiten   auf  und  veranlaß- 
ten  die  Rechtsparteien,  wieder  von  Kapp  ab- 
zurücken. 


Flucht  nach  Schweden 

Der  Generalstreik,  der  passive  Widerstand 
der  Beamtenschaft,  die  Zurückhaltung  des 
Größten  Teils  der  Reichswehr  und  die  Unmog- 

rhkeit  lachlich  geschulte  Mitarbeiter  zu  fin- 
dt  erwiesen  sich  für  Kapp  und  P^^^^i^ten 
als  unbezwingliche  Hemmnisse.  Se^^st  die 
militärischen  Führer  cles  Staatsstreidis  gaben 
ihr  Unternehmen  verloren  und  Thesen  zum 
Rückzug.  Am  17.  März  1920  zog  auch  Kapp  de 
unumgänglichen  Konseguenzen  und  eik  artp 
seinen  „Rücktritt'.  Gemeinsam  ^it  seinem 
Komplicen    von    Luttwitz    fluchtete     er     ^adi 

Schweden,  von  wo  «^  "«^  ^^,^^,•^^^i%'P  üSc^ 
im  Frühjahr  1922,  nach  Deutschland  zurück- 
kehrte, um  sich  dem  Reichsgericht  zu  stellen. 
Sein  Putsch  war  gescheitert,  die  Weimarer 
Republik  hatte  ihren  ersten  großen  inneren 
Notstand  glücklich  überwunden. 

Als  die   „Brigade  Ehrhardt"   am  Abend  des 
17.   März    1920   wieder   aus   Berlin   abgezogen 


Politik  in  Hörfunk  und  Fernsehen 

Aus  den  Programmen  der  Rundfunk-  und  Fernsehanstalten 
in  der  Zelt  vom  18.  März  bis  24.  März  1970 

Die  ständigen  Programmteile  mit  politischem  Inhalt  (Nachrichten    Kommentare, 
Presseschauen  und  tagesaktuelle  Magazinsendungen)  sind  nicht  aufgeführt. 

Mittwoch,  18.  März 


Das   politische    Gespräch    (8.15-17.15    DW) 
Lateinamerika    zwischen    gestern    und    morgen:    Die 
Indianer  —  schutzlos  und  verfolgt  (9.35  RIAS  1-2) 
Partelen  zur  BUrgerschaftswahl  in  Hamburg  (11.55- 

1800  NDR  2)  ,      u   .  H^r 

Diener    Ihres     Gewissens:    Albert     Luthuli    -    der 

Gandhi   Afrikas   (15.30  SFB  2) 
Auf  dem  Wege  zur  Gesamtschule  -  20  Jahre  Schui- 
DOlitik  auf  dem   Lande  (15.35  RB  1) 
In    Gefolgschaft    des    Führers    -    Der    Dokumentar- 
film im  Dritten  Reich  (16.00  RIAS  2) 
Aus  dem   Bremer   Parlamentsgebäude:   Übertragung 
von  der  Sitzung  der  Bremischen  Bürgerschaft  (16  30 
RB  2) 


Politische  Wissenschaft  heute  -  am  Beispiel  der 
Parlamentsreform  Von  Heinz  Rausch  (19.30  BR  2) 
Brauchen  wir  noch  Dörfer?  Von  Josef  Ried! 
(20.15   DF) 

ZDF  Magazin  '  Informationen  und  Meinungen  zu 
Themen   der  Zeit   (20.15  ZDF) 

Vermögensbildung  im  Modell  Eine  so^'^lpolitische 
Dokumentation  von  Fritz  Koeltze  (20  18  SWF  2) 
1X1  der  Politik:  5)  Die  Verfassung  Von  Karl- 
Hermann   Flach   (20.30  WDR-F) 

Bericht  aus  Amerika  /  Es  spricht  Klaus  Soll  mg 
(22  10    NDR  WDR    1) 


Donnerstag,  19.  März 


Tansania    —    Probleme    eines    Entwicklungslandes- 
5)  Die  „guten  Ratschlage'    (8.20  WDR-F) 
Weltspiegel         Auslandskorrespondenten     berichten 

(8  45  ■  17.45   DW) 

Diener    ihres    Gewissens:     Albert     Luthuli    -    der 

Gandhi   Afrikas   (9.05   SFB   1) 

In  Gefolgschaft  des  Führers  -  Der  Dokumentarfilm 

im   Dritten   Reich   (10.00   RIAS   1     2) 

Ost-West-Forum  Politik.     Wirtschaft.     Ideologie 

(10.30  HR  2)  ^. 

ZDF   Magazin   /    Informationen    und    Meinungen   ni 
Themen  der  Zeit  (11.50  ARD  ZDF-V) 


Partelen  zur  Bürgerschaftswahl  In  Hamburg  (1155 

16  00   NDR   2:  u   ■      1/-  «„ 

Rußland  zwischen  Weiß  und  Rot:  Aufstand  m  Kron- 
stadt (15.30  SFB  2) 
Die  Dritte  Gewalt:  11)   Rechtsstaat  —  Justizstaat  — 

Richterstaat  (16  00  SFB  2) 

Forum  Südwest      Heute:   Presseclub  /   Journalisten 

und    Politiker  diskutieren   (20.15  SDR  SWF-F) 

Erziehung  zum  Frieden      Von  Prof.   Dr.   Heinz  Rolf 

Lückert.   München   (21.00   SDR  2) 

Journalisten  fragen  -  Politiker  antworten  /  Leitung. 

Reinhard  Appel   (22.00  ZDF) 


Freitag,  20.  März 


Rußland  zwischen  Weiß  und  Rot:  Aufstand  in  Kron- 
stadt (9.05  SFB  1)  .     .      .     ♦ 
Die  Dritte  Gewalt:  11)  Rechtsstaat  -  Justizstaat  - 

Richtersoat  (9.35  SFB   1i  ,..  „ 

Partelen  zur  BUrgerschaftswahl  in  Hamburg  (11.55 

18.00  NDR  2)  „ 

„Das   Votum"   —   Wahlsysteme    m    aller   Welt   (16.00 

RIAS  2) 

Vorgestellt  -  vorgelesen       Klaus  von   Beyme:   Die 

parlamentarischen     Regierungssysteme     in     Europa 

Der°°p^manente  Krieg  /  Aspekte  des  Nahostkon- 
flikts (17.15  DW) 

Jugend  fragt  Politiker  (17.25  DF)  .    ,     ^        .^ 

Die  Nachbarn  am  Rhein  /  Ein  Kapitel  "ber  die 
deutsch-französischen  Beziehungen  '  Von  Alfons 
Lauströer  (17  45  SFB  1) 

Europäische  Sicherheit  -  Programm  einer  Fne 
densordnung      Von  Jens  Hacker  (20.05  NDR'SFB  3) 


DCCI  -  Democrazia  Christiana  Comunista  Italiana/ 
Reportage  über  den  Familienstreit  zwischen  Kom- 
munisten und  Katholiken  in  Italien  /  Von  Jürgen 
Möller  (20.15  DF) 

Management     einer     Regierung:     Von     Globke    zu 
Ehmke     -      neue      Führungsmethode      im      Pa'a'« 
Schaumburg    /    Von    Hans-Eberhard    Friedrich    und 
Paulheinz  Middeldorf  (21.00  HR  1) 
Bericht  aus  Bonn  (21.00  DF) 

Bürger   fragen   einen   Prominenten   /    Leitung    Erich 
Bottlinger   (21.00  SR  SDRSWF-F) 
Abschied  von  Salomo  —  Äthiopien  am  Ende  einer 
Epoche  /  Bericht  von  Peter  Berg  (21.45  ZDF) 
Der  Weltspiegel   '  Berichte  von  Auslandskorrespon- 
denter   (22.00   BR   1) 

Kritische   Chronik       Aus   Politik   und    Kultur   (22.10 
NDR  WDR  1) 


Samstag,  21.  März 


Prominente  zu  Gast:  DAG-Vorsitzender  Hermann 
Brandt  diskutiert  mit  Berliner  Schulern  (10.30  RIAS 

Ruhe  und  Ordnung  genügen  nicht  Z^mchenbilanz 
der  Hochschulpolitik  /  Von  Heribert  Schmidt  (IZ.oo 
WDR   2) 

Das  Wort  hat  der  Bundestagsabgeordnete  P;;_  An^on 
Stark  (CDU),   Nürtingen-Böblingen  (13.05  SDR  2) 
Aus  dem  Maximlllaneum  -  Komrnentar  zur  bayeri- 
schen   Landespolitik   /   Von    Bernhard    Ocker   (13.20 

BR  1) 

Gespräch  mit  Jungen  Politikern  (14^30  SWF  2) 
Osteuropa    und    wir        Berichte.    Kommentare    und 
Meinungen  (15.30  BR  2) 


Länderspiegel  Informationen  und  Meinungen  au» 
der  Bundesrepublik  '  Heute  unter  anderern:  Dia 
Sanierung  der  Altstädte  Überlegungen  zum  Städte- 
bauförderungsgesetz (17.15  ZDF) 
Bayern  fragt  Bonn  Bürger  stellen  Fragen  — 
Politiker  antworten  (17.30  BR  1) 
1  <  1  der  Politik:  10)  Die  Regierung  (17.30  HR-F) 
Bericht  aus   Bonn  (18  40  DW)  ^  *     ,  , 

Pro  &  Contra     Aktuelles  aus  Wirtschaft  und  Sozial- 
politik (19.15  BR-St) 

Wo  uns  der  Schuh  drückt      Es  spricht  der  Regie- 
rende Bürgermeister  von  Berlin.  Klaus  Schutz  (19.20 

SFB-F) 

Politische    Bücher:    Lebensläufe    und    Erinnerungen 

(22.05  NDR  WDR  1) 


März 


IT^X. 


des  Heeresbestandes  von  der  Regierung  ohne 
Not  betrieben  werde.   Man  vertrat  innerhalb 
der    Armee    die    Auffassung,    daß    es    in    der 
Madit  der  Reichsleitung   gelegen   sei,   in   der 
Frage   der   Abmusterung   weitere   Zugeständ- 
nisse von  den  Alliierten,  besonders  von  den 
Engländern,   zu   erreichen.   Jede   weitere   Ent- 
lassung aus  dem  Heer  wurde  daher  als  eine 
bewußte  oder  zumindest  fahrlässige  politische 
Handlung  der  Reichsregierung  gewertet.  Diese 
Einstellung  war  schon  im  Juni  1919  zum  Aus- 
druck gekommen,  als  die  Frage  der  Annahme 
oder  Ablehnung  des  Versailler  Vertrages  zur 
Entscheidung  anstand  und  es  zu  Protestkund- 
gebungen von  Offizieren  kam,  welche  planten, 
zusammen    mit    dem    Reichswehrminister    Gu- 
stav Noske  eine  Militärdiktatur  zu  errichten. 
Noske  hatte  jedoch  seinerzeit  dieses  Ansinnen 
entschieden  zurückgewiesen  und  jede  Zusam- 
menarbeit   mit    diesen    Offizieren    kategorisch 
abgelehnt. 

t 

Geheime  Vorbereitungen 

Eine    Gruppe    politisierender    Offiziere,    an 
ihrer   Spitze   der  Kommandeur   des   Gruppen- 
kommandos  I    der   Reichswehr,    General   Frei- 
herr   von    Lüttwilz,      Hauptmann      Waldemar 
Pabst  und  Oberst  Max  Bauer,  waren  auch  in 
den  folgenden  Wochen  und   Monaten   im  ge- 
heimen "äußerst  aktiv,  um  Vorbereitungen  für 
eine  Aktion  zum  Sturz  der  Regierung  zu  tref- 
fen.   Wie    aus    einem   Brief    des    deutschnatio- 
nalen Abgeordneten  von  Freytag-Loringhofen 
vom  November  1919  hervorgeht,  waren  schon 
im  Oktober  1919  unter  führenden  Reichswehr- 
offizieren   Pläne    für    einen    Staatsstreich    im 
Umlauf.    Nach   ihnen   wollten   Lüttwitz,    Pabst 
und  Bauer  ihre  Aktion  gegen  die  Regierung 
vornehmlich    auf    die    Freikorps    stützen    und 
auf    bestimmte    Truppenteile    der   Reichswehr, 
namentlich  jener  Einheiten,  die  aufgelöst  wer- 
den sollten.  Die  Reichsregierung  sollte  abge- 
setzt und  die  Nationalversammlung  aufgelöst 
werden. 

Als  politischer  Führer  stellte  sich  der  Gene- 
rallandschaftsdirektor von  Ostpreußen,  Dr. 
Wolfgang  Kapp,  zur  Verfügung,  der  schon  seit 
dem  Zusammenbruch  von  1918  auf  eine  Samm- 
lung aktiver  Rechtskreise  hingearbeitet  hatte, 
um 'durch  einen  Putsch  die  Monarchie  der  Ho- 
henzoUern    im    Reiche    wieder    autzurichten. 

Als  Anfang  März  1920  Reichswehrminister 
Gustav  Noske  (SPD),  einer  Anordnung  der 
Interalliierten  Militärmission  nachkommend, 
dem  General  von  Lütlwitz  den  Befehl  erteilte, 
die  ihm  unterstellten  Marinebrigaden  Ehrharrit 
in  Döberitz  bei  Berlin  und  in  Löwenfeld  in 
Schlesien  bis  zum  10.  März  1920  aufzulösen, 
hielten  die  Verschwörer  den  Zeitpunkt  zum 
Losschlagen  für  gekommen.  General  von  Lütt- 
witz, davon  überzeugt,  ein  Krieg  mit  Sowjet- 
rußland verbunden  mit  einem  bolschewistisch 


ständischen  das  Regierungsviertel  in  Berlin. 
Wolfgang  Kapp  ernannte  sich  eigenmächtig 
zum  Reichskanzler  und  Preußischen  Minister- 
präsidenten und  übertrug  General  von  Lutt- 
witz das  Reichswehrministerium.  Die  National- 
versammlung und  die  Preußische  Landesver- 
sammlung ließ  er  für  aufgelöst  erklären  und 
ein  „Regierungsprogramm  der  inneren  Ruhe 
und  Ordnung"  verkünden. 

Kapps  viertägige  Kanzlerschaft 

Um  vor  dem  Volke  seinen  Staatsstreich  zu 
rechtfertigen,  wandte  sich  der  neue  „Reichs- 
kanzler Wolfgang  Kapp"  in  einem  Aufruf 
an  die  Bürger.  Er  versprach,  ein  von  ihm 
aufgestelltes  Reformprogramm  zu  verwirkli- 
chen und  dann  Neuwahlen  zum  Reichstag 
durchzuführen.  Einige  seiner  Programmpunkte 
lauteten: 

„Die  Regierung  wird  die  Kriegsanleihen  als 
gerechte  Gegenleistung  für  treu  erfüllte 
vaterländische  Pflicht  sicherstellen  und  ihre 
demnächstige  Rückzahlung  einleiten  .  .  . 

Die  Regierung  wird  Streiks  und  Sabotage 
rücksichtslos  unterdrücken.  Gehe  jeder  fried- 
lich seiner  Arbeit  nach.  Streik  ist  Verrat  am 
Volk,  an  Vaterland  und  Zukunft  .  .  . 

Die  Regierung  wird  für  die  das  Vaterland 
gegenwärtig  mit  der  Waffe  schützenden  Sol- 
daten und  ihre  Angehörigen  nachdrücklich 
sorgen  .  .  . 

Die  Regierung  wird  ...  die  nationale  und 
religiöse  Erziehung   wiederherstellen   .  .  ." 

In  diesen  Absichtserklärungen  kamen  deutlicii 
die  rechtskonservativen  Tendenzen  der  Put- 
schisten zum  Ausdruck.  Manche  Formulierun- 
gen klincjen  wie  eine  Vorwegnahme  der  Hit- 
ierschen  Regierungserklärung  vom  24.  März 
1933. 

Fern  von  der  Hauptstadt,  ohne  funktionie- 
rende Exekutivgewalt  und  militärische  Macht, 
konnte  die  rechtmäßige  Reichsregierung  sich 
nur  an  das  deutsche  Volk  um  Unterstützung 
gegen  die  Putschisten  von  Berlin  wenden.  Sie 
taf  dies  durch  Aufrufe  zu  Widerstand  und 
Ungehorsam  gegen  die  Anordnungen  der  Auf- 
rührer und  erinnerte  Beamten  und  Soldaten 
an  ihre  Loyalitätspflicht  gegenüber  der  ver- 
fassungsmäßigen Reichsgewalt.  Die  Wirkung 
dieser  Appelle  blieb  nicht  aus.  Die  hohe  Mini- 
sterialbürokratic  verweigerte  Kapp  und  seiner 
„Regierung"  die  Dienstleistung,  die  Reichs- 
bank lehnte  es  ab,  auf  Anweisung  der  Put- 
schisten Geld  auszuzahlen.  Maßgebende 
Reichswehroffiziere,  darunter  die  Generale 
Reinhardt,  von  Seeckt,  01dershau?en  und  von 
Oven,  weigerten  sich,  mit  Lüttwitz  zusammen- 
zuarbeiten. Die  entscheidende  Hilfe  erhielt 
die  verfassungsmäßige  Reichsregierung  jedoch 
von    den    Gewerkschaften.    Diese    riefen    den 


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Zum    200.    Geburtstag    von    Beethoven,    Hegel    und  Hölderlin  gibt  die  Deutsche  Bundespost  am 

20.  März  diese  drei  Gedenkmarken  heraus. 


Schweden,  von  wo  er  erst  zwei  Jahre  später, 
im  Frühjahr  1922,  nach  Deutschland  zurück- 
kehrte, um  sich  dem  Reichsgericht  zu  stellen. 
Sein  Putsch  war  gescheitert,  die  Weimarer 
Republik  hatte  ihren  ersten  großen  inneren 
Notstand  glücklich  überwunden. 

Als  die  „Brigade  Ehrhardt"  am  Abend  des 
17.  März  1920  wieder  aus  Berlin  abgezogen 
war,  kehrte  üie  Reichsregierung  von  Stuttgart 
in  die  Reichshauptstadt  zurück.  Vor  der  Ver- 
fassunggebenden Nationalversammlung  rech- 
neten Reichskanzler  Bauer  und  der  SPD-Ab- 
geordnete Philipp  Scheidemann  scharf  mit 
den  Putschisten  und  ihren  Hintermännern  ab. 
Sie  forderten  strengste  Bestrafung  der  Meu- 
terer und  die  Entlassung  aller  unzuverlässi- 
gen Offiziere  und  Mannschaften.  In  ihre  Kritik 
bezogen  sie  auch  den  Reidiswehrminister  ein. 
Sie  warfen  Noske  mangelndes  Durchsetzungs- 
vermögen und  zu  große  Vertrauensseligkeit 
gegenü'oer  dem  Of'fi/iorkorps  vor.  Der  Mini- 
ster zog  daraus  die  Folgerungen  und  erklärte 
seinen  Rücktritt.  Die  Sozialdemokratie  be- 
raubte sich  damit  eines  ihrer  wichtigsten  und 
besten  Männer  und  mußte  fortan  die  Leitung 
des  Wehrressorts  Vertretern  der  bürgerlichen 
Parteien  überlassen.  Der  Chef  der  Heereslei- 
tung, General  Reinhardt,  erklärte  sich  mit 
Noske  solidarisch  und  nahm  ebenfalls  seinen 
Abschied.  Nachfolger  wurde  der  wenig  repu- 
blikfreundliche General  von  Seeckt.  Eine  Un- 
tersuchung des  Verhaltens  von  Offizieren  und 
Mannschaften  wahrend  der  vier  Tage  des 
Kapp-Putsches  führte  zur  Entlassung  von 
rund  170  Offizieren,  Unteroffizieren  und  Mann- 
schaften. Reichspräsident  Ebert  sorgte  dafür, 
daß  die  am  Staatsstreich  Beteiligten  von  or- 
dentlichen Gerichten  abgeurteilt  und  Über- 
griffe von  regierungstreuen  Soldaten  gegen 
eidbrüchige  Offiziere  vermieden  wurden. 

Die  Reichswehr  blieb  . . . 

So  rasch  der  Putsch  auch  zusammengebro- 
chen war,  so  wenig  folgte  ihm  ein  Wieder- 
erstarken der  demokratischen  Kräfte  in 
Deutschland.  Die  Reichsregierung  blieb  wei- 
terhin auf  die  Hilfe  der  Reichswehr  und  ihrer 
Führer  angewiesen,  denn  im  Ruhrgebiet  hat- 
ten die  Kommunisten  den  allgemeinen  Streik 
für  einen  Aufstand  ausgenützt.  In  Düsseldorf, 
Essen,  Mühlheim  und  anderen  Städten  hatten 
linksradikale  Elemente  die  Macht  an  sich 
gerissen  und  versuchten,  die  steckengeblie- 
bene Revolution  von  1918/19  noch  einmal  in 
Gang  zu  bringen.  Es  bildete  sich  eine  gut 
bewaffnete  „Rote  Armee",  die  über  60  000 
Mann  zählte,  unter  ihnen  sehr  viele  ehemalige 
Offiziere,  Unterführer  und  Mannschaften  aus 
dem  Weltkrieg.  Da  die  örtliche  Gewalt  dieser 
Aufrührer  nidit  Herr  wurde,  mußte  schließlich 
am  2.  April  1920  Reichswehr  ins  Ruhrgebiet 
einrücken  und  den  Aufstand  blutig  nieder- 
schlagen. Ebenso  waren  Verbände  der  Reichs- 
wehr nötig,  in  Mitteldeutschland  die  vom 
Kommunistenführer  Max  Holz  ausgerufene 
Räterepublik  zu  liquidieren. 

Da  durch  diese  Umstände  die  Reichsregie- 
rung immer  wieder  auf  die  Unterstützung  und 
das  Wohlwollen  der  Reichswehr  angewiesen 
war,  mußte  sie  mit  den  militärischen  Teilneh- 
mern des  Kapp-Putsches  verhältnismäßig  mil- 
de verfahren,  was  ihre  Autorität  nicht  er- 
höhte. 

Kapps  Revolte  hatte  mit  einem  Schlage  er- 
hellt, was  bisher  nicht  klar  gesehen  worden 
war:  wie  weit  sich  seit  den  Wahlen  zur  Natio- 
nalversammlung im  Januar  1919  ein  großer 
Teil  der  Bevölkerung  von  der  Republik  abge- 
wandt hatte,  wie  lange  und  wie  ungestört  man 
bei  der  radikalen  Rechten  mit  dem  Staats- 
streich gespielt  hatte  und  wie  ausgedehnt  die 
Unterstützung  —  von  der  wohlwollenden 
Neutralität  bis  hin  zur  aktiven  Teilnahme  — 
war,  welche  sie  von  der  Reichswehr  audi  in 
einem  möglichen  Wiederholungsfalle  erwarten 
durfte. 

Und  dieser  Fall  kam. 


Aus  dem  Maximilianeum  —  Kommentar  zur  bayeri- 
schen Landespolitik  /  Von  Bernhard  Ocker  (13.20 
BR  1) 

Gespräch  mit  jungen  Politikern  (14.30  SWF  2) 
Osteuropa    und    wir    /    Berichte,    Kommentare    und 
Meinungen   (15.30   BR  2) 


»ro  &  Contra  ;  Aktuelles  aus 
Politik  (19.15  BR-St) 

Wo  uns  der  Sdiuh  drückt  '  Es  spricht  der  Regle- 
rende Bürgermeister  von  Berlin,  Klaus  Schütz  (19.20 
SFB-F) 

Politische  Bücher:  Lebensläufe  und  Erinnerungen 
(22.05  NDR  WDR  1) 


Sonntag,  22.  März 


Dokumente  neuen  Denkens:   Das   Polen-  und   Viet- 
nammemorandum   des    Bensberger    Kreises    /    Von 
Reinhold  Lehmann  (9.00  SR  2) 
Politisches  Tagebuch     Von  Johannes  Gross  (10.05  - 
19.05  DW) 

Politik  für  Nichtpolitiker:  Wissenschaft  /  Es  spricht 
Prof.  Dr.  Georg  Picht  (11.00  SDR  2) 
Frankfurter  Gespräch  (11  30  HR  1) 
Ortszeit  '  Berichte  aus  fünf  Kontinenten  (11.30  ZDF) 
internationaler  Frühschoppen  /  Sechs  Journalisten 
nus  fünf  Ländern  an  einem  Tisch  '  Gastgeber:  Wer- 
ner Höfer  (12.00  WDR  2:  DF;  NDR  2;  RB  2;  SFB  2; 
SDR  2) 

Ein  Wort  zur  Politik  (13.10  SWF  1) 
Die  Straßen  nach  Jerusalem  —  Eine  Reise  ins  Jahr 
5730   '  Von   Erwin   Behrens  (13.45  WDR  2) 
Wie  gerecht  sind  Steuern?  Eine  kritische  Analyse  / 
Von  Charlotte  Rothweiler  (15.30  SFB  2) 


Wo  uns  der  Schuh  drückt  /  Es  spricht  der  Regie- 
rende Bürgermeister  von  Berlin,  Klaus  Schütz 
(17  ,5  SFB  1:  19  40  RIAS  H-2) 

Deutschland  und  die  Welt  /  Ein  Bericht  von  Rein- 
hard Appel  (18.05  DLF) 

Hamburg  wählt  sein  Parlament  /  Berichte  und 
Ergebnisse  von  der  Bürgerschaftswahl  (18.15  NDR  2; 
19.00  ZDF;  20.15  NDR/RB/SFB-F;  21.15  NDR-WOR  1 
•  RB  1;  21.45  DF;  21.50  ZDF;  22.05  DLF) 
Weltspiegel  Auslandskorrespondenten  berichten 
(19.00  DF) 

Wachablösung  east  of  Suez  —  Empire  im  Rückzug  ^ 
Film  von  James  Cameron  (19.15  WDR-F) 
Bonner   Perspektiven       Informationen   und   Meinun- 
gen  aus   der   Bundeshauptstadt   (19.55  ZDF) 
Kredit    für    Kontinente:    2)    Das    Märchen    von    den 
milden  Gaben  —  Türkei  (20.15  HR-F) 
Impulse:  Zur  Bildungspolitik  (23.10  ZDF) 


Montag,  23.  März 


Unter  der  Schwelle  der  Anerkennung  —  Kontakte 
zwischen  den  beiden  Teilen  Deutschlands  (8.15- 
17.15  DW) 

Hilfe  durch  Organisationen:   Die   Bürgerrechtsbewe- 
gung  in  den  USA  (9.00  HR  2) 
Grüne  Insel  ohne  Frieden:  Irland   (9.00  RB  1) 
„Das   Votum"   —   Wahlsysteme    in   aller  Welt   (10.00 
RIAS  1-2) 

Schweden  und  seine  Neutralität  (10.05  HR  1) 
Management     einer     Regierung:     Von     Globke     zu 
Ehmke     —     neue     Führungsmethoden     im     Palais 
Schaumburg        Von    Hans-Eberhard    Friedrich    und 
Paulheinz  Middelsdorf  (11.00  HR  2) 
Bonner   Perspektiven    '    Informationen   und    Memun- 
gen  aus  der  Bundeshauptstadt  (11.05  ARDZDF-V) 
Weltspiegel         Auslandskorrespondenten    berichten 
(19.00  ARD  ZDF-V) 

Schmelztiegel  Israel  /  Statistisches  über  die  israeli- 
sche Gesellschaft  /  Vpn  Pinchas  E.  Lapid  (15  05  DLF) 
Die  islamische  Republik  Pakistan  (15.30  SFB  2) 


Aus  der  Landesgeschichte  von  Nordrheln-Westfalen 

/  Die  Gemeinden  und  der  Nationalsozialismus: 
8)  Bombenkrieg  und  Zerstörung  /  Von  Horst  Mat- 
zerath  (16.15  WDR  2) 

Wurzeln  des  Antisemitismus  /  Von  Elisabeth  Bacht- 
ier (17.45  BR  2) 

Gleiche  Chancen  —  auch  für  Minderheiten  /  Sozial- 
gesetz und  Menschlichkeit:  2)  Möglichkeiten  parla- 
mentarischer Arbeit  '  Eine  Sendung  mit  Irmgard 
Bach  Partner:  Liselotte  Funke,  FDP,  und  Maria 
Jacobi,  CDU  (19.20  RB  2) 

1  X  1  der  Politik:   11)   Der  Haushalt  (19.30  HR-F) 
Gestern   —   heute   —   morgen   /    interessantes    aus 
Politik  und  We'tgeschehen  (19.45  HR  2) 
Das    Volk,    das    sterben    muB    /    Bericht    über    die 
brasilianischen    Indianer  /  Von   Karl   Brugger  (20.00 
WDR  3) 

Report  Berichte  zu  Nachrichten  von  gestern  und 
morgen   (20.15  DF) 

Wettkampf  der  Systeme  Beiträge  zur  Auseinander- 
setzung zwischen  Ost  und  West  (21.45  NDR 'WDR  1) 


Dienstag,  24.  März 


Blickpunkt    /    Analysen,     Dokumente,    Kommentare 
(8.45  1  17.45   DW) 

Die    islamische    Republik    Pakistan    (9.05   SFB   1) 
Die    letzten    Tage   des   SS-Staates       Eugen    Kogon 
berichtet   (15.30   RB   2) 

Potsdam  —  gestern    und   heute    '  Von  Traute   Hell- 
berg  (20.05  DLF) 

Menschen   in    Lagos  —    Porträt   einer   afrikanischen 
Großstadt      Von   Klaus   Stephan  (20.15  BR-St) 
Filme    im    Dritten    Reich   —    Exkurs    zur    propagan- 
distischen   Massenführung:    Das    perfide    Albion 
Von  Gerhard  Schoenberner  (20.15  HR-F) 
Politik    in    fünf    norddeutschen    Ländern        Leitung 
Rudolph  Borchers  /  Unter  anderem:  1)  Volks-Vertre- 
tung? 2)  Jungwählerverhalten  .'   Nach   oer  Wahl   in 
Hamburg      Von  Birgit  Jurisch  (20.15  NDR  RB  SFB-F) 


Politik,     Wirtschaft,     Ideologie 


Ost-West-Forum 

(20.30    HR    1) 

Was  Ist  sozialistischer  Realismus?  /  Eine  Diskus- 
sion zur  Kulturpolitik  in  der  DDR  mit  Walter 
Boehlich.  Ulrich  Gembardt,  Yaak  Karsunke,  Peter 
Laudan  und  Gerhard  Reitschert  (20.45  NDR/WDR  1) 
Deutsche  Politik  in  den  siebziger  Jahren:  Vil.  Welche 
Möglichkeiten  hat  die  deutsche  AuBenpoIrtik? 
Von  Hans  Dietz  (20.45  SDR  1) 

Politische    Bildung     und     Massenkommunikation    / 
Von  Heinz  Schlicht  (21.15  SR  2) 

Der  WeltspJegel  /  Berichte  von  Auslandskorrespon- 
denten  (22.00  BR  1) 


Abkürzungen  für  die  Sender  und  Ihre  Programme: 


ARD/ZDF-V    =    Fernsehen    Gemeinschaftsprogramm 
1.  und  2.  Fernsehen  am  Vormittag 

BR  ■=■  Bayerischer  Rundfunk 

BR-St   —   Bayerischer  Rundfunk   Fernsehen  —  Stu- 
dienprogramm 

DF  —  Deutsches  Fernsehen  Gemeinschaftsprogramm 
(ARD) 

DLF  «=  Deutschlandfunk 

DW     -     Deutsche     Welle     (Deutsches     Programm 
Europa) 

HR   «.   Hessischer  Rundfunk 

HR-F  -  Hessischer  Rundfunk  Fernsehen  —  3.  Pro- 
gramm 

NDR  -  Norddeutscher  Rundfunk 
NDR/RBSFB-F   —   3.    Fernsehprogramm   des   Nord- 
deutschen Rundfunks.  Radio  Bremens  und  des  Sen- 
ders Freies  Berlin 


RB  =  Radio  Bremen 
RIAS  =  RIAS  Berlin 
SR  "»  Saarländischer  Rundfunk 

SFB  «=  Sender  Freies  Berlin  (1  =  Hauptprogramm; 
2  ■"  Gemeinschaftsprogramm;  SFB/NDR  und  Wo- 
chenendprogramm) 

SFB-F    —    Regionalprogramm    Fernsehen    des    SFB 

SDR  -  Süddeutscher  Rundfunk 

SWF  ■=   Südwestfunk 

WDR  =  Westdeutscher  Rundfunk 

WDR-F     —     Westdeutscher     Rundfunk     Fernsehen 

3.  Programm 

ZDF   -.   Zweites   Deutsches   Fernsehen 

Hörfunk  —  1  -  1.  Programm 

2  —  2.  Programm 

3  —  3.  Programm 


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FEUILLETON 


Freita«,  t3.  Febnww  W70    Fernausgabc  Nr.  «      f3 


«  Schauplatze» 

Zw  emem  Buch  von  Heinrich  Wiesner 

Heinrich  Wiesner  stammt  aus  dem  Baselbiet. 
Er  wurde   1925   als  Sohn  eines  Bauern  geboren 
und  lebt  heute  als  Lehrer  in  Reinach  bei  Basel. 
Seine  entscheidenden  Kindheits-  und  Jugenderleb- 
nisse fallen  also  in  die  Zeit  des  deutschen  Natio- 
nalsozialismus und  des  Zweiten  Weltkriegs  —  für 
die  Schweiz:  die  Zeit  des  «Frontenfrühlings»  und 
der   «Geistigen   Landesverteidigung»,   der  Grenz- 
besetzung   und    der    «Anbauschlacht».    Celestino 
Piatti  hat  für  den  Umschlag  seines  neuen  Prosa- 
buches   «Schauplätze»,   das   im   Diogenes-Verlag, 
Zürich,  erschienen  ist,  einen  eingerollten  Igel  mit 
einer  kleinen  Schweizer  Fahne  und  einer  ebensol- 
chen Hakenkreuzfahne  gezeichnet.  Damit  ist  das 
Thema  dieser  «Chronik»,  wie  sich  das  Werk  im 
Untertitel   nennt,   gegeben.   «Zwölf  Jahre  ist  das 
nun  doch   her.   Da  geht  einem   manches   unter.» 
Das  sagt  die  Mutter,  nachdem  der  Krieg  zu  Ende 
ist;  sie  möchte  wissen,  wo  die  deutschen  Ferien- 
buben geblieben  sind,  die  früher  einmal  auf  den 
Bauernhof  kamen.  Einer  von  ihnen  hieß  Adolf. 
Zwölf  Jahre!  Der  Verfasser  dieser  Chronik  weiß, 
wie   rasch   man   vergißt.    Er   versucht,    von   dem 
«manchen»,  das  schon  untergegangen  ist,  einiges 
wieder  heraufzuholen  und  im  Bericht  festzuhalten. 

In  seinen  frühen  Gedichten  war  Wiesner  auf 
der  Suche  nach  einer  Welt  unzerstörter  Innerlich- 
keit —  «Der  innere  Wanderer»  heißt  eines  seiner 
Bändchen.    Aber   Innerlichkeit   steht   nicht    mehr 
hoch  im  Kurs.   Wiesner  zog  daraus  seine  Kon- 
sequenzen. In  aphoristischen  Texten   —   «Lakoni- 
schen  Zeilen»    —    erprobte   er   das   intellektuelle 
Bewußtsein  durch  die  Sprache,  gegen  die  Undeut- 
lichkeiten  des  «reinen  Gefühls».  Die  Arbeiten  er- 
schienen in  Deutschland  und  fanden  Leser.  Der 
Schritt  zur  großen  Prosa,  den  er  jetzt  getan  hat, 
führt  ihn  vom  «objektiven»  Standpunkt  des  Apho- 
ristikers  zurück  zur  Subjektivität  seines  privaten 
Schicksals.  Aber  nun  ist  der  Mensch  für  ihn  kein 
Vereinzelter   mehr,   sondern   ein   soziales   Wesen. 
Die  Begegnung  mit  der  eigenen  individuellen  Ver- 
gangenheit wird  zur  Begegnung  mit  einem  Stück 
kollektiver     Vergangenheit,     mit     der     «Zeitge- 
schichte».   Wiesner    reiht    sich    damit    unter    die 
deutschschweizerischen  Autoren  der  mittleren  und 
jüngeren  Generation  ein,  die  das  gesellschaftliche 
Engagement  der  deutschen  —  und  natürlich  nicht 
nur  der  deutschen  —  Nachkriegsliteratur  auf  ihre 
Art  fruchtbar  zu  machen  suchen:  mit  ihren  Er- 
fahrungen, mit  ihrem  MateriaL 

«Eine  Chronik»:  darin  liegt  der  Verzicht  auf 
belletristische  Ambitionen,  darin  liegt  aber  auch 
ein  dokumentarischer  Anspruch.  Wiesner  rekon- 
struiert das  Bild  der  Schweiz  zwischen  1933  und 
1945.  «Das»  Bild?  Nein,  es  ist  «ein»  Bild,  eines 
von   vielen,    die   möglich    sind.   Wiesner   schreibt 
aus  der  Perspektive  des  Mitlebenden,  eines  acht- 
bis  zwanzigjährigen  Bauernbuben  aus  dem  Basel- 
biet, aus  der  Perspektive  seiner  Erinnerung.  Das 
schlägt  sich  zunächst  in  der  Darbietung  der  Fak- 
ten nieder:   Röhm  ist  ein  Mann,  der  in  der  Fa- 
milienillustrierten   abgebildet   ist,    gemütlich    aus- 
sieht und  ein  Doppelkinn  hat;  die  Kriegsmobil- 
machung äußert  sich  darin,   daß   ein   Motorrad- 
fahrer den  Vater  vom  Feld  wegruft;   der   Ruß- 
landfeldzug der  Deutschen  zeigt  sich  als  Steck- 
nadeln mit  bunten  Köpfen  auf  einer  Landkarte, 
aber   auch   in   der  Mitteilung   des   Schuldirektors 
an  die  Seminaristen,  ein  ehemaliger  Kamerad  sei 
«in    Rußland    irgendwo»    gefallen.    Wiesner    teilt 
diese  Dinge  in  einem  Stil  mit,  der  seinerseits  den 
Denk-    und    Sprachgewohnheiten     des    deutsch- 
schweizerischen    Durchschnittsbürgers    zu    folgen 
versucht.  Es  sind  kurze,  einfache  Sätze  mit  vielen 
Wiederholungen,  scheinbar  unbeholfen  oft,  durch- 
setzt von  Wendungen  einer  kennzeichnend  schwei- 
zerischen    Schriftsprache     mit     dialektäfaa     Ele- 
menten, naiv  und  in  ihrer  Naivität  sachl^.  Zum 
Beispiel:   Die  Soldaten   «schössen   im   Berg»;   die 
Rakete   versprüht    «mit   einem    Klapf».    Sehr   oft 
läßt  Wiesner  die  Gestalten  seiner  Erinnerung   — 
Vater,  Mutter,  Onkel,  Kollegen    —    in   indirekter 
Rede  selber  zum  Wort  kommen,  manchmal  ist  es 
geradezu  das  Kollektiv  selber,  das  spricht:  «Man 
hat  gesagt,  unser  General  hat  das  Reduit  geschaf- 
fen.  Man  hat  gesagt,  unser  General   hat  gesagt. 
Man  hat  gesagt:  Unser  General.»  Oder  es  ist  die 
Sprache    des    Gedruckten,    das    der    Bürger    zur 
Kenntnis  nimmt  und  die  sich  unmittelbar  nieder- 
schlägt,   Zeitungsstil,    Stil    der    Handbücher,    Re- 
glemente,  Verordnungen:  «Am  20.  Juli  übertraten 
Tn   der  Gegend   von  St-Ursanne  Truppen   in   der 
Stärke  von  28  000  Mann,  davon  16  000  Polen  mit 
7800  Pferden,  die  Schweizer  Grenze.»  Die  Sprache 
des  Schriftstellers  sucht  sich  mit  dem  Gegenstand 
der  Erzählung  zu  identifizieren.  Sie  will  nicht  be- 
reden, sondern  bezeugen. 

Der  Unterschied  zu  einer  rein  dokumen- 
tarischen Literatur  liegt  darin,  daß  Wiesner  diese 
Identifikation  nicht  konsequent  durchführt.  In 
Alexander    Kluges    «Schlachtbeschreibung»     ver- 


spricht der  Schriftstener  nicht  «aus»  der  2^it  der 
Kriegsjahre,  sondern  darüber.  In  solchen  Passagen 
verändert  sich  deshalb  auch  die  Sprache.  Sie  wird 
lehrhaft.  Sie  beredet  die  Dinge.  Das  ist  kein  Argu- 
ment gegen  die  Sache  selber.  Es  gab  tatsächlich 
eine  humanitäre  und  eine  amtliche  Schweiz.  Aber 
es  macht  deutlich,  daß  sich  der  Stil  Wiesners, 
genau  gleich  wie  seine  sachliche  Dokumentation, 
zwei  verschiedenen  Ebenen  zuordnet. 

Daß  man  bei  der  Lektüre  dieses  Buches  dann 
und   wann   ein   unbefriedigendes  Gefühl   empfin- 
det  und   bei   allem   Positiven,   das   man   darüber 
sagen  möchte,  doch  zögert,  es  in  allen  Teilen  als 
gelungen  zu  bezeichnen,  liegt,  glaube  ich.  darin, 
daß  diese  beiden  Ebenen  zu  oft  und  zu  deutlich 
auseinandertreten.     Die     jüngste     Vergangenheit 
unseres  Landes,  von  der  man  gewiß  zu  Recht  ge- 
sagt hat,  auch  sie  sei  in  manchem  noch  «unbewäl- 
tigt»,   und    die   Geschichte    des   jungen    Heinrich 
Wiesner  besitzen  viele  gemeinsame  Punkte.  Man 
könnte   sich    vorstellen,   daß   von    einem    solchen 
Punkt  aus  die  Bewältigung  der  eigenen  Kindheit 
und    Jugend    als    Bewältigung    der    «nationalen» 
Vergangenheit  möglich   wäre.   Aber   Wiesner  hat 
den  Bogen  weiter  gespannt   —   zu  weil,  wie  mir 
scheint.  Wem  wäre  es  schon  zuzumuten,  auf  zwei- 
hundert Seiten  zugleich  mit  einem  entscheidenden 
Jahrdutzend     des    eigenen     Lebens    und    jenem 
schwierigen  Kapitel  unserer  modernen  Geschichte 
so  ganz  und  gar  ins  reine  zu  kommen,  daß  sie 
zur  Einheit  zusammenwachsen?  Der  Gegenstand, 
den    sich   Wiesner   vorgenommen   hat,   war   zum 
mindesten  auf  der  einen  Seite   —   derjenigen  des 
Kollektiverlebnisses    —    zu   groß.    Kein    Wunder, 
daß  er  sich  im  Lauf  der  Erzählung  immer  wieder 
selbständig   macht.   Wenn   das  aber  so   ist,   stellt 
sich    das    erzählerische    Unternehmen    selber    in 
Frage.  Dann  muß  an  die  Stelle  der  als  literari- 
sches  Werk   konzipierten    «Chronik»    in   der  Tat 
die    reine    Dokumentation    treten.    Alice    Meyer, 


Häsler,  der  Bonjour-Bericht  sagen  dann  mehr  — 
und  sie  sagen  es  oft  auch  besser  —  als  Wiesner. 

Ist  «Schauplätze»  ein  mißratenes  Buch?  Nein. 
Es  ist  ein  wichtiges  Buch.  Es  ließen  sich  ohne 
Schwierigkeiten  zahlreiche  Sätze,  Seiten,  Ab- 
schnitte anführen,  in  denen  die  trockene  Formu- 
lierungskraft Wiesners,  seine  Vorstellungsgabe, 
seine  Kunst,  Erinnerung  im  Kleinen  und  Klein- 
sten lebendig  zu  machen,  völlig  überzeugend  zu 
sich  selber  gekommen  sind.  «In  Tecknau  wech- 
selte der  rote  Vorstandshut  alle  paar  Jahre  den 
Kopf.»  So  etwas  sitzt  im  Ziel.  Und  es  steckt  mehr 
«Information»  über  unsere  Gesellschaft  in  dem 
einen  Bild  als  in  umständlichen  Reflexionen.  Die- 
ses schriftstellerische  Metier,  das  bei  Wiesner  ge- 
rade im  Detail  zum  Ausdruck  kommt,  ist  das  eine. 
Sein  Verdienst  ist  es  aber  auch,  den  Gegenstand 
seines  Buches  wenn  nicht  «bewältigt»,  so  eben 
doch  «bearbeitet»  zu  haben.  Unsere  jüngste  Ge- 
schichte ist  tatsächlich  ein  Brocken,  mit  dem  sich 
die  schweizerische  Literatur  auseinandersetzen 
muß.  Wiesner  hat  einen  Entwurf  vorgelegt,  er 
zeigt  Möglichkeiten  und  Ansatzpunkte.  Er  hat 
den  Gegenstand  umrissen.  Nicht  alles  ist  ihm  ge- 
lungen, aber  doch  manches.  Das  ist  keine  geringe 
Leistung.  Man  soll  es  zur  Kenntnis  nehmen. 

Und  nun  noch  ein  kleiner  Nachtrag.  Von 
Heinrich  Wiesner  weiß  der  Klappentext  zu  seinem 
neuen  Buch  zu  berichten:  «Dem  Aphoristiker,  der 
als  „heutiger  Lichtenberg  der  Schweiz"  bezeichnet 
wurde,  geht  es  in  seiner  neuen  Arbeit  um  das  Er- 
zählen.» Es  wird  wohl  so  sein,  daß  sich  irgendein 
Rezensent  der  «Lakonischen  Zeilen»  diese  hilf- 
lose Formel  —  der  richtige,  der  einzige  Lichten- 
berg wäre  der  «gestrige»?  —  geleistet  hat.  Aber 
warum  wiederholt  man  sie?  Daß  Verlage  ihre 
Autoren  im  Stil  von  Waschmittel-  und  Auto- 
reklamen anpreisen,  ist  leider  längst  üblich  ge- 
worden.   Aber   Heinrich    Wiesner   hat    das    nicht 

^<^'"^*'^"^-  Manfred  Gsteiger 


Eine  Bibliographie  jiidaistischer  Studien 


Es  ist  eine  wahre  Freude,  an  dieser  Stelle  eine 
Schrift  anzuzeigen,  welche,  wie  es  im  Jargon  der 
Rezensenten  gewöhnlich  heißt,  aber  in  diesem 
Falle  wirklich  wahr  ist,  eine  Lücke  in  der  Organi- 
sation unserer  wissenschaftlichen  Bestrebungen 
ausfüllt.  Die  <cMaf^nes-Presse»,  der  offizielle  Ver- 
lag der  Hebräischen  Universität  in  Jerusalem,  hat 
soeben  einen  <  Index  of  Articles  on  Jewish 
Studiesj^  herausgegeben,  welcher  es  unternimmt, 
für  das  Jahr  1966  alle  wissenschaftlichen  Studien 
zu  verzeichnen,  die  das  Judentum  in  allen  seinen 
Verzweigungen  betreffen  (mit  alleiniger  Aus- 
nahme der  hebräischen  Dichtung,  die  von  Pro- 
fessor J.  Shirmann  schon  jährlich  an  anderer 
Stelle  verzeichnet  wird).  Herausgeber  dieser,  wie 
wir  gleich  sehen  werden,  sehr  umfangreichen 
bibliographischen  «Studies»  ist  Issachar  Jod,  der 
seit  sehr  vielen  Jahren  die  Verantwortung  für 
die  bibliographische  Vierteljahrsschrift  ^Kirjat 
Sepher»  trägt,  welche  das  Organ  der  Jüdischen 
National-  und  Universitätsbibliothek  in  Jerusalem 
ist. 

Als  die  Leitung  dieser  Bibliothek  1924  dem 
Drängen  junger  Bibliographen  und  Historiker 
(S.  Assaf,  B.  Dinaburg,  L.  A.  Mayer,  G.  Scholem), 
die  damals  nach  Palästina  eingewandert  waren, 
nachgab  und  das  Risiko  der  Herausgabe  einer 
bibliographischen  Viertel jahrsschrift  «Kirjat  Se- 
pher»  übernahm  —  «Kirjat  Sepher»,  die  Stadt 
des  Buches,  ist  der  biblische  Name  für  D'wir  in 
Josua  15,  Verse  15,  16;  und  Buch  der  Richter, 
1,  12  — ,  geschah  dies  ohne  viele  Hoffnung,  daß 
die  Bibliothek  imstande  sein  würde,  das  begon- 
nene Werk  lange  aufrecht  zu  halten.  Die  ^Zeit- 
schrift für  hebräische  Bibliographie»,  in  Frankfurt 
herausgegeben  von  Ch.  Brody  und  A.  Freimann, 
welche  die  längste  Lebensdauer  unter  den  Zeit- 
schriften dieser  Art  gehabt  hatte,  war  1921  den- 
noch eingegangen,  und  es  war  wohl  dieser  Ver- 
lust, welcher  der  nächste  Anlaß  zur  Gründung 
von  «Kirjat  vSepher»  war.  Aber  würde  sich  der 
neue  Versuch  in  Jerusalem,  das  damals,  1924,  so 
fern  von  allen  Zentren  des  Wissenschaftsbetriebs 
war  (die  Hebräische  Universität  ist  erst  ein  Jahr 
später  gegründet  worden),  halten  lassen?  Daß  der 
Traum  Wirklichkeit  wurde  und  «Kirjat  Sepher» 
seit  1924  regelmäßig  erscheint,  ist  wohl  vor  allem 
das  Werk  von  7.  Joel,  der  wenige  Jahre  nach  der 
Gründung  die  Redaktion  übernahm  und  sich 
einen  Stab  von  Mitarbeitern  herangebildet  hat. 

Der  uns  vorliegende  «Index  von  Artikeln  auf 
dem  Gebiete  der  Wissenschaft  des  Judentums» 
unternimmt  es,  wie  gesagt,  alle  Artikel,  welche 
im  Jahre  1966  (jüdisches  Jahr  5726)  erschienen 
sind,  in  einer  klassifizierten  Ordnung  zu  verzeich- 
nen. Wie  riesenhaft  ein  solches  Unternehmen 
war,  möge  die  Tatsache  illustrieren,  daß  nach 
den  Angaben  von  Dr.  Joel  7000  Zeitschriften  für 
das  vorliegende  Buch  durchgesehen  werden 
mußten. 


Untertiteln:  «Messianismus»,  «Zeitgenössische 
Diskussionen»,  «Judentum  und  Christentum  und 
andere  Religionen»,  «Mystik  und  Kabbalah», 
«Chassidismus»,  «Ethik»,  «Religiöse  Strömun- 
gen»; VII.  Liturgie  (der  Abschnitt  über  die  Ge- 
bete ist  überraschend  kurz  ausgefallen,  was  natür- 
lich nicht  die  Schuld  der  Herausgeber  ist);  VIII. 
Literatur  einschließlich  jiddischer  Literatur  (an- 
gesichts der  oben  zitierten  Bemerkungen  des  Vor- 
wortes über  die  Arbeit  von  Shirmann  ist  dem 
Referenten  nicht  klar  geworden,  welche  Studien 
hier  verzeichnet  wurden  und  wo  die  Grenze  ver- 
läuft); IX.  Sprache  (mit  Unterabschnitt  über  Jid- 
disch, Ladino  und  andere  judaisierte  Dialekte). 
In  diesem  Kapitel  findet  sioh  in  einer  sehr  über 
sichtlichen  alphabetischen  Anordnung  ein  Ver- 
zeichnis einzelner  Wörter,  welche  im  Berichts- 
jahre Gegenstand  wissenschaftlicher  Untersu- 
chungen waren;  auch  ein  Unterabschnitt  über 
modernes  Hebräisch;  X.  Jüdische  Geschichte  (ein- 
schließlich Antisemitismus.  Juden  in  der  allge- 
meinen Literatur,  Demographie);  XI.  Kulturelles 
Leben  (Folklore,  Kunst,  Musik,  Erziehung,  Medi- 
zin); XII.  Staat  Israel  (einschließend  solche  Un- 
terabschnitte wie  Religion,  Kibbuz,  Erziehung, 
Araber). 

Es  folgen  die  bei  einem  solchen  Buche  be- 
sonders wichtigen  Indices;  ein  Index  nach  Auto- 
ren und  ein  Index  nach  Gegenständen,  Hiebci 
sind,  was  unvermeidlich  war,  hebräische  und 
nichthebräische  Autoren  getrennt  und  auch  der 
Sachindex,  der  die  Namen  von  Personen,  Ländern 
und  Büchern  enthält,  mußte  in  zwei  Alphabeten 
angeführt  werden.  Dies  muß  der  Leser  immer  in 
Erinnerung  behalten,  wenn  er  die  Bibliographie 
richtig  benützen  will:  er  muß  immer  in  zwei 
Alphabeten  nachsehen.  Wenn  also  jemand  wissen 
will,  welche  Artikel  über  die  Juden  in  Oesterreich 
zum  Beispiel  (hebräisch:  Austria)  und  welche 
Artikel  über  die  Juden  in  Australien  erschienen 
sind,  muß  er  im  hebräischen  und  im  nichthebräi- 
schen Alphabet  nachsehen,  er  wird  dabei  die 
Entdeckung  machen,  daß  Oesterreich  (Austria) 
sich  nur  im  hebräischen  Teil  findet,  weil  es  sich 
um  einen  jiddischen  Artikel  handelt  und  Jiddisch 
mit  hebräischen  Buchstaben  gedruckt  wird,  wäh- 
rend das  Wort  «Australia»  sich  nur  im  Index  der 
lateinischen  Buchstaben  findet.  Solche  Anomalien 
waren  wohl  unvermeidlich,  hätten  aber  dem  Leser 
nicht  nur  hebräisch,  sondern  auch  englisch  mit- 
geteilt werden  müssen. 

Dazu  kommt  noch  dies,  daß  die  Herausgeber, 
wie  sie  selbst  in  einer  nur  hebräisch  erscheinen- 
den Vorbemerkung  sagen,  nicht  konsequent  wa- 
ren: die  laufenden  Zahlen  der  Eintragungen 
hebräischer  Bücher  werden  im  hebräischen  Index 
angeführt,  die  laufenden  Zahlen  der  nichthebräi- 
schen im  nichthebräischen  Index,  wenn  aber  über 
einen  gewissen  Gegenstand  Artikel  hebräisch  und 
nichthebräisch  erschienen  sind,  «haben  wir  kein 
einheitliches  System  verfolgt:  bisweilen  haben  wir 


Kunst  in  Zürich 

Curt  Manz,  Walter  Meier,  Marco  Richterich 

im  Wolfsberg 

r.  Mit  einer  bewundernswerten  Stetigkeit  er- 
neuert sich  bei  dem  seit  1920  in  Frankreich  leben- 
den Curt  Manz,  der  vor  der  Vollendung  des  sie- 
benten Lebensjahrzehnts  steht,  die  Freude  am 
empfindungsreichen  Schauen.  Es  steht  im  Ein- 
klang mit  einem  meisterlichen  Können,  das  die 
Einzelheiten  der  Umwelt  aufblühen,  die  Natur- 
räume sich  weiten  und  die  Jahreszeiten  in  ihrer 
farbigen  Atmosphäre  sich  entfalten  läßt.  Ein 
Hauch  des  Irrealen  schwebt  über  den  Tälern  und 
Landstädten,  sogar  bis  in  die  Pariser  Seineland- 
schaft hinein,  auch  über  einem  lichten  Gehölz, 
einer  Allee  oder  einem  Gehöft.  Farbklänge  und 
Tonwerte  werden  zur  Einheit  dank  der  Eindring- 
lichkeit der  äußerst  kultivierten  Naturbetrachtung 
und  der  Subtilität  der  malerischen  Phantasie.  Auch 
bei  den  Blütenzweigen  vor  seidenen  Draperien 
und  bei  den  Fischen  und  Muscheln  wird  die  Sin- 
nenhaftigkeit  des  Kolorits,  wie  auch  das  vibrie- 
rende Leben  der  Pinselschrift,  von  einem  persön- 
lichen Feingefühl  getragen. 

Gut  zwei  Jahrzehnte  jünger  als  Curt  Manz  ist 
der  ebenfalls  aus  Zürich  stammende,  aber  im 
Welschland  geschulte  Walter  Meier.  Er  ordnet 
alles  Dargestellte,  frei  rhythmisiert,  in  eine  stark- 
farbige oder  diffus-helle  Bildfläche  ein  und  läßt 
kühnes  Gelb,  Orange,  Hellrot  mit  Dunkelblau 
oder  Schwarz  kontrastieren.  Während  Sonnenblu- 
men, bunte  Sträuße  und  gefestigte  Stilleben  die 
Bildmitte  beherrschen,  erscheinen  dunkle  Boote, 
Netzflickerinnen  und  wartende  Fischerfrauen  am 
oberen  Bildrand  über  tonlich  differenzierter  Frei- 
fläche. Im  Nebenraum  zeigen  Walter  Meiers 
Aquarelle  eine  gelockerte  Malweise.  —  Aus  der 
Provence  komml  der  1929  in  St.  Immer  geborene 
Marco  Richterich  mit  Oelbildern  und  Aquarellen 
von  persönlicher,  leicht  kapriziöser  Faktur.  Ein 
spiritueller  Zug  beherrscht  die  hellen,  zeichnerisch 
betonten  Darstellungen  von  Baumlandschaften 
und  Bauwerken,  die  manchmal  von  feinem  Linien- 
gekringel durchwirkt  sind.  Etwas  Illustratives,  Ar- 
tistisch-Verspieltes ist  auch  aparten  Einfällen  wie 
«Place  de  la  Mairie»  eigen.  (Bis  28.  Februar.) 

Lucio  Fontana  und  Paul  Wunderlich 
(Galerie  Verna  &  Baltensp erger) 

P.  Wd.  Eine  dem  Schaffen  Lucio  Fontanas 
(J899  bis  1968)  gewidmete  Darstellung  trägt  den 
Titel  «Segno  antidisegno»;  die  rund  fünfzig  zo 
dieser  Ausstellung  zusammengetragenen  Zeichnun- 
gen und  Radierungen  haben  nicht  Gestaltung  oder 
formale  Analyse  von  Sinneseindrücken  zum  Ziel, 
sondern  geben  nichts  Weiteres  als  das  krude,  zu- 
fällige und  isolierte  Faktum  einer  beliebigen  Be- 
einträchtigung oder  Beschädigung  eines  Werkstof- 
fes, Form  also,  die  sich  keinem  Willen  zu  fügen 
hatte,  frei  von  jeder  Regel  und  Grammatik.  Es 
genügt  die  Tatsache,  daß  der  Eingriff  die  freie 
Leere  einer  weißen  Fläche  verändert  hat,  und  der- 
artigen Ereignissen,  welche  durch  nichts  geglie- 
dert oder  artikuliert  sind,  gilt  Fontanas  Aufmerk- 
samkeit. Ob  aber  alle  diese  «moments»  der  Auf- 
merksamkeit wert  sind  .  .  .  ? 

Der  1927  in  Hamburg  geborene  Paul  Wunder- 
lich legt  einen  Bestand  von  drei  Dutzend  Oelbil- 
dern, Gouachen  und  Lithographien  vor.  Raffiniert 
und  gekonnt  strafft  oder  lockert  er  den  Linien fluß 
und  die  Flächendichte  der  Figuren,  die  auf  einen 
Akt  zurückgehen,  den  er  dann  aber  in  mannig- 
facher Weise  in  Stücke  zerlegt,  in  einen  starren 
und  kahlen  Raum  versetzt  und  mit  einer  versach- 
lichten FVcmdheit  umgibt,  so  daß  selbst  das  for- 
mal Ausgewogene  irgendwie  pervers  anmutet.  (Bis 
Ende  März.) 


die   folgenden   kiitischen   Bemerkungen   aufgefaßt 
werden. 

Es  kann  natürlich  nicht  verlangt  werden,  daß 
die  Herausgeber  alle  einschlägigen  Publikationen 
sehen.  Eine  Bibliographie  muß  immer  ergänzungs- 
bedürftig sein,  sowie  das  göttliche  Schöpfungs- 
werk als  Schöpfungswerk  unvollkommen  sein 
muß.  Ich  habe  den  Artikel  «Buber»  als  Beispiel 
angeführt,  weil  er  mir  nahelag.  Hier  ist  zum 
Beispiel  das  Bändchen  der  Reden,  welche  die 
Hebräische  Universität  selbst  herausgegeben  hat, 
nicht  angeführt  worden,  ebenso  fehlt  die  Jerusa- 
lemer englische  Tageszeitung  «The  Jerusalem 
Post»  und  das  deutsche  «Mitteilungsblatt»,  das 
trotz  dem  bescheidenen  Namen  auf  hoher  litera- 
rischer Stufe  steht.  Im  Verzeichnis  der  hebräi- 
schen Zeitschriften  vermißte  ich  «Sch'demot». 
Daß  im  Berichtsjahre  über  Kafka  zwei  Studien 
hebräisch  und  nur  eine  in  deutscher  Sprache  er- 
schienen ist,  ist  äußerst  unwahrscheinlich.  (Siehe 
z.  B.  das  «Mitteilungsblatt»  vom  9.  September.) 
Aber  das  sind  Kleinigkeiten.  Schwerer  wiegt,  daß 
das  englische  Year  Book  des  Leo  Baeck-lnstitutes 
(Bd.  XI.  1966)  nicht  benutzt  wurde,  oder  der 
«Frcibureer    Rundbrief»:    beide   Quellen    sind   so- 


«manchen»,  das  schon  untergegangen  ist,  einiges 
wieder  heraufzuholen  und  im  Bericht  festzuhalten. 


In  seinen  frühen  Gedichten  war  Wiesner  auf 
der  Suche  nach  einer  Welt  unzcrstörter  Innerhch- 
keit  —  «Der  innere  Wanderer»  heißt  eines  seiner 
Bändchen.    Aber   Innerlichkeit   steht   nicht    mehr 
hoch  im  Kurs.   Wiesner  zog   daraus  seine   Kon- 
sequenzen. In  aphoristischen  Texten   —   «Lakoni- 
schen  Zeilen»    —    erprobte   er   das   intellektuelle 
Bewußtsein  durch  die  Sprache,  gegen  die  Undeut- 
lichkeiten  des  «reinen  Gefühls».  Die  Arbeiten  er- 
schienen in  Deutschland  und  fanden  Leser.  Der 
Schritt  zur  großen  Prosa,  den  er  jetzt  getan  hat, 
führt  ihn  vom  «objektiven»  Standpunkt  des  Apho- 
ristikers  zurück  zur  Subjektivität  seines  privaten 
Schicksals.  Aber  nun  ist  der  Mensch  für  ihn  kein 
Vereinzelter   mehr,   sondern   ein   soziales   Wesen. 
Die  Begegnung  mit  der  eigenen  individuellen  Ver- 
gangenheit wird  zur  Begegnung  mit  einem  Stück 
kollektiver     Vergangenheit,     mit     der     «Zeitge- 
schichte».   Wiesner    reiht    sich    damit    unter    die 
deutschschweizerischen  Autoren  der  mittleren  und 
jüngeren  Generation  ein,  die  das  gesellschaftliche 
Engagement  der  deutschen  —  und  natürlich  nicht 
nur  der  deutschen  —  Nachkriegsliteratur  auf  ihre 
Art  fruchtbar  zu  machen  suchen:  mit  ihren  Er- 
fahrungen, mit  ihrem  MateriaL 

«Eine  Chronik»:  darin  liegt  der  Verzicht  auf 
belletristische  Ambitionen,  darin  liegt  aber  auch 
ein  dokumentarischer  Anspruch.  Wiesner  rekon- 
struiert das  Bild  der  Schweiz  zwischen  1933  und 
1945.  «Das»  Bild?  Nein,  es  ist  «ein»  Bild,  eines 
von   vielen,   die   möglich    sind.    Wiesner   schreibt 
aus  der  Perspektive  des  Mitlebenden,  eines  acht- 
bis  zwanzigjährigen  Bauernbuben  aus  dem  Basel- 
biet, aus  der  Perspektive  seiner  Erinnerung.  Das 
schlägt  sich  zunächst  in  der  Darbietung  der  Fak- 
ten nieder:  Röhm  ist  ein  Mann,  der  in  der  Fa- 
milienillustrierten  abgebildet   ist,   gemütlich   aus- 
sieht und  ein  Doppelkinn  hat;  die  Kriegsmobil- 
machung äußert  sich  darin,   daß   ein   Motorrad- 
fahrer den  Vater  vom  Feld  wegruft;   der   Ruß- 
landfeldzug der  Deutschen  zeigt  sich  als  Steck- 
nadeln mit  bunten  Köpfen  auf  einer  Landkarte, 
aber  auch  in   der  Mitteilung   des  Schuldirektors 
an  die  Seminaristen,  ein  ehemaliger  Kamerad  sei 
«in    Rußland    irgendwo»    gefallen.    Wiesner    teilt 
diese  Dinge  in  einem  Stil  mit,  der  seinerseits  den 
Denk-    und    Sprachgewohnheiten     des    deutsch- 
schweizerischen   Durchschnittsbürgers    zu    folgen 
versucht.  Es  sind  kurze,  einfache  Sätze  mit  vielen 
Wiederholungen,  scheinbar  unbeholfen  oft,  durch- 
setzt von  Wendungen  einer  kennzeichnend  schwei- 
zerischen    Schriftsprache     mit     dialektälMi     Ele- 
menten, naiv  und  in  ihrer  Naivität  sachl^.  Zum 
Beispiel:   Die  ^Soldaten   «schössen   im   Berg»;   die 
Rakete   versprüht    «mit   einem   Klapf».   Sehr   oft 
läßt  Wiesner  die  Gestalten  seiner  Erinnerung   — 
Vater,  Mutter,  Onkel,  Kollegen   —   in   indirekter 
Rede  selber  zum  Wort  kommen,  manchmal  ist  es 
geradezu  das  Kollektiv  selber,  das  spricht:  «Man 
hat  gesagt,  unser  General  hat  das  Reduit  geschaf- 
fen.  Man  hat  gesagt,  unser  General  hat  gesagt. 
Man  hat  gesagt:  Unser  General.»  Oder  es  ist  die 
Sprache    des    Gedruckten,    das    der    Bürger    zur 
Kenntnis  nimmt  und  die  sich  unmittelbar  nieder- 
schlägt,   Zeitungsstil,    Stil    der    Handbücher,    Re- 
glemente,  Verordnungen:  «Am  20.  Juli  übertraten 
\n  der  Gegend  von  St-Ursanne  Truppen  in   der 
Stärke  von  28  000  Mann,  davon  16  000  Polen  mit 
7800  Pferden,  die  Schweizer  Grenze.»  Die  Sprache 
des  Schriftstellers  sucht  sich  mit  dem  Gegenstand 
der  Erzählung  zu  identifizieren.  Sie  will  nicht  be- 
reden, sondern  bezeugen. 

Der    Unterschied    zu    einer     rein     dokumen- 
tarischen Literatur  liegt  darin,  daß  Wiesner  diese 
Identifikation    nicht    konsequent    durchführt.    In 
Alexander    Kluges    «Schlachtbeschreibung»    ver- 
nehmen wir  nur  noch  die  Dokumente  selber;  das 
literarische    Werk    ist    eine    Montage    geworden, 
sein  Stil  ist  nicht  nur  ein  Spiegel  der  Ereignisse, 
sondern    deren    unmittelbarer    Niederschlag.    Bei 
Wiesner    bleibt    die    Fiktion    des    Erzählers    trotz 
allem   gewahrt.   Der  Abstand  zwischen  dem   Da- 
mals und  dem   Heute  ist  nicht  aufgehoben.  Ge- 
wahrt bleibt  aber  auch  die  kritische  Distanz  des 
Zeitgenossen     zur      jüngsten      Geschichte:      Der 
Schriftsteller    Wiesner    hat    sich    im    nachhinein 
über  die  Zeit  zwischen   1933  und  1945  unterrich- 
tet. Man  kann  sich,  um  nur  ein  Beispiel  zu  nen- 
nen, einzelne  Stellen  seines  Buches  ohne  den  Lud- 
wig-Bericht nicht  vorstellen.  Wiesner  meint  selber: 
«Ich  habe  gehört  davon.  Ich  habe  gelesen  davon. 
Aber  eigentlich  habe  ich  nichts  gewußt.  Ich  habe 
nicht  gewußt,  daß  es  die  humanitäre  Schweiz  und 
die  amtliche  Schweiz  gegeben  hat.  Ich  habe  nicht 
gewußt,  daß  man  einen  Unterschied  machte  zwi- 
schen politischen  Flüchtlingen  und  Flüchtlingen, 
die    von    Politikern    verfolgt    wurden . . .»    Hier 


ugend    als    Bewältigun; 
genheit   möglich  wäre. 

ogen  weiter  gespannt 

t.  Wem  wäre  es  schon  zu! _^^^^ 

liunücrt  Seiten  zugleich  mit  einem  entschcidenJeii 
Jahrdutzend  des  eigenen  Lebens  und  jenem 
schwierigen  Kapitel  unserer  modernen  Geschichte 
so  ganz  und  gar  ins  reine  zu  kommen,  daß  sie 
zur  Einheit  zusammenwachsen?  Der  Gegenstand, 
den  sich  Wiesner  vorgenommen  hat,  war  zum 
mindesten  auf  der  einen  vSeite  —  derjenigen  des 
Kollektiverlebnisses  —  zu  groß.  Kein  Wunder, 
daß  er  sich  im  Lauf  der  Erzählung  immer  wieder 
selbständig  macht.  Wenn,  das  aber  so  ist,  stellt 
sich  das  erzählerische  Unternehmen  selber  in 
Frage.  Dann  muß  an  die  Stelle  der  als  literari- 
sches Werk  konzipierten  «Chronik»  in  der  Tat 
die    reine    Dokumentation    treten.    Alice    Meyer, 


Und  nun  noch  ein  kleiner  Nachtrag.  \on 
Heinrich  Wiesner  weiß  der  Klappentext  zu  seinem 
neuen  Buch  zu  berichten:  «Dem  Aphoristiker,  der 
als  „heutiger  Lichtenberg  der  Schweiz**  bezeichnet 
wurde,  geht  es  in  seiner  neuen  Arbeit  um  das  Er- 
zählen.» Es  wird  wohl  so  sein,  daß  sich  irgendein 
Rezensent  der  «Lakonischen  Zeilen»  diese  hilf- 
lose Formel  —  der  richtige,  der  einzige  Lichten- 
berg wäre  der  «gestrige»?  —  geleistet  hat.  Aber 
warum  wiederholt  man  sie?  Daß  Verlage  ihre 
Autoren  im  Stil  von  Waschmittel-  und  Auto- 
reklamen anpreisen,  ist  leider  längst  üblich  ge- 
worden.   Aber    Heinrich    Wiesner    hat    das    nicht 

^^'■^^•^"^-  Manfred  Gsteiger 


Eine  Bibliographie  judaiHlisclier  Sl neuen 


Es  ist  eine  wahre  Freude,  an  dieser  Stelle  eine 
Schrift  anzuzeigen,  welche,  wie  es  im  Jargon  der 
Rezensenten  gewöhnlich  heißt,  aber  in  diesem 
Falle  wirklich  wahr  ist,  eine  Lücke  in  der  Organi- 
sation unserer  wissenschaftlichen  Bestrebungen 
ausfüllt.  Die  <!cMaf>nes-Presse:»,  der  offizielle  Ver- 
lag der  Hebräischen  Universität  in  Jerusalem,  hat 
soeben  einen  €lnäex  of  Articles  on  Jewish 
Studies»  herausgegeben,  welcher  es  unternimmt, 
für  das  Jahr  1966  alle  wissenschaftlichen  Studien 
zu  verzeichnen,  die  das  Judentum  in  allen  seinen 
Verzweigungen  betreffen  (mit  alleiniger  Aus- 
nahme der  hebräischen  Dichtung,  die  von  Pro- 
fessor J.  Shirmann  schon  jährlich  an  anderer 
Stelle  verzeichnet  wird).  Herausgeber  dieser,  wie 
wir  gleich  sehen  werden,  sehr  umfangreichen 
bibliographischen  «Studies»  ist  Issachar  Joel,  der 
seit  sehr  vielen  Jahren  die  Verantwortung  für 
die  bibliographische  Viertel  jahrsschrift  ^Kirjat 
Sepher»  trägt,  welche  das  Organ  der  Jüdischen 
National-  und  Universitätsbibliothek  in  Jerusalem 
ist. 

Als  die  Leitung  dieser  Bibliothek  1924  dem 
Drängen  junger  Bibliographen  und  Historiker 
(S.  Assaf,  B.  Dinaburg,  L.  A.  Mayer,  G.  Scholem), 
die  damals  nach  Palästina  eingewandert  waren, 
nachgab  und  das  Risiko  der  Herausgabe  einer 
bibliographischen  Viertel  jahrsschrift  «Kirjat  Se- 
pher»  übernahm  —  «Kirjat  Sepher»,  die  Stadt 
des  Buches,  ist  der  biblische  Name  für  D'wir  in 
Josua  15,  Verse  15,  16;  und  Buch  der  Richter, 
1,  12  — ,  geschah  dies  ohne  viele  Hoffnung,  daß 
die  Bibliothek  imstande  sein  würde,  das  begon- 
nene Werk  lange  aufrecht  zu  halten.  Die  «Zeit- 
schrift für  hebräische  Bibliographie»,  in  Frankfurt 
herausgegeben  von  Ch.  Brody  und  A,  treimann, 
welche  die  längste  Lebensdauer  unter  den  Zeit- 
schriften dieser  Art  gehabt  hatte,  war  1921  den- 
noch eingegangen,  und  es  war  wohl  dieser  Ver- 
lust, welcher  der  nächste  Anlaß  zur  Gründung 
von  «Kirjat  Sepher»  war.  Aber  würde  sich  der 
neue  Versuch  in  Jerusalem,  das  damals,  1924,  so 
fern  von  allen  Zentren  des  Wissenschaftsbetriebs 
war  (die  Hebräische  Universität  ist  erst  ein  Jahr 
später  gegründet  worden),  halten  lassen?  Daß  der 
Traum  Wirklichkeit  wurde  und  «Kirjat  Sepher» 
seit  1924  regelmäßig  erscheint,  ist  wohl  vor  allem 
das  Werk  von  J.  Joel,  der  wenige  Jahre  nach  der 
Gründung  die  Redaktion  übernahm  und  sich 
einen  Stab  von  Mitarbeitern  herangebildet  hat. 

Der  uns  vorliegende  «Index  von  Artikeln  auf 
dem  Gebiete  der  Wissenschaft  des  Judentums» 
unternimmt  es,  wie  gesagt,  alle  Artikel,  welche 
im  Jahre  1966  (jüdisches  Jahr  5726)  erschienen 
sind,  in  einer  klassifizierten  Ordnung  zu  verzeich- 
nen. Wie  riesenhaft  ein  solches  Unternehmen 
war,  möge  die  Tatsache  illustrieren,  daß  nach 
den  Angaben  von  Dr.  Joel  7000  Zeitschriften  für 
das  vorliegende  Buch  durchgesehen  werden 
mußten. 

Die  Anordnung  des  Inhalts  ist  bei  einem  sol- 
chen bibliographischen  Buche  von  entscheiden- 
der Bedeutung  und  sei  daher  hier  in  ihren  Haupt- 
zügen wiedergegeben: 

I.  Bibliographie  (einschließlich  persönlicher 
Bibliographie.  Manuskripte,  Geschichte  des  Druk- 
kes,  und  bibliographische  Studien  über  einzelne 
Bücher);  IL  Die  Wissenschaft  des  Judentums  und 
ihre  Institute;  111.  Das  Alte  Testament  (hier  auch 
solche  Unterabschnitte  wie:  «Frühchristliche 
Kommentare»,  «Die  Religion  des  Alten  Testa- 
mentes», «Engel,  Propheten  und  Prophetie», 
«Der  Dekalog  und  der  Bund».  «Sünde  und  Er- 
lösung», «Bibelkritik»,  «Geschichte  und  Geogra- 
phie», «Das  AT  als  Literaturprodukt»,  «Die 
Sprache  des  AT»,  «Einfluß  und  Verbreitung  des 
AT»,    «Das    AT    in    der    Kunst»    usw.);    es    folgt 

IV.  Apocrypha  und  die  Rollen  vom  Toten  Meer; 

V.  Mischna,   Talmud,    Midrasch,    Halakhah;   VI. 
Geistige     Strömungen     im     Judentum     mit     den 


Untertiteln:  «Messianismus»,  «Zeitgenössische 
Diskussionen»,  «Judentum  und  Christentum  und 
andere  Religionen»,  «Mystik  und  Kabbalah», 
«Chassidismus»,  «Ethik»,  «Religiöse  Strömun- 
gen»; Vll.  Liturgie  (der  Abschnitt  über  die  Ge- 
bete ist  überraschend  kurz  ausgefallen,  was  natür- 
lich nicht  die  Schuld  der  Herausgeber  ist);  VII L 
Literatur  einschließlich  jiddischer  Literatur  (an- 
gesichts der  oben  zitierten  Bemerkungen  des  Vor- 
wortes über  die  Arbeit  von  Shirmann  ist  dem 
Referenten  nicht  klar  geworden,  welche  Studien 
hier  verzeichnet  wurden  und  wo  die  Grenze  ver- 
läuft); IX.  Sprache  (mit  Unterabschnitt  über  Jid- 
disch, Ladino  und  andere  judaisierte  Dialekte). 
In  diesem  Kapitel  findet  sich  in  einer  sehr  über 
sichtlichen  alphabetischen  Anordnung  ein  Ver- 
zeichnis einzelner  Wörter,  welche  im  Berichts- 
jahre Gegenstand  wissenschaftlicher  Untersu- 
chungen waren;  auch  ein  Unterabschnitt  über 
modernes  Hebräisch;  X.  Jüdische  Geschichte  (ein- 
schließlich Antisemitismus,  Juden  in  der  allge- 
meinen Literatur,  Demographie);  XL  Kulturelles 
Leben  (Folklore,  Kunst,  Musik,  Erziehung,  Medi- 
zin); XII.  Staat  Israel  (einschließend  solche  Un- 
terabschnitte wie  Religion,  Kibbuz,  Erziehung, 
Araber). 

Es  folgen  die  bei  einem  solchen  Buche  be- 
sonders wichtigen  Indices;  ein  Index  nach  Auto- 
ren und  ein  Index  nach  Gegenständen.  Hiebei 
sind,  was  unvermeidlich  war,  hebräische  und 
nichthebräische  Autoren  getrennt  und  auch  der 
Sachindex,  der  die  Namen  von  Personen,  Ländern 
und  Büchern  enthält,  mußte  in  zwei  Alphabeten 
angeführt  werden.  Dies  muß  der  Leser  immer  in 
Erinnerung  behalten,  wenn  er  die  Bibliographie 
richtig  benützen  will:  er  muß  immer  in  zwei 
Alphabeten  nachsehen.  Wenn  also  jemand  wissen 
will,  welche  Artikel  über  die  Juden  in  Oesterreich 
zum  Beispiel  (hebräisch:  Austria)  und  welche 
Artikel  über  die  Juden  in  Australien  erschienen 
sind,  muß  er  im  hebräischen  und  im  nichthebräi- 
schen Alphabet  nachsehen,  er  wird  dabei  die 
Entdeckung  machen,  daß  Oesterreich  (Austria) 
sich  nur  im  hebräischen  Teil  findet,  weil  es  sich 
um  einen  jiddischen  Artikel  handelt  und  Jiddisch 
mit  hebräischen  Buchstaben  gedruckt  wird,  wäh- 
rend das  Wort  «Australia»  sich  nur  im  Index  der 
lateinischen  Buchstaben  findet.  Solche  Anomalien 
waren  wohl  unvermeidlich,  hätten  aber  dem  Leser 
nicht  nur  hebräisch,  sondern  auch  englisch  mit- 
geteilt werden  müssen. 

Dazu  kommt  noch  dies,  daß  die  Herausgeber, 
wie  sie  selbst  in  einer  nur  hebräisch  erscheinen- 
den Vorbemerkung  sagen,  nicht  konsequent  wa- 
ren: die  laufenden  Zahlen  der  Eintragungen 
hebräischer  Bücher  werden  im  hebräischen  Index 
angeführt,  die  laufenden  Zahlen  der  nichthebräi- 
schen im  nichthebräischen  Index,  wenn  aber  über 
einen  gewissen  Gegenstand  Artikel  hebräisch  und 
nichthebräisch  erschienen  sind,  «haben  wir  kein 
einheitliches  System  verfolgt:  bisweilen  haben  wir 
bei  einem  Gegenstand  sämtliche  Nummern  an- 
geführt, bisweilen  haben  wir  uns  mit  einem  Hin- 
weis von  einem  Index  auf  den  andern  begnügt». 
Diese  Inkonsequenz  verwirrt  den  Leser,  wie  es 
mir  widerfuhr,  als  ich  die  Artikel  über  Buber 
nachsehen  wollte,  welche  in  dieser  Zeit,  wenige 
Monate  nach  dem  Tode  von  Martin  Buber,  be- 
sonders zahlreich  sein  mußten.  Das  Verzeichnis 
führt  15  nichthebräische  und  2  hebräische  Studien 
über  Buber  an;  das  ist  natürlich  nur  ein  kleiner 
Teil  der  Buber-Studien,  die  1966  erschienen  sind. 
Dr.  Joel  sagt  in  seinem  Vorwort:  «Ich  sehe  in 
der  hier  vorgelegten  Liste  nur  einen  Versuch, 
einen  ersten  Schritt:  und  ich  spreche  die  Hoff- 
nung aus,  daß  diejenigen,  die  an  unserem  Unter- 
nehmen interessiert  sind,  uns  aufmerksam  machen 
werden  auf  Fehler  und  auf  Artikel,  welche  unse- 
rer Aufmerksamkeit  entgangen  sind,  so  daß  das 
folgende  Heft,  das  bereits  vorbereitet  wird,  voll- 
kommener  sein   wird.»    In   diesem   Sinne   wollen 


TüTzwci  Jahrzehnte  jünger  als  Ciirt  Man/  Kt 
der  ebenfalls  aus  Zürich  stammende,  aber  im 
Welschland  geschulte  Walter  Meier.  Er  ordnet 
alles  Dargestellte,  frei  rhythmisiert,  in  eine  stark- 
farbige oder  diffus-helle  Bildfläche  ein  und  läßt 
kühnes  Gelb,  Orange,  Hellrot  mit  Dunkelblau 
oder  Schwarz  kontrastieren.  Während  Sonnenblu- 
men, bunte  Sträuße  und  gefestigte  Stilleben  die 
Bildmitte  beherrschen,  erscheinen  dunkle  Boote, 
Netzflickerinnen  und  wartende  Fischerfrauen  am 
oberen  Bildrand  über  tonlich  differenzierter  Frei- 
fläche. Im  Nebenraum  zeigen  Walter  Meiers 
Aquarelle  eine  gelockerte  Malweise.  —  Aus  der 
Provence  kommt  der  1929  in  St.  Immer  geborene 
Marco  Richterich  mit  Oelbildern  und  Aquarellen 
von  persönlicher,  leicht  kapriziöser  Faktur.  Ein 
spiritueller  Zug  beherrscht  die  hellen,  zeichnerisch 
betonten  Darstellungen  von  Baumlandschaften 
und  Bauwerken,  die  manchmal  von  feinem  Linien- 
gekringel durchwirkt  sind.  Etwas  Illustratives,  Ar- 
tistisch-Verspieltes ist  auch  aparten  Einfällen  wie 
«Place  de  la  Mairie»  eigen.  (Bis  28.  Februar.) 

Lucio  Fontana  und  Paul  Wunderlich 
(Galerie  Verna  &  Ballensperger) 

P.  Wd.  Eine  dem  Schaffen  Lucio  Fontatias 
(1899  bis  1968)  gewidmete  Darstellung  trägt  den 
Titel  «Segno  antidisegno»;  die  rund  fünfzig  zu 
dieser  Ausstellung  zusammengetragenen  Zeichnun- 
gen und  Radierungen  haben  nicht  Gestaltung  oder 
formale  Analyse  von  Sinneseindrücken  zum  Ziel, 
sondern  geben  nichts  Weiteres  als  das  krude,  zu- 
fällige und  isolierte  Faktum  einer  beliebigen  Be- 
einträchtigung oder  Beschädigung  eines  Werkstof- 
fes, Form  also,  die  sich  keinem  Willen  zu  fügen 
hatte,  frei  von  jeder  Regel  und  Grammatik.  Es 
genügt  die  Tatsache,  daß  der  Eingriff  die  freie 
Leere  einer  weißen  Fläche  verändert  hat,  und  der- 
artigen Ereignissen,  welche  durch  nichts  geglie- 
dert oder  artikuliert  sind,  gilt  Fontanas  Aufmerk- 
samkeit. Ob  aber  alle  diese  «moments»  der  Auf- 
merksamkeit wert  sind  . . .  ? 

Der  1927  in  Hamburg  geborene  Paul  Wunder- 
lich legt  einen  Bestand  von  drei  Dutzend  Oelbil- 
dern, Gouachen  und  Lithographien  vor.  Raffiniert 
und  gekonnt  strafft  oder  lockert  er  den  Linienfluß 
und  die  Flächendichte  der  Figuren,  die  auf  einen 
Akt  zurückgehen,  den  er  dann  aber  in  mannig- 
facher Weise  in  Stücke  zerlegt,  in  einen  starren 
und  kahlen  Raum  versetzt  und  mit  einer  versach- 
lichten Fremdheit  umgibt,  so  daß  selbst  das  for- 
mal Ausgewogene  irgendwie  pervers  anmutet.  (Bis 
Ende  März.) 


die   folgenden   kritischen   Bemerkungen  aufgefaßt 
werden. 

Es  kann  natürlich  nicht  verlangt  werden,  daß 
die  Herausgeher  alle  einschlägigen  Publikationen 
sehen.  Eine  Bibliographie  muß  immer  ergänzungs- 
bedürftig sein,  sowie  das  göttliche  Schöpfungs- 
werk als  vSchöpfungswerk  unvollkommen  sein 
muß.  Ich  habe  den  Artikel  «Buber»  als  Beispiel 
angeführt,  weil  er  mir  nahelag.  Hier  ist  zum 
Beispiel  das  Bändchen  der  Reden,  welche  die 
Hebräische  Universität  selbst  herausgegeben  hat, 
nicht  angeführt  worden,  ebenso  fehlt  die  Jerusa- 
lemer englische  Tageszeitung  «The  Jerusalem 
Post»  und  das  deutsche  «Mitteilungsblatt»,  das 
trotz  dem  bescheidenen  Namen  auf  hoher  litera- 
rischer Stufe  steht.  Im  Verzeichnis  der  hebräi- 
schen Zeitschriften  vermißte  ich  «Sch'demot». 
Daß  im  Berichtsjahre  über  Kafka  zwei  Studien 
hebräisch  und  nur  eine  in  deutscher  Sprache  er- 
schienen ist,  ist  äußerst  unwahrscheinlich.  (Siehe 
z.  B.  das  «Mitteilungsblatt»  vom  9.  September.) 
Aber  das  sind  Kleinigkeiten.  Schwerer  wiegt,  daß  j 
das  englische  Year  Book  des  Leo  Baeck-lnslitutes 
(Bd.  xi.  1966)  nicht  benutzt  wurde,  oder  der  j 
«Freiburger  Rundbrief ^>:  beide  Quellen  sind  so- 
wohl wichtig  durch  ihre  Artikel  wie  durch  das 
große  Gewicht,  das  sie  selbst  auf  die  Bibliographie 
legen. 

Zusammenfassend:  Es  ist  ein  sehr  gutes  und 
sehr  wichtiges  Buch,  das  bestimmt  ist,  großen 
Nutzen  zu  bringen,  falls  es  dem  Herausgeber 
Dr.  L  Joel  und  dem  Verlag  der  Magnes-Presse 
der  Hebräischen  Universität  gelingt,  das  Buch  zu 
einer  festen  Einrichtung  zu  machen.  Zur  Er- 
reichung dieses  Zieles  werden  hoffentlich  alle 
interessierten  Institute  und  Forscher  helfen.  Sie 
werden  dem  Initiator  Dr.  I.  Joel  Dank  wissen. 

Hu^o  Bergnian 


SchHetzinper  Festspiele  1970.  Die  Schwetzin- 
gcr  Festspiele  wcnlen  unter  dem  ProioK»i>rat  des 
Süddeutschen  Kundfunks  Stuttgart  am  Donnerstag, 
14.  Mai,  mit  der  Oper  <iLes  fetes  venetiennes»  von 
Andre  Campra  (1660  bis  1744)  eröffneL 


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Seite  8  /  Donnerstag,  3.  Mai  1962  /  Nr.  102 


POLITISCH 


/ 


Aus  der  Reichskanzlei  beobachtet 


HERMANN  PÜNDER:  Politik  in  der  Reidiskanzku 
Aufzeidinungen  aus  den  Jahren  1929 — 1932.  Her- 
ausgegeben von  Thilo  Vogelsang.  (Schriftenreihe 
der  Vierteljahrshefte  für  Zeitgesdiidite  Nummer  3.) 
StuttgartyDeutsdieVerlagsanstalt,  179  S.,  7,80  DM. 

"Wie  kein  anderer  Beamter,  wenn  man  von 
Otto  Meissner,  dem  Staatssekretär  Hindenburgs, 
absieht,  erlebte  Hermann  Pünder  als  Staats- 
sekretär in  der  Reichskanzlei  die  Jahre  von 
1926  bis  1932  im  Zentrum  der  Reiciispolitik.  Um 
so  dankbarer  sind  wir,  daß  er  nun  sein  Tage- 
buch, das  auch  viel  Persönliches  enthält,  zur 
Veröffentlichung  freigegeben  hat.  Seine  von 
Thilo  Vogelsang  eingeleiteten  und  kommentier- 
ten Aufzeichnungen  sind  für  die  deutsche  Be- 
hörden- und  Beamtengeschichte  wichtig,  und  sie 
bieten  auch  neue  Einzelheiten  über  die  Krisen- 
jahre von  1929  bis  1932  dar.  Pünders  Eintragun- 
gen beginnen  unmittelbar  nach  dem  Tod  Strese- 
manns  und  enden  im  Oktober  1932,  fünf  Monate 
nach  seiner  dem  Rücktritt  Brünings  folgenden 
Entlassung  aus  dem  Reichsdienst.  Wichtige  De- 
tails bringen  sie  über  die  letzten  Monate  der 
Regierung  Müller,  über  die  deutsche  und  inter- 
nationale Währungs-  und  Reparationspolitik, 
über  die  Wirtschaftskrise  —  hier  werden  in 
einem  Anhang  die  Tagebuch-Nc  Uzen  durch  eine 
im  August  1931  ausgefertigte  interessante  amt- 
liche Aufzeichnung  Pünders  über  die  Entwick- 
lung der  wirtschaftspolitischen  Lage  ergänzt  — 
sowie  über  die  Kanzlerschaft  und  den  Sturz 
Brünings.  Die  Eintragungen  in  das  Tagebuch  er- 
folgen unregelmäßig  im  Abstand  von  mehreren 
Tagen.  Lücken  in  den  Aufzeichnungen  stellten 
sich  leider  oft  dort  ein,  wo  ereignisreiche  Tage 
dem  Autor  keine  Zeit  und  Ruhe  zum  Schreiben 
ließen. 

Mit  Recht  betont  Thilo  Vogelsang  in  seiner 
Einleitung,  daß  Pünder  trotz  seines  intimen  amt- 
lichen Umgangs  mit  der  Politik  und  trotz  seines 
großen  Einflusses  auf  die  Personalpolitik,  den 
die  AufzejÜ^nungen  erkennen  lassen,  stets  der 

und  loyale  Beamte  blieb.  Dem 

^ten  Müller  diente  er  mit  der  glei- 

dem  Zentrums-Mann  Brüning, 

erhältnis  zu  Müller  nur  korrekt, 

\dagegen  ein  Vertrauensverhält- 

jser  \Veise  verwöhnte  der  kluge, 

„_,     _,    schriftlichen    Ausdruck    gewandte 

Staatssekrc  tär  seine  Kanzler,  indem  er  ihnen  bei 
der  VorforjTiulierung  von  Entwürfen  und  Reden 


Überparte 
Sozialden 
chen  Trei' 
obwohl  se 
das  zu  Bri 
nis  war.  In 
fleißige,    ii 


eine  Menge  Arbeit  abnahm.  In  anderer  Hinsicht 
ergänzte  er  mit  seinem  rheinischen  Tempera- 
ment seine  beiden  kontaktarmen  Kanzler  Mül- 
ler und  Brüning  gerade  dort,  wo  sie  versagten: 
im  notwendigen  persönlichen  Umgang  mit  poli- 
tischen Persönlichkeiten.  Für  die  letzten  Monate 
der  Regierung  Müller  erhält  man  sogar  den  Ein- 
druck, daß  Pünder  die  Zügel  der  Reichsregie- 
rung etwas  selbständig  in  die  Hand  nahm,  als 
der  kranke  und  resignierende  Müller  sich  von 
der  Pohtik  immer  mehr  zurückzog. 

Pünder  offenbart  in  seinen  Aufzeichnungen 
eine  gute  Menschenkenntnis,  aber  er  hält  mit 
.seinem  Urteil  zurück.  Offene  Abneigung  drückt 
er  nur  gegenüber  Schacht  und  Papen  aus,  Zu- 
neigung und  Freundschaft  gegenüber  Luther, 
Stresemann  und  Brüning.  Ob  sein  enger  Kon- 
takt zu  Schleicher  und  Meissner  mehr  bedeutete 
als  nur  dienstliche  Notwendigkeit,  erfährt  man 
nicht.  Über  den  rätselhaftesten  der  Weimarer 
Reichskanzler,  Heinrich  Brüning,  liest  man 
einige  rührende  Details  —  z.  B.  die  Geschichte 
wie  er,  von  einer  Reise  zurückkehrend,  seine 
Wohnung  nicht  betreten  konnte,  weil  seine 
Haushälterin  verreist  war  — ,  aber  man  erfährt 
nicht,  ob  Pünders  persönliche  Hochachtung  für 
Brüning  auch/ dessen,  i;*o^itik  v.nd  Erglerunj»;s- 
weis:  *  voll  einbezog.  Das  wichtigste  Thema  der 
Aufzeichnungen  ist  jedoch  die  vielschichtige 
Staats-,  Wirtschafts-  und  Parteienkrise,  die  das 
Deutsche  Reich  nach  1929  erfaßte.  Politik  wurde 
nicht  nur  vom  Kanzler,  sondern  rivalisierend 
auch  von  der  Reichswehr,  dem  Reichspräsiden- 
ten und  der  Reichsbank  gemacht.  Der  Kanzler 
bestimmte  zwar  die  Richtlinien  der  Politik,  aber 
er  konnte  immer  weniger  die  politischen  Par- 
teien, die  Reichswehr  oder  gar  Hindenburg  dar- 
auf festlegen.  Mit  dem  Rechtsextremismus  und 
der  Wirtschaftskrise  nahm  die  Staatskrise  Aus- 
maße an,  die  größer  waren  als  die  Befugnisse 
des  Reichskanzlers.  So  mußten  dieser  und  seine 
nächsten  Mitarbeiter  ständig  mit  den  Über-  und 
Nebjhregierungen  sowie  mit  den  Parteiführern 
verhandeln,  und  Politik  konn.e  nur  von  heute 
auf  morgen  gemacht  werden.  Für  diese  „Auf- 
lösung" des  Weimarer  Staates  sind  Pünders 
Aufzeichnungen  ein  unmittelbares  Zeugnis.  Ihre 
Lel:türe  kann  man  jedem,  der  sich  für  Zeitge- 
schichte interessiert,  empfehlen.  Auch  sei  dem 
Verlag  und  dom  Institut  für  Zeitgeschichte  in 
München  dafür  gedankt,  daß  sie  dieses  Buch 
zu ^^ -niedrigem  Preis  dem  interessierten  Publi- 
kum  anbieten.  Eberhard  pikart 


Akten 


|is  erste  Kriegshalbjahr 

>  UTSCHEN  ^AUSWd 


Sc-wititunion  Überfallenen  Finnlands  an  Deutsch- 
land; und  Rooseveits  Vorbereitungen  für  eine 
BiilitiKL    der  .aktiri^i^TntniirtfitTnnr    Ei 


Stichwörter  aussuchenj 
halten  wünschte.  Man* 
Luther,  Bismarck,  Hitll 
der  Geschlechter,  Graij 
Schlagwort  „Mach  es 
14  Bildreproduktionerj 
liehe  drei  aussuchen, 
den    Untersuchender;! 
zeigt  sich,  wie  schwiei 
ist.  Die  Ergebnisse  2feigei| 
die  Jugend  heben  ihve  Um 
ansehen  und  keinesfalls 

Kommunistiscl] 

C.  //.  nOLPH:  ATthCse 
Trial.  London,  Verlag  Arj 
6  sli. 

Den   berühmten   GeriJ 
tischen    Gewerkschaftsge^ 
gefolgt.  Er  ist  insofern 
zum   erstenmal   ereignet 
nach  einem   lanr^en  Prozl 
rechtmäßige  Generalsekr>| 
werkschaft    sei.    Nahezu  " 
Worte   sind   in   den   zwei] 
Zivilprozesses  gegen  die 
rung    der    Elektrikergew  | 
sprechen    worden,    die    d 
Wahl    des    GeneralsekretJ 
Aus  denj  umfungreicnem 
'  t/  H.    Rolph   einen    Bei* 
der    alle    wesentlichen    ^| 
sehenerregenden  Prozesse 
ist    ein    aufschlußreiches! 
Dokument  über  die  komil 
Schäften,  aufschlußreich  ii| 
Methoden  und  Tricks  in 
trug  in  der  Geschichte  dei| 
gung",    erschreckend    in 
ungeheuren  Schwierigkeit] 
der  Angeklagten,  von  dei 
Foulkes,  führende  Komm| 
gleich  zu  den  bekanntestei] 
Gewerkschaftsführern  zäh 

Was  dem  Prozeß  seine 
gegeben  hat,  war,   daß  dl 
einem   englischen    Gericht) 
Objektivität  die  Technik 
Machtausübung    in    einer 
Schaft  demonstriert  wordel 
ses  Prozesses  zu  ignorierej 
werden. 

Jugend  und  Wi^ 

DIE  JUGEND  UND  Dil 
DEUTSCHLANDS, 
des  Wettbewerbs  de\ 
Frankfurt,    Wien,    V<J 
24,—  DM. 

Aus    fliriPLT^rrrn ßcj 


Samstag/Sonntag,  18./19.März  1961 


Das 


{ 


atische  l 


Kin  Wälzer  über  «lie  llaclitergreiiiing 


l 


K.  D.  Bracher  /  W.  Sauer  /  G.  Schulz:  Die  national- 
sozialistische Machtergreifung  —  Studien  zur  Errich- 
tung des  totalitären  llerrschaTtssystems  in  Deutsch- 
land 1933,34  (Schriften  des  Instituts  für  politische  Wis- 
senschaften in  Berlin.  Ban.l  14).  Westdeutscher  Ver- 
lag, Köln-Opladen.  XX  und  1034  Seiten,  Leinen,  59  DM. 

Der  Rezensent  erinnert  sich  kaum  an  ein  Buch, 
das  in  ihm  so  r.wiespältige  Geiühle  erweckt  hat: 
Bewunderung  für  die  wissenschaftliche  Leistung, 
Mißfallen  an  Form  und  Gestalt.  Ein  ausländischer 
Publizist,  der  sich  kürzlich  nach  dem  bedeutsam- 
sten Opus  der  jüngsten  Zeitgeschichtsforschung 
erkundigte  und  auf  Brachers  „Machtergreifung" 
verwiesen  ward,  wog  das  Buch  bedäclitig  in  der 
Hand  und  sagte  dann  enttäuscht:  Das  hat  ja  die 
Elephantiasis.  In  der  Tat,  das  Buch  ist  den  Auto- 
ren zu  einem  Wälzer  ausgewachsen,  der  sogar 
Fachleute  abschrecken  könnte.  Über  tausend  Sei- 
ten, eng  bedruclct,  mit  zahllosen  Anmerkungen 
gespickt  —  und  sieht  man  genauer  hin,  so  bedarf 
es  zur  Abrundung  des  Themas  auch  noch  der 
Kenntnis  von  Brachers  früherem  Werk  über  die 
„Auflösung  der  Weimarer  Republik"  (fast  ebenso 
dick).  Beide  zusammen  ergeben  erst  das  volle  Bild 
von  dieser  unglückseligen  Epochenwende,  die 
Deutschland  ins  tiefste  Unglück  stürzte. 

Ein  gewaltiges  Problem,  das  jedermann  angeht, 
aber  —  in  dieser  Form  dargestellt  —  gewiß  nicht 
von  jedermann  erfaßt  werden  kann.  War  denn 
ein  solches  Mammutopus  nötig?  Der  Umfang 
kommt  nicht  so  sehr  daher,  daß  Braclior  und 
seine  Mitarbeiter  vor  der  Fülle  der  Details  kapi- 
tuliert hätten  —  für  die  Einzelheiten  wird  man 
zumeist  an  andere  Literatur  weiter  verwiesen. 
Die  „Maßlosigkeit"  resultiert  vielm.ehr  aus  der 
Methode,  aus  einer  wenig  glücklichen  Stil- 
mischung: Das  Budi  will  nicht  nur  darstellen, 
sondern  sogleich  auch  analysieren,  will  Geschichts- 
schreibung sein  und  politische  Wissenschaft,  Er- 
zählung und  Systematik.  Der  Leser  fühlt  sich  auf 
diese  Weise  nicht  nur  über  Gebühr  bevormundet, 
sondern  hat  auch  ständig  Wiederholungen  in  Kauf 


zu  nehmen,  die  ihm  die  Lektüre  glatt  verleiden. 
Schade,  denn  das  Buch,  wäre  es  historischer 
ausgefallen,  hätte  eine  so  wichtige  Funktion  zu 
erfüllen  gehabt  —  und  sie,  doppelt  schade,  auch 
ohne  weiteres  erfüllen  können.  Was  ein  Standard- 
v/erk  werden  konnte,  ist  in  einer  umständlichen 
Studie  steckengeblieben:  ein  Werk  für  Fachleute 
und  Bibliotheken,  leider  nicht  für  die  interessierte 
Öffentlichkeit. 

Sehen  wir  davo»  ab,  über  verschiedene  Ansich- 
ten zu  streiten  —  obwohl  es  natürlich,  gerade  an- 
gesichts der  Bemühung,  alle  Einzelheiten  zu  be- 
rücksiclitigen  und  im  Urteil  überall  strengstens  zu 
differenzieren,  genug  Thesen  aufzuspüren  gäbe, 
die  man  in  Frage  stellen  müßte.  Nennen  wir  lie- 
ber ein  paar  Beispiele,  die  den  wissensdiaftlichen 
Gewinn  verdeutlichen.  Beherzt  wird  da  mit  Le- 
genden aufgeräumt  —  vor  allem  mit  jener  weil- 
verbreiteten Meinung,  die  den  Beginn  des  Un- 
rechts-Staates, die  „Machtergreifung",  erst  mit 
dem  Ermächtigungsgesetz  (23.  März  1933)  für  ge- 
geben ansieht  und  darum  von  einer  „legalen"  Re- 
gierungsübernahme faseln  zu  können  glaubt. 

Spätestens  mit  dem  28.  Februar,  nämlich  mit  der 
Präsidialverordnung  „zum  Scliutze  von  Volk  und 
Staat"  nadi  dem  Reichstagsbrand  war  das  Terror- 
regime befestigt,  die  Weimarer  Demokratie  durch 
Mißbrauch  ihrer  eigenen  Mittel  überwunden. 
Wohltuend,  wie  Bracher  die  ominöse  Brandstif- 
terstory einzuordnen  versteht.  Wichtig  daran  ist 
ja  nicht  die  Lösung  des  Kriminalfalls,  sondern 
sind  die  politischen  Konsequenzen,  die  Hitler,  Gö- 
ring  und  Genossen  in  bewußter  Verdrehung  des 
Tatbestandes,  somit  illegal,  daraus  gezogen  haben. 

Gebührend  ins  Licht  gerückt  wird  auch  jene  Zu- 
sammenkunft prominenter  Industrieller  mit  Hit- 
ler am  20.  Februar,  auf  der  die  totalitären  Ab- 
sichten des  neuen  Regimes  zynisch  enthüllt  und 
die  Kapitalgeber  mit  Erfolg  zur  Wahlhilfe  ver- 
anlaßt wurden.  Schacht:  „Und  nun,  meine  Herren, 
an    die    Kasse!"    Bracher    meint,    man    solle    das 


•InsLencl  iund  Autorität 


Felix  Raabe:  Die  Bündische  Jugend  —  Ein  Beitrag 
zur  Geschichte  der  Weimarer  Republik.  Brentano- 
verlag, Stuttgart.  255  Seiten,  kart.  12.80  DM. 
Manfred  Priepke:  Die  evangelische  .Tuf^end  im  Dritten 
Reich.  Norddeutsche  Verlagsanstalt  O.  Goedel.  Han- 
nover/Frankfurt a  .M.  244  Selten,  Leinen  12.50  DM. 

Je  intensiver  die  zeitgeschichtliche  Forschung 
sich  den  Voraussetzungen  des  Hitlerstaates  zu- 
wendet, desto  heftiger  wird  der  biographisch-be- 
dingte Widerstand,  auf  den  sie  stößt.  Er  kommt 
weniger  von  Leuten,  die  sich,  im  Dritten  Reidi 
unbestreitbar  blamäert  haben,  als  von  solchen 
Männern  und  Frauen,  die  keine  Nationalsoziali- 
sten waren,  oder  doch  nur  eii^e  ^ '^le,  oder  zur 
Tarnung.  Er  kommt  von  Emig^  V.,  ^vobl  wie 
j'on  KZlern  oder  gar  von  W"  "* 
sich   gegen   die   ZumutunJ 


Wandervogelbewegung  und  das  Soldatentum 
—  was  immer  das  heißen  mag  —  außerordent- 
lich stark  an  den  Ideen  orientiert  waren,  die  das 
Bürgertum  sich  von  der  Vergangenheit  machte. 
Der  Bund  selber,  als  Knabenbund  und  Protest 
gegen  gesetzte  Organisation  verstanden,  war  ein 
Fluchtversuch  aus  der  Welt  rationaler  Großorga- 
nisation, ein  privater  Traum,  der  ach  so  techni- 
sierten Welt  ein  lebendiges  Blümchen  ins  Knopf- 
loch zu  stecken. 

Allerhand  romanti?cher  Theorie  von  „lebendi- 
gen Organismen"  zu?  Wiederherstellung  ,. gewach- 
sener Ordnungen"  Vierpflichtet,  litt  der  Bund  an 
seiner  eigenen  ErfiWdung.  Er  war  zu  spät  gebo- 
ren, um  ernsthaft /für  die  pluralistische  Gesell- 
schaft  in   Frage   ztf   kommen.   Die   Bündische   Ju- 

>nd  in  ihrem  Ve/angen  nach  Bindung  und  „ech- 


Rendezvous  nicht  übersdiätzen;  „es^b. 
auch  eine  Verdrängung  wesentlicher 
sammenhänge,  wenn  heute  von  betroi 
strienahen  Kreisen.  .  .  die  Wirtschaft 
politischen  Aspekte  des  Treffens  vom] 
1933  wie  der  früheren'  und  späteren 
arbeit   weitgehend    bagatellisiert   wer] 

Ebenso   aufregende,    ja   haarsträubc 

sind  —  vielleicht  der  bedeutsamste  T 

kcs  —  den  Machensdiaften  der  Reichj 

met    (Wolfgang    Sauer).    Mochte  ..man| 

Ansicht  neigen,  der  Pakt  mit  Hitler 

erst  durch  die  Röhm-Affäre  besiege] 

wird    hier    der    Nachweis    erbracht. 

scheidenden  Weichen  gleich  zu  Fiegj 

herrschalt  gestellt  wurden.  Hitler  vi 

auf  Grund  seiner  imperialistischen  Ij 

die  Weimarer  Republik  der  Reichs^ 

mußte.  Es  scheint,  als  habe  Hitler  .sj 

der  Auswahl  des  gefügigen  Blombij 

ster  seine  Hand  im  Spiel   gehabt 

man  davon,   daß  sich  Hindenburgsl 

Nazi  als  Glücksfall  erwies).  SpätesJ 

nach  dem  30.  Januar  v/urde  das ,  Bf 

neuen  Reidiswehrführung  perfekv^ 

sprach    Hitler    vor   den   Befehisl 

seine    Köder    aus:    Aufrüstung, 

des  Volkes,  keine  Antastung  d^ 

SA;  und  es  störte  die  Geneiäi 

Hitler  ziemlich  unverhii^ 

—  Krieg  im  Innern  uJ 

entsdilossen   sidi  Blcnl 

Brücken  hinter  sich  a] 

Chance   zu   geben. 

denburgsche   Plan,   Hi] 

Wehrmacht    bereits 

In  kalter    Berech] 
rung  der  Beseitigt 
Reichenau:    „Morsf 
kann  nur  mit  Ter! 
gegen    Marxismus 
gäbe    der    Wehrr 
Unterstütz;ung, 
Truppe      Ju( 
1.    Juni    \i 
„Es   wird 
bald  zu 
Die  Rci 
von 
SPD), 
konstj 
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Daf 
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i^;»  '.ndivic 


dennoch  in  ihrem  Bereidi  Ver- 

i    Tu5.'^>'^    entwickelt,    die    in 

Offenheit  bis  heute 


^ 


'h  war 


Nr.  32  /  9.  8.  1969 


.  DO0  padoment 


Seite  11 


(Fortsetzung  von  Seite  10) 

lidi  auch  die  verbreitete  Notwendigkeit,  7.u- 
nächst  für  den  eigenen  Lebensunterhalt  sor- 
gen zu  müssen,  mögen  Gründe  dafür  sein. 
Vielleidit  steht  audi  die  s^rke  Geschichts- 
gerichte theit  der  jüdisdien  Kultur  einem  ra- 
dikalen Brudi  mit  Tradition  und  Vergangen- 
heit entgegen. 


Deutscher  in  Israel 

Kein  Deutscher  kann  Israel  besuchen,  ohne 
daß  die  dunklen  Ereignisse  der  30er  und 
40er  Jahre  gegenwärtig  sind.  Die  deutsch-isra- 
elischen Beziehungen  waren  daher  eines  der 
mensdilidi    erregendsten    Themen    der   Fahrt. 

Zunächst  ein  Wort  zu  den  offiziellen  Kon- 
takten: Die  Aufnahme  der  diplomatischen  Be- 
ziehungen mit  Bonn  wurde  im  Jahre  1965  ge- 
gen leidenschaftlichen  Widerstand  einer  star- 
ken    Bevölkerungsgruppe     durchgesetzt}     die 
Übergabe  des  Beglaubigungsschreibens  durch 
den  ersten  deutschen  Botschafter  hat  das  Land 
zutiefst    aufgewühlt.    Nach    Ablauf    von    vier 
Jahren,   vor   allem   nach   dem   Sechstagekrieg, 
wird     die     Tatsache     offizieller     Beziehungen 
heute    nicht    mehr    als    Problem    empfunden. 
Der  Stand  der  Beziehungen  und  das  Maß  der 
beiderseitigen     Übereinstimmung,     zum    Bei- 
spiel  auch   in    der   Deutschlandfrage,    wurden 
von  amtlicher   Seite  nachdrücklich  als  ausge- 
zeichnet    bezeichnet.     Noch    bestehende     Be- 
schränkungen    auf     dem    kulturellen    Sektor 
dürften   sich   in  Kürze   erledigen.  Würde   der 
israelische  Botschafter  in  Deutschland  nieder- 
geschrien,  so  wisse  man  heute  wohl  zu  dif- 
ferenzieren, wenngleich  man  solche  Vorgänge 
begreiflicherweise  mit  etwas   anderen  Augen 
sähe,  als  wenn  sich  ein  ähnlicher  Vorgang  in 
Oslo  oder  Paris  abspielte.  In  der  Verjährungs- 
frage,   die    die    Beziehungen    bisher    belastet 
hätte,  werde  jetzt  vermutlich  Ruhe  eintreten, 
man   sei   über   die   getroffene   Regelung  nicht 
glücklich,  könne  aber  „mit  ihr  leben". 

Mit   der  DDR   bestehen   keinerlei   offizielle 
'    und  kaum  persönliche  Kontakte;  die  Haltung 
der    DDR    Israel    gegenüber    gehört    zu    den 
Peinlichkeiten  der  deutschen  Gegenwart. 

Gesprächspartner  im  Lande  waren  im  Rah- 
men des  offiziellen  Programms  ebenso  wie  bei 
den    zahlreichen    privaten    Begegnungen    und 
Zufallstreffen  überwiegend   Israelis   deutscher 
Herkunft,    darunter    manche,    die    Jahrzehnte 
hindurch  geglaubt  hatten,  nie  wieder  Deutsch 
sprechen  zu  können  und   alle   Bindungen   an 
die   frühere  Heimat   abgeschnitten   zu   haben. 
Man  kann  das   Gespräch  nicht  vergessen,   in 
dem    sich    binnen    kurzem    herausstellt,    daß 
sämtliche    Partner    zur    gleichen    Zeit    in    der 
gleichen  Stadt  die  Schule  besudit  haben  und 
Opfer    der    dort    besonders    bösartigen    Aus- 
schreitungen am  8.  November  1938  waren,  de- 
nen man  selbst  zwar  entsetzt,   aber  tatenlos 
zugesehen    hat.    Man    kann    den    Augenblick 
nicht  vergessen,  in  dem  während  eines  langen 


Weimarer 


Geburt  und  Tragik  der  ersten  deutschen  Demokratie  /  von  Alfred  schickei 


Am  11.  August  1919  unterschrieb  der  am- 
tierende Reichspräsident  Friedrich  Ebert  in 
dem  thüringischen  Kurort  Schwarzburg  die 
Urkunde  über  die  „Verfassung  des  Deutschen 
Reiches".  Sie  war  zehn  Tage  zuvor,  am  31.  Juli 
1919,  von  der  Weimarer  Nationalversammlung 
mit  262  Ja-  gegen  75  Nein-Stimmen  bei  einer 
Enthaltung  verabschiedet  worden  und  trat  am 
14.  August  1919  mit  ihrer  Verkündung  im 
Reichsgesetzblatt  in  Kraft. 

Ihrer  Annahme  waren  fünf  Monate  intensi- 
ver Beratungen  der  eigens  zu  diesem  Zweck 
gewählten    Nationalversammlung    in   Weimar 
vorausgegangen.  Als  Arbeitsgrundlage  diente 
den    Abgeordneten    der    Verfassungsentwurf 
des  Berliner  Staatsrechtslehrers  Prof.  Dr.  Hugo 
Preuß.     Da     die    Nationalversammlung     auch 
gleichzeitig   die   Aufgaben   eines   Parlamentes 
wahrzunehmen   hatte   und    dringend   notwen- 
dige Gesetze  zur  Regelung  des  staatlichen  und 
wirtschaftlichen  Lebens  besdiließen  mußte,  bil- 
dete sie  im  März  1919  einen  28köpfigen  Ver- 
fassungsausschuß, in  welchem  der  vorgelegte 
Entwurf  in  allen  Einzelheiten  beraten  wurde. 
Dabei  wurden  nicht  nur  viele  wichtige  Ergän- 
zungen  zur   eingebrachten   Vorlage   beschlos- 
sen, sondern  es  wurde  auch  teilweise  die  Rei- 
henfolge der  vorgeschlagenen  Verfassungsbe- 
stimmungen verändert.  Hatte  Hugo  Preuß  die 
„Grundrechte   des  deutschen  Volkes"    an  den 
Anfang  seines  Entwurfs  vom  20.  Januar  1919 
gestellt,  so  ließ  sie  die  Nationalversammlung 
erst  in  den  zweiten  Hauptteil  der  Verfassung 
aufnehmen.    Dem    ersten    Platz    nahmen    nun- 
mehr  die   Bestimmungen  über   den  Reichstag 
und  den  Reichspräsidenten  ein. 

Den  Abgeordneten  von  Weimar  erschien  die 
Begründung  und  Sicherung  eines  einheitlichen 
deutschen  Staatswesens  vordringlicher  als  die 
Niederlegung  der  einzelnen  Grund-  und  Men- 
schenrechte. Diese  Entscheidung  wird  ver- 
ständlich, wenn  man  die  innenpolitisdie  Lage 
des  Reiches  in  jenen  Monaten  in  Betracht 
zieht.  Nach  dem  Zusammenbruch  der  alten 
staatlichen  Ordnung  in  den  deutschen  Ländern 
und  der  Abdankung  des  Kaisers  hatten  sich  im 
Süden  und  im  Westen  Deutschlands  starke  se- 
paratistische Strömungen  bemerkbar  gemacht. 
Dazu  kam  nodi  das  bei  den  Versailler  Frie- 
densverhandlungen offen  zutage  getretene  Be- 
streben Frankreichs,  an  die  Stelle  eines  ein- 
heitlichen deutschen  Staates  einen  losen  Bund 
deutscher  Länder  zu  setzen. 

Angesichts    dieser    innen-    und    außenpoliti- 
schen Gefahren  schien  nicht  die  Formulierung 
und    Fixierung    der    eir:zelnen    staatsbürgerli- 
chen  Rechte   das   Gebot   der   Stunde,    sondern 
die  Sicherung  der  Einheit  des  Reiches.  Diesem 
Erfordernis    trugen    die    Väter    der    Weimarer 
Verfassung    Rechnung    und    bekundeten    be- 
reits  bei   der   Abfassung   der   Präambel   ihren 
erklärten  Willen  zur  Einheit  des  neuen  deut- 
schen Staates.  Sie  leiteten  die  insgesamt   181 
Artikel  mit  dem  programmatischen  Satz   ein: 
„Das  Deutsche  Volk,  einig  in  seinen  Stäm- 
men und  von  dem  Willen  beseelt,  sein  Reich 
in    Freiheit   und   Gerechtigkeit   zu   erneuern 
und  zu  festigen,  ...    hat  sich  diese  Verfas- 
sung gegeben." 

Vom  Kaiserreich  zur  Republik 


reichs  mit  in  die  neue  deutsche  R<>publik  über- 
nommen. 

Zu  einem  ähnlichen  Kompromiß  fanden  sich 
die  Väter  der  Weimarer  Verfassung  bereit,  als 
sie  den  Artikel  1  0  9  mit  der  Bestimmung 
„Orden  und  Ehrenzeichen  dürfen  vom  Staat 
nicht  verliehen  werden'  durch  d^n  Artikel  175 
der  Verfassung  wieder  einschränkten,  in  dem 
es  hieß:  „Die  Bestimmungen  des  Artikels  109 
findet  keine  Anwendung  auf  Orden  und  Eh- 
renzeichen, die  für  Verdienste  in  den  Kriegs- 
jahren 1914  bis  1919  verliehen  werden  sollen". 

Machtfülle 
des  Reichspräsidenten 

Noch  deutlicher  und  für  den  Gang  der  deut- 
schen Geschichte  folgenschweier  wird  die  An- 
lehnung der  Weimarer  Verfassung  an  frühere 
Regelungen  im  Kaiserreich  in  den  Bestimmun- 
gen über  Stellung  und  Befugnisse  des  Reichs- 
präsidenten. Sie  sind  in  den  Artikeln  41   bis 
59  niedergelegt.  Danach  war  der  Reichspräsi- 
dent  unmittelbar   vom   Volk  zu   wählen   und 
stand  somit  ebenbürtig  neben  dem  Parlament. 
Wählbar  war  jeder  Deutsche,  der  das  35.  Le- 
bensjahr vollendet  hatte.  Die  Amtsdauer  des 
Reichspräsidenten  währte  sieben  Jahre,  wobei 
eine  Wiederwahl  möglich  war.  Der  Reichsprä- 
sident hatte  gemäß  Artikel  53  das  Recht,  den 
Reichskanzler  zu  berufen  und  zu  entlassen.  Da 
ihm  nach  Artikel  '25  der  Verfassung  auch  die 
Vollmacht  zustand,  den  Reichstag  aufzulösen, 
konnte   er  in   Verbindung   der   beiden   Befug- 
nisse  auch   Regierungen   gegen   die   Mehrheit 
des  Parlaments  im  Amt  hallen,  wenn  die  Ab- 
geordneten mit  ihrem  Widerstand  nicht  eine 
Auflösung    des   Reichstags   riskieren   wollten. 
Die    Einschränkung    des    Artikels    25,    wonach 
der  Reichspräsident  den  Reichstag  nur  einmal 
aus    dem    gleichen    Anlaß    auflösen    durfte, 
konnte    unschwer    mit    wechselnden    Begrün- 
dungen für  den  Auflösungsbeschluß  umgangen 
werden.  Unter  diesen  Umständen  war  die  Bil- 
dung    von     sogenannten     Präsidialkabinetten 
möglich,  wie  sie  in  den  1  ruhen  dreißiger  Jah- 
ren unter  Hindenburg  die  Regel  wurden. 

Die  größte  politische  Machtfülle  war  dem 
Reichspräsidenten  mit  dorn  Artikel  48 
der  Weimarer  Verfassung  gegeben.  Er  hatte 
folgenden  Wortlaut: 

„Wenn  ein  Land  die  ihm  nach  der  Reichsver- 
tassung  oder  den  Reichsgesetzen  obliegen- 
den Pflichten  nicht  ertüllt,  kann  der  Reichs- 
präsident es   dazu  mit  Hilfe   der   bewaftne- 


ten  Macht  anhalten.  Der  Reichspräsident 
kann,  wenn  im  Deutschen  Reiche  die  öttent- 
liche  Sicherheit  und  Ordnung  gestört  oder 
gefährdet  wird,  die  zur  Wiederherstellung 
der  öffentlichen  Sicherheit  und  Ordnung  nö- 
tigen Maßnahmen  treffen,  erforderlichen- 
talls  mit  Hilfe  der  bewaffneten  Macht  ein- 
schreiten. Zu  diesem  Zweck:e  darf  er  vor- 
übergehend die  in  den  Artikeln  114  115, 
117,  118,  123,  124  und  153  festgesetzten 
Grundrechte  ganz  oder  zum  Teil  außer  Kraft 
setzen. . .  ." 

Mit  diesen  Bestimmungen  war  die  Beseitigung 
eines  inneren  Notstandes  geregelt.  Der 
Reichspräsident  konnte  —  im  Gegensatz  zum 
heutigen  Notstandsrecht  —  von  sich  aus  und 
ohne  das  Parlament  vorher  um  Zustimmung 
bitten  zu  müssen  die  Initiative  ergreifen  und 
die  ihm  notwendig  erscheinenden  Maßnah- 
men treffen.  Er  war  lediglich  gehalten,  den 
Reichstag  über  die  von  ihm  erlassenen  Anord- 
nungen in  Kenntnis  zu  setzen. 

Voraussetzungen  für  die  dem  Reichspräsi- 
denten in  diesem  Artikel  zugestandenen  N4ög- 
lichkeiten  waren  der  ihm  übertragene  Über- 
befehl über  die  Streitkräfte  (Artikel  47  der 
Reichsverfassung)  und  die  Bestimmung  des 
Artikels  13,  welcher  besagte:  „Reichsrecht 
bricht  Landrecht".  Die  vom  Reichspräsidenten 
teilweise  oder  ganz  aufhebbaren  Grundrechte 
betrafen  in  der  Hauptsache: 

a)  die  Freiheit  der  Person   (Artikel    114), 

b)  die     Unverletzlichkeit     der     Wohnung 
(Artikel  115), 

c)  das     Brief-,     Post-,  Telegraphen-     und 
Fernsprechgeheimnis  (Artikel  117), 

d)  die  Presse-  und  Meinungsfreiheit  (Ar- 
tikel 118), 

e)  die  Versammlungsfreiheit  (Artikel  123), 

f)  die     Koalitions-     und     Vereinsfreiheit 
(Artikel  124), 

g)  das  Recht  auf  Unantastbarkeit  des  Ei- 
gentums (Artikel  153). 

Mit  diesen  Befugnissen,  zu  denen  noch  das 
Begnadigungsrecht  (Artikel  49)  und  ein  be- 
schränktes Einspruchsrecht  gegen  Gesetze  und 
Besdilüsse  des  Reichstags  (Artikel  73)  kamen, 
hatte  der  Reidispräsident  in  der  Tat  eine  der 
Stellung  des  früheren  Deutschen  Kaisers  ver- 
gleichbare politische  Machtposition.  Man 
nannte  daher  das  Staatsoberhaupt  der  Weima- 
rer Republik  nicht  zu  Unrecht  auch  einen 
„Ersalzkaiser  der  Deutschen". 


Verhältniswahlrecht  und  Volksentscheid 


Einen  deutlidien  Fortschritt  gegenüber  den 
bisher  geltenden  Regelungen  stellten  die  Her- 
absetzung des  Wahlaltors  auf  20  Jahre  und  die 
Einführung  des  Frauenwahlrechts  dar,  wie  sie 
im  Artikel  22  der  Verfassung  bestimmt 
wurden.  Mit  der  Festsetzung  des  aktiven 
Wahlrechts  auf  das  vollendete  20.  Lebensjahr 
und  der  Bestimmung  des  Artikels  41,  wonach 
jeder  Deutsche,  der  das  35.  Lebensjahr  er- 
reicht hatte,  in  das  Amt  des  Reichspräsidenten 


rens  und  eines  Volksentscheids  vor.  Der  ein- 
schlägige A  r  t  i  k  e  1  73  bestimmte: 

Ein  Gesetz,  dessen  Verkündung  auf 
Antrag  von  mindestens  einem  Drittel  des 
Reichstags  ausgesetzt  ist,  ist  dem  Volksent- 
scheid zu  unterbreiten,  wenn  ein  Zwanzig- 
stes der  Stimmberechtigten  es  beantragt. 
Ein  Volksentscheid  ist  ferner  herbeizufuh- 
ren, w(>nn  ein  Zehntel  der  Stimmberechtig- 
ten  dds  RoMPhren  ndd-i  Vorleuuna  einai»  Ge- 


fen  jedoch  diesen  Gedanken,  nachdem  sich 
schon  vorher  die  Vertreter  der  Landesregie- 
rungen auf  einer  Konferenz  entschieden  ge- 
gen diesen  Vorschlag  gewandt  hatten.  Gleich- 
sam als  Kompromiß  zwischen  der  unitarischen 
Konzeption  von  Hugo  Preuß  und  den  föde- 
ralistischen Forderungen  der  Länder  beschlos- 
sen die  Delegierten  die  Artikel  61  und  63  der 
Verfassung.  Darin  legten  sie  fest,  daß  kern 
Land  durcii  mehr  als  zwei  Fünftel  aller  Stim- 
men im  Reichsrat  vertreten  sein  durfte  und 
die  Stimmen  Preußens  zu  gleichen  Teilen  von 
der  Staatsregierung  und  den  preußischen  Pro- 
vinzialverwaltungen  zu  stellen  waren.  Damit 
schwächte  man  zwar  die  Stellung  Preußens  ge- 
genüber den  Ländern,  beseitigte  aber  nicht 
den  Dualismus  zwischen  Reichsregierung  und 
Preußenkabinett. 


Sozialpolitische  Bestimmungen 

Bedeutsame  Neuerungen  brachten  die  Arti- 
kel 151  bis  165  der  Reichsverfassung.  Sie  re- 
gelten das  Wirtschaftsleben  im  Staate.  Das 
Recht  auf  Eigentum  wurde  grundsätzlich  an- 
erkannt, aber  den  Bedürfnissen  des  Gemein- 
wohls untergeordnet,  das  heißt  eine  Enteig- 
nung mit  oder  auch  ohne  Entschädigung  für 
möglich  erklärt,  wenn  es  die  Interessen  der 
Allgemeinheit  erforderten.  Dementsprechend 
lautete  der    Artikel     153   der  Verfassung: 

„Das  Eigentum  wird  von  der  Verfassung 
gewährleistet.  Sein  Inhalt  und  seine  Schran- 
ken ergeben  sich  aus  den  Gesetzen.  Eine 
Enteignung  kann  nur  zum  Wohle  der  Allge- 


^-ms^'- 


V 


Israeli^ 


i 


Fanara*  ^,. 
Gineifa~*x' 


1 


20  km 


[Taufik 


\ 


4/n     Suez-Kanal     stehen     sich     Israelis     und 

Ägypter    gegenüber.    Trotz    des    Watfenstill- 

mdes  kommt  es  immer  wieder  zu  heftigen 

fechten.  Der  Verkehr  auf  dem  Kanal  ruht 

seit  dem  Sechs-Tage-Krieg  von  1967. 

Jt 

'^®^;prächs  unversehens  die  Frau  ihren  Mann 
"öM^  dem  fast  eine  Generation  hindurch  nicht 
-9Q*hr  benutzten  deutschen  Vornamen  anre- 
ö!P  .  Haften  bleibt  auch  die  Erinnerung  an 
1  alten,  einsam  gewordenen  Mann,  der  den 
-aßcik  für  eine  Auskunft  im  Straßenverkehr 
eqot  dem  Hinweis  erwidert,  er  sei  doch  in 
-L|Ojopa  erzogen,  und  seine  Vergangenheit  als 
qosi  illerieoffizier  der  k.  u.  k.  Armee  in  verklä- 
SJepden  Farben  schildert,  oder  die  Erinnerung 
-SlLf'  jenen  anderen  weisen  Mann  aus  Süd- 
•  Jtschland,  der  über  das  Heimweh  nach- 
.Mji'akt:  Heimweh,  das  sei  nicht  das  richtige 
UQ^JTi,  wohl  aber  Sehnsucht  nach  verlorener 
uad.borgenheit. 

zifer^iese   Menschen   zeigten   eine   Aufgeschlos- 

-ipuiheit   und   Noblesse,   die   bewegt   und   auch 

uep  te   in  keiner  Weise   selbs.tverständlich   ist 

>im|f  jedenfalls    nicht    gegenüber    Angehörigen 

-19J^    Generation,    welche    die    düsteren    Vor- 

•J!  •'^ge  miterlebte  und  daher  in  einer  nicht  ver- 

"®^    -enden  Mitverantwortung  steht. 
—    Uf 

-nda^^   der   Begegnung   mit   Israel   ist   harmlose 
■■^^^rtraulichkeit    unter    dem    Motto,    das    Ver- 
H^angene    ruhen    zu    lassen    und    einen    neuen 
öurvifang  zu  setzen,  schwerlich  angebracht,  fast 
eau'denklicher  noch  ist  billiger  Philosemitismus. 
-sßie    Israelis    können    und    wir    dürfen    nicht 
-aiergessen.   Gershon   Sholem   zitierte   auf  dem 
lll'üdischen    Weltkongreß    1966    in    Brüssel    den 
"•"Propheten     Jesaja:     „Gedenket     nimmer     des 
'^Früheren,     dem     Vormaligen     sinnet     nimmer 
rj'nach",  fügte  aber  hinzu,  er  wisse  nicht,  ob  die 
f  messianische  Zeit  den  Juden  Vergessen  schen- 
ken  würde;  von  demjenigen,  der  illusionslos 
in  einer  unmessianischen  Zeit  lebe,  werde  mit 
solcher    Hoffnung    das    Unmöglidie    verlangt. 
Nur    im    Eingedenken    des    Vergangenen,    das 
sich  niemals   ganz   durchdringen   lasse,   könne 
Hoffnung   auf   Versöhnung   der    Gesdiiedenen 
keimen. 

Das  haben  wir  hinzunehmen.  Bei  aller  Of- 
fenheit und  Ungezwungenheit  bleibt  im  Um- 
gang mit  den  Juden  eine  gewisse  respekt- 
volle Distanz  die  uns  angemessene  Form.  Be- 
fangenheit wird  uns  zeitlebens  hindern,  im 
Juden  bei  aller  Individualität  seiner  Existenz 
einfach  nur  den  Mitmenschen  zu  sehen.  In  der 
nachwachsenden  Generation  mag  das  anders 
\  werden,  wenngleidi  auch  sie  die  Last  der  Ge- 
schichte nicht  abwerfen  kann. 


Wird  im  Artikel  1  unseres  Grundgesetzes 
festgestellt,  daß  die  Würde  des  Menschen 
unantastbar  ist,  so  steht  in  der  Weimarer  Ver- 
fassung an  gleicher  Stelle  der  Satz:  „Das 
Deutsche  Reich  ist  eine  Republik".  Diese  For- 
mulierung wurde  gegen  den  erbitterten  Wi- 
derstand der  monarchistischen  Gruppen  in 
der  Nationalversammlung  beschlossen.  Sie 
markierte  den  Übergang  vom  Kaiserreich 
zum  parlamentarisch  regierten  Volksstaat  in 
Deutschland,  jedoch  noch  nicht  die  vollstän- 
dige Abkehr  von  allen  herkömmlichen  Vor- 
stellungen und  Begriffen,  denn  in  der  Be- 
zeichnung „Reich"  lebte  noch  die  wörtliche 
und  gefühlsmäßige  Verbindung  zum  Vergan- 
genen fort,  was  nicht  zuletzt  im  Ausland  auch 
so  verstanden  wurde.  Eine  klare  Trennung 
von  der  Vergangenheit  und  ihren  überlebten 
Äußerlichkeiten  wollten  oder  konnten  die 
Volksvertreter  von  Weimar  nidit  vollziehen. 

Dies  zeigte  sich  auch  in  der  Flaggenfrage, 
Hugo  Preuß  wollte  dem  neuen  Staat  auch 
neue  Farben  geben.  Er  schlug  die  Trikolore 
Schwarz-Rot-Gold  vor.  Sie  sollte  nach  seinen 
Worten  an  die  Tradition  der  Frankfurter 
Paulskirchen-Verfassung  von  1849  anknüpfen 
und  „den  Gedanken  politischer  Freiheit  mit 
dem  der  nationalen  Einigung"  verbinden.  Die 
konservativen  Kreise  der  Nationalversamm- 
lung setzten  es  mit  Hinweis  auf  die  im  inter- 
nationalen Handelsverkehr  eingelührten  al- 
ten Reichsfarben  Schwarz-Weiß-Rot  durch,  daß 
dem  Artikel  3  der  Reichsverfassung,  wel- 
cher besagte:  „Die  Reichsfarben  sind  Schwarz- 
Rot-Gold"  der  Zusatz  angefügt  wurde:  „Die 
Handelsflagge  ist  Schwarz-Weiß-Rot  mit  den 
Reichsfarben  in  der  oberen  inneren  Ecke."  Da- 
mit waren  die  Farben  des  Deutschen  Kaiser- 


VJV.      V*^»»ll'  »TV4>i.^'»»  -,.■•-»•.»»---1  ^  Zf  

Weimarer  Verfassung  noch  weiter  als  die  Mit- 
glieder des  Parlamentarischen  Rates,  die  das 
aktive  Wahlalter  wieder  auf  das  vollendete 
21.  Lebensjahr  und  das  passive  Wahlalter  für 
das  Amt  des  Staatspräsidenten  auf  das  40.  Le- 
bensjahr heraufsetzten.  Die  Abgeordneten  von 
Weimar  ließen  sich  bei  ihren  Beschlüssen  von 
dem  Bestreben  leiten,  das  Volk  möglichst 
frühzeitig  und  in  allen  seinen  Gruppen  an 
den  staatspolitischen  Entscheidungen  zu  be- 
teiligen. 

Diesem  Ziel  sollte  aud,  die  Einführung  des 
Verhältniswahlredites  dienen,  das  die  Natio- 
nalversammlung gegen  den  Widerstand  von 
Hugo  Preuß  beschloß.  Voi  den  maßgeblichen 
Sprechern  der  staatstrageaden  Parteien  SPD, 
Zentrum  und  Deutsche  Demokratische  Partei 
warnte  nur  Friedrich  Naumann,  der  politische 
Lehrmeister  des  späteren  Bundespräsidenten 
Heuss,  vor  den  möglichen  negativen  Auswir- 
kungen dieses  Wahlsystenis  und  trat  für  das 
Mehrheitswahlrecht  ein. 

Seine  Befürchtung  das  Verhältniswahlsy- 
stem würde  zu  einer  Entliemdung  zwischen 
Wählern  und  Gewählten  führen  und  das  Auf- 
kommen von  Splitterparteien  begünstigen, 
sollte  sich  später  bitter  bewahrheiten.  Schon 
die  Reichstagswahl  vom  4.  Mai  1924  brachte 
zwölf  Parteien  in  das  Berliner  Parlament,  dar- 
unter 32  nationalsozialistisdie  Abgeordnete, 
und  erschwerte  dcimit  das  Zustandekommen 
von  regierungsbildenden  Mehrheiten. 

Um  dem  Volk  bei  wichtigen  politischen  Ent- 
scheidungen Gelegenheit  zu  einer  direkten 
Mitspradie  zu  geben,  sah  die  Weimarer  Ver- 
fassung   die    Möglichkeit    eines    Volksbegeh- 


setzentwurfs  stellt. 

Zur  Anwendung  kam  dieser  Artikel  allerdings 
nur  insgesamt  dreimal,  und  bei  allen  drei  Ge- 
legenheiten —  der  Fürstenabfindung,  der  An- 
nahme des  Young-Planes  und  der  Entschei- 
dung über  den  Bau  von  Panzerkreuzern  — 
blieij  den  Initiatoren  ein  Abstimmungsertolg 
versagt. 

Von  der  Möglichkeit,  durch  Volksentscheid 
die  Verfassung  zu  ändern,  wie  dies  der  Ar- 
tikel 7  6  gestattete,  wurde  überhaupt  kein 
Gebrauch  gemacht,  obwohl  weite  Teile  des 
Volkes  ernsthafte  Vorbehalte  gegen  manche 
Bestimmungen  der  Verfassung  hegten.  Die 
Föderalisten  beklagten  den  zentralistisdien 
Autbau  des  Staates,  der  die  Länder  nach  ihrer 
Meinung  zu  bloßen  Verwaltungseinheiten  de- 
gradierte. Die  Anhänger  des  Einheitsstaales 
kritisierten  dagegen  die  weitere  Beibehaltung 
der  einzelnen  Länder  und  die  ihnen  m  den 
Artikeln  60  bis  67  der  Verfassung  eingeräum- 
ten Rechte.  Em  besonderes  Problem  stellte  da- 
bei die  Weiterexistenz  des  Großstaates  Preu- 
ßen dar,  der  zwei  Drittel  des  gesamten  Reichs- 
gebietes umfaßte.  Mit  seiner  widschafthchen 
Stärke  und  dem  bevölkerungsmäßigen  Über- 
gewicht hatte  es  unter  den  17  Gliedstaaten 
des  Reiches  nach  wie  vor  eine  beherrschende 
Stellung  inne  und  konnte  zum  Konkurrent  der 
Reichsmacht  werden.  Um  eine  solche  Vorherr- 
sdiaft  eines  einzelnen  Landes  von  vornherein 
auszuschließen,  hatte  Hugo  Preuß  in  seinem 
ersten  Verfassungsentwurf  vorgeschlagen,  die 
Bundesstaaten  aufzulösen  und  das  Reich  in 
annähernd  gleichgroße  Verwaltungskörper- 
schaften neu  zu  gliedern.  Die  Abgeordneten 
der   Weimarer  Nationalversammlung  verwar- 


Prol.    Dr.   Hugo   Preuß   (1860—1925), 
der  Vater  der  Weimarer  Verfassung 


Die  Eröiininigssitzur.ci  der  Verfassunggebenden  Nafonalvcrsai 


nmluno  im  Weimarer  Nationaltheater  am  5.  Februar  1919. 


meinheit  und  auf  gesetzlicher  Grundlag« 
vorgenommen  werden.  ..." 

Einen  späten  Ausfluß  der  Rätebewegung 
stellte  der    Artikel     156    dar,  In  dem  «i 

hieß: 

„Das  Reich  kann  durdi  Gesetz,  unbesdiadet 

der  Entschädigung,  in  sinngemäßer  Anwen- 
dung der  für  Enteignung  geltenden  Bestim- 
mungen, für  die  Vergesellsdiaftung  geeig- 
nete private  wirtschaftliche  Unternehmun- 
gen in  Gemeineigentum  überführen. .  . ." 

Die  Reichsregierung  erhielt  dadurdi  das  Redit, 
mit  Zustimmung  des  Reichstags  bestimmte  Be- 
triebe zu  sozialisieren. 

Zur  Erhaltung  der  Gesundheit  und  Arbeits- 
fähigkeit, zum  Schutze  der  Muttersdiaft  und 
zur  Vorsorge  gegen  Not  in  Krankheit  und  Al- 
ter sdirieb  der  Artikel  161  der  Verfas- 
sung die  Schaffung  eines  „umfassenden  Ver- 
sicherungswesens unter  maßgebender  Mitwir- 
kung der  Versicherten"  vor. 

Den  Arbeitern  und  Angestellten  wurde  Im 
Artikel  165  das  Recht  zugestanden,  .zur 
Wahrnehmung  ihrer  sozialen  und  wirtsdiaft- 
lichen  Interessen"  sogenannte  Betriebsarbei- 
terräte zu  bilden.  Diese  konnten  Vertreter  in 
die  Bezirksarbeiterräte  entsenden,  die  sich 
ihrerseits  wiederum  zu  einem  Reichsarbeiter- 
rat zusammenschließen  durften.  Ein  Reldis- 
wirtschaftsrat,  bestehend  aus  Vertretern  des 
Reichsarbeiterrates  und  der  Unternehmer, 
sollte  ins  Leben  gerufen  werden  und  das  Recht 
erhalten,  „sozialpolitisdie  und  wirtsdiaftspoli- 
tische  Gesetzentwürfe  von  grundlegender  Be- 
deutung" der  Reichsregierung  vor  ihrer  Ein- 
bringung in  den  Reidistag  zu  begutaditen  und 
seinerseits  entsprechende  Gesetzesvorlagen 
zu  beantragen. 

Dem  Artikel  178,  über  die  Reditskraft 
der  Verfassung  und  die  Gültigkeit  der  bisher 
erlassenen  Gesetze  und  Anordnungen  des 
Reiches  mußte  auf  Betreiben  der  alliierten 
Siegermädite  der  Zusatz  angefügt  werden,  daß 
„die  Bestimmungen  des  am  28.  Juni  1919  in 
Versailles  unterzeichneten  Friedensvertrags 
durch  die  Verfassung  nidit  berührt  werden". 
Damit  wurde  das  neu  geschaffene  Verfas- 
sungswerk in  verhängnisvoller  Weise  mit  der 
Hypothek  des  verlorenen  Krieges  belastet. 
Die  erklärten  Feinde  der  jungen  deutschen 
Republik  nahmen  dies  in  der  Folge  zum  will- 
kommenen Vorwand,  das  neue  demokratisdie 
Staatswesen  als  ein  „Gesdienk  der  Sieger'  in 
Verruf  zu  bringen  und  zu  bekämpfen.  Daß  ihr 
skrupelloser  Kampf  sdiließlidi  Erfolg  hatte 
und  im  Jahre  1933  zum  Untergang  der  Wei- 
marer Republik  führte,  lag  aber  nicht  an  der 
Unzulänglidikeit  der  Verfassung,  sondern  an 
der  mangelnden  Entsdilossenheit  der  Bürger, 
sie  tatkräftig  und  überzeugend  zu  verteidi- 
gen. 


Sä«5*Mi 


Polltics  —  Histcry 


LJ^/  ,./^uy^ 


MUELLER,  Hans: 


GERMAN 


V 


<^ 


ABRAMOVITCH.R.R.:  Die  Sowjetrevolution 

ADOLPH,  W.:  Verfaelschte  Geschichte  - 

Antwort  an  Rolf  Hochhuth 

ALLEMANN,  F.R.:  Zwischen  Stabilitaet  &  Krise, 

Deutsche  Politik  1955-63 
Die  Kapitulation  oder  Deutscher 
Katholizismus  heute 
«feMERKER.R.:  Der  SED- Staat 
Neue  Dimensionen  der  Aussen- 
politik;  England,  Nato,  Europa 
Der  Libertaere  Sozialismus  in 
der  Westschweiz  -  Kampf  der 
Uhrenarbeiter  gegen  Marx  &  Engels 
Die  Oder-Neisse  Linie  in  der 
deutschen  Aussenpolitik 
Die  Zweite  Republik  (Deutschland)ab. 
Unsere  Freiheit  morgen 
(Borch,  Dahrendorf,  Holthusen.etc.) 

BOETTCHER,  Erik  (hrsg):  Ostblock.  EWG  &  Ent- 

wicklungslaender 
Deutschland  im  Kreis  der 
Europaeischen  Maechte 
Die  Grundrechte  im  Sowjetsystem  ab. 
Ultramontanismus  &  Demokratie  - 
Katholiken  im  19.  Jhdt. 
Das  Papsttum  (b.z.  Johannes  XXIII) 
Die  Wiedervereinigung 


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AMERY,  Carl: 

BAERWALD,  H 
BELOFP,  Max: 

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BLUHM.  Georg: 

BOELLING,  Klaus: 
BOESE,  G.  (hrsg): 


BORRIES,  Kurt: 

BRUNNER,  Georg: 
BUCHHEIM.  Karl: 


^ 


y 


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BUCHHEIT,  Gert: 
COUDENHOVE-KALERGI.  R, 

Europas 
DEMETER,  Karl:     Das  deutsche  Offizierskorps  in 

Gesellschaft  &  Staat  1650-1945 
kumente  zur  Geschichte  der  Frankfurter  Juden 

1933-1945 

Dokumente  zum  Ostrecht: 

I  Der  Warschauer  Pakt 
II  Uschakow,A.:  Der  Rat  fuer  gegen- 
seitige Wirtschafts- 
hilfe (Comecon)  4.50 
III  Meissner,  Boris:  Sowjetunion  & 

Selbstbestimmungs- 
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FEST,  J.C.:              Das  Gesicht  des  3.  Reiches -35  repr.       6.00 
FETCHER,  Irving:  Der  Marxismus,  seine  Geschichte  in 

Dokumenten  I  3.00 

FREDERICIA.W.:    Europa  -  Traum  oder  Drohung  3.00 

GEYER,  Dietrich:   Lenin  in  der  russ.  Sozialdemokratie     12.50 
GISEVIUS,  H.B.:      Adolf  Hitler  6.50 

GOEPPINGER. Horst:  Der  Nationalsozialismus  «fe  die 

juedischen  Juristen  3.00 

GOLDENBERG, Boris:  Lateinamerika  «fc  die  kubanische 

Revolution  ab.    9.00 

GONTARD,  Fr.:       Die  Paepste  &  die  Konzilien  5.00 

GROSSMANN,  Kurt  R.:  Ossietzky  6.00 

GRUEBER,  H.  (Probst):  Zeuge  fuer  Israel  2.50 

GRUETZNER.G.:    Die  Pariser  Kommune-  Macht 

&  Karriere  einer  Legende  7.50 

HAMM,  H&KUN,J.:  Das  rote  Schisma  4.50 

HORNSTEIN.  Erika  v.  (hrsg)  Die  deutsche  Not  2.50 

Hundert  Jahre  Deutsche  Sozialdemokratie  15.00 

JACOBSEN.  H.A.  &DOLLINGER,  H.  (hrsg):  Der  2. 

Weltkrieg  in  Bildern  &  Dokumenten 
3  vols.  45.00 

JANSSE  N.Karl- Heinz:  Macht  &  Verblendung  -  Kriegs- 
zielpolitik der  deutschen  Bundes- 
staaten 1914-1918  8.00 
JASPER,  Gotthard:  Der  Schutz  der  Republik 

(Weimar  1922-1930)  10.00 

KINDERMANN, G.K.:  Konfuzianismus.  Sunyatsenismüs 

&  chinesischer  Kommunismus  9.00 

Die  unvollendete  Erneuerung 
Deutschlands  1945-1963  3.00 

:  Der  Warschauer  Aufstand  1944  10.00 

Das  Ende  einer  Utopie  2.50 

Was  is  heute  links?  1.00 

Franz  Josef  Strauss  - 

Ein  Politiker  unserer  Zeit  4.50 

Das  Jahrhundert  des  Sozialismus  3.50 

LANGBEIN,  Hermann:  So  urteilen  deutsche  Gerichte. 

Zwischenbilanz  der  Prozesse  gegen 
nationalsozialistische  Verbrecher  ab.    3.00 
LENIN:  Ausgewaehlte  Schriften,  hrsg. 

V.  Hermann  Weber  12.00 

LEWYTZKYJ,  Borys:  Die  Sowjetukraine  1944-1962      ab.    6.50 
UEBER.H.J.&RUFFMANN,  K.H.(hrsg):  Der  Sowjet- 
kommunismus, Dokumente  I,  ab.    6.00 
LIEBKNECHT,  Wilhelm:  Briefwechsel  mit  Marx  & 

Engels  12.50 

LINDEMANN,  H.  &  MANN,  Golo:  Ist  der  Krieg  noch  zu 

retten?  Mil  itaer  politische  Meinungen 
der  Gegenwart  3.00 

LOEWENTHAL,  Richard:  Chruschtschov  &  der  Welt- 
kommunismus 3.00 
Der  Sowjetsektor  von  Berlin  8.00 
Die  volksdemokratische  Ordnung 
in  Mitteldeutschland  1.50 
Genossen  beten  nicht.  Kirchen- 
kampf des  Kommunismus                          4.50 
MEISSNER,  Boris:  Sowjetunion  &  Voelkerrecht, 

Bibliographie  ab.  12.50 

Juden  &  Judenfeinde  in  der 
Christlichen  Welt  3.00 

Die  5.  Republik.  Was  steht  hinter 


KOGON.  Eugen: 

KRANNHALS,  H.v. 

KRUEGER,  Horst: 
tt  ff 

KUBY,  Erich: 
KUPISCH,  Karl: 


MAMPEL.  S. 
ff  ff 


MASER,  W.: 


MEYER,  Enno: 


MOHLER.  Arnim: 


de  Gaulle? 
MORUS:  Marx.  Maerkte  und  Mars. 

Asien  -  heute  und  morgen 


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sozialismus 


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Karl  Marx  -  eine  Biographie 
NOLLAU,  Guenther:  Die  Internationale,  2.  erw.  Aufl. 

Zerfall  des  Weltkommunismus. 
Einheit  oder  Polyzentrismus  2.00 

Osteuropastudien  Reihe  I,  hrsg.  im  Vlg.  W.  Schmitz: 

Willi  Wapenhans:  Agrarpolitik  in  der 
Zentralverwaltungswirtschaft 
Mitteldeutschlands  etc.  3.00 

Erik  Amburger:  Beitraege  zur  Ge- 
schichte der  deutsch-russi- 
schen kulturellen  Beziehungen       5.00 
H.  Ludat(hrsg):  Siedlung  &  Verfas- 
sung der  Slaven  zwischen 
Elbe.  Saale  &  Oder  9.50 

PAECHTER.  Heinz:  Chruschtschow,  Kennedy.  Castro         3.50 
Perspektiven  der  sowjetischen  Politik.  Der  XXII. 

Parteitag  (hrsg.  Gasteyger)  4 

PISCATOR.  Eugen:  Das  Politische  Theater  3 

POELCHAU.  Harald:  Die  Ordnung  der  Bedraengten 

(Pfarrer  im  Gefaengnis) 
Politische  Forschungen,  hrsg.  v.  Dolf  Sternberger: 

I  Paul,  E.:  Der  moderne  Machia- 
vellismus 

II  Eine  Auswahl  der  Bundestags- 

kandidaten 
III  Kralewski& Neunreither;  Oppo- 
sitionelles Verhalten  im  ersten 
deutschen  Bundestag  ab. 

jy  Molt,  P.:  Der  Reichstag  vor  der 

improvisierten  Revolution        ab. 
Literatur  und  Politik  -  Programme 
seit  1870  ab. 

RASSINIER,  Paul:  Zum  Fall  Eichmann:  Was  ist 

Wahrheit? 
RIESSER,  H.E.:       Von  Versailles  zur  UNO  cl.  7.50;  pp. 
RIKLIN.A.Ä  WESTEN,  K.:  Selbstzeugnisse  des 

SED- Systems 
RÜGE.  Gerd  (hrsg):  Landesverrat  &  Pressefreiheit - 

ein  Protokoll  ab.    2.00 

Freiwillige  fuer  den  Galgen.  Ge- 
schichte eines  Schauprozesses       ab. 
Preussen-  gestern  und  morgen 
Hitler  als  mil  itaer  isc  her  Fuehrer 

Schriftenreihe  des  Arbeitskreises  fuer  moderne  Sozial- 
geschichte: 
I  Th.Schieder.etc:  Staat  &  Ge- 
sellschaft im  deutschen 
Vormaerz  1815-1848 
n  Fr. Baiser:  Sozialdemokratie 
1848-1863 

III  H.Stuke:  Philosophie  der  Tat 
rv  W.Schieder:  Anfaenge  der 

der  deutschen  Arbeiterbe- 
wegung 

V  M.Riedel:  Buergerliche  Ge- 

sellschaft        in  preparation 

VI  R. Koselleck:  Preussen 

zwischen  Reform  &  Revolution 
in  preparation 
SCHROEDER,  Gerhard:  Wir  brauchen  eine  heile  Welt, 

P.olitik  in&fuer  Deutschland 
SETHE,  Paul:  Morgenroete  der  Gegenwart 

SLOMINSKI,  J.A.:     Der  neue  Papst  Paul  VI.  ab. 

SONTHEIMER.Kurt:  Politische  Wissenschaft  & 

Staatsrechtslehre 
Der  Preussische  Staat  &  die 
U    Juden.  4  vols.. 


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PROSS,  Harry: 


savarius,  v.: 

^,^^-^s:;hoeps.  h.j. 
schramm,  p.e 


,50 
,50 


3.00 


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4.50 


4.50 

7.50 

6.50 

3.00 
4.50 

4.50 


5.50 
1.00 
2.50 


6.50 

17.50 
8.00 


ab.  10.00 


STERN,  Selma: 


br. 
cl. 


5.00 

18.00 

2.00 

1.75 

38.00 
42.00 


STTROEHM.  e.G.: 


in  der 


Zwischen  Mao  &  Chruschtschov, 

Revisionismus  &  Dogmatismus 

im  Ostblock 
Summa  Iniuria  oder  durfte  der  Papst  schweigen? 

Hochhuth 's  "Stellvertreter" 

oeffentlichen  Kritik 
SVEISTRUP.  H.  &ZAHN-HARNACK,  A.v.  (hrsg)-  Die 

Frauenfrage  in  Deutschi.  1790- lyju 
WARLIMONT,  W.:    Im  Hauptquartier  der  deutschen 

Wehrmacht  1939-1945 
Der  Weg  in  die  Diktatur  1918-1933   (var.  authors) 
WEINSTEIN,  A.:      Das  ist  de  Gaulle-  Anspruch 

&  Wirklichkeit 
WICKENBURG.  Eric  G.:  Kleine  Geschichte  Wiens 


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WULF.  Joseph: 


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•• 


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Die  Musik  ^,  ,,     .. 

Literatur  und  Dichtung    ^  ,^^ 
Theater  und  Film 


Presse  und  Funk 


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"(1964)* 

ab.  11-00 
"(1964) 

ab.  11.00 


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einer  sozialistischen  Politik.. 
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ADORNO,  Th.  W.      zum  60.  Geburtstag.  Zeugnisse, 

hrsg.  M.  Horkheimer 
BAECK,  Leo:  Das  Wesen  des  Judentums, 


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Hegel  &  die  marxistische  Staats 
lehre,  pp.  4.50. 
BASCHWrrZ.  Kurt:  Hexen  und  Hexenprozesse 


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BUBER,  Martin: 

DAHM.  Helmut 
DIWALD.  H.: 


HEISS,  Robert: 

HERDER,  JG. 

HESS,  Moses: 
JASPERS,  Karl: 


JXJERGENS,  H.W. 
JUNG,  e.G.: 


WerCa  vols.O^  36.00 

-  hrsg.  V.  M.S.  Friedmann  &P.A. 

Schilpp,  Philosophen  des  20.  Jhdts.     H.OO 
Die  Dialektik  im  Wandel  der 
Sowjetphilosophie  ab.    5.00 

Wilhelm  Dilthey,  Erkenntnis- 
theorie &  Philosophie  der  Geschichte    7.50 
Dokumente  der  Naturwissenschaft: 

I  Max  Born:    Zur  Statistischen 

Deutung  der  Quantentheorie 

II  Born,  Heisenberg,  Jordan:  Zur 

Begruendung  der  Matrizen- 
mechanik 

III  Erwin  Schroedinger:  Die  Wellen- 

mechanik 

IV  Heisenberg,  Bohr:  Die  Kopen- 

hagener  Deutung  der  Quanten- 
theorie 
FREUD,  Sigmund -PFISTER.  Oskar -Briefe  1909-1939, 

pp.  ab.  2.50;  cl.  ab. 

GLASENAPP,  Helmuth  v.:  Die  fuenf  Weltreligionen, 

special  edition 
HEIDEGGER,  Martin:  Die  Frage  nach  dem  Ding 

Die  Grossen  Dialektiker  des  19. 
Jhdts.  (Hegel-Kierkegaard-Marx) 
Ideen  '>^  ir  Philosophie  der  Geschichte 
der  Menschheit 
Ausgewaehlte  Schriften 
jAöfc^rvo,  ivaii.       Werk  und  Wirkung,  zum  80  Gebirtstg. 
JOSEPHUS,  Flavius:  Saemtliche  Schriften:  Die  jue- 

dischen  Altertuemer,  2  vols. 
Geschichte  des  juedischen  Krieges 
Kleinere  Schriften 
Asozialitaet  als  biologisches  & 
sozialbiologisches  Problem 
Erinnerungen,  Traeume,  Gedanken, 
hrsg.  V.  A.  Jaffe 

KELLER,  Werner:    Und  die  Bibel  hat  doch  recht  - 

in  Bildern 

KERENYI.  Karl:       Die  Religion  der  Griechen  u.  Roemer 
M  "  Tessiner  Schreibtisch.  Unmytho- 

logische Studien 
LANDMANN,Salcia:  Jiddisch.  Das  Abenteuer  einer 

Sprache 
LOEWITH,  Karl:       Die  Hegeische  Linke 
MILLER,  Andreas:  Kultur  &  menschliche  Fruchtbarkeit 
MITSCHERLICH.  Alfred:  Auf  dem  Wege  zur  vaterlosen 

Gesellschaft 
MOSER.  Hugo(hrsg):  Die  Sprache  im  geteilten  Deutschi. 
'^        •       ^  I  :  Das  Aueler  Protokoll.  Deutsche 

Sprache  im  Spannungsfeld  zwischen 
West  &  Ost  ,,  ^-"^ 

n:  H.  Bartholmes:  Das  Wort     Volk 
im  ."Sprachgebrauch  sozialistischer 
Parteien,  insbes.  der  SED 
Beiheft:  E.G.  Riemenschneider: 
Veraenderungen  der  deutschen 
Sprache  in  der  sowjetischen  Zone 
seit  1945 
PODACH.  E.F.:       Ein  Blick  in  die  Notizbuecher 

Nietzsches 
ROSENSTOCK-HUESSEY,E.:  Die  Sprache  des  Men- 
schengeschlechts, 2  vols. 
Die  Sarajevo-Haggadah.  Faksimile  in  Originalformat 

(orig.  ab.  1350) 
SCHELLING.F.W.J.:  Briefe  &  Dokumente,  3  vols., 

hrsg.  H.  Fuhrmann;  vol.  I: 
SCHILLER's  Gespraeche,  hrsg.  v.  Frh.  v.  Biederstein 
SCHOEPS.  H.J.:      Studien  zur  unbekannten  Religions 

&  Geistesgeschichte 
SCHROEDINGER.  Erwin:  Was  ist  ein  Naturgesetz? 
^TERN,  Fritz:  Kulturpessimismus  als  politische 

Gefahr 
TUCKER,  Robert:    Karl  Marx.  Entwicklung  v.  d. 

Philosophie  zum  Mythos 
WEBER,  Alfred:       Der  Dritte  oder  der  Vierte  Mensch 
WELTSCH,  Robert  (hrsg):  Deutsches  Judentum  - 

Aufstieg  und  Krise 
WINTERS.  P.J.:       Die  "Politik"  des  Joh^  Althusius 

&  ihre  zeitgen.  Quellen 
ZWEIG.  Stefan:        Unbekannte  Briefe  aus  der 

Emigration 


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3.00 
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2.00 

3.50 

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Socio/ogy  -  Economics 

ATf-H   P  •  Farbige  unter  Weissen  (Farbige 

Studenten  in  der  Bundesrepublik) 

BAADE.  Fritz:         Brot  fuer  die  Welt 

BALS  ehr  '  Halbstarke  unter  sich 

BLUECHER.  Vlggo  Graf:  Freizelt  in  der  indus- 
triellen Gesellschaft 
•  .     Industriearbeiterschaft  In  der 

Sowjetzone 

DAHRENDORF.  Ralf:  Angewandte  Aufklaerung  - 

^  Gesellschaft  &  Soziologie  In 

Amerika,  kt.  3.50.  cl. 
Die  Grundlagen  des  Historismus  in 
der  deutschen  Nationaloe konomle 
Vllfredo  Paretos  System  der 
allgemeinen  Soziologie 

FUERCTENBERG.  Fr.:  Das  Aufstlegsproblem  In  der 

modernen  (jcsellschaft 

GEIGER,  Theodor:  Aufgaben  &  Stellvmg  der  Intelligenz 

In  der  Gesellschaft 
GEORG,  Enno:         Die  wirtschaftlichen  Unter- 
nehmungen der  SS 


EISERMANN,  G. 


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I  Ansatz  &  Wirksamkeit  der  Er- 
wachseneriblldung V.W. Schulenberg  5.00 

II  Vom  Staatsroman,  eur  Science 
Flctlon  y.  M.  Schwonke 

in  Die  Entscheidung  (Juenger, 
Schmitt,  Heidegger)  v.  Chr.  Graf 
V.  Krockow 

IV  Arbeitfreude  (Wirklichkeit  &  Ide- 
ologie) V.  Chr.  V.  Ferber 

V  Die  Geschichte  des  Privatdo- 
zenten V.  Alexander  Busch 

VI  Elitebegriff  &  Sozialstruktur 
V.  H.  P.  Dreltzel 

VII  Der  Gewerbelehrer  v.  Wolfgang 
Lempert 

Handbuch  der  Soziologie,  hrsg.  v   W.  Ziegenfuss 
^ndwoerterbuch  der  Soziologie,  hrsg   v.  A   Vierkandt 
internationales  Soziologen- Lexikon,  div.  authors 
HARTMANN.  Heinz:  Amerikanische  Fu-men 

in  Deutschland 

Einfuehrung  in  die  soziologische 

Theca*ie 
Industrlallsierungspolitik  in 

Spanien  seit  dem  Ende  des 
Buergerkrieges 
Der  Wandel  der  Generationen. 
Biolog.-soziolog.  Studie 
KOENIG,  Rene  (hrsg):  Handbuch  der  empirischen 

Sozialforschung,  vol.  I 

vol.  II  in  preparation 
Sittlichkeit  &  Kriminalitaet 

(vol.  11) 

Die  Anlagen  im  Rechnungswesen  der 
sowjetischen  Industrie  Unternehmung 
Planung  &  Leitung  der  Schwer- 
industrie in  der  SU  ab. 
MIDDENDORFF.  Wolf:  Der  Strafrichter.  (Beitrag 

zur  Strafrechtsreform) 
T^^TTT  T  TrqsFN   W   &  NOLD.  K.:  Unterlagen  der  deutschen 
NELLESSEN.  W.  ^ ^^^^^^^^  g^^istik  fuer  eine  quan- 
titative Abgrenzung  der  deutschen 
Mittelschichten 
PFLANZ   M.:  Sozialer  Wandel  &  Krankheit 

PIPES.  Richard:      Die  russische  Intelligenzia         ^ 
PRITZKOLEIT,  Kurt:  Maenner.  Maechte,  Monopole 
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Gott  erhaelt  die  Maechtigen 
(v.  deutschen  Wohlstand) 
SCHELSKY.  Herbert:  Die  skeptische  Generation. 

Soziologie  d.  deutschen  Jugend 

VOGEL.  H.H.:  Jenseits  von  Macht  & J^^f  ^^^U 

Sozialordnung  d.  Freiheit  kt.6.00,  Ln. 
WITTFOGEL.K.A.:Die  Orientalische  Despotie 


HEINTZ,  Peter: 
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BOELL,  Heinrich:  Ansichten  eines  Clowns,  novel 
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I  &  II  together 
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FRIEDENTHAL,  Richard:  Goethe  -  sein  Leben  &  Werk 
GOETHE:  Faust  I  &  n  uncl  Urfaust,  special  edit. 

GRASS,  Guenter:      Hundejahre,  novel 
HASENCLEVER.  Walter:  Gedichte,  Dramen,  Prosa 
HAUPTMANN.  Gerhart:  Frueheste  Dichtungen. 

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HESSE.  Hermann:    Das  Glasperlenspiel,  special  edit. 
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LEPPMANN,  Wolfgang:  Goethe  &  die  Deutschen 
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L.G.   Lowenthal,    Bewaehrung  im  Untergang 

Maria   Zelzer,    v;eg  und   Schicksal  der  Stuttgarter  Juden 

Arnd  Mueiler,    Geschichte   aer   Juden  in  x.'uernberg 

li^rwin  J.    David,    Wege   eines  deutschen  Juden  und   seiner  Zeitgenossen, 

Frankfurt    EVA  1968 

Else  Dormitzer,    Beruehmte   juedische  Frauen  in  Vergangenheit   und  Ge- 
genwart  1925. 


Kurt   Eisner,    Gesammelte  Schriften  1919;   Gefaengnistagebuch   1928;   die 

halbe  Macht   den  Raeten,Koeln, Hegner  Buecherei   1969, DM  8.80 


^  ^ '  C-^/ 


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-^^^i^p&^ ^mrt4rirVy^& 


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-o- 


John  -.aatjes,    The  rolc    oI*   CoauunisLi  darin;     th.    I.lunich  revolut  ionary  period, 

Diss.ü.      f   Illinois, Urb'dna    1958  ^v^-^, 

Harry  F.   Youngj^-^.xi  .äli-on   Harden,Censor      ermaniae,   Haag  l^ö9  z  2^ 

y^^.    ..'■..    Foerster,    .^Jrlelzite  Weltgeschichte, Nucrnberg  195S    /"/^A/^v/V  ^^/^ 

y  x.rnsL   Kiekisch,    Gev«agt-c.s   Leben, Berlin  1953  ^ 

Ernst  ..ueller-I.:ein.ncen,Aus   bayerns    schv.ersten   ia^en,berli./l924         J^^f"/")^,  JP  yp 
Hans  La..]ni,    Juden    in  Iviuenchen,         C^^<^^^/u.^      Ai<^^  ^  ^^  x  //^  /^c4j/^ 


cjosef  Lofiiiiller,    Revolutionstagebuch   1918/19, Leipzic   1958      ^^^  ^^ 

Ludväg  Thonia,x^in  Leben    in  Briefen, 

Harry  ochulze    .  ilde    {üebf;r  Eisner)    in  Der  l.xOnat  ,?ebr  .1967     '<f'^^^^/ ,    ^^/ 

Helmut  Neubauer, i.^uenchen  un^;  ...osx.au, Beiheft   4   der  Jahrbuechcr  fuer   Ge- 
schichte   Osteuropas, ^-uenchen   1958  ^/^ 

Hichael  Doeberl,3ozialis:.xi3,    soziale    i.evol.t ..  Ion,    oozialfr  Vo_k£staat, 

Luencnen    19£0 


r  1 


ozisldemokratischc  Partei    in  Bayern, Die   Bayerische  oozialdeiaokralie    vom 

8.11.1^.1:-  -   ^.6.1920,-.uenchen      ^-^ 


Felij?   echenbachjDer     rievolutiaiaer   Hurt   Hisner 

Heuss,    Zrinnerungeii    (ueb.r  Li^ner    } 

Fans   Beyer,    Von  aer  Hoverdberrevolut ion  zur  Raetere.-pub^ik   in  i:uench..n, 

i^erlin  Ost, 1957 

Iv^acht  unc   Ghniaacht   der   intelxektue  ll^n   ed. Hurt  HorfLiaim,l-a-.^urg   1968 

(darin  laqueur,die    Ideologen    der   Revolution; 

Gustav   Landauer,    :::.in  Lebensweg   in  Brief  en  ,  ed-H.    Buber  Ffm  1929      ^    L^d^  X^  / 
Hax  Gersti,    Die  i.uenchen..r  Raeteregierung,Huenchen   1^19  Sp 

Paul    .ferner,    (Paul  Froelich)    die   bayerische     laeterepublik, Leipzig  1^20  f^j 

Josef  Karl,    die    ochreci^ensherrschaf t    in  Lluenchen  ^    ^£^^     ^.^ 
Hans   Elueher, deutsches   Reich,  Judentum  und  Sozi  ali  ^fius,-  uencnen   1919  ^^^. 

Ctto  Hrnst    ^chue^dekopf ,    Linke  Leute   v:n   rechts,  :Jtu  ..tgart    l^.ou  /^y: 

"^eor^  Franz,   üeber  x..u eh sam, Journal   of  ...oaeni    History,^u.^D:   Dec.1957        31.// 
/Crnst   Toller,    i-ine   Jugend   in   Deutschland  ,Hai.'iburg    ii:^ai963       ^t^^^ 
.iudolf  Lindau, Revolutionaere   JL.ae.ipfe    1913    -   1919  , Berlin-Ost    1960  ^^>' 


*^ 


Friedrich  i^oepp,   j,^^  Juden   ia  deutschen   oeff entlichen   Leben  in     Deutsche 

Politi  .♦   iiiin   voelkisches  Handbuch    ed.    ..'ilhelni  Lerensmann 


Franlcfurt   1925 
^lans    Dlbruech,   Vor  uni   nach    dem  Weltkrieg, Berlin   li26 


/^/^ 


9J^/ 


■  alter   Gross,    Das   politische    :ochicksal    der  Juden   in  der    ..ei  .arer  Republik. 

In  ZT. ei    i^aenden.  j?<^<^ 

.x.Z,    xiyder,    The    Gernian  Revo±ution  of   1915    , Cambridge   1^.67         /yf~/y^f    /J^f -/^^^    ^  ^/ 


^.19. 


iberhard  i.olb,    Die   Arbeite  rruete   in   der  deutschcxi    Innenpolitik   lil.    -   l 

Band  ::j5.    Beitrae^e    zu     Geschichte  des  Parlaaentari  slius, 
Duesseldorf   1962  ;>^'>^; //V-v^^  /or^ 


'C 


f 

..o.fgang   Blben,    Das  B'robleni  der  I.ont inuitaet    in  aer   aeutschcn  Revolution. 

Bana    ;j1  üer   Beitraeise      DuesseldorB   19ub  /?f'^/^fi     f^/   ^^j' If^^ 

iierinan    A.L.    Deeiener,    wer    ist 's, Berlin   1928  ^^^/^^^.    //^ 

Guno  Borekenbach,    Das   deutsche    Reich   von   191'    bis   heute.    Berlin   l^BB 

Bet  :r   von  '^ertzenjBetriebsraete   una   ..oveniberrevolution.-anc.   25  der  i^eitrae^-e, 

Duesselccorr   1962  ^^,  L/f£,     li7 

..alter  Bornin,    ZiV^iscBen    Raet^diktatur  uno    sozialer    D.  niolorat  ie.Bane    4  der    jj-^9^^ 

Beitrae^e,    Duesseldorf  1£54 


•alter   üehme,    i-*anials   in   der  Reichs.. anzlei.    Berlin    Ost    1953 
:   odor    ..Blff,    ..-.rinnerunj'.en 


t/v^^  ^^y 


iter  de  I.-endelssohn,  Beitungsstadt  Berlin, Berlin  1159 

I  ^' 

Irrnann  Beidegger    ,    die    deutsche   Sozialdei.iokratie   und   der   nationale    Staat 

1870    -   1920,    Goettincen    1^56  Z S S^    J  t^Zc  C <^f<iL*^^<^ 

^^'/   2,^   ßjj^    ^ 

'^achen  und   Folgen,    '/oni  deutscnen    Zusani   e   bruch    1916,xjand   S      d^r      eg  in  die 

./eirnarer  Reoublik,    ed.   Herbert  ...ich^elis  und  Brnst  och^pler 
j-erlin   19B5  "^ 

;anz   ochsde,    1  urt   ^isner  unu   ai      bayerische    oozialdemoijrat^e  ,Bannov^;.r   1961 
ll^m  i-itchell,    Revolution    in  Bavaria   1918    -   1^19,Brinceton   1965  //¥-  if'i 

.Inelui  Lerzo,^. ,    i-enschen, denen    icn    begegnete,    rem   und  Buenchen   1959  ^/-/'/' 

ijll^:,r    .    Die   BoveMberrevolution 

[...ernstein,    die   deutsche  Revolution 

Arnola  Brecht,    -Erinnerungen,    2  Baende 
.0.   Yolkmann,    Revolution  ueb-..  r   Deutschland, Oldenburg    1^50 


J 


58 


das  die  deutsche  Türkenpolitik  zu  durchkreuzen  dachte,  er- 
gänzt dieses  Kapitel,  zugleich  mit  den  Hintergründen  der  Bal- 
fourdeklaration  und  allem,  was  sie  nach  sich  zog.  Mit  Interesse 
verfolgt  der  Leser  auch  die  Bemerkungen  des  Verfassers  zur 
Haltung  der  zionistischen  Führer,  die  ihre  «Bindungen  an 
Deutschland  und  die  deutsche  Kultur  nicht  hintanstellten  und 
einen  «Riss  in  der  zionistischen  Weltorganisation»  ebenso  in 
Kauf  nahmen,  wie  die  Mitglieder  der  internationalen  Sozial- 
demokratie die  Kluft  zwischen  den  Landesgruppen.  Die  Zioni- 
stische Organisation  hatte  allerdings  von  Anbeginn  ihre  Neu- 
tialifät  proklamiert,  da  sie  mit  dem  Krieg  und  seinen  Entste- 
hungsursachen nichts  zu  tun  hatte,  jedoch  hat  sie  nicht  zu 
verhindern  vermocht,  dass  sie  in  den  Wirbel  hineingerissen 
wurde. 

Die  amerikanischen  Juden  waren  das  Publikum,  das  alle  deut- 
schen Aktionen  in  der  Ostjudenfrage  und  in  der  Palästinafrage, 
auch    die    Behandlung    der    Juden    in    Deutschland    selbst,    mit 
kritischer  Aufmerksamkeit  verfolgte.   In  einer  Überbewertung 
ihres   Einflusses,  die  mit  den  irrationalen  Vorstellungen   über 
die  Verflechtung  der    «jüdischen   Hochfinanz»    in   Deutschland 
mit  der  in  England  und  Amerika  zusammenhing,  versuchte  die 
deutsche  Politik  um  die  amerikanischen  Juden  zu  werben  und 
sie  zu  benutzen,  allerdings  ohne  Erfolg.  Interessant  sind  Details, 
die  der  Verfasser  aufzeigt,  in  der  Haltung  der  amerikanischen 
Juden  zu   den  Mittelmächten   einerseits,  zu   den  Alliierten   an- 
dererseits, zum  Zionismus  und  zu   Sozialismus   in  Wechselwir- 
kung, wobei  gelegentlich  die  paradoxe  Situation  entstand,  dass 
die  aus  dem   Osten   stammenden   amerikanischen   Einwanderer 
prodeutsch  eingestellt  waren,   während   die  zu    «Honoratioren» 
gevvordenen  früheren  deutschen  Einwanderer  eher  der  Entente 
zugewandt  waren. 

Mit  dem  Kapitel  «Jvden  und  AntisemiHsnms  im  Weltkrieg», 
das  die  negative  Bilanz  der  deutschen  Judenpolitik  auch  innen- 
politisch zieht  und  das  Anwachsen  des  Antisemitismus  mit  den 
schwindenden  Aussichten  auf  einen  Sieg  zeigt  zugleich  die  For- 
mierung der  antisemitischen  Bewegung  mit  einer  Deklarierung 


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Les  herbes  de  Manosque 

F£in  reicher,  unter  der  südlichen 
Sonne  schwer  duftender  Kriiuiergar- 
ten  ist  die  Gegend  um  Manosque. 
Hier  gedeihen  Basilikum  für  die 
«Soupe  au  Pistou^>,  Fenchel  für  feine 
Fischgrilladen,  die  spitzen  Nadeln 
des  Rosmarin  für  ein  Pot-au-fcu.  Der 
Salbei  und  die  Tomate  bilden  ein 
Liebespaar  bis  in  die  Salatschüssel, 
und  der  Thymian  will  Wild  und 
auch   anderes   Fleisch   umkosen. 

Alle  diese  Kräuter  der  Provence  gibt 
es  gartenfrisch  oder  getrocknet.  Sie 
finden  auch  ein  ganzes  Bouquet  in 
einem  rohen  Tontopf  mit  dem  schö- 
nen Namen  «Aux  Anysetiers  du 
Roy». 


Rabbiner  Dr.  Jakob  Teichman: 

Gebete  für  Festtage  (XVI) 

Das  Abendgebet  zu  Schabbateingang:  «Barne  I\/Iadiikin» 

Die  Heiligung  des  Schabbats  —  der  Kiddusch  —  bedarf  nicht 
nur  einer  seelischen  Vorbereitung,  sondern  auch  einer  bewuss- 
ten  durchdachten  Einführung.  Die  schöne  «Braut»,  die  ma- 
jestätisch einherschreitende  «Königin»,  soll  nicht  nur  mit  Ge- 
sang und  Melodie,  sondern  auch  mit  den  weisen  Worten  der 
göttlichen  Lehre  empfangen  werden. 

Das  Stück,  das  zu  diesem  Zweck  aus  dem  reichen  Schrifttum 
der  Schabbatgesetze  ausgewählt  wurde,  zeigt  einmal  mehr,  dass 
es  unseren  Altvorderen  beim  Studium  der  frommen  Satzungen 
nicht   um   etwas   Theoretisches,    sondern   um  die   Praxis   ginK. 
In   der   spanischen    (sef ardischen)    Gebetsordnung   werden    die 
empfohlenen  Texte  vor  dem  Abendgebet  rezitiert.  In  manchen 
Gemeinden  hat  man  sie  sogar  zweckmässigerweise^vor  das  Nach- 
mittagsgebet verlegt,  um  das  Gelernte  bei  der  Gestaltung  des 
Feiertags    nützlich    verwenden    zu    können.    Die    mitteleuropa- 
ischen (aschkenasischen)  Riten  haben  den  Babylonischen  Brauch 
übernommen,  wonach  das  «Lernen»  zuletzt  unmittelbar  vor  dem 
Kiddusch  erfolgte,  mit  dem  Ziel,  die  Gemeinde  sinnvoll  zu  be- 
schäftigen,  während   sie  darauf  wartete,   dass   die   spater    h.r- 
schienenen   ihr   Gebet  beendeten.   Dieses   Motiv   ist   in   neuerer 
Zeit    hinfällig    geworden.    «,Bame    madlikin'    wird    neuerdings 
nicht  nur  in  allen  Synagogen  mit  reformierter,  sondern  auch 
vielfach   in   solchen   mit  alter   Liturgie   weggelassen»,   schreibt 
J.Elbogen    im   Jahre    1913    (J.Elbogen.    Der    jüdische   Gottes- 
dienst). 

Das  zweite  Kapitel  des  Mischnatraktats  Schabhat  «Bame  madli- 
kin»   das  in  die  Gebetbücher  als  Lehrstoff  zum  Schabbatemp- 
fang aufgenommen  worden  ist,  befasst  sich  mit  der   Auswahl 
von  Dochten   und   Ölen   für  die  Schabbatlichter   und   schildert, 
wie  fromme   Betriebsamkeit   im   antiken   jüdischen   Hause   bei 
einbrechender  Dunkelheit  in  Schabbatruhe  überging.  Das  Trak- 
tat endet  mit  einem  Hinweis  auf  die  vornehmsten  Aufgaben  der 
jüdischen  Frau  in  ihrem  Hause  und  auf  die  Pflicht  des  Man- 
nes   darauf  zu  achten,  dass  alles  richtig  ausgeführt  werde  und 
auszurufen:   «Zündet  die  Lichter  an!»  —  Diesem  Mischnatext 
wurde  die  Schriftdeutung  hinzugefügt,   die  Rabbi   El'asar   im 
Namen  von  R.  Chanina  gibt.  Sie  beschreibt  die  Macht  der  gott- 
lichen Weisheit,  die  imstande  ist,  Frieden  in  der  Welt  zu  ver- 
breiten  Mit  dieser  schönen  Botschaft  enden  einige  Traktate  des 
Talmuds:    B'rachot,   J'wamot,    Nasir,    K'ritot;    im   Gottesdienst 
des  Schabbatempfangs  bildet  die  Verkündung  dieser  Hoffnung 
eine  gedankliche  Verbindung  zwischen  dem  ewigen  Frieden  in 
messianischer  Zeit  und  dem  göttlichen  Ruhetag,  der  dem  Men- 
schen einen  Vorgeschmack  ewigen  Friedens  vermitteln  soll. 


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eines  völkischen  Deutschland,  werden  die  Betrachtungen  abge- 
schlossen. Die  zionistischen  Forderungen  nach  Anerkennung 
ihrer  Bestrebungen  in  Palästina  und  auf  nationale  Autonomie 
für  die  jüdische  Bevölkerung  in  Ländern  der  Massensiedlung 
fanden  damals  neuen  Zuzug  in  der  ganzen  Welt,  jedoch  blieb 
das  Assimilationsdenken  beim  grossen  Teil  der  deutschen  Ju- 
den erhalten. 

Das  mit  einem  umfangreichen  Literaturverzeichnis  und  einem 
Index  versehene  Werk,  das  einen  weiten  Tour  d'Horizon  ver- 
mittelt, verdient  die  Beachtung  auch  derer,  die  sonst  historische 
Werke  nicht  in  die  Hand  nehmen.  Es  ist  leicht  fasslich  und  ein- 
gängig geschrieben.  Es  scheint  indes,  dass  bei  dem  Buch, 
das  auf  ausführlichem  Quellenstudium  beruht,  auch  gelegent- 
lich in  einer  Auslegung  Fehlinterpretationen  sich  eingeschli- 
chen haben  (ein  Zitat  von  Dr.  Robert  Weltsch)  oder  Namen 
und  Organisationen  nicht  genau  zitiert  oder  buchstabiert  win- 
den. Wir  glauben  indes,  dass  solche  Irrtümer  bei  einer  so  ver- 
dienstvollen umfassenden  Forscherarbeit  nicht  zu  schmälern 
geeignet  sind.  C.  W.-^- 


-Wf'-' 


56 


/ 


// 


/^       ^ 


^%^i^ 


Der  Erste  Weltkrieg 

als  historischer  Hintergrund 

Effmont  Zechlin.    Die  deutsche  Politik  und  die  Juden  im   Ersten 
Weltkrieg.  Vandenhoeck  &   Ruprecht,  Göttingen,   1969. 

Die  Geschichte  der  deutschen  Judenheit  unter  der  Gewaltherr- 
schaft des  Nationalsozialismus  ist  noch  ungeschrieben.  Erst, 
wenn  der  Abstand  gross  genug  ist,  wird  wohl  diese  historische 
Aufgabe  anhandgenommen  werden.  Indes  gehören  Werke 
über  den  Ersten  Weltkrieg,  seine  Vorgeschichte  und  seine  Fol- 
gen zu  den  meistgelesenen  und  meistdiskutierten  der  letzten 
Jahre.  So  wird  in  dem  Werk  des  Hamburger  Historikers  Fritz 
Fischer,  «Griff  nach  der  Weltmacht»,  bereits  herausgearbeitet, 
inwieweit  in  den  deutschen  Kriegszielen  1914 — 1918  national- 
sozialistische Hegemonialpolitik  vorweggenommen  sei,  und 
Hinweise  auf  das  Buch  des  alldeutschen  Chefideologen  Heinrich 
Class,  «Wenn  ich  Kaiser  wäre»,  lassen  erkennen,  wie  bereits 
von  ihm  ein  diktatorisch-antisemitisches  Ermächtigungsregime 
gefordert  wurde;  man  kann  füglich  annehmen,  dass  dieses 
Buch,  und  andere  antisemitische  Schriften  aus  der  Zeit,  auf  die 
nationalsozialistischen  Nachfahren,  auf  Adolf  Hitler  insbeson- 
dere, ihren  Einfluss  ausgeübt  haben. 

Diese  Auffassung  wird  nach  der  Lektüre  des  vorliegenden  Ge- 
schichtswerks von  Egmont  Zechlin,  Hamburger  Ordinarius  für 
Mittlere  und  Neuere  Geschichte,  bestätigt.  «Die  deutsche  Poli- 
tik und  die  Juden  im  Ersten  Weltkrieg»  ist  wohl  die  ausführ- 
lichste, auf  Materialien  des  Auswärtigen  Amts  und  der  ver- 
schiedensten Archive,  auf  Einzeldarstellungen  deutscher  und 
jüdischer  Verfasser  und  zahlreichen  Dokumenten  beruhende 
Untersuchung  zum  Thema,  weit  ausholend  und  nie  dem  Ver- 
such unterliegend,  irgendetwas  zu  beschönigen.  Am  Ende  der 
Lektüre,  die  durch  den  von  Deutschland  erstrebten  «Griff  nach 
der  Weltmacht»  sich  nicht  nur  auf  die  in  Deutschland  leben- 
den Juden  bezieht,  sondern  die  Beziehungen  zu  denen  in  den 
Oststaaten,  in  Amerika  und  England  zu  durchleuchten  ver- 
sucht, ist  man  bestürzt,  in  vieler  Hinsicht  bereits  ein  Vorspiel 
der  späteren  Tragödie  zu  erkennen,  als  die  jüdischen  Mitbür- 
ger vollends  im  Stich  gelassen,  entrechtet,  jeglichen  Schutzes 
beraubt  und  schliesslich  vernichtet  wurden. 

Wer  bislang  versucht  hatte,  sich  mit  der  Haltung,  den  Hoffnun- 
gen und  Irrungen  des  deutschen  Judentums  des  Kaiserreichs 
zu  befassen,  sah  die  Dinge  zumeist  unter  wirtschaftlichen 
Aspekten,  den  Angriffen  gegen  «jüdischen  Kapitalismus»,  in 
der  durch  die  «Judenstatistiken»  zu  Unrecht  mehrfach  hoch- 
gespielten Erörterung,  in  welchem  Masse  jüdische  Soldaten 
und    Offiziere    ihrer    Pflicht   zum    Frontdienst   nachgekommen 


sind    (eine  Tatsache,  die  trotz  vorliegenden   Dokumenten   über 
den    grossen    Blutzoll    immer    bestritten    wurde  i,    und    endlich, 
im  jüdischen  Bereich,  in  den  Wünschen  nach  voller  Assimilie- 
rung einerseits,  im  aufstrebenden  Zionismus  anderseits,  in  der 
Stellung  der  Orthodoxie,  die  die  strikte  Wahrung  der  religiö- 
sen Haltung  mit  Assimilierung  in  Einklang  zu  bringen  suchte. 
Der   Historiker   Zechlin   spannt  den    Bogen   viel   weiter.    Nach 
einer  fast  hundert  Seiten  umfassenden  Einleitung  zur  Sitimtion 
und  zum  Selbstverständnis  der  Juden  in  Deutschland  vor  dem 
Ersten    Weltkrieg,    denen    das    Kriterium    einer    einheitlichen 
Gruppe  fehlte  und  die  er  deshalb  nach  den  angegebenen  Unter- 
scheidungen und  in  ihrer  Reaktion  auf  den  virulenten  Antise- 
mitismus darstellt,  wird  die  interessante  und  ambivalente  Ost- 
judenpolitik  im  Osten,  die  durch  die  Besetzung  Russisch-Polens, 
Rumäniens,  Litauens  und  der  Ukraine  in  Fluss  gekommen  war, 
aufgerissen,  die  bei   aller   relativ   anständiger,   korrekter   Ver- 
waltungstätigkeit gegenüber  den  Juden,  die  unter  dem  Zaren- 
reich, der  Gettoisierung  und  Pogromen  nicht  gerade  verwöhnt 
gewesen  waren,  und  unter  Nichtantastung  des  jüdischen  Kul- 
tus- und  Bildungswesens,  dennoch  eine  im  deutschen  Interesse 
liegende  Politik  des  «Divide  et  impera»   befolgte  und   in  Ver- 
suchen gipfelten,   die  ansässigen   Juden   gegen   das   Zarenreich 
aufzuwiegeln.  Die  vielen  Versuche  jüdischersei ts,  den  Juden  im 
Osten  einen   Minoritätenstatus  mit  Rechten   auf  Selbstverwal- 
tung zu  verschaffen,  blieben  weiter  unerfüllt.  Jedes  der  besetz- 
ten Gebiete  wird  durch  den  Verfasser  mit  seinen  Sonderfragen 
behandelt,    die    damals    weit    auseinanderklafften.     Besonders 
scharf  wurde  in  der  Ukraine  deutlich,  als  eine  Pogromwelle  das 
Land  überflutete,   dass  die  bereits  vor  dem  Ersten  Weltkrieg 
vorhandene  Strukturkrise   in   den   Ländern   des   Ostens   weiter 
bestand,   vielleicht   sogar   durch   die  aufgerollten    Forderungen 
für  die  Minoritäten  sich  noch  verstärkt  hatte. 
Breiten  Raum  nimmt  die  Stellung  Deutschlands  zum  ZionisniKs 
in   diesem  Geschichtswerk  ein.   Zechlin   greift  zurück  auf  die 
Bemühungen  Theodor  Herzls  um  eine  deutsche  Unterstützung, 
auf  das  Kaisertreffen  mit  Herzl,  das  stark  überbewertet  wurde; 
er    behandelt   den    im   zionistischen    Sinne   gelösten    Sprachen- 
kampf, der  eine  Loslösung  von  der  deutschen  Politik  war,  die 
die  Palästinasiedlung  als  Objekt  deutscher  Interessenausübung 
betrachtete  und  vor  dem  Krieg  zu  einem  gespannten  Verhält- 
nis des  Zionismus  zur  deutschen  Regierung  und  im  Eintreten 
für  das   Hebräische  auch  zu   Spaltungen  unter   den   deutschen 
Juden  führte.  Weiter  zeigt  er  die  verworrene  Grossmachtspoli- 
tik  während  des  Krieges,  in  der  trotz  Bündnis  mit  dem  Osma- 
nischen  Reich,   Deutschland  immer  wieder  versuchte,  sich  aus 
der   Palästinapolitik  nicht  ausschalten   zu   lassen.   Die  prekäre 
Stellung   der   Zionistischen    Bewegung    in   einem    durch    Krieg 
zerrissenen  Europa  wird  verdeutlicht.  Ein  Blick  nach  England, 


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THE     TIMES     LITERARY     SUPPLEMENT     FRIDAY     NOVEMB 


CONSTITUTIONAL  ADVANCE 


-■^-i'.(-.<V/ 


A.  H.  DODD :    The  Growth  of  Responsible  Government.    From  James  the 
Kegan  Paul.    23s. 

The    British    Constitution,    like    the  their   opponents  called   ihem.      The 

British  Empire,  was  not  achieved  in  Protector    cleaned    up   most    ot^  the 

a  fit  of  absence  of  mind.   It  has  been  corruption,  and  left  a  body  ot  com- 

the  cumulative  result  of  the  expedients  petent  administrators-as  a  legacy  tu 

of  hard-headed  politicians  and  admi-  CgaFTj^    li.    V  lo   eiarenoon,     nu- 

nistrators.    Its  slow  tentative  growth  fessor  Dodd   remarks,      it  bore  tne 

took     centuries;      Professor     Dodd  mark  of  the  Beast,  but  the  King  was 

calls  his  book  "  A  study  of  politics  always  content  ah  hoste  ('^'^•^,7  JIJj 

in  action."  Here  is  liltle  that  is  ncw  ;  made  things  smoother  for  him       inis 

the   survey  is  based  on  the  obvious  nascent     Dureaucracy     piuvcd-    per- 

printed    authorities.    But   it    usefully  manent        A     spoils    ^y^l^^^^l"^^' 

relates     conslilutional     to     polit.cal  swamped  it.  and  it  appointments  were 

history  for   Hfe,  corruption  was  that  much 

If    change    came    gradually    and  diminished.  ^^ 

piecemeal,    noveltv,    once    accepted,        Cab.net     government    and     party 

soon  became  tradition.  When,  to-day,  Organization  emerged  very  gr^oua  ly. 

a  Government  loses  its  majority  in  The  first  was  made  inevitable  by  tne 

the  House  of  Commons,  it  automatic-  Marlborough    wars.      It    was    dis- 

allyresigns:  as  Professor  Dodd  points  trusted  ;    Defoe   called    it      modern 


out,  this  was  new  doctrine  '",  ^^^^ 
powers  over  'the  executive  tnought 
inherent  in  the  iegislature  are  even 
low  not  exercised  in  the  United  States, 
rhe  British  method  of  responsible 
-overnment,  "  probably  our  most 
üistinctive  contribution  to  politics," 
has  been  only  slowly  worked  out  in 
quite  exceptional  conditions.  In 
detail,  though  without  much  colour  or 
style,  Professor  Dodd  retraces  the 
familiär  theme. 

The  responsibility  of  the  executive 
to  Parliament,  the  rise  of  the  Cabinet, 
the  emergence  of  the  Prime  Minister, 
and,  along  with  it  all,  the  establish- 
merit  of  etfective  bureaucracy,  are 
adequately  described.  In  the  last 
aspect  Cromwell  gets  some 
The  Grt^ai  'ReMlü^l'-  writes 


saw  the 

fcS^ional   CivTI  Service.    Ihough   the 
cOnsliluiroilMr    fhdiüfier  of    the    sec- 


and  excentrick."  If  its  composition 
was  still  at  the  Sovereign's  discretion, 
it  was  a  businesslike  instrument— an 
advance  on  the  caprice  and  favourit- 
ism  of  the  early  Stuarts.  With  a 
Hanoverian  king,  the  initiative 
passed  to  Walpole,  an  astute  political 
manager  alone  capable  of  carrying 
on. 

George  HI  always  accepted  the 
terms  of  the  Glorious  Revolution— 
the  legislative  and  financial  supre- 
macy  of  Parliament.  Unlike  Charles 
I,  he  never  tried  to  raise  money 
unconstitutionally.  When  he  sought 
his  own  ends,  he  sought  them 
through  interest  and  political  man- 
agement,  at  which  he  was  a  shrewd 
hand.  We  find  him,  early  in  his  reign, 
trying  to  oust  Chatham— "  that  mad 
Pi'tt."  The  younger  Pitt  and  the  Kings 
illness  put  an  end  to  these  man- 
oeuvres.  He  was  thought  to  be 
incorruptible  ;  he  abolished  hundreds 
of  sinecures;  he  made  himself  the 
leader  of  the  State  in  a  great  war 


taries  had  little  eftect  on  policy,  when 
Poyalist  estates  were  confiscated  and 
s*  questration    committees    were    set 

'olle  jrs  ofTafhad  Toi  Ä     '^'^^^^  "'  '"''  "'  ^" 


First  to  Victoria.    Routledge  and 

was  a  shift  of  power.    Although  the 

kind  of  representative  took  long  lo 

change,  for  the  new  voters,  as  much 

as    the    old,    preferred    the    natural 

leaders  of  their  neighbourhood.  and 

the  "  carpet  bagger  "  candidate  took 

long  to  come  in,  the  basis  of  the  new 

constituencies  was   in   numbers,   not 

in  corporations.   When  the  univcrsity 

vote    was     abolished,     this    change 

became  complete.    With  the  commg 

of  mass  democracy  and  the  rise  ot 

the  great  party  machines,  tb.e  pendu 

lum  seemed  to  swing  too  iar.     The 

executive,  men  feared,  might  be  ham- 

strung.      The   danger   was   avoided ; 

the  initiative  preserved.    To-day.  the 

threat  to  liberty  comes  frcin  another 

quarter. 

"This  I  may  say  for  Scotiand," 
wrote  James  I  and  VI,  that  would-be 
enlightened  despot,  "  and  1  may  iruly 
vaunt  it:  I  write  and  it  is  done."  It 
has  taken  over  three  centuries  to  pre- 
serve  and  develop  the  liberties  of 
Great  Britain,  to  achieve  the  harmony 
of  executive  and  Iegislature;  to  accus- 
tom  a  widening  electorate  to  the 
responsibilities  of  self-government. 
But  the  First  World  War,  Professor 
Dodd  wams  us,  brought  a  new 
threat : 

The  real  crisis  of  responsible  government 
in  the  present  Century  came  when  the 
Virtual  abeyance  of  the  Constitution  in 
Lloyd     George's     wartime     coalition 
which    his    second-in-conimand     Bonar 
Law    did    not    shrink    from    duhhinu    a 
"  Dictatorship  *"— was     prolonged     into 
the   years   of   peace    ...    Sir   Wmston 
Churchill  ...  had  the  wisdom  to  heed 
the  warning  when  his  own  time  came. 
To-day     the     bureaucrats     of     the 
welfare   and   the   garrison  State  can 
make  short  work  of  the  achievement 
of  centuries.     Professor   Dodd   secs 
hope  in  question  time  in  the  House  of 
Commons    and    in    the    sequel    to 
Crichel  Down. 


w 


THE  SOCIETY  OF  ANTIQUARIES 


mtract  its  scope 


archaeological    domain,   the   socie^y^ 
ias  become  steadily  more  scieti^'' 
jnethod  and    more^  extensiv.^ 
it  would  be  ^ntpiing  Ij 
fcfe SS i  rrnl      ^km    T*""' 


fi^-V. 


^«;//>  /ÄW      Z^>U  //    ^  jyy 


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sen  späterhin   moisLcfh^ 
haupt,  machte    die    genreriaFm 


!naulich- 


einer    DokumltiT 
phischcr  Intimität. 


"!isa- WcT/^^^  vOiT  Äoci'iä^ 


Alexis  de  Tocqueville 

Zum  Erscheinen  einer  Gesamtausgabe 

Man  macht  schon  etwas  mit,  seufzt  mancher 
ZeUßen?.srhalb    stolz,    halb    wehleidig    und 
sSSeU  sich,  mehr  erlebt  zu  haben  als  scme 
fdXoUen  Vorfahren.  Wer  wollte  die  Genei-a- 
tfinen  zählen,  die  dieses  Vorurteil  vererbten  sie 
aUeS  seien  bei  unerhörten  Vorkommnissen  der 
Zeußens^^^      teilhaftig  geworden.  Der   Irrtum 
Dflanzt  sidi  um  so  sicherer  fort  als  es  den  Men- 
Ä  offenbar   nicl.t  gegeben  -^^-^^^ 
wirkende  Erinnerung  an  durchlebtes  Schicksal 
in  Weisheit    des  Instinktes    umzuwandeln.    So 
ebt^n  die  Zeitgenossen  des  aus  unerfmdlichen 
Gründen  so  genannten  Biedermeier  stanaig^m 
Anblick    ienes  Wetterleuchtens,    das   ein  Jahi- 
hunden  der  Umwälzungen  und  Untergärige  an- 
kündrgte   Aber  niemand  wollte  auf  den  ah^^ 
vollen  Warner  hören,  der  sich   aus   ihiei  Mitte 
erhob. 

Al^    Alexis   de   Tocqueville    geboren    wurde, 
.titß   liber   dem   alten   Europa    die   Sonne   von 
Ausiri^^z  empor.  Einen  seiner  Großväter  hatten 
dirschreckensmänner  der  Revolution  aufsScha- 
fn?t  beschickt   Seine  Eltern  hatte  nur  der  Sturz 
RoLÄt  vor  einem  ähnlichen  Sd.cksal  be- 
wahrt  Er  war  em  junger  ^anr   als  Kall  X.  der 
ipt-te  reaierendeBourbone.  sich  in  emeKa  esaie 
wirf   um  vor  dem  Aufruhr  m  Fans  zu  fheherv 
?i™  rniiRte  sein  Adel  viele  Jahre  hmdurcli  die 
Se?rs^af    der  MiUelmäßigkeit  unter  dem  Bur- 
ger-'md  Börsenkönig  aus  dem  unseligen  Hause 
Orleans   erdulden.    Die   Ereignisse    de.s   Jahies 
?84rf anden  ihn  auf  der  Deputiertenbank  in  der 
^^mm^r    Oder    auf    den    Boulevards,    unterm 
Feue?^der  Artillerie,  gedankenvoll  hin  und  her 
wandernd  zwischen  den  ausgehobenen  Stel  un- 
r,^«    Ae^r  Recierungstruppen   und    den    nocngc 
tü?mfen  Bar  ikadln  der  bewaffneten  Arbeiter 
aus  den  Nationalwerkstätten.    Oder  auf  emem 
v^irlrain   nahe   dem  verlassenen  Schloß   seinei 
Väter    wo  er  die  Bauern   auf  ihrem  Zuge   zur 
Ume  üb^?  d'e  Bedeutung  der  ersten  allgemeinen 
unS  gehlimen  Wahl  belehrte.  Tocqueville  starb, 


erst  54  Jahre  alt,  und  nahm  den  Ruhm  mi^,ii^ 
sein  Grab,  als  Minister  dem  Staatsstreich  des 
Präsidenten  Louis  Napoleon,  wie  aucli  dem 
Rauscli  der  Plebiszite,  die  jenen  auf  den  Thron 
des  zweiten  Kaiserreiches  emportragen  sollten, 
feierlicli  widersproclien  zu  haben. 

Die    politische    Karriere    dieses    Aristokraten 
bestätigt  eine  leidige  Regel,  wonach  in  unserer 
Welt  wie  sie  nun  einmal  beschaffen  ist.  auch  der 
Weiseste    nicht  zu  verwirklichen  vermag,    was 
sein    durcl-idringcnder  Geist   als    wahr   erkannt 
hat     Daß    Tocqueville    ein    glanzloser    Außen- 
minister   gewesen  ist.    wie  manche    hartnackig 
behaupten,     nimmt    ihm    gar    nichts    von    der 
Größe    die   er   als   ein    politisclicr    Denker    er- 
reidite    Die  Laufbahn   des   Schriftstellers   Toc- 
queville? bedurfte  niclit  des  mühseligen  Aufstiegs, 
sie  begann  auf  einsamer  Höhe,  die  .sie  nie  mehr 
verließ  Schon  die  erste  Veröffentlicliung  machte 
ihn  berühmt   und    seine  Leser   betroffen.    Man 
kennt  die  Geschichte;    der  Richter  Tocqueville, 
nacheifernd    dem  Vorbild    des  unbestechlidicn, 
im  Ancien  regime  für  Menschenwürde  streiten- 
den Malherbes  —  Verteidiger  Ludwigs  XVI.  — 
und   angewidert    von    den  Verhältnissen   seines 
Vaterlandes,  das  ziellos  in  der  Politik  ..herum- 
probierte", wollte  eine  Weile  die  Luft  der  Prei- 
heit  atmen.  Er  besorgte  sich,  wie  das  auch  heut- 
zutar'e  noch  geschehen  mag,  einen  Urlaub  sowie 
den  "staatlichen  Auftrag,    das    Gefängniswesen 
und  den  Strafvollzug  in  den  Vereinigten  Staaten 
gründlich  zu  studieren.  Als  unerwartetes  Ergeb- 
nis seiner  Reise  und  einer  ausgebreiteten  Quel- 
lenforschung  legte   er  im  Jahre  1835   ein  Buch 
vor.    das  sofort  Sensation    machte:    Die  Demo- 
kratie in  Amerika. 


Was  den  französisdien  Grafen  in  Amerika 
fasziniert  hatte,  teilte  er  im  Vorwort  zur  zwölf- 
ten Auflage  mit.  die  im  Revolutions.iahr  1848  er- 
schien: „Dieses  Budi  wurde  vor  fünfzehn  Jah- 
ren im  beständigen  Banne  eines  einzigen  Ge- 
dankens gesdiriel-^.i,:  des  nahen,  unaufhalt- 
samen, allgemeinen  'Aufstiegs  der  Demokratie 
in  der  Welt.  Wer  es  r/ieder  liest,  wird  auf  jeder 
Seite  eine  feierliche  Warnung  finden,  die  die 
Mensdien  daran  er;  mert,  daß  die  Gesellschaft 


ihre  Gestalt,  die  m 
verändert  und  daß  i^ 
reiten." 

Der  Reisende  hatte 
ded^ung  gemacht,  daß  d 
Kolonien   der   englisch( 
konformisten   jener 
des  Bürgers  geboren  u' 
französische  Nation alveij 
später  einen  Hauch  veif 
kannte,  die  Demokratie  j 
Da  er  jedoch  überzeugt 
Zukunft,    zumindest    d?l 
würde,  hielt  er  es  für  sJ 
am  Beispiel  Amerikas, k] 
Weise  von   den   Einrij ' 
tisch   regierten  Staate 
machen  sei.  überdies 
weit  vorzustellen,  wcj 
kratie  fast  unvermei( 
ihn  nämlich  die  Beob; 
Institutionen    in    AmcJ 
gegen  gesellschaftlich! 
keinen   gegen   die   Wl 
allem    aber    war    es 
Gleidiheit,  der  seine 
die    Bewegung   zu    all 
schlechthin  unwiderstf 
der  Demokratie  einen 
vorgezeidinet;  einen,  <"] 
über  die  Gleichheit  zu) 
kann  —  ,.im  Namen  d^ 
lung  zum  Staatssoziali 
aller  Farben  lag  vor  ' 
ein  Rechenexempcl. 

Was  die  Mitwelt 
das  war  die  körnige] 
durchsiditige  Sprache 
in  dem  er  etwa  di' 
Staatsaktionen  oder 
daß  man  glauben  ko] 
Stendhal  gelesen  zu  11 
man  sich  einbilden.  nu| 
zu  wissen,  was  es  mit 
sich  hat.  Was  jedoch  d| 
Tocqueville  geradezu 
selber  machte,  seine  e| 


\ 


|',-'.'Äiic>'""-:'"i/V'^ 


•R«     Haecker: 


Was 


Augen.  / 
ist    der 


poral.   1^  or 
Gustav  Adolf  Moic" 
langshandlung,  Münclien,  JecT 


'^y^\i- 


'•>^^?^:.''^' 


ihre  Lebensweise 
?hicksale  sic±i  vorbe- 


J)  in  Amerika  die  Ent- 
fort,  in  den  ehemaligen 
|?.a   Puritaner   und   Non- 
[r!St   der   Selbstregierung 
)»rden  war,  von  dem  die 
I  Sammlung  erst  60  Jahre 
spürte.  Tocqueville  bc- 
nicht  lieben  zu  können. 
J\var,  daß  ihr  die  nächste 
Is   Jahrhundert   gehören 
fcine  Pflicht,  der  Mitwelt 
llarzumachen,  auf  welche 
Jtungen   eines   demokra- 
P  der"  beste  Gebrauch  zu 
[log  ihm  daran,  der  Nach- 
':che  Gefahren  der  Demo- 
llich  innewohnen.  Es  hatte 
Ichtung  erschreckt,  daß  die 
Irika   kaum   einen   Schutz 
n   Zwang  boten   und  gar 

■   der    Mehrheit.    Vor 

\d2r  machtvolle  Zug  zur 
[Besorgnis  erregte.  Da  er 
]l;;emeiner  Gleichheit  für 
Milich  hielt,  sah  er  darm 
lihrer  möglichen  Irrwege 
ller  sie  aus  d«.r  Freiheit 
neuer  Tyrannei  führen 
s  Volkes".  Die  Entwick- 
Imus  und  auch  Faschismus 
Ihm,  klar  und  sclilüssig  wie 


H   Tocqueville  faszinierte, 

marmorkühle  und  dabei 

der  unnachahmliche  Stil, 

Naturgeschichte    großer 

Devolutionen   so  erzählte, 

Innte,    einen   Boman   von 

liaben.  Noch  dazu  durfte 

In  zum  ersten  Male  genau 

der  Politik  eigentlich  auf 

m  vornehm  bescheidenen 

Jein  wenig  stolz  auf  sicli 

linzigartige  Fähigkeit,  das 


Ergebnis    scliärfster    Analysen    in    eine    ferne 
Zukunft  hineinzusehen,  wußten  die  Zeitgenos- 
sen noch  nicht  gebührend  zu  schätzen,  da  üinen 
alle  Möglichkeiten  des  Vergleichs  und  der  Nach- 
nrüfung  fehlten.  Der  berühmte  Literaturkritiker 
Sainte  Beuve  war  gewiß  nicht  der  einzige    der 
sich  neidvoll  ärgerte  über  eine  Hellsidit   die  er 
bloß  als  die  Pose  eines  Visionars  erachtete.  Erst 
*:pätere    Geschlecliter,    die    das    Rechtbehalten 
nicht  mehr  als  Verletzung  von  Tabus  empfan- 
den, begannen  die  Kraft  dieses  Seherbhckes  zu 
begreifen    der   weltpolitische   Mäditekonstella- 
tionen  unseres  20.  Jahrhunderts  klar  zu  erfassen 
vermochte. 

Heutzutage  ist  icne  Prophezeiung  im  letzten 
Kapitel    des    Buches    über    die    Demokratie    in 
Amerika  wohlbekannt,  die  mit  den  gewaltigen 
Sätzen  au.sklingt:  „Es  gibt  heute  auf  E^-den  zwei 
oroße  Völker,  die,  von  verschiedenen  Punkten 
ausgegangen,    dem    gleichen    Ziel    zuzustreben 
scheinen:  die  Russen  und  die  Angloamerikaner. 
Alle  anderen  Völker  scheinen  die  Grenzen  un- 
gefähr erreicht   zu  haben,  die  ihnen  die  Natur 
^e70Pen  hat.  und  nur  noch  zum  Bewahren  da- 
zu.'^ein;  sie  aber  wachsen.  Dem  einen  ist  Haupt- 
mittel auf  Erden  die  Freiheit:  dem  andern  die 
Knechtschaft.   -    Ihr    Ausgangspunkt    ist    ver- 
schieden,   ihre    Wege    sind    ungleich;     dennoch 
scheint  jeder  von  ihnen  nach  einem  geheimen 
Plan   der  Vorsehung  berufen,  eines  Tages   oic 
Ge^^chicke  der  halben  Welt  m  seiner  Hand  zu 
bauen-  Ob  freilich  die  noch  mehr  ins  einzelne 
«ehenden  Urteile  dieses  genialen  Diagnostikers, 
die  gleiche  Beachtunc  finden,  mag  fuglich  be- 
zweifelt werden.  Etv.^a  die  bestimmte  Voraus- 
sage es  werde  Amerika  dereinst  bei  seiner  Aus- 
einandersetzung mit  dem  weltpolitischen  Gegen- 
:spieler  Rußland  beträclitliche  Anfangsschvnerig- 
i5keiten    überwinden    müssen,   da   es   auf   Grund 
ieiner  Verfassung  bis  dahin   noch    keine    feste 
(^Tradition  eigentlicher  Außenpolitik    entwickelt 
^haben  könne. 


Angesid-its  solcher  Sicherheit,  mit  der  Tocque- 
ville sämtliche  Gelegenheiten  ausdenkt,  die  noch 
heute  von  iedem  Politiker  teueres  Lehrgeld  for- 
dern, vcrsdilägt  es  nidit  viel,  daß  er  manchmal 
der  Geschichte  ein  zu   rasches  Tempo  zumiin. 


Irrt  er  sich  gleich  im  Zeitmaß,  so  verfehlt  er 
doch  nie  die  Sache.  Wenn  einschränkend  gesag. 
wurde,  er  habe  die  Heraufkunft  der  chinesisdien 
Macht  über  Asien  noch  nicht  gesehen,  so  wäre 
immerhin  dagesrenzuhaltrn.  daß  er.  mitten  auf 
einem  Pariser  Boulevard,  die  Volkskommunen 
erahnte. 

Alexis    de    Tocqueville     gewann     sich     viele 
Freunde,  die  ihn  sehr  hodrstellten.  Auch  fand  er 
zu  allen  Zeiten  erklärte  Liebhaber  —  v/ie  etwa 
Dilthev  und  Carl  Burckhardt  —  dann  ungleich 
glücklicher    als   sein    düsterer    Zeitgenosse,  der 
gleichfalls  seherisch  begabte  Donoso  Cortes.  Audi 
hatte  er  seine  Renaissance  in  jüngster  Zeit,  und 
man   könnte  sagen,  daß  sein   Werk,   aus   naho- 
liegenden    Gründen,    nach    den    beiden    Welt- 
kriegen plötzlidi  sogar  in   Mode  kam.  Dennoch 
bleibt  ein  begründeter  Verdadit.  daß  dieser  un- 
vergleichliche Erforscher  politischer  und  gesell- 
<:chaftlicher  Zusammenhänge,  von  dem  sein  eng- 
lischer Briefpartner  J.  St.  Mill  sagte,  er  koir.me 
als    Staatsdenker    durchaus    dem    Montesquieu 
gleich,  um  ihn  als  Charakter  noch  zu  überragen. 
doch  viel  weniger  bekannt  ist,  als  es  sein  Ruf 
erwarten  ließe. 

Dankbar  darf  man  daher  die  Deutsche  Ver- 
lagsanstalt  in   Stuttgart   zu   dem   mutigen  Ent- 
schluß   beelüd^wünschen,    das    Gesamtwerk    in 
deutscher  Übersetzung  auf  Subskription  herau>- 
zubrir.gen.    Die    Ausgaben,    von    denen,    durch 
Theodor   Eschenburg  vorzüglich  eingeleitet  die 
..Demokratie  in  Amerika'  bereits  vorliegt,  wer- 
den noch  folgende  Bände  umfassen:  ..Das  Ancien 
Regime"  und  die  Revolution,  dann  Reisebilcier 
und  Vermischte  Schriften,  schließlich  Parlamen- 
tarische Reden  und  eine  Auswahl  von  Briefen.     ^ 
Den  größten  Genuß  aber  wird  dem  Leser  ver-    j 
mutlich  der  letzte  Band  bereiten,  der  Tocque-    ; 
villes    Erinnerungen    enthält     Von    ihnen   darf 
ohne  Übertreibung^  behauptet   werden,   daß  sie  .; 
zu  den  schönsten  und  vor  allem  zu  den  Inhalts-  ; 
=:chwersten  Memoiren  der  Weltliteratur  zählen. 
Tocqueville  hat  einmal  geschrieben:  „Eine  völhg 
neue  Welt  bedarf  einer,  neuen  politischen  Wis- 
senschaft." Die  Art,  wie  er  es  anstellt,  ein  Funda- 
ment  dazuzulegen,   bedeutet   allein    schon    eine 
Offenbarung.  Hermann  Procbst 


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DIE  GEGENWART 


Mittwoch,  9.  Juni  1965  /  Nr.  131  /  Seite  15 


FRANKFURTER     ALLGEMEINE     ZEITUNG 

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Berichte  •   Dokumente 


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NACH  DEM  KRIEGE 


KRIEG  GEGEN  WEHRLOSE 


Im  Herbst  1940  fuhren  die  ersten  Lastwagen- 
kolonnen der  SS,  die  Trecks,  die  Sonderzüge  und 
Donauschiffe   mit   zweihunderttausend   in   Ru- 
mänien beheimateten  Deutschen  ins  Reich.  Was 
nicht  lange  darauf,  vor  jetzt  zwanzig  Jahren, 
mit  den  Deutschen  in  den  östlichen  preußischen 
Provinzen,  in  Polen,  der  Tschechoslowakei,  Un- 
garn und  Jugoslawien  geschah,   hatte   hier  in 
kleineren  Dimensionen  ein  Beispiel   gefunden. 
Rücksichtslos  hatte  die   SS  im  Interessenspiel 
zwischen  Berlin  und  Moskau  Bevölkerungsgrup- 
pen verschoben,  nicht  nur,  um  sie  vor  kommuni- 
stischem Zugriff  zu  bewahren,  sondern  um  die 
annektierten  Ostgebiete  „rassisch  zu  veredeln". 
Nach  dem  Polenfeldzug   im  Herbst  1939   wurde 
der  SS-Führer  Himmler  zum  „Reichskommissar 
für  die  Festigung  des  deutschen  Volkstums"  er- 
nannt und  leitete  von  da  an  die  Umsiedlungen. 
Im  August  hatten  sich  die  deutsche  und  die  so- 
wjetische Führung  in  ihrem  Nichtangriffspakt 
über  die  Aufteilung  Osteuropas  in  Interessen- 
gebiete geeinigt;  im  Spätherbst  wurde  ein  Ver- 
trag über  die  Rücksiedlung  der  Deutschen  aus 
dem  Baltikum,  aus  Galizien  und  Wolhynien  un- 
terzeichnet. Ein  knappe  Jahr  später,  als  Rumänien 
auf  deutschen  Druck  das  nach  dem  Ersten  Welt- 
krieg in  Besitz  genommene  Grenzland  zwischen 
Dnjestr  und  Pruth,  Bessarabien  und  die   nörd- 
liche   Bukowina   an   Rußland    abtreten    mußte, 
wurden  die  Deutschen  dieser  Gebiete  in  das  Ab- 
kommen einbezogen.  Kurz  darauf  vereinbarten 
Berlin  und  Bukarest  den  Auszug  der  Deutschen , 
aus  der  bei  Rumänien  verbleibenden  südlichen 
Bukowina  und  der  Landschaft   im  Süden  der 
Donaumündung,  der  Dobrudscha. 

Die  Transporte  begannen  zu  rollen.  Drei- 
hunderttausend Polen  und  Juden  woirden  von 
der  SS  aus  dem  Wartheland,  Danzig- Westpreu- 
ßen und  Oberschlesien  verjagt,  damit  Höfe  und 
Werkstätten  für  die  Volksdeutschen  frei  wur- 
den. In  den  folgenden  drei  Jahren  setzte  die  SS 
ihr  Programm  fort;  36  000  Deutsche  aus  Bosnien 
und  Serbien  und  die  zweitausend  Deutschen  aus 
Bulgarien  wurden  umgesiedelt,  meist  in  die 
Gegend  von  Lodz.  26  000  Slowenen  wurden 
nach  Kroatien  geschoben,  und  15  000  Deutsche 
mußten  nach  einem  deutsch-italienischen  Ab- 
kommen vom  Oktober  1941  die  Gottschee  ver- 
lassen, die  Italien  sich  von  Jugoslawien  einver- 
leibt hatte.  Die  Entwurzelung  hatte  begonnen. 

Man  veränderte  die  Landkarle 

Als  sie  fortgesetzt  wurde,  brachte  sie  unge- 
zählten den  Tod.  Der  Krieg  ging  zu  Ende;  wie- 
der gab  es  Interessengebiete:  man  veränderte 
die  Landkarte  und  löschte,   während  man   bei 
den  internationalen  Konferenzen  auf  den  An- 
schein der  Humanität  bedacht  war,  mit  papier- 
nen  Anordnungen  das  Leben  von  Frauen,  Män- 
nern und  Kindern  zu  Tausenden  und  aber  Tau- 
senden aus.  Es  stand  seit  der  Konferenz  von  Jalta 
fest,  daß  Polen  für  dieRussifizierung  des  Landes 
jenseits    der    Curzon-Linie  entschädigt  werden 
mußte,  und  die  Siegermächte  stellten  mit  dem 
Potsdamer  Abkommen  in  den  ersten  August- 
tagen des  Jahres  1945  nicht  nur  die  Gebiete  ost- 
lich von  Oder  und  Neiße  unter  polnische  und 
Nordostpreußen  unter  sowjetische  Verwaltung, 
sondern  bewilligten  im  Artikel  XIII  die  Auswei- 
sung der  Deutschen  mit  den  Worten:  „Die  drei 
Regierungen  erkennen  an,  daß  die  Überführung 
der   deutschen  Bevölkerung  oder   Bestandteile 
""  derselben    die  in  Polen,  der  Tschechoslowakei 


Die  Vertreibung  der  Deutschen  aus  Ostmitteleuropa  /  Von  Claus  Gennrich 


der  Ostseeküste  bis  nach  Schlesien  von  Deutschen 
geräumt  r^ine  Vier^elmillion  Menschen  war,  als 
die  Konferenz  der  Sieger  am  17.  Juli  begann,  aus 
Ostpjmm^-rn,  Ostbrancenbui.,,  Niederschlesien 
und  aus  Danzig  ausgetrieben.  Nicht  mehr  mit 
Trecks  kamen  sie  jetzt,  sondern  zu  Fuß,  abge- 
rissen, mit  klapprigen  Handwagen,  Kinder  an 
der  Hand,  beraubt  und  geschlagen,  in  verworre- 
nen Knäueln  über  die  Oderbrücken,  über  die 
gleichzeitig  zurückkehrende  Flüchtlinge  in  der 
Gegenrichtung  strömten.  Polen  schuf  rasch  voll- 
endete Tatsachen. 

Mit  den  Hunderttausenden  von  überrollten 
und  heimgekehrten  Flüchtlingen  waren  nach  der 
Kapitulation    fünfeinhalb   Millionen   Menschen 


Volkssturm,  über  ihr  Verhalten  gegenüber 
Kriegsgefangenen  und  Fremdarbeitern  verhört, 
ob  sie  etwa  Partisanen  seien,  und  dann  in  die 
Lager  getrieben.  Ande:e  wurden  von  der  Straße 
weg  aufgegriffen  und  auf  Lastwagen  verladen, 
und  vielerorts  verlangten  Plakate,  daß  die  Män- 
ner zwischen  16  und  60  Jahren  sich  zu  stellen 
hätten.  Wenn  auch  Frauen  in  die  Sammelstel- 
len, meist  Kirchen  und  Schulen,  geholt  wurden, 
blieben  die  Kinder  allein  zurück. 

Sammellager  waren  Insterburg,  Graudenz 
und  Schneidemühl,  Schwiebus  in  Brandenburg, 
Posen,  Landsberg/Warthe  und  Sikawa  bei  Lodz, 
Beuthen  und  Krakau.  Dort  lagen  die  Menschen 
auf  engstem  Raum  zusammengepfercht  auf  dem 


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Auf  dem  Lehrter  Bahnhof  in  Berlin 


Foto  Ullstein/Eschen 


transporte  nach  Deutschland  verließen  die  La- 
«er  im  Herbst  1945,  die  letzten  1949.  Auch  jetzt 
noch  starben  viele  an  Ruhr,  Typhus  und  Fleck- 
fieber; die  Leichen  wurden,  wenn  die  Züge 
hielten,  neben  den  Gleisen  verscharrt  oder  auf 
Bahnhöfen  liegengelassen. 

Zur  Zwangsarbeit  wurde  auch  verpflichtet, 
wer  nicht  deportiert  worden  war.  Überall  in  den 
besetzten  Gebieten  richteten  die  sowjetischen 
Kommandanturen  Militärkolchosen  und  Arbeits- 
lager ein;  die  arbeitsfähige  Bevölkerung  hatte 
die  Versorgung  der  russischen  Truppen  sicher- 
zustellen. Da  niemand  mehr  Uhren  besaß,  rief 
in  den  Dörfern  am  frühen  Morgen  eine  Glocke 
zum  Appell,  bei  dem  die  Feldarbeit  eingeteilt 
wurde.  Brot  bekam  nur,  wer  selbst  arbeitete; 
Mütter  mußten  von  ihrer  eigenen  kargen  Ration 
auch  noch  die  Kinder  ernähren.  Frauen  waren 
selbst  bei  der  Arbeit  nicht  sicher  vor  den  russi- 
schen Bewachungskommandos,  und  nachts  hall- 
ten Schreie  und  Schüsse  durch  die  finsteren  Ort- 
schaften. 

Hunger  und  Rechtlosigkeit 

Am  ärgsten  hungerten  die  250  000  Deutschen 
im  nördlichen  Ostpreußen.  Im  Juni  1946  wurden 
die  Brotzuteilungen  eingestellt;  auch  von  den 
Feldern  gab  es  bald  nichts  mehr  heimlich  zu 
holen;  die  Vorräte  an  Kartoffeln,  aus  verlasse- 
nen Kellern  geborgen,  waren  schon  lange  er- 
schöpft. Seit  dem  November  1945  wurden  Ar- 
beitsunfähige ausgewiesen,  wer  bleiben  mußte, 
hatte  zehn  bis  zwölf  Stunden  täglich  zu  arbeiten. 
Die  Häuser  der  Städte  blieben  verwüstet,  die 
Deutschen  drängten  sich  zu  ihrem  Schutze  in 
wenigen  Häusern  und  dort  wieder  in  einigen 
Zimmern  zusammen.  Als  1946  Zivilrussen  ins 
Land  zu  strömen  begannen,  suchten  sie  sich  die 
besten  der  noch  bewohnbaren  Häuser  aus.  Die 
Deutschen,  die  gerade  eine  Wohnung  wetterfest 
gemacht  hatten,  mußten  sich  anderswo  ein  Un- 
terkommen schaffen.  Je  mehr  Russen  nachruck- 


ten, desto  öfter  hatten  die  Deutschen  umzuzie- 
hen, immer  weiter  rutschten  sie  hinunter  bis  in 
die  schlechtesten,  verkommensten  Winkel,  und 
jedesmal  von  neuem  versuchten  sie  sich  einzu- 
richten, schleppten  herumliegenden  Hausrat 
heran  und  machten  eine  Behausung  daraus. 

Froh  war,  wer  in  der  Nähe  der  litauischen 
Grenze  lebte.  Dort  gab  es.  wie  in  Gumbinnen, 
den  schwarzen  Markt,  auf  dem  Litauer  Lebens- 
mittel anboten.  Der  geringe  Erlös  der  Zwangs- 
arbeit, Kleidungsstücke,  aus  unbenutzten  Woh- 
nungen genommene  Einrichtungsgegenstände 
und  letzte,  bis  dahin  sorgsam  verborgene  Wert- 
sachen, wie  Schuhwerk,  wurden  dagegen  einge- 
tauscht. Ergiebiger  noch  war  die  Bettelfahrt  über 
die  Grenze  nach  Litauen.  In  den  Güterwagen 
versteckt,  auf  der  Hut  vor  Kontrollen,  fuhren  die 
Menschen  hinüber   und    kehrten  mit  Eßbarem 

71 1 T*  1  i  r*  rC 

In  Königsberg  bestand  diese  Möglichkeit 
nicht.  Wohl  gab  es  auch  dort  einen  schwarzen 
Markt,  aber  der  Hunger  war  zu  groß  und  die 
Rechtlosigkeit  zu  vollkommen.  Die  Deutschen 
beraubten  sich  untereinander,  Halbwüchsige  lau- 
erten Frauen  auf,  die  etwas  nach  Hause  trugen, 
und  erschlugen  sie.  Der  eisige  Winter  1946/47 
brachte  den  Höhepunkt  des  Hungers.  Kaum  ein 
Tag  verging  ohne  Raubmorde,  Verhungerte  la- 
gen auf  den  Straßen  und  in  den  Kellern  herum, 
Abfälle  der  russischen  Haushalte  und  —  es  kam 
vor  —  Menschenfleisch  waren  die  letzte  Nahrung. 
Über  Königsberg  lag  Leichengeruch.  Jon  den 
70  000  Königsbergern,  die  1945  nocli  in  der  Stadt 
waren,  lebte  im  Sommer  1947  nur  noch  die 
Hälfte.  Zu  dieser  Zeit  bevölkerten  bereits  w^eit 
mehr  Russen  als  Deutsche  die  Hauptstadt  des 
Bezirks  Kaliningrad,  wie  Königsberg  nun  hieß. 
Obgleich  sich  die  Ernährung  von  1947  an  bes- 
serte, kam  die  Ausweisung  in  den  Jahren  1947 
und,  1948  als  Erlösung.  Nur  „Spezialisten  ,  Hand- 
werker, verdienten  genug  zum  Lebensunterhalt; 
manche  von  ihnen  und  diejenigen,  die  ganz  nacti 
Litauen  zogen,  bUeben  von  der  Ausweisung  aus- 
genommen. 


In  einem  ausgebluteten  Land 


unter    russische    Militärverwaltung    und    dann  \   Fußboden,  ohne  sanitär!  Anlagen,  standig  Miß- 

...       —..,,,.,.      _.--_    T^   r^-1-1 — i —     I     1 11  —  ,^^    "'iggpgrtTlt   M'hlT'1  'i^U:  Unu    PRl   P.äiU 


In  den  übrigen  Gebieten  war  im  Sommer  oder 
Herbst  1945  die  sowjetische  Militärverwaltung 
in  polnische  Zivilhoheit  übergegangen.  Nun  be- 
gann eine  neue  Welle  von  Verhaftungen,  Ver- 
hören, Mißhandlungen  und  Strafen  vor  allem 
im  oberschlesischen  Bezirk  Kattowitz.  DiejDis. 
herigen  Sammellager  der  Deportation  dienten 
jetzt  den  Polen  als  Internierungslager  für  Deut- 
sche. Mittellose  Polen  strömten  aus  den  an  Rui5- 
land  gefallenen  polnischen  Ostgebieten  in  die 
deutschen  Orte,  sie  nahmen  Häuser  und  Hofe  in 
Besitz,  und  wenn  die  bisherigen  Eigentumer  noch 
dort  waren,  zogen  sie  in  Kammern  und  Stalle 
und  hatten  als  Knechte  zu  arbeiten,  oder  sie 
mußten  mit  etwas  Handgepäck  fortgehen.  Ein 
Dekret  hatte  schon  im  März  verfugt,  daß  „auf- 
gegebenes Vermögen«  einschließlich  allen  Ver- 
mögens deutscher  Staatsangehöriger  an  Polen 

falle 

Doch  das  Land  war  bereits  ausgeblutet,  als 
die  Polen  es  in  Besitz  nahmen.  Seine  Reichtumer 
hatten  den  Weg  in  die  Sowjetunion  genommen. 
Die  deutschen  Bewohner  taugten  bei  der  Arbeit 
nicht  mehr  viel,  sie  waren  entkräftet.  Ihnen 
stand  kein  Wasser  und  keine  Seife  zu  Gebote, 


Bei  der  ersten  Austreibungswelle  vor  der 
Potsdamer  Konferenz  mit  ihrem  Höhepunkt  im 
Juni  hatten  sich  die  Anordnungen  der  Russen 
und  Polen  häufig  widersprochen.  Polen  verfug- 
ten den  Auszug  der  Deutschen,  Russen  verboten 
ihn  und  erzwangen  manchmal  mit  Watten- 
gewalt den  Rückmarsch.  Dennoch  räumten  die 
Polen  mit  Schüssen,  Peitschen  und  Gewehrkol- 
ben Straßenzüge  und  Ortschaften  und  trieben 
die  Bewohner,  die  unterwegs  meist  vollends 
ausgeraubt  wurden,  in  tagelangen  Fußmarschen 
über  Oder  und  Neiße. 

Im  Viehwagen  nach  Westen 

Nach  der  Konferenz  von  Potsdam,  vor  allem 
nach  den  Ausführungsbestimmungen  des 
Alliierten  Kontrollrats  vom  Oktober  und  No- 
vember 1945,  wurden  Viehwagen  für  die  Trans- 
porte benutzt.  Zuerst  wies  man  die  nicht  mehr 
Arbeitsfähigen  aus,  ohne  auf  Jamilien  Ruck- 
sicht zu  nehmen.  Von  Juli  an  durften  Antrage 
auf  die  Ausreise  gestellt  werden;  das  Eigen- 
tum wurde  dabei,  um  den  Anschein  der  Frei- 


TT 


* 

t 


Deutschland  durchgeführt  werden  muß."  ^as 
habe  „in  geordneter  und  humaner  Weise     zu 

^^^Die  Warschauer  Regierung  verstand  unter 
Polen  von  Anfang  an  auch  die  deutschen  Ostge- 
biete. Schon  im  Juni,  noch  vor  der  Konferenz  in 
Potsdam,  hatte  die  polnische  Miliz  einen  hundert 
bis  zweihundert  Kilometer  breiten  Streifen  von 


waren  es  zweieinhalb  Millionen;  in  Ostpom- 
mern, wo  sich  in  den  Orten  um  Stolp  und  Lauen- 
burg die  Bevölkerung  nur  um  ein  Viertel  ver- 
ringert hatte,  eine  Million;  in  Ostpreußen 
800  000,  davon  diQ  meisten  in  den  südlichen,  zu 
Polen  geschlagenen  Kreisen;  in  Ostbrandenburg 
350  000  und  in  Polen  800  000  Deutsche.  Sie  alle 
wurden  vom  Strudel  der  Katastrophe  erfaßt. 


unzureichendem   E?sen- 
sich.  Auf  den  Märschen 
Wasser   aus  Pfützen    ui| 
Darmerkrankungen    un< 
Folge.  Aus  Schlesien  wu 
die  Sowjetunion  gebra  ' 
dem   westlichen    Ostpot 
57  000,  aus  dem  westlf 
preußen  und  dem  östr 


Eine  Kette  von  Gewalttaten 


Wer  sein  Haus,  seinen  Hof  und  seinen  Besitz 
nicht  hatte  verlassen  wollen  und  daheim  geblie- 
ben war,  wer  gehofft  hatte,  zu  Hause  noch  bes- 
ser das  Kommende  zu  überstehen  als  mit  der 
ganzen    Familie    auf    den    Winterstraßen    der 
Flucht,  wer  angesichts  der  verstopften  Wege  die 
Aussichtslosigkeit  eines  Aufbruchs  erkannt  nat- 
te  und  auch  wer  im  Vertrauen  auf  die  eigene 
antifaschistische   Gesinnung,   vielleicht   auf   die 
frühere    Zugehörigkeit    zur    Kommunistischen 
Partei,  den  sowjetischen  Siegern  entgegensah, 
der  wurde  ebenso  von  den  Schrecken  der  Beset- 
zung niedergeworfen  wie  die  von  den  Panzern 
überraschten  Trecks  im  offenen  Land.  In  einem 
Wirbel  versank  das  bisherige  Leben,  das  Gefuge 
der  Zivilisation  zerbrach.  Als  die  ersten  sowje- 
tischen Fronttruppen  weiter  nach  Westen  gezo- 
gen und  andere  ihnen  gefolgt  waren,  reihten  sich 
die  Gewalttaten  zu  einer  Kette,  aus  der  es  kein 
Entrinnen  gab.  Kaum  eine  Frau  entging  wäh- 
rend der  ersten  Monate  Vergewaltigungen,  an 
denen  viele  schließlich  jämmerlich  starben.  Oft 
wurden  Väter,  die  ihre  Töchter,  Männer,  die  ihre 
Frauen  schützen  wollten,  erscliossen.  Plünderun- 
gen waren  das  kleinere  Übel,  sie  verstanden  sich 
sozusagen  von  selbst.  Die  Betten  und  Polster  wur- 
den aufgeschnitten,  die  Schränke  geleert  und  der 
Hausrat  verstreut,  und  oft  wurden  die  Bewoh- 


ner aus  ihren  Häusern  und  Orten  gejagt,  für 
Tage,  und  wenn  sie  zurückkehren  durften,  fan- 
den sie  ihre  Habe  verwüstet.  Das  Vieh  wurde, 
wenn  es  nicht  auf  Müitärkolchosen  kam,  in  gro- 
ßen Herden  nach  Osten  getrieben. 

Dem  Vieh  aber  folgten  Menschen.  In  langen 
Kolonnen  schleppten  sich  Männer  und  jüngere 
Frauen,  von  Soldaten  mit  Hunden  bewacht,  zu 
den  Sammellagern,  von  denen  die  Deportations- 
züge in   die  Sowjetunion    abgingen.    Wer    ge- 
schwächt  am   Wegrand  liegenblieb    oder    wer 
sich  von  einer  Brücke  ins  Wasser  stürzte,  wurde 
mit  dem  Gewehrkolben  erschlagen  oder  erschos- 
sen. Die  Vereinbarung  der  Konferenz  von  Jalta, 
daß  die  Sowjetunion  als  Teil  der  Reparationen 
deutsche  Arbeitskräfte  zum  Wiederaufbau  des 
zerstörten  Landes  einsetzen   könne,  begann  zu 
wirken.   Jede    sowjetische   Heeresgruppe    hatte 
ein  Soll  an  Deportierten  zu  erfüllen.  Wo  es  nicht' 
genug  Männer  gab,  wurden  Frauen  ergriffen; 
aus  manchen  Orten  wurden  alle  noch  halbwegs 
arbeitsfähigen  Männer   geholt,    andere   wieder 
blieben  verschont.   Parteigenossen,  Bürgermei- 
ster, Gutsbesitzer,  Besitzer  von  Jagdwaffen  oder 
irgendwelchen  Uniformen  und  Abzeidien  wur- 
den, wenn  nicht  erschossen,  als  erste  festgenom- 
men. Verdächtige  wurden  lange,  oft  unter  Schlä- 
gen, über  ihre  Zugehörigkeit  zur  Partei  und  zum 


und  aus  dem  übrigen  oltpreußen  44  000,  meist 


Sachen    griffen    um 

atten  die  Durstenden 

Gräben    getrunken. 

Typhus  waren  die 
en  62  000  Deutsche  in 

aus  Ostbrandenburg, 
iern  und  Westpolen 
n  Ostpreußen,  West- 
n  Ostpommern  55  000 


[völkerung  am  gering- 
en es  zweihundertacht- 


Frauen,  weil  hier  die 
sten  war.  Zusammen  wa 
zehntausend  Menschen.  H 

In  den  Güterzügen,  <äie  nach  Osten  rollten, 
starb  während  der  drei  Wochen  langen  Fahrt 
ein  großer  Teil  der  Insassen.  Die  Krankheiten 
und   der  Hunger   fraßen   an  den   Kräften   der 
Überlebenden,  so  daß  nach  der  Ankunft  in  den 
russischen  Lagern   die   Deportierten   trotz   der 
dort   besseren    Ernährung    bald    von   Hunger- 
ödemen  und  ruhrartigen  Durchfällen   befallen 
wurden;  ungezählte  gingen  an  Entkräftung  und 
Herzschwäche  zugrunde;  sie  wurden  am  Lager- 
rand verscharrt.  Die  Schikanen  und  Mißhand- 
lungen der  Sammellager  wiederholten  sich   in 
der  Sowjetunion  nicht,  und  sowjetische  Arzte 
waren  nach  besten  Kräften  um  die  Deutschen 
bemüht.   Aber  gewöhnlich  unternahm  die   so- 
wjetische Lagerleitung  nichts   gegen  die  Kor- 
ruption  der   polnischen   und   deutschen   Abtei- 
lungsverwalter  und    Küchenmannschaften;    die 
Kommandanten     hatten,     wenigstens     in     der 
ersten  Zeit,  kein  Interesse  an  der  Verwaltung. 
Die  von  Stacheldraht  umzogenen  Barackenlager 
v/aren  über  die  ganze  Sowjetunion  von  der  Eis- 
meerküste über  den  Kaukasus  bis  nach  Turk- 
menien  verstreut,   es  gab   sie   am    Ob   und   im 
Donezbed^en.  Die  Deportierten  mußten  Bäume 
fällen  und  zersägen,  sie  wurden  zu  Erd-  und 
Torfarbeiten,    zur  Förderung   von   Kohle    und 
Erz,    in   Steinbrüchen,    Ziegeleien   und    in    der 
Landwirtschaft    eingesetzt.    Die    ersten    Rück- 


sich  sauber  unc  — .    ■«  _ 

Typhus  brach  aus  und  raffte,  besonders  m  Pom- 
mern, Zehntausende  fort.  Die  Intemierungslager 
in  Zentralpolen  vermittelten  Gefangene  an  pol- 
nische Bauern,  Kinder  kamen  in  staatliche 
Heime,  ^vo  sie  verwahrlosten  und  später  zu  Po- 
len erzogen  wurden.  . 

In  dem  noch  am  stärksten  deutsch  be.s.iedel- 
ten  oberschlesischen  Industriegebiet  bean- 
spruchten die  Polen  nicht  überall  sofort  Häu- 
ser und  Wohnungen,  sondern  mieteten  sich  zu- 
nächst in  Zimmer  ein  und  verdrängten  die 
Deutschen  allmählich.  Auch  die  Plünderungen 
nahmen  hier  nicht  so  maßlose  Formen  an.  Aber 
die  Zwangsarbeit  bestand  wie  überall,  Frauen 
mußten  Eisenbahnschwellen  tragen,  Eichenboh- 
len für  den  Brückenbau  heranschleppen  und 
Ziegel  abtragen.  Wer  deutsch  sprach,  wurde  be- 
schimpft und  bekam  als  letzter  sein  Essen. 
Männer,  die  sich  unter  Tage  lange  versteckt 
gehalten  hatten,  um  den  Deportationen  zu  ent- 
gehen —  allein  aus  Beuthen  waren  elftausend 
Männer  nach  Rußland  verschickt  worden  — , 
wurden  zu  Notstandsarbeiten  in  den  Gruben 
herangezogen.  Gefürchtet  war  die  polnische 
Bürgermiliz. 

Die  Miliz  raubte  und  sdiikanierte  oft  im 
Auftrag  von  Privatpersonen.  Unter  den  polni- 
schen Beamten  in  Breslau  war  es  beliebt,  sich 
Milizionäre  zu  kaufen,  die  deutsche  Wohnungen 
zu  besetzen  und  deren  Eigentümer  mit  gerin- 
gem Gepäck  binnen  einer  halben  Stunde  zu 
vertreiben  hatten.  Dann  gingen  die  Beamten 
zum  polnischen  Wohnungsamt,  sagten,  sie  hät- 
ten eine  Wohnung  gefunden,  erhielten  einen 
Berechtigungsschein  und  verkauften  nun  die 
Wohnung  und  das  Inventar  weiter.  Denn  sie 
selbst  besaßen  längst  Wohnungen.  Die  Bres- 
lauer Läden  führten  bald  wieder  ein  ver- 
gleichsweise reichhaltiges  Angebot  an  Lebens- 
mitteln, Doch  kein  Deutscher  hatte  das  Geld, 
sich  dort  zu  versorgen. 


jJbersdirieber^Ei^entralpolen,    wo   Deutsche 
weiße  Armbinden  tragen  mußten,  hatten  ohne- 
hin Dekrete  über  die  „Ausscheidung  feindlicher 
Elemente    aus    der    polnischen    Volksgemein- 
schaft" und  über  „Sicherungsmaßnahmen  gegen 
Verräter    der    Nation"    die    entschädigungslose 
Enteignung     verfügt.     Die     Ausweisung     aller 
Deutschen    aus    Zentralpolen    wurde    erst    mit 
einem  Dekret  im  September  1946  beschlossen. 
In  den  deutschen  Ostgebieten  setzte  bald  der 
Druck  auf  die  Bevölkerung  ein,  die  polnische 
Staatsbürgerschaft    anzunehmen.    Vielen    blieb 
nicht  einmal  die  Alternative  der  Ausweisung; 
wenn    sie    gesuchte    Arbeitskräfte   waren,    ließ 
man   sie  nicht  ziehen,   sondern   zwang  sie  mit 
Schlägen  und  Haft  zur  Option  für  Polen. 

In  den  Ausführungsbestimmungen  des  Kon- 
trollrats war  vorgesehen,  daß  die  sowjetische 
Besatzungszone  zwei  Millionen  Ausgewiesene, 
die  britische  Zone  anderthalb  Millionen  auf- 
zunehmen habe.  Transporte  mit  400  000  Men- 
schen gingen  während  des  Jahres  1945  in  die 
sowjetische  Zone.  1946  hatten  die  Züge  die  eng- 
lische Zone  zum  Ziel;  zwei  Millionen  Ausgetrie- 
bene kamen  in  diesem  Jahr.  Denn  viele  schlös- 
sen sich  freiwillig  den  Transporten  an,  ohne  sich 
um  die  Aufnahmczahlen  des  Kontrollratsbe- 
schlusses zu  scheren.  Die  Übergangsstellen  aus 
dem  polnischen  Verwaltungsbereich  waren  Stet- 
tin-Scheune an  der  Oder  und  Kohlfurt  bei 
Görlitz  an  der  Neiße.  In  Scheune  wxirden  die 
Ausgewiesenen  noch  einmal  bis  aufs  Hemd 
ausgeraubt.  Schon  vorher  waren  polnische  Plün- 
derer auf  freier  Strecke  nachts  auf  die  langsam- 
fahrenden Züge  aufgesprungen  und  hatten  mit- 
genommen, was  sie  zu  fassen  bekamen. 

Im  Jahre  1947  ließen  die  Plünderungen  nach. 
500  000  Ausgetriebene  kamen  in  diesem  Jahr; 
die  meisten  Transporte  führten  in  die  sowjeti- 
sche Zone.  1948  und  1949  waren  es  nur  noch  je- 

(Fortsetzung  auf  der  folgenden  Seite) 


S 

5 


/hre  Re/sekassef 


American  Express  Travelers  Cheques: 
Mit  unverlierbarem  Geld  wie  bar  bezaiilen 

„Wie  das  passiert  ist?  Das  weiß  ich  heute  noch  nicht. 
Jedenfalis  saß  ich  seeienruhig  in  diesem  netten  Lof<ai 
in  Madrid.  Bis  ich  merkte,  daß  meine  Brieftasche  weg 
war.  Mit  dem  ganzen  Reisegeid  und...  Nun,  zum  Glück 
hatte  mir  meine  Bank  daheim  den  Tip  gegeben,  für  mein 
Geld  American  ExpressTravelers  Cheques  zu  kaufen... 
Also,  meine  Uhr  als  Pfand  für  die  Rechnung  dagelassen. 


Und  dann  zumAMEXCO-Büro  in  Madrid.  Dort  ersetzten 
sie  mir  anstandslos  meine  verschwundenen  Schecks, 
Meine  Reise  konnte  weitergehen..." 
Das  passierte  Herrn  Günter  W.  aus  Bremen.  Es  kann 
auch  Ihnen  passieren!  Lassen  Sie  sich  nicht  durch  ver- 
lorenes Geld  Ihre  Reise  verderben !  Fragen  Sie  bei  Ihrer 
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Nr.  49 


MB  —  9.  Dezember  1966 


Seite  5 


S.  BRAUN 


Aus  der  Zeit  der  Entstehung  des  Nobelpreises 


Am  12.  Dezember   1896  starb  in 
San  Remo  im  63.  Lebensjahr  Alfred 
Nobel.  Letztwillig  hatte  er  die  Er- 
richtung eines  Fonds  bestimmt,  aus 
dessen  Zinsen  alljährlich  fünf  Prei- 
se    an    solche    zu    verteilen    seien, 
die  "für   das   Wohl   der   Menschheit 
Erspriessliches      geleistet      haben''. 
Das  war  die  Geburt  des  Nobelprei- 
ses    der  infolge  eines  Anfechtungs- 
prozesses   seitens    der    Verwandten 
Alfred    Nobels     erst     1901     verteüt 
werden   konnte.    Den   Friedenspreis 
erhielt   damals    Henri   Dunant,   der 
Begründer  des  Roten  Kreuzes. 

Am  14.  Februar  1896  erschien 
Theodor  Herzls  „Judenstaat",  also 
zehn  Monate  vor  Nobels  Heimgang. 
Wir  wissen  nicht,  ob  der  Menschen- 
freund diese  Schrift  gelesen  hat; 
gehört  hat  er  ohne  Zweifel  von  ihr 
durch  seine  Freundin  Bertha  von 
Suttner,  und  sicherlich  hätte  er 
Herzls  Ideen  gebilligt,  wäre  ihm 
eine  längere  Lebensdauer  beschie- 
den gewesen. 

Die   Gräfin   Bertha   von   Suttner, 
geb.    von    Kinsky,    wurde    1843     in 
Prag  geboren.  Sie  war  eine  begabte 
Schriftstellerin    und    Sängerin    und 
mehrerer  Sprachen  mächtig.  In  den 
siebziger  Jahren  wählte  sie  als  ih- 
ren zukünftigen  Gatten  den  Baron 
Artur    G.    von    Suttner    aus    Wien. 
Auch   er,    der   Jura   studiert   hatte, 
wurde  freier   Schriftsteller  und  er- 
wies sich  gleich  seiner  zukünftigen 
Gefährtin  als  ein  wahrer  Kämpfer 
gegen  das  Unrecht  in  der  Welt  imd 
nicht  zuletzt  gegen  den  Judenhass. 
Das  Unrecht  in  jeder  Gestalt  schien 
ihnen  als  Wurzel  der  Kriege;  diese 
Erkenntnis  gab  ihnen  die  Richtung 
ihres  Lebensweges. 


Alfred  Nobel,  Bertha  von  Suttner  und  Theodor  Herzl 


Des   Barons    Mutter   billigte   die 
geplante  eheliche  Verbindung  nicht. 
Deshalb  entschloss  sich  Bertha,  ei- 
ne Zeit  lang  aus  Wien  fortzugehen 
und  zu  warten,  ob  sich  eine  wirt- 
schaftlich     ausreichende     Existenz- 
grimdlage  für  ein  junges  Paar  ohne 
eigenes    Vermögen     werde     finden 
lassen-    Eines   Tages   kam   ihr   eine 
Zeitungsannonce  zu  Gesicht  folgen- 
den  Wortlauts:    ,,Ein    sehr    reicher, 
hochgebildeter  älterer  Herr,  der  in 
Paris  lebt,  sucht  eine  sprachenkun- 
dige Dame,  gleichfalls  gesetzten  Al- 
ters, als  Sekretärin  und  zur  Ober- 
aufsicht des  Haushalts.  "  Es  stellte 
sich  bald  heraus,  dass  der  Suchen- 
de der   schwedische   Chemiker   und 
Erfinder    Alfred    Nobel    war.    Nach 
einem     längeren    Briefwechsel    mit 
Bertha  wurde   ihr   die  Stelle  über- 
tragen.   Sie   trennte   sich   schv/eren 
Herzens    von    dem    jimgen    Baron, 
reiste  nach  Paris,  wurde  von  Nobel 
am   Bahnhof   abgeholt,    sollte   aber 
vorläufig   in   einem   Hotel    wohnen, 
da   ihre   Zimmer   in   Nobels   Palais 
noch  nicht  angemessen  ausgestattet 
waren.    Indes    wartete    die    Gräfin 
nicht  ab;  ihre  Sehnsucht  nach  Wien 
und   ihrem    Verlobten     war     über- 
mächtig.   Sie    bat    Nobel    um    Ver- 
ständnis  und   fuhr   nach   Wien   zu- 
rück.   Im   geheimen   liess   sich   das 
Paar  trauen  und  ging  zu  Freunden 
in   die   Berge   des   Kaukasus.    Dort 
begannen    beide,    journalistisch    zu 
arbeiten,    und    Bertha    gab    Sprach- 
imd    Musikstunden.    Die    briefliche 
Verbindung   mit  Nobel  wurde  wei- 
terhin bis  zu  seinem  Tode  gepflegt. 
Bemerkenswert   ist   Nobels   Aeusse- 
rung  in  einem   seiner  Briefe:    „Ich 
möchte   einen   Stoff  oder  eine   Ma- 
schine   schaffen    können,     von     so 
fürchterlicher     massenhaft     verhee- 
render Wirkung,  dass  dadurch  Krie- 
ge   überhaupt    unmöglich    würden." 
Dieser  Absatz  erinnert  an  ein  Wort 
Herzls,  der  rund  zwanzig  Jalire  spä- 


ter sagte:  „Ein  Mann,  der  ein 
furchtbares  Sprengmittel  erfindet, 
tut  mehr  für  den  Frieden  als  tau- 
send milde  Apostel." 

1887   besuchten   die   Suitners    ih- 
ren   Freund    und    Gesinnimgsgenos- 
sen   Nobel   in  Paris.   Bei  einer  Ge- 
sellschaft trafen  sie  unter  den  Gä- 
sten u.a.  Max  Nordau  und  Wilhelm 
Loewenthal,  die  beide  nach  Ueber- 
windung     von     Zweifeln     sich     der 
Friedensbewegung  anschlössen.  Loe- 
wenthal,    ein    gebürtiger    Berliner, 
war  Professor  für  Hygiene  in  Lau- 
sanne und  Paris.  Loev/enthal  erzähl- 
te   der    Baronin,    dass    in    London 
eine  „International  Peace  and  Arbi- 
tration  Association"  bestehe,  deren 
Zweck  es  sei,  durch  Organisierung 
der   öffentlichen   Meinung   die   Ein- 
setzung eines        internationalen 
Schiedsgerichts  herbeizuführen,  wel- 
ches    an    Stelle    von    Waffengewalt 
zwischenstaatliche      Streitfälle      zu 
schlichten    hätte-    Es    gäbe    bereits 
Zweigvereine    in    Stuttgart,    Berlin 
(mit  Rudolf  Virchow  als  Präsiden- 
ten)   sowie    m    Rom    und    in    den 
nordischen     Staaten.     Kurze      Zeit 
nach  dieser  Aussprache  begann  die 
Baronin    das    Buch    zu    schreiben, 
welches    üir    Weltruhm    einbrachte: 
„Die    Waffen    nieder".    Der    Roman 
erschien   1889  und  fand   rasch  Ver- 
breitung    in     vielen     Ländern     der 
Welt.    Neben    Worten     begeisterter 
Anerkennung  gab  es  heftige  Ableh- 
nung.  In  den  Spott-   und   Schmäh- 
briefen an  die  Verfasserin  und  in 
den    Pressekritiken,    las    man    von 
rührseliger     Albernheit,     aufdringli- 
cher    unkünstlerischer   Tendenzma- 
cherei   und    ähnliches.    Hohe    Aner- 
kennung fand  das  Buch  bei  einem 
sehr  bekannten  Publizisten  m  Russ- 
land, dem  Hof  rat  Iwan  von  Bloch, 
der  sich  des  Vertrauens  des  Zaren 
Nikolaus    II.    erfreute.    Er    empfahl 
dem  Zaren  die  Lektüre  des  Romans 
und    gab    ihm    die    Anregung,    sich 
mit  einem  eindringlichen  Friedens- 
manifest   an    die    Weltvölker      und 
ihre  Führer  zu  wenden.  Das  Mani- 
fest kam  1898  heraus.  Der  Zar  ver- 
langte, man  möge  kriegerische  Aus- 
einandersetzungen   in   Zukunft   ver- 
meiden   und    sich    zur    Schlichtung 
von   zwischenstaatlichen   Konflikten 
friedlicher  Mittel  bedienen. 


legierten    über    ihre    Stellung    zum 
Zionismus   zu   interviewen  und   die 
Ergebnisse   für    „Die   Welt'     festzu- 
halten. Es  sei  zu  hoffen,  dass  man 
dabei  auch  der  Audienzen  gedenke, 
die  Kaiser  Wilhelm   II.    1898  Herzl 
in    Konstantmopel    und    Jerusalem 
gewährt  habe.  Die  Baronin  erklärte 
sich  einverstanden,  bat  aber  Herzl, 
selbst  nach  dem  Haag  zu  kommen. 
Er  fuhr  im  Jvmi  —  als  Gast  —  zur 
Konferenz    und    lernt«    eine    Reihe 
von  einflussreichen  Diplomaten  und 
Politikern    kennen,    u.a.    Iwan    von 
Bloch,  den  er  bald  schätzen  lernte 
und  von  dem  er  manch  Interessan- 
tes  über   die   Hintergründe   erfuhr, 
die  zu  dem  Friedensaufruf  des  Za- 
ren geführt  hatten.  Bloch  schilder- 
te  Herzl   den   Ausbruch   einer   ern- 
sten   Krise    in    den    Verhandlungen 
des       Kongresses,       hervorgerufen 
durch  den  Einspruch  des  deutschen 
Delegierten  Dr.  Zorn  gegen  die  Er- 
richtimg       eines        internationalen 
Schiedsgerichtes,  welches  nur  dazu 
führe,       „die       Souveränitätsrechte 
der   Monarchen   und   die   Unabhän- 
gigkeit der   Staaten  zu  schädigen". 
Jetzt  bot  sich  Herzl   eine   günstige 
Gelegenheit,    als    Vermittler    einzu- 
springen. Bertha  v.  Suttner  erzählt 
hierüber  in  ihren  „Memoiren",  am 
15.    Jimi    sei    Andrew    White,      der 
Führer  der  USA-Delegation,  an  sie 
mit  der  Frage  herangetreten,  ob  sie 
etwas  tun  könne,  um  den  Kongress 
aus   der   Krise   herauszuführen;    sie 
habe  zugesagt,  einen  ihrer  Freunde 
zu    veranlassen,    durch    den   Gross- 
herzog   von    Baden    den    deutschen 
Kaiser   über   die   politische   Gefahr 
zu     informieren,     die    Deutschland 
drohe,    wenn    die    Kongressteüneh- 
mer  ohne  Dr.  Zorn  das  internatio- 
nale    Schiedsgericht     konstituieren 
würde;i.    Dieser    Freimd    war    kein 
anderer  als  Herzl.  Ein  Bericht  aus 
seiner    Feder,    gebilligt    von    Bloch 
und  der  Baronin,  ging  über  Karls- 
ruhe nach  Berlin-  Es  vergingen  nur 
wenige  Tage,  da  brachte  Bloch  die 
Nachricht    zu    Herzl,    sein    Bericht 
habe   Erfolg   gehabt;    Dr.   Zorn   sei 
abberufen  und  die  Krise  beseitigt, 
das  Schiedsgericht  entstand. 


Dem  Auftrag,  der  „Welt"  laufend 
über  den  Gang  der  Haager  Ver- 
handlungen zu  berichten,  kam  die 
Baronin  in  zuverlässiger  Weise 
nach.  Es  erschienen  nicht  nur  eine 
Reihe  ausführlicher  Artikel,  son- 
dern auch  Interviews  mit  bedeuten- 
den Kongressteilnehmem  wie 
Andrew  White,  dem  Franzosen  Leon 
Bourgeois,  Max  Nordau  u.a.m. 

Und  das  Ergebnis  all  dieser  Be- 
mühungen? Bertha  von  Suttner 
starb  am  21.  Juni  1914.  Eine  Woche 
später,  am  28.  Juni  wurde  der  Erz- 
herzog Franz  Ferdinand  ermordet, 
und  es  kam  zum  Ersten  Weltkrieg. 
Und  dann?  Die  technischen  Kriegs- 
werkzeuge haben  sich  in  furchtba- 
rer Weise  entwickelt;  statt  des 
„ewigen  Friedens"  droht  in  unseren 
Tagen  der  Untergang  der  Mensch- 
heit. 

Der  Friedenspreis  der  Nobelstif- 
tung ist  m  diesem  Jahr  nicht  ver- 
geben worden.  Die  Welt  ist  fem 
von  der  Verwirklichung  jener  Idee, 
der  Alfred  Nobel  dienen  wollte. 


I 

\mimmmimi 

■    HOLLAND  BANK  UNION 

I  Haifa      ♦      T«l- Aviv 


Bereits    vorher    hatten    Diploma- 
ten    aufgrund     eines     Aufrufs     der 
Gräfin  Suttner  über  dieses  Problem 
verhandelt.  Die  1899  im  Haag  durch- 
geführte  Konferenz   gewann   beson- 
dere Bedeutung.  Einer  der  interes- 
santesten TeUnehmer  war  der  Hof- 
rat von  Bloch,  der  m  den  Vollver- 
sammlungen vier  Referate  über  das 
Kriegs-  imd  Friedensproblem  hielt. 
Dieser  Mann  war  1836  als  Jude  in 
Warschau    geboren,    wurde    ein    er- 
folgreicher   Finanzier    und    Wissen- 
schaftler, der  die  Gunst  des  Zaren 
gewann.  Unter  seinen  Fachschriften 
war  die  bedeutendste  das  sechsbän- 
dige   Werk    „Der    Zukunftskrieg    in 
seiner   technischen,  volkswirtschaft- 
lichen  und   politischen   Bedeutung" 
(deutsch    1919   im   Verlag   Puttkam- 
mer, Berlin,  erschienen).  Bertha  v. 
Suttner     hatte     durch     Herzl     die 
„Neue  Freie  Presse"  bitten  lassen,  sie 
als  Berichterstatterin  nach  dem  Haag 
zu   schicken;   der   Vorschlag   wurde 
abgelehnt.  Herzl  lag  sehr  viel  dar- 
an,  aus    ihrer   Feder    laufende   Be- 
richte  zu  erhalten.    So   schickte  er 
sie    als    Vertreterin    seines    eigenen 
Blattes,   des  Organs   der   Zionisten- 
Organisation   „Die  Welt",   zur  Kon- 
ferenz.   Er    übertrug    ihr    zugleich 
die  Aufgabe,  die  massgeblichen  De- 


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Jede  Woche  finden  Sie  in  unserer  Zeitung  eine  unparteiische 
Stellungnahme  zu  den  Fragen  des  israelischen  Lebens,  eine 
konzentrierte  Darstellung  der  Weltereignisse.  Wir  bringen 
wichtige  und  interessante  Meldungen  in  Wiedergutma- 
chungsangelegenheiten, laufend  Berichte  über  Theater,  Mu- 
sUc  und  Kunst  in  der  Welt  und  in  Israel,  eine  ständige 
Information  über  kulturelle  und  soziale  Fragen  des  In- 
und   Auslandes. 


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Seite  6 


MB  —  9.  Dezember  1966 


Nr.  49 


Wirtschaftsdebatte  -  unsystematisch  betrachtet 

.,.    __   ^v,««   «rill    vo?af   Pinfi  pr-       schlage   aus   den   V 


"Mm 


„Eins  von  Null  geht  nicht,  da 
muss  ich  eins  borgen."  Diese  grund- 
legende Weisheit  jeder  Wirtschafts- 
politik steht  schon  bei  Heine.  Man 
muss  ihr  eine  weitere  Grundwahr- 
heit hinzufügen:  Borgen,  ja,  aber, 
man  muss  haben,  von  wem.  Und 
schliesslich  kommt  sehr  oft  dann 
auch  die  Zeit,  wo  man  zurückzah- 
len muss  und  eventuell   nicht  hat, 

wovon... 

Diese  Grundprinzipien  gelten,  so 
sonderbar  es  bei  der  anscheinend 
so  komplizierten  modernen  Wirt- 
schp.ftslehre  klingt,  sogar  noch  heu- 
te eine  Generation  nach  John  May- 
nard  Keynes.  Sie  werden  nur  durch 
die  verschiedensten  Ideologien 
überdeckt.  Sieht  man  ganz  genau 
hin,  so  braucht  man  heute  ebenso 
wie  zur  Zeit  der  alten  Ägypter  und 
zu  Lebzeiten  von  Karl  Marx  drei 
Dinge  für  wirtschaftliches  Gelingen: 
Kapital,  gewöhnlich  in  Form  von 
Geld,  wirtschaftliche  Fähigkeit  und 

Um,  wie  es  sich  bei  wirtschaft- 
lichen'   Bemerkungen     gehört,    mit 
dem    Ende    zu     beginnen:     Märkte 
kann  man  entweder  im  Inland  oder 
im  Ausland  oder  in  beiden  finden. 
Die  meisten  Wirt.schaftswunder,  wie 
zum  Beispiel  das  deutsche  und  das 
israelische,      fanden      die      inneren 
Märkte    beim  Anfang  ihres  Wieder- 
aufbaus   vor:     Deutschland    in    der 
Wiederherstellung  der  Kriegszerstö- 
rungen, Israel  in  der  Einwanderung. 
In  Deutschland  begann  das  Wunder 
an  Glanz  zu  verlieren,  als  der  Auf- 
bau beendet  war,  in  Israel,  als  die 
Einwanderung        abstoppte.        Das 
heisst,      der     Markt      begann      zu 
schrumpfen.    Es    gibt    eine    weitere 
Parallele  zwischen  der  Bundesrepu- 
blik nach   dem  Kriege   und   Israel: 
in  Deutschland  kam  das  nötige  Ka- 
pital von  der  Marshallhilfe,  in  Israel 
aus  den  verschiedenen  Auslandsquel- 
len. Es  waren  also  in  beiden  Fällen 
sowohl  Markt  wie  Kapital  in  genü- 
genden Mengen  vorh;;nden.  Und  was 
die  wirtschaftliche  Fähigkeit  betrifft, 
so  hatte  sie  Deutschland  noch  von 
vor  dem  Kriege  her  in  genügendem 
Masse  aus  der  Zerstörung  hinüber- 
gerettet.  In  Israel   wurde   sie   noch 
vor  der  Gründung  des  Staates  aus 
Europa    fertig    importiert.   Das   FvC- 
sultat:       zwei       Wirtschaftswunder. 
Selbstverständlich    gab    es     in     den 
Entwicklungen  weitgreifende  Unter- 
schiede, wie  z.B.  den,  dass  Deutsch- 
land lange  Zeit  von  der  Aufrüstungs- 
last befreit  v/ar,  während  Israel  ei- 
nen ungewöhnlich  hohen  Prozentsatz 
des    Nationalproduktes    in    militäri- 
sche   Rüstung    investieren     musste. 
Ausserdem  ist  jede  so  kurze  sche- 
matische  Darstellung   natürlich     zu 
stark   simplifiziert.   Die   Grundlagen 
jedoch  stimmen. 

Was   ergibt    sich   aus   dieser   Si- 
tuation für  die  augenblickliche  wirt- 
schaftliche Lage  in   Israel?  Vor   al- 
lem  die   Erkenntnis,   dass   die   Ein- 
wanderung als  solche  nicht  geniigt 
hätte,    um    uns    wirtschaftlich    ,,im 
Laufen"  zu  halten,  sondern  dass  sie 
nur  deswegen  als  wirksamer  Markt 
funktionieren  konnte,  weil  wir  das 
entsprechende  Kapital  zugleich   im- 
portieren konnten.  Hätten  wir  heute 
plötzlich  eine  neue  Einwanderungs- 
welle ohne  das  entsprechende   Auf- 
baukapital, so  würde  das  die  Krise 
nicht  beheben,  sondern  verstärken. 
Wir  hätten  jedoch  in  den  vergange- 
nen Jahren   nicht   nur   die   Einwan^ 
derung    aufnehmen,    sondern    auch 
die   Grundlagen   für    eine    ausgewo- 
gene   und    konkurrenzfähige     Wirt- 
schaft legen  können,  wenn   wir  öf- 
fentliche Verschwendung  und  Infla- 
tion  vermieden,   ehrlich   nach   wirt- 
schaftlicher Unabhängigkeit  gestrebt 
und  die   Arbeitsmoral   hochgehalten 
hätten.    Auch    dann    wäre    es    nicht 


einfach  gewesen,  die  Auslandshilfe 
durch  echtes  Investitionskapital  zu 
ersetzen  und  Märkte  zu  finden. 
Denn  weder  Kapital  noch  Märkte 
sind  im  Überfluss  vorhanden.  Bei 
dem  was  geschah,  müssen  wir  aber 
heute  für  den  E;:port  und  damit  für 
ein  ehrlich  verdientes  Einkommen 
erst    die    Grundlagen    schaffen. 

Die     heutige     Wirtschaftsdebatte 
sollte   sich   also   darauf   konzentrie- 
ren, die  geeigneten  Mittel  dafür  zu 
finden.    Sonderbarerweise    gibt     es 
aber    keine     derarti|:^e     umfassende 
und  ehrliche  Diskussion.  Jedenfalls 
nicht  in  der  Öffentlichkeit,  nicht  in 
der   Knesseth,   es   sei   denn   in   der 
sicheren  Abgeschlossenheit  der  Be- 
ratungszimmer   der   Kommissionen. 
Noch    schlimmer,    bei    Gesprächen 
über    Wirtschaftsfragen,    die     heute 
an  jeder  Strassenecke  geführt  wer- 
den,   spürt    man    die    Befriedigung 
an  Kritik  und  Klagen,   nicht    aber 
das   ehrliche   Bemühen   um    Besse- 
rung.   Dass    dem    so    ist,    liegt    na- 
türlich vor  allem  an  der  Regierung, 
die  immer   noch  meint,   sie  könnte 
„Aulklärung"    statt    Politik    treiben. 
Die  Minister  haben  immer  noch  zu 
viel    Zeit    für    interparteiliches    Ma- 
növrieren  und   viel   zu   wenig    zum 
Nachdenken  oder  zum  Studium  von 
Plänen  von  Experten,  wenn  es  sol- 
che gibt.  Das  Publikum,  das  wahr- 
.scheinlich  noch  mehr  Reserven  hat 


als  es  zugeben  will,  aeigt  eine  er- 
staunliche Geduld,  obwohl  es  sich 
dauernd  beklagt. 

Viele    unserer    Wirtschaftler    be- 
ruhigen  sich   immer   noch  mit   den 
Grundsätzen  von  Keynes,  dass  man 
durch  entschlossenes  Dirigieren  Kri- 
sen  vermeiden   könne.   Das   gilt   je- 
tioch  nur  so  weit,  wie  die  Bcschaf- 
tung    von    ßoschäftigung    und    Neu- 
verteilung des  Nationaleinkommens, 
die    mit    öffentlichen    Arbeiten    ver- 
bunden ist,  im   Rahmen  des  Natio- 
nale inkoimnens  bleibt.  In  den  Ver- 
einigten  Staaten   mit   ihrem   gewal- 
tigen     Produktionspotential       kann 
man     fraglos    das     Arbeitslosenpro- 
blem   lösen      ■    wenn    man    will    - 
indem  man  Sozialprojekte    aus  der 
öffentlichen  Hand  finanziert.  Wenn 
nämlich    der    private    Markt    gesät- 
tigt ist,  so  kann  man  auf  den  „So- 
zialmarkt", auf  den  Bau  von  Schu- 
len,   auf   Slumclearing    etc.    zurück- 
greifen.   Bei    uns    ist    das    nicht    so 
einfach.  Wir  können,  dass  soll  nicht 
geleugnet   werden,   noch    genug   zu- 
sätzliche  Schulen,  Spitäler,  bessere 
Wege   und   bessere   Wohnungen   für 
die    Armen   brauchen.    Wir   müssen 
sie  aber  bezahlen.  Das  hat  ein  Teil 
unserer  Politiker  immer  noch  nicht 
verstanden,    weil    er    in    alten    Vor- 
stellungen   der     Neuverteilung    des 
Nationaleinkommens  lebt.  Man  kann 
auch  nicht  Vorstellungen  und  Vor- 


schläge aus  den  Vereinigten  Staa- 
ten hierher  übernehmen,  weil  wir 
uns   eben  nicht  selbst   erhalten. 

Dieser    so    oft    wiederholte    Satz 
verlangt    eine    sehr    wichtige     Ein- 
schränkung. Wir  könnten  uns  auch 
heute  bereits  selbst  erhalten,  .iedoch 
auf  einem  sehr  viel  niedrigeren  Le- 
bensstandard.   Denn    wir    haben    in 
den   letzten   fünfzehn  Jahren    nicht 
nur    gewaltige     Kapitalmengen    be- 
kommen, sondern  sie  auch  zu  einem 
guten    Teil    in    produktiven    Unter- 
nehmungen   angelegt.    Wir    sind   je- 
doch im  Begriffe,  einen  Teil  dieses 
kostbaren   Kapitals   und   der    noch 
kostbareren      Menschen      zu       ver- 
schleudern. 

Das  muss  erst  einmal  klargestellt 
werden.  Weiterhin  brauchen  wir  die 
Erkenntnis,  dass  es  keine  rein  wirt- 
schaftliche    Fragen     gibt,     sondern 
dass   sie  sämtlich  aufs  engste    nüt 
politischen     verbunden     sind,     und 
dass   deswegen   ihre   Lösung  in  er- 
ster Linie  von  der  Konstellation  der 
Parteien  und  von  der  persönlichen 
Besetzung    der    Schlüsselposten    ab- 
hängt.   Es   kommt   heute   erst   gar 
nicht  zu  einer  Wirtschaftsdiskussion, 
weü  man  vor  der  grotesken  Situa- 
tion steht,  dass  dieselben  Leute,  die 
die   Krise   nicht   verhindert   haben, 
sie    jetzt    beheben    sollen.    Gesucht: 
eine  effektive  Opposition. 

GE.   LU. 


Aschheim-Ausstellung  im  Israel-Museum 


Anlässlich    des    75.    Geburtstages 
des  Malers  Isidor  Aschheim  ist  im 
graphischen   Ausstellungsraum     des 
Israel-Museum  eine  Auswahl  seiner 
Zeichnungen  und  Lithographien,  vor 
allem   aus    den   letzten   Jahren,    zu     . 
sehen.    Die    Büder    sind    besonders 
schön  angeordnet;  der  Katalog  ent- 
hält  eine   gute   Einleitung   von   Eli- 
sheva  Cohen,  die  nicht  nur  in  das 
künstlerische   Werk   Aschheims   ein- 
führt,  sondern   auch   seine   liebens- 
werte    Persönlichkeit     als     Freund 
und   Lehrer   zeichnet.     Jimge    Men- 
schen,   die    üir    Berufsstudium    als 
Künstler  beginnen,  ebenso  wie  Ael- 
tere,  die  in  ihrer  Freizeit  oder  nach 
abgeschlossener  Berufstätigkeit  sich 
der  Kunst  widmen,  verdanken  dem 
Unterricht  Aschheim.s  entscheidende 
Anregungen. 

Bedauerlich    ist,    dass    in    dieser 
Ausstellimg      der    sehr    bedeutende 
Kolorist  Aschheü-n  überhaupt  nicht 
erscheint.   Was   kürzlich  bei   Aricha 
im    Museum    möglich    war      (dass 
gleichzeitig  Oelbilder  imd  Zeichnun- 
gen  ausgestellt   vmrden),   wäre  bei 
Aschheim   bestimmt    am   Platze   ge- 
wesen.   Seine    Oelbüder    vom    Tibe- 
riassee   oder   die   Kuben   arabischer 
Bauten  in  ihrem  charakteristischen 
Grün,  geben  wirklich  die  in  Kunst 
transformierte  Atmosphäre  des  Lan- 
des; die  Zeichnungen  in  ihrem  sou- 
verän-lockeren Stil  erinnern  manch- 
mal  an  die   späten  Venezianer,   be- 
sonders  in   den   Meeresbildern,   bei 
denen   ja    auch    das   Motiv    ähnlich 
den   Venezianern   ist.    (In   der   Aus- 
stellung die  Zeichnungen  aus  Akko; 
leider    fehlen    die    aus    Italien,    die 
noch    stärker    die    Verwandtschaft 
mit  den  späten  Venezianern  zeigen.) 
Wie  sehr  Asciiheim  mit  der  israeli- 
schen    Landschaft     gerungen     hat, 
zeigt    in   der    Ausstellung    ein   Ver- 
gleich  der   etwas   zaghaften    „Land- 
schaft bei  Jawniel"    (1943),  No.    10, 
mit  den  20  Jahre  später  entstande- 
nen   Askalonbildern    (zB.    No.    31). 
So    ist    es    auch    interessant,      das 
Selbstporträt    des    jungen    Mannes 
aus  dem  Jahre  1924  (No.  8)  zu  ver- 
gleichen  mit   dem    lithographischen 
Siübstporträt    aus    der    letzten    Zeit 
(No.    42),    einem    reifen    und    auch 
im   Format   anspruchsvollen   Kunst- 
werk,     das    aber    zeigt,      wie    sehr 


Asclüieim  durch  mehr  als  vier  Jahr- 
zehnte  dieselbe   Künstlerpersönlich- 
keit geblieben  ist,  mit   seinen  aus- 
drucksvollen    Augen     in     die    Welt 
sieht   und   sie  uns   in  den  Werken 
seiner     Künstlerhand     zeigt,       das 
heisst  jetzt  vor  allem  unsere  Welt, 
das  Land  mit  seinen  Menschen.  Er 
ist    darin    emer    der    prominenten 
Vertreter    der    vor      dem      Zweiten 
•  Weltkriege     eingewanderten    Künst- 
lergeneration, deren  Verdienst  heu- 
te allzu  leicht  vergessen  wird.   Ha- 
ben sie  doch  aufgeräumt  mit  dem 
provinziellen   Kitsch   des    alten   Be- 
zalelstüs,  indem  sie  das  Land  und 
seine  Menschen  darstellten,  in  den 
Ausdrucksformen     moderner     euro- 
päischer Kunst,  dem  Stüe,  in  dem 
sie  in  Europa  zu  Künstlern  gereift 
waren. 

Isidor  Aschheim  wurde  am  14. 
Oktober  1891  in  Margonin  (Provinz 
Posen)  geboren.  Aschheim  arbeitete 
zunächst  als  kaufmärmischer  Ange- 
stellter, bis  er  sich  zum  Malerberuf 
entschloss  und  die  Kimstakademie 
in  Breslau  be.suchte,  wo  er  ein 
Schüler  des  Expressionisten  Otto 
Müller  wurde,  mit  dem  ihn  bis  zu 
dessen  Tode  eine  enge  Freundschaft 
verband. 

Aschheim  hatte  sich  schon  in 
Breslau  im  Kreise  der  jüngeren 
Künstler  einen  Namen  erworben, 
als  er  1933  durch  die  Nazis  aus  dem 
Breslauer  Kunstleben  entfernt  vmr- 
de.  Er  v/irkte  dann  als  Lehrer  an 
der  jüdischen  Schule  in  Berlm  und 
fand  gerade  noch  rechtzeitig  1939 
eine  Möglichkeit  zur  Alijah. 

Nach     schweren     Anfangsjahren 
wurde   er    1943   als   Lehrer   an   der 
Bezalelschule  angestellt,  —  für  ihn 
und    vor    allem      für    den    grossen 
Kreis     seiner     Schüler     eine     sehr 
glückliche    Wahl,    dank    seiner   per- 
sönlichen   Wärme    imd    Hüfsbereit- 
schaft,     jüngeren     Künstlern     ihren 
Weg   zu   zeigen  und  zu   erleichtem. 
—  Hunderte   kamen  ziir  Eröffnung 
dieser  Ausstellung,  so  dass  für  die 
später    Gekommenen    eine    Betrach- 
tung der  Bilder  unmöglich  war;  das 
zeigt  aber   so   recht  die  Beliebtheit 
„Aschis"  bei  Künstlern  und  kunst- 
interessiertem  Publikum. 

Aber   Freunde   sind   nun   einmal 
besonders    anspruchsvoll    und    ver- 


missen   hl    der    Ausüitellung    einige 
Meisterwerke,   die   sie   kennen   und 
lieben;    das    schöne    Büd    der    „Fi- 
scher am  Tiberiassee"  hat  auch  im 
Farbphoto   auf  Christen  immer  be- 
sonderen   Eindruck    gemacht,    weil 
hier     ohne     „Grenzüberschreitung", 
wie    sie    andere    jüdische    Künstler 
in    ihren    Darstellungen      religiöser 
Themen  begangen  haben,  doch  aus 
gegenwärtiger  Landschaft  und  Wirk- 
lichkeit des   Landes,  von  Aschheim 
ein     Bild     geschaffen     wurde,     das 
auc;h  zu  den  Christen  spricht  —  ei- 
ne  Erinnerung   der   Bedeutung   die- 
ses  Landes   nicht   nur   für   uns   Ju- 
den.    Wenn    wir   aber   schon     von 
„Grenzüberschreitungen"     sprechen: 
in  dieser  Ausstellung  fehlt  ims  vor 
allem  Aschheims  koloristisches  imd 
psychologisches  Meisterwerk    imter 
seinen    Porträts:    das    Oelbild    von 
Kurt    Blumenfeld.      Hier    hat    ein 
deutscher  Zionist  und  echter  Künst- 
ler  den   Charme   und   die   Resigna- 
tion   des    Blumenfeld    der    letzten 
Jahre     unvergleichlich     wiedergege- 
ben.   Wanmi    kopjite    nicht    wenig- 
stens  dies   eine   Oelbüd   aus   Fami- 
lienbesitz die  Ausstellung  zieren? 

HEINRICH  STRAUSS 


,  BLAU-WEISS'-TREFFWOCHE 
IN   ARAD 

In  der  Zeit  vom  13.— 21-  Januar 
findet   ein   Treffen   der   ehemaligen 
Chawerim   des    „Jüdischen   Wander- 
bundes   Blau-Weiss"     statt,    dessen 
Zentrum    die    „Beit    Blau-Weiss"-Ju- 
gendherberge  in  Arad  ist.  Die  Teil- 
nahme   kann   je    nach   Wunsch   für 
einen  oder  mehrere  Tage  erfolgen. 
An  jedem  Tag  sind  ein  halbtägiger 
Ausflug  im  Negev  und  dem  Gebiet 
des  Toten  Meeres  vorgesehen  sowie 
ein    Bild-Vortrag    auf    dem    Gebiet 
der   Landeskimde  imd  eine   Stunde 
Musik.    Eine   Kunst- Ausstellung   un- 
ter   Beteiligung    von    Käte    Efraira- 
Markus,     Hedwig     Grossman     und 
Jochanan   Simon   sowie   eine   Buch- 
schau    landeskundlicher     Literatur 
sind   geplant. 

Die  Organisation  des  Treffens 
liegt  in  den  Händen  von  Kurt 
Echel,  der  die  Aufforderung  zur 
Beteiligung  am  Treffen  bereits  an 
den  Kreis  der  ehemaligen  Blau- 
Weissen  versandte.  Wer  dabei  über- 
sehen wurde,  wird  gebeten,  sich 
brieflich  an  den  Organisator  (Us- 
sischkinstr.  26,  TelAviv)  zu  wenden. 


^\v:,l-u^vx       K        "^^^  t>^^  ^-tAA 


k^ 


.\tt£  ZÜRCHER  ZEITVNG 


LITERATUR  UND  KUNST 


Firn(m><yabe   Xr.  ooj     lilntt    l!» 
Snmhtag,  6.  Novemher  lüfju 


«Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott» 

Ein    berühmtes    Gedicht    in    neuer    Beleuchtung 

Von  Markus  Jenny 


D<r  xJvj.  Pmlm.  Dens  no,stf  r 

fi  fiuvum  ( t   rir(ti,s. 

Mar.  Lufh. 

\  IJ        Kin  l'otc  \nnix  ist  uiisor  (Tott, 
«'in  gute  \\o\\r  uml  waffcu. 
Er  liiltTt  uns  l'roy  aus  all»'i-  ii(»t, 
'lit'  uns  Jlzt  liat   Ix'trofVt'u. 

I><'r  alt   höso    fc in<l, 
mit  ernst  ors  jtzt  meint ; 
uros  macht  und  viel  list 
sein  ürausain  rüstunji^  ist  : 
auti"  vv(\  ist  nielit  s<'ins  •ricii-lien, 

[2]        Mit  unser  luaciit  ist  niclits  ^-ethan: 
wir  sind  gar  bald  verloren. 
VjS  streit  für  uns  der  rechte  man. 
lii'ii  (»Ott    [hatj   st'llts  ej'koren. 

Fragst n  wor  der  ist? 
I]f   hcist  .Ihcsu   Christ, 
■  h'r  Fierr  Zeliaoth. 
l'inl  ist  kein  ander  Gott: 
lias  feit  nuis  er  Ix'halten. 

( .''i  I         l'iid  wenn  die  weit  \  ol  Teuffel  wer 
und  wolt   uns  gai   verschlingen, 
so  fürchten  wir  uns  nicht  so  selir. 
Es  sol  uns  doch  gelingen. 

Der   J'ür.st   dieser   weit, 
wie  säur  er  si<'h  sielt, 
thut  er  uns  doch  nicht ; 
das  mHcht:   er  ist  gcriclit. 
liiii  wörtlein  kafi  .)n  feilen. 

I  i]        T")as  wort  sie  sollen  lass«'n  stan 
und  kein  danck  <ia/,u  haben. 
Kr  ist  bey  uns  wol  auff  de/n  plan 
mit  seinem  geist  und  gab<'n. 

Xemeii  sie  den  leib, 

gut,  ehr,  kind  und  weib: 

las  faron  dahin; 

sie  hal>ens  kein  jtewin  ; 

das  reich  muH  nWs  doch  Idc^iben. 

Dieses  Lied  Lulliers  LstCiiieht  nur  cinos  der  be- 
lic'btestfii  und  vorbreitetHt(Aovjmgelis«  licn  Kirelieii- 
lieder,  sondern  »nich  ein  Äediehj,  dns  zur  Welt- 
iteruiiir    /iihll.    So    steht    W<    In^nle,    weit    über   <las 


Psnlniiibei-t ragungen  ionlert,  «laß  sie  den  Sinn  «ler 
Vorlage  klar  wie<lergeb{'n  und  in<)gii«disl  nahe  atn 
Psalin((»\i  bieilxMi  sollen,  aiu-li  wenn  etwa  andere 
Wörter  verwen«lel  werden,  wo/.n  natiirli«-li  Freiheit 
bestellen  soll.  Daß  «lie  hier  /nr  Ke«le  stehen«le  I)i«-h- 
tung  diesen  Forderungen  ge7'e«-lit  werde,  wird  man 
ni«'Id  behaupten  «lürren,  zumal  ni<lit,  Mcnn  man  sie 
mit  «len  übrigen  Psahnliedern  Lntliers  vei'glei<-ht. 
Ks  «larf  uns  nielit  wundern,  «laß  ein  K«»nnnentator 
sieh  sogar  zu  der'  lU'hanplung  versteigt:  «Wenn 
etwas  luudi  Wortlaut  nn«l  (ieist  v«'i'schie<len  ist.  so 
ist  es  der  4().  Psalm  nn«l  Lntliers  .A\\\\  feste  P>urg"». 

Es  wird  notwciHJig  s<'in,  den  Psalm  un«l  «las 
Lie«l  einaiulei-  gegenüberzustellen,  um  ihr  g<'g<'n- 
seitiges  Verhältnis  zu  bestimmen.  Wir  wühlen  dazu 
den  Vidgata-Texl  des  Psalms.  Denn  S[)itta  hat 
übei'zengeml  mu-hgew  iest-n,  daß  das  Lied  in  nntn- 
«du'u  Finzelheifen,  so  zum  l'eispiel  gleich  in  «1er 
eisten  Zeile  in  «1er  Znor«liuing  «les  P«)ssessi\  [iro- 
nomens  zu  «(^«ott»  statt  zu  «ZulliKdit  ^  «len  V'ulgata- 
Text  und  ni«-lil  den  xon  Luthers  deuts«-lier  Psalmen- 
Übersetzung  zur  \  «»rauss<'t/uiig  hat.  Das  braucht 
einen  ab«'r  bei  «'in<Mii  Mann«',  der  .jahiH^lang  >ein 
Brevier  gebet<'t  ha),  nicht  ^\  niid«'rzuiiehmen.  und  es 
ist  no«di  lange  kein  P»ew('is  für  eine  l^ntstehiing  «les 
Lie«les  cur  «1er  l'salmenübersetzung. 

2      Dens  nosjcr  refuuiuni  et    virtus. 

adintcii'  in   t ?ibidal  ionibns  «|uae   invern'iunt 

iKis    niniis. 
.'}      J^i()|)ler«'a  in»n  timebinuis  dum  lurbal>itui   leira 

et  transl'erentur  niont«'s  in  cor  maris. 
4     .Sonuenuit.  et  turltatae  sunt  a«juae  «Muum, 

eonturbati  sunt  in«)n1es  in  fort  il  inline  eins.  |  S(>la.  | 
~)      Eluminis  imp«>tus  laet  i  l"i<'al  civilateni   Dei  ; 

sanetif icavif   laberna»  nlmn  ssnni   Ahissinius 

6  Dons  in  m«'«rio  eins  iion  c«tnunov«'bitur ; 

adiu\aiMf  eani   Dens  niane  diluculo. 

7  Conturbatae  sunt  gen t es  et  in«'Iinata  smit  i-e;j;iia  : 

«ledit  vocein  suain  ni«»ta  «'st  ttMia. 
iS      Dominus   vi.-tiitmn    |Sabaoth|    ndbiscuni. 
siisc«'])t«)r  noster  i)eiis   la«'«)b.   |  Sela.  | 

U      Venite  «d  vi«hd«>  oiM'ra  Domini  «|ua«>  posuit 

prodigia  supor  UMram 
auferens  bella  usquo  ad  finein  tiu-rae. 

10  ArcoMi  content,  «d  confring«»t   arma 

et  Hcuta  comlaind   iLni. 

11  Vacate  <'t  vid<'1e  (|uonlam  eeo  snm  Dens: 

exaltal)or  in  gentilAs  «-t  exaltabor  in  t<^ 
l'J      Dominus  virtnfum    fflibaothl    n«»biscuMi,| 


in  der  \'orlage  wird  noch  einmal  der  Ansturm 
gegen  «lie  (jottesstadt  in  «li<-ht«'ris«dien  Bildern  be- 
seliworen,  nn«l  wiederum  setzt  J^uther  an  «liese 
Stelle  «len  Teiiiel.  Bei<le  (lestaltnngen  de.s  Stol"('e> 
siinl  \«>n  «lerselben  Sicüesgewißheit  getragen.  Hifdi 
«'S  in  «ler  ersten  Stro|>li«,'  zweimal  bedrohlieh  «.jetzt >^ 
l«X«>t,  die  uns  Jetzt  hat  betroffen»  ninl  «mit  Ernst 
er's  .jetzt  meint»),  so  in  der  dritten  nun  ebenfalls 
zweimal,  und  zwar  wiederum  einmal  am  Eiule  «les 
Stollens  und  einmal  im  Abg(\sang',  fröhli«di  ««lo«di 
(«es  soll  uns  do«di  gelingen-'  und  <..  ..lut  er  uns 
do<h   nicht-'). 

S«)  weit  hiilt  sich  das  Lied  al>«)  ganz  an  d«'n 
Psalm.  I']s  «'iit lernt  si«-h  zwai*  in  >ein«'n  ^V«^rten  un«l 
l^ildern  wie  mu-h  seiner  ( i«Mlankenfiihning  s«-hein- 
!>ar  riMdit  weil  \(»n  seiner  \  «u'iage.  E>  ist  keine 
Psalmbereiiming.  Aber  für  seine  wesentlichen  Aus- 
lagen, für  seine  llallnng,  .ja  >«»gar  tormal  —  in  der 
Zn«tr«lnung  «ler  weseiitli<dien  Ans.sagen  zu  den  «Irei 
Stro])hen  — .  isi  doch  «lie  Psalmv«»rlage  für  «liese 
Di«-hluna'  durchaus  maßgebend  gewesen.  Lutlici's 
Lie«l  i<t  eiiu-  k«)iig«'niale  uml  kontorine  sch«"»pte- 
risch«'  Xeulassung  des>elb<'n  St«iftes.  Da  Jed«»<di 
Luther  hier  zui!ii«-hst  ni«d)t  einen  Psalm  für  «len 
(rot!es«li(Mi>t  der  (iemciiMle  s«-lirieb.  somlern  anhaiul 
de>  Psalms  >eiii«'  pers«»nliche  I'eberzengung  ins 
Kniwlw(Mk  faßte,  war  er  frei,  «len  Sl«)l"f  im  l-!in- 
/.eliU'ii  gan/  n«'U  zu  g«'-tal!eii. 

Was  aber  soll  nun  «lie  vierte  Strophe.'  Zur  Xot 
i^önnte  man  >ie  als  In-eiten  Xachhall  /um  Pefrain 
(\'.  12)  ansehen:  «Der  Herr  Zel)aoth  i>l  mit  un>: 
—  <\\v  ist  bei  uns  wohl  auf  dem  Plan>.  ^  «las  Fehl 
muß  (U-  l)eliallen  .  Ab«'r  aufs  (ian/.«'  gesehen,  g(>ht 
diese  Strojdu'  «l«)«di  s«'hr  deuili«-li  über  «lie  Psalm- 
vorlage hinau'^. 

Sie  sticht  abei-  au«-h  >-on-;t  m«>rkwürdig  abseits. 
Die  «Irei  ersten  Strophen  i)il«len  ein  abgertimleles 
( «anzes  und  zeigen  einen  Aufbau,  «hu-  im  (Irnnde 
durch  «liese  vierte  Strophe  gesi«>rt  wir«l.  Wenn  wir 
sie  uni)erücksi«htigt  lassen,  .s«)  hab(>n  wir  ein  v«»ll- 
k«)mmeii  symmetristdi  g(>l)aiUes  Kunstwerk  vor  uns. 
(Au«'h  antlere  Lie«ler  Luthers  weisen  di(^sen  Bau 
auf!)  Die  «u'st«»  uml  «lie  «Iritte  Str«»phe  «'Ulspreehen 
siidi  genau:  die  St«)llen  re«lon  von  unserem  S«'hutz 
und  «h'r  Zuversicht,  «1i«'  wir  unter  diesem  Schutz 
als  Ang(d'o«dn«'ne  hala'ii,  wjihr«Mi«l  «h'r  Abg«^sang 
jeweils  «len  gegen  uns  ti'cht«'n«len  ]'\Mn«l  bes«-hreibt. 
Die  analogen  bezeielm«'nd«>n  Aus«lrücke  ««ler  als 
böse  Feind»  und  ««h'r  Fihst  «lieser  Welt»  stehen  je 
an  genau  dervselb«M\  Stelle  der  Strophe,  wo  die 
iW«'ise  (in  iUt^r  F  igest  alt)  mit  <lem  i>unkti(Mten 
I.Mt^lisma  uiivl  der  rhythmischen  Vers«hiebung  die 
Lisi  uml  Tii«'ke  «les  Satans  s(du'  lebeiulig  zum  Aus- 
driuk  bringt.  Die  eivte  Strophe  wird  mit  dem  Hin- 
weis «larauf  beseblossen,  «laß  dies(M'  Feind  nnbe- 
crnst  zu  nehmen  ist,  die  dritte  mit  dem  Ilin- 
t.,  wi«'  l«i«ht  «'1-  «loch  zu  fällen  ist,  wenn 
«ler  r«'clit«  n  llille  v«>r^i<>ht.  Die  Miltel- 


l'nd  es  ist  nicdit  mehr  vom  Teufel  «lie  Re<le.  s«in- 
«lerii  v«ui  einem  aiu»nymen  mensehli«-heii  Kollektiv: 
«Ireimal  heißt  es  «sie».  Erst  bei  dieser  Strophe 
«Irängt  sich  di«-  Frage  auf,  wen  Luther  in  diesem 
Liede  gemeint  haben  nK'Wdite.  Der  schon  zitierte 
W.  Sta]K'l  glaubt  tcststellen  zu  können:  «Es  (das 
Lied)  richtet  si«di  also  ni«dit  gegen  «lie  römische 
Kirch«',  somlern  gegen  die  Rationalisten...  Damit 
siml  Leute  wie  zum  Beispiel  Zwingli  2emeiiii. 
Hätte  StajK'l  lecdit.  m)  dürfte  man  darob  im  Zeii- 
aher  «1«^'  «>kumenis«dien  P>e.stiebnngen  >elir  er- 
h'ichtert  sein,  k«innte  amlerseits  aber  etwa  in 
Züri«'h  «liesen  (lesang  nur  noch  mit  größten  Be- 
denken anstimmen,  X'nn  kann  aber  der  .\bgesang 
iiieinaL  auf  «lie  Schweizer  timl  S«'hwärmer  si«di 
beziehen,  «lie  Ja  gegen  Luther  und  seinesgleichen 
nicht  iiiii  <i«-walt  vorgegangen  siml.  Eher  mö«'hte 
man  <li<'  Strophe  mit  der  Türkeiigefahr  in  \vr- 
liirHlunu"  lu'ingen.  oi)w<ilil  Luther  v«)ii  diesem 
<  legner  mei>t  in  «ler  Einzahl  s]»ri<dit.  So  Averchn 
el)en  «lotdi  wohl  nur  «lie  Pa])ist('n  übrig  bleiben, 
ohn«'  «laß  «lie  amleren  Feimle  «ler  evanuelischen 
Sa«die  uii«l  des  ( 'liristentums  ganz  ans  «lern  Ge- 
sichtskreis träten.  \'i«ll('icht  i.st  «lie  Melirzald  «sie» 
überhau])t  dahin  zu  \«'rstelien,  daß  damit  die  Viel- 
zahl ^]^'r  K;uui)ft'r«»nten  ange«leutet  sein  soll:  «ler 
B;ip»l  und  der  Türke,  Zwingli  und  die  S<diwiinnei 
und  wohl  au«  h  Erasmu>. 

So  ist  (ii«'s«'  \ierie  Strophe  sozusagen  «lie  An- 
wendung' di-r  in  dem  «liei>trophigen  Liede  au>- 
gi'breiteteii  ]->ots«diaft  «les  P.salms.  ^lan  hat  das 
gr«>ße  Lutiu'r-Lied  immer  wie«ler  als  «Kampflied». 
«Trutzlied»,  « Hehlengesaiig».  «Triumphgesang 
iukI  Siege>lied»  bezeiidmet  und  es  in  den  Gesang- 
l)ü«-hern  gern  tinter  die  Preislieder  atif  die  Re- 
formation o«ler  d«)ch  tmter  «lie  Lieder  von  d<'r 
Kinlii'  eingereiht  und  es  prakti>ch  dement - 
sprechend  im  Gottesdienst  gcbranelit.  Das  alles 
aber  i)aßt  einzig  und  allein  für  die  vierte  Strophe. 
Die  «hei  ersten  Stro]>hen  müßten  ganz  anders  ein- 
ge«)r«lnet    wertlen.    Sie    .stellen    —    genau    wie    der 


Psalm 


ein    ktilh'kfivcs    Tmst-    uttd    Vtrtram  >*.-<- 


Iinl  dar.  xAin  trosf  Psalm»  übersehr«'ibt  denn  amh 
eine  Augsburger  Quelle  von  1530  das  Lied.  Sein 
Anliegen  i>t  ni«ht  der  Kampf  im  Sinne  der  gei- 
stigen «»«ler  kriegerischen  Aiiseinandei'setznng  mit 
irgiMnleinem  (legner.  Wenn  Luthers  Gedieht  pri- 
mär als  k«>nt('ssionelles  o«ler  ehristlicdies  mler  gar 
völkis«dies  Kampflied  vei"standen  wird,  dann  hat 
man  «li«'  Bihlretle,  die  hier  vorliegt,  wörtlieh  ge- 
nommen und  damit  den  Diehter  mißverstanden. 
Der  tTebratieh,  der  seit  den  Glatibenskriegeii  d«»- 
17.  Jahrhundei-ts  un<l  «lann  vor  allem  in  der 
Kaisorzeit,  vor  und  in  den  beiden  Weltkriegen  in 
Deutsidiland  \o\\  dem  Liede  mul  insbesondere  von 
seiner  letzten  Zeile  gemaeht  wnr«le,  .'^igt  allzu- 
deutlich.  wie  nahe  liier  ein^  fatales  MißfeiMändnis 
liegt.  Die  Verbindung  zwis«dieii  Thrill  und  Altai 
•1  l;!«'i'  liier    ijire   Vivinivis«  li<i   Dmt^^^ eVi i lUg    uet .mi«l«  l > 


''Hvitj?-'*;'! 


Ivirc-hc,  an  y^wvr  ChrilusfcTno,  an  ihrer  I  nirouo, 
an  ihrer  G>J.spalt.onhcit,.  T'ntl  als  solches  dann  auch 
getröstetes;  sieghaftes  rjeiden. 

Luther  hat  —  soweit  die  Xachsehlag:e werke  da.s 
erkeinien  las.;en  —  merkwürdigerweise  über  diesen 
46  Psalm   weder    je  gepredigt   noch   ihm   eine  be- 
sondere  SchrUt   oder   ansl'ührli<he   Auslegung  ge- 
widmet. Die  einzige  zusammenhängende  Aeußerung 
dazu,  die  wir  kennen,  findet  sich  in  den  Summa- 
rien über  die  Psalmen  von   1531 —33.  Diese  kurze 
\uslegung  —  nach  dem  \Avd  entstanden,  aber  da- 
von völlig  unabhängig —  bestätigt  doch  Avohl  unsere 
Ausführungen  und  mag  sie  darum  auch  zusaimnen- 
fasscnd  beschließen. 


Der  xh'j.  Psabn 

Ist  ein  Danckpsalm,  zu  der  zeit  vom  volck 
Israel  gosungou  für  die  wundcrthatton  Gottes,  das 
er  die  8tadt  Jerusalem,  da  seine«  woniing  war, 
sci.ützet  imd  bowaret  widder  aller  Könige  und 
licidon  wüten  und  toben  und  frieden  erhielt  widd.'r  | 
alle  kriege  und  woffen.  T'nd  nennet  na<-h  der 
..•hrifft  weise  das  wesen  der  Stad  ein  brunlein,  als 
ein  kleins  wesseilin,  das  niclit  versiegen  sol  gegen 
die  großen  wasser,  seen  und  mcer  der  beiden,  das 
ist  grofXe  königreiche,  l'ürstentliüm  und  iiirs<-iiat  i- 
ten,  d"e  versiegen  und  vergehen  niusten. 

Wir  alter  siugi'n  jn  Gott  zu  lobe,  das  er  bey  uns 
i<t  und  sein  wort  und  die  Christeidieit  wunder!. ur 
Heil  erhelt  v.ider  die  ludlisrhen  pforten,  wid.ler 
das  wüten  alh'r  Tenffel,  der  Kottengeister,  (h'r 
weit  de«^  fleisrlies,  der  sunden,  des  todes  etc.  Das 
unser  brünlin  audi  bleibt  ein  lebendige  Quelle  da 
ihener  sümpf fe,  tümid'el  und  kolke  (--  P  ulile, 
Wassevlöelier)  faul  und  slinekend  werden  und  ver- 
fliegen müssen. 


■i.muu..-^    .Ti^iTK-sRii^.    •-!    .■^.vi/...nfn-  iuu   .-... .  ^     uignipii   de,>  gn.ßen   deiftsf-lien,   bzw.   niederländi- 

ilen  Jalire  im  Kloster  der  obseivanten  Augu>tinfr 


eremiten  hi"ErfuH,"in  denen  der  junge  Mönch  di 
Bibel    kennenlernte,    das    Turmerlebnis,    das    nei 


Amncrkunijcn 

1    1005   erschien   das   in   seiner   Tendenz   problema- 
tische, aber  in  vielen  Kinzell.eobaehtungen  noch  heute 
nicht  überholte  Buch  von  F.  Sjiitta,  Ein  frsie  Burp  ist 
imscr   Gott.   Dir    hud,r    Luthers   in   ihrer    hxlrutiinfj 
für    da^    rva,i„rJisrhr     Klrrhndud.     Darin     versuclit 
Spitta  mit  viel'{<<-hHrrsinn  und  gr()l.'.em  phdolog.schem 
\ufvvand   die    selion   von    ält.ren    Auloren    behau])tete 
Entstehung   des   Li.'drs   im   Jahre    M-l    na.-hzuw..,sen. 
Seinen    s.-härfsten    Gejr.u'r   fand    er    ni    ^^  •  '^i»''|;='>    '''l'" 
im  Lied.Ml.and  «ler  Weimarer  Luther- Ausgal.e  (WA.?;), 
ahgesehlosscMi    1914,    ers.'hienen     ID'iM)     d.eser    I  rage 
nicht    weniger    als    44    Seiten    widn.ete.    Die    unseres 
Wissens   letzte   ausfülirliclK«    AeulAerung   <lazu    stamm 
von   W.Steinlcin,   der  sich    im   deutsehen    Pfarrerbatt 
40     1930,   507f   und    5:^2f   und    in    den   '1  heologischen 
Blättern     19:^7.      Sp.    101-105,      mit      Arbeiten      von 
J   Ficker.     (J.W.dfiam     und      K.Völker     auseniand_er- 
sctzte,  die  das  Li.'d  mit  dem  Türkenausturm  von  loL. 
in   Zusammenhang  bringen   wollten.   Stcnlcm  hat  viel 
neues   und   seither   von    keiner   Seite   wu-der   benutztes 
Material   zu   der   Frage    zusammengetragen.    Wahrend 
er   Endo   1^)L^S   als   Terminus  ante   quem   fes  U'gt,   gilt 
seit  Lucko  und    zwei    Aufsätzen  von   B.  Violct  m  der 
Monatsschrift  für  Gottesdienst  und   kin-hliche   Kunst 
(34.   19L'9,   8.3~8t^,   und   .'JO,   19:51,   92—94)    allgemein 
die  Datierung  auf  Herbst  1527.  Einen  umfassenderen 
UeberbH<-k  üb.->r  diese  Literatur  habe  n-h  im  Jahrbuch 
für  Liturgik  und  Tlymnologie  11,  190-t,  W    gegel)en 
In  dem  dort    (143-152)    sich    findend.-n    Aufsatz   ist 
manches  von  dem,  was  hier  zur  Sprache  kommt,  noch 
etwas  einlätilicher  begrüudi^t, 

2  Ob  jenes  Weißscho  Wittenlierger  v:Sangbuchlein  > 
das   Luther-Lied    wirklich    enthalten    hat,    wissen    wir 


Verständnis  von  Kömer  1,17  als  Schlägel  zu  Lu 
thers   zentralen    (Jedankon    über   die   Oerech  igko  . 
au.s  Glauben,  über  GlaulKm  un<l  Werke,  dir  K<;;;  i^ 
fertigung.  die  zusammen  zu  einer  Tiicjologio  t""r- 
ten,  welche  ohne  großen   philosoplusrhen  Al>l>«rai 
da.s  Herz  anspricht.  In  der  Darstellung  des  Ablau- 
st reites   zögert   Tüchle   nicht,   die   imanziellen   uiui 
theologischen    Machenschalten     der     Kurie    minde- 
stens als  «skandali)s»  zu  bezei<dmen.  ^^  cnn  Luihoi 
^roixon  Tetzel   aul'geti-(>ten   ist,  der  aus  der   Al)hili- 
predi<'t  ein  Gescliäft  und  <labei  das  Geld  zur  Haupt- 
sache" geinn<-ht    hatte,    so    wirkte    sich    dann    «vor 
allem     der     ungeheure    Gegensatz»     aus     zwischen 
Lulhei-s    -'eigenem    l)lul.igen    Hingen    gegen    Sunde 
und    Höllenangst    und    der    leichtsinnigen    Suher- 
heit,    die    durch    die    marktsehreierisehe    \  erkinnh- 
crung  unerhörter  (inaden  dem  sittliclioi  Bewulitseiii 
angeboten  wurde!»    Daß   die   Ablaßthesen   wie  ein 
Funke  im  Pulverfaß  zündeten,  führt  Tuchle  einer- 
seits   darauf    zurück,    daß    Luther    es    sofort    ver- 
stand, sieh   zum    Sprachrohr  <ler  deutschen    (  nzii- 
friedenheit  zu  macdien;  anderseits  kam  infolge  der 
naticmalen    antiknrialen    StW.mungen,     der   theoh)- 
gischen   rnklarheit   <h>r   Humani.-ten,   der   l  ninter- 
essiertlH'it  <ler   Hegierenden   und   Roms  selber  eine 
geschlossene    Abwehrfront    überhaupt    nicht    nielir 
/uslniKle.   Durchaus  richtig  stellt  Tü<-hle  die   L<'ip- 
ziirer  Dis])utation  als  die  entseheidende  Plia.se  der 
Heformation   dar.   Nicht    nur  hat  sieh   Luther  hier 
für  das  protestantische  Formalprinzii),  liir  die  Sola- 
scriptura-Lehre,    entschieden    und    daraus    heraus 
jedes   kirchliche   Lehramt    abgelehnt.    Von    L(Mpzig 
her    datieil    auch    <ler    otTene    Kainjif    in    wissen- 
scluiftlicii-theoh.oriselier  und  mehr  noch  in  populär- 
polemiseher   Form.    Luther   verfaßle   seine   grolJen 
Hefornmtionssehriften  d(^  Jahres  10*20,  schuf  nach 
der  großen   «Show»  von  Worms  in  einer  Zeit   diM- 
Sammlung  und   ruhigen   Arbeit    auf  der  Warllmrg 
«zwar    nicht    die    ei-ste,    aber    die    beste»    deutsche 
Bibelübei-setzung,  die  ihren  Werl  nicht   bloß  darin 
hat,  daß  sie  auf  den   rrtcxt  des  Fra.snnis  zurück- 
geht,  somlern    in    volksnaher,   ansclianliclier   Spra- 
che «die  (rlui  des  religiösen  Kmi)findens  des  Man- 
nes  si)iegelt,    der   an    tler    Dibel    selber   gewachsen 
war  und  auf  das   Wort  Gottes  allein  seine  ganze 
Existenz    gestellt    hatte».    Mit    vollem    Hecht   sielii 
Tüchle    «in    der    Bibel    Luthers    das    Zentrum    y\vr 
religiösen  Substanz  der  Kelonuation». 

Hecht  verständnisvoll  schildert  Tüchle  aber 
nicht  bloß  den  Hetorinator  selber,  sondern  auch 
den  äußern  Verlauf  der  deutschen  Hefonnation,  die 
sich  in  der  Folge  mehr  und  mehr  von  der  PeiNon 
Luthers  löste  und  ihr  eigenes  Schicksal  hatte:  die 
Wittenberger  Unruhen,  wehdie  Luther  lehrten,  nicht 


hen.  Papstes  verwirklicht  hat.  Er  ist 'sich  dabei 
vJ-JUW'.HT  und  gnindsätzliclv  im  klaren,  daß  die  gc- 
waltige  Herausforderung  Luthers  eine  existentielle 
Antwort  erforderte.  Weder  die  «Antwort  des  lor- 
mellen  Hechtes»  noch  gar  politis«-he  und  mili- 
liirische  Fmerdrückung  konnten  zur  U)sung  des 
Problems  genügen. 

Im     («rslen     <lieser     <ler     katholischen     Heforai 
ucwi.lniet;-n    Kapitel  —  «Antwort  und   Abwehr  — 
Die  neuen   Kriitte  und  das   Konzil   von  Tnent»  — - 
s,.hihl<r1    Tii.hle,   wie   die    Frneuenmg   der  Kirche 
weder  in  d(  r  Kune   noch   in  Deutschland,  sondern 
in    kleinen    Zellen    von     l^iien    und     Priestern     in 
K.,m.    im    Oratorium    der    göttlichen    Liebe,    ihren 
\Hnn-  -eiH.mmen  hat,  wie  sie  sich  in  den  Ordens- 
gründungen    des     Lmlwig  von  Fossombrone     uml 
des  Ignatius  v<m  Loy<.la  und  erst  «lann  m  der  Lr- 
n..nening  der  Kurie  fortgesetzt  und  schließlu-h  im 
Konzil  von  Trient  mit  der  Bestimmung  <Jf"|;/ ""«';'; 
me„t.^  und  den   Heiormdekreten  ihren  JJ.V^;^"')!^/ 
..(Munden  hat.  lnteressant<n'weise  macht   lue  de  sich 
Hl  der  IVuHeilung  des  Tri.lentinums  die  Meimuig 
.hMin-^    zu    ei-en,    wonach    das   Konzil    «wohl   ab- 
givnzte,  ab(>r  nicht  trennte,  wo  nicht  s<-h.»n    I  ren- 
nmig  war». 

Mit     besonderer     Aufmerksamkeit     und     Liebe 
vertol-t    Tüchle    natürlicdi    die    Auswirkungen    un<l 
Friichb'    dieser    innern     Krneuerung.     1  nter    <lem 
Titel   vhn  Geiste  des  Tridentinums  —  Innerkmdi- 
Tn-lie  Frneiiening  un<l   aktive   Gegenwehr    (CU«geu- 
,H.rnu.tion).  zeichnet  <'r  zuerst  die  gewaltige  Aut- 
|,auarbeit  der  Hefonnpäpsle  Pius  \\  .  uiul  \  ..  Un'- 
..„r  \ni.  und  Sixtiis  V.   Dann  ennneii   er  an  <  le 
Bemühungen    des    Carlo    l^orn.meo     der    über    (he 
Vustührung  .1er  K.mzil>beschlüsse  bekanntlich  bis 
;,,     ,,ie     lu-.chsten      Alpentäler     hinauf     peiv<mlich 
wM.'ht(>     Kr    orientiert     ülx'r    .len    zweiten    Apostel 
l)'.utM-hlands,   P(>trus   Canisius,   über  die   Tati^-rke.t 
.l,r  Societas   Jesu,   welche   bis   Knde   des   1  ^    Jabr- 
linn.h'rts    praktisch    den    gesamt<>n    höhern    Int er- 
f„ht    für   <lie    männliche    Ju-end    in    den    Händen 
l,,Ho     nls    Veiiraute    und    Hatgelx-r    v.m    Kaisern 
,;„!    Köni^-ren   und   des   Papstes   die   aktive   Gegen- 
,,,.l,r   in    P.avern,    ( >esterreich.    in    I- rankren-h    und 
,..,l.,.H.n    organisierte    und    darüber    hinaus    die   ge- 
wänne katholische  Kultur,  nicht  zuletzt  die  Mission, 
hahnbrechend  beeintlußte. 

l.Uer    der    Febei-^clirift    «Fernwirkungen     der 

(ilaube.isspaltung  im  Zeitalter  des  Absolut. smu>  - 

KVli«-iö^er  Aufschwung  und  theologische  W  n'^'n  — 

Fnkmsvei-suche»   iolgon   dann    AusiT.hrungen    über 

u!„    Dreißigiährigen    Krieg,    die    Hekatholis.erung 


nur  zu  predigen,  sondern  auch  zu  organisieren; 
den  Bauernkrieg,  der  für  Luther  die  ei-ste  große 
Gel'alir  bedeutete;  die  Trennung  von  Zwingli;  die 

*  Hermann  Tüchle,  Deformation  und  Gegenrefor- 
mation. Unter  Mitarbeit  von  C.  A.  Bouman  für  die 
Ges(diichte  der  orientalisdien  Kirche.  Henziger  Verlag, 
Kinsiedeln. 


in  PohMi  und  Ungaru,  die  AuHiebung  des  Ldikte^ 
von  Nantes,  mit  größter  AVärme  und  weitaus  am 
'.usführlichsten  solche  über  den  gewaltigen  theo- 
io-ischen   AufschxMing  und   die   religiösen   Wirren 

;  Frankreich  des  17.  Jahrhunderts.  Dort  halte 
die  Fxistenz  der  Hugenotten  alle  geistigen  Lner- 
cien  des  frnnzösischen  Katholizismus  gewe<.k(,  eine 
:eUene  FüHo  religiös  hochbegabier  und  begnadeter 
Poi-sönli<-hkeiten    auf   den   Plan    gerufen.    Auf    die 

\nregung  der  Teresa  von  Avila  und  des  Phihpp 
Veri  schuf  Pierre  de  Benille  1613  das  «Oratorium 


;^ünlV-h keilen.    Vor    nllet*    a)>er    fand    dns    l^bens- 
gefübl    dos   nachtridenti/iiscben    Katholizismus   sei- 
nen sichtbaren  Ausdnickjin  der  Barock-Architektur, 
in    enveit<^rtem    Sinn    T*itürlich    im    ganzen    Auf- 
schwung von    Kunst   uild    Wissenschaft,    Literatur 
und  Theologie,  wie  sie  i*i  ganz  Kuropa  festzustellen 
sind.   Der  Verfasser  v(?Vschweigt    dabei    nicdit.^  daß 
die  katholische  Kirche  wenigstens  auf  dem  Gebiet 
der  Natunvissenschaft   versagte.  Die  Abwanderung 
der  Natunvissenschaften  aus   Italien   in   neue  anti- 
kirchliche   BaluuMi    bezeichnet    er    als    schmerzliche 
Tragik,    da    <lie    Zimmerer    des    neuen    Vreltbildes 
gläubige  Menschen  waren;  den  Pro/eß  gegen  Gali- 
Tei    bedauert    er  offen    als    «eine   bedenkliehe   Fehl- 
leistung, von  <len   Folgen  her  gesehen  oreradezu  als 
katastro])halen  M  ißjjrrilT». 

Oekumeniseher   Geist    ste<dct    in    Tüchles    Werk 
nicht  zuletzt  auch  insofern    als  er  gerade  in  diesen 
hier  nachskizzierten   Ka])iteln  eindeutig  gegen  alle 
Gewaltmaßnahmen    der    katholischen    Kirche    bzw. 
ihrer  \erl reter  Stellung  bezieht.   Tüchle  verurteilt 
nicht    bloß    die    Bartlu.h.mäusnacht    und    das    «Te 
Deiini»,  das  (iregor   XIII.   dafür  anstimmen   ließ; 
er  betrachtet  auch  die  Aufhebung  des  Ediktes  von 
Xantes,    die    Frankreich    durch    die    Abwanderung 
geistiger    und    wii-tschafi lieber    Kräfte    schwer    ge- 
schadet hat,  als  >pek1akulär(>  Aktion  eines  Königs, 
der  «katholischer  sein   mußte  als   Papst    und   Kai- 
ser». Zur  Ausweisung  der  Salzburger  Protestanten 
bemerkt    er,    «laß    sie   nicht    bloß    die    Gesetze    der 
>renschli(dikeit,  sondern  auch   d(Mi   Buchstaben   des 
Westfälischen  Friedens  verletzt   habe. 

Sym])athisch   berührt    sodann  die   Sorgfalt  und 
AusfVihrtichkeit,  mit   der  Tüchle  über  die  verschie- 
denen   rnionsversuche    zwischen     Katholiken    und 
l'rot est anten  refeneiL  Wenn  diese  aufs  Ganze  ge- 
sehen  auch   ergebnislos    verlaufen    sind,   anerkennt 
<ler  katholische  Ilistonker  doch  den  Frust  und  den 
Einsatz    der    Männer,    welche    auf    bei.len    Seiten 
glaubten,  mit  gutem  Willen  eine  Einiuung  der  gc- 
s]^altenen  Christenheit  iHrbeiführen  zu  können.  Er 
erinnert   an  die  Bcmiihunuvn  <l(>r  kathoÜsehen  und 
protestantischen      I  Inmanisten,      Erasmianer      und 
Ireniker    der    dreißiger    und    vierziger    Jahre    des 
1()  Jahrhunderts,  an  du'  Bucer,  Melanchthou,  Gat- 
tinara,   Sadolet   und   Groi>i)er,   welche   im   Glauben 
an   die  Helativität  der  theologischen   Fonnulierun- 
gen  und  ohne  Konzil  die  S])altung  zu  überwinden 
hofften,  an   die  Beniiilinn<j:<'n   O.v^  seltsam   zwischen 
den  beiden  Laircrn  >ich  lierinnxhlagenden,  als  Ka- 
Itholik    gestorbenen    Georu"    Witzel,    des    irenischeu 
l^elgiers  Gwrg  Cassander  und  seines   lutherischen 
Fortsetzers  Georg  Calixt,  <ler  HHÖ   in   Thorn   ein 
Gollof|uium  cantativum,  ein  «liebreiches  Heligion.>- 
gespräch»,  veranstalten  Avollte,  an  Kepler,  an  Hugo 
Grotius,  au  den   Erzbisciiof  De  Dominis  von   Spo- 
leto.  Vor  allem  erinnert  Tüchle  an  die  Arbeit,  welche 
^^folanus,   Hojas  y   Spinola.    Leibniz   und    Bossuot 
für    die    Unionssache    leisteten.    Zusammenfa.ssend 
bedauert  er,  daß  t^  no«h   über  zwei  Jahrtiundertc 
dauern  sollte,  «bis  unter  ganz  andern  Vertüiltnissen 
das  Verlangen  nach  Einheit   in  den  Kirchen  selbst 
lebendig  wurde  und  zu  mehr  und  mehr  ottiziellen 
Bemühungen  auf  breiter  Front  führte». 

(Schluß  folgt) 


i 


Nr.  24 


MB  —  17/ Juni  1966 


Seite  9 


WERNER  KRAFT 


GEDENKREDE  AUF  MARTIN   BUBER 


Am  10.  Oktober  1965  hat  im 
Schauspielhaus  Zürich  eine  Ge- 
denkfeier für  Martin  Buber 
stattgefunden.  Im  Mittelpunkt 
stand  die  Rede  von  Werner 
Kraft.  Wir  danken  ihm  dafür, 
dass  er  uns  das  Manuskript  für 
den  Abdruck  zur  Verfügung 
stellte.  (RED.) 

In  dieser   feierlichen  Stunde,  in 
der    wir   Martin   Bubers   gedenken, 
ist  unser  Grundgefühl:  Dank.  Dank, 
dass  er  ein  langes,  auf  Dauer  an- 
gelegtes    Leben    des    Geistes    und 
der   Treue   des   Geistes   gelebt  hat, 
dass  er  es  für  uns  gelebt  hat,  seien 
wir  Juden  oder  Christen  oder  Men- 
schen   schlechthin,    Dank,    dass    es 
nun  da  liegt,  dieses  mächtige  Werk, 
damit   wir    von   ihm   lernen.   Herr- 
lich hat  Buber  selbst  es  gesagt,  am 
Schluss   des   Vorworts   der    1964   in 
drei   Bänden  erschienenen   Ausgabe 
seiner    Werke:     „Dem    Dank,    dass 
ich  leben  durfte,  engverbunden  ist 
der,  dass  ich  werken  durfte.  Dank 
sei  gesagt."  Dieser  Dank  ohne  Ob- 
jekt klingt  so,  als  wenn  da  im  Ge- 
sagten ein  Nichtgesagtes  verborgen 
erklänge.  An  wen  ist  er  gerichtet? 
An  die  Menschheit?  An  Gott?  Wir 
v/issen  es  nicht,  imd  es  ist  schön, 
dass  wir  es  nicht  wissen.  Noch  ein- 
mal   klingt    bei    einem    späten    Be- 
wohner   der    bedrohten    Erde,    um 
deren   Unzerstörbarkeit   im   Namen 
des    Geistes   er    gekämpft   hat,     in 
Prosa    auf,    was    Goethe    im    Alter 
„gläubigerweise"       gesungen       hat, 
',',Dass  die  Welt,  wie  sie  auch  kreise, 
liebevoll  und  dankbar  sei". 


es  zu  sehen,  wie  der  uralte  Mann, 
der  nur  mit  einer  ganz  starken 
Lupe  überhaupt  lesen  konnte,  m 
seiner  letzten  Lebenszeit  eben  diese 
seine  Bibelübersetzung  einer  noch- 
maligen Durchsicht  und  Verbesse- 
rung unterzogen  hat.  Wieder  ist  es 
überaus  belehrend,  was  er  selbst 
im  zweiten  Band  der  Werke 
schreibt: 

„Wohl  hatte  die  Schrift  mich 
schon  lange     vorher     gleichsam 
angefordert,    aber    nur    erst    m 
der  Art  einer  eher  geahnten  als 
gewussten  Verpflichtung:  ich  war 
dieser    noch    nicht    gewachsen. 
Erst   als   mir   die   Uebertragung 
zugemutet,  zugetraut  wurde,  er- 
wies sich,  beim  ersten  Versuch, 
dass   sich   in   aller    Stille   etwas 
entscheidend      geändert      hatte. 
Dass  ich  diesen  Sachverhalt  hier 
berichte,  gilt  letztlich  nicht  mir 
und  meiner  Arbeit.  Es  geht  mir 
um     den     Menschen,     der     der 
Schrift    entglitten    ist    und    nun 
wieder  und  v/ahrhaft  zu  ihr  ge- 
langt." 


Es   kann  nicht   der   Sinn   dieser 
kurzen  Stunde  des  Gedenkens  sein, 
in   dieses   Werk   einzudringen   oder 
gar    kritisch   sich   zu   ihm   zu   ver- 
halten. Nur  wenige  Punkte  will  ich 
zu  beleuchten  suchen,  um  den  be- 
sonderen Weg  dieses  Maimes  deut- 
lich zu  machen.  Buber  spricht,  wie 
wir    gehört    haben,    von    „werken" 
als  einer  Tätigkeit,  als  werktätiger, 
an  einem  Werke  tätiger  Arbeit,  und 
er  nennt  die  Ausgabe  seiner  Schrif- 
ten „V/erke".  Darüber  wird  er  sel- 
ber stutzig  und  bezeichnet  das,  was 
lür  ihn  unabgeschlossen  in  beinahe 
dreitausend  Seiten  Text  vorliegt,  als 
„entworfenes     Atmen".     Ergreifend 
bestätigen     sich    hier     Leben    und 
fragmentarisches  Werk  im  Atem,  er 
hält   den   Atem   offenbar   für   wah- 
rer, wärmer,  sinnvoller  als  das  ab- 
geschlossene Werk  in  seiner  Stren- 
ge und  Grösse,  aber  auch  imgesel- 
ligen    Kälte.    Bei    Buber    stand    im 
Zentrum    seiner    Besmnung      nicht 
der   Monolog,    sondern   der   Dialog, 
der     Dialog     zwischen     Gott     und 
Mensch,  aber  auch  der  Dialog  zwi- 
schen   Mensch    und    Mensch,     ich 
möchte  ihn  daher  einen  im  Geiste 
geselligen     Menschen     nennen,     ja 
man   könnte   die  Frage   stellen,   ob 
er    jenseits      seiner    ausserordentli- 
chen   schriftstellerischen    und    rein 
sprachlichen    Begabung    nicht    eher 
ein  mündlicher  Mensch  gewesen  sei, 
wie    so    oft    Juden,    in    denen    die 
Quellen  des  Judentums  noch  leben- 
dig sind,  also  ein  Mensch,  dem  es 
wesentlich   nicht   um    die    Erschaf- 
fung   neuer    Werke    geht,    sondern 
um  das  Verstehen  der  alten,  in  die- 
sem    Falle    also     der     Bibel.      Es 
scheint   mir   daher   kein   Zufall   zu 
sein,    dass    das    grösste   Werk     im 
strengen  Sinne,  das  Buber  geschaf- 
fen hat,  kein  Origmalwerk  ist,  son- 
dern  eine    Uebersetzung,    eben   die 
Uebersetzung  der  Bibel.  Mit  Franz 
Rosenzweig  hatte  er  sie  1925  mit  47 
Jahren    begonnen    und    dann    über 
dessen    Tod    hinaus    allein    bis    in 
sein    höchstes    Alter    hinem    fortge- 
setzt und  beendet.   Ergreifend  war 


Was    hatte    sich    mm    geändert? 
Ich  möchte  es  kühn  so  sagen:  Aus 
einem    Schriftsteller,    einem    reich- 
begabten, war  ein  schlichter,  wenn 
man   will:    mündlicher   Mensch   ge- 
worden, dessen  Ehrgeiz  nicht  mehr 
der    ist,    Werke    zu    schaffen,    son- 
dern  einem  Werk   zu   dienen.   Und 
war  es  nicht  mit  den  chassidischen 
Geschichten    ähnlich?    Erst    als    er 
das  freie  Selbstdichten  an  vorgeg^B- 
benen    Motiven    aufgab,    und    auch 
dies    hat    er    offen    ausgesprochen, 
fand  er  den  Weg  zu  seiner  Aufga- 
be:  was  geschehen  war  unter  Ver- 
-dcht    auf   eigene    Zutat   schlicht    zni 
berichten,    so    dass    nun    erst    das 
Alte    wahrhaft     neu    wurde.     Man 
darf   wohl    sagen,    dass    Buber   das 
Vorbild   des   mündlichen   Menschen 
in     seiner     nächsten     Nähe     hatte: 
Franz  Rosenzweig  und  in  weiterer 
Nähe     den     tiefsinnigen     Christen 
Christian  Florens  Rang.  Diesen  bei- 
den,  „die  mir  geholfen  haben,   die 
Schrift  zu  lesen",  ist  mit  eben  die- 
sen   Worten    das    Buch    „Königtimi 
Gottes"   gewidmet. 


Völker,    die    neue    Poesie    um    die 
Jahrhundertwende,   die   neue   Philo- 
sophie   von    Dilthey    und    Simmel, 
nicht    zuletzt     die    Affäre    Dreyfus. 
Und  vor  allem  den  Zionismus.  Bu- 
ber   wurde    der    Führer    des    deut- 
schen   Judentums,    aber    nicht    im 
Dienste  des  assimilierten  Liberalis- 
mus,  sondern  im  Dienste  des  Zio- 
nismus.  Mit  den   drei   Reden  über 
das  Judentum  fiel  die  jüdische  Ju- 
gend ihm  zu  und  fand  den  Anstoss, 
ihr  neues  Leben  an  Zion  als  Mit- 
telpunkt   zu    messen:    die    edelsten 
Vertreter     gingen     nach     Palästina, 
viele  von  ihnen  in  den  Kibbuz,  der 
als  Form  einer  neuen  Gemeinschaft 
Buber    besonders    am    Herzen    lag. 
Buber  nahm  Stellung,  wie  er  sein 
ganzes  Leben  lang  Stellung  genom- 
men hat.  Schon  in  der  Frühzeit  des 
Zionismus    nahm    er    Stellung,    als 
unbedingter    Zionist,    und    so    auch 
für  Theodor  Herzl,  imd  doch  auch 
gegen  Herzl,   soweit   dessen  Zionis- 
mus nur  ein  politischer  Zionismus 
war.  Er  war  für  den  Zionismus  als 
eine  Kulturbewegung  in  Gestalt  ei- 
ner    Erneuerung     der    hebräischen 
Kultur    als    ganzer,      Kultur    mcht 
verstanden  als   schöne  Nebensache, 
sondern    als    allumfassende    Haupt- 
sache.   Man    köimte   allerdings    fra- 
gen    ob    bei    solchem    natürlichem 
Stehen  in  der  Welt  ein  Durchbruch 
in   die   Welt   überhaupt   nötig   war, 
und  zweifellos  wäre  Buber  bei  sei- 
ner   grossen    Begabung    auf    jeden 
Fall   ein   bedeutender    Schriftsteller 
geworden.    Ein    bedeutender    wohl, 
aber  kein  beispielgebender! 


Buber  v;ar  der  Welt  verbunden, 
vom  Anfang  seines  Lebens  an,  und 
doch   meine   ich,    dass    der   Durch- 
bruch  in   die   Welt   eines   der   ent- 
scheidenden Motive  seiner  geistigen 
Erfahrung  gewesen  ist.  Wie  ist  das 
zu    verstehen?    Es    gibt    für    jeden 
Menschen  eine  doppelte  Eroberung 
der   Welt.   Die   erste   vollzieht    sich 
nach  der  Geburt  imter  imendlichen 
Mühen.     Er     wächst     empor,     und 
dann  kommt  früher  oder  später  die 
zweite  Eroberung  der  Welt,  und  sie 
ist    das    eigentliche    Problem      des 
menschlichen  Geistes,  ein  Problem, 
das  jeder  Mensch  anders  löst.  Die 
Mühen    wiederholen   sich,   bis    end- 
lich   der    Punkt    gefunden    Ist,    wo 
der    Mensch    sich      der    Welt      mit 
dem,  was  er  hat  und  ist,  hinzutut, 
wo  die  Welt  aus  ihrer  passiven  zu 
ihrer  aktiven  Natur  erwacht,  in  ei- 
nem neuen  Menschen. 


So  war  es   auch  bei  Buber.   Er 
hat    diesen    Punkt    etwa    im    Jahre 
1916  erreicht,  mit  der  ersten  Skizze 
von  „Ich  und  Du".  Was  vorherging, 
war  nicht  etwa  negativ,  im  Gegen- 
teil,  es   war   alles   da,   aber   etwas 
fehlte.  Alles  war  da,  um  seine  Ent- 
wicklung   zu   begünstigen,    der   von 
jüdischem     Wissen     durchdrungene 
Grossvater,  die  jüdische  Umgebung 
m   Galizien,   die   seinem   Judentum 
Ziel    und    Richtung    gab,    die    deut- 
sche   Kultur    in    Wien,      in    die    er 
grossartig  hmein wuchs.  Alles  nahm 
der   junge  Mensch   auf,   die   Kunst, 
die    Mythen    und    Religionen      dec 


Beispielhaft    wurde   er,    weil    er 
in  der  ersten  Hälfte  seines  Lebens 
eine  persönliche  Entdeckung  mach- 
te   die  des  Ich  imd  Du,  mit  allen 
umstürzenden  Folgen  einer  solchen 
Entdeckung,   nicht   zuletzt   für    ihn 
selber.     Sie    war    vorbereitet    und 
wurde  bestätigt  durch  andere  Den- 
ker   Aber  Buber  hat  diese  Entdek- 
kung    für    sich    selbst    unter    dem 
Druck  einer  gefährlichen  Spannung 
gemacht,     und     diese     Entdeckung 
hing  in  einem  erstaunlichen  Grade 
mit  der  Welt  zusammen.  Das  Kom- 
plizierte   wurde    einfach,    aber    das 
Einfache  wurde  wiederum   kompli- 
2,ij^T.f    Wie   schwierig  alles  gewesen 
war"'  zeigen    uns    zwei    Tatsachen, 
die    Buber    selbst    berichtet.    Zwei 
Jahre  vor  der  ersten  Niederschrift 
des   Buches   „Ich  und  Du"   hat   er 
fast    nichts    Eigenes    arbeiten    kön- 
nen.  Die   zweite   Tatsache  ist  noch 
beweiskräftiger.  Das  Buch  war  ur- 
sprünglich als  der  erste  Teil  eines 
fünfbändigen   Werkes    geplant,    des- 
sen „systematischer  Charakter",  wie 
er  schreibt,  „es  ihm  zusehends  ent- 
fremdete".   In    dieser    Entfremdung 
vom    System    zeigt    sich    das    Neue 
an,  auch  äusserlich:  die  Einschrän- 
kung eines  umfassenden  systemati- 
schen  Werkes   auf   einen   schmalen 
unsystematischen   Band.   Es   ist   so, 
wie  ich  gesagt  habe:   es  war  alles 
da,  aber  etwas  fehlt.  Da  war  Gott, 
da'  war  die  Welt,  da  war  sicherlich 
das   Ich   und   wahrscheinlich   schon 
das    Du,    alles    wurde    isoliert      ge- 
dacht,     alles      wurde       verbunden, 
scheinverbunden     im    Namen     der 
grossen  Dämonie  der  Zeit,  die  un- 
diskutierbar       war:       Wissenschaft. 
Und  plötzlich  sah  ein  Mensch,  dass 
da   etwas   nicht   stimmte,   dass   da 
etwas   Störendes  war,  das  ihn  hin- 
derte, auf  die  andere  Seite  zu  kom- 
men,   wo    Ich,   Du,   Welt,    Gott    als 
Gegenstände  nicht  mehr  gelten,  wo 
wirklich  einer  ist,  der  Ich  und  der 
Du  sagt,  wo  wirklich  die  Welt,  wo 
wirklich  Gott  ist,  der  ansprechbare 
Gott.  Darum  wirkt  dieses  Buch,  ob- 
wohl ganz  in  der  Sprache  der  Ver- 
nunft gedacht  imd  geschrieben,  wie 


alle     grossen   Durchbruchsschriften 
so  ergreifend,  so  ergriffen  in  dem 
Stammeln  eines  von  seinem  neuen 
Blick   auf   die   Dinge   überwältigten 
Menschen.    Darum   beginnt    es    mit 
einfachen    Feststellungen,    und    sie 
beginnen    mit    der    Welt:    dass    sie 
dem  Menschen  zwiefältig  sei  nach 
seiner    zwiefältigen    Haltung,    dass 
dies    Zwiefältige    von    den    Grund- 
worten   komme,    die    nicht    Einzel- 
worte    seien,      sondern   Wortpaare 
Ich-Du,  das  zweite  Ich-Es.  Zu  dem 
Grundwort    Ich-Es    gehört    die    Er- 
fahrung,   gemeint    ist    die    wissen- 
schaftliche     Erfahrung,      zu  ,  .dfem    ^ 
Grundwort   Ich-Du   aber   die   Bezie- 
hung. Nur  in  dieser  Beziehung  of- 
fenbart sich  die  Natur,  die  Kunst, 
das  Leben  mit  den  Menschen,  das 
Leben  mit  den  geistigen  Wesenhei- 
ten.   Zwischen    Ich    und    Du    steht 
keine   Begrifflichkeit.   Dass   ich   Du 
sage,  ist  eine  Tat,  eine  Wesenstat. 
Ich    spreche    es    mit    dem    ganzen 
Wesen.  Es  ist  eine  Begegnung.  Das 
Es      hat      Gegenstände,      die      der 
Mensch  erfährt  und  gebraucht.  Das 
Du  hat  Gegenwart,  das  Es  der  Ge- 
genstände   nur   Vergangenheit.    Aus 
diesen  einfachen  Setzungen  entwik- 
kelt  Buber  die  Welt  in  allen  ihren 
Erscheinungen,         entwickelt         er 
schliesslich  Gott.   Und  doch  ist  er 
nicht  blind  im  Rausche  seiner  Er- 
kenntnis, er  weiss,  auf  einer  neuen 
Stufe,    dass    das    Einfache    sofort 
wieder  kompliziert  wird,  sonst  wä- 
re es  Mystik,  die  Mystik  seiner  Ju- 
gend, die  er  selbst  an  einer  Stelle 
ausdrücklich    verwirft.    Er    spricht 
von      „der     erhabenen    Schwermut 
unseres   Loses",   dass   jedes   Du   in 
unserer  Welt  zum  Es  werden  muss. 
Das  Du  dos  Mensclicn,  das  in  dei 
echten    Beziehung    steht,      ist    von 
flüchtiger    Dauer,    das    Es    der    Er- 
fahrung von  den  Dingen  ist  unent- 
rinnbar.   Das    Du   bleibt    aber:    als 
ein  Masstab. 


Was  meint  nun  dies  alles,  nicht 
als  Erfüllung,  sondern  als  reine 
Intention?  Buber  will  aus  der  Dia- 
lektik heraus,  so  wie  die  chassidi- 
schen Weisen  schon  jenseits  der 
Dialektik  lebten,  er  will  die  Welt 
mnerhalb  der  Dialektik  durchbre- 
chen, er  will  in  die  Welt,  jenseits 
der  Es- Welt.  So  schreibt  er: 

„Der  Geist  ist  wahrhaft  ,bei 
sich',  wenn  er  der  ihm  erschlos- 
senen Welt  gegenübertreten,  sie 
und  an  ihr  sich  erlösen  kann. 
Das  könnte  die  zerstreute,  ge- 
schwächte, widerspruchdurch- 
setzte Geistigkeit,  die  heute  den 
Geist  vertritt,  freilich  erst,  wenn 
sie  wieder  zum  Wesen  des  Gei- 
stes, zum  Dusagen  gediehe." 

Und  noch  deutlicher  wird  er, 
wo  er  von  dem  namenlosen  Weg 
spricht,  der  durch  die  Auf.  und 
Niedergänge  der  Kulturen  führt, 
und  nun  heisst  es  wörtlich:  „wo  es 
kein  Weiter  mehr  und  erst  recht 
kein  Zurück  gibt,  nur  noch  die  un- 
erhörte Umkehr:  den  Durchbruch". 
Und  er  zitiert  Hölderlin:  „Wo  aber 
Gefahr  ist,  wächst  das  Rettende 
auch." 

An  einer  anderen  Stelle  spricht 
Buber  deutlicher  von  diesem  Ret- 
tenden, dort  nämlich,  wo  er  von 
Gott  spricht: 

„Von  der  Welt  wegblicken, 
das  hilft  nicht  zu  Gott;  auf  die 
Welt  hinstarren,  das  hilft  auch 
nicht  zu  ihm:  aber  wer  die  Welt 
in  ihm  schaut,  steht  in  seiner 
Gegenwart.  .Hier  Welt,  dort 
Gott',  das  ist  Es-Rede;  und 
,Gott  in  der  Welt'  —  das  ist 
andre  Es-Rede;  aber  nichts  aus- 

(Schluss  S.  10) 


Seite  10 


MB  —  17.  Juni  1966 


GEDENKREDE  AUF  MARTIN  BUBER 


'•■r'*' 


'"r;  '^'t 


(Schluss  von  S.  9) 

schalten,  nichts  dahintenlassen, 
alles  —  all  die  Welt  mit  im  Du 
begreifen,  der  Welt  ihr  Recht 
und  ihre  Wahrheit  geben,  nichts 
neben  Gott,  aber  auch  alles  in 
ihm  fassen,  das  ist  vollkomme- 
ne Beziehung.  Man  findet  Gott 
nicht,  wenn  man  in  der  Welt 
bleibt,  man  findet  Gott  nicht, 
wenn  man  aus  der  Welt  geht. 
Wer  mit  dem  ganzen  Wesen  zu 
seinem  Du  ausgeht  und  alles 
Weltwesen  ihm  zuträgt,  findet 
ihn,  den  man  nicht  suchen 
kann." 

Hier  ist  die  entscheidende  Wen- 
dung vollzogen.  Das  Grundwort  Ich- 
i>u*^wiru  zu   der   reinen   Beziehung 
Welt-Gott.     Dieses    Wortpaar     wird 
nicht  gesprengt,  beide  Teile  der  Be- 
ziehung   sind    ineinander    da,    aber 
der  volle  Akzent  liegt  auf  der  Welt. 
Dies  ist  es,  was  ich  unter  Bubers 
Durchbruch    in   die   Welt    verstehe, 
als   letzte   Konsequenz   des   Ich-Du- 
Verhältnisses.  Was  hier  gemeint  ist, 
ist   ohne    das    Judentum    in    seiner 
Weltbejahung    nicht    zu    verstehen. 
Alles,    was    Buber    nach    „Ich    und 
Du"  geschrieben  hat,  ausgenommen 
vielleicht   die   religionswissenschaft- 
lichen   Werke,    entspringt    aus    der 
Wurzel  dieses  Buches.  Aus  ihr  ent- 
springt das  Gespräch,  aus  ihr  das 
dialogische  Leben,  aus  ihr  die  Ka- 
tegorie   des    Zwischenmenschlichen, 
aus  ihr   die   Steigerung   der  Gesell- 
schaft   zur    Gemeinschaft    und    die 
grossen    Auseinandersetzungen    mit 
Kant,  Hegel,  Marx,  Heidegger,  Sar- 
tre, aus  ihr  auf  höchster  Stufe  der 
Erkenntnis     die     Entdeckung     des 
„Wir"    in    dem    Aufsatz    über    das 
Wort  „Dem  Gemeinschaftlichen  fol- 
gen" von  Heraklit,  aus  ihr  schliess- 
lich   entspringt    Bubers    Auffassung 
von    der    Sprache    in    dem    Aufsatz 
„Das  Wort,  das   gesprochen  wird", 
derm   die   Grundworte   Ich-Du   wer- 
den  gesprochen,    mit   ganzer    Seele 
gesprochen,  die  Grundworte  Ich-Es 
werden  nicht  gesprochen. 

Dies    alles   bedeutet    aber   niclit. 
dass     Bubers     Weltansicht     zuletzt 
doch  v/ieder  in  eine  wenn  auch  ver- 
hüllte philosophische  Lehre  zurück- 
biegt, sondern  es  bedeutet,  dass  die 
stellungnehmende     Aktivitiit     seiner 
ersten     Lebenshälfte     kraft     dieses 
Durchbruchs    sich    verstärkte.    Das 
kam.   zum   Ausdruck   in   seiner   Tä- 
tigkeit   am    Jüdischen    Lehrhaus    in 
Frankfurt,    es    kam    zum    Ausdruck 
nach  der  grossen  Katastrophe  1933 
in  Deutschland,  als  Buber  mit  vol- 
lem persönlichem  Einsatz  die  assi- 
milierten   deutschen    Juden    lehrte, 
wofür   sie   litten,   und   ihnen   durch 
die     V/iedererweckung     ihres     jüdi- 
schen   Bewusstsoins    ein    Gegenge- 
wicht   gegen    die    völlige    Verzv/eif- 
lung    gab.    Es    kam    zum   Ausdruck 
in    seiner    unnachgiebigen    Haltung 
in  Isrc^el  gegen  jeden  Chauvinismus, 
den  jüdischen  und  den  arabischen. 
Er  nahm  noch  in  seiner  allerletzten 
Zeit   bei    schon    sinkenden    Kräften 
aktiv     Stellung     in     einer     kleinen 
Gruppe,    zusammen    mit    Ernst    Si- 
mon,   Doktor    Scheresche wski    und 
anderen,   die  sich  um   die  Verstän- 
digung   mit    den    Arabern    bemüht. 
Es  ist  tief  begründet,  dass  die  ara- 
bischen   Studenten    der    Universität 
Jerusalem    einen    Kranz    an    seiner 
Bahre  niederlegten. 

Es  ist  bekannt,  dass  Bubers  po- 
litische und  philosophische  Gedan- 
ken bei  seinen  Lebzeiten  viel  Kri- 
tik erfahren  haben.  Im  Nachv/ort 
zu  dem  chassidischen  Roman  „Gog 
und  Magog"  geht  er  auf  solche 
Kritik  seiner  angeblichen  Lehre  ein 
und  schreibt: 

„Ich  aber  habe  keine  „Leh- 
re". Ich  habe  nur  die  Rmktion. 
auf  solche  Wirklich::eiten  hinzu- 


zeigen. Wer  eine  Lehre  von  mir 
erwartet,  die  etwas  anderes  ist 
als  eine  Hinzeigung  dieser  Art, 
wird  stets  enttäuscht  werden. 
Es  will  mir  jedoch  scheinen, 
dass  es  in  unserer  Weltstunde 
überhaupt  nicht  darauf  an- 
kommt, feste  Lehre  zu  besitzen, 
sondern  darauf,  ewige  Wirklich- 
keit zu  erkennen  und  aus  ihrer 
Kraft  gegenwärtiger  Wirklichkeit 
standzuhalten.  Es  ist  in  dieser 
Wüstennacht  kein  Weg  zu  zei- 
gen; es  ist  zu  helfen,  mit  be- 
reiter Seele  zu  beharren,  bis 
der  Morgen  dämm^ert  imd  ein 
Weg  sichtbar  wird,  wo  niemand 
ihn  ahnte." 
Das  ist  heute  noch  wahrer,   als 

es   schon   damals   war.   Wir   wollen 

es   uns   zueignen. 

Schliessen  möchte  ich  nicht  mit 

eigenen  Worten,  sondern  mit  einem 

Gedicht,   das   Buber   in  der   letzten 


Zeit  seines  Lebens  gemacht  hat.  Es 
heisst  „Der  Fiedler"  und  stellt  Mar- 
tin Bubers,  des  hohen  Menschen, 
letzten  Durchbruch  dar: 

Hier  am  Weltrand  habe  ich  zur 

Stunde 
Wunderlich  mein  Leben 

angesiedelt. 
Hinter  mir  im  grenzenlosen 

Runde 
Schweigt  das  All,  nur  jener 

Fiedler   fiedelt. 
Dunkler,  schon  steh  ich  mit  dir 

im  Bunde, 
Willig,  aus  den  Tönen  zu 

erfahren. 
Wo  ich  schuld  ward  ohne  eigne 

Kunde. 
Spüren  lass  michs,   lass  sich 

offenbaren 
Di.eser  heilen  Seele  jede  Wunde, 
Die  ich  heillos  schlug  und  blieb 

im  Schein, 
Nicht    eher,    heiiger    Spielmann, 

halte  ein. 


Rechrund  Gesefe 


Neue  Gesetzentwürfe 


Seit  der  Wahl  der  jetzigen  Knes- 
seth  hat  die  Regierung  nicht  weni- 
ger als  30  neue  Gesetzentwürfe  vor- 
gelegt. 

Ein  umfangreicher  Entwurf  soll 
die    Pensionen    der    Staatsbeamten 
neu  regeln.  Beim  Lesen  dieses  Ent- 
wurfs hat  man  bisweilen  den  Em- 
druck,    dass    das    Hauptaugenmerk 
nicht  auf  die  angemessene  Versor- 
gung des  Beamten  und  seiner  Hin- 
terbliebenen  gerichtet   ist,    sondern 
auf    die    Einsparung    von    Geldern. 
Daher   gibt  es  bei  der  Pension  ei- 
nes   Beamten    zv/ar      eine    Höchst- 
grenze,   nämlich    70%    des    Gehalts, 
aber   keine   Mindestgrenze,   imd   da 
jedes  Dienstjahr  2"/b  Pensionsrechte 
verleiht  und  ein  erkrankter  Beam- 
ter in  gewissen  Fällen  schon  nach 
fünf   Dienstjahren   pensioniert   wer- 
den   kann,   bedeutet   es,    dass   eine 
Pension  dann  10"ü  des  Gehalts  aus- 
macht. Wie  aber  ein  Beamter,  der 
IL    600.—    Gehalt    bekam,    von    IL 
60.—  im  Monat  leben  soll,  darüber 
scheint    man    sich    keine    Gedanken 
zu   machen.   Zum   Vergleich   sei   er- 
wähjit,  dass  die  mitteleuropäischen 
Pensionsgesetzc    eine    Grundpension 
von  50ro  vorsehen,  die  sich  mit  je- 
dem  Dienstjahr  um   1%   erhöht,   so 
dass     nach     25     Dienst  jähren     die 
Höchstpension     von     75"/b     erreicht 
wird. 

Ein  anderes   Beispiel:    Nach  bis- 
herigem   Recht    erhält    die    Witwe 
eines  nach  wenigstens  fünf  Dienst- 
jahren im  Dienst  verstorbenen  Be- 
amten  eine    Witwenrente    von    40% 
des  Gehalts  des  Verstorbenen,  gege- 
benenfalls     mit     Kinderzuschlägen. 
Gegen   diese   Regelung   v/äre   nichts 
einzuwenden.  Aber  wenn  der  Beam- 
te im  Zeitpunkt  seines  Hinscheidens 
schon  pensioniert   v/ar,  beträgt  die 
Witwenreiite  nur  50" b   der   Pension, 
also  unter  Um.ständen  nur  5"/b  vom 
Gehalt  und  höchstens  35%  vom  Ge- 
halt. Ein  wirtschaftlicher  oder  logi- 
scher  Grund   für    diese    Schlechter- 
stellung ist  nicht  einzusehen,  denn 
diese    Benachteiligung    der    Witwe, 
wenn  der  Ehemann  bei  seinem  To- 
de   schon    pensioniert    war,    müss- 
te  den  Mann  logischerweise  „mora- 
lisch  dazu   verpflichten",    am   Tage 
vor   seiner   Pensionierung   aus   dem 
Leben   zu   scheiden,   wenn   er   seine 
Witwe  gehörig  versorgt  wissen  will. 
Um  diesen  Unterschied  zu  mildem, 
wird    zunächst    einmal    vorgeschla- 
gen, die  Pension  der  Witwe  des  im 
Dienst  verstorbenen  Beamten,  wenn 
sie  noch  nicht  45  Jahre  alt  ist,   je 
nach  den   Umständen  von  40"'b   bis 
auf  30" b  des  Gehalts  zu  kürzen.  An- 
dererseits   ist    in    Aussicht    genom- 
men, die  Pension  der  Witv/e.  deren 


Mann     als   Pensionsempfänger     ge- 
storben   ist,    auf    60%    der    Pension 
zu    erhöhen;    aber    für    diesen    Fall 
ist   kein   Mindestbetrag   vorgesehen, 
so    dass    sich   so    geringfügige    Pen- 
sionen wie  8"/b   des   letzten  Gehalts 
des   Verstorbenen   ergeben   können, 
bei  denen  von  einer   „Versorgung" 
nicht  die  Rede  sein  kann;   dagegen 
hat  man   im  Entwurf  durchaus   an 
den  Fall  gedacht,  dass  ein  Beamter 
sein    ganzes    Leben    für    den    Staat 
arbeitete    und   nach    35    oder    mehr 
Dienstjahren     seine     Höchstpension 
von  70%   des  Gehalts  erreicht  hat. 
Nach    der    neuen    Regelung    würde 
dann  nach  seinem  Tode  die  Witwe 
60%     hiervon    erhalten,     also     42^/ o 
vom   Gehalt;    das    jedoch   erscheint 
unserem       Finanzministerium       zu 
grosszügig,  und  so  wird  —  kleinli- 
cherweise   —    für    solche    seltenen 
Fälle  längster  Dienstzeit  ein  Höchst- 
satz   von    40"/b    vorgeschlagen.    Man 
sollte   bedenken,    dass   unser    Staat 
sich  nicht  den  Luxus  eines  schlecht 
bezahlten  und  noch  schlechter  ver- 
sorgten    Beamtenapparats       leisten 
kann.    Die   Folge    ist   der   Weggang 
der   guten   Kräfte   aus   dem   Staats- 
dienst, und  die  Schäden  fürs  Gan- 
ze   sind   am    Ende    viel    höher    als 
die   paar   unbedeutenden   Ersparnis- 
se. 

Auf  die  anderen  Entwürfe  kann 
hier  nur  kurz  eingegangen  werden: 
Elektronische  Aufnahmen  von 
Kraftfahrzeugen  in  Strassenkreu- 
zungen  sollen  bei  Gericht  Beweis- 
kraft dafür  haben,  dass  das  Fahr- 
zeug bei  rotem  Licht  in  die  Kreu- 
zung gefahren  ist.  Zugleich  wird 
von  der  (widerlegbaren)  Vermu- 
timg ausgegangen,  dass  der  Inha- 
ber des  Autos  am  Steuer  war.  — 
Gleichzeitig  wird  vorgeschlagen, 
dass  das  Gericht,  wenn  es  einen 
Führerschein  entzieht,  dern  Verur- 
teilten aus  besonderen  Gründen  das 
Führen  landwirtschaftlicher  Fahr- 
zeuge, z.B.  Traktoren,  ausserhalb 
der  Verkehrswege  zu  gestatten  be- 
rechtigt  ist. 

Im  Strafgesetzbuch  soll  das 
Strafmass  in  achtzig  Fällen  teUs 
nach  oben  und  teils  nach  unten  ab- 
geändert werden.  Zugleich  soll  die 
Strafbarkeit  der  Aufforderung  zum 
Duell  und  des  Selbstmordversuchs 
beseitigt  werden. 

In  einem  privaten  Gesetzesvor- 
schlag regt  Menachem  Begin  an, 
die  Vertrelung  des  Knesseth-Präsi- 
dcnten  für  den  Fall  seiner  Krank- 
heit oder  Abwesenheit  gesetzlich 
zu  regeln.  Der  Anlass  zu  dem  Vor- 
.vchlag  war,  dass  während  der 
Staatspräsident  im  Ausland  war. 
der    Knesreth-Präsidcnt,      der      den 


Nr.  24 


Jüdisches  Museum  in  Bosef 

In    Basel    v/urde     das    Jüdische 
Museum   der   Schweiz  am   12.   Juni 
eröffnet.     Den    Anstoss     zu    dieser 
Gründung  gab  die  „Monumenta  Ju- 
daica",    die   im   Winter    1963/64    im 
Köhiischen  Stadtmuseum  2000  Jah- 
re jüdische  Geschichte  und  Kultur 
der  Juden  am  Rhein  dokumentier- 
te,    Basel    miteingeschlossen.      Die 
von  privater   Seite  ausgehende  Ini- 
tiative zur  Schaffimg  eines  Schwei- 
zerischen  jüdischen   Museums   geht 
bis  in  den  Anfang  des  Jahres   1964 
zurück.   Träger   wurde   der   zu   die- 
sem  Zweck   im   Februar   1966   kon- 
stituierte „Verein  für  das  Jüdische 
Museum  der  Schweiz  in  Basel".  Er 
sicherte    sich    die    finanzielle    Hilfe 
des   Schweizerischen     Israelitischen 
Gemeindebundes  und  gewann,  dar- 
über   hinaus,    private    Gönner.    Die 
fast    100   Objekte   aus   den   Bestän- 
den     der      Judaica-Abteilung      des 
Volkskundemuseums    in    Basel    bil- 
den —  als  Leihgaben  —  den  Grund- 
stock des  neuen  Museums,  der  er- 
sten  öffentlichen   Sammlung  dieser 
Art   in   der   Schweiz.   Da   sind,   um 
nur  eüiige  wenige  Beispiele  zu  nen- 
nen, Tefillin  und  hebräische  Kalen- 
der,   Amulette,    Becher    und    Hoch- 
zeitsringe,      Sabbathleuchter       und 
feiertägliche     Tischdecken,      femer 
Thoraschmuck     und     Psombüchsen 
aus   dem   18.   Jahrhundert.   Schächt- 
messer  und   Brennstempel   aus   der 
gleichen  Zeit,   zur   Sederfeier  gehö- 
rendes   Gerät,    Etrogschalen,      Cha- 
nukkahleuchter    und    Trendel.    Er- 
gänzt     werden       diese     Leihgaben 
durch    andere    aus    privatem    und 
öffentlichem    Besitz,    so    auch    aus 
dem  Historischen  Museum  in  Basel 
und   dem    Schweizerischen    Landes- 
museum in  Zürich. 

E.  G.  L. 


Staatspräsidenten  vertrat,  seine  ge- 
plante Afrika-Reise  absagen  muss- 
te,  da  die  Frage  seiner  Vertretung 
ungeklärt   war. 

Dem  Innenminister  sollen  weite- 
re Befugnisse  zur  Einschränkimg 
des  Missbrauchs  israelischer  Pässe 
verliehen  werden.  Insbesondere  soll 
die  Regel  aufgestellt  werden,  dass 
ein  Israelpass  in  der  Regel  an  Neu- 
einwanderer erst  erteilt  werden 
darf,  wenn  seit  der  Einreise  ein 
Jahr   vergangen   ist. 

Ortsrätc  sollen  ähnlich  wie  Städ- 
t^^  die  Befugnis  erhalten,  sich  recht- 
hch  wirksam  auf  Wechseln  zu  ver- 
pflichten. 

Das  Justizministerium  hat  einen 
Entv/urf  zur  zivilrechtlichen  Rege- 
lung des  Verwahrungsvertrages 
einschl.  Einbringung  von  Sachen  in 
Gastwirtschaf t.sbetrieben    vorgelegt. 

Die  vom  Obersten  Gericht  für 
ungültig  erklärten  Anordnungen 
des  Reiigionsministers  über  die  Or- 
ganisation des  jüdischen  Beerdi- 
gungswesens sollen  nachträglich  ei- 
ne gesetzliche   Grundlage   erhalten. 

IiTi  Gesetz  gegen  Völkermord 
soll  die  Unverjährbarkeit  solcher 
Verbrechen   festgelegt   werden. 

Am  15.  Februar  1966  schlug  die 
Regierung  die  (üizwischen  bereits 
angenommene)  Erhöhung  der  Ein- 
kommensteuer um  2—2'- "b  des 
Einkommens  für  das  Steuerjahr 
1966/67  vor. 

Eine  Anordnung  zum  Urheber- 
rechtsgesetz soll  gelegentliche  Wie- 
dergabe von  gesetzlich  geschütztem 
geistigem  Eigentum  im  Rahmen 
des  Schul-Bildfunks  ohne  ausdrück- 
liche Genehmigung  der  Berechtig- 
ten ermöglichen.  Soweit  dom  Be- 
rechtigten eine  Vergütung  zusteht, 
wird  sie  im  Streitfall  von  einer 
richterlichen  Kommission  festge- 
setzt. 

Ein  im  Mai  vorgelegter  Geset»- 
entwTirf  soll  den  Misslirauch  der 
Bczeiclmung  „Ka.scher"  miter  Stra- 
fe   stellen. 

Dr.  F.  S.  PERLE& 


ALLGEMEINE  Seiie  26  —  Nr.  XXI/8 


KOLTUR«   FEUILLETON 


20.  Mai  1966 


Eleonore  Sterling: 


Analyse  historischer  Tatbestände 


Ralf  Dahrendorf:  „Gesellschaft  und  Demo- 
kratie in  Deutschland."  Piper  Verlag.  München.  536  S. 
28,—  DM. 

Demokratische  Leidonsdiaft  ist  hierzulande  so 
solten,  daß  wir  geneigt  sind,  dieses  von  einem 
Deutsdien  in  Deutschland  für  Deutsche  geschrie- 
bene Buch  als  „undeutsche"  zu  bezeichnen.  Es  be- 
wdfst  aber  auch,  daß  viele  Vorstellungen  vom 
unpolitischen  „deutschen  Charakter"  der  Revision 
bedürfen.  Die  Ausnahme  braucht  nicht  immer,  wie 
CS  heißt,  die  Regel  zu  bestätigen;  sie  könnte  audi 
■/eigen,  daß  sich,  wenn  auch  vorerst  nur  in  klei- 
neren Kreisen,  etwas  Grundsätzliches  geändert 
hat. 

In  der  soziologischen  Fachwissenschaft  ist  eine 
entwicklungsgeschichtliche  Analyse  der  Gegen- 
wart, wie  sie  uns  hier  so  anschaulich  präsentiert 
wird  eine  Ausnahme.  Unter  den  Historikern  wird 
man 'diesem  Versuch,  Geschichte  nidit  darzustel- 
len und  als  „Wert  an  sidV  zu  analysieren,  son- 


dern unter  dem  Gesiditspunkt  modemer  Probleme 
aufzuschlüsseln,  mit  Kopfsdiütteln  begegnen.  Und 
die  meisten  werden  an  den  oft  globalen  und  wag- 
halsigen    Hypothesen    viel    auszusetzen    nahen. 
Trotzdem:    es    ist   ein   wissenschaftliches   Werk, 
dem  die  leidenschaftlidie  Fürspradie  für  eine  frei- 
heitliche  Demokratie   keineswegs   abträglich   ist. 
Im  Gegenteil:  stets  wurde  wirkliche  Wissenschdtt. 
audi  die  empirische,  angetrieben  von  der  Liebe 
zur  Gerechtigkeit  und  dem  Wunsdi,  daß  die  Welt 
doch  besser  werde.  Und  es  ergibt  sich  aus  dem 
Thema  selber,  das  alle  angeht,  daß  es  unter  pad- 
agogisdien  und  nicht  aussdiließlidi  akademisdien 
Gesichtspunkten  formuliert  werden  muß.  Dahren- 
dorf s  Darstellungsweise  selber  ist  demokratisch 
denn  er  läßt  den  Leser  an  seinen  Gedankengan- 
gen teilnehmen.  Er  stellt  Hypothesen  auf,  erwagt 
das  Für  und  Wider,  setzt  sidi  mit  der  Literatur 
und  mit  sich  selber  auseinander  und  endet  viel 
öfter  mit  neuen  Fragen  als  mit  endgültigen  Ant- 
worten. 


Qesamtanalyse  der  deutschen  Qesellsdiaft? 


Der    Verfasser    will    eine    Gesamtanalyse    der 
doutsdien  Gesellschaft  von  heute  vorlegen,  und 
7war  in  ihrem  besonderen  Verhältnis  zur  Politik. 
Er  will  also  nic^t,  wie  dies  häufig  geschieht,  sich 
mit  der  Untersuchung  eines  Teilgebietes  oder  mit 
einer  Zusammenstellung  von  bloßen  Fakten  be- 
gnügen,  sondern    die    „Strukturen    vieler   gesel  - 
sdiaftlicher   Bereiche   auf   ein   politiscties   <^^runcl- 
problem  beziehen,  damit  zugleich  Fragen,  die  sidi 
jedem  Bürger  der  betroffenen  Gesellschaft  stellen, 
beantworten".  Das  bedeutet  „Distanz  vom  Selbst- 
verständlichen",  also  nicht   einfach  die  Beschrei- 
bung dessen,  was  ist,  sondern  Diagnose  von  Ur- 
sadien  und  Zusammenhängen  sowie  die  Erarbei- 
tung   von    Prognosen    und    Therapievorschlagen. 
Das   , distanzierte  Engagement"    zieht  sich  durch 
das  ganze  Buch  hindurdi.  Von  den  „Intellektuel- 
len", zu  denen  sich  der  Verfasser  rechnet,  ver- 
langt Dahrendorf  historisch  gerichtete  Kritik  und 
Teilnahme  am  sozialen  und  politiscben  Gescbe- 
hrn   damit  sie  kraft  ihrer  Erkenntnis  dazu  beitra- 
gen mögen,  endlich  in  Deutschland  eine  „freiheil- 
lidie    Verfassung"    zu    verwirklichen.    Nodi   nie, 
meint  Dahrendorf,  waren  „die  Chancen  der  libe- 
ralen Demokratie  in  einer  deutschen  Gesellschaft, 
so  groß,  wie  sie  es  in  der  Bundesrepublik  sind  . 
Damit   stimmen   wir   überein,   aber  es  muß  hier 
schon  eingewandt  werden,  daß  Dahrendorfs  Kri- 
tik letztlich  doch  nicht  scharf  genug  ist  —  der 
menschlich  sehr  verständliche  Wunsch,  seinen  Op- 
timismus zu  unterstreichen,  war  wohl  zu  dring- 
lidi  __,  um  die  Widerstände,  die  einer  soldien 
Entwidilung  entgegenwirken,  klar  genug  in  den 
Gnff  zu  bekommen.  Oft  wirkt  diese  Untersuchung 
viel  zu  versöhnlich.  Nach  dem,  was  in  Auschwitz 
gcsdiehen  ist,  bedürfte  es  eigentlidi  eines  noch 
viel  stärkeren  Aufwandes  des  Geistes,  noch  star- 

k#«rer  Leidensc*ia/t«>«.   Oio  Bürjjor   dor  BundosrepU- 

blik  sollten  nidit  nur  aufgefordert  werden,  ihre 
gegenwärtige  gute  Chance,  eine  freiheitliche  Ver- 
fassung zu  erriditen,  wahrzunehmen;  sie  müßten 
auch  zutiefst  einsichtig  werden,  daß  sie  und  die 
Menschheit  überhaupt  es  sich  gar  nicht  mehr 
leisten  können,  ohne  eine  freiheitliche  Gesell- 
sdiaft  zu  leben. 

Dahrendorfs  Modell  einer   „freiheitlichen  Ver- 
fassung", das  heißt  einer  offenen  Gesellschaft  und 
Politik,  ist  der  englische  und  amerikanische  Libe- 
ralismus. Die  deutsche  Fehlentwicklung  wird  an 
diesem  Maßstab  gemessen,  und  es  ergibt  sich,  daß 
im    Deutschland    des    19.  Jahrhunderts    vier   ent- 
scheidende Grundzüge   fehlten:    1.   Statt   der  für 
Demokratie     konstitutiven    experimentell-prakti- 
schen  Denkweise,   wie  sie  für  die  Naturwissen- 
schaften und  die  empirische  Sozial forschung  kenn- 
zeichnend   ist,    dominierten    in    Deutschland    die 
Geisteswissenschaften      und      die      Metaphysik. 
Deutschland  hat  einen  Imanuel  Kant  und  einen 
Friedridi    Hölderlin    hervorgebracht,    aber    nicht 
einen    John    Locke    und    einen    Edmund    Burke. 
2.  An  Stelle  der  für  die  liberale  Demokratie  not- 
wendigen   Anerkennung    der    Unvermeidlichkeit 
von  Interessenverschiedenheiten  und  Konflikt  so- 
wie der  Einsicht  in  die  Notwendigkeit  von  deren 
Institutionalisierung     dominierte     die     Sehnsud^t 
nadi  Harmonie  und  Synthese.  Statt  „Spielregeln" 
zu    entwickeln,    sudite    man    nach     „Lösungen". 
Statt  die  Notwendigkeit  eines  Parlamentes  („go- 
vernment  by  discussion")   und   der  Parteienkon- 
kurrenz einzusehen,  entwickelte  man  den  Mythos 


vom  neutralen,  über  allen  „egoistisdien"  Inter- 
essen stehenden  väterlichen  Staat.  3.  An  Stelle 
einer  etablierten  politischen  Elite,  die  aus  Ver- 
tretern unterschiedlicher  Interessen  und  Ideolo- 
gien besteht,  gleichwohl  aber  sozial  und  kulturell 
homogen  ist,  besaß  Deutschland  vor  1918  und  von 
1033  "bis  1945  eine  autoritäre,  beziehungsweise 
totalitäre  einheitliche  Führungskaste,  aber  in 
seiner  demokratischen  Weimarer  Epoche  lediglich 
Inhaber  von  Führungspositionen,  eine  „Elite  der 
Angsi  .  Diese  verschleierte  ihre  Machtstellung 
vor  sich  selbst  und  bildete  keine  „etablierte" 
Gruppe,  weil  sie  sich  insgeheim  noch  an  den  ar- 
chaischen Werten  des  vergangenen  Zeitalters  ori- 
entierte. 4.  Statt  „sozialer  Tugenden",  die  auf 
Umgänglichkeit  (fair  play,  keep  smiling)  beru- 
hen, dominierten  in  Deutschland  die   „privaten" 


der  Innerlichkeit,  der  „reinen  Seele",  die  zur  Un- 
terwerfung im  sozialen  und  politischen  Bereich 
prädisponieren. 

Dahrendorf  trägt  hier  eigentlidi  nichts  Neues 
bei,  denn  dies  ist  nichts  anderes  als  die  Zusam- 
menfassung der  von  deutsdien  Exilautoren  und 
von  Mitgliedern  der  London  School  of  Economics 
gestellten  Diagnosen  während  der  dreißiger  und 
vierziger  Jahre.  Sie  sind  aber  in  Deutschland  — 
symptomatisch  genug  —  immer  noch  weithin  un- 
bekannt, so  daß  Dahrendorfs  kluge  und  oft  kriti- 
sche Darstellung  wertvoll  ist.  Auch  die  Begrün- 
dung für  die  soziale  und  politische  Defizienz  in 
Deutschland  ist  nicht  neu.  Schon  Thorstein  Veblen 
hat  in  seinem  leider  immer  noch  nicht  übersetzten 
Budi   „Gerraany   and   the   Industrial   Revolution" 
während  des  ersten  Weltkrieges  die  These  auf- 
gestellt,   daß    die    verspätete    und    sodann    über- 
schnelle   Industrialisierung    das    Entstehen    eines 
starken,  selbstbewußten  und  unabhängigen  Bür- 
gertums verhinderte;  daß  sich  Werte  der  Liberali- 
tät,   des    Kompromisses    und    der    gegenseitigen 
Achtung  aus  Einsicht  der  Notwendigkeit,  die  auf 
der  Grundlage  des  Laisser-faire,  der  Konkurrenz- 
und  Marktwirtschaft  beruhen,  nicht  festigen  konn- 
ten; daß  sich  statt  dessen  die  neue  Industrieelite 
dem  semi-feudalen  Obrigkeitsstaat  einfügte. 

Allerdings  hatte  der  amerikanische  Sozialkriti- 
ker Veblen  schon  einen  Faktor  erkannt,  der  von 
Dahrendorf  unseres  Erachtens  nicht  genügend  be- 
rücksichtigt wird:  die  konkreten,  keineswegs  nur 
in  einer  Geisteshaltung  begnindeten  Auswirkun- 
gen der  so  spmnghaft  entstandenen  Monopol- 
wirtschaft auf  die  Grundlagen  des  Liberalismus. 
Dahrendorf  besteht  darauf  —  und  er  sdieint  sich 
hier  auf  die  Thesen  des  klassischen  Liberalismus 
des  17,  Jahrhunderts  zu  stützen  — ,  daß  eine  freie 
Gesellschaft  nur  diejenige  sei,  die  den  Konflikt 
anerkenne.  Er  weiß  zwar  wohl,  daß  es  diese  Kon- 
flikt- und  Konkurrenzgesellschaft  in  ihrer  von  den 
Klassikern  des  Liberalismus  idealisierten  Form  — 


MODE 


Sf-Ä'''ir.''- 


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„d,svoUe  Frooen 


V\e.det  anspr 


ßcTSSELDÖF^F  ^^HäI>ÖWS^^ 


Die  Sprache  eines  Freundes 


Aus  christlicher  Sicht 


ff  einrieb  Spaemann:  „Die  Christen  und  das 
Volk  der  Juden."  Kösel-Verlag,  München.  79  S.  Kart. 
5,50  DM.  Erschienen  in  der  Reihe  „Kleine  Schriften 
zur  Theologie". 

„Die  Drohweissagungen,  die  sich  auf 
Israel  bezogen,  haben  wir  wörtlich  genommen  . . . 
die  Heilsweissagungen  verstanden  wir 
so,  als  seien  sie  nur  auf  uns  als  ein  geistiges 
Israel  anzuwenden."  Mit  diesen  Worten  hat  der 
Verfasser  bereits  seinen  Standpunkt  dargelegt.  Es 
ist  die  Basis  eines  katholischen  Christen,  der  da- 
von ausgeht,  daß  Israel  sich  wieder  als  Volk  in 
den  Blick  der  Menschheit  bringt,  während  Juden 
vor  wenigen  Jahrzehnten  nur  in  der  Vereinzelung 
bestenfalls  als  Judenheit  existierten.  In  der  Tat- 
sache, daß  ein  „konkretes  Israel"  besteht,  sieht 
Spaemann  einen  biblischen  Aspekt  der  Kirche  und 
zugleich  eine  Forderung  „wie  am  ersten  Tag".  Es 
ist  jene  Geisteshaltung,  wie  sie  der  XI.  Pius  for- 
muliert hat:  „Geistlich  gesehen  sind  wir  alle  Se- 
miten." 

Ueber  den  Ursprung  dieser  Haltung  sdieint  eine 
Passage  in  Spaemanns  Schrift  besonders  Auf- 
sdiluß  zu  geben:  „Die  für  Israel  so  typisdie  Aus- 
zugs- und  Exilexislenz  ist  nach  der  Schrift  schließ- 
lich die  endzeitliche  des  Gottesvolkes  überhaupt. 
In  der  Leidensgemeinschaft  aber  erkennen  sidi 
Juden  und  Christen  als  Kinder  eines  Vaters 
wieder.  Im  gemeinsamen  Sterben  für  Gott  stirbt 
alles  Trennende.  In  den  Konzentrationslagern  und 
an  allen  Stätten,  wo  Christen  mit  Juden  litten,  ist 
die    Wiedervereinigung    von   altbundlichem   und 


neubundlidiem  Gottesvolk  eingeleitet  worden." 

An  anderer  Stelle  weist  der  Autor  seinen  Glau- 
bensgenossen einen  Weg,  der  aus  den  alten  Glei- 
sen in  eine  neue  Richtung  führt: 

„Soweit  das  jüdische  Volk  offenbarungsgläubig 
ist,  lebt  es  in  der  Erwartung  des  messianischen 
Reiches,  wie  die  Propheten  es  in  den  leuchtenden 
Farben  seines  endgültigen  Zustandes  geschildert 
haben.  Die  Christen  haben  es  sich  allzu  leicht  ge- 
madit,  wenn  sie  darauf  nur  die  Antwort  hatten, 
der  Ersehnte  sei  bereits  gekommen  und  die  Juden 
hätten  ihn  anzuerkennen.  Das  ist  nur  die  eine 
Hälfte  der  Wahrheit,  und  gerade  die  andere 
Hälfte  wäre  es,  die  uns  mit  den  Juden  verbände, 
die  Sehnsudit  nach  der  Fülle  der  Erlösung,  nach 
ihrem  Otfenbarwerden  in  einem  neuen  Himmel 
und  einer  neuen  Erde." 

Der  Autor,  1903  in  Sölde/Westfalen  geboren,  ist 
Theologe.  Zunächst  studierte  er  in  München,  Ber- 
lin, Rom  und  am  Bauhaus  Dessau,  war  Mitarbeiter 
der  Sozialistischen  Monatshefte,  Berlin;  erst  1936 
begann  er  seine  theologischen  Studien.  Gegen- 
wärtig ist  er  als  Spiritual  an  einem  Benedikti- 
nerinnenkonvent tätig. 

Der  jüdischer  Leser  wird  längst  nicht  überall 
mit  den  Ansichten  des  Verfassers  übereinstimmen 
wollen  und  können.  Aber  er  wird  erkennen  und 
anerkennen,  daß  hier  ein  Theologe  aus  christli- 
cher, brüderlicher  Verantwortung  eine  Antwort 
sucht.  Spaemanns  Sprache  ist  die  eines  Freundes. 

A.  Neustadt 


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illllillllllllililllllillilllllllllllliiilillillllillllillilllllllllillillllllillllllllililllilllHI'll"^ 


als  sich  letztlich  dodi  harmonisierend  und  ausglei- 
chend —  nie  gab;  denn  weder  John  Locke  und 
Adam  Smith  noch  ihre  Anhänger  ließen  den  Kon- 
flikt etwa  gegenüber  den  Besitzlosen,   außer  im 
ausschließlich    eigenen    Interesse,    gelten.    Aber 
Dahrendorf  berücksichtigt  nicht,  daß  die  Konzen- 
Irationstendenzen  im  gegenwärtigen  „spätkapita- 
listischen" Zeitalter  die  Konflikttheorie  zur  Farce, 
wenn  nicht  gar  zur  Verschleierungsideologie  zu 
machen     drohen.     Unter     diesem     Gesichtspunkt 
müßte  man  etwa  die  Staatslehre  Georg  Friedrich 
Hegels  differenzierter  bewerten,  wie  dies  bereits 
Herbert  Marcuse  getan  hat.  Hegel  hat  die  engli- 
schen Klassiker  nicht  so   sehr  kritisiert,  weil  er 
die   Freiheit   verpönte,   sondern   weil    er    an   der 
englischen  Entwicklung  schon  konstatieren  konn- 
te.^ daß    die    Konflikttheone    nur    einer    kleinen 
Oberschicht   der  Bevölkerung   zugute   kam.   Des- 
halb versprach  er  sich  vom  „rationalen  und  sitt- 
lichen Staat"  eine  ausgleichende  Wirkung.  Er  ver- 
folgte dabei  mehr  die  Theorie  eines  Thomas  Hob- 
bes,  der  ebenfalls  zur  englischen  Tradition  gehört, 
wenn  auch  seine  Lehre  vom  Bürgertum  des   17. 
Jahrhunderts   nicht   rezipiert   wurde.   Es  ist  aber 
ein   interessantes    Phänomen,    daß    er   unter   den 
sozial-pragmatischen  Utilitariern  des  19.  Jahrhun- 
derts und  heute  in  gewissen  Kreisen  der  Labour 
Party  neu  interpretiert  wird.  Der  Staatsauffassunq 
Hegels  war  also   schon   eine   Einsicht   immanent, 
die,  hätte  man  sie  befolgt,  vielleicht  in  Deutsch- 
land  im   vornherein   negative   Begleiterscheinun- 
gen der  Industrialisierung,  wie  die  Verelendung 
der  unteren  Bevölkerungsschichten,  hätte  abfan- 
gen können. 

Dahrendorf  interpretiert  die  gegenwärtige  Ten- 
denz der  Führungseliten  in  der  Bundesrepublik, 
Konflikten  auszuweichen  und  sich  statt  dessen  zu 
arrangieren,  soziale  und  politische  „Kartelle"  zu 
bilden,  als  ein  Ergebnis  traditioneller  Fehlhaltun- 
gen.  Das  ist  gewiß  richtig.  Sie  ist  aber  auch  Re- 
sultat eines  tiefergehenden  und  umfassendem« 
Wirtsdiaftsprozesses,  der  nicht  nur  auf  DeutsüX*- 
land  beschränkt  ist.  Autoritäre  Politik  gründet 
nicht  nur  in  einer  falsdien  Einstellung,  sondeij 
auch  in  der  Tatsache,  daß  eine  Monopolwirtsd^afl; 
ihr  politisches  Machtmittel  nicht  mehr  in  der  „Re- 
gierung durch  Diskussion",  sondern  immer  mehr 
mit  der  autoritären  Entscheidung  sieht.  In 
Deutschland  freilich,  wo  das  Zwischenstadium  des 
Laisser-faire  nun  einmal  gefehlt  hat.  wo  die  wirt- 
schaftliche Elite,  wie  Dahrendorf  konstatiert, 
Angst  vor  ihrer  eigenen  Macht  und  Verantwor- 
tung hat,  ist  dieses  Problem  um  so  schwerer  zu 
bewältigen.  Auf  der  positiven  Seite,  meint  Dah- 
rendorf, liegt  allerdings  —  o  Ironie  der  Geschich- 
te — ,  daß  der  Nationalsozialismus,  also  das  Er- 
gebnis der  deutschen  Fehlentwicklung,  durch  sei- 
ne brutale  Schreckens-  und  Vernichtungspolitik 
ungewollt  Traditionsbestände  beseitigte,  die  der 
„Moderne"  seit  Generationen  im  Wege  standen. 
Unwiderruflich  ist  die  Feudalherrsdiaft  des 
Grundbesitzes  beseitigt  worden,  und  die  Enteig- 
nungspolitik Walter  Ulbrichts  hat  den  Rest  getan. 
Das  Verhältnis  zur  Industrie,  zur  Verstädterung, 
zur  technischen  Zivilisation  ist  im  Nachkriegs- 
deutschland ein  anderes  geworden.  Agrar-roman- 
tische  Mythen,  die  wesentliche  Bestandteile  des 
Ultra-Nationalismus  und  der  nazistischen  Blut- 
und  Bodenlehre  waren,  meint  Dahrendorf,  besit- 
zen keine  Virulenz  mehr,  ist  doch  schon  der  Le- 
bensstandard, eine  Errungenschaft  der  Technik, 
viel  zu  hodi.  Dies  schließt  jedoch  nicht  aus,  daß 
Traditionsbestände  aus  dem  19.  Jahrhundert  völ- 
lig ausgelöscht  worden  wären. 

Dies  ist  wahrhaft  ein  großartiges  Buch,  das  zu 
weiterem  Denken  verpflichtet. 


Harmonie  mit  HOHNER 


Bewundert  werden,  Im  Mittel- 
punkt stehen  -  das  möchte 


^ 


ESSEN  •  LINDENALLEE  7/9 

FERNSCHREIBANSCHLÜSSE:  0857  709  (AUSLAND) 


20.  Mal  1966 


KULTUR  •   FEUILLETON 


ALLGEMEINE  Nr.  XXI/8  —  Seite  25 


Europäisch  denken  und  gemeinsam  handeln 

Von  T.  S.  Eliot,  London 


Ich  will  nidit  behaupten,  daß  Politik  und  Kultur 
nichts  miteinander  zu  tun  haben.  Ja,  wäre  es  mög- 
lich, sie  vollkommen  zu  trennen,  dann  würde  das 
ganze  Problem  sogar  sehr  vereinfadit  sein.  Der 
politische  Aufbau  eines  Landes  übt  aber  auf  seine 
Kultur  einen  Einfluß  aus  und  wird  seinerseits  von 
ihr  beeinflußt.  Heute  machen  wir  jedodi  den  Feh- 
ler, daß  wir  uns  zu  sehr  um  unsere  gegenseitigen 
politischen  Probleme  kümmern  ohne  entspredien- 
den  Kontakt  auf  dem  Gebiet  der  Kultur. 

Diese  Vermengung  von  Kultur  und  Politik  kann 
einmal  dazu  führen,  daß  ein  Land  keine  Kultur 
mehr  anerkennt  außer  der  eigenen,  daß  es  sich 
bemüßigt  fühlt,  seine  Nachbarkulturen  auszumer- 
zen oder  gewaltsam  umzuformen.  In  Deutschland 
bezeidinete  man  unter  Hitler  jede  nichtdeutsche 
Kultur  entweder  als  dekadent  oder  als  barbarisch. 
Es  wäre  Zeit,  daß  solche  Vorurteile  aufhörten. 
Andererseits  kann  die  Vermischung  von  Kultur 
und  Politik  genau  entgegengesetzte  Folgen  ha- 
ben: Sie  kann  zu  dem  vermeintlichen  Ideal  eines 
Weitstaates  führen,  in  dem  es  schließlich  nur  eine 
einzige  einförmige  Weltkultur  gibt. 

Idi  kritisiere  keineswegs  die  praktischen  Pläne 
einer  Weltorganisation.  Solche  Pläne  fallen  in  den 
Bereich  technischer,  organisatorischer  Fragen,  Fra- 
gen der  Maschinerie.  Maschinerie  ist  notwendig 


Für  eine  gesunde  europäische  Kultur  ist  zweier-  jede  für  die  Einflüsse  der  anderen  empfänglich 

lei  notwendig:  ^ij.   ^_^^  ^^^ögii^i^t  ^nd  erleichtert  dadurch, 

1.  daß  jedes  Land  seine  bodenständige  «.uiiur  ^^^  ^^  .^  ^^^  europäischen  Kultur  ein  gemeinsa- 

besitzt,  mes  Grundelement  gibt,  ein  langes  gegenseitiges 

2    daß  die  verschiedenen  Kulturen  ihre  Bezie-  Befruchten  und  Denken,  Fühlen  und  Sagen,  eine 

hungen  zueinander  anerkennen  und  bejahen,  damit  Wechselbeziehung  in  der  Kunst  und  in  der  Idee. 


Der  entscheidende  Trennungsstrich 


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KETTELMASCHINEN 
KARUSSELL 

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Doppel-  und  Einfach- 
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Friedrich  Hollaender 


Von  Kopf  bis  Fuß 

Mein  Leben  mit  Text  und  Musik 

427  Seiten,  Ganzleinen    .  .   DM  19,80 

.Ich  bin  von  Kopf  bis  Fuß  auf  Liebe  einge- 
stellt ,  .  .',  «Johnny,  wenn  du  Geburtstag  hast, 
bin  ich  bei  dir  zu  Gast  ...',-  es  ließe  sich  be- 
liebig fortfahren  mit  der  Aufzählung  von  Hol- 
laender-Chansons,  die  sehr  schnell  zu  Schlagern 
wurden  «nd  die  nicht  nur  Berlin,  sondern  die 
ganze  Welt  sang  und  pfiff.  Beinahe  unüberseh- 
bar ist  die  Galerle  berühmter  Männer  und 
Frauen,  denen  Friedrich  Hollaender  in  seinem 
Leben  begegnete.  Unter  ihnen  befanden  sich 
so  gegensätzliche  Persönlichkeiten  wie  Else  Las- 
ker-Schüler  und  Joachim  Ringelnatz,  Trude  He- 
sterberg  und  Marlene  Dietrich.  Von  der  genie- 
geladenen Atmosphäre  im  »Cafe  des  Westens" 
bis  zum  rauchigen  Keller  des  Kabaretts  »Schall 
und  Rauch"  wird  in  diesen  Erinnerungen  ein  Ber- 
lin lebendig,  das  eine  ganze  Generation  ge- 
prägt hat.  Hollaenders  Autobiographie  ist  der 
blitzende  Spiegel  einer  turbulenten  Zeit,  ein 
Augenzeugenbericht  voller  Charme  und  sprühen- 
dem Witz. 

Bucherstube  der  Allgemeinen 

4  Dusseldorf  10,   Zietenstroße  50,   Postfach  100  99 

Postscheck  Essen  99  055    /    Telefon  49  36  34/35 

1   Berlin  15,   Joachimstaler   Straße   13,   Telefon  91  58  51 


K-nitiir  ist  —  aenauso  wie  Demokratie  —  ein  ndlen  Eigenarten  zur  Gleidifömiigkeit  verschmel- 

Rpnriff    den  man  fast  jedesmal  von  neuem  defi-  zm.  Was  wir  braudien,  ist  Mannigfaltigkeit,  der 

nieren  muß    und  nidit  allein  delinieren,  sondern  eine  Einheit  zugrunde  liegt,  aber  keine  organisa- 

audi  veransdiaulichen.  Wir  müssen  uns  über  die  torisdie.  sondern  eine  natürhdie  Einheit 

Bedeutung  dieses  Begriffes  Kultur  genau  im  kla-  Unter  „Kultur"  verstehe  ich  also  zunadist  e.n- 

ren  sin   damirwir  einen  Trennungsstrich  ziehen  mal  das,  was  auch  die  Anthropologen  darunter 

könnei    zwischen    der   materiellen    Organisation  verstehen:     Die    besondere    Lebensweise    eines 

^^H^om   nPi^iaen  Oraanismus  Europas.   Wenn  Volkes,   die   sich  durch  em  Zusammenleben   auf 

Europa   als^TesUgerWi^^^     abstirbt,  dann  gleichen  Boden  herausgebildet  hat  Diese  Kultur 

w^rTLf  was  uns  zu  organisieren  übrigbleibt,  äußert  sich  in  der  Kunst  eines  Volkes^  in  seinem 

nicLt    r^ehr    Europa    sein,    sondern    eine    Masse  sozialen  System,  seinen  Sitten  und  Gebrauchen 

m^schTcher  ExTstenzen,  die  verschiedene  Spra-  seiner  Religion.  Aber  all  dies  zusammen  ist  noch 

T^oHonli^ri^e  verschiedenen  Sprachen  selbst  nicht  die  Kultur  des  betreffenden  Volkes,  obgleich 

tZlf^h^E^s^^^^^                        verlieren,   da  wir  es  der  Einfachheit  halber  oft  so  ausdrücken. 

Tese  Menslen  Ss  i^^^^^^^^     sagen  haben  wür-  All  diese  Dinge  sind  nur  die  Bestandteile,  in  die 

den   warJ*  SicMgenauso  gut  in  jeder  beliebi-  eine  Kultur  zerlegt  werden  kann  -  geradeso  wie 

aen  Sprache  sagen  ließe;  da  sie  nichts  mehr  zu  sich  der  menschliche  Körper  anatomisch  zerlegen 

?Rnpn  hätten  in  der  Sprache  der  Dichtung.  läßt.  Genauso,  wie  der  Mensch  mehr  ist  als  die    ^^^^^   anzunehmen,  daß  das  Individuum  nur  eine 

sagen  natten  '"  °^'     ^                        ■■    a     ,    a  a  ^.  Summe  seiner  Organe  und  Glieder,  so  ist  auch    p^^.^^  ^^^,  ^.^  p^^-^^^  gegenüber  dem  Staat.  Ge- 

Ich  habe  bereits  die  Ansicht  geäußert,  dab  es  ^.^   Kultur   mehr   als   die   Summe   von   Künsten,    j-^^^^u  haarsträubend  scheint  mir  aber  die  An- 

keine  „europäische"  Kultur  geben  kann,  wenn  sich  Gebräuchen  und  religiösen  Ueberzeugungen.  Alle    ^.^^^^  ^.^^^  oberste  Pflicht  jedes  Individuums  be- 

_  ..      ,  T^ .. ^;-r, ^»^/^Q-r    ior»liprf>n      Trh     j:«^^  ■m/-»T-^.->T-.+n  TiriT-lron  anfpinanrJpr  ein.  und  wenn  ',  --i  • «-> et «.    ■\st-.^  ;,a-.  .,,;♦ 


HAMBURGER 
KETTELMASCHINEN-FABRIK 

I.  Huhn  KG.  Hamburg  33 


sieht,  diese  oberste  Pflicht  jedes  Individuums  be- 
stünde gegenüber  einem  Super-Staat.  Was  ich  mit 
„Loyalität  verschiedener  Art"  meine,  möchte  ich 
am  Beispiel  der  Universitäten  klarmachen. 

Keine  Universität  sollte  eine  bloße  nationale 
Institution  sein,  selbst  wenn  sie  von  der  Nation 
erhalten  wird.  Die  europäischen  Universitäten 
sollten  ihre  gemeinsamen  Ideale  entwickeln  und 
ihre  Verpflichtungen  gegeneinander  erkennen.  Sie 
sollten  unabhängig  sein  von  der  Regierung  ihres 


und  wertvoll.  Je  besser  sie  ist,  desto  besser  wird 
die  Organisation  funktionieren.  Aber  Kultur  ist 
nicht  organisatorisch,  sondern  organisch.  Kultur 
wächst:  Einen  Baum  kann  man  nicht  bauen;  man 
kann  ihn  nur  pflanzen,  pflegen,  warten,  daß  er 
reift;  wenn  eines  Tages  der  Baum  vor  uns  steht, 
kann  man  sich  nicht  beklagen,  daß  aus  der  Eichel 
eine  Eiche  geworden  ist  und  keine  Ulme. 

Die  politische  Struktur  eines  Landes  ist  zum  Teil 
bewußt  Konstruktion,  zum  Teil  natürliches  Wachs- 


/^ 


K 


Alle 
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und 
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AUS  DEM  IN-  UND  AUSLAND 

sind  zu  beziehen 
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tum.  Die  zur  Konstruktion  benötigte  Maschinerie 
kann,  wenn  sie  gut  ist,  gut  sein  tür  alle  Völker. 
Aber  der  Teil  der  politischen  Struktur,  der  orga- 
nisches Wachstum  ist,  entspringt  aus  der  Kultur 
eines  Volkes  und  wächst  mit  ihr  mit.  In  diesem 
organischen  Element  untersdieidet  sich  der  Auf- 
bau eines  Volkes  von  dem  aller  anderen  Volker. 


keine  „europdlbuie     iviului  ^v..-.«^**  ... ,    \jt:uiaui-in:;u   uiivi  iciiyiwa.:.!!   ^^^^^^^■^^^■':3~-- 

die  Länder  Europas  voneinander  isolieren.  Ich  diese  Elemente  wirken  aufeinander  ein,  und  wenn 
möchte  jetzt  hinzufügen:  Ebensowenig  kann  es  man  dies  völlig  verstehen  will,  muß  man  alle  ver- 
eine europäische  Kultur  geben,  wenn  ihre  natio-   stehen. 

Die  Gradmesser  der  Kultur 

Es  gibt  natürlich  höhere  und  niedrigere  Kultu-  ist  das  Band  so  stark,  daß  man  von  Kulturgemein- 

rpn.  riiP  höheren  zeichnen  sich  gewöhnlich  durch  schaffen  sprechen  kann.  •  •    .      t^   , 

:  cfiirWp  nifferenzieruna  ihrer  Funktionen  Wenn  wir  also  den  Ausdruck  „europaische  Kul-  ^^,,,^,,  uimuuaxxyiy  ^^...  vwxx  ^.x  xv.y..x...y  x..... 
eine  ^^aj-k^^!,^^^^^^^^^^^^^'"^^^^  tur"  gebrauchen,  meinen  wir  die  Elemente,  die  eigenen  Landes.  Universitäten  dürften  keine  Aus- 
aus so  daß  '^l^y.^^l^^^^^^.'^^^^  innerhalb  der  verschiedenen  nationalen  Kulturen  bildungsschulen  für  einen  tüchtigen  Beamtenstab 
kultivierten  Gesellschaftsschi^^^^  die  gleichen  sind.  Natürlich  stehen  manche  Län-  sein,  und  keine  Institute,  in  denen  Wissenschaft- 
Und  schließlich  kann  man  auch  no^  Emzelmrn  a      g               ^.^^^^^^  ^^^^^  ^^^  ^^^^^^   ^^  ^^,^^^  ^^^^                ^^^^^^  ^^^^^^^  ^^  ausländische  Wis- 

Kästlet  ein  Phtsophwde^                         d"    sogar  vor'kommen,  daß  ein  Land  eine  starke  kultu-  senschaftler  zu  übertumpfen. 

K^ir  bes  tzen  a?s  ein  Land-  oder  Bergarbeiter^    relle  Verwandtschaft  mit  zwei  verschiedenen  Lan-  ^^.^  j^^^^^^  ^^.^  ^  ^en  Männern  des  Geistes 

di^  Kultur  ef^^^^^                                                               dem  aufweist,  die  ihrerseits  nur  sehr  lose  Bindun-  .^  ^^^^^^^   ^^f  ^eren  Schultern  eine  besondere 

^Pin  wiP  dip  eines  Politikers.  Aber  in  einer  ge-    gen  besitzen.                                                    ^r  .♦     ^  Verantwortung  liegt:  die  Erhaltung  und  Weiter- 

sTdeT  GeselSt   s  nd   dies   alles   nur   Schat-       Es     gibt     ja     auch     in     der    Familie    Vettern  ^^^  ^^^^^^^  gemeinsamen   Kultur.   Wir   mögen 

tierunaen  efner  u^^^^  derselben  Kultur:  Künstler,    mütterlicherseits     und     Vettern     väterlicherseits  ^^^.^.^^^              verschieden   denken:   Unser   aller 

Sef  Philosophen  Politiker  und  Arbeiter  eines    zwischen    denen    keine    direkte    Verwandtschaft  ^^^-^^^  -^^  ^^  j^^och,  unsere  gemeinsame  Kultur 

Landes  wede^^^^                              Kultur  gemein-    besteht.  Genauso,  wie  ich  es  ablehne    die  euro-  ^^^  ^^^  Ansturm  der  Politik  zu  bewahren.  Das 

samhaberd!L?e  nicht  mu                                           päische  Kultur  als  Summe  einer  Anzahl  von  Ein-  wesentliche   ist,   daß   isoliert,    von   den   anderen 

fn.n deren    Länd^^^^                  Einen    allseitigen,    zelkulturen  anzusehen,  wende  ich  mich  auch  ge-  abgeschnitten,  keiner  von  uns  imstande  ist,  Werke 

a^eichm^ßlSen  Austausch  kultureller  Werte  gibt    gen  die  Einteilung  der  Welt  in  scharf  getrennte  ^^  ^^^^ff^„^  ^ie  von  unserer  hohen  Zivilisation 

e     ntcht    Auch  tuf  wirtschaftlichem  Gebiet  kann    Kulturgruppen  Es  gibt  meiner  Ansicht  nach  keine  ^^^  Fachwelt  Zeugnis  ablegen, 

man  nicht  mit  allen  Ländern  gleichmäßig  Handel    absolute    Scheidelinie  ^^is^^^^    «  ^        d    West,  ^^^  ^^_^^^  ^^^^  ^^^.^^  ^^^  ^^^^^^^^  ^^^^.^^^ 

treiben:  Manche  benötigen  Güter,  die  man  selbst    zwischen  Europa  und  Asien.  ADer  ^^  gio^  mnt_r  Literatur-Nobelpreisträger  dieses  geistige  Vermäditnis.) 

einführen  will.  Genauso  ist  es  auf  dem  Gebiet  der    halb  Europas  gewisse  ^^^^^^J^^^'^^^^^^^^^  (Copyright  1965  by  gja-euroscript,  London-New  York) 

Kultur;  es  gibt  Länder  mit  engen  und  solche  mit    das  Recht  geben    von  einer  euronaischen  Kultur  i     p-    y                                                                        ^ 

weniger  engen  kulturellen  Bindungen.  Manchmal   zu  sprechen.  Welches  sind  diese  Z.ugef ^-^ 

■"      "  Der  Sinn  unseres  ganzen  Denkens 

Die  treibende  Kraft  bei  der  Schaffung  einer  ge-  griffe  individueller  und  f/^f ^^li^^die  L?te' 
meinsamen  Kultur  in  zwei  kulturell  verschiedenen  Christentum  übermittelte  uns  s*^^,^ß^^5^,°'^,,„'^ 
Sem  ist  d^e  Religion.  Nun  soll  mich  niemand    raturen  Griechenlands  ""^  Roms,  die  heute  unse 

falsch  verstehen:  Idi  will  niemand  bekehren.  Ich    ren  ^^^^'^^ZZfiTerv^^^^^^    Einheit  Ser  west- 
spreche nur  eine  Tatsache  aus.  Ich  denke  nicht  so    Auf  dieser  Erbschaft  beruht  c^iebmneu^ 
sehr  an  das  Band  zwischen  den  gläubigen  Christen    liehen  Wet:  Auf  ^em  Christentum  u^dde^^^ 
unserer  Zeit.  Ich  denke  an  die  gemeinsame  Tradi-    tiken  Zivilisationen  ^nechenlands  Ro^^^^ 
tion  des  Christentums,  die  das  moderne  Europa    eis,  von  denen  wir  durch  zwei  Jf^rtausenae  aer 
geprägt  hat  und  an  die  kultuellen  Werte,  die  für    christlichen  Aera  unsere  ^erkun  t  a^l^^^^^^ 
Us    a'lle    aus    dieser   Tradition    erwachsen    sind.    ,  f- J^f/^^^^^^^^^^ 

^^S^^^:^:^^f^^^^^n    ^^^^as~cll:sf  kunurelle  Hinhe.  gibt    da     k 
Ten  Europas    EsTs't  das  Christentum,  auf  dessen    keine  politische  oder  ^^^tschatlidie  Organisation 
SunSs'ch  unsere  Kunst  entwickelt  hat.  AI-    ersetzen,  -i/^-^--^,- ^^^^^^^^^^^^^^^ 
lein  vor  diesem  Hintergrund  erhält  unser  ganzes   ser  gemeinsames  Erbe  ^,^_[^^^^^"°^'^'  °^ 
D^ken  seinen  Sinn.  D^er  einzelne  Europäer  mag   uns  keine  ^^^^^^^^^^ll^^f  J^^^^rs  efn^^  nä' 

den   christlichen  Glauben  für  falsch  halten,   und    Plane  der  klügsten  Kopfe  nicht,  uns  einanaer  na 

doch  entspricht  ^Ues   was  er  sagt  denkt  oder  tut  ^^^^j^^E^nhlu^der  Kultur,  im  Gegensatz  zur  Ein- 

dipspm  Erbaut  der  christlichen  Kultur  und  wird  L)ie  tinneii  aer  rvuiiui,  n          -^     „«,.i3„„f   ,rnn 

nur  l^s  ihm  heraus  verständlid..  Allein  die  dirist-  heit  der  politischen  Organisation    ve.angt  von 

UAeKuC  konnte  einen  Voltaire  hervorbringen,  uns  nicht,  daß  wir  nur  einem  Herrn  d>enen-.  Sie 

oder  einen  Nietzsche. 

Ich  halte  es  für  ausgeschlossen,  daß  die  euro- 
päische Kultur  den  völligen  Untergang  des  christ- 
lichen Glaubens  überleben  könnte.  Diese  Ueber- 
zeugung  hege  ich  nicht  nur,  weil  ich  selbst  Christ 
bin,  sondern  weil  ich  mich  mit  dem  Studium  der 
modernen  Gesellschaft  befaßt  habe.  Das  Ende  des 
Christentums  wäre  das  Ende  unserer  ganzen  Kul-  ^^^^^^  Tinsiae  selbst  ist  ein  Prachtstück:  hoschua)  der  Verfasser  der  Alenu-Hymne.  Der 
'  tur.  Dann  müßten  wir  mühselig  von  vorne  begin-  Der  Machsor  Lipsiae  f^^^^J  f '  ^'".  ^ausreiche  Name  Hoschea  ist  in  den  ersten  Versen  der  Hym- 
nen.  denn  eine  Kultur  läßt  sich  nicht  fertig  ü^ber-  ^ie  Beschreiber  bie  en  im  T^^  neTs  Akrostichon  „tatsächlich"  zu  finden,  jedoch 
nehmen.  Dann  müßten  wir  warten,  bis  das  Gras  Studien  Katz  ^^Vf^der  zuviel  ^^^^^  umgekehrter  Reihenfolge  (vgl.  Siddur  Heg  on 
gewachsen  ist,  das  den  Schafen  Futter  gibt,  aus  l^nsymbolik  aus  den  II  us  rat^^^^^^  ew  Königsberg  1845,  S.  166).  Umgekehrtes  Akro- 
äeren  Wolle  das  neue  Kleid  gewebt  werden  kann.  G^-f  -  |;;  ^/^  ^.^^  ^^iTau^^^^  sti'hon  is'  eine  Seltenheit.^nd  man  würde  es 
Jahrhunderte  der  Barbarei  wurden  vergehen  objektiv.  Zu  meinem  LoDisiaucnx  ^  erkennen,  wenn  man  nicht  die  Auf- 
müssen. Wir  würden  die  neue  Kultur  nicht  mehr  daß  er  zur  Losung  mehrerer  p^^^^  merksaXit  darauf  lenkt.  Im  Machsor  Lipsiae 
erleben  und  auch  nicht  unsere  Kinder  und  Kindes-  der  rabbinisch^n  Lite^^^  Miniaturen  kom-  ist  das  Akrostichon  gekennzeichnet  und  nun:  Um 
kinder;  und  wenn  wir  sie  selbst  erlebten,  so  hatte  Ueber  d'^e  ^^^^^^^9  ^  ^  ^^  ^  ^^^  R^th,  darauf  hinzuweisen,  daß  der  Name  Hoschea  nur 
nicht  ein  einziger  unter  uns  Freude  daran.  men  ^^J."?,*  ^elegenti^^^^^  erkennen  ist,  wenn  man  das  Akrostichon 
Wir  verdanken  der  Erbschaft  des  Christentums  -Israelitisches  Wodienblatt  ,  24.  9^1^^^^^^  Tn  umgekehrter  Reihenfolge  liest,  hob  man  den 
mehr,  viel  mehr  als  den  christlichen  Glauben.  In  1965);  gegenwartig  nur  zur  Mi^^^^  BuSben  „H-  (im  Worte\Hu-)  ganz  besonders 
seinem  Wandel  durch  die  Zeiten  erleben  wir  die   ters:Warurn  das   Hu    vom-Ai^"  ^^lllf"^^^^  ^^                ^^„  ^^sten  Buchstaben  des  umgekehr- 


Dr.  Hugo  Marx: 

Landgerichtspräsident  a.  D.t 

„Der  Werdegang  eines  jGdischen 
Stoatsonwalts  und 
Riditers  in  Baden  (1892-1933).'' 

Mit  einem  Geleitwort  von  Justizminister 
Dr.  Wolfgang  Haußmann.  Neckar  Ver- 
lag, 773  Villingen/Schwarzwald.  240  S. 

Gbd.  12.50  DM 

Bücherstube  der  Allgemeinen 

4  Dusseidort  10,   Zietenstroße  50,   Postfach   100  99 

Postscheck  Essen  99  055    /    Telefon  49  36  34/35 

1   Berlin  15,   Joochimsfaler  Straße  13,   Telefon  91  58  51 


bringt  Loyalität  verschiedener  Art  mit  sich.  Es  ist 


Maclisor  Lipsiae 

(Fortsetzng  von  Seite  19) 


seinem  Wandel  durch  die  Zeiten  erleben  wir  die   ters:  Warum  aas  „riu    ^'y -^;':';"  hervoraehoben    hervor  als  den  ersten  Buchstaben  des  umgekehr- 
^^^^^^Sr^^^^^r:^^^^^^^  ^^^n^'^^^^^-^^^^^^"^^^    -Zi  -  Be..Uer  verendet. 


EIN  GUTER  PARTNER 


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Bisiaarch  Gedanken  und   Erinnerungen.    2.    Band   21#   Kapitel 
III  Das   allger^eine    Wahlrecht   und   sein  Gegengewicht 


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D      78 

Im  Hinblick   auf   die  Notwendigkeit ,  i::i  Kampfe   gegen   eine  Uebemacht    des 
Auslands   im  aeussersten  Notfall  auch    ^m    revolutionaeren  Mitteln   grei:.en 
zu  koennen, hatte   ich  auch   keine   Bedenken   getrL;gen,die   aamals  staerkste 
d-r  freiheitlichen  Kuenste,das  allgemeine    Wahlrecht,  schon  durch  die 
Curkulardepesche  vom  10.    Juni   1866  mit   in  die  Pflfinne   zu    werfen, um  das 
monarchische  Ausland  abzuschrecken  von  Versu  chen  ,die   Finger   in  unsere 
nation  le  Omelette   zu  stecken.    Ich  habe  nie   gezweifelt,    dasd  das    ^ 
V     deutsche  Volk,spbald    es   einsieht,    dass   das   bestehende  Wahlrecht   eine 
^     schaedliche   Institution  sei, stark  und  klug   genug  sein  werde,    sich    davon 
J    frei  zu   machen  •   Kann    es  das   nicht,    so    ist    meine   Redensart ,  dass  es      _ 
S    reiten    koenne,    wenn   ee  erst    im  Sattel    saesse,    ein   Irrtum  gewesen. /Die 
^   Annahme    des  allgemeinen   Wahlrechts  war   eine  \affe    in  Kampfe   gegen 
'£   Oesterreich  und  weitres   Ausland,    im  Kampfe   fuer   die    deutsche   Einheit, 
\n^  zugleich  eine    Drphung      mit    letzten  Ivlitteln   im  Kampfe   gegen  Cialitionen. 
$    ^    In   einem  Kampfe   derart, wenn   er  auf  Tod  und  Leben   ge^,    sieht  man  die 

k^    V\affen   zu    denen  man  greift, und  die   Werthe,die  man   durch  ihre  Benutzung 
-1^    zerstoert, nicht  an:der  einzige   Rathgeber   ist    zunaechst   der  Erfolg  des 
^  >r   Kampfes, die   Rettung  der     Unabhaengigkeit   nach   Aussen;    die  Liquidation 
•r^   ^    und   Aufbesserung  der  dadurch  ante  richteten  Schaeden   hat    nach  dem 
A^    Frieden   stattzuf inden#\  Ausserdem   halte   ich  noch   heute    das  allgemeine 
":^  "X  v^aiilrecht    nicht   blo3'~theoretisch,  sondern  auch   praktisch  fuer  ein 
'^1'    ^Slberechtigtes  Prinzip,  sobald   nur  die  Heimlichkeit   beseitigt   wird,    die 
^    ausserdem  einen   Charkrer  hat, der  mit    den   besten   Eigenschaften  des 
'  ■     "^  germanischen  Bluts    in  Widerspruch   steht--' 


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Neue  Zürcher  Zeitung    •    B  eil  age  z  um  A  usb  ruch  de  s  Z  w  ei  t  e  a  Wel  tk  riegs    •    D  ieu  s  tag,  de  n  1.  S  ep  tember  19  6  4    •    F  er  nausgab  e  Nr.  2  41    •    Blatt  10-12 


1.  SEPTEMBER  1939 


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Hitlers  Krieg 

Von  Albert  Müller 

Am  1.  September  1939  leitete  der  deuts<-he  An- 
griff  auf   Polen,   den   Adolf   Hitler  als  eine   rein 
lokale  Aktion  auszugeben   versuchte,   den   Zweiten 
Weltkrieg  ein!  Großbritannien  und  Frankreich,  die 
eine  Hitlereche  Aggression  durch  ein  Hilfsverspre- 
chen   an    diQ    Regierung    von    Warschau    zu    ver- 
hindern    gehofft     hatten,     honorierten     ihre    Ver- 
pflichtung, indem  sie  Deutschland  am  3.  SeptcmlxT 
den    Krieg    erklärten.    Nachdem    sich    Westeuropa 
engagiert  hatt«,   war  es  nur  eine  Frage  der  Zeit, 
wann  der  Krieg  die  übrigen  Großmächte  ergreifen 
und  alle  Kontinente  einbeziehen  werde.  Im  Jahre 
1941,  mit  dem  deutschen  Angriff  auf  die  Sowjet- 
union und  mit  der  Herausforderung  der  Vereinig- 
ten Staaten  durch  Japan,  wairden  die  Dimensionen 
des    Weltkriegs    erreicht.    Wenn    wir    heute,    mit 
dem     zeitlichen     Abstand     eines     Vierteljahrhun- 
derts,   wiederum     die     Frage    nach     der     Verant- 
wortung für  die   Katastrophe  stellen,  dann   lautet 
(las    Urteil    unverändert:    E.s    war    Hitlers    Krieg, 
l'eber  die   Befreiung  Deut.^ciilands  von  den  «Fes- 
seln von  Versailles»  und  die  Beseitigung  des  ver- 
haßten Friedensvertrages  hinaus  fühlte  er  sich  zu 
einer    weit    ehrgeizigeren    geschichtlichen    Sendung 
berufen.  Er  zog  die  falschen  Schlüsse  aus  der  deut- 
schen Niederlage  von    1918  und  war  besessen  von 
dem  Gedanken,  die  innen-  und  weltpolitischen  Er- 
gebnisse   des    Ersten    Weltkrieges    rückgängig    zu 
machen.  Er  nahm   die  damals  gescheiterten  Aspi- 
rationen  des   deutschen   XationalisTnus  wieder  auf 
und  traute  sich  die  Fähigkeit  zu,  die  vermeintlichen 
Versäumnisse  der  aristokratisch-bürgerlichen  Füh- 
rung des  Wilhelminischen  Reiches,  der  er  Schwäche 
und    Mangel     an    Kühnheit     vorwarf,    wiedergut- 
zumachen und  durch  rücksichtslosen  Gebrauch  aller 
Mittel  d<>m  deut-schen  Volk  in  der  Welt  die  Macht- 
stellung zu  erobern,  die  den   im  Siegesrausch  des 
Jahres    1914    entstandenen    Kriegszielprogrammen 
entsprochen  hätte.   Während  er  in   den  Anfängen 
^eitler  poli^tiscben  Laufbahn  die;ien|ltachtwillen  und 


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8päbct,    ras    Kd^kati7le.r    iil^^t^iatsoberhaupl,  \ 
aiK'h  wenn  er  V^lrägrc  zerriß  und  mit  Drohungen 
operierte,    geflissentlich    in    Frietlensbeteucrungen 
ein,  durch  die  sich  die  Umwelt  lange  genug  irre- 
führen ließ. 

Die  Versichenmg  friedlicher  Gesinnung  war 
eine  Kriegslist:  der  Hitler  der  «Tischgespräehe» 
aus  den  Jahren  1941/42  bewegt  sich  in  den  selben 
i^nitalen  und  absurden  Vorstellungen,  die  er  reich- 
lich anderthalb  Jahrzalinte  zuvor  in  «Mein  Kampf» 
niedergelegt  hatte.  Von  dem  Augenblick  an,  in  dem 
er  sich  im  Besitz  diktatorischer  Hegiorungsgcwalt 
sah,  waren  seine  Ansti-engungen  darauf  gerichtet, 
nicht  nur  das  Instrument  zur  Venvirklichung  der 
Weltmachtst-ellung  Deutsclilands  zu  schaffen,  son- 
dern durch  Maßnahmen  zur  Unterdrückung  der  be- 
siegten Völker  —  so  die  Dcgradiorung  der  Polen 
und  anderer  Slawen  zu  einer  Klasse  von  Heloten 
—  und  durdi  Vertreibung  oder  \>rnichtung  ganzer 
Boviilkerungsgruppen  wie  der  Juden  die  einmal 
errichtete    Herrschaft    unwiderruflich    zu    machen. 

Die  entsetzlichen  Tatsachen  der  mit  kriminell- 
brutalen    Metlioden    betriebenen   Ausrottungs-   und 
Unterdrückungspolitik    können    nicht,    wie    das    in 
Deutschland    zuweilen    noch    gescliiehl,    als    bloße 
«Kxzesse»    abgetan    werden.    Sie   waren   nicht   nur 
bedauerliche  oder  erschreckende  Begleitei-scheinun- 
gcn   des   Krieges:    die  planmäßigen  Vernichlungs- 
aktiimen  und  die  Hohandlung  der  besiegten  Völker 
Osteuropas    als    inferiore    ]\rens<-henkalegorie    ge- 
liörten    zum    politischen    Kriegsziel    des    national- 
sozialistischen Regimes,  Wenn  der  Jiritisdie  Histo- 
riker A.  J.  P.  Taylor,  der  den  Diktator  des  Dritleu 
Reiches    von    der   eig<'ntlichen    Schuld    am    Kriegs- 
ausbruch von   1930  zu   einem   guten   Teil   entlasten 
wollte,  seine  Darstellung  naclilräglich  einer  gewis- 
scu  Korrektur  unterzogen  hat,  so  ])eharrt  er  doch  im 
entscheidenden  Punkt  auf  einem   Keidurteil.  Zwar 
stellt  er  in  der  neuen  Passung  seines  Buches  mit 
starken   Worten  fest,  daß  Hitler  Verbrechen   über 
Verbredien  gehäuft  habe  wie  kaum  jemand  vor  ihm  ; 
aber  er  faßt  das  ott'enbar  als  eine  von  den  Zielen 
des  nationalsozialistischen   Imperialismus  unabliän- 
gige  Prsclieinung  auf  uiul  bleil)t  l)ei  seiner  Behaup- 
tung,  daß    Hitler   sich    durchaus    im    l^ahmen    der 
traditionellen  :Machti)olitik  bewegt  habe. 

Taylor  geht  am   Kern  der  Sache  vorbei.  Hitler 
hatte  sich  für  seine  Machtpolitik,  also  auch  für  die 
Kriegführung,    verwegene    Ziele    gesetzt    und    war 
entschlossen,   zur    Festigung   und    Behauptung   der 
einmal    errungi'uen    Herrschaft    bai'barische    Mittel 
anzuwenden.    Die   diidonuitischen    Akten    der   AN  il- 
helmstraße,   die  das  grenzenlose   Maclitstreben   <l(>s 
Hitlerregimes    mit    einer    konventionellen    Fassade 
versehleierte,    können    allein    ein    realistisches    Ge- 
schichtsbild   nicht    vermitteln.    Hitlers    Diplomatie 
hatte  nach  1933  zuerst  Polen  mit  Geschick  für  das 
deutsche    ^piel    eingefangen,    dann    bei    der   eigen- 
mächtigen   Aufrüstung,    bei    der    Remilitarisierung 
des  Rheinlandes  und  bei  der  Annexion  Oesterreichs 
die  Westmächte  mit  Erfolg  hingehalten  und  über 
die    eigentlichen    Ziele    getäuscht.    Die    durch    das 
Münchner  Abkommen  von  1938  genährte  Hoffnung 
auf  eine  Normalisierung  der  deutcichcu  «Dynamik* 


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Hitler  verkündet  vor  dem  Den  Ischen  Reichstag  am  LSeplcmhcr  1939  den  Beginn  des  Avgrijjs  auf  Polen 


wurde  rasch  zunichte,  und  als  die  polnische  Frage 
am  Horizont  auftauchte,  zeichnete  sich  deutlich  die 
Absicht  Hitlers  ab,  den  Konflikt  mit  Waffengewalt 
zu  entscheiden  und  auf  die  Westmächte  nocji  weni- 
ger als  im  Fall  der  Tschechoslowakei  Rücksiclit  zu 
n<>hmen. 

Mit  der  Forcierung  der  sudetendeutschen  Frage, 
die  im  Spätsommer  1938  von  Berlin  unter  gewalti- 
ger militärischer  Machtenfaltung  betrieben  wurde, 
hatte  Hitler  die   Zerstörung  der  Ts(diechoslowakei 
beabsichtigt.    An   der  Verwirklichung  seines  Plans 
wurde  er  damals  durch  das  Abkommen  von  Mün- 
chen   gehin<lert,    das    der    Abtretung    der   sudeten- 
deutschen Gebiete  die  Form  einer  von  den  Mächten 
vereinbarten     Verhandlunsslösung    unter    Zustim- 
mung der  Prager  Regierung  gab.  Der  Krobernngs- 
krieg  fiel  aus;  der  Einmarsch  der  deutschen  Armeen 
vollzog  sich  als  kampflose  Okkupation  und  kam  an 
der    in    Mün<-hen     festgesetzten    Demarkationslinie 
zum    Stillstand.    Hitler    konnte,    obwidd    er    seine 
<detzte  territoriale  Forderung»  ohne  Schwertstreich 
durchgesetzt    hatte,   seinen    Aerger    über   den    Zäh- 
nmngsvei-such  und  das  ihm  aulerlegte  Mir>i>raclie- 
re(dit    <ler   euroi)äischen    Mächte    katun    verwinden. 
Die    Eroberung    der    Tschechoslowakei     wurde    im 
März   1939  nadigeiiolt,  als  deidsche  Truppen  von 
allen  Seiten  über  die  erst  vor  fünf  Monaten  gezo- 
gene Grenze  in  das  Land  einrückten,  Prag  l)esetz- 
ten  und  den  Staat  zei-schlugen. 

Daß  damit  das  Abkommen  von  ^lünchen  zer- 
rissen wurde,  das  den  Gebiets-  und  Machtzuwachs 
des  Dritten  Reiches  legitimiert  hatte,  wurde  von 
der  deutschen  Di|)lonuitic  der  Wilhelmstraße  als 
Katastrophe  empfiuulen  und  im  stillen  beklagt; 
Hitler  selbst  kannte  keine  solchen  Bedenken,  son- 


dei-n  fühlte  sich  eher  von  einer  lästigen  Fessel  be- 
freit. Der  Gedanke,  daß  sich  in  der  bevorstehenden 
deutscli-polnischen  Auseinandersetzung  Mussolini 
mit  einem  Konferenzvorschlag  ins  Mittel  legen 
kihinte,  war  ihm  nicht  weniger  zuwider  als  eine 
neue  «Einmischung»  Chamberlains.  Hitler  war 
einschlössen,  die  Schlagkraft  seiner  Weiirmacht  in 
iXi^m  Feldzug  gegen  Polen  vor  aller  Welt  zu  demon- 
strieren und  sich  diesmal  von  niemand  in  den  Arm 
fallen  zu  la.ssen. 

Hitler  hatte  sich  die  eigene  Handlungsfreiheit 
und  Stalins  Gewogenheit  erkauft,  indem  er  der 
Sowjetunion  in  Osteuro])a  einen  Interessenber<'ich 
in  einem  Umfang  zugestand,  den  man  sich  in  Mos- 
kau bis  dahin  kaum  erträumt  hatte.  Die  zwischen 
Riboentrop  und  Molotow  vereinbarte  «Interessen- 
gj-eiize»  bedeutete  die  Auslieferung  der  baltischen 
Staaten,  ausg<'delinter  rumänischer  Gebiete  und 
«'ines  Teils  von  Po1<mi  an  die  Sowjetunion.  Zwar 
hatte  Hitler  diese  Zugeständnisse  als  nur  zeit- 
weilige betrachtet  ;  aber  er  hat  den  Sowjets 
die  Tür  geöffnet  und  ihnen  die  erste  Besetzung  der 
Länder  ern)r>glicht,  die  sie  1945  in  eiulgiiltige  Er- 
obciungeu  verwandelten.  Der  nationalsozialistische 
und  der  Imlschewist ische  Diktator  hatten  sich  mit 
der  gleichen  Skrupel losigkeit  kurzfristige  Vorteile 
auf  Kosten  der  kleinen  Völker  Osteuropas  erkauft. 
Allerdings  glaubte  Stalin,  als  er  Hitler  freie  Hatid 
g(>gen  Polen  ließ  und  ihm  Kückendeckung  gegen 
die  Westmächte  gcAvälirte,  von  Deutschland  daliir 
dauerhaftere  Sicherungen  eingehandelt  zu  haben; 
daß  Hitler  sich  nach  seinen  raschen  Siegen  auf 
dem  Kontinent,  ohne  zuvor  den  Krieg  mit  Groß- 
biitannien  zur  Entscheidung  zu  bringen,  in  den 
ru.>^ibchen  Feldzug  stürzte,  traf  den  Herrscher  im 


Kreml  unvorljoreitet  und  ließ  seine  Urteilskraft  als 
recht  schwach  erscheinen. 

Das  umnittelbare  Kriegsziel  war  die  Zertrüm- 
merung des  polnischen  Staates.  Um  die  Vorau>- 
setzungen  dafür  zu  schaffen,  vollzog  Hitler  wenige 
Tage  vor  dem  Angriff  eine  brüske  vSchwenkung 
seiner  Außenpolitik.  Das  im  Mai  1939  abge>chlos- 
sene  Bündnis  mit  dem  fascistischen  Italien  war 
für  das  national>ozialistische  Deutschland  l>ei  sei- 
nem ersten  osteuropäischen  Krieg  von  geringem 
Wert,  ganz  abgesehen  davon,  daß  Mus.solini,  wie 
er  etwas  später  in  einem  Brief  an  Hitler  ausdrück- 
lich erklärt  hat,  denn  italienischen  Volk  in  keiner 
Weise  eine  ^litwirkung  an  der  Auslöschung  des 
polnischen  Staates  zunuiten  konnte.  Von  dem 
«Stahli>akt-»  der  beiden  Diktatoren  war  deshalb  in 
Berlin  während  der  1  nkui)ationszeit  des  kriegeri- 
schen rnternehmens  wonig  die  Rede.  In  dieser 
Zeit  reiffe  jedoch  der  Xichtanffriff-pakf  zwischen 
Hitler  und  Stalin,  der  a?n  23.  August  von  Ribben- 
trop  und  Molotow  unterzeichnet  wurde  und  bereits 
auch  das  etwas  spätere  Abkommen  über  die  Tei- 
lung Polens  vorbereitete.  Damit  hatte  Hitler  so- 
wohl einen  Komplizen  für  die  Lifiuidierung  Polens 
als  auch  eine  Rückendeckung  und  Handlungsfrei- 
heit für  den  konunen<len  Krieg  gegen  die  West- 
mächte gewonnen. 

Hitler  hat  von  der  militärischen  Ueberlegenheit 
Deutschlands  und  von  der  dadurch  gegebenen 
Möglichkeit  der  Initiative  politisch  und  strategisch 
einen  rücksichtslosen,  aber  ati<h  abenteuerlich  un- 
gehemmten Gebrauch  gemacht  und  sich  damit  im 
Anfangsstadium  des  Kriege>  einen  großen  Vor- 
sprung gesichert.  Drei  Jahre  lang  beherrschte  seine 


( 


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Mnlnfoio  witcr::eiclivet  am  23.  August  1939  in  Moskau  den  dciitsch-sowjethchm  Nu^hta^wriJfspaU. 
Hinter  dem   sowjetischen   ÄufSenkommissar   der   deutsche   Außenminister   v.  Ribhentrop   und   btalm 


Staatssekretär  v.  Weizsäcker  in  einem  Bundschrei- 
hen  vom  1.  September  1939  an  dis  deutschen  diplo- 
matischen Missionen 

In  Abwehr  polnischer  AngrrifTc  sind  die  doni- 
schen Truppen  heute  beim  Morgengrauen  s^ge^ 
Polen  in  Aktion  getreten.  Diese  Aktion  ist  vor- 
läufig nicht  als  Krieg  zu  bezeichnen,  sondern 
lediglich  als  Kampfhandlungen,  die  durch  pol- 
nische Angriffe  ausgelöst  worden  sind. 

Britische  Warnungen 

Chmnherlains  Garantieerklärung  für  Polen  vor  dem 
britischen  Unterhaus  am  31.  März  1939 

Der  ehrenwerte  Führer  der  Opposition   fragte 
mich  heute  morgen,  ob  ich  eine  Erklärung  zur 
europäischen  T^ge  abgehen  könne  . . .  Wie  das 
Haus  weiß,  sind  jetzt  bestimmte  Konsultationen 
mit  anderen  Regierungen  im  Gang.  Um  inzwi- 
schen,  ehe    diese   Verhandlungen   abgeschlossen 
sind,  die  Stellung  der  Regierung  Seiner  Maje- 
stät vollkommen  klarzumachen,  habe  ich   jetzt 
dem    Hause    mitzuteilen,    daß    im    Falle    einer 
Aktion,    welche    die    polnische    Unabhängigkeit 
klar  bedrohen  und  gegen  welche  die  polnische 
Regierung    entsprechend    den    Widerstand    mit 
ihrer    nationalen    Wehrmacht    als    unerläßlich 
ansehen,  würde,  Seiner  Majestät  Regierung  sich 
während,  dieser/^eit  verpflicht(f  fühlen  würde. 


Sollte  es  so  weit  kommen,  so  ist  Seiner  Majestät 
Regierung  entschlossen  und  bereit,  alle  ihr  zur 
Verfügung  stehenden  Kräfte  unverzüglich  ein- 
zusetzen, und  es  ist  unmöglich,  das  Ende  einmal 
begonnener  Feindseligkeiten  abzusehen.  Es 
würde  eine  gefährliclie  Täuschung  sein,  zu  glau- 
ben, daß  der  einmal  begonnene  Krieg  frühzeitig 
enden  werde,  selbst  wenn  ein  Erfolg  auf  einer 
der  verschiedenen  Fronten,  an  denen  er  geführt 
wird,  erzielt  worden  sein  sollte. 

Der  Pakt  mit   Moskau 

Geheimes  ZusatzprotokoU  zum  deutsch-sowjetischen 
^Nichtangriffspakt  vom  23.  August  1939 

1.  Für  den  Fall  einer  territorial -politischen  Um- 
gestaltung in  den  zu  den  baltischen  Staaten 
(Finnland,  Estland,  Lettland  und  Litauen)  ge- 
hruenden  Gebieten  bildet  die  nöi-dliche  Grenze 
Litauens  zugleich  die  Grenze  der  Interessen- 
sphäre Deutschlands  und  der  UdSSR.  Hierbei 
wird  das  Interesse  liitauens  am  Wilnaer  Gebiet 
beiderseits  anerkannt. 

2.  Für  den  Fall  einer  territorial-politischen  Um- 
gestaltung der  zum  polnischen  Staat  gehörenden 
Gebiete  werden  die  Interessensphären  Deutsch- 
lands und  der  UdSSR  ungefähr  durch  die  Linie 
der  Flüsse  Pissa,  Narew,  Weichsel  und  San  al> 


scBwacli,  tind  für  seinen  smma  Senden  ÄBspnich 
anf  die  Weltherrschaft  wolle  ee  andere  kämpfen 
la^en. 

Herr  Stalin  stimmte  lebhaft  zu  und  bemerkte 
folgendes:  die  englische  Armee  sei  schwach; 
auch  der  britischen  Secflotte  komme  nicht  mehr 
ihre  frühere  Bedeutung  zu.  Die  Luftflotte  Eng- 
lands sei  zwar  im  Aufbau  begriffen,  et»  herrsche 
al>er  ^fanget  an  Fliegern.  Wenn  England  trotz- 
dem die  Welt  beherrsche,  so  läge  das  an  der 
Diunmheit  der  anderen  Länder,  die  sich  immer 
wieder  bluffen  ließen.  Es  sei  lächerlich,  daß 
zum  Beispiel  einige  hundert  Engländer  Indien 
beherrschten. 

Der  Herr  R^ichsaußenminister  stimmte  zu  und 
teilte  Herrn  Stalin  vertraulich  mit.  daß  Eng 
land  in  diesen  Tagen  einen  neuen  Fühler  aus- 
gestreckt habe,  der  mit  gewissen  Andeutungen 
an  das  Jahr  1914  verknüpft  sei.  Es  handle  sich 
dabei  um  ein  typisch  englisches,  dummes  Manö- 
ver. Der  Herr  Reichsaußenminister  habe  dem 
Führer  vorgeschlagen,  den  Engländern  mitzu- 
teilen, daß  Deutschland  jede  feindselige  briti- 
sche Handlung  im  Falle  eines  deut.sch-polni- 
schen  Konfliktes  mit  einem  Bombenangriff  auf 
I»ndon  beantwort^^n  würde. 

Her^  Stalin  bemerkte,  bei  dem  Fühler  handle 
es  sieh  offenbar  um  den  Brief  Chamberlains  an 
den  Führer,  den  der  Botschafter  Henderson  am 
23.  August  auf  dem  Obersalzberg  ül)ergeben 
habe.  Herr  Stalin  äußerte  ferner  die  Ansicht, 
daß  England  trotz  seiner  Schwäche  schlau  und 
hartnäckig  Krieg  führen  würde. 

Frankreich:  Herr  Stalin  gab  der  Meinung  Aus- 
druck, daß  Frankreich  immerhin  eine  beacht- 
liche Armee  habe.  Der  Herr  Reichsaußenmini- 
ster wies  seinerseits  die  Herren  Stalin  und 
Molotow  auf  die  zahlenmäßige  Unterlegenheit 
Frankreichs  hin.  Während  Deutschland  über 
eine  Jahreskla.sse  von  mehr  als  300  000  Solda- 
ten Acrfüge,  könne  Frankreich  jährlich  nur 
150  000  Rekruten  einberufen.  Der  Westwall  sei 
fünfmal  stärker  als  die  Maginotlinie.  Wenn 
Frankreich  mit  Deutschland  Krieg  führen  wolle, 
würde  es  unter  allen  Umständen  besiegt  werden. 

Antikominternpakt:  Der  Plerr  Reichsaußen- 
minister bemerkte,  daß  der  Antikominternpakt 
im  Grunde  nicht  ^Q^Qn  die  Sowjetunion,  son- 
dern gi'^f^n  die  westlichen  Demokratien  gerich- 
tet gewesen  sei.  Dies  habe,  wie  er  wisse  und 
auch  aus  russischen  Pressestimmen  entnehmen 
konnte,  die  Sowjetregierung  richtig  erkannt. 
Herr  Stalin  warf  ein,  der  Antikominternpakt 
hal>e  in  der  Tat  hauptsächlich  die  Ivondoner 
City  und  die  kleinen  englischen  Kaufleute  er- 
Soll  reckt . . . 

Bii  der  Verabschiedung  erklärte  Herr  Stalin 
d<m  Reichsaußenminister  wörtlich:  Die  Sowjet- 
riierung  nehme  den  neuen  Pakt  sehr  ernst, 
e^ könne  auf  sein  P^hrenwort  versichern,  daß 
diJB  Sowjetunion  ihren  Partner  nicht  betrügen 
Avjürde. 

Der   Kriejssbefehl 

'inc\l'Wci>Hvq  Nr.  1  für  die  Kriegführung  mm 


Die  ^Agonie  des  Friedens 

Vom   dcutsrh-sowjpüschen 
Mchtangriffspakt  zum   Kriegsausbruch 

Montag,  21.  August:  In  Berlin  und  Moskau  vird 
mitgeteilt,  die  Unterzeichnung  eines  deutsch- 
sowjetischen Nichtangriffspaktes  stehe  unmittel- 
bar bevor. 

Dienstag,  22.  August:  Auf  dem  Obersalzberg  erklärt 
Hitler  den  Befehlshabern  der  Wehrmachtteile 
und  den  Kommandierenden  Generälen,  daß  er 
ent.schlossen  sei,  Polen  militäris<h  anzugreifen. 
Angriffsdatum  sei  voraussichtlich  der  26.  August. 

Mittwoch,  23.  August:  In  Moskau  wird  der 
deutsch-sowjetische  Nichtangriffspakt  unterzeich- 
net, der  in  einem  Geheim protokoU  die  gegensei- 
tigen Interessensphären  in  Osteuropa  abgrenzt. 
Hitler  überläßt  Ostpolen,  Estland.  Lettland. 
Finnland  und  P>essaral)ien  der  Sowjetunion; 
Westpolen  und  Litauen  kommen  zum  deutscheu 
Interessenbereich. 

Donnerstag,  24.  August:  Göring  ersucht  den  ihm 
bekannten  schwedis«-hen  Gescliäftsmann  Birger 
Dahlems,  die  Rolle  eines  Mittelsmannes  zw^i- 
schen  Berlin  und  l^udon  zu  überncJimcn. 

Freitag,  25.  August:  Unterredung  Hitlers  mit  dem 
britischen  Botschafter  Henderson.  Der  deutsche 
Diktator  erklärt  sich  bereit,  eine  militärische 
Garantie  für  das  britische  Empire  abzugeben, 
sobald  die  Danziger  Frage  gelöst  sei. 
Um  15  Uhr  gibt  Hitler  den  Befehl  zum  Angriff 
auf  Polen  mit  AngritTsbeginn  am  26.  August, 
4  Uhr  30. 

Hitler  erhält  eine  Botschaft  Mussolinis,  in  der 
dieser  mitteilt,  Italien  könne  sich  wegen  seiner 
mangelnden  Bereitschaft  nicht  an  einem  Krieg 
beteiligen. 

Unterzeichnung  des  englisch-polnischen  Bünd- 
nisvertrages in  I>oudon. 

Um  18  Uhr  30  gibt  Hitler  den  Befehl,  den  An. 
griff  auf  Polen  zu  verschieben.  Zusammenkunft 
Dahlems'  mit  dem  britischen  Außenminister 
Lord  Halifax. 

Samstag,  26.  August:  Botschafter  Henderson  be- 
gibt sich  nach  London,  um  Chamberlain  und 
Halifax  die  Vorschläge  Hitlers  vom  25.  August 
zu  überbringen. 

Dahlems  fliegt  nach  Berlin,  um  Göring  eine 
Botschaft  von  Lord  Halifax  zu  überbringen. 
Zusammenkunft  mit  Göring  und  Hitler. 

Mussolini  läßt  Hitler  eine  Liste  über  den  italie- 
nischen Bedarf  an  Rohstoffen  und  Rüstungs- 
material überreichen. 

Sonntag,  27.  August:  In  Deutschland  werden  als 
erste  kriegswirtschaftliche  Maßnahmen  Lebens- 
mittelkarten und  Bezugsscheine  ausgegeben. 
Dahlems  fliegt  nach  Ix>ndon,  Besuch  im  Foreign 
Office,  telephonische  Gespräche  mit  Göring,  am 
A  hend  Rückkehr .  nach  Bül'l  1 


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Polen  -  Opfer  von  Hillers  Kriegführung  und  Rassenpolitik 


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Macht  lio^Äe  Unterst ützuiT^  zii  gewähren.  Sie  / 
hat  der  pdiiischen  Regierung  eine  entspre- 
chende Zusicherung  gegeben. 
Ich  darf  darauf  hinweisen,  daß  die  französische 
ri^gierung  mich  ermächtigt  hat,  kUirzustellon, 
daß  sie  in  dieser  Angelegenheit  donselhen  Stand- 
punkt einnimmt  wie  Seiner  Majestät  Regierung 


Brü'f  des  britischen  Premierministers  Chanibrrlain 
an  Hitler  vom  22.  August  1939 

Welcher  Art  au<'h  immer  das  deutsch-sowjetische 
Abkommen  sein  wird,  so  kann  es  niclit  (Iroß- 
britanniens  Verpflichtung  gegenüber  Polen 
ändern,  die  Seiner  Majestät  Regierung  wieder- 
holt öffentlich  und  klar  dargelegt  hat  und  die 
zu  erfüllen  sie  entschlossen  ist. 
Es  ist  behauptet  worden,  daß,  wenn  Seiner 
Majestät  Regierung  ihren  Standpunkt  im  Jahre 
J914  klarer  dargelegt  hätte,  die  große  Kata- 
strophe vermieden  worden  wäre.  Unabhängig 
davon,  ob  dieser  Behauptung  Bedeutung  beizu- 
legen ist  oder  nicht,  ist  Seiner  Majestät  Regie- 
rung entschlossen,  dafür  zu  sor-gen,  daß  im  vor- 
liegenden Falle  kein  solches  tragisches  Miß- 
verständnis entsteht. 


3.  Hinsichtlicli  des  Südostens  Europas  wird  von 
sowjetisclier  Seite  das  Interesse  an  Bessarabien 
betont.  Von  deutscher  Seite  wird  das  völlige 
politische  Desintere.ssement  an  diesen  Gebieten 
erklärt. 

4.  Dieses  Protokoll  wird  von  beiden  Seiten 
streng  geheim  behandelt  werden. 

Aiif-eichnungen    des     Vortragenden    Legationsrats 
Hcncke  über  Ribboifrops  Unterhaltung  mit  ."itolin 
und  Molotow  in  der  Nacht  vom  23.  zum  2i.  August 
J939   nach   der   Unterzeichnung   des  Nichlangr^ffs-* 
pakles  in  Moskau 

Es  \N'urden  folgende  J  ragen  erörtert: 

•  •   • 

Kngland:  Die  Herren  Stalin  und  Molotow 
äußerten  sich  in  absprechender  Weise  über  die 
englische  Militärmission  in  Mo^kau,  die  der 
Sowjetregierung  niemals  gesagt  habe,  waii  sie 
eigentlich  wolle. 

Der  Herr  Rcic/isaußenminisler  erklärte  hieran 
anknü])i>nd,  daß  England  stets  den  Versuch 
gemacht  habe  und  noch  mache,  die  Entwick- 
lung guter  Bezielnuigen  zwischen  Deutschland 
und   der   Sowjetunion   zu  stören.   England   sei 


1 

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,'.Zu-ei  Freunde  gingen  zusammen  spa-ierev^  —  Karikatur  David  Lou-^  im  ^tEvening  Standards,    -um 

deuisch-sou  jrliifchcn   Pakt 


bdem  ^f  politischen  Möglichkeiten  er- 

liöp\t  sind,  um  auf  friedlichem  Wege  eine  für 

putsMaud  unerträgliche  Lage  an  seiner  Ost- 

g]  onze  p^u  beseitigen,  habe  ich  mich  zur  gewalt- 

salmen  tösung  entschlossen. 

Der  Angriff  auf  Polen  ist  nach  den  für  Fall 
Weiß  getroffenen  Vorbereitungen  zu  führen  mit 
den  Abänderungen,  die  sich  beim  Heer  durch 
den  inzwischen  fast  vollendeten  Aufmarsch  er- 
geben. Aufgabenverteilung  und  Operationsziel 
bleiben  unverändert. 
Angriffstag:  1.9.39. 
Angriffszeit:  4  Uhr  45. 

•  •   ■ 

.1.  Im  Westen  kommt  es  darauf  an,  die  Verant- 
wortung für  die  Eröffnung  der  Feindseligkeiten 
eindeutig  England  und  Frankreich  zu  über- 
lassen. Geringfügigen  Grenzverletzungen  ist  zu- 
nächst rein  örtlich  entgegenzutreten.  Die  von 
lins  Holland,  Belgien,  Luxemburg  und  der 
Schweiz  zugesicherte  Neutralität  ist  peinlich  zu 
achten. 

Die  deutsche  West  grenze  ist  zu  Lande  an  keiner 
Stelle  ohne  meine  ausdrückliche  Genehmigung 
/u  übei-sch reiten.  Zur  See  gilt  das  gleiche  für 
.qllc  kriegerischen  oder  als  solche  zu  deutenden 
Handlungen. 

»  •  • 

4.  Eröffnen  PJngland  und  Frankreich  die  Feind- 
seligkeiten gegen  Deutschland,  so  ist  es  Aufgabe 
der  im  Westen  operierenden  Teile  der  Wehr- 
macht, unter  möglichster  Schonung  der  Kräfte 
die  Vorausset:'.ungen  für  den  siegreichen  Ab- 
schluß der  Operationen  gegen  Polen  zu  erhal- 
Irn...  Den  Befehl  zum  Beginn  von  Angriffs- 
handlungen behalte  ich  mir  in  jedem  Fall  vor  . . . 
Rücken  französische  Kräfte  in  Luxemburg  ein, 
so  bleibt  die  Sprengung  der  Grenzbrücken  frei- 
SPgel>en. 

•  •  • 

Englands   Kriegserklärung 

Dfh'i  britische  Ultimatum  vom  3.  September  1939, 
um  ''  Uhr  vormittags  von  Botschafter  Henderson 
dem  Auswärtigen  Amt  in  Berlin  überreicht. 

In  der  Mitteilung,  welche  ich  die  Ehre  hatte, 
Ihnen  am  1.  September  zu  machen,  unterrichtete 
ich  Sie,  . . .  daß  die  Regierung  Seiner  Majestät 
im  Vereinigten  Königreich  ohne  Zögern  ihie 
Verpflichtung  gegenüber  Polen  erfüllen  werde, 
wenn  nicht  die  deutsche  Regierung  bereit  sei, 
der  Regierung  Seiner  ^tajestät  im  Vereinigten 
Königreich  befriedigende  Zusicherungen  dahin- 
gehend abzugeben,  daß  die  deutsche  Regierung 
jegliche  Angriffshandlungen  gegen  Polen  ein- 
gestellt habe  und  bereit  sei,  ihre  Truppen  un- 
verzüglich aus  polnischem  Gebiet  zurückzu- 
ziehen. 

Obwohl  diese  Mitteilung  vor  mehr  als 
2\  Stunden  erfolgte,  ist  keine  Antwort  ein- 
gegangen, hingegen  wurden  die  deutschen  Ai\- 


Montag,  28.  August:  Botschafter  Henderson  über- 
gibt Hitler  die  britische  Antwortnote;  London 
schlägt  direkte  deutsch-polnische  Verhandlungen 
vor. 

Dienstag,  29.  August:  Die  britische  Flotte  wird  in 
die  Heimatgewässer  zurückbeordert. 
Hitler  teilt  Hendei-son  mit,  Deutschland  ver- 
lange die  Rückkehr  Danzigs  und  des  Korridors. 
Hitler  stimmt  direkten  deutsch-polnischen  Ver- 
handlungen zu,  fordert  jedoch  in  ultimativer 
Form,  daß  bis  spätestens  am  30.  August  Mitter- 
nacht ein  polnischer  Bevollmächtigter  zu  diesen 
Verhandlungen  nach  Berlin  kommen  solle. 

Mittwoch,  30.  August:  Unterredung  Dahlems'  mit 
Chamberlain  und  Halifax  in  London. 
Hitler  entwirft  einen  gemäßigten  16-Punktc- 
Vorschlag  an  Polen,  den  Ribbentrop  ^Q?.Qn  Mit- 
ternacht Botschafter  Henderson  vorliest,  ohne 
ihm  jedoch  das  Dokument  auszuhändigen.  Der 
deutsche  Außenminister  behauptet,  das  Angebot 
sei  überholt,  da  kein  polnischer  Bevollmächtigter 
in  Berlin  erschienen  sei. 

Donnerstag,  51.  August:  Um  1 2  Uhr  40  gibt  Hitler 
zum  zweitenmal  den  Befehl  zum  Angriff  auf 
Polen.  Angriffstag:  1.  September,  Angriffs- 
stunde: 4  Uhr  45. 

Um  20  Uhr  vnvd  von  der  SS  auf  den  Sender 
Gleiwitz  ein  fingierter  Ueberfall  ausgeführt.. 

Freitag,  1.  September:  Um  4  IHir  45  rücken  deut- 
sche Truppen  in  Polen  ein. 
Hitler  erklärt  vor  dem  Reichstag,  Deutschland 
sei  von  Polen  angegriffen  worden.  «Seit  5  Uhr  45 
wird  jetzt  zurückgeschossen!»  Verkündung  des 
Gesetzes  über  die  Wiedervereinigung  Danzigs 
mit  dem  Deutschen  Reich. 

Großbritannien  und  Frankreich  verlangen  in 
einer  gemeinsamen  Wamung  von  der  Reichs- 
regierung, den  Angriff  auf  Polen  einzustellen 
und  die  Wehrmacht  sofort  aus  polnischem  Ge- 
biet zurückzuziehen. 

Samstag,  2.  September:  Hitler  gibt  auf  die  bri- 
tisch-französische Warnung  keine  Antwort;  der 
Angriff  auf  Polen  wird  fortgesetzt. 

Sonntag,  3.  September:  Kriegserklärung  Groß- 
brit^anniens  und  Frankreichs  an  Deutschland. 


griffe  auf  Polen  fortgesetzt  und  verstärkt.  Ich 
habe  demgemäß  die  Ehre,  Sie  davon  zu  unter- 
richten, daß,  falls  nicht  bis  H  Uhr  vormittags 
britischer  Sommerzeit  am  heutigen  Tage,  dem 
3.  September,  eine  l>e friedigende  Zusicherung 
im  obenerwähnten  Sinne  von  der  deutschen 
Regienmg  erteilt  wird  und  bei  Seiner  Majestät 
Regierung  in  l>>ndon  eintrilft.  der  Kriegs- 
zustand zwischen  den  beiden  Ländern  von  die- 
ser Stunde  an  bestellen  wird. 


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4.(7.  Am  J.^ptombor  1939  bfegadn  in  <Tor 
^ro^genfrühe  der  An^iff  der  deutschen  Wehr- 
macht auf  Polen.  Entlang  der  Ostgrenze  des 
Reiches  waren  52  Infanteriedivisionen  aufmar- 
schiert, verstärkt  durch  zahlreiche  Panzerverbände 
und  die  ganze  Luftwalle.  Praktisch  befand  sich 
die  ganze  Streitmacht  des  Dritten  Reiches  im 
Osten;  zur  Sicherung  der  Westgrenze  waren  hin- 
ter der  noch  nicht  fertiggestellten  Siegfriedlinie 
nur  23  meist  nicht  überaus  kampfkräftige  Divi- 
sionen aufmarschiert.  Der  Plan,  nach  dem  die  gegen 
Polen  eingesetzten,  in  fünf  Armeen  gegliederten 
deutschen  Divisionen  vorzugehen  hatten,  war  in 
seinen  Grundzügen  denkbar  einfach:  die  Masse  des 
polnischen  Heeres  sollte  durch  eine  von  Nord- 
osten und  Südwesten  gefüiirte  ZmtgevheweniDig 
westlich  der  Weichsel  eingekesselt  und  zur  Kapi- 
tulation  gezwungen   werden.    Eine   parallel   weiter 


T>slii\'h  gefiihrteT^l^eungeUmfa^pPF  Vollte  den 
\Ring  um  das  Oros  der  polnischeW'ruppen  ver- 
stärken und  ein  Entweichen  nach  (l^ten  verunmög- 
lichen. Der  Plan  basierte  auf  der  Beweglichkeit 
der  deutschen  Panzerverbände  und  auf  einer  ab- 
soluten deutschen  Luftherrschaft. 

Es  gelang  den  Deutschen,  ihren  militärischen 
Feldzugsplan  durchzuführen,  ohne  daß  ihnen  von 
polnischer  Seite  je  die  Initiative  entrissen  w^orden 
wäre. 

Der  ILuiptstoß  der  Wehrmacht,  der  am  1.  Sep- 
tember begann,  hatte  seinen  ersten  Schwerpunkt 
in  Ostpreußen,  von  wo  aus  die  3.  Armee  südwärts 
vordrang  und  sich  mit  der  aus  Pommern  durch 
den  Korridor  vorstoßenden  4.  Armee  vereinigte. 
L^er  zAveite  Schwerpunkt  lag  im  Süden,  in  Schle- 
sien. Von  hier  aus  stieß  die  10.  Armee  nach  Nord- 


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rsch.  Im  vordersten  Wagen  wird  ein  erbeutetes  polnisches 
eitii'jeichen  rniirfv führt 


^^  Deutsch-russische  Demarkationslinie 
'"   yom  Z8  Sept  1939 

Deutsche  Vormarschrichtungen 
::^  Sowjetischer  Einmarsch  am  17  Sept  1939 


—  Landesgrenzen 


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Osten  vor.   Ihre   Panzerspitzen  erreiclitcn  ^.reits 
am   8.  September   den   südlichen    Stadtrand   War- 
schaus,  -wTirden   aber   zurückgeworfen.   Inzwischen 
vollzog   sich    westlich    Warschaus   der   Zusammen- 
schluß  der   von   Norden  her  vorgednmgenen  mit 
den    aus    Schlesien    vormarschierenden    deutschen 
Truppen.     Als    die    polnische    Posen-Armee,    die 
zalilenmäßig  stärkste  Heeresgruppe  der  Polen,  die 
praktisch  ohne  Verbindungen  mit  der  oberen  Füh- 
rung und  auf  sich  selbst  gestellt  war,  die  Gefahr 
erkannte,   die  ilir   drohte,  war  es  bereits  zu  spät. 
Der  Ring,  der  sich  um  sie  gelegt  hatte,  war  nicht 
mehr  zu  sprengen.  Bereits  schloß  sich  auch  weiter 
östlich    die    zweite    Zange:    südlich    Brest-Lüowsk 
vereinigten    sich    am    17.  September    die    aus    Ost- 
preußen  vorgedrungenen   Deutschen   mit   den    aus 
der    Slowakei    nordwärts   vorstoßenden    Einheiten, 
Am    19.  September    kapitulierten    die    Reste    der 
eingeschlossenen  Posen-Armee  bei   Ktitno.  Nur  m 
Warschau,  Modlin  und  auf  der  Danzig  vorgelager- 
ten Halbinsel  Heia  leisteten  die  tapfer  kämpfen- 
den   polnischen    Truppen    noch    längeren    Wider- 
stand:    AVarschau    ergab    sich    den    Deutschen    am 
28.  September,  Modlin  zwei  Tage  später  und  Heia 
am  2.  Oktober. 

Als  die  Niederlage  der  polnischen  Armee  offen- 
kundig   war,    marschierten    am    17.  September   die 
sowjetischen    Streitkräfte    in    Polen    ein,    um    die 
ihnen  im  Geheimabkommen  zum  Nichtangriffsver- 
trag vom  23.  August  1039  zAigesicherten  polnischen 
Gebiete  zu  besetzen.  Die  Russen  motivierten  ihren 
Einmarsch    sehr    zum    Aerger    der   Deutschen   mit 
der  Notwendigkeit,  die  auf  polnischem  Territorium 
lebenden    TJkrainer   und    Weißrussen    schützen    zu 
müssen.  Aber  vorläufig  zeigte  man  in  Berlin  gute 
Miene,  und  in  Brest-Litowsk  fand  eine  gemeinsame 
deutsch-sowjetische   Truppenparade   statt.   Ribben- 
trop  flog  am  27.  September  nach  Moskau,  wo  eine 
Neuahgrenzmig     des     deutsch-sowjetischen     Inter^ 
essenbereichs     in     Osteuropa     festgelegt     wurde. 
Deutschland   verzichtete   auf    Litauen   und   erhielt 
dafür   in  Polen  eine  Vorverlegung  der  Demarka^ 
tionslinie,   die  ursprünglich  längs  von  Narew  und 
Weichsel  hätte  verlaufen  sollen,  an  den  Bug. 

Hitler  hat  unmittelbar  nach  Abschluß  des  pol- 
nischen Feldzuges  an  die  Westmächt«  ein  Angehot 
gerichtet,  den  Kampf  im  Werten  einzustellen.  Der 
deutsche'   «Führer»    vermied    es,    konkrete    Ziele 
seiner  Politik  zu  nennen,  und  das  Angebot  wurde 
von  den  Westmächten  abgelehnt.  Wie  ernst  es  mit 
der    von    Hitler    in    seiner    Reichsta^rede    vom 
6.  Oktober   in   nebulosen   Formulierungen   in   Aus- 
sicht gestellten  Wiederaufrichtung  eines  polnischen 
Staates    war,    zeigte    seine    wenige    Tage    nachher 
verfügte    territoriale    Umgestaltung    der    ehemals 
polnischen  Gebiete.  Im  Westen  Polens  zog  er  eine 
Grenze    die    beträchtlich    östlicher   verlief   als   die 
Reichsgrenze  von  1914.  So  kam  beispielsweise  die 
wichtige   Industriestadt    Lodz,   nun   umbenannt   in 
Litzmannstadt,    zum    Deutschen    R<.'ich.    Den    Rest 
des   unter   deutscher   Herrschaft   st<»henden  Polens 
unterstellte    er    am    12.  ()kt/)l>er    einem    General- 
gouverneur,  dem   bewährten   alten   Parteigenossen 
Hans  Frank. 

Unter  v  der    deutschen    Besetzung   wurde    Polen 
zu.    einend    err^nhaften     Exper^rnentierfeld  ^der^ 


i^filtflifliSfijiKfiifm!!^ 


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itf.rn.ntfM.i^'"*'^'»»^'   Uli  iingii  i|  ■   ■  ■ 


Polnische  Artillerie  Im  Jahre  193.0  war  das  polnische  Heer  noch  weitgehend  auf  die  Hilfe  des  Pferdes  angew 
Polnische  Artülene.  im  ./««r.         ^^^^,^.^-J,^  Verbänden  ausgerüsteten  deutschen  Armeen  liojjnungslos  im 


icsen  und  damit  gegc 
Nachteil 


niibcr  den  viit  starken 


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Einheiten  des  deutschen  Sicherheitsdienstes  hei  einer  Razzia  gegen  Juden  in  Polen 


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Drole  de  guerre  an  der  Westfront 


*  AVähroml  die  dontsclioii  Trii])pon  Polen  innort 
weniger    Wochen     üherrannten,     kam    es    an    der 
Westfront    nur    zu    geringen     Kampfhandlungen. 
Hitler  hatte  in  seiner  Weisung  Nr.  i  für  die  Krieg- 
führung   befohlen,    im    Westen    französischen   und 
britischen   Angriilcn  nur  Örtlich   entgegenzutreten. 
Die  Befehle  für  Offensivaktionen  hatte  er  ausdrück- 
lieh sich  selbst  vorbehalten.  Er  geriet  jedoch  nicht 
in  die  Verlegenheit,  schon  im  Anfangsstadium  des 
Krieges  gegen  zwei  Fronten  hin  aktiv  Krieg  füh- 
ren zu  müssen.  Die  Alliierten  blieben  untätig,  und 
während   acht    Monaten   wurde   an    der   Westfront 
jene  «Drole  de  guerre»  geführt,  aus  der  es  für  die 
Westmächte  am  10.  Mai  1940,  als  Hitler  mit  dem 
Ueberfall  auf  Holland,  Belgien  und  Luxemburg  die 
Westfront   in  Bewegung  brachte,  ein  bitteres  Er- 
wachen gab. 

Der  Chef  des  deutschen  Wchrmachtführungs- 
stabes,  Generaloberst  JodI,  hat  194(5  in  Nürn])erg 
ausgesagt,  Deutschland  habe  1939  zwar  Poh^i  allein 
7A\  schlagen  vermocht,  aber  es  sei  niemals,  weder 
1938  noch  1939,  in  der  Lage  gewesen,  einem  kon- 


zentrischen Angriff  aus  West  und  Ost  standzuhal- 
ten.   Wenn    Deutschland   nicht   schon    1939   zusam- 
mengebrochen sei,  so  komme  das  nur  daher,  daß  die 
rund  110  franzr)sischcn  und  englischen  Divisionen  * 
im  Westen  sich  während  des  Polen  fei  dzuges  gegen- 
über   den    23    deutschen    Divisionen    viillig   untätig 
verhielten.  Deutschland  sc    mit  etwa  75  Divisionen 
in    den    Zweiten    Weltkrieg   eingetreten.    Die   Vor- 
räte   an    Munition    und    Bomben    seien    geradezu 
lächerlich     gewesen.     Die     wirkliche     Aufrüstung 
Deutsciilands    sei    erst    nach    Kricgshegiun    durch- 
geführt worden  .  .  . 

Winsion  Churchill,  während  dieser  Phase  des 
Krieges  Erster  I^ord  der  Admiralität,  fand  in  sei- 
nen Memoiren  bittere  Worte  über  diesen  «Zustand 
der  Lethargie,  in  welchem  Frankreich  und  Groß- 
britannien zur  Verwunderung  der  ganzen  Welt  acht 
Monate  hindurch  verharrten».  «Dic^se  Wartezeit  er- 
wies sich  als  h()chst  verderblich  für  die  Alliierten», 
urteilte  Ghurchill.  «Von  dem  Augenblick  an,  da 
Stalin  sich  mit  Hitler  verständigt  hutte,^  nahmen 
die    Kommunisten    in    Frankreich    das    Stichwort 


Moskaus    auf   und   erklärten    den    Krieg   als    „ein 
imperialistisches,  kapitalistisches  Verbrechen  gegen 
die  Demokratie''.  Sie  taten  ihr  ^Möglichstes,  um  die 
^loral  in  der  Armee  zu  untergraben  uiul  die  Pro- 
duktion in  den  Betrieben  zu  sabotieren.  Die  :Moral 
in  Frankreich  —  unter  den  Soldaten  wie  unter  der 
Bevölkerung  —  war  im  Mai   1940   ausgesprochen 
schlechler  als  bei  Ausbruch  des  Kineges.  In  Groß- 
britannien, wo  der  von  den  Sowjets  geleitete  Kom- 
mnnismus  zwar  recht  tätig,  aber  schwach  war,  ge- 
schah nichts  dergleichen.  Nichtsdestoweniger  waren 
wir    noch    eine  Einparteiregienuig,    unter    einem 
Prcmienninister,  auf  den  die  Opposition  erbittert 
war,    und    die    tätige    Unterstützung    der    Gewerk- 
schaften war  uns  vei-sagt.  Der  nüchterne,  ehrliche, 
aber    bureauk ratische    Charakter    der    Verwaltung 
konnte  weder  in  den  Regierungskreisen  noch  in  den 
Rüstungsbetrieben    die    intensiven    Anstrengungen 
auslösen,   die   lebensnotwendig   waren.    Die   herein- 
brechende Katastrophe  und  der  Ansporn  der  Ge- 
fahr  waren   nötig,   um   die   schlafende   Kraft   der 
britischen    Nation     zu    wecken.     Bald   sollten    die 
StuKnglocken  läuten !» 


Unterirdisches  Munitionslager  der  Siegfriedlinie 


I       .  i.- ■■■■»■■.„■f.«_j-].i..iJiiJJjMMliWW-WW.'tri  yiimli  ■  ij.      .1   i'l     I'       ri.ll        I   '■'!■■ 


,     I  ijiir'-'  *'-«-4««*<^*«^;^..-^¥i%<  ■ 


J^«»*" 


Französische  Mobilmachung  September  1939 


Die  Maginotlin 


Im  Vordergrund  ein  älteres  Werk,  dßhinter  ein  in  der  Zwischenkriegszeit  erstellter  Bunker 


. . , .  .^«pr.«n)MKMnfff^: 


-■■  :  ^■■>^^•^■M:*■■-:■ 


wHiirÄ 


-        ^^^i 

^ 

Steitag,  1.  Scpf emBcr  1939   IBfatt  5 


»er  Süt^ct  ^tlhxni  160-  S'ö^tßÄttj 


8l6cnbaußgö6c    Jl.^  1580 


ttBüttnemente: 

2ftri(9  am  €(^alter  ober  Bei  ^6Td()«n 
S>urd()  Austräger  Inf  gaui  gebracht 

C<9»>^S  SBcItcDung  betm  <poftomt 
fiiefentttg  unter  Gtreifbanb 

«ttflanb  imtet  GfreirSanb:  i  3  9l|>.>^orto 
unter  etretfbanb  i  5  9l^.-9otto 


1  QSottat 

fft.  2.eo 
.  3.50 
.  8.60 
•  4.60 
.  8.- 
.    10.— 


sötte. 

7.— 
9.— 

12.— 
23.— 
27.— 


emtt. 

12.60 
17.— 
17.— 
22.60 
44.— 
60.— 


12  mit» 

25.— 
82.-« 
32.— 
44.— 
80.— 
88.— 


«esug  im  poftamtifdjen  Abonnement»  9Iuf fünft  an  Un  V«P-3eltun9«fd6ttItem 


uttb  f$ajtfjerif$e§  ganbcBBIatt 


Jlcbortton:  Jörfcnfttnfie  11,  Süiit^  1 

übmlttUttötion:  I^Mferfttoftc  1,  3)tucfctei:  ©ocf^cfiro^c  10 
ZcUp^on  2  71  00,  ^aupipo\i^ad),  ^oftfc^edfonto  VIII  645 


Annoncen  :    ^ro  ee\U  8  spalten  l  «ilO  omnmeterjeilen 
lörcts    bcr    2ninimctctaclU 

für  lofale  (Scfc^aftSentpfc^Iunflen  25  ^p, 

für  AnaeiflCtt  frf)tpc{3ettfd^cn  ilrfptungi  80  «Rp. 

für  ^nteigen  ou8Iänt)lf(^cn  llrfprungi  35  <Rp. 

für  «Rcflamen  pro  boppclbrette  ^ellc  1.25  3t 
"Hbfctjlufi-  unb  OT{cbcrI)OIung§tobattc  nac^  ^farif 

5lnnonccn=?rafctriing:  2^cntccftro§c  1  unb  g?ol)n^offftö5e  70 

a3ric[abref[c:  ^o\i\aö)  O^raumünfict.  ^i^oftfd^cc!  VI  11  1264 


^oVxtma^nn^  bet  fiS^n^et^ettfc^en  ^tmee 


©cm,  1.  ®c^jt.  ag  ^ct  VSnnbt&tai 

S(rmce    nuf    ben     2.  ^tptemhcv     Be« 
.fc^Ioffctt.  3>cc  2.  Sc^jtcmbct  Ift  i>cr  c  t  ft  c 

»ctn,  1.  ©cpt.  ag  SDer  a9unbe§röt§Bcfc^ru^ 
übet  bie  ^ticg§mobt(ma(f)ung  ber  5lrmee  loutet: 

S)er  fdjnjeigcrifcT^e  SBunbeSröt,  auf  ?Introg 
fctncä  3}liIttärbepQrtemente8  unb  ö^ftübt  auf 
STrt.  102  bcr  ^unbeSbcrfafjunn,  unb  bic  5lrt. 
198,  199,  202  unb  217  ber  anilitärorgnntfotion 
t)om  12.  3{^rtl  1907  befrf)Iie6t  bie  mohiU 
mad^ung  ber  ganäen  ^rmee. 


I. 

1939 


ifl  ••  bcr    ctfle    Tlobih 


2)et   2.  ©c^temBct 
madjungitag. 

1.  es  l^obcn  gemäfe  bwt  SCDetfungcn  bc8  ÜJTobil- 
inöt^ungSaettcIS  im  3!)tcnftbüd^Ictn  unb  bcn  nad)- 
ftcfjcnben  Scftimmungcn  ein^urücfen: 

a)  alle  nod^  n\d)t  aufgebotinen  GWbe,  3:tii)3t)cn« 
fordet  unb  (Jinfjeitcn  bcS  ^luS^ugcS,  bct  ßanbmcf)!, 
beS  ßanbftutmS  unb  bcr  ou8  bicfen  ^»ecteSüctbänbcn 
gcmifd)ten  SlruplJcn; 

b)  bte  Qtabi  unb  {yotmattonen  be§  3^ran§j?ott- 
Menfte§,  bct  tücfnjttrtigen  S)icnfte  unb  bcS  Slctti- 
totialbienfteS; 

c)  bte  gut  SSctfflflung  be8  ©unbcStoteS  flcl^cnben 
Cff  tötete; 

d)  bte  ?rngef)Bt?Qen  ber  ©tcnablenfte,  beten 
JJlobilmad^ungS^cttcI  im  ^tcnftbüc^Ictn  baS  Ctntücfen 
öm  IDottage  bc8  etften  aOflobilmad^ungStageS,  am  1., 
2.  ober  3.  SDlobilmac^ungStag,  botjd^tcibt; 

e)  bic  ©d^afeungSfommiffionen  bct  3föf)tt3bet. 

2.  S5ie  mit  ben  (Srenjttup^n  eingctücften,  «bcr 
Icicber  ouf  ^ifctt  entlaffenen  2Jlübtlmarf)ung8funftio- 
Jtdte  ber  5J3Ia^!ommanboftäbe,  ^fetbeftenungSfommtf- 
ftonen  unb  ^Dlototfa^tjcugfornmiffionen  fotoie  bie 
5ttainmannfdF)oft^n  h^r  ^.f<»mtttf!atötno«^  ^ip^-.ffir«»^?- 


aeugen  unb  Cuftfal^raeugen  rl^ne  (StraubniS  ^n  eib- 
genüfftfcfjcn  2)lilitätbel)örbcn  i[t  biß  auf  »eitctcS  tjct- 
botcn. 

2Bct  btcfcm  S?crbot  anmtberlianbcrt,  hJtrb  burci^ 
t>a'^  SunbeSftrafgcricfjt  mit  ©clbbu^c  bon  100  bisi 
10  000  g?r.,  iDomit  ©efängnt§  bi§  au  fcdjs  Spflonaten 
üctbunbcn  hjerbcn  fann,  bcftraft. 

SBctn,  1.  Bept.  ^  3)er  SunbeSrat  togtc 
r}cutc  bormittag  bon  10  bi§  >2  U^r.  Um  10  lt{)r  30 
licQab  ficf)  ®  c  n  c  r  a  I  ®  u  i  f  a  n  in  bic  ©i^jung. 
iBöIb  narf)bem  er  bit^fe  berlaffen  f)ntte,  iiber=» 
brarf)te  ein  (Seneralftabgoffi^icr  bcr  Sd)n»ci?\ß- 
rifcljcn  !I^c):icfrf)cnagcntur  bcn  JTOortlnut  be§  fo- 
ebcn  bom  33unbc§rflt  gefaxten  Scfd^tuffc3 
bcr  ©cnerölmobilmad^ung  bcr  fd)n)ei= 
jctifdjen  Slrmec. 

4 

©tttcniiungcn 

3nm  (Bcncralöbiutanten  l^öt  bcr 
©eneral  Cberft  D^ogcr  3)  o  1 1  f  u  8  ernannt.  S)cr 
95unbc§rat  bcjörberte  Dbcrft  ^ollfuS  sum  £)bcrft- 
bibifionär. 


3nm  9}lirtt5rctfcnba]^nbireftor 
mürbe  SJlajor  !p  a  d|  o  u  b,  (Scncralbircftor  bcr 
J8unbc§baf)nen,  crnönnt,  unter  Scförbcrung  ^um 
Dbcrften.  itrcftor  bcr  SBctricbSgruppc  I  bcr  Sun- 
bc§bal^ncn  ift  Dberft  6^  f)  e  n  o  u  jr,  3^ircf tor  bc§ 
^rcifcg  I  bcr  Scl^i-bcigcrifcficn  93unbc§baif)ncn, 
33ctricb§gruppcnbitcrtor  bt§>  ^rci[c§  II  Cberft» 
Icutnnnt  ß  u  c  dj  i  n  i  (33cförbcrnng  ^um  Cbcr= 
ftcn),  9?ctricb§gruppcnbireftor  be§  RrcifcS  III 
Cberft  23  ä  r  1 0  dj  e  r. 

Sie  fc^h)ct5cnfd)e 
SflcnttaVxtät^ctMävunQ 

mom,  1.  ©Gpt.   (Icl.  unfetcs  »=«ott.)   TIU 

nifter  ^r.  ')t  ü  c  g  g  e  r  ift  nm  ffrcitag  um  11 
lU)r  bon  llntcrftant^fcfuctär  U3aftiainnt  nn 
SteQc  bc§  im  tagcnbcn  ^D^Hniftcrrat  nidjt  nb» 
fömmlid)cn  9Jlinifter§  ßiano  cmtifangcn  n?or« 
bcn,  bcm  er  bie  (5  r  f  I  ä  r  u  n  g  be»  S3  u  n  b  e  §« 
r  a  t  c  §  gur  fdinjeijerifdjen  DZeutralität  über» 
hxadjt  f)at,  bic  feinen  i^er;^ug  ericibcn  burftc. 
3m  DRamen  bcr  italicnifd)cn  0?cgicrung  bcr« 
banftc  ber  llnterftaatsfcfrctär  iinfcrem  ®c» 
fanbten  bic  bunbcärätüci^c  ßrftärung  unb  er» 
flärte  feinerfcit§,  ba&  bon  3Iom  an§  alle  9Jln^- 
na\)mm  ergriffen  mürben,  um  bcn  2;rnnfitbcr= 
fclir  unb  bie  JOer^flcgung  ber  ©dj\ret3,  tt?o  unb 
ft)ie  immer  c§  fei,  3u  crleid)tern. 


3)et  ^rleö  ©etttftS^tattb^  ö^Ö^«  ^oten 


Set  Snifc^eibung^iag  in  ^cxlm 

Rittet  In  55etb6rÄtt 

»etlfit,     1.    ©c^t.    (ZtU  unfeteS  O«Ä0tT.) 

SBcrIin  l^at  einen  gang  aUtägririf)en  unb  ruhigen 
aJlorgen  erlebt,  meil  bon  t)unbert  (JinttJoHnern 
faum  mel)r  oIS  einet  beim  erften  SluS^ang 
mu^te,  bo^  ba§  ßanb  f\6)  im  Ätieglgii- 
ftanb   bcfanb.    ^sm  Ö^Iüfterton  ging  bamt  bic 


cn.»/j(^~;-r,i     ^s   :f*-.  r^ 


poXm^dytn  ^Regierung",  hJrtS  Tinnöeniö^  ötS  üm- 
»onblung  be§  ftaat8red)tlic^cn  unb  bölfcrtcc^t- 
lid^en  «Statut  «poIenS  au  berftcf)en  ift. 

4.  ^ür  bic  fTübrung  beS  ßuftfrtcgeS 
regt  ^ttter  einen  23eraid}t  auf  ba^  a3ombarbc- 
ment  ber  Sibitbebölferung  an.  2öenn  *PoIen 
fic^  nid^t  an  btefen  »orfcfjtag  b^lt  fo  broF)en 
feinen  unbefeftigten  Drtfd)oftcn  fdjmerc  93cr- 
gcltunglmofenai^men. 


cn  . 


r  I 


ff  vC*  ^*  j^^ 


^ttfoTjtc  bcr  SWobtlmac^uttö  bcr 
f cfjjijci je tt friert  2(rmcc  tulrb  ein  ßroftcr 
2:cir  unfcvcö  ^crfonal«^  in  alten  2JbtctIun« 
f^cn  bc^  ^ßCotteö  unb  btt  ^ruderet  Ijcutc 
unb  motc^cn  juin  Ülftiubienft  einrußen* 
^n  ftetuiffen  tcrfjntfrficn  Slbtetlun^cn  tottb 
ftr^  baburd)  ber  ^evfonalbeftanb  nm  etwa 
bic  Hälfte  unb  mcf)v  rebujtcrcn.  Sic  .^tt« 
auö^abc  beö  ^laiic^  unterließt  unter 
btefen  Itmftänben  um  fo  ßriJncrn  ."^cmm« 
niffen  unb  StfjhJtcrififcitcn,  nid 
nreirfjjeitifl  bie  C^'rfclihjerunrt  ber  JBcrtrf|t« 
erftattun^^  über  bic  iQoraangc  im  91ud> 
lanbc  burdi  ^cnfur  ufiu.  Ijinjutretcn  Juirb» 
(S'^  Wirb  unfcr  iöeftrcBctt  fein,  bic  2luf« 
gäbe  bcr  fornfältiöcn  unb  rafcfjcn  ^nfor« 
mation  bcr  Ccffcntlirfjfeit  über  bic  iSt» 
cif^niffe  Int  :J?n«  unb  SluSlanb  auä^  unter 
unnünftif^cn  Jöebinflunr^en  fa  ö"t  öl^ 
ntöc^nct)  au  erfünen;  hiir  bitten  aber  unfcrc 
Mtfonntntcn  unb  alle  übrl<tcn  ficfcr  Int 
boraud  um  9}ad)ftd)t  unb  ^tbuXb,  tnenn 
bic  bi^Iicrlf^c  ref^elmä^loc  «^crau^gabe 
unb  ©crfcnbun«!  bed  ©lattcd  nctulffc  un* 
bcrmclbllc^c   Stdrungen  erfahren  fplltc* 

Sic  ©cfd^äftdlcltuna 
bcr  „Jltucn  3ürc^er  S^itune," 


%Ut  J^etonattorren  erfolgten  au^cr^olb  beS 
StabtbcreidiS.  (S-hva%  fptitcr,  al§  man  bereits  baS 
©eräufd)  ber  fcbroercn  ff^ugaeugc  beutlic^  bcr- 
nnt)m,  erfolgte  eine  furd)tbare  ®?pIofionin 
ber  ^äi)t  tc%  .fS  o  u  p  t  b  a  ^  n  I)  o  f  §. 

JDiclc   Seilte    ftebcn   jefet   ruf)iq   unter   bcn 


p5gS?^ 


General  Guisan 


''It.'*' 


Henri  Guisan  wird  vor  der   Vereinigten  Bundesversammlung  als  General  vereidigt. 


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e(i^n>ei5etif(^e  ©tetijtpac^t 


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Seit  bcm  5;ien§tQG  fteljcn  unfevc   (5)  r  c  n  3  = 
fd)ufcttuppcn     unter     ben     ai^affen     iiub 
liefern    bte    fd^treiscrifcTien    Corciv^cn    riuflÄuin 
ncgen  jebe  ®c{al)r  eine§  §anb[treid[)§  ober  lieber^ 
iall§,  tüie  er  al§  ^um  6I)arafter  be§  mobevnen 
53lifefrtcGe§   geliöreub    fo    oft   in    ber   ^T)aiitäv= 
Uterotnr  ber  letzten  ^mf)re  bcfprüd)en  luorben  ift. 
3m     23emu^tfein     biejer     ©trf)erl}e!t     t[t     ba^? 
^d)tüet3ert)Dlf  am  %a(\e  nnd)  bem  erften  milt= 
tärifc^en  ^tufgebot,  nnd)  ber  mtlitärifdjen  ^eil= 
mobirmadjunq,  and)  sur  ftaat§poritifd)cn  IKobiU 
mad)unn  flefd)rttten,  inbem  eä  burd)  bie  3?cr= 
trctuna  beö  3}ülfc^  unb  ber  Stänbe,  bic  iBunbei^= 
berfammlung,  ber  ß  a  n  b  e  §  r  e  n  i  c  ^  11  "  H   bic 
nötigen     iß  0  11  m  a  d)  t  e  n     ?,\n     ^^eiüältinunn 
einer  nufeecorbentlidien  i^uje  in  bie  s^anb  unb 
ber  51  r  in  c  e   ben  lierantaiort!{d)en  rvü^rev,  ben 
(V)  e  n  c  r  a  I,  o^flebcn  Oat.  2:ie  ^emofvntic,  biefc 
nielüerfanute     StaatSform.     \)at     bamit     ilne 
-•panblunqöfäfiinfeit  mieber  einmal  unter  ^^emeiv 
geftcat;  nne  eö  in  ber  römifdien  ^KepuMif  in  für 
ben  Staat  fritifdjer  Stuube  l)ieH:  „Cavoant  con- 
siiles     ne    quid     detrimonli     capiat     res     publica" 
(5)ie  ^onfuln  möoen  n:)ad)cn,  auf  ba^  ber  Staat 
feinen  Sd)aben  nel)me),  fo  jeiflt  [id)  bie  fd)mei-- 
jerifd)e  Xemofratte  fäfiiq,  ba?^  «ebot  ber  etunbe 
in  ernfter  3eit  burd)  bie  Älon^entration  ber  ÜU^r^^ 
antmortung    in    ben    Spitzen    ber   bürgerrid)en 
unb  militärifd)en  ("bemalt  ju  ertiUIen.  Itnb  f)in= 
ter  ber  fo  geftrafften  ):)oritifd)en  unb  miritäri= 
fd)en  ^^ütirung  ftef)t  ein  gefd)loffene§  33oIf,  ba^o 
fti  nid)t  aU  Objeft,  fonbern  al§  Präger  unb 
3)oIIftreder  be§  t)on  ber  Spi^c  auSftrabtenben 
2Biflen§  tüt)It.  S5)e§f)arb  mevben   nud)   äffe   bie 
au^erorbentlid)en  ÜJ^a^naljmen,  bie  iTJegiernng 
unb  ^Irmeeleitung  b\^f)cx  getroffen  I)ttben  unb 
nod)  mcrben  treffen  muffen,  um  ed)aben  00m 
Sonbe  abjumeliren  unb  unfer  3taatömefen  burd) 
bie  5ät)rniffe  biefer  3eit  l)ctl  {)inburd)3uleiten,  bie 
feines  äußern  ?ru^?brurfS  bebürftige  ^Billigung, 
bie  ?lffIamation  au^^  bem  C^er^en  eine§  einigen 
unb  gefdiloffenen  S^otfeS  finben. 

3)te  C^offnung,  ba^  Europa  ba§  foftbare  C5nt 
be^  griebenS  bod)  ert)alten  bleiben  merbe,  ift 
inbfffen  beinal)c  böüig  gefd)munben.  3)ie  2)ipIo» 
matic  ber  ©ro6mäd)te  fd)eint  if)re  Aünfte  unb 
mittel  crfd)öpft  gu  I)aben;  fett  bem  ^JJIorgen  be§ 
1.  September,  ber  ol§  ein  lag  be§  Unr)eiU  in 
bic!  ®efd)td)tc  eingeben  tuirb,  fpred)en  im  Cften 
(guiopaä  bie  Kanonen,  unb  jebe  Stunbe  fann 
bic    erfd)üttcrung    neuer    ^reigniffe    bringen. 


fd)ül;>en.  ^(u§gevüftct  mit  2öaffcn,  bie  [\e  ^anb« 
l)abcn  gelernt  fiaben,  bereu  JBirfung  f^e  fennen 
unb  auf  bie  fie  nertraucn  bürfen,  ober  oud) 
auSgerüftet  mit  bem  3}hit  unb  Stol^  be^  freien 
'^Bürgers,  mit  ber  •f)cimatliebe  unb  bem  Opfer- 
geift  beö  ^ibgenoffen,  mcrbon  unfere  2öel)r- 
nu'inner  luun  (S)cncral  bi>?  yim  jüngften  8olba- 
tcn  if)rc  ^^iflidlt  im  Sicnfte  be§  5»3aterlanbc§  hi^i 
3um  letzten  erfüüen. 

:ra§  Sdimei^ernolf  grünt  in  biefer  Stunbe 
bie  ^trnu^e,  mit  ber  es  al^S  mit  feinem  eigenen 
^leifd)   unb   '^Int   unlo§lid)  oevmadifcn  ift,  cd 
grüßt  feine  Solbaten.  alle  feine  Solbaten  ol^ne 
llnterfd)ieb    ber    Sprad)e,    ber    .^ionfcffion,    be^ 
Stanbcö  unb  ber  '^Uutci.  Sein  ^^crtrauen  gur 
\HvniiT  unb  ,yi  ibrer  rvübrnng  nuuielt  im  ©efül^l 
bor  ^l'vcrte  ber  fd)tDei^^erifd)en  ?Jation,  bie  e§  er» 
fannt  unb  erlebt  bat  in  ber  granbiofen  g  ei  ftt  =■ 
g  e  n    'VI  0  b  i  l  m  a  d)  u  u  g,    bie  für  unfer  Qön=» 
^^e?"  'iuHf  bic  Sd]iuciH'rifri]c  l^onbccmu^^ftellung, 
bic   aiifrüttclnbcn   unb   fammclnbcn   Jefte  unb 
,"vcicvn    i^on    <?anpen,    l'n.^^eru,   'JJäfel-ä   unb   ber 
bieejabrige  l.XHnguft  bebeuteten,  (vd  tudrc  biel» 
(cid]t  uid)t  fdjidlid),  in   ber  iBcrgangenlicit  gu 
graben    unb    pebantifd)e    iöergleiri)e    mit    bem 
3al)re  1914  au^uftcllcn;  aber  ba?-^  barf  moF)I  Qe» 
fagt  merben,  ba'\i  ba?>  5d)iüei^erOolf  nod)  feiten 
in  feiner  Q9cfd)id)tc  unb  nod)  nie  feit  jmei  ^a\)t' 
^^cl)utcn  bac^  Sd)anfpiel  einer  fotd)cn  m  0  r  a  1 1 « 
f  d)  e  n    unb    g  e  i  ft  i  g  e  n    ß  i  n  b  e  1 1    geboten 
bat  mie  beute.  (^S  ift  ein  reife?,  ein  ermad)fene^ 
iöolf,  ba%  tief  ergriffen  unb  erfd)üttert  ob  ber 
Ungel)eucrlid)feit  be§  über  ben  33ölfern  @uro» 
pa§   fd)mebenben  ^4)erbänguiffe^3,  aber  tro^bem 
bod)genutten  Sinnc-^  unb  mit  bem  unbeugfamen 
Lyntfri)lu$  3ur  ii^abrung  feiner  teuerften  ®ütcr 
oor    bem    fiel)    entroUtubcn    nieltgefd)idittid)en 
3)ramo    ftebt.    Si)mpatl)ten    unb    5lntipatf)ien 
merben    eS    nid)t   aueeinanberreifeen    mie   ehe- 
mals; feine  5Jicinung  \)at  fid)  geformt,  fein  nr= 
teil  ift  gemad)t  über  bie  greigniffe,  bie  iöerant= 
mortlid)feiten,  bie  mit  bem  brobenben  ^lusbrud^ 
eine-5    neuen    europäifdien    .^riegeS    öerfnüpft 
finb.    ilöie    läd)erlid)    mutet    beute    felbft    ben 
böfeften   ©iferer   oon   geftern   ber  Streit   übet 
^beologien    angefid)t§    cine§    bcutfc^«rufrifcf)cn 
'^afte^S   an!   ^ür   meldjen   ©ibgenoffen   gibt   c§ 
beute  eine  tüid)tigere,  übertoälttgenberc  1a^ad)e 
aU     bie     .munberbare    2:atfad)e    be§    SSatcr- 
lanbe§"? 

2)te    iRculralität    ber    Sd)tt)etg    ift 


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Armee  suisse 


Schweizerische  Armee 


Esercito  svizzeA 


KRIEGSNOBILNACHUNG 

AUFGEBOT  DER  GRENZTRUPPEN 

MOBILISATiON  DE  GUERRE  MOBILITAZIONE  DI  GUERRA 


MIS(  SUR  PKO  0(S  IROUPES  FRONIIIRFS 


CHIBMIII  IIL[  IRMI  0(U(  TRUPPE  DI  FRONIlfNB 


1f»Die  Grenztruppen  werden  hiemit  aufgeboten. 

>)  AMft^y<c^IP.".i<h!*9*r>j  daran  DIansibüchIcin  ainan  fotan  Mobilmachungsiattal  anthMIt,  haban 
sofort  an  den  im  Mobllmachungsianel  angagabanan  Ortan  ainiuruckan. 

b)  Pfardestallung:  Die  für  die  Stellung  von  Pferden  und  Maultieren  »n  die  Qrenitruopen  bestimmten  Ge- 
meinden haben  diesen  Befehl  sofort  ausiuführen. 

c)  Slallung  dar  Molorfahrtauge:  Alle  rio(orfahrzeu<ie  (Personenwagen  Lastwagen,  Motorräder  etc.),  deren 
Fahrzeugausweis  mit  einem  rotan  AufgebotszcMel  versehen  ist.  sind  sofort  an  dem  im  Aufgebotsiettel  ry- 
segebenen  Orte  zu  stellen 

2.  Es  sind  ferner  ebenfalls  aufgeboten  und  haben  sofort  einzuriicken: 

a)  Dia   Tarritorialkommandostiba   1-12,   dia   Mobllmachungsfunklionara.   das  Parsonal  das 
Hunitionsdianstas : 

b)  Dia  Organa  das  Fliagar-Baobachlungs-  und  Maldadianstas: 

c)  Dia  Organa  das  passivan  Luftschuttas; 

d)  Dia  Minaurdatachamanta.  Eidgenössisches  Militärdepartement.  { 

1.  Les  troupes  frontiferes  sont  mises  sur  pied. 

•)  Tous  las  mllitairas  dont  la  livrat  da  sarvica  est  muni  da  la  ficha  rouga  da  moblllsatlon 

antrant  imm^diatament  au  sarvica  aux  androits  prascrits  par  la  fUha  da  mobllisation. 
b)  Fournitura  das  chavaux:    Les  rommunes  ayant  et*   d^sign^es  pour  fournir  des  chevaux  et  mulets  aux 

troupes  frontt^res  ex^cutent  imm^diatamant  lordre  de  fourniture. 
d  Fournitura  das  v^hiculas  A  motaur:   Tous  les  vthicules  ä  moleur  (woHures.  camions,  molocycleMes.  eU.) 

dont  Ic  permis  de  tirculation  est  muni  dun  ordre  de  marthe  rouga  sont  i  remettre  immidlatamant  ä  la 

troupe  A  l'endroit  indiqu^  par  l'ordre  de  marche. 

2.  Sont  egalement  mis  sur  pied  et  entrent  au  Service  imm^diatsment: 

«)  Las  «tats-maiors  tarritoriaux  1-12,  las  fonctionnairas  da  la  mobllisation,  la  partennal  du 
sarvica  das  munitlons; 

b)  Las  organas  da  raparaga  at  da  signallsation  d'aviens; 

<)  Las  organas  da  la  dAfansa  aArlanna  Passiva; 

d)  Las  datachamants  da  minaurs.  Departement  militalfa  f^d^fal. 

1.  Le  truppe  ö\  frontiera  sono  chiamata  aila  armi. 

•>  Tuttl  I  mIHtarl.  II  cul  llbralto  dl  sanrixio  4  mumio  dell  awiso  di  mobilitatione  dt  <olor  resso. 

davono  antrara  immadiatamanta  in  sarvliio  giusta  la  istruiioni  contenutc  in  datto  avvise. 
b)  Consagna  dal  cavalll:  I  comum  che  sono  stali  designaü  per  la  consegna  dei  cavalli  o  muli  alle  truppe  di 

frontiera  devono  eseguire  subito  questo  ordine 
O  Consagna  dagli  autovaicoli:  Tutti  gli  autoveicoli  (auioveiture,  autocarri.  motociciette.  ecc).  la  cui  liceifza 

di  drcolaxione  t  munita  di  un  ordine  di  marcia  di  color  rosso.  devono  esserc  presentati  subito  giusU  le 

tstnaioni  contenute  in  detto  ordine.        * 

2.  Sono  parimente  chiamate  alle  armi  a  antrano  In  sarvizio  immadiatamanta: 

•>  GH  st««  m«99iorl  tarritorlali  1-12,  i  ffuntionari  dalla  mobilltaxiona,  •  II  parsonala  dal  s«nflilo 

dalla  munixlonl; 
b)  Gli  organi  dal  sanritio  d'awisamanto  •  dl  stinalasion«  anliaarao; 


c)  Gli  organi  dalla  protaxlei 
d)  I  dislaccamanti  minalorl. 


11  Dipartimento  militara  faciarala. 


Bas  erste  der  Kriegsmohnmarhuvp'iphdnfe,  das  die  Orrnztruppoi  zum,  sofortigen   Schutz  der*. 

Landesgrctue  unter  die  Fahnen  rief  ' 


In  den  Dörfern  zogen  Trommler  durch  die  Straßen  und  riefen  die  Wehrmänner  zu  den 

Mohilmachungs  platzen 


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.1-^  *-^  .'"^-^' 


IfflW^ 


:c5? 


Die  Division  Constam 

Von  Ohersthngadicr  Ernst  Brandenhcrgcr 


Wer  immer  als   Soiaat  der  :\Iobilniacliung   in 
,lcn  ersten  Septembertagen    I9;i9  uiul  des  daraut- 
lolgcnden   Jahres   zusaminenliängendcn   Aktivdien- 
stes    gedenkt,    tut    es    naturgemäß    m    der    Sicht 
des  seinerzeit  persönlich  Erlebten  von  jener  btute 
aus,  aui:  weldier  er  dan.Us  im   Dienst  gestanden 
hat    So  geschehe  es  denn  un  folgenden  vom  Stand- 
punkte  des   Hauptmanns,   eines   Hauptmanns   der 
Infanterie,     eingeteilt     in     einem     Regiment     der 
Zürcher    Divüion,    weh-he    seit    noch    nu-ht    zAvei 
Jahren  aus  der  5.  die  6.  Division  unscivr  Annee 
geworden  war. 

Eines    Hauptmanns    jenor    Tnrnntcrie,    xvejche 
kurz    vor     der     Mobiln.acluing     im     Rahmen     der 
Tntppenordmu.p    mS    eili.iu.     Atnderangen    er- 
fahren hatte:    die;   l)edeutsamste  bestehend   in   d  r 
Bildung  eine  Stabskompagnie  beim  l  usilierbatail- 
on    welcher   vorab    die   ])elden    neu    autgestellten 
Mi^enwerl-erzüge  und  der  ebenüdls  neu  iorm;-;^e 
Infanteriekanonen/Aig      angehorten.      Im      "'>i^;^^^ 
war    es    iedoch    griUJtentcils    beim    Hergebrachten 
c^cblieben      Hauplkamplmiltel     dieser     Infanterie 
waren    nach    wie    vor   die    Infanterieabwehrwalfen 
Karabiner,  lei.hte  und  schwere  ALas.lunengeweh.^^ 
neben       <c  wohl  behüteten»        Handgranaten         De  r 
Flierabwehr    sollten    auf    besonderen     Lafetten 
ein^setzte     schwere      Maschinengewehre      dienen, 
anenfalls   auch   die   je   drei   lafettierlen    Lmg.   der 
F  Isilierkompagnien.    Einzige    eigentliche    Panzer- 
atwehr^^affcn  waren  die  heulen  ^''/-'^-^^^IX^^^ 
des   Bataillons.   Die   Fiisdiere   und   Lmg.-Schut/^n 
trugen    ihr   Gepäck   auf   sich,   <la/u    Taschen    oder 

Trisehlaufen    mit    120    bzw.    ^V;"'"/,"    o'und 
mit    300    Gewchrpatronen,    die    M.tra.lleurc    und 
Kanmdere    gleichfalls    Vollpackung   oder^  ai>er    an 
ihrer     Stelle     (Ue     schweren     Wahen     samt     dei 
unmittelbar  dazu   gehörenden  ^l"!^'^'^^"- //"    V  ;;," 
liorbaiailUm  gab  es  sodann  15  Reit-  und  ii.   ^>    - 
Pferde,  die   letzteren   zur  Bespannung  der  beulen 
ik     der  37  Karren  und  38  Eourgons,   tur  weh-he 
eine      peinlich      zu      befolgende      Vcrladeordnuug 
ex  stierte      darin     inbegriffen     die     den     einzelnen 
FaSen   /.ugeteilte      W.^enwa.-hen   und    deren 
iutSng    (so' hatte  etwa   <ler   Hnfschmie<     dem 
Munitionsfourgon  Nr.   5   zu  folgen   und   sta      des 
Tornisters  den  Beschlagsa<.k  -^*-^.^'\  ;/;  ;,;^, 
Vaiorfahrzeuq  im   Infanterieregiment  ^^ar  damals 


recht  genaue  und,  wie  sich  später  zeigen  sollte,    n 
der    Tal    zutreffende    Schilderung,    wie    deutsclie 
Truppen  mit  Bunkern  u.  dgl.  befestigte  Stellungen 
an-rcifen   wer<len.    Für  unsere   eigene   Annee  da- 
pl^on   existierten   im   Herbst   3939   kaum   tur   chis 
Ganze  verbindliche  Gnmdsätze  der  Kampftuhrung, 
indem  die  einstmals  ausgezeichnete,  mit  viel  Vor- 
aussicht  für   das   Kommende   verfaßte   Voi-schnit 
.Fehhlienst»    aus    dem    Jahre    1927    in    mancher 
Beziehung   überholt  war;   nicht   von  ungefähr  hat 
sich   später  hierüber  au<-h   <ler  General   in   seinem 
Bericht  ausgelassen;  <loch  hat  sich  c  aran  ol  ens|d.f- 
lich    nichts    geändert    angesichts    der    hea  e    no  h 
viel    schwerer   wiegenden    Dissonanz    zwis.-hcn    d(^r 
auf  den  1.  Januar  1902  grundlegend  "j;'«;''^«^;;;- 
sierten  Armee  und  der  aus  dem  Jahre     9..1   stanv 
menden     </rmppenführung»,     welche     dei      Kiicg 
crogen  einen  voll  ouer  auch  nur  stark  mechan.sior- 
Ten    Angreifer,   der    zudem    über    A-Sprengkorper 
verfügt,  noch  weitgeh(>nd  ignoriert. 


J 


War  diese  Infanterie  bei   ihrer  Mobilmachung 
imstande  S  auf  Anhieb  sicher  und  gewandt  ihrer 
\Ä  und  Geräte  zu  bedienen,  um  damit  ihren 
Abwehrkampf    zu    führen?    Mochte   sie    zwar   ihre 
fnflnlleneabwehrwaffen    leuUich    ^^'^-rrsdien    u^d 
mochte  die  Führung  der  Gruppen  und  Zuge  >vie 
Ter  Emheiten  und  Truppenkr>rper  im  allgemeinen 
einigermaßen  spielen,  so  feWe  o^^  ']':^'^Tr   tn 
damalsgenau  so  wie  heute  an  der  Mar.cl^ncUl.g- 
trlie'an  jegru-»-  Behen.chung     es   M^ 
Muim  grcif,^  i^fo'in  und  Qiner  vqr.Uoften  O^^f^'^f^^ 


\11    das  spiele   indes    für   uns    Hauptleute   der 
(i.    Division    keine   Rolle.   Was   auf   der   Stute   der 
Armee  fehlen  mochte,  der  <lamalige   Kommam  ant 
der  t)    Division,  Ohersfdivisiondr  Constam,  lial  e^ 
mit    Weisungen    und    Hinweisen,    die    es    an    Eni- 
A  tigkeit  und  Entschie<lenheit  nicht  fehlen  ließen 
mehr  als  wettgen  acht.  Seit  er  am  1.  Januar  1938 
di^     Kommando     unserer     Division     ubeniommen 
^^tte    vermittelte  er  uns  bei  jeder  Gelegenheit  ein 
'^a^^n^^knckes   Büd   des    kommenden    Kn^es   und 
forderte   unnachgiebig,  was  wir   1»^.«"^^^^'^^^^"  ^^^^ 
diesen    Krieg  ki'.nnen  sollten   und  können   innß  cn, 
uHm    au^l.    mit    unsern    bescheideneren    Md^  n 
erfolgreich  zu  bestehen.  Was  er  damals  an  Gnnd- 
sä  zen    «vom    Kampf    auf    kurze    Distanz»    lehrte 
::;!^";nit    uns    in    ;ersonli<.h    geleiteten    Uebung^i 
und     Scharfschießen     ;)(Mlennann     augenfaUig    er- 
obte,\var  nicht  nur  gültig  für  den  A^f-f^^'^^^ 
er   bald    l«mnnen    sollte.    Es    ist    es    vielmehr    bis 
heute  geblieben  -  auf  .je<len  Fall  für  clie,en.gen, 

welche  sich  darüber  im  klaren  «'"*!' ;^'7'"I"V,  Vi 
terie  in  einem  modernen  Krieg  noch  taugt,  und 
,lazu  den  Mut  haben,  daraus  die  gebotenen  Kon- 
sequenzen zu  ziehen. 

So   waren   für   die   Zürcher  Division   das    Ein- 
rücken zur  Kinegsmoi>ilmachung  und  der  to  ge^^^^^^^ 
Aktivdienst    unter    <lem    Kommando    von    Obers^^^ 
<iivisionär  Constam  nichts  grundlegend  ^^^T^ 
etwas   Außerordentliches,  sondern   ^^  ^.f  ü^' ,[  '   Z; 
<lnrum,  mit    )(>nem  Ernst   and  .lener  (xrundl.chk(  it 
t;M;er;ufahrin,  welche  vom   Divisionskonnnaiidan^ 
ten   bereits   zuvor   gefordert    wonlen    ^^'''•^"'/*;^^^ 
tedo!^  auf  allen   Stufen   n-»'t».loß.dre.   Wochen 
lang,  sondern   auf   «unbestimmte   Frist»  «tets  neu 
XU  beweisen.    Er    hat    dazu    mit    seinem    strengen 

Trtei    der  Tnippe,  den  Kadern  und   Kommandan- 
ten  im  ner  wieder  den  gültigen   Maßstab  gegeben, 

len  eTan  si<.h  selber  und  an  seine  l  ntc.-gebenen 
anzulegen  galt.   Wohl   .ic-.ler  Wehrmann   der  - 

•  m    lÄnnb  Jöoe  miverwecligo'^^rn    Erscnemjtn^ 


Mar>chtüehigkeit,    standen    ^^^"f  ^^^^,. ;";,,)  %ts', 
cnind.  Bereit«  im  Oktober  wurden  die  llab.-Zugc 
d.^  Mitrailleurkompagnien  zu  Scharfschießen  gegen 
FH,<.erziele  nach  Walenstadt  befohlen;  es  folgen 
Schu^ßen  der  Infanteriekanonen  aut  einer  behdf s- 
mäßi-en    «Tankbahn»    bei     Toßegg    und  Minen- 
^^;r^.iU.UMcn  in  Gegenwart  des  Divisumskom- 
Imuidanten.      Aber     auch     als     im     ^^;^<^^-  ^^^- 
(>.   Division   mit  <lrei   Regimentern  in  <lie  L^mm 
,f,ll,u,9    einmarschierte,    um    diese    wahrend    der 
„ä.hsten    Monate    dun-h    Bauarbeiten   ge-gnet    zu 

verstärken,     blieb     «die     ^^J'^«    J^^^!!^;;,     "•  ^^ 
Divisionsknniniandanten  spurl,ar.  Zuna<dist  be.  du 

Maßnahmen  zur  Verstärkung  des  Geländes,  ^noi 
befahl,    in    erster    Dringl.ehkeit    Unterstande    zun 
l^.hutz     der     Truppe     gegen     Arti  lerie  euer     i.nd 
Fri(>gerbo.nba.Hlemente    anzulegen    (ein    ^-^    >;»-[;;: 
der    zwar    heute    mehr    denn    je    gelten    sollte,    dy 
•,,ac>ch,  wie  es  manche  Geniebefehle  belegen,  we  t- 
herum  längst  m  Vergessenheit  geraten  ^^^'^-^^ 
,lH>r  auch  darin,  daß  in  der  (i.  D.visum  trotz  alhn 
Bauarbeiten  die' Ausbildung  der  Truppe  und  ihn. 
Kommandanten     weiterhin     unablässig     ^'«"^-'/^^^ 
vur.le.    So   gab    es    pro    Woche    noch    immer   m  n - 
.K^stens  einen  der   Ausbildung   vorbel.altenen   lag 
nrden  nach  wie  vor  Uebungen   im  Verband   von 
Baiailhm    und    Regiment    sowie    Tram.ngsnKii.che 
ic>l/t    auch     in     der    verdunkelten     Tracht,    dl 
.„•ührt,   folgte  im  Januar  1940  bei   bissiger  Kalte 
■;.       Eehl.Uen.tperiode  mit  wüchentUcli  gcnvechse - 
Unterkunft  -  von  der  Truppe  damals  scherz- 
aft    «Constam-Zirkus»    geheißen.    ^ eben    Schal    - 

hießen    mit    einzelnen    ^V'^<|"-\-''"''7  ,"",),;;  " 
fnihlin-  unter  der  Leitung  des  Divisionskomm.  n 
,::;;u!^„;   der   Gegend    von    Menzingen   die   ex.Uni 
iener     unvergeßlichen      kombin>erten      hfanterie 
'^mcne-Srhu^ßer    abgehalten,    an    welchen    etwa 
; wei    knegsstarke    Füsilierbataillone,    eine    Art    - 
U.noabteihuig      und      zwei       1^  ^'^•»•^^!  '  l'^    „  ,  "  ,, 
,„,„„,,,  Was  hier  zum  ^^f'^^^^""'''  "^^'^ 
H-uim    Ol.criberg    und    auf    dem    Stoos,    mit    dem 
!;SenSc.mßViU>tun<l^.r  allem  auehgc^^^ 
wurde     i<t,   wie    der   aufmerksame    Bei. aehter   <l  ■ 

\  A     ■    «n    der    Expo    feststellen    kann,    ab- 

Armeeliliiis    an    (k  r    i>aj»»^'  \v.,rfnn 

<.ospli<-..  VOM  .!<•.,  neu  l,in/,uKck..i.wm-non  W  ..fi(  n. 
iill  ',  n.i.1  .n-lir  iih..rtroir.-n  wor.lon.  Nor  allo.n 
,  c4n  ko,nlM,uort,.n  S.-Ikh  lM-l,.oß<M.  war  nu.,- 
.|,r  ™  «.w,.is,.„,  Ol.  eine  Truppe-  .m.tanOe  so,. 
',»;,,/,-,»!„'»«'..«''■'«  ^on  Straßen  und  Welle. 
■uJl'rH  u.ä  o,n,c  Länn  voll,«  -'^''-^^^^ 
,1,.,,    Gegner    licranzuscliirbon.    .larnaeli     m    prston 

"or;o,-,l.rli,.lM.n  Tr,.|fsu-.l».rlKMt.  „m  -Loses  }■  o,,or 
:    Artill..r,o  ,m<l  a..r  Minonwortor  -""^  -  -^;- 

kauoncn     auszunutzen     unü     •"';';  .    suirm- 

«iodcrnin  zum  mrnichte„deHStoB  der  mit  blurm 

Vuer  tan.  Nal'kampf  vorhre..|.e,.<lcn  Fus.Uere.  Ol. 

lio  k£  k  .larnaeh  herber  «ar  oder  loben  kenn  e 

%,TReC.'l  began..  Ohe.-st.livisio..ar  Constam  m.t 

Lwlf  in  Onlnnng  war»,  um  l-"aoh  -un  - 


Vom  Frieden  in  den  Aktivdienst 

14  Tafie  Zeitgeschichte 

Freitag.  25.  Augu.t:     Erklän.ng    des    Bundesrate 

iib.,r    die    gespannte    '""^'•nafonalc    Lage.  D.e 

Wolinnänner   werden    darauf    autmerk&am   ge 

,.  b,ß  sie   mit   der   Einberufung   reeV,nen 

,niiss..n    (inforn.elle  PiMMellung  der  Armee). 

Besel.luß    d.-s    Bundesrates    über    f    V«"«»^- 
haltung  von  Weizen,  Roggen  und  Baekrachl. 


dem, 


muß 
schief 


de^tü^er    :  crkmi-  ^w.s   noel, .  bosser  worden 
lauiiiLiicx  .  ,  .      .„    .^i.^  „,;r.  r^in^p  Schart - 


•ner   zu   t;iMan.ii,   - .     ,•        c -  i  .».v 

_   OS  haben  nieht.s  so  sehr  w.o  diese  Soharl- 
,on',.nt"r  der  Leitung  des  l>ivisionsk„n..m.n- 


schiel  en  um-r  un    ..........  Vprtraiien 

dantekalUn    Beteiligten   immer  wieder  ^^^^"'|^ 


Somstaa,26.Aupust:     Beschluß    des    Bundesrates 
üijer  Ausfuh rheschränkungen. 
In  den  Departementen  gehen  die  Vorbereitun- 
gen der  Maßnahmen  für  den  Fall  einer  Mobd- 
machung  weiter. 
Sonvfaa  27    iuansf:     Sitzung     des     Bundesrates: 
'"kein"'     Vei.chlimnierung     der     Hiternationafen 
Lage,    keine    VeranUissung    zu  weiteren    Maß 
nahmen. 
Montag,  2S.A.a.^!:     Am   späten   Nachmittas   be- 
schließt der  Bundesrat: 

1  Die  Grev.schutztmppen  werden  aufgeboten. 
2.  Die  BandesversammJnng  wird  auf  den  kom- 
menden Mittwoch  einlierufen,  um 

a)  dem  Bundesrat  Vollmachten  zu  ertcden; 

b)  den  General  zu  wählen. 

l'm  19  Uhr  30  hält  Bundespräsident  Etter  eine 
Radioansprache  an  das  Schweizervolk. 

Dienstag,  29.  August:     Ab  00.00: 

Bezugssperre   für  einzelne   Lebensmittel    (Hin- 
weis auf  den  Aufruf  zur  zweimonatigen  Lager- 
haltung vom  5.  Apnl  1939) ; 
vorläufige    Rationierung   von    flüssigen   Kratt- 
und  Brennstoffen. 

\mchlag  des  Mobilmachungsplakates   «Kriegs- 
;nobilma<hung  -  Aufgebot  der  G-n^^-PP-;; 
Einrücken:   sofort.  Das  Aufgebot  umfaßt  rund 
80  000  bis  100  000  Mann. 
Bundesrat  sbeschl  üsse : 

Der   ^Aktivdienstzustand>>  wird   für  das  ganze 
Gebiet  der  Eidgenossenschaft  erklart; 
teilweise    Schließung   der   Grenzen    (Kanalisie- 
ning  des  Grenzübertrittes) ; 
Verbot  des  zivilen  Luftverkehrs; 
Ermächtigung   zur   Beschlagnahme   von   Lager- 
und Tank  räumen. 
üie  Xationalbank  gibt  Fünffrankennoten  heraus. 

Ultfa.,rh.3n.  August:     17  bis  18  Uhr:    In  außer- 
^"  o  denllicher   Sitzung   erteilen   d-   ^e.den    Rate 
dem      Bundesrat      Vollmachten       Naüonalrat 
181  Ja,  6  Enthaltungen;  Standerat.  42  Ja,  ein 

stimmig). 

18  ühr-  Die  Vereinigte  Bundesversammlung 
wählt  Öberstkorpskommandant  Henri  Guisan 
mit  204  von  229  Stimmen  zum  General. 

r.  tr.n  ?y   Auaust-     Ab  00.00  Einschränkung 

Donnerstag. öl.  AU gusi.      ^"  -»r^ui 

der  Abgabe  von  K^ble  und  von  Mchh 


■^■■•V^         •!,;- 


Vereidigung  eines  Tnippenkörpers   in,   Hnf  des  Landr^rnnsoims 


Große  Schweizer  Kreuze  kennzeichnen  d<is  vrutralr  Tcnilorinm  für  die  ausläHdischen  Flh^iirr^ 


(!  cd  ränge  vor  einem  Bank^chüUer 


—  Kennzeicherk  des  ersten  Sihocks   aUgmui^n'r   Vnsinherheit 


.>■•  • 


..T, .,,:--      •• 


-.    ^^mBCIlju 


■,.     l..^ .      ^ 


völkTsrhei^     Wcf^mdcen.     ünmittelOar    hinter    der 
kämpf encieii  Truppe  waren,  wie  fkhon  früher  i^v 
der  Annexion  Oesterreichs  und  der  Unterwerfung 
der   Tscheeliüslowakei,   besondere   polizeiliche   t.in- 
satzgruppen  vorgegangen.   Sie  handelten    wie  der 
Chef    des    Reichssicherlieitshauptamt^s,    Heydrich, 
später    in    einem    Aktenvermerk    notierte     gemab 
einem  Sonderbefehl  Hitlei^  und  hatten  auf  Grund 
der  vorbereiteten  Arbeit  «systematisch  durch   \  er- 
haftung,   Beschlagnahme  und   Sicherstelhing  wich- 
tigen  politisclien   Materials  heftige   Schlage  gegen 
die    reichsfeindlichen    Elemente    in    der   Welt   aus 
dem  Lager  von  Emigration,  Freimaurerei,  Juden- 
tum   und    politisch-kirchlichem    Gepertum    sowie 
der  2    und   3.    Internationale  gefuhrt».   In   Folen 
hausten    diese    Einsatzgruppen    besonders    bnüal; 
selbst     Heydrich     bezeichnet     die     ihnen    erteilten 
Weisnncren  als  «außerordentlich  radikal:  zum  Bei- 
spiel Uquidierung^befehl  für  zahlreiche  polnische 
Führungskreise,   der  in   die   Tausende   ging>)^   Der 
Terror  von  Polizei  und  SS  veranlaßte  die  Wehr- 
machtführer   in   Polen,   die  um   den   Ruf   und  die 
Moral   ihrer  Tni])pe  besorgt  waren,  zu  Frot^fcen. 
Aber    Hitler    deutete    den    Generälen    an,    daß    er 
eine    Polenpolitik    zu    treiben    gedenke,   in    die   er 
sich   von    der   Wehrmacht   nicht  werde  dreinreden 
lassen    Am  18.  Oktober  1939  notierte  der  General- 
stabschef des  Heeres,  Halder,  in  sein  Tagebuch  die 
ihm    hirterbrachten    Auffassungen    Hitlers:    «Wir 
wollen    Polen    nicht    sanieren...    Deutsches    Aut- 
marschgebiet  für   Zukunft.   Polen   soll   sich   selbst 
verwalten.    Es   soll   nicht   nach   deutschem   Begrifl 
zum    Musterstaat    gestaltet    werden.    Verhindern, 
daß    polnische   Intelligenz   sich    zu   neuer   Fuhrer- 
schii-ht  aufwirft.  Niederer  lx>bensstandard  soll  er- 
halten   bleiben.    Billige    Sklaven.    Aus    deutschem 
Gebiet    muß    alles    Gesindel    heraus...    Schaffung 
einer   totalen   Desorganisation.    Keine  Mit^nrkung 
von    Reichsstellen!    Das    Reich    soll    den    Genera - 
gouN-erneur  befähigen,  dieses  Teufelswerk  zu  voll- 
enden.» 

Die  Polen  sollten  zu  einem  Helotenvolk,  zu 
«billigen  Sklaven»,  herabgedrückt  werden.  In  den 
westlichen  Gebieten  jagte  man  sie  von  Haus  und 
Hof  und  trieb  sie  mittellos  in  das  Generalgouverne- 
ment Ihren  Grundbesitz  übernahmen  Volks- 
deutsche, zum  Teil  Leute,  die  Hitler  aus  den  von 
der  Sowjetunion  besetzten  Gebieten  nach  Deutsch- 
land zurückholen  ließ. 

Ein  noch  schrecklicheres  Schicksal  als  die  Polen 
traf  die  in  Polen  wohnenden  Juden.  Schon  un- 
mittelbar nach  der  Besetzung  des  Landes  begann 
die  erste  Etappe  der  «Endlösung».  Die  Juden  soll- 
ten wie  Heydric^h  in  einer  Geheimrede  am 
21  September  1939  erklärte,  aus  den  ländlichen 
Gebieten  verjagt  und  in  den  Städten  in  Ghettos 
untergebracht  werden.  Wie  Heydrich  i"^  leicht 
durchschaubarer  Absicht  bemerkte,  sollten  Ghettos 
nur  in  Ortsrhaften  mit  Eisenbahnverbindung  er- 
richtet werden. 

In  den  nächsten  Monaten  begann  nun  ein  wil- 
des Heriimstoßen  der  Juden  von  einer  Stadt  zur 
andern:  zueret  wurden  die  Juden  in  den  vom  Reich 
annektierten  Gebieten  nach  Polen  verjagt,  die 
polnischen  Juden  trieb  man  aus  den  Dörfern  in 


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Polnische  Gefangene  vor  dem  Abtransport  ins  Lager 


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j  '.r..hr  nffi-i^rP  hei  einem  Treffen  in  Brest-Lifowsk.  Der  genaue   Verlauf  d^  Drwa 

Deutsche  und  sowjetische  Offiziere  bei  einem  ^reff^^^^^^^^  Mililärführcni  an  Ort  und  Stelle  festgelegt 


rkalionfylinie   wurde  von  den  deutschen  und 


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wifsa^  ihi-f^tiJx  -Ä^iiÄ;- 


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die  Städte,  und  man  begann  bereits,  »"sjiem 
Reichsgebiet  und  Oesterreich  Juden  nach  Polen 
abzuschieben.  Die  Deportation  geschah  völlig  will- 
kürlich und  in  gewollter  Unordnung;  Tausende 
von  Menschen  wurden  von  Ort  zu  Ort  geschickt, 
weil  nichts  vorbereitet  und  nirgends  Platz  zu  lin- 
den war  In  teuflischer  Berechnung  hatte  Heydrich, 
um  so  Haß  und  Zwiespalt  unter  den  Juden  zu 
säen  die  Organisation  des  Transportes  der  Juden 
in    die   Hände   von   «Judenräten»    gelegt,   die   die 


einzelnen  jüdischen  Gemeinden  selbst  zu/^-^TJ^f^ 
hatten.  Tausende  von  Juden,  vor  a^cm  Alte 
Frauen  und  Kinder,  starben  bereits jiuf  efesen 
Transporten,  die  ohne  Rücksicht  auf  die  A Ritte- 
rling selbst  im  Winter  vorgenommen  if^urden.  JJie 
Erstellung  der  Ghettos  dauerte  das  ganze  Jalir 
19-iO  hindurch  fort,  da  es  in  den  gioßeron  Stad  en 
länger  dauerte,  bis  die  ganze  jüdische  Bevolke- 
runcr  —  wie  die  Nationalsozialisten  ««^^11  — 
«erfaßt»  werden  konnte.  Erst  im  November  3 940 


wurde  auch  in  Warschau  ein  Ghetto  geschaffen  -- 
eine  hohe  Mauer  trennte  es  vom  «arischen»  btadt- 

teil. 

Was  1939  in  Polen  begann,  war  der  Auttakt 
zur  Ausrottung  des  jüdischen  Volkes.  Noch  exi- 
stierte das  Konzentrationslager  Auschwitz  mchU 
aber  bereits  im  Frühjahr  1940  hatt<>  die  SS  die 
eifrig  nach  geeigneten  Orten  für  die  Eirichtung 
von  Lagern  suchte,  die  alten  polnischen  Kasornon 
in   Auschwitz   entdeckt   und   sie   für   ihre   Zwecke 


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als  brauchbar  Vrachtet.  Andere  A  f?ü,^t.ngs^^^^ 
entstanden  auf  polnischem  ß^^^^^-;  /^Z^^^.^' 
Maidanek,  Robibor,  Chelmno  und  viele  kleinere. 
Für  fihif  Jahre  wukle  das  1939  von  den  Deutschen 
eroberte  Polen  ein  Land,  in  dem  die  Todes- 
maschinrn  arbeiteten  und  straflos  die  Unmensch- 
liebsten  (ireuel  verübt  wurden,  auf  Befehl  lene. 
Mannes,  der  den  Krieg  entfesselt  hatte  und  der 
auch  die  Verantwortung  dafür  trägt,  daß  er  von 
Anfang  an  in  so  barbarischer  Weise  gefiihrt  wurde. 


Kinder  im  Ghetto 


Wehrlose  jüdische  Bevölkerung  an  der  Ghettomauer 


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Französische  Truppen  im  Winter  1939 


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•  i^ifttttwWt  ■>  ^tflMtO^MWB  ■  gtfiftatfi^^. 


Im  rückwärtigen  Frontgebiet 


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.   .A^.<.^Kr^^rir4< 


.    -■\n.f- 


Britische  Journalisten  hei  einer  Besichtigung  der  Stelhmgen  an  der  deutsch-alliierten  Front 

in  den  ersten  Monaten  der  Drulc  de  guerre 


Premierminister   Chnmherlain   (Mitte),   hegleitet  vom   Chef  des   hriti.schen   Expeditionskorps, 
Lord  Gort   (links),  hei  einer  Inspektionsfahrt  nach  Frankreich 


\ 


) 


txuppin  f)äbin  fofort  hjiebet  einautücfcn. 

8.  Stellung  bct  ?Pf€tbe  unb  SD^uIttete.  <—  ÄÜe 
©emctnbcn  f)dben  bic  Stellung  bon  ^Jfctbcn  unb 
3JlöuIttcten  gcmä^  ben  JBcfttmmnngen  beS  ^fctbeftel- 
Iung§b€fef)I8  au§3ufüf)t€n.  ©omett  bic  3ctt  tetc^t, 
füt)ten  bie  Oemcinben  bie  SSonnuftcrung  butd^  unb 
ia||en  baS  Scfc^Idg  in  Dtbnung  bringen, 

4.  Stellung  bcr  JDlototfaFitaeugc: 

a)  Sine  !Dlotorfa5t3eufle  (^pcrfonenrtJögen,  J?afl« 
hJögen,  Jtraftoten,  3lnF)dngct,  SJlotortübcr  ufw.), 
beten  {JafiraeugauSmciS  mit  einem  njci^en  Slufgebot- 
^ettcl  betfe^en  n?utben,  ftnb  gcmä^  bcn  Seftimmun- 
gen  bicfeS  3cttel  3U  ftcüen; 

b)  oHc  JDlototfa^tacuge,  beten  {yöfit^eunöuShJCtS 
mit  einem  grünen  Stufgcbot^ettel  bcrfcl^cn  finb,  ftnb 
gemä^  bem  bcm  {Jaf)r3eugf)alt€r  augefjcnben  S^^ttel 
3u  fteUcn. 

XL 

STCfgemelnt  SefHmmtmgem 

1.  2)utd^  btefen  Sefd^Iu^  öuffjebotene  Offi^tete, 
l!ntcroffi3ierc  unb  Solbaten,  bic  ftd^  in  Äaberfdf)ulen, 
Äabcrfutfen  unb  9^eftutenfc^ulcn  bcfinben,  fmb  fofort 
3u  entlaffen;  [xe  fyiben  [\ä)  gemä^  ben  Seftimmunnen 
beS  aJlobtlmacf)ung§3etteI§  im  2)ienftbüd^rein  auf  bcn 
Äor^jsfammclpla^  i^tc§  <Biabt^  otci  if)rer  (iinf)eit  3U 
begeben. 

2.  a)  3>a§  eibgenöfftfc^c  37lilitarbej?öttement,  bic 
fantonalen  5JltIitärbcf)örbcn,  bie  Äommönbönten  bcr 
Stabe,  Xru^^cnförpcr  unb  (5inl)citcn,  bic  Common- 
bauten  b^t  Sdjulen  unb  .Rurjc,  bic  ^pia^fommanban« 
tcn,  bic  ^Pferbcfteüungsoffiaierc  unb  bic  aHotorfalir« 
^eug'StcQungSoffi^icrc  führen  bie  ÜJlobilmad^ung  ge« 
mäft  bcn  Seftimmungen  bet  ^rtcg«mobilmacf)ung3. 
borfd^rift  1938  unb  ben  bcfonbcrn  Söcifungcn  bcr  ©e« 
ncralftab§abtcilung  burd^. 

b)  S)ic  öbetaä^rigen  bicnfttaugltd^n  !pfcrbc  unb 
ÜJlauItiere  ftnb  i^ren  Sefi^ern  aurücf angeben;  fic 
bleiben  auf  !pifctt  gcftcOt. 

IIT. 

Ärtcg§betrieb  bcr  Jrana^ortanftalten: 

2)er  ^ricgsbetrieb   bcr  (Sifenbaljnen   unb   önbern 

öffentlichen  Xransportanftaltcn  beginnt  mit  bem  crften 

3}tobiImacf|ungstag  00.01  Uf)t. 

IV.. 

^ifcttftcHung. 

(f§  n"l>  fl"!  ^ifs^t  gcfteHt: 

a)  nllc  nicf)t  bereits  aufgebotenen  ^ilfsbienftpfti^» 
tigen; 

b)  aüc  nid^t  bon  bcr  ?trmcc  tn  !^icnft  genomme- 
nen ifcrbc,  3}laultierc,  Jörieftaubcn  unb  i^ricgöf)unbc; 

c)  aUe  nid^t  bon  bet  ^Irmec  in  SDienft  genomme- 
nen 0^ut)rrt)erfc,  Harren,  3Jlotorfaf)r3eugc  aOct  Slrt 
unb  £uftfat)r3cuge. 

V. 

23crbot  bon  2}crniif{cruitg  unb  ?tu§fur)r: 
3cbc   iicräuöcrung    unb    ^fu^furir    bon    ^fcrben, 
SJlauUiercn,  93ric{tauben,  Äricgö^unben,  SDlütorfafjr. 


Ttuxijcta/i  ,^»  TjT  |£7  4üeu     vun  iöiuiiu  ji 
2)on  acf)t  Uf)r  an  rücftcn  bic  Kolonnen 


fcßtt- 

gut 
er- 


unb  S.A.  Unter  ben  ßinben  unb  tnJ^t" 
F)clmftragc  an,  um  baS  ©palter  gu  biuoen, 
fid^  bon  bet  9^eidf)§fön3lct  lüdfenfol  bi§ 
ÄroHoper,  bem  5togung§ort  bc§  Dieid)8tag< 
ftredfte.  ^er  ©tra^enaug  Unter  tm  ßinbcn 
feilten  be'mal)e  beröbet,  n?ett  bic  O^a^rjeugc  nid)t 
girfulicren  burften  unb  ^u^gänger  nur  j^ätlid) 
gu  feigen  tvaxen,  23iellctrf)t  be§f)alb,  »eil  bic 
3lad)xid)t  bon  ber  ©inbcrufunö  beS 
9lctd^§tag§  nod^  fnnm  bcfannt  tüör,  fom- 
mcttc  fidf)  auf  bcm  ßinfaf)rt§tt)cg  be§  9^eid^§tanj- 
lerd  in  ber  ©egenb  be§  Sranbenburgcr  %ox^ 
nur  eine  bünnc  cRci^c  bon  3iifd}«"ern.  (ginigc 
^cifaüSfunbgcbungen  hJaren  gu  l)örcn,  nl§ 
^itlcr  in  felbgraucr  Uniform,  bic 
er  gum  erftcnmal  feit  1938  tragt,  in  einem  ?lu- 
tomobil  borbeifu^r.  SJlc^rcrc  mit  ©encrälen, 
Slbjubantcn  unb  anbcrn  Cfftgicren  gcfüHtc 
Söagcn  folgten.  3(n  großer  ^ö'tjt  frciftc  unter- 
bßffen  eine  giuggcugftaffcl. 

S)ie  Söcrfammfung  in  ber  Ä  r  0  Ho  b  et  bot 
ba^  gen:)of)ntc  SBilb,  nur  bafi  bie§mal  betfd^icbene 
Surfen  in  ben  Dieilicn  bcr  ^ilbgcorbnctcn  flafften. 
Ritter  njurbe  f)ier  bon  feinen  ^^jarteifreunben  mit 
einer  braufenbcn  Cbation  empfangen,  bic  fid) 
im  ßaufc  feiner  3vebe  mcf)rmal§  n)ieberl)oltc.  ?(uf 
ber  ßftrabc  f)tnter  bcn  9}Zinifterbdnfcn  l)atten 
fid^  u.  a.  bic  (Scncralc  Zettel,  23raud^itfd),  TIM) 
unb  ©rofeabmirat  9?aebcr  cingefunben.  ^n  ber 
S^iplomatenlogc  njaren  bic  brttifrf)C  unb  bic 
frangöfif(^e  Sotfd^aft  übert)aupt  nidjt  bcrtretcn; 
bcr  ttalienifdic  unb  bcr  iapantfdjc  Sot[d)aftct 
tooF)ntett  öer  8i^ung  bei. 

5ru§  bcr  mcid^§trtg§rcbc  ^ttlcrS  f\r\h  bie  fol- 
gcnben  q3unfte  öon  cntfd)Ctbcnbcr  Sebcutung 
Ijcrbor3ui)eben: 

1.  S)a§  SBcftrebcn  nad)  bcrSofaltftcrung 
bc§  b  c  u  t  f  d^  -  p  0  I  n  i  f  d)  c  n  Ä  r  t  c  g  ä.  ^itler 
forbcrtc  O^ranfrcic^  unb  önglnnb  gu  einem  2:c^- 
intcrcfjement  an  bcm  in  Cjtcuropa  entbrannten 
stampfe  auf.  ;;\m  gteidjen  ^ufammenl^ang  teilte 
er  mit,  ba^  ;3  t  a  li  c  n  im  beutfd^=polnifd]cn 
Kriege  neutral  bleibe.  3:cr  (Sntfd)Iu|  2)eutfd)« 
lanb§  gur  31  c  f  p  e  f  t  i  c  r  u  n  g  bcr  t  r  a  b  i  t  i  0- 
nell  neutralen  Staaten  murbc  in  bcr 
Uicbe  nod)maI§  fetcrtid)  befräftigt. 

2.  X\e  {^rcunbfdiaft  unb  3ufammenatbcit 
mit  g^u^lanb  toirb  gu  einem  edpfeilcr  bcr 
beutfdjen  ^Jhi^cnpolitif  gemacht. 

3.  ®ie  ffragc  bc§  innern  ?Rcgtmc§  in 
^  0  l  c  n  ift  bom  beut]d)pn  8taat§obcrr)aupt 
fd)on  mcnige  Stunben  nadj  ^ricg§au§brud)  gc» 
ftcllt  n^orbcn.  5)ic  I)eutige  2[öarfd)auer  JHcciie« 
rung  mirb  atS  ^Partner  für  einen  ^vicbcn§idilu^ 
unter  bcn  bon  5}eut[d)lanb  fi'ftgcict?ton  ilk^bni^ 
nungcn  angenommen.  :,Vu  ill^cigciunggfoll  brol)t 
2)cutjc^lanb  mit  bcr  8dja[[ung  ^ciner  anbcrn 


g  1 1'  fuj 

Idjcn  ©taat§fül)rung  tft  baburd)  geregelt  mor- 
ben,  ba^  ®  ö  r  i  n  g  in  bcr  ©ufgcffion  an  crfter, 
Stubolf  C)  *  ^  an  gmcitcr  Stelle  ftcllt,  unb  an 
britter  Stelle  ba%  2Bat)Ired)t  an  einen  ad  hoc 
3U  bilbcnbcn  Senat  übergcl)t. 

(a5en  Serid^t  über  bte  DRcbc  ^tttcrS  ^mbet  bcr 
Ccfcr  ouf  bet  anjciten  Seite.) 

©ie  erften  wWUSdfc^cn 
£)|)eta<ionen 

JSam^fe  in  (en  ®tcn)ge&!e<en 

Söötff^öu,  1.  Scph  ag  OffiäicH  toirb  über 
ßonbon  mitgeteilt: 

S^ie  SDcutfc^cn  begannen  mit  bem  ^Tngriff 
gegen  Stobte  be§  polnif djcn  Äorri» 
borg.  $Die  S)cutfdjcn  griffen  oud^  Obct- 
f  d^  I  e  f  i  c  n   an, 

2Bötfcf»ou,  1.  Sept.  (2cr.  bet  „tinitcb  ^Ptcg^O 

^Tmtttd)  mirb  mitgeteilt,  ba^  bnii\d]e  O^Iicger  bie 
93a]^nftation  ß^gcm  unb  bic  gcgcnüberlicgcnbc 
Stabt  Sf^pbniE  fomie  bk  nat^clicgenbc  Stabt 
^hicg  mit  99  0  m  b  c  n  belegt  haben.  Hin- 
fdjcincnb  finbcn,  mic  in  militärifdjcn  Greifen 
erftärt  mirb,  in  bcn  ©rcnggcbieten  bc* 
reit§   kämpfe   \iatt. 

6§  f)ei^t,  ba^  bic  Söcfterpfattc  f)d  2)angig, 
too  fid)  ba^  polnifd^c  5Tlunition9bepot  bcfinbct, 
Signale  au§fenbc,  au^  bcncn  Ijcrborgcrje,  *  ba^ 
ein  Eingriff  bcborftcF)e.  S^ic§  fann  jcboc^  gur- 
geit  nic^t  beftätigt  mcrbcn. 

Cufiangriffc 

SBötf^öu,  1.  Sept.  (XcT.  bet  „Unitcb  ^tcß") 

.^eutc  morgen  um  4  Ut)r  30  mürben  an  fünf  ber- 
fdjicbenen  fünften  ^^ofenS  flcincrc 
b  eut\ci)e  Sombcngefdjmabcr  gcfid}tet, 
bic  23ombcn  ab^oarfcn.  Xie  ^inmen  ber  betrof= 
fencn  Crtfc^aftcn  finb  nodj  nidjt  bcfannt,  ebcn= 
fomenig  ob  Sd^abcn  angcridjtet  miirbc. 

Xn  erfte  f^licgcralarm  in  2fÖarfd)au 
begann  um  8  Uf)r  45.  2^ie  S3oIf§mcngc  ouf  bcn 
Strafen  flüdjtetc  fofort  in  bie  !ßn^nd)i^tcllev. 

29äf)renb  id)  bom  ^cnftcr  meinet  A3otcI§  im 
im  erften  Stocf  über  bcn  großen  ^^ilfitbffiplat? 
fd)aue,  an  bem  ba^  '?rii§märtigc  ?(mt  unb  bai 
(Äcbäube  bc-S  polnifd)cn  Gcncralftab§  liegen, 
fann  id)  gat)rrctd)c  ;53auernfamiricn  fcljcn,  bie 
ir)rc  Darren  unb  SBagcn  im  Stid;  laffcn,  um  fid) 
in  irgcnbcincm  nahe  liegcnben  Coobanbe  in 
Sid)erl)eit  gu  bringen.  Xic  Sirenen  bcljcrrfd^en 
icbe§  anbere  ©eräufd)  in  ber  Stabt. 

5Dlan  f)attc  I)ier  marirfdieinlid)  gc!)offt,  ba^ 
bie  nicbrig  F)ängenben  2BoIfcn  unb  bcr  bünnc 
3^cgcn  bic  beutfd)en  fVIieger  aufhalten  mürben. 

Um  9  Ut)r  begannen  f)cftige  ^Detonationen 
aufjerr)alb  bcr  Stabt,  bie  oifenfid)tlid)  gum 
gvü&tcn  2^ci(  auf  bie  'iJtbiüeOraftion  bcr  O^licger» 
abmcr)vtrnppcn  gurücf^ufüliicn  marcn.  ÜJiög» 
IidE)crmei(e  [inb  aber  audj  ciniflc  ^iöombcn  fleJaUcn. 


§immel,  obmof)!  bic  niebcr  l)ängenbert  SCÖpUen 
bie  Sidjt  bef(^ränfen.  S)ic  Strafen  fclbct  ftnb 
faft  böEig  bcriaffen.  ^nx  ^ie  unb  ba  ftej^t  man 
ein  5luto  irgenbciner  93pr)örbe.  §lllmäf)lic^  lä&t 
bcr  Särm  ber  Sirenen  nac^.  3)er  SRegen  fäHt  nad^ 
mic  bor.  (?inc  ^Imbulang  raft  über  ben  ^la^, 
fonft  ift  bcr  Scrfebr  böttig  eingeftellt;  2;rom- 
magcn  unb  ^^(iitobnffe  ftet)en  bcriaffen  ba,  Uebcr 
ben  2:ÖoIfcn  l)ört  man  ic|?t  ba^  leifc  Summen  bet 
polnifd)en  .Kampfflieger.  Um  9  üt}x  40  ertönte 
ba^  S  d)  l  u  ^  f  i  g  n  a  l  ber  Sirenen.  Sof^Hofc 
3Jtenfd)cn  taud)ten  au^  .Rellcrrt  unb  Käufern 
mieber  auf.  Xie  Btxa^e  belebt  fid^  im  Stugcnblicf, 
ba^  täglidjc  2eben  beginnt  mieber. 

SBötfc^ou,  1.  ^ept  (2cr.  bet  „Unitcb  ^teg'O 

(?§  mirb  gcmclbet,  ba^  bcutfdic  f}lng3euge  ben 
polnifdjcn  (^Ingljafen  bon  ß  a  1 1 0  m  i  |  be* 
fd)offcn  unb  brei  23omben  auf  ©bin  gen  ab» 
gemorfen  r)aben,  bie  in§  5Jleer  fielen.  STud)  -R  r  a  - 
tau  tourbe  befd)offen.  3)cr  Umfang  be§  S"d^abcn§ 
ift  nod)  nid)t  bcfannt.  3n  2Darfc^au  l)at  man  ben 
(finbrucf,  ba^  bic  5?uftangriffe  bcr]^ättni§mo^ig 
lcid)tcr  %xt  unb  bielleidit  in  crfter  2inie  barauf 
bercd}net  maren,  einen  ömbrucf  auf  bie  polnifd;c 
i^cböUerung  gu  machen. 

®cr  2Infd^Iu§  ©anstg^ 

2^eXc^vamm  ^ov^ttvd  an  Eitler 

!5angtg,  1.  Sept.  ag  (^5^99)  ©auleitcr  B'orfter 
r)at  bcm  bcutfd)cn  JJlcidjsfangler  jolgenbe§  Tele- 
gramm gcfanbt: 

^^sd)  l}abe  focben  folgcnbci  StaötS- 
g  r  u  n  b  g  c  f  e  I?,  bie  31Mcberpercinigung  J'an^igS 
mit  bem  Teutfd)en  9Reid)  bctreffcnb,  untergeic^net 
unb  bamit  in  Ä^raft  gefegt: 

StcQt^orunbgcfe^  bcr  ^Treten  Stnbt  S^ongig.  3*^^ 
S3c[ic&ung  bcr  bringcnben  iT^ot  )?Dn  93oI£  unb  Staat 
erlaffc  icij  foIgcnbcS  Staat'3c]runbgcfe^: 

?(rt.  1.  3)ic  Söerfnffimg  bcr  fiFrcicn  Stnbt  Jran;^ig 
ift  mit  fofrrtigcr  SBirfiing  aufgcboben.  ?lTt.  2.  3tÜc 
(5)cfcfic>3gcJ0fi[t  iinb  boll^iclicnbc  @cmalt  h)trö  ou*» 
fdjlic^lidj  bom  2taat3obcrf}rtupt  auegcübt.  ?lrt.  3,  3>ic 
[yreic  Stabt  2)an3tg  bilbct  mit  fofortigct  Söirfung 
mit  if)rcm  (5iclnct  unb  itjtem  i^off  einen  Srftanbtcil 
bc^j  5rcutfd)cn  3fictd)c-^.  ?lrt.  4.  3?i5  3ur  cnbgültigcn 
aBcftimmiing  über  bic  ®in|rif)rung  bes  bcutjd)fn  3Rci^i« 
rccijt'i  bleiben  bic  gcfamtcn  ®cfrt>c§bcftimmnngcn  au§ 
ber  IDcrfaffnng,  roic  fic  im  ?lnQcnbIirf  be^*  ijrlaffeS 
biefe«!  Stnat^ii^i'J'f^gcfpi^cS  galten," in  Äraft.  —  JJanjig, 
1.  September  1939.  ge^.  Jorfter,  (Snuleiter. 

^d)  bitte  Sic  im  ??anicn  STan.^ig?  unb  feiner  9?e» 
bölfcrung,  bicfcm  etaat^grunbgcfcii^hre  3ufiimmung 
3u  ^cbcn  unb  burd)  ))?ciciiogc]et?  bie  aBtcbercinglicbc- 
rung  in  ha^  ^eutfdje  3ietd)  311  boIl3ic{)cu.'' 

^roffamcitfon 
ölt  b!c  ^cnölfcrung  :Sana{0$ 

©aurciter  »"^  0  r  ft  e  r  bat  an  bie  Scüölferung 
bon  2)an3ig  folgcnbe  ^Proflamation  erlaffen: 

^ÜTulnner  unb  ^rnnen  nrn  Tan^ig?  Tic  (ctunbe, 
bic  it)r  feit  20  ^nt)rcn  erirljnt  babt,  ift  nun  nngc»- 
broj^cn.  S^an^ig  i/t  mit  bem  be"tiflcn  2ojc  tjcim» 


Faksimüe-Wiedcrgahe  der  ersten  Seite  des  Ahendblattcs  der  «Neuen  Zürcher  Zeitung»  vom  Tag  des  Kriegsausbruches 


^ 


f 


Der  neugewählte  General  grüßt  die  Bevölkerung  heim  VerUssen  des  Bundeshauses. 


^^^^■■■',■-t^,.*'■>>>;,^l 


V.  S.  Am  30.  August  1939  wählte  die  Vereinigte 
Bundesversammlung      den      Kommandanten      des 
I.Armeekorps,  Henri  Guisan,  zum  General.  Wären 
nicht  von  den  229  Stimmen  deren  21  dem  Oberst- 
korpskomraandantcn     Borel     zugewandt     worden, 
hätte  man  von  einer  einstimmigen  Wahl  sprechen 
können.  Aber  auch  so  war  der  Entscheid  des  Parla- 
ments eine  einzigartige  Kundgebung  der  Vertrauens. 
Sobald  der  General  vor  die  Truppe  trat,  sobald 
er  mit  dem   Schweizervolk  in  Berührung  kam  —- 
und   er   suchte   die   Begegnung   vom   Tage   seiner 
AVahl  an  — ,  gewann   er  überall  das  gleiche  un- 
bedingte   Vertrauen.    Die    schlichte    und    zugleich 
stolze  Persönlichkeit  dieses, Waadtländers,  der  die 
besten  Eigenschaften  der  bäuerlichen  und  bürger- 
lichen  Traditionen   dieses  von  uralter  Kultur  ge- 
prägten  Landes   verkörperte,  gewann   die   Herzen 
aller    Schweizer,    ob    sie    französischer,    deutscher, 
italienischer  oder  romanischer  Zunge  waren.  Gene- 
ral Guisan  blieb  bis  zu  seinem  Rücktritt  das  Sym- 
bol sowohl  der  Einheit  von   Volk  und  Armee  wie 
der  Einigkeit  des  Volkes. 

Obwohl    in    den    dem    Kriegsausbruch    vorher- 
gehenden fünf  Jahren  viel  für  die  Verbesserung 
der  militärischen  Bereitschaft  getan  worden  war  — 
unvergessen  ist  das  großartige  Plebiszit  der  Wehr- 
onleihe von  1936  — ,  war  es  zu  wenig  und  zu  spat 
gewesen.    Der   General   trat   an   die    Spitze   emer 
Armee  ohne  jede  moderne  Artillerie,  ohne  Panzer, 
ohne  Vorbereitung  zum  Bau  von  Feldbefestigun- 
gen, ohne  nennenswerte  Fliegerabwehr,  ohne  Ope- 
rationspläne,   ohne   genügende    Munitionsreserven. 
Ihre  Stärke  bestand  in  einer  zahlreichen,  gut  be- 
waffneten Infanterie  und  in  dem  Geist  der  Hm- 
gebung,    der    Offiziere    und    Mannschaften    aller 
Truppengattungen    erfüllte.    Vieles    war    nachzu- 
holen. Unter  der  begeisternden  Führung  des  Gene- 
rals wurden  die  Lücken  der  Ausbildung  geschlos- 
sen. Eine  realistische  Vorstellung  des  Krieges,  wie 
er  wirklich  ist,  wurde  Führern  und  Geführten  ver- 
mittelt.   Die    körperliche    Leistungsfähigkeit,    der 
Kampfgeist  wurden  gefördert.  Mit  Energie  wurde 
die    Befestigung   der   Grenzen   und    einer    Armee- 
stellung im  Innern  des  Landes  an  die  Hand  ge- 
nommen. Es  kamen  Geschütze,  neue  Flugzeuge  und 
—  nach  einigen  Anfangsschwierigkeiten  —  Tau- 
sende von  Tonnen  Munition  zur  Truppe.  Es  war 
diesem  entschlossenen  Willen,  alles  zu  tun,  um  die 
Armee  in  höchste  Kampfbereitschaft  zu  versetzen, 
zu  verdanken,  daß  die  Monate  der  Drole  de  guerre, 
die  anderen  Armeen  zum  Verhängnis  ^^'urden,  im 
schweizerischen  Heer  keine  Spuren  hinterließen. 

Als  die  Verwicklung  in  den  Weltkrieg  fast 
unvermeidlich  schien,  berief  am  26.  März  1940  der 
General  anstelle  von  Oberstkorpskommandant  Lab- 
hardt  den  bisherigen  Unterstabschef  Jakol)  Huber 


als  Generalstabschef  an  seine  Seite.  Dieser  ver- 
wirklichte die  vom  General  geplante  und  vom 
Bundesrat  gutgeheißene  Zentralstellung  in  den 
Alpen,  das  Reduit,  eine  strategische  Konzeption, 
der  die  Schweiz  wahrscheinlich  verdankt,  daß  sie 
nicht  schließlich  in  den  Krieg  gerissen  wurde.  Un- 
vergessen ist,  wie  General  Guisan  am  25.  Juli  1940 
in  seinem  Rapport  auf  dem  Rütli,  wenige  Wochen 
nach  der  vollständigen  Einschließung  der  Schweiz 
durch  die  Achsenmächte,  seinen  Tnippenführem 
bis  hinunter  zum  Bataillons-  und  Abteilungskom- 
mandanten die  neue  Parole  ausgab:  «Wille  zum 
Widerstand  gegen  jeden  Angriff  von  außen  und 
gegen  die  verschiedenen  Gefahren  im  Innern,  wie 
Erschlaffung  und  Defaitismus,  Vertrauen  in  die 
Kraft  dieses  Widerstandes.» 

In  den  folgenden  fünf  Jahren,  in  denen  sich 
die   Lage   des   Landes   oft   gefährlich   zuzuspitzen 
schien,  verstand  es  der  General,  im   Sinne  dieses 
Leitsatzes    die    Wehrbereitschaft    von    Land    und 
Armee  nicht   nur  aufrechtzuerhalten,   sondern   zu 
steigern.  Schwere  Stimmungsschwankungen  blieben 
zwar  nicht  aus,  aber  sie  wurden  überwunden.  Nie 
beanspruchte  der  General  die  ihm  durch  die  Ver- 
fassung zuerkannten  Volhnachten  in  ihrem  ganzen 
Umfang,    lieber    die    Frage    des    Aufgebots    von 
Truppen  in  kritischen  Lagen  entstand  denn  auch 
ein  Konflikt  mit  dem  Bundesrat,  der  sich  wieder- 
holt weigerte,  die  vom  General  als  nötig  betrachte- 
ien  Truppenaufgebote  vorzunehmen.  Unbegreiflich 
erscheint  es  uns  heute,  daß  der  Bundesrat  es  vom 
l\Iai  1941  bis  Juni  1945  nie  für  nötig  fand,  den 
General  zu  einer  Besprechung  einzuladen. 

Am  19.  August  1945  nahm  General  Guisan  vor 
dem  Bundeshaus  in  Bern,  am  gleichen  Ort,  wo  ihm 
am  30.  August  1939  das  Volk  nach  seiner  Wahl 
zugejubelt  hatte,  in  Gegenwart  aller  Fahnen  von 
der  Armee  Abschied.  Seine  Schlußworte  waren: 
«Euer  General  tritt  zurück  ins  Glied;  doch  die 
Armee  bleibt  in  Bereitschaft.  Gott  behüte  euch, 
erhabene  Banner!  Ich  übergebe  euch  heute  unver- 
sehrt den  Behörden  des  Landes.  Von  denen  aber, 
die  während  dieser  sechs  Jahre  hinter  mir  standen, 
erwarte  ich,  daß  sie  euch  auch  in  der  Zukunft 
unerschütterlich  dienen,  mit  immer  neuem  Mut  und 
mit  immer  neuer  Kraft!» 


^(üM&cn     ^onflagration     aiiöiüeiten. 
güc    imfer    ßanb    ift    ber    ^luGeublicf    gefom= 
meu     roo     P«^     IRcQierunG     unb     ^Irmeefül)» 
ruilg  ni(f)t  mef)r  mit  einer  erften  üorforglidicn 
g}^a^na^me  tüte  bem  ^lufgcbot  bcr  Gorenjfd)!!!^ 
trappen  begnügen  fönnen,  um  bie  bcmaffncte 
9fieutralttät'  bcr   ©d^meiaer   i\\   bofumentieren, 
fonbern   tro   e§   gilt,   ha%   ganje   @emtd)t   ber 
|d)met5ertfd)cn   SBel)rfraft   für   bcn   (Sd)ufe   be§ 
acfamten      (Staatsgebietes      ber      ©ibgenoffen- 
itl)aft    ein=iufet?en.    3«    ^i^f«^^    (grfenntniS    fiat 
bcr  ^öunbeSrat  am  grettagmorgen  bte  9Jl  o  b  i  l » 
m  a  d)  u  n  g  ber  ganzen  fd)tüei3erifd)en  ^  r  m  e  e 
befdjtoflen.  llnferc  2Sel)rmänner  I)aben  auf  ben 
Ühif  gemartct;  fie  finb  bereit,  bie  5}iobtlmad)ung 
ift  im  ®ange,  unb  nod)  biefe  91ad)t,  morgen  unb 
übermorgen    merben    Saufenbe    unb    5lbertau« 
fcnbe  bon  ©olbaten  ju  ber  ^a\)x\t  eilen,  unb 
taiifenbfad)    mtrb    fi^    im    i£d)mei3erl)au§    gu 
etabt  unb  Sanb  bie  ©ebärbe  mieberfiolen,  bie 
bor  (Sd^öpfer  be§  5[Jlal)nmal§   „aöelirmtne"   in 
unferer  ßanbe§au§fteaung  unbergepd)  unb  er= 
grctfenb  feftgel)alten  \)at  3)ie  f  d)  m  e  i  3  e  r  i  f  d)  e 
C^^  r  c  n  3  m  a  d&  t   tütrb  bamtt  in  ber  umfaffenb= 
[ten  Sebeutung  beS  2Cßorte§  gur  üatfadje;  ein 
ganjeS  33orf  in  SBaffen  ftel)t  bereit,  um  bie  Un= 
bcrle^ltd)fett  feiner  ©renken  gegen  jebcn  @tn= 
bringling,   mof)er   er   auc^   fommen   möge,   ju 


Armeebefehl  von  General  Guisan 

General  Guisan  hat  am  2.  September  1939  folgen- 
den Armeebefehl  an  die  Offiziere,  Unteroffiziere  und 
Soldaten  der  schweizerischen  Armee  gerichtet: 

«Die  Bundesversammlung  hat  mir  den  Ober- 
befehl über  die  Armee  anvertraut.  Ich  bin  mir 
meiner  schMcren  Verantwortlichkeit  bewußt,  aber 
ich  übernehme  sie  mit  Vertrauen  und  Stolz,  Aveil 
ich  den   Geist  kenne,   der  die  Armee  belebt.   Ich 


unfere  5)Zad)barftaaten  I)aben  in  ber  mran%f\ä)i 
be§    gegenmärtigen    ßonftiftS    ober    nöd^    ber 
Ueberreid)ung  ber  ft^raetjerifc^en  9fleutrarttät§- 
erflärung   burc^   bcn   2?unbeSrat   bie   SSerftdie- 
rung  erneuert,  ta^  fie  bie  S^eutralität  unb  Un- 
berle^Iidifeit  ber  Sdimei^  refpeftieren  merbcn. 
Xie  Iet?te   biefcr  ©rflärungen,  bie  ber  franjö- 
fifd)e  ^lu^enminifter  Sonnet  unferm  ©efanbten 
in  i^ari'o  abgegeben  I)at,  fam  jur  3ett,  um  eine 
ftörenbe  (^)erü(^temad)eret  über  bie  Haltung  un= 
fercs  mcftlidien  ^ad)bat^  im  ßeime  ^u  erfticfen. 
Xie    fdiipcijerifdje    ^fleutralität    ift    garan- 
tiert  burd)  unfern  eigenen  aBiften  unb  burdi 
unfere    eigene    »ereitfd)aft   unb    5äf)igfeit   jur 
35crteibtgung  biefer  D^eutralität  mit  ber  SBaffe. 
3)e§I)aIb    finb    unfere    ®ren3fd)ut?truppen    fett 
bem  3)ienötag  aufgeboten:  beSbalb  mirb  mor=i 
gen   unb   übermorgen   bte   ganje   fd)meiaerifd)e 
krmce     auf      ©ren^madit      ftef)en.     2)a^ 
;Sd)mei5crooIf  begleitet  feine  eöl)ne  unb  SBrüber 
mit  gmpfinbungen,  bereu  brennenbe  ^nnigfcit 
2öorte  ntd)t  aus^ubrüdcn  oermögen.  2)ie  SD^obil- 
mad)ung  ber  Sdimci^,  bte  totale  imobilmat^ung 
ber  3öefir,  be§  SöillenS  uub  be§  (Seifte§,  ift  im 
©ange.  Sin  aSiermiUiouenootf  ftef)t  auf  ©reng» 
madjt   uitb   liarrt  gefaxt  m\t>   entfd)loffen   bcr 
^^rüfungcn  biefer  bunfeln,  blutigen,  morbenben 
Seit. 


Duser  im  Uoroenllatt  der  <Neuen  Zürcher  Zeitung^  vom  2.  Septemher  1959  erschienene  Leitartikel  stammt  aus 
^  der  Feder  von  Chefredaktor  Willy  Breischer. 


weiß,  daß  in  dieser  ernsten  Stunde  jeder  von  euch 
bereit  ist  und  auf  dem  ihm  angewiesenen  Posten 
seine  Pflicht  tun  wird.» 

Der  Wortlaut 
der  schweizerischen  Neutralitätserklärung 

Die  vom  Bundesrat  am  2.  September  1939  er- 
lassene Neutralitätserklärung  hat  folgenden  Wort- 
laut: 

«Die  internationale  Spannung,  welche  die 
Schweizerische  Eidgenossenschaft  zur  Ergreifung 
militärischer  Maßnahmen  genötigt  hat,  gibt  ihr 
neuen  Anlaß,  den  unerschütterlichen  Willen  kund- 
zutun, von  den  Grundsätzen  der  Neutralität,  die 
seit  Jahrhunderten  ihrer  Politik  als  Richtschnur 
dienen,  in  keiner  Weise  abzuweichen,  indem  diese 
Gnmdsätze  den  Bestrebungen  des  Schweizervolkes, 
seinen  staatsrechtlichen  Verhältnissen  sowie  seiner 
Stellung  gegenüber  anderen  Staaten  entsprechen 
und  ihm  deshalb  besonders  teuer  sind. 
■  Einem  von  der  Bundesversammlung  erteilten 
Auftrage    nachkommend,    erklärt    der    Bundesrat 


ausdrücklich,  daß  die  Schweizerische  Eidgenossen- 
schaft mit  allen  ihr  zu  Gebote  stehenden  Mitteln 
die  Unverletzlichkeit  ihres  Gebietes  und  die  Neu- 
tralität, welche  durch  die  Verträge  von  1815  und 
die  sie  ergänzenden  Abmachungen  als  im  wahren 
Interesse  der  gesamten  europäischen  Politik  lie- 
gend angesehen  -s^^irde,  aufrechterhalten  und 
wahren  werde. 

Die  Eidgenossenschaft  wird,  wie  sie  es  bereits 
in  den  letzten  Kriegen  getan  hat,  ihre  Ehre  darein 
setzen,  den  Werken  der  Menschlichkeit,  welche  all- 
seitig die  infolge  eines  Konfliktes  entstehenden 
Leiden  zu  mildem  beabsichtigen,  jede  Förderung 
angedeihen  lassen. 

Indem  sich  der  Bundesrat  auf  die  wiederholten, 
feierlich  gegebenen  Zusicherungen  stützt,  gibt 
er  der  Ueberzeugung  Ausdruck,  daß  die  bevor- 
stehende Erklänmg  als  gewissenhafte  Bekräfti- 
gung von  Umständen,  wie  sie  sich  zwangsläufig 
für  die  Schweizerische  Eidgenossenschaft  aus  den 
sie  berührenden  internationalen  Verträgen  imd 
Abmachungen  ergeben,  betrachtet  wird.» 


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Tenen  TagTa  die  \Mitrmlleure  in  Erinnerung,  hatten 
diese  doch  seit  Jahren  bereits  einen  scharten 
Waffendrill  gepflegt  und  waren  sie  dazu  mit  ihren 
schwereren  WalTen  auch  physisch  besser  tTainiert 
als  die  Füsiliere,  so  daß  sie  im  Oktober  3939  mit 
berechtigtem  Stolz  singen  konnten: 

«Gage  Tageiswange  hi 
Sind  d'  Mitraillcure  SicM-hc  gsi  — 
'S  halb  Regiment  ischt  fascht  umghcit, 
Yo  eus  häts  au  niid  eine  gleit.» 

Das  Vorhalten  und  der  Kampf  unserer  Infan- 
terie des  Jahres   1939   gcfjcn  Flieger  und  Panzer 
steckte  noch  in  den  Av fangen,  wurde  doch  erst  in 
den    Wiederholungskursen    des    Jahres    zuvor    aut 
ein  systematisches  Ausnützen  der  Fliegerdeckungen 
bei     jeder     Bewegung     gedrängt     und     mit     dem 
InfanteriekampC  al)seit.s   der  Hauptstraßen   Ernst 
rremacht    Wa.s  in  den  Jahren  vorher  an  Manövern 
durchgetiihrt  worden  war,  hatte  schon  dannzumal 
weit  eher   bei   innerschweizerischen   Bürgerkriegen 
denkbare   Episoden   zum   Gegenstand   als   die  sich 
beim  Kampf  gegen  einen  mit  Fliegern  und  Panzern 
wohlgorüstetcn     Angreifer     stellenden     Autgaben 
Dabei  war  bei  uns  bereits  damals   das  vorab  auf 
deutscher    Seife    zu    erwartende    Kampfverfahren 
durchaus    bekannt,    enthielt    etwa    ein    Dokument 
«Die    Streitkräfte    unserer    Nachbarstaaten»    eine 


kannt^Jeinc  Äxi,.  recht  spontan  ein-  und   ^lurcli- 
zugrcifen,  wo  es  um  Dinge  der  militärischen  Ord- 
nung  ging,   wußte   voa  seiner  genauen   Kenntnis 
auch  der  kleinen  und  kleinsten  Dinge,  welche  im 
Kampf  so  oft  die  entscheidenden   werden  können. 
So  hat  Obcrstdivisionär  Constam  in  jenen  Mona- 
ten  nicht  bloß   für   die   erste   Etappc   des    Aktiv- 
dienstes, sondern  auf  Jahre  hinaus  der  6.  Division 
den  Stempel  seiner  Einsicht  in  das  Wesen  und  die 
Fordeningen  des  Krieges  aufgedrückt.  Seine  tem- 
peramentvolle,  entschiedene    Persönlichkeit    ertullt 
noch  heute  in  aller  Frische  viele  unserer  Erinne- 
rungen   an   die    Zeit    vor   25   Jahren,   wie   eben    in 
diesen    Tagen    der    Rückschau    manches    Gespräch 
unter  Soldaten  sehr  bald  um  den  Divisionskomman- 
danten kreisen  wird,  unter  dessen  Kommando  wir 
Zürcher  einst  zum  Aktivdienst  eingerückt  sind. 

Oberstdivisionär  Constam  wußte  aber  ni<'ht  nur 
davon,  wie  sich  der  bevorstehende  Krieg  aller 
Erwartung  nach  abspielen  werde  und  was  dann 
von  uns  allenfalls  zu  leisten  wäre;  er  wußte 
ebenso  genau  und  ließ  sich  darüber  nichts  vor- 
machen, wjis  uns  dazu  noch  iehlte.  Demgeniaß 
vv-urde  unmittelbar  nach  der  Mobilmachung  den 
bestehenden  I^längeln  und  Lücken  entschieden  zu 
Leibe  gerückt.  Die  volle  Beherrschung  der  Waßen 
und  der  Gefechtstechnik  wie  die  Hebung  der  kör- 
perlichen    Leistungsfäh  igkeit,     insbesondere     der 


Oberstdivisionär  Constam,  Konnnandant  der  6.  ^^'r'^"  ^ 

konimanfinnt  (o.  Annechorps). 


V  1038  bis  Ende  1943,  danach  Oberstkorps- 


'7A\    SMIfl     - ---     --.:■ 

ihnenj  zugleich  den  Ansporn  gegeben,  ihr   Können 
weiter  zu  Verbessern  und  zu  vertiefen. 

(  N  * 

Nie  konntfe  und  durfte  sich  jedoch  der  Einheits- 
kommandant   nach   vollendeter   Mobilmachung   auf 
die  Ausbildung  seiner  'Kompagnie,  deren  Führung 
in  den  Uebungen  im  hohem  Verband  und  darnach 
auf     ihre     Organisation     für     die     Arbeiten     zur 
Geländeverstärkung    beschränken.    Gewiß    war    m 
jenen    Wochen    und    Monaten    von    geistiger    Be- 
treuung,  von    Aussprachen    mit    der    Einheit    und 
well  politischer    Aut^klärung   kaum    die   Rede.    Den 
(iKtrn    Geist    in    seiner    Kompagnie    schaffen    und 
diesen  auch  in  heikein  Lagen  —  so  etwa,  wenn  ein 
Urlaub   abgesagt  werden   mußte  —  erhalten,  war 
jedoch  schon  damals,  ohne  darüi)er  viel  W^irte  zu 
Verlieren,  die  entscheidende  Obliegenheit  des  Ein- 
heit >kommandanten.  Wir  empfanden  sie  als  ebenso 
wichtig     wie     selbstverständlich,     machten     davon 
aber   kein   Aufhebens,   sondern   taten   auch   hierin 
nichis    anderes,    als    wa.s    wir    von    jeher    als    die 
besondere    Verpflichtung    und    den    einzigartigen 
Aufiiag    des    Chefs    einer    Kompagnie    betrachtet 
hatten.  Noch  stand  das  Hauptverlesen  als  «Höhe- 
punkt das  Tages»   in  seinem   vollen  Glänze.   Hier 
wurde  inspiziert,  wurde  gelobt  und  ausgezeichnet, 
getadelt    und    zurechtgewiesen;    hier    wurden    die 
Tagesbefehle  des  Generals  verlesen,  dazu  auch  die 
seltenen,   dafür  aber   um   so   eindrücklicheren   des 
Divisionskommandanten.    Nicht    im    Gespräch   und 
mit    Vorträgen    wurde    in    jener    Zeit   vom    Kom- 
pagniekommandanten   da-s    Vertrauen    seiner    Ein- 
heit erworben,  sondern  es  beruhte  dieses  auf  der 
Gewiliheit     einas     jeden,     daß     sein     Hauptmann 
immer   und    überall    gerade    und   gerecht    urteilen 
und   handeln    werde,    wie    darauf,    daß    dieser    an 
Disziplin  vorlebte  und  selber  bewies,  was  er  von 
seinen  Untergebenen  verlangte.  Auch  wußte  jeder, 
es  werde  sein   Kommandant  ein   Gesuch   um  per- 
sönlichen  Urlaub   sicher   streng,   aber   doch    wohl- 
wollend prüfen,  er  werde  ihm  bei  materieller  Not 
oder  bei  Schwierigkeiten  mit  dem  Arbeitgeber  em 
guter    Anwalt    sein,    aber    selbst    bei    einem    Ver- 
schulden   sich    auch    die    «bekannten    Umstiinde>>, 
welche  dazu  geführt  hätten,  anliören,  bevor  er  die 
Strafe    verfüge.    Im    übrigen    lehrte    eigene    Er- 
fahrung die  Truppe  sehr  bald,  daß  sich   auf  die 
Dauer    in    einer    Kompagnie,     in    der    Ordnung 
herrscht,  weit  basser  leben  läßt  als  in   «unklaren 
Verhiiltnissen»,    weil     allein     Ordnung    auf    allen 
Stufen,  zwischen  den  Kameraden  und  vom  Unter- 
gebenen zum  Vorgesetzten,  jene  echte  innere  Vcr-^ 
bundenheit    einer    FAnheit    erschaffen     kann,    aut 
welche  es  jetzt  so  sehr  ankam.  Zu  alledem  gab  da.s 
damalioe    Dienstreglement     die     gute     Anleitung. 
Seine   Gnmdsätze    bewährten   sich    auch    im    nun- 
mehr  nach    Monaten   und    nicht   mehr   bloß    nach 
Tagen  zählenden  Dienst,  was  zu  Ende  das  Aktiv- 
diensles     «oiTiziell»      festzustellen     merkwürdiger- 
weise   niemand    für    nötig    fand.    Daneben    setzte 
allerdings  sehr  bald  jene  Flut  von  Papieren  aller 
Art,  Keglementen,  Formularen,  Informationen  und 
Tnvenlitren   ein,   die   seither  bis   auf  den   heutigen 
Tag   uuht  mehr  abklingen   will.   Immerhin  waren 


i)er   l>unüesfäl~serzr^aie~l nstrui 
Genemi  fest  und  wählt  Oberstkorpskommaudanfc 
T^bhardt  zum  Chef  des  Generalstabes. 
Der  Bundesrat  teilt  den  ausländischen  Staaten 
die  Neutralität  der  Schweiz  für  den  Kriegsfall 
mit. 

Einrichtung  einer  Zentralstelle  für  Kriegswirt- 
schaft beim  Eidgenössischen  VolksAxirtschafts- 
departement. 

Freitag,!.  September:     Der    Bundesrat    beschließt 
die  Mobilmachung  der  Armee. 
Verschärfung  der  Ausländerkontrolle. 
Schließung  der  Landesausstellung  in  Zürich. 

Samstag,  2.  September:  Erster  Mobil raachungstag. 
Die  Bundesbahnen  setzen  den  Kriegsfahrplan 
in  Kraft. 

Der  Bundesrat  erläßt  eine  Verordnung  über  die 
Handhabung  der  Neutralität. 
Kriegswirtschaftliche  Maßnahmen: 
TTnterstellung  der  gesamten  Warenausfuhr  unter 
die  Bewilligungspflicht; 

Preiskontrolle    für   sämtliche    Preise    inklusive 
Mieten. 

Einschränkung  des  Telephon-  und  Telegraphen- 
vcrkchrs. 

Sonntag,  3.  September:  Vorbereitung  der  Verdun- 
kelung. Einstellung  der  Wetterprognosen. 
Zehn  Minuten  vor  der  Kriegserklärung  Groß- 
britanniens an  Deutschland  steht  die  gesamte 
Armee  in  ihren  Operationsräumen  bereit. 
(IVfitteilung  des  Anneestabes  über  den  Vollzug 
der  Mobilmachung.) 

Dienstag,  5.  September:  Wiedereröffnung  der  Lan- 
desausstellung in  Zürich. 

Freitag,  8.  September:  Der  Bundesrat  beauftragt 
das  Armeekornmamlo  mit  der  Uebenvachung  der 
Presse  und  des  Radios. 


wir  in  der  6.  Division  olTenbar  noch  gut  daran, 
ging  doch  immer  wieder  davon  die  Rede,  es  ver- 
s«-hwinde  etliches  Papier  «von  oben»  direkt  im 
Papierkorb  des  Divisionskommandanten  . . . 

Wie  der  einzelne  Kompagniechef  seine  Einheit 
im  Aktivdienst  geführt,  wie  er  sie  auf  seine  Weise 
ausgebildet  und  erzogen  hat  —  der  eine  macht«  es 
mehr  so,  der  andere  eher  anders  — ,  das  wesent- 
liche Ziel  war  für  uns  alle  das  gleiche.  Es  war 
noch  immer  «der  echte  Soldatengeist,  der  Miihsalo 
gleichmütig  erträgt,  dem  gewissenhafte  Pflicht- 
(•rfüUung  in  allen  Lagen  selbstverständlich  ist  und 
dessen  Willensenergie  durch  Hindemisse  und 
Gefahren  nur  gestählt  und  gekräftigt  wird»  — 
jenes  Ziel,  das  Ulrich  Wille  einst  in  den  ۀUS' 
bildnngszielew»  des  Jaiires  1908  gesetzt  hatte  und 
seither  auch  im  Dienstrcglement  unserer  Armee 
enthaltx^n  war,  bis  Epigonen  des  Schöpfers  unseres 
Milizheeres  venueintcn,  es  besser  zu  wissen. 


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Markiermig   der   Schu-ei.:cr   Grenze   in   offenem   Gehinde 


Der   Grenzsehyt-   rihUl    hefehlsprwäß    mit    MnhriaJ   ans.    II  ur    nerden   Shn  heldrahtrollen   für 

.^Indöenfiperren   hereHuesUlU 


Wni    Ixit'ncr   Sorar   rrfiiHt,   Idicl.rn   Miiltir,  I-Kimn    n>'d    Knnir,-   ,1.  ,,    Mimncrn    nnth, 

die   in  eine   unytuif^t>e  ZtiLnnjt   an'^rii(l:<  n 


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Seite  72 


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30.  Januar  1933 

Die  Mne  fte 

Vor  dreißig  Jaliren :  Das  Ende  der  Weimarer  Republil^ 
und  Hitlers  „Machtergreifung"       l 

Ein  Dokumentarbericht  von  ALBERT  WUCHER 

Oie  Wiederwahl  Hi«denbur«s  .«m  «^'^-«^P'^f  ^'-J- f/X^^fp'  '^^if  dc^t'^^t^Br « 
Parteien  .0  -.'^;-''«-t«  "if  i,^"-;;^;;:*;  ?nue Zedent  "^n  TRechtsn,*.',  «,as  .u  BrUnin,. 
PositJOT.  zu  starken.  ''"^'"''Ot^f'^'^ZweiZrer  Republik  am  Ende.  Die  jetzt  folgende  Ze.t  fras.r,<r- 
^d::;:?xpTrirnr-;7«;-!^rf.n?plTare;7aH:S,e  Menrneit.  n  Ohne  Parlament  zn  regiere.  - 
«nterorub  S!/siematiseh  die  Fundamente  der  Verfassung. 

Die  heutige  Fortsetzung  beleuchtet  das  ^onaer^alS^^;^^^^:^j:Z:^:^:ZrUk 
sträflichen  Fehlgriffe  der  «^"«"  «"""vfftn^"  derweo  ebne°en  Weitere  Einzelheiten  .sou,ie  die 
ZZ;-:^m'S:1^ri:^r^'r:S;:^:Z  P  d^B^ausgabe  enthalten,  die  zum  3«.  .anuar 
im  Süddeutschen  Verlag,  München,  erscheint. 


Süddeutsche  Zeitung  Nr.  17 


gebung  des  Reichspräsidenten  sind  dabei.  Alles 
geht  gut . . .  Brüning  soll  in  den  nächsten  Tagen 
schon  fallen.  Der  Heidispräsident  wird  ihm  sein 
Vertrauen  entziehen.  Der  Plan  geht  dahin,  ein 
Präsidialkabinett  zu  installieren;  der  Reichstag 
wird  aufgelöst,  alle  Zwangsgesetze  (SA-Verhot) 
sollen  fallen . . .  Beglückend  das  Gefühl,  daß  noch 
kein  Mensch  etwas  ahnt,  am  wenigsten  Brüning 
selbst."  (8.  Mai) 

General  von  Schl-^iicher  spielt  ein  gewagtes  Spiel. 
Schleicher,  der  Kanzlerstürzcr,  der  Kanzlermacher, 
wer  war  er  überhaupt?  In  Offizierskreisen  nannte 
man    ihn    den    „Herrn  in   Filzschuhen",    Groener 
meinen  Kardinal  in  politicis'-;    Brüning    sah    in 
erster  Linie  die  „sprunghalte  Beweglichkeit";  der 
bayerische  Ministerpräsident  Held  sprach  von  dem 
.Dilettanten,  der  deri  Ernst   der    Lage    nicht    er- 
fasse und  meine,  Politik  so  aus  dem  Handgelenk 
machen  zu  können".  Beliebt  war  er    wenig,    ge- 
fürchtet da  und  dort,  durclischauc  nirgends.  Alle 
sahen  sie   in  Schleicher  einen  Intriganten;  Fran- 
'^ois-Poncet  schließlich  beförderte  ihn  zum  „Mei- 
ster der  politischen  Intrige". 

Nur  eines  hat  niemand  von  Schleicher  behaup- 
tet   daß  er  Politiker,  VollblutpoHtikei'  gar,  gewe- 
sen wäre.  Er  war  Generalstäbler,    dem    es    Spaß 
machte,  die  Karten  zu  mischen,  die  Fäden  in  Hän- 
den zu  halten,  sich  an  .schwierigsten  taktischen  und 
strategischen  Problem(!n  zu  erproben.  Er  war  em 
Tausendsasa,  der  es  riskierte,  mit  vielen  und  all- 
zu  vielen   Bällen   zu  jonglieren,   ein   Spieler,    der 
hinterher,    als   das   Kunststück  mißglückte,    gelas- 
sen nach  Hause  ging,  vm  sich  hinzusetzen  und  an 
Groener  in  ungekünstelter  Frivolität  zu  schreiben: 
Die  Rückkehr  zur  Natur  ist    schon    etwas    ganz 
Herrliches,  und  das  haben  mir  die  ersten  acht  Tage 
bereits  klar  vor  Augen  geführt,  daß  Gartenarbeit 
bekömmlicher,  lohnender  und    dankbarer    ist    als 
Regieren    oder    gar     Politisieren..."     (Neubabels- 
berg   17.  April  1933).  "Uad   nochmals:    „Man    lebt 
doch'  hier  draußen  so    herrlich    und    so    abgesetzt 
von  den  Geschehnissen"  (9.  April  1934). 


Samstag/Sonntag,  19./20.  Januar  1963 


3     Kaum,  daß  das  SA-Verbot  ergangen  war 
forderte    Hindenburg    —    über    den    Kopf 
des  Reichskanzlers  hinweg  —  in  emem  kom- 
promittierenden  Brief   an   Groener    (unter 
Informierung  der  Presse),  nun  müsse  aber 
auch  gegen  links  Front  gemacht  werden.  Ge- 
meint war  das  „Reichsbanner  Schwarz-Rot-Gold  , 
die  gegen  die  Radikalinski  gegründete  Freiwilligen- 
Organisation   zum   Schutz   der  Republik,    die   sich 
hauptsächlich    auf    die    SPD    stützte.    Hindenburg 
lieferte  gleichzeitig  Unterlagen  mit,  die  aus  dem 
Reichswehrministerium  stammten  und   ihm  unter 
Umgehung   des   Ministers   zur  Verfügung   gestellt 
worden  waren  (Unterlagen  übrigens,  die  Groener 
bekannt  waren  und  keinesfalls  gegen  das  Reichs- 
banner sprachen).  Ich  übersende  , Ihnen  anbei  das 
mir  zugeqangene   Material  mit  dem   Ersuchen,   es 
mit  dem  gleichen  Ernst  zu  prüfen,  den  ich  Ihrem 
Antrage  entgegengebracht  habe,    und    mir  alsbald 
das  Ergebnis  Ihrer  Prüfung  und  einen  entsprechen- 
den Vorschlag  vorzulegen. 

Der  Schlag  saß.  Schleichers  Handschrift.  Hinter 
ihm  stand  eine  Reichswehrführung,  die  mit  ihrem 
Minister  nicht  mehr  zufrieden  war.  Siehe  die 
Ausführungen  des  Generals  von  Hammerstein  auf 
einer  Führerreise  am  21.  Mai  -  wiedergegeben 
nach    Telegrammstilaufzeichnungen    des    Generals 

Liebmann: 

Groener  wurde  seinerzeit  mit  Unterstützung  der 
Heeresleitung  Innen-  und  Reichswehrminister, 
weil  schon  dpmals  klar  war,  daß  der  Abbau  der 
militörischen  Organisationen  (gemeint:  SA)  nötig. 


mlLllOriSCIiett    \.^f  j/u,n.i.ou,iiv^...^.v     xe.-' — --    '  „     .. 

N"üf"mögTich.  wenn  etwas  andere»  *«  bieten.  Seit 
Jahren  Verhandlungen  mit  Innenministerium  we- 
gen überparteilicher  (Wehr-)Sportorganisation.  Da 
sie  nicht  vorwärts  kamen,  dafür  eingesetzt,  daß, 
Groener  Reichsinnenmvnisterium  übernahm  und 
(den  Plan)  vorwärts  trieb  ...  Groener  ist  von 
freundlichen  Leuten  . . .  eingewickelt  worden.  For- 
derung    der     militärischen     Belange     kam     nicht 

voran  ...  „  .         ,  ^  i    ^ 

Unglückliches  Verbot  der  SA  .  . .  Zeitpunkt  kom- 


promittiert  Feldmarschall,   mußte    als    Bezahlung 
nach  links  aussehen  (wegen  Wahlhilfe)!  ... 

Am  10.  Mai  versuchte  der  Minister  seine  Ent- 
scheidung im  Reichstag  zu  vertreten  und  das 
Reichsbanner  zu  verteidigen.  Es  wurde  keine  gute 

Aufführung. 

Ich    mxiß    feststellen,    sagte     er,     daß     bis    ziim, 
Herbst    1930   die   SA   eine   verhältnismäßig   —   ich 
sage-  verhältnismäßig  -  harmlose  Sache  war.  Das 
hat   sich   aber   geändert   ...   und   zwar  ist   es   gar 
kein  Zweifel,  daß  das  Verdienst  daran  einerseits 
Herrn    Hitler,    vor    allem    aber    dem    Hauptmann 
Röhm  zukommt  ...  mehr  und  mehr  ein  absolutes 
Privatheer  mit  allen  Anzeichen  einer  solchen  Or- 
ganisation  .  . .   Damit   wurde   die   Gefahr  für   den 
Staat  außerordentlich  groß,  denn  trotz  aller  Erklä- 
rungen  von   Legalität,   die   Sie   mir   ja   in   großen 
Mengen  zugesandt   haben,   muß  man  immer  fest- 
halten: eine  solche  Organisation  hat  ihre  Dynamik 
in  sich  und  kann  nicht  einfach  bald  legal,  bald  il- 
legal erklärt  werden.  . 

Groener  traf  den  Nagel  auf  den  Kopf.  Die  Nazis 
schrien,  beschimpften  ihn  mit  Zwischenrufen; 
Groener  ließ  sich  reizen,  antwortete  ihnen.  Er  kam 
aus  dem  Konzept.  Die  Rede  ging  im  Tumult  unter 
Polizei  mußte  eingreifen.  Die  eigenen  Kabinetts- 
kollegen  waren  entsetzt  und  distanzierten  sich. 
Der  konservative  Graf  Westarp  war  sich  mit  Hin- 
denburg einig:  Groener  nicht  mehr  „f eiddienst- 
fähig". ,  ^    , 

Groener  kapitulierte  —  er  behielt  aber  noch  das 
Innenministerium.  Für  wie  lange?   .,Daß  an  mei- 
nem  Sturz   mit   allen    Mittela.  gearbeitet  v/ird,    ist 
klar."  Er  sah  aber  auch,  daß  der  Schuß  Schleichers 
nicht   nur   ihm   galt,    sondern    genauso   und   mehr 
noch   Brüning.    „Hindenburg    hat    sein    altes    kon- 
servatives  Herz   entded^t   und   wünscht   sich   eine 
noch  mehr  nach  rechts*  orientierte  Regierung   .  •  - 
Aber  man  hat  noch  keinen  Kanzler  ...  Er  (Hin- 
denburg) möchte  nach  seiner  religiösen  Einstellung 
auch  wieder  mal  einen  evangelischen  Mann  zum 
Kanzler  ..." 


Hindenburg  läßt  Brüning  fallen 


Schleicher  als  der  Vertreter  der  Reichswehr- 
Interessen  hatte  bei  Hindenburg  leichtes  Spiel  ge- 
funden. Schleichers  Bedenken  trafen  sich  mit  den 
Reserven,  die  der  Reichspräsident  seit  langem  ge- 
gen Brüning  stapelte. 

Ausschlaggebend      war      dabei,      sagt      Theodor 
Eschenburg,  daß  Brüning  mit  dem  alten  Herrn  nicht 
umzugehen  verstand.  „Vielfach  konnte  Hindenburg 
Brünings  Gedankengängen,  die  er  in  einer  schwer 
verständlichen      wissenschaftlichen      Terminologie 
vortrug,  kaum  folgen.  Für  Hindenburg  war  jeder 
Besuch   Brünings  eine   große   Anstrengung    ...   t-r 
versuchte,  den  alten  Reichspräsidenten  sachlich  zu 
überzeugen,  aber  es  wäre  vielleicht  darauf  ange- 
kommen,   ihn   persönlich   zu   gewinnen.    Das    aber 
lag  Brüning   nicht   ...  Er  erwartete  von   Hinden- 
burg  Verständnis   für   seine   Pläne   .  .  .    Vertrauen 
zu   seiner   Politik    ...   es    fehlte    ihm    sowohl     die 
psychologische      Fähigkeit,      das     Staatsoberhaupt 
einerseits,  das  Volk  andererseits  für  semr  Politik 


trag  hat  stattgefunden.  Das  Spiel  ist  aus  .  .  .  Nach 
dreiviertel   Stunden    kam    Reichskanzler    Brüning 
zurück    und    berichtete    das    Ergebnis    sofort  .  .  . 
Offiziell  wird  morgen  mittag  um  12  Uhr  die  Be- 
sprechung  beim   Reichspräsidenten   fortgesetzt.    In 
Wirklichkeit   ist   aber    die   Trennung    heute    schon 
vollzogen.  Das  Gespräch  scheint  sich  ungefähr  fol- 
gendermaßen  entwickelt   zu   haben:   Zunächst  be- 
richtete  der   Reichskanzler    . .  .    über   die    gesamte 
politische  Lage  .  . .  Auf  Einzelheiten  des  Vortrags 
ging   der   alte   Herr   anscheinend   überhaupt   nicht 
ein,  sondern  zog  unvermittelt  ein  Blatt  Papier  aus 
der  Tasche,  auf  dem  (anscheinend  von  seiner  eige- 
nen Hand)  zwei  Punkte  notiert  waren     .  .  Zunächst 
solle  dieses  Kabinett  überhaupt  keine  Notverord- 
nungen mehr  vorlegen  und  zweitens  sollte  an  der 
personellen     Zusammcnsetung     dieses     Kabinetts 
nichts  mehr  geändert  werden  (das  ging  auf  Groe- 
vcr).    Als   der   Reichskanzler   darauf   erklärte,    daß 
damit  also  ganz  deutlich  die  von  ihm  für  nötig  ge- 
hnltenen  Garantien  (Brüning  hatte^  Garantien  für 


„Die  zukunftsvollen  Kräfte" 

Aber  was  immer  man  6chlf icher  vorwerfen  will, 
eines  stand  nicht  in  seiiem  Konzept:    den    Nazis 
den  Weg  an  die  Macht  zu  ebnon.  Groener,  mit  dem 
er  lange  genug  zusammen  war,  hatte  das  sogleidi 
erkannt  und  -  trotz  des  Torts,  der  ihm  von  „mei- 
nem   alten    Freund,    Schder,    Wahlsohn,    meiner 
Hoffnung  für  Volk  und  ViUerland"  (Groener  brief- 
lich) angetan  worden  war  -  klipp  "'^d,!'^^'l,^".^; 
gesprochen:    „...Es    sind  aber    nicht    die    Nazis 
denen    er    zur    Macht    verhelfen    will,    er    selbst 
strebt  zur  Macht,  und  zwar  durch  Hindenburg... 
(Schleicher)  will  jetzt  nichi  Reichskanzler  werden, 
vorläufig  (der  Brief  Groeners  an  Schleicher  ist  am 
22    Mai  1932  geschrieben)  auch  nidit  Reichswehr- 
minister .  . .  Für  die  Reichswehr  ist  eine  neue  Idee 
im  Werden.  Man  will  sie  aich  mit  ihrem  Etat  vom 
Reichstag     ganz     abhängen.    Schleicher     sdiwebte 
längst  vor,   mit  Hilfe   der  Reichswehr   auch   ohne 
den  Reichstag  zu  regieren."' 

Was  Brüning  nicht  konntr  -  Schleicher  traute  es 
sich  zu:  Ich  werde  . .  .  dafür  sorgen,  daß  diejenigen 
geistigen  und  physischen  Kräfte    unseres    Volkcs 
gestärkt      werden,     welche    di"     unentbehrliche 
Grundlage   der   Landesverf'idwnng   bilden.   Oder. 
Eine    dauerhafte    und    procukUve    Regierung    ist 
vielmehr  nur  möglich,  wen-  sU-'  sich  nicht  gegen 
die  Ströme  wendet,  welche  de  Massen  des  VoiKes 
erfüllen,  sondern  wenn  sie  es  versteht,  sich  aus 
dvn  lebendigen  und    zukun)  vollen    Kräften    des 
Volkes      einf      breite      Verrpuensgrundlage      zu 
aduijL/cn.  • 

Schleicher  dünkte  sich  sci#J  genug/^n  Staat 
aus   der   Sackgasse   herauszifihren,    sich   mit   den 
Nazis  zu  arrangieren  und  sifdoch  zu  überspielen. 
Als   ,, graue   Eminenz"   hint»!  den   Kulissen   (Chef 
des  Ministeramts  im  Reichsf'elirministerium  —  an 
der  Stelle  also,   wo  die    Rtichswehrinteressen    in 
Politik  umgesetzt  werden  Ibußten)   leitete   er  seit 
geraumer  Zeit  das  große  Manöver.  Nur,  daß  Brü- 
ning —  und  wohl  auch  Groener  —  nicht  ganz  so 
tanzte,   wie   es   erwünscht  gewesen   wäre.    Darum 
mußten  sie  fallen  und  durch  eine  fügsamere  Re- 
gierung    ersetzt     werden,    durch     eine     Kanzler- 
Attrappe,  die  Schleicher  in  Franz  von  Papen  ge- 
funden zu  haben  glaubte 


nationalen  Konzentration"  inszenierte. 

Papens  Kabinett  der  Vorleistungen 


Mit  großen  Worten  begann  Papen  zujegieren  -- 
hinter  sich  Reichswehrminister  Schleicher,  der  als 
SnirUus  rector  das  Kabinett  zu  lenken  und  Papen 
als     sprechminister"  zu  benützen  gedachte.  Regie- 
^IV'ist'guf  gesagt  -  3etzt  hieß  es  -rst   Ve^spr^ 
chungen  erfüllen,  Vorleistungen  erbringen.  Gleich 
fm  3'  Juni  beschloß  das  „Kabinett  der  nationalen 
Konzentration",    den    Reichstag    nadi    Hause    zu 
schicken  und  Neuwahlen  auszuschreiben.  Die  par- 
iZfZrische  Konzentration,  die  damals  zu  errei- 
chen war.  tilgte  Papen  durch  einen  Federstrich. 

Die  Auflösung  des  1930  gewählten  Reichstags- 
erläutert  Brünik    „zerstörte    die    grundlegende 
v™etzung  //l'gknzen    Politik    der    früheren 
Regterung,  nlmlich  daß  im  Reichstag  eine  delho- 
kratrscSe  Mehrheit  vorhanden  x^äre"  bis  zum  Ab- 


Am  28.  Mai  —  noch  war  Brüning  im  Amt,  das 
Zerwürfnis  mit  Hindenburg  noch  nicht  eingetre- 
ten —  erschien  Papen  in  Schleichers  Büro. 

Papen.  über  das  Vorhaben  ins  Bild  gesetzt:  „Ich 
bin  auf  die  Übernahme  einer  solchen  schweren  Ver- 
antwortung nicht  vorbereitet  und  zweifle  auch,  ob 
ich  der  richtige  Mann  dafür  bin  .  .  ." 

Schleicher:  „Aber  ich  habe  Sie  bereits  dem  alten 
Herrn  vorgeschlagen,  und  er  wünscht  sehr  Ihre 
Berufung." 

Bei  Hindenburg  hatte  Schleicher  leichtes  Spiel 
gehabt:  Als  Qualifikation  für  Papen  legte  er 
ihm  —  nach  Meißncrs  Bericht  —  einen  Zeitungs- 
artikel Papens  vor,  den  dieser  soeben  im  Ring,  der 
Zeitschrift  des  Deutschen  Herrenklubs,  veröffent- 
licht hatte. 

..Oft  habe  ich",  stand  hier  zu  lesen,  „in  den  letz- 
ten Monaten  öffentlich  darauf  hingewiesen,  daß 
mir  die  gcvuenvvärtiS  größte  innrnpolitischo  Auf- 
fachen  St 


erhofften  Ende  der  Wirt'^rhaftsktise. 
Schleicher  und  Papen  störte  fas  nicht     daß    es 
.rioir  mit  der  SPD-UnterstüV/*ing  zu  Ende,  daß 

nun  ke^ne  parlamentarische  Grundlage  mehr  vor- 

u     Hon  war   Sie  freuten  sich  ohnehin,  den  Reichs- 
handen  war.  Sie  irem  Reichswehrführung 

tag     los^-^^^'^^J^"-   ,?;fft   Tat  der  Herren  Zehrer, 

w?r:irFn:d'S 

fw^Sp  der  Armee,  von  Überwindung  bisheriger 

"slvL^änt^tsb^rchränkungen",    von   „Autoritäts- 

bildung  ohne  Demokratie". 

Wi4hrend  sich  Schleicher  schlau  genug  dünkte  die 

Wahrena  sicn  ou^^^,    schrieb   Goebbels  bereits  in 

man  bleibt  in  Opposition    (5.  Juni). 

Oft  und  oft  hatte  Hitler  mit  den  Seinen  in 
.  1  V^fon  Jahren  das  Thema  besprochen:  ob 
T  MÖ.I  chke' t  mUzumachen,  mitzuregieren,  der 
Bcwfgu1."eile  brächte.  Und  es  gab  genug 
N  Jiführer  die  seit  langem  und  jetzt  immer  hef- 
Ug"  darauf  drängten,  die  Gelegenheit  -"  ergrei- 
lif  und  sei  es  auch  nur  in  einer  Koalition  mit 
indeTen  Parteien.  Postenjäger  wollten  Posten, 
u  ^fhPrnflichc  SA-Kumpane  gierten  nach  den 
Früd^ten  de?  Kampfes,  die  Parteiarithmetiker 
wurden  nervös:  Vielleicht  werde  die  Chance  ver- 
«^^u  Aber  Hitler  blieb  hart  und  setzte  seinen 
^nnf  durch-   .Sollen  sie  (die  Repräsentanten  des 

Sem.s")    ruhig    jetzt    ganz    zu    Ende    kommen, 
nann  sind  sie  auch  endgültig  überstanden  ...Ich 

Hin    daß  wir  die  Macht  total  bekommen  werderf, 
dralle  anderen  total  versagen"  (zu  Hans  Frank. 


dende  Vorschriften  für  alle  Verbände  solcher  Art 
erlassen  werden  müßten  . . . 

Wie   wenig    die   Verordnung    in     die    politische 
Landschaft  paßte,   konnte   der   Zeitungsleser   dar- 
aus erschließen,  daß,  in  der  Zeitung  direkt  neben 
die     Maßnahme     der       Reichsregierung       geselz., 
Bayern  am  selben  Tage  politisd^e  Versammlungen 
unter   freiem   Himmel    sowie    Akifzüge    erneut   zu 
verbieten  und  unter  Strafe  zu  sVellen  für  geraten 
hielt-  daß  Baden  sein  Uniform-\und  Demonstra- 
tionsverbot    erneuerte;     daß     endlich     auch     die 
preußische   und   die   württembertische   Regierung 
bei  ihren  Verboten  verblieben.      \ 

„Das  valte  System  sabotiert  HJndenburgs  SA- 
VerordnVng",  tobte  Alfred  Ro.ejberg  im  Völki- 
schen Beobachter  (Bayernausgafee  "^'^J^  .}^f^' 
,^nm).  T.-^n  Siurm  von  Protesten  ergott_sidi_  a\ 
Inhenmii^ister'  \on  Gäyl;  Smarinmenvi  .>uv.... 
ihn  aufztihetzen  gegen  die  Zentrumsregxerurigen  in 
den  Lärldern;  sehe  Hindenburg  nicht  diese  „Reidis- 
feindschaft '?  Prompt  ließ  Gayl  im  Kabinett  das 
böse  Wort  von  „separatistischen  Umtrieben  in 
Süddeutschland"  fallen.  Schleicher  \vurde  nervös: 
Mit  äul^erster  Energie  müßte  die  Reichsregierung 
jetzt  die  Länder  dazu  bringen,  ihre  Separatver- 
bote der  VO  vom  16.  Juni  anzupassen. 

Und  als  die  demokratisch  regierten  Länder  nicht 
wollten,  kam  die  Papenregierung  am  28.6.  mit  einer 
neuen  Notverordnung  heraus,  welche  sämtliche 
Sonderregelungen  in  den  Ländern  für  ungültig 
erklärte  Den  Innenministern  blieb  nichts  anderes 
übrig,  als  den  kurzsichtigen  Eingriff  in  ihre  Pohzei- 
hoheit  hinzunehmen.  Schleicher  hatte  sich  durch- 
gesetzt; besser  gesagt:  Hitler. 

Die  Folgen  waren  ganz  danach.  Wieder  ging  das 
Theater  los,  schlimmer  als  je  zuvor:  Kommunisten 
dringen  in  ein  Berliner  SA-Lokal  ein,  Schlägerei, 
Festnahmen.  -  In  Charlottenburg  zwei  Passanten, 
die  den  Hitlergruß  nicht  erwiderten,  von  umfor- 
mierten Nazis  niedergeschlagen.  -  Ausschreitun- 
gen und  Zusammenstöße  in  Hamburg,  im  An- 
schluß an  eine  NSDAP-Versammlung.  -  Schla- 
gerei und  Schießerei  zwischen  SA-  und  KPD- 
Leuten.  Alles  das  steht  in  einer  einzigen  Num- 
mer der  Münchner  Neuesten  (am  18.  6.). 

Vergeblich  richtete  Preußens  Innenminister  Se- 
vcring  einen  Appell  an  die  Öffentlichkeit:  Alle  po- 
litischen Parteien  überschütten  die  Behörden  mit 
Klagen  über  mangelhaften  Schutz  und  mit  Be- 
schwerden über  den  Terror  der  -  "''^^'f^'^  -; 
die  größte  Sicherheit  der  Staatsburger  beruht  auf 
dem.   Verzicht,   dir   Sicherheit  der  anderen  zu  De- 


hir  ali  Slffi  flic  dcmoJ:rn?isj 
\Weit  davon  entfernt.  Brilii 

^.Rechtsruck",  was  zu  Brii»] 
|ie  jetzt  folgende  Zeit  fragt 
}hne  Parlament  zu  regiere} 


untergrub  systematisch  die  Fundumente  der  Verjassung. 

Die  heutige  Fortsetzung  l^eleuchtet  das  von  General  Schleicher  inszenierte  Papen-Katymet^ 


neuen  Herren,  die  eine 


und   die 
^"nationale' Konzentration"  anstrebten  und  dai>ei. 


Sträflichen  Fehlgriffe  der  neuen  tt er ren,  a.e  '^^rwl'rwpTebtt^tcn'  Weitere  Einzelheiten  sowie  die 
im  Süddeutschen  Verlag,  München,  erscheint. 


bereits  klöi-  vu:  •"'-  .  '-'^i-,  uai.  uaiicuaiuui.. 
bekömmlicher,  lohnender  und  dankbarer  ist  als 
nSen  oder  gar  P;'Utisieren  . . ."  (Neubabels- 
hoiß  17  April  1933).  t'^d  nochmals:  „Man  lebt 
doch'  hier  draußen  so  herrlich  und  so  abgesetzt 
von  den  Geschehnissen    (9,  April  1934). 


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3     Kaum,  daß  das  SA-Verbot  ergangen  war, 
forderte    Hindenburg    —    über    den    Kopf 
des  Reichskanzlers  hinweg  —  in  einem  kom- 
promittierenden  Brief   an   Groener    (unter 
Informierung  der  Presse),  nun  müsse  aber 
auch  gegen  links  Front  gemacht  werden.  Ge- 
meint war  das  „Reichsbanner  Schwarz-Rot-Gold", 
die  gegen  die  Radikalinski  gegründete  Freiwilligen- 
Organisation   zum   Schutz   der   Republik,    die   sich 
hauptsächlich    auf    die    SPD    stützte.    Hindenburg 
lieferte  gleichzeitig  Unterlagen  mit.   die  aus  dem 
Reichswehrministerium  stammten  und   ihm  unter 
Umgehung   des   Ministers   zur   Verfügung   gestellt 
worden  waren  (Unterlagen  übrigens,  die  Groener 
bekannt  waren  und  keinesfalls  gegen  das  Reic±is- 
banner  sprachen).  Ich  übersende  Jhnen  anbei  das 
mir  zugegangene  Material  mit  dem  Ersuchen,  es 
mit  dem  gleichen  Ernst  zu  prüfen,  den  ich  Ihrem 
Antrage  entgegengebracht  habe,    und    mir  alsbald 
das  Ergebnis  Ihrer  Prüfung  und  einen  entsprechen- 
den Vorschlag  vorzulegen. 

Der  Schlag  saß.  Schleichers  Handschrift.  Hinter 
ihm  stand  eine  Reichswehrführung,  die  mit  ihrem 
Minister  nicht  mehr  zufrieden  war.  Siehe  die 
Ausführungen  des  Generals  von  Hammerstein  auf 
einer  Führerreise  am  21.  Mai  -  wiedergegeben 
nach    Telegrammstilaufzeichnungen    des    Generals 

Liebmann:  ..^  ,^^ 

Groener  wurde  seinerzeit  mit  Unterstützung  der 
Heeresleitung     Innen-     und     Reichswehrminister, 
weil  schon  damals  klar  war,  daß  der  Abbau  der 
militörischen  Organisationen  (gemeint:  SA)  nötig. 
'  mir^mogtmV'l&enn  etwas  anderen  '^u  bieUn.  hctt 
Jahren  Verhandlungen  mit  Innenministerium  we- 
gen überparteilicher  (Wehr-)Sportorganisation 
sie   nicht  vorwärts   kamen,   dafür   eingesetzt, 
Groener    Reichsinnenministerium    übernahm 
(den    Plan)    vorwärts    trieb    ...    Groener    ist 
freundlichen  Leuten  . . .  eingewickelt  worden.  For- 
der    militärischen     Belange     kam 


promittiert   Feldmarschall,   mußte    als    Bezahlung 
nach  links  aussehen  (wegen  Wahlhilfe)!  ... 

Mai  versuchte  der  Minister   seine   Ent- 
vertreten    und     das 


„Die  zukunftsvolleii  Kräfte" 


sage 
hat   sich 


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Am   10. 
Scheidung    im    Reichstag    zu  ,     ,    •         .   .„ 

Reichsbanner  zu  verteidigen.  Es  wurde  keine  gute 

Aufführung.  ^ 

Ich    muß    feststellen,    sagte     er,     daß     bis    zum, 
Herbst    1930   die   SA   eine   verhältnismäßig   —  J^h 
■  verhältnismäßig  -  harmlose  Sache  war.  Das 
aber   geändert  ...   und  zwar  ist   es  gar 
kein  Zweifel,  daß  das  Verdienst  daran  einerseits     gesprochen:    „ 
Herrn    Hitler,    vor    allem    aber    dem    Hauptmann     ^^^^^    ^j.    ^uv 
Röhm  zukommt  ...  mehr  und  mehr  ein  absolutes 
Privatheer  mit  allen  Anzeichen  einer  solchen  Or- 
ganisation  ...   Damit   wurde   die   Gefahr   für   den 
Staat  außerordentlich  groß,  denn  trotz  aller  Erklä- 
rungen  von   Legalität,   die   Sie   mir   ja   in   großen 
Mengen  zugesandt   haben,  muß  man  immer   fest- 
halten: eine  solche  Organisation  hat  ihre  Dijnamik 
sich  und  kann  nicht  einfach  bald  legal,  bald  il- 


Aber  was  immer  man  •SdiU.jcher  vorwerfen  will, 
eines  stand  nicht  in  seii.em  Konzept:  den  Nazis 
den  Weg  an  die  Macht  zu  ebnen,  Groener,  mit  dem 
er  lange  genug  zusammci  war,  hatte  das  sogleich 
erkannt  und  —  trotz  des  Torts,  der  ihm  von  „mei- 
nem alten  Freund,  Schuler,  Wahlsohn,  meiner 
Hoffnung  für  Volk  und  Vaterland"  (Groener  brief- 
lich) angetan  worden  war  -  klipp  und  klar  aus 


^efxsfff*.*r^{i^ 


derung 
voran  .  .  . 

Unglückliches  Verbot  der  SA 


Da 

daß 
und 
von 


nicht 


Zeitpunkt  kom- 


in 

legal  erklärt  werden.  _.     ^t     • 

Groener  traf  den  Nagel  auf  den  Kopf.   Die  Nazis 
schrien,     beschimpften     ihn     mit     Zwischenrufen; 
Groener  ließ  sich  reizen,  antwortete  ihnen.  Er  kam 
aus  dem  Konzept.  Die  Rede  ging  im  Tumult  unter. 
Polizei  mußte  eingreifen.   Die  eigenen  Kabinetts- 
kollegen   waren    entsetzt   und    distanzierten     sich. 
Der  konservative  Graf  Westarp  war  sich  mit  Hin- 
denburg   einig:    Groener    nicht    mehr    „f eiddienst- 
fähig". ,      ^  .     ,  ^ 
Groener  kapitulierte  -  er  behielt  aber  noch  das 
Innenministerium.   Für  wie  lange?   „Daß   an  mei- 
nem   Sturz   mit   allen    Mittein.,  gearbeitet   wird,    ist 
klar"  Er  sah  aber  auch,  daß  der  Schuß  Schleichers 
nicht   nur   ihm   galt,    sondern   genauso   und   mehr 
noch    Brüning.    „Hindenburg    hat    sein    altes    kon- 
servatives  Herz    entdeckt   und   wünscht   sich    eine 
noch  mehr  nach  rechts»  orientierte  Regierung   ... 
Aber  man  hat  noch  keinen  Kanzler  ...  Er  (Hin- 
denburg) möchte  nach  seiner  religiösen  Einstellung 
auch  wieder  mal  einen  evangelischen  Mann  zum 
Kanzler  ..." 


.Es  sind  aber  nicht  die  Nazis, 
Macht  verheilen  will,  er  selbst 
strebt  zur  Macht,  und  zwar  durch  Hindenburg  . . . 
(Schleicher)  will  jetzt  nichi  Reichskanzler  werden, 
vorläufig  (rier  Brief  Green ers  an  Schleicher  ist  am 
22  Mai  1932  geschrieben)  auch  nicht  Reichswehr- 
minister  .  .  .  Für  die  Reichswetir  ist  eine  neue  Idee 
im  Werden.  Man  will  sie  auch  mit.  ihrem  Etat  vom 
Reichstag     ganz     abhängen.   Schleicher     schwebte 

längst  vor,   mit  Hilfe  der  Reichswehr   auch   ohne     ^{5  „Sprechminister 
den  Reichstag  zu  regieren."  -  —  — «^  - 

Was  Brüning  nicht  konntf  -  Schleicher  traute  es 

sich  zu-  Ich  werde  . .  .  dafür  sorgiKn,  daß  diejenigen 

geistigen  und  physischen  Kräfte    unseres    Volkes 

gestärkt      loerden,     welche    di-     unentbehrliche 

Grundlage   der   Landesvertniigmig  bilden.   Oder: 

Eine    dauerhafte    und    protuktive    Regierung    ist 

vielmehr  nur  möglich,  wen   .sie  sich  nicht  gegen 

die  Ströme  wendet,  welche  ne  Massen  des  Volkes 

erfüllen,   sondern   wenn   sie  .^   rersteht.   sich   aus 

den  lebendigen  und    zukun)  rollen    Kräften 

Volkes      eine      hrcile      Ver,   ^ensqrunrnaqc 


GENERAL  VON  SCHACHER  rUn-I^T^de»  St.«  BrUnina.  betrie.  «rui  ^'^^'^^^l^^^^'^^^^j: 
nationalen  Konzentration"  inszenierte. 


Papens  Kabinett  der  Vorleistungen 

hinter  sich  Reichswehrminister  Schleicher,  aer  dib  vorordnun^    in     die     politische 


ren  ist  gut  gesagt  -  jetzt  hieß  es  zuerst,  Verspre-     aus 
chungen  erfüllen,  Vorleistungen  erbringen    Gleich     -^-^ 
am  3    Juni  beschloß  das  „Kabinett  der  nationalen 
Konzentration",    den    Reichstag    nadi    Hause    zu 
Chicken  und  Neuwahlen  auszuschreiben.  Die  par- 


geselzt. 


^r- 


r^!e 


des 

zu 


Umentarische  Konzentration,  die  damals  zu  errei- 
äTn  war,  tilgte  Papen  durch  einen  Federstrich. 

Die  Auflösung  des  1930  gewählten  Reichstags'', 

erläutert    Brüning,    „zerstörte    die    f  "^dlegende 

Voraussetzung  der    ganzen    Politik    der    früheren 

Regierung^^imlich  daß  im  Reichstag  eine  delho- 

1telhrh«U  vorhanden  ^^'äre"  bis  zum  Ab- 


den 


Hindenburg  läßt  Brüning  fallen 


Schleicher  als  der  Vertreter  der  Rcichswehi- 
interessen  hatte  bei  Hindenburg  leichtes  Spiel  ge- 
funden. Schleichers  Bedenken  trafen  sich  mit  den 
Reserven,  die  der  Reichspräsident  seit  langem  ge- 
gen Brüning  stapelte. 

Ausschlaggebend  war  dabei,  sagt  Theodor 
Eschenburg,  daß  Brüning  mit  dem  alten  Herrn  nicht 
umzugehen  verstand.  „Vielfach  konnte  Hindenburg 


trag  hat  stattgefunden.  Das  Spiel  ist  aus  . .  .  Nach 
dreiviertel  Stunden  kam  Reichskanzler  Brüning 
zurück  und  berichtete  das  Ergebnis  sofort  .  .  . 
Offiziell  wird  morgen  mittag  um  12  Uhr  die  Be- 
sprechung beim  Reichspräsidenten  fortgesetzt.  In 
Wirklichkeit  ist  aber  die  Trennung  heute  schon 
vollzogen.  Das  'Gespräch  scheint  sich  ungefähr  fol- 
gendermaßen entwickelt  zu  haben:  Zunächst  be- 
richtete   der   Reichskanzler    ...    über    die    gesamte 


Brünings  Gedankengängen,  die  er  in  einer  schwer  , .^.g^j^^  Lage  ...  Auf  Einzelheiten  des  Vortrags 

verständlichen      wissenschaftlichen      Terminoiogiie     ^.^^   ^^^   ^^^^    ^^^^   anscheinend   überhaupt   nicht 


vortrug,  kaum  folgen.  Für  Hindenburg  war  ]edei 
Besuch   Brünings  eine   große   Anstrengung    ...   br 
versuchte,  den  alten  Reichspräsidenten  sachlich  zu 
überzeugen,  aber  es  wäre  vielleicht  darauf  ange- 
kommen,   ihn   persönlich    zu   gewinnen.    Das    aber 
lag  Brüning   nicht  ...  Er  erwartete  von  Hinden- 
burg  Verständnis   für   seine   Pläne   ...   Vertrauen 
zu   seiner   Politik   ...    es   fehlte   ihm    sowohl     die 
psychologische      Fähigkeit,      das      Staatsoberhaupt 
einerseits,  das  Volk  andererseits  für  seine  Politik 
zu    gewinnen,    als    auch    die    taktische 
seine  politische  Position   zu   sichern   . 
nicht  jeden  Tag  seine  Position  ...  und  er  unter- 
nahm nichts,  diese  Position  zurechtzurücken,  wenn 
sie  sich  nachteilig  verändert  hatte,  sie  zu  verteidi- 
gen  wenn  sie  angegriffen  wurde.  Mit  einem  Wort: 
Brüning  fehlte  ...  die  Leidenschaft  zur  Macht  . . . 
El  war  ein  unpolitischer  Politiker." 

So    konnte    es    den    Gegnern    nicht    schwerfal- 
len,  das  nie   recht  gefestigte   Verhältnis   zwischen 


Begabung, 
Er   lotete 


Reichspräsidenten  und  Kanzler  vollends  zu  er- 
schüttern. Ort  der  Handlung:  Gut  Neudeck,  wohin 
sich  Hindenburg  in  den  entscheidenden  Wochen 
nach  der  Groener-Krise  zurückzog.  Am  25.  Mai  er- 
reichte ihn  dort  ein  Brief  des  (späteren  Innen- 
ministers) Freiherrn  von  Gayl,  des  ihm  persönlich 
vertrauten  Direktors  der  Ostpreußischen  Landge- 
sellschaft; der  Brief  haltte  es  in  sich. 

Das  Reichskabinett  berät  zur  Zeit  den  Ent- 
wurf   einer     Verordnung     des     Reichspräsidenten 
über  die  Förderung  der  landwirtschaftlichen  Sied- 
lungen  .  . .    deren   §   2   eine    Bestimmung    enthalt, 
welche     der     Oststelle     (Ostkommissar   Schlango- 
Schöningen)  das  Recht  gibt,  in  die  nicht  mehr  um- 
schuldungsfähigen  Grundstücke,   ohne   Antrag   der 
Gläubiger,  von  sich  aus  die  Zwangsversteigerung  zu 
betreiben  ... 

In  Gayls  Brief  war  von  den  positiven  Seiten  mit 
keinem  Wort  die  Rede;  er  malte  in  düsteren  Far- 
ben' Besitzer  von  Haus  und  Hof  vertreiben .  .  . 
Nach  vielen  sditueren  Eingriffen  der  früheren  Not- 
verordnungen in  das  Privateigentum  .  .  .  Abgleiten 
in  Staatssozialismus   . . .  weite   Kreise   des  Ostens 
in    Landwirtschaft    und     städtischem     Mittelstand 
schwer  beunruhigt  .  .  .  Zermürbung  der  Seelen  .  .  . 
bisher  Träger  des  nationalen  Wehrwillens  gegen- 
über Polen  . . . 

Als  Hindenburg  Ende  Mai  aus  Neudeck  zurück- 
kam, waren  die  Würfel  bereits  gefallen  Brünings 
Staatssekretär,  Hermann  Pünder,  hie^t  die  ent- 
scheidenden Szenen  der  Unterredung  Hindenburg- 
Brüning  in  seinem  Tagebuch  fest: 

„Sonntag,  den  29.  Mai  1932  ...  4  Uhr    Der  Vor- 


ein, sondern  zog  unvermittelt  ein  Blatt  Papier  aus 
der  Tasche,  auf  dem  (anscheinend  von  seiner  eige- 
nen Hand)  zwei  Punkte  notiert  waren  .  .  .  Zunächst 
solle  dieses  Kabinett  überhaupt  keine  Notverord- 
nungen mehr  vorlegen  und  zweitens  sollte  an  der 
personellen      Zusammcnsetung     dieses     Kabinetts 
nichts  mehr  geändert  werden  (das  ging  auf  Groe- 
ner).  Als   der   Reichskanzler   darauf   erklärte,   daß 
damit  also  ganz  deutlich  die  von  ihm  für  nötig  ge- 
haltenen Garantien  (BrTi7iing  hatte  Garantien  für 
ungehinderte    Weiterarbeit    der     Regierung,     also 
Vollmachten   für   neue    Notverordnungen   verlangt 
—  angesichts  der  ständigen  Quertreibereien)  ver- 
weigert seien,   soll   der  Reichspräsident  wohl  den 
Kopf  in  die  Hand  gestützt  und  mit  Tränen  in  den 
Augen  gesagt  haben:  ,Ich  muß  jetzt  endlich  nach 
rechts  gehen,  die  Zeitungen  und  das  ganze  Volk 
verlangen  es.  Aber  Sie  haben  es  ja  immer  abge- 
lehnt.'" 

Hermann  Pünders  Kommentar:  „Der  Reichsprä- 
sident denkt  sich  ein  Kabinett  ohne  Nazis  mit  star- 
kem Reclitseinschlag.  das  von  den  Nazis  toleriert 
wird.  Meines  Erachtens  eine  unmögliche  Lösung 
ohne  jede  Erfolgsaussicht!" 

Noch  schärfer  Brüning:  „  .  .  .  Sein  Geist  war  nicht 
klar  am  Morgen  des  30.  Mai  1932.  als  er  in  mich 
drang,  ein  Kabinett  aus  der  Rechten  zu  bilden  .  .  ." 
Einer  fragwürdigen  Lösung,  einer  Marotte  zuliebe, 
die  ihm  besserwissende  und  alleskönnende  Berater 


sdia.ljcn- 

Schleicher  dünkte  sich  sd#  genug/ 
aus   der   Sackgasse   herauszf  hren,   sich   mit 
Nazis  zu  arrangieren  und  sfloch  zu  überspielen^ 
Als   ,.graue  Eminenz"    hintl  den  Kulissen   (Chei 
des  Ministeramts  im  Reich  Jehrministerium--  an 

der  Stelle   also,   wo  die    R^'^rt'r- ?te  er  seit 

ußten)   leitete  er  seit 

geraumer  Zeit  das  große  Manöver.  Nur  daß  Brü- 
ning -  und  wohl  auch  C^oener  -  nicht  ganz  so 
tanzte,  wie  es  erwünschlj  gewesen  wäre.  Darum 
mußten  sie  fallen  und  d^rdi  eine  ^^^^^^"V^^^  .^^^ 
gierung  ersetzt  werden;  durch  eine  Kanzlei- 
Attrappe,  die  Schleicher  Hn  Franz  von  Papen  ge- 
funden zu  haben  glaubte. 

Am  28.  Mai  —  noch  war  Brüning  im  Amt.  das 
Zerwürfnis  mit  Hindenburg  noch  nicht  eingetre- 
ten —  erschien  Papen  in  Sdileichers  Büro. 

Papen,  über  das  Vorhaben  ins  Bild  gesetzt:  „Ich 
bin  auf  die  Übernahme  einer  solchen  schweren  Ver- 
antwortung nicht  vorbereitet  und  zweifle  auch,  ob 
ich  der  richtige  Mann  dafür  bin  .  .  ." 

Schleiclier:  .,Aber  ich  habe  Sie  bereits  dem  alten 
Herrn  vorgeschlagen,  und  er  wünscht  sehr  Ihre 
Berufung." 

Bei  Hindenburg  hatte  Schleicher  leichtes  Spiel 
gehabt:  Als  Qualifikation  für  Papen  legte  er 
ihm  -  nach  Meißncrs  Bericht  -  einen  Zeitungs- 
artikel Papens  vor,  den  dieser  soeben  im  Ring  der 
Zeitschrift  des  Deutschen  Herrenklubs,  veröffent- 
licht hatte. 

Oft  habe  ich",  stand  hier  zu  lesen,  „in  den  letz- 
ten Monaten  öffenllidi  darauf  hingewiesen,  daß 
mir  die  gegenwärtig  größte  innenpolitische  Auf- 
gabe des  deutschen  Staatschefs  die  Heranziehung 
der  wertvollen  Elemente  an  den  Staat  zu  sein 
scheint,  die  sich  in  dem  großen  Sammelbecken  der 
Rechten  befindet";  das  Zentrum  habe  doch  oft 
genug  mit  Stolz  auf  seine  Leistung  verwiesen,  die 
Sozialdemokratie  ..in  den  Staat  hereinzubrin- 
gen" —  „sollte  nicht  die  gleiche  historische  Ver- 
pflichtung gegenüber  der  Bewegung  vorliegen,  die 

her    das    deutsche    Land    über- 


irrntische  meiirneu  vorn» , 

en  Staat     erhofften  Ende  d*^r  Wirtschaftskrise. 

Schleicher  und  Papen  störte  fias  nicht,    daß 


es 


die  Maßnahme  der  Reichsregierung 
Bayern  am  selben  Tage  politische  Versammlungen 
unt'er  freiem  Himmel  sowie  Aufzüge  erneut  zu 
verbieten  und  unter  Strafe  zu  stellen  «ur  geraten 
hielt-  daß  Baden  sein  Uniiorm-  und  Demonstia 
t^ns'verbot  erneuerte,  daß  endlich  auch  die 
preußische  und  die  württembergische  Regieiung 
bei  ihren  Verboten  verblieben.      \^ 

Das  alte  System  sabotiert  11  ndenburgs  SA- 
Ve'rordn  mg",  tobte  Alfred  Ro.elberg  im  Volki^ 
sehen  Beobachter  (Bayernausgabe  J.'^"\.^^-  *-"' 
J.mi).  Ein  §turm  von  Protest  rergqö  sich 
Innenmmister  von  CTäyi,  öuia)  1I 
ihn  aufziihetzen  gegen  die  Zentrumsregierungen  m 
den  Läidern;  sehe  Hindenburg  nicht  diese, .Reit^s- 


nunmehr  mit  der  SPD-Unterstüfe^ng  zu  Ende,  daß     fgindsdfaft"?'  Prompt  ließ  Gayl  im  Kabinett  das 
nun  keine  parlamentarische  Gruridlage  mehr  vor-     ^„^^   ^^^^   ^^^    „separatistischen    Umtrieben    in 


banden  war.  Sie  freuten  sich  ohnehin,  den  Reichs- 
tag loszuwerden.  Die  der  Reichswehrfuhrung 
nahestehende  Zeitschrift  Tat  der  Herren  Zehrer, 
W^irsing  Fried  sprach  zufrieden  von  „Neuaufbau 
mit  Hilfe  der  Armee,  von  Überwindung  bisheriger 
„Souveränitätsbeschränkungen",  von  „Autoritats- 
bildung  ohne  Demokratie". 

Während  sich  Schleicher  schlau  genug  dünkte,  die 
Nazis  ..einzufangen",  schrieb  Goebbels  bereits  in 
sein  Tagebuch:  „Wir  müssen  uns  von  dem  bürger- 
lichen Übergangskabinett  so  schnell  wie  möglich 
absentieren  . .  .  Entweder  hat  man  die  Macht,  oder 
man  bleibt  in  Opposition"  (5.  Juni). 

Oft    und    oft    hatte    Hitler    mit    den    Seinen    in 
den    letzten    Jahren    das    Thema    besprochen: 
die  Möglichkeit,  mitzumachen,   mitzuregieren, 
Bewegung    Vorteile    brächte.    Und    es    gab    genug 
Naziführcr,  die  seit  langem  und  jetzt  immer  hef- 
tiger darauf  drängten,  die  Gelegenheit  zu  ergrei- 
ten -  und  sei  es  auch  nur  in  einer  Koalition  mit 
anderen     Parteien.     Postenjäger    wollten     Posten, 
hauptberufliche   SA-Kumpane    gierten    nach    den 
Früchten    des    Kampfes,     die     Parteiarithmetiker 
wurden  nervös:  Vielleicht  werde  die  Chance  ver- 
spielt   Aber  Hitler  blieb   hart  und   setzte   seinen     ^eri 


ob 
der 


Süddeulschland"  fallen.  Schleicher  wurde  nervös: 
Mit  äußerster  Energie  müßte  die  Reichsregierung 
jetzt  die  Länder  dazu  bringen,  ihre  Separatver- 
bote der  VO  vom  16.  Juni  anzupassen. 

Und  als  die  demokratisch  regierten  Länder  nidit 
wollten,  kam  die  Papenregierung  am  28. 6.  mit  einer 
neuen  Notverordnung  heraus,  welche  sämtliche 
Sonderregelungen  in  den  Ländern  für  ungültig 
erklärte  Den  Innenministern  blieb  nichts  anderes 
übrig,  als  den  kurzsiclitigen  Eingriff  in  ihre  Polizei- 
hoheit hinzunehmen.  Schleicher  hatte  sich  durch- 
gesetzt; besser  gesagt:  Hitler. 

Die  Folgen  waren  ganz  danach.  Wieder  ging  das 
Theater  los,  schlimmer  als  je  zuvor:  Kommunisten 
dringen  in  ein  Berliner  SA-Lokal  ein,  Schlägerei, 
Festnahmen.  —  In  Charlottenburg  zwei  Passanten, 
die  den  Hitlergruß  nicht  erwiderten,  von  unifor- 
mierten Nazis  niedergeschlagen.  -  Ausschreitun- 
gen  und    Zusammenstöße    in   Hamburg,     im     An- 
schluß   an    eine    NSDAP-Versammlung.    -    Schla- 
gerei   und    Schießerei    zwischen    SA-    und    KPD- 
Leuten.    Alles   das   steht   in   einer   einzigen    Num- 
mer der  Münchner  Neuesten  (am  18.  6.). 
Vergeblich  richtete  Preußens  Innenminister  Se- 
ng einen  Appell  an  die  Öffentlichkeit:  Alle  po- 


mit   Hitler   zu     Bilanz    am 


wieder- 


eingeredet hatten  und  die  seiner  eigenen  Vorliebe        ^^^^^^      während     die     Reclite.     meine     eigenen 
entspracli,    ließ   Hindenburg   seinen   Kanzler  Bru-     *  ^  „     ..  ._:.,.     „,,frrocfoiit 

ning  fallen  und  brachte  damit  den  Bergrutsch  in 
Bewegung,  der  vor  dem  30.  Januar  1933  nicht  mehr 
zum  Halten  gebracht  werden  sollte. 

Politik  aus  dem  Handgelenk 

Der  Mann,  der  dieses  Kunststück  fertigbrachte  — 
nun  wir  bekommen  ihn  gleich  zu  sehen.  Er  hatte 
Brünings  Sturz  manipuliert,  er  fingerte  das  neue 
Kabinett  zusammen,  er  verhandelte  hier  und  dort, 
ging  im  Reichspräsidentenpalais  aus  und  ein  .  .  . 

In  Goebbels'  Tagebuch  liest  es  sich  so:  „Helldorf 
war   bei   Sclileicher.   Der   will   eine   Kursänderung 

vollziehen"  (26.  April.  14  Tage  nach  dem  SA-Ver- 
bot)   —  „Der   Führer   ist  bei   Schleicher   gewesen. 

Das"  Gespräch  verlief  gut"  (28.  April).  —  „Berliner 

Juden  schimpfen  über  die  Intrigen  der  .OfEiziers- 

kamarilla'   gegen  Brüning  und  Groener.  Es  fängt 

also  schon  an.   Als  erster  muß  Groener  und  nach 

Ihm  Brüning  fallen"  (4.  Mai).  —  „Der  Führer  hat 

eine     entscheidende     Unterredung     mit     General 


Schleicher;   einige   Herren  aus  der  nächsten  Um- 


heute von  rechts 
flutet?" 

Wie  vertraut  das  dem  Präsidenten  in  den  Ohren 
klang!  Und  überdies  war  Papen  gedienter  Soldat, 
Kavallerieofiizier  a.  D.,  ein  Mann,  der  sich  —  wie 
man  gleich  merkte  -  ans  „Portepee  fassen"  ließ. 
Hindenburg  wußte  ihn  zu  nehmen. 

Im  Präsidentcnpalais  am  31.  Mai:  „Wie  immer", 
erzählt  Papen,  „empfing  er  mich  mit  vätcrhcher 
Güte",  und  als  Papen  nicht  gleich  parierte: 
„.  .  .  in  welche  Lage  hat  er  (Brüning)  mich  doch 
gebracht!  Nun  bin  ich    von    der    Linken 

,     meint 
Leute,   diesen    Gefreiten     gegen    mich     aufgestellt 
haben  .  .  .  Wie  können  Sie  einen  alten  Mann,  der 
trotz  der  Bürde  seiner  Jahre  die  Verantwortung 
für  das  Reich  noch  einmal  übernommen  hat,  jetzt 
in.  Stiche  lassen  wollen,  wo  er  Sie  berufen   will, 
eine   für   die   Zukunft   des    Reiches    entscheidende 
Frage  zu  lösen?  .  . .  Ich  v.äll  endlich  von  den  Par- 
teien unabhängige  Männer    um    mich    sehen,    die 
nach  bestem  Wissen  und  Gewissen  versuchen,  das 
Land   aus  der  entssetzlichen   Krise  zu   befreien  .  .  • 
Sie    waren    Soldat    und    haben    im    Kriege    Ihre 
Pflicht  t,etan.  In  Preußen  kennen  wir  nur  Gehor- 
sam, wenn  das  Vaterland  ruft!" 

Hindenburs  reichte  Papen  die  Hund  —  und 
Papen  schlug  ein.  Schleichers  ..Taschenspieler- 
kunststück"  -  wie  sich  Theodor  E.schenburg  aus- 
drückt —  Mk^rzerhand  den  Brillantring,  der  nicht 
mehr  genehm  war.  gegen  eine  minderwertige 
Imitation  aus  Glas  und  Blech"  auszutauschen,  war 
gelungen.  Zwei  Tage  darauf,  am  2.  Juni,  stand 
das  neue  Kabinett  —  attackiert  sogleich  von  schier 
allen  Seiten. 


Knn/'durdi'-  '  SoTlen^sre"  fdie  Repräsentanten  des  mischen  Parteien  überschütten  die  Behörden  mit 
sfsteZf  vn^g^i^  ganz  zu  Ende  kommen.  Klagen  über  mangelhaften  Schutz  und  mit  Be- 
gann sind  sie  auch  endgültig  überstanden  . ,  .Ich 
weiß  daß  wir  die  Macht  total  bekommen  werden, 
la  alle  anderen  total  versagen"  (zu  Hans  Frank, 
dem  Parteijuristen  und  späteren  Generalgouver- 
neur in  Polen). 

Schleicher  aber  war  und  blieb  selbstsicher  ge- 
nug, um  sogleich  an  die  Reichstagsauflösung  die 
zweite  Vorleistung  anzuhängen,  die  zweite  Bedin- 
gung seines  fragwürdigen  Paktes  mi  Hitler  zu 
erfüllen:  Aufhebung  des  SA-Verbots  (16.  Juni  1932). 
In  den  amtlichen  Erläuterungen  entblödete  man 
sich  nicht,  als  Absicht  der  Regierung  auszugeben: 
Wiederherstellung  der  politischen  Freiheiten^  Der 
Herr  Reichspräsident  habe  schon  gleidi  nach  Er- 
iaP  des  SA-Verbots  seinerzeit  den  Wunsch  ge- 
äußert^ daß  allgemeine  und  gleichmäßig  anzuwen- 

Der  Anschlag  auf  Preußen 

Regierung    einen  der  letzten  Aktivposten  der  Re- 

rubUk   ?ageradezu  das  Bollwerk  der  Demokratie. 

^  Man     aselte  davon,  daß  offenbar  Braun-Seve- 

nicht    mehr    in    der    Lage    seien, 

Preußen   aufreclitzuerhal- 


schioerden  über  den  Terror  der  -  anderen..., 
die  größte  Sicherheit  der  Staatsbürger  beruht  auf 
dem  Verzicht,  die  Sicherheit  der  anderen  zu  be- 
drohen  ...  ,     .  .    ,no.>   1,0 

Allein  in  den  Monaten  Juli  und  August  IBiZ  Ka- 
men über  300  MensÄien  durch  politischen  Terror 
ums  Leben,  über  1200  Verletzte  wurden  gezahlt. 
Einen  traurigen  Rekord  erreichte  die  Preuß^^die 
10.  Juli:  10  ■  Tote  und  an  die  200 
Schwerverletzte.  Am  Sonntag  darauf,  17.  Juli,  ein 
neuer  Rekord,  erzielt  durch  eine  Massendemon- 
stration von  7000  Nazis  in  Altona:  17  Tote.  64  Ver- 
letzte. ,  ,   .  ,.       „11 

Man  hätte  meinen  sollen,  daß  es  Schleicher  all- 
mählich angst  und  bange  geworden  wäre  vor  sei- 
ner eigenen  Schneid. 


ring— Hirtsiefer 
Ruhe   und   Ordnung   in 

fcn    Man  erklärte  die  preußische  Koalitionsregie 
rung    die  dort  lange  bewährte    Weimarer    Koali- 
lung  (oie  u  Zentrum    plus    Demokraten)    sei 

General  Schleicher  war 


zur  nämlichen  ..Koalition"  der  Extremisten  von 
rechts  und  links  gekommen!  Solange  die  Kommu- 
nistische Partei  den  Kampf  gegen  das  Kabinett 
Braun  fortsetzen  will,  hatte  der  Sprecher  der 
NSDAP-Fraktion  erklärt,  .  .  .  meine  Herren  Kom- 
munisten, wenn  es  Ihnen  mit  diesem  Kampf  gegen 
das  sogenannte  System  ernst  ist,  dann  müssen  Sie 
>rhandenen  Machtmittel  anwenden,  die  Ihnen 


-     die  vo) 


tion:    SPD    plus 

nifht  mehr  sicher  genug. 

wirMoißner  bezeugt,  „der  auf  Grund  vertrau- 
Meldungen    sowohl    dem   Reichskanzler    als 


es, 
lieber 


uch  dem  Reichspräsidenten  von  einem  besorgnis- 
erregenden Zusammenarbeiten  der  Sozialdemo- 
kraten mi"  den  Kommunisten  und  Plänen  einer 
Auflehnung  gegen  die  Reichsregierung  berichtete  . 
DU  lieber  Gott  -  es  war  der  reine  Wahnwitz, 
den  S^leicher  selbst  nicht  ernsthaft  glauben 
konnte  Ausgerechnet  Sozialdemokraten  und  Kom- 
munisten! Da  hätte  er  schon  eher  von  Zusammen- 
.^■be  der  Nazis  mit  der  Kommune  sprechen  kon- 
fih-  die  e.  genug  Beispiele  gab.  Und  war  es 
n^ät  eben  jetzt'im   preußischen   Landtag   wieder 


der  Staat  und  die  Ihnen  Ihre  Stärke  in  diesem 
Parlament  bieten  .  . .  Stellen  Sie  den  Antrag  (ge- 
meint war  ein  Mißtrauensantrag  gegen  die  Regie- 
rung) und  wir  stimmen  sofort  zu!  Genauso  ge- 
schah es  -  und  der  Nazisprecher  konnte  so- 
gleich frech  aufbegehren:  ...verlangen  wir 
mit  den  Kommunisten  und  Deutschnationalen  zu- 
sammen:   Kabinett    Braun,     antreten    zur    letzten 

Musterung!  c^  v.,   •  u 

Für  die  Öffentlichkeit  war  denn  also  Schleichers 
interne  Begründung  kaum  zu  gebrauchen;  sie  war 
zu  durchsichtig  und  fadenscheinig.  Aber  was  kam 
es  schon  auf  die  Begründung  an!  Man  hatte  ja  die 
Macht:  den  Notstandsartikel  48. 

(Fortsetzung  folgt)       * 
©  Süddeutscher  Verlag,  München. 


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Das 


Neue  Zürcher  Zeifuvp 


Sonntag,  :,'.  Augiut  1964 


WOCHEN- 
ENDE 


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lT''f>r hrnf n df  33 — 35 
Fernaiisgabe  Xr.211     Blatt  I — 6 


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J'<  rkütidHUfj  ({< .s  (lioJitiiih  n  Kl  icfjttziiafandes  in  Berlin  am  ol.JvIi  injd. 


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i:vgli^ch(S  Wrrbrplak-at  für  firv  Beitritt  zw  Armee.  Grof.ihrilonnirn  hafte  tnii  Irine  aUfinridiir   JVehrppirht. 


ZBjt  Ist  hatt^Q 

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Ilindcnburgs  Kopf  uirbt  in  Dfufsthfnnd  für  Krieij.sanh  Ihm 


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tärisr}i-}»olitijrl)  beunruliigtc,  ^oiiderii  au«h  zu  l^o^ll^t(•n  finanziellen 
Ansstreiigungen  zwang.  Die  englische  Politik,  in  tien  Jahren  1905  bis 
1906  war  erst  recht  von  dieser  Spannung  mit  Deutsrhland  bestimmt. 
Währen«!  Rußland  in  den  Krieg  mit  Japan  verwickelt  und  gleichzeitig 
durch  die  Revolution  von  1905  in  seinen  Grundfesten  erschüttert  war, 
begann  Deutschland,  auf  Frankreich  den  gröfiten  Drtick  auszuüben,  um 
an  der  Erwerbung  Marokkos  teilzunehmen  oder  anderwärts  entschädigt 
zu  \^  erden.  Auch  wollte  c>  Krankreich  den  l  nwert  seines  Bündnisses 
mit  Rußland  und  noch  mehr  der  Kntenle  mit  England  vor  Augen 
fidiren.  Die  neue  liberale  englische  Regierung  ent^chied  sich  jedoch, 
Frankreich  bis  zum  Aeufiersten  zu  unterstützen.  Damals  war  zum 
ersten  Male  die  Rede  von  der  Entsen<lung  englischer  Truppen  auf  den 
Kontinent  zur  Verteidigung  Frankreichs  und  Belgiens,  wie  anderseits 
der  deutsche  Generalstabschef  Gra^  Schlieffen  seinem  militärischen 
Plan  für  den  Blitzkrieg  gegen  Frankreich  endgültige  Form  verlieh. 
Die  von  Wilhelm  Tl.  in  so  arroganter  Weise  üffentlich  propagierte 
«Weltpolitik.>  zielte  neben  dem  Floltenbau  uml  der  Erwerbung  neuer 
Kolonien  vor  allem  auf  die  Ausdehnung  des  «hutsehen  Einflusses  auf 
die  Türkei,  «leren  Lebensfäj^igkeit  «lurch  «len  Bau  «1er  BninlulhnUn  uu«I 
«lie    Entsendung    deufs«her  Ll)ffiziere    erhalt«n    \N«r«len    sollte.    Insofern 


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Aber  keine  von  ihnen  war  an  den  Vorgängen  direkt  beteiligt;  viel- 
mehr war  ihnen  vor  allem  daran  gelegen,  das  Gleichgewicht  der  Macht 
zwischen  den  beiden  großen  Staatengruppen  zu  erhalten  und  sich 
selber  den  Weg  zur  Verfolgung  ihrer  Interessen  in  diesem  Bereich 
nicht  zu  verschließen.  Die  Liebereinkunft  der  Großmächte  konnte  dann 
ohne  allzu  große  Schu  ierigkiiten  den  khineren  Staaten  aufoktroyiert 
werden.  Aber  sowie  einniul  eine  oder  mehrere  (Großmächte  da« 
(Gleichgewicht  der  Ma«htaM>prJiche  zu  ändern  entschlossen  waren,  gab 
es  kein  Mittel  mehr,  den  europäischen  Frieden  zu  bewahren. 

Berlins  Blaiikoclivtk  für  Oeslerreich 

Diese  Situation  trat  l')11  nach  der  Ermordune,  dea  österrpichischcn 
Thronfolgers  viu.  ()b\\<»hl  e^  genug  Kräfte  in  Wien  gab,  die  in  dem 
Ereignis  eine  Hechlferligung  fi'ir  den  Krieg  gegen  Serbien  sahen,  schlug 
die  ö>l«'rreicliisclie  Hegi«'ruiig  den  >cluuTen  Kiws  gegen  Serbien  er^t 
ein,  nachdem  sie  von  Deutschland  am  5.  Jidi  die  \  ersicherung  crbaltt-n 
hatte,  daß  sie  sein«>r  riickhiilllo^en  Unterstützung  im  Falle  <ler  Inter- 
vention Rußlancls  gewiß  sein  könne.  Aber  die  deutsche  Regierung 
gab  OesierreicN-L'ngarn  nicht  nui  diesen  Blankocheck,  sondern  trieb 
es  in  den  folgenden  drei  Wochen  auch  zur  Eile  und  Härte  gegen 
Serbien  an.  Es  machte  wenig  aus,  daß  die  Serben  beinahe  alle  Bedin- 
gungen des  österreichischen  Ultimatums  vom  23.  Juli  annahmen  und 
damit  selbst  in  den  Augen  Wilhelms  II.  der  Augenblick  für  Verhand- 
lungen gekonuneii  war.  Auch  waren  der  Kanzler  und  das  Auswärtige 
Amt  nicht  damit  zufrieden,  daß  die  Wiener  Regierimg  nur  die  diploma- 
tischen B«'ziehungen  mit  Belgrad  abgebrochen  hatte.  Auf  Drängen 
Deutschlands  erklärte  die>e  früher,  als  sie  beabsichtigt  hatte,  am  28.  Juli 
Serbien  den  Krieg.  Am  folgenden  Tag  beschossen  österreichische 
Batterien  Belgrad.  Die  russische  Regierung  deutete  diese  Ereignisse 
als  den  Beginn  einer  Invasion  Serbiens  und  ordnete  die  allgemeine 
Mobilmachung  an. 

Die  deutsche  Regimnig  sah  in  der  serbischen  Krise  nicht  mir  die 
Gelegenheit,  das  Prestige  Oesterreich-Ungarns  als  einer  Ciroßmachl 
wiederherzustelifn,  >ondern  auch  die  erwünschte  (^.hance  für  die  Mittel- 
mächte, die  Verhältnisse  auf  dem  Balkan  im  Einklang  nnt  ihr<'n  eigenen 
Wünschen  zu  regeln.  Daß  Rußland  und  Frankreich  zugunsten  .Serbiens 
eingreifen  würden,  wurde  früh  für  wahrscheinlich  gehalten,  aber  die 
deutschen  Militärs  vertraten  die  Ansicht,  die  russische  Armee  sei  noch 
unfertig  und  die  franzö>i>che  im  Augenblick  nicht  voll  ausgebildet.  Das 
Risiko  einps  KonlinPnlalkricgps  glaubten  die  Deutschen  eingehen  zu 
können.  Sie  waren  der  Meimmg,  England  werde  neutral  bleiben,  vor- 
ausgesetzt daß  Rußland  die  Schuld  zugeschoben  werden  könne,  den 
«lc)kalen»  ö>t«'rr«-ichi>ch->erbischen  Konflikt  in  einen  kontinentalen  er- 
^\  eitert  zu  haben.  Die  politi>che  \hnung.>lo>igkeit  des  deutschen  Reichs- 
kanzlers, der  ernsthaft  erwartet«-,  daß  England  ruhig  zusehen  würde, 
wie  Deutschland  Frankreich  niederwerfen  und  sich  damit  zum  Herr- 
scher de>  KcHitinents  machen  würde,  ist  unbegreiflich.  Trotz  allen 
zeitigen  Warnungen  des  deutschen  Bot>chafters  in  London  hielt  Beth- 
niarui-Hollweg  an  seinem  (j-laid)en  bis  zum  frühen  Morgen  des  30.  Juli 
fc>t.  Zwar  übte  er  dami  einen  ge\^issen  Druck  auf  Wien  zu  diploma- 
tischer untl  militärischer  Mäßigimg  aus,  aber  die>e  Aktion  erschien  vcjn 
Wien  aus  gesehen   im   Lichte  des   Vorangegangenen  wenig  glaubwürdig. 

Vor  allem  aber  kam  sie  zu  spät.  Der  30.  Jtdi,  der  lag  der  russi- 
schen und  österreichi>c-hen  (»eneralmobilmachung,  setzte  den  Aulo- 
malismus  der  militäri.'^chen  Aufmar>rhpläne  in  (Gang,  der  der  Zivil- 
regierung kaum  noch  irgendwelche  Bewegungsfreiheit  ließ,  (iraf 
Schlieffen  hatte  gelehrt,  daß  Deutschland  in  einem  Zweifrontenkrieg 
nur  dann  siegen  könne,  wenn  es  die  Langsamkeit  der  russischen 
Mobilmachung  dazu  ausnutze,  die  französische  Armee  in  den  ersten 
Wochen  entscheidend  zu  schlagen.  Deshalb  sollten  im  Osten  nur 
schwache  Kräfte  aufgestellt  wer«len,  während  das  Gros  der  deutschen 
Armee  die  Franzosen,  durch  da«  neutrale  Belgien  marschierend,  in 
einem  blitzschnellen  Umfassungsfeldzugi  vernichten  sollte.  Dies  hatte 
jedoch    zur   Voraussetzimg,   daß   die   Deuffchen   den   Russen   keine   Zeit 


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/>>  »tschrs  Krirgsflvgzcug  von  1914. 


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Da.t  brennende  Ycrdvn  während  des  deutschen  Angriffs  19 IG. 


Luftl-rkg  1914—18, 


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clor  Kries  Hn  K>r>M:rM^'  für  die  Dcmnkratio  u.ul  ilie  HerrMliaft  des 
nvv\n-  der  freili.h  erst  ii.iternomnien  wur.le,  na(  lidem  I)eut>chlana 
durch  die  Eröffnung  des  unheschräuklon  U-Boot-Kriege,  demonstriert 
hatte,  daß  es  das  geltende  Völkerrecht  von  sich  aus  bestimmen  wurde. 
Auch  fehlte  es  innerhalb  mi.l  außerhalb  der  Regierung  keineswegs 
an  Vmerikanern.  die  mit  Besorgnis  das  Absinken  der  russisciun  Kampt- 
kraft  beobachteten.  Sie  erkannten,  daß  ein  sie4sreiches  Deutschland, 
das  id)er  den  eura<ischen  kontinent  und  den  Nahen  O-ten  (,ewalt 
au.idMe.  kein  Partner  fi.r  Annrika  sein  uürde,  und  sahen  u,  dem 
Krie-eintrilt  Amerikas  wesentlich  <las  Mittel,  ein  weltweites  Machte- 
Gleichgewicht  /u  schaffen.  Und  hierin  lag  auch  unmittelbar  die  tat- 
sächliche  Wirkung  der  amerikanischen  Intervention,  was  immer  der 
ein/eine  Amerikaner  gedacht  haben  mag.  Das  «europäische»  Jahr- 
hundert  wurde  von  einem  «globalen»  Zeitalter  abgelöst. 

Nach.lem  der  Sieg  errungen  worden  war,  wurden  die  Frfahrungen 
des  Krieges  rasch  vergessen,  und  .las  Verlangen  nach  dem  was  die 
Amerikaner  normnlc.  nannten,  das  heißt  die  glücklichen  N  orkriegs- 
zu.lande,  .urde  idurmächtig.  In  n  ieler  Hinsicht  schienen  nach  der 
Be.iegung  Deutschland,  selbsj  .lie  Schalten,  die  i.ber  dem  Kuropa  ihr 
Vorkrieg./.eit  gelegen  hatten,  j^erstreut  /u  sein.  Ks  existierte  kein  (.rund, 
die  englisch-fran/...sische  Enlente  weiterzufiihren,  und  Frankreich  er- 
setzte  die  Allianz    mit   KußlWul   durch   BüudnUsc   mit   eleu   .^iwach^ 


^ 


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Deutsche  Oifensiven 
#Ä::w:«sää^i  Allneitc  Offensiven 


0 

L. 


Ungefähre  Frontlinie  des  Stellungskrieges  1914-1918 

Front  tiei  Abschluß  des  Waticnstillstdndes  am  11,  November  1918 

Landesgrenzen 

bn 


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m  km 


I 

Der  Krieffsverlatir  1»14  - 1018 

A  C.   Der   Erste   Weltkrieg   war   ein   Krieg,   an   den.    siel,   zwar   alle 
Großmä.hte   der   Erde   heleiligten,   dessen   entseheidende   Kampfe   al.er 
allein  in   Europa  ausgefochten  wurden.  Die  außereuropa.sehen  Kr.egs- 
Schauplätze   -    die   deutsehen   Kolonien   in   Afr.ka   und   m   As.en,   die 
Fronten   in   Palästina,   Me.M.potan.ien   und   im   Kaukasus  -   hatten   nur 
periphere  Bedeutung.  Sueht  man  den  gesanUen  Kriegsverlauf  auf  emen 
Nenner  zu  hringen,  so   .Irängt   si.h   das   Bihl   .Xn.r   h.a,ert.,.h esUu^, 
Zi-   die  vier  Mittehnä<hte  Deu.schla.ui,  Oesterreieh-Üngarn,  Bulgarien 
und    Türkei    waren    von    den    in    der    Entente    zusammengeschlossenen 
Aüiierten   Großhritannien,   Frankreich   und   Kußlan,     un.ste  It   und   ver- 
suchten vier  Jahre  lang,  den   King  zu  sprengen,  w^ahrend   d.e  d.e  bec 
wege  kontrollierenden  Aliierten   ihre  Gegner  hloek.erten   und   n.   kon- 
zentrischen  Angriffen   von   West   und    Ost   her   die    femdi.chen    Lünen 
zum  Einsturz  zu  hringen  trachteten. 

Erstarrte  Westfront 

Hauptkriegsschauplatz  des  Ersten  Weltkrieges  war  Franhreich.  IW.jc 
hatten  die  Deutschen  1914  in  ihrem  Ueherrasehungsangnff  durch 
BelgTen  eine  hlitzartige  Entscheidi^g  gesucht.  Schon  en.en  Monat  nach 


russischer     OherhefehMud.er    ahgesetzt;     Zar    Nikolaus   H.     ühernahm 

seihst  die  Fidnung  des  russischen  Heeres. 

Im    Herhst    1915    gelang    den    Deutschen    und    Oesterreichern    e,n 

weierer    Erfolg    auf    dem    Halkan.    Gemeinsam    mit    den    Bulgaren    he- 

Tetzten  sie  in.  Oktoher  und  Novemher  ganz  Serhien  und  zwangen  d.e 
Re  e  des  schischen  Heeres  zur  Flucht  nach  Korfu.  D.e  AI h.erte., 
^  den  hedrohten  Serhe..  zu  Hilfe  und  landeten  unter  Verleg, 
der  griechischen  Neutralität  Truppen  .n  ^^echenlnnd.  \^yc  uu'^^ 
fra../ÖMscl.en.  Ohcko.nn.ando  stehende  Or.entarn.ee  dra,.g  n.s  ^a.dar- 
.l  v^r  wurde  aher  von  de..  Mittel...ächlen  ..ach  Sahm.k.  zurnck- 
:  wo.  -..Ende  19l.>  s.ahilisierte  sich  a..ch  hier,  auf  nonlgr.ech.schem 
Ge  "       die  Fro..t  vu..  der  adriati.chen  Küste  his  zun.  Aegä.schen  Meer. 


Jerdun 


■■*. 


n„r.l.  diese  Erfolge  bestärkt,  beschloß  Falkenlmyn,  nn  Jahre  1 M6 
de,.  K  «  durch  ei,>eV"ß«  OßcnsUe  „„  der  re„/ro,..  ,,«  -'-'"•;;- 
AU  A,..r1fTsp,.„k.  «aldte  er  .He  Festung  .  erdu«  --'-  f '-;;"  - 
Eckpfeiler  der  franzüsischen  Verteidigungslinien.  Wiir  le  hur  ein 
Durchb  uch  erreich,,  so  war  der  Weg  in»  Innere  !•  rankreichs  frei.  Am 
-1  F^vruar  begann  der  deutsche  Angriff.  Er  erziehe  .*ar  einige 
'Anfangserfolge,  blieb  aber  bald  in.  bügeligen  und  schwer  befestigten 
G  lande    vor    Verd..,.,   stecken.   Die   Franzosen    uj;.er_deni  *Coininan,lo 


«aushungern*    sollte.    Trol.    den    Warnungen,    daß   eine   solche   Kr  eg- 
rar  die    letzte    neutrale    (Großmacht,   die    bereinigte,.   S.««.™ Jon 

l„      L  L-,..er  <ler  Ogner  Deutschlands  treiben  wiirde,  entschloß 
Amerika,  ins  l^ager  utr  VTt^n^i  u-,*    11:«  Vrrpini«»- 

.ich   üeu.s,hla„d  am   1.  Februar  1917  zu  diesem  Sehnt,.  »'«  ^"«"'^ 
teil  Staaten  brachen  wenige  Tage  darauf  ihre  Beziehimgcn  z«  De.,tsch. 
,   d  ab    «nd  am  6.  April  1917  erklarte  Washington  Berlin  den  Krieg, 
zählreiche  latcinamerLiiische  Länder  schlössen  sieh  den  Vere.n.g.en 

Staaten  an.  , 

Deutschland  in  der  Defensive 

Der  Kriegscintritt  der  Vereinigten  Staaten  spornte  die  Alllh-rten 
an  der  We-tlront  zu  neuen  Kraftanstrengungen  an.  Die  Deutschen 
käme"  den  Eiglämlern  «n,l  Franzosen  zuvor  und  räiimteu  im  März 
19         len    Frontvorsprung   zwischen   ^rr«.s   und   S,...«on.S  «m   40   K    ». 

Itcr   rackwärts  eine  f -■"--;;':- J  rtS.t  ^O^n^rD 
fast    eleicize  t  g   eine   franzosische   un<t    eint   engii.    .  j 

Briten   -riffen  bei  Arras  an;   die  Franzosen  unter  .hreni  neuen  Obl 
Te     hlsha  "     General  NUelle,  der   im   Dezember  1916  de..  S.ege 
Marneschlacbt,  Marschall   M/re,  abgeh.st  hatte,  au  der  ^.n«  un 
ihr  CAomn„g-  e.  Beide  Vorstöße  blieben  nach  wenigen  Wochen 
ke„     NiveZ  Truppen  erlitten  s«  »ehwere  Verluste,  d^  er  am  1  j 
':: '.einem  V^J.  entfern.  ..n/ durch  den  Sieg«  vjg^rdun    I^ 
ersetz,   wurd<|   Die   allner,e   qjfensiv;ej^"rde   ...^ 
.ect.:_End«^  Juli  grifiV 


1 


<i>««ff»'i>^-^if«m^'iff.l>II.V!f*f<-i^Kf^^^^ 


Britische  Katniifaoi/<a  im  Einsatz. 


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nisrlien  Divisionen,  denen  die  Deutstlien  keine  Reserven  mehr  ent- 
gegenzustellen hatten,  srhwoll  \on  Tag  zu  Tag  an.  Die  deutsche  Front 
wieh  zurüek,  srhriU\veise  und  htngsam  zunäeh-t,  aher  der  Zeitpunkt 
ließ  sieh  voraussehen,  an  welchem  «lie  Alliierten  die  Deutschen  an  die 
(rren/r  d<>  I^'i<hs  /urückgrw  orfen  hahen  würden.  Di«-  deutsche 
Ohcrsle    Heere-Ieituriji    hatte   ilie    Initiativ  «•   endgidlig   verloren. 

Das  Ktiilp. 

Der  Zusanunenhrueh  der  Millelmäclile  hefiaiin  jedoch  nicht  im 
\Ve>t«Mi,  sondern  auf  d<'ni  liulhaii.  Am  lö.  Septeinl»»r  ]<)18  durch- 
fließen die  Alliierten  die  Krönt  der  Bulgaren  nindlich  Sulniiilii.  Zehn 
Tage  später  hat  IJidgarien  um  Waffen>lill>tand.  Die  AIIii<'rten  mar- 
schierten nord\värl>  zur  Donau:  auch  hier  war  e>  nur  eine  Frage  der 
Zeit,  wann  sie  an  der  (irenze  «les  erschöpften  Oesterreich-Ungaru 
erscheinen  winden,  wo  die  inneren  Aul  lösungserscheinungeii  hereits 
eingesetzt  hatten. 

Vier  Tage  na<li  «hin  Ahfall  lJnlgari«'ns,  am  20.  S«'pt«nd»«r  l'M8, 
erklärte  f^iiclrndorff  im  (hulr.«hen  Haupt«piarli«r  de/i  Krip^  für  n'r- 
loren  uii«l  r«u-d«'rl«'  d«'n  -^olortigi-n  \h.-clilu(.»  eiiM>  W  arien-tilUtandes. 
Kilig  wur«h'  in  |)«ul-(hhm«l  «lie  Demokrati>i«'rung  pr«»klamiert,  der 
als  Demokrat  hekannte  l'iinz  Max  mn  liailcn  /um  H«ichskanzler  er- 
nannt und  \«ranlal.»l,  an  «hii  amerikanis«hen  l*räsident«'n  tt  ilsim  «mu 
(»esuch  um  \\  affenstilir-tan«!  zu  ri«  ht«n.  \\  iUon.  «h'r  im  Januar  l'Mo 
in  \  ierz«'hn  Punkten  «lie  n««lingungen  l'in-  ein«n  kind"tig«n  l'ri«<len 
aufg«>t«'Ilt  halt«-,  f<n<l«'rte  (.araiiti«ii  für  eim-  «'chle  D«nnd<ratisierung 
l)<uts<hlan<l^.  I)«r  ihiit-«  h-ann  i  ikani.-«  he  Nolenw««  lisel  z«»g  si«  h  üher 
«h'U  ganzen  ()kl«d>er  1*>]H  hin.  Inzwischen  hra«  h  die  Türkei  zusannnen 
inul  verlangte  VC  affen-till>tan«l :  in  0«st«rreich-l!ngarn  >agt«'n  sich  «lie 
«•inzelnen  B«'\ölkerung,->grupp«-n  \«in  «ler  hahshurgif«  hen  Kr«)ne  los 
und  proklamierten  mjahhängige  K«puhlik«n.  In  D«iils<hlan«l  kam  es 
anfangs  l\ovend)er  zu  Meutvreieii  auf  der  IIochs«efh)tte  in  Ivi«l,  «li«- 
sieh  rasch  id)er  «la>  ganz«'  Lan«l  au>hr«it«'ten.  \m  0.  No\«'mh«r  wurd«* 
«lie  Abfhnikun'fi  des  drutsclwii  Kaisers  \erkim«let  und  D«utschlaml  zur 
liepiihlih  «rklärt.  Am  ll.No\end>er  unt«rzeichn«'ten  «lie  deuts<hen 
Bevollmächtigt«!!  im  .Sal«»nwagen  «h-  alliiert«!!  (»eneralissimus  K«><  h 
im  Vi'ahle  v(ni  dtmpieano  «hu  \\aff«'!!>tillsla!!«l->\  ertrag,  «hr  d«i!  D«iit- 
s<hen  flie  kiu'zfristige  Häiimung  aller  Ije^etzt«'!!  (»ehiel«-  un«l  «len  Hü«-k- 
zug  des  deut>«-h«'i!  I  h'cro  l!ii!t«r  di«-  Bh«'inlini«'  anf«'i'l«'gt«'.  Nach  «Mn«'i- 
Dau«'r  \on  m«'hr  aU  fünfzig  "Nhniat«'!!  ging  «laniil  «h'r  \\  «•ltkri«'g  mit  «I«'r 
militärix-hen  I\ie«lerlage  D«ut>«iiian«l>  uini  sein«r  \  eihündeten  zu 
En«le. 


i^üiiiiiiiiiis'^ 

siWkH  fleiii  Kl 


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Stefan  Zu'pig  i'ihrr  dm    Kriegsausbruch    1014 

Aus:   «.Die  \Wlt  von  gostei'n»,   UiTiiiann  Fischer- V'ei'Iag,  Stoi  klioiiii,   1944 

^  a^  wüßt«'!!  l'MI.  nach  fast  ein«-!!!  halhen  Jaln  liumh-rt  d«->  Frie- 
«h-ns.  «lie  gr«dj«'n  Massen  v«un  Kriege'/  Sie  kannten  ihn  nicht,  hatten 
kaum  je  an  ihn  ge«la«-ht.  Kr  war  eine  Legende,  uml  g«'ra«le  die  Ferne 
hatte  ihn  her«>is(-l!  und  i-oinanti>«-h  g«-n!acht.  Sie  saht-n  ihn  imnuM-  no(-h 
aus  der  Persp«'ktive  «ler  S<-hidl«'sehücher  uml  «ler  Bilder  in  «len 
(iah-rien:  hiemlende  Heiteratta(-ken  in  hlitzhianken  Uniformen,  der 
t()«lliclie  Schuß  jeweils  großmütig  mitten  durchs  Herz,  der  ganze  Feld- 
zug ein  schm«'tt<'rn<l«T  Si«'g«'smars«-h  —  „Weihnachten  sind  wir  wie«ler 
zu  Hause",  riefen  im  August  191  1  «li««  Rekruten  lacheiul  den  Müttern 
zu.  Wer  in  Dorf  uiul  Sta«lt  erinnerte  sich  imcli  an  den  „wirklichen" 
kriegy  Bestenfalls  ein  paar  Gretcie.  «li«-  1866  gegen  Freuß«'n,  den 
Bun«lesgenossen  von  «liesmal,  gekäilipft,  un«l  was  für  «'in  ges«-hwin«ler. 
unhiutiger,  ferner  Krieg  war  das)  gewesen,  ein  Fehlzug  von  «Irei 
Wochen  un«!  ohne  \iel  Opfer  zu  Eijde,  ehe  man  er-t  Atem  gt-holll  Ein 
rascher  .Ausflug  ins  Ronumtische.  efti  wildes  und  männlichem  Ahenteuer 


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JJ.^,■^ll.lL.l.l,«^.l  .J.'.i.J.-.'>.;.U.MJ.i..yyw^' 


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aiulcre  Wei^^lieit,  als  den  Kiiej?  zti  eiiinn  „Stalilbad"  zu  erklären,  das 
wohhälig  <lie  Kräfte  tler  Völker  vor  Erselilaffnnp  bewahre.  Ihnen  zur 
Seite  traten  die  Aerzte,  die  ihre  Prothesen  derart  ühersehwenglieh  priesen, 
daß  man  beinahe  Ln>t  hatte,  ?i<h  «-in  Bein  anipntieren  zu  lassen,  um 
das  {;e.->un<h^  <hn«  h  sohh  ein  kiiiotliehes  Gestrlj  zu  ersetzen.  Dir 
Prievtrr  aHer  Konfe>>.ioneii  woHtcn  ^hijhfall*  nirlit  znrii<kbleihen  inid 
stinnnten  ein  in  drn  (ibor:  manchmal  war  es,  al^  hörte  man  eine  Horde 
Beses>ener  toben,  und  all  diese  Männer  waren  doch  die>elben,  drren 
Vernunft,  drren  formend«-  kraft,  drnn  meiKsehli<he  Haltung  wir  \or 
einer  W  oche,  vt)r  einrm  Monat  no<h  bewundert. 

Jjondon  am  4.    iugnsl    1014 

Au.s  den  «Daily  News»  vuiii  1.  August  1914 

Die  Ben;ei>lerun}i;  erreirhle  \<n-  dem  Burkinpham-Pala-t  ihren 
Höheimnkl,  als  bekaimt  wurde,  dali  d»r  Krieg  erklärt  winden  sei.  Die 
Poli/ei  gab  «lir  Vi  «i-^nng  ans,  man  möge  sieh  »tili  verhaltrn,  um  so 
m«hr     al>     der     König     eine     Beratung     abhi«ll,     um     die     notwendigen 

egs- 


^•y.-y'y'.^iVf^'-^ 


Proklamalionni    zu    unttrzrichnen 


Die    Naibricbt    \on    <ler 


1er    Kri 


erklärung  wurdr  mit  >t«h-misehen  Hochrufen  aufgenomnn-n,  die  sieh 
zu  einem  beläubendiii  (,«s.hrri  steigerten,  als  König  (ieing,  Kiniigin 
Mary  und  der  Prinz  von  \Vale.>  atif  dem  Balkon  er^ehienrn  .  .  . 

\^  e>tminster,  Cbaring  (^ro>s  und  «lir  Haupt>tra(.»<-n  in  der  Um- 
gi'bung  von  \\  «•-tmin>ter  waren  die  ganze  vorige  ^a(llt  g«'drängt  voll 
\on  erregten  Men><lnnma>>en,  die  sichtlich  zu  K\ze>>en  neigten.  Sie 
iU)erlrafen  ^owobl  an  Zahl  wie  an  lärmendem  Bcncinnen  bei  weitem 
«lie  Massen  vom  \  <ntag.  l  «berall  >ah  man  die  briti>ehen  Farben,  und 
die  Luft  war  \oii  den  Tinun  patriotis«  her  Lieder  erfidit.  Der  Trafalgar 
Sijuare   war  fa>t   unpa>>icrbar. 

Vor  der  deutschen  Bot.M  haft  versammelte  sich  eine  feind>elige 
Menge  uml  warf  die  Fenster  ein.  Es  wurde  sofort  »ine  bcMniderc  Mit- 
teilung nach  Cannon-row  ge>chickt,  und  eine  Poli/.eitruppc  zu  Fuß  und 
zu  Pferd  erschun  >chm-ll  auf  dem  Schauplatz,  hatte-  cs  aber  re<  lil 
schwer,  die   Ordiumg   w  ieclerherzu>tellen. 

Offener  Brief  Rowain  Hollands  an  Gerhart  Hauptmann 

Kiscliic'iuMi  im  «.loiinial  de  (Jenevt»  vom  JV).  Aii'4:\ist  J'.»lt 

vidi  habe  nnine  Stinnnc- .  .  .  nicht  «rlndjen,  aU  ich  Ihre  Arnncii  die 
Neutralität   des   edlen    bcIgi.Mhen    Volkes   verletzen    sah.    Dieser   Gewalt- 
streieh  gegen  die  Line,  der  jedes  rechtlich  liddcnde  (;ewis>en  zur  Ver- 
achtung herau>forclert,  liegt  zu  sehr  in  der  Tradition  der  Pcditik   Ihrer 
Kimige  \on   Preid.>en :   er  hat   mich   nicht  id)errasclit.  Wa>  aber  zu  \  ul 
ist,    das    ist    die    Wut,   wc.mit    Ihr    diese    hochherzige    Nation    behandelt, 
deren    einzige^    Verbrechen    darin    besteht,    bis    zur    Verzweiflung    ihre 
Unabhängigkeit  zu  verteidigen  und  das  Recht,  so  wie  Ihr,  Deutsche,  es 
seihst   gehalten   habt   im   Jahre   IBH  .  .  .   Ich   wende  mich  an  Sie   selb>t, 
Hauptmann.    Im   Nanun  Europas,  zu  dessen  beridnnte>ten  Wcntfidircrn 
Sie   bisher    gehört    haben,   in>    Namen    der    Zi\  ilisation.    fiir    welche    die- 
größten    Mäimer    ^eit    Jaln  humhrten    kämpfen,    im    Namen    der   eigenen 
Ehre    Ihrer   clcul>chen    Ha»e    ln>chwcnc-    ich   Sie   und   die-   ganze-   geistige 
Elite  Dcutsc  blancis,  unter  der  ich  >o  viele  Freunde  zähle,  mit  alh  r  Kraft 
die  Stinnne   gegen   dieses  Verbrechen   zu  erheben,  das  auf  Sie   zurück- 


fällt..^ 


Hauptmanns  Antwort  an  Romain  Rolland 

Erschienen  in  der  «Vossischen  Zeitung»  vom  10.  September  1014 


«Krieg  ist  Krieg;  Sie  mögen  sieh  id»er  den  Krieg  beklagen,  aber 
nicht  über  Dinge  wundern,  die  von  die>em  Elemenlarereigni,  unzer- 
trennlich sind...  Mag  uns  ein  müßiger  Engländer  ..Hunnen"  nennen, 
mögen  Sie  meinethalben  die  Krieger  un>erer  herrlichen  Landwehr  als 
„Attilas  Söhne"  bezeichnen;  es  ist  uns  genug,  wenn  diese  Landwehr 
den  Ring  unserer  unbarmherzigen  Feinde  zerschmettert.  Weit  be?ser, 
Sic  nennen  luis  Söhne  Attilas,  macheiVdrei  Kreuze  über  uns  und  bleiben 


/ 


iScit  1917  aetzlcn  die  Alliurlt^i  an  der  Westfront  ran~cncooin  cu»,  vm  dir  drutschcn  Stellungen  zu  erstürmen. 


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•yiKjlf^iffjiftl^jS^j:^;?;!»;^ 


Ein  VcrlcizXcv  wird  aus  dem  Morast  hinter  der  Westfront  geborgen. 


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Gefansenrn  siiifl  mit  einem  Lederstreifen  zusanmiengebunden.  So  mit 
,lor  Linken  (U>  Fran/.«»sen  Arm  parkend,  mit  der  Rechten  krampfhaft 
einen  /erschohsenen  Fahnenmast  mit  der  Trikohire  vor  sich  haltend 
steht  der  Verwundete  stramm  vor  seinem  Kaiser.  «Du  hast  gute  Beute 
gemacht,  mein  Junge!  Wie  heißt  du?»  «Emil  Richter,  Majestät»,  kommt 
die  etwas  zitternde  Antwort.  Der  Kaiser  reicht  ihm  die  Hand  mit 
festem  Druck,  dann  wendet  er  sich  zu  seiner  Begleitung  und  bittet, 
Hilfe  zu  holen,  der  Mann  sei  anscheinend  schwer  verletzt.  Ein  Adjutant 
sprengt  davon  —  und  scImmi  ist  der  Brave  in  die  /itternden  Knie  ge- 
sunken, «hen  neigt  si<  h  <ler  Oherkörper,  und  mit  dem  Gesicht  auf  der 
erbeuteten  Fahne  liegt  er  regungslos.  Der  gefangene  französische 
Offizier  starrt  vor  sich  hin.  Ein  Automobil  jagt  heran,  ein  Arzt  und 
^ein  Gehilfe  siiringen  heraus.  Man  hebt  den  Bewuütlosen  hinein,  setzt 
den  Franzosen  zum  Chauffeur,  der  Kaiser  legt  grüßend  die  Finger  an 
Avn  Helm  —  dann  i^t  er  in  einer  Staubwolke  mit  seinem  Stabe  vet- 
schv<unden. 

Aus  dem  Tagebuch 
des  Chefs  des  deutschen  Marinekahinetts,  Admiral  v.  Müller 

Aus:   «Regierte  der  Kaiser?»  Musterschmidt-Verlag  Göttingen  1959. 

4.  September  1914 

Der  Kaiser  hat  befohlen,  daß  die  Kabinetlchefs  jeden  Abend  bei 
ihm  essen  sollen.  Ehrenvoll,  aber  kein  Gewinn.  Das  Gespräch  ist  immer 
sehr  wenig  auf  der  Hohe.  Blutrimstige  Einzelheiten  von  der  Front, 
wenig  Verständnis  für  den  Ernst  der  Gesamtlage,  der  in  der  Frage 
gipfelt:  Wie  sollen  wir  zu  einem  der  gebrachten  Opfer  würdigen 
Frieden  mit  England  gelangen?  Wie  unsere  Welt^tellung  uns  erhalten? 

13.  September  V)14 

Beim  Gottesdienst  Taktlosigkeit  und  Byzantinismus  von  Pfarrer 
(;üns:  Wir  kämpften  für  den  rrotestantismus  und  wir  seien  das  aus- 
erwählte Kulturvolk,  Erzengel  Michael  usw.  Ganz  im  Kaiserstil  .  . . 

Der  Reichskanzler  und  der  Staatssekretär  des  Auswärtigen  v.  Jagow 
ergeben  ein  trauriges  Bild  von  Unentschlossenheit  und  Pessimismus. 
Sie  sind  sehr  schlecht  über  die  allgemeine  Kriegslage  orientiert ...  Es 
fehlt  alles  Zusammenarbeiten.  Der  Kaiser  versagt  völlig  in  dieser  Be- 

"•^'•'""-  M.September  1914 

Ein  sehr  dramatischer  Abend.  Der  Kanzler  war  mit  beim  Kaiser, 
trat  aber  gar  nicht  in  Erscheinung,  dafür  hatte  der  Kaiser  den  Kopf 
voll  wegen  des  gänzlichen  Versagens  von  Moltke.  Anscheinend  ist  aus 
dem  Generalstab  die  Meldung  gekommen,  daß  es  mit  Moltke  nicht  mehr 
ginge,  während  Moltke  selbst  anderer  Ansicht  ist...  Endresultat: 
Moltke  bleibt  formell  Chef  des  Generalstabes,  Falkenhayn  führt  unter 
Belassung  in  seiner  Stellung  als  Kriegsminisler  nun  als  General- 
quartiermeister  die  Geschäfte  . . .  Der  Kaiser  sehr  deprimiert . . . 

16.  September  1914 

Bessere  Nachrichten  von  der  Front.  Die  L  Armee  soll  Angriffe 
abgewiesen,  die  T.Armee  (Heeringen)  sogar  offensiv  vorgegangen  sein. 
Der  Kaiser  war  am  Abend  besser  gestimmt.  Er  schimpfte  weidlich  über 
Lichnowsky  (Botsrhafter  in  Lon<lon  bei  Kriegsausbruch),  der  noch 
immer  sich  eiid)ilde,  wieder  mit  den  Engländern  auf  guten  Fuß  kom- 
men zu  können.  Er,  der  Kaiser,  würde  keinen  Engländer  grüßen  und 
in  seinem  ganzen  Leben  würde  nie  wieder  ein  englischer  Orden  seine 
Brust  verunzieren.  «Die  Kerle  sollen  auf  die  Knie!»  Der  Kaiser  sagte 
aber  nicht  wie. 

Tagebuch  und  Briefe  eines  französischen  Soldaten 

13.  September  1914   (Tagebuch) 

Hier  ist  Krieg;  hier  betreten  v^ir  den  Ort  des  Entsetzens.  Wir  haben 
die  Dörfer  Frankreichs,  in  deneti  der  Friede  schlummerte,  verlassen. 
Jetzt  ist  alles  nur  noch  gewaltsame/Bewegung.  Hier  sieht  man  die  ersten 


"m 


/ 


gich  vom  Schlachtfeld  his  hieher  geschleppt.  Wie  sie  gefallen,  50  liegen 
sie  da  —  jetzt  schon  stinkend.  Die  einbrechende  Nacht  läßt  uns  nur 
mit  Mühe  ihre  Landeszugehörigkeit  unterscheiden,  aher  dasselbe  große 
Mitleid  umfängt  sie.  Es  gibt  nur  ein  Wort  für  alle:  armer  Junge!  Die 
ganze  Nacht  unter  diesen  Greueln,  dann  den  Morgen  wieder.  Der  Tag 
bricht  an  über  angeschwollenen  Pferdeleibern!  An  einer  Waldecke 
ein  erkaltetes  Gemetzel.  Sie  liegen  da,  ausgestreckt  und  starr,  schon 
schwarz  von  Verwesung  —  und  ausgeplündert:  überall  sieht  man 
offene  Taschen,  aufgerissene  Brotsäcke.  Nichts  von  dem,  was  ihre  Per- 
sönlichkeit ausmachte,  ist  ihnen  verblieben.  Unter  ihnen  Zivilisten, 
deren  Gegenwart  sich  aus  dem  deutschen  Verfahren  erklärt,  franzö- 
sische Geiseln  unter  unserm  Feuer  marsdiieren  zu  lassen.  Wenn  diese 
Aufzeichnungen  jemandem  in  die  Hände  fallen,  mögen  sie  in  einem 
ehrlichen  Herzen  Schauer  erwecken  vor  <U*r  scheußlichen  Missetat 
derer,  die  an  diesem  Kriege  verantworllich  sind.  Nie  wird  es  Ruhm 
genug  geben,  um  all  diesen  Schnmtz,  all  dieses  Blut  zu  verdecken. 

22.  Februar  1915 

Brief  an  die  Mutter,  s;<'srhrieben  am  ersten   Tag  nach   der  Rückkehr  von  einem 

Angriff  auf  die  feindlichen  Stellungen 

Teure,  vielgeliebte  Mutter,  ich  will  Dir  die  Güte  Gottes  und  das 
Entsetzen  auf  Erden  erzälilcn.  Die  Seelenlast,  welche  ich  seit  andert- 
halb Monaten  mitschleppte,  war  der  qualvolle  Gedanke  an  das,  was 
uns  in  den  letzten  zwanzig  Tagen  erwartete.  Wir  sind  den  17.  auf  den 
Kampfplatz  gekommen;  die  umgebende  Landschaft  hatte  keinen  Reiz 
mehr  für  mich;  ich  war  ganz  in  der  Erwartung  des  Ereignisses.  Um 
3  Uhr  morgens  wurde  der  Sturm  entfesselt:  Sprengen  von  sieben 
Minengängen  unter  den  Schützengräben  des  Feindes;  es  war  wie  ein 
fernes  Donnern.  Dann  machten  die  fünfhundert  Geschütze  einen  Höllen- 
lärm,  währenddessen  wir  losgestürmt  sind  ...  Die  Nacht  brach  an,  als 
wir  uns  in  den  eroberten  SteUungen  festsetzten.  Die  ganze  Nacht  war 
ieh  tälig,  um  für  die  Sicherheit  unserer  Truppen,  die  bis  dahin  wenig 
gelitten   hatten,  Vorkehrungen   zu    trelTen. 

Morgens  wurden  wir  mit  ernstlichen  Verlusten  bis  zu  unseren  frühe- 
ren Stellungen  zurückgetrieben;  aber  am  Abend  haben  wir  wieder 
angefangen:  wir  haben  von  unsern  eroberten  Stellungen  wieder  alles 
zurückgewonnen,  und  auch  hierbei  habe  ich  meine  Pflicht  getan.  Ich 
bin  vorgedrungen  und  habe  den  Säbel  eines  Offiziers,  der  sich  ergab, 
in  Empfang  genommen;  dabei  habe  ich  die  zu  besetzenden  Stellungen 
befestigt.  Der  Hauptmann  hat  mich  bei  sich  behalten,  und  ich  habe 
ihm  den  Plan  unserer  Stellung  entworfen.  Er  teilte  mir  mit,  daß  er 
entschlossen  sei,  mich  im  Armeebefehl  nennen  zu  lassen,  als  er  vor 
meinen  Augen  fiel. 

Dann  habe  ich  während  der  dreitägigen  fürchterlichen  Beschießung 
auch  den  Dienst  der  Versorgung  mit  Patronen  eingerichtet  und  auf- 
rechterhalten, wobei  ich  fünf  Mann  verloren  habe.  Unsere  Verluste 
sind  entsetzlich,  die  des  Feindes  noch  schlinmier.  Du  kannst  Dir  nicht 
vorstellen,  geliebte  Mutter,  was  der  Mensch  dem  Menschen  anzutun 
vermag.  Seit  fünf  Tagen  sind  meine  Schuhe  von  Menschengehirn  fettig, 
zertrete  ich  Leichen,  stoße  auf  Eingeweide.  Die  Sohlaten  verzehren  ihr 
kümmerliches  Essen  an  Leichname  gelehnt.  Das  Regiment  hat  sich 
heldenhaft  benommen,  wir  haben  keine  Offiziere  mehr.  Alle  sind  als 
tapfere  Soldaten  gefallen.  Zwei  gute  Freunde,  von  denen  der  eine  für 
eines  meiner  letzten  Porträts  ein  liebenswürdiges  Modell  war,  sind 
tot . . . 

Endlich,  nach  fünf  Tagen  des  Entsetzens,  die  uns  1200  Opfer  ge- 
kostet  haben,  sind  wir  aus  diesem  Ort  <ler  Greuel  zurückgezogen 
worden.  Das  Regiment  ist  im  Armeebefehl  genannt.  Liebe  Mutter,  wer 
wird  das  Unerhörte  der  Dinge,  die  ich  gesehen  habe,  erzählen,  wer 
aber  wird  von  den  sicheren  Wahrheiten  reden,  die  ein  solcher  Sturm 
entdecken  läßt?  ' 

Verdun 


m  m.i ^  mimmrm^.. v.  w.i.i.i  wi  >'m  nv 


w 


Am  11 


.  Novcmher  1918  wird  der  Wo ffcnstül stand  geschlossen.  In  Großbritannien  werden  heimkehrende  Truppen  freudig  begrüßt. 


Et  pourlaiU  notre  artillerie  nous  montre  bleu  sa  terrible  puissance 
par  son  fracas  ininterrompu.  Nous  ne  resterons  point  langtemps  ici, 
car  c'est  le  coin  le  plus  terrible  du  secteur  de  Verdun.  Tons  les  regi- 
nients  qui  s'y  succedent  n'y  fönt  souvent  pas  plus  de  huit  jours;  a  ce 
moment,  si  je  suis  encore  debout,  je  vous  enverrai  une  carte  . . . 

Soyez  persuades  que  ma  facon  de  vous  ecrire  ne  mVsl  pas  inspiree 
par  un  sentiment  de  crainle,  niais  bien  parce  «pie  je  suis  logi(iue  a\ec 
nu)i-meme,  mais  paict«  tpie  dans  cette  fournai>e  rimporlance  de  mon 
devoir  m'apparait  precise  et  cpie  tous  nies  efforts  tendront  ä  Taccomplir 
pour  notre  chere  France,  jusqu'ä  mon  dernier  soupir. 

Chers  amis,  je  vous  embrasse,  permettezmoi  ce  bonheur.  A  bien- 
töt,  et  vive  la  France. 

Brief  eines  deutschen  Studenten  vom  1.  Juli  1918 

Am  20.,  abends  9  Uhr,  geht's  in  die  Stellung  vor.  Ra>endes  Granat- 
feuer. In  v'unw  früheren  Hohlweg  hinein.  Dort  hatten  zwei  Züge  Stellung. 
Der  dritte  Zug  kam  links  davon  einen  Hang  entlang,  ihr  dürft  Euch  da 
nicht  etwas  Grünes  darunter  vorstellen.  Es  gibt  keine  Farbe  außer 
Braun,  Grau  und  Schwarz,  es  gibt  keine  Form  außer  Granatlöchern.  Die 
Leute  werden  in  Löcher  verteilt,  immer  zwei  oder  firei,  ein  Lochvorfi 


Tnnner  ernster  ist's  geworden,  immer  schwerer  lastet  trotz  allen  Siegen 
der  Druck  auf  unserem  Land.  Und  die  ungeduldige  Erwartung  auf  den 
Kampf,  die  ungestüme  Freude,  noch  mit  dabei  zu  sein,  wenn's  gelte, 
dem  Feinde  den  Rest  zu  geben,  die  kann  man  wohl  von  niemandem 
mehr  verlangen,  der  das  Schützengrabendasein  kennt  und  am  eigenen 
Leib  den  vollen  Ernst  gespürt  hat.  Finde  ich  sie  bei  unseren  Jungen, 
so  freut's  mich  von  Herzen;  und  sie  ihnen  mit  kaltherzigem  Spott  zu 
entreißen,  halte  ich  für  Frevel.  Bei  uns,  die  den  Ernst  geschmeckt 
haben,  nniß  an  ihre  Stelle  die  tief  gegründete  Entschlossenheit  treten, 
solange  das  \aterland  in  Not  ist,  für  es  einzutreten  mit  allem.  Der 
Tod  ist  das  Härteste  nicht,  was  einen  treffen  kaim. 

Churchill  über  den  Ifaffenstillstandstag  1918  in  London 

Aus:  Die  Weltkrisis  1916/18.  Amalthea- Verlag,  Wien. 

Es  war  wenige  Minuten  vor  11  Uhr  am  elften  Taj?  des  elften 
M<mats.  Ich  stand  am  Fenster  meines  Zimmers  und  blickte  die 
Northumberland  Avenue  hinab  zum  Trafalgar  Square  und  wartete 
darauf,  daß  Big  Ben  das  Ende  des  Kri/ges  verkünden  würde ...  Da, 
plötzlich  der  erste  Glockenschlag.  Ich /%ah  auf  die  breite  9iraßc  zu 
meinen  Füßen  hinab.  iSie  waiLleeiü^AuL^cm  Pj)rlt 


i 


\ 


Der  General:   Ulrich  Wille. 


Der  Gtntralsiahschcf:  Thcophit  Sprecher  von  Bcrncgfj. 


«■«i^O 


Die  Bedroliuiigreo  der  «cliw 

während  des  Krsteu  Weltkriegres 


ät 


Ton      O   b   e   r  R   t  k  o   r   p  s  k   o   rn    ni   a 


n    d    a    n    t      H  .   F    r   i   c   k 


Im  Augenblick,  da  .irli  rier  Br<rhluß  rlr-  Bu.Mlfsiatrs  zur  Kru?«- 
mobilmachung  un,ern-  A.mrc  /um  fin.f/ig.trn  Male  jähr.  rrMhr.nt 
e.  angebrarl.t,  >irh  darüber  IVrbeuM  baft  /u  ?:.bon.  u  ebben  he.boluui- 
?en  unsere  Neutralität  und  damit  un^ere  Unabhängigkeit  uabren.l  de,. 
Ersten  Weltkrieges  au^ge^etzl  waren.  ' 

Die  mililarpolitischo  Lago  in   der   Jorkricgszvit 

Die    militärpoliti^ebe     Lage    der    Sehwei/    uar    /.n     jenrr    Ztü     <•*"•' 
wesentlieh     an<lere    al>     beute.     Wir    waren     umgeben     ><n.     Mer    (moU- 
mächten.    dtm     deutseben     Kaiserreirb,    (br    n>terreiebi>eb-ungan>eben 
Donaumonarebie,    Krankreieh   und    Italien.   Wir   hatten   aller,  w.gs  kaum 
einen  Krieg,  der  direkt  gegen  unser  Land  gerichtet  war,  zu  befurehten, 
da     abgesehen    von    gewissen    irredentistiseben   Tendenzen    Itabens     ,he 
.ich    allerdings    damals    mehr    auf    die    italienisehspreehenden    (,ebiete 
Oe.terreiehs    richteten,    keiner    unserer    Nachbarn    (;ebiet>anspruche    an 
nn.   stellte    und    auch    ..oMst   keinerlei    Anlaß   /u   scbwerwu  genden    Kon- 
flikten   vorbanden    war.    \\v\u   wir   mußten   mit    der   Möglichkeit   rech- 
nen, daß   in   einem   zentrabV'Päiscben   Krieg  eine  der  kriegfuhren.len 
Parteien   unser   Land    zum    lArcbmarseh  benützen   wollte,  wie  dies   im 
Winter  1813/14   und    noehmall  1813   .seitens   der  lOesterreieher  und   der 
[nsvn    \    ihren   üeld/ügen    g%en    Napoleon    >b^cbg„efübrt   ^^nr.le■    Der 


,bM.    Vrn.een   DeutM-bbrnd.   imd   llalien^  herzu-teUen.  In  der  Tat  ^^u^de 
^on    italienischer  .Seite  >cbon  kurz  narb   Abschluß  des  Dreibundes  vor- 
«e^chlagen,    italieni>cbe     Truppen    dureh     die    Schweiz    an    den    buken 
ileutsehen     Flügel    zu    lran>portieren,    u  a>    je.bM  b    vom    dent>chen    Aus- 
wärtigen      \mt      abuelebnt      wurde.       Trotzdem      kam      der      itabenoebe 
(;eneral>tabsebef   Sale.ta    im    .Jahre    1H9H   und    noehmaU    l'MI2   aul    du-^en 
Vorschlag     zurüek,     der     aber     beide     Male     vom     deutsrhen     Ceneral- 
stal.Hbef    unter    lliuNNci.    auf    un>ere    Armee,    ,lie    <ein    sehr    beacl,ten>- 
werter     Faktor*     ni.     zurückgewiesen     wurde,     lebrigens     hatte     auel, 
künig     Viktor     Kn.anuel     111.   diesen     Plan     al>     «NÜlligen        •'>"!"-     I'c 
zei.bnel.    Im    Falle   eines   krieges   zuiMlun   OeMerreieh   uml    Italnn   war 
,lie    <,efahr    einer    Verletz.mg    unserer    Nentraliläl    gering.    (>e>terre.<h 
hesaß      zwischen      Süd.irol      und      dem      (^df      von      Triest      genügend 
leistungsfähige  Operationslinien,  um    nicht   in   Versuchung  zu   kommen 
,|en   mübsa.nen   l  n.ueg   über   unsere   Bündner  Pässe  einzuschlagen    und 
auch  für  Italien  hätte  eine  Operalii.n  über  nn>er  Gebiet  zu  emer  dur<  h- 
aus    exzentrischen    Aktion    geführt.    Inunerbin    >sar    in    «beser    l  ins,,  h. 
Vorsieht  -eboten,  .b.  die  irre.lentistisebe  Forderung  nach  Lnnerle.bung 
mindestens    von    Teilen    (Manbündens    vielleicht    doeb    zu    einer,   strate- 
gisch   gesehen,    unrentablen    Unlernebmung   fidiren    konnte. 

Die    größte    (;efahr    für    unser    LanW    bedeiMete    jedorh    die    scharfe 
iV. ...rU.d    ,,,i.J..-n_l).uis«bh.,ul    UM.L  l:i:iLUav.eirb.    Toter    «bn    T.an 


voraussichtlich  seine  verhältnismäßig  sebwache  Armee  n,  sen.e  Festun- 
.en  zurückziehen  würde.»  Zweifellos  bat  also  die  hohe  Ln.schatzung 
unserer  Armee  bei  «lieser  Fntseheidung  eine  große  Rolle  gespielt. 
Heim  Besuche  Kaiser  Wilhelms  IL  bei  un.sern  Manövern  im  Jahre 
V)V>  mochte  sicher  der  Wunsch  des  deutschen  Monareben,  sich  per- 
sönlich von  der  Leistungsfähigkeit  unserer  Armee  zu  überzeugen,  von 
wesentlichem  Einfluß  gewesen  sein. 

Auch  Frankreich  bat  sieh  intensiv  mit  unsern  Vork.bren  für  dcT, 
Sehutz  unserer  Neutralität  befaßt,  wie  besonders  tier  seinen,  im 
(ieneralstabswerk  veröffentli.  hten  Aufnnux  hplan  beiliegende  INach- 
,i,.|,„.„plan  beweist.  Folgende  wichtige  Fragen  hatte  der  Nacbricblen- 
Wienst  im  Mobilmachungsfalle  zu  beantworten:  «Welche  1  ruppen  über- 
wachen direkt  die  französische  (irenze?  Welche  Truppen  besetzen  das 
Basler  (iebiet?  Welche  Truppen  stehen  auf  der  Linie  Neuenburgersee- 
Aaretal  insbesondere  in  der  (;egend  von  Yverdon  und  sn.llicb  davon, 
von  Oben,  Brupg,  Winterthur  uml  Zürich?  Deuten  Anzeieben  darauf- 
hin daß  sieh  der  sebweizerisebe  Aufmarseh  einseitig  .neu-  gegen 
Deutschland  oder  gegen  Frankreieb  richtet?  Wo  errichten  die 
Schweizer    Befestigungen'.''» 

lieber  Italiens  Studien  betnffend  unsere  Neutralität  orientiert  ein 
Buch  des  italieniseben  Dberbefehlshabers  im  Kriege,  des  Marsehalls 
Cadorna.  In  einem  besonderen  Kapitel  über  diese.s  Problem  fuhrt  er 
aus  daß  eine  Operation  dureh  die  Schweiz  für  die  Italiener  wemg 
Vorteile  bringen  könne.  Hingegen  wurde  italieniselurseits  mit  der 
Mö.nicbkeit  einer  deutsehen  Operation  durch  die  Schweiz  gegen  den 
P.üeken  der  eigenen  Armee  gerechnet,  (.adorna  bemerkt  dazu :  .Die 
(;ewißheit,  daß  die  eidgeuössisehe  Regierung  und  das  Schwe.zervolk 
die  Aufreebterhallung  ihrer  Neutralität  um  jeden  Preis  durchsetzen, 
i.t    für    Italien    die    absolut    notwendige    Voraussetzung    der    w-iMteren 


/' 


i■|jX^^^lHly.Tl^^a^■:<^^!Ww^Ma^^<l»li^ 


iyMMi»qT.ty,»y»'*,^»y,y/j.>/ft5»«'/v^<y»j_yi*w !JW>^ 


I>?«  von.  Hanns  In  der  Gand  im  Lud  hcsuntjcnc  «Gilberte  de  Courgenay» 


Der  Bundesrat    brl   dtr    Trupin 


Ullis    in    /iril    lluiuhsrol    Scji iijtln  ss.    roro'    in    <l' r   MHIr    in    l-niform    drr    ]\n-öt>  In  r   <li  s   il ilHiirdi  imrl'  wrnt.'f, 
ßundcurat  Dciopi»  (.  H'i  ih  r  KcIiL-idit  Hundib-rätc  Mölln,  Jlojj'ntann  xrid  Forr(  r. 


/ 


Avierler  vorkommen,  ^^io^^ol^l  dir  Staat>manner  der  IumJcii  !i;rc;np- 
rischcn  Blörkr  mit  Riirk>irlit  auf  die  uiij^rluMirrn  (»ofahren  tlo  Ein- 
^atzcs  von    ISuklear>\ äffen   >i<lMT  einen    Krieg   /u   vermeiden    wiln^<•h^n. 

Schon  bei  Kriegsau>hrii<li  waren  wir,  ohne  e^  7,u  wis.son,  \on  finer 
>>ehueren  (/»'fahr  hedroht.  Dir  fran/ö>i>(lir  irrrr<'>leitnn?  hattf  offni- 
bar  wrnij:  \rrtraurn  in  nii^rrn  Wilb'n  oder  un.»ere  l'ähi;j;keil,  auch 
eine  ränndieh  unbedcntrndf  \  erh'tzung  unserer  Neulraliltit  /.urin-k- 
zuwei^en.  iJi«'  \Vei>nn}ien,  nach  denen  der  fran/ösi.>rhe  Aufmarseli 
des  Jahres  1914  dnrrhfieführt  wurde  (^ogenannter  Plan  XVII),  ent- 
halten nämlieh  eiiu-n  Auftrag,  der  eine  Verletzung  unseres  Terri- 
toriums in  sieh  sehlof3.  Die  «In.struetion  {larticuliere  pour  la  l'"^  armee», 
der  Armee,  deren  Operati«nisraum  im  Siuh'n  an  «lie  Sehweizer  (»renze 
stieß,  legte  fest,  dali  eine  Armeeabteilung  so  bald  wie  möglich  in  das 
Oberelsaß  einzu<lringfn  habe.  Aufgabe  dieser  Armeeabteilung  vsar  es, 
deutsche  Truppen  anzugreifen,  die  versuchen  scdllen,  aus  den  West- 
atisgängen  der  Vogesen  zu  debouchieren.  Daini  heißt  es  >\örtlich  >Nei- 
ter:  «'Daneben  wird  sie  sich  Ix'nüihen,  «h'n  deutschen  (badis<-hen,  d<'r 
Verfasser)  Bahnhof  von  Ua>el,  die  Briieke  \on  INeueidmrg  am  Hheiri 
und  alle  andern  bestehenden  oiler  in  Krriehtnng  befindlirhen  Hheiri- 
ül)ergänge  zu  zerstören.»  Diese  Weisung  schrieb  also  einen  Hand- 
streich auf  den  auf  Schweizer  (iebiet  gelegenen  Badisehen  Bahidiof  in 
Kleinbasel  vor.  Freilich  sollte  die  Auslösung  erst  auf  Befehl  der 
Obersten  Heeresleitung  erfolgen,  aber  immerhin  bestand  der  Auftrag 
ohne  jede  Einschränkung  und  wurde  im  selben  Satz  mit  Zerstörungs- 
aufgaben auf  deutsrhem  Obiet  genannt.  Zweifellos  befürchteten  die 
Franzosen,  daß  die  Deutsrhen  im  Badisriien  Bahnhof  Truppen- 
ausladungen vornehmen  könnten,  und  dies,  oliJfclei«!!  außt'rbalb  unserer 
Grenze  die  Unigehungslinie  Weil-Leopoldsh«^he  bestand.  Dabei  rech- 
neten   sie   offenbar   mit   der   Möglichkeit,  daß  Vir   gegenüber  einer  sol- 


Mgebot  der  Divisionen, 


•»kSlMRÜNM 


Kriegs- 
Mobilmachuiig« 


Sf^ßmM 


MobaisaUoii  de  guerre* 


Ise  snr  pied  des  divisions. 

j„  BM*«ii««t*  A»  f©rtWk}«««»«  •»  40m  troufttm  «r«rt»»*»  Indlqu*«« 


S  ft'«»e  ft»  wtfnft  »^>rArm  *>  mtsrltf  ^»«iin«!» 


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Mobttitaztofie  <ß  ^uerra« 


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Ghiamata  deUe  divisioni 

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Trotzdem  sei  die  Anneeleitiing  zeitweise  unter  das  Minimum  an  Trup- 
pen, die  das  O^vissen  als  notwendig  erklärte,  herahjjepangen.  Dann 
sagt  d«'r  (.eneral :  «Der  vollen  Verantwortlirhkeit,  wenn  eine  Katastrophe 
eintrete,  ^\ar  i<  h  mir  dabei  Inwnßl,  ir|i  tal  es  trotzrlrm.  awü  nur 
dadurch  weiterer  <;efährdun5:  der  Armee  und  ihrer  v^rhlajikraft  «lurrh 
die  allgemeine  Unzufriedenheit  ührr  die  lange  Dauer  dr>  (,renz- 
dienstes  und  seine  Folgen  für  da.>  wirt;diaftliehe  Leben  zu  be- 
gegnen  war.» 

Ende  1916  nahm  die  Gefahr  einer  fremden  Intrr-,  ention  \\ie«ler  ein 
sehr  drohende>  Ausmaß  an.  Im  franzö^i^^•||en  (»roßen  Haupt<|U{irfier 
tauchte  die  Befiinhlung  auf,  Deutschland  wolle  durch  die  Schweiz 
hindurch  Italien  in  den  Kücken  faihn.  An  der  l\<iriferenz  zu  C^hantillv 
(15./ 16.  >o\end.er  l')]6)  wurden  Maßnahmen  dagegen  luruten.  Dabei 
wurde  angenonunen,  daß,  nenn  der  deut.-^che  Ueberfall  gelinge,  binnen 
24  Stunuoi  (!)  drei  bis  vier  «leutM-he  Divisionen  im  \u>lad«iaum  ^ü<l- 
lich  der  Al|>en  eintreffen  kömUen.  So  die  Schweiz  zu  benützen,  sei 
möglich,  denn  >ic  sei  ohne  jegliche  \  erteidigung.  Zwar  werde  ihre 
Armee  -oforl  mobilisiert  werden.  Aber  konnte  diese  Mobilmachung 
rasch  genug  geschehen'.''  Uebrigen^  g.he  es  bei  so  folgenschweren 
Lnternehmungen  nicht  an,  in  die  eigene  Rechnung  fremde  Vierte  ein- 
zusetzen, «leren  Gewicht  noch  nie  auf  der  Vt  aage  des  Ge?cheliens  ge- 
legen  habe. 

In  der  Tat  standen  im  Dezember  1916  an  der  ganzen  Nordwe-tfroni 
nur  II  Bataillone.  Die  Folgen  duser  schwachen  Grenzbesetzung  und 
der  daraus  ent-pringeiiden  französischen  Befürchtungen  blieben  nicht 
aus:  /uniichst  gingen  Meldungen  über  deutsche  Truppetumsanunlungen 
im  F^lsaß  imcl  über  französische  in  der  (hegend  von  Montbeliard- 
Be.sancon  ein.  In  der  französischen  Pre-se  erschienen  zahlreiche  Arti- 
kel über  einen  be\  orstehenden  Einmarsch  der  Millelmächte  in  die- 
Schweiz.  Französische  Kapitalien  wurden  aus  deutsc  h>cliweizeris<  hen 
Banken  nach  Genf  und  Frankreich  zurückgezogen.  Deutschlaml  blieb 
die  Antwort  auf  die  französischen  Verdächtigungen  nicht  schuldig  und 
ließ  durch  seine  Presse  mitteilen,  die  ganze  Art  des  Pressefeldzuges 
der  Entente  deute  auf  eigene  schlinune  Absichten  hin.  So  begann  jede 
der  beiden  Kriegsparteien  mit  der  \  «rletznng  unserer  Neutralität 
durc-li  den  (Gegner  zu  rec-hnen. 

Französischerseits  wurde  ein  umfassender  Plan  zur  Miwebr  einer 
deutschen  .Neutralitäls\  erlelzung  ausgearbeitet.  Drei  Armeen,  nämlich 
die  Armee  de  Belfcnt,  die  Ärmere  du  Jura  und  die  Armee  de  (ienexe. 
die  zusannnen  die  «(rronpe  d'armees  d'Helvetie»  bildeten,  sollten  nach 
detu  sogenainitcn  ^Plan  H.  an  die  Schweizer  Grenze  transportiert 
werden.  Als  Oberbefehlshaber  war  loch  \orgesehen,  cles-en  Stab 
die  Dperationen  in  allen  Einzelheiten  vorzubereitcfi  hatte-,  /uar  scdite 
Schweizer  (iebiet  erst  bei  \  erletzung  unserer  .Neniriilität  durch  die 
Deutschen  betreten  werden;  inunerhin  wurde  der  Auslad  nou  Truppen 
auf  Schweizer  (»ebiet  geprüft. 

Die  Armeeleitung  gab  sich  Reebensc  hafl  über  die  drohende  O- 
fahr  und  war  sich  darüber  klar,  daß  die  zurzeit  im  Dienst  steheiulen 
Trupjjen  zu  deren  Abwehr  durchaus  nicht  genügten.  So  wurden  elenn 
am  17.  .Januar  1917  elie  nicht  bereits  im  Dienste  stehenden  Truppen 
«ler  I.  Divi-ien»  sowie  die  ganze  2.  urni  .').  Division  aufgebctien.  'Das 
Aufgebot  machte  im  In-  und  Ausland  den  besten  Einebnek.  weil  e- 
sehr  richtig  als  Beweis  tlv,.  entschlossenen  Vi  illeiis  der  Schweiz  auf- 
gefaßt wurde-,  ihre  Neutralität  unter  alle-n  linslänclen  zu  \  crteieli<;en. 
Mit  dem  Bekanntwerden  des  Aufgebotsbe-Nchlusses  legte-  sich  alsbald 
auch  die  Aufregung  im  Lande;  eler  Feldzng  der  französischen  Presse 
hörte  sehr  bald  auf»    (Bericht  des  Generalstabschefs). 

Damit  war  diese  große  (/cfabr  abgewendet;  in  der  Fedge  trat  eiiu« 
Bedrohimg  elie  scs  Ausmaßes  nicht  mehr  ein.  Inunerhin  wurde  der 
französische  Plan  H  n«<  h  bis  in  das  Jahr  1918  weiter  bearbeitet  und 
ver\ollkonuunet.  '"v^ 

LchrCfi  für  die  Zukunjt 

Die  intensive  Bcschäftiamg  der  (»eneraUtäbe  unserer  Nachbarn 
mÄi    dpi\    «rhwc-i/rris»  In  ri     \e\itralität    schon     iti    den    .lahren    \or    «lern 


'ö 


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Zur  i  (  bi  ra-üihtinu  d'  r  tSchti  tu  iiiti  //*    inal  :iir  Jhi'-,  i,,-  ron  Snhuh.uri  n  irurdi  n  dir  JltilDitniu,  sli  llt,  it  }i,  u-oft  m  t. 


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m-en    f^^l>l>'-^- "^J^ÄJ:^  .hTfälu.   oder   «iUen, 

„erde  und  dali  w,r  zu  -f ;  .'^^  „.^f;,,:,^.»  Of.!"-  -'«'"  "'" 
„ien,  «.wie  d.e  •»-»"ji  ^«'^^X"  le  ""-re.  Volkes  und  die  Kriegs- 
voller  Deull..l.Ue,l,  daß  .Ur  Wehr  ,.,,,„„        „.„erer    Neu- 

türhligkei,    unserer    Arm-e    für    -^^ J^  ,^^  Bedeutung  .inJ.   W.e 

.r.lUä,  und   ^'»'■^»;,^:;:\r  ,:::.':;' La,,de.ver.eUn,un,  aueh  in. 
scliun   im   Lr^len   »•1"^"''"  ^  ,      ■      j;,       „|J,.  Kalaslr«|.l>e  Innein- 

gerissen  >Nurden,  die  alle   \oiKtr  u,„wW-.m  liunr 

M«,e  der  1.  Au....  der  d.e.e.  Jahr  nie  U  ;;;;;;';,;"^  «::;:,■:,.;,''  U... 
der  alten  Kid,en.,..en.  sondern  -■;',;;,;",,..„,  ,.,.,.ren,  Noik 
„ahruns.,.rol.en  unserer  ".<■•"•"•"':." ^'J,  f ;  ,  „„J,  Vaterland  ein 
.ieder  leld.af,  .un,  Be.ußt.e.n  »>  '^'-  :;,,,,.  ,.  „„,  „,.„,,.,„  au,- 
„„gelnoehener    * -1'-  '•'    7''      ..,',:,    Ua f ige    Arnux    he- 

Wahlspruch:  Wehrhaft  und  frei. 


■oftff^ 


SS^^isSHSäSEiäE^^^ 


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41 


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1  unser  feiges  Ausweichen  damit  b^ründ.n  Hura.n,  daß  d.r 
-^.^enunn   der  deutschen  Bahnverwaltung  se..  Welch  schwere 
;»rch    diese    Weisung   für   uns   heraufbeschworen   wurde     hegt 
hand.    Eine    einzige   falsche   Nachricht   konnte   zur    Auslosung 
llstreichs    füliren,   der   wold    sogleich   auch    deutsche   Verbände 
Lreifen    veranlaßt   hätte.   Unter   diesen   Umstän<len   wurde   s.ch 
Ju.f  w<dd   bald   über  das   Kleinbasler  Gebiet   hinau.   ausgedehnt 
r.Md  wir  hätten  den  Krieg  im  Lande  gehabt    W ebbe  Bedeutung 
fn/ösische    Heeresleitung    dem    Badischen    Bahnhof    »»«ma«^  -•- 
,ch    aus    dem    Bericht   «b's    fran/.ösiMben    Militärattaches   .n    Bern 
i„e    Unterredung    n.it    .lern    Chef    des    Eidgenössischen    M.  Uar- 
Iments    und    den.    (;eneralslabschef   v.  hprechcr   am    28.  Jul.    1914. 
flilitärattache    teilte    n.it,    Frankreich    wer<le    d,e    schweizerische 
dität    respektieren,    hingegen     mmbte    er    wissen,    w.e     s.ch    d.e 
l'iz    im    Falle    der    \  erlet/u..g    ihres   (;ebiets   durch    deutsche    rrup- 
Lu    Prunfuler    Zipfel    oder    bein.    Badiscben    Bahnbof    stelle.    Ls 
l    dan..    in    de.n    Bcrid.t:    .Der    Chef   des    Militärdepa.tements   und 
(;eneralstab.cbef   haben    in    aller   Forn.   erklärt,  die   ^^^T^^l 
■r.    mit   allen   Mitteln    einer    Benüt/ung  des   Bad.schen    Bahnhofs,  und 
Fre   es   auch    ..nr    /u.n   Abstellen   von   Transportzügen,   sow.e  der  Ne.-- 
Jt/ung    des    IVu..truter    Zipfels    durch    Deutscblan«!    w.der.et/en.    \h 
liesbe:ügli.he„    Erkläru..gen    waren    ab.olut    kategor..ch.>    Aber    au,  1. 
'las    senile    ..id.t,    um    die    f.a,./.«siscbe    lleeresle.tung    zu    heruh.gen. 
Erlt    eü^  Woche    später,    am    4.  August,   widerrief   Joffre   den   Auftrag 
zur  Zerstüru..g  de..  Badischen  Bahnl..»fs. 

Der  Umstand,  daß  sich  die  cnt>cbeide.ulen  Opcationen  in  Belgien 
und  Nordf.ankreicb  abspielten,  brachte  uns  eine  geuisse  Erle.cl.terung; 
die  (;efabr,  in  .Un  Krieg  hineingezogen  zu  werden,  ver.n.nderte  sn  I  . 
Auch  der  k,ieg.eint.  iU  Italiens  ä..derte  die.e  Lage  ...cht  wesentl.ch 
da  sich  die  wichtigsten  Kän.pfe  gegen  ücterrcch  an.  Im.uzo,  al-o  ue.t 
von  unsern  (irenzen,  abspielten. 

Allein,   nun   drohte  eine   neue  Gefahr,  und   zwar   in   un>enn   eigenen 
Lande.    Sehr    bald     griff    in     unserer    B-'»»»^-""?^    -^    S"^'-*'    ^"/.f; 
losigkeit,    ia    sogar    eine    <  igentlicbe    Mil.tärmud.gke.t    u.n    s.ch.    Mehr 
:„  ,  mehr  lurd:  die  a..geblicl.  allzu  g.oße  Zahl  der  .m  !>•---  -;•- 
den    Truppen    kritisiert,    und    n.an    hürte    sage,,      daß    <aler    \  ater    an 
,ler  G.enze  „Bockli   gun.pet",  währc.d  die  Fan.il.e  zu  Ilause  hungert.. 
Diese  Stimn.ung  w..rde  weitgehcd  durch  die  wi.tschaftl.chen  Seh.  e- 
ri^keiten    zahhe.cber    Webrmänner    infolge    des    la..gen    Akt.vd.enstes 
u.:d    des    entsprechcnlen    Lohnausfalles    hervorgerufen,    ^^er    Verfasse 
hatte   sich   als  Kompag..iekom...andant  mit  einer  ganzen  R-«;;-^^«{^^^^^^ 
Fälle   zu   befassen.   Zu.n   Glück  haben   sich  wahre..<l   des  Zweiten  Welt- 
kriege,   diese   ErscheinuMge,.    da..k   der   zu   dessen    Beginn    eingeführten 
Lohn-  u..d   Verdienstersatzordnu..g  nicht  mehr  w.ederbolt. 

Die  Arn.eeleilung  trug  diesen  Verhältnissen  na^h  Möglichkeit  Rech- 
nung  und    schritt    zu    starken    Hednkli.men    <ler   aufgebotenen    I  rnppen. 
n:..eral    Wille    sagt    .n    sei..em    Bericht    i.ber    den    Akt.v,he.,st,   er   habe 
aU   Leitpru.zip   gehabt,   nicbt    .nel.r   Truppen   unter   •»;"   ^^  f ;'' j;'      ^  j 
ten,  als  du.ch  die   Kriegslage  geböte,,   ersch.en.  Sehr  bald  habe  er  a..   I 
die  Ueherzeugnng  ge.o.n.en,  daß  es  ...<ht  im  l.>.eresse  -gende.nes  de 
kriegführenden    Nachbarn    gelegen    sei,  ()perat,o..en   über   unser  Geb.e 
zu  unternehmen.  «Aber  diese  Ansicht»,  fährt  er  fort,  .d.e  wahrend  der 
ganzeTKriegs<lauer   in.n.er   gleich  bei   mir  vorhanden  war,  berechtigte 
ni  ht     die   Mr.glicbkeit   des   einen   wie   des   andern    - J-f"-;^   --«' 
d^  mehrere  Male  die  Kriegslage  derart  war,  daß  die  Mogl.chke.t  sehr 
den    (Jiarakter    drohemler    Wahrscheinlichk.it     a,.nahm      un.      da    d.e 
MiUtärat.aches    der    miteina..der    kriegfül..en<len     Nachbarn     bestand.g 
uns    auf    die    von     ihrem    (.gner    .m.    drohende    Gefahr    aufmcksan. 
machten,     sich     ..ach     un^er..     \  orkebien     dagege..     erkund.gten      d.e 
Bereitwilligkeil    uns    zu    helfen    e.klärten,    ja    sogar    sehr    deutl.ch    an- 
deuteten,   daß,    we..n    v^ir    nicht    imstande    .ären,    u.isere    '«-    ^';;^; 
deckende  Grenze  zu  schützen,  sie  gezwu..ge,.  ^^aren,  emzun.ar.ch.eren.. 


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^  .)»k.A.<.v~v  '.'*;.  ^  <  A'X^'.*y»v   VW  ♦wy  t»i«<Ba<K<»>.w  v«fy4»A 


,  «VAV>. .  y  />-«;*>.   aw.  '  >Av    !■>  yi."   <■>■  v>»>:  <•' 


'   ^AAM  ■» 


..**■'  -yt>  ;'»o  »i  ■^t'**- 


■*^«*:  ' 


/;o.s  Aiifflchot  zur  Kriegsmohilmoeliung. 


Roi.rudnUtioiHMi  :    Scliw  ei/orixhe    Lan(le>bil)liothok 


Aufruf 


an  das 


frijmeljeruoUt. 


'•••> 


Getreue,  Hebe  CidgenoFfen! 


X«  t!««kA 

ti<>tr»K  tf»*i(f  «i*«i«i«  ««(«et  t'ptitit  n«ttt»  uiiwr« 
iMtvfttofl»»  Mi  m  iaat  »et  iKttfihUieMlt»  iUntii«  «*«• 
tutkx  ttn^  !Ki4rr  ••<tll<lit»i«t  Uratta(t«4«  «ti»«)|<-tK. 

»»t»m  <l»»«itT<tai«t  «t'.c  «tili«  finittfjJioi  HU»  «Uc  tVftt  S» 

««(«if»  >>«tf  «fcri  M  «>r  sftitlKr.t  ■gut««!»  <ivi««ti(!i. 

«r.  «PSKii«,  i»i  «t  «t  1  »"''it.  «ifärt}»»*ll«< 

«v!  CKtKWtiii  «1'«  tt«*,  «SttorrÄi««.  >«!(  Kit'  *^ üfi« 
h-tl»  t<tt!*(  tiK,  V(»it.  !»■»«  ■i>i(!vft,n*r  *U;1   i>i>t>  V.'t6ni 

ijKsi»!,  ««Wut!  «litc»  Uelmjrtt««  m  kKilHcnV.«  '•f^iit'W 


>li!*cr;>ffti,tt«  »«(■■  Jofttt»'!  «»rk«»,  »It  eitfc«  «».  tnir*  W« 
Rilltet»«  Wit    (mwlit  «iBf  -«uit  liiti^  l'eiuRSO'.fwU.    'fkr- 

naac   »tf  tri*  -^tOMiX«.  >1t   t!l   »Mi-«    tllOKttflt   l;)^!;  »«* 
l»ftt:>    HmK*«    ii>tlS  Itllltfi    »Nil!««   »l:i>  ««rt   *f:f    »i<  ?>«(• 

^^t>t,   flV.   5i>»  »1«   «i*»   «IP.(»«ft  tl'   iT'':<l!<'«i>Ci"«   U>  «IvStr 
rv'«t  6r<uWffi  un>'4at  »a-;  ^a  »«(  *V*t  (teil  *iä 

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i>d)ft<iittat)ii 


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Aiifrtif  d<s  lhinilt.sial<  ■-<  i<hii  ■',.  .In/jusl   191  f. 


Schweizerische  Eidgenossenschaft 
Conf^deration  Suis»«         Conf«d«faztone  Svlzzera 


Brotkairte 


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Carte  de  Patii  -  Tessera  dei  Paiie 


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fittitia  99m  1.  htf  30.  im\  tsts 
VaUbie  dtf  f«'  an  30  fain  n\$      Vtlf ye(e  4ai  f«  si  39  GiWPS  1519 

R«Hoa;     Br«t  180  K  pr«  T«x.  tol«l  ♦  kt  ^  .*^      „ 

IHchl  SIS  f  mr«  M»s«t:  «ettftfe  746  f  «a  Steile  vq«  iMf  f  i}r«t 

Ratid«      Paln  3W  jr  fWf  i««r.  •«  »ot«l  «  k|  ,        ^ 

Ptriwe  515  I  p«r  «ahi;  7^0  *«tr<$  rr«at«e»  p««ve«i  Ifire  okte»«  «h 

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S'arng  unit  Vornamt 
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Her  Ilirics:'«»ift!»«brii€rli 
in  lii«tori!«cli-i>oliti«cher  ^»ielit 


\'on      Hajo     Holborn 

Der  «Cauchomar  des  Coalilions» 

AU  am   Narlimillas  fies   l.Aujiust    lOM   «Irr  .I."ut>.li('    liol-rliaftrr   in 
St.  Potersburtr     «Irin     rn>si>r|ini     AuI.m  innini«!«r     «li«-    «ItulMlu-     krnjis- 
erkläiuns    iilMir.icIiti-,    ♦mhKu-    «las    .ji.hihinMitrl    «Ur    li.Mh>lfn    ruropü- 
i,(hen    kialt.-ntfullnnji   nn.l   Marlil>lrllnM}i.   Dm  alUrnninrn   Kri.j.'.  «I«r 
jclzl    befiann.    Iiallr    Kniopa    >.il    «Im.    Wi«n«T    Kiie«l.n    «iliicklich    x.r- 
niieilm,  oI.xnoIiI  »li«'   M«lli«MlrM  .Irr  FritMlfnssirluMuns  Ni«l  /n  xviniMl.rn 
ijbris     li«'ü«n.     Di«-     Jiröülr     \  rriin.lrrun?     «I«'r     .'nropäi>rl.m     h  ii.-.l«M.>. 
onlnnn^     xon      1813     uar     «l«r      \nf>li«";i     |»nul.Wn-D«'nt>.hlan«ls     unttr 
BiMnan'ls.    Die    Giinnlun?    «I«'s    D.ntsciun    Kei.ln^    Nxnr«!.-    /.nni    Anfans 
riniT    }in.l.;.rtn    un<l    <lantrn.l<'n    iMaclitvrixIiiel.unii.    D«  iil>«l«lan«l    lialto 
um    dir    MilU-    «l«'r    s»m  li/.is«r   Jahr»-    ^tia«l«'    I  lankn  i«  li    an    BtNolk.iuns 
ül»erflüs«ll   u.ul    uuflis   iM>    1011   um    nw-hr   aU   limf/is   Pro/t-nt  an.   Nor 
all«  in  .•ntuicUelli-  es  >ieli  noel.  xor  «l«r  Jahrl.nn«lertu«Mule  /nm  -roBlen 
l.Hlu>triestaat   Kuro|.a>.  Diese  melemi>rhe  Entwi<klnnji  unr.le  nalnrlnl, 
N,„n     \nslanW    ..ielil    ohne    Sn^ie    Weoharhtet.    und    Bisnun.  k    lilt    unl«r 
dem    «liaurliennn-   «les   (:oalili«n.>.>,   fih-   «leren    Bild,nm   er   enu-n   >leti^«-n 
\n^at/punkt     in    der    hleihen.len    FeindMi.alt     !•  rankrewli>    xMlUrle      Kr 
hielt    es    d«-hall.    Inr    Motuen«liu,   weni^isten^   /^^'i    «l«'"   fin.f   Cr.d.'nnaelMe 
dauern.l     an     Denln  hian«!     /n    knien.    Da    er    idn-r/fust    xxar,    «laB    «la» 
DeutMhe   Kei.l.   saturiert  ssav  un«l   In-M.n.ler.   in   .l«ni  d.n-n.üen  Celande 
,|rr    eur«M>äisehen    P«ditik.    «I«m    Orient,    keimrlei    e.j^ene    lntere>M-n    zu 
^^rtreten     halle,    xernu.ehte    er    ni.  ht     nur    «lie    «lent.ehe     I  r.eden>l.ehe 
unter  Bevxei.  /u  >l«llen,  s«,n.lern  au«  I.  «lie  lähi^keil  d«..  neuen  Kenhes, 


zu    v«-nni»teln    und    u^/iTS^üle..  heu.,   tr    luunile    geki^entlich    sein    J^Yli 
««lie  Bleigarnilur  am  Steh.iufmäinielien  Eu!«)|ia». 

Bismanks   I<leal   war   das   liiindnis  der   drei   Kaiser,   das   ihm    aiuh 
.leren    innenn    Interes-en    am    besten    zu    ent-preelieu    schien.    Zwar    er- 
reielite  er  sein  Ziel  1873,  aber  der  alte,  aus  «lern  Krimkrieg  stammemle 
(;e?;ensatz  zwischen  Oesterreieh  und   RuBlan«!  brach  scbon   1876  wieder 
aus"   un«!    der   russisch-linkische    Krieg   von    1877    bis   1878   führte   trotz 
Bi>inarcks    Maklers.lialt   auf   dem    Berliner   K«)ngreß   im   Jahr   1870   zu 
fl.r  ersten  ernsten  deutsch-russischen  Kriegsgefahr.  Bi^nunck  begegn.te 
ihr    «Inrcb    «len    Abschluß    «l«>    Bin.«lnisses    mit    Oe.^terrei.h-l Ingarn.    «las 
beinahe  vierzig  Jaln-e,  bis  zum  /n-amme.dirn«  h  der  l.eid.  n  Monarchien, 
fortbestehen    sollte.    Aber    wa^    immer    au.    di«>.-.n    Binnlni.>    spiiter    ge- 
n.acht    xNU.<le.    für    Bi>n.arck    iM'deulete    es    keine    Opti.m    zwischen    «len 
h.i.lcn     KaiMM-reicben,     MH..Ie,-n     ein     hamlfesto     Mittel,     um     Hußland 
uir.ler    bündnisb«reit    zu    mach«...    Hierin    war   er   «Inrchau.   erlolgrenh. 
Das    Drei-Kaiser-Bünilnis   XNur«h     1881    erneuert,   n.n    «la.m   freilich    1886, 
diesmal  über  «ler  bulgariMhen  Krise,  endgültig  S«hilfbru«h  zu  erlenlcn. 
Doch    gelang    es    Bismaick,    «len    Draht    zwisclun    B.-rlin    und    St.  Peters- 
burg «iurch  den   Bü.kx  er>ichernngsvei  trag  von  1887  aufrechtzuerhalt«  .., 
der"«le..    Ku-en    «li«-    T«.l«ri.'rung    einer    aktiven    Politik    an    den    Meer- 
».Igen  nn«l  im  ö>tli«h«-.i  Balkan  zusagt«*. 

\..ih-.e  Slaat«n  x.ur«len  eb«'.dalU  in  Bixnar.ks  Bümh.issy-lem 
hi., eingezogen.  Be>«mder>  nichtig  x>ar  «lie  Erweiterung  «le,  Zwei- 
|,unde>  «Im«  h  «len  Dreibund  mit  Italien  im  .labr  1882,  obwohl  Bismar«k 
ihn,  nur  eine..  b««lingl«-n  W  «rt  bei.naü.  K..lg«ge.,  «ler  häufige..  B«- 
hauptu.,g.  Engla.nl  habe  nnmer  «lana.li  gct.achtet.  «len  Ko..tn..-nt  gr- 
-palt.-n  /<!  -h«...  Ncrdienl  c  folgehalten  zu  xN.nlen,  «laU  Lo..d.M, 
k.ine..  \.-rsU(h  ma«  hf,  «las  Bi>mar,  ks«h.-  Bü.i.lnissyste.n  zu  ers<hul- 
„rn,  son.ler..  im  Gegenteil  dieses  öfter,  in  kritiMhen  Aug«nbl.«-k«-.i 
.tülzte  Die  Teibn.g  «les  Ko..tinents  in  zwei  Lager  xsar  «la>  Erg.bn.^ 
<h'.    fr.i...    E.itschlnsses    «l«r    .Na«hf«»lger    Bi>marck>,   «I«..    BückverMche- 


\b«rh 


!» 


.uii.;;,-sertia^!^«||»H«i7t    /n    erneuern, 
zosischeii  BüiiXusaes  war  «lie  umniltelbMe  l'oig« 


Englands  Absage  an  die  «Splendid  Isolation: 

Da     «lieses     Bün«lnis     auf     längere    Zeit    hinaus     hauplsächli«  h     die 
cur«»päische  Rückendeckung  für  KuBhuuls  expansionistische  Politik  im 
Fernen  Osten  war,    die  seit  Beginn  des  Baues  der  Transsibirischen  Bahn 
seine  Kräfte  in  Anspruch  nahm,  war  es  für  Deutschlan«!  noch  ni«ht  un- 
mittelbar be«h«)hlich.  England  jedoch  schien  durch  die  Teilung  des  Kon- 
li.ient.  no«h   gr«iBere   Freiheit   zu   gewi.inen,  sich  seinen  kolonialen  und 
iinp.rial.il    l.itere>seu    zu    wi.lmen.    Aber    gera.le    in    «ler    überseeischen 
weit    häidt.n    >ich   um   die  Jahrhunderlwen.le   die   Widerstände.   Gegen 
,li.r    Veruallung    «hs    seit    1882    besetzten    Aegyptens    erhob    besonders 
Frankreich     schaife     Opposition,     während     im     Mittleren     Osten     und 
Fernen  Osten  Engla.ul  allein  sich  gegen  den  russischen  Ausdehnungsdrang 
stemmte,   der    lei«  ht    über   China    hätte   hinwegrollen    küiinen.    England 
begrüBte    es,    daß    «lie    Vereinigten    Staaten    mit    der    Besitznahme    «ler 
IMiMippimn   im    F.r.ieu   Osten  auftrat...  mnl  eine  aktiveie  Chinapolitik 
riilirt«.!     E-    >«hl«)ß    1002    ein    Biindnis   mit   Japan    ab,    «las   direkt    zum 
rn>>iscl.-japanischen    Krieg    von    1905    bis    1906    führte,    der    Rußlands 
Expansion   ein   Ende   setzte.    Hier   im   Fern«'n   Osten   deuteten   sieh   zwi- 
>chen    1898   und    1906,   «lem    Jahr,   in    dem   «lie   Ru>se.i    uml   Ja|.aiier  auf 
a.nerikanisclum  B«»«!«..   Frieden  schb.ssen,  ganz  neue  xxeltucite  Mächte- 
k«)nstellation«-n   an. 

En-land  zog  es  >or,  >eine  k..loniale..  Konflikte  mit  F.ankreich  ab- 
zubauen,  selbst  um  «l.-n  Preis  ei.ies  Ver>pr.'.  hens  auf  .liplomat.s.  he 
Hilf«-  für  die  franzü.isehe  B.herrM  hung  Mar«>kkos.  Der  AbM-hluß  der 
P,v'lisili-iranzösischen  Entente  v«m  1901  -laml  bereits  unt«  r  dem  Em- 
,hu.k    de^    deutschen    Flollenbau>,    der    die    Engländer    nicht    nur    mili- 


'/rt .  .<-.  'W^^vA-ir  •*'>^  .■.•..•.■.■^.:. 


Jhitisfhi   Vi  Iri'h  „  imf  (h  m  Marsch  in  dir  Kasmic. 


\ 


/ 


»ffia«-.'ii.s 


Diiilschrr  Jormarsch  im  Haifin  im  iSurnmer  19Ji. 


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// 


]u<inrlurn  (am.  Sehen  „frrnrohr)  noin:  ,ul  d<  r  Sehloeht  von  Tannrnhero.  Im  HinUrgrund  in  der  Mitte  Ludendorff. 


^>»-.'S>-xM5?'         •'•> 


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««■.-.W.'JVjf*«-:--'  ■A'.■.^vw■.■* 


Secgrfceht  einsehen  Iritisehen  und  deutschen  Liniensehiff-en. 


laiid  für  die  Verbindung  Mit  Indien  für  straieginch  l>»deul>am  liiell, 
schuf  sie  neue  Keihims**"»  V»^"''^  t*'*'^*"  "'^■*^*  eriihthaft  genug  waren, 
als  daß  die  englische  und  die  deutsche  Regierung  nicht  noch  im  Frühjahr 
1914  darüher  zu  einer  Verständigung  hätten  kommen  können.  Die 
offiziell  gefürilerle  Schaffung  deutscher  Interessen  im  Orient  war 
jrdoch  eine  prinzipielle  Ahwendung  von  einem  der  Hanptgrundsätze 
"der  liismarckschen  Außenpolitik,  die  in  dem  deutschen  Desinteresse- 
nieiit  im  Orient  das  entscheidende  Argument  für  die  Möglichkeit 
dt.ut>ch.russis(her  Freundschaft  un.l  sogar  einer  Vermittlerstellung 
Drutschlands  zwischen  Oe.sterreich-t'ngarn  und  Rußland  ^ah.  Die  neue 
Türkenpolitik  ließ  Deutschland  als  einen  ent^chiedenen  Gegner  aller 
ru^-ischen  Hoffnungen  auf  dem  Balkan  und  in  der  Türkei  erscheinen 
und  veranlaßte  die  Deutschen,  ihre  Hilfe  noch  nachdrücklicher  dem 
Hahsburgerreich  zu  leihen. 

Dculschhtnds   Isolierung 

Diop   Tendenz  \pr>tärkte  sich   in   dem   Maße,   in   dem   die  deut>che 
Reaierung   ihre   ztnuhmende   internationale   iMdierung  realisierte.   Eng- 
land   und    Rußland    fanden    1007    einen    l  erbleich    ihrer    Konflikte    im 
Mittleren  Osten.  Dieses  Ahkcnnmen  war  noch  weniger  als  die  englisch- 
französische   Entente   ein   Bündnis.   Englan<l   verlor   nicht   die   Freiheit, 
seine    Politik   von    Fall    zu    Fall    seiher   zu    hestinnnen,   wie   auch    um- 
cekehrt   Rußland   und   Deutschland   in  den   Jahren   vor  dem   Weltkrieg 
noch   gelegentlich  zu>ammenarheiteten.  Aber  das  Ahkommen  Englands 
mit    dem    ö>tlichen    Verhündeten    Frankreichs    zeigte,   daß   es   nicht   un- 
möglich   war,   eine    Brücke   zwischen    den    beiden   europäischen    Flügel- 
märiiten   zu   schlagen,  wie   die  deut>chen    I)iF»loinaten    immer  angenom- 
men  hatten.   Daher  erhob  die  deutsche  Regierung  auch  sof(»rt  die  An- 
klage,   daß    die    englische    Politik    die    «Einkreisung    D.ulscblan.ls»    er- 
strc^be.    Die    Erhaltung   der   östeneichiscb-UMgarischen    Bundogenossen- 
^.chaft  wurde  noch  not%^ endiger  als  zuvor,  nm  so  mein   als  Italien  seine 
expansionistischen   Wünsche   im   Mitlelmeer   nur  mit  .ler  Duhlung  Eng- 
lands    und     Frankreichs    zu    befriedigen    hoffen    k<mnle    und     infolge- 
dessen ein  immer  weniger  zuverlässiges  Mitglied  des  Dreibnmies  wurde. 
Der   Zwang,  Oesterreich-Ungarn   um   beinahe  jeden   Preis   zu  unler- 
slülzen,  machte   sieh   schon   im   Jahr   1908   geltend.   Während   der  jung- 
liirki>chen     Revolution     annektierte     Oesterreich-Ungarn     Bosnien     und 
Herzegowina,  die  es  seil  dem  Berliner  Kongreß  besetzt  gehalten  hatte. 
Die    bo.snische    Krise    von    1908    führte    hart    an    den    Krieg    mit    Ruß- 
land  und  Serbien  heran,  der  wahrscheinlich  sclnm  damals   nicht  hätte 
lokalisiert   werden   können.    Die   demonstrative    Kriegsbereitschaft   und 
4;Nibelungentreue>    Deutschlands    Heß    Rußland    zurückweichen.    Seine 
\rmee  war  nach  dem  japanischen  Krieg  noch  in  einem  Zustand  außer- 
ordentlicher  Schwäche.   Aber   die   Demütigung   durch    Oesterreich   und 
Deutschland    fiihrte    zu    dem    rasehen    Aufbau    einer    liiesenarmee,    die 
freilich    erst    1917    voll    ausgebildet   und    ausgerüstet    gevve>en   uäre.    Die 
neue    MarokkohrisP.    die    Deutschland     1911     heraufbeschwiM-,    und    das 
Scheitern    eines    deutsch-engliscben    Flottenabkonnnens    1912,   .lem    eine 
,Hue  deutsche   Flottennovelle  auf  «lem   Fuße  folgte,  veranlaßte  die  eng- 
lixbe    Regierung,    noch    näher    an    Frankreich    heranzurücken.    \\>    Nvar 
in  den  Jahren  nach  1909,  daß  die  beiden  Lager  der  (;roßmächte  sich  end- 
gültig   verfestigten    und    es    zur    Gewißheit    wurde,    <laß    das    Eintreten 
zweier  von   ihnen   in  den   Krieg  alle  andern   mit  hineinziehen  würde. 
Zugleich  waren  dies  die  Jahre,  in  denen  der  (dl gemeine  Kiistungstvett- 
lauf    eine    unerwartete    Steigerung    erfuhr,    die    vielen    Menschen    das 
Nahen    eines    großen    Krieges    wahrscheinlich    machte.    Besonders    die 
deutschen    und   französiM-ben    Heeresverstärkungen   des   Jahres   191  .J   er- 
weckten solche  Befürditungen. 

Die  Balkankriege  von  1912  bis  19i;i  hätten  leicht  zu  einem  großen 
Krieg  führen  können,  doch  der  gesamtenropäisehe  Friede  wurde  nicht 
gebrochen,  hauptsächlich  dank  der  diplomalisrhen  Zusammenarbeit 
Englands  und  Deutschlands.  Es  war  das  letzte  Mal,  daß  eine  ernste 
Krise    gemeinsam    von    allen   europäischen   Großmächlen   gelöst   wurde. 


fühlten  si«h  die  deutschen  (ieneräle  ge|iwungen,  w)fort  den  krieg  im 
Westen  zu  eröffnen.  Auf  (;rund  dieses  für  unahänderlirh  erklarten 
kriejjsplans  erzwangen  die  deutschen  Armeechefs  am  3.  August  1914 
die  Kriegserklärung  an  Rußland,  der  diejenige  an  Prankreich  am 
3.  August  folgte.  Das  lltiniatum  an  Belgien  war  schon  am  Ahend  des 
2.  August  ühergel)en  worden,  und  deutsche  Truppen  waren  in  Luxem- 
hurg  eingedrungen. 

Vom   europäischen  Konflikt  zum   Weltkrieg 

So  nahm  das  Vcrhät.gnis  seinen  Lauf.  Der  Krieg,  der  in  seinen  Vr- 
Sprüngen  ein  europäischer  Krieg  war  und  auch  his  1917  im  wesentlichen 
hlich  und   den  .lie  Generäle   in   Aruilogie  zu  den  Kriegen  von  1866  und 
1870/71     ra>ch     durchzukänM.fen     hofften,     dehnte     sich     in     die     Länge 
„nd   wurde   nc»«h   dem   Eintritt   der   \  ereinigten  Staaten   im   vollen  Sim.e 
ein  W'pllkrieii.  Die  militärischen  Ereignisse  erwiesen  rasch,  daß  ein  mili- 
tärisches Gleichupuicht  existierte,  das  keine  Seite,  trotz  dem  immer  ver- 
schwenderischeren Verhrauch  von  Waffen  und  Munition  und  trotz  den 
crausamsten   Verlusten   von   Milli<.nen   von   Menschenlehen,   zu   hrechen 
x'ermochte.  War  der  Krieg  schon   auf  (;rund   seiner  Massenanneen  und 
Malerialsdilachlen    üherdinien-ional,    so    wurde   er    es    erst    recht    durch 
.eine  Wirkung  auf  die  Zivilhevülkerung.  Die  Notwendigkeit  der  Kriegs- 
Produktion,    oft    unter    Be«lingungen    akuter    Rohstoffknappheit,    fidirte 
zur  Regierung>koMlrolle  der   gesamten   Produktion,  des  Arheitsmarktes, 
der    Löhne,    «1er   Prei>e    und    der   Lehensmittelverteilung.    Am    weitesten 
-ing   die>e   KerJementierung   in    Doutschlnml.   das   «Jen    Krieg   unter   eng- 
Fischer    Blockade    führen    mnßle.    Der   deutsche    ■  Krieg.soziali^mu.*   hat 
.päler    den    ru»iMhen    Bol^^ll^^s  i>ten    zum    \  <.rhild    gedient,    denn    Karl 
Marx    hatte    keine    Anweisungen    hinterlassen,   welche    Form    eine   sozia- 
lisli.Hhe  Wirts,  hilft  nach  der  Machtergreifung  annehmen  sollte. 

\ber  erst  durdi  <lie  Ornnmsienmg  der  Meinungen  und  Ideen  wurde 
die  totale  Mohilmachung  v.dlkon.men.  Um  all  die  Opfer  an  Lehen,  (,ut 
und  persönlichen  Freiheiten  zu  rechtfertigen,  die  Einheit  der  Nation  zu 
rrhalten.  die  Neutralen  zu  gewinnen  und  womöglich  die  (,eschlossen- 
heit  der  F.  ind.taaten  zu  sprengen.  xMirden  Ideologien  entwickelt  und 
propagiert.  Die  deutschen  Ideen  von  I9H.,  die  hauptsächlich  den  Sieg 
.1er  deutschen  Kultur  forderten,  hedeuteten  im  ideologischen  Konflikt 
„irht  viel  und  ^^areM  s,|hsl  innerhalh  Deutschlands  nicht  allgemem 
ülK-r/eugen.l.  Die  krieg>ziele  der  Alliierten,  «/o  mnke  the  u^orld  safe 
jor  democracyy>.  ^the  uar  to  end  all  uy,rs^  und  die  nationale  Seihst- 
ix-tinunung,  halten  eine  unverglci.  hlich  größere  Wirkung.  Sowohl  m 
der  Auflösung  des  lürkiMhen  wie  des  Hahshurgerreiches  erwiesen  sie 
ihre  gewaltige  Sprengkraft. 

Die     lieiolunonirrun^     seiner     Gegner     durch     die     Unterstützung 
oppositioneller    Nationalitäten    Nsnr<le   von   Deutschland   vom  ersten  lag 
,U.'   Krieges  an  mit  großem    \uf^^and  versucht.  Vor  allem  versprach  man 
si.h   viel    ^on    der    \nfuiegelung   der    Moslems   gegen    die   englische   und 
französische    Ihrrschaft    von    Marokko   his    Indien.    Die   Resultate   waren 
;,,lo,.h    -ering,    ebenso   wie    die    der    Anstrengungen,   die    Nationalitäten 
Südrußlands  gegen  <len  Zaren  zu  kehren,  von  Irlan.l  ganz  zu  schweigen. 
Erst   als   das   kaiserliche    Deutschland   sich   mit   der  sozialen   Revolution 
verband,  .elang  es  ihm,  einen   llauptgegner  emigültig  zum  Ausscheiden 
aus  dem   Kriege  zu   bewegen.   Der  Transport  Lenins  nach   Rußland  und 
,lie  finanzielle  Hilfe,  die  <lentscbc  Stellen  ihm  für  ,l.e  kritische  Anfangs- 
„,,.iode  gewährten,  ^^ar  ein  großer  Erfolg  politischer  Kriegführung,  der 
aber  dazu  angetan  war,  eine  ganze  Welt  ins  (;rah  zu  legen. 

Trotz  der  gewnltiiren  Mobilisierung,  die  besonders  .MndrncksNoll  im 
Falle  Englamls  vsar,  das  zum  ersten  Male  in  s.;iner  ['r;  '"^  l'^-  J,;;;!' 
Hesic^e  Landaimee  auf  (;nnHl  der  natnn.alen  Dienstpflicht  aulslt  lt., 
.elang  es  keiner  .1er  beiden  Mä.  bt.  v.rbin.lungen,  den  Cegner  enlM-hc.- 
dend  zu  schla..n.  Erst  das  Eingreifen  Amerikas  besiegelte  das  Schick- 
sal der  Mitt.lmächte.  Für  die  überwältigemle  Masse  .1er  Amerikaner  war 


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0  -ß-k 


Im  Westen  erstarrt  im  TIcrhst  19 If  die  Front  im  Stillung.sl-rieg.  Deutscher  Truppe 


nuntcrstond  in  der  Nähe  von  Bony. 


AUiit  r/i     Tnii>p<  u   Un><l<  r,    im 


iinll    191.'  (in   <h  II    IhirJ'iih  !!•  i>.   l>i<    <lnmlf   ,  in  f/t  tritt  Ir    Offrnsirr 

d<  iH  i:iick:>i<j  ans  GaUipoli  ahijchrochtn. 


ffcffrn   Konstantinopel    uird    im   Januar   1316   mit 


hTf- •_%>■■ 


.tif 


\ 


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Schlachlfdd  in  der  Cffmpagne. 


StcllungslczKg  an  der  Isonzofront. 


um  mit  ihnen  im  Kriegsfall  Izusanmienwirken  zu  können.  Der  denk- 
würdige Versuch  Wilsons,  die  allen  Mächlerivalitäten  und  das  aus- 
srhließlirhe  Denken  in  Begriffen  des  reinen  Selhstinteresses  und 
Mürhtegleichgewichts  durch  einen  Völkerbun«!  zu  id)erwinden,  er- 
reichte sein  Ziel  nicht.  Die  Bindungen  der  Mächte  Ovaren  zu  locker, 
um  eine  Wan<lkmg  herheizuführen.  So  wurde  es  am  Ende  nochmalh 
möglich,  daß  Eur(.pa  Mch  in  einen  finchterli«hen  zweifii  Wrhkrug 
stürzen  ließ,  der  durch  das  Eingreifen  zweier  außereuropäischer  Mächte 
entschieden  wurde. 

Erst  dieser  Zweite  Weltkrieg  hat  die  Iiiterdependcnz  der  Well  über 
jeden  Zweifel  erhohen.  Sie  hat  freilich  die  Welt  nicht  geeinigt,  son- 
«lern  in  neue  (;egensätze  verwickelt,  hat  aber  wohl  doch  gelehrt,  ni 
weiteren  Zusanunenhängen  zu  denken  und  zu  handeln.  Fünfzig  Jahre 
nach  <leni  Beginn  des  Ersten  Wellkrieges,  der  den  Uehertreihungen  des 
nationalen  MachtMaates  entsprang  und  <len  Totaiilarismus  gehar,  ilurfen 
>>ir  hoffen,  daß  die  Staaten  der  freien  Welt,  die  die  totalitären  Herr- 
schaftssysteme überwunden  haben,  auch  ihr  nationales  Leben  nur  als 
einen  Wurf  nach  menschheitlicher  Erfüllung  zu  verstehen  bereit  .-nul. 
Nur  in  solcher  Gesininmg  wird  es  möglich  sein,  die  Freiheit  in  der 
W elt  g.meinsam  zu  erhalten  und  zu  verbreiten. 


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Stclhmgshrzug  hritisrhcr  Artillerie  bei  Pozirres. 


Londoner  Busse  für  dtn  Truppe nrmchschub  bei  Jrra-s  1917. 


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anfangs  September  1914  gelano;  tf^  flen  verl)und»f«~n  Kn-^Tändern  und 
Franzosen,  den  deutsehen  VormaiJLrh  aufzuhalten  und  die  gegneribchen 
Armeen  bis  zur  Aisne  zurückzudrängen.  Im  Oktober  und  November 
1914  suchten  die  beiden  Gegner  nordwärts  ausgreifend  sich  gegenseitig 
zu  überflügehi.  Dieser  «Wetthmf  zum  Meer»  endete  unentschieden; 
Ende  1914  erstarrte  die  ganze  Westfront  von  der  Nordsee  bis  zur 
Schweizer  Grenze  in  einem  Gewirr  von  Schützengräben,  Unterständen 
und  befestigten  Stellungen.  Ueber  drei  Jahre  lang,  vom  l)ezend)er  1914 
bis  zum  März  1918,  gelang  es  trotz  ungeheurem  Materialaufwand  und 
Truppeneinsatz  keinem  der  beiden  ITeere,  die  feindliche  Front  zu 
durchbrechen.  Die  Materialschlachten  der  Jahre  1915,  1916  und  1917 
an  der  Westfront  brachten  den  Angreifern  nur  geringe  (;elände. 
gewinne  ein;  trotz  monatelangen  Kämpfen  verschoben  sich  die  Fron- 
ten jeweils  nur  um  einige  Kilometer. 

Die  russische  Dampfwalze 

Anders  als  im  Westen  entwickelten  sich  die  Kämpfe  im  O.sten 
Europas  zu  einem  Beivegimfiskrieg.  Die  grofie  Ueberraschung  für  die 
Deutschen  war  die  rasche  Mobilisierung  der  russischen  Armee,  die 
schon  Mitte  August  1914  in  Ostpreußen  einbrach.  Wenige  Tage  später 
war  die  Wucht  der  russischen  Offensive  jedoch  gebro«  lien.  Bei  Tannen- 
berg wurden  die  Russen  von  <ler  unter  dem  Befehl  Iliiulcnhurgs  und 
Liidendorffs  stehenden  deutschen  8.  vXrnue  vernichtend  j^es«  hlaiicn  und 
über  die  Grenze  zurückgeworfen.  Erfolgreicher  kämpften  <lie  Russen 
im  Süden  der  Ostfront.  Die  üsterreichis<  hungarischen  Heere  wurden 
unter  schweren  Verlu>ten  aus  (ializien  vertrieben,  und  es  gelang  ihnen 
nur  mit  Mühe,  sich  auf  den  Karpatenkännnen  zu  behaupten  und  rlcn 
russischen  Durchstoß  in  die  ungarische  Tiefebene  zu  verhindern.  r)ie 
Ausfälle,  die  die  Oesterreicher  in  den  Herbstkämpfen  von  1914  erlitten 
hatten,  waren  jedoch  so  groß,  daß  Oesterreich  si<  h  während  des  ganzen 
Krieges  nicht  mehr  von  dieser  schweren  Niederlage  erholte. 


Die  Dardanellen-Offensive 


In  den  ersten  Monaten  des  Jahres  1915  suchten  die  westlichen 
Alliierten  durch  einen  kühnen  Vorstoß  nach  Konstantinopel  über  das 
Schwarze   Meer  eine  Verbindung  mit  den   Russen  herzustellen  und  die 


Mittelmächte      enger      ci^zu^chn^^ren 


Initiator     dieses     Angriffs     war 


Winston  Churchill,  damals  Erster  Lord  der  Admiralität,  und  es  lag  nicht 
an  ihm,  daß  das  Unternehmen  s(hließli<h  scheiterte.  Nach  gründlicher 
Artillerievorbereitung  gingen  Englämler  und  Franzosen  Ende  April 
1915  auf  der  Südspitze  der  Halbinsel  Gallipoli  am  Eingang  der 
Dardanellen  an  Land.  Es  gelang  den  Verbündeten  zwar,  zwei  Brücken- 
köpfe  zu  bilden  und  diese  während  Monaten  zu  halten.  Die  von  den 
Deutschen  verstärkte  türkische  Abwehr  vermochten  sie  jedoch  nicht  zu 
durchstoßen.  Im  Januar  1916  brachen  Engländer  und  Franzosen  den 
ohnehin  nur  mit  halbem  Herzen  geführten  Kampf  um  die  Dardanellen 
ab  und  zogen  ihre  Truppen  aus  Gallipoli  zurück. 

Deutsche  Vorstöße  in  Rußland  und  auf  dem  Balkan 

In  der  deutschen  Obersten  Heeresleitung,  deren  Führung  anstelle 
des  nach  der  verlorenen  Marneschlacht  nervlich  zusammengebrochenen 
Generaloberst  Moltke  der  Kriegsminister  General  Falkenhayn  über- 
nommen  hatte,  war  man  unterdessen  zum  Entschluß  gelangt,  im 
Jahre  1915  an  der  Westfront  defensiv  zu  bleiben  und  einen  Entschei<l 
im  Osten  zu  suchen.  Am  I.Mai  wurde  die  russische  Front  bei  Tarnou- 
Gorlice  durchbrochen,  uml  «lie  geschlagenen  russis«  hen  Heere  fluteten 
durch  Galizien  zurück.  Die  Offensive  der  Mittelmächte  griff  auch  auf 
die  nördlichen  Abschnitte  der  Ostfront  über;  die  deutschen  Truppen 
drangen  in  Polen  und  Litauen  vor,  Warschau  wurde  im  August,  Wilna 
im  Sepetmber  erobert.  Im  Oktober  stabilisierte  sich  die  Front  tief 
auf    russischem    Gebiet.    Großfürst    Nikolai    Nikolajewitsch    wurde   als 


um  jeden  FufiflMcit/  Boden.  Auf  beiden  Seiten  waren  d?e  Verluste 
ungewöhnlich  hoch.  Verdun  wurde  zur  «Hölle»  des  KVieges,  zur 
großen  Mater ialschl acht,  in  der  monatelang  um  ein  paar  Kilometer 
gekämpft  wurde.  Falkenhayn  hielt  zäh  an  seinem  Zielö  fest,  das 
französische  Heer  «ausbluten»  zu  lassen,  au«  h  als  es  klar  wurde,  dafJ 
die  deutschen  Mittel  nicht  ausreichen  würden,  Verdun  zu  erobern. 
Erst  im  Juli  1916  brach  er  die  Schlacht  ab,  jedoch  noch  bis  in  den 
August  und  die  ersten  Septend)ertage  hinein  wurden  einzelne  deutsche 
Vorstöße  gegen  die  Forts  um  Verdun  geführt. 

Zerreißprobe  für  die  Mittelmächte  im  Sommer  1916 

Die  verlorene  Schlacht  von  Verdun  führte  die  Mitlelmächlc  im 
Sonmier  1916  an  den  Rand  des  Zusannnenbruches.  Damals  auch 
wurde  es  deutlich,  daß  trotz  gewaltigen  Einzelerfolgen  die  Kräfte 
Deutschlands  und  seiner  Verhinideten  nicht  ausreichen  würden,  die 
Entente  zu  bezwingen.  Die  Alliierten  holten  zum  Gegenschlag  aus. 
Im  Juni  begann  an  der  Somme  eine  Offensive  der  Engländer  und 
Franzosen,  die  an  artilleristischem  Einsatz  alles  überbot,  was  in  diesem 
Kriege  bereits  erlebt  worden  war.  Am  Südabschnitt  der  Ostfront 
eröffnete  der  russische  General  linissilotv  einen  Angriff,  der  tief  in 
die  Stellungen  der  Oesterreicher  eindrang.  Mitten  in  diese  schwere 
Krise,  in  der  die  Kräfte  der  MitK'lmächte  im  Westen  wie  im  0.>tcn 
aufs  äußerste  angespannt  waren,  erklärte  liiimdnien  am  27.  August  1916 
an  Deutschland  und  Österreich  den  Krieg.  Italien,  das  sich  bereits 
seit  Mai  19ir)  mit  Oesterreich  im  Kriegszustand  befand  und  in  zahl- 
reichen Sehlachten  am  Isinizo  vergeblieh  die  österreichischen  Linien 
zu  durchstoßen  gesucht  hatte,  schickte  am  28.  August  1916  auch 
Deutschland  seine  Kriegserklärung.  Da  die  Rumänen  sofort  mit  ihrem 
Angriff  auf  Siebeid>ürgen  begannen,  schien  der  Zusannnenbruch 
Oesterreichs  und  damit  auch   Deutschlands  unmittelbar  bevorzustehen. 

In  dieser  Situation  berief  der  deutsche  Kaiser  Hindenburg  und 
Ludendorff  an  die  Spitze  der  Obersten  Heeresleitung.  Die  beiden 
Generäle  waren  vom  Nimbus  der  Siege  im  Osten  umgeben;  sie 
schienen  die  einzigen  zu  sein,  denen  es  noch  gelingen  könnte,  die 
Heere  der  Mittelmächte  aus  der  hoffiumgslosen  Lage  zu  neuen  Erfol- 
gen zu  führen.  Tatsächlich  gelang  es  der  neuen  Obersten  Heeres- 
leilung  zunächst,  die  verzweifelte  militärische  Situation  zu  meistern. 
Die  russische  Offensive  wurde  durch  Gegenangriffe  im  nördlichen 
Teil  der  Ostfront  abgewehrt,  und  die  Sonnne-Se  hlac  hl  endete  wie  die 
Kämpfe  um  Verdun  nach  monatelangem  erbittertem  Ringen  mit  gering- 
fügigen  Geländegewinnen  der  Alliierten.  Der  neue  Kriegsgegner 
Rumänien  wurde  im  November  und  Dezend)er  1916  in  einem  raschen 
Feldzug  unterworfen,  Bukarest  erobert  und  die  Erdölcpiellen  von 
Ploesti  unter  deutsche  Kontrolle  gebracht. 

Amerika  auf  der  Seite  der  Alliierten 

Die  Berufung  Hindenburgs  und  Ludendorffs  hatte  jedoch  für 
Deutschland  Folgen,  die  weit  über  den  militärischen  Bereich  hinaus- 
gingen. Ludendorff,  die  treibende  Kraft  des  Zweigespanns,  vertrat  die 
Auffassung,  nur  durch  ein  Zusammenfassen  aller  Kräfte,  nur  durch 
eine  «totale  Mobilmachung»  könne  Deutschland  den  Krieg  gewinnen. 
Um  diese  Mobilisation  durchzuführen,  begann  Ludendorff  in  den 
Zuständigkeitsbereich  der  zivilen  Instanzen  hineinzureden,  und  es 
gelang  ihm  mehr  und  mehr,  politische  Kompetenzen  an  sich  zu 
reißen  und  widerstrebende  Einflüsse  auszuschalten,  so  daß  er  in  den 
letzten  anderthalb  Kriegsjahren  praktisch  unumschränkter  Diktator 
Deutschlands  war. 

Als  eines  der  wichtigsten  Mittel  zur  Erringung  des  Sieges  be- 
trachtete die  Oberste  Heeresleitung  die  Führung  eines  unbeschränkten 
U-Rootkrieges,  der  dem  durch  die  Blockade  wirtschaftlich  schwer  an- 
geschlagenen   Deutschland    Luft   verschaffen   und    gleichzeitig   England 


uie    rranzo^t-ri    un — i  \  lea.niwM  '  n/.    ertiPT 
Menschen,  Raffen  und  Matei*d  —  1917  \Mirden  e^tnial- 
eingesetzt  —  liefen  auch  dies!  Offensiven  s^ich  im  Herbst  und 
wieder    fest,    ohne    den    erhoff\n    Durchbrach    durch    die    gegnerij 


Front  erzielt  zu  haben. 


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Die  russische\Revolution 

Für  Deutschland  war  seit  der  Beteiligung  der  Vereinigten  Staai 
der  Krieg  zu  einem  Wettlauf  mit  der  Zeit  geworden.  Die  Mittelmäcl 
mußten  den  Kampf  zu  einem  erfolgreichen  Abschluß  bringen,  ehe 
frischen  Kräfte  Amerikas  in  den  Krieg  eingriffen.  Die  Hoffnun] 
durch  den  verschärften  U-Bootkrieg  England  innert  weniger  Monat! 
zur  Kapitulation  zu  zwingen,  verflüchtigte  sich  bald.  Dagegen  er 
öffnete  sich  Deutschland  und  seinen  Verbündeten  im  Laufe  des  Jahres! 
1917  eine  neue  Chance  durch  den  Zusmnmenbriich  Rußlands.  Die 
Kräfte  des  Zarenreiches  waren  im  Krieg  bis  zur  Erschöpfung  an- 
gespannt worden.  Das  Heer  hatte  Niederlagen  über  Niederlagen  er- 
litten, eine  unfähige  militärische  Führung  und  eine  korrupte  Ver- 
waltung hatten  das  Land  an  den  Rand  des  Verderbens  gebracht.  Im 
März  1917  wurde  Zar  Nikolaus  IL  abgesetzt.  Eine  neue  Regierung 
unter  Keronski  suchte  den  Kampf  an  der  Seite  der  Alliierten  fort- 
zuführen. Im  Sennmer  1917  unternahmen  die  Russen  nochmals  eine 
Offensive  am  Mittelabschnitt  der  Ostfront.  Der  Vorstoß  scheiterte  je- 
doch, und  die  Deutschen  traten  zimi  (Gegenangriff  an.  Das  russische 
Heer  begann  auseinaTiderzufallen.  Es  kam  zu  schweren  inneren  Un- 
ruhen. Im  November  eroberten  die  von  Lenin  geführten  Rolschewisten 
die  Macht.  Sie  riefen  sc>fe»rt  die  Sowjetrepublik  aus,  schlössen  mit  den 
Deutschen  Waffenstillstand  und  unterzeichneten  im  März  1918  in  Rrest- 
Litowsk  einen  Friedensvertrag,  in  welchem  Rußland  den  Mittel- 
mächten von  Finnland  bis  zur  Ukraine  alle  Randgebiete  des  alten 
Zarenreiches    abtreten    mußte. 

Die  Schlacht  in  Frankreich  1918 

Deutsehland  glaubte,  damit  den  Rücken  freizuhaben  für  einen  letz- 
ten, entscheidenden  Schlag  an  der  Westfront.  Die  Offensive  begann  am 
21.  März  1918  östlich  von  Amiens  an  der  Nahtstelle  zwischen  britischen 
und  französischen  Truppen.  Der  deutsche  Vorstoß  traf  jedoch  einen 
zum  äußersten  Widerstand  entschlossenen  Gegner.  Neue  Politiker  und  ' 
Militärs  hatten  bei  den  Alliierten  die  Führung  übernommen.  Seit' 
Dezend)er  1916  war  der  Waliser  Datid  Lltryd  George  britischer 
Premierminister;  in  Frankreich  war  im  November  1917  Georges 
Clemenceau,  der  «Tiger»,  der  die  Unversöhnlichkeit  und  den  Kampf 
bis  zur  letzten  Viertelstunde  proklamiert  hatte,  zum  Ministerpräsidenten 
ernannt  worden.  Auch  die  militärische  Führung  wurde  reorganisiert: 
der  französische  (ieneral  Foch  übernahm  als  Generalissimus  den  Ober- 
befehl über  sämtliche  britischen  und  französischen  Truppen  an  der 
Westfront. 

Der  deutsche  Angriff  vom  Frühjahr  1918  erzielte,  gemessen  an  den 
geringen  Geländegewinnen  der  Materialschlachten,  zunächst  große  Er- 
folge. Die  Deutschen  stießen  etwa  sechzig  Kilometer  tief  vor,  doch 
dann  erlahmte  ihr  Vormarsch.  Im  April  begannen  sie  die  zweite 
Offensive  südlich  Ypern,  Ende  Mai  und  anfangs  Juni  die  dritte  bei 
Soissons,  die  die  deutschen  Truppen  nochmals  wie  1914  bis  zur  Marne 
brachte.  Aber  damit  war  ihre  Kraft  erschöpft.  Eine  vierte  Offensive 
beiderseits  Reims  brach  Mitte  Juli  nach  zwei  Tagen  zusammen.  Im 
Gegenstoß  durchbra«  h  Foch  am  18.  Juli  die  deutschen  Linien  bei  Sois- 
sons. Die  durch  die  Offensivvorstöße  weit  ausgebuchtete  deutsche  Front 
des  Sonuners  1918  bot  den  Alliierten  günstige  Angriffspunkte.  Am 
8.  August  erzielten  die  Engländer  östlich  Amiens  einen  tiefen  Ein- 
bruch in  die  deutsche  Front  Inzwischen  waren  auch  die  ersten  ame- 
rikanischen Einheilen  auf  dem  westlichen  Kriegsschauplatz  erschienen,  j 
und    der    Zustrom   an   unverbrauchten,   frisch    ausgerüsteten    amerika- 


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Britmher  Soldat  im  Morast  hinter  drr  Front. 


Teliunp  iffs  FTiTfäTTn 
MaiiiK.s  uimI  «lie  jmi|i»'n  MeiischeA  halten  sogar  «lulirli  Angst,  sie 
könnten  das  Wnndervoll-Erregende  in  ihrem  Lelien  versäumen;  des- 
halb drängten  sie  ungestüm  zu  den  Fahnen,  de^halh  jubelten  und 
sangen  sie  in  den  Zügen,  die  sie  zur  Schlachthank  fidnten,  uild  und 
fiebernd  strömte  die  rote  lilutuelle  durrh  die  Adern  des  ganzen 
Reiches. 

...die  meisten  unserer  Dichter  meinten  ihr  Teil  am  besten  zu  tun, 
indem  sie  die  Begeisterung  der  Massen  stärkten  und  die  angebliche 
Schönheit  des  Krieges  mit  dichterischem  Appell  o«ler  Wissenschaft- 
liehen  Ideologien  unterbauten.  Fast  alle  deutschen  Dichter,  Haupt- 
mann und  Dehmel  voran,  glaul)ten  sich  verpflichtet,  wie  in  urgerma- 
ni^chen  Zeiten  als  Barden  die  vorrückenden  Kämpfer  fuil  Liedern 
und  Runen  zur  Stn  bebegei^ternng  anzufeuern.  S<  hock\vei>e  regneten 
(;edichte,  die  Krieg  auf  Sieg,  iN..t  auf  Tod  reimten.  Feierlich  ver- 
schworen r^ich  flie  S(hrifl-telbr.  nie  nuhr  mit  eiii.in  Franzo>en,  nie 
mehr  mit  einem  Enjiländer  Kultnru;enieiii>cliaft  halMii  zu  wollen,  ja 
mehr  noch:  sie  leugneten  über  Nacht,  da«  es  je  eine  englische,  eine 
französische  Kultur  gegeben  habe.  All  das  sei  gering  und  wertlos  gegen- 
über deutschem  Wesen,  deutscher  Kunst  und  deutscher  Art.  Moch 
ärger  trieben  es  die  Gelehrten.  Die  Philosophen  wußten  plötzlich  keine 


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GraVcnkampf  schottischer  Truppen  hei  Arra.f. 


Kanadier  nach  einem  Anririff. 


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i,üctlit>   eine   empfindsame   Inscluif   auf   da» 
Namens  setzen!» 


C/iai)    uii.-iere&   deulscheii 


Beruht  oitipr  KranJ^onschtvcstpr  über  vhw  Brficgnun^ 
mit  dem  Kaiser  auf  einem  Schlaclitjeld  bei  Metz 

Die   Sonne,   die    id,er   Tags   so   heiß   pel.rannt,   geht   mit   hhd.irolem 
letztem    Leuehten    im   Westen    zur   kurzen    Rast;    von   ferne   drmgt   ein 
Trompetensignal   herid»er  -  wie  Appell   «n«l   Ahendfrieden   kl.ngt   es. 
Da  taueht  seitwärts  ein  Reitertrupp  auf,  einfarh,  fehlgrau,  ermu.  el  und 
bestauht,    die    hlitzenden    Sehärpen    <ler    (ienerah-    s.n<l     verhüllt,    ab- 
geblendet.  Kaiser  Vi  ilhen.  11.   i>t  e^,  inmitten  seines  Stabes,  n«'«;  •jj"'-^»''' 
hebt   sieh    in.   Sattel    und   id.erMhaut    mit   großem,   traurigem    HlnU   .la^ 
uiiste  Feld,  dann   legt  er  die  Han.l   idur  die  Augen,  als  ob  iUv  letzten 
Strahlen  der  Som.e  ihn  ge.>rhmerzt  hätten     -  muh  uiH  kern  ^.ege>.,uhel 
aufkonnnen,  noeh  bluten  die  Wunden  zu  fri^rh.  Dorh   .la     -  ha  t .    An. 
We-M-ande    erhebt    sieh    mid.^am    ein    Verwundeter,    hlul.g    (,esirht    und 
Hall  Die  Uniform  besehnu.tzt  -  -  mit  der  Hand  rüttelt  er  einen  neben 
ihm  hoekemlen  Franzosen  am  Ann,  de»en  ßeinklei<ler  (;eneralstre.fen 
zieren,   und   deutlich  hürl   man   ihn   .>agen:    Auf,  auf!    Die   Hände   des 


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juiv  bricht  iv  J^i>ßhu,d  die  7!,iul>it,oH  an.s.  Im  Mor:  v<,d  d. ,  /.o,  otnj,  s.  t.j,  u,i  i\o, 


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Britische  Truppen  heim  :Morsrh  in  rückwärtige  Stellnngen. 


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Die  Soldaten:  Blut,  Schmutz  unf  Schlamm.  Verwmidete.  Diejenigen, 
denen  wir  zuerst  begegneten,  sind  am  leichtesten  verwundet:  Wunden 
an  Armen  und  Händen.  Bei  den  meisten  bemerkt  man  deutlich  neben 
der  Müdigkeit  und   den  Schmerzen  ein  Gefühl  wahrer  Erleichterung, 
weil  sie  noch  leidlich  gut  davongekommen  sind. 

Weiler  in  der  Gegend:  Verhandstellen,  Verscharren  von  Toten; 
sechs  sind  es,  auf  zwei  Karren  ausgestreckt.  Flach  daliegend,  verloren 
in  ihren  zerrissenen  Kleidern,  führt  man  sie  an  eine  am  Fuß  eines 
Kruzifixes  offene  Gruft.  Priester  tun  eher  Kriegsdienst  als  Gottesdienst, 
denn  a»ich  sie  sind  als  Soldaten  eingezogen.  Etwas  Stroh  und  Weih- 
wasser  darüber,  und  wir  ziehen  weiter.  Im  Grunde  sind  diese  Toten 
noch  zu  beneiden.  Sie  sind  gepflegt  gestorben.  Was  soll  man  von  denen 
sagen,  die  weiter  vorn  liegen  und  verschieden  sind  nach  Nächten  von 
Todeskampf  und  Verlassenheit... 

16.  September  1914  (Tagebuch) 

In  dem  Kreise  des  Entsetzens.  Die  regnerische  Dämmerung  läßt  die 
Straße  erbleichen;  plötzlich,  in  einem  Graben  —  die  Toten I  Sie  haben 


Das 


Bild  der  WestfroiU  im  Ersten  Weltkrieg:  Schützengrähen,  Triclitcrfehhr,  ronkformaUoncn,  In.fanteriestofStrupps. 


Bereit stelhmq  gepanzerter  fransösischer  Fahrzeuge  und  hritischer 
Artillerie  wahrend  der  deutschen  Frühjahrsoffensive  1918. 


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Lettre,  ecrite  par  un  sergoant  frantaiä,  lombe  le  7  mai  1916 

^  .  '  4  mai  1916 

Cner  amis, 

ma  lettre,  aiijourd'liui,  a  un  caraclt-re  special;  je  vous  l'ecris  du 
fort  de  S  . . .  oü  9e  et  lOe  somiiies  (sie!)  arrives  cette  nuit.  Menie  vue 
ä  10  kilometres,  riinpression  colossale  de  la  lulte  qui  sc  deehaine 
devant  Verdun  ne  peut  etre  coinparee  ä  Teffroyahle  realite.  Pauvrc 
123e,  d'ici  a  huit  jours,  il  sera  bieii  maigre.  Hier  soir  seulenienl,  pour 
faire  la  releve  sur  les  pentes  de  Douauinont,  au  cours  de  la  traversee 
du  bois  de  la  Caillette,  ou  plutöt  de  ce  qui  le  fut,  le  lOo  hataillon  a 
beaucoup  souffert;  qu'il  nie  suffise  de  vous  dire  i\ue  le  Lieutenant 
Verron  a  ete  tue,  le  capitaine  Missaut  blesse  de  nouveau  rtr.  etc.  .  .  . 
Nous-memes  avons  eu  a  traverser  pour  nous  rendre  ici  a  1800  nielres 
de  la  preniiere  ligne  des  rafales  de  lenr  j^ros  ohus  et  une  «liance  reelle 
nous  a  seule  permis  d'en  sortir  indenuies. 

Ce  soir  nous  allons  renforccr  le  bataillnn  «K'ja  en  ligne  et,  inalfire 
tout  mon  courage,  qui  n'est  pas  anioindri,  j'apprehende  cette  galopade 
ä  la  niort.  II  faut  les  vivre,  ces  ininutes,  pour  en  coniprendre  tonte  la 
tragique  angoisse;  tout  senl  le  carnage:  par  ici,  l'air  est  empeste  d'une 
odeur  de  charnier. 


Der  Sturm.  Vorbereitung.  lUm  4  Ulir  15  Minuten  begann  mit  kleinAi 
Kalibern  die  Beschießung  der  feindlichen  Linien.  Gasgranaten.  GroüFe 
Wolken.  Einige  zu  kurz  gegangene  zwingen  uns  zur  Benützung  der  GaV 
niasken.  Das  Kaliber  unserer  Artillerie  wird  größer.  Die  feindlichen 
Batterien  beschießen  unsere  rückwärtigen  Linien:  Sperrfeuer!  Wir  er- 
halten fast  keinen  Schuß.  7  Uiir  30  Minuten.  Gas  mit  den  größten 
Kalibern.  7  Uhr  30  Miiuiten  bis  8  Uhr.  38,5-  bis  42-em-Granaten.  Ein 
furchtbares,  ^ewaltigcf,  S<hauspi«'l.  Er<le  bis  zum  Himmel.  Die  Schhicht 
eine  riesige  Dampfwoike,  turndioch  flogen  die  Trümmer.  Dorf  El.  auf 
der  Höhe  3  Kilometer  entfernt,  ist  eine  Rauchwolke.  Gegenüber  unserer 
Stellung  scheint  die  Welt  unterzugehen.  Und  wir?  Wir  stehen  mit  be- 
geisterten Augen  und  schauen  und  schauen !  .  . , 


Brief  eines  jungen  Deutschen  aus  Sanrlouis 
vom  22.  Juli  1917 

Die  Wartezeit  ist  um.  Heute  erhielt  ich  den  Marschbefehl,  morgen 
geht's  hinaus.  Wie  anders  ist  dieser  Abschied  doch  wieder  als  der 
damals    und    wie    anders    wieder    als    der    erste    im    Dezember    19111 


Hotels,  in  denen  Kegi,erungs^eTTönjen  ™iergri»rarnt  w< 
schlanke  Gestalt  eine^  SchreibfräuleinsTauf.  Das  junge  Mädclien  wies 
mit  einer  hastigen  Handbewegung  in  die  Höhe,  aus  der  soeben  der 
zweite  Glockenschlag  erscholl.  Mit  einwn  Male  stürzten  von  allen 
Seiten  Frauen  und  Männer  auf  die  Straßf  Ein  Menschenstrom  ergoß 
sich  aus  allen  Häusern.  Die  Glocken  von  London  erhoben  ihre  Stimme. 
Die  Northumbcrland  Avenue  war  angefüllt  von  hundert,  nein  tausend 
Menschen,  die  hin  und  her  wogten  und  vor  Jubel  und  Freude  weinten 
inid  lachten.  Ich  blickte  zum  Trafalgar  S<piare  hinüber,  der  schon  von 
Menschen  überfhitet  war  . . .  Kaum  war  der  letzte  Glockenschlag  ver- 
liallt,  da  hatten  sich  die  korrekten,  an  die  Kriegsordnung  gewöhnten 
Straßen  Londons  in  ein  «Pandämonium  des  Triumphes»  verwandelt. 
Niemand  wollte  heute  mehr  arbeiten.  Die  Ketten,  welche  die  Welt 
gefesselt  hatten,  waren  zerbrochen.  Bittere  Not,  Mannszucht,  brutale 
(»ewalt,  Aufopferung,  Schrecken  und  Ehre,  alles,  was  unser  Volk,  nein, 
was  der  größte  Teil  der  Menschheit  bis  zur  Erschöpfung  getragen 
hatte,  versank  bei  diesen  wenigen  Glockenschlägen.  Jetzt  wieder 
Sicherheit,  Freiheit,  Häuslichkeit,  der  liebe  Platz  am  Kamin  —  nach 
52  Monaten  der  Entbehrungen!  Nach  52  Monaten  schwerer  Mühen  und 
kaum  erträglicher  Anstrengungen  —  Befreiung  von  allen  Lasten! 
So  schien  e«  wenigstens  im  Augenblick. 


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Die  €Pcaecmaker^  des  Jahres  1919  in   Versailles  (von  links  nach  rechts):   der   französische   Ministerpräsident   Clemenceau,   der  amcrilüvisclie  Präsident  Wilson  und  der  hritische  Trcmicrminisier  Lloyd  Gem-gc. 


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"TOaiuLTluiul  .tm  "'"'X.„  Kanzlers  M.ller.li<l.  aiisf.fül.rt  wur- 

;l::; :::':;:.::::« 3e,.^w.n„en.  w^ «0.,.^».  ...eg,..,..  e^. 

wägungen  dagegen  sprechen. 

U.  ..ie  )a..U«n..e«w.„ae  ..e..and  en,  ..wi« 

lieh  lo,ker.r;  .«.l-m  n-.g.o  j  JJ  ^  ,„  ,,..,  Kol.„.ialHn>,.,i„  l,.- 
He,„  e.  sich  am  A»fa„,  ''-J  •''"•■;:;';  „„,;ä,,|i.h.n  Ahk.hr  hauen, 
in  Nordafrika   f.em,»l   hatu-.  /."  •*';'"  "'.|„,  ,rr..,h»ti-Mn..  M.«i.- 

hei.   Tro>«U.m    wurde    de         r     1«.   d  _  „..,..„  Krank- 

Jahre  *o?ar  fe.li^eleft.  da«  '"•"".,'■'      |i„Wen  ll..=el  'ler  deul-ehen 
reich  drei  ilalienlMhe    \rn,eek..r,.,  an  ''<  '       y^' "  '      ,,j,..„   „■„  „,,„  ,„. 

,    an.  '''-•■^;-:;;, -:*■- -;'':;:.:;:;;::;en°.);l.:on ».. rei 

wohl    mit    der    Mogli<  hk»  il    «'"♦  "^    "      .  ,l^,.i,.„i!i.n     eines      talie- 

„reihundn,ä.h.e    se.en     Krank h    "-    "■"^,.    ;';;',,   ,.„„„ 

ni,eh.ö,.erreiehi.ehen    Krieges    rechnen.  .'  "    ?';'"7      „,,„         ,,;,,,,,„ 
VerM.elnn,S    he.lehen.    i.her    nn>er    (.eh.et    e,ne    \ .  rhnnU.    „ 


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,,,. .rr.h,c     ei hr     Marke     «f  ^1;^;;-"  ^      ;,,,        .Ji' t 

L„.eh,    die    Nie.h.rla.e    ""  ^;^^,;^J^^^,2,    „.rück.n.e.in. 
,|„„,als    verh-renen  ^.;  "  -'^  ^    f  ^  .  h,  n.    _^^  _^^_^  _       ,.,„„.U,..ri.ch 

uirkeiKle     Aeuiv  i  iin^»  n  u„  «.»J^r.«  die  Kntsen«  nng  eine> 

■'-  •'•-;-• 't' tid ;  ::"n^: '  :"!^«.^^  ''-  «^--«"■■ 

kanonenh.M.te,   nach    A?.d„     Im   .  n  ,lr,„.eh.fran«isi-clur 

.„i,chen  den  heiden  l.an.hrn  ''•'•'•'"  '"|,.„.„  y.^  ,„„,5,en  wir 
Krieg  konnte  al.o  iedcr.e,.  ""^''-^'^^^'J^^l^Lor.  eine  der 
,.,,  „..,.  M,,..ichkci,  rc,  ,nen       a,.^  «.e  ■    ^J;  "l-';',.  \,,,,.,    ,,,    ,,,„. 

Kriei;„,art,..cn.    ode,    J"'"'  .;„,„.,.,   .,„   |,,„i„,..n   heah>ichti«ten. 

"""■'■""""    T"       ;■(,    ;'.     ;.    ..-id     r        "  ..,.era.i danen  keine  der- 

Wir  v,i..en  heute,  da«  ...  ''"'  '"  '  '  '  ,,  ,.(,„,  .„|,,„,  M,i?lichkei. 
„,.,i,e  Ak.i....  v..rs,.,ehen  wa,.  "'•/'".,,„.,„  ,;,.,,  „„.  ,|eu,  offi- 
v.,n    deutscher    S.-ite    ,e„rur.    > ;'.,;.;,,.,:'"„,.,    A„|..|.,  .h-r  Schil- 

,.,,,.„  K,ie.>wc,.k .,-  •■-:'7;;, , ;     .    :; ut-,-. 

,,.,„„,„,  ■";";;:;•■;,,,,,;,,,,..',,,,„  ...afe..  Scl.lieffe..  der 
(ien.'ral-.ahsch.f    .hr    J;'"  ">"  ,„.,„,„|,.    H,|»i,.n    K„r-ah.   wir.l    f.- 

,,..„    wuch.i«.-..    \,..M.dJ    .h.r.i,    .la-    ■        ■•^"  •  ,,,     |..,,„„.     ,;,„r 

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ü-^rr"..^:«";;::;  ,M.::.:t.,^a>h.  hewarr..c...n  w..h.r.a.,de. 


■■^^STwe^fairrvvle    kon.Ue    eine    Groümaeht    v.\c    Italir,, 

Kanton  Te.in  ;;„,^-V,"Kit.trF:,tf.  '.',.:„,  v...,'  ,.er  U..nhar.r.»ehe„ 
r;:,.;  ::;:dt  t  ....:fr  <:ehie.  .h  houchiere«  ka..,,,  ..a.,  n.,ch  in  e,ne,n 
lffe„en  »..d  an  Verteidisun^.linien  arnten  Gelände  .'> 

Die   v.,r,.eh..nden   Zitate   hewei.en    welch   hohe  ^ ^^^f^J^::;, 
Xa.hhar..aat...    ....»erer    Nentralitä.    henn.Ben.  J-    "    -';.;'^"     ^^„^ 

■""'  '^''i^irt;'^™:. ::;.::::'.:  el:T,;t;!;r.  z^z 

r,;;!,:;:.;:,:  L»;   d.;'Uwei.  ■,.  d t,e.haren  V..rkrie,-«..,. 

Im  SdiriTi   i/m  Kricfisgi-schchrns 
Ucr    A,.ra,„   Au.»-.    1-.,,    au,hrc.h..n.h.    Krie.   M.dlte   un>   ,nu,    vor 

:';;:;z;:i.,^-'tt.-:i:r:i.^'";p:-..:-;-^ 


SrhiHzenfjrohrn  hei  Kh  inhiminfJ' n  <i»<   Uhnv. 


.Shihiiinshau  am  llatKuMein, 


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T^EVE  ZÜRCHER  ZEITUNG 


LITERATUR  UND  KUNST 


I 


Fem^ausgabe  ^r.  51 

Samstag,  21.  Februar  1953     Blatt  4 


«Die  Unabhängigkeit  der  Schweiz 
von  jedem  frennden  Einfluß 


» 


Charles  Pictet  de  Rochemont,  der  schweizerische 
Bevollmächtigte  an  der  Zweiten  Pariser  Friedens- 
konferenz, war  ganz  besonders  stolz  darauf,  daß  es 
ihm  gelungen  war,  in  die  Akte  betreffend  die  Aner- 
kennung der  immcrwährendf'u  Neutralität  der 
Schwcir  vom  20.  November  1815  den  Satz  einzu- 
fügen: „Les  Puissances  . . .  reconnaissent . . .  quc  la 
neutralite  de  la  Suisse  et  son  indcpendance  dc^toute 
influence  etraiigere  sont  dans  les  vrals  interets  de 
la  politique  de  l'Europc  entiere."  Daß  die  fiijircn- 
den  Staatsmänner  der  europäischen  Großmächte 
diesen  Satz  unterschrieben,  war  allerdings  erstaun- 
lich. GpM-iß  hatten  die  Alliierten  schon  Ende  1813 
die  Wiederherstellung  der  Unabliängigkeit  der 
Schweiz  in  Aussieht  gestellt;  da  aber  die  Eidgenos- 
senschaft seit  15  Jahren  unter  franzö^i^chem  Ein- 
fluß gestanden  und  Frankreich  Tribut  bezahlt  und 
Truppen  geliefert  hatte,  hielten  sich  nun  die  Sieger 
nicht  für^  verpflichtet,  ihre  Neutralität  und  ihr 
Territorium  zu  respektieren.  Sie  ließen  um  das 
Neujahr  1814  mehr  als  hunderttausend  Mann  durch 
die  "Schweiz  marschieren,  und  die  allerhöchsten 
Herrschaften  beehrten  Basel  mit  ihrem  Besuch. 

Am  Wiener  Kongreß  schien  es  jedoch  mit  den 
Anliegen  der  Schweiz  nicht  schlecht  bestellt  zu  sein. 
Das  kleine  Land  hatte  einen  großen  Gönner,  den 
Zaren  Alexander  I.,  der  sich  der  Heimat  seines  Leh- 
i^rs  Laharpe  erkenntlich  zeigen  wollte.  Sein  Be- 
auftragter im  Komitee  für  die  Schweiz,  der  Graf 
Capo  d'Istria,  aus  Korfu  stammend,  entwarf  eine 
Erklärung,  worin  die  Mächte  versprachen,  die 
Unabhängigkeit  und  Neutralität  der  Schweiz  aner- 
kennen zu  wollen,  ohne  jede  für  die  Schweiz  später 
lästige  Erwähnung  irgendeiner  Garantie,  ganz  so, 
wie  es  die  Tagsatzung  in  ihrer  Instruktion  vom 
15.  Septembei  1814  gewünscht  hatte.  Dementspre- 
chend verabschiedete  das  Komitee  am  16.  Januar 
1815  seinen  Schlußbericht  und  erklärte  darin  aus- 
drücklich, die  Schweiz  selbst  biete  die  l)cste  Garantie 
für  ihre  Neutralität  durch  die  richtige  Ordnung 
ihrer  Innern  Verhältnisse  und  durch  die  Bereit- 
schaft „ä  faire  respecter  la  neutralite  de  son  terri- 
'  i:*ire".  Als  aber  dieser  Schlußbericht  in  der  Sitzung 
fc:  acht  Kongreßmächte  —  es  waren  die  fünf  Groß- 
^^  Rußland,  Oesterreich,  England,  Preußen 
^.nkreich,  und  Spanien,  Portugal  und  Schwe- 
ü^prochen  wurde,  erklärte  Metternich  in 
iJfien,  „er  habe  ein  Gegenprojekt  anfer- 
i;clas  einige  Aenderungen  enthalte".  An 
^ie  Schweiz  günstigen  russischen 
iser  Land  unbequeme  östcr- 


die  „Garantie",  aus  der  dann  Metternich  bis  zur 
Zeit  von  1848  immer  wieder  das  Recht  ableiten 
wollte,  sich  in  die  schweizerischen  Angelegenheiten 
einmischen  zu  dürfen.  Zwei  Monate  später  blieb  der 
Scliweiz  sogar  nichts  anderes  übrig,  als  an  der 
Seite  der  Alliiertem  gegen  den  von  Elba  zurück- 
gekehrten Napoleon  zu  Felde  zu  ziehen.  Sie  ge- 
horchte im  Sommer  1815  jedem  Wink  der  Sieger- 
mä eilte  —  am  20.  November  1815  erklärten  die- 
selben Mächte,  daß  die  Unabhängigkeit  der  Schweiz 
von  jedem  fremden  Einfluß  im  wahren  Interesse 
der  ganzen  europäischen  Politik  liege.  Wie  war  das 
möglich? 

Die  Tagsatzung  hatte  Pictet  de  Rochemont  nach 
Paris  delegiert,  weil  er  gute  persönliche  Beziehungen 
zu    den    maßgebenden    Staatsmännern    besaß    (vgl. 
„NZZ"  vom  19.  Mai  1945,  Nr.    808).  Entscheidend 
aber  war,   daß  Pictet  die  europäische  Gesamtlage 
überblickte,  die  für  die  Schweiz  günstige  Konstella- 
tion durchschaute  und  die  große  Stunde  zu  nutzen 
verstand.  Capo  d'Istria  und  Castlereagh  traten  von 
vorneherein  für  die  Unabhängigkeit  und  Neutralität 
der    Schweiz   ein.    Sic    baten    Pictet,    die    von    den 
:Mächten  am  20.  März  angekündigte  Akte  zu  redi- 
gieren. Schon  das  war  ein  Glücksfall;  der  Genfer 
konnte  nun  alles  so  sagen,  wie  es  für  die  Schweiz 
am  vorteilhaftesten  war.  Zwar  mußte  er  an  die  in 
Wien  geprägte  Formel  der  ,, Anerkennung  und  Ga- 
rantie der  Neutralität"  anknüpfen;  im  „maßgeben- 
den   Dispositivteil",    wie    Paul    Schweizer    erkannt 
hat,   trennt  er  die   Begriffe  und   läßt  die   Mächte 
sagen:  „les  Puissances . . .  fönt,  par  le  prcsent  acte, 
une   reconnaissance   formelle  et  authentique   de   la 
neutralite    perpotuelle    de    la    Suisse,    et    elles    hu 
garantissont  Tintegritc  et  l'inviolabilitc  de  son  terri- 
toire    dans    ses    nouvelles    limites."    Indem    Capo 
d'Istria  den  Entwurf  für  sein  Werk  ausgab,  ahnten 
die  österreichischen  und  französischen  Diplomaten 
nicht,  was  geschehen  war,  und  flüsterten  Pictet  im 
größten  Vertrauen  zu,  es  werde  etwfus  sehr  Schönes 
für  die  Schweiz  vorbereitet.  Da  mit  dem  Abschluß 
der  Heiligen  Allianz  vom  26.  September  1815  wieder 
eine    enge    Fühlung    zwischen    den    konservativen 
Großmächten  der  IMitte  und  des  Ostens  entstanden 
und   dadurch   der   Einfluß   Oesterreichs  noch   ver- 
stärkt worden  war,  taten  die  Franzosen  alles,  um 
wenigstens   die    Schweiz   dem    Zugriff  Mettemichs 
zu  entziehen.  Pictet  schrieb  am  18.  November  1815: 
,, Richelieu  y  est  entre  on   ne   peut  pas  mieux . . . 
Cela  pi-ouvcmi'il  n'a  pas  Ic  Systeme  de  son  pre^o- 

*  '    "eu  b^tte  na'^'h  dem 


eine  Tiefe  des  Denkens,  die  ihn  in  die  Reihe  der 
ersten  Sprecher  des  eidgenössischen  Selbstbewußt- 
seins stellen:  ,,Le  lien  du  Pact/C  fcderal  s'en  est 
resserree.  Lc  memo  esprit  helvetique  a  soudainement 
aiiime  tous  les  cantons,  et  toutes  les  cours  ont  appris 
a  estimer  une  puissance  qui,  par  son  union,  a  su 
prendrc  sa  place  dans  le  Systeme  europeen,  une 
puissance  qui  ne  vcut  etre  redoutable  que  chez  eile. 
Les  grands  Etats  qui  avoisinent  la  Suis.-,e  recherchent 
son  amitic.  Tous  s'accordent  aujourd'hui,  non  seuie- 
ment  pour  recoimaitrc  et  garantir  l'inviolabilite  du 
territoirc  helvetique  dans  ses  nouvelles  fronticres, 
mais  encore  pour  proclamer  cette  verite,  que  notre 
indcpendance  absoluc,  libre  de  toutc  influence  du 
dehoVs,  est  dans  les  vrais  interets  de  l'Europe 
enticre." 

Pictet  eriiebt  den  nüchternen  Satz  des  völker- 
rechtlichen Dokumentes  weit  über  den  geschicht- 
lichen Auo-enblick  hinaus  zu  einer  Wahrheit,  die 
üi)er  die  Zeiten  hinansragt.  Dem  Bürger  des  jüng- 
sten Gliedes  der  vielgestaltigen  Eidgenossenschaft 
ist  ei>  gegeben,  die  europäische  Sendung  der  Schweiz 
auszusprechen.  In  ihrer  Unabhängigkeit  und  Neu- 
tralität schützt  sie  nicht  bloß  sich  selbst,  sie  dient 
(Vm  allgemeinen  Interessen,  sie  bildet  eine  sichere 
Insel  de,s  Friedens,  die  unentbehrliclie  Brücke  zwi- 
schen den  Völkern.  Fällt  ihr  damit  nicht  ein  uner- 
hörtes Privileg  zu?  Pictet  weiß  es:  „Elle  a  besoin, 
plus  que  Jamals  peut-etre,  de  la  sagesse  de  ses  chefs 
pour  se  faire  pardonner  l'avantage  de  se  retrouver 


apres  la  tempete  plus  forte  qu'auparavant,  et  seulc 
nation  libre  sur  le  continent,  au  milieu  du  naufrage 
des  republiques."  In  solcher  Lage  muß  die  Schweiz 
so  wachsam  und  so  einig  sein,  „pour  opposer  chez 
eile  a  l'inquietudc  des  autres  peuples  une  barriere 
insurmontable". 

Also  tut  die  Schweiz  alles,  um  ihre  Widerstands- 
kraft zu  erhöhen.  Ihre  militärische  Bereitschaft  und 
ihre  innere  Einigkeit  sind  eine  solidere  Grundlage 
ihrer  Unabhängigkeit  als  diejenige,  welche  die  Er- 
kläi-unu:en  aller  Höfe  von  ganz  Europa  versprechen. 
xVllerdings  haben  die  Jahre  unter  fremder  Be- 
setzung, die  inneren  Spaltungen  und  die  äußeren 
Einllüs>e  den  Geist  der  heranwachsenden  Gene- 
ration gefährdet.  ,,L'cducation  bien  dirigee  va  rame- 
ner,  parmi  nous,  les  mtcurs  pieuses  et  pures;  elles 
rctrempera  les  caractcres;  eile  leur  rendra  cette  fort« 
teinte  d'indcpendance  helvetique  que  la  Suisse  etait 
menacee  de  ne  retrouver  que  dans  son  histoire."  So 
spricht  Charles  Pictet  de  Rochemont  gleichsam  im 
Namen  des  Präsidenten  der  Tagsatzung,  wenn  er 
schließt:  „La  protection  speciale  de  la  Providence 
et  la  faveur  des  Puissances  ont  sauve  la  Suisse  et 
etabti  son  nouveau  Systeme  politique.  Elle  achevera 
l'ceuvrc  de  son  salut,  en  fondant,  sur  l'esprit  reli- 
gieux,  sur  les  principes  et  les  habitudes  d'une  edu- 
cation  vraiment  rcpublicaine,  les  vertus  et  le  devoue- 
ment  des  citoyens  qui  feront  sa  gloire  et  sa  force,  en 
la  replacant,"en  la  maintenant  a  la  hauteur  de  son 
antique  renormnee."  Uonhard  von  Muralt 


Abraham  Ruchat 

Ein  Kapitel  zum  Thema  des  gesamtschweizerischen  Patriotismus 


Wo  heute  des  französischen  Professors  Andre 
Siegfried  „Suisse  —  democratie  tcmoin"  auf  dem 
Bücherbrett  steht,  gab  einst  ein  waadtländischer 
Professor,  der  sich  in  seiner  Jugend  „Gottlieb 
Kypseier"  nannte,  in  seinen  ,,Dclices  de  la  Suisse" 
Auskunft  über  die  Alte  Eidgenossenschaft.  Damals 
bestand  noch  kein  Bedürfnis  nach  einem  „Who's 
who  in  Switzerland?"  Die  Frage  stellte  sich  all- 
gemeiner, aber  nicht  auf  englisch.  Stanian,  groß 
brit^uinischer  Gesandter  in  der  p]idgenossenschaft, 
hatte  in  einem  „Account  of  Switzerland"  seinen 
I^andsleutcn  bereites  dargelegt,  was  von  der  Schweiz 
zu  halten  war.  Franzosen  waren  es  vielmehr,  die 
mit  hartnäckiger  Bosheit  vorgaben,  beim  besten 
Willen  nicht  zu  wissen,  woher  die  40  000  Söldner 
ihres  Königs  kamen.  Gottlieb  Kypseier  wollte  es 
ihnen  zeigen.  Aber  damals,  1714,  hielt  es  schwer, 
Franzosen  zu  belehren.  Schon  La  Rochefoucauld 
hatte  ihnen  gesigt,  quc  „c'cst  une  gran^e  folie  de 


geschrieben  wurde,  immerhin  selber  ein  Werk 
geschrieben  hat,  das  sich  hundert  Jahre  nach 
seinem  Erscheinen,  von  Louis  VuUiemin,  dem 
Uebersetzer  und  Fortsetzer  Johannes  von  IMüllers, 
mit  Gewinn  neu  herausgeben  ließ,  die  „Histoire 
de  la  Reformation  de  la  Suisse".  Virgile  Rössel 
nennt  ihn  einen  „Vater  der  schweizerischen  Ge- 
schichtssfihreibung".  Und  dieser  Titel  ist  nicht  zu 
hoch  gegri.'Ien,  wenn  auch  im  Todesjahr  Ruchats, 
1750,  die  erste  Schweizcrgcschichte  französischer 
Zunge  aus  dlpr  Feder  eines  andern,  des  Freiburger 
Schultheißen»  Nicolas  d'Alt,  ei-^chienen  ist.  Ruchats 
Schuld  war  ^  nicht,  daß  seine  „Histoire  generale 
de  la  Suisse'',  erst  durch  den  Auszug  bekannt 
wurde,  mit  di'^m  Gottlieb  Emanuel  von  Haller  in 
seiner  „Bibliothek  der  Schweizergeschichte"  dem 
Untertanen  Bterns  späte  Gerechtigkeit  widerfahren 
ließ.  Es  war  nicht  leicht,  zu  jener  Zeit,  Theologie-g 
Professor,   Historiker  und   bernischer  K^-tertan  in/ 


n 


:.  \) 


JCcliii  nicht  zurücke rstatten  zu 

Kr  dieser  unangenehme  "Wechsel  möglich 
Die  Schweizer  Fragen  schwammen  am 
Kongreß  wie  ein  kleines  Stück  Holz  auf 
n  Bergbach  daher  und  wurden  von  den  Wellen 
fr  ge.schichtlichcn  Strömung  hin  und  her  geworfen. 
r)ie  Russen  und  die  Preußen  hatten  ihre  Ansprüche 
zu  hoch  geschraubt,  die  Russen  wollten  ganz  Polen, 
die  Preußen  ganz  Sachsen  haben.  Um  vor  allem 
den  russischen  Vorstoß  abzuwehren,  schloß  Mrtt^r- 
nich  am  3.  Januar  1815  mit  den  Vertretern  Eng- 
lands und  Frankreichs,  Castlereagh  und  Talleyrand, 
eine  geheime  Defcnsivallianz.  Von  nun  an  hatte  der 
österreichi.-che  Staatskanzler  die  Fäden  des  Kon- 
gresses fest  in  der  Hand,  die  beiden  Großmächte, 
die  Nachbarn  der  Schweiz  waren,  machten  gemein- 
sames Spiel,  die  Schweiz  war  in  die  Zange  geraten. 
Sie  mußte  froh  sein,  wenigstens  noch  die  F^rklä- 
rung  vom  20.  März  1815  entgegennehmen  zu  dürfen, 
worin  ihr  angekürdigt  wurde,  die  flächte  würden 
eine  Akte  ausstellen  „portant  la  reconnaissance  et 
la  garantie,  de  la  part  de  toutes  Ic  Puissances,  de 
la  neutralite  perpctuelle  de  la  Suissc  dans  sCvS  nou- 
velles  frontieres",  sofern  die  Tagsatzung  die  ihr 
von  den  Mächten  gestellten  Bedingungen  angenom- 
men haben  werde.  Neben  die  „Anerkennung"  der 
Neutralität,  die  besagt  hätte,  daß  die  Mächte  den 
souveränen  Willen  der  Schweiz  respektieren  wollten, 
schob  sich,  wenig  betont,  aber  doch  ausgesprochen, 


RücktriK"^^7^n^i*and3  die  I^eitung  der  Jranzösischen 
Außen po'ft'wf/,,  übernommen  —  ou  plutot  que  le  cabi- 
net  de  Versailles  n'ayant  plus  Tespoir  de  dominer 
la  Confederation,  veut  aussi  Toter  au  cabinet  de 
Vienne.  Taut  mieux,  pour  nous!  La  Suisse  profit« 
pleinement  de  cette  rivalite."  Das  war  es  —  Pietät 
hatte  es  gewagt,  die  beiden  großen  Nachbarn  der 
Schweiz  gegeneinander  auszuspielen  und  so  seinem 
Vaterland  die  volle  Unabhängigkeit  zurückzugewin- 
nen. Edgar  Bonjour  hat  uns  gezeigt,  wie  sich  das 
europäische  Gleichgewicht  in  den  Zeiten,  da  es  wirk- 
lich ausgewoiren  war,  günstig  für  die  Neutralität 
der  Schweiz  ausgewirkt  hat. 

Konnte  sich  die  Schweiz  Virklich  auf  dieses 
labile  Spiel  und  auf  die  schönen  Erklärungen  der 
I\l ächte  verlassen?  So  stolz  Pictet  de  Rochemont 
selbst  mit  Recht  darauf  war,  daß  er  jenen  Satz  über 
die  „Unabhäiurigkeit  von  jedem  fremden  Einfluß" 
in  die  Neutralitätsakte  einzufügen  vermocht  hatte, 
war  er  docli  Realpolitiker  genug,  um  sein  eigenes 
Werk  und  das  Dokument  der  Diplomatie  nicht  zu 
überschätzen.  Auf  der  Heimreise,  zuletzt  über  die 
verschneiten  Jura])ässe,  entwarf  er  seinen  Schluß- 
bericht an  den  Präsidenten  der  Tagsatzung,  Büi-ger- 
mcister  David  von  Wyß  in  Zürich.  Am  Schluß  gibt 
ei  einen  Ueberblick  über  die  Lage  der  Schweiz;  ein 
gi-oßartiges  Dokument  politischer  Weisheit  und 
vaterländischer  Ge.>innung,  viel  zu  wenig  bekannt 
und  gewürdigt;  es  k"önnte  für  1945  geschrieben 
worden  sein!  Pictet  führt  eine  Sprache  und  vertritt 


Tmwig 


vouloir  etre  sage  tont  seul".  Doch  als  üea 
von  Muralt^  „Lcttres  sur  les  Anglais  et  les  Fran- 
?a.is"  erschienen,  in  denen  umgekehrt  ein  Schweizer 
den  Franzosen  zeigte,  daß  er  sie  gut  genug 
kannte,  um  ihnen  die  Engländer  vorzuziehen,  da 
zuckte  der  Abbe  Des  Fontaines  bekanntlich  mit 
keiner  Wimper.  Er  sei  angenehm  überra^icht,  sagte 
er,  „de  voir  un  Suisse  penser".  Es  dauerte  immer- 
hin etwiis  über  zweihundert  Jahre,  bis  ein  Franzose 
die  Maxime  La  Rochefoucaulds  an  den  Anfang 
seines  Buches  über  die  schweizerische  Demokratie 
setzte. 

Der  Mann,  der  so  mit  seinen  „Delices  de  la 
Suisse"  dazu  beitrug,  daß  wir  heute  die  Bes«hrei- 
Inmg  unseres  Landes  getrost  einem  Ausländer 
überlassen  und  uns  dafür  in  einem  Nachschlage- 
werk ausschließlich  dessen  Einwohnern  zuwenden 
können,  wäre  —  lebte  er  heute  —  schwerlich  im 
„Who's  who?"  zu  finden.  Jedoch,  nach  200  Jahren 
noch  der  Erwähnung  wert  zu  sein,  sind  die  Chan- 
cen trotzdem  größer,  wenn  man  —  selbst  hinter 
dem  Pseudon^TU  „Gottlieb  Kypseler"  versteckt  — 
wie  Abraham  Euchat  lediglich  im  Gelehrtenlexikon 
steht. 

Abraham  Ruchat  gehört  zu  jenen  „illustres 
inconuus"  des  18.  Jahrhunderts,  über  die  man  — 
Gonzaguo  de  Rcynold  hat  es  mit  seinem  „Doyen 
Bridel"  bewiasen  —  ebenso  umfangreiche  wie  wert- 
volle Bücher  schreiben  kann.  Dabei  ist  zu  sagen, 
daß  Ruchat,  über  den  ein  solches  Buch  noch  nicht 


eTner  i'ci.it'fci  ^i*  .-vm.  .  .-u.  ^.nv ,,,, 
hatte  Johai|nes  von  Müller  nur  das  eiHe  mit  ihra^ 
gemeinsam,  BFistoriker  zu  sein;  und  auch  er  mußte, 
nach  bitteren  Erfahrungen,  „Boston"  statt  Bern 
auf  das  Titel'Dlatt  seiner  „Geschichte  der  Schwei- 
zer" setzen.  \n  seinen  Freund  Bonstetten  vschrieb 
er  über  die  Perner:  „. .  .et  j'en  conclus  qu'ils  sont 
peu  dignes  d'avoir  des  historiens".  Ruchat,  dem 
man  nach  dem  Erscheinen  der  Reformations- 
geschichte die  Herausgabo  weiterer  Bände  ver- 
boten hattf ,  baschwerte  sich  nicht.  Er  versucht-e, 
was  auch  Johannes  von  Müller  nicht  vermochte: 
seine  Schweizergeschichte  trotzdem  zu  Ende  zu 
schreiben.  Auf  der  öffentlichen  Büchersammlung 
zu  Bern  war  es  dann,  wo  Haller  die  fünf  fertig- 
gestellten Manuskriptbände  eingesehen  hat. 

Alan  muß  sich  das  vor  Augen  halten:  ein 
Waadtländer,  bernischer  Untertan,  schreibt  neben 
den  Mühen  eines  emsigen  Gelehrtendaseins  in  aller 
Stille  die  Geschicht-e  der  Eidgenossenschaft,  ob- 
wohl er  weiß,  daß  er  sie  nie  wird  veröffentlichen 
dürfen.  Das  konnte  nur  einer,  der  schon  als  junger 
jMann  im  Vorwort  zu  den  „Delii^^es  de  la  Suisse" 
auf  die  Frage:  „Et  depuis  quand  trouve-t-on  des 
Delices  en  Suisse?"  mit  Ueberzeugung  geantwortet 
h atte :    man   f i nd et ! 

Ruchats  Publikationen  sind  Legion.  Die  Viel- 
falt seiner  Themen  verrät  den  Universalgelehrten 
des  enzyklopädischen  Zeitalters.  Von  allen  seinen 
Werken  erscheint  uns  jedoch  —  neben  den  „De- 


N 


I 

Heinrich  von  Treitschke 

Zu  einer  Monor/raphie  von  Walter  Buihnann 

So  vielfältig  die  Verflechtung  des  schweizerischen 
Geisteslebens  mit  dem  deutschen  seit  der  Aufklärung 
auch  gewesen  sein  mag,  so  beispielhaft  die  Schöpfiui- 
gen  der  großen  Historiker  von  Johannes  von  Müller 
über  Ranke  zu  Burckhardt  und  Meinecke  für  die 
Geschichtsbetrachtung  in  den  beiden  Ländern  ge- 
worden sind  —  die  Werke  Heinrich  von  Treitschkes 
haben  bei  uns  stets  nur  geringen  Widerhall  gefun- 
den. Aber  auch  in  Deutschland  beginnt  der  Ruhm 
des  noch  vom  Dritten  Reich  so  tendenziös  geprie- 
senen VorkämpJei-s  der  nationalen  Einigung,  des 
Staats-  und  machtfreudigen  Historikers  und  form- 
kundigen Essayisten  rasch  zu  verblassen. 

Nun  legt  Walter  Bußmann,  Dozent  d(>r  neueren 
Geschichte  an  der  Universität  Gcittingen,  eine  ^lono- 
graphie  vor,  in  welclier  er  es  unternimmt,  die  Per- 
sönlichkeit Treitschkes  in  der  Mannigfaltigkeit  ihrer 
„Bekundungen"  —  eines  Lieblingsausdrucks  des 
Tutors  —  in  der  Auseinandersetzung  mit  der  dama- 
ligen Gegenwart,  aber  au -h  in  ihrer  ganzen  inneren 
Gebrechlichkeit  zu  erfassen.*  Dies  geschieht  mit  einer 
an  französische  „impassibilite"  gemahnenden  Ge- 
lassenheit der  Diktion  und  zugleich  mit  jener  Behut- 
samkeit der  Untersuchung,  die  seit  Friedrich  Mei- 
necke ein  Erbteil  deutscher  geistesgeschichtlicher  Be- 
trachtungsweise geworden  ist. 

i*  Walter  Bußmann:  Treitschke.  Sein  Welt-  und 
Geschichtsbild.  Göttingcr  Bausteine  zur  Geschichtswis- 
ßenschaft,  Heft  3/4.  479  Seiten.  „Musterschmidt"  Wis- 
ßenschaftlicher  Verlag,  Göttingen. 


Der  robustesten  Vorurteile  gegen  Treitschke  wird 
man  sich  entschlagen  müssen.  So  darf  man  z.  B.  nie 
vergessen,  daß  lici  ihm,  der  die  Freiheit  einmal  mit 
einem  sdiönen  Wort  als  „das  Werden  des  Charak- 
ters aus  sich  selbst  heraus"  umschreiben  konnte,  ein 
liberal-individualistischer    Grundtrm    stets    vorherr- 
schend geblieben  ist.  Die  Bedeutung  des  geschicht- 
lich werthaltigen  Kleinstaates  hat  er  nie  verkannt, 
wie  sein  wohlgeformter  Essay  „Die   Republik  der 
Vereinigten    Niederlande",    der    eine    gelegentliche 
Neubeachtung  verdiente,  am  eindrücklichsten  zeigt. 
Und  die  Schweiz  erschien  ihm  in  den  sechziger  Jahren 
als  das  fast  einzige  Beispiel  —  Amerika  befand  sich 
damals  im  Unionskrieg  —  des  gelungenen  Bundes- 
staates, wie  er  sich  denn  Bluntschli  gegenüber  ein- 
mal brieflich  dahin  äußerte:   „Ich  halte  das  Land 
(die  Schweiz)   für  eine  europäische  Notwendigkeit 
—  wenigstens  in  der  Epoche,  welche  wir  ü})erschauen 
l^iinnen  —  und  hal)e  die  Träume  der  absoluten  Natio- 
nalitätsfanatiker nie  geteilt."  Gegen  den  Vorwurf 
der  politischen  Anpassungsfähigkeit  aber  hat  un- 
längst in  der  „Historischen  Zeitschrift"  ein  deutscher 
HiSoriker  der  älteren  Schicht  Treitschke  mit  den 
AVorten  verteidigt:   „Als  Angeliöriger  einer  Gene- 
ration, welcher  nach  1018  das  ,UmIernen',  nach  1933 
die  ,Gleichschaltung'  und  nach  1945  die  ,re-education* 
auferlegt  wurde  als  schicksalhafte  Zumutung,  unter 
dem  Eindruck  solcher  Erlebnisse  wird  man  die  lang- 
same und  ringende  Wendung  Treitschkes  vom  Ver- 
ächter  Bismarcks   zum   Verteidiger   seiner   Politik 
nicht  leichthin  abtun  als  opportunistische  Erfolgs- 
anbetung . . ." 

Dennoch  —  die  Problematik  des  Treitschkeschen 
Wesens  wird  an  anderer,  wurzelhafterer  Stelle  offen- 
bar. Als  achtjähriges  Kind  erkrankte  Treitschke  an 


Pocken;  eine  Komplikation  führte  fast  völlige  Taub- 
heit herbei.  Dieses  Geschick  hat  nun  auf  Treitschkes 
innere  Haltung  —  wie  Bußmann  im  einzelnen  sehr 
sorgfältig  nachweisen  kann  —  sehr  bestimmend  ein- 
gewirkt. Die  menschliche  Einsamkeit,  welcher  schon 
der  junge  Treitschke  verfiel,  hat  er  selbst  in  einem 
längeren  Gedicht  geschildert,  worin  es  eingangs 
heißt: 

Ich  lehne  trüb  im  lichterhelUen  Saal 
und  mühe  mich  aus  stummen  Angesichten, 
Dem  LJppcnzucken  und  der  Augen  Strahl 
Ein  schv:eigend€s  Gespräch  mir  zu  erdichten. 

Es  folgt  darauf  die  Ausmalung  einer  an  Wahn- 
sinn grenzenden  Verzweiflung,  die  indessen  jäh 
unterbrochen  wird  und  in  den  Entschluß  ausmündet: 

Nein,  nein,  ich  vifl  den  harten  Kampf  hesfchen, 
denn  kampfcsvjurdig  ist  des  Lehens  Schöne. 

Zwei  Momente  heben  sich  in  diesem  Aufruf  ab. 
Zunächst  ein  herrisches  Trotzdem,  ein  Wille  zur  Be- 
hauptung des  eigenen  Ich,  der  Treitschke  in  seinem 
Wirken  begleiten  und  bedingen,  ihm  die  Form  jener 
„oftmals  forcierten  Selbstsichcrheit"  aufnfitigon 
wird  und  ihn  „in  Imperativen"  denken  und  Ge- 
schichte schreiben  läßt.  —  Dann  aber  „des  Lebens 
Schöne",  das  eigentliche  Ziel  seiner  Sehnsucht.  Hier 
weist  die  Untersuchung  Bußmanns  erstmals  all  die 
ästhetischen,  ja  ästhetizistischen  Züge  auf,  die  so 
vielen  Formulierungen  Treitschkes  eignen  und  die 
man  bis  dahin  als  beiläufig  zu  betrachten  geneigt 
war.  Der  „edle  Stoff",  der  „schöne  Augenblick",  der 
„schöne  Inhalt",  die  „geschichtliche  Schönheit"  ver- 
richten in  seinem  Geschichts])ild  zusehends  eine  nor- 
mative Funktion  und  geben  demselben  die  beispiel- 
hafte Form,  Die  Lektüre  der  „Aesthetik"  Friedrich 


Theodor  Vischers  wird  ihm  zum  großen  Erlebnis; 
ein  erfolgloses  Ringen  um  die  Gunst  des  IVIünchener 
Dichterkreises  setzt  ein;  dem  geschichtlichen  Stoff 
versuchte  er  zu  verschiedenen  Malen  die  dramatische 
Gestalt  zu  verleihen.  Seine  berufliche  Wissenschaft 
war  ja  zunächst  noch  die  Staatslehre  und  nicht  die 
Historie;  das  Gefühl,  eigentlich  „schaffend  auf  den 
Markt  des  Lebens  zu  gehören",  blieb  in  seinem 
Innern  wirksam. 

So  bereichert  sich  das  Bild  und  verdunkelt  sieh 
zugleich.  Die  scheinbar  so  feste  Geschlossenheit  und 
Einheitlichkeit  der  AVeltanschauung  Treitschkes  be- 
ginnt sich  mehr  und  mehr  in  eine  Fülle  von  Ab- 
hängigkeiten und  Beziehungen  aufzulösen.  Manches 
an    Gedankengut    der   späteren    Romantik   ist   von 
Treitschke  übernommen,  dabei  aber  merklich  säku- 
larisiert und  veräiißerlicht  worden.  Die  Ausdrücke 
,,Idee"  oder  „Volksgeist"  sind  ihrer  ursprünglichen 
klassisch-romantischen  Bedeutung  völlig  entfremdet, 
der  Begriff  der  ,, Sünde"  findet  bei  ihm  in  allen  mög- 
lichen Zusammensetzungen  eine  ebenso  häufige  als 
gedankenlose   Anwendung.   Da   zeigt   es  sich,   daß 
Treitschke  in  hohem  ]\Iaße  auf  fixierten  Begriffen 
aufzubauen  pflegte  —  in  völligem  Gegensatz  zu  dem 
ganz  in  der  Anschauung  des  Geschichtlichen  auf- 
gehenden Ranke.  Deshalb  sind  es  auch  die  großen 
Systematiker  und  Zusammenfasser,  die  Treitschke 
(dem  es  in  der  Auseinandersetzung  mit  dem  histo- 
rischen Rohstoff  nie  geheuer  war)  als  die  eigent- 
lichen Vorbilder  empfand.  Die  konstitutive  Bedei^T 
tung  der  sogenannten  historischen  Nationalökonomj^ 
insbesondere  Wilhelm  i^oschers,  wird  von^  i^^ 
überzeugend    herausgea  beitet.    Die   ^^^"^4^^^-^  > 
bewunderte   wertende   Cegenüberstellun^.  ^^-^ 
nen",  d.  h.  der  großräumigen  und  einhei' 


!. 


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s     NEUE  ZÜRCHER  ZEITUNG 


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LITERATUR  UND  KUNS 


Samstag,  1.  August  1953     Blatt 


L 


Die  Tragödie  des  deutschen  Liberalismus 


) 


Präludium:  Prohlernatik  der  Sprache 

Bth.  Die  Philosophie  der  Politik  und  die  Ge- 
echichte    der   politischen    Ideen    haben   mit   ebenso 
mächtigen  als  unvermeidlichen   Schwieri^-kciten  zu 
kämpfen.  Sie  besitzen  —  wie  nicht  anders  zu  er- 
warten ist  —  ihren  Ursprunj^  in  der  Sache  selbst. 
Denn  diese  Sache  bleibt  mm  einmal   dadurch  ge- 
kennzeichnet, daß  in  ihr  die   Probleme  der  Wirt- 
schaft und  des  Recht«,  der  Religion  und  der  Ethik 
zusammentreffen,  um  vereinigt  die  Frage,  was  Ge- 
rechtigkeit sei,  zu  stellen.   Zu  diesen   Schwierigkei- 
ten tritt  —  scheinbar  von  außen  und  scheinbar  zu- 
fällig —  aber  auch  die   Sprache  hinzu.   Und  zwar 
aus  drei   Gründen.    Die   Worte   nämlich,   in   denen 
Erkenntnis  und   begründete   Forderung  zum   Aus- 
druck   gebracht    werden    soll,    erweisen    sich     als 
durchaus  widerspenstig  und  spröde  gegenüber  der 
Zumutung,    das    reine    Medium    der    wissenschalt- 
lichen   Deskription   und   einer   philosophischen    Be- 
stimmung der  Idee  der  Gereclitigkeit  zu  sein.   Der 
Wortschatz,   über  den   die   Philosophie   der   Politik 
verfügt,  ist  eine  geschichtlich  gewordene  Größe,  in 
der  sidh  nicht  nur  der  Mythus  unrl   die   l>^g(>iulen 
der   Herkunft   eines   Volkes   verdichteten,   sondern 
auch  das  Bewußt.>ein  seiner  Bestimmung  und  Auf- 
gabe einen  gültigen  Niederschlag  gefunden  hat.  Die 
Erfahrungen  und  Einsichten,  die  Leiden  und  Lei- 
denschaften,  die   Ziele   und    Sehnsüchte   einer   Ge- 
meinschaft  prägen   den    Sinn   und   die    Bedeutung 
der  Worte,  mit  denen  wir  zugleich   die   Struktur- 
gesetzlichkeiten  des  sozialen    Gebildes  zu   erfassen 
versuchen.  Die  Worte  sind  Kraftspeichem  zu  ver- 
gleichen, deren  Wirkung  unenneßlich  ist.  Die  Spra- 
che der   politischen   Philosophie   ruft  Gefühle  auf 
und  wendet  sich  an  den  Willen.  Es  gibt  Worte,  die 
ein  Hort  der  Pietät  und  wie  durch  einen  Bann  ge- 
schützt sind.  Es  ist  nicht  rätlich,  sich  an  ihnen  zu 
vergehen.    Denn   sie    verfügen    über   eine   religiöse 
Sanktion.   Erschwerend   tritt  ein   zweiter  Umstand 
hinzu.   Weil   die   Politik   die   Welt  des   Konfliktes 
und   des   Kampfes   ist,    wird    auch    die    politische 
Sprache  von  diesem  Schicksal  ergriffen.  Das  Wort 
dient  als  Waffe.  Es  denunziert  Gegner  und  Sachen. 
Und  da  die  Menschen  —  nicht  nur  die  Politiker, 
sondern  auch  die  Geisteswissenschaftler  und  Theo- 
logen—  allzu  bereit  sind,  das  Wort  an  die  Stelle  der 
Sache  treten  zu  lassen  und  das  Wort  für  die  Sache 
selbst  zu  nehmen,  so  verhindert  das  Wort  die  sorg- 
fältige Prüfung,  ob  es  zutreffend  sei  mler  nicht. 
Und  schließlich  muß  man  daran  erinnern,  daß  ein 
und  dasselbe  Wort  bloß  ähnliche  oder  gar  verschie- 
dene   Dinge    und    Geschehnisse    bezeichnen    kann. 
Dann  täuscht  die  Gleichheit  dp,s  Wortes  die  Gleich- 
heit des  Bezeichneten  oder  \V;.'^    Uni. andel barkeit 
_v»BS^A\   liWtmit  dieser  i<'''^tii§jJi^.%^.Mt  die   poli- 


außen.  Er  spricht  nicht  als  Fi^emder  und  seinem 
Lande  Entfremdeter,  wohl  aber  als  einer,  der  mit 
einem  anderen  Volke  zusammengelebt  hat  und  sich 
über  ,,die  eigenen   Voraussetzungen,  Gewohnheiten 
und   Vorurteile"   klar  geworden   ist.    Die   kritische 
Besmnung  auf  hundei-tundfünfzig  Jahre  deutscher 
Geschichte  geschieht  aus  der  Distanz,  die  „Zwang 
und    Gunst    der    Verhältnisse"    mit    sich    gebracht 
haben;    aber  die   kritische   Besinnimg  ist   innerlich 
gerechtfertigt   durch   die   ungebrochene    Zujrehörijr- 
keit   zur   Homiat,   die   aufzuklären   und    im    besten 
Sinne  zu  beraten  das  vornehmste  Anliegen  des  Ver- 
fassers  bleibt.    Und  zweitens:    Seil   ist  als   Histori- 
ker   keiner   Einseitigkeit   zum    Opfer  gefallen.    Er 
hat  sich  weder  einer  reinen   politischen  Geschichte 
noch    einer    bloßen     Ideengeschichle    verschrieben. 
Die  Vermeidung  der  Einseitigkeit  erreicht  Seil  da- 
durch,  daß   er  das  wechselseitige   Bedingtsein   der 
Theorie  durch  die  Praxis  und  der  Praxis  durch  die 
Theorie,  wo  immer  es  in  Erscheinung  tritt,  siclit- 
bar  macht.   Auf  diese  Weise  —  durch  eine   kluge 
Verbindung   der    beiden    möglichen    Aspekte,    dem 
der    politi^chen    Geschichte    und   dem    der   Ideenge- 
schichte  —   verwirklicht   er    auf   glückliche    WeTse 
einen   erzieherischen   Zweck,   den   er  offensichtlich 
mit  seinem  Werk  verfolgt:  er  schildert  eindrücklich 
den  Zusammenhang  zwischen   TJieorie  und  Praxis. 
Dadurch  wird  sein  Buch  zu  einer  unmißverständli- 
chen   und    scharfen    Kritik    jener    Vertreter    der 
deutschen   Intelligenz  der  dreißiger  Jahre,   welche 
die  liberalen  Institutionen  durch  die  hemmungslose 
Propagierung    des    Cäsarismus    und    des    Führer- 
und   Reichsmythus    zu    nichts    anderem    benutzten 
als   für   die   Zerstörung  eben   dieser   Institutionen, 
die  ihnen  ihr  eigenes  Reden  und  Schreiben  möglich 
machten.    Und   endlich    fkittens:    Seil   übt  als   Ge- 
schichtsschreiber die  ILiltung,   für  die  er  eintritt. 
Er  ist  im  guten  Sinne  liberal.  Das  heißt:  er  verab- 
scheut  die    tendenziöse    Entstellung   des   geschicht- 
lichen  Prozesses  und  seiner  Träger;   er  hütet  sich 
vor    einsichtslosen    gewalttätigen    Urteilen,    die    Jii 
Bausch    und    Bogen    willküriiche   Zensuren    ausset- 
zen;  er  unterwirft  sich  dem  Gebot  der  Wahrheit, 
weil  er  hofft  und  glaubt,  daß  auch  im  Zeitalter  der 
Massen    und    ihrer   durch   die   Mittel    der   Technik 
ez-möglichten   Beeinflussung  die   um   Wahrheit   be- 
miihte  Erkenntnis  noch  immer  eine  Wirkung  aus- 
zuüben  berufen  ist  und  noch  immer  als  das  wür- 
digste Mittel  der  Ueberzeugung  zu  gelten  hat. 

Es  ist  gewiß  kein  Zufall,  daß  das  bei  der  Deut- 
schen Verlagsanstalt  in  Stuttgart  erschienene  Buch 
Seils  den  Titel  „Die  Tragödie  des  deutschen  Liberalis- 
mus" trägt.  Denn  „der  Liberalismus  hat  in  Deutsch- 
land keinen  Erfolg  gehabt,  und  zu  seiner  Glorifi- 
z.erung  liegt  kein  Grund  vor".  Die  Erfolglosinvcit 


sen,  die  darauf  hinauslaufen,  daß  an  die  Stelle  der 
geforderten  Freiheiten  und  Rechte  der  Individuen 
im   Staate  die   Freiheiten   und   Rechte   des   Staates 
und  des  Volkes  treten.  Auf  diese  Weise  wird  der 
liberale  Gedanke  in  eine  außenpolitische  Ideologie 
verkehrt,  die  auf  eine  liberale  Verfassung  des  Staa- 
tes keine  Rücksicht  zu  nehmen  braucht.  Auch  war 
die  Romantik,  die  politisch   auf  die   Wiedergeburt 
des  mittelalterlichen   Kaiserreiches  und   die   unver- 
wechselbare  PJigenart   und    Selbstgesetzlichkeit   der 
Volksgeister   gerichtet    war,    dem    liberalen    Gedan- 
ken nicht  günstig.   Denn   es   ließ   sich   nun   einmal 
nicht  aus  der  Welt  schaffen,  daß  die  liberale  Kon- 
zeptir>n    des    Staates    in    England    entstanden    war, 
daß  die  Bill  of  Rights  in  Amerika  und  die  Dekla- 
ration  der   Menschenrechte   in    Frankreich    liberale 
Forderungen  darstellten.  Und  so  mußte  sich  immer 
ein  Vorwurf  Geltung  verschaffen,  der  in  der  Ge- 
-chichte  des  deutschen  Geistes  seit  Herder  —  aber 
bezeichnenderweise     unter     Ausschluß    Goethes    — 
immer  wieder  auftaucht:    der  Vorwurf  der  geisti- 
gen  Ueberfremdung   und   des  Verlusts   der   Eigen- 
ständigkeit.  Schon  bei  den  süddeutschen  Liberalen 
des   Vormärz   trat   die   Idee   der   P^'eiheit   mit   der 
Iflee   der   nationalen   Einheit   in    Wettbewerb.    Der 
Badenser   Karl   von    Rotteck   zog   die   Freiheit   der 
Einheit  vor:   „Ich  will  lieber  Freiheit  ohne  Feinheit 
als    Einheit    ohne    Freiheit."    Der    Wiirttemberser 
Paul    A<'hatius    Pfizer,    den    Seil     ni<'ht    erwähnt, 
schrieb  dagegen  in  seinen  „Gedanken  über  das  Ziel 
und    die     Aufgabe    des    deutschen     Liberalismus'* 
(1832):   ,,Aber  man  kann  ein  aufrichtiger  Freund 
der  Freiheit  sein  und  zwar  nicht  es  wünschen,  doch 
sich  darüber  zu  trösten  wissen,  wenn  ein  intelliffen- 
ter  Despotismus  die  deutschen  Völker  zwänge,  statt 
politischer     Theorien,     deren     Verwirklichung     sie 
ohne  fremde   Hilfe  nicht  gewachsen  sind,   für  die 
künftige  freiei^  und  geistigere  Entwicklung  einst- 
weilen  nur  den   festen   körperlichen   Boden  zu  er- 
kämpfen.  Ob  größere  persönliche  Freiheit  in  den 
konstitutionellen    Staaten    uns   zur   Einheit   führen 


werde,  ist  immerhin   zweifelhaft.  Nicht  zu  bezwei- 
feln ist  dagegen,  daß,  wenn  einmal  die  Einheit  vor- 
handen ist,  die  Freiheit,  dieses  heiligste  Besitztum 
der  Völker,  das  aber  ohne  die  Kraft  der  Einigkeit 
niemals  Bestand  hat,  nicht  ausbleiben  kann."  Ein- 
heit bedeutet  ALicht.  Das  hatte  Friedrich  Christoph 
Dahlmann   nüchtern    in   Frankfurt   ausgesprochen: 
,.Die  Bahn  der  Macht  ist  die  einzige,  die  den  gären- 
den  Freiheitstrieb   befriedigen   und    sättigen    wird, 
der  sich   bis  dahin  nicht  erkannt  hat,  denn  es  ist 
nicht   bloß   die   Freiheit,   die  er  meint,   es   ist   zur 
größeren    Hälfte   die   Macht,   die    ihm    bisher   ver- 
sagte, nach  der  es  ihn  gelüstet."  Einheit  bedeutete 
auch  —  was  frühzeitig  von  Wilhelm  von  Humboldt 
und  dem  Anhänger  des  Naturrechts  Anton  Thibaut 
eikannt   wurde   —  Verzicht   auf   das   Grundgesetz 
der  deutschen  Staatlichkeit  und  Geschichte,  Preis- 
?d)e  der  toderali>t.i>clien  Struktur,  die  Vielheit  und 


wie  eine  solche  Richtung  auch  in  dieser  Richtung 
wirken  würde." 

Seil  nimmt  —  wie  man  leicht  erkennt  —  eine 
Ehrenrettung  des  Deutschen  Bundes  vor,  an  dem 
Treitschke,  das  Urteil  der  Nachfahren  bestimmend, 
keinen  guten  Faden  gefunden  hatte.  Und  von  hier 
aus  wird  auch  die  außenpolitische  These  verständ- 
lich, die  Seil  seiner  Darstellung  des  deutschen  Libe- 
ralismus   zugrundelegt.    „Ausschlaggebend    ist    die 
Tatsache,  daß  der  dezentralisierte  und  mannigfache 
Bund   die   Deutschen  gegen  Gefahren  schützte,  die 
aus    ihrer   eigentümlichen    tragischen    Lage   in    der 
Glitte   Europas   erwuchsen.    Tragisch   ist  die  Lage, 
nicht  weil   die  Deutschen  Angriffen  von  mehreren 
Seilen  ausgesetzt  waren,  sondern  weil  sie  ein  völlig 
natürliches,    jedem    Volke    zustehendes    Recht    zur 
Geiahr   uns  zum    Verhängnis   werden   läßt.    Dieses 
Iiecht  ist  die  freie  £]ntfaltung  und  Ausnutzung  aller 
:n^  dem  Volke  liegenden  Kräfte  und  Möglichkeiten. 
Wenn  es  benutzt  wurde  mit  dem   Ziel   der  politi- 
schen P:inigung  unter  straffer  Führung  und  dieser 
Zenlralstnat   eine    Militärmacht    bildete,    die    seiner 
Kraft  entsprach,  dann  lag  darin  eine  größere  Be- 
drohung für  die  Nachbarstaaten,  als  irgendein  an- 
deres  europäisches   Land   mit   den   gleichen   Hilfs- 
kräften ausüben  konnte.  Ein  starkes,  zum  Angriff 
bereites  Reich  in  der  Mitte  zwischen  Ost  und  West 
konnte  sich  mit  jeder  dieser  Seiten  verbünden  und 
blieb   doch    als   Verbündeter   gleichzeitig   eine   Be- 
drohung."   Hitlers    Politik    war    die    Probe    aufs 
Exempel. 

Als   Deutschland   nach    1870   seine   hegemoniale 
Stellung  in  Europa  auszubauen,  zu  befestigen  und 
zu  genießen  sich  anschickte,  gewann  der  Imperia- 
lismus, wie  überall,  Anhänger  im  Bürgertum.  Und 
die  ökonomische  Prosperität  bewirkte  eine  kräftige 
Abwendung  der  geistigen    Energien   von   der   ver- 
antwortlichen   politischen    Aktivität.    Der    geniale 
revolutionäre   Staatsmann,   der  die   Prinzipien   des 
konservativen    Legitimismus   zerschlug   und   gleich- 
wohl einen  feudalen  Staat  mit  seinem  Dreiklas?en- 
wahlrecht  beibehielt,  Oesterreich  gegen  den  Balkan 
abdrängte,     der     Preußens     Vormachtstellung     in 
Deutschland   vollendete,   das   Reich   schuf  und   ihm 
und    p]uropa    während    seiner    Regierungszeit    mit 
Hilfe  eines  raffinierten  und  komplizierten  Bündnis- 
systems  den    Frieden    erhielt,   war   durchaus   anti- 
liberal,  und  es  lag  ihm  alles  daran,  die  Parteien  zu 
diskreditieren,  damit  er  seine  „Regierung  über  den 
Parteien"  —  wie  Johannes  Ziekursch  in  der  „Politi- 
schen Geschichte  des  neuen  deutschen  Kaiserreiches" 
(1925)  sagt  —  durchführen  konnte. 

Seils  Buch  ist  ein  Werk  nationaler  Selbstkritik. 
Es  leistet  etwas,  was  nur  ein  Deutscher  zu  leisten 
sich  vornehmen  konnte.  Es  ist  —  wohltuender- 
vveise  —  ebenso  frei  von  jener  seltsamen  Mischung 
von  Selbstbezichtigung  und  Selbstüberhebung,  ,^ie 
>eit  den   Propheten   Israels  das  Kennzeichen   äII\^ 


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IM  i\  l«Tf; 


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rechnen.  DcK  ständigen  VtMiiPmg  durch  die 
Sprache,  die  Ungleiches  gleich  benennt,  entgeht 
man  nur  durch  ein  resolut  nominalistisches  Verfah- 
ren, das  den  Gang  zu  den  Dingen  nicht  nur  nicht 
scheut,  sondern  gei'adezu  aufsucht.  Dann  zeigt  sich 
mit  überwältigender  Klarheit  sehr  oft,  daß  die  als 
bequeme  Etiketten  benutzten  und  abgenutzten 
Worte  wie  Zunder  zerfallen. 

Dieser  Sachverhalt  begünstigt  eine  tiefe  Skep- 
sis gegenüber  den  politischen  Allgemeinhegriffen. 
Er  zwingt  dazu,  daß  war  —  wie  Maurice  Cranston 
sich  in  einem  ausgezeichneten  Essay  „Frcedom.  A 
new  Amhjsis"  (Verlag  Longmans,  London  1953) 
ausdrückt  —  nicht  von  Liberalismus,  sondern  von 
Liberalismen  sprechen.  Er  selbst  gibt  ein  lehrrei- 
ches Beispiel  seines  Verfahrens,  wenn  er  engli- 
schen und  amerikanischen  Liberalismus  von  den 
französischen  und  deutschen  Versionen  abhebt. 

Die  Geschichte  des  deutschen  Liberalismus 

Der  Geschichte  des  deutschen  Liberalismus  hat 
Friedrich  C.  Seil  eine  aufschlußreiche  Untersu- 
chung gewidmet.  Ihre  unbestreitbar  großen  Vor- 
züge lassen  sich  auf  drei  Ursachen  zurückführen. 
Seil  kennt  Deutschland  von  innen  und  —  weil  er 
1937  zwangsmäßig  seinen  Lehrstuhl  für  Geschiclite 
an  der  Pädagogischen  Akademie  in  Kassel  verlor 
und  dann  als  Professor  für  deutsche  Sprache  und 
Literatur  in  den  Vereinigten  Staaten  wirkte  —  von 


fach  gleicl'/^)edeatend  mit  dem  Versagen  irgend- 
einer belie!)igen  politisch-geistigen  Bewegung.  Er 
ist  vielmehr  der  Ansicht,  daß  die  Gegenwart  aus 
dem  Mißerfolg  des  deutschen  Liberalismus  lernen 
könne,  „gleichgültig,  wie  sich  die  politische  Zu- 
kunft gestalten"  werde.  „Hat  doch  recht  eigentlich 
die  Außerachtlassung  der  moralischen  Hemmun- 
<7;cn,  welche  der  Liberalismus  dem  totalen  Maclit- 
sirehen  entgegensetzt,  zu  der  Katastrophe  Deutsch- 
lands im  Jahre  1945  geführt." 

Mit  diesem  Satze  ist  bereits  auch  angedeutet, 
in  welcher  Riirhtung  die  begriffliche  Festlegung  des 
Ijiberalismus  durch  Seil  zu  suchen  ist.  Liberal  ist 
—  so  muß  man  sagen  — ,  was  die  Vermenschli- 
chung der  Politik  befördert.  „Die  liberalen  For- 
derungen, Rechte  und  Freiheit  des  Lidividuums, 
Toleranz,  gleiclibercchtigte  Zusanunenarbeit  durch 
Ausgleich  und  Komi>romiß,  galten  vor  allem  den 
Methoden  der  Regierung.  Man  könnte  ihre  Tendenz 
eine  llumani^ierung  des  politischen  Prozesses  nen- 
nen." Dieses  Buch  befaßt  sich  mit  einem  Gegen- 
stand, dessen  genaue  politische  und  geistig-mora- 
lisdie  Bestimmung  gerade  in  Deutschland  bemer- 
kenswerten Komplikatiotien  begegnet.  Denn  der 
deutsche  Liberalismus  hatte  schon  in  der  Zeit,  da 
er  im  Entslehen  begriffen  war,  mit  mächtigen  Strö- 
mungen zu  reclmen,  die  ihrer  Natur  nach  illiberal 
sind  —  mit  dem  Nationalismus  und  dem  Sozialis- 
mus. Die  Konkurrenz  mit  den  nationalen  Parolen 
wird  den  Liberalismus  zu  Konzessionen  veranlas- 


^uTeitxTrbTndet,  ohne  das  eine  dem  andern  aut- 
zuopfern.  Einheit  und  Macht  —  auch  das  hat  Hum- 
boldt mit  aller  wünschenswerten  Klarheit  gesehen 
—  lasstm   in   der  Mitte  Europas  einen   Staat  ent- 
stehen, der  zu  einer  Bedrohung  werden  kann.  Ernst 
]\Ioritz  Arndt  etwa  ließ  1813  in  der  Schrift  „Der 
Rhein,    Deutschlands    Strom,    aber   nicht    Deutsch- 
lands  Gix-nze"   die   Staatsgrenze   mit   der   Sprach- 
grenze als  historisch  und  ,,natuThistorisch"  begrün- 
dete Forderung  zusammenfallen.  Im  gleichen  Jahre 
entstand    Humboldts    Denkschrift,    in    welcher   der 
künftige    Zustand     Deutschlands    erwogen    wurde. 
,, Nicht  gleich  gewichtig  als  politische  Macht,  ist  es 
von  dem  wohltätigsten  Einfluß  durch  seine  Spra- 
che, Literatur,  Sitten   und   Denkung>art  geworden, 
und  man  muß  jetzt  diesen  letzteren  Vorzug  nicht 
aufopfern  . . .  Man  dankt  ihn  vorzüglich  der  Man- 
nigfaltigkeit der  Bildung,  welche  durch  die  große 
Zerstückelung  entstand,  und  würde  ihn,   wenn  sie 
ganz  aufh(>rte,  größtenteils  einbüßen...  Die  Natio- 
nen   haben,   wie   die   Individuen,   ihre   durch   keine 
Politik    abzuändernden    Richtungen.    Die    Richtung 
Deutschlands  ist,  ein  Staatenverein  zu  sein."  Hum- 
boldt Avollte  keine  neue  kollektive  Macht.  „Niemand 
könnte  dann  hindern,  daß  Deut>chland  als  DeutsMi- 
land  ein  erobernder  Staat  würde,  was  kein  echter 
Deutscher    wollen    kann;    da    man    bis    jetzt    wohl 
weiß,  welche  bedeutenden  Vorzüge  in  geistiger  und 
wissenschaftlicher  Bildung  die  deutsche  Nation  be- 
sitzt,  solange   sie    keine    politische    Richtung   nach 
außen  erreicht  hat,  aber  es  no<;'h  unausgemacht  ist. 


ilfi  LI '-'liCl  1 1  o  L» 


■^  /  '  1' 


«Orell  Füßlis  Weltgeschichte» 

Der  Verlag  Grell  Füßli  (Zürich)  läßt  es  sich 
schon  seit  einer  Reihe  von  Jahren  angelegen  sein, 
die  Geistesgeschichte  der  Menschheit  in  allgemein- 
verständlichen, aber  gediegenen  Zusammenfassungen 
einem  breiten   Publikum  zu   vergegenwärtigen.    So 


gelangten    die    ,, Kunstgeschichte    c 
„Literaturgeschichte      der     Welt" 


1er    Welt",    die 


J 


die  ,, Musik- 
geschichte der  Welt"  und  die  „Geschichte  der 
Kultur"  zur  Darstellung;  das  letztgenannte  Werk 
des  dänischen  Ethnologen  Birket-Smith  darf  dabcn 
ohne  Zweifel  den  ersten  Rang  beanspruchen;  ihm 
kommt  klassische  Geltung  zu.  Nun  ist  ein  neuer, 
dem  noch  ausstehenden  Thema  der  vorwiegend  po- 
litischen „Weltgeschichte"  g(>widmeter  Band  er- 
schienen. In  seine  Bearbeitung  teilen  sich  sechs 
deutsche,  österreichische  und  schweizerisclie  Histori- 
ker: W.  Kirfel  und  Hans  Hein  („Die  altorientalische 
Staatenw^elt"),  Hermann  Baumhauer  („Die  Welt 
der  Antike"),  Peter  Welti  („Das  Mittelalter"),  Karl 
Pivec  („Die  neuere  Zeit")  und  W^ilhelm  Mommsen 
(„Die  neueste  Zeit"). 

Geschichtsschreibung,  als  die  jeweilige  An- 
schauungsform, die  sich  eine  Gegenwart  von  der 
Vergangenheit  bildet,  ist  immer  standpunktbedingt. 
Auch  dann,  wenn  es  sich,  wie  im  vorliegenden  Fall, 
darum  handelt,  die  ganze  Weltgeschichte  auf  höch- 
stens fünfhundert  Seiten  in  ihren  wesentli<'hen  I\lo- 
menten  und  Brennininkten  gleichsam  abrißartig 
auszubreiten  und  vor  aller  spekulativen  Ausschwei- 
fung dem  im  Labyrinth  der  Geschichte  Orientierung 


suchenden  Leser  die  nötigen  Realien  zu  geben,  auch 
und  gerade  bei  solchen  Prämissen  kann  das  Unter- 
nehmen eines  Sinnhorizontes  nicht  entraten,  auf  den 
hin  das  weltgeschichtliche  Geschehen  zum  Verständ- 
nis zu  bringen  ist  —  soll  nicht  lediglich  eine  Häu- 
fung von  Daten,  eine  Art  ,,Ploetz"  resultieren.  Solche 
Beliii-chtuiigen    aber    sind    fehl    am    Platz;    ,, Orell 
Füßlis    Weltgeschichte"    hat   sich,    im   „UNO-Zeit- 
altcr",  einem  sehr  aktuellen  und  höchst  fruchtbaren 
Prinzip  überantwortet,  das  fähig  ist,  die  sinnvolle 
Einheit  zu  verbürgen:    Der  Gedanke  nämlich,  dem 
die   Sicht  gehorcht,   kristallisiert  sich   um  die  Idee 
des  gemeinschaftlichen  Lebens  der  Menschheit.  Der 
ujiübersehharen    Klut  historischen  Geschehens  steht 
(>in  Si>i(gel  der  Bedeutsamkeit  gegenüber,  der  nicht 
das,    was    der    Perspektive    einer    reinen    National- 
geschichte oder  gar  Ortsgeschichte  wichtig  erscheint, 
widerspiegelnd  <ler  Vergessenheit  entreißt,  sondern 
denjenigen  Ereignissen  wirkende  Macht  zuerkennt, 
die  im  Zusammenhang  und  in  der  Verilechtung  dc^s 
gesamten    Geschichtsablaufs   Knot<Mipunkte   bilden, 
indem  sie   nach  vorwärts  und  nach  rückwärts  ge- 
waltige Blickfelder  zu  eröffnen  imstande  sind,  histo- 
rische   Kontinuität    eben    weltgeschichtlichen    Aus- 
maßes schaffen.  „Aus  der  Geschichte  aller  Völker 
gilt  es,  das  lebendig  zu  verdichten,  was  aufeinander 
durch  die  Zeiten  gewirkt  hat  und  letzten  Endes  auf 
ein   Zusammenwachsen  aller  menschlichen   Organi- 
sation zur  geistigen  und  praktischen  Einheit ^l\\;\^ 
strebt.    Mag   dies   erreicht   werden    odg^tg-^^"  «.-j^y^j 
Vorstellung    einer    den    mens<J^(,-q^i,o|OTds    oSuiq 
spannenden    und  Jlj,^)tiB|BqsnB     sgaMSoiiioJi     i{dou 
gehörigkeit ^jj^uBidS  siu^|bl|joa    Sdnüu   uia   ui   ue| 


für  die  fortgeschrittensten  Geister  der  ^Menschheit 
als  schinistes  Ziel  am  Ende  der  Weltgeschichte." 
Diese  Sätzt»  der  (soweit  ersichtlich  von  W.  Kirfel 
stammenden)  Einh-itung  verdeutlichen,  daß  hier  aus 
einem  planetarischen  Geschichtsbewußtsein,  aus 
dem  Wissen  um  die  schicksalhafte  Einheit  der  heu- 
tigen Welt  heraus  Geschichte  geschrieben  wird  — 
praktisch-populäre  Realisierung  jener  Thesen  etwa, 
die  ein  Alfred  Weber  kurz  nach  dem  Krieg  in  seiner 
programmatischen  Abhandlung  ,, Abschied  von  der 
bisherigen  Geschichte"  philosophisch-begrifflich 
umrissen  hat. 

Die  derart  konzipierte  Weltgeschichte  setzt  also 
erwartungsgemäß  dort  mit  ihrer  geschlossenen  Be- 
trachtung ein,  wo  Fragen  von  unmittelbar  universal- 
historischer   Qualität    auftauchen,    und    dafür   gibt 
weniger  die    Unterscheidung  von  schriftlichen   und 
andern  Quellen  das  Kriterium  ab  als  der  Zeitpunkt 
des  Auftretens  der  ältesten  Reiche,  der  Staatswer- 
dungen   in   Aegypten,   im   Zweistromland   und   am 
Indus,   Machtgebilde,   die  bereits  in  komplizierten, 
vielschichtigen     politischen     Prozessen     entstanden 
sind;    mit    ihnen    beginnt   recht   eigentlich    ,,die    in 
lebensvoller      Kontinuität      überschaubare      Welt- 
geschichte". 

Die  Bearbeiter  des  ßandas  ^^«runter  der  junge 

•z"     u       TT-  ^    ^r  Peter  W  elti,  dessen  gewandter 

^^™^^  A?-J^i9pf  isreiche   Schilderung   des   Mittel- 

.%a^MsT|BJ4uaz   aodhj^t^  entledigen  sich  auf  souveräne 

puu  Suupuu.igsqoilrsbewußte  Weise  ihrer  Aufgabe, 

-duuqoa  jop   ui  aVhaft,  sondern,  dem.  v!urchschnitt- 

ui)  uaipspiiod  aap  ntpres^i^'-j^'''^  i^K  *(\t..  ^^^i^^Yplt 

-lOAiun  qois  ui)  uaSi^siaS  aap  aS^lJtJ  J»P  ni  geiv" 

[ 


Fülle  von  AVahrheiÄen  über  Personen  und  Gescheh- 
nisse aus,  die  nicht  eitel  Freude  auslösen  werden. 
Den  Nicht-Deutschen  überzeugt  es  durch  die  Un- 
bestechlichkeit des  Urteils  imd  die  politische  Ver- 
nunft und  Haltung,  der  es  sich  verpflichtet  weiß. 

Postludium:  Georg  Gottfried  Gervinus 

Man  darf  in  diesem  Zusammenhang  an   einen 
deutsehen   Literaturhistoriker  des  19.  Jahrhunderts 
erinnern,  der  nach  großen  Erfolgen  mit  vonviegend 
zurückhaltenden    und    abschätzigen    Nachrufen    be- 
dacht wurde.  Man  nannte  ihn  einen  „liberalen  Ra- 
tionalisten", was  nicht  ein   Lob   war,  sondern  den 
Tadel    der   Beschränktheit   enthielt.    Treitschkc   — 
draufgängerisch    wie    oft    und    blendend    formulie- 
ivnd   wie   immer  —  rühmte  ihm  zwar  patriotische 
Leidenschaft  nach,  sprach  ihm  aber  das  politische 
Talent  rundweg  ab,  ähnlich   wie  Karl   Hillebrand, 
der  Gervinus  einen   Schriftsteller  ohne   Stil,  einen 
Gelehrten  ohne  Methode,  einen  Denker  ohne  Tiefe, 
einen   ]\Ienschen   ohne   Zauber  und  einen   Politiker 
ohne  Voraussicht  nannte.  Seil,  der  dieses  schneidige 
Verdikt  anführt,  widmet  Gervinus  eine  schöne  Seite. 
Indessen:    die   Akten   über  sein   Werk   bleiben  ge- 
schlossen. Max  Rychners  gerechte  und  sympathische 
Würdigung  von  1922,  die  alles,  was  zur  Aesthetik, 
das  heißt  eben  zur  Politik  der  Geschichtsschreibung 
von   Gervinus   zu   sagen   ist,   vorbildlich   zum   Aus- 
druck gebracht  hat,  braucht  keiner  Revision  unter- 
zojren  zu   werden.   Ob  er  aber   nicht  manche  Zeit- 


und  doch  lebendig  zu  vennitteln,  wobei  die  poli- 
tische Geschichte  stets  in  wesenhafter  Verbindung 
geschaut  ist  mit  den  jeweiligen  geographischen,  ras- 
sisc'hen,  soziologischen,  wirtschaftlichen  Gegeben- 
heiten der  pjpochen;  die  unerhört  vielschichtige, 
kaum  je  rekonstruierbare  Komplexität,  aus  der 
heraus  sich  ^ViIle  und  politische  Tat  einer  Gemein- 
schaft, eines  grofien  Einzelnen  richtungweisend 
lösen,  erfährt  jedesmal  behutsame  mögliche  Klä- 
rung. Nicht  das  Schlagwort,  reifes  Differenzierungs- 
vermögen regiert;  den  Eindruck  ruft  der  fesselnde 
Beitrag  des  Marburger  Geschichtsprofessors  Wil- 
helm Mommsen  in  besonders  hohcTU  Maß  hei-vor.  Die 
Untersuchung  führt  in  unsere  direkteste  Gegenwart. 
Aber  nicht  pessimistische  Sintflutstimmung  und 
düstere  Prophe/.eiungen  stehen  n?n  Unde,  sondern 
aus  geschichtlicher  Einsicht  erwachsene  Hoffnung: 
,,Aus  der  Geschichte  des  Zeitraums,  die  wir  hier 
verfolgten,  steht  trotz  allen  Katastro})hen  zu  hof^^ 
daß  die  aufbauenden  und  gesunden^^'^P'he  abzu- 
genug  sind,  um  eine  ernp"* 
wenden."       ^^^^^^^^^  pi^le  von  Illustrationen 


,-a»r^t 


..rfrihMuoh  diesem  Band,  ähnlioli  den  vorangrgaii- 
-ipn  Reiz  einer  Büderelironik  der  Jalir- 
faTnde  Von'^dTr  Kömgsstatue  des  C^^f -'^f - 
Ze  lichkeit  enthoben,  zu  den  Ruinen  der  bombar- 
dierten Stadt  wölbt  sich  ein  ungeheurer  Bogen  welt- 
geschichtlichen Geschehens. 

Kein  Zweifel,  daß  ,.r»rell  Füßlis  Weltgeschichte" 

allen  ein  unentbehrlichf  r,  reicher  Cicerone  durch  die 

^^Jahrhunderte  werden  wird.         Edmrd  Hüttinger 


\''^-Z 


final 

Times 

H  21/-. 

secutive 


'AR.     I 
»ecutive 


^TmTiTs  and  paiii-  iiUcrcst  did  not  collapsc.     -«v..  .....  ^^^^^  ^  DTil^^eT  

phlets'.    inlo    a    ünancally   d.sast.ous  '^^^^.^''^^  ^V^'^  ^'^Jl'''^   J-'J^^v^^^^^  August    Wilhelm   Schlegel    becamrT? 

L^hool,andan.exped.t.ontoPalesmK  ^^^^^  ^^,'^JZ^r^  ^  C  aLlic  :   and  the  German   m>st.cal 

r.^Ä'vJh^.^^^n^d  w.;;.  ;• '1^;  Z'^n^^^^J'csLusU^r.  which  phi.osophe.  .  Baader,  not  Baeder. 

GERMAN   VIEWS   OF    HISTORY 


Hans      Kohn      (Editor):       Ccrman 
Hisiory.        Some     New     German 
Views.     German  Texts  Translaled 
by  Dr.  Herbert  H.  Rowen.    Allen 
and  Unwin.     18s. 
In  this   book    Professor   Hans   Kohn 
has  colieetcd  the  conlessions  ol"  taith 
of  a  number  ol"  Cjerman  historians  in 
relation   to  the   history  ol'  Germany 
roughly   in  the  past   hundred   years. 
Professor    Kohn    believes.    only    too 
righlly,  that  the  historical  illusions  m 
which      the      Gcrmans     have      hccn 
nurtured  have  made  an  alarmmg  con- 
tribution  to  the  destructive  part  their 
country  has  played.     He  is  anxious. 
therefore.  to  encourage  ihe  atlempls 
which  have  been  made  since   \')4>  to 
revise       and       criticize       traditional 
doctrine  in  Germany  by  the  transla- 
tion  of  the  essays  in  this  colieclion. 
The  list  of  authors  contams  names  so 
distinguished    as    those    ol    1  riedrich 
Meinecke,    I  ranz    Schnabel.    Ludwig 
Dehio   and    Alfred    von    Marlm:    to 
Gerhard  Rilter's  Diimonic  der  Maclii 
Professor    Kohn   relers,   not  without 
considerable    misgivmg,   in    his   pre- 
liminary  chapter. 

The  Cardinal  problem  of  Bismarck 
is   discussed    by    Professor   Schnabe 
and   more    briefly,   m   a   republished 
book     review,     by     Professor     von 
Martin.    Professor  Schnabel  is  lam    y 
disappointing.       He     is     proloundly 
aware    of    the    holes    in    Bismarck  s 
armour:    indeed   he   pronounces   his 
own   judgment    upon   huii   when    he 
blames   ihe    form    of   German    State 
which   Bismarck  chose  lor  the   ulti- 
mate      destruction      of      a      n^^^^'^"/ 
federalism  in  central  Europe.     lo  Ur. 
Erich  Evck's  cogent  criticism  ot  Bis- 
marck   Vor    forcing    Germany    mto 
illiberal   paths  and  for  brooking  no 
rival  and  training  no  successor  1  ro- 
fessor  Schnabel  has  but  lame  replies. 
He  believes  that  Bismarck  s  authori- 
tarianism  blocked  a  more  dangerous 
revolutionary    nationalism    and    that 
there   was   a    paucity   of   persons   to 
deserve  the  Chancellor's  esteem.  But, 
as  Professor  von  Martin  suggests,  this 


paucity  was  the  ellect  rather  than  the 
cause  of  Bismarck's  contempt  lor 
men. 

Professor  Dehio's  contribution  is 
in  many  ways  the  mi)st  suggestive  ol 
these  studies  and  cerlainly  the  most 
courageous. 

\i  hcavv  indiisuy  aiul  ihc  large  landed 
estaies  had  Ivcn  >plii  up  mto  smaller 
iinits.  would  ihc  linal  disasicr  have  pcr- 
liap>  hccn  avcriccl.  as  prescnl-day  cnlics 
Ol  ihe  Gcrmanv  of  ihal  limc  lihc  Weimar 
Kcpuhlicl  >o  oiicn  bclicvc  ?     in  any  case 


[Ikm-c  would  ha  VC  bccn  a  corrcsponding 
iiKTcasc  in  tho  luimbjr  ol  declasses,  wliilc 
Lvonomic  coiuliiions  would  have  becomc 
cvl-mi    niorc  co^^u^cd. 

This  question  is  not  put  as 
an\  kind  o{  subterfuge.  Professor 
Dehio  condemns  Germany  squarely 
for  unleashing  ihe  second  great  war: 
••  rhe  lirst  war  was  only  a  contused 
initial  encounlcr.  ihe  second  was  a 
well-directed  counter-altack  from  the 
deep  rear."  The  forces  which  Ger- 
manv  thus  released  "  destroyed  as 
never  before   the   lives  and   work  of 

men ^t   ihe   same   time   they 

spilled    a    corrosive    poison    into   the 
soul  of  Western   man.  ihanks  to  the 
terror    and    Propaganda    which    our 
civilization  made  reach  everywhere. 
"Great  wars  in  the  past."  Prolessor 
Dehio  continues,  •"  had  all  been  fruit- 
ful   as   well   as   frightful."      But   the 
Nazi    war    was     sterile;     it     merely 
opened     Europe's     doors     to    Com- 
munism.      It  is  signilicant  that  Pro- 
fes-sor     Dehio's     indictment     is     of 
Cjermanv,     not     of     Hitler     or     his 
followers,  whom  he  menlions  only  on 
one  page. 

The  final  contribution,  from  Pro- 
fessor Holborn,  is  clear  and  simple 
and  by  far  the  easiest  to  read.  He 
makes  several  important  points. 
Among  these  is  his  insistence  that  the 
path  chosen  by  the  rulers  of 
Germany  led  to  such  patent  disaster 
that  that  alone  is  enough  to  disqualify 
the  arguments  used  by  their  Cham- 
pions. Above  all  he  condemns  the 
essentially  Lutheran  division  of  life 
accepted    by     German    historians— 


including  Meinecke — in  the  past.  the 
distinction  between  the  vvorld  of 
politics  as  the  world  of  tragic 
necessity.  and  that  of  philosophy  and 
the  arls'as  that  of  true  freedom.  Pro- 
fessor Holborn  concludes  ihat  the 
regeneration  of  Germany  requires 
Ihe  recognilion  of  the  unily  of  life. 

Prolessor    Holborn     has    had    the 
advantage     of    escaping     iranslalion 
since  he  writes  in  English.     Ihe  olher 
contributions     have     sulVered     to     a 
greaier  or  less  degree.     Jn  Professor 
Schnabers    essay    he    is    allowed    to 
refer  to  the  vonstitutiomil  monarchy 
established      by      Bismarck.        That 
phrasc.     in     ihis     counlry     at     least, 
implics     a     monarch     who     accepts 
the     sovereignty     o{     Parliamcnt,    a 
constitutional    '    form        persistently 
rejected     by     Bismarck.       In     spite 
of     such     faults     students     will     be 
stimulaled    by    this    volume    to    read 
these  Cjerman  historians  in  their  own 
language.     and     indeed     lo     exp^re 
further  the  works  listed  in  the  bibiiö-' 
graph\      with     which     the     volume 
concludes. 


During      her      lifetime      Angelica 
Kaulfmann,    the    eighteenth-century 
painter,  was  as  well  known  in  Hurope 
as  any   artist   of  her  time.  including 
Reynolds,    through    whose    inlUience 
she  became  one  of  the  original  mem- 
bers  of  the   Royal   Academy   on  its 
foundation  in  1768.    Her  success  was 
perhaps  due  as  much  to  her  personal 
attractions  and  attainments  as  to  her 
artistic  talents.     Charming  and  intel- 
ligent,  industrious   and   enlcrprisiiig, 
she  won  the  interest  and  friendship  of 
many    distinguished    people— among 
them  Winckelmann,  who  called  her 
"  a     rare     creature,"     Herder,     and 
Goethe,  who  (though   she  was  then 
married   and  eight  years  his  senior) 
••  wished   he   could   bind   himself   by 
closer  ties  to  this  fascinating  person." 
Aiiiiclka,   a   new   biography   of   the 
artist  written  by  Mrs.  Adeline  Hart- 
cup, is  Coming  from  Heinema,'nn  on 
April  20. 


."y^} 


264 


THE     TIMES     LITERARY     SUPPLEMENT     FRIPAY     APRIL     28      1950 


\ 


\ 


GERMAN  SOCIALISM 


GWENDA   HOLLANDER 
Lucia 

Lucia  was  such  a  good  friend. 
Just  how  good,  Mrs.  Hollander 
demonstrates  somewhat  unex- 
pectedly  in  this  shrewdiy  devised 
first  novel.  8s.  6d. 


A.  Joseph  Berlau  :  The  German  Social  Democratic  Party,  1914-1921.    Oxford  University  Press. 
Cumberlege.     38s. 

Dr.     Berlau's     study     of     German  Socialistssuddenlybecameeligible  for 

Socialism,  one  of  the  ablest  and  most  employment  on  the   State  railways. 

fully    documented    yet    written    in  These   domcstic  dcvelopments   were 

English,     labours    under     two     dis-  paralleled  by  attempts  to  use  the  pres- 

advantages.     Its  title  gives  it  a  rank  tigc  of  German  Socialism  among  the 

below    its    merits,    and    its    price    is  Socialists  of  other  countries  to  gain 


London : 


ROSALIND  WADE 

The  Raft 

The  Story  of  a  waek  in  a  great  London 
HospitaL  "The  best  and  most  mature 
novel     Miss     Wade    has    written."— 

PAMFLA      MANSfORD      JOHNSON       (Daily 

Telegraph).  ICs.  6d. 

DOROTHY  MACKINDER 
A  Forest  of  Feathers 

"A  beautifui  and  moving  book  .  .  . 
has  a  rare  quality  of  mingied  sweet- 
ness  and  penetration,  and  is  worthy 
to  be  savoured  slowly.'*— kathleen 
hREEMAN   (Western  Mail).  8s.  6d. 

ROBERT  K.  MARSHALL 
Little  Squire  Jim 

"Has  conjured  enchantnnent  from  his 
own  remoce  hill  country."  —  eric 
GiLLETT  (Sunday  Chronicie).  "A 
strangely  attractive  novel." — rosaleen 
WHATELY  (Liverpool  Daily  Post). 

8s.  6d. 


almost  prohibiüve.  The  devaluation 
of  the  pound  may,  as  Mr.  Geoffrey 
Cumberlege  states,  be  accountable  for 
the  price,  but  the  number  of  readers 
likely  to  pay  it  for  The  German  Social 
Democratic  Party,  1914-1921,  will 
hardly  be  large.  Yet  this  is  a  book 
that  deserves  wide  attention.  As  a 
footnote  to  modern  German  history 
it  has  lasting  value.  Dr.  Berlau 
handles  his  subject  so  comprehen- 
sively,  and  suggests  reflections  so 
apposite  to  present  circumstances,  not 
in  Germany  alone,  as  to  make  his 
work  especially  enlightening. 

The  choice  of  1914  as  his  nominal 
starting-point  is  explained  by  the 
decision  of  the  German  Social  Demo- 
cratic Party  in  the  Reichstag  to  vote 
the  war  credits  on  August  4  that  year. 
Until  then  the  official  doctrine  of  the 
pariy  had  repudiated  "  revisionist " 
tendencies. 

Marxism,     like     Eduard     Bernstein, 
might  prove  that  Marx  deduced  hasty 


Support  for  the  German  cause. 

Changes  of  doctrine  followed 
changes  of  behaviour.  Before  long 
the  class  struggle,  with  its  assump- 
tion  of  an  irreconcilable  cor>flict  of 
interests  in  capitalist  communities, 
was  abandoned  in  favour  of 
nationalisrn.  So  glaring  was  this  de- 
fection  from  Marxism  that  it  led  to  a 
split  in  the  party,  and  to  the  forma- 
tion  of  an  Independent  Socialist  Party 
from  which  an  extremist  group  broke 
away   under   Karl    Liebknecht   and 


9th.  Prince  Max  vainly  sought  to 
persuade  the  Kaiser  to  abdicate  ;  and 
at  noon  on  the  9th  he  actually  pro- 
claimed  the  abdication  without  wait- 
ing  for  the  Emperor's  authorization. 
Simultaneously  he  handed  over  the 
Chancellorship  to  Ebert,  who  began 
to  negotiate  with  the  Independent 
Socialists  and  with  the  bourgeois 
parties.  Ebert's  idea  was  to  reserve 
for  a  National  Assembly  the  decision 
on  the  f uture  form  of  government ; 
and  he  was  furiously  angry  when 
Scheidemann  prociaimed  a  republic 
in  Order  to  forestall  the  proclamation 
of  a  Socialist  dictatorship  by  Karl 
Liebknecht. 

Dr.  Berlau  recounts  in  detail,  with 
ample  extracts  from  contemporary 
sources,   the  further   course   of   the 


Rosa  Luxemburg.    By  the  end  of  the     Q^rman  revolution,  its  phases  of  civil 

war,  and  the  hght  ot  the  Ebert 
Government  against  the  Councils  of 
Soldiers  and  Workers.     During  this 


war  the  Social  Democratic  Party  was 
transformed.    Dr.  Berlau  says:  — 

Gone  were  the  belief  in  the  iheory  of 
crisis,  the  theory  of  ihe  pai^iJerization  of 
the  masses,  the  theory  of  the  imminencc 
of  a  great  social-economic  catastrophe  ; 
gone  were  tiie  belief  in  the  conceniration 
need   for   violcnt  class- 


of  capital,    the 
Prominent  revisionists  of     struggle,  and  the  etücacy  of  the  socializa- 

lion  of  the  mcans  of  production.  AU 
political  and  economic  group>  were  con- 
sidered  vital  to  the  common  weal  by  the 


period  the  Social  Democrats  nioved 
steadily  to  the  Right,  and  kept  in 
touch  with  Hindenburg  and  the  irre- 
gulär Free  Corps  ostensibly  creatcd 
for  the  protection  of  the  castern 
frontier.  Indeed,  on  Dccember  12,' 
1918,  Ebert  signed  a  dccree  giving 
the  Free  Corps  unrestricted  power  of 


generalizations  from  incomplete  data  ;  Sociaf  Democratic  Party   in   1919;  capi- 

that  neither  the  overwhelming  con-  talism  was  no  longer  viewed  as  the  bane     ^ommand    wdl  knowing  that  repub 

Centration  of  capital  nor  the  progres-  of  the  Proletariat ;  and  the  international 

sive  pauperization  of  the  masses  nor  solidarity    of    Pf^^^if/,'^"  .'".^^^,^f  ^^  ^.?,^ 

,      .^     •     ,  X  1       c         w  1    ..      •  eiven   way   to    the    pre-emmence   or   mc 

the  inevitable  cycle  of  capitalist  crises  ^.^tjo^^l  interests  of  the  workers  and  to 

had     actually     occurred ;    and     that  „larked    chauvinistic     tendencies.      The 

workers  had  something  more  valuable  examination  of  the  policies  and  objectives 


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Forolder  children,  a  stirringtale 
of  a  boy  and  a  horse  set  in  the 
days  when  Long  Island  was  a 
haunt  of  wreckers,  by  the 
Director  of  Publications  Service 
for  Boys'  Clubs  of  America. 
Illustrated.  6s. 


MACDONALD 

&    Co    (Publishers)    Ltd. 


of  the  party  during  the  years  1914-21 
leads  to  the  main  conckision  that,  by 
1921,  the  Social  Democratic  Party  had, 
in  all  essentials,  repudiated  Marxism  and 
embraced  in  its  stead  many  of  the  liberal 
and  democratic  views  of  older,  bour- 
geois parties. 

The  crucial  stage  was  reached  in 
October,  1918,  when  the  Social 
Democratic  leaders  had  to  decide 
whether  or  not  to  join  a  coalition 
out  leading  to  positive  apostasy  or  to  cabinet  under  Prince  Max  von  Baden, 
an  open  avowal  that  the  nationalism  ^^e  last  of  the  Imperial  Chancellors. 
of  Lassalle  had  got  the  better  of  the  Negotiations  to  this  end  had  begun 
internationalism  of  Marx.  As  Dr.  "  i^  complete  ignorance  of  the 
Berlau  says,  "  the  choice  of  the  decision  of  the 
German  Socialist  Party  between  its  Command  that  the  first  act  of  the  new 
rival  historical  antecedents  fiepended  Government  was  to  be  an  appeal  to 
on  the  introduction  of  a  new,  incisive  (President)  Wilson  for  an  armistice." 
factor.     Such  a  factor  was  provided     When  this  decision   became   known 


than  their  chains  to  lose  by  revolution. 
The  Bavarian  Socialist  leader,  von 
VoUmar,  might  convince  a  party  con- 
gress,  as  he  did  in  1894  at  Frankfurt, 
that  Marx's  agrarian  notions  were 
superficial  and  inadequate,  and  should 
be  discarded  in  favour  of  a  practical 
Programme.  These  iconoclastic  ideas 
might  be  shared,  as  they  were,  by  the 
rank  and  file  of  party  members  with- 


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"  It  is  Mirprisinglv  chcap,  an<l  the 


by  the  outbreak  of  war  in  1914. 

Nevertheless,  one  of  the  most  inter- 
esting  features  of  his  book  is  the  proof 
it  affords  that  the  nationalist,  non- 
Marxist tendencies,  derived  from 
Lassalle  and  from  his  successor,  von 
Schweitzer,  had  persisted  with  un- 
diminished  strength  beneath  the 
Marxist  surface  of  German  Socialism. 
Under  pressure  of  public  enthusiasm 
for  the  war,  and  out  of  fear  of  re- 
pressive action  by  the  Government, 
these  tendencies  triumphed  in  1914 
and  inspired  the  declaration  of  the 
party  chairman  to  the  Reichstag  on 
August  4: 

We  nced  to  secure  the  culture  and  the 
indcpendence  of  cur  country.  .  .  .  We 
shall  not  abandon  our  Faiherland  in  its 
hour  of  peril.  ...  As  soon  as  the 
purpose  of  security  is  fulfiKed  and  the 
enemy  inclined  to  peace,  the  war  shall  be 
brought  to  an  end  by  a  peace  wiiich  will 
make  possible  the  amity  of  neighbouring 
peopics.  .  .  .  Guided  by  these  principles 
we  agrce  to  ihc  proposed  ioan. 

The  Social  Democratic  Party  soon 
reaped  the  benefit  of  its  non-Marxist 
behaviour.  In  the  gcncral  elation 
caused  by  the  rapid  advance  of 
German  troops  through  Bcigium, 
Socialist  publications  were  admitted 
to  military  establishmentF.  troops 
were  allowed  to  visit  Socialist  restau- 
rants,  prosecutions  of  trade  unions 
and  their  leaders  were  suspended,  and 


Scheidemann  was  aversc  from 
"entering  a  totally  bankrupt  con- 
cern  at  the  moment  of  its  absolutely 
certain  collapse,"  but  Ebert  over- 
rulcd  him.  Ebert  abhorred  the 
thought  of  revolution,  As  Noske, 
another  party  leader,  presently 
wrote  :  "  The  German  Social  EXemo- 
crats  had  always  rejected  the  idea  of 
a   revolution   by   force.     The   Social 


lican  and  democratic  inlluenccs  would 
thus  be  excluded  from  thcm. 

Yet,  from  the  standpoint  of  Socialist 
doctrine,  the  most  significant  develop- 
ment  was  the  repudiation  of  nationali- 
zation  of  the  means  of  production  and 
distribution.  Not  only  Ebert,  Scheide- 
mann and  the  other  leaders  of  ortho- 
dox Social  Democracy,  but  Kaulsky 
and  Eisner,  as  representatives  of 
the  Independent  Socialists,  treated 
nationalization,  or  socialization,  as 
undesirable  in  a  country  impoverished 
by  war.  Before  the  end  of  the  war 
Kautsky  had  written  that  Socialism 
would  be  handicapped  if  it  should 
gain  power  in  a  period  of  transition, 
because  it  would  lack  its  fundamental 
Supreme  ^^  Army     requiremer>t— abundance  of  capital. 

Many  Social  Democrafic  leaders 
went  farther.  They  argued  that 
Socialism,  being  more  beneticial  to  the 
worker  than  cupitalism,  'vus  too  c,\ 
pensive  a  form  of  production.  One 
of  the  party  writers  said :  "  Whcre 
production  for  world  markeis  begins, 
the  possibility  to  socialize  economic 
life  ends.  .  .  .  The  unavoidable  need 
to  produce  goods  for  the  world 
markets  (to  pay)  for  our  imports  from 
abroad  sets  limits  to  the  Socialist 
mode  of  production,  which  no  power 


Democrat  proudly  called  himself  a  on  earth,  not  even  the  dictatorship  ot 
revolutionary  ...  but  the  idea  of  ihe  Proletariat,  could  remove."  Most 
the  use  of  force  had  been  rejected     striking  of  all  was  a  specch  by  the 


and,  as  a  means  of  achieving  political 
and  economic  progress,  the  revolu- 
tionizing  of  minds  alone  had  been 
desired."  So  strong  was  Ebert's 
horror  of  revolution  that  he  came  to 
look    upon    the    abdication    of    the 


Socialist  Minister,  Dr.  Braun,  in  the 
National  Assembly  at  Weimar. '"  Karl 
Marx,"  he  said,  "  had  assumed  that  at 
the  timc  of  the  socialization  of  the 
means  of  production.  capitalist 
economy    would    have    attained    its 


Kaiser  as  the  onlv  means  of  prevent-  highest  level,  whereas  we  havc  to  liqui- 

ing   it,    although'  he.    like    Scheide-  date    an    economy    which    has    been 

mann,'  had  piomised  the  Chancellor,  brought  to  the  rim  of  the  abyss  by  an 

Prince  Max,  to  oppose  demands  for  unholy  war.   .   .  .  Karl   Marx  never 


an  abdication. 

The  Situation  was  fast  gctting  out 
of  band.  Mutinics  at  Kiel  and  move- 
ments  in  many  other  cities  threatened 
to  bring  about  a  real  revolution 
unless  something  drastic  were  done. 
On  November  7  the  Social  Demo- 
cratic Party  gave  Prince  Max  an 
Ultimatum  demanding  the  abdication 
of  the  Kaiser  by  noon  next  day,  and 
callcd  the  masses  into  the  streets  at 
nine  o'clock  on  the  morning  of  the 


thotight  that  his  party  would  be  forced 
to  realize  Socialism  after  a  war  which 
cven  the  most  fertile  mind  could  not 
have  imagined  as  possible." 

Dr.  Braun  was  speaking  of  the  war 
of  1914-18.  Dr.  Berlau  is  carefui  not 
to  point  a  moral  or  to  put  forward 
views  of  his  own.  He  prefers  to  let 
documents  speak.  Still,  his  work 
raises  the  question  whether  his  docu- 
ments speak  less  cogently  after  the 
warof  1939-45. 


THE  DOMINION  OF  CEYLON 

Sir   Ivor   Jennings:    The  Constitn-  ing  to  dcfence,  external  relations  and  mcn  but  for  whom,  as  he  justly  re- 

tion  of  Cevlon.   Oxford  University  public  servants.  marks,  Ceylon  would  still  bea  coony. 

n           f       j         i-      u    1           1/-  c-     1          1          „     :.    «^r«:^..iorKr  The   book   is   thus   valuable   from 

Press.    London :  Cumberlege.    lös.  .Sir   Ivor   Jennmgs   is    part.cularly  ^,^„,,  p^j^ts  of  vicw.    It  should  find 

The  book  under  review  falls  into  two  well  placed  to  write  this  authoritative  .^  ^^,^^^  .^^  ^^^  jjj^j.^^.^,  ^f  ^^^,^^,  ^(uj^nt 

p:irt^,  The  first  dcals  with  the  manncr  ^"'^^'     indispensable     to     cveryonc.  ^^  rommonwcalth  afiairs  who  is  con- 


BOOKS    TO    COME 

In  The  Roman tic  I ma^ination, commg 
shortly  from  the  Oxford  University 
Press,  Dr.  C.  M.  Bowra,  Professor  of 
Poetry  in  the  University  of  Oxford, 
attempts  to  strike  a  balance  between 
the  earlier  insufficiently  critical  atti- 
tude  towards  the  poetry  of  the 
Romantics  and  the  more  recent 
tendency  to  denigrate  their  works. 
Blake,  Wordsworth,  Coleridge,  Keats, 
Shelley,  Byron,  Poe  and  the  Pre- 
Raphaelites  serve  as  examples  in 
Dr.  Bowra's  analysis  of  the  Imagina- 
tion as  a  prime  motive  in  Romantic 
Creative  activity,  and  he  indicates  how 
these  poets  worked,  what  material 
they  uscd  and  how  they  transformed 
it  to  their  special  needs,  and  what 
their  ideas  of  poetry  were. 

*  ♦         * 

Some  impressions  of  Lord  North- 
clitTe  were  given  by  Mr,  Tom  Clarke, 
who  was  closely  associated  with  him 
from  1911  until  the  time  of  his  death 
in  1922,  in  My  Sorthcliße  Diary, 
published  in  1931.  Mr.  Clarke  has 
now  written  a  new  study  of  the  great 
Journalist  and  newspaper  proprietor, 
Northclifje  in  History,  which  will  be 
published  by  Hutchinson  on  May  11. 
In  writing  his  book,  which  he 
describes  as  "  an  intimate  study  of 
Press  power,"  Mr.  Clarke  received 
considerable  help,  before  their  deaths, 
from  NorthclifTes  brothers  Cecil  (the 
first  Lord  Harmsworth)  and  Leicester 
(Sir  R.  L.  Harmsworth,  Bt.).  The 
former  made  available  to  Mr.  Clarke 
his  Northclifie  memorials — "  facts 
about  Northcliffe  and  the  family  that 
have  not  been  known  to  biographers 
who  came  later  on  the  scene  ;  and 
put  on  record  for  later  geüfrations 
of  the  family  he  and  Rolhermere 
founded  " — and  extracts  from  these 
have  been  incorporated  in  Mr. 
Clarke's  work. 

*  *         * 

William       Johnson       (1823-1892), 
Scholar    and    teacher.  who  took  the 
surname  of  Cory  in  middle  life,  is  now 
chiefly    remembered    as    the    author 
of   the   "  Eton    Boating   Song,"    and 
of   lonica,   his   collection   of  poems 
which   appeared    in    1858    and   con- 
tained  the  wcll-known  lament  "  Hera- 
«.'li^is "   ("The\    told   me.   Hcraclitu«, 
ihcy  toid  me  you  were  dead  ").     He 
was  a  genuine  cccentric,  though  he 
once  wrote  plaintively  to  a  friend  "  1 
have  been  trying  all  my  life  to  avoid 
eccentricity.""  He  was  also  an  invetci  • 
ate   lettcr-writcr,  whose  Leiter.^  and 
Journals    were    printed    for    private 
subscribers  five  years  after  his  death. 
His  great-niece,  Miss  Faith  Compton 
Mackenzie.has  written  a  biography  of 
William  Cory,  which  gives  due  atten- 
tion to  his  days  at  Eton,  where  Cory 
was  educated  and  was  for  some  time 
an  assistant  master.    The  book,  pro- 
mised  for  next  month  by  Constable, 
ends  with  a  selection  of  Cory's  poetry, 
some  of   it   never   before   published, 
and   a   check-Iist   of   Cory's   printed 
works  compiled  by  Mr.  John  Carter. 

*  *         * 

For  some  25  years  Mr.  Earl  Parker 
Hanson.  who  is  now  chairman  of  the 
Department  of  Geography  in  the  Uni- 
versity of  Delaware,  worked  inter- 
mittently  in  the  tropics  and  the  sub- 
Arctic.  in  deserts,  mountains,  tundras 
and  jungles,  as  engineer.  geographer, 
geophysicist,  economist  and  govern- 
ment planner.  He  does  not  share  the 
pessimism  and  forebodings  of  some 
scholars  and  scientists.  and  has  written 
what  he  calls  "  an  optimist's  bid  for  a 
hcaring."  His  book,  New  WorUis 
Emcri^nni^.  Coming  next  month  from 
Gollancz.  is  largely  autobiographical 
and  reflects  his  personal  expericnce  in 
the  ficids  of  exploration  and  planning, 
and  the  reading  which  was  promptcd 
by  that  experience.  It  cmphasizes 
Mr.  Hanson's  belief  that  the  world  is 
now  entering  upon  the  greatest  age  of 
exploration  and  rcsearch  in  history ; 
that  new  fronticrs  are  waiting  to  be 
opcncd    up :    and    that    undeveloped 


Mittwoch,  17.  Februar  1954     Blatt  3 


Gleite  3ürd)er  Leitung 


Fernausgahe  Nr.  47 


\ 


/ 


Zum  Gedenken  an  Friedrich  Meinecke 


Der  deutsche  Historiker  Friedrich  Meinecke  ist 
am  6.  Februar  im  Alter  von  92  Jahren  in  Berlin 
gestorben  (vgl.  «NZZ»  Nr.  38). 


Friedrich  Meineckes  Leben  ist  begrenzt  von 
zwei  politischen  Ereignissen  ersten  Ranges:  es  be- 
gann mit  der  gewaltsamen  Aufrollung  der  deut- 
schen Frage  durch  das  Ministeriiun  Bismarck,  es 
erlosch  während  der  ViermäehtekontVrenz,  deren 
bisher  ungelöste  Aufgabe  wiederum  das  Problem 
Deutschland  ist.  Er  erlebte  als  Kind  die  Einigungs- 
kriege, als  Knabe  die  Reichsgründung,  als  Mann  den 
glanzvollen  Aufstieg  seines  Vaterlandes,  der  in  die 
Katastrophe  von  1918  mündete,  dann  die  Bildung 
und  mühevolle  Konsolidierung  der  Republik  wie 
den  moralischen,  kulturellen  und  politischen  Zu- 
sammenbruch von  1933,  schließlich  die  Auslöschung 
des  deutschen  Staates  im  Jahre  1945  und  den  teil- 
weisen Neubeginn  auf  dünnem,  zerbrechlichem 
Boden,  überschattet  von  der  ständigen  Droliung 
eines  Weltkonflikts. 

Diese  Entwicklung  müssen  wir  im  Auge  behal- 
ten,  wenn   wir   Lebensweg  und   Lebenswerk   dieses 
großen  abendländischen  Denkers,  der  zugleich  uni- 
versaler politischer    Historiker    und    leidenschaft- 
licher Patriot  war,  recht  verstehen  wollen.  In  ihm 
spiegelt  sich  ein  Jahrhundert  deutscher  Geschichte. 
Geboren  wurde  er  am  30.  Oktober  1862  zu  Salz- 
wedel in  der  brandenburgischen  Altmark  als  Sohn 
eines  Postmeisters,  kam  aber  schon  1871  mit  seiner 
Familie  in    das    Berlin     der    Gründer.] ahre.    Von 
Jugend  an  war  er  verträumt  und  grüblerisch,  «ein 
unharmonisch    und    mit     Ilrmmungen     sich     ent- 
wickelndes Menschenkind».    Ein    Sprachlcidcn,   das 
sich  bei  dem  Quartaner  einstellte,  hat  ihn  nie  mehr 
ganz  verlassen  und  oft  schwer  bedrückt.  Dem  tief 
religiösen,  pietistischen  Vater  stand  er  bald  in  gei- 
stiger Opposition  gegenüber. 

Er  übenvand  schwere  Rückschläge  in  seinem 
Ausbildungsgang  und  nahm,  seinen  ansocprägten 
Neigungen  entsprechend,  in  Berlin  das  Studium  der 
Germanistik,  Geschichte  und  Philosophie  auf.  Er 
hatte  das  Glück,  noch  den  alten  Droysen  in  dem 
berühmten  Kolleg  über  Historik  zu  hör^n,  erhielt 
bei  einem  kurzen  Z wisch ensjjiel  in  Bonn  außer- 
ordentliche Anregungen  von  Moriz  Ritter  und  Karl 
Lamprecht  und  wurde  schließlich,  wieder  in  Ber- 
lin, vom  jungen  Rcinhold  Koser  recht  eigentlich 
zum  Historiker  erzogen.  1886  wurde  er  zum 
Dr.  phil.  promoviert;  Treitschke,  Wattenbach, 
Scherer  und  Dilthey  waren  seine  Examinatoren. 

Heinrich  von   Sybel  war  es,  der  ihn  ins  Preu- 
ßische Geheime  Staatsarchiv  in    Berlin    übernahm 
und  ihm  1893    die    Redaktion    der    «Historischen 
Zeitschrift»   anvertraute,   die    Meinecke    dann    bis 
1935  führen  sollte.   So  kam  er  in  die  engste  Ver- 
bindunÄmit  allen  seinen  Faehkollegen.  Das  zweite 
cfÄ-chcTviri.dc    Ereignis     dieser     Jahre     war    seine 
Heirat  mit  der  Berliner  Arzttochter  Antonie  Del- 
haes,   die  ihm   60  Jahre  hindurch   Lebensgefährtin 
sein  durfte.  Und  schließlich  veranlaßte  Treitschke 
1896  seine  Habilitation  an  der  Universität  Berlin. 
Bange  Jahre  hindurch   fürchtete   der  jetzt   bereits 
ausgewiesene  Gelehrte,  sein   nie  ganz  zu  übenvin- 
dendes  Stottern  werde  ihn  im  akademischen  Lehr- 
beruf nicht  vorankommen  lassen,  bis  er  1901  einen 
Ruf    als   ordentlicher    Professor    der    neueren    Ge- 
schichte in  Straßburg  erhielt.  1906  ging  er  von  dort 
nach  Freiburg  im  Breisgau,  1914  nach  Berlin  und 
hatte  damit  die  angesehenste  Stellung  eriangt,  die 
ein  deutscher  Gelehrter  erreichen  konnte,  zumal  er 
gleichzeitig  in   die   Akademie    der    Wissenschaften 
aufgenommen  wurde. 

Um  diese  Zeit  war  Meinecke  bereits  berühmt. 
Sein  wissenschaftlicher  Werdegang  hatte   mit  der 
Untersuchung     brandenburgischer,     dann     preußi- 
scher  Probleme   begonnen.   Er  stand   ursprünglich 
der    «borussischen»    Richtung   der   Historiographie 
nahe.  «Wir  lebten  ja  so  naiv,  überzeugt  und  stolz 
im  neuen  Reiche  Kaiser  Wilhelms  und  Bismarcks, 
daß  alle  Weltgeschichte  nur  den  Stufenbau  zu  ihm 
für  uns  bedeutete»,   so  hat  Meinecke  selbst  seine 
Einstellung  für  das  Ende  seiner  Schulzeit  charak- 
terisiert. Der  bedeutendste  Vertreter  dieser  Schule, 
Droysen,  war  sein  verehrter  Lehrer  gewesen,  wäh- 
rend   die    gewaltsamere    Art    Treitschkes,    den    er 
menschlich    dennoch    schätzte,    ihn    eher    abstieß. 
Schon    bald    wurde    er    einer    der    Kritiker    der 
«preußischen  Legende»,  so  sehr  er  selbst  sich  doch 
noch  von  den  Bestrebungen  Max  Lenz',  Hans  Del- 


briicks  oder  gar  Max  Lehmanns,  die  ihm  über- 
scharf, wohl  auch  unsachlich  und  ungerecht  er- 
schienen, distanzierte.  Erst  seine  große  Boyen- 
Bingraphie  (1896—99)  führte  ihn  tief  in  die  wirk- 
liche Problematik  der  preußischen  Geschichte  hin- 
ein. Bei  der  Arbeit  am  zweiten  Band  dieses  Werkes, 
so  hat  er  später  bekannt,  sei  ihm  anläßlich  der 
Untersuchung  der  Kämpfe  der  Reformer  um  all- 
gemeine Wehrpflicht,  Landwehr  und  Verfassung 
in  den  Jahren  1815  bis  1819  das  Auge  für  die 
Sünden  des  preußischen  Junkertums  hell  aufge- 
gangen. 

Wichtiger  noch  war  es,  daß  ihn  von  nun  an  der 
Drang  zur  Ideengeschichte  nicht  mehr  verließ.  Sein 
Ruf  als  Denker  und  Historiker  gründet  sich  vor- 
nehmlich    auf     drei     geistesgeschichtliche     Unter- 
suchungen,  die,    jede    in   ihrer   Art,   bahnbrechend 
waren.  Weltbürgertum  und  Nationalstaat,  mit  dem 
Verlagsjahr  1908  erschienen,  begründet  mit  einem 
Schlage  seinen  Ruhm.  Methodisch  bedeutet  es  die 
Abkehr   vom   zünftlerischen    Positivismus    mit   der 
diesem    immer    innewohnenden    Tendenz,    den    Gel- 
tungsbereich  der  Wissenschaft  auf  die   handwerk- 
lich   exakte   Tatsachenermittlung   zu    beschränken. 
Es  kam  ihm  vielmehr  darauf  an,  Zusammenhänge 
zu  verstehen,  ohne  doch  in  die  Spekulation  zurück- 
zufallen.  Dieser   Durchbruch,   den   wir   als   Beginn 
der    modernen    Ideengeschichtsschreibung    ansehen 
müssen   (wenngleich  Meinecke  natürlich   Vorläufer 
hatte),  ist  von  ihm  mit  den  Worten  charakterisiert 
worden:  «Mein  Buch  beruht  auf  der  Meinung,  daß 
die    deutsche    Geschichtsforschung,    ohne    auf    die 
wertvollen     Ueberlieferungen     ihres     methodischen 
Betriebes  zu  verzichten,  doch  wiederum  zu  freierer 
Regung    und    Fühlung    mit    den    großen    Mächten 
des  Staats-  und  Kulturlebens  sich  erheben  müsse, 
daß  sie  sich,   ohne    Schaden   zu   nehmen   an   ihrem 
eigensten  Wesen  und  Zwecke,  mutiger  baden  dürfe 
in  Philosophie  wie  in  Politik,  ja  daß  sie  erst  da- 
durch ihr  eigenstes  Wesen  entwickeln  könne,  uni- 
versal und  national  zugleich  zu  sein.» 

Universal     und     national    zugleich!    Damit     ist 
Meineckes    Ziel    in    knappste    Form    gebracht,    die 
Abgrenzung  gegen  engen  Nationalismus  wie  ufer- 
losen Internationalismus  vollzogen   und  ein   politi- 
sches Programm  ausgesprochen,  dem  er  zeitlebens 
treu  blieb.  Richtig  ist,  daß  Meineckc  die  Problema- 
tik dieses  Programmes  ebenso  wie  dem  klassischen 
deutschen  Idealimus,  der  es  zuerst  aufgestellt  hatte, 
zu  dieser  Zeit  noch  nicht  aufgegangen  war.  Noch 
ist  Meinecke  getragen  von  einem  ruhigen  Optimis- 
mus, der  die   Synthese  von   Geist  und   Macht  für 
möglich  und  erreichbar  hält.  Der  Erste  Weltkrieg 
und  sein  Ausgang  erschüttern  seinen  Glauben.  Erst 
jetzt     bricht     die     Erkenntnis     des     tatsächlichen 
Dualismus    von    Geist    und    Macht    bei    Meinecke 
durch,  das  Mißtrauen  vor  dem   Staat  und  seinem 
stets    möglichen    Machtmißbrauch,    da    dieser    itie 
durch    Recht,   sondern    nur   durch     ihm    entgegen- 
gesetzte   Macht    aufgehalten    werden    kann.    Diese 
Erkenntnis  ist  es,  die  in  der  Idee  der  Stantsräson 
in  der  neueren   Geschichte    (1924)    zum   Ausdruck 
kommt.  War  Weltbürgertum  und  Nationalstaat  auf 
die     preußisch-deutsche     Entwicklung     beschränkt, 
griff    Meinecke    nun    die    Entstehung   gesamteuro- 
päischer Ideen  über  das  Verhältnis  von  Macht  und 
Recht  auf.   Das  -Ergebnis  war  tief  beunruhigend: 
«Der    Staat   muß,   so   scheint   es,   sündigen.»    Hier 
ist    echte    Tragik,    weil    eine    unauflösliche    Anti- 
nomie besteht  zwischen  Lebensbedürfnis  des  Staates 
und  sittlicher  Verpflichtung.   «Das  ist  die  furcht- 
barste   und    erschütterndste    Tatsache    der    Welt- 
geschichte, daß  es  nicht  gelingen  will,  gerade  die- 
jenige   menschliche    Gemeinschaft   radikal   zu    ver- 
sittlichen,  die   alle   übrigen   Gemeinschaften   schüt- 
zend und  fördernd  umschließt . .  .» 


Diese  tragische  Geschichtsauffassung  hat  Mei- 
necke bis  zum  Tode  nicht  mehr  aufgegeben.  Das 
«letzte  latente  Ziel»  der  Geistesgeschichte,  «ein 
innerlich  beruhigendes  und  beglückendes  Gott- 
weltbild dabei  zu  gewinnen»,  blieb  unerreicht. 
Hand  in  Hand  mit  dieser  fortschreitenden  Er- 
kenntnis vollzog  sich  bei  Meinecke  eine  Verschie- 
bung im  Verhältnis  zu  seinen  Leitbildern:  Ranke 
und  Burckhardt.  In  ihnen  sah  er  «die  beiden  größ- 
ten historischen  Denker,  die  das  19.  Jahrhundert 
innerhalb  der  deutschen  Kultumation  hervor- 
gebracht hat»;  Berlin  und  Basel  waren  ihm  die 
Gipfel  geisteswissenschaftlicher  Leistung.   Ohne  je 


ganz  von  Ranke,  seinem  ersten  «Leit-  und  Polar- 
stem» zu  lassen,  vollzog  er  in  steigendem  Maße 
eine  Schwenkung  auf  die  Seite  des  Schweizers,  und 
nach  der  Katastrophe  von  1945  konnte  er  fragen: 
«Wird  uns  und  den  nach  uns  historisch  Forsdien- 
den  nicht  Burckhardt  am  Ende  wichtiger  werden 
als  Ranke?»  Die  klassische  Staatsauf fassung  der 
Zeit  vor  1914  scheint  damit  endgültig  aufgegeben. 
Das  dritte  gewaltige  Werk  Die  Entstehung  des 
Historismus  (1936)  blieb  unvollendet,  da  die 
Kräfte  des  74jährigen  nicht  mehr  ausreichten,  um 
das  angestreÄe  Totalbild  des  frühen  19.  Jahr- 
hunderts zu  zeichnen.  Dieses  Budi  war  zugleich 
eine  Tat  politischer  Opposition.  Meinecke  selbst 
meinte,  «eine  in  bejahender  Gesinnung  gehaltene 
Entstehungsgeschichte  des  Historismus  zu  schrei- 
ben, könnte  als  Wagnis  erscheinen,  da  nun  schon 
seit  Jahren  der  Ruf  erschallt,  daß  der  Historis- 
mus überwunden  werden  müsse».  In  diesoni  Uisto 
rismus  sah  er  «eine  der  größten  geistigen  Revo- 
lutionen, die  das  abendländische  Denken  erlebt 
hat»,  nicht  nur  eine  wissenschaftliche  Methode: 
«Welt  und  Leben  sehen  anders  aus  und  offenbaren 
tiefere  Hintergründe,  wenn  man  sich  gewöhnt  hat, 
sie  mit  seinen  Augen  anzuschauen.»  Sein  Wesen 
ist  die  Ersetzung  der  generalisierenden  Betrach- 
tung geschichtlich-menschlicher  Kräfte  durch  die 
indh-iclualisierende.  Damit  ist  jedoch  kein  Verzicht 
auf  Wertung  verbunden,  wie  Meinecke  es  denn 
stets  abgelehnt  hat,  als  Relativist  zu  gelten.  Aber 
eine  zutreffende  Wertung  und  Beurteilung  ist  nur 
vom  Individuum  in  seiner  Entwicklung,  wenn  man 
will,  von  seiner  historischen  Situation  aus  möglich. 
Es  war  Meinecke  nicht  vergönnt,  diese  Unter- 
suchung zu  einem  organischen  Abschluß  zu  füh- 
ren. Ihr  letzter  in  sich  geschlossener  Teil  gibt  «n 
einem  glänzenden  Gemälde  die  Position  Goethes, 
dem  sich  der  greise  Gelehrte  überhaupt  immer 
inniger  verbunden  fühlte.  So  werden  wir  in  den 
letzten  geschichtsphilosophischcn  Aufsätzen  Mei- 
neckes geistiges  Vermächtnis  zu  selien  haben.  Die 
nicht  sehr  umfangreichen  Sammelbändchen,  etwa 
Aphorismen  und  Skizzen  zur  Geschichte  oder 
Vom  geschichtlichen  Sinn  und  vom  Sinn  der  Ge- 
schichte, sind  so  von  allerhö<;hstem  Wert. 

Mit  dieser  geistigen  Entwicklung  Meineckes  ist 
seine  politische  aufs  engste  verbunden.  Von  Haus 
aus    stockkonservativ,    war    ihm    diese    Partei    seit 
den    neunziger    Jahren    verdächtig   geworden,    ins- 
besondere   in    der    Frage    der    Sozialpolitik.    Seine 
wissenschaftlichen    Erkenntnisse    hatten    ihn    dazu 
geführt,    das    junkerliche    Element    ohne    Glorien- 
schein  zu   sehen.   Dazu   kam   ein  stets   wachsendes 
Mißtrauen   gegen   die   Person   des   Kaisers,   dessen 
unheilvolle   Rolle   er   früh   ahnte.   Gleichwohl   blieb 
er  bis  zum   Tode  im  Grund  seines  Herzens  Mon- 
archist   und    hat    seine    eigene    Stellung   seit   1918 
wohl   auch   als   die   eines   «Vemunftrepublikaners» 
bezeichnet.    Diese    gefühlsmäßige    Einstellung    hat 
aber  seih  politisches  Urteil  nie  irregeführt.  Zu  klar 
hatte   er   erkannt,   daß   es   die   Dynastie   selbst   in 
erster  Linie  war,  die  die  Monarchie  verspielt  hatte, 
so    daß    die    Frage    ihrer    Wiedereinsetzung    nicht 
Gegenstand    ernsthafter    Erörterung    sein    konnte. 
Schon  während  des  Weltkrieges  war  er  gezAvungen 
gewesen,   Front  zu  machen  gegen  den  wachsenden 
Einfluß    der    Alldeutschen    und    ihre    unsinnigen 
Kriegsziele,    war    auch,    zusammen    mit    Kollegen, 
mit  Vertretern  der  Gewerkschaften  in  Fühlung  ge- 
kommen    und     muß     wegen     seiner    Bemühungen, 
Bürgertum  und  Arbeiterschaft  zusammenzuführen, 
als  "einer   der   Wegbereiter   des   Weimarer   Staats- 
gedankens angesehen  werden.  Die  Zeit  der  Repu- 
blik  selbst   sah   ihn   als   überzeugten  und   mutigen 
Verteidiger  der  neuen  Staatsform,  weil  er  sie  als 
die   beste  mögliche   Lösung  ansah.   «Nur  auf   dem 
Boden  der  nationalen  Demokratie  kann  die  natio- 
nale   Gesundung   fortan   erfolgen.» 

Mit  der  Gefährdung  der  Republik  wuchs  seine 
politische  Aktivität.  Mit  unerschütterlicher  Kon- 
sequenz kämpfte  er  gegen  Bolschewismus  und 
Nationalsozialismus  und  brachte  es  noch  Ende 
Februar  1933  fertig,  in  einem  Zeitungsartikel 
öffentlich  vor  Hitler  zu  warnen.  Dann  fand  er 
kein  Organ  mehr,  das  seine  Ansichten  verbreitet 
hätte.  M^t  gleicher  Kompromißlosigkeit  wandte  er 
sich  nach  1945  gegen  die  Bolschewisierungsbestre- 
bungen  im  besetzten  Deutschland  und  scheute  sich 
nicht,  1948  an  die  Spitze  der  Freien  Universität 
Berlin  zu  treten,  als  er  erkannte,  daß  die  alte  Uni- 
versität   Berlin    im    Sowjetsektor    zur    Parteihoch- 


schule umgebaut  wurde.  Wer  kann  ermessen, 
welche  inneren  Kämpfe  der  damals  86jährige  zu 
bestehen  hatte,  als  er  seiner  alten,  ruhmreichen 
Universität  den  Rücken  kehren  mußt^!  Bis  zum 
letzten  Atemzug  hat  der  Greis  mit  bewegtem 
Herzen  die  politischen  Ereignisse  verfolgt,  immer 
in  der  Hoffnung,  ein  freies  Deutschland  in  einem 
versöhnten  Europa  werde  doch  einmal  möglich 
sein,  das  Zeitalter  des  klassischen  Nationalstaates 
überwunden    werden    können. 


Unser  Bild  wäre  unvollständig,  würden  wir 
nicht  wenigstens  in  einigen  Worten  des  Lehrers 
Meinecke  gedenken.  Denn  er  war  ein  herrÜcher 
Lehrer,  der  seine  Schüler,  auch  die  jüngsten,  wenn 
er  nur  wissenschaftlichen  Drang  und  anständige 
(iesinnung  bei  ihnen  fand,  als  Persönlichkeiten 
achtete  und  ihnen  sich  ohne  Herablassung  mit  wah- 
rer Zuneigung  zuwandte.  Seine  Herzensgüte  und 
*eine  Charakterfestigkeit  banden  die  Menschen 
mehr  noch  an  ihn  als  die  Verehrung  seiner  wissen- 
schaftlichen   Leistung.  q^^^^  Kotowski 


Kleine   Chronik 


«Volkshochschule»,    -e-      Das    erste    Heft    im 
23.  Jahro-ang    der    in    Zürich    erscheinenden    Zeit- 
schrift   «Volkshochschule»    läßt    bereites    erkennen, 
welche  Themen   in  den   zehn   Heften  dieses  Jahres 
besonders     einfrehend     behandelt      werden      sollen. 
H.   Reinhardt    bietet    eine    eingehende,    sorsrfältig 
illnstrierte  Charakteristik  der  Algen  und  eröffnet 
damit  seine  Artikelreihe  «Pflanzenbilder».   Sodann 
wird    Emma    Steiger   die   mannigfaltigen    «Formen 
der  sozialen   Arbeit»  zur  Darstellung:  bringen.   Zu 
diesen  Beiträsren  gehören  die  jeweils  in  der  Mitte 
der   Hefte   erscheinenden    Bilderseiten.    Sie   zeigren 
im  ersten   Heft  Beispiele  der  «Hilfe  für  das  täs:- 
liche  Brot»,    deren    heutie:e,    vielseitig    ausgebaute 
Möglichkeiten   Emma  Steiffer  zuverlässig  schildert.. 
Mit    Ed.  Hüttingers    Ueberblick    über    die    einzig- 
artige Stellung  und  Beileutung  der  venezianischen 
Malerei  und  Rudolf  W.  Meyers  «Ausblick  auf  die 
französische  Philosophie»,  der  die  Entwickluns:  von 
Descartes  bis  zu  Bergson  und  einigen  wenisrer  all- 
gemein bekannten  Denkern  der  letzten  Jahrzehnte 
aufzeigt,    sind    auch    die  Geisteswissenschaften    in 
dem   äußerlich   anspruchslosen,   aber   für   die   viel- 
gestaltigen   Lehrgrebiete    der    Volkshochschule    des 
Kantons  Zürich  charakteristischen  Heft  vertreten. 
—  Die  zehn  von  Hermann  Weilenmaiin  abwechs- 
lungsreich   gestalteten  Hefte    des  Jahrsransrs    1953 
brachten     zusammenhängende     Darstellungen     zur 
Vogelkunde  und  eine  von  Fritz  Hermann  kommen- 
tierte Bilderauswahl  aus  dem  Zürcher  Kunsthaus, 
sowie  Einzelstudien  aus  den  verschiedensten   Wis- 
sensgebieten. Als  Herausgeber  zeichnet  der  Verein 
zur  Förderung  der  Volkshochschule. 

Musik  in  Wien.  R.  T.  Der  in  Schottland  tätige 
österreichische  Dirigent  Karl  Rankl  brachte  während 
eines    kurzen  Aufenthalts    in    seiner  Heimat    seine 
Vierte  Symphonie  zur  Uraufführung:.  Ein  Sdlö)er 
Arnold  Schönbergs,    und    von    diesem    zur  Ei^än- 
zung    des    unvollendet    hinterlassenen    Oratoriums 
„Die  Jacobsleiter"   autorisiert,   folgt,  er  in  seinem 
eigenen  Werke  seinem  Meister  nicht  auf  das  Ge- 
biet der  Zwölftönemusik  und  der  Atonalität.  Ent- 
scheidend   wurde    für   ihn    eher   der    späte  Gustav 
Mahler,   dessen   großen   Orchesterapparat   er  auch 
übernimmt    und    in    ähnlichem   Sinne    nützt.    Sein 
reich  polyphonierender  Tonsatz  splittert  die  Motive 
gerne  immer  wieder  von    neuem    auf    und    findet 
daher  nur  selten   zu  breiter  ausladenden  Melodie- 
bogen. Als  gewiegter  Praktiker  am  Dirigentenpult 
beherrscht  er  die  Orchesterpalette  vorzüglich.   Die 
ungemein    differenzierte    Arbeit    gipfelt    in    einer 
stetigen  Variabilität  der  verwendeten  musikalischen 
Mittel,  so  daß  die  wenigen   Ruhepunkte  als  Kon- 
trast besonders  willkonimen  erscheinen.   Das  drei- 
sätzige Werk  beginnt  mit  einem  Sonatensatz,  dem 
Variationen   a.if  ein   deutsches  Volkslied   aus   dem 
15.  Jahrhundert  folgen.  Der  dritte,  letzte  Satz  trägt 
in    seiner    Charakteristik    dem    Scherzo,    in    seiner 
Rondoform     einem     geläufigen     Finaletyp     Rech- 
nung.  Rankl    war    seiner    Komposition    ein    aus- 
gezeichneter   Interpret    und    fand    in    den  Wiener 
Symphonikern      einen      ungemein      geschmeidigen 
Orchesterapparat  vor,  den  er  auch  in  den  Beifall 
dankbar  immer  \rieder  mit  einbezog. 

Akademische  Noiizen.  Alnn  Grant  Ogilvie, 
Professor  für  Geographie  an  der  Universität  von 
Edinbnrqh,  ist  im  Alter  von  t>6  Jahren  gestorben. 
Ogilvie  war  ein  international  bekannter  Vertreter 
seines  Faches. 


uns  spielen  wird,  und  in  Agnes  Fink  hat  Horwitz 
zwei     Ehemalige    mitgebracht,    die    jüngst    seiner 


natur  der  verlogenen   Gesellschaft  seiner  Zeit  an. 
Alcest^,    eher   ein    Menschenfreund    als    ein    Men- 


Komisch-Lächerliche    ausgleitet,    aus    dem    in    die 
Rolle    des   ernstzunehmenden    Gesellschaftskritikers 

ivünstler  sehr  schwer  hat.  Daß 


';t'. 


THE 


TIMES 


/ 


/^ 


LITERARY    SUPPLEMENT 


No.  2,710        53 rd  Year 


CONTENTS 


FRIDA Y    JANUAR Y    8     1954 


POSTAGE  :     INLAND    ÄND   ABROAD    IJO 


PRICE  6d 


Leading  Articie :  page 

The  Range  of  English  Studies    . .  25 

Front : 

The  German  General  Staff       ..  16 

Middle : 

Jules  Laforgue      . .         . .         . .  24 

Poem : 

Patric  Dickinson  :  On  the  Point  17 


Architecture : 

J.   A.   Godfrey   and   R.   C.   Cleary : 

Sciniol    Design   and   Constrtiction.  .   20 
P.  Shcpheard  :  Modern  Gardens      . .   20 

Biography  and  Memoirs : 

I.  Bruce  :  Lavullette  Bruce     . .  . .   22 

K.  T.  Gielgud  :  An  Aiitohiography .  .  21 
R.  Gore-Browne  :  Chancellor  Thiirlow  22 
A.  Johnston  :  The  Inaedible  Mizners  20 
R.  Stehens  :  Lwg^trwrf/ . .  ..  ..21 

C  inema  : 

U.  C  lair  :  R  ßectiuns  on  the  C inema  . .   20 

Essa>s  and  Beiles  Lettres : 

W.  Girvan  (Editor):  Eden  Phillpotts  21 
C.   E.    M.  Joad  (Editor)  :  Shaw  and 

Society  .  .  .  .  . .    23 

W.  Ranisey  :  Jnfes  Laforgue  and  the 

Ironie  Inheritance     .  .  . .  .  .    24 

Fiction  . .  . .  . .  ..21 

History : 

J.  Bardoux  :  La  Defaite  de  Bismarck  22 
\V.    W.    Crosskey  :    Politics  and  the 

Cons(ituti<tn   in   the    History  of  the 

United  States  .  .  .  .  .  .    27 

J.  E.  Shaw  :  Ayrshire.  1745-1950  ..  22 
C.  Sinclair  :  The  Thatched  Houses  of 

the  Old  Hi'^'hlands 22 

J.  W.  Wheeler-Bennett  :  The  Nemesis 

of  Power  .  .  .  .    16 

E.  WinyHeld-Stratford  :  The  Unfold- 

ini(  Paffern  of  British  Life    . .  . .   27 

Natural  History : 

J.  G.  Dony  :  Flora  of  Bedfordshire .  .    26 
P.  Scott  and  J.  Fisher  :  A  Thousand 
Geese  .  .  . .  . .  . .  . .   26 

Philosophy : 

G.  J.  Warnock  :  Berkeley      . .  . .   28 

J.  O.  VVisdom  :  The  Unconscious 
Origin  of  Berkeley' s  Philosophy     ..    28 

■  oecry  ..  ..  -.-' 

Religion  and  Theology : 

J.  M.  Oester  reicher :  IValls  are 
Crumhiinii  .  .  .  .    28 

H.  H.  Price  :  Some  Aspects  of  the  Con- 
f/ict   Befween   Science  and  Relivion  28 

U.  t.  Rasen  :  i\iitnrcit  Kcligttßti  und 
Ctuisfian  Tliealitj^y  .  .  .  .    28 

J.  S.  Revnolds  :  the  Evangelicals  at 
Oxford    1735-1871 28 

Sk>cial  Sciences : 

L.  Kuper  (Editor)  :  Living  in  Towns  23 

Travel : 

P.  Mayne  :  The  Alleys  of  Afarrakesh  26 
H.  B.  Morrison  (Editor)  :  The  Golden 
Age  of  Travel  .  .  .  .  . .    26 

E.  M.  Richardson  :  iVe  Bought  an 
Ishind  ...  . .  . .   26 

I.  Stephens  :  Horned  Xfoon  . .  . .   26 

War  and  W  orld  Affairs : 

N.  Bentwich  :  The  Rescue  and 
Achievement  of  Refugee  Scholar s.  .    23 

F.  Le  Gros  C  lark  and  Others  :  The 
New  West  Africa  .  .  .  .    19 

R.  Fräser  :  Lati/i  America  . .  19 

A.     Maurois  :    Aly    Latin-American 

D'ury  19 

The    Memoirs    of  Field    -    Marshai 

Kewelrim;       .  .  .  .  .  .  .  .  19 

D.  Richards  :  The  Fight  at  Odds     . .  19 


BOOK  TOKEN  SHOPPING 
T5s7 


LELI A  :  The  Life  of  George  Sand 
Andre  Maurois 
LETTERS  OF  CHARLES 
Die  KENS  TO  ANGELA 
BIRDETT-COLTTS 

edited  by  Edgar  Johnson 
ALWAYS  THE  YOUNG 
STRANGERS        Carl  Sandburg 

18s. 

BORN  TO  BEL! EVE 

Lord  Pakenhain 
LOST  SPLENDOLR 

Prince  Felix  Youssoupoff 

15s.  i 

ANNAPL  RNA    Maurice  Herzog 
LOXE'S  APPRENTICE 

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BLACK  MAN 'S  TOWN 

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12s.6d7l 

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^V*-»!r--".F'J'«»^*»'"^F«^--^-'TV   - 


--J 


Two  photographs  of  Thalochis,  the  indigenous  Thal  peasantry,  from  Horned  Moorij  by  lan  Stephens, 

which  is  reviewed  on  page  26. 


THE  GERMAN  GENERAL  STAFF 


IN  his  introduction  to  The  Nemesis 
of  Power,  Mr.  Wheeler- Bennett 
makes  no  bones  about  the  moral 
which  he  seeks  to  draw  from  his 
study  of  "  the  German  army  in 
politics  "  between  the  debacle  of  1918 
and  the  catastrophe  of  1945.  He 
begins  with  the  famous  quotation 
from  Mirabeau:  "La  Prusse  n'est 
pas  un  pays  qui  a  une  armee,  c'est 
une  armee  qui  a  un  pays."    He  recalls 

ihiil,   since   ihesc   words   were    wriltcn, 
German  armies  have  sustained  three 

crushing  defeats   in   war,   after  each 

of  which  "  the  victors  were  outwitted 

to  their  subsequent  detriment,"  and 

concludes  that  "  no  country  has  dis- 

played  a  more  phenomenal  capacity 

for  military  resilience  or  for  beating 

ploughshares    into    swords."      After 

these      trenchant       judgments,      he 

pronounces    the     rather    lame     and 

impotent  verdict  that  the   policy  of 

encouraging     the     rebirth     and     re- 

armament  of  the  German  army  "  is 

essenlially    the    only   one   to    follow 

under     the     exigencies     of     present 

conditions,"      hoping      rather     than 

believing  that  "  the  infection  of  the 

virus  of  the  furor  Teutonicus  may  at 

last    be    eradicated    from    the    body 

polilic  of  Germany."    The  book,  in 

Short,   does   not    prescribe   what   we 

should   do,    but    wams   us   what    to 

expect  on  the  rather  despairing  hypo- 

thesis  that  the  warning  may  help  us 

to  avert  it. 

*         *         * 

This  introductory  plugging  of  a 
political  moral,  especially  since  the 
author  seems  to  feel  so  uncertain  of 
his  own  conclusion,  does  something 
less  than  justice  to  the  book.  The 
Nemesis  of  Power  is  not  a  populär 
tract  for  the  times;  nor,  on  the  other 
hand,  is  it  a  profound  political  or 
social  analysis  of  the  forces  which 
have  given  the  German  army  its 
pcculiar  position  in  Germany,  and 
which  may  or  may  not  continue  to 
dominale  the  German  future  as  they 

have  dominated  the  past  for  the  best 
part  of  100  years.  Mr.  Wheeler- 
Bennelt's  most  outslanding  qualilies 
are  not  Ihose  of  a  historian.  Hut   of 

he  has  given  us  is  a  brilliant  portrait- 
gallery  of  the  German  generals  who 
strutted  across  the  stage  in  the  quarter 
of  a  Century  after  the  downfall  of 
1918,  and  a  vivid  and  lucid  account 
of  the  successive  episodes — many  of 
them  crucial  episodes  in  German,  or 


even  in  European,  history — in  which 
they  appeared.  Mr.  Wheeler-Bennett 
has  known  personally  many  of  the 
generals  of  whom  he  writes  and  many 
of  the  leading  figures  in  German  poli- 
tical life  during  the  Weimar  republic. 
He  has  his  strong  personal  feelings 
about  them,  which  colour  the  narra- 
tive  and  give  life  tö  it ;  there  is  no 
nonsense  about  being  fair  to  those 
whom     he     dislikes     (most     of     all, 

Schleicher)    or    seeing     the    warts     on 

the  faces  of  those  whom  he  likcs  (for 
exampk,  Brüning  and  Groener).  The 
constant  emotional  tension,  com- 
bined  with  a  crisp  and  pungent  style, 
makes  the  whole  story  not  merely 
readable,  but  fascinating.  This  is  a 
noteworthy  book. 

*  *  *■ 

Much  of  the  story  has  betome 
familiär,  but  even  those  parts  which 
have  been  told  most  often  were  worth 
telling  again.  The  lirst  task  of  the 
German  General  Staff  after  Novem- 
ber, 1918,  was  to  restore  order  and  to 
restore  its  own  authority.  The  two 
Operations  were  indistinguishable  in 
the  minds  of  the  German  military 
leaders,  notably  in  that  of  General 
Hans  von  Seeckt:  and,  since  it  was 
the  generals  who  carried  them  out. 
their  mterpretation  prevailed.  The 
hapless  and  innocent  leaders  of  the 
German  Social-Democratic  Party 
were  caught  in  a  dilemma  which  they 
realized  in  practice  without  fully 
understanding  it.  If  they  were  to 
resist  the  Communists,  they  must  obey 
the  soldiers:  instinctively  they  chose 
this  alternative  as  the  lesser  evil.  The 
far-sighted  genius  of  General  von 
Seeckt  was  proved  by  a  Single  bril- 
liant intuition  which  made  him  the 
arbiter  of  the  foreign  policy,  as  well 
as  of  the  domestic  policy,  of  the 
Weimar  republic.  Almost  alone  at 
first,  he  rejected  the  grandiloquent 
absurdities  of  the  "  anti-Bolshevist 
Crusade."  and  perceived  that  it  was 
perfectly  possible  at  one^üd.lh£^saffiÄ. 

tinic  lo  rcpicss  C  oniniuiiisls  ai  hoifiC 
and  to  establish  a  working  alliance 
with  the  Soviel  Russian  Government 
vi,'<\ii'.,i     nivc     ihc     wav     lor     a 


,u;,.i. 


JoHN  Whffler-Bennftt:  The  Nemesis 
of  Power.  The  German  Army  in 
Politics,  19l"8-l945.     Macmillan.     50s. 


restoratlon  of  Germany  s  miniary 
power.  Though  Mr.  Wheeler-Bennett 
sometimes  seems  to  go  rather  far  in 
praising  Seeckt  in  order  the  more 
elfectively  to  damn  Schleicher,  and 
exaggerates  the  change  in  the  role  of 
the  Reichswehr  after  Seeckt's  resig- 
nation  in  the  autumn  of  1926,  it  must 
be  admitted  that  few  men  of  the 
pcriod  saw  so  clearly,  and  acted  so 
consistently  within  the  limits  of  the 


goal  that  they  had  set  themselves,  as 
Hans  von  Seeckt, 

After  depicting  the  rise  of  the 
Reichswehr  to  power  under  Seeckt, 
Mr.  Wheeler-Bennett  turns  back  to 
examine  the  early  years  of  National 
Socialism  and  its  first  relations  with 
the  military  power,  succeeding  best 
where  the  dramatis  personae — as  with 
Hitler  and  Ludendortf — stand  out  in 
highest  reüef  :  nothing  coi'ld  he  hetter 
than  the  descriplion  of  the  "  Bier- 
keller "  Putscli  and  its  sequel.  He 
traces,  rather  than  explains,  the 
gradual  strengthening  of  the  hold  of 
the  Nazis  on  ihe  Reichswehr  at  the 
end  of  the  1920s — which  was,  after 
all,  a  reflection  of  rising  Nazi  influ- 
ence  in  almost  every  field  of  German 
life.  It  is  at  the  end  of  the  "  Schleicher 
period  '"  that  the  process  of  demorali- 
zation  is  completed,  and  that  the 
army  can  be  sufficiently  softened  up 
to  accept  Hitler's  political  supremacy 
and,  eventually,  its  own  Gleiclisciudi- 
iirig  into  the  coils  of  the  all-mastering 
Nazi  machine. 


Mr.  Wheeler-Bennett's  long  last 
chapter  is  devoted  to  the  conspiracy 
of  July  20,  1944— that  feeble  and  ill- 
starred  plot  to  assassinate  Hitler  when 
the  war  was  already  lost,  which  has 
been  so  much  over-exploited  in  the 
interests  of  the  mylh  of  German 
resistance.  The  author  has  taken  im- 
mense pains  to  collect  every  available 
scrap  of  evidence,  written  or  oral,  and 
provides  by  far  the  best  account  of 
the  aftair  yet  published  in  English — 
or  probably  in  any  other  language.  It 
is  a  record  of  timidity,  bungling  and 
almost  incredible  inefficiency — with 
the  two  principal  conspirators  dash- 
ing  in  their  car  to  the  aerodrome  and 
flying  to  Berlin  without  wailing  to 
verify  that  Hitler  had  in  fact  been 
killed  when  the  bombexploded.  Even 
the  hideous  tortures  afterwards 
surtered  by  some  of  the  participants 
almost  r:in  in  adH  a  npte  ^*"  '  — '"'" 
lo  so  essenlially  sordit/  an  advenlare. 

But  this  should  pcchaps  have  made 
another  book.  FOr  what  clearly  tran- 
o^>..wo  .-♦  —  -.,^  original  begcltcrs 
of  the  conspiracy  anö  n^  c^^  ^^,, 
cere  enemies  of  the  regime — the  oniy 
men  whose  fate  really  moves  us  to 
pity  and  terror— were  the  civilians. 
The  soldiers  were  concerned  only  to 
avenge  themselves  on  Hitler  for 
having  brought  the  army  to  defeat, 
and  to  save  what  could  still  be  saved 
— their  hopes  were  probably  much 
exaggerated — from  the  wreck.    This 


I 
1 


I 
I 


HUTCHINSON 

Books  for  Spring 


Translated    from    the    Frendi    by 
ARNOLD    HASKELL 

Lifar's  book  is  a  vcry  com- 
plctc  history  of  Russian  ballet, 
which  is  the  parcnt  of  all  ballet 
to-day.  This  makes  it  tar  more 
than  a  book  of  historic 
intcrcst ;  it  is  a  practical  guide 
to  much  that  is  going  on  to^ 
day.  It  dcals  at  grcat  length, 
for  instancc,  with  the  era  ot 
Petipa  which  gavc  us  such 
ballcts  as  Tlic  Shrpin^  Ecatity, 
Swati  Lake  and  Cassc  Noisctte. 
Thcre  is  also  a  lon<>  account  o£. 
the  Diacrhilcft  Ballet  written 
from  Lifar's  personal  cxperi- 
ence  and  with  cxccrpts  troni 
Diaghilcft's  letters,  never 
beforc  published.  The  book 
cnds  with  a  chapter  on  Soviet 
ballet. 

This  is  a  very  personal  work 
by  an  artist  who  has  never 
been  afraid  of  cxprcssing  his 
opinions  with  vigour. 

55  illustrations.     215.  net 

l]\SOI.VED 

Viilaititie  Dyall 

The  Flying  Monk  of  Coper- 
tino,    The    Wizard    of    the 

t^iiaiitock  Jlills  and  Pctcr 
M'Quhac's  Monster  are 
among  the  quaint  and  bizarre 
bcings  trcatcd  of  in  this 
collcction  of  vvcird  problenis 
by  Tlie  Man  in  Black.  Jan.  i8. 

lOs.  6d. 

VI VIA]\  CO]\]\ELI. 

Corinna  Laii^,   Goodbye 

Hcre  is  the  Vivian  Cotintll 
who  scandaliscd  with  The 
Cliinesc  Room  and  charmcd 
with  Scptcnihcr  in  Quinzc  ;  he 
prcsents  in  his  new  story 
a  Portrait  of  a  hyper-sexed 
Hollywood  actrcss  who  finds 
the  first  romantic  and  satisty- 
ing  love  of  her  Ute  iii  the 
South  of  France.  Jan.  i8. 

los.  öd. 

IXKTTA 
^■INüETT 

Philip  pa 

Philipp  a  is  born  rieh,  withno 
social  background,  and 
niarries  for  a  title  ;  when  she 
nieets  Fcrgus  W)nton  she 
rcalises  she  loves  two  men. 
By  the  author  of  Living  with 
Adam.  Jan.  i8.      los.  6d. 

atiii  tJic  folJou'ing 
ucw  iioi'cls 


EOl  IS  €.;oriii]\€i 

To   tili'  Qnaysiik 
25th  Jan.      I2s.  6d. 

Kcbcl  Heircss 
litb  Jan.      I2S.  6d. 

I%AO>ll  JACOB 


*Tis  Folly  to  bc   IVise 

l8th  Jan.      15s.  od. 
• 

HIJTClll]\NOrV 


\1 


.■'-^i'iiifii 


OMOWWVH  J§  QMOIVIMVH 

•p9  'SOI  dd  9\f     ^J9  '^^P]\\^H 

SuipnpU!  'OUI  BD!J3lUVJOSJ3JjJy^Xj3JSX|^ 

öqi  jo  sJoL|inB  snoLUBj  Xq  sbiiois  yoqs 

SQNaoHaooia  oz  ^  t^ 

ganoD  hhi  mi  hsj^od  v 

uoppej  pjojaj^ 

xva  xsnw  s>i3ni:» 

.  ^11  i€J  r\  Sfiii«iit»»4.T 


•SJBSSiuiiuoD  aqi  jo  S]bj3U3S  aqi — 
AjuoqiriB  |^3J  ui  stjm  oqM  uiBjjaDun 
auiooaq  peq  ji  ainij  siq;  Ag  sjBssiUi 
-LÜ03  s^9fdo3d  JO  jpuno3  sqj  jo  jno 
sjuspuadspui  aqj  paSpa  p??q  Aaqj  JpaX 
aqi  JO  pu3  sqj  Xg  Aiqujossi?  j^uor^t^u 
B  o}  suoipap  p[oq  puB  sjaiAO^  aqi 
>IB3jq  oj  'japjo  3JOJS3J  Ol  st;m  auiiuBjS 
-ojd  Jiaqj  t  XjuoqinB  J'^Ml  SupjassB 
Xn^npBjg  ajSM  'puHiuiuoD  Xuiay 
9q;  JO  JJ3I  SBM  }i?qAv  jo  jjoddns — 
ipBi  OS  jou  JO — jiDBj  aqj  qjiM  'sjapnai 
oijBJOOUiaai^POS     aqi     'uqjaa     jo 


aqi  UI  ,.  uisiuiAnBqa  „  jo  luaur 
-ap  3q;  qSnou^  Xi>fJB)S  jno  jqSnojq 
^161  UI  JBM  jo  5iB3jqino  aqx 
^/)IB3M  Xj3a  sn  n;iM  si  saaXoiduis  puu 
i;j3^jOM  p3S3[iAud  jö  uinjBJis  aq;  „ 
icqi  }3Hj  aqi  öj  \^  uisiunijoddo  „  puB 
,^  lusiuiAn^qo  „  uiojj  sjs-^ijom  UBissn^ 
aqi  jo  Xiiuniuuii  sqj  pajnqun^ 
X[iD3JJOD  uiiiaq  pSpnq  jbm  ]buoi;bu 
9m  jsuibSb  3;oa — uoijBpidojj  auios 
qiiM  qSnoq] — BUinQ  ^Ml  JO  sjaqoisui 
DpBJDOui3p-[Bpos  9qi  pip  pUE  'juauj 


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U9JBqDj\  uJ^iIIfM  ^q  sSuiAVBjp  qi|A\ 

S10H3IN  A31M3A3H    /Co    imir   X"iTaT/T 


"'■W'^-yi 


THE 


/ 


TIMES 


^ 


/ 


LITERARY    SUPPLEMENT 


No.  2,597        50th  Year 


CONTENTS 


PAGE 

..   711 
..  711 


Leading  Articies  : 
RcvSponsibility     ..  •• 

Island  and  Time 

Front  : 

Rosa  Luxemburg 

Middle  : 

A  Period  of  Criticism    . . 

Poem  : 

Sir   Osbert   Sitwell :    Municipal 
Idyll 

Specials  : 

Roman  Satire       ..         ..  ..715 

An     Early     Eighteenth-century 
Correspondence — I 


..  701 

..  710 

il 

.  709^ 


720 


Biography  and  Memoirs  : 

Arthur     Calder  -   Marshall  :      T/te 

Magic  of  Mv  Youth 
Kenneth      Neill      Cameron :      The 

Young  Shelley 
Andre  Gide  :  Oscar  Wilde. . 

Drama  and  Theatre  : 

Caryl  Brahms  :  A  Seat  at  the  Ballet  706 
Dan  Mannix  :  Memoirs  of  a  Sword- 

S  na  IIa  »er     .  . 
Emest  Stern  :  Mv  Life,  My  Steige. . 
Henry      de      Montherlant :        The 

Master  of  Santiago 
J.    C.    Trewin  :    The    Theatre  since 

1900  . .  

Audrey  Williamson :  Theatre  of  Two 

Decades 
A.  E.  Wilson  :  Edwardian  Theatre. . 


703 

709 
706 


706 
706 

715 

706 

706 
706 


Essays  and  Beiles  Lettres  : 

J.  W.  H.  Atkins  :  English  Literary 
Criticism  :  Seventeenth  and 
Eighteenth    Centuries  ..  ..710 

The    Saturday    Book.       Edited    by 


FRIDAY    NOVEMBER    9     1951 


POSTAGE  :    INLAND  AND    ABROAD   1  iD 


PRICE  6d 


•;>;*:s>::::-M:;v>;;W*-v- 


5.,°°j-v-.2ÄÄ<5:r;'Ä:!:^^^^^^ 


Leonard  Russell 


709 


Artist:  front  Vincent  van  Gogh 


J^  Read 

THE  MAN  WHO 
KILLED  THE  KING 

Tlüs    new,    long    novel    of  the 
advcntures    of   Roger  Brook    is 
sct   against   the  vast  and  terrible 
background  of  the  Frcnch  Revo- 
lution.   History  and  romance  are 
conibined    in     a    richly 
entcrtaining  book. 
Puhlishcd   Ycstcrday 
568  p(i}^cs 
13s. 


-^^^-oev 


COMING 
NEXT  THURSDAY 


and  now  reissued.    (Constable,  20s.) 


JUNGLE 
PATHFINDER 

Katlialooii    Nteieiu«* 
UriiAVIlVA 

An  authentic  biography  of  Chirupula 
Stcphcnson,  Africa's  niost  fabulous 
advcnturcr.  No  fiction  book  could 
be     niore    excitinir.    niore    romantic, 


i 


>^ 


..   703 


History  : 

Adrian  Coales  :  Prelucie  to  History. .  708 
Rene  Grousset  :  The  Siim  of  History  708 
Anson   Phelps  Stokes  :   Church  ""d 

State  in  the  United  States.  .  . .   712 

W.  H.  Tapp  :  The  Sunbury  Charter  708 

Poetry  : 

The  Oxford  Dictionarv  of  Nursery 
Rhvmes:  Edited  by  lona  and  Peter 
Opl. 704 

Religion  : 

Diana  Leatham  :  Celtic  Sunrise    ..712 

Science  : 

Kenneth  Heuer :  Men  of  Other 
Planets 

Travels  and  Topography  : 

Thomas  R.  Henry  :  The  White  Con- 
tinent  .  •  •  •  •  •       ,   •  • 

John  Irwin  and  Jocelyn  Herbert 
(Editors)  :  Sweete  Themmes         . .   704 

Dunstan  Thompson:  The  Phoenix 
in  the  Desert  ••  ••  ..713 

War  and  World  Affairs  : 

Paul  Brickhill  :  77;^  Dam  Busters  . .  714 
W.  S.  Churchill  :  In  the  Balance  ..  717 
Captain    Russell    Grenfell  :    Main 

Fleet  to  Singapore .  .  ••  ..714 

Rosa   Luxemburg  :   The  Accitmula- 

tion  of  Capital   '      . .  ••  ••    '"» 

R.  T.  Paget:  Manstein        ..  ••   714 

Books  to  Come    ..         ..         ..715 

Books  Received     ..         ..      718,  719 


ROSA   LUXEMBURG 


^      A  new  JALNA      '^ 
novel  out  today 

RENNY'S 
DA  UGHTER 

by 

Mtiizo 
de  Um^  Roche 

The  twelfth  book  in  the  chronicles  of 
the  famous  Whiteoak  family  teils  the 
Story  of  Renny's  fight  to  preserve 
Jalna,  and  of  his  daughter  Adeline's 
Coming  of  age. 

In  the  twenty-four  years  since  the 
first  Jalna  book  was  published,  the 
chronicles  of  the  Whiteoaks  have 
become  the  most  populär  of  all  fiction 
stories  about  a  Single  family. 


ROSA  Luxemburg,  whose   main 
theoreticäl  treatise,   The  Accu- 
mulatiofi    of   Capital,    has   just 
appeared    for    the   first   time    in    an 
Engl'sh   translation,   is    by   common 
consent  an  outsianding  hgure  in  ll.- 
history    of    revolutionary    socialism. 
Her  Position  is,  however,  difficult  to 
classify.       No    single    country    can 
Claim  her;   no   party— not  even  the 
German  Communist  Party  which  she 
helped    to    found— pays    unqualified 
homage  to  her  memory  ;  her  Status  in 
the  corpus  of  socialist  writers  as  a 
Marxist  who  challenged  Marx  on  a 
point      of      economic      theory      is 
anomalous.    Yet  the  strength  of  the 
Impression  which  she  made  on  her 
contemporaries  and  fellow-workers  is 
universally     attested.       Her     unique 
success  lay  perhaps  in  her  capacity  to 
combine  the  spirit  of  compassion,  of 
Indignation  at  the  unmerited  suflfer- 
ings    inflicted    by    a    callous    social 
System,  which  was  the  ultimate  force 
behind     socialism     as    a    crusading 
doctrine,   with   a  cool   and   rigorous 
intellectual  analysis  of  the  conditions 
in  which  that  system  flourished   and 
through   which   it   would  eventually 
perish. 

The  fundamental  humanitarianism 
of  Rosa  Luxemburg's  outlook  was  the 
source  of  her  strength.    In  one  sense, 
too,  it  may  have  been  a  source   of 
weakness.     For  while  Rosa  Luxem- 
burg reached  early  in  life  an  intellec- 
tual  conviction   that  revolution   was 
necessary  and   justifiable,  and  acted 
on    that   conviction   throughout    her 
career,    she    never    fully    faced    the 
Clement  of  ruthlessness  which  seem^» 
to    enter    into    every    revolution    in 
action.    It  is  at  any  rate  arguable  that 
the  German  revolution  failed  because 
its  leaders  were  less  ruthless  than  those 
who  set  out  to  strangle  and  crush  it. 
Except  in  respect  of  this  intellectual  in- 
dependence,  it  is  difficult  to  agree  with 
the  comment  in  a  prefatory  note  by 
the  editor  of  the  series  in  which  this 
translation  appears  that  Rosa  Luxem- 
burg was  "  a  type  not  unlike  Trotsky." 
Rosa  Luxemburg  was  the  child  of  a 
middle-class  Jewish  family  in  a  small 
Polish  town,  where  she  was  born  in 
1871.      She     was    never    physically 


strong,  and  some  hip  disease  in  child- 
hood  left  her  slightly  lame.  Her  assets, 
apart  from  her  quick  and  powerful 
intelligence,  were  a  beautiful  voice  and 
capacity  to  hold  and   sway   a  large 
aadlcnic.     ^^'"  had  her  schooling  in 
Warsaw— naturally  in  Russian  :  ar^d, 
having  become  early  involved  in  revo- 
lutionary activities,  she  was  smuggled 
out  of  Poland  at  the  age  of  18  to  con- 
tinue  her  studies  in  the  university  of 
Zürich.    For  the  next  10  years  she  led 
the   life   of  the   young   international 
revolutionary  in  exile.    She  played  a 
prominent  part  in  1893  in  Splitting  the 
Polish   Socialist    Party    (P.P.S.)— the 
party  which  was  one  day  to  provide  an 
ideological    platform    for    Pilsudski's 
Fascist  State,  and  which  was  already 
guilty     of     the     heresy     of     rating 
Polish  national  claims  to  independence 
higher  than  the  international  solidarity 
of  the  workers.    She  was  one  of  the 
leaders    of    the    new    party    which, 
flaunting    its    indifference    to    Polish 
national  unity,  confined  its  activities 
to  Russian  Poland,  called  itself  "  the 
Social-Democracy  of  the  Kingdom  of 
Poland,"  and  was  later,  in  defiance  of 
traditional  Polish  hatred  of  Russia,  to 
affiliate  itself  to  the  Russian  Social- 
Democratic  Party.    Rosa  Luxemburg, 
by  way  of  reaction  against  extravagant- 
Polish      nationalism,      remained      a 
thorough-going    internationalist    and 
enemy  of  all  national  pretensions.  She 
afterwards  crossed  swords  with  Lenin 
on  the  issue  of  national  self-determina- 
tion,  sharing  the  same  point  of  view 
with  Radek  and  several  leading  Bol- 
shevists,  and  after  the  Russian  revolu- 
tion severely  criticized  the  toleration 
shown     by     Lenin     to      Ukrainian 
separatism. 


^ 


12s.  6d. 


MACMDLLAN 


(lÄ 


Rosa  Luxemburg:  The  Accumulation  of 
Capital,  Translated  from  the  German 
by  Agnes  Schwarzschild.  With  an 
Introduction  by  Joan  Robinson. 
Rouiledge  and  Kegan  Paul.     35s. 


So  long  as  the  Tsar  reigned, 
Poland  was  a  harren  and  dangerous 
ground  for  revolutionaries  ;  and  from 
1898  onwards  Rosa  Luxemburg  was 
active  in  Germany,  going  through  a 
formal  marriage  ceremony  with  a 
German  in  order  to  avoid  the  risk  of 
expulsion.  It  was  the  moment  when 
the  German  Social-Democratic  Party 
was  being  torn  by  the  controversy 
over  "  revisionism  " — the  campaign 
of  Bernstein  and  others  to  "  revise  " 
Marxism  in  the  sense  of  admitting 
that  the  aims  of  the  workers  could  be 
achieved  by  reform  more  effectively 
than  by  revolution,  by  using  the 
machinery  of  the  bourgeois  State 
rather  than  by  seeking  to  destroy  it. 


Rosa   threw   herseif   heart   and   soul 
into  the  defence  of  Marxism,  whole 
and    undefiled  by   compromise ;    no 
other  path  but  revolution  could  lead 
the  Proletariat  to  its  goal.    Bourgeois 
democracy  could  never  become  the 
msiruiuciit    Tor   the    a-iiievement    of 
socialism.       Rosa  Luxemburg's  first 
important    book.   Social   Reform    or 
Revolution  ?         which         originally 
appeared  as  articles  in  the  party  Press, 
was  the  outcome  of  this  controversy. 
♦         *         * 
This  uncompromising  advocacy  of 
revolution  led  her  into  a  hotly  con- 
tested  argument  with  the  trade  unions. 
The  attitude  of  Marx  and  his  disciples 
to  trade  unionism  always  had  in  it  a 
streak  of  ambivalence.    Trade  unions, 
Said  Marx,  were  necessary  and  vital 
"  so  long  as  capitalism  exists."    But 
their  primary  preoccupation  was  to 
make    the    best    of    things    for    the 
workers    under   capitalism,   and    this 
always  carried  with  it  the  risk  of  being 
diverted  from  the  essential  aim  and 
purpose  of  overthrowing  capitalism. 
;rhe  trade  unions  were  always  tempted 
to   treat    the    issue   as   an   economic 
struggle  between  workers  and  employ- 
ers  and  neglect  its  political  aspects: 
Lenin   often   used  the   English  word 
"  trade-unionism  "  contemptuously  in 
this  sense.     In  the  early   1900s  this 
controversy  became  acute  in  Germany 
where  the  trade  unions  and  the  Social- 
Democratic    Party    were    always    to 
some  extent  rivals  for  the  allegiance 
of  the  workers.  For  Rosa  Luxemburg, 
as  for  Lenin,  the  party  always  came 
first.     In   1906  she  wrote  a  famous 
Pamphlet  under  the  title   The  Mass 
Strike,    the    Party    and    the    Trade 
Unions,  in  which,  influenced  in  part 
by  the  events  of  the  Russian  revolu- 
tion of  1905,  she  defended  the  general 
strike    as    a    revolutionary    weapon 
against    the    attitude    of    the    trade 
unions    who   wished    to   reserve   the 
strike  as  a  weapon  in  the  economic 
struggle  against  the  employers.    The 
German   trade  unions   were,   in   her 
view,  deeply  imbued  with  the  heresy 
of  revisionism ;  and  her  bitter  taunts 
and  strictures  at  this  time  won  her 
the  deep-seated  animosity  of  the  trade 
Union  hierarchy. 

The  Accumulation  of  Capital, 
originally  published  in  1913,  needs 
to  be  read  as  a  broadside  in  Rosa 
Luxemburg's  long  campaign  in  the 
defence  of  the   cause   of    revolution 


than  this  whoUy  truc  story  of  a  white 
man  who  wcnt  to  the  Cape  Colony 
in  the  1890s  and  has  lived  for  years 
among  the  African  pcople,  by  whorn 
he  is  held  in  dcep  respect.  15s. 

FROM  THE  ANGLE 
OF  88 

PIIIM.POTTS 

Eden  Phillpotts's  life  has  been  rieh  in 
friendships,    experience    and   achicve- 

mcnu  aiiJ   „,  1.;    -^ ''•"^'"i.'^hf^ 

past  with  wit,  huniour  and  niature 
discernment  even  the  present  takes  on 
ä  rosy  hue.  ,  lOs.  6d. 

The 
CO^tlPTOI« 

iriAiKEMZii: 

Birthday  Book 

Edited  by 
MARGERY  WEINER 

This  channing  book  printed  through- 
out in  two  colours  has  quotati^ns 
froni  Compton  Mackenzie's  works  for 
every  day  in  the  year  and  ample  space 
for  recording  birth  dates.  12s.  6d. 

(ine.  P.T.) 

PEARL 
WEDDING 

jmEPiiEiv 

HeKKirafA 

A  captivanng  family  saga  that  spans 
hfty  years  of  a  man's  life  and  givcs 
vivid  impressions  of  public  figures 
between  the  wars,  of  the  great  his- 
torical  events  of  the  period  and  of  the 
changing  values  since  the  begmning  of 
this  Century.  IS*- 

THE 
CORSAIR 

J.  U.  NARASIM 

A  dashing  period  romance  set  in 
Portugal  and  North  Africa  in  the 
sixteenth  Century.  The  author  has 
created  characters  that  seem  to  live 
and  breathe,  and  her  story  holds 
interest  from  Start  to  finish.       lOs.  6d. 

Availahle  Now 

MAKE  HASTE, 
MY  LOVE 

Kill  AliilCR 

"  A  very    good  book  indeed  " — The 
Times  Literary  Supplement.  9s-  6d. 


WINSTON   CHURCHILL 

By  Lewis  Broad      ^^^ 


Hutchinson 


702 


THE     TIMES     LITERARY     SUPPLEMENT     FRIDAY     NOVEMBER     9     1951 


against  the  **  revisionists."  Its  edge 
and  purpose  cannot  indeed  be  fully 
appreciated  except  in  this  context ; 
and,  while  the  present  English  trans- 
lation  seems  excellent,  it  is  perhaps 
a  pity  that  the  introduction  should 
have  been  entrusted,  not  to  someone 
familiär  with  the  international 
socialist  movement  who  could  have 
filled  in  the  historical  background  of 
the  work,  but  to  a  distinguished 
economist  who  embarks  on  the  un- 
rewarding  task  of  examining  its  rele- 
vance  to  current  academic  economic 
theory.  In  writing  it  the  author  never 
strayed  far  from  her  main  preoccupa- 
tion,  which  was  to  refute  the 
"  revisionists  "  who  wanted  to  do  a 
deal  with  the  capitalist  State,  and  to 
reassure  the  faint-hearted  who  were 
tempted  to  believe  that,  after  all, 
capitalism  had  within  it  powers  of 
survival  which  would  enable  it  to  last 
for  ever. 

With  this  end  in  view  Rosa  Luxem- 
burg sought  not  merely  to  reinforce 
the  verdict  of  Marx  that  capitalism 
was  doomed    to   perish   through   its 
own  inherent  contradictions,  but  to 
close  a  loophole  which  Marx  seemed 
inadvertently  to  have  left  open.    The 
second  volume  of  Capital  had  been 
written  up   by  Engels  after    Marx's 
death  from   the  master's   notes  and 
drafts,  which  on  certain  points  had 
been  notoriously   incomplete.     Rosa 
Luxemburg   argued   that    Marx    had 
failed    to    demonstrate    beyond    all 
manner  of  doubt  why  capitalism,  by 
process  of  progressive  accumulation, 
could  not  go  on  expanding  for  ever ; 
and,  so  long  as  expansion  was  pos- 
sible,  there  was  no  reason  why  capital- 
ism should  not  go  on.    Rosa  thought 
she  had  found  the  answer  to  this  un- 
answered  question  in  the    fact    that 
capitalism  could  continue  to  expand 
only  for  so  long  as  it  could  find  non- 
capitalist  —  Le.,   colonial  —  markets, 
and  that,  as  these  markets  were  gradu- 
ally  used  up  and  absorbed  into  the 
all-conquering      and      all-pervading 
capitalist    System,    capitalism     itself 
was  bound  to  decline  and  ultimately 
collapse. 

Rosa.  Luxemburg's  argument  was 
found  convincing  by  some  German 
economists;  but  The  Accumulation 
of  Capital  has  clearly  owed  its 
appeal  less  to  its  economic  analysis 
than  to  the  fervour  of  the  poli- 
tical  faith  that  shone  through  it 
and  to  the  vigour  and  brilliance  of  its 


indictment  of  imperialism.  The 
theory  which  Lenin  developed  a  few 
years  later  in  Imperialism  as  the 
Highest  Stage  of  Capitalism  had  some 
analogies  with  that  of  Rosa  Luxem- 
burg, though  according  to  this  theory, 
which  Lenin  derived  mainly  from 
Hilferding  and  Hobson,  what  capital- 
ism sought  in  the  colonial  and  "  semi- 
colonial  "  countries  was  not  so  much 
markets  a^  fields  for  lucrative  invest- 
ment. 

But  Lenin  had  the  advantage  over 
Rosa  Luxemburg,  in  the  eyes  of 
Marxists,  of  merely  carrying  on 
Marx's  analysis  and  not  challenging 
it  as  inadequate  ;.  nor  did  Lenin  ever 
commit  himself  so  far  to  the  doctrine 
of  the  inevitable  collapse.  It  was  this 
point  on  which,  paradoxically  enough, 
later  Bolshevists  (though  not  Lenin 
and  "  Bukharin  in  their  polemics 
against  her  economic  theories) 
fastened  in  their  criticisms  of  The 
Accumulation  of  Capital.  It  was 
the  Menshevists  who  dwelt  on  the 
Clement  of  "  inevitability "  in 
the  Marxist  doctrine  in  order  to 
Support  their  condemnation  of  the 
Bolshevists  for  seeming  to  move 
farther  and  faster  than  was  justified 
by  the  development  of  the  historical 
process.  Rosa  Luxemburg's  critic- 
isms of  Bolshevism  in  the  last  year  of 
her  life  clearly  proved  her  Menshevist 
affiliations ;  The  Accumulation  of 
Capital  clearly  provided  a  foretaste 
of  her  Menshevism,  The  whole 
pattern  seemed  to  fit  together.  A  work 
which  was  written  as  a  passionate  plea 
for  revolutionary  action  was  con- 
demned  in  later  Bolshevist  literature 
for  its  supposed  justification  of  a 
policy  of  inaction. 

«         ♦         * 

It  was  not,  however,  Rosa  Luxem- 
burg's economic  theories  which  gave 
her  her  outstanding  place  in  the 
socialist  movement  or  accounted  for 
the  veneration  in  which  her  name  was 
held  by  a  whole  generation  of  Ger- 
man workers.  These  things  she  owed 
to  her  fervent  Opposition  to  war — 
and,  in  particular,  to  the  war  of  1914. 
Before  Rosa  Luxemburg  appeared  on 
the  scene,  the  Second  International 
and  the  parties  forming  it  had  never 
seriously  had  to  face  the  question  of 
war.  But  as  the  Century  ended  clouds 
could  be  discerned  in  the  international 
firmament  —  the  Fashoda  crisis, 
the  Spanish-American  war,  the  South 
African  war.  At  the  Paris  congress 
of  the    International  in    1900,   Rosa 


Luxemburg  moved  a  resolution  con- 
demning  militarism,  which  was 
carried  unanimously  perhaps  with- 
out  much  realization  of  its 
importance.  This  was  the  resolution 
which  firstcommitted  "  socialist  mem- 
bers  of  parliament "  to  vote  against 
budgets  "for  military  or  naval  pur- 
poses  or  for  colonial  expeditions." 
It  was  at  that  time  directed  mainly 
against  the  French,  and  was 
prompted  in  fact  by  the  recent  scan- 
dal  of  Millerand's  entry  into  a 
bourgeois  government.  It  was,  how- 
ever, already  clear  that,  sooner  or 
later,  social-democratic  parties  would 
be  compelled  to  define  their  attitude  to 
wars  in  which  their  countries  were 
engaged. 

It  still  seemed  unth inkable  to  Rosa 
Luxemburg  and  tomostconsistent  and 
sincere  social ists  that  that  attitude 
could  be  other  than  negative.  But  by 
the  year  1907,  when  the  Second  Inter- 
national held  its  congress  in  Stuttgart, 
and  war  in  Europe  was  already  more 
than  a  theoretical  possibility,  the 
embarrassments  of  the  question  had 
become  piain  enough.  At  that  time 
the  "  Social  Democracy  of  the  King- 
dom of  Poland,"  whose  mandate  Rosa 
Luxemburg  held,  was  affiliated  to  the 
Russian  Social-Democratic  Party, 
which  was  enjoying  a  short-lived  inter- 
lude  of  unity  and  truce  between 
Bolshevists  and  Menshevists.  The 
Russian  party's  delegation  at  the  Stutt- 
gart congress  consisted  of  Lenin, 
Martov  and  Rosa  Luxemburg — a 
unique  occasion. 

Lenin  and  Martov  apparently 
allowed  Rosa  Luxemburg  to  make 
the  running  on  a  subject  which  was 
peculiarly  her  own,  but  gave  her  their 
solid  Support.  The  resolution  on  the 
struggle  against  militarism  presented 
by  the  Veteran  German  leader  Bebel 
on  behalf  of  the  bureau  repeated  the 
usual  pledge  to  vote  against  war 
budgets,  but  was  otherwise  colourless. 
Rosa  Luxemburg  on  behalf  of  the 
Russian  delegation  offered  an  amend- 
ment  which,  after  some  rather  shame- 
faced  Opposition  from  the  Germans, 
was  accepted  in  a  slightly  attenuated 
form  by  the  congress,  and  thus  became 
the  accepted  doctrine  of  the  Inter- 
national. Under  this  resolution  social- 
democrats  were  not  only  to  employ 
every  means  to  prevent  war  but, 
should  war  none  the  less  occur,  they 
were  to  do  their  utmost  to  "  utilize  the 
economic  and  political  crisis  caused 
by  the  war  "  in  order  to  bring  about 
the  overthrow  of  the  capitalist  order — 
vn  everythii 


German  socialist  movement — an 
element  which  had  been  firmly 
planted  there  by  Lassalle,  and  which 
lip-service  to  Marxist  doctrine  had 
never  eradicated.  By  a  large  majority 
the  Social-Democratic  group  in  the 
Reichstag  decided  to  abandon  the 
party  principles  and  vote  in  favour 
of  the  war  credits  demanded  by  the 
Imperial  Government.  For  Germans, 
and  for  socialists  all  over  the  Con- 
tinent,  the  date  August  4,  1914,  was 
the  date  not  of  the  outbreak  of  war 
(war  had  already  been  in  progress 
with  Russia  for  three  days>,  but  of 
the  rallying  öf  the  German  Social- 
Democratic  Party  to  the  national 
cause,  of  its  betrayal  of  the  creed  of 
international  socialism.  This  was  the 
starting-point  of  the  last  and  most 
vital  phase  in  Rosa  Luxemburg's 
career.  Her  Opposition  to  war  in 
general  now  became  a  specific 
mission  ;  and,  though  she  spent  mosj^ 
of  the  war  years  in  and  out  of'prison, 
she  became  the  voice  and  the  symbol 
of  the  campaign  against  it.  Her  pam- 
phlet  The  Crisis  of  Social  Democracy 
published  in  1916  over  the  signature 
Junius  (and  offen  referred  to  as  "  the 
Junius  brochure")  was  the  most 
stirring  and  eloquent  denunciation  of 
the  war  to  appear  in  Germany 
between  1914  and  1918. 

In     December,      1914,     a     Single 
member    of    the    Social-Democratic 
group  in  the  Reichstag,  Karl   Lieb- 
knecht,   registered    the    first   solitary 
vote    against    the    war    budget,    and 
courageously  repeated  his  gesture  of 
protest  on  several  occasions  down  to 
1917    when    he    was    arrested    and 
imprisoned.     In   1915  Rosa  Luxem- 
burg, Karl  Liebknecht  and  a  handful 
of  Left-wing   intellectuals   began   io 
issue  a  series  of  occasional  and  iliicit 
anti-war  pamphlets  which  they  called 
"  the  Spartacus  letters,"  ^nd  from  this 
the  group  came  to  be  known  as  the 
Spartakusbund.    The  success  of  these 
leaflets  revealed  the  strength  of  the 
latent  Opposition  to  the  war,  which 
increased  as  the  slaughter  dragged  on 
without  prospect  of  end  or  result.    In 
1916  there  was  a  breakaway  within 
the  Social-Democratic  Party  and  the 
Independent  Social-Democratic  Party 
was   formed    with   a   programme   of 
bringing   the   war  to   an  end.      The 
Spartakusbund  was  a  group  within 
the  Independent  party.    But  the  real 
difference    was    that   the   Spartakists 
were  revolutionaries  who,  like  Lenin, 
wished  to  use  the  war  as  a  means  to 
social       revolution.       whereas       the 


D 


Q   N 


A 


LAUGHTER 


*"  The  wise  man  thinks 
once  before  he  speaks 
twice/ 

Although  we  read  The  Times 
Literary  Supplement  and  are 
reasonably  merry,  the  picture  we 
have  formed  of  its  average  reader 
is  of  a  solemn  individual  with  a 
scholarly  turn  of  mind.  He  has 
now  discarded  his  pince-nez  for 
heavy  horn-rimmed  spectacles,  but 
he  still  has  the  habit  of  being 
rather  pontifical,  especially  in  the 
presence  of  defenceiess  clicnts. 

It  is  for  this  reason  that  we  feel 
slightly  daring  when  we  advertise 
a  humorous  book  in  The  Times 
Literary  Supplement.  Do  you 
laugh?  Yes,  yes,  of  course  you 
are  the  exception,  but  what  about 
the  man  in  the  other  pew  ? 

We  think  that  THE  DECLINE 
AND  FALL  OF  PRACTfCALLY 
EVERYBODY  (10s.  6d.)  is  just 
your  cup  of  tea.    Will  Cuppy  was  a 

Scholar  who  had  to  earn  his  hving 
by  writing  and  found  he  could  do 
so  by  making  mock  of  his  own 
learning.  In  this  book  he  is  so 
resoundingly  funny  that  we  believe 
that  it  will  become  a  classic  ot  its 
kind  together  with  1066  And  All 
That. 

We  still  pursue  our  dogged  course 
of  Publishing  British  editions  of  all 
Robert  Benchley's  works.  MY 
TEN  YEARS  IN  A  QL  ANDARY 
AND  HOW  THEY  GREW  (9s.  6d.) 
is  the  best  of  all  his  books  and  has 
gone  through  innumerablc  editions 
in  the  U.S.  The  word  funny' 
has  been  used  so  often  that  its 
meaning  has  been  rubbed  down  to 
a  nub.  But  it  is  the  only  word 
we  have  to  use.    Funny  ?     Funny  ! 


fö*^*" 


jciine  ana  ultimately 
collapse. 

Rosa  Luxemburg's  argument  was 
found  convincing  by  some  German 
economists;  but  The  Accumidation 
of  Capital  has  clearly  owed  its 
appeal  less  to  its  economic  analysis 
than  to  the  fervour  of  the  poli- 
tical  faith  that  shone  through  it 
and  to  the  vigour  and  brilliance  of  its 


Before  Rosa  Luxemburg  appeared  on 
the  scene,  the  Second  International 
and  the  parties  forming  it  had  never 
seriously  had  to  face  the  question  of 
war.  But  as  the  century  ended  clouds 
could  be  discerned  in  the  international 
firmament  —  the  Fashoda  crisis, 
the  Spanish-American  war,  the  South 
African  war.  At  the  Paris  congress 
of  the   International  in   1900,   Rosa 


V 
A 


SET    FOR    SUCCESS 

GooD  news  for  readers  who  agree  with  Mr.  Somerset 
Maugham  that  the  novel's  business  is  toentertain : 
the  new  Linklater,  Laxdale  Hall,  is  the  author's 
wittiest  and  most  hilarious  work.  Nothing  is  here  for 
tears,  though  the  laughter  is  sometimes  on  the  other 
side  of  the  face.  If  the  title  has  a  Peacockian  flavour, 
so  have  some  of  the  characters,  but  they  move.  They 
have  to.  Laxdale  Hall  has  as  much  action  and  variety 
as  Juan  in  America  and  Private  Angela.  It  will  delight 
all  whom  those  picaresque  romances  delighted,  and 
will  make  fresh  enthusiasts  for  the  Linklater  line  of 
critical  comedy. 

Mary  Treadgold's  noveJ,  The  Running  Childs  has 
different  qualities,  but  is  as  beguiling  in  its  own  way. 
Its  concern  is  with  a  small  girl  who  tried  to  regain  a 
paradise— the  farm  in  Corriwall  to  which  she  had  been 
*evacuated'  in  wartime.  The  story  of  her  three-day 
flight  is  told  with  a  delicacy  which  sacrifices  nothing 
to  suspense. 

From  Beverley  Nichols  what  next  ?  Merry  Hall. 
Fact  or  fiction?  Let  the  author  answer :  '  Merry  Hall 
is  a  real  house,  Merry  Hall  is  its  proper  name,  and  the 
stories  of  the  garden  and  the  dramas  it  has  witnessed 
are  as  I  have  described  them,  though  I  may  at  times 
have  dabbed  a  little  paint  on  one  of  the  lilies  ...  * 
The  book,  which  teils  the  story  of  the  rescue  of  a 
deserted  garden  and  its  transformation,  is  in  the  same 
happy  vein  as  Down  the  Garden  Path  and  may  easily 
rival  the  success  of  that  perennial  favourite. 


^^%* 


TO     BE     PUBLISHED      ON     MONDAY     * 

Laxdale  Hall  by  eric  linklater  12s.  6d. 

The  Running  Child  by  mary  treadgold      12s.  6d. 

Merry  Hall  by  beverley  nichols 

With  drawings  by  William  McLaren  15s. 

aü  prices  are  tiet 


JONATHAN     CAPE 


^^ 


V 

A 


^^^^. 


TÖm  the  ijermans, 
was  accepted  in  a  slightly  attenuated 
form  by  the  congress,  and  thus  became 
the  accepted  doctrine  of  the  Inter- 
national. Under  this  resolution  social- 
democrats  were  not  only  to  employ 
every  means  to  prevent  war  but, 
should  war  none  the  less  occur,  they 
were  to  do  their  utmost  to  "  utilize  the 
economic  and  political  crisis  caused 
by  the  war  "  in  order  to  bring  about 
the  overthrow  of  the  capitalist  order — 
in  everything  but  name  a  call  to  civil 
war.  This  drastic  resolution  was 
re-voted  by  each  subsequent  congress 
of  the  Second  International  down  to 
1914.  Rosa  Luxemburg  continued  to 
conduct  an  active  campaign  on  the 
platform  and  in  the  party  Press  tili, 
early  in  1914,  she  was  sentenced  to  a 
year's  imprisonment  for  incitement  to 
mutiny. 

Behind  this  picture  of  the  workers 
of  the  World  united  under  the  banner 
of  the  vSecond  International  in  resist- 
ance  to  war,  the  reality  was  far 
different.  In  a  world  of  uniform 
economic  development  and  oppor- 
tunities  national  differences  might,  as 
the  Communist  Manifesto  had  pre- 
dicted,  have  progressively  dis- 
appeared.  But,  in  a  world  where 
development  had  been  highly  unequal 
and  Privileges  unequally  shared, 
divergences  were  bound  to  occur  in 
the  attitude  of  workers  of  different 
countries.  In  the  advanced  countries, 
notably  in  Great  Britain  and  Ger- 
many,  where  the  workers  had  attained 
a  relatively  high  Standard  of  living 
and  a  recognized  place  in  the  national 
polity,  the  pull  of  national  allegiance 
was  strong  enough  in  the  first  decade 
of  the  twentieth  Century  to  outweigh 
class  allegiance.  In  the  western  Euro- 
pean countries  pronouncements  of 
leaders  of  the  workers  against  miU- 
tarism  and  war  were  more  and  more 
apt  to  carry  an  explicit  or  implied 
reservation  of  the  right  of  national 
self-defence ;  and  this  meant  not  a 
return  to  Marx's  own  criterion  of  sup- 
porting  in  any  war  the  side  whose 
victory  seemed  more  likely  to  further 
the  socialist  cause,  but  a  tacit  accept- 
ance  of  the  bourgeois  liberal  distmc- 
tion,  which  Marx  had  always  derided, 
between  aggressive  and  defensive 
wars.  Only  in  backward  Russia, 
where  the  workers  enjoyed  fewest 
advantages,  was  the  social-democratic 
movement  largely  impervious  to  the 
call  of  loyalty  to  a  national  govern- 
ment,  and  did  the  social-democratic 
members  of  the  Duma — though  with 
some  trepidation — vote  against  the 
national  war  budget.  Lenin  correctly 
attributed  the  immunity  of  the 
Russian  workers  from  "  chauvinism  " 
and  "  opportunism  "  to  the  fact  that 
"the  Stratum  of  privileged  workers 
and  employees  is  with  us  very  weak." 

The  outbreak  of  war  in  1914 
brought  out  starkly  enough  the  de- 
ment    of     "  chauvinism "     in     the 


without  prospect  of  end  or  result.  In 
1916  there  was  a  breakaway  within 
the  Social-Democratic  Party  and  the 
Independent  Social-Democratic  Party 
was  formed  with  a  programme  of 
bringing  the  war  to  an  end.  The 
Spartakusbund  was  a  group  within 
the  Independent  party.  But  the  real 
difference  was  that  the  Spartakists 
were  revolutionaries  who,  like  Lenin, 
wished  to  use  the  war  as  a  means  to 
social  revolution,  whereas  the 
majority  of  the  Independents  were 
merely  opposed  to  the  war,  some 
through  revolutionary  conviction, 
some  through  pacifism,  and  some 
through  sheer  war-weariness — a 
variety  of  moods  similar  to  that  which 
inspired  the  Independent  Labour 
Party  in  Great  Britain.  The  distinc- 
tion  between  Spartakists  and  Inde- 
pendents mattered  little  so  long  as 
the  war  continued,  but  became  vital 
immediately  after  the  armistice. 

Karl  Liebknecht  was  released  in 
October,  1918,  when  the  armistice 
negotiations  began.  Rosa  Luxemburg 
remained  in  prison  tili  the  armistice 
was  actually  signed.  By  that  time 
Germany  was  in  the  füll  flood  of  re- 
volution. Soviets  of  Workers'  and 
Soldiers'  Deputies  sprang  up  in  all 
the  large  centres ;  and  the  supreme 
authority  was  a  Council  of  People's 
Commissars,  consisting  of  three 
Social-Democrats  and  three  In- 
dependent wSocial-Democrats.  The 
creation  of  a  German  Communist 
Party  to  clinch  the  proletarian  revolu- 
tion in  Germany  and  join  hands  with 
the  Russian  revolution  at  once  became 
a  burning  question.  In  the  mind  of 
that  ardent  and  uncritical  tribune  of 
the  people,  Liebknecht,  no  shadow  of 
doubt  on  this  question  could  arise. 
Rosa  Luxemburg  seems  to  have  hesi- 
tated  and  wondered  whether  the  mass 
of  the  German  workers  were  yet  ripe 
for  revolution.  But  she,  too,  was 
carried  along  with  the  tide,  drafted 
the  Programme  for  the  new  German 
Communist  Party  (which  retained  the 
title  Spartakushund  in  parentheses 
after  its  name),  and  was  the  principal 
orator  at  its  founding  congress  in 
Berlin  on  the  last  day  of  the  year  1918. 

By  this  time  other  forces  had  begun 
to  assert  themselves.  In  the  anarchy 
of  the  first  weeks  after  the  armistice, 
when  rival  groups  of  armed  men  were 
constantly  clashing  and  sometimes 
fighting  pitched  battles  in  the  streets 
of  Berlin,  the  Social-Democratic 
leaders,  with  the  tacit— or  not  so  tacit 
— Support  of  what  was  left  of  the 
Army  command,  were  gradually 
asserting  their  authority ;  their  Pro- 
gramme was  to  restore  order,  to  break 
the  Soviets  and  hold  elections  to  a 
national  assembly.  By  the  end  of  the 
year  they  had  edged  the  Independents 
out  of  the  Council  of  People's  Com- 
missars. By  this  time  it  had  become 
uncertain  who  was  in  real  authority 
— the   generals   or    the   commissars. 


;si  or  all  his  books  aiid  has 
gone  through  innumerablc  editions 
in  the  U.S.  The  word  funny' 
has  been  used  so  often  that  its 
meaning  has  been  rubbed  down  to 
a  nub.  But  it  is  the  only  word 
we  have  to  use.    Funny  ?     Funny  ! 


DR.  MARTIN  GUMPERT 

rrhe  Aiuf  lotMÜ 

Dr.  Gumpert  (author  of  You  are  Younger 
Than  You  Think)  describes  in  everyday 
language  what  contributes  to  happy  and 
successful  living  and  how  to  secure  and 
preserve  happiness. 

".  .  .  the  reader  will  find  valuahle  In- 
formation, comfort  and  guidance,  and 
may  learn  the  rare  art  of  savoir  v/vr^." — 
New  York  Times  Book  Review.  15s. 

BENNETT  CERF 

A  new  collection  of  humorous  stories  and 
anecdotes.  An  ideal  gift  for  the  after- 
dinner  Speaker.  lllus.  10s.  6d. 

Shake  Weir  before  Using 

Now  in  its  third  edition.        lilus.  10s.  6d. 

HUMOLR 

Hildegarde  Dolson 

THE  FORM  DIVINE 

Betty  MacDonaid 

ANYBODY  CAN  DO 

ANYTHING 

THE  PLAGUE  AND  I 

THE  EGG  AND  I 

THRILLERS     • 

Frances  Crane 

THE  DAFFODIL  BLONDE 

George  Harmon  Coxe 

THE  HOLLOW  NEEDLE 

Craig  Rice 

THE  FOURTH  POSTMAN 

Manning  O'Brine 

KILLERS  MUST  FAT 

Wreford  Paddon 

A  CORPSE  IN  THE  COUPfi 

4  &  20  BLOODHOUNDS 

Short  stories  by  famous  authors  of  the 
MysteryWritersof  America  Inc.,  including 
Ellery  Queen,  John  Dickson  Carr,  Brett 
Halliday,  etc.     416  pp.  10s.  6d. 

H\MMOND  fffif HAMMOND 


THE     TIMES     LITERARY     SUPPLEMENT     FRIDAY     NOVEMBER     9     1951 


703 


Published 
jth  November 

Edith 
PARGETER 

Fallen  into  the  Pit 

A    new  novcl,  on   English 
villagc  lifc  in  difficult  post- 
war days,  by  the  author  of 
Lost  ChiUren,  etc. 
I2S.  6d. 

Percy 
COLSON 

White's  ;     1693-19^0 

The    history    of   a    famous 

club  and  its  membcrs  during 

two    and    a    half  ccnturies. 

32  pp.  of  illustrations 

25s. 

Coming  on 
I2th  November 

Johan 
FABRICIUS 

The  Great  Ordeal 

A    Story  of  Asia  that  is   a 
pcrf(?ct  gift  book.      lUustra- 
tcd  by  the  author. 
7s.  6d. 

Walter 
BAXTER 

Look  Down  in  Mercy 

A  first  novel  of  startling 
rcaUty,  sct  in  wartime 
Burma,  relating  a  man's 
Spiritual  agony. 


After  the  cnd  of  the  year  the  street 
fighting  grew  more  intense  and  con- 
centrated,  and  gradually  changed  its 
character.  The  Army  and  the  police 
had  regained  their  confidence ;  the 
initiative  was  in  their  hands,  no 
longer  in  that  of  the  revolutionaries ; 
they  were  out  not  merely  to  restore 
Order  bat  to  crush  their  enemies. 
Among  these  the  Communists  were 
the  first,  though  not  the  only,  victims. 
On  January  15,  1919,  Rosa  Luxem- 
burg and  Karl  Liebknecht  were 
arrested  and  murdered  a  few  hours 
later  by  their  captors  in  circum- 
stances  of  the  utmost  brutality.  Their 
memory  was  long  celebrated  by  re- 
volutionaries of  many  countries  as 
martyrs  of  the  revolution. 

The  tragedy  of  Rosa  Luxemburg's 
death  was  more  than  personal:  it 
marked  the  defeat  of  the  ideals  for 
which  she  had  lived.  Much  contro- 
versy  has  raged  round  her  attitude  to 
the  Bolshevist  revolution.  When  the 
split  between  Bolshevists  and  Men- 
shevists  divided  the  Russian  Social- 
Democratic  Party  in  1903  on  the  issue 
of  Lenin's  insistence  on  a  closely 
organized  and  rigidly  disciplined 
party,  it  was  Rosa  Luxemburg  who 
penned  the  most  detailed  and  con- 
sidered  attack  on  Lenin's  "  ultra- 
centralism,"  which  she  described  as 
bureaucratic  rather  than  democratic, 
and  pointing  inevitably  towards  an 
absolutism  of  the  party  leadership. 
Throughout  the  year  which  elapsed 
between  the  Bolshevist  and  the  Ger- 
man  revolutions — from  one  "  Novem- 
ber "  to  another — she  was  behind 
prison  bars,  and  her  opportunities 
of  studying  events  in  Petrograd 
and  Moscow  were  correspondingly 
hmited.    But  she  followed  them  with 


intense  excitement  and  anxiety;  and 

some   time   after   Brest-Litovsk    she 

wrote  an  essay  (there  is  no  sign  that  it 

was  revised,  or  even  intended  at  all, 

for  publication)  which  expressed  her 

criticisms  and  her  fears.     This  essay 

was  published  in  an  abridged  form  in 

1922  by  Paul  Levi,  who  succeeded  to 

the  leadership  of  the  German  party 

after  her  death  but  broke  with  it  and 

with  Moscow  in  1921.    The  Intention 

of    the    publication  was  to  discredit 

Bolshevism ;   and  when  the  füll  text 

was  eventually  published  five  years 

later  the  effect  was  somewhat  miti- 

gated.  Nevertheless,  the  fact  remained 

that  Rosa  Luxemburg,  the  revolution- 

ary  and   the   martyr,   had   expressed 

strong     disapprobation     of     certain 

aspects  of  the  victorious  proletarian 

revolution. 

*         *         * 

Rosa  Luxemburg's  most  pertinent 
criticisms  turned  on  two  points. 
Writing  under  the  influence  of  the 
acceptance  of  the  Brest-Litovsk  treaty, 
she  feared  an  aliiance  between  Russian 
Bolshevism  and  German  imperialism  ; 
Lenin,  she  feit,  was  preparing  to  sacri- 
fice  the  interests  of  the  international 
Proletariat,  and  of  the  German  revolu- 
tion, to  those  of  the  Russian  State. 
The  apprehension  was,  for  the 
moment,  unjust  and  ill-founded, 
though  it  might  be  thought  that  Rosa 
Luxemburg  showed  remarkable  pre- 
science  of  tendencies  which  revealed 
themselves  later  at  Rapallo,  and 
eventually  in  the  Nazi-Soviet  pact  of 
1939.  The  other  criticism  was  a 
return  to  her  strictures  of  1904  ;  Lenin 
had  realized  a  dictatorship  not  of  the 
majority,  but  of  the  minority,  imposed 
by   rigid   discipline   and  methods   of 


terror    incompatible    with    the    true 
nature  of  socialism. 

This  was  the  ultimate  point  on 
which  Rosa  Luxemburg  took  her 
stand.  Unlike  Marx  and  Engels,  who 
never  renounced  the  heritage  of  the 
French  revolution  with  its  tradition  of 
terror,  Rosa  Luxemburg  believed  that 
the  socialist  revolution.  could  be 
achieved  only  when  it  was  willed  by 
an  overwhelming  majority  of  the 
workers  and  that  this  majority  would 
make  the  use  of  violent  methods  un- 
necessary.  The  essence  of  her  faith 
was  most  clearly  and  briefly  expressed 
in  the  programme  which  she  drafted 
for  the  German  Communis!  Party. 

The  essence  of  socialist  society  consists 
in  the  fact  that  the  great  working  mass 
ceases  to  be  a  regimented  mass,  and  itseif 
lives  and  directs  in  free  conscious  self- 
determination  the  whole  political  and 
economic  life.  .  .  . 

The  proletarian  revolution  needs  for  its 
purposes  no  terror,  it  hates  and  abomi- 
nates  murder.  ...  It  is  no  desperate 
attempt  of  a  minority  to  fashion  the  world 
after  its  own  ideal,  but  the  action  of  the 
great  mass  of  the  millions  of  the  people 
which  is  called  to  carry  out  the  mission 
of  history,  to  transform  historical  neces- 
sity  into  reality. 

How  much  there  was  of  the  utopian 
in  these  noble  ideals  in  the  Germany 
of  1918-1919  was  shown  by  Rosa 
Luxemburg's  murder  just  two  weeks 
after  they  had  been  formally  adopted 
by  the  young  Communist  Party  as 
articles  of  its  programme.  The  mili- 
tary  and  police  officers  who  killed 
Luxemburg  and  Liebknecht — and  not 
only  they,  but  the  hooligans  of  more 
than  one  party  who  had  clamoured 
for  the  blood  of  the  Communist 
leaders — were  the  forerunners  of  the 
thugs  who  found  the  final  fulfilment  of 
their  mission  in  Hitler's  Germany. 


YOUTH   IN   THE   TWENTIES 


Arthur  Calder-Marshall:  The 
Magic  of  My  Youth.  Rupert  Hart- 
Davis.     12s.  6d. 

The  essence  of  autobiography  is 
selection  of  incident.  This  may 
sound  a  somewhat  obvious  statement, 
but  it  is  surprising  how  many  persons, 
sitting  down  to  write  their  life-story, 
devote  time  and  energy  to  recording 
facts  and  anecdotes,  perfectly  true  so 
far  as  they  go,  but  having  no  bearing 
whatever  on  what  is  of  interest  in  the 
writer  himself.  In  the  autobio- 
graphical  fragment  under  review  Mr. 
Arthur    Calder-Marshall     has     most 


World ;  the  latter,  described  with  dis- 
taste,  tempered  with  relief  at  escape 
from  his  clutches.  To  their  pre- 
occupation  with  the  occult,  the  title 
owes  its  play  upon  words. 

The  picture  of  the  writer's  own 
home  life  is  drawn— almost  always 
the  most  successful  manner  where 
intimate  relations  are  concerned^ — 
chiefly  by  implication.  His  family 
seems  to  have  been  a  happy  one.  He 
was  on  excellent  terms  with  his  eider 
brother,  while  his  father  was  good- 
natured  and  broad-minded.  The 
book   brings   out   the   point  that — to 


biographical  writing.  Happily  his 
strong  sense  of  character,  when 
writing  of  individuals,  prevents  this 
failing  from  'ever  becoming  more 
than  a  threat ;  and  when,  for 
example,  he  seems  inclined  to  blame 
"Auntie  Helen's "  relations  for  the 
treatment  of  her — and  to  moralize  on 
the  injustice  of  everyone  notybeing 
able  to  live  their  own  life  in  exactiy 
their  own  way — his  honesty  prevents 
him  from  presenting  her,  most 
entertainingly,  as  anything  but  a 
thorough  nuisance  to  everyone 
within   her    orbit.     Some   may   even 


The  Origins  of 

European  Thought 

R.  B.  ONIANS 

By  reference  to  many  early 
literaturesj  to  ritual  and  customs, 
to  myth  and  ancientart,  Professor 
Onians  is  able  to  reconstruct  the 
fundamental  beliefs  about  man, 
the  soul,  the  universe,  which  lie 
behind  Greek  philosophy  and 
science,  and  so,  ultimately,  behind 
the  main  stream  of  European 
thought.  In  the  light  of  his 
discoveries  many  meaningless  or 
obscure  passages  in  Homer,  many 
curious  customs  and  idioms 
which  linger  on  into  present-day 
life,  many  beliefs  which  are  an 
integral  part  of  our  intellectual 
inheritance  take  on  a  new  and 
unsuspected  significance. 

Published  today,     455.  net 


HITLER'S 
STRATEGY 

F.  H.  HINSLEY 

Here  for  the  first  time  is 
the  truth  about  Hitler's 
military  intentions  :  what 
he  thought  he  was  achiev- 
ing  in  invading  Norway, 
in  preparing  for  (and  in 
putting  off)  the  Invasion 
of  Britain,  in  attacking 
Russia.  Mr  Hinsley  bases 
his  book  mainly  on  the 
German    NavaJ   Archives, 


JBS^ff^;^ 


<  c 


I 


538 


THE     TIMES     LTTERARY     SUPPLEMENT     FRIDAY     AUGUST     15     1952 


GERM  AN  HISTORICAL  WRITING,  1939-1945-n 


Gcrman  history  during  the  Middle  Ages 
has  always  atiractcd  ihe  energies  of  many 
of  the  ablest  German  hislorians,  some- 
limcs  for  far-reaching  research  into 
sequenccs  and  caiiscs,  someiinies  for 
exhaiislivc  special  siiidies,  sometimes  for 
exposiiion  of  a  more  or  less  populär 
characlcr  serving  various  purposss  of 
inslruction.  Inspiration,  or  warning.  The 
leasons  for  such  an  outpouring  of  his- 
lorical  eflort  are  obvious.  for  il  was  in 
this  period  that  great  abililies  and  mighty 
deeds  (irsi  crcated  German  political 
iinily  and  gave  the  German  empire  a 
commanding  posiiion  in  Western 
Chrisiendom  vvhich  laier  errors  and 
follies  desiroyed  :  ihat  the  princely 
povvers  and  particularisms  emerged  which 
for  many  generaiions  kepi  Germany 
politically  divided  and  f jeble  :  and  that 
a  ceniuries-lona  political  impoience  wem 
hand  in  hand  wiih  a  brilliant  develop- 
ment  of  city  life  and  the  remarkable  pre- 
Reformaiion  German  culture.  Under  the 
Na/i  regime,  however,  a  füll  and  frank 
ireatment  of  German  medieval  hisiory 
became  constantly  more  difficult  ;  «"«  '^ 
is  therefore  not  surprising  that  the  books 
dealing  wiih  it  published  durmg  the  war 
and  available  for  this  survey  do  noi 
include  ouislanding  major  works— 
ihough  one  or  iwo  have  quite  exceptional 
intelleclual  and  moral  qualiiy. 

Only  one  of  ihese  books  deals  wiih 
the  entire  period— Professor  Hemrich 
Günter-s  Das  Deutsche  Mittelalter  (Vol. 

I  Das  Reich  (llochniitteUüter).  Vol.  M. 
Das  Volk  (Spciimittelalter).  ^''^''^^V'^o'-Il^ 
Breisgau,  Herder  Verlag,  1936  and  1939 
respectively).  The  tirst  volume  Covers 
the  period  from  the  Carolingian  hcntage 
and  Henrv  ihe  Fowler  ihrough  Hredenck 

II  the  second  volume  coniams  ihe 
langled  siory  which  Streiches  from  ihc 
eleclion  of  Rudolph  of  Hapsburg  as 
emperor  ihrough  the  rcign  of  Maximilian 
I  and  gives  a  very  brief  survey  of  German 
social  and  cultural  life  during  the  four- 
teenth  Century.  More  ihan  50  years 
earlier  Professor  Günter  began  his  career 
as  a  universiiy  leacher  wiih  lectures  on 
the  subjecl-matier  of  his  second  volume  : 
he  wrius  as  a  scholar  long  eslablished 
in  his  lield  :  and  ihough  he  treads  his  paih 
wiih  great  (and  at  the  lime  very  neces- 
sary)  care.  he  does  noi  hesilate  lo  say 
calcgorically  that  "  the  [medieval)  ruier 
is  uo  absolute  monarch.  His  power  ovei 
those  below  him  is  limited  by  natural  ancl 
chartered  rights  "—words  scarcely  m 
tune  wiih  the  arrogance  ol  Hitler  s 
heyday. 

In  Der  Eintritt  der  Germanen  in  der 
Geschichte  and  Von  den  Karolm^ern  :ii 
den  Staltfern  :  Die  alldeutsche  Ka,ser:eii 
t9(}(i-ny)i  (Sammlung  Göschen.  Berlin, 
\9^^  Waller  de  Gruyier)  Professor 
Johannes  Haller  covers  an  immense 
ground  wiih  masterly  clanly  and  c'om- 
pression.  His  tirst  volume  goes  back 
to  the  origins  of  ihe  Germanic  peoples 
in  the  ivmote  shadows  of  pre-hisiory  ancl 
carrics  the  story  ihrough  the  break-up  ot 
"iinire^arvl  ihe  foundinK  ot 


By  Jules  Menken 

acknowledge  how  much  German  mis- 
deeds  have  contributed  lo  the  piesent 
plight  both  of  Germany  and  of  the  whole 
of  Western  civilization,  and  seeks  for 
means  of  healing  and  recovery  in  which 
the  Germans  may  play  a  pari,  as  in  the 
besl  periods  of  the  past,  not  by  dominal- 
ing  but  by  giving. 

Robert  Holtzmann's  Geschichte 
der  sächsischen  Kaiser  zeit  (900-1024) 
(Munich,  1943.  Callwey)  is  a  substantial 
volumt  covering  the  entire  period  from 
Charlemagne  to  Henry  II,  which  treats 
both  internal  and  exiernal  policy  in  much 
detail,  depicts  vividly  the  leading  Person- 
alities ol  the  lime,  and  describes  German 
economic  and  social  development  and  the 
early  growth  of  German  culture  under  the 
Saxon  emperors.  Hiroughoui  this  period, 
Herr  Holtzmann  wriies.  the  entire  stream 
of  German  political  and  spiriiual  life  was 
a  unily — a  view  vvhich  challenged  loudly 
asserted  Nazi  claims  :  while  his  final  sen- 
tence — "  the  emperor  who  fulfils  ihe  lask 
divinely  entrusted  to  him  and  imdertakes 
the  leadership  of  Christendom  in  the  Ser- 
vice of  God  may  be  certain  of  God's  help 
and  of  his  blessing  for  Reich  and  people 
— barely  conceals  iis  criiicism  of  tiie  Na/i 
regime  and  of  Hiller  himself.  Ihe  per- 
manence  of  geogiaphy  and  of  funda- 
mental political  forces  makes  Herr 
Holtzmann's  story  relevant  to  our  own 
Problems  also.  The  central  figure  of  this 
age  of  German  hisiory  was  Otto  the 
Great.  Olto's  defeat  of  the  invading 
Hungarians  in  the  battle  of  the  Lechfeld 
(August  10,  955)  was  one  o,f  the  decisive 
conflicts  of  the  early  Middle  Ages  and 
among  the  deeds  which  explain  and 
justify  Professor  Tellenbach's  view  of  the 
medieval  Empire  as  "  ihe  proiecior  of 
the  European  order."  The  same  battle 
and  the  long  slruggle  wiih  the  Hungarians 
vvhich  preceded  it  should  remind  our  own 
generation,  which  also  lives  under  a  threat 
from  the  east.  of  the  vital  pari  that  a 
strong  Germany,  whose  policy  is  based 
on  the  right  principles,  can  and  should 
play  in  helping  to  proiecl  ihe  whole  of 
Western  civilization  and  in  safeguarding 
iis  very  exisience  as  well  as  its  growth. 

Four  other  books  deal  wiih 
fürt  her  aspects  and  periods  of 
German  medieval  history.  In  Das 
Geschlecht  der  S  tauf  er  (Munich. 
1943,  I-.  Bruckmann)  Erich  Maschke's 
subjecl  is  the  House  of  Hohenstaufen, 
whose  leading  ligures  were  the  ardent 
and  aitractive  Friedrich  Barbarossa 
and  the  brilliant,  many-sided.  and 
subtie  Frederick  II.  Herr  Maschke 
bowjd  to  Nazi  prejudice  by  distin- 
guishing  the  Jewish  authorities  whom 
he  ciies  wiih  an  asterisk.  Professor  Karl 
Hampes  G,eschichte  Konradins  von 
Hohenstaufen  (Leipzig,  1942,  K.  F. 
Koehler)  is  a  reprini  of  the  greai  German 
medievalisl's  vivid  and  sympathetic  study 
(first  published  in  1894)  of  the  last,  tragic 
Hohenstaufen  and  his  lime,  to  which  Dr. 
Hellmut  Kämpi  has  added  an  SO-page  his- 
torical  and  bibliographical  appendix  sum- 


tive  of  the  political,  social,  military.  and 
international  background  in  which  they 
lived  and  wrought. 

The  sympathy  which  Benno  Hilligcr 
displays  in  his  Joanne  d' Are  :  Das 
Giheiinnis  ihrer  Sendun^i  (Leipzig,  1940, 
Koehler  und  Amelang ;  tburth  edition: 
Freiburg  im  Breisgau,  1949,  Zähringer 
Verlag)  musl  have  made  his  work  on  this 
small  but  beautil\illy  wriiten  book  a 
labour  of  love.  The  care.  scholarship  and 
mastery  of  sources  vvhich  have  gone  inio 
its  making  are  concealed  by  an  easy,  vivid 
style  and  great  compression  of  matter. 
It  is  a  fault,  and  not  a  trivial  one,  that 
Hiiliger  too  oflen  iises  the  novelist's 
privilege,  and  atiribules  to  his  subjecl 
ideas,  feelings,  and  reflections  in  parti- 
cular  situations  which  conform,  it  is  true. 
to  the  picture  of  her  that  devoted  study 
has  created  for  him,  but  which  of  course 
cannot  be  documented  or  even  historically 
knovvn.  If  his  book  is  regarded  as  belong- 
ing  as  to  nine-lenihs  to  history  but  as 
stepping  as  to  the  other  lenth  over  the 
border  into  historical  fiction,  no  injuslice 
is  done  eiiher  to  writer  or  lo  subjecl.  Cer- 
tainly  the  picture  as  a  whole  portrays  an 
auihenlic  person  ;  this  may  indeed  have 
beon  the  Maid  who  wroughi  great  deeds 
and  sulTered  terrible  anguish — but  who 
brought  France  salvation  in  one  of  her 
darkest  hours.  Though  Herr  Hilliger 
writes  wiih  unusual  lenderness,  he  is  far 
from  sentimental.  A  man  who  can  quote 
Kam's  Observation:  "  Der  Mensch  hat 
Charakter  nicht  von  vornherein,  sondern 
muss  ihn  erwerben.  Die  Gründung  eines 
Charakters  ist  eine  innere  Umwandlung, 
die  dem  schwankenden  Zustande  der 
Triebe  und  Begehrungen  ein  Ende  macht, 
sie  is  eine  Art  Wiedergeburt  "  has  more 
than  the  root  of  a  true  biographer's 
Standards    in    him. 

Two  books  by  eminent  scholars  have 
lialy  as  iheir  subjecl.  In  Die  Entstehunfi 
der  italienischen  Konununen  im  frühen 
Mittelalter  (Sitzungsbericht  der  Bay- 
rischen Akademie  der  Wissenschaften, 
Munich.  1944,  C.  H.  Beck)  Waller  Goeiz 
uses  his  great  knovvledge  ol  sources  and 
authorities  (excepl  the  latest  Italian 
siudies,  vvhich  were  unobtainable  because 
of  the  war)  to  review  the  early  com- 
munal  developmenis  out  of  vvhich  the  rieh 
laier  city  life  of  llaly  grew.  On  the  con- 
tentious  question  of  origins  Dr.  Goetz 
comes  down  on  the  side  of  novelty  ;  the 
Italian  communes,  he  says  expressly,  are 
••  not  a  reavvakening  of  pasl  insiilutions 
hm  something  new  in  essence  :  a  pheno- 
menon  which,  it  is  true,  touches  ancient 
memories,  but  is  in  fact  the  outcome  of 
its  own  creaiive  power."  A  highly  in- 
teresiing  study  of  a  little-known  subject, 
the  mo7e  valuable  because  concise  and 
compact. 

Karl  Julius  Beloch's  Revölkerunga- 
fieschichie  Italiens  (Band  I.  Grundla^'en. 
Die  Bevölkerunii  Siziliens  und  des  König- 
reichs Neapel.  Band  IL  Die  Bevölkerung 
de<.     Kir:',unsl{tat('\      T'>'!.i;uis.     un.i    die 


BOOKS  RECEIVED 

[The  inclusion  ofa  book  in  this  list  does  not  preclude  its  subsequent  review] 


Archaeology 

Pi'occcclin^s  of  iJtc  Pan-Africait  Con- 
gress  on  Prehistory,  1947.  Edited 
by  L.  S.  B.  Leakey.  Assisted  by 
Sonia     Cole.  10     6.         239pp. 

Oxford:    Blackwell.     35s. 

The  volume  contains.  in  a  shortened 
form  made  necessary  by  piiblication 
difficulties,  papers  read  at  the  Pan- 
African  Congress  on  Prehistory 
which  took  place  at  Nairobi  in  Janii- 
ary,  1947.  Papers  are  groiiped  in 
three  sections:  geology,  generaJ 
palaeontoiogy,  and  chmatology; 
human  palaeontology :  and  prehis- 
toric  archaeology.  Several  are  accom- 
panied  by  maps  and  iilustrations. 

Arts  and  Grafts 

Bemrose.  Geoffri  V.  Nineleenlli 
Century  Eniilisli  Pollery  and 
Porcelain.  10  64.  57pp.  Illus- 
trated.    Faber  and  Faber.    30s. 

T/te  Blake  Colleclion  of  W.  Graham 
Robertson  :  Desvriheil  hy  the 
Collector.  Edited  with  an  Introduc- 
tion  by  Kerri.son  Preston.  10  1\. 
263pp.  Faber  and  Faber,  for  the 
William  Blake  Trust.    63s. 

FoscA.  Fran(,'OIS.  Watteau  to 
Tiepolo.  Translated  bv  Stuart 
Gilbert.  111  10.  147pp.  Jllus- 
trated.  (The  Great  Centuries  of 
Painting:  The  Eighteenth  Century.) 
Geneva:  Albert  Skira.  London 
Distributors:   Zwemmer.     84s. 

These  three  books  are  reviewcd  on 
page  540. 

RiCKERT.  Margaret.  The  Recon- 
striated  Carnielite  Missal.  An 
English  Manuscriptof  the  LatcXIV 
Century  in  the  British  Museum, 
(Additional  29704-44892).  I  1  74. 
I5lpp.  lilustrated.  Faber  and 
Faber.  70s. 

Rcviewed  on  page  540. 

Biography  and  Memoirs 

Brasset,  Edmund  A.  /i  Doctor's 
Pili>ritnage.  8  ■  5.  223pp.  Harrap. 
12s.  6d.  '  t 

When,  having  newly  qualilled,  Dr. 
Brasset  agreed  to  go  as  general  prac- 
titioner  to  the  remote  township  of 
Canso  in  Nova  Scotia,  it  was  with 
the  idea  of  earning  enough  moncv 
for  ihe  rcaiization  of  his  great  ambi- 
tion — to   study   brain   surgery.        Ihe 


Tlie  Teaclüng  of  English.  Issued  by 
the  Incorporated  Association  of 
Assistant  Masters  in  Secondary 
Schools.  8|x5i.  186pp.  Cam- 
bridge University  Press.     J2s.  6d. 

Prepared  by  a  committee  of  teachers, 
this  book  discusses  the  teaching  of 
English  in  secondary  schools.  The 
series  of  essays  are  grouped  in  three 
sections.  The  first  is  concerned  with 
such  questions  as  the  place  of  English 
in  the  curriculum.  the  results  to  be 
aimed  at,  and  the  appreciation  of 
prose  and  poetry.  The  second  part 
is  devoted  to  practical  problems  con- 
nected with  the  English  syllabus,  and 
the    third    mainly    to    examinations. 

Entertainment 

GoRHAM,  Maurice.  Broadcasting 
and  Tele  Vision  since  1900.  84  <  5^. 
274pp.     Andrew  Dakers.     18s. 

A  history  of  broadcasting  and  tele- 
vision  in  this  country  from  its  begin- 
nings  until  the  publication  of  the 
Beveridge  Report  last  year.  Thö 
author,  associated  with  the  B.B.C.  for 
many  years  and  a  former  editor  of 
the  Radio  Times,  has  combined 
documentary  research  with  first-hand 
experience,  and  has  concentrated 
upon  what  is  important  and  signifi- 
cant  in  the  story.  There  is  a  good 
index. 

Essays  and  Beiles  Lettres 

Hatzfeld.  Helmut  A.  Literatnre 
through  Art.  94x6.  247pp. 
lilustrated.  New  York:  Oxford 
University         Press.  London : 

Cumberlege.  45s 
Mr  Hatzfeld  follows  French  iitera- 
ture  through  its  various  phases.  in 
relation  to  painting  and  sculpture,  and 
points  out  the  spirit  of  the  age  at  one 
time  and  another  with  the  assistance 
ofa  hundred  half-tone  reproductions. 
The  demonstration  is  weal^ened  by 
the  small  size  and  dimness  of  these 
pictures. 

Jordan.  E.  Essays  in  Criticism.  With 
an  Inlroduclion  and  Synopses  by 
Robert  D.  Mack.  9^6.  384pp. 
University  of  Chicago  Press. 
London :  Cambridge  University 
Press.     52s.  6d. 

Rcviewed  on  page  534. 
Food  and  Dr/nk 


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hümliiMriiHruilh  a  bnniant  clcvclop- 
nicni  Ol  ciiy  lilc  and  thc  remarkab  c  pre- 
Rcformalion  Gcrman  cullurc  Undcr  Uk 
Na/i  regime,  howcvcr,  a  tull  and  Irank 
iicainicni  of  German  mcdieval  hisiory 
bocanic  constanily  morc  diniciilt  :  and  ii 
is  thcrdorc  noi  sinprising  iliai  ihe  books 
dcalini»  wiih  ii  published  dining  the  war 
and  available  for  ihis  siuvcy  do  noi 
includc  ouisianding  major  woiks  - 
iliough  onj  Ol-  iwo  have  quiie  exccplional 
inielleciual  and  moral  qiialiiy. 

Onlv  onc  of  ihesc  books  deals  wiih 
the  cniirc  pciiod^  Professor  Henrich 
Cünicrs  Das  Deutsche  y'/''' "''^j;  <^;| 
I  Das  Reich  {llochnuiielülter).  Vol.  II. 
Das  Volk  ^S>.V//M//;Wa//rr)  Frc.bm.g  ,m 
Brcisuau.  Herder  Verlag,  1936  and  W-W 
resiecively).  Thc  tlrsi  voliime  coveis 
he  per  od  from  ihe  Caroling.an  heniage 
and  Henry  the  Fowler  ihrough  hreder.ek 
M  Ihe  second  volume  conia.ns  e 
nuled  Story  which  Streiches  Irom  ihe 
Son  of  Kudolph  of  Hapsburg  as 
cm  MO.  Ihrough  ihe  reign  of  Max.m.han 
1  and  «'ives  a  very  bnef  survey  of  German 
Lailand  culiurallife  dur.ng  the  fou.- 
i.'LMiih  ceniury.  More  ihan  5"  ycais 
enVvl  Professor  Günter  began  h.s  career 
!s  ä  un  vetsity  leacher  wiih  leclures  on 
die  suK-malier  of  his  second  vo  ume 
he  w  ius  as  a  scholar  long  esiabhshed 
h'hrs  cid  and  ihough  he  treads  h.s  pa  h 
iih  äeai  (and  al  ihe  i.me  very  neces- 
sa.-v)  cie  he  does  noi  hes.laie  lo  say 
^Hl^lc^ically  ihal  -ihe  [--i^val  rider 
is  no  absolute  monarch.  H.s  P«^^.^,«;^;^^ 
Ihose  below  him  is  hm.ied  by  natural  a.  d 
dariced  rights --wo.ds  ^ca.cely  m 
tune  wiih  Ihe  a.TOgance  ol  H.ilcr  s 
hevday. 

In  Der  EinIrin  der  Germanen  in  der 
r.i'schichie  and  Von  den  Karohn^ern  .u 
denS  h'>^:  Die  alldeutsche  Kaiserzen 
(i  O-r^O»  (Sammlung  Göschen^  Berlin 
lÄ  Waller  de  Gruyier)  Professo. 
Johannes  Haller  covers  an  ^^^^'^^'^^ 
im  nd  wiih  masierly  clariiy  and  coi^^i- 
p  ession.  His  firsi  volume  goes  back 
t*!  Ihe  origins  of  ihe  Germanic  peoples 
n  the  remoie  shadows  ol  P'^-hisiory  and 
c u Tics  Ihe  sioiy  ihrough  ihe  b.eak:up  of 
ÜK-  Roman  Empire  and  ihe  ^oundirig  o 
Ihe  Frankish  empire  lo  ils  apogee  undc. 
ChMrlcma-'n-  and  it     subicqaent  Uib.->olu- 

TTffn Hu.  "second  volume    afier  a  br.e 

skeich  of  Ihe  pre-hisiory  of  the  med.eva 
German   Reich,  surveys  the  P^r'od  from 
Ihe  predecessors  of  Otto  1   ihrough     he 
Invesiilure    Contest    to    the    lall    of    die 
Hohensiaufen.  Professor         Ht\'7.  ^ 

central  iheme  in  the  hrst  volume  is  the 
nrocess  by  which  the  Germanic  peoples 
is  a  whole  (using  the  lerm  in  ils  largest 
sense)  achieved  the  fusion  with  class.cal 
culture  as  .epresented  by  the  Roman 
Empire,  the  immense  and  fecund  influencc 
of  vNhich  has  enriched  all  subsequent 
historv  :  the  central  thcme  of  the  second 
volume  is  the  unihcation  and  growlh  ot 
ihe  First  German  Empire,  the  most 
imporianl  polilical  creation  of  the 
ceniuries  from  900  to  1250  and  the  seed 
liom  which  all  later  idcas  of  Germany 
as  a  nation  and  of  German  unity  spring. 
These  iwo  small,  compact,  but  admirably 
clear  volumes  are  not  inultnm  in  parva 
bui  maxi  in  n  in  in  parvissimo. 

Gerd  Tellenbachs  Die  Entstehung  des 
deutschen       Reiches       (Munich,      .1940, 
Callwey)    is    a    notable    volume,    in    ils 
piesenl   form   not   least   for  a  postscnpt 
added   in    1946.    Slrong  and  elevated  in 
spirit     Ihough     modest     in     scale     and 
compass,  ihe  very  fact  that  the  body  ot 
Ihe  text  as  published  in  the  freedom  of 
post-war  conditions  is   unchanged   from 
the   (inal   vvar-time   recension   testifies  to 
Professor    Tellenbach's    unshakable    in- 
legriiy.     No  hisiorian  could  write  with  a 
loflier  sense  of  moral  purpose.    His  sub- 
jecl   is  ihe   process  by  which  a  German 
nation    lirst    emerged    from    the    earlier 
polilical    groupings   of   the    Franks,    the 
ordering    and    Organization    of    the    new 
German  empire,  and -ils  relation  to  the 
imperial  crown.    One  of  his  main  themes 
is  ihat  the  State  itself,  besides  including 
polilical    forces    and    forms,    is    in   large 
measure  the  creation  of  an  entire  culture. 
Piofessor  rellcnbach's  quite  unusual  sense 
of  the  living  coniinuily  of  past,  present, 
and    fuiure    is    sirongly    reminiscent    of 
Burke.     '•  Whal     gives     States    a    long 
lue,  ■     he     says     in     his     introduction, 
••  is  iheir  capacily  for  living  rencwal.  .  .  . 
Whal     seems     most     of     all     to     make 
States      long-lived      is      a      past      filled 
with    grcal    and    crcative    deeds.    .    .    . 
Heie  also  the  elernal  law  applies  that  life 
cieales  new   life."     Tellenbach  goes  on, 
in    a    passage    whose    criticism    of    Nazi 
rapacity,  arrogance,  and   boastfulness   is 
barely  concealed.   to  point  out   that   the 
German   Reich,  in  ils  early  centuries  the 
most    powerful    polilical   Organization    in 
thc  West,  was  "  above  all  others  the  pro- 
teclor  of  the  Eu.opean  order  {der  Hüter 
der  Ordnung  Europas).      It  fullilled   this 
lask  mosi  honourably  because  ii  used  ils 
sirength     for     the     service     of     human 
civilizution     and     elernal     values.       For 
this      reason      ils      form      (Erscheinung) 
rciained    cieative    power    even    after    its 
sirengih  had  failed.     For  the  spirit  lives 
longer   ihan    power."     And    in    his   post- 
scripl,  whose  honcsty  and  courage  appcar 
in  the  admonilion  ihat  "  for  the  sake  of 
the  truth  one  must  not  be  afraid  to  bc 
haid  with  oneself,"  he  faces  the  post-war 
responsibilities   borne   by   Germans   who 


anu  descnPes  uerman 
;ial  development  and  the 
icrman  culture  under  the 
Ihroughoui  this  period. 
wriies.  the  eniiie  stream 
ical  and  spiriiual  life  was 
a  unily  a  view  which  challenged  loudly 
asseried  Nazi  claims  ;  while  his  tinal  sen- 
lence — *'  ihe  emperor  who  fullils  ihe  lask 
ilivinely  enlrusied  to  him  and  underiakes 
ihe  leadership  ol  Christendom  in  the  Ser- 
vice of  God  may  be  certain  of  God's  help 
and  of  his  blessing  for  Reich  and  people  "" 
-  -barely  conceals  its  criticism  of  ihe  Na/i 
regime  and  of  Hitler  himself.  Ihe  per- 
manence  of  geography  and  of  funda- 
mental polilical  loices  makes  Herr 
Holtzmann's  siory  relevant  lo  our  own 
Problems  also.  The  central  hguie  of  this 
age  of  German  hisiory  was  Olio  the 
Greal.  Oiios  defeal  of  the  invading 
Hungarians  in  ihe  batile  of  the  Lechfeld 
(August  10,  955)  was  one  o.f  the  decisive 
conflicis  of  the  early  Middle  Ages  and 
among  the  deeds  which  explain  and 
justify  Professor  Tellenbach's  view  of  ihe 
medieval  Empire;  as  "  the  protecior  of 
ihe  European  order."  The  same  batile 
and  the  long  struggle  with  the  Hungarians 
which  pieceded  it  should  remind  our  own 
gcneration,  which  also  lives  under  a  ihreat 
from  ihe  easi.  of  the  vital  pari  that  a 
slrong  Germany,  whose  policy  is  based 
on  the  right  principles,  can  and  should 
play  in  helping  lo  proiecl  the  whole  of 
Western  civilizalion  and  in  safeguarding 
ils  very  existence  as  well  as  its  growlh. 

Four  oiher  books  deal  with 
furiher  aspecls  and  periods  of 
German  medieval  hisiory.  In  Das 
Geschlecht  der  S  tauf  er  (Munich, 
1943.  F.  Bruckmann)  Erich  Maschke's 
subjeci  is  the  House  of  Hohensiaufen, 
whose  leading  ligures  were  the  ardent 
and  ailiactive  Friedrich  Barbarossa 
and  the  brilliani,  many-sided,  and 
subile  Frederick  M.  Herr  Maschke 
bowjd  lo  Nazi  prejudice  by  disiin- 
guishing  the  Jewish  aiithoriiies  whom 
he  cites  wiih  an  asterisk.  Professor  Karl 
Hampe's  G,eschichte  Konradins  von 
Hohensiaufen  (Leipzig,  1942,  K.  F. 
Koehler)  is  a  reprint  of  the  greai  German 
medievalisTs  vivid  and  sympathetic  study 
(lirst  published  in  1894)  of  the  last,  liagic 
Hohensiaufen  and  his  time,  to  which  Dr. 
Hellmut  Kämpt  has  added  an  80-page  his- 
torical  and  bibliographical  appendix  ^uni- 
marizing  or  making  approurioic  uiblio- 
^  -'.pLiicai  .elerence  to  ihe  extensive 
reseaich  inio  the  period  since  Professor 
Hampe's  book  was  wriiten.  Friedrich 
Bock's  theme  in  his  interesiing  Reichsidee 
und  Nationalstaaten  (Munich,  1943,  Call- 
wey) is  the  conllicl  of  leal  forces — France, 
England,  and  ihe  Papacy  outstanding 
among  ihem — and  the  influence  of  polili- 
cal ideas  and  Propaganda  on  the  develop- 
ment and  international  position  of  Ger- 
many belween  the  accession  of  Rudolf  of 
Hapsbuig  to  the  imperial  throne  and  the 
termination  of  the  Anglo-German  alliance 
in  1341.  Adel  und  Bauern  im  deutschen 
Staat  des  Mittelalters,  edited  by  Profes- 
sor Theodor  Mayer  (LeijSzig,  1943,  Koeh- 
ler und  Amelang  ;  now  Stuttgart,  K.  F. 
Koehler).  comprises  12  in  formal  ive  es.says 
which  deal  mainly  with  the  social  and 
administrative  struciuie  of  the  medieval 
empire. 

The  last  book  on  medieval  German 
hisioiy  available  for  this  survey— Willy 
Andreas's  Deutschland  vor  der  Reforma- 
tion (Sluttgart,  Deutsche  Verlags-Anslalt) 
— was  lirst  published  in  1932,  bui  a 
thoroughly  revised  edilion  (ihe  third) 
incorporating  thc  new  lilerature  appeared 
in  1941.  ils  picture  of  the  central  place 
occupied  by  the  Church  and  religion  on 
the  eve  of  the  Reformation,  its  account 
of  social  and  economic  developments  and 
its  analysis  of  the  .social  slresses  ihai  were 
shortly  to  break  out  in  the  Peasanis'  War, 
ils  revievv  of  German  inielleciual  and 
artistic  life  under  ihe  influence  of  the 
Renaissance,  all  bear  witness  to  the 
mighty  forces  which  were  presently  to 
play  a  major  and  formativc  pari  in  the 
new  epoch  that  lay  immediately  ahead. 
Germany  at  the  close  of  the  Middle  Ages 
was  a  land  of  ferment  and  t4:ansition. 
Herr  Andreas's  study,  a  work  of  high  and 
sensitive  scholarship,  imparis  undersiand- 
ing  of  the  institutions  and  ideas  thal  were 
dying,  and  of  those  that  stood  on  the 
ihreshold  of  birih  and  growth, 

The  remaining  books  considered  here 
are  concerned  wholly  or  largely  with  nön- 
German  subjects.  The  f.rst  (Otto  Vehse, 
Nordische  Staatengründer.  Hamburg, 
1943,  Hanseatische  Verlags-anslalt)  deals 
with  a  small  gioup  of  men  than  whom 
none  have  ever  carved  a  deeper  mark  in 
hisiory — the  great  Viking  and  Norman 
strains  whose  genius  in  the  arts  of  war  and 
rule  has  rarely  been  equalled  and  never 
surpassed.  A  first  wave  of  these  mighty 
adventurers  conquered  and  ruled  in 
Russia  and  Normandy  and  England,  and 
sped  far  across  uncharted  seas  to  Iceland, 
Greenland,  and  America  :  a  laier  wave 
conquered  England  again.  took  Sicily,  and 
played  a  leading  pari  in  the  First  Crusade. 
Rurik  and  Rollo,  Canute  the  Great  and 
Eric  the  Red,  Robert  Guiscard  and 
William  thc  Conqueror.  Bohcmund  and 
Roge«'  II  of  Sicily — Iheir  names  ring  out 
likc  trumpet-fanfares  amid  ihe  dreary 
anliphons  and  responses  of  miich  of 
medieval  hisiory  ;  nor  bave  the  lessons  of 
statecraft  which  the  greatest  of  thcm  teach 
been  by  any  means  exhausted.  Professor 
Vehse's  l>ook  is  addiessed  to  a  populär 
audicnce:  but  it  treats  its  thcmc  with 
insight  and  proportion,  and  sets  the 
personal  achievements  of  the  great 
Viking  and  Norman  leaders  in  the  perspec- 


iiaTTTcaroi 

cannoi  bc  docuinenicd  oievcn  hisloncally 
known.  If  his  book  is  regaided  as  belong- 
ing  as  to  nine-tenths  to  hisiory  but  as 
siJpping  as  to  the  other  tenih  ovcr  the 
bordcr  inlo  historical  liciion.  no  injusiice 
is  done  eil  her  to  w  riter  or  to  subjeci.  Cer- 
lainly  the  picture  as  a  whole  porirays  an 
aulh'enlic  person  ;  this  may  indced  have 
been  the  Maid  who  wroughi  greut  deeds 
and  sutVered  terrible  anguish — but  who 
broughi  France  salvation  in  one  of  her 
darkesi  hours.  Though  Herr  Hilliger 
writes  with  unusual  lenderness,  he  is  lar 
from  sentimental.  A  man  who  can  quote 
Kam's  Observation:  "Der  Mensch  hat 
Charakter  nicht  von  vornheiein,  sondern 
muss  ihn  erwerben.  Die  Gründung  eines 
Charakters  ist  eine  innere  Umwandlung, 
die  dem  schwankenden  Zustande  der 
Triebe  und  Begehrungen  ein  Ende  macht, 
sie  is  eine  Art  Wiedergeburl  "  has  more 
than  the  rool  of  a  true  biographer's 
slandaids    in    him. 

Two  books  by  eminent  scholars  have 
lialy  as  iheir  subjeci.  In  Die  Entstehung 
der  italienischen  Kommunen  im  frühen 
Miiieiaiier  (Sitzungsbericht  der  Bay- 
rischen Akademie  der  Wissenschallen, 
Munich,  1944,  C.  H.  Beck)  Walter  Goeiz 
uses  his  great  knowledgc  of  sources  and 
auihoriiies  (except  the  latest  llalian 
siudies,  which  were  unoblainable  because 
of  ihe  war)  to  review  the  early  com- 
munal  developments  out  of  which  ihe  rieh 
later  ciiy  life  of  llaly  grew.  On  the  con- 
tentious  question  of  origins  Dr.  Goetz 
comes  down  on  ihc  side  of  noveliy  ;  ihe 
llalian  communes,  he  says  expressly.  are 
"  not  a  reawakening  of  past  institutions 
bin  something  new  in  essence  :  a  pheno- 
menon  which,  ii  is  true,  touches  ancient 
memories.  but  is  in  facl  ihe  oulcome  ol 
its  own  crcative  power."  A  highly  in- 
teiesiing  study  of  a  litiic-known  subjeci, 
the  more  valuable  because  concise  and 
compact. 

Karl  Julius  Beloch's  Bevölkerungs- 
geschichte Italiens  (Band  I.  Grundlagen. 
Die  Bevölkerung  Siziliens  und  des  König- 
reichs-Neapel.  Band  11.  Die  Bevölkerung 
de<  Kirchenstaates,  Tnsl.'itias.  un:t  aie 
Herzogtümer  am  Po.  Berlin,  Waller  de 
Gruyier.  1937  and  1939  lespectively)  is 
an  auihorilative  monograph  in  ils  held. 
Professor  Beloch  unfortunaiely  died  m 
1929  before  compleling  his  final  revision, 
and  both  the  present  volumes  have  iheie- 
fore  been  prepared  for  the  press  by  I  ro- 
fessor  Gaeiano  de  Sanciis.  Beloch  con- 
ceived  his  populalion  hisiory  ol  llaly  as 
the  hrst  inslalmeni  of  a  populalion 
hisiory  of  Europe  for  which  more  or  less 
compleied  manuscripls  covering 

Germany.  France  and  England  are 
exianl.  All  these  works  are  based  on 
investigations^of  the  relevant  national 
archives  exiending  over  many  years.  In 
the  present  volumes  the  period  coyeied 
varies  wiih  the  aiea  :  in  the  main,  it  ex- 
tends  from  the  ihirleenih  lo  the  end  of 
the  eighteenih  ceniuries,  the  data  being 
naiurally  füllest  for  the  sevenLeenth  and 
eighteenih  ceniuries.  Much  of  ihe  basic 
informalion  comes  from  laxaiion  reiurns  ; 
Beloch's  eslimales  from  ihese  have  been 
made  with  süperb  skill.  Wheie  possible. 
age  struciure  and  the  raiio  of  the  sexes 
have  been  compuled.  The  resulls  are 
given  in  great  detail,  and  former  admini- 
strative areas  have  been  linked  lo  the  pro- 
vinciai  areas  of  the  modern  kingdom  ot 
llaly  down  to  1925,  when  a  re-allocaiion 
took  place.  Among  many  fascinaiing 
facls  il  appears  thal  ihe  populaiton  ol 
Florence  in  Danle's  time  was  only  about 
50,000— an  illustraiion,  like  Athens  and 
Elizabethan  England,  of  ihe  taci  that 
numbers  and  achievemeni  are  noi  neces- 
sarily  correlaied.  The  sub-iiiles  given 
above  indicaie  the  giound  covered  in 
these  two  volumes;  the  seclions  still  in 
manuscript  comprise  Venice,  the  Duchy 
of  Milan,  Picdmont,  Genoa  and  Corsica. 
Sardinia,  and  the  total  populalion.  L'n- 
favourable  economic  condiiions  have  so 
far  delayed  their  appearance  :  il  is  greally 
to  be  hoped  that  they  will  soon  be 
published. 

One  earlier  work  which  came  to  nolice 
during  the  course  of  this  survey,  though 
a  chronological  infruder,  must  neverthe- 
less  be  mentioned  liecause  of  surpassing 
excellence  within  its  assigned  limits. 
Wilhelm  Erben's  Kriegsgeschichte  des 
Mittelalters  (Beiheft  16  of  the  Historische 
Zeitung.  Munich,  1929.  R.  Oldenbourg) 
concenliates  the  cream  of  30  years  of 
medieval  and  miliiaiy  studies  (including 
many  vears  al  the  Heeiesmuseum  in 
Vienna)  inlo  fewer  than  150  pages.  The 
ränge  covered  within  this  small  compass 
is  exiraordinary.  It  includes  a  survey 
of  the  main  helds  of  war-making  during 
the  Middle  Ages,  the  development  of 
modern  studies  of  medieval  mililary 
hisiory,  the  criteria  required  in  using  the 
medieval  sources  ihemselves,  the  aititude 
of  the  Church  to  war  and  its  systemalic 
study,  and  major  aspecls  of  strategy  and 
taclics.  Two  appendices  give  exact  refer- 
ences  to  the  leading  auihorities  for  16 
long  medieval  wars  and  for  some  320 
batiles  and  major  actions ;  the  period 
covered  langes  from  the  sixth  to  the 
fifteenth  Century.  For  any  studeni  of  the 
hisiory  of  war  Erben's  small  monograph  is 
invaKiaWe  ;  a  most  worihy  shelf-nuue  of 
Delbrück  and  Jahns,  of  Oman  and 
Ferdinand  Lot. 

(To  be  continued) 


Arts  and  C  rafts 

BtMROSH.  Ghoiiriv.  Nlm'H'cnih 
Cenliirv  tn^'li.s/i  Policry  and 
Porcelain.  10  6!.  57pp.  Illus- 
trated.    Faber  and  Faber.    30s. 

The  Blake  Collection  of  W.  Graham 
Robertson  :  Described  by  thc 
CoUeclor.  Edited  with  an  Introduc- 
tion by  Kerrison  Preston.  10  7}. 
263pp.  Faber  and  Faber,  lor  the 
Williani  Blake  Trust.    63s. 

FosCA.  Fran(,ois.  Watteau  to 
Tiepolo.  Translated  by  Stuart 
Gilbert.  1 1  l  10.  I47pp.  lllus- 
trated.  (The  Great  Centuries  of 
Painting:  The  Eighteenth  Century.) 
Geneva:  Albert  Skira.  London 
Distributors:   Zwemmer.     84s. 

These  three  books  are   reviewed  on 

page  540. 

RicKERT.  Margaret.  TIw  Rccon- 
stracted  Carnielite  Missal.  An 
English  Manuscript  of  the  Laie  XIV 
Century  in  the  British  Museum, 
(Additional  29704-44892).  11  7^. 
I51pp.  Illustrated.  Faber  and 
Faber.  70s. 

Reviewed  on  page  540. 

Biography  and  Memoirs 

Bra.sse^t,  Edmund  A.  M  Doctor's 
Pili^riinage.  8  •  5.  223pp.  Harrap. 
12s.  6d.  '  il 

When,  having  newiy  qualified,  Dr. 
Brasset  agreed  to  go  as  general  prac- 
titioner  to  the  remote  township  of 
Canso  in  Nova  Scotia,  it  was  with 
the  idea  of  earning  enough  monev 
for  the  reaüzation  of  his  great  ambi- 
tion — to  study  brain  surgery.  The 
explanation  of  what  made  hini 
change  his  mind  at  the  very  moment 
of  achieving  his  wish  and  return  to 
the  once  despised  general  practice  is 
to  be  found  in  this  record  of  the 
everyday  failures  and  achievements, 
disappointments  and  fuHilments  of 
a  doctor's  life  in  a  poor  and-backward 
neighbourhood.  Dr.  Brasset's  ex- 
periences  were  not,  perhaps.  unusual 
in  themselves  but  his  own  reaction 
and  the  unfamiiiar  setting  justify  their 
teiiing. 

Chase.  Richard.  Eniily  Dickinson. 
8;  54.  '  328pp.  (American  Men 
of  Letters  .Series.)    Methuen.    16s. 

H ANSON.  Lawrence  and  Elisabeth. 
Marian  Evans  and  Georiic  Eliot.  A 
Biography.  8ix5J,.  402pp.  Illus- 
trated. Oxford  Ünivcrsity  Press. 
London :  Cumbcriege.    25s. 

Lady  Charlotte  Schreiber :  Extracts 
frotn  her  .ton  mal,  l(S5J-l<S9/. 
Edited  by  the  Earl  of  Bessborough. 
In  Continuation  of  The  Diaries  of 
Lady  Charlotte  Gnest.  8^x54. 
212pp.  lllustTated.  John  Murray. 
21s. 

These  three  books  are   reviewed  on 

page  528. 

NicOLSON.  Haroi  D.  Kini»  Geori^e 
the  Fiflh.  His  Life  and  Reign. 
9  6.  570pp.  Illustrated.  Con- 
stable.    42s. 

Discussed  in  the  front-page  articie. 

O'CoNNOR.  Joseph.  Hostai>e  to 
Fortune.  81x51.  29|pp.  .Michael 
F.  Moynihan  (2,  Capel  Street, 
Dublin).     18s. 

Reviewed  on  page  528. 

Sherrard,  O.  A.  Lord  Chathani.  A 
War  Minister  in  the  Making. 
81-54.  323pp.  The  Bodley  Head. 
25s. 

Reviewed  on  page  526. 

Education 

Pierson,    George    Wilson.       Yale 

ColU'iie.     An  Educational  History, 

1871-1921.      Volume    I.      91     61. 

773pp.       Yale     University     Press. 

London :  Cumberlege.     40s. 

The  first  volume  of  a  history  of  Yale 

from  the  close  of  the  Civil  War"  to 

1937,    intended    to    show    not    only 

Yale's   development    but    its   signifi- 

cance  and  influence  in  the  wider  field 

of  American  education.     The  work 

appears  to  mark  the  250th  anniver- 

sary  of  the  university  and  the  author 

is,   appropriately,    Larned    Professor 

of  History  there. 


Entertainment 

GoRHAM.  Maurice.  Broadva\iin\i 
am!  Television  since  1900.  8]  5^. 
274pp.     Andrew  Dakers.     18s. 

A  history  of  broadcasting  and  tele- 
vision in  this  coimtry  from  its  begin- 
nings  until  the  publication  of  the 
Beveridge  Report  last  year.  Thö 
author,  associated  with  the  B.B.C.  for 
many  years  and  a  former  editor  of 
the  Radio  Ti/nes,  has  combined 
documentary  research  with  first-hand 
experience,  and  has  concentrated 
upon  what  is  important  and  signifi- 
cant  in  the  story.  There  is  a  good 
index. 

Essays  and  Beiles  Lettres 

Hatzfeld.  Helmut  A.  Literature 
throuiih  Art.  94x6.  247pp. 
Illustrated.  New  York :  Oxford 
University         Press.  London: 

Cumberlege.  45s 
Mr  Hatzfeld  follows  French  litera- 
ture through  its  various  phases,  in 
relation  to  painting  and  sculpture,  and 
points  out  the  spirit  of  the  age  at  one 
time  and  another  with  thc  assistance 
of  a  hundred  half-tone  reproductions. 
The  demonstration  is  weakened  by 
the  small  size  and  ditriness  of  these 
pictures. 

Jordan.  E.  Essays  in  Criticism.  With 
an  Introduction  and  Synopses  by 
Robert  D.  Mack.  9x6.  384pp. 
University  of  Chicago  Press. 
London :  Cambridge  University 
Press.     52s.  6d. 

Reviewed  on  page  534. 

Food  and  Drink 

Dale.  Frances  and  Cradock,  John. 

A  round  Brilain    witli   Bon    Viveur. 

8     5.      208pp.      Illustrated.      John 

Lehmann.  12s.  6d. 
Frances  Dale  has  compiied  a  book 
about  her  week-end  trips  with  her 
husband  to  country  inns  throughout 
England  and  in  Scotiand  in  search  of 
material,  for  their  weekly  "  Bon 
Viveur  '  column  in  the  Daily  Tele- 
graph. This  is  a  useful  publication 
for  tourists  ;  there  are  details  of  one 
hotel  or  more  in  120-odd  towns  and 
villages.  there  are  a  number  of  photo- 
graphs,  and  an  index  lists  the 
tclephone  number  of  the  hotel  and 
the  proprietor's  name :  prices,  since 
they  are  subject  to  alteration,  are  not 
given. 

Postgate.  Raymond.  The  Good 
Food  Guide,  1952-53.  5  4.  298pp. 
Limp  cloth.  Cassell.  5s. 
The  Guide  was  first  published  last 
year  and  has  now  been  revised,  en- 
larged  and  generally  brought  up  to 
date.  It  is  an  enterprising  little  book- 
let  which  lists  more  than  700  places  in 
Great  Britain  where,  claims  Mr.  Post- 
gate, "  you  can  rely  on  a  good  meai 
at  a  reasonable  price."  Fach  hotel  or 
restaurant  named  has  been  recom- 
mended  by  at  least  two  members  of 
the  Good  Food  Club  (among  whom. 
to  name  but  three,  are  to  be  found 
Sir  -Adrian  Boult,  Mr.  Philip  Harben 
and  Mr.  John  Arlott),  membership  of 
which  is  honorary  and  open  to  all 
who  buy  the  book. 

Gardening 

Chase.  J.  L.  H.  Commercicd  Cloche 
Gardening.  9>54.  208pp.  Illus- 
trated. Faber  and  Faber.  16s. 
An  author  who  in  a  former  book 
wrote  about  gardening  with  cloches 
for  the  amateur  now,  in  the  present 
one,  treats  the  subject  from  the  point 
of  view  of  the  commercial  grower. 
Together  with  much  general  guidancc 
he  devotes  a  number  of  chapters  to 
the  growing  of  particular  crops 
under  cloches.  A  sowing  and  planting 
table  is  included. 

Hyams.  Edward.  Melons  under 
Cloches.  8p  54.  80pp.  Illustrated. 
Faber  and  Faber.  12s.  6d. 
Mr.  Hyams  here  describes  his  own 
and  other  successful  experiments  in 
the  growing  of  melons,  such  as  cante- 
loupe  and  honeydew,  under  continu- 
ous  cloches  in  the  English  climate, 
and  gives  clear  instructions,  helped 
by  diagrams  and  photographs,  to  ex- 
plain each  stage  of  the  process.     He 


{ 


i\ 


J 


THE     TIMES     LITERARY     SUPPLEMENT     FRIDAY!    JUNE     11      1954 


371 


I 


ÄÄ  Madame  de 
f/j},  Pompadour 

NANCY  MITFORD 

The  most  discussed  biography 
of  recent  years. 

4///  inipression     Illtts.     15s.  twt 

The  CoUected  Plays  of 

Terence 
Rattigan 

'  His  mastery   of  exposition    is 

COmpIcte.'    KENNETH     TYNAN 

{Ohserver) 

2,iicl  imp.     J5s.  tiet  each  voIume 

The  Second 
Tree  from 
the  Corner 

E.  B.  WHITE 

'  A  humorist  "of  ^the'' highest 
quality,  civilized,  erudite,  pre- 
cise,  economical,  self-mocking, 
honest,  poetic  with  a  strong 
but  restrained  inclination  to  the 
lyrical.' — Truth  12s.  6d.  twt 

The  New  American 
Nation  Series 

The  American 
Revolution  1775-1783 

J.   R.  ALDEN 

and 

Woodrow  Wilson 

omi  the  Progressive  Era  1910-17 
A.  S.  LINK 

'  Professors  Alden  and  Link 
lave  achieved  the  difficult  syn- 
ihcsis  of  producing  books  that 
will  excite  the  interest  of  the 
schol  ir,  while  also  serving  the 
serioLiscuriosityof  the  intelligent 
•av  rca^^er.' — The  Times  Literary 
Siipph'm  'nt.  Each  with  mups 
iiiici  cliiigranis  30s.  net 

Encyclopaedia 
of  American 
History 

Ediieö  by  R.  B.   MORRIS 

*  An  adniirable  reference  book 
.  .  .  American  historians  havc 
given  the  volume  a  warm  wel- 


THE  WEIMAR  REPUBLIC 

Erich    Eyck  :     Geschichte    der    Weimarer    Republik.      Erster    Band. 
Erlenbach-Zurich :  Eugen  Rentsch  Verlag.    DM.  13.50. 


OUTLOOK  IN  MALAYA 

Victor  Purcell  :    Malaya  :   Communist  or  Free  ?    Issued   under   the 
auspices  of  the  Institute  of  Pacific  Relations.     Gollancz.     15s. 


The  Weimar  republic  has  already  had 
its  historians,  mainly  drawii  from  the 
ranks  of  the  Left,  the  most  distiii- 
guished  of  them  still  being.  perhaps, 
the  late  Arthur  Rosenberg,  who 
was  also  the  earliest,  Now  that 
we  are  slowly  moving  out  of 
the  shadöw  of  the  Nazi  night- 
mare,  it  is  natural  that  attention 
should  once  more  be  given  to  the 
regime  which  Hitler  overthrew  and  on 
whose  shortcomings  he  built  so  much 
of  his  Prestige  and  influence.  It  is  a 
fascinating  period,  which  is  still  sub- 
ject  to  a  wide  diversity  of  interpreta- 
tions.  Did  the  Weimar  republic  fail 
to  w  in  the  lasting  loyalty  and  affection 
^  of  the  German  people  because  it  was 
born  out  of  the  shame  of  defeat  and 
at  the  promptings  of  a  victorious ' 
enemy  ?  Or  was  there  some  basic 
reason,  in  the  German  political  or 
economic  set-up,  or  in  the  German 
national  tradition,  which  made  Ger- 
many  a  barren  soil  in  which  to  plant 
democracy  conceived  on  liberal 
western  lines  ?  Or  was  the  fate  of  the 
Weimar  republic  strictiy  comparable 
with  thal  of  other  democracies 
planted  in  central  and  eastern  Europe 
after  1918,  artihcial  creations  born 
out  of  due  time,  when  the  flood  tide 
of  the  western  tradition  had  long 
ebbed  away  from  European  shores  ? 

Dr.  Erich  Eyck,  who  is  known 
primarily  for  his  works  on  Bismarck 
and  on  Wilhelm  II,  though  he  has  also 
made  excarsions  into  English  history, 
is  the  first  liberal  historian  in  the  füll 
sense  of  the  words  who  has  taken  the 
Weimar  republic  as  his  theme  ;  and 
his  is — if  wQ.except  some  fugitive  frag- 
ments  of  earlier  years — the  most 
sympathetic  history  of  it  yet 
attempted.  His  deep-seated  liberal 
beliefs,  as  well,  perhaps,  as  his 
present  residence  in  this  country, 
have  indeed  made  possible  a 
degree  of  detachment  from  national 
prejudices  rarely  achieved  by  German, 
or  perhaps  by  any  other  national, 
historians.  He  is  thus  moved  to 
deplore,  even  to  exaggerate,  the 
unfortunate  influences  of  Keynes's 
i  ^  Economic  Conscqidences  of  the  Peace 
in  stimulating  German  resentment 
against  the  iniquities  of  the  Versailles 
treaty,  now  confessed  from  within  the 
enemy  camp.  He  roundly  condemns 
the    mildness    of  the    sentences    pro- 


and  no  historian  should  accept  with- 
out  question  Sevcring's  version  of 
events  in  the  Ruhr  at  the  time  of  the 
Kapp  putsch.  At  the  other  end  of 
the  spectrum,  Dr.  Eyck's  evident 
lack  of  sympathy  for  Seeckt  leads  him 
to  do  much  less  than  justice  to  that 
key  figure  of  the  early  Weimar  period. 
Seeckt's  crucial  decision  to  bring 
to  an  end  the  Von  der  Goltz  advcnture 
in  the  Baltic  in  1919  and  his  skill 
in  carrying  out  this  delicate  Operation 
are  not  mentioned  ;  and  the  Charge  of 
"dilettantism,"  brought  against  him 
on  the  occasion  of  his  controversy 
with  Brockdorff-Rantzau  over  the 
merits  of  Rapallo,  is  surely  the  last 
that  should  be  preferred  against  this 
thorough  and  far-sighted,  though 
wholly  unscrupulous,  military  leadcr. 

These  are  minor  shortcomings, 
such  as  are  inseparable  from  all 
historical  writing,  and  especially  from 
all  writing  on  contemporary  history. 
But  the  work  raises  queslions  of  a 
more  general  and  more  important 
character.  The  first  is  not  strictiy 
relevant  to  Dr.  Eyck's  work  as  an 
historian,  but  will  inevitably  be 
asked.  How  far  is  Dr.  Eyck  typical 
of  a  ncw  German  approach  to  the 
recent  past  ?  And  how  widely  is  his 
view  of  the  Weimar  republic  shared 
in  Germany  to-day  ?  On  these  points, 
doubts  must  still  be  feit.  In  the' 
1920s  a  handfui  of  German  liberal 
publicists  celebrated  the  virtues 
of  the  republic,  waxed  enthusiastic 
over  the  League  of  Nations  and  the 
prospects  of  a  united  Europe,  and 
criticized  in  retrospect  the  aggressive 
policies  of  imperial  Germany.  They 
were  widely  quoted  in  western 
countries.  But  they  are  neither 
honoured  nor  remembered  by  the 
nexl  generation.  To-day  the  case  of 
Ithe  Weimar  republic  seems  still  more 
'desperate.  It  is  infected  by  the  dis- 
grace  not  only  of  its  origin  but  of  its 
ignominious  surrender  to  Hitler. 

The  other  question  is  what  inter- 
pretation  Dr.  Eyck  puts  on  the  down- 
fall  of  the  Weimar  republic,  and  how 
he  analyses  the  forces  which  were 
ultimately  responsible  for  its  downfall. 
Formally  speaking,  it  may  be  too 
early  to  ask  the  question,  since  this  is 
only  the  hrst  of  two  vplumes.  It 
stops  at  the  election  of  Hindenburg  in 

1?' 


Dr.  Purcell  has  written  a  book  which 
is    caiculated    to    disturb    the    com- 
placency  of  those  who  feel  that  things 
are  on  the  whole  going  not  too  badly 
in   Malaya  ;   and,  as  is  so  often  the 
case   in   such  circumstances,   he  has 
not  entirely  resisted  the  temptation  to 
paint  Ihe  colours  of  his  picture  over- 
luridly.  This  is  particularly  noticeable 
when  he  is  dealing  with  the  person- 
ality     and      methods      of      General 
Templer,  both  of  which  he  dislikes 
extremely.     But  since  the  book  was 
written    General   Templer  has   gone 
away;  and  a  good  deal  of  what  Dr. 
Purcell  considered  vital  to  underline 
his  own  arguments  has  lost  all   but 
historical    interest.      The    body     of 
doctrine  which  Dr.  Purcell  Champions 
can     be    simply    summarized.       He 
believes  that  the  present  federal  Con- 
stitution is  working  against  Malayan 
unity        by        fostering        excessive 
parochialism   in  nine   State  and  two 
Settlement        Governments ;         that 


Min  Yuen  Organization  will  be  so 
weakened  that  the  taproot  of  terrorist 
activities  will  wither.  But  if  this  is 
to  happen,  the  Chinese  must  be 
assured  of  a  Square  deal,  particularly 
in  the  States;  they  must  be  accepted 
as  füll  Citizens,  given  the  vote,  and 
accorded  security  and  protection. 

Dr.  Purcell  gives  strong  reason  for 
thinking  that   '*  emergency   ruie  "  in 
Malaya  has  already  lasted  too  long, 
and    that   purely    military    measures 
against     the     Communist     terrorists 
have    begun     to    show    diminishing 
returns.     What  is  now  wanted  is  io 
rally  the  political  leaders  in  an  effort 
to      build     up      Malayan      national 
consciousness,     always     bearing     in 
mind  that  they  will  inevitably  oppose 
the  Government  until  they  are  in  a 
Position      to     take     over     elfective 
responsibility  for  themselves.    Unless 
they  are  given  the  opportunity  to  do 
this  with  reasonable  speed  they  are 


Britain  is  clinging  too  tenaciously  to     likely  to   seek  satisfaction   for  their 


the  substance  of  power  while  parting 
only  with  its  shadow ;  that  if  this 
process  continues,  the  peoples  of  the 
country,  and  especially  the  Chinese, 
will  be  driven  into  the  arms  of 
Communism. 

■The  author  justifies  these  conten- 
tions  to  the  hilt  with  a  wealth  of 
knowledge  based  on  his  own  long 
experience   of    the    country   and   his 


national  aspirations  in  Communism 
rather  than  in  the  British  connexion. 
Dr.  Purcell  faces  frankly  the  awk- 
ward  Problems  which  arise  from 
Malaya's  value  to  the  Sterling  area  as 
a  dollar-earner ;  and  he  advises 
Britain  to  follow  his  example.  This 
is  a  courageous  book.  Dr.  Purcell 
has  always  been  a  hard  hitter  in 
defence  of  his  beliefs,  and  there  are 
many  passages  here  which  will  cause 


Wide   grasp   of   the   development   of  ^eep  ofTence.     But  he  is  too  good  a 

nationalist  movemenls  in  other  south-  friend    of    Malaya    to   mind    risking 

east  Asian  lands.  In  so  doing,  he  deals  this.  if  only  he  can  rouse  the  policy- 

shrewd  blows  at  the  higher  levels  of  makers     in     Whitehall     and     Kuala 

the  present  administrative  System  for  Lumpur    to    do    what    is    necessary 

its  general  failure  to  view  Malayan  before  the  opportunity  has  gone. 
Problems    against    their    appropriate  ================== 


Asian  background.  This  defect  he 
attributes  to  lack  of  expert  advice, 
particularly  in  the  handling  of  the 
Chinese  Community.  Here  the  author 
is  on  his  own  ground  ;  he  has  devoted 


In  World  History  from  1914  to 
1950.  an  addition  to  the  *'  Home 
University  Library  "  Coming  shortly 
from    the    Oxford    University   Press, 


much  of  his  life  to  the  problem  of     Dr.  David  Thomson,  by  concentrat 


the  Malayan  Chinese ;  and  he  has 
every  reason  to  be  horrified  when  he 
thinks  that  this  problem  is  being 
gravely  mishandled.  Moreover,  he  is 
right  in  holding  that  the  Chinese  have 
the  key  to  any  satisfactory  resolution 
of  the  present  Situation.     If  they  can_ 


ing  upon  world  events  of  the  period 
and  by  breaking  free  from  the  unreal 
distinction  between  national  and 
international  history,  seeks  to  put  into 
a  fresh  perspective  the  two  world 
wars  and  the  economic  crisis,  the  rise 
of  revolutionarv  nii 


-;Si 


'W^. 


'^m^ 


poctk'  Wim  a  siiong 
Inii  rcsiiuined  inclination  to  thc 
l>rical.'      7/7////  I2.\.  öd.  tiet 

The  New  American 
Nation  Series 

The  AmcMiean 


1775-1783 


Itevolulion 

J.   R.  ALDEN 
and 

Woodiow  Wilson 

anJ  thc  Proi^ressive  Era  1910-17 
A.  S.  LINK 

"  l*ioressors  Alden  and  Link 
I  avc  achieved  the  difticult  syn- 
thcsis  of  producing  books  that 
will  cxcitc  ihc  intercst  of  the 
schol  ir,  while  also  serving  the 
scrioLis  curiosity  of  the  intelligent 
'av  rca  ^er.' — The  Times  Literat y 
Siipplem'nt.  Euch  wiih  maps 
iiiiii  ihdii/ams  JOs.  net 

Encyclopaedia 
of  American 
History 

Edlted  by  R.   B.   MORRIS 

'An  admirable  refercnce  bock 
.  .  .  American  historians  have 
gixcn  the  volume  a  warm  wcl- 
'■^r^'-.  -.hich  should  bc  cchocd 
in  thiscountry.' — History  Today 

35s.  net 

Fi  et  Jon 

Mrs.  Betsey 

Or  Widowed  and  Wed 

FRANCESCA  MARTON 

"  AnneJ  with  wit,  intelligence 
and  a  clearly  cncyclopaedic 
knowledge  of  the  period,  she 
has  niade  an  imaginative  return 
to  the  I850's.' — mk  hafl  swan 
{Sioiday  Times)  12s.  6d.  net 

Horseman, 
Pass  By 

DENNIS   PARRY 

'  An  exciting  story,  garnished 
with  wit.' — Suiiday  Times. 

10s.  öd.  net 

The  Long 
Beat  Home 

PETER  GLADWIN 

'A    wonderful   picture  of  Aus- 
tralian  life.' — Ohserver 
'Circat      narrative      tension.' — 
Siinduy  Times  12s.  öd.  net 

The  Night 
of  the  Hunter 

DAVIS  GRUBB 

'Wonderlülly  written;  it  has  a 
ballad-like  quality  and  olTers  a 
greal  experience  for  the  stronger- 
nerved  grown-up.' — LUZABbTH 
HOW'EN  {Tatler) 

jrd  impression  lös.  6d.  net 

The  Content 
Assignment 

HOLLY   ROTH 

'  Spastically  tense  thriller  .  .  . 
Dcfmitely  exciting.' — Maurice 
RK  MAKDsoN  {Ohservcr) 

9s.  6d.  net 

The  Sword 
of  God 

RENE   HARDY 

•  hxtrcmely  dramatic  .  .  .  A  con- 
vincing  picture  of  muddle  and 
fanaticism,  couragc  and  corrup- 
tion  among  the  French  Iroops, 
nalive  communists,  descrters 
and  assorted  crooks  at  grips  in 
a  steaming  inferno.' — J.  w.  lam- 
iiFKT  (Sunday  Times)  12s.  6d.  net 

HAMISH    HAMILTON 


was  tnere 
the  Gernian  political 
set-up,  or  in  the  Gerni 
radition,  which  made  Cil 
Kirren  soil  in  which  to  plal 
dcniociacy  conceived  on  libeial 
western  hnes  ?  Or  was  the  fate  of  the 
Weimar  republic  strictiy  comparable 
with  that  of  olher  democracies 
planted  in  central  and  eastcrn  Fiirope 
after  \9\H,  artiliciai  creations  born 
Olli  of  due  tinie,  when  the  Hood  tide 
of  the  western  tradilion  had  long 
ebbed  away  from  European  shores  ? 

Dr.  Erich  Eyck,  who  is  known 
priniarily  for  his  works  on  Bismarck 
and  on  Wiihehii  II,  thoiigh  he  has  also 
niade  excursions  into  Imglish  history, 
is  the  lirst  liberal  historian  in  the  füll 
sense  of  the  words  who  has  taken  the 
Weimar  republic  as  his  theme  ;  and 
his  is — if  woexcept  some  fugitive  frag- 
ments  of  earlier  years— the  most 
sympathetic  history  of  it  yet 
attempted.  His  deep-seated  liberal 
beliefs,  as  well,  perhaps,  as  his 
present  residence  in  this  country, 
have  indeed  made  possible  a 
degree  of  detachment  from  national 
prejudices  rarely  achieved  by  German, 
or  perhaps  by  any  other  national, 
historians.  He  is  thus  moved  to 
deplore,  even  to  exaggerate,  the 
unibrtunate  influences  of  Keynes's 
Economic  Consequences  of  the  Peace 
in  stimulating  German  resentment 
against  the  iniquities  of  the  Versailles 
treaty,  now  confessed  from  within  the 
enemy  camp.  He  roundly  condemns 
the  mildness  of  the  sentences  pro- 
noaiiced  by  German  courts  on  the 
handfui  of  war  criminals  who  were 
eventually  brought  to  trial  and  con- 
victed.  He  is  ready  to  suspend  judg- 
ment  on  the  final  verdict  of  the  allies 
on  the  result  of  the  Upper  Silesian 
plebiscite — ^the  injustice  of  which  was 
assumed  and  denounced  at  the  time  by 
almost  every  German  of  whatever 
political  complexion,  as  well  as  by  a 
good  many  British  and  American 
writers.  All  this  leaves  the  impression 
of  an  exceptionally  candid  and  open 
mind  and  of  an  unusiially  fair  book  on 
a  controversial  subjcct. 

This  is  not  to  say  that  Dr.  Eyck's 
judgments  are  all  acceptable,  or  even 
impaitial.  Desire  not  to  beat  the 
characteristic  German  big  drum 
against  Versailles  leads  him  to  the 
bi/arre  conclusion  that  the  "  funda- 
mental error  "  of  the  peace  treaties 
was  "'  the  destruction  of  the  Austro- 
Hungarian  State."  The  alternative 
policy  of  detaching  Austria-Hungary 
from  the  German  alliance  was  tried 
by  the  allies — rather  half-heartedly, 
it  is  true— during  the  war.  But,  when 
it  faiied,  the  fate  of  the  Hapsburg 
monarchy  was  sealed.  It  feil  to  pieces 
when  the  German  armies  met  defeat. 
When  the  peace-makers  met  in  Paris, 
as  Dr.  Eyck  appears  to  admit  by  way 
of  after-thought.  nothing  was  left  to 
"  destroy  '"  and  not  all  their  efforts 
and  influence  would  have  sufficed 
to  put  Ausiria-Hungarylog,ilher  again, 
even  had  they  iTcen  so  minded. 
History,  not  the  peace  Conference, 
had  pronounced  the  verdict.  Inci- 
dentally,  Dr.  Eyck's  scorn  for  the 
nationalist  ''  agitation  "  of  the  con- 
stituent  peoples  of  the  Hapsburg 
empire  raises  a  momentary  question 
whether  his  liberalism — like  that  of 
German  liberals  of  an  earlier  day — ■ 
does  not  stop  short  at  the  frontiers 
of  the  lesser  Slav  peoples  of  central 
and  eastern  Europe. 

In  the  same  critical  vein  it  may  be 
feil  that  Dr.  Eyck  is  sometimes  fairer 
to  the  former  enetnies  of  his  country 
than  to  his  German  political  oppo- 
nents.  Both  the  extreme  Right  and 
the  extreme  Left,  powerfui  forces  in 
every  period  of  the  Weimar  republic, 
are  treated  with  scant  considcration 
of  their  importance  and  of  their 
policies  and  aspirations.  One  does 
not  expect  at  the  present  time  much 
indulgence  for  the  German  C  ommunist 
Party,  whose  record  has  little  to 
commend  it  from  any  point  of  view. 
But  Dr.  Eyck  does  not  seem  to  have 
examined  any  of  the  vast  mass  of 
Communist  literalure  of  the  i^eriod  ; 


moic  gcncial  and  morc  imporiant 
character.  The  first  is  not  strictiy 
relevant  to  Dr.  Eyck's  work  as  an 
historian.  but  will  inevitably  be 
asked.  How  far  is  Dr.  Eyck  typical 
of  a  new  German  approach  to  the 
recent  past  ?  And  how  vvidely  is  his 
view  of  the  Weimar  republic  shared 
in  Germany  to-day  ?  On  these  points, 
doubts  must  still  be  feit.  In  the' 
1920s  a  handfui  of  German  liberal 
publicists  celebrated  the  virtues 
of  the  republic,  waxed  enthusiasiic 
over  the  League  of  Nations  and  the 
prospects  of  a  united  Europe,  and 
criticized  in  retrospect  the  aggressive 
policies  of  imperial  Germany.  They 
were  widely  quoted  in  western 
countries.  But  they  are  neither 
honoured  nor  remembered  by  the 
next  generalion.  To-day  the  case  of 
jthe  Weimar  republic  seems  still  more 
desperate.  It  is  infecled  by  the  dis- 
grace  not  only  of  its  origin  but  of  its 
ignominious  surrender  to  Hitler. 

The  other  question  is  what  inter- 
pretation  Dr.  Eyck  puts  on  the  down- 
iall  of  the  Weimar  republic,  and  how 
he  analyses  the  forces  which  were 
ultimately  responsible  for  its  downfall. 
Eormally  speaking,  it  may  be  too 
early  to  ask  the  question,  since  this  is 
only  the  first  of  two  vplumes.  It 
stops  at  the  election  of  Hindenburg  in 
1925.  and  its  last  words  d«*srrihe  th's 
event  as  "  a  triumph  oT  nationa/ism 
and  militarism  and  a  severe  defeat 
of  the  republic  and  of  parlia- 
mentarianism."  This  perhaps  suggests 
that  though  Dr.  Eyck  recently  wrote 
in  these  columns  to  point  out  a 
number  of  factual  errors  in  Mr. 
Wheeler-Bennett's  Nemesis  of  Power 
he  may  accept  Mr.  Wheeler-Bennett's 
main  thesis  of  the  predominant  role 
of  the  German  military  leadership  in 
the  destruction  of  Weimar  and  of  all 
that  it  stood  for.  Elsewhere  Dr. 
Eyck  cites  the  early  and  unopposed 
abandonment  of  the  jury  System  as  a 
Symptom  of  the  wcakness  of  the 
democratic  spirit  in  Germany.  He 
in  no  way  glosses  over  the  adverse 
Clements  in  German  society  or  the 
many-sided  threats  to  the  survival  of 
the  republic.  But  he  undertakes  no 
general  investigation  of  the  source 
and   character   of  these   phenomena. 

It  is  this  failure  to  attempt  any 
serious  analysis  of  the  nature  and 
causes  of  the  tensions  and  fratricidal 
divisions  in  the  German  polity  which 
constitutes—  at  any  rate  in  the  present 
volume — a  weakness  of  Dr.  Eyck's 
work.  Occasionally,  though  rarely, 
economic  motives  are  thrown  into 
relief,  as  when  he  remarks.  among 
the  factors  favouring  the  conclusion 
of  the  Rapallo  treaty,  that  '*  German 
economic  circles  desired  the  re- 
sumption  of  business  relations  with 
Russia.  which  before  the  war  had  been 
one  of  the  best  customers  for  German 
products."  But  he  otfers  no  general 
examination  or  assessment  of  the 
economic  factor.  Stinnes  appears  in 
his  pages  merely  as  an  ultra-con- 
servative  and  a  boor,  not  as  the  most 
powerfui  and  influential  figurö  in 
German  industry — and  probably  \\\ 
German  economic  policy — in  the  first 
years  of  the  republic.  Rathenau  is 
sympathetically  treated,  but  without 
much  regard  for  the  complexities  of 
his  character,  and  none  for  the  com- 
plexities of  the  economic  interests  of 
which  he  was  the  spokesman.  The 
dilemma  of  the  German  workers, 
divided  between  the  hopes  of  revolu- 
tion  otfered  by  the  Communists  and 
the  equafly  illusory  prospects  of 
social  reform  in  a  republican  trame- 
work  held  out  by  the  Social-Demo- 
crats,  is  not  taken  into  account  at  all. 
In  short,  like  most  histories,  this  has 
its  notable  gaps.  Perhaps  some  of 
them  will  be  made  good  in  the  next 
volume,  in  which  the  fundamental 
issues  of  the  decline  and  fall  of  the 
Weimar  republic  will  clamour  still 
more  insistently  for  attention. 


paiociwaiisin  in  ninc  Male  and  iwo 
.Settlement  CJovernments ;  that 
Brilain  is  clinging  too  tenaciously  to 
the  substance  of  power  while  parting 
only  with  its  shadow ;  that  if  this 
process  continues,  the  peoples  of  the 
country,  and  especially  the  C  hinese, 
will  be  driven  into  the  arms  of 
Communism. 

•The  author  juslifies  these  conten- 
tions  to  the  hilt  with  a  wealth  of 
knowledge  based  on  his  own  long 
experience  of  the  country  and  his 
wide  grasp  of  the  development  of 
nationalist  movemenls  in  other  soulh- 
easl  Asian  lands.  In  so  doing,  he  deals 
shrewd  blows  at  the  higher  levels  of 
the  present  administrative  System  for 
its  general  failure  to  view  Malayan 
Problems  against  their  appropriate 
Asian  background.  This  defect  he 
atlributes  to  lack  of  expert  advice, 
particularly  in  the  handling  of  the 
Chinese  Community.  Here  the  aulhor 
is  on  his  own  ground  ;  he  has  devoted 
much  of  his  life  to  the  problem  of 
the  Malayan  Chinese ;  and  he  has 
every  reason  to  be  horrified  when  he 
thinks  that  this  problem  is  bcing 
gravely  mishandled.  Moreover,  he  is 
right  in  holding  that  the  Chinese  have 
the  key  to  any  satisfactory  resolulion 
of  the  present  Situation.  If  they  can 
be  won  to  the  dovernment  side,  Ihe 


iiies-. 

ihey  are  given  ihe  opportunily  to  do 
this  with  reasonable  speed  they  are 
likely  to  seek  salisfaction  for  their 
national  aspirations  in  (  ommunism 
rather  than  in  the  British  connexion. 
Dr.  Purcell  faces  frankly  the  awk- 
ward  Problems  which  arise  from 
Malaya's  value  to  ihe  Sterling  area  as 
a  dollar-earner ;  and  he  advises 
Britain  to  follow  his  example.  This 
is  a  courageous  book.  Dr.  Purcell 
has  always  been  a  hard  hilter  \n 
defence  of  his  beliefs,  and  thcre  are 
many  passages  here  which  will  cause 
deep  offence.  But  he  is  too  good  a 
friend  of  Malaya  to  mind  risking 
this.  if  only  he  can  rouse  the  policy- 
makers  in  Whitehall  and  Kuala 
Lumpur  lo  do  what  is  necessary 
before  the  opportunily  has  gone. 


In    World   History   from    1914   tn 
1950,    an    addilion    to    the    "  Home 
University   Library  "  coming  shortly 
from    the    Oxford    University    Press, 
Dr.  David  Thomson,  by  concentrat- 
ing  upon  world  events  of  the  period 
and  by  breaking  free  from  the  unreal 
distinction      between     national      and 
international  history,  seeks  to  put  inlo 
a    fresh    perspective    Ihe    two    world 
wars  and  the  economic  crisis,  the  rise 
jof  revoUitionarv  movement^  und  tb«* 
'spread  o£  democratic  sociulism. 


A  Book  Society  Recommendation 

THE  DANCING  BEES 

KARL  VON  FRISCH 

*Many  will  be  inclincd  to  place  thc  story  of  von  Frisch's  discover- 
ies,  now  availablc  in  this  Engiish  traiislation,  beside  Maeterlinck's 
The  Life  of  the  Bee  as  oiie  of  tlic  most  notable  books  on  thc 
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THE  ARDEN  SHAKESPEARE 

General  Editor:  Professor  Lfna  Ellis-Fermor 
Advisory  Editor:  Harold  F.  Brooks 

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TITUS  ANDRONICUS 

KING  LEAR 

LOVE'S  LABOUR'S  LOST 

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byIVf.  R.  RIDLEY  abt.  18s. 


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1100 


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REFERENCE. 


iv 


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Dieter  Petzina,    Materialien    zum  sozialen   und  wiroschaf t^ 
liehen   V;andel   in   ^Deutschland  seit    d:m    Knae   des   1^. Jahrnunder Cs 
intVierteljahshefte   fuer    v^eitgeschichte    1^69,  S.Heft ,  Juli, 

SU8-;3S8 


o  • 


Aus   den   otatisjiken   geht  hervpr    ,dass   bis  18SC   die  Versciuebuii^  n  m 
der  iJi:'ferenzierung  des  reFionalen    ;vachstunistei:ipos  mit  Ausnah.e  des 
Ostens"  gegenueber  Berlin  relativ   bescheiden  v.aror.  ,    die  Nahvanderung 
uebervio»  ...rst   seit   den  SOiher  Jahren   erg-.ben  sich    durch  die   jetzt 
doninierende   Ost-westwa-nTerung   die    spaktakulaeren  regionalen   Veraende- 
iuagen!    'evoelkerungsschv-erpunkt  Preussens  una  d.s  ^^^^  °^^   "^°^',,"^tchon 
verlegt.   Soziales  und  wirtschaftliches  Fa^^tuia,    aber   signalisiert    schon   ^ 
vor   Jahrhundertwende  das   -.nde  d- s   traditionellen  ostelbiscnen   '^"- 
preussentur.i(ü.S12/13)    19Ü7  hatte    jeder   sechste  i:u  Osten   ^,e. orene    -an- 
Lrung   nach    Berlin  und  Uesten  vollzogen.hauptstadt   bestand   zu  2u/o  aus   _ 
2,uzue|lern  von    d.m  Osten.Par allel   lueuft   der  Vrozess   aer  ^^^ff  t^osse        * 
Um  Liitte   des  Jahrhunderts   Deutschland   laendlich   gepraegt,    ItlO   erost^e 
U:  terschiede.je  groesser  der   .anderungsgewinn, je   ^t-erKer   Industria- 
lisierung und  ürad  aer  Verstaeaterung.Osten.öueaen  ueber   oOjiJ  ^anabevoel- 
kerungibis    5000  ^inv..ohne-r  y  ,oachsen  ,..esten, Berlin  Brandenburg  Mf.\^&v 
60.  St.  eatische    BevoelkeruAg.    1871   .weniger  als  ein  Viertel  aer  Bevoel- 
kerunp'in   stae  tischer  Umgebung,  staerkste  Verschiebung  vor   c.em  1. 
wSl?Jfieg;1910   etwa  die   haelfte   staedtischlöOGO-ueber   IlO   OOO.ueber 
1/5   von      ea  tanzen   m  ot-odten   ueber   100   000) . (S.    514,    517). 


I 


Von   Erwerbspersonen    1882      42.i,ie07   34y.   in  Landwirtschaft;    56?ö:42'^  in 
produzierendem  Gewerbe;    22,.:26>.  in  tertiaerem^^Seltor   .davon   m  Handel 
und  Verkehr    allein   steigend   von  8.470  auf   13,6!;'3. 

Nach  sozialer  otellungsinken  oelbstaendigevon   13^5-1907  von   27,5  auf 
22/.;    steigen    Angestellte  und  Beamte   von  5,2  auf    7,5'/.;    sinken   Arbeiter 
von   50   4  luf    4sT2/i  und   Hausangestellte   von   7,3  auf    b,7!;b.    otarke   otei- 
lemng  d.?  mithkfendoi    Familienangehoerigen  .teilweise  nur   scheinbar, 
forhel  nicht  voellig   erfasst.  (3.319,321  JAngestellxe.    gehoeren  dann 
zum  20.   Jahrhundert, ßrgebnis  der   Bureaukratisierung  J^^;^^^^°J^Ji°f ^er 
und  der  wachsenden  Bedeutung  der   Distribution.    1895  kamen    2u   .-irDeiter 
aS?   einen   !ngSs teilten, 1925  Verhaeltnis   6:1. ^3.322) .Wachstum  ces   realen 
^oziaiprodukfs  am  staerksten   vor    dem  1.    •"elti^ries...ntei.    aer   Lanuwxrt- 
schaft   an  volkswirtschaf tl.    werlschoepfung  sanK   in  den  letzten   100 
!ahren  von   40,'.  auf  5/o.    Bis    1888  war   Landwirtschaft  ^^^^  Jeaeuten^ste 
Wirtschaftszweig.    Symbol  wilhelminischer   ..eltmachtspolitik,  aas  lööv 
^elt'eif  orientierte   Industrie   die  Lanawirtschaft   in  oekonomiscaem   Ge- 
wicht   ueberfluegelte. (0.330) 
S.337:Jirgebnisse:Bevoelkerungsentwicklung,^rwerbsstruktur,oozialpi'oäukt 

zeigati^dass   die  Perioden  schnellen    ».achstums  una   starken    v.'ande]s    mit  den 
beiden  Jahrsehnten  vor   1.   ^-eltkrieg  zusammenfallen. In  Zwischem.riegszeit 


"^^i^"} 


nur  bescheidenes    artschaf tswachstum.    Sozialer  um    wirtschaftlicher 
beaeutete    ^n  e   19.   Jahrhunderts    -/andel   von   Agrar-zur   Industrielle- 
Seilschaft,    beherrschende  Sozialfigur , selbstaendi ger  Bauer  und  hand- 
werker,    dann   Industriearbeiter,  spaeter   Angf-stellter. 


-andel 


REPERENCE: 


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11.10.91 


Lieber  Dr  .Hamburger,  \ 

>  '^  V 

Ihr  Brief  in  der  •Süddeutschen  Zeitung*(7»UD»),mit  dessenV^ihalt 
ich  natürlich  lebhaft  sympat](isiere,hat  mir  eine  Absicht  in  ErinS 
gerufen, die  ich  hatte, als  mir  Schwelb  im  Sommer  hier  von  Ihren  lit€ 
rarischen  -^länen  erzählte.  Ohne  zu  wissen, ob  Sie  die  ^eistulcig  deut- 
scher Juden  in  der  CSR  einbeziehen  wollen, will  ich  ^hnen  doch  meine 
Biographie  Ludwig  Czechs  schicken  -Sie  finden  darin  auch  einiges  über 
Stampfer  und  reichsdeutsche  Binge.  Da  die  Gegenspieler  Czechs  usw. 
sich  in  Deutschland  heute, meist  unliebsam, bemerkbar  uachen, scheint 
mir  an   sich  eine  solche  territoriale  Ausdehnung  Ihrer  Arbeit  nicht 
unbegründet •  Pur  diesen  Fall  will  ich  ^hnen  sagen, dass  noch  folgende 
Funktionäre  der  Deutschen  sozialdemokratischen  Arbeiterpartei  in  der 
Tschedioslowakischen  Republik  den  Anforderungen  von  Hitlers  Rassenge^ 
setzen  nicht  entsprachen, wiewohl  kaum   eieer  von  ihnen  jüdischer  Reli- 
gion gewesen  sein   dürfte(die  Seitenzahlen  beziehen  sich  auf  Hinweise 
in  meinem  Buch, das  Ihnen  mit  ordinary  mail   zugeht): 

Siegfried  a?aub(S*42)  Arnold  Holitscher(S*70) 

Johann  Polach(S.53)  Fanni  Blatny  ("  ^  ) 

Emil  Strauss(S*68)  Irene  Kirpal  f  »•   ••   ) 

Victor  Haas(S*690  Oskar  Simon  CS*155) 

Carl  Helleres. 69>  Alfred  Kleinberg  (S.15i>) 

Nixht  erwägt  habe  ich  in  meinem  Buch  die  ( kleine  )Deut  seh  demokra- 
tische Freiheitspartei, die  etwa  der  Demokratischen  Partei  in  der 

Weimarer  Republik  vergleichbar  war*  In  die  erwähnte  Kategi)rie(wahr- 

scheinlich  auch  mit  Nachsicht  der  religiösen  ^gehörigkeit) fielen 

folgende  Funktionäre: 

Professor  Dr.Brjno  Kafka,AbgeordnetelJ,gest.l9$2(Sphn  Alexander 

ist  UN-Beamter)  ^ 
Professor  -^riLudwig  %)iegel,Senator,gest»etwa  1927-8 
•  Dr.Joseph  Eckstein, Stadtrat  in  Prag, gest. etwa  1950 
Dr* Johann  ffardkim, Stadtrat  in  Brunn  und  Vorsitzender  des  Deut- 
schen  Juristentages  in  der  CSR  bis  1938,gest*1938» 

Im  übrigen   dürfte  Schwelb  über  die  letztgenannte  Gruppe  besser 

priantiert  sein  als  ich. 

Bitte  lassen  Sie  mich  wissen, falls  Sie  mehr  wissen  wollen» 

«^  ^  Mit  besten  Grüssen  bib  ich     Ihr 


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J.W.Bruegel 

Sender  s  name  and  address: .TT. 

21  Connaught  Drive 
London  ^.W.ll 

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'    ^    .  AN  AIR  LETTER  SHOULD  NOT  CONTAIN  *ANY 
'  ^     ENCLOSURE  ;  IF  IT  DOES  IT  WILL  BE  SURCHARGED 

OR  SENT  BY  ORDINARY  MAIL. 

^ Second  föld  here ► 

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^  AIR  LETTER  J^V-v:PhV\  '   fW8»»ili    J>>' 


Dr.lrnest  Hamburf^er 


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67  Riicersid«  Drive 

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Nr.  22 


MB  —  29.  Mai  1964 


Seite  3 


KURT 


M 


PINCHAS  ROSEN 

Beim  Lesen  in  Briefen 
eines  Freundes 


Kurt  Blumenfeld  wurde  uns  an 
der  Schwelle   des  80.  Lebensjahres 
entrissen,  das  er  heute,  am  29.  Mai 
1964,   vollendet   hätte.   Ein   Jahr   ist 
verflossen,     seitdem     Weggenossen, 
Schüler,  Freunde,  Verehrer  versucht 
hatten,  seine  Persönlichkeit  und  sei- 
ne Leistung  in  Wort  und  Schrift  zu 
würdigen,  —  so  wie  es  auch,  nicht 
lange   vorher,   anlässlich   seines   75. 
Geburtstages    geschehen    war.    Wie 
kann    man    sein    Andenken    heute 
ehren,  wie  ihm  danken?  Dr.  Foerder 
hatte   in   einer   Trauerversammlung 
die  Einführung  von  „Kurt  Blumen- 
feld-Vorträgen"    vorgeschlagen,     — 
Vorträgen   über   Themen    aus    dem 
weitschichtigen  Gebiete  seiner  Inter- 
essen:   Zionismus,   Judentum,   Welt- 
politik, Kunst,  Literatur,  Geschichte. 
Auch    andere    Pläne    werden    erwo- 
gen. Seit  langem  denkt  man  an  die 
Veröffentlichung  einer  Auswahl  sei- 
ner Briefe.  Jeder  Leser  dieser  Zei- 
len, der  solche  (zur  Publikation  ge- 
eigneten)  Briefe   besitzt,   sollte   sie 
im  Original  oder  in  Abschrift,  ganz 
oder  auszugsweise,  dem  Irgun  Olej 
Merkas  Europa  übergeben.  Ein  ziem- 
lich    umfangreiches     Archiv      von 
Durchschlägen  solcher  Briefe  wird 
von       Blumenfelds       Mitarbeiterin, 
Frau   Hedi   Strauss,   gesichtet.   Das 
Material  ist,  wie  gesagt,  reichhaltig, 
sollte  aber  vervollständigt   werden. 
Mittlerweile     besitzen     wir     ausge- 
wählte Gedenkreden  in  hebräischer 
Sprache,  und  vor  allem  Blumenfelds 
autobiographische    Schrift    „Erlebte 
Judenfrage",  die  auch  in  hebräischer 
Fassung  vorliegt.  Manche  von  uns 
— mögen    in    diesen    Tagen    aus    ihr 
vorlesen.  Zu  erwähnen  ist  auch  die 
erste    gründliche    Darstellung    von 
Blumenfelds    Ideologie    in    hebräi- 
scher  Sprache  aus  der   Feder  von 
Schaul  Esh,  die  vor  einigen  Mona- 
ten im  „Molad"  erschienen  ist.  Ein 
Gesamtbild    von    Blumenfelds    Per- 
sönlichkeit hat  Salman   Schasar   in 
der  Festschrift  zum  75.  Geburtstag 
von  Pinchas  Rosen  mit  eindringen- 
dem Verständnis  liebevoll  umrissen. 


II. 

Die  Briefe:  jeder,  der  Proben  von 
ihnen  besitzt,  weiss,  dass  in  ihnen 
Blumenfelds   Persönlichkeit   in    sel- 
tener   Klarheit    und    Reinheit    zum 
Ausdruck  gelangt  ist.  Waren  seine 
Reden  hinreissend,  so  waren  seine 
Briefe  prägnanter.  Reden  und  Brie- 
fe waren  in  gleicher  Weise  in  ihrer 
Echtheit  pathetische  Dokumente  ei- 
nes unbestechlichen  Geistes,  in  dem 
kein   Falsch   war.   Gegner   mochten 
glauben,    dass    er    irrte.    Aber    sie 
fühlten,  dass  sein  Pathos  echt  war. 
Eine   der  vielfältigen   Kraftquel- 
len  von   Blumenfelds    grosser   Wir- 
kung, in  der  innerzionistischen  Aus- 
sprache noch  mehr  als  in  der  Pro- 
paganda,   war    ein    unverfälschtes 
Pathos,   das   zu   tief   fundiert   war, 
als  dass  seine  Begabung  für   kriti- 
sche Analyse  ihm  etwas  hätte  an- 
haben können,  —  ebensowenig  wie 
auch  seine  Neigung  zu  sarkastisch- 
aggressiven    Formulierungen.     Und 
am  allerwenigsten  gab  es  einen  Wi- 
derspruch zwischen  diesem  Pathos 
und   seinem   Zorn.   Beide   entspran- 
gen eher  der  gleichen  Wurzel. 

Als  ich  Blumenfeld  vor  59  Jahren 
in  Freiburg  begegnete,  verband  uns 
bald  eine  Freundschaft,  deren  Wär- 
me nie  erkaltete.   Ich   sah   in  ihm 


anfänglich  eher  den  Analytiker  und 
Kritiker    als    den    Meister    denkeri- 
scher Wegweisung.  Er  war  damals 
in  Freiburg  21  Jahre  alt  und,  nach 
einem   kritischen   persönlichen   Er- 
lebnis, oft  in  einer  skeptischen  und 
pessimistischen    seelischen    Verfas- 
simg.   Anwandlungen    von    Skepsis 
bin  ich  auch  später  bei  ihm  begeg- 
net, aber  sie  gingen  nie  tief  genug, 
um  einen  noch  tiefer  liegenden  Op- 
timismus zu  verschütten.  Aber  da- 
mals im  Jahre  1905  in  Freiburg  war 
seine  Welt  in  graue  Farben  getaucht. 
In   dieser    Stirnrnuiig    versuchte   er 
einem    gläubigen    Jüngling    von    18 
Jahren    den    Schleier    zionistischer 
Heldenverehrung  von  den  Augen  zu 
reissen.  Ich  glaubte  nicht,  dass  es 
ihm    zur    Gänze    gelang.    Aber    ich 
spürte  die  Echtheit  seiner  menschli- 
chen   Bedenken,    und    er    schärfte 
wohl    meinen    Blick    für    prüfende 
Beobachtung. 

An  diese  Freiburger  Zeit  musste 
ich  oft  denken.  Er  nannte  sich  da- 
mals  anfangs  einen   Nichtzionisten. 
und    ich    glaubte    lange,    dass    sich 
sein  Zionismus  an  meiner  Begeiste- 
rung für  das  Erbe  Theodor  Herzls 
und   an   unserer   Freundschaft   ent- 
zündet hätte.  Heute  meine  ich,  dass 
er  mich  in  einem  Irrtum  gefangen 
hielt,   obschon   er   in   seinem   Buch 
selber   schreibt,   es   sei   ihm   durch 
die  Freiburger  Unterhaltungen  mit 
mir    klar    geworden,   dass   er    „nur 
als  Zionist  Jude  sein  könne"  Wenn 
er  sich  damals  einen  Nichtzionisten 
nannte,  so  mag  es  an  seiner  skep- 
tischen  Verfassung    gelegen   haben, 
vielleicht    auch    an    seiner    Enttäu- 
schung über  zionistische  Führer,  die 
er,  der  ältere,  in  Berlin  kennenge- 
lernt hatte.  Vielleicht  aber  täuschte 
er  mich  durch  tastende  Bemerkun- 
gen, bei  denen  es  ihm  eher  darauf 
ankam,  die  Reaktion  des  Gesprächs- 
partners   zu    erproben,    ein    später 
von  ihm.  auch  in  persönlichen  Din- 
gen, angewandter  Kunstgriff,  wenn 
er   die   Seele   eines   anderen   erfor- 
schen  wollte.   Heute   suche  ich  die 
wahren    Wurzeln    seines    Zionismus 
dort,   wo   er   sie   selber   oftmals   in 
rückschauenden  Betrachtungen  pla- 
zierte, —  und  so  auch  in  einem  Brief 
an  E.  L.  vom   16.5.1946.  in  dem  es 

heisst:    ich   verstehe  alles,   wa-s 

Du   sagst,   sehr   gut,   weil   ich   doch 
selbst  aus  Kreisen  stamme,  in  de- 


nen man  immer  einen  Ausgleich  zwi- 
schen  höheren   Interessen   und   ge- 
schäftlichen  Erfordernissen   suchte. 
Die  leidenschaftliche  Ablehnung  die- 
ser im  bürgerlichen  Sinne  hochan- 
ständigen Atmosphäre  hat  mich,  der 
ich  keinen  Zusammenhang  mit  dem 
Judentum  hatte,  zum  Zionismus  ge- 
bracht. Juden  waren  für  mich  da- 
mals Menschen,  deren  ganzes  Leben 
der  Befriedigung  ihres  Securitätsbe- 
dürfnisses  dient.  Ich  stand  zu  ihnen 
so  wie  etwa  Karl  Marx  in  der  Dir 
bekannten    Abhandlung,    in    der    er 
vor  allem.  ?eine  Familie  treffen  wül. 
Der  Zionismus  war  dann  für  mich 
die  erlösende  Antwort;  er  bedeutete 
Ablehnung   der   jüdischen   Welt   so, 
wie  sie  ist,  und  den  Versuch  ihrer 
Umwimdlung". 

Sein  Zorn?  Den  zürnenden  Freund 
lernte   ich   erst  in  späteren  Jahren 
kennen.    Es    gibt    wohl    niemanden 
unter    seinen   Freunden,    der   nicht 
zuweilen,  und  gerade  in  seinen  Brie- 
fen, von  diesem  Zorn  einen  Hauch, 
und    mehr    als    nur    einen    Hauch 
verspürt  hätte.  Man  hat  hiervon  vor 
einem   Jahr   in   Trauerversammlun- 
gen zu  wenig  gesprochen.  Zu  wenig, 
—  denn  seine  leidenschaftlichen  Aus- 
brüche waren  Anklagen,  die  manch- 
mal  vielleicht   ungerecht,   aber   im- 
mer von  echtem  Schmerz  über  Un- 
vollkommenheiten    gezeugt    waren. 
Ich  will  hier  von  einem  schriftlichen 
Zwiegespräch  Mitteilung  machen,  in 
dem  übrigens  Blumenfelds  Antwort, 
über  den  thematischen  Anlass  hin- 
aus, für  seinen  Stil  bezeichnend  und 
daher      bemerkenswert      ist.       Ich 
schrieb    an    ihn    im    Sommer    1947: 
„  , .  .und    ich    möchte    Dich    daher 
bitten,  mir  möglichst  bald  einen  Ar- 
tikel für  unsere   Zeitschrift  zu  lie- 
fern. Der  Kritik  und  Aggression  sind 
keine  Schranken  gesetzt.  Sie  irritie- 
ren mich  zwar  in  der  persönlichen 
Unterhaltung;    aber   ich   nehme    sie 
au  fond  nicht   übel.  Wenn  möglich, 
halte  Dich  im  Rahmen  einer  Seite. 
Jeder    Satz    ein    Granitblock.    Wenn 
Du   es  vorziehst,  könntest  Du  dem 
Artikel  auch  die  Form  eines  Inter- 
views mit  Dir   geben".  —  Blumen- 
feld antwortete:   „Du  forderst  mich 
auf,    einen    Artikel    in   Form    eines 
Interview  zu  schreiben.  Jeder  Satz 
ein  Granitblock.  Solche  Sätze  möch- 
te  ich   gerne   schreiben.   Alle   zehn 
Jahre  fällt  mir  etwas  ein,  was.  wie 


29.  MAI  1884  - 
21.  MAI  1963 


jeder  geprägte  Satz,  allmählich  an 
Bedeutung  verliert  und  schliesslich 
am  besten  vergessen  wird.  Ich  habe 
zu  viel  gelesen,  um  den  Tonfall  ei- 
genen Gefüges  angenehm  zu  empfin- 
den". 

Über  „Aggressionen  "  sagte  er 
übrigens  in  einem  Brief  (an  eine 
andere  Adresse)  sie  sei  „meist  eine 
verhüllte  Form  von  Liebe". 

Wie  gesagt,  es  gibt  wohl  wenige 
von  seinen  Freunden,  die  nicht  zu- 
weilen   von    dieser    Aggression    be- 
troffen wurden,  ohne  dass  sie  aber 
jemals  trennend  wirkte.  Seine  Bezie- 
hung  zu   manchen   seiner   Freunde 
war  zweifellos  ambivalent.  Ein  et- 
was   abseitiges    Beispiel    ist    seine 
Beziehung   zu   Hannah   Arendt,   mit 
der   ihn   durch   Jahrzehnte   Freund- 
schaft verbunden  hatte.  Sie  war  als 
junge   Studentin   in   den   zwanziger 
Jahren   ein   häufiger   Gast   im   Blu- 
menfeldschen  Familienkreise  in  Ber- 
lin, und  Blumenfeld  pflegte  die  Un- 
terhaltung und  Diskussion  mit  ihr 
dort  und  später  in  Amerika.  Es  gab 
wohl    eine    Zeit,    in    der    Hannah 
Arendt  sich  zum  Zionismus  bekannt 
und  als  Schülerin  Blumenfelds  de- 
klariert   hatte.    Dann    erschien    im 
Jahre   1946  in  Amerika  ihr  Artikel 
im      „Menorah- Journal"     mit     der 
tJberschrift  „Zionism  reconsidered". 
In  einem  Brief  aus  dem  Jahre  1946 
an  meinen  Bruder  Martin,  der  also 
nicht   an   Hannah   Arendt   gerichtet 
ist,  in  dem  es  aber  heisst:   „dieser 
Brief  ist  natürlich  auch  für  Hannah 
bestimmt",    verdammt    Blumenfeld 
in  einem  seiner  überdimensionalen 
Ausbrüche  den  Artikel  und  die  Ver- 
fasserin    mit     gleicher     Heftigkeit. 
(Kenner    wissen,   dass   nicht   alles, 
was   in   solchen   Briefen   ausbrach, 
zur   öffentlichen  Wiedergabe   geeig- 
net   ist).    Blumenfeld    bleibt    aber 
alten  Freunden  treu  und  kann  sich 
nur  schwer  von  ihnen  trennen.  Es 
hat    später    wieder    briefliche    Ver- 
bindungen gegeben,  und  sicher  hat 
Blumenfeld,    wie    auch    ich    bezeu- 
gen kann.  Hannah  Arendts  Aufstieg 
im  Reich  der  Wissenschaft  mit  ei- 
ner Art  väterlichen  Stolzes  verfolgt. 
In  „Erlebte  Judenfrage"  nennt  er  sie 
„die  Verfasserin  bedeutender  philo- 
sophischer und  politischer  Werke", 
und  Dr.  Tramer  fügt  als  Herausge- 
ber in  einer  Anmerkung  hinzu:  „das 
grosse    Kapitel    Antisemitismus    in 
dem  grundlegenden  Werke  von  Han- 
nah Arendt  ,Elemente  und  Ursprün- 
ge totaler  Herrschaft'  ist  Kurt  Blu- 
menfeld zum  70.  Geburtstag  gewid- 
met". Aber  Blumenfeld  bleibt  kri- 
tisch.   Kritisch    auch    der    wissen- 
schaftlichen     Leistung     gegenüber. 
Von   sich  selber  hat  er  ja  oft  ge- 
sagt,   was    er    in    einem    Brief    an 
T.  B.  vom  23.3.1953  folgendermassen 
formulierte:   „  . .  .in  einer  Welt,  die 
alles  beweisen  wollte  und  logische 
Kategorien    überschätzte,    begnügt« 
ich  mich  mit  dem  Beschreiben,  (ge- 
schichtliches Denken  wurde  wichti- 
ger  als   philosophische   Begriffsbil- 
dung". Aber  seine  Kritik  galt  jetzt 
vor    allem    der    Haltung    Hannah 
Arendts    im    Jüdischen.    In    einem 
Brief  an  sie  vom  2.7.1951  heisst  es: 
„Wenn    man    Dein    Buch    liest,    er- 
fährt man,   wogegen  Du  bist,  und 
manchmal,    wenn    ich    Atem    hole, 
scheint  es  mir,  dass  Du  immer  mehr 
die   Fähigkeit   entwickelt   hast,   das 
Negative  zu  sehen.  Jedes  Ding  hat 
seine  zwei  Schattenseiten,  sagte  ein 
alter  Grossonkel  von  mir.  Bei  Dir 
ist   es   schwer   herauszubekommen, 
was    Dir    eigentlich    gefällt.    Ganz 
schlecht  kommen  natürlich  die  Ju- 
den   weg.    Ein    bösartiger    Kritiker 
könnte  Selbsthass  konstatieren". 

Und  weiter  in  dem  gleichen  Brie- 
fe:   „Es  gibt  aber  Völker,  und  die 


(Schluss  S.  4) 


,ite  4 


MB  —  29.  Mal  1964 


Nr.  22 


ff.-«,  ;.-iV 


BEIM    LESEN    IN    BRIEFEN    EINES    FREUNDES 


(Schluss  von  S.  3) 

Juden  sind  eins.  Dir  ist  es  wahr- 
scheinlich schwer,  Dir  vorzustellen, 
dass  man  dieses  Jüdische  Volk  liebt. 
Man  liebt  nicht  das  Sein,  sondern 
die  Wiedergeburt,  die  man  sieht, 
weil  man  an  ihr  beteiligt  ist.  Dir 
liegt  das  Bodenlose,  mir  liegt  es, 
Boden  unter  den  Füssen  zu  haben. 
Ich  halte  etwas  vom  Ort  der  Ver- 
wirklichung. So  gibt  es  Selbstkon- 
trolle, so  kann  man  sehen,  ob 
Menschlichkeit  nicht  nur  eine  Vo- 
kabel ist,  sondern  geübt  wird". 

Und    dann    schlug    zwölf    Jahre 
später  Hannah  Arendts  Buch  „Eich- 
mann in  Jerusalem"  bei  Blumenfeld 
wie  eine  Bombe  ein.  Es  ist  schwer, 
seine     Empörung     zu    beschreiben. 
Das    Buch    enthüllte    so    manches, 
was  er  schon  1951  gesehen  und  kri- 
tisiert hatte.  So  war  er  jetzt  wieder 
bei  der  absoluten  Verurteilung  an- 
gelangt, die  in  dem  bereits  erwähn- 
ten Brief  vom  Jahre   1946  in  dem 
Satz    gipfelte:    „Ich    habe    Hannah 
ihren   Zionismus   nie   geglaubt.   Als 
ich  ihr  einmal  in  einer  Versamm- 
lung  .sagte:    zwischen   uns    gibt   es 
einen  Kampf  auf  Tod  und  Leben,  da 
war  zwar   die  Ausdrucksweise  der 
Erregung    zuzuschreiben,    was    ich. 
aber  fühlte,  war  richtig". 

Blumenfeld  hatte  in  den  letzten 
Jahren,  in  denen  er  oft  an  den  Tod 
dachte,   das    Bedürfnis    empfunden, 
alten  von  ihm  ehemals  bitter,  wie 
er  jetzt  meinte,  allzu  bitter  bekämpf- 
ten Gegnern  die  Hand  zur  Versöh- 
nung zu  reichen.  Dafür  legen  min- 
destens   zwei    Briefe    Zeugnis    ab, 
Briefe    der    Reue,    bemerkenswert 
aber    auch,    weil    sie    kunstvoll    so 
angelegt  sind,  dass  er  bereut,  ohne 
sich  eigentlich  zu  desavouieren.  Man 
kann  sich  ihn  geradezu  vorstellen, 
wie  er  einen  solchen,  nicht  gerade 
einfachen    Brief    diktiert,    in    guter 
Stimmimg,   mit   einem  Glase   Wein 
nahe    bei    der    Hand,    nachdenklich 
mit   geschlossenen   Augen   das   tref- 
fende Wort  suchend,  und  dann  die 
Augen   öffnet,   um   mit   einem  halb 
verlegenen,  halb  verschmitzten  Lä- 
cheln der  Sekretärin  das  Diktat  zu 
übermitteln. 

So  mag  es  wohl  sein  —  ich 
konnte  es  nicht  erkunden  — ,  dass 
er  von  seiner  alten  Freundin  in 
Frieden  geschieden  ist,  als  Hannah 
Arendt  ihn  zwei  Wochen  vor  sei- 
nem Tode  in  Tel-Aviv,  bei  einem 
ganz  kurzen,  fast  unbemerkt  geblie- 
benen Aufenthalt  in  Israel,  im  Kran- 
kenhaus aufsuchte,  —  als  übrigens 
seine  Kraft  für  Auseinandersetzun- 
gen bereits  erloschen  war. 

Mit  alldem  soll  nicht  gesagt  sein, 
dass  sein  Zorn  in  ernsten  Fällen  sich 
leicht  in  ein  Nichts  auflöste.  Er 
hielt  nichts  von  der  Maxime:  „Alles 
verstehen,  heisst  alles  verzeihen". 
In  seinen  verabsolutierenden  Über- 
forderungen an  andere,  wenn  es  um 
die  Sache  des  Zionismus  ging,  oder 
um  seinen  oft  verkündeten  Satz: 
„Zionismus  ist  ausschliesslich  eine 
Frage  des  Charakters,  nicht  die 
Angelegenheit  einer  bestimmten  Ge- 
sinnung", war  er  unnachgiebig. 

Zum  Schluss  ausführlichere  Aus- 
züge aus  einem  langen  Brief  vom 
Dezember  1948,  der  Blumenfelds 
Stellung  zum  Staat  kurz  nach  seiner 
Gründung  beleuchtet  und  daher  von 
biographischem  Interesse  ist.  Er 
ist  nicht  an  mich,  sondern  an  einen 
anderen  Freund  gerichtet.  Aber  Blu- 
menfeld übersandte  mir  gleichzeitig 
eine  Abschrift.  Auch  hier  sind  in 
der  Wiedergabe  Bemerkungen  per- 
sönlicher  Art   ausgelassen   worden. 

Es  heisst  in  diesem  Briefe:  Ich 

hätte   Dir   viel   zu   antworten:    Ant- 


worten, mit  denen  man  einen  Band 
füllen  könnte,  und  wo  ich  immer 
wieder  stockte,  weU  Dir  so  viel  be- 
wusst  ist.  Den  Konflikt,  den 
Meinecke  in  seiner  „Idee  der  Staats- 
raison"  behandelt,  hat  ja  unter 
meinen  Bekannten  niemand  deutli- 
cher erfahren  als  Du:  Ich  denke  da 
an  den  Kampf  zwischen  politischer 
Intuition  und  Erkenntnis  und  dem 
Gott  in  der  eigenen  Brust.  Es  ist 
kein  Trost,  dass  da  noch  niemand 
ein  Rezept  erfunden  hat. 

Auch  der   Genius  des  jüdischen 
Volkes,    den    Du    im    israelitischen 
Prophetismus     bewunderst,     findet 
für  den  jeweiligen  Augenblick  kei- 
ne  befriedigende   Lösung.   Ob   man 
mit  Babel  geht  oder  mit  Mizrajim, 
wirkt    auf    uns    nicht    überzeugend. 
Heiliges     liegt     neben     Unheiligem 
dicht      beieinander,     und     grosser 
Ethos  wird  manchmal  auch  bei  den 
Gewaltigen  zu  moralischem  Verhal- 
ten für  praktischen  Gebrauch.  Deine 
Haltung   zur  Tagespolitik   war   mir 
bekannt,  und  ebenso,  dass  Du  Dich 
nicht  genierst,  einen  Irrtum  einzuge- 
stehen... 

...Zweimal  sagst  Du:  „Er  (Ben 
Gurion)  hat  recht  für  den  Augen- 
blick". Dem  möchte  ich  schon  des- 
halb nicht  widersprechen,  weü  man, 
wie  mir  scheint,  in  den  kleinen 
Verhältnissen,  in  denen  wir  leben, 
und  in  der  ganz  unübersehbaren 
Verschlungenheit  der  Geschehnisse 
bestenfalls  für  einen  verlängerten 
Augenblick   recht   haben   kann... 

...Ich    lebe    jetzt    drei    Jahre    im 
Lande  [er  war  aus  Amerika  zurück- 
gekehrt]  und  fühle  das,   wenn   ich 
Ereignisse   betrachte.    Ich   sehe   na- 
türlich oft  aus  der  Froschperspekti- 
ve, wo  Du  die  Möglichkeit  hastj  aus 
der   Stratosphäre   die   Welt   zu   be- 
gucken...   Gewiss    sind    die    Kriege 
in  dieser  Welt  des  mittleren  Ostens 
nur     Miniaturangelegenheiten,      ge- 
messen an  Zusammenstössen  euro- 
päischer Heere.  Aber  gerade  wenn 
man    das    weiss,    soll    man    nicht 
übersehen,    wie    Erstaunliches    auf 
müitärischem  Gebiet  geleistet  wur- 
de.   Experten    von    Rang    sind    zu 
Urteilen    gekommen,    die    sehr    be- 
merkenswert sind.  Es  ist  zwar  noch 
nicht  gelungen,  eine  Armee  zu  schaf- 
fen,   bei    der    grosse    Verbände    in 
geschulter  Form  manövrieren  kön- 
nen. Es  sind  aber  Gruppen  ausge- 
bildet   worden,    deren    Kampffähig- 
keit  so   stark   ist,   dass   auch   eine 
modern   ausgerüstete   Armee    einen 
Gegner  finden  würde,  der  ihr  ernst- 
lich  zu   schaffen   macht. 

Wir  sind  beide  keine  Strategen. 
Aber  da  ich  ein  alter  Delbrück-Schü- 
1er  bin,  der  sich  einmal  mit  der 
Geschichte  der  Kriegskunst  be- 
schäftigt hat,  habe  ich  manches 
verstehen  können.  Es  gibt  Leistun- 
gen, die  ich  am  Tage  der  Staats- 
gründimg für  unmöglich  gehalten 
habe... 

...Ob  ein  nationalistischer  Staat 
ein  Rechtsstaat  sein  kann,  ist  die 
Frage.  Es  ist  auch  die  Frage,  ob  ein 
kapitalistischer  Staat  ein  Rechts- 
staat sein  kann  und  ob  das  in  einem 
sozialistischen  oder  kommunisti- 
schen Staat  möglich  ist.  Iherings 
Wort  Recht  ist  die  Politik  der 
Macht,  das  er  im  Kampf  ums  Recht 
bekämpft,  aber  praktisch  immer 
wieder  anerkennt,  ist  eine  erschüt- 
ternde Mahnung. 

Uns  bleibt  immer  nur  der  Kampf 
ums  Recht,  und  ich  behaupte,  dass 
in  dem  Staat  Israel  dieser  Kampf 
ums  Recht  viel  wirksamer  und  mit 
viel  grösserem  Mut  geführt  wird, 
als  jeweils  von  den  wenigen  Pfar- 
rern der  Bekenntniskirche,  die  wag- 
ten, gegen  den  Strom  zu  schwim- 
men. Bei  dem  Untergang  von  Sodom 


hätten  zehn  Gerechte  die  Stadt 
retten  können.  Mir  scheint,  dass 
unter  den  120  Millionen  Grossdeut- 
schen nicht  genug  Gerechte  zu  fin- 
den waren,  um  die  Schale  der  Ge- 
rechtigkeit höher  steigen  zu  lassen. 
Thomas  Manns  Roman  Dr.  Fausti 
Wehklag,  obwohl  im  sicheren  Port 
geschrieben,  ist  ein  besserer  Anwalt 
für  das  deutsche  Volk  als  Deine 
Zeugen. 

Es  entspricht  meinem  Wesen, 
dass  ich  auch  in  den  Zeiten,  in 
denen  ich  dem  deutschen  Volk  Nie- 
derlage und  Untergang  wünschte, 
den  Hass  gegen  das  deutsche  Volk 
niemals  aufzubringen  imstande  war. 
Ich  habe  mich  in  jenen  Jahren  nicht 
geniert,  öffentlich  zu  fragen,  ob 
Gott  den  Juden  oder  den  Menschen 
geschaffen  hat. 

Oft  genug  habe  ich  mich  mit  der 
Frage  des  Nationalismus  herumge- 
schlagen, und  immer  wieder  emp- 
fand ich  Nationalismus  als  eine 
Krankheit  der  Nation.  Aber  es  er- 
scheint mir  sonderbar,  wenn  je- 
mand vom  Genius  des  jüdischen 
Volkes  in  ferner  Vergangenheit 
überwältigt  wird  und  gar  nicht 
merkt,  wieviel  wichtiger  es  ist, 
dieses  Volk  in  seiner  Not,  in  seiner 
Un Vollkommenheit  zu  lieben... 

...Klopstock  sagt:  Sei  nicht  allzu 
gerecht,  mein  Volk.  Ich  weiss  sehr 
gut  wie  ungeheuer  die  Aufgabe  ist, 
vor  der  wir  stehen,  und  wie  furcht- 
bar es  für  uns  sein  wird,  die  neue 
Volk  werdung  zu  erleben.  Da  kom- 
men Landstreicher  wie  in  der  Zeit 


des  dreissigjährigen  Krieges,  Figu- 
ren, wie  wir  sie  niemals  unter  Juden 
gekannt  haben,  und  stellen  sich  als 
gleichberechtigte  Mitglieder  des  jü- 
dischen Volkes  ein;  ein  Gesindel, 
kaum  zu  beschreiben. 

Und  gleichzeitig  höre  ich  und 
sehe  ich,  was  in  wenigen  Monaten 
aus  eingewanderten  Kindern  wird. 
Es  steckt  etwas  im  jüdischen  Men- 
schen; und  es  gibt  da  Menschen, 
junge  und  alte,  mit  denen  keiner 
von  uns  sich  messen  kann.  Wir  wer- 
den jeden  Tag  neu  geboren.  Es  ist 
die  Frage,  ob  ich  z.  B.  die  Kraft 
habe,  diesen  Prozess  mitzuerleben. 
Man  wird  müde,  und  es  ist  jeden- 
falls eine  grosse  Anstrengung,  im 
Herbst  der  Zeit  zu  leben,  in  der  wir 
gebildet  worden  sind..." 

Soweit  Auszüge  aus  diesem  Brief 
vom  Dezember  1948.  Ich  habe  in 
vielen  Briefen  geblättert  und  bestä- 
tigt gefunden,  was  ich  vor  einem 
Jahre  bei  einer  Askara  sagte.  In 
den  letzten  zwanzig  Jahren  vor  sei- 
nem Tode  behinderten  ihn,  den 
grossen  Redner,  Krankheiten  in  tra- 
gischer Weise.  So  war  er  auf  Briefe 
und  Gespräche  beschränkt,  —  jene 
Gespräche,  die  den  anderen  in  ihren 
Bann  schlugen,  denn  sie  sprachen 
mit  einem  Manne,  der  berufen  war 
und  sich  berufen  fühlte,  Führer  und 
Lehrer  zu  sein.  Und  viele  seiner 
Briefe  mit  ihrem  so  persönlichen 
Stil  sind  ein  manchmal  düsterer,  oft 
aber  ein  leuchtender  Ausdruck  die- 
ses seines  Bewusstseins,  dass  es 
seine  Aufgabe  war,  Wege  zu  weisen. 


PUBLIKATIONEN 
DES   LEO    BAECK  INSTITUTS 


KURT   BLUMENFELD 

ERLEBTE   JuDENFRAGE 


Ein  Vierteljahrhundert  deutscher  Zionismus 
Herausgegeben  und  mit  einer  Einführung   versehen   von 

Hans    Tramer 

IL  12.60 

FRITZ  HEYMANN 

DER  CHEVALIER  VON  GELDERN 

Eine   Chronik  der  Abenteuer  der  Juden 
Mit  einem  Vorwort  von 
Hermann    Kesten 

IL  18.60 

DEUTSCHES  JUDENTUM  —  AUFSTIEG 

UND    KRISE 

Gestalten,   Ideen,   Werke   —   Vierzehn   Monographien 

Herausgegeben  von 
Robert    Weltsch 

IL   15.— 

RAHEL    STRAUS 

WIR  LEBTEN  IN  DEUTSCHLAND 


Erinnerungen  einer  deutschen  Jüdin 
2.  Auflage 


GERMANIA  JUDAICA 

Band    I 
Von  den  ältesten  Zeiten  bis   1238 


IL  14.50 


IL  32.20 


MONATSSCHRIFT    FÜR    GESCHICHTE 
UND  WISSENSCHAFT  DES  JUDENTUMS 

83.  Jahrgang 
Neue    Folge    4  7.    Jahrgang 


IL  85.— 


BITAON     PUBLISHING     CO.     LTD. 

F.O.B.  1480,  Rambamstr.  15,  Tel-Aviv 


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1965 


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Ci^Uler arische   Weit    | 

Str^emann— Licht  und  Schatten 

Lebensbild  eines  grossen  Berliners  —  Von  Carl  NTisch 


Mein  Landsmann  und  Mit- 
schüler Gustav  Stresemann  war- 
tet, 35  Jahre  nach  seinem  Hin- 
scheiden, noch  auf  seinen  Plu- 
tarch.  Doch  halt!  Landsmann? 
Mitschüler?  Der  preussisch-deut- 
schen  Staatsangehörigkeit  hat 
mich  ein  robustes  Schicksal  be- 
raubt, aber  wir  stammen  beide 


Siegfriedens-Fanatiker.  um  dann 
zum  Träger  des  Nobel-Friedens- 
preises und  zum  Schmied 
deutsch-französischer  Verständi- 
gung aufzusteigen.  Eine  Welt  im 
Wandel  —  wer  wollte  den  tadeln, 
der  sich  da  nicht  wandelt? 

Hirsch  zögert  nicht,  Kritik  an 
/seinem  Helden  zu  üben,  mit  Vor- 
sicht und  Zurückhaltung,  wie  sie 


tiert^ 

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Vol 

im 

zehij 

stre'J 

einiv' 

sent 

StÜ'j 

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aus  dem  harten  und  nüchternen  Lder   enge   Rahmen    des    Buches 
Berlin,  wo  es  am  härtesten  und  ^hm   auferlegt,   aber  unmissver 


nüchternsten  war:  aus  der  Lui 
senstadt.  Auch  ich  bin  in  der 
Köpenickerstrasse  aufgewachsen, 
einen  knappen  Steinwurf  ent- 
fernt von  Stresemanns  Geburts- 
haus, und  auch  ich  wurde  auf 
das  Andreas-Realgymnasimu  ge- 
schickt, dessen  grösster  Alumnus 


ständlich.  Er  tadelt  Stresemanns 
Irrwege  im  Weltkrieg";  lehnt 
as  "ganz  unzeitgemässe  Tele- 
ramm"  an  Wilhelm  II.  zu  dessen 
0.  Geburtstag  (1919)  als  "Ge- 
chmackverwirrung"  ab;  stösst 
^ich  an  Stresemanns  "sonderba- 
rer Neutralität"  im  Kapp-Putsch, 


T  i 


Stresemann  war.  Gewiss,  ich  4  seinem  "letzten  grossen  innen- 
kam zwanzig  Jahre  danach,  aber  politischen  Irrtum";  vermerkt 
der  gleiche  Lehrer,  der  "einen  er-  ]  stresemanns  "romantische", 


heblichen  Einfluss"  auf  Strese- 
mann ausgeübt  hatte,  Professor 
Wolff,  war  mein  Geschichtsleh- 
rer, und  von  dem  so  erfolgrei- 
chen jungen  Politiker,  der  bereits 
in  den  Reichstag  eingezogen  war, 
sprachen  die  Lehrer  häufig  zu 
uns. 

All  das  kommt  mir  in  den 
Sinn,  da  ich  ein  Büchlein  durch- 
blättere, das  mein  Kollege  Felix 
Hirsch  soeben  (im  Muster- 
schmidt-Verlag, Göttingen)  über 
"Gustav  Stresemann  —  Patriot 
und  Europäer"  veröffentlicht,  in 
der  Reihe  "Politik  und  Ge- 
schichte" (Band  36),  ein  gediege- 
ner "Paperback"  von  112  Seiten. 
Es  ist  der  Vorbote  einer  "end- 
^Itigen"  Biographie,  die  Hirsch 
seit  Jahrzehnten  plant,  und  zu 
der  er  wie  kaum  ein  anderer  be- 
rufen ist. 

Hirsch  verehrt  seinen  Helden, 
das  ist  nur  recht  und  billig,  er 
fo^gt  ihm  mit  Nachsicht  und 
Verständnis,  und  das  muss  so 
sein.  Auf  die  Grossen  der  Wei- 
marer Republik  hat  die  Welt  im 
Wandel,  mit  der  sie  sich  wandeln 
mussten,  dunkle  Schatten  gewor- 
fen. Der  alte  Burschenschafter 
Stresemann,  der  dem  Freisinni- 
gen Eugen  Richter  den  Zoll  der 
Ehrerbietung  entrichtete,  wurde 
zum  Tirpitzjünger  und  AUdeut- 
söhen,  aum  Annekition isiten  und 


wirklichkeitsferne       Einstellung 
zum  Kronprinzen. 

Der  Mann  der  Tat,  der  prak- 
tische Politiker,  muss  sich  wan- 
deln dürfen.  Aber  war  der  Wan- 
del echt?  Viele  haben  daran  ge- 
zweifelt. Hirsch  geht  dem  Pro- 
blem nicht  aus  dem  Wege,  wird 
wohl  in  der  grossen  Biographie 
tiefer  in  es  eindringen.  Heute 
nennt  er  den  Brief,  den  Strese- 
mann 19i25  an  den  Kronprinzen 
richtete,  und  in  dem  er  die  Not- 
wendigkeit ausspricht,  vorerst  au 
"finassieren",  ein  "vielumstritte- 
hes  Dokument",  das  Stresemanns 
."Nachruhm  sehr  geschadet"  ha- 
be. Der  resignierten  Feststellung, 
"es  wäre  besser  gewesen,  wenn 
dieser  Brief  nicht  veröffentlicht 
worden  wäre",  fügt  er,  als  Nach- 
gedanken gleichsam,  hinzu: 
"noch  besser,  wenn  er  nicht  ge- 
schrieben worden  wäre." 

Die  grossen  Männer  der 
schichte  geben  Rätsel  auf.  S 
semann  macht  da  keine  Ausn 
me.  Trotz  allem  bleibe  ich  stol 
dass  er  mein  Landsmann  un 
mein  Mitschüler  war.  Die  Luisen- 
stadt ist  in  Asche,  das  Andreas- 
Realgymnasium,  vom  Volksmund 
als  "Stralauer  Akademie"  bespöt- 
telt, ist  dahin.  Geblieben  ist  das 
Andenken  an  einen  grossen  Sohn 
und  diesem  Andenken  dient  Felix 
Hirsch  in  treuer  Bescheidenheit. 


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Page  6 

fF.  Rosenstock 

IS  PUR  RECORD  REALLY  BAD? 


The  "  Ostjuden  "  in  Germany 


One  of  the  legends.  which  tend  to  develop  into 
uncontested  Statements,  is  that  of  the  alleged 
antagonism  with  which  the  Jews  from  Eastern 
Europe  were  received  in  Germany  by  their 
German-born  fellow  Jews.  The  legend  is  some- 
times  even  given  a  shint  in  the  light  of  the  events 
after  1933,  when  the  German  Jews  themselves, 
who  had  regarded  Germany  as  their  homeland, 
became  uprooted  refugees  and  it  was  their  turn 
to  depend  on  the  solidarity  and  hospitality  of 
Jews  in  other  countries.  Many  of  these  Jews  in 
America,  Palestine  and  England  were  themselves 
descendants  of  East  European  immigrants. 

What  are  the  actual  facts  ?  For  the  first  time 
they  have  been  systematically  recounted  and 
analvsed  in  a  comprehensive  book  published  under 
the  äuspjces  of  the  Leo  Baeck  Institute,  covering 
the  whole  period  from  1880  to  1940.* 

Nobodv  could  be  better  qualified  for  writing 
the  Story'  than  is  Mr.  Adler-Rudel.  Born  in  an 
eastern  outskirt  of  the  former  Austro-Hungarian 
monarchy,  he  held  an  important  position  in  the 
Organisation  of  constructive  work  for  the  Eastern 
Jews  under  the  Weimar  Republic.  He  also 
acquired  an  intimate  knowledge  of  the  mentality 
of  the  German  Jews.  If  he  js  now  the  director 
of  the  Jerusalem  oflfice  of  the  Leo  Baeck  Institute, 
it  is  certainly  not  only  due  to  the  fact  that  the 
differences  between  "  Jeckes "  and  other  Jews 
have  become  unimportant  in  the  light  of  the 
tragic  past.  but  also  because  he  has  become  one 
of  US.  Before  he  went  to  Israel,  Adler-Rudel 
lived  in  this  country  for  several  years.  and  took 
a  responsible  part  in  the  rescue  work  of  German 
Jews. 

An  Objective  Work 

The  particular  value  of  his  book  arises  out  of 
the    fact    that   it   is    based    not   only    on    existmg 
written  material,  but  also  on  personal  experiences. 
This    gives    the    story    colour    and    recreates    the 
atniosphere    of   the    events.      At    the    same    time. 
though   the  author's  emotions  are   involved,  it  is 
an   objective   work   of   historiography.      However. 
inasmuch  as  ihe  historian  is  to  some  extent  also  the 
judge  of  the  period  he  reviews,  otherwise  history 
books  would  be  only  compilations  of  documents, 
the   latter   Statement  calls  for  some   qualification. 
The     contention     that.     to     some     extent,     all 
indigenous  Jewish  populations  have  their  reserva- 
tions  against  an  influx  of  foreign  Jews,  is  hardly 
contestable.     It   particularly  applied  to  a  country 
such   as   Germany,   where   the   Jews   were   always 
in    a    somewhat    precarious   Situation.     Additional 
difficulties   may   have  arisen   from  both   the   simi- 
larities     and     differences     between     Yiddish     and 
German.     A  Yiddish-speaking  Jew  in  an  English- 
speaking   country   is.   in   the   eyes   of  the   man   m 
the    Street,   just    a    foreigner    like    a    Swede    or    a 
Frenchman.     In   Germany   he  is  considered   as   a 
man  who  speaks  a  "  corrupt  "  German.    This  lays 
him  open  to  contempt  or  to  mockery  on  the  part 
of  the  Gentiles  and  to  embarrassment  on  the  part 
of    German-born    Jews.      All    this    explams    that. 
while  there  was  every  readiness  to  help  finimcially. 
Ihere  was  in  some   quarters  reluctance  to  regard 
the  immierants  as  pofitical  and  social  equals.    The 
most   illuminating  example   of  this  attitude  given 
in    the   book    is   the   speech    of   the   representative 
of  the   Chemnitz  Jewish   Community   at   the   Con- 
ference   of   the    "  Deutsch-Israelitische    Gemeinde- 
tag"  in  1921.     Referring  to  the  fact  that  in  his 
communitv  of  4.000  Jews  the  vast  majority  (3  100) 
were    of  'foreign    origin.    he    said :     "  We    have 
sacrificed   hundreds   of   thousands   of   marks   for 
them    to  prevent  their  being  put  into  concentra- 
tion  camps.  .  .  •     We  are  prepared  to  grant  them 
everythine    yet  we   cannot   grant  them   franchise. 
We  cannot  admit  that  the  foreigners  rule  ovcr  us 

German  Jews." 

The  author  does  not  sneer  at  this  attitude  yet. 
to    some   extent.   he   records   it    in    a    reproachful 


way.     Having  gone  through   a  catastrophe   which 
did  not  differentiate  between  German  and  Eastern 
Jews,    it    scems    doubtful    whether   anyone    would 
express  views  of  this  nature  today.     Yet  we  have 
to  judce  them  in  context   with  the  circumstances 
of   those  days  and.   much   as   one   may   have  dis- 
acreed  with  them,  one  cannot  easily  dismiss  them. 
^Things  are  different  as  regards  the  utterances  of 
the   "Verband   nationaldeutscher  Juden".     In   an 
article  quoted  in  the  book,  its  founder  and  Chair- 
man,    Dr.    Max    Naumann,   goes   out   of   his   way 
to   explain    how   alien    the    "Ostjude"    is    to    the 
"  National-German "    Jew.      A    pogrom,    he   says, 
provokes  in   him   general    humun    sympathy    with 
the  victims.  yet  the  sufferings  of  German  prisoners- 
of-war  in  Africa  burn  his  own  skin.     Mr.  Adler- 
Rudel   States,   rightly,   that   the   groiip   was   small. 
He  is  also  correct  in  describing  them  as  "  extreme 
assimilationists".     Their    political    Propaganda    in 
German    public    life   certainly    lacked   dignity    and 
sclf-respect,  to  put  it  mildly.     Yet  does  it  not  go 
a    little    too    far   to    suggest,   as    the   author   does. 
that    the    group    "  negated    everything    Jewish  "  ? 
Like  the  majority  of  the  German  Jews.  the  present 
writer    dete&ted    the    views    and    activities    of    the 
"  Nuumann    Group ".     Yet    the    historian    must 
beware   of   Slogans   and    unjustified   exaggerations, 
and   we  cannot  get  away   from   the  fact   that,   by 
its   very    name,   the   group    proclaimed   its   Jewish 
identitv,   and   that  there   were   active  Jewish  com- 
munal'workers  amongst  its  leading  members. 

Having    dealt    with     such     minor    reservations 
which  come   to   mind   when   reading  the   book.   it 
can    be   stated   that,   both  in   the   factual   account 
and    in    the    analysis.    Mr.    Adler-Rudel    has    suc- 
ceeded   in    doing   outstanding  spade   work.     Also, 
those  amongst  us  who  have  been  active  in  German- 
Jewish     life.     will     learn    many     details     hitherto 
unknown    to    them.      The    author    records    that. 
alreadv   in    1910.  the   number   of  Jews   of  foreign 
nation'alitv   amounted   to   79,000.  i.e.    13%    of   the 
total   Jewish   population   of   615.000.     It  may   be 
mentioned,  in   passing,  that  Jews  of  non-German 
nationalitv    were   not   necessarily   foreign-born   as. 
contrarv  '  to     the     British     System,    German-born 
children  of  foreigners  did  not  automatically  acquire 
German    nationality.     Anyhow,   the   number   was 
higher  than  manv  of  us  may  have  assumed.  and 
it  grew  to  90,000  by  the  outbreak  of  the  First 
World  War.     There  was  an  influx  during  the  war 
yet    paradoxically.  not  by  sufferance  on  the  part 
of    the    German    authorities    but    at   their   express 
desire-    to  relieve  the  shortage  of  labour  m  Ger- 
manv     tens    of    thousands    were    hired    for    the 
German   war   industrv.     At   the  end  of  the   war. 
in    addition    to    the  '90.000    pre-war    imm'grants 
there     were     35,000     war     labourers     and     35.000 
prisoners-of-war    and    civil    internees,    altogether 
160.000. 

Statistical  Facts 


•  S       Adler-Rudel  :     Ostjuden     In     Deutschland      1880-1940. 

Schriftenreihe  wissenschaftlicher  Abhandlungen  des  Leo  Baeck 
instinite  of  Jews  from  Germany.  Foreword  by  Siegfried 
Moses  Published  by  J.  C.  B.  Mohr  (Paul  Siebeck).  Tübmgen. 
DM  21  for  members  of  the  Society  of  Friends  of  the  Leo 
Baeck   Institute,   21/-.   pIus   1/6  postagc. 


At  the  time  of  the  first  German  census  after 
the  war  (1925).  which  showed  a  total  Jewish 
Population  of  564.000.  the  number  of  foreign 
Jews  amounted  to  107,000  (19%).  The  proportion 
was  the  same  in  the  1933  census,  but  the  absolute 
figures  had  decreased  to  499.000  and  98.000  respec- 
tively  On  both  occasions  the  percentage  was 
hiebest  in  Saxonv  (65%  and  66%  respectively). 
and  the  cities  with  the  highest  percentage  of  foreign 
Jews  in  1925  were  Leipzig  (80%),  Dresden  (60%), 
Munich  (27%)  and  Berlin  (25%).  The  order  was 
the  same  in  1933.  except  that  the  percentage  in 
Berlin  (30%)  surpassed  that  of  Munich  (26%). 

As  Adler-Rudel  rightly  points  out.  it  is  a 
reflection  of  the  political  climate  of  Germany  at 
that  period  that  an  element  of  100,000  foreign 
Jews  in  a  total  population  of  63  million  people, 
sufficed  to  serve  as  an  important  political  weapon 
for  the  German  right-wing  parties.  The  author 
places  on  record  the  efforts  of  the  Central-Verein 
as  the  major  Jewish  Organisation  in  Charge  of 
the  combating  of  anti-Semitism  in  trying  to  dispel 
unfounded    attacks    and     prejudices    against    the 

Eastern  Jews.  .    .     .    ,.         .  .     *u 

The  major  part  of  the  book  is  dedicated  to  the 
work  of  the  Jewish  "  Arbeiterfuersorgeamt    ,  which 


AJR  INFORMATION  December,  1959 

was  set  up  jolntly  by  the  leading  German-Jewish 
organisations  and  the  representative  bodies  of  the 
immigrants  from  Eastern  Europe.  The  "Arbeiter- 
fuersorgeamt "  was  in  charge  of  the  protection  of 
the  immigrants'  political  and  legal  Status,  their 
economic  absorption  and  their  welfare  needs.  By 
its  verv  nature,  this  work  went  beyond  the  Jewish 
Philanthropie  activities  in  pre-war  Germany.  At 
the  same  time,  it  served  as  a  Stimulus  by  means 
of  which  the  entire  System  of  German-Jewish 
welfare  work  was  eventually  revolutionised.^^  To 
no  lesser  degree.  the  meeting  between  "  East  "  and 
•'  West  "  also  made  its  impact  on  Jewish  cultural 
work.  The  "  Volksheim  "  in  the  Dragonerstrasse, 
which  was  opened  in  1916  with  an  address  by 
Gustav  Landauer  and  which  was  meant  as  a  kind 
of  settlement  for  Eastern  Jews  in  the  district. 
attracted  many  younc  German  Jews  who.  for  the 
first  time.  cot  '  an  intimate  knowledge  of  the 
unbroken  Jewishness  of  the  newcomers.  Directly 
or  indirectly,  the  Jewish  youth  movement  (not 
only  its  Zionist  section).  bcnefited  from  this 
experience. 

Position  of  Intellectuals 

Perhaps    the    most    interesting    chapter    in    the^ 
book    is    that    dealing    with    the    position   of    me 
intellectuals,  if  only   because  very  little  has  been 
written  about  them  before.     It  is  noteworthy  that 
the      Historical     and     the     Economic     Statistical 
Departments   of    the    Juedische   Wissenschaftliche 
Institut  in  Wilna  (Yivo)  had  their  seats  in  Berlin, 
including   among   their   members   .Simon    Dubnow 
and    Jacob    Lestschinsky.      Also,    the    journalists 
Berl  Locker  and   H.  Swet  Hved  in   Berlin,  as  did 
the  Yiddish  authors  A.  N.  Stenzl  and  the  brothers 
J    and  A.  Steinberg,  the  Hebrew  poets  S.  Schneur 
and    S.    Tschernichowski,    and    the    philosophers 
J.   Klatzkin  and   M.  Soloweitschik,  to  quoto  only 
some  names  at  random.     Periodicals  (though  some 
of    them    short-lived)    and    Publishing    enterpnses 
were  founded  and,  during  the  first  post-war  years. 
Germany  was  second  in  the  world  in  the  produc- 
tion  of  Yiddish  books.     All  these  ventures  were 
also  supported  by  the  leading  Jewish  organisations 
Of   the   great   amount   of   rngiäii^Mlg^oi^ifd   in 
the   book.  some  items  ci^i  rbr  special   rele    ^ 
There  was  the  decree  of  the  Prussian  Minist.^r 
the  Interior,  Wolfgang  Heine,  of  November  ,9!   .  _  .^ 
instructing  the  regional  authorities  of  his  Min.str>,.r^< 
not  to  expel  foreign  Jews  as  a  rule,  in  spite  of  the 
economic     crisis.       The     decree     also     gave     he 
"Arbeiterfuersorgeamt"    an    olficial    Status    as  a 
consultative   body   in   the   policy   towards   forein 
Jews.    There  is  a  description  of  the  atrocities  coi. 
mitted  by  the  guards  in  the  Cottbus  and  Stargai 
internment  camps.  into  which   foreign  Jews  wer 
thrown  as  "  undesirable  aliens  "  when  the  politica 
Situation  started  to  deteriorate  in  1921. 

One  of  the  aspects  rightly  referred  to  by  Adler- 
Rudel    is    the    fact   that    the    experience    gathered 
in  the  constructive  work  on  behalf  of  the  Eastern 
Jews  in  Germany  was  of  the  greatest  value  to  the    ^ 
German  Jews  when,  in   1933.  they  were  upror>t€:i^   ^ 
and   required  support  and  vocational  training. 

Apart  from  its  practical  relevance.  it  is 
impossible  to  read  this  book  without  being  con- 
stantly  tempted  to  compare  the  similarities  and 
differences  between  the  fate  of  the  Eastern  Jevs 
in  Germany  and  that  of  the  German  Jews  at  the 
time  of  the  catastrophe.  The  book  also  excels  in 
clarity  and  conciseness. 


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^ 


AJR   INFORMATION  December,  1959 


THE  MARTIN  HEIDEGGER  GASE 


\\ 


i 


How  was  it  possible  that  Professor  Martin 
Heidegger,  a  scholar  of  international  repute  and  a 
philosopher  of  great  merit,  accepted  the  Rectorate 
of  Freiburg  University  from  Hitlef  s  hands  in  1933 
and  took  over  the  chair  held  until  then  by  his 
friend,  Edmund  Husserl,  the  great  Jewish  thinker, 
who  had  recommended  him  as  his  successor  ?  In 
his  inaugural  speech  he  hailed  the  new  regime  in 
glowing  terms,  but  in  all  later  editions  of  his  princi- 
pal  work,  "  Sein  und  Zeit  ",  he  omitted  the  original 
dedication  to  Husserl,  whom  he  never  mentioned 
again.  Paul  Hühnerfeld  gives  us  the  answer,  not 
only  to  this  case  but  also  to  many  similar  short- 
comings  on  German  thinking  in  recent  years.*  This 
critical  and  unbiased  book  points  out  some  of  the 
dangers  inherent  in  certain  aspects  of  German 
scholarship  and  character. 

"  The  Man  without  a  Life  Story  " 

Hühnerfeld  tries  to  piece  together  biographical 
facts  about  Heidegger  which  the  philosopher 
deliberately  keeps  in  the  dark  in  order  to  Surround 
himself  with  my&tery — "  the  man  without  a  life 
^.o-o'  "  as  he  likes  to  call  himself.  However,  he 
has  a  biography  and  it  explains  many  of  his  actions 
and  ideas.  He  was  born  in  Messkirch,  in  the  Black 
Forest,  a  Roman  Catholic,  but  he  gave  up  his  theo- 
logical  studies  and  became  a  philosopher.  When 
he  was  34  he  was  made  a  lecturer  at  Marburg 
University,  and  his  main  work  was  published  at 
that  time.  After  he  had  been  appointed  Rector  at 
Freiburg  University  and  after  his  speech  on  the 
"  self-preservation  of  the  German  University  "  his 
enthusiasm  for  the  Führer  soon  faded,  and  from 
about  1936  he  made  biting  remarks  about  Nazism. 
Later  on  Heidegger  became  "  undesirable "  as  an 
author,  and  the  publication  of  some  of  his  works 
was  forbidden.  The  Nazis  probably  feared  that  the 
intellectual  force  of  this  strong  mind  might  blow 
their  shallow  ideology  to  pieces.  The  philosopher, 
on  the  other  band,  feit  that  Hitler  would  not  lead 
the  nation  into  the  nothingness  worked  out  by  his 
speculation  but  into  a  different  kind  of  chaos. 
rr*iafter-the^"iTb«ifvtion,  the  French  occupied 
lern  Germany,  they  suspended  him  from  his 
Jtureship.  He  is  now  Emeritus  Professor  but  is 
j,iill  holding  a  private  seminar  to  which,  according 
to  Hühnerfeld,    only    some    chosen    disciples    are 

adrriitted.  •      .     ,,  -j 

Üühnerfeld  does  not  underestimate  Heideggers 
gejius,  his  penetrating  mind  and  originality.  He 
('.»CS  not  deny  that  the  philosopher  has  given  us  a 
ttep  insight  into  the  problems  of  existence,  making 


•  Paul  Hühncrfeld.     In  Sachen  Heidegger.     Versuch  über  ein 
eotsches    Genie.      Hoffmann    und    Campe    Verlag.      1959. 


IP 


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GEORGE  WULFF 

PHOTOGRAPHY 


FASHION 


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PORTRAITURE 


i 


CLARGE8  ST.,  LONDON,  W.1 


CROs^rnor  4746 


man  and  his  being-in-the-world  the  starting-point 
of  his  thinking.  He  has  created  a  language  of  his 
own,  difficult  to  understand  but  capable  of  express- 
ing  intangible  ideas.  (His  concern  with  language 
and  his  effort  to  go  back  to  the  roots  of  words  in 
Order  to  reach  the  origins  of  the  "  collective  soul " 
brought  him  dangerously  near  to  Hitler's  idea  of 
language  as  a  means  of  "  clarifying  "  facts  beyond 
the  limits  of  what  can  be  proved  logically,  as 
expressed  in  "  Mein  Kampf ".)  Together  with 
Jaspers.  Heidegger  brought  about  the  revival  of 
great  names  like  that  of  Kierkegaard  and  Bergson. 

What  accounts  for  the  philosopher's  stränge  atti- 
tudc  under  Nazi  rule?  He  was  probably  serious  in 
his  plea  for  the  preservation  of  the  universities, 
which  were  in  danger  of  being  swallowed  up  by  the 
party-machine  because  they  were  considered  as 
too  exclusive  and  "  reactionary  ".  He  very  subtly 
compared  the  students'  Service  for  learning  with 
that  of  the  labour  corps  and  the  army.  But  the 
author  thinks  Heidegger's  temporary  conversion  to 
Nazi&m  was  no  "  ephemeral  error  ",  as  one  of  his 
apologists  has  called  it. 

One  of  the  reasons  for  his  attitude  is  his  enig- 
matic  Personality.  He  is  a  typical  Black  Forester  ; 
subtle,  Stubborn,  and  gloomy,  an  enemy  of  life 
"  when  it  is  not  heavy  and  sombre ".  His 
"  barbaric  "  provincialism,  as  Hühnerfeld  terms  it, 
went  so  far  that  he  declined  two  offers  of  a  chair 
in  Berlin  at  a  time  when  everybody  would  have 
been  glad  to  teach  at  that  centre  of  European 
intellectual  life.  There  is  a  certain  narrow-minded- 
ness  about  his  sticking  to  his  native  soil,  which  he 
symbolises  by  sometimes  wearing  a  fancy  peasant's 
costume.  Apart  from  his  vanity  and  authori- 
tarianism  where  his  ideas  are  concerned,  he  is  a 
lonely  man :  the  Nazis  deprived  him  of  his  friend- 
ship  with  Husserl,  Jaspers  lost  his  post  because  he 
did  not  comply  with  the  Nazi  doctrine,  and  one  of 
his  few  pupils,  Karl  Löwith,  emigrated. 

Affinity  to  Nazism 

Heidegger  and  the  Nazis  had  several  things  in 
common :  there  was  a  difference  of  level  but  not  of 
kind.  Nazism  cannot  be  called  a  philosophy,  it 
is  true :  "  National  Socialism  is  neither  a  philo- 
sophy nor  a  way  of  life  ;  it  originated  from  the 
German  middle-class  conception  of  the  world, 
hatched  out  on  plush  sqfas  and  practised  in  the 
gas  Chambers  of  Auschwitz.  It  is  a  horrifying 
tangle  of  the  romanticism,  nationalism,  and  the 
anti-Semitism  in  the  mind  of  the  German  ordinary 
man  between  1890  and  1933."    (Hühnerfeld.) 

Both  the  Nazis  and  Heidegger  hated  the  19th 
Century  to  which  they  owed  so  much,  and  wanted 
education  to  be  a  preparation  for  "the  destiny 
of  the  nation",  for  self-sacrifice.  Reason  was  to 
be  replaced  by  the  irrational ;  academic  freedom  by 
Service.  The  philosopher  was  temporarily  on 
Hitler's  side  because  the  dictator  seemed  to  him  to 
be  a  "Werkzeug  des  Seins".  Heidegger's  philo- 
sophy of  existence,  published  some  years  before 
Hitler's  Coming  to  power,  denied  the  achievements 
of  civilisation  and  scientific  discovery  and  called 
man  back  to  the  inevitability  of  his  fate.  Man 
must  face  nothingness  and  death  with  resignation 
and  courage.  Death  and  nothingness!  "  Jwo 
poles  which  are  dangerous  for  the  German  spirit! 
.  .  .  A  few  years  afterwards  the  most  terrible 
despisers  of  life  were  to  take  German  fate  into  their 
own  hands.  Is  it  really  surprising  that  Heidegger 
stQod  in  their  camp?"  The  author  goes  deep  into 
the  German's  preoccupation  with  the  idea  of  death 
and  quotes  Clemenceau's  words  about  the  lack  of 
realism  in  the  German  soul  and  their  love  of  self- 
destruction. 

It  is  Paul  Hühnerfeld's  aim  to  show  his  com- 
patriots  how  necessary  it  is  to  face  facts,  and  to 
lead  them  away  from  the  dangers  of  romantic 
irrationalism.  Friedrich  Wilhelm  Foerster,  the 
octogenarian  pedagogue  who,  during  a  Jifetime, 
fought  for  ethical  principles  and  religious  tolerance 
sometimes  against  great  odds,  says  in  his  recent 
book  on  "  Die  Hauptaufgaben  der  Erziehung 
(Herder,  Freiburg  1959):  "  We  need  pedagogues 
and  youth  leaders  today  .  .  .  who  have  trained 
themselves  realistically  .  .  .  and  know  that  every 
idealism  which  has  not  gone  through  a  realistic 
discipline  leads  to  every  kind  of  swindle  and 
escapism."  These  simple  words  express  most  aptly 
the  lesson  taught  by  the  Heidegger  case. 

ERNST  KAHN. 


Page  5 

Old  Acquaintances 

Home  ISetcs:  Lucie  Mannheim  has  received  the 
Great  Gross  of  Merit  for  her  post-war  Services 
for  tiie  German  theatre. — Oskar  Kokoschka  came 
to  London  to  execute  a  portrait  of  the  publisher, 
Sir  Stanley  Unwin. — ^Gustav  Regler's  auto- 
biography,  "The  Ovvl  of  Minerva",  has  been 
published  by  Heinemann. — Otto  Heller  is  shoot- 
ing  Michael  PowclTs  "  Peeping  Tom ",  starring 
Moira  Shearer  and  the  Continental  actor  Karl- 
heinz Boehm,  a  son  of  the  wcll-known  Viennese 
conductor.-  -German  actress  Erika  Remberg  will 
appear  in  "  Cjrcus  of  Horror",  starring  Anton 
Diffring. — Bernard  Grün  dedicated  the  German 
edition  of  his  book,  "  The  Private  Livcs  of  the 
Great  Composers ",  published  jn  Vienna  under 
the  title  "Durchs  Notenschluesselloch  betrachtet", 
to  O.  M.  Fontana. — Herbert  Lom.  Gerard  Heinz 
and  Karel  Stepanek  visited  Munich  to  appear  in 
the  Wernher  von  Braun  film  Lee-Thompson  is 
directing  for  Columbia. — Martin  Miller,  who  made 
a  successful  appearance  in  Anthony  Asquith's 
"  Libel ",  appeared  with  Marianne  Decming- 
Kupfer  in  Rice's  "  Street  Scene  "  on  l.T.V.  lately. 

Milcstones:  Rudolf  Förster  is  75  years  old. 
The  last  "  first  gentleman  "  of  the  German  theatre 
made  a  name  for  himself  when  he  appeared  in 
Zuckmayer's  "  Pankraz  erwacht "  in  Bcrlin's 
Junge  Buehne.  and  became  Elisabeth  Bergner's 
screen  partner. — Dance  comedian  Egon  Brosig  is 
70  years  old. 

The  Iffland  Ring:  Three  days  after  Werner 
Krauss's  death  in  Vienna  last  month.  his  widow 
published  a  letter  by  the  actor  in  which  he  gave 
the  Iffland  Ring  to  Josef  Meinrad.  46-year-old 
member  of  the  Burg,  unknown  outside  Austria. 
Albert  Bassermann,  the  last  rightful  owner  of 
that  highest  honour  of  a  German  actor.  wanted 
to  name  Girardi.  Pallenberg  and  Moissi  as  his 
successors  but  they  died  before  him.  So  the 
Ring  went  to  the  Viennese  theatre  museum  for 
the  duration  of  the  Third  Reich.  Krauss  received 
it  only  in  1954 — from  whom  it  is  not  known. 

U.S.A.:  Maria  Fein.  Uta  Hagen.  Lotte  Lenya, 
Renate  Mannhardt,  Grete  Mosheim.  Herbert  Berg- 
hoff, Martin  Kosleck,  Ludwig  Roth,  and  Maxi- 
milian Slater-Schulz  took  part  in  a  Schiller 
recital  at  the  New  York  City  Hall. — German 
actor  Horst  Buchholtz  and  Franz  Molnar's  widow, 
Lilli  Darvas,  appeared  on  Broadway  in  "  Cheri  ". 
— Arnold  Marie  of  London  appeared  in  Paddy 
Chavefeskv's  "The  Tenth  Man  ".— Henrv  Koster 
(n6  Kosteflitz)  will  direct  "  The  Story  of  Ruth ", 
with  Israeli  actress  Elana  Eden,  a  member  of 
Habimah,  in  the  lead. — Rolf  Gerard  arrived  in 
New  York  to  do  the  d^cors  for  Anouilh's  "  Fight- 
ing Cock ",  starring  Rex  Harrison  and  directed 
bv  Peter  Brook. — Oscar  Homolka  received  an 
offer  to  Star  in  William  Dieterle's  first  German 
post-war  film,  "  Herrin  der  Welt  ". — Franz  Schulz- 
Spencer's  play,  "The  Villa  of  Madame  Vidac ", 
had  a  run  of  thirteen  Performances  off  Broadvyay. 
— Kitty  Mattern  returned  from  German ^  to  join 
her  husband  Sigi  Arno,  who  is  working  in  TV. 

Obituary:  Liesel  Martin,  ex-wife  ol  the  late 
Karl  Heinz  Martin,  died  in  London. — 64-year  old 
Arnolit  Bronnen  died  in  Fast  Berlin  ;  the  author  of 
"  Vatermord ",  in  which  Elisabeth  Bergner  got 
her  first  chance  in  Berlin,  was  an  ardcnt  Nazi  and 
became  a  Communist  after  the  war.  The  actor 
Theodor  Danegger  died  in  Vienna  at  the  age  of 
68.— Henny  Porten's  husband.  Dr.  Wilhelm  von 
Kaufmann,  died  in  Berlin  ;  for  a  time  he  ran 
*'  Wigger's "  in  Garmisch. — 50-year  old  actress,] 
Margarete  Melzer,  died  in  Munich. 

Israel:  Hans  Jaray  of  Vienna  directed  Georf 
Kaiser's  "Tanka,  the  Soldier  "  at  the  Ohel  Theatre.{ 
—Joseph  Milo  produced  F.  Duerrenmatt's  "Visit 
of  an  Old  Lady"  for  Habimah,  with  decor  by 
Theo  Otto.— Otto  Seiberg,  former  conductor  of 
Danzig's  Opera  House,  who  was  earning  his  living 
by  teaching  music,  died  at  the  age  of  81  in  Haifa. 

Vienna:  Hans  Thimig  was  elected  director  of 
Reinhardt's  school  for  actors.— Lyda  Baarova,  the 
Czech  actress  who  was  connected  with  the  late 
Dr.  Goebbels,  will  star  in  "Ein  klarer  Fall"  at 
the  Renaissance-Theater.— Daisy  Spiess,  former 
choreographer  of  the  Berlin  Opera,  will  produce 
Egk's  "L'oiseau"  in  Linz.— Kurt  Horwitz  received 
the  Kainz  Medal.— Hans  Albers  will  perform 
Spolianski's  musical  version  of  Zuckmayer's 
"Katharina  Knie"  at  the  Raimund-Theater. 

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Page  4 

¥ril%  Frietilander  (Melbourne) 


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FRIEDRICH  MEINECKE 


Centenary  of  His  Birth 


"  Sein  Geist  ist  zweier  Zeiten  Schiacht- 
gebiet  "  (Conrad  Ferdinand  Meyer  :  "  Haltens 
teilte  Tage'') 

In  M^,  1917,  when  Germany's  fate  was  at 
stake  durifiR  thc  First  World  War,  Friedrich 
Meinecke  lectured  publicly  on  the  idea  of  German 
liberty.  The  large  hall  of  the  Prussian  Diet  in 
Berlin  where  the  lecture  took  place  was  crowded, 
for  the  eminent  historian  commanded  the  attention 
of  t^e  educated  German. 

As  an  accomplished  philosopher.  Meinecke 
sut3*jected  the  various  changes  in  the  German  idea 
of  liberty  to  a  close  psychological  analysis.  finally 
dlawing  two  remarkable  conclusions. 
'  On  the  one  hand  he  protested — though  not 
unreservedly — against  the  rigid  hegemony  of  the 
Prussian  Junkercaste  and  demanded  equal  fran- 
chise  for  Prussia.  Although  he  conceded  that  the 
Junkercaste  had  "  rcndercd  unforgettable  Service 
to  the  construction  of  our  military  potential  and 
has  given  us  a  Bismarck ",  he  nevertheless 
exclaimed :  "  We  in  Prussia  no  longer  want  to  be 
governed  by  Junkers  and  students  corps!" 

On  the  other  hand,  he  said :  "  Shall  we  look 
upon  the  System  of  parliamentary  democracy  as 
something  which  has  to  be  claimed  for  the  liberty 
of  the  German  nation  ?  I  answer  emphatically : 
No!" 


Conservative  Background 

Thus  we  see  the  deep-rooted  cbntradiction  in 
Friedrich  Meinecke*s  political  thinking.  His 
reason  told  him  that  a  thorough  political  and 
social  reform  of  Imperial  Germany  was  necessary, 
but  his  sentiment  prevented  his  ridding  himself 
of  the  impact  of  the  past  and,  while  pursuing  the 
path  of  modern  evolution,  he  failed  to  reconcile 
the  past  with  the  present. 

Meinecke,  born  on  October  30th,  1862,  in  the 
small  town  of  Salzwedel  (Altmark),  came  from  a 
cultured  family  of  Prussian  State  oflficials,  and  the 
atmosphere  in  which  he  grew  up  was  imbued  with 
a  strictly  Prussian-Conservative  and  a  more 
eiilightened  Protestant  spirit.  The  young 
Meinecke  received  a  high-school  education  in 
Berlin,  and  afterwards  studied  history  and  philo- 
sophy  at  the  universities  of  Berlin  and  Bonn.  He 
then  served  as  an  assistant  at  the  Prussian  State 
Archives,  where  he  acquired  his  considerable  skill 
in  research.  His  first  comprehensive  work  was  a 
masterly  biography  of.  the  Prussian  Field-Marshal 
von  Boyen  (1896-98),  which  gave  him  an  opening 
for  an  academic  career.  After  a  short  time  as  a 
Privatdozent  in  Berlin,  he  was  successively 
appointed  Professor  at  the  universities  of  Stras- 
bourg (1901),  Freiburg  (1906)  and  Berlin  (4914), 
where  he  taught  until  his  retirement  in  1928. 

According  to  his  own  testimony,  he  was,  as  a 
young  man,  temporarily  impressed  by  the  anti- 
semitic  movement  of  the  Stoeckef  period,  but  in 
the  main  he  was  thrilled  by  the  glory  of  the  newly 
founded  Bismarckian  Reich  ;  under  its  spell  he 
wrote  his  first  magnum  opus,  which  made  his 
reputation:  "Weltbürgertum  und  Nationalstaat- 
Studien  zur  Genesis  des  deutschen  National- 
staates" (1907).  This  was  not  only  a  brilliant 
analysis  of  the  forces  that  ultimately  led  to  the 
foundation  of  the  Reich,  but  was  also  an  equally 
brilliant  interpretation  of  the  tensions  between 
Prussia  and  tho  other  parts  of  Germany. 

But  this  masterpiece  also  revealed  the  extent  of 
the  author's  dependency  on  his  Conservative  back- 
gj-ound  for,  apart  from  occasional  glances  at 
cf(ampions  of  the  Liberal  or  Democratic  ideology, 
th^  author's  attention  was  mainly  focused  on 
chpnges  in  the  Conservative  ideology  from  the 
en^  of  the  eighteenth  Century  up  to  modern 
tintes. 

pespite  his  leanings  to  Conservatism  and  his 
loyalty  towards  the  Hohenzollern  dynasty. 
Memecke  increasingly  became  a  prey  to  doubt 
as  We  experienced  the  blunders  of  Kaiser  Wilhelm 
ir^  \amateurish.   arbitrary   and   autocratic    policy. 

\ 


His  doubts  were  shared  by  another  eminent  his- 
torian of  the  Berlin  üniversity  who  had  also 
abandoned  his  former  Conservative  point  of  view, 
Hans  Delbrück.  Both  men  were  convinced  that  a 
grave  domestic  crisis  was  looming  in  Germany, 
unless  the  excessive  Privileges  of  policy-making 
exercised  by  the  ruling  classes  were  curtailed.  In 
Berlin,  during  the  First  World  War,  a  group  of 
like-minded  progressive  intellectuals  gathered 
around  both  historians.  This  circle  was  in  sym- 
pathy  with  Chancellor  von  Bethmann  Hollweg  and 
supported  his  policy,  striving  for  a  reasonable 
peace  and  a  moderate  domestic  reform. 

Weimar  Repubiic 

When  the  unfortunate  Weimar  Repubiic  was 
forced  to  fill  the  vacuum  left  by  the  disintegration 
of  the  Hohenzollern  empire,  Meinecke,  although  a 
monarchist  at  bottom,  backed  the  German  Demo- 
cratic Party.  Addressing  the  Berlin  students  in 
1 925,  he  warned  them  of  the  danger  of  a  politically 
reactionary  romanticism  and  exhorted  them  to 
accept  the  new  form  of  German  State.  But  his 
Speech  radiated  a  cool  and  rational  spirit  that 
disillusioned  academic  youth. 

The  product  of  this  period  was  another 
magnum  opus:  "Die  Idee  der  Staatsräson  in  der 
neueren  Geschichte "  (1924),  a  profound  and 
striking  account  of  the  wicked  developments  of 
the  idea  of  power-politics  in  modern  times. 
Meinecke  depicts  the  age-old  struggle  between 
morals  and  politics  ;  how  Machiavelli,  a  true  son 
of  the  Renaissance,  first  formulated  the  doctrine 
of  the  use  of  power  regardless  of  morals  ;  how 
his  doctrine  was  attacked  in  theory,  but  put  nith- 
lessly  into  practice  in  the  history  of  modern 
Europe,  ,  and  ultimately  expanded  by  German 
thinkers  from  Hegel  to  Treitschke  into  a  system 
which  morally  vindicated  power-politics. 

And  Meinecke's  personal  stand  ?  On  the  one 
hand  he  wamed  against  the  principles  of  Machia- 
vellism,  but  on  the  other  hand  he  regretted  that 
there  was  no  German  statesman  during  the  First 
World  War  capable  of  unscrupulously  applying 
Machiavelli's  recipes  for  Germany's  sake. 

For  this  reason  Friedrich  Wilhelm  Foerster,  the 
apostle  of  a  truly  Christian  idea  of  peace,  took 
exception  to   Meinecke's  attitude. 

Defylng  Hitler 

Nevertheless.  Meinecke  stood  the  test  after 
Hitler's  seizure  of  power,  Under  the  heading 
"  Von  Schleicher  zu  Hitler  "  he  wrote  a  leader  in 
the  "Berliner  Volkszeitung",  in  which  he  described 
Hindenburg's  action  in  dismissing  Reich  Chan- 
cellor von  Schleicher  and  appointing  Hitler  as  a 
fatal  mistake.  Although  the  Nazis  consequently 
forced  him  to  give  up  the  editorship  of  the 
"  Historische  Zeitschrift "  and  dissolved  the 
"  Historische  Reichskommission  "  headeij  by  him, 
one  of  their  leadine  historians,  Professor  Walter 
Frank,  conceded  that,  as  a  scholar  and  as  a 
Personality,  Meinecke  was  worthy  of  the  highe&t 
respect,  but  was  out  of  touch  with  his  time. 

This  Nazi  scholar  said  the  right  thing  for  the 
wrong  reasons.  Despite  his  rational  concessions 
to  democracy.  Meinecke  was  a  conservative- 
minded  aristocrat  who  failed  to  advocate  the  vital 
co-operation  of  the  middle  and  the  working  classes 
in  the  Weimar  era.  It  was  on  the  same  grounds 
that  he  also  rejected  the  Third  Reich,  afraid  of  a 
possible  mob  rule  by  S.S.  thugs.  While  the 
Weimar  democracy  promised  to  embody  the 
potcntiality  of  the  mass  era,  and  the  Nazi  dictator- 
ship  expressed  its  evil  spirit,  Meinecke's  hereditary 
Prussianism  reacted  to  both  with  a  sense  of  dis- 
comfort. 

How,  in  his  opinion,  did  Hitler  get  to  the 
heim  ?  In  his  book  "  Die  deutsche  Katastrophe  " 
(1946)  Meinecke  stated  that  Hitler  succeeded 
through  the  support  of  a  strong  youth  movement 


AJR  INFORMATION  November.  1961 

which,  though  idealistic,  was  entireh  inimature^ 
politically.  In  this  work  Meinecke  made  this 
concession:  "But  it  is  also  a  political  and  his- 
torical  duty  of  conscience  to  pass  judgment  on 
one 's  own  seif  and  on  one 's  own  former  ideals 
and  to  test  as  far  as  possible  without  prejudice  thc 
new  ideals  offered  to  us  Germans "  (p.  71  ; 
English  edition). 

But  unfortunately  he  did  not  raise  the  question 
of  whether  the  teachers  at  the  prc-Hitler  German 
schools  and  universities  might  not  be  held  respon- 
sible  for  this  political  immaturity  of  the  Hitler 
youth. 

The  Jewish  Question 

While  the  fury  of  Jew-hatred  was  ra^ging  in 
Germany,  Meinecke  was  not  oblivious  of  the  fact 
that  quite  a  few  of  his  trusted  pupils  were  Jewish, 
or  of  Jewish  origin.  Among  them  was  a  man  of 
genius  held  by  him  in  the  highest  esteem,  Fraaz 
Rosenzweig,  whose  classical  monograph,  ''Hegel 
und  der  Staat ",  was  dedicated  to  Meinecke  and 
gave  him  powerful  Stimulus  for  his  own  research. 
It  is  certainly  to  Meinecke's  credit  that  he 
remained  loyal  to  his  Jewish  friends  and  pupils. 
All  the  more  is  his  Statement  on  the  Jewish  ques-  ' 
tion  in  "Die  deutsche  Katastrophe"  open 
doubt: 

"The  antisemitic  movement  at  the  beginni 
of  the  'eighties  brought  the  first  flash  of  ligl 
ning.    The  Jews,  who  were  inclined  indiscree 
to  use  the  favourable  economic  Situation  i 
smiling  upon  them,  had  since  their  füll  ema 
pation  aroused  resentment  of  various  sorts 
contributed  much  to  that  gradual  depreciatil 
and  discrediting  of  the   liberal  world  of  id 
that    set    in    after    the    end    of   the    nineteet 
Century.  The  fact  that  besides  their  negative  ai 
disintegrating    influence    they    aho    achieved 
great  deal  that  was  positive  in  the  cultural 
economic   life   of  Germany,  was   forgetM.    , 
the  mass  of  those  who  now  attacked  the  dama 
done  by  the  Jewish  character"  (p.  15;  Engl 
edition). 

It  is  perfectly  true  that  thc  antisemitic  movemci 
of  the  Stoecker  era  harbingered  the  catastrophe 
European  Jewry  in  the  Hitler  era,  but  thc  cc^ 
clusion  drawn   by   Meinecke  does   not  take   into, 
account  that  (1)  there  had  not  been  a  füll  eman*' 
cipation    of    the    Jews    in    Imperial    Germany ; 
(2)  Jewish   business  men,  e.g.,  Carl  Fürstenberg* 
James  Simon,  Eduard  Amhold,  in  retum  for  the 
favour  of  an  "economic  Situation   smiling  upon^, 
them",  donated  vast  sums  of  money  to  charityv 
and  most  valuable  art  treasures  to  the  public  art 
galleries  ;  (3)  the  bulk  of  the  Jews  in  Germany 
were  hard-working  and  absolutely  honest  middle- 
clas«  people  ;   (4)  it  was  unfair  to  bürden  these 
people  with  the  responsibility  for  misdeeds  of  a 
limited    number   of   wrongdoers  ;    (5)   no    Jewish 
writer  has  "contributed  to  that  depreciation  and 
discrediting    of    the    liberal    world    of    ideas "    as 
much  as  Nietzsche  did  with  his  merciless  attack    F  ^x  _ 
on  David  Friedrich  Strauss  ;  (6)  On  the  contrary,  ^  ■  T       ^ 
the     Berliner     Tageblatt     and      the     Frankfurter  j    -/ 
Zeitung    were    considered    strongholds    of    "  the  rT* 
liberal   world   of   ideas "  ;   and   (7)   that   not   the     >  i 
Jews,  but  the  Nazis  tried  to  denigrate  this  world,    }  ' 
coining  the  term  "  liberalistic  decay  ". 


West  Berlin  Üniversity 

However,  we  have  to  balance  Meinecke's  view 
of  the  Jews  in  Germany  against  his  no  less  critical 
view  of  his  fellow-Germans,  whom  he  charged 
with  unfaithfulness  to  the  ideals  of  Goethe,  and 
whom  he  could  not  trust  unless  they  respiected 
those  ideals  again. 

The  octogenarian,  weighed  down  with  melan- 
cholia  through  the  dreadful  experience  of  the 
Hitler  era,  declared  that  he  no  longer  shared 
Ranke's  pious  belief  in  the  righteousness  of  his- 
tory. and  associated  himself  with  Jacob  Burck- 
hardt's  pessimistic  outlook  on  human  affairs. 

But  deprived  of  his  credo,  he  still  stuck  to  his 
principle  of  personal  freedom  ;  therefore  in  1948 
he  left  the  Berlin  Üniversity  for  the  new  West 
Berlin  Üniversity ;  he  became  the  first  rector  of 
this  "  Free  Üniversity ",  where  an  institute  for 
the  study  of  history  was  named  after  him. 

When  he  died  on  February  6th,  1954,  at  the  age 
of  91,  he  was  acknowledged  to  be  one  of  the 
greatest  historians  and  thinkers  in  the  field  of 
history  of  this  Century. 


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x. 


-.  L  _. 


\. 


/ 


Seite  68 


Das  po 


aieJ 


Büch 


■^^^., 


Samstag/Sonntag,  6./7.  Juli  1963 


Znm  Thema  Berlin 


KU«i-Pet«T  BChnl«:  Berlin  zwischen  Freiheit  und 
Dtktatur.  Ernst  SUneck  Verlag.  Berlin.  570  Selten, 
Leinen  24,80  DM. 

Wolfgang  Paul:  Kampf  um  Berlin.  Albert  Langen/ 
Georg  Müller  Verlag.  München.  360  Seiten,  Lernen 
12,80  DM. 

Dokumente  zur  Berlinfrage  1944-1962.  Herausgegeben 
vom  Forschungsinstitut  der  Deutschen  Gesellschaft 
für  Auswärtige  Politik  e.  V.,  Bonn,  in  Zusammen- 
arbeit mit  dem  Senat  von  Berlin.  R.  Oldenbourg  Ver- 
lag, München.  620  Seiten,  Leinen  40,—  DM. 
Kurt  Prttzkoleit:  Berlin  —  Ein  Kampf  ums  Leben. 
Karl  Rauch  Verlag.  Düsseldorf.  180  Seiten,  Paperback 
9,80  DM. 

Arno  Scholz:  Berlin  ist  eine  freie  Stadt  —  Beiträge 
zum  politischen  Geschehen  der  Gegenwart.  Arani- 
Verlags-GmbH.,  Berlin.  760  Seiten,  Leinen  18.90  DM. 
Berlin  —  Neun  Kapitel  seiner  Geschichte.  Walter  de 
Gruyter,  Berlin.  270  Seiten,  Leinen  14.—  DM. 


Gespalten  wie  Jerusalem,  nur  mit  dem  Flug- 
zeug in  Freiheit  zu  erreidien  wie  keine  andere 
Stadt  der  Welt,  eine  Stadt,  die  innerhalb  weniger 
Tage  die  beiden  mächtigsten  Männer  der  Erde, 
Kennedy  und  Chruschtschow,  an  ihrer  Mauer 
sah  ~  ja,  Berlin  ist  viele  Bücher  wert.  Nun  liegen 
endlich  auch  zwei  historische  Darstellungen  für 
den  gesamten  Zeitraum  von  1945  bis  1962  vor. 

Das  Budi  von    Klaus-Peter    Schulz    packt    das 
große  Thema  mit  kühler  Leidenschaft  an;  es  ist 
flüssig,  teilweise  brillant  gesdirieben  und  verbin- 
det umfassende  Information  mit  einem  klaicn  Ur- 
teil,   das    westdeutsche    Leser    freilich     mitunter 
durch  seine  Härte  ein    wenig    erschrecken    mag. 
Schulz  schont  seine  Landsleute  so  wenig  wie  die 
westlichen  Verbündeten.    So    heißt    es    über    die 
Gründe,  die  bis  1961   die   Intellektuellen  der  So- 
wjetzone zur  Flucht  in  den  Westen  veranlaßten: 
„Der  sprichwörtliche    deutsche    Professor,    vor- 
nehmlich    in     den     nichtgeisteswissenschaftlichen 
Disziplinen,  registriert  einen  Mangel  an  Freiheit 
im  öffentlichen  Leben  kaum,  solange  er  sich  in  sei- 
nem Hörsaal  oder  in  seinem  Laboratorium  relativ 
ungehindert  bewegen  kann.  Als  ihm  aber  in  der 
Sowjetzone  immer  massiver  zugemutet  wurde,  ob- 
jektive Forschungsergebnisse,  die  ihrer  Natur  nach 
mit  dem   dialeVitischen    Materialismus    nicht    das 
geringste  zu  tun  hatten,  durch  eine  sozialistische 
Brille  zu  korrigieren  . . .  gelangte  auch  er  unwei- 
gerlich an  die  Grenzen  seiner  Toleranz  und  for- 
malen   politischen    Anpassungsbereitschaft.     Des- 
wegen war  die  Flucht  der  Intelligenzschicht  der 
vielleicht  eindrucksvollste  und  erschütterndste  Be- 
weis dafür,  wie  sehr  der  Freiheitsentzug  in  der 
Sowjetzone  auch  für  diejenigen,  die  sich  am  lieb- 
sten   vor    ieder    politischen     Auseinandersetzung 
verkrochen  hätten,  im  wörtlichsten  Sinne  zu  einem 
.Sauerstoffproblem'  geworden  war  . . .  Viele  such- 
ten das  Weite,  nicht  weil  sie  primär  das  Regime 
verabscheuten,  sondern  weil  sie  ganz  einfach  unter 
ihm  nicht  mehr  atmen  konnten." 

Die  Vorgeschichte  und  die  Umstände  des  Mauer- 
baus am  18.  August  1961  werden  mit  souveräner 
Rücksichtslosigkeit  geschildert,  die  sie  zu  einer  fas- 
Tjnierenden  Lektüre  macht.    „Alle    selbsthypnoti- 
schen  Hinweise   des   Westens,   der  Kommunismus 
habe  sich  doch  eigentlich  durch  eine  so  einzigartige 
Quarantäne    geradezu    tödlich    blamiert,     ändern 
nichts  an  der    Tatsache,    daß    an    dem    schwarzen 
Sonntag  im  Spätsommer  1961  die  nackte  Gewalt  in 
einem  Umfang  triumphierte,  wie  das  seit  1945  min- 
destens in  europäischen  Bereichen  niemals  mehr 
zu  verzeichnen  war.  Heute  wissen  wir  bereits  aus 
den     glaubwürdigen     Aussagen     von     nach     dem 
13.  August  noch    übergelaufenen    VolkspoIiziste|i, 
daß  hinter  dem  Gewaltstreich  keine  reale  Macht 
Stand,  sondern  lediglidi  der  Wille,  die  andere  Seite 
zu    bluffen.    Die    eingesetzten    Mannschaften    der 
Volkspolizei   und   der   anderen   bewaffneten    Ver- 
bände verfügten  nach  diesen  Aussagen  über  kei- 
len  Stihuß  scharfer  Munition.  Nur  an  die  Offiziere 
;aren 
^cbe 


darum  den  Bogen  nicht  überspannen  und  den  Bo- 
den nicht  vollends  unter  den  Füßen  verlieren.  Sie 
gönnten  Ulbricht  daher  eine  eklatante    Blamage, 
die  ihm  künftig    mehr    Zurückhaltung    aufeYlegt, 
wenn    ihn    nicht    sogar    zum    Rücktritt    genötigt 
hätte  . . .  Natürlich  operierte  er  am  13.  August  im 
Schutze  Moskaus,  konnte  er  nur  im  Schutze  Mos- 
kaus operieren,  aber  die  entsprechenden  Befehle 
trugen  seine  Unterschrift,  die  letzte  Initiative  ging 
auf  ihn  zurück.  So  ergibt  sich  das  tragikomische 
und  peinliche  Bild,  daß  ein  kleiner,  anmaßender, 
insgeheim    auch    im    Kreise    seiner    Gesinnungs- 
genossen nicht  gerade  populärer  oder  gar  beliebter 
kommunistischer    Satellit    drei    Weltmächte,    dar- 
unter eine  vom  Range  der  Vereinigten  Staaten,  in 
seinem  Machtbereich  ausmanövrierte  und  aus  ihrer 
Rechtsstellung  verdrängte,   ohne  daß   der  Westen 
unmittelbar    oder    später    mehr     als    moralische 
Gegenmaßnahmen  traf  . . .  Kein  Zweifel,  die  freie 
Welt  hat  am  13.  August  1961  ein  neues  München 
erlitten  und    hingenommen    —    es    fehlt    bis    zur 
Stunde,  da  diese  Zeilen  geschrieben  werden,  nur 
noch  an  einer  formellen    Unterschrift    unter    die 
analoge  Kapitulationsurkunde." 

Während  Schulz  die  anspruchsvolle,  glasklare 
Analyse  liefert,  ist  die  zweite  Darstellung  der  Ber- 
liner Nachkriegsentwicklung  —  von  Wclfgang 
Paul  —  als  „eine  wahre  Geschichte"  angelegt.  Paul 
gibt  ebenfalls  eine  brauchbare  Übersicht,  bedient 
sich  jedoch  einer  teils  schlichten,  teils  schnoddrigen 
Sprache  („Als  Regierungszentrale  war  Berlin  mit 
Hitlers  Tod  erledigt")  und  überschreitet  nur  selten 
ein  gehobenes  Illustriertenniveau.  Die  Stärke  des 
Buches  liegt  in  den  vielen  liebevoll  ausgebreiteten 
Details  —  bis  zu  den  Brotkarten  und  den  Theater- 
programmen — ,  die  besonders  der  Darstellung  der 
Zeit  von  1945  bis  zum  Ende  der  Blockade  1949  viel 
Farbe  geben. 

Die  Dokumente   zur  Berlinfrage,    die    man    als 
Nachschlagewerk  für  Fachleute  zur  Hand  nimmt, 
erweisen   sich  überraschend   als   eine  Lektüre,   in 
die  man  sich  über  viele  Seiten  hin  vertieft  findet. 
Es  ist  höchst  informativ  und  alles  andere  als  trok- 
ken,  die  Stationen  der  Teilung  Berlins  in  Original- 
texten zu  verfolgen,  beginnend  mit  den  Abkom- 
men der  Alliierten  von   1944,  fortgesetzt  mit  Be- 
satzungsbefehlen    in     Berlin,     Weisungen     Eisen- 
howers,    Proklamationen    und    Communiques  des 
Alliierten      Kontrollrats,      Appellen      Berlins      an 
die  Vereinten  Nationen  und  dem  schier  endlosen 
Notenkrieg  zwischen  Ost  und  West.  Das  Buch  ist 
vorzüglich    ediert,    mit    umfangreichen    Quellen- 
angaben, Registern,  Tabellen  und  Karten,  teilweise 
in  Faksimiledruck.  Kommentare  enthält  es  nicht. 
Da  nicht  jede  Entwicklung  ihren  Niederschlag  in 
Dokumenten  gefunden  hat,  handelt  es    sidi    also 
nicht  um   eine   lückenlose   Geschichte  des  Berlin- 
problems. 

Seltsam  mutet  der  Beitrag  des  vielbeschäftigten 
Ktirt  Pritzkoleit  zur  Berlinfrage  an.  Mit  einer 
Fülle  von  Wirtschafts-  und  Bevölkerungstabellen, 
jedoch  ohne  Kapiteleinteilung,  Inhaltsverzeichnis 
oder  gar  Register  unternimmt  or  mit  mancherlei 
Sprüngen  den  Versuch,  die  Entwicklung  i  erlins 
seit  dem  Ersten  Weltkrieg  vor  allem  an  Hand  der 
Berliner  Wirtschaft  zu  erklären. 

Sehr  viel  Papier  für  sein  Geld  erhält  jeder,  der 
sich  für  44  Mark  eine  Kassette  mit  fünf  Bänden, 
2286  Seiten  und  sämtlichen  Leitartikeln  kauft,  die 
Arno  Sdiolz,,  Chefredakteur  des.  Westberlmer 
JTelegta^,  s«t  ^Kriegsende  irt  «einer  Leitung  ge- 
schrieben hat.  Der  fünfte  Band  —  die  Zeit  von 
1956  bis  1980  umfassend  —  ist  jetzt  erschienen.  Der 
Versuch,  aus  der  Fülle  der  Artikel  eine  Auswahl 
der  besten  oder  beständigsten  vorzunehmen,  wurde 
ebensowenig    gemacht    wie    der,    die    Leitartikel 

ann  icweilsjn.  den  zeit 


TÖTEN  UND  GETÖTET  WrDEN  (oben)  und 
Schachspiel  (unten):  Zwd  Arbeiten  von  jungen 
Gefängnisinsassen.  Aus  dzm  nebenstehend  behan- 
delten Buch  „Die  vierte  Kaste"  von  Birgitta  Wolf. 


Ansimi  vor  der 


Die  vierte  Kaste  -  Junge  Menschen  Im  «^efängni.s 
literarische  Dokumente).  Herausgegeben  von  Bir- 
gUtf  Woff  Bütten  &  Loenlng  Verlag.  Hamburg. 
288  Seiten,  Paperback  12,80  DM. 

Birgitta  Wolf,  gebürtige  Schwedin,   human    un- 
sentimental, vorurteilslos,  energisch,   hat  sich  zur 
Lebensaufgabe      gemacht,      Strafgefangenen,      vor 
allem     jugendlichen     und     halbwüchsigen     Stral- 
gefangenen.  beizustehen,  auf  daß  sie  in  der  Straf- 
haft, vor  allem  aber  nach  Verbüßung  ihrer  S1.rafe 
beim  Wiedereintritt  in  unsere  leider  viel  zu  selbst- 
gerecht-gleichgültige, oft  mehr  noch  voreingenom- 
men-feindselige Gesellschaft  nicht  vor  die  Hunde 
gehen.  Es  gibt  von  Fallada  bis  Fritz  Bauer  eine 
Fülle  neuerer  Literatur  über  die  weithin  noch  vor- 
herrschende    Trost-     und     Sinnlosigkeit     unseres 
Strafvollzugs.  Das  Buch  von  Birgitta  Wolf  nin^mt 
insofern  eine  Sonderstellung  ein,   als^  die  Verfas- 
serin,   der   im   Laufe   ihrer   Tätigkeit   6000   Briefe 
von  Gefangenen  zugingen,  zwar  in  einem  Vorwort 
klar  und  kompakt  den  beklagenswerten  Zustand 
aufzeigt    und    Reformvorschläge    unterbreitet,    im 
übrigen    aber    junge    Gefangene    -    die    meisten 
zwischen    zwanzig    und    zweiundzwanzig    --    über 
ihre  Erlebniswelt  selbst  sprechen  laßt:  in  Gestalt 
einer  von   der   Verfasserin   völlig   unretuschierten 
Selbstdarstellung,    in    Form    von    tagebuchartigen 
Aufzeichnungen,  Briefen,   Zeichnungen,   Gedichfen 
und  Hörspielen.  Das  ist  ein  eindrucksvolles,  sehr 
authentisches  Verfahren. 

Was  sich  trotz  der  verschiedenartigsten  Formen 
der  Selbstmitteilung  wie  ein  roter  Faden  durch 
die  gesamten  Beiträge  zieht,  oft  gewiß  dem  einzel- 
nen Gefangenen  gar  nicht  einmal  recht  bewußt, 
das  ist  die  Klage,  nicht  so  sehr  über  äußere  Un- 
bill wie  etwa  über  die  muffigen,  düsteren  Zellen, 
den  ekelerregenden  Kübel,  und  was  derlei  Widrig- 
keiten mehr  sind,  sondern  die  Angst  vor  der  Frei- 
heit Einer  Freiheit,  für  deren  künftige  Bewälti- 
gung vor  allem  bei  länger  währendem  Freiheits- 
entzug zunehmend  jede  Fähigkeit  schwindet.  Ver- 
antwortung zu  tragen  oder  gar  erst  zu  erlernen  — 
und  zwar  in  einer  eintönigen  grauen  „Ordnung  , 
die  dem  Gefangenen  zwar  weithin  alle  Hoffnung 
raubt,  ihm  aber  auch  mit  dem  tristen  Einerlei 
gesicherter  Kleidung,  Nahrung,  Unterkunft  jede 
Selbstverantwortung  abnimmt  und  jederlei  In- 
itiative tötet.  Dabei  wäre  es  nicht  nur  zwingend  no- 
tig, sondern  (gerade  im  Zeitalter  der  Vollbeschafti- 
fHing)  auch  ohne  weiteres  möglich,  durch  nach  indi- 
vidueller Fähigkeit  qualifiziertcvoUwertig  entlohnte 
Arbeit  —  wo  hur  irgend  verantwortbar  auch  außer- 
halb der  Anstalten  -  Sorge  für  die  Familie,  Wie- 
dergutmachung für  die  Opfer  und  Grundlagen  für 
die  eigene  Existenz  nach  der  Entlassung  zu  schaf- 
fen. 


Der  Strafrechtslehrer  Professor  Maurach  hat  tm- 
längst  sehr  zu  Recht  das  Schlagwort,  Zuchthäuser 
seien  ..keine  Sanatorien"  und  eine  milde  Behand- 
lung v/ährend  der  Haft  könne  „besonders  straf- 
tatfördernd" wirken,  als  „Unsinn"  bezeichnet.  Tat- 
sächlich ist  schon  der  Freiheitsentzug  als  solcher 
für  einen  im  Kern  noch  erziehbaren  und  noch 
nicht  völlig  abgestumpften  Menschen  ein  ungemein 
schwerer  und  harter  Eingriff.  Wem  aber  dieser 
Freiheitsentzug  durch  entwürdigende  Form,  die 
Niederwalzung  jeden  Restes  von  Persönlichkeit, 
gleichgültig  geworden  ist.  oder  in  wem  gar  die 
Angst  vor  dem  Wagnis  der  Freiheit  großgezogen 
wird,  der  ist  ja  dann  ohnehin  weder  mehr  „abzu- 
schrecken" noch,  was  das  Ziel  jedes  modernen  Straf- 
vollzugs zu  sein  hätte,  zu  „erziehen"  und  zu  „reso- 
zialisieren". Das  A  und  O  bleibt  also  eine  grund- 
legende Wandlung  des  Strafvollzugs. 

Da  mit  der  Bevölkerungsdichte  in  der  Bundes- 
republik leider   auch  die  Kriminalität,  vor  allem 
auch  jugendlicher  Täter,  wächst  und  wächst,  wäre 
es  sehr  zu  begrüßen  —  mag  das  Ganze  auch  nicht 
mehr  als  ein  Mosaiksteinchen  im  notwendigen  Er- 
neuerungswerk sein  —  wenn  möglichst  viele  Men- 
schen diese  ungeschminkten  Dokumente  der  Ver- 
lassenheit und  Verlorenheit  zur  Kenntnis  nehmen 
würden.  In  gewissem   Maße,    nämlich   durch   sein 
Lebensalter  (Ende  dreißig),  fällt  nur  ein  einziger 
Autor  aus  dem  Rahmen.  Bei  ihm  mag  es  dem  Kr  - 
tiker   wohl   gestattet   sein,   die  von   Birgitta  Wolf 
gewahrte   Anonymität  der  Beiträge,   die   nur  mit 
den  Anfangsbuchstaben  von  Vor-  und  Nachnamen 
signiert  sind,  zu  durchbrechen.  Bei  W.  G.   (Wolf- 
gang  Graetz),    der,   heute   38jährig,   vor   ein  paar 
Jahren    in    der    hessischen    Strafanstalt    Butzbach 
dank    einem    fortschrittlich    gesonnenen    Anstalts- 
psvchologen  nicht  nur  die  Erlaubnis  erhielt,  son- 
dern sogar  angeregt  wurde,  sich  literarisch  zu  be- 
tätigen, und  der  inzwischen,  nunmehr  im  bayeri- 
schen Zuchthaus  Kaisheim  „einsitzend",  mit  seiner 
-suchenden,  selbstquälerischen,  schwierigen  Art  sich 
einen  Namen  als  Hörspielautor  gemacht  hat.  Seme 
Beiträge  passen  durchaus  in  Birgitta  Wolfs  Budi, 
deren  besonderes  Sorgenkind  er  ist,  weil  hier  im 
Zusammenhang   und   Rückblick   die   gewisse   Aus- 
weglosigkeit   sichtbar    wird,    mit   der    aus    jungen 
Straffälligen  erwachsene  Straffällige  werden,  wenn 
unsere   Gesellschaft  sich  —  nichts  einfallen   laßt. 
Graetz'   letzter   Gerichtsvorsitzender   sagte  in  der 
Hauptverhandlung:    „Auf    psychologische    Tiefen- 
.schürferei   können  wir  uns  hier  nicht  einlassen. 
Wir    werden    uns    darauf    einlassen    müssen,    wir 
werden  neue  Wege  suchen  müssen,  wie  es  etwa 
in  Schweden  schon  geschieht,  dem  Land,  aus  dem 
Birgitta  Wolf  stammt.  Ernst  Müller-Meiningen  jr. 


Die  schutzlose  Republik  von  Weimar 


Gotthard  Jasper:  Der  Schutz  der  Republik  -  Studien 
Tm  staatlichen  Sicherung  der  ^^"^^^'•^^le  in  der 
Weimarer  Republik  192.?-mo.  J.  C.  B-  Mohr  (Paul 
Siebeck),  Tübingen.   340  Seiten,  Leinen  39  DM. 

Kann  ja  darf  sich  d)H  Demokratie  gegen  Ideen 
schützen,  die  ihren  Best  md  bedrohen?  Zerstört  sie 
nicht  ihre  Grundlagen,  x  ergeht  sie  sich  nicht  gegen 
die  Grundsätze  der  Freiheit,  wenn  sie  Anders- 
denkende von  der  polfischen  Wirksamkeit  aus- 
schließt? Solche  liberajli  Überlegungen  standen 
am  Anfang  der  WeimjPrer  Republik  einem  wir- 
kungsvollen Republikstjiutz  im  Wege.  Dazu  kam, 
daß  es  verständlicherwtise  die  Linke  war,  die  be- 
sonderes Interesse  anj  solchen  Gesetzen  bekun- 
dete, mit  deren  Hilfe  Jan  reaktionäre  Kräfte  aus- 
schalten konnte.  Dieujfäederum  erzeugte  auf  der 
Rechten  und  im  Bürff/«um,  das  ja  die  beherrschen- 


nicht  zu  ändern  vermochte,  war  in  einer  schwien- 
geh  Lage.  Aus  eigener  Erfahrung  mit  dem  Sozia- 
listengesetz wußte  sie,  wie  wirkungslos  Verbote 
gegen  politische  Ideen  sind;  die  Regierungspraxis 
aber  lehrte  ihre  verantwortlichen  Männer  ebenso, 
wie  notwendig  ein  Eingreifen  des  Staates  war.  Da- 
bei durften  die  Sozialdemokraten  ihren  Sympa- 
thien für  die  Linke  ebenso  wenig  nachgeben  wie 
den  Antipathien  gegen  die  Rechte,  wenn  sie  den 
Kontakt  zu  ihren  bürgerlichen  Koalitionspartnern 
behalten  wollten.  Nach  dem  Kapp-Putsch,  den 
Morden  an  Erzberger  und  Rathenau  sahen  aller- 
dings auch  die  bürgerlichen  Parteien,  daß  ein  Ge- 
setz zum  Schutz  der  Republik  unumgänglich  war. 
Die  Entstehungsgeschichte  dieses  Republik- 
schutzgesetzes, seine  parlamentarische  Behandlung, 
seine   geistigen  Grundlagen  und  praktischen   Fol- 


anzulasten  wagten,  weil  sie  es  im  Chaos  von  In- 
flation, Ruhrbesetzung,  in  den  sächsischen  und 
bayerischen  Bedrohungen  der  Reichseinheit  als 
letzten  Rettungsanker  zu  betrachten  gelernt  hat- 
ten war  zu  eng  mit  den  Terrororganisationen  der 
Rechten  verfilzt,  als  daß  es  öffentliche  Verhand- 
lungen über  Waffenlager,  geheime  Ausbildungs- 
stätten usw.  hätte  dulden  können.  So  brachte  es 
die  Republik  nicht  fertig,  die  Hintergründe  der 
Morde  an  zwei  ihrer  führenden  Männer  aufzuhel- 
len, weil  sich  am  Ende  herausgestellt  hätte,  daß 
die*  Mörder  Erzbergers  aus  Quellen  des  Reiches 
finanziert  worden  waren.  Die  Reichswehr  entzog 
—  teils  mittel-,  teils  t^nmittelbar  —  die  Angehöri- 
gen der  „Organisation  Consul"  strenger  Bestra- 
fung, während  der  Münchner  Polizeipräsident  da- 
für sorgte,  daß  Haftbefehle  gegen  die  Chefs  wir- 


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_j^A  .Uiworden.  Dai^nit,drängt^sich  die  Frinn^rung 
den  7?.  März  1936,  als  Hitler  ein  paar  BataiHone 
iner  mt  im  Aufbau  befindlichen  Wehrmacht  mit 
i'apptainks  und  anderen  Attrappen  über  die  Rhein- 
brücJcen  marscliieren  ließ  und  damit  wie  ein  leicht- 
fertiger, aber  erfolgreicher  Pokerspieler  möglicher- 
weise das  Schicksal  des  Dritten  Reiches  verwür- 
felte, geradezu  gebieterisch  auf," 

Schulz  sclireibt  weiter:  „Aus  zuverlässigen  Quel- 
len verlautete,  daß  maßgebende  Funktionäre  der 
sowjetzonalen  Staatspartei  bis  in  die  Umgebung 
Ulbridits  hinein  das  Ergebnis  seines  Husarenritts 
vom  13.  August  mit  Bangen,  aber  auch  mit  Scha- 
denfreude abgewartet  hätten:  ganz  einfach,  weil 
sie  sich  nicht  vorstellen  konnten,  der  Westen 
würde  sich  auch  diesen  ungeheuerlichen  Schlag 
tatenlos  bieten  lassen.  Diese  Kreise  wollten  wohl 
das  kommunistische  Regime  in  einem  Teil  Deutsch- 
lands, wenn  auch  wahrscheinlich  in  wesentlich  ge- 
wandelter Form,  konservieren,   aber  auch  gerade 


^eschirb^^irhpn  Zusärnrnenhar^^TTTeT:»^.  jjen 
jenigen  Studenten  der  Zeitungswissenschaft,  die  in 
kommenden  Jahrzehnten  etwa  sämtliche  Leit- 
artikel des  Telegraf  nachträglich  zu  lesen  wün- 
schen, wird  die  Arbeit  durch  die  preiswerte  Kas- 
sette jedoch  außerordentlich  erleichtert. 

Eine  anschaulich  geschriebene,  hübsch  ausgestat- 
tete Gesdiichte  Berlins  von  der  Urzeit  an  ist  beim 
Verlag  Walter  de  Gruyter  erschienen.  Es  handelt 
sich  um  die  Wiedergabe  einer  Vortragsreihe,  die 
die  Historische  Gesellschaft  zu  Berlin  in  den  Jah- 
ren 1959/1960  veranstaltete.  In  neun  Kapiteln  ver- 
schiedener Autoren,  die  jeweils  ein  Schlaglicht  auf 
einen  bestimmten  Zeitabschnitt  werfen,  entsteht 
ein  liebevoll  ausgemaltes  Bild  vom  Werdegang 
einer  Stadt,  die  sich  in  den  ersten  sieben  Jahrhun- 
derten ihrer  Geschichte  nicht  hätte  träumen  las- 
sen, wieviel  Zerstörung,  Haß  und  Unvernunft  im 
achten  Jahrhundert  über  sie  hereinbrechen  würden. 


wel,lerhin  besetzt  hie^  die  Furcht,  die  Ordnung 
mü$se  verteidigt  werden.  Ordnung  aber  hieß  be- 
stehende Ordnung,  keine  weiteren  revolutionären 
Aktionen,  keine  Säubeirung  des  Richterstandes, 
keine  Entfernung  von  fjegnern  der  Republik  aus 
Schlüsselstellungen,  deir:  das  wäre  ja  Gesinnungs- 
schnüffelei gewesen,  a}^  dies  war  nur  denen  er- 
laubt, die  die  rechte  X  im  doppelten  Sinn  des 
Wortes  —  Gesinnung  besaßen,  den  „Vaterländi- 
schen", die,  wie  sie  behaupteten,  keine  Schuld  an 
der  Niederlage  trugen  wie  die  „Novemberverbre- 
cher"! 

Zwischen  der  revolutionären,  auf  den  Sozialis- 
mus hinarbeitenden  Kräften  in  den  Gewerkschaf- 
ten, der  USPD  und  der  KPD  auf  der  einen  und 
den  reaktionären  Deutschnationalcn  und  Völki- 
schen auf  der  anderen  Seite  war  die  SPD  zum 
Taktieren  gezwungen.  Die  einzige  Partei,  die  die 
„,  ,^  ^  ^  .  ,  Republik,  so  wie  sie  war,  bejahte  und  sie  nicht 
Wolf  Schneider     nur  als  eine  gegebene  Tatsache  hinnahm,  die  man 


xkommniiisteii  -  keine  Antikommunisten 


Das  Ende  einer  Utopie  — Hingabe  und  Selbstbefreiung 
früherer  Kommunisten.  Herausgegeben  von  Horst 
Krüger.  Walter  Verlag,  Ölten  und  Freiburg  im  Breis- 
gau. 234  Selten,  Paperback  8,80  DM. 

Bilden  die  Exkommunisten  in  der  bundesdeut- 
schen Gesellschaft  eine  „ungemein  heterogene  und 
komplexe  Gruppe"?  Der  Herausgeber  des  Sammel- 
bandes stellt  diese  Behauptung  auf.  Die  Berichte 
von  neun  ehemaligen  deutschen  Kommunisten 
darüber,  was  sie  am  Kommunismus  faszinierte 
und  warum  sie  mit  ihm  brachen,  sowie  eine  Bilanz 
von  Carola  Stern  sollen  helfen,  die  Soziologie  die- 
ser „Bevölkerungsgruppe"  zu  verstehen. 

Die  Berichte  gleiclien  öffentlichen  Beichten  über 
intimste  Gewissenskonflikte.  Ihre  Autoren  wur- 
den unter  denjenigen  ausgesucht,  die  sich  heute 
noch  zu  ihrer  einstigen  Wah-1  bekennen  —  nicht 
sie  fühlen  sich  als  Verräter,  sondern  die  anderen 
haben  sich  als  Betrüger  erwiesen.  Sie  alle  bleiben 
der  sozialistischen  Idee  —  mit  einem  mehr  oder 
minder  großen  Schuß  Resignation  —  verhaftet  und 
empfinden  auch  gegenüber  der  neuen  geistigen 
Heimat,  der  Bundesrepublik,  Unbehagen. 

Herausgeber  Horst  Krüger  war  sich  im  klaren 
darüber,  daß  diese  Berichte  im  wesentlichen  eine 
weniger  literarische  Wiederholung  der  Abrech- 
nung ergeben  würden,  die  seinerzeit  die  promi- 
nenten Autoren,  Ignazio  Silone  und  Arthur  Köst- 
ler,  mit  „dem  Gott,  der  keiner  war"  gehalten 
haben.  Seither  sind  über  zehn  Jahre  verstrichen, 
ohne  daß  das  Thema  seine  Aktualität  verloren 
hätte.  Wie  kommt  das? 

Die  Tragödie  sei  heute  für  die  BetrolTenen  nicht 
mehr  so  groß,  wie  für  die  Renegaten  der  dreißiger 
Jahre,  meint  Horst  Krüger;  die  Leuchtkraft  der 
kommunistischen  Utopie  habe  inzwisclien  nachge- 
lassen. Liest  man  indes  die  Beiträge,  so  wundert 
man  sich,  wie  groß  ihr  Glanz  (trotz  stalinistischen 
Terrors,  trotz  Ulbrichtregime  usw.)  immer  noch  ist. 

Die  Erklärung  dafür  ist  denkbar  einfach:  Es  ist 
nicht  der  kommunistische  Staat,  von  dem  die  Fa- 
szination ausgeht,  nicht  die  Sowjetunion  und  nicht 
die  DDR,  sondern  es  sind  eben  immer  noch  die 
Schriften  des  kommunistischen  Altmeisters  Karl 
Marx,  in  dessen  Bann  die  Menschen  geraten.  ,,Die 
Faszination  kam  einzig  und  allein  aus  der  Theorie 
und  der  großen  gewaltigen  Utopie  einer  klassen- 


losen Gesellschaft,  der  Vision  einer  absoluten  Ge- 
rechtigkeit auf  Erden',  der  wir  bei  aller  Skepsis 
verfielen",  schreibt  Gerhard  Zwerenz.  Die  Skepsis 
verflog;  hatte  ihnen  nicht  Karl  Marx  den  Schlüssel 
zur  Verwirklichung  der  Utopie  in  die  Hand  ge- 
drückt? 

Es  klang  alles  so  gut,  so  überzeugend!  Der  1934 
geborene  Günther  Zehm  gibt  sich  gefangen,  kaum 
daß  er  sich  mit  der  Welt  geistig  auseinanderzuset- 
zen begonnen  hat;  das  Versagen  der  Kirche  fördert 
seine  Entscheidung:  „Die  Salbadereien  vom  lieben 
Gott,  aus  denen  unser  JConfirmationsunterricht  be- 
stand —  wie  schemenhaft,  wie  absolut  unwirklich 
nahmen  sie  sich  aus  im  Vergleich  zur  klar  über- 
schaubaren   Mehrwerttheorie     und     gemessen    an 
dem,   was  uns  die  Not  und    Unerbittlichkeit    der 
Kriegs-   und   Nachkriegsjahre   täglich   auszukosten 
gab."   Bei  dem  um  zehn  Jahre    älteren    Manfred 
Hertwig  lesen  wir  es  noch  präziser.  Mit  einund- 
zwanzig kam  Hertwig  aus  dem  Krieg  zurück  und 
litt   fortan   an   geistiger,   weltanschaulicher   Leere. 
„Manchmal",  so  schreibt  er,   „gab  ich  mir  Mühe, 
die  christliche  Lehre  für  wahr  zu  halten,   sie  zu 
glauben.   Aber  glauben  ist  keine  Frage  des  Wis- 
sens oder  Erkennens,  glauben  ist  eine  Sache  der 
Emotion.  Ich  suchte,  wie  die  meisten  jungen  Men- 
schen unserer  Epoche  das  rationale,  der  Vernunft, 
dem   Verstand   zugär>glidie   Weltbild.  Ich   fand   es 
für  einige  Jahre  im  Marxismus,  bis  man  sich  zwang 
auch  hier  zu  glauben,  statt  zu  forschen." 

Es  ist  der  Bruch  zwischen  der  Marxschen  Theo- 
rie und  der  kommunistischen  Praxis,  die  fast  alle 
der  zunächst  Faszinierten  aus  der  Partei  fortge- 
trieben hat.  Der  Prozeß  der  Lösung  allerdings  war 
verschieden,  bei  einigen  ging  ein  erbittertes  Rin- 
gen um  die  Revision  des  Dogmas  und  die  Erneue- 
rung der  Partei  voraus,  wie  Carola  Stern  in  ihrem 
Schlußwort  beriditet.  Vier  von  den  zehn  Autoren 
kamen   deswegen    ins    kommunistische    Gefängnis 
die  anderen  entzogen  sich  in  letzter  Minute  der 
Verfolgung.     (Schwer    einzusehen,    warum    Horst 
Kruger  das  Schicksal  dieser  Generation  für  weni- 
ger dramatisch  hält  als  das  der  Silone  und  Köstler, 
die  den  Terror  nicht  am  eigenen  Leibe  erfuhren!) 
Nicht  bei  allen  war  es  das  Bedürfnis  nach  einem 
rationalen  Weltbild.  Ralph  Giordano  wurde  Kom- 
munist, well  er  „Sohn  einer  Jüdischen  Mutter   Im 


Mai  1945  aus  dem  Inferno  der  Illegalität  hervor- 
kriechend, im  Kommunismus  den  Hauptfeind  des 
Faschismus  und  daher  die  Heimat"  sah.  Für  Leo 
Bauer  war  der  Kommunismus  nicht  nur  „Idee  und 
Ideologie,  sondern  Politik  und  politischer  Kampf". 
Bauers  motorische  Aktivität  suchte  und  fand  hier 
Befriedigung;   sie  war  es  aber  auch,  die   ihn,  als 
er  sich  mit  der  Parteiführung  nicht  mehr  einver- 
standen fühlte,  den  Kampf  von  innen  aufnehmen 
ließ.   Im  sibirischen   Gefängnis   hörte    Leo    Bauer 
dann  von  einem  alten  Bolschewiken  den  Satz:  „So- 
zialismus, das  ist  ein  modernes  Wort  für  die  ewige 
Sehnsucht  des  Menschen  nach  einer  besseren  Welt, 
nach  menschlicher  Würde,  nach  Überwindung  der 
Entfremdung  des  Menschen  von  sich  selbst,  nach 
Heimkehr.  Vielleicht  und  wahrscheinlich  wird  diese 
Sehnsucht  morgen  nicht  mehr  Sozialismus  heißen, 
aber  Menschen  wie  du  und  ich  werden  Außenseiter 
bleiben  in  der  Sowjetunion  wie  im  Westen,  weil 
wir  nicht  nur  von  dieser  Welt  der  Hoffnung  träu- 
men, sondern  dafür  eintreten." 

Wie  sie  dafür  künftig  eintreten  wollen,  darüber 
gibt  das  Buch  keine  Auskunft.  Gerhard  Zwerenz 
meint,  die  zweite  Generation  der  Exkommunisten 
dürfe  im  Gegensatz  zur  ersten  nicht  zu  harten 
Antikommunisten  werden.  Und  Carola  Stern 
schreibt:  „Antikommunismus  als  Weltanschauung 
ist  eine  besonders  geeignete  Ersatzreligion."  Ob 
aber  die  Exkommunisten  von  heute,  wie  Zwerenz 
vorschlägt,  die  Aufgabe  auf  sich  nehmen  wollen, 
,, ausgleichend  zwischen  beiden  Lagern  zu  wirken"? 
Nicht  einmal  die  zehn  Autoren  des  Sammelbandes 
dürften  sich  da  einig  sein. 

Schon  aus  diesem  Grund  —  aber  auch  aus  vielen 
anderen  —  kann  man  kaum  von  einer  „heteroge- 
nen und  komplexen  Gruppe"  sprechen.  Es  ist  eher 
eine  Anzahl  von  gänzlich  verschiedenen  Menschen 
die  zufällig  ähnliche  Erfahrungen  hinter  sich 
haben.  Sie  deswegen  für  alle  Zeiten  als  zusammen- 
gehörig, als  eine  „Bevölkerungsgruppe"  betrach- 
ten? Ihre  Erfahrungen  mit  dem  Kommunismus 
sind  nicht .  als  soziologisclies  Phänomen  interes- 
sant, sondern  weil  es  in  der.  Bundesrepublik  (hier 
vielleicht  mehr  als  in  der  O.Hzone!)  immer  wieder 
eine  echte  Faszination  —  nicht  des  Kommunismus, 
aber  des  Marxismus  gibt. 

Wanda  Bronska-Pamjmch 


gen    schildert    Jasper    in     seiner     verdienstvollen, 
sehr   nachden|;lich    stimmenden    Dissertation,   die 
von  Professor  Rothfels  angeregt  wurde.  Der  Ver- 
such, die  Republik  zu  schützen,  aber  ihre  Gegner 
in  Amt  und  Würden  zu  belassen,  wenn  sie  sich  nicht 
zur    glatten    Illoyalität    und   zu    Gewalttätigkeiten 
hinreißen  ließen,  mußte  scheitern.  Das  Bestreben, 
über  den   Staatsgerichtshof  den   Demokraten  grö- 
ßeren  Einfluß   auf  die   Rechtsprechung   in   Sachen 
Verfassungsschutz  einzuräumen  —  zu  dem  der  Re- 
publikschutz reduziert  worden  war  — ,  endete  nach 
vier  Jahren  ohne  nachhaltigen  Erfolg.  Das  Verbot 
der  NSDAP  zum  Beispiel  konnte  nicht  viel   aus- 
richten, wenn  die  Zentrale  in  Bayern  tätig  blieb. 
Die  Münchner   Regierung   aber   hatte   sich  gewei- 
gert, das  Republikschutzgesetz  zu  vollziehen. 

Hier  kreuzten  und  vermengten  sich  föderalisti- 
sche Bedenken,  Aversionen  gegen  eine  zentralisti- 
sche  Polizeiorganisation  wie  zentrale  Instanzen 
für  die  Aburteilung  von  Delikten  gegen  die  Ver- 
fassung mit  den  Vorstellungen  von  der  „Ordnungs- 
zelle Bayern".  Man  gefiel  sich  in  München  damals 
im  Geschwätz  von  den  überparteilichen  Kräften 
der  Ordnung,  die  sich  gegen  die  Parteienwirtschaft 
als  ein  Übergeordnetes,  Besseres,  weil  Unpoliti- 
sches durchsetzen  mußte. 

Viele  sahen  solche  Werte  repräsentiert  in  der 
Reichswehr,  der  zweiten  großen  Kraft,  die  ver- 
hinderte, daß  das  Republikschutzgesetz  gegen  die 
Rechte  wirksam  wurde.  Denn  dieses  Machtinstru- 
ment des  Staates,  das  die  Sozialdemokraten  nicht 


Versuche,  gegen  den  Rotfrontkämpferbund  vorzu- 
gehen, als  wenig  erfolgreich.  Gleichzeitig  hätte 
man  auch  gegen  den  Stalhelm  vorgehen  müssen, 
was  seines  Ehrenvorsitzenden  Hindenburg  wegen 
unmöglich  war. 

Ein  Staat  aber,  der  zu  liberal  war,  um  illegale 
Parteien     und    „Bewegungen"     zu    verbieten,    zu 
schwach,  um  mit  den  verschiedenen  Privatarmeen 
fertigzuwerden,    ungeliebt,    wenn    nicht    gar    ver- 
achtet   von    maßgeblichen    Schichten,    ohne    allge- 
mein  anerkanntes   Symbol,   unfähig   seine   Flagge 
gegen  Beleidigungen  zu  verteidigen,  mit  einer  Ju- 
stiz geschlagen,   die   ihre  überholten   Wertvorstel- 
lungen beibehalten  durfte  —  ein  solcher  Staat  war 
weder  mit  Paragraphen  noch  mit  Polizeimaßnah- 
men zu  retten.  Er  starb  an  der  Freiheit,  die  er  ge- 
wahrte und  die  seine  Bürger  weder  zu  schätzen 
noch  zu  gebrauchen  wußten. 

Das  Verdienst  des  Autors  ist  es,  das  vielfältige 
Material  an  öffentlichen  Verhandlungen,  Urteilen, 
Überlegungen  im  Schöße  der  Reichs-  und  der  Län- 
derregierungen zusammengefaßt  und  übersichtlich 
dargestellt   zu   haben.    So    werden   die   bürokrati- 
schen  Bedenken   der   Württemberger   ebenso    be- 
rücksichtigt, wie  die  Bedeutung  deutschnationaler 
Kabinettsmitglieder  in   den   einzelnen   Kabinetten 
und  Ihre  Rolle  bei  der  Ausführung  der  Republik- 
schutzgesetze.   Ein    bemerkenswertes    Buch,     das 
auch  im  Anhang  (mit  einer  Zusammenstellung  über 
die  Tätigkeit  der  Gerichte  und  ungedruckten  Do- 
kumente) wertvolle  Hinweise  gibt.  ^ert 


I>er  KPI>  auf  der  Spur 

Der  deutsche  Kommunismus  —  Dokumente.  Heraus- 
gegeben und  kommentiert  von  Hermann  Weber   Ver- 
lag Kiepenheuer  &  Witsch,  Köln-Berlin.  679  Seiten 
Leinen  38,—  DM.  ^<^iic.i, 

Der  deutsche  Kommunismus  ist  rund  ein  halbes 
Jahrhundert  alt.  Ebenso  lange  dauert  die  Ausein- 
andersetzung mit  ihm,  und  heute  ist  sie  brennen- 
der und  notwendiger  denn  je.  Die  historische  Ent- 
wicklung der  kommunistischen  Bewegung  ist  über- 
dies von  der  Gegenwart  nicht  zu  trennen;  das  Re- 
gime in  Mitteldeutschland  ist  ein  Teil  dieser  Ent- 
wicklung. Bei  einem  derart  weitläufigen  und  zu- 
gleich hautnahen  Fragenkomplex,  dessen  Beurtei- 
lung naturgemäß  vom  politischen  Geschehen  der 
Gegenwart  abhängt  und  abhängen  muß,  ist  es  un- 
erläßlich, authentisches  Material  an  der  Hand  zu 
haben. 

Webers  einbändige  Sammlung  ist  zwar  keines- 
wegs eine  allen  wissenschaftlichen  Erfordernissen 
genügende  Quelle,  nichtsdestoweniger  umreißt  sie 
alle  wichtigen  Aspekte  des  deutschen  Kommunis- 
mus bis  in  die  Gegenwart.  Das  war  nur  möglich 
durch  Beschränkung  auf  offizielle  Dokumente,  auf 
Erklärungen  und  Beschlüsse  der  Führungsgrernien, 
Artikel  und  Reden    von    Parteiführern,    Beiträge 
aus  der  kommunistischen  Presse  und  wichtige  Er- 
klärungen   kommunistischer     Oppositionsgruppen. 
Der  größere  Teil  der  Dokumente  wurde  aufs  we- 
sentliche  gekürzt,    manches    Herausragende    dage- 
gen wie  etwa  das  Programm  des  Spartakus-Bun- 
des oder  die  „Grundsätze  und  Ziele"  der  SED  von 
1946  oder  Radeks  Schlageter-Rede  im  vollen  Wort- 
laut wiedergegeben.  Angesichts  der  weitschweifi- 
gen Diktion    kommunistischer    Rhetorik    kommen 
die  Kürzungen  der  Lesbarkeit  und  Übersichtlich- 
keit zugute.  Trotz  Straffung  Objektivität  zu  wah- 
ren, ist  Weber  durcfaeuj  gelungen. 


Die  Hälfte  der  Dokumente  stammt  aus  der  Wei- 
marer   Zeit.    Angefangen    von    Rosa    Luxemburgs 
.^Leitsätzen  über  die  Aufgaben  der  Internationalen 
Sozialdemokratie"  aus  dem  Jahre     1916,     die     die 
Loslösung  des  späteren  Spartakus-Bundes  von  den 
Sozialdemokraten  markieren,  bis    zu    den    letzten 
Aufrufen   vor   Hitlers   Machtübernahme,   läßt   sich 
ein  gründlicher  Einblick  gewinnen  sowohl  in  das 
Verhältnis  der  KPD  zur  Republik  und  zur  Nation 
wie  auch   zur   SPD   und   zu   den   Gewerkschaften, 
nicht  zuletzt  zur  Komintern  und  zur  Sowjetunion' 
Die  Einstellung  zu  Fragen  der  Tagespolitik  fand 
ebenso   ihren   dokumentarischen  Niederschlag  wie 
die  Schwankungen  in  der  Parteiführung  und  die 
links-  oder  rechts-„abweichlerischen"  Oppositions- 
gruppen.  Entsprechend  sind  die  Dokumente  auch 
gegliedert,  so  daß  es  keine  Mühe  bereitet,  sie  rasdi 
zu   finden  —  ein  erwähnenswerter  Vorzug  dieses 
Buches,  dem  man  überhaupt  im  Gegensatz  zu  man- 
chen  Dokumentensammlungen   unseres   dokumen- 
tierfreudigen  Büchermarktes     die     solide     Arbeit 
rasch  anmerkt. 

Ähnlich  dem  Weimarer  Teil  sind  auch  die  beiden 
anderen  angelegt:  die  KPD  in  der  Illegalität  und 
Emigration;  die  KPD  SED  nach  1945.  Daß  hierbei 
die  Zeugnisse  der  westdeutschen  Nachkriegs-KPD 
etwas  gering  ausfallen,  mag  an  der  Farblosigkeit 
und  politischen  Unbedarftheit  dieser  Partei  ge- 
legen haben;  indessen  ist  das  Typische  an  der  SED 
sehr  wohl  aufgezeigt,  wenngleich  eine  Erweiterung 
dieses  Teils  nicht  geschadet  hätte.  —  Es  war  nicht 
des  Herausgebers  Absicht,  eine  Geschichte  der 
KPD  zu  schreiben,  doch  sind  seine  knappen,  un- 
polemischen  Einführungen  und  Anmerkungen  her- 
vorzuheben, die  die  Benützung  der  Sammlung  sehr 
erleichtern.  j^^^  sillner 


Verantwortlich  für  diese  Seite:  Dr.  Albert  Wucher 


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The  Times  Literary  Supplement,  May -ig-^- -1-972 —  Ncrv3.^64" '"-psT^e  58I 


SucM  is  thc   nian«J;irin  style. 


/Just  one  cabinet  after  another 


f 

1  ^ 


HAGEN   SCHULZE  (Editor): 
Das  Kabinett  Schcidcmaim 

Ixvii  plus  554pp.   DM  60. 

MARTIN  VOGT  (Hditor) : 
Da$  Kabinett  Müller  1 

L\xi  plus  375pp.  DM  60. 

Das  Kabinett  Müller  H 

In  two  parts.   Ixxwiii   plus   I.682pp. 

DM   180. 

Die  Entstchunu  des  Young-Plans 

39()pp.   DM    30. 

ISt^ppard  am  Rhein  :  Harald  Büldt. 

The  rcasons  for  Ihe  weakncss  of 
pariiamcntary  ^ovcrnment  in  intcr- 
vvar  Gcrmany  have  not  lackcd  inves- 
tij^alor^.  Some  havc  cmphasized  thc 
Icgacy  of  historical  expericncc  that 
.Gcrmany  inhcrited  in  1918  :  a  highly 
devclopcd  administrative  machine 
ajj;ainst  which  thc  claims  of  cicctcd 
rcprcscntativcs  could  make  littlc 
hcadway  ;  thc  stunting  of  pariiamcn- 
tary institutions  by  thc  authoritarian 
mcthods  of  unilication  undcr  Bis- 
marck  ;  thc  failure  of  partics  to  irans- 
cend  do^matic  factionalism  and 
scctional  jobbcry.  Othcrs  have 
cmphasi/cd  the  anti-parliamcntary 
political  culture  that  arosc  out  of  thcse 
cxpericnccs — the  prcfercnce  for 
"  honest "'  governmcnt  over  "  dis- 
honcst  "  politics,  thc  low  public  status 
of  polilicians,  thc  casc  with  which  par- 
liamcntarians  Ict  thcmscivcs  bc  typc- 
casl  as  aj^itators  rathcr  than  statcs- 
mcn.  Othcrs  still  havc  blamcd  thc 
institutional  dcfccts  of  thc  Weimar 
Constitution  proportional  rcprcscnt- 
atioa,  thc  Subordination  of  cabincts 
lo  pariiamcntary  volcs,  the  ambigu- 
oüs  positii>n  of  the  President. 


These  are  good  and  fruitfui 
approaches.  No  one  has  yet  attacked 
the  Problem,  by  starting  from  the 
cabinet,  the  organ  that  inhcrited  exe- 
cutive  responsibility  from  the 
Imperial  Reklisrat,  that  curious  amal- 
gam  of  Upper  house,  federal  congress 
and  ministcrial  Council.  The  twenty- 
onc  Weimar  cabincts  were  a  micro- 
cosm  of  thc  Rcpublic's  impcrfec- 
tions.  All  of  ihcm  werc  coalitions, 
Gontaining  up  to  six  parties.  One 
third  of  thc  chanccllors  and  one  ihird 
of  the  ministers  werc  non-partisan 
"  experts  "  recruitcd  from  outside  the 
rank's  of  parliament.  For  almost 
three-fifths  of  thc  Rcpublic's  dura- 
tion  the  cabincts  rcstcd  on  minority 
pariiamcntary  support,  or  go\crncd 
through  prcsidcntial  dccrcc.  Thc 
average  lifc  of  a  cabinet  was  littlc 
over  eight  months. 

The  documcnts  ,slorcd  by  the 
Reich  C  hanccilcry,  though  by  no 
means  compictc.  givc  dctaiied  in- 
sights  into  thc  workings  of  what 
should  havc  bccn  a  ccntrc  of  intcgra- 
tive  and  coordinating  power.  Thc 
first  thrcc  volumcs  undcr  rcview 
bring  thc  publishcd  total  in  thc  scrics 
to  four.  and  at  Icast  one  furthcr 
volumc  is  closc  to  compiction.  All 
cabinet  minutcs  are  printcd  in 
extenso ;  only  those  of  the  Scheide- 
mann cabinet  show  scrious  gaps. 
They  are  suppicmcntcd  by  mcctings 
with  party  and  intcrcst-group  dclc- 
gations,  corrcspondcncc  with  slatc 
governments,  study  papcrs  and  drafts 
of  prociamations. 

The  Schcidcniann  cabinet  (Tcb- 
ruary  to  June  19}  9),  though  not 
falling  formally  within  thc  pcriod  of 
thc  Weimar    Constitution,  was  Gcr- 


.-7 


many's  first  proper  pariiamcntary 
ßovernment :  it  comprised  the 
*'  Weimar  coalition  "  of  Social  Demo- 
crats.  Democrats  and  Catholic 
Centre  who  constituted  a  majority 
in  the  Constituent  Assembly,  and 
sirpplanted  the  revolutionary  pro- 
visional  governmcnt  that  had  con- 
sisted  of  the  SPD  alone.  Like  most 
Weimar  governments  it  was  primariiy 
concerned  to  sur\  ive.  to  maintain  the 
authority  of  the  legal  governmcnt 
against  constant  challenges  by  revo- 
lutionary strikers,  Separatist  State 
governments  and  the  forces  of  order 
who  werc  frcqucntly  a  law  to  them- 
selves.  At  least  the  constitutional 
question  did  not  divide  thc  cabinet 
seriously.  Economic  qucstions.  how- 
ever,  showcd  that  a  go\crnment  rcst- 
ing  on  a  broad  pariiamcntary  basc 
is  not  neccssarily  a  governmcnt  of 
national  unity.  Thc  eloquent  mcm- 
forandum  by  thc  Socialist  Economics 
Minister,  Rudolf  Wisscil.  of  May  7. 
highlights  the  unbridgcablc  gulf  be- 
twecn  the  dirii^iste  and  free-cntcr- 
prise  wings  of  thc  cabinet.  As  for 
foreign  policy,  the  Allicd  pcacc  terms 
so  fragmcntcd  ministcrial  opinion 
that  thc  cabinet  rcsigncd  ralhcr  than 
decide  whether  to  sign. 

Thc  Hrst  Müller  cabinet.  which 
lastcd  only  ten  wecks  (March  to 
June  \*')1())  was  nevcr  intended  to 
bc  morc  than  a  carctakcr  govern- 
mcnt. It,  too.  was  a  Weimar  coali- 
tion ;  its  task  nas  to  repair  the 
damage  done  by  thc  Kapp  putsch 
and  to  prepare  thc  Iirst  regulär  par- 
iiamcntary clcctions.  Thc  vcry  pro- 
cess  of  forming  thc  governmcnt.  how- 
cver,  showcd  lunv  ncar-imptissible 
werc    its  tasks.      The    trade    unions. 


whosc  strike  had   bccn  instrumental 
in  defeating  thc  putsch,  now  dcm:tn- 
ded    a  permanent   right  of  con?.ulta- 
tion  by  the  governmcnt ;  the  propo- 
/sal  to  make  the  Socialist  Otto  Wels 
^Minister    of    Defence    had    to     be 
/  dropped  lest  it  lead  to  mass  resigna- 
'  lions  by   Reichswehr  oflicers ;  Gen- 
eral von  Secckt  was  willing  to  accept 
the  sensitive  army  command    of  the 
Berlin  arca  provided  he  could  ncmin- 
ate  his  superiors,  veto  collcague>  and 
be    relie\ed  from  contact    with    the 
State  secretary    of  the    Chancellery. 
The    elections    of    June     1920,  with 
their  crushing  defeat  of  the  N^'eimar 
partics.  brought  the  coalition    o  an  ' 
cnd. 

Müllcr's  second  cabinet  began  lifc  • 
undcr  prospccts  as  hopcfui  as  any 
in  thc  \\  cimar  Rcpublic.  A  "  grcat 
coalition  "  of  the  moderate  partics. 
it  was  formed  after  their  May  1928 
election  victory  and  lastcd  until 
March  1930.  It  came  in  on  the 
wave  oi  economic  recovery  anJ  dis- 
integrated  undcr  the  impact  o{  the 
dcpression.  Its  end  was  the  end  of 
thc  attempt  to  govcrn  Gcrmany 
through  pariiamcntary  majorities. 

As  was  usual  in  thc  late  1920s  thc 
coalition  partners  were  most  agrecd 
on  foreign  policy,  which  mcant  in 
this  casc  the  elaboration  of  thc 
\  oung  Plan  for  thc  rc-phasing  of  re- 
parations.  (Its  pre-history  is  docu- 
mcnted  in  Die  Entsteluifi!^  des  Youn\^- 
Plans  by  Martin  N'ogt.)  On 
constitutional  issues,  too.  there  was 
the  customary  patchcd-up  conscnsus, 
though  this  iuNolvcd  equating  the 
\er>  uncqual  thrcats  to  thc  Rcpublic 
from  right  and  left.  It  was  over  the 


cconomy,  howe^er,  where  there  was 
no  common  cause  to  defcnJ  agamst  a 
common  enem>.  that  the  coalition 
broke  up,  demonstrating  that  the  Ger- 
man  party  struclurc  was  not  adapted 
to  prescnting  policics  und.making 
choices. 

All  the  cabincts  here  examined 
süfTered  from  personal  di:iloyahics. 
Hjalmar  Schacht,  the  PrcMdenl  of  the 
Reichsbank.  abiised  his  pri\ilcge  of 
attending  cabinet  meelings  by  inime- 
diately  broadcasting  tendeniious  \er- 
sions  of  them.  The  industrial- 
ists  of  the  national-liberal  People's 
Party  hounded  their  ablest  colleague, 
the  Socialist  Finance  .Minister  Hiifer- 
ding,  into  resignation  in  1929. 

At  the  time  of  the  peace  negoli.i- 
tions  the  Finance  Minister  Er/berger 
publicly  called  for  tiie  dismissal  of 
Brockdorff-Rnntzau.  the  Foreign 
Minister.  But  such  ihings  happen 
even  in  well-ordered  democracies. 
More  damaging  was  a  !cgac>  from 
the  Imperial  regime :  a  prcfercnce 
for  Opposition  to  responsibility.  The 
difficulty  of  persuading  parties  to 
join  coalitions.  the  e\en  greater  dif- 
ficulty of  persuaJing  them  to  stay  in. 
are  a  constant  theme  o\  these  papers. 

To  condemn  is  easy.  and  thc  edi- 
tors  rightly  stress  the  odds  against 
these  sometimcs  mediocre.  generally 
honest  and  almost  uni^ersally  con- 
scientious  mcn.  From  the  day  it 
took  Office.  e\ery  cabinet  was  on  the 
defensive ;  to  launch  an  initiative, 
even  to  claborate  contingency  plans, 
seemed  almost  utopian.  In  this  the 
wcaknes.scs  of  cibinets  werc  merely 
symptomatic  oi  wider  human  and 
structural  weaknesscs  whose  causes 
must  be  traced  back  long  beforc  1918. 


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.AMBURG 

NABHÄMGtG  ÜBERPAinCiUCH 


elü.  Hamburg.  17.  Februar 

Hamburg  bangt  um  dio  Gesundheit  der 
groBen  alten  Dame  dieser,  Stadt:  Frau  Or.  Els- 
beth  Welehmann  (74),  seit  49  Jahren  mit  Alt- 
BUrgermeister  Prof.  Herbert  Weichmann  ver- 
heiratet, ist  gestern  mittag  auf  dem  Weg  xu 
einem  Senatsempfang  In  der  Rathausdiele 
schwer  gestürzt. 


Sie  erlitt  einen  sehr  schmerrhaften  Oberschen- 
kelbruch. Freitag  morgen  wird  sie  im  Krankenhaua 
St.  Georg  von  Prof.  Franz  Mörl  (44)  und  seinem  Ärz- 
teteam operiert. 

Stundenlang  wachte  Herbert  Weichmann  ge- 
stern am  Krankenbett  seiner  Frau  in  Zimmer  910 
des  Chirurgie-Hochhauses. 

Lesen  Sie  den  großen  Bericht  auf  Seite  8. 


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>ifji£i2fe 


j  th<i4m  frouria  int  Krankenhous:  H«rb«rt  Welehmann  brachte 


Anschlag  und 

Drohbriefe 

gegen  Anwalt 

ms.      Düsseldorf, 

17.  2. 

Terroristen  ha- 
ben gestern 
nacht  dos  Auto 
des  Düsseldor- 
fer Anwalts 
Heinz  Peters  in 
Brand  gesteckt! 

Der  Pflichtver- 
teidiger im  Pro- 
zeß gegen  die 
Attentäter  in  un- 
serer Stockhol- 
mer Botschaft 
bekam  außer- 
dem einen  Droh- 
brief; „Sie  sind 
ein  Zwangsan- 
walt 1  Wenn  Sie 
nicht  zurücktre- 
ten, werden  Sie 
liquidiert!" 

BM-Anwalt 
schmuggelt 
Elektronik 

dpa.       Stuttgart, 
17.  2. 
Ein  Anwalt  der 
BM-Anorchistin 
Ingrid     Schubert 
(32)  hat  in  Stutt- 
gari-Stommheim 
versucht,     seiner 
Mandantin   elek- 
tronische Bautei- 
le In  die  Zelle  zu 
schmuggeln.    Sie 
wurden  zwi- 

schen seinen 

Akten  entdeckt. 
In  der  Zelle 
fand  man  ein 
weiteres  Bau- 
teil. Ingrid  Schu- 
bert verbüßt 
eine  13jährige 
Freiheitsstrafe. 


.•■-:\'\y 


$«il9  I  •  BILD  •  Hamburg,  17.  Februar  1977 


Bl  LD-Hamburg 


Im  Krankenwagen  wischte  Herbert  Weichmann 

seiner  Frau  die  Tränen  ab 


f 


Für  beide  -  sie  sind  49  Jahre  verheiratet  -  ist  der  Unfall  ein  schwerer  Schock 


Von  E.  LUTCKE,  V.  AUBELE,  W.  GROSSER  und  M.  THOMAS 

Hamburg,  17.  Februar 
Sie  hatten  es  eilig  —  Hamburgs  großer,  alter  Bürgermeister 
Herbert  Weichmann  (80)  und  seine  Frau  Elsbeth  (74).  Die  Turm- 
uhr am  Rathaus  leigte  12.29  Uhr  —  eine  Minute  später  sollte 
das  SenatsfrUhstUck  zu  Ehren  des  neuen  amerikanischen  Bot- 
schafters in  Bonn.  Walter  }.  Stoessel,  beginnen. 


Hastig  ging  Frau.  Dr.  Els- 
beth Weichmann  in  ihrem  hel- 
len Wantel  hinter  ihrem  Mann 
in  die  Rathausdiele.  Da  ge- 
schah es:  Auf  den  glatten  Ter- 
razzofliesen rutschte  Elsbeth 
Weichmann  aus  —  ihre  schwar- 
zen Schuhe  mit  den  acht  Zenti- 
meter hohen  Keilabsätzen  und 
Gummisohlen  waren  feucht 
vom  Schneematsch. 

Ratsdiener  Helmuth  Wirr- 
mann (59)  hörte  zuerst  den 
unterdrückten  Schmerzens- 

schrei. 

Vor  (der  Treppe 

„Frau  Weichmann  war  nur 
noch  sechs  Meter  vom  Trep- 
penaufgang ins  Senatsgehe- 
ge entfernt.  Ihr  rechtes  Bein 
lag  verkrümmt  unter  dem  lin- 
ken. Die  schwane  Handta- 
sche war  drei,  vier  Meter 
weiteraeschleudert  worden." 

Wirrmann    und    ein    Rotsfah- 
^  .  ^         ...  .  .      ..        rer  truaen  Elsbeth  Weichmann 

.Di*  Weichmannii"  in  ihrer  Wohnung  am  Feenteich.    Vor  den  hohen  Bucherwanden  ordnen  sie  ihre  ^^^  ^j^^  Rundbank  aus  Sand- 
Schätze:  Urlaubs-Dias,  die  sie  aus  aller  Welt  mitbrachten  stein.  Vier  Minuten  später  ho- 


ben zwei  Feuerwehrmänner 
vom  Rettungswagen  11  B  Frau 
Weichmann  auf  ihre  weiße 
Trage. 

„Eine  unglaublich  tapfere 
Frau:  Die  tränen  rollten  ihr 
übers  Gesicht,  aber  sie  biß 
die  Zähne  zusammen,  um  den 
unheimlichen  Schmerz  zu  un- 
terdrücken", sagt  Brandmei- 
ster Sieber. 

Während  der  Fahrt  ins  Kran- 
kenhaus St.  Georg  hielt  Her- 
bert Weichmann  die  Hand 
seiner  Frau.  Zärtlich  streichel- 


te er  ihr  das  Gesicht,  wischte 
die  Tränen  fort. 

Nach  der  ersten  Untersu- 
chung durch  Prof.  Franz  Mörl 
(44)  fuhr  der  Alt-Bürgermeister 
nach  Hause,  um  für  seine  Frau 
Morgenmantel,  Nachthemd 
und  Waschzeug  einzupacken. 
Dabei  sagte  er  bedrückt  zu 
BILD: 

„Ach,  es  ist  doch  ein 
schrecklicher  Schock  für  bei- 
de. 49  Dahre  verheiratet,  und 
kaum  einen  Tag  voneinander 
getrennt.  Immer  kerngesund 
—  und  auf  einmal  ist  sie  im 
Krankenhaus  Können  Sie  sich 
vorstellen,  wie  einsam  man 
dann  plötzlich  ist," 

Am  Freitagvormittaq  soll 
Elsbeth  Weichmann  operiert 
werden.  Prof  Mörl:  „Diese 
Oberschenkel-Operation  ist 
für  UPS  ein  ziemlich  alltägli- 
cher Einoriff  —  auch  bei  älte- 


Zum  Antrittsbesuch 
des  amerikanischen 
Botschafters 
Walter  J.  Stössel  jr. 
(Mitte)  und  seiner 
Frau  wollte  das 
Ehepaar  Weichmann. 
Nun  hief) 
Bürgermeister 
Klose  (r.),  der  im 
April  nach  Amerika 
reisen  will, 
die  Gäste  allein 
willkommen. 


ren  Menschen.  Wir  legen  die 
gebrochenen  Knochen  frei 
und  schrauben  eine  Pohl'sche 
Laschenschraube  ein.  Damit 
werden  die  Knochen  verbun- 
den. Behinderungen  bleiben 
im  allgemeinen  nicht  zurück." 


// 


„Ich  habe  Angst 

Herbert  Weichmann;  „Das 
ist  ja  alles  sehr  tröstlich  — 
aber  ich  hob'  doch  große 
Angst  vor  der  Operation."  Er 
wird  im  Vorzimmer  sitzen,  und 
er  wird  seine  Frau  aus  dem 
Operationssaal  hinaus  in  ihr 
Einzelzimmer  910  im  9.  Stock 
im  Hochhaus  der  Chirurgie 
begleiten,  wenn  olles  vorbei 
ist.  Seinen  81.  Geburtstag  am 
23.  Februar  wird  Professor 
Weichmann  am  Krankenbett 
seiner  Frau  feiern. 

Mit  Bestürzung  hörten  die 
Teilnehmer  am  Senatsfrüh- 
stück von  dem  Unfall  der  in 
ganz  Hamburg  verehrten  Els- 
beth Weichmann.  Bürgermei- 
ster Klose  und  seine  Gäste  — 
außer  Botschafter  Stoessel 
und  Generalkonsul  Kiselvak 
waren  Alfred  C.  Toepfer,  die 
Bankiers  Eric  M.  Warburg  und 
Freiherr  von  Schröder,  Esso- 
Chef  Wolfgang  Oehme,  Han- 
delskammerpräsident Schlen- 
ker  und  weitere  Prominenz  da- 
bei —  übermittelten  sofort 
ihre  herzlichsten  Genesungs- 
wünsche. 


Immer    für    andere    da:    Elsbeth    Weichmann 
und    Heidi    Kabel    sammeln    für   Sorgenkinder 


So   knipste   Herbert  Weichmann   seine   Frau  — 
vor    den    geliebten    Gipfeln    in    den    Alpen 


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Vi 


BILD  -  Hamburg 


Homburg,  17.  Februar  1977  •  BIID  •%ttm  T 


füttert 


Milchkühe 


Funk 


Ein  Knopfdruck,  und  er  weiß,  ob  die  Tiere  sott  sind 


Von  PETER  AUER 
Heide  (Schleswig-Holstein),  17.  Februar 

Bauer  Peter  Franzen  (41)  aus  Bargen 
an  der  Eider  drückt  in  der  gemütlichen 
Wohnküche  auf  den  Knopf  an  einem 
Kästchen,  das  so  groß  wie  ein  kleines 
Radio  Ist.  Und  schon  erfährt  er  an  der 
elektronischen  Sichttafel  alles  über  sei- 
ne 80  Milchkühe. 

Die    Nr.    44    wollte  heute  nicht  fressen, 


die  Nr.  16  hat  ihre  Portion  sofort  wegge- 
futtert, die  Nr.  9  fraß  nur  zögernd. 

Peter  aus  dem  200-Einwohner-Ort  hat 
seinen  Boden  noch  Anfang  der  sechziger 
Jahre  mit  schweren  Sehleswiger  Pferden 
bestellt;  heute  ist  er  der  erste  Bauer  in 
Deutschland,  der  seine  Kühe  elektro- 
nisch füttert. 

Dede  Kuh  trägt  deshalb  an  einem  Hals- 
band       ein       zigarettenschachtelgroßes 


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Jede   Kuh  trägt  om   Hols  einen   Sender-   0«mit 

werden    alle    Futterdalen    drohtlos    ins    Hous 

übertragen 


Am     Kontrollgerät    in    der    Wohnküdi«     kann 

Bauer  Franzen  ablesen,  ob  seine  Tiere  richtig 

fressen 


Sendegerät.  Mit  ihrn  trottet  sie  zum  Trog, 
an  dem  auch  der  Empfänger  montiert  ist. 
So  erfährt  das  Elektronengehirn  draht- 
los: Dos  ist  die  „Else",  vier  Dohre  alt,  vor 
acht  Wochen  kalbte  sie.  Sie  braucht  des- 
halb noch  5,2  Kilo  Kraftfutter  am  Tag. 
Nebenan  frißt  die  „Viola".  Weil  sie  so 
kräftig  ist,  wird  bei  ihr  an  Kraftfutter  ge- 
spart. Sie  bekommt  nur  2,4  Kilo. 

Diese  Rationen  können  sich  die  Kühe 
auf  einmal  holen  oder  in  Raten  fressen. 
Nur:  Mehr  als  die  vorgesehene  Menge 
gibt's  nicht. 

Abends  wirft  der  Kontrollschirm  in  der 
Küche  alle  Daten  aus.  Das  Wichtigste: 
Das  Gerät  zeigt  an,  welche  Kuh  über- 
haupt nicht  fressen  wollte.  Ein  Zeichen, 
daß  sie  krank  ist. 

Das  elektronisch«  Fütterungssystem 
(es  wird  aus  Holland  durch  den  Hambur- 
ger Melkmaschinenhersteller  Helmut 
Riecken  importiert)  hat  SO  000  Mark  ge- 
kostet. Insgesamt  aber  hat  Bauer  Fran- 
zen in  seinen  1969  gebauten  Hof  rund 
eine  Million  Mark  investieren  müssen. 

Er  hatte  seinen  alten,  unwirtschaftli- 
chen Hof  aufgegeben  und  außerhalb 
des  Dorfes  neu  gebaut.  Deshalb  wurde 
er  vom  Staat  unterstützt. 


Hamburg  -  ein  Paradies  für  Männer? 


> 

/   Hamburg     Ist    ein    „Paradies    für 
Männer".     Auf     100    männliche    Ein 


gr    Hamburg,  17.  Februar 


Mädchen  als  junge  Männer  das 
Abitur,  aber  die  Industrie-Arbeite- 
rinnen verdienen  ein  Drittel  weni- 
ger als  ihre  männlichen  Kollegen. 


Kein 
Staats- 


Angriff 
auf 


liberal 
freier 


/ 


fite  6  —  ZEIT  Nr.   37 


V 


DAS  POLITISCHE  BUCH 


Dienstag,  den  19.  September  19( 


ismus 


Tlicorieii  über  ein  /oilgiMiiälios  llioiiia 


Otto  Bauer,  Herbert  Marcuse,  Arthur  Rosen- 
herg  u.  a.:  I  ascliismus  und  K.ipitalismus. 
Tiieorien  über  die  sozialen  Ursprünge  und 
die  1  unktion  des  Faschismus.  Herausgegeben 
von  Woltgang  Abendroth.  Eingeleitet  von 
Kurt  KHeni,  Jörg  Kammler  und  Rüdiger  Grie- 
penburg.  (Politische  Texte.  Herausgegeben 
Aon  Wolfgang  Abendroth,  Ossip  K.  Mecht- 
heim  und  Iring  letscher.)  Europäische  Ver- 
lagsanstalt, Franklurt  a.  M.,  Europa  Verlag, 
Wien;  188  Seiten,  kartoniert  12,—  DM. 

^  m  '  er  könnte  nach  dem  Putsch  in  Griechenland 
▼  \  noch,  länger  behaupten,  daß  der  h'aschis- 
nuis  nur  noch  ein  Gegenstand  des  historischen 
Interesses  sei?  Allein  die  Emotionen,  die  das 
Wort  „l-aschismus"  in  der  aktuellen  welt- 
politischen Auseinandersetzung  hervorruft, 
zwingt  da/u,  den  Aussagewert  dieses  Begrirts  zu 
prüfen.  Diesem  Zweck  dient  in  vorzüglicher 
Weise  die  hier  angezeigte  Sammlung  von  un- 
orthodox-marxistischen  Beiträgen  zu  einer  Theo- 
rie des  Faschismus, 

Alle  Aufsätze  stammen  aus  den  zwanziger  und 
dreißiger  Jahren.  Alle  Autoren  geben  sich  mit 
der  offiziösen  Dehnition  des  Faschismus  durch 
die  Komintern  nicht  zufrieden,  für  die  der 
J-aschismus  nichts  anderes  ist  als  die  „offene 
terroristische  Diktatur  der  am  meisten  reaktionä- 
ren und  chauvinistischen  imperialistischen  Ele- 
mente des  F'manzkapitals".  Alle  Autoren  jedoch 
schließen  sich  der  Einsicht  IVIax  Florkheimers  an, 
die  dem  Buch  als  Motto  vorangestellt  ist:  „Wer 
aber  vom  Kapitalismus  nicht  reden  will,  sollte 
auch  vom  f'aschismus  schweigen  "  Der  grund- 
lei;ende  Unterschied  zwischen  den  Methoden  die- 
ser Theoretiker  und  denen  der  meisten  konserva- 
tiven und  liberalen  Kritiker  des  F'aschismus  ist 
ilamit  bezeichnet:  er  leitet  sich  ab  aus  den  geisti- 
gen 'Fraditionen  der  europäischen  Arbeiter- 
hev\  egung,  \i,C)i,cn  die  der  Faschismus  den  Haupt- 
stoß seines  Angriffs  richtete. 


Mächli<>;e  ^  erhüiulolc 

U^BuHj;,  Wesen   und  Fut^ktion  der  faschisti- 
.\\v^^^ÄLweuun^en   des  iwanzJjgstcn   Jahrhundertii 

'*"■''   ^''•■■■'piTcschreibung  c] 


'I'oialitarisnuisbegrill,  der  eine  „v\enigstens  thei)- 
retische  Bevvalt!i;ung  des  Faschismus  blockiert". 
Dieser  Begriff  soll  die  wesentlichen  Struktur- 
merkmale der  kommunistischen  wie  der  fasclii- 
stischen  Herrschattsordnung  zusammenfassen,  die 
gleichermaßen  als  Abweichungen  vom  Modell 
einer  westlich-parlamentarisch  \  erfalsten  Gesell- 
schaft angesehen  weiden.  So  sehr  man  die  Er- 
gebnisse dieser  Betrachtungsweise  tür  die  k.r- 
kenntnis  von  I  lerrsclialtsapparaten  würdigen 
muis  —  zur  1  insicht  in  div'  Verschiedenheit  der 
sozialen  Ausgangslat;e,  der  Ziele  und  der  ge- 
schichtlichen Entv/icklung  von  Kommunismus  und 
Faschismus  hat  die  Tot<iliiarismiistorschung  wenig 
beigetragen    Sie  ist,  mit  einem  Wort,  zu  statisch. 

Von  der  konmumistischen  Faschismustheorie 
entfernt  sich  in  der  vorliegenden  Sammlung  der 
Historiker  Arthur  Rosenberg  noch  verhältnis- 
mäßig wenig.  Für  ihn  verkörpert  sich  der  Fa- 
schisnuis  im  „gegenrevolutionären  Kapitalisten, 
dem  geborenen  Feind  der  klassenbewußten  Ar- 
beiterschaft". Die  Mittelschichten,  in  denen  auch 
er  die  entscheidende  soziale  Basis  aller  faschi- 
stischen Bewegungen  sieht,  wären  seinem  Urteil 
zufolge  in  Deutschland  und  Italien  um  1918/19 
durchaus  bereit  gewesen,  eine  sozialistische  Um- 
wälzung zu  unterstützen.  Erst  als  sich  in  beiden 
Fällen  die  Sozialisten  unfähig  zeigten,  ganze 
Arbeit  zu  machen,  hätten  sich  diese  Schichten 
wieder  \on  ihnen  abgewandt.  Wer  die  lange 
antidemokratische  Tradition  im  deutschen  Mit- 
telstand verfolgt,  wird  dieser  These  zumindest 
nicht  pauschal  zustimmen  können  und  auch  die 
Wahlergebnisse  von  1919  anders  deuten  als 
Rosenberg.  Aber  es  trifft  sicherlich  zu,  dai^  die 
bürgerliche  Demokratie  von  den  Mittelschichten 
i'icht  aus  eigener  Kraft  zerstört  werden  konnte. 
Sie  bedurften  dazu  mächtigerer  Verbündeter. 

Die  Rolle  von  Mittelschichten  und  Groß- 
bürgertum bei  den  faschistischen  Machtergreifun- 
gen ist  auch  das  Thema  des  führenden  öster- 
reichischen Sozialdemokraten  Otto  Bauer.  Der 
F'aschismus  ist  für  ihn  das  Resultat  dreier  eng 
miteinander  vcrschluni;ener  sozialer  Prozesse: 

Krstois  hat  der  Krieg  Massen  von  Kriegs- 
teilnehmern aus  dem  bürgerlichen  l  eben  hinaus- 
geschleudert und  deklassiert.  Unfähig,  in  die 
bürgerlichen  Erwerbs-  und  Eebensformen  zurück- 
zuimden,  bilden  sie  nach  dem  Krieg  Milizen  und 

Wehrverbände    mit    <mrt.^     iiiilitari.stij>clH*^    anii-, 
deniokratiscben     iinJ     nat 


teien    ab    und    scharen    sich    um    die    völkischen, 
radikal  antidemokratischen  Bewegungen. 

Drittens  haben  die  Wirtschaftskrisen  der  Nach- 
kriegszeit die  Profite  der  Kapitalist'.-nklasse  ge- 
senkt. „Die  Kapitalistenklasse,  an  ilven  Profiten 
bedroht,  will  die  Profite  durch  Steigerung  des 
Grades  der  Ausbeutung  wiederherstellen.  Sie  will 
den  Widerstand,  den  die  Arbeite  klasse  dem 
entiieiiensetzt,  brechen.  Sie  verzw.-ifelt  daran, 
dies  unter  denu)kratischer  Flerrschait  zu  können. 
Sie  bedient  sich  der  um  die  fasch'stischen  und 
völkischen  Milizen  i;escharten  rebc  lischen  Mas- 
senbewegungen  der  Kleinbürger  unJ  Bauern  zu- 
erst, um  die  Arbeiterklasse  einzuschüchtern  und 
in  die  Defensive  zu  drängen,  si  äter  um  die 
I^emokratie  zu  zerschlagen."  Baue^  hebt  hervor, 
daß  die  Furcht  des  Kapitals  weiiiger  dem  re- 
volutionären als  dem  reformistischen  Marxismus 
gilt,  den  Sozialdemokraten  und  Gewerkschaften. 

Die  Staatsmacht  wird  dem  Fascliismus  nicht  in 
einem  Augenblick  überantworter.  in  dem  das 
Bürgertum  von  der  proletarisci'en  Revolution 
bedroht  ist.  F.r  siegt,  als  die  Arbeiterschaft  schon 
längst  geschwächt  und  in  die  Defensive  gedrängt, 
die  re\  olutionäre  Mut  bereits  ai  i;eebbt  ist.  Die 
Machtübernahme  des  Faschisnris  wird  durch 
Kapitalistenklasse  und  Großgrundbesitz  geför- 
dert, „um  die  Föhne  zu  drücken,  die  sozialen 
E,rrungenschaften  der  Arbeitei  klasse  zu  zer- 
trümmern". 

Siclierheil  slall  Deniokralic 

Soweit  sich  die  neuere  historisdie  Forschung 
kritisch  mit  den  gesellschaftlichen  Bedingungen 
iür  den  italienischen  Faschismus  und  den  deut- 
schen Nationalsozialismus  auseinandersetzt,  hat 
sie  diese  Analyse  Bauers  in  großem  Umfang 
bestätigt. 

Durch  zahlreiche  Untersucluingen  ist  seit  lan- 
gem erwiesen,  daß  die  Gewiime  der  National- 
sozialisten besonder-:  zu  Fasten  jener  bürgerlich- 
liberalen  Parteien  gingen,  deOen  früher  die  mei- 
sten Stimmen  des  Mittelstand^  zugefallen  waren. 
Die  Wendung  vom  I  iberalisijuis  /um  Faschismus 
ist  so  erstaunlich  nicht:  Sol.iJge  sich  das  Bürger- 
tum als  .fallgemeiner  Staill"  fühlen  konnte, 
solange  es  keine  Majorlsieru/g  durch  die  Arbeit- 
nehmerschaft zu  fürch/en  Äiatte,  war  es  un- 
bestritten, d.xil  die  Sicherhei Jdes  Privateigentums 
am  besten  in  einem  parl.»nen tarischen  Rcj;ie- 
systc^i  /u  erreichen  Ar.  In  Jer  Situation 
■"'  her,     .»»f«>T     \^c,-iiimii*ii^^*^ri     Bedrohung 


■  </•••■**•►:*.?'■ 


Aufnahme;  Rudolf  Dietnch 

Die  DDR-Fahne  —  Wird  sie  1972  bei  Olympischen  Spielen  in  München  wehen? 


Kapitalismus",     der     Entwicklung     vom     freien 
Wettbewerb  hin  zum  Monopol. 

Man  mag  bemängeln,  dais  die  gesellschaftliche 
Konstellation,  in  der  der  Faschismus  die  Macht 
ergreifen  kann,  auch  bei  Thalheimer  nicht  noch 
genauer  bestimmt  wird.  Offensichtlich  ^teht,  was 
Bauer  zumindest  kurz  andeutet,  die  Ghance  einer 
Herrschaftsübernahme  durch  den  I  aschismus  m 
direkter  Beziehung  zur  Stärke  der  demokratischen 
Traditionen  in  einem  l  and.  Wo  sich  das  Bürger- 
tum politisch  oder  wirtschaftlich  nur  teilweise 
emanzipiert  hat,  wo  sich  starke  vorindustrielle 
Herrschaftsgruppen  wie  Adel,  Kirche.  Beamten- 
tum und  Militär  in  ihren  Machtpositionen  be- 
haupten —  überall  da  harten  und  haben  faschi- 
stische Bewegungen  ErfoJgs.uissichten.  Daß  i^icr 
r-aschismus  „die  dorn  manapc^UstiscIieii  StaJumj 
des  KapitaJtsmuJ  eotsp  rächen  de  Q'>'^^\il-Ü^^;^_^ii|^ 


Für    die    demokratischen    Kräfte    kommt   es, 
folgert    der    italienische    Sozialist    Angelo    l: 
aus   einer    ähnlichen    Einsicht   heraus,    in    sol 
Situationen    darauf    an,    „den    Faschismus 
Staat  zu  isolieren,  die  Einflüsse  und  Komplizei' 
die    den     Staat     dem     Faschismus    dienstbar    /u 
machen    bcabsicluigen,   zu    neutralisieren   und  zu 
bekämpfen.   Der   haschlsmus  vermag  nidits  ohne 
den  Staat  uiul  weniger  als  niclits  gegen  ili.'i." 
Die  Entwürfe  zu  einer   Theorie  des  Faschisnius, 


wie  sie  uns  liier  v 


orl 


leuen,  si 


nd 


vor  ciC 


lern  Zweiten 
Weltkrieg  entstanden,  zu  einer  Zeit  also,  \\2  dt-'^ 
das     volle     Ausmaß     der     narionalsoziah^lchen 
Fferrschaft   noch   nidit   bekannt   war.   Hifi 
Wirkiiclikeit   bleiben    sie   daher  zurück,    ifit. 
nieinsamkeiten    der    radikal    gcgenrevohi 
Iic\\regungen,  die  niAn  seit  der  ^.wisdicnk 
iinrcT    dem    Trumen    ihrer   ersten.    <lcr   jt.i/rV'i 


rseine     deniokrarischen 


DDR  oder  Mitteltleutsdiland? 


\C'cllcs  Hangen:  DDR.  Der  unbequeme  Nach- 
bar. Aus  dem  Amerikanischen  von  Helmut 
Degner.  Piper  Verlag,  München.  219  Seiten, 
n,80  DM. 

laudier,  die  ein  sachliches  Verständnis  tür  die 
.15  DDR  bowirkc.i  sollen,  j;ibi  c^  mirilcrwcik" 
c"iic  :;an/.c  Vlcni;c.  Schade  um  jedes  nou  innen, 
das  erst  jet/t  erscheint,  zu  einer  Zeit,  da  man 
s;ch  reihst  in  Lkinn  dem  ,i;esamuieut>chcn  Problem 
mit  rationaleren  KatCi;orien  /.u  nähern  bei;innt! 

Das  vorliegende  Buch  des  langiährii;en  deut- 
schen Korrespondenten  \ou  NBC,  Welles  H^^n- 
i;en,  ist  für  Amerikaner  ^geschrieben.  Es  enthalt 
zahlreiche  aufklärende  Passagen,  die  dem  deut- 
schen Zeitungsle.ser  nichts  Neues  bringen.  Nütz- 
lich sind  jcduch  icne  Informationen,  die  der  Ver- 
fasser auf  seinen  DDR-Reisen  aus  erster  Hand 
erhielt.  Was  er  z.  B.  über  die  Erfolge  und  Pro- 
bleme der  Industriereform  mitzuteilen  hat,  ist 
lesenswert.  Nicht  weniger  informativ  ist  das 
Kapitel  über  die  Situation  der  Landwirtschaft. 

Erfrischend  ist  das  nach  beiden  Seiten  hin 
kritische,  von  Apologie  und  stereotypen  Vorwür- 
fen freie  Urteil  des  Autors.  Beachtung  verdient 
auch  seine  Anti-Neutralisierungs-These:  „Die 
Viertelmillion  amerikanischer  Soldaten,  die  heute 
in  Westdeutschland  stehen,  scheinen  zur  Neutrali- 
sierung dieses  Landes  noch  eher  beizutragen  als 
irgendwelche  vertraglichen  Vereinbarungen  zwi- 
schen den  Großmächten  .  .  .  Den  Russen  ist  eine 
von  den  Amerikanern  im  Zaum  gehaltene  Bun- 
desrepublik   wesentlich    lieber   als   ein    sich   gegen 


eine  aufgezwungene  illusorische  , Neutralität'  aut- 
lehnendes Gesamtdeutschland." 

Mängel  weist  der  Bericht  Hangens  da  auf,  wo 
er  Informationen  aus  zweiter  Hand  weitergibt. 
So  war  es  wohl  kaum  das  „neue  ökonomische 
System,  für  das  Erich  Apel  sein  Leben  hingab". 
(An  anderer  Stelle  heilst  es  statt  dessen,  dals  das 
langfristige  Handelsabkommen  mit  Sowjetruls- 
land  den  Planungschef  zum  Selbstmord  trieb.) 
Auch  die  Spekulationen  über  Apels  „Testament" 
sind  durch  die  angeführten  vagen  westLchen  In- 
formationen k.uim  gerechtfertigt.  Unrichtig  ist, 
d.iil  Lotte  Ulbricht  Mitglied  des  ZK  sei.  Audi 
kann  Erich  Honecker  1V66  nicht  stellvertretend 
für  Ulbricht  „die  Leitung  der  Regierung"  über- 
nommen haben,  da  er  ihr  nicht  angehörte. 

Verwundern  müssen  die  kritischen  Bemerkun- 
gen des  Autors  über  die  Nichtanerkennung  der 
bder-Neilse-Grcnze  und  die  terminologische 
Verkrampfung  bei  der  Bezeidmung  des  anderen 
Landesteils,  wenn  er  selbst  bis  zu  achtmal  auf 
einer  Seite  (!)  das  Wort  „mitteldeutsch"  ge- 
braucht. („Die  Mitteldeutschen  haben  inzwischen 
eine  Allergie  gegen  die  Bezeichnung  ,Zone'  ent- 
wickelt.") Da  dieser  Ausdruck  in  Amerika  nahe- 
zu unbekannt  ist  und  der  Verfasser  das  dort  ge- 
bräuchliche Wort  „Ostdeutschland"  nie  verwen- 
det —  DDR  sagt  er  selbst  im  'l'itel  — ,  muis  der 
Verdacht  aufkommen,  der  Übersetzer  oder 
welche  Verlagsinstanz  auch  immer,  habe  dem 
Autor  hier  eine  Art  deutscher  Verbal-„Politik" 
vorexerziert,  die  er  als  Ausländer  mit  Recht 
komisch  findet.  Martin  Jänicke 


berat, 
i;'rrvVn^eiischaUcn  auf/ugeH|,Ti  und  seine  Zuflucht 
in  einem  Herrschaf tssystertj  zu  suchen,  das  d.\s 
Privateigentum  oder  die  pi'llvatc  Verfügung  über 
die  Produktionsmittel  durch  die  gewaltsame 
Unterdrückung  der  Arbeiterbewegung  sichert. 
Herbert  Marcuse,  der  in  seinem  Aufsatz  „Der 
Kampf  gegen  den  Liberalismus  in  der  totalitären 
Staatsauffassung"  vor  allem  geistesgeschichtlichc 
Belege  für  diese  These  aufführt,  nennt  als  einen 
seiner  Zeugen  den  Liberalen  .Ludwig  von  Mises, 
der  1927  dem  „Paschismus  und  allen  ähnlidien 
Diktaturbestrebungen"  bestätigen  zu  müssen 
glaubte,  daß  sie  „für  den  Augenblick  die  europä- 
ische Gesittung  gerettet"  und  sich  ein  Verdienst 
erworben  hätten,  das  in  der  Geschichte  ewig 
fortleben  werde. 

Die  Preisgabe  der  parlamentarischen  Regie- 
rungsform um  der  Rettung  der  bürgerlidieii 
(k'sellschaftsordnung  willen  ist  nun  freilich  keine 
L.rhndung  des  zwanzigsten  Jahrhunderts.  In  dem 
vielleidn  scharfsinnigsten  Beitrag  des  Bandes  ver- 
weist August  Thalheimer  —  der  führende  The- 
oretiker der  „rednen"  KPD-Oppostion,  der  1929 
aus  Partei  und  Komintern  ausgcsdilossen  wurde 
—  auf  die  Parallelen  zwisdien  Bonapartismus 
und  l-asdiisnuis,  ohne  auch  nur  im  geringsten 
einer  Gleichsetzung  das  Wort  zu  reden.  Er  be- 
dient sich  dabei  der  Analyse  des  Regimes  Napo- 
leons IIL,  die  Karl  Marx  im  „Achtzehnten 
Brumaire  des  Louis  Bonaparte"  vorgelegt  hat. 
Hier  wie  dort,  im  faschistischen  wie  im  bona- 
partistischcn  Herrschaftssystem,  verzichtet  che 
herrschende  Klasse,  die  industrielle  Bourgeoisie, 
auf  die  unmittelbare  Ausübung  der  politischen 
Macht.  Sie  stimmt  einer  „Verselbständigung  der 
Exekutivgewalt"  zu,  um  wirtschaftlich  die  herr- 
schende Klasse  zu  bleiben.  In  beiden  I-ällen  ist 
ein  proletarischer  Revolutionsversuch  voraus- 
gegangen, der  mit  der  Niederlage  der  Arbeiter 
endete.  Beide  Systeme  sind  offene  Diktaturen, 
in  denen  sich  die  bürgerliche  Staatsmacht  gegen- 
über der  Arbeiterschaft  verteidigt,  verschanzt 
und  neu  befestigt.  Die  Unterschiede  zwischen 
beiden   Regimes  ergeben   sich   vor  allem   aus  der 

a 


schreibt,      ist      jedenfalls     eine     um.iilässi^e      Ver- 

a/JgenieineruMg. 

Richtig    ist   hingegen    Thalbcimcrs   Bemerkung, 
daß  die  Tendenz  zur  Aushöhlung  des  parlamen- 
tarischen Systems  in  den  „vollent wickelten  kapi- 
talistischen Ländern"  allgemein   ist  und  ddß  die 
„Verselbständigung    der    Exekutivgewalt"    auch 
andere  als  faschistische  l'ormen  annehmen  kann. 


i^.iTtunte,    zusatnineiizufaAatfii    pflegt,    mnd   ^ 
\Vi>hl     ofi'enkundi^.     Die     pmkci'sche     Bede^ 
dieser    Theorien    liegt    meines    Eracbtens    in 
Erkenntnis,    daß   eine   Gesellschaft   vor  dcr^ 
sehismus   oder    verwandten    Bewegungcif-^ 
dem  Maße  sicher  ist,  wie  sie  alle  ihre  Lint 
iicn   —   und  nicht  nur  die  des  Staates  —   ^  l 
demokratischen  Grundsätzen  gestaltet. 

Hcinriih  A.  Winklcr 


Kein  Wort  von  Ausdiwitz 


.Veränderung    des 


gemeinen    Charakters    des 


Juristen-Jahrbuch.  Unter  Mitarbeit  des  Deut- 
schen Juristentages,  des  Deutschen  Richter- 
bundes, des  Deutschen  Anualtvereins,  der 
Bundesnotarkammer  und  der  Angehörigen 
der  juristisdien  Eakulläten  und  der  Justiz- 
ministerien, hrsg.  von  Ministerialdirektor  i.  R. 
Prof.  Dr.  Gerhard  Erdsiek.  7.  Band  1966/67. 
312  Seiten.  32,—  DM,  für  Studenten  und 
Referendare  19,—  DM.  NVrlag  Dr.  Otto 
Schmidt,  Köln. 

Das  Jahrbuch  erfüllt  nach  wie  \ov  den  einen 
seiner  Zwecke:  es  intormiert  den  speziali- 
sierten Juristen  über  Entwicklungen  auf  ande- 
ren Rednsgebieten.  Von  Band  zu  Band  aber  stellt 
sich  deutlicher  heraus,  dals  ein  anderes  Ziel  ver- 
nachlässigt wird:  nach  außen  zu  wirken,  den 
|uristen-„Stand"  gegenüber  anderen  Gruppen  zu 
„repräsentieren".  Mandie  Beiträge  verdienten 
durchaus  eine  Diskussion  in  breiterem  Kreise, 
aber  der  Stil,  in  dem  die  meisten  von  ihnen  ge- 
schrieben sind,  vermag  Nichtjuristen  nicht  zu 
fesseln. 

In  dem  diesjährigen  Band  schreibt  der  Celler 
Oberlandesgerichtsrat  Dr.  Dieter  Brüggemann 
über  die  „geistige  Orientierung  des  Richterstan- 
des";  die  Bonner  Staatsanwältin  Dr.  Maria  Gras- 
nick stellt  dar,  was  für  und  vor  allem  was  gegen 


ein  r.rlnccln  der  nnchclicho:  K/mdr  spricht;  der 
l  eitende  Ministerialrat  Hirschmann  aus  Kiel  plä- 
diert mit  überzeugenden  Gründen  tür  die  Zusam- 
mentassuiiL!  der  \  erschiedenen  Gerichtsverwaltun- 
gen   in  einem   Rcchtspflc^crninistcniini,  und  Pro- 
fessor I.arenz  (München)  trägt  „Grundsätzlidies" 
zur    Sitteniüidrigkeit    von    Rechtsgeschäften  bei. 
Redusanwalt  Professor  Möhring  (Karlsruhe)  be- 
handelt   eine    wichtige    Erage    des    (jesellscbajts- 
rcchts,  Professor  Neumann-Duesberg  ((jöttingen) 
beschreibt  das  Recht  am  eigenen  Bild  als  Beispiel 
eines  umfassenden  „Rechts  auf  Anonvmität".  Der 
beste  Beitrag   aber  steht  am   Schhilv.   unter  dem 
Titel       „  Untemehtnensverjassinigsrecht''      räumt 
Professor  Rudolf   Wiethölter  (Erankfurt  a.  M.) 
mit  falschen  'Lhesen  pro  und  contra  Ausdehnung 
der    Mitbestimmung    auf.    Sein    Beitrag   zeidinet 
sich  nicht  nur  durch  bestechende  Knappheit  aus, 
sondern  auch  durch  politischen  Scharfblick. 

Leider  fehlt  auch  in  diesem  Band  eine  Abhand- 
lung über  die  NS-Prozesse.  Sollten  Auschwitz- 
Prozeiis  und  Euthanasie- Verfahren  in  eine  Chro- 
nik der  Rechtsentwicklung  nicht  hineingehören? 
Auf  die  Biographie  von  Benedict  Carpzov  — 
Jenes  sädisischen  Juristen  des  17.  Jahrhunderts, 
der  nodi  die  Todesstrafe  für  Ehebruch,  Meineid, 
Ketzerei,  Zauberei  und  Gotteslästerung  vertei- 
digte  —    hätte   man    zugunsten    eines    aktuellen 


\^ 


Artikels  gern  verzichtet. 


//.  P.  B. 


S 


Die  Zahl  der 

Kaffee  HAG 

Freunde 
hat  sich 


verdoppelj 


i 


^Vi 


x> 


#  •  •  und  das  in  einem  Jahr !  — • 

Aus  guten  Gründen: 

Kaffee  HAG  wurde  in  der 
Qualität  entscheidend  verhessci  t. 

•So  bietet  er  noch  mehr  Genuß 

und  verbindet  reiches,  volles  Aroma  mit 

doppelter  Bekömmlichkeit,  nämlich  für 

•  Nerven,  Herz,  Kreislauf  und  für 

m  Magea  Leber^  Galle. 

Das  ist  ^ 

kuffee  hüb 


#_ 


t 


Freitag,  den  3.  April  1964 


Die  schutzlose  RepuB 

Warum  der  Staat  von  \Acimar  sdieiterte  /  Von  Ridiard  Sthm 


„Ich  möchte  laas  darum  gehen,  genau  7ai  'bis- 
sen, für  wen  eigentlich  die  Taten  getan  worden 
sind,  von  denen  man  öffentlith  sagt,  sie  seien 
jlür  das  Vaterland  getan  worden.*' 

Georg  Christoph  Lichtenberg 

„F.s  ist  nicht  wahr,  daß  ich  Er/herger  jemals 
die  Hand  gegeben  hahe." 

Generaljeldmarschall  von  Hindenhurg  nach  der 
Ermordung  Er7hergers 

Der  zweite  deutsche  Anlauf  zur  Demokratie 
mißlang,  weil  ein  großer  Teil  des  deutschen 
Bürger-  und  Beamtentums  sich  mit  der  Kata- 
strophe von  1918  und  ihren  Folgen  nicht  abgefun- 
den und  mit  dem  Gang  der  Geschichte  nicht  Tritt 
gefaßt  hat.  Daß  die  preußisch-deutsche  Mon- 
archie und  ihr  letzter  Vertreter  abzutreten  hatten, 
leuchtete,  so  klar  es  war,  nicht  ein.  Der  Konkurs 
wurde  dem  Konkursverwalter  zur  Last  gelegt. 
Das  monarchistische  Motiv  trat  im  Lauf  der  Jahre 
zurück.  Später  wurde  mit  nationalistischen,  völ- 
kischen, rassischen  Vorstellungen  die  Niederlage, 
der  Verlust  der  Großmachtstellung,  die  Armut 
und  Teilentwaffnung  verdrängt  und  kompensiert. 
Es  war  Flucht  vor  der  Realität  und  Selbstbespie- 
gelung.  Der  Anschluß  an  die  Umwelt  ging,  schon 
vor  dem  Dritten  Reich,  für  viele  Deutsche  ver- 
loren. Statt  dessen  tat  man  sich  groß  in  Verach- 
tung des  \X^eimarer  Staats  und  der  Weimarer 
Politiker. 

Was  fehlte,  war  der  Glanz  und  der  Schimmer; 
was  haben  sich  allein  soldi  wackere  und  gescheite 
Männer  wie  Ebert  und  Erzberger,  beides  nicht 
„Akademiker",  an  hochnäsiger  Verachtung  gefal- 
len lassen  müssen.  Die  Republik  mußte  sich  Tag 
für  Tag  mit  der  Realität  herumschlagen,  unter  der 
aktiven  oder  passiven,  heimlichen  oder  offenen 
Mißachtung  eines  Teils  des  Volkes,  und  beson- 
ders jenes  Teils,  der  die  gesellschaftliche,  admini- 
strative, justizmächrige  und  militärische  Macht 
noch  oder  wieder  in  den  Händen  hatte.  Die  Repu- 
blik hat  sich  zur  Wehr  gesetzt.  Über  die  Unter- 
nehmen, Versuche,  Kompromisse,  Erfolge  und 
Mißerfolge  dieser  Abwehr  gibt  es  jetzt  die  gründ- 
liche, überau=;  verdienstvolle  Arbeit  des  jungen 
Historikers  Gotthard  Jasper:  „Der  Schutz  der 
Republik",  Studien  zur  staatlichen  Sicherung  der 
Demokratie  in  der  Weimarer  Republik  1922  bis 
1930,  J.  G.  B.  Mohr  (Paul  Siebeck)  Tübingen  1963 
337  Seiten,  35  DM. 

Diese  Arbeit  stellt  dar,  was  der  Reichstag,  der 
Reichsrat,  die  Reichsregierung,  die  Verwaltung, 
die  Justiz,  unternahmen,  unterließen  oder  ver- 
eitelten, um  Angriffe  auf  die  Verfassung  oder 
Repräsentanten  der  Republik  abzuwehren,  ihnen 
zuvorzukommen,  sie  zu  bestrafen.  Sie  schildert, 
was  die  Republik  an  Widerstand  und  Sabotage 
dabei  aus  allen  Ecken,  von  den  Parteien,  von  den 
Ländern,  von  Beamten,  der  Justiz  und  dem  Offi- 
zierskorps erfuhr. 

Drei  F^eignisse  hnbcn  hintereinarH^"  die  Ver- 
gliche,  die  Hc^  jilil 


blieb.  Jasper  dazu:  „Die  wenigen  republikani- 
schen Offiziere,  die  es  in  der  Reichswehr  gab, 
wurden  im  Zuge  der  Entpolitisierung  entlassen.** 
Die  Reichswehr  blieb  weiterhin  Förderer  und 
Schild  vieler  republikfeindlicher  Verbände  und 
Kräfte.  Begriffe  wie  „Entpolitisierung"  und  „Ver- 
sachlichung" waren  Tarnworte  für  die  Tendenzen 
und  Maßnahmen,  die  der  Republik  feindlich 
waren.  Die  unpolitische  Maske  diente  dazu,  um 
so  v/irksamerc  Politik  gegen  die  Republik  zu 
betreiben. 

Der  Mord  an  Erzberger  hat  eine  Verordnung 
zum  Schutze  der  Republik  ausgelöst,  die  sofort 
in  Bayern,  wohin  sich  die  Mörder  begeben  hatten 
und  wo  ihnen  mit  Hilfe  des  Münchner  Polizei- 
präsidenten weitergeholfen  wurde,  als  „schwere 
Verletzung  der  bayerischen  Hoheitsrechte"  be- 
zeichnet wurde.  Schon  hatte  sich  Bayern  zur  Zu- 


vom  November  1923  zwei 
Senat   des   Staatsgerichtsh- 
wäre,  setzte  es  der  bayer 
von  Knilling  durch,  daß 
gerichtshof,  sondern  vor  d<\ 
ner    Volksgericht    angekl.» 
dafür  gesorgt,  daß  die  M 
davonkommen.    Bei    HitlJ 
wahrscheinlich,  wenn  mai 
müsse.**  Die  Reichsregieru 
tere    Verlauf    ist    bekam i 
minister   war   damals   Giv 
Reichsjustizminister. 

Auch  anderwärts  hat  d'J 
Schutzes  ihren  Zweck  nichti 
eitclt.  Das  Gesetz,   veran: 
Rechts,    wurde    vorwiege 


yüf^'s» 


Berlin,  1930:  Polizisten  durchsuchen  Nationalsozialisten  nJ 


flucht  zahlreicher  „nationaler**  Verbände  und 
Organisationen  entwickelt;  von  hier  aus  ist  durdi 
Regierungspolitik,  Justiz,  Verwaltung  und  Presse 
der  wirksamste  und  hartnäckigste  Widerstand 
gegen  den  Republikschutz  entfaltet  worden. 

Nach  dem  Mord  an  Rathenau  erging  wieder 
eine  V^erordnung  des  Reidispräsidenten;  kurz 
darauf,  am  21.  7.  1922,  nadi  Verhandlungen  und 
Kompromissen  mit  Parteien  und  Ländern,  das  auf 
fünf    jähre  befri-^tete   „Gesetz^zum   Schutze   der 


I  inks.  Dort  wurden  selb« 
Plakatkleber  verfolgt,  hiel 
sieht  und  Milde  vorgegangc 


Diese  für  das  ftecht  und 

dokumentiert.     Ihi 
war  ein  Trick,  eiij 
Begriff  ,,iviLi 
wai 


L. 


^   y;esc'iZl 


I 


toirz  1920,  der  Mord  an  Matthia^m^^hergcr  im 
gust  1921  und  der  Mord  an  Wu/7^  Rathenau 
in.  luni  1922.  Der  erste  Anlauf  ist,  wenn  auch  der 
Putsch  erfolglos  war,  im  Sinne  des  Republik- 
schutzes mißglückt.  Insbesondere  ist  die  von 
Links  geforderte  Säuberung  der  Reichswehr,  die 
beim  Kapp-Putsch  Gewehr  bei  Fuß  gestanden 
hatte  und  abwartete,  wie  er  verläuft,  nicht  emmal 
versudit  worden.  Nach  Noskes  Rücktritt  ist  Ccß- 
1er  Reichswehrminister  geworden,  die  verhäng- 
nisvollste Ernennung  Eberts. 

Geßler,  der  gefühlsmäßig  Monarchist  war,  hat 
die  „Entpolitisierung-'  der  Reichswehr^  in  Gang 
gesetzt,  was  daraufhin  hinauslief,  daß  das  der 
Republik    feindliche    Offizierskorps    maßgebend 


ßesonJere  Sdiwierigkeitei^Kichte  parlamenta- 
risch eine  Ergänzung  des  Beamtengesetzes  über 
die  Verpflichtungen  der  Beamten  gegenüber  der 
Republik.  Die  Widerstände  waren  groß  und  das 
Gesetz  entsprechend  vage.  Die  Zusammensetzung 
und  Zuständigkeit  des  vom  Gesetz  für  die  Delikte 
gegen  die  Republik  eingesetzten  Staatsgerichts- 
hofs waren  nichi  weniger  strittig.  Auch  hier  hat 
ßayern  heftigen  Widerstand  geleistet.  Nachdem 
ein  besonderer  süddeutscher  Staat  bestellt  worden 
war,  hat  Bayern  das  Gesetz  am  Tag  nach  seiner 
Verkündung  „für  das  rechtsrheinische  Bayern" 
nufgehübcn  und  erst  nach  weiteren  Verhandlun- 
gen und  Konzessionen  wieder  akzeptiert. 

Jasper  hat  folgende  pikante  Einzelheit  ermit- 
telt:  Obwohl    für   Elitler   und   seine   Putschisten 


trieb.  3 

Politik  und  Ju^ 

gegen  die  Leute  J\ 

sul  (O.  C.),  die  polf'     ^^^ 

und    die    Täter    begünstige 

reichsanwalt  Ebermayer  in 

„größtes    Verständnis    für| 

kampferprobten     Truppe 

hard  .  .  .",  er  unterstrich  ,,dij 

der   Angeklagten".   Über   jcl 

die  O.  C.  sagt  Jasper  weiter] 

„Im    Laufe   der    Prozesse 
stände  zutage  getreten,  die 
daß   hier   nicht   mit   der   nbi 
gangen   wurde,   um   die   l.r 


n 


Home  so  homel 


Sir  Alec  in  Nigeria:  Was  wird  aus  dem  Commonweallh? 


London,  im  März 

Sir  Alecs  Reise  nach  Nigerien  erinnert  an  jene 
britischen  Piakate  während  des  Krieges,  die 
zum  Zwecke  der  Entlastung  der  Eisenbahnen  an 
jeden  die  strenge  Frage  richteten:  Js  your  join- 
ncy  rcally  necessaryf''  (Ist  Ihre  Reise  wirklich 
notwendig?)  Niemand  hat  diese  Frage  in  bezug 
auf  Sir  Alecs  Reise  befriedigend  beantworten 
können,  am  allerwenigsten  Beobachter  in  Lagos 
selbst.  In  London  verstieg  sich  eine  maßgebende 
konservative  Stimme  (in  der  „Snnäay  Times")  zu 
der  Behauptung,  der  britische  Premierminister 
habe  die  Reise  unternommen,  um  das  Common- 
wealth zu  retten. 

Allerdings:  Im  Commonwealth  geht  es  derart 
drunter  und  drüber,  daß  es  stündlich  schwerer 
wird  zu  sagen,  was  das  Commonwealth  eigentlich 
noch  ist.  Es  war  vielleicht  kein  Zufall,  daß  sich 
Sir  Roy  Wehnsky  zu  seiner  ersten  großen  politi- 
schen Rede  seit  dem  Zusammenbruch  der  rhodesi- 
schen  Föderation  just  in  dem  Zeitpunkt  an- 
schickte, als  der  britische  Premierminister  in  Ni- 
gerien war;  und  daß  er  in  dieser  Rede  das  ge- 
samte Konzept  des  Commonwealth  einer  vernich- 
tenden Analyse  unterzog.  Er  schlug  vor,  die 
„volle  Mitgliedschaft"  im  Commonwealth  (mit 
einem  Verteidigungsbündnis)  nur  auf  die  alten, 
weißen  L^ominions  zu  erstrecken,  sowie  auf  Paki- 
stan (nicht  aber  auf  Indien),  und  auf  Süd-Rhode- 
sien (das  noch  gar  nicht  unabhängig  ist). 

„Wäre  Südafrika  noch  im  Commonwealth", 
fügte  Sir  Roy  hinzu,  „dann  hätte  ich  auch  Süd- 
afrika eingeschlossen."  Alle  anderen  Länder  aber 
dürften  nur  „assoziierte  Mitglieder"  sein  und 
auch  dies  nur,  falls  sie  das  Prinzip  der  Nichtein- 
mischung in  des  anderen  Angelegenheiten  akzep- 
tierten. „Was",  so  fragte  Sir  Roy,  „haben  wir  mit 
dem  neuen  Regime  in  Sansibar  zu  schaffen,  wel- 
ches von  Kommunisten  inspiriert,  wenn  nicht  gar 
kontrolliert  ist?  ...  was  mit  Dr.  Jagans  Regime  in 
Britisch-Guayana?  .  .  .  was  mit  Präsident  Nkru- 
mahs  Diktatur  in  Ghana?" 

Man  braucht  den  Vorschlag  eines  Zwei-Klassen- 
Commonwcalth  nicht  ernst  zu  nehmen;  man 
braucht  nicht  zu  glauben,  daß  afrikanische  Staa- 
ten „das  Prinzip  akzeptleren"  würden,  zu  Ver- 
woerds  Apartheidpolitik  ja  und  amen  zu  sagen 
oder  stillschweigend  zuzusehen,  wie  Winston 
Fields  weiße  Minderheitsregierung  in  Süd-Rho- 


desien die  Mehrheit  der  Eingeborenen  auf  die 
Dauer  entrechtet;  aber  die  Kritik  Welenskys  an 
der  Realität  des  Commonwealth  ist  dennodi  zu- 
treffend. Es  gibt  Commonwealth-Länder,  die  dem 
Ideal  marxistischer  „Volksdemokratien"  nach- 
streben. Dort  regieren  militärische  Cliquen,  hier 
Diktatoren.  Zwischen  Indien  und  Pakistan 
herrscht  bittere  Feindschaft.  In  Britisch-Afrika 
ist  die  weiße  Hautfarbe  unbeliebt,  auf  Zypern 
verbot  Makarios  den  Einsatz  britisdier  Ncger- 
einhelten. 

Welche  Gemeinsamkeit  gibt  es  da  noch,  außer 
der  historischen  Tatsache,  daß  alle  diese  Länder 
einmal  britische  Kolonien  waren?  Kann  sich  an- 
gesichts eines  solchen  Bildes  Sir  Alec  Douglas- 
Home  wirklich  viel  davon  versprechen,  eine  Som- 
merkonferenz der  Premierminister  des  Common- 
wealth nach  London  einzuberufen?  Und  doch 
scheint  er  mit  seinem  Flug  nach  Lagos  vor  allem 
bezweckt  zu  haben,  die  Zustimmung  des  imposan- 
ten Premierministers  von  Nigeria,  Sir  Ahubakar 
l'afawa  Baleiva,  dafür  zu  gewinnen. 

In  seinen  Gesprächen  mit  Sir  Abubakar,  in  sei- 
ner Ansprache  an  die  beiden  Fiäuser  des  nigeri- 
schen Parlaments,  und  in  seinen  Pressekonferen- 
zen, befaßte  er  sich  mit  drei  Hauptthemen:  mit 
der  finanziellen  Hilfe,  um  die  Kluft  zwischen  indu- 
striell entwickelten   und   Entwicklungsländern  zu 
schließen,  nun,  da  der  Kalte  Krieg  zwischen  Ost 
und  West  abflaue;  mit  Süd-Rhodesien;  mit  Süd- 
afrika. Zum  ersten  Punkt  konnte  er  wenig  Über- 
zeugendes  sagen,   da   sich   Großbritannien   bisher 
nur  zu   einem   Beitrag   von    15   Millionen   Pfund 
zum   nigeris^hen   Sechsjahresplan   verpflichtet  hat 
—  (die  Bundesrepublik  leistet  nicht  weniger,  und 
die  USA  das  Sechsfache).  Zum  zweiten  Punkt  er- 
klärte   Sir    Alec    in    einer    Pressekonferenz,    daß 
zwischen     Großbritannien     und     Süd-Rhodesien 
„eine  direkte  Beziehung"  bestehe  —  mit  anderen 
Worten,  daß  Commonwealth-Länder  wie  Nigerien 
in  der  Frage  der  Unabhängigkeit  Süd-Rhodesiens 
nicht   mitzusprechen   hätten.   Zum   dritten   Punkt 
setzte  er  nur  auseinander,  daß  die  britische  Re- 
gierung wirtschaftliche  Sanktionen  gegen  die  Re- 
gierung Verwoerds  für  unpraktisdi  halte  und  nicht 
billige. 

Allgemein  wird  befürchtet,  daß  London  der 
Regierung  Winston  Fields  in  Salisbury  Unab- 
hängigkeit gewähren  will.  Nigerische  Studenten 


waren  es,  die  mit  Transpar 
stierten:  „Home  go  homeT' 
Äußerungen     zerstreute     de] 
solche  Befürchtungen  nicht, 
mit  Sir  Abubakar  allerdings 
daß  London  noch  nie  einer 
kelt  gewährt  habe,  ohne  v( 
rung  zu  sichern  —  und  dal 
Rhodesiens  nicht  daran  gedal 
Abubakar  überzeugte,  meldej 


Aus  Indien?"  rief  ich  üb 
rascht,     als     mir   H 
Heinzelmann  d    ;  Herkunf 
land     seines     neuen    ELu 
besorgers   mitteilte. 

„Sogar  aus  Südndlci 
sagte  er  mit  echt  wirkcnc 
Bescheidenheit. 

„War  wohl  schwer  zu  b 
kommen?",  fragte  ich. 

„In  dieser  Qualität?  Ei 
Heldcnarbeit",  bestätig, 
Herr  Heinzelmann,  „es  hl 
mich  drei  Reisen  gekost 
Aber  bitte  —  sprechen  ! 
etwas  leiser.  Unser  Krishi 
hat  einen  leichten  Schlaf." 

„Er  schläft  am  hellicht 
Tage?",  sagte  Ich. 

„Er  braudit  viel  Schlaf| 
bedeutete  er  mir,  „das  hän 
mit  seiner  Religion  zusai 
men". 

„Eine  fabelhafte  riei] 
gion",  rief  ich,  „wo  gib 
denn  die?" 

„In  seiner  Gegend.  Eii 
Sekte.  Fragen  Sie  ihn  nad 
her  selbst.  Jedenfalls  gi)t  b 
ihr  ELmdarbeit  als  eine^\ 
Sünde." 

„Und  wie  ist  es  bei  denel 
mit  der  Erotik?",  erkundigf 
ich  mich  interessiert,  „hat 


.■zwei- 
_^c  zum  OpÜM-, 
IT  nicht  mehr  hin- 
ft  werden. 


V'.ese  breite  Linfi^j^'in  die  Stellung  de.  (poli- 
t-.seh  verantwortlichen)  Menschen  im  Atomzcit- 
altcr  mit  Respekt  und  Gewinn  lesen. 

Lutz  Kollner 


^  i' 


eht  hinter  deG 

raiikieidi  ist  in  Bewesuug  geraten 


|)Ic  Fünfte  Republik.  Was 
Icudle?  Piper  Paperback, 
]cn,  10,80  DM. 

einer  der  hcsien  Kenner 
[ins.  Er  hat  sich  als  journa- 
Lftler  einen  Namen  ^^emacht. 


nimmt    man    daher   scni 


feile  des  Budies,  den  Grund- 
]xkurscn,  hat  der  Journalist 
IV-il    kommt    der   —    päd- 
,    Wissenschaftler    zu   Wort. 
Lchaulichc    Zeittafeln    und 
n    Leser    die    französischen 
lenso  deutlich  werden  lassen 
It  von  der  Vierten  zur  Fünf- 
bisherige   Geschichte    und 
tiier  kann  man  sich  in  cme 
]ie   (nicht   nur   zur   1^'ünlten 
[r  'gesamten  politischen  Wirk- 
Frankreich)   vertiefen:   eu\ 
,; eisen   mit   beinahe   tausend 
Inan    ein    höchst    amüsantes 
Ikabular  der  Fünften  Repu- 
znamen  der  Deutschen  (von 
enen     „bodies"     über     „es 
js"  während  des  Krieges  „Ics 
l"  und  „les  Konrad"  heute) 
L'den    wie    die    Spitznamen 
[s  schön  „GrancVdiose")  oder 
zum  Beispiel  Anspielungen 
[n  Adel  des  Finanzministers 
taing  („Valery  Giscard  qui 
[oder  auch  »Valery  Giscard 


■■■'  '■*,;'/.•?* 


■  und  Belege  sind  unentbehr- 
[ch  im  unübersichtlichen  Ge- 
then   Innenpolitik   zu   orien- 
]frai;t  man  sich,  ob  ein  der- 
nicht  eher  in  ein  Handbudi 
L  "ehört,  ob  der  vcrschwen- 
fs  dritten  Teils  schlichte  Leser 
Jen    als    anlocken    wird.    Kli 
[i  mit  großem  Gewinn. 
px  Teils  geht  Mohler  davon 
[den  herkömmlichen  Iranzö- 
etationen    Vorsicht    geboten 
Iführendc  Pariser  Politologe 
Iheint  ihm  verdächtig.  Finc 
langenheit"    mache    ihn    be- 
1  ein  Festhalten  an  gewissen 
ken  zu  kompensieren  suche. 
|t  vor  allem  in  der  traduuv 
keit   der    Linken,   die,   blmd 
L-hen,    in    der   Vcrlassungs- 
Rcpubük   etwas   besonders 
L-heidendes  sehe.        ,    ,  .    .  . 
fn,  daß  Mohler  mich  kunltig 
fiifcternationalen  Linksmtelli- 
I  ieh  überzeugt,  daß  er  seiner- 
llie  umgekehrte   Einseitigkeit 
^euen   Institutionen   entschie- 
itung  beizumessen.  Wie  wdl 
■^, Republik  schreiben,   ohne 


darzulegen,    was    sie    Verfassung  rhthchvo^ 

ihren    Vorgängerinnen    ^'^^f  ^^^^^^^'^^^- v^;}\^,     ,  . 
..nüut  die  Interpretation  der  neuen  Veilassun 
für  iich  allein  ebensowenig  wie  eine  GhaiaUtc 
Sil    der  Person  ihres  Schöplers,  um  die  gegen- 
vä    i.-e   Republik   zu   verstehen;   selbstyerstand- 
"i    muß   hmter   dem   Verfassungswortlaut   und 
er  iM^nir  des  Generals  die  Verfassungswirklid.- 
e  t  in'^ibrer  ganzen  Breite  hervortreten,  müssen 
l  ;    "esellschrftlichen    Kräfte    sichtbar    werden 
die  diese  Wirklichkeit  mitbestimmen.  D^vergeis 
Suirke  liegt  gerade  in  der  Verbindung  von  Wirk- 
lichkeitssinn und  Verfassungskenntnis. 

Mohler  kennzeichnet  die  maßgebenden  Krattc 
der    französischen   Politik    mit  dem  englischen 
Be-riff  des  Establishment  als  „Etablissement     Er 
versteht  darunter  das  Zusammenwirken  der  t.a- 
dtionellen,  seit  anderthalb  Jahrhunderten  nid 
erschütterten     Führungsschicht     l^rankreicls    nu 
\\^n   breiten    Mittelschichten    -    Herrschatt    der 
Komitees,    classes    moyennes     Franca-s   moyen, 
Mtuations'acquises  sind  J-;St.d.worte  Die  Ko    - 
munisten,  ein  Gegen-Etablissenient   sind  n^^^^ 
Scheinopposition.  Die  eigentliche  Bediohung  des 
Ltablisseiuents  kommt  von  rechts,  von  d  n  Ul- 
tras    vom    französischen    Faschismus.    Als    siüi 
w-ahrend    des    algerisdien    Krieges  \eraussaellte 
a,ß  die  nordafrikanische  Bastion  ^^^;^^J>^^^  f^  ^. 
Umwandlung   Frankreichs  in  ein  stia  f  o  gani 
siertes  Gebilde  zu  halten  war,  entschlob  sieh  das 
Ftlblissement,  das  Mohler  mit  dem  Immobihs- 
4s   gleichsetzt,   zum   Abstoßen   des   algerisch^a 
Ballasts.  De  Gaulle  ist  in  dieser  Sicht  ein  Glucks- 
;il   des  Etablissements,   aber   als  einzelner  und 
samer  Mann,  als  Schöpfer  eines  Regimes  ohne 
Infrastruktur  nur  ein  Authalter  der  ^^ui-i^e,  d  e 
nach  ihm  xon  Ivommunisten  wie  Fasdiisten  ent 
fesselt  werden  können.  •  i    ■   ^  t 

Diese  These  ist  eigenwillig.  Ist  sie  richtig?  la 
Mohlers  Buch  nimmt  die  Deutung  des  :;ls^nsd;en 
Krieges  und  seiner  Akteure  einen  breiten  Raum 
^n     Mir    scheint,    als    habe    Mohler    den    Blick 
;Ü   stark   rückwärts   gewandt,   als  habe   er  über 
tr.  Gestern  das  Heute  (und  erst  recht  ein  mog- 
i;dics    Morgen)   zu    sehr   vernachlässigt.   Gibt   es 
w    klidi  ein  Etablissement  in  Frankreidi,  mui>te 
diese  Frage  nicht  Gegenstand  -  statt  Vorausset- 
,  :,  '  L  3cr  Untersuchung  sein?  Frankreich  ist  m 
Bew"e>>ung  geraten,  in  einem  tiefen  Wandlungs- 
pr^  begriffen,  von  ^^agnation,  von    mrnobi- 
ismus  kann   keine  Rede   mehr   sein.   Alleidings 
"X  Wandel  nidu  auf  allen  Gebieten,  mdit 
in   allen   Regionen  gleichmäßig;  diese  Ungle.di- 
niälsigkcit  birgt  Geiahren. 

Aus  dem  sorgfältig  •^nalys.encn  Material    das 
amerikanische    und    Iranzosisdic   >V^^^senscha    k 
jüngst   in  einem  sehr  lesenswerten   Sammelband 
,ln    search    of     France"     (franzosisdi:     „A     la 
•echerdic  de  la  France")  ausgebreitet  haben,  hat 
Francois  Goguel  gefolgert,  daß  d-  sozialen ^- 
cresellschaftlichen    Veränderungen    in    Frankreicn 
hinter  den  wirtschaftlichen  Umwälzungen  zuruck- 
'iblieben    sind;    erst   recht   läßt   die   Anpassung 
des  Regierungssystems  und  vor  allem  der  Par 


ÜTkurrT^Komue    und    daß    zu^ärzlidi 
gÄ   uflgbaren   Wirkungen   m   Betracht 

^^t^hnUd;er  Weise  vorsid^tig  abwägend  wird 
audi  die  Frage  der  Verzinsung  des  individucl- 
1  n  Bidungsaufwandes  im  Lebenseinkonmicn 
behandelt.  Der  Verfasser  referiert  ^J^^ 
sich  auf  eigene  Forschungsergebnisse  stutzen  z 
können.   D^s    gilt    auch    von   manchen    andeien 

Tpilcn  des  Buches.  ,     . 

E  gene   Forschu.gsaAeitea   de,   Vertassers  er- 
strecken   slA    vor    allem    auf    das    Gcb.e     der 
ScÜ     und     HochschuU-.nanzen    und     aut     d>c 
Von'usbcrcchnung  des  Bodar  e.  von   1>  aucu   u 
Schulen    und    Hocl.scluden.    l.r    hat    ^"^^    -^,' 
Mühe    verwandt    aut    uuernauonalc   Vc.^lc.chc. 
Seine   erste   grölk-re   Verülleml.chung   ga      du, 
Vergleich     internationaler      lendcn«,     m     cur 
Fnt^Ulung    der    Ausgaben    tür    ^^^^ 
Hod,scln,lcn.  Die  Ergebnisse  -■'•'••'Y'^"",  .j^,  ! 
beute     nicht     scbmcichclhalt     lur     die     buiulo 
rcnüblil        lk-1      allen      Vorbehalten      gegenüber 
dem    Aussagewerte    der    vorhandenen    Statisti- 
ken komntt^ulding  doch  zu  ^^^:^ 
unsere      Bildungsanstrengungen      seit      lan^eur 
Zeit    zurückfallen    im    Vergleich    zu    denen    in 
den  meisten  Nadibarlandern. 

Das    hat    ihm    bei    einem     Icil    dei     Intcr 
cs^rtei.    den    Ruf     des     enlant    ternble     cn  - 
..ebracht.    Ihm   wird    vorgewor  en,    d.i     er   mt 
7ih  ei     operiere,    die    nidtt   solche   ScWusse   be- 
f;ü    In    konntet    „Aber    dieselben    Personen 
rj "eibt   Edding,    „die   alle   aut    'l-;ar,.ge  - 

deiche   gestützte    Argumente   als  /""  •"''.•"' 
bezeichnen,  tun   in  der  Regel   nichts  dalui     um 
Sta      ik    und    Forschung    so    zu    unterstützen, 
dal's  die  Mangel  behoben  werden  ^:^^- 

Kddings  Buch  und  das  grolse  licho,  das  seine 
Schi^t-tei  hervorgerufen  haben,  werden  hof- 
fen chdalu  führen,  daß  diesem  jungen 
Zweig  der  Wissenseiraft  alle  Mitte-1  zugewandt 
werden,  die  er  braucht,  um  zu  gedeihen. 


tcienstruktur  an  die  wirtschaftlichs-n  und  soziale.» 
Neuerscheinungen  zu  wünschen  übrig. 

Die  Fra>'e,  die  der  Untertitel  des  Buches  stel  t, 
bleibt   o?f?n     .Aber    der   Leser    sieht   sich    nicb 
eitt'usd  t,  weil  ihm  viele  (glänzend  tonnu lie    c) 

B  öb."chtungcn  und  Einsichten  "-^S.f  ,■[,':;  'f^: 

1  .    ;  .1-,  /Mi-i  p u'ones  Urteil  biklen  son. 

an«;  lUMieii  cr  s  cli  ein  cigLu^.^   k^v^ 

Nthls  [beschreibt  Starke  und  ^f^^^^:^^^, 
wärti"en  Systems  besser  als  die  SJiileleiun.,  ues 

G  1    ra  ,utsches  vom  22.  April   ' "" '  •  '";-S--l] ' 
sonst  ist  der  eigc.uHche  Grund  des  .ScUcilcins  dsi 
ü  t'a:  so  bündig   ehugestellt   worden   wie    ue, 
vf,n  niemandem    n  Deutschland  dci   Gau  iisnuis 

,r  drWetpolitik     und    die    atißenpolitisehe 

Grundidee  de  Gaulies  so  treffend  charakterisiert 

worden  wie  von  Mohler.  xv;  ,u"  -/nr 

Er  hat  sid.  jüngst  in     Christ  uiul  \Vcl        .ui 

Grundre-'cl   allen  Sdireibcns"  gcaube.i.   l.s  „e 

;£   " :!cfe.  dals  das,  was  man  sag.  dcganr  _nnd 

Eiteratur  gedacht,  .aber  lur  die  1'^  ^  -^    ^u  . . , 
lur  mülste  es  eigentlich  erst  recht  Sj^'^«-""  1;;,^   ,  ,'. 
Anspruch   nicht   zu   hoch,    geht   diese      oilcnn 
„ich't  zu  weit?  Ich  bin  mehr  ^^^-{^f-^'^^ 
Analyse    rieluig    ist,    ob    sie    im    Lo     '^t  JJoc 
»erade  wo  er  einseitig  ist,  wird  sein  Es  ay  an 
Send  und   interessant.   Wer   dieses   vieldeutige 
und  verwirrende  Frankreich   deuten   will,   w,  d 
C^ohlers  gescheite  und  c.e...-  ^tud. 
bar  sein. 


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ZEIT  Nr.  13  —  Seite  5 


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I 

Ifellos  der  süddcutsclie 
-s   zuständig   gewesen 
che  Ministerpräsident 
licht  vor  dem  Staats- 
berüchtigten Münch- 
;i    wurde;    „es    werde 
[sjtäter  nicht  zu  milde 
sei    ein    Todesurteil 
ihn  auch  be^nadioen 
•  gab  nach;  der  wei- 
Bayerischer    Justiz- 
hner,   Hitlers   späterer 


Praxis  des  Republik- 
.Treicht  oder  gar  ver- 
ßt  durch  Morde  von 
d    eine    Waffe    gegen 


.^     ,  '^^^^ 


^i' 


,,  h  Waffen 

"  ;.h ' 

la 


ufn.:  IJIlstoin-Archiv 


igsverkäufer  und 
äußerster  Nach- 


"^"»ats^^efühl  so  ver- 
.iLLlJgisper  vorzüglich 
|[lcchtfertigung 
tm  Wort  und 
eine  Seite 
jden 


positiven  Ende  zu  führen.  Dieser  Verdacht  wird 
geradezu  provoziert  durch  die  große  Milde  der 
Anklage  im  O.  C-  Prozeß  des  Jahres  1924,  von 
der  sich  sogar  der  Staatsgerichtshof  so  auffällig 
distanzierte.  Der  Schlüssel  zu  diesem  merkwiir- 
digen  Verhalten  des  Oberreichsanwaltes  liegt 
höchstwahrscheinlich  in  der  engen  Beziehung  zwi- 
schen Reichswehr  und  O.  C.  Beweisen  läßt  sich 
heute  natürlich  kaum  noch  etwas,  es  spricht  aber 
vieles  dafür,  daß  Hberrnayers  Bestreben,  nicht 
allzusehr  in  die  Tätigkeit  der  O.  C.  hineinzu- 
leuchten, hier  seinen  Grund  hat.  Ein  zu  hartes 
Zupacken  mußte  das  ganze  Verhältnis  zwischen 
der  Reichswehr  und  den  Verbänden  aufdecken. 
Das  war  polirisch  jedoch  höchst  unerwünscht." 

Daß  der  strafrechtliche  Schutz  einer  Republik 
mit  Strafverfolgungen,  mit  Verboten  von  Zei- 
tungen und  Vereinigungen,  fragwürdig  ist,  drängt 
sich  auf.  Gegen  ein  Volk  oder  eine  breite  Schicht 
des  Volkes,  das  aus  Trägheit,  aus  Verblendung 
oder  Verhetzung  dem  Staat  und  seiner  Verfas- 
sung  feindlich  ist,  ist  damit  wenig  auszurichten  — 
erst  recht  nicht,  wenn  die  akademische  Ober- 
schicht und  die  Geschichtslehrer  jede  Gelegenhe-t 
benutzten,  zwar,  wne  sie  sagten,  den  Staat  zu  be- 
jahen, aber  diesen  Staat  abzulehnen. 

Die  Ablehnung  der  Republik  wurde  verstärkt 
durch  die  im  Jahre  1930  eintretende  Wirtschafts- 
krise. Die  antirepublikanischen  Kräfte  links  und 
rechts  radikalisierten  sich  gleichzeitig.  Die  kom- 
munistische Partei  schlug  auf  Geheiß  Moskaus 
den  neuen,  von  Stalin  diktierten  Kurs  ein,  wo- 
nach jetzt  die  SPD  ihr  Hauptfeind  zu  sein  hatte. 
In  der  Deutschnationalen  Volkspartei  gewann 
Hugenberg  die  Führung,  der  in  der  Harzburger 
Front  eine  Allianz  mit  der  NSDAP  einging. 
So  verschlechterten  sich  die  Chancen  einer  Ent- 
wicklung im  republikanischen  Sinn  weiterhin, 
bis  zur  Katastrophe. 

Am  Beginn  dieser  Entwicklung  steht  aber,  daß 
dem  deutschen  Volk  das  Bewußtsein  einer  histo- 


rischen Zäsur,  eines  geschichtlichen  Rucks  nach 
vorwärts  gefehlt  hat.  Der  Krieg  war  ohne  Be- 
Setzung  deutschen  Gebietes  zu  Ende  gegangen; 
die  Niederlage  war  ein  fernes  F>eignis,  das  bis 
kurz  vor  dem  Schluß  mit  Frfolg  verheimlicht 
und  schließlich  nicht  einmal  geglaubt  wurde. 
Der  den  Staatsapparat  tragenden  Schicht  wurde 
jenes  Bewußtsein  eines  historischen  Abschnitts 
von  Anfang  an  nicht  verschafft.  Das  war  der 
Geburtsfehler  der  Republik.  Geschichte  ist  aber 
jiicht  nur  Tradition,  sondern  auch  Veränderung. 

Hier  drängen  sich  Überlegungen  zu  unserem 
neuen  demokratischen  Anlauf  auf.  Diesmal  haben 
das  Volk  und  die  ßeamtcnschicht  eher  jenes  Be- 
wußtsein einer  historischen  Zäsur.  Die  moralische 
und  militärische  Niederlasse  de?  Regimes  ist  uns 
dc'urlich  xorgeführt  worden;  die  Okkupation 
blieb  uns  nicht  erspart.  xMan  kann  gegen  die 
Entnazifizierung  einiges  vorbringen.  Sie  hat  aber 
doch  dazu  gedient,  dem  deutschen  Volk  jenes 
Bewußtsein  /u  verschafien,  dals  im  Staat  und 
im  Staatsapparat  etwas  historisch  Bedeutsames 
vorgegangen  war.  Die  Beamten  wurden  durch 
Befehl  der  .\lliiertcn  entlas^^en  und  bedurften  der 
^'iedereinstellung. 

Preis  sei  auch  hier  unserem  Bundesverfassungs- 
gericlu,  das  durch  seine  Entscheidungen  über  die 
Beendigung  der  Beamtenverhältnisse  am  8.  Mai 
1945  (Urteil  vom  17.  Dezember  1953  und  Be- 
schluß vom  19  Februar  1957)  die  rechtliche 
Formel  für  jene  historische  Zäsur  gefunden  hat. 
Zwar  tadelt  der  Bundesgerichtshof  gerade  diese 
historische  b-insicht,  indem  er  beanstandet,  dai^ 
„eine  so  ungeheuer  weittragende  Recht<^folge  wie 
das  Erlöschen  aller  Beamten  Verhältnisse  auf  die 
unsichere  Grundlage  eines  geschichtlichen  Wert- 
urteils, einer  historischen  Rückschau  gestützt 
werde".  Wogegen  ich  auf  jene  Einsicht  die  FlofT- 
nung  stützen  möchte,  daß  wir  dieses  Mal  im  lach 
Cu^scliichte  nicht  sitzenbleiben.  Manchmal  wankt 
die  HotTnung  allerdings. 


Spritze  für  die  Lira 

Italien  am  Rande  einer  Wirtschaltskrise 


D 


Rom,  im  März 

ie  Italien  eingeräumten  Kredite  amerika- 
nischer und  internationaler  Währungsbcht'»r- 
dcn  in  Höhe  von  1225  Millionen  Dollar  sind  — 
nach  den  vielen  Hiobsbotschaften  der  letzten  Zeit 
—  die  erste  gute  Nachricht  für  die  Wirtschaft  des 
Eandes.  Es  läßt  sich  nicht  länger  leugnen:  Italien 
steckt  in  einer  Krise.  Ministerpräsident  Aldo 
Moro  hat  im  Fernsehen  die  Nation  zu  Opfer  und 
Verzicht  aufgefordert:  innerhalb  eines  einzigen 
[ahres  ist  die  Handelsbilanz  von  einem  beschei- 
denen  Überschuß  zu  einem  Passivum  von  780 
Milliarden  Lire  gelangt. 

Die  Mailänder  und  Turiner,  die  von  der  Kon- 
junkturbremse am  meisten  betroffen  sind,  be- 
durften solcher  Mahnung  indessen  nicht:  Als  Ant- 
wort auf  die  von  der  Regierung  beschlossene 
Erhöhung  des  Benzinpreises,  auf  die  Einführung 
einer  Steuer  beim  Kauf  neuer  Kraftwagen  und 
Motorjachten  und  vor  allem  auf  die  Einschrän- 
kung des  Ratenkauf ens  haben  die  Fiat-Werke  für 
50  000  Arbeiter  die  Reduzierung  der  Arbeitszeit 


pnration  (250  Millionen),  dazu  Anleihen  der 
OECD  (300  Millionen  Dollar)  der  Lira  auf  die 
Beine  helfen.  Die  1225  Millionen  Dollar  ent- 
sprechen fast  dem  Defr/ir  der  Zahlunr,sbilan7  \on 
1963  und  stellen  somit  den  Reservenbestand  An 
Valuten  von  der  Jahreswende  1962/63  wieder  her. 

Die  Kreditgewährung  wird  nach  der  allgemei- 
nen Sprachregelung  als  ,, Beweis  des  Vertrauens" 
in  die  italienische  Wirtschaft  bezeichnet,  aber 
vielleicht  auch  nur  in  dem  Sinne,  wie  die  Brand- 
wache Vertrauen  in  die  Wirkuni^  des  Wasser- 
Strahls  hat.  Allgemein  heißt  es,  daß  heute  zwar 
eine  mehr  oder  weniger  ausgeprägte  Rezession, 
aber  keine  wirkliche  Inflation  mehr  zu  fürchten 
vSei;  der  moderne  Staat  wisse,  wie  er  die  Weichen 
zu  stellen  habe,  um  ihr  begegnen  zu  können.  Außer- 
dem gäbe  es  im  Notfall  noch  die  Freunde  in  der 
EWG  und  die  Solidarität  der  westlichen  Zentral- 
banken, die  1962  auf  Grund  ihres  Baseler  Ab- 
kommens Englami  i'n  einem  kritischen  Augen- 
blidt  hilfreich  |^  .«r  Uie  Arme  gegriffen   haben, 

f^'       ^'  . .  . 


Litsche 
Verfahren 
lisatlon  Cofi- 
Liite,  anordnet 
"zeigte    der    Ober- 
seiner Anklageschrift 
das     Bestreben     der 
des      Kapitäns      V.r- 
l  nationale  Gesinnunir 
Ines  Verfahren   gegen 


waren  einige  Um- 
llen  Schluß  nahelegen, 
Itigcn  I-'nergie  vorge- 
init; jungen   /u   eineni 


V  t.>li 


vv  uuicTTsiuncten  i^cKaiiii igL-^cbLi i : 


Mucn  dagegen  prote- 
i[n  seinen  öffentlichen 
ir  britische  Premier 
In  seinen  Gesprächen 
.süli  er  erklärt  haben, 
volonie  Unabhän<:ijr- 
rher  Mehrheitsregie- 
j^  auch  im  Fall  Süd- 
jcht  werde.  Ob  er  Sir 
i  die  Fama  nicht. 
'    Martin  Wieland 


die  Lancia-Werke  und  die  Innocenti-W erkc  wer- 
den folgen.  Auch  Olivetti  will  die  Arbeitszeit  der 
10  000  Arbeiter  von  44  auf  26  Wochenstunden 
verkürzen;  und  Magnaäync,  eine  angesehene 
Firma  der  Flektronengeräteindustric,  will  2000 
ihrer  6000  Arbeiter  entlassen. 

Noch  bedrohlicher  ist  die  Krise  bei  den  mitt- 
leren und  kleineren  Betrieben.  Hier  sind  Fnt- 
lassungen  an  der  Tagesordnung.  Auch  im  Bau- 
sektor ist  die  Zeit  des  ßoofns  vorbei;  Hunderte 
von  Bauhrmen  haben  ihre  Tärigkeit  eingestellt. 
Auffallend  ist  auch,  dafs  der  Strom  neuer  Zu- 
wanderer  aus  dein  Süden  seit  einigen  Wochen 
i;achgelassen  hat.  -Auf  dem  Mailänder  Zentral- 
bahnhof kommen  jetzt  täglich  nur  noch  etwa 
hundert  „Terroni''  aus  Sizilien,  Kalabrien,  Apu- 
lien  und  Kampanien  an,  und  in  achtzig  von 
hundert  Fällen  können  sie  nicht  sofort  eine 
Arbeitsstelle  finden. 

Auch  den  Optimisten  Ist  es  nun  klargeworden: 
Die  Jahre  der  großen  Konjunktur  sind  vorbei. 
Natürlich  hat  der  rapide  Übergang  zur  Krise  die 
Italiener  völlig  verwirrt.  Da  er  mit  der  „Links- 
Öflnung"  der  Regierung  Ammtore  Fanfanis  zu- 
sammenfiel, liegt  es  nahe,  daß  die  Rechte  dieser 
allein  die  Schuld  zuschiebt.  Das  ändert  aber  nichts 
an  der  Tatsache,  daß  unter  Fanfani  verhängnis- 
volle Fehler  begangen  worden  sind.  La  Malfa, 
der  frühere  Budgetminister,  führt  die  rasche  Ver- 
schlechterung darauf  zurück,  daß  die  Regierung 
damals  zu  schwach  gewesen  sei,  um  sich  gegen  die 
Lohnforderungen  energisch  zur  Wehr  zu  setzen. 

Nun  sollen  die  Kredite  aus  dem  amerikanischen 
Staatsschatz  (550  Millionen   Dollar),   des   Inter- 
nationalen  Währungsfonds  (255   Millionen),  die 
langfristigen  Anleihen   der  Export-Import-Bank 
(200  Millionen)  und  der  Commodity  Credit  Cor- 


Carli,  jeden fal^,^; alt  die  bereits  beschlossenen 
Aiistcrity-MailuS'imcri  für  ausreichend,  um  die 
Bilanzkurve  wiedei-  nach  oben  zu  führen.  Den- 
noch würde  die  Regierung  die  Ventile  noch 
weiter  zudrehen,  wenn  dies  notwendig  sein  sollte, 
um  „das  Vertrauen  der  westlichen  Freunde  zu 
erhalten". 

Es  sind  weniger  wirtschaftliche  Gründe,  die  die 
Lira  gefährden,  als  politische.  Der  kommunistisch- 
linkssozialistische  Gewerkschaftshund  CGIL 
weigert  sich,  den  Appell  Moros  für  einen  Lohn- 
frieden zu  akzeptieren  —  nn  Gegenteil,  er  will 
die  augenblickliche  Situation  nützen,  um  ,,eine 
wirkliche  Links{)rfnung",  nämlich  die  Volksfront, 
herbeizuführen  Die  Gewerkschaften  kommuni- 
stischer Observanz  haben  das  zwar  nicht  so  kraß 
gesagt,  aber  für  sie  hat  Togliatti  auf  der  kom- 
munistischen Organisationskonferenz  in  Neapel 
gesprochen.  Dort  v/ar  viel  vun  ,, Erpressungen  des 
Industriellenverbandes",  von  „geschickt  maskier- 
ter Ausbeutung  der  Arbeiterklasse"  und  von  der 
Krise  ,, nicht  im  kapitalistischen  System,  sondern 
des  kapitalistischen  Systems"  die  Rede,  aber  nicht 
von  den  schwmdenden  Mitgliederzahlen. 

Noch  nehmen  die  kommunistischen  Gewerk- 
schaftsführer Rücksicht  auf  ihre  sozialistischen 
Partner,  die  —  sofern  sie  nicht  der  neuen  soziali- 
stischen Dissidentenpartei  PSIUP  angehören  — 
ihren  Parteifreonden  in  der  Regierung  nicht  in 
den  Rücken  fallen  können.  Mäßigung  ist  auch 
ratsam,  weil  die  italienischen  Arbeiter  genau 
wissen,  was  ihnen  guttut  und  was  nicht.  Darum 
hat  auch  Togliatti  die  amerikanischen  Kredite 
und  Anleihen  akzeptiert,  obwohl  sie  seine  Strate- 
gie durchkreuzen  müssen.  Er  hat  lediglich  ver- 
langt, daß  die  KP  an  der  „demokratischen  Kon- 
trolle" beteiligt  werden  muß.  Hans  Bauer 


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Diener  zum  Dinner 


es    mit    der    F^nthaltsamkeit 
und  Askese?" 

„Im  Gegenteil.  Erotik  gilt 
als  sehr  gottgefällig.  Krishna 
hat  großen  Erfolg  bei  den 
Damen  unserer  Bekannt- 
schafl,  die  sich  schon  unmcr 
für  den  Fernen  Osten  inter- 
essiert haben.  Sie  fesselt  sein 
asiatisches  Schweigen." 

„Fühlt  er  sich  nicht  manch- 
mal einsam?"  wollte  ich 
wissen. 

„Aber  gewiß.  Darum  ge- 
hen wir  kaum  mehr  zusam- 
men aus  dem  Flaus.  Immer 
muß  sich  einer  um  ihn  küm- 
mern. Wir  sitzen  ganze 
Abende  beisammen." 

„Und  was  machen  Sic 
da?** 

„Wir  meditieren.  Wir  ver- 
senken uns  in  unser  Brah- 
ma.** 


„Sicher  sehr  lustig",  sagte 
ich,  „n)achen  Sie  das  öfters?" 

„Dreimal  täglich  eine 
Viertetstunde.  Vor  den  Mahl- 
zeiten. Man  soll  am  Anlang 
nicht  übertreiben",  meinte 
Herr   Heinzclmann. 

„Krishna  meditiert  natür- 
lich mit",  sagte  icli. 

„O  nein.  Ein  Inder 
braucht  das  nidit.  Der  hat  es 
schon.  Krishna  sdilätl  dann 
in  seinem  Bett." 

„So  eins  mit  Nägeln?" 

„Haben  wir  ihm  natürlich 
von  einem  alten  Fakir  be- 
sorgt. Ob  er  es  benutzt,  wis- 
sen wir  nicht." 

„Sichon  Sic  auch  manch- 
mal Kopf?",  erkundigte  ich 
midi 

„Mriiu"  Frau.  Sie  ist  eine 
Siule  weiter  als  ich",  sagte 
Efen    I  ic  inzelmann,  „danadie 


sie  sich  gleich  wie  neu- 


fühlt 
geboren". 

„Neugeboren?  Und  wie 
steht  es  ,HM  Ihnen  mit  der 
Wiedergeburt?" 

„D.mke,  es  geht",  '^.-'gte 
er,  „meine  I  rau  würde  im 
nächsten  Leben  gern  ein 
Perlhuhn  sein." 

„Was  hat  sich  bei  Ihnen 
verändert,  seit  Sie  einen  in- 
disdien  Diener  haben?" 

„Vor  allem  unsere  Ernäh- 
rung. Durch  Krishna  wissen 
wir  um  die  Bedeutung  von 
Sauermilch.  Bei  uns  kommt 
nichts  mehr  aut  den  Tisch 
ohne  Sauermilch.  Möducn 
Sic  mal  was  probieren?" 

„Nein,  danke",  sagte  ich 
tief  erschrocken. 

„Es  schmeckt  sdirccklich", 
gestand  er,  „aber  wenn  man 
iiien   indischen   Diener   hat, 


muß  man  gew^isse  Opfer 
bringen.  ?vleine  Lieblings- 
spei.<>e:  Kalbsrouladen  kann 
ich  nur  noch  heimlich  außer- 
halb essen.  Kalbfleisch  ist. bei 
uns  neuerdings  tabu.  .Manch- 
mal schaut  mir  Krishna  tief 
in  die  Augen.  D:.nn  fühle  ich 
mich  ertappt  und  beichte  " 

„Wozu  brauchen  Sie  über- 
haupt einen  indischen  Die- 
ner?" 

„Zum  Tee.  Er  hat  eine 
echt  indische  Art,  Tee  zu  ser- 
vieren", erklärte  Herr  Hein- 
^.elmann,  „dann  natürlich  zu 
Empfängen.  Mandimal 

kommt  zu  uns  auch  der 
Oberbürgermeister.  \V'/)  kön- 
nen ihm  etwas  bieten,  w.'.s 
er  selten  hat:  einen  indischen 
Diener.  Eloffentlich  gewöhnt 
er  sidi  an  uns.  Diese  Leute 
aus  dem  Osten  sind  doch  so 
unergründlich." 

„Und  wenn  er  Sie  verläßt 

—  was  dann?" 

„Darüber  grübeln  meine 
Frau  und  idi  'lag  und  Nadu. 
Viellcidn  fahre  idi  dann  mal 
rasdi  nach  Neu-Guinea.  Wa> 
meinen   Sie,  wäre  das  nichts 

—  ein  Papua  zum  Essen?" 


1 


L 


Seite  6 


ZEIT  Nr.   13 


DAS  PO  LI 


Zwei  deutsdie  Staaten 

Der  Aiischlul?  Oslencichs  war  keine  IjCuuluni»  der  Nazis 


liirj:cii  Cichl:  Ausiri.i,  Gcrmany  aiul  tlic  An- 
"sclilul>  1931  — P)3S.  Oxlorcl  Univcisily  Press, 
london.    212  Seilen. 

V>r  t'ast  clreilsit;  Jahren,  am  23.  Juli  \')}-\. 
Jiwiii;  eine  (jruppe  \ou  Naiionalso/.iAlisieii 
in  Jas  ösUM-reichiselie  Ikuulcskan/lcranu  am  Wie- 
ner Ballhausplat/  ein.  I-^s  kam  /ai  einem  Hand- 
gemenge. Schüsse  Helen.  Der  österreichische  Bun- 
cle>kan/ler  l-aigelberi  Doli  Fuß  wurde  tödlich  ver- 
ler/t. Mussolini  schickte  italienische  Truppen  an 
{.Icn  lirenner,  um  einen  deutschen  l^inmarsch  zu 
verhindern.  Aber  Hitler  hielt  still.  Lr  sah  zu,  wie 
in  Wien  der  Putsch  seiner  Parteigenossen  langsam 
zusammenbrach.  Österreich  blieb  selbständig,  we- 
nigstens vorerst.  Das  Vor-  und  das  Nachspiel  die- 
ser dramatischen  Lpisode  der  österreichischen  Ge- 
schichte schildert  das  Buch  eines  Deutschen,  das 
in  li,ngland  erschienen  ist. 

Gehl  beschreibt  acht  Jahre  deutsch-österreichi- 
scher Beziehungen,  von  den  Planen  einer  Zoll- 
union im  Jahre  I^>3I  bis  zu  Hitlers  Einzug  in 
Wien  im  März  1938.  Was  von  der  Donaumonar- 
chie noch  übrigblieb,  nachdem  1919  Ungarn,  die 
Tschechoslowakei  und  Jugoslawien  selbständig 
geworden  waren,  machten  die  Sieger  des  Lrsten 
Weltkrieues  zu  einem  Staat  und  nannten  es  öster- 

•     ••11  1 

reich.  Gegen  den  Willen  der  Österreicher  bestand 
\or  allem  I'rankreich  darauf,  dal.s  das  Land  un- 
abhän-riii  blieb.  Der  Anschlul^  an  das  Deutsche 
Reich  wurde  im  l-riedensvertrag  \  erboten.  \  on 
einer  Wirtschaftskrise  in  die  andere  taumelnd, 
bemühte  man  sich  in  Wien  wenigstens  um  eine 
w  irtschaftlichc  Zusannnenarbeit  mit  Deutschland. 
Im  Plan  einer  Zollunion,  die  1931  zwischen  dem 
österreichischen  Vizekanzler  Schober  und  dem 
deut>chen  Außenminister  Curtius  vereinbart 
wurde,  fanden  die  I'.inigungsbemühungen  der 
Weimarer  Zeit  ihren  Höhepunkt.  Doch  auch  ge- 
gen eine  wirtschaftliche  Zusammenarbeit  erhob 
Paris  Widerspruch.  Der  l^lan  der  Zollunion 
wurde  geopfert. 

Der  erste  österreichische  Politiker,  der  aus  der 
Not  der  Unabhängigkeit  eine  Tugend  zu  machen 
wußte,  war  Dollfuß.  l.r  gewann  damit  vor  allem 
die  Sympathien  Mussolinis,  dessen  faschistisches 
Herrschaftssystem  er  in  Österreich  bereitwillig 
kopierte,  (iehl  charakterisiert  die  Person  von 
Dollfuß  —  sehr  zurückhaltend,  wohltuend  fern 
von  Hais  und  ik'wunderung,  die  auch  m  der  wis- 
senschat tlichen  Literatur  leider  olt  noch  nachwir- 
ken: ,.D()llluß  was  neither  the  courageous  de- 
tender  ot  Austria's  iiuiependence,  the  imaginative 
Creator  ot  ihe  authoritarian  siate,  nor  the  ruili- 
less  suppressor  ol  the  Social isis  ^.n^.\  parliamenlary 
Jcniocracy.  He  ['»la\eJ  the  part  ol  a  skillul  tactic- 
ian,  who  embodied  the  unsieatly  equilibrium  ot 
Austnan  poliiic^'."  Die  Anlehnung  >\\\  Italien 
zahlte  sich  lür  Dolltuls  um  so  mehr  aus,  als  Hit- 
ler, inzwischen  «.leuischer  Reichskanzler,  tlen  An- 
schluß Österreichs  zu  seinem  ersten  aui.senpoliii- 
si'-eii  Uniernehmen  wählte. 

Die  Nationalsozialisten  setzten  Dollfuß  unter 
Druck.  G^flizielle  Zurückhalm^^  Terror  und  Ver- 
h.nullungsoereitschatt  gini'X'^^and  in  Hand 
o.ler   Kv<,ten   einander   ab,  /    .    '  AI  tu 


r> 


Hitler  das  Steuer  fester  in  die  Hand,  l'.r  hielt  \on 
nun  .\n  einen  Kurs,  der  das  Ausland  nicht  mehr 
b.eunruhigen  sollte.  Ahnlich  wie  1923  in  der  In- 
nenpolitik ging  Hitler  nun  zu  einer  ,, legalen" 
Aiilsenpoliiik  über.  Der  Schock,  den  der  miß- 
glückte Juli-I^itsch  bei  ihm  hinterließ,  wirkte  so 
nachhaltig,  dais  Hitler  noch  1938  skeptisch  war, 
ob  Österreich,  inzwischen  ohne  internationale 
Rückendeckung,  schon  für  den  Anschlui^  reif  sei. 
Die  treibende  Kraft  wurde  Göring.  Kr  löste  ziem- 
lich eigenmächtig  den  Linmarsch  der  deutschen 
Truppen  nach  Österreich  aus  und  hat  sich  noch  in 
Nürnberg  stolz  zu  seinen  'Laien  bekannt.  Den- 
noch ist  Gelds  'Lhese,  die  Annexion  Österreichs 
sei  Hitler  förmlich  durch  die  Ereignisse  aufgc- 
zvK'ungen  worden,  reichlich  überspitzt. 

Der  grolise  behandelte  Zeitraum  gestattet  Gehl 
nicht  immer  eine  ausführliche  Analyse.  Die  Stärke 
des  Buches  liegt  ohnehin  nicht  in  der  lückenlosen 
I/mzelforsehung,  sondern  in  einem  fundierten 
L'bcrblick,  der  auch  die  weitere  Vergangenheit  mit 
eirschließt.  Die  Anschlulsfrage  geht  im  Grunde 
zurück  auf  die  Auseinandersetzungen  um  die 
,,grolsdeutsche"  oder  die  ,, kleindeutsche"  Lösung 
im  neunzehnten  Jahrhundert.  Nach  der  Meinung 
des  Verfassers  fand  mit  Hitlers  Einzug  in  Wien 
ein  langes  historisches  Kapitel  seinen  Abschluß. 
Alan  Bullock  ergänzt  ini  Vorwort  diese  These 
mir  der  berechtigten  L'eststellung,  daß  der  An- 
schluls  Österreichs  an  Deutschland  keine  Erfin- 
dung der  Nationalsozialisten  gewesen  ist. 

Dieter  Roß 


i.j'f'"'' 


;*» 


„War  es  Berechnunj 
weil  hier  angeblich] 
Vitalität,  die  das 
Unser  Bild  zeigt  Hii 


Im  Sdh  recken 


Neue  Möglichkeit( 


Der    erste   Teil    beschäftigt   sich    mit    den 
A na Ivse  des   .\ionizeiialters,  der 


I     s' 


Ludwig  Freund:  Frclliclt  und  Unfreiheit  im 
Alomzcitaltcr;  Gütersloher  Vcrlagshaus  Gerd 
Mohn;  398  S.,  28,—  DM. 

Nach  seinem  vielbeachteten  Buch  über  Politik 
und  Lthik  legt  Ludwig  Lrcund  mit  seinem 
neuen  Werk  eine  stark  differenzierte  Kultur- 
analyse vor,  die  einen  weilen  Rundblick  bietet 
auf  die  großen  weltpolitischen  Lreignisse.  Eigent- 
hdi  sind  es  gleich  zwei  Bücher,  die  Lreund  an- 
bietet, 

Umrissen  emei 
i- weite  beschäftigt  sich  mit  realpoliiischen  l'ages- 
f tagen,  wie  etwa  der  Stellung  der  Vereinten 
Nationen  oder  den  Möglichkeiten  der  Außen- 
pvlitik  im   Atoni/eitaltcr. 

Gibt  es  das  überhaupt,  das  Atom/eiialter? 
1  iiniiern  wir  uns:  Präsident  Truman  ertuhr  von 
der  l'Aisten/  der  Bombe  erst  nach  seinem  Amis- 
antriti  n.\eU  dem  '\\>dc  Roosevelis  im  .\pril  1943, 
der  Krieg  in  l  uropa  war  damals  praktisch  bereits 
/u  Lnde.  Im  Juli  unterzeichnete  er  den  Betehl  tür 
den  .\bwurf  der  Bombe  auf  Japan  „lür  die  Zeit 
nach  dem  3.  August".  Damals  fiel  die  erste  und 
W\'A\cv  letzte  i'.ntscheidung,   die  dem   iraditionel- 

' i sehe n    Ci ei>i n n u n iL  u n d  ^  \i^' 


anzieht,   um   den  e>; 
und  beharrlich  vor; 
Weber,    Martin    H> 
werden  ebenso  bem 
säcker,  Theodor  Lit 
die  Randhguren  feh 
sie    zum    Teil    gern 
iierät  Freund  in  die 
nungsfeldcs    zwisdic 
deren  Verhältnis  zu  i 
her  richtungsweisend i 
Buch   ist  eine  Kritik' 
schal ilichkeit  unsere 
den  Verlust  der  Fa 
vor  einem  wissensch  i 
menschlicher  Substa'tu 
Aber  bedeutet  fü'  i 
Kritik  .\n   der  akiu'- 
Grundsätzen    nicht 
tuni:  überholter  W'*s 
.schaAl icher  Linsicht  'd 
Fragen  mit    dj|g| 
der  gcopolitij 
sechzig  Jahi 
den    i 


■<«ii 


umordet  wurde.  GcW     icl.;"^  Jcials  Hitler  vu.i 
dieser  Gewalttat  ortenbar  nic.4^4^wuist  hat.  Die 
Ahniin-sloslgkeit   Hitlers    ist   bezeichnender    hir 
den   Stil   der  deutschen    Auik'npolitik   der   Jahre 
19  )3  bis  1934,  als  der  Verfasser  glaubt.  \'or  allem 
die  nationalsozialistische  Österreich-Politik  htt  in 
dieser  Phase  unter  persönlichen  und  institutionel- 
len   Rivalitäten,    unter    Widersprüchen    zwischen 
dcu    expansiven    Gelüsten    der    Partei    und    dem 
Stillhaltebedürfnis  des   Auswärtigen  Amtes,   das 
noch    nicht    gleichgeschaltet    war.    Leider   hat    es 
Gehl   versäumt,  das  Doppelgesicht  der  national- 
sozialistischen Außenpolitik,  das  Bracher  mit  der 
rormel  von  „T'\pansion  und  Abschirmung"  ange- 
deutet   hat,    /u    enthüllen,    obwohl     'ji^cwnlc    die 
Usierreich-Poliiik  ein  Musterbeispiel  dalür  isi. 
Nach  dem  Desaster  vom  25.  Juli    1V34   nahm 


Kric^i  im 


Nord 


orucii 


Karl  l.cnnarl  Ocsch:  linnlands  Lnlschci- 
dungskampf  l'>44.  Verlag  Huber,  Fraucnleld; 
180  S.,  mil  Bildern  und  Karlen  21,70  DM 

D.i>    Buch    wendet   sich    nach    seiner   Themen- 
stellung nicht  an  breitere  Kreise,  wird  aber 
die  militärischen  Fachleute  fesseln  durch  die  Ge- 
nauigkeit der  Untersuchung  von   L-'.reignissen,  die 
bisluM-    sehen    durch    Sachverständige    dargestellt 
worden    sind.    Der    Verfasser    war    1944    Ober- 
befehlshaber   aller    finnischen    Truppen    aut    der 
Karelischen   Landenge  und  kennt  daher  die  ent- 
scheidenden   Ij-eigniVse   aus   eigener    Anschauung 
Vx  le-t  auch  die  Schwächen  der  binnen  blols  und 
verschweigt    nicht    Mannerheims    Irrtümer.    Sem 
Bestreben    ist    deutlich,    es    geht    ihm    nicht    um 
S.-hulmeisierei,   sondern    um   die   Möglichkeit,   aus 
beuanccnen    l'ehlern    /u    lernen.    Am    l'iule    aber 
V,  n-d  \on    neuem    r)ewuiKierung  erweckt    lür   die 
Tapferkeit    und   die   militärische  Tüchtigkeit  des 
iinnischen  Heeres.  G".  G. 

Begegnungen 

Lritz  Hodcigc,  Carl  Rothc  (Herausgeber): 
Atlantische  Begegnungen.  Eine  I-rcundcsgabe 
für  Arnold  Bergstracsscr.  Verlag  Rombadi, 
Lreiburg;  222  Seiten,  23,—  DM. 


Arnold    Bergstraesser    ist    tot,    sein    Andenken 
lebt  auch  'in  diesem  Buche  weiter,  das  Schü- 
ler und   hreunde  /u   Autoren  hat:  Carl  J.  Lned- 
neh,   l  lelena    M.  Gamer,   l'.duard   Heimann,   Ro- 
bert XL  1  luichins,  NLitthüs  Jolles,  W'ilbur  K.  Jor- 
d.m,   llellmul    Kämpfe   NLirgaret   McKenzie,   Ar- 
nold \\\)lters,  c;.  Wvu^  \\'o(h\\\\u\\.  Das  sind  viele 
Namen,   viele  \\  l>sensehaftliche   Neigungen,  viele 
Temperamenie     Der    Bogen    ist    weit    gespannt: 
vom    „\'ei-hin-nis    der    totalen    Ideologie"    über 
„Politik    und    Leidenschaft    im    mittelalterlichen 
Schachspier'  und  dcv  „Sprache  des  jungen  Schl- 
ier" bis  zu  Hofmannsthals  Opermexien.  Man  so  1 
nicht  künstlich  eine  geistige  Gemeinsamkeit  bei  al- 
len  zwischen   diesen   (und   noch  einigen   anderen) 
Themen    suchen.     Sic    besieht    nicht;    es    sei,    dals 
man   die   gleiche   helle  Wachheit   des   Autspürens 
und  der  Sprache  schon  als  ausreichend  hndei,  das 
.•cistige  Band  herzustellen.  Vaitscheidend  ist  wohl 
die  gleiche  herzliche  Anhänglichkeit  an  einen  be- 
deutt-nden  Forscher  und  Menschen.  Darum  sollte 
auch  der  Leser  die  Mannigfaltigkeit  der  Themen 
unbefangen   auf  sich   wirken   lassen.   Keiner   der 
behandelten  Gegenstände  ist  ohne  Reiz,  und  jeder 
wird  mit  einer  erstaunlichen  Fülle  an  Gedanken 
und  Einfällen  vorgestellt.  Paul  Sethe 


wonung  des  Politikers  der  Gegenwart  eine  gan.- 
lich  neue  Dimension  verlieh.  Erst  Präsident  Ken- 
nedy stand  während  der  kubanischen  Krise  vom 
Herbst    1962    unmittelbar    vor    einer    ähnlichen 

Entscheidung.  .     ,        ,    . 

Aber  für  Freund  ist  das   Atomzeitalier  keine 
rein  militärstrategische  Angelegenheit,  zumal  die 
Wirkungen   der    Bombe   in    Wahrheit    den   Ent- 
scheiduiigsspielraum    der    Verantworthchen    ein- 
engen, statt  neue  Möglichkeiten  des  Kriegsspiels 
zu  bieten.  Es  geht  ihm  auch  nicht  allein  um  die 
ökonomischen  Möglichkeiten,  die  die  Atomenergie 
anbietet,   zumal  da  selbst  die  meisten  professio- 
nellen Nationalökonomen  es  ablehnen,  von  einer 
/ weiten  industriellen  Revolution  zu  sprechen,  da 
sich   die   Einführung  der  Aiomkratt,  ähnlich  wie 
die    anderer    technischer    1  rhndungen,    nur    sehr 
langsam  vollzieht.  Tatsächlich  geht  es  Iretmd  bei 
de/ Definition  des  Atomzeitalters  um  die  Detini- 
tion  des  Menschen  und  seiner  schöpterischen  und 
/ersiörenden  Möglichkeiten. 

Sem  Buch  ist  ein  Beitrag  zur  Sozialanthropo- 
lo-ie     i.\cn    man    nicht    übersehen    kann.    Seme 
ülvrraschenden    auikMipolitlschen    Emptehlungen 
ergeben  sich  nicht  nach  der  überlieferten  macht- 
politischen Arithmetik,  sondern  als  ferne  Konse- 
quenzen   seines    Menschenbildes.    Nur    so    kann 
man    seinen    praktischen   Vorsehlag   nach   Abzug 
der    amerikanischen    Truppen    aus    Europa    ver- 
stehen, mit  dem  er  sich  betont  in  die  Nahe  von 
Lord    Rüssel    stellt.    Man    kann    solche,    Wider- 
spruch     herausfordernde,      Empfehlungen      nur 
be-relfen,   wenn   man  sich  sorgfältig  in   Freunds 
Gellanken    einliest,    sonst    milsversteht    man    den 
Autor  und  bereitet  sich  selbst  übertlüssigen  Ärger. 
Freund  holt  weit  aus.  Er  beginnt  mit  der  Ent- 
fremdung  des   Menschen    \ou   sich   selbst  und  er 
me'.in  da'^nit  mehr  als  Karl  Marx  im  Auge  hatte, 
ninnlieh  nielit  nur  die  Trennung  des  einzelnen  in 
Produzenten    und   Konsumenten,  in   Privatmann 
und  Arbeltstier.  Die  Entfremdung  des  Mensehen 
beginnt  für  den  religiösen  Denker  Freund  bereits 
in^ hohen  Mittelalter.  Entfremdung  ist  ihm  kein 
Begriff  der  Ökonomie,  sondern  der  Entsäkularic- 
sierung.  Er  läik  keinen  Zweifel  darüber,  daß  der 
Mensch  weder  durch  eine  nur  intellektuelle  Na- 
turwissenschaft bestimmt  werden  kann  (als  deren 
Exponent    er   Julian    Huxley   sieht)    noch    allem 
durch   ökonomische   oder   soziologische   Analysen 
dcfinierbar   ist.    Ihm   kommt    es   darauf   an,   den 
Menschen   wieder   in   eine   „kosmische  Ordnung" 
einzufügen     und     neben    dem    politischen    Men- 
schen  den  religiösen  Menschen   neu  zu  entdecken 
und  „mit  dem\'\ll  zu  vereinigen". 

Alle  Selbstdeulungen  des  Menschen  bleiben 
Stückwerk,  wenn  man  nicht  auch  in  seine  religiö- 
sen Bereiche  eintritt.  Seine  Ablehnung  der  mate- 
rialistischen Geschichtsauffassung  ist  daher  nur 
konsequent,  seine  Stellungnahme  gegen  die 
i,x)derne  Psychoanalyse  sieht  in  der  Religion 
keineswegs  mehr  (wie  es  Siegmund  Freud  aller- 
dings taf)  einen  ausschließlich  psychischen  Pro- 
zeß! sondern  sie  betrachtet  sich  heute»  bestenialls 
als   eine    Vorstufe   zu    einer    neugefühlten    Reli- 


sle.lltr 

fein  es.  F'r^ 
indem  Wisset 
reichend  vonc 


w 


ers 


1 


giosiiat 


l'reunds  Kritik  an  den  Intellektuellen,  die  das 
„Ai^citsschicksal"  nicht  teilen  wollen,  aber  den- 
lioch  nicht  schöpferisch  sind,  bekäme  gewiß  proli- 
lieriere  Züge,  folgte  er  der  Unterscheidung  m 
technokratische  und  schöpferische  Intelligenz. 
Aber  Freunds  Stärke  liegt  zunächst  in  der  Kritik 
der  bisherigen  Kulturkritiker,  aus  der  sich  dann 
die  eigenen,  zum  Teil  überraschenden,  Thesen 
entwickeln.  Kaum  einer  fehlt  in  der  langen  Reihe 
der  Ökonomen,  Soziologen,  Zeickritiker,  Theo- 
logen oder  Sozialanthropologen,  die  Freund  her- 


Armin   Mohlcr:    l| 
Sicht     hinter    de 
München;  331   Sci| 

Arnim    Mohler    isi 
Frankreichs  bei 
list  wie  als  Wissensell 
Mit    groi^T    Spamu| 
neues  Buch  zur  Han» 
Die  beiden  ersten 
rils  mitsamt  seinen 
verfaßt,    im    dritten 
agogisch    begabte 
Liier    finden    sich 
Übersichten,    die    del 
Regimes  seit  1789  eb| 
wie  die  Übergangsze 
ten    Republik,    derei 
politisches  Personal, 
kritische    Bibliograph 
Republik,  sondern  ziij 
lichkeit   des  heutigen 
Schatzhaus   an   Hinvi 
Titeln.    Hier    liest 
Kapitel  über  das  Vc 
blik,  in  dem  die  Spit| 
den     längst     verges- 
Schlcuhs",  „Ics  Teutcj 
Fritz",  „les  Fridolin 
ebenso    erläutert    wJ 
de  GauUes  (besonder' 
die  seiner  Minister, 
auf  den  zweifelhaftLi 
Valery  Giscard  d'E 
sc  croit  d'Estaing" 
prcsque  dT:^staing"). 

Mohlcrs  Hinweise, 
lieh  für  jeden,  der  s' 
lande   der   französisv| 
tiefen  sucht.  Freilich 
art  reicher  Apparat 
als  in   ein  Paperback 
derische  Reichtum  de' 
nicht    eher    abschreci 
jedenfalls  benutze  ili 
Im  Essay  des  er,>,! 
aus,  daß  gegenüber 
sischen    Selbstinterpi 
sei.   Vor  allem   der 
Maurice  Duverger  s 
„unbewältigte    Verg 
fangen,  die  er  durcl'| 
Vorurteilen   der   Lin> 
Ein  Vorurteil  sieht  .| 
Hellen    Wortgläubigl 
iieiienüber    den    Tat: 
reform    der    Fünliei' 
Bedeutendes,  ja  Enis 
Auf  die  Gefahr  h 
dem   „Bündnis   der 
genz"  zurechnet,  binl 
selts   jedenfalls   in  i 
verfallen   ist:   den  i| 
den  zu  wenig  Bede 
man  über  die  Füni 


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WttV'lK- 


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rxannan  ^ 


rrendt,  -he  origins  of  to talitaria^iisni,  L^ew 


York,   arcourt, 


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1951 


■''A'/^i-S 


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P.    4      .i-en    Hitler  came   to    po  .er,    ^n«   ^-^man   oanks  ^'-^^e  alreadj^ 

almo^    judenrein...    ana    üerman    jewry   as  a   v^hcle...    was  aeclinine,  ^o 

rapidly  that    statisticlans  predicted   its  disappearaiice  m   .   .ew 
decades. 

p.5.    ..Hat   makes   men    obey   or   colerate  real  power   and   °^.^^°'-^''^ 
Hand   hate  people  wLo  have  vvealth   without  POV-er,isthe  rational 
instinct   t   et  pov,er   has   a  certain  function  '•  nd    i.^.   o.    oO.Tfc   sen^r-a   x 
use. 

T).7     The    scapegoat   explanation  rer.iains    oae   or   the    principal  atj^mpts 
to  escape   the    seriou:.ness   of  a.   and  the   sisnificance    oi    t.--    fact 
that   thG   Jevvs   werej^   ariven   inte   the   stormcenter   °\^''l^^^' ^^S^f^,;^ 
vadespread  is   the    opposite  doctrine    of   an   ^^r''^^'^''':-]^^^^^.. 
hatred   is    a  normal  ana   natural  r^-act- on    co  v.hicn  hibtoi/  ^avcb   onx. 

nc^-e   or    lass   opportunlty. 

p.8.    lenorance   or   niisunGerstaiiding   of    their   o'f  ^^^J;^^  fnf  S- 
Lsponsible    for   their   fatal  underestx  ation  of   tn.    -^-^^^^^ 


precedented  dangers   \iiich    lay  ahea 


;at    also    "bear    in  mind    that 


l^c.   ofYolitical  abilcty  and    juc        nt">:cv.   been   caused        y  the 
Verv  natu   ^    c,    Jewis     v.ostor.,    ,  .tnout   a  |Overnnient      .athout  a 
oountry/.an:.   .ithont        .an  ua,e    .      ^^-^jf-^^roj  an^i   ä-st 
began      histon'    '•'^--•-  -   "^^-^    .efined  concepi    ui    n  -^_      a-  ^  ^^    ^^    ^„r^th 


conscious  r 


Solution'  to    achieve    a   v;ell   circumscrio 


arin    on   ea 


an.,    thaa,    v.dthou  c  givin^^   up    thie  ccncc^.t  ,    -J^i^    a  axx   po 
actions.   Hesult:    History  o^'  Jewish   Peopxe   oecame  evcn  moie   iepu^ 
u,on  unforeseen  accidental    r  .ctors   t  an  tne   history   o.    otncr   na 

r,   c.   ;oö^rn   a.    raust   be   seen   in  the  raore  general   framewox--   o-   the 
I;;;io?rxnt    of    the   nation  state.and   -^^fT^J'l^;:,,-^^^:'' 
be    found   in   csrtuin    aspects  of  isn  his.o.y   .in^    .pt,CL  .icaj.xy 

functions  durin-    th-     i    rt   centuries. 


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T..1-.    £uu..lity  or   condltion  as  unHor^rood  b". 


becanB 


lit^r    or; 


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nsuriaouucable    inequali^^ 

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the   Jat^obin 

-pi  pp      T-n   v^^^^r^       '        ,      iity    befO':^:    tj,e    L 

o'    scci.  1  e^  udition,th<.         et    t.i^t 

olass   rpenibersbip      n   L^       continent    v.as   bcstov.ed  upon   ^e    individu:.! 
and   up   to    .:   \.         ilmost    guaranteed   t'  -       ->    couxu 

b\^  siele   v.lth   political    equality. 

p.15.  i'he  ft-ealth  of  the  Jews  seeiaes  to  '^^^  .^f^  ^"t^^  ^^^  ^arctly 
Lass.but  they  d..  not  share  ..n  its  --P^;-^^J^^/^^^iJ^^^3onnel  "^d 
in   industrial  entenrise   an.   «i^iployers   of      hite    ooxlar   p.r.on 

not  ..orkers.    vheir  Status   v.-as  defined    .^rou..    ..^^^^'^  °^i'-,i  ^^'Z^;  m 
throuch   their  relationshx>to.anotherclass...^^^^^ 
•,Veltv<irtschafts-Archiv  19a?, vcl   .'0.,.X.-.o.    KX,.s.enex.ia 

p.ic      „ithout  territory   and   £overnnent    th.  - 'f  „^^ J..f  ^J^'f^^tlLte 
inter-^uropean   eler.ent.      his    i^,*^^^ *^°"^^^/,!^*^J  'e^fce'   "«^ted   on 
necessarily  pr       rved  because    tne  Jev.s'    iinancial   oervice.. 

it . 


/ 


Seite  6    Süddeutsche  Zeitung  Nr.  289 


§nA\  nnh  ^tli 


Donnerstag,  3.  Dezember  1970 


der  ihn  von  der  Welt  trennt,  statt  ihn  in  sie  zu  integrieren. 
Wo  immer  Christen  sich  heute  fragen  -  und  viele  fragen 
PC,  sich  —  ob  Christsein  ohne  organisierende  Institution 
möglich  sJi,  wird  man  Davis'  Theorie  in  Erwägung  ziehen 
müssen.  Eins  ist  sicher:  Das  Sicheinlassen  auf  eine  solche 
MögUdikeit  setzt  eine  Initiative,  Kraft  und  Spontaneität 
vorauf  zu  der  die  im  Schutz  und  unter  den  Direktiven  ihrer 
Kirchek  sicher  lebenden  Priester  nicht  erzogen  sind.  Des- 
S[b  gehört  die  Entscheidung  des  Charles  Davis  heute  noch 
zu  den  großen  Ausnahmen. 

Sehr  viel  häufiger  führt  sie  einen  Priester  dazu,  sein  Amt, 
nidit  aber  seine  Zugehörigkeit  zur  Kirche  aufzugeben^Der 
Amerikaneriames  Kavanaugh  spricht  das  in  seinem  Buch 
Trotest  aus  Liebe"   mit  deutlicher  Beziehung  auf  Davis 
fnz  klar  aus:  „Wir  übrigen  sind  nicht  so  begabt  und  so 
faDfer  Wir  können  ohne  die  Kirche,  die  uns  zur  Abhangig- 
ke^    erzogen  hat,  nicht  auf  eigenen  Füßen  stehen«  -  ein 
wahrhaft  erschütterndes  Bekenntnis,  das   alles    was   von 
Printern  u"d  Laien  gegen  ihre  Kirche  vorgebracht  wdm 
einem  einzigen  zusammenfaßt.  Doch  eines  hielt  auch  der 
Frieder  Kavanaugh  nicht  mehr  aus:  Weiter  als  Instrument 
Ti^er  Gesetzlichkeit  zu  fungieren,  die  mit  Hilfe  des  Sunden- 
bewußtseins Unabhängigkeit  verhindert  -n^  immer^  noch 
unendlich  viel  Leid  über  gläubige  Menschen  bringt.  Für  den 
Theofog^^^^^^         .wm-de  die  Rolle,  die  die  Kirchen  m  den 
weUweien  Kämpfen  um  eine  gerechtere  und  mensxhhchere 
Welt  spielen  oder  nicht  spielen,  zum  Anstoß  des  Nachden 


kens.  Bei  Kavanaugh  sind  es  „nur"  die  unmittelbar  erleb- 
ten Erfahrungen  eines  kleinen  Seelsorgers,  dem  der  Lega- 
lismus seiner  Kirche  verbietet,  im  Umgang  mit  Menschen, 
die  etwa  am  Versuch,  den  nichtkatholischen  Ehepartner  zu 
bekehren,  oder  am  Pillenverbot  oder  an  sexuel  er  Bedräng- 
nis irgendwelcher  Art  zu  zerbrechen  drohen,  Vernunft  und 
Liebe  walten  zu  lassen.  Kavanaughs  Bericht  klingt  wie  em 
Katalog  mittelalterlicher  Folterqualen,  denen  sich  diejeni- 
gen, die  nicht  in  der  Lage  sind,  die  Autorität  derer,  die  sie 
fhnen  auferlegen,  in   Frage  zu  stellen,  immer  noch  unter- 
werfen. Die  Sünden  dieses  Katalogs  haben  übrigens  fast 
alle  etwas  mit  der  Geschlechtlichkeit  zu  tun     Auch  das 
müßte  bedacht  werden,  wenn  man  über  Zölibat  diskutiert 
der   Zusammenhang  liegt  auf  der  Hand.  Daß  Kavanaugh 
später  heiratete,  dürfte  deshalb  richtiger  als  notwendige 
Konsequenz  aus  seinen  Erfahrungen  als  Priester,  denn  als 
Tribut  an  die  Natur  und  Verstoß  wider  den  Geist  zu  deuten 

^^Der  -  vorläufige  -  Schluß  aus  dem  allen?  Christliche 
Kirchen,  die  den  Menschen  um  seines  Heils  willen  unter  das 
Joch  ihrer  Gesetze  zwingen,  unterscheiden  sich  von  moder- 
nen Institutionen,  die  auf  ihre  Weise  das  gleiche  -  und 
manchmal  mit  besseren  Argumenten  -  versuchen,  nur  da- 
durch daß  sie  die  protestierenden  Stimmen  zu  Wort  kom- 
men lassen.  Das  ist  auf  die  Dauer  nicht  genug.  Aber  es  be- 
rechtigt zu  der  Hoffnung,  die  viele  Christen  noch  zogern 

läßt  dem  Beispiel  Charles  Davis'  zu  folgen. 

laut,  aem  ceu  p  _  GISELA  UELLENBERG 


Die  durchschauten  Junker 

Hugo  Balls  „Kritik  der  deutschen  Intelligenz" 


«Ttr-r»  RAT  T  •  Zur  Kritik  der  deutschen  Intelligenz.  Herausge- 

&  Bernhard,  München,  1970.  326  Seiten,  14  DM. 

Die  historisch-politische  Essayistik  der  deutschen  im  er- 
sten Drittel  dieses  Jahrhunderts  ist  auch  heute  noch  aktu- 
ell aIs  de  Historiographie  im  Konformismus  des  eigensm- 
nigen  Bismarckreiches  erstarrt  war,  soweit  sie  nicht  in  der 
MedLevisTik  oder  der  Orientalistik  weiterhin  Glanzleistun- 
gen "oUb^^^^^^^^^^^  als  im  Zusammenhang  damit  auch  da,, 
lamentarische  Beredsamkeit  kaum  mehr  Lesbares  hergab, 
™n^        Essayistik  ihre  Ersatzfunktion.  Sie  wurde  zu 
ffn^m    deutschen    Komplementärphänomen,    wahrend    in 
?^^nTernv^e  Frankreich  und  Italien  der  Geist  nicht  von  der 
Tribüne  des  Parlaments,  nicht  von  den  Lehrstuhlen  ver- 
bannt wan  Die  deutsche  Historiographie  mit  ihrer  h^^^^^^ 
iährisen  Anologie  jenes  verhängnisvollen  LehrstucKS,  oäi 
ntmar*  dem  Lunenden  Europa  vorexerzierte  d.e  deut- 
frHl'toHographle,  nach  dem  Ende  von  15  —  h 
von  dem  Nebel  lebend,  den  die  von  ihr  verschv«egenen 
Fakten     erzeugen,     verschwiegen,     weil     dw     deutscn 
preumsche     Fehlentwicklung     unsichtbar     b^^b-     -II. 

hieT:nd^^r-Xw"aVtrw'es^e'"u?^^^^^^ 

N^rderlage  im  Ersten  Weltkrieg  einsichtig  machten  und 
Tefne  sch^^^^^  Reprise  von  1933,  die  freilich  nur  noch  m 
gerne  scna      g_    .^erfolgen  konnte,  voraussahen. 


schillernd,  noch  Bebel  in  seinem  Gegensatz  zu  Jaures),  auf 
preußischer  Seite.  Hugo  Ball  muß  dies,  aus  der  Korrespon- 
denz zwischen  Marx  und  Engels,  gewußt  haben;  denn  er  er- 
wähnt Liebknecht,  der  die  von  dem  borussifizierten  Reich 
ausgehende  Gefahr  noch  klarer  erkannt  hat  als  die  marxi- 
stischen Dioskuren,  an  keiner  Stelle.  Liebknecht  paßte  Ball 
nicht  ins  Konzept.  Daß  mit  Lassalle  hingegen  „ein  streberi- 
scher Aventurier",  ..ein  Pseudorebell",  einer  der  frühesten 
Führer    der    deutschen    Arbeiterbewegung    gewesen    ist, 
kann  unwidersprochen  bleiben.  Doch  auch  Marx,  entschie- 
den weitergegangen  in  der  Negation  des  preußischen  Jun- 
kerstaats,  hat  für  Hugo  Ball  nicht  genug   an   kritischer 
Macht  aufgerufen,  um  an  den  „Schlaf  der  Welt '  zu  rühren^ 
Dies  vermag  für  den  von  der  deutschen  Realität  zu  strenger 
Geistigkeit  Erzogenen  nur  noch  die  Religion  der  Anarchie. 

Hugo  Ball  wirft  denn  auch  Marx  vor,  er  mache  die  ^grob- 
materielle"  Produktion  zur  Geburtsstätte  aller  Geschichte. 
Das  rein   intellektuelle  Interesse  steht  im  Vordergrund, 
nicht  die  Liebe."  Da  ist  Ball  längst  auf  den  klügeln  von  An- 
archie und  Mystik  auf  und  davon.  Aber  gleichzeitig  bleibt 
er    mag  er  noch  so  viele  Schwächen  bieten,  ein  eminent 
politischer  Geist.  Man  nehme  ihn  als  Korrektiv  zum  Mar- 
xismus, als  eine  heilsame  Medizin,  und  man  verstehe  nicht 
als  letztes  Wort  dieses  Gedankens  die  Konsequenz,  mit  der 
Hugo  Ball  sich  gerade  gegen  diejenigen  wandte   die  emzig 
noch  die  Emanzipation,  nicht  anders  mehr  denn  als  Emanzi- 
nntion  des  deutschen  Proletariats  möglich,  zu  erkämpfen 
ZcZn.HuTB.ll  von  allzu  unvermittelter  Konkretion 
irregeführt,  mißversteht  die  Marxsche  Rationalität  als  Ab- 
strakt on,  als  ein  Hindernis  für  emanzipatonsche  Politik. 
Fin  Proßös  politische  Talent  wendet  sich  gegen  die  von  Marx 
Em  gioüos  poiuisuiL  -    ^oine  Orientierung  in  den  kon- 


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4o  l)iH  iKHite*  C   liroiiik  (MiK^H  XiilHi  j(^L>;j-; 


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»Das.vorl!egende  Buch  ruft  läörr  Weg.id^n  M%i^  V'f^'" 

jahFlijhdeif Äückgelööt  tt  j|i|Cr  kT|Qhaulie^    Weise 

in  uiTöäf  Gedächtnis.  Ich  h0ie,daßtb^^^  beiträgt,  unsere  innere 

ßindUniart  MündieFiÄ(v^|tä^^  vertiefen;  daß  es  uns  damit 

zufielet!  ney%!l<^raft  gÄ  (lifCWeg  in  eine  bessere  und  größere  Zukunft 
weiterhin  mit  Erfolg  zu  gehen.« 

Aus  demVorWort  von  Oberbürgermeister  Dr.  HansrJochen  Vogel 

Ein  gültiges  Dokument  über  die  Nad^kri^szeitin^  erl^rifs- 

starken  Öfldern  und  etW^mlteillbteh:p^^ 

iie  Seiten  miiüberÄl^tos,  Leinei^^^ 

A3  Seit'ieutp  in  jäder  Butihlla^ 

Bitte  besuchen  Sie  die  züciifesem  Buch  gehörende  Ausstellung  irri; 


W^  :jr-'>.>;\»  ^'i  .A'. 


liinärier^y  tmuseäE^^t-Jakbßs^latz^^^^^^^  ISltfii 


Ein  solcher  Autor  war  Hugo  Ball.  „Die  Frage  nacl 
Gründen  unserer  Isolation  beschäftigte  mich  vorzüglich 
seit  Herbst  1914.  Ich  bemühte  mich,  die  Prinzipien  ausfindig 
zu  machen,  mit  denen  das  Deutschtum  der  ganzen  Welt  sich 
entgegensetzte."  Hugo  Ball  war  überzeugt,  daß  „der  Sturz 
der  preußisch-deutschen  Willkürherrschaft",  das  von  aller 
Welt  herbeigesehnte  Kriegsziel,  nicht  genügen  würde,  die 
Welt  vor  „einem  ferneren  deutschen  Attentat"  zu  schützen. 
Das  war  am  Ende  des  Ersten  Weltkriegs  ein  Gemeinplatz 
auch  der  Volksmassen  in  Deutschland.  „Die  deutsche  Staats- 
idee hat  den  deutschen  Gedanken  vernichtet.  Die  deutsche 
Staatsidee  ist  es,  die  ich  mit  diesem  Buch  treffen  will.  Um 
sie  in  all  ihrer  Macht  und  volkswidrigen  Tradition  darzu- 
tun, mußte  ich  sie  historisch  entwickeln  und  Gesichts- 
punkte aufstellen  für  die  Kritik  ihrer  hervorragendsten 
Repräsentanten." 

Im  Mai  1915  war  Hugo  Ball  mit  Emmy  Hennings  in  die 
Schweiz  entwichen,  im  Januar  1919  erschien  seine  „Kritik 
der  deutschen  Intelligenz",  wenige  Monate  nach  Thomas 
Manns  „Betrachtungen  eines  Unpolitischen",  der  verführe- 
rischsten Apologie  deutscher  Reaktion.  Hugo  Ball  erhoffte 
sich  Befreiung  und  Umsturz,  eine  Revolution  für  die  Deut- 
schen, wie  sie  „sich  nur  mit  der  französischen  Befreiung 
1789  vergleichen  läßt".  Sein  Buch  erschien  im  Freien  Verlag 
zu  Bern,  wo  zu  gleicher  Zeit  Ernst  Bloch  seine  leidenschaft- 
liche Befürwortung  der  Niederlage  der  deutschen  Militärs 
veröffentlichte.  Gerd-Klaus  Kaltenbrunner  hat  zur  Neu- 
herausgabe die  biographischen  Daten  über  Hugo  Ball  zu- 
sammengetragen, worauf  hier  verwiesen  werden  darf.  (Nur 
ein  einziger  Irrtum  sei  angemerkt:  Karl  Kraus  habe  den 
Krieg  als  „große  Zeit"  gefeiert  —  Karl  Kraus  hat  im  Gegen- 
teil die  Feier  des  Krieges  als  einer  „großen  Zeit"  mit  ver- 
nichtender Kritik  bedacht.) 

Hugo  Ball  war  anarchistischer  Sozialist,  und  er  war  von 
christlicher,  von  täuferischer  und  östlich-orthodoxer 
Mj'stik  inspiriert,  auch  darin,  von  Charles  Peguy  und  Leon 
Bloy  wie  von  den  Slawophilen  herkommend,  den  Wider- 
spruch zum  aktuellen  Deutschtum  bekennend.  Denn  es 
kennzeichnet  Hugo  Balls  Kritik,  daß  sie,  von  der  Negation 
des  deutschen  Kaiserreichs  ausgehend,  eine  einzige  Projek- 
tion negativer  Wertung  auf  die  gesamte  deutsche  Ge- 
schichte wirft,  soweit  sie  Geschichte  der  Herrschenden  war. 
Deren  Konturen  werden  brüsk  verdeutlicht.  Aber  es  sollte 
dem  Leser  bewußt  sein,  daß  daraus  die  Vehemenz  spricht, 
mit  der  Hugo  Ball  von  der  Wirklichkeit  des  verpreußten 
Reiches  abgestoßen  wurde.  Dieses  Reich  erfaßt  er  reali- 
stisch und  präzis,  mag  über  die  Auslegung  der  vorbis- 
marckschen  deutschen  Geschichte  auch  zu  streiten  sein. 
Zwanghaft  geradezu  mußte  er  vor  Marx,  weil  dieser  ein 
Deutscher  war,  zurückweichen.  Begierig  griff  er  zu  Baku- 
nin,  und  in  der  Tat  sah  dieser  klarer,  was  Preußens  funeste 
Konsequenzen  betraf.  Wenn  er  Thomas  Münzer  und  Franz 
von  Baader  gelten  ließ,  so  betraf  dies  nicht  seinen  Sozia- 
lismus, sondern  das  mystische  Märtyrertum,  in  welchem  er 
seine  Zuflucht  gefunden  hatte.  Erst  recht  Lassalle,  der  Deut- 
sche und  Jude,  mußte  für  ihn  ein  Antipode  sein,  jener  Las- 
salle, der  mit  Bismarck  verhandelte  und  Pläne  hegte,  „in 
denen  das  Ptoletariat  nur  die  Rolle  eines  von  ihm  benutzten 
Instrumentes  spielte,  die  Rolle  einer  Waffe,  mit  der  er  die 
persönliche  Kraftprobe  zu  liefern  gedachte".  Nicht  zu  Unt- 
recht  nutzt  er  die  von  Bernstein  beigebrachten  Details  der 
Biographie  Lassalles  gegen  ihn  aus,  und  er  zitiert,  was  Bis- 
marck, großzügig  lobend,  über  ihn  erinnert.  Scharf  ent- 
scheidet er  die  Frage,  wer  wen  betrog,  gegen  Franz  Mehr- 
ings  Deutung,  Bismarck  habe  bei  diesem  gemeinsamen  Kir- 
schenessen nur  die  Steine  bekommen.  Allein  das  Kapitel 
über  Lassalle  erweist  den  großen  Publizisten.  Nach  Heines 
Wort  hat  die  preußische  Regierung  sogar  von  ihren  Revolu- 
tionären Vorteil  zu  ziehen  gewußt.  Aber  Marx?  Und,  dies 
eine  Klimax,  Bebel  und  Liebknecht?  Wilhelm  Liebknecht 
stand  dem  Ausland  gegenüber  niemals,  wie  J.  B.  von 
Schweitzer,   Lassalles   Nachfolger   (und  wie  merkwürdig 


kreten  Kämpfen  der  Zeit  aus  dem  rneoreiiK.er  eres 
lismus  zu  gewinnen  vermag.  Seine  Flucht  suchte  zwei 
Wege.  Er  entwich  in  die  Religion,  aber  er  blieb  hienieden; 
vor  dem  Deutschland  seiner  Zeit  floh  er  nur,  um  mit  der 
Revolution  zurückzukehren.  Er  behielt  seinen  Standpunkt 
im  irdischen  Streit.  Politisch  entschieden  hat  er  sich  für  die 
alliierten  Gegner  des  am  18.  Januar  1871  im  besiegten 
Frankreich  ausgerufenen  Deutschen  Reiches.  Ihnen  gab  er 
recht,  daß  sie  mit  einem  Anachronismus  Schluß  zu  machen 
suchten,  der  Europa  in  eine  Kaserne  verwandelt  hatte. 

Hugo  Ball  hielt  Marx  für  einen  unbrüderlichen,  abstrakt 
subordinierenden  Gelehrten.  Das  Wissen,  von  dem  er  be- 
hauptet, es  trete  bei  Marx  als  höchstes  Prinzip  auf,  töte  den 
lebendigen  Geist,  so  meint  er.  Daß  „Das  Kapital"  ohne 
Gymnasialbildung  nicht  zu  lesen  ist,  verführt  seinen  auf 
praktische  Befreiung  versessenen  Geist,  über  die  Schwere 
der  Konflikte  hinwegzuspringen,  zu  Bakunin  und  Weitling: 
als  ob  für  Marx  das  Studium  seiner  Schriften  die  Möglich- 
keit proletarischer  Revolution  erst  schüfe.  Schwerwiegend 
der  Vorwurf,  Marx  habe  hinter  dem  Bourgeois  den  Junker 
nicht  gesehen:  auch  dies  eine  Projektion  von  Erfahrungen 
des  späteren  Kaiserreichs,  als  die  unselige  Allianz  von 
preußischem  Junkertum  und  Industrie  für  die  ganze  Welt 
offensichtlich  war.  Von  späterer  Erfahrung  her  also  ist  die 
Kritik  an  Marx  verständlich.  Doch  offensichtlich  vernach- 
lässigt Hugo  Ball  die  Periodisierung  historischer  Tatsachen 
und  Ideen.  Sein  Historikertum  ist  politisch,  auf  die  Kon- 
flikte des  Tags  bezogen,  in  falscher  Unmittelbarkeit  dann 
eben  doch  wieder  der  Reflex  jener  Ohnmacht,  von  der  er 
die  deutschen  Massen  befreit  sehen  wollte. 

Doch  wird  durch  Balls  Spiegelung  hindurch  nur  um  so 
klarer,  was  der  Marxismus  ist.  Der  Mystizismus,  in  dem  die 
kritische   Theorie  der  Gesellschaft  unterzugehen  scheint, 
legt  es  dem  Leser  nur  noch  näher,  intellektuell,  und  nichts 
als  das,  zu  verfahren.  Liegt  hierin  bereits  ein  eminentes  In- 
teresse an  den  Balischen  Marx-Passagen,  so  wird  es  für  uns 
Heutige  noch  gesteigert,  wo  Hugo  Ball  seiner  Zeitgenossen- 
schaft sich  zuwendet.  Denn  die  deutschnationale  Phrase 
von  1914,  mit  Philosophemen  verbrämt,  mit  Emotionen  auf- 
geladen, geht  immer  noch  um;  sogar  der  Philosoph  Her- 
mann  Cohen,   der   berühmte   Lehrer   Franz   Rosenzweigs, 
feierte    im    Kriege    die   Vormacht    Deutschlands    und   die 
deutsch-jüdische  Allianz.  Walter  Rathenau  pries  noch  1917 
das  „Pflichtbewußtsein"  des  deutschen  Volkes,  das  „bis  an 
die  äußerste   Grenze  der  Kraft  jede  geforderte  Leistung 
hergibt",  und  er  sprach  von  dem  „hingebungsvollen  Unter- 
schichten-   und   Untertanenbewußtsein",   das   in   Preußen 
„Millionen  von  Seelen"  erfülle  und  „die  disziplinierbarste 
und  organisierbarste  Masse,  die  wir  kennen",  erschaffe  — 
fürwahr  ein  furchtbares  Wort.  Hugo  Balls  hellwaches  Buch 
bietet  dem  Leser  öine  Fülle  dergleichen  historischer  Dicta, 
die  unvergessen  zu  bleiben  verdienen  und  die  uns  erkennen 
lassen,  zu  was  unsere  Herren  uns  gemacht  haben.  Es  ist  dies 
ein  Stück  jener  Geschichtsschreibung,  die  aus  der  Sicht  der 
Unterworfenen  kommt,  ein  Desiderat  noch  der  Gegenwart. 
Mit  sicherem  Spürsinn  bringt  Hugo  Ball  genau  die  Zitate 
aus  Bismarcks  Mund,  die  über  ihn  aufklären.  Die  Zunei- 
gung vieler  Deutscher  zu  romanischem  Wesen  hat  vielfach 
in  ein  Verhältnis  nur  zu  Kunst  und  Lebensart  sich  verflüch- 
tigt, auch  dies  Folge  des  politischen  Drucks.  Bei  Hugo  Ball 
bleibt  diese  Affinität  politisch.  Indem  er  im  Ersten  Welt- 
krieg bereits  die  Sache  der  gegen  Deutschland  gerichteten 
Allianz  sich  zu  eigen  machte,  ergriff  er  das  einzige  Mittel, 
das  —  außer  der  Revolution  —  die  deutschen  Massen  hätte 
retten  können  vor  dem,  was  sie  unter  dem  Faschismus  erlei- 
den sollten.  Mehr  noch  als  im  Jahr  seines  Erscheinens  sagt 
Hugo  Ball  uns  Heutigen,  was  wir  nicht  wissen.  Sein  Buch 
vermag  als  eine  ebenso  feierliche  wie  dezidierte  Präambel 
zu  unserer  künftigen  Historiographie  zu  gelten. 

WILHELM  ALFF 


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Handel  und  Wirtschaff 

iiMiininiitiuiiiiiiiiiiiiiiiiiHuininiuiiMiHiiMiiuiiiiiiiiiiiiiiiiiMUliiiiiiuiiiiiiiiiiiiiiiiiuiiiuuliiiiiiiiiiuiiiiiiiuiiiiii 

Eine  Festschrift  der 
Deutschen   Bank 


Es  ist  nicht  nur  das  Foto  von 
Oscar  Wassermann,  des  "Spre- 
chers des  Vorstands  ab  1923",  das 
die  von  Fritz  Seidenzahl,  Frank- 
furt/M., dem  Leiter  des  Histori- 
schen Archivs  der  Deutschen 
Bank  A.G.,  höchst  sachkundig 
verfassten,  besonders  schön  auf- 
gemachten Geschichte  die-S€s  In- 
stituts ("100  Jahre  Deutsche 
Bank  1870-1970")   ziert. 

Mit  Wassermann  <  1869-1934) 
stand  in  dem  schweren  und 
schwierigen  Jahrzehnt  1923/33 
ein  hervorragender'  Experte  für 
Fragen  der  Geldp>ohtik,  ein  wirtr 
schaftspolitischer  Denker,  ein  po- 
litischer Kopf  an  der  Spitze 
dieser  Bank.  (Er  war  einer  der 
wenigen  Grossbankdirektoren, 
die  auch  im  jüdischen  Leben 
Deutschlands  eine  nennenswerte 
Rolle  spielten  —  man  denke  nur 
an  den  Keren  Hajessod,  die  Er- 
weiterte Jewish  Agency,  die  Aka- 
demie für  die  Wissenschaft  des 
Judentums).  In  der  Jubiläums- 
schrift finden  sich  auch  die  Por- 
träts des  Reichstagsabgeordne- 
ten Dr.  Ludwig  Bamberger  ( 1823- 
1»99),  der  Ratgeber  bei  der  Grün- 
dung und  später  Mitglied  des 
Aufsichtsrats  war,  des  Selfmade- 
man Paul  Mankiewicz  <1857- 
1924K  des  langjährigen  Vor- 
standsmitglieds, und  von  Max 
Steinthal  <  1850-1940),  der  von 
1873  an  im  Vorstand  und  von 
1906  bis  1932  im  Aufsdcht&rat  der 
Bank  sass. 

Diese  neue  Grossbankgeschich- 
te  bietet,  obwohl  der  unmittel- 
bare Anteil  von  Juden 

direktoren »   an  AM^ — , ..^- 

de«  4fimschei\  iAl£Uenh«ax)s^e9i^ 
bei  weitem  nicht  j^li^j^" '^ 
hAtMcat^rtse^^i '    \  gaiiz   ^.^^ 
;^  pe^,  iStlm  Püih%ri)ppe  von  Mate- 
rialien  für  die  Betrachtung  des 
r  I  agenkomplexes  Juden  im  deut- 
schen Bankwesen  von  einst.  Sei- 
denzahl macht  häufig  Abschwei- 
fungen,   die,    über    den    Gegen- 
stand des  Buches  hinausgehend, 
das  ünternehmung.s-  und  Perso- 
nengeschichtliche  streifen.   Und 
so  kurz  diese  Exkursionen  auch 
sein  mögen  —  sie  sind  informa- 
tiv und  trotz  ihrer  Gedrängtheit 
von  Nutzen.  So  erfährt  man,  dass 
bei  der  Gründung  der  Deutschen 
Bank    der    Privatbankier    J.    H. 
Cohn    (Dessau),    der   nachmalige 
Freiherr,  und  Firmen  wie  Gebrü- 


der Sulzbach  in  Frankfurt/M.,  Bi- 
schoffsheim  &  Goldschmidt  in 
London,  Friedenthal  &  Co.  «Bres- 
lau) und  E.  J.  Meyer  ^Berlin  1816- 
1938)  eine  Rolle  spielten. 

Früh  sassen  im  Aufsichtsrat 
der  D.B.  Louis  Eltzbacher,  der 
(1875  gestorbene)  leitende  Kopf 
des  1844  gegründeten  Kölner 
Bankhauses  J.  L.  Eltzbacher  & 
Co.,  und  bis  1873  Henry  Bischof  fs- 
heim.  Ausserdem  gab  es  zu  An- 
fang   und    später    naturgemä.ss 


Banknoten-Kurse 


26.  August  1970 


Quotation  of  the  Week 

uiiiiiiiiitiiiiiitiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiiv 

East  Germany  is  no  longer 
the  economic  "Wunderkind"  of 
eastern  Euroi>e.  It  is  not  ex- 
porting  enough,  and  it  is  not 
producing  as  much  ajs  it 
should.  Herr  Günter  Mittag, 
the  Politbüro  member  in 
Charge  of  economic  policy,  ad- 
mitted  last  month  that  the 
1970  industrial  plan  was  being 
fulfilled  at  only  half  the  target 
rate  while  productivity  was  in- 
creasing  only  one  third  as  last 
as  planned. 

The  Economlst  (London) 


Pcritit 

$ 

3.00     Be1r)«n     

13.50     Dänemark   

27  3a     DM  

340  EngUnchps  Pfund 
27.70     Holland    

Israel    

Mexiko     

Norwegen    

5>i-hweden    . 

Schweiz    

1   Dollar  kauft 

Argentinien     

Brasilien   N 

Fr.   Franc    

Italien     

Japan    Yen    

Oesterreicb     23.70  —25.»0 

Spanien    73 

Jugof>1awien 


38.80 
8.00 
14.00 
19.35 
3287 

frei 
4.38 
S.50 

278 


<#••••< 


IM 

Einhaltan 

$  (Cents) 

1.90—  2  00 

13.30—13.40 

27  r>0-  27.70 

2.^9—  2.40 

27. !>0-  27.70 

23  Cents 

7.90—  8.10 

14.30—14.40 

19.20—19.40 

23.20-  2.^.30 


12.50 


4  00-  4.05 
5.30—  5.40 
5.7.5 

660-670 
360—370 


1300 


Der  kanadische  Dollar  ist  über- 
aus fest;  noch  vor  wenigen  Mo- 
naten kostete  er  92  US  cents,  heu- 
te 99<^  Jugoslawien  hat  sich  dank 
einer  guten  Fremdensaison  von 
1400   auf  1300  per  Dollar  gebes 


Kanadas  "gute   Erde"— 
sehr   begehrt 


Immer  mehr  Amerikaner  be- 
trachten den  Grundstückskauf  in 
Kanada  als  sehr  gute  Kapitals- 
anlage. Schon  besitzen  Bürger 
der  USA,  beispielsweise,  mehr  als 
achtzig  Prozent  des  Cottage- 
geländes  am  Nordosten  des  Lake 
Erie,  einem  bevorzugten  Sommer- 
frischengebiet. Im  riesigen  Nord- 
westen der  Kernprovinz  Ontario 
—  ein  Gebiet,  das  grösser  ala 
Frankreich  und  Österreich  ist  — 
wurden  85  Prozent  der  Grund- 
stücke, die  von  öffentlichen  Stel- 
len verkauft  wurden,  von  Ameri- 
kanern erworben.  Ontarios  Nord- 
westen, mit  den  endlosen  Wäldern 
und  zahllosen  Seen,  ist  auch  ein 
Paradies  der  Fischer  und  Jäger. 

Kanadi.sche    Firmen,    die    ihre 


sert.  Indien  schwach,  13  Rupies  .  Dienste  bei  dem  Kauf  von  Grund- 
per  Dollar,  Pakistan  besser,  der  stücken  anbieten,  finden  in  den 
Dollar  kostet  11.5  Rupies. 


USA  interessierte  Klienten.  Inse- 


•  • 


WIE  V/IR  HÖREN 

nmiiiiiimiiiiiimiiiiiiiiiiiiniiiiiniiitiiiiiiiiiiMiiiiiiiiiiiiMiiiiiiiiMniiiiiiininiiiiminiiiiiiMiiiiin 

Johannes  Urzidil  wird  in  den  j  beitet.  Mit  Berthold  Viertel  und 
Monaten   Oktober   bis   Dezember    Heinz  Hilpert  arbeitete  er  an  Max 


Reinhardts    Deutschem    Theater 
in  Berlin.  In  der  Nachkriegszeit 


25    Vorlesungen    eigener    neuer 
Werke    und    Vorträge    über    ver- 
schiedene Themen  der  Literatur  ,    „     .  ^  a    ^ 
an    Universitäten     und    Kultur-  schuf  er  als  Regisseur  und  Autor 
Institutionen  in  der  Bundesrepu- 1  sechs  DEFA-Filme,  darunter  "Die 


zahllose  Kontakte  zu  Privatban- 
kiers und  Industriellen,  die  ent- 
weder Juden  oder  mindestens 
jüdischer  Abstammung  waren 
(Bleichröder,  Me-ndelssohn,  War- 
schauer Si  Co..  Sir  Erne§t  Ca^^el 
Dannie    HeijijeJpaöHSo 


fcsitäl 


litten  El ektri- 
der  1923  aus 
örstand  der  DB.  austrat, 
und  über  Jacob  Goldschmidt 
(DANAT-Bank).  Gestützt  auf 
etwa  160  erhalten  gebliebenene 
Briefe,  wird  ziemlich  ausführlich 
über  Alfred  Kaulla  <  Stuttgart) 
berichtet,  und  zwar  im  Zusam- 
menhang mit  der  Frage  der  ana- 
tolischen  Eisenbahnkonzession, 
die  Ende  der  achtziger  Jahre 
akut  war. 

Zur  skizzierten  Rekonstruktion 
der  "Bankkrise"  vom  Juli  1931 
greift  Seidenzahl  auch  auf  die 
Aufzeichnungen  des  1967  verstor- 
benen Staatssekretärs  Dr.  Hans 
Schaeffer,  zurück. 

E.  G.  L.owenthal 


blik,  der  Schweiz,  in  Österreich, 
Italien  und  England  halten. 
•      •      * 

Küralich  beging  in  London 
Rosa  Meyer-Levine  ihren  80.  Ge- 
burtstag, die  W^itwe  des  1883  in 
Petersburg  (Leiiiugrad)  gebore- 
nen Sozigii^M^n  Eugen  Levin6, 
Ji^r^  q>^ilnahme  an 
'^"tebewegung — 
f-  r  des  voiizugs- 
.  Räteregierung 
1—  zum  Tode  verurteilt  und  am 


Unbesiegbaren",  "Keine  Hüsung" 

und  'Pole  Poppenspäler". 

J.  S. 

«       •       • 

Den  ersten  Spatenstich  zur 
Grundsteinlegung  für  ein  jüdi- 
sches Gemeindezentrum  In  Aix- 
en-Provence  tat  der  dort  vor  77 
Jahren,  geborene  Komponist  Da- 
rlus  Milhaud.  Die  Gemeinde  in 
dieser  südfranzösischen  Universi- 
tätsstadt zählt  gegenwärtig  1500 


CDaMrumdsüdksitL. 

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«.  Mal  1919  in  München  wegen  |  Mifg];pr!p-  t>^  o^meindezen- 
Widerstandes  gegen  die  «!<■;;-*-  iirum'  ist  die  sechzigste  seit 
ger^ait  lü.iK^ncnfet  wurde^  Rosa  kj.^  j^^g  .^^  Frankreich  gebau- 
Meyer-Le^^ne    hat    eme    Biogra-   ^    Einrichtung    dieser    Art.    Die 

Kosten    »180,000   Dollar)    werden 


i  phie  des  Revolutionärs  geschrie 
ben,  deren  Veröffentlichung  be- 
vorsteht. 

e.  g.  1. 

•      •      • 

Wenige  Wochen  nach  seinem  70. 
Geburtstag  am  14.  Juni  ist  der 
Regisseur  Artur  Pohl  gestorben. 
Er  war  1923  bis  1927  als  Bühnen- 
bildner am  Landestheater  Darm- 
stadt tätig  und  hat  dort  mit  Gu- 
stav Härtung,  Ernst  Legal  und 
Josef  Rosenstock  zusammengear- 


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CJommittee,  dem  Fonds  Social 
Unifie,  von  der  örtlichen  Gemein- 
de und  kleineren  Organisationen 
getragen.  egl. 

•      *      • 

Dr.     Arnold     Maria    Goldberg 
wird  mit  Beginn  des  Winterseme- 
sters seine  Tätigkeit  als  Profes- 
sor für  Wissenschaft  des  Juden- 
tums und  als  Leiter  des  Instituts 
für  Judai.stik  an  der  Goethe-Uni- 
versität    »Frankfurt    a.M.)     auf- 
nehmen.  Er   war   bisher   an    der 
Unlvensität  Krelburgr  tätig,  -wo  er 
Vorlesungen  üiber  das  Alte  Testa- 
ment sowie  über  hebrä-ische  und 
aramäische    Philologie    gehalten  1  Amerika     wieder 
hat.  egl.      Igung  zugesagt 


rate,     die     für    "tausendf/ 
Grundstücken    bei    dei 
direkt  von  kanadisch^ 
den   erhältlich"    wer 
sich  kaum  über  manj 
teresse  im  südlichen  Ni 
zu  beklagen.  Die  von  d| 
sehen     Gemeinden      vi 
Grundstücke  werden  in] 
sten    Fällen    wegen    Ni^ 
lung  der  Steuern  veräusserl 

Nicht  .selten  stösst  der  Ausver- 
kauf von  "Kanadas  guter  Erde' 
an  Amerikaner  auf  Widerstand. 
Ein  Vorschlag  regt  an,  Land  im 
Staatsbesitz  «crown  land)   p^c- 
zu    verkaufen,    sondern  ^A 
pachten.  Eine  andere  "St 
um   die   Landspekulatic 
halten,  wäre  ein  Geseta 
Elrrichtung  von  Häusern' 
von      Ausländern       er 
Land  notwendig  mr^ 

Mittlerweile  hält  der  Zustrom 
von  Amerikanern  nach  Kanada 
an.  Im  Vorjahr  suchten  22.785 
Amerikaner  in  Kanada  eine  neue 
Heimat;  wieviele  Krieg.sdienst- 
verweigerer  unter  ihnen  waren, 
meldet  keine  Statistik.  Doch  die 
Zahl  der  Amerikaner,  die  im  Vor- 
jahr nach  Kanada  kamen,  um 
hier  au  bleiben,  ist  zweifellos 
grösser;  Schätzungen  erwähnen, 
dass  die  Zahl  der  illegalen  Ein- 
wanderer bereits  200.000  überstei- 
gen mag. 

Während  anti-amerikanische 
Demonstrationen  keine  Selten- 
heit sind,  betrachten  anderer- 
seits viele  Kanadier  die  Vereinig- 
ten Staaten  als  einen  grosszügi- 
gen und  freundlichen  Nachbarn. 
Besonders  gross  ist,  beispiels- 
weise, Mario  Beaulieus  Enthusias- 
mus. Der  Frankokanadier, 
wenigen  Wochen  noch 
minister  von  Quebec,  trjt.p 
Axiiiexation  von  La  Belle  Pro- 
vince  durch  die  USA  ein:  Beau- 
lieu  ist  der  Ansicht.  Quebec 
könnte  derart  ein  "zweites  Puerto 
Rico"  werden.  Sarkastisch  der 
Kommentar  des  liberalen  To- 
ronto  Daily  Star  über  da^s  von 
separatistischen  Terroristen  und 
Wirtschaftsproblemen  heimge- 
suchte Que'bec:  "Wenn  Mon.sieur 
Beaulieu  mit  diesem  Vorschlag 
nach  Washington  zieht,  mag  er 
dort  empfangen  werden,  wie  ein 
Botschafter  aus  Südofta.sien.  der 
Uncle  Sam  einladet,  an  einem 
weiteren  Bürgerkrieg  teilzu- 
nehmen." 

Walter  Jelen,  Toronto 


Zu  der  am  17.  September  bc- 
g-iniienden  20.  Deutschen  Indu- 
strie-AusstelIun<gr    in    Berlin    hat 

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Seite  4 


MB 


Juli  1970 


Nr.  28 


Jüdische  Privatbankiers  inljeutschland 

Im  Spiegel  neuer  historischer  Literatur  J 

^.      .       .      ,^ i_:^uf^   ^oT.    ^^^.         «r»hpn    Privafhnnk    (  1920)  r 


Die  Wirtschaftsgeschichte  der  Ju- 
den, vor  allem  die  neuzeitliche  in 
Deutschland,  ist  noch  weitgehend 
unerschlossen.  Dabei  ist  der  wirt- 
schaf  ts-  und  sozialhistorische  Aspekt 
für  zeitgeschichtliche  Gesamtbe- 
trachtungen sehr  wichtig.  Um  diese 
Lücke  ein  wenig  zu  verringern,  er- 
scheint es  unerlässlich,  auch  dieje- 
nige Literatur  zu  beobachten  und 
auszuwerten,  die  nur  beiläufig  und 


sehen  Privatbank  (1920) 
deutschen    Kreditbank 
dem  Barmer   Bank^ 
Fischer   &  Co 
^;elbst  aus  Pri 


der  Mittel- 

'( 1929 )      und 

_  W?rein  Hinsberg. 

\T932),  ursprünglich 


oegangen    .^'atbankfirmen  hervor 

mutlichy'^"^^  mindestens  30,   ver- 

,      .  ^^ber  mehr  jüdische  Privat- 

.jy?eschäfte  „geschluckt"  worden. 

-!^     im    Wege     der    Angliederung 
mer  Übernahme,  teils  durch  Umge- 


auszuwerten,  die  nur  beilautig  ^"^^''gtaltung    zu    einer    Grossbankfiliale. 

zufällig,  d.h.  mehr  mdirekt  zu  die^^r   ^.^^^  miteingerechnet  sind  hier  die 

ser  Thematik  beiträgt.  ,* 

In  einer   soziologischen  Unt^^^^ 

chung     über     „Die     wirtscbr^j.^j.^j^^ 

Krise  des  deutschen  Ji^gn"   (1931) 

hatte    sich   der    1962^^»'^   jg^.^^!   ^gj.. 

storbene    Alfj^^lJJ^uj,    ^.a.    auch 

mit    dem  J-h windenden   Phänomen 

^ßs    4VÖ&chen    Privatbankiers      be- 

^^^?c.    Auf    diese    seinerzeit    vielbe- 
'  achtete  Analyse  greift  Helmut  Gen- 

schel   in   seiner   1966   mit  Hilfe  des 

Leo    Baeck    Instituts    erschienenen 

Studie  über   „Die  Verdrängung  der 

Juden  aus   der  Wirtschaft  im  Drit- 
ten   Reich"    zurück.    Nach    Marcus 

war  die  Zahl  der  in  jüdischem  Be- 
sitz  befindlichen  Privatbanken,   auf 

deren    Entstehungsgrundlagen    hier 

nicht  eingegangen  werden  kann,  im 

Zeitraum    von    1923    bis    1928    von 

1.239  auf  614  gesunken,  imd  in  den 

Jahren  bis  1930  nochmals  um  wei- 
tere   hundertunddreissig.    Von    den 

verbleibenden    knapp    500   befanden 

sich   150  in  Berlin,  71   in  Hamburg 

und  47  in  Frankfurt/M.  Die  übri- 
gen   verteilten    sich    auf    zahlreiche 

andere  deutsche  Städte  aller  Grös- 

senklassen.  wo  nicht  selten  jüdi- 
sche Privatbanken  mindestens  seit 
der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts 

existierten.  Die  Gründe  für  die 
rückläufige    Entwicklung,     wie     sie 

Marcus   feststellte,  waren  entweder 

wirtschaftlich  notwendige  Geschäfts- 
auflösung, freiwillige  Liquidation, 
Fusion  mit  anderen  Firmen  oder 
Aufgehen   in  Grossbanken. 

Expansion  und  Konzentration  im 
Bereich  der  Aktienbanken  (in  de- 
nen übrigens  das  jüdische  Element 
zahlenmässig  keine  entscheidende 
Rolle  spielte)  hatten  in  den  drei 
Dekaden  vor  1930  ständig  zugenom- 
men. Das  geschah  vielfach  auf  Ko- 
sten der  Privatbanken.  Einen  inter- 
essanten Einblick  in  diese  Bewe- 
gung vermittelt  die  soeben  heraus- 
gekommene Geschichte  der  100  Jah- 
re alt  gewordenen  Commerzbank 
A.  G.  Unter  dem  Namen  Commerz- 
und  Discontobank  in  Hamburg  ge- 
gründet, hat  sie  jetzt  ihren  Sitz  in 
Frankfurt/ a.M.  Allein  von  der 
Commerzbank  und.  mittelbar,  von 
den  inzwischen  mit  ihr  vereinigten 
Unternehmen    wie      der    Mitteldeut- 


durch  Beteiligung  entstandenen  Ver 
bindungen.  In  den  Kreis  der  Ge- 
schäftsinhaber des  Barmer  Bank- 
vereins war  1920  Albert  Bendix, 
Köln,  eingetreten.  Nach  der  Ver- 
schmelzimg mit  der  Commerzbank 
(1932)  wurde  er  der  Leiter  der  nun- 
mehr erweiterten  Kölner  Niederlas- 
sung (Konsul  Bendix.  langjähriges 
liberales  Mitglied  der  Repräsentan- 
tenversammlung, war  bis  1939  der 
ehrenamtliche  Vorsitzende  des  Vor- 
standes der  Synagogengemeinde 
Köln). 

Wenn  man  die  Expansionsbewe- 
gunj.^  der  Commerzbank  verfolgt, 
aber  von  den  Ueberleitungen  in 
Zentren  wie  Berlin,  Frankfurt/a.M. 
Hamburg  und  München  absieht,  so 
findet  man.  die  Orte  alphabetisch 
geordnet.  jüdische  Privatbankge- 
schäfte in  Augsburg  ((Gebrüder  Gut- 
mann, selbständig  bis  1921).  Biele- 
feld (H.  W.  Dreyer  Wwe.,  1905), 
Cottbus  und  Forst/Lausitz  (W.  Lö- 
wenstein &  Co.,  1917,  Erfurt  Uli- 
mann &  Co.,  1907.  Fürth  i.  B.  (S. 
Pflaum  &  Co..  1899.  sowie  Hirsch- 
mann   &    Kitzinger,    1918).    Giessen 


Nach   Ablauf   des   ersten  Drittels 
unseres  Jahrhunderts,  als  die  Nazis 
bereits  am  Ruder  waren  und  ihrer 
Politik,   jüdische   Unternehmen    aus 
der   freien   gewerblichen  Wirtschaft 
auszuschalten,   stärker  Geltung  ver- 
schafften, ging  die  Zahl  der  in  jü- 
dischem Besitz  befindlichen  Privat- 
bankhäuser   weiter    rapide    zurück. 
Soweit  feststellbar,  mochten  Anfang 
1938  kaum  mehr  als  20  Firmen  die- 
ser Art  übriggeblieben  sein,  grosse 
imd  kleine,  durchweg  aber  alte  und 
angesehene.  Die  ,, Arisierung"  erfolg- 
te  im  Weg   der  Uebemahme   durch 
andere  Firmen,  das  Ausscheiden  des 
oder    der    jüdischen    Inhaber    oder 
durch  Liquidation.  Aus  den  bisher 
spärlichen    Unterlagen    ergibt    sich 
für    das   Jahr    1938   folgendes   Bild: 
In    Berlin    wurde   die    (1937    durch 
Verschmelzung   entstandene)    Firma 
S.    Bleichröder      &    Gebr.    Amhold 
teils  von  Gebr.  Hardy  &  Co.,  teils 
von   der   Dresdner   Bank   übernom- 
men.  Bleichröder    (Berlin)    bestand 
seif     1803,    Amhold    (Dresden)    seit 
1864.  Fast   zur   gleichen   Zeit   schied 
als    letzter    jüdischer   Teilhaber    Al- 
fred Panofsky  aus  der  1818  gegrün- 
deten   Firma    Jacquier    &    Securius 
aus.   und   J.   Dreyfus   &   Co.   wurde 
vom  Bankhaus  Merck.  Finck  &  Co.. 
München,    übernommen.    Im    April 
1938     folgte     die    Liquidierung    der 
1806    ins    Leben    getretenen    Firma 
Cretar.   Arons.   Ein   halbes   Jahr   spä- 
ter, kurz  vor  der  sogenannten  Kri- 
stallnacht,   wurde    das    Ausscheiden 
von  Dr.  Sigmund  Wassermann,  des 
letzten    Mitglieds    der   Familie,    aus 


(Aron    Heichelheim.    1906).      li-'^^n ,    Aem    gleichnamigen    Berlmer    Haus 


i.W.    (Leffmann    Stern,    1858—1900), 
Hanau    (Gebr.    Fürth    &    Co.,    1909, 
und  J.  Benjamin,  ;917)  uiid  Ilanno 
ver  (B.  Magnus,   1826—1907,  Mendel 


(1782  in  Bamberg  begründet)  be- 
kanntgegeben. Bis  in  das  Jahr  1939 
hat  das  Bankhaus,  Mendel&.sohn  & 
Co.  (1805)  ausgeharrt.  Es  ist  weder 


Rosenthal, '     1869-1919.       und    „  „arisiert"   noch   von   aussen      liqui 


Adolph-  M.  Wertheimer's  Nftichf.. 
1914).  Femer  stösst  man  auf:  Iser- 
lohn (Wallach  &  Emmanuel,  1838— 
1905).  Karlsruhe  (Alfred  SeeHgman 
&  Co.,  1916),  Köln  (Albert  Simon 
&  Co.,  1869—1907,  und  L.  Hess  & 
Söhne.  1917),  Lübeck  (Sal.  L.  Cohn. 
1918),  Mainz  (Kronenberger  &  Co., 
1889—1928.  Weis,  Herz  &  Co..  1914, 
und  Simon  &  Co.,  1921),  Marburg' 
Laiin  (Hermann  Wertheim,  1906), 
Oldenburg  (C.  &  G.  Ballin,  1921), 
Osnabrück  (N.  Blumenfeld,  1810— 
1905),  Peine  (H.  Sonnenberg,  1921), 
Stettin  (Joel  Hirschberg,  1917), 
Stuttgart,  Hermann  Gutmarm.  1919). 
Schliesslich  entdeckt  man:  Potsdam 
(A.  Horrwitz,  1921),  Tübingen 'He- 
chingen  (Sigmund  Weil,  1910),  Wei- 
mar' (Julius  Elkan,  1906;  die  Vor- 
fahren waren  Goethes  Bankiers) 
und  Wiesbaden  (B.  Berle,  1897). 


diert"  worden;  dass  es  sich  auf 
Beschluss  der  Inhaber  selbst  auf- 
gelöst hat,  wird  deshalb  betont, 
weil  diese  Zusammenhänge  in  man- 
chen Informationsschriften  zuwei- 
len nicht  zutreffend  dargestellt  sind. 
In  Hamburg  existierten  Anfang 
1938  noch  die  Bankhäuser  M.  M. 
Warburg  &  Co.  (1797),  L.  Behrens 
&  Söhne  und  J.  Goldschmidt  Sohn 
(1815).  Bei  Warburgs  schieden  im 
Mai  die  Mitglieder  der  Familie  aus. 
und  die  Bank  wurde  von  dem  lang- 
jährigen Bevollmächtigten  Dr.  Ru- 
dolf Brinckmann  und  dem  Ham- 
burger Kaufmann  Paul  Wirtz  über- 
nommen. Fast  zur  gleichen  Zeit 
ging  die  alte  Firma  Behrens  auf  die 
Norddeutsche  Kreditbank  A.-G. 
über,  während  Goldschmidt  ihr  lau- 
fendes Geschäft  auf  die  neue  War- 
burg  K.-G.   übertrug.    In   Frankfurt 


Dr.  Moritz  Spitzer  —  zum  70.  Geburtstage 


Ein  Stiller  im  Lande,  ein  Gelehr- 
ter   und    Künstler,    ein    Mann    mit 
eminenten   Kenntnissen   und   einem 
erstaunlichen  Gefühl   für   das  Wort 
in  deutscher  und  hebräischer  Spra- 
che   beging    am    8.    Juli    seinen   70. 
Geburtstag.  Dr.  Moritz  Spitzer,  dem 
diese    Zeilen   als   Glückwunsch    gel- 
ten,   stammt    aus    der   Ischechoslo- 
wakei imd  ist  seinem  Studium  nach 
Judologe.    Von    1929—1932    war    er 
der  Leiter  der  Schule  der  Jüdischen 
Jugend  in  Berlin,  darm  ging  er  auf 
zwei   Jahre   nach   Heppenheim,   imi 
Martin    Buber    bei    seinen    zahlrei- 
chen  literarischen  Unternehmungen 
zu    helfen.    Schon    in    dieser    Zeit 
wirkte  er  nebenbei  auch  als  Lektor 
und  Berater  des  Schocken  Verlages. 
19.34   wurde  er   wieder  nach  Berlin 
berufen  und   war  von  diesem  Zeit- 
punkt an  der  verantwortliche  Leiter 


der    „Bücherei    des    Schocken    Ver- 
lages",   in    der    nahezu    100    Bände 
erschienen    sind.    Der    vor   wenigen 
Wochen  verstorbene   Verleger  Lam- 
bert Schneider  hat  in  seinem   1965 
herausgekommenen   Almanach    „Re- 
chenschaft  über  vierzig  Jahre  Ver- 
lagsarbeit"    Dr.     Spitzer     als     den 
„idealen   Lektor"   gepriesen,   dessen 
„künstlerische         Einfühlungsgabe" 
auch  das  mühsame  Werk  der  Her- 
ausgabe   von   Büchern    erleichterte. 
1939    kam    Spitzer    nach    Jerusalem 
und    setzte    im    Grunde    fort,    was 
ihm  Lebensberufung  geworden  war. 
Er    pflegte    das    Wort,    als    Kenner 
der  hebräischen  Sprache,  als  Ueber- 
setzer,      als      Hersteller     kostbarer 
Drucke,  als  Herausgeber  seiner  T^ 
schich-Bücherei.     als     Anreger 
Verlagswesens  im  Lande.  In  I? 
sagte    Lambert    Schneider,    ,X. 


sich  als  Verleger  imd  Typograph 
ein  grosses  Ansehen  erworben.  Die 
moderne  hebräische  Schrift,  die  un- 
ter seiner  Anleitung  neu  geschaffen 
wurde,  wird  allerorts  angewandt." 
Wir    wünschen    Dr.    Spitzer,    der 


Sivdtndtizen. 

Auskunft  über  nachstehende  Per- 
sonen erbittet  unter  Angabe  der 
Aktennummer  die  Verwandten- 
Suchaktion  der  Jewish  Agency. 
P.O.B.  92.  Jerusalem  : 

Braun.  Helene  geb.  Jacob  aus 
Gross-Wartenberg  (101635);  Finkel- 
stein.  Max,  geboren  1923,  aus  Ber- 
lin; 1945  aus  dem  Lager  Monowitz 
befreit  (152865);  Greidinger,  Haim- 
.Jacob  und  Shve.  Eltern:  Josef  und 


a.M.  verschwanden  seit  dem  März 
1938  noch:  Emst  Wertheimer  &  Co., 
weitergeführt  als  Cüppers  &  Co., 
Lincoln  Menny  Oppenheimer  (1883) 
und  J.  A.  Schwarzschild  Söhne 
(1847),  die  beide  ihre  Tätigkeit  ein- 
stellten. Im  benachbarten  Offen- 
bach/M. schieden  aus  dem  seit  1832 
in  dieser  Stadt  beheimateten  Bank- 
haus S.  Merzbach  die  jüdischen  In- 
haber und  Kommanditisten  aus, 
und  die  Firma  heisst  seitdem 
Friedrich  Hengst  &  Co.  In  Dresden 
wurde  S.  Mattersdorf  (1849)  von 
der  Allgemeinen  Deutschen  Credit- 
Anstalt  übernommen.  Das  1841  in 
Essen  Ruhr  gegründete  Bankhaus 
Simon  Hirschland  wurde  Burck- 
hardt  &  Co.  In  Karlsruhe  über- 
nahm die  Badische  Bank  die  Firma 
Straus  &  Co.,  1870  gegründet  und 
zuletzt  von  Dr.  Moritz  Straus  und 
Friedrich  Straus  geleitet.  In  Köln 
verschwand  das  Bankhaus  August 
Stern. 

In   Pforzheim    wurde    die   Firma 
Robert    Bloch    (1867)    1939    von    der 
Landesbank   für   Haus-   und  Grund- 
besitz übernommen.  Bloch  war,  wie 
aus  den  kürzlich  erschienenen  um- 
fangreichen   , .Beiträgen      zur    Wirt- 
schaftsgeschichte   der    Stadt    Pforz- 
heim"   (1967)    hervorgeht,    von    der 
Mitte   des   vorigen  Jahrhunderts  an 
einer  von  sechs  in  dieser  Stadt   tä- 
tigen jüdischen  Privatbankiers.  Aus 
dieser  für  eine  jüdische  Wirtschafts- 
geschichte   ,, indirekten"    (^elle    er- 
fährt   man,    dass    die   übrigen   fünf 
waren:    Nathan    Wolf      (1842—1875), 
Julius     Kahn     &     Co.     (1867—1874, 
dann  auf  die  Rheinische  Creditbank 
übergegangen),  Isak  Joseph  (1880 — 
1914,    zuletzt      unter    dem    Namen 
Greb  und  Frühauf  firmierend)  und 
Fiüd    &    Co.     (1897—1933,    alsdann 
vom  Pforzheimer  Bankverein  über- 
nommen). Die  Firma  Jos.  Schlesin- 
ger   &    Comp,    existierte    nur    von 
1868   bis    1875,    die   Wirtschaftskrise 
der  70er  Jahre  hatte  sich  da  geltend 
gemacht!    Erst   von    1900   an   traten 
in  Pforzheim  die  Grossbanken  mehr 
in    Erscheinung,    während    die    be- 
rufsständischen     Geldinstitute      als 
Produkte  der  Zeit  nach  dem  Ersten 
und   nach    dem    Zweiten    Weltkrieg 
angesehen  werden  können.  So  lässt 
sich  retrospektiv  am  Beispiel  einer 
aufblühenden      Industriestadt      der 
Trend  verfolgen,  den  Alfred  Marcus 
vor  40  Jahren,  damals  schon  ernst- 
lich in  Sorge  um  die  Weiterexistenz 
einer  ganzen  jüdischen  Mittelstands- 
gruppe   und,    gleichzeitig,   um    eine 
entsprechende     Berufslenkung     der 
Berufswahl    der    jüdischen    Jugend, 
entwickelt  hat. 

E.    G.    LOWENTHAL 


auch  uns  ein  stets  bereitwilliger 
Berater  ist,  dass  er  noch  lange  in 
Gesundheit  und  Frische  seine  ge- 
lehrte Bücherarbeit  fortsetzen  und 
sein  Lebenswerk  vergrössem  möge. 
Ad   mea   weessrim ! 

H.  T. 


Frida,  aus  Gera  (152830);  Lindberg, 
Dr.  Hans-Theodor  (152922);  Pinto, 
Anna  (Johanna)  geb.  Deger,  gebo- 
ren 1902  aus  Leoben  (Oesterreich, 
Eltern:  Franz  und  Maria  (152859); 
Rosenbaum-Lassmann,  Regina,  gebo- 
ren 1924,  aus  Leipzig,  Eltern:  Ahron 
und  Miriam  (119972);  Rotkopf,  Cilly, 
geboren  1924,  aus  Berlin  (119972): 
Stück,  Isy,  geboren  1923,  aus  Berlin 
(119972). 


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^n!^>f5zcI^ie^Gemeinschättsbildung>>  '  trägt  den 
paradoxen  Untertitel:  «Eine  empirische  Theorie». 
Friedrich  löst  das  Paradox  übrigens  schon  in  der 
Einleitung   auf   mit   dem   Satz:    «Theorie   ist,   im 
Gegensatz  zu  Philosophie  und   bloßer   Meinung, 
ein   mehr   oder   weniger    systematisiertes   Ganzes 
beweisbarer    oder    wenigstens    zusammenhängend 
vertretbarer   Verallgemeinerungen,    die    auf   einer 
strengen     Analyse     feststellbarer    Talsachen     be- 
ruhen.»   Dergleichen    klingt    allerdings   eine   Spur 
zu  vernünftig,  um  bei  dem  Gros  der  Gesellschafts- 
theoretiker heutigentags   «anzukommen».    Ueber- 
haupt  scheint  sich  Friedrich  an  Leser  zu  wenden, 
die  das  Bedürfnis  nach  Aufklärung  über  «Macht, 
Autorität    und    Gerechtigkeit»,    über    «Gleichheit 
und  Freiheit»,  über  (reale)  «Herrschaftsprozesse» 
und  «Ebenen  der  Herrschaft»,  über  die  künftige 
Bedeutung   von    «Tradition,   Revolution   und    Re- 
form»  empfinden.   Und   all   das   aus  dem   Blick- 
winkel  einer   Erfahrungswissenschaft:    geschichts- 
gesättigt,  das  Begriffliche  immerfort  aus  bcobach- 
Teter  Wirklichkeit   altmodisch-schulgerecht   dedu- 
zierend.   Man    erfährt    immer    noch    merkwürdig 
viel  auf  diesem  Weg;  wenn  nicht  das,  was  man 
denken  soll,  so  doch  das,  was  man  wissen  muß. 

«Es    ist    immer    klug,    vorauszublicken;    aber 
schwierig,  weiterzublicken,  als  man  sehen  kann.» 
So  Churchill;  und  Fred.  L.  Polak  zitiert  ihn  -  zu- 
stimmend, wie  es  scheint  —  in  seinem  Buch  «Pro- 
gnostics»^   ist   sich   also   der   Problematik   seines 
Unternehmens  offenkundig   bewußt.   Auch  histo- 
rische Vertiefung  wird  man  an  seiner  Methoden- 
lehre zur  «Futurologie»   nicht  vermissen:   mittel- 
alterliche   Eschatologie    ist    ihr    so    wenig    fremd 
wie    die    Fortschrittsideen    des    19.  Jahrhunderts, 
denen  Thematik  sowohl    als  auch  Dynamik  der 
Z.ukunftsforschung     entstammt.     Und     nicht     nur 
Eschatologie  —  ein  scholastisches  Denken  geistert 
in  den  «Quaestiones»  der  Diagnostik  und  der  Pro- 
gnostik wohl  gleichfalls  mit:   Rationalisierung  des 
Irrationalen  durch  schiere  Zerkleinerung  der  Pro- 
bleme, auf  die  der  Amerikaner  einstweilen  stolz 
zu  sein  scheint,  da  er  von  den  «freischwebenden 
Gedankenmodellen»  der  Europäer  mit  freilich  ver- 
ständlicher Skepsis  redet.  Worauf  zielt  aber  seine 
kasuistische  Prophetie?  Sie  soll  Normen  schaffen 
«for  a  future-crcative  course  of  action»:  Zukunft- 
VN  issenschaft   soll    Zukunft   hervorbringen    —    auf 
geregelte   Weise;   aber   wer   regelt    die   Regelung, 
wer   setzt   die   Normen?    Man   schafft   sich   beim 
Lesen  in  Polaks  Buch  den  Verdacht  nicht  erst  an, 
daß  die  Futurologie  eine  Methode  auf  der  Suche 
nach  einer   Philosophie  sei;   aber  man  wird   ihn 
dabei  auch  nicht  los. 


Seilschaft  für  die  Einheit  Italiens  (Francesco  De 
Sanctis,  der  berühmte  spätere  Literaturprofessor. 
war  u.  a.  deren  Mitglied)  zum  Tode  durch  den 
Strang  verurteilt,  dann  zu  Kerker  und  Zuchthaus 
begnadigt.  Zehn  Jahre  (1849-1859)  verbrachte 
er^so  im  Gefängnis  zu  Neapel  und  im  Zuchthaus 
auf  der  Insel  Santo  Stefano.  Dieses  «ergastoK)  ^ 
gehörte  zu  den  berüchtigtsten  Europas.  Als  d  |.s 
Schlimmste  empfanden  Silvio  und  seine  Freun-Je 
(darunter  Luigi  Scttembrini,  der  Literarhistoriker) 


*  Elena  Croce:  Silvio  Spavenla.  Adelphi,  Mailand  1%9. 


lijHe^!TtTe^cwesen^unstfern,  von  allzu  star- 
rem  logischem  Formalismus  und  ohne  vertiefte 
historische  und  soziale  Studien.  Elena  Croce  rückt 
diese  Urteile  in  ein  richtigeres  Maß.  Ihr  Spaventa- 
Bildnis  wird  die  Nachwelt  gerechter  und  gemäßer 
finden  als  Labriolas  allzu  harte,  von  Parteivor- 
urteil gefärbte  Worte. 

«Voglio  vivere  per  essere  un  uomo.  o  morire, 
se  fa  d'uopo  Iwenn  es  nötig  wird],  per  restare 
uguale  a  me  stesso».  schrieb  Silvio  aus  dem  Kerker 
an  seinen  Bruder.  Diesem  Ideal  hat  er  mit  besten 
Kräften  nachgelebt.  Werner  Günther 


Di( 


"autobiographischen  und  kleineren  Sehri 


fien  Paul  Tillichs 


1  Handlexikon  zur  Politikwissenschaft.  Herausgegeben 
von  Axel  Görlitz.  Ehrcnwirth,  München  1970. 

2  Günter  Rohrmoser:  Emanzipation  und  Freiheit.  Gold- 
mann, München  1970. 

3  Carl  J.  Friedrich:  Politik  als  Prozeß  der  Gemein- 
schaftsbildung. Westdeutscher  Verlag,  Köln  und  Opladen 
1970. 

•«  Fred.  L.  Polak:  Prognoslics.  A  Science  in  the  Making 
surveys  and  creates  the  Future.  Elsevier,  Amsterdam  1971. 


Paul  Tillich  schrieb  über  sich  selbst,  indem  er 
.eine  innere  Entwicklung  charakterisierte:  «Schwie- 
rigkeiten in  der  Bewältigung  der  Wirklichkeit  bc- 
fwTrkten  früh  eine  Abdrängung  in  die  Phantasie. 
Einis?e  Jahre  lang  waren  bestimmte  Phantasiewel- 
lten für  mich  die  eigentliche  Wirklichkeit,  in  die 
ch  so  oft  als  möglich  aus  der  nicht  ernst  genom- 
.enen  äußeren  W^irklichkeit  übertrat.  Es  war  etwa 
ie   Zeit  vom    14.    bis   zum    17.  Lebensjahr.    Am 
■nde  dieser  Periode  entwickelte  sich  automatisch 
„US  der  romanhaften  die  philosophische  Phantysie, 
die  mir  seitdem  zum  Nutzen  oder  Schaden  treu 
geblieben    ist:    zum    Nutzen,    sofern    ich    ihr    die 
Fähigkeit  verdanke.  Fernliegendes  zu  kombinieren, 
Abstraktestes  anschaulich,  ja  farbig  ineinander  zu 
sehen,    Möglichkeiten   des   Gedankens  zu   experi- 
mentieren; ^zum   Schaden,   sofern   diese  Fähigkeit 
in  die  Gefahr  führt,  Schöpfungen  der  Denkphan- 
tasie  für   Wirklichkeiten    zu   nehmen.    Erfahrung 
nd  rationale  Kritik  zu  vernachlässigen,  monolo- 
,isch   statt    dialogisch    zu    denken,    sich    aus    der 
emeinsamen   Arbeit  der  Wissenschaft  heraus/u- 
Jtellen.  Ob  die  Nachteile  oder  Vorteile  dieser  Ver- 
anlagung   überwogen,    sie    hinderte    mich    (neben 
zeitg'eschichtlichen  Ursachen),  das  zu  werden,  was 
man  im  typischen  Sinn  einen  „Gelehrten"  nennt 
\—    übrigens  eine  verbreitete  Erscheinung  in   der 
[Generation  des  Uebergangs,  zu  der  ich  gehöre.» 

In  diesem  Urteil  über  sich  selbst  hat  der  deut- 
sche Theologe,  der  als  Auswanderer  von  1933  dem 
nordamerikanischen  Protestantismus  nach  dem 
letzten  Weltkrieg  sichtlich  die  Wege  zu  einem 
undoematischen,  philosophisch  durchdrungenen 
Gemcindeleben  wies,  seine  besondere  Begabung 
beschrieben.  Auch  was  ihm  hier  als  Beschränkung 
oder  Einseitigkeit  bewußt  ist,  hat  er  einesteils 
fruchtbar  gemacht,  eine  gewisse  Unbekümmert- 
heit umdie  übrige  theologische  Wissenschaft  als  ein 
Sichfreihalten  tlir  neue  Gedanken  andernteils  an 
sich  bekämpft.  Das  beweist  gerade  der  Band  der 
«Gesammelten  Werke»,  der  unter  dem  Titel  «Be- 
gegnungen» erschienen  ist. '' 

Was  daiin  an  Aufsätzen,  Rezensionen,  Reden 
und   Kontroversen  veröffentlicht   wird,   zeigt   ihn 


*  Paul     Tillich:      Begegnungen.     Gesammelte     Werke, 
Band  12,  Evangelisches  Verlagswerk,  Stuttgart  1971. 


als  Denker,  der  sich  mit  den  Gedanken  anderer 
auseinandergesetzt  hat.  Er  erfaßt  jene  dabei  immer 
im  Gesamten  ihrer  geistigen  Erscheinung,  an  ihren 
wesentlichen  Anliegen,  auf  die  er  die  Stellung- 
nahmen im  einzelnen  zurückführt.  Es  sind  die 
Großen  der  Vergangenheit  darunter,  deren  Erbe 
er  bespricht,  und  manche  Zeitgenossen,  mit  denen 
er  sich  in  vielem  trifft,  in  anderem  im  Gegensatz 
weiß.  Er  äußert  sich  bedeutsam  über  Lessing  und 
in  diesem  Zusammenhang  über  das  pädagogische 
Denken  der  Aufklärung,  oder  über  Goethe  und 
dabei  über  die  Klassik,  wo  das  Göttliche  als  ein 
Nicht-Fremdes,  sondern  das  dem  Menschen  Eigene 
eesehen  wird.  Hegel,  Marx  und  Nietzsche  werden 
besprochen.  Immer  wieder  beschäftigen  ihn  die 
zeitgenössischen  Theologen  und  Philosophen,  die 
das^Personhafte  an  Gott  unterstreichen,  auch  Al- 
bert Einstein,  der  dieses  vehement  verwirft.  Ihm 
^ilt  Gott  für  überpersönlich,  niemals  aber  für 
unterpersönlich.  Die  Person  Gottes  hält  er  für  ein 
notwendiges  Symbol,  aber  doch  nur  ein  Symbol. 
Die  menschliche  Sprache  gebietet,  daß  vom  Gött- 
lichen in  Analogien  geredel  werden  muß. 

Der  Band  enthält  als  Wichtigstes  Tillichs  auto- 
biographische Schrift  «Auf  der  Grenze».  Die 
Grenze  ist  nicht  als  Scheidung  veistanden,  sondern 
als  das  Verbindende,  wo  Verschiedenes  sich  trifft 
und  in  einen  Austausch  eintritt.  Bei  ihm  ist  die 
Grenze  ein  Mittleres,  das  Gegensätzen  gleicher- 
weise angehört  und  sie  in  einer  unauflösbaren 
Spannung  vereinigt.  Tillich  charakterisiert  seine 
eigene  menschliche,  existentielle  und  theoretische 
Position.  Er  sucht  nach  dem  tieferen  Grund,  der 
das  vereinigt,  was  oberflächlich  betrachtet  wie 
unvereinbar  scheint:  Stadt  und  Land,  Heimat  und 
Fremde,  Wirklichkeit  und  Phantasie,  Autonomie 
und  Heteronomie,  Theologie  und  Philosophie, 
Luthertum  und  Sozialismus.  Damit  sind  nur  einige 
Themen  genannt,  um  deren  spannungsgeladene 
Zusammengehörigkeit  er  ringt. 

In  allem  geht  es,  spreche  er  mit  vergangenen 
Geistern  oder  mit  Zeitgenossen,  um  den  Sinn  der 
gegenwärtigen  Lage.  Sie  aufzudecken  und  in  ihr 
Wege  in  dfe  Zukunft  zu  weisen,  ist  sein  aktuelles 
und^  praktisches  Anliegen.  Ihm  stellt  er  sein  Wis- 
sen und  seine  systematische  Kraft  zur  Verfügung. 

Max  Schock 


ben  und  bedient  sich  einer  äußerst  klaren  linearen 
Schreibweise,  die  sich  von  einfachem  vierstimmi- 
gem, frei  chromatischem  Satz  zu  dichter  Viel- 
stimmigkeit entwickelt  und  melodisch  sowohl  wie 
harmonisch  durchwegs  ausdrucksvoll  bleibt.  Im 
Hall  der  neunhundert  Jahre  alten  Pieterskerk  von 
Utrecht  ging  manches  feine  kontrapunktische 
Detail  der  Partitur  verloren,  obwohl  sich  der 
vorzügliche  NCRV-Rundfunkchor  und  der  «Can- 
tasona«-Knabenchor  unter  Leitung  von  Marinus 
Voorberg  um  klare  Linienführung  bemühten. 

Im  gleichen  Konzert  kamen  die  frühen  «Psal- 
men Davids»  (\95H)  und  das  in  die  «Lukas- 
Passion»  aufgegangene  «Stabat  Mater»  (1963) 
von  Krzysztof  Penderecki  zur  Aufführung,  da 
Pendereckis  neues  Chorwerk  «Canticum  Canli- 
corum  Salomonis»  vom  Komponisten  als  noch 
nicht  aufführungsreif  betrachtet  wurde.  Von  Kurt 
Weill  brachte  das  Holland-Festival  auch  zwei 
Bühnenwerke:  «Der  Silbersee»  (Libretto:  Georg 
Kaiser)  und  «Royal  Palace»  (Libretto:  Ivan  Goll); 
beide  Werke  wurden  von  Gary  Bertini  dirigiert, 
und  im  «Silbersee»  wirkte  die  anscheinend  ewig- 
jugendliche Lotte  Lenya  mit. 

Debütantin  im  Holland-Festival  war  die  junge 
israelische  Geigerin  Miriam  Fried,  die  im  Con- 
cours  der  Königin  Elisabeth  von  Belgien  den 
ersten  Preis  gewonnen  hatte.  Leider  war  die 
Preisträgerin  nur  im  Mendelssohn-Konzert  zu 
hören:  sie  bewies  eine  makellose  Technik,  die 
auch  der  Kantilene  gebührenden  Raum  ließ,  doch 
überhetzte  sie  das  Finale,  so  daß  die  spritzige 
«Sommernachtstraum»-Atmosphäre      des      Satzes 


nicht  realisiert  wurde. 


Peter  Gradenwitz 


Kaniivf  lim  das  Wittgeiisileiii-üaus  in  Wien 

K.  O.  Das  Wiener  Wittgenstein-Haus,  ein  in  den 
Jahren  1926  bis  1928  von  dem  österreichischen 
Philosophen  bis  ins  letzte  selbst  konzipierter  und 
nach  seinen  Plänen  erstellter  dreigeschossiger  Bau, 
ist  vom  Landeskonservator  des  Denkmalamtes  für 
Wien  offiziell  zur  Demolierung  freigegeben  worden. 
Im  Zuge  einer  Flurbereinigung  im  dritten  Wiener 
Gemeindebezirk  sollte  an  seiner  Stelle  ein  sechzehn- 
stöekigcs  Hotel  errichtet  werden.  Unmittelbar  vor 
dem  Abbruch  haben  sieh  nun  jedoch  der  in  New 
York  lebende  österreichische  Arehitekturkritiker  und 
Architekt  Bernhard  Leitner  und  mit  ihm  der  öster- 
reichische PEN-Klub,  die  Wittgenstein-Gesellschaft 
in  England  sowie  eine  Gruppe  von  Wiener  Archi- 
tekten für  die  Erhaltung  des  nicht  nur  architektonisch 
interessanten,  sondern  vor  allem  auch  geistes- 
geschichtlich bedeutsamen  Baus  eingesetzt.  Es  ist 
ihnen  gelungen,  zu  erreichen,  daß  der  Abbruch  so 
lange  hinausgezögert  wird,  bis  das  Gutachten  einer 
Expertenkommission  vorliegt.  Es  steht  zu  hoffen, 
daß  der  Wert  des  Bauwerks,  das  gleichsam  als  Form 
gewordener  Ausdruck  von  Wittgensteins  philosophi- 
scher Aesthetik  ein  Denkmal  ersten  Ranges  dar- 
stellt, in  letzter  Minute  doch  noch  erkannt  wird  und 
das  Haus  an  der  Kundmanngasse  19  gerettet  werden 
kann. 


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CONSERVATIVE   NATIONALISTS 

under  the  Weimar  Regime 

by  Professor  Lewis  Hertzman,  University  of  Alberta 

A  Paper  read  at  the  annual  meeting  of  the  American  Historical  Association.  Washington,  D.C..  on  December  29.  1958 


THE   political   forces   that   supported   the  old 
Order  in  Priissia  and  Germany  at  large  were 
stunned  and  taken  aback  by  the  Revolution 
of   November  9,    1918,   but    they  were   not  com- 
pletely  disorganized.     Like  the  bureaucratic  struc- 
ture  of  the  State  which  continued  by  and  large  to 
function,  the  old  party  offices  remained  in  exist- 
ence,  and  bank  accounts  were  available  to  assist  the 
re-grouping  and  consolidation  of  only  briefly  dis- 
organized elements.     Only  leaders  of  the  German 
Conservative   Party   (which   included   in  its   mem- 
bership    most   of   the   Prussian  land-owning    ans- 
tocracy)  had  feit   their  lives   to   be   in   danger   in 
Berlin,  and  had  precipitately  left  the  capital.     On 
their  return,  within  days  they  found  to  their  dis- 
may   political  discussions   already  in   progress  on 
the  Right.    They  were  faced  with  an  accomplished 
fact  that  they  accepted  finally,  though  with  graye 
reservations :   a  new  formation  of  Right-wing  poli- 
tical  groups  that    saw    no    future    for   themselyes 
isolated   in   the   hostile  atmosphere  of  a  Socialist 
Republic.     A  new  party  emerged  with  the  name 
of    German    National    Peoplc's    Party    (Deutsch- 
nationale  Volkspartei;  Z)N  KP)  that  included  many 
second-stringers  from  the   old   German  Con-.erva- 
tives    most  so-called  Free  Conservatives  (predomi- 
nantly    high    civil    servants),    Christian    Socialists 
(representing    large    organizations    of    white-collar 
workers  in  the  North  and  West),  professional  party 
antisemits,   and   even  a   few   individuals   froni   the 
camp    of    National    Liberais    and    democratic    or 
Left-wing  Progressives  {Fortschrittliche).  A  similar 
combination  of  interests  had  had  some  lifc  dunng 
the  war  in  Admiral  Tirpitz'  ultra-nationalist  supra- 
parliamentary  Propaganda  Organization,   the   Ger- 
man Fatherland  Party.  There  had  been,  moreover, 
before  November  9  much  discussion  among  these 
groups  of  the  basic  question  of  self-preservation  in 
face  of  the  democratic  wave  of  the  future.     Most 
were   convinced   of  the   need  to  consolidate   their 
organizations    and    to    revise    their    campaigning 
methods  for  the    anticipated  democratic  elections 
of  a  more  genuine  parliamentary  State.  •       y 
"People*s"  Parties 
The  challenge  of  November  9  was  therefore  met 
by  the  Right-wing  political  forces  of  Germany  with 
little  delay.     The  old  parties,  with  few  exceptions, 
were   scrapped   and   in  less   than   two   weeks   the 
public  was   presented  with  the  first  of  two  major 
Right-wing  successor  parties.     The   German  Nat- 
ional People's  Party  in  an  innocuous  and  ambigu- 
ous   Programme  expressed   particular  conccrn   for 
the  interests  of  the  middle  class  and  the  rights  of 
private  property,  and  even  tacitly  accepted  the  new 
regime.     In  another  fortnight  emerged  the  second 
Right-wing  party,  also  a  Volks purtei  (DVP).    This 
was  tont  court  the  German  People's  Party,  and  its 
Programme  was  as  close  to  that  of  the  Nationalists 
as  its  name.     Of  its  membership  it  was  observed 
that  this  was  the  remnant  of  the  National  Liberal 
Party  that  was  not  absorbed  by  the  new  German 
Democratic    Party.      Its    leader   was    the    notable 
Young    Turk    of    the    National    Liberais,    Gustav 
Stresemann.   and   prominent   members  were  either 
themselves  industrialists,  or  in  one  way  or  another 
associated  with  German   big  business.^ 

Unfortunately  for  our  understanding  of  the  poli- 
tical history  and  problems  of  the  Weimar  Republic 
many  of  the  polemical  tags  and  characterizations 
that  were  immediately  applied  to  the  parties  have 
stuck.     And  so  the   Nationalists,  the  DNVP,  are 
still    oftcn    labelled   the    party   of   Junkers,    while 
the  DVP  are  merelv  the  party  of  heavy  industry 
and  big  business.^     Both  are  often  seen  simply  as 
monarchists   who,   by   their  ideological   disloyalty 
and  doctrinaire  Opposition  to  the  Republic,  helped 
to  make  normal  government  in   Germany  impos- 
sible    and    theiebv    paved    the    way    for    Hitler.^ 
What  truth  there  is  in  such  Statements  must  how- 
ever   be   seen    in    the  light  of  more  information. 
The   time   is  ripe   for   historians   to   balance  their 
knowledee  of  the   Left,   and   of  Left-  and   Right- 
wing   radical   movements,    by    objcctive    study    of 
the  Centre  and  the  Conservative   Right  that  were 
at  least   of  equal   importance  to  the  life  and  ex- 
perience  of  the  Weimar  Republic. 

Although  the  documcntation  for  the  study  of 
these  groups  is  by  no  means  overwhelming  nor 
complete,    important    new    sources    have    become 


available  to  scholarship  in  the  last  decade  which 
make   the   task  of  synthesis   and   re-interpretation 
feasible  and  imperative.     Most  notable  among  the 
captured  German  documents  for  this  purpose  have 
been,  of  course,  the  Stresemann  Papers,  which  have 
added  a  vast  Supplement  to  the  three  volumes  of 
the  still  valuable  Vermächtnis  published  a  genera- 
tion  ago  by  Stresemann's  secretary,   Henry   Bern- 
hard.-*^    But  while  these  papers  are  currently  being 
subjected  to  close  scrutiny,  little  attention  has  as 
yet  been  attracted  by  a  lesser  mine  of  information 
among  the  captured   documents   that   ncvertheless 
merits  careful  examinalion  by  students  of  domestic 
and  foreign    policy,   the   protocols  of  all   Cabinet 
meetings  held  during  the  Republic.^  Although  very 
little   of  the   memoir   material    published    in   Ger- 
many in  recent  years  has  come  from  Weimar  poli- 
ticians  of  the  Right,  a  documentary  source  of  equal 
importance    with    the    Stresemann   Papers,  just   as 
voluminous  and  disorderly,  has  come  to  light.  This 
is  the  collection  of  the  papers  of  Count  Kuno  von 
Westarp.  which  for  the  time  being  remains  in  the 
hands  of  his  familv  and  literary  executors.^     The 
German  Federal  Archives  in  Coblenz,  which  con- 
tain    the    Nachlass  of    Kurt  von    Schleicher,    also 
possess  the  papers  of.-Stresemann's  successor.  the 
head   of  the   Germari'  People's   Party   through    its 
liquidation    in    1933,    Eduard    Dingeldey.    and    an 
impressive   manu^cript  collection   regarding  recent 
history,    including   a    considerable    bulk   of    party 

I  Footnotes  ^=^^=!== 

1.  Lewi»  Hertzman,  "  The  founding  of  the  German 
National  People's  Party  (DNVP).  November  1918— January 
1919,"  in  Journal  of  Modern  History,   March    1958,  pp.24-3b. 

2.  Annelise  Thimme.  Gustav  Stresemann.  Hanovcr-Frank- 
turl/M  1957.  pp.34ff.-.  Lewis  Hertzman.  "  Gustav  Strese- 
mann: The  Problem  of  political  leadership  in  the  Weimar 
Republic."  paper  read  at  the  annual  meetm«  of  the  Cana- 
dian    Historical    A,ssocialion,    Edmonton.    June    6.    ly.^K. 

3.  E  g  S.  William  Halperin,  Germany  Tncd  Democracy. 
New  York  1946  pp.  127-128.  These  distortions  are  mostly 
absent  in  the  brief  surveys  of  Sigmund  Neumann  Oer- 
many:  Changing  patterns  and  lasting  problems  m  Sigrnund 
Neumann  ed.,  Modern  Political  Parties.  Chicago.  195b. 
pp  354-192.  and  the  still  useful  handbook  of  Ludwig  Berg- 
strässer,  Geschichte  der  politischen  Parteien  m  Deutsch- 
land.     7th    ed..    Munich.     1952.    pp.202ff.       ,        ...       vl-  •     „, 

4.  Walter  H.  Kaufmann,  Monarchism  m  the  Weimar 
Republic.      New   York.    1953.    pp.229-239_     ,  '  ^i  .•        i     ^rrh 

5  Gustav  Stresemann  Papers  (microfilm),  National  A/cn- 
ives',  Washington,  D.C.:  cf.  Gustav  Stre-semann.  Vermächt- 
nis.' cd.    Henrv    Bernhard,    3   vols.,    Berlin,    1932-33. 

6.  Cabinet  Minutes,  in  Records  of  the  German  Foreign 
Omcc   (microfilm).    National    Archives.   Washington.    U.C. 

7.  .Studies  that  make  use  of  the  Westarp  Papers  are. 
Kuno  Graf  v.  Westarp,  Das  Ende  der  Monarchie  am^. 
November  1918.  Berlin,  1952.  Karl  Dietrich  Bracher  Die 
Auflösung  der  Weimarer  Republik.  Stuttgart-Dusseldorf. 
19^5  Werner  Liebe.  Die  Dcutschnationale  Volkspartei  191»- 
1924."  Düsseldorf.  1956:  Lewis  Hertzman.  The  German  Na- 
tional People's  Party  (DNVP).  1918-1924.  Harvard  Univer- 
sity diss  1955.  and  articles  citcd  in  footnotes  2  and  J: 
also  Elisabeth  Friedenthal.  Volksbegehren  und  Volksent- 
scheid über  den  Young-Plan  und  die  dcutschnationale 
Sezession.      Tübingen,    diss.,    1957.  u..„„„u^r„ 

8.  Recent  works  making  some  u.se  "^  /j^e  Hugenbcrg 
Papers  are:  Alfred  Kruck.  Geschichte  des  Alldeutschen  Ver- 
bandes 1890-1939,  Wiesbaden.  1954;  Otto  Schmidt-Hannover  s 
unpublished  biography  of  Alfred  Hugenberg.  Hugenbe^s 
Ringen     in     deutschen     Schicksalsstunden,     ed.      Dr.     Borch- 

'"V.'"'count'westarp"  drew  attention  to  the  fact  that  Philipp 
Scheidemann  as  earlv  as  1919  had  used  the  slogan  Der 
Feind  Ttch"  rechts"  which  Joseph  Wirth  .  as  Chancellor 
some  vears  later  popularized:  National  Constituent  Assembly 
Debates  Oct.  7^  1919.  vol.  330,  p.2888.  co  .  2.  cKed  in 
Kuno  Graf  v.  Westarp.  Konservative  Politik  in  der  Repub- 
lik  1918-1932.  Erstes  Buch:  Neue  Aufgaben  und  /'e'«- 
Bis   /um   6.6.1920  (hereafter  cited   as:   Westarp   MS),   chapter 

^'"  lO.'^wilhelm     Dittmann.     Das    politische    Deutschland     vor 

HltlPr     Zürich     New    York.    1945.    Statistical    tahlcs. 
"l     We  t  5p     MS     ch      2.    p.80:    Minutes.    DVP     ExecvUive 
rnnVmittee      March     13.     1920.    in    Stresemann     Papers     con- 
tainTÄ.    serial    6932.    frames    139543-53    (hereafter    c.ted: 
cp     3090/6932/ 139543-53V  .  ,       ,„__      r-n 

12  Stresemann  to  Karl  Hclfferich.  Aup^  3  1922,  SP 
3096/70  6/^44 154-5:  Walther  Graef.  "Der  Werdegange  der 
Sschnationalen  Volkspartei  1918-1928.".  in  Der  nnt.onale 
Wiüe:  Weiien  und  Wirken  der  Deutsehnationalen  Vo'kspare^ 

Jf  Se,mann  to  ,?- ^^[3^43^07^  tl'^t  VrS.T;  S^n^I 
Z  DVP  En.'juW  16.  1922  SP  3096/7014  ■,4396  2^ St rese 
mann  to  Crown  Prince,  July  21.  1922,  ^>P  .suvo//ui'»/ 
143999-144004.  ^,  ... 

13.  Bracher,    p.78:    Neumann,    p.354^  rp^rt^rhrlttUrhe 

14.  E.g..      Progressive      People's      Party      (Fortschnttlicne 

VotU- spart ri).  .        r      .      .       1      .,  TT 

15.  Hertzman.    as    under   footnote    ••    P-^^u       3, ,3/7129/ 

16.  Stresemann's    Diary.    May    25      1925      f^    ^'^^//zv 
147826:  Stresemann  to  Berckmeyer.  Dec.  28.   1926.  SP  31UU/ 
7137/149410^1  Hohenlohe  an  1  Stresemantn. 
Geschichle   der   Weimarer  Republik.     Zürich-Stuttgart.    1954. 

1,     pp.339ff. 


records,  is  to  be  found  at  the  East  German  Central 
Archives  in  Potsdam.  One  further  collection  re- 
mains essentially  a  mystery,  the  papers  of  the  grey 
eminence  of  German  Nationalists,  Alfred  Hugen- 
berg, which  are  now  at  his  family  estate  in  Roh- 
braken.  Though  a  few  selected  documents  from 
these  papers  have  been  made  available  by  his 
literary  cxecutors  from  time  to  time,  it  is  not 
generally  known  how  extensive  or  important  the 
collection  is.«.  But  it  is  not  surprising  that  even 
our  information  on  the  records  left  by  Hugenberg 
is  as  indefinite  and  elusive  as  his  personality, 
activity,  and  motivation  were,  in  his  lifctime, 
obscure. 

Our  difficulty  in  judging  the  man  is  carried  over 
to  our  difficulty  in  judging  the  group  with  which 
he    was   associated  in    the   Weimar    Republic,  the 
group  he  ultimately  led.     If  from  the  outside  the 
political   Right  appeared  to  many  contemporaries 
to  be  a  bloc,*^  in  command  of  30  per  cent.  of  the 
electorate  by   1924,i"  a  conspiracy  against  the  Re- 
public that  produced  the  Kapp  Putsch  of  March, 
1920,  in  fact  the  political  parties  were  only  peri- 
pherally     implicated     in    the    Putsch,     and     their 
leadership    stroncly   disapproved    of   this   kind    of 
Opposition. >'     Ncvertheless  in  the  public  mind  they 
were  blamed  for  the  intellectual  authorship  of  the 
coup  and  of  the  assassinations  of  such  notables  as 
Matthias     Erzberger     and     Walther     Rathenau.'- 
Spokesmen  for  the  Right  were  hard  put  to  defend 
themselves.      Most   of   them   had    been,   as   many 
continued  to  be,  vocal,  and  indecd  strident,  m  con- 
demnation  of  the  "  November  criminals  "  who  had 
"  stabbed  Germany  in  the  back  "'  in  time  of  war. 
They  arrogated  to  themselves  the  name  of  patriots 
and 'nationalists,  and  saw  on  the   Left  the  degen- 
erate  forces  of  cosmopolitanism  and  treason. 

But    that    is   not    to    say   that   these    politicians 
attacked    and    counter-attacked     on    the    basis    of 
coherent,  consistent  ideology.     Far  from  that,  the 
verbal  battles  were  fought  with  slogans.  not  philos- 
ophy.       It   is    hardly   possible   to    accept   without 
qualifications  the  distinction   frequently  made   be- 
iween   the    German    and    the    American    political 
party,   in    which   the   German    party  is  seen   as   a 
product    of    Weltanschauung    in    contrast    to    the 
American   party  that  Stands  on  a   platform  offer- 
ing    somcthing    to    everybody.^^     The    distinction 
is  clearly  not  applicable  to  those  two  major  parties 
of  the  Right.     Only  their  platforms  and  practical 
leadership  held  them   together  and  the  realization 
that  as  isolated  interest  groups  they  were  without 
influence   and   impotent.     As   political   parties   the 
German    National    and    German    People  s    Parties 
represented   a    collective    will    to    power    that   had 
little    to  do    with    ideology    alone:    platform    and 
Weltanschauung   (in    the    sense   of   attitude   rather 
than   philosophy)  went  inseparably  together. 
No  Longer  "  Conservative  " 
Unable   to   call    themselves  either  Conservatives 
or  Liberais,  and  unwilling  to  test  the  public  tem- 
per   with    old    party   names,    the  new    groups    hid 
behind  the  over-all  description  of  "  people  s  party, 
which   until  then   had  had  a   somewhat   Left-wing 
connotation.>4      Some   old   Conservatives    at    least 
feit  the  new  name  to  be  dishonest,  but  they  now 
had  little  say  in   such  matters. '5     They  were  out- 
numbered   by  those  who,  although  not  especially 
anxious  to   be  known  as  Liberais.  no  longer  had 
any  use  for  the  discredited  label  of  Conservative. 
For  the  DNVP  it  appears  that  the  term  National 
was  a   Substitute,  and   even   an    attempt  to   create 
something   of  a  political    concept.     On   tne    other 
hand    Stresemann  who  resisted  that  approach  him- 
self   attempted,    with   indifferent    success,    to    keep 
National  Liberalism  alive  in  the  DVPi\  Although 
it  may  be  a  commentary  on   the  political  condi- 
tion  of  Gcrmanv  that  a  man  as  inhcrently  conser- 
vative as  Stresemann  was  consistently  idcntihed  as 
a  l  iberal,  we  ignore  at  our  peril  the  designatiori 
that  men  in  public  life  choose  for  themselves.  and 
by  comparison  with  other  men  in  his  camp  Strese- 
mann  was   a   Liberal   indeed.i^     Therefore  before 
we   are   in   a   position    to  make   useful   generaliza- 
tions  concerning   the  Right,   we   must   survey   the 
spcctrum  of  values  which  were  there  represented. 

The  lowest  common  denominator  that  gave  men 
of  the  political  Rieht  a  sense  of  identity  is  easier 
to  find  in  their  attitude  to  the  past  than  m  ^heir 
Programme  for  the  present  and  future.  Though 
divided  on  miny  issues  of  the  war  years.  for  the 
most  part  they  looked  back  with  reverence  and 
admiration  at  the  political  structure  of  the  Bis- 
marckiin  Reich.  For  this  reason  they  regarded 
the  antithesis  of  that  structure  the  Republic.  with 
varying  degrces  of  fear  and  hostility.  But,  it  should 
Continued  on  page  5 1 


CONSERVATIVE    NATIONALISTS 

under  the  Weimar  Regime 


-^. "  W"'  -^ ' 


be    emphasized,  only   a    sma  l    corps   retained  an 
attitude  of   unrelieved    hostihly    through  fouiteen 
vears   of    he  regime.     The  same  parties   that  re- 
LctedtWenew    Constitution   as   a    whole    in    the 
Natlona    Assembly  did  not  withhold  the  practical 
c:^)operation  of  their  experienced  statesmen  in  the 
parliamentary    committees    that   helped    wnte     he 
Constitution.!«     And  relatively    soon  they  started 
to  kok  tor  political  alUes  in  the  Centre  and  even 
on     he    Left,   with   a   view   to   taking   a  hand   in 
government.i'^     Monarchism,   - /he   coro^la^^^^^^^^ 
their  attachment  to  the  vaUies  of  the  Bisr^^'^^'^»^^^^ 
Reich,  was  a   strong   sentiment   ^^^[^^   by   pohti 
cians   of    the   Right,   but   one   must  not    mistake 
scnüment  on  this  subject.  or  the  attendant  demago- 
g"of  campaign  Propaganda,  for  a  guidmg  pnn- 
aple      Sentimental  monarchism  reflected  the  more 
important  and    abiding   belief  in   strong,  personal 
government.     That  type   of  government    as  many 
Rinhtists  tacitly  admitted,  could  be  prov  ded  bette 
in  the  twentieih  Century  by  a  masterful  President 
than  bv  a  vain  and  incompetent  EmP^^,«;-''  „^^^^^ 
as   confirmed   a    monarchist   as   the   Old   Prussian 
Count   Westarp  had   no   desire    to   see   a    genera 
restoration   of  the   multifanous   ruling   houses    of 
Germany,  and  saw  no  suitable  candidate  for  the 
restoration   of   the    Hohenzollerns  in    that  genera- 
don  ?f ''^Monarchism,   dislike    of    the.  democratic 
Republic,  reverence  for  the   ß^^"?-^^^^'f"   J^^^^rh- 
these  attitudes  were  not  monopolies  of  the  Kigm, 
but  in  combination  with  such  other  Factors  as  the 
defence  of  private  property,  and  the  related  bias  ot 
fnti-socialism.     the?     provided     the     characteristic 
base  from  which  emcrged  the  widely  va^ying  tac- 
tics  and  Solutions  of  Right-wing  party  and  faclional 
leadership. 

Divergence  of  Tactics 
The  divergence  of  tactics  on  the  Right  could  be 
astonishing.    On  the  Treaty  of  Versailles,  the  ränge 
extended  from  the  bitter-end  Opposition  of  Hugen- 
berg  to  the  modified  fulfilment  policy  of  Strese- 
mann  ?2  on  the  Dawes   Plan,  from   Karl  Helffer- 
kh's  cry  of  a  "  second  Versailles  "^3  to  the  actual 
split  vote  of  the  DNVP,^'*  and  acceptancc  by  most 
in  the   DVP2?     On  the  question  of  participation 
in  government,  the  positive  attitude  of  leadership 
and  the  special  interest  groups  of  big  estate  own- 
ers  (A maricr),  industrialists,  and  unions  that  need- 
ed  a  place  in  the  State  provoked  eonstant  factiona 
dissensions  in  both  parties.     Rarely  did  the  RigtU 
speak  with  a  single  or  consistent  voice.    The  Law 
for  the  Defence  of  the  Republic,  that  men  on  the 
Right  attacked  in  1922,  was  accepted  by  them  for 
tactical   reasons  when    time    eame   for  renewal    in 
]9->7  26    Pure  Opposition  was  modihed  by  tne  prac- 
tical'direction  of  leaders  who  were  fo^ced  to  learn 
how  to  live  in  a  political  coahtion.     But  the  task 
of  leadership  could  prove  to  be  too  much  for  any 
man   who  was  not  up  to  the  Job  of  .Meeting  not 
only    the    demands   of    political    life    m   coalition 
but  also  the  demands  of  the  many  interests  that 
made   cach  party   a   struggling   coalition    in    itsell. 
In  fact,   no   Icader  of  the   Right  ever  fuUy   mas- 
tercd  the  Situation.    The  internal  struggles  of  both 
DNVP  and  DVP  were  not  so  much  the  clash  oi 
Personalities    as   the    collision    of    special,   usua lly 
class  interests,  of  white-collar  workers,  for  example 
industrialists  large   and  small,  vintncrs,  produccrs 
of  crain,   or  small   savers  wiped  out  in   the  grcat 
inflation.     Economic    interests    appearcd   to   inter- 
vcnc  most  frcqucntly  in  the  formation  of  policy, 
but    they    were    not    always   the    decisiye    factors 
The    military    voice  was   oftcn   unmistakable,    anci 
Ihc  role  of  the  Pan-Germans  is  a  chaptcr  in  itscll 
which  some  day  must  comc  to  hght.27    indccd  the 
small  group  of  Pan-Germans,  \z6,  ^Y  ""8^"^f  ^  in 
the   DNVP,  was  rcsurgcnt   in   the  latc    l9-t's  to  a 
ctartling   degree.      It   was  largcly   their  work   that 
split  the  DNVP  by  1930  into  the  components  vir- 
tually  which  originally   had   formcd   it.- 

But  in  the  circumstanccs  of  1930  Conscrvat.ves 
and  I  ibcrals  of  the  Right  hardly  had  a  chance  to 
make  good  their  shortcomings  of  1918  and  ol  the 
past  twclvc  vcars.  The  old  Conscryativcs  of  pre- 
war  vintagehad  too  long  broodcd  in  their  tcnts; 
they  had  eithcr  held  aloof  from  the  Republic.  or 
likc  the  Merrcnhausiyruppc  supportcd  the  atlvcn- 
tiircs  of  Kapp  and  his  associates,  or  drifted  into 
the  circlc  around  Hindcnburg.2'>     Count  Westarp 


Continued  from  page  50 

tried    as    leader    of    the    DNVP    for    four   years 
to  make  the  best  of  both  worlds  and  to  find  t  c 
way  to  a  modern  Conservatism.     But  for  the  taste 
of  his  old  associates  he  was  too  ready  to  work  in 
and  with  government;  for  the  new  generation  he 
was  too  much  a  symbol  of  Hohenzollern  Prussia  ^o 
When  he  ioined  the  Conservative  People  s  Pa  ty, 
which   his    younger   colleagues   formed   in   protest 
against  Hugenberg  s  leadership  of  the  Nationalists 
Westarps    effective    political    career    had    already 
endcd^i      He   had   alreadv    parted    Company   wih 
the  Kreuzzeitung  which,    on   the    verge  of   bank- 
ruptcy,  was  made  by  its  editor  to  all  practical  in- 
tents  a  dependency  of  the  Hugenberg  chain.    Some 
few  Old   Conservatives  who   had  learned  nothing 
since   1918  saw  in  Hugenberg  at  least  the  implac- 
able  foe  of  the  Republic  that  Westarp  had  proved 

not  to  be.32  

—  Footnotes 


18  Albrecht  v.  Graefe.  Damals  in  >\eiinar  1919.     Berlin. 
1929    DP  12-13;    Walther   Graef,   loc.   cit.,   p.2b. 

19  Oskar  Hergfs  position  early  1919  d.scussed  in 
ß/rW  T^^U/"'  May  2.  1924  (p.m.);  Hergfs  -  Ordnungs- 
nrogiamm.-'  Prussian  Constituent  Asscmbly  Debates.  Scpt 
?r  19^9  vol.  4.  col.  4391-4408;  Stresemann  Mmutes  o 
the  DVP  Executive  Committee.  Oct.  3  1921  ^P  309^^ 
6996/ 14P '^8-69-  Stresemann  lo  Pauli,  heb.  14,  iyz.>.  ar 
3097/7113/145099-102.  .,     „p 

20.  Stresemann  to  Eduard  Dingeldey  Aug.  12,  .1922.  SP 
3096  7016/144197-200;  Axel  Frhr.  .v.  Freyt^«h'^°"^  n  ISo! 
•'Verfassungstragen."  in  »"  n?t'«°'''%^'"l,,%-  sV  ^37^/ 
Stresemann  to  Walter  v.  Keudell.  Nov.  27,  1925.  SP  3113/ 
'?  31^/148340-2  sVrc  emann's  Secretary  (Fritz  Rauch)  to  Julius 
Curtius.  Apr    16,   1920,  SP  3089/6928/138854-7;  Westarp  MS. 

'^'21''  «/''esta'r?''MS.   eh.    8     pp.568.  .571.   612-613 

22.  Otto  Kricgk.  HugenbcrR.  Leipzig,  1932  p.67.  Alfred 
Hugenberg.    Streiflichter    aus    Vergangenheit    und    Gegenwart. 

•^  w"str'eima'n?,''vermächtnis.   I.    p.254;    Neue    Preussische 
IKriu?.^    Zeitims     April     18,     1924    (a.m.);    article     '  Repara- 
fonspö  itik/'    ?n    PoUtisches    Handwörterbuch    (Führer-ABC) 
ed    Max  Weiss  (Berlin,   1928),  679;  Hans  Hilpert.  Meuiunsen 
ind    Kämpfe.    Meine    politische    Erinnerungen   (unpub.    MS). 

^'i^^Hert/mann,  dissertation,   pp.407ff.;   Liebe,   pp  86f. 
25    Ti^imme.    p.66;     Walter     Görlitz.     Gustav    Stresemann. 

«'i'ö'.^'on^ihfcontCriy  stirred  up  in  Conservative  drcles. 
WP-  Westarp  to  v.  Dommes,  June  4,  1927;  Axel  Frhr.  v. 
Maltzahnto  Westarp,  June  2,  1927;  Westarp  to  v.  Maltzahn. 

'"2V'Harold'j.  Gordon.  Jr  The  Re-h-^hr  and  the^  Ger- 
man  Republic  1919-1926.  Princeton,  1957.  p.  356,  Kruck, 
pp.l25f.  ,^^„ 

28.  Bracher,    pp.    309fT.  ms     rh     ->     d  79- 

29  On  the  Herrenhausi^ruppe,  Westarp  MS  eh.  ^,  p. /v, 
Gottfried  Traub,  Erinnerungen,  mimeog..  Munich,  n.d  , 
p'"219  on  HindJnburg's  visitors,  '=""v^^"^^r"l9\T'nöted  t 
Koch-Weser  and  Otto  Meissner.  Aug.  14.  1926.  "oted  in 
Koch-Wesef's  Diary  of  that  date.  Erich  Koch-Weser  Papers 
rh  rpaüer  cited  as-  KWP)  Bundesarchiv,  Coblenz 
^  30  Desnite  hitwork  n  the  Konservative  Volkspartie, 
wJ'XVpT.t  not   a    "  Young    Conservative  ^as  he   -   m.s- 

f^ii^;;'>iJÄ^JiL^mi-Ä'^tu^rtf?5?r^ 

Seü^n  ^9s!^'^S^^^ve?T^hr^finSr  wS^w^ 
hc  remn'.n  Deutschknnservative  Partei  Westarp  wrote  to 
kis  head.  Ernst  Julius  Graf.  v.  .S'-^'^lUz-Sandreczk.  Aprd  1 
19->X  WP  "  Als  w  r  nach  Gründung  der  pNVl  a"cn  a  s 
deren  M  tgliedcr  an  unserer  alten  konservativen  Partei  fes  - 
hielten  haben  wir  dadurch  erwiesen,  wie  stark  und  sitt- 
lid  le'bcnsvoH  das  Alte  war.  So  haben  wir  dazu  beige- 
rauendass  der  unveräusserliche   Inhalt  konservativer   Staats- 

rdlccuials  in   Ulrich   v.   Hassell's  short-iived   Staa^spoUt.che 
Ar^eit^einscMt:     e.,.^  "^^^.^ ,:^^f{^J^n 

dem     18.    Üi    und    IS'    ()ktober    1930.    WP;     Bracher,    pp 

3-  %t  ^tzrhn^^'Ärl^l?^^r^rp-9;?f^V^i; 
Stsc^'o   PaU.a,m     March    6     19M     WP.   Fr.e  r.ch^Graf 

^v^'-     ^"''"Sw     m   %8    WP     Bacher     P.36S.    footnote  4. 

I')r,rv      iviiv     31       1932.     KWP;     Trcviranus     to     Wilhelm    R 
Rc  .'-ndanz     in   Kurt   v.    Schleicher   Papers  (hercafter  cited   as: 
Kv'^Tp"     «HmKsrlrr/i/v.  Coblenz.  folder    17-IV.  documcnt  22-23 

^*  M  'p^r  Werner    v.    Alvenslebcn    to    Schleicher     Julv    25 
1930     kVsP    65/20-3:    Kurt    Frhr.    v.    I  ersner    to   Schlc|chcr, 
niv     -4        931      KvSP    67/103.       The    Icader    of    the     DVP 
rdnirdDinucUlev     was  also   an   admirer  of  Schleicher;   KvSP 
17/1V/55.    17/IV/61-3,    66/13. 

Jr.:  R-mmän.  ' ''o-tav     Stresemann...";      as      under 

foo'no'c  2.  

37.  P.vck.    I.    p.    398. 

;;•  ?,?/.emnnS'.o 'Alber,    Zapf.   Oct.    23.    1928.   SP   3163/ 

'^ro.''H'mv  A.  Turner  (Yale  University).  MS  on  DVP.  based 
:.,.„r    n'hi    ov    the    Dinpeldcv    Pnpcrs. 


Page  51 

As  for  the  Free  Conservatives,  this  group,  mori- 
bund  even   in   the    Empire,   was  "o^^t;;"ly  ^^.^^^_ 
What  life  there  was  among  Young  Conservatives 
went  into  the  Conservative  People's  Party  which, 
Hke     its     brightest    light.    Gottfried     Treviranus, 
appreciated  the  conservative  facets  of  the  Bruning 
rigime    and   supported    it  with   all   its    strength^^ 
Some  who  were  no  longer  wiUing  to  align  theni- 
selves   with  parties   drifted   to   the    shadow-world 
siinnort    of     Franz    von    Papen    and    Kurt    von 
Schfe^cher  34   Other  splits  from  the  DNVP  saw  the 
ereation    on  the   anaLgy.  of  the   Economic  Party 
that  grew  out  of  the  inflation  experience,  of  parties 
to  represent  the  special  interests  oi  Agrarier  and  of 
Christian    Socialists,35    sphnters    that    f^om     heir 
ereation    were    curiosities     rather    than     poUticai 
powers.  .  ,  ,.  ^ 

If  the  German   People's  Party  did  not  splinter 
to    the    extent    the    Nationalists    did,   this    is    be- 
cause  it  was  not  composed  of  as  many  disparate 
uroups.     However,  even  the  briefest  examinat  on 
of  Stresemann's  experience  with  the  party  he  led 
untü    his    death   in    1929  will   show  the   extent  to 
which  his  most  cherished  policies  were  under  hre 
by  his  colleagues,  whethcr  the  question  was  ful- 
filment of  peace  treaty  obligations,  the  Dawes  and 
Young  Plans,  or  indeed  the  very  policy  of  posi- 
tive participation  in  government,36     On  this  score 
a  Croup  of  dissident  National  Liberals  left  Strese- 
mann s    party    in     1924,    and    went    over    to    the 
Sitionali^stsy^  there  to 'strengthen  the  Hugenberg 
wing  that  stood  for  unqualified  Opposition  to  the 
Republic  and  its  works. 

Demagoguery 

Reasons     for    the    increase    of    influence    and 
strength  of  the  intransigent  know-nothing  elements 
of   the   Right  can    be    briefly   stated      Their   role 
was  the  easier  one  to  play.     Devoid  of  responsr- 
bility   in  the  State  their  function  was  to  criticize 
rousc     resentment,     and     undermine     the     hated 
recime  with  every  trick  of  demagoguery.    hör  tnis 
they  had  ample  funds  from   Rhenjsh-Westphalian 
industry,  and  access  to  public  opinion  through  the 
mass  media  of  press  and  film  largely  controlled  by 
the  Hugenberg  Organization.     Where  the  Cover n 
ment   appeared   to   fumble,  they   attacked;  where 
their  own  moderate  party  leadership  compromisd 
with  Government,  they  ridiculed;  and   as  the  bour- 
eeois  parties  lost  steadily  at  the  polls  after   1924, 
they  raged,  and  heads  rolled.  Hugenberg  was  push- 
cd  to  the  headship  of  the  Nationalist  Party,3«while 
Stresemann  gloomily  surveyed  the  field  and  pre- 
dicted  civil  war  in  Germany.3'^     ^^^"^""5"?!,  .   Jj^ 
have  been  despondent  had   he   suspected  that  hs 
ultimate  successor  as  party  leader,  Eduard  Dingel- 
dey, would  have  a  hand  in  allying  the  E)VP  with 
Hugenberg     and    eventually    share    responsibihty 
with  Hugenberg  for  an  unworthy  and  humiUating 
surrender   to   Nazism.40 

In   this   Condensed  discussion  of   a  complicated 
subject  in  a  troubled  period  of  history    it  has  not 
becn    possible    to    include    needed    details    on  Per- 
sonalities and  events.  nor  to  do  more  than  suggest 
in  broadest  terms  the  nature  of  problenis  at  issue. 
Mv  plea  is  that  adequate  notice  be  taken  ot  the 
plurality    of   interests  and   groups  that    comprised 
the  political  Right  in  Weimar  Germany,  in  order 
that  more  pcrceptive  study  be  made  of  the  Prob- 
lems  of   its    leadership.      It   is   important  to    look 
searchinulv  at  their  interpretation  of  the   idea  ot 
responsibiiity  to  the  Republican  State,  and  in  par- 
ticular  of  responsibiiity  as  partners  in  the  day-to- 
day  busincss  of  government.     The  other  side  «t 
the  coin  will  show  the  meaning  of  irresponsibility 
and     uncompromising     Opposition    that    was    the 
character  of  a  Rightist  minority.  We  must  hope  for 
closer  examination  of  the  virulent  strain   ot   Pan- 
Germanism  and  National  Liberalism  that  erupted 
in  the  Hucenberg  phase  of  politics.     At  the  same 
time  it  wo\ild  be  foolish  to  neglect  the  less  spec- 
tacular  moderate  conservatism  of  such  leaders  as 
Oskar     Herct,    Gustav    Stresemann,    and     Count 
Westarp.    While  it  is  hardly  necessary  to  argue  the 
dosirabilitv  for  the  political  health  of  a  nation  of 
consolidatina  its  splinter  groups  and  special  interests 
into  bic  parties,  in  the  case  ot  ine  Right  the  wrong 
combinations  were  made.  The  parties  had  too  little 
to  hold   them   topether;  the   internal  struggles  of 
the   parties   undulv    sharpened   their   attitudes   on 
public  issucs,  and  in  the  long  run  weakened  their 
chanccs  with   the   voting   public.     Eventually  the 
accumulated   tensions  and  bitterness  shattered  the 
Ripht    into  small  bits.   leavmg   it   inefFective    and 
up^vailahlc   as  an  alternative  Government  in  the 
crisis   of  the    1930s. 


ms9mm 

"*  Aus 


Hofmannsthal  Blaetter  -  Sonderdruck 
aus  Heft  5  -  Herbst  1970 


rTi  ß^ 


919 


11 


[F4] 

Sehr  geehrter  Herr  von  Hof  mannsthal,   ^ 

Ich  lasse  Ihnen  mit  gleicher  Post  das  e7ste  Buch  unserer  Reihe  >Bücher  des 
Neuen  Merkur«:  Das  Geschlecht  Habsburg  von  Erich  von  Kahler,  das  soeben 
erschienen  ist,  zugehen. "  Das  Werk  ist  so  ungewöhnliA  in  jeder  Beziehung: 
gestaltet  und  historisch  fundiert  zugleich,  ein  wirklich  künstlerisches  Ge- 
bilde. Idi  bin  sicher,  daß  es  Ihr  Interesse  erregen  wird.  Vielleicht  nehmen  Sie 
Gelegenheit,  ein  Wort  darüber  zu  sagen.      Mit  besten  Grüßen 

Ihr  sehr  ergebener 

Efraim  Frisch. 


[H2] 


Rodaun,  am  lo.  VI.  1919 


13 


Mein  lieber  Efraim  Frisdi! 

Ihren  freundlichen  Brief  vom  22.  V.  habe  ich  vor  einer  Woche  erhalten 
und  seitdem  über  die  Sache  ernstlich  nachgedacht. 

Das  zweite  Heft  des  »Neuen  Merkur«  ist  offenbar  verloren  gegangen.  Da 
idi  aber  an  der  Zeitschrift  wirklich  Anteil  nehme,  so  wäre  es  mir  recht  lieb, 
wenn  Sie  so  freundlich  sein  wollten,  es  mir  nochmals  schicken  zu  lassen.  Da- 
gegen habe  ich  die  Arbeit  von  Kahler  erhalten,  und  danke  vielmals  dafür, 
dass  Sie  so  gut  waren,  mir  dieses  interessante  Buch  zu  schicken.  Zunächst 
war  ich  durch  die  Manieriertheit  der  Darstellung  etwas  erkältet,  doch  bei 
tieferem  Eindringen  verfliegt  dies,  und  es  ergibt  sich,  dass  das  Buch  eben  so 
sehr  für  den  gegenwärtigen  Zeitmoment  in  einer  interessanten  Weise  sym- 
ptomatisch ist,  als  es  auch  erstaunlich  viel  Geistreiches,  Wahres  und  Giltiges 
enthält.  Gewissermassen  betroffen  war  ich  davon,  gewisse  eigene  Reflexio- 
nen über  den  österreidiischen  Volkscharakter  mir  hier  so  schlagend  ausge- 
drückt entgegentreten  zu  sehen,  die  mir  selbst,  mitten  in  den  Dingen  mich 
bewegend,  mir  eigentlich  erst  in  dieser  letzten  Krise  erkennbar  geworden 
waren.  Es  liegt  hier  gewiss  eine  sehr  bedeutende  Begabung  für  eine  neue 
Art  von  Gesdiichtsschreibung  vor.  Darf  ich  Sie  anknüpfend  auf  ein  Buch 
hinweisen,  das  Sie  vermutlich  kennen,  -  wenngleich  der  Name  Oswald 
Spengler  beinahe  zu  meiner  Überraschung  mir  unter  Ihren  Mitarbeitern 
fehlt.  Es  heisst:  »Untergang  des  Abendlandes«  Umrisse  einer  Morphologie 
der  Weltgeschichte  und  ist  1918  bei  Braumüller  erschienen. 


361 


Wenn  ich  nun,  gegenüber  dem  wiederholt  von  verschiedenen  Seiten  ge- 
äusserten Wunsch,  mich  über  das  Problem  des  »Anschlusses«  zu  äussern, 
mein  innerlich  ablehnendes  Verhalten  begründen  und  rechtfertigen  will,  so 

bin  ich  in  Verlegenheit. 

Zunächst  einmal  ist  mir  die  ganze  Schreib-  und  Denkform  des  Essayismus, 
dieser  zusammenhängenden,  mehr  oder  minder  gewandten  Hinspinnung 
von  Gedanken  die  immer  nur  eine  so  zu  sagen  formale  Denkwahrheit,  aller- 
höchstens  eine  augenblickliche  Temperamentswahrheit  haben,  in  einer  Weise 
fragwürdig  geworden,  die  Sie  freilich  als  Herausgeber  einer  solchen  Zeit- 
schrift in  sich  keineswegs  aufkommen  lassen  dürften.  Jedenfalls  für  mich 
steht  es  so:  Etwas  in  mir,  das  stärker  ist,  als  ich  selbst,  mahnt  mich,  mehr 
und  mehr,  von  diesem  Beginnen  ab,  je  öfter  der  Umstand  es  mir  nahelegt. 
Ferner  aber  fällt  es  mir  ungeheuer  schwer,  zu  dem  Problem  selbst  Stellung 
zu  nehmen.  Alles  was  an  Agitation  für  den  »Anschluss«  vorgebracht  wird, 
erscheint  mir  ganz  flach  und  in  Figuren  wie  L.  H.^4  sehe  ich  recht  eigentlich 
flache  Köpfe,  richtige  Politiker  im  Zeitungssinn  des  Wortes,  alle  Dinge  nur 
zweidimensional  erfassend,  denen  das  eigentlich  Cörper-  und  Schicksalshafte 

der  Probleme  völlig  entgeht. 

Den  Wust  der  ökonomischen  Erwägungen,  in  denen  ja  keiner  bis  ans  Ende 
sieht,  wollen  wir  beiseit  lassen.  Desgleichen  den  öden  Materialismus  des 
Machtzuwachses  durch  das  Hinzutreten  von  Millionen,  ferner  das  national 
allzu  Eindeutige,  das  angeblich  Selbstverständliche,  und  so  fort. 

Mir  erscheim,  wie  gesagt,  nichts  an  und  in  diesen  Dingen  selbstverständ- 
lich. Die  Frage  steht  für  mich  so:  Nützt  es  dem  deutschen  Gesamtwesen  wenn 
wir  in  seine  körperliche  gegenwärtige  Form  einschmelzen  oder  frommt  ihm 
nicht  mehr,  wenn  wir  bei  Seite  bleiben?  Sind  ihm  die  deutschen  Schweizer 
X    nicht  eben  als  deutsche  Schweizer  ein  beständiger  Gewinn,  ergibt  sich  nicht 
^    für  die  Zukunft  Böhmens  -  und  dieses  Land  aus  der  deutschen  Zukunftsent- 
wicklung auszuschalten  erscheint  mir  geographisch  wie  historisch  gleich  un- 
möglich -  eine  möglichere,  schwebendere  Situation,  wenn  wir  nebst  den 
Schweizern,  zwischen  der  Schweiz  und  Böhmen  gelegen  -  aussen  bleiben? 
Nähern  uns  diese,  wenn  auch  noch  so  prekären  Zwischenformen,  möge  un- 
sere Generation  noch  so  sehr  darunter  leiden,  nicht  einigermassen  einer 
hoffnungsvollen,  die  festen  Grenzen  des  Maditstaates  überfliessenden  Zu- 
kunftsform, als  sie  uns  zugleich  einer  ehrwürdigen  Form  der  Vergangenheit, 
1  dem  alten  Reich  mit  seinen  fliessenden  Grenzen,  in  dem  alles  auf  geistiger 
\  Macht  und  Autorität,  nichts  auf  dem  MateriaUsmus  der  Ziffer  und  des  Ver- 

362 


■  -4''  :.■''■"•    r-  ■',■• 


träges  gebaut  war,  näher  bringen?  Letztlich  scheint  mir  dies  zu  bedenken:  Ist 
nicht  die  ungeheure  Zahl  sind  nicht  diese  sechzig  MilUonen,  oder  gar  siebzig 
und  etwa  bald  achtzig,  sind  diese  nicht  schon  ein  furchtbares  Problem  sobald 
wir  aus  dem  Kreise  der  despotisch  oder  patriarchalisch  fundierten  Kultur 
(China)  heraustreten?  Denkt  man  nicht  viel  zu  wenig  an  die  furchtbare 
Rückwirkung,  die  es  auf  das  Ethos  des  Einzelnen  übt,  dass  er  einer  so  for- 
midablen  Masse  angehört?  Handelt  es  sich  nicht  darum,  neue  Spannungen 
zu  schaffen  und  ist  nicht  die  Sorge  um  ein  ausserhalb  des  Reichsverbandes 
verbleibendes  Österreich  vielleicht  eine  fruchtbare  Spannung? 

Ich  hatte  gestern,  als  der  größte  Teil  dieses  Briefes  schon  geschrieben  war, 
die  neueste  Broschüre  von  Rathenau  (der  Staat)  in  der  Hand,  und  sah,  dass 
Einiges  von  mir  hier  Gestreifte,  dort  auch  angerührt  wird.  ^^  Aber  die  Zu- 
sammenhänge sind  dort  anders.  Immerhin  ergibt  sich  aus  dem  Lesen  dieser 
Broschüre,  wie  auch  aus  dem  Gespräch  mit  jedem  tiefer  denkenden  Deut- 
schen, das  Dilemma:  An  wen,  im  geistigen  Sinn,  haben  wir  uns  anzu- 
schliessen?  An  ein  Gebilde  welcher  Struktur,  welchen  Willens,  welchen 
Geistes,  welchen  Pathos  -  und  hiemit  habe  ich  mich  vielleicht  auch  zum 
springenden  Punkt  hindurch  gewunden.  Ein  neues  völlig  reines  Pathos,  sei 
es  auch  das  einer  Minorität,  aber  einer  wirklich  geistigen,  würde  uns  ver- 
mutlich einsaugen  wie  ein  Wirbel,  alles  andere  ist  Agitation,  zweidimensio- 
nale Welt,  »Politik«.  Davon  mich  fernzuhalten,  scheint  mir  das  einzig  Mög- 
liche, wenngleich  esdazu  beiträgt,  einen  unbeliebt  zu  machen,  oder  in  der 

Unbeliebtheit  zu  erhalten. 

Aufrichtig  der  Ihre 

Hofmannsthal 


11 


[F5] 


14.  Nov.  1919.^^ 


Sehr  verehrter  Herr  Hof  mannsthal, 

Gerade  als  ich  im  Begriff  war,  auf  Ihre  Veranlassung  hin  an  Pannwitz  zu 
schreiben,  kam  sein  Brief,  in  welchem  er  mir  den  Vorschlag  machte,  für  den 
>Neuen  Merkur<  über  die  Erzählung  >Die  Frau  ohneSchatten<  etwas  zu  sagen. 
Ich  habe  ihm  sofort  geantwortet,  daß  es  mir  sehr  willkommen  wäre.  ^7  Das 
Buch  habe  ich  in  den  letzten  Tagen  bekommen  und  freue  mich  auf  die  Lektüre. 
Ich  persönlich  habe  es  jedesmal  beklagt,  wie  sehr  Sie  mit  Ihren  Texten  für 
Strauss  in  der  Beurteilung  der  Zeitungsmusikschreiber  zu  leiden  haben  und 


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Srite  12  —  ZEIT  Nr. 


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DAS  POLTISCHE  BUCH 


Dienstag,  den  21.  Februar  1967 


» 

Abschied  von  der  Zeitgesdiidite 

Die  \\elniarer  Republik  wird  zum  liistoiisdienSlolT  /  Von  Waldemar  iMsson 


Rudolf  Morsey:  Die  deutsche  Zentrumspartei 
1917  _  1923.  Droste  Verlag,  Düsseldorf;  651 
Seiten,  48,—  DM 

Wer  Zeitgeschichte  als  Epoche  der  Mitlcben- 
dcn  begreift,  sieht  sich  zuweilen  in  einer 
merkwürdigen  Situation.  Binnen  weniger  Jahre 
wandert  oft  das,  was  eben  noch  wie  selbstver- 
ständlich zur  (k-genwart  gehörte  und  auf  das 
heftigste  in  ihr  umkämpft  war,  aus  dem  Blick- 
feld der  jetzigen  Generation  und  lagert  sich  der 
Ck'schichte  an.  Als  Brachers  „Auflösung  der  Wei- 
marer Republik"  in  der  Mitte  der  fünfziger  Jahre 
die  intensive  wissenschaftliche  Beschäftigung  mit 
der  Weimarer  Republik  einleitete,  schien  es  so,  als 
tue  man  nichts  anderes,  als  ein  Stück  der  eigenen 
Zeit  ZLl  untersuchen  und  zu  deuten.  Nach  zehn 
Jahren  ist  diese  Phase  zu  Ende.  Rudolf  Morseys 
Buch  über  das  Zentrum  beweist  es. 

la  der  Zeitgeschichte  des  Weimarer  Deutsch- 
land gab  es  großartig-erregende  Kontroversen 
und  Themen.  Anfang  und  Ende  der  Republik 
waren  ebenso  umstritten  wie  die  Rolle  ihrer 
Militärs  und  Stresemanns  außenpolitisc-lie  Strate- 
gie. Als  Beispielsammlung  wurde  die  Weimarer 
Republik  den  Politologen  und  Soziologen  unent- 
behrlich, wie  sie  auch  eine  unerschöpfliche  Fund- 
grube für  Apologeten,  Ankläger  und  Memoiren- 
schreiber darstellte.  Das  politische  Temperament 
des  Historikers,  die  eine  Seite  seiner  Natur,  be- 
herrsdite  ganz  die  Szene. 

Bei  Rudolf  Morsey  spürt  man  von  alledem 
nur  noch  den  Nac^iklang.  Das  ist  kein  Einwand 
gegen  sein  Buch,  ganz  im  Gegenteil.  Wenn  man 
alle  Zeichen  trügen,  leitet  es  nämlicb  eine  neue 
Phase  der  Weimarer  Geschic4nsschreibung  ein,  in 
der  der  unmittelbare  Bezug  zur  Gegenwart  feh- 
len wird,  der  Historiker  gleichsam  wieder  in  sei- 
nem eigenen  Rechte  wirkt.  Er  handelt  nun  wieder 
von  den  res  gestae,  nidit  mehr  von  den  res 
gerendae.  Wer  Bracher  mit  Morsey  vergleicht, 
spürt,  wie  sidi  das  wissenschaftliche  Klima  ge- 


wandelt hat.  Damit  wird  nicht  behauptet,  daß 
eine  politisch  inspirierte  Zeitgeschichte  nicht  wis- 
senschaftlidi  gewesen  sei.  Aber  die  Distanz  des 
gelehrten  Historikers  ist  anderer  Art,  wobei  der 
Wedisel  von  der  einen  Perspektive  zur  anderen 
mit  neuem  Gewinn  natürlich  auch  manchen  Ver- 
lust beklagen  läßt. 

Der  Verfasser  besaß  für  sein  Vorhaben  die 
besten  Voraussetzungen.  F.r  i'^t  seit  langem  auf 
diesem  Felde  tätig;  bereits  früher  hatte  er  das 
Kapitel  Zentrum  im  Sammelband  über  das  Ende 
der  Parteien  1933  gesdirieben.  Aber  jetzt  moti- 
viert ihn  nicht  mehr  in  erster  Linie  die  politische 
Streitfrage,  sondern  der  Wille,  wenigstens  in 
einem  Teilbereich  die  Vergangenheit  möglichst 
vollständig  in  ihrem  zeitlidien  Ablauf  zu  rekon- 
struieren. Als  langjähriger  Mitarbeiter  der  Kom- 
mission für  die  Geschichte  des  Parlamentarismus 
«rehört  Morsev  zu  den  besten  Kennern  der  deut- 
sehen  Parteigeschichte  in  diesem  Jahrhundert,  hr 
iiinü  zwar  von  keinem  geschlossenen  Aktenbe- 
stand  aus,  aber  konnte  dennoch  aus  vielen  Quel- 
len schöpfen,  und  er  hat  dabei  reiche  Funde  ge- 
macht. Mit  hoher  Achtung  blättert  man  im  Quel- 
len- und  Literaturverzeichnis  des  Verfassers. 

Nennen  wir  also  getrost  als  erstes  Verdienst 
dieses  wichtigen  Buches  die  Erschließung  neuer 
Quellen.  Das  bleibt  immer  die  erste  Aufgabe  der 
historischen  Zunft.  Von  neuen  Quellen  fallen  auf 
eine  Reihe  wichtiger  Ereignisse  und  Personen  in 
der  FVühzeit  der  Weimarer  Republik  neue  Lich- 
ter, überall  dort,  wo  das  Zentrum  oder  seine 
Fülircr  maßgeblich  an  der  Politik  des  Reiches  be- 
teiligt waren.  Naturgemäß  stehen  die  wechseln- 
den Koalitionen  des  Zentrums  im  Vorder- 
grund des  Interesses,  seine  taktisch-prag- 
matisdie  Fähigkeit,  sich  mit  recht  verschiedenarti- 
gen Partnern  zusammenzutun,  um  dadurch  erst 
parlamentarisches  Regieren  in  Deutschland  mög- 
lich zu  machen.  Ein  zweiter  Themenkreis  zielt 
auf  die  Verfassungsberatungen,  vor  allem  auf  das 
Verhältnis  zwischen  dem  Reich  und  den  Ländern 


Vielfältiges  Europa 

Nationale  Besonderheit  noch  im  Zusammenschluß 


Hendrik  Brugmans:  Im  Schmelz tiegel  der  Ge- 
sdiichte.  Vierzehn  Stationen  europäischer  Ent- 
widmung. C.  Bertelsmann  Verlag,  Gütersloh; 
158  Seiten,  16,80  DM 


a<5   ist 


^  Keine   ge<  graphisdie   Re- 


Welt den  Beweis,  daß  Vielförmigkelt  fruchtbar 
und  dem  Kommunismus  überlegen  sein  kann;  es 
kann  seinen  Charakter  nur  bewahren,  wenn  es 
sich  seiner  selbst  bewußt  wird,  eigene  Vorstellun- 
gen entwidielt,  sich  bei  Bewahrun^  der  nationa- 
ler Besonderheiten  zusammenschließt,  (:v 


und  die  Zukunft  Prußens.  Das  rheinische  Zen- 
trum, eine  der  Säule  des  katholischen  Deutsch- 
land, wird  Schwerpvvkt  der  Darstellung,  die  so 
delikate  Fragen  wie  Jic  der  rheinisc^ien  Autono- 
mie oder  Separation  iiit  einschließt. 

Viel  ist  auch  von  jen  Personen  die  Rede,  die 
bei  alledem  am  Wer!*'  waren,  von  ihren  Vorzü- 
gen und  Grenzen,  voi  ihren  Freunden  und  Fein- 
den, ihren  Erfolgen  i;id  Niederlagen.  Eine  ganze 
Galerie  der  Zentrum  führet  (Ufnet  sich  dem  Be- 
trachter. Er  lernt  dit  Spahn,  Gröber,  Trimborn, 
Marx,  die  Erzberg.r,  Stegerwald  und  Wirth 
kennen,  und  sorgsan  ditTerenziert  Morsey  zwi- 
schen denen,  die  die  Partei  führten  und  zusam- 
menhielten, und  denen,  die  ihr  politischesTempe- 
rament  in  die  Arena  der  großen  Politik  trieb. 
Man  erfährt,  daß  bcicios  nicht  selten  auf  verschie- 
dener Ebene  gesdiah.  Erzberger  und  Wirth,  de- 
nen das  Reich  die  stärksten  Impulse  verdankte, 
waren  in  der  Partei  eher  die  Außenseiter.  Vor- 
sichtig und  diskret  1-clcuchtet  Morsey  auch  die 
Rolle  Konrad  Adenauers,  die  keineswegs  unbe- 
deutend war.  Das  kcionte  sie  auch  gar  nicht  sein, 
denn  der  Oberbürgermeister  von  Köln  war  nun 
einmal  einer  der  PfeiU-r  der  Zentrumsmacht.  Kein 
Zweifel,  daß  Adenauer  seine  Schlüsselstellung 
nutzte,  auch  wenn  l\v)^  damals  offenbar  der  grö- 
ßere Ehrgeiz  noch  fremd  gewesen  ist. 

Wer  sich  freilich  r.,uh  soldien  Hinwelsen  nun 
frisch-fröhlich  an  die  Lektüre  machen  will,  wird 
schnell  enttäuscht  werien,  wenn  er  sich  nicht  aut 
hartes  Brot  gefaßt  r.iacht.  Denn  die  Detailliert- 
heit der  LOarstellung  und  ihre  Quellennähe  sind 
kein  einfaches  Pensuri.  Wir  können  durchaus  die 
geschickte  Gliederung  rlihmen,  die  Fülle  der  An- 
merkungen  und   Belege  bewundern,   dennoch   ist 
ein  leises  Unbebagen  nicht  ganz  zu  verdrängen. 
War  diese  Breite  "xVhkixu  nötig?  Verlieren  sidi 
nicht  zuweilen   die  großen  Linien   in   der  Masse 
iks  Details  und  werci:n  erst  wieder  in  der  klaren 
Schlußbetrachtung  aufgenommen?  Wenn  Morsey, 
wie  in  der  Einleitun.;  angedeutet,^  vorgeschwebt 
hat,  eine  Parteiblogn^phie  zu  schreiben,  dann  hat 
er   den   Weg  nur  halb  zurüdgelegt.   Denn   der 
Biograph  des  Zentrums  kann  nicht  elnfadi  nur 
erzählen.    Er   muß   niidi   werten.   Das   geschieht 
zwar  durchaus,  aber  Joch  vorwiegend  In  Neben- 
sätzen oder  in   fast  verstec^vten   Hinweisen.  Der 
ruhig  dahinfließende  Strom  der  historischen  De- 
skription    läßt    eben}  die   Unterströmungen    nur 
schwer  erkennen.       j- 

Und  gerade  hier  jiätte  man  sich  von  unserem 
Autor  mehr  erhofft.'! Es  ist  kein  Zweifel,  daß  er 
die  tiefe  innere  undKiußere  Krise  des  Zentrums 
nach  1918  kennt,  llr  deutet  auch  an,  wo  die 
UrsacFien  liegen.  Elrfc  pluralistische  Industriege- 
sellsdiaft  macht  el^Jlkonfessionelle  Partei  frag- 
würdig, wenn  r^jÄSrH--  der  religiösen  Minder- 
heit nldit  j^lf^^Kochien  sind.  Auf  dem  Zen- 
trum L^^^^^^^^Llradition,  die  den  Kultur- 

1   .ij     1" 


sein  will,  vorwerfen  kann,  wird  vielen  zweitel- 
haft  sein.   Vor  allen   Dingen   dann,   wenn   sie  es 
für  das  Charakteristikum  des  Historikers  halten, 
daß   er   in   der   Nähe  seiner  Quellen   bleibt   und 
auch  kritische  Akzente  nur  setzt,  insolcrn  sie  mit 
der   Selbstkritik   der   handelnden    Personen   kor- 
respondieren. Morseys  Buch  ist  in  der  Tat  eine 
grandlose    Paraphrase    zeitgenössischer    Quellen 
und  Haltungen.   Aber  sieht   der  nachzeichnende 
Historiker   nicht   eben   doch   mehr   als  der   Zeit- 
genosse, zumindest  deswegen,  weil  er  weiß,  wie 
die  Sache  weitergegangen  ist?  Die  Akribie  und 
die  Behutsamkeit,  mit  der  Morsey  seine  Quellen 
interpretiert   hat,   kann    man   kaum    übertreften. 
Aber  könnte  man  nicht  noch  einen  Schritt  weiter- 
gehen, indem   man  die  Begriffe  und  Motive  der 
Zeitgenossen    in    die    politische    Sprache    unserer 
Zeit  übersetzt?  Freilich,  dazu  müßte  der  Flistori- 
ker   dann    seine   Maßstäbe   und    seine   Vorurteile 
vor  dem  Leser  ausbreiten,  damit  er  ihm  ae.f  sei- 
nen  wissenschaftlichen  Pfaden  folgen  kann.  So- 
lange die  Weimarer  Republik  ein  Teil  der  Zeit- 
geschichte  war,   drängte   die   Notwendigkeit   der 
Übersetzung  weniger.   Wenn  aber  nun   die  erste 
deutsche  Republik   zum   historischen   Stot^    wird, 
dann  stellt  sich  audi  hier  das  alte  Problem  des 
Historikers,    wie    er    nämlich    Zeitgenosse    und 
Nachlebender  zugleich  sein  könne. 


Keimidi  Iliininler 


Heinrich  Fraenkel  und  Roger  Manvcll: 
Himmler.  Kleinbürger  und  Massenmörder. 
Aus  dem  Englischen  übersei/t  von  NX'ilm 
W.  Elwenspoek.  Ullsieln  X'erlag,  Berlin; 
2b0  Seiten,  18,50  DM 

Aus  der  Besprechung  de«  englischen  Originals 
dieses  Buches,  das  Waldemar  Besson  m  die- 
sen Spalten  angezeigt  h.u,  wiederholen  wir  die 
folgenden  Sät7e: 

Nach  der  Materlalscite  hin  bleibt  kaum  ein 
Wunsch  orten.  Die  Darstellung  liest  sich  leidit. 
Nur  droht  zuweilen  angesichts  der  Fülle  der 
Intrigen  und  Machtkämpfe  um  den  Reich^führer 
SS  und  angesichts  der  komplizierten  Details  der 
Verwaltungsorgamsation  der  Faden  der  Erzäh- 
lung verlorenzugehen. 

Man  erfährt  nldit  klar  genug,  was  denn  nun 
eigentlich  die  Himmler  und  Göring  ^o  faszinierte, 
drTß  sie  sich  so  bedingungslos  einem  Mann  wie 
Hitler  anvertrauten,  dem  sie  sozial  und  bildungs- 
mäßig  überlegen  waren.  Man  muß  sich  da  man- 
ches erst  zusammenreimen;  bei  Himmler  das 
Pedantische  und  Bürokratische,  das  nun  einmal 
das  Leben  in  der  Marschkolonne  über  das  einer 
freiheitlichen  Gesellschaft  stellte  und  das  die 
klaren  Weisungen  den  ständigen  Konflikten  und 
Kompromissen  vorzog. 

Wir  erfahren  manche  Einzelheit^,  auch  vieles 
Neue,  das  wir  bislang  nicht  gewußt  haben.  An 
Lesern  wird  es  nicht  fehlen  Gerade  das  aber,  was 
den  Biographen,  der  sich  die  totalitäre  Herrschaft 
zu  seinem  Gegenstand  wählt,  besonders  reizen 
muß,  das  Ineinander  von  Person  und  Apparat, 
das  hohe  Maß  an  Mitgestaltung  bei  gleichzeitig 
tiefster  Sklaverei  auch  für  den  Akteur  selbst,  ist 
als  darstellerische  Aufgabe  noch  nicht  gelöst. 


Wirklidi  ein  Kommentar? 

Ein  nützliches  Buch  mit  falschem  Anspruch  /  Von  Du  ter  Grimm 


G.  Leibholz  und  H.  J.  Rinde:  Grundgesetz. 
Kommentar  an  Hand  der  Rechtsprediung  des 
Bundesverfassungsgerichts.  Verlag  Dr.  Otto 
Schmidt  KG,  Köln;  627  Seiten,  58,—  DM 

Mißtrauen  gegen  die  Macht  absoluter  Regie- 
rungen hatte  im  neunzehnten  Jahrhundert 
die  Legis^lative  stark  gemacht.  Ohne  ihr  Ein- 
verständnis durfte  die  E.xekutive  nicht  mehr  in 
Freiheit  und  Eigentum  der  Bürger  eingreifen.  Das 
allgemeine  Gesetz  erschien  als  die  Sicherung  gegen 
staatliche  Willkür  schlechthin.  Unser  Jahrhundert 
brachte  die  ernüchternde  Erfahrung,  daß  das 
Gesetz  selbst  zum  Vehikel  des  Unrechts  werden 
kann.  Diese  Erkenntnis  kostete  audi  die  Zweite 
Gewalt  das  Vertrauen  der  Gesellschaft,  und  die 
Väter  des  Grundgesetzes  sahen  sich  nach  einem 
neuen  Hüter  von  Recht  und  Freiheit  um.  Sic  enr- 
schleden  sirh   für  den   Ri^i^jvjl  Hnre  er^nt^.M^s 


well  sie  viel  mehr  unterschiedliche  Meinungen 
über  die  richtige  Anwendung  einladen.  Doc4i  nur 
eine  erklärt  das  Grundgesetz  für  verbindlidi:  die 
des  Bundesverfas.sungsgerichts.  Wer  daher  wKsen 
möchte,  was  Sätze  wie  „Alle  Mensdien  sind  v-or 
dem  Gesetz  gleich"  oder  „Jeder  hat  das  Recht, 
seine  Meinung  in  Wort,  Sdirifi  und  Bild  frei  zu 
äußern  und  zu  verbreiten"  oder  „Die  Bundes- 
republik Deutschland  ist  ein  demokratischer  und 
sozialer  Rechtsstaat"  heute  tatsächlich  gelteii, 
kann  sich  nicht  auf  sein  privates  Textver.standnis 
und  nidit  auf  ein  Lehrbuch  des  Staatsrechts  ver- 
lassen. Er  muß  die  Rechtsprechung  dieses  Geridits 

kennen.  i     •     •         c  • 

Das  wird  freilich  zunehmend  schwieriger.  Seit 
es  im  Herbst  1951  sein  erstes  Vrjd^J'^he,  ist  es^ 
rund  siebzehntausendmal  an 
vcröfTentlichten    Entscheldii^ 
weile  neunzehn  Bände,  vg| 


.'^-o. 


^aufe  der  (^^B|?Vständig  vjrschoben,  seine 
Zentren  verlr^^^  ^beherbergt  die  verschieden- 
artigsten Land^  'jin  und  Klimata,  Rassen  und 
Kulturen. 

Durch  seine  Geschichte  ist  Europa  jedoch  eine 
Schicksalsgemeinschaft.  Seinen  spezifischen  Cha- 
rakter erhält  es  einmal  durch  die  Tradition  des 
römischen  Rechts,  zum  andern  durch  die  kul- 
turelle Überlieferung  des  antiken  Griechenland. 

Schließlich  basiert  europäischer  Geist  auf  dem 
Christentum;  die  Normannen  und  Hunnen  wur- 
den erst  zu  Europäern,  als  sie  sich  angesiedelt 
und  zum  Christentum  bekehrt  hatten.  So  weit 
Europa  eine  Moral  anerkennt,  ist  sie  dhristlichen 
Ursprungs.  Diese  gemeinsame  Wurzel  des 
Christentums  ist  zum  erstenmal  durch  den  Kom- 
munismus in  Frage  gestellt  worden;  insofern 
endet  die  eigentliche  europäische  Geschichte  mit 
dem  Eisernen  Vorhang. 

Der  holländische  Geschichtsprofessor  Hendrik 
Brugmans,  heute  Rektor  des  Europa-College  in 
Brügge,  setzt  sich  in  diesem  Buch  für  eine  europä- 
ische Föderation  ein,  in  der  die  „Vaterländer" 
bestehen  bleiben.  Um  europäisches  Bewußtsein 
Zu  wecken,  beschreibt  er  einzelne  Stationen 
europäisclicr  Geschichte,  die  für  die  weitere  Ent- 
wicklung dieses  Kontinents  bedeutsam  geworden 
sind. 

So  hat  die  Gründung  von  Byzanz  (330)  das 
Schicksal  Europas  bis  heute  geprägt,  weil  die 
Teilung  des  Römischen  Reiches  zum  Untergang 
Westroms  und  zur  Spaltung  der  christlichen 
Kirche  in  den  römisch-kailioiischen  und  griechiscli- 
orthodoxen  Zweig  lührtc  Pipin  der  Knr/e  be- 
gründete die  erste  europ.iischo  D\  tM-^tic.  inJcni 
er  seine  Krone  vom  Papst  wcih^'n  lic!s  Im  «Irci- 
zchnten  Jahrhundert  gelangten  Ji«.-  Sr.ultc'  /u 
Macht  und  Bedeutung;  das  Bürgertum  wie  Auch 
die  Universitäten  sind  eine  spezifisch  europäische 
Erscheinung. 

Karl  V.  dankte  1555  ab,  weil  sein  Plan  einer 
christlichen  Union  an  der  religiösen  Spaltung  und 
an  der  Entwicklung  souveräner  Nationalstaaten 
scheiterte;  die  Zeit  der  Weltreiche  war  dahin.  In 
den  Verhandlungen  zum  Westfälisdien  Frieden 
(1648)  sprach  man  zum  erstenmal  in  der  Ge- 
schichte über  alle  wesentlichen  europäischen  Pro- 
bleme; der  Grundsatz  der  absoluten  Souveräni- 
tät der  Staaten  setzte  sich  durch. 

Andere  Stationen,  an  denen  Weichen  für  die 
Zukunft  gestellt  wurden,  sind  die  amerikanische 
und  Französische  Revolution,  der  Wiener  Kon- 
greß, das  Revolutionsjahr  1848.  Der  Beginn  des 
zwanzigsten  Jahrhunderts  war  bestimmt  durch 
den  Zerfall  des  osmanischen  Reiches  und  die 
Einigung  Deutschlands,  woraus  spätere  Konflikte 
erwuchsen.  Der  Eintritt  Amerikas  in  den  Ersten 
Weltkrieg  ließ  europäische  Geschichte  zur  Welt- 
geschichte werden;  als  Folge  des  Marshallplans 
entstand  1947  die  erste  Organisation  für  europä- 
ische Zusammenarbeit  (OECD). 

Heute  ist  europäische  Geschidite  unlösbar  mit 
der  Weltgeschichte  verknüpft.  Der  Westen  be- 
findet sidi  nach  Ansicht  des  Autors  dem  Kommu- 
nismus gegenüber  in  einer  ungünstigen  Lage.  Das 
liegt  nicht  etwa  am  Mangel  an  einer  „Ideologie", 
die  der  des  Kommunismus  entgegenzuhalten 
wäre,  sondern  an  einem  Gefühl  der  „Leere"  und 
des  „Unbehagens",  das  aus  mangelnder  Initiative 
entspringt.  Europa  im  besonderen  schuldet  der 


m5i  eu\Qn  Dt^wimr^eifftacheiPMii. 
um  emeil  breiten  Leserkreis  anzusprechen.  Hin 
und  wieder  unterläuft  ihm  ein  Lapsus:  der 
Dreißigjährige  Krieg  war  kein  „totaler"  Krieg, 
und  Bemerkungen  wie  '„.  .  .  denn  in  England 
wird  nichts  abgeschafft**  klingen  etwas  läppisch. 
Die  Arbeit  ist  auch  nicht  frei  von  Klischees  und 
Gemeinplätzen  —  der  Begriff  „Masse**  taucht 
allzu  häufig  auf;  die  Übersetzung  ist  nicht  immer 
sorgfältig. 

Diese  Mängel  sind  jedoch  geringfügig  gegen- 
über dem  Vorzug  des  Budies,  wichtige  Zusam- 
menhänge in  einfacher  und  klarer  Form  zu  ver- 
deutlichen, ohne  sie  zu  verwässern. 

Urte  V.  Kortzfleisch 


yrc   zu   emem    massivcni 
rodej:«c  Demokratie  aus-^ 


über   l! 
Vorbehalt 

weitete.  PraktTS^Jtii^Kes  Verhalten  war  mei 
lenweit  von  eigene«  Selbstverständnis  und  der 
eigenen  Programmalik  entfernt.  Hier  taucht  im 
Zentrum  jene  allgetfieine  Problematik  des  Wei- 
marer Deutschlands  auf,  in  dem  die  Realität  der 
Politik  und  das  Nachdenken  über  sie  in  keinem 
Verhältnis  mehr  zueinander  standen.  Was  immer 
Morseys  milde  Kritil^  andeutet,  theoretisch  fun- 
diert ist  sie  nicht,  und  systematisch  wird  sie  nicht 
gehandhabt. 

Ob  man  das  einem  Verfasser,  der  Historiker 


nur  Bürger  vor  Bürgern,  dalsm  auch  Bürger  vor 
der  Verwaltung  geschützt,  ^o  sollte  er  sie  nun 
noch  gegen  den  Gesetzgeber  sichern.  Auch  dessen 
Akte  wie  die  aller  anderen  Organe  und  Behörden 
des  Staates  kann  die  Dritte  Gewalt  jetzt  auf  ihre 
Vereinbarkeit  mit  der  Verfassung  prüfen. 

Welc-lies  Gewicht  ihr  damit  verliehen  ist,  wird 
erst  sichtbar,  wenn  man  sich  die  Eigenart  von 
Verfassungssätzen  vor  Augen  führt.  Einmal  sind 
sie  viel  anfälliger  für  Ideologien,  zam  anderen 
viel  unbestimmt-allgemeiner  als  etwa  die  Para- 
graphen einer  Prozeßordnung.  Deswegen  bedür- 
fen sie  weit  mehr  der  Deutung  und  Konkretisie- 
rung, ehe  sie  im  Einzelfall  als  Maßstab  taugen. 
Deswe,;;en  erschweren  sie  aber  auch  die  Deutung, 


erste  leii  erscnicnen.   le 


Scheidungen 


steigt,   aesto    not 


Wenn  China  Atommadit  wird 

Spekulationen  über  Alsrsichten  und  Folgen  /  Von  Hans  Kluih 


Morton  H.  Halperin:  China  und  die  Bombe. 
Verlag  Wissenschaft  und  Politik,  Köln.  Ins 
Deutsche  übertragen  von  Wilhelm  Duden; 
127  Seiten,  Broschur  12.50  DM 

F^as  kommunistische  China  ist  auf  dem  Wege, 
*~^  Atommacht  zu  werden.  Zwar  wird  der 
Weg  noch  lang  und  dornig  sein,  ehe  China 
über  eine  größere  Zahl  atomarer  Sprengsätze 
und  ein  wirksames  Trägersystem  verfügen  wird. 
Jedoch  stellt  sich  heute  schon  die  Frage,  wie 
die  Führer  in  Peking  in  einigen  Jahren  oder 
Jahrzehnten  ihre  Nuklearwaffen  handhaben 
werden.  Und  auch  die  Entscheidung,  wie  die 
westlichen  Mächte,  insbesondere  die  Vereinigten 
Staaten,  auf  diese  Entwicklung  reagieren  sollen, 
ist  schon  heute  —  zumindest  in  ihren  Grund- 
linien —  zu  treffen.  Morton  H.  Halperin,  einer 
der  führenden  amerikanischen  Strategie-Theo- 
retiker der  Vereinigten  Staaten,  befaßt  sich  in 
einer  knappen  Studie  mit  diesen  Fragen.  Die 
chinesischen  Atomexplosionen,  so  erläutert  er, 
haben  das  Verhältnis  zwischen  den  Vereinigten 
Staaten  und  dem  kommunistischen  China  noch 
erheblich  verschlechtert.  Amerika  hat  klar  zu 
erkennen  gegeben,  daß  es  jede  neue  nationale 
Atomstreitmacht  als  Belastung  der  internatio- 
nalen Beziehungen  ansieht.  Um  wieviel  stärker 
wird  die  ablehnende  Haltung  sein,  wenn  es  sich 
bei  der  jüngsten  Atommacht  gerade  um  den 
Staat  handelt,  der  die  Vereinigten  Staaten  als 
seinen  erbittertsten  Feind  betrachtet? 

Die  Aussichten,  daß  in  absehbarer  Zeit  eine 
Verständigung,  etwa  Rüstungskontrollmaßnah- 
men, im  Bereich  der  Nuklearwaff'en  möglich 
sein  werden,  sind  gering.  Jedoch  rechnet  Hal- 
perin auch  nicht  damit,  daß  es  unausweichlich 
zu  einem  nuklearen  Zusammenstoß  zwischen 
Amerika  und  China  kommen  müsse.  Zunächst 
wird  das  durch  die  Tatsache  verhindert,  daß 
China  wahrscheinlich  bis  in  die  achtziger  Jahre 
hinein  über  kein  Trägersystem  verfügen  wird, 
mit  dem  es  einen  Schlag  gegen  Amerika  führen 
könnte. 

Fraglich  ist  auch,  ob  die  Chinesen  zu  einem 
solchen  Schlag  ausholen  würden,  wenn  sie  tedi- 


nisch  dazu  in  der  Lage  sind.  Sicherlich  sind  die 
Reden  chinesischer  Politiker  mit  daran  schuld, 
wenn  ihr  Staat  heute  weitgehend  als  kriegerisch 
und  verantwortungslos  beurteilt  wird.  Aber  für 
einen  Nuklearkrieg  haben  sie  sich  bis  heute 
nicht  ausgesprochen  (auch  wenn  ihre  sowjeti- 
schen „Freunde"  das  verschiedentlich  behauptet 
haben).  Allerdings  schätzen  die  Chinesen  die 
Wahrscheinlichkeit  eines  atomaren  Krieges  und 
die  Gefahr  einer  Eskalation  geringer  ein  als  die 
Sowjetunion. 

Wenn  also  voraussichtlich  nicht  für  einen 
„großen"  Krieg,  zu  welchen  Zwecken  wird 
China  dann  seine  Atomwaffen  einsetzen?  Hal- 
perin legt  dar,  daß  diese  Waffen  in  der  Kal- 
kulation der  Chine,>en  einerseits  defensiven 
Zwecken  dienen.  Sie  sollen  einen  amerikanischen 
Angriff  auf  das  chinesische  Festland  abschrecken. 
Offensichtlich  ist  das  aber  nicht  ihre  einzige 
Aufgabe.  Audi  die  Chinesen  wissen,  <\\'ls  einer 
Atommacht  ein  besonderer  Status  zukommt. 
China  ist  das  einzige  asiatische  Land,  das  ein- 
zige „Entwicklungsland",  der  einzige  kommuni- 
stische Staat  außer  der  Sowjetunion,  der  im 
Begriff  ist,  Atommacht  zu  werden.  Zwangs- 
läufig wird  diese  Entwicklung  dazu  führen  — 
teilweise  hat  sie  schon  dazu  geführt  — ,  daß 
China  im  kommunistischen  „Lager",  aber  auch 
in  der  internationalen  Politik  überhaupt  ge- 
stärkt wird. 

Schließlich  wird  auch  sein  Verhältnis  zu  den 
Nachbarstaaten  einen  anderen  Charakter  anneh- 
men, wenn  diese  sich  einer  Atommacht  gegen- 
übersehen So  sieht  Halperin  die  wesentlichen 
Ziele  der  chinesischen  Atomrüstung  darin,  seine 
internationale  Position  —  auch  die  innerhalb 
des  Sowjetblocks  —  zu  heben  und  Nachbar- 
staaten durch  offene  oder  versteckte  Drohungen 
einer    chinesischen    Hegemonie    zu    unterwerfen. 

Was  können  die  Vereinigten  Staaten  an- 
gesichts dieser  Entwicklung  tun?  Sie  könnten 
durch  eine  präventive  Aktion  die  chinesisdicn 
Produktionsstätten  für  nukleare  Waffen  zerstö- 
ren und  damit  den  Aufbau  einer  Atomstreit- 
madit     um     Jahre     oder     Jahrzehnte     zurück- 


werfen —  eine  Möglichkeit,  die  Halperin  aus 
moralischen  und  politischen  Cj runden  ablehnt. 
Um  jedoch  chinesischen  atomaren  Drohungen 
entgegenzutreten,  empfiehlt  Halperin,  die  V'er- 
sicheruni;  der  Vereinigten  Staaten,  jeden  Einsatz 
chinesischer  Atomwaffen  mit  einem  Gegenschlag 
zu  vergelten,  stärker  als  bisher  herauszustellen, 
um  den  asiatischen  Staaten  Schutz  vor  Erpes- 
sungen  durch  China  zu  bieten.  Eine  solche  Ver- 
sicherung würde  auch  nicht  die  Zweifel  an  der 
Glaubwürdigkeit  der  Absdireckung  hervorrufen, 
wie  sie  in  Europa  auf  Grund  des  sowjetischen 
Atompotentials  entstanden  sind,  da  China  in 
absehbarer  Zeit  nicht  in  der  Lage  ist,  in  Ame- 
rika selbst  große  Zerstörungen  zu  verursachen, 
wie  es  die  Sowjetunion  könnte. 

Außerdem  sollten  die  Vereinigten  Staaten 
ihre  Überzeugung  zu  erkennen  geben,  daß  sie 
nicht  damit  rechnen,  die  Sowjetunion  lasse  sich 
durch  China  in  eine  atomare  Konfrontation  mit 
<\cn  Vereinigten  Staaten  hineinziehen.  Dadurch 
würde  auch  der  Rückhalt  der  Nachbarstaaten 
gegenüber  China   gestärkt. 

Halperin  untersucht,  welche  Wirkungen  ein 
beschränktes  und  ein  großes  chinesisches  Atom- 
potential auf  das  Verhalten  der  Vereinigten 
Staaten  und  die  Situation  der  anderen  asiati- 
schen Staaten  haben  würde.  Schließlich  erörtert 
er  die  Implikarionen,  die  sich  aus  dem  so- 
wjetisch-chinesischen Konflikt  ergchen,  und  die 
Möglichkeiten,  die  für  Rüstungskontroll- 
maßnahmen unter  Linschluß  Chinas  bestehen. 
Halperin  hält  diese  jedoch  lür  äußerst  gering, 
obwohl  —  oder  weil  —  die  chinesischen  Kom- 
munisten daran  festhalten,  daß  alle  Atomwaffen 
vernichtet  werden  müßten. 

Halperin  stützt  sich  bei  seiner  Studie  weit- 
gehend auf  chinesische  Quellen,  offizielle  Erklä- 
rungen und  Presseveröffentlichungen  (leider  hat 
der  Übersetzer  es  bei  der  Am^abe  der  englisch- 
^z»  räch  igen  Quelle  belassen,  auch  wenn  sie  in 
üci'ischer  Sprache  zugänglich  ist).  LLilperins  Un- 
tersuchung ist  leicht  verständlich,  sie  lietert 
umfangreiche  Information  und  bietet  ein  aus- 
gewogenes, sachkundiges  Urteil. 


Überblick  nicht  zu  verlieren.  Da  ist  dus  ..r.^ 
Gerhard  Leibholz,  seit  Anbeginn  Richte? 
Bundesverfassungsgericht,  gemeinsam  mit  seinem 
Mitarbeiter  Rmck  anbietet,  ein  willkommenes 
Hilfsmittel.  Handlich  von  Format,  faßt  es  die 
Rechtsprechung  des  Bundesverfassungsgerichts  bis 
zum  I-rühjahr  1965,  nach  Grundgesetzartikeln 
systematisch  geordnet,  zusanmien.  Liegen  Ent- 
scheidungen zu  einer  Verfassungsbestimmung  noch 
nicht  vor,  so  wird  lediglich  dieser  Umstand  ver- 
merkt. Auf  eigene  Erläuterungen  der  Verfassung 
oder  Kritik  der  Urteile  haben  die  Autoren  ver- 
zichtet. Ebensowenig  sind  Hinweise  auf  die  leb- 
hafte Auseinandersetzung  der  Wissenschaft  mit 
der  Rechtsprechung  des  Gerichts  in  das  Buch 
aufgenommen  worden.  Aber  auch  die  Entschei- 
dungen selbst  können  nur  besdiränkt  zu  Wort 
kommen.  Sollte  das  Wesentlidie  aus  den  rund 
8000  Seiten  der  verwerteten  Bände  auf  600  Sei- 
ten wiederkehren,  so  mußten  die  Verfasser  nach 
den  Ergebnissen  der  richterlichen  Tätigkeit  grei- 
fen und  diese  darstellen.  Die  Tatsachen,  die  das 
Gericht  zu  beurteilen  hatte,  und  die  Gründe,  die 
seine  Urteile  tragen,  haben,  wenn  überhaupt,  nur 
knappen  Raum  gefunden.  So  erweist  das  Werk 
die  guten  Orientierungsdienste  einer  Landkarte. 
Aber  es  ersetzt  nicht  die  Wanderung  durch  die 
verfassungsgerichtlichen  Entscheidungen  und  die 
staatsrechtliche  Literatur  selbst. 

Die  Absicht  der  Autoren,  dem  auf  rasche 
Information  und  Übersicht  Angewiesenen  zu  hel- 
fen, rechtfertigt  ihre  Einschränkungen.  Aber  die 
Linschränkungen  rechtfertigen  kaum  das  Etikett 
„Kommentar",  das  sie  auf  ihr  Budi  geklebt 
haben.  Unter  „Kommentar"  verstehen  die  Ju- 
risten ein  Werk,  das  das  ganze  Bild  eines  Ge- 
setzes zeigt.  Zum  ganzen  Bilde  gehört,  daß  der 
Sinn  jeder  einzelnen  Norm  beschrieben,  ihr  An- 
wendungsbereich bestimmt,  ihr  Verhältnis  zu  an- 
deren Normen  geklärt,  ihre  Problematik  vor- 
denkend gelöst  wird.  Dabei  berücksichtigt  der 
Kommentar  die  Regeln  der  Sprache  und  der 
Logik  ebenso  wie  die  Entstehungsgeschichte  und 
den  Zweck  der  Vorschriften  und  die  Deutung, 
die  ihnen  Gerichte  und  Gelehrte  bereits  gegeben 
haben.  Ein  Werk  indes,  das  seine  Erläuterungen 
nur  Stück  für  Stück  aus  den  komprimierten  Ent- 
scheidungen eines  einzigen  Gerichts  —  die  ja  ein 
Gesetz  immer  nur  punktuell  und  lückenhaft  er- 
fassen können  —  zusammensetzt,  läßt  zu  viel 
unbemalte  Flecken  auf  seinem  Bild  vom  Gesetz, 
als  daß  es  noch  „Kommentar"  heißen  dürfte. 

Wer  es  dennoch  so  nennt  und  damit  den  An- 
spruch erhebt,  das  ganze  Bild  des  Gesetzes  vor- 
zustellen, weckt  den  Verdacht,  er  halte  es  mit 
dem  amerikanischen  Chief  justice  Hughes,  der 
gesagt  hat:  „The  Constitution  is  what  the  judges 
say  it  is."  Gewiß,  die  Verfassungsrichter  haben 
das  letzte  Wort,  wenn  es  um  die  Auslegung  des 
Grundgesetzes  geht.  Dodi  macht  sie  das  nicht  zu 
Herren  des  Grundge>etzes.  Verfassungen  sind 
gerade  geschrieben  worden,  damit  ein  „govern- 
ment  of  laws  and  not  of  men"  garantiert  werde. 
Auch  die  obersten  Wächter  der  Verfassung  blei- 
ben ihre  Diener,  und  schon  der  Ansdiein,  das 
Verfassungsgericht  identifiziere  sich  mit  der  Ver- 
fassung, schadet  dem  Ansehen  beider.  Darum 
hätte  es  den  Autoren,  zumal  da  sie  selbst  in 
Karlsruhe  wirken,  besser  angestanden,  ihr  nütz- 
liches Buch  bescheiden  „Das  Grundgesetz  in  der 
Rechtsprechung  des  Bundesverfassungsgerichts" 
zu  überschreiben.  Dieter  Grimm 


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r.  15/16 


MB  —  9.  April  1971 


Seite  7 


Schönes  und   Nachdenkliches  aus  Afrika 


i 


Es  mag  äusserst  interessant,  ja 
verlockend  erscheinen,  anlässlich 
einer  beruflichen  Mission  ini  Auf- 
trage der  Vereinten  Nationen 
nach  Afrika  zu  kommen  und  durch 
diesen  Erdteil  reisen  zu  köimen. 
Erwartungsgemäss  begibt  sich  un- 
geheuer viel  Neues  und  Reizvolles, 
man  trifft  neue  Menschen  und 
auch  unbekannten  Tieren  begegnet 
man. 

Es  war  nicht  die  erste  Mission, 
die  mich  nach  Afrika  führte,  so 
dass  ich  eigentlich  hätte  wissen 
können,  was  mir  in  diesen  wirklich 
fremden  Ländern  bevorstehen  wür- 
de. Doch  haben  sich  in  den  letzten 
zehn  Jahren  die  Verhältnisse  in 
Afrika  nicht  imwesentlich  verän- 
dert, eine  Tatsache,  deren  sich  der 
Weisse  voll  bewusst  sein  sollte; 
denn  mehr  und  mehr  wird  er  auf 
dem  schwarzen  Kontinent  als 
Fremder  betrachtet  und  nicht  im- 
mer als  willkommener  Besucher. 

Doch    zunächst    einmal    erlebten 
wir   wieder   viel   Beglückendes.   Er- 
lebnisse stürzen  auf  einen  ein^  die 
man  meinte,  nur   aus  Wunschträu- 
men   zu   kennen.   Durch   weite,   un- 
übersehbare    Hochebenen     kommt 
man,    mit    bizarren    Felsketten    in 
flimmernder   Feme,   das   Bild   reiz- 
voll   akzentuiert    durch    charakteri- 
stische   Schirmakazien    und    kande- 
laberförmige       Euphorbien.       Oder 
plötzlich  tut  sich  vor  uns   ein  un- 
angetastetes    Seeufer     in     vollkom- 
mener   Einsamkeit    und    Ruhe    auf, 
wo    rosige    Schwärme   von   Flamin- 
gos in  ungezählter   Schar  wie   tan- 
zende,   duftige    Farbwolken    lautlos 
aufsteigen,     schweben,     um     dann 
ebenso    still    und    geräuschlos    wie- 
der   zur    Ruhe    zu    kommen.    Man 
trifft     auf     gewaltige,       dormemde 
Wasserfälle   in  imberührter   Felsna- 
'  tur,  eingebettet  inmitten  einer  tro- 
pischen    Pflanzenwelt;     ein     mysti- 
scher Regenbogen  steht  unwirklich 
▼or   der   steten,   glänzenden   Gischt 
des      wildbewegten      Wasserschau- 
spiels.  Völlig  ungebändigte  Vegeta- 
tion umgibt  den  Beschauer  von  al- 
len Seiten.  Es  ist  nicht  leicht,  da- 
hin zu  gelangen.  Zu  den  Fällen  des 
Blauen  Nils  im  Norden  Aethiopiens 
führen   keine   Fahrwege,   imd   auch 
der    Weg    zu    Fuss     ist    recht    be- 
ÄChwerlich.  Umso  mehr  aber  über- 
rascht  dann   die   makellose   Pracht  . 
eines  reinen  Naturschauspieles,  wo 
nichts  Fremdes,  von  Menschenhand 
Creschaffenes  stört. 

Oder  man  kann  von  einem  Flug 
im    einmotorigen    Flugzeug    hinau« 
auf  den  Indischen  Ozean  zu  einer 
Trauminsel    erzählen,    die    von   un- 
eähligen  Kokospalmen  bedeckt   ist. 
Aus   diesem   Palmenwald   hat   man 
eine  Art     Landungspiste     herausge- 
schlagen,   die   dem   Besucher   beim 
Anfluge   zuerst   als   viel   zu   schmal 
imd  kurz  erscheint,   die  sich  dann 
mber   doch   als   gerade   ausreichend 
für  eine  knappe,   geschickt  manöv- 
rierte Landimg  erweist.  Mit  etwas 
Herzklopfen    klettert    er    aus    dem 
kleinen  Flugzeug,  steht  auf  der  un- 
wahrscheinlichen Insel  und  ist  so- 
fort   umgeben      von    einer      Schar 
freundlicher,     bimt   gekleideter   In- 
seikinder.   Hier   leben  nur  Fischer, 
die    in    ihren    altertümlichen    Ein- 
toäumen,  ganz  schmalen,  aus  einem 
Baumstamme    handgehauenen    Boo- 
ten, von  dem  schneeweissen  Koral- 
lenstrand    hinausfahren     auf     den 
Ozean.  In  den  Gewässern   um  die- 
se Insel  soll  es  die   grössten  Tief- 
seefische  weit   und  breit   geben. 

Aber  auch  auf  dieser  tropischen 
Trauminsel  mit  ihren  herrlichen 
von  Palmen  elngefassten  Stränden 
und    stillen    Buchten    wird    gerade 


ein  erstes  Sportfischer-Hotel  ge- 
baut, eine  Art  rural-luxuriöser 
Klub  füc  Naturfreunde  aus  aller 
Welt.  Der  Bau  ist  von  einer  in 
Afrika  sehr  erfahrenen  und  ebenso 
angesehenen  israelischen  Architek- 
ten-Firma entworfen,  deren  häufig 
sehr  reizvolle  und  geglückte  Pro- 
jekte in  manchen  Städten  Ost-  und 
West-Afrikas  einen  Ehrenplatz  ein- 
nehmen. Wir  sahen  Bauten,  die 
sich  der  oft  phantastischen  afrika- 
nischen Landschaft  mit  grossem 
Feingefühl  anpassen,  vor  allem  in 
den  verschiedenen  Wildschutzgebie- 
ten und  Nationalparks. 

Hier  auf  der  Fischerinsel  ist  der 
Entwurf  mit  Recht  in  möglichstem 
Gleichklang    mit      der    unberührten 
Umgebimg  gehalten,   wobei  nur  bo- 
denständiges   Material    für    Wände, 
Dächer    und    Terrassenmauern    ver- 
wandt   wird.    So    gelingt    es,    eine 
quasi  unauffällige,  dem  Boden  und 
der    Natur      wie    selbstverständlich 
angeglichene    Baugruppe    zu    schaf- 
fen,  die   bei   alledem   doch   reizvoll 
bewegte  Formen  aufweist.   Ein   an- 
derer Flug   in  einer   Sondermaschi- 
ne —  der  junge  Pilot   ist  übrigens 
auch    ein    Israeli    mit    bemerkens- 
werter Erfahrung,   die  aus   weniger 
friedlichen  Zeiten  stammt  —  führt 
von   der  ostafrikanischen  Küstenre- 
gion  aus   Dar   es-Salam   ins    Innere 
des  Landes  über  die  weite  Massai- 
Steppe  in  die  Gegend  des  majestä- 
tischen  Kilimandscharo,    des   höch- 
sten Berges  Afrikas.  Der  schneebe- 
deckte  Gipfel    ist   weit,    weit   sicht- 
bar,   wenn    er    sich    nicht    gerade 
überheblich   stolz   in   seine   Wolken 
Schleier  hüllt. 

Nach  der  Landung  auf  einem 
ebenfalls  nur  von  der  Ve-^etation 
-  freigehaltenen  Streifen  befinden 
wir  uns  in  einem  der  berühmtesten 
Wildschutzgebiete  Afrikas.  Der 
rings  von  einem  vulkanischen 
Bergkranz  umgebene  Krater  stellt 
eine  in  sich  abgschlossene,  ja  ab- 
gerundete Landschaft  dar,  die  so 
weitläufig  ist,  dass  die  recht  zahl- 
reichen Safari-Fahrzeuge  mit  ihren, 
mit  Kameras  und  FUmapparaten 
behängten  Touristen  glücklicherwei- 
se nicht  allzu  sehr  auffallen.  Das 
grossartige     Bild    beherrschen     die 


ungeheuren  Mengen  von  freien  Tie- 
ren, die  meistens  von  den  neugie- 
rigen, stets  knipsenden  Eindring- 
lingen so  gxit  wie  keine  Notiz  neh- 
men. Dies  gilt  vor  allem  für  die 
eher  gelangweilt  anmutenden  Lö- 
wen. Für  sie  scheint  der  Mensch 
in  seinen  nach  Benzin  stinkenden 
Maschinen  überhaupt  nicht  zu  exi- 
stieren. Lediglich  die  Löwinnen 
zeigten  zuweilen  eine  gewisse  — 
wohl  eben  weibliche  —  Neugierde 
imd  kamen  hin  und  wieder  mit 
ihren  grossen  Schnauzen  beängsti- 
gend nahe  ans  Wagenfenster  heran. 

Die  freien  Tiere  grasen  anschei- 
nend friedlich  uhd  in  schöner  Ge- 
lassenheit unweit  den  Wasserplät- 
zen. Plötzlich  jedoch  geht  ein  jeher 
Alarm  durch  die  eben  noch  so  ru- 
hig weidende  Menge,  und  Hunder- 
te von  flinken  Tieren  brechen  in 
einen  wilden  Galopp  aus.  Zebras, 
Gazellen,  Antilopen,  Wildebeest;  ein 
herrliches  Bild  für  den  Beschauer, 
Tiere  in  ungehemmter  Bewegung 
auf  weiter  unbegrenzter  Fläche. 
Doch  im  Grunde  geht  es  hier  um 
Leben  und  Tod.  Schwächlinge, 
Nachzügler  werden  Opfer  der  wü- 
den  Jagd.  Einer  Jagd,  bei  der  ein- 
mal der  Mensch  nur  als  Zuschauer 
auftritt. 

Doch  Afrika  bietet  starke  Ein- 
drücke nicht  nur  in  seiner  Natur: 
Ein  Gang  durch  die  äusserst  be- 
scheidenen Wohngebiete  am  Gross- 
stadtrand führt  zu  den  öffentlichen 
Wasser  zapf  stellen,  zu  den  lokalen 
Verkaufsständen  und  Märkten.  Hier 
treffen  sich  die  Frauen,  ihre  klei- 
nen Kinder  mittels  eines  bunten 
Tuches  auf  den  Rücken  gebunden. 
Es  sind  stolze  Gestalten,  diese 
Alrikanerinnen  in  üirem  eigenen, 
so  dürftigen  Milieu.  Sie  halten  sich 
in  ihrer  farbenprächtigen  Kleidung 
mit  einer  natürlichen  Eleganz  und 
bewegen  sich  in  einem  Rhythmus, 
den  wir  auf  europäischem  Boden 
kaum  finden.  Die  Haare,  zunächst 
zu  dünnsten,  drahtartigen  Zöpfen 
geflochten,  sind  auf  einfallsreiche 
Art  in  vielen  Variationen  wie  lok- 
kere,  durchsichtige  Kronen  über 
den  schmalen  Kopf  gebaut. 

Schwarze  Kinder  sind  von  ganz 
besonderem    Liebreiz.    In    abgelege- 


nen Gebieten  betrachten  die  gros- 
sen Augen  die  unbekannte  Erschei- 
nung des  Weissen  mit  offenem  Er- 
staunen. Doch  ist  wohl  kaum  ein 
Ausdruck  der  Angst  dabei,  der  in 
den  Augen  eines  schwarzen  Kindes 
zu  lesen  wäre.  Anscheinend  gibt  es 
in  Afrika  keine  Ammenmärchen 
vom  „Weissen  Mann",  mit  dem 
Mütter  ihre  Kinder  schrecken  wol- 
len. 

Ein  besonderer  Genuss  erwartet 
den   Freund   guter,   echter   Jazzmu- 
sik in  Ghana  und  Nigeria.  Sonntag 
nachmittags  trifft  sich  in  den  grös- 
seren Städten  die  junge  und  (wirk- 
lich)  elegante  Welt   im   gerade  po- 
pulären  Hotel,   zunächst   „zum  An- 
wärmen"  an   der   Bar   und   danach 
im    Ballsaal    zum    Tanz     bis    zum 
Morgengrauen.    Es   wird   hier   gern 
und  viel  getrunken.  Die  schwer  zu 
beschreibende  Festlaune  und  Hoch- 
stimmung   offenbart      sich    freudig 
imd  imgebändigt  in  einer  Lautstär- 
ke,   die   für   unsereinen  imgewohnt 
ist.    Die    Jazzband      ist    urwüchsig 
rhythmisch    und    dabei    bezaubernd 
melodiös.    Man    spürt,    dass    diese 
hinreissende,     ansteckend     schwin- 
gende Musik  hier  zu  Hause  ist.  Die 
tanzenden  Paare  bewegen  sich  mit 
einer  aufgelockerten  Sicherheit  und 
selbstverständlichen    Eleganz,     und 
man    erkennt,    dass    die    Afrikaner 
offensichtlich   den   Quellen   des   ur- 
wüchsigen Genusses  von  Musik  und 
Tanz   viel   näher   sind   als   wir. 

Doch  nicht  nur  in  dieser  Bezie- 
hung   fühlt   man    sich     heute     £ils 
Weisser    nicht    wirklich    wohl    auf 
diesem    schönen   Kontinent.    Ueber- 
all    spürt    man    das    selbstbewusste 
Erwachen   der   neuen  und  nun  un- 
abhängig gewordenen  afrikanischen 
Nationen.    Ein   nationales    Selbstge- 
fühl macht  sich  breit,  das  wir  Is- 
raelis   durchaus   verstehen   können, 
vielleicht    besser     als    die    meisten 
anderen  Weissen  aus   Europa  oder 
Amerika.  Was  wir  mit  diesen  Frem- 
den  gemein  haben,   ist   die   weisse 
Hautfarbe.  Wir  wollen  und  dürfen 
uns    nichts    vormachen:      Es    mag 
durchaus  wahr  sein,  dass  in  man- 
chen Gegenden  des  schwarzen  Kon- 
tinents    der   Israeli   willkommener 
ist    als    ein    anderer    Weisser,    vor 
allem   als   der   heutzutage   wirklich 
recht    unbeliebte    Amerikaner.     So 
manches     Mal     hörten     wir     die 
freundliche       Meinung       gebildeter 
Afrikaner:      „Ihr    Israelis    versteht 
uns   im   Grunde   doch   viel    besser 
als  die  andern  Leute  aus  dem  We- 
sten." Deimoch  muss  ich  nach  mei- 
nen  verschiedenen     Reisen     durch 
Afrika    und    nach    teUweise     recht 
ausgedehnten     'Arbeitsperioden     in 
engem    Kontakt    mit    afrikanischen 
Kollegen  feststellen,  dass  es  für  ei- 
nen    Weissen     immer     schwieriger 
wird,  sich  unter  Afrikanern  selbst- 
verständlich und  imbefangen   wohl 
zu  fühlen.  Die  uns  aus  Europa  nur 
allzu    gut    bekannten    Rassenvorur- 
teile   treten   heute   fast   überall    in 
Afrika     mit    umgekehrtem    Vorzei- 
chen auf.  Nicht  zu  Unrecht  haben 
die   erwachenden    oder    schon   voll 
erwachten  neuen  Nationen  ein  aus- 
gesprochenes Vorurteil   gegen   alle« 
Nicht-Schwarze     entwickelt,       eine 
Einstellung,  die  längst  zu  erwarten 
war,  die  aber  nun  dem  Nicht-Afri- 
kaner     häufig     in     unangenehmer 
Weise     entgegentritt.       Dies     wirkt 
sich  manchmal  recht  peinlich  aus, 
wenn    einem    plötzlich    im    Restau- 
rant  klar   wird,   dass   ein   gänzlich 
harmlos    gemeinter    Blick    auf    den 
Nebentisch  verübelt  wird  und  nicht 
selten  sogar  eine  unfreundliche  Be- 
merkung   verursacht.    All    das    be- 
weist,   dass    man    in    Wirklichkeit 
nicht'  gar  so  gern  gesehen  ist. 


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Seite  8 


MB  —  9.  April  1971 


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'je- 


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ehört  der  Chamsin  zu  den  zehn  Plagen  ? 


Häufig  gab  und  gibt  es  gerade 
um  die  Pessachzeit  in  Israel  unan- 
genehme Chamsin-Winde.  So  man- 
cher Klimaempfindliche  mag  dann 
die  Frage  gestellt  haben,  ob  dieses 
ihm  so  lästige  Naturphänomen 
nicht  auch  zu  den  „Zehn  Plagen 
gehörte  die  einst  den  Auszug  aus 
Aegypten  erzwangen.  Eine  Menge 
Theorien  sind  über  diese  Plagen 
entwickelt  worden.  Es  gibt  ausser 
ihrer  Erwähnung  in  den  Psalmen  78 
und  105  drei  überlieferte  Fassungen 
der  Bibeldarstellimg. 

Elias  Auerbach,  der  in  seinem 
interessanten  Buch  über  „Moses'' 
eine  kritische  Analyse  dazu  gibt, 
ist  der  Meinung,  dass  der  älteste 
Bericht  überhaupt  nur  eme  einzige 
Plage  erwähnt  habe,  die  ihm  als 
Mediziner  offenbar  besonders  ein- 
leuchtend erscheint,  nämlich  die 
Pest  die  das  Sterben  des  Viehs, 
und 'später  auch  das  der  Erstgebo- 
renen, verursachte. 

Frühere  jüdische  Interpreten  ha- 
ben geglaubt,  dass  10  Plagen  nicht 
ausreichend  gewesen  seien.  RabDi 
Jose,  der  Galiläer,  meinte,  dass  die 


Aegypter  ausserdem  noch  am  Schüf- 
meer von  50  weiteren  Plagen  be- 
troffen worden  seien.  Rabbi  Akiba 
glaubte  sogar,  diese  Zahl  der  Pla- 
gen auf  250  erhöhen  zu  müssen.  Un- 
ter ihnen  wäre  fraglos  auch  für 
die  Plage  des  Chamsins  genügend 
Raum  gewesen.  Aber  auch  unter 
die  10  überlieferten  Plagen,  die  in 
die  Haggadah  übernommen  wor- 
den sind,  lässt  sich  der  Chamsin 
einreihen. 

Die   neunte   Plage   war   die   Ver- 
hängung   einer    dichten    Finsternis 
im  Lande  Aegypten.  die  drei  Tage 
andauerte.     Diese     Plage     ist     als 
..ägyptische  Finsternis"   sprichwört- 
lich geworden  und  sogar  üi  Büch- 
manns    „Geflügelten     Worten"     er- 
wähnt. Man  hat  sie  als  einen  kos- 
mischen Vorgang  verstehen  wollen, 
als     Sonnenfinsternis.     In     gleiche 
Richtung  weist  auch  eine  recht  an- 
fechtbare Deutung  von  Prof .  Eduard 
Mahler,  der  diese  Naturerscheinung 
auf    den    13.    März    1335    datieren 
wollte.  Gegen  diese  Theorie  spricht 
vor  allem,  dass  eine  Sonnenfinster- 
nis  kaimi   drei   Tage   gedauert   ha- 
ben  kann. 


Schönes  und  Nachdenkliches  auf  Afrika 


(Schluss  von  S.  7) 

In  Tanzania.  wo   wir  für  einige 
Monate  tätig  waren,  trafen  wir  zu 
unserer  Ueberraschung     amerikani- 
sche Berater,  die  in  einer  Art  von 
Selbsthass    den   verkrampften   Ver- 
such  machten,    als    ausgesprochene 
Vorkämpfer  gegen  den  so  unbelieb- 
ten amerikanischen     und     anderen 
Kapitalismus  aufzutreten,  wobei  sie 
sich  darüber  gar  nicht  krass  genug 
äussern  konnten.  Diese  Demonstran- 
ten   eines    tiefsitzenden    Eigenhass- 
Komplexes  drücken  ihre  pro-afnka- 
nische    und    anti-westliche    Weltan- 
schauung durch  ihre  betont  unkon- 
ventionelle    Kleidung     und     Haar- 
tracht   aus,    wobei    wir    an    emen 
amerikanischen     Finanzberater     m 
iDar  es^alam  in  allerhöchster  Posi- 
tion  denken,   der   stets   und   über- 
eil mit  einer  typisch  afrikanischen 
Kopfbedeckung   herumläuft.   Solche 
Leute    glauben    Eindruck     zu    ma- 
chen,   wenn   sie   auch   bei   Bespre- 
chungen an   öffentlicher  Stelle   die 
gehässigsten  Tiraden   gegen   andere 
weisse  Fachleute  loslassen. 

Ein  besonders  trauriges  Kapitel 
stellt  das  Los  der  Inder  und  Pa- 
kistaner in  Ostafrika  dar,  die  m 
den  letzzten  Jahren,  zuerst  in  Ken- 


Führend    In 

HERREN- 
BEKLEIDUNQ 

Tel-Aviv 
Haifa 
Jerusalem 
Kfar  Saba 


ya,    nun    aber    auch     in     anderen 
Ländern,    immer   mehr   und   zuwei- 
len  auf  nicht   gerade   sanfte  Weise 
um  ihre  Existenz  gebracht  werden. 
Es   mag   zutreffen,   dass   diese   aus 
Asien  stammenden  Kaufleute  einen 
imverhältnismässig  hohen  Anteil  an 
Grund-  und  Bodenbesitz  aufweisen. 
Sicher    stünmt    es    auch,    dass    sie 
fast    alle   Zweige    des   Handels   be- 
herrschen,   wobei    sie,    wie    immer 
wieder   behauptet    wird,    nicht    ge- 
rade ein  besonderes  Mass  von  so- 
zialem Verständnis  für  üire  afrika- 
nischen    Mieter,   Angestellten     und 
Arbeiter  aufbringen.  Was  auch  im- 
mer der  Grund  für  den  ausgespro- 
chenen Hass  und  die  ihnen  gezeig- 
te   Verachtimg    sein   mag,    wir   Ju- 
den   sehen    hier    leider     nur    allzu 
deutlich  eine  Wiederholung  der  in- 
famen Nazi-Massnahmen  gegen  die 
Juden   in   den   ersten   Jahren  nach 
der  Machtübernahme.  Schon  heute 
sind   Nicht-AfrUcaner:    sprich:    Asia- 
ten,, vor  allem  Inder,  als  Geschäfts- 
inhaber aus  den  meisten  zentralen 
Strassen     in    vielen    Städten     ver- 
bannt. Dies   geschieht   auf  einfach- 
ste,   administrative    Weise,     indem 
da  und  dort  Nicht- Afrikanern  nicht 
mehr   erlaubt     ist,   ihre   Geschäfts- 
Lizenz    zu    erneuern.     Diese     Vor- 
schriften  führen   natürlich   zu    den 
uns    allzu    gut    bekannten    Zwangs- 
verkäufen, wobei  von  afrikanischer 
Seite       entschuldigend        angeführt 
wird,    dass    die    Betroffenen      seit 
Jahren  recht  bedeutende  Vermögen 
auf    Kosten    der   'Afrikaner    zusam- 
mengescheffelt    hätten.     Uebrigens 
mag    es    nicht    uninteressant    sein, 
dem    hinzuzufügen,    dass    im    soge- 
nannten Volksmunde  die  Inder  als 
die    „Juden   Ostafrikas"    bezeichnet 
werden. 

Bei  einem  anschliessenden  Be- 
such in  Westafrika,  in  Nigeria  und 
Ghana,  erfuhr  ich,  dass  die  trauri- 
ge Rolle  der  Inder  Ostafrikas  dort 
die  Libanesen  und  Syrer  spielen 
müssen,  die  in  diesen  Ländern  dem 
gleichen,  anscheinend  imaufhaltba- 
ren  Prozess  einer  geplanten  und 
recht  rücksichtslosen  Verdrängung 
der  Fremden  aus  dem  Wirtschafts- 
leben unterworfen  sind. 

GemütUch     ist     es     eben    nicht 

mehr    in   AfrUca. 

CHANAN    PAVELL 


Wesentlich      überzeugender      er- 
scheint   die    Erklärung,    die    Prof. 
Ernest    Wright     in     seinem    Buche 
„Biblische     Archäologie"     gibt.     Er 
gehreibt :  „Die  dichte  Finsternis  (9. 
Plage)  kann  leicht  als  ein  schreck- 
licher   Sand-    und    Staubsturm    ge- 
deutet werden,  wie  ihn  der  Cham- 
sin, der  heisse  Wüstenwind,  der  zu 
den  unangenehmsten  Eigenschaften 
des    ägyptischen   Frühlings     gehört, 
hervorruft.  Der  Chamsin  dauert  je- 
weUs  2  bis  4  Tage  hintereinander, 
imd     die    „dichte    Finsternis"     soll 
laut    Exodus    10,22    drei    Tage    ge- 
dauert haben". 

Die  gleiche  Meinung  vertritt  der 
Schweizer  Professor  Haag  in  seinem 
Bibellexikon   und   der    frühere   bri- 
tische    Oberrabbiner     Dr.     Joseph 
Hertz    in    seinem   Bibelkommentar, 
der  sich  .seinerseits  auf  den  Autor 
Rawlinson    bezieht.    Er    hält    diese 
Plage  für  eine  besonders  schlimme 
Form     des    Wüstenwindes     „Cham- 
sin" und  widerlegt  die  Theorie  von 
der  Sonnenfinsternis. 

Der  New  Yorker  Gelehrte  Dr. 
Immanuel  Velikovsky,  Spezialist 
für  kosmisch-geschichtliche  Zusam- 
menhänge, fasst  in  seinem  Buche 
Zeitalter  im  Chaos"  die  zehn  Pla- 
gen als  einen  „heftigen  Aufruhr 
der  Natur"  auf  imd  die  Staubwol- 
ken des  Chamsin  als  Verursacher 
der  Verdunkelung.  Diese  Auffas- 
sung wird  jedem  glaubhaft  erschei- 
nen" der  einmal  in  der  Wüste  ei- 
nen' solchen  tagelagen  chamsinigen 
Sandsturm  erlebt  hat,  den  selbst 
der  Scheinwerfer  eines  Autos  nicht 
zu  durchdringen  vermag. 


Die  Bibel  weiss  von  dem  mäch- 
tigen Einfluss  der  Wüstenwinde  zu 
berichten.  In  den  Sprüchen  Salo- 
mos  25,23  lautet  es:  „Der  ^  Nord- 
wind bringt  Unge Witter".  Jesaja  27, 
8  spricht  von  dem  „rauhen  Sturm 
am  Tage  des  Ostwinds". 

Im  Psalm  78,26  steht :  „Er  liess 
den  Ostwind  unter  dem  Hünmel 
wehen  und  erregte  durch  seine 
Stärke  den  Südwind".  Hesekiel  27, 
26  sagt:  „Ein  Ostwind  wird  dich 
mitten  auf  dem  Meer  zerbrechen  . 
In  der  Erzählung  der  von  Joseph 
gedeuteten  Träume  des  ägyptischen 
Pharao  heisst  es  (1.  Buch  Mose  41, 
6)  •  ,panach  sah  er  sieben  dün- 
ne Aehren  aufgehen,  die  waren 
vom  Ostwind  versengt". 


Während    hier    die    versengende 
Kraft  des  trockenen  Wüstenwindes 
betont  wird,  wird  im  1.  Buch  der 
Könige     19,11     die     gewaltige    Ver- 
nichtungskraft   eines    starken    Wm- 
des  geschildert,  der  Berge  zerreisst 
und  Felsen  zerbricht.  Die  ermüden- 
de und  deprünierende  Wirkung  des 
Chamsin  ist  im  Buche  des  P/oph^ 
ten  Jona  4,8  beschrieben :   „Als  die 
Sonne     aufgegangen     war,    brachte 
Gott   einen   dürren  Ostwind  herbei 

Erich  HwrwÄz  zum  10.  Todestag 


und  die  Sonne  stach  Jona  auf  den 
Kopf,  dass  er  matt  ward.  Da 
wünschte  er  seiner  Seele  den  Tod 
und  sprach:  „Ich  wollte  lieber  tot 
sein  als  leben". 

Auch  die  Gemara  (Jebamoth72a> 
weiss  um  die  gefährliche  Kraft  des 
Chamsin    und     warnt     davor,    bei 
Ostwind   zu   beschneiden   oder   zur 
Ader   zu   lassen.    Manche   moderne 
Krankenhäuser  beherzigen  diese  Re- 
gel     in    ihren    chirurgischen    Abtei- 
lungen.    Eine     ganze     medizinische 
Literatur  beschäftigt  sich  heute  mit 
den  Wirkungen  des  Chamsin,  nach- 
dem Dr.  Theodor  Zlocisti  das  The- 
ma vor  Jahrzehnten  in  seinem  Bu- 
che   „Klimatologie    und    Pathologie 
Palästinas"   intoniert  hat. 

Besonders  eindringlich,  offenbar 
sogar  übertrieben,  schilderte  schon 
im  Jahre   1814   der   damalige  Berli- 
ner imd  später  Basler  Universitäts- 
professor    de     Wette     in     seinem 
„Lehrbuch   der   hebräisch- jüdischen 
Archäologie"      die      „Landplagen" : 
„Der  tödliche  Glutwind"  (arab.  Sa- 
mum, hebr.  Ruach  salafa,  Ps.  XI,6) 
weht  zwar  nicht  in  Palästina  selbst, 
sondern   in   den   benachbarten  Wü- 
sten ;     aber     der     heisse     Ostwind 
(hebr.   Kadim,    1   Mos.   XLI,6)   mag 
ihm  nahe  kommen.  Er  führt  Schwe- 
feldünste mit  sich,  und  man  kann 
sich   nur    durch    Niederwerfen   vor 
dem  Ersticken  retten".   In  der  jü- 
dischen   Tradition    wird     der    Ost- 
wind mit  einem  Dämon  verglichen. 
Der  palästinensische  Midrasch  cha- 
rakterisiert    den     Ostwind     damit, 
dass  er  den  Himmel  schwarz  macht 
und  Dunst  verbreitet. 

Prof.    Dalman,     ein   bedeutender 
Palästmaforscher,  weist  darauf  hin, 
dass  es  sich  offenbar  auch  bei  der 
Darstellimg   der   dreistündigen   Fm- 
rtemis  während  der  Kreuzigung  Je- 
su    um     einen    Chamsinsandsturm 
um  die  Pessachzeit  gehandelt  habe. 
Metereologische     Forschungen     aus 
neuerer    Zeit    bestätigen    die    jetzt 
auch    „Scharaw"    genannten   Cham- 
sine  mit  hochgradiger  mehrtägiger 
Trübung     oder    Verdunkelung     des 
Himmels    als    ein  Phänomen,    daa 
man  speziell  in  der  südlichen  Wü- 
ste in  den  Monaten  Aprü  und  Mai 
wiederholt  erlebt  hat. 

Im  Prediger  Salomo  heisst  es : 
Der    Wind    geht    gen    Mittag    und 
•  kommt  herum  zur  Mittemacht  und 
wiederum   an   den   Ort,   da  er   an- 
fing"   Hier  wird  der  Lauf  des  Win- 
des zum  Symbol  der  menschlichen 
Grunderkenntnis,  dass  nichts  Neues 
unter  der   Sonne   geschieht.  Zu  al- 
len Zeiten  wusste  man  um  die  Aus- 
wirkungen   der    Wüstenwinde.    Wir 
können  getrost  den  Schluss  ziehen, 
dass   ein  besonders   starker   Ch^- 
sinsturm    als   eine    der    „zehn   Pia- 
gen"  anzusehen  ist,  von  denen  die 
Pessachgeschichte  berichtet. 

FRITZ   BERGER 


In  diesen  Tagen  sind  es  zehn 
Jahre,  dass  unser  Freund  Erich 
Hurwitz  yx,  Mitglied  des  Präsi- 
diums des  Irgun  Olej  Merkas  Eu- 
ropa, langjähriger  Vorsitzender  sei- 
ner Ortsgruppe  Tel-Aviv  und  einer 
der  Mitbegründer  des  Solidaritäts- 
werkes, von  uns  gegangen  ist.  Der 
grosse  Kreis  seiner  persönhchen 
Freimde,  die  vielen,  die  ihm  nahe- 
standen im  KJV,  in  seinem  Be- 
rufsleben als  Arzt,  die  mit  ihm 
verbunden  waren  in  seiner  Liebe 
zur  Musik  oder  die  in  der  allgemei- 
nen zionistischen  imd  sozialen  Ar- 
beit mit  ihm  zusammengewirkt  ha- 


ben, und  schliesslich  die  Unzalüi- 
gen  denen  er  geholfen  hat  durch 
ieiile  menschliche  Güte  -  sie  aUe 
bedürfen  nicht  des  besonderen  An- 
lasses  seines  10.  Todestages,  um 
sich  seiner  zu  erinnern  Sein  An- 
denken lebt  in  uns  fort,  weil  er 
uns  allen,  seinen  Nächsten  ebenso 
wie  jedem,  der  auch  nur  für  eine 
kurze  Stunde  mit  ihm  in  Beruh- 
nmg  kam,  durch  seine  Aufgeschlos- 
senheit, seine  Treue,  seine  stete 
Hilfsbereitschaft  und  seine  warme, 
echte  Menschlichkeit  unvergessUch 
bleibt  und  bleiben  wird. 

H.G. 


( 


Nr.  15/16 


MB  —  9.  April  1971 


Seite  5 


Arthur  Biram  und  Richard  Lkhtheim  -  ein  Vergleich 


In     seinen    „Lebenserinnerungen 
aus    der   Frühzeit     des     deutschen 
Zionismus",   die,   nach   der   hebräi- 
schen  Uebersetzung  von   1953,   nun 
auch  in  der  etwas  verkürzten  deut- 
schen   Originalausgabe    unter    dem 
Titel   „Rückkehr"   (Veröffentlichung 
des  Leo   Baeck   Instituts,   Deutsche 
Verlags- Anstalt,  Stuttgart  1970)  vor- 
liegen,  erwähnt   Richard   Lichtheim 
(1885—1963)    Arthur    Biram    (1878— 
1967)    nur    ein    einziges    Mal,    imd 
zwar    zusammen    mit    Elias    Auer- 
bach,   Wilhelm    Brunn    und    Oskar 
Treidel  als  einen  der  wenigen  deut- 
schen  Zionisten,   welche   schon   vor 
1914   nach  Palästina   gingen.   Hinge- 
gen   kommt    Lichtheim    in    Birams 
sehr  ausführlicher  höbräischer  Bio- 
graphie   von    Sara    Halperin  '■'    über 
haupt   nicht   vor.    Das   dürfte    kein 
Zufall    sein,    da    das    Buch    weitge- 
hend auf  schriftlichen  und  mündli- 
chen   Mitteilungp--    und    Archivma- 
terialien  beruht,    die   Birams    treue 
Schülerin  von  ihrem  verehrten  Leh- 
rer   erhielt.    Er    hat    sie    auch    zu 
ihrem    Werk    angeregt    imd    dessen 
Fortgang  bis  zu  seinem  Tode  eben- 
so   tatkräftig    gefördert    wie,    nicht 
immer  zrum  Nutzen  der  Arbeit  und 
ihres      wissenschaftlichen      Charak- 
ters,    sehr     sorgfältig     überwacht. 
Lichtheim  hat  er  offenbar  niemals 
genannt. 

Die  beiden  Männer,  obwohl  Bun- 
desbrüder   im    K.J.V.,    hatten    also 
persönlich   nicht     viel    miteinander 
zu  tun  imd  waren   recht   verschie- 
dener Art.  Biram  stammte  aus  ur- 
sprünglich    kleinbürgerlichen     Ver- 
hältnissen,   der   Vater   aus    Liegnitz 
und    die    Mutter    aus    der    Provinz 
Posen.  Kurz  nach  der  Verheiratung 
übersiedelten    die    Eltern      in      ein 
Städtchen  bei  Dresden,  wo  sie  die 
einzige     jüdische     Familie     waren. 
Dem  überaus  tatkräftigen  Mann  ge- 
lang es,  seinen  kleinen  Konfektions- 
laden zu  einem  blühenden  Geschäft 
zu  entwickeln,   das  er   später  nach 
Berlin    verpflanzen    und    noch    er- 
weitem   konnte.      Dort    lebte    man 
endlich  in  einer  jüdischen  Gemein- 
de,  aber    auch   vorher   wurden   die 
traditionellen     Bräuche,     besonders 
zu   Pessach,     mit    wachsender    Ge- 
nauigkeit beobachtet. 

Das    war   keineswegs     selbstver- 
ständlich.  Beide   Eltern   waren   zu- 
nächst   weitgehend    assimiliert,    die 
Mutter    noch    radikaler    als    Adolf, 
der  Vater.  Dieser  erlebte  im  Man- 
nesalter    eine    Art    national-religiö- 
ser Bekehrung,  wobei,  soweit  man 
urteilen   darf,    das   nationale   Motiv 
das   religiöse   zwar   überwog,   nicht 
aber,  wie  bei  Lichtheim,  gar  nicht 
erst   aufkommen   liess.   Eine   Berli- 
ner Rede  Theodor  Herzls   i.J.   1897 
wurde   entscheidend   für   Adolf   Bi- 
rams  jüdischen  Weg.  Von  nun  an 
war   er   Zionist   und   beschloss,    in 
seiner  autoritativen  Art,  den  Sohn 
nach     Abschluss     des     klassischen 
Gymnasiums     „Zum     Grauen     Klo- 
ster" auf  die  liberale   „Hochschule 
für    die    Wissenschaft     des    Juden- 
tums"  zu  schicken.  Arthurs  Onkel, 
in  dessen  Hause  er  einige  schwere 
Jugendjahre       verbringen      musste, 
war   liberaler   Rabbiner   in   Hirsch- 
berg.   Arthur    beendete    die    Hoch- 
schule  und   stand   dort,   zusammen 
mit  seinem  Lebensfreund  J.  L.  Mag- 
nes   und   anderen,    in   scharfer   zio- 
nistischer     Opposition     gegen     die 
Mehrheit    der   Dozenten.    Nach    sei- 
nem Examen   wurde  er  nicht  Rab- 


b'mer,  sondern  setzte  seine  klassi- 
schen imd  orientalistischen  Studien 
mit  grossem  Erfolge  fort  und  er- 
hielt bald  eine  Oberlehrerstellung 
an  einer  höheren  Schule  Berlins. 
1913  ging  er  als  Leiter  der  neu  er- 
richteten , .Hebräischen  Realschule" 
nach  Haifa,  wo  er,  nur  durch  den 
Heeresdienst  im  Ersten  Weltkriege 
unterbrochen,  bis  zu  seinem  Tode, 
als  fast  Neunzigjähriger,  wohnte. 
Seine  Schule  hat  sich  aus  kleinsten 
Anfängen  und  gegen  erhebliche  Wi- 


väterliche  Fürsorge:  Dr.  Johann 
Jacoby  (1805—1877),  Arzt.  Philo- 
soph und  Politiker,  derselbe,  der 
F-riedrich  Wühelm  IV.   am  2.11.1848 


eine  Pflaume  zu  einem  Apfel  wer- 
den kann",  oder  den  anderen:  „Der 
moderne  Jude  hat  keine  Religion, 
keinen     Charakter,     keine     Heimat, 


als     Mitglied     einer     parllnmmitarT^'^  ^®i"^    Kinder.    Er    ist    ein    Stück 


(Dr.  A.  Biram  und  .b'^VT)  .o^b^wn» 
seine  Realschule.  Verlag  Rubin 
Mass,    Jerusalem    1970). 


derstände  zu  einem  ganzen  Netz 
pädagogischer  Anstalten  entwickelt, 
von  der  Vorschule  bis  zum  Leh- 
rerseminar reichend  und  ausgestat- 
tet mit  einem  Internat  für  auswär- 
tige Schüler  und  für  Offiziersan- 
wärter. Auch  in  der  näheren  und 
weiteren  Umgebung  Haifas  wa- 
ren ihr  einige  Schulen  angeschlos- 
sen, z.B.  die  höhere  Landwirt- 
schaftsschule in  Pardess  Chana.  Ent- 
scheidende pädagogische  und  didak- 
tische Anregungen  sind  von  der 
Realschule  auf  das  ganze  Land  aus- 
gegangen. 

Trotz  Birams  Abwendimg  von 
der  Theologie  blieb  die  Hebräische 
Bibel  bis  in  die  letzten  Tage  höch- 
sten Alters  sein  unterrichtliches 
und,  später,  wissenschaftliches 
Hauptanliegen. 

Wie  anders  waren  Lichtheims 
Herktmft  und  Entwicklung!  Mit  der 
ihm  eigenen  Selbstironie,  die  Bi- 
ram völlig  abging,  charakterisierte 
er  sich  als  einen  „hoffnungsvol- 
len jungen  Mann  aus  Berlin  W". 
Erst  in  Herzls  Todesjahr,  1904,  hör- 
te der  Neunzehnjährige,  damals 
noch  Student  der  Medizin,  zum  er- 
sten Mal  vom  Zionismus.  Schon  im 
selben  Jahre  trat  er  in  die  ,,Has- 
-monäa"  ein,  die  auch  programma- 
tisch zionistisch  war  und  nicht  nur 
,, national  jüdisch"  wie  der  Berliner 
„Verein  jüdischer  Studenten",  zu 
dem  Biram  gehörte.  Lichtheim 
v/urde  das  erste  aus  Berlin  stam- 
mende Mitglied  der  schlagenden 
Verbindung    „Hasmonäa". 

Wieder  ist  ein  Vergleich  mit  der 
Entwicklung  Birams  angebracht. 
Obwohl  nur  sieben  Jahre  vor  Licht- 
heim geboren,  repräsentiert  er,  so- 
ziologisch und  psychologisch  eine 
frühere  jüdische  Generation.  Wirt- 
schaftlich ist  er  der  erste  noch 
.  bescheidene  ,,Erbe"  in  seiner  Fa- 
milie; geistig  v/ird  er.  durch  die 
ihm  vom  Vater  schon  vorgegebene 
Rückkehr  zum  Judentum,  die  er 
weiter  vorantreibt,  zum  Typus  des 
Fortsetzers,  also  zum  ,, Konservati- 
ven". So  hat  er  sich  selbst  wieder- 
holt charakterisiert. 

Lichtheim    hingegen    gehört    zur 
vierten  Generation  der  Assimilation 
und    zur    dritten      des    gesicherten 
wirtschaftlichen   Wohlergehens.     Er 
hat  nie  Geldsorgen   gekannt,   bevor 
er  in  den  vierziger  Jahren  sich  mit 
seiner  vornehmen  Frau  dauernd  in 
Israel    niederliess.    Hier     kam     er 
nicht  gebührend  zur  Geltung,  auch 
wohl   deswegen   nicht,    wie    Ludwig 
Pinner  in  einem  Brief  an  Felix  Ro- 
senblüth  wahrscheinlich  macht,  weil 
er    stärker      der    werdenden      jüdi- 
schen   Nation    verbunden    war    als 
dem   schon   vorhandenen   jüdischen 
Volke,   mit    seinen   Vorzügen     und 
Nachteilen.     Lichtheim     trug       die 
schwere    Enttäuschung    zwar    nicht 
ohne  Bitterkeit,  aber   ohne  Ressen- 
timent, jenes  nach  innen  fressende 
Gift;   er  behielt  seine  Würde. 

Schon  sein  Urgrossvater  war 
um  1830  nach  Amerika  gereist,  wo 
er  freilich  verschollen  ist;  vier  Kin- 
der blieben  bei  ihrer  Mutter  in  Kö- 
nigsberg zurück.  Ein  berühmter 
Onkel  übernahm  stellvertretend  die 


sehen  Deputation,  von  deren  Anlie- 
gen der  König  sich  unwillig  ab- 
wandte, die  revolutionären  Worte 
zurief:  ,,Das  eben  ist  das  Unglück 
der  Könige,  dass  sie  die  Wahrheit 
nicht  hören  wollen!"  Er  zeigte 
auch  .später  grosse  Zivilcourage  als 
scharfer  Gegner  Bismarcks  und  sei- 
ner Kriege  von  1866  und  1870.  Nach 
der  Reichsgründimg  wurde  er  So- 
zialdemokrat. Statt  gemässigter 
vmrde  er  im  Alter  immer  radika- 
ler. 

In   seinem    Hause,   einem    geisti- 
gen  und   liberal- jüdischen    Zentrum 
Königsbergs,       wuchs       Lichtheims 
Grossvater    Heinrich    auf.    Er    wird 
ein   gesuchter   Arzt   in   Stettin,   der    ; 
sich  zwar  nicht   taufen  lässt,   aber 
seine    Kinder      in    den    christlichen    i 
Religionsunterricht    schickt.      Licht- 
heims Vater  wurde,  statt  Akademi- 
ker,   Banquier,      und    zwar      unter 
dem  Einfluss   von  Gustav  Freytags 
Roman  ,,Soll  und  Haben",  der  das 
deutsche  Bürgertum  bei  der  Arbeit 
zeigen    wollte,    auch    bei    der    des 
rechtschaffenen    Kaufmanns,    wobei 
missgünstige  Vergleiche  mit  der  Fi- 
gur eines  jüdischen  Händlers  nicht 
fehlen.     Während     des       deutschen 
Wirtschaftsaufschwungs        zwischen 
1870    und    1900    hatte    „die    Makler- 
firma   George    Lichtheim    gute    Ta- 
ge".   Die    meisten   Verwandten    wa- 
ren bereits   getauft;    so  konnte   ein 
Onkel   Ordinarius   der   inneren   Me- 
dizin   in    Königsberg     werden.      In 
Richards   eigener   Generation,  unter 
seinen   Vettern   und   Cousinen,    gab 
es     kaum     mehr     Gemeinde- Juden. 
Das   störte   den  Familienzusammen- 
hang nicht;    die   jungen«  Leute  hiel- 
ten herzliche   Beziehungen  auch   zu 
Richard      aufrecht,      dessen    Eltern 
nicht  ganz  so   weit  gingen   wie   die 
ihren.    Bei    ihm    zu    Hause    wurde 
zwar  Weihnachten  unter  dem  Tan- 
nenbaum  gefeiert,   aber   die   christ- 
lichen  Lieder   durften   nicht   gesun- 
gen    werden.     Andererseits     wurde 
Richard    ,, selbstverständlich"    nicht 
Bar-Mizwa.      Als      Vierzehnjähriger 
fragt    ihn    der    Vater    einmal    ganz 
nebenbei,    ob    er    sich    nicht    viel- 
leicht taufen  lassen  wolle.  Der  Jun- 
ge sagt  ruhig:  Nein,  und  damit  war 
die  Sache  erledigt. 

Eine    älmliche    Szene    wäre    im 
Hause    Biram    undenkbar    gev/escn. 
Richards    negative    Ant v/ort    ist    er- 
staunlich,  war   doch   die  Taufe   bei 
Lichtheüns    „zu    einer    Familienein- 
richtung" geworden,  allerdings    nicht 
bei  den  Pollacks,   der  noch  reiche- 
ren, aber  weniger  „feinen"  Familie 
der    Mutter.    Deren    ,, urwüchsigere, 
vielleicht   naivere"   Haltung  zur  Ju- 
denfrage mag,  zunächst  imbewusst, 
für  das  vorläufig  rein  formale  Fest- 
halten   des    Sohnes    am    Judentum 
mit  entscheidend  gewesen  sein.  Ein 
paar    Jahre    später,    als    Primaner, 
beginnt   er   das   Brüchige   der   jüdi- 
schen     Situation      in     Deutschland 
theoretisch    zu    durchschauen.    Pin- 
chas  F.  Rosen  sagt  dazu  in  seinem 
sehr    bemerkenswerten    „Vorwort"  : 
..Das    gelang    ihm    vor    allem    dank 
kritischem  mtrospektiven  Bemühen 
seines    ungewöhnlich    klarsichtigen 
und    redlichen    Intellekts." 

Lichtheims  ,, Rückkehr"  war  dem- 
nach innerlich  vorbereitet,  aber  der 
erste  Anstoss  kam  von  aussen;  als 
Primaner  macht  ihn  im  Jahre  1903 
ein  christlicher  Schulkamerad  auf 
Julius  Langbehns  weitverbreitetes 
Buch  ..Rembrandt  als  Erzieher" 
aufmerksam.  Er  fand  dort  z.B.  den 
Satz:  ..Ein  Jude  kann  so  wenig 
zu    einem    Deutschen    werden,    wie 


Menschheit,  das  sauer  geworden 
ist."  Nun  beginnt  ihm  aufzufallen, 
dass  mit  Ausnahme  der  Künstler 
und  Literaten  Juden  und  Christen 
zwar  geschäftliche,  aber  keine  ge- 
sellschaftlichen Beziehungen  haben. 
Trotzdem  hatte  er  selbst  kaum  je 
unter  antisemitischen  Äusserungen, 
geschweige  denn  Handlungen  zu 
leiden.  Viel  später,  zur  Zeit  der 
Abfassung  des  Buches  von  Okto- 
ber 1948  bis  Dezember  1949  in  Je- 
rusalem, erklärt  er  diesen  Sach- 
verhalt so:  Deutschland  war  zwar 
damals      ein      ,, Rechtsstaat",      aber 

'^., besser  noch  als  das  Gesetz  schütz- 
te die  Juden  die  strenge  Gliede- 
rung des  Klassenstaates  .  .  .  Die 
Macht     des     Junkertums     war     der 

;  Schutz    des    Judentums". 


Man  ist  versucht,  an  Bismarcks 
positive  Würdigung  der  Persönlich- 
keit des  damals  schon  seit  15  Jah- 
ren toten  Lassalle  zu  denken,  den 
er  in  seiner  Reichstagsrede  vom 
17.9.187^ wegen  dessen  antibourgeoi- 
sen  Verständnisses  für  Monarchie 
und  Adel  gegen  die  lebenden  Geg- 
ner des  Kanzlers,  den  Sozialisten 
August  Bebei  und  den  radikalen 
Freisinnigen  Eduard  Lasker,  pole- 
misch  ausspielte. 

Obwohl  Lichtheim  in  seiner  zio- 
nistischen Schrift  von  1919  „Der 
Aufbau  des  jüdischen  Palästina" 
die  Vergesellschaftung  der  Produk- 
tionsmittel als  Grundidee  des  So- 
zialismus bejaht  hatte,  und  ihr, 
unter  schari'er  Ablehnung  des  rus- 
sischen Kommunismus,  den  End- 
sieg voraussagte,  gelangte  er  mit 
jenen  späteren  Formulierungen  zu 
einer  Haltung,  die  ihn.  gleich  Bi-^ 
ram,  dem  rechten  Flügel  der  zio- 
nistischen Bewegung  eingliederte. 
Für  eine  gewisse  Zeit  (1926—1932) 
war  er  sogar  ein  Anhänger  und 
Parteigenosse  Jabotinskys  gewesen, 
dessen  Legionsplänen  er  im  ersten 
Weltkriege,  als  glänzender  zionisti- 
scher Diplomat  in  Konstantinopel, 
noch  entschieden  entgegengetreten 
war. 

So  weit  nach  rechts  war  Biram, 
trotz      gleichfalls      nationalistischer 
Einstellung,   nie  gegangen.  Er  sym- 
pathisierte   mit   dem   konservativen 
Flügel  der  „Allgemeinen  Zionisten", 
während  Lichtheim   später   der   op- 
positionellen,  aber    in    der   zionisti- 
schen Weltorganisation   verbliebenen 
„Staatspartei"    angehörte.    Was    bei 
Biram  eine   organische   Fortsetzung 
der     väterlichen     Einstellung     war, 
stammte    bei     Lichtheim     aus     der 
Ueberwindung  der  elterlichen  Assi- 
milation,   doch    ohne    Verzicht    auf 
ihre   kapitalistische   Grundlage,   die 
er     sogar    zu    einer    Art    jüdisch- 
pragmatischer Klassenideologie  ent- 
wickelte.   Auch   Biram   radikalisier- 
te      seine      Ausgangsposition      und 
machte   die   häusliche   und   preussi- 
sche   Disziplin   zu   einer   nationalen 
Erziehungsforderung.     Ihre     strUcte 
Erfüllung,  einerseits  im  ausschliess- 
lichen Au'toritätsanspruch  der  Schu- 
le   gegenüber    der    Jugendbewegung 
und    in    seiner    relativen    Priorität 
gegenüber     dem     Elternhaus,     und 
andererseits  als  Dienst  an  der  Ge- 
meinschaft unter   dem   Zeichen  der 
Treue    zum    Kleinen",    galt   Biram 
als  unerlässliche  Voraussetzung  für 
den    Erfolg    des    zionistischen    Auf- 
baus  in   feindlicher   Umgebung.   So 
führte    die    Realschule    die    obliga- 
torische  vormilitärische  Ausbildung 
der   Jugend   vor   allen   anderen   An- 
stalten   durch;    die    Tatsache,    dass 
drei    unter    den    vier    ersten    cneis 


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Seite  6 


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9.  April  11)71 


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Arthur  Biram  und  Richard  Lichtheim  -  ein  Vergleich 


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(Schluss  von   S.  5> 

des  israelischen  Generalstabs  ihre 
Absolventen  waren,  ist  keineswegs 
ein  Zufall. 

In  der  politisch-militärischen 
Stellungnahme  zur  Araberfrage  gab 
es  zwischen  Biram  und  Lichtheim 
keine  Differenzen,  auch  persönlich 
hegten  beide  keine  fremdenfeindli- 
chen Hassgefühle  gegen  den  ein- 
zelnen Araber  und  pflegten  gute 
persönliche  Beziehungen  zu  anders- 
denkenden Zionisten. 
-  Biram  blieb  mit  Magnes  gut  be- 
freundet, und  dessen  Gesinnungs- 
genosse. Professor  Leon  Roth,  war 
viele  Jahre  lang  der  Kuratoriums- 
vorsitzende der  Realschule.  Es  gab 
manchmal  Meinungsverschiedenhei- 
ten zwischen  ihm  und  dem  Direk- 
tor, gerade  über  politische  Fragen 
und  deren  pädagogische  Konse- 
quenzen, aber  niemals  eine  Unter- 
brechung  der   gemeinsamen   Arbeit. 

Lichtheim  wiederum  findet 
freundliche  Worte  der  Anerkennung 
für  den  unermüdlichen  Kolonisator 
und  Friedenskämpfer  Chaim  Mar- 
galioth-Kalvaryski.  In  seinem  an 
fesselnden  Charakterskizzen  reichen 
Buche  ist  die  ausführlichste  und 
wärmste  Arthur  Ruppin  s^ewidmet. 
Der  Verfasser  nennt  ihn  ,,ein  Ge- 
nie des  Arbeitswillens";  seine  Be- 
deutung für  die  jüdische  Palästina- 
siedlung zwischen  1908  und  1943 
wird  als  beispiellos  in  der  gesam- 
ten Geschichte  der  Kolonisation 
gewertet.  Politik  aber  „habe  ihn 
nie    interessiert". 

Das  nun  ist  eine  seltsame  Be- 
hauptung, wenn  von  dem  Mitbe- 
gründer des  ,,Brith  Schalom"  und 
dessen  Vorsitzenden  von  1925  bis 
1928  die  Rede  ist,  der  auf  dem 
XIV.  Zionistenkongress  für  ein  bi- 
nationales Palästina  unter  völliger 
Gleichberechtigung  seiner  beiden 
Völker  eintrat,  obwohl  er  später 
diesen  Plan  aufgeben  musste.  Aber 
warf  denn  die  von  Ruppin  in  der 
Tat  erstrebte  und  weitgehend  er- 
reichte „Schaffung  einer  jüdischen 
Landwirtschaft,  die  die  arabischen 
Arbeiter  in  den  jüdischen  Dörfern 
ablösenC.)"  sollte,  kein  politisches 
Problem   erster  Ordnung   auf? 

Ruppin  konnte  zwar  auch  keine 
Lösung  dafür  anbieten,  aber  er  hat 
den  Widerstreit  der  Pflichten  zwi- 
schen nationalen  Notwendigkeiten 
und  menschlicher  Rücksichtnahme 
nicht  einfach  ausgeklammert,  son- 
dern unter  ihm  gelitten.  Weil  er 
kein  ideologischer  Nationalist  war, 
blieb  er  frei  vom  Gebrechen  par- 
tieller   moralischer   Blindheit. 

An  anderer  Stelle  seines  Buches 
wirft     Lichtheim,     mit     einiger     In- 
konsequenz,     Ruppin      mangelndes 
, »politisches    Verständnis"    vor,    im- 
merhin   in    gemässigt/em    und    ach- 
tungsvollem   Ton.     Wenn     er     aber 
keine  Rücksicht  auf  einen  von  ihm 
verehrten   Menschen   nehmen   muss, 
.sondern     im     Allgemeinen     bleiben 
kann,  .spricht  er  weit  schroffer,  von 
den    ,, ideologischen   Verrannth(Mten" 
all    der    Zionist/en,    die    im    Juden 
Staat   nicht   das   echte   Endziel    der 
Bewegung    sahen.    Nur    aus    takti- 
schen  Erwägungen   mochte   es   vor 
läufig    verhüllt    blcib(!ri.    Lirhthoims 
Bojaüiung    der    V<!rhan(ilung(:n    zwi 
sehen    Weizmann    und    Emir    Pnisal 
galt  nur  einer  diploinatischfu   ZwI 
schenlösung.      Grunrlsut/.lich       ahci 
war    er    si(;h    libcr    ..die    llnvrr«'in 
barkeit  des  Zionismus  mit  d(5n   na 
tionalen    A.spirationen    der    palästi- 
nensischen    Araber     schon     damals 
im    Klaren"    und     konnte     deshalb 
,,den   Lehren   gewi.sser   zionisti.scher 
Doktrinäre"    auch   später   nicht   zu- 
stimmen. 


Als  einer  von  den  so  Gekenn- 
zeichneten hatte  ich,  etwa  1930, 
während  eines  kurzen  Besuches  in 
Berlin,  im  überfüllten  Logensaal 
in  der  Kleiststrasse,  eine  politische 
Diskussion  mit  Lichtheim  zu  füh- 
ren. Der  sonst  meist  ruhige  Spre 
eher  und  elegante  Fechter  schrie 
seine  Losungen:  „das  Volk!,  das 
Land!"  mit  solchem  Pathos  in  den 
Saal,  dass  mir  vor  dessen  unbe- 
streitbaren Ehrlichkeit  bange  wur- 
de. Diese  Bangigkeit  ist  in  den 
letzten  40  Jahren  nicht  geringer 
geworden.  Es  stimmt  zwar,  dass 
ohne  den  Appell  an  die  elementa- 
ren Kräfte  des  Urspnmgs  der  Zio- 
nismus sein  Ziel  rücht  erreicht  hät- 
te, aber  es  ist  nicht  minder  wahr, 
dass  er  ohne  ständige  Selbstbe- 
schränkung und  ohne  scharfe  Kon- 
trolle der  herbeigerufenen  Geister 
den  Bestand  seines,  unseres  Wer- 
kes in  immer  steigendem  Masse 
gefährdet. 

Lichtheim  war  genug  Intellek- 
tueller, um  diese,  vielleicht  unlös- 
bar tragische  Dialektik  wenigstens 
theoretisch  zu  verstehen,  wenn  ihm 
daran  gelegen  gewesen  wäre.  Biram 
aber  war  zwar  ein  sehr  kluger 
Mann,  aber  gerade  nicht  das,  was 
man  einen  Intellektuellen  nennt  ; 
er  wollte  es  gar  nicht  sein.  Dafür 
kann  ich  einen  tragikomischen  Be- 
weis erbringen.  Während  meiner 
dreijährigen  Tätigkeit  an  der  Real 
schule  (1930—1933)  gingen  wir  ein- 
mal gemeinsam  in  einen  der  vor- 
läufig letzten  antifaschistischen 
deutschen  Filme.  Die  Hauptperson 
war  ein  radikaler,  in  einen  politi- 
schen Prozess  verwickelter  Uni- 
versitätslehrer, den  der  Staats- 
anwalt einen  ,, wurzellosen  Intellek- 
tuellen" nannte.  Der  Prozess  ging 
gegen  ihn  aus,  und  er  wurde  ohne 
zulängliche  -Beweise  aus  seiner  Stel- 
lung   gejagt. 

Biram  war  von  diesem  guten 
Ende  hochbefriedigt  und  setzte  die 
Anklagerede  gegen  den  unsympa 
thischen  Intellektuellen  auf  un- 
serem Nachhausewege  unentwegt 
fort.  Ich  versuchte  gar  nicht  erst, 
ihn  von  seiner  Meinung  abzubrin- 
gen, hielt  mich  aber  für  verpflich- 
tet, ihn  wenigstens  davon  zu  über- 
zeugen, dass  sie  der  Tendenz  des 
Films  widerspreche.  Auch  das  war 
verlorene  Li^ebesmüh:  seine  Reak- 
tion auf  den  Streifen  und  dessen 
eigene  Absicht  seien  vollkommen 
identisch  ! 

Zehn  Jahre  vorher  war  ich  hart 
mit     den    persönlichen     Begrenzun 


gen  Lichtheims  zusammengestossen, 
wenn  auch  auf  einem  anderen  Ge- 
biet, dem  religiösen.  Franz  Rosen- 
zweig wollte  ihn  für  eine  Vortrags- 
reihe über  Zionismus  in  seinem 
,, Freien  Jüdischen  Lehrhaus"  in 
Frankfurt  a.M.  gewinnen.  Lichtheim 
lebte  damals  vorübergehend  in 
Cronberg  im  Taunus,  und  Rosen- 
zweig, der  Lichtheim  nicht  kannte, 
bat  mich,  ihn  bei  diesem  Besuch 
zu  begleiten.  Die  Rede  kam  auf 
Rabbiner  Nobel,  bei  dem  wir  bei- 
de damals  jeden  Morgen  Talmud 
lernten,  und  Rosenzweig  riet  Licht- 
heim, sich  den  grossen  Redner 
doch  einmal  anzuhören.  Seine  Ant- 
wort hat  sich  mir  tief  eingeprägt: 
,, Nobel  kann  man  doch  wohl  nur 
in  der  Synagoge  hören,  und  solche 
Lokale   besuche    ich   nicht." 

Die  ,, Lebenserinnerungen"  aller- 
dings bestätigen  diese  schroffe  Hal- 
tung nur  teilweise.  Zwar  ist  ein- 
mal, in  scheinbar  schnoddrigem 
Tone,  von  „Gottesdienstlichen  Ver- 
richtungen" die  Rede,  aber  es  stellt 
sich  sofort  heraus,  dass  es  nicht 
böse  gemeint  ist.  Die  Worte  ste- 
hen in  der  Schilderung  eines  Be- 
suches bei  Felix  Rosenblüths  from- 
men Eltern  im  ,, Messingwerk"  bei 
Halberstadt.  Trotz  anfänglicher 
Fremdheit  fühlte  sich  Lichtheim 
bald  „vertraut"  in  der  einfachen 
Bet Stube,  in  welcher  ,, nichts  von 
der  erzwungenen  Feierlichkeit  einer 
Kirche  oder  einer  grossen  Synagoge 
mit  Orgel  und  Predigt  zu  spüren 
war".  Er  meint  sogar,  dass  er 
damals  ,,die  altjüdische  Frömmig- 
keit verstehen"  gelernt  habe.  Das 
war  eine  voreilige  Schlussfolge- 
rung, so  schnell  geht  das  nicht. 
In  diesem  Hauptpunkte  musste, 
wie  Felix  Rosenblüth  zu  Beginn 
seines  Vorwortes  vorsichtig .  andeu- ' 
tet,  Lichtheims  ,, Rückkehr"  unvoll- 
ständig bleiben.  Anders  als  der 
Vers  in  Jesajas  (10,  21),  welcher 
der  hebräischen  Uebersetzung  des 
Buches  ,,den  biblischen  und  ro- 
mantischen" Titel  „Schear  Ja- 
schuw"  (ein  Rest  wird  zurückkeh- 
ren) geliefert  hat,  führte  Licht- 
heims Rückkehr  zwar  bis  zum 
Volk  und  Land  der  Väter,  aber 
gerade  nicht  zu  deren  Gott.  Seine 
intellektuelle  Rechtschaffenheit  hat 
sich  darüber   auf  die  Dauer  weder 

täuschen   wollen   noch   können. 

« 

Birams  Stellung  zu  den  Glau- 
bensfragen war  kompliziert.  Auch 
dafür  liefert  meine  Erinnerung  ei- 
nen merkwürdigen  Beleg.  Er  war 
um     1925     in     Frankfurt,     und     lud 


mich  ein,  als  Lehrer  an  seine 
Schule  zu  kommen.  Ich  wunderte 
mich:  „Soviel  ich  weiss,  ist  die 
Realschule  durchaus  weltlich  ein- 
gestellt; was  willst  Du  da  mit  ei- 
nem Juden  wie  mir  anfangen  ?" 
Seine  Antwort  lautete :  ,, Gerade 
drum!  Es  ist  für  die  Entwickelung 
junger  Menschen  wichtig,  welcher 
Art  der  Ballast  ist,  den  sie  gegen 
Ende  der  Schulzeit  gewöhnlich  ab- 
werfen. Meine  Primaner  haben  all- 
zuwenig Wertvolles  zu  verlieren. 
So  fürchte  ich,  sie  werden  bei  ih- 
rer unvermeidlichen  Emanzipation 
den  ganzen  Zionismus  über  Bord 
gehen  lassen.  Du  sollst  ihnen  et- 
was anderes  geben,  gegen  das  sie 
rebelheren  können,  ohne  damit  ihr 
Judentum  aufzugeben."  Dieses  eine 
Mal  war  mir  Arthur  Biram  allzu 
dialektisch  imd  ich  lehnte  die  Be- 
rufung ab. 

Erst  nach  meinem  Konflikt  mit 
dem  orthodoxen  Misrachi-Schul- 
werk  in  Jerusalem  (1929)  folgte 
ich  seiner  erneuerten  Anfrage.  Sehr 
gut  ging  es  zwischen  uns  beiden 
allerdings  nicht,  zwar  keineswegs 
aus  religiösen  oder  politischen 
Gründen,  sondern  aus  pädagogi- 
schen. So  war  er  recht  froh,  mich 
nach  drei  Jahren  wieder  loszuwer- 
den, als  ich  1934  beschloss,  dem 
Rufe  von  Baeck,  Hirsch  und  Buber 
zu  folgen  und  für  ein  Jahr  jüdi- 
scher Arbeit  nach  Nazideutschland 
zu  gehen. 

Die  totale  Säkularisierung  des 
Judentums  bei  Lichtheim  und  die 
zwar  nicht  absolute,  aber  sehr 
weitgehende  bei  Biram  änderten 
nichts  an  beider  Eingliederung  in 
das  rechte  zionistische  Lager.  Im 
Gegenteil:  gerade  durch  die  —  um- 
fassende oder  teilweise  —  Isolie- 
rung des  politischen  Moments 
konnte  es  umso  ,, reiner"  heraus- 
präpariert werden.  Vielleicht  ist 
das  eine  relativ  sauberere  Lösung 
als  der  chauvinistische  Klerikalis- 
mus,   der    uns   heute    beschert    ist. 


Der  deutsche  Zionismus  ist  auf 
kein»  einfache  Formel  zu  bringen, 
auch  nicht  auf  die  der  Progressi- 
vität  und  der  Arbeiterfreundschaft; 
darauf  hat  Walther  Gross  neulich 
in  einer  Veranstaltung  des  K.J.V. 
mit  Recht  hingewiesen,  dennoch 
war  er  trotz  seiner,  vor  1933,  ge- 
ringen Mitgliederzahl  reich  an  ei- 
genartigen Persönlichkeiten.  In  ei- 
ner Gruppe  von  aus  Deutschland 
stammenden  Pädagogen  stand  Bi- 
ram am  weitesten  rechts,  der  ent- 
scheidend von  Buber  beeinflusste 
Siegfried  Lehman  am  weitesten 
links,  und  Moses  Calvary  zwischen 
beiden.  In  einem  ähnlichen  Sche- 
ma von  Politikern  würde,  um  wie- 
der nur  von  Verstorbenen  zu  spre- 
chen, Lichtheim  die  äusserste  Rech- 
te und  Georg  Landauer  die  äus- 
serste Linke  repräsentieren,  Kurt 
Blumenfeld  aber  die  zentrale  Po- 
sition  einnehmen. 

Solche  Einschachtelimgen  tim 
den  Individuen  unrecht,  die  man 
unter  die  groben  Orientierungs- 
signale der,  noch  dazu  heute  frag- 
lich gewordenen,  Schlagworte  wie 
..Recht«"  imd  „Links"  zwingen  will. 
"Ewig  wahr  hingegen  bleibt  di« 
aristotelische  und  wieder  maimo- 
nidische  Erkenntnis,  die  in  unse- 
ren Tagen  Moritz  Heiman  neu  for- 
muliert hat:  „Die  Wahrheit  liegt 
zwischen  den  Extremen,  aber  nicht 
in  der  Mitte."  Welchem  Extrem 
sich  der  Einzelne  näher  fühlt,  ist 
von  seiner  Charakterstruktur  her 
bestimmt. 

ERNST   SIMON 


■mm^ 


Nr.  15/16 


MB  —  9.  April  1971 


Seite  13 


DIE    NEUESTE   HEINE-FORSCHUNG 


^n 


Im  letzten  Jahrzehnt  ist  für  die 
Heineforschung  eine  unerwartete 
Wendung  eingetreten:  in  Deutsch- 
land haben  sich  zwei  Zentren  ein- 
dringlicher Studien  entwickelt,  in 
Düsseldorf  und  Weimar,  d.h.  in 
West-  und  in  Ostdeutschland.  Das 
hat  auch  im  Ausland  anregend  imd 
belebend  gewirkt.  Allein  zwischen 
1969  imd  1970  erschienen  vier  Bü- 
cher über  Heines  Leben  imd  Werk, 
die  hier  angezeigt  werden  sollen. 
Darüber  hinaus  sind  zwei  kritische 
Gesamtausgaben,  eine  in  Düssel- 
dorf und  eine  in  Weimar,  in  Vor- 
bereitung. 

In  Düsseldorf  betreut  Dr.  Eber- 
hard Galley  seit  Jahrzehnten  die 
grosse  Heine-Sammlung.  Er  hat  sie 
vor  dem  Zugriff  der  Machthaber 
im  Dritten  Reich  gerettet,  indem 
er  sie  unter  dem  Namen  „Samm- 
lung Meyer"  führte,  die  ja  einen 
kleinen  Bestandteil  des  Heine-Ar- 
chivs ausmachte.  1962  schuf  er  ein 
neues  Forum  für  die  internationa- 
le Heineforschung  im  Heine-Jahr- 
buch, das  1971  zum  zehnten  Mal 
herauskommt.  Schon  im  Vorwort 
des  ersten  Bandes  setzte  er  sich 
dafür  ein,  vom  Streit  um  Heine 
ziim  unvoreingenommenen  Studium 
seines  Lebens  und  vor  allem  sei- 
ner literarischen  Leistung  und  Nach 
Wirkung  überzugehen. 

Manfred  Windfuhr,   der   zugleich 
leitender    Herausgeber    der    Düssel- 
dorfer  Heine -Ausgabe   ist,   hat   1969 
ein    Buch    herausgebracht,    das    er 
„Heinrich    Heine.    Revolution    und 
Reflexion"    nennt     (J.    B.    Metzler- 
sche     Verlagsbuchhandlung,     Stutt- 
gart). Der  Untertitel  ist  eigenwülig 
imd    überraschend,    aber    charakte- 
ristisch für  die  gesamte  Anlage  des 
Buches,     das     Heines    Leben     und 
Werk   in   die   politische   Geschichte 
einfügt    und    seine    Zeit-    imd    Um- 
weltbeziehungen stark  betont.  Wind- 
fuhr   verfolgt    bis    ins    Detail    den 
Lebensweg  des  Dichters,  die  Wand- 
lung seiner  Meinungen,  die  Entste- 
htmg     seiner     Werke     und     macht 
mehrfach    auf    weniger    beachtete 
Teile  seines  Schaffens  aufmerksam. 
Er     betont     Heines     eigentümliche 
Anwendung    des    Begriffs    Revolu- 
tion, der  die  Reformation  die  erste 
Revolution  nennt,  die  deutsche  Phi- 
losophie  die   zweite,  imd   als   drit- 
te   die    politische    in    Deutschland 
fordert.  Dem  Kampf  gegen  die  Re- 
aktion   der    Mettemich-Zeit    ist    er 
treu    geblieben.    Durch    den   Unter- 
titel  seines   Werkes   will   Windfuhr 
hervorheben,  dass  Heine  seine  Be- 
rufsarbeit völlig  revolutioniert.  Sein 
Ziel    ist    nicht    mehr,    eine    ideale 
Welt   zu   gestalten,   hoch   über   der 
Alltagswirklichkeit    wie    die   Klassi- 
ker und  Romantiker,  sondern  jetzt 
will    er   unmittelbar   auf   Zeit    und 
Umwelt     einwirken.     Das     ist     der 
wichtigste   neue   Gesichtspimkt.   Al- 
les,   was    man    Heine    bisher    vor- 
warf, wird  hier  als  neuer  Sinn  sei- 
ner   Lebensarbeit    aufgedeckt,    die 
sich  grundsätzlich  und  entscheidend 


von  dem  literarischen  Ideal  der 
Vergangenheit  abwendet.  Heine  ist 
der  erste  Schriftsteller,  der  seine 
geniale  Begabung  zu  einem  gros- 
sen Teü  journalistisch  verwendet, 
aus  dem  Tag  für  den  Tag  schreibt, 
allgemein  verständlich,  witzig,  geist- 
voll, immer  fliessend  und  fesselnd. 
Darauf  beruht  seine  weltweite  Wir- 
kung bis  auf  den  heutigen  Tag. 

Windfuhr  vernachlässigt  in  sei- 
ner Untersuchung  aber  keineswegs 
die  künstlerische  Leistung.  Er  be- 
obachtet in  allen  Werken  den  Auf- 
bau, die  Struktur  und  die  wech- 
selnden Tonarten.  Aber  unvermeid- 
lich kommt  in  seiner  Darstellung 
die  Poesie  etwas  zu  kurz.  Vom 
„Buch  der  Lieder",  den  politischen 
Verssatiren  „Atta  Troll.  Ein  Som- 
memachtstraum"  und  „Deutsch- 
land, ein  Wintermärchen"  gibt  er 
eine  Vorstellung  vom  Gehalt,  kaum 
aber  vom  Reichtum  der  Formge- 
bung  und   Sprachgestaltung. 

Man  halte  neben  Windfuhrs  Aus- 
führungen   zu    den    entsprechenden 
Dichtungen    die    Sätze    des    Dänen 
Johannes  V.  Jensen  in  meinem  Bu- 
che   „Der   lebendige   Heine   im   ger- 
manischen    Norden"     (Kopenhagen 
1935):  „Juwelen  von  Phantasie,  Witz 
und    Bilderpracht,    in    einer    gesät- 
tigten, sprichwörtlichen  Form,  sind 
die     beiden     erzählenden    Gedichte 
»Atta  Troll«  und  »Deutschland«,  ei- 
ne     merkwürdige      souveräne      Mi- 
schung   voi    lyrischer    und    politi- 
scher  Phantasie,   in   ihrer   Art   ein- 
zig dastehend,  und  blendende  Lek- 
türe noch  heutigen  Tages.  Von  Sei- 
ten   der    Form    haben    sie    Eigen- 
schaften, die  niemals  erreicht  wor- 
den sind,  weder  vorher  noch  nach- 
her.  Grazie   und   Energie   im   Aus- 
druck, jede   Strophe  ein  Edelstein. 
He'ines    Fähigkeit     für     Kürze     im 
Ausdruck  und  Weite  der  Gedanken 
hat  ihr  Seitenstück  nur  in  der  Bi- 
bel und  in  der  altnordischen  ver- 
dichteten Kunstform,   den  Liedern, 
die  hervorgegangen  sind  aus  einer 
Mnemotechnik,    sprachlicher    Oeko- 
nomie  in  Verbindung  mit  Visions- 
kraft   der    Gedanken.    Die    beiden 
sprudelnden,  gegossenen  und  schwer 
armierten  Dichtungen  sind  die  ein- 
zigen Verse,  die  ich  auswendig  ge- 
lernt habe,  ich,  der  ich  nicht  ein- 
mal meine  eigenen  behalten  kann." 

Die  Lebendigkeit  der  Dichtung 
Heines  kommt  bei  Windfuhr  nicht 
recht  zur  Geltung,  wie  er  auch  zu 
erwähnen  versäumt,  dass  Heines 
Lieder  weit  öfter  vertont  wurden 
als  die  Goethes.  Diese  Vertonun- 
gen sichern  Heines  Gedichten  das 
Fortleben  in  der  Weltliteratur,  ob- 
wohl viele  von  ihnen  dem  moder- 
nen Lebensgefühl  eigentlich  nicht 
mehr  entsprechen. 

Während  aber  die  meisten  Kri- 
tiker nur  auf  die  Widersprüche 
Heines  in  seinem  Gesamtwerk  hin- 
weisen, zeigt  Windfuhr  in  seinem 
Schlusskapitel  „Bewegliche  Struk- 
turen",   dass   Heine    „seine    Haupt- 


Orient  Shipping  Agency  Ltd 

wünscht  allen  Freunden 


Unsere  neue  Adresse: 
5  KEREN   HAYESSOD   ST.   5 
JERUSALEM  TEL.    23004 


themen  in  allen  Phasen"  durchge- 
halten hat.  Innerhalb  „eines  weit- 
gesteckten Rahmens"  setzt  er  le- 
diglich „die  Akzente  im  Verlauf 
seines  Lebens  verschieden".  Kein 
Forscher,  der  künftig  Heine  stu- 
diert, wird  daher  diese  gründliche 
und  ergebnisreiche  Arbeit  überge- 
hen  dürfen. 

Ebenso  unentbehrlich  für  die 
künftige  Forschung  ist  das  Buch 
von  Fritz  Mende:  „Heinrich  Heine. 
Chronik  seines  Lebens  und  Wer- 
kes", (Akademie  -  Verlag,  Berlin, 
1970).  In  der  Einleitung  heisst  es: 
„Die  vorliegende  Chronik  ist  eine 
wichtige  Frucht  der  Vorarbeiten 
verschiedenster  Art  für  die ...  in 
Weimar  veranstaltete  wissenschaft- 
liche Gesamtausgabe  . . .",  an  der 
also  der  Verfasser  verantwortlich 
mitarbeitet.  Mende  hat  durchge- 
hend in  das  Leben  Heines  die  po- 
litischen Ereignisse  eingefügt,  sehr 
ausführlich  über  seine  Einkünfte 
berichtet,  sämtliche  zu  seinen  Leb- 
zeiten erschienenen  Uebersetzungen 
aufgenommen  und  alle  zugängli- 
chen Quellen  benutzt,  um  seinen 
erlebten  Weltruhm  anschaulich  zu 
machen.  Es  scheint  mir  bei  Heine 
besonders  sinnvoll,  die  Zeitge- 
schichte einzubeziehen.  Dem  Buch 
sind  zahlreiche  Anhänge  beigege- 
ben, wie  eine  Stammtafel  der  Fa- 
milien Heine  und  van  Geldern,  ein 
Verzeichnis  von  Heines  Gedicht- 
zyklen, sowie  eines  mit  seinen 
Wohnanschriften.  Ausserdem  ent- 
hält es  allerhand  wertvolle  Register. 

Dieses  Werk  lässt  zwar  den  gei- 
stigen Zusammenhang,  sowie  jegli- 
che persönliche  Charakterisierung 
und  Wertung  unberücksichtigt,  ist 
aber  dennoch  in  seiner  gehaltvollen 
Sachlichkeit  unzweifelhaft  von  gros- 
sem  Nutzen. 

Das   dritte  hier   zu  behandelnde 
Heine-Buch     von     Helge     Hultberg 
mit  dem  Titel  „Heine.  Levned,  Me- 
ninger.    Boger"     (Lebenslauf,    Mei- 
nungen, Bücher  —  Kopenhagen  1969) 
ist   in   dänischer   Sprache   geschrie- 
ben.  Es   ist   nach   Anlage   und   Ge- 
halt   durchaus    fesselnd,    wenn    es 
auch  oft  zum  Widerspruch  heraus- 
fordert.  Es   folgt  nicht  der  Tradi- 
tion, die  Werke  Heines  seiner  Bio- 
graphie und  der  Zeitgeschichte  ein- 
zufügen, sondern  verteUt  d^n  Stoff 
auf    die    drei    im    Titel    genannten " 
Abschnitte.  Einleitend  behauptet  er, 
dass    „kaum    ein    anderer    Dichter 
im  Ausland  so  bekannt  und  beliebt 
ist  wie  Heine".  Goethe  und  Schil- 
ler seien  „zu  deutsch,  zu  abstrakt". 
Beide   Urteile    sind   in   dieser   Ver- 
allgemeinerung   unhaltbar.    Er    be- 
grlindet     sie     damit,     dass     Heine 
..europäischer"    sei    als    die    Mehr- 
heit  der   Literatur  vor   1870  in   der 
Enge    und     Abgeschlossenheit     des 
politischen  und  sozialen  Lebens   in 
Deutschland.  Heine  dagegen  hat  ein 
Viertel.] ahrhundert    in   Paris    gelebt. 
Im  Cesensatz   zu  Goethe  und  Höl- 
derlin, fügt  er  hinzu,  schreibt  Hei- 
ne  verständlich.    Ausserdem   bringt 
die     Welt     dem     verfolgten     Juden 
Sympathie    entgegen.    Von    seinem 
politischen   Kampf   mit   dem   Wort 
als    geistiger   Waffe    ist   hier    nicht 
die  Rede.  Dagegen  werden  die  Ur- 
teile von  Georg  Brandes,  Friedrich 
Gundolf  und  Karl  Kraus  angeführt, 
die    sich    alle    gegen    Heines    allzu 
„leichtfertige"       Sprache       richten. 
Hultberg  stimmt  Kraus  in  ausführ- 
licher  Darstellung    zu,   nur    Heines 
Witz    verteidigt    er    gegen    ihn.    Er 
setzt    sich    auch    mit    anderen    Ur- 
teUen    gegen    und    für    Heine    aus- 
einander,   um    schliesslich    zu    be- 
kennen,  dass   er   selbst   ausserstan- 
de   ist,    ein   einheitliches   BUd   von 
Heines    menschlicher    und    literari- 
scher Persönlichkeit   zu   geben. 


In  seinem  Kapitel  ,, Heines  Zeit- 
alter" meint  Hultberg,  dass  eine 
Schilderung  des  zeitgeschichtlichen 
Hintergrundes  zum  Verständnis 
nicht  notwendig  sei.  Das  ist  unbe- 
dingt falsch.  Wenn  irgend  etwas 
dauerhaft  und  echt  ist  bei  Heine, 
so  sein  leidenschaftlicher,  zorniger 
Kampf  gegen  die  Reaktion  der 
Mettemich-Zeit  in  Deutschland, 
der  seinen  Höhepunkt  1844  in 
„Deutschland,  ein  Wintermärchen" 
erreicht. 

Der  Abschnitt  „Meinungen"  be- 
handelt Heines  Zwiespalt  völlig  zu- 
treffend. Absr  man  muss  deshalb 
nicht  wie  er  zu  dem  Schluss  kom- 
men, dass  Heine  in  allen  seinen 
Schriften  „Masken"  trägt  und  nie 
sich  selbst  offenbart.  Durch  diese 
„Maskierung"  und  das  beständige 
Spiel  Heines  mit  der  Sprache  wird 
Hultberg  zu  der  Auffassung  ver- 
leitet, dass  man  das  innerste  We- 
sen keines  Dichters  aus  seinen 
Schriften  und  am  wenigsten  aus 
seinen  Dichtungen  erfassen  kann. 
Durch  sorgfältige  Stilanalyse  kann 
man  doch  oft  die  echte  leiden- 
schaftliche Anteilnahme  des  Dich- 
ters an  seinen  Motiven  erfassen. 
Aber  es  ist  richtig,  dass  Literatur- 
wissenschaft in  erster  Linie  Werk- 
forschung sein  muss,  nicht  Cha- 
rakterforschung, weil  man  sich 
sonst  auf  schwankenden  Grund  be- 
gibt. 

Hultberg  lehnt  es  entschieden 
ab,  Heine  als  „charakterlos,  un- 
dichterisch, unwahr"  zu  kennzeich- 
nen (S.  199).  Er  widmet  den  Wer- 
ken den  grössten  Teil  seines  Bu- 
ches. Dies  ist  der  ergiebigste,  wert- 
vollste Teil  der  Abhandlung  für  die 
Internationale  Heine-Forschung. 

Wenn  das  dänische  Buch  die 
Unmöglichkeit,  das  Wesen  Heines 
zu  erfassen,  in  den  Mittelpunkt 
stellt,  so  bestimmt  gerade  das  den 
Titel  eines  neuen  amerikanischen 
Werkes.  Jeffrey  L.  Sammons  nennt 
sein  Buch  Heinrich  Heine,  The 
Elusive  Poet  (Yale  University 
Press,  New  Haven  and  London 
1969).  „Elusive"  bedeutet  „auswei- 
chend, flüchtend,  sich  entziehend, 
auch  dem  Verständnis,  also  schwer 
fassbar,  undurchsichtig".  Sammons 
geht  aus  von  den  widerspruchs- 
vollen Aeusserungen  Heines  über 
seinen  CJeburtstag,  zeigt,  dass  wir 
über  weite  Strecken  im  Leben  Hei- 
nes wenig  wissen,  weU  der  Dich- 
ter über  sie  schweigt.  Er  zweifelt 
seine  Wahrheitsliebe  an  und  be- 
hauptet, dass  er  Unvereinbares 
vereinigen  wollte.  Die  Darstellung 
wirkt  wie  eine  Verurteilung  von 
Heines  moralischem  Charakter. 
Doch  weist  gerade  Sammons  die 
Vorwürfe  von  reaktionärer  Seite 
gegen  Heines  Charakter  und  Moral 
entschieden  zurück.  Er  leitet  sein 
labiles  Wesen  von  den  Schwächen 
seiner  natürlichen  Anlage  her  und 
von  seiner  sozialen  Stellung  als 
Jude. 

Die  „negativ"  wirkende  Schil- 
derung von  Heines  Wesen  dient 
hier  nur  als  Grundlage  der  posi- 
tiven These,  dass  Heine  in  seinem 
gesamten  Werk  eme  fiktive  Person 
aufbaut,  die  zu  beweisen  und  an- 
schaulich zu  machen  die  Aufgabe 
der  Arbeit  ist.  Sammons  ist  sich 
der  Tatsache  bewusst,  dass  die  Be- 
ziehimg des  Dichters  zur  Gesell- 
schaft einen  unentbehrlichen  Teil 
der  Literaturwissenschaft  darstellt, 
wül  sich  aber  nicht  mit  ihr  be- 
schäftigen. Ebenso  bezweifelt  er 
nicht  die  geniale  künstlerische  Be- 
gabung Heines,  beschränkt  sich 
aber  auf  die  Lösung  der  gewählten 
Aufgabe,  weil  er  meint,  dass  er  so 
das   Verständnis    für   Heines   Werk 


Seite  14 


MB  —  9.  April  1971 


Nr.  15/ia 


WSSw 


Zum  Problem  der  Menorah  und  Synagogenbaulen  in  Europa 

x.„..^.^       a«r,..      Wichtiger      kulturgeschichtli-       bzw.   Unreinheit 


Im  Kösel- Verlag,  München  er- 
schien in  den  Jahren  1962—69,  so- 
gar teilweise  schon  in  2.  Aiiflage, 
„Der  jüdische  Krieg"  von  Flavius 
Josephuß  auf  griechisch  und 
deutsch.  Die  Einleitung  und  An- 
merkungen, die  den  gegenwärtigen 
Stand  der  Text-  und  Geschichtsfor- 
schung auf  diesem  Gebiet  erschöp- 
fend wiedergeben,  stammen  von 
den  Tübinger  Professoren  Otto  Mi- 
chel und  Otto  Bauernfeind. 

Der  Leser  mag  vielleicht  ein  we- 
nig verwundert  fragen:  Gbt  es 
nicht  schon  genug  Uebersetzungen 
von  Flavius  Josephus,  und  zu  was 
nützt  der  griechische  Urtext?  Wer 
von  uns  beherrscht  noch  genug 
Griechisch  aus  seiner  Schulzeit, 
um  den  griechischen  Text  wirklich 
verstehen  zu  können? 

Erinnert  sei  in  diesem  Zusam- 
menhan? an  die  Shakespeare-'Aus- 
gäbe  der  Tempel-Klassiker,  bei  der 
sich  die  Gegenüberstellung  des  eng- 
lischen und  deutschen  Textes  sehr 
Gewährt  hat.  Auch  bei  dieser  Jose- 
phus-Ausgabe  wird  nicht  erwartet, 
dass  die  Leser  mühselig  den  ge- 
samten griechischen  Text  durchar- 
beiten sondern  dass  sie  bei  Lek- 
türe der  deutschen  Uebersetzung 
den  Originaltext  und  die  Anmer- 
kungen in  Zweifelsfällen  gleich  zur 
Hand    haben. 

Ferner  wurden  die  Berichte  des 
Josephus  von  den  Historikern  sehr 


skeptisch  betrachtet.  Nachdem 
aber  die  Ausgrabungen  in  Massada, 
Herodium  und  der  Jerusalemer 
Altstadt  —  um  nur  einige  Beispie- 
le zu  nennen  —  seine  Angaben  in 
geradezu  überraschendem  Umfange 
bestätigt  haben,  gilt  er  heute  als 
eine  der  wichtigsten  Geschichtsquel- 
len für  die  Zeit  des  zweiten  Tem- 
pels. 

In     der     vorliegenden     Ausgabe 
stellen  die  Herausgeber  in  der  Ein- 
leitung    zunächst    eine     Biographie 
dieses  viel  umstrittenen  antiken  Hi- 
storüters    auf    Grund    der    Quellen 
zusammen,  wobei  sie  vor  allem  sei- 
ne   eigenen    Ausführungen    in    den 
verschiedenen     Werken       benutzen, 
darm    aber    eine    wissenschaftliche 
Analyse   von   Komposition,   Quellen 
und    Text    folgen    lassen.    Band    I 
und  Band  11   (geteilt  in  Teil  1  und 
2)    enthalten    den    Text      auf    grie- 
chisch  und   deutsch   mit   den   sehr 
ausführlichen    Anmerkungen,      wah- 
rend in  Band  III  die  Ergänzungen 
imd     verschiedenen     Register,     die 
die   Benutzung   des  Werks   sehr   er- 
leichtem,  zusammengefasst  sind. 

Es  kann  nicht  die  Aufgabe  einer 
allgemeinen  Besprechung  sein,  im 
Einzelnen  zu  von  den  Herausge- 
bern aufgeworfenen  Fragen  Stel- 
lung zu  nehmen.  Nur  an  einem  Bei- 
spiel aus  dem  Arbeitsgebiete  des 
Rezensenten  sei  gezeigt,  welche 
Bedeutimg     für      das     Verständnis 


Heine- Jahrbuch  1971 

Mit  dem  soeben  im  Verlag  Hoff- 
mann   und    Campe,    Hamburg,    er- 
schienenen  und   vom   Heine- Archiv, 
rmsseldorf    herausgegebenen    neuen 
Heine-Jahrbuch  1971,  ist  diese  Reihe 
in  ihren  10.  Jahrgang  getreten.  Die- 
se   seit    1962    veröffentlichten   Jahr- 
Ijücher  stellen  stets  ganz  besonders 
interessante    Beiträge    zur    niemals 
endenden  Heine-Forschung  dar.  Von 
den  Essays  dieser  (126  Seiten  star- 
ken)  Ausgabe   seien  hier  hervorge- 
hoben LudTwig  Rosenthal:    ,, Glossen 
zum  Notizblatt  Heines  für  den  Rab- 
bi von  Bacherach"  mit  der  Ueber- 
schrift  ,Vita  Abarbanelis'  im  Heine- 
Archiv  Düsseldorf,  ferner  B.  Cheru- 
bini:   „Heine   und   die   Kirchen  von 
Lucca'',  W.   Baum:    „Ein   Heine-Ma- 
nuskript im  Besitz  von  Ludwig  von 
PRStor"  sowie  Heinz  Fischer:  „Hein- 


rich Heine  und  Georg  Büchner". 
Der  verdienstvolle  Herausgeber  und 
Schriftsteller  des  Jahrbuchs,  Dr. 
Eberhard  Galley,  schreibt  über 
„Harry  Heine  als  Benutzer  der  Lan- 
desbibliothek Düsseldorf",  schon 
deshalb  bedeutsam,  weil  der  Ver- 
fasser, neben  seiner  Tätigkeit  als 
Leiter  des  Heine-Archivs,  auch  der 
gegenwärtige  Direktor  der  Düssel- 
dorfer Landes-  und  Stadtbibliothek 

ist. 

Wie  in  allen  früheren  Ausgaben, 
so  enthält  auch  die  vorliegende  eine 
Anzahl  bisher  selten  bekannter  Ab- 
bildimgen,  darunter  z.B.  eine  Wie- 
•  dergabe'  des  lange  verschollenen 
und  erst  vor  kurzem  aufgefimdenen 
Oelgemäldes  von  J.  Popper  (1844), 
eine  Neuerwerbung  des  Heine-Ar- 
chivs. 

S.  RAPHAEL 


Die  neueste  Heine-Forschung 


(Schlusfi  Ton  Seite  13) 

mehrt.  Der  Titel  des  Buches  müss- 
te  eigentlich  heissen  „Die  fiktive 
Person  in  Heines  Werk". 

Es    ist    unmöglich,    obwohl    es 
lohnend  wäre,   die  einzelnen  Kapi- 
tel   dieses    Werkes    ausführlich    zu 
•behandeln,    deshalb    soll   nur   noch 
gesagt    sem,    dass    Sammons    über 
eine    genaue    Kenntnis    der    Werke 
Heines  Terfügt,   ihrer  Entstehungs- 
geschichte, der  maniügfaltigen  Ein- 
flüsse,    eines     grossen     Teils     der 
Heine-Literatur,    und    eine    bewun- 
dernswerte    Belesenheit     offenbart. 
Er  analysiert  Rhythmen  und  Metren 
und     wägt     die     Bedeutimg     vieler 
Worte   \md  Wendungen,   sodass   je- 
der   Heine-Forscher    viel    von    ihm 
lernen   kann.    Mit   Recht    allerdings 
nennt  er  seine  Abhandlimg  nur  ei- 
nen   Beitrag.     Er     ist     sich    selbst 
klar  darüber,  dass  sein  Gegenstand 
nicht  das  Gesamt  werk  ist,  sondern 
lediglich  eine  Abstraktion,  eben  die 
fiktive  Person.  Daher  sind  manche 


Ergebnisse  seiner  Methode,  die  vom 
schwer  fassbaren  Wesen  des  Dich- 
ters ausgeht  und  die  von  ihm  ge- 
schaffene   fiktive   Person   schildert, 
unarmehmbar.  Sie  führt  oft  zu  sehr 
seltsamen  Folgerungen  imd  Deutun- 
gen.   Sammons    übersieht,    dass    in 
der  älteren  Dichtung  die  Wirklich- 
keit,   die    innere   und   äussere,   im- 
mer nur  Rohstoff  ist  für  eine  fik- 
tive   künstlerische   Welt,    und    dass 
zum   Wesen   des   phantasiebegabten 
künstlerischen  Menschen  die  Wand- 
lungsfähigkeit   gehört,    die    es    ihm 
möglich  macht,  sich  in  andere  Per- 
sonen  einzufühlen  und   sie   zu  ver- 
wandeln.   Daher    wirken    Sammons 
Untersuchungen  stellenweise  kimst- 

fremd. 

Im  Gegensatz  zu  diesen  beiden 
ausländischen  Werken,  bemühen 
sich  die  beiden  deutschen,  das  ge- 
samte Werk  in  seiner  Zeit-  und 
Umwelt  zu  erfassen  und  vermitteln 
den  Eindruck  einer  weltgehenden 
Sachlichkeit. 

WALTER  A.  BERENDSOHN 


ganz      wichtiger      kulturgeschichtli- 
cher Fragen  unserer  Vergangenheit 
einer    genauen    Analyse    des    Origi- 
naltextes   zukommt.     Bei     der   Be- 
handlung  der  Tempelgeräte   ist   oft 
die   Frage    aufgetaucht,    ob   es    Er- 
satzgeräte   gegeben    hat,    wenn    die 
im    Gebrauch    befindlichen    unrein 
wurden.  Für  die  gewöhnlichen  Ge- 
räte  war   das  sicher   der  Fall,   wie 
sich      aus    Mischna      und    Talmud 
(Chagiga  26b,    27)  ergibt.  Galt  dies 
aber  auch  für  die  berühmten  histo- 
risch geheiligten  und  auf  die  Stifts- 
hütte zurückgeführten  Inventarstük- 
ke  wie  Schaubrot-Tisch  und  Leuch- 
ter?  Beim   Schaubrot-Tisch  ist   das 
Gegenteil    durch   die   an   der   zitier- 
ten   Mischna-Stelle    ausgesprochene 
Warnung    vor    Verunreinigung    aus- 
drücklich   bezeugt.    Bei    der    Meno- 
rah   beruft    man    sich    jedoch   zum 
Beweise,     dass     mehrere     Leuchter 
vorhanden    waren,      immer    wieder 
auf  eine  Stelle  aus  Josephus'  Jüdi- 
schem   Kriege,    in    der    er    erzählt, 
dass    nach      der    Zerstörung      des 
Tempels,  als  die  Juden  sich  in  die 
höher    gelegene    Oberstadt    zurück- 
gezogen   hatten,    ein    Priester    mit 
Namen    Jesus,    Sohn    des    Thibuti, 
hervorkam  und  gegen  Schonung  sei- 
nes Lebens  neben  anderen  Geräten 
zwei    goldene    Leuchter    auslieferte, 
die    den    im    Tempel    befindlichen 
ähnlich      waren".      (Jüd.    Krieg    6. 
Buch,    8.    Kapitel,    Absatz    3,    387; 
Michel -Bauernfeind  Band  II,  Teil  2, 
Seite    66/67;    vgl.    u.a.    Hans    Jocha- 
nan    Lewy    in    Olamot    nifgaschim 
1960,  Seite  258,  Anm.   11). 

Nun     bezeichnet     unglücklicher- 
weise  das   griechische  Wort   „Lych- 
na",    ebenso    wie    das    hebräische 
„Menorah",    sowohl    den    Leuchter, 
d.h.    den    berühmten    Tempelleuch- 
ter,   als    auch    andere    gewöhnliche 
Kandelaber.  Für   „Tempel"  benutzt 
Josephus  das  Wort  „Naos",  das  im 
Griechischen  zunächst   für   die   Cel- 
la,  d.h.  den  Platz  des  GötterbUdes, 
gebraucht  wird.  Da  im  AUerheilig- 
sten  des  zweiten  Tempels  bestimmt 
kein  Leuchter,  vielmehr  im  Hechal 
der  berühmte   siebenarmige   Leuch- 
ter stand,  hat  man  das  griechische 
Wort   „Naos"  auf  ihn  bezogen  und 
daher   aus    der   Josephus-Stelle    ge- 
schlossen,  dass   es   mehrere   solche 
siebenarmige    Leuchter    im   Tempel 
gegeben  habe.  Man  hat  dabei  aber 
übersehen,    dass    „Naos"    als    pars 
pro  toto  auch  allgemein   „Tem.pel" 
bedeuten  kann   (wie   auch  von  Mi- 
chel-Bauemfeind      übersetzt,      aber 
leider  in  ihrer  Anmerkung  zu  Buch 
6    No.    223,    Band    II    2,    Seite    20Ö 
nicht     konsequent     durchgehalten). 
Somit    lässt    sich    diese    Josephus- 
Stelle,     wo     ja     noch     dazu     von 
Leuchtern     in     der     Mehrzahl     ge- 
sprochen wird,  viel  natürlicher  auf 
gewöhnliche    Kandelaber    statt    auf 
den  berühmten  Tempelleuchter  be- 
ziehen.   Sie   stellt   also    keinen   Be- 
weis   für    die    Existenz    mehrerer 
Exemplare    dieses    berühmten     sie- 
benarmigen  Leuchters  dar. 


Wir  haben  oben  bemerkt,  dass 
das  hebräische  Wort  „Menorah" 
sowohl  den  Leuchter,  also  den  be- 
rühmten Tempelleuchter  bezeich- 
net, wie  es  auch  allgemein  für 
Lampe  oder  Leuchter  verwandt 
wird  Obwohl  das  nichts  mehr  mit 
Josephus  zu  tun  hat.  sei  darauf 
hingewiesen,  dass  durch  diese 
Tücke  der  Wortbedeutung  Profes- 
sor Haran  in  seinem  Artikel  über 
die  Menorah  in  der  kürzlich  er- 
schienenen Encyclopedia  Mikrait 
(Band  4,  Seite  19)  der  Fehler  un- 
terlaufen ist,  für  die  strittige  Form 
des  Menorah-Fusses  die  Mischna 
(Kelim  11.7)  ru  zitieren,  obwohl 
da   ausdrücklich   von   der   Reinheit 


bzw.   Unreinheit   aller   Art    von   Ge- 
brauchsgegenständen      und     ferner 
von      zusammengesetzten      Menorot 
die   Rede   ist   (,bischeat   chiburan')» 
während      der    beiühmte     Tempel- 
leuchter   nach    der    Tradition    des 
Leuchters    der    Stiftshütte    aus    ei- 
nem   Stück    gearbeitet    war    (,,mik- 
scha    achat"    Ex.    25,    36;    37.    22). 
Dass  in  einer  erst  kürzlich  erschie- 
nenen      bedeutenden       Publikation 
solch  ein  Fehler  vorkommen  koim- 
te,    zeigt      die    Schwierigkeit      des 
Menorah-Problems,    über    das,    wie 
oben  ausgeführt,   auch  manche  Jo- 
sephus-Forscher     gestrauchelt    sind. 

Das  Buch  von  Rachel  Wisehnit- 
zer:  „The  Architecture  of  the  Euro4 
pean  Synagogue  (Jewish  Publica- 
tion  Society  of  America,  Philadel- 
phia), ermöglicht  einen  guten 
Ueberblick  über  die  bauliche  Ent- 
wicklung der  Diaspora-Synagoge 
von  den  ältesten  Zeiten  bis  zur 
Gegenwart.  Das  Buch  enthält  246 
Photos  und  Grundrisse;  durch  den 
guten  Text  und  die  fundierten  An- 
merkungen besitzt  es  für  einen 
weiteren  Kreis  den  gleichen  Wert 
wie  für  den  Fachgelehrten.  Seit 
den  Arbeiten  des  früh  verstorbe- ' 
nen  Yaakow  Pinkerfeld  ist  es  die 
wichtigste    Publikation    auf    diesem 

Gebiete. 

Durch     die     Beschränkung     der 
Darstellung    auf    die    europäischen 
Synagogen   entstehen   in    der   Schil- 
derung der  spätantiken  Epoche  ge- 
wisse  Schwierigkeiten,   da  die  Syn- 
agogen Palästinas,  vor  allem  die  ga- 
liläischen,  und  ihr  Einfluss  auf  die 
Diaspora    nicht    behandelt    werden. 
Ueberhaupt  ist  schwer  verständlich,, 
warum   die    Autorin   sich   so    strikt 
an    die    Grenzen    Europas    gehalten 
hat.      Ein     entwicklungsgeschichtli- 
cher Abriss  hätte  in  der  Spätantike 
an  den  Synagogen  des  Mittelmeer- 
raums  lücht    vorübergehen   dürfen, 
dh    es   hätten   ausser   den   palästi- 
nensischen    auch     die     Kleinasiens 
imd     NordafrUcas     zusammen     mit 
den    europäischen     behandelt    wer- 
den  müssen. 

Der    Fehler    der    geographischen 
Beschränkung    lediglich    auf    Euro- 
pa  macht  sich  in  der  letzten  Epo- 
che genauso  bemerkbar  wie  in  der 
ersten.    Rachel    Wischnitzer    betont 
(Seite  251)  selber,  die  Art  des  Wie^ 
deraufbaus    der    europäischen    Syn- 
agogen  nach   der   Nazizeit    sei   ent- 
scheidend   beeinflusst      durch     den 
Synagogenbau     in    den   Vereinigterk 
Staaten    gegen    Ende    der    vierziger 
Jahre,  nämlich  durch  die  Entwick- 
lung   der    Synagoge    als   (gemeinde- 
Haus   nicht  nur  als  reine  Betstätte. 
Hierbei   drückt   sich   die   Rückkehr 
zum     antiken     Versammlungshausv 
den  Beth  Haknesset  in  der  eigent- 
lichen Bedeutung   des  Wortes   aus^ 
das   nicht   nur   religiösen   Zwecken 
diente.  Die  Tatsache  hat  dann  beim 
Wiederaufbau    der    Synagogen    Eu- 
ropas unter  dem  Einfluss  der  mo- 
dernen  Synagogen   Amerikas   Schu^ 
le  gemacht. 

Aber  trotz  dieser  störenden  Be- 
grenzung ftuf  Europa  vermittelt 
das  Buch  durch  die  klare  Hervor- 
hebung  der  verschiedenen  architek- 
tonischen Typen  wichtige  Erkennt- 
nisse: Bau-Richtung,  Platz  des  To- 
ra-Schreins  und  der  Bimah,  der 
Sitzbänke  und  der  Galerie,  ferner 
die  Konstruktion  als  Zentralbau 
oder  zwei-  bzw.  dreischiff  ige  Basili- 
ka werden  m  ihrer  architektoni- 
schen Bedeutung  gewürdigt.  Aus 
diesem  anspruchslosen  Buche  lernt 
der  Leser  mehr  als  aus  den  üppi- 
gen Prachtbänden,  die  jetzt  in 
Amerika  bei  Behandlung  von  Fra- 
gen  jüdischer  Kunst  üblich  sind. 


HEINRICH   STRAUSS 


.^ 


Seite  12 


MB  —  9.  April  1971 


Nr.  15/16 


MILCH    UND    HONIG 


Eine  Pessachbetrachtung 

In  der  grandiosen  Erzählung  des 
zweiten  Buches  der  Bibel  von  der 
Vision   Moses    am   Dornbusch    (Ka- 
pitel 3)  ist  das  Land,  in  das  Mose 
sein  Volk  aus  Aegypten  führen  soll, 
in  dreifacher  Weise  charakterisiert: 
in   seiner   Qualität   als    „ein  treffli- 
ches und  ausgedehntes   Land",  po- 
litisch als  „das  Land  der  Kanaani- 
ter,  Hethiter,   Amoriter,  Pheresiter, 
Heviter  und  Jebüsiter",  und  in  be- 
sonders    empfehlender     Weise     als 
„ein  Land,  das  von  Milch  imd  Ho- 
nig   überfliesst".    Eine    vierte    Be- 
zeichnung:  „ein  Land,  das  von  Gott 
den  Erzvätern  Abraham,  Isaak  und 
Jakob  zugesprochen  ist",  findet  sich 
in   Kap.    VI,    4    u.    8.    Von    diesen 
Bezeichnungen     ist     die     preisende 
von    „MUch    und    Honig"    die    am 
meisten   gebrauchte,   sie  kommt   19 
mal   in   der  Bibel   vor.  Mose   wur- 
de  am    Hofe    des   Pharao    aufgezo- 
gen imd,  wie  noch  Flavius  Josephus 
zu   wissen   meint,    ,,aufs   sorgfältig- 
ste". Bei  den  Priestern  und  Schrei- 
bern der  Schulen,  die  zur  Zeit  der 
Pharaonen    (Ramses    II.    war    der 
Pharao  des  Auszugs)  in  Blüte  stan- 
den,   insbesondere    auch    aufgrund 
der  Verbindungen  der  Aegypter  mit 
den  Völkern  der  Umwelt,   erlernte 
Mose  zweifellos  die  zahlreichen  Ge- 
scliichten  über  die  Entstehung  der 
Welt,    die    lange    vor    seiner    Zeit 
schon  in  Papyrusrollen  verzeichnet 
worden  waren. 

So  waren  ihm  gewiss  die  Be- 
richte vertraut  aus  altorientalischen 
Mythen,  die  uns  erhalten  sind,  über 
fruchtbare  Oasen  in  der  Wüste 
oder  herrliche  Gärten  in  fernen 
Ländern  oder  im  Himmel,  Gärten 
mit  prächtigen  Bäumen  „lieblich 
anzusehen  und  mit  wohlschmecken- 
den Früchten",  Früchten  eines  Le- 
bensbaumes, die  ewiges  Leben  ge- 
währen und  ein  „Baum  der  Er- 
kenntnis des  Guten  und  Bösen" ; 
eine  Quelle  des  Lebenswassers,  de- 
ren Wasser  weisser  ist  als  Milch 
und  süsser  als  Honig  und  Ströme, 
die  kein  Wasser  führen,  sondern 
Milch  und  Honig.  Im  Paradies 
herrscht  ewiger  Friede;  die  Men- 
schen bedürfen  keiner  Anstrengung, 
den  Garten  zu  pflegen.  Schon  eine 
alte  sumerische  Beschreibung  eines 
paradiesischen  Ortes  weiss  zu  er- 
zählen :    „Dilmun    ist    ein    schöner 


Platz;  der  Wolf  zerreisst  nicht  das 
Lamm;  es  gibt  keine  Krankheit, 
kein  Alter".  (Später  Jesaja  Kap. 
XI,  6  ff:  „Der  Wolf  wohnt  neben 
dem  Lamm".) 

Die     biblische     Darstellung     des 
Paradieses     hat    von     den     älteren 
Beschreibungen    zwar    den    Lebens- 
baum und  den  Baum  der  Erkennt- 
nis, wie  auch  die  Ströme  übernom- 
men,   aber    nicht    solche,    die    von 
Milch    und    Honig    fliessen ;     wohl 
aber    finden    sich    diese    Paradies- 
ströme   in    der    nachbiblischen    Li- 
teratur    bei     den     Apokalyptikern, 
die    die    Zukunft    offenbaren,    z.B. 
im    Buch  Henoch  (ca.  100  v.d.gew.Z.). 
Und     in      den    etwa    gleichaltrigen 
,,Sybillinischen   Orakeln"   heisst   es: 
,,vom     Himmel     fliesst      lieblicher 
Trank  süssen  Honigs,  und  die  Er- 
de    lässt     süsse     Quellen     weisser 
Milch    hervorbrechen".    Der    klassi- 
sche   deutsche    Sammler    der    „Ge- 
flügelte   Worte",    Büchmann,     sagt 
zu    „Milch   und    Honig",    dass    die- 
ser Begriff  auch  in  anderen  Spra- 
chen   vorkommt.    So    ist    beispiels- 
weise bei  Plato  in  ,,Jon"  die  Rede 
von    den    Bacchen,    die    begeistert 
aus   den   Strömen   ,, Milch   und   Ho- 
nig"    schöpfen;     oder    bei    Homer 
(Odyssee,    XI.    Gesang),    wo    Odys- 
seus   für   alle  Toten   in   der  Unter- 
welt    ,, Milch    und    Honig"     opfert. 
Ein   Anklang    an    die    alte   Vorstel- 
lung  findet   sich   auch   darin,   dass 
die  beiden   Hauptquellen  des   Hun- 
deflusses in  Syrien  „die  Milchquel- 
le" und   „die  Honigquelle"  heissen. 
Die    Zusammenstellung    der    offen- 
bar    sehr     beliebten     Lebensmittel 
bedeutet      von      ältester      Zeit      an 
Fruchtbarkeit    und    Fülle,    so    z.B. 
bei.  Hiob,    Kap.    20,    Vers    17    „die 
flutenden    Ströme    von    Honig    und 
Sahne".  In  einem  weit  älteren  Lied 
aus  dem  kanaanitischen  Ugarit  (ca. 
1400     v.d.gew.Z.)     heisst     es :     „die 
Bachtäler    sind    voll    von    Honig". 
Später    finden    wir    bei    dem    Pro- 
pheten   Joel  :     ,,die    Hügel    fliessen 
von    Milch"    (IV,    18).    Im    „Hohen 
Lied"  heisst  es:    ,, Honig  und  Milch 
birgt    Deine    Zunge"    (IV,    11).    Der 
Ausdruck  kommt  auch  in  der  ara- 
bischen  Literatur   vor. 

Seit  alter  Zeit  haben  die  Men- 
schen von  dem,  was  sie  selbst 
schätzten,    den    Göttern    Opfer    ge- 


FUR    PERSOIMLICHEIM 
VERSICHERUNGS  -  SCHUTZ 


>0mmiicmunor' 


T   A 

N    Z    M 

A    N 

19 

BEN    YEHUDA   ST. 
JERUSALEM 

Grosse  Auswahl   in 

19 

UMSTANDSKLEIDUNG 

BLUSEN   ^    STRICKWAREN    -   ROECKE 

nov;  >n 

1 

ALLEN   VORAN 


I 


bracht.    Opfergaben    erjagter    Tiere 
sind    bei    Ausgrabungen    aus    prä- 
historischer Zeit  gefunden  worden. 
Schon  in  den  ältesten  auf  uns  ge- 
kommenen Schriftdokumenten  sind 
Opfer  erwähnt,  wie  z.B.  im  sume- 
rischen    Gilgamesch     Epos.     Utna- 
pischtim,     der    sumerische     Ueber- 
lebende    der    Sintflut,    opfert    nach 
Aufhören  der  Flut  den  Göttern  wie 
in   der  Bibel   dann  Noah   (I.   Buch 
Moses,  8,  20  f.).   In  der  biblischen 
Erzählung   opfert   Kain    von   seiner 
Herde,   Abel   von   seinen   Feldfrüch- 
ten   (I.   Buch  Moses,   4,    1    ff.).    In 
den    Vorschriften    über    die    Opfer 
im    dritten    Buch    Moses,    Kap.    2, 
ist    der    Honig    als    Erstlingsopfer, 
die    Milch    jedoch    nicht    erwähnt. 
Wohl   aber   ist   auch   an   sie   zu   er- 
innern, denn  der  Opfernde,  der  die 
Erstlinge    darbringt,    hat    bei    der 
Uebergabe    an    den   Priester   zu   sa- 
gen:   ,,Gott    gab    uns    dieses    Land, 
das    von    Milch    und    Honig    über- 
fliesst" (Buch  V,  Kap.  26,  9  u.  15). 

Der  für  die  Griechen  erwähnte 
Brauch,  Milch  und  Honig  zu  op- 
fern,   galt    auch    bei    den    Römern. 

Als  die  Völker  anfingen,  den 
Boden  zu  bearbeiten  und  Vieh  zu 
züchten,  konnten  sie  die  ihnen  not- 
wendigen und  bei  ihnen  beliebten 
Nahrungsmittel  nur  unter  grossen 
Mühen  erlangen.  Sie  stellten  sich 
daher  vor,  dass  es  einen  Ueber- 
fluss  von  diesen  Erzeugnissen  nur 
bei  den  Göttern  oder  an  besonde- 
ren Plätzen   geben  könne.   Sie   ver- 


5  /  i   T  t  R  S 


66,  ALLENBY  Rd. 
TEL-AVIV 


DAS    HAUS    FÜR 

EXKLUSIVE 
DAMENMODEN 


legten  die  Fülle  von  Milch  und 
Honig  in  den  Himmel  oder  ins 
Paradies.  Mose  hat  die  Glücksgüter 
vom  Himmel  auf  die  Erde  geholt. 
Das  Land,  in  das  er  sein  Volk 
bringen  wollte,  bezeichnete  er  ihm 
als  ein  realisierbares  Paradies  und 
schuf  damit,  in  klarer  Erkenntnis 
der  Notwendigkeit,  eine  anfeuern- 
de Parole.  Diese  seine  Leistung  ist 
deshalb  nicht  weniger  grossartig, 
weil  er  ein  uraltes  Motiv  benutzt 
hat.  Um  beim  Thema  ,, Auszug  aus 
Ägypten"  zu  bleiben  —  auch  die  lite- 
rarische Leistung  von  Thomas  Mann 
wird  dadurch  nicht  geringer,  dass 
er  in  seiner  Novelle:  ,,Das  Gesetz" 
Motive  benutzt,  die  er  von  Goethe 
aus  ,, Bemerkungen  zum  West-Oest- 
lichen  Divan"  übernommen  hat. 


ALBERT   BAER 


Hans  Kohn  zum  Gedächtnis 


Der  deutschen  Ausgabe  seiner 
Autobiographie  hat  der  am  16.  März 
1971  in  Philadelphia  verstorbene 
Historiker  Professor  Hans  Kohn 
den  Titel  , .Bürger  vieler  Welten" 
((1965)  gegeben.  Sein  Lebensgang 
und  sein  Lebenswerk  rechtfertigen 
diese  Ueberschrift,  denn  Hans 
Kohn,  am  15.  September  1891  in 
Prag  geboren,  hat  an  vielen  Orten 
gelebt  und  ist  in  viele  Welten 
kraft  seines  analytischen  Geistes 
eingedrungen.  Prag,  die  Dreivölker- 
stadt, war  sein  Ausgangspunkt,  wo 
er  schon  als  Einundzwanzigjähriger 
das  so  berühmt  gewordene  Sam- 
melbuch des  Vereins  jüdischer 
Hochschüler  Bar  Kochba  „Vom  Ju- 
dentum" herausgab.  Dann  aber 
kam  nach  gerade  abgeschlossenem 
Studium  der  Erste  Weltkrieg,  der 
Niedergang  der  Habsburg-Monar- 
chie, Kampf  an  der  Front,  vier 
Jahre  Gefangenschaft  in  Sibirien, 
die  bolschewistische  Revolution 
und  schliesslich  eine  verwegene 
Flucht  über  Charbin  und  Japan  zu- 
rück nach  Europa.  Die  Jahre  zwi- 
schen 1920  und  1931  verbrachte 
Hans  Kohn  in  Paris,  London  und 
Jerusalem  und  in  dieser  Zeit  wurde 
er  zum  Historiker.  Seine  Erlebnisse 
hatten  die  Richtung  gewiesen,  die 
ihn  nach  gründlichsten  wissen- 
schaftlichen Studien  zur  Untersu- 
chung und  zur  Darlegung  des  Pro- 
blems des  Nationalismus  veranlass- 
te. Bücher  brachte  er  heraus  über 
,,Sinn  imd  Schicksal  der  Revolu- 
tion" (1923),  die  ..Geschichte  der 
nationalen  Bewegung  im  Orient" 
(1928).  den  ..Nationalismus  in  der 
Sowjetunion"  (1932).  die  in  zahlrei- 
che Sprachen  übersetzt  wurden  und 
die  Grundlage  für  Kohns  reiches 
wissenschaftliches  Werk  wurden. 

1933  nahm  Hans  Kohn  seinen 
Wohnsitz  endgültig  in  den  Vereinig- 
ten Staaten.  Hier  wurde  er  nach 
einer  nicht  ganz  leichten  Ueber- 
gangszeit  zu  einem  der  beliebtesten 


und  anerkanntesten  Hochschulleh- 
rer. 1944  veröffentlichte  er  sein 
grosses  Werk  „Die  Idee  des  Natio- 
nalismus", das  dann  auch  in  spa- 
nischer, italienischer  und  deutscher 
Uebersetzung  erschien.  Die  Zahl  sei- 
ner Bücher,  die  im  Laufe  dieser 
drei  Jahrzehnte  seinen  Namen  tru- 
gen, beträgt  mehr  als  zwei  dut- 
zend.  Viel  zitiert  und  viel  geprie- 
sen wurde  ein  Werk  der  letzten 
Jahre  ..Wege  und  Irrwege.  Vom 
Geist  des  deutschen  Bürgertums" 
(1962),  das  die  deutsche  Geistesge- 
schichte seit  Goethes  Tagen  schil- 
dert. 

Schon  1930  hatte  Hans  Kohn  die 
Entwicklung  Martin  Bubers  und 
seine  Wirkung  auf  das  westeuro- 
päische Judentum  dargestellt.  Die- 
ses Werk,  von  Robert  Weltsch  bis 
1960  fortgeführt,  erschien  1961  als 
Veröffentlichung  des  Leo  Baeck  In- 
stituts in  2.  Auflage.  Unmittelbar 
für  das  Leo  Baeck  Institut  schrieb 
er  1962  das  Buch  ..Karl  Kraus.  Ar- 
thur Schnitzler.  Otto  Weininger. 
Aus  dem  jüdischen  Wien  der  Jahr- 
hundertwende". 

Hans  Kohn  war  ein  Gelehrter 
und  zugleich  ein  eminent  begabter 
Schriftsteller.  Er  war  ein  Huma- 
nist und  als  solcher  zutiefst  der 
abendländischen  Kultur  verhaftet. 
Das  Jahr  1914  bedeutete  für  ihn  die 
grosse  Zäsur,  mit  der  das  Zeitalter 
der  noch  lange  nicht  abgeschlosse- 
nen Weltrevolution  einsetzte.  Er 
wusste,  dass  wir  noch  mittendrin 
stehen,  und  in  persönlichen  Gresprä- 
chen  hat  er  das  immer  wieder 
zum  Ausdruck  gebracht.  Sein  Tod 
trifft  viele  Freunde  in  aller  Welt 
schwer,  die  nun  die  Verbindung 
mit  ihm,  seinen  Rat  und  seinen  Zu- 
spruch vermissen  werden.  Dass  es 
neben  seinen  zahlreichen  Schülern 
diese  Freunde  gibt,  mag  seiner 
verehrten  Gattin  Jetty,  geb.  Wahl 
zum   Trost   gereichen! 

H.T. 


ISfr.  15/16 


MB  —  9.  April  1971 


Seite  11 


PESSACH    IN    JERUSALEM 

Von  jüdischer  Wallfahrt  im  antiken  Staate 


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Der  Gesetzesvorschrift  der  Bibel 
(5.    Buch    Mose,    16, 16)    getreu    zo- 
gen vor  3000  Jahren  die  ersten  jü- 
dischen   Wallfahrer    zu    den    ,,scha- 
losch  regalim"  zum  Heiligtum,  ihre 
Opfer  darzubringen  imd  ihre  Sche- 
kelzahlung     zu     entrichten.     Schilo 
war    das    ursprüngliche    Ziel,    seit 
den  Tagen  Salomos  aber  der  Tem- 
pel in  Jerusalem.  Auch  wiederholte 
Versuche    der    Könige      des    Nord- 
reichs,     andere     Heiligtümer      wie 
Bethel    populär   zu   machen,    schei- 
terten schliesslich  an  der  überwäl- 
tigenden Anziehungskraft  der  Heili- 
gen Stadt.  Fast  tausend  Jahre  lang, 
iDis  zur  Zerstörung  der  Stadt  durch 
die  Römer,  zogen  dreimal  jährlich 
die  Massen   der  Juden  hinauf,  um 
ihre  frommen   Pflichten   in  Jerusa- 
lem zu  erfüllen.  Wir  erfahren  recht 
wenig     über     Durchführung       und 
Form    der    Wallfahrten    aus    bibli- 
schen   Quellen.    Gewiss    ist    jeden- 
falls,   dass    bis    zum    Ende    des    2. 
Jahrhunderts       vor     der     gewöhnl. 
Zeitrechnung    ganz   vorwiegend    die 
Landesbevölkerung     der    Juden    an 
diesen   Fahrten   teilnahm.   Erst   als 
die  pax  Romana  auch  die  Mehrheit 
der  Diaspora-Länder  in  einen  poli- 
tisch   gemeinsamen    Rahmen    gesi- 
cherter   Verbindungswege    einbezog, 
änderte    sich    das    Bild,    um    imter 
Herodes    Jerusalem    zu    begehrtem 
Wallfahrtsziel    auch    der    weit    ver- 
streuten   Diaspora    zu    verwandeln. 
Zugleich     aber     nalim     damit     die 
einstmals  aus   rein  religiösen  Moti- 
ven unternommene  Fahrt   der  Ein- 
heimischen den  Charakter  eines  jü- 
dischen       Gemeinschaftserlebnisses 
an,    das    Erez   Israel   imd   die   Dia- 
spora    eng     miteinander     verband. 
Denn    all    die    Juden    von    weither 
konnten  durch  diese  Festbegegnung 
an  Gottes  HeUigtum  zugleich  auch 
ihre   Volksverbundenheit   vertiefen. 

Für  dieses  Jahrhundert  des  an- 
tiken Höhepunktes   der  Wallfahrts- 
züge unter  den  Herodianern  bieten 
reiches   Anschauungsmaterial  PhUo, 
Flavius  Josephus,  die  Mischna,  die 
Tossafot,  aber  auch  die  römischen 
Schriftsteller.       Nim     kamen      die 
„Olej-regel"    aus    Italien,   Griechen- 
land,   Kyrene,      Kleinasien,    Aegyp- 
ten,  Syrien  und  selbst  aus  dem  — 
jenseits    römischer    Herrschaft    lie- 
genden —  Babylonien.  Philo  schrieb 
schon    vor     Josephus,     es     kämen 
jährlich  „Zehntausende  aus  tausend 
Städten"    zum    Fest    nach    Jerusa- 
lem. Die  von  Herodes  mit  so  gros- 
sem  Aufwand  durch  Paläste,   Bur- 
gen und  Gärten  gezierte  Stadt,  vor 
allem   aber   der   um   seiner   Pracht 
willen    weitberühmte    Tempel    imd 
die  mächtige  Festung  lun  ihn,  bil- 
deten   eine    zusätzliche    Attraktion 
für  die  Besucher.  Und  wenn  auch 
durchaus  nicht  alle  Juden  zu  Pes- 
sach  nach  Jerusalem  ziehen  konn- 
ten,   manche    wohl    schon    aus    fi- 
nanziellen  Gründen   nicht,   so   füll- 
ten dennoch  tausende  ausländischer 
Juden,    gemeinsam   mit   ihren   Brü- 
dern  aus     ganz   Erez    Israel,     die 
Stadt    bis    zum   Bersten   mit   Fest- 
gästen.  Selbst   wenn  die   Schätzun- 
gen  zutreffen,   nach   denen   Jerusa- 
lem imter  den  Herodianern  an  die 
hunderttausend  Einwohner     zählte, 
bedeutete   der  Zustrom  der  Pilger- 
Massen  eine  geradezu  revolutionie- 
rende   Veränderung     des     Stadtle- 
bens  für  die  Festdauer. 

Im  „Jüdischen  Krieg"  (VI,  9) 
erklärt  Josephus  die  auffallend 
hohe  Zahl  der  jüdischen  Todesop- 
fer durch  die  Belagerung  des  Titus 
vor  allem  damit,  dass  „aus  dem 
ganzen  Lande  das  Volk  zimi  Pest 
der  Mazzot  in  die  Hauptstadt  zu- 
sammengeströmt    war...     und     so 


fügte  es  das  Schicksal  damals, 
dass  das  ganze  Volk  wie  in  ein 
Gefängnis  eingeschlossen  war".  Es 
müssen  also  wohl  Hunderttausende 
gewesen  sein,  die  sich  zu  Pessach 
in  Jerusalem  zusammenfanden.  Ge- 
wiss kamen  bei  ihrem  Besuch  in 
der  schönen  Stadt,  und  nicht  nur 
durch  das  Erlebnis  des  Tempeldien- 
stes, die  Gäste  reichlich  auf  ihre 
Kosten.  Andererseits  bedeutete  der 
Massenbesuch  für  die  Stadtbewoh- 
ner eine  ungewöhnliche  Förderung 
der  Wirtschaft  in  allen  Zweigen. 
Allein  die  Erfordernisse  der  Unter- 
bringung beflügelten  die  städtische 
Bautätigkeit.  Selbst  die  Steinmet- 
zen profitierten  nicht  wenig,  wie 
die  vielen  Beschriftungen  aufge- 
fundener Grabanlagen  der  Zeit  be- 
weisen. Da  die  Sitte,  Tote  nach 
Erez  Israel  zu  überführen,  erst  der 
nach-staatlichen  Epoche  angehört, 
handelt  es  sich  dabei  also  um  die 
letzten  Ruhestätten  von  Pilgern,  die 
in  Jerusalem  während  ihrer  Wall- 
fahrt verstorben  sind,  wie  z.B.  das 
Grab  des  Nikanor  von  Alexandrien 
auf  dem  Skopus,  des  von  der 
Mischna  belobten  Stifters  der 
Bronze-Tore   für  das   Hechal,   zeigt. 

Die  Gepflogenheit  der  Diaspora- 
Juden,  jährlich  durch  Sendboten 
'Abgaben  für  den  Tempel  ins  alte 
Heimatland  zu  schicken,  wird  z.B. 
aus  dem  Prozess  in  Rom  des  Jah- 
res 63  vor  der  gew.  Zeitrechnung 
deutlich,  in  dem  Cicero  den  römi- 
schen Gouverneur  von  Asia  Minor 
gegen  die  jüdische  Anzeige  zu  ver- 
teidigen suchte,  die  für  den  Tem- 
pel bestimmten  Gelder  unterschla- 
gen zu  haben.  Seit  Augustus  war 
es  verbrieftes  Recht  der  Juden 
Roms,  von  Ephesus,  Kyrene  und 
Sardes,  diese  „Israel-Steuer"  zu 
entsenden,  wie  auch  aus  dem  16. 
Buch  der  „Altertümer"  von  Flavius 
Josephus  hervorgeht.  In  welchem 
Ausmass  allein  schon  die  Landes- 
bevölkerung an  den  Pessach-Wall- 
fahrten  beteiligt  war,  illustriert  ei- 
ne Notiz  von  Josephus,  die  erzählt, 
dass  der  im  Jahre  66  durch  Lod 
reitende  Prokurator  Cestius  Gallus 
die  Stadt  menschenleer  fand:  sie 
waren  alle  zum  Fest  nach  Jerusa- 
lem gezogen!  Dass  neben  den  Be- 
wohnern von  Judäa  auch  die  Gali- 
läer  in  Scharen  kamen,  beweist  die 
von  Josephus  erwähnte  Zahl  von 
2000  Tiberianem,  die  von  der  Be- 
lagerung in  Jerusalem  überrascht 
wurden. 

Noch  der  Talmud  bringt  viele 
Hinweise  darauf,  dass  zu  Zeiten 
der  Herodianer  die  Diaspora-Ge- 
meinden Synagogen  und  Pilger- 
Hospize  in  Jerusalem  besassen.  Am 
Ophel  fanden  sich  die  Baureste 
mit  der  folgenden  griechischen  Vo- 
tiv-Inschrift  eines  solchen  „Touri- 
sten-Hotels": „Theodotos  der  Vet- 
tener,  Priester  und  Synagogenober- 
haupt... baute  diese  Synagoge  zum 
Lernen  der  Thora  und  der  Vor- 
schriften, sowie  das  Hospiz,  die 
Zimmer  und  Wasseranlagen  zur 
Beherbergung  derer,  die  ihrer  be- 
dürfen   die  aus  der  ^  emde   kom- 


BÜCHER 

in  sorgsamer  und  reichar 
Auswahl,  hebrtUacdi,  eng- 
lisch u.  deutsch,  neu  und 
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LANDSBERGEB 

Inh.  I.  S.  Farnes 

T.A.,   BEN   JEHUDA   STR.   9 

TEL.  563S0 


men."  Ins  Hebräische  übersetzt 
hiess  dieser  Parnes  wohl  Jonathan 
und  war  ein  Kohen.  Die  Tatsache, 
dass  sein  Vater  „Vettener"  war, 
lässt  die  Vermutung  zu,  dieser  sei 
durch  Pompe  jus  als  Sklave  nach 
Rom  mitgenommen,  dort  der  be- 
kannten römischen  Adelsfamilie  der 
Vettier  verkauft  und  später  freige- 
lassen worden.  Die  Theodotos-Syn- 
agoge  wurde  anscheinend  für  Gäste 
aus  Rom  erbaut.  Dass  es  mehrere 
derartiger  Diaspora-Hospize  gab, 
zeigt  an,  mit  welcher  Regelmässig- 
keit die  Juden  des  Auslands  zu 
den  Wallfahrtsfesten  nach  Jerusa- 
lem kamen. 

Die  Pilgerzüge  waren  innerhalb 
Erez  Israels  nach  Landesbezirken 
organisiert  und  erschienen  in  Jeru- 
salem zu  Fuss,  auf  Wagen  oder  auf 
Eseln  in  Kolonnen.  Sie  zogen, 
gleich  ihren  Brüdern  aus  dem  Aus- 
lande, unter  Führung  ihrer  Parnas- 
sim  und  Chasanim  singend  hinauf. 
Es  wird  angenommen,  dass  etwa 
die  .,schirej  hama'alot"  auf  diesen 
Wallfahrten  nach  Jerusalem  gesun- 
gen wurden.  Für  den  Psalm  122 
(„Ich  freute  mich,  als  man  zu  mir 
sprach:  zu  Seinem  Haus  wollen 
wir  gehen")  gilt  als  sicher,  dass  er 
beim  Anmarsch  auf  die  Heilige 
Stadt  angestimmt  wurde.  Die  Dia- 
spora-Wailfahrer  sammelten  sich 
(nach  Josephus)  an  bestimmten 
Sammelplätzen,  wie  z.B.  Nehardea, 
und  zogen  geschlossen  —  die  Ab- 
gaben ihrer  Gemeinden  mit  sich 
führend  —  nach  Erez  Israel.  Aus 
Westasien  dauerte  die  Fahrt  etwa 
zwei  Wochen.  Die  Gäste  aus  Ita- 
lien und  Griechenland  benutzten 
Schiffe,  deren  Ländeplätze  Akko 
und  Caesarea  genannt  werden. 

Die  Jerusalemer  Stadtväter  tra- 
fen jeweils  schon  Wochen  vorher 
die  erforderlichen  praktischen 
Vorbereitungen  für  die  Ankunft 
der  Auslandsgäste.  Vor  allem  muss- 
ten  die  Zufahrtsstrassen  nach  der 
Regenzeit  in  Stand  gesetzt  und  die 
Brunnen  repariert  werden.  Sehr 
wichtig  war  auch,  die  Mikwot  nah 
dem  Tempelplatz  zu  säubern,  denn 
für  Pilger  bestand  die  Vorschrift, 
etwa  eine  Woche  lang  vor  Betreten 
des  Tempelplatzes  mehrfach  zu  ba- 
den.  Diese   Mikwot   waren   zumeist 


aus  dem  Felsen  gehauen  und  mit 
Einstieg-Treppen  versehen,  wie 
man  sie  in  dem  erhaltenen 
„Bethesda "-Teich  nördlich  des  Tem- 
pelplatzes erkennen  kann. 

Bei  der  Ankunft  in  Jerusalem 
wurden  alle  Pilger  von  städtischen 
Repräsentanten  und  Leviten  be- 
grüsst.  Vermutlich  stellt  der  Psalm 
118  einen  der  Begrüssimgs-Dialoge 
vor  Jerusalems  Toren  dar.  Der  er- 
ste Besuch  jedes  Ankömmlings  galt 
natürlich  immer  den  Vorhallen  des 
Tempels.  Erst  danach  kümmerte 
man  sich  um  sein  Quartier.  Zwar 
besassen  PatrizierfamUien  Som- 
merhäuser und  Paläste  für  den 
Pessach-Besuch,  so  etwa  Herodes 
Antipas,  Agrippa  II.  und  die  be- 
rühmte Proselyten-Fürstin  Helena 
von  Adiabene.  Aber  die  Menge  war, 
soweit  nicht  in  einem  Gemeinde- 
Hospiz  versorgt,  auf  Nachtquartie- 
re angewiesen.  Ganze  Zeltstädte 
scheinen  zur  Festzeit  auf  den  Hö- 
hen imd  in  den  Tälern  um  Jerusa- 
lem entstanden  zu  sein.  Nach  ei- 
nem Midrasch  durfte  den  Pilgern 
kein  Geld  für  ihr  Nachtquartier 
abgefordert  werden,  doch  heisst  es 
dort  auch:  ,,Nie  sagte  einer,  ich 
fand  kein  Bett  in  Jerusalem."  Die 
Gäste  entschädigten  ihre  Wirte 
durch  Ueberlassung  der  Felle  der 
Opfertiere.  Neben  dem  Tempel-Be- 
such stellte  zweifellos  der  mit  Je- 
rusalemer Gastgebern  gemeinsam 
verbrachte  Seder-Abend  das  gröss- 
te  Erlebnis  für  die  Besucher  dar. 
Josephus  bemerkt  hierzu  in  den 
„Altertümern"  (IV,  8.7)  sehr  hübsch: 
,,Es  ist  schicklich,  dass  die,  die 
dem  gleichen  Volk  angehören  und 
nach  gleichem  Gesetz  leben,  einan- 
der persönlich  kennen  lernen." 

Die  Leviten  übten  strengste  Kon- 
trolle darüber,  dass  die  PUger  zum 
PessachOpfer  am  Tempel  rein  ge- 
waschen und  in  weisser  Kleidung 
erscliienen.  Das  Emährungspro- 
blem  für  die  Besuchermassen  löste 
sich  wohl  dadurch,  dass  sie  ja  alle 
Opfertiere  und  Früchte  mitbrach- 
ten. Die  Trinkwasserversorgung 
hingegen  muss  oft  Sorgen  bereitet 
haben.  Aber  auch  sie  hat  sicher 
die  Freude  der  WaUfahrt  nach  Je- 
rusalem  nicht   beeinträchtigt. 

ELI  ROTHSCHILD 


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Nr.  34 


MB  —  1.  September  1967 


Seite  3 


HANS  TRAMER 


Ismar  Elbogens  letzte  Werke  In  Neubearbeitung 


Dass  jüdische  Geschichte  nicht 
isoliert  gesehen  und  dargestellt  wer- 
den kann,  diese  Tatsache  gehört 
zu  den  Grundwahrheiten  histori- 
schen Forschens.  Überall  wo  Juden 
sich  aufgehalten  haben,  waren  be- 
sondere Zeitmotive,  politische  oder 
religiöse  Zustände,  die  jeweilige  in- 
nere und  äussere  Situation,  mate- 
rielle Bedingungen  massgebend  für 
die  Verhaltungsweisen  der  verschie- 
denen Bevölkerungsschichten,  ihrer 
wechselnden  Herrscher  oder  Regie- 
rungen den  Juden  gegenüber.  Das 
gilt  für  alle  Zeiten  der  Diaspora- 
geschichte und  natürlich  auch  für 
die  Geschichte  der  Juden  in  Deutsch- 
land. „Wer  sich  einmal  näher  mit 
ihr  beschäftigt  hat,  weiss,  wie  stark 
sie  die  allgemeine  deutsche  Ge- 
schichte widerspiegelt.  Die  Lage 
der  jüdischen  Minderheit  erhellt 
die  Widersprüche  und  Mängel  der 
jev/eiligen  Gesamtgesellschaft.  Wo 
immer  die  Juden  in  Deutschland 
zum  Grund  aller  Übel  erklärt  und 
zum  Ventil  für  Unzufriedenheit  imd 
Erbitterung  gemacht  worden  sind, 
müsste  es  auch  möglich  sein,  um- 
gekehrt, also  ausgehend  von  der 
Situation  der  Verfolgten,  die  den 
Judenhetzen  jeweils  zugrundeliegen- 
den allgemeinen  Misstände  zu  un- 
tersuchen." 

Diese    Sätze    sind    dem    Vorwort 
entnommen,    das    Eleonore    Sterling 
ihrer  Neubearbeitung  eines  Werkes 
von    Ismar    Elbogen    vorangestellt, 
das   Elbogen    1935   unter   dem   Titel 
„Die      Geschichte      der     Juden      in 
Deutschland"   geschrieben   und  her- 
ausgegeben   hatte.    Mit   Recht   hebt 
Eleonore  Sterling  hervor,  dass  die- 
ses Buch  Elbogens   „zu  den  Doku- 
menten des   geistigen  Widerstandes 
der  Juden  gegen  die  Gewalt  gehört". 
Als  Elbogen  an  die  Abfassung  die- 
ses  Buches    ging,    verband   er    eine 
ausgesprochen  pädagogische  Absicht 
damit,  er  wollte  den  Juden  im  da- 
maligen Deutschland,  zu  Beginn  der 
Nazizeit   zeigen,   dass   ihr   Schicksal 
selbst    im    Rahmen    ihrer    eigenen 
Geschichte    nicht    einmalig    ist.    Es 
ging  ihm  darum,  ihr  jüdisches  Ge- 
schichtsbewusstsein  zu  stärken  und 
ihren  Lebens-  imd  Durchhaltewillen 
anzulachen.  Das  Buch  v;ar  geschrie- 
ben worden  imter  den  Bedingimgen 
und  den  Voraussetzungen  jener  Zeit. 
Es  musste  die  Zensur  des  national- 
sozialistischen  Propagandaministeri- 
ums   passieren    und    konnte    daher 
manches   nur   zwischen   den   Zeilen 
deutlich  machen,  was  unter  anderen 
Verhältnissen     eine     klarere     Spra- 
che erhalten  hätte.   Auch  führte  er 
Toewusst    seine   Dar.stellimg   nur   bis 
zum  Ausbruch  des  er-sten  Weltkrie- 
ges,   weiter    wollte   —    oder    durfte 
er  wohl  nicht  gehen.  Wie  hätte  er 
auch    die    Wirren    der    Nachkriegs- 
zeit mit  den  vielen  nationalistischen 
Verbänden  und  ihren  verschiedenen. 
Putschen  beschreiben   sollen! 

Nun  hat  Eleonore  Sterling  eine 
■umfassende  Neubearbeitung  dieses 
Werkes  vorgenommen,  die  im  ver- 
gangenen Jahre  in  der  Europäi- 
schen Verlagsanstalt,  Frankfurt  a.M. 
herausgekommen  ist.  Wir  glauben. 
Professor  Elbogen  hätte  dieser  Neu- 
fassung seines  Buches  voll  zuge- 
stimmt. Nun  liegt  eifie  zwar  kurz- 
gefasste,  aber  die  entscheidenden 
Ereignisse  klar  wiedergebende  „Ge- 
schichte der  Juden  in  Deutschland" 
vor,  die  als  Lehr-  und  Hilfsbuch 
sicher  hervorragende  Dienste  lei- 
sten wird.  Mit  Recht  hat  es  Frau 
Sterlmg  für  vertretbar  gehalten, 
Elbogens  „zuweilen  recht  apologe- 
tische Ausführungen  fallen  zu  las- 
sen", wobei  bestimmend  war  ,,die 
Überzeugung,  dass  dieser  einsichts- 
"volle,  weltoffene  Gelehrte  wohl  sel- 


ber mit  der  jüngeren  Generation 
Schritt  gehalten  hätte".  Gewiss  hat 
Professor  Elbogen,  wie  wir  unse- 
ren Lehrer  kannten,  das  „jüdische 
Los"  auch  in  dem  Originalmanu- 
skript nicht  resigniert  hingenom- 
men, aber  damals  musste  er  wohl, 
um  überhaupt  sprechen  zu  körmen, 
so  manches  in  eine  noch  gerade 
haltbare  Form  bringen,  die  unter 
anderen  Umständen  eine  veränderte 
Gestalt  erhalten  hätte. 

Ismar  Elbogen  konnte  seiner  in 
der  Nazizeit  geschriebenen  und  her- 
ausgekommenen ,, Geschichte"  we- 
jder  Quellenangaben  noch  ein  Lite- 
h-aturverzeichnis  beifügen.  Beides 
jist  jetzt  von  Eleonore  Sterling  dem 
»Buche  angeschlossen  worden.  Vor 
allem  aber  hat  sie  das  nunmehr 
gemeinsame  Werk  um  zwei  Kapitel 
bereichert,  von  denen  das  eine  in 
einem  kurzen  übeblick  „Die  Wei- 
marer Republik"  behandelt,  wäh- 
rend das  andere  als  Abschluss  die- 
ser Geschichtsepoche  unter  Ver- 
wendung von  verlässlichem  stati- 
^stischem  Material  „Die  Vernichtung 
Vies  deutschen  Judentums"  skizziert. 
Es  sind  gut  geschriebene,  sich  an 
Elbogens  Stil  anlehnende,  tatsachen- 
reiche Absätze,  die  das  Buch  in 
jeder  Hinsicht  abrunden  und  zu 
einer  Einheit  bringen,  die  ihm  in 
seiner  Originalgestalt  notgedrungen 
fehlen  mussten.  Wir  begrüssen  die- 
se Neuherausgabe,  die  eine  sehr 
willkommene  und  bisher  fehlende 
Einführung  in  die  Geschichte  der 
Juden  in  Deutschland  darstellt.  Dass 
sie  nur  als  eine  Einführung  ge- 
dacht war,  hebt  auch  das  Titel- 
blatt  ausdrücklich   hervor. 

Diese   ,, Geschichte"  wa"  in  einer 
Zeit  ausserordentlicher  wissenschaft- 
licher,   allgemein    öffentlicher    und 
natürlich    auch    seelischer    Anspan- 
nung  des    Autors   verfasst    worden. 
Elbogen    hatte    ein    umfangreiches 
wissenschaftliches  V/erk  hinter  sich, 
ihn  zeichnete  eine  ungewöhnlich  er- 
folgreiche Lehrtätigkeit  aus,  die  ihn 
dank    seiner    Hilfsbereitschaft,    sei- 
ner steten  Sorge  für  seine  Schüler 
und    seines    grossen    Organisations- 
talentes    zum     eigentlichen     Haupt 
der     Hochschule     für     die    Wissen- 
schaft des  Judentums  machte.   Sei- 
ne Geltung  als  füiirender  jüdischer 
Historiker  stand  ausser  Frage.  1913 
hatte    er    sein    grundlegendes    Werk 
„Der   jüdische    (iottesdiensl    in    sei- 
ner    geschichtlichen     Entwicklung" 
herausgebracht,    das    1924    und    1931 
in   zweiter   und   dritter    Auflage   er- 
schien und  von   dem   ein  photome- 
chanischer Neudruck  19f)6  vom  Ver- 
lag   Georg    Olms,    Heidelberg    ver- 
öffentlicht wurde.  1919  entstand  sei- 
ne „Geschichte  der  Juden  seit  dem 
Untergang    des    jüdischen    Staates", 
die  mehrere   Autlagen   in  deutscher 
und    je    eine    in    schwedischer    und 
englischer     Sprache     erlebte.     Aber 
man   kann   seine   wissenschaftlichen 
Arbeiten    nicht    alle    aufzählen:    die 
Bibliographie    seiner    Schriften    bis 
zum  Jahre  1934  allein  umfasst  mehr 
als   300   Veröffentlichungen.   Ausser- 
dem war  er  Mitglied  der  Redaktion 
des  ,, Jüdischen  Lexikons",  einer  der 
drei    Herausgeber    der     ,, Germania 
Judaica"    und    mit    Jakob    Klatzkin 
zusammen  zeichnete  er  verantwort- 
lich für  die  neue  grosse   „Encyclo- 
paedia  Judaica",  die  leider  nur  bis 
zum     Buchstaben     "L"     fortgeführt 
werden    konnte.    Hinzu    kam    noch 
seine    Herausgebertätigkeit    für    die 
von    ihm    wieder    ins    Leben    geru- 
fene  „Zeitschrift   für   die  Geschich- 
te    der     Juden     in     Deutschland". 
Wahrlich    eine    ungeheuerliche    Ar- 
beitsleistung  für   einen   vielbeschäf- 
tigten   Hochschullehrer    und    einen 
aktiv   am   jüdischen   Leben   teilneh- 
menden   Gelehrten! 


1938,  im  Alter  von  64  Jahren, 
musste  Professor  Elbogen  seine 
Lehrtätigkeit  in  Berlin  aufgeben 
und  nach  Amerika  auswandern. 
Kurz  nach  seiner  Ankunft  in  New 
York  trat  Prof.  Alexander  Marx 
vom  Jewish  Theological  Seminary 
mit  dem  Vorschlag  an  ihn  heran, 
,,der  'Geschichte  der  Juden'  von 
Heinrich  Graetz  einen  Band  hin- 
zuzufügen, um  sie  bis  zur  Zeit  der 
Gegenwart  fortzufüliren".  Elbogen 
nahm  diese  Anregung  auf  und 
schrieb  ein  wissenschaftlich  fun- 
diertes, aber  in  seiner  Darstellung 
populär  gehaltenes  Buch,  das  1944 
—  leider  erst  nach  seinem  am  1. 
August  1943  erfolgten  Tode  —  in 
englischer  Sprache  unter  dem  Titel 
,,A  Century  of  Jewish  Life"  er- 
schien. Das  Werk  fand  in  USA 
einen  solchen  Anklang,  dass  1946 
eine   zweite   Auflage  herauskam. 

Von  diesem  Buch  lag  ein  voll- 
ständiges deutsches  Manuskript  vor. 
Ellen  Littman,  eine  Schülerin  El- 
bocens,  die  jetzt  am  Leo  Baeck 
Xüollege  in  London  lehrt,  hat  es 
sorgfältig  bearbeitet,  von  Anglizis- 
men gereinigt,  insbesondere  deut- 
sche Quellen  eingefügt,  die  das  für 
ein  englisch  sprechendes  Publikum 
vorbereitete  Original  nicht  enthielt, 
und  es  nun  unter  dem  Titel  „Ein 
Jahrhundert  jüdischen  Lebens.  Die 
Geschichte  des  neuzeitlichen  Juden- 
tums" publiziert  (Europäische  Ver- 
langsanstal, Frankfurt  a.M.  1967). 

»  Gewiss,  auch  dieses  Buch  ist 
noch  während  des  zweiten  Weltkrie- 
ges geschrieben.  Aber  welche  Wei- 
te der  Auffassung  besitzt  es,  und 
wie  weiss  Elbogen  seinen  Stoff  zu 
gliedern!  Allein  schon  die  Untertei- 
lung vermag  dem  Leser  einen  Be- 
griff- von,  dem  Gebotenen  zu  ver- 
mitteln. Das  über  750  Seiten  starke 
Werk  ist  in  fünf  grosse,  von  El- 
bogen „Bücher"  genannte  Ein- 
schnitte zerlegt,  die  er  ,,Das  Zeit- 
alter des  Liberalismus  1848—1880", 
,.Die  Internationale  des  Hasses", 
,,Die  jüdische  Renaissance",  „Die 
Welt  in  Unruhe"  und  „Der  erste 
Weltkrieg  imd  seine  Folgen"  nennt. 
Interessant  ist,  dass  er  in  dieses 
fünfte  Buch  „Hitlers  totalen  Krieg 
gegen  die  Juden"  nur  als  letztes 
Kapitel,  vor  einem  Kapitel  „Die 
nationale  Heimstätte  für  das  jü- 
dische Volk  in  Palästina"  einreiht. 
Einen  Nachteil  des  Buches  kann  man 
darin  sehen,  dass  es  fast  völlig, 
bis  auf  ganze  vier  Seiten,  das  Ju- 
dentum in  den  orientalischen  Län- 
dern unberücksichtigt  lässt  und 
sich  demnach  beinahe  ausschliess- 
lich mit  den  Juden  in  Europa  und 
in  der  Neuen  Welt  beschäftigt.  Viel- 
leicht ist  die  Hervorhebung  des 
,,ncuzeitlichen"  im  Untertitel  als 
ein  Hinweis  auf  diese  Beschrän- 
kung   zu    deuten.     Aber    wie    dem 


auch  sei,  dieses  ja  besonders  be- 
wegte Jahrhundert  jüdischen  Le- 
bens findet  in  diesem  Werke,  das 
über  fast  100  Seiten  Anmerkungen 
und  20  Seiten  Bibliographie  vei- 
fügt,  eine  ganz  hervorragende  Dar- 
stellung. Sie  wird  zu  einer  leben- 
digen,  ja   spannenden   Lektüre. 

Für  den,  der  Professor  Elbogen 
noch  aus  eigener  Schülerschaft 
kennt,  enthält  gerade  dieses  Buch 
einige  sehr  reizvolle  Partien,  die  die 
Aufgeschlossenheit  imd  Wandlungs- 
fähigkeit dieses  grossen  Gelehrten 
und  Forscners  beweisen.  Schon  das 
Kapitel  über  die  Emanzipation  in 
Mittel-  und  Westeuropa  hat  für  den 
aufmerksamen  Leser  eine  etwas  an- 
dere Nuancierung,  als  wir  das  frü- 
her an  ihm  gewohnt  waren.  Ganz  be- 
sonders tritt  das  aber  in  der  Dar- 
stellvmg  der  Lehre  Achad  Haams 
hervor.  Andererseits  hat  sich  sein 
Bekenntnis  zum  Aufbau  in  Erez  Is- 
rael nur  gefestigt,  er  war  immer 
für  das  Palästinawerk  eingetreten, 
jetzt  aber  fliessen  ihm  folgende 
Sätze  in  die  Feder:  „Palästina  ist 
das  einzige  Land  der  Welt,  wo  Ju- 
den als  Juden  ein  normales  Leben 
führen  und  normale  Leistungen 
vollbringen  können.  Die  allmähliche 
Herausbildimg  eines  selbstbewuss- 
ten  jüdischen  Typus  und  einer 
neuen  jüdischen  Kidtur  wird  einen 
wohltuenden  Eüifluss  auf  die  Dias- 
pora haben." 

Bewimdernswert  in  diesem  Bu- 
che, dessen  Niederschrift  in  den 
Jahren  1942  und  43,  also  zur  Zeit 
der  grössten  Nazisiege  erfolgte,  ist 
der  Glaube  Elbogens  an  die  Ueber- 
wüidimg  der  Barbarei,  wenngleich 
er  sich  auch  keiner  Täuschung  über 
das  Schicksal  der  Juden  in  Europa 
hingibt.  „Hitlers  Untergang  ist  über 
jeden  Zweifel  erhaben",  ruft  er 
aus.  Er  weiss  aber  auch,  welch 
schwere  Probleme  die  Nachkriegs- 
zeit aufgeben  wird,  soweit  es  sich 
um  die  Juden  handelt.  Er  weiss, 
wie  schwer  es  für  die,  die  die  Höl- 
le überlebt  haben  werden,  sein 
v/ird,  ..das  innere  Gleichgewicht 
v;iederzutinden,  um  zu  normaler 
Betätigung  zuiiickzixkehren".  Eins 
aber  steht  für  ihn  fest:  „Antizionis- 
mus  gehört  einer  vergangenen  Pha- 
i^e   der   Geschichte   an"! 

Wir  sind  Ellen  Littman  allen 
Dank  schuldig,  dass  sie  dieses  letzr 
le  grosse  Werk  Elbogens  bearbeitet 
imd  in  deutscher  Sprache  herausge- 
Jieben  hat.  Es  ist  eine  Fortsetzung 
der  grossen  Leistimg  von  Heinrich 
Grätz,  dessen  150.  Geburtstag  übri- 
gens in  dieses  Jahr  fällt,  das  ein 
grosses  Stück  jüdischer  Geschichte 
des  19  imd  20.  Jahrhundert  erhellt. 
Ellen  Littmann  hat  eine  Aufgabe 
erfüllt  und  glänzend  durchgeführt, 
die  wir  unserem  veiehrten  Lehrer 
schuldig  waren. 


^y^i^5  ^it€f^t%.^v^  JCtA^&t   1^t♦^^  Wuser^sch^h 


Ais  Auftakt  zur  internationalen 
Theaterwoche  in  Frankfurt  brachte 
das  Scala-Theater  aus  Stockholm 
das  neue  Drama  von  Peter  Weiss 
,,Der  Gesang  vom  Lusitanischen 
Popanz".  Es  handelt  sich  bei  dem 
mit  enthusiastischem  Beifall  auf- 
genommenen Werk  um  „elf  Gesän- 
ge", die  eine  Mischung  aus  Kaba- 
rett, Pantomime,  Spiel,  Tanz.,  Pa- 
rodie, Protestsong  und  Musical  dar- 
steilen. 


In    der    Berliner    Akademie    der 
Künsje     waren     Werke     des     Bild- 


hauers Alexander  Calder  zu  sehen. 
Die  über  200  Arbeiten  umfassende 
Ausstellung  wird  später  auch  im 
Israel-Museum  gezeigt  werden.  Cal- 
der, 1898  in  Pennsylvania  geboren, 
schuf  hauptsächlich  Mobiles,  Metall- 
plastiken imd  Drahtplastiken.  Auch 
eine  Reihe  von  „Stabiles",  bis  zu 
sieben  Metern  hohe,  lackierte 
Stahlplatten,  sowie  Holzskulpturen, 
Gouachen,  Teppiche  imd  Schmuck 
waren  in  die  Sammlung  aufgenom- 
men worden  und  sind  Beweise  für 
die  Vielseitigkeit  des  Künstlers,  der 
souverän  die  verschiedensten  Ma- 
terialien beherrscht. 


Seite  4 


MB  —  l.  September  19G7 


Nr.  34 


FRITZ  HAUENSTEIN 


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DER    GESCHMÄHTE    LUXUS 


Luxus  ist  IJebermut,  sagte  einer 
der  Wortführer  der  deutschen  Auf- 
klärung. Luxus  ist  der  Wegbereiter 
des  wirtschaftlichen  Fortschritts, er- 
klärte    ein     liberaler     Nationalöko- 
nom.    Zwischen     diesen     extremen 
Meinimgen  gibt  es  eine  Unzahl  von 
Ansichten  und  Definitionen.  Es  gibt 
so    viele,    weil    es    sich    um    eine 
höchst    relative    und    veränderliche 
Erscheinimg  handelt,  bestimmt  von 
der      geschichtlichen,      kultmellen, 
wirtschaftlichen,   politischen,    sozia- 
len  und   auch   von   der    geographi- 
schen Lage,  von  religiösen,  morali- 
cschen   und    weltanschaulichen    Vor- 
stellungen.   Darum    lässt    sich    der 
Luxus     nicht      präzise      definieren, 
nicht    einmal    für    eine    bestimmte 
Zeit   und  nationale   Situation.   Von 
Goethe,    der    einem    guten    Leben 
nicht   abgeneigt   war,   ist   der   Aus- 
spruch überliefert:    „Ich  hasse  den 
Luxus,    weil    er   die   Phantasie    zer- 
stört."'    Richard     Wagner     dagegen 
fragte:    „Ist  es  denn  eine  so  uner- 
hörte Fordenmg,  w^enn  ich  meine, 
das  bisschen  Luxus,  das  ich  leiden 
mag,  komme  mir  zu?"  Wagner  ver- 
stand unter  Luxus  wohl  etwas  an- 
deres    als     Goethe,     beide     hatten 
vom    Luxus    eine    andere    Vorstel- 
lung   als    der    moderne    Oekonom, 
der  nüchtern   feststellte:    Luxus   ist 
alles,    was    weder    zum    psysiologi- 
schen  noch  zum  sozialen  Existenz- 
bedarf  gehört.   Alle   drei,   der   Geg- 
ner des  Luxus,  der  Liebhaber  und 
der   Realist    in   der    Mitte    dachten 
an  den  individuellen  Luxus,  kaum 
an  den  öffentlichen,  den  staatlichen 
und  kommunalen,  den  gesetzgeberi- 
schen,   der    sich    im    letzten    Jahr- 
zehnt' mit  dem   Wohlstand  breitge- 
macht  hat. 

Professor  Emil  Staiger.  der  be- 
kannte Schweizer  Literaturgelehrte, 
erklärte  vor  kurzem  in  einem  auf- 
sehenerregenden Vortrag   gegen   ei- 
ne extreme  Richtung  der  modernen 
Literatur:    „Es    sind    —   nicht    aus- 
nahmslos,  aber   meistens  —  Zeiten 
des  Wohlstands  und  der  Ruhe,  in 
denen   der   demon  eimuni,   die  dä- 
monische  Langweile,   die   Verzweif- 
limg  an  allem  Leben,  gedeiht.  Der 
Nihilismus  ist,  in  erstaunlich  vielen 
Fällen      ein     Luxusartikel."     (Siehe 
MB   Nr.   3   vom   20.1.1967)    Es    gibt 
eben   nicht   nur   einen   materiellen, 
es  gibt  auch  einen  geistigen  Luxus. 
Die  Langeweile  wurde  auch  früher 
schon  als  Quelle  des   Luxus   ange- 
sehen. Vielleicht  kennt  Staiger  den 
dem  französischen  Philosophen  Hel- 
vetius    zugeschriebenen    Ausspruch: 
„Wenn    die    Affen    sich    langweilen 
könnten,    würden    sie    Menschen." 
Natürlich  kann  die  Langeweile,  wenn 
sie     reichlich    mit     Existenzmitteln 
ausgestattet  ist,  zur  Differenzierung 
und   Verfeinerung   der   Bedürfnisse 
und  der  Produktion  führen,  zu  bes- 
serer Lebensführung  materiellerund 
geistiger  Art.  Die  Langeweile  soll  für 
das,  was  die  Eigenart  der  Menschen 
ausmacht    und    für    seine    Fortent- 
wicklung   wichtig    ist,    nicht    unter- 
schätzt  werden.   Sie   kann  produk- 
tiv   sein.    Aber   die    leiblichen    und 
geistigen   Genüsse,    die   der    Reich- 
tum bietet,  scheinen  so  wenig  wie 
die    LangeweUe   die    dominierenden 
Kräfte     zu     sein,    die    den     Luxus 
schaffen    und    für    den    Fortschritt 
sorgen.  Das  wäre  ebenso  eine  Über- 
schätzung     wie     dio     Behauptung, 
dass  der  Krieg  der  Vater  aller  Dm- 
ge  sei. 

ES    GIBT    KEIN    EINDEUTIGES 
MASS   FÜR   DAS   NORMALE 

Sobald  sich  Kultur  bildete,  ge- 
sellte sich  dazu  auch  der  Luxus, 
das  heisst  ein  Konsum,  der  das 
durch  Bedürfnis  oder  Lebensnot- 
wendigkeit  gegebene  Mass  an  Auf- 


AUFWANDSTEUERN    UND    VERBOTE   DURCH    DIE    OBRIGKEIT 


wand  übersteigt.  Wer  aber  will  die 
Subjektivität    der     Bedürfnisse    er- 
gründen  und    die    Grenzen    bestim- 
men, wo  ein  Gut,  das  an  sich  nicht 
Luxus  zu  sein  braucht.  Luxus  wird? 
Zwischen  Notwendigem  und  Nicht- 
notwendigem  wird   die   Grenze   oft 
und  weit  verwischt    Als  die  Kartof- 
fel nach  Europa  kam,   galt  sie  als 
Luxus.  Der  Genuss  von  Kaffee  und 
Tabak  war  einmal   als  Verschwen- 
dung  verpönt;    Auto   und   Flugzeug 
waren   in   ihren   Anfängen   übermü- 
tige, gefährliche,  verschwenderische 
Spielerei.    Was    in    einem    reichen 
Land   als   notwendig    gilt,    kann    in 
einem  armen  Land  als  Luxus  ver- 
dächtig    sein.     Dem     Nichtraucher 
kann  der  Tabak,   dem   Gegner   des 
Koffein  der  Kaffee,  dem  enragier- 
ten  Fussgänger  das  Auto  heute  noch 
ein    Luxus    sein.    Der    Berufstätige, 
für  den  das  Auto  notwendiges  Ver- 
kehrsmittel ist,  wird  den  mit  allen 
komfortablen    Schikanen    ausgestat- 
teten   Strassenkreuzer    für    heraus- 
fordernde    Verschwendung     halten. 
Die    Grenzen    zwischen    normalem 
Konsum,     Luxus     und     Verschwen- 
dung ändern  sich  mit  der  Zeit,  sie 
ändern  sich  von  Land  zu  Land,  von 
Generation  zu  Generation  und  von 
Mensch  zu  Mensch.  Es  gibt  m  kei- 
ner Kultur  ein  emdeutiges  Mass  für 
das  normale,  für  das  luxuriöse  und 
für  das  verschwenderische  Leben. 

DIE   VERSCHWENDUNG 
IST   NICHT   AUSZUROTTEN 

So  ist  es  das  Schicksal  der  Aui^ 
wand-   und   Luxusgesetze,    dass    sie 
nicht   lange    leben.    Es   lohnte    sich 
nicht.   Die   alten   Aegypter    kannten 
schon    Gesetze    gegen    den    Luxus, 
die   alten   Inder   auch.   Sie   konnten 
weder    den    Luxus    noch    die    Ver- 
schwendung   ausrotten.    Die    römv^ 
sehen  Gesetze   gegen   den  Aufwand 
bei  Festen,  Hochzeiten,  bei  Leichen- 
begängnissen    wurden     alle     mehr 
oder   weniger  offen  umgangen.   An- 
tius   Restius   hatte   ein   Tischgesetz 
erlassen.    Danach    wagte    er    nicht 
mehr  auswärts  zu  essen,  um  nicht 
Zeuge    der    Uebertretungen    seines 
Gesetzes  zu  sein.  Cäsar  richtete  da- 
her   zur    Durchführung    seiner    lex 
Julia,    eines    Gesetzes    gegen    allen 
möglichen  Luxus,  eine  Spionage  der 
Tafelfreuden  ein. 


Das  Schicksal  der  Aufwandsge- 
setze,  auch  der  modernen  Rationie- 
rung, ist  nicht  nur  ihre  kurze  Dau- 
er, sind  nicht  nur  ihre  vielen  Aen- 
derungen  und  Verschärfungen,  son- 
dern vor  allem  die  Umgehung  und 
damit  der  Verlust  der  Staatsautori- 
tät. Darum  v/aren  alle  Aufwandsbe- 
schränkimgen  erfolglos.  Den  schwar- 
zen, den  grauen,  den  heimlichen 
Markt  gab  es  überall,  wo  kontin- 
gentiert wurde.  Kontingentierung 
und  Rationierung  schaffen  wie  Sub- 
ventionen Begünstigte  und  provo- 
zieren geradezu  den  verbotenen 
Aufwand,  die  ärgerliche  Verschwen- 
dung. 

HÜFTWEITE  AUF  ZWEI  ELLEN 
BESCHRÄNKT 

In  der  frühen  Renaissance  verbot 
ein  absolutistischer  Landesherr  die 
damals  bei  den  Frauen  sehr  belieb- 
ten Hinterpolster.  Zum  Ausgleich 
erlaubte  er  die  Hüftpolster  unter 
dem  Kleid.  Diese  wuchsen  so  ra- 
pid, dass  dann  die  ganze  Hüftwei- 
10  uul  zwei  Ellen  beschränkt 
wurde. 

Das  scheint  die  Wirkung  jeden 
Eingriffes  zu  sem,  wenn  Fürsten 
oder  Staaten,  ganz  gleich  aus  wel- 
chen Gründen,  aufwendiger  Lebens- 
führung zu  Leibe  gehen  wollten: 
Wird    Luxus    oder    verschwenderi- 


scher Aufwand  an  einer  Stelle  em- 
^edämmt.  bricht  er  an  anderer  her- 
vor   Vieles    was  uns  heute  bei  der 
Betrachtung    alter    Bilder    entzückt 
oder  kurios  dünkt,  war  zu  der  Zeit, 
da  es  Mode  war,  Objekt  obrigkeit- 
licher    Reglementierung.      In     den 
.Schockfarben"    kehrt   die   mittelal- 
terliche Mode  zurück,  sich  in  leuch- 
tenden Farben  möglichst  bunt  imd 
auffallend  zu  kleiden.  Die  unmässig 
langen,      zum      Teil      ausgestopften 
Schnabelschuhe  durften  nach  einer 
Verordnung   Philipps    IV.    bei   Adli- 
cren   zwei   Fuss,   bei   Bürgern   einen 
FUSS     (etwa    dreissig     Zentimeter), 
sonst    sechs    Zoll     (rund    fünfzehn 
Zentimeter)  nicht  überschreiten.  So 
war   alles,   was   den   Menschen   zur 
Dekoration  imd  zur  Differenzierung 
diente,         Halskrause.         Schmuck, 
Schleppe,       Reif  rock,       Hochzeiten, 
Tauten    und    Begräbnisse    Objekte 
mittelalterlicher  Gebote  und  Verbo- 
te   die  sogar  den  Reichstag  im   15. 
Jahrhundert      beschäftigten.      Diese 
und  die  absolutistischen  Anordnun- 
gen  waren   Nachfahren   der   abend- 
ländischen      Aufwandsbeschränkun- 
gen  Karls   des   Grossen,   Vorfahren 
der   modernen  Aufwandsteuern. 

Die    Aufwandgesetze    des    Mittel- 
alters und  der  Renaissance  wollten 
nicht    nur    den    Luxus    treffen,    sie 
wollten   vor   allem   die   ständischen 
Unterschiede    bei   der   äusseren   Le- 
bensführung   wahren.     „Der    Luxus 
im   Sinne   der   Ablehnung   zweckra- 
tionaler     Orientierung      des      Ver- 
brauchs   ist     für    feudale     Herren- 
schichten nichts  .Überflüssiges',  son- 
dern eines  der  Mittel  üirer  sozialen 
Selbstbehauptung"      (Max     Weber). 
Die   Luxussteuem  der  bürgerlichen 
Zeit  hatten  (und  haben)  vor  allem 
ein     fiskalisches     Ziel:     Sie     sollen 
dem  Staat  Emnahmen  aus  gehobe- 
ner   luxuriöser,  verschwenderischer 
Lebensführung    verschaffen,    zumal 
da  extravaganter  Konsum  nicht  nur 
auf  eine  leichte  Hand,  sondern  auch 
auf  höheres  Einkommen  schliessen 
lässt.  Die  Einkommensteuer,  dieses 
steuerpolitische    Klavier,    das,    rich- 
tig   gespielt     alle    Steuern    ersetzen 
könnte,  weil  jede  Steuer  doch  aus 
dem    Einkommen    bezahlt    werden 
muss.  hat  die  Luxus-  und  Aufwand- 
steuern zurückgedrängt.  Wo  es  eme 
wirksame     Einkommensteuer     gibt, 
rücken  die  Finanzmüiister  dem  Fei- 
ern üppiger  Feste  und  der  Freige- 
bigkeit bei  der  Bewirtung  mit  Steu- 
erprogression    und     Spesenordnun- 
gen   zuleib,    nicht    aus    ständischen 
Rücksichten    wie    das    Frankfurter 
Hochzeitsgesetz   von   1350,   das   aus- 
ser  den  Hausgenossen  noch   zwan- 
zig Gäste  einzuladen  erlaubte. 


Der     Liberalismus     machte     den 
Aufwandgesetzen  den  Garaus,  neigte 
aber    aus    fiskalischen   Gründen   zu 
Aufwand-  und  Luxussteuern,  wie  sie 
England  noch  in  der  Purchase-Tax, 
einer  Aufwandsteuer  auf  Luxusarti- 
kel   imd    nicht    lebenswichtige    Wa- 
ren   hat.    Adam    Smith    beschäftigt 
sich    in    seinem    berühmten    Buch 
über   die   Ursachen   des   Reichtums 
ausführlich   mit   den   Luxussteuem, 
aber  er  hielt  nichts  davon:  „Solche 
Steuern   nehmen   im   Verhältnis    zu 
dem     was    sie    in    die    öffentlichen 
Staatskassen  bringen,  mehr  aus  der 
Tasche    des    Volkes    heraus    als    ir- 
rendeine    andere    Steuer."    Damals 
hatte   die   Aufwandsbesteuerung    ih- 
ren Höhepimkt  erreicht.  In  der  Mit- 
te   des     19.    Jahrhunderts    rühmte 
Friedrich   List    den    Luxus    als    An- 
trieb   zur    Produktion,    zur    Steige- 
rung   der    Produktivität,    zur    Meh- 
rung   des    Nationalreichtums;    Auf- 
wandbeschränkung    käme    dagegen 

I 


nur  der  Trägheit  und  dem  Schlen- 
drian  zugut. 

FÜRSTLICHE     MANUFAKTUREN 
ALS  WEGBEREITER 

Mommsen  pries  die  soziale  Funk- 
tion des  Luxus,  der  nicht  reine  Ver- 
schwendung    ist:     „Der    grosstadti- 
sche  Luxus  macht  manche  fleissige 
Hand   reich  und   ernährt   mehr   Ar- 
me als  die  almosenspendende  Men- 
schenliebe."    Inzwischen    war     mit 
der  Industrie  die  Massenproduktion 
herangewachsen.     Werner     Sombart 
führte  viele  Fortschritte  der  freien 
Marktwirtschaft  auf  den  Luxus  zu- 
rück. Die  fürstlichen  Manufakturen 
bereiteten   der    Industrie   den   Weg. 
Die  Luxusindustrie  war  von  Anfang 
an  rationell  und  förderte  durch  bü- 
lige    Massenprodukte    den    sozialen 
Ausgleich.      Die      kommunistischen 
Staaten     bestätigen    ungewollt     die 
produktive     Leistung     des     Luxus, 
wenn    sie    den    Austausch   mit    den 
„kapitalistischen"     Völkern    suchen 
und  ihren  Bürgern  Güter  und  Lei- 
stungen gestatten,  die  über  das  Le- 
bensnotwendige    hinausgehen.     Sie 
fördern  in  ihrer  eigenen  Wirtschaft 
die   Produktion   der   Güter   des   ge- 
hobenen Konsums,  um  den  grauen 
Alltag  bunter  zu  machen. 

Von  August  Thyssen,  dem  Grün- 
der des  grossen  Konzerns,  wird  er- 
zählt, er   habe,   gefragt,   warum  er 
vierter    Klasse    fahre    —    bei    der 
Reichsbahn     gab     es     damals     vier 
Klassen    — ,    geantwortet:    Weil    es 
kerne    fünfte    gibt.    Das    mag    eme 
Legende  sein,  aber  sie  erinnert  an 
die    bürgerliche    Tugend   der    Spar- 
samkeit und  Bescheidenheit,  im  an- 
gelsächsischen     Puritanismus      zur 
Weltanschauung   erhoben.    In   unse- 
rer Zeit   gibt  es  gewiss  auch  noch 
Bescheidenheit,  aber  ebenso  häufig 
den  „demonstrativen  Konsum",  der 
gern    über    die    Verhältnisse    lebt, 
mehr   ausgibt,   als   ihm   zur   Verfü- 
gung steht. 

VOM  INDIVIDUELLEN  ZUM 
KOLLEKTIVEN  LUXUS 

Der    Luxus,    weniger    sozial    an- 
stössig  imd  ökonomisch  verdächtig, 
heute   gehobener  Aufwand  genannt, 
hat  sich  ausgebreitet.  Er  ist  m  alle 
Poren  des  Volkes  emgedrungen.  Wie 
arm  lebten  die  mittelalterlichen  Her- 
ren auf  ihren  Burgen  im  Vergleich 
zu    den    technischen    Mitteln    eines 
normalen    Haushalts    unserer    Zeit! 
Wie   gering   war   dort   die   Hygiene, 
wie  mühselig  Licht,  Feuer,  Heizung 
und   Wasser   zu  besorgen,   die   wir 
mit    einem    schnellen   Griff   herbei- 
zaubern.   Welche    Hausfrau    möchte 
heute  noch  in  der  Küche  Mozarts 
wirtschaften?      Das      Utility-System 
wurde  rasch  vom  Wohlstand  über- 
holt.     Was      in      der      Utility-Zeit 
noch  imerwünschter  Luxus  war,  ist 
zum    grössten    Teil    Massenkonsum 
und   Massenluxus   geworden,   Zeuge 
des    Wohlstandes.     Der    Luxus     ist 
nicht    mehr    einem    Stand    oder    ei- 
ner   Schicht    vorbehalten.    Es    gibt 
dafür  nur  noch  eine  Voraussetzung: 
das    nötige    Geld.    Die    Konjunktur 
dirigiert   wirkungsvoller   als   ständi- 
sche Aufwandgesetze  und  sozial  ge- 
meinte Luxussteuem  den  Aufwand. 
Sogar    mmitten    einer    Konjunktur- 
dämpfung wird  ausser  den  Investi- 
tionen  vor    allem   der    Luxusbedarf 
eingeschränkt,    der    in    den    Jahren 
zuvor    sich   breitgemacht   hatte,    in- 
dividuell und  kollektiv. 


Gibt  es  im  Wohlstand  überhaupt 
noch  individuellen  Luxus?  Natürlich 
gibt  es  ihn  noch,  am  lebensnot- 
wendigen Bedarf  gemessen  mehr 
denn  je.  Es  gibt  ihn  bei  solchem 
Vergleich  in  der  Wohnung  und  im 
Garten,  bei  der  Kleidung  und  beim 

(Schluss  S.  5) 


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67 


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Beginnt 


Posch  Haschanah 


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mit  einer 
guten  Tat! 


4^ 


Gebt 


•K*     f-,,'  ^V<»;=i/j 


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Emergency  Fund  des 
United  Jewish  Appeal 


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—  Bitte  ausschneiden  und  sofort  einsenden  — 


AUFBAU  U.J.A. 

2121  Broadway,  New  York,  N.  Y.  10023 


Hier   ist   meine  Rosch-Haschanah  Spende  für 
den  Israel  Emergency  Fund  in  Hohe  von  $ 


Name 


Street 


City 


Stau Zip  Cod« 

Bit!«  Schecks  ausstellen  auf:  •*UJ.A.  Emerfeney  Fund". 


I 
I 


^^ 


Eine  aufsei 

ö.tsr^^KUch*  —  aus  einer  Dls- 
ation  an  der  Universität  Zü- 
hervorgegangen  —  ist  ausser- 
lentlich  interessant.   Der  Ver- 
^^er   räumt   mit   der   Legende 
f,  dass  es  keine  jüdische  Ju- 
Ind   in  Deutschland   gebe   und 
SS   man  sich   daher   über   die 
[akunft  der  jüdischen  Gemein- 
haft   in    der    Bundesrepublik 
ine     Gedanken     zu     machen 
auche.     Laut    der    Mitglieder- 
atistik   der   Zentralwohlfahrts- 
Ue  der  Juden  in  Deutschland 
es  am  1.  Oktober  1963  bei- 
r^  23,000  registrierte  Juden  in 
Bundesrepublik,  unter  denen 
<li  ungefähr  4000  Personen  im 
er  bis  zu  20  Jahren  befanden. 
;n  diesen  waren  etwa  40-45'.' 
aelis,  30-35%   DP-Kinder,  und 
\25%  Kinder  ehemals  deutscher 
.ein    (abzüglich   der  in   Lsrael 
)orenen  und  aufgewachsenen 
Igendlichen).  Die  Kinder  deut- 
her    Eltern    sind    im    wesent- 
J^Y'i^    in   Norddeutschland,    die 
Li'^i^^cier  hauptsächlich  in  Süd- 
K5chland    konzentriert,    wäh- 
die   Israelis    überall    stark 
'TuPeten  sind.   Die  Israelis  neh- 
\\vn  sowohl  absolut  v;ie   relativ 
st'  ndig   zu   und  sind   heute   be- 
te .s  als  die  dominante  Gruppe 
usehen. 
im    Verlauf    der    eingenenden 
|Ui  tersuchung  des  Verfassers,  die 
lai .  eine  wohlausgewählte  Gruppe 
Vo!i   274   Knaben   und   Mädchen 
je:^  rundet  ist,  erscheinen  die  Is- 
ra  lisi  und  die  Deutschen  als  kon- 
tL.-tierende  Typen.  Das  typische 
Jild  der  DP-Kinder  ist  dagegen 
cliarf  gezeichnet.   Auf  Grund 
;ner  eigenen  Erfahrung  in  der 
nchner  Schulstudie,  sowie  auf 
;nd    der    Untersuchung    von 
Zippora  Pryjs  (welche  beide 
Druck   vorliegen)    muss    ich 
er    annehmen,    dass    die    DP- 
I Kinder    den    Israelis    ähnlicher 
sind    als    den    "Deutschen",    wo- 
durch die  Dominanz  des  Israeli- 
|lyps  zusätzlicli  verstärkt  werden 
irde. 

Durchgehend  stellt  es  sid^  Jier- 
dass    der    IsraeU-Tj^i^er 

er  den  Gegensatz  zwischen 
1  israelischen  Idealbild  und 
deutschen  Wirklichkeit  am 
:sten  empfindet.  Die  in  Is- 
.  aufgewachsenen  Jugond- 
[liciirn  verübeln  es  ihren  Eltern, 
da  sie  aus  einer  einheitlichen 
Gt :  ahl&welt  herausgerissen  und 
j  zu:  Anpassung  an  eine  befremd- 
und  häufig  als  verächtlich 


^nalyse 


« 


erscheinende  Umwelt  ge2jwun'gen 
wurden.  Bei  den  DP-Kindern 
wirkt  die  anti-deutsch^  Einstel- 
lung des  Elternhauses  in  der 
gleichen  Richtung,  aber  ohne  die 
Rückgratstärkung  durch  das  Is- 
rael-Ideal stellt  die  darin  bekun- 
dete ghettoistische  Tendenz,  wie 
der  Verfasser  richtig  bemerkt, 
lediglich  ein  Rückzugsgefecht 
dar.  Im  Gegensatz  hierzu  sind 
die  "deutschen"  Kinder  ausge- 
glichener, aber  eben  deslialb  der 
grösseren  Gefährdung  durch  As- 
similation ausgesetzt. 

Es  bleibt  übrig,  etwas  zur  Me- 
thode der  Untersuchung,  sowie 
zu  den  aus  den  Methoden  gewon- 
nenen Schlussfolgerujigen  zu  sa- 
gen. Die  schrlftliphe  Gruppen- 
befragung, die  derUntersuchung 


zugrunde  ^^vvj>^jp^»fwras 
sige  Auskuu^BlWsoziaLstatisti- 
sche  Gegebenheiten,  Familie  n- 
und  Berufssituation  der  Eltern, 
jüdische  Praxis,  jüdisches  Ler- 
nen, allgemeines  Schulwissen,  In- 
tegrierung in  die  nichtjüdische 
Umwelt,  Berufswünsche  und  der- 
gleichen, während  die  projekti- 
ven Techniken  (Zeichnungen 
der  Eltern  und  dergl.)  sowie 
"Attitude"'-Fragen,  wie  nach  dem 
"wichtigsten"  und  "hebsten" 
Land,  fragv,'ürdiger  erscheinen. 

Ich  fand  das  letzte  Kapitel,  in 
welchem  die  jungen  Menschen 
mit  ihren  eigenen  Worten  zitiert 
werden,  am  aufschlussreichsten. 
Da  zeigte  es  sich,  dass  in  der 
Fragebogenerhebung  eine  we- 
sentliche   Komponente    des    ju- 


festst^llungen  und  Erkenntnisse 
Hans.''tiebeschüfz:  Das  Judentum  im  deutschen  Geschichtsbild 
/  von  Hegel  bis  Max  Weber 

oeiiriftenreihe  wissenschaftlicher   mittelalterliche 


Geschichte     an 


rue. 

de 

isii. 

Ira* 


Abhandlungen  des  Leo  Baeck- 
Instituts,  Band  17.  Tübingen: 
J.  C.  B.  Mohr  1967. 

Im  Jahre  1830  schrieb  Jakob 
Burckhardt,  dass  das  Ende  der 
Epoche  des  liberalen  Optimis- 
mus durch  eine  kulturfremde 
JVLilitärdiktatur  abgelöst  werden 
würde;  das  Judentum  werde 
-feeine  weiüiin  sichtbare  Stellung 
fm  Zeltalter  des  ruchlosen  Opti- 
inismus  mit  der  Wiederentzie- 
hung seiner  bürgerlichen  Rechte 
bezahlen  müssen. 

Obgleich  Burckhardts  Äusse- 
rung nur  eine  private  Mitt-eilung 
war,  stand  doch  dahinter  eine 
sehr  bestimmte  Anschauung  von 
der  geschichtlichen  Stellung  des 
Judentums  als  des  ewigen  Aus- 
senseiters der  abendländischen 
Kultur.  Burckhardt  sah  in  den 
Juden  der  Gründer  jähre  die 
typischen  Vertreter  und  Förde- 
rer des  "ruchlosen  Optimismus". 
Vierzig  Jahre  früher  bereits  hatte 
er  erklärt,  dass  er  auf  den  Thea- 
terbesuch in  Berlin  lieber  ganz 
verzichte  als  den  Anblick  ües 
jüdischen  Publikums  mit  in  Kauf 
zu  nehmen.  —  Solche  Äusserun- 
gen werden  viele  jüdische  Ver- 
ehrer der  Werke  des  berühmten 
Basler  Historikers  befremden 
und  erschrecken.  Leider  ist  dies 
nicht  die  einzige  schmerzliche 
Erkenntnis,  die  die  Lektüre  die- 
ses Buches  vermittelt. 

Der    Verfasser,    Professor    für 


der  Universität  Liverpool,  früher 
an     der     Universität    Hamburg.  | 
nach  1933  an  der  Hochschule  für 
die  Wissenschaft  dos  Judentums 
Berlin,     untersucht     die     welt- 
anschaulichen    und    politischen 
Beweggründe,  die  der  Darstellung 
des    Judentums    in     der    deut- 
schen   Geschichtsschreibung    — 
von  Hegel.  Ranke,  Droysen,  über 
Mommsen,  Treltschke,  SylDel  bis 
zu  Eduard  Meyer  und  Max  We- 
ber —  zu  Grunde  liegen.    In  ein- 
zelnen Monographien  wird  jeder 
dieser   His'.toriker   in   seiner   gei- 
stigen  Entwicklung   geschildert; 
belebt    durch    die    Einflechtung 
menschlicher  Begegnungen,  wer- 
den  Idee   und   Person   zu   einer 
organischen  Einheit  verbunden. 
Ihre   individuellen   Unterschiede 
zeigen  sich  In  ihrer  Stellung  zum 
Alten  Testament.    So  wird  auch 
für    Hegel    das    Judentum    eine 
Religion    des    Unglücks,    da    die 
Unfreiheit   und   unbedingte    Ab- 
hängigkeit des  Menschen  auf  der 
Gottesidee  des  Alten  Testaments 
basiert.    Für  Ranke  ist  das  Alte 
i'estament"  die  klassische  Quelle 
für    das    Verhältnis    vom    Men- 
schenschicksal und  Weltsinn. 

Die  kritische  Beurteilung  der 
Bibel  als  literarisches  V/erk  un- 
ter Anwendung  wissenschaft- 
licher Methoden,  wie  sie  die 
Philologen  damals  entwickelten, 
wird  nun  selber  ein  Teil  der  Ge- 
schichtsschreibung. Die  Wissen- 
schaft  des   Judentums,   die   da- 


f^eukeiLs  iiiv-ht  gcnü 
gehoben  "^iirde,  näm- 
^dürfnis  der  Jugend, 
^  Zt  Enge  des  Scwiderdaseins 
herauszutreten  und  an  der  all- 
gemeinen Geschichtsfbewegung 
tätig  Anteil  zu  nehmen. 

In  diesem  Zusammenhang 
wäre  es  wichtig,  Berichte  über 
den  Eindruck  zur  Verfügung  zu 
haben,  den  die  Sympathiebekun- 
dung der  deutscnen  Jugend  für 
Israel  anlässllch  des  Israelischen 
Sechstagekrieges  im  Juni  1967 
auf  die  jüdische  Jugend  in 
Deutschland  gemacht  hat.  Die 
Erfahrung,  dass  Deutschland 
nicht  mehr  "Feind",  sondern  ein 
neugewonnener  Verbündeter  ist, 
muss  neue  Fragestellungen  und 
neue    Antworten    hervorbringen. 

Ich  bin  nicht  der  Meinung 
des  Verfassers,  dass  Psycho- 
analyse das  Problem  lösen  wird. 
Die  Lösung  wifd  geschichtlich 
sein.  Manche  jüdische  Jugend- 
liche werden  nach  Israel  gehen, 
andere  werden  in  Deutschland 
bleiben  —  "vorübergehend"  — . 
aber  für  eine  lange  Zeit.  Hitlers 
Absicht,  das  deutsche  Judentum 
ganz  und  gar  zu  vernichten,  wird 
die  Erfüllung  versagt  bleiben. 
Werner  J.  Cahnman. 


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♦  Walter  W.  Jacob  Oppenheimer: 
Jüdische  Jugend  in  Deutschland. 
München,  Juventa  Verlag,  1967. 

maLs  begann,  ist  dieser  deut- 
schen Methodologie  verpflichtet, 
daher  untersucht  Liebeschütz 
die  Geschichtswerke  von  Geiger 
und  Graetz  in  ihrer  Abhängig- 
keit von  den  deutschen  Histori- 
kern des  frühen  19.  Jahrhun- 
derts. Bewunderungwürdig  die 
Präzision  und  Gedrängtüieit  mit 
der  hier  Geigers  "Urschrift"  zu- 
sammengefasst  und  seine  Bedeu- 
tung für  die  Wissenschaft  einst 
und  jetzt  abgewogen  wird. 

Zusammenfassend  bleibt  die 
Erkenntnis,  dass  trotz  vieler 
freundschaftlicher  Beziehungen 
der  Historiker  zu  einzelnen  jüdi- 
schen Persönlichkeiten  dem  Ju- 
dentum die  Anerkennung  als 
gleichiberechtigte  Religion  fast 
immer  versagt  und  dem  unge- 
taufte#  Juden  die  Zulassung 
zum  Staatsdienst  ausnahmslos 
verweigert  wird.  Dieser  Verwei- 
gerung schliesst  sich  selbst  der 
sonst  den  Juden  so  wohlgesinnte 
Kirchenhistoriker  Gfrörer  an,  un- 
geachtet seines  Ausrufs:  "Wann 
wird  die  Gesetzgebung  anfliören, 
die  Juden  als  weisse  Neger  zu 
behandeln!" 

Der  Verfasser  ist  der  Auffas- 
sung, dass  erst  seit  Treitschke 
Ideen  undBew^egungen  der  histo- 
rischen Schule  entstanden,  die 
zu  treibenden  Kräften  der  Hit- 
ler-Epoche wurden.  Aber  gehen 
die  Wurzeln  dieses  Übels  nicht 
doch  bis  auf  Hegel  und  Ranke, 
selbst  auf  Humboldt  zurück?  Die 
Überzeugung  von  der  Notwendig- 
keit der  Vormachtsstellung  des 
Staates  gegenüber  dem  Indivi- 
duum ist  allen  diesen  Historikern 
—  mit  der  Ausnahme  von  Burck- 
hardt —  gemeinsaan.  Es  ist  die 
preussisch  -  deutsche  Machttradi- 
tion, die  im  Historismus  ihre  mo- 
ralische Rechtfertigung  fand. 
Helmut  Galliner. 


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J" 


Die  Odyssee  einer  Mesusa 
Eine  25  Zentimeter  lange  und 
fünf  Zentimeter   breite   Silber- 
Mesusa,  die  ein  russischer  ö"""'- 
zier  bei  der  Eroberung  Bj 
in  einem  Museum  fand 
seine     Heimat     mitnahn 
nach    langjährigen    Berti 
gen,  einen  würdigen/ 
sie     zu     finden,     deK 
Museum   in   Jerusalem   h 
ben  worden.  Die  prächt* 
mentierte  Mesusa,  derer 
mentrolle    und    Schrij 
sehrt  blieben,  ist  vor  f 
in    Russland    angcfff 
den. 


bücher'über   die    \üdhl 
Gemeinden  Deutsch!ani.| 

Über  die  zahlreichen  Veröff , 
lichungen  der  letzten  Ja< 
über  die  Geschichte  jüdisc^j 
Gemeinden  und  Gemeinde\ 
bände  Deutschlands  bis  zur  Ii\j 
ler-Ära,  hat  der  "Aufbau"  mel  ' 
fach  ausführlich  berichtet;  di 
meisten  dieser  Bücher  und  Dai 
Stellungen,  an  denen  im  allge '^ 
meinen  die  Stadtverwaltungen 
und  Stadtarchive  aktiv  mitwir- 
ken, wurden  im  "Aufbau"  aus- 
führlich rezensiert,  und  kürzlich 
konnte  auch  eine  freilich  unvoll- 
ständige Gesamtliste  dieser  Bu- 
cher abgedruckt  werden. 

Nunmehr  legte  unser  Mitarbcl 
ter  E.  G.  Lowenthal  im  XI.  Jahr- 
buch   des   Leo   Baeck   Instituts. 
London  1966,  in  englischer  Spra 
che  eine  detaillierte  Würdigung; 
dieser     Flut     historischer     Vei 
öffentlichungen  vor,  unter  deir 
Titel  "In  the  Shadow  of  Doom 
Post-War  Publications  on  JewLsh 
Communal  History  in  Germany". 
die    allen    unseren    Lesern    an- 
gelegentlich empfohlen  sei. 

WIE  WIR   HÖREN 

Moshe  Favor,  der  frühere  lang 
jährige    Pressechef    der    Israel' 
Mission  in  Köln,  hat  David  Ben- 
Gurions    soeben    in    hel^r--   ^ler 
Sprache  erschiep^^  '*^e 

mit     arabi^L— •  ^  '■■  -^ 

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S-tung  Nr.  143/144 


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Der  klassenbewußte  Proletarier  / 


Ein  Porträt 
in  memoriam 


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In  der  Zeit  zwischen  dem  Ersten  Weltkrieg  und  heute 
sind  charakteristische  Gestalten  unseres  gesellschaftlichen 
Lebens  verschwunden.  Der  bisher  letzte  in  der  Reihe  ist 
der  klassenbewußte  Arbeiter  oder,  wie  er  sich  nannte,  der 
Proletarier.  Dichter  haben  den  Paria  der  aufkommenden 
Industriegesellschaft  besungen,  die  Karl  Henckell,  Ludwig 
Scharf  und  Bruno  Schönlank,  Gerrit  Engelke  und  Richard 
Dehmel  vor  dem  Ersten  Weltkrieg,  später  die  Johannes  R. 
Becher,  Heinrich  Lersch,  Paul  Zech  und  Ludwig  Rubiner. 
Hauptmann  hat  ihn  für  die  Bühne  entdeckt,  die  Reihe  der 
Erzähler  von  Max  Kretzer  bis  Anna  Seghers  für  den  deut- 
schen Roman.  Und  die  Expressionisten  um  Heinrich  Vogeler 
aus  Worpswede  predigten  nach  dem  November-Umsturz  von 
1918  den  „Prolet-Kult"  als  Versuch  eines  pathetisch-eksta- 
tischen —  und  wohl  auch  verkrampften  —  Kunst-  und 
Theaterstils  im  Zeichen  einer  visionären  Menschheitsdäm- 
merung, den  am  wenigsten  der  Prolet  begreifen  wollte, 
begreifen  konnte. 

Worüber  sich  Vater  und  Großvater  lustig  machten,  über 
die  bürgerliche  Welt,  ihr,  der  freilich  gleichfalls  veränder- 
ten, sucht  die  jüngere  Generation  sich  anzugleichen.  Das 
Geld  ist  ihr  nicht  mehr  lockender  Feind,  den  es  zu  über- 
winden gilt,  sondern  willkommener  Helfer,  um  zu  den  sicht- 
baren Attributen  gehobener  Stände  zu  gelangen,  gesehen 
aus  dem  Blickwinkel  des  Bild-  und  Anzeigenteils  der  illu- 
strierten Blätter.  Was  Großvater  und  Vater  in  Harnisch 
brachte,  die  politisch-geistige  Lethargie,  hat  wieder  um  sich 
gegriffen.  Politik,  Parteipolitik  ist  vielen  Spiegelfechterei, 
dahinter  erst  Entscheidungen  fallen.  Man  besitzt  weder  Idol 
noch  Glauben,  man  hält  sich  an  den  Ecklohn. 

Von  Tatsache  und  Ursache  dieses  Wandels,  an  dem  die 
im  Vergleich  zu  Kaiserreich  und  Weimarer  Republik  weit- 
aus besseren  Lebensverhältnisse,  auch  die  Erfüllung  lang- 
jähriger  sozialpolitischer   Forderungen    einen    erheblichen, 
aber  keinesfalls  ausschließlichen  Anteil  haben,  ist  wiederholt 
die  Rede  gewesen.  Hier  interessiert  etwas  anderes:  Mit  dem 
klassenbewußten  Proletarier  ist  von  uns  —  so  paradox  es 
sich  anhören  mag  —  ein  Romantiker  geschieden,  ein  gläu- 
biger Mensch,  den  die  Epoche  der  Maschine  geboren  hat. 
Es  lohnt  sich  deshalb,  sein  Bild,  sein  Idealbild,  nachzu- 
zeichnen, die  Uhr  noch  einmal  zurückzudrehen!  Im  Äußeren, 
in  der  dürftiglässigen  Kleidung  glich  der  deutsche  Arbeiter 
etwa    dem    nordfranzösischen,    dem    norditalienischen    von 
heute;  Kragen,  Krawatte  und  Aktentasche  mit  Thermos- 
flasche waren  Kennzeichen  der  Leute  vom  Büro.  Sein  Klas- 
senbewußtsein ist  als  Antwort  auf  das  der  anderen  Schich- 
ten zu  verstehen,  die  auf  Hand-  und  Lohnarbeit  gering- 
schätzig herabsahen.  Was  er  zu  bieten  hatte,  seiner  Hände 
Fertigkeit,  seiner  Muskel  Kraft  —  diese  Ware  wurde  auf 
dem  „Arbeitsmarkt"  zu  niedrigsten  Preisen  gehandelt.  Stets 
überwog  das  Angebot  die  Nachfrage.  Die  gesellschaftliche 
Rangordnung  hatte  sich  längst  eingespielt,  als  der  Indu- 
striearbeiter sie  störte,  als  er  die  schwarzen  Fabriken  und 
schwarzen   Vorstädte   zu   füllen   begann.    Für   ihn   gab   es 
außerhalb  der  Fabrik  keinen  Platz,  nicht  in  der  Bürger- 
stadt, nicht  in  der  Schule,  nicht  in  einer  Liedertafel;  selbst 
in  der  Kirche  sah  man  ihn  lieber  vor  oder  nach  dem  feier- 
lichen Hochamt,  zu  dem  sich  die  Honoratioren  einfanden. 

* 
Lo  formte  sidi  in  ihm  unter  dem  Druck  der  Negation 
Dsitives  Selbstbewußtsein,  ent2t?ind  um  ihn  herum  eine 
geschlossene  Welt  mit  eigenem  Sittenkodex,   eigener 


vfl-.-. 


'prnnflif"if>rT^  — 


ein  Stück  des  jungen  Brecht  oder  das  Klassenkampf-Thea- 
ter Erwin  Piscators,  das  der  elegante  Berliner  Westen  der 
Weimarer  Zeit  als  prickelnde  Abwechslung  empfand.  Und 
Karl  Marx?  Er  wurde  —  ähnlich  wie  Freud  oder  Spengler 
—  von  Freund  und  Feind  mehr  zitiert  als  gelesen. 

• 
In  der  Küche  mit  der  Bettstelle  in  der  Ecke,  den  Win- 
deln überm  Herd  und  dem  Zank  um  Wochengeld  und  Un- 
termieter finden  wir  ihn  über  ein  Buch  des  Fürsten  Kro- 
potkin  gebeugt  von  der  gegenseitigen  Hilfe  im  Tier-  und 
Menschenreich,  der  den  Staat  durch  freie  Gemeinschaften 
ersetzen  wollte;  über  die  popularphilosophischen  „Welträt- 
sel",  einos  Buchschlagers  aus  der  Feder  des  monistischen 
Naturforschers  Ernst  Häckel;  über  die  Schrift  von  Friedrich 
Engels  vom  Sozialismus  als  Wissenschaft;  über  Franz  Meh- 
rings  antidynastischer  Geschichte  der  Befreiungskriege  oder 
die  Volksausgabe  des  damals  so  aufsehenerregenden  Werkes 
von  Dr.  August  Forel  über  Geschlechtsleben,  Ehe  und 
Sexualmoral  „Die  sexuelle  Frage".  Ebenso  bevorzugte  er 
die  naturwissenschaftlichen  Schilderungen  Wilhelm  Bölsches 
und  Bruno  H.  Bürgeis,  die  Reisereportagen  des  Egon  Erwin 
Kisch  oder  Erinnerungen  wie  die  der  Zaren-Attentäterin 
Wera  Eigner,  dann  Romane  etwa  von  Heinrich  Mann,  Emile 
Zola,  A.  N.  Tolstoi,  Upton  Sinclair  und  Blasco  Ibafiez,  und 
die  Dramen  Schillers.  Etwas  bunt  durcheinander  füllten 
diese  und  andere  Autoren  sein  schmales  Bücherbrett  —  und 
seinen  Kopf.  Nicht  zu  vergessen  die  zahllosen  Flugschriften, 
deren  Verfasser  ihn  über  Darwinismus,  Freidenker,  Straf- 
rechtsreform, Papsttum,  religiösen  Sozialismus,  Emanzipa- 
tion der  Frau  und  Friedrich  Nietzsche  aufklären  wollten! 
Wissen  ist  Macht,  hatte  man  ihm  in  den  Versammlungen 
eingehämmert,  und  mit  dem  Eifer  des  von  den  Gütern  der 
Bildung  Ausgeschlossenen  suchte  er  sich  all  der  Schätze  zu 
bemächtigen. 

Wieviel  Zeit  blieb  trotz  der  langen  Arbeitswoche!  Sie 
reichte  zum  Beiträge-Kassieren.  Spenden-Sammeln,  Flug- 
blätter-Verteilen  und  zum  Niederschreiben  von  Sitzungs- 
protokollen mit  ungelenker  Hand.  Zwischendurch  berauschte 
man  sich  mit  anderen  Tausenden  bei  einer  Kundgebung, 
wenn  auf  dem  rotdrapierten  Rednerpodium  der  sozialdemo- 
kratische Parteidiktator  August  Bebel  stand  oder  Gustav  Lan- 
dauer, der  Prediger  des  sozialistischen  Anarchismus,  oder 
die  leidenschaftliche  Kommunistin  Klara  Zetkin,  das  Feuer 
der  Liebe  und  des  Hasses  schürend  mit  gewaltiger  Beschwö- 
rergabe. In  solchen  Glutöfen  der  Hochstimmung  schmolzen 
die  Individuen  zur  brodelnden  Masse  zusammen  und  gin- 
gen neu  geformt  und  gebrannt  daraus  hervor. 

In  der  Regel  gehörte  er  einer  Arbeiterpartei  an,  deren 
es  mehrere  gab  und  die  sich  mit  dem  Haß  feindlicher  Brü- 
der befehdeten,  oder  einem  revolutionären,  einem  freigei- 
stigen Bunde.  Eifervoll  diente  er  „der  Partei",  ihr  weltan- 
schauliches und  ökonomisches  Programm  war  ihm  Kate- 
chismus. Ihretwegen  verbrachte  er  halbe  Nächte  in  General- 
versammlungen und  Ausschußsitzungen,  wo  es  keineswegs 
so  ritterlich,  so  edel  zuging,  wie  es  die  hehren  Menschheits- 
thesen in  den  Aufrufen  zum  Ersten  Mai  hätten  vermuten 
lassen.  Mitunter  kam  er  zornig  nach  Hause,  ergrimmt  über 
die  Politik  seines  Bezirksvorstandes,  enttäuscht  über  irgend- 
einen von  ihm  Gewählten,  dessen  innere  Verfassung  und 
äußeres  Gehabe  sich  mit  dem  bezahlten  Amt  zu  ändern 
begannen.  Mehr  als  einmal  mußte  er  der  Einsicht  wehrej 
daß  Menschen  auch  der  eigenen,  der  auserwählten  Kit 

Nehmen  seliger  machte  ?4s  Geben.  I'i  seiner  Treuo  zu  Pf 


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fner  politischen  Philosophie  ies  Vierten  Standes,  er- 
von  abtrünnigen  Geistern  dar  Aristokratie  und  des 
?gertums,  die  den  dumpf  Dahinlebenden  aufrüttelten 
!md  ihm  die  Botschaft  vom  besseren  Leben  in  einer  klas- 
'  senlosen  Gesellschaft  der  Gleichheit  und  Brüderlichkeit  ver- 
kündeten. Die  Kameraden,  die  Kumpels  wurden  aus  den 
Schankstuben  geholt  und  die  Halbwüchsigen  aus  den  Kinos, 
rasch  vermehrten  sich  Arbeitervereine  für  Turnen  und 
Wandern,  Singen  und  Theaterspiel;  in  den  abendlichen  Bil- 
dungskursen der  Gewerkschaft  trafen  sich  im  doppelten 
Sinne  des  Wortes  Aufgeweckte.  Der  Spottname  Prolet  wurde 
Ehrentitel,  der  Gemiedene  begann  seinerseits  alles  Bürger- 
liche und  Modische  zu  meiden,  ja  zu  verachten.  Er  fühlte 
sich  Künder  eines  neuen  Geschlechts,  er  hörte  die  Signale 
zum  letzten  Gefecht. . . 

Wer  aufwuchs  wie  er,  mußte  mißtrauen.  Er  glaubte  an 
Christus  und  mißtraute  den  Priestern;  er  glaubte  an  die 
Maschine  und  mißtraute  ihren  Herren;  er  glaubte  an  Wis- 
senschaft und  Menschenrechte  und  mißtraute  Professoren 
und  Richtern;  er  glaubte  an  das  geschriebene  Wort  und 
mißtraute  den  Journalisten;  er  glaubte  an  den  Geist  und 
mißtraute  den  Intellektuellen.  Allüberall  witterte  er  die 
Macht  des  Kapitals  und  den  zerstörerischen  Einfluß  des 
Geldes. 

Obgleich  er  sich  für  materielle  Forderungen  schlug,  für 
höheren  Lohn,  Achtstundentag,  Sozialisierung  von  Banken 
und  Industrie,  Altersversorgung,  Enteignung  des  Groß- 
grundbesitzers, Recht  auf  Arbeit,  war  er  Idealist,  wenn 
auch  kein  friedfertiger.  Er  neigte  mitunter  durchaus  zur 
Gewalttätigkeit.  Er  ging  auf  die  Straße,  um  zu  bekennen, 
zu  drohen,  zu  streiken;  er  beherrschte  sie  sdiließlich,  und 
nur  die  Polizei  machte  sie  ihm  gelegentlich  streitig,  und 
in  den  letzten  Jahren  der  Weimarer  Republik  taten  dies 
außerdem  die  Formationen  der  SA  und  des  Stahlhelms. 
Wörter  aus  dem  Sprachschatz  des  Manifests  flössen  in  sein 
Umgangsdeutsch  ein:  Menschheit,  Volk,  Opfer,  Solidarität, 
Morgenröte,  Knechtschaft,  Freiheit,  Verrat,  Genosse,  Ge- 
meinschaft —  unschwer  läßt  sich  mit  diesem  Vokabularium 
der  Festartikel  seines  Blattes  schreiben.  Erfüllt  von  der 
Sendung  des  Vierten  Standes,  trieb  ihn  die  Überzeugung, 
von  der  Geschichte  dazu  bestimmt  zu  sein,  der  Mensdiheit 
das  verlorene  Paradies  zurückzugeben.  Für  ihn  war  der 
Mensch  gut  und  nur  durch  die  sozialen  Verhältnisse  zeit- 
weilig schlecht. 

Nicht  gleiches  Recht  bei  gleicher  Leistung,  sondern  „Glei- 
ches Recht  für  alle"  hieß  eine  der  Parolen.  Zwar  sind  die 
Dummen  und  Dumpfen,  die  Flachköpfe,  Saumseligen  und 
Trägen  über  den  ganzen  gesellschaftlichen  Fächer  hinweg 
ziemlich  gerecht  verteilt;  zwar  läßt  sich  nicht  die  Ungleich- 
heit der  Menschen,  wohl  aber  die  der  Startbedingungen  des 
einzelnen  korrigieren  —  doch  Parolen  sollten  Massen  ent- 
flammen. Und  die  von  der  Gleichheit  zündete. 

Dieser  Proletarier  holte  sich  sein  Wissen  nicht  nur  aus 
Versammlungen  und  Vorträgen  —  er  las  auch.  Allein,  was 
las  er?  Eine  mannigfaltige  Literatur  steht  vor  uns,  eine 
Literatur  teils  volkstümlich  aufklärender,  teils  wissen- 
schaftlich doktrinärer  Art,  aggressiv  gegen  Schulwissen- 
schaft, Schulphilosophie  und  Schulmoral.  Auch  unterein- 
ander fochten  die  Führer  und  Theoretiker  hitzige  Geistes- 
duelle durch,  um  Geschichtsdeutung  und  Entwicklungspro- 
gnosen, um  Zukunftsstaat,  Parteiprogramme  und  Wirtschafts- 
systeme. Ausgehend  von  Friedrich  Engels  und  Karl  Marx 
einerseits  und  deren  anarchosyndikalistischem  Gegenspieler 
Michael  Bakunin  andererseits,  hatten  sich  Fronten  und 
Gruppen  gebildet.  Doch  der  Federkrieg  um  Theorien  wurde 
mehr  über  seinen  Kopf  hinweg  ausgetragen,  erreichte  ihn 
in  der  Rejel  ebensowenig  wie  Hauptmanns  „Weber"  oder 


•.iiiä  j?  ui*ruiig^  opraCii  eiWTriü  ivi>.3Li^aj^sTiT^7^nu^c7T^?r 
oh  und  oft  schöner  Worte  hohlen  Klang. 

Der  namenlose  kleine  ehrenamtlidie  Funktionär  hatte  s1 
der  „Sadie"  verschrieben.  In  deren  Dienste  ging  er  auf7 
Besessenheit,  Beschränktheit  und  Intoleranz  sind  Merkmale 
einer  jeden  Glaubensgemeinsdiaft,  die  sich  durchsetzen  will. 
Vernunft,  besser  gesagt  Vernünftigkeit,  die  Bereitschaft, 
eigene  Glaubenssätze  anzutasten,  hemmt  den  Schwung, 
schmälert  die  Überzeugungskraft,  bedroht  die  Symbole  in 
ihrer  suggestiven  Wirkung. 

„Brüder  zur  Sonne,  zur  Freiheit,  Brüder  zum  Lidite 
empor. . ."  Wie  sollte  ein  solcher  Menschentypus  Dichter 
nicht  faszinieren!  Er  marschierte  in  wogenden  Kolonnen  für 
eine  Idee  und  wußte  sidi  Millionen  über  Grenzen  hinweg 
verbunden.  Er  war  bereit,  für  die  nächste  Generation,  für 
die  neue  Welt,  für  seine  neue  Welt  zu  opfern.  Und  mancher 
verdarb  in  Gefängnissen  und  Zuchthäusern,  und  mancher 
starb  für  Glauben  und  Fahne.  Wilhelm  L.  Kristl 


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Süddeutsche  Zeitung  Nr.  246 


Das  polifcche  tf/ 


I»er  «Icutsclie  Ifleiiseli  und  seine  erste  Repnb 


Kurt  Sontheimcr:  Antidemokratisches  Denken  In  der 
Weimarer  Republik  —  Die  politischen  Ideen  des 
deutschen  Nationalismus  zwischenl918  und  1933.  Nym- 
phenburger  Verlagshandlung.  München.  408  Seiten, 
Leinen  40  DM. 

Als  unlängst  das  geschmacklose  Buch  „Ich  war 
Tucholskys  Lottchen"  erschien,  entging  den  meisten 
Kritikern  die  eigentliche  Pointe  dieser  Neuerschei- 
nung. Sie  liegt  in  einem  Satz  Tucholskys,  '  ^r  am 
30.  8.  1927  in  der  Weltbühne  stand.  Er  lautet:  „Und 
es' kann  einer  etwas  für  den,  der  ihn  ausschlachtet." 

Wie  für  Tucholsky  ist  dieser  Satz  aucli  in  bezug 
auf  die  Menschengruppe  wahr,  auf  die  der  streit- 
lustige Publizist  ihn  ursprünglich  gemünzt  hatte: 
die  Innenkünstler,  die  Jungkonservativen,  die  Bun- 
dischen und  neukatholischen  Mystiker  der  zwan- 
ziger Jahre,  kurz  jene  Veranstalter  von  „Seelen- 
lärm" (Brocli),  die  sich  dann  plötzlich  im  Magen  der 
Hitlerei  und  ihres  Reidies  wiederfanden. 

Der  Aufsatz  ist  überschrieben  „Der  deutsche 
Mensch",  und  enthält  außer  der  Feststellung,  daß 
Hermann  Hesse  der  Humor  abgeht,  eine  Auseinan- 
dersetzung mit  dem  nationalen-völkischen-jugend- 
bewegten  Innenrummel,  die  in  wenigen  Sätzen 
vorwegnimmt,  was  eine  lange  Reihe  von  Autoren 
seitdem  in  wissenschaftlicher  oder  publizistisdicr 
Absicht  auch  herausgefunden  hat:  „Nie  zuckt  der 
deutsche  Mensch'  so  zusammen,  wie  wenn  man  ihn 
fragt  weldiem  Zweck  denn  der  vielzitierte  Spek- 
takel' in  seiner  Seele  eigentlich  diene  . . .  Dies  aber 
ist  deutsch:  Daß  dieser  unendliche  Innenrummel 
Selbstzweck  ist;  Selbstzweck  jene  Wandlungen  und 
Verkündigungen   der   Wandlung:   Selbstzweck   die 


Bünde  undSpaltungen;Selbstzweck  dieBckenntnisse 
und  die  Ableugnungen  —  Selbstzweck  das  Prunken 
mit  Neurosen,  das  Verstecken  von  Neurosen, 
Selbstzweck  Leidenschaften,  innere  Stürme,  neue 
Romantik."  Tucholsky  fügt  hinzu,  daß  dieser  deut- 
sche Mensch  fast  immer  reaktionär  oder  von  Re- 
aktionären mißbraucht  sei.  Das  stimmt,  gilt  aber 
entsprechend  auch  für  die  ästhetisch-genüßlichcn 
\  Blähungen,  die  linke  Autoren,  zum  Beispiel  Tu- 
tcholsky  in  manchem  schauderhaften  Gedicht,  von 
«ich  geben  und  gaben. 

Das  jüngste  Buch,  das  diesen  Komplex,  der  sich 
selbstbefriedigenden  Deutschheit  darstellt,  ist,  um 
das  gleich  vorwegzunehmen,  die  gründlichste  und 
ausführlichste  von  allen  vergleichbaren  Abhand- 
lungen. Kurt  Sontheimer,  Professor  an  der  Freien 
Universität  Berlin,  hat  das  Phänomen  in  drei 
Hauptabteilungen  gegliedert:  1.  Politischer  Irratio- 
nalismus, 2.  Antidemokratische  Ideen,  3.  Verstrik- 
kung  in  die  Politik. 

Im  ersten  Hauptteil  wird  nach  allgemeiner  Cha- 
rakterisierung des  Anti-Intellektualismus  und  sei- 
nes „neuen  Denkens",  das  zum  erheblichen  Teil  als 
Ausfluß  popularisierter  Lebensphilosophie  erscheint, 
die  deutsche  Staatsrechtslehre  der  V/eimarer  Zeit 
speziell  untersucht.  Das  Kapitel  geht  von  der  all- 
gemeinen Verfassungsskepsis  aus,  schüdert  den 
Kampf  um  das  richterliche  Prüfungsrecht  und  zeigt 
dann,  wie  der'  inhärente  Nationalismus  zu  einer 
neuen  Staatsrechtslehre  drängt  und  dabei  die  Ver- 
fassung schwäclit.  Carl  Schmitt  und  Rudolf  Smend 
erhalten  Sonderabschnitte.  Das  haben  sie  auch  ver- 


dient. Als  weiteres 
genannte  „Kriegserl 
schung  von  feudale 
Erstaunen,  die  sich 
ließ.  Hier  scheint  mi 
Beurteilung  des  E 
Masochistische,  das  i 
lebnis"  zutage  trat,  e 

Die  antidemokrati 
Hauptteil  gewidmet 
aus,  was  antidcmokr 
trifft    die    verständi 
kratisch  heißen  soll, 
fassungsstaat    von 
demokratische  Link 
tracht.    So    wird    zu 
Selbstverständnis,    d 
Kritik    und    schließl 
analysiert. 

Das    Selbstverstänl 
enorme  Leistung,  w 
geht.  Selten  hat  jem 
sich  gehabt,  und  no 
aussetzungen.  Nicht, 
nalbolschewisten,  De 
lutionäre  lauter  Höh' 
was  Sie  sidi  unterschi 
trifft   genau    den    Pu 
Linie  waren  sie  alle  i 
teles  sagen  würde,  mi 
Kernstück  des  Uberze 
der  Bildung  von  Geda 


mcnt  erscheint 
",  jene  merkwij 
nncrung  und  f 
ut  literarisch  v 
der  Autor,  wi 
Jünger,  das 
ikettieren  mit  di 
unterschätzt. 


Ideen,  denen  de 
etzen  eine  Definit 

heißen  soll.  Sonl 
ntscheidung,    daß 
dem  repräsentativ 
ar    entspricht.    Die^ 
ibt  absichtlich  außi 
it    das    antidcmokr 

die    antidemokra 
die    positive    Zielse 


erweist     sich     als 
ic  Selbsteinschätzungj 
ine  so  hohe  Meinung' 
lltener  auf  so  fladien 
diese  Vöikisdien,  N; 
rationalen,  Nationalrt 
13  gewesen  wären;  al 
1^(1  gegenseitig  vorv^eri 
;  VV^iditigtuer   ohne   !.Ii 
I  tendcr,  und  wie  Ar  ist 
^sGcfühlen,  die  nicht 
;;(S  sind,  stärker  als  n1 
:ctten. 


Die  Schweiz  im  Welticries 


Ton  Kimche:  General  Guisans  Zweifrontenkrieg.  Ver- 
lag UllsJem,  Berlin-Frankfurt-Wien.  231  Seiten,  22  Ab- 

bildungen  und  2  Karten,  Leinen  12,50  DM. 
Die  schweizerische  Verfassung  erlaubt  nur  im 
Falle  eines  nationalen  Notstandes,  einen  Ober- 
befehlshaber für  die  gesamte  Armee  aufzustellen. 
Dieser  Fall  trat  zum  zweiten  Male  in  der  Sdiweizer 
Geschichte  ein,  als  das  Parlament  am  30.  August  1939, 
zwei  Tage  vor  dem  deutschen  Einmarsch  in  Polen, 
Henri  Guisan,  den  Kommandanten  eines  Armee- 
korps zum  General  wählte.  Das  kleine  Land  doku- 
mentierte mit  dieser  Wahl  und  der  darauffolgen- 
den Mobilisierung,  daß  es  ihm  ernst  war  mit  der 
Verteidigung  seiner  Neutralität  und  Souveränität. 
Hitlers  Wut  darüber  war  nur  die  Bestätigung,  daß 
Anlaß  bestand,  gewappnet  zu  sein. 

Freilich  war  damit  die  Gefahr  nicht  gebannt. 
Während  die  vergleichsweise  nur  geringe  und  vage 
Bedrohung  der  schweizerischen  Souveränität  durch 
französische  Truppen  zumindest  nach  dem  Frank- 
reichfeldzug nicht  mehr  bestand,  schwebte  das 
Damoklesschwert  einer  deutschen  Aggression  buch- 
stäblich bis  in  die  letzten  Kriegstage  über  dem 
Land.  Als  die  Wehrmacht  an  allen  Fronten  bereits 
geschlagen  war,  drohte  noch  die  Gefahr,  daß 
deutsche  Truppen  und  eine  Anzahl  Naziführer  in 
den  Alpen  einen  letzten  Verzweiflungskampf  füh- 
ren und  die  Schweiz  in  diese  „Festung"  einbeziehen 

könnten. 

Auch  General  Guisans  widitigster  Verteidigungs- 

gesiditspunkt   betraf   eine   Alpenfestung.    Als   die 

Sdiweiz    nadi    Frankreidis    Niederlage    von  ,den 

^disenmächten  umschlossen  war  und  es  sa^uss.-^^J=»- 


einem  Reduit,  einer  Schanze,  auszubauen,  hinter 
der  er  die  Souveränität  schlimmstenfalls  verteidi- 
gen wollte.  Der  demonstrative  Akt  des  „Rütli- 
Rapports",  zu  dem  der  General  seine  Offiziere  am 
25.  Juni  1940  auf  der  berühmten  Waldwiese  über 
dem  Urner  See  versammelte,  wurde  zum  äußeren 
Zeichen  für  die  innere  Entschlossenheit. 

Guisan  war  sich  im  klaren,  daß  er  nicht  nur 
Deutschland  die  Zähne  zeigen,  sondern  daß  er 
gleichzeitig  auch  manchen  vorsiditigen  Gemütern 
unter  den  eigenen  Landsleuten  Mut  einflößen 
müsse.  Daß  ihm  dies  durch  so  lange  Kriegsjahre 
hindurch  gelungen  ist  —  keineswegs  immer  in 
vollem  Einverständnis  mit  den  Bundesräten  — ,  ist 
sein  großes  Verdienst  und  trug  ihm  jene  legendäre 
Verehrung  ein,  die  die  Schweiz  noch  heute  für  ihn 
hegt.  Guisans  Name,  schreibt  der  Verfasser, 
„wurde  mit  dem  gleichen  Ton  von  Stolz,  Vertrauen 
und  eigenartiger  Zuversicht  ausgesprochen,  den  die 
Engländer  nur  für  Winston  Churchill  gebrauchten". 
Als  „der  General,  der  Adolf  Hitler  überlistete",  ist 
Guisan  (gest.  1960)  in  die  Geschichte  eingegangen. 

Breiten  Raum  in  Kimches  Buch  nimmt  das  Spiel 
der  Nachrichtendienste  in  der  Schweiz  und  die  mit 
ihnen  verquickten  obskuren  Bemühungen  um 
Kapitulationsverhandlungen  gegen  Kriegsende  zwi- 
schen SS-General  Wolff  und  Allan  Dulles  ein.  Ob- 
wohl Kimche  diese  Affäre  und  die  damit  verbun- 
dene Verhinderung  einer  Zerstörungsaktion  in 
Norditalien  beinahe  in  Form  einer  spannenden 
Story  niedersdireibt,  ist  er  auch  hier  um  Sachlich- 
keit fesmüht.  Verdienstvoller  ist,  daß  es  Kimche 
^,  an  Hand  eines  Porträts  von  General 


Das  macht  der  leseil\rteste  Teil  des  Budi 
vollkommen  klar.  Wediier  antiliberale  Staats 
gedanke,  noch  der  Ruf  |\i  dem  Führer,  noch  di 
Reichsvisionen  und  dasyede  von  Volk,  Gemein 
Schaft,  Entscheidung,  Ohismus,  nationalem  So 
zialismus  kamen  über  i  Zustand  der  Selbst- 
berauschung hinaus.  Sonimer  schließt,  daß  diese 
Los-von-Weimar-Beweg;  eigentlich  politisch 
„verstridU"  worden  sei.  der  Tat  hat  sie  nichts 
als  sich  selber  geleistet,  is  war  ein  bißdien  zu- 
wenig fürs  20.  Jahrhundc 

Das  antidemokratischeenken  war  aber  nicht, 
wie  Sontheimer  am  Encneint,  „ein  verhängnis- 
volles Mißverständnis  ü  die  wahren  Erforder- 
nisse der  deutschen  Situin".  Es  war  schon  eher, 
wie  Tucholsky  formulierein  „Gesellschaftsspiel" 
Ein  Spiel,  angeführt  vorner  verlotterten  Klass 
von  Intellektuellen,  ein  iel,  bei  dem  man  nich 
sein  darf,  was  man  ist:  Ti  muß  das  Vaterland  in 
Munde  führen  und  zugli  sein  Recht  mit  Füßei 
treten.  Man  muß  die  airen   heimatlosen  Intel 
lektuellen   schimpfen   uidarf  sich  unter  keine/ 
Umständen     im     politisn     Alltag     die     Hand 
schmutzig  machen.  Kur 
Verständnis  bescheiniger 
sich  selber  verstehen  wo 
Der  Denktyp,  den  dies 
heute  noch  nidit  ausges 
Analyse  kann  helfen,  ih 
wenn  er  nicht  kurierbar 


muß  der  Welt  Un^^^ 
f  selber  doch  bk\osS^J 


docn  DU\os=;is' 

t,    '.t  au^ifvCl 
prs  klu: A.    ' 


schreibt 
theimers  klu :/!^^. 
^erkennen,  au  \\^ 
Harry  Prc 


Alle*^ 


i' 


Afrika  —  heute.   Jahrl 
Gesellschaft.     Verlag 
Köln.  468  Seiten;  geheft«^ 


tvV. 


^^1 


Seite  10 


Das  pq 


Franz  Jostcf  Ntrauß  -  «^iii  T^iius«  iiiiüivrci'  Zeit? 


Erich  Kuby /Eugen  Kogon/Otto  von  Loewenstern/Jür- 
gen  Seifert:  Franz  Josef  Strauß  —  Ein  Typus  unserer 
Zeit.  Verlag  Kurt  Desch,  München.  381  Seiten,  Lei- 
nen 16,80  DM. 

Das  ist  ein  Sammelband  mit  interessantem,  in 
einem  Fall  sogar  hervorragend  lesenswertem  In- 
halt —  aber  ein  Buch  ist  es  nicht.  Nun  erleben  wir 
das  ja  immer  häufiger:  Daß  aus  einem  aktuellen 
stofflichen  Anreiz  und  dem  Bedürfnis  der  Drucker- 
presse soldie  librunculi  gezeugt  werden,  mehr  zu- 
sammengestellt als  geschrieben,  wofür  im  vorlie- 
genden Fall  der  artige  Euphemismus  steht,  daß 
das  Werk  „von"  Erich  Kuby  „mit"  den  drei  ande- 
ren verfaßt  sei.  Das  merkwürdig  Instrumentale 
dieses  „mit"  findet  seine  Ergänzung  darin,  daß 
zwei  starke  Absdinitte  —  knapp  ein  Drittel  des 
Ganzen  —  überhaupt  verfasserlos  sind:  Auszüge 
aus  Reden  von  Strauß  und  aus  Zeitungsäußerun- 
gen über  ihn.  Überdies  stellt  sich  der  Beitrag  von 
Seifert  gleichfalls  als  dokumentarisch  heraus:  als 
eine  äußerst  prägnante  und  intelligente  Chrono- 
logie der  Spiegfel-Affäre,  und  der  von  Loewen- 
stern  als  eine  Neuredigierung  der  seinerzeit  in  der 
Zeit  erschienenen  Strauß-Reportagen.  Steht  und 
fällt  also  alles  mit  Kubys  einleitendem  Essay, 
denn  Kogon  —  aber  davon  später. 

Wie  so  oft  bei  Kuby  ist  sein  Versuch,  in  Strauß 
einen  „Typus  unserer  Zeit"  darzustellen,  aus  einer 
persönlidien  Haßliebe  also  ein  Stück  Geschichts- 
sdireibung  und  die  Attitüde  des  Historikers  her- 
zuleiten, ein  wunderliches  Gemisch  aus  glänzend 
formulierten  Beobachtungen  und  breit  ausgewalz- 
ten und  verschnörkelten  Binsenwahrheiten;  aus 
blitzartiger  Erleuchtung  und  langnachgrollendem 
Vorgefaßtem-Meinungs-Donner;  aus  keckem  pole- 
mischen AperQu  und  vollkommener  Konfusion. 
Man  muß  allen  Ernstes  annehmen,  daß  dieser 
hochbegabte  Mann  den  unerläßlichen  Schlußstein 
seiner  Begabung  entweder  nie  empfangen  oder  zu 
erwerben  verschmäht  hat:  die  Selbstkontrolle  und 
Selbsterkenntnis,  daß  keiner  von  uns  nur  gute 
Stunden  hat.  Er  schreibt  auch,  so  scheint  es,  wenn 
ihm  nichts  einfällt,  und  hält  es  für  gleich  gut  und 
gleich  wirksam,  weil  er  auch  beim  geschriebenen 
Wort  an  die  Macht  der  Improvisation  und  des  rhe- 
torischen Elans  glaubt.  Es  macht  ihm  nichts  aus, 
sich  mit  früheren  eigenen  Meinungsäußerungen  in 
Widerspruch  zu  setzen  —  siehe  das  positive  mit- 
unter schier  sehnsüchtige  Bild,  das  er  jetzt,  mit 
Strauß  kontrastierend,  vom  einst  so  verketzerten 
Adenauer  entwirft.  Er  findet  aber  auch  nichts  da- 
bei, sich  im  gegenwärtigen  Essay  von  einer  Seite 
zur  anderen  zu  widersprechen,  Behauptungen  mit 
Argumenten  zu  belegen,  die  mit  der  Behauptung 
eher  windschief  laufen,  oder  (S.  54)  treuherzig  zu 
schreiben:  „Die  Behauptung  wird  in  zweifacher 
Hinsicht  Verwunderung  und  Widerspruch  wecken", 
die  damit  in  Aussicht  gestellte  Erläuterung  aber 
schuldig  zu  bleiben. 

Das  ist  oft  amüsant  und  immer  sympathisch  un- 
befangen, aber  eine  übei'zeugende  Abhandlung  — 
und  nun  gar  über  ein  so  singuläres,  wieselflinkes 
Zoon  Politikon  wie  Strauß  —  bringt  man  so  nicht 
zustande.  Das  kann  man  nur  klassifizieren,  wenn 
man  es  zunächst  einmal  mit  eiskalter  Objektivi- 
tät als  Geschöpf  eigener  Art  beobachtet  und  re- 
spektiert, und  nur  zu  fassen  bekommen,  wenn  man 
ihm  als  jenem  Wesen  anderer  Art  fremd  und 
gleichsam  ei'staunt  gegenübersteht;  wenn  man  es 
nicht  einmal  im  Haß  in  sich  hat.  Kuby  sagt  völlig 
richtig,  Straußens  zwei  tödliche  Mängel  (bei  höch- 
ster Intelligenz  und  vollendet  dosiertem  Charme) 
seien  seine  Verdammnis,  die  Welt  nur  unterm 
'Freund-Feind-Gesichtspunkt  sehen  zu  können,  und 
seine  „sdUechte  Menschenkenntnis  gegenüber  ihm 
fremden  Vy 
Mangel  V«'   M^n 

„die  spezii^— ::. 


meisten  entsprechen,  „unmittelbar  Macht  über 
Menschen  auszuüben"  —  wenn  wir  ergänzen  dür- 
fen: Mit  der  Unmittelbarkeit  einer  derzeit  auf  dem 
parlamentarischen  Mehrheitswege  allein  zu  errei- 
chenden Machtposition  in  der  Regierung.  Dem 
allen  zum  Trotz  aber  schießt  Kuby  kurz  vorher 
einen  Purzelbaum  und  behauptet  schlankweg,  folg- 
lich sei  Strauß  der  Typus  des  Managers  und  Funk- 
tionärs. Aus  der  richtigen  Beobachtung,  daß  Strauß 
in  der  „Liftsituation"  von  1946  sofort  erkannt  habe, 
es  gelte,  gleichgültig  auf  welchem  Felde,  etwas 
,, aufzubauen",  weil  die  öffentliche  Meinung  , .prak- 
tischer Arbeit"  eher  zustimmen  werde  als  dem- 
jenigen, „von  dem  man  annimmt,  er  denke  nach" 
—  aus  dieser  trefflichen  Beobachtung  zieht  Kuby, 
von  soziologischen  Modebegriffen  verwirrt,  den 
Schluß,  Strauß  sei  ein  mit  delegierter  Macht  zu- 
friedener, seinen  Auftraggebern  ergebener  Funk- 
tionärstyp.  Und  da  ihn  das  doch  selber  stutzen 
macht,  fügt  er  als  Gegengewicht  den  Demagogen 
hinzu  und  glaubt,  ohne  überhaupt  zu  merken,  wie 
sehr  die  beiden  Begriffe  auseinanderstreben,  mit 
solcher  Amalgamierungskunst  einen  Typus  be- 
zeichnet zu  haben. 

Das  Demagogische  bei  Strauß  glaubt  jeder  un- 
besehen. Aber  ist  es  wirklich  demagogisch?  Ver- 
wechselt Kuby  nicht  Demagogie  mit  Opportunis- 
mus, wenn  er  die  sattsam  bekannten  Ausrutscher 
und  Unstimmigkeiten  in  Straußens  Reden  über  die 
Jahre  hinweg  anführt?  Es  handelt  sich  fast  aus- 
schließlich um  Zweckerklärungen  vor  in-  und  aus- 
ländischen politischen  und  parlamentarischen  In- 
stanzen eines  engeren  Zirkels,  nicht  aber  um  die 
Strauß    von    Kuby    nachgesagte    Kontaktaufnahme 
mit  „der  Straße",  mit  dem  plebiszitär  einzuspan- 
nenden Volk.  Hätte  Strauß  die  gesucht,  so  hätte 
er  Bücher  geschrieben  und,  wie  Hitler,  einen  lite- 
rarischen Appeal  in  sein  Auftreten  gebracht.  Das 
aber  kann  Strauß  sein  ärgster  Feind  nicht  vorwer- 
fen. Wahr  ist  vielmehr,  daß  sein  Gradus  ad  Par- 
nassum  auf  der  Klaviatur  der  Mehrheits-  und  In- 
teressendemokratie   vonstatten    geht,    wenn    auch 
nicht,  wie  bei  Adenauer,  streng  nach  der  Klavier- 
schule Bisping-Rose,  sondern  mehr  mit  dem  tita- 
nischen Tastenanschlag  eines  d'Albert.  Dies  ist  so- 
gar, was  besorgte  Gemüter  an  Strauß  am  gefähr- 
lichsten finden  könnten:  Daß  er  nicht  etwa  als  Ge- 
salbter  des   Volks,    sondern    streng    pragmatisch- 
legal,  von   Hausmacht    über    Koalitionsmacht    zu 
Allmacht  aufsteigen  möchte. 

Und  nun  noch  Kogon.  Sein  Beiti^ag  „Verteidigung 
unserer  Möglichkeiten"  ist  hervorragend.  Nur:  Er 
hat  zum  angeblichen  Gegenstand  des  Buchs,  zur 
Person  und  typischen  Geltung  von  Strauß,  schlech- 
terdings nicht  die  geringste  Beziehung.  Es  sei  denn. 


man  suchte  diese 

Kogon  seinen  Bej 

Buch  geschrieben 

jeder  in  Betracht 

entgegengesetzter 

ganzen  ebenso  sei 

Das  wäre  wieden 

sich      auseinander] 

rückblickende    wie 

weltpolitischen  La^ 

könnte  aber  eben;^( 

liebigen  anderen  B^ 

seine  Zuversicht, 

auf   dem   deutschen] 

Feuersgefahr  besteh! 

gen.  Vor  allem  auf  \ 

rung"    Deutschlands! 
kleineren      Ländern! 

Sprünge  verbiete.  So| 

zwischen  den  USA  u| 

aus  folgende  Agreen\ 
ßendem  Bedürfnis  nJ 

sehen  beiden  Blöcken! 
gon  in    einem    Rüdclj 

Waffenstillstand  von 
auch  die  Ungarnkrise] 
sogar  die  Berliner  M] 
haltepolitik  ein,  mit 
tor.   Auch  vom    deuts^ 
de  Gaulles  Einzelgäng( 
erwartet  sich  Kogon 
da  die  Bonner  Kanzle] 
zösische   Präsidialstaat 
seien,  keine  Systeme. 

Da  ist  nichts  von  Kul 
vergleichlich     mehr     Lc 
Schluß  auch    SofortvorsI 
unserer  Möglichkeiten". 
Autorität  und  Qualitäts\l 
lamente.  Ein  zweiter  die] 
einer  politischen  Bastion 
wirksame     Hochburg     irJ 
Ein  dritter  die  entschlosl 
von   Sonder-,    etwa    von 
An  der  Analyse  wie  an  d« 
ches  allzu  forciert-optimij 
tung,  es  gebe  nach  dem  1< 
stoßlegende;  das  blinde  VJ 
sehen  Angaben    über    diel 
Rechtsradikalismus;  das  et 
Freiheitlichkeit  und  intere 
keit  der  Gewerkschaften. 
Optimismus  dieses  Mannes! 
ein  offizieller  Begütiger,  i| 
Der  Verlag  sollte,  wenn] 
ist,   den  Beitrag   von   Seifd 
und  den  von  Kogon  als  Soil 
läge  herausbringen,  das  übri 


'all 


in  der  11 


".      „Man     kann      diesen      partiellen 
LSChenkenotnl«".     i-tth,t     K^f  ^f:„  *^?^ 


Gerhard  Schulz:  Zwischen  Demokratie  und  Diktatur — 
Verfassungspolitik  und  Reichsreform  in  der  Weimarer 
Republik  (Band  1:  Die  Periode  von  der  Revision  des 
Bismarckschen  Reichsaufbaus  1919—1930).  Walter  de 
Gruyter  und  Co.,  Berlin.  678  Seiten.  Leinen  56  DM. 

Hinter  dem  nichtssagenden  Titel  verbirgt  sich 
eine  der  interessantesten  Studien  über  die  Wei- 
marer Republik,  die  in  den  letzten  Jahren  erschie- 
nen ist.  Gerhard  Schulz,  bekannt  geworden  durcli 
seinen  Anteil  an  den  großen  Standardwerken  „Die 
Auflösung  der  Weimarer  Republik"  und  „Die 
nationalsozialistische  Machtergreifung",  untersucht 
hier  das  Verhältnis  von  Reidi  und  Ländern  in  den 
Jahren    1919   bis    1930.    Ein    zweiter   Band    soll   dann 

Hi#»    rjlslcussion    um    die    Reichsrefor-m    In    <i«:n    letattt-x» 


Interessen  in  der  Nationalvcj 
hindert  gewesen  war.  Die  aj 
keit  Bayerns  eingeschworene 
tei  zog  daraus  die  Begründuni 
der  Weimarer  Verfassung    uj 
feindliche   Politik,    die    von 
Reiches   in   München   mit   sta'J 
striert  wurde.  ^Iq 

Im  ersten  Anlauf  gelangen 

die   Zukunft   sehr    wiciitige    \\ 

Ausbau   der   Reic^sfinanzverw^ 

winnung    der    Wehrtioh^it»  ^ürl 
das  eine  dl^    '    •  •'«f'fiii'cTt^  ^^^^^ 


•-\^il 


'•■■'■  ■y.-".■-,.^ 
,  .:■■■,■>'■  1.' 


Ictien 
't."     Ein     vortrei*ll<*i|^s     Bild.     Wie 
Jy  .  wenn  er  daran  glatt'Jt,  seinerseits 

kann  Kutlt  den  Mitteln  des  Affekts,  mit  einer  un- 
»hoffen    mljpn  beinahe  wieder  glorifizierenden  Vor- 
cin«enomiJl^""6Jt  gerade  diesem  Objekt  gegenüber 
ftwas  auszurichten?   Ebenso:   Wie  kann  er,  nach- 
dem er  köstlich  auseinandergesetzt  hat,  was  beim 
Bayern  Strauß  die  Beziehung  zu  „dem"  Recht  und 
zu  „seinem"  Recht  unterscheidet,  so  unkundig  bay- 
rischer Psychologie  sein,  daß  er  meint,  man  könne 
den  Typus  Strauß  bei  .seinen  habituellen  Anhän- 
gern durch  einen  Hinweis  auf  rechtsstaatliche  Ver- 
stöße entwerten?   Macht,    tatsächlich    innegehabte 
^  Macht  ist  der  Nährboden   dieses  Typus;   auch   die 
Macht,  massive  Angriffe  auf  sich  zu   ziehen.   Wer 
Urauß  ausschalten  will,  muß  ihn  austrocknen:  Ihn 
öglichst  wenig   ins   Gespräch   ziehen,   weder   am 
sgernsee  noch  zwischen  den  Deckeln  eines  aggres- 
vcn  Buchs.    . 

An  den  Kopf  greift  man  sich  vollends  angesiclits 
^r  Marotte,  daß  Kuby  ausgerechnet  aus  dem  Erz- 
ymdividualisten  Strauß,  dem  hemmungslos  und  bei- 
nahe glücksspielerhaft  auf  eigene  Rechnung  setzen- 
den  Machtmenschen,   einen    „Typus   unserer  Zeit" 
herauspressen  will,  und  daß  er    diesen    unglück- 
-ichen   Einfall   noch   weiter   strapaziert   durch   die 
'ehauptung,   Strauß   verkörpere    den    Typus    des 
emagogischen   Funktionärs".    Das    klingt    span- 
md,  steht  aber  in  vollendetem  Widerspruch  nicht 
lein  mit  dem   allbekannten   charakterlichen   Be- 
and,  sondern  auch  mit  allem,  was  Kuby   vorher 
elbst  zu  Straußens  Charakterisierung  gesagt  hat. 
Sr  nennt  ihn  (was  sicher  falsch  ist)  einen  katho- 
lischen Reaktionär.  Er  sagt  (was  sicher  richtig  ist), 
Strauß  meine  als   Ziel   seiner   Mühe   niemals   den 
Staat,  immer  nur   sich   selbst   —  oder,   wenn    wir 
qualifizieren   dürfen,    seine     Funktion     im     Staat. 
Kuby  geht  so  weit  zu  behaupten  (was  bestürzend 
wahr  sein  könnte),  da  Strauß  außer  der  Maciit  selbst 
nichts  wolle,  sei  nichts  darüber  auszusagen,  welche 
politische  Form  und  welches  politische  Programm 
ein  von  Strauß  geführter  Staat  hätte.  Er  sagt  nocli 
auf  Seite  57,  einer  Natur  wie  Strauß  müsse  es  am 


rlf*.    das    Insbesondere  tn    Bayern    großes    Interesse 
finden  dürfte.- 

Schulz   unterscheidet   im   Verhältnis   Reidi— Län- 
der drei   Phasen.  Die  erste,  die  von  starken  Ten- 
denzen zum  Einheitsstaat  gekennzeichnet  war,  wie 
sie,  von  dem  Preußschen  Entwurf  zur  Reichsverfas- 
sung ausgehend,   in  den  Plänen  des  Reichsinnen- 
ministers Koch-Weser  ebenso  wie  in  der  Erzber- 
gerschen  Finanzreform  zum  Ausdruck  kamen.  Eine 
zweite    Phase    charakterisiert    den    wiedererstar- 
kenden Föderalismus,  der  zu  einer  Reihe  von  Kon- 
flikten zwischen  dem  Reich  und  einzelnen  Ländern 
führte.  Schließlich  eine  Phase  der  Verfassungsdis- 
kussion, in  der  eine  organische  Umgestaltung  der 
zum  Einheitsstaat  tendierenden  Weimarer  Verfas- 
sung im  föderalistischen  Sinn  vei'sucht  wurde. 

Die  Zusammenfassung  zeigt  bereits,  daß  die 
Entwicklung  einen  anderen  Verlauf  genommen  hat, 
als  das  Jahr  1919  und  die  Weimarer  Verfassung 
erwarten  ließen.  Die  Tendenz  zum  Einheitsstaat 
entsprach  ja  nicht  nur  einer  im  Ersten  Weltkrieg 
und  sclion  vorher  erkennbaren  Strömung.  Sie  ge- 
hörte auch  zum  Arsenal  der  Forderungen  der 
deutschen  demokratischen  Parteien,  insbesondere 
der  SPD  und  der  liberalen  Parteien.  Die  demokra- 
tische Republik  sollte  endlich  die  dynastische  Zer- 
rissenheit Deutschlands  beseitigen.  Die  Daseins- 
berechtigung der  deutschen  Länder  schien  in  einer 
Republik  zumindest  zweifelhaft. 

Daß  die  Entwicklung  einen  anderen  Weg  gegan- 
gen ist,  führt  Schulz  auf  drei  Ursachen  zurück.  Ein- 
mal   erwies    sich   das   Beamtentum   der   deutschen 
Staaten  als  ein  sehr  viel  stärkerer  Rückhalt  der 
einzelstaatlichen  Interessen,  als  man  angenommen 
hatte.  Ebenso  entwickelte  Preußen  ein  sehr  selbst- 
,  bewußtes  Eigenleben,  nachdem  einmal  entschieden 
fwar.  daß  Deutschland  nicht  in  Preußen  aufgehen 
würde.  Die  stärksten  föderalistischen  Strömungen 
aber   kamen   aus   Bayern,   das   von   vornherein   an 
eine    Revision    der    Weimarer    Verfassung    dachte. 
Preußen  wie  Bayern  galt  dabei  das  Bismarcksche 
/Reidi  als  Ideal.  Es  rächte  sich,  daß  Bayern  durch 
/die  Wirren  der  Rätezeit  an  der  Vertretung  seiner 


Der  farliisre  \atioiialijiiiiiiiiM 


Peter  Coulmas:    Der    Fluch    der   Freiheit   —    Wohin 
,^  *  -  -4^ ar schiert  die  farbige  Welt?  Gerhard  Stalling  Verlag, 
Oldenburg.  319  Seiten,  Leinen  19,80  DM. 

„Der  farbige  Nationalismus  entspringt  anderen 
Wurzeln  als  der  europäische,  er  zielt  auf  ein  ande- 
res Ziel  und  besteht  aus  anderen  Elementen."  Mit 
dieser  Feststellung  charakterisiert  Coulmas  ein- 
deutig den  Fehler,  der  zumeist  bei  Beurteilung  des 
Geschehens  in  Afrika  vor  allem,  aber  auch  in 
Asien  gemacht  wird,  wenn  man  die  wichtigste  Vor- 
aussetzung der  neuen  Staatsgründungen  übersieht: 
Daß  die  afrikanische  Revolution  auf  keinerlei 
Ideologie  beruht  wie  die  europäischen,  von  der 
französischen  bis  zur  bolrchewistischen.  Die  afri- 
kanischen Revolutionäre  versprechen  kein  Him- 
melreich auf  Erden,  sondern  einfach  und  nüchtern 
Verfügungsrecht  und  Verfügungsmöglichkeit  im 
eigenen  Haus.  Ihr  Auftreten  ist  nicht  nur  Reak- 
tion auf  die  Überheblichkeit  der  weißen  Rasse, 
ich  für  die  Kontrollinstanz  der  Menschheit  zu 
'lalten,  .«»ondern  vor  allem  Ergebnis  eines  histori- 
chen Prozesses:  Der  Dekolonisation,  vor  allem  der 
Dekolonisation  des  British  Empire,  ohne  das  die 
Weiterexistenz  auch  der  anderen  Kolonialreiche 
unmöglich  wird. 
Die    Revolution    des    »»frikanischen    Kontinents 


>« 


stellt  daher  eine  völlig  neue  Kategorie  der  gesell- 
scliaftlichen  Umwälzung  dar,  die  vielleicht  nur  in 
der  jüdischen  Revolution  des  Jahres  1948  einen 
Vorläufer  hat,  wenn  es  auch  dort  —  in  Israel  — 
anders  als  in  Afrika  nicht  nur  um  Befreiung  von 
Fremdherrschaft,  sondern  mehr  noch  um  die  Er- 
hallung der  Volkssubstanz  ging. 

Das  Originelle  an  der  Arbeit  Coulmas*  —  der  es 
verstanden  hat,  die  überaus  komplizierte  Materie 
sehr  übersichtlich  zu  ordnen  —  ist  vor  allem  das 
klare  Herausarbeiten  der  Gründe,  warum  die  De- 
kolonisation als  Voraussetzung  der  Revolution 
eintreten  mußte  und  warum  die  neuen  Staaten 
Afrikas,  im  Gegensatz  zu  den  europäischen,  auch 
nicht  annähernd  Nationalstaaten  sein  können.  Vor 
allem  deshalb  nicht,  weil  die"  Nationalitäten  noch 
gar  nicht  existieren,  sondern  erst  geschaffen  wer- 
den müssen  —  unter  schweren  Geburtswehen  wie 
z.  B.  im  Kongo  —  und  weil  die  farbigen  Revolu- 
tionen, anders  als  die  europäischen,  die  „einen 
dramatischen  Abschluß  langjährigen  Umformungs- 
prozesses" bilden,  erst  den  Auftakt  dazu  darstel- 
len. Ein  lesenswertes  und,  wie  mir  scheint,  zum 
Studium  der  afroasiatischen  Unabhängigkeitsbewe- 
gungen auch  essentiell  wichtiges  Buch. 

M.  Y.  Ben-gavriel 


Die     föde/alistis<±ie    Offensive, 
Bayern    eröffnet.   Die   Konflikiel 
dem,  wie  etwa  mit  Sachsen,  s| 
sätzlicher  Ebene  ausgefocht^n 
rischen  Regierung    ging    es'  ityj 
Sonderrechte  zu  erkämpfen, 
daß  die  durchaus  im  Berei« 
gende  föderalistische  Front 
der  nicht  zustande  kam.  Die  a| 
in   anerkennenswerter   Weise 
über   den   nicht   immer   leidit^) 
gangen  in  Bayern  bemüht.  Int) 
sönlichkeit  des  Ministerpräsidej 
feld  wird  von  ihm  herausgestel/ 

Bemerkenswert   ist   die   bishi 
Folge   der   Wirren   von   1923: 
wurde  zu  einer  Abkehr  von 
tralistischen  Politik  gegenübei 
anlaßt,  die  nur  deshalb  für 
greifbaren  Ergebnissen  führte, 
zur  Einigung   unter   den   Länt 
besonders    die    Reidiswehrfühl 
Seeckt)   Gedanken  entwickelte,) 
auch  die  Idee  des  Föderalismi 
ging  von  der  notwendigen  Eii 
Preußen  aus.  Eine  Verfassung] 
zwischen  beiden    überhaupt    ij 
Möglichen  bringe,  war  seiner  j 
konstruiert.  Seeckt  ließ  den  a| 
eine  untergeordnete  Rolle.  In« 
die  in  der  bayerischen  Denkschi 
entwickelten   Ideen   einer   födl 
staltung  des  Reiches  ab. 

Bei    der    preußischen    Regil 
nachdem  die  in  der  Reichsverj 
Aufteilung  Preußens   endgültij 
unter  Otto  Braun  bald  die  ei 
denz  bemerkbar:  Der  Anschh 
deutschen  Länder,  aber  auch 
schweig  oder  Mecklenburg  w\ 
wägung  gezogen.  Eine  UmgesI 
im  Sinne  des  Aufgehens  in  Pi 
verfolgte  Ideal   der    preußisclj 
beiden   größten   Länder   warej 
Sonderinteressen  gehindert,  df 
hatte  um  den  Föderalismus  zu] 

Eine  letzte  Bedrohung  für 
Länder  kam  mit  der  Wirtschi 
Reihe  finanzschwacher  Ländej 
ließ,   den   Schwierigkeiten   di 
Reichsländer   aus   dem   Wege 
Hessen-Darmstadt    mit    dem 
handlungen    aufgenommen, 
übersieht)    ein    interessanter 
sehe  Solidarität  anzustreben 
aufzunehmen,  gescheitert  war! 

Es  ist  sicher  richtig,  wenn  '^ 
ses  ersten    Bandes    betont, 
Reichskabinette    noch    die    d( 
weniger    die    Beamtenschaft 
Weimarer  Republik  über  das! 
sehen  Reiches  erhoben  hättej 
Schwebezustand  der  Diskussf 
I  reform  in  diesen  Jahren  erl 
jaus  der  Diskrepanz,  die  zwisj 
?  realisierbaren  Ideal  und  der 
'  keit  bestand.  Schulz  sieht  hij 
'  der  Weimarer  Republik,  wobj 
Verwaltungsapparate   und   dt 
mente  in  die  Debatte  um  dij 
ein  von  ihm  mit  Recht  hervoi 
ist.  Jedoch  scheint  mir  Schul] 


litische  Buch 


Samstag/Sonntag,  30./31.Mai  1964 


IMiithi^er  liit* 


Beziehung  und  den  Glauben,  daß 
itrag  wirklich  expreß  für  dieses 
habe,  in  dem  Umstand,  daß  er  in 
kommenden  Einzelheit  diametral 

Ansicht   ist  wie   Kuby,   und   im 

r  Optimist  wie  Kuby  Pessimist. 

im  förderlich,  wenn  die  beiden 

setzten.  Kogons  meisterhafte 
vorausschauende    Analyse    der 

i?e  und  der  deutschen  Situation 

igut  separat  oder  in  einem  be- 

ich  erschienen  sein.  Er  gründet      ,  ,  .,       .    ,  ^  ,...,  .,.  ,  ,  .      .      ,. 

aß  die  Lage  stabil   bleibt  und        ^^^  amerikanischen    Politik    gegenüber    den     gegenkam.    Auch    die    westliche    Entwicklungshilfe 


Hans  Henle:  Chinas  Schatten  tiber  Südostasien.  Hol-  nesien    sieht   Henle    in    dem    gleichzeitigen    Appell 

nrso'DM.*^^'  "^"'^"'■^-  ^•'^  ^^^*^"'   ^   ^^'^^'  ^^^"^"  an  Nationalismus  und  soziales  Reformstreben.  Die 

Marxisten   haben   sich   schon   früh   an   die   Unter- 

Es  gibt  wenige  Neuerscheinungen  über  Südost-  drückten    und    Enterbten    gewandt,    das    heißt    an 

asien,  die  faszinierender  zu  lesen  sind  als  dieses  die  überwiegende   Mehrheit  der   Einwohnerschaft. 

Buch.  Man  kann  sich  vorstellen,  daß  es  mit  vielen  Dadurch  gewannen   sie   einen   Vorsprung  vor  den 

seiner   Thesen   Anstoß   erregen   wird,   denn   es   ist  Westmächten,   deren   mehr   liberale   Ordnungsvor- 

von  stärkster  Kritik  an  der  westlichen,  insbeson-  Stellungen    nur    einer    schmalen    Minderheit    ent- 


Krisenherd     immer    weniger 


neuen  Staaten  Südostasiens  getragen.  Sein  haupt-     konnte  hier  keine  nachhaltigen,  politisch  relevan- 


nationalpolitische       Seiten- 
ann auf  das  militärische  Patt 
nd  der  Sowjetunion,  das  dar- 
fent  to  disagree  mit  anschlie- 
|jch  vorsichtiger  Detente  zwi- 
Diese  Entwicklung  läßt  Ko- 
lick    mit    dem    koreanischen 
953  beginnen  und  ordnet  ihr 
die  Eisenhower-Doktrin,  ja 
auer  und   die   dortige   Still- 
uba  als  einzigem   Störfak- 
-französisch.en    Pakt,    von 
rei  und  den  EWG-Mühsalen 
eine    Konfliktsmöglichkeit, 
demokratie  und  der  fran- 
einstweilen    nur    Zustände 


Auf  diesem  Hintergrund  schildert  der  Autor  die 
Entwicklung  in  den  einzelnen  Ländern  nach  1945. 
Ein  besonders  eindrückliches  und  dabei  tief  pessi- 
mistisches Bild  ergibt  sich  für  Laos  und  Vietnam. 
Der  Rezensent  kann  ihm  kaum  widersprechen, 
nachdem  er  1954  während  der  Kämpfe  um  Dien- 
bienphu  in  Hanoi  und  Haiphong  Gelegenheit  hatte, 
Zustände  zu  beobachten,  wie  sie  jetzt  allem  An- 
schein nach  auch  in  Südvietnam  herrschen.  Die 
Herrschaft  Frankreichs  endete  damals  100  Meter 
rechts  und  links  der  mit  Mühe  offen  gehaltenen 
Verkehrswege.  Es  stellt  sich  die  Frage,  warum  es 
bisher  dem  Westen  nirgendwo  gelungen  ist,  eine 
Guerillabewegung  aufzuziehen,  während  die  kom- 
munistischen Kräfte  dazu  anscheinend  mühelos  in 
der  Lage  sind.  So  ist  es  nur  natürlich,  wenn  der 
Autor  auch  den  SEATO-Pakt  als  einen  Fehlschlag 
bezeichnet,   einen   Pakt,   der  ursprünglich  als  Ge- 


t.  auf  verschiedene  Überlegun-     sächlichster    Vorwurf    besteht    darin,    daß    manche     ten   Erfolge  erzielen,   da   die   Verlockung  zu  Ver- 
lie    internationale  Einbetonie       westlichen  Kreise,  vor  allem  aber  die  den  Thesen     schwendung  und  Korruption  hemmend  wirkte. 
'    die    ihm   wie    allen    anderen     ''°"  "^«^^  ^«^^^"^  ^""^^  verhafteten  Politiker,  die 

Situation  ausschließlich  unter  dem  Vorzeiciien  des 
simplifizierenden  Gegensatzes  Kommunismus- 
Antikommunismus  gesehen  hätten.  Demgegenüber 
betont  der  Autor,  daß  man  die  Entwicklung  nur 
verstehen  kann,  wenn  man  berücksichtigt,  daß  mit 
Ausnahme  von  Thailand  alle  Staaten  Südostasiens 
früher  Kolonialgebiete  waren  und  daß  man  keine 
plötzliche  Kehrtwendung  erwarten  kann.  Nach 
kaum  erlangter,  oft  blutig  erkämpfter  Unabhän- 
gigkeit drängen  sich,  so  etwa  formuliert  Henle  die 
früheren  Kolonialherren  als  Bündnispartner  ge- 
gen die  kommunistische  Gefahr  auf  und  versuchen 
die  gerade  gewonnene  politische  Handlungsfreiheit 
der  jungen  Staaten  für  ihre  eigenen  Zwecke  ein- 
zuspannen. 

Es  ist  —  und  hier  muß  man  dem  Verfasser  sicher- 
lich   recht  geben   —   eine    psychologische    Realität, 

)ys  Brillanz,  aber  halt  un-  daß  man  sich  in  den  Staaten,  die  früher  Kolonien  genmaßnahme  gegen  einen  erwart^ten"kommu^nl- 

»gik.     Kogon     macht     zum  waren,  den  Herren    von    einst    nicht    verpflichtet  stischen    Großangriff   gedacht   war    der    aber   Ge- 

chläge    zur    „Verteidigung  fühlt,  auch  dort  nicht,  wo  unzweifelhafte  Leistun-  fahr  läuft,  als  „Instrument  zur  Stützung  bedroh- 

Der  erste  verlangt  größere  gen  der  Kolonialmächte  für  die  betreffenden  Ge-  ter  Oligarchien"  benutzt  zu  werden, 

erbesserung  unserer  Par-  biete     zu     verzeichnen    waren.    Überhaupt    sieht 

Umwandlung  Berlins  aus  Henle    die    wirtschaftlichen    und    politisch-sozialen  I"  jüngster  Zeit  scheint  sich  aber  durch  die  ri- 

i  in  eine  politisch  ebenso  Auswirkungen   des   Kolonialismus   höchst   negativ,  gorose  Schwenkung    der    französischen    Ostasien- 

ternationaler     Forschung.  Man    kann   sich   sogar   fragen,    ob    das   Bild   nicht  Politik  eine  Änderung  abzuzeichnen,  ein  Element, 

sene  Absage  an  jede  Art  überzeichnet    ist    im    Sinne    einer    allzu    krassen  welches  zur  Zeit  der  Abfassung  des  Buches  noch 

Notstands-Gesetzgebung.  Schwarzmalerei.   Aber  die   These  von  der  Abnei-  "i^h^  vorauszusehen  war.  Der  französische  Außen- 

n  Vorschlägen  mag  man-  gung,  sich  wiederum  an  westliche  Mächte  zu  bin- 

^stisch  sein:  Die  Behaup-  den,    besteht   unabhängig    davon    sicher   zu   Recht, 

[tzten  Krieg  keine  Dolch-  Ebenso  ist  es   eine  Realität,   daß  sich  die  südost- 

rtrauen  auf  die  statisti-  asiatischen  Staaten  von  der  Sowjetunion  nicht  be- 

Unbeträchtlichkeit    des  droht  fühlen,  ja  nicht  einmal  von  China,  ungeach- 

■>enso  hymnische  auf  die  tet  aller  Anzeichen  eines  Wiederauflebens  chinesi- 

jssenfreie  Fortschrittlich-  scher  Aktivität  in  diesem  Raum.  Viel  eher  ist  man  ''^ich    im    Grunde   zum    Fürsprecher   einer    Politik 

Aber  was  madit's?  Der  geneigt,     in     China     eine     Art     Seniorpartner     im  der   Nichteinmischung      und      des      Neutralismus, 

der  alles  andere  ist  als  Kampf  gegen  die  Überbleibsel  des  Kolonialismus  schwenkt    also    ein   auf    die   chinesisch-sowjetische 

. lacht  froh  und  wach.  und  gegen  die  Einmischung  des  Westens  in  Südost-  Linie.   Wohin    das    führen    kann,    ist    einstweilen 

.  das   Buch   ausverkauft  asien  zu  sehen.  Nur  wenn  man  dies  berücksichtigt,  "^ch  nicht  abzusehen. 

,rt   als   Archivbroschüre  ist  die  Haltung  etwa  eines  Sukarno  zu  verstehen.  Wenn  wir  dem  Buch  eine  ausführlichere  Bespre- 

jderheft  in  Massenauf-  Die  Grundlage  für  den  Erfolg  kommunistischer  chung  widmen,  so  ist  dies  gerechtfertigt  nicht  so 

ge  aber  beiseite  legen.  Propaganda  auf  dem  Festland,  aber  auch  für  die  sehr  durch  seine  unbezweifelbare  Aktualität,  son- 

j                 W.  E.  Süskind  Popularität  der  Kommunistischen  Partei  in  Indo-  dern   vielmehr   durch   die   Tatsache,   daß   hier  der 

nicht  häufig  anzutreffende  Versuch  gemacht  wird, 

j  einmal  die  dem  „freien  Westen"  entgegenstehen- 

^'^■■•»•MBtgikB»   ICtfi^iiiililil^  ^^^  Kräfte  des  Neutralismus  und  bodenständigen 

r^*"*"***^*    Mmi^|FlMR»lll^  Kommunismus  verständlich  zu  machen.  Auch  wer 

dem   Verfasser   nicht   in   allen   Punkten   zustimmt, 

^  «rnmlung  stark  be-  stehende    Element   des    in    verschiedenen    Ländern  wird   sich   nur   schwer   dem   Eindruck   seines   Plä- 

^ndie  Eigenstaatlich-  noch  vorhandenen  Staatsgefühls  zu  sehr  aus  dem  doyers  entziehen  können, 

ayerische  Volkspar-  Auge  zu  verlieren. 

für  ihre  Ablehnung  ^^  kann  angesichts  des  komplexen,  viele  Völker 

„Is^'^Y    i^'*^    reiciis-  ^^^s  liegt  gewiß  auch  an  den  benützten  Quellen,  und    Kulturen    umfassenden    Gegenstandes    nicht 

"^^v^f^ysandten    des  Schulz  zieht  ausschließlich  die  Akten  der  Reichs-  ausbleiben,   daß  hier  und   da   sachliche  Unrichtig- 

^^^jX)^^orgnis   regi-  kanzlei   und   des  preußischen   Ministeriums  heran,  keiten    stehengeblieben    sind.    So    heißt    der    Bei- 

^^^*\\VM  Es  ergibt  sich  von  selbst,  daß  in  diesen  Akten  jifli-  name  Itof^hi-minhs    nicht    „der    das    Volk    er- 


minister hat  es  in  diesen  Tagen  (Mitte  April  1964) 
auf  einer  SEATO-Tagung  abgelehnt,  eine  Erklä- 
rung zu  billigen,  die  die  Niederlage  der  Kommu- 
nisten als  wesentlich  nicht  nur  für  die  Sicherheit 
Vietnams,  sondern  auch  Südostasiens  insgesamt 
bezeichnet.  Mit  dieser  Haltung  macht  sich  Frank- 


"l^eich  zwei  für 

dieidungen:     der 

\tung   u^d   die   G« 

Machl 


t 


ein?.    B.ei^ 


stische    Argumente    vorherrschen.    Das    eigens^pii- 
dige  Element  in  den  Ländern  hätte  sich^i/jx^W« 
aus    den    Akten    der    Landesarc*iiyj 
lassen,    die   SSchulz    nirfit    v«rw«:i-f^ 
d*.u««-ii<*»«»-    i«t.    «1"    "Vin     Wo/U „i 


'JPJ^  Jcoor,, 


i-minh    ist    sinovietnamesi 
Piirhffifpr   Wi;.?'-",V^, 


labhäl 


:-fit>. 


l/AtitU*^    dann    von  ^ 

ppao/  auf  grund- 
ifii,ac-.i.  Der  baye- 
ibesondere  darum, 
IS  zur  Folge  hatte, 

[des  Möglichen  lie- 
-süddeutschen  Län- 

l^beit  von  Schulz  ist 
im   Fairneß   gegen- 

ferständlidien  Vor- 
)esondere  die  Per- 
lten Graf  Lerchen- 

ii. 

(er  nichtbeobachtete 
)as  Kabinett  Marx 
1er  bisherigen  zen- 

den  Ländern  ver- 
lie  Länder  nicht  zu 
[weil  es  einmal  nicht 
lern  kam  und  weil 
rung  (General  von 
die  nicht  zuletzt 
Is  tangierten.  Seeckt 
iheit  von  Reich  und 

die  einen  Konflikt 
11    den    Bereich    des 

[einung  nach  falsch 

ideren  Ländern  nur 

^besondere  lehnte  er 

*ift  vom  Januar  1924 

jralistischen    Ausge- 

lerung    madite    sich, 
Ifassung  vorgesehene 
|g  überwunden  war, 
itgegengesetzte  Ten- 
tß  der  kleinen  nord- 
jrößerer  wie  Braun- 
trde  ernsthaft  in  Er- 
[altung  Deutschlands 
*eußen  blieb  das  zäh 
len    Regierung.    Die 
\n   daher   durch    ihre 
jle  grundsätzliche  De- 
erzwingen. 

Ilas  Fortbestehen  der 
fftskrise,  die  in  einer 
die  Idee  entstehen 
jrch  Umwandlung  in 
zu  gehen.  So  hat 
[Reich  darüber  Ver- 
(achdem  (was  Schulz 
[Versuch,  föderalisti- 
lind  in  Bayern  Gelder 

»chulz  am  Schluß  die- 

laß    sich    weder    die 

l^r    Länder    und    noch 

in    den    Jahren    der 

Ideal  des  Bismarck- 

1.   Der  eigentümlidie 

ton    um    die    Reichs- 

[.lärt  sich  daraus  und 

fchen  dem  nicht  mehr 

Verfassungswirklich- 

;r  ein  Grundproblem 

|2i  das  Vordringen  der 

IT   juristischen    Argu- 

h  Reidisreform  sicher 

gehobenes  Phänomen 

dabei  das  dahinter- 


andeTn   n»r 
Beispiel  D^rtrg 


»^-  -^^^vcrn  v.'icl 


tige    Diskussion    unter    del  

So  wird  es  nicht  ausbleiben,  daß  einz^Xii«,„jcvaj 
Stellungen  des  im  ganzen  abgewogenen  und  ütu^ 
zeugenden  Buches  später  durch  die  Landes- 
geschichtsforschung Korrekturen  erfahren  wird, 
die  im  Trubel  der  historischen  Produktion  unter- 
gehen. Karl  Otjfiar  Frhr.  von  Aretin 


^«ve^ 


li 

bare    ^C 


:eirgion. 
Literatur    sind 
und    Gallizismen 


Ol 

einige    voifcpiQau 
steheng^i. 


ben.  Aber'\^«-  ^'samt  verdient  das  Werk  weite  Vei- 
breitung  uncSsei  es  auch  nur,  um  aufrüttelnd  zu 
wirken  und  zu  einer  Überprüfung  der  westlichen 
Politik  gegenüber  Südostasien  anzuregen. 

Herbert  Franke 


Polin.^rlii^  llilfliiiizr  iiiiil 


^■•e  Neil  nie 


Hans-Hermann  Harlwich  (Herausgeber):  Sozialkunde 
und  Sozialwisbenschaflen  —  Zur  Diskussion  um  das 
neue  Fach  Gemeinschaftskunde.  Colloquium-Veriay. 
Berlin.  112  Seiten,  brosch.  4,80  DM. 

Manchen  Unterrichtsverwaltungen  westdeutscher 
Bundesländer  scheint  noch  nicht  ganz  bewußt  ge- 
worden zu  sein,  daß  ein  demokratisches  Regime 
politisch  vollaktualisierter  Bürger  bedarf,  um  gut 
funktionieren  zu  können.  Wie  wäre  es  sonst  zu 
erklären,  daß  die  politische  Unterrichtung  und  die 
demokratische  Erziehung  an  den  Volks-,  Mittel- 
und  höheren  Schulen,  an  den  pädagogischen  und 
tedinischen  Hochschulen  sowie  an  den  Universitä- 
ten von  den  zuständigen  Referenten  weitgehend 
vernachlässigt  wird?  Diese  handeln  kaum  initiativ, 
sondern  bedürfen  fast  stets  des  Anstoßes  von 
außen,  ohne  dann  immer  auf  einen  solchen  zu  rea- 
gieren. Ein  derartiger  Anstoß  ist  die  vorliegende 
Broschüre,  die  die  Beiträge  einer  Berliner  Ar- 
beitstagung am  Otto-Suhr-Institut  der  Freien 
Universität  Berlin  und  die  Berliner  Erfahrungen 
der  politischen  Lehrerweiterbildung  enthält. 

Professor  Sontheimer  von  der  Freien  Universi- 
tät spricht  sich  in  seinem  Beitrag  über  ,, Gemein- 
schaftskunde und  Politik"  für  den  Primat  der  po- 
litischen Wissenscäiaft  als  einer  Ordnungswissen- 
schaft bei  der  Gestaltung  des  Faches  „Gemein- 
schaftskunde" aus.  Ihm  gegenüber  beanspruchen 
die  Professoren  Bolte  und  Ortlieh  (Akademie  für 
Wirtschaft  und  Politik,  Hamburg)  für  die  Fächer 
Soziologie  und  Nationalökonomie  mehr  Raum  im 
Gemeinschaftskundeunterricht  und  eine  intensive 
Beteiligung  an  der  Ausbildung  des  Lehrpersonal.s. 
Professor  Stern  vom  Otto-Suhr-Institut  erhebt  als 


Jurist  keine  ähnlich  hochgespannten  Forderungen 
sondern  begnügt  sich  damit,  den  Schülern  Grund- 
vorstellungen und  Grundbegriffe  der  Rechtsord- 
nung zu  vermitteln.  Mit  dem  wichtigsten  Fragen- 
komplex, dem  der  akademischen  Ausbildung  der 
Sozialkundelehrer,  befaßt  sich  das  Referat  des  Or- 
dinarius für  politische  Wissenschaft  an  der  Uni- 
versität München,  Hans  Maier.  Ausgehend  von  der 
derzeitigen  Gegebenheit,  daß  Gemeinschaftskunde 
an  den  höheren  Schulen  ein  Fach  ohne  Lehrer  — 
mindestens  ohne  ausgebildete  Lehrer  —  ist,  zeigt 
er  die  Notwendigkeit  des  wissenschaftlichen  Fun- 
damentes des  neuen  Faches  und  fordert,  daß  die- 
ses auf  einer  von  der  Universität  verliehenen 
Fakultas  beruhen  muß.  Er  regt  an,  „Sozialkunde" 
als  Haupt-  oder  Nebenfach  in  verschiedenen  Kom- 
binationen mit  alt-  oder  neuphilologischen  Fächern 
zu  schaffen.  Als  legitime  Ausbildungsstätte  be- 
zeichnet Professor  Maier  die  Disziplin  der  politi- 
schen Wissenschaft,  die  in  Zusammenarbeit  mit 
anderen  sozialwissenschaftlichen  Disziplinen  ins- 
besondere die  Gegenstände  der  politischen  Theo- 
rie, der  vergleichenden  Regimelehre  und  der  inter- 
nationalen Politik  lehren  sollte. 

Die  genannten  Referate  und  die  anschließenden 
Diskussionen  der  Arbeitstagung  können  für  die 
Unterrichtsverwaltungen  der  Länder  zu  einem 
entscheidenden  Anstoß  werden.  Haben  hier  doch 
verantwortungsbewußte  Universitätslehrer  einmal 
die  Initiative  ergriffen,  um  die  vagen  und  forma- 
len Vorstellungen  der  Kultusministerkonferenz 
über  die  politische  Bildung  in  den  höheren  Schu- 
len kritisch  zu  analysieren  und  durchführbare 
Konzeptionen  zu  entwickeln.  Heinz  Laufer 


]flit  Xapoleoii  in  Kiißlaucl 

Eckart  Kleßmann  (Herausgeber):  Napoleons  Rußland- 
ffldzug  in  Augenzeugenberichten.  Karl  Rauch  Ver- 
lag, Düsseldorf.  414  Seiten,   Leinen  19.80  DM. 

Hans  Jessen  (Herausgeber):  Der  Dreißigjährige 
Krieg  in  Augenzeugenberichten.  Karl  Rauch  Verlag, 
Düsseldorf.  440  Seiten,  Leinen  19.80  DM. 

Der  Rauch  Verlag  legt  zwei  neue  Bücher  seiner 
Reihe  „Geschichte  in  Augenzeugenberichten"  vor, 
und  es  gilt  für  sie  das  gleiche,  was  zu  früheren 
Bänden  schon  gesagt  wurde:  Sie  bieten  eine  nütz- 
liche Ergänzung  für  jeden,  der  seine  Geschichts- 
kenntnisse mit  lebendigen  Eindrücken  anreichern 
will.  Daß  soldie  Eindrücke  ein  intensiveres  Ver- 
ständnis des  Gesamtvorgangs  vermitteln,  zeigt  ge- 
rade Kleßmanns  Sammlung  über  den  Rußland- 
feldzug der  Großen  Armee.  Hier  tritt  in  der  Tat 
der  gewaltige  Vorgang  in  vielen  Einzelbildern 
plastisch  zutage;  die  verschiedensten  Momente, 
angefangen  von  Napoleons  schwankender  Haltung 
in  diesem  Feldzug  bis  zu  den  eigentlichen  Ui'- 
sachen  der  Niederlage,  werden  überaus  deutlich. 
Das   ist   der   geschickten   Auswahl   der   Dokumente 


zu  danken,  die  historische  Proklamationen  ebenso 
einbezog  wie  höchst  persönliche  Stimmungsbilder. 
Von  nicht  geringer  Bedeutung  für  das  Verständ- 
nis der  Zusammenhänge  erweist  sich  dabei  der 
verbindende  Text,  der  die  Details  einordnet.  Hier 
sollte  man  nicht  befürchten,  dem  Leser  zuviel  zu- 
zumuten. Langatmige  Kommentare  wären  gewiß 
fehl  am  Platz,  andererseits  läßt  sich  eine  solide 
Basis  für  den  interessierten  Laien  nicht  durchweg 
mit  wenigen  Worten  schaffen. 

Ähnliches  gilt  auch  von  Jessens  Dokumentation 
über  den  Dreißigjährigen  Krieg.  Auch  hier  finden 
sich  eine   Fülle    interessanter    Eindrücke    und    so 
reizvolle  Dokumente  wie  etwa  des  Grafen  Slavata 
Bericht  über  seinen  eigenen  Fenstersturz  zu  Prag. 
Leider  wird  die  Lesbarkeit  des  Bandes  —  unver-  - 
meidbarerweise    —    häufig    durch    die    schwülstige/; 
Sprache    der    Zeit    etwas    beeinträchtigt,    worüber  ; 
der  wahrhaft  Interessierte  jedoch  hinwegkommen 
sollte.    Bei    künftigen    Plänen    für    diese    nützliche  ' 
Reihe  wäre  es  gut  zu  bedenken,  daß  die  Brauch-  ^ 
barkeit  um  so  größer  wird,  je  enger  man  den  Rah- 
men des  Themas  zieht.  -  Leo  Sillner 


I 


im^ 

s-*^ 


^^'}ißm 


Seite  24  /  Frcitaff.  10.  Juli  1970  /  Nr.  158 


FRANK  FURT EK    ALLGEMEINE    ZEITUNQ 


Deutsche  Juden 
erforschen  ihre  Vergangenheit 

Die  Ta^'ung  des  Baeck-Instituts  in  Jerusalem 


■       L  bALEM,  9.  Juli 
^  •    tsxn  ng    des    Leo- 

-,,,..,. >.^    zu    .    Am    Abend 

wir  in  einem  großen  Vortrags- 
«;aHl  der  Hebraisdien  Universität  und 
hörten  eiricr  v-  ■■'=■'" r-n,  streckenweise 
fröhlich     kank  -,     im    Endellekt 

durchaus  pessimistischgn  und,  wie  der 
KefGrcnt  selber  zu^ab,  '  '''^^' 

non   r  •    "    ""■'"'    ^'        • ^^ 

^cUgv-  ^^''  Literatur 

/u.  Wir  waren  eingekeilt  zwischen  Hun- 
derten junger  "         '    n.  die.  meist  Ein- 
wanderer aus  c  ..   ^^  A.  mit  sichthchem 
Spaß  und  mit  der  Anteiinahme  wissen- 
der Auguren    rten\  ""   loigten, 
und  selbst  seine  In  i>.v....  wo.tizen  einge- 
wickeltf'U     An«pielunj:cn     wurden    mit 
verständnisvoller     Heiterkeit     quittiert. 
Der   Kontrast   zwisdien    beiden   Veran- 
stfilt^jn^en,  der  des  Leo-Baeck-lnstituts 
und   d«T   Vorlesung  Bellows.   war   auf- 
fallend. Dort  olles  schon  im  Dunkel  el- 
ner    Ve'            nhoit,    die    erforscht    und 
dadurch   ,    /.„ehalten  werden  soll;  hier 
pralle,    greifbare    Gegenwart.   Dort,   ini 
iniblikum  der  Leo-Baeck-Tagimg,  vor- 
wiegend Menschen,  die  endgültig  darauf 
gekommen    sind,    soweit    sie    es    nicht 
schon  immer  begriffen  hatten,  daß  ihre 
Präsenz  in   den  deutschen  Landen  von 
manr!iem  Wenn  und  Aber  schon  lange 
vt^r  Beginn  des  teuflischen  Millenniums 
bogleitet   und   bedingt  war.   Zu   Füßen 
des  wellxnännischen   ^v^^''''--v—  Bei- 
low  aber  saß  ein  Au.  -^  aus 
freien     Stücken    einer    augenscheinllcji 
von  Lebenskraft  strotzenden,  möglicher- 
weise   dcnnO('      -'^.on    skeptisch    ange- 
krön  kellen  j.            n  Gememsc+^aft  den 
Tlückon  gekehrt  hat  und  in  Israel  einge- 
.  wandert  ist.  Im  Leo-T'       '    Institut  wa- 
ren die  Alten   in   der    ...  ..;rheit,   emge- 
pprengt  unter  ihnen   Studenten,   denen 
die     Thematik     in     ihren     historischen 

Asr   '  '         *^"^*^    '^^''" 'liaftliche    Her- 

austu.  ...ung  sein  e.  In  der  Uni- 

versität waren  die  ErA^achsenen  ein  re- 
lativ   kleir.es    Fahnlein.    Bellow    .^pra(^ 
amerikanisch   wie    die    Mehrheit   seines 
Publikums.     Bei     den     Sitzungen     des 
Baeck-lnstitutÄ     verwandte     man     das 
Hebräi.';<-he  und  das  Englisdio.  Spracijen, 
die  die  Mehrzahl  der  Anwesenden  nicht 
vom  Elternhau.s  mitbekommen,  sondern 
später  erlernt  hatten.  Die  Absicht  war, 
den  jungen  Leuten  entijegenzukomm.en, 
ihr  Interc*sse  für  die  vielfältige  Proble- 
matik    der     jüdlsdien     Geschichte     im 
deutsiiisprachigen  Europa  zu  erwecken 
und  den  (inen  oder  anderen  zum  Stu- 
dium   und    zu    originären    historischen 
Untersud-iungen  anzuregen. 


I    


Mit  bitterer  Ironie 

Dle:4e  Gcgenüberstelhmg  der  durdi 
einen  bedeutenden  Schrift.-teller  reprä- 
sentierten Hmerikanisi-h-jüdisdien  Ge- 
•  genwart  und  der  deutsch- jüdischen 
Vergs-ngcnheit,  vom  Zufall  in  Szene  ge- 
setzt, gab  zum  Nachdenken  Anlaß. 
Hellöw  durfte  plaudern,  natürlich  nicht 
völlig  unbelcümmert  und  stets  mit  dem 
unüberliörboren  Appell  des  „mca  res 
agitur",  und  was  er  n\it  mno^innal  bit- 
Vrr.T  T »••.•:<»  vHi  sagen  hotti  ^i'-te  »1« 


j.^,,.  .„:  . .     o  den  Leib  zu  nicken  und  in 
t ,  '.er    Form    eui    Psychog.'*amm 

des  deut5<dien  Judentums,  das  der  Welt 
im    letzten    Jphrhundert    drei     Genies 
(Miirx,    Freud    und    Einstein)    gegeben 
hatte,  zu   erarbeiten.   Die   Strecke  gehl 
von    den    zentrifugalen    Figuren    eines 
Heine,    einer    I^adiel    Varnhagen    oder, 
sehr   viel    spater,   eines   Otto   Weiiuger 
i;bcr    das    aus    jüdischer    Sicht    Zwie- 
lichtige der  gescheiterten   Flucht  eines 
Karl   Kr? US.    über   den   uns:cheren-un- 
glucklichon  Theodoi    Lessing  an  vielen 
Marksteinen  vorbei  bis  zu  Franz  Rosen- 
zweig,  „der  nichit  Jude   blieb,   sondern 
Jude  wurde",  über  den  zuerst  für  die 
Massentaufe     jugendlich     entflammten 
Schöpfer     des     politischen      Zionismus 
Theodor  Herzl  bis  zu  Buber  und  Sciio- 
lem,  die  den   Weg  zunv-^udentum  aus 
der    Enge    dös    Glaubens    wiesen.    Die 
Straße  führt  von  der  Öffnung  derGotto- 
tore  bis  zum  tragischen  Fmale,  da  sich 
die   Tore    des    Geltos    von    Auschwitz 
wieder  sdilossen.  Simon  meinte  in  Zu- 
sammenfassung »einer  Analyse,  daß  die 
Juden   In   Deutschland   sich   sctilielilidi 
dodi   für    ihren    eigenen    Stamm    ent- 
schieden,   während    die    Ostjuden    nie- 
mals vor  eine  ähnliche  Alternative  ge- 
stellt   waren.    Dies    stimmt   zwar,   doch 
offen    bleibt,    ob    und    wieweit    die.ie 
Wi\hl  aus  freien  Stücken  getroffen  wur- 
de oder    ob  aie,    jedenfal]:^    im    letzlen 
Stadium  und   für  die   Mehrzahl,  durch 
die  unheilvollen  Ei-eignisse  aufgezwun- 
gen war. 

Das  Vergessen  ist  schwer 

Daß    die   Jangen,,  dunklen     Sdiatten 
der     NS-Zeit     r'.ahezu     ohne     Unterlaß 
über   der   Tagung   lar.cn,    ist   verständ- 
lich.   Für    eine 
werden  ^-' 
und  Polt' 

ten    in    ein    helleres    Licht    der    Unbe- 
schwertheit treten  können.  Hitler  war, 
so  sagte  einer,  eine  »ingulrire  Erschei- 
nung, da  aber  die  Mmsdien  ein  histo- 
ri.-idnes  Gedöchtnis  haben   und  da  Hitler 
der    Geschichte    eine    neue    Dimehs'on 
verliehen,    ist    eine    Wiederholung    des 
Grauenvollen     niemals     mehr     ausge- 
schlossen. Die  PrognofiC  ist  ues.simif,ti.scli. 
doch    die    Diagnose    der    Vergangenheit 
war  nach  der  Auffiv.sung  eines   ande- 
ren   Referenten    no<:Ji    deprimierender. 
Die    Katastrophe    wer    unansw^^idiüch, 
denn  sie  war  sdion  durch"  die  Emanzi- 
pation   per    se    von^usbestimmt.    Eine 
Flucht    »US    dieser    r»etermination    war 
unmöglidi.    Prof.    Friedländer    (.lemsa- 
lenv'Genf)  führte  in  einem   .sowohl  in- 
haltlich als  rhetorisch  vollendeten  Vor- 
trag   den    Nn<hweis.    daß    Zufall    und 
konsequente   Lntwid'lung   in    mutwilli- 
gem Zusammenspiel  die  nazisLisciie  Fnd- 
lösung  heraufbe5d)w  »ron.  Konkret  und 
faßbar    sind    die    Wurzeln    des     Bösen 
.schon  im  Ersten  Welttcrleg  zu  entdecken, 
als  deutsdie   Solda^oi   zum   ersten   Mai 
auf   die    kompakte    IvTasse .  eines    Iradi- 
llon'jllen  Judentums  Im  besetzten  Kuß- 
land   stießen    und    i-Icii    der    Abgrund 
einrr    Fremdh^nt    oi  ftat.    der    nachher 
nidit  überbrückt  weiden  konnte.  Jt,<v»i?4, 


unabsehbare    Zukunft 
iche  jüdischer   Historiker 
i  nidit  Dus  diesem  Schat- 


nelx-nbci     bemerkt,      eino 


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■        :  l  in  N<!W  York. 

,'v,.i  ',  ni   in   der  Hauptsache 

tiuich    bislan-    otwa    ?^0    her%'or  o 

Wissens.         ■  WrüClenlK,..^^.     n 

befaßt       ...:    ::  ■-'     unsorcr    \troffont- 
i>clun>.^«^n    sind    Mosaiki^toine.    die    aut 
ihre    4'slematisch    duvch>l:>chlc    Erg^ln- 
zunß    durch    anrlcrc-    Mosaik.sU^aie    und 
auf  die  Zasammenfü.t^unj.',  in  einem  pro- 
ßf^ron  Mo-^aik  warten   . . .  Krst  djc  Co- 
v/innunr,    omor    größeren    Air/.ahl    von 
MüarbeitcnT   —    insbesondere    aus    der 
lunRen   Generation   —   wird   e;ne   noch 
svstcmalischer  zontralisiorto  Aroeit  ße- 
«;i'^11on"    erklärte   der   talkrafti^ie   Iih- 
cidenl   des   In-tituts.   Dr.    S.    Moses    m 
seiner  FrürCnuni'Siinspracho.  Danun  also 
Voht    e.s.    Jiin'J.ere    Wisen.smaftle-.    von 
denen  keiner  mol\r  Zeit«cnosse  der  zu 
b^^schrcibenden    Kroisni-:^e     «ein     w^rd 
s'nl  heron/.uziehen,  dnmit  nacn folgende 
■     Gencr:;'ionen    sicti    ein    n-ngiichsl    bjk- 
«  kenT(^^cs  rüld   vom   dculsd'.sprechenden 
Ju-lentum  nipchcn  können. 

]Aic  Ta"unt,*  selber,  die  vor  Kurzem  in 
Jev^usalem  stoUiand.  VerdeutUehte  die 
s:fj."lion  der  .,T^.Tos^l'kstelne•'  und  dei 
Pavtikolchen  und  zu.aieich  auch  oic  Oc- 


juden 
einen\ 

ASF' 

bot! 


notti 


f. 


mr, 


dad  die  zuverläs<',v;e  und  wis>;en- 


.srh-'tl'ch    fundierte    Schilderung    eines 
der  v.'ichtirsten  Absclmitie  der  ?<esa-- 
t-n1Üdi?cben  piaspora-Geschiehle  trotz 
aller  Mühe   für  eine   unabsehbare   Zu- 
kunft   Stückwerk    und    Tors^.    bloiben 
wild.  '.VicvdiK  ist  diese  Periode,  de  naj 
Mer^delssohn    beginnt,    ohne    HucksK-ht 
darauf,  ob  man  sio  je  nach  Gesdmmek 
und  Nei?.unp[  als  deutsch-]ud.sd\e  bytn- 
bin-^e  (^dcr  deutsch-jüdischen  Dialog  be- 
zeichnet. Da.s  Beiwort  „wichtig"  genugi 
objekliv.  alles  v.'citere  sind  bereits  De- 
duktionen,  b-i   denen   heute  noch   bei- 
nahe /.wanpslauflß  viek»  emotional  oe- 
tonte    Wertunjfen     unuberhörbar     md- 
sehv'inpen.    Man    konnte    sie    auch    aur 
der  Tar;unR   verne)>n;cn.  Aber  die  Zu- 
sammenkunft yab  Zeu-nis  uuel^  von  der 
Zufälligkeit,  die  die  Thcmeiiv/ahl  nach 
Faible   und   Wissen  der   gelehrten   Rc- 
f'ucnten  beidimm^e.  Es  war  ein  reiches 
Prouramin.das  vieles  und  dadurdi  man- 
chen  etwas   brachte.   Kme   nüchste  la- 
runr:  könnte,  da.s  ist  cvn  Vorschlag,  der 
rnor.or,raphi.schen  DurchleurhtunR  eines 
bestimmten  Se^'.ments  von  unter.srhjcd- 
lichen       '^ -knvmkten      ans     t;ewidine>. 
werden    iVei  der  sonst  sehr  RcijUickten 
.Jerusalrnnor  VersamndunR.  die  em  An- 
ti^ny.  U!.d  ein  KxiHTiment  wir.  kamen, 
um  ein  li^isplel  /u  nennen,  Kutvst,  IJte- 
raiur.    Malerei    zu    kurz.    Sie    wurd-n 
kaum    am    Pande    erwi.lml.    Das    V-m - 
.^immte  la(U  Kidi  nad>holen.  und  dasln- 
einanden^reltcn  der  deutschen  und  jü- 
dischen Zahnrfider  d'-.  Grlrieb-s  ^:eh(u-. 
aur!^  hier  zu  den  Sachfra^'.m,  die  inten- 
siver EK'.rteruriK   im  I^ahmen  tles  l^;o- 
BaeHk-ln^litut.«?  wetl  sin<l,  «las  darviher 
Übiircns  sdion  manches  nublr/uMt  hat 

Die  Frage  wurde  nestellt  Wu?  jiidisdi 
war  das  deutsc+ie  .Tud.-ntum''  hme 
:*ehlüsMpe  Antwort,  die  InvcTÜur  Mm 
llllanz  7.ur1*-l'b  /u  sein  hatü  .  knnn  t>iChl 
oder  nodv  rudit  «er.et><«n  x/erden.  I'rot. 
Krnst  .Simon  (Jene.alem)  ma.  hie  d-'n 
|.indna:ksvollcn  V.taich.  das  Probhia 
7,u     jdied«*rn,     Ihm     dnnh     viele    Ca:  «- 


tu 's 


•(?r    Nivhe    sahen,    .  i  •>    ;•>''- 
unvcrf.'ilsdi'-M, 
nahe/n     übeih..    ; 
•\  ifidischen  Kolle!'liv  /M'.>m- 
mentrafen.    I^IC.    als   <^or   WeltUiv  ,'.   r.r\ 
einem     Wendepunkt    cnlancl-*,    r«ls    ina 
nadislen  .lahv  durch  den  F.m'ritt  Arne-   ; 
rikas   die    Isolierung    Deut^-d^^ands    «m-   1 
mer    spürbarer    wurde,    als    die    ^P'^*»".  I 
du'    dem    deutschen    Volk    abcjefordert   | 
wurden    sidi   mehrten  —  entvt-.nd  all- 
miahlich  der  Mythos  von  der  „judl.'^ehen 
Weltherrschaft".     Rathenaii     war     nach 
der  Niederlegte  ein  personifl/iertes  Sym- 
bol   der   Erfüllungsnolitik,    Rapallo   das 
Zeidien    für    den    Ausverkauf    .-m    den 
Kommup.isirus.  Die  KPD  ihrerseiVs  .--ah 
aber,  so  Prof.  George  L.  Mosse  (Madi- 
son   Univcr^^ity,    Wisconi-in),    lon.^e   Zeit 
Mn  Nationalsozialismus  von.vießend  den 
}Beschülzer   der    jüdische:^    Karit-disten. 
D-^  Ir'-v.cfie  der  allgemeinen  Verben- 
r-miU  die  sich  um  das  jüdische  Problem 
schlänj;elien.    wurden    immer    unulx'r- 
«cv-auba'cr.   und   linksstehende  Pubhii- 
;.U.n   jüdischer   Herkunft   vernied^.dium^ 
roch  k'.^'rn  vor  dt-r   ..Machlcri-eifunp. 
deM    A.nt:..emitlsmus  Hitlers  und  seiner 
Kumpane.    Die    ktmimunislisdne    Pre.s.->e 
('.-.^    Woimarer    Republik    übe.-?i'nR    die 
rohiate    Judenfcind.sd^.a^t    d<^c    Tlaken- 
kreu?.partei  mit  Stdl  .chwei^^n.  Die  Im- 


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ken  '.üdischen  Inrelkktuellen  •^'\^\^^ 
jene  Beziehuni  .'.nr  politischen  Iv<"ii!.a- 
verl.^ren.  f^eiierten  sidi  nicht  al.s  Judei\ 
cif, Meiern  als  Vorhut  des  U;iuturzes. 

Jai   der  Naticniallsmus  strk<:r'^ 

Lib-ralismus  und  Nationali.smus  wa- 
»•en  sich  sdion  eini.i^c  Jahrrehnie  davor 
in  d;e    Haare    geraten.    Das    verbis.sene 
DueM  der  bis  zur  personlidien  Animosi- 
tät erhit/ten  Fehde  zweier  prommenter 
deutsehcr   Juden    in   der  Bismarck-.Ara 
war    U;r   Prof.   W.   E.   Dosse    (Glasgow- 
Norwidi)  dciS  Schulbei.sp'.el  seu^er    j -le- 
s«'    da^^  der  Nationalisn^us  die  stärkere 
Madil  und  ..right  or  wi-on>:  my  co-nt-y" 
de    Devise    auch    vieler    Enumr.ipierler 
blieb   bis  sie  unter  die  R;ider  kamen.  Im 
Deuts.hen    Reit+istaR    standen    einander 
zwei    .luden    K«v:onüber.    LudwiK    BauA- 
l>erjTcr.     ein     Rebivitiger     Mainzer,     und 
Fe(»pold  Sonnemann,  der  seine-r  Fraiut-   f 
lurler   Wahlhrm\at    er^:cbene    Zedmvr.s- 
pnmdcr.     ie!>er      als     N  alionnl  liberaler 
treue)    Gefol«KrT»unn   und    1870,71    sogar 
Spredier  Uismardt«.  dieser  als   Libera- 
ler  ohne   Beiwo't   und    Bindestrich,   ein 
harter  Kritiker  des  Kanv.iers  ;m  Parla- 
ment und  in  der  „Frankfurter  Zoltunß''. 
Der    KultOrkampf.    die    mit    Nachdruck 
b,-1ricb<me   Germant>'icrun):   vi>n    ^..sal^- 
I,(^Ulr'nRen     und    das    Sozialistonv.cseU 
.sah   die   beiden    auf   verHrhl»Klenen   .Sel- 
ten d«  r  Barrikade.  IMsmank  konnte  kei- 
nen     ;esehm.Hck     an    Sonru-manns    \a- 
rianli    de»    humanen    Ul>erabsmus    lin- 
den    )''.r  hnlite   ihn   und    tvuj:   dn/u   bei. 
dm  V  ni  der  Trtbime  des  Ucichstajis  ;'U 

etd  feinen.  , 

T>ir  Arnnlttit  rwinehen  deutschrm  und 
)iidl«)(hem  Geist  war  r.rolt  und  k.mn jm- 
d,.rsvo  nldd.  nadu'oll/.ojien  weidru. 
sajilo    Prof.    T.lebeadüHz    (Liv^MpooD    In 


) 


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seinem  Vortrag  über  ,.Die  Bodcutung 
cid-  Icl«'ongoschichte  für  das  Vc  '  •  inis 
d«*r  jüdischen  Situation  in  Deui  ..d". 

Auch  er  hatte  zwei  gegensätzlich  vi  Poj- 
sönlichkeil.on  gewählt,  um  seine  An- 
schauung zu  untorbauen'  den  Neu- 
Kcmtianer  und  Begründiir  der  Marbur- 
ger Schule  Hermann  Cohen  .(1842  bis 
19U>),  der  bewußt  \md  mit  zunehmen- 
dem Alter  immer  mehr  aus  seiner  jü- 
dischen Substanz  schöpfte,  und  den 
..nichtjüdischen  Juden**  Georg  Simniel 
(!;C)S  l>is  101  aj.  Die  Posiiion  und  Wir- 
kung Cohens  in  der  Geistesgesdiichtc 
der  deutschen  .]ud(»n  ist  unangef ödsten, 
aber'  Liebeschüt/  wollte  in  der  Kon- 
trasticrung  eine  Lanze  für  Sn-nmel  ein- 
legen und  auch  ihm  einen  Platz  in  der 
Ehrenhalle  des  deutsciien  Judentums 
sid-iCrn,  obwohl  er  und  seine  Eltern  nicht 
mehr  der  iüdischien  Religionsgemein- 
schaft an^eht^rtcn. 

Ursaciie  und  Wirkung  deutsch-jüdi- 
sdicr  oder,  in  diesem  Palie,  ciiristlici;- 
jüdischcr  Verflcditungcn  in  Deutschland 
wurden  auch  in  einem  Vortrag  Dr.  Uri 
Tals  (J.erusalcm)  über  die  Auseinander- 
setzung dcmon.striert.  die  vor  rund  70 
Jahren  die  Gemüter  erregt  hatte.  \Der 


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prole;  tantisciie  Theologe  Adolf  Harnack 
veröfi entlichte  }\M)  seine  Vorlesungen 
über  das  „Wescm  des  Christentum.j", 
in  d<  nen  er,  fern  aller  Christologie, 
Chrjs'us  als  die  zentraic,  doch  im  Laufe 
der  Zeit  immer  wieder  aus  den  Auj^en 
\frioiene  Figur  des  dem  modernen 
Mens«±ien  gegebenen  Glaubens  zeich- 
nete und  d^n  historischen  Jesus  und 
seine  Botschaf*  mit  der  starren  Dogma- 
tik  der  frömmelnden  Phari.säer  verglich. 
War  nach  Ifamack .  der  Weg  zu  Gott 
nur  möglich  und  zulassig  dur<±i  die 
Rückkehr  zu  dczi  Ev^mjclien  be- 
hauptete Leo  Bacck,  damals  noch  ein 
junger  liabbiner  in  Oppeln,  in  semem 
Erwutei-ungsbuch  „Vom  Wesen  des  Ju- 
dentums", daß  die  Verbindung  zwischen 
Gott  und  dem  einzelnen  im  Judentum 
von  Generation  zu  Generation  treulich 
bewahrt  wurde.  Um  die  Büdier  Har- 
nacks  und  Baecks  rankte  sich  zwisclion 
1900  und  1910  eine  ganze  theologische 
Literatur,  in  der  von  jüdischer  Seile 
nicht  abstrakte,  sondern  existentielle 
Antworten  auf  die  GVundf ragen  des 
Glaubens  gegeben  wurden. 

Die   überreichte   Fülle   d«s  Tagungs- 
programmes,  dessen  Protokoll  publiziert 


werden  .sollte,  '  "  H  eine  aucii  nur 
annähernd  vollsi — ;.t,e  Aufzählung  dos 
Gebotenen  aus.  Es  warft  z.  B.  auf  das 
SympC).sium  über  die  ,.Wissen.sciiaft  des 
Judentums"  au.'=<führlich  einzugeiien,  bei 
dem  Staatspräsident  Schafcjir  vmter  den 
Zuhörern  war.  Er  und  einer  der  Refe- 
renten des  Abej-ids.  Prof.  G.  Schoiem 
(Jerusalem),  befassen  sich  .seit  ihrer  Ju- 
gendzeit mit  der  vielschichtigen  Pro- 
blematik dieser  ..Wissen.schaft".  die  von 
ihren  widertprüchliclien.  idealisierend- 
aiX)lof:eti.schen  Anfängen  im  vergange- 
nen Jahrhundert  nur  schwer  loskom- 
men k'*nnte.  Man  müßte  ferner  auf  eine 
von  souveräner  Kenntnis  getragene 
Studie  des  Herausgebers  der  Jahrbücher 
des  Baecl<-In.stituts,  Dr.  R.  Weltsch 
(London),  zurückkommen,  der  die  Wand- 
lung in  der  bis  dahin  üblichen  Einstel- 
lung zu  dem  Problem  der  jüdisciienMiri- 
derheiten  seit  1918  behandelte.  Die  Ge- 
währung von  Minoritätsrechten  an  Ju- 
den in  den  Ländern  ihrer  Massensied- 
lung hatten  bei  Kriegsende-  die  Zio- 
n:  "  im  ..Kopenhagener  Manifest" 
i,  r.t.    Die    Juden    in    Dciitsdiland' 

5  ,  keinen  soiciien  Ansi)ruch. 

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£)!e  jübiföjen  11öet)rpfl!*t!gen  in  Oldenburg  üon  1867-1918 
unb  it)ce  Dorfat)ren 

Von  Harald  S  c  h  i  e  c  k  e  1 

Die  Geschichte  der  jüdischen  Familien  in  Oldenburg  läßt  sich  für  die  ersten  beiden 
Drittel   des    19.  Jahrhunderts   quellenmäßig   recht   gut   bearbeiten.   Bis   zur    hman- 
zipation.  die  den  Juden  im  Großherzogtum  die  Verfassung  von  1849  brachte,  geben 
seit  dem   18.  Jahrhundert  die  Akten   des   Kabinetts  und   des   Stadtmagistrats  von 
Oldenburg  über  den  Judenschutz  Auskunft  über  die  ansässigen  und  zuziehenden 
Juden  '   Für  die  einzelnen  jüdischen  Gemeinden  oder  auch  für  das  ganze  Land  waren 
Personenstandsregister  über  Geburten.  Heiraten  und  Todesfälle  vorhanden,  die  vom 
Beginn  des  19.  Jahrhunderts  bis  etwa  1870  geführt  waren.  Diese  alteren  Register 
wurden  nach  19  3  3  in  das  Staatsarchiv  Oldenburg  überführt  und  nach  1945  nach 
Israel  abgegeben.  Jüngere  Register  haben  sich  wohl  nach  194  5  noch  im  Besitz  der 
jüdischen  Gemeinde  Oldenburg  befunden.  Für  die  älteren  Register  wurde  um  1942/ 
194  3  eine  Namenskartei  angelegt,  die  im  Staatsarchiv  verwahrt  wird,  aber  leider  nie 
die  Angaben  über  die  Eltern  enthält  \  Einen  guten  Überblick  über  den  jeweihgen 
Bestand  der  jüdischen  Gemeinden   gewähren   schließlich   auch  die  Listen  über  die 
Veranlagungen  zur  Rabbinatskasse,  die  für  die  Zeit  von   1861-1923   vorhanden 
sind'    Eine  vorzügliche  Ergänzung  zu  diesen   Quellen  bilden   die   Rekrutierungs- 
stammrollen  für  die  Stadt  Oldenburg  sowie  für  die   später  eingemeindeten  Orte 
Eversten  und  Osternburg  \  Diese  Register  verzeichnen  Geburtstag  und  -ort,  Namen 
und  Beruf  der  Eltern  und  des  Wehrpflichtigen  sowie  die   Religionszugehörigkeit, 
ferner  etwaige  Musterungen  an  anderen  Orten  und  oft  auch  den  Zielort  oder  den 
Ort  der  zuständigen  Verwaltungsbehörde,  wenn  der  Wehrpflichtige  wieder  weiter- 
gezogen war.  So  ist  es  möglich,  sämtliche  in  Oldenburg  20  Jahre  vor  der  Musterung 
geborenen  oder  zur  Zeit  der  Musterung  in  Oldenburg  wohnhaften,  zwanzigjährigen 
Männer  jüdisdien  Glaubens  zu  erfassen.  In  dem  nachstehenden  Verzeichnis  sind  diese 
in  alphabetischer  Folge  aufgeführt.  Aufgenommen  wurden  auch  diejenigen  Wehr- 
pflichtigen, die  aus  bekannten  jüdischen  Familien  stammten,  aber  getauft  waren, 
sowie  einige  Wehrpflichtige,  bei  denen  auf  Grund  des  Namens  und  zweifelhafter 
Religionszugehörigkeit  Herkunft  aus  jüdisdien  Familien  vermutet  wurde.  Die  Stamm- 
rollen beginnen  mit  der  Gründung  des  Norddeutschen  Bundes  und  enden   1918. 
Erfaßt  wurden  die  Geburtsjahrgänge  1847-1900,  da  in  den  letzten  Kriegsjahren 
audi  jüngere  Männer  gemustert  wurden.  Es  sind  also  die  Angehörigen  von  2  Gene- 
rationen allein  in  den  Stammrollen  enthalten,  wozu  noch  die  Elterngeneration  tritt. 
Durdi  die  erwähnten  Quellen  für  die  frühere  Zeit  lassen  sich  einige  Familien  bis 
in  die  Zeit  vor  1800  zurückverfolgen. 

Die  Herkunftsangaben  ermöglichen  zunächst  einen  Überblick  über  die  in  Olden- 
burg ansässigen  Familien  und  über  den  vorübergehenden  Aufenthalt  oder  die 
dauernde  Niederlassung  zuwandernder  Juden.  Bis  zur  Emanzipation  war  infolge  der 
Handhabung  des  Judenschutzes  ihre  Zahl  nicht  groß,  obwohl  Regierung  und  Ein- 
wohnersdiaft  den  Juden  offenbar  nicht  unfreundlich   gegenüber  standen'.   Spater 

1  Niedersädis.  Staatsardiiv  Oldenburg  (künftig  abgekürzt  St.  A.  Old.).  Best.  31  Um  1935/1938 
hat  der  damalige  Ardiivdirektor.  Dr.  H.  Lübbing,  ein  Verzeidinis  über  die  in  diesen  Akten  genannten 
Juden  mit  ausführlidien  Angaben  über  Herkunft  und  Familienverhältnisse  angefertigt  (ebd  Best. 
210  Y  7)  -  Die  Akten  des  Magistrats  s.  ebd..  Best.  262  -  1.  A  III  3.  1  und  5.  Auszuge  hieraus 
wurden  im  Stadtardiiv  angefertigt  (um  1935/1937?)  (ebd..  Best.  261  -  1,  Samml.). 

2  Ebd.,  Best.  254.     —  ^  Ebd..  Best.  70,  Nr.  3017;  Best.  134.  Nr.  755-777. 

*  Ebd..  Best.  262  -  1,  Kämm.   1   y   1   bis  11;   1  z  1.17.  .  ,,      r        t-  t^- 

*  Joseph    Mendelssohn.    Eine    Ed<e    Deutsdilands,    Oldenburg    1845,    S.    93  ff.;    Leo    Trepp.    Die 
<'    Landesgemeinde  der  Juden  in  Oldenburg  (Old.  Balkensdiild,  H.  25—28.  1965). 

428 


Die  jüdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von  1867-1918  und  ihre  Vorfahren 


nahm  die  Zahl  dann  durch  die  Vermehrung  der  sehr  kinderreichen  Familien  und 
durch  weitere  Zuwanderung  zu.  184  5  wurden  die  jüdischen  Familien  in  der  Stadt 
auf  14  geschätzt  ^  Das  entspricht  genau  der  Zahl  der  Schutzjuden  von  1814.  1855 
betrug  die  Zahl  der  Juden  in  der  Stadtgemeinde  Oldenburg  104,  1895:  191,  1913: 

219'. 

Zu  den  ältesten  und  kinderreichsten  Familien  zählten  die  Nachkommen  des  schon 
im  Oldenburgischen  geborenen  Heinemann  Selig  Wallkeimer  (1773-1843).  Er  lebte 
vor  1812  in  Eckwarden  und  seit  etwa   1812  in  Oldenburg,  wo  er  Schlächter  und 
zugleich  Vorsteher  der  jüdischen  Gemeinde  war.  1815  erhielt  er  den  Schutz.  Ob  ein 
Zusammenhang  besteht  mit  dem  ebenfalls  angeblich  im  Oldenburgischen  gebürtigen 
Levy  Elias  Ballkeimer  (1758-1841),  der  in  Halstrup  Ackerbau  betrieb  (Schutz  1831), 
bedürfte   noch   der  Klärung.   Letzterer  war  ein   Sohn  des  Elias  Salomon  aus  dem 
Würzburgischen.  Heinemann  Selig  Wallkeimer,  verheiratet  mit  Minchen   Cokn  (* 
1784),  hatte  7  Söhne  und  1  Tochter,  die  zwischen  1809  und  1824  geboren  wurden, 
darunter  Benjamin,  gen.  Bernhard  (Vater  von  Nr.  186  und  189  und  Großvater  von 
184,  187  und  190  der  folgenden  Liste),  und  Victor  (Vater  von  Nr.  188  und  Groß- 
vater von  185,  191—193).  Seit  1806  wohnte  in  Oldenburg  Herz  Jacob  SteindaUl 
dessen  Nachkommen  sich  später  Stemtkal  schrieben.  Er  war  1783  in  „Admerode" 
(Großallmerode?)  im   Fuldaische/i   eeboren   und  heiratete   in   1.   Ehe   Feilchen,   die 
Toditer  des  wohl  6Ä-  1815  ge^^^^^^ Benjamin  Selig  und  der  Jette  (^  um  175  8 
Elsfleth).  Die  Schwiegermutter  betrieb  die  Schlachterei  des  Mannes  weiter,  die  dann 
der  Schwiegersohn  übernahm.  Benjamin  Selig  lebte  seit  1784  auf  dem  Äußeren  Damm 
vor  Oldenburg  und  war  der  Sohn  des  vermutlich  um  1788  gestorbenen  SeHg  Salomopi, 
da  er  in  diesem  Jahre  den  Schutzbrief  erhielt.  Möglicherweise  war  Selig  Salomon  ein 
Sohn  des  Salomon  Seelig  (Schutz  1722).  der  mit  der  Tochter  des  Schlachters  Meyer 
Goltsdipnit  (Schutz  1703)  verheiratet  war.  Zu  den  7  Kindern  des  Herz  Jacob  Stein- 
äakl  gehörte  Levi  (Louis)  Herz  Steintkal  (Vater  von  Nr.  169  und  170.  Großvater 
von  168).  Sehr  verbreitet  war  die  Familie  Reyershack.  Auch  ihre  Herkunft  läßt  sich 
redit  genau  ermitteln.  Stammvater  war  Moses  Levi,  der  noch  1811  in  Reyersbach 
(Unterfranken)  lebte.  Seine  Söhne  wanderten  nach  Oldenburg  ab  und  nahmen  dann 
dort  seit  etwa  1815  den  Namen  ihres  Herkunftsortes  als  Familiennamen  an.  Levi 
Moses  Reiersbadt  (1779-1848),  ab  1809  Händler  in  Jever,  ab  1812  in  Oldenburg 
(Sdiutz  1815),  heiratete  Jette  (gen.  Jente)  (1776—1836),  die  Tochter  des  seit  1758 
in  Oldenburg  lebenden  Alexander  Abraham  Süßkind.  Zu  den  5  Kindern,  geboren 
zwischen  1813  und  1818,  gehörten  Moses  Levy  (*  1813,  Vater  von  Nr.  142  und  144. 
Großvater  von  145,  141.  143.  146  und  vermutlich  147)  und  Friederike  (*   1815). 
die   Frau   des   oben   genannten   Victor    Wallkeimer.   Der   Bruder   des   Levi    Moses 
Reiershadi,  Israel  Moses  Reiersbadt  (*  1781).  lebte  schon  seit  1810  in  Oldenburg 
(Sdiutz  1815)  als  Sdilachter  und  war  mit  Friederike  Meyer  verheiratet.  9  Kinder 
gingen   in  den  Jahren   1812—18  32   aus  der  Ehe  hervor,   darunter  (Meyer)   Moses 
Reyersbadi  (*  1825,  vermutlich  Vater  von  Nr.  148).  Ein  weiterer  Bruder  des  Levi 
Moses,  Mendel  Moses,  lebte  vor  und  dann  wieder  ab  1817  bei  seinen  Brüdern  in 
Oldenburg. 

Aus  der  seit  1668  in  Aurich,  vorher  in  Hamburg  und  Altona  angesessenen  Familie 


«  Mendelssohn,  a.  a.  O..  S.  94.  Joseph  Mendelssohn  war  der  Bruder  des  unten  genannten  Salomon 

Mendelssohn. 

'  Paul  Kollmann.  Statistisdie  Besdireibung  der  Gemeinden  des  Herzogtums  Oldenburg,  Oldenburg 
1897,  S.  245;  Meyers  Orts-  und  Verkehrslexikon  des  Deutschen  Reiches,  5.  Aufl.,  hrsg.  v.  E.  Uetrecht, 
Leipzig/Wien   1913. 


429 


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Die  jüdisdien  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von  1867-1918  und  ihre  Vorfahren 


Balliu  "  wanderten  um  dieselbe  Zeit  ebenfalls  3  Brüder  nach  Oldenburg  aus.  Söhne 
des  Joseph  Meyer  Ballin.  Der  älteste.  Samuel  Joseph  Ballipt  (1778-1870),  betätigte 
sich  seit  etwa  1812  als  Lichtfabrikant  in  Oldenburg  und  war  mit  seiner  Base  Bella 
BalliH  (*  1785)  verheiratet.  7  Kinder  hatte  das  Paar,  geboren  zwischen  1806  und 
1826.  Meyer  (später  Moritz)  Samuel  Ballm  wurde  Maler  (Vater  von  Nr.  10,  5,  4,  und 
14),  August  Samuel  (*   1826)  war  für  eine  Zeit  nach  Hamburg  gezogen,  ließ  sich 
aber  später  wieder  in  Oldenburg  als  Kaufmann  nieder  (Vater  von  6,   7,   9,   12). 
Gottschalk  Joseph  Ballin  (1789-1876)  der  Bruder  Samuel  Josephs,  lebte  ebenfalls 
seit  1812  in  Oldenburg  (Schutz  1815)  und  heiratete  1820  Bräunchen  (1798-1883), 
die  Tochter  des  Joseph  Barudi  Goltsdtmidt.  Zu  ihren  6  Kindern,  geboren  zwischen 
1821  und  1841,  gehörten  Carl  (Vater  von  Nr.  IIa  und  13,  Großvater  von  IIb  und 
4a)  und  Georg  Bernhard  (Vater  von  Nr.  8).  Der  dritte  Bruder  von  Samuel  Joseph, 
Coßmann  Joseph  ßa//fM  (1788—1820)  lebte  gleichfalls  in  Oldenburg  seit  1812  (Sdiutz 
1815)  und  starb  unverheiratet.  Aus  dem  Fürstentum  Münster  stammte  der  in  Olde 
geborene  Levy  Jacob  (um   1758-1823),  der  seit  1783   in  Oldenburg  als  Trödler 
lebte  und  sich  später  lläau  nannte  (Schutz  1816).  Sein  Sohn  Jacob  Levy  (*   1805) 
war  Feldwebel,  Oberappellationsgerichtskopist,  zuletzt  Kaufmann  in  Jever  (Vater 
von  Nr.  87).  Die  Familie  Hahlo  aus  Hannoversch-Münden  faßte  1841  in  Oldenburg 
Fuß  mit  Siegfried  Hermann  Haklo  (1826-1908).  Sein  Vater,  Herz  Heinemann  HaUlo, 
war  der  Sohn  des  Heinemann  Salomon,  der   1808   den  Namen  Haklo  (nach  dem 
Vornamen  seiner  Frau  Chale  Müller)  angenommen  hatte.  Herz  Heinemann  heiratete 
Röschen  Ballw,  eine  Schwester  des  Samuel  Joseph  Ballm.  Bei  dessen  Bruder  Gott- 
schalk Joseph  wohnte  Siegfried  Haklo,  der  sich  18  57  mit  Wilhelmine  LöwcHsteiti 
vermählte,  der  Tochter  des  noch  zu  erwähnenden  Kaiphas  Levi  LöweHstein.  5  Söhne 
(Nr.  60,  61,  63,  64  und  66)  und  2  Enkel  (Nr.  63a,  62)  sind  in  den  Stammrollen 
verzeidinet.  Siegfrieds  Schwester  Johanna  heiratete  1848  Moritz  Ballm.  Eine  andere 
Sdiwester,  Bertha  (18  32—1915),  war  mit  dem  aus  Varel  stammenden  Simon  Gersott 
(1816—1893)    verheiratet   (Vater   von    Nr.    47    und    46).    Der   in    Jever    geborene 
Salomon  Mendelssohn  (1813—1892)  war  der  Sohn  des  in  „Horb"   am  Rhein  ge- 
borenen Moses  Mendelssohn  (*  1781),  der  seit  1809  in  Jever  lebte  (Schutz  1830) 
und  1823—182^  vorübergehend  nach  Hamburg  gezogen  war.  Die  erste  Frau  des 
Moses.  Gole  Schwabe  (Schutz  1806  und  1807),  starb  1826.  Er  heiratete  dann  1833 
Rosette  Philippsohn,  geb.  Feilmann.  Salomon,  auf  dessen  Bedeutung  später  noch 
eingegangen  werden  soll,  wurde  1843  als  Turnlehrer  nach  Oldenburg  berufen  (Vater 
von  Nr.  122,  123,  Großvater  von  121).  Aus  Lübeck  stammte  Simon  Levi  Landsberg 
(^  1804),  der  zunädist  als  Lehrer  tätig  war.  1822—18  30  in  Harburg  und  Diepholz 
und  ab  18  30  in  Delmenhorst,  ab  18  38  in  Oldenburg  lebte,  wo  er  Vorbeter  und 
Schächter  war  (Schutz  1838).  Seine  Frau  Caroline  Reyersback  (=f   1812)  war  eine 
Toditer  des  oben  genannten  Israel  Moses  Reiersback.  Ihre  Söhne  (Nr.  96.  97)  und 
Enkel  (Nr.  94,  95)  sind  unten  verzeichnet.  Die  Familie  Löwenstein  ist  seit  der  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  im  Oldenburger  Land  ansässig.  Stammvater  war  Kaiphas  Levi, 
der  in  Oldenburg,  seit  1759  in  Ovelgönne  lebte  (Schutz  1765,  1788).  Die  Söhne 
waren  Salomon  Kaiphas  (Sdiutz  178  8),  Levy  Caiphas  (1797  Sdiutz  abgelehnt)  und 
Leib  Levy,  der  in  Ovelgönne  1810  Land  gepachtet  hatte.  Seine  Witwe  (Schutz  18  37) 
wohnte  später  in  Jever.  Den  Namen   Löwenstein  nahmen  wohl  erst  er  oder  seine 


8  Über  diese  Familien  sowie  die  Familien  Hahlo.  Weinberg  und  Goldsdimidt  hat  Herr  Dr.  Dr.  Ernst 
August  Ballin.  Bad  Godesberg,  Stammtafeln  bearbeitet.  Idi  danke  ihm,  daß  er  mir  die  Einsiditnahme 
gestattet  hat,  sowie  Herrn  Dr.  Walter  Sdiaub.  Oldenburg,  der  mir  Absdiriften  hiervon  zur  Verfügung 
stellte. 


430 


•V:-^ 


;^^ 


Die  jüdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von  1867-1918  und  ihre  Vorfahren 


Söhne  an.  von  denen  David  Levy  (♦  1804)  Viehhändler  in  Burhave  wurde  (Schutz 
18  37).  Kaiphas  Levi  {*  1806)  begründete  in  Jever  eine  Baumwollweberei  (Vater 
von  Nr.  110).  Moritz  (*  1816)  lebte  als  Arzt  in  Jever. 

Der  Braudi  der  Namengebung  nach  dem  Herkunftsort,  der  schon  bei  der  Familie 
Reyershack,  vielleicht  audi  bei  der  Familie  lldau  (nach  Ölde?)  begegnete,  ist  auch  bei 
der  Familie  Hattendorf  zu  beobachten,  die  in  Hatten  ansässig  war  und  sich  entweder 
nach  diesem  Dorf  oder  nach  Hattendorf  (Kr.  Grafsch.  Schaumburg)  genannt  hat. 
Salomon  Elias,  der  1804  heiratete,  lebte  in  Hatten  als  Händler  und  Tagelöhner 
(Schutz  1814,  1815,  1831).  1842  lebten  noch  7  Kinder  von  ihm.  Bekannt  sind 
hiervon  der  mit  Jette,  einer  Tochter  von  Moses  Weinberg  in  Wildeshausen  verlobte 
Insel  Salomon  Hattendorf,  der  eine  Brinksitzerei  in  Hatten  kaufte,  wo  er  seit  1824 
die  väterliche  Handlung  betrieb  (Schutz  18  34).  Sein  Sohn  war  Salomon,  gen.  Eduard 
Hattendorf  (Vater  von  Nr.  68  und  74),  vielleicht  auch  Heinrich  (Vater  von  Nr.  69, 
70,  72).  Sein  Bruder  Levy  Hattendorf  hatte  vergeblich  1842  um  Schutz  in  Ostern- 
burg nachgesucht.  Ein  Bruder  von  beiden  könnte  der  in  Hatten  geborene  Elias 
Hattendorf  (1819—1872)  gewesen  sein  (Vater  von  Nr.  71  und  73). 

Die  letzte  von  auswärts  zuwandernde  Familie  von  bedeutenderer  Mitgliederzahl 
war  die  Familie  Weinberg.  Levi  Salomon  Weinberg  (1825-1905),  in  Schwerte  als 
Sohn  des  dortigen  Handelsmanns  Salomon  Jacob  Weinberg  geboren,  hatte  185  5  in 
Oldenburg  Therese  Ballin  (1820-1913)  geheiratet,  die  Tochter  des  Samuel  Joseph 
Ballin,  und  lebte  wohl  seit  mindestens  dieser  Zeit  hier  (Vater  von  Nr.  197,  198, 
202,  204,  205).  Sidier  verwandt  mit  ihm  waren  der  in  Leer  gebürtige  Hermann 
Weinberg  (*  1848),  der  seit  mindestens  1880  in  Oldenburg  lebte  (Vater  von  Nr.  195. 
200,  203),  Levi  Weinberg,  zuvor  in  Detern  bzw.  Deternerlehe,  seit  etwa  1902  in 
Oldenburg  (Vater  von  Nr.  196  und  201),  und  Jacob  Weinberg  in  Sdiwerte  (Vater 
von  Nr.  202). 

Soweit  sie  nicht  schon  in  der  Stadt  oder  im  Lande  Oldenburg  ansässig  waren, 
kamen  die  Vorfahren  der  sdion  vor  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  in  der  Stadt 
Oldenburg  wohnhaften  Juden  also  aus  Ostfriesland  (Ballin),  Westfalen  (lldau,  Wein- 
berg), dem  Rheinland  (Mendelssohn),  dem  Raum  Fulda  (Steintkal),  aus  Franken 
(Reyersbadi,  Wallkeimer?),  aus  Lübeck  (Landsberg)  und  aus  dem  Hannoversdien 
(Hahlo),  vielleicht  auch  aus  Schaumburg-Lippe  (Hattendorf?).  Es  erfolgte  dagegen 
keinerlei  Zuzug  aus  Mittel-,  Ost-  und  Süddeutsdiland  südlidi  der  Mainlinie.  Soweit 
die  Geburts-  oder  Herkunftsorte  der  meist  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 
geborenen  Väter  der  Wehrpflichtigen  ermittelt  werden  konnten,  ergibt  sich  ein  ähn- 
lidies  Bild.  Neben  der  Stadt  Oldenburg  sind  es  vor  allem  kleinere  Orte  der  weiteren 
Umgebung  (Neuenbrok,  Hatten,  Wardenburg,  Berne)  und  die  Kleinstädte  Jever, 
Wildeshausen,  Cloppenburg  und  Veciita.  Auffällig  ist  dabei,  daß  aus  dem  bis  1803 
zu  Münster  gehörigen  Gebiet  nur  Cloppenburg  und  Vechta  vertreten  sind.  Aus  Ost- 
friesland erscheinen  Leer  (Weinberg),  aus  den  Niederlanden  Winsdioten  und  Gro- 
ningen (Leuwarden,  de  Wries),  aus  der  Rheingegend  Frankfurt  (Strauf^),  aus  Mittel- 
deutsdiland  Naumburg  (Bamberger),  aus  Franken  Schwabach  (Wedisler). 

Wesentlidi  anders  sieht  die  Zusammensetzung  aller  Wehrpfliditigen  ab  1867  nach 
ihrer  landschaftlichen  Herkunft  aus '.  Natürlich  überwiegen  nodi  die  gebürtigen 
Oldenburger  (Stadt  Oldenburg  mit  Osternburg  und  Eversten  111,  übrigens  Olden- 
burg 11).  Auch  hier  ist  das  Münsterland  kaum  vertreten.  Dann  folgen  die  Preußen 
mit  80.  Die  Zahl  ist  nicht  nur  so  hodi  wegen  der  Größe  Preußens,  sondern  auch 
wegen  der  Nachbarschaft,  denn  an  Oldenburg  grenzten  allein  3  Regierungsbezirke 


•  Vgl.  die  Zusammenstellung  am  Sdiiuß. 


431 


m 


Die  jüdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von  1867-1918  und  ihre  Vorfahren 


der  Provinz  Hannover:  Aurich.  der  am  stärksten  in  Erscheinung  tritt  (14),  Stade 
und  Osnabrück.  Auch  die  Provinzen  Westfalen  (8)  und  Rheinland  (5)  sind  noch 
stärker   beteiligt.    Einschließlich    eines    Schleswig-Holsteiners    und    zweier    Hessen- 
Nassauer  stellten  die  westlichen  Provinzen  Preußens,   also  etwa  das  westlich  der 
Elbe  gelegene  Gebiet,  48  Wehrpflichtige,  die  sich  während  der  Musterung  in  Olden- 
burg aufhielten.  Den  mittleren  Provinzen  (Sachsen  5,  Brandenburg  5)  entstammten 
nur  10    Weitaus  stärker  ist  dann  wieder  der  Anteil  aus  den  östlichen  Provinzen. 
So  kamen  aus  Schlesien  9,  Posen  6,  Westpreußen  3.  Pommern  und  Ostpreußen  je  2, 
insgesamt  22  Pflichtige.  Inwieweit  dieser  Zuzug  aus  dem  Osten  sich  im  Rahmen  der 
Zuwanderung  nach  den  übrigen  deutschen  Ländern  hielt,  das  bedürfte  noch  näherer 
Feststellungen.  Wahrscheinlich  dürften  auch  einige  weitere  Familien  ursprünglich  aus 
östlicheren  Gegenden  gestammt  haben,  wie  aus  den  Namen  zu  schließen  ist.  so  etwa 
die  landsherg,  Qutentag,  Tkomer,  Willner  '\  Aus  den  übrigen  deutschen  Ländern 
waren  wiederum  mit  Ausnahme  eines  Ortes  im  bayrischen  Franken  jüdische  Ein-  oder 
Auswanderer  nur  aus  den  nördlich  des  Mains  gelegenen  Territorien  gekommen,  je  2 
aus  Lippe,  dem  Großherzogtum  Hessen,  Anhalt,  Hamburg,  Bremen  und  Lübeck  und 
4  aus  Mecklenburg-Schwerin.  Eigentliche  Ausländer  waren  2  gebürtige  Niederländer 
und  2  in  Rußland  geborene  Juden,  wozu  noch  ein  in  Bremen  geborener  russischer 
Staatsangehöriger  kommt  (Hirscktick)  und  der  ungarische  Staatsangehörige  Fried- 
mann.  Die  Religionszugehörigkeit  eines  Österreichers  (Nr.  49)  ist  zweifelhaft.  Mog- 
licherweise war  er  kein  Jude. 

So   vielfältig   wie   die   Herkunftsorte   waren   die   Berufe   der   gemusterten   Juden 
keineswegs   Das  liegt  daran,  daß  bei  den  bekannten  Beschränkungen  die  Juden  vor 
der  Emanzipation  großenteils  nur  Handel  treiben  durften.  Es  dauerte  dann  meistens 
mehrere  Generationen,  bis  sie  die  ihnen  bisher  vorenthaltenen  Berufe  und  Stellungen 
in  der  Gesellschaft  in  größerem  Umfang  ausüben  konnten.  Die  Berufe  der  wehr- 
pflichtigen Juden  und  ihrer  Väter  spiegeln  diese  Entwicklung  wieder.  So  waren  zwei 
Drittel  der  Väter  im  Handel  und  als  Unternehmer  tätig.  56  wurden  als  l*^autleutc 
bezeichnet,  37  als  Händler.  Die  Grenzen  zwischen  diesen  Gruppen  dürften  fließend 
gewesen  sein.  Wahrscheinlich  nannten  sich  die  angeseheneren  und  wohlhabenderen 
Kaufleute,  doch  dürften  unter  den  Händlern  auch  einige  nicht  unvermögend  gewesen 
sein,  etwa  die  7  Viehhändler  und  1  Getreidehändler.  Zu  den  oberen  Schichten  ist 
ein  Apotheker  und  1  Bankier  zu  zählen,  beide  aus  der  Familie  Ballin,  deren  Mit- 
glieder seit  der  2.  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts,  mehrfach  in  akademischen  Berufen, 
in  führende  Stellungen  aufrücken  konnten.  Erleichtert  wurde  dies  durch  den  Übertritt 
zur   evangelischen   Kirche   und   die    Eheschließung   mit   nichtjüdischen    Frauen.    An 
nächster  Stelle  folgen  unter  den  Berufen  der  Väter  die  Handwerker,  die  mit  31  noch 
ein  Fünftel  ausmachen.  Die  hohe  Zahl  der  Schlachter  (14)  erklärt  sich  daraus,  daß 
für  die  Gemeinde  zur  Lieferung  koscheren  Fleisches  die  Anwesenheit  jüdischer  Schlach- 
ter erforderlich  war.  Auffällig  ist  dann  noch  die  Zahl  der  Maler  (5),  während  die 
Gerber  (3)  offenbar  durch  den  gern  von  Juden  betriebenen  Fell-  und  Pelzhandel 
herbeigezogen  wurden.  Die  übrigen  Handwerker  sind  meist  nur  einmal  vertreten 
(Glaser,  Buchbinder,  Schneider,  Goldarbeiter,  Fotograf,  Kürschner,  Bäcker,  Klemp- 


»0  Der  Reichstagsabgeordnete  Otto   landsherg  (186^-1-557)   stammte  aus  Breslau   (Ernest  Harn-   i^ 
burger.  Juden  im  öffentlichen  Leben  Deutschlands.  Tübingen  1968.  S    509  f).  Eine  >chles.sche  Familie  * 
Guttentag,    genannt    offenbar    nadi    Guttentag.    Reg.bez.    Oppeln     lebte    in    Breslau    (Stefi   Wenrel. 
jüdisdie  Bürger  und  kommunale  Selbstverwaltung  in  preußisdien  Städten   1805-1848    Berlin    19o7. 
S    84.  88).  Der  Familienname  VJillner  soll  auf  Herkunft  aus  Wilna  hinweisen  (frdl.  Miti.  von  Frau 
Frieda  Meiners.  geb.  Willner.  Hundsmühlen.  Vgl.  audi  Anm.  81  ff.). 


432 


Die  jüdisAenWejupfljdnigenJ^^  1867-1918  und  ihre  Vorfahre^ 


„er),  beweisen  aber  eine  gewisse  Vielseitigkeit,  wie  -^"  ^'y»"".  ""2"  Zahl  tr 
MA,L  Pmvinzen  des  Reiches  vermuten  wurde.  Ebenso  auHallig  ist  die  z-am  aer 
3  Arbeiter  Au"  dem  Be  eich  von  Schule  und  Synagoge  sind  vor  allem  die  beiden 
T  .nSinef  zu  nennen  (Wechsler.  MannUeimer).  die  ja  innerhalb  der  Gemeinde 
t  Ifuni:  die" Sti  Stelle  in  der  Kultverwaltung  einnahmen^  ferner  4  Lehrer. 
T  Professor.  1  Kantor  und  1  Kirchen-  (d.  h.  wohl  Synagogen-)  Diener. 

Stg-on^lt^eV  da  sie  als  Z-nzigjahrige^  im  Kne.e  a"^;"  -*  .n^e.n 

iSeb^ SeTertgi  tri:rtl':are:'Ll%'In  vttorben  oder  mit  den  Eltern 
:C  gewandert    7  waren  noch  Schüler.  4  Studenten.  1   Seminarist.  Den  Haup tant  i 
stellen  immer  noch  die  im  Handel  tätigen  Pflichtigen,  insgesamt  118.  darunter  32 
Kau  leutT^der  Händler,  78  Handlungsgehilfen  (oder  Ha"dlungscomm.s  Hand  ung  - 
lehdinge)  und  7  Bankangestellte.  Es  folgt  die  Gruppe  der  Handwerker  (34).  »n  der 
wiederum  die  Schlachter  (6)  und  die  Maler  (4)  an  der  Spitze  stehen.  6  waren  ,n  ver- 
TchiedenTn  untergeordneten  Stellungen  beschäftigt.  6  als  Arbeiter    eine  wieder  ver- 
htltniSig  hohe  Zahl.  Unter  den  4  Künstlern  sind  2  SAauspie  er  hervorzuheben 
(Nr    iTo    156).  von  denen  aber  offenbar  nur  Gustav    oseph  Sa/omo«  am  Olden- 
hur^rTheate    engagiert  war.  wo  er  in  mehreren  Spielzeiten  als  geschätzter  Dar- 
steller auftrit"  "m  Ganzen  ergibt  sich  eine  größere  Vielfalt  und  eine  Zunahme 
der  akademLlen  Berufe,  die  auch'  einige  der  nodi  als  Sdiüler  oder  o  ne  Berufsangabe 
eingetragenen  Wehrpflichtigen  ergriffen  haben  (z.  B.  Nr   4a.  IIa,  IIb.  63a^  Neben 
der  bereits  erwähnten  Familie  BaWm.  die  u.  a.  einen  Bf^direktor.  einen  Apotheker 
einen  Oberkreisdirektor  und  einen  Musikwissenschaftler  g«^«"',  l^«''  "^!^".  f  .!°' 
allem  die  Familien  MendeUsohyi  und  Weinberg,  aus  ''^"^^"^Jrhate  Person  idike.ten 
hervorgegangen  sind.  Salomon  MendehsoUu  hatte  siA  als  Turnlehrer  >"  ^]"  """^ 
Oldenburg  nicht  nur  um  das  oldenburgische,  sondern  überhaupt  um  das  deutsdie 
furnwesen  sehr  verdient  gemacht  ^  eine  vielleicht  '"  D-ts*land  e.„„  hge  E  - 
scheinung.  Es  spricht  auch  für  die  Unvoreingenommenheit  der  »'^^"^"■^«'f*^"  ;*,"' 
behörden'  daß  sie  einen  Juden  Turnunterri At  am  Gymnasium  ■h'"«  R">denz    "-J^" 
ließen,  das  die  Söhne  der  bekanntesten     ami.en  besuj ten    Se  "  Soh     L"dwi|/^N. 
123)  war  von  1876  bis  zu  seinem  Tode  (1896;  l-rotessor  aer  diicn  <-- 
DorDat"     Ludwigs    in    Dorpat    geborener   Sohn    Eridi    studierte    in    Leipzig,    doch 
Snd     Fakultät    und    späterer    Beruf     unbekannt.    Von     1919-1924     leitete    das 
LndgeS   a"   Pi^sident  Emil  Weinberg  (Nr.  197)^  Er  bekleidete  damit  die  hoA^e 
Stelle    die  ein  nicht  konvertierter  Jude  jemals  in  Oldenburg  erreicht  hat.  Offenbar 
war  dies    wie  im  übrigen   Reichsgebiet,   auch  erst  nach   dem   Ende  der  Monarchie 
m"glfÄ  '•   Daß  man  auch  hieran  offenbar  keinen  Anstoß  nahm,  beweist  der  positive 
Nadiruf.  den  der  weitverbreitete  Oldenburgische  Hauskalender  (1926)  gebracht  hat. 

"~^R"TTalwiek    Chronik  des  alten  Theaters  in  Oldenburg.  Oldenburg  1881,  S    172.   IJ»- J;*'- 
"  KarV Peters,  Salomon  Mendelssohn.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Turnwesens  (Old.  Jahrb.  58. 

'".'■vgl.  künftig  Deutsdr-Baltisches  Biographisdres  Lexikon,  hrsg.  v.  Wilhelm  Lenz.  Köln-Graz  1.70 
oder  1971    (nach   frdl.  Mitt.  d.  Hrsg.).  u^„,u„ra^r    Der  seit    X'^Oi   als  Minister   in 

beim  Reich  amtierende  Hermann  Schecr  (185  5-1928)  war  in   Jever  ,  j„^^  „j^it- 

Moritz  Löwenstein  geboren,  wurde   1856  getaut  und  nahm   1885   den   »"^"^"^""^"^^ 
Jüdischen  Mutter  an    Er  war  ein  Vetter  des  Carl  August  Lowenstem  ( ^^   Nr.  110). 

43? 


Die  iüdischen  WehrpfliAtigen  in  Oldenburg  von  1S67-1918  und  ihre  Vorfahren, 


auch  die  physischen  Existenzmöglichkeiten  raubte    Nur  enTe.lde^^n^ 
stehenden  Liste  verzeichneten  Juden,  die  das  J^l^/ l^.^'  "lebt  '^^^'="' ^°  , 

äüdi  zum  Schidcsal  der  Juden  in  Oldenburg  ab  193  3.  für  diesem  Gedenkbuch  nach 
dem  Vorbild  anderer  Länder  und  Städte  in  Vorbereitung  ist    .  ^p^^,^^,^„„^  ,„,^) 

-Tr^li;7hierfür  sind  dne  Zusammenstellung  ''"S.ad.ve^al.ung  Oldenburg^  „^^^^^ 

=£'gl.^^?t?.  rda^  BÄÄ^  BS.naHJe  in  dieses   Ma.erial. 
'•Die  Bearbeitung  durch  Herrn  Dr.  Enno  Meyer  wird  vorbereitet. 


iSxz  iü5ifcl)en  Hleljupflidnigen  in  Oldenburg  t)on  1867-1918 
unb  il)ue  T)ocfal)cen 

Von  Harald  Schieckel   (I.  Fortsetzung) 

Verzeichnis  der  wehrpflichtigen   Juden   in  Oldenburg 
von     1867—1918 

Vorbemerkungen:  In  alphabetischer  Reihenfolge  werden  nachstehend  alle  Wehr- 
pfhchtigen  aufgeführt,  die  nach  der  Religionsangabe  in  den  Rekrutierungsstammrollen 
als  jüdisch  (israelitisch,  mosaisch)  bezeichnet  wurden  oder  bei  denen  eine  Abkunh 
aus  einer  jüdischen  Familie  zu  vermuten  ist.  In  letzterem  Fall  wird  ein  Fragezeichen 
vorgesetzt.  In  eckigen  Klammern  werden  die  Namen  der  Eltern  angegeben.  Als 
Quellen  dienten  neben  den  Rekrutierungsstammrollen  hauptsächlich  die  Kartei  über 
die  jüdischen  Personenstandsregister  des  Herzogtums  Oldenburg,  die  Kirchenbuch- 
zweitschriften sowie  Auskünfte  der  Gesellschaft  für  christlich-jüdische  Zusammen- 
arbeit, Oldenburg. 

1  kUron,  Paul  [David  kUron,  Maler,  und  Pauline  S^pamer,  in  Erle],  1908  Schau- 
fensterdekorateur in  Oldenburg.  *  Wunstorf  (Kr.  Neustadt  a.  Rbg.)  5.  6.  1888. 

2  ksdxer,  Moritz  Moses  [unehel.  Mutter:  Witwe  Hirsch  kscUer,  jetzt  Witwe 
Konneher%\,  1888  Maler  in  Oldenburg,  1890  nach  Bremen  überw.,  *  Olden- 
burg; 29.  4.  1869. 

3  ßa/er.  Alexander  [Levi  ^axer,  Schlachter  (t).  und  Rebecka  Nord/ie/mer|,  1897 
Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,   1898  abgem.  nach  Hagenburg,   -^  Papenburg 

31.  10.   1877. 

4  ^aWin,  Bernhard  (Baruch)  |Meyer,  später  Moritz  (Samuel)  MWxn,  Maler,  *  Ol- 
denburg (?)  10.  1.  1816,  t  Oldenburg  10.  6.  1869,  oo  1.  Hannover  8.  7.  1845 
Rosalie  Yrank'\  *  Hannover  (?)  1.  3.  1823,  t  Oldenburg  24.  3.  1849,  oo  II. 
Hannoversch-Münden  13.  11.  1849  Johanna  HaU\o'\  *  Hannoversch-Mun- 
den  (?)  20.  3.  (oder  5.)  1829,  f  Niederlande  (Amsterdam?)  in  hohem  Alterl, 
1877  Einj.  Freiw.  in  Oldenburg,  +  Oldenburg  29.  9.  18  59. 

4aBfl///M,  Ernst  August  [=  13],  1917  Schüler  in  Oldenburg,  1918  Soldat,  *  Ol- 
denburg; 5.  6.  1899'".  ^^   ,  ^,,1  ^1 

5  Ba//iH,^Ernst  Benjamin  Wolf  [wie  bei  Nr.  4],  1874  Maler  in  Oldenburg.  *  Ol- 
denburg 22.  8.  1854. 

6  Ba//iM,  Carl  Moritz  August  [August  %a\\m,  Kaufmann,  *  Oldenburg^  27.  8. 
1826,  oo  Varrelgraben  21.  11.  1855  Rosette  WallUeim(er)  aus  Verden'".  *  23. 
2.  18'35l,  *  Oldenburg  8.  8.  1861,  t  ebd.  (?)  2.  12.  1865. 

7  Ballin,  Friedrich  August  (Samuel)  [wie  bei  Nr.  6],  1877  Student  an  einem 
Polytechnikum,  *  Oldenburg  31.  8.  1857. 

8  Ballm  Gottfried  Ludwig  Otto  [Dr.  Bernhard  Georg  Ballin,  Apotheker,  *  Olden- 
burg 15.  12.  1841,  -  um  1900.  t  Oldenburg  2.  7.  1925.  OO  Oldenburg  22.  5. 


17  Tochter  von  Louis  Bernhard  Frank,  Hoflackierer.  Fabrikant  in  Hannover. 

1«  Tochter  von  Herz  Heinemann  Hahh  (       Großvater  von  Nr.  bO).  Em  weiterer  Sohn  aus  dieser 
Ehe  war  Paul  Hermann  Julius  Ballw,   *   Oldenburg  23.  b.   1864.  t  ebd.  26.   3.   1865   (nicht  in  der 

Stammrolle).  .  r.      i  a    i  •     •     d 

'«  Später  Dr    med    dent..  Dr.  phil.,  Musikwissenschaftler.  Assistent  am  Beethoven-Archiv  in  Bonn. 
•^»  Tochter  von  Rüben  WallUcim  in  Verden  und  der  Henriette  Wolf.  Sie  wird  mehrfach  auch  Wall- 

Ueimcr   genannt,    vielleicht    irrtümlich    in   Verwechslung   mit  der   in   Oldenburg  wohnhaften    Famihe 

WallUewter.  -  Ein  weiterer  Sohn  aus  dieser  Ehe  war  Otto  August  Ballin,  +  Oldenburg  16.  9.  1862. 

t  ebd.  29.   1.   1866  (nicht  in  der  Stammrolle). 

464 


% 


Die  jüdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von  1867-1918  und  ihre  Vorfahren 


'SÄ^ 


1877  Clara  Laura  Hoffimnn,  ev.,  *  Stargard  7.  11.   1845.  t  Oldenburg  7.  J. 
1910],  1900  in  Oldenburg,  Berecht. -schein  "'. 
9  Ballm,  Johannes  (-  Juda)  [wie  bei  Nr.  6].   1880  nach  Amerika  ausgewandert. 
*  Oldenburg  31.  12.  1863.  ^,,     . 

10  Balliyi,  Julius  [wie  bei  Nr.  4|.  1867  Kaufmann  in  Oldenburg.  *  Oldenburg  18. 

7     1 847. 

11  Balliyi,  Ernst  Johann  [Carl  Joseph  Ballin,  Bankier.  *  Oldenburg  2S.  ^-^^J^- 
-^  4.  11.  1901,  t  Oldenburg  25.  5.  1918.  ^  Osternburg  2S.  5.  1918,  oo  Olden- 
burg 18.  6.  1867  (Ziviltrauung)  Hermanna  Wilhelmine  Caroline  Sophie  Will. 
ev.,  *  Osternburg  14.  9.  1841,  t  Rostock  26.  6.  1906,  ^  Osternburg  29.  6. 
1906  "^1,  1893  Landmann  in  Oldenburg,  dann  Einjähr.-Freiwill.,  *  Oldenburg 

28.   10.  1873  ". 
llaßa//iH,  Gustav  Johann  Bernhard  [wie  bei  Nr.  1  l],  1888  Primaner  in  Oldenburg. 

1890  Einjähr.-Freiwill.  in  München.   *   Oldenburg  29.4..  -  4.6.1868". 
llbß^//fH,  Karl  Wilhelm  Gustav  [=  Nr.  13|,  1914  Kriegsfreiwilliger,  *  Oldenburg 

18.  8.,  -  3.   10.  1896''.  . 

12  Ballin,  Rudolf  August  (-  Rüben)  [wie  bei  Nr.  6|.  1878  Handlungscommis,  soll 
nach  Amerika  ausgewandert  sein.  +  Oldenburg  16.  11.  18  59 

13  Ballin  Wilhelm  Georg  [wie  bei  Nr.  ll],  1889  Banklehrling  in  Oldenburg, 
1890  Einjährig-Freiwill.  ^•\  *  Oldenburg  4.  10.,  -  15.  12.  1869,  oo  Hannover 
15.  11.  1895  Marie  Justine  Auguste  Med^e,  *  Norden  19.  6.  1869. 

14  Ballin,  Wilhelm  Heimann  [wie  bei  Nr.  4],  19.  2.  1867  ausgewandert,  *  Olden- 
burg 28.  6.  1852. 

15  Bamberger,  Adolf  Abraham  [Jacob  Bamherger,  Schlachter.  seit  18  56  in  Olden- 
burg, aus  Naumburg,  *  20.  6.  1829,  oo  Oldenburg  16.  8.  1864  Theodora 
Helene  Wilhelmine  (Eva)  Sdneiber  aus  Dangast,  wohl  ev.],  1886  Handlungs- 
lehrling in  Oldenburg,  *  Oldenburg  15.  5.  1866. 

16  Bamherger,  Bernhard  [wie  bei  Nr.  15],  1897  Kaufmann  in  Oldenburg,  1898 
abg.  nach  Höven.  1899  Soldat,  *  Oldenburg  16.  3.  1876,  nach  eigener  Angabe 

ev. 

17  Bamherger,  Elimar  (oder  Elias)  [wie  bei  Nr.  15],  1894  Viehhändler  in  Olden- 
burg, 1895  Soldat,  *  Eversten  1.  5.  1874,  1894  als  ev.  bezeichnet'". 

18  Bamberger,  Wilhelm  [wie  bei  Nr.  15],  1900  Kellner  in  Oldenburg,  abg.  nach 
Bremen,  *  Oldenburg  1.  3.  18  80. 

19  de  Beer,  Daniel  [Julius  Daniel  de  Beer,  Viehhändler,  und  Elise  Abrakapnson, 

2»  Später  Dr  jur  .  Obeilandcseeriditsrat  in  Oldenburg,  t  Berlin  21.  10.  l>^3o,  oo  Oldenburg 
21.   5.   IPIO  Louise   Elisabeth  Sdmüdt,   *   Oldenburg   3.    11.    1887   (4  Kinder.    *    zwischen    1^13    und 

1919  in  Oldenburg).  i    ■       a  c     u- 

2>a  Toditer  des  Georg  Conrad  Wi//.  Auktionsverwalter,  t  vor  18.  o.  18o7.  und  der  Anna  bophie 
Bernhardine  Sickermamt.  Das  Protokoll  und  die  Unterlagen  über  die  Ziviltrauung  in:  St.  A.  Old..  Best. 
144_1     Acc    7/69  (Eheschließungen  vor  Inkrafttreten  des  Personenstandsgesetzes). 

"  Später  Gutsbesitzer  in  Büttelkow  (Kr.  Wismar),  t  Büttelkow  2S.  s.  1925.  oo  Cassebohm 
Frieda  Beitha  Johanna  Okrt,  *  Wedendorf  b.  Rehna  11.  4.  1874.  f  Lübeck  18.  12.  194t>  (co  U. 
N   N.).  (2  Söhne   *   Büttelkow   1900  und    1902).  ^        ,    ,        .x 

■'■'  Später  Dr  med..  Augenarzt  in  Oldenburg,  t  Aiexandria  14.  11.  1911.  oo  Cassebohm  Mar- 
garethe  Käthe  Frieda  Wilhclmine  OUrt,  ♦  Langenbrütz  Med<l.  2c..  7.  1881  (Schwester  von  Frieda  O.. 
s    Anm    22)  (oo  II    N.  N..  oo  111.  N.  N.).  4  Kinder  (*  Oldenburg  zwischen   1902  und   191 1). 

24  Später  Oberkreisdirektor  in  Oldenburg.  CO  BirkenfcldNahe  Else  Brcmicr.  *  Saarbrücken  27.  1. 
1908  (3   Kinder,   *   Kiel   und  Oldenburg  zwischen    193  1    und    1938). 

"  Später  Filialleittr  (einer  Bank?)   in  Oldenburg. 

2«  Lebt  noch  1934  als  Landmann  in  Oldenburg,  dann  im  KZ.  als  ..Mischling  . 

465 


Die  jüdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von  1867-1918  und  ihre  Vorfahren 


27 


rA  ■Jv.^.''-^>ViS<iü^J 


t],  1915  Kaufmann  in  Oldenburg,  dann  Soldat,  *  Emden  4.  5.  1896 

20  Bemstein,  Julius  [Max  Bemsteipi,  Schuhwarenhändler,  und  Julie  Willpier,  1911 
in  Düsseldorf],  1911  Zapfer  in  Oldenburg,  dann  Soldat,  *  Dülken  10.  10.  1891. 

21  Bick,  Georg  [Louis  Bick,  Buchbinder,  und  Friederike  Hauff],  1892  Schriftsetzer 
in  Oldenburg,  1893  üb.  nach  Pinneberg,   *  Schwerin  (Kr.  Birnbaum)   30.  12. 

1872. 

22  Bijur,  Louis  [Salomon  Bijur,  Handelsmann,  und  Jette  Hirschfeld\,  1885  hoto- 
grafenlehrling  in  Oldenburg,  1887  üb.  nach  Bromberg,  *  lisch  (Kr.  Colmar, 
Prov.  Posen)  16.  7.  1865. 

23  Blayik,  Hans  Joseph  [Otto  Blaitk,  Kaufmann,  *  Coppenbrügge  25.8.  1866, 
und  Anna  Boryistein,  *  Liegnitz  27.  1.  1870],  1918  Kaufmannslehrling  in  Köln, 

*  Oldenburg  4.  l.  1900'". 

24  Blupuenherg,  Berthold  [Markus  Bhimenberg,  Arbeiter,  und  Emma  LeUmann\, 
1902  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  *  Hannover  25.  1.  1882. 

25  Cohen,  Friedrich  [Victor  Cohen,  Schladner,  ■\,  und  Minchen  Breslauer],  1908 
Bäcker  in  Oldenburg,  *  Neustadt-Gödens  7.  12.  1888. 

26  Cohn,  Adolf  (Abraham)  [Robert  Cohn,  und  Ernestine  Wolfsohn],  \2>9>6  Hand- 
lungsgehilfe in  Oldenburg  (b.  V^olfsohnl),  Ber.  seh.  f.  Einj.,  1887  nach  Halle/S. 
verzogen,  *  Lautenburg  (Kr.  Strasburg,  Westpr.)  5.  11.  1867. 

27  Cohn,  Rudolf  [Moritz  Colin,  Kaufmann,  und  Sara  Cohn],  1908  Handlungs- 
gehilfe in  Oldenburg,  *  Lübeck  16.  1.   1888. 

28  Cohn,  Salomon  [Hermann  Cohn,  Kaufmann,  und  Auguste  Neumann],  1911 
Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  +  Miloslaw  (Kr.  Wreschen,  Prov.  Posen)  12.  1. 

1891. 

29  Deichmann,  Iwan  [Julius  Deickmann,  Produktenhändler,  und  Bertha  Baumgarn], 
1898   Handlungsgehilfe  in   Oldenburg,   1899  üb.   nach  Barmen,   1900  Soldat, 

*  Dörverden  20.   11.  1878. 

30  Driels,  Hartwig  [Moses  Driels,  Schlachter,  und  Jette  Wohl],  1908  Handlungs- 
gehilfe in  Oldenburg,  1909  abg.  nach  Emden,  +  Emden  21.  4.  1888. 

31  Drucker,  Naphtali  [Jakob  Drud^er,  Kaufmann,  und  Recha  Grünehaum],  1917 
Schüler  in  Oldenburg  (wohnt  bei  dem  jüdischen  Lehrer),  dann  Soldat,  +  Ham- 
burg 20.  4.  1899. 

32  Eichwald,  Meier  [Heinemann  Eichwald,  f,  und  Eva  Eidtwald,  1876  in  Hof- 
geismar], 1876  Komiker  in  Oldenburg,  gemustert  1876  Hannover,  abg.  nach 
Schwerin,  +  Bühne  (Kr.  Warburg)  15.^12.  1856. 

33  Ehrmann,  Adolf  [Gustav  Ehrmann,  Glaser,  und  Pauline  Goldfisch,  f].  1895 
Glaser  in  Oldenburg,  abg.  auf  Wanderschaft,  1897  üb.  nach  Hamburg,  *  Öls 
15.  4.  1875. 

34  Eisenherg,  Eugen  [Bernhard  Eisenherg,  Restaurateur,  f,  und  Fanny  Krebs,  ■\], 
1898  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  1899  abg.  nach  Bielefeld,  *  Gleiwitz 
14.  3.  1878. 

3  5  Engländer,  Semmi  [Wolf  Engländer,  Schlachtermeister,  und  Eva  Polack,  tl- 
1903  Kommis  in  Oldenburg,  1904  Einj.,  *  Delmenhorst  14.  9.  188  3. 


27  Lebte  in  Rheine,  t  mit  Frau  und  2  Töchtern  KZ.  Buchenwald  16.  4.  1*945  (Gedenkstein  auf  dem 
jüdischen  Friedhof  in  Oldenburg-Osternburg).  Mehrere  weitere  Träger  des  Namens,  die  z.  T.  im  KZ. 
umgebracht  wurden,  z.  T.  emigrieren   konnten,  verzeichnen  die  Unterlagen  der  Ges.  f.  Christi. -Jüd. 

Zusammenarbeit. 

-"  Später  Inhaber  der  väterlichen   Firma  Leo  Steinberg  in   Oldenburg,   emigriert  nach   Palästina. 

lebt  jetzt  in  Frankfurt^Main. 


466 


Die  jüdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von  1867-1918  und  ihre  Vorfahren 


36  Feder,  Hermann  [Samuel  Feder,  Schneider,  und  Rosalie  RapUael],  1889  Hand- 
lungsgehilfe, dann  Arbeiter  in  Oldenburg,  *  Berlin  26.  9.  1869. 

37  Flatow,  Arthur  [Salomon  Flatow,  Fabrikarbeiter,  und  Pauline  Neugarteyi],  1906 
Polsterer  in  Oldenburg,  abg.  nach  Wilhelmshaven,  1907  üb.  nach  Magdeburg, 

*  Dortmund  5.  7.   1886. 

38  Fleischer,  Harry  [Wilhelm  Fleisdier,  Kaufmann,  und  Lina  Pimcms],  1909  Hand- 
lungsgehilfe in  Oldenburg,  abg.  nach  Bitterfeld,  *  Göritz  a.  O.  9.  8.  1889. 

39  Frapik,  Hermann  [Elias  Fra^k,  Kaufmann,  1904  in  Oldenburg,  und  Regina 
Stein,  *  Jever  11.  11.  1863],  1904  Schüler,  dann  Einj.  in  Oldenburg,  +  Jever 
20.  4.  1884. 

40  Frank,  Ismael  (oder  Israel)  Abraham,  gen.  August  [Isaak  Philipp  Frank,  Maler 
in  Neuenbrok,  f  Neuenbrok  11.  2.  1867,  und  Jeanette  Goldmann],  1870  Maler 
in  Oldenburg,  *  Neuenbrok-Oberhörne  6.  2.  18  50. 

41  Freund,  Arthur  [David  Freund,  Kaufmann,  und  Marie  Pick],  1906  Schneider 
in  Oldenburg,  1908  üb.  nach  Aachen,  *  Kattowitz  25.  3.  1886. 

42  Friedkeim,  Otto  [A.  L.  F.  Friedkeim,  Goldarbeiter,  f,  und  Therese  ladewig], 
1888  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  1889  verzogen  nach  Horde  b.  Dortmund, 

*  Malchow  (Kr.  Waren)  27.  9.  1868. 

43  Friedland,  Bernhard  [Moses  Emanuel  Friedland,  Eisenbahnhilfsarbeiter,  und 
Dora  van  der  Rkoer],  1911—191  3  im  Gefängnis  Düsseldorf,  *  Oldenburg  12.  9. 

1  891 

44  Friedland,  Julius  [wie  bei  Nr.  43],  1913  Reisender,  1914  Soldat,  *  Oldenburg 

29.  7.  1893. 

45  Friedmann,  Pinkus  [Naphtaly  Friedmann,  Kaufmann,  1912  in  Brüssel,  und 
Bertha  Pionkowski],  1912  in  Brüssel,  ist  ungarischer  Staatsangehöriger  *  Olden- 
burg 20.  12.  1892. 

46  Cerson,  Georg  (Israel)  [Simon  Gerson,  Bürstenfabrikant,  in  Oldenburg"",  ^  3. 
11.1816,  t  5.9.1893,  ^  Osternburg,  00  Bertha  HaUlo'",  +  3.  oder  30.4. 
1832,  t  30.6.1915,  ^  Osternburg],  1881  Einj.  in  Oldenburg,  *  Oldenburg 
11.4.  1861  ''\ 

47  Gerson,   Hermann    [wie  bei   Nr.   46],    1878    Handlungsgehilfe   in    Oldenburg, 

*  Oldenburg  5.  2.  185  8  ''. 

48  Goldkette,  Francois  [Hermann  Kalmann  Goldkette,  f,  und  Elise  Gudsmit, 
00  11.  M.  Blumenfeld,  Kunstreiter  in  Soest],  1877  Kunstreiter  in  Oldenburg, 
Wohnsitz  ist  Soest,  *  Stolp  22.  2.  1857'". 

497  Goldsckmidt,  Eugen  [Christian  Robert  Eduard  Goldsckmidt,  Versicherungs- 
beamter, und  Anna  Herzog,  beide  1901  in  Wien],  1901  Kaufmann  in  Olden- 
burg, ist  dort  heimatberechtigt,  *  Wien  14.  9.  1881.  Religionszugehörigkeit 
ist  1901  zweifelhaft. 


2«  Sohn  von  Herz  Gerson,  Kaufmann  in  Varel,  und  der  Männchen  Selig,   *  Juli   178<9.  t  20.  1. 

1865. 

•'"  Tochter  von  Herz  Heinemann  HaUlo  (s.  o..  Anm.   18). 

3»  00  Helene  Löwenbcn^  0  Kinder).  —  Ein  Georg  Cerson,  der  1934  noch  in  Oldenburg  wohnte, 
dann  aus  Holland  mit  Frau  und  den  Söhnen  Peter  und  Paul  nach  Auschwitz  verschleppt  wurde, 
ist  vielleicht  ein  Sohn  von  ihm  gewesen.  Mehrere  Träger  dieses  Namens  leben  jetzt  in  Israel, 
stammen   aber   möglicherweise   aus   anderen    Familien    und   anderen   oldenburgischen   Orten. 

=»2  Seit  1878  bei  der  Vereinsbank  in  Hamburg,  1902-1907  ordentliches  Voistandsmitglied. 
t  Hamburg  15.   10.   1937   (St.  A.  Old.,  Az  981/663). 

^^  Vielleicht  verwandt  mit  Hartwig  GoUkettc.  oo  Vechta  21.  4.  18  30  Mina  Goldsteiti  aus  Hildes- 

heim. 


467 


.1     'T'i 


Die  jüdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von  1867-1918  und  ihre  Vorfahren 


50  Coldsckmidt,  Kurt  [Josef  Goldsckmidt,  Kaufmann,  und  Henriette  Gerson],  1908 
Handlungslehrling  in  Oldenburg,  *  Nordhausen  30.  4.  1888. 

51  Goldschftidt,  Meyer  [Isaak  Goldschmidt,  Kaufmann,  und  Friederike  Meyer, 
1876  in  Nordhausenl,  1876  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  gemustert  in 
Aschersleben,  1877  in  Nordhausen,  *  Werna  9.  12.  18  56. 

52  Goldsckntidt,  Otto  [Adolf  Goldsckmidt,  f.  und  Frida  ¥riedmann,  \\,  1881  Kauf- 
mann in  Oldenburg,  1882  üb.  nach  Harburg,  *  Harburg  24.  6.  1861. 

53  Goldstein,  Salomon  [unehel.  Mutter:  Helene  Goldstein],  1896  Handlungsgehilfe 
in  Oldenburg:,  *  Anrath  6.  6.  1876. 

54  GrüHebflMw, ^Theodor  [Joseph  Grünehaum,  Lehrer,  f.  und  Fanny  Acl^erland], 
1894  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  1895  abg.  nach  Esens,  *  Obbach  27.  10. 

1874. 
5  5    Grünenklee,    Hermann    [Hesekiel    Grünenklee,    Kaufmann,    f.    und    Henriette 
Sdieurenherg],  1909  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  *  Ovenstädt  24.  8.  1889. 

56  Grünewald,  Adolf  Abraham  [Bendix  Grünewald,  Manufakturwarenhändler,  und 
Pauline  Pokly],  1900  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  1901  üb.  nach  Hamburg, 
*  Hamburg  3.  5.  1880. 

57  Gmnpel,  Ludwig  [Jacob  Gumpel,  Kaufmann,  und  Fanny  Fließ],  1880  Bank- 
lehrling in  Oldenburg,  *  Bernburg  27.  6.  1860. 

58  Gumpert,  Joseph  [Moses  Gumpert,  Handelsmann,  und  Minna  Midtaelis],  1881 
Banklehrling  in  Oldenburg,  abg.  nach  Niedenstein,  *  Niedenstein  17.  11.  1861. 

59  Gutentag,  Julius  Israel  [Jacob  Gutentag,  Handelsmann,  oo  Jever  17.  9.  1851 
Marianne  Sdkwahe,  *  um  1813],  18  74  Kaufmann  in  Oldenburg,  *  Jever  2.  5. 


1854 


••»••!: 


60  HaUlo,  Bernhard  [Siegfried  (Salomon)  HaUlo,  Kaufmann  ''\  seit  1841  in  Olden- 
burg, *  Hannoversch-Münden  (?)  27.  3.  1826,  t  Oldenburg  (?)  7.  1.  1908, 
i:^  Östernburg,  oo  Jever  1.6.1857  Wilhelmine  löwenstein''\  *  um  1837], 
1891   Einjähr.-Freiwill.  in  Oldenburg,  *  Oldenburg  21.  6.  1871  ■"'. 

61  HaUlo,  Ernst  Hermann  [wie  bei  Nr.  60],  1878  ausgewandert,  *  Oldenburg  15. 
8.  1862  ". 

62  HaUlo,  Friedrich  Wilhelm  Max  [=-  Nr.  66],  1911  Berecht,  als  Ein].,  +  Olden- 
burg 1.  1.  1891  ''. 

63  HaUlo,  Carl  Julius  [wie  bei  Nr.  60],  1883  Einjähr.-Freiwill.  in  Oldenburg.  1884 
Commis  ebd..  *  Oldenburg  26.  3.  1864  •'". 

63a  HaUlo,  George  Richard  Siegfried  [=  Nr.  66],  1914  Kriegsfreiwill.  in  Olden- 
burg.  Berecht.schein.    *   Oldenburg  1.11.1895,   -   9.1.1896'". 


••»3a  Vermutlich  später  in  Jever,  Inhaber  der  Fa.  J.  Gutentag  u.  Sohn.  Kohlen-  und  Werkzeughandel 
(Inh.  1929:  Rudolf  Gutentag). 

•»•*  Sohn  des  Herz  Heinemann   HaUlo  (s.  o.,  Anm.    18). 

^^  Toditer  des  Kaufmanns  Kaiphas  Levy  löwensiem  in  Jever  (=   Vater  von  Nr.   110). 

•■'«  Später  Kaufmann  in  Mandiester.  t  23.  4.   1908,  □  Osternburg 

3'  Nachkommen  leben  in  Amerika. 

»8  Später  getauft,  Kartonagenfabrikant  in  Hamburg,  t  ebd.  (KZ?)  13.  5.  1944.  co  Kassel  30.  1. 
1917  Eva  Katharina  Wief/uisc  gen.  Bunge.  *  Kassel  29.  7.  1893  (2  Kinder.  1  Sohn  1940  gefallen). 

3»  Später  getauft.  Fabrikant  in  Manchester,  nennt  sich  seit  1915  Charles  Uarlow,  t  Manchester 
Mai  1942.  oo  Zürich  14.  10.  1902  Hermine  Sussiuanyi,  ^  Zürich  (?)  14.  10.  1874,  -^  1902. 
t  Manchester  29.  8.   1944  (3   Kinder,  4  Enkel). 

^"  Später  Dr.  jur.,  Rechtsanwalt,  1939  ausgewandert  nach  La  Paz.  CO  1.  Grabow  b.  Blumenthal 
(Mark)  2.  9.  1921  Ella  Luise  Pauline  Drcwin,  ev..  *  Berlin  10.  1.  1893,  oio  1940.  oo  11.  La  Paz 
20.   12.   1940  Margot  Pincus,  jüd..   *   Berlin    18.   10.    1902. 


468 


dB 


_  i:   ■■■»'.> 


64   HaUlo.  Leopold  Max  [w.e  be,  N.  60],  ,  S8S  B.nkgehilfe  in  Oldenburg.  E.njähr.- 

6,   S"p:U.rHtrn   ,:.;;::  N.  ^O,    ..  Hand.ng.eb..e  ,n  Cden. 

bürg.  Berecht.schein  als  Einjähr..   *   Oldenburg  27.  10.  1872    ^ 
66  H.L,  W..beln.  iwie  bei  N.  .Ol.  1S7S  .Oldenburg,  ^O.denburg^^  .^ISS. 

_   1892        oo  Muhlhausen   1.  3.  1890  :>opnie  ocituc 

1869  Bürstenmacher  in  Oldenburg.  ♦  Emden  10.  1.  isi-^-  (p„„,,,,„„^  m,,,.) 

-ir^;;;:;;^  später  KauNa„n   m   Oldenb^r,    .^,.nn*  London  cn,i,n.^ 

CO  1.  Anna  Karla  Augus.a  Röwefe.m.p,  --f  ^  ^'^''^^^-r^^h.cr'  i^.  ).  2  Enkel  (S.Im,,  leben  in  U.S.A. 
«n?  s\r  K':itr:n,:n^°ro;^S  ;:-^ar.!^I:  dann  .  New  York,  CO  En,.v  Me,e,.  H- 
*  llT.';ij^;cb\rdL<l-'i;M:[;,\'etd''r:f-  .4.   (.  Kinde.   *    .wischen    ....  und    ,.0.   in 

Oldenburg). 

4-»  t  London   1.  8.   \^^0. 


£)ie  jübiWen  OTet)cpfli*tigen  in  Olbenbuug  üon  1857-1918 

unh  it)ue  T)ocfat)uen 

Von  Harald  S  c  h  i  e  c  k  e  1 
(2.  Fortsetzung) 

68  Hattendorf,  Edmund  Wilhelm  Sophus  [Salomon,  gen.  Eduard  Hattendorf, 
Schlachter,  *  Hatten  8.  10.  18  50,  oo  Oldenburg  (Ziviltrauung)  2  7.  1875 
Alethine  Sophie  Harms  *  Wichtens  11.  2.,  -  Tettens  24.  3.  1844  =>],  1896 
Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  abgem.  nach  Langwarden,  *  Oldenburg  20.  3., 
--  30.  4.  1876''. 

69  Hattendorf,  Georg  [Heinrich  Hattendorf,  Handelsmann,  Schlachtermeister,  Vieh- 
händler, zeitweise  in  Huntlosen,  f  vor  1904,  und  EHse  Sophie  Rinderhagen,  ev.j, 

*  Osternburg  14.  3.  1884-*'. 

70  Hattendorf,  Heinrich  [wie  bei  Nr.  69],  1914  Schiffer  in  Osternburg,  *  Ostern- 
burg 10.  4.,  -  8.  6.  1894''. 

71  Hattendorf,  Carl  Calonimus  [(Elijahu  gen.)  Elias  Hattendorf,  Schlachter,  *  Hat- 
ten 19.2.1819,  t  (Osternburg?)  19.3.1872,  00  Osternburg  26.10.1858 
Julie  Leffmann  aus  Varel],  1890  Schlachtergeselle  in  Osternburg,  *  Ostern- 
burg 25.  2.  1870. 

72  Hattendorf,   Moritz    [wie  bei   Nr.    69],    1900   Fabrikarbeiter   in   Osternburg, 

*  Huntlosen  24.  7.  1880,  -  Huntlosen  3.  10.  1880. 

73  Hattendorf,  Siegfried  (Salomo)  [wie  bei  Nr.  71],  *  Osternburg  29.  1.  1861, 
t  Osternburg  24.  10.  1866. 


44a  Tochter  d.  Johann  Wilms  Harms,  Arbeiter  bei  Widitens,  und  der  Engel  Sophie  Janssen  (Unter- 
lagen über  die  Ziviltrauung  wie  in  Anm.  21-''). 

45  Bei  der  Taufe  wird  der  Vater  im  Kirchenbuch  als  Israelit  bezeichnet. 

4«  In  der  Stammrolle  war  die  Bezeichnung  israelitisch  gestrichen  und  in  evangelisch  verbessert. 
Zu  prüfen  wäre,  ob  hier  nicht  eine  nichtjüdische  Familie  vom  Schreiber  der  Stammrolle  mit  der 
jüdischen  Familie  H.  verwechselt  wurde.  Jedenfalls  ist  die  Familie  Rinderhageu  nidit  jüdisch  gewesen. 

47  In  der  Stammrolle  1914  als  jüdisch  bezeichnet,  lebt  in  Oldenburg.  —  Eine  Frau  Hattendorf  mit 
2Töchtern  verzog  von  Oldenburg  nach  Hamburg  und  wurde  dann  nach  Theresienstadt  verschleppt. 
Eine  Toditer  Hattendorf  emigrierte  nach  England. 

495 


Die  j 


üdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von  1867-1918  und  ihre  Vorfahren 


74  HattCHdorf,  Wilhelm  August  Heinrich  [wie  bei  ^^^- ^^Jl,  l^^.^^/^^^^^" 
Oldenburg,  1900  in  Varel  1901  Soldat  in  Oldenburg,   *   Oldenburg  17.  10., 

75  Hefnemam^sscr  [Hermann  Heinemann,  Sattler  iind  Händler,  *  Esens  la  7. 
1850-  OD  Oldenburg  (Ziviltrauung)  4.  12.  1875  Helene  Rotksduld  *  s  Her- 
togenbosch 8.  5.  1859-''],  1898  Kaufmann  in  Oldenburg,  *  Oldenburg  18.9. 

76  HeZemann,  Isaak  [wie  bei  Nr.  75],  1895  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg  18, ^ 
abg.  nach  Düsseldorf,  1897  in  Oldenburg,  dann  auf  Reisen,  *  Oldenburg  2.  8. 

1875  (unehelich).  ,       ,,  ,   ,^-.,,    ,    .        tt,  ,/n 

77  Heyma^n,  Wilhelm  [Karl  Heymann,  Lederhändler,  und  Wilhelmine  Wo(/f| 
1912  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  abg.  nach  Köln,  *  Kerpen  (Kr.  Bergheim) 

17     5     1  892 

78  HmzehnaHH,  Hans  [Max  Hmzelmann,  Fotograf  in  Cottbus,  und  F"^d  Sc/im^- 
ler]    1909  Fotograf  in  Oldenburg,  abg.  nach  Hannover,  *  Lübeck  3.  4.  1889. 

79  Hirsch  Gustav  [Carl  Hirsdi,  Kaufmann,  und  Sophie  JosepUson],  1900  Hand- 
lungsgehilfe in  Oldenburg,  1901  abg.  nach  Nörten    *  Worten  3.  8.  1880 

80  Hirsch,  Nathan  [Moses  Hirsch,  Künstler  in  Bremerlehe,  und  Hannchen  Natkanl, 
*  Oldenburg  13.  5.  1853,  t  Oldenburg  2.  6.  1853. 

81  Hirsckfeld,  Eduard  [Louis  Hirschfeld.  Kaufmann,  1898  in  Gelsenkirdien,  1904 
in  Hamburg,  und  Dora  Burdiard  (oder  Burgkard)],  1898  Commis  m  Oldenburg, 
1900  Soldat  in  Oldenburg,  *  Teterow  12    1.  1878. 

82  Hirsdifeld,  Walter  [wie  bei  Nr.  81],  1904  Handlungsgehilfe  m  Oldenburg,  1905 
abg.  nadi  Hamburg,  *  Swinemünde  9.  12.  18  84.  -^     j  ,       ,  ..    ii 

83  Hirsditid^,  Samuel  [Herschel  (Hirsdi)  Hirsditidz  1915  Produktenhandler  in 
Oldenburg,  und  Faigtia  (Fanny)  Wesc^a],  1915  Kaufmann  in  Oldenburg,  hat 
russisdie  Staatsangehörigkeit,  *  Bremen  16    11.  1  895  ^". 

84  Hoffmann,  Xaver  [Joseph  Hoffmann,  Viehhändler,  und  Sara  van  der  Reis\, 
1884  Kaufmann  in  Oldenburg,  abg,  nach  Bremen,  *  Rheine  1.  3    1864 

85  ]acohi,  Alexander  [Isaak  Jacobi,  Bäd<er,  und  Johanna  Sciie/ge],  1909  Hand- 
lungsgehilfe in  Oldenburg,  1910  Soldat  in  Oldenburg,  *  Sdionlanke  12.   3. 

-1   Q  Q  Q 

S67)acohowsky,  Robert  Max  [August  Jacohowsky,  Maler,  t.  und  Emilie  Reisdiel], 
1873  Porzellandreher  in  Oldenburg,  üb.  nadi  Berlin,  Dissident,  *  Berhn  1.  4. 

87  }um,  Lob  Ludwig  [Jacob  (Levi)  lldau,  1871  Kaufmann  in  Jever,  *  1805,  oo 
Oldenburg  14.  6.  1831  Marianne  Ritter  aus  Varel,  *  5.  11.  1809],  1871  Hand- 
lungsgehilfe in  Jever,  Beredit.  z.  Ein].,  *  Oldenburg  11.  2.  1851. 

SS  Joseph,  Karl  [Julius  Joseph,  Fleisdiermeister,  f,  und  Johanna  H,rsc/ife/^,  1886 
Goldarbeiter  in  Oldenburg,  1887  nadi  München  abg.,  *  Glogau     9   8.  1866. 

89  Israels,  Louis  [Isaac  F.  Israels,  Kaufmann,  und  Helene  Weinberg],  1874  Kauf- 
mann in  Oldenburg,  *  Weener  24.  4.  18  54  '\ 


48  Eltern:  Isaac  Hemcmami  (audi  Heynctiiann),  Sattler  in  Esens^  und  Sophie  H^'"^'"''"";^ 

48a  Tochter  des  Asser  RotsdUU,   Schirmmadier,   seit  1872   in  Oldenburg.   00  W.nschoten   15.   1. 

1863  Sara  Coopmann  (Unterlagen  über  die  Ziviltrauung  wie  J"  Anm    2la). 

4«  Später  in  der  väterlidien  Firma  H.  Hirsdüid^.,  Eisen-  und  Metallwarengroßhandlung  in  Olden- 

Viurff    193  8  nadi  Washington  ausgewandert.  _,.  ,     . 

"'o'  Von  ih;,%i„d  folgende  plattdeutsche  Gedichte  in  Oldenburg  --l^'-.^"  p^^^^j^'l^^'^J^fr^ 

Geburtsdag.  1895;  Wat  de  Kiewit  sprok,  Döntjes  un  Riemels  in  Ostfrys  k  Plattdutsch,  1889  (trdl. 

Hinweis  von  Herrn  Dr.  Enno  Meyer). 


496 


Die  jüdischen  Wehrpfliditigen  in  Oldenburg  von  1867-1918  und  ihre  Vorfahren 


90  Kahn,  Max  [Simon  Kahn,  Handelsmann,  und  Henriette  Strauß],  1905  Hand- 
lungsgehilfe in  Oldenburg,  *  Bonbaden  12.  12.  1885. 

91  Kleißner,  Alfred  [Philipp  Kleißner,  1909  Kaufmann  in  Berlin,  und  Berta  Rosept- 
tal],  1909  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  abg.  nach  Berlin,   *  Forst/Lausitz 

26.  11.  1889.  ,,  ^   _,  _  ,    ,, 

92  Kockmann,  Heinrich  [Jacob  Kodtmann,  Fischhändler,  und  Berta  Rosentkal\, 
1883  Barbier  in  Oldenburg,  üb.  nach  Köln,  18  84  üb.  nach  Kreuznadi,  *  Katto- 

witz  19.  6.  1863.  i   w  t  i  ..    ji       . 

93  Kugelmann,  Hugo  [Semmi  Kugelmann,  Schlachtermeister  und  Viehhändler  m 
Oldenburg,  *  Wardenburg  19.  9.  1867  '\  und  Rosa  Wiesenfeld],  1913  Schreiber 
in  Osternburg,  1914  Soldat  in  Oldenburg,  *  Oldenburg  18.  12.  1893,  X  20.  5. 
1915  als  KriegsfreiwilUger.  ^,  i     ,  ^u 

94  landsberg,  Kurt  [=  Nr.  97],  1915  Handlungslehrling  in  Oldenburg,  *  Olden- 
burg  5.  5.  1896  "'^  ^,  ^     , 

95  Landsherg,  Ludwig  [=  Nr.  97],  1911  Einj.  in  Oldenburg,  *  Oldenburg  14.  11. 

1893  ^^^ 

96  landsberg,  Ludwig  Simon  [Simon  Landsherg,  Kaufmann '',  *  Lübeck  Dezember 
1804,  00  Oldenburg  26.  8.  1846  Carohne  Reyersbadi  aus  Oldenburg,  *  12.  4. 
1812,'  t  vor  1876],  1871  Handlungslehrling  in  Oldenburg,  Berecht,  z.  Einj., 
*  Oldenburg  11.  11.  1851.  . 

97  Landsberg,  Moritz  (Israel)  [wie  bei  Nr.  96],  1876  Handlungsgehilfe  in  Olden- 
burg, 1876  und  1877  in  Bielefeld  gemustert,  später  Kaufmann,  *  Oldenburg 
13.  2.  18  56 '^  00  Flora  Coltw. 

98  landsberg,    Walter   [=  Nr.97],    1914  Soldat,   *   Oldenburg    13.9.  1892     . 

99  Lange,  Emil  [Louis  Lange,  Getreide-  und  Victualienhändler,  und  Magda  tried- 
länder],  1896  Commis  in  Oldenburg,  üb.  an  Kreis  Niederbarnim  II,  *  Ujest  16. 

3.  1876.  1   n  Af 

100  Leiditentritt,  Hermann  [Philipp  Leiditentritt,  Kürschner,  f,  und  Flora  Alex- 
ander,  1905   in  Miloslaw],  1905   Buchbinder  in  Oldenburg,  *   Zerkow  1.  10. 

1885.  ^  ^  __..      , 

101  Leuwarden,  Nathan  [Levi  Nathan  Leuwarden,  Handelsmann,  aus  Winschoten, 
1886  wohl  in  Oldenburg,  und  Rosette  Polak  oder  Pape%  1886  Handelsmann 
in  Oldenburg,  *  Bookhorn  27.  9.  1866. 

102  Levi,  Dagobert  [Moses,  gen.  Moritz  Levi,  Schlachtermeister,  *  Delmenhorst 
13.  5.  1870,  1912  in  Wangerooge,  und  Rosalie  Leuwarden],  1912  kaufmänn. 
Lehrling,  Berecht.  z.  Einj.  (ausgestellt  in  Köln),  *  Oldenburg  18.  11.  1892''. 


51  Wohnt  noch  1934  als  Viehhändler  in  Oldenburg,  1936  verzogen  nach  Berlin,  wo  seine  Frau 
starb.  1.11.1941  deportiert.  Töchter:  Gertrud,  oo  .  .  .  lewy,  lebt  in  Australien;  Liesel,  00  .  .  . 
Alhers,  1942  mit  Sohn  Hugo  von  Berlin  aus  deportiert. 

5'a  Lebte  im  Saarland  ,19  3  7  emigriert  nach  Nizza,  t  im  KZ. 
51b  Lebte  in  Frankfurt,  t  im  KZ. 

52  Gründer  der  Firma  S.  landsherg,  Buch-  und  Kunsthandlung.  Antiquitäten. 

53  Noch  19  34  in  Oldenburg,  Verbleib  unbekannt. 

54  Noch  1934  in  Oldenburg,  emigrierte  193/  nach  Nizza,  von  dort  1944  deportiert.  00  babine 
(eigentl.  Serafine)  Scii/es/Hger,  die  nadi  Palästina  auswanderte.  ,       ta  i        l  ^  i^ 

55  Tochter  des  Levi  Wulf  PoWak  aus  Oldcrsum,  Handelsmann  in  Urneburg  bei  Delmenhorst.  *  12 
6  1818  oder  1819  00  27  5  1864  (Zivilehe  vor  dem  Amt  Delmenhorst)  und  13.  4.  1866  (nach 
jüdisdiem  Ritus  in  Oldenburg)  Lca  Beke  Margarethe  Pnpe.  *  15.  9.  1813,  t  Delmenhorst  21  6. 
1874  Sie  wird  vor  der  Trauung  in  den  mosaisdien  Religionsverband  aufgenommen,  war  also  olten- 
bar  niditjüdisdier  Religion.  Das  Paar  lebte  vorher  in  wilder  Ehe,  aus  der  sdion  3  Söhne  und  2  Tochter 
hervorgegangen  waren. 

5«  Bruder  Willy  Levy,  lebt  in  Israel. 

497 


■■■'■  "^^pl 


* 


,03  Lev.,  Siegfried  ,Si.o„  LeWe,  t,  ""/S^Sf:'/]'  fo^aS^sf  ""^^^^''"^ 
in  Oldenburg,  abg.  nach  Hamm,  «"'rTynd  Auguste  Gertrud  Cold- 

'''  iu;;:;^'^'^^"^^^'^^^^'^  °''-'-'''''"  ''--''- 

,0.  refy'SS  [RSotry,"auUZ:nd  Bertba  GoMbe.gi    IS«  Schlächter 

mann  in  Oldenburg,  *  Diepenau  14.  4.  l^JJ^;^  ,   ^         ^5^,^^],   1901 

109  Lmdenberg,  Julius  [Isi^dor  Limie^berg,  Kaufma"",  und  Anna  . 

Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  abg.  nach  Kastrup  (?),  1902  ud. 

no  LSit?Carl"Aui:st  [Caiphas  Levy  Lawe.«.,-.,  Rentier,  und  Charlotte 
,,,  eS^Cs^arf  ÄS^  Schla.ter  in 

a„  [Le^t^l^Max  Samuel  Meyer  IWaldemarLöw^^^^^^^^ 

l^^^:l':ii^S^:t^l^^^'^^^^^^  ausgewandert,  *  Olden- 

fee.V«i.'pIui  [Samuel  Loe.eM.  ^^^^^^ oTi^rltr^ol^^^^^^ 
1873  Kaufmann  in  Oldenburg  (bei  Loewenthal),  *  Osterburg  (Kv.  yjs  ■&, 

foiJe  " ;:;g"chS  nXf  r=  Nr.  ITSb],  1907  Seminarist  in  Oldenburg, 

n.al^Je:Hrri*Ma;t;nV;ie^;i*".il  t^  Nr^  n.b],  1904  Handlungsgehilfe 

S*neider  in  Oldenburg   *  fj-J^f^?«    Hei  n    Sd,.i;.berg,  ev',  *  Ostern- 
Turjiri-  30  >lsVs  [Johann  Hermann  Sd.ulenher,.  Zimmermann,  und 

n^cSlX' RuS%  e  o  r  g  [^  Nr.ll.b],  1903^Schneider  in  Oldenburg,  1905 
Soldat  ebd.,  *  Oldenburg  3.  3.,  -  22.  4.  1S83    . 

(*  '■  "•  "°%t  1:  1^?  S"e    ^cr  D4ob    1 1  i:":lSt/an  der  Pennsylvania  S.a.e  Un- 

^tärs^e^ÄSCÄÄS^^^^ 

Lenne  verbracht.  Brüder  von  ihm    die  nicht   m  ^^^  Stammiolk   reg.s^^^^  ^^^^^^  ^^^^^^^  g^^^. 
Johannes  loUdc,  *  Oldenburg  7    10..  ^  2.  U    1890.  t  eDa.       . 
hard  Karl  loUde,  *  Oldenburg  9.  5..  ^  2.  b.  1889. 


114 


115 


498 


Die  jüdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von  1867-1918  und  ihre  Vorfahren 


116  MannUeimer,  Immanuel  [Dr.  David  ManUeimer,  Landrabbiner 'S  und  Mathilde 
Jaffe],  1917  Schüler  in  Oldenburg,  *  Oldenburg  11.  3.  1899. 

117  MannUeimer,  Louis  [wie  bei  Nr.  116],  1915  Kaufmann,  dann  Soldat  in  Olden- 
burg, *  Oldenburg  30.  3.  1895. 

118  Mannheimer,  Max  [wie  bei  Nr.  116],  1911  Bankbeamter,  1913  Einjähriger  m 
Oldenburg,  *  Oldenburg  30.  10.  1891.  (Fortsetzung  folgt.) 


61  Zur  Charakteristik  s.  Trepp,  a.  a.  O.,  S.  30. 


l\\t  jübifttjcn  HJEljrpflJdftigm  in  Olbcnbuug  oon  1867 
unb  il)cc  Docfal)cm 

Von  Harald  S  c  h  i  e  c  k  e  1 
(3.  Fortsetzung) 


-1918 


119  Mayer,  Adalbert  [Elias  Mayer,  Kaufmann,  und  Johanna  Oß\,  1917  Schüler, 
dann  Soldat  in  Oldenburg.  *  Oldenburg  16.  3.  1899"'. 

120  Meiherg,  Julius  [Meyer  Meiberg,  Lehrer  und  Fanni  Stiefel],  1917  Kauhnann, 
dann  Soldat  in  Oldenburg,  +  Aumund  4.  4.  1897  "l 

121  von  Meiidelssokpi,  Erich  Wilhelm  \=  Nr.  12^1,  1911  in  Drontheun.  ist  ni 
Oldenburg  heimatberechtigt.  *  Dorpat  19.  7.   1887"\ 

122  MepidelssoU^,  Julius  Albert  [Salomon  MendelssokH,  Turnlehrer"',  *  Jever  4  3. 
1813.  t  Braunschweig  11.5.  1892.  00  Jever  15.  7.  1840  Johanna  PliihppsokH\, 
1  88  l' Apothekengehilfe  in  Oldenburg,  ^  Oldenburg  28.  3..  -  19.  5.  >861. 

123  MendelssoUu,  Ludwig  Johann  August  Peter  [wie  bei  Nr.  122].  1872  stud.  in 
Leipzig.  *  Oldenburg  6.  6.  1852,  seit  mindestens  J_87^2  lutherisch  "",  00  Dorpat 
30.4.1877  Alexandra  von  Gramer. 

124  Mepigers  (vormals  löwenstein),  Siegfried  [Adolf  (Mepigers?),  Kaufmann,  f.  und 
Mathilde  Löwenstem.  1895  in  Wiesbaden],  1895  stud.  Jur.  (in  München?). 
*    Oldenburg    24.    10.    1875    (noch    als    Löwenstein),    seit    mindestens    189«^ 

lutherisch. 

125  Meyer,  Siegfried  Josua  [Moses  Meyer,  Handelsmann,  *  Berne  6.  6.  1814,  f  vor 
1893,  00  30.  5.  1855  Oldenburg  Helene  Frank  aus  Neuenbrok,  f  vor  1893], 
1893  Tapezierer  in  Oldenburg.  +  Osternburg  3.  5.  1873. 

125a  Michels,  Otto  [Hermann  Nathan  Michels,  Produktenhändler,  und  Doris  Asdier], 
1882,  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  +  Stavenhagen  26.  1 1 .  1862. 

126  Moses,  Fritz  Arnold  [Leopold  Moses,  *  Vechta  14.  9.  1845,  Kaufmann  und 
Anna  Boas],  1909  Einjähriger  in  Oldenburg,  *  Oldenburg  9.  4.  1890.  f  Cerny 

14    9.  1914. 

127  Müller,  Simon  Mendel  [Mendel  Müller,  Schlachter  in  Leer,  f,  und  Friederike 
Goldsdimidt],  1868  Uhrmacher  in  Oldenburg.  *  Loga  7.  7.  1848. 

128  Natkapi,  Erich  [Sally  NatUavi  und  Klara  HeypuapiH;  Pflegeeltern:  Franz  Ruhept- 
soUn  und  Frieda  Mendel  Diese  oder  die  Eltern  leben  in  Hamburg],  1912  La- 
geristin Oldenburg,  191  3  nach  Hamburg  üb.,  +  Königsberg  i.  Pr.  3.  12.  1892. 

129  NeupnaPiH,  Sali  [Sali  Neupuamt,  Kaufmann  in  Robilizen,  und  Johanna  Blupa], 
1905  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  *  Neuklunkwitz  7.  3.  188  5. 

130  NotkmaHH,  Oscar  [Joseph  NotkpnatiPi,  Klempner,  f,  und  Louise  Rosepibaupa,  t- 
Vormund:  Carl  Pleßpier  in  Beuthen],  1878  Schauspieler  in  Oldenburg,  1881  üb. 
nach  Beuthen,  *  Beuthen  17.  6.  1858. 

1317 NußbauPü,  Julius  Karl  Ernst  [Julius  Nußbaum,  Maler,  und  Marie  Burdtardt], 
1915  Malergehilfe  in  Oldenburg,  üb.  an  das  Amt  Oldenburg,  1916  zugezogen 
von  Wehnen,  abg.  nach  Varel.  *  Magdeburg  8.  5.  1895.  Dissident. 


«-  1939  nach  Kuba  abgemeldet,  lebte  in  Chicago,  t  1*'<^0. 

»3  Emigrierte  nach  Palästina.  Bruder  Gustav  Mdbfrg  lebt  in  New  York. 

«4  Wohl  verwandt  mit  Dr.  jur.  Erich  Meiidelssolm  (*  Jever  10.  3.  1887).  Landgerichtsrat  in  Olden- 
burg,  1939  nach  Bremen  verzogen.  .  .        ^  ,        ,        T^.  II     I  ,       ^     ,033 

«5  Sohn  des  Moses  Mendelssohn  und  der  Gohla  (Golda)  Sdiwahe.  Dieser  00  11.  Jever  2b.  9.  183  3 
Rosette  Philippsohn,  geb.  FciUumni.  S.  o..  Anm.   12. 

e«  Später  Professor  in  Dorpat,  t  Doipat  16.  9.  1896.  S.  o..  Anm.  13. 

526 


Die  jüdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von   18b7-1918  und  ihre  Vorfahren 


ni^OvpcHkeimer.  Hermann  [Moses  Gabriel  OppcPiUemer,  Kaufmann  in  Heiligen- 
stadt, und  Sara  OppenUeimer\,  1  877  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg.  *  Heiligen- 

132  Paratiies.  Simon' [Salomon  Jacob  Paradies,  Produktenhändler  f,  und  Bertha 
Heinemann,  t-  Vormund:  Jacob  Paradies  in  Lage],  1884  Handlungsgehilfe  m 
Oldenburg,  1886  abg.  nach  Lage,  *  Lage  (Lippe)  10.  8    1864  ,     ,^,^ 

133  Perlstein,  Arthur  [Moses  Perlstein,  Viehhändler,  und  Veilchen  bimon\,  1<?17 
Viehhändler,  in  Oldenburg,  dann  Soldat,  *  Quakenbrück  5.  1.  1899 

134  Pinkiert,  Samuel  Jakob  [Siegmund  Pinkiert,  Glaser,  und  Rosahe  Sobotkier\, 
1906  Reisender  in  Oldenburg,  *  Oldenburg  30.  11.  1886. 

135  Pionkowsky,  Wulf  Schleemann  [Simon  Pionkowsky,  Kantor,  und  Freye  \Nein- 
herg\  1874  Lehrer  in  Oldenburg,  Wohnort  Schwerin,  in  Aurich  gemustert,  1875 
in  Schwerin,  1876  dorthin  üb.,  *   1.  II.  1854  Baklarzewo  (bei  Grajewo,  russ. 

Polen).  TT      1  j  n     '  L 

136  Piza,  JuHus  [Dr.  Joseph  Piza,  Sprachlehrer,  1875  in  Hamburg,  und  Ros  chen 
Hirsdi],  1875  in  Hamburg  heimatberechtigt,  *  Oldenburg  26.  3.  1855. 

137  P/awt,  Bernheim  [Simon  Plant,  f.  und  Elise  ^allUeimer],  1874  Kaufmann  in 
Oldenburg,  gemustert  in  Ülzen,  1875  abg.  nach  Oldenstedt,  *  Bodenteich  15. 

4     18  54. 

138  Pollack,  Friedrich  [Eugen  Pollack,  Kaufmann,  f.  und  Fanny  Kober\,  1915  Hand- 
lungsgehilfe, dann  Soldat  in  Oldenburg,  *  Gleiwitz  30.  7.  1895. 

139  Reinsherg,  Robert  [Susmann  Reinsherg,  Kaufmann,  und  Jettchen  BshacU],  1900 
Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  üb.  nach  Kassel,  +  Niedermarsberg  17.  8.  1880. 

140  Ren{n)berg,  Semmie  [Jonas  Rennherg,  Händler,  *  Wildeshausen  10.  7.  1831, 
t  vor  1907,  und  Julie  GoldscUmidt,  1907  in  01denburg|,  1907  Viehhändler  in 
Oldenburg,  *  Wildeshausen  24.  7.  1887. 

141  Reyershack,  Franz  [=  Nr.  144],  1900  gemustert.  Berecht.schein,  +  Oldenburg 

12    7    1 8  80  "' 

142  Reyershadi,  Georg  Michael  [Moses  Levy  Reyershack,  Kaufmann,  *  um  1813. 

00  Oldenburg  30.  8.  1837  Johanna  (gen.  Hannchen)  Goldsdimidt  aus  Olden- 
burg], 1870  Gerberlehrling  in  Ahlden,  gemeldet  in  Neustadt/Aisch,  *  Olden- 
burg 28.  10.  1850,  Berecht.schein,  oo  Rosalie  hAeyer. 

J43  Reyershack,  Hugo  [=  Nr.  144],  1898  Handlungslehrling  in  Oldenburg,  1899 
Einjähriger  in  Oldenburg,  +  Oldenburg  14.  10.  1878. 

144  Reyershack,  Louis  Max  [wie  bei  Nr.  142],  1868  Kaufmann  in  Oldenburg.  1867 
Einjähriger  in  Oldenburg,  *  Oldenburg  12.  5.  1848,  oo  Clara  MatUan  (f  v. 

1  897) 

145  Reyershack,  Otto  [---  Nr.  142],  1908  gemustert,  Berecht.schein,  +  Oldenburg 

8     1     1888 

146  Reyershack,  Paul  [=  Nr.  144],  1897  Kaufmann  in  Oldenburg,  1898  Einjähriger 

in  Oldenburg.  +  Oldenburg  25.  1.  1877''. 

147  Reyershack,  Siegfried  [Bernhard  Ludwig  Reyershadi,  Lohgerber,  +  Oldenburg 
13^  8.  1843,  und  Selma  Cumpel],  1897  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  Be- 
recht.-schein.  1898  in  Weißenfels  gemustert,  *  Oldenburg  22.  12.  1877. 

»7  Später  Kaufmann  in  Oldenburg.  Mitinhaber  der  großväterlichen  Firma  M.  L.  Reyersbadi. 
Damm  4,  Handlung  und  Fabrik  von  Fahrrädern  und  Musikinstrumenten,  t  im  KZ  Oranienburg 
14  12  l*5?e.  Sein  Haus  auf  der  Beethovenstr.  17  wurde  1*5^6  verkauft  auf  Veranlassung  von  Dr  jur. 
Ernst  Reyershadi,  USA  (lebt  jetzt  nodi  dort).  Weitere  Angehörige  dieser  Familie  leben  in  England. 

Südafrika  und  Chile.  n   ..      i.j        t--         / 

««  Später  Kaufmann  in  Oldenburg,  t  1^-2.  1934.  Mitinhaber  der  großvaterlidien  Firma  (s.  vorige 

Anm.). 

527 


r-'^^M 

Die  jüdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von   18b7-1918  und  ihre  Vorfahren 


148  Reyershack,  Waldemar  Benjamin  [Moses  Reyershack,  Produktenhändler,  f. 
und  Laura  Benscker,  in  Cöthen?],  1881  Commis  in  Oldenburg,  dann  Leipzig?, 
+  Oldenburg  26.  1.  1861. 

149  RoPiPieberg,  Heimann  [Hartog  Ascher,  \,  und  Witwe  Johanna  Ronheberg,  tj. 
1895  Schlachter  in  Oldenburg,  dann  Soldat,  *  Oldenburg  29.  12.  1875. 

150  Rosenstem,  Fritz  Richard  [Siegmund  Roseiistem,  Pferdehändler,  und  Therese 
Rewhard],   1906   Handlungsgehilfe  in   Oldenburg,    1908   üb.   nach   Hannover, 

*  Hannover  21.  11.  1886. 

151  Rosemhal  David  [Abraham  Roseyitkal,  Handelsmann  in  Neuenhaus,  und 
Grietie  Polack,  f\,  1874  Arbeiter  in  Oldenburg.  *  Veldhausen  12.  7.  18  54. 

152  Rosentkal,  Julius  [Hermann  RoseHtkal,  Kaufmann,  und  Catharine  Moses],  1900 
Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  abg.  nach  Neuruppin,  *  Altenkirchen  (Kr. 
Altenkirchen)  14.  4.  1880. 

153  Rotsdiild,  Asser  [Hartong  Rotsckild,  Kaufmann,  und  Sara  Frank,  1*^11^^^" 
Bremenl,   1911  Handlungsgehilfe  (in  Bremen?),  *  Oldenburg  24.  9.  1891  ''\ 

154  Rotsckild,  Assur  James  [Lazarus  Rotsdiild.  Kaufmann.  1915  in  Berlin,  und 
Gertrud  Gompertz],  1915  Kaufmann  (in  Berlin?),  Soldat  in  Döberitz,  *  Olden- 
burg 9.  5.  1897. 

155  Salomopi,  Emil  [Samuel  Salomon,  Handelsmann,  und  Friederike  Walhiicmn\. 
1876  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  abg.  nach  Dessau.  *  Stendal  1.  10.  1856. 

156  Salomon,  Gustav  Joseph  [Nathan  Salomoit,  Kaufmann,  f.  und  Caroline  Frat^k], 
1874  Schauspieler  in  Oldenburg,  1875  gemustert  in  Calbe,  1876  üb.  nach 
Magdeburg,  *  Dessau  4.  3.  18  54  "". 

157  SalomoHS,  Ari  Coße  [Gottfried  Coße  Salomopis,  Kaufmann,  f.  und  Therese 
Hamburger],   1900  Handlungslehrling,  dann  Soldat  in  Oldenburg.   *   Weener 

18.  11.  1880. 

158  Samsoti,  Adolph  [Mutter:  Doris  Salomon,  Stiefvater:  Abraham  Samson,  Mützen- 
fabrikant in  Hamburgl,    1876  Handlungsgehilfe  in   Oldenburg,    *   Rendsburg 

12.  3.  1856. 

159  Sckarnitzki,  Adolf  [Ascher  Sckarnitzki,  Handelsmann,  und  Josefine  Ckon], 
1892  Commis  in  Oldenburg,   *  Wormditt  25.  5.  1872. 

160  ScköPifeld,  Joseph  [Wolf  ScköPifeld,  Handelsmann,  und  Bertha  Strauß],  1884 
Sattler  in  Oldenburg,  1885  abg.  nach  Borkum,  *  Vilbel  25.  3.   1864. 

161  Sed^el,  Hugo  [Hermann  Seckel,  Eisenwarenhändler,  und  Auguste  Heilbroptn], 
1886  Handlungslehrling  in  Oldenburg.  1887  Soldat  in  Oldenburg,  *  Groß- 
munzel   1 1.  12.  1866. 

162  Silberberg,  Bernhard  [Hermann  Silberberg,  Kaufmann,  t  Oldenburg  6.  10.  193  3, 
und  Henni  Heynemann,  *  18.10.1857'"!,  1903  Einjähriger  in  Oldenburg, 
+  Oldenburg  16.  6.  1883. 

163  Silberberg,  Friedrich  (Fritz)  Maximilian  [wie  bei  Nr.  162],  1908  Handlungs- 
gehilfe in  Oldenburg.  1909  Soldat  in  Oldenburg,  1911  nach  New  York  aus- 
gewandert,  *  Oldenburg  5.7.  1888. 

164  Silberberg,  Hermann  [Salomon  Silberberg.  Kirchendiener,  und  Regine  Wesfp^n/]. 
1885  Buchbinder  in  Oldenburg,  üb.  nach  Bremen.  *  Bassum  6.  2.  1865. 

165  Silberberg,  Richard  [wie  bei  Nr.  162],  1904  Banklehrling  in  Oldenburg,  dann 
Einjähriger,  +  Oldenburg  25.  8.   1884'*. 

«**a  Vermutlidi  ein  Verwandter  (als  Enkel?)  des  in  Anm.  48a)  erwähnten  Asser  Rotsdiild. 

«»  S.  o..  Anm.  11. 

'"  1940  nadi  Hamburg  (dann  in  das  KZ  Theresienstadt?)  deportiert. 

''  Später  Teilhaber  seines  Vaters  (Agenturgeschäft  in  Oldenburg). 


528 


Die  jüdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von  1867-1918  und  ihre  Vorfahren 


166  Simon,  Isaak  [Gerson  Simon,  aus  Hamburg.  Kaufmann,  f.  ^  Oldenburg  11.  4. 
1872  Eva  Stein  aus  Varel,  1882  in  Hamburg],  1902  Werftarbeiter  (in  Ham- 
burg?), *  Oldenburg  10.  7.  1882. 

167  Sondermann,  Julius  [Aron  Sondermann,  Schiachtermeister,  und  Henny  Lolm\, 
1912   Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,   1913   abg.   nach  Ravensburg,   *    Hörn 

(Lippe)  15.  10.   1892. 
167aSre/H,  Levi  (gen.  Leopold)   [Salomon  Stein,  Händler,  und  Fanny   Reii<\,    1894 
Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  abg.  nach  Hamburg,  *  Storndorf  4.  9.  1874. 

168  SteintUal,  Herbert  [ -=  Nr.  169],  1905  Handlungsgehilfe,  dann  Einjähriger  in 
Oldenburg,   *   Oldenburg  20.  3.  1 885  ^'^  ,   ,        ,       n  r^u 

169  SteintUal,  Iwan  Jacob  [Louis  SteintUal,  Kaufmann,  Produktenhandler,  *  Olden- 
burg 4.  7.  1824,  oo  Georgine  Menke],  1875  Einjähriger  in  Oldenburg,  später 
Kaufmann,    *   Oldenburg  22.  1.  1856'"',  00  Cäcilie  Bernstein,   *   Halberstadt 

170  SteintUal,  Siegfried  (Selig)  [wie  bei  Nr.  169],  18  80  Handlungslehrling  in  Olden- 
burg, 1881  Einjähriger  in  Oldenburg,  *  Oldenburg  15.  10.  1860"''. 

171  SteintUal,  Wilhelm  [-  Nr.  169],  1914  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  Be- 
recht.schein,   1915  Soldat  in  Oldenburg,  *  Oldenburg  20.   12.   1894   ". 

172  Stern,  Alfred  [Siegfried  Stern,  Kaufmann,  1903  in  Erfurt,  und  Jettchen  Neu- 
garten], 1903  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  üb.  nach  Bremen,  *  Munster/W. 

6.  6.   1883. 

173  Sfern,  Sigismund  [Abraham  Stern,  Handelsmann,  und  Regina  Midtel\,  1884 
Zigarrenmacher  in  Oldenburg,  *  Oberbrechen   17.  9.   1864. 

174  Stoppelmann,  Daniel  [Moses  Stoppelmann,  Kaufmann,  f.  und  Geertje  van 
Sand],  1898  Viehhändler  in  Oldenburg,  1912  oldenburgisdier  Staatsangehöriger, 

*  Winschoten   14.   1.   1878. 

175  Strauß,  Hartwig  [Carl  Strauß,  Kaufmann,  *  7.  4.  1873  Frankfurt,  und  Helena 
Rot(U)sckild,  beide  am  2.  4.  1901  mit  2  Kindern  nach  Amerika  ausgewandert], 

*  Oldenburg  10.  9.  1899. 

176  Strauß,  Jakob  [wie  bei  Nr.  175],  *  Oldenburg  11.  11.  1900. 

177  TUorner,  Max  [Jacob  Isomer,  Sparkassenrendant,  in  Geestemünde?,  und  Bertha 
Valentin,  t].  1879  Primaner  in  Oldenburg,  *  Geestemünde  2.  4.  1859. 

178  Tworoger,  Ernst  [nicht  genannt,  leben  1917  noch],  1917  Handlungsgehilfe  in 
Oldenburg,  gemeldet  in  Oels,  abg.  nach  Suhl,  *  Oels  3.  5.  1899. 

179  de  Vries,  Albert  [Isaak  (Izaak)  de  Vries,  Handelsmann  in  Oldenburg  seit  min- 
destens 1884,  dann  in  Osternburg,  *  Groningen  23.  12.  1849,  t  Oldenburg 
oder  Osternburg  28.  9.  1929,  ^  i.  lo.,  oldenburgischer  Staatsangehöriger  seit 
3.  6.  1898,  oo  Fockje  Heinemann,  *  Winschoten  1.  5.  1852],  1907  Handlungs- 
gehilfe in  Oldenburg,  *  Oldenburg  22.  9.  1887. 

180  de  Vries,  Benjamin  [wie  bei  Nr.  179],  1898  Tischler  in  Osternburg,  +  Emden 
6.  9.  1878.  t  12.  6.   1898. 

181  de  Vries,  Jakob  [wie  bei  Nr.  179],  1902  Bäckergeselle  in  Osternburg.  *  Emden 
18.  1.  1882.  (Sdiluß  folgt.) 


7'a  t  Indien    10.  3.  1<514. 
71b  t  Oldenburg   26.  3.  1925. 
'•c  -f  Johannesburg   30.9.1940. 
'•d  f  Mit  Familie  nach  193  3  umgebracht. 

72  Wanderte  mit   der   Mutter    193ti   nach   Südafrika   aus   und   lebt   noch   dort   in  Johannesburg  mit 
den  Schwestern  Dr.  Hanna  Seehoff  und  Ina  Seehoff. 

529 


ÄiK*i 


v.j-,;;'v;; 


Dk  jübifcUen  2ÄJet)upflid|tigen  in  Oldenburg  üon  1867-1918 

unb  il)ce  Docfatjren 

Von  Harald   S  c  h  i  e  c  k  e  1 

(Schluß) 

182  de  Vries,  Markus  (gen.  Max)  [wie  bei  Nr.  179],  1900  Schlachtergeselle  in  Ostern- 
burg, *  Emden  23.  3.  1880  "^  oo  Bremerhaven  27.  9.  1904  Luise  (Anna  biise) 
Sfa^ft'er,  *  Rostruperfeld  8.  2.  1884,  evang. 

183  cie  Vr/es,  Rudolf  [wie  bei  Nr.  179],  1904  Schlachter  in  Oldenburg,  *  Olden- 
burg 3.  5.  1884,  X  1914/18.  i     c       i  f     ^ 

184  WallUeimer,  Bruno  [=  Nr.  186],  KaufmannslehrUng,  1916  nach  Frankfurt 
abe  ,  1917  Soldat  in  Oldenburg,  *  Oldenburg  4.  10.  1899  '    . 

185  Wal/(teimer,  Erich  [Hermann  V/allkeimer,  *  Oldenburg  6.  2-  184  5,  Kaufmann, 
und  Bertha  Cokn,  *  8.  11.  1856],  1907  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  *  Ol- 
denburg 16.  10.  1887 ''^  T.       1      j    u/  111    ■ 

186  WallUeimer,  Hermann  Hei(ne)mann  [Benjamin,  gen  Bernhard  Wa///ieimer. 
Schlächter,  *  1817,  oo  26.  11.  1856  Lea,  gen.  Laura  Sdiwabe,  ^  Varel  19.  9. 
1828  "'^,  18  81  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  später  Kaufmann,  *  Oldenburg 
3.  5.  1861,  oo  PauHne  Marxso^H.  i  i    i-       d        u^ 

187  WallUeimer,  Julius  Max  [wie  bei  Nr.  184],  1913  Handlungslehrhng  Bereüit.- 
schein,  *  Oldenburg  31.  12.  1893  "'^ 

188  WallUeimer,  Louis  [Victor  (Friedrich)  WallUeimer,  *  5.  6.  1811,  Handelsmann, 
00  I  Oldenburg  13.  5.  1838  Friederike  Reyershadt,  oo  IL  Oldenburg  27  2. 
185  3  Betty  Hattendorf  aus  Hatten],  1872  Kaufmann  in  Oldenburg,  *  Olden- 
burg 13.  5.  1852.  ,      ,   ,.         ^111  DU. 

189  WallUeimer,  Max  [wie  bei  Nr.  186],  1890  Bankgehilfe  in  Oldenburg,  Berecht.- 

schein,  *  Oldenburg  14.  3.  1870.  c  u  .  • 

190  WallUeimer,  Max  Bruno  [wie  bei  Nr.  184],  1915  Kaufmann,  dann  Soldat  in 
Oldenburg,  *  Oldenburg  21.  6.  1896,  f  an  der  Somme  24.  10.  1916. 

191  WallUeimer,  Max  Victor  [wie  bei  Nr.  18  5],  1901  Handlungsgehilfe  in  Olden- 
burg, *  Oldenburg  1.  5.  1881  ''^.  •     n   •  u 

192  WallUeimer,  Paul   [wie  bei   Nr.    18  5],   1906  Handlungslehrling  in   Duisburg, 

*  Oldenburg  24.  5.  1886. 

193  WallUeimer,  Siegfried  [wie  bei  Nr.  185],  1909  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg, 

*  Oldenburg   1.  11.  18  89 ''s. 

194  Wedisler,  David  Theodor  Alfred  [Bernhard  Wedisler,  Landrabbiner,  *  1807 
oder  1808.  aus  Schwabach/Bayern,  t  Oldenburg  18.  11.  1874 '•\  und  Adelheid 
Auh,  *  1.  7.  1810,  aus  Baiersdorf/Bayern],  1869  Kaufmann  in  Hannover,  1871 
Einjähr.-Freiwill.  in  Oldenburg,  *  Oldenburg  4.  5.  1849. 

195  Weinberg,  Alfred  [Hermann  (Moses)  Weinberg,  Kaufmann,  *  Leer  21.  5.  1848, 
oo  Gehrde  27.  10.  1875  Dina  Dammann  aus  Gehrde,  t  v.  1913],  1913  Hand- 
lungsgehilfe in  Oldenburg,  *  Oldenburg  24.  10.  1893. 

72a  Sohn-  Max,  *  Lehe  18.  1.  1905,  Sdiladitermeister  in  Sandhatten. 

72b  1^38  nadi  London,  dann  nadi  Amsterdam  emigriert,  t  KZ  Mauthausen  19.  3.  1942,  oo   liily 
(Ottilie)  N.N..  ev.,  lebt  in  Oldenburg. 

72c  Lebt  in  Amsterdam.  .i     ,  n     nr 

72d  Tochter  des  Moses  Levin  Sdiwahe  (t  vor  18  56)  und  der  Min(n)a  tllon. 

72c  Später  Kaufmann  in  Bonn,  t  Port  Elizabeth  (Südafrika)  1968. 

72f   Inhaber  der  Papierfabrik  V.  F.  Wallheimer  in  Bremen,  t  Amsterdam  1939. 

'2g  Lebt  in  Bremen. 

'•*'  Trepp,  a.  a.  O.,  S.  26  ff. 

569 


.laRSssp^ 


Die  jüdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von  1867-1918  und  ihre  Vorfahren 


196 


197 


198 

199 
200 
201 
202 
203 
204 
205 
206 

207 
208 


Weinberg,  Alfred  [Leib,  gen.  Levie  Weinberg,  Kaufmann  in  Oldenburg,  und 
Amalie  lenneberg],  um  1915  Lehrling  in  Oldenburg,  1916  Soldat  in  Olden- 
burg, *  Deternerlehe  29.  4.  1897,  t  1.  5.  1917''. 

Weinberg,  Emil  [Levi  Salomon  Weinberg.  Kaufmann  und  Zichorienfabrikant 
in  Jever  und  Oldenburg'',  *  Schwerte  26.  10.  1825,  t  Oldenburg  22.  9.  1905. 
00  Oldenburg  1.  7.  1855  Therese  Ballin'',  *  Oldenburg  (?)  6.  10.  1820, 
t  Oldenburg  (?)  28.  7.  1913],  1877  stud.  jur.,  *  Oldenburg  24.  10.  1857  '  . 
Weinberg,  Hermann  (Naphtali)  [wie  bei  Nr.  197],  1880  in  Oldenburg,  1881 
Einjähr.-Freiwill.  ebd.,  später  Fabrikant,  *  Oldenburg  19.  6.  1860,  f  1927, 
■=1  Oldenburg,  oo  Mathilde  Felsentkai,  f  Oldenburg  8.  1.  1937  "^ 
Weinberg,  Karl  Ludwig  [=--  Nr.  198],  1911  Berecht.schein,  *  Oldenburg  23.  3. 
1891  ^'^ 
Weinberg,  Ludwig  [wie  bei  Nr.    195],   1901   Handlungsgehilfe  in   Oldenburg, 

*  Oldenburg  4.  11.  1881. 

Weinberg,  Max  Heinrich  [wie  bei  Nr.  196],  1916  Lehrling  in  Oldenburg, 
dann  Soldat,  *  Detern  15.  6.  1898  "^ 

Weinberg,  Moritz  [Jacob  Weinberg,  Handelsmann,  f.  und  Emma  Sternberg], 
1885  Kaufmann  in  Oldenburg,  1886  üb.  nach  Münster,  *  Schwerte  30.  1.  1865. 
Weinberg,  Moritz  [wie  bei  Nr.  195],  *  Oldenburg  14.  5.  1880,  t  Oldenburg 
25.  12.  1880. 

Weinberg,  Siegfried  [wie  bei  Nr.  197],  1877  Einjähriger  in  Oldenburg,  *  Olden- 
burg 7.  3.  1859''. 

Weinberg,  Wilhelm  [wie  bei  Nr.  197],  188  3  Einjähriger  in  Oldenburg.  *  Olden- 
burg 20.  3.  1862''. 

Weinstein,  Alfred  [Bernhard  Weinstein,  Viehhändler,  und  Martha  Coldsckmidt], 
1918  Kaufmann  in  Oldenburg,  dann  Soldat,  in  Minden,  1919  entl.  nach  Jever, 

*  Jever  10.  7.  1900'". 

van  Wien,  David  [Hartog  van  Wien,  Handelsmann,  und  Rebecka  Markreick,  in 
Groning(en?)].  1904  Handlungsgehilfe  in  Oldenburg,  1906  Soldat  in  Olden- 
burg, *^Leer  9.  9.  18  84 '"^ 

Wiesenfeld,  Julius  [Joseph  Wiesenfeld,  Händler  in  Oldenburg,  und  Henrika 
Sacks],  1899  Schneidergeselle  in  Oldenburg,  ^  Hengstforde  5.  6.  1879. 


74  Vermutlich  verwandt  mit  Ernst  Wcmberg.  *  Detern  29.  1.    1809,  Produktenhändler  in  Varel, 
1942  in  das  KZ.  Theresienstadt  deportiert. 

'5  Sohn  des  Salomon  Jacob  Weinberg,  Handelsmann  in  Schwerte,  und  der  Caroline  KletPt. 
'"  Tochter  des  Samuel  Joseph  Ballin  und  der  BeHa  Balliii. 

77  Später  Landgerichtspräsident   -n   Oldenburg,   t   ebd.    30.    3.    1925    (Oldenburger   Hauskalender 
1926,   S.   61  f.). 

'7a  Inhaberin  der  Waschanstalt  „Edelweiß"  in  Oldenburg. 

77b  Emigriert  nach  Südafrika.  ,       o.  tu 

78  Später  Inhaber  der  Firma  S.  J.  Ballin.  1939  nach  Amsterdam  ausgewandert,  dort  t.  00  Johanna 
van  ßtLcM,  *   Amsterdam  25.  2.  1863.  t  7.  oder  17.  11.  1927.  2  Töchter  (oo- .  .  .     liptuan  und  00 

Meyer)  und  ein  Sohn,  der  den  Namen  van  Buren  annahm,  leben  in  USA. 

7»  00  Maria  Cohn  (?)  aus  Brake,  f  lt..  I.  191  1. 

«»  nach  England  emigriert,  dort  f-  Verwandte  vermutlidi  Louis  Vfeinstein,  *  Jever  20.  ^-  1  «''5 
Sohn  des  Julius  Levie  Weinstein,  Viehhändler,  und  der  Helene  Josephs,  lebt  seit  mindestens  1941  in 
Lima,  und  Lieselotte  Weinstein,  00  .  .  .  Spitzer,  lebt  jetzt  in  London.  • 

80a  Vermutlich  Schwager  von  Nr.  104. 


570 


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Die  jüdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von  1867-1918  und  ihre  Vorfahren 


209  Willner,  Gustav  Jacob  [Jacob  (Gerson)  Willner,  Lederhändler  in  Oldenburg  , 
*  Cloppenburg  (?)  21.  11.  1820,  t  Cloppenburg  18.  11.  1^12,  und  Fanni 
Hirsch  '",  *  Friedrichstadt  22.  7.  1827],  1882  Handelsmann  in  Oldenburg,  1884 
gemustert  in  New  York,  *  Cloppenburg  21.  3.  1862  ''.  .   ka-  i    i 

210  Wolff  Siegfried  [Jacob  Wolff,  Kaufmann  in  Bremerhaven,  und  Fanni  Mickel- 
soIih],'  1884  Kaufmann  in  Oldenburg,  Berecht.schein,  *  Hausberge  19.  9.  1864. 

211  Wolfenstein,  Julius  Jacob  (Israel)  [Julius  Jacob  Wolfenstein  aus  Bremen,  Kaut- 
mann  *  1  6.  1837,  t  um  1873,  oo  Oldenburg  12.  5.  1868  Flora  Steinthal, 
^  Oldenburg  23.  3.  1849],  1895  in  Oldenburg,  1896  üb.  nach  Leer.  Berecht.- 
schein, *  Oldenburg  24.  6.  1874.  .     ^i j     u 

212  Wolff enstein,  Richard  Moses  (wie  bei  Nr.  211],  1889  Kaufmann  m  Oldenburg, 
Berecht.schein,  *  Bremen  2.  5.  1869.  ,      r    i       i    n 

213  Wolfson,  Franz  Alfred  Joseph  [Fduard  Wolfson  und  Franziska  luhasck{Lu- 
borsch),  *  26.  4.  1848,  f  Oldenburg  20.  1.  1872],  1890  Einjähriger  in  Olden- 
burg, *  Oldenburg  1.  1.  1872.  /t       i      x   r  *i 

214  Ziegel,  Michaelis  [David  Ziegel,  Kaufmann,  und  Helene  (Lenchen)  Lewy,  tl> 
187^1  Handlungslehrling  in  Oldenburg,  abg.  nach  Berlin,  üb.  nach  Gnesen, 
*  Wongrowitz  27.  10.  18  51. 


»^.1 


Verzeichnis  der  Herkunftsorte 

(nach  Ländern  und  Verwaltungsbezirken;  die  laufende  Nr.  bezieht  sich  auf  das  vorstehende 

Verzeichnis) 


Oldenburg: 

Stadt  Oldenburg  2,  4-16,  18, 
23,  43-47,  60-66,  68,  74 
bis  76,  80,  87,  93-98, 
102,  107,  112  f.,  115, 
115^  115S  116-119,  122 
bis    124,     126,     134,    136, 


141_149,     153  f.,     162  f.,     Jever   39,  59,  110,  206 
165  f.,     168—171,     175  f.,     Neuenbrok40 
179^    lg3_195,    197-200,     Huntlosen  72 

203-205,  211—213 
Osternburg  69-71,  73,  125 
Eversten   17 
Delmenhorst  35 


Bookhorn   101 
Wildeshausen   140 
Hengstforde  208 
Cloppenburg  209 


«1  Sohn  des  Rabbi  Gerson  in  Cloppenburg  und  der  Hertha  Schiff.  Dieser  ist  vielleicht  identisch  mit 
Gerson  Samuel  in  Cloppenburg,  dem  Schwiegersohn  des  sdion  vor  1817  verstorbenen  Heyman  Meyer 
(Sdiutz  1762).  Gerson  Samuel  erhielt  1814  Aufenthaltsgenehmigung  für  Cloppenburg  und  wird  1817 
dort  als  Vater  von  2  Kindern  genannt.  Seine  Frau  könnte  die  am  14.  3.  1867  in  Cloppenburg 
verstorbene  Witwe  Bertha  WiUticr  sein.  Verv/andte  (als  Söhne  des  Gerson?)  sind  sicher  Levi  Wülncr, 
t  Crapendorf  bei  Cloppenburg  30.  11.  1828.  und  Nachman  Willner,  *  Crapendorf  6.  4.  1828.  Uer 
Name  Willner  könnte  dann  zwischen  1817  und  1828  angenommen  worden  sein. 

«2  Tochter  des  Fsaias  }^irsdi  in  Friedrichstadt  und  der  Betti  Salonwn. 

83  Die  Auswanderung  nach  AmcHkn  bcwahf  ihn  und  seine  Schwester  Rosa  (*  Cloppenburg 
13  1  1864)  sowie  seinen  nach  England  auseewandertcn  Bnider  Sigmund  (*  Cloppenburg  28.  8. 
1865)' vor  dem  Schid<sal  der  jüngsten  Schwester  Betty  (*  Cloppenburg  «9.  5.  1873)  Sie  hatte  am 
24  12  18*59  ihren  Vetter  Friedrich  Willner  geheiratet  (*  Cloppenburg  22.  10.  1870).  den  Sohn  des 
Emanuel  Willner,  eines  Bruders  ihies  Vaters.  Das  Ehepaar  wanderte  1938  nach  Holland  a>^>s  ""d 
wurde  1943  in  das  KZ.  Sobibor  verschleppt,  wo  es  umkam.  1943  wurde  auch  eine  nach  Holland 
ausgewanderte  weitere  Tochter  mit  zv/ei  kleinen  Kindern  von  3  wnd  lV_'  Jahren  in  ein  KZ.  verbracht. 
Sie'übe-lrbtm  ebensowenig  wie  der  1938  nach  Buchenwald  und  l'Ml  nach  Riga  deportierte  Bruder. 
Nur  eine  1937  nach  Amerika  entkommene  Tochter  sowie  die  seit  1931  mit  einem  nichtjudischen 
Ehemann  (Heinrich  Meiners)  verheiratete  Tochter  Frieda,  die  194  5  nodi  nadi  Thcresienstadt  ver- 
sdileppt  wurde,  blieben  übrig.  Frau  Frieda  Meiners  habe  ich  für  die  meisten  Angaben  zur  Familie 
Willner  zu  danken.  Das  Poes'iealbum  ihrer  Mutler  Betty  mit  Eintragungen  aus  den  Jahren  1886/1887 
und  1890  hat  sie  dem  Staatsarchiv  Oldenburg  überlassen  (Best.  285,  116).  Es  enthalt  außer  den 
Eltern  und  der  Schwester  Rosa  nur  Eintragungen  von  nichtjüdischen  Freundinnen  und  Bekannten, 
ein  Beweis  für  das  damals  praktizierte  freundschaftliche  Miteinanderlebcn  von  Juden  und  NichtJuden. 

571 


Die  jüdischen  Wehrpflichtigen  in  Oldenburg  von  1867—1918  und  ihre  Vorfahren 


Preußen  : 
Prov.  Hannover: 
Reg. Bez.  Auridi: 

Emden  19,  30,  67, 

180—182 

Neustadt-Gödens  2  5 

Weener   89,  157 

Wilhelmshaven   163 

Loga   127 

Deternerlehe   196 

Detern  201 

Leer  207 
Reg.Bez.  Osnabrück: 

Papenburg  3 

Quakenbrück   133 

Veldhausen   151 
Reg.Bez.  Stade: 

Dörverden  29 

Aumund   120 

Geestemünde   177 
Reg.Bez.  Hannover: 

Wunstorf   1 

Hannover  24,  150 

Diepenau   108 

Rehburg  111 

Großmunzel   161 

Bassum   164 
Reg.Bez.  Lüneburg: 

Harburg   52 

Walsrode   105 

Bodenteich   137 
Reg.Bez.  Hildesheim: 

Werna  51 

Nörten  79 

Prov.  Westfalen: 
Reg.Bez.  Münster: 

Rheine   84 

Münster   172 
Reg.Bez.  Minden: 

Bühne   32 

Ovenstädt   5  5 

Hausberge  210 
Reg.Bez.  Arnsberg: 

Dortmund   37 

Niedermarsberg   139 

Sdiwerte  202 

Prov.  Rheinland: 
Reg.Bez.  Düsseldorf: 

Dülken  20 

Anrath  5  3 


Reg.Bez.  Köln: 
Kerpen   77 

Reg.Bez.  Koblenz: 
Bonbaden  90 
Altenkirchen   152 

Prov.  Schleswig-Holstein 
Rendsburg  158 

Prov.  Hessen-Nassau: 
Reg.Bez.  Kassel: 

Niedenstein   5  8 
Reg.Bez.  Wiesbaden: 

Oberbrechen   173 

Prov.  Sachsen: 
Reg.Bez.  Magdeburg: 

Osterburg   114 

Magdeburg  131 

Stendal  155 
Reg.Bez.  Erfurt: 

Nordhausen   50 

Heiligenstadt  131^ 

Prov.  Brandenburg: 
Berlin   36,  86 
Reg.Bez.  Frankfurt/O.: 

Göritz   3  8 

Forst  91 

Seelow  106 

Prov.  Pommern: 
Reg.Bez.  Stettin: 

Swinemünde   82 
Reg.Bez.  Köslin: 

Stolp  48 

Prov.  Westpreußen: 

Reg.Bez.  Danzig: 
Pr.  Stargard   115^ 

Reg.Bez.  Marienwerder: 
Lautenburg  26 
Neuklunkwitz   129 

Prov.  Ostpreußen: 
Reg.Bez.  Königsberg: 

Königsberg  128 

Wormditt  159 


Prov.  Posen: 
Reg.Bez.  Posen: 

Schwerin  21 

Miloslaw  28 

Zerkow   100 
Reg.Bez.  Bromberg: 

lisch   22 

Schönlanke   8  5 

Wongrowitz  214 

Prov.  Schlesien: 
Reg.Bez.  Breslau: 

Öls    33,   178 
Reg.Bez.  Liegnitz: 

Glogau  8  8 
Reg.Bez.  Oppeln: 

Gleiwitz   34,  138 

Kattowitz  41,  92 

Ujest  99 

Beuthen   130 

Lippe: 
Lage  132 
Hörn  167 

Hessen-Darm  Stadt 

Vilbel   160 
Storndorf   167^ 

Anhalt: 
Bernburg  57 
Dessau  156 

Mecklenburg- 
Schwerin: 

Malchow  42 

Teterow  81 

Gadebusdi  109 

Bayern: 

Obbach  (Ufr.)   54 

Hansestädte : 
Lübeck  27,  78 
Hamburg   31,  56 
Bremen   83,  212 

Niederlande : 
Groningen  104 
Winschoten   174 

Österreich  : 
Wien  49 

Rußland  : 
Dorpat  121 
Baklarzewo 
(Gouv.  Suwalki)   135 
(vgl.  auch  8  3) 


572 


iDonaerJriich  aud  iTTcpt 

GENEALOGIE       HjX  .    ^ö.Aßi'^-i 


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X. 


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Juden  im  oeffentldbchen  Leben  Deutschlands 
in  der  Weimarer  Zerit 

I. 

Der  Zusammenhang  mit  dem  Ersizheinen  von  Juden  im  oeffent- 
liehen  Leben  Deutschlands  und  dem  Schicksal  der 

Weimarer  Republik. 


Vergleich  zwischen  der  Behandlung  der  Juden  im  Obrigkeitsstaat 
und  in  der  Weimarer  Republik.   Vergleich  zwischen  der  Volks- 
stimmung zu  den  Juden  im  allgemeinen  und  zu  ihrem  Erscheinen 
in  oeff entlichen  Funktionen  zur  Zeit  Wilhekms  II.  und 
waehrend  der  Revolution   sowie  in  der  Weimarer  Republik. 
Vielfache  Ueberschaetzung  der  Bedeutung  ihres  Erscheinens 
und  ihres  Wirkens  im  oeffentlichen  Dienst  fuer  das  Schicksal 
der  Juden  und  der  Weimarer  Republik  .  Beispieles  Walter 
Gross (  In  Zwei  Welten,  zitiert  Yearbook  XIV, S  66)  und  Rahel 
Strauss,  Wir  lebtem  in  Deutschland.  Unterscheidung  zwischen 
propagandistischer  Ausnutzung  dieser  Erscheinung  und  den 
tiefliegenden  historischen  Faktoren, ohne  die  die  Propaganda 
nicht  wirksam  gewesen  waere.  Kurze  Skizzierung  der  histori- 
schen Faktoren.  Die  nicht  akzeptierte  Niederlage.  Das  Fehlen 
einer  demokratischen  Bewegung  im  Buergertum.  Der  demokrati- 
sche Gedanke  nur  mit  der  Arbeiterbewegung  verknuepft.  Fehl- 
schlag demokratischer  Stroemungeni  Sonnemanh,  Frankfurt/Main; 
Jacob^^r, im  Preuss  sehen  Abgeordnetenhaus,  geht  schliesslich 
zur  Sozialdemokratie  ueber.  Wuettembergs  Sueddeutsche  Volks- 
partei, auf  gehend  in  der  liberalen, aber  nichts  demokratischen 
Fortschrittlichen  V(blkspartei.  Mangelnde  Vorbereitung  der 
Sozialdemokratie  fuer  , staatspolitische  Aufgaben.  Gruende 
dafuer.  Clemenceaut  d^  franzoesische  Revolution  war  ge- 
schrieben, bevor  sie  unternommen  wurde.  Vergleich  mit  der 
intellektuellen  und  faktischen  Situation  in  Deutschland./^'^l^-^  ^^/^ /^v. 
Beginn  einer  neuen  Aera.  Das  vom  Humanismus  erfuellte  19.  ^U^r^.^^^f^^^^^*^^ 
Jahrhundert  abgeloest  durch  ein  Jahrhundert, das   gewaltige 
Kriege,  Umstuerze  in  der  Wirtschaft  und /soziale  Bewegungen 
sah.  1918  eine  Revolution,  von  sozialistischen  Kraeften 
unternommen, die  sich  bewusst  waren,  dass  aus  aussen-  und 
innerpolitmschen  Gruenden  sozialistische  Ziele  nicht  erreich- 
ba  r  waren.  Der  Pazifismus, ein  wichtiges  Motiv  fuer  die 
Revolution. Die  Revolution  von  keiner  Schicht  des  Volkes  be- 
hindert, weil  sie  nach  Eingestaendnis  der  Niederlage  und  dem 
verstaendnislosen  Verhalten  der  bis  dahin//  fuehrenden 
Schichten  zur  Erreichung  des  Friedens  unerlaesslich  erschien. 
Die  Revolution  von  Sozialisten  fuer  buergerlich-demokra tische 
Ziele  durchgefuehrt,ohne  dass  Deutschland  ein  buergerl ich- 
demokratisches Potential  besass.  Diese  Widerspruechlichkeiten- 
die  tiefste  Ursache  der  Schwaeche  und  des  Niedergangs  des 
demokratisch-republikanischen  Gedankens  im  Augenblick  von 
politischen  und  wirtschaftlichen  Krisen.Unmittelbare  ziele 
der  Traeger  der  Weimarer  Republik i Erhaltung  der  deutschen 
Einheit, Verwirklichung  freiheitlicher  Bestrebungen, groessere 
soziale  Gerechtigkeit.  Ziele  decken  sich  mit  Bestrebungen 


a\^ 


-mm.^'^i 


-2- 


/ 


und  Interessen  des  juedischen  Buergertums,  Gruende  dafuer, 
Beschimpfung  der  Republ:ik  als  Judenrepublik  •  2  buerger liehe 
Bertreter,  Hugo  Preuss  und  Walther  Rathenau  als  ihre  Reprae- 
sentanten  erscheinend,  Charakterisierung  des  Begriffs  "Juden- 
republik" durch  deutsche  Richter  als  Repraesentanten  der 
republikfeindlichen  Stimmung  des  deutschen  Buergertums. 
Beipiele(aus  Die  Justiz;  Kempner), 

II. 

Die  Rolle  von  juedischen  Politikern  in  der 

Revolution 


Begriff  und  Zeitdauer  der  Revolution  .  Zeitliche  Ueberschnei- 
dung  von  Revolution  und  konstituierter  demokratischer  Re- 
publik. Beispieles  die  Bayerische  RaeterepubÄiki  Verhaeltnisse 
in  Braunschweig;  Frankfurt  am  Main.  Rolle  der  Marine,  des 
Heeres  und  der  Arbeiter  beim  Aysbruch   und  bei  der  Durch- 
fuehrung  der  Resolution.  Revolutionaere  Ereignisse  und  der 
Ordnungssinn  des  deutschen  Volkes. 

Keine  Juden  in  der  Marine  und  unter  den  Arbeitern  der  Gross- 
betriebe, auch  nicht  unter  ihren  revolutionaeren  Fuehrern. 
Revolutionaere  Obleute  in  Berlin.  Geringe  Anzahl  von  Juden, ent- 
sprechend dem  Anteil  an  der  Bevoelkerung,im  Feldheer  und  in 
den  Garnisonen.  Einige  Juden  prominent  unter  den  Soldatenrae- 
ten. Gruende  I  Verfuegbarkeit  von  Juden  £uar  ohte  Rollo  als 
Sprecher  beim  Vorbringen  von  WueUSchen  und  Beschwerden. 
Folgen  ihrer  Zuruecksetzung  bei  Befoerderungen, Verbleiben 
in  Manns chafts-und  Unteroffizierstand.  Einfluss  der  Judenzaehlung, 
Wirkung  vor  allem  auf  besonders  verletzliche  Naturen.  Be- 
griffe und  Wesen  des  Soldatenrats; politische  und  Kontroll- 
funktionen. Juedische  Soldatenraete  politisch  vorher  selten 
hervorgetreten. 

Rolle  der  Juden  in  politischen  und  parlamentarischen  Fueh- 
rerstellungen.  Funktionen  bei  den  Liberalen.  Funktionen  bei 
den  Sozialdemokraten.  Bei  den  letzteren  ueberdurchschnitt- 
liche  Zahl  von  akademisch  gebildeten  Fuehrerkraeften  unter 
den  Juden, Mangel  an  akademisch  gebildeten  Kraeften  unter 
Nicht Juden  innerhalb  der  SPD.  Beispiele!  Zusammensetzung  der 
Fraktionen.  Entsprechende  Konsequenzen. Uebernahme  von  Aemtern 
ducch  Juden, die  vorher  in  parteipolitischen  Fuehrergrem/ien 
waren, auf  Grund  der  revolutionaeren  Bewegung. 

Innerhalb  der  gemeinsamen  revolutionaeren  Gesamterscheinung 
grosse  Verschiedenheiten.  Zutreffend  auch  fuer  die  juedische 
Beteiligung. Politische  Differenzen lÄadikale/f  und  CK  emaessigte. 
Regionale  Differenzen!  Nord-und  Sueddeutschland.  Verschieden- 
heit der  Einfluesse  fuehrender  Persoenlichkeiten  auf  die 
Willensbildung!  Haase  und  Landsberg.  Sonderfaelle,  bedingt 
zum  Teil  durch  Zufaelligkeiten.Kurt  Eisner,  USPD,  Gabe  der 
individuellen  Initiative,  die  Fuehrung  in  Bayern  uebernehmend, 
wo  die  USPD  am  schwaechsten  war.  Gesamtsicht! Kombination  von 
revolutionaeren  Gesamt-und  Einzelaktionen, gefolgt  von  nicht 
vorherzusehenden  Entwicklungejf;J'irS!t  geplanten  Zielen,  verfolgt 
von  den  alten  Parteien  der  Linken, der  frueheren  Opposition. ^^W^^, 


„■iÄäi^Ääfes' 


-3- 

Diese  teils  herangezogen  von  den  sich  bedroht  fuehl^enden 
alten  Fuehrungsmaechten,  teils  gedraengt  von  den  Revolu- 
tionaeren,sie  Regierungsgewalt  zxxjti   uebernehmen.  Zurueck- 
draengung  der  Revolution  und  Gegenrevolution  in  den  ersten 
Jahren.  Niederschlagung  des  Januaraufstandes  1919; Nieder- 
werfung des  Kapp-Putsches  1920. Ziel; Zusammenwirken  gemaessig= 
ter  Kraefte  der  Arbeiterschaft  und  des  Buergertums  in  Koa- 
litionen. Dauernder  Erfolg  zu  sichern  nur  durch  Erhaltung 
der  Staerke  der  gemaessigten  Fluegel  auf  beiden  Seiten. 
Ominoese  Signalei  bei  den  Reichstagswahlen  von  1920  nach  dem 
Kapp-Putsch  empfindliche  Schwaechung  der  gemaes igten, Staerkung 
der  radikaleren  Gruppen  in  der  Arbeiterschaft  und  im  Buerger- 
tum  Bedeutung  dieser  Entwicklung  fuer  das  juedisbhe  Buerger- 
tum,dJ'as  gerade  in  der  DDP  und  SPD  seine  staerkste  Stuetze^ 
fand.^ 

III. 

Juedische  Gestallten  in  der  Revolution. 


n*'/' 


Die  von  der  Opposition  in  die  Verantwortung  hinueberwechseln- 
den  Personen.  Zuweilen  fast  automatisch  in  die  leitende  Stelle 
gebracht.  Unter  Fuehrerpersoenlichkeiten  im  Reich  Hugo  Haasejrf, 
vermittelnd  zwischen  SPD  und  USPD  und  zwischen  dem  rechten 
und  linken  Fluegel  der  USPD.  Seine  Zwangslage.  Seine  legal 
gleichrangige, faktisch  zweitrangige  Stellung  hinter  Ebert. 
Haases  Festhalten  an  der  in  der  monarchischen  Zeit  ueblichen 
Dosierung^^"  In  den  Sitzungen  der  Volksbeauftragten  ein  schwacher 
Gegenspieler  Eberts.  Landsberg, ein  Revolutionaer  lünterxM±U»H 
wider  Willen.  Staerker  als  Jurist  als  als  Politiker  hervor- 
tretend. Weil  artikuliert,  falsch  beurteilt  und  ueberschaetzt, 
Protokolle  der  Sitzungen  der  Volksbeauftragten  aufklaerend. 
Irrige  Beurteilung  durch  Oehme, Damals  in  der  Reichskanzlei. 
In  den  LaENDERN  i  Paul  Hirsch, preussischer  Ministerpraesiden f 
in  den  e?sten  Monaten  auch  Innenminister.  Gradnauer  saechsi- 
scher  Minis terpraesident.  Hugo  Heimann  und  Hermann  Weyl, 
Volksbeauftragte  in  Berlin.  Skizzierung  ihrer  frueheren 
Stellung.  Vergleich  mit  einer  Regierungsabloesuna  in  einem       -i^ife^ 
demokratischen  System.  4U,^^^^>a^ ^^  /^j,  /^  ^.>^Si^  ^^  Ziu^  ^^^.r.^^  ^^^ 

Regierungsmitglieder (unter  verschiedenen  Bezeichnungen)« 
Hugo  Preuss;  Eugen  Schiffer j  Emanuel  Wurm;   in  den  Laenderns 
Kurt  Rosenfeld, Justiz, PreussenjMarum, Justiz  Baden;Haas, 
Inneres, Baden 5 Regensburger  und  Kantor, hervortretend  in 
Braunschweig . 

Regierungsmitglieder  als  Fachleute  herangezogen i Hugo  Simon 
Finanzen, Preussen;Jaff 6, Finanzen, Bayern; in  der  kurzlebigen 
ersten  Raeterepublik  in  Bayern  Gustav  Landauer,  Kultur; Neurath 
Raeteorganisat ion . 

In  Kontrollfunktionen iBeiraete/.  Ihre  geringe  Bedeutung. Oskar 
Cohn, Reichs justizministerium;Herzfeld, Inneres;  Bernstein, 
Schatzamt. 


-4- 


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tA/i-C^i 


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Aktive  Revolutionaere.  Eisner  i"  Muenchenkuehn  und  selbstaendig 
voraehend.  Gegen  Zurueckhaltung  der  organisierten  Arbeiter 
I^hflt  Cnterluehrung  Auers  zahlenmaessig  geringe  Kraefte  zu- 
schaft  unter  tuenrung  vorbereitend.  Vorherige  Fest- 

^«■^^^n«  S  D;tuis  ?iilipp  LoSwenf  eld^  Darstellung  (Memoiren    jC^n ' 
Llir^rg!eiSvSnEisiers  Haltung  mit  der  Haases( Vorsichtiges  .J^^ 
Vorg£Sn?,lcSeidemanns (Ausruf ung  der  Republik.als  unerlaes|lich)  ,j 
„nH  Flirts (keine  sofortige  Entscheidung  wuenschend ) .  Levine 
Ss  läSerdi?  zweiten  (kommunistischen)  Raeterepublik.von  KPD 
naSh  ßSern  gesandt. Bewusstsein  der  hoffnungslosen  Lage.Gruende 

CeSer  SlSh?ung  der  ersten  und  der  "-^^"f  "V^J^^^S?!  und 
zweiten  Raeterepublik.  Toller  als  Fuehrer  des  A.und  S.Eats  und 
der  Roten  Armee.  Landauer  und  Toller  in  Rolle  tamijnjBBinh^iBBm  hin- 
eingestossen.fuer  die  sie  unvorbereitet  waren,  verbleibend  teils 
aus  Ehrgefuehl, teils  aus  mangelnder  Einsicht  m  die  Lage. 

Gesamtschau iBeteiligung  bezw.  Mitarbeit  von  Vertretern  aller 
PaBtBlBN  ausser  den  Konservativen  .teils  um  vorwaerts  au  t 
treiben,  teils  um  zu  zuegeln.Juden  in  allen  Parteien  -Levine 
KPD; Landauer, Muehsam  Anarchisten;Haase  E.sner  ToHer  USPD, 
LandsKrg  , Hirsch, ^radnauer.Marum  SPD?  Haas-Baden, Hermann  Cohn 
-Inhalt   Fortschrittler  bezw.DDP;  Schiffer  nationalliberal- 
DDP.  Verschiedene  Auffassung  der  Funktionen jUeberleitung  in 
das  Sowjetsystem, KPD,Levine'.  Weitertreiben  der  Revolution 
mit  Kombination  vom  Parlamentarischen  und  Raetesystem  als  End- 
ziel.USP.  Demokrati^h-parlamentarisches  System  durch  baldige 
Wahl  der  Nationalversammlung/SPDj  gleichfalls  baldige  Wahl 
der  Nationalversammlung  und  Verhinderung  sozialistischer  Mehr- 
heit.DDP;  gleichfalls  Wahl  der  Nationalversammlung, starkes  Ein- 
setz4n  fuer  Erhaltung  traditioneller  Werte  im  parlamentamsch- 
demokratischen  System.  Richtung  in  DDP^von  Schiffer  vertreten. 

Relativ  starke  Beteiligung  der  Juden  in  Fuehrerstellungen.Gruende. 
Bruenings  Urteil  in  seinen  Memoiren. Voel liger  Mangel  am  Verteidig 
gungswillen  des  alten  Regimes  durch  die  frueheren  herrschenden 
Schichten. Machtfreier  Raum. in  den  frueher  an  der  Macht  nicht 
beteiligte;!  Schichten, darunter  Juden  einstroemen. Mangel  an 
Vorbereitung  der  Juden  in  den  sozialistischen  Parteien  f"er 
Uebernahme  der  Regierungsverantwortung. Rechtsanwaelte. Schrift- 
steller.Journalisten  typische  Berufe  juedischer  Intellektueller^ 
Ausschluss  von  Staatsverwaltung. Hervortretend  messianischer  und 
philosophischer  Zug.  Haase-Koenigsberg  kantmanisch. Eisner 
von  Hermann  Cohen  stark  neukantianisch  beeinflusst^. Starke 
Neigung  der  juedischen  Intellektuellen  bei  den  Sozialisten  fuer 
USPD  vornehmlich  durch  Friedensgedanken  bedingt. Kants  Ewiger 
Friede. 


-5- 


d/l^^f^- 


^ 


'i/(/^4^ 


IV 
Haltung  der  juedischen  Gemeinschaft  zur  Revolution. 

Sehr  verschieden  von  sozialistischien  juedischen  Fuehrern. 
Eine  vorwiegend  buergerliche  Gruppe.  Oppositionell  zur  alten 
r^^c  /^^c^   Regierung  durch  juedische  Schicksal/aber  nicht  revolutionaer 
'^        bestimmt.  Bevoelkerungs-und  Beruf sstruktur.Verstaedterung  im 

Laufe  des  19.  Jahrhunderts. Massierung  vor  allem  in  Berlin, ver- 
staerkt  durch  Abwanderung  aus  den  dem  erneuerten  polnischen  Staat 
zugeschlagenen  Gebieten. Unterschied  von  der  Zusammensetzung  der 
Gesamtbevoelkerung. Stadt  und  Land.  Selbstaendige.Handel-und 
Bankwesen. Schnelles  Anwachsen  der  Akademiker.  Kaum  Juden  in 
Landwirtschaft, Handwerk  und  Handarbe iterschaft.Gruende  dafuer. 
Tendenz  zur  wirtschaftlichen  und  sozialen  Angleichung  statistisch 
nachweisbar,  aber  nicht  in  das  Volksbewusstsein  eingedrungen. 
Eine  Äozioloöisch  fuer  den  Liberalismus  praedestinierte  Gruppe, 
soW^^der  Liberalismus  seine  frueh^^ere  antisemitische  Haltung 
vor  allem  in  Sued-und  Suedwestdeutschland  aufgab. Eine  weder 
republikanische,  noch  sozialistische  noch  revolutionaere  Be- 
voelkerungsschicht.Uebereinstimmung  mit  der  Haltung  des  Berliner 
Buergertums  in  den  letzten  dreissig  Jahren. Ausgang  der  Reichs- 
tagswahlen, voelliges  Verschwinden  der  antisemitischen  und  kon- 
servativen Parteien  in  Berlin.  Die  Wahl  Maximilian  Kempners  in 
Berlin  I,zwei  Wochen  vor  der  Revolution. Interesse  der  Juden 
an  der  Aufrechterhaltung  der  Reichseinheit, gegen  separatisti- 
sche Stroemungen,fuer  Ausbau  freiheitlicher  Institutionen  sehr 
ausgepraegt.  Gruende  dafuer. Haltung  in  den  polnischen  Landes- 
teilen,im  Rheinland  und  in  Bayern. Tendenz  zum  Einksliberalismus, 
doch  auch  bei  den  Nationalliberalen  in  Bayern, Hannover  und  Rhein- 
land vertreten. In  der  DDP  die  meisten  Juden  vereinigt, bei  der 
D  eutschen  Volkspartei, Nachfolgerin  der  Nationalliberalen, wegen 
ihrer  der  Republik  feindlichen  Haltung  eine  geringere  Zahl  als 
vor  dem  Kriege  bei  den  nach  rechts  neigenden  Liberalen. Juden 
als  Mitglieder  des  Establishment  vertreten  durch  Beteiligung  an 
der  Wirtschaftsfuehrung, Mitgliedschaft  in  Stadtparlamenten, Ehren  - 
stellen  in  der  Kommurv^lpolitik, Titel, Orden  und  Ehrenzeichen. 
Daneben  dosierte  Zulassung  zu  wissenschaftlichen  Positionen  und 
Befoerderungsstellen  in  der  Justiz.  In  einer  solchen  Gruppe  kein 
Draengen  zur  Revolution, aber  ihre  ^^^gP^gf;^^^  leichter  als  bei 
der  Rechten  und  dem  Zentrum.  TypischnscSKTTters  Eingestaendnis^ 
dass  er  sich  im  Kaiserreich  zu  Hause  fuehlte  und  dies  seine  ei- 
gentliche politische  Heimat  war . Tendenzen  der  Kontinuitaet  in 
der  parteipolitischen  Loyalitaet  und  Gegenstroemungen  dagegen. 
Starker  Gegensatzx  zwischen  der  Haltung  der  Masse  der  juedischen 
Bevoelkerung  und  der  Einstellung  der  juedischen  Intellektuellen 
in  den  sozialistischen  Parteien. Stellung  der  Juden  in  Fuehrerstel 
lungen  der  DDP. 


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-6- 
V. 


Der  Antisemitismus  in  der  Revolutionszeit 


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These,  dass  Antisemitismus  durch  starke  Beteiligung  der  Juden 
an  der  Revolution  erweckt  sei,  unhaltbar.  Sie  trug  dazu  bei, 
die  vorhandene  Stroemung  zu  verstaerken.  Beweis, dass  die  wirklich 
revolutionaere  Stimmung  nur  einen  geringen  Teil  der  Bevoelkerung 
erfasst  hat.  Kurze  Darstellung  des  Obrigkeitlichen  und  des  aus 
dem  Volk  aufsteigenden  Antisemitismus  vor  1918.  Stawrkster 
Gegensatz  zwischen  beiden  in  Bayern. Groesste  Gemeinsamkeit  in 
Sachsen  und  Wuerttemberg.  Situation  in  Preuasen.  Rolle  der  kon- 
servativen Partei,  fast  nur  in  Preussen  und  Sachsen  vertreten, 
Bindeglied  zwischen  beiden  Spielarten  des  Antisemitismus.  Tivoli- 
Programm,  Antisemitenparagraph,  Differenzen  zwischen  Bismarck  und 
preussischem  Innenminister  von  Putkamer.Im  Kriege  Antisemitismus 
zunaechst  zuruecktretend,  Idee  der  umfassenden  Volksgemeinschaft 
Burgfrieden, dann  wieder  hervorbrechend.  Kriegsverlauf.  Schluessel- 
figuren  Ludendorf f,  Wrisberg. Agitation  der  Vaterlandspartei. Zu  Be- 
ginn der  Devolution  wieder  kurze  Zeit  zuruecktretend, dann  wieder 
hervorbrechend. Pogromluft  in  Berlin,Muenchen,  Ablenkungsmanoever. 
Starke  Abschwaechung, zum  Teil  Verschwinden  des  Obrigkeitsstaat- 
lichen Antisemitismus  noch  waehrend  des  Krieges.  Die  ersten  Juden 
in  Preussen  in  Dirigentenstellen  der  Justiz, der  erste  juedische 
Verwaltungsbeamte, Reserveoffiziere  ernannt. In  den  Monaten  nach 
der  Revolution  populaerer  Antisemitismus  aufsteigend, nicht  mehr 
gehemmt  durch  starke  Obrigkeit.  Unsicherheit  der  Parteien, Zu- 
rueckhaltung  der  Deutschnationalen, doch  voelkisvhe  Gruppe  bei  ihnen 
bereits  aktiv. Deutschnationaler  Wahlaufruf  1918. Sonderlage  in 
Bayern.  Georg  Heim.  Bekaempfung  Eisners, spaeter  der  Raeterepublik 
mit  antisemitischen  Vorzeichen. Beurteilung  in  Bosl,s  Buch.Re- 
vanchegefuehle  des  Buergertums. Juden  in  der  Revolution  in  Bayern 
fast  durchweg  eines  nicht  natuerlichen  Todes  gestorben. Eisner 
Gustav  Landauer, Toi 1er, Muehsam,Fechenba eh.  Jaffe   Zusammenbruch 
Levines  Hinrichtung.floegner's  Urteil  ueber  Mangel  an  politischem 
Sinn  in  Bayern.  -  Die  Berliner  Versammlung  der  Jugendverbaende  gegen 
den  Antisemitismus. Alf red  Apfel,  Cora  Berliner.  Auftreten  Kurt 
Blumenfelds. 


-7- 


VI. 


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Juedische  Kegierungsmitglieder 

a.Die  Reichsregierung 

Gesamtzahl  unter  etwa  200  Regierungsmitgliedern   7  Juden, 
davon  2, die  einer  juedischen  Gemeinde  angehoerten(Preuss,Rathenau) 
3  Konfessionslose  (Gradnauer, Landsberg, Hilferding  )  einer, der 
sich  um  seiner  Laufbahn  im  Kaiserreich  willen  hatte  taufen 
lassen  (Schiffer)  und  einer,  dessen  Eltern  sich  vor  ihrer 
Hochzeit  haben  taufen  lassen (Joel)  und  der  also  als  evange- 
lischer Christ (reformierte  Kirche)  geboren  ist./Preuss  und 
Landsberg  nur  bis  Juni  1919, traten  wegen  Versailler  Vertrag 
zurueck. Unter  Regierung  Wirth ( 1921/22 )  Gradnauer, Rathenau 
und  Schiff  er, i'te^l^gle.i-rhf  all. s  i"^  t^^"''  iQiQ  ^n^  dorn  rflp4-r?h<¥n— 
fTrunde  mrurrM-rrTf",  Pip  zwei  verbleibenden  juedischen  Minister 
Hilferding, wenige  Monate  1923  im  Kabinett  Stresemann  und 
18  Monate  im  zweiten  Kabinett  Mueller)  und  Joel (2.  Kabinett 
Bruening,  neun  Monate).  Geringfuegigkeit  der  Xahl.  Die  be- 
deutendsten Hilferding,  Schiffer,  Joel, nicht  nur  wegen  ihrer 
Amt^taetigkeit  als  Minister. Tiefe  Spuren  hinterlassen  Preuss 
und  Rathena  u,unbedeutedd  als  Minister  Gradnauer  und  Landsberg. 
Vergleich  mit  Kaiserzeit.   2  ungetaufte  Juden, Friedberg, Frieden- 
thal,kein  Praezedenzfall  unter  der  Monarchie. Kein  Konfessions- 
loser waere  ministrabel  gewesen, Sozialdemokraten  kamen  ohnehin 
nicht  in  Betracht.  Schiffer  und  Joel  in  hohen  Verwaltungsstellen 
schon  vor  1914, Auf ruecken  fast  automatisch. Beherrschung  des 
Reichs Justizministeriums  durch  Joel  als  Staatssekretaer, letzter 
Minister  juedischer  Abstammung  mit  Bruening  Mai  1932  ausgeschieden. 
Schiffer  seit  1923  nicht  mehr  Ministerposten  und  Parlamentarier 
aber  noch  wichtige  Funktionen. Alle  Richtungen  vertreten  von  USPD 
(Hilferding  von  der  Kriegszeit  bis  1922) , -Joel, rechtsstehend, sich 
als  Beamten  altpreussi scher  Praegung  bezeichnend. Schlussfolgerung, 
die  beiden  getauften  Juden  mit  Tendenz  nach  rechts, auch  bei 
Schiffer  nachweisbar/lDie  beiden  im  Judentum  verbliebenen  aus  dem 
juedischen  Buergertum  hervorgegangen  und  parteipolitisch  seine 
Repraesentanten  geblieben. Die  Sozialdemokraten  auch  aus  dem  jue- 
dischen Buergertum  hervorgegangen, aber  anderen  Idealen  und  poli- 
tischen Zielen  gefolgt. 


Bereits  behandelt  in  Band  I  Gradnauer, Landsberg,  Rathenau (dieser 
ra^A  ^^     damals /pe<A  nicht  Parlamentarier)  Schiffer.  Alle  vier  Laufbahn 

fortge^setzt, daher  weiter  zu  untersuchen.   Neu  hinzutretend  Hilfer- 
ding, Joel,  Preuss.  Lauf  bahnen  erklaerlich  als  fruehere  hohe  Beamte 
Joel, Schiff er.  Berufen  von  Ebert  Landsberg (bereits  als  Volksbe- 
auftragter) Preuss  zur  Vorbereitung  der  Verfassung,  Schiffer, 
nachrueckend  zum  Staatssekretaer  im  Reichsschatzamt (seine  Be- 
dingungen) .Als  fuehrende  Parlamentarier  in  SPD. Gradnauer, Hilf er- 
ding(nach  Vereinigung  mit  USPD). Von  Wirth  herangezogen  Rathenau 
(Wiederaufbau,  Aeusseres;RKJöuöiÄK  Ebert  ablehnend  gegen  ihn). 
Amt  erstrebt  nur  von  Rathenau, die  anderen  teils  in  Revolutions- 
zeit als  beboetigt  herangezogen, teile  von  Parteien  vorgeschlagen 
(Kampf  in  DDP  Fraktion  zwischen  Preuss  und  Koch-Weser). 


-8- 


rtci/^^ 


r6^ 


Die  Sozialdemokraten 

Otto  Landsberg.   In  Vorkriegszeit  Parlamentarier  seit  1912. 
In  Nachkriegszeit  vier  Funktionen i  Volksbeauftragter, Parlamen- 
tarier, Reichs  justizminister,  Diplomat  (Gesandter  in  Bruessel). 
Als  Volksbeauftragter  Aufgaben, die  ihm  nicht  lagen t Finanzen, 
Pressewesen. Auch  sonst  nach  Protokollen  ausserhalb  juristischer 
Fragen  nicht  hervorgetreten/Verhaftung  durch  Linksradikale. Oft 
provokatorisches  Verhalten  gegen  USP  Unabhaengige.Sein  Einfluss 
ueberschaetzt,da  sehr  artikuliert. Auch  im  Kabinett  Scheidemann 
nicht  besonders  einflussreich. Ruecktritt  wegen  Versailles. 
Patriot.  Mangel  an  Auge n^iass, wenn  es  sich  um  nationale  Fragen 
handelte, aber  standhaft  waehrend  des  Krieges  in  Ablehnung  jeder 
Annexion. Wuerdigung  durch  Sinzheimer  als  geistige  Gestalt 
(Sinzheimer-Fraenkel,Die  Justiz  in  der  Republik,S. 224/5) Zum 
Gesandten  in  Bruessel  ernannt  in  Zusammenhang  mit  Bestreben, aus 
politischen  und  wirtschaftlichen  Kreisen  dem  A.A.  frisches  Blut 
zuzufuehren. Andere  Beispiele  dafuer.Rede  Hermann  Muellers  Herbst 
19l9./^ueckberufung  bei  Ausbruch  des  Ruhrkampfes  zusammen  mit 
Vertreter  in  Paris. Schwierigkeiten  in  der  Amts ausuebung  mit  bel= 
gischer  Regierung, oft  durch  fuehrende  katholische  Partei  beein- 
flusst.  Bei  Wiederbesetzung  des  Postens  nicht  beruecksichtigt, 
Berufsdiplomat  ernannt. Landsberg  verbittert, 

Parlamentarier  seine  eigentliche  Brufung. Politische  und  juristiscche, 
besonders  auch  verfassungsrechtliche  Probleme. Eine  der  wichtig- 
sten Reden  Ablehnung  der  Brueningschen  Notverordnung  1930  als 
verfassungswidrig  ,  zur  Aufloesung  des  Reichstags  fuehrend.Sein 
Verhalten  strittig. Aufsaetze  u.a.  in  Gesellschaft  und  Justiz. 
Kritk  an  Fehlurteilen, Klassenjustiz  , Beurteilung  Paul  Levis  nach 
dessen  Tode.  Verkennung  der  besonderen  Spielart  des  Nazi-Antise- 
mitismus im  Vergleich  mit  frueheren  antisemitischen  Wellen. 
Stark  historisch  bestimmte  Denk-und  Beurteilungsweise. 1933  so- 
fort Emigration  nach  Holland, verborgen, nicht  nach  Deutschland 
zurueckgekehrt . 


Georg  Gradnauer.  Minister  des  Innern, Ministerpraesident  des 
Landes  Sachsen. Saechsischer  /Radikalismus, kritisiert  durch  linken 
Fluegel  unter  Fuehrung  Fleissners  und  Lipinskis. Verteidigung  durch 
Noske.  Ende  der  saechsischen  Periode  der  Poliltik, Eintritt  in 
Reichsministerium  des  Innern  im  ersten  Kabinett  Wirth. Zum  2. Ka- 
binett Wirth  nicht  wieder  zugezogen.  Wirken  im  ersten  T^abinett. 
Nach  Ausscheiden  Trostpreis,  Vertreter  Sachsens  im  Reichsrat 
bis  1932.  In  Verbindung  mit  anderen  SPD  Loebe,Keil  u.s.w.  in 
der  Nazizeit, 1943  nach  Theresienstadt  deportiert, zurueckgekehrt, 
ein  Jahr  darauf  gestorben.  Zusammen  mit  Robert  Schmidt  Buch 
ueber  deutsche  Volkswirtschaft, historisch  und  zeitgegebene 
Aufgaben. 


■■l!i 


-'i^m 


-9- 

Rudolf  Hilferding.    Der  bedeutendste  Theoretiker  der  SPD  nach 
Sskv.Zum  Sozillismus  durch  Beobachtung  des  Massenelends  als 
Armenarzt  in  Wien  getrieben. Kurze  Darstellung  seiner  Theorieen. 
5^  ?inanziapitals:der  Beurteilung  durch  Gottschalch.  In  Deutsch- 
lind  als  Auslaender  Zulassung  der^chriftstellerischen.Behinde- 
i^ng  de?  rednerischen  Tfeetigkeit.fiirKsamkeit  am  Voryaerts  beendet 
durch  Eliminii^erung  der  USPD  aus  der  Redaktxon  1916.  Chefre- 
dakteur der  Freiheit  Zentralorgan  der  USPD  in  Berlin.Beurteilung 
seiSs  journalistischen  Wirkens  .1920  beim  grossen  Wahlsieg  der 

USPD  in  den  Reichstag  zusammen  mit  »fi«*««,^5f  ^^"  J^^l^^^^^^^^ck- 
nc;p  Leuten  die  bei  der  Wiedervereinigung  1922  in  die  SPD  zueucK 

kamei^unr^ieff^S  zum  rechten  Fluegel  der  ^^f  j,  ^^^^Sln 
Hilferdings  Reden  auf  Parteitag  -  Anpassung  der  "«a^xistischen 
S^eSrik  In  die  Nachkriegssituation.Bedeutung  des  Einflusses  des 
«Staates  auf  Lohngestaltung  und  andere  fuer  die  Arbeiterklasse 
JicStige  soziale  Fortschritte-  auf  dem  Weg  zum  Sozialismus. Theorie 
liSr  s?Lk  tei  ihm  im  Vordergrund,  Gelehrtennaturyleitung  der 
-Ssel?schaft(l925-1933). Charakterisierung  dieser  zfeitschrift. 
K^aehnSng  Albert  Salomons.  Als  Gelehrter  und  menschlich  geschaetzt  . 
lS^?Silung  durch  Bruening,Groener,  Schwerin-Krosiglj.  Enge  Zusam- 
menarS^i?  Sit  Bruening  1930-1932  Bruenings  "^i^^^-J^  "jf  ^,f  Jf^H^^^  . 
dina  Absorechende  Urteile  ueber  Hilferdmgs  Faehigkeit  als  Minister 
ziea4rn  langes  Abwaegen, Mangel  an  Entschlusskraft. besonders  bei 
SchSfSAg  Sir  Rentenmark. Stresemann,  Braun, Stampfer  absprechend. 
Sex  Moellers  Broschuere.  Zweimal  Ruecktritt  vor  dem  Sturz  des  _ 
ri^Ltkabinetts.Ende  1929  Einbruch  der  Wirtschaftskrise, Schwier ig- 

ketxde?'Ai?IteliSng  eines  ausgeglichenen  f  e^l^-^S^^är^ReSsJLr 
als  Teilmanoever  des  Kampfes  Hindenburgs,der  Rechten, der  Reichswehr 
nnri  Rrueninas  oeaen  Kabinett  der  grossen  Koalition. Nach  Ruecljtritt 
und  SaifLIS^mit  107  Nazis , Ablehnung  als  erster  Redner  fuer  die 
SPD  aStreten,Hinweis  auf  juedische  Abstammung (Hoegners  Memoiren). 
Emigration  sofort  l933,Schweiz,Prag,  Paris.  Leitung  eines  sozia- 
iSstilchen  Wochenblatts  .Hilferdings  Verbleiben  in  Frankreich, 
i^ngerSn  Entschlusskraft.Unrichtigkeit  der  Darstellung  von  Brei t- 
Sid5 Verantwortung  fuer  sein  Verbleiben  in  Gottschalschs  Buch. 
Ermordung  in  Paris, 


-10- 


Die  Demokratien. 

Sehr  verschieden  untereinander.  Kaum  Zusammenhaenge  unter  ihnen. 
Reflex  der  alten  Honoratiorenparteien  Fortschrittler  und  National- 
liberale,  nicht  gestuetzt  auf  breite  wirtschaftlich  aehnliche 
Interessen, nur  noch  Freikonservative  aehnlich. 

Hugo  Preuss  .  Als  Politiker  nicht  im  Vordergrunde, aber  stets  sehr 
interessiert,  Berliner  Stadtverordneter, dann  unbesoldeter  Stadtrat. 
Aufmerksamkeit  ueber  Kommunalpiz^litik  hinaus  erregt, Reichstagskan- 
didat  1912  in  Dessau (Hesses  Erinnerungen) .Als  Agitator  nicht  besonders 
Qut.Gruende  des  Scheiterns  der  Kandidatur. Auf rechter  Liberaler. 
Sto4sst  an  wegen  Sarkasmus.  Aufrechter  Jude, Beschreibung  durch  Heuss 
und  Feder.  Betrachtet  Judenfrage  als  Barometer  der  Entwicklung  zum 
nationalen  Einheitsstaat. Artikel  in  C.V.Zeitung  kurze  Zeit  vor  sei- 
nem Tode(Nr.27,1925)  Wissenschaftlich  Schueler  von  Gneist  und  Gierke, 
englisches  Vorbild  und  Genossenschaftsprinzip  auch  inhaltlich  ms 
demokratische  uebersetzt.  Waehrend  des  Krieges  an  kuenftigen  Ver- 
fassungsproblemen arbeitend.  Dezentralisierter  Einheitsstaat. Carl 
Schmitt  verehrt  ihn  als  Lehrer  noch  1930.  "Das  deutsche  Volk  und^ 
die  Politik"  wichtigstesf^ch.  Artikel  in  B.T.  Grundlage  fuer  seine 
Berufung  durch  Ebert.  Kennzeichnend  fuer  Charakter  der  Revolution, 
Gegen  Aufrechterhaltung  Preussens  und  Bayerns, Abneigung  gegen  Einar- 
beitung der  Grundrechte, Beispiel  der  Pa^ulskirche. Ebert  setzt  seine 
Auffassung  gegen  Preuss  durch, auch  Wahl  von  Weimar  gegen  Preuss »s 
Willen. Schnelle  und  gruendliche  Arbeit  bei  der  Vorbereitung  des 
Verfassungsentwurfs.  Max  Weber  gutes  Urteil  ueber  ihn. Preuss  betont 
parlamentarische  Elemente  staerker  als  plebiszitaere,auch  in  dieser 
Hinsicht  ueberstimmt,vor  allem  auch  bei  Beratung. Gegensaetze  zwi=: 
sehen  Preuss «s  Ideal  und  gegebener  Lage  .Preuss  versteht  sich  klug 
anzupassen.  Bei  Vorarbeit  nicht  klar  ueber  Situation,  Zeit, Volk. 
Nur  bedingt  Vater  der  Weimarer  Verfassung. Bleibt  beim  Ausscheiden  der 
demokratschen  Minister  Kommissar  bis  zur  Annahme  der  Verfassung. 
Niemals  Mitglied  der  Nationalversammlung  und  des  Reichs tags, aber 
Kandidat  in  Hessen. Im  preussischen  Landtag  Vorkaempfer  der  Verwaltungs 
reform. Sein  Urteil  ueber  Wort  von  der  undeutschen  Verfassung. 


Rathenau  .  Geistige  Gestalt  in  Band  I  behandelt.    Schriften  Ende 
1918  und  1919. Viel  gelesen, ohne  Wirkung.Unpofbulaer  wegen  Aufruf  zur 
levee  en  masse. Ebert  hat  Abneigung  gegen  ihn. Wird  nicht  zugezogen. 


.stung 

ueber  franzoesischen  Wiederauf bau, konstruktiver  Gedanke, an  franzoe- 
sischer  Industrie  gescheitert. Aus  Regierung  mit  anderen  Demokraten 
wegen  Oberschlesienteilung  ausgeschieden, wenn  auch  nur/(  nomineller 
Demoljrat.1922  vier  Monate  Aussenminister  .Helfferichs  Angriffe^ 
Konferenz  in  Genua, Abschluss  des  Rapallo- Vertrages. Im  Amt  und  in 
Genua  vorbereitet  von  Maltza>ln,der  Behrend  ersetzt  hat. Rathenau 
zoegernd  zustimmend. Wel:tpolin:ische  Bedeutung  des  Vertrages  trotz 
unbedeutenden  Inhalts. Ermordung  ,die  irrationalste  Tat  irrationaler 
Kraefte.  Die  Situation  Polen. Gesamturteilj Ideenreich, kenntnisreich, 
/y^WJj^  p»«tetTSTsh  als  Wirtschaftspolitiker, als  Staatsmann  in  entscheidenden 
'  Momenten  falsche  Entscheidungen. 


l 


-11- 


Euaen  Schiffer   Als  Parlamentarier  und  Beamter  im  vorigen  Band 
gewuerdigt.  Fuehlt  sich  in  Republik  nicht  zu  Hause.  Wichtige 
Rolle  in^Fraktion.  Beurteilung  durcl^Hesse.  Rede  zum  Friedens= 
vertrag r^J^litische  Mitarbeit  nur  A   Jahre. Eingliederung  in  DDP 
wie  bei  Friedberg  durch  fruehere  aussenpolitisch  massvollere 
Haltung  im  Vergleich  zu  Stresemann  zu  erklaeren. Daher  Kampf 
Stresemanns  und  Schiffers  im  Inneren  ihrer  respektiven  Partei 
gegen  deren  Richtung. Von  Ebert  wegen  fachmaenni scher  Leistun- 
gen herangezogen. Bernstein  als  Beigeordneter-Beispiel  fuer  deren 
Bedeutungslosigkeit. Ruecktritt  Schiffers  April  1919  wegen  Nebens 
saechlichkeit,dann  wieder  mit  Demokraten  wegen  Oberschlesiens 
1921  zurueckgetreten.1919  Kampf  gegen  Sozialisierung, 1920  in 
Berlin  beim  Kapp-Putsch  zurueckbleibend, bedenkliche  Verhandlung l*- 
Versuch  1924, Liberalismus  zu  einigen, Gruendung  der  liberalen 
Vereinigung  missgflueckt.Von  da  ab  vom  parteipolitischen  Leben 
zurueckge zogen, kein  Mandat  mehr. Herangezogen  als  Mitglied  der 
Kommission  ueber  Ober Schlesien.  Als  Justizminister  bedeutend, 
aber  zurueckhaltend  gegen  Schonung  der  politischen  Verbrechen 
von  rechts. Stets  interessiert  an  Organisation  der  Hustizverwal- 
tung  und  an  Justizreform.  Teilweise  gute  Vorschlaege  Ende  der 
20iger  Jahre, doch  personelle  Anregungen  anti-demokratisch.  1932 
"Sturm  ueber  Deutschland ".Einer  der  wenigen  bedeutenden  Politiker 
juedischer  Herkunft, die  sich  in  Deutschland  durch  die  ganze  Nazi= 
zeit  verborgen  halten  konnten. Auch  NazisKhrift  ueber  Juden  in 
der  Justiz  unrichtig  ueber  ihn  informiert. Lebenserinnerungen  luef- 
ten  Geheimnis  nicht, lassen  ueberhaupt  vieles  im  Dunljeln. 


Ein  Minister  konservativer  Tehdenz 


Gurt  Walter  Joel.   Herkunft. Schon  Vater  Jurist. In  juristischer 
Laufbahn  zuerst  Staatsanwaltschaft, zeitweise  auch  Reichsanwalt- 
schaft,Hilfsarbeiter, daan  Vortragender  Rat  im  Reichs justizamt, 
J.917  dort  Direktor  und  stellvertretender  Bevo limaecht ig ter 
^eussens  im  Bundesrat. Offizier  im  Kriege, seit  Ende  1914  Haupt- 
mann im  stellvertr. Generalstab, Spionageabteilung. 53  Jahre  alt 
beim  Ausbruch  der  Revolution. SeirV^He im  das  Kaiserreich. Januar 
1923  Unters taatssekretaer, dann  Staatssekretaer  im  Reichs Justiz- 
ministerium .Ueber  Altersgrenze  hinaus  verlaengert.  Krön Jurist 
r^!jUC':f  ^taM(  hervorragender  Fachmann  ./Reichsminister  der  Justiz  im  2.  Kabinett 

Bruening. Berufen, als  Nationalsozialisten  bereits  auf  dem  Wege 
zur  staerksten  Partei. Gute  persoenliche  Beziehungen  zu  Bruening. 
Im  Plenum  nur  eine  Rede. Nennt  sich  Beamter  altpreussischer  Prae- 
gung. Seine  Stellung  auf  der  Rechten  schuetzt  ihn  weitgehend  vor 
antisemitischen  Angriffen. Angriffe  von  links  wegen  Personal- 
politik, besonders  Ernennung  Bumkes  zum  Reichsgerichtspraesiden- 
ten.In  zwei  entscheidenden  Momenten  Verfassungstreue  gezeigt, 
Streik  der  Beamten  beim  Kapp-Putsch, Ablehnung  des  Eintritts 
in  das  Kabinett  Papen.Aber  Festigung  der  Republik  durch  seine 
Politik  nicht  erfolgt. Bemuehen  Radbruchs, Gesetz  zum  Schutz  der 
Republik  nach  Kapp-Putsch  allein  gegen  die  R  echte  zu  richten, 
von  Joel  bekaempft. Tendenz  der  Rieh ter, einseitig  gegen  Kommu- 
nisten scharfe  Sprueche  zu  faellen, durch  seine  Beamtentaetigkeit 
nicht  behindert. Personalpolitik  nur  auf  fachliche  Voraussetzungen 
gestuetzt, keine  Demokratisierung  der  Justizverwaltung. Bruenings 
Bemuehungen,Joel  zum  preussischen  Justizminister  zu  machen, und 
diese  Aemter  in  Reich  uund  Preussen  unter  ihm  zu  vereinigen, be- 
deutungsvoll fuer  seine  Einstellung. Sein  Wirken  Tuechtigkeit,aber 


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Die  buergerlichen  Parteien   in  i-'eutschland»   Handbuch    aer  ueschichte  "".  ^ 
der  buergerlichen  Parteien  und   anderer   buergerlichen   Interessen- 
organisationen  vom  Vormaerz  bis  zum  Jahre  1945.    Ed.    Dieter   Fricke. 

wurde   bearbeitet  von   der  Forschungsgemeinschaft   Geschichte  der 
buergerlichen  Parteien   in  Deutschland.   Besprochen  von  ii^rnst 
Schraepler  H.Z.    Oktober   1969, Bd.    209, o.    447   ff.   Der  erste   Band 
Alldeutscher  Verband   bis   Fortschrittliche  Volkspartei    ist  erschie- 
nen. 

Werner  Conze  und  Hans   Haupach(ed)    Die  Staats-und  Wirtschaftskrise 
des  deutschen   Reichs   1929/33.    Stuttgart,    Klett   1967.Haupach   kommt 
zur  These,    dass  nationalsozialistische  Provokation  des   2.    Weltkriegs 
auch  als    Ausdruck  aus    einer  aussichtslosen  Lage,  linloesbarkeit    des 
Problems   des   interre^ionalen    v*irt Schaftsausgleichs   anzusehen   sei.    Dies 
auf  viel  breiterer   Grundlage   von   »»olfgang  Sauer  vertreten.   Mitar- 
beiter    Dietmar  keese   sagt,    dass   zur  bankenkrise   1931  deutsche   Ka- 
pitalflucht   etv^a   ebenso  viel    beigetragen  haette , als   Abzug  a~usTa en- 
discher Kredite.    V;ilhelm  Treue    sagt    in   seinem  Beitrag,  dass  Unternehmer 
blind  vvaren    als   sie    sich    gegen   Bruening,den   in   gegebener   Lage    besten 
Kanzler   vvandten.   Kritik  an  Bruenings   VJirtschaftspolitik  beachtet    zu 
wenig  seinen   engen   Spielraum.   Conze   vorzuegliche   Darstellung  unter- 
streicht stark  Hindenburgs  Verantwortung   v.eil  er  Bruening  und   dann 
Schleicher  das   x^egieren  uhmoeglich    gemacht    habe  (Besprechunng  von 
Gerhard  Granier   in  HZ  Bd   209, Oktober   1969, S.    462   ff. 

Arno  J.    Ivlayer ,Politics  anci    Diplomacy  of  peacemaking. London   1968. 
Mayer   zeigt   dass  massgebliche    innerpolitische   Tendenz   aller   Teilnehmer 
an  Pariser  Konferenz  Huec.    nach  rechts   vvar   infolge    .zahlen   bei    angel 
saechsischen  toechten    und   parlamentarische  Umgruppierungen    bei 
Kontinentalen.    Gegenschlag      egen    scheinbare   oder   tatsaechliche   Er- 
folge  der  Linken   in   .mssland ,  vor  allem  Bela  Kuhn   in  Un^rn.)??  Ge- 
maessigte   linke  erscheint    im  Zwielicht  jj^influss   reformfreundlicher 
Kraefte  im  europaei sehen   Sozialismus   die   raison  von  unten  her  haetten 
stuetzen    koennen  untergraben.    Linke   auch   zu    zerstritten, Hof fnung   auf 
2.    Internationale    Illusion,    iibert    nur  moralisch  unterstuetzt  ,bi  s 
iiinde  Maerz   1919  Blockade  gelockert,  weg  bahnend  dabei   Amerikaner, 
Brillen   s  hliessen  sich  an,Fiankre  ch   bleibt    bei    Vorbehalten. 


\ 


DEUTSCHLAND 


fiC 


die  Ketzerei 


übertreffen  versucht.  Un- 
[hgiebigen    Landesbischofs 
l'otz  des  jüngsten  Debakels 
^sitzender  dienen  will,  ge- 
henen  Konfliktbereich,  den 
Milde  als  „ein  bedenkliches 
jhen    Teilen    der    Pfarrer- 
md  der  Mehrheit  der  Syn- 
I  Seite*'  charakterisiert  hat. 
penleitung  hinnehmen,  daß 
le  Haushaltsmittel  für  eine 
^rzeitschrift    strich,    deren 
[nd   und   ohne   stürmische 
[liehen  Angebot  kirchlicher 
Auch  krempelte  die  Syn- 
linien  für  den  Konfirman- 
Maße  um,  daß  214  Pfar- 
5rief  mitteilten:  „Wir  kön- 
orten,  unseren  Unterricht 
[eitung  zu  gestalten."  Aus- 
sie, daß  die  Weigerung  als 
lerstehen  sei. 

Öffentlichkeit  war  um  so 

sonst  die  Resignation  be- 

Jeser  pietistisch  geprägten 

|:iworden  ist,  in  der  ihre  be- 

?rantwortung  mehr  über- 
|kann  nicht  glauben,  es  sei 

len  eigenen  Glaubensver- 
|ft  schwer  genug  mit  sich 

lie  es  offenbar  leichter  ha- 
Ipfen  und  beschmutzen  zu 
[ch  der  Meinung,  es  sei  ein 

irlich,  daß  so  viele  von  uns 

[inahe  schweigend  hinneh- 
beschränken,  traurig  zu 

*ten  hatte  sich  schon  1968 
|)dalpräsident  Klumpp  von 

liedet,    nachdem   ihm   die 

lersetzungen  zum  spekta- 
[egt  hatten. 


Samstag/Sonntag,  21  ./22.  Februar  1976 


Herbert  Weichmann  wird  80 

Patriarch  in  Hamburg 

Von  unserem  Redaktionsmitglied  I.  Birnbaum 

Es  gibt  zwei  fast  gegensätzliche  Motive,  die 
junge  Idealisten  in  die  sozialistische  Bewegung 
führen  können.  Das  eine  ist  politischer  Frei- 
heitsdrang, der  marxistische  Utopisten  in  der 
letzten  Konsequenz  auf  das  „Absterben  des 
Staates"  hoffen  ließ.  Das  andere  Motiv  hat  einer 
der  Mitarbeiter  des  jungen  Karl  Ma'rx,  der  Dich- 
ter Freiligrath,  um  1848  in  den  Versen  formu- 
liert: „Wir  sind  die  Kraft,  /  Wir  hämmern  jung  / 
Das  alte  morsche  Ding  /  Den  Staat."  Der  Jurist 
Herbert  Weichmann,  der  am  kommenden  Mon- 
tag 80  Jahre  alt  wird,  hoffte  als  junger  Mann  auf 
eine  solche  Staatserneuerung. 

Ehe  er  selbst  in  den  Staatsdienst  trat,  sah  er 
sich  indes  auch  in  anderen  Bereichen  um.  Er 
wurde  Zeitungsmann  im  Dienst  des  demokrati- 
schen Ullstein-Verlages  und  zeitweise  sogar 
Chefredakteur  einer  deutschen  Zeitung  im  pol- 
nisch gewordenen  Teil  Oberschlesiens.  Dann  in 
die  preußische  Verwaltung  übernommen,  stieg 
er  zum  nächsten  Mitarbeiter  des  kraftvoll  um 


die  Verteidigung  der  Republik  kämpfenden  so- 
zialdemokratischen Ministerpräsidenten  Otto 
Braun  empor,  der  ihm  in  seiner  undoktrinären 
Politik  immer  ein  Vorbild  geblieben  ist. 

Als  die  Nationalsozialisten  den  preußischen 
Ministerialrat  Weichmann  ins  Ausland  trieben, 
wurde  er  zunächst  in  Frankreich  wieder  Wirt- 
schaftsjournalist, dann,  nach  Amerika  verschla- 
gen, erlernte  er  dort  kaufmännische  Betriebs- 
technik und  wurde  Steuerberater.  So  war  er, 
nach  dem  Kriege  von  dem  früheren  Altonaer 
Bürgermeister  Max  Brauer  nach  Hamburg  ge- 
holt, einer  der  wenigen  Beamten,  die  sowohl  die 
staatliche  kameralistische  Buchführung  als  auch 
die  amerikanische  Geschäftsbuchhaltung  be- 
herrschten. Brauer  machte  den  sozialdemokrati- 
schen Parteifreund  zum  Hamburger  Finanzprä- 
sidenten. In  diesem  Amt  bewährte  er  sich,  auch 
nach  Meinung  bürgerlicher  Wirtschaftskreise,  so 
glänzend,  daß  er  nach  einiger  Zeit  als  Regie- 
rungsmitglied Finanzsenator  der  Hansestadt 
werden  konnte. 

Als  1965  der  Posten  des  ersten  Bürgermeisters 
in  Hamburg  neu  besetzt  werden  mußte,  wandten 
sich  die  Sozialdemokraten  an  Weichmann,  der 
das  arbeitsreiche  Amt  übernahm  und  bis  Ende 
1971  mit  großer  Autorität  führte.  Auch  parteipo- 
litische Gegner  erkannten  an,  daß  dieser  welt- 
läufige schlesische  Jurist  an  der  Spitze  der  Frei- 
en und  Hansestadt  eine  ebenso  gute  Figur  mach- 
te wie  einst  die  Vorgänger  aus  den  patrizischen 
„senatsfähigen"  Familien.  Es  gab  neben  ihm 
auch  andere  „starke  Männer"  im  Hamburger  Se- 
nat und  in  der  Bürgerschaft,  dem  Parlament  der 
Hansestadt.  Helmut  Schmidt,  der  heutige  Bun- 
deskanzler, gehörte  als  Innensenator  dazu.  Ging 
es  aber  um  die  von  ihm  gesetzten  Schwerpunkte 
der  Stadt-  und  Landespolitik,  so  setzte  sich 
Weichmann  am  Ende  stets  durch,  notfalls  mit 
dem  Angebot  seines  Rücktritts. 

Als  er,  75jährig,  sein  Amt  verlassen  hatte,  trat 
er  in  der  Öffentlichkeit  noch  energisch  für  die 
Verteidigung  der  demokratischen  Ordnung  ge- 
gen Staatsfeinde  ein.  In  die  Hamburger  Verwal- 
tungsfragen mischte  er  sich  öffentlich  nicht 
mehr  ein;  aber  die  Nachfolger,  die  einer  viel  jün- 
geren Generation  angehören,  suchen  in  schwie- 
rigen Lagen  noch  seinen  erfahrenen  Rat.  Weich- 
mann kennt  seine  Grenzen.  Als  ein  großer  Zei- 
tungsverleger ihn  vor  einigen  Jahren  für  das 
Amt  des  Bundespräsidenten  vorschlagen  wollte, 
winkte  er  still  ab.  Unter  den  „älteren  Staatsmän- 
nern" der  Bundesrepublik  bleibt  Herbert  Weich- 
mann einer  der  angesehensten. 


rung  wirbt,  der  Staat  bezahlt 

(chnungshof  verweist  l\/linisterpräsident  Heinz  Kühn  auf  die  Sünden  der  anderen 


unserem  Redaktionsmitglied  Dirk  Bavendamm 


iten  „wegen  vorsätzlicher 
ir  Verletzung  der  Verfas- 
;n  Gesetzes",  wie  es  in  Ar- 
»rfassung  heißt,  mit  einer 
^desverfassungsgerichtshof 

I Kritik  steht  eine  Broschü- 
lel  .»Gelragt: 


Zwar  konnte  die  Staatskanzlei  die  meisten  mit 
diesen  Rügen  verbundenen  „Erinnerungen"  zu- 
mindest entkräften  —  mit  einer  peinlichen  Aus- 
nahme freilich.  Finanzminister  Halstenberg 
mußte  seine  ursprünglichen  Angaben  zurück- 
nehmen, 300  000  von  insgesamt  1,2  Millionen 
Mark,  welche  sich  die  Landesregierung  an  der 
Jahreswende  1974/75  im  Wao»  ^«r^rnianm^ 


gandamaterial  mit  einer  Stückzahl  von  40  Mil- 
lionen verteilt,  die  sogar  einen  Gegenwert  von 
14  Millionen  Mark  repräsentierten.  Und  wäh- 
rend die  Öffentlichkeitsmittel  des  Ministerpräsi- 
denten in  Nordrhein-Westfalen  13  Pfennig  pro 
Kopf  der  Bevölkerung  betragen,  sind  es  in  den 
CDU/CSU-regierten  Ländern  Bayern  28,  Schles- 


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13.  August  1976 


Lieber  und  Verehrter, 


Rückfrage  bei  Prof.  Bosl,  der  inzwischen  wieder  vorhanden 
ist,  ergab  eine  Bestätigung  meiner  Vermutung  über  den 
geringen  Einfluß  der  katholischen  Patriotenpartei  und 
die  ständige  Gegenwirkung  des  Hofes,  insbesondere  in 
der  Prinzregentenzeit.  Er  empfiehlt  das  ^Sr  etwa   197o 
erschienene  Buch  ß  Karl  Möckl,  die  Prinzregentenzeit, 
Oldenbourg,  München.  Die  treibende  Kraft  bei  dieser 
Konfessionspolitik  sei  der  Präsident  des  Geheimen  Rates, 
Wiedenmann,  gewesen  und  an  dessen  Grundsätze  hätten  sich 
die  Ministerpräsidenten  Lutz,  Kreilsheim  und  Podewills 
gehalten.  Statistische  Unterlagen  für  die  Beamtenpolitik 
hat  Bosl  nicht,  aber  erjglaubt,  daß  Ihre  Beobachtungen 
zutreffen  und  erklärt  das  wie  ich  aus  dem  Kampf  der 
hohen  Bürokratie  gegen  die  Patrioten. 

Herzlichen  Gruß,  Ihr 


Nachpruefen     ob  Jude 


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l^^n^«^^■>.riun.  f^r»-  T■^nHw^rtschaft.Domaenen  und  Forsten (Preussen) 

Cl!J^2l::iT4*^;^V.L:;:ria^ripferentenDy.Uppm^nn 

(  staatsdomaenenbesitz, Fischerexen, Baader  und  Weunbaubetriebe ) 

Ministerium  fn^r  Wi asenschaft. Kunst  npdVo;k^bj,3,dunq 

Tr  'K«-^»7»ngri  genannt  Gruenbaum. Abteilung  beschaeftigt  sich 

mit  christlichen  Kirchen,  Juden  und  Sekten. 

In  Abteilung  II  am  Rprliner  po\^  ;7.:>inraesidium  leitet  ein 
RR.  Dr.  Bloch  die  Beschwerdestelle  bei  Handelsuntersagungen. 

Reichsfinanzministerium  ^   ^     -^^^ 

In  der  AlDtemlung  IV(fuer  gemeinsame  Friedensvertrags  und  Rechts- 
angelegenheiten)  ein  Qberreaierunasrat  Lazarus  taetig 

a^eichsvirtschaftaministerium 
ORR  Dr.  Nathan  ^/y 

Reichsarbeitsministerium  ,         ^  ,  .^  i. 

In  Abteilung  IV  A)  (ArbeitsmarXt,  Arbeitsvermittlung  , Arbeitsbe- 
schaffung,Arbeitslosenversicherung, allgemeine  Fragen  der  Sozial- 
politik, internationale  Sozialpolitik)  Ministerialrat  Dy,  Lehfe^dt 


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Das  Religionsbekenntnis 

der  Beamten  in  Preußen 


Band  I 


Die  höheren  staatlichen  Beamten 


Von 


Dr.  A.  Grunenberg 


Puttkammer  k  Mühlbrecht 

Buchhandlung  für  Staats-  und  Rechtswissenschaft 
1914     /     Berlin  W  56     /     Französische  Strasse  2» 


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Klarheit  zu  verschaffen.  Aus  diesem  Gesichtspunkte  heraus 
veröffentlicht  auch  wohl  das  Königl.  Statistische  Landes- 
amt allgemeine  Untersuchungen  auf  diesem  Gebiete;  so  pub- 
lizierte ein  Mitglied  des  genannten  Amtes,  Herr  Geheimer 
Regierungsrat  Professor  Dr.  Petersilie  in  Heft  12  der 
volkswirtschaftlich-statistischen  Monatsschrift  „Verwaltung  und 
Statistik'*  vom  Jahre  IQll  die  Ergebnisse  einer  Unter- 
suchung über  das  „Religionsbekenntnis  der  Be- 
amtenschaft im  Reiche  und  in  Preußen"  auf 
Grund  der  Berufsstatistik  von  1Q07.  In  diese  Unter- 
suchung sind  einbezogen  die  Beamten  der  Hof-,  Reichs-, 
Staats-,  Kommunalverwaltung,  der  Standes-  und  grundherrlichen 
Verwaltung,  der  Rechtspflege,  der  Gefängnisse  und  Straf- 
anstaltsverwaltungen, der  Verwaltung  von  Besserungs-,  Armen- 
und  Wohltätigkeitsanstaiten,  also  der  größte  Teil  der  öffent- 
Hchen  Beamtenschaft.  —  Für  Preußen  verteilen  sich  diese  Per- 
sonen 1907  auf  Evangelische  mit  73,10  o/o  (1905  =  73,82  o/o),  auf 
Katholische  mit  25,36  o/o  (24,84  o/o),  andere  Christen  mit  0,30  o/o 
(0,24  o/o),  Juden  mit*  1,20 5/6  (1,08 »,  sonstige  mit  0,04  o/o 
(0,02  o/o).  Nach  der  Berufsstatistik  ist  das  Verhältnis  der  Er- 
werbstätigen der  Berufsabteilung  E.  (Beamte)  bei  den  Evange- 
lischen 69,64  o/o,  bei  den  Kathohschen  28,67  o/o ,  bei  den  anderen 
Christen  0,36  o/o,  bei  den  Juden  1,27  o/o,  bei  den  Sonstigen  0,06  o/o 
sowie  das  Verhältnis  der  Personen  der  Berufszählungsbevölke- 
rung bei  den  Evangelischen  62,77  o/o*,  bei  den  Katholischen 
35,82  0/0,  bei  den  anderen  Christen  0,38  o/o,  bei  den  Juden 
0,99  o/o  und  bei  den  Sonstigen  0,04  o/o.  Von  je  hundert  Per- 
sonen in  der  Berufszählungsbevölkerung  kommen  in  Preußen 
auf: 


höhere  Reichs-  und  Staatsbeamten 
Richter  und  Staatsanwälte 
Rechtsanwälte,  Notare 
Höhere  Kommunalbeamte 
Mittlere  Staatsbeamte 
Mittlere   Kommunalbeamte  *) 


Evgl. 

77,18 
71,05 
57,53 
83,93 
76,59 
70,84 


Kath. 

18,92 
23,27 
24,04 
15,00 
22,76 
28,64 


lud. 

2,85 

5,39 

17,78 

0,41 
0,17 


•)  Die  übrigen   in   der  Untersuchung   erwähnten   Beamten   bieten 
hier  keine  Interesse). 


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'«  -_-     360     — 

während  die  evangelischen  bedeutend  weniger  Bedürftige  unter 
sich  haben.  —  Auch  durch  andere  Wahrnehmungen  wird 
diese  Annahme  unterstützt;  jedenfalls  ist  soviel  sicher,  daß 
unter  den  jüdischen,  und  noch  mehr  unter  den  kath.  Studie- 
renden verhältnismäßig  mehr  Unterstützungsbedürftige  sind, 
als  unter  den  Evangelischen"  (1.  c.  217).  Es  ist  die  An- 
nahme berechtigt,  daß  sich  die  stärkere  Betei- 
ligung der  evangelischen  Studierenden  am  Uni- 
versitätsstudium zum  Teil  aus  dem  Unterstüt- 
zungswesen erklärt. 

Hinsichtlich  der  absoluten  Beteiligungsziffer  der  Katho- 
liken am  Universitätsstudium  ist  noch  zu  erwähnen,  daß  ihre 
Differenz  hierbei  im  allgemeinen  zwar  keine  große  ist,  in- 
dessen wird  sie  wieder  vermehrt  durch  die  Theologen. 

Von  den  Gymnasialabiturienten  studierten  im  Jahre  1909 
nur  5,6  o/o  evangelische,  dagegen  21,1  o/o  katholische  Theolo- 
gie. Letztere  absorbieren  relativ  mehr  Studierende,  wodurch 
die  Anteilziffer  an  den  weltlichen  Studien  erheblich  verringert 
wird. 

Die  starke  Beteiligung  an  theologischen  Studien  geht  auch 
aus  den  Mitgliederverzeichnissen  der  katholischen  Studenten- 
verbände für  1910  hervor;  die  Zahl  der  fertigen  Theologen 
beträgt  für  Preußen  bei  den  farbetragenden  Verbänden  29  o/o 
der  Gesamtheit  ihrer  Mitglieder  (absolut  735),  bei  den  nicht 
farbetragenden   28,6  o/o,  bei   der  Unitas   57,6  o/o    (absolut  347). 

Bemerkenswert  sind  endlich  noch,  wie  die  oben  ange- 
führten Zahlen  erkennen  lassen,  „die  Verschiedenheiten,  welche 
die  nicht  theologischen  Fakultäten  bezüglich  ihrer 
Zusammensetzung  nach  dem  Religionsbekenntnisse  aufweisen. 
Es  befanden  sich  unter  je  100  reichsinländischen  Studie- 
renden: 

1902  1905 

bis  bis  1908/09 

a)  Evangelische  \         .         1902/03       1905/06 

in  der  juristischen  Fakultät  .......     69.51  65,01  66,24 

„      „    medizinischen  Fakultät 62,17  61,20  60,62 

„      „    philosophischen  Fakultät 67,08  67,41  67,03 

in  den  drei  nicht  theologischen  Fakultäten  .      67,12  65,86  65,90 


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361     — 


1902  1905 

bis  bis  1908/09 

b)  Katholische*)                                       1902/03  1905/06 

in  der  juristischen  Fakultät 21,36  25,24  23,31 

„    medizinischen  Fakultät 22,30  21,55  24,37 

"      „    philosophischen  Fakultät 26,71  27.08  28,05 

in  den  drei  nicht  theologischen  Fakultäten  .     24,05  25,80  26,13 

c)  luden*) 

in  der  juristischen  Fakultät 8,91  9,35   '        10,12 

„     „    medizinischen  Fakultät 15,04  16,14  14,31 

„    philosophischen  Fakultät 5,77  4,88  4,41 

in  den  drei  nicht  theologischen  Fakultäten  .        8,46  7,73  7,49 

Auch  hier  findet  sich  ein  Anwachsen  des  Anteiles  der  Ka- 
tholiken und  ein  Zurückgehen  des  Anteiles  der  EvangeHschen 
und  noch  mehr  der  Juden.    Im  Durchschnitte  der  Studienhalb- 
jahre  1Q02   und    1902/03   betrug   der  der   Katholiken   24,05,   3 
Jahre  später  25,80  und  wiederum  nach  3  Jahren  26,13  v.  H.'' 
Was  die  „Anteilsziffern  innerhalb  der  einzel- 
nen Fakultäten  angeht,  so  treten,  soweit  sie  sich  auf  den 
evangehschen  und  katholischen  Teil  der  Studierenden  beziehen, 
verhältnismäßig    nur  geringe    Unterschiede    hervor.     Bei    den 
Evangelischen  finden  sich  die  niedrigsten  Verhältniszahlen  im- 
mer in  der  Medizin.    Die   Katholiken  wiederum   sind   in 
allen    drei   Zeitabschnitten    in    der    Philosophie 
nur   um    einen    mäßigen    Bruchteil    stärker   ver- 
treten, als  in  der  Jurisprudenz  und  in  der  Medizm. 
Dagegen  ist  die  Verteilung  innerhalb  des  jüdischen  Teiles  der 
Studentenschaft   viel   ungleichmäßiger.     Der    Anteil    der   jüdi- 
schen Studierenden  am  philosophischen  Studium  ist  verhältnis- 
mäßig am  geringsten,  am  medizinischen  dagegen  ungefähr  so 
groß   wie  an  den  beiden  übrigen  Studienzweigen  zusammen. 
Im  letzten  der  hier  besprochenen  Studienjahre  setzt  sich 
die   reichsländische  Studentenschaft   der   preußischen    Univer- 
sitäten  nach  ihrer  Religionszugehörigkeit  in   den   drei   Fakul- 
täten ungefähr  folgendermaßen   zusammen.    Von   den  Studie- 
renden der  Philosophie  sind  zwei  Drittel  evangelisch,  über  ein 
Viertel  katholisch  und  nur  gegen  ein  Zwanzigstel  jüdisch.    In 
*)  Die  Beteiligungsziffer  der  Katholiken  und  Juden  am  Studium  der- 
jenigen  Fächer,  welche  für  den  öffentlichen  Dienst  qualifizieren,  ist  von 
besonderem  Interesse. 


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.    •      .,<.  Fakultät-    12  Ordentl.  u.  11  Außer- 
r      Medizinische  Fakultät  ^  ^  ^„ß,,. 

OrdentL  P^^^'J.^^"^ Snt'il^hrt  2  Außerordentliche, 
ordenüiche.  jud    2  Ord~e  ^^^^^      ^^  Außer- 

philosoph is  che  Fakultät.  ^  ^ 

ordentl.,  davor,  kati.  2  ^^^y^f^^^M  =  Außer 

10  Außerordentl.,  l-'l-^^^^'J^ssoren  (Ordentl.  u.  Außer- 
den  Theologen  zusammen  82  Pro  essoren  ^  ^ 

ordcnU.),  davon  evgl.  70  =  8d,6  o/o,  jud.  8        J.v  /  , 

"*'S  der  Studierenden:  1Q09  =  1126    davon  evgl.  892  = 
792«^*.  jüd.  132  =  ll,?"/".  kath.  =  Q-lo/o-       • 

b)  Schuüehrerseminare. 

SchuUehrerseminare:    11    Dir.,    9    evgl.,    1    kath. 
(l   Stelle  unbesetzt.) 

Der  Charakter  der  höheren  Lehranstalten  im 

Allgemeinen. 

Der  Charakter  der  höheren  Lehranstalten  ist  im  Laufe  der 
letzten  40  Jahre  zum  größten  Teil  und  zwar  ausgesprochener 
Scn  ven^-ischt  worden.    Nach  Wiese,  „Das  höhere  Schul- 
wesen  in  Preußen"    {1902)*)    war  bis   zum    Begmn   der    /Oer 
Jahre  jeder  höheren  Schule  ein  bestimmter  konfessioneller  Cha- 
rakter  dauernd  aufgeprägt,  indem  sie  entweder  als  evangehsch 
katholisch  oder  simultan  bezeichnet  wurde.^^    „Bis  zum  Jahre 
W:>1>  \vjrde  auch  in  der  dem  Staatshaushalt  beigegebenen  Uber- 
üdit  über  die  höheren  Lehranstalten  bei  jeder  derselben  der 
konIcttioncUc  Charakter  angegeben."    In  diesem  Jahre  nahm 
das  Abgeordnetenhaus  einen  Antrag  an,  bei  den  h  a  n  n  o  v  e  r  - 
seh  CD  Anstalten  die  Bezeichnung  der  Konfession  „als  nicht 
zurrcht    bestehend   und   nicht   zutreffend"   fortzulassen.     Die 
Stcat^cgicrung  erklärte  darauf,  daß  sie  künftighin  bei  all  en 
Anstalten  die  unterscheidende  Bezeichnung  im  Staatshaus- 
halte fehlen  lassen  werde. 

Seit  dieser  Zeit  kommt  der  Charakter  der  Anstalten  auch 
auf  den  jalirlich  erscheinenden  Programmen  nicht  mehr  un- 
ru'eifelhaft  zum  Alpdruck. 

•)  Hcrxussegcbsn  im  Auftrag  des  Kultusministeriums. 


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—    22    — 

Die  Königliche  Staatsregierung  ^^J^^J'^TTZ  t 
der  Einführung  des  Allgemeinen  Landrechtes  und 
nisterialerlassen  aus  den  ersten  Dezennien  d^s  vor^g       J 
hunderts  den  Standpunkt  eingenommen  daß  ^^^  ^me       g^^.^ 
der  Unterricht  von  christlichen  Grundsätzen  du    nar    8 

müsse,  und  „daB  die  Aufgabe  ^^^Jr;^-^:^:::^  ^on 
giösen  Gesichtspunkt  zu  fassen  se.,  (cf^-  Oese  ^.^  ^^^^_ 

l817  und  Zirkularverfügung  vom  28.  J""  °^°  .  ^Is  Pro- 
,„„g  des  Reii^onsunt^rrich^  ;m  ^l-^^^^^rL.r...ies 
fessor  Dr.  Gneis t  auf  0/"'^°. '';,.  ^^„^  <;..^„,e„  in  Preußen 
Sr  "rdrirSisIlTe  Se:r  s^:  Ausführungen 

'"^'SriTh  der  Große  selbst  hatte  seiner  Zeit  für  konfessio 
„eile  anstauen  gesorgt,  so  für  »^ath^  O^^-J-J^fB^S:: 

und  Preußen,  und  für  ein  ^^*°/.™^';^r  °J^';,"^^rß  reformierte 
und  er.  wie  seine  Nachfolger  hjndre„  ".cht    „daß  ^^^^  _ 

:aLr::rpr:;Lru:rdS^^^^^^^^^^^^ 

zu  den  unterscheidenden  Merkmalen  der 

und  wurde  für  ^^^7       nlT  SnV^^^  Zusammensetzung 

gehalten;  ihn  zu  fordern  und  ihn  tur  Q 

Lr  Lehrerkollegien  entscheidend    sem     u  la  sen     w  g_ 

Zeit   V  e  r  w  a  1 1  u  n  g  s  p  r  1  n  z '  P-  .    (^'^^'^jj^t,  ,,,\  ,6er  mehr 

Unter  der  Einwirkung  der  kirchlichen  KontliKte  "ai 

unter  aer  u.  &  Konfessionalitat.     .,^u 

und   mehr   die    Pantat   an   Stelle   aer   ^       .  „„hauunffen  der 

Beginn  der  70er  Jahre  vollzog  sich  ^J^J'^^^'^^^^Zlcmen 

Staatsregierung  über  die  Notwendigke  ^  den  ^o^^^ 

einen  bestimmten  konfessionellen  Charakter   beizuie^ 

wesentliche  Wandlung."  _  ,  „    .j     unter- 

„Die  Entwicklung  führte  zunächst  d^hi  ;  f  ß J'  ^^^   ^^_ 

richtsverwaltung   bei  n«"g^g.™"''<=*:\^"f  ^    daß  bei   be- 
stimmte konfessionelle  Bezeichnung  v"^'^Wete 

stehenden  Anstalten  der  ^«"iessioneUe  C^^^^^^^  ^^^^ 

rrt  -V- alltr;t  jrVorderung  der 


i 
^ 


—    23 


Einheitlichkeit  in  der  Zusammensetzung  des 
Lehrerkollegiums  in  stärkerem  Maße  als  bisher 
abgegangen  wurde/*    (Wiese  Bd.  4,  S.  41.) 

„In  einzelnen  Fällen  ist  zwar  auch  Neugründungen  noch 
ein  bestimmter  konfessioneller  Charakter  gegeben  worden,  z.  B. 
dem  auf  Staatskosten  errichteten  Gymnasium  zu  Wongrowitz 
der  katholische,  (im  Jahre  1872;  seitdem  aber  ist  in  der 
Regel  für  die  Gewährung  von  Zuschüssen  aus  allgemeinen 
Staatsfonds  das  Aufgebeneines  exklusivkonfessio- 
neilen  Charakters  zur  Bedingung  gemacht  wor- 
den. Demgemäß  sind  zum  Beispiel  die  städtischen  Patronate 
der  Prog>'mnasien  zu  Attendorn  und  Warburg  i.  W.  bei  deren 
Ausbildung  zu  Gymnasien  auf  die  Bedingung  der  Parität  im 
Lehrerkollegium  eingegangen,  während  andererseits  z.  B.  in 
derselben  Provinz  dem  ausschließlich  evangeUschen  Gymnasien 
zu  Gütersloh  und  dem  ausschließlich  katholischen  zu  Brilon 
eine  Staatsbeihülfc  zu  ihren  Unterhaltungskosten  nicht  gewährt 
worden  ist.  —  Bei  der  Mehrzahl  der  in  letzten  Jahren  von 
Städten  neugegründeten  Anstalten  ist  von  vornherein  die 
Parität  beantragt  und  in  die  Statuten  aufgenommen  worden." 

„Nach  den  veränderten  Rechtsanschauungen  der  Zeit  schien 
es  ferner,  namentlich  bei  Kommunalanstalten,  zulässig,  die 
früher  in  dieser  (konfessioneller)  Hinsicht  gefaßten  und  sta- 
tuarisch gewordenen  Beschlüsse  später  zurückzunehmen." 
(Wiese  Bd.  3,  S.  18/19.)  Ein  Beispiel  dafür  ist  die  Realschule 
zu  Lippstadt 

„Die  Errichtung  einer  Simultananstalt  mit  strikter  Durch- 
führung der  äußerlichen  Festsetzung,  daß,  wie  z.  B.  am  Gym- 
nasium zu  Essen,  die  Lehrer  zur  einen  Hälfte  der  evangelischen, 
zur  anderen  der  kathohschen  Konfession  angehören,  in  der 
Dircktorstelie  aber  beide  Konfessionen  alternieren  sollen,  ist 
im  Jahre  1871  in  einem  Falle  noch  genehmigt  worden;  seitdem 
ist  statt  eines  derartigen  Simultaneums  nur  die  „Parität"  in 
dtm  Sinne  zugelassen  worden,  daß  niemand  um  seiner  Kon- 
fession willen  vom  Kuratorium  oder  Lehrerkollegium  der  be- 
licirenden  Anstalt  ausgcsdilossen  v/erden  darf,  und  daß  bei  der 
l^rnfung  der  Lehrer  lediglich  das  voriiegende  Unterrichts- 
ocuöiinis  und  die  Tüchtigkeit  der  Kandidaten,  nicht  deren  reli- 


vmm' 


I 


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I 

I 

i  I 


—     24     — 

giöses  Bekenntnis  oder  das  numerische  Verhältnis  der  Kon- 
fessionen im  Lehrerkollegium  maßgebend  sein  soll/'  (Wiese 
Bd.  3,  S.  19  u.  Ministerialerl.  vom  15.  12.  1870.)  — 

Ob  diese  Auffassung  der  Staatsregierung  und  ihr  Vor- 
gehen das  Richtige  gewesen  ist,  bezw.  ob  und  inwieweit  die 
einzelnen  Konfessionen  dadurch  gefördert  oder  benachteiligt 
worden  sind,  wird  die  weitere  Untersuchung  ergeben.  Sei* 
1870  sind  fast  nur  Anstalten  mit  paritätischem  bezw.  simultanen 
Charakter  gegründet  worden. 

.  *■    .  ■      ' 

Höhere  Lehranstalten. 

In  die  nachfolgende  Untersuchung  sind  sowohl  die  Königl. 
als  die  Stadt.  Anstalten  einbezogen  worden.  Eine  rein  sche- 
matische Trennung  nach  Königl.  und  Stadt.  Anstalten  würde 
kein  vollständiges  Bild  über  das  höhere  Schulwesen  in  Preußen 
ergeben  haben,  weil  ein  Teil  der  Schulen  Königlich  und  Städtisch 
zugleich  ist,  viele  Anstalten  mit  Staatshilfe  errichtet  sind  und 
Staatszuschüsse  erhalten,  die  Besetzung  der  Direktorstellen  ver- 
schiedener Stadt.  Anstalten  seitens  der  Staatsregierung  erfolgt 
und  somit  eine  Einwirkung  der  Staatsregierung  in  sehr  vielen 
Fällen  vorliegt. 

Königlidie  Anstalten.*) 
I.   Humanistische  Anstalten. 


1 

Hs  cntf.  ScliiJlcr  | 

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k.  !  a. 

k.    1    c.     1     n. 

Alienstein 

1 

4 

9 
l|d. 

326 

110 

189 

27 

21.7 

27,5 

19.6 

-1,0 

+  1,3 

-0,3 

Bartenstein 

1 

1 

6 

181 

13 

160 

8 

22,6 

13,0 

23,4 

8 

4-0,4 

-0.1 

-0,3 

Braunsberg 

1 

11 

3 

366 

271 

90 

5 

29.4 

22,6 

31.6 

i-0,9 

-0,/ 

-0,2 

Gumbinnen 

1 

16    462 

17 

427 

18 

27.2 

26.2 

17 

18 

-0,7 

+  1.4 

0,/ 

Insterburß**) 

1 

20    bis    16 

610 

22 

3(\8 

30,1 

16 

22  -0.5 

f1.2j-0,7 

(Fortsetzung  Seite  25j. 


•)  Alle  Anstalten  nach  den  Programmen  von  Ostern  1910. 
*♦)  Verbunden  mit  Realgymnasium. 


['/ 


'?1 


l 


UPh 


Tod,  ^^^t^^ 


—     355     — 

zur  Erklärung  dieses  Mißverhältnisses  nicht  genügen,  da  durch 
eine  Einbeziehung  der  Zöglinge  dieser  Seminare  in  die  Zahl 
der  katholischen  Studierenden  jener  Unterschied  zwar  gemil- 
dert, aber  bei  Weitem  nicht  behoben  würde.  (?)  —  Offenbar 
liegen  besondere  Gründe  für  den  geringeren  Anteil  der  katho- 
lischen Bevölkerung  am  Universitätsstudium  vor,  die  vielleicht 
in  den  -wirtschaftlichen   und   sozialen  Verhältnissen 
sowie  in  der  geographischen  Lage  weiter,  vornehmlich 
von    Katholiken   bewohnter   Bezirke   des    preußischen   Staates 
zu  suchen  sind.  Ohnehin  wird  der  Anteil  der  katholischen  Stu- 
denten vielleicht  noch  um  ein  Geringes  durch  den  Zuzug  sol- 
cher aus  Süddeutschland  erhöht. 

Die  Zahlen,  welche  obiger  Berechnung  zu  Grunde  liegen, 
sind  folgende:  Von  Reichsinländern  studierten  auf  preußischen 
Universitäten  in  den  hier  in  Betracht  kommenden  Studienjahren: 


I 


Im  Durchschnitte 
der  Studienjahre 


In  der 
evang. 
theol. 
Fakul' 
tat 


In  der 
kathol. 
theol. 
Fakul' 
tat 


l 


In  der 
juristi- 
schen 
Fakul' 
tat 


In  der 
medizi- 
nischen 

Fakul- 
tät 


In  der 
philoso- 
phisch. 
Fakul- 
tät 


Evangelische 


Katholiken 


luden 


Überhaupt 


1899-1900 
1902-1903 
1905—1906 
1908-1909 

1899-1900 
1902-1903 
1905—1906 
1908-1909 

1899-1900 
1902-1903 
1905-1906 
1908-1909 

1899—1900 
1902—1903 
1905—1906 
1908    1909 


1309 

1  129 

991 

1016 


889 
921 
856 
877 


- 


1310 

1  130 

991 

1019 


889 
921 
856 
877 


3126 
3  580 
3  748 
3  772 

898 
1  100 
1455 
1  327*) 

383 
459 
539 
576 

4418 
5150 

5765 
5694 


1931 
1525 
1210 
1639 

698 
547 
426 
659 

453 
369 
319 
387 

3099 
2453 
1977 


/ 


3  520 

4  571 

6  120 

7  252 

1  166 
1821 

2  458 

3  035 

364 
393 
443 
477 

5  082 
6814 
9  078 


♦)  Im  Studienjahr  1908/9  ist 
studierenden  etwas  gefallen. 


2704  110819 
die  absolute  Zahl  der  kathol.  Jurisprudenz- 

23* 


—     356     — 


Von  16  468  Studierenden  im  Durchschnitte  des  Studien- 
jahres  1902/03    waren    10  805   Evangehsche,    4389   KathoUken 
und   1221   Juden,   von   18667   Studierenden   im   Durchschnitte 
des   Studienjahres   1905/06    12  069    Evangehsche,    5195   Katho- 
liken  und  1301  Juden  und  von  21  113  Studierenden  im  Durch- 
schnitt   des  Studienjahres    1908/09    13  679    Evangehsche,   5  898 
Kathohken   und  1 440  Juden.    Würden   die  Studierenden   sich 
nach  Maßgabe  der  männhchen  Bevölkerung  auf  die  einzelnen 
,  Rdigionsbekenntnisse*'  bezvv.  „Rdigionsgemeinschaften"  ver- 
teilen   so  müßten  die  Zahlen  lauten  für  den  Durchschnitt  des 
Studienjahres   1902/03:    10  341    Evangelische,    5  879   Katholiken 
und  181  Juden,  für  den  Durchschnitt  des  Studienjahres  190d/06 
11635    Evangelische,   6730    KathoHsche    und    205    Juden,    und 
für  den  Durchschnitt  des  Studienjahres  1908/09:  13  090  Evan- 
gelische,  7675  Katholiken  und   228   Juden/^ 

Nach   dieser  amtlichen  Statistik  hätten   also  mehr  bezw. 
weniger  Studierende  haben  müssen: 

die  Evangelischen   ,  '  .^«„,^         cor» 

weniger  ungefähr  1902/3  =    464.  1905^6  =    434.  1903  9  =    5  9. 
die  luden    „      •       ^         1902/3   ,    1040,  1905/6   „    1096.  1908/9   .,    1212. 

die  Katholiken  «.    .««o,^        aitj 

mehr         „         1902/3   „    1490,  1905/6   .,    1535.  1908/9   .    1777. 

Hierbei  sind  die  nichtpreußischen  Universitäten  nicht  be- 
rücksichtigt. Dieses  muß  aber  geschehen,  weil  anders  die 
Zahlen  erhebliche  Lücken  aufweisen. 

Von  preußischen  Studierenden  befanden  sich  auf  an- 
deren deutschen  Universitäten  im  Wintersemester  1908/09  = 
6702*),  darunter  1794  Juristen,  514  Philologen,  445  Mathema- 
tiker und  Naturwissenschaftler,  1699  Mediziner.    Man  darf  im 
allgemeinen  wohl  annehmen,  daß  diese  sich  zu  gleichen  Pro- 
zentsätzen auf  die  einzelnen  Konfessionen  verteilen.   Es  kamen 
demnach  hierzu:    Bei  den  Evangelischen  etwa  4142,  den  Ka- 
tholiken etwa  2433  und  den  Juden  etwa  127.  Bringt  man  hiervon 
die  nichtpreußischen  Studierenden  aus  deutschen  Bundesstaaten, 
welche  preußische  Universitäten  besuchen,  in   Abzug,  so  er- 
gibt sich,  daß  1908/09  etwa  25  245*)  Preußen  den  Hochschul- 
studien oblagen  und  zwar  16233  =  64,4  o>  Evangelische,  7398 
"       *)  Ohne  die  Studierenden  der  technischen  Hochschulen. 


—     357 


=  29,4  o/o  Katholiken  und  1578  Juden  und  Andersgläubige  == 
6,2  o/o.  Vergleicht  man  hiermit  die  rechnungsmäßigen  (Soll) 
Zahlen,  so  ergibt  sich,  daß  dann  der  Unterschied  der  Kon- 
fessionen noch  zuviel  (-}-)  zuwenig  ( — )  an  Hochschulstudie- 
renden beträgt: 

bei  den  Evangelischen  -f-  2,6  o/o  oder  absolut  etwa  -f-  3143 
bei  den  Katholiken         —  6,9  o/o    oder  absolut  —  277(?) 

bei  den  Juden  und 

Andersgläubigen  -f"  4,3  o/o  oder  absolut  etwa  -\-  1290 

Hierzu  kommen  noch  die  Theologiestudierenden  der  hier 
nicht  gezählten  theologischen  Anstalten  Trier  und  Braunsberg, 
ferner  die  Studierenden  auf  den  technischen  etc.  Hochschulen. 

Auffallend  ist  bei  vorstehenden  Zahlen  die  Verschiebung 
der  Konfessionen.  Während  bei  den  Gymnasial-Abiturienten 
(vgl.  S.  346)  die  Evangelischen  noch  einen  Fehlbetrag  von  3,19  o/o 
gegenüber  ihrer  Bevölkerungsziffer  hatten,  weisen  sie  bei  den 
Universitäten  ein  Plus  von  2,6  o/o  an  Studierenden  auf;  die 
Verhältniszahl  der  Katholiken  sinkt  dagegen  von  —  1,54  o/o  auf 
6,9  o/o,  also  noch  um  5,36  o/o,  die  der  Juden  von  -j-  5,02  o/o 
auf  -f-  4,3  o/o,  mithin  um  0,72  o/o.  Es  verschwindet  somit  bei 
den  Katholiken  und  Juden  eine  Reihe  von  Gymnasialabitu- 
rienten, welche  sich  anscheinend  nicht  dem  Hochschulstudium 
widmen.  Dazu  kommt  noch  der  Prozentsatz,  den  beide  Kon- 
fessionen an  Realschulabiturienten  liefern,  wodurch  die  Ver- 
hältniszahl noch  verschärft  wird.  Die  Evangelischen  erhalten 
dagegen  ein  erhebliches  Mehr,  teils  bedingt  durch  das  Zu- 
rückweichen der  beiden  anderen  Konfessionen,  teils  durch  den 
Zugang  der  Abiturienten  von  den  Realanstalten  und  über- 
schreiten damit  ihre  Verhältniszahl  gegenüber  der  Bevölkerungs- 
ziffer erheblich. 

Die  Ursachen  für  diese  Erscheinung  sind  verschiedener 
Art.  Einmal  beruhen  sie  darin,  daß  eine  Reihe  Abiturienten 
die  technischen,  tierärztlichen  und  landwirt- 
schaftlichen Hochschulen  und  die  Berg-  und  Forst- 
akademien besucht.  Diese  sind  nicht  zu  erfassen,  weil  die  preu- 
ßische Statistik  hier  vollständig  versagt;  sie  gibt  darüber  über- 
haupt keine  Auskunft.  Es  steht  aber  fest,  daß  eine  große 
Anzahl    katholischer   Abiturienten    ßferade    diese    Hochschulen 


\ 


—    317 


4^y^^t 


Gesamtresultat  aller  gezählten  Beamten, 

112 


I 


Ostpreußen 

Westpreußen 

Stadt  Berlin 

Brandenburg 

Pommern 

Posen 

Schlesien 

Sachsen 

Schleswig-Holstein 

Hannover 

Westfalen 

Hessen-Nassau 

Rheinprovinz 

Hohenzollern 

Ministerien 
(einschl  Kriegs- 
ministerium) 


Sa. 

1378 

1091 


ev. 

1  199 
928 


3  995 

1175 
1232 
2  669 
2  043 
996 
1672 
2  226 
2  033 

4  231 

69 
2  365 


3  609 

1  122 
1009 
1887 
1917 
935 
1478 
1288 
1  646 
2131 
46 
2116 


135 

215 

47 
192 
748 

94 

42 

181 

883 

373 

2  015 

23 
195 


adgl. 
33 
16 


unbek.  unbes. 
34 
12 


140 

3 

14 

7 
8 

12 

14 
47 

53 


31 

3 
17 
34 
25 
11 

1 

41 
17 
32 

52 


/ 

(^ 


27  228 

=  100^ 


21314 

78,2  ^ 


5  255 

19,31 


349 

1,31 


310 

l,2o/o 


61,8°/o   36,3\    1,91 


Bevölkerungsziffer 

Preußens    "_____ _— 

=  -f-  16,41  -17,01  +0,61 

Scheidet  man  die 
Lehrer  aus,  so  er- 
gibt sich  Folgendes  =17956     14177         3  217  252 

=  1001     78.81        17,91        1,51 


310 

1.8''/o 


Das  Verhältnis  für  die  Katholiken  verschlechtert  sich  dann 
noch  um   1,5  o/o    und  steigt   auf  Minus   18,8  o/o. 

Scheidet   man   auch   noch   die   Kreisschulinspektoren   aus, 
so  bleiben  übrig  16  694   Beamte,   davon  sind 

ev.  kath.  adgl.  unbek. 

13182  =  791     2959  =  17,81     243  =  1,41     310  =  1,8  /o 

Verglichen  mit 

Bevolkerungsz-  .  ^^ 

Ziffer  ergibt:  +  61,81, 36.31 _J:li 


4- 


17,21 


-  18.51 


-f-  2,3  /c 


Will  man  selbst  noch  das  Kriegsministerium  mit  Rücksicht 
^uf  Wie  darin  gezählten  Offiziere  ausscheiden,  so  bleiben  übrig 
=;  15845  Beamte,  davon  sind: 


•  ? 


—     318  — 

*       ev.  kath. 

12438  2881 

•■■"■•                           =  78,5%  18,4^ 

Bevölkerungsziffer  Preußens;        61,8*^/0  36,3% 


*• 


adgl.        unbek. 
242  284 

1,5%         1,6% 
1.9% 


1,8%    Restunbk. 


+  16,7%     -  17,9%  -  1,2% 

Bei  jeder  Art  der  Aufmachung  ergibt  sich,  daö  auf  die 
Kathohken  16,9  0/0  bis  18,8  0/0  weniger  Beamte  entfallen  wie  auf 
die  Evangelischen.  Sie  müßten  unter  den  gezählten  Kategorien 
nach  ihrer  Bevölkerungsziffer  absolut  haben  9  847  statt  5  235 
=  also  mehr  3  592;  die  Evangelischen  dagegen  nur  16  765 
statt  21  214,  also  weniger  =  4  449. 

(Siehe  graphische  Darstellung). 

Gesamtergebnisse  in  Verhältniszahlen. 

Vergleicht  man  die  relative  Bevölkerungsziffer  mit  den  Er- 
gebnissen der  Untersuchung,  so  haben  zuviel  (+)  zuwenig  (— ) 

Beamte 

Evgl.         Kath.     '  Andersgl. 

1.  Ministerien 

insgesamt:  +27,7%     -28,1% 

2.  Justizverwaltung 
i.  d.  Provinzen     -I-  11,07%  -  12,47%  +  2,16%  Jud.  -  0,07% 

3.  Verwaltungen 
des  Innern  in  den 
Provinzen  +24,2%     -22,9% 

4   Kreisärzte: 

'in  Nr.  3  schon 

mitgezählt)  -fl6,l%     -16,6% 

5.  Schuiverwaltung 

a)  Kgl.  höh.  Lehr' 
anst  (gegen- 
über relat. 
Schülerzahl):     +11,6%    —10,0% 

b)  Städtische:(do.)+   6,1%     -    1,4% 

c)  Universitäten 
gegenüber 
Hörerzahl):        +21,7%     -15,2% 

d)  Kreisschul' 
Inspektoren 

(im  Haupt-  und  ,     •  ' 

Nebenamte):      +16.9%    —15,9%       > 


1,3% 


-  0,5% 


-1,6% 

-  4,7% 


-  6.5% 


-  1,0% 


In  sämtlichen  Verwaltungen  zeigen  die  evan- 


—     432     — 

Löhnen  Stammenden  mögen  es  vorziehen,  nach  Ablegimg  der 
gesetzlichen  Dienstpflicht  in  die  besser  bezahlte  Berufsarbeit 
zurückzukehren,  statt  sich  durch  eine  lange  Dienstzeit  die 
Militäranwärter-Versorgung  zu  erdienen. 

Betrachtet  man  im  besonderen  die  Klasse  der  Oberbeamten 
(a),  so  kommen  auf  die  Evangelischen  nur  61,9  mehr,  auf  die 
Katholiken  125,1  weniger  Oberbeamte,  als  ihnen  nach  dem 
Anteil  an  der  Gesamtbevölkerung  zukommt.  Dieses  verringerte 
Mehr  und  vergrößerte  Weniger  stellt  sich  zum  Vorteil  der 
Juden,  deren  Beteiligung  61,6  mehr  ausmacht,  als  ihre  Ge- 
samtzahl erwarten  läßt.  Es  entspricht  dies  ungefähr  dem  schon 
a.  a.  O.  nachgewiesenen  Verhältnis  der  Beteiligung  am  Uni- 
versitätsstudium. Hierfür  kann  das  Überwiegen  der  evange- 
lischen und  der  jüdischen  Bevölkerung  in  den  mit  höheren 
Schulen  reichlicher  ausgestatteten  Städten  bestimmend  sein; 
dort  ist  es  leichter,  die  höhere  Schulbildung  zu  erlangen. 

Die  Klasse  der  mittleren  Beamten  (b)  zeigt  dagegen  ein 
Weniger  bei  den  Juden  um  6,7  und  bei  den  Katholiken  um 
108,8,  ein  Mehr  bei  den  Evangehschen  um  116,9.  Auch  bei 
den  Unterbeamten  (c)  stehen  die  Juden  mit  ihrer  Anteilzahl 
um  8,0  zurück,  die  Katholiken  nur  um  75,6;  die  Evangehschen 
gleichen  den  Verlust  durch  ein  Mehr  von  83,8  aus. 

Beamte  sind  seltener  in  ihrer  Geburtsprovinz  tätig  als  die 
meisten  anderen  Berufsklassen  der  Bevölkerung,  was  nicht 
weiter  auseinandergesetzt  werden  muß.  Aus  den  Provinz- 
tabellen ist  daher  nicht  zu^  ersehen,  wie  die  in  einer  Provinz 
Geborenen  sich  am  öffentlichen  Dienst  beteiligen.  Dagegen 
sind  manche  der  sich  zeigenden  Unterschiede  zwischen  den 
Provinzen  immerhin  beachtenswert.  Die  Unterschiede  kenn- 
zeichnen nur  die  Zusammensetzung  der  in  jeder  Provinz  er- 
mittelten Beamtenschaft  nach  dem  Bekenntnis,  nicht  aber 
nach  der  Gebürtigkeit.  So  mag  z.  B.  darauf  aufmerksam  ge- 
macht werden,  daß  in  der  fast  rein  evangelischen  Provinz 
Schleswig-Holstein  26,9  mehr  katholische  Beamte  tätig  sind, 
als  der  Anteil  der  Katholiken  an  der  Gesamtbevölkerung  dieser 
Provinz  voraussetzen  läßt.  Dies  ist  indessen  die  einzige  Pro- 
vinz, die  eine  Abweichung  in  dieser  Richtung  zeigt,  was  sich 
leicht  aus  Wanderungen  erklärt. 


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Dr.  A.  Gruncnbcrg:  Das  Religionsbekenntnis  der  Beamten  in  Preußen. 


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28 


Die  Beamtenschaft  in  den  Provinzen  Preußen 


Beamtenklassen 
(Unterteilung  von  E-  2) 


al.  Höhere  Reichs-  und  Staatsbeamte 


a  2.  Richter,  Staatsanwälte 


^ 


00 


V 


00 


a3.  Rechtsanwälte,  Motare,  Patentanwälte  . 

Voo 


a4.  Höhere  Hofbeamte  aller  Art 


V 


00 


a5.  Höhere  Kommunalbeamte 


V^ 


00 


6.  Höhere  Beamte  standesherrl.  usw.  Verw. 

^00 


Vü 


Son- 

Evan- 

Ka- 

stige 

gel. 

thol. 

Chri- 
sten 

Ostpreußen 


Westpreußen 


Stadtkreis  Berlin 


280 

883,3 

595 

853,7 

190 

766,1 


28 

88,3 

62 

88,9 

24 

96,8 


6 
18,9 


131 

903,4 

4 
800,0 


14 
96,6 

1 
200,0  - 


3  - 

9.5 
40 
57,4 
34 
137,1 


242 

916,7 

357 

805,9 

111 

587,3 


19 

71,9 

53 
119,6 

39 
206,3 


-   3 
11,4 


2 

4.5 


116 
828,6 

1 
1000,0 


21 
150,0 


31 
70,0 
39 
206,4 


2 

14,3 


1 
7,1 


748 
821,1 
898 
753,4 
309 
386,7 
15 


133 

146.0 
134 


2 

2.2 
1 


112,4  0,8 
53  12 
66,3  15,0 


882.4  117,6 


47 
783,3 

1 
1000,0 


3 

50,0 


21 

23,0 
158 
132,6 
420 
525.7 


7 

7.7 

1 

0,8 

5 

6.3 


10 

166,7 


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Die  Beamtenschaft  in  den  Provinzen  Preußen^ 


745,11196,1 


—     296 


Verhältniszahl:  =   100  o/o 
Bevölkerungsziffer 


evgl.     kath.     andersgl.     unbek. 
89,5  oo   8,2  0/0       0,1  o/o          2,2  o/o 
61,8      36,3  1,9 


Mithin   zuviel,   zuwenig   Beamte 

+  27,70/0-28,10/0  -  1,8  o/o 

.  Scheidet  man  alle  Professoren,  Hochschullehrer,  ferner 
Oberlehrer,  Kommandeure,  Pfarrer  usw.  von  den  militärischen 
Erziehungsanstalten  aus  (im  Ganzen  718,  davon  708  evgl, 
7  kath.,  3  unbek.),  so  bleiben  an  eigenthchen  Beamten  übrig 

1647,  davon  1458  evgl,  138  kath.,  2  andersgl,  49  unbek. 
Verhältniszahl:    88,5  o/o         8,4  o/o     0,1  o/o  3,0  o/o 

(Siehe  graphische  Darstellung  Nr.  11). 
Wie  immer  man  die  Gruppierung  vornimmt,  stets  bleiben 
die  Ergebnisse  fast  die  gleichen. 

Gesamt-Resultate 

Religionsbekenntnis    der    Landrichter 

und  Amtsrichter 
nach  dem  Stande  vom  1.  Januar  1910. 


Bezirk  des 

Oberlandesgerichts 

in 


Zahl  der 

vor- 
handenen 
Beamten 


Summe; 


4778 


ev. 


Berlin 

852 

729 

Breslau 

601 

374 

Kassel 

142 

120 

Celle 

319 

281 

Köln 

411 

115 

Düsseldorf 

305 

127 

Frankfurt/Main 

224 

152 

Hamm 

469 

206 

Kiel 

179 

168 

Königsberg /F'r. 

275 

23  i 

Marienwerder 

199 

176 

Naumburg/ S. 

3.50 

326 

Posen 

261 

219 

Stettin 

191 

178 

3405 
71,27 


Davon  waren: 


I      kath.     I       jüd.      I  andersgl 


62 

192 

20 

36 

287 

161 

59 

251 

7 

25 
12 
18 
35 
10 


59 

2 

34 

1 

2 

2 

9 

15 

2 

13 

12 

4 

16 
11 

6 
7 
3 


1175 
24,.59 


19:j 
4,03 


0,1  r/o 


—     297     — 

Religionsbekenntnis    der    höheren    Justizbeamten     (überhaupt) 
nach  dem  Stande  vom  1.  Januar  1910. 


Bezirk  des 

Oberlandesgerichts 

in 


Gesamt- 
zahl der 

vor- 

handei-en 

Beamten 


1> 

5 

Von"  den  vorhandenen 
Beamten  sind 

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1. 

Berlin 

1207 

6 

2. 

Breslau 

767 

7 

3 

Kassel 

169 

2 

4. 

Celle 

401 

5 

5. 

Köln 

543 

3 

6 

Düsseldorf 

416 

2 

7. 

Frankfurt  /M. 

2S5 

6 

8 

Hamm 

621 

5 

9. 

Kiel 

226 

2 

10. 

Königsberg 

353 

4 

11. 

Marienwerder 

252 

2 

12 

Naumburg  S. 

444 

3 

13. 

Posen 

337 

4 

14. 

Stettin 

244 

2 

Summe: 


Gerichtsassessoren 


103S 
501 
141 
355 
172 
\^2 
2O0| 
304 
210 
207 
224 
410 
2S5 
227 


loe 

231 
25 
44 

3:0 

20Ö 
72 

304 
12 
30 
17 
2S 
45 
14 


6: 

34 
3 
2 

11 
17 
13 

13 

4 

Ir 

11 

6 


^J 


s,s 

30,1 

14.S 

10,9 

66,3 

49,3 

25.2 

4S,9 

5,3 

S.5 

6.7 

6.3 

13,3 

5.7 


62co 


53 


72.5^ 


14>33 
23,S3 


2cV 
3.P 


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2934 


I 


1 


2111 
71,9 


23,6 


123 
4,2 


0.3 


KVi 


Vorhandene  Assessoren: 


evgl.  --  71,9  Oo,  Bevölkerung  -  61,S2  o/o  —  Ibcranocbot  10,1  ^o 
kath.  --    -23,6  ^o,  Bevölkerung  -  33,6  ^^.o  —  Unterangebot    0,7  ^o 

Angestellte   richterliche   Beamte: 

evgl.   --    72,50  Oo  mehr       angestellt    0,37^0 
kath.  r     23,S3  o/o  weniger  angestellt  12,47  Oo 

Vergleicht  man  das  Unterangebot  bei  den  Katholiken  mit 
der  Minderanstellung,  so  stehen  die  Katholiken  trotzdem  immer 
noch  um  2,77  >  im  Nachteil. 

(Siehe  graphische  Darstellung  Mr.  Ill\ 


—     298     — 

Summarische  Übersicht  über  die   Direktoren 
und  Oberlehrer  sowie  die  Schüler  der  höheren 
Lehranstalten  der  Monarchie  und  Vergleichungf 

derselben    miteinander. 
a)  Direktoren  und  Oberlehrer: 


Königl.  Anstalten 

Stadt.  Anstalten 

Direktoren 

Oberlehrer 

Direktoren      | 

Oberlehrer 

kath.     ev. 

kath.     ev.     jüd. 

kath. 

ev.    jGd.| 

kath.     ev. 

jüd. 

Pommern 

13 

145 

20 

3 

211 

Brandenburg 

16 

1 

202 

1 

73 

10 

456 

4 

Westpreußen 

6 

19 

58 

151 

2 

8 

6 

99 

l 

Westfalen 

8 

5 

100 

67 

16 

38 

231 

395 

Rheinprovinz 

21 

14 

307 

171 

47 

45 

648 

597 

Hessen- 

Nassau 

2 

12 

38 

150 

2 

27 

2 

78 

335 

21 

Hannover 

4 

18 

36 

223 

2 

31 

21 

361 

Sachsen 

1 

16 

14 

200 

38 

2 

431 

1 

Schlesien 

15 

18 

202 

193 

2 

7 

29 

96 

312 

6 

Schleswig- 

Holstein 

13 

1 

154 

15 

2 

200 

Berlin 

6 

116 

1 

35 

27 

529 

53 

Posen 

4 

20 

87 

187 

2 

3 

2 

15 

Ostpreußen 

2 

17  1    26 

177 

1 

11 

5 

97 

Summa: 

63 

187 

770 

2136 

9 

74 

373 

2 

1131 

4438 

86 

25,2"o 

74,8"/o 

26,4''/o 

73,3'/o 

0,3^0 

16,5"'/o 

82,9"lo 

0,6''/o 

20,0'/o 

78,5lu 

l,5°/o 

b)  Schüler. 

Eine  Gesamtvergicichung  der  Vcrhältniszahlcn  der  Lehrer  und 

Schüler,  sowie  der  BcvöIkerung^  ergibt  folgendes: 


Zahl  der  Schüler 


Königl.  Anstalten 
Sa     I  kath.  |  evßl.  |adgl. 

754861  2.01691  46362  |39:>5 


Stadt.  Anstalten*) 
Sa.    I  kath  |  evgl.  [ad^l. 

15I450|  31942  |n01 18(9390 


Verhältniszahlen  (in  llundcrttcilcn) 


Schüler  = 
Vergleicht  man  hier- 
mit die  relative  Bc- 
völkerung.sziffer 

80  ergibt  7\\  viel  | 
Schülcrzii  wcnig'^-  ) 


33,3 

61,5 

5,2 

21,1 

72.8 

36,3 

61,8 

1.9 

36,3 

61.8 

-  3.0 

0,3 

3.3 

-  15,2 

11,0 

6.1 


1,9 


4  > 


>)  Mit  der  oben  gemachten  l^nschrilnkung.    (I'ortsct/ung  Seite  299). 


—     299     — 

Verhältniszahlen  (in  Hundcrtteilen) 
Vergleicht  man  die  kath.       ev.     ad2l.ll  kath.      ev.     adgl. 

Verhältniszahl  der 
Schüler  mit  der  der 
Oberlehrer  etc.  26.3      73.4      0.311  19.7      78.9        1,4 

so  haben  Lehrkräfte 
im  Durchschnitt  der 
Monarchie  zu  viel-r 
zu  wenig:-)  -11,0  -fll,4    -1.6l|  -1,4     -f6.1    -4,7 

c)  Eine   Gruppierung    der    Lehrer  und    Schüler  nach 
humanistischen   und    Realanstalten    ergibt: 


kath. 

ev. 

adgl. 

kath. 

ev. 

26,3 

73.4 

0.3 

19,7 

78,9 

-11,0 

-fll,4 

-1.6 

-1,4 

-fe.i 

Humanist.  Anstalten 

Realist.  Anstalten 

Sa.      kath.  j  cvgl.  |  adgl. 

Sa. 

kath.  1  evgl. 

adgl. 

Schüler 

115531 

40373 

6S279    6S79 

1U405, 

1673S 

SSI99: 

6463 

Verhältniszahl 

34,9^^0 

59,2o 

5.9^. 

i 
1 

15,>o 

79.a\^   5,S^» 

j 

Lehrerzahl 

5178 

1553 

36(W 

25       4091 

4S5 

3534 

72 

Verhältniszahl  der 
Lehrer 

30,0^« 

69,5^0 

0,5»;. 

ll,<yo 

SÖ,4^  e 

i.r:. 

Die  Verhältnis- 

' 

zahlen    mit    denen 

der     Schüler     ver- 

glichen, ergibt  Lehr- 

kräfte  zu   viel   (-h) 
zu  wenig  (— ) 

-  4,^'  0 

10,3\^ 

5.>. 

-  3,3'  ^ 

-7.4. 

4.r. 

Schüler  mit  der  rela- 

tiven Bevölkerungs- 

zifferverglichen, er- 

1 

gibt  an  Schülern  zu- 
viel (  t  )  zu  wenig  (     ) 

-1.4^ 

--  2,6'^ . 

+4*:. 

2Ü'» 

<*- 

i7.ro 

d)  Cicsamtverglcich  aller  höheren  Lehranstalten. 


Sa. 


kath. 
57111 
25,21 

203S 

22% 


evgl. 
15647S 


6S.91 

7134 

76.9^ 

+  s.oi 


adgl. 
13349 

*^»^  ,0 
97 

-  4,S1 


Scluilor  überhaupt  —       226936 

Verhältniszahl  —- 

Lehrer  =.  9269 

Verhältniszahl  = 

zu  viel  (1 )  zu  wenig  (-)  Oberlehrer  —  3.2^/^ 

Wie  immer  man  die  Schüler  und  Lehrer  vergleicht,  stets 
cr^nbt  sich,  daß  die  Zahl  der  cvgl.  Oberlehrer  gegen  die 
Schüler/ahl  überwiegt  und  die  der  katholischen  und  anders- 
gläubigen zu  gering  ist.  iSiche  graphische  Darstellung  \\\\ 

(I-ortsctzung  Seite  302). 


V(»Jj 


—     431 


•'''''V.Ä-»,  <^^i 


vj 


Anhang. 


(Abdruck  aus  der  „Statistischen  Korrespondenz"  Nr.  62  von  1912). 
Die  Beamten      in  Preußen  nach  dem  Religionsbekenntnis 
1Q07.  —  „In  der  Nummer  39  der  „Statistischen  Korrespondenz^' 
vom  21.  Oktober  1911  ist  in  Verhältniszahlen  angegeben, 
welchen  Religionsbekenntnissen  nach  den  Ergebnissen  der  Be- 
rufszählung  von    1907   die   unter   der   Bezeichnung   E  2i)   zu- 
sammengefaßten   Beamten    angehören,    und    zwar    mit  Unter- 
scheidung der  einzelnen  Schichten.    Es  hat  sich  inzwischen  das 
Bedürfnis  herausgestellt,  das  Gleiche  auch  für  die  P  rovinzen 
zu    erfahren,    aber   nicht   nur   nach   Verhältnis-,   sondern   auch 
nach  Grundzahlen.    Die  letzteren  müssen  überall,  nament- 
lich  wo   es   sich   um   hohe  Verhältniszahlen   handelt,   beachtet 
werden;    kleine    Grundzahlen    bedingen    oft    hohe    Verhältnis- 
zahlen.     Dem    angedeuteten    Bedürfnis    trägt   die   Tabelle   auf 
den  beiden  folgenden  Seiten  Rechnung  für  die  Provinzen  und 

nachstehende  Zusammenstellung  für  den  Staat. 

An 

Evan'        Ka- 
gelische     thol. 


Bcamtenklassen. 


dere 
Chri- 
sten 


luden 


Son- 
stige 
Bek 


a  1.  Höhere  Reichs- 
beamte .    .   .    . 


und   Staats- 


a  2.  Richter,  Staatsanwälte 


Vi 


/go 


a  3.  Rechtsanwälte,    Notare,    F*a- 
tcntanwälte 


•I 


00 


a  4.  Höhere  Hofbeamte  aller  Art 


lU) 


a5. 


a6 


Höhere  Kommunalbcamtc 


00 


Höhcrc     fJcamte     standcsh. 
usv/.  Verwaltungen 


loa 


Zusammen  a  1  -    a  6  . 


% 


00 


5  524 
771,8 
8916 
710,5 

4315 

575,3 

235 

839.3 
2  569 
693,4 

149 

515.5 

21708 

689,0 


1354 
189,2 
2  920 
232,7 

1803 
240,4 
42 
150,0 
1082 
292,0 

136 
470,6 
7  337 
233,1 


36 
5,0 

27 
2,1 

39 

5,2 

3 

10,7 

15 

4,0 

1 

3,5 
121 

3.8 


204 
28,5 

676 
53,9 

1333 
177,8 


38 

10,3 

1 

3,5 

2  252 

71.5 


39 

5,5 

10 

0,8 

10 
1,3 


I 

0,3 

2 

6.9 
62 
2.0 


Ev. 

b  1.  Reichs- u.  Staatsbeamte  mittl. 

Ranges 76  950 


b  2.  Hofbeamte  mittleren  Ranges 

b  3.  Kommunalbeamte  mittl.  Ran^. 

•im 
b  4.  Beamte  standesh.  usw.  Ver- 
waltungen mittl.  Ranges   .   . 

*/« 
Zusammen  b  1  —  b  4  .   . 

•Im 
c  1.  rSied. Reichs- U.Staatsbeamte 

•[m 

c  2.  Niedere  Hofbeamte    .... 


■  00 


c  3.  Niedere  Kommunalbeamte 


c  4.  Nied.  standesh.  usw.  Beamte 


00 


0' 

loa 


Zusammen  c  1  —  c  4  . 
Überhaupt  £  2  (a  -f  b  -f  c)  .   . 

•/oo 

Im  Tausend   der  Gesamtbevöike- 
.rung    Preußens    sind    die    Be- 
kenntnisse vertreten  mit   .    .   . 


765,9 

807 

696,3 

40  161 

70S.4 

941 

7IS,9 

118  859 

744.6 

13  746 

764,4 

1  46S 

786.7 

16  151 

667,0 

895 

707,0 

32  260 

711,5 

172  827 

730,9 


Kath. 

22  871 

227,6 

347 

299,4 

16  237 
286,4 


363 
277.3 

39  818 
249,4 
4  148 
230,6 
394 
211.2 
7  900 
326.2 
370 
292.2 

12  812 
282,6 

59  9o7 
253.6 


And. 

Chr. 

219 
2.2 
2 
1.7 
185 
3,3 

4 

3.1 

410 

2,6 

56 
3.1 
3 
1.6 
114 
4,7 


173 
3.8 

704 
3.0 


|ud.    Sonst. 
Bek. 


408 

4.1 

3 
2,6 
93 
1,7 

I 

0.7 

510 

3,2 

38 
2.1 


45 

1.9 

1 

0,8 

8^1 

1.9 

2  84G 

12.1 


23 
0.2 


9 

0.2 


32 

0.2 

4 

0.2 
1 

0,5 
5 

0.2 


10 
0.2 

104 
0.4 


627,7        358,2       3.8  9,9       0,4 


Hiernach  sind  von  1000  Beamten  103,^  mehr  evangelischen 
Bekenntnisses  und  2,.,  mehr  jüdischen  Glaubens,  daireeen  104,. 
weniger  Katholiken,  als  nach  den  konfessionellen  Verhältnissen 
der  gesamten   F^cvölkernug  zu   erwarten   wäre. 

Der  große  Unterschied  in  der  Beteiliorunir  der  Evansie- 
lisclicn  und  Katiiolikon  wird  zwanglos  dadurch  zu  erklären 
sein,  daß  ein  bedeutender  Teil  der  Katholiken  aus 
Polen  besteht,  die  weniger  Neigung  für  den  Staats-  usw. 
Dienst  zeigen  (?),  daß  ferner  die  Katlioliken  vorzugsweise  in 
den  Industrie  g  e  g  e  ii  d  e  n  zu  \  lause  sind,  deren  Bewohnern 
die  Verwertung  ihrer  Arbeitskraft  in  der  Industrie  lohnender 
erscheint  als  im  öffentlichen  Dienst.  (?)  Dies  wird  der  Menge 
nach  besonders  ausschlaggebend  sein  bei  den  mittleren  und  den 
unteren  fU\amten,  an  denen  die  iWilitäranwärter  einen  großen 
Anteil    haben.     Die    aus    den    Industriegegenden    mit    hohen 


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CO      ^-      -♦      vo" 

'^        uo  CM 


~     437     — 

Anlage  II. 
Anstellungsfähige    Kandidaten    nach    ihren 

Hauptfächern. 

Zum  1.  Mai  1909. 

Insgesamt   kath.        evgl.        jGd. 
Deutsch,   Geschichte,    Erdkunde  55  39  16  — 

Zum  1.  Mai  1910. 

Deutsch,  etc 91  64  25  — 

Rest  aus  1909 25  20  5  — 

Zum  1.  Mai  1911. 

Deutsch,  etc 187  128  58  1 

Rest  aus  1910 45  11 

davon  aus  1909 20  4 

Zum  1.  Mai  1912. 

Deutsch,  etc 294  198  93  1 

2  altkathol.) 

Rest  aus  1911 ^0*  24 

davon  aus  1910 20  2 

davon  aus  1909 ^6  3 

Nimmt  man  das  Resultat  von  1912,  so  ergibt  sich:  In 
den  198  katholischen  Kandidaten  steckt  ein  Rest  aus  1911  von 
101,  sodaß  also  nur  17  angestellt  worden  sind;  von  den  93 
Evangelischen  dagegen  sind  nur  24  aus  1911,  sodaß  also 
hier  58  —  24  =  34  zur  Anstellung  kamen,  also  doppelt  so- 
viel   wie   bei    den    Katholiken.*) 

Daß  die  Kathohken  sich  keineswegs  einseitig  auf  die  ethi- 
schen Fächer  werfen  sieht  man  an  ihrem  Anteil  in  Mathe- 
matik und  Physik.  (Vergleiche  die  Rubrik).  Hier  hatten  sie 
1910  einen  relativ  richtigen  Prozentsatz  erreicht;  wenn  sie 
1912  sogar  überwiegen,  so  kommt  das  eben  daher,  daß  sie 
bei  der  Anstellung  nicht  genügend  berücksichtigt  worden  sind. 

1.  Mai  1909. 

Religion  und  Hebr 27  12  15 

'         •)  Die  Zahl    der   jüdischen  Kandidaten  ist   so   gering,   daß  sie   hier 
nicht  in  Rechnung  gezogen  werden  kann. 


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A«    Grunenberg,    Das   Religionsbeivenntni  s  der   Beamten   in  Preu   sen. 

band  1.    Die  hieheren   staatlichen   i^eaniten.    beriin/Puttkammer  & 
Liuehlbre  ch  t ,  1  ^14 . 


Das  Buch,  439  öeiten,v;ill   feststellen,    ob  Katholiken    auf  irgend 
einem  Gebiete   als  Beamte   ge^enueber   i."Uaggeli sehen    zurueckgestellt 
;. erden,    ^s  versucht    dies   fuer    jeae   einzelne   Sparte     .er   i^eamten 
zu  errechnen  una    bezieht   dabei    auch  aen  Anteil   aer  Juden  mit 
ein.   Verschiedene  Photokopieen  bestimmter   öeiten    sind   gemacht 
worden.    6.    296   -   218   enthalten   die    Gesamt resultute    fuer  die 
Richter, überlehrer,Areisschulinsi  ektoren,    roste   und  Telegraphen 
direkteren,    -^egi  erungs-und  i^edizinaibeamten  ,r  rof  eszoren  an  Hoch 
schulen/aller  Art,   Ver^.altungsbeamten   und    verschiedenen  anaeren 
kategorieen  una   endet  mit    der   Jeststellung  der   Gesamtrtsultate 
auf    o.    517  und  318. 


interessant    ist,    dass    die   ^-atholiken  in   i^egierun.^:   und  Yerv.altung 
stark  benachteiligt    sind, weniger  in    aer   Justiz    und   n:ich   der  Dar 
stellune.    des   Buches   seix    etwa   1870   an  den  hoeheren  ochulen.Dies 
fuehrt   aer  Verfasser   aarauf   zurueck,    d':jss   die  noeher^n  oci.ulen 
bis    daiAn  als  konfessionell   galten, daim   abe^r, besonders   ii.:  Ver- 
folg  des   iulturx.ampf es   alle  neu,  e^,ruendeten  .instalten   als   siLiaul^fen 
und   paritaetisoh    -..ngeseh   n  wurden. 


Vf.    erwaehnt    auch  die   kemianisse   von    innen  heraus,  die   aas   ^ui^ieck 
bleiben    aer  katholiken  erklaeren.so   die  -u^urueckhaltun^h    cies  katho- 
lischen   Adels   von  den    V erv.altungsstellen,    das  -^'ehlen   des    evangelisch 
Pfarrhauses   und   andere  Hindernisse,  die  ih  e    i-enachteiligung   erklae- 
ren,aber  er  v.eist   wiederholt   daraufhin,  dass   genuegend  katholische   Be- 
werber vorhand:in   sind.    Das  Vorwiegen   der  katholischen  bevoelkerung 
au^   dem  J-ande  und  in  den   Kleinstaeaten,    in  denen  hothere  schulen 
fe   len   ist    in   aiesem  ZiUsammenhani.    wichtig,    interessant    ist   auch, 
dass  -^^atholiken   ui.ter   den    technischen  -i-^eamtenberuf  en ,  so   bei    den 
Baubeamten, kreis-una    ..asserba  meistern  ,^isenbahnbaubeamten    istark 
zurueckgesettt   werden,    ^uch   bei     .en  ^ewerbeinspexvtoren  fehlt    -s 
an  Katholiken,    waehrend    sie    im  ber^fach    besser  vertreten, bei    aen 
Oberfoerstern   '..iec.er    geringer  vertreten   sind. 


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Beamte (Einteilung) 


«TTOL  zusammeir  »A-tÄÄagn. 


Folge  nae  Gruppen  «rini 

1   Beamte  di  -  Vertrauensmaenner   ihrer  Behoerdenchef  s   lAaren, 
^•^'^elm?e 'die   das  politische   .eferat  oder  Dezernat  innehatten 
und  Beamte  in  Pressestellen.  Hierzu   gehoeren:    ..eichmann, 
Srschfeld, Kamburger  Goslar ,Peiser,Scherek.Landg.karcus 

Eilde  Oppenheimer. 


2. 


Beamte, die   mit  Arbeitsrechtlichen. sozialpolitischen  und    Wohl- 
fahrtsfraRen  betraut  waren.Hierai    gehoerai:    Flatow,.-ittelshoef 


er 


Brahn.Kurt   Friedlaender,Joaohim,Herrnstadt 


S.Beamte, die  mit    Wirtschaf ts-und   Finanzfragen  betraut  ^^ren^.ierzu 
gehoer^   Schaef f er,Dorn    ,Zarden, Neufeld, lernst   btern, Behrens 

4.  Beamte. die   verschiedene  Gebiete   bearbeiteten, ohne   dass  sie 

in   eS  bestimmtes  Fachgebiet    gehoerm  .Hierzu    gehoeren  :Rathenau 
(Minderheiten)   Kempner(Polizei)    Corsing.Masur     Abramowitz, 
Martha  Mo  sse  (Polizeiraetin)  ,  Arian  (Poli  ?ei)^dt  (Verfassungsrecht ) . 
Ludwig  Siraon(Sparkas3en)  Mvu-v<.-iU.,|  ^  :xi  -^(■^'^  '^  ^  ' 

5.  Beamte    in  Spitzenstellungoi  um    Stellvertreter  von  Behoerden- 
chefs;  Hierzu   gehoeraa  :    Corneel, Weissmann, Julius  Hirsch, 
ochaeff er,  zeitweise  iuasur  ,  weiss,  /c?-*^- 

6.  ...inister -.Hierzu   gehoerm  :Landsberg,Hilferding,   Gradnauer^    . 
Joel.Hugo  Preuss.Hathenau, Schiffer, W/Pa^l  Hirsch^  ,f^^^^  [       jy 

7.  Juden, die  Spitzenstellungen  nur  in  der  revolutionaeren  ^eit 
bekleideten. Dazu  gehoerten:   ^isner,Landauer.Levine  ..u^sam, 

Toller,lClheimer,Kurt   Rosenfeld, Barbasch,   ^^«^^^^^^^^^^C^^^ 


flUi^ttt4UC' 


Oscar" CohnVHerzfeid, Ed. Bernstein.  C<A.^^  -^^.^-^    -  ^*c*>y 

8.   Justiz.In  Ministerium  waren:    Siegfried  i}°?fnf «l^'^^^^^^^f™; 
Unter  den    Richtern   sind  die   in  Spiteenst ellungen  befindlichen 
zu  erwaehnen  wie  Lewin (Braunsch^eig)   «Alheim  Eroner (.Freimuth/^ 
?Grossmanr^Eisner,ooellin^ferner  -^-^^eitsrichter  als    Direktoren 
wie  Rüben, und  Jade  söhn,  unter   den   leitenden  Richtern   in  l^ayern 
Neumayer  und  andere.Nathan  -f^l^'^'J^^a^^/-^;,^^^^ 

^iH'i^^     ,„   _        *^we,iNleissfr, Lederer 

f  el  s ,  Nawiasky/c7<i;i^^ii<„^ 

RosenthaKauch  Abg. )  ^  /JyVMw^ 


/I 


f.M.'r.-  ,^^5^^^^ 


.3 


Dr.  E.  G.  Lowenthal 

Dr  •E.^larv burger  , 
L, B , I, , 
iNiew    y^rk: 


1  Berlin  37,  .Po-l-?^ 
Kaunstrasse  33 

Tel.  84  05  22 


Betr.     Ihr    Buch,    2.    Teil 

Ihr    Schreiben    vom    17-12-7^ 
illl._2  ö  l2  .!l£ILl  ._5  H/  c  h  _; 


Lieber    Herr    Hamburger: 

Wegen    Bruno    -^orchar^d^t^er  La  uoe    ich 
zu    verweioen,      'y^ u^p    istsT"    für    1935    enthält    d 


tiiir  ,    auf    die    tiier    bei>;efLi7;te    Fotol^opie 


^^^egen    Felix    Loewenthal,    mir    unbekannt     (i 


ie    -'leicFien   Pi 


n9:d'  oen 


■  1—1 


nur    "-tichworte,    auf    die    Manus.<ripte 


meine    ^"^ortei    enthält    üv-erdi^s 


reizendes    Selef ong'-^spräch    mit    der    'i'och 


on    mir    Bezug    nehmen)    habe    ich 


62 
Dr 


u 


iesbaden,    Klopstoc^cstr .    32,    Wit 


cer    der 


(ab 


ein    Ranz 


w  e  s  '-^  n 


den) 


rau  Else    Barbaach 


"i^udwig   Baurbaach 


ba.-ch    schreibe 


geführt.    l*iir    sind 


we    des    Ihnen    bekannten,    1967    versterbe 


n 


kann  -  vielleicht.  Ich  gla 


die  entweder  b^elost 


so  verbliebe 


nen 


n,    dajjs    -Sie 


an 


Mann    (schon)    in 
ich    es    -ersuchen 


'ch 


übe    all^rdm  =;s    nicht 


er    durch  Dritte    eine    Info 


'rau    Bar- 


ramtion    geben 


er  m 


191-8/ 


,    dass    Frau  Barbaoch   mit    Ihre 


19, verheiratet    war,    ^^b-^r    an    Ihrer   ""teile 


m 


w  ür  d  e 


Meiner  ^'  a 


de 


^rudsen  und  achliesjt  sich 


^au  gei':ts  es  miui,  1er weile  zuseh'^nd 


eis    besser 


meinen    verspäteten    herzliche 


las st  oie 


oe  1- 


^  nlage 


Stets  Jh: 


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Vi»«-iK'"i.im  0  u,|i,i<"»M  .jv  l^♦l»l(l•.0^'^</^|•'•^^L1- 
•     I  »t  »Ml.  Im  f.W.  V,  DiMitunim.  Molilcinf-r 
hMi«    Hi'iy.  iiliiflh    u.    r«l»ir    U(  tnih 

ji,   (I    IV         M.  W   I»  A         IlMMiB.I« 
I»  I,    Hcl»!  «I    Itit  ^»      ^     . 

..  .,,  litii   Ofi  i.iiii..  «•  "  •  •^yf;  ?; 

M  Ml   ^.  >K  t'Mlv.   IloMHhPrd.   -    •  f>|    lH  77 
li,ri,,»t  n   .     vi  iiii-ij»v  iV,  l»r  niHi ,  (ir^ut 

I  \\    pr    AniiMtl'l  fiU  .MiiilittHii- 

,i„    „  V:  Knvl  IV,  StA.Hf-  tt  ValnU. 

Autf    tJlT^pr,   Kolorit ^u^flnRc»rln, 

a    vi."    Kn'.    llofopCT    Ptnttsart,    Jotzt 

-u    Opo.rrrinp'^rln,   Wlpn.    —    Cj-mn. 

ir  "  KoV,<'.crvatnr.  Lrlp-U?  u.  Mimrhcn; 

'  •    •  n  b.   Emil  Paur;  «lann  Dir.  d. 

-urg  !.  P.;  folgt  e.  Rui  als  Solo- 

vcpit.  a.  d.  Oprrnh.  Fri^nlcfurt  a.  M.;  d.  Motu 

}■  Ui9.-llcf.d.N.Md.Ln-.a< nn- 

1,  .  tVolvalqunrtett  1.  Lrah  .  \»  •  • 

;  a  Paris  (RocU^td  philharin.)  cm;  09 

KM  Prof  •  07  Dir.  d.  Konserv.  N\ipn;  jetzt  k.  k. 
A'-l  «  ilusik.  -  Stcllvortr.  Vor»,  d.  ßtnall. 
r  "'  *.  f.  d.  KompoRitlonsi-StAatsrreis.  M.  d. 
'  -KoU.  f.  d.  lioreioh.  d.  ToukunBt.NV  len. 
n.  k.  k-  A'iad.  f.  Müwk. 
- -^r    3,     V.,     I>r.,     DUch.     Iion».     — 

t  r I AiaVr.   nruno.  SrhrirtM.,   l>r. 

i     l?of  im  Min.  f.  Wis«.,  K^t.  u.  Volkr^biM     - 

Tc/in  •   M-  0!\dUe   .Mnrkuw.    ~    \crh:  3.   II  HÜ 

m    liolor«.  T    d.  f.i«h.  Hrhni.«ri«imr.  Ed.  lu.r- 

rch    tu    Marl«    St.nt^    v.    1^''^>-';';VI"- ."i,  ^c 

•  0    IX  03,  Arzt.  -  Oymn.;  /t>  Rfil«; 
Univ    l^orlin   Math.,  Phys.,  Pl'i|"S'  *** 


tt.|i|i<M.         l*«iUt.  I»i.'«I»'m;  I  «M.  Vt'll" 
)    Vt'Hiirt  »lKMi|J  ft|t|llt«t,  Mniti  ii"h,  ■'.  \V'' 


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n-iirtMtitiin.».'U(«K     *t.  ?H'Wi  ppritt'  V   ;' 

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I  rrivail.  «.  Schrittst.;  85  Dr.  l'^j»  •>*;„'  \^ 

II  ÜO  u.  IX-^O  Präs.  d.  braiKlo.b.  J/f,^'"f-  1^- 
VI  -0  Pta.ltverordn.  d.  ihmuu  «;'^"V,.'^"V  w  I«"" 
l4lin); II 10  a. ^^'^^iinif.arb.  ujs ^  jn-  ^  ^Visb  , 

Grundr.  d.  Vhy«..  2.  A    00;     •  1;"*;  ^.^J.k  1'  f^,; 

10.  .Jahrb.  <H>;  Kni^trlr  d,  »'f '''/'-..i':  -^'}^'J. 

dcn^okr.  u.  d.  Wahl    ^    l>t~'^<,h.  l*;;^^/;;,"'-  '_ 
lIlrucM    07:    Aufs.  physIk.   Inb    In   /J^«  nr. 
loj-  Dt^oh.  Phy-lk.  lies.         l'l.arlo1t.-nhurs, 
Hi>ldf»rn-Htr,       _      ,. ,.         «„*i,      %       M 

£;Klt.-M.I.-.  M:  i.;iiH,.l>.'th  V.   Hos«.     -   V..,i 


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Do?,  f.  bin,  ^i    '     '     r,,u7t  f.  i;'«».  Kr  •■ 

•  OO;  Kurt  •  lv>.  -  Hytan.:  h\^^^.  Mol. 

Busluu;   Ass.   b.  A.l.  Vol^r- 

koNv..ki-Küln;  \Vtiutrand-\w^i»b.id«:n.  .1. 
,.i?r-bcrg;     Lichthrl:n-lC.-,rlg.b/     Sohlt  - 

W:    Veröffentl.   üb.   3  i.   d     Azcro, 

Kiweißresorpt.,    Hyp-    ,        », ''i,    T>r'üa   • 
Funkt,  d.  Ilyiwph.,  [ '^^rauk   d    »rüa 
«u^Wr      Kochs;-. l- IV  =^!^fh.   !>•   Mf^renkr.,  » 

Mitarb   d    Lelub.  d.  UrRanoth^r.  v.  ynK'^'* 
Äga  «.  Bayer.   -  hpo.:    «^r^«^^^^^^^^^^^^^^^^^ 
Sokn>t.,  Hypoph.;   typ    >  :;'    f  ,-     \* 

BOIlCIlAnDT,      I'Urtw-      V;.t  J  f^B 
Prof   Dr.  h.  c,  Dr.  d.  D:!UtJ!cb.  Inr.tit.  f. » 

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Dir   d.  Dtich.  In.t.  f.  ll?ypt.  Altprtumskdo.^t. 
Kairo    —  Sler:    Nnr  dianstl.  f.  Deutsche  * 
-  Verb.   --   W:   Die  Ä^Ttisrho  Pflnnjcr 
07;  Text  ••  LorJns  Deakm.  07ff.;  B^-h 
tnm    des   Könifis   Kc-unrr-ro,    Bd.    1   05,  . 
Grabdenkmal  des  Krm^^s  N^"'";J^  v'iV 
gcsrh.  d.  Arann^trmpfls  lu  Karnnk,  I^U 
7i.  Nilatandsmarl^Rn;  Kunstw.  a- <!• -J^^-J;  . 
8    D.  Orabdenkm.  des  Königs  Ncfpr-ir-kc. 
??.'  Grabdcnkm.  des  fr-nl««  Sahn-re   Bd^  1,  » 
Bd.  2.  13;  Btatupn  d?9  Kalr.  Mjs.  (i'cn 
Bl    1    11;  Portratkopf  d.Kgin.leJe  11; 
lun   u.   ztl.  Fctloff.  d.  alt,  llcicli.  1«.  ~  ^ 
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A««ist.  an  d.  Inn.  Abt.  d-  "^iidt.  Krankcnh^; 
Urban-Berlln  u.  05/96  an  der  chlrur.  Abt  f 
d.  an  d.  chlr.  Univ..Klln.  nnt.  v.  Bergmann. 
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BUNDESARCHIV 

Kilitärarchiv 


Az.: 


6992/Hamburger 


78   Freibürg, 


60601972 


Tele  42006 


{bitte  bei  Antwort  anzugeben]  _  „  4. 

Luftpost 

67^^  R.vemde  Drive  .,,,,,,3d  u.   xeidA  e:HA  .nad^^A^ 

Npw  York,  N.Y.  10024  *=•  ,         f/i- 


USA 


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Sehr ^geehrter  Herr  Dr.  Hamburger   ! 

Wi^Hini'ierp  Ltd.Archiv.Dir„Dr.  Stahl  in  seinem  Schreiben 
vom  23.  3.1972  bereits  mitteilte,  bestehen  im  Militär arcri-v 
kaum  Möglichkeiten,  Material  oder  Personalunterlagen  für  Ihre 
Arbeit  zu  ermitteln.  Die  Feststellungen  bei  den  Referenten 
haben  nur  einige  Stücke  ergeben,  die  vielleicht  gewisse  Hin- 
weise geben  und  Ihnen  bei  einem  Besuch  im  Bundesarc:.:.v-Mxlxtan- 
archiv  gerne  vorgelegt  verden  könnten.  Es  handelt  sxcih  um 
folgende  Stücke: 

1.)    dKW/AWA/Inl.,  Gesetz  zur  Wiederherstellung  des  Beruf s- 
heamtentums  -  Nichtarische  Frontkämpfe.  -  Mai  1933  -  Aprxl  1936, 
Angelegenheit  Oberstlt.  a.D.  Benary.  (Sign.  WOl-5/173) 
2.)    Handakten  Passe,  Behandlung  jüdischer  Mischlinge  1542/44 
(Sign.  OKW  2379) 

3„)    Ermordung  Rathenau,  Gnadengesuch  f.G.  Brandt  mit  Gerichts- 
urteil (Sign  II  M  65/3), 

Darüber  hinaus  mag  es  möglich  sein,  daß  eine  Einsichtnahme 
in  Dienstalterslisten  von  Offizieren  und  Angestellten  gewisse 
Anhaltspunkte  liefern.  Sie  müßten  dazu  die  Bestände  selbst 
durchsehen-,  ich  darf  allerdings  darauf  hinweisen,  daß  Sxe 
unter  Umständen  nichts  für  Ihre  Arbeit  einschlägiges  fxnden 
werden. 

zu  Ihrem  Schreiben  v.m  5.4.1972  darf  ich  noch  >=--''-'  ^^" 
unterlagen  über  Beamte  im  Reichswehrministerium  hxer  nicht 
vorliegen,  es  lassen  sich  daher  auch  über  den  von  Ihnen  ge- 
nannten Ministerialrat  Dr.  Benda  keine  Feststellungen  treffen. 

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Abschrift  (gedieht,  wurde  vermutlich  von  Bru.hn  an  Si  +  zler  gesd 


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Der  Deutsche  Bevollmächtigte  für 
Arbeitsfragen  in  Oberschlesien 


Beuthen  0/3,5.11.1923 


Als  ich  am  5. Februar  noch  immer  kein  Geld  hatte 
und  vor  hntkaäftung  umfiel, nachdem   ich  6  ^vlonate 
kein  Gehalt  hatte: 


Mir  fehlt  für  den  Kunger  die  Wurst, 
Mir  feh^it  der  Sprit  für  den  Durst, 
Ich  nag  nur  an  Hungertüchern 
Und  tröst  mich  mit  fromrüen  Büchern. 
Mir  entgleitet  wie  Me  am  Schwanz 
Der  Minister  der  deutschen  Finanz, 
Das  Ministerium  der  Arbeit 
Ist  auch  nicht  besser  ein  Haarbreit. 
0  saiTxrnelt  im  üppigen  Kasino, 
Sitzt  ihr  bei  Essen  und  Vino, 
Damit  ich  doch  etwas  habe, 
Einen  Kranz  für  die  Leiche  am  Grabe. 
Es  begleite  mich  trauernd  und  düster 
Dr. Brauns,  der  liebe  iv.inister. 
Es  wein'  wie  ein  liebanles  v^eib 
Fürnehm  Staatssekretär  Geib. 
Und  der  feinsten  Gedanken  Schnitzler 
Halt'  mir  die  Rede,  der  Sitzler, 
Uni  wftiter  folg  mit  Gelach  ihm 
Stets  ernst  und  doch  heiter  Joachim. 
Zu  meiner  Deich'  Konservator 
Ernenn  ich  den  Herrn  Kalkulator, 
Ihr  helfe  als  Konservierer, 
Der  nie  etwas  zahlt, der  Kassierer, 
Und  aus  meinem  l'otenschlaf , 
Beamter  und  zwar  sehr  brav, 
St'='h  auf  ich  in  strammer  Haltung 
Und  ruf:  Hoch  die   deutsche 

Verwaltung! 


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Date  or  Volume:  ^f'/3U^^^'/    .     /;U^  ^t-cjcc<.       '^^JLy^ 

BOOKS   MUST  NOT  RP  ta^üxt  T^r>  '^  ^'^  ^' 

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SEAT  NUMBER  (rvl  TT ^ 

Co««KCT  Nam.  a.dFu.lLec^x.eAi,x,rbssReqÜ 


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FORM   29JI 


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Address 
City 

Firm  Name. 


Zone. 


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(In  upperright 
comer  of  Card) 

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NUMBER 


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iO.    iJkxooer   i97ü 


Cebr  geehrte  ij^reu  L^^Uf^rcher, 

.Lie    vi>n   ii:nc;ri   vt  1 3proohonrn  Do:  uineiite   sina   nun   vorgestern 
angt^koriiar.n,una    icn  hübe   sie     sogIe:uCh  e;eli?;jeri.    wie    iivir  öcl^oii   in 
uaaeier   tci-tifouiöcJten  Untt  rht  lt.un^   fv.-s.n,t:t:stellt.  .baben,ist  der   von 
ihnen   auGamuange-^atelit f:;  Lebenslauf   inr'  c»  Vaters   i:n  Leo   Baeok 
Inatitut   voi'a«iiCien#    ich    -verd;:   die  :.opie,    die   icb   jetzt    in  aen  i^-aenden 
hal:c?,    luer   die    i-arBbeliung  cies  ^^^bens  wn^l    Virkens   Llir^^  Vaters 
in  a -rri  Laacl   ueoer     einr-r  benutiTen«    T'al3.ri  cic:  sie   büia    zurueor.- 
wuüQS'.  uen,la  v:sen    :iie    -s  mlcn    bit'^e    vi-.üeii,danit    1 
Arbeit    'äofort    'r./iche- 


ui!.j..i    -Ui  ültr^e 


iseu    ist    fuer  mich   der  oonder^.baruoV.  aua  der   licutüCJicn   id3vue 
von   li'i.u,    ü.  r   so    yrieles  uebc.r   dn.«--'  Lenr>ri  voa     ili'ela  ..ann   t-nc- 
hae^t«    ochride,    dass   icn  vUis  nicht   schon  gehabt   h'-bc:,    als   Ion 
den  ieil,der  sich    auf   dif^   t;u  .  "^  im  oo"f rntlicaen  L^iJt:ii   der 
nionarchlschen   />it    bezieht,    f- :S?..>irlf^.ben   habe.    'J.s  h  :.et-i.e  öich  vieles 
noch    in  aen  Ku-zen    AbBchnltt   ein^'uc/rn    laoscn,     l  r   darin    ..xiheiiu 
Gähn   ge-i^idraet    \^ar# 


'ü(i:n   ii.riiin^^ran,^i;i!art*';el   von  .i^lt:?!   ?:  ueb^r   Ihren  Vater,  werde 
ich   den  ^.ei  ULm£^3rju:^schaitt- irohi  Y  'V.s   I  eo   i-^'-<iC:.    xncJti.'öaiü  ueotr- 
geben  und   vrraal   säen,    d:i33  dy^)ei    oin   :  inv.e.us  *\u.f   das  unter  u'  n  -^^enoiren 
vorivanuene  i-^aaaakri^t   gemacht   wirdt   Nochüial*,  heri:li.cncn  üank  fuer 

Alle 3 1 


iiine   i?x'a?="e   aioichte    ich    noch   au   ."Jie    richten,    /.uf    J«    ö   des 
•Lebenslaufs   -i.hres  Vaters    schreiben  ^.-ie  .    -J^isis   ':^r    -nae    1^5^  au;'  der 
Kabinettöliste   ociileichers   fuer   GeAn  l-abinett   der  Fachleute   figu- 
riert  naetifc  und   cias  bild    dei5   Icucn^ti.'^'en    Arbeilrjriiuiot'^ra   s-^^hon    i.n 
der  ireüse  tirachienen   waero,    daü.i      c?ileioher   abf^jr  vo:]   seiner   .:-r- 
nennun^  auf   Jrobunfseu   d  r  nationalS'.?ziali  ^t^rn   hin   r^b^^esehen  haötte. 
Dies    ist    h:.ötorii5Ch   besondere   interc^orrant  «haben   ^Ae.    ir^^eaa  welche 
dox^uaientariüche   hel-.^re  dai'uer  od-'^r   beruht   dieser   rell   des  Lebenb- 
laufs  auf   ^^rzaehlunc^-en   ihres  V?ter.'?? 

kit   bestem  DanK  und    Violen  Crruee-3ei:   and    ir  der   aochi:  alic:.;en 
Hoi'fiiUnf^  ,oxe   exnmal   persoenlioh  keiaien   7u   lcrpc;n, bleib*:-    ich 


Ihr 


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ßemerkungeh 


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Wenn*  wir  der  Männer  gedenken,  denen  das  d^raokra- 
^^  tü^  Deutschland   ein   ehrenvolles   und   dankbares   Er- 

In^irn  schuldet,  darf  Max  Brahn  nicht  vergessen  werden. 
Er  wfirde  In  diesen  Tagen  »einen  75.  Geburtstag  feiern, 
wenn  er  nicht  dem  Sadismu»  der  Judenverfolgung  zum 
Opfer  gefallen  wäre. 

Die  ersten  Jahrzehnte  von  Bralms  reicher  Lebensarbeit 
%  wven  der  Wissenschaft  gewidmet.    Als  Schüler  Wundts 

habilitierte  er  sich  1901  in  Leipzig  für  Philosophie,  Psy- 
chologie und  Pädagogik  und  wurde  schnell  ein  beliebter 
'■ft^l*       und  angeschener  Professor.    Er  gründete  ein  lastitut  für 
ffi^  experimentelle  Pädagogik  und  Psychologie  und  veröffent- 
4^^J,'^lidite  xahhreiche  wertvolle  Arbeiten,  vor  allem  auf  dem 
^  Je,      Gebiet  der  Jugendpsychologie.   Während  de«  ersten  Welt- 
kriegs widmete  er  sich  auch  der  Vervollkommnung  der 
Eignungsprüfung    der   Flieger.    Daneben   laa   er   an   der 
sozialen   Frauensdiule   und  gab  Nletzscbe'i  „Willen  zur 
Macht"  in  der  Krönerschen  Ausgabe  heraus. 

Kurz  nach   dem  Krieg  wurde  Brahn   in   das  Reichs- 
arbeitsministerium   berufen.    Er  sollte  die  Geschäftsfüh- 
nmg  eines  Instituts  übcmeiimen,  das  die  an  Hochsdmlen 
und     sonstigen     Stellen     vorgenommenen    arbeitswissen- 
schaftlichen   Untersuchungen    zusammenfassen    und    Ihre 
Verbindung  mit  der  Praxis  des  Arbeitslebens  herstollen 
sollte.  Leider  sdi-itcrte  dieser  Plan  nach  aussichtsreichen 
Vorarbeiten  an  den  Greldschwierigkelten  der  Inflationiszeit. 
Brahn  blieb  aber  im  Uciciisdienst  und  übamahm  als  Re- 
iiierangsrat  das  Amt  eines  BevollmÄchtigten  für  Arb^ts- 
fragen  In  Obersdilesicn,  dessen  wirt«chaJC|liaie  uüd  cn...U5€ 
Verhältnisse  er  als  geborener  Oberschlesier  genau  kannte. 
Er  verwaltete  dieses  in  den  Verhandlungen  über  die  Tei- 
lung Oberschlesiens  geschaffene  undankbare  Amt  bli  1933 
mit  höchstem  politischen  Takt  und  diplomatischem  Gc- 
adiick  Und  trug  damit  viel  zur  (Überwindung  der  aus  der 
Zerrclfiuog       dieses       Wirhichafwgebiet*       erwachsenden 
Schwierigkeiten  bei.   Wie  unentbehrlich  er  geworden  war, 
ergibt  sich  daraus,  daß  ihn  Reiduirbeltsmlnister  Seldte 
noch  1935  bitten  mußte,  seinen  Nachfolger  bei  der  Lösung 
gewisser  Fragen  zu  unterstützen  und  damit  „seinen  Volks- 
genossen in  Oberschlesien  zu  helfen".   Das  Dankschreiben 
des  Minister«  hat  ihn  nicht  vor  seinem  Schicksal  bewahrt. 
Neben  seiner  Tätigkeit  als  Bevollmächtigter  war  Brahn 
zugleich  Schlichter  füi'  Oberschleslen.  Auch  hier  befUilgte 


ihn  sein  soziales  Gerechtigkeitsgefühl,  sein  ÜiÄfÄW«^J|h 
die  Auffas.sungen  der  Partelen  und  sein  Blick  fÜ^  dat 
praktisch  Erreichbare  zu  vorbildlichen  Leistungen.  Seine 
Vcrmittlungserfoige  In  vielen  gtoäen  Arbeitsstreitigkeiten 
führten  dazu,  daß  ihm  ein  p«ar  Jahre  später,  als  der 
Schlichter  für  da«  Ruhrgebiet,  Reichskommtssar  Mehllch, 
bei  einem  Elsenbohnungiück  um«  Lebe.i  gekommen  war, 
dessen  Nachfolge  fn  diesem  wichttgiten  deut5chen  Indu- 
striegebiet übertragen  wurde.  Da0  er  daneben  seCne 
oberschletischen  Ämter  beibehielt  und  in  ständigen  an- 
strengenden Reisen  allen  Anftjcdeningen  Im  Osten  und 
Westen  garecht  wurde,  zeigt  seine  unbegrenzte  geistige 
und.  körperliche  Eaa«tlzit&t  und  Einsatzfreudigkeit  In  hell- 
stem Ucht  Ja,  ^  Jaad  wimx  ieto^  aratüdien  Tätigkeit 
no<?i  Zeit  l*f  tailtureUe  Art>e»,  inden»  er  sich  am  Veida« 
für  KulturpoöÖlr  und  spiter  -iqBiBtückenverläg  verlege- 
risch beteülgte. 

Da»  Ungjücksiahr  1M3  setzte  dieser  vielseitigen  Tätig- 
keit ein  jähes  Ende.  AI«  die  -Judenverfolgungen  einset/-- 
ten,  ging  Brahn  nach  Amsterdam,  wo  er  sich  sdinell  ein 
neues  Betätigungsfeld  schuf.  Aber  die  Schergen  des  Nazi- 
regimes erreichten  ihn  audi  dort.  Trotz  schnfilic  or  Zu- 
sage, dad  er  als  Mitglied  de«  Präsidiums  des  Judenrats 
nicht  deportiert  werden  solle,  wurde  er  am  Weimiachts- 
abehd  1043  mit  seiner  Frau  festgenommen  und  nach 
Thereaienstadt  transportiert.  Die  letzte  Leidenstation  war 
Auschwitz,-  wohin  er  mit  dem  allerletzten  Transport  ver- 
schleppt wurde,  um  vergast  zu  w^den.  Brahn  hat  auch 
dieses  Schicksal  mit  der  ihm  eigenen  überlegenen  Fassung 
auf  sich  genommen.  Auch  im  KZ  dachte  er  weni^r  an 
«icn  ai»  Au  f-einc  Leidpnsgfffc'.rtcn.  die  er  durch  philo- 
iophlKhe  Vorträge  und  durch  seinen  unvenvüiUiehen 
Pumor  über  ihr  schwere«  Leid  hlnwegzutr<y«ten  euchte. 

W«r  Örahn  persönlich  nahestatfA  weiß,  daß  mit  dlescT 
Sdiilderung  «eines  äußeren  Lebens^ws  seiner  vornehmen 
und  reichen  Per««nücnkit  nicht  OeAßg«  «etan  IM.  Was 
ihn  so  anziehend  und  überall  bellebl  machte,  wöi*  seine 
umfassende  Bildung,  über  deren  SchäUe  er  jederzeit  sou- 
verän Verfügte.  Aber  was  wichtiger  iat;  er  w»r  ein 
»diliditer,  selbstloser,  gütiger  Mensch,  dem  es  ein  Be- 
dürfnis war,  anderen  zu  helfen-  Sein  Büd  «nd  die 
schmerzliche  Scham  über  sein  bitteres  En^  werdeit  stetf 
in  uns  lcl)endig  bleiben. 

1^  .      Dr.  Ff.  Sitzler 


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Budib«si9re€hung 


Synthetische«  Fett  als  Nahrungsmittel.  Von  A.  Kraut- 
wald,  Dae  Deutsche  Gesundheitswesen.  Berlin,  3,  Jg. 
1948,  Heft  12,  S.  354  ff. 

'     Aufgrund  von  Versuchen  von  1^8/44  konnte  der  Ver- 
tmMt  IJber  die  Verwertbarkelt  und  Vertr^llchkett  synthe- 
tischen Fettes  Erfahnmgeh  sanmieln.  Nach  »einen  Fest- 
gteUunf;t»n  hat  da«  —  auch  geschmacklich  einwandfreie 
—  synthetische  Fett  bei  einem  Ta»esvarbrauch  bis  ««  101  g 
^etx»   «törcnden    Nebenwirkxingen    oder   die    Gesundheit 
schädigenden  Folgen.  Ks  eignet  sich  zur  Spelsstizuberel- 
tung  wl«  als  Brotaufstrich.  Selbst  bei  Leber-  und  Magen- 
kranken wurden  Mengen  bis  zu  50  g  täglich  beschwerdc- 
hMi  vertragen.  CUelch  gute  Ärgiebnlsse  hatten  Tier-  und 
fbenso  jAhMlaing  durchgeführte  Flgenversuche.  Verf  hebt 
SeTatsadie  henww,  daß  in  Texas  (USA)  die  Errlchtunjg 
«h^U*  Großanlage  geplant  sei,  während  die  Besät  zun  ^s- 
ijrtiiittr  In  Deutschland  unter  Hinweis  auf  den  Brennstofl- 
l^rttxraueh  dem  dringenden  Wunsch  auf  Wiederaufnahme 
von  Kunstfett -Produktion  Widerstand  leisten. 


Schon  mit  seiner  Ansicht  über  die  gesundheitliche  un- 
bedenkliche Verwendung  von  Kunstfett  steht  Krautwald 
m  gewissem  Widerspruch  zu  anderen  Sacnverstandigen, 
wie  Prof.  Karl  Thomas,  Prof.  Armin  Süssenguth.  Dipl. 
Chemiker  Dr.  GusUv  Geist  u.  a.,  die  bei  regelmäßigem 
Oenuß  selbst  nur  geringer  Mengen  von  Kunstfett  zumin- 
dest in  den  Abbauprodukten  Gefahrenquellen  sehen.  Für 
den  menschlichen  Genuß  wertvoUe  Fette  müssen  nich 
Süssepguth  ungesättigte  Fettsäui-eglyceride  wie  Lmolsäure 
und  Wpolsäuretfiyeerlde.  sowie  niedere  Fettyäureglyceride 
nach*  Art  der  BuUer  enthalten.  Kunstfette  verwirft  er  als 
tüeijlere  und  schlechte  Lebensmittel. 

Trotz  der  Fettnotlage  muß  man  bei  den  weit  ausein- 
ander gehenden  Ansichten  der  Sachverstand  igen,  bevor 
synthetische  Fette  als  Volksnahrungsmittel  freigegeben 
werden,  einerseits  die  Bekömmlichkeit  ohne  jede  nachr 
teiligen  gesundheitlichen  Folgen  feststellen,  andererseits 
aber  auch  die  Wirtschaftlichkeit  ihrer  Verwendung  prüfen. 

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Lebenslauf,  nach'  den  spärlichen  übriggebliebenen  Quellen 

zusammengestellt  von  seiner  Tochter. 


Max  Brahn  ist  am  15.  Juni  1875  als  zweites  von  sechs  Geschwistern  in 
Laurahütte   in  Oberschlesien  geboren.   Sein  Vater  war  Besitzer 
eines  Kaufladens,  daneben  ein  hoohangesehenes  Mitglied  der  Gemeinde,  nicht 
nur  der  jüdischen,  sondern  auch  seiner  Wohngemeinde ,  z.B.  der  Schulbehörde. 
Oft  wurde  das  gesunde  Urteil  des  Kaufmanns,  der  das  Gymnasium  absolviert, 
aber  nicht  studiert  hatte,  zur  Schlichtung  von  Streitfällen  angerufen. 
Sein  heiteres,  aufgeschlossenes  Wesen  und  die  sparsame  Sorglichkeit  seiner 
Frau  gewährleisteten  ein  geordnetes j  harmonisches  Familienleben.   Die  ein- 
fache Umgebung,  in  der  Max  Brahn  aufwuchs ,  verlieh  ihm  materielle  Bedürfnis- 
losigkeit für  sein  ganzes  Lebens  das  typisch  oberschlesische ,  stark  pol- 
nisch durchsetzte  Bergmcnnsdorf  und  die  waldreiche  Landschaft  flössten  ihm 
Bewusstsein  seines  Deutschtums,  sozialen  Sinn  und  Heimatliebe  ein,  und  die 
sprachliche  Eigenart  der  Gegend  blieb  auci  an  se:nem  korrekten  und  reinen 
Deutsch  immer  hörbar. 


Von  den  sechs  Kindern  der  Familie  besuchten  die  vier  Söhne  das  Gym- 
nasium in  Beuthen«,  Max  kam  neunjährig  dorthin  in  Pension,  war  ein  vorzüg- 
licher Schüler  und  bestand  mit  knapp  18  Jahren  die  Reifeprüfung.  Er  las 
schon  seit  Jahren  sehr  viel,  legte  seinen  Nachhilfestunden-Verdienst  plan- 
mässig  in  Reclamhef ten  an  und  lernte  bereits  als  Gymnasiast  nicht  nur  die 
deutsche  Literatur,  sondern  auch  die  Philosophie,  sogar  eine  so  verhältnis- 
mässig moderne  wie  die  Sohopenhauerr ,  gründlich  kennen.   Als  Medizinstudent 
bezog  er  die  Universitäten  Erlangen  und  Kiel,  wo  er  schon  nach  vier  Semef. 
Stern  bei  August  Bier  mit  den  klinischen  Fächern  begann.   Später  arbeitete 
er  in  Heidelberg  pralitisch  bei  dem  berühmten  Irrenarzt  Kraepelin,  hörte 
aber  daneben  Heidelbergs  "Philosophiepapst"  Kuno  Fischer,  und  schliesslich 
überwog  das  Interesse  für  Psychologie,  Pädagogik  und  Philosophie,  so  dass 
er  auf  diese  Fächer  umsattelte.   Da  ihm  seine  Eltern  nur  wenig  geben  konn- 
ten, bestritt  er  die  Studienkosten  weitgehend  mit  Privat  stunden,  kleinen, 
z.T.  humoristischen  Beiträgen  für  Zeitschriften  und  Gelegenheitsaufträgen. 
Seine  letzten  Semester  verbrachte  er  in  L -g  i  p  z  i  g  bei  Wilhelm  Wundt, 
dem  bedeutenden  Psychologen,  und  doktorierte  IS96  mit  einer  Dissertation 
über  den  "Seelenbegriff  bei  Kant".  Er  wurde  V,'undts  Assistent  und  habili- 
tierte sich  bei  ihm  I9OI  mit  einem  Band  "Experimentelle  Beiträge  zur 


Gefühlslehre". 

Brahn  muss  nach  übereinstimmenden  Zeugnissen  mit  ausserordentlicher 
Klarheit  und  Gewandtheit,  meist  frei  sprechend  und  in  einem  an  den  besten 
Vorbildern  geschulten  Deutsch  seine  Vorlesungen  gehalten  haben.  Er  war 
bald  einer  der  beliebtesten  Dozenten  der  Universität,  wozu  seine  umfassen- 
de Bildung  und  sein  Scharfsinn,  aber  auch  die  Liebenswürdigkeit  und  Natür- 
lichkeit seines  Auftretens,  sein  Humor,  seine  Toleranz  und  stete  Selbst- 
beherrschung das  Ihre  beitrugen.   Sein  wissenschaftliches  Interesse  er- 
streckte sich  auf  die  verschiedensten  Bereiche-,  mit  Wundt  arbeitete  er  im 
Institut  für  experimentelle  Psychologie  und  Pädagogik,  dessen  Leiter  er 
1911  wurden  seine  Vorlesungen  umfassten  die  verschiedensten  Gebiete  auch 
der  Philosophie  von  den  griechischen  Naturphilosophen  bis  zu  Schopenhauer 
und  Nietzsche.  Er  arbeitete  auch  auf  soziologischem  Gebiet,  an  der 
sozialen  Prauenschule ,  bemühte  sich  besonders  um  die  Portbildung  der 
Volksschullehrer,  die  er  in  zahlreichen  Kursen  förderte,  und  nahm  lebhaft 
Anteil  an  den  Problemen  des  Schulwesens  und  den  verschiedenen  Versuchen, 
es  zu  reformieren,  sei  es  durch  die  Landschulheime  der  Lietz  und  Wyneken, 
sei  es  innerhalb  der  traditionellen  Volksschule,  wie  es  Gaudig  in  Leipzig 
unternahm.  Er  war  Mitarbeiter  am  Leipziger  Schulmuseum,  und  an  der  gros- 
sen buchgraphischen  Ausstellung  in  Leipzig  kurz  vor  dem  1.  Weltkrieg 
richtete  er  die  Abteilung  "Kind  und  Buch"  ein. 


In  den  19  Jahren  seiner  Dozentur  wurden  zahlreiche  Dissertationen 
bei  ihm  verf asst ,  z.T.  von  ehemaligen  Volksschullehrern,  denen  er  zum 
Hochschulstudium  verhalf.   Er  selbst  veröffentlichte  niemals  ein  grösseres, 
zusammenhängendes  wissenschaftliches  Werk,  und  man  muss  zugestehen,  dass 
sein  Geist  mehr  zum  Ueberblick,  Erfassen  und  Koordinieren  der  Zusammen- 
hänge geeignet  war  als  zur  jahrlangen,  mühseligen  Beschäftigung  mit  einem 
bestimmten  Problem,  wie  es  dem  Typus  des  Wissenschaftlers  entspricht. 
Doch  schützten  ihn  sein  durchdringender  Verstand  und  seine  Selbstkritik 
vor  jeder  Oberflächlichkeit  in  den  zahlreichen  Aufsätzen,  Vorträgen, 
Kommentaren  und  Ausgaben,  die  von  ihm  stammen.   Eine  Uebersetzung  von  La 
Mettries  "Homme  machine",  einem  Hauptwerk  des  Sensualismus  im  18.  Jahr- 
hundert, mit  entsprechend  kritischer  Einleitung,  verfasste  er  zusammen  mit 
seiner  Frau,  mit  der  er  seit  I905  verheiratet  war.   (Sie  war  eine  Tochter 
des  Geheimen  Legationsrates  Dr.  Cahn,  des  einzigen  Juden,  der  zu  Bismarks 
Zeit  im  Auswärtigen  Amt  tätig  war.)   Brahns  Liebe  zu  Schopenhauer  dokumen- 
tierte sich  in  der  Herausgabe  der  Aphorismen  zur  Lebensweisheit,  der  kleinen 


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Schriften  und  der  Briefe  (im  Inselverlag,  mit  dessen  bedeutendem  Leiter 
Kippenberg  er  freundschaftlich  verkehrte);  noch  vorher,  vielleicht  angeregt 
durch  seinen  Freund  Raoul  Richter,  den  Nietzschebiographen,  der  früh  starb, 
veröffentlichte  er  Aufsätze  über  Nietzsche  und  übernahm  die  Herausgabe  des 
letzten  Bandes  der  Krönersohen  Nietzsche-Ausgabe,  -  eine  besonders  schwieri- 
ge Arbeit,  da  der  "Wille  zur  Macht"  und  die  übrigen  in  diesem  Bande  vereinig- 
ten Schriften  nur  aus  Bruchstücken  und  vereinzelten  Aufzeichnungen  zusammen- 
zusuchen waren.   Diese  Arbeit  brachte  Brahn  in  Verbindung  mit  dem  Nietzsche- 
Archiv  in  Weimar,  dessen  unbeschränkte  Fürstin  damals  noch  Nietzsches 
Schwester,  Elisabeth  Förster-Nietzsche,  war.   Die  alte  Dame  fasste  lebhafte 
Zuneigung  zu  dem  vorzüglichen  Nietzschekenner  und  geistvollen  Gesprächs- 
partner, und  in  den  Jahren  1911-1918  war  er  gern  gesehener  Gast  in  ihrem 
Hause.  Eine  Entfremdung  trat  nach  Gründung  der  deutschen  Republik  ein,  die 
Brahn  begrüsste  und  unterstützte,  während  Frau  Förster  sich  scharf  ablehnend 
gegen  jegliche  demokratische  Strömung  in  Deutschland  verhielt. 


Bei  Ausbruch  des  1.  Weltkrieges  war  Brahn  4I  Jahre  alt  und  nicht 
dienstpflichtig  (vermutlich  nur  seiner  einstigen  schmalen  Jünglings statur 
wegen^  denn  nachdem  er  IJjährig  eine  schwere  Genickstarre  ohne  Folgen  über- 
standen hatte,  war  er  sein  Leben  lang  von  beneidenswerter  Gesundheit,  wozu 
sein  massiges  Leben  und  die  Gewohnheit  langer  Spaziergänge  beitrug).  Später 
wurde  er  vom  Oberkommando  der  Luftstreitkräfte  zu  besonderen  Diensten  auf- 
geboten:  Er  führte  Eignungsprüfungen  für  Flieger  durch  und  baute  diese 
Tests  bis  I9I9  mehr  und  mehr  aus,  flog  auch  selbst  häufig  mit.   Für  ihn 
brachte  die  Kriegszeit  ausser  den  allgemeinen  Sorgen  eine  Reihe  persönlicher 
Schicksalssohlägej   Er  verlor  seine  drei  jüngsten  Geschwister  (der  jüngste 
Bruder,  ein  besonders  begabter  Jurist,  dessen  Studium  er  finanziert  hatte, 
fiel  in  den  Karpathen)  und  durch  einen  Unfall  seinen  einzigen  sechsjährigen 
Sohn.   Dazu  belastete  ihn  der  Zwiespalt  zwischen  der  patriotischen  Hoffnung 
auf  Sieg  und  dem  Wunsch,  Deutschland  anders  und  freiheitlicher  als  bisher 
regiert  zu  sehen.   Auch  für  das  Judentum  waren  natürlich  Aenderungen 
wünschbar;  ohne  die  Zugehörigkeit  zur  jüdischen  Religionsgemeinschaft,  die 
Brahn  nur  aus  Loyalität  entgegen  mancher  Empfehlung  beibehielt,  wäre  er 
gewiss  längst  Ordinarius  gewesen.   Obgleich  oder  vielleicht  gerade  weil 
man  dem  blonden, blauäugigen  Mann  die  jüdische  Herkunft  nicht  ansah  und  er 
kaum  je  antisemitische  Anpöbeleien  erfuhr,  bekannte  er  sich  jederzeit  zu 
seiner  Herkunft  und  ehrte  die  religiösen  Traditionen  seines  Elternhauses, 
auch  wenn  er  sie  längst  nicht  mehr  hielt  und  jedem  Glauben  entfremdet  war.- 
Als  bei  Kriegsende  die  neuen  Aufgaben  einer  republikanischen  Staatsform 


Sich  abzuzeichnen  begannen,  gehörte  Brahn  zu  den  Gründern  der  demokratischen 
Partei  in  Sachsen  (war  jedoch  später  weder  Mitglied  dieser  noch  einer  ande- 
i  ren  Partei,  wohl  aus  Abneigung  gegen  die  Verpflichtung  auf  ein  Dogma).   Zu- 
gleich bekümmerte  ihn  aufs  tiefste  die  aussenpolitische  Lage  Deutschlands, 
die  alliierte  Besetzung  seiner  Heimat  Oberschlesien,  und  in  den  Jahren 
1920  -  22  war  er  einer  der  führenden  Mitarbeiter  im  "Verein  heimattreuer 
Oberschlesier".  Vor  der  oberschlesischen  Abstiamung  ging  er  oft  auf  Propa- 
gandareisen und  forderte  in  Reden  und  Artikeln  die  Oberschlesier  zur  Option 
für  Deutschland  auf,  und  eine  bittere  Enttäuschung  schuf  ihm  die  Missachtung 
des  eindeutigen  Resultats,  d.h.  die  Teilung  Oberschlesiens  1922. 

Inzwischen  waren  in  seinem  beruflichen  Leben  wesentliche  Aenderungen 
eingetreten.  Durch  die  erfolgreichen  Jliegerprüfungen  und  seine  Leitung 
des  Instituts  für  experimentelle  Psycholo-ie  war  das  neue  Reichsarbeits- 
ministerium auf  ihn  aufmerksam  geworden  und  wünschte  ihn  1919  zum  Leiter 
eines  geplanten  Instit^.ts  für  Arbeitcwissenschaft  zu  machen.  Es   scheint 
Brahn  nicht  allzu  schwer  geworden  zu  sein,  die  Universität  nach  langjähriger 
Tätigkeit  zu  verlassen-,   diesen  beweglichen  vid  aufgeschlossenen  Geist 
reizte  nichts  mehr  als  neue  Aufgaben  und  Arbeitsgebiete.  Er  nahm  an  und 
bereitete  seine  Uebersiedlung  nach  Berlin  vor-,   aber  während  ihn  das 
Reichsarbeitsministerium  (-^.A?.')  schon  als  Re^ierungfrat  übernommen  hatte, 
wollte  der  Institutsplan  nicht  recht  gedeihen  und  scheiterte  schliesslich 
an  den  Finanzierungsschwierigkeiten  der  Inflationszeit.   In  den  unruhigen 
Jahren  1920  /  21  stand  nun  Brahn  zunächst  zur  Verfügung  des  RAM  mit  wechseln, 
den  Aufgaben.  Versuchsweise  wurde  der  ruhige,  konziliante  Mann  bei  einem 
der  zahllosen  Streiks  dieser  Zeit  als  Verhandlungsleiter  eingesetzt  und  ent- 
ledigte sich  dieser  Aufgabe  cit  solchem  Erfolg,  dass  er  in  den  folgenden 
Jahren  regelmässig  für  Schlichtunc  von  Tarif konflikten  verwendet  wurde, 
sich  überhaupt  in  die  soziale  Praxis  einlebte. 

Anfang  1922  nach  der  Teilung  Oberschlesiens  musste  die  deutsche 
Regierung  laut  einem  Schreiben  des  Arbeitsministers  "einen  Bevollmächtigten 
für  Arbeitsfragen  in  Cberschlesion  orncrnen,  der  ...  sowohl  eigene  Aufgaben 
zu  erfüllen  ...  wie  eis  Saohtorr.tor  des  Staatsvortreters  in  allen  vor  die 
gomiochto  Kommission  kommenden  Ar 'joi-^.sf ragen  zu  wirken  hat.   ...Als  Bevoll- 
mächtigten für  Arbeitsfragen  habe  ich  den  früheren  Regiorungsrat  im  RAM 
Dr.  Max  Brahn  ...  in  Aussicht  genommen.  Er  ist  im  ehemaligen  Abstimmungs- 
gebiet geboren  und  im  RAM  längere  Zeit  mit  Erfolg  tätig  gewesen,  besitzt 
auch  das  ...  nötige  Vertrauen  der  Arbeitgeber  und  Aibeitnehmeri  er  ist  mit 
der  Hebung  des  RAIil  im  Goworkschaf  ts- ,  Tarifvertrags-  und  Schlichtungswesen 


durchaus  vertraut." 


Häufig  zwischen  Berlin  und  Beuthen  hin  und  her  reisend,  verwaltete 
Brahn  dies  "undankbare  Amt",  -  wie  sein  Vorgesetzter  und  Freund  Ministerial- 
direktor Dr.  Sitzler  in  einem  Nachruf  1948  schrieb  -  "mit  höchstem  politi- 
schem Takt  und  diplomatischem  Geschick  und  trug  damit  viel  zur  Ueberwindung 
der  aus  der  Zerreissung  dieses  Wirtschaftsgebiets  erwachsenden  Schwierig- 
keiten bei."  Er  hatte  den  Posten  mit  kurzer  Unterbrechung  bis  1955  inne. 
Zudem  wurde  er,  vermutlich  in  Bestätigung  einer  schon  bestehenden  Ausübung, 
1927  zum  Schlichter  für  den  Bezirk  Oberschlesien  ernannt,  einen  der  wichtig- 
sten der  12  Schlichterbezirke  Deutschlands.  Er  weilte  n\in  fast  2/5  des 
Jahres  in  Oberschlesien  und  erfreute  sich  nicht  nur  bei  den  Mitgliedern 
der  Gemischten  Kommission,  den  ausländischen  Auf Sichtsorganen,  den  Arbeit- 
gebern und  -nehmern  grösster  Achtung,  sondern  sogar  bei  den  polnischen 
Verhandlungspartnern,  denen  er  beständig  im  Interesse  der  deutschen  Arbei- 
ter des  abgetretenen  Gebiets  Widerpart  halten  musste. 


Ende  1928  wurde  der  Posten  des  Schlichters  für  den  Bezirk  Westfalen 
frei,  worüber  sich  der  Reichsarbeitsminister  an  das  Auswärtige  Amt  folgen- 
dermassen  äusserte-.  "Da  dies  Amt  eine  der  wichtigsten  Schlichterstellen  des 
Reichs  darstellt,  musste  ich  mich  ...  um  eine  besonders  geeignete  und 
befähigte  Persönlichkeit  bemühen,  die  auch  der  Arbeitgeber-  und  Arbeitneh- 
merseite genehm  ist.   Herr  Dr.  Brahn  hat  in  mehrjähriger  Tätigkeit  seine 
besondere  Eignung  auch  als  Schlichter  bewiesen;  einen  gleich  geeigneten 
Herrn  habe  ich  trotz  grösster  Bemühung  nicht  finden  können.   Ich  habe  mich 
deshalb  genötigt  gesehen,  ihn,  so  wenig  ich  die  Bedeutung  seiner  ober- 
schlesischen  Tätigkeit  unterschätze,  für  das  wichtigere  Amt  des  westfäli- 
schen Schlichters  in  Aussicht  zu  nehmen."   Da  jedoch  Brahn  sein  ober- 
schlesisches  Bevollmächtigten-Amt  am  Herzen  lag,  so  behielt  er  es  zunächst 
nebenamtlich  bei  und  übernahm  hauptamtlich  den  wichtigsten  Schlichter- 
bezirk Deutschlands.   I929  wurden  die  Jahre  des  Aufstiegs  in  Deutschland 
von  der  neuen  Wirtschaftskrise  abgelöst,  so  dass  seine  Aufgabe  nichts  weni- 
ger als  einfach  war.   Die  Konflikte  häuften  sich,  und  es  bedurfte  oft  all 
seiner  Diplomatie  und  Ausdauer,  um  Streiks  oder  Aussperrungen  zu  verhüten. 
Nicht  selten  verhandelte  der  fast  Sechzigjährige  die  ganze  Nacht  hindurch, 
Zigarren  rauchend  und  in  seiner  gelassenen, humorvollen  Art  Kompromissvor- 
schläge machend,  bis  die  müden  Parteien  sich  zu  einer  Einigung  bequemten. 
Nach  der  Tage  und  Nächte  erfordernden  Beilegung  eines  schweren  Lohnstreits 
im  Ruhrkohlenbergbau  dankte  ihm  Arbeitsminister  Stegerwald  1950  in  einem 


Schreiben  dafür,  dass  er  "die  deutsche  Volkswirtschaft  vor  schweren  Er- 
schütterungen bewahrt"  habe.   Ueber  seine  Schlichtertätigkeit  schreibt 
Dr.  Sitzler  im  erwähnten  Nachruf:   "Auch  hier  befähigte  ihn  sein  soziales 
Gerechtigkeitsgefühl,  sein  Einfühlen  in  die  Auffassungen  der  Parteien  und 

sein  Blick  für  das  praktisch  Erreichbare  zu  vorbildlichen  Leistungen  

Dass  er   •...in  anstrengenden  Reisen  allen  Anforderungen  im  Osten  und 
Westen  gerecht  wurde,  zeigt  seine  unbegrenzte  geistige  und  körperliche 
Elastizität  und  Einsatzfreudigkeit  in  hellstem  Licht."   Sein  Ruf  als  Verband- 
1er  und  sein  Ansehen  bei  Unternehmern  und  Gewerkschaften  war  nun  so  verbrei- 
tet, dass  auch  die  meisten  gesamtdeutschen  Arbeitsverträge  für  bestimmte 
Gruppen  (z.B.  Textilarbeiter,  Metallarbeiter  .und  seine  Lieblinge,  die  Buch- 
drucker) unter  seiner  Leitung  abgeschlossen  oder  erneuert  wurden,  -  wobei 
die  Parteien  sich  oft  gedulden  mussten,  bis  er  für  ihre  Verhandlungen  Zeit 
fand.   Das  besondere  Augenmerk  des  einstigen  Pädagogen  galt  übrigens  bei 
Abschluss  neuer  Verträge  stets  den  Lehrlingen,  deren  Arbeitsbedingungen  er, 
nicht  so  sehr  durch  Lohnerhöhungen  als  durch  günstigere  Gestaltung  ihrer 
Arbeitszeit  und  vor  allem  durch  längere  Ferien,  zu  verbessern  suchte. 


Bei  Brahn  als  Vertrauensperson  beider  Parteien  suchte  Reichskanzler 
Brüning  Unterstützung  seiner  Deflationspolitik,  die  die  Wirtschaftskrise 
bekämpfen  sollte:   Als  erster  Schlichter  seit  Jahren  wagte  Brahn  1951  in 
dem  vieldiskutierten  Schiedsspruch  von  Oeynhausen,  die  Löhne  zu  senken,  in 
der  wohl  allzu  optimistischen  Annahme,  die  Preise  würden  folgen-,  diese  un- 
populäre Massnahme  brachte  ihm  Presseangriffe  ein,  kostete  ihn  aber  trotz- 
dem keineswegs  die  gute  Meinung  der  Gewerkschaften.   Eben  dieses  unerschüt- 
terten Vertrauens  wegen  figurierte  er  Ende  1932  auf  der  Kabinettsliste,  die 
General  Schleicher  für  sein  "Kabinett  der  Fachleute"  entworfen  hatte.   Das 
Bild  des  zukünftigen  Arbeitsministers  erschien  schon  in  der  Presse,  als 
Schleicher  auf  Drohungen  der  Nationalsozialisten  hin  den  jüdischen  Kandi- 
daten fallen  lassen  musste. 


Trotz  der  umfassenden  Schlichtertätigkeit  von  1929  ab  blieb  Brahn  auf 
ausdrücklichen  Wunsch  des  Ministeriums  weiterhin  Bevollmächtigter  für 
Arbeitsfragen  in  Oberschlesien.   Er  hielt  sich  kaum  ein  Drittel  des  Monats 
an  seinem  Wohnsitz  Berlin  auf,  brachte  es  aber  fertig,  dort  noch  in  priva- 
ten Unternehmungen  mitzuarbeiten.   Schon  seit  den  frühen  Zwanziger jähren 
leitete  er  zunächst  zusammen  mit  dem  österreichischen  Schriftsteller  K.F. 
Nowak  den  Verlag  für  Kulturpolitik,  später  mit  einem  andern  Compagnon  den 
Brücken-Verlag,  der  historische,  politische  und  biographische  Werke  heraus- 
gab, und  übersetzte  zu  seinem  Vergnügen  für  diesen  Verlag  eine  Anatole- 
Prance-Biographie  und  andere  französische  Bücher  ins  Beutsche.   Er  sass  in 


'.'."  Vi. Sit 


den  Auf Sichtsräten  mehrer  geschäftlicher  Betriebe,  hauptsächlich  von  Ver- 
wandten, die  seinen  Rat  wie  ein  Orakel  suchten.   Wie  er  all  den  Anforderun- 
gen zugleich  gerecht  wurde,  ist  kaum  hegreiflich.   Dabei  war  er  nichts  weni- 
ger als  ein  gehetzter,  ewig  beschäftigter  Manager-Typs   Stets  ruhig,  ja 
gemütlich  im  Umgang,  jederzeit  pünktlich,  mit  offenem  Ohr  für  jede  Bitte  um 
Rat  und  Hilfe,  war  er  im  engsten  Familienkreis  ein  aufmerksamer  Gatte  und 
ein  geradezu  vorbildlich  liebevoller  und  duldsamer  Vater  seiner  einzigen 
Tochter.   Die  ruhigen  Sonntagvormittage  mit  Vorlesung  oder  Spaziergang,  die 
behaglichen  Abende  zuhaus ,  seine  frühmorgendliche  Begleitung  zur  Schule 
gehören  für  sie  zu  den  teuersten  Erinnerungen.   Er  präsidierte  jahrelang 
den  Elternbeirat  ihres  Gymnasiums  und  hielt  eine  seiner  schönen,  frei  ge- 
sprochenen Reden  am  hundertjährigen  Jubiläum  der  Schule.   Die  Harmonie 
seines  Wesens,  dessen  heitere  Menschenfreundlichkeit  die  in  jedem  Gespräch 
hervortretende  geistige  Ueberlegenheit  und  umfassende  Bildung  so  liebens- 
würdig machte,  erwarb  ihm  überall  Freunde  und  Bewunderer»,  sein  Bekannten- 
kreis war  riesig  und  erstreckte  sich  auf  zahlreiche  bedeutende  Zeitgenossen. 
Ganz  nahe  allerdings  standen  ihm  nach  dem  Verlust  seiner  Jugendfreunde 
kaum  noch  einige  Menschen  ausserhalb  der  Familie;  am  nächsten  wohl  der 
schon  erwähnte  Ministerialdirektor  (nach  1945  Professor)  Dr.  Friedrich 
Sitzler  und  der  seinerzeitige  Oberpräsident  von  Oberschlesien,  Dr.  Hans 
Lukaschek,  später  Widerstandskämpfer  im  Kreisauer  Kreis  und  erster  Flücht- 
lingsminister des  Kabinetts  Adenauer.   Dass  er  seine  Freunde  nicht  nur 
unter  Juden  suchte,  obschon  er  sein  Judentum  nie  verleugnete,  hängt  zweifel- 
los damit  zusammen,  dass  er  sich  in  erster  Linie  als  Deutscher  fühlte  und 
auch  für  sich  persönlich  den  Zionismus  ablehnte. 


Um  dem  beständigen  Hin-  und  Herreisen  Beuthen -Berlin-Dortmund  ein  Ende 
zu  machen,  nahm  er  gerne  1932  den  Schlichterposton  für  die  Bezirke  Berlin- 
Brandenburg  und  Schlesien  an,  den  ihm  das  Ministerium  anbot.   Sein  Amtssitz 
wurde  ab  1.  Januar  1935  Berlin  -  für  kurze  Zeit.   Schon  auf  1.  Juli  1935 
wurden  sämtliche  Schlichterdienststellen  aufgelöst,  da  ein  nationalsozia- 
listisches "Gesetz  über  die  Treuhänder  der  Arbeit"  sie  überflüssig  machte: 
Von  da  ab  waren  Tarifkonflikte  Landesverrat.   Brahn  vmrde  aber  auf  Grund 
des  antisemitischen  "Gesetzes  zur  Wiederherstellung  des  Berufsbeamtentums" 
die  Pension  um  ein  Viertel  gekürzt.   Was  sein  Amt  als  Deutscher  Bevoll- 
mächtigter in  Oberschlesien  betraf,  so  war  es  sichtlich  sehr  schwer,  Er- 
satz zu  finden,  denn  man  belle ss  Brahn  weiterhin  im  Amt,  bis  er  es  Ende 
1934  nicht  mehr  erträglich  fand,  der  Hitler-Hugcnberg-Regierung  zu  dienen, 
und  um  seine  Pensionierung  einkam.   Diese  wurde  auf  1.  Januar  1935  ange- 
setzt.  Ende  Dezember  34  aber  zeigte  sich,  dass  für  gewisse  Aufgaben  -  in 


8 

diesem  Fall  ein  Gutachten,  das  einen  wichtigen  Entscheid  der  Gemischten 
Kommission  zugunsten  Deutschlands  beeinflussen  sollte  -  einfach  niemand 
anders  die  nötigen  Voraussetzungen  besass.   Der  damalige  Reichsarbeits- 
minister Seldte  liess  Brahn  brieflich  bitten,  trotz  seinem  bevorstehenden 
Ausscheiden  aus  dem  Amt  dies  wichtige  Gutachten  zu  erstatten  im  Hinblick 
auf  die  Hilfe,  die  er  damit  den  "Volksgenossen"  seiner  oberschlesischen 
Heimat  bringen  könne.   Obschon  der  Ausdruck  "Volksgenossen"  zu  dieser  Zeit, 
wo  bereits  jede  politische  Rede,  jede  Zeitung,  jedes  Wahlplakat  die  Juden 
als  Fremde,  Schmarotzer  und  Schädlinge  bezeichnete,  ein  Hohn  in  den  Ohren 
eines  jüdischen  Beamten  sein  musste,  fand  Brahn  sich  bereit,  das  Gutachten 
auszuarbeiten  und  beriet  auch  später  noch  mehrfach  seinen  Nachfolger.  Er 
erhielt  dafür  ein  Dankschreiben  Seldtcs,  in  dem  wieder  von  der  Arbeit  "zum 
Wohle  der  deutschen  Volksgenossen"  die  Rede  war.   Nur  8  Jahre  später  wurde 
er  von  seinen  Volksgenossen  in  die  Gaskammern  von  Ausohv/itz  geschickt. 

Immer  nahm  Brahn  lebhaften  Anteil  an  der  politischen  Entwicklung,  die 
ihn  von  1952  an  mit  waohcündcr  Sorge  erfüllte.   Als  in  Kreisen  der  Mittel- 
parteien die  Frage  erv^ogon  vmrde  .  ob  nicht  eine  Wiederherstellung  der  im 
Bürgertum  immer  noch  populären  Monarchie  das  kleinste  üebel  in  der  deutschen 
Existenzkrise  sei,  trat  auch  Brahn  durch  Vermittlung  eines  guten  Bekannten, 
des  Barons  Hartmann  v.  Richthof en,  in  Beziehung  zu  diesen  Kreisen.   An  dem 
berüchtigten  JO.  Juni  1931-  waren  offenbar  auch  diese  Bestrebungen  zur 
Kenntnis  der  Machthaber  gelangte  da  sie  al-er  noch  wenig  konkrete  Form  ange- 
nommen hatten,  stürzten  sie  v/ohl  keinen  der  Beteiligten  völlig  ins  Ver- 
derben.  Immerhin  gab  es  Verhaftungen  und  Angriffe  in  Reden  führender 
Nationalsozialisten,  was  auch  Männern,  die  wie  Brahn  nur  am  Rande  des  Unter- 
nehmens standen,  sorgenvolle  Tage  bereitete. 


Trotz  der  Einsicht,  dass  seines  Bleibens  in  Deutschland  nicht  war, 
konnte  sich  Brahn  nur  äusscr^^t  schwer  entschliessen,  sein  Vaterland,  dem 
er  so  ganz  angehörte,  zu  verlassen.   Sein  Bruder  hatte  schon  1954  seinen 
Posten  als  Leiter  der  chemischen  Abteilung  eines  grossen  Berliner  Kranken- 
hauses aufgegeben  und  Wc?.r  nach  Holland  emigriert.   Da  Brahn  nicht  englisch 
sprach  und  somit  das  sichere  Amerika  ausgeschlossen  war,  da  zudem  Holland, 
im  Gegensatz  etwa  zur  Schv^eiz,  wo  seine  Tochter  verheiratet  lebte,  in  der 
Aufnahme  von  Fremden  sehr  grosszügig  war  und  kaum  einen  Antisemitismus  kann- 
te, so  entschloss  sich  der  62 Jährige,  in  Amsterdam  die  kaufmännischen  Ar- 
beiten für  eine  pharmazeutische  Erfindung  seines  Bruders  zu  übernehmen.  Er 
schuf  sich  unter  den  aufgeschlossenen  Holländern  bald  Freunde  und  hatte 
1958  seine  Existenz  soweit  gesichert,  dass  er  das  Hin-  und  Herreisen 


-'rf,*^ 


zwischen  Berlin  und  Amsterdam  (mit  dem  Diplomatenpass ,  den  er  noch  von  der 
oberschlesischen  Amtstätigkeit  her  hesass)  schliesslich  aufgab  und  offiziell 
nach  Holland  auswanderte.   Er  beachtete  peinlich  genau  alle  Gesetze  und 
schikanösen  Vorschriften,  die  für  solche  Fälle  bestanden,  und  nahm  keinen 
Pfennig  seines  Barvermögens  mit,  sondern  veranlasste  seine  Frau,  den  Rest 
davon  in  Berlin  aufzuzehren  und  ihm  erst  im  Sommer  1939  nach  Amsterdam  zu 
folgen,  wo  sie  eine  bescheidene  Dreizimmerwohnung  nahmen  und  in  leidlicher 
Ruhe  lebten. 


WKi^fe;  J 


So  ungern  Brahn  im  Exil  war  und  so  wenig  weit  er  es  in  der  Sprache 
des  Gastlandes  brachte,  so  leicht  wurde  ihm  andrerseits  die  Anpassung  an 
neue  V/irksamkeit  und  neue  Verhältnisse.   Im  Zeitpunkt  des  deutschen  Ueber- 
falls  auf  Holland  hatte  ihm  seine  Amsterdamer  Tätigkeit  schon  nicht  unbe- 
trächtliche Ersparnisse  ermöglicht,  von  denen  er  in  den  Kriegsjahren 
leben,  ja  sogar  seiner  Tochter  auf  ümv/egcn  etwas  zukommen  lassen  konnte. 
Biese  besuchte  ihre  Eltern  1940 >  unmittelbar  vor  der  Invasion,  erlebte  mit 
ihnen  den  fünftägigen  Krieg  und  die  Besetzung  und  kehrte  im  Juni  wieder  in 
die  Schweiz  zurück,  ihre  Eltern  {jefasst  und  mutig  in  einer  Lage  zurück- 
lassend, die  beängstigend  erschien,  alle  drei  aber  nicht  entfernt  ahnen 
liess,  was  in  Wahrheit  drohte o   Als  die  bnkannten  Massnahmen  gegen  Juden 
(sterntragen,  Verbote  aller  Art)  in  ICra:?t  traten,  erwirkte  die  Tochter 
ihren  Eltern  ein  Einreisevisum  für  die  Schweiz,  zu   dem  noch  der  einstige 
Präsident  der  Gemischten  Kommission  in  Oberschlosien,  Alt-Bundesrat 
Calonder,  eine  Empfehlung  schrieb;  aber  die  Ausreiseerlaubnis  aus  Holland 
war  auf  keine  Weise  zu  erlangen.  Bekanntlich  musste  sich  dort  der 
♦•Joodsche  Raad"  ,  ein  jüdisches  Komitee,  konstituieren,  und  eines  seiner 
Mitglieder  sollte  die  ausländischen  Juden  vertreten.   Hierzu  wurde  Brahn 
als  der  geeignetste  Mann  von  seinen  Leidensgenossen  gewählt',  ob  er  irgend- 
eine der  Schreckensmassnahmen  verhindern  oder  auch  nur  hinausschieben 
konnte,  bleibt  zweifelhaft.   Er  aber  glaubte  in  dieser  Körperschaft  noch 
helfen  zu  können;  obschon  er  von  1955  an  überzeugt  war,  dass  eine  furcht- 
bare Zeit  bevorstehe,  obschon  er  von  da  an  sein  frisches,  jugendliches 
Aussehen  verlor,  so  scheint  er  doch  einfach  unfähig  gewesen  zu  sein,  sich 
die  systematische  Grausamkeit  und  Erbarmungslosigkeit  der  Nationalsoziali- 
sten in  ihrem  ganzen  Ausmass  vorzustellen.   Nicht  nur,  dass  er  sich  nie- 
mals verzweifelt  oder  nur  ängstlich  g3bärdete,Gr  blieb  auch  rührend  zuver- 
sichtlich.  Vorschläge  zur  Flucht  ins  unbesetzte  Frankreich  lehnte  er  ab, 
nicht  nur  der  Gefahren  halber,  sondern  auch  aus  VYiderwillen  gegen  ein 
"illegales"  Dasein  nach  einem  Leben  der  V/ürde  und  des  Dienstes  an  seinem 


10 


Volk.   Er  hoffte  wohl,  sein  grosses  Ansehen  und  seine  Verdienste  um  Deutsch- 
land würden  ihn  vor  dem  Schlimmsten  bewahren.   Obwohl  man  den  Mitgliedern 
des   Joodschen  Raad  das  Versprechen  gegeben  hatte,  sie  nicht  zu  deportieren, 
erschienen  die  SS-Polizisten  am  Weihnachtsabend  I943  und  brachten  das  Ehe- 
paar Brahn  ins  Lager  Westerbork,  von  wo  sie  nach  Theresienstadt  deportiert 
inoirden.   Kit  vorbildlicher  Ruhe  und  Entsagung  ertrugen  die  70  und  63  Jahre 
alten  Eheleute  das  Dasein  in  Kälte  und  Hunger,  immerhin  mit  einem  Rest  an 
Bewegungsfreiheit  und  kulturellen  Möglichkeiten.   Brahn  hielt  ohne  .jegliche 
Gedächtnisstütze  Vorträge  über  Philosophie  und  soll  vielen  Leidensgenossen 
durch  seine  Ruhe  und  seinen  Humor  ihr  Los  erleichtert  haben.   Ende  Oktober 
1944 >  als  sich  die  Russen  schon  Theresienstadt  näherten,  wurde  noch  ein 
allerletzter  Transport  alter  Leute  nach  Auschwitz  zusammengestellt,  unter 
ihnen  Brahn  mit  seiner  Frau.   Zeugen   ihrer  Abreise  betonen  beider  Passung 
und  Zuversicht;  es  ist  nicht  sicher,  ob  sie  vrussten,  was  ihnen  bevorstand. 
Die  beiden  Enkel,  die  ihnen  in  der  Schv;eiz  geboren  worden  waren,  haben  sie 
nie  gesehen,. 


HANS  E.  IIIRSCHFELD 


/^ 


Preußens 
Ausklang 


Im  kaiserlichen  Deutschland  vor  1914  war  Preußen,  das  Preußen 
des  Dreiklassenwahlrechts,  das  Preußen  der  Großgrundbesitzer 
und  des  Landadels,  die  im  Heer  und  in  der  Verwaltung  die  maß- 
gebende Rolle  spielten,  angesehen  als  der  Hort  der  Reaktion,  als 
das  Hindernis  jeden  vernünftigen  Fortschritts.  Das  preußische 
Heer,  die  preußische  Verwaltung  und  der  aus  dem  Dreiklassen- 
wahlrecht hervorgegangene  Preußische  Landtag  mit  dem  privile- 
gierten Herrenhaus  galten  als  Garantien  des  halbabsoluten  Sy- 
stems der  preußischen  Könige.  Das  wilhelminische  Preußen  als 
ausschlaggebene  Macht  im  Deutschen  Reich  versperrte  mit  sei- 
nem Übergewicht  jedem  Ansatz  einer  Entwicklung  zum  parla- 
mentarsch-demokratsichen  Regierungssystem  erfolgreich  den  Weg. 
Die  stärkste  politische  Partei  im  königlichen  Preußen,  de  Sozial- 
demokrate,  war  bis  1918  im  Preußischen  Landtag  nur  mit  10 
Abgeordneten  vertreten,  die  1913  bei  den  Wahlen  zum  Abgeord- 
netenhaus Preußens  gewählt  worden  waren.  Zu  diesen  10  Ab- 
geordneten gehörten  u.  a.  Paul  Hirsch  —  nach  1918  der  erste 
preußische  Ministerpräsident  — ,  Konrad  Haenisch  —  nach  dem 
November  1918  erster  Kultusminister  Preußens  — ,  Otto  Braun 
—  von  1920  bis  1932  Preußens  Ministerpräsident  —  und  Dr.  Karl 
Liebknecht. 

Zehn  Abgeordnete  in  Preußen,  während  bei  den  Wahlen  zum 
Reichstage  im  Jahre  1912  die  Sozialdemokratie  mit  110  Mandaten 
die  stärkste  Fraktion  des  Reichstages  wurde!  Diese  Ungereimtheit 
war  die  Folge  der  verschiedenen  Wahlrechte,  die  bis  zum  Novem- 
ber 1918  für  die  Parlamente  des  Reiches  und  Preußens  galten. 
Während  zum  Reichstag  nach  dem  von  Bismarck  eingeführten  all- 
gemeinen, geheimen,  gleichen  und  direkten  Wahlrecht  gewählt 
wurde,  bestand  in  Preußen  nach  wie  vor  das  1849  eingeführte 
Dreiklassenwahlrecht.  Das  war  ein  System  der  indirekten  Wahl, 
das  die  Urwähler  jeder  Gemeinde  nach  dem  Steueraufkommen  in 
drei  Abteilungen  einteilte.  Jede  Abteilung  entsprach  einem  Drit- 
tel des  Steueraufkommens  insgesamt;  jede  Abteilung  dieser  Steu- 
erzahler-Wähler wählte  eine  gleiche  Zahl  von  Wahlmännern.  Die 
wenigen  Angehörigen  der  ersten  Klasse  wählten  genau  so  viele 
Wahlmänn|X  wie  die  weitaus  zahlreicheren  Wähler  der  zweiten 
Klasse  und  öWiisV  viele  wie  die  &foß6  Masse  der  gering  besteuer- 
ten Wähler  der  dritten  Klasse.  HäLffig- wählte  in  kleineren  Städten 
oder  ländlichen  Bezirken  ein  Wähler  der  ersten  Klasse  allein  die- 
selbe Zahl  von  Wahlmännern  wie  die  beiden  anderen  Klassen  der 


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HANS  E.  HIRSCHIELD 


PREÜSSENS  AUSKLANG 


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Wähler.  Der  Abgeordnete  wurde  dann  von  den  Wahlmännern  aller 
Klassen  mit  Mehrheit  gewählt.  Das  Dreiklassenwahlrcdit  war 
also  ein  indirektes,  ungleiches  Wahlsystem,  das  bewußt  den  Be- 
güterten bevorrechtigte.  Es  wurde  als  „Schutzwall  der  Reaktion" 
von  allen  Politikern  des  Fortschritts  als  volksfeindlich  heftig  be- 
kämpft. 

Ähnliche  Drei-  oder  gar  noch  Mehr-Klassen-Wahlsystcmc  bestan- 
den bis  zum  November  1918  in  den  Gemeinden  Preußens.  Da  dort 
vielfach  Arbeiter  oder  kleine  Bauern  keine  Steuern  zahlten,  wa- 
ren sie  nicht  einmal  wahlberechtigt.  Deshalb  galt  das  Preußen 
vor  dem  November  1918  als  der  politisch  festgefügte  reaktionäre 
Block,  der  jede  Entwicklung  zu  einer  zeitgemäßen  Form  parlamen- 
tarisch verantwortlicher  Regierung  versperrte,  zumal  der  Mini- 
sterpräsident  Preußens   auch   der   Reichskanzler   in    einer   Person 

war!  . 

Wie  sehr  die  ausschlaggebende  Macht  Preußens  von  der  Sozialde- 
mokratisdien  Partei  erkannt  war,  davon  zeugten  die  Debatten  der 
führenden  sozialdemokratischen  Politiker  in  den  Zeitungen,  den 
Zeitschriften  der  Partei,  zeugten  auch  die  Debatten  auf  den 
Parteitagen,  die  Massendemonstrationen  zur  Beseitigung  dieses, 
jede  parlamentarische  Tätigkeit  hemmenden  Dreiklassenwahl- 
rechts. 

Zwei  Preußen-Parteitage  beschäftigten  sich  mit  der  Frage,  was 
zu  tun  möglich  und  zweckmäßig  wäre,  um  das  gleiche,  direkte,  all- 
gemeine und  geheime  Wahlrecht  in  Preußen  zu  erringen.  Auf  dem 
Preußen-Parteitag  der  Sozialdemokratie  Preußens  vom  3.  bis  5. 
Januar  1910  hielt  der  preußisdie  Landtagsabgeordnete  Dr.  Karl 
Liebknecht  ein  sehr  ausführliches,  mehrstündiges  Referat  über 
die  Wichtigkeit  und  Bedeutung  Preußens,  das  audi  heute  noch  — 
nach  fast  60  Jahren  —  aufschlußreich  ist.  In  diesem  Referat  führte 
Karl  Liebknecht  unter  anderem  aus: 

„Wir  müssen  den  Kampf  gegen  die  Bürokratie,  gegen  die  Verwal- 
tung als  einen  Machtkampf  verstehen  und  betraditen.  Die  Forde- 
rung der  Demokratisierung  darf  nicht  haltmachen  beim  Wahlredit, 
wir  müssen  sie  verallgemeinern.  Ein  demokratisches  Wahlredit 
ohne  Verbindung  mit  der  Demokratisierung  der  Verwaltung  wäre 
eine  Attrappe  ohne  Inhalt,  ja  eine  Tonne  für  den  Walfisch.  Das 
demokratisdie  Wahlrecht  ist  wirkungslos,  so  lange  draußen,  außer- 
halb des  Parlamentes  die  Machtverhältnisse  nicht  verschoben  sind. 
Ein  Parlament  wird  nie  und  nimmer  imstande  sein,  seinen  Willen 
in  ernsten  Angelegenheiten  durchzusetzen,  so  lange  die  Verwal- 


tung keine  demokratische  ist.  Deshalb  ist  der  Kampf  um  die  de- 
mokratische Verwaltung  das  Herz-  und  Hauptstüd^  des  Wahl- 
rechtskampfes um  ein  gerechtes  Wahlrecht  in  Preußen.  In  Preu- 
ßen wird  der  Wahlkampf  um  dieses  Wahlredit,  der  Kampf  um 
eine  Reform  der  Verwaltung  sehr  rasch  zu  einem  Kampf  um  die 
Staatsgewalt  werden,  der  auf  Biegen  oder  Brechen  geht.  Es  wäre 
gewiß  eine  Illusion  zu  glauben,  daß  man  die  preußische  Verwal- 
tung in  absehbarer  Zeit  in  unserem  Sinne  reformieren  könne  .  .  . 
Wir  wissen,  daß  der  Kampf  gegen  und  um  die  Verwaltung  der 
wichtigste  Teil  des  Kampfes  um  die  außerparlamentarische  Macht 
ist;  und  Sie  wissen,  daß  der  Kampf  um  die  außerparlamentarische 
Macht  das  wichtigste  Stück  des  Kampfes  um  eine  wirkliche  Demo- 
kratisierung unseres  Staatswesens  ist.  Sie  wissen,  daß  die  Errin- 
gung der  Demokratie  in  Preußen  die  Voraussetzung  ist  für  jeden 
ernsten  Fortschritt  im  Deutschen  Reich. 

Es  ist  nicht  wahr,  daß  in  Preußen  die  Souveränität  der  Fürsten, 
wohl  aber  ist  es  wahr,  daß  die  Souveränität  der  Verwaltung  stabi- 
lisiert ist  wie  ein  rocher  de  bronce!  .  .  ." 

Karl  Liebknecht  schloß  damals  seine  Ausführungen  mit  dem  Hin- 
weis, daß  es  nur  mit  dem  Fall  des  ehernen  Blod^es  der  Reaktion 
Preußen  möglich  sein  werde,  auch  Deutschland  für  die  Demokratie 
zu  erobern. 

Erst  der  Zusammenbruch  des  kaiserlidien  Deutschlands,  des  alten, 
reaktionären  Königreiches  Preußen  ließ  audi  das  Dreiklassen- 
wahlrecht verschwinden,  ließ  den  Freistaat  Preußen  entstehen, 
der  als  das  größte  Land  der  Weimarer  Republik  seit  dem  Novem- 
ber 1918  ein  Flort  demokratischen  und  politisdien  Lebens  ge- 
worden war.  Der  Freistaat  Preußen  umfaßte  zwei  Drittel  der  Be- 
völkerung und  des  Gebietes  des  Deutschlands  von  Weimar.  Preu- 
ßen war  auch  das  Band,  das  nach  1918  die  Teile  Deutschlands  zu- 
sammenhielt. In  diesem  Freistaat  Preußen  mit  dem  freien  Wahl- 
recht war  mit  einer  kurzen  Unterbrechung  im  Jahre  1921  seit 
dem  November  1918  die  Sozialdemokratische  Partei  führend  an 
der  Regierung  beteiligt.  Der  demokratische  Freistaat  Preußen  er- 
schien damals  allen,  die  Freiheit,  Einheit,  politische  und  soziale 
Gercditigkeit  erstrebten,  als  der  ruhende  Pol  in  der  Erscheinungen 
Flucht  —  im  rasdien  Wechsel  der  Regierungen  des  Reidies  wie 
auch  der  versdiiedenen  anderen  deutschen  Länder.  Seit  1920  war 
—  mit  der  Unterbrediung  von  sieben  Monaten  im  Jahre  1921  — 
Otto  Braun  Ministerpräsident  von  Preußen.  Mit  ihm  zusammen 
waren  die  Innenminister  Carl  Severing  und  Albert  Grzeslnski,  die 


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2;,-j. 


HANS  E.  HIRSCHFELD 


PREUSSENS  AlTSKLANG 


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Kultusminister  Carl  Becker  und  Adolf  Grimme,  der  Fmanzmmi- 
ster  Hermann  Hoepker-Aschoff,  der  Wohlfahrtsmmister  Hemrich 
Hirtsiefer  die  markantesten,  nach  außen  sichtbar  in  Erscheniung 
tretenden  Baumeister  eines  neuen,  eines  Volksstaates  Preußen. 
Es  wurde  aufgeräumt  mit  den  polizeistaatlichen  Begriffen  des 
Obrigkeitsstaates,  mit  dem  zum  Gehorsam  verpflichteten  Unter- 
tanenbegriff. In  Politik  —  wie  in  Schule,  Polizei  und  Verwaltung 
—  sollte  der  Staatsbürger  herangebildet,  in  bewußter  Verantwor- 
tung gegenüber  der  Gemeinschaft  geformt  werden.  Em  neues 
Preußen  war  im  Wachsen,  ein  Preußen,  in  dem  Staat  und  Verwal- 
tung, in  dem  vor  allem  auch  die  Polizei  unter  dem  Aufruf  an  die 
Staatsbürger  standen:  „Bitte,  treten  Sie  näher!"  Jeder  Denkende, 
politisch  Denkende  und  Handelnde  sollte  sich  in  diesem  Volksstaat 
Preußen  seiner  Verantwortung  am  staatlichen  Geschehen  bewußt 

werden.  .  .. 

So  schien  es  wenigstens  uns,  der  damals  jungen  Generation  die 
nach  dem  Zusammenbruch  der  Heere  des  kaiserlichen  Deutschlands 
aus  dem  Felde  in  die  Heimat  zurückkehrte.  Wir  ergaben  uns  mit 
Leidenschaft  der  Politik,  wir  fühlten  die  Berufung  und  die  Ver- 
pflichtung, ein  Haus  der  Menschlichkeit,  des  Friedens,  der  echten 
Demokratie  mit  errichten  zu  helfen.  Zu  der  Generation,  die  schon 
vor  1914  politisch  aktiv  tätig  war,  stießen  die  jungen  Menschen, 
die,  meist  erst  im  Kriegserlebnis  geweckt  und  gereift,  sich  der  Po- 
litik zuwandten.  Für  meine  Freunde  und  mich  war  die  Sozialde- 
mokratische Partei  —  die  Partei  der  sozialen  Demokratie  —  der 
Hauptpfeiler  dieser  neuen  sozialen,  demokratischen  Republik,  die 
wir  helfen  wollten  zu  festigen  und  auszubauen  zu  einem  tätigen 
Mitglied   der   friedlich   miteinander   wetteifernden   Familie   freier 

Völker. 

Berlin,  die  Hauptstadt  der  Republik  von  Weimar,  war  damals 
mehr  als  je  zuvor  die  geistige  und  politische  Zentrale  Deutsch- 
lands, eine  Weltstadt  zugleich,  in  der  ein  unerhörtes  Leben  pulste. 
Hier  schien  das  Wort  Ulrich  von  Huttens  Wahrheit  geworden: 
Es  ist  eine  Lust  zu  leben!  In  diesem  Berlin  wurde  ich  Ende  1921 
vom  Redaktionsstuhl  in  das  preußische  Innenministerium  berufen, 
von  Carl  Severing  —  dem  Innenminister,  von  Otto  Braun,  der 
mit  Hermann  Müller,  dem  damaligen  Vorsitzenden  der  Sozialde- 
mokratischen Partei,  mein  Widerstreben  gegen  ein  Eintreten  in 
die  „Bürokratie",  den  Staatsdienst,  überwand.  Ich  war  damals  fest 
entschlossen,  die  Tätigkeit  mit  Severing  im  Innenministerium  nur 
zu  einem  kurzen  Übergang  zu  machen.  Dieser  Übergang  dauerte 


fast  12  Jahre,  bis  zu  dem  Staatsstreich  der  von  Papen/Bracht,  der 
nicht  nur  das  Ende  Preußens,  sondern  auch  das  Ende  der  deut- 
schen Demokratie  einleitete,  nein,  eigentlich  schon  besiegelte! 
Schon  vorher  hatte  die  nationalsozialistische  Welle  die  Veste  Preu- 
ßen unterspült.  Fast  12  Jahre  hatte  der  Freistaat  Preußen,  unter 
des  Ministerpräsidenten  Otto  Braun  und  seiner  Minister  Leitung, 
in  Deutschland,  in  der  Welt  sogar  als  das  Beispiel  einer  vorbildlich 
arbeitenden  Landesregierung  und  Verwaltung  gegolten.  Eine  ge- 
ordnete und  fundierte  Finanzwirtschaft  ermöglichte  eine  systema- 
tische Wohnungsbauwirtschaft,  eine  landwirtschaftliche  Siedlungs- 
politik  großen   Ausmaßes.   Die   von   Otto   Braun    als   Landwirt- 
schaftsminister Preußens  schon  1919  begonnene  Politik  der  Schaf- 
fung neuer  Bauernstellen  wurde  auch  von  seinen  Nachfolgern  im 
Amte  des   Landwirtschaftsministers   während  seiner   Ministerprä- 
sidentenschaft fortgeführt.  Durch  planmäßige  Schaffung  von  Bau- 
erngütern und  Siedlungsstellen  wurde  so  in  jeder  Woche  ein  neues 
Dorf  geschaffen.  Eine  Leistung  im  stillen,  ohne  viel  Aufhebens,  die 
erst  spät  in  der  Dämmerung  der  Weimarer  Periode  von  dem  Guts- 
besitzer   und    Reichskommissar    für    die    Ostpreußenhilfe,    dem 
Reichstagsabgeordneten   Hans   Schlange-Schöningen,   als   einzigar- 
tig gewürdigt  wurde. 

Die  kommunale  Selbstverwaltung  wurde  gestärkt,  der  Staatsbür- 
ger  zur   Mitverantwortung   herangezogen.    In   den   Städten,   den 
Stadt-  und  Landkreisen  sollte  das  allgemeine,  geheime,  gleiche  und 
direkte  Wahlrecht  für  Männer  und  Frauen  die  Teilnahme  an  den 
kommunalen  Angelegenheiten  fördern.  Die  Landräte,  früher  von 
der   Staatsregierung   ohne   Befragung   der   Bevölkerung    ernannt, 
bedurften    nunmehr    der    Zustimmung    der    gewählten    Kreistage 
zur  Bestätigung  im  Amte.  Die  mehr  als  7000  ländlichen  Gutsbe- 
zirke vor  allem  in  den  östlichen  Provinzen  Preußens,  in  denen  der 
Gutsbesitzer  kraft  seiner  Eigenschaft  als  Gutsherr  die  Verwaltung 
ausübte,   sogar   Polizeirechte   besaß,   wurden    vom    Innenminister 
Grzesinski  als  Relikt  feudaler  Herrschaft  aufgelöst. 
Das   Schulwesen   wurde   neu   geordnet.   Der   erste   Kultusminister 
Preußens  nach  dem  November  1918  —  Konrad  Haenisch  —  suchte 
und  fand  die  Verbindung  zu  den  Lehrerverbänden,  berief  neue 
Männer  und  Frauen  an  Schulen  und  Universitäten.  Pläne  der  Schul- 
reformer wurden  mit  Staatsmitteln  gefördert,  in  die  Tat  umge- 
setzt. Die  „Akademie  der  Arbeit",  die  „Hochschule  für  Politik" 
in  Berlin  wurden  geschaffen,  die  neu  entstandene  Volkshochschul- 
bewegung tatkräftig  gefördert.  Die  geistliche  Sdiulaufsicht  wurde 


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HANS  E.  HIRSCHFELD 


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beseitigt,  der  Religionsunterricht  zum  Wahlfadi  erklärt.  Die  Schaf- 
fung der  Elternbeiräte,  der  Ausbau  der  kollegialen  Schulleitung 
in  den  höheren  Schulen,  die  Schaffung  des  Begabtenabiturs  wie 
der  Abendgymnasien  fielen  in  diese  ersten  Jahre  des  Freistaates 
Preußens. 

Konrad  Haenisch  berief  zum  Leiter  des  staatlidien  Schauspielhau- 
ses in  Berlin  den  der  modernen  Kunst  aufgeschlossenen  Regisseur 
Leopold  Jeßner,  mit  dem  eine  neue  Blüte  der  staatlichen  Theater 
in  Berlin  und  Preußen  einsetzte.  Die  Befreiung  der  staatlichen 
Kunstinstitute  von  verstaubten  Traditionen,  von  Fesseln  einen- 
gender enger  Moralanschauungcn  brachten  Bühnen,  Orchester 
und  Museen  des  Staates  zu  großen,  vorbildlidien  Leistungen. 
Jede  Zensur,  die  noch  im  Königlichen  Preußen  einengend  geübt 
war,  wurde  schon  im  November  1918  beseitigt.  Berlin  —  Reichs- 
hauptstadt und  Preußens  Hauptstadt  zugleidi  —  erwarb  sich  den 
Ruf  und  die  Geltung  einer  europäischen  Kunst-Metropole. 
Auch  in  dem  Freistaat  Preußen  wahrte  die  Beamtenschaft  ihren 
Ruf  als  integer  und  der  Sache  des  Staates,  des  Ganzen  hingegeben. 
Die  nadi  dem  Friedensvertrag  von  Versailles  im  republikanischen 
Preußen  aufgebaute  neue  Polizei  —  die  Schutzpolizei  —  war  im 
demokratischen  Geiste  erzogen,  als  Ganzes  besonders  in  der  Mann- 
schaft dem  Staat  von  Weimar,  der  Republik  ergeben,  ein  zuver- 
lässiges Organ  des  parlamentarisdi-dcmokratischen  Staates  und 
seiner  Minister.  Otto  Braun  und  die  preußische  Landesregierung 
waren  so  bis  zum  Jahre  1932  ein  Faktor  der  Stabilität  in  Deutsch- 
land. Die  Parteien  der  Weimarer  Koalition  —  die  Sozialdemo- 
kraten, das  Zentrum  und  die  Demokraten  —  hatten  bis  zu  den 
Wahlen  im  April  1932  eine  sidiere  Mehrheit  im  Landtag.  Diese 
Stabilität  und  Stärke  haben  Otto  Braun  und  seine  Kabinette  stets 
zur  Stütze  und  Stärkung  des  Reiches  genutzt,  niemals  die  häufig 
wechselnden  Regierungen  des  Reiches  als  einen  Vorwand  zu  Allein- 
gängen genommen.  Im  Gegenteil:  Otto  Braun  und  seine  Minister 
suchten  wieder  und  wieder,  die  Reichsgewalt  zu  stärken  —  unbe- 
schadet, welche  politischen  Parteien  in  den  Jahren  der  Weimarer 
Republik  an  den  wcdiselndcn  Regierungskoalitionen  des  Reidies 
beteiligt  waren.  Denn  im  Reiche  hatten  seit  1920  die  drei  Par- 
teien der  sogenannten  Weimarer  Koalition  —  die  in  Preußen  re- 
gierte —  niemals  mehr  die  Mehrheit. 

Aber  unbeirrt  von  den  wediselnden  Sdiattierungen  der  Reidis- 
kabinette  haben  Otto  Braun  und  seine  Kabincttskollegen  an  einer 
Neuordnung    des    Verhältnisses    Kc-idi-Preußon    gearbeitet.    Dabei 


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15 


PREUSSENS  AUSKLANG 


16 


15   Max  Licbcrmann,  Bildnis 

des  Prcuß.  Ministorpräsidenten 
Otto  Braun.  Nationalgalerie 


16   Abgeordnetenhaus  i.  J.  1925 


haben  sie  das  Interesse  der  Erhaltung  Preußens  bewußt  zurückge- 
stellt, die  Stärkung  der  Reichsgewalt,  die  Zusammenlegung  preu- 
ßischer und  Reichskompetenzen  nodi  unter  Brüning  als  Teillösung 
vorgeschlagen.  An  Versuchen,  zu  konstruktiven,  neuen  Formen 
im  Verhältnis  Preußen — Reidi  zu  kommen,  hat  es  von  Seiten 
des  Freistaates  Preußen  während  der  Ministerpräsidentensdiaft 
Otto  Brauns  nidit  gefehlt.  Nur  war  auf  der  Reichsseite  nie  der 
Partner  so  bereit  oder  fähig  zu  schnellen  Entschlüssen  oder  auch 
nur  Versuchen.  Selbst  Brüning,  dessen  Kanzlerschaft  zwei  Jahre 
dauerte,  der  die  Arbeiten  und  Vorschläge  aus  eigener  Mitwirkung 
kannte,  verschob  die  Inangriffnahme  wieder  und  wieder  wegen 
anderer  vordringlicher  Aufgaben. 

Wie  stark  Otto  Brauns  Wille  war,  das  Reich  zu  stärken,  bewies 
er  noch  am  Ende  des  Jahres  1932,  als  nach  dem  Sturz  von  Papens 
der  General  Kurt  von  Schleicher  Reichskanzler  war.  Otto  Braun 
suchte  von  Schleicher  von  der  drohenden  tödlichen  Gefahr  einer 
Schreckensherrschaft  der  Nationalsozialisten  zu  überzeugen.  Er 
mahnte  zur  Zusammenfassung  aller  Kräfte  und  bot  von  Schleicher 
an,  das  Amt  und  die  Befugnisse  des  preußischen  Ministerpräsiden- 
ten zu  übernehmen.  Er,  Otto  Braun,  war  bereit,  in  das  Kabinett 
von  Schleidier  einzutreten.  Er  wollte  so  deutlich  machen,  daß  die 
Kraft  und  die  Macht  Preußens  und  des  Reiches  zusammengefaßt 
jeden  Versuch  der  Gewalt  und  des  Terrors  zunichte  machen  wür- 
den, um  Demokratie  und  Freiheit  zu  retten.  Auch  dieser  Versuch 
Otto  Brauns,  das  von  ihm  erkannte  kommende  Unheil  abzuwen- 
den, blieb  vergeblich.  Von  Schleicher  vertraute  auf  sein  Glück, 
seine  Geschicklichkeit  —  und  das  Vertrauen  des  Reidispräsiden- 
ten  von  Hindenburgü 

Als  nun  die  große  Wirtschaftskrise  über  Deutsdiland  in  voller 
Schärfe  hereinbrach,  1929/30  das  politische  Gefüge  im  Reiche  ins 
Wanken  geriet,  wurde  natürlich  auch  Preußen  davon  betroffen. 
Die  Millionenzahl  der  Arbeitslosen  trieb  verzweifelte  Massen  in 
die  radikalen  Parteien  der  extremen  Rediten  wie  Linken.  Preu- 
ßens Regierung  unterstützte  das  Bemühen  des  Reichskanzlers  Brü- 
ning, gegen  den  Ansturm  der  Rechten  Außen-  und  Finanzpolitik 
fortzuführen.  Deshalb  richtete  sich  schon  seit  dem  Jahre  1929 
der  Kampf  der  vereinigten  Reaktion  —  Hugenbergs  und  all  sei- 
ner Freunde,  der  Vaterländisdien  Verbände  —  gegen  das  demokra- 
tische Preußen.  Denn  Polizei-  und  Justizhoheit  lagen  nach  der 
Verfassung  von  Weimar  bei  den  Ländern.  Das  demokratische  Preu- 
ßen war  der  große  Block,  der  allen  Machtplänen  Hugenbergs  und 


I 


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HANS  E.  HIRSCHFKLD 


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seiner  mit  Hitler  und  Stahlhelm  geschlossenen  Harzburger  Front 
—  nach  einer  Tagung  in  Bad  Harzburg  Oktober  1931  genannt  — 
im  Wege  war.  Auf  dieser  Harzburger  Tagung  hatten  sich  Hugen- 
berg  mit  Hitler,  Papen  und  Schacht,  durch  gemeinsamen  Haß 
gegen  die  Demokratie  zusammengetrieben,  zu  einer  societas  leo- 
nina  verbunden. 

Das  Jahr  1932  wurde  das  Schicksalsjahr  der  Republik  von  Weimar. 
Die  Amtsperiode  des  Reichspräsidenten  von  Hindenburg  lief  ab, 
Wahlen  zu  verschiedenen  Länderparlamenten  standen  an  —  auch 
die  Wahlen  zum  Preußischen  Landtag.  Die  durch  die  wirtschaft- 
liche Notlage  mehr  und  mehr  sich  verschärfende  politische  Mas- 
senabwanderung  in   die   Lager   der  extremen   Parteien   erheischte 
gebieterisch  gemeinsames  Planen  und  Handeln  aller  auf  dem  Bo- 
den der  Verfassung  stehenden  Parteien  und  Organisationen.   Ich 
lud  im  Einvernehmen  mit  Braun  und  Severing  Vertreter  der  de- 
mokratischen   Parteien,    der    demokratischen    Presse    und    verfas- 
sungstreuer Organisationen  zu  Besprechungen  ein,  um  ein  gemein- 
sames Handeln  zu  erzielen.  Es  sollte  versucht  werden,  Kräfte  und 
Mittel   zu   koordinieren   für   einen   gemeinsamen   Kandidaten   bei 
der    Reichspräsidentenwahl   und   bei   der   im   April    vorgesehenen 
Wahl  zum  Preußischen   Parlament.  Diese  Zusammenkünfte   fan- 
den   regelmäßig    wöchentlich    statt,    um    die    Zusammenarbeit    in 
Presse,  Propaganda,  Versammlungen  usw.  abzustimmen.  Hinden- 
burg  wurde   im   Februar  zur  Wiederwahl   von   den   verfassungs- 
treuen Parteien  aufgestellt  —  gegen  die  Kandidaten  Hitler,  Dü- 
sterberg (Stahlhelm)  und  Thälmann  (Kommunisten).  Die  Wahler- 
gebnisse  sind   bekannt,   es   gehört   nicht   hierher,   diese   Zahlen   zu 
wiederholen.  Nach  dem  ersten  Wahlgang  am  13.  März   1932,  der 
Hindenburg  49,6,  Hitler  30  und  Thälmann  13  Prozent  der  Stim- 
men  eintrug,   wurde   Hindenburg   im   zweiten   Wahlgang   am    10. 
April  1932  mit  53  Prozent  aller  gültigen  Stimmen  gewählt  —  ge- 
wählt von  den  verfassungstreuen  Wählern,  Parteien  und  C^rganisa- 
tionen  gegen  alle  Kräfte  der  Rediten  und  der  Kommunisten,  die 
auch   im  zweiten   Wahlgang  nidu  auf   ihren    Kandidaten   verzich- 
teten. Die  Mittel  zu  der  überparteiliclien    Propaganda  zur  Wahl 
des  Reichspräsidenten  wurden  auf  Betreiben  der  preiil^ischen  Mini- 
ster —  Braun,  Severing,  Hirtslefer,   Klepper  —   vom   Poli/eietat 
abgezweigt.  Dieses  Mittel  wurden  von  mir  verwaltet.  I'ln   Kt>niü 
auf  der  Preußischen  Seehandlung  —  der  Preußisdu-n  Staatsbank  — 
wurde  eingerichtet,  über  das  idi  verfügte  —  nidu  für  parteipoÜ- 
tisdie   Zwecke   und    Propaganda,    sondern    für    im    Sia.Usinteressc 


PREUSSENS  AUSKLANG 


liegende  Ziele  und  Zwecke,  auch  für  besondere  Maßnahmen  zur 
Aufrechterhaltung   der   Sicherheit   des    Staates   oder   des    Reiches. 
Zusagen   des  Reiches  vor  und  während  der  Wahlkampagne  zur 
Wiederwahl  des  Reichspräsidenten,  diese  Gelder  dem  Staate  Preu- 
ßen zurückzuerstatten,  sind  meines  Wissens  dann  später  auf  dem 
Verrechnungswege  nur  teilweise  erfüllt  worden. 
Nach  der  Wahl  Hindenburgs  zum  Reichspräsidenten  am  10.  April 
1932  erfolgten  am  24.  April   1932  die  Wahlen  zum  Preußisdien 
Landtag.  Trotz  der  Leistungen  der  preußischen  Regierung,  die  in 
Rede  und  Schrift  und  Film  den  Wählern  dargelegt  wurden,  erran- 
gen die  nationalsozialistische  und  die  kommunistische  Partei  zu- 
sammen die  Mehrheit  im  Abgeordnetenhaus.  Die  beiden  antipar- 
lamentarischen Flügel  (NSDAP  162  Sitze,  Kommunisten  57  Sitze) 
konnten  jede  Parlamentsarbeit  sabotieren  —  wärend  die  Parteien 
der  Weimarer  Koalition  zusammen  nur  162  Sitze  errangen  (SPD  93, 
Zentrum  67,  Staatspartei  2).  Dieses  Ergebnis  traf  Otto  Braun  und 
sein  Kabinett  tief  und  sd^imerzlich.  Sie  hatten  sich  an  die  Einsicht 
und  Vernunft  der  Wähler  gewandt  und  ein  besseres,  gerediteres 
Urteil  über  ihre  Arbeit  erhofft.   Ihr  Glaube  an   die  Demokratie 
war  empfindlich  getroffen  dadurdi,  daß  das  Volk  sie  verworfen 
hatte.  Diese  bittere  Enttäusduing  und  Erfahrung  lähmte  sie  für- 
dcr  in  künftigen  Entsddüssen  und  Entsdieidungen. 
So  besdiloß  das  preußisdie  Staatsministerium  in  seiner  ersten  Sit- 
zuni; nadi  den  Wahlen,  dem  Landtag  seinen  Rüdvtritt  zu  erklären. 
Nacii    Artikel    59    der    preußisdien    Verfassung    mußte    aber    eine 
zurüdvgetretcne  Regierung  bis  zur  Bildung  einer  neuen  Regierung 
die  Geschäfte  weiterführen.  Eine  Regierungsbildung  war  bei  den 
Mehrheitsverhältnissen  im  neuen  Landtag  nur  möglidi,  wenn  sich 
die  Parteien  der  extremen  Rediten  bis  einschließlidi  des  Zentrums 
zu    einer    Koalition    /usammengefunden    oder    die    Kommunisten 
sich  entschlossen  hätten,  eine  Politik  der  Weimarer  Koalition  zu 
unterstützen.  Dazu  aber  waren  die  Kommunisten  unter  dem  Dik- 
tat der  Moskauer  Zentrale  nidu  fähig  und  bereit,  wie  sehr  audi 
ein/eine   der   deutsdien    konmumistisdien    Abgeordneten    dazu    in 
klarer  l'rkenntnis  des  drohend  heranziehenden  Verhängnisses  neig- 
ten, l's  war  die  kommunistisdie  1  andtagsfraktion,  die  gemäß  der 
von   der  kommui\istisdien   Zentrale  erklärten   Linie   „Die  Sozial- 
demi>kratie   ist   der   Mauptfeind"    einen    Antrag   im   Landtag   ein- 
bradite,  dem  geschäftsführenden  Ministerium  das  Mißtrauen  aus- 
•/uspredien.  Dieser  Antrag  wurde  natürlich  mit  den  Stimmen  der 
im  Negativen  übereinstimmenden  Opposition  von  redus  und  links 


83 


84 


HANS  F-  HIRSCHFEI.D 


angenommen,  ohne  an   dem  bestehenden   Zustand   etwas   zu   än- 
dern. Das  Kabinett  war  ja  bereits  zurückgetreten  als  Konsequenz 
des  Wahlergebnisses,  mußte  gemäß  der  Verfassung  aber  weiter  die 
Geschäfte  führen  bis  zur  Ablösung  durch  ein  anderes  gewähltes 
Kabinett  —  das  schrieb  die  Verfassung  zwingend  vor. 
Aber  die  Führung  der  Geschäfte,  die  Stellung  der  Minister  und  ihr 
Einfluß   in   ihren   Bereichen   wurde   durch   diese   Zwischenstellung 
natürlich  nicht  erleichtert.  Hinzu  kam,  daß  Otto  Braun  ganz  un- 
mißverständlich dartat,  daß  er  sich  nach  diesem  Wahlergebnis,  das 
er  als  eine  schwere  persönliche  Enttäuschung  empfand,  von  Politik 
und  Amt  zurückziehen  wolle.  Otto  Brauns  Frau  war  schwer  krank, 
ihretwegen  hatte  er  seit  längerer  Zeit  den  Plan  gefaßt,   sich   Im 
Tcssin  ein  Refuglum  zu  schaffen.  Diesem  Gedanken  trat  er  jetzt 
näher,  befaßte  sich  mehr  mit  seinen  persönlichen  Angelegenheiten 
als  mit  den  Dienstgeschäften.  In  jenen  ersten  Wochen  und  Mona- 
ten  nach  den   von   ihm   als   pcrsönlldie  Niederlage  empfundenen 
Wahlen  Im  April  überließ  er  die  Führung  der  Gesdiäfte  dem  Mmi- 
ster  Heinrich  HIrtsIefcr  als  seinem  Stellvertreter. 
Audi   Heinrich   Brünings   Kabinett   war   In   seiner   Stellung   stark 
durdi  das  Ergebnis  der  Preußcnwahlen  getroffen.  In  der  Weima- 
rer Republik  lag  das  Fundament  und  das  Schwergew Idit  des  Ge- 
sdichcns  In  der  Exekutive  naturgemäß  in  Preußen,  das  durch  seine 
(jrößc   und   Ausdehnung   die   Klammer   von   Westen   nach   Osten 
darstellte.   Die   Wahl   Hindenburgs   zum   Reldispräsidenten   hatte 
das  Gcwidit  der  F-xekutIve   langsam   aber   allniählldi   mehr   und 
mehr   /um   Reich   verlagert.   Die   Notverordnungen   waren   dafür 
nur   ein    Beispiel,   ein    aus   dem    Zwange   der   X'erhältnlsse   heraus 
mehr  und  mehr  gebraudues  Mittel  des  Regierens.  Nadi  dem  Wahl- 
sieg über  Preulk'u  berannie  die  Reaktion  mit  bereitwillig  gewähr- 
ter Dniersiüt/ung  der  Nationalsozialisten  das  Kabinett   Brünlng. 
Nach    einer    tunuiltuosrn    Keidistagssit/ung    im    Mai,    In    der    der 
Innen-  untl  Keidiswehrniinisier  Groetier  wegen  der  gegen  SA  und 
SS  ergrillenen  Sdiritte  heftig  angegriffen  wurde,  trat  Groener  als 
Keidiswchrnntnster  /uriick.  Dann  wurde  der  Reidiskommlssar  für 
die  Osthilfe,  Sdilangc-Sdiöningen,  als  Angriffsziel  heftig  berannt. 
Seine  Siedlungsinaßnahmen  und  Neuordnungspiano  für  die  großen 
iaiulgiitrr    gingen    ilrn    Großagrariern    wjder    den    Stridi.    Der 
„  Agratbolsdicwist"  Schlange  Sdiöningeti  war  audil  lindenburg  ver- 
(ladmg,  der  die  C^sthilfc  als  eine  legitime  Stützung  und  Hilfe  für 
(hr  (»silichrn  ( .rnß,ij;t ,\iirr  betraditete.  Von  Papen  und  von  Sdilei- 
dur  .irhnfrtcn  an  I  Inntuli  Brünings  Sturz,  der  am  30.  Mai  1932 


PREUSSENS  AUSKLANG 


vom  Reichspräsidenten  ungnädig  endassen  wurde.  Nach  Brünlng 
kamen   Franz   von   Papen   als   Kanzler,   Kurt   von   Schleicher   als 
Reichswehrminister.  Der  Herrenclub  —  die  „Harzburger  Front" 
—  hatte  mit  Hilfe  der  Nationalsozialisten  die  erste  Etappe  des 
Weges  erreicht.  Nun  galt  es  als  nächsten  Schritt,  Preußen  zu  er- 
obern, die  „Reidisexekutlon"  gegen  Preußen,  unter  weldiem  Vor- 
wand auch  immer,  durchzuführen,  um  sich  mit  Reichswehr  und 
Polizei  gegen  jede  Gefahr  abzusichern.  Daß  dies  das  Konzept  der 
Herren  der  Harzburger  Front  war,  die  nur  mit  Hilfe  der  Reichs- 
wehr —  sprich  Herrn  von  Schleicher  —  an  die  Macht  gekommen 
waren,  das  war  nach  Brünings  Sturz  allen,  die  politisch  In  Berlin 
tätig  waren,  hören  und  beobachten  konnten,  unzweifelhaft. 
Es  handelte  sidi  nur  um  das  „Wann"  und  „Wie".  Die  Regierung 
Papen/Schlelcher  hatte  als  erste  Tat  den  Reichstag  aufgelöst  und 
Neuwahlen  auf  den  31.  Juli  1932  anberaumt.  Die  Aufhebung  des 
vor  wenigen  Monaten  erlassenen  Verbots  der  SA  und  SS  war  eme 
beschlossene,  den  Nationalsozialisten  versprochene  Sache.  Sie  wur- 
de gegen  alle  von  den  Ländern  und  ihren  Innenministern  erhobe- 
nen Bedenken  durchgeführt.  Auch  die  Aufhebung  des  generellen 
Verbots  von  Versammlungen  unter  freiem  Himmel  und  von  Um- 
zügen sowie  des  Uniformverbots  wurde  gegen  die  ernsten  Warnun- 
gen der  Länderinnenminister  verordnet.  Damit  wurde  dem  Terror 
im   Wahlkampf,   den   Straßenschladiten   der   gegnerischen   unifor- 
mierten „Sdiutztruppen"  Tür  und  Tor  geöffnet.  Ob  das  planmä- 
ßig einkalkuliert  worden  war,  um  mit  den  steigenden  Unruhen 
und  Zusammenstößen  ein  Eingreifen   der  Reldisreglerung   in   die 
Länderkompetenzen  —  vor  allem  Preußens  —  scheinbar  begrün- 
den  zu   können?   In   den   Kreisen   um   die   preußische   Regierung 
hielt  man  das  durchaus  für  möglich.  Bei  dieser  Sachlage  war  es 
vielleicht  nicht  falsdi,  daß  die  preußische  Regierung  bei  allen  ihren 
Maßnahmen  und  Anordnungen  geradezu  peinlich  darauf  bedacht 
war,   der   „feindlichen"   Reichsregierung   audi   nicht  den   Schatten 
eines  Vorwandes  zum  Eingreifen  zu  gewähren.  Die  „Eroberung" 
der  Maditstellung  Preußens  war  ja  nach  den  Plänen  und  Wünschen 
der  Herren  der  „Harzburger  Front"  der  widitige  zweite  Sdirltt 
nadi   der   gelungenen   Verdrängung  Brünings   aus   der  Gunst   des 
Reidispräsidenten  —  somit  aus  der  Stellung  des  Reichskanzlers. 
Die  Gerüchte  von  der  geplanten  Einsetzung  eines  Relchskommis- 
sars  In  Preußen  waren  so  alt  wie  die  Regierung  von  Papen/von 
Sdileidier  und  wollten  trotz  gelegentlldier  Leugnung  von   selten 
der   Reichsregierung   nldit   verschwinden.   Die   preußlsdie    Regie- 


85 


^irxS|v; 


86 


HANS  E.  HIRSCHFELD 


rung  erklärte  den  Gerüchten  und  Nachrichten  gegenüber,  die  na- 
türlich auch  in  der  Beamtenschaft  Unruhe  und  Unsicherheit  her- 
vorriefen, daß  die  verfassungsmäßige  Voraussetzung  für  eine  sol- 
che  Maßnahme   in   Preußen   fehle.   Ein   Reichskommissar   konnte 
nad:i  der  Meinung  der  preußischen  Regierung  nur  bei  einer  Ge- 
fährdung der  öffentlichen  Sicherheit  und  Ordnung  bestellt  wer- 
den. In  Preußen  war  diese  Sicherheit  nicht  mehr  und  nicht  minder 
gestört  als  in  den  anderen  deutschen  Ländern.  Die  Ministerprä- 
sidenten der  anderen  deutschen  Länder  —  vor  allem  der  süddeut- 
schen Länder  —  teilten  diesen  Standpunkt,  brachten  ihn  auch  bei 
Besprechungen  mit  der  Reichsregierung  —  wie  beim  Reichspräsi- 
denten zum  Ausdruck.  In  vertraulichen  Besprechungen  mit  dem 
bayerischen  Ministerpräsidenten  Held  und  dem  Minister  Stützel 
erklärten  diese  als  ihre  feste  Überzeugung,  daß  ein  Vorgehen  ge- 
gen Preußen  von  allen  verfassungstreuen  Ländern  und  deren  Re- 
gierungen als  ein  schwerer  Angriff  gegen  die  Länder  selbst  ange- 
sehen werden  würde,  daß  sie  alle  zur  Verfügung  stehenden  Mittel 
und  Wege  nutzen  würden,  um  der  preußischen  Regierung  beizu- 
stehen. Jeder  Widerstand  müßte  aber  auf  der  Grundlage  der  Ge- 
setze im  Rahmen  der  Möglichkeiten  der  Verfassung  bleiben.  Ge- 
legentlich einer  solchen   Ministerpräsidentenkonferenz   fanden   im 
kleineren   Kreis   vertrauliche   Lagebesprechungen   statt.   Bei   einer 
solchen  wurde  unter  anderem  vom  hessischen  Innenminister  Leusch- 
ner  die  Frage  eines  Widerstandes  mit  den  Kräften  der  Polizei  ge- 
gen ein  solches  Vorgehen  der  Reichsregierung  aufgeworfen.  Natür- 
lich könne  ein  solcher  bewaffneter  Widerstand  nur  geleistet  wer- 
den, wenn  er  gleichzeitig  von  den  Massen  der  organisierten  demo- 
kratischen  Parteien,    den    Sozialdemokraten,    dem   Zentrum,   den 
Gewerkschaften,  dem  Reichsbanner,  kurz,  der  Eisernen  Front,  un- 
terstützt werden  würde.  Carl  Scvering  bezweifelte  die  Erfolgsaus- 
sicht eines  solchen  Versudis,  dessen  einziges  Ergebnis  sein  würde, 
daß  Tausende  von  Arbeitern  und  Polizeibeamten  ohne  jeden  Nut- 
zen in  den  Straßen  verbluten  würden.  Widerstand  ja,  aber  nur  auf 
der  Rechtsgrundlage  der  Verfassung,  sonst  würde  man  sich  selbst 
ins  Unrecht  setzen!  In  diesem  Kreise  ging  die  Diskussion  über  die 
Möglichkeiten  hin  und  her,  wobei  das  Wort  Lassalles  „Verfassungs- 
fragen sind  Maditfragen"   als  bitteres  Argument  gegen  Severing 
eingeworfen  wurde. 

Auch  die  Frage  nach  der  Möglichkeit  einer  Fühlungnahme  mit 
den  Kommunisten  wurde  gestellt,  ohne  daß  eingehend  darüber 
gesprodien  wurde.  Carl  Severing  war  jedem,  auch  dem  behutsam- 


PREUSSENS  AUSKLANG 


sten   Versuch   einer   solchen   Richtung   gegenüber   entschieden,   ja, 
schroff   ablehnend    eingestellt.    Auch    Anregungen    ähnlicher   Art, 
die  gesprächsweise  der  Staatssekretär  Dr.  Wilhelm  Abegg  anzu- 
deuten versuchte,  hat  Carl  Severing  kurz  und  bündig  als  welt- 
fremd und  utopisch  zurückgewiesen,  sie  sich  verbeten.  Trotzdem 
sind   solche   Fühler  und   Erkundigungen   von   verschiedener   Seite 
unternommen  worden.  Dr.  Abegg  hatte  bei  verschiedenen  Gele- 
genheiten früher  mit  Abgeordneten  der  Kommunistischen  Partei 
zu  verhandeln  gehabt.  Eine  solche  Besprechung  benutzte  er,  um 
mit  den  Abgeordneten  Torgier  und  Kasper  auf  die  allen  drohende 
Gefahr    einer    nationalsozialistischen    Schreckensherrschaft    hinzu- 
weisen.  Dr.   Abegg  wollte  herausfinden   —   so   seine   mir   später 
in  der  Schweiz  1933  gegebene  Darstellung  — ,  ob  es  nicht  mög- 
lich sein  würde,  die  Kommunisten  in  eine  Einheitsfront  gegen  die 
Nationalsozialisten    einzugliedern.    Er    dachte    zumindest    an    die 
Möglichkeit,  daß  die  Kommunisten  im  preußischen  Landtage  die 
geschäftsführende  Regierung  „tolerieren"  könnten. 
Auch  von  anderer  Seite  ist  eine  solche  „Verständigung"  zumindest 
als  theoretisch  möglich   erörtert  worden.  Seit  Jahren  trafen   sich 
einige   sozialdemokratische   Reichs-   und   Landtagsabgeordnete    in 
mehr  oder  weniger  unregelmäßigen  Abständen  zu  zwanglosen  Ge- 
sprächen und  Meinungsaustausch  in  einem  Cafe-Restaurant  Un- 
ter den  Linden/Ecke   Friedrichstraße.   Dorthin   kam   häufig   auch 
der  kommunistische  Reichstagsabgeordnete  Willi  Münzenberg,  ein 
Mann  mit  eigenen  Ideen  und  großen  Gaben,  der  keineswegs  immer 
die  ausgetretenen  Pfade  der  von  den  jeweiligen   Parteizentralen 
befohlenen  Politik  beging.  Willi  Münzenberg  hatte  mit  sicherem 
Instinkt  für  Propaganda  und  Anziehungskraft  die  „Internationale 
Arbeiter-Hilfe"  in  Europa  aufgebaut,  eine  Organisation,  der  sehr 
viele  Nicht-Kommunisten   aus   anderen  politischen   Lagern   ange- 
hörten, ihr  zumindest  tatkräftige  Hilfe  angedeihen   ließen.   Zei- 
tungen,   Buchverlage,    unabhängig    von    dem    Parteiapparat    der 
Kommunisten,  hatte  er  geschaffen  —  „Die  Welt  am  Abend",  eine 
vielgelesene  Abendzeitung  in  Berlin,  war  sein  Werk,  eine  Zeitung, 
die  nicht  sofort  als  linientreu  zu  erkennen  war.  Willi  Münzenberg 
hatte  auch  die  „Arbeiter-Illustrierte"  ins  Leben  gerufen,  an  der 
zum  Beispiel  Frau  Katharina  von  Oheimb,  Abgeordnete  der  Deut- 
schen Volkspartei,  redaktionell  tätig  war.  Künstler  aller  Sparten, 
Intellektuelle  und  Wissenschaftlicher,  die  nicht  Kommunisten  wa- 
ren, waren  in  vielen  der  von  ihm  geschaffenen  Organisationen  und 
Ausschüssen  tätig. 


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-,  -i  W-    n" 


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HANS  E.  HIRSCHFELD 


Willi  Münzenberg  und  meine  Freunde  Dr.  Carl  Mierendorff  und 
Emil   Kirschmann,   beide   sozialdemokratische   Reichstagsabgeord- 
nete, kannten  sich  natürlidi  aus  ihrer  gemeinsamen  Tätigkeit  im 
Parlament.  Bei  einem  jener  oben  erwähnten  zufälligen  Treffen  in 
diesem  Cafe  in  den  Wodien  nach  den  Wahlen  zum  preußischen 
Landtag  im  April  1932  kam  es  zu  Gesprächen,  zu  Erörterungen 
der   drohenden    politischen   Gefahren   durch   das   Anwachsen   der 
nationalsozialistischen  Gefahr.  Dabei  brachte  Münzenberg  schein- 
bar spielerisch,   nebensächlich   die  hypothetische   Möglichkeit   auf, 
daß  die  zusammengefaßte  Kraft  der  Arbeiterparteien  stark  genug 
sein  würde,  die  „bürgerlidie"  Republik  zu  retten.  Beim  näheren 
Eingehen  auf  diese  Hypothese  wich  Münzenberg  aus,  hörte  sich 
aber  die  Erörterung  der  Lage  in  Preußen   nachdenklich   an.  Es 
kam  zu  einigen  weiteren  Treffen  der  Partner  dieses  unverbind- 
lichen Gespräches,  wobei  Münzenberg  deutlidi  erkennen  ließ,  daß 
er  sidi  zumindest  für  einen  Waffenstillstand  der  Kommunisten 
gegenüber  der  preußischen  Regierung  „interessieren"  würde.  Doch 
im  Monat  Juni,  während  des  Wahlkampfes  zum  Reichstag,  ließ  er 
wissen,  daß  seine  Erwägungen  kein  Edio  bei  seinen  Instanzen  ge- 
funden hätten.  „Moskau  war  der  Überzeugung",  so  Münzenberg, 
„daß  die  Erben  der  sehr  schnell  Bankrott  madienden  Nationalso- 
zialisten  allein   die   Kommunisten   sein   würden."    Und   Moskaus 
Meinung  war  bindende  Riditsdinur  für  die  Zentrale  der  deutschen 
Kommunisten  und  ihr  politisches  Handeln. 

Das  Gespräch,  das  Staatssekretär  Dr.  Wilhelm  Abegg  mit  kommu- 
nistischen Abgeordneten  geführt  hatte,  blieb  durdi  seine  eigene 
Vertrauensseligkeit   nicht   geheim.   Ein    Regierungsrat   Dr.   Diels, 
der  durch  Abegg  ins  Ministerium  berufen  worden  war  und  sich 
als  überzeugter,  eifriger  Demokrat  ausgab,  war  nicht  nur  Zeuge 
der  Unterhaltung  gewesen,  er  war  wohl   auch   schon   vorher  als 
Vermittler  zwischen  seinem  Staatssekretär  und  den  kommunisti- 
sdien  Abgeordneten  tätig.  Denn  Abegg  vertraute  ihm  als  einem 
ihm  besonders  ergebenen  Mann,  der  ihm  in  seinen  Gedankengän- 
gen nahestand,  ihn  auch  zum  Handeln  drängte.  Diese  Unterredung 
nun  berichtete  Diels  nidit  nur  vcrfälsdit  einigen  Ministerialräten 
im  Ministerium,  die  politische  Polizei  und  Verfassungsfragen  als 
ihre  Sachgebiete  zu  bearbeiten  hatten,  er  ließ  es  zumindest  zu  —- 
wenn  er  es  nicht  selbst  tat  — ,  daß  diese   „Verhandlungen"   mit 
Kommunisten  an  von  Papcn  berichtet  wurden.  Daß  Diels  damit 
seinen   Beamteneid,   der   ihn   zur   Verschwiegenheit   verpfliditete, 
brach,  war  beinahe  noch  geringer  zu  bewerten  als  die  gemeine 


PREUSSENS  AUSKLANG 


Hintergehung  seines  ihm  vertrauenden  Vorgesetzten  Abegg,  der 
ihn  stets  gefördert  hatte.  Wilhelm  Abegg  hatte  mir  selbst  Diels 
nadi  dessen  Einberufung  ins  Ministerium  zugeführt  —  „als  einen 
völlig   zuverlässigen   Mann".   Er   rühmte   ihn   mir  gegenüber   als 
einen  begabten  Beamten,  dessen  Hingabe  an  den  demokratischen 
Staat    innerster   Überzeugung   entspränge.    Idi   habe   Diels   dann 
während  der  gemeinsamen  Zeit  im  Ministerium  öfter  gesehen  und 
gesprochen.  Er  wurde  Mitglied  im  „Liberalen  Klub",  führte  über- 
all das  Wort  als  Anhänger  der  Republik  von  Weimar  und  konnte 
sich  nicht  genug  tun   im  Herausstellen  seines  Bekenntnisses  zur 
Linken.  Er  versudite  nidit  nur  bei  mir,  sondern  auch  bei  anderen 
Beamten  des  Ministeriums,  politisdie  Bekenntnisse  und  Kritik  an 
der  „viel  zu  schlappen  Politik"  der  preußischen  Staatsregierung 
gegenüber  den   „Vernunftsrepublikanern"   in   der  Beamtenschaft, 
in  der  Personalpolitik  vorzubringen.  Das  alles  geschah  zu  einer 
Zeit,  wo  Diels  sich  mit  einigen  anderen  hohen  Beamten  zweifellos 
schon  im  geheimen  Einverständnis  mit  Kreisen  um  den  „Herren- 
klub", zu  dem  Herr  von  Papen  gehörte,  befand.  Zugleich  ver- 
suchte er  im  Ministerium  laut  scharfzumachen  gegen  die  „verbre- 
cherischen" Nationalsozialisten,  während  er  insgeheim  schon  mit 
Göring  Verbindung  suchte  und   fand.   Auch   das   Verhalten   von 
Diels  und  anderer  Beamten  des  Ministeriums,  die  sich  in  den  Jah- 
ren der  demokratischen  Staatsregierungen  in  Preußen  in  Loyali- 
tätsbeteuerungen  nur  so   überschlugen,   waren   Zeichen   des   Ver- 
falls, des  nahenden  Untergangs  Preußens. 

Der  Wahlkampf  zum  Reichstag  nahm  1932  im  Juni/Juli  immer 
schärfere,  unheilvolle  Formen  an.  Die  nachsichtige,  bevorzugte 
Behandlung  der  Nationalsozialisten  durch  die  Reichsregierung 
Papen-Schleidier  trug  unheilvolle,  blutige  Früchte.  Täglich  kam  es 
zu  Gewalttaten;  jede  Demonstration,  jede  Kundgebung  forderte 
Opfer.  Alle  Bemühungen,  die  Leidenschaften  zu  dämpfen,  politi- 
sche Auseinandersetzungen  nicht  mit  Gewalttaten,  mit  Messer  und 
Revolver  auszutragen,  die  die  Länder  als  Hoheitsträger  der  Polizei 
unternahmen,  scheiterten,  mußten  sdieitern.  Denn  die  Reichsre- 
gierung bevorzugte  ganz  eindeutig  Stahlhelm  und  Nationalsozia- 
listen, die  nunmehr  freie  Bahn  zu  haben  glaubten  —  und  audi 
hatten.  In  Preußen  war  die  Polizei  noch  fest  in  der  Hand  der 
preußisdien  Regierung.  Aber  in  den  höheren  Polizeichargen,  bei 
den  Polizeioffizieren,  machte  sich  genau  wie  in  der  höheren  Be- 
amtenschi^ft,  schon  hier  und  da  ein  Zögern,  ein  Hinneigen  zur 


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HANS  E.  HIRSCHFELD 


Rechten  bemerkbar,  die  sidi  da  so  siegesgewiß  als  die  „Kommen- 
den" aufführte. 

Es  kam  zum  blutigen  Sonntag  in  Altona  am  17.  Juli  1932,  wo 
den  Nationalsozialisten  vom  Polizeipräsidenten  ein  Demonstra- 
tionszug genehmigt  worden  war.  Die  Kommunisten  verlangten 
das  Verbot  dieser  „Provokation  der  arbeitenden  Bevölkerung" 
und  drohten  mit  Vergeltungsmaßnahmen  für  den  Fall  des  Statt- 
findens.  Am  17.  Juli  marschierten  die  Nationalsozialisten  zu  meh- 
reren Tausend  in  ihren  Uniformen  durch  die  Arbeiterviertel  Al- 
tonas.  Es  fielen  Schüsse,  die  Polizei  griff  ein  —  es  kam  zu  bluti- 
gen Auseinandersetzungen.  Das  Ergebnis  des  Blutsonntags  waren 
17  Tote  und  Hunderte  von  Verletzten! 

Noch  in  der  Nacht  des  Sonntags  (17.  Juli  1932)  zum  Montag 
wurde  ich  aus  der  Umgebung  des  Reichskanzlers  mit  dem  Hin- 
weis angerufen:  Jetzt  kommt  der  Reichskommissar.  Ich  benach- 
richtigte Carl  Severing,  der  sich  in  Kiel  zu  einer  Wahlversammlung 
aufhielt.  Severing  kehrte  am  Montag,  dem  18.  Juli,  über  Altona 
nach  Berlin  zurück.  Ich  holte  ihn  ab  und  gab  ihm  die  mir  bekannt 
gewordenen  Informationen  weiter.  Den  Vorstand  der  Sozialde- 
mokratischen Partei  hatte  ich  bereits  unterrichtet,  ebenso  den 
Berliner  Polizeipräsidenten  Albert  Grzesinski.  Die  Frage,  die  in 
allen  Gremien  —  Ministerium,  Partei,  Gewerkschaften,  Reichs- 
banner —  aber  auch  in  der  Beamtenschaft  erörtert  wurde,  war: 
Was  tun?  Hinnehmen?  Protestieren?  Sich  zur  Wehr  setzen  mit 
allen  Mitteln?  Die  Entscheidung,  die  schon  am  Montag,  dem 
18.  Juli  1932,  gefällt  wurde  —  ehe  es  zur  Einsetzung  des  Reichskom- 
missars kam  — ,  lautete:  Keinen  bewaffneten  Widerstand,  die 
Rechtsgrundlage  —  die  Verfassung  dürfe  nicht  verlassen  und  ver- 
letzt werden.  In  den  Ministerien  war  es  spürbar,  wie  die  Dienst- 
und Pflichtauffassung  sich  wandelte.  Dasselbe  bei  den  Beamten 
der  nachgeordneten  Behörden  im  Lande.  Man  fühlte,  man  wußte: 
die  Stunden  der  Regierung,  der  demokratischen  Regierung  Otto 
Braun  —  dieses  Kabinetts  —  waren  gezählt. 

So  kam  es,  wie  es  kommen  mußte  —  Tag  und  Stunde,  die  Bege- 
benheiten, die  Folge  der  Ereignisse  sind  bekannt.  Der  Vormittag 
des  20.  Juli  1932  —  10.00  Uhr  —  setzte  das  Beginnen  in  Bewe- 
gung, das  das  Ende  Preußens  bedeutete.  Den  zu  einer  Besprechung 
geladenen  preußisdien  Ministern  Hirtsiefer,  Severing  und  Klep- 
per eröffnete  der  Reichskanzler  von  Papen  in  Gegenwart  des 
Reichsinnenministers  Freiherr  von  Gayl,  daß  sich  der  Reichspräsi- 
dent auf  Vorschlag  der  Reichsregierung  auf  Grund  der  Absätze 


PREUSSENS  AUSKLANG 


1  und  2  des  Artikels  48  der  Reichsverfassung  entschlossen  habe, 
durch  eine  Verordnung  den  Reichskanzler  zum  Reichskommissar 
für  das  Land  Preußen  zu  bestellen.  Er,  der  Reichskanzler  von  Pa- 
pen, enthebe  auf  Grund  dieser  ihm  verliehenen  Vollmacht  den 
preußischen  Ministerpräsidenten  Braun  und  den  preußischen  Mi- 
nister des  Innern  Severing  ihrer  Ämter.  Er  betraue  mit  der  Füh- 
rung des  Innenministeriums  den  Oberbürgermeister  von  Essen, 
Bracht.  .  .  . 

Die  preußischen  Minister  verwahrten  sich  gegen  Inhalt  und  Form 
dieser  Mitteilung,  lehnten  weitere  Verhandlungen  ab  —  und  ver- 
ließen die  Reichskanzlei. 

Das  Ende  Preußens  hatte  begonnen,  nein,  es  war  bereits  gekom- 
men .  .  .!  Alles  andere,  was  folgte,  war  nur  ein  Satyrspiel.  Belage- 
rungszustand für  Berlin  und  die  Provinz  Brandenburg  wurde  un- 
mittelbar nach  dieser  Besprechung  verhängt  —  der  General  von 
Rundstedt  wurde  dadurch  der  Inhaber  der  vollziehenden  Gewalt, 
dem  damit  auch  die  Polizei  unterstellt  war.  Konferenzen  über 
Konferenzen  folgten  im  Ministerium  des  Innern,  die  Staatsmini- 
ster berieten  über  zu  ergreifende  Schritte,  Vertreter  des  Sozial- 
demokratischen Parteivorstandes,  des  Allgemeinen  Deutschen  Ge- 
werkschaftsbundes —  all  das  erschien  als  ein  emsiges  Erwägen 
der  vorhandenen  Möglichkeiten  und  Wege  —  wobei  doch  längst 
feststand:  „Bewaffneter  Widerstand  wird,  kann  nicht  geleistet 
werden".  Nur  der  legale  Weg,  das  Anrufen  des  Staatsgerichtsho- 
fes —  4.  Senat  des  Reichsgerichts  in  Leipzig  —  sollte  eingeschla- 
gen werden.  Ich  höre  noch  die  verschiedenen  Stimmen  der  Mitglie- 
der der  Reichstagsfraktion  der  Sozialdemokraten,  die  mit  Ernst 
und  Nachdruck  vor  jeder  nicht  der  Verfassung  und  den  Gesetzen 
entsprechenden  Maßnahme  warnten:  „Sie  —  damit  waren  von 
Papen/von  Schleicher  und  ihre  politischen  Hintermänner  gemeint 
—  wollen  uns  provozieren!  Sie  erhoffen  sich,  einen  Vorwand  zu 
finden,  um  die  Reichstagswahlen  vom  31.  Juli  auf  den  St.  Nim- 
merleinstag zu  vertagen  —  wegen  innerer  Unruhen,  Bürger- 
kriegszustände etc.  Dann  hätten  sie  freien  Weg,  sidi  mit  Not- 
verordnungen am  Ruder  zu  erhalten,  wären  des  unbequemen  Par- 
laments ledig  —  somit  wäre  die  Demokratie  beseitigt."  Otto  Wels 
und  Rudolf  Breitscheid  vertraten  mit  großer  Beredtsamkeit  diese 
Ansichten,  die  ja  denen  Carl  Severings  voll  entsprachen.  „Man 
darf  sich  das  Gesetz  des  Handelns  nicht  vom  Gegner  vorschreiben 
lassen!"  So  Peter  Grassmann,  Vorsitzender  des  Allgemeinen  Deut- 
schen Gewerkschaftsbundes,  für  den  damals  erkrankten  Theodor 


91 


v^ 


92 


HANS  E.  HIRSCHFELD 


Leipart.  Ein  Generalstreik  sei  bei  über  sechs  Millionen  Arbeits- 
losen eine  gefährliche  Illusion,  ein  Aufruf  dazu  unmöglich.  Die 
kommunistische  Presse  zeigte  in  der  ersten  Reaktion  auf  den 
Staatsstreich  von  Papens/von  Sdileichers  nichts  als  Genugtuung 
darüber,  daß  das  „verhaßte,  sozial-faschistische  Preußenregime 
Braun-Severing"  eine  schwere  Abfuhr  erlitten  hatte.  Nach  wie 
vor  waren  damals  für  die  Kommunisten  die  „roten  Bonzen"  der 
Hauptfeind,  den  es  zu  schlagen,  zu  vernichten  galt. 
So  rollten  die  Dinge  am  20.  Juli  1932  wie  auf  einer  Bühne  ab! 
Carl  Severing  erklärte  Herrn  Bradit,  Reichskommissar  für  das 
preußische  Innenministerium,  er  dädite  nicht  an  eine  „ordnungs- 
gemäße Übergabe"  der  Geschäfte,  er  würde  nur  der  Gewalt  wei- 
chen! Die  Gewalt  erschien  am  Abend  des  20.  Juli  1932  um  20  Uhr 
im  Amtszimmer  Carl  Severings  in  Gestalt  des  nunmehr  in  Berlin 
anstelle  von  Albert  Grzesinski  eingesetzten  Polizeipräsidenten 
Melcher  (früher  Essen)  mit  zwei  Polizeioffizieren,  die  ihrem  bis- 
herigen Chef  die  weitere  Amtsausübung  verboten.  Darauf  verließ 
der  nunmehr  „suspendierte"  Staatsminister  Severing  sein  Amts- 
zimmer. Als  einer  der  ersten  Beamten  des  preußischen  Mini- 
steriums des  Innern  erhielt  idi  von  Herrn  Bracht  einen  „Ab- 
schiedsbrief" auf  Amtsbogen: 


Der  Preußisdie  Minister  des  Innern 
H.  B.  Raete  225 

An  Herrn  Ministerialrat  Dr.  Hirsdifeld 
Preußisches  Ministerium  des  Innern    . 


Berlin,  den  20.  Juli  1932 


Hiermit  beurlaube  ich  Sie  bis  auf  weiteres  und  ersuche  Sie,  Herr 
Ministerialrat,  von  der  weiteren  Ausübung  Ihrer  Amtsgeschäfte 
abzusehen.  Ich  darf  wohl  erwarten,  daß  Sie  meiner  Weisung  ent- 
sprechen und  mich  der  Notwendigkeit  eines  Zwanges  entheben. 
Ihrer  alsbaldigen  Äußerung  sehe  ich  entgegen. 

Mit  der  Wahrnehmung  der  Geschäfte  beauftragt: 

Bracht 

(eigenhändige  Unterschrift) 

Nach  der  Entfernung  Severings  aus  seinem  Amtszimmer  saß  ich 
lange  mit  ihm  in  seiner  Wohnung  zusammen.  Immer  wieder  be- 
tonte er  auf  meine  Zweifel,  ob  das  Verhalten  richtig  gewesen  wä- 


PREUSSENS  AUSKLANG 


re:  Es  wäre  sinnlos  und  aussichtslos  gewesen,  zum  Volksaufstand, 
zum  bewaffneten  Widerstand  auch  die  Polizei  aufzurufen.  Gegen 
die  mit  schweren  Waffen  ausgerüstete  Reidiswehr,  die  zweifellos 
zu  ihrer  Unterstützung  die  uniformierten  Nazi-Verbände  und 
den  Stahlhelm  herangezogen  hätte,  wäre  jeder  Versuch  des  Wider- 
standes in  einem  Meer  von  Blut  erstickt  worden.  Er  blieb  dabei, 
daß  nur  die  Ausschöpfung  aller  Rechtsmittel  dazu  beitragen  wür- 
de, das  Regime  des  Unrechts  zu  entlarven.  Die  eigentliche  Schlacht 
sei  am  24.  April  1932  —  Wahlen  in  Preußen  —  geschlagen  wor- 
den und  von  der  Republik  verloren. 

Diese  Auffassung  konnte  ich  in  ihrer  Folgerichtigkeit  nicht  bestrei- 
ten, ihr  nur  entgegenhalten,  daß  Taten  und  Handeln  auch  auslö- 
send und  befreiend  wirken,  Beispiele  setzen.  Geschehen  veranlas- 
sen könnten,  die  nicht  im  voraus  zu  berechnen  seien.  Selbst  ver- 
lorene Schlachten  könnten  im  Kampf  um  Freiheit  und  Recht  be- 
weisen, daß  man  in  großen  Dingen  mit  allen  Kräften  gewollt 
hatte!  Nun  aber  sei  Preußen  verloren! 

Was  nach  dem  20.  Juli  1932  weiter  geschah,  beinahe  zwangsläufig 
abrollte,  gehört  der  Zeitgeschichte  an.  Die  rechtmäßige,  aber  nicht 
amtierende  preußisdie  Regierung,  das  preußische  Staatsministe- 
rium, strengte  den  Prozeß  gegen  von  Papen  an,  der  dann  im  Ok- 
tober stattfand,  wobei  sich  Bayern  und  Baden  den  Anträgen  Preu- 
ßens angeschlossen  hatten.  Eine  große  Zahl  hervorragender  Staats- 
rechtsprofessoren, staatsrechtlich  geschulte  hohe  Beamte  vertraten 
die  Sache  der  Länder  gegen  das  Reich.  Die  damals  in  den  zwei 
Wochen  dauernden  Verhandlungen  vorgelegten  Schriftsätze  und 
Ausführungen  waren  zweifellos  staatsrechtlich  hervorragend  und 
sind  wohl  auch  heute  noch  eine  geeignete  wissenschaftliche  Lek- 
türe. Die  Entscheidung  des  Staatsgerichtshofes  war  salomonisch: 
die  Verordnung  des  Reichspräsidenten  vom  20.  Juli  1932  wurde 
als  mit  der  Reichsverfassung  für  vereinbar  erklärt  —  einerseits, 
sprach  andererseits  dem  preußischen  Staatsministerium  noch  Rech- 
te zu  —  Vertretung  Preußens  im  Reichsrat,  im  Reichstag,  im 
Landtag  oder  anderen  Ländern  gegenüber. 

Es  blieb,  wie  vorauszusehen  war,  alles  beim  alten.  Denn  die  Staats- 
streich-Reichsregierung dachte  nicht  daran,  von  den  eroberten 
Machtpositionen  etwas  aufzugeben.  In  dem  politischen  Macht- 
kampf gab  es  keine  rechtlichen  Zwirnsfäden  oder  Fallstricke,  die 
von  Papen  und  seine  Kommissare  beirren  konnten. 
Der  Schlußpunkt  hinter  der  Weimarer  Zeit  in  Preußen  war  am 
24.  April  1932  gesetzt,  dem  wenig  mehr  als  einen  Monat  später 


93 


•\X1 


94 


HANS  E.  HIRSCHFELD 


der  Sturz  Brünings  durch  von  Papen/von  Schleicher  folgte.  Die 
ultrakonservative  Reaktion  Hugenbergscher  Observanz  im  Bunde 
mit  den  Nationalsozialisten  —  offen  bekundet  in  der  Harzburger 
Front  —  führte  zum  Staatsstreich  vom  20.  Juli  1932. 
Das  Ende  Preußens  war  gekommen,  als  die  Parteien  des  Rechts, 
der  Freiheit  und  der  Demokratie  von  ihren  Anhängern  verlassen 
wurden  und  der  hemmungslosen  Demagogie,  der  Lüge  und  der 
Verleumdung  zum  Opfer  fielen.  Die  Wirtschaftskrise  mit  ihren 
sechs  bis  sieben  Millionen  Arbeitslosen  trieb  verzweifelnde  Massen 
in  die  Lager  der  Extreme,  die  allen  alles  versprachen.  So  war  die 
Arbeitersdiaft,  die  1918  die  bürgerliche  Republik  geschaffen  hatte, 
gegenüber  den  Angriffen  der  zusammengeballten  Reaktion  ge- 
schwächt und  resigniert. 

Schon  vor  1930  hatte  das  deutsche  Bürgertum  die  Republik  be- 
stenfalls lau  toleriert,  gab  es  „Vernunftsrepublikaner".  Daß  die 
Republik  von  Weimar  eine  bürgerliche  Republik  war,  die  die  Ideen 
des  liberalen  Bürgertums  des  19.  Jahrhunderts  zu  verwirklichen 
sich  mühte,  das  war  völlig  vergessen.  Mit  dem  wuchtigen  Einset- 
zen der  Weltwirtschaftskrise  schmolzen  die  bürgerlichen  Vernunft- 
republikaner dahin  —  es  blieben  bestenfalls  Offiziere  ohne  Mann- 
schaften in  den  gemäßigten  bürgerlichen  Parteien.  Die  bürgerlichen 
Wählermassen  schlössen  sich  mehr  und  mehr  der  extremen  Rech- 
ten an.  Allein  die  Anhänger  des  Zentrums  und  die  in  der  Sozial- 
demokratischen Partei  organisierten  Arbeitermassen  standen  fest 
zu  der  Republik  von  Weimar.  Aber  ihr  Schicksal  wurde  besiegelt, 
als  die  Gegenrevolution  der  Nationalsozialisten  zusammen  mit 
den  Kommunisten  die  Republik  berannte,  Gewalt  gegen  Recht  setz- 
te, Reichswehr  und  Reichsinstanzen  zumindest  dabei  zusahen! 
Das  preußische  Staatsministerium  unter  Otto  Brauns  Führung 
hielt  sich  gebunden  an  Recht  und  Gesetz,  unterwarf  sich  der  Ent- 
scheidung der  Wähler,  wollte  selbst  bei  Mißbrauch  des  Gesetzes 
durch  das  Reich  nidit  das  Gefüge  des  Ganzen  gefährden.  So  mußte 
das  preußische  Staatsministerium  nach  selbst  auferlegten  Gesetzen 
weichen:  Die  Wähler  hatten  am  24.  April  1932  entschieden.  Ge- 
gen Gewalt  und  Staatsstreich  entschloß  sich  der  Freistaat  Preußen, 
nur  mit  Anrufung  des  Gerichtshofes  zu  antworten. 
Preußische  Adlige,  Offiziere  und  Beamte  wurden  zu  Totengräbern 
Preußens,  als  sie  am  20.  Juli  1932  die  letzte  demokratische  Regie- 
rung Preußens  entmachteten.  Hugenberg  und  seine  Gefolgsleute 
triumphierten.  Sie  glaubten,  Preußens  Gloria  schimmernd  wieder 
aufriditen  zu  können.  Sie  wollten  sich  mit  den  dunklen  Kräften 


PREUSSENS  AUSKLANG 


der  verblendeten  und  verhetzten  Massen,  die  ungezügelt  gegen 
das  Bestehende  anrannten,  wieder  in  den  Sattel  setzen,  ihre  ein- 
stige Macht  zurückerlangen.  Sie  glaubten,  am  20.  Juli  1932  das 
Rad  der  Geschichte  zurückgedreht  zu  haben. 

Sie  haben  das  Unheil  heraufbeschworen,  gefördert  —  dann  wurden 
sie  die  Geister  nicht  mehr  los,  die  sie  selbst  gerufen,  eifrig  ge- 
fördert hatten.  Sie  gaubten,  des  Werkzeuges  sicher  zu  sein;  es 
wurde  Herr  und  Meister  über  sie.  Am  20.  Juli  1932  schrieb  man 
FINIS  BORUSSIAE,  dem  sehr  bald  in  schrecklich  zwanghafter 
Folge  das  Verbrechen  der  Zerstörung  Deutschlands,  ja  Europas, 
folgte. 


95 


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Lebmislauf  in  Kuorse  «-  i^.Hans  Jü»   HlrscJafeld 


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la  Jahr©  l69if   ,26. November   ,   wurde  IcJi  als  Sohn  des  Arates   Emil  üirsc>ij 
feld  mid  seiner  ßfctefrau  Sophie, geborenen  IievT     in  Harburg-Haiaour  ; 
rr«hr>T*«fi    ♦   Mein   V«t«T»     wÄr   In   dü^T»   Tndiist:T»1e-  &   ArhaitßT^atadt   uls    Ar^it 
und  fuehrender  Sozialdemokrat     von  der  Arbeitersc  laft  geliebt  ULnd 
verehrt,   bei  dem  Buergertiua  .-©fuerc  itet,    aber  widerwillig  goaCitet, 
Mein  Vater  war  wegen  seiner  sozialistisehen  Gesinnung  und  xietaetlgung 
awhon       %..X.    des  Sozialistengesetzes  bestraft,  verfolgt-  s.B,  von 
a«a  eigenen  Vater  ,  /  einem  angesehenen  Kaufmann  in  Berlin       lange 
Jahre  Verstössen,   iieben  seiner  ausgedelinten  aerztlichen  Praxis, 
seiner  politischer    Taetigkelt-  Parteivorstand  im  I^^sirk, Vorsitzender 
der  Fredsekom-iiission  »Gruendor  des    larbur^^er  Volksblattes   etc.    , 
Vertrauensarzt  der  ÖBG-^Iambxxrg,   war  mein  Vater  •  der  als   junger     ' 
kann  in  Berlin  dra  Friedricristogener  Kreis  angehoorte   ,    im  Bildungs* 
wesen  der  ^ewerksclxaften     taetig,   war  Gruender  und    laVirelanpes  Vor* 
dtandstnitglied  der  HA.MBUiiGlj:!v   LIT}CRARI3Gm:N   GESELKSOHAPT.   So  Wbe 
ich  im  iiause  meines   Vators   in   frue  ^er  Jiif',end     als  aeltester  oohn 
ruem-ende  auonstler  und  ^cliriftsteller  Hamburgs   -  darunter  Detlev  v, 
iilliencron,iiichard   Jeh^ael,    u)r.   Carl  imeller-hastatt  et  tutti  W  siuanti 
nicht  nur  kennen  gelernt, sondern  die   fuehrender    >oz4Alde  lokraten 
\ms.^cl4i^^   W^^  •   "^f^  Kambur-er   ,    zu  denen  als  ^^eictistagsabgeordneter 

W^^^A^J^^^'^'^^^v^,^   auch  August  -»ebel  gehoerte-  titelten, Kiolkenbuhr   »Kmil  Krause 
|/y>A<^>^^ ;  »^chiiaann  •  un  nur  einige   zu  nennen,   wie  i:.auard  -^ornstein,    Arthur 
^'^''Syäjf^^^****  fPaul  Singer.  Lily  Braun   ,Hosa  Luxenourg,    i,ulse   Zietz  - 
.X/>>i«''irich  Ebort,    iJ^r. Adolf  Braun  —  etc. etc.      Als   ici  nun  nach 
dem  i^eauca  deiJ   ^  ealgpanasl.ims  autn  Studium  nach  Berlin   ,spaeter 
uoettingen     ging-  Soziolocie,Philosophie,ilesc  lichte  etc   waren  meine 
rascher     •  wurde  ic^i  durch  Hugo  Ilaase  in  seinem    iause     einem  kleinen 
Kreis   sozialistisc -er  Studenten      zu -efue-irt.   "ibL     Dieser  Kreis  wurde 
rolls  im    lause    laases, teils  bei   r.autsk-     marxistisch  geschult,    im 
I^sen  theoretischer     Schriften  ar  geleitet.    7u  den  iett«i«tw  Vorti^a- 
genden  und  Leitern  der  Diskussion  geKioerte  u.a.   auc  i  ..o»a  LuxMiburR^ 

An  den  Akademischen  Arbeiterunterrichtskar sen     der  Unlversltaet   , 
die  von  einem  sozial     einf-estellten  Kreis  von  ^>tudenten  und  otudonibin- 
in  den  Abendstunden  in  Berliner  Schulen  i\r  weitem  und  Arbelterinnen 
linterricit  erteilten  ,boteilir.te  ich  mich  ebenfalls  eifrig.    Ich 
aroeiteto   ebenfalls   als      elf  er  in  dor  Zentrale   fuer  Private  Puersorr-e 
die  von  Dr*   Albert   Levy  geleitet  aichi  eines  grossen  Hufes   in  Berlin" 
und  weit  darue bor  ^ilnaus  erfreute.      Die    ^ort  r^ewonnenen  Einblicke 
bes taerkten  meinen  EntscalusB   ,   mich  nach  den  Studium  «anz  der  Politik 
zu  v/ldtaen.  ^ 

u^A^     v        ."^^  ^^legsausbruch  August   19H4.  jM«hte  allen  PlMnan  ein 
imdm.   Von  August   igil^-  Dezember   I918  Soldat,    Pionior,dann  Minen  • 
werfor-  Leutnmt     bei   dieser  neuen  Truppe   ,Teilnauie  an  twaerapfen 
?J^-i  wn    '^^  vVestfront.      Dezember  I9I8  krank  nach  Harburg  entlassen.. 
1919/19-^0  Vollendung  des  Studiums   Jn  Hamburg  -  iiirnst  Cassirer  und 
Albort  Goerland,   -Sc  lueler  von  flermann  Cohen   ,    daneben  politische  ä: 
journalistlscie   Taetigkeit      .19^1   Journalistische   Taeti^^keit, 
i^o    v®^     PVaenkiscie   Tagespost'^-rmornberg,    S.P.i  ressedienst-Berlin, 
i^dd  Januar  ins  Pr..aln.des   xnnern  von  Severing  und  Otto  Braun  geholt, 
naca  lan-em  ötraeuben  von  mir  und  Adolf  braun,    das   dann    lerüiann  Muel« 
1er  entscliied   zugunsten     -evorings.'M'js  muesr.ten   in  der  v/olle  gefaerote 
Sozialisten  in  die  i.inisterien    .^  Bis   zum  .20. Juli   32  dauerte  die 
T^oo^f  ^}^   Uebergang  JOigWMJmnan  genommene   Taetigkeit.   Vom  20.Jull 
1932  bis  Januar  I933   dann  als  Presseo  laf  der      Vechtmaessipen  " 
^p^usaenro^^ierung  ^Paun/Severing  e/a  StaatastreicriregierunÄ 
Fagpan/Bracht. 

M.  on     ,  w     ^^^™^^  ^933  ^  Maerz  33     von  S.A.  verfolgt,   la 

fr?^^   33j^Jeberfall  und   Pluenderunp.  meiner  r/ohnuxig  in  Tampalhof , 
fiartoefehl.    Ic  1  war  schon  vorher  verborrjen   erst  in  Lelp7.ig,    dann 

Illegal     in  die   Tschechoslowakei, von  dort   in  die  Schwalz- 
im  Au.'^ust  dann  naca  Frankreich,    itmoer  politisch  in  Verbindung  alt 
meinen  Freunden  in  &  ausserhalb  das  III.Relc  les.   Tr  ffen  mit 


Carlo  ülorendor!-  ui.i  T  ooior     ijixyxoi  In   Zaorici  -    (Joaopii    ..ilperln 

ala      .inlaufaipeüüe    ),    up.^et         /ll^ioL.i  Loaafj  .    o      -Jaüol^naorici  c!c 

Genf,    .dt  JJüill  l.irscUniann  cc  üaric  Juohaohz  in  aaarbruocken,    -   .  (ix 

Braun^SP.      Zeltunr»;   '^Deiktocio  Frei  leit  '   besc  ilosaen.      Uls   1935  stark 

An  aaarfeajApf     Mt-ewirkt  von  ot. Louis    (nt.^hln)  ..ütarbeit  an     acaweizor 

und  iranz.oeslschen  '^.oitunr^^en,    lach  ba-,.rabsti:a.aUii/-   1Q35     durc'i  Sondorerlaa 

der  Aa2iror;iorunc   a.iscebuor:;ert.-        I939  -i^rlepisausbruca   )   alt  iJovoel-orui 

^^L;^*"*!^^''       1^'.      ""Vi^  ^^^^  Suedfrankroich     evakuiert   .Dienst  alsxjCMtx 
orestataire-    {    Aro.  itssol  lat  -)   bis    zui^i   ^asa  laouruci  Prankroicas   In 
oinor   en-lisc  len  i-brmtion,    i.ac^i  dorn  7usaia.iGn^ruch  Frankreic'is   auf 
aoont.  uerlichen  ^/er-en  ueber  Spanion   ,rortu-al     l'jl'l  nach  den  USA  auf 
vjrrund  eines   Speclalviaums    (    Prosldonts   Special  Visa    ).   Von  lolil  -   1)!, 
t^i^i^t^       '^'    ^^l^    .ear:>eitet  als    Vesearcber ',    -  besondere   Ferne  lun-s-" 
auftraege,Leartaetic^^  Vortrae^^^,    Arbelt   fuer  die  He  lorunr;   der   USA 

r  1    1t   *   ;      f.^^  Special  Service    ,als   '^c  oriftsteller   fuer   7eitun-eii  :  • 
Ai-bGiten  in  Fabriken  als   ..etalldruecker   . 

„,,     ,^      .  ^  ^2*'-'^  Hueckke  ir  n*iC'i  Oeutscbland  von   -vurt  Scliu  lac  lor 

und  ..rnst   neuter  angefordert.    Von  Anfan-   I950      bis    mi  AprU   1Q6o 
Leiter   des   .rosse-   .^c   Inx^oriationsa  ites      Berlin        '  ^ 

mit   ;.rnst  i acuter     bis  /zu   seaineni     jae  len  Tode 
v^alt  ler  ^^c  ireloer,    Otto  Suir  und    ^illv  Brandt. 
Luiestand   ..  *  ' 

Seitdem  als   Minis torialdirektor  i.R 
Lar>onae..itern  in    >erlin  taeti--,      u.a.    Vorstand  der  ßuc.r  »ur  lointor  - 
heuter-otiftunc,    Vorsitzender   den    rres^ezontrunis   .^orlin,'  de»     ■orliner 

Si   -^S^:^''?ff  ^-^^^^   ^^'   Hundfunkratos        etc.    .litarbcit   an  Zeitungen 
and  Zeitsc  irifton   ,i3uc  loosproc  lun-en    .    etc.  t^-tuun.^o.i 


-   in  en-:;:er   '^usain.  lenarboit 
S  op  t .  1 95 3 , .    Danac !  1    i±  t 
Am  I.April   1  60      in  den 

weiter     in  vielen 


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(bozJLOxügxu,uu^.ci.xcute,    i hiio  ophle, LI tcratui; . 
boicia  t-03  t-r>ci»e  h  üi.  r  •w.'ii  c 

Berufung  in    -^^  Preu-.iücne  ^inistoriua  g        CiH  td 


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Febru^r/M<.rz  1^    :    v^rlüXgt  v.xi  ..•a.    ,J^bürraxx   -.na   clui:io.irax)4i   .einer 


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(Keichb-uno     •\.aatiic«.Jizuigt:«r) 

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Sonder.urtr.  ge   (rt;Sc..rcn; , .-ohrtaLit^Kuxt:   unu  Voi    trage 
i^lecture:;),      Aruc'j-t  fux-   uiw   üoA  rie^x-ruiig 

Kurt   ..chuü,.ich^'r3   urid   i.rn:.t  Reuters 


enger  ^iK :^>^^^t  ült  ..ra.t  Keutex-  nach     un  loa 

üit  dön  -    I'»-.^'i       ^     -   i'n   M   iUiv^r  ochri^ibvi'^v.t^o  *  unr, 
V\/ixl'^''  bran'ic.       .n<'.lj;^i  =  ir  jk tor       mxt  d...     .v...:ul  vi  ji; 


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Hans  Hirschfeld 
blickt  zurück 

AL?  Dr.  phil  Hans  E.  Hirschfeld, 
bis  1932  als  Ministerialrat  Presse- 
referent im  preusslschen  Innen- 
ministerium   und    von    1950    bis 
1^60  als  Senat&direktor  Leiter  des 
Pre*>eamts    des    Landes    Berlin, 
im  November   1969  sein   75.  Le- 
bensjalir     vollendete,     erschien 
i  eine  Arbeit  aus  seiner  Feder  mit 
I  dem  Titel  "Preussens  Ausklang" 
aahrbuch   Preussischer   Kultur- 
besitz  1968,   Grote'sche    Verlags- 
buchhandlung   K.G.,    Köln    und 
BerUn    1969).   Damit  ist  im  we- 
sentlichen    das     Schicksals]  ahr 
1932  gemeint.  Der  Beitrag  erin- 
nert   an    Geschehnisse,    Zusam- 
menhänge,   Entwicklungen    und 
Personen,  die  wohl  kaum  ein  an- 
derer   hätte    sachkundiger    und 
sachlicher  hätte  darstellen  und 
beurteilen  können  als  Hirschfeld, 
weil  er  unmittelbarer  Zeuge  der 
Vorgänge  war. 

Er  schliesst  mit  diesen  Sätzen: 
•*Hugenberg   und   seine    Gefolgs- 
leute   triumphierten.   Sie   glaub- 
ten,    Preussens     Gloria     schim- 
mernd wieder  aufrichten  zu  kön- 
nen.  Sie   wollten  sich   mit   den 
dunklen  Kräften  der  verblende- 
ten und  verhetzten  Massen,  die 
ungezügelt     gegen     das     Beste- 
hende anrannten,  wieder  in  den 
Sattel      setzen,      ihre      einstige 
Macht    zurück  erlangen.    Sie 
glaubten,  am   20.   Juli   1932    das 
Rad    der    Geschichte    zurückge- 
di^eht  zu  haben.  Sie  haben   das 
Unheil  heraufbeschworen,  geför- 
dert —  dann  wurden  sie  die  Gei- 
ster nicht  mehr  los,  die  sfie  selbst 
gerufen,  eifrig  gefördert  hatten." 
Dem  Aufsatz  ist  eine  Reproduk- 
tion des  Otto-Braun-Porträts  von 
Max  Liebermann  beigegeben. 

E.G.Ii. 


800  Jahre  Berlin 

Hans  Erman:  "Berliner  Ge- 
schichten, Geschichte  Berlins" 
Horst  Erdmann  Verlag,  Tübin- 
gen, Basel. 

Das  Buch  beginnt  mit  Albrecht 
von  Askanien,  einem  Geschlecht, 
das  von  1134  bis  1319  in  Branden- 
burg regierte,  wo  damals  schon 
Berliner    lebten,    die     sich    mit 
Schiffahrt,  Handel  und  Fischerei 
beschäftigten.  Die  letzte  Eintra- 
gung in  diesem  Buch  ist  "Welt- 
stadt  West"   überschrieben.  Der 
Verfasser  sagt,  dass  er  diese  Be- 
zeichnung für  das  heutige  Ber- 
lin gewählt  hat,  um  in  knappe- 
ster    Form    auszudrücken,    dass 
westliche  Freiheit  und  Demokra- 
tie das  Leben  lebenswert  machen. 
Die    Arbeit   Ermans    im    Tele- 
grammstil ist  ein  Führer  durch 
Berlin,    aber    ohne    Strassenver- 
zeichnis,  es  Ist  eher  ein  Führer 
durch    das    geistige    Leben    der 
Stadt.  Die  beigegebenen  Photos 
zeigen  unter  vielen  anderen  eine 
Demonstration     rer     Studenten 
nach    dem    Attentat    auf    Rudi 
Dutschke,    aber    auch   Präsident 
Nixon  bei  seiner  Eintragung  in 
das  Goldene  Buch  von  Berlin. 

Sachlichkeit  wird  von  Erman 
gelegentlich  durch  Anekdoten 
akzentuiert.  Ein  Beispiel  dafür 
Ist  der  Ausspruch  eines  Berli- 
ners: "Einen  dritten  Krieg  wür- 
den wir  vielleicht  allenfalls  über- 
stehen. Aber  noch  eine  Be- 
freiung?" w 


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Berliner  Auszeichnung 


Photoalbum 
^^Berlin  is  dufte" 

Arani  Verlags-  G.  m.  b.  H., 

Wer  den  Buchtitel  versteht, 
kann  auch  Hans-Dirk  Albus  in 
Berliner  Mundart  gehaltene,  ge- 
reimte Begleitworte  zu  den  von 
Winfried  Zellmann  photogra- 
phierten  Szenen  aus  und  um  Ber- 
lin ungeschmälert  geniessen.  Er 
erkenn^,  dann  auch,  was  es  heisst, 


UllsJ 
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Im   Ral^ 
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weit,  Kunst^ 
ein  weiterer 
ein    neuartiges 
Das  Lexikon  uj 
gebiel 


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H^ns  Hirschfeld  gestorben 

jm..   BERLIN,    12.   April.     Hans     E. 
ITirschfeld,   der   zehn   Jahre   lang     das 
Presse-  und  Informationsamt  des  Berli- 
ner Senats  geleitet  hat  und  politischer 
Berater  der  Regierenden  Bürgermeister 
Ernst   Reuter,   Otto   Suhr     und     Willy- 
Brandt  war,  ist  in  der  Nacht  zum   10. 
April  in  Bern,  wo  er  die  Familie  seines 
Schwiegersohnes,    des    Literaturwissen- 
schaftlers Killy,  besuchte,  einem  Herz- 
schlag erlegen.  Hirschfeld  war  nach  dem 
Studium     von     Soziologie,     Geschichte, 
Philosophie  und  Literatur  bis  1932  als 
„jüngster  Ministerialrat  Preußens"     im 
Innenministerium  tätig.  Die  Herrschaft 
der  Nationalsozialisten  zwang  den  un- 
bestechlichen Demokraten  zur  Emigra- 
tion. 1949  rief  Ernst  Reuter  seinen  ehe- 
maligen Mitarbeiter  aus  Amerika  nach 
Berlin  zurück,  wo  er  bis  zum  31.  März 
1960  die  Politik     entscheidend     mitbe- 
stimmt hat.  Auch  im  Ruhestand  blieb 
Hirschfeld   aktiv,   als  Vorsitzender   des 
Berliner  Presse-Clubs  und  des  Vereins 
Berliner  Pressezentrum,  als  stellvertre- 
tender Vorsitzender  der  Deutsch-Engli- 
schen Gesellschaft,     als     Mitglied     des 
Rundfunk-  und  Verwaltungsrates     des 
Senders   Freies   Berlin,   und   als     Vor- 
standsmitglied der  Bürgermeister-Reu- 
ter-Stiftung. Dem  Andenken  des  einsti- 
gen politischen  Weggefährten  galt  auch 
Hirschfelds  letzte  Tätigkeit:  Bis  vor  we- 
nigen Tagen  arbeitete  er  an  der  Edi- 
tion des  ersten  Bandes  einer  Sammlung 
von  Reden  und  Schriften  Ernst  Reuters. 


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Werner  Perser 
75  Jahre  alt 

Professor  Dr.  Werner  Peiser, 
der  ehemalige  Botschafter  der 
Bundesrepublik  E>eutsch]an)d  in 
Nikaragua,  feierte  kürzlich,  am 
20.  August  in  Nervi  (Italien)  in 
grosser  Frische  seinen  75.  Ge- 
burtstag. Der  in  Berlin  geborene 
Jurist  und  Romanist  begann  sei- 
ne Tätigkeit  im  Staatsdienst  als 
stellvertretender  Pressechef  des 
Preussischen  Ministerpräjsidenten 
Dr.  Otto  Braun,  betreute  sodann 
preussische  Kultureinrichtungen 
in  Italien,  bis  er  als  Gegner  des 
Nationalsozialismus  1933  entlas- 
sen wurde,   und   in  Florenz  ein 


HBNRY  ROSNER 

HIS  ViOLIN 
and  ORCHESTRA 

for  any 
OCCASION 

• 
CALL:  (212)  426-1139 


weit  bekannt  gewordenes  inter- 
nationales Internat  gründete. 

Nach  dem  Anwachsen  von  Hit- 
lers Einfluss  in  Italien  wanderte 
Dr.  Peiser  nach  den  USA  aus,  wo 
er  einen  Ruf  als  Professor  für 
romanische  Sprachen  an  die  Lo- 
yola-Universität  in  New  Orleans 
erhielt.  Nach  dem  Kriege  war  er 
Berater  der  Nürnberger  Richter 
für  historische  Fragen  und  spä- 
ter bei  den  amerikanischen  Hilfs- 
organisationen für  jüdische 
Flüchtlinge  in  Frankfurt  und 
Prag  tätig. 

Der  damalige  Bundespräsident 
Theodor  Heuss  und  sozialdemo- 
kratische deutsche  Freunde  bewo- 
gen Professor  Peiser  zur  Rück- 
kehr in  den  deutschen  Staate- 
dienst, wo  er  als  Botschaftsrat  in 
Rio  de  Janeiro  und  Madrid  die 
kulturellen  Beziehungen  der  Bun- 
desrepublik mit  grossem  Erfolg 
förderte,  bis  er  Botschafter  in 
Nikaragua  wurde.  Auch  nach  Er- 
reichung der  Altersgrenze  hat  er 
sich  viele  Jahre  als  Leiter  der 
Goethe-Institute  in  Palermo  und 
Genua  um  die  deutschen  Kultur- 
beziehungen verdient  gemacht. 

R.  K. 


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'  ?*.'*,!•     ^f^'^^er  behauptet, dass  Theodor  Haubach  in  der  Republik  .. 
jy   IUI   «f<iakteur,dann  Pressechef   bei  der  preussisohen  Regierung  war.      4^W 
*■  Mierendorff,    auch  aus  Darmstadt,   Pressereferent    bei  Leuschner 

''       d"^-^^  hessischen   Regierung,   beide  Haft-und  Zv-angsarbeit.   Adolf 
-s  «exchwein  m  ciPD  Jugendbewegung, Volkshochschulen,    Arbeitslagern 

vif.v.'       ^^?S  ^^°'^sf?r  f>:ier  Geschichte  und  Staatsbueggerkunde  in  Halle. 
''•^  1953  in  emklassige   Dorfschule  versetzt.  ^j 


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ERJ^IEdT  HAI.IHJRGER,    born  139C   in   Berlin.   Ph.D.  ^Jniversity  of    lerlin. 

history   and  Political    ocience.    in  GemixnYy    Officer   in   various    £:overn- 

niental   a^.  encies,  last   in  the  Prussian  Iviinistry   or    the    intericr  until 

19o3«    kenber   of    the  Prussian   Die"c    from  1^24   to    1953.    Left   Germany  in 

Ivlarcl:   1935,became    eciitor  of    the    ^axxsr    quarterly  Cahiers  de    la  Presse 

and    lecturer  at    the    Institute    of  Comparative  Lavv   of  tiie  Jniversity 

of  Paris«    Left   France   in   1940.    in  i^'"ew   xork   r.-search   worker   and 

lecturer    at   the   New  ochool   for   docial  x^esearch.    Beca:.ie  Professor 

in   the  Faculty  of    Law  and   Political      öcience   of   the  Lcole   Libre    des 

Lautes  'iLtudes,    founded  by  French   Lmigree    scholars. 

From  1946   to   1958,    Consultant    anci    First   Off  icer,U  nited  llations   Secretariat 

Member  of  the  Division  of  human  Rights,-  Mitor,  UN  Yearbook  on  human 
Rights.  1959,  taught  at  the  ACc:deLiy  of  international  Law  ac  the  Hasue 
on  human    Hights   and  International  Relations. 

Meinber  of   the   Executive   Gommittee   and   the   Board  of  the  Leo  Baeck 
Institute  in  New  York,    xv^ember  of    the  Comniittee   on   international   Organiza- 
tions    of    the    American   Jewish   Comniittee. 


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Hamburger,    Dr.   phil     Ernest,   New  York# 

geb.    30.12#1890   in  Berlin;    1915  Promotion   in  Berlin.   Ministerialrat 
im  Preussischen  lÄnisterium  des   Innern  und  preussischer  Landtags- 
abgeordneter   (   1924-1933);    Lehrbeauftragter  fuer  Verfassungsrecht 
an  der  Staatlichen   Fachschule   fuer  Wirtschafts  und  Verwaltung  Berlin. 
1933  Uebersiedlung  nach  Frankreidi,   Mitarbeit  am  Institut   fuer 
vergleichendes  Recht,   Paris,    1936  Mit begru ender  des  Institutes 
fuer  Publizistik  an  der  Universitaet   Paris  und  dessen   stellver- 
tretender Gene ralsekr etaer,    Redakteur  der  Zeitschnift   dieses 
Institutes,    '^Cahiers  de   la  Presse".    1940   Auswanderung     in  die 
USA, , amerikanischer  Staatsbuerger,      Lehrbeauftragter   fuer  Sozial 
Wissenschaften   an  der  New  School  for  Social  Research   in  New  York, 
,   Forschungsarbeiten  wirt schaf ts-und  sozialpolitischen  Gebiet 
im  Aufttage   des   •»   Institute   of   World   Affairs".   Seit   1942  Lehr- 
beauftragter,   seit   1946  Professor  an   der  Kcole  Libre/^  des  Hautes 
Etudes      ,   New  York.    1946   -  1950   Redakteur   des  Jahrbuchs    fuer 
Menschenrechte   der  Vereinten  Nationen, zusammen  mit  Professor 
B.   Mirkine-Guetzevitch,    1950   -  1955  alleiniger  Redakteur; 
1948  -  1955   Internationaler  Beamter   im  Sekretariat   der  Vereinten 
Nationen,    1957   -  1958  Fachberater  in  deren  Abteilung  fuer  Men- 
schenrechte;   seitdem  schriftstellerische  und  Vortragstaetigkeit» 


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aoli«r  Ilnv^ls  ««f  Maas  aoslar   (Imi  PakllsUitUt,   l^.JaJurgf«« 

1969f   H«ft  2,  S.  223«229)* 


wlnfrUd  B.   Urgt 


Klaua   lialMttt  Rah^aldtt   DU   pr«tt««ioM   VarvaltUAf  das   Regia» uagabaiirta   Bro«barg 

""1848-1871  .Ji^ota,  Ml»  u.  Barlla,   1968,  4l2  S.   4  Abb.,^ 


f^^'^.^^y^.      ^^^^<^    jv     JCi^'^^^fi^'i   ^/ ^^t^^^/Cka/      ^^m^^*^  ^^rc/ 


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Hans  üoslar  ^     ^^ .^  ,     „   ,  ,.  ,    -.  c^c^ 

Kinfried  13.   Lerg.Der   preussiscüeTresseci.ef   Itlfe-i^^d-. 
..in  Bio-bibliographischer  Hinv.eis   auf  f-ans   aoslar.'. 
Publizistik, Konstanz, Heft    £,ie6t,o.    ^22>-2.ä9 

Von  ia£-19C2  Leiter  der  Pressestelle  des  preussischen^  otuatsmnisterium£ 

zuletzt  llinisterialrat   seit   1926.    Geboren  Hannover  4. 11.188S, ge- 
storben bergen-Belsen   25.2.1t45.   ..b   Dezember  iei^5  m  i^msterdani 
1943   iS    das  Scer    .esterbork  gebracht,    von   dort    nach   Bergen-belsen. 

icic   seine   erste   groessere  Veroe ff entlich ung  gegen   den  deutschnationulen 
IntrsemUismus,    B?ochuere   in  /lugschriftenreihe,  in   der   aucn   Beitrae^e 
von  ^uren    '^'uchs,    Alfred   IViener.x^'elix  Holi^  enaer,    Berthola   Jacob. 
Jtto    Kn  in  Bknnerungen  ueber   "Verjudung   aes   -^^^^^^^l^]^" ' 
Goslar   baut   amtlichen   preussischen  Presseoienst   auf,    d   r  taeeücn 
SschLn.    Otco   Joeh.ini;.r(163£-   19.4;    Freund      ■^^^'^^^^i^^^. 
spaetcr  Linisterialrat    i...  r'inanzrainist  eiaura,dfcr   19lv    erst«.n  i-eh.atf 
trag    fuer   ZettTnTrs-aT:de--äirOh-l-Ter3-i  ta-e1r^ierlin   erh.elt   una   aucn   an 
Handelshochschule.nochschule   fuer  Politikun.  Verv.alt  ungsakad.niie 
leSrte.    Go.lar   schreibt   Nachruf   auf  Joehling^r   in  .raru.furtcr^..tung 
1C.C.1024  o.lff.ürv.aehnt  .loehling.  r  auch    ii.  Vortrag  m  VerT.ala.vngs- 
akadeiaie   ueber  Neugestaltung   des  staatlichen  Presse^vesens    in     Der 


ütrxm 
neisebucl 


3nbund, Berlin, 25. 2. 1930, dazu  auch   Deutsche   Beanitenzeitung, 
1   22'.2!l^30.    Heist    i.nae    Dezeiriber -19al-J.n-.Ui^,  schre.i.bt..  ein 


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.arueber. Goslar   i      Aufsichtsrat  der  AG   fuer  aucü   una ^ 
üer   Oeffentlichkeltsarbeit   voia  Heien   und  Preussen  inspiriert, 
.p'.etcr  uiugewandelx  in  Nachrichtenagentur  'i^r   Reichsrundfunkgesell- 
schaft  mit    aemlJaraen   Drahtloser   Dienst    AG,v-o   Goslar   f-^^rf^lfHl^'^^^''' 
stellvertr. Aufsichtsratsvorsitzender   v.ird.  aerf.<iie   hntsuenung    de^ 
■Rundfunks    in  Deutschlfmd  ,i^^rankfurt   1965, S. 145  ff  una    iioo.    l.^d 
Sieb    Gosl:.r   Brosc..uer4    "Politik:  und   Parlament". verlangt   aufrechte 
republikanische   St   atsbuergerkunde,.aiteiin^niiie   -uexüestex    i.reise   xuer 
Publizitaet    in  politischen  D.ngen.Gab  diese  ocnriit   als  heft   1  einer 
Reihe    heraus   unter   i'itel    "Du   un>i   der  Staat ",gegruenaet    von   i;.^ni  und 
Hirschfeid.    Beklagt   dass   zahllose    Zeit .ngsleser   m  Gegnerschaft 
gegen   die    Republik  gedraengt   v.erden,dass  Presse    .urcn   Inflation 
in   finanzielle  Abhaengigkeit   von   aer  inuustrie   Straten   sei.    1.-^2 
Vortraege    fUer  die   deutsche  V.elle, -n   2   i^roschueren   unt.r   uaa    xitel 
V.eimar-trotz  alledeml    publiziert. 

1932    zus   mmen   rait    braun  Urlaub  angetreten,aia   7.9.19«:2   z,eitangsmel- 
dungen.dass   er   i  .  Urlaub   bis   l.lc    dann  zur   f  ;^y°^^.^^°"-;f,,f  ^^.^^ 
schieden    die   meisten  .atar.eitcr  aus,.arunter   ORR  ';"f„^^^^;^°"  .^_ 

RR  hans   Heinrich   Bormann,    ^.alther  t-s^^f'^^^^^f^^J/^^^^'J^^f  stelle 
Wissenschaft   das   ausscheiden  Goslars (15_^_9^1932^o:^£21...n    oem.r   Stelle 

Adolf    von  Carlov,itz(lS58-1928j  ,seit    1927   im  ueichs.. ehrmini sterium 


dann  Presseabteilung   der   Reichsreei^  rung,dann  preuss.   P 
ab   oepteKiber   1£^2,  tritt   ir..  Februar   l9Ea  zurueck 


ressechef 


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Herrn 

Dr.  Ernest  Hamburger 

New  York 


KAD  «ODESBEHG  1.  DEN  -(y^j     Sept.      197o 


53  liONN 

HONNEFEH  STRASSE  » 
TELEFON    1.^40»» 


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Sehr  geehrter  Herr  Dr.  Hamburger! 


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Ihre  Anschrift  habe  ich  von  Bürgermeister  Dr.  Weichmann 
erhalten.  Sie  werden  wahrscheinlich  meinen  Namen  nicht  mehr 
kennen.  Von  1929  bis  1953  war  ich  als  Junger  ßegierungsrat 
Hitarbeiter  von  !^essy  in  der  Polizeiabteilung  des  Preußi- 
schen Ministeriums  des  Innern.  Im  April  1935  wurde  ich  in 
die  Provinz  versetzt.  Von  19^9  bis  1962  war  ich  im  Bundes- 
ffiinisterium  des  Innern  tätig,  zuletzt  als  Leiter  der  Abtei- 
lung für  Beamtenrecht. 

Vor  drei  Jahren  habe  ich  vom  Bundesminister  des  Innern  den 
Auftrag  erhalten,  den  Personenkreis  der  Mnister,  Beamten, 
Angestellten  und  Arbeiter  der  inneren  Verwaltung,  die  Todes- 
opfer der  nationalsozialistischen  Gewaltherrschaft  geworden 
sind,  festzustellen  und  über  ihr  Schicksal  zu  berichten. 
Diese  Arbeit  habe  ich  inzwischen  beendet.  Ich  will  Jetzt 
meine  Forschungsarbeit  auf  die  ß;esamte  deutsche  Verwaltung 
ausdehnen  und  das  Ergebnis  in  einem  Buch  veröffentlichen. 

In  diesem  Buch  will  ich  auch  das  tragische  Schicksal  von 
Ministerialrat  Hans  Goslar  schildern.  Dr.  Weichmann  hat  mir 
mitgeteilt,  daß  Sie  mit  Hans  Goslar  eng  befreundet  waren. 
Ich  wäre  Ihnen  daher  sehr  dankbar,  wenn  Sie  mir  über  seine 
Persönlichkeit  und  seine  politische  Wirksamkeit  einige 
persönliche  Mitteilungen  machen  würden.  Senatsdirektor  a.D. 
Dr.  Hirschfeld,  mit  dem  ich  in  persönlicher  Verbindung  stehe, 
hat  sich  hierzu  bereits  bereit  erklärt. 

Zu  den  Opfern  der  nationalsozialistischen  Gewaltherrschaft 
gehört  auch  der  Postassistent  Eduard  Zachert,  der  von  192^ 
bis  1932  als  Abgeordneter  der  sozialdemokratischen  Fraktion 
dem  Preußischen  Landtag  angehörte.  Eduard  Zachert  ist  wegen 


-  2  - 


-  2  - 


angeblicher  Wehrkraftzersetzung  vom  Volksgerichtshof 
durch  Urteil  vom  3o.4.19''4-3  zum  Tode  verurteilt  und  am 
22.7.194-5  hingerichtet  worden.  Ich  will  in  dem  Buch  auch 
sein  tragisches  Schicksal  schildern.  Da  Sie  ebenfalls  Mit- 
glied des  Preußischen  Landtags  waren,  wäre  ich  Ihnen  dank- 
bar, wenn  Sie  mir  auch  über  Eduard  Zachert  einige  persön- 
liche riitteilungen  machen  würden. 

Der  Kreis  der  noch  lebenden  Beamten  des  alten  Preußischen 
Ministeriums  des  Imern,  die  beim  Aufbau  der  Bundesrepublik 
mitgewirkt  haben,  ist  immer  kleiner  geworden.  Vor  9  Monaten 
ist  Staatssekretär  a.D.  Bleek  und  vor  2  Monaten  Ministerial- 
dirigent a.D.  Dr.  Mosheim  gestorben. 

Ich  hoffe,  daß  es  Urnen  gesundheitlich  gut  geht.  \Jenn   Sie 
Dr.  Simons  in  New  York  sehen,  bestellen  Sie  bitte  viele  Grüße 


von  mir. 


Mit  fre^ondlichen  Grüßen 


Ihr 


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Dr.HU^nest  Hamburger 
67  Riverside  Drive 
New  York,  N^Y.  10024 


26.  Oktober  1970 
u/r  19- EH/IS 


X 


/ 


Herrn  Minlsterialdir^ektor  a.D.  Botho  lauch 

Honnefer  Strasse  9 

53  Bonn-Bad  Godesberg  1  - 


sehr  geehrter  Herr  Bauch, 

vTAien  Dank  fuer  Ihr  freundliches  Schreiben  vom 
26  V  M   das  gestern  eintraf.  Es  hat  mich  Interessiert, 
£;«  si4  sich  niit  dem  Thema  "Todesopfer  der  natlonal- 
sozla?ist?schen  Gewaltherrschaft "  befassen  Das  Ist 
l?ne  sehr  verSenstvolle  Aufgabe.  Leider  erinnere  ich 
mich  Ihrer  nicht  mehr.  Es  sind  zu  viele  Menschen  an  mir 
in  den  letzten  40  Jahren  vorbeigezogen.  Sind  Sic  iden 
tisch  mit  dem  Regierungsrat  Bauch,  der  1936  Buerger 
meister  in  Tangerhuette  geworden  Ist? 

Puer  die  Biogi-aphle  von  Eduard  Zachert  ziehen  Sie 
hUte^dL  Handbuch  des  preussischen  Landtags  heran, 
5ahr  1928.  !932  Surde  Zachert  nicht  «iedergewaehlu. 
Ob  er  1924  in  den  Landtag  kam  oder  bereits  1920,  wie 
Salter  Hamme?,  "Hohes  Haus  In  Henkers  Hand",  Prankfurt 
a  Main,  Buropaeische  Verlagsanstalt  19^6,  S.lOl,  behauptet, 
muss  aus  dem  Landtagshandbuch  hervorgehen. 

7ftchert  war  ein  hochanstaendlger,  der  sozialdemokea- 
tischef lachfergebener  Mann,  -dlkal  in  der  Gesinnung 

Tef^nfe^fn  ^^rfanS^nfe?  ^^1  V 

angehoert . 

r—  ueber  Hans  Goslar  unterrichtet  nef^j^^ss  ?J"  ^J^f^i 
des  Privatdozenten  Winfried  B.  Lerg,  Institut  fuer  Publl 
Jistlk  Domplatz  23,  Muenster/Westfalen,  in  der  Zeit- 
schrift ^bl?zlstlk"  Heft  2/1969.  Er  ^nthaelt  Jedoch 
manche  LuSken,  auf  die  ich  in  einem  Brief  an  den  Redakteur 

-2- 


'M' 


•   2   - 


26.    Oktober  1970 
U/719-MI/IS 


-*;-;! 


I 


Herrn  Ministerialdirektor  a.D.  Botho  Bauch.  Bonn-Bad  Oodesberg. 


der  Zeitschrift  aufnierksam  gamacht  habe.  Herr  Lerg,  riera 
mein  Brief  zUi^eleitet  worden  ist,  hat  sich  dafuer  bei  mir 
bedankt,  und  daraus  hat  sich  ein  weiterer  Schriftwechsel 
entwickelt  Photokopis  meines  Briefes  liegt  anbei.  Er 
publiziert;  viel  auf  allge^aein  politischeu  Gebiet  und  ueber 
juedische  Problsne. 

Goslar  war  Sozialdeiaokrat .  In  Juedischen  Fragen  gehoerte 
er  dem  Misrachi,  der  orthodoxen  Gruppe  der  Zlonisten.an.  Er 
war  ein  claeublger  Jude  und  verbarg  seine  Zugehoerigkel ^  zum 
ZionlSuf  uiS  zur  Orthodoxie  r.ieumls,  auch  nicht  ini  Amt.  Von 
1923  Ss  1933  gehoerte  er  alä  /dtglied  der  Juedischen  Volks- 
iartei  der  pipraesenta,  tenverf<a,-an.lung  der  Berliner  Juedischen 
aSSde  an.  k-  mr   von  1919  tia  1532  ?x;esseehef  der  preussi- 
schen  Staatsregierung  und  hatte  .isines  VJusaens  nxe  einen 
Zusamnienstosa  wie  Herren  dor  Presse  in  Pressekoni erenzen, 
cleichviel  welcher  politischer  Ueberzeugun;:^  sie  waren,  jir 
war  als  ein  liebenswuerdiger,  froehlicher,  ja  uebei-nuetlger 
Mensch,  das  Gegenteil  elne^  Buäx'okraten,  -ll^^e-.'ein  beliebt. 
Er  heiratete  die  Juengere  Tochter  aas  x-veGUi-s<*nwai-ca  ui  .  aj-libu 
Klee  in  Berlin. 


Ich  bin  eiche.-,  duüi>   j-iiniüLerlulrat  Otto  Hirsch  und  aegie- 
runissraetin  Cora  berliner  in  Ihren  Buechern  erscheinen. 

Von  Bleeks  und  MooheimP  Tode  habe  ich  nichts  gewusst. 
Ich  erinnere  Jdca  beiuer  sehr  wolil. 

Ich  stehe  Ihnen  luar   vefcere  Auekuenfte  gern  zur  Ver- 
fuegung.  Zur  Deschleunlgung  des  BrlefKSChsels  etaiifehle  ich 
Luftpost . 


Mit  freundlichen  Gruessen 


Ihr 


tirnest  Hamburger 


Anlage:  Photokopie  meines  Briefes  an  Herrn  Walter  J.Sohuetz, 
S "Publizistik",  Duiseldrf  ueber  Bonn,  vom  23.1.19/0. 


>'^- 


12»   Maerz  19ö6 


'    ''St¥-M 


[ 


3ehr   geehrte    o'vm   Urimme , 


-ich    sehj/lL^en  ^  -tiSn'l^Sti'^'^  ich  c-rhal.en,   und  ich    freu. 
grosse   Preude     -.nf  .n    o-,        <  aau.-.eii,    denn  es  ist    lair  eine 

LlJren 'Gatten  iüexVcif!  «ri«ft^'  '^"7  Buche, aas  die  .riancruii^. 
gemac.c    2,/hac"..  ^  erüaiten   «xrd.    einen  beacr.eiaeaen  Beitrag 


.c*s   iiat    öiir    sehr  leid    i;*p»t«n      /^looa    les  >^  *,  .      i.    ^ 


Heise  naci)    Oeutschland  niont   ^ied^-rsenen   ^rv,rnr^«      . 


nei 


•'AI   In  rem  TSreiteren  F 


ra^ea 


Kann  ic/i    Ihnen  folgenaes   .^ac^en : 


Peiser  wurde   18^5  in  Berlin  gebore ,Dr^phil 


•erner 
die  Pressest  eii."'derPreu'tsnnhPr,'"^t'"tt    f'f  ^f-^f"  .{-^^'Phil- ,    trat  in 
Ob.  rre,.ir:run.4rat ;v-!rde  tei  nu^^>  -t   atsniini.t;.riu.is   eia.wurde   Uort 


Sprachen   an  die   l.o7ST^ntl^^J;:l''t'1^^''^'''^    a,.r   ro:nana^  chan 


"JSA) 


und   1958  Gesandter  In  ..icara^^Ja:      r  lebt   t'Jt   »^'^f /"''    '"  ^'^'^'^'^ 
a.b.    in  Palerrao.  -^^^^-u^.    -^r  xeot   Jci,/.t   als  dotsonafter 


Kurt  Rlezler,   ^cb.l3e;i   in  iiuenchen,,  hiloso.hia   otudien,    tr.t 

en   Olenat  Deu  tacnlands   ic.6   ein,  v.:rbli6b    dort 

ßetiiraann  i.ollwegs  dessen 


in   üen  ai^.lomatisonen   Dlenat  D«  t-ärril^r-iR      c..      . 


bis   Iiat,  war   unter  der  -anzlersoiiart  ßethraami   •.oH;«.-'-   n^:'.««"' 

-^^"■^n-rcfc^^    una    das   daher, wenn 


an   der 

i-ehrte    19ö<i 

war    verheiratet"r.iir(I   r  Tochter  at:;.   ..aitrs 

seine    üoiigratlon   erfolgte   i:Wahre   ii-;5a  .e, 


ssor 


c 


n 


seiner   jue.  ißchen   Frau. 


im  pre!ssi  sehen   üUerrfchtsndnt't  "''^  ««»««".^'ss  er  .  ini.  ieria.r.t 
di.   bleiche   oteninr^if   d?e      mfjrr"!^^'   ^"^^f   ^"'^^^'^  ''^^"  ^' 

I.U  j-unue     n.'jich  UüA  eiai^Tlerte  und   meintr   lt- 


/ 


Innerun^  nach   ini  Brooklyn  College    eine   Zeit   lint:  b   schief tigt   vvar, 


;o   sollte      il'ielm  Gae   c  viel   besser  i;.   der   Lage    sexn,ueber   ihn 
Auskunft  za    erteilen   odlwr  von   der   ^t   ette  seines   fruoheren   .  j. 
Auskunft  zu  £rifiaiten,aXs  iaU    ta  bin»    icii  schreibe  mit  gleicher 
rost   an   Gaede» 


rkens 


Als  192€>noch    zur    Zeit   Beckers,    das  Konkordat    mit  dem  Heilit*en 
otuhl  abgeschlossen   v/arde,    :.anm  der  Landtag  lait    den   Stimaen  der 
Hechten   uncl   das   Zentru:;is   eine   Resolution   an, die    einen   entsprechenden 
Vertrag  auch  mit  den  evangelischen  ivirchon  Preussens  verlangte«   Die 
ser  Vertrag"*   wurde    Lnde   1929  vom  StaatsrainiHt eriuia  vorbereitc?t    - 
eine   '\/'orbereitun^:  ,die  sich   in   aas   Jahr   1950  hinzor   •*  und   der   jnt* 
nuff   wirde   de :a  Landtag  1930  voxgelegtt   Er  v»urde   in  diesem  Jahr   «lon 
den   oben  genannt 'iin  Pai'teien  ge^i^en   die  Koraniunlsten    bei    i- timmenthal- 
tuni^,   der  Sozialdemokratie   angenocLnen«    ijass   die   sozialdt  mokratische 
i'raktion  dea  honkordat  zuf/cstiiamt ,ßich   aber   bei    dem  evangelischen 
Vertrag   der   Stimme    enthalten   hst,    hatte    eine    .-teine  vor;   Gruenoen, 
die  auseinanderzusetzen  hier   zu  kompliziert   v^aereBl« 


3* 


Ich 
r 


Ueber    las  Gesetz  Gross-Lerlin  Äeiss   ich  kauca  noch   etv.a_ 
/7/Z^Af^ erinnere  mich   dunkel, dasa   i  .  Jahx^L/l95w  Grzesinski   und   ich    uebe 
d^u  l-ntwurf  i      Freien   ^Vort,    der  30zialdeiaoKx*atiac  aen   wioclien- 
«ichrift   disKUtiert    haben«    Ich  emprehle   Innen  sicn   ueber  dieses 
Oesetz  und    auch   ueber  den  Kix^chenvertrag^   wenn  Sie  eingehendrres 
darueber  v^issen   isollefn,   mit  Herrn  Paul  kaier,   xabliothek,oozialde- 
mokratischer  Parteivorstand, -;,rich  Cllenhauer Strasse  Bonn  in  Ver- 


musa  das  «Janrbuch   der  deutaci;en 
Litten  v^ie  Herrn  ^^aier,    unter 


binuung   zu    setzen«   Die    bibliothel: 
oo zial  demoKr at  ie    f ue r   193»)  ha ben  ♦ 
Ein^^eis  auf   ihr  Vorhaben  und   unt.r   Bezu^nahnic    auf   niici:,üic  oeiten 
des  Jaiirbuches   fucr  bie    2U  photokopteren  oder    sbscnreiben  zu    lassen, 
aur   denen  vorn  Kirch envertrrir  und   von  dem  Gesetz   die  Rede  ist«    Lie 
einzelnen    Linge   werden  dort   sehr   konzentriert   behandelt,    es  harrielt 
ich   also  um  eine   kleine    Arbeit,uni  das  abzuschreiben« 


s 


Geber  den  Deutseben  ^tudentenverband  v.ei3s   ich    nichts«   Da  3ie 
meine    Lebensdaten  haben   wollen,    30   gebe    ich    sie    Ihnen   hier  mi  i:   f4r* 
cnueer^en*    öie  moegen   infol{X   d   r  vielen   Stationen    meines  Lebenswe- 
ges etv/as  auc-fue   rlich    ersehe  inen,  ab  er  oie    v.erden   ja   nur  das  auf- 
neiiiacn  v^as     irülich    interessiert.    Am  v»iac. tigsten  v*ar  ineine   Taeti.^eit 
im  Lan^itag  und   in  der  Ui-'O. 


\ 


Lrnst  Ha^burrer,    eeb«1890   in  Berlin,    Dr«phil.  ,liniversitaet   Berlin« 
Von  1920  -   1953  in   drr  preussi  neben    Verwaltung,   Ivlini^terialrat    a«D« 
19£4  -  1933//pi-ut^:liej.  dcs  Preussischen  Landtags;   iütglied  des  Vor- 
stands  der  sozialdemokratischen    rva^tion«    1933  -   1940  in  Paris,    or- 
schung/-und  ünterrichtstaeti^<keit   am  reohtsvergleichenden  und   am 
i^eitungswiasenachsif  tliohen    Institut    der  uorti::^-en  univeröitiiet .   oeit 
1940   in  üüA,    Lehr-und   P'orschun^staetigkei  t    i:i  Verbinaune  lai  l   aer  New 
School   for   Socfial   itesearch,    2'rofessor    in  der  von  franzoesischen  eni- 
grierten  Gelehrten   fi;e>/rucndeten   i->cole    Libre  des  Hautes   Ltudes   in 
New  loil«    1946   -   li59  internationaler   Beamter   in   der  >.enschenj^recht3- 
abteilun^'   des   ^-ekretai.^iats  dcrU*\0«   Seit   196ü   i  1  Board, seit   1965   im 
r^xekutiv  Komit^      des  Leo   Baeck  Instituts    in  New  \ork   taetif,   und  mit 
Forschun^sauf^^aben  von   dem  iniititut    betraut« 


Viele/herzliche   Gruesse  und   beste   Wuenscbe  fuer  d  n  Brfolg  des 
Buches  v% 


14.    Tobraur   1070 


Herrn  Dr»  dians  lilrächrfiXcl 
Linden    illee'~"S^^'       ^^^»--v^, 


'■"»«»HH«»  JWHWW*  4* 


V:^- 


_^!J^iüL 


nel   :iv?ei   üel£r;enht^iti;u  uciltt    icii   iiucr:::iicli    ri.nl' ss, an  oxe 
zu  ut;iik'^i,aüemlich   als  Dorlo   unis   »^-Inon  frrnndlxohvvi  J^cujabrs-» 
^uni^ivii    v'^ricit^jJ   n   ^^^.r  inz\,lsohtn   ervvidcr'C  iiBf^en,    mu;.   alt:   ich 
ira  A.ufbuj,   laa,    do.3b  »^i^    einen  Aufsati,    ''Pxi.\}hiiexii>    \i\tiklar.f{/' 
xra  Jahrbuch  .Preussischv^r  Kuitu).  •  ;-'öi  c--.  x90c  veiOfffentlicht 


^ioii-:!'   i:it.}rei:.^.iv.rt   Lcxch    ndlu:  i-li.cri   beson^.    r 


v>  • 


*-?j' 


habe 


'iiii?  ]-.'-•  o  iJaec. 


1 nöti tut   je- 


st^ilirn   j/:  äsen, aber  yenx.  -ie   eiuea   .  onderciruoh  ut^brir-,  haben, 
80   wuorde  loh:  ^iicn  Trcaitu,  iveni.  oie   loa  r^ir  yMccvyien  v^uecden« 

v>ie   haben  jncixK     -»icaärhui  oen  Di.t  t«^::ni  ^uji  letzten  -ut.al 
.uat:aulx.--h  ,üii^    i.ct"^   ^:ie    xa   xi.rcr-    «»ohnun,;.;  ^j:'3U;;h^i^   und    v.ied  r- 
seiieii  nicht   nj.r  üii  t  ihrer   ''rt:u,  >?ondeiU  aucn  lu  i>    Ihrer    locht  t-r 
jiva  nad   uer^n  3ohn   ft i^.rUf  ^biorn.r  nxcht    c-rfuellt:    es  h^^i.■v•A  Ite 
j?ich   u  «^ruinj  J.':5f^i'   ..ie  rni:.-/-    ciiu  n  i.ebi-ü^jj.uui    voü   öic:i    sohle,  en 
:  of::ch-l6'n,':eri  ich   fa-r  mein  Hucb    "Jud   n   ii\  oef f ontlictien   Leben 
Deatncnl' ndt»**    '-le   ..ei  t    1er      ricivrer    ut.^^ul.lih''v^  rwenc^ei)   koet^nte» 
oX€   herben  ciicherlicu   gcihüert  od   r  f:el    sen,  ci'ias   das  Buci.,j.as 
sich    "lit    ier  jn^n'-rc^-ißch  «a   ^ei  w    bt  scauef  ti^^t  (1B4^^-1M'- }    in- 
z^ftigchen  <^roCh.ient-n  .l^t» 


j-ch  haut    nicht   uit   üboicht,    je   on   ei 
Beamten   auf  r^  fut-h rr:;;,    r.enau    so    tvenig   v.'ie. 
reitr.    f-rschicnen  Benae  geiian  h^be.Iiur    fwc 
fer;jl;rebe    Ic);   '^/ollüte.eniiii^s.^it*    '^bt'V  :,'ie   v, 
xn  dt  p.  Buch   erGCheirien   anu   aeshaib  v-aere 
frnben   zu    orhaltcn,    da-iit   IrrtueL:^ev  v<  r'XLo 
preusa»    innenniiniateriuin  beabßichti^re   ich 
Jbadt   zu    ervif^cYinen^dcT    Ja  der  rLiie:i>ü^'ßi"Aßt^ 
i"«ai  •    l)ie    ^Anderen  wie    AbraiüovicZji.empner,  a 
der  in  New  York  lebt,v.ill    ich   nui*  niit   ein 
zeichnen«    Uoba   ici.   bei    Ihnen  d^ütieber  hin 
dareuf   zurueCb.zuf\^.ehren>doss  3iz    bei   -^ev 
ja   eine    b^  sondere  Vertrauenöstell«)  einten 
iiianche    jue;  Is-'he  i^e'-icute    lacu    cei   anderen 


v?elr\(^n  !  in:l:  tr^r  od.r 
ich   diefi   ir   c,eia  be- 
r   cli«'    •b.^eor  dnot  cii 
erdc^n  auf    ^oden  Fall 
es  mir    lieb,,  hre   .  .n- 

,8\i.'se-^''    ihr^M-t   :}och 

jufuische  i^eoxite  dort 
en  v-per}  ??fi^er'~i  Icion, 

psar    .orten  keiin- 
eus  f^.^""  l'fTt  :r.o  6'  c-  h  t  e ,  i  i;  t 
ring  un^^    (rrzensins.wi 
omraen  haben, d.ie  fuer 
.uinistera   typisch   ^ar , 


\ 


;^j'^. 

)  i'^ 


^      ^  v.if rn    hf^arbrä-Cf^t   h'  ben»    vvaö   ebenfalls 

inncrungen  auage  aproci.en  nat. 

^^r    ,-••"    aiicl-  eiiiij't-s  uebtr  ihre 
Dankbar   ^^aerc    ici..    '-hnenrAeuu  .-..e   ux-  ^^^.^-^^^^^^^^     achrLuben, 

Lcrn.elt    bei   adolj   "^;^^'^..  J^.f^J.^Tue  äa2?ten,d.t'ss  noch   ein  anderer 
werden    aolile.    ^ch  <if ''■   7\,^-^'- '.'^^n 'soiner  rn«ti,.r^i  t  ^^ur  u«u 

Also  bitte:  iu:ber'.^i.u.'€!n  .i..    J-ui    ..o^o^i"  -•" 

red  er   -n   dit  r.ar;.-l 

„      .-  ---f    =-   irncp  Lu^;'    Ibrer  Fu.uix.'B  «ut.   Bei  >-''^  = 

l;.oi.TtnT,Xi^r.  e.<ru{.    ^-.c   t^",,,,..,   ic>.    •.!  .■    i     "^.ai    -i'-'^-    -^-i-    i.= . '.■■ner^- 
ist    -üic«   ix.  ürc..-iune".,-iU3»Hr  dB.3    Ic--   -^     ^,^p^^,^,,  .;eu  ri.  .riceü. 

urit.  r    .c-.iMV-    iC:i   aeiif.   "  xt-i  t-, 

Sprnch,-'-u,.pe,dmm  -  ■fi«^«'^"  °'    ;;,';:'    .  v,.jt.;irc    ..nd6   a   s  .otatb 

heeurer  and   ^^«^-i^^S,   ■■«^-'^^»'■'^^%,:.;tj;:''   '  ^,,c)>c-:u  soll..    LsriiBV-'-r'-o 

Ausruf   naoii   -^^^,  "^V        V^^^i    V  ^^abrer   ^j- v^oröen^als   v^iv-    .-3    iu-v.-^ 
noch  ^a:-i^   ^;rlet-iil      x^u   sri..!    ^^^x^x    ^.^ 


UeiTzilcne   arue8:;e  an    >ic 


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16*    Juni   1970 


Lieber  Freund  Hirschfeld, 

Herzlichen   Danü  fuer   ihren   Brief    von)  7.   Juni.    Ich  haette 
bexti  mt   nicht   so  ge  raengt,   v^enn   ich   gewusst  haette,    dass  Jie 
so   grosse  oor^en  hatten, dass   Ihre   Frau  kranK  wurde   und   operiert 
werden  musste*    r,ir  beide  lÄuenschen  von   ganzem  Herzen, dass  sich  die 
gute   iiTholungjVjn  der  öie   schreiben, weiter  fortsetzt, und   wir   sind 
beruhigt  durch  die  Zuversicht  der  üerzte«    .  ir  hoifen   sehr, dass  die 
Untersuchung  im  August   ein  volles  Keiiungsergebnis   zeigen  wird. 
Auf   jeden   Fall  gebe   ich   Ihnen  unsere  Adresse   i  i  iUigust,hotel    Beatus, 
J*ierlisen,I'anton   Bern«    bitte  lassen   Sie    uns  doch  dahin   wissen, v.ie 
es   geht.    Fuer  vorherige   Nachrichten  schreiben  oie  an  die  iNiew  Yorker 
Adresse,    wir  fahren   i^nde  Juni   ab,    aber  unsere  lochter  v.ird  uns 
alles   nBC  schicken« 

Ich   glaube    schon,    dass     ie  zu    Inrem  7ö.   Geburtstag  sehr  gefeiert 
worden   sind,    sicherlich    nicht   ueb:r  Gebuehr,denn  nicht   nur   Ihre   x*.r- 
iönerungen, sondern  auch  Ihre   Leistungen  reichen   ja  weit   in  den  Be- 
ginn  des  Jahrhunderts  zurueck.  Bs  gibt   nicht   mehr   viele,   die:;  aus 
dieser   Zeit   uebrir  geblieben    sind,    mer  laemen    ..eimar-Bana  sind   die 


.r- 
in 
fuer 

Reihe 


Uitteilunren   in  Ihrem  Brief   sehr   vächtig,    noch   saerden   es  die 
innerun^ven  sein, an  den^^n  Sie  arbeiten.    Diese   /erden    Ja   sicner 
diesem  oder  im  naeohsten  Jahr  herausi.OxUiaen  und  daher     von  mir 
den  Band   noch   benutzt   werd- n   koennen   .D' nn  der  vard  noch  eine 
von  Jahren    beanspruchen. 

An  den  Mitteilungen   ueber  .-idolf  Braun   lag  mir, weil   ich   ihn 
stets    sehr   geschaetzt  habe,    rir  kommt  nicht   so   zur  Geltung  wie   es 
sein   sollte,    weil  er   in   der  nachfolgenden  Literatur    i..  Schatten 
von  Heinrich   Braun  steht, der   in  gan^i.  anderer   vveise   seine    Bedeutung 
hatte  .   Julie   Braun-Vogelstein, die:    hier  mit  S7   Jahren  nod.    sehr 
ruestit-    und    auch  geistig   frisch   ist, hat   Adolf  Braun  weuer   in   aem 
kuerziich   neu  aufgelegten   Buch  uebc  r   ihren  lann  und  auch  nicht 
in  ihrem  ..rinncrungswerk   "Was  nie   als    stirbt''   gebuehrend   gevvuerdigt. 
So  moechte   ich   dazu  beitragen,   d'  ss  er  in   seiner   Bedeutung  als  iäensch, 
fuer  die  Partei  und  fuer  die  Heranbildung   eines   qualifizierten   jour 
nalistischen   I^lachwuchses   fuer  die   ja   im  allgemeinen  sonst  recht 
wenig   bereuten   e  Parteipresse  de   richtige    viuerdii^^ng   erhaelt   und 
in  der  i^rinnerung   weiter  lebt.   Dazu  weraai    ihre  Brinneiungen  natuer 
lieh  noch  mehr   beitragen, da   oie  ja  durch    seine   Schule   gegangen    sind. 

nie   Sie  aus   dem  i^rieie   sehen, wollen  wir   im  Juli   und  August 
in  der  Schweiz  sein,    ^»enn   es   sicli  einrici.ten  laesst,    wuerden 
wir  uns  sehr   freuen, wenn  wir  uns   alle  vier  \.iedersehen  koennten. 


vielleicht  und  ho rf entlieh   erlaubt  der  >ustand  Ihrer  Frau,    dass 
Sie  auch   einen  Aufenthalt  in  der  Schv,eiz  nehraen  koennen.^it  i  eiser 
stehe   ich    in  Korrespondenz,    und  wir  wllen  auch  versuchen,   uns 
v.ie   er  zu    sehen« 


Bezueßlich   Adolf   Brauns  habe   ich   natuerlich  die  stellen   ^^ . 
Stampfers  ;:rinneninßen   gelesen,    die  ihn  ja  aehnlich    schildern, «xe 
oie  es  tun.   Vor   kurzem  habe   ich  das  zweibaendige    ,  er  .     Die   i'.egie- 
runc-  der  Volksbeauftragton    zugesandt   erhallen,   und   eine  kurze  Be- 
sprechunp   darueber  geschrieben.  üOY.ohl   ürich  Matthias»    Kinleitung 
hat   mich^bei    allen   Vorbehalten, die   ich    zu   r,-chen   habe,    sehr  inter 
essiert, ebenso  ousanne  fciller's  grupndl icher  Komi;ientar.  Llt  xhr 
■ctehr   ich   in  re^elmaessigt  r  1  orresponden;..    1. 


Kochmals   alle  guten    wuensche  von  uas    bei _:<3i  ,voi-  allem   fuer 
die  Gesundheit   Ihrer  xTau  und   herzliche   Craesse  von  haus  zu  haus 


»  - 


ihr 


:-vfe^i^"y.. 


I^'^;^?^^^?^! 


DR.-WANS  E.  HIRSCHfflD 


Lieber  Freund  Hamburger, 


BERLIN^CHARLOTTENBURG  J      19  j  7  •  6  •  70 
UNDEWfAUEE  3- 

302/ 


34 
8 


Es  wird  hohe  Zeit,  dass  ich  Ihnen  schreibe,  Ihnen  fuer  die  ^«rspaeteten 
Wuensche  und  Gruesse   danke  .  Sie  wundern  sich  ,  dass  Sie  so  lange 
nichts  von  mif  gehoert  haben:  Das  mit  Fug  und  Recht,  aber  ich  war   schreib. 

?aS  !  Einfach  leil  ich  eine  ganze  Menge  anderer  ^/^^^t'lfZll''ll,nen 
m„^=!tP   Da  ich  keine  Setretaerin  habe  ,  muss  ich  das  alles  mit  meinen 
SfendJn  ?;n"--l  "as  faellt  schwer,  -nn , man  Jahrzehnte   daran  gewoehnt 
ist  zu  diktieren.  Ich  habe  mich  iijzwischen  auf   ^^"^J-^^f^^^Jg^^^^S?^® 

Tmm^-n  tA   -in  meiner  Besleitune--  dazu  Haushalt  etc  .  ,  nun, es  iDiieu 
IZll   Zei?  und  ndch  Sniger'sinn  fuer.  Schreiben  .-^^.JJ'^J^^l!-  ^J^^Sine 
c^Pht  es  wieder  besser,  meine  Frau  hat  sich  erstaunlich  gut  erholt,  l^eine 
iSchrerleJ  !  die  Aerzte   sind  sehr  zuversichtlich  ^^nd  las.en  uns  hoffen, 
dass  die  Konttolluntersuchung  i"^  August  po,sitiv  verlaufen   d.h  ein 
guenstlges  Heilungsergebnis   zeigen  wird.,  ^uod  dei  bene  vertant  I. 

— .   ^ 

Hierhaben  Sie  einen  Grund  fuer  mein  langes  Schweigen  ,  das  zumindest 

mild^rSde  Umstaendfe   fuer  mich  ergeben  wird.  ^^^^^^^^^^^^^Xorten 
mag,  ich  haette  auf  Ihren  Brief  vom  ll^..Februar  7Ü_  sofort  antworten 

muessen.   — -  Peccavi.  ,  '-^ 

Im  November  vorigen  Jahres  hat  mkn  mich  hier   aus  Anlass   der 
Vollendung  von  75  Lebensjahren  ueber  Gebuehr  gefeiert.  Mit  war  das 
A^i«^.   efnlle  der  mich  drueckenden  Ehrenaemter  niederzulegen,um  mehr 
Zeir?ue?'Sifh  und-Se^ne^Fr^u  ,  zum  ^i^ti— ,-«l^  ^i^J  ""iTlXfelt 
zur  Verfuegung  zu  haben  .   Und  dabei  wird  auch  "^«^S|.^?^^-  ^J^^^^f  ^^^"^ 
als  Jourhallst  eine  Rolle  spielen,  die  sich  nach  1920  ^^  ^uernberg 
bei  der  "Fraenkischen  Tagespost"  -  Chefredakteur  Dr,.  Adolf  Braun, 
Feuilletonredakteur  Karl  Broeger   abspielte.        .       • 

Sie-  wollten  dazu  auch  etwas  wissen  ersehe  icn  aus   It^^em 
Februarbrief.  Hier  ist  es  in  wenigen  Worten.  Doch  erst  mus-sich  kurz 
noch  elnirtal  luf  meine  Jugend  im  Elternhaus  kommen. Ich  schrieb  schon^ 
dass  ich  im  Hause  meines  Vaters  ,-  der  in  Harourg  das   Harburger  Volks 
bStt  "  gruendete  ,  eigentlich   rank  and  file  der  g^^l^f^^^/^^-^tha-en, 
kennen  lernte,  sie  .erlebte  als  Junge  schon.  August  Bebel,Artur  btadtha,,en, 
PaSl  Singer  ,  Eduard -Bernstein,  Klara  Zetkln,  Lu^se  Zietz,  Lily  Bi'a.un 
Rosa  LSSburg—  von  Karl  Prohme,Stolten,Emil  Krause  , Louis  Gruenwaldt, 

S!  LaS?enbefg  ,  Heinrich  Kauffmann  (G.E.G.  )   als  ?^?^^S^^,^^°!!^^^er 
glAz  zu  schweileA.  Da  mein  Vater  in  der  Bü^iungskommission  ders  Hamburger 

Gewerkschaftsktrtells   fuehrend  taetig  war,   selbst  ^^^^,  .^^^^'^^^^^*® 
und  verstand-  sah  und  sprach  im  Hause  meiner  Eltern  Liliencron  & 
Dehmel.Otto  Ernst  ,Gustav  Falke  et  tutti  quanti.  Ebenfalls  eine  Menge 
Redakt;ure  der  "buergerlichen  "  Hamburger  Z^^tungen  etc,  meist  des 
Feuilletons.  So  kam  es  ,dass  ich  als  junger  unreifer  Bursche  "»i^  «^^ 
Mldete  ,  ich  sei  zu  "Hoeherem"  als  Mediziner  geboren---  ich  fing  heim 
lieh  an  zu  schreiben- i    Das  waere  noch  gegangen  ,  wer  ^^^l^^ftlfUn 
Das  Schlimme  war  ,  meine  Sachen  wurden  in  Z^i.tungen  und  Zeitsc^iften^ 
Sedruckt,obwohl  ich  sie  unter  falschem  Namen  «^f  ^^f  1^^^^^^^^'^^^'* 
i±KktK*x   auch  so  die  Korrespondenz  fuehrte.  In  5,?^^^^^^"^^^.^^^!,  otto 


•>-'fc^^ 


SfLr'?oi;rha?ter^''Sns."-fr--.'^^^"-  von-  diesen  JugandsuendenJ ,  " 
r^^lv.1  fiJ^°   f     Hatten  ,  dass  ich  entgegen  meiner  frueheren  Absicht 
nicht  Medizin  -sondern  alles  andere  mit  Wissen  und  Einwilligung  rn^.'n« 
•  lliriUlti'T''   T     S'^hriftsteller  ,  d.h.  Sedakteuer  eines  '     "' 
5ters'!°3o  uV!^vor  i9lk"%r^iäo'?i^  t.t  auch  alten  PreunlL  meines 

Adolf  Braun  war  ungefaehr   so  alt  wie  mein  Vater,  aus  Idealismus  und 
üeberzeugung  Sozialist,  mit  Friedrich  Adler  vers^hwäe^^t-  e?n  L^ 
lol^f^^.      f/"^   unwahrscheinlicher  Bildung  und  Wissen  rmit  einem 

unendlich  .ielÄÄ 

•ausriVf  etc.  bracS^mir''i?L^w'?r°^'  '^^^   ^^^*^^  ""^"^^   *en  Generalstreik! 

werden  sollte.  —  Waehrend  der  erften  S^^iT^f^M^  !  ,  zur  Seite  gesetz- 
ler,mir  aus  Nuernber«.  mit  h^vL^r  ^  ^^ff  Mmate  kam  Hermann  Muel- 
ihn  draengten^befaehifS  V^h?S  ^^^.  «^^^^hlte,  dass  Braun  und  ^everin; 
sozialistfn"  :  fuer  den  DI on^?^  ^ozialdemoktaaten-  keine  "November- 
an  mich  gedachte  aL?^  5  '""'  ?^^^t®  ^u  benennen  .  Er  habe' dabei 
her  rer^braucSl*   usw   mif  Lob.f'rf  h^'"^'  Keinesfalls   gkebe  er  mich 

,chSr:^s^--..ä-£s~^ 

S?^r-Ä?;r^«L  i£     :       "?--F^F  ^'   ^-"^nXller 
,-.-    schliesslSSschW   JiJes    ^Se's'bf. '^fn°   ""^""^  'P""°^""  ""  ^^^ 
mit  H.Mueller.Severln^  nti^  L  ^   ^    ®^.®^''®"'  Gespraech  zu  Dritt 

Genossen  uebt'l^era^ler  Personalpo?itilT^?J.2""°^=    ^^^    J^^S«"  -^ 
Bearaten wenn  msn   »hfr^  ^e^sonalpolitik  Kritik,  an  den  reaktionaeren 

'Ich  willigte   y^s?  e?n  ha?Lf  T  v,^""^""  """^  ^"""^  ^°^®^  will,kneift      Ihr" 
-sprechen,    nicSL  der  BuerokJatr.^'^;"''^'^   ^^"^  tobenden  Adolf  B.ver^ 

einem  Jahr  wiederzu   seiner   £^  verloren        zu  gehen   ,   mich  in 

f.r  bot-  rr,.-+,   "-^^^s^zu   seiner   Verfuegung   zu  halten 

Wie   ß-Pht   «!°Tv,^^°   ist  hoffenitlich  fuer  Sie   ausreicliend  -    ja'        " 
li   ,f^^lt"L?:to^'ZLTilS.ir  :.^°r^-/i-   ^--^  ^ald   el^Iaf   nach  Euro- 
schrumpft im^e?  meh^°°us!Sn   .      "''''  "^^   '^"'°^'-   ^"^^^  Haeuflein 

o^    Ti,'       ^^^   allen  guten  Wuenschen  lind  Gruessen 
<       an   Ihre  Frau  und  Sie   in  alter  Verbundenheit  K 

Ihr      -•'     '       -^     -^         •     ■        1^ 


./^^--r 


WESTFÄLISCHE  WILHELMS-UNIVERSITÄT 

INSTITUT   FÜR   PUBLIZISTIK 

Priv.-Doz.    Dr.     Vinfried  B.    Lerg 


44  MÜNSTER 
D  O  M  P  LATZ  23 
RUF     4902224 

31-1-70 


/■ 


•i'jap'  • 


TIerrn 

Dr.    lernest   Hamburger 

67    Uiverside   Drive 
New  York,    N.Y,    10024 
U.S.A. 


v^  S^^^i*/' 


> 


?5ehr   geehrter  Herr   Dr.    ^^amburger, 

von    der  Redaktion    der   Zeitschrift   "Publizistik"    erhielt   ich   eine  Fopie 
Jhref  Li^fe^^^^^^      23. d.M.    ..it   Ihren    ergänzenden   Informationen    zu  meiner 
biogranhi  sehen   Skizze  ^iber   Hans    Goslar. 

Tr^h    hin   Tlinen   außerordentlich   dankbar   f^r  Ihre  TTinveipe,    besonders    f-r 
die   .^itteUung   über   Sie    aournalistischen   Anfänge    Goslars    als   Wirt.chalts- 
^ublizist    beim   ".mtus"   und   sexne    Tätigkeit    im   ersten   Weltkrieg,  .^exm  Yer- 
Hitungschef   Ober-Ost.    Auch   die  Kenntnis    seines   Pseudonyms   wird   aem   T^iblio- 
graphen   sehr  n-itzlich   sein. 

MPino    \bsicht  war   es  vorderhand,   mit  dem  kleinen  Reitrag  cauf  die  Persönlich- 
keirn'tms   Goslar   aufmerksam   zu  machen,    biographisches  Interesse   z«  wec.cen 
und  -   Äußerungen   seiner   Freunde  und/Hekannten    herauszufordern. 

Inz'.vi.=  chen   sind  mir   eine   Mborraschond   große    Zahl    von   ^riefen   zu  meinen  Ver- 
such  zugegangen,    doch   Ihre  Nachricht   brachte    erstmals    etwas  >^eues. 

Da  ich  Urnen  heute   schreibe,    interessiert   es    Sie  vielleicht   zu   erfahren, 
daß  wir   f:ir  unsere   Institutnbibliothek  vor   einiger   7,oit   einen   vollstr-ndigen 
«?«tz  der  Zeitschrift   -Cahicrs   de   la  i'rosse"    (iaris)    antiquarisch    erworben 
haben      ^ir   eine    größere   Arbeit  über  das    Gerücht   als   publizistisches   Ph.nonen 
konnte    ich   daraus   dann  kürzlich  Ihren  Beitrag  über    -i.'ausses   nouvelles    et  nou- 
velles    exactes   interdites'     (3: 3/.Tuillet-Septembre   1938,    417-427)    anziehen. 
Womöglich   haben  Sie   für  diese  Erinnerung  noch   ein  Incheln  übrig. 

Mit   freundlichen   Grüßen 
Ihr  ergebener 


/ 


,,r.t.f*fall 


?     >•  ♦»  ■■' . 


f  / 


mj 


f/l-v'l 


// 


!!•    ^ebruar   I97G 


Herrn   'Xr*    ,  infried  .b#   Lerg 
Institut  Tixer  iubliziatik 

kuenster 


>^ 


i^estr- .  ^nr.':   fu«^'*    *hr  •»chr^iben  vorn  ,51»J'munr.    n  hat    mich. 
interessiert  jdMsr?    ^-ie   die  OalUere   de    la  ^  resse  ajitiquarisch 
eiv^erben    irimxter,.    Da   dlf^     luflM^^e    ni<^ht    gross  v^er,r;ntte   ich 
geglaubt» dB S3    ujceraplare  nicht  mehr   erbrieitlicn   viaren«    ich 
aolber   baDe   eln^n  voilstrencU.^/^n   3etr,,d'j   r?.cln  i^reund  üans   .vtaudini^'cr, 
der  bereits   in  Hevi   York   war, als    icn   nocb   lx\  '^iri5>   arbeitete, 
die    <:.ei:3c'altv   oDouni-ict    nntte   »inci   sie  ^lir  nach  neincr    inkunrt 
in  .-»ew   tort:    i'.ndo   I94C   uebc  rreichte. 

>>iit  der  Arbeit   uetv  r  aas   GeruecLt    v^erden  oie,    wie    ich  annehme, 

dev  >iroschu^rt>  von    ^e^O€re,die   i^.--   d   r  i.azizeit   erschic:^en   i^^t, 
endgueltig  6eu  Garaus   mecuen* 


ti. 


is  Theiaa  fucr   eine   DoktoitirK-^  se   einet;   ibrer  <-chU€lfr  kann 


r/^^^i^^ic 


ich    Ihaon    -iiiS   o*..uic>f3il  d^s   inatitui.   oe   ^ci^ncp^   de   la  rrr3^:c 
eiripfeblen*    'jer  f  ranzoesi^CLe  1)  niversi  tuetsuntcrricht    v^ar   dariisls 
noc^    stjirrer  ^\\^i    iu   di»^    r^fi-isten   i.ontinentoler;    Leend   rn,ddie    Ulf- 
lockerung   criO^i^te  niels'^ens  durcf)    «migrenxen   aas     uw^'.land, 
.De'Jt.soh  .aj.fl    u.s*v«    'i?n     wnA^   d    s   Q'-.aaei  iBch^rD   Lebei-Sf    oft.   ni.t 
"'vamerij^.enißcneu   Oeid-xaüt<:In#   oo   ist  cuiö   insiituo  de    Droit    ^ouipare 
:;;ntst'iir:e/i,  bf  vor    voti    t^?  c^  :  at'is  kam  unu    so   üc>be    Icl'    dem  i/rofessor 
B.   ':iri:ine-*>uet2.evitch,der  virspruengiich   in  retersburt'   väriite 
und  des;??en    »irkfin    die  .\;chRffunp  dieser:    institux    in.i   wesentlichen 
zu   verdani.e;    V;^r,äie   ochaituni-  eines   •zeitun^.svvie&enschaftlichen 
Inst.itits  und  d-r  .:ei tsehrt  f t   ^uf  Grmad   meiner    L„r  ohrunf;en   aus 
ueutschlana    erapfohien«    Vui'  0.  lese   ~  eii.e   ist   es   denn  dar-U   ge:;oia:.ien , 
unver  ..Ui:urai:3t^narbf'it   von  Gelehrten  uiiu  «.•ournall.stcn,  Tuer   yrar.kreich 
damals   eine    .irt   von  i:  evoiution-ierer    i'at,una   ich    Liu-iA-««:«   mit 
drr  He üKtion   'l^^v  ^♦:ji^sc]trif t   hcitraut   vvoraen.    ^uf   dif^ser  Grund- 
lage iiabc    ich   auch   eine   iieiiie  von   vortracptn   bei    i-.o/ijf^'re.sfien  der 
Bederut-uon   In  t...r.uationalt.'   d<^s  ."ournnlistes  u..  b'r   -res  ^erocht, 
Pressefreiheit  u.s^w«    in  HelsinKi,Bern  und  i  aris   ßchalteti« 


./■ ' 


n,' 


/ 


^ 


i^4 


--'.V.  1  .-■ 


Dadurch  dass  der  -^«^';'f  ^.^'^^^t^ternehtaen    ein   i^rfoig. 

^enn  auch    ei-  ^^l^^'t^^'^l^^^ini^  einginC'X.^«  t^^^^^" 
Paris  m 


du 


^Zeitschrift    in   ^  ^-^^r,^^'   ^T^/l^    ,er^   3   ^^"^-^^    ^^'    Cah.ers 
basoroclv^«   -vorder-   i-^v.   ;.:^^^   ■,^^^;4   g,^,«   t.er.r.cr.   f ranzoeaxsca.n 
.eitschrin   ein  5^t3pr.:.^<--I)u«^.    J«^'         ^^.   ^^^  ^j,„,.j,  „ua.  .noch 

!V^»'^i    -.p   f'lt>'-fc   — =    TÄiicUo   '•■^^^'5^' •■:;;,;-,  ich en  potltikwissen- 
,torf   x-ur   jearüoiturw:    -u..c.i   --i--!-    --*   '- 


bei,:,  Grueiibca 


ihr   crgehoncr 


) 

WESTFÄLISCHE  WILHELMS-UNIVERSITÄT 

INSTITUT   FÜR    PUBLIZISTIK 

-   LEK    DIREKTOR   - 


(A-ci^^i/^ 


44  MÜNSTER 
D  O  M  P  LATZ  23 
RUF     4902224 

13.    März    1970 


Herrn 

Drc    Ernest      Hamburger 

ftV  Riverside  Drive 

USA  -  New  York,  N.Y.  10024 


/: 


A 


I 


w^ 


Senr  geehrter  Herr  Dr.  Hamburger, 

besten  Dank  für  Ihre  Anregung  einer  v/issenecl.af tlichen  Untersu- 
chung über  das  Institut  de  S.ience  de  la  Presse  in  Paris.  Teh  hal- 
te eine  solche  Studie  für  sehr  nützlich,  -.umal  da  an  diesem  In- 
stitut wahrscheinlich  der  einzige  Versuch  gerächt  wurde,  in.vd^r 
Emigration  die  Traditionen  der  alten  Zeitungswissenschaft  fortzu- 
führen. Ich  nehme  an,  daß  sich  ein  Kandidat  oder  eine  Kandidatin 
gegebenenfalls  auch  an  Sie  mit  der  Bitte  um  weitere  Auskünfte 
wenden  darf. 

v:ie  Sie  vermuten,  habe  ich  in  meiner  Arbeit  über  das  Gerücht  tat- 
sächlich die  politische  ..uftragsarbeit  von  Walther  Schoene  kritisah 
abgehandelt.  Wie  der  sonst  sehr  verdiente  Pressehistoriker  Schoene 
-  er  ist  gegen  Ende  des  Krieges  gestorben  -  zu  einem  solchen 
Pamphlet  kam,  läßt  sich  heute  nitht  mehr  rekonstruieren.  Jeden- 
falls gab  es  im  ersten  und  zweiten  Weltkrieg  eine  ganze  Reihe 
solcher  Schriften  über  Gerüchte  und  Presselügen,  wobei  immer^der 
Gegner  Gerüchte  ausstreute,  -  bezeichnänderv/eise. 


Mit  freundlichen  Grüßen 
Ihr  ergebener 


/ 


^-'     / 


!-</     C 

/ 


/ 


Dr.  Ernest  Hamburger 
67  Riverside  Drive 
New  Yorl^,  N.Y.    10024 


8.  April  1970 
\]/2jh   -  EII/IS 


Herrn  BOoSChafter  a.D. 
Via  Capolun£,o  11 
Genua- Nervi 
Italien 


Dr. Werner  Peiser 


■l  .V: 


Lieber  Herr  Peiser, 

Sie  werden  erstaunt  sein,  von  uiir  nach  ao 
langer  Zeit  einen  Eriei  zu  erhalten. 

Es  sind  jetzt  38  Jahre  her,  dass  Sie  dank 
unseres  Ireundes  GrLv.e,  der  Ja  leider  nicht  -nehr 
uSIr  una  weilt,  von  Berlir.  nach  Rom  gegangen  sind, 
Snd  inzwiscl^en  haben  wir  beide  eine  bev|e£.e  Laul- 
bann  hinter  uns.  Zeitwelse  waren  oie  in  U.o.A. 
taetig,  dann  nach  dem  Ende  des  Ki-ieges,  wie  ICh 
eriuhr  als  Gesandter  in  Nicaragua,  und  jetzt  vei- 
bringen  Sie  Ihre  auhezeiu  in  dem  schoenen  von  Ihnen 
geliebuen  Italien. 

Meine  Lau.bahn  hat  mich  f^^wischen  ueber  die 
New  School  ior  Social  Research  ^"^  die  j-coleLiore 
3es  Hautes  Btudes  in  New  York,  wo  ^^n  eine  Professur 
innehabe,  zu  den  United  Nations  f ''i^«^^^'  ""^."  ''^ 
12 jaehriger  Taetigkeit  dort  bin  ich  nun  £uer  das 
Leo  Baeck  Institut  taetig.  Hieran  aoechce  Ich  in 
diesem  Briefe  anknuepfen. 

Im  Jchre  1968  habe  ich  ein  Buch  "Juden  im 
Oeff entlichen  Leben  Deutschlanas  im  Verlag 
J.C.B.  Mohr,  Tuebinf?en,  ^eroei i entlicht.  x.o  be^ieno 
sich  auf  die  monarchwehe  Zeit  (l3J&-19l3^  Ich 
beschaeftlge  ralch  hauptsaechlicn  ';;i^^„  .Pf^^^^lS^! 
riern.  Regleruni,smitgliedern  und  I^ö;^'^«^^J^fJ^ 
scher  Herkunft,  unabhaengig  favon  ol.  sie  der 
Juedischeii  Religionsgemeinschaft  noch  angehoeren. 

Jetzt  bereite  ich  das  en*«l^^'«°^^«f  ^Jl^^^^bltte 
die  wel-narer  Zelt  (1919-1933)  vor.  und  ^azu  erbit.e 
ich  Ihre  Hilfe,  soweit  Ihre  Person  und  die  P^^J^e 
stelle  des  Preusslschen  Staatsministeriums  in  Pra^e 

-2- 


.  2  . 


8.  April  1970 
U/274-EH/IS 


Herrn  Botschafter  a.D.  Dr.  Werner  Peiser,  Genua-Nervl. 


^'fzS:?^^^\ 


kommen.  Mir  laege  daran,  einen  kurr.:en  Lebenslauf 
(etv/a  12-15  Zellen)  von  Ihnen  zu  erhalten  und  ferner 
eine  Information  ueber  die  PresseBtelle.  Sie  v/issen 
natuerlich,  dass  kuer^lich  ein  Ai^tikel  ueber  Hans 
Goslar  von  Winfried  B,  Lerg  in  der  Zeitschrift "Publi- 
zistik" erschienen  ist,  der  eine  Reihe  vjlchuiger  Daten 
ueber  Goslar  7:msamraens teilt,  und  andere  nicht  weniger 
wichtige  Din^e  weglaesst.  Ich  liabe  an  Lerg  geschrieben, 
und  diese  Ejueckeri  fuer  eine  etwaige  kueni'tige  Veroeffent- 
lichiung  ausgefuellt.  Sie  kennen  auch  die  Stelle  in  Otto 
Brauns  [Erinnerungen,  in  denen  ex  erv/aehnt,  dass  Hoepker» 
Aschoff  ihn  daraui'  aufmerksam  ge.Miacht  habe,  dass  in  der 
Pressestelle  nur  juedische  Beamten  arbeiten.  Bitte 
seien  Sie  so  freundlich,  lair  in  Erinnerung  zu  rufen, 
wer  diese  Beamten  v;aren. 

Ich  erinnere  mich  an  Goslar,  ferner  an  Scherek,  der 
wohl  vor  Ihnen  Goslars  Vertreter  war,  danach  sind  Sie 
v;ohl  anstelle  von  Scherek  als  stellvertretender  Presse- 
chex^  getreten,  und  dann  waren  noch  Max  Harteck  und  Hans 
Heinrich  Bormann  dort.  Der  letztere  war  wohl  nicht  juedisch. 
V/ie  stand  es  mit  Harteck? 

Schliesslich  erinnere  Ich  'ilch  noch,  dass  auf  Hirt--^^  ^  ^^^^ 
siefers  Draengen  eine  dem-dOTterrt^Rsr  angehoerige  Beamtin  2.^"   ''*^'' 
eingestellt  vmrde,  Ist  diese  Liste  vollstaendig,  und 
koennen  Sie  etwas  K'arheit  in  sie  bringen? 

Schliesslich  wuerde  es  mich  interessleren,  ein  paar 
Zeilen  ueber  das  Wirken  der  Pressestelle  und  das  Ver- 
haeltnis  zu  den  Journalisten  der  versciiiedenen  politi- 
schen Richtungen  zu  erfahren.  Waren  die  Beziehungen  zu 
allen  gut,  oder  waren  sie  gespannt  zu  einem  Teil  von 
ihnen,  zeigten  sich  antisemitische  Hegungen,  usw.? 

Fuer  Informationen  ueber  alles  dies  waere  ich  Ihnen 
sehr  verbunden. 

Ich  hoffe,  dass  es  Ihnen  >,'esund}ieitllch  gut  geht, 
und  dass  Sie  Ihr'otium  cum  dignitate »genlessen. 

Mit  herzlichen  Gruessen  und  in  der  Hoffnun^i,  auf 
eine  baliige  Antwort  bin  ich  in  alter  guter  Erinnerung 

Ihr 


Dr.Ernest  Hamburger 


J^^i^/j on-at/^»**'     f.     >-  ^. 


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Herrn 

Dr.    Ernest  Hamburger 

67  ir^iverside  Drive 

N ew  York,    N,Y,    1002^ 


Mein  lieber  Herr  Hafaburgerl 

Freude  und  Uberrascliunc  v/aren  gleich  gross,  als  heute 
Ihre  Zeilen  vom  8.  d.M.  U/27^-EH/IS  hier  einbralen. 
Icn  bewundere  Ihr  gutes  Gedächtnis,  das  noch  im  Stande 
ist,  sogar  über  mich,  der  ich  v;irKlich  nicht  zur  "Promi- 
nenz" gehörte,  einen  nahezu  lückenlosen  Steckbrief  zu- 
sammen zu  suellen» 

In  der  Anlage  mache  ich  Ihnen  einige  Angaben  der  von 
Ihnen  gewünschten  Art.  Natürlich  könnte  ich  Ihnen  sehr 
vieles,  auch  Anekdotisches,  aus  den  Jahren  der  Weimarer 
Republik  berichten;  aber  das  ist  schriftlich  schlecht 
zu  machen. 

Vor  einiger  Zeit  drängten  mich  die  Gewerkschaften, 
eigenulich  gegen  meinen  .villen,  etwas  zu  schreiben,  was 
kein  imch  der  ii^rinnerungen  sein  sollte  -  dazu  scheint 
mir  mein  Leben  nicht  bedeutungsvoll  genug  -  das  sich  auf 
eine  ochilaerung  führenaer  Sozialdemokraten  ab  iyi2 
beschrc:inken  sollte.  Ich  begann  die  Arbeit,  vollendete 
sie  aber  nicht,  da  ich  den  ^inaruck  hatte,  dass  das 
Ganze  nur  initiiert  v/ar,  um  einem  loeamten  eine  lienst- 
reise  nach  Nervi  zu  ermöglichen. 

Hätte  ich  nur  gewusst,  dass  Sie  in  New  York  leben  - 
wir  hätten  ein  fröhliches  Wiedersehen  gefeiert.  Bei  meinem 
letzten  Aufenthalt  sah  ich  Sidny  Mendel  (Ihnen  kaum 
bekannt),  Else  Pick  (alte  treue  beele  aus  dem  Staats- 
ministerium), Moritz  Goldstein  (einst  Inquit),  beim  Be- 
such zuvor  den  unglücKlichen  Korsing. 


-  2  - 


.  ^:\i^~?^ 


Nach  der  i-ensionierung  1960  übernahm  ich  noch  acht 
Jahre  hindurch  die  Leitung  des  uoethe-Instituts  in 
Palermo  und  Genua.  Jetzt  leben  v/ir  hier  -  ich  habe 
nach  dem  verlust  meiner  .jrau  v;ieder  geheiracet  -  in 
einem  entzückenden  Haus  am  Park  und  Heer,  glücklicher- 
v/eise  nicht  zu  viel  otium,  und  ob  cum  dignitate  mögen 
andere  entscheiden. 

Auch  bie  hatten  interessante  una  sicherlich  sehr 
i'ruchubare  Jahre  innerhalb  der  Emigration.  Die  Einzel- 
heiten, die  oie  mir  schreiben,  waren  mir  unbekannt. 
Preundliche  ji^rinnerungen  erweckt  Ihre  Adresse  in  mir: 
am  Riverside  Drive,  ich  glaube  Nr.  212,  wohnte  viele 
Jahre  Herbert  harcuse,  den  ich  dort  oft  besucht  habe. 
Kürzlich  kamen  wir  wieder  in  kurzem  Austausch,  einmal 
telefonisch  von  Venedig  aus. 

Nichüs  v/ürde  mich  mehr  freuen,  als  oie,  der  Sie  mir 
immer  nahe  standen,  hier  wiederzusehen.  Kihren  Sie  nichu 
einmal  ji'erien  an  die  uiviera?  Und  nur,  damit  nichts 
schief  geht,  mochte  ich  Ihnen  mit'ceilen,  dass  wir  ab 
9.  r^iai  zwei  uonate  verreist  sind  (Afrika-Vahrt  mit 
der  "HArjBURG")«  I^  Hamburg  werde  ich  unsern  alten  ivolle- 
gen  weichmann  wiedersehen. 

Alle  guten  ;;ünsche  mit  der  Versicherung,  dass  ich  Ihnen 
stets  besonders  gern  zur  Verfügung  bin, 

in  alter  Verbundenheit 

Ihr 


'yCyi'i^/  ^<^/'/v^ 


/ii&4^//»**-  f.  -  '^. 


M^  t  ^t-e^  t'    '  y^^ 


c<f^/;t 


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^fN^Ui^0^ 


Sl/.     J^  ^  ^^ 


12. 4.70 


at   personam 


20.8.1895 
1902-191^^ 
1914-1919 

1921 
1931-1955 


geboren  in  Berlin 

Luisenstädtisches  Gymnasium 

juristisches  und  volkswirtschaftliches  otudium  an 

der  Universität  Berlin 

Eintritt  ins  ..taatsministerium,  Kegierunursrat ,  über- 
regierun-srat,  Stellv.  Pressechef 

Versetzung  nach  x.om,  attachiert  an  die  ueutsche  Bot- 
schaft, Leihsi:elle  vom  rreussischen-uistorischen- 
Institut 
Entlassung 
Gründung  und  Leitung  des  Landschulheims  Blorenz  für 

die  Opfer  des  Dritten  Reichs 

im  oeptember  nach  Verhaftung  Elucht  nach  x''rankreich 

irofessor  für  romanische  Sprachen  an  der  Loyola-üni- 

versität  in  Nev/  Orleans,  La. 

OWI  Washington 

Legal  Senior  Export  in  irnrnberg 

mit  Joint  in  Prag 

Rückkehr  in  die  Bundesrepublik 

Kultur-Attache'  an  der  deutschen 

Janeiro 

Botschaftsrat  bei  der  ijeutschen  Botschaft  in  wadrid 

Gesandter  und  Botschafter  in  r,icaragua 

Leiüer  der  ^_.oethe-lnstitute  in  Palermo  und  uenua. 


1955 
1955-1958 

1958 
iy59-.19A-2 

^942-194-5 
^^z^5-1947 

19^8 

1951 
1951-195^ 

195^-1959 
1959-1960 

1961-1969 

Wenn  es  Ihnen  zu  lang  erscheint,  bitue  kürzen  oie  ungeniert. 

Ich  habe  keinerlei  .jhrgeiz. 

// 


u 


otschaft  in  x^io  de 


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Yjon^t'/if^e'*^    f>    »  ■^- 


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at  rem 

In  die  Pressestelle  des  otaatsministeriums  (Ministerpräsident 
Otto  :uraun)  trat  ich  im  Uezember  1921  ein.  Pressechef: 
Hans  v.oslar,  Stellvertreter  ocherek.  Kurze  Z-eit  später  trat 
M.  Hartek  hinzu.  iJic-se  drei  _ueamten  waren  jüdisch.  Nach  dem 
lode  von  ocherek  wurde  jr.  Katzenberger  btellv.  rressechef  (kath 
Nach  dessen  .ausscheiden  in  den  xceichsdienst  wurde  ich  zum 
otellv.  i-ressechef  ernannt.  VJeitere  ..itglieder  Kans  Heinrich 
Bormann  (kath.),  Prau  ^urtmann  (kath.),  Dr.  Kern  (kath.) 

Die  Tätigkeit  der  Pressestelle  ist,  natürlich  in  entsprecnend 
kleinerem  umfang, mit  der  der  heutigen  .üundespresse-..bteilung 
vergleichbar,  lägliche  Konferenzen,  in  denen  wir  der  iresse 
Auskünfte  über  alle  möglichen  ..ragen  erteilten.  (Der  Keichs- 
pressestelle  gehörte  damals  .rnst  Lemmer  an). 

Die  Beziehungen  zur  i-resse  waren  gut.  von  irgend  welchen  anti- 
semitischen .vegungen  ware^  auch  in  der  .Rechtspresse  nicht  das 
Greringste  zu  spüren,  uass  Höpker-Aschof f  nicht  frei  von  anti- 
semitischen /|/egungen  war,  soll  er  im  abritten  Reich  bei  der 
Verwaltung  jüdischen  Eigentums  bewiesen  haben.  Aber  darüber 
weiss  ich  nichts  Käheres. 


über  die  ümfunktionierung  der  Pressestelle  unter  Herrn  von 
Papen  und  später  Staatssekretär  i.örner  kann  ich  nichts  sagen, 
da  ich  damals  schon  im  Ausland  war. 

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■:^-ur'rvr-sifm:':f-:in^iZ-mtvi:rmK)Si:fa 


^^«j|j2|^^2iSa 


4 


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.I.V. 


Dr.  Ernest  Hamburger 

67  Riverside  Drive 

New  York,  N.Y.    1002^ 


r 


24,  April  1970 
U/ill-KH/lS 


Herrn  Professor  Dr.  Werner  Peiser 

Via  Capolungo  11 ^- 

16167  Genua-Nervi 
Italien 


Lieber  Herr  Peiser, 

es  v/ar  eine  grosse  Freude  fuer  aich,  Ihr  Schreiben 
VO-.  12. d.M.  mit  all  den  wertvollen  Infor.iationen  zu 
erhalten.  Die  Riplizitaet  der  Ereignisse  wollte  es, 
dass  ich  am  gleichen  Tage  ein  Schreiben  von  Weichmann 
erhielt,  in  dem  er  ndr  u.a.  miLteilte,  dass  er  von 
Ihnen  ■];ehoert  habe. 


Wissen  Sie  noch  den  Vornamen  von  Scherek?  Erinnere 
ich  .aich  richtic>  darjs  er  Jakob  hiess? 

In  Ihrem  Lebenslauf  ist  eine  Luecke  zwischen  1919 
und  1921.  Diese  moechte  ich  gern  ausfuellen.  Vfaren  Sie 
nicht  waehrend  dieser  Zelt  Redakteur  oder  Mitarbeiter 
am  »Vorv/aerts*?  Das  waere  wichtig  zu  erwaehnen,  da  dies 
die  Berufung  in  die  Pressestelle  gut  begruenden  wuerde 
und  gleichzeitig  eine  H^staetigung  der  Tendenz  der  Demo- 
kratisierung der  Verwaltung,  die  unter  Braun  und  Severlng 
im  Jahre  1921  einsetzte.  Nur  der  Kuriositaet  hal  er  erwaehne 
ich,  dass  ich  mich  zu  erinnern  glaube,  dass  Sie  etwa  1919 
eine  antikonmunis tische  Broschuere  rüt  dem  gerade  dieser 
Tendenz  dienenden  Titel  ''Mein  Ziel  ist  die  Weltrevolution" 
geschrieben  haben.  Dieses  Ziel  ist  wirklich  in  damals 
ungeahnter  Weise  erreicht  worden» 

Ihr  Leben  and  Ihre  T  etigkeit  war#n  ungewoehnlicli  reich 
und  fruchtbar.  Nichts  wuerde  mich  mehr  freuen,  als  Sie 
wiederzusehen.  Vom  21.  Juli  ab  beabsichtigen  wir  in  Kan- 
derste/r,  Hotel  Victoria,  fuer  etwa  zwei  Wochen  zu  sein. 
Lasserrsie  mich  doch  bitte  dahin  wissen,  ob  »ich  ein 
Treffen  ermoeglichen  laesst.  Wir  wuerden  uns  beide  sehr 
freuen,  Sie  und  Ihre  Frau  bei  dieser  Gelegenh.it  zu  sehen. 


-2- 


;fg8',T,gl'3!-BgKiWfaWi 


\ 


-  2  - 


24.  April  1970 
U/311 -EH/IS 


Herrn  Professor  Dr.  V^erner  Peiser,  Genua- Nervi. 


wenn  es  mir  gut  genug  geht  -  ich  habe  die  Folgen  einer 
Guertelrose  vom  Mai  letzten  Jahres  noch  nicht  ganz 
ueberstanden  -  denken  wir  an  einen  Ausflug  an  einen 
der  oberitalienischen  Seen.  Vielleicht  koennten  wir 
uns  dort  treffen, 

Fuer  Ihre  Afrika-Fahrt  wuenschen  wir  Ihnen  beiden 
viel  Genuss  und  Freude  und  ein  gutes  Wiedersehen  nit 
Wei  chmannsfin  Hamburg . 


Mit  herzlichen  und  freundschaftlichen  Gruessen 


Ihr 


■r  f    1       1.     1 


Herrn 

Dr.    iiJrnest   i.Lambur[,';e; 

67  itiversido  Urive 


i\  evj 


York,  i..Y.  10024 


Sl/.    J;r  6'y  p:5 


Lieber  Herr  .lamburgeiM 

Nehmen  Sie  vielen  ajank  für  ±hre  erfreulic.ien  i^eilen 
vom  24.  d.M.  U/511 -EH/IS. 

Es  ist  wirivlich  ein  v;ahres  v_.lück,  dass  icn  ein  verhält- 
nismässig gutes  Gewissen  habe  ,  sonsc  v/ürde  aie  oenauig- 
keit,  mit  der  .^ie  über  mein  Vorleben  unuerrichtet  sind, 
mich  in  Verle^^enheit  setzen  können.  Ja,  in  den  etv/as  tur- 
bulenten oahren  zwischen  -i919  und  i921  arüeioeüe  ich  kurze 
Zeit  bei  einer  ant imi  1  i t ar i s  u i ü c nen  losuzensur,  als  .-.it- 
arbeiter  beim  VORV/aRTS  ^  f  ür  ^lUgo  haase  usw.,  aaneben  Vor- 
lesun..:en  über  romanische  sprachen  in  der  universits^t 
berlin.  Richtig  ist,  dass  ich  in  Jener  Zeit  irgend  eine 
Broschüre  geschrieben  habe,  aber  der  litel  lautet: "Hat 
das  Proletariat  den  Klassenkampf  gewonnen?"  All  meine  zahl- 
reichen linguistischen,  pädagogischen  und  poli-..ischen  Publi- 
kationen sind  in  den  Staaten  (etwa  40)  habe  ich  in  völliger 
Pietätlosigkeit  weggeworfen,  übrig  geblieben  sind  ein 
paar  Übertragungen  aus  dem  Hittelspanischen  und  ein  Buch 
über  die  'Ischechoslowakei  1^48. 

Tatsäsctilich  hiess  Licherek  Jakob.  Er  war  -  Friede  seiner 
Asche  -  ein  r;anz  grosses  i^kel.  Sehr  viel  netter  war  irau 
Vdrtmann,  die  als  Verhältnis  von  Hirtsiefer  Regierungsrä- 
tin  wurde  und  sich  jahrelmg  auf  Zeitungslektüre  be- 
schränkte. Ich  könnte  llinen  manch  lustige  Anekdote  aus 
jenen  Jaliren  beri.cnten. 


2 


\nm^\ 


Nichts  wurde  mich  mehr  freuen^^  als  ein  wiedersehen  mit 
Ihnen.  Mit  Weichmanns  isu  e  s  gerade  scnief  gegangen;  in 
den  Tagen,  in  denen  wir  in  Hamburg  sind,  ist  er  beim  Partei- 
tag der  SPD  in  Saarbrücken.  Ihre  Reise  nach  Kanders.eg 
billige  ich  sehr.  Aber  gehen  Sie  um  Himmels  willen  nicht 
an  einen  der  oberitalienischen  Seen.  Vor  50  Jahren  war 
das  einmal  sehr  scnön,  aber  heute  ist  es  unerträglich:  ge- 
stopft voll,  meist  mit  wenig  appetitlichen  Gampingleuten, 
mit  brüllenden  Heutschen  (Warum  ist  es  denn  am  xihem  sc 
schön?),  die  Seen  verschmutzt,  die  Zugänge  versperrt  -  kurz: 
warum  fahren  Sie  nichc  ein  paar  Kilometer  weiter  und  lassen 
sich  von  uns  ruhig  und  angenehmi  in  einem  neüten  Hotel  in 
Nervi  oder  Camogli  unc erbringen?  Wir  gehören  nicht  zu 
den  Gastgebern,  die  ihren  G-ästen  auf  die  Nerven  fallen, 
indeiii  sie  ständig  um  sie  herum  sind.  Wir  v/ürden  uns  in 
unserm  sciiönen  Haus '  cnen  sehen  und  gelegeni;lich  einen  :.us- 
flug  miteinander  machen.  Wäre  das  nicht  sehr  viel  angenehmer 

Damit  keine  Panne  entsteht:  bis  zum  20.  Juni  können  Sie 
uns  nicht  erreichen.  Von  da  ab  bis  zum  1.  Juli  sind  wir 
un-üer  foli,:ender  Adresse  zu  erreichen: 

Peiser  bei  .i/Tau  Hlly  Schaette 
5868  Letmathe-Sauerland 
Postfach  13o 
Von  da  aus  müs^n  wir  für  Sie  ein  Hotel  mieten^  und  alles 
andere  könnten  bie  uns  getrost  überlassen. 

In  der  noffnung,  Sie  wiederzusehen  und  Ihre  -lattin  kennenzu- 
lernen, begrusse  ich  oie 

in  alter  freundschaftlicher  Ver- 
bundenheit 

Ihr 


Publizistik 


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Zeitschrift  für  die  Wissenschaft  von  Presse,  Rundfunk,  Film. 
Rhetorik,  Öffentlichkeitsarbeit,  Werbung  und  Meinungsbildung 

REDAKTION 


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53  Duisdorf  über  Bonn    2^.    3-    iX> 

Goerdelerstraße  2/75 
^^  (02221)624310 


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Dr.    Ernest   Hsunburger 
67  Rlverslde  Drive 
New  York,    N.Y.        10024 


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23.  Januar  1970 
U/54  -  Fö/lS 


Herrn  Walter  J.  Schuetz 

Redakteui*  der  Zeitschrift  '  ?ubli*:istik» 

Goerdeler  Str.  2/75 

D-53  Duisw-orf  ueber  Bonn  - 


/ 


'js.^  ^'.-i 


Sehr  geehrter  Herr  Schuetz, 

ich  habe  Heft  2/1969  Ihrer  Zeitschrift  gelesen 
und  7iich  gefreut,  darin  <^Qn   Artikel  von  Winfried  B» 
Lerg  ueber  meinen  alten  Freund,  de::i  einstigen  Presse- 
chef der  Preussischen  Staatsregierung, Hans  Goslar, 
zu  finden. 

Der  Artikel  stelle  interessante  biographische 
und  bibliographische  Daten  ueber  Hans  Goslar  zu- 
samraen,  '.eigt  aber,  dass,  wie  begreif  lieh, '^manche 
Dinge  dem  Autor  nicht  bekannt  oder  nicht  wieder 
bekanni.  gev^orden  sind. 

Ich  vmerde  daher  e.  ipf  ehlen  ,Herrn  Lerg  ralL^r^--^^^  zJL^'    ^ 
teilen,  dasa  Goslar  seine  Laui'balm  als  \ä=*«^^&ehafts- 
Journalist  beira  Plutus,  der  von  Georg  Bernhard  geleitet 
wurde,  begonnen  hat.  Ver^nutllch  ist  er  entweder  dui'Ch 
die  äupfehlung  Bernhards  oder  durch  diejenige  Joehlingers, 
wie  Herr  Lerg  vermutet,  in  die  Pressestelle  des  Staats- 
ministeriums gekommen. 

Waehrcnd  des  Krieges  war  Goslar  bei  der  Verwaltung 
"Oberost",  ^^iTi   die  Administration  der  Baltischen  Staaten, 
Litauens  und  des  noerdliclien  Polens  uebertragen  war. 
Seine  Funktion  war  die  Bearbeitung  der  Presse  in  diesen 
Etappengebiet,  insbesondere  mit  Hinsicht  auf  die  I^ein- 
flussung  der  dort  ansaeesigen  zahlreichen  Juedischen      ^ 
Bevoelkerung.  Herr  Lerg  weiss  verötaen^licherweisey^ichts,^^!!^^; 
er  findet  einige  Angaben  in  dem  Buch  von  Sammy  Gronemann: 
Hawdoloh  und  Zapfenstreich,  wichtigei^es  Material  WTierde 
wahrscheinlich  bei  den  alten  Ki1:^geakten  der  deutschen 
Regierung  zu  finden  sein. 


-2- 


-   2   - 


23.    Januar  1970 
U/54  -   2li/lS 


\ 


Herrn  Walter  J.  Schuetz,  Goerdeler  Str. 2/75,  Dulselorf  ueber  Bonn, 


Ai? 


Bezueglich  der  Bibliographie  sollte  Hans  Ooslars 
Artikel  de:;  Juedischen  Gemeinde  Jahrbuch  1913/14, 
Berlin  1913*  hiazxigefuegt  werden,  ebenso  das  Buch 
von  Hans  Steffen ;  Otto  Braun,  erschlenan  in  Berlin 
im  Historisch-Politischen  Verlag,  1932.  Hans  Steffen 
war  das  Pseudonym  von  Hans  Goslar, 

Ich  hoffe,  Ihnen  und  dem  Autor  mil  diesen  Hin- 
weisen fuer  eine  etwaige  spaetere  Biographie  ueber 
Hans  Goslar,  die  Herr  Lerg  andeutet,  behilflich  zu 
sein. 

Darf  ich  Sie  bei  dieser  Gelegenheit  noch  darauf 
hAnv/eisen,  dass  in  der  üebersiciit  ueber  den  Inhalt  des 
Heftes  in  frOiTiden  Sprac^ien  auf  den  gelben  Blaettern  vor 
Beginn  des  eigentlichen  Textes  hn   franzoesischen  Sonmiaire 
recht  schwere  Fehler  im  Fran2:oesi3Chen  enthalten  sind  - 
falsche  Artikel,  falsche  Orthographie,  und  in  der  Ueber- 
Sicht  ueber  den  Artikel  des  Herrn  Lerg  selbst  eine  so 
irrige  Ponn  wie  "11  est  mouini"  anstatt:  il  est  mort. 
Darf  ich  anregen,  dass  diese  Uebersichten,  die  doch 
fuer  auslaendische  Leser  ausserordentlich  wichtig  sind, 
vor  Veroeffentl4.chung  von  einem  Kenner  des  Fran^^ioesischen 
gepinaeft  werden? 


Mit  besten  :^npf  eh  langen 


Ihr  ergebener 


Dr.  Srnest  Hamburger 


[.f^m 


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23.    Muer-'.   1971 


Sehr   geehrte  Frau  Zatrcher, 

besten  Daru.  fuer  ihr  Schreiben  voa  11.   Maerz.    ;;:\\;^^«'' «'"•  ?^, „ 
eilen   r.icnt.    dei'.:n  bie   so   freundlicx-.,  s^f   "^^^^'V^^y   '■?'';'*^7,ut 
noctig  and    ich  nocchte   'lui:  vein.u  Fall   Tuer  ein.   aolchc.  v..r- 

an  twoi"  tl  i  or:    rein« 


ivlit    ör*    ueiCiiOitnn   steh''    ici:. 


In   btaenäis--'^  bri-Jt'vveori^el. 


loh   i'lHube    r.x.^ht,   dass  er   in  dieser  Saone   ne..ien  ii-nn,.r  -■o- 
in    i"n.=  r   ''-it    sehen    iur  de?  ^cniaesäeiatrilurK?  im  .^tan-..- 

IrmLrain.^cn   verds   in  meine,  nuecr.sten  Brief  un  i na  darauf 
se"bs^   h^     keMic    ^irianorua,:   dai-au,oo«ohi   ich   v:,a  nieinor  oüelle 

.ra   vaabe   riielit,,    aftaa    Lar  aeuaecaUä:;  ochlec-,  to.r  funKt  lO- 
ni.r-r.   ;i.^;tine..    .ch'bVu..   nur   .uien   VortcU  oa   r  z.e.  ■    e.'^..;.en. 
f>rinn<-rt   .iich   mexnc   Frau  at'.sndig  au  ulicS   /.ab   icu   v:j.rg,es^.- , 
Jni     J.teaa   benutze   ich   .i.an    ..Rleaier,un  da.   nnoax^is^end-    oe- 


luit   rrtiiunuliv,*ien  uru^^s.^eu 


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Dr.  HERBERT  WEICHMAribU 

SENATOR  DER  FINANZEN 


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HAMBURG  36,  DEN    5 .  Juni  1961 

GÄNSEMARKT  36.  FERNRUF  341016 


Herrn 
Ernest  Hamburger 
67  Riverside  Drive 
New  York  2^,  N,Y. 


^^^^■€.^^^^^  l^^) 


Lieber  Freund  Hamburger! 

Recht  herzlichen  Dank  für  Ihre  freundschaftlichen  Glück^;mnsche 
zu  meinem  65. Geburtstage.  Sie  machen  mir  bewusst,  dass  ich  nach  Ihren 
Angaben  offenbar  den  7o. Geburtstag  bei  Ihnen  versäumt  habe.  Nun,  umso 
mehr  freue  ich  mich,  Ihren  Zeilen  zu  entnehmen,  dass  auch  bei  Ihnen 
der  siebzigste  keine  Altersgrenze  war,  soweit  es  auf  die  geistige  Akti- 
vität ankommt.  Ich  bewundere  sehr,  wie  unentwegt  Sie  immer  an  der 
Arbeit  bleiben,  und  das  imponiert  mir  übrigens  auch  bei  unserer  Freun- 
din Hedwig  sehr.  Ich  wäre  übrigens  auch  ohne  Senator  noch  nicht  an  der 
Altersgrenze,  denn  für  richterliche  Beam.te  wird  sie  erst  mit  68  Jahren 
erreicht.  Aber  dafür  wäre  mir  wohl  die  geistige  Aktivität  noch  vor 
Erreichung  der  Altersgrenze  in  meiner  Rechnungshofpräsidenten-Beschai- 
tigung  allmählich  ausgegangen,  denn  dort  gab  es  für  mich  nicht  mehr 

viel  Fruchtbares  zu  entdecken.  i  ^-,  •  v.  ^ 

Zu  Ihrer  neuen  Arbeit  möchte  ich  Ihnen  zunächst  hinsichtlich  der 
Fragen  zu  meiner  Person  sagen,  dass  ich  meines  Y/issens  im  Dezember  1927 
in  das  Preuss.  Staatsministerium  gekommen  bin,  nachdem  ich  vorher  in 
Kattowitz  in  der  Minderheitenfrage  tätig  war.  Sie  haben  mich  ja  selbst 
sozusagen  ins  Staatsministerium  geholt.  Unmittelbar  nach  dem  Staats-  _ 
streich  am  2o.Juli  1932  wurde  ich  von  Brt2.cht  in  das  Preuss. Handelsmini- 
sterium versetzt  und  konnte  mich  dort  dann  als  Enteignungsinstanz  oder 
Referent  für  die  Getreidelagerhäuser  etc.  am  Rande  des  Geschehens  be- 
tätigen. Am  13. April  1933  fand  dann  meine  Entlassung  auf  Grund  des 
Berufsbeamtengesetzes  statt.  Gegenstand  von  Angriffen  gegen  mich  person- 
lich bin  ich  merkwürdigerweise  niemals  gewesen. 

Was  unsere  anderen  Freunde  anbetrifft,  so  möchte  ich  noch 
erinnern  an  die  Namen  ^orsiii^_(  der  in  New  York  lebt),  Flatow,.  den  Vater 
unseres  Betriebsverf as'sungsgesetzes  (der  versorben  ist),  Behrens  aus 
dem  Finanzministerium,  Arian  aus  dem  Innenministerium  (der  jetzt  in 
Israel  ist),  Schindler,  der  mit  der  Jewish  Trust  Co.  in  Hamburg  war 
jetzt  in  London  lebt  und  schliesslich  Abramowitz,  der  in  London  ge- 
storben ist.  . 

Mit  Material  aus  dem  Nachlass  Otto  Braun  kann  ich  Ihnen  leider 
nicht  dienen.  Ich  habe  die  Sitzungsberichte  des  Preuss. St aatsministeri" 
die  ich  allerdings  nur  aus  den  Jahren  1915  -  192^  habe,  soweit  sie 
Braun  für  bedeutsam  hielt,  durchgesehen,  ohne  jedoch  bei  der  Kurzfassung 
auf  etwas  Einschlägliches  zu  stossen;  sie  sehr  gründlich  durchzusehen, 
hatte  ich  allerdings  nicht  die  Zeit. 

Schliesslich  möchte  ich  Sie  noch  auf  einen  früheren  nicht  preussi- 
schen  Beamten  aufmerksam  machen,  Herrn j/e issmann,  der  bei  der  "Seif 
help"  in  Nev/  York  tätig  war. 

Ich  werde  sicherlich  mit  Spannung  diesem  Ihrem  neuen  Werk  entgegen- 
sehen und  hoffe,  dass  Sie  es  mir  zugänglich  machen. 

Nun,  herzliche  Grüsse  an  Sie  und  Ihre  Frau 

Ihr 


und 


^^   /y^/ 


V  /  WUA^^/r^ 


gigggjjjjijj 


Dr.  HERBERT  WEICHMANN 


SENATOR  DER  FINANZEN 


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HAMBURG  36.  DEN      ^ O  .  Juni    1961 

GANSEMARKT  36.  FERNRUF  341016 


Herrn 

Ernest  Hamburger 
67  Riverside  Drive 
New  York  2^-,    11.  Y. 


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Lieber  i^reund  Hamburger! 

Meine  Tätigkeit  in  Kattowitz  ist  schnell  erklärt.  Sie  wissen, 
dass  ich  in  der  Abstimm.ungszeit  Korrespondent  der  1^'rankfurter 
Zeitung  für  Oberschlesien  war  und  dann  während  meiner  Referendar- 
zeit dieselbe  Tätigkeit  für  die  Vossische  Zeitung  übernahm..  Als 
ich  den  Assessor  machte,  war  Eeamtensperre.  Ich  v/echselte  meine 
Korrespondenten-Tätigkeit  für  die  Vossische  Zeitung  von  Breslau 
nach  dessen  und  v/urde  dann  als  Aufwertungsrichter  in  den  Justiz- 
dienst zurückberufen.  Ich  v/ar  erst  ein  paar  Monate  iiichter  in 
Liegnitz  und  dann  in  Breslau.  Dann  meinte  man,  dass  man  den  Ohef- 
redakteurposten  der  Kattowitzer  Zeitung  (in  Kattowitz  das  führende 
Organ  der  deutschen  Minderheit)  neu  besetzen  müsse.  Ich  schied  aus 
dem  Justizdienst  aus,  wurde  in  den  Verwaltungsdienst  übernomm.en 
und  aus  diesem  zur  V/ahrnehmung  meiner  Tätigkeit  in  Kattowitz  beur- 
laubt. Dort  war  ich  also  dann  ein  Jahr  als  Chefredakteur  tätig 
und  tat,  was  man  also  tut,  um  eine  Zeitung  in  ochwung  zu  bringen. 
Dabei  stand  naturgemäss  im  Vordergrund,  in  einer  verständigen, 
d.h.  nicht  hetzerischen  V/eise  die  Rechte  der  deutschen  Minderheit, 
deren  Führer  damals  Ulitz  v/ar,  publizistisch  zu  vertreten,  und  ich 
galt  infolgedessen  bei  aller  ii^ntschiedenheit  in  der  Verfechtung 
djß  ser  Rechte  als  eine  Art  Versöhnungspolitiker.  Auf  G-rund  dieser 
Tätigkeit  bekam  ich  dann  auch  bei  Otto  Braun  das  Minderheiten- 
Referat.  Hier  habe  ich  ja  mit  Rathenau  -  und  zuweilen  ein  bißchen 
gegen  ihn  -  das  Minderneitengesetz  verfasst  unter  der  Devise: 
Minderheit  ist,  wer  will.  Das  galt  damals  als  die  grosse  neue  Formel 
eines  gerechten  Liberalismus^  Soweit  ich  mich  erinnere^  -al-so— i«i 
Zusammenhang  init  dem  internationalen  Minderheitenabkommen  darin,  dass 
dieses  einen  uchutz  der  Minderheiten  gewährleistete  diesseits  wie 
jenseits  der  Grenze,  und  dass  wir  durch  die  deutsche  Gesetzgebung 
auf  diese  /'/eise  auch  für  unsere  polnischen  Minderheiten  in  Deutsch- 
Oberschlesien  eine  mustt-^rhai'te  Regelung  treffen  wollten,  über  diese 
Frage  habe  ich  damals  schrecklich  viel  in  der  Zeitschrift  der 

b.w. 


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..Beutschen  Zentrale  für  Heimatdienst"  ,  die  Breuer  herausgab, 
geschrieben,  aber  ich  weiss  nicht,  ob  Ihnen  dieses  Material 
noch  zugänglich,  ist. 


Herzliche  Grüsse  von  Haus  zu  Haus 

Ihr 


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• — .        -  .  .       0         y^ 

Wir  müssen  Erinnerungsdefizit  füllen  ^^ 


GERNOT  FAC:iUS,  Stuttgart 


Z--A  zwnitcEmal  mnorhalb  von  fünf 
Taten     hat     fonr:  •spra.ideiit,      Waltor 
bcneel   ejrdiinpji'-ii    zur    N^  .  esmni.ai: 
aut    ^i^    Crunduer^e    <^er     vcrfasst:n^ 
aaf-pruf^n.    B^.l    der     /erlf:ih'..ng    der 
Theodor-. Yolü-Piolse  tilr  ,  cr^usrag^i- 
dp  joutuahstlschö  Arbojten    gc^t^m  in 
ätuttsart  vGfbaad  c>checl  dicken  AppeU 
mit  der  Warnung  vor  riut-j  Verwiiae- 
rung    dfT    -.ülitischen    Sprache.    Bcrf'itü 
dtr  Stamniheimer  Prozeß  hab-^  gezeig., 
aaß  »^vei  völlig  verschie<I  :>e  Srrachen 
gesprochen  wurden'*.  Das  s^n  X'^^r  ein 
ExUeinfall      rewe^en,      v'^^e      ^cncei. 
M)fcr  wenn  ich  mir  best\..-mte  KeairtiO- 
nen   und  V^rö-t^entUchur.jien  ^on  Stu- 
denten und  Professoren  antehÄae.  dann 
kpnn  ich  die  Gefahren  nicht  von  der 

^din  unserer  Gesellschalt  .od  d^ 
auch  die   Sprache   aTiseitvanriefcntwüc- 


krUi,  so  daß  es  immer  schwerer  ^-^ 
einander  lu  verstehen-*  . 

Ä^hnlich  wie  Scheei  forderte  ?'Tch  . 
baden-^^ürttccr.bergißci^e  Minis.,  rpr^.i- 
dent  Hans  l^iibinger  dlt.  Rr.ck^>^5.anon« 
riuf  den  Staai,  .wie  da»  GruudÄei'.^tx  .hn 
meint:  ein  Staat,  der  nicht  in  ^^^f^^ 

und  schon  -lar  nicht  in  eu^en  Negativu,- 
mos  verfallen  darf-.   FUbinjer  mahate 

.chrfinken,  dem  Borger  Krltiltwurd  «es 

vorzuführen.  Die  "^^^^l^f^^^  '^^ 
auch  immei-  'vieder  ern>ö&Uchen  ^^.h 
rr.it  seJnera  Staat  und  mit  deu  P^^o- 
wcrtpn  seiner  Verfaf?ung  zu  iaentmiie- 

"^Der   Stuttgarter   ^«^^^^'^^^Jif .  ^' 

k.nnt«  sich  zur  P^'^f^^^^^^^^^^t  ^^I 
u-.r>i<;i*^rtf'n  Pr^ssestruktc.   m  de-  Bun 

aesrepubrik.  Er  w.ndte  sich  ^^^^^^^ 
)iüh  g^^en  Von<chlage  der  IG  DrucK  uno 
P^ili-,  die  „Alternativen-  .«ir  vorhan- 


;;^ttel     sollten     nach     ^^^^en     Wort.^^ 

de-  priv-ten  Ptesse  z'ix  \  arfugung  *t.. 

^D-r   (nihore   Homburger  Burporn^fi- 
ster-Hcrbert  Welcmtiann   SPD,  geiü*  tö 

tpr  Wa.  raff  bt-^  der  ßU^D-Z-iti^^. 
1  wo  blieb  odei-  bleibt  eig.^ntlicn  d.e 
\  ^Z^Zmg  in-.  Blattcrwalde  gegen  die- 

1  ses  System  der  Übu:  .var  hung  h»  u.»  r^; 
ratsphftrc  hinein,   pem.ssen   ^^«   f 

I  lautstarken    Auireguug   über   den   P-ll 

Woichmann  wandt«  sic^,«*^".?^ 
ä'e  KlriÜIs,  die  ta  Teilen  da«  A^"**  j^ 
an  der  Pnnde^r^-ublik  D«ut&on  and  fe- 

übt  .iKirc^n  ist:  .Ich  war  ^^'^^J'' J^^ 
nen  Tagen  in  Pari: .  da  von  Grnet  uuö 
ändert  Schriftstellern  das   Bild   vom 


M.  ;♦-'<!  natlo- 
an  ^^^'■^'• 
eich    M:n- 

dl  2  !ran2ö8i- 


häßlichen  D^ut^xhc^n  «n^v.^.-n  wi^J^^ 
der  unveräivierhch  auch  m  w.  r  A^>^  J|^ 

tnsvv.,5«.  erkennen    liil'^.    I-'«    möchte 
bier  '^ur,  eis  ab«»rle^  nd- • 
r a  i  ^oiiai<»t! i'chei^  Vt ' :  0 
5e  .  \'  orkon :  ii) ij.u  >••    •  -^    ' 

:S;.  Ke^^erun^  bei  der  F^^^nahin^o^^ 
Deutschen    nicht    zwi-r  -    ^^J/.^^^^f^^ 

scheiden.    M:c-i    .o.rrtv     ^e    ^-Jt-H^r- 
..n.  Männer  ^vie  Breitsch-^a  --f  »^^^^'^ . 
.iing  wurden  Opfer  dieser  ioiitiK,   ai 
nicht  zu  unt?rvneid«'n  verstan.-.. 
in   d-ser    un^er-t    TJb*-'^a:u.ig    über 

.^oiTmaliVtlsche  AroHt  -^^^e  -r^/^^; 
vtÄn  Praxis  €ini*5i-r  ;j%icinaisrn«»* 
treibet  vielleicht  au-    -^s.    Enrne 

Sapzösischer  Hand   in  die  .t-valt  o«r 

Gest^^po  Überführt  v.-urde»- 


?:■?:,:'  /  Scheel:  Wer 


kritisiert  bei  uns  die  Kritik? 

■. XJ' *f    M  1.^. 


B^l  6f  Ver»«i:-»i>ftg  <*«r  Th<K>dor-Wolff 
Preise  an  Journcillstan  •m\zf  steh  Bun 
d*spräsldent  W«l1ar  Sch#«r  «r^^*^ 
In  Stuttgcf^  aweh  mit  Aufgeben  und 
VerpfflchtungÄ»  d«r  M«»s»rm^l«n 
Gus«lrKJnc!©f.  Dl#  WPLT  v»rdff«nt«d*t 
Auszüge  salner  Rede: 

Ich  benutie  hier  und  ^püter  da» 
Wx>rt  .Preise''  t^.^'  alle  Massenme«- 
«i . . .  Es  ist  Aidgabe  der  Bifesse,  tln 
krftisvii**?  Aug*  auf  den  Sla»t  nr  ea- 
ben.  Zu  diese-  ÄrltUc  ist  der  JWU- 
list,  «oh«a  au/gnjiid  d<?r  »Ui«m«n«n 
MtinUr|St«iheit,  befuft  Der  Jouma- 
li»t  13t  der  Büigi^r.  der  yon  seiner  »gl> 
ntngKfniheit  fto«u»gen  beruf sni«Bif 
Gebrauch  macht .. .  ^ 

Uli  Se<'J:t  /«rteidigen  dl^  Joufaen« 
•ten  ihre  Unabhängigkeit  gag«t  jeden 
Versuch,  sie  ein? 'lichr unken.  Droht  ei- 
nem JoumaUsten  ao  etwa»,  fäjjian  alle 
politischen  und  weltaift^i -^üB«^  Ge- 

gensät«  tort  -  all«  *' '"'^-^^^^rT 
hS^^ander  Seite  doe  Kollege^  w^^« 
wissen,  x^^  Sache  Ist  au^^^,»jjj.  f*' 
che.  Und  sc  batoe  kb  un.  die  Unibhän- 
cigkelt  der  Prewe  vem  ataat  in  die- 
"  \  L%nd  wenig  Anfi^r.  Dean  w  vcr- 
„;.>cht€.  ptwa»  gegen  di.  geecgowene 
Phalanx ...    ^er    Prees^r    livJem    ich 


fteüKSat^^&tdont  Sche«»t  enr* 


i*ter  Heitert  Wekkw«-^^-  (Mt«^ 


^•* 


*^^.,._     .  »    f—      .^wC^^ 


TTO»  r 


-?9A 


iii.i  arzlUch^  K^.nitfchlr^...HchR'-w^e> 
gr-r  werden  »oli.  Steuer,  hm  ur^-Jf^*-*' 
der  kara  man  in  c^iem  ^^'^J^.^^'^Jf;'- 
ma^azia  Kritik  ;^n  einenv  Million«^- 
b^aU  lesen  --  und  um^^.keo.'  Abir 
das  ist  simzlich  u^  seC^lhrvich.  da  die 
I  eser  des  einen  IJ:.  ne:  ^-v  rilirh 
des  andere  mcht  les-e^i  -  and  umg*.- 
kebrt.  Im- übrigen  Ist  fnun  mit  "1^.^^- 
triedeo  ur^d  klopft  s^ch  auf  die  ^chu.- 

Wean  man  selbst  nicht  j^ritisiert 
wird,  vl»rflachtig^  sich  leicht  der  knl  - 
sehe  Zweliel  nit  ü^r  lUcatigV.*»it  der  ci- 

'i^^^dige  U.   .  ^^^^-t  ^r.^^^^ 
die  Oödaükea  or  .  ^^i^^  aaöerer 

•twc^ieftoMieB.  selbst  v.mo  sie  d«i  ei- 
Mne^    Cbeuiftiiungen 
v«r  da«,  w«i  mar   sw^      -    -    , 
S^tbCüiV  Die  ^r.deten.  di^  Pc  H 

eS.  b*i>*n  ofrenrtc  .t. :'^h  wao^ger  wei> 
ae  Gedecken. 

-4  wtri  «war  .^-^^^♦^^'«ElfL^äSL 
-  ^  ehe-  •  Ae^.•  ^  "^"^^1* ÄLif^ 

•H  di«^  führtöde  d.  =v^   ^ 

^gM.   Au-    '       -  l^:**^"^ 


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Seite  12  -  Nr.  220 


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IFERNSEHEN  HEUTE^ 


Auszugsweise  aus  „HORZU' 


1.  PROGRAMM 


16.15  Tagesschau 
16.20  (SW)  Die  Witzakade- 
mie 
17.05  1000  und  eine  Meile 

Film  von  Jan  Brede. 
Heute:  „Komm  mit 
nach  Holland" 

17.55  Tagesschau 

18.00  Menschlicli  gesehen. 
Herbert  Weichmann 
im  Gespräch 

18.30  Berichte  vom  Tage 

18.45  Sandmännchen 

18.55  Nordsctiau-Magazin 
aus  Kiel 

19.26  Wer  einmal  in  Ver- 
dacht gerät:  „Die 
Dame  mit  dem  Ge- 
wehr" 

20.00  Tagesschau 

20.15  Schatten  einer  Stadt 
oder  Spuren  einer 
Krankheit.  Reporta- 
ge von  Dagobert 
Lindlau.  Gedreht  in 
New  York 

21.00  Wenn  Sie  gestatten. 
Peter  Horton  und 
seine  Lieder 

21.45  Sore  —  Gestohlenes 
aus     der     Wirklich- 


keit.   Ein    satirisches 

Unterhaltungspro- 
gramm 
22.10  Tagesschau    . 
22.30  Aus  Stuttgart:  Welt- 
und     Europameister- 
schaften       im      Ge- 
wichtheben bis  75  kg 
aus     Glasgow/    Fuß- 
ball:       Weltmeister- 
schafts-Qualifika- 
tionsspiel   Schottland 
—  CSSR 
23.30  Tagesschau 

Vorschau  auf  morgen 
10.25  Der  Schachzug.  Kri- 
minalkomödie  16.20  Das 
Jahr  danach.  Kind  ja  — 
Mann?  Filmbericht  17.05 
Ruf  mich  an.  Neu  im  Pro- 
gramm. Talk-Show  für 
Kinder  17.30  Die  Wikin- 
ger 18.00  und  19.26  Ein 
Haus  für  uns  20.15  Pro 
und  Contra  21.00  Toma. 
Krimi-Serie  21.45  Auf  der 
Suche  nach  der  Welt  von 
morgen.  Film  von  Rüdi- 
ger Proske  22.50  Welt- 
und  Europameisterschaf- 
ten im  Gewichtheben 


Unter  den  Ersten  Bürgermeistern,  von  Hamburg  ge- 
hörte er  zu  den  Großen.  Und  heute,  im  Alter  von  81 
Dohren,  gehört  Professor  Herbert  Weichmann  zu  den 
Mqhnern.  Weil  er  als  persönlicher  Referent  des  letzten 
preußischen  Ministerpräsidenten  Otto  Broun  den  Un- 
tergang der  Weimarer  Republik  erlebt  hat,  sorgt  er 
sich  heute  über  so  manche  Symptome  und  Tendenzen 
In  der  Bundesrepublik.  Seine  Gedanken  und  Erinne- 
'  rungen  stehen  im  Mittelpunkt  des  Studiogesprächs  mit 
Hans  Wilhelm  Vohlefeld,  das  um  18  Uhr  im  Regional- 
programm (ARD)  ausgestrahlt  wird. 


i 


MENSCHLICH  GESEHEN 


Prof.  Herbert  Weichmann 


Sendung:   21.  September  1977 

18.00  -  18.25  Uhr 
1.  Programm 


«.      <V        i'.*^,;,St»« 


Vahlefeld 


■-.#,:>. 


'i''U>^'~' 


»S-fAf; 


Den  Hamburgern 


ist  er  ein  Begriff.  Unter  den  Spitzen- 


pol i  ti  kern 


deutscher  Grossstädte  gehört  er  zu  den  Grosse 


n 


Herbert  Weichmann,  Professor  Dr.  jur.  Jahrgang  1896, 

heute  81  Jahre  alt. 

Gebore'n  in  Landsberg,  Oberschlesien.  Studium  der  Jurisprudenz 

Korrespondent  deutscher  Zeitungen  in  seiner  Heimat.  Mitte 


2o-er  Jahre  Richter  in  Breslau 


der 

Staatsministerium  nach  Berlin 


Berufen  ins  preussische 


Persönlicher  Referent  des 


letzten  preussis 


chen  Ministerpräsidenten  Otto  Braun 


Als  Jude  und  Sozialdemo 


krat  nach  1933  emigriert.  Zunächst 


nach  Frankreich,  dann  in  die  USA.  Rückkehr  nach  Hamburg 
1948.  Zuerst  Präsident  des  Rechnungshofes,  dann  Finanz- 
senator und  ab  1965  Erster  Bürgermeister  und  damit 
Ministerpräsident  des  Landes  Hamburg. 

1971  trat  Professor  Weichmann  freiwillig  aus  Altersgründen 


zuruc 


k.  Er  hat  mehrere  Bücher  geschrieben  und  viele 


Aufsätze.  Prof.  Weichmann  ist  verheiratet  und  hat  einen 


Sohn 


Herr  Prof.  Weichmann,  das  waren  Stichworte  eines  gelebten, 
aber  auch  erlittenen  Lebens.  Ein  Schicksalsjahr  hiess  1948. 
Da  erging  der  Ruf  an  Sie:  Kommen  Sie  zurück  nach  Deutschland 
Als  Jude  zurück  -  haben  Sie  da  gezögert  ? 


Wei  chrnann 


Das  war  natürlich  eine  schwere  Entscheidung,  die  auch  mit 
meiner  Frau  reichlich  erörtert  habe,  aber  die  Entscheidung 
war  doch  -  die  für  andere  so  unlösbar  schien  -  für  mich 
ht  90  sehr  schwierig.  Mir  war  der  american  way  of  life, 


m  c 


\         die  ganze  amerikanische  Denkungsart  doch  fremd  geblieben 


1  c 


h  möchte  nicht  grosssprecheri seh  erscheinen,  aber  ich 


hatte  ein  gewisses  preussi 


sches  Erbe  von  Pf 1 i chtbewusstsei n 


^n    mir 


un 


d  als  mein  guter  Freund  Max  Brauer  das  Amt  des 


Ersten  Bürgermeisters  übernahm  und  mir  eine  Aufgabe  stellte 
ar.  dem  Aufbau  der  Demokratie  in  Deutschland  mitzuwirken. 


da  glaubte  ich,  dass  ich  mic 


h  nicht  versagen  dürfe.  Denn 


VI 


er    sollte    dann    noch    einem    Rufe    folgen    leisten    wenn    nicht 


a  i  e  j  e  n  i  j  e  n  , 


die  wirklich  an  die  Demokratie  glaubten 


-  2  - 


-  0  _ 


Vahlefeld 


Es  v/ar  also  nie 


ht  nur  Persönliches,  was  bei  Ihricn  eine 


Rolle  spielte  -  finanzie 


lies  Auskommen,  beruflicher  ly 


folc 


son 


dern  Sie  hatten  auch  das 


Gefühl:  ei'n  1933  darf  sich  nicht 


noch  einma 


1  wiederholen  und  dabei  will  ich  mithelfen 


"lei  chmann 


Es  war  überhaupt  nichts  Person 


1 iches  ,  es  war  wi  rkli  ch 


einfach  der  Ruf,  aus  meinen 


Leben  das  zu  gestalten,  was 


mi  r 


eine  gewisse  Pflicht  gebot,  nä 


m 


1 i  ch  an  Wi  ederauf bau 


einer  vernünftigen,  demokratisch 


-freihei tl ichen  und 


rec 


htsstaatlichen  Gesellschaft  mitzuwirken 


Vahlefeld 


Nun 


in  der  Endphase,  hat  es  das  Leben  ja  noch  ein 


mal 


^  t  mit  Ihnen  gemeint.  Schwinden  dann  aus  der  Erinnerung 
die  schweren  Zeiten  und  bleiben  dann  zurück  nur  noch  die 


gu 


glückl i  chen 


Wei  chmann 


Ja,  das  mag  na 


türlich  sehr  stark  vom  Individuum  selbst 


Natürlich  verdrängen  sich  mit  der  Zeit  aus  dem 
d  auch  aus  dem  Erlebnisgehalt  heraus  schwere 


abhängen, 

Gedächtnis  un 

Zeiten.  Ob  das  nun  die  Kriegsze 


it  im  Ersten  Weltkrieg  war, 
ob  das  die  Inflationszeit  nach  dem  Zweiten  Weltkrieg  war, 
ob  das  die  Emigrationszeit  war  -  das  verdrängt  sich  natür- 
lich, kann  aber  unter  Umständen  auch  jederzeit  aufgerisse 


n 


w 


erden.  Ich  kann  m 


ir  noch  heute  keinen 


Film  aus  der  Hitler- 


zeit oder  keinen 


Film  über  Judenverfolgung  oder  sowas 


ansehen,  anhören,  ohne  mich  der  Gefahr  auszusetzen,  dass 
alles,  was  verheilt  schien,  auf  einmal  wieder  zu  kratzen 
anfängt,  wund  zu  werden  anfängt.  Aber  im  grossen  und  ganze 
kann  ich  meinem  Schicksal  ja  eben  nur  dankbar  sein,  dass 

hmal  25  Jahre  Gelegenheit  gegeben  hat,  wirklich 


n 


es  mir  noc 


ner 


fruchtbar  -  oder  jedenfalls  bemüht  fruchtbar  an  ei 

wichtigen  Stelle  zu  wirken  und  etwas  zum  Wiederaufbau  unserer 

Gesellschaft  beizutragen,  wie  ich  meine. 


-  3  - 


Vahlefeld 


'.i&: 


-  3  - 


Als  Erster  Bürgermeister  der  Freien  und  Hansestadt  Hamburg 
da  sind  Sie  Herr  Prof.  Weichmann,  auch  sechs  Jahre  nach 
Ihrem  freiwilligen  Rücktritt  den  Hamburgern  immer  noch  ein 
Begriff.  Man  achtet  Sie  als  einen  der  grossen  alten  Manner 
Kann  ein  grosser  alter  Mann  noch  bewegen  und  beeinflussen. 
Oder  sinkt  auch  er  ab  in  die  schweigende  Mehrheit  ? 


i'*5\Li 


Wei  chmann 


Persönlich  bin  ich  erstaunt,  wie  sehr  lebendig  ich  im 
Gedächtnis  der  Hamburger  und  übrigens  nicht  nur  einer 
alten  Generation  gegenüber  bin.  Und  es  passieren  so         1 
komische  Dinge  -  selbst  auf  dem  Wege  hierher  spricht  mich 
vor  dem  Cafe  Kröpcke  eine  Frau  an  und  begrüsst  mich.  Sie  sei 
so  glücklich,  dass  sie  mich  mal  -  ich  sei  ein  so  lieber 
Mensch  -  dass  sie  mich  mal  persönlich  kennenlernen  wolle. 
Ich  bin  also  erstaunt,  aber  ich  möchte  auch  das  eine  sagen: 
ein  Wort,  dass  ich  ausgesprochen  ungern  habe,  ist  das  vom 
Lebensabend.  Selbst  mit  75  Jahren  habe  ich  das  Gefühl 
gehabt,  nicht  in  einen  Lebensabend,  sondern^ei nen  neuen 
Lebensabschnitt,  der  auch  ges tal teri scherArt  ist,  einzu- 
dringen. Und  ich  bin  zwar  nicht  berufsmässig  tätig,  aber 
ein  bisschen  habe  ich  so  den  Beruf  eines  Wanderpredigers 
bekommen.  Ich  spreche  viel,  ich  schreibe  viel,  ich  habe 
eine  ganze  Reihe  von  Ehrenämtern,  un 


d  dass  ich  damit 


n 


och  gefragt  bin  und  sogar 


Gehör  finde,  dass  also  auch  Sie 


es  beispielsweise  -  und  das  ist  ja  symptomatisch  noch  - 
für  relevant  erfinden,  mich  hier  zum  Verhör  zu  bitten  - 
das  zeigt  doch  eigentlich,  dass  ich  auf  diesen  Abschnitt, 

in  dem  ich  jetzt  lebe,  auch  mit  sehr  grosser  Befriedigung 
gucken  kann  -  schon  auch,  weil  man  bei  manchen  Hingen  in 
der  Welt,  die, man  mit  grosser  Unruhe  betrachtet,  sich  nicht 


^jf 


selber  Schulde^  sprechen  mu 
zu  gehören. 


ss,  zur  schweigenden  Mehrheit 


Vahlefeld      Als  Erster  Bürgermeister  der    Freien  und  Hansestadt  Hamburg 


6er   Weltstadt  Hamburg:  Haben  Sie  da  n 


icht  mal  mit  dem 


Gedanken  gespielt,  den  Ausflug  in  die  grosse  Politik  zu 


wagen 


-  4  - 


-:'mi 


-    4  - 


VJeichmann 


\ 


Nei  n 


m 


it  diesem  Gedanken  ha 


be  ich  eigentlich  nie  gespielt 


Mit  der  grossen  Politik  wurde  ich  ja  dadurch  zwangsläufig 
in  Berührung  gebracht,  dass  wir  Ministerpräsidenten  unsere 
Konferenzen  hatten,  dass  ich  Bundesratsmitglied  war.  dass 
Jahr  Bundesratspräsident  und  als  solcher  auch  mal 
Stellvertreter  des  Bundespräsidenten  war. 


ich  ein 


Aber  erstens  fand  ich  eine 


Arbeit  im  kommunalen  Raum 


fruchtbarer.  Man  sieht 


V  » 


as  man  hat.  man  sieht,  was  man 


t,  was  vollendet  ist,  es  gestaltet 


gebaut  hat.  was  angeregt, 

sich  alles  in  Wasser,  Stein,  Beton,  Bäume  oder  so  was 

d  das  ist  doch  sehr  viel  dankenswerter  als 
gesetzgeberische  Arbeit  oder  auch  eine  aussen- 
litische  Arbeit,  die  man  in  anderen  Sphären  vornimmt. 
Und  dann  -  ich  will  das  offen  gestehen  -  ich  wollte  ja 


vor  einem,  un 


eine  rem 


po 


ht  in  die  Politik  zurückkehren 


n 


als  Jude  überhaupt  nie 

ich  wollte  das  bleiben,  was  ich  berufsmässig  bin.  ei 
Verwaltungsbeamter.  Und  aus  diesem  Grunde  bin  ich  auch 
damals  in  den  Posten  des  Rechnungshofs  eingetreten.  Na. 
das  sich  die  Dinge  anders  gestaltet  haben,  das  war  nicht 
vorprogrammiert,  und  es  war  ja  auch  mehr  durch  Zufall  als 
durch  Absicht  bestimmt. 


Vahlefeld     Bürgermeister,  Erster  Bürgermeister,  Oberbürgermeister  - 


Weichmann 


die  Titel  der  kommun 


alen  Spitzenpolitiker  sind  in  unsere 


n 


um  ei  n  grosser 


Städten  unterschiedlich.  Was  muss  man 
Kommunalpolitiker  zu  werden,  eigentlich  mitbringen?  Was 
ist  das  Besondere  daran  ? 


alpolitiker  oder  Politiker  überhaupt,  das  macht 
keinen  so  grossen  Unterschi ed  .  i n  gewissen  Fällen,  was  man 


Ob  Kommun 


haben  muss.  Sie  müssen  in 


der  heutigen  Zeit  ganz  bestimmt 


jedenfalls  davon  absehen,  sagen  wir,  eine  beherrschende 

len.  So  gross  ein  Bürgermeister  wie  Brauer 


Rolle  zu  spie 


er  wurde  nachher 


war 


-  das  sagt  man  -  zum  Barockfürsten 
hab  versucht,  den  Antipoden  zu  spielen,  kooperativ. 


Ich 


e  a  m  g  e 


ist,    mich      nur   als    einer    in    ein 


er    in    eineir»  Team 


zu  fühlen.  Das  ist  das  eine.  Und  dann  müssen  Sie  als 


-  5  - 


-  5  - 


-y 


ri 


Kommunalpolitiker  a 


Iso  doch  sehr  stark  auch  das  Ohr  an 


der  Entwicklung  haben.  Sollen  Autostrassen  gebaut  werden 


sol Ten  nie 


liehe  Lebens 


ht  Autostrassen  gebaut  worden;  ist  die  wirtschaft- 
fähiqkeit  der  Stadt  vorra-ngig  vor  der  kulturellen 


Lebenswi  c 


steigen,  so 


htigkeit  und  wi eviel ;sol 1  die  Einwohnerzahl 
11  man  in  Megalomanie  ausarten  oder  soll  man 


vielmehr  sagen:  Nein,  bis  hierher  genug,  die  Slums  der 


Grossstädte,  o 
usw.  werden  un 


der    die  Grosss 


ta'dte  wie  New  York  und  Paris 


regierbar,  du  musst  an  einem  Punkte  haltmachen 


Es  gehört  -  wie  s 


0 


11  ich  sagen  -  es  gehört  ein  gewisser 


Instinkt,  eine  gewisse  Erfahrung 


es?fiört  eine  Kenntnis 


Administration  und  dessen,  was  Sie  mit  der    Bürokratie 


der 

machen  können,  dazu.  Nun 


ja,    eben    eine    gewisse    intim^^ 


Kenntnisnahme  auch 


des  Auslandes,  die  einer,  Lehren  vermittel 


wa 


s  für  das  eigene  Land  gut  oder  nicht  gut  ist.  Und  die 


habe  ich  allerdings  dank  Hitler  iritbekomm 


en 


Vahlefcld 


Kommen  w 


ir  einmal  auf  Ihre  Partei  zu  sprechen. 


auf  die  SPD! 


Sie  haben  Ihrer  Partei  sehr  männliche,  sehr  mutige  Worte 

Zum  Beispiel:  Sie  wären  nicht 


1  n 


so 


s  Stammbuch  geschrieben, 

tolerant,  um  Intoleranz  zu 


ol eri  eren 


6er   Sie  traten 


als  es  ganz  un 
Weiter:  eines 
eine  kämpf  eri  sc 
heutigen  SPD  noch  s 


d  gar  unpopulär  war.  fUr    law-and-order  ein 


Ihrer  Bücher  nannten  Sie 


im  Untertitel :  Für 


he  Demokratie.  Kann  ein  Mann  wie  Sie  in  der 
eine  geistige  Heimat  haben  ? 


Wei  chmann 


r 


Nun.  diese  heutige  SPD  unterliegt  natürlich  einen  gewissen 
Wandel  des  Zeitgeistes,  wie  alle  Parteien  auch  -  das  ist 
ja  bei  den  sogenannten  bürgerlichen  Parteien  auch  der  Fall 
die  immer/zwi  sehen  einem  mehr  konservativen  oder  einem  mehr 


progressi  v 


en  Flügel  sich  zu  bewegen  haben 


Das  ist  also  in  der  SPD  nicht  anders  und  durchaus  tole- 


bel.  Die  Untoleranz  fängt  da  an 


wo 


für  mein  Gefühl  unser 


System  entscheidend  verfremdet  werden  soll.  Wo  man  also 
aus  einem  konstitutionellen  System  parlamentarischer 


Regi  erungs 


führung  etwa  herauswill  in  Richtung  einer 


i;  Plebiszitären  Demokratie.  Oder  wo  man  soviele  Staats- 
aufgaben auf  eigene  autonome  Körperschaften  abgibt,  dass 


man  g 


a  schon  beinahe  eine  rätestaa 


tliche  Verfassung  bekommt. 


-  6  - 


-  6  - 


Vahlefeld 


oder  wo  gar  junge  Leute,  denen  als  solche  ich  das  nicht 
übelnehme,  mit  Vorstellungen  von  Systemüberwindung  in  die 
Partei  eintreten  und  wo  ich  dann  allerdings  -  nicht  gegen  die 
jungen  Leute,  ich  bin  auch  revolutionär  gewesen  -  aber  wo 
ich  dann  allerdings  der  Auffassung  bin:  da  müssen  die 
erfahrenen,  die  alten,  die  gestandenen  SPD-Politiker  die 
Toleranzgrenze  setzen  und  sehen. 

r 

Heute  sind  Sie  ein  Mahner,  einer,  den  -  so  habe  ich  den 


Eindruck  -  die  Sorge  um 


treibt:  Bonn  könnte  zu  einem  Weimar 


werden.  Ihre  vielen  Aufsätze  und  Reden  lesen  sich  wie 
j  politische  Testamente.  Trifft  auf  Sie  das  Heine-Wort  zu 
Denk  ich  an  Deutschland  in  der  Nach,  so  bin  ich  um  den 
Schlaf  gebracht  ? 


Wei  chmann 


Nun 


das  ist  eine  sehr  poetisch  emotionale  Formulierung 


j  und  so  ängstlich  bin  ich  auch  nicht.  Im  Gegenteil,  in 

manchen  Fällen  sage  ich,  es  wird  manches  sehr  viel  schlechter 
gemacht  als  es  in  Wirklichkeit  ist.  Die  Tatsache,  dass 
wir  auch  unter  der  Regierung  Helmut  Schmidt  die  geringste 
Inflationsrate  im  Vergleich  zu  anderen  Ländern,  die  geringste 
Rate  an  Arbeitslosigkeit  -  im  Vergleich  zu  anderen  Ländern  - 
die  gesundeste  Währung  -  im  Vergleich  zu  anderen  Ländern  - 
haben;  dass  wir,  wenn  Sie  so  wollen,  auch  eine  Klassen- 


schichtung überwunden  haben:  wir  haben  ja  trot 


^^K 


rbei  tsl osen 


keine  soziale  Unruhe  im  Lande.  Das  ist  doch  an  sich  ein 
grossartiger  Zustand,  den  eigentlich  noch  kein  anderes 
Land  -  vielleicht  Schweden  ausgenommen  -  in  dieser  Art 
und  Weise  erreicht  hat.  Insofern  bin  ich  nicht  beunruhigt. 
Beunruhigt  bin  ich  über  eine  gewisse  Tendenz,  dass  Leute 
nicht  sehen,  was  gut  ist.  Und  nun  aus  einer  Kritik  an 
gewiss  kritikwürdigen  Zuständen  anfangen,  an  dieser 
Demokratie  alles  schlecht  zu  finden.  Staatsverdrossen  zu 
werden.  Oder  gar  -  und  da  ist  auch  der  Toleranzpunkt  -  oder 
gar  meinen,  ihr  Recht  sei  allgemeines  Recht  und  sie  hätten 
das  Recht,  das  dann  auch  mit  Gewalt  durchzusetzen. 
Da  hört  es  auf  mit  meiner  Toleranzgrenze. 


Vahlefeld 


Sie  haben  mir  im  Vorgespräch  erzählt,  Herr  Prof.  Weichmann 


-  7  - 


-  7  - 


Wei  chmann 


Si  e  sei  en  Wan 


dervogel  gewesen.  Diese  Jugendbewegung  hat  ja 


ei  ne 


Elite  bei  uns  sehr  stark  geprägt.  Was  w 


ar  das  besondere 


des  Wandervo 


gels,  jetzt  nicht  abstrakt-akademisch»  sondern 


ganz  persönlich  auf  Ihr  Leben  bezogen  ? 

Ja,  das  waren  wohl  zwei  Dinge.  Es  war  einmal  die  Freude 
zur  Natur  als  ein  Regenerationsfaktor  des  städtischen 


Lebens.  Wissen  Sie 


ich  bin  imme 


r  dabei  erinnert  worden 


an  die  mythologische  Figur  vom  alten  Anteus,  der  wieder 


wenn 


er  mi  t  der  Gea 


m 


it  der  Erde  in  Verbindung  kam,  neue 


Kräfte  schöpfte.  Das  ist  mit  mir  heute  so,  deswegen  gehe   I 
ich  auf  meine  Allgäuer  Hütte,  die  f^atur  frischt  mich  auf. 

bt  einem  so  doch  etwas  die  Dekadenz  6er   Gesellschaft 


Und  stau 

oder  der  Grossstadt  ab 


Wandervoge 


Das  zweite  ist  aber  an  dieser 


lbeweguTTg7''das  ist  eigentlich  noch  bedeutsamer. 
Dass  sie  auf  einmal  in  uns  Jugend  das  Gefühl  einer  Selbst- 
verantwortlichkeit, einer  Selbstverantwortlichkeit  für 
sich  und  auch  für  die  Umwelt  hervorgerufen  hat.  Der  Wander- 
vogel war  in  solchem  Sinne  doch  ein  gewisser  moralischer 
Aufbruch  -  wie  soll  ich  sagen  -  aus  einer  sonst  -  und  jetzt 


m u s s  IC 


h  mich  progressiv  ausdrücken 


-  sonst  in  erstarrten 


Form  behüteten  und  bevormundeten  Jugend. 
Vahlefeld     Sie  erwähnten  schon  Ihre  Hütte  im  Allgäu.  Da  leben  Sie 


so  ganz  ohne  elektrisches 
ohne  Telefon, ohne  alles  ? 


Licht,  ohne  fliessendes  Wasser 


W  G  i  c  h  rn  a  n  n 


Nun,  soweit  ich  nicht  mein  eigenes  Licht  strahlen  lassen 
kann,  tut  es  eben  meine  Petromaxl ampe ,  für  die  ich  das 
Petroleum  selber  rauf schl eppe .  Da  ist  eine  direkt  an  der 
Hütte  enspringende  Quelle  in  einem  Brunnen,  den  ich  dann 
auch  selber  einzementiere  und  fasse,  da  müssen  wir  uns 
eben  unsere  Nahrungsmittel  im  Rucksack  rauf schl eppen  und 
auch  für  einige  Tage  immer  versorgen  ,  weil  man  nie  weiss, 


ob  man  n 


icht  im  Sturm  oder  Regen  womö 


glich  nicht  runter  kann 


ins  Tal.  Aber  es  ist  doch  wirklich  eine 


immer  wiederkehrende 


rneuerun g 


q  der    Kräfte,  man  erstarrt  nicht  in  Bequemlichkeit 


od 


C   1 


körperlicher  Une 


I  o 


sti  zi  t 


\   c 


-  8  - 


-  8  - 


Vahlefeld     Sie  waren  auch  in  der  Emigration  verheiratet,  Herr  Prof. 

Weichmann.  Wie  hält  unter  einer  solch  schweren  Belastung 
eine  Ehe  eigentlich  stand  ? 


Wei  chmann 


I  Meine  Ehe  wird  im  nächsten  Jahre  5o  Jahre  Bestand  haben. 
Und  meine  Frau  ist  eine  geistig  so  lebendige,  politisch 
so  interessierte  Person,  ausserdem  ist  sie  noch  gebi Ideter 
als  ich  bin.  dass  wir  eigentlich  ständig  sind  wie  zwei 


Hochspannungsmasten  -  da^ 


rrfmier 


fort  ein  Funke  zum  anderen 


gegenüber,  gebärt  wieder  einen  neuen  Funken.  Und  wir  haben 


also  eine 


beiderseitig  harmonische  Reaktionsfähigkeit 
Ibst  immer  wieder  erneuern,  kritisch 


i  n  der  wi  r  uns  se 

prüfen  und  zu  der  eben  das  Phänomen  hinzutritt,  dass  wir 

uns  schlicht  liebhaben. 


Vahlefeld     Und  dann  gab  es  nach  Ihrer  Rückkehr  hier  nach  Deutschland 

den  22.  Juni  1973.  Da  wurden  Sie,  der  aus  Deutschland 


Wei  chmann 


te  und  nach  Deutschland  wieder  zurückgekehrte,  erneut 


verjag 


ausgepfiffen  u 


n 


d  ausgebuht  von  Studenten  der  Universität 


Kiel .  Sie  konnten 


Ihren  Vortrag  damals  nicht  halten 


Tauchten  da  an  jenem  Abend  spontan  unter  dem  ersten 
Eindruck  des  Geschehens  bei  Ihnen  nicht  wieder  die 
Gespenster  der  Vergangenheit  auf. 

Ja,  ganz  sicherlich.  In  dem  Sinne,  dass  ich  wieder  erlebt 
habe,  wie  sich  auf  einmal  in  einer  Jugend  eine  gewisse 
untolerante  ,  nicht  ansprechbare  Massenhysterie  ausbreitete, 
es  war  der  Geist:  die  Strasse  frei,  die  braunen  Bataillone 
marschieren,  der  vor  meinen  Augen  wieder  lebendig  wurde. 
Und  deswegen:  die  Demonstration  hat  sich  nicht  gegen 
meine  Person,  sie  hat  sich  glaube  ich  mehr  gegen  den 
Rektor  der  Universität  Kiel  und  einige  Vorkommnisse  dort 
gerichtet,  nicht  gegen  meine  Person.  Und  in  der  Person 
fühlte  ich  mich  nicht  getroffen,  aber  als  Zeitgeschicht- 
liches Moment  war  ich  sehr  beunruhigt,  weil  das  in  der  Tat 
eine  Renaissance  eben  dieses  Geistes  einer  Ausschaltung 
der  kritischen  Vernunft  gewesen  ist.  Bei  dem  ich  also  den. 
Schritt  der  Batai 1 lone  und  die  Uniformierung  des  Gedankens 


-  9  - 


-  9  - 


in  einer 


Protestbewegung  wieder  erschütternd  erlebt 


habe  und  meine  Besorgnisse  sind  ja  wohl  bis  heute  durch 
manche  Vorkommnisse  an  den  Universitäten  jeden  Tag 
neu  gerechtfertigt. 


Vahlefeld 


Wenn 


Sie  jetzt  so  Ihr  politisches  -  Vermächtnis,  will 


ich  einmal  so  sagen  -  schreiben,  ich  könnte  mir  vorstellen 


dass  Sie  an  der  Arbeit  daran  sitzen 


was  geben  Sie  jetzt 


zum 


Abschluss  unseres  Gesprächs  an  Stichworten  mit 


Weichmann 


Also:  ich  schreibe  kein  politisches  Vermächtnis.  Ich  bin 
noch  zu  sehr  der  Gegenwart  und  der  Zukunft  zugewandt,  als 
dass  ich  den  Blick  nur  zurück  wenden  möchte.  Und  ich  bin 
auch  nicht  eitel  genug  und  nicht   interessiert  genug,  ich 
habe  auch  keine  Aufzeichnungen.  Also  das  nicht,  nein,  ein 
politisches  Vermächtnis  schreiben  möchte  ich  nicht.  Ohne 
dass  ich  damit  denen,  die  das  tun,  irgend  etwas  Schlechtes 
anhängen  will  -  ich  nicht. 

Aber,  der  Kampf,  in  dem  sich  doch  ein  Politiker  jeden  Tag 
befindet  und  in  dem  ich  mich  jedenfalls  befinde,  ist  diese 
grosse  Frage:  Können  wir  auf  die  Vernunft  der  Menschen 
bauen  oder  müssen  wir  immer  wieder  mit  der  Unvernunft  der 
Menschen  rechnen  ?Friedrich  der  Grosse  schrieb  als  junger 


Mann  den  Anti-Macc 


hiavelli  -  im  Alter  liess  er  das  Anti 


weg 


• .  . 


Vahlefeld 


Herzlichen  Dank,  Herr  Professor  Weichmann 


m^ 


Begen  Italien 


177  -  35  Pf 

C 1784  AX 


Unser  Knliz  wundeiliar  -  ober  Volkert  Gehünerschiittening 

•  In  einem  der  besten  Spiele  seit  Gewinn  1  deutsche    Elf    Italien    2:1.    Überragend    der  1  Pedi:   Georg   Volkerts   Gehirnersdiutterung. 
der  Fußboll-Weltmeistersdiaft  besiegte  die  |  Hamburger    Kaltz.    Er    bleibt    HSV-Libero!  i  (S.  17— 19) 


Homburg:  Brachte  der 
Stture-Aflentiiter  sei 


#  Hat  der  geisteskranke  Hamburger,  der 
Deutschlands  wertvollste  Gemälde  mit  Säure 
zerstörte,  im  Wohn  auch  seine  Frau  aus  dem 


Femster  gestoßen?  Die  Kripo,  die  den  40jährl- 
gen  HansOeachim  Bahlmonn  faßte,  prüft  es. 
Die  Fpou  war  zehn  Tage  n>aich  dem  Sturz  ge- 


storben. Sechs  Tage  später  b( 
mit  den  Gemälde-Zerstörungc 
Minuten  nach  dem  FensterstuI 


• 


>sen  erschüttern- 
Jin  der  Hoffnung, 
|nd  Mut  gibt: 

»rgen    machen.  Wir 
durch   in  dem  Ge- 


/ 


S«lt* 


2  •  BILD  •  Hamburg.  10.  Oktober  1977 


iHtenwationen  LebenshiWe  Dwtew 


'Anxelge 


*■■.  =  V^i^Y^'^S/ ^ri 


Es  gibt  nur  «in . . . 


das  seit  1882  bewährte  gute  alte 
Hausmittel    zum    Einreiben,     Ein- 
nehmen und  Inhalieren. 
Nervenerfrischend  und  belebend. 
Erhältlich  in  Apotheken,  Drogerien 
und  Reformhäusern. 

Po-Ho  Sanitäts-Werk  Hamburg 

Otto  Joh.  Jul.  Witt  &  Söhne 

Eiffestraße  598  •  2000  Hamburg  26 


Nachrichten 

Hinterhalt 

ap.  Bangkok,  10.  Oktober 
An  der  Grenze  zu  Kam- 
bodscha geriet  eine  thai- 
ländische Patrouille  In 
einen  kambodschanischen 
Hinterhalt:  Ein  Soldat  tot, 
vier  Verwundete. 

Im  Bett  erschossen 

dpa.  London,  10.  Oktober 

IRA-Terroristen  haben  eine 

24jährige  Frau  in  Ihrem  Bett 

erschossen. 


Tolles  Tempo 

sad.  Workshop,  10.  Oktober 

Auf  allen  „vieren"  kroch 
ein  14jähriger  Engländer  In 
9  Stunden  und  52  Minuten 
17  Kilometer  weit.  Weltre- 
kordl 

Amerika  liefert 

ap.  Brüssel.  10.  Oktober 

„Amerika  bleibt  für  die 
Europäsiche  Gemeinschaft 
ein  verläßlicher  Lieferant 
von  Kernbrennstoff",  ver- 
sprach US-Energieminister 
Schlesinger  in  Brüssel. 


Genscher  reist 
wieder 

ap.  Bonn,  10.  Oktober 
Außenminister  Genscher 
ist  gestern  mit  87  Beglei- 
tern zu  achttägigen  Wirt- 
schaftsgesprächen nach 
Japan  und  China  geflogen. 

Sie  sterben 
nicht  aus  •  • . 

dpa.  Berlin,  10.  Oktober 

Eine        Hakenkreuzfahne 

hoben  Unbekannte  gestern 

auf  der  Berliner  Siegessäu- 

e  gehißt. 


■*s 


m 


?k- 


t 


Die   Siegessäule   im    Berlii 
garten 


Hier  spricht  ein  weiser  alter  Mann,  der  den  Untergang  von  Weimar  erlebt  liat 


PROF.   H.   WEICHMANN 

(81)  ist  einer  der  großen 
alten  Männer  der  SPD. 
Sechs  Jahre  lang  war  er 
Erster  Bürgermeister  in 
Harnburg.  In  der  "Weima- 
rer Republik  war  er  enger 
Mitarbeiter  des  preußi- 
schen Ministerpräsidenten 
Otto  Braun.  Als  Jude 
mußte  er  1933  aus  Deutsch- 
land fliehen. 


Von  Professor  Dr.  HERBERT  WEICHMANN 

Verwirrung,  Unsicherheit,  Staatsverdrossen- 
heil —  so  heißen  die  offenbar  unvermeidii- 
chen  Begleiterscheinungen  des  sogenann- 
ten Fortschritts,  der  die  BUrger  mit  seiner  Vielfolt 
an  Informationen  und  Widersprüchen  überflutet. 
Diejenigen  Bürger,  die  nach  Recht  und  Ordnung 
rufen,  stehen  unsereml  Ordnungssystem  mit  Miß- 
mut gegenüber.  Sl*  tragen  ebenso  zu  Zweifeln 
am  rechten  Weg  der  Politik  bei  wie  die  Verblen- 
dung der  sogenannten  Systemgegner. 

Deshalb  möge  es  einem  noch  überlebenden 
Zeitgenossen  von  Weimar  auf  Grund  seiner 
schmerzlichen  Erfohrungen  erlaubt  sein,  einer 
Aufforderung  der  BILD-Zeitung  zu  folgen  und  ein 
Wort  der  Besinnung  zu  versuchen. 

Die  heile  Welt  hat  es  niemals  gegeben  und 
vf'\rd  es  niemals  geben.  Die  Welt  ist  von 
Konflikten  zwischen  arm  und  reich,  zwi- 
schen Weltanschauungen  und  politischen  Mei- 
nungen vorprogrammiert.  In  totalitären  Staaten, 
in  denen  die  Freiheit  unterdrückt  wird,  werden 
diese  Konflikte  gus  der  Öffentlichen  Diskussion 
fortgezaubert.  In  freiheitlichen  Staaten  dagegen 
gehören  sie  gerade  zum  Wesen  unserer  Gesell- 
schaft. Konflikte  auszutragen  und  sie  auf  den 
Weg  eines  Kompromisses  zu  lösen  versuchen  ist 
also  kein  Zeichen  dafür,  daß  etwas  faul  ist  im 
Staate. 


Naturgemäß  muß  es  aber  In  der  freiheitlichen 
Gesellschaft  ein  System  von  Recht  und  Ord- 
nung geben,  das  die  Rechte  des  einzelnen 
gegenüber  dem  Staat  ebenso  abgrenzt  wie  die 
Rechte  des  Staates  gegenüber  seinen  Bürgern. 
Gerade  die  Terrorakte  beweisen  diese  Notwen- 
digkeit. 

Ich  habe  seit  Jahren  und  meist  allein  auf  welter 
Hur  dazu  aufaefordert.  rechtieltig  Illegaler  Ge- 
waltanwendung  •ntgegeniutreten.  Heute  muß 
Ich  vielleieht  meine  Stimme  dagegen  erheben, 
die  wachsende  Hinwendung  lum  Ordnungsstaat 
nicht  mit  einer  Abwendung  vom  Freiheitsstaat  xu 
bezahlen. 

Auf  dem  Gebiet  der  Wirtschaft  werden  eben- 
falls häufig  Klagelieder  angestimmt,  die 
nicht  berechtigt  sind.  Wer  geschichtlich  be- 
wußt denkt,  wer  die  Wirtschaftskrise  der  Epoche 
von  Weimar  vor  Augen  hat,  muß  auf  die  immer 
noch  gute  wirtschaftliche  Lage  der  Bundesrepu- 
blik im  Vergleich  zu  onderen  Ländern  hinweisen. 


Staatsitrise  -  ein  Wort, 
mit  dem  man  vorsiciitig 
umgelien  muß . . . 

Selbstverständlich  Ist  die  hohe  Arbeitslosig- 
keit  ein   schweres  Problem,  dessen  Lösung 
Vorrang   haben   muß.   Aber  auch   hier  muß 
man  mit  dem  Wort  von  der  angeblichen  Staats- 
krise vorsichtig   umgehen.   Die  Regierung  Ist  auf 
dem  Weg,  gezielte  Maßnahmen  zu  ergreifen. 


So  wie  man  eine  Währung  durch  Zweifel  zu 
Tode  reden  kann,  trägt  auch  ein  übersspitztes 
Krisengeschret  nicht  zur  Ermutigung,  sondern  zur 
Entmutigung  wirtschaftlicher  Initiative  bei. 

Ich  möchte  auch  ein  kritisches  Wort  zur  Presse 
und  den  Medien  sagen.  Es  ist  Gewohnheit  ge- 
worden, das  Gute  als  selbstverständlich  an- 
zusehen und  darüber  nur  wenig  zu  berichten,  da- 
für aber  um  so  lautstärker  vermeintlich  bedenkli- 
chen Erscheinungen  nachzugehen.  Damit  werden 
die  Gewichte  verschoben  und  der  Bürger  verun- 
sichert. Ein  besonders  schlimmes  Beispiel  von  un- 
fairem Journalismus  ist  die  neue  Wallraff-Spiona- 
ge  und  deren  Publizität  trotz  früherer  Verurtei 
lung  durch  den  Presserat. 


Eine  2000  Jahre 
alte  Lettre,  die 
aucli  lieute  nocli  gilt 


Auch  hier  drängen  sich  leidvolle  Erfahrungen 
aus  der  Weimarer  Zeit  auf.  Sie  geben  Anlaß,  da- 
vor zu  warnen,  daß  die  kritischen  Stimmen  der 
Publizistik  um  Ausgewogenheit  bemüht  und  nicht 
darouf  oütgerichtet  sein  sollten,  Massaker  an 
Menschen  und  Institutionen  zu  veranstalten. 

Wohl  abgewogenen  Sinn  euch  in  schwierigen 
Zeiten  bewahren  —  das  lehrte  ein  römischer 
Dichter  schon  vor  2000  3ahren.  Diese  Lehre  gilt 
auch  heute  noch. 


DR.  HERBERT  WEICHMANN 


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H  ^ff 


Nr.  138  -  Seite  13 


Professor  Dr.  Herbert 
Weichmonn 

Aus 
meiner 

Sicht 

In     Exklusiv-Belträgen     für 
das      Hamburger     Abend- 
blatt   äußern   sich   Persön- 
lichkeiten aus  dem  In-  und 
Ausland  zu  Fragen  unserer 
Zelt.     Ir>    der    Artikelreihe 
„Aus  meiner  Sicht",  die  wir 
in  zwangloser  Folge  veröf- 
fentlichen,   schreibt    heute 
der  frühere  langjährige  Er- 
ste     Bürgermeister      Ham- 
burgs,     Professor    Herbert 
Weichmann,  über  die  häu- 
fig   bedrückende   Art,  wie 
wir  —  auch  Politiker  unter- 
einander    —    miteinander 
umgehen,  und  ob  «s  richtig 
Ist,    alle    Probleme  so  un- 
endlich    zu     komplizieren, 
wie  es  heute  vielfach  ge- 
schieht. 


Zurück  zur 
einfachen 
Wahrheit 


Politologen,  Staatsrecht- 
ler, Pädagogen  und  auch 
sonst  renommierte  Per- 
sönlichkeiten befasset! 
sich  immer  mehr  in  besorgter 
Weise  mit  Problemen,  die  in 
Begriffen  vom  überfremdeten 
oder  überforderten  Staat,  von 
Legitimitätskrise  und  Staats- 
verdrossenheit, von  Konsens- 
problemen oder  Gefahr  der 
Unregierbarkeit  ihren  Aus- 
druck gefunden  haben. 

Diese  relativ  neu  aufgekom- 
mene  Welle   einer   politischen 
Besorgnis     hat    ihren    Grund 
darin,  daß  die  Ära  der  Aufbau- 
periode und  mit  ihr  der  weit- 
gehende    politische     Konsens 
der  Bürger  in  Richtung  auf  die 
Staatsziele    ein  Ende  genom- 
men hat.  Das  gesellschaftliche 
BewuBts'iir»    hat    sich  in  eine 
Füll-tf  von  Widersprüchen  ver- 
itj-kt.     Die   Wohlstandsgesell- 
schaft Ist  zur  Anspruchagesell- 
schaft  ausgeartet,  und  der  An- 
spruchsgesellschaft    tritt  jetzt 
der  Umweltschutzgedanke  mit 
der     Vorstellung     von     emer 
idyllischen      „Zurück-zur-Ns«- 


Dasein  freundlich  begegneten, 
hilfswillig     wären,    Rücksicht 
aufeinander  nähmen  und  bei- 
spielsweise das  Defizit  an  Re- 
spekt gegnüber  dem  Alter  be- 
seitigten. Anders  ausgedrückt, 
muß  die  Freiheit  in  Permissi- 
vität  ausarten,  in  der  alles  er- 
laubt ist,  oder  sollten  wir  nicht 
schUcht    das    wieder    bewußt 
pflegen,    was    man    als  guten 
Ton  bezeichnet,  um  so  wenig- 
stens einige  Mißtöne  im  Kon- 
zept der  Dissonanzen  abzubau- 
en? 

Zum  zweiten  wage  ich  auch, 
auf    gewisse    ästhetische    Le- 
benswerte     hinzuweisen.     Im 
Aufruhr  gegen  das  sogenannte 
Establishment  ist  seit  Jahren 
die  Jugend,  aber  nicht  nur  die 
Jugend,     dazu    übergegangen, 
das    äußere    Erscheinungsbild 
in   der  Kleidung  demonstrativ 
zu    verschlechtern.    M£S>  rr.aj 
für    eine    gewisse    ^.^i"    Ver- 
ständnis   für  die   ^'l'wendung 
vom      Hergebrechtf-n     reigen. 
Aber  hat  der  modern  ge^  worde- 
ne      „Gammel-Look"       nicht 


KWUl 


icin 


lai    5irn   in  eine 


Fülle  von  Widersprüchen  ver- 
stickt. Die  Wohlstandsgesell- 
schaft ist  zur  Anspruchsgesell- 
schaft  ausgeartet,  und  der  An- 
spruchsgesellschaft tritt  jetzt 
der  Unnweltschutzgedanke  mit 
der  Vorstellung  von  einer 
idyllischen  „Zurück-zur-Na- 
tur"-Auffassung  entgegen. 

Jungen  Idealisten  andererseits 
gaben  die  unvernneidlichen 
Unzulänglichkeiten  unserer 
pluralistischen  Welt  Anlaß 
zum  Rufe  nach  einer  System- 
veränderung unserer  staatli- 
chen Verfassung.  Aber  auch 
auf  der  Basis  unserer  freien 
GesöJlschaft  mit  der  in  ihr 
verbürgten  Freiheit  und  Ver- 
antwortlichkeit des  Individu- 
ums entwickelte  sich  immer 
stärker  der  Trend,  dem  Staate 
eine  totale  Verantwortung  für 
die  Lebensgestaltung  des  Indi- 
viduums und  der  Gesellschaf  ts- 
struktur  anzulasten. 

Ist  es'unser  Schicksal,  uns  als 
Individuum  und  als  Gesell- 
schaft in  Widersprüchen  aus- 
einanderzuleben  und  die  be- 
stehende Ordnung  durch  einen 
Zustand  zu  gefährden,  in  dem 
jede  gemeinsame  Orientierung 
verloren  geht? 

Nun  —  eben  über. diese  Pro- 
bleme wird  wachsend  nachzu- 
denken sein.  Ich  möchte  sie 
hier  aber  nicht  vertiefen,  son- 
dern nur  versuchen,  ein  paar 
kleine  Brötchen  zu  backen,  die 
dafür  aber  etwas  verdaulicher 
sind  als  der  Inhalt  der  großen 
Problempakete.  Hierbei  ent- 
decke ich,  daß  auch  ich  offen- 
bar zu  einer  Art  Systemverän- 
derer  im  Hinblick  auf  gewisse 
Erscheinungen  der  Gegenwart 
geworden  bin. 


Spielregelndes 
Zusammenlebens 


Sollten  wir  uns  nicht,  so 
möchte  ich  fragen,  zu  der  ganz 
einfachen  Wahrheit  bekennen, 
daß  das  unvermeidliche  Zu- 
sammenleben der  Menschen 
gewisse,  sehr  einfache  Spielre- 
geln des  Zusammenlebens  be- 
dingt, ohne  die  wir  eben  nicht 
gut  zusammenleben  können? 

Eine  erste  solche  Spielregel 
möchte  ich  in  jenem  Appellse- 
hen, den  gerade  das  Hambur- 
ger    Abendblatt    bereits    vor 
Jahren  an  die  Bürger  gerichtet 
hat,  der  aber  zunehmend  ver- 
hallt ist:  „Seid  nett  zueinan- 
der". D^r  Streß  des  Tages,  die 
Nichterfüllung       vermeintlich 
gerechtfertigter  Wünsche,  die 
verwirrende  Vielfalt  der  Ein- 
drücke und  Ereignisse  hat  die 
Menschen  reizbar  gemacht.  Sie 
sind      vielfach     unfreundlich, 
mürrisch,     unfroh    geworden, 
obgleich  es  gewiß  der  lebenden 
Generation  sehr  viel  besser  als 
den  vorangegangenen  Genera- 
tionen geht. 

Es  würde  zweifellos  unser 
Leben  erleichtern,  wenn  wir 
uns     im    einfachen    tätlichen 


das    äußere    Erscheinungsbilc 
in  der  Kleidung  demonstrativ 
zu    verschlechtern.    Metx  maf 
für    eine    gewisse    Zeit    Ver- 
ständnis   für  die  Abwendung 
vom      Hergebrachten     zeigen. 
Aber  hat  der  modern  geworde- 
ne      „Gammel-Look"       nicht 
seinerseits  zu   einem  Konfor- 
mismus   geführt,    der  keines- 
wegs   dem    Individuum  mehr 
Individualität    verleiht?     Ent- 
sprechen  fifjckige  und  ausge- 
franste    Hosen     wirklich     der 
Wesensart  von  Mädchen,  wel- 
che die  Natur  doch  mit  einer 
gewissen   Kategorie  ausgestat- 
tet  hat,   und   müssen  bei  den 
Männern    Härte    zugleich  das 
Merkmal      des     Verschlampt- 
seins tragen? 


Polemisieren 
statt  diskutieren 


Ein  drittes:  Wi?  haben  weit- 
gehend die  Weisheit  der  alten 
Griechen  verlernt,  daß  näm- 
lich gerade  der  Wissende  weiß, 
wie  unvollkommen  sein  Wis- 
sen ist.  Wir  haben  darum  auch 
das  Diskutieren  verlernt  und 
an  seine  Stelle  das  Polemisie- 
ren gesetzt.  Die  politischen 
Parteien  haben  hierbei  leider 
ein  schlechtes  Beispiel  gege- 
ben und  sind  nach  der  Periode 
des  Bemühens  um  Konsens  in 
den  Aufbaujahren  rückfällig 
in  einer  Weise  geworden,  die 
an  Konflikte  in  der  Weimarer 
Republik  mit  bekanntem  töd- 
lichem Ausgang  für  unsere 
Demokratie  erinnert.  Wir 
müssen  uns  bemühen,  wieder 
mehr  zuzuhören,  den  anderen 
zu  verstehen,  sich  selbst  zu 
überprüfen  und  Konflikte  zu 
minimieren  statt  zu  maximie- 
ren. 

Ich  möchte  noch  eine  kitzli- 
ge Frage  wagen.  Die  Frauen 
haben  sich  weitgehend  eman- 
zipiert und  damit  auch  sicher- 
lich      eigene,       schöpferische 
Kräfte  nutzvoll  ausgelöst.  Die 
Gleichheit  der  Rechte  bedeu- 
tet aber  nicht  auch  die  Gleich- 
artigkeit der  Geschlechter.  So 
wenig  wie  ein  Mann  weiblich, 
so  wenig  sollten  Frauen  männ- 
lich werden.  Die  Natur  hat  ih- 
nen mehr  als  den  Männern  den 
Vorzug    verschafft,    Elemente 
eigenen  Charmes  zu  besitzen. 
Sie  sollten  bewußter  gepflegt 
werden      zum      Nutzen      der 
Frauen,  zur  Freude  der  Män- 
ner und  der  Frauen,  zum  Woh- 
le der  Gesellschaft. 

Mit  diesen  wenigen  Gedan- 
ken   habe    ich    gewiß    keinen 
neuen  Moralkodex  entworfen 
oder    entwerfen    wollen.    Ich 
meine  aber,  daß  es  für  die  le- 
benswerte  Gestaltung  unseres 
Daseins  nicht  unerläßlich  ist, 
die  Probleme  zu  komplizieren. 
Seid  nett  zu  euch  selbst,  seid 
nett  zueinander  —  wenn  wir 
diesen   Satz   beherzigen,   wird 
auch  die  Welt  und  unser  Leben 
in  ihr  freundlicher  sein. 


serer  Gesellschaft  und  vor  diicr^^Bashdcmok 
re_2räsematW^nD^^ 

Handlungsfreiheit 

für  schöpferische 
Persönlichkeiten ! 


Dl«    Entwicklung    unserer    Groß- 
städte aanci  und  steht  im  Zeichen 
?ines  ständigen  Wechsels  von  Be- 
dürfnissen  und   Ansprüchen,   die 
häufig    das    Projekt    von    gestern    am 
nächsten  Morgen  aurch  die  Perspekti- 
ven von  übermorgen  als  dementiert  er- 
weisen. Man   erinnere  sich   an  gewisse 
markante     Vorgänge     solcher     Art    m 
Hamburg.  Bei  den  Beratungen,  über  den 
Aufbauplan  lOtiO  zeigte  man  noch  Furcht 
vor  emem  zu  großen  Wachstum  der  Be- 
völkerung und  bcmaß  die  Emwohner- 
zahl    auf    „nur"    2  Millionen  statt  ur- 
sprünglich veranschlagte  2,1   Millionen. 
Heute  besteht  die  Furcht  vor  emem  zu 
großen  Schrumpfungsprozeß. 

Das  Überseezentrum  im  Hafen,  sei- 
nerzeit als  das  Nonplusultra  im  Stuck- 
cutverkehr konzipiert,  wurde  plötzlich 
durch  ein  bis  dahin  völlig  unbekanntes 
Wesen  rämlich  durch  den  Container- 
verkehr, überrollt,  der  die  Struktur  des 
Hafens  wie  des  Schiffbaus  entscheidend 
veränderte. 

Di«  Dynamik  der  Neubautätigkeit  auf 
der  grünen  Wiese  bis  1971  fand  mit  der 
Beendigung  des  P^rojektes  Allermohe 
ihr  Ende.  Die  mehr  konsei-vative  la*-« 
der  ßtadtteilemeuerung  und  Restau- 
ration des  alten  Bestandes  loste  sie  ab. 

Das  in  den 'Aufbaujahren  unbestritte- 
ne   System    zentraler    Planungen    und 
Be'^chlußfa.  sungen  wurde  durch  ein  Sy- 
stem sogenannter  bürgernaher  Verwal- 
tung  mit   vielen   Mitwirkungsinstanzen 
abgelöst  und  ließ  vielfach  die  Entschei- 
dungsprozesse  im  Gewirr  unüberbrück- 
barer   Interessengegensätze   einfrieren: 
Bürgermeister  KIo.se  warf  stöhnend  und 
zweifelnd   auf  einer  Tagung  in  Tiitzing 
die   Frage   nach   der   Regierbarkeit   der 
Städte  auf. 


Der  Reformeifer  sprudelt 
als  Quelle  der  Verwirrun^^ 


Die  These  von  der  individuellen  För- 
derung des  Standortes  Hamburg  gencl 
fn  das  Feuer  der  Umweltschützer,  und 
fehnhch  wurde  der  Bau  von  Kernkraft- 
werken ja  sogar  von  Kohlokraftwer- 
ken  vorher  unbe^trittea  und  gerausch- 
loT'vollL^gr,).  zu  einem  ges.llschaftspo- 
litischen  Problem. 

Dci.  sind  nur  einige  Beispiele  für  den 


Vcraritworthch   für   das   ^Jfj^^^/^^^^^^^^ 
Karl-Heinz  Rucke.  Hamburg 


Wechsel  in  der  Planung  von  Entwick- 
lungsmaßnahmen und  dl-»  Veränderung 
im  gesellschaftlichen  Prozeß  der  Mei- 
nungsbildung. 

Kon.stant  geblieben  ist  eigentlich  nur 
der   Reformeifer.   At)er   damit  sprudelt 
auch   konstant  die  Quelle  der  Verwir- 
rung   weiter.    Die    Bildungsreform    und 
ihrf>    Konsequenzen    haben    im    Schul- 
und     Universitätsbereich   alle    früheren 
Planungen  kompromittiert.  Der  Ausbau 
des   Sozialstaates,   oder   wenigstens   die 
soziale    Sicherung    des    Bestands,    stoUt 
sich  an  der  f man/iellen  Enge.  Die  finan- 
ziellf-    Enge    ist    eine    Folge  weltwirt- 
schaftlicher    Veränderungen     clie    uns 
treffen    aber  von  uns  kaum  beeinfluß- 
bar sind.  Die  durch  die  Imanzielle  Enge 
bewirkten     Unzulänglichkeiten     lassen 
dafür  ein  Wachstum  höchst  unliebsanrier 
Art  Platz   greifen    nämlich  ein  Wachs- 
tum an  StaatsviTUrossenheit,  an  Ideolo- 
gien mit  dem  Ziel  von  Systemverande- 
rungen,  ja   sogar  an  Anwendung  oder 
zumindest   Andeutung  von   Gewalt   tur 
oder   gegen   die.ses    iind   jenes,   wenn  es 
der  Durchsetzung  des  eigenen  Interes- 
ses dient. 

Im    rapiden    Wetn.el    der    objektiven 
und  sublektiven  Bedürfnisse  Ist  auch  &c 
Sonne  Irüherer  Gläubigkeit  an  Voraus- 
sicht  und   Planung   in  der  Dämnierung 
des   Zweifels  versunken.   Gewi b  gibt  es 
noch  weiter  Vorstellungen,   wie  qua  i- 
tät.^mäßig   oder   der   Quantität  nach  die 
Vitalität  und  der  Eebenswert  der  Stadi 
>;psichert  werden  sollen.  Da>  gestiegene 
Anspruchsbewußtsein        der        Burger 
gleicht   sogar  einer   Hydra  —  ein   An- 
spruch ist  erfüllt,  zwei  neue  erwachsen. 
Projekte    und    Ansprüche    sind    keine 
Mangelware,   und   sie  werden  auch  im- 
mer einem  Für  und  Wider  unterliegen 

So     möchte     ich     meinerseits     darauf 
ver/ichtcn,  fias  Füllhorn  konkreter  oder 
abstrakter    Ideen    anzureichern,    datur 
aber    einen     m    der    Massengnscllscaatt 
iet7t    zu    kiir/.    gel:ommen<^n    Gedanken 
hervorheben.    Im    Zuge    der    Kodierung 
nach  melu-  Demokratie  und  im  Respekt 
vor  dem  mündigen  Bürger  hat  diese  all- 
romeine  m.d  z^r  Mit.^prache  drangende 
MundigkiMl  der  Ma.^.se  Men.'.ch  dazu  bei- 
gpiragen,  die  besondere  Holle  des  schöp- 
ferischen   Individiums    gerade    auch    in 
der    Massengesellsc-liaft    zu    übersehen. 
Mit  dorn   begriff  der   gewiß  erforderli- 
chin  Herbei fül'.run.i;  von  Chancengleich- 
heit hat  sich  die  Vorstellun-  von  einer 
Bpgabungspleichheit  und  ^^^  Anspruchs 
von  Schicksaisgkichheit  entwickelt,  die 
dazu   diängt,   unserer   Gesellschaft    im- 
mer mehr  egalitäre  Züge  aufzuprägen. 


Der  Mensch  ist  aber  nicht  In  jedem 
Individuum  em  gleichgeart -tes  Wesen. 
Gev^dß  hängt  seine  Entwicklung  aucn 
von  den  jeweiligen  gesellschaftlichea 
Umständen  ab,  aber  noch  immer  haben 
in  der  Geschichte  hervorragende  Per- 
sonMchkeiten  entscheidend  den  Verlauf 
der  gesellschaftlichen  Gestaltung  beein- 
flußt Die  Persönlichkeit  wieder  zu  rc- 
sntktieren  und  ihr  auch  Handlungs- 
spielraum /u  verschaffen,  das  erscheint 
mir  ein  Gebot  der  Stunde. 

Das  gilt  allgemein  im  Bereich  der  Poli- 
tik und  besonders  auch  für  die  Stadt- 
politik. 


Parteidelegierte  haben 
faktisch  zu  viel  Gewalt 


Wer    die    Geschichte    der   deutschen 
Städte  vor  oder  nach  den  tausend  Jah- 
ren der  Nazi-Zeit  im  Auge  hat,  der  erin- 
nert sich  an  die  große  Zahl  der  Bürger- 
meister, die  d  ach  das  Wesen  ihrer  Per- 
sönlichkeit    das     Gesicht     der     Stadt 
fruchtbar    geprägt    haben.   Bürg.u-mei- 
vter    mit   oder  ohne  verfassung.-maßige 
Richtlinienkompetenz,  Senate  oder  Ma- 
gistrate, jeder  einzelne  an  den  Schalthe- 
beln  der   Macht   sollte  die  Essenz  einer 
schöpferischen    Persönlichkeit   besitzen 
und  dazu   den   Freiheitsraum  erhalten, 
sie  wirksam  einzu.setzen  und  sie  nicht  m 
den  niederen  Niederungen   des  Padei- 
iebens  zu  verbrauchen.  Eben  das  aber 
scheint    nach   Ablauf   der   Aufbaujahre 
schwieriger  geworden  zu  sein. 

Es   ist   schwieriger   geworden   wegen 
des   wachsenden  Anspruchsbewußtsems 
drr  Büigi-r  u:id  öer  au-ufernden  Vielfalt 
der   Ansprüche  nach  der  Erfüllung  der 
^plb.tverständlichen    Aufgaben,    welche 
■<lje   Aufbauperiode   stellte    E.   ist   aber 
auch  schwieriger  geworden,  weil  das  aa 
=  .ch  i-rfreulicherweise  gestiegene  demo- 
ki  itische    Bcwußt.sem    den    Bürger  zu 
Forderungen  an  einer  Mitbeteihgung  an 
Entsclieidungsprozessen    innerhalb    und 
außerhalb  von  Exekutive  und  Legislati- 
ve  führt,   die  die  verfassungsrechUiche 
Vollzugsgewalt  nicht  immer  stärkt,  son- 
dern häufig  auch  schwächt 

Erscheinungen  wie  die  Mitwirkung 
von  Parteitagen  bis  ms  Detail  oder  gar 
r\o  mehr  o<lcr  minder  faktische  Aus- 
übung eines  imperativen  Mandat.s,  der 
Druck  einseitig  orientierter  Bürger- 
initiativen   und    spezifischer   Verbands- 


':'''i''i^W 


ls> 


.     .-,  rl.  r  lia- 
\r'f-  pn,  '^  a  Wähler 

"''^"''^-  -0  (%.s»p'.wi.it  durch  rincn 

^--^^"^\r^;sca^;m  Huf  nach 

etdschieden.  :   .^ u^^'  ^^.....run;;.  sondern 

tcr   Kreise    I)i.>.^-J^^^^_^^^^ 
rncn    Bereich   Oi  .    I""      ^       u^ter   dem 

eine  Erosion  aes  ^fj.^^^^^^^^^^  mit  sei- 

maivhe  eine  u  ^^.^^^^^^ 

aber  es  ist  eiae  w     ^  ^  Q,^^,r^. 

^ontroUe^st. ^^:. -,,,,..   .^h 

einen  «"^'^^^"^^"^nUt  jeweils;  vo.  -.1  - 
räum  besitzen  ^^^^^'^''^j,«  auf  soienann- 
rer  eigenen  ^"^^'^^^^^''aLewiesen  sein 
^    BLis/ustimmunj:    ange       ^^^^^  ^ 

und  damit  J?^7^^l!l^"rcr    Elem«^^«     als 
Hintertür     P^^'^'^"^'  ,5^^^  zu  betraditen. 

Gewählte   Vertie^r    m  ^^^,^,.ndcn 

Legislative  "^"^^^^^^^"'erhallen.    solange 

"^^^1i^n^:^vSwc^tung  tra.en. 

üiC  eben  u.V.  >  .       ^«   tjr 


.„,   .>.,,t.ib  Teich  zumMit- 
i^or   im      <i-^«  "  ^  ^uch  zum 

w  ...„^-.;a4  und  damit  ;»ueu  /- 

kanfl  dazu,  ^V   ,  We-m   nun  mit  einem 

•"^  "::;"d'rf  tonrlen  dura.  Vepraue^ 
deu  vvi  rat  n  a  .  ,  .^g  an  dn ^  ivonnt.u 
,.,,,ai  Hcrau.r'-K.ung  i^oordmie- 

uud  d;e  ^ntelliReaZ'^^^%^^,rk53mer 
:  ung  uad  T^^"^,f  ^'^.rroUtikcr  u.  d.e 
^,.,cicn  dann  f ^^^^  ^l^,  Projekte  zu  er- 
Lage  versetzt,  ^'^"^^^^^^[dung  vu  stel- 
arbeiten  und  ^^^^^^"^^  ^ren  Vollzug 
len  sowie  im  ,.'«^'=^^ 
zu  realisieren- 


Der  eigentliche  mU 
für  Rürger-lnlüatlven 


f 

r 

i 


f 


na.   I-Ut   IreiUch    noch   «-<>  ^ndere 
unser   demoKnU  «hi,   .>     ^  ^^^^  p^^. 

wnlichkeiiwi,  d»  -    ^„.pruch  nehmen 
dann   ''b^/^^.Vn  soSdar.sch  von  den 

P^"-'^'^hfb"'>     ""d    n-...-t    sland>g    von 
2ur  Mhopfer..eh-poal..chcn  ^^^^^.^,^^^.. 
gehövt   =.Hh  ^■'"«_f='^°f''dH.  unerläßlich- 
Instrumont    i^^/^^^^In  resrektierc.,- 

den  ÖPielnu:-'  an  l~ten  „„d  Be- 
nichl  in  »'■'■"''" M.t^beiUT  durch  em 
•Coermaß  an  Mi'.besumi  ^^^^i^^^^. 

runß.i,n^'^iy^^^^^,rnÄ  efamui.St  v-crdca 
balb  der  Vcrwaiiuute 

'''^^''''        hl*. -uichh.-rpm  offenem  Wort 
Ich  mochte  aucn 


^„    und    Ermutigung 
U.e    Mobdisierung    und    ^  ^^^e- 

schopferischcr    rer^on^^^^^^^^ 
tct  sich  natargo^maß  aucn      ^^^^.^^^^^g. 

Bereichs   von  J'^^^^^^'',  daß  die  Mana- 
K5  gibt  Anzeichen  dafür  oa  ^^^^^ 

'.e/mude  ßi:^^^^.^,^^^^^::^;  Leistung  und 
^^ung  von  Begriffen  ^^«^  Mach- 

Profit,  A^^^tif4,f  t^Shwu^  erzeugt, 
uirkun-on  ^*^"'?^^^Lt:y^icher,  als  neue 
Das   ist   um   so  ^^^f^.^^^^^^  und   die 

technologische  Entw^iun^  Wirtschaft 
Verflechtung  der  heimis^^^^^^^^  ^ 

ma  der   ^>^1^",;^';^  "in  erforderlich  ma- 
und  schnelle.  Handeln  ^^^  ^^^ 

chen.  Das  gdt  ^^^^^'^^^Z\ore  zur  Welt 
Hamburger  Kaum,  des.cn  ^^^^^_ 

.offenbleiben  m^^JJf^X    ra^ch    ändern 
ortqualitaten    sich    scnr 

konneu.  „;^uweise    schon    zur 

Wer     hat    ^^^^P^^^^'^^^'ß  die  multina- 

Kenntnis  ß^^^^°"^;^r^;,fen  sich  vom  öl 
t.onalen  01geselU;ch.if^en  ^^^^.^^,,,,,^ 

abwenden  und  ^^^^^f  ^'T.^ährdung  der 
,^,t  einer  ^^^f^^^.e^^l^X^t'^  Keine 
bestehenden  ,R^^^^^"^^'^d  keine  Tätigkeit 
ctaatliche  ^^^^^'^Il^^^i  vermögen  ausrei- 
der  öffentlichen  H^!^^^^^p7erische  Spiel 
chond  fruchtbar  das  schop  ^^^^^^ 

der  freien  ^rafte^u  ers         .^^^^^^^^.^ 

r.!!^.tTJTrdi^^^^^^^^^^^ 

'^?Ur  die  For.chung  und  Lehre,  für  das 


1  wn    'ür   die  Verbesserung  von 
Kulturleben,   xUi    mv-  .    ^      ,:iensch- 

V>  -ken  Beziehungen  _,  ^.^^ 

^^^"^^,TVMch^'s.ruklur,    der    H:Ue 

für  iHidire.  fi<  r  J*;  i^wt/  für  Burgerm- 
-M»  rirr  ciuentliche  riaiz  lui  „,,.4- 

^;':,':rrn.chi''Ä',;,t.u....:.stu.. 

v,n  pflichtet  halten. 

der   erhöhte  .A^'^7,^,^-'^7,^^-und  naehf  oi^ 
1),.  Generation       oKnog^^^  ^^^^^^  ^,^, 

;;endes  Leid  ^^^  f^^''V:'\'^äb^  entwickelt 
f'ahrungen  ^^/'^^^^^f  ^  ,'vSn  der  Bühne 
hat,  tritt  immer  ^^  /^^  7^^,d  verdrangt 
des  poUtischen  ^^'-^^^?,^;' ^''eschichtsuner- 
oder  labt  sich  von  ^  '^"^^^  .^.  pas  mag 
lahrrnen  Jugend  ^l^^^,,  auch  die 
eme  t:bergan.;.pt  riode  >c  n         ^^  ^^^^ 

,euc    Generation^h^e  ;-^  gesammelt 
fruchtbaren     Er^nhrug^  ^^^  ^^^, 

hat-  Diese  ;^^^/f^f^^-'^i;,e  sie  s.ch  be.i- 
auch  Ihre  <^.^f^'^"'  ^Ihsenden  Polari- 
.p.elsweise  ;,"  ^^f  ^„"tm  Au-^br.iten  ra- 
s,erung  der  Par.^  en,  m  verken- 

^ntrsÄrd-ÄordneUn  Zu- 
sammenhangs ergeben. 

^"  Problem  der  Ken.ert.arke^  der 

Städte  fällt  h"^^^^'pi^u,Siiti.chen    Gc- 
ReRierbaiKUt    der    P'"  Problem  m 

,eUs*aIt  --^^-■^£7i°'?ozu^.gen   vor- 

unserer   auf  .^""(ii'^t^ujchaft  ist  nur  zu 
programmierten  Oeseuscn^^^^^  ^^ 

l„sen-  wenn  di<^  aMn  ^^^,j,on  nicht 

vor   Geselkchatt  «iej'  ^„„rtern  ^n 

„,  gecenseiuse    1  cmo        i^^.,,.    «„o    .n 
rrTon»rennguna  eibUcKon. 


Am  nächsten  Montag: 

Behalten  wir  Anschluß 
an  den  Weltverkehr? 

Kuno   Mohr,   Ende  -«Yt.S.den" 

u  .r«    «ötzt  sich  kritisch  m»^  a« 

*'''^-!hnn    der    Verkehrswege 
Entwicklung    aer    v^ 
,nd  der  VerkehrspoUtik  -ni  Ham 
butger  Raum  ouse.nander 


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iss^:hi. 


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lrr,,c/i     ■^'''"'''"'   *-^''"   ^^'^-   ;.'^osa;Titc   Juden!)  ei  t 

den  Ml^, ";';„';.";,? ':''\''^  '•=""  •-■""  -^■«v.n 

'>,    tto.mann    Vt"  "  sX/ >  n  ^ '^'V '' "   ^'•■^"■ 
niission  ">  omonnVn     ,  V"!*'""-"  '"•«"<i^Te  Kon- 


Antiscnii.'isciu'r  VolJsiag  in  Wien 

^  '^  ^  C.1  ,1  .1  t  i  t>  11  a  1  c  r    Volk     t  t  -    ;„.  w        ^, 

•    *      •  '    uiiu     I    <)  L^  r  o  in  f  M    <-,     r  u  I 

«icr    AK,...-.,. _^^i«incri    ^     u.tcn  Fn^  »e«:^; 


Ah:;rorcJnc(e    K  i,  n  s  r  h  n  I.    u: 


«KT 


sicli 


rcii.iMH-    des    dcut.du-n    Wwu    d 

ie,m!rns.i;^c   rieniento.    inshc.oiia. 

m/usnuimenlinnnr  damit  find  .r.  ' 
y'ciicr   Universität   eine   \  v 
^icutschnationalen      .„t     d.;      Kathol 
Studentenschaft,   die   sich   .m..ner  au^.   '.Ve      e   '  .f  i 
hatten,    statt,    wobei    ^.)eid,falls    ^^1:^   die    Cn^   m 
des    dexitschen    Chnrakters    der    ^'len^^L^  '^ 

U^::cn  alle  „Ueber^rriffe  ö<t  sich  bnlt         i      J 


^•i    Aiislär:  ''T 
<he  Juden  li<t| 
'"  der  A  i  I.i 
'»rudcr      5  ^i 
k  a  t  h  o  I  f  V  c '" 


it 


I  r 


jüdischen    Ucbertra^'^jno'    v^„    1     n 
Lebersrtzar^r    von    P     T   u^k     ^  ^^  '"  "cbr.uscher 


\Uochensdir,ft   ,,H  a  2  e  fi  ra*'. 


gefü^.  ^   "^'^ .'  rotcstkuncin^ebung   bei- 

.nÄofgfndV  L'/rL^J^^'^'^u^"''  "Der  Jude" 
frat-e  i:-.  l^uen-  Amr^chT  H^^?^  '**^'^'^  „Hie  Juden- 
•n  der  Welt|>^miic-  Hans  Sail'c"",";  '■'i''"  i"^'''' 
derBourgeois'^  lernet  El^ht,,,  0'^''*=  "^"  •'"''«  ""d 
Volk",     M.    J-    B™de„i;'7n,^'P''';''°'*^     -G""" 

das  jüdische  TlieHir'-      i,Li,   J.*"   "}"<^b  Ooidiii  und 

Cohe'n";  ^aTsK.f.'cJ.es  ^Z^h''I^T;^']V"'-'" 
actzky     ond    F     Fr^.  «l-     i         u         ^-    A.    lioro- 

ßZc,  <s^'.-r  Raffaef  SH    g  ii  a  r'  ""°  7^'  W-""  '  V  ^ 
frÄr""^    '^-   '^-««'X'a„e'^^[,.n'2-'%,t! 

una  ?i^e  "^hrc'' '(/ur/:^!!;    "^-i-    ""^'"^   I-ttausc!u.ng 
frajic) ;    A  r.   t  a  i •     (Vol^r    '^  ,f '  """'"'ädion   Juden- 

tnva,.uncc   u,k  r    KcL^ion";''  s:,„u"V"k- a  p'p,  p"o'  71 


I  4,      ...      "      h«*«!-    ^.i-j    alt II  ort- 

'U.r,'enl,l.,„.n,  ist  der  «roßte  Teil  des  fv  i,  '  ,  c 
Volk?(ai,'  konfisziert.  i.r.(,.>,s 

Der  Jüdische  Nationalrat  in  cl.'r  U'    ,i,i 

f^drstLr^'L;-?;^:- ::••-• '--■.. '^ 

i<cKonstrui  erun^  des    F  ü  d  i «?  ^  ii  ^%,  ' 
ratesinderU.rai„e^„,,i^'V^^:^-^-/V,;  'i',s"u, 

^Aus  dem  reH,.7«e„  Leben  d^^ 

v.'cstrussisdien  Juden".  "  Vo,' si),.,;.-r   j 

..JüU.sch  leben"  (II)"    M     |    h'''^>-     .Man.n    .    .bc 

nt  T,";,  ^:--'  "i,%'"KVrp'epo'r",''"'7!:; 

^t.dt:  jä:d;;;e";  "Äwr'vi'Tn ;■',."'=',•,'■" ^T 

Zionismus";    Robert  Em  I  W  ei  s-     W.f.i^h-^ "'%''' 
semitjsmus  erlebte"-     H,-,  n-,.,„  r^  '   "7"-  ;™  de:  Ann 
R.cl.ard    .  K  r  a  m  e  r'         U^arZ       '  "  ^    "M"'"  '*'*^S" 
RuJolfine   Menzcl-U''Vl?,    1      "'/ ,  "'"''^'^    '■'<'>'<•"" 


!    P: 

JU(j, 

ituni- 
F  r  e  j 


^     ie   internationale    W  i  rLa  mk  .  ,♦    f  '  '     . 
^entums  in  der  V  e  rcr  ^r^l       u       ^  ^^^  ^^^   j  "- 
Zukunft^'  ^  ^rg^angenheit  und  i  n  <{e  r 


marPn'isf.n  Vin^r^VW.'^'"''    von    Hugo   ZucVer- 

_    Soeben  erschien  der  10    Benrli«  Hac     v       i 
jüdischer   Fnu^n    fr^'rJ,    ^^  ,.V  e  r  b  a  n  •:  ■  s 

niitj'"i'r"M''"''.''l  '''V   <■■''«    Nummer   der    I     T  \ 
iJiatter,    .Vlinaiinhe   AVjiieilun.'fn    ,i,..    i.-  i-*'      .• 

rurn  verein,    E  ra  n  k  f  urt '"I.V       ■'"''' '^  "er 


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}  '»:t\  cn    W  ,•  t  rh  m  a  n  n 


O  i)  (i  .1  s   i  ü  .1  i  s  v.S  c  V  o  \  k   n  o  lii   lehr  ? 

Wii  uiucrs<.iici'itn  da  drei  Cjudc  der  Dciiiüti\;ung,  die  u  ir  erleiden 
müssen. 

i:s  dcmiiti;<t  un-^  (!er)iTK,»;e,  <i.T  d.e  r:Mv:e  steiit.  Ilr  deinütier  uns 
Suirker,   u'enn  er  dem   jüdisdun    \  oli\C  entsr.ur.nu. 

Am  st.irksieii  demüiiii^r  er  uws,  venu  tr  sie  be;,i!ur,d  imrer  I  ler.m- 
ziehun^^  von  klii,<en  Arsunienten  und  gesdiciten  Gründen,  von  »wcnn^c 
und   »aber«   i)eantwortet. 

Wir  hekfagen   uns,  daß   uns  die  \\'e!r  nidu  aduer. 

Wenn  w  ir  uns  selbst  ::u  aduen  be^^innen,  \xi.d  man  uns  aduen.  Es  ist 
bei  Einzelpersonen  uie  bei  X'ölkern.  Das  W'^errurtei!  über  jemanden 
spricht  niiiit   der  andere,   sonclern   er  selbst.    Selbstaditung  bringr  Aduung. 


Die  Judenheit  alier  Länder  zeir.ü't   in   zwei   Gru[)pen: 

Die  einen,    die    in  der  M.nderzahl   sind,    gehen    mit    i\K:r  starken  vSadie. 

Sic     schwinmien     <.nA    der     Oberliadic,     werden    bcaditet     und    sind     die 

Nehmenden. 

Die  andern,  die  Mclirzahl,  geiien  mit  t!er  geredifen  Sadie  —  sie  taudien 

unter,  werden   ignoriert  und  sind   viie  Cjebenden. 


Der   Ncidd.'iuier  der   anderi  n   bedeutet   viel   dem   jüdisdier^    Volke. 
i\i    j>daiekäuler  wird  üa  zui:.    rührer. 

Unsere   *I'iihrer«  sind   umgekdnte  Bileams.  Sie  waren  berufen,   uns  zu 
segnen  und  sie  verliudicn  uns.  Adolf  Stand. 


Das  Dilemma. 

Das  Dilemma  ist  (\.\s  Problem  lier  jüdisdien  vSeeie  ^  om  ^V"eg  iiner 
Sehnsucht  nadi  einer  glüd^lidlen,  Sdubeier.  Weitordnung.  Die  IVav.'  der 
Flrfüllung  ist  die  Elntsdu-nlungsirage  ^iir  den  aktiven  jüdisdien  b!e<n..^mus. 
und  die  Methode  der  Irih.ilt  (Lt  l\irtei.  Harmonisdi  \n  der  7'endenz  und 
im  Hilde  des  Zielziistandes  handeit  es  sich  für  &ic  jüdische  Politik  — 
wenn  Politik  Verbuch  der  Wrveirküthung  bedeutet  —  darum:  Vv^ie  wiid 
am  gereduesten,    sduieilsten    und    sidiersten   Sauberkeit   im   Welttanzsaal? 

Ih  Will  diese  Frage  hier  nicht  entschf^iden.  Aber  WuS  ie}>  will,  ist: 
Autklärung,  dai^  aucii  im  Gegensalz  Verbindendes  ruiu  und  zu  gemein- 
samer Arbeit  verpiiidi(et. 

Die  Anschauungszeniren  sind  brkannt.    Idi  wiederhole  nur: 


V. 


-:^'i'S^,'id-\ 


;  *c  '•. 


u.\r,   Diiriiif,].). 


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nnjs    iir<t   die   üar.infio    d.-r    \V 


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_  ^•\>'  '(in  in  eine  kosrao- 
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der  Cjeredn 


i\ii0)j;cir  (und   eedan! 


tiens,  (ior  in   emrr  i\onzcni 


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dier  X 


TiSl 


HMSies    ui.er    die    vcrl.eerfe    i^rd 
^^Kcir.sidee,   eine  leLcndiv^c  Maf 


iilid 


in   der 
ivition  niensdi^ 


i'.eii)    ra.M.os   neiie  Wel! 
ausseiwä-r,    eine  Krar'rn 


en 


ianircst  Oüidi  Cilauhen   und  I 


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der  kosniopolitisdien  I.i 


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^'aii^ar  isr 
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Mtfe  Kuhrun.s-  ^<^vn\w  sid)  d 


der  Alijudcn.  Eine   J 


Kcsdiali.  Alljiid 


^o\vc  dA^'s  (^^e  Gel 


*'r   iü<iisdie  Iife.i! 


remienz,  wohl  aber  a 
^(^i<n  iMi.ssion.     jjio    O 


enfum,  nidit  als  der  Bejrriif 


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is  fier  Aijsdriai<  hir 


"iir  dieses  \\ 
einer  mad 


i^'ealisfnus   in   der  Phalanx 


orres  im 


AI 


ivie 


iitsd 


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M 


'ipoütistnen  i^xpansions^ 


sondern   Glüdv    die  Sendung  der  '^l^^ 


jenem  i-aiidum  der  Mens 


laspora    des    judisdien   V 

her.   Welt, 


en  .iiane;i<.aiji(;i,  n  C 


'v\Sl 


i'fid    Grcnz{)iulilc    lanw 


^liidil- 


Kei 


heiß 


og,    ,<otllidieii    At 


•  ,  das  <uiein   iiLer  df 


er  )ü.,;* 
^    nian    Un^IuKK, 
^nsdiauimv:^   veri)iHvt  sd 


Oii.es 


d 


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»'I»    i'oinien 


iKun   der  v>eeie  der  Juden.   N    '  '  - 


yoii,    :;inii:)ersdi\vini:r 


Cine 


vermittelt!  I^ie   Sendun.s^  <h's  Jud 
niiertum    zwisdien    den    Staat 


M 

Gnad 
S 


^^'^^  mehr  die  Sd 
entums  zur  Voilenduns^  der^^X 


ent\\'o^end  aus  den 
er  Teleeraphendralit 


env;^es( 


henl 


cn    und    Vol 


K 


ern.     Die    D 


^'it  ist  dds 
iaspora    ist    ein 


^o_   treten    in    .,;:leidK-r    Ziefstrehi/keir     1 


^^^"^    in    den    Mitteln    dif} 


L 


■CDen. 


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sozialistisdie    wie 
(-fitMeht,  die  Kraft 
obiek 


s  ist   wie  mir   flem   Sozial 


erent,    i\\c    jüdis(hen    I', 


lannoniMk    in  k\cv  Ahsid 


irle 


jüdische    Tia^^-ik:    Miß 
e*  zersj)liffern.     I  ).ls    C 


ismiis,   dl.-  Technik 


U,    und 
on    in    d.-^    örfeiitlidie 


frau'en    l)reirer 


variiert,   lind 


sidi,     Brud 


'S   i<r 


Ol 


jcktiven   Urteil  ersd.emr   das  Redit'alier!   Die  "l 


K-isti^e   cerar    ins   D 


er  IM  .e 


X'ims.itorisdie    Ge.^ehenheit    für    die'  durd 


aemma, 


D 


em 


ins[>ora,  die 


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glänzendste 


setzun);^  der  Welt  mir  dem   C 


X'n<i,v;    sdirankenfosc    Dur^ii* 


ist    zux'leidi  A\<i 
I, 

kraft    des    \V 


X^rößte   Gefafir    dieses  C 


meiste    uer  Ueredui<keir  und    Versöhnlidik 


luern   den  Vereinzelfen     H 
rafr    des    Willens.     Und    der 
ideahsdier  ünerv-ien.   rin  I) 


er<»;e   von 


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Biod 


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Gefal 


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aomsmus, 


erstanden    hedrohen  dw  S 


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"»Tx^K-n,   ein  Dynamo  dcv  hirnlid 


<»ie    li.ieriiorteste    V'erdidi 


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zuyjt'itli  in  (!••!;  Cjcclir-kon  J.-i-  V/i'!lu:ru.iSsnn^,  sjx'zi.ilisiiTt  si.i;t  v.'rcir.!<;. 
VoiivT.'is  crsi  ^iii-  /\ri'ri(  (\k-\'  .is.siiU(lit.»li\  t'ii  1  »Ti'lrnzcn.  i.im*  Viollicif 
vo;i  vSv  Vmvmi  ui.'i  CIku  \'!)«;  ii,  i  >ic*  juciisiiio  Si«'if  stv-'-r  S'ii\v'»'hr  \\\  Gotaiir. 
Wo  Ai)>^K*iiiiUii,i;  isi,  s;-iir  V't'iuMiviii;!.,  i,  ,  .  i>.'i,  <ifr  wS:,oiii  urs|>riiiiv^«f 
liJuT.  Zn'Ics  vcr>;ioitcr  \nw  zw  icniu  in.  brci.'oti  lirire  (i«.*r  Gc\x\'>lir.Iiilila»ir. 
Z.i<t'ml  iiiniai^r  (\w  ,v;o\x'issi'r.ii-i;r  vx'.iXiMiilo  Sl-cIc  d.is  uiisuiicrc  Ldiul,  Wo 
wo!l)t  suh  die  l^rdc  zii:n  Aiiiwr^  iiis  i\jr,uliv-s?  Liciri  und  vScii«ittcn  sind 
,«;[lriiiuiicißiy;  v».*iTc*ilr,  (\c[  rrkcniitiiisl;ritisdic  vSiini  ciLilu  «Lis  Rocht  imd 
Uiircciit  jeder  Riduuiivj.  Was  cnts(tK'i<Iei,  ist  die  iiidividuaiifat.  Das  Urteil 
fällt   in  die   Koinpctcnz  des  Psydioio^j^cn. 

Dodi  aus  der  GeScuntsmnine  d«"r  M  3,^Iidikoiten  zieiit  der  Rationalist  die 
Konsequenz. 

Die  Auf<ai)e  des  Judentunis  iuj  Zeii.iiter  des  I  ieuTe  ist  kein  Kult  und 
ist  aucii  keine   rclijijionsphilosoi^hi.sihe  S^>ekulation,    —   sie  iüt  eine  provident 

politische  Ai.reduuin.v:.  ^  .-».i-JL^U.  *-     f?' 

Das  ist  das  Verbindemie,  das  Prinzip  der  Konuivanizifar  z^x'isdien  (ien 
einzelnen  Kanälen:  Die  Identität  der  {)oatis(iien  Verpiii(iitun,y;;en  !  Das  Sua* 
strat  aller  Sehnsudit,  das  Do^^^na  aller  I  endenzen  ist  <iie  pro,^ranimatisd.e 
Forderung;:  Reformation  der  Brdjjoliiik  nadi  dem  Rcijulativ  der  Ge* 
reduigkeit. 

Das  idealistisc-hc  Judentum  hat  eine  politische  Partei  zu'isdien  den 
Formen  der  Staaten  zu  werden.  »Die  Elemente  i\cr  Wirksamkeitsweit 
sind  die  politischen  Parteien«  <Brod/  —  hodi  das  all^^emeine,  internationale, 
politisdie  Judentum!  Ich  bitte  ni^ht  falsdi  zu  verstehen,  ^  die  Bindung 
soll  keine  or.^anisatorische  sein,  ni^ht  die  Zahl,  in  vliesem  Falle  entscheidet 
alles  Aqv  welrpolit:- he  Geist.  Weltordnun^  nach  dem  Grundsarz  (ier 
Gerechti^^keiL  und  ßilii^^keit  duuii  die  s  u  ^»;  v;ei>r  i  ve  Kratr  des  Gedankens 
selbst.  Aus  den  Beschränkungen  der  staatlichen  Bindung  hinau;  zur 
Erkenntnis  der  allgemeinen  Aufgal>engrundlagc  im  W\'sen  der  Volker* 
Versöhnung  und  gegenseitigen  Verptlichtung, 

Und  der  jüchsthe  Kopf  als  die  motorische  Kraft  dieser  Propaganda 
der  Anständigkeit  und  Mensciilidikeit.  Ob  Zionist,  Assimilant  oder  Welt^ 
bürger,  diese  eine  höchste  Basis  sittlicher  Arbe.t  bleibt  gemeinsam.  Die 
soziologische  Bestimmimg  der  jiidisdien  Seele  ist  die  Hnttaltung  zwischen- 
staatlidier  politischer  Bncrgie,  Solange  *Sdireie  durc+i  das  menschliche 
Chaos  gellten,  so  oft  in  heiber  Seimsucht  der  Glaulum  und  der  Wille 
vom  alleinigen  Imi>eralismus  der  Vernunft  sich  zu  Wort  oder  Fat  criormte, 
—  geht  auf  ^\(:\\  letzten  Ursprung  zurüe(\  un^d  Ihr  findet  cier»  -uden!  Der 
Weltkrieg  ist  die  grellste  Malinung  der  Zeit  ^n  die  Zeitlosigkeit  der  Idee. 
Noch  lierrscht  das  Mittelaller.  Öa\S  So\m<:n.\v\{^cin^  werde,  Vereinigung 
der  Mensdien  zur  VersÖ!\nung  u\u\  Anerkennung,  i\:i<.  Juden,  ist  eure 
politische  y\ufgabc.  Frfabt  sie,  formt  sie  zu  zeitlidier  und  räumlicher 
-Lweckm.ißiid\eit  und  arbeitet  daran,  eme  Brudeigemcinsdiatt  von  real- 
politischen  Idealisten.  Wo  jeder  steht,  (\a  ist  Anfang.  Treibt  eud\  hi.u'm 
in  das  Leben,  ein  ewiger,  ungestüm  drängender  Keil,  ein  zeitloser  epi-- 
demischcr  Aufbrmh  von  Vernunft  und  Liebe!  Leibt  zwisduMistaatlidie 
vStaatspolitik!  Herbert  Weiciimann. 


-•  —II  11^11 


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THE  NEW  YORK  TIMES.  FRID^'_^l^Jl>  ^969^ 


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Jewish  Mayor  Says  He  Refused  Bonn  Presidency 


Hamburg    Leader    Declares 

Two  Principal  Parties 

OfUred  Post  to  Hirn 


By  RALPH  BLUMENTHAL 

Special  to  The  New  York  Tim«« 

BONN,  April  24  — Dr.  Her- 
bert Weichmanü.  the  Mayor  of 
Hamburg  and  the  highest  gov- 
ernment  official  in  West  Ger- 
many  who  is  Jewish,  turned 
down  a  chance  last  year  to 
become  federal  President  be- 
cause  he  feit  that  a  Jew  should 
not  be  the  coimtry's  head  of 
State. 

"I  never  hesitated  a  second," 
the  genial,  73-year-old  Social 
Democrat  said  in  an  interview 
here  last  week.  He  disclosed 
how  he  had  rejected  an  offer 
by  his  party  and  the  dominant 
Christian  Democrats  to  be  a  bi- 
partisan  candidate  for  the  pres- 
tigious  but  largely  ceremonial 
post  of  President,  to  which 
Dr.  Gustav  Heinemann  has 
since  been  elected. 

Germany's  problem  of  Com- 
ing to  terms  with  her  past 
is  not  something  in  which  a 
Jew  should  lead  the  way,  Dr. 
Weichmann  said.  It  is,  he  said, 
a  moral  problem  for  non-Jewish 
Germans. 

Aloof  From  Debate 

For  the  same  reason,  he  add- 
ed,  he  was  deliberately  not 
taking  part  in  the  country's 
debate  over  lifting  the  20-year 
Statute  of  limitations  for  the 
punishment  of  Nazi  war  crim- 
inals. 

Furthermore,  he  reflected,  as 
he  drew  on  a  long  cigar,  a 
Jewish  President  could  raise 
serious  complications  in  West 
Germany's  delicate  relations 
with  the  Arab  countries  and 
Israel. 

Both  political  parties  then 
nominated  different  candidates, 
resulting  in  the  election  by  the 
Federal  Assembly  March  5  in 
West  Berlin  of  the  Social  Dem- 
ocratic  Justice  Minister,  Dr. 
Heinemann. 

Dr.  Weichmann,  in  addition 
to  being  Mayor  of  the  largest 
city  in  West  Germany,  is  this 
year's  President  of  the  Bundes- 
rat, or  Upper  house  of  Parlia- 
ment.  He  concedes  that  he 
shares  some  of  the  sensitivities 
of  many  of  the  30,000  other 
people  who  had  escaped  or 
survived  Hitler's  policy  of^ex- 
terminating  Jews  and  then  de- 
cided  to  make  their  postier 
homes  in  West  Germany.     V 

"There  are  limits,"  he  süd 
softly  in  English.  "I'm  restrin- 
ing  myself.  I  have  no  ambW^n 
to  have  my  fingers  in  Äry 
pie.  ~ 

"I  think  it  is  more  tacfa! 
to  hold  back.  I  didn't  cne 
back  as  a  German  or  ffi^ew 
but  as  a  Social  Democrat  Aer- 


jA.Ä-:-*' 


The  New  York  Times 

Dr.  Herbert  Weichmann,  Hamburg's  Mayor,  in  Bonn  recently 


reason   for   Coming   back,    Dr. 
Weichmann  said. 

After  he  and  his  wife  es- 
caped to  France  in  1933  and  to 
the  United  States  when  France 
feil  to  the  Nazis  in  1940,  he 
said  "I  realized  I  could  never 
do  anvthing  like  I  wanted  m 
municfpal  government  else- 
where.  I  didn't  have  roots  there 
and  besides  I  wasn't  young 
enough  to  start  over." 

As  for  Israel,  he  said,  "I 
have  never  been  a  Zionist — 
although  I  recognize  the  neces- 
sity  of  the  State— and  I  didn't 
have  the  feeling  I  could  do 
there  what  I  wanted  to  do." 

In  New  York  from  1940  to 
1948  Dr.  Weichmann  worked 
as  an  accountant— he  had  been 
a  State  judge  in  the  Prussian 
State  government  before  the 
Nazi  iake-over— but,  as  he  re- 
called,  "It  was  not  my  ideal 
just  'to  help  people  evade 
taxes." 

Took  Over  as  Mayor 

Retuming  to  the  new  Fed- 
eral Republic  of  Germany,  he 
became  a  civil  service  Con- 
troller general  in  the  city-state 
of  Hamburg  while  still  yowing 
to  keep  aloof  from  politics.  But 
during  a  government  change- 
over  he  was  persuaded  to  take 
over  terr.porarily  as  Mayor.  He 
ha^^ld  the  post  ever  since 
3^^p  ready  to  run  for  election 
ear 


has  never  been  subjected  to 
mistreatment  or  slights  in  post- 
war Germany  because  he  is 
Jewish. 

According  to  one  of  his  min- 
isters,  Dr.  Weichmann  is  some- 
times  too  quick  to  see  current 
parallels  to  the  violence  of  the 
Weimar  Republic  era  and  has, 
with   the   other   State   leaders, 
taken  a  hard  line  against  Stu- 
dent demonstrators.  But  at  the 
same  time  he  has  been  angered 
by  those  who  have  raised  a 
false  issue  of  anti-Semitism  In 
postwar  Germany.  For  example, 
in  party  circles  he  has  assailed 
the  West  German  Ambassador 
to  Yugoslavia,  Peter  Blachstein, 
for  having  charged  in  a  party 
squabble     that     anti-Semitism 
would  keep  him  from  running 
for  Parliament  in  the  election 
Sept.  28. 

As  Mayor,  Dr.  Weichmann 
has  concentrated  on  construct- 
ing  traffic  by-passes  and  re- 
building  a  port  city  of  1.8-mil- 
lion  innabitants  that  lost  250,- 
000  apartments  in  the  war. 
With  a  grin,  he  defended  Ham- 
burg's  tolerant  approach  to 
Prostitution  in  specially  de- 
signed  public  "Eros  centers." 
"You  can't  suppress  it,  but  we 
are  Controlling  it,"  he  said. 

He  will  remain  in  Germany, 
the  Mayor  said.  "Do  I  feel 
guilty?  No.  absolutely  not.  I 
don't  owe  anything  to  anybody. 

Uicts  on  this. 
losmopolitan 


s  p  i  r  i  t 


to  spectators   now  that 
theyWe   slimmed   down   and 
wear  lizard-grain.  As  if  that 
oual-LL-Corfam* 


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Herbert  Weichmann  tritt  ab 


jeweils: 

[,  Größe, 

[ig  es     im 

Icssorts. 

Ip]).  doch 

litz  Lau- 

Jnd,  der 

liert  ha- 

jsregie- 

brreihen 

ler  Dom 

reichen, 

»rt  sta- 

[ntwort, 

emesse- 

—  es 

immelt 

|u  Stro- 

\n  Blu- 

)otfah- 

I  Musik, 


Ein  Weltmann  und  Selfmademan 

Die  Autorität  des  scheidenden  Hamburger  Bürgermeisters  war  auch  bei  der  Opposition  unbestritten 

Von  unserem  Redaktionsmitglied  Immanuel  Birnbaum 


Hamburg  ist  eine  weltoffene  Stadt,  die  schon 
in  der  Vergangenheit  mehr  als  einmal  auch 
Männer  aus  anderen  Teilen  Deutschlands  an  ih- 
re Spitze  gestellt  hat.  Den  Oberschlesier  Herbert 
Weichmann  importierte  die  Hansestadt  erst 
nach  dem  letzten  Krieg  aus  den  Vereinigten 
Staaten,  wo  der  ehemalige  Verwaltungsjurist 
und  nächste  Mitarbeiter  eines  der  bedeutendsten 
Staatsmänner  der  Weimarer  Republik,  des  preu- 
ßischen Ministerpräsidenten  Otto  Braun,  sich  als 
Emigrant  auf  eine  rein  wirtschaftliche  Tätigkeit 
umgestellt  und  nach  dem  Studium  der  amerika- 
nischen Buchführung  Betriebsberater  geworden 


lanischer    Sachver- 
Idie  Bonner  Politik 
len  Anschauungs- 
krge  Ball,  stellver- 
lenminister    '  unter 
)hnson,  ist  als  vor- 
1er  und  erfahrener 
IS    Kontinents    be- 
igelte    ihm    gewiß 
lichem  Respekt  für 
(skeptische  Fragen 
Ts  in  Bonn  stellte, 
erst  in  der  Aus- 
mit  Arthur  Gold- 
?ren  Minister  und 
der  USA,  als  die- 
|n  der  Bonner  Re- 
unter Hinweis  auf 
|ve  des  deutschen 
zurückwies. 
lik  moralisch  ver- 
|il  ihr  Erfolg  um- 
?rbirgt  sich  hierin 
Ihr  der  Schwäche 
Außerdem  leidet 
losphäre  der  öf- 
[seinandersetzung. 
vor  allem  mora- 
limmt,  sieht  sich 
ie  moralische  Ba- 
\t    Positionen    in 
1.  Selbst  der  Kri- 
Ifolg  der  heutigen 
laber  nicht  sieht, 
[dacht,  daß  er  die 
lere. 

jfrikas  zeigt,  daß 
Ittbewerb  mit  der 
bändnis  der  Welt 
die  erwarteten 
I  herbeiführt.  Ge- 
In  direkten  Um- 
luch  selbst  Feh- 
Idadurch  die  Be- 
llet.     Wichtigste 
i  Schwierigkeiten 
Die  tragische 
folgenschwere 
ist  ein  Ergebnis 
[plomatie.  In  Ge- 
Generalsekre- 
)n  für  Afrikani- 
feinen  Mitarbei- 
^mer  wieder  auf 
losphäre.  Waf- 
|ach     Südafrika 
jützung  der  Por- 


tugiesen werden  uns  ohne  Rück- 
sicht auf  die  Wahrheit  vorgehal- 
ten. Fragt  man  nach  den  Bewei- 
sen, so  stößt  man  immer  von  neu- 
em auf  verleumderische  Nach- 
richten aus  der  DDR.  Planmäßig 
und  beinahe  täglich  führt  Ulbricht 
im  Neuen  Deutschland  und  in  den 
afrikanischen  Hauptstädten  die 
Kampagne  der  guten  gegen  die 
schlechten  Deutschen.  Seine 
Schwäche  im  eigenen  Land 
scheint  ihn  zu  nötigen,  nicht  nur 
zu  Hause,  sondern  auch  in  Afrika 
seine  Politik  vor  allem  auf  den 
Gegensatz  zur  Bundesrepublik  zu 
gründen. 

Wie  sollen  wir  reagieren?  Wehr- 
lose Fairneß  ist  so  unbrauchbar 
wie  Anpassung  an  die  Unlauter- 
keit der  anderen  Seite.  Sollen  wir 
nur  ein  Interesse  der  Bundesrepu- 
blik verteidigen  und  die  DDR  wie 
eine  feindliche  fremde  Macht  di- 
plomatisch bekämpfen?  Oder  gibt 
es  eine  Aufgabe  und  Aussicht,  den 
Namen  aller  Deutschen  vor  einem 
unsauberen  Staatsklassenkampf 
auf  internationalem  Parkett  zu 
schützen? 

Es  geht  für  uns  nicht  um  ge- 
samtdeutsche Vertretungsmacht 
oder  um  nationale  Ansprüche. 
Aber  wenn  unsere  Regierung  sich 
auf  den  friedliche  Wettbewerb  mit 
der  DDR  einläßt,  dann  muß  sie  zur 
Wahrung  des  Namens  der  Deut- 
schen wie  des  Lebens  ihrer  eige- 
nen Bürger  die  Herausforderung 
annehmen,  vor  die  sie  die  DDR  zur 
Zeit  stellt.  Das  geht  nicht  mit 
Prinzipien  und  Doktrinen,  sondern 
nur  mit  einer  deutschen  Interes- 
senvertretung, die  den  rüden  Me- 
thoden Ostberlins  wirkungsvoll 
begegnet.  Das  Thema  hat  seinen 
Platz  nicht  nur  auf  afrikanischem 
Boden,  sondern  auch  dort,  wo  zu 
Hause  von  innerdeutschen  Bezie- 
hungen die  Rede  ist.  Die  Regie- 
rung kommt  hier  wie  dort  um  ei- 
nen Schutz  von  Recht  und  Namen 
aller  Deutschen  nicht  herum. 

Auch  das  ist  ein  Stück  Lage  der 
Nation  im  Jahre  1971. 

©  Süddeutsche  Zeitung 


war.  Sein  Schicksalsgefährte  und  sozialdemo- 
kratischer Parteifreund  Max  Brauer  brachte  ihn 
nach  Hamburg  mit,  als  er,  Brauer,  als  Bürger- 
meister in  die  Heihiat  zurückgeholt  wurde. 
Weichmann  wurde  auf  Grund  seiner  ungewöhn- 
lichen Verbindung  von  Verwaltungskunde  und 
privatwirtschaftlicher  Erfahrung  Präsident  des 
Hamburger  Rechnungshofes  und,  in  diesem  Amt 
bewährt,  1957  Finanzsenator. 

Die  Hamburger  wußten  es  zu  würdigen,  daß  er 
sich  den  Wind  draußen  in  der  Welt  tüchtig  hatte 
um  die  Nase  wehen  lassen.  Als  junger  Richter  in 
Breslau,  als  Journalist  im  Ruhrgebiet  und  in 
Oberschlesien,  später,  nach  der  Entfernung  aus 
dem  Staatsdienst,  auch  noch  einmal  in  Paris, 
dann  als  Selfmademan,  der  sich  mit  44  noch  ein- 
mal auf  Schulbänke  setzte,  drüben  in  den  Staa- 
ten. Als  Kontrolleur  und  dann  als  Leiter  der 
Hamburger  Finanzen  erwarb  er  sich  Respekt 
über  alle  Parteigrenzen  hinweg.  Als  er  von  der 
SPD  1965  zum  Ersten  Bürgermeister  vorgeschla- 
gen wurde,  war  er  schon  beinahe  70.  Aber  als  da- 
mals eine  Zeitung  in  Frankfurt  kommentierte,  in 
diesem  Alter  könne  er  wohl  nur  noch  ein  „Über- 
gangsbürgermeister" werden,  meinte  er  lä- 
chelnd: ,,Das  wollen  wir  erst  einmal  sehen  " 
Jetzt,  fünf  Jahre  später,  hat  er  angekündigt,  daß 


„Unser  Weichinann' 

Photo:  SZ-Archiv 
er  im  Juni  seinen  Platz  dem  von  ihm  empfohle- 
nen Nachfolger  Peter  Schulz  räumen  wolle,  der 
sich  in  seiner  Senatsmannschaft  zuerst  als  Leiter 
des  Justizwesens  und  dann  als  Chef  der  Schulbe- 
hörde bewährt  hat. 

Damals  kam  er  gerade,  braungebrannt  und 
straff  wie  ein  Fünfziger,  zu  Fuß  von  seiner  klei- 
nen Berghütte  im  Allgäu  herunter,  neben  ihm 
seine  aus  mährisch-deutscher  Familie  stammen- 
de Frau  Elsbeth,  die  den  Gatten  an  politischem 
Temperament  immer  noch  um  einige  Schwünge 
übertraf.  Als  Hausfrau  ist  sie  Vertreterin  der 
Verbraucherinteressen,  aber  als  tätiges  Mitglied 
der  Hamburger  Bürgerschaft  auch  in  Bildungs- 
ausschüssen und  -verbänden  aktiv.  Sie  war  eine 
der  letzten,  die  am  Strand  eines  großen  Ostsee- 
bades, als  ringsum  fast  nur  noch  schwarzweiß- 
rote  oder  Hakenkreuzfahnen  von  den  Sandbur- 
gen wehten,  täglich  eine  große  schwarzrotgol- 
dene Fahne  aufzog. 


Als  Hamburger  Finanzsenator  und  Bürger- 
meister hat  Weichmann  eine  undoktrinäre  Wirt- 
schaftspolitik betrieben,  die  neue  Industrie  und 
Arbeitsplätze  ins  Stadtgebiet  zu  bringen  ver- 
stand, zäh  um  Ausgleich  der  Finanzlasten  auch 
mit  Bonn  kämpfte  und  die  Beziehungen  des 
größten  deutschen  Hafens  mit  den  Überseelän- 
dern systematisch  ausbaute.  Von  seinen  Aus- 
landsreisen nach  der  Sowjetunion,  den  Vereinig- 
ten Staaten,  nach  Israel  und  nach  einer  ganzen 
Reihe  von  afrikanischen  Ländern  hat  er  immer 
wieder  Erfahrungen  über  Verwaltungsaufbau 
und  Finanzpolitik,  aber  auch  über  die  soziale  La- 
ge der  wirtschaftlich  schwächeren  Schichten 
mitgebracht  und  einiges  davon  in  nüchternen, 
aber  gründlichen  Studien  veröffentlicht.  Die 
Hamburger  Universität  hat  ihm  einen  Lehrauf- 
trag als  Professor  für  öffentliches  Finanzrecht 
gegeben.  Mit  solchen  und  anderen  Nebentätig- 
keiten wird  der  fleißige  und  persönlich  an- 
spruchslose Mann  ohne  viel  Aufhebens  fertig. 
Seine  Freunde  wissen,  daß  sie  zum  kurzen  Mit- 
tagessen in  dem  altmodischen  Raum  neben  sei- 
nem Büro  eigentlich  nie  etwas  anders  erwarten 
dürfen  als  Bockwurst  mit  Kartoffelsalat,  gefolgt 
von  einer  Orange  und  etwas  schwarzem  Kaffee. 
Aber  wenn  er  der  alljährlichen  Ratsmahlzeit  für 
Ehrengäste  im  großen  Saal  des  Rathauses  präsi- 
diert, bei  der  das  schwere  alte  Stadtsilber  auf 
den  Tischen  glänzt,  vermag  er  auch  so  würdig  zu 
repräsentieren  wie  nur  irgendeiner  seiner  groß- 
bürgerlichen Vorgänger,  deren  Porträts  von 
Meisterhand  in  der  Hamburger  Kunsthalle  hän- 
gen. Hinterher  fragt  einen  der  sparsame  Finanz- 
politiker höchstens  ganz  leise  und  vertraulich: 
„Ich  hoffe,  es  war  nicht  zu  protzig?" 

Weichmanns  Autorität  in  seiner  letzten  Wahl- 
heimat war  seit  Jahren  so  unbestritten,  daß  der 
Hamburger  Pressezar  Axel  Springer  ihn,  halb 
aus  Bewunderung,  halb  wohl  aber  auch  aus  Be- 
rechnung, auf  den  Posten  des  Bundespräsiden- 
ten fortloben  wollte.  Der  Bürgermeister  winkte 
freundlich  ab.  Er  hatte  unter  Beweis  gestellt, 
daß  ein  Mann  seiner  Herkunft  auf  verantwortli- 
chem Platz  etwas  leisten  konnte,  aber  er  kannte 
auch  seine  Grenzen.  Als  Präsident  des  Bundesra- 
tes hatte  er  in  der  zweithöchsten  Stellung  der 
Republik  seinen  Mann  gestellt  und  die  Zustim- 
mung aller  seiner  Kollegen  von  der  SPD  bis  zur 
CSU  für  seine  Amtsführung  gefunden.  In  der 
Bundespolitik  hatte  er  beispielsweise  den  fi- 
nanzpolitischen Teil  der  Vorschläge  des  Wissen- 
schaftsrates für  die  Hochschulreform  ins  Gleich- 
gewicht gebracht.  In  der  Hansestadt  selbst  ver- 
trauten ihm  die  Arbeiter  und  ihre  Gewerkschaf- 
ten; aber  auch  die  Wirtschaftsführer  waren  ein 
wenig  stolz  auf  „unseren  Weichmann".  Dabei 
nahm  er  kein  Blatt  vor  den  Mund,  wenn  er  sich 
mit  eigennützigen  Sonderinteressen  oder  mit  il- 
lusionären Schwärmereien  auseinanderzusetzen 
hatte. 

Sein  Lehrmeister  Otto  Braun,  dem  er  nach 
dem  Krieg  die  Grabrede  gehalten  hatte,  blieb 
ihm  in  dieser  Haltung  Vorbild  auf  Lebenszeit. 
Ich  traf  sie  vor  40  Jahren  einmal  beide  zusam- 
men am  Ostseestrand,  als  Braun  gerade  eine  Re- 
de auf  der  Königsberger  Messe  für  eine  Politik 
des  Ausgleichs  mit  Polen  gehalten  hatte,  und  er- 
zählte ihnen,  die  anwesenden  polnischen  Gäste 
hätten  sich  anschließend  sehr  zufrieden  und 
hoffnungsvoll  geäußert.  Otto  Braun  lachte:  „Ich 
hab  ja  immer  gesagt,  man  kann  auch  mit  ein 
bißchen  Vernunft  regieren."  Als  ich  Weichmann 
kürzlich  daran  erinnerte,  fragte  er  nur  zurück: 
„Hat  er  nicht  recht  gehabt?" 


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en,  5./6./7.  Juni  1965      Seite  7 


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Süddeutsche  Zeitung  Nr.  134/135 


Weichmann  hat  sich  das  Leben  nie  leicht  gemacht 

Hamburgs  künftiger  Bürgermeister  ist  ein  welterfahrener  Jurist  und  Politiker 


Von  unserem  Redaktionsmitqli<^d  1.  Birnbaum 

München,  4.  Juni 

Es  ist  jetzt  rund  45  Jahre  her,  da  gründete  der 
junge  Rechtsreferendar  Herbert  Weichmann  in 
Breslau  einen  „Republikanischen  Führerbund". 
Er  hatte  bei  der  Arbeit  in  Verwaltung  und 
Justiz  feststellen  müssen,  daß  es  da  überall  an 
überzeugten  Republikanern  von  fachlicher  Qua- 
lifikation fehlte,  die  den  Programmen  der  Wei- 
marer Parteien  zur  Verwirklichung  verhelfen 
konnten.  Die  meisten  der  jugendlichen  Mitglie- 
der von  Weichmanns  Organisation  haben  es 
später  im  Leben  ziemlich  weit  gebracht,  in  der 
staatlichen  und  in  der  privaten  Industrie,  im 
öffentlichen  Dienst  oder  auch  in  der  Presse. 

Um  sich  mit  Wirtschaft  und  Politik  besser 
vertraut  zu  machen,  als  es  durch  juristisches 
Aktenstudium  möglich  war,  ging  Weichmann 
nach  dem  Assessor-Examen  in  den  Zeitungs- 
dienst. .Er  war  ein  -paar  Jahre  Korrespondent 
der  Vossischen  Zeitung  für  das  Industriegebiet 
an  Rhein  und  Ruhr  und  dann  kürzere  Zeit 
Chefredakteur  der  Kattoivitzer  Zeitung  in  sei- 
ner oberschlesischen  Heimat,  und  zwar  in  deren 
nach  der  Abstimmung  von  1920  an  Polen  gefal- 
lenen Teil.  Von  dort  holte  ihn  ein  Politiker,  der 
sich  seine  Mitarbeiter  mit  gutem  Blick  aus- 
zuwählen wußLe,  Ministerpräsident  Otto  Braun, 
nach  Berlin.  Lange  Jahre  war  Weichmann  der 
nächste  Mitarbeiter  dieses  letzten  bedeutenden 
preußischen  Staatsmanns. 

Es  war  eine  Szene  von  symbolischem  Sinn, 
als  eines  Tages  in  Weichmanns  Arbeitszimmer 
ein  alter  unbenutzer  Aktenschrank  ausein- 
anderplatzte und  dabei  der  geheime  Briefwech- 
sel zwischen  Bismarck  und  Lassalle  zum  Vor- 
schein kam,  mit  dem  der  große  Arbeiterführer 
des  19.  Jahrhunderts  Vorschläge  für  die  Um- 
gestaltung des  preußischen  Staates  gemacht 
hatte.  Otto  Braun  eilte  herbei  und  ließ  sich  von 
dem  Schreiber  dieser  Zeilen  erklären,  was  diese 
alten  Papiere  bedeuteten.  Sein  Kommentar  lau- 
tete: „Gerade  das  wollen  wir  ja  aus  Preußen 
machen." 

Das  Jahr  1933  vertrieb  sowohl  Otto  Braun 
wie  seinen  Ministerialrat  Weichmann  aus 
Deutschland.  Der  frühere  preußische  Regie- 
rungschef mußte  in  die  Schweiz  flüchten,  Weich- 


mann ging  nach  Amerika.  Seine  tapfere  Frau, 
eine  Deutschmährerin,  die  im  letzten  Sommer 
der  Weimarer  Republik  in  einem  großen  Ost- 
seebad noch  die  einzige  schwarzrotgoldene  Fahne 
auf  einer  Strandburg  gehißt  hatte,  begleitete 
ihn  und  verstand  es,  ihm  den  Abschied  von  der 
Heimat  zu  erleichtern.  „Du  wirst  einen  Anzug 
weniger  im  Kasten  haben  und  ich  nur  die  nötig- 
sten Kleider,  aber  wir  werden  schon  durchkom- 
men." 

Das  war  dann  drüben  nicht  leicht,  denn  deut- 
sche Rechtswissenschaft  und  Verwaltungskunde 
waren  in  den  Vereinigten  Staaten  nicht  beson- 
ders gefragt.  Aber  Herbert  Weichmann  stellte 
sich  rasch  um.  Er  erlernte  die  Kunst  der  ame- 


Herbert  Weichmann 


Zahl  der  offenen  Stellen  steigt  weiter 

683  500  freie  Plätze  /  Bericht  der  Bundesanstalt  für  Arbeitsvermittlung 


s.  Nürnberg  (.Eigener  Bericht) 

Nach  Feststellungen  der  Bundesanstalt  für  Ar- 
beitsvermittlung und  Arbeitslosenversicherung  in 
Nürnberg  ist  der  Bedarf  an  Arbeitskräften  in  der 
Bundesrepublik  und  Westberlin  zur  Zeit  größer 
als  je  zuvor. 

Wie  der  Präsident  der  Anstalt,  Säbel,  mit- 
teilte, hat  die  Zahl  der  offenen  Stellen  einen 
neuen  Naclikriegsrekord  erreicht,  Sie  erhöhte 
sich  im  Mai  um  22  500  auf  683  500  (373  000  für 
Männer,  310500  für  Frauen)  und  liegt  um  56  400 
offene  Stellen  höher  als  vor  einem  Jahr.  Gleich- 
zeitig ging  die  Arbeitslos|MÄj|L  um  20  300  auf 
'Ä^O  ^^Mück  ^jiifl^H^^^^HHfikkZi^^uen). 


Bauhauptgewerbe  hatte  sich  die  Zahl  der  Be- 
schäftigten saisonbedingt  zwar  kräftig  erhöht, 
erreichte  aber  bis  Ende  April  den  vergleich- 
baren Vorjahrcsstand  noch  niclit  ganz.  Die  Nach- 
frage nach  zusätzlichen  Bauarbeitern  war  rege, 
aber  nicht  so  stark  wie  bisher. 

Die  Absatzentwicklung  im  Steinkohlenbergbau 
verursachte  in  einigen  Zechen  Fördereinschrän- 
kungen. T4otz  nachlassender  Fördertätigkeit 
wuchsen  die  Kohlenhalden  weiter  an.  Der  Bedarf 
an  Bergleuten  verringerte  sich,  während  die 
Nachfrage  nach  Grubenhandwerkern  weiter  zu- 
nahm. 

Da  die  einheimischen  Arbeitskraftreserven 
weitgehend   ausgeschöpft   Jm^,   gingen   weitere 


rikanisclicn  Buchführung  und  brachte  es  nach 
kurzer  Zeit  zum  fachkundigen  Bücherrevisor. 
Als  Max  Brauer  1945  den  Leidensgefährten  der 
Emigrationszeit  veranlaßte,  mit  ihm  nach  Ham- 
burg zurückzufahren,  hatte  er  in  dem  ehemali- 
gen preußischen  Ministerialrat  einen  Helfer,  der 
nicht  nur  kameralistische  Staatsrechnung  büro- 
kratisclier  Tradition  beherrschte,  sondern  aucli 
moderne  amerikanische  Buchführung,  wie  sie 
die  großen  Privatkonzerne  jenseits  des  Meeres 
anwandten. 

So  war  Herbert  Weichmann  der  gegebene 
Mann  für  die  Leitung  des  Hamburger  Finanz- 
rechnungshofs. Als  Präsident  dieser  Behörde 
gewann  er  bald  einen  begründeten  Ruf  in  ganz 
Deutschland.  Seine  sozialdemokratischen  Partei- 
freunde hätten  ihn  gern  zum  Leiter  der  für 
diese  Fragen  zuständigen  höchsten  Bundes- 
behörde gemacht,  drangen  aber  damit  nidit 
durch.  Dafür  wählten  ihn  die  Hamburger  vor 
acht  Jahren  zum  Finanzsenator,  also  zum  Re- 
gierungsmitglied und  Leiter  ihrer  staatlichen 
Finanzpolitik. 

Auch  in  dieser  Eigenschaft  hat  Weichmann 
sich  wieder  bewährt,  und  zwar  nicht  nur  im 
Hamburger  Rahmen.  Er  hatte  maßgeblichen 
Anteil  an  den  Empfehlungen  des  Deutschen 
Wissenschaftsrats  für  die  Neugründung  von 
Hochschulen,  deren  finanzpolitischen  Teil  er 
ausarbeitete.  Er  knüpfte  Verbindungen  von 
Hamburg  zu  Entwicklungsländern  in  Übersee 
und  führte  eine  Delegation  der  Hansestadt  nach 
Afrika,  die  dort  praktische  Zusammenarbeit  in 
vielen  Einzelfragen  anbahnte.  Er  war  führend 
an  der  Auseinandersetzung  zwischen  den  Län- 
dern und  dem  Bund  über  die  Verteilung  von 
Steueraufkommen  und  Leistungen  beteiligt.  So 
gewann  der  gebürtige  Schlesier  in  Hamburg 
festen  Fuß  und  auch  in  Bonn  immer  Gehör, 
wenn  er  mit  seinen  ünanzpolitisch  und  juristisch 
klar  durchdachten  Vorschlägen  kam. 

Im  vorigen  Jahr  machte  die  Hamburger  Uni- 
versität den  Senator  nebenher  noch  zum  Hono 
rarprofessor  für  Finanzreclit.  vSeither  sprach  c. 
davon,  sich  in  absehbarer  Zeit  auf  diese  aka 
demische  Tätigkeit  zurückzuziehen.  Weichmann 
ist  zwar  jünger  und   spannkräftiger  gebliebcj|i\ 
als   viele  seiner   Altersgenossen.    Wenn   er   vJon. 
seiner  klei/ien,  nur  auf  Fußwegen  zugänglichen  J 
Alpenhütte  im  AUgäu  braungebrannt  abstcjigt, 
könnte  man  ihn  für  einen  Endfünfziger  halten. 
Tatsächlich  wird  er  aber  die  Siebzig  vollenden, 
ehe   es  im    nächsten   Jahr   neue    Bürgerschafts- 
wahlen in  Hamburg  gibt.  Wenn  bis  dahin  ein 
jüngerer  Kandidat  für  den  Bürgermeisterposten 
gefunden  ist,  der  sich  nach  Sachkunde,  Charak- 
ter und  An.schen  zum  Nachfolger  eignet,  würde 
ihm  der  Senior  der  Regierung  der  Freien  und 
Hansestadt    sicherlich    gern    das    Ruder    in    die 
Hand  drücken. 

Seydoux:  Frankreich 
bleibt  in  der  NATO 

Köln  (UPI) 

B'rankreich  habe  nidit  die  Absicht,  aus  der 
atlantischen  Verteidigungsgemeinschaft  auszu- 
scheiden, erklärte  der  französische  Botscln^aftcr 
n  der  Bunjlim  i  iiiihlili    'Jiii  'iiiiiüni<^ 


3iE?ei5ar. 


1 


} 


un«  30,  1967 


ER  WOCHE: 


Herbert 
"Mr 


Weichmann 
Hamburg 


Es  ist  niin  bald  zwei  Jahrzehn- 
te her,  seit  der  Emigrant  Her- 
bert Weichmann  in  New  York 
seine  Koffer  packte,  um  nach 
Deutschland  zurückzukehren. 
Im  Anfang  war  seine  amerika- 
nische Existenz  hart  gewesen. 
Weichmann  hatte  1940  von  sei- 
ner verhältnismässig  komforta- 
blen Pariser  Wegstation  nach 
Marseilles  fliehen  und, 
da  er  kein  französTisches  Aus- 
reisevisum besass,  illegal  die 
spanische  Grenze  zu  Fuss  über- 
queren müssen;  dann  kam  er, 
wie  viele  andere,  über  Lissabon 
nach  Amerika. 

Er  hatte  nur  einen  Dollar  in 
der   Tasche,   besass   aber   einen 
unbezähmbaren       Willen       zur 
Selbstbehauptung.   Der   erfahre- 
ne Jurist  entschloss  sich,  noch 
einmal  die  Schulbank  zu  dxük- 
ken.  Akadwnische  Papiere  führ- 
te  er   nicht  mit  sich,   aber  die 
Nazis  hatten  Ihm  nicht  nur  d^e 
Bürgerschaft,  sondern  auch  die 
Doktorwürde    entzogen    -i^   das 
genügte      der      amerikanischen 
Universität  als  Auswels.  Weich- 
mann    studierte     Finan2swissen- 
schaft   und   wurde   Wirtschafts- 
prüfer. Sehie  Frau  bewies  ihre 
Anpassungsfähigkeit,  indem  sie 
eine    Werk.stätte    für    Stoffpup- 
pen betrieb.  ^.,^1.1 
Rückblickend      schilderte 

Weichmann  seTm  Erlebnis  in  ei- 
nem 1949  erschienenen  Buch 
♦'Alltag  in  USA".  Die  meisten 
seiner  Schlussfolgerungen  fielen 
positiv  für  Amerika  aus.  Er  pries 
das  "echte  demokratisclie  Ge- 
fühl" des  amerikanischen  Bür- 
gers die  "Abwesenheit  einer 
Rentnermentalität",  die  "Weis- 
heit des  politischen  und  wirt- 
schaftlichen Kompromisses", 
den  "grosszügigen  Zugang  zu 
den  Bildungsmöglichkeiten  für 
jedermann"  und  "die  sfich  tag- 
lich immer  neu  vollziehende  EU- 
m'^lc^ir^  Piner  Klassenschich- 
tung" Atoer  Im  Verliäatnls  Ameri- 
kas zur  Kultur  sah  er  ein  gros- 
ses Manko;  für  den  Amerikaner, 
sagte  er,  sei  "der  Wert  der  Bil- 
dung reiatüv  und  der  Wert  des 
Geldes  absolut". 

In     der    vergangenen    Woche 
kam    Weichmann    nach    langer 
Pause     wieder     nach     Amerika. 
Aus   dem   früheren   Emigranten 
war    inzwischen    der    Präsident 
des  Senats  und  Erster   Bürger- 
meister der  Freien  und  Hanse^ 
Stadt   Hamburg   geworden.   Und 
nicht    nur    der    Gast,    sondern 
auch    das   Gastland   hatte   sich 
gewandelt.  . 

"Von    einem    amerikanischen 
Kulturmanko   kann  man   heute 
nicht  mehr  sprechen",  bekannte 
Weichmann,  der  stolze  Begleiter 
seines  gegenwärtigen  "Exports  , 
der  im  New  Yorker  Lincoln  Cen- 
ter     gastierenden      Hamburger 
Oper.  "Die  Welt  sieht  heute  we- 
sentlich  anders   aus   als   unmit- 
telbar nach  dem  Zweiten  Welt- 
krieg   Buropa  hat  sich  amerika- 
nisiert,    gleTichzeitlg     aber     hat 
sich   Amerika   europäisiert.   Der 
Ausgleich  und  Austausch  wirkt 
für  beide  Teile  befruchtend.  Wir 
luden   zum  Beispiel   das  Balan- 
chine-Ballett    zu    uns    em    und 
brachten     dafür     unsere     Oper 

nach  Amerika."         ,  ,  ^  .   ..... 

Der  heute  eTmundsiebzigjahrl- 
ge  Bürgermeister  ist  ein  ausge- 
zeichneter Werber  für  den 
Stadtstaat,  den  er  verkörpert. 
Dass  er  in  spätem  Lebensalter 
plötzlich  zu  einer  führenden 
Rolle  in  der  deutschen  Bundes- 
republik aufstieg,  hat  die  er- 
fahrensten politischen  Beobach- 
ter In  Erstaunen  versetzt.  Denn 
Wtfichmann  Ist  das  genaue  Oe- 

-USED  CARS- 

r^atonabU  &  reliabU 
j.  V.  AUTO  8AIJU 

JUSTIN  VOLLWEILER 

65-M  <|Meiu  Blv4^  Woodild«.  KT 


gentell     des     "Hall-Fellow-Well- 
Met"-Typs.    Er    ist    im    Grunde 
scheu,    bedächtig,    introvertiert. 
Auch  ist  er  kein  Mann  des  poli- 
tischen Massenapparats.  Er  trat 
der  Sozialdemokratischen  Partei 
in    den    Jahren    der    Weimarer 
Republik  bei,  suchte  und  erhielt 
aber  nie   eine   Funktlonärstelle. 
Weichmann   wurde   In  Lands- 
berg in  Oberschlesien  als  Sohn 
eines  jüdischen  Arztes  geboren, 
studierte  Jus,  wurde  1926  Land- 
richter in  Breslau  und  später  als 
Referent     in     das     preussische 
Staatsmlnristerlum   berufen.  Der 
sozialdemokratische        Minister- 
präsident   Otto    Braun    machte 
Ihn  zu  seinem  engsten  Mitarbei- 
ter. Aber  Weichmann   trat  nie 
öffentlich  hervor,  abgesehen  von 
den  Beiträgen,   die   er    für   dae 
"Vossische  Zeitung"  und  andere 
Blätter  schrieb.  (Seine  journall- 


! 

I 

1965  bestimmten  die  Sozialdemo- 
kraten Ihn  als  Bürgermeister- 
kandidaten, nachdem  Paul  Ne- 
vermann  wegen  seiner  Eheschei- 
dungsaffäre von  der  Leitung  des 
Stadtstaates  verdrängt  worden 
war. 

Da   gab  es   erhebliches  Stirn- 
runzeln:    Weichmann,    der    ab- 
seitige Intellektuelle,  der  zudem 
nicht  einmal  mit  Elbewasser  ge- 
tauft ist,  als  Nachfolger  zweier 
der    populärsten    Bürgermeister 
Hamburgs?    Konnte    man    sich 
vorstellen,  dass  die  Hamburger, 
für  die  Brauer  "Max"  und  Never- 
mann  "Paul"  gewesen  war,  Her- 
bert   Weichmann    beim    Vorna- 
men   nennen    würden?    Konnte 
der    "Zugereiste"    eine     andere 
^^^^^^^^^___^       ^_     R^lle  spielen  als  die  des  Statt- 
sUschTBegabung  half  ihm  dann    halters? 


( 


Zitat  der  Woche 

"Nasser  ist  ein  Verbrecher» 
wenn  er  die  Araber  aufhetzt, 
die  Juden  niederzumetzeln. 
Nasser  ist  nur  dann  ein  rich- 
tiger Führer  der  arabischen 
Welt,  wenn  er  in  Frieden  mit 
den  Israelis  lebt,  statt  gegen 
sie  sinnlose  Kriege  au  führen. 

"Die  Araber  könnten  und 
sollten  von  den  Israelis  lernen, 
wie  man  aus  Wüste  frucht- 
bares Land  macht." 

''Bildzeitung"  Hamburg, 
gfösste  deutsche  Tageszeitung» 
Auflage  täglich  vier  Millionen. 


während  seiner  Emigrationsjah- 
re in  Frankreich). 

1948  holte  der  damalige  Ham- 
burger Bürgermeister  Max 
Brauer,  der  selbst  Emigrant  in 
New  York  gewesen  war,  Weich- 
mann als  Präsident  des  Rech- 
nungshofes zurück.  1957  wurde 
Weichmann  Finanzsenator.  Und 


Weichmann  überraschte  das 
Heer  der  Skeptiker,  Bei  der 
Neuwahl  des  Hamburger  Parla- 
ments im  Frühjahr  1966  erhielt 
er  eine  Majorität  von  60  Prozent 
aller  Stimmen.  Sein  Fleiss  (er 
arbeitet  in  seinem  Amt  täglich 
bis  au  zwölf  Stunden)  und  seTme 
haushälterische        Finanzpolitik 


(den  Ausgleich  des  Hamburger 
Etats  bewirkend)  machten  auf 
die  Öffentlichkeit  einen  ebenso 
tiefen  Eindruck  wie  die  Straf- 
fung des  Verkehrsnetzes  und  cRe 
Fortschritte  im  Wohnimgsbau 
unter  seiner  Leitung. 

Schon  lange  spricht  niemand 
mehr  vom  "Statthalter";  die 
Hamburger  wissen,  dass  die  Zü- 
gel der  Regierung  einer  festen 
und  zuverlässigen  Hand  anver- 
traut  sind.  Will  Schaber 


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Amtswechsel  in  Hamburg 

Der  bisherige  Hamburger  Finanzsenator  Prof. 
-Dr.  Herbert  Weichmann  hat  in  der  vergangenen 
Woche  das  Amt  des  Ersten  Bürgermeisters,  der 
Hansestadt  offiziell  von  seinem  Vorgänger  Dr. 
Paul  Nevermann  übernommen.  Weichmann  war 
unmittelbar  zuvor  auf  einer  Sitzung  des  Senats 
aus  der  Mitte  der  Senatoren  einstimmig  zum 
Ersten  Bürgermeister  gewählt  worden. 

Der  Amtsvorgänger  Weichmanns  war  aus  per- 
sönlichen Gründen  zurückgetreten.  Der  SPD-Lan- 
desvorstand hatte  daraufhin  Weichmann  als  neuen 
Ersten  Bürgermeister  vorgeschlagen.  Als  neuen 
Finanzsenator  wählte  der  Vorstand  den  Vorsit- 
zenden der  SPD-Fraktion  in  der  Hamburger  Bür- 
gerschaft, Gerhafä  Brandes.  Zweiter  Hamburger 
Bürgermeister  bleibt  wie  bisher  der  Landesvorsit- 
zende  der  Hamburger  FDP,  Edgar  Engelhard.  Die 
Freien  Demokraten  bilden  in  der  Hansestadt  zu- 
sammen mit  der  SPD  die  Regierungskoalition. 

Bürgermeister  Prof.  Herbert  Weichmann  erklär- 
te nach  der  Amtsübernahme,  er  kenne  die  schwere 
Last,  die  ihm  durch  dieses  Amt  auferlegt  werde. 
Er  bat  seinen  Vorgänger,  ihm  auch  in  Zukunft, 
wenn  es  notwendig  sein  sollte,  mit  Rat  und  Tat 
zur  Seite  zu  stehen.  Außerdem  hoffe  er,  daß  er 
Nevermann  weiterhin  als  Freund  behalten  könne. 
Weichmdnn  sagte,  es  sei  ein  beklagenswertes 
Mißgeschick,  das  diesen  Wechsel  im  Amt  des  Er- 
sten Hamburger  Bürgermeisters  heraufbeschworen 
habe.  Prof.  Weichmann  versicherte,  daß  er  in  sei- 
nem neuen  Amt  „fest  auf  beiden  Beinen  stehen" 
und  auch  die  Regierungsgeschäfte  immer  fest  in 
der  Hand  hallen  werde.  Er  werde  bemüht  sein,  das 
Amt  so  zu  führen,  daß  Konsequenzen  seiner  Amts- 
führung von  seinen  späteren  Nachfolgern  nicht 
getadelt  werden  müßten.  Es  fehle  ihm  dazu  weder 
an  Willen  noch  an  Erfahrung.  Selbstkritisch  müsse 
er  jedoch  zugeben,  daß  es  ihm  an  einer  starken 
persönlichen  Ausstrahlung  fehle,  wie  sie  viele 
seiner  Vorgänger  gehabt  hätten.  Er  werde  sich 
aber  in  Zukunft  auch  darum  bemüheio. 


;■>•!. 


Nr.  9 


MB  —  4.  März  1966 


MARLENE  DIETRICH 


Da   kam    sie   also    wieder,    nach 
einer  Pause  von  fast  sechs  Jahren. 
Damals   besuchte    sie   ims    —    ganz 
plötzlich    und   überraschend    —    di- 
rekt    nach     ihrem    ersten    Wieder- 
auftreten   in    West-Berlin,      beinahe 
so    als    wollte    sie    sich    von    dem 
Schock  erholen,   den  ihr   dort  eini- 
ge     demonstrativ-feindliche     Äusse- 
rungen  verursacht    hatten.    Diesmal 
ist  die  Reise-Route  umgekehrt.  Mar- 
lene   Dietrich    fährt    von    hier    aus 
wieder    nach    Berlin,    aber    nur    — 
nach  Ost-Berlin!   Wir   wünschen  ihr 
von  Herzen,  dass  die  Erschütterung 
für   sie   nicht   zu   gross   sein   möge, 
wemi    sie    dort,    wo    vor    1930    ihre 
Karriere    begann,    wieder    auf    den 
Brettern  der  gleichen  Bühne  steht, 
wieder  durch  die  Strassen  der  zer- 
stückelten Stadt  geht,  die  mit  dem 
BfTlin    von    einst    wenig    mehr    ge- 
meinsam haben  dürfte,  als  ungefähr 
noch  die  Sprache. 

Sprache  und  Stadt  sind  als  Sti 
mulation  freilich  höchst  bedeutsam 
für  eine  Meisterin  des  Wortes,  des 
Tons,  der  Nuance  und  des  Aus- 
drucks, deren  Kunst  bis  heute  in 
der  hochklassigen  Theaterschulung 
der  zwanziger  Jahre  wurzelt,  die 
gerade  im  Berlin  Reinhardts  imd 
Jessners,  Robitschecks  und  Friedrich 
Holländers,  Rosa  Valettis  und  Mar- 
ge Lions,  fast  automatisch  ilu-e 
Strahlen  auf  die  für  die  Schaubüh- 
ne   wirklich    Geborenen    aussandte. 

Bei  uns  hier  semg  Marlene  dies- 
mal weit  weniger  in  deutscher 
Sprache  als  vor  sechs  Jahren;  v/ie 
uns  schien,  weil  ihr  selbst  die  Spra- 
che noch  fremder  gev/orden  ist, 
als  sie  es  damals  schon  war.  Selbst 
ihre  berühmten  Glanzstücke  „Ich 
bin  die  fesche  Lola"  und  „Von 
Kopf  bis  Fuss  auf  Liebe  emge- 
steilt"  brmgt  sie  halb  englisch, 
halb  deutsch,  eine  Zweiteilung,  die 
der  Wirkung  übrigens  nicht  gerade 
förderlich  ist.  Dagegen  kam  „Jonny" 
un.d  das  dem  Andenken  Richard 
Taubers  gewidmete  „Frag  nicht, 
warum  ich  gehe"  im  Originaltext 
zu  voller  Austrahlung. 

Sonst  kam  es  kaum  zu  Wieder- 
holungen alter  Repertoirestücke, 
was  von  Marlenes  Fleiss  zeugt,  viel- 
leicht aber  von  einigen  alten  Ver- 
ehrern bedauert  wurde,  die  ihr 
gern  statt  einer  Stunde  zwei  zuge- 
hört hätten,  um  eine  kom.plette 
Rückschau  zu  halten,  in  die  etwa 
Songs  gehörten  wie  „Wenn  ich  mir 
was  wünschen  könnte",  „Peter", 
„Ich  weiss  nicht,  zu  wem  ich  ge- 
höre", „Man  lebt  in  einer  grossen 
Stadt",  das  Hobellied,  „Leise  zieht 
durch  mein  Gemüt",  die  wir  bis 
heute  in  ihrer  sehr  spezifischen  In- 
terpretation nicht  vergessen  haben. 

Dafür   aber   hatten   wir   Gelegen- 
heit,   Marlene    neu    zu    entdecken. 
Mit   Stücken   vne   dem   grossartigen 
,,Where  have  all  the  flowers  gone?" 
(von   Pete    Seegeis),    mit    „I'm   the 
laziest    girl    in    town",     ,.Go    away 
from    my    window",    einem    hebräi- 
schen  Lied    „Mah   Hakoloth   schäm 
ba-Lajla",    dem    französischen    , .Ma- 
rie" und  ,,Remember  Darling,  don't 
de*  smoke     in     bed!"     (Verfasser     und 
seht  Komponisten  jeider   nicht   genannt) 
eii^  'bt  sie  neue  Muster  ihrer  grossen 
s^y    mst,    die    alle    Register    umfasst. 
2.wa^^^.p    Abend   mag   vielleicht   unse- 
^^•l   Theaterleitern  demonstriert  ha- 
^^   yi.  v/elcher  Dilettantismus  in  den 
setzb  zahlreichen    „Musicals"    produ- 
^^^^^^wird,  die  auf  hebräischen  Cüh- 
^^^^•^♦ezeigt  werden. 

einzeliivi.^t    nicht    nur    die    Musikali- 

Staatsverbr-   .7^l^j^g|.g  Diktion,  über 

der    Verbreiu--  ^^^^^^^^  sprachen  ver- 

XjnwaUrheiten,^  ^Yii^^^ende    Tech.i.k. 

sehe  staaiu^    ^^^  ^^^  ^^^   tausen- 

Ordnung  ^^^^-pign,    sowi^m  Augen- 
denselben    Ziei  ,^^   ^^ 

"Wirkung 


Vi 


zu  erzielen.  Es  ist  vor  allem  die 
Autorität  ihrer  Persönlichkeit,  die 
noch  bei  der  Vermittlung  des  klein- 
sten Chansons  voll  eingesetzt  wird, 
es  ist  die  absolute  Identifizierung 
mit  ihrem  Text,  auch  mit  den  ge- 
legentlichen Banalitäten  des  Textes, 
die  uns  ja  im  Alltag  auch  begegnen; 
es  ist  die  hohe  Intelligenz,  die 
Klugheit  der  Weitbürgerin,  die  nicht 
nur  in  ihrer  Kunst  spürbar  ist, 
sondern  z.B.  in  der  Pressekonfe- 
renz und  Interviews  ganz  deutlich 
wurde,  in  der  sie  mancher  Takt- 
losigkeit und  Borniertheit  die  über- 
legene und  kühle  Abfuhr  erteilte. 

Obwohl  Marlene  ihr  Programm, 
unverändert  schlank,  elegant  und 
hochgewachsen,  im  kostbaren  Her- 
melin und  dann  im  raffinierten 
Abendkleid,  pausenlos  darbietet,  ab 
und  zu  eine  ganz  „private"  Confe- 
rence einschaltend,  ist  sie  nicht 
„ganz  unverändert".  Gerade  da- 
durch aber,  dass  sie  nichts  kokett 
verniedlicht,  dass  alles  was  sie 
bringt  so  genau  zu  ihr  passt,  wird 
die  Stärke  und  Echtheit  üirer  Wir- 
kung bestimmt.  Sie  bewegt  sich  et- 
was vorsichtiger  als  wir  es  von  ihr 
gewöhnt  waren,  erscheint  auch 
nicht  mehr  im  Frack  und  Zylinder, 
wie  sie  es  früher  im  zweiten  Pro- 
grammteil zu  tun  pflegte,  ihr  Blick 
scheint  mehr  nach  innen  gerichtet 
und  sucht  den  Zuhörer  nicht  mehr 
so  oft.  Aber  ihre  Ausstrahlung  ist 
unvermindert  stark,  wenn  sie  (be- 
gleitet von  einem  20-Mann  starken 
Orchester,  das  William  Blezard  di- 
rigierte) mit  ,,I  can't  give  you  any- 


thing  but  love,  Baby"  auftritt  und 
hält  an,  bis  sie  schliesslich  dem 
stürmischen  Applaus  mit  ein  paar 
warmen  Dankesworten  und  vielen 
Händedrücken  ein  Ende  setzt,  ver- 
sprechend, bald  wieder  zu  komm.en 
und  nicht  wieder  sechs  Jahre  bis 
zum  nächsten  Besuch  verstreichen 
zu   lassen. 

Wenn  Marlene  den  Abend  nicht 
allein  bestreiten  wollte,  so  hätte 
man  ihn  z.B.  durch  ein  ausgezeich- 
netes Konzert  von  „Jazz  an  zwei 
Klavieren"  einleiten  können,  was 
natürlich  hätte  angezeigt  werden 
müssen.  Hier  aber  wurde  die  Ver- 
anstaltung leider  durch  das  ge- 
schmacklose „Entree"  getrübt  und 
gefährdet,  das  einem  Publikum  zu- 
gemutet wurde,  das  Maximalpreise 
für  die  Eintrittskarten  bezahlte  und 
seine  Indignation  darüber  kaum 
verbarg,  dass  ihm  von  den  Ver- 
anstaltern eine  halbe  Stunde  lang 
—  unter  Führung  von  Jizchak  Gra- 
ziani  —  ein  Männergesangsverein 
vorgesetzt  wurde,  dessen  zelin  Mit- 
glieder sich  bei  jedem  Lied  in  je- 
weils anderer,  neckischer  Weise  in 
Positur  setzten  und  umgruppier- 
ten. Die  gewiss  ehrenwerten  und 
sehr  kräftigen  Herren  v/irkten  in 
ihren  schwarzen  Hemden  durchaus 
wie  die  Mitglieder  einer  Transport- 
Kooperative,  die  hier  zur  falschen 
Zeit  auf  dem  Podium  des  Mann- 
Auditoriums  erschienen,  um  den 
Flügel  von  der  Bühne  zu  holen. 
Das  letzte  Lied,  das  sie  sehr  ani- 
miert „hinlegten",  trug  etwa  den 
Titel   ,,Wir   werden  es   überstehen!" 

Marlene  verhalf  uns  dann  dazu! 
MANFRED    GEIS 


Glückwunsch  für  Prof.  Weichmann 


Die   Glückwünsche,    die    wir    Pro- 
fessor Dr.  Herbert  Weichmann,  Er- 
ster Bürgermeister  der   Freien  und 
Hansestadt      Hamburg,      anlässiich 
seines    70.    Geburtstages    entsenden, 
entspringen   freundschaftlichen   und 
verehrenden  Gefühlen.  Prof.  Weich- 
mann   ist    auch    vielen    in   unserem 
Lande  kein  Unbekannter.  Er  wurde 
am  23.   Februar   1896   in   Landsberg 
in  Oberschlesien   geboren  und   war 
bis    1933   Ministerialrat   im   Preussi- 
schen      Innenministerium.       Ueber 
Frankreich   gelangte   er    dann   nach 
Kriegsausbruch    in   die    Vereinigten 
Staaten,      von    wo    ihn    1948      Max 
Brauer,  der  damalige  Bürgermeister 
Hamburgs,  mit  dem  ihn  eine  enge 
Freundschaft  verbindet,  in  die  Han- 
sestadt berief,  um  als  Präsident  des 
Hamburgischen  Rechnungshofes  am 
Wiederaufbau    der    Verwaltung    teil- 
zunehmen.   Seit    1957    war    er   dann 
Finanzsenator  des  Stadtstaates  und 
seit  Juni  1965  bekleidet  er  das  höch- 
ste Amt  Hamburgs. 

Wer  Prof.  Weichmann  kennt, 
weiss,  welche  Gaben  den  hochge- 
bildeten und  im  tiefsten  Sinne  kul- 


tivierten Mann  auszeichnen.     Seine 
weitgehenden  Kenntnisse,  seine  viel- 
fachen Erfahnmgen  und  vor  allem 
seine    wissenschaftliche    Bedeutung 
haben    ihre    Würdigung    durcli    die 
Berufung  auf  den  Lehrstuhl  für  öf- 
fentliches    Verwaltungswesen      der 
Hamburger      Universität     erfahren. 
Das     Vertrauen,     das     sich     Prof. 
Weichmann  erworben  hat,   und  die 
ungewöhnliche      Anerkennung,     die 
ihm  zuteü  geworden  ist,  liegen  aber 
nicht   zuletzt   in   seinem  Wesen   be- 
gründet. Welches  Amt  er  auch  im- 
mer bekleidet,  nie  ist  es  ihm  ledig- 
lich Verwaltung,  immer  fasst  er  es 
als  Dienst  am  Menschen  auf.  Welt- 
offen und  allem  Echten  und  Rech- 
ten zugewandt,  ist  er  zugleich  und 
an  jeder  Stelle  ein  aufrechter  Jude, 
der  am  Schicksal  seines  Volkes  zu- 
tiefst beteiligt  ist.  1957  konnten  wir 
ihn  und  seine  Gattin  als  Gäste  un- 
seres   Staates    in    Israel    begrüssen. 
Sein  70.  Geburtstag  ist  uns  ein  will- 
kommener Anlass,  Professor  Weich- 
mann sehr  herzlich  noch  viele  Jah- 
re  fruchtbaren   Wirkens     zu     wün- 
schen. 

HANS  TRAMER 


Emem  Neunzigjährigen  zum  Gruss  ! 


In  Tel-Aviv  beging  kürzlich  Dr. 
Leo  Isaak,  einer  der  zionistischen 
Veteranen  um  die  Jahrhundertwen- 
de, seinen  90.  Geburtstag.  Er  ent- 
stammt einer  religiösen  deutschjüdi- 
schen Kaufmannsfamilie  aus  Pfung- 
stadt, wo  er  zur  gleichen  Zeit  wie 
unser  erster  Staatspräsident,  Chaim 
Weizmann  t>"t,  das  sogen.  ,, Israel- 
Institut"  besuchte.  Nach  einer  m 
Worms  und  Darmstadt  erfolgten 
Gymnasialausbildung  kam  Leo  Isaak 
nach  Halberstadt,  v/o  er  die  Je- 
schiwah  „Die  Klaus"  absolvierte, 
damals  zusammen  mit  seinem 
Freund  Sammy  Gronemann  s.A. 

Nach  seinem  Medizin-Studium  in 
Würzburg,  Berlin  und  Strassburg 
assistierte  Dr.  Isaak  in  London  und 


Paris,  um  sich  dann  als  Hautarzt 
in  Dai-mstadt  niederzulassen,  wo  er 
bald  neben  vielen  anderen  auch 
Referate  vor  den  Studenten  der 
Technischen  Hochschule  hielt  und 
ausserdem  auch  die  ärztliche  Be- 
tremmg  dieser  Studenten  auszuüben 
hatte.  Er  erfüllte  diese  Pflicht  von 
1906—24.  Im  ersten  Weltkrieg  war 
Leo  Isaak  Stabsarzt  bei  der  Deut- 
schen Armee. 

S€!ine  besondere  Fürsorge,  die  er 
ostjüdischen  Flüchtlingen  zuteil 
werden  liess,  brachte  ihn  zum  Zio- 
nismus, weil  auch  er  in  der  Ver- 
wirklichung der  „Heimstätte"  den 
einzig  möglichen  Ausweg  sah.  Er 
war  schon  früh  Delegierter  bei  den 
Zionistenkongressen    imd    u.a.    Mit- 


Seite  9 


gründer  des  Weltverbandes  jüdi- 
scher Aerzte  auf  dem  Kongress  in 
Karlsbad  im  Jahre  1921.  Bald  war 
er  mitführend  im  Keren-Hajessod, 
Initiator  des  Südwestdeutsclien  Lan- 
desverbandes der  Zionisten  und  rief 
vor  allem  in  Darm.stadt  die  Zioni- 
stische Ortsgruppe  des  K.J.V.  ins 
Leben,  war  aber  später  auch  Bera- 
ter des  Darmstädter  Blau-Weiss 
und  J.J.W.B. 

1935  wanderte  Dr.  Isaak  mit  sei- 
ner FamUie  hier  ein,  stellte  der  Tel- 
Aviver  „Hadas.sah"  noch  lange  Jah- 
re hindurch  seine  Dienste  als  Spe- 
zialist für  Hautkrankheiten  zur  Ver- 
fügung und  verfolgte  im  übrigen 
auch  hierzulande  seine  geistigen  In- 
teressen. Er  schrieb  und  publizierte 
—  erst  1964  erschien  bei  Samson 
in  Tel-Aviv  sein  Band  ,, Gedichte"  — 
und  plant  gegenwärtig  die  Heraus- 
gabe eines  ,,Gronemann-Bandes", 
der  Aufzeichnungen  und  Briefe  einer 
lebenslangen  Freimdschaft  enthalten 
soll.  Sein  echt  jüdisches  Haus  steht 
wie  einst  in  Darmstadt  auch  heute 
und  hier  all  jenen  Freunden  offen, 
denen  Judentum  und  humanitäres 
Geistesleben  auch  in  unseren  Ta 
gen  noch  etwas  zu  sagen  haben! 

Ad  mea  w'esrimü 

-a.     1. 


Suchnotizett 

Gesucht    wird 

Scheuch,  Dr.  Augenarzt,  vormals 
Trautenau,  CSS,  Staats-Str.  18.  An- 
gaben erbeten  an  lOME,  P.O.B. 
1480,  Rambamstrasse  15,  Tel-Aviv. 

Nachstehende  Personen  werden 
gsbeten,  sich  unter  Angabe  der  Ak- 
tennummern  mit  dem  Suchdienst 
der  Jewish  Agency,  P.O.B.  92,  Jeru- 
salem in  Verbindung  zu  setzen: 

Futtermann,  Bernhard  aus  Wien, 
Schönburger  ga^'se  (145830);  Gold- 
stein, Moshe- Jehuda,  Vater:  Joshua 
aus  Berlin  (130963);  Grabov/ski  An- 
na geborene  Kromolowski,  geb.  1900 
in  Berlin,  Turnlehrerin  (145797); 
Kremer,  Martin  aus  Berlin,  Joa- 
chimstr.  IIa  ca  35  Jahre  alt  (145829); 
Zwiebel,  Norbert,  geboren  1921  aus 
Wien.  Vater:   Moritz   (145844). 


BÜROMÖBEL 

BÜROMASCHINEN 

PHOTO-COPIERAPPARATE 

V  E  R  V  I  E  LFÄ  LTIGUNGS- 
MASCHINEN 

if 

DUKTA V 

Tel-Aviv,  Rothschild    Blvd.  12 

Telephone:  57080 


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ier 
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ijeres 

rdens 
id  in 
Irund- 
der 
rseines 
war 
fehmen, 
heute 
^r   phiioso- 
fnd  damit  hof- 
rf  aktischen  Poli- 
flich   gemacht   zu 

H.T. 


SECOND  INTENTIONAL  EXPOSURE 


Nr.  9 


MB  —  4.  März  1966 


T 


MARLENE  DIETRICH 


Da    kam    sie   also    wieder,   nach 
einer  Pause  von  fast  sechs  Jahren. 
Damals   besuchte    sie   uns    —    ganz 
plötzlich   und   überraschend    —    di- 
rekt    nach     ihrem    ersten    Wieder- 
auftreten   in    West-Berlin,      beinahe 
so    als    wollte    sie    sich    von    dem 
Schock  erholen,   den  ihr   dort   eini- 
ge    demonstrativ-feindliche     Äusse- 
rungen  verursacht    hatten.    Diesmal 
ist  die  Reise-Route  umgekehrt.  Mar- 
lene   Dietrich    fährt    von    hier    aus 
wieder    nach    Berlin,    aber    nur    — 
nach  Ost-Berlin!   Wir  wünschen  ihr 
von  Herzen,  dass  die  Erschütterung 
für   sie   nicht   zu   gross   sein   möge, 
wenn    sie    dort,    wo    vor    1930    ihre 
Karriere    begann,    wieder    auf    den 
Brettern  der  gleichen  Bühne  steht, 
wieder  durch  die  Strassen  der  zer- 
stückelten Stadt  geht,  die  mit  dem 
Berlin    von    einst    wenig    mehr    ge- 
meinsam haben  dürfte,  als  ungefähr 
noch  die  Sprache. 

Sprache  und  Stadt  sind  als  Sti- 
mulation freilich  höchst  bedeutsam 
für  eine  Meisterin  des  Wortes,  des 
Tons,  der  Nuance  und  des  Aus- 
drucks, deren  Kunst  bis  heute  in 
der  hochklassigen  Theaterschuiung 
der  zwanziger  Jahre  v/urzelt,  die 
gerade  im  Berlin  Reinhardts  und 
Jessners,  Robitschecks  und  Friedrich 
Holländers,  Rosa  Valettis  und  Mar- 
ge Lions,  fast  automatisch  ilu-e 
Strahlen  auf  die  für  die  Schaubüh- 
ne   wirklich    Geborenen    aussandte. 

Bei  uns  hier  sang  Marlene  dies- 
mal weit  weniger  in  deutscher 
Sprache  als  vor  sechs  Jahren;  vne 
uns  schien,  weil  ihr  selbst  die  Spra- 
che noch  fremder  geworden  ist, 
als  sie  es  damals  schon  war.  Selbst 
ihre  berühmten  Glanzstücke  „Ich 
bin  die  fesche  Lola"  und  „Von 
Kopf  bis  Puss  auf  Liebe  eüige- 
steilt"  bringt  sie  halb  englisch, 
halb  deutsch,  eine  Zweiteilimg,  die 
der  Wirkung  übrigens  nicht  gerade 
förderlich  ist.  Dagegen  kam  „Jonny" 
un.d  das  dem  Andenken  Richard 
Taubers  gewidmete  „Frag  nicht, 
v/arum  ich  gehe"  im  Originaltext 
zu  voller  Austrahlung. 

Sonst  kam  es  kaum  zu  Wieder- 
holungen alter  Repertoirestücke, 
was  von  Marlenes  Fleiss  zeugt,  viel- 
leicht aber  von  einigen  alten  Ver- 
ehrern bedauert  wurde,  die  ihr 
gern  statt  einer  Stunde  zwei  zuge- 
hört hätten,  um  eine  kom.plette 
Rückschau  zu  halten,  in  die  etwa 
Songs  gehörten  wie  „Vr/enn  ich  mir 
was  wünschen  könnte",  „Peter", 
„Ich  weiss  nicht,  zu  wem  ich  ge- 
höre", „Man  lebt  in  einer  grossen 
Stadt",  das  Hobellied,  „Leise  zieht 
durch  mein  Gemüt",  die  wir  bis 
heute  in  ihrer  sehr  spezifischen  In- 
terpretation nicht  vergessen  haben. 

Dafür  aber  hatten  wir  Gelegen- 
heit, Marlene  neu  zu  entdecken. 
Mit  Stücken  v/ie  dem  grossartigen 
„Where  have  all  the  flowers  gone?" 
(von  Pete  Seegers),  mit  „I'm  the 
laziest  girl  in  town",  ,.Go  away 
from  my  window",  einem  hebräi- 
schen Lied  „Mah  Hakoloth  schäm 
ba-Lajla",  dem  französischen  , .Ma- 
rie" und  ,,Remember  Darling,  don't 
smoke  in  bed!"  (Verfasser  und 
Komponisten  leider  nicht  genannt) 
gibt  sie  neue  Muster  ihrer  grossen 
Kunst,  die  alle  Register  umfasst. 
Dieser  Abend  mag  vielleicht  unse- 
ren Theaterleitern  demonstriert  ha- 
ben, v/elcher  Dilettontismus  in  den 
so  zahlreichen  „Musicals"  produ- 
ziert wird,  die  auf  hebräischen  Büh- 
nen gezeigt  werden. 

Es  ist  rücht  nur  die  Musikali- 
tät, die  ausgezeichnete  Diktion,  über 
die  Marlene  in  allen  Sprachen  ver- 
fügt, die  hervorragende  Tecmiik, 
die  es  ihr  ermöglicht,  vor  tausen- 
den  von  Zuhörern  in  einem  Augen- 
blick, ohne  zu  forcieren,  jede  ge- 
wünschte   Stimmung    und    Wirkung 


zu  erzielen.  Es  ist  vor  allem  die 
Autorität  ihrer  Persönlichkeit,  die 
noch  bei  der  Vermittlung  des  klein- 
sten Chansons  voll  eingesetzt  wird, 
es  ist  die  absolute  Identifizierung 
mit  ihrem  Text,  auch  mit  den  ge- 
legentlichen Banalitäten  des  Textes, 
die  uns  ja  im  Alltag  auch  begegnen; 
es  ist  die  hohe  Intelligenz,  die 
Klugheit  der  Weitbürgerin,  die  nicht 
nur  in  ihrer  Kunst  spürbar  ist, 
sondern  z.B.  in  der  Pressekonfe- 
renz und  Interviews  ganz  deutlich 
wurde,  in  der  sie  mancher  Takt- 
losigkeit und  Borniertheit  die  über- 
legene und  kühle  Abfuhr  erteilte. 

Obwohl   Marlene   ihr   Programm, 
unverändert    schlank,    elegant    und 
hochgewachsen,   im  kostbaren  Her- 
melin   und    dann     im     raffinierten 
Abendkleid,  pausenlos  darbietet,  ab 
und   zu  eine  ganz    „private"   Confe- 
rence   einschaltend,     ist     sie    nicht 
„ganz     unverändert".     Gerade     da- 
durch aber,  dass  sie  nichts   kokett 
verniedlicht,     dass     alles     was     sie 
bringt  so  genau  zu  ihr  passt,  wird 
die  Stärke'  und  Echtheit  üirer  Wir- 
kung bestimmt.  Sie  bewegt  sich  et- 
was vorsichtiger  als  wir  es  von  ihr 
gewöhnt      waren,      erscheint      auch 
nicht  mehr  im  Frack  und  Zylinder, 
wie  sie  es   früher   im  zweiten  Pro- 
grammteil zu  tun  pflegte,  ihr  Blick 
scheint  mehr   nach   innen   gerichtet 
und  sucht  den  Zuhörer  nicht  mehr 
so   oft.   Aber   ihre   Ausstrahlung   ist 
unvermindert   stark,   wenn   sie    (be- 
gleitet  von  einem   20-Mann   starken 
Orchester,   das   William   Blezard   di- 
rigierte) mit  „I  can't  give  you  any- 


thing  but  love,  Baby"  auftritt  und 
hält  an,  bis  sie  schliesslich  dem 
stürmischen  Applaus  mit  ein  paar 
warmen  Dankesworten  und  vielen 
Händedrücken  ein  Ende  setzt,  ver- 
sprechend, bald  wieder  zu  kommen 
und  nicht  wieder  sechs  Jahre  bis 
zum  nächsten  Besuch  verstreichen 
zu   lassen. 

Wenn  Marlene  den  Abend  nicht 
alleüi    bestreiten    wohte,    so    hätte 
man  ihn  z.B.  durch  ein  ausgezeich- 
netes   Konzert    von    ,,Jazz    an    zwei 
Klavieren"    einleiten    körmen,     was 
natürlich    hätte     angezeigt     werden 
müssen.  Hier  aber  wurde  die  Ver- 
anstaltung    leider     durch     das     ge- 
schmacklose   „Entree"   getrübt   und 
gefährdet,  das  einem  Publikum  zu- 
gemutet  wurde,   das   Maximalpreise 
für  die  Eintrittskarten  bezahlte  imd 
seine     Indignation     darüber     kaum 
verbarg,    dass    ihm    von    den    Ver- 
anstaltern   eme    halbe    Stunde    lang 
—  unter  Führung  von  Jizchak  Gra- 
ziani    —    ein    Männergesangsverein 
vorgesetzt  wurde,  dessen  zelm  Mit- 
glieder  sich   bei   jedem   Lied   in  je- 
weils anderer,  neckischer  Weise  in 
Positur     setzten     und     umgruppier- 
ten.   Die    gewiss    ehrenwerten    und 
sehr    kräftigen    Herren    wirkten    in 
ihren  schwarzen  Hemden  durchaus 
wie  die  Mitglieder  einer  Transport- 
Kooperative,   die   hier   zur   falschen 
Zeit    auf    dem    Podium    des    Mann- 
Auditoriums     erschienen,     um     den 
Flügel    von    der    Bühne    zu    holen. 
Das   letzte   Lied,   das   sie   sehr   ani- 
miert   „hinlegten",    trug    etwa    den 
Titel   ,,Wir   werden  es   überstehen!" 

Marlene  verhalf  uns  dann  dazu! 
IVIANFRED    GEIS 


Glückwunsch  für  Prof.  Weichmann 


Die   Glückwünsche,    die    wir    Pro- 
fessor Dr.  Herbert  Weichmann,  Er- 
ster Bürgermeister  der  Freien  und 
Hansestadt      Hamburg,      anlässiich 
seines    70.    Geburtstages    entsenden, 
entspringen   freundschaftlichen   und 
verehrenden  Gefühlen.  Prof.  Weich- 
mann   ist    auch   vielen   in   unserem 
Lande  kein  Unbekannter.  Er  wurde 
am  23.   Februar   1896   in   Landsberg 
in  Oberschlesien   geboren  und   war 
bis    1933   Ministerialrat   im   Preussi- 
schen      Irmenministerium.       Ueber 
Frankreich   gelangte   er    dann   nach 
Kriegsausbruch    in    die    Vereinigten 
Staaten,      von    wo    ihn    1948      Max 
Brauer,  der  damalige  Bürgermeister 
Hamburgs,  mit  dem  ihn  eine  enge 
Freundschaft  verbindet,  in  die  Han- 
sestadt berief,  um  als  Präsident  des 
Hamburgischen  Rechnungshofes  am 
Wiederaufbau   der    Verwaltung    teil- 
zunehmen.   Seit    1957    war    er   dann 
Finanzsenator  des  Stadtstaates  und 
seit  Juni  1965  bekleidet  er  das  höch- 
ste Amt  Hamburgs. 

Wer  Prof.  Weichmann  kennt, 
weiss,  welche  Gaben  den  hochge- 
bildeten und  im  tiefsten  Sinne  kul- 


tivierten Mann  auszeichnen.     Seine 
weitgehenden  Kenntnisse,  seine  viel- 
fachen Erfahrungen  und   vor   allem 
seine    wissenschaftliche    Bedeutung 
haben    ihre    Würdigung    durcli    die 
Berufung  auf  den  Lehrstuhl  für  öf- 
fentliches    Verwaltungswesen      der 
Hamburger      Universität     erfahren. 
Das     Vertrauen,     das     sich     Prof. 
Weichmann  erworben  hat,  und  die 
ungewöhnliche      Anerkennung,     die 
ihm  zuteil  geworden  ist,  liegen  aber 
nicht   zuletzt   in   seinem   Wesen   be- 
gründet. Welches  Amt  er  auch  im- 
mer bekleidet,  nie  ist  es  ihm  ledig- 
lich Verwaltung,  immer  fasst  er  es 
als  Dienst  am  Menschen  auf.  Welt- 
offen und  allem  Echten  und  Rech- 
ten zugewandt,  ist  er  zugleich  und 
an  jeder  Stelle  ein  aufrechter  Jude, 
der  am  Schicksal  seines  Volkes  zu- 
tiefst beteiligt  ist.  1957  konnten  wir 
ihn  und  seine  Gattin  als  Gäste  un- 
seres   Staates    in    Israel    begrüssen. 
Sein  70.  Geburtstag  ist  uns  ein  will- 
kommener Anlass,  Professor  Weich- 
mann sehr  herzlich  noch  viele  Jah- 
re  fruchtbaren   Wirkens     zu     wün- 
schen. 

HANS  TRAMER 


Einem  Neunzigjährigen  zum  Gruss  ! 


Seite  9 


gründer  des  Weltverbandes  jüdi- 
scher Aerzte  auf  dem  Kongress  in 
Karlsbad  im  Jahre  1921.  Bald  war 
er  mitführend  im  Keren-Hajessod, 
Initiator  des  Südwestdeutschen  Lan- 
desverbandes der  Zionisten  und  rief 
vor  allem  in  Darmstadt  die  Zioni- 
stische Ortsgruppe  des  K.J.V.  ms 
Leben,  war  aber  später  auch  Bera- 
ter des  Darmstädter  Blau-Weiss 
und  J.J.W.B. 

1935  wanderte  Dr.  Isaak  mit  sei- 
ner Familie  hier  ein,  stellte  der  Tel- 
Aviver  ,,Hadas5ah"  noch  lange  Jah- 
re hindurch  seine  Dienste  als  Spe- 
zialist für  Hautkrankheiten  zur  Ver- 
fügung und  verfolgte  im  übrigen 
auch  hierzulande  seine  geistigen  In- 
teressen. Er  schrieb  und  publizierte 
—  erst  1964  erschien  bei  Samson 
in  Tel-Aviv  sein  Band  ,, Gedichte"  — 
und  plant  gegenwärtig  die  Heraus- 
gabe eines  ,,Gronemann-Bandes", 
der  Aufzeichnungen  und  Briefe  einer 
lebenslangen  Freimdschaft  enthalten 
soll.  Sein  echt  jüdisches  Haus  steht 
wie  einst  in  Darmstadt  auch  heute 
und  hier  all  jenen  Freunden  offen, 
denen  Judentum  und  humanitäres 
Geistesleben  auch  in  unseren  Ta- 
gen noch  etwas  zu  sagen  haben! 

Ad  mea  w'esrimü 

— a. — I. 


Sudinotizett 

Gesucht    wird 

Scheuch,  Dr.  Augenarzt,  vormals 
Trautenau,  CSS,  Staats-Str.  18.  An- 
gaben erbeten  an  lOME,  P.O.B. 
1480,  Rambamstrasse   15,  Tel-Aviv. 

Nachstehende  Personen  werden 
gebeten,  sich  unter  Angabe  der  Ak- 
tennummern mit  dem  Suchdienst 
der  Jewish  Agency,  P.O.B.  92,  Jeru- 
salem in  Verbindung  zu  setzen: 

Futtermann,  Bernhard  aus  Wien, 
Schönburger  ga^Tse  (145830);  Gold- 
stein, Moshe- Jehuda,  Vater:  Joshua 
aus  Berlin  (130953);  Grabov/ski  An- 
na geborene  Kromolowski,  geb.  1900 
in  Berlin,  Turnlehrerin  (145797); 
Kremer,  Martin  aus  Berlin,  Joa- 
chimstr.  IIa  ca  35  Jahre  alt  (145829); 
Zwiebel,  Norbert,  geboren  1921  aus 
Wien.  Vater:   Moritz   (145844). 


In  Tel-Aviv  beging  kürzlich  Dr. 
Leo  Isaak,  einer  der  zionistischen 
Veteranen  um  die  Jahrhundertwen- 
de, seinen  90.  Geburtstag.  Er  ent- 
stammt einer  religiösen  deutschjüdi- 
schen Kaufmarmsfamilie  aus  Pfung- 
stadt, wo  er  zur  gleichen  Zeit  wie 
miser  erster  Staatspräsident,  Chaim 
Weizmann  y>x,  das  sogen.  „Israel- 
Institut"  besuchte.  Nach  einer  in 
Worms  und  Darmstadt  erfolgten 
Gymnasialausbildung  kam  Leo  Isaak 
nach  Halberstadt,  v/o  er  die  Je- 
schiwah  „Die  Klaus"  absolvierte, 
damals  zusammen  mit  seinem 
Freund  Sammy  Gronemann  s.A. 

Nach  seinem  Medizin-Studium  in 
Würzburg,  Berlin  und  Strassburg 
assistierte  Dr.  Isaak  üi  London  und 


Paris,  um  sich  dann  als  Hautarzt 
in  Darmstadt  niederzulassen,  wo  er 
bald  neben  vielen  anderen  auch 
Referate  vor  den  Studenten  der 
Technischen  Hochschule  hielt  und 
ausserdem  auch  die  ärztliche  Be- 
treuung dieser  Studenten  auszuüben 
hatte.  Er  erfüllte  diese  Pflicht  von 
1906—24.  Im  ersten  Weltkrieg  war 
Leo  Isaak  Stabsarzt  bei  der  Deut- 
schen Armee. 

Seme  besondere  Fürsorge,  die  er 
ostjüdischen  Flüchtlingen  zuteil 
werden  Hess,  brachte  ihn  zum  Zio- 
nismus, weil  auch  er  in  der  Ver- 
wirklichung der  „Heimstätte"  den 
einzig  möglichen  Ausweg  sah.  Er 
war  schon  früh  Delegierter  bei  den 
Zionistenkongressen    imd    u.a.    Mit- 


BÜROMÖBEL 

BÜROMASCHINEN 

FHOTO-COPI  ER-AFP  AR  ATE 

VERVIELFÄLTIGUNGS- 
MASCHINEN 

DUKTA V 

Tel-Aviv,  Rothschild    Blvd.  12 

Telephone:  57080 


7 


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Pfingsten,  5./6./7.  Juni  1965      Seite  7 


Süddeutsche  Zeitlang  Nr.  134/135 


1 

Weichmann  hat  sich  das  Leben  nie  leicht  gemacht 

Hamburgs  künftiger  Bürgermeister  ist  ein  wetterfahrener  Jurist  und  Politil<er 


Von  unserem  Redaktionsmitglied  1.  Birnbaum 

München,  4.  Juni 

Es  ist  jetzt  rund  45  Jahre  her,  da  gründete  der 
junge  Rechtsreferendar  Herbert  Weichmann  in 
Breslau  einen  „Republikanischen  Führerbund". 
Er  hatte  bei  der  Arbeit  in  Verwaltung  und 
Justiz  feststellen  müssen,  daß  es  da  überall  an 
überzeugten  Republikanern  von  fachlicher  Qua- 
lifikation fehlte,  die  den  Programmen  der  Wei- 
marer Parteien  zur  Verwirklichung  verhelfen 
konnten.  Die  meisten  der  jugendlichen  Mitglie- 
der von  Weichmanns  Organisation  haben  es 
später  im  Leben  ziemlich  weit  gebracht,  in  der 
staatlichen  und  in  der  privaten  Industrie,  im 
öffentlichen  Dienst  oder  auch  in  der  Presse. 

Um   sich  mit   Wirtschaft  und   Politik   besser 
vertraut  zu  machen,   als   es   durch   juristisches 
Aktenstudium   möglich   war,    ging   Weichmann 
nach  dem  Assessor-Examen  in  den  Zeitungs- 
dienst. Er  war  ein  paar  Jahre  Korrespondent 
ier  Vossischen  Zeitung  für  das  Industriegebiet 
-■>    Rhein   und   Ruhr  und   dann    kürzere    Zeit 
ui^fredakteur  der  Kattowitzer  Zeitung  in  sei- 
-uijOberschlesischen  Heimat,  und  zwar  in  deren 
uuä  der  Abstimmung  von  1920  an  Polen  gefal- 
ajqli  Teil.  Von  dort  holte  ihn  ein  Politiker,  der 
-ad  seine   Mitarbeiter    mit    gutem    Blick    aus- 
jn?  lilen  wußte,  Ministerpräsident  Otto  Braun, 
«i'Ja  Berlin.  Lange  Jahre  war  Weiclimann  der 
Viistc  Mitarbeiter  dieses  letzten  bedeutenden 
^cußischen  Staatsmanns. 

Es  war  eine  Szene  von  symbolischem  Sinn, 
als  eines  Tages  in  Weichmanns  Arbeitszimmer 
ein  alter  unbenutzer  Aktenschrank  ausein- 
anderplatzte und  dabei  der  geheime  Briefwech- 
sel zwischen  Bismarck  und  Lassalle  zum  Vor- 
schein kam,  mit  dem  der  große  Arbeiterführer 
des  19.  Jahrhunderts  Vorschläge  für  die  Um- 
gestaltung des  preußischen  Staates  gemacht 
hatte.  Otto  Braun  eilte  herbei  und  ließ  sich  von 
dem  Schreiber  dieser  Zeilen  erklären,  was  diese 
alten  Papiere  bedeuteten.  Sein  Kommentar  lau- 
tete: „Gerade  das  wollen  wir  ja  aus  Preußen 

machen." 

Das  Jahr  1933  vertrieb  sowohl  Otto  Braun 
wie  seinen  Ministerialrat  Weichmann  aus 
Deutschland.  Der  frühere  preußische  Regie- 
rungschef mußte  in  die  Schweiz  flüchten,  Weich- 


; 


mann  ging  nach  Amerika.  Seine  tapfere  Frau, 
eine  Deutschmährerin,  die  im  letzten  Sommer 
der  Weimarer  Republik  in  einem  großen  Ost- 
seebad noch  die  einzige  schwarzrotgoldene  Fahne 
auf  einer  Strandburg  gehißt  hatte,  begleitete 
ihn  und  verstand  es,  ihm  den  Abschied  von  der 
Heimat  zu  erleichtern.  „Du  wirst  einen  Anzug 
weniger  im  Kasten  haben  und  ich  nur  die  nötig- 
sten Kleider,  aber  wir  werden  schon  durchkom- 
men." 

Das  war  dann  drüben  nicht  leicht,  denn  deut- 
sche Rechtswissenschaft  und  Verwaltungskunde 
waren  in  den  Vereinigten  Staaten  nicht  beson- 
ders gefragt.  Aber  Herbert  Weichmann  stellte 
sich  rasch  um.  Er  erlernte  die  Kunst  der  ame- 


Herbert  Weichmann 


Zahl  der  offenen  Stellen  steigt  weiter 

683  500  freie  Plätze  /  Bericht  der  Bundesanstalt  für  Arbeitsvermittlung 


s.  Nürnberg  (.Eigener  Bericht) 

Nach  Feststellungen  der  Bundesanstalt  für  Ar- 
beitsvermittlung und  Arbeitslosenversicherung  in 
Nürnberg  ist  der  Bedarf  an  Arbeitskräften  in  der 
Bundesrepublik  und  Westberlin  zur  Zeit  größer 
als  je  zuvor. 

Wie  der  Präsident  der  Anstalt,  Säbel,  mit- 
teilte, hat  die  Zahl  der  offenen  Stellen  einen 
neuen  Nachkriegsrekord  erreicht.  Sie  erhöhte 
sirh  im  Mai  um  22  500  auf  683  500  (373  000  für 
A.innei',  310  500  für  Frauen)  und  liegt  um  56  400 


Bauhauptgewerbe  hatte  sich  die  Zahl  der  Be- 
schäftigten saisonbedingt  zwar  kräftig  erhöht, 
erreichte  aber  bis  Ende  April  den  vergleich- 
baren Vor.iahresstand  noch  nicht  ganz.  Die  Nach- 
frage nach  zusätzlichen  Bauarbeitern  war  rege, 
aber  nicht  so  stark  wie  bisher. 

Die  Absatzentwicklung  im  Steinkohlenbergbau 
verursachte  in  einigen  Zechen  Fördereinschrän- 
kungen. Trotz  nachlassender  Fördertätigkeit 
wuchsen  die  Kohlenhalden  weiter  an.  Der  Bedarf 
an  Bergleuten  verringerte  sich,  während  die 
Nachfrage  naidi  Qrubenhandwerkern  weiter  zu- 


rikanischen  Buchführung  und  brachte  es  nach 
kurzer  Zeit  zum  fachkundigen  Bücherrevisor. 
Als  Max  Brauer  1945  den  Leidensgefährten  der 
Emigrationszeit  veranlaßte,  mit  ihm  nach  Ham- 
burg zurückzufahren,  hatte  er  in  dem  ehemali- 
gen preußischen  Ministerialrat  einen  Helfer,  der 
nicht  nur  kameralistische  Staatsrechnung  büro- 
kratischer Tradition  beherrschte,  sondern  auch 
moderne  amerikanische  Buchführung,  wie  sie 
die  großen  Privatkonzerne  jenseits  des  Meeres 
anwandten. 

So  war  Herbert  Weichmann  der  gegebene 
Mann  für  die  Leitung  des  Hamburger  Finanz- 
rechnungshofs. Als  Präsident  dieser  Behörde 
gewann  er  bald  einen  begründeten  Ruf  in  ganz 
Deutschland.  Seine  sozialdemokratischen  Partei- 
freunde hätten  ihn  gern  zum  Leiter  der  für 
diese  Fragen  zuständigen  höchsten  Bundes- 
behörde gemacht,  drangen  aber  damit  niclit 
durch.  Dafür  wählten  ihn  die  Hamburger  vor 
acht  Jahren  zum  Finanzsenator,  also  zum  Re- 
gierungsmitglied und  Leiter  ihrer  staatlichen 
Finanzpolitik. 

Auch  in  dieser  Eigenschaft  hat  Weichmann 
sich  wieder  bewährt,  unci  zwar  nicht  nur  im 
Hamburger  Rahmen.  Er  hatte  maßgeblichen 
Anteil  an  den  Empfehlungen  des  Deutschen 
Wissenschaftsrats  für  die  Neugründung  von 
Hochschulen,  deren  finanzpolitischen  Teil  er 
^ausarbeitete.  Er  knüpfte  Verbindungen  von 
Hamburg  zu  Entwicklungsländern  in  Übersee 
und  führte  eine  Delegation  der  Hansestadt  nach 
Afrika,  die  dort  praktische  Zusammenarbeit  in 
vielen  Einzelfragen  anbahnte.  Er  war  führend 
an  der  Auseinandersetzung  zwischen  den  Län- 
dern und  dem  Bund  über  die  Verteilung  von 
Steueraufkommen  und  Leistungen  beteiligt.  So 
gewann  der  gebürtige  Schlesier  in  Hamburg 
festen  Fuß  und  auch  in  Bonn  immer  Gehör, 
wenn  er  mit  seinen  finanzpolitisch  und  juristisch 
klar  durclidachten  Vorsclilägen  kam. 

Im  vorigen  Jahr  machte  die  Hamburger  Uni- 
versität den  Senator  nebenher  noch  zum  Hono- 
rarprofessor für  Finanzrecht.  Seither  sprach  er 
davon,  sich  in  absehbarer  Zeit  auf  diese  aka- 
demische Tätigkeit  zurückzuziehen.  Weichmann 
ist  zwar  jünger  und  spannkräftiger  geblieben 
als  viele  seiner  Altersgenossen.  Wenn  er  von 
seiner  kleinen,  nur  auf  Fußwegen  zugänglichen 
Alpenhütte  im  Allgäu  braungebrannt  absteigt, 
könnte  man  ihn  für  einen  Endfünfziger  halten. 
Tatsächlich  wird  er  aber  die  Siebzig  vollenden, 
ehe  es  im  nächsten  Jahr  neue  Bürgerschafts- 
wahlen in  Hamburg  gibt.  Wenn  bis  dahin  ein 
jüngerer  Kandidat  für  den  Bürgermeisterposten 
gefunden  ist,  der  sich  nach  Sachkunde.  Charak- 
ter und  Ansehen  zum  Nachfolger  eignet,  würde 
ihm  der  Senior  der  Regierung  der  Freien  und 
Hansestadt  sicherlich  gern  das  Ruder  in  die 
Hand  drücken. 

Seydoux:  Frankreich 
bleibt  in  der  NATO 

Köln  (UPI) 
Frankreich    habe    nicht    die   Absicht,    aus    der 


Wir  geben  uns  sehr  viel  Mühe,  das  Sortiment  so  abzustimmen,  daß  Sie  zu  jedem  Oberbett, 
zu  jeder  Daunendecke  oder  zu  jedem  Flachbett  auch  den  passenden  Überzug  finden.  Ein 
leichtes  mit  Daunen  oder  fedriger  Daune  gefülltes  Flachbett  sollte  nämlich  auch  mit  einem 
leichten  Mako-Damast  bezogen  werden,  damit  es  seine  Schmiegsamkeit  behält.  Jede  unserer 
Spezialistinnen  bedient  und  berät  Sie  im  übrigen  durch  alle  Abteilungen  und  hilft  Ihnen  so, 
alles  genau  aufeinander  abzustimmen. 


1.  Flache  Zudecken  für  ganze  Bezüge 


(wobei  Sie  tagsüber  Ihre  Betten  mit  einer  hübschen  Tagesdecke  abdecken  sollten) 

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Dazu  passend  ein  weißer  Streifdamastbezug  aus  reiner  Baumwolle,  wasch-  und  4  ^   fzt\ 

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Flachbett  in  der  Form  der  Karo-Stepp-Betten  gearbeitet,  bei  dem  die  Karo- 
nähte nicht  ganz  durchlaufen,  sondern  nur  etwa  10  cm  lang  sind,  wodurch  das 
Bett  seine  Schmiegsamkeit  erhält,  ringsum  mit  weißer  Biese,  in  rotem,  grünem 
oder  blauem  Inlett,  gefüllt  mit  grauer  Original-Feder   

Dazu  passend  ein  weißer  Damastbezug  in  nettem  Röschenmuster,  zu  dem  Sie 
auch  den  passenden  Kissenbezug  (7.50)  fmden  


Einziehdaunendecke,  oben  und  unten  aus  naturfarbiger  Moko-Einschütte  ge- 
arbeitet, in  Karos  abgesteppt,  mit  dreiseitigem  Knopfrand,  jede  Naht  mit  Naht- 
dichtung unterlegt,  leichte  Daunenfüllung,  in  der  Größe  ca.  130,200  cm,  also 

für  Ihre  Oberbettbezüge  passend 

Hierfür  werden  gerne  bunte  Bezüge  verwendet,  insbesondere  wenn  Sie  diese 
Decke  für  Ihre  Jugend  verwenden  oder  in  einem  Fremdenzimmer  auflegen 
wollen;  ein  Irisettebezug  in  kleinem  Karo,  grün,  fraise,  blau  oder  gold  kostet 

Die  Einziehdaunendecke  komplett  mit  Irisette-Bezug   


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75.— 
22.50 
97.50 

89.— 

22.75 
111.75 


...oder  so: 


. . . ob  so 


und    be 
vor  9© 


\ 


\ 


Jahren  "/eboienT  ist'dre"  -fochier'  des'  aus    Weg",  ;bgeschlo5sen  1944)11 

"  Reichtum  der  Persönlichkeit 

Bürgermeister  Professor  Weichmann  siebzig  lahre 


In  (tor  (hwitfch.prnchigen  jüdischen  Presse  des 
Auslands  war  dieser  Tage  folS^n^^er  Aufruf  de^ 
Senats  der  Freien  und  Hansestadt  Hamburg  zu 
lesen-  Am  25.  Oktober  1965,  dem  24.  Jahrestag 
dTerAe^  Deportation  jüdischer  Mitbürger  aus 
Hamburg"über^gab  der  Senat  der  Freien  und  Han- 
sestadt Hamburg  in  einer  Feierstunde  der  Judi- 
schen Gemeinde  ein  Gedenkbuch  für  die  judisdien 

Oofer  der  Stadt.  ,, 

Das  Buch  enthält  6012  Namen,  die  stell- 
v«tretend  stehen  für  alle  Jüdischen  Opfer  des 
nationalsozialistischen  Terrors,  deren  Namen  n  d^ 
mehr  festzustellen  sind."  Dieses  Budi  so  le  nidit 
nur  ein  Zeichen  des  Gedenkens  an  die  Toten  sein, 
sondern  auch  die  innere  Verbundenheit  mit  den 
Lebenden  bekunden,  „die  wir  nie  verloren  haben 
—  Wir  würden  gern  Gelegenheit  nehmen  ,  heißt 
es  weiter,  „unsere  früheren  Mitbürger  über  die 
politische,  kulturelle  und  wirtschaftliche  Ent^id.- 
hinq  ihrer  alten  Heimatstadt  zu  unterrichten.  Wir 
werden  uns^  freuen,  Ihre  Zuschrift  und  Anschrift 

2U  erhalten".  ^  ...  ^.^^ 

Dieser  Aufruf  trägt  die  Unterschrift  von  Pro- 
fessor Dr.  Herbert  Weichmann,  dem  Ersten  Bür- 
germeister der  Stadt.  Kurz  danach  hatte  Weich- 
mann in  einem  Vortrag  vor  der  Hamburger  Ju- 
dischen Gemeinde  „Zeitlose  Gedanken  zur  Zeit 
entwickelt;  dabei  hatte  er  unser  Leben  m  der 
automatisierten,  pluralistischen  G^^^^l^^^p^^^,  "^ 
allgemeinen  betrachtet,  aber  auch  an  die  Proble 
matik  der  Existenz  und  des  Standorts  der  Juden 
in  Deutsdiland  gerührt.  Er  tat  das  in  einer  wür- 
digen,   menschlich    freimütigen,    eindrucksvollen 

Wo  immer  Bürgermeister  Weichmann  in  der 
Oeffentlichkeit  autlrilt,  wie  erst  kürzlich  in  einer 
Konferenz  von  Gewerkschaftlern  oder  im  Kreis 
von  Vertretern  des  Hamburgischen  Kulturlebens, 
in  einer  Sitzung  der  Synode  der  evangelischen 
Kirche  im  hamburgischen  Staat,  vor  Journalisten 
oder  bei  der  Einweihung  des  Gedenksteins  auf 
dem  Gelände  des  bei  Hamburg  gelegenen  ehema- 
ligen Konzentrationslagers  Neuengamme  —  stets 
findet  er  das  richtige,  kultivierte  Wort  und  den 
bestimmten,  gemessenen,  Vertrauen  erweckenden 
Ton  Die  dem  geschulten  Politiker  und  erfahrenen 
Verwaltungspraktiker  so  eigene  Mischung  von 
solider  Nüchternheit  und  menschlicher  Offenheit 
im  Umgang  mit  Mitbürgern  und  Besuchern,  dazu 
das  humorvolle  Eingehen  nicht  allein  auf  bis- 
weilen spöttisch-beißende  Kritik  haben  Dr.Weidi- 
mann  in  seiner  erst  kurzen  Amtszeit  als  Burger- 
meister der  zweitgrößten  Stadt  der  Bundesrepu- 
blik (»nausgesprochen  als  Ministerpräsident  des 
Bundeslandes  Hamburg)  viel  Vertrauen  und  An- 
erkennung eingebracht. 

Erst  hn  Juni  1965  war  er,  der  69jähnge  Senior 
des  Senats  {der  Regierung  des  Stadtstaates),  in  das 
Amt  des  Ersten  Bürgermeisters  berufen  worden. 
Vorher,  von  1948  bis  1957  war  er,  vom  damaligen 
Bürgermeister  Max  Brauer  nach  Hamburg  geholt, 
zunächst  Präsident  des  Hamburgischen  Rech- 
Bungshote  i»d  dann  Finaiwsenator  und  als  solcher 


Mitglied  des  Bundesrats.  Seit  1956  in  der  Wirt- 
schafts-  und  Sozialwissenschaftlichen  Fakultät  der 
Universität  Hamburg  Lehrbeauftragter  für  das  Ge- 
biet des  öffentlichen  Haushalts-  und  Rechnungs- 
wesens, ist  er  seit  dem  Frühjahr  1964  Honorar- 
professor für  dieses  Fach.  1957,  nach  Abschluß 
einer-Reise  durch  Israel,  legte  er  seine  Eindrucke 
in  einer  von  der  Informationsabteilung  der  Israel- 
Mission  (Köln)  herausgegebenen  Broschüre  „Das 
Werden  eines  neuen  Staates"  nieder. 

Herbert  Weichmann  wurde  am  23.  Februar 
1896  als  Sohn  eines  Arztes  in  Landsberg  (Ober- 
schlesien) geboren.  Er  studierte  Rechtswissen- 
schaften in 'Breslau,  Frankfurt  am  Main  und  Hei- 
delberg, war  1926  Landrichter  in  Breslau  und 
stand  von  1927  bis  1933  im  preußischen  Staats- 
dienst in  Berlin,  zuletzt  als  Ministerialrat  und  en- 
ger Mitarbeiter  des  Ministerpräsidenten  Otto 
Braun.  Schon  vorher  war  er  Mitarbeiter  u.  a.  der 
„Vossisdien  Zeitung"  gewesen.  Fünfzehn  Emigra- 
tionsjahre verbrachte  Weichmann  in  Frankreich 
und  (von  1941  an)  in  den  USA. 

Sein  Geburtsdatum  verrät,  daß  er  jetzt  sein  sie- 
bentes Lebensjahrzehnt  vollendet.  Die  Zahl  der 
aufrichtig  guten  Wünsche,  die  dem  Wohlergehen 
dieser  dynamischen  Persönlichkeit  gelten,  wird, 
unabhängig  davon,  wie  die  im  März  fällige  Ham- 
buraer  Bürqermeisterwahl  ausgeht,  nicht  gering 
sein  E-  ^-  Lowenthal 


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i. 


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( 


Ein  preußischer  Hanseat 


Herbert  Weicliiiicinn:  Poleinische  Begabung  und  wissenschaftliche  Präzision  /  Von  Kai  Hemmnn 


Hamburgs  neuer  Erster  Bürgermeister,  Profes- 
sor Herbert  Weichmann,  prostete  seiner 
Frau  mit  einem  Glas  Wasser  zu  —  für  den 
„Bilcl"-Photographen.  Er  lachte  so  fröhlich,  wie 
es  eben  ging.  Auch  seine  erste  Amtshandlung  in 
der  Öffentlichkeit  hatte  mit  Wasser  zu  tun.  Er 
weihte  ein  Wasserwerk  ein.  Hier  also  begann 
der  69jährige  Weichmann  mit  dem,  was  er  selbst 
einen  „Häutungsprozeß"  nennt.  Der  —  von  Amts 
wegen  —  wahrscheinlich  unbeliebteste  Senator, 
Ressort  Finanzen,  soll  sich  zum  populären  Stadt- 
vater häuten. 

Sein  Vorgänger,  Paul  Nevermann,  hat  —  was 
die  Popularität  betrifft  —  das  Fußballidol  Uwe 
Seeler  innerhalb  der  Stadtstaatgrenzen  um  Län- 
gen geschlagen.  Von  Herbert  Weichmann  wußten 
eigentlich  nur  diejenigen  etwas,  bei  denen  sich  der 
Finanzsenator  unbeliebt  gemacht  hatte.  Das  frei- 
lich waren  nicht  wenige.  Einmal  verdarb  cr's  mit 
den  Journalisten,  dann  mit  den  Anwälten,  ein 
anderesmal  mit  den  Sportfreunden  und  schließ- 
lich mit  den  Schrebergärtnern. 

Weichmanns  Leidenschaft  und  Stärke  hat  ihn 
in  der  Hansestadt  eben  nicht  populär  gemacht: 
es  ist  die  Kunst  geschliffener  Rhetorik,  die  Freude 
an  der  Polemik,  eine  bisweilen  beißende  Ironie, 
die  seine  eigene  Person  übrigens  nicht  ausschließt. 
Sein  Amtsvorgänger  bemerkte  eines  Tages  re- 
signierend, als  sich  wieder  einmal  ein  hanseati- 
scher Stand  von  einer  Weichmann-Attacke  ver- 
letzt fühlte:  „Jeder  hat  das  Recht,  sich  soviel 
Ärger  einzubringen,  wie  er  will."  Und  Weich- 
mann erklärte  jetzt  bei  seiner  Amtsübernahme 
den  Journalisten:  „Es  mangelt  mir  wohl  an  der 
persönlichen  Ausstrahlung  eines  Petersen,  Schön- 
felder, Brauer  und  Nevermann,  die  Vertrauen 
einflößt." 

Den  ehemaligen  Glasbläser  Brauer  nannten 
viele  Hamburger  liebevoll  „Max",  der  Arbeiter- 
sohn Nevermann  war  für  sie  „Paul",  der  „Bour- 
geois" und  Intellektuelle,  der  jetzt  an  die  Spitze 
des  Senats  trat,  wird  bei  ihnen  wohl  immer 
„Professor  Weichman"  heißen. 

Mangelt  es  Weichmann  vielleicht  an  der  Fähig- 
keit, Volksgunst  zu  erwerben,  so  hat  er  kaum 
ehr  Geschick  darin  bewiesen,  das  Wohlwollen 
des  Parteiapparates  zu  gewinnen.  In  45  Jahren 
SPD-Mitgliedschaft  hat  er  es  nie  /u  I'unktioiiärs- 
würden  gebracht.  I'.rst  als  die  Genossen  ihn  zum 
Bürgermeister  gemacht  hatten,  erinnerten  sie  sich 
daran,  daß  ihr  erster  Mann  weder  im  Vorstand 
noch  im  Parteirat  Stimme  hat.  Nicht  einmal  dem 
SPD-Bezirk  seines  Wohnviertels  war  es  je  ein- 
gefallen, den  unbequemen  Mann  in  den  Bezirks- 
vorstand zu  wählen. 

Die  Eigenschaften,  die  Herbert  Weichmann 
dennoch  zum  Amt  des  Regierungschefs  in  einem 
Bundesland  qualifizierten,  sind  sein  scharfer  Ir  - 


tellekt,  Fachwissen  und  ein  bedingungsloses  En- 
gagement an  den  demokratisdien  Staat.  Er  meint: 
„Ich  fühle  mich  für  die  Gesellschaft  verantwort- 
lich und  finde,  jeder  sollte  etwas  dazu  tun,  daß 
die  Welt  besser  wird."  Und  wenn  er  das  sagt, 
klingt  es  nicht  phrasenhaft;  man  glaubt  es  ihm. 

Mitverantwortlich  für  den  Aufbau  der  Demo- 
kratie von  Weimar  hat  sich  schon  der  Jura- 
Student  Weichmann  gefühlt.  Als  in  Berlin  Kapp 


Conti 


lleiheil  W  richinanii 

Kein  populärer  Volkstribun 


putschte,  drohte  dem  leidenschaftlichen  Republi- 
kaner wie  vielen  seiner  politisch  engagierten 
Kommilitonen  in  Berlin  die  Verhaftung.  Arbei- 
ter versteckten  ihn.  Als  der  Spuk  des  Staats- 
streichs vorüber  war,  zog  Weichmann,  Sohn  eines 
jüdischen  Ar/.tes  aus  Oberschlesien,  für  sich  die 
Konsequenzen:  Er  trat  in  die  SPD  ein.  Sein  Stu- 
dium verdiente  er  sich  als  Korrespondent  cier 
angesehensten  liberalen  Zeitungen  —  der  „l'rar)<- 
furter"  und  der  „Vossisdien".  j 

Den  Referendar  erschreckte  der  antl-denlo- 
kratische  Geist  in  Verwaltung  und  Justiz.  Mit 
einigen  Gesinnungsgenossen  gründete  er  ein;en 
„Republikanischen  lührerhund"'. 


Der  fertige  Jurist  stand  vor  der  Chance,  im 
preußischen  Staatsdienst  eine  gute  Karriere  zu 
machen.  Aber  er  glaubte,  die  deutsche  Minder- 
heit in  seiner  Heimat,  die  inzwischen  polnisches 
Staatsgebiet  geworden  war,  brauche  ihn  not- 
wendiger. So  wurde  er  Chefredakteur  der  klei- 
nen „Kattowitzer  Zeitung".  1928  holte  ihn  Mi- 
nisterpräsident Otto  Braun  dann  als  Referenten 
ins  preußische  Staatsministerium.  Er  wurde  dann 
schon  nach  kurzer  Zeit  zum  engsten  Mitarbeiter 
Brauns. 

Die  preußische  Regierung  stürzte,  Hitler  über- 
nahm die  Macht.  Und  Weichmann  floh  vor  dro- 
hender Verfolgung  mit  seiner  Frau  ins  Ausland. 
Über  die  Schweiz  und  Frankreich  kam  er  in  die 
Vereinigten  Staaten.  Die  deutsche  Staatsbürger- 
schaft gab  er  nicht  auf  —  wie  so  viele  seiner 
Leidensgenossen.  Er,  den  die  braunen  Unmen- 
schen als  „Untermenschen"  vertrieben  hatten, 
wollte  für  den  Augenblick  bereit  sein,  da  er  noch 
einmal  in  einem  demokratischen  Deutschland 
gebraucht  würde. 

Zunächst  mußte  er  von  vorn  beginnen.  Er 
wurde  Wirtschaftsprüfer  in  Amerika,  ohne  sich 
in  diesem  Beruf  sehr  wohl  zu  fühlen.  Er  war  und 
blieb  halt  der  durch  und  durch  ,, preußische 
Beamte".  „Ich  konnte  einfach  niemandem  raten, 
wie  er  den  Staat  um  Geld  bringt,  obgleidi  ich 
damit  sehr  viel  Geld  hätte  verdienen  können", 
meint  er  heute. 

Als  Brauer  ihn  1948  nach  Hamburg  holte, 
übernahm  er  es,  sich  wieder  um  das  Geld  des 
Staates  zu  kümmern.  Er  wurde  Präsident  des 
Rechnungshofes.  Von  neuen  fühlte  er  sich  lei- 
dcnsdiaftlich  politisdi  engagiert.  Aber  es  zog  ihn 
nicht  „in  die  Politik".  Er  fühlte  sich  als  Beam- 
ter, als  Staatsdiener.  In  die  politische  Funktion 
drängten  ihn  seine  Parteifreunde.  Sie  brauchten 
ihn  als  Chef  der  Finanzbehörde. 

Weichmann  wurde  1957  Senator  und  vier 
Jahre  später  audi  Abgeordneter  der  Hamburger 
Bürgerschaft.  Das  Florett  —  und  manchmal  auch 
der  Degen  —  seiner  Rhetorik  waren  bald  bei 
dem  politisdien  Gegner  gefürc^uet.  Aber  nie 
stand  er  im  Vordergrund  der  politischen  Bühne. 
Schlagzellen  machten  nur  seine  polemischen  Aus- 
fälle, von  seinem  Wirken  als  finanzpolitischer 
l'xperte  der  Länder  in  Bonn,  den  Kontakten,  die 
er  für  den  hanseatischen  Außenhandel  knüptte 
oder  von  seiner  Mitarbeit  an  den  Empfehlungen 
des  Deutschen  Wissenschaftsrates  für  die  Neu- 
gründung von  Universitäten  nahm  die  ötTent- 
lidikeit  kaum  Notiz. 

Neben  seiner  politischen  Tätigkeit  arbeitete 
W^cichmann  wissenschaftlich.  Er  hielt  Vorlesun- 
gen an  der  Hamburger  Universität  und  wurde 


I 


im  vergangenen  Jahr  Honorarprofessor  für 
Finanzrecht.  Mandie  glaubten  bereits,  der  Sena- 
tor werde  sich  mit  Ablauf  der  Legislaturperlode 
ganz  der  Wissenschaft  widmen.  Doch  da  geschah 
es,  daß  man  wieder  einmal  von  ihm  erwartete, 
er  möge  sidi  „zur  Verfügung  stellen". 

Über  der  Hansestadt  hatte  sich  der  Nebel 
einer  „Affäre"  zusammengezogen.  Die  sozialde- 
mokratische Führung,  in  ihren  Bekundungen 
gerade  hierorts  sonst  so  liberal,  orientierte  sich 
an  Normen,  die  sie  für  bürgerlidie  Wohlanstän- 
digkeit hielt.  Paul  Nevermann  mußte  das  Rathaus 
verlassen,  weil  er  sich  von  seiner  Ehefrau  ge- 
trennt hatte.  Sein  Kronprinz  Helmut  Schmidt 
wollte  erst  nach  einer  sozialdemokratischen  Wahl- 
niederlage im  Bund  nach  dem  höchsten  Amt  im 
Stadtstaat  streben.  Der  zweite  Kandidat,  Schul- 
senator Dr.  Drexellus,  war  sidi  —  dem  Verneh- 
men nach  —  zu  schade  als  „Übergangs-Bürger- 
meister". Professor  Weichmann,  der  keinen  Hehl 
gemacht  hatte  aus  seinem  Abscheu  über  die  Be- 
handlung des  „Falles  Nevermann",  sprang  In  die 
Bresche.  So  verhalf  er  seiner  Partei  zum  kaum 
verdienten  „würdigen  Abschluß"  der  Affäre. 

Der  Senat  wählte  einen  Mann  zu  seinem  Prä- 
sidenten, der  die  halbe  Welt  kennt.  Der  Fach- 
mann für  Finanzen  und  Kommunalpolitik  sieht 
seine  Aufgaben  nicht  nur  in  den  Grenzen  der 
Stadt.  Schon  In  der  ersten  Woche  seiner  Amtszeit 
bereitete  er  eine  Reise  vor.  Der  Sdilesier  Weich- 
mann fährt  zur  Posener  Messe,  um  die  traditio- 
nellen Kontakte  der  Hansestadt  zu  den  osteuro- 
päischen Staaten  auszubauen. 

In  Hamburg  schießen  indes  schon  die  Hin- 
weise ins  Kraut,  die  den  neuen  Reglerungschef 
„liebenswert"  machen  sollen.  So  wird  berichtet, 
er  sei  ein  leidenschaftlicher  Koch  und  Gourmet. 
Weichmann  zerstört  derlei  wohlgemeinte  Publi- 
city-Versuche mit  einer  ironischen  Bemerkung: 
„Ja,  Idi  weiß,  wie  lange  Eier  kodien  müssen." 

Wenn  Weichmann  trotz  allem  hoffen  kann,| 
noch  populär  zu  werden  —  auf  eine  andere 
Welse  freilich  als  seine  Vorgänger  —  dann  nicht] 
zuletzt  im  Vertrauen  auf  seine  Ehefrau.  Um  die 
intelligente  und  charmante  First  Lady  Dr.  Els- 
beth  \\'eichmann,  die  selbst  seit  dem  achtzehn- 
ten Lebensjahr  „in  der  Politik  steht",  Mitglied 
der  Bürgerschaft  und  Präsidentin  des  Brüsseler 
EWG-Büros  der  Verbraucherverbände  ist,  wird 
man  Hamburg  beneiden. 

Ist  Professor  Weichmann  eine  Übergangslösung? 
Wenn  einige  der  Bürgermeister-Macher  bei  sei- 
ner Wahl  eine  solche  Vorstellung  hegten,  dann 
werden  sie  vermutlich  von  der  Dickköpfigkcit 
überrasdit  werden,  mit  der  der  hanseatische 
Preuße  wieder  einmal  seiner  Parole  folgt:  „Was 
idi  tue,  tue  ich  ganz." 


/ 


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V 


20.  Liai    1961 


Lieber  Freund   iVeichmann, 

Hedvag  liat   mir  Ih:re   Grue.^i'se  uebcrmittelt  und   dabo! 
habe   ich   n-chtraeglich   arfahrsn^dr^ss   ..ie  Ihren  65.   Ge- 
burtstag  in  Afrika  gefeiert  hafeiert  haben.    3ie   sind 
mehr  als  fuenf  J-ihre   hinter  mir   zurueck,    vas   beneidens- 
wert   ist ; jedenfalls  sende   ich   Ihnen  noine   hersiichcten 
Olueekv-uensch.,.    .^ur   Grund   xhrer    jetzigen   Stellung  h:-  ben 
öie   das     Kap  der  Altersgrenze   slu^cklioh  umschifft, and 
ich  wuenscbo  I::nen^dvss  di  :S  nocii   auf  viele  Jahre  n^naus 
der  Fall  sein  moege. 


Ich  moechte    IlmeL   bei    dieser  Gelegenheit   noch  aebcr 
eine   Angelegenheit    schreiben, die  mich  gegenv/aertig  inter- 
essiert.   Das     IQO-Baacii   Institut   hisr  h-at    mch  aufge- 
ford.,rt,eine  kleine   oonrift   ueber  die  ju^niisciien  Beamten 
in  der   ..eiinarer    -'.eit    zu  veri'aysen^dcr  ^?!\yz  noch   eine 
andere  bchrift    ueber  die    juedisohen  Abgeordneten  folgen 
soll.   Es  komnit  natuoriich  nicht    auf   eine  ITaiiienozusarnnen- 
stellung   an,    sondern  auf  die  Eriruttlung  bestim-ater   so- 
ziologischer Zu3rini.,.enh:..enge   ueber   die  r.olle  und   iaetig- 
keit   der  Juden  im  Rahaien   der   deutschen   Verv^altung   und  ' 
Politik;    d^fupr   ist   aber   selbstverstaendlich   die  Kennt- 
nis   einer   liuelle  von  Personalien  wichti^^. 


Ich  hribe  mir  einen   bcsti  latai    PI  ..n  fuer  die  Arbeit 
gemacht,    rlen  hier  auseinanderzusetzen   zu   tvej  t  fu ehren 
v/uerae.   v.in  Abschnitt  v;uerde  der  Eignung  juedischer  Be- 
amter fuf.r  die  Verbindung:  init    anderen  iintc stellen,    dea 
Pariament   und   der  Oeffentlichkeit   gewianiet    sein,?,obei 
auch   ihre  h-eufige    7eri;rauens^tellunf;  hervorzuheben  vsaere. 
LH  diesem  hapitel  T,aierden  bie    einen  hervorragenden  Platz 
haben.    Otto   Braun  hat    j.:   in  seinen  Erinnerungen  die 
Gruende,'/.es;vegen   er  Sie  herangezogen  hat, und    Ihre   beson- 
dere  iLignunf:   fuer  den  Posten   cargestellt. 

Vielleicht   koennen  Sie  mir  no  h    mit  einigen   bio- 
graphischen Daten  u   ber   sich  unter  die  Arme  greifen. 
Ich  1/^eiss  nicht  mehr    das  Jahr   in  de.    Sie   in   d  s  '  taats- 
ministerium  gekom'^ien  sind,    ich  glaube    es  v;ar  das  Jahr 
1926  oder  1^j27.   Sie   sind  dann  meiner  Erinnerung  n-ich 
unmi::telbar  nach   dem  20.   Juli   1^52  an   weiterer" /\iats- 
taetigkeit   gehindert   worden  und  1933  im  /,uge   der  Mat.soz. 
Bea-nteng^^  -etzgebung   ausgeschieJen. 


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^     A-^r   -' r    der  p/'eu33isclien 
Ueber   hündische  Bea.^t.^die.n   .  ^^    .^  aligemeinen 

Zentralregie ruuetuetti^ar^-.,,  i,  li^^^^^en^-' 
unterrichtet.   AnUsemix  ^.^^  ^^^^  ^  ^  ^f^T^^ 

•M  o-r     erer  Beamte   im  l^^V^'^'ft  yn^ä'-enhang  mit  dem 
•u^/1-t-      nud)    Ref^eXi  tili  .i^n-»-^--*^      ,  ~T.r'o   '  ch  m'j:  se^-uer   ^(.-1-^  = 
^^^^^'''uM  V^rdle^'i-aensetmng  .er  Pres.estel^ 

im  Staatsiainif-  teriuu.. 

ao-veit  oie  sixr  '^'^^,:  J^.Qemten,    '.■■aere   ich   Innen 

Äb<  i"    Dl^^  ■^^i-«i'^^'-^^^^?='^'-:;:vf  sine   hier   im  .eaentlichen 

^,^^-r  rden.    auch    die  -'«^^''•;,r+';>  Pr^un   sind  und  auch  wohl 
voii-^naeu,    ,     .^   .    n„  yon  Otto  brc^un   oinu  „.,  ^^c^piatos 

besitz  ci-s  ■■'^^■'fl^t.tX^.vv'^l'^Ti.orAe  des  ■'^■."^,"^ -r^^^t 
Durchschl^-ere  'i^;^^-'^,^fSf fauch  hieraus  viellelcnt 

äp!  -^   Sf-ten  ':n  chcn  ,  soviel  t  s.c^t.^..^^^^^^^^3_^,^^ 
bindun     stehen,  und   ^oveit  sie   sx  u- 


ei;;rier 


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Ichnoile?    a-<sö   -o  ,.  ^^^,«,  y.  elter  n  rvoii-v~^ 

una  b.U.  3l«-r  d.ss  ^IJ  ^-^-tSSSo  .ra.sse,  aacn  von 

meiner  Frau 

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friday,  June   11,   1965 


AUFBAU 


&IMB^^ 


\ 


Die  brennendste  Frage 

Warum  mehr  Truppen  nach  Vietnam 

Von  Heinz  Pol 

Die  amerikanische  Aussenpolitik  befindet  sich  in  einer  Krise, 
und  Präsident  Johnson,  der  die  Aiisseni>olitik  in  höchster  Instanz 
entscheidet  und  für  sie  die  Verantwortung:  tragt,  ist  das  Objekl 
einer  Vertrauenskrise  von  einem  Ausmass.  wie  man  sie  »n  aer 
modernen  Geschichte  der  USA  kaum  erlebt  hat  Das  sind  starke 
Worte,  aber  sie  sind  einer  Situation  gemäss,  in  der  nicht  nur  für 
Amerika,  sondern  für  die  ganze  Welt  ein  Mangel  an  Offenheit  und 
Klarheit  zu  höchst  gefährlichen  Resultaten  fuhren  konnte. 

Der  Krieg  in  Vietnam  wird  in 
Europa  noch  immer  in  der 
Hauptsache  als  eine  Angelegen- 
heit angesehen,  die  nur  die  USA 
angeht.  Als  ein  hedauernswerter 
lokaler  Konflikt,  der  glückliolier- 
weise  sehr  weit  entfernt  von  all 
den  anderen  Krisen  liegt,  die  die 
übrige  Welt  beschäftigt.  Aber 
diese  Auffassuntg  ist  durch  die 
Ereignisse  längst  ad  absurdum 
geführt.  Der  Vietnam-Krieg  ist 
schon  längst  keine  lokale  Ange- 
legenheit mehr.  Er  ist  zju  einem 
Problem  geworden,  dessen  Fol- 
gen allein  deshalb  unübensehbar 
sind,  weil  es  mittlei-weile  ganz 
andere  Dimensionen  angenom- 
men hat. 


Die  Frage  erhebt  sich  —  und 
sie  wird  seit  einigen  Wochen 
in  verantwortlichen  amerikani- 
soiien  Kreisen  offen  genug  dis- 
kutiert!! —  oib  der  Vietnam- 
Konflikt,  falls  er  sich  in  dersel- 
ben Richtung  weiter  entwickelt 
wie  bisher,  zum  Dritten  Welt- 
krieg führen  könne.  Allein  die 
Fragestellung  enthüllt,  wie  ernst 
die  Situation  geworden  ist.  Es 
ist  möglich,  ja  wahrscheinlich, 
daÄS  man  hie  und  da  in  Paris, 
London  oder  Bonn,  ähnlich  bange 
Fragen  stellt.  Aber  die  Sorge  um 
die  Entwicklung  in  Südostasien. 
die  Tag  zju  Tag  explosiver  wird, 
bleibt  doch  woihl  auif  sehr  enge 
Kreise  beschränkt.  Man  beschäf- 
tigt sich  mit  überliegenden  Prob- 
lemen an  denen  Europa  ja  kei- 
nen Mangel  hat.    Aber  alle  Zu- 

ropa.  über  eine  neue  NATO 
oder  über  ein  wiedervereinigtes 
Deutschland  können  von  dem 
Feuerregen  eines  Krieges  ver- 
nichtet werden,  der  von  Südosft- 
asien  au«  wie  ein  Krebsgeschwür 
den  Erdball  überwuchert. 

Man  spricht  davon — und  glaubt 
damit  sdhon  den  Höhepunkt 
einer  pessimistischen  Beurtei- 
Kuiig  erreicht  zu  haben  —  dass 
der  Vietnam^Konflikt  in  eine 
Art  Korea-Krieg  sich  ausweiten 
könne.  In  der  Tat  sind  die  er- 
sten australischen  Kontingente 
in  Saigon  eingetroffen,  um  mit 
den  Marinetruppen  der  USA  die 
Vietkong  in  Schach   zu  halten. 


June  1965 


Truppenkontingente  aus  Süd- 
Korea  sind  angekündigt,  und  der 
unermüdliche  Chiang-Kai-Shek, 
der  noch  immer  auf  seine  Stunde 
hofft,  hat  seine  militärisch  nicht 
zu  unterschätzende  Formosa- 
Armee  angeboten.  Aber  der  Ver- 
gleich mit  Korea  hinkt,  denn  da- 
mals waren  nur  die  USA  (zusam- 
men mit  Kontingenten  der  freien 
Welt»  und  ein  noch  in  den  Kin- 
derschuhen steckendes  China  in 
den  Konflikt  hineingezogen  wor- 
den, während  Moskau  beiseite 
stand.  Diesmal  aber  steht  die 
Sowjetunion  ganz  und  garnicht 
abseits. 

Diplomatisch    und    militärisch 
konzentrieren  sich  die  drei  Welt- 
mächte in  immer  stärkerem  und 
gefährlicherem.    Mass    auf    den 
Vietnam -Schauplatz.  Wenn  diese 
Konzentrierung  nicht  in  verhält- 
nismäjssig    kurzer   Zeit,    nämlich 
vor   Erreichung   des  sogeannten 
"ipoint  of   no   return"   zu   einer 
friedlichen  Lösung  führt,  so  muss 
sie      unvermeidlioherweise      zu- 
nächst alle  unmittelbar  Beteilig- 
ten und  dann  die  ganze  Welt  in 
die    dritte    und    voraussichtlich 
letzte  Katastrophe  hineinreissen. 
Angesichts    dieser   Perspektive 
ist    es    nur    allzu    verständlich, 
da^  in  den  Vereinigten  Staaten 
Unruhe.   Verwirrung   und   Oppo- 
sition   Im    Wachsen    sind.     Die 
USA  befindet  sich  in  einem  offe- 
nen und  blutigen  Krieg  mit  Nord- 
Vietnam.    Täglicih   werden   neue 
Truppenkontingente.    Flugeeuge, 
Ji:ricgr«chiffe.  Boxrj'ber    un<^   .«on- 
stigea   Kriegsmaterial    iüber   den 
Pazifischen  Ozean  gesandt.  Wäh- 
rend  der   18  Monate   der   Präsi- 

( Fortsetzung:  auf  Seite  4) 


r.  ' 


DER  "AUFBAU  "  BEGINNT  AM  25.  JUNI  MIT  DEM  ABDRUCK  DES  BUCHES: 

Geschichte  einer  Familie  und 

ihrer  Warenhäuser  j ,    ^ 

Hermann  Tietz  ^^ 

ein   Name,   aus  dem   später  "HERTIE"  wurde. 

Der  Autor.  Sohn  des  genialen  Geschäftsmannes  Oscar  Tietz,  begann  1941  nach  seiner 
Ankunft  in  den  Vereinigten  Staaten  mit  der  Aufzeichnung  dieser  Erinnerung,  die  er  bei  sei- 
nem Tode  im  Jahre  1953  unvollendet  hinterliess.  —  Georg  Tietz  sieht  das  Deutschland  vor  dem 
ersten  Weltkrieg,  die  Revolution  und  die  Republik  mit  den  Augen  eines  klug  beobachtenden 
Zeitgenossen.  Ereignisse,  Menschen  und  Dinge  werden  von  ihm  farbig  und  spannend  geschil- 
dert. Georg  Tietz  weiss  jedem  seiner  Kapitel    die  ihm  gemässe   Atmosphäre  zu   geben. 

Eine  Fortsetzungsserie,  die  zu  lesen 

sich  lohnen  wird 


Hamburgs  neuer 


Bürgermeister 

Dr.  Herbert  Weichmanii   - 


Wer  hat  Hausenstein-Material? 

Frau  Margot  Hiau®enß»tein  und 
Frau  Renee-Marie  Parry,  die 
Witwe  und  die  Tochter  von  Pro- 
fessor Wilhelm  Hausenstein,  bit- 
ten u>m  die  zeitweilige  Ueberlas- 
9ung  von  Photographien.  Brie- 
fen und  Karten  sowie  Zeätungs- 
aufsätzen  von  umd  über  Wilhelm 
Hausenstein  an  folgende  Adres- 
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le  Freie-  und  Hansestadt 
Hamburg  hat  einen  neuen  Bür- 
germeister. Prof.  Dr.  Hei-bert 
Weichmann,  bisher  Finanzsena- 
tcir  Hamburgs.  Vorsitzender  des 
Finanzausschusses  des  Bundes- 
rates u-nd  prominentes  Mitglied 
des  Wissenschaftsrates. 

Diese  Wahl  Weichmanns  hat 
eine  weltweite  politische  Bedeu- 
tung. Weichmann,  der  Erste 
Bürgermeister  der  grössten  Ha- 
fenstadt und  der  zweitgrössten 
Stadt  der  Bundesrepublilc.  ist 
kein  Hamburger,  wie  dies  sonst 
Tradition  in  der  Hansestadt  ist, 
sondern  ein  "Preusse"  aus  Ober- 
schlesien, 69  Jahre  alt,  ehemals 
persönlicher  Mitarbeiter  des  so- 
zialistischen preussischen  Mini- 
sterpräsidenien  Dr.  Otto  Braun 
im  Preussischen  Staatsministe- 
rium, ein  politisch  und  rassisch 
Verfolgter,  ein  Maim.  der  wäh- 
rend der  B^nig-ratloY  in  den  USA 
Finan/iWissenschaft  studierte,  in 
jüdischen  Organisationen  wie 
dem  "New  World  Club'"  tätig 
war,  bis  er  vor  ca.  15  Jahren 
von  Max  Brauer,  dem  ebenfalls 


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von  USA  nach  Deutschland  zu- 
rückgekehrten Ersten  Bürger- 
meiste:'  von  Hamburg  dorthin 
berufen  wurde. 

Weichmann  ist  einer  der  ge- 
scheitesten und  tüchtigsten  Ver- 
waltupgs-  und  Finanzbeamten, 
eine  allgemein  hoch  anerkannte 
und  geschätzte  Persönlichkeit, 
ein  Weltmann  und  kein  Lokal- 
poliiiker.  Diese  Eigenschaften 
waren  auch  der  Grund,  warum 
Weichmann  von  der  SPD  zum 
Nachfolger  des  aus  persönlichen 
Gründen  zurückgetretenen  Bür- 
germeisters Dr.  Paul  Nevermann 
vorgeschlagen  wurde.  Die  Amts- 
zeit läuft  bis  zur  Neuwahl  des 
Hamburger  Parlaments  im  März 
1966. 

Weichmann.  Aratsohn.  ist  ver 
heiratet:  seine  Frau  ist  Mitglied 
der  Hamburger  Bürgerschaft 
und  pflegt  wichtige  deutsch- 
em ^M'ikqnlsrh,«  Be7iphn»""?^*n,  IVr 
neue  Bürgermeister  ist  nicht  nur 
als  Beamter,  Finanzmann  und 
Jurist     hervorgetreten,    sondern 


war  er  vor  1&33  Mitarbeiter  der 
Vossischen  Zeitung,  ehe  er  beim 
preussischen  Ministerpräsiden- 
ten tätig  war.  Von  dienstlichen 
Reisen  nach  Israel  und  USA  ver- 
öffentlichte er  interessante  und 
sachliche  Berichte.  Neben  der 
SPD.  die  Weichmann  zur  Wahl 
vorschlug,  haben  auch  die  Freien 
Demokraten,  die  Koalitionspart- 
ner sind,  seine  Ernennuiig  b**- 
grüsst.  Hamburg  kann  sich  zu 
dieser  Wahl  beglückwünschen. 
Sie  ist  e:-n  Symbol. 

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CUl  li 


Vv^as  ist  ios  mit  Klose? 

Die  einen  vertreten  die  Auffassun^j,  nun  sei  er  völlig 
übergeschnappt.  Die  anderen  jubeln  und  sind  sich 
jetzt  sicher,  daß  sie  ihn  nanz  und  ^^ar  auf  ihre  Seite  gezo- 
gen hatten.  Der  ßundeskan/Jor  schließlich  fühlt  sich 
nach  dern  Streit  um  den  Radikalenerlaß  und  dem  Inter- 
view in  „  konkret'*  in  seinem  kritischen  Urteil  über 
Hans-Ulrich  Klose  voll  und  ganz  bestätigt. 

In  der  Tat  muß  man  sich  jet:!t  ernsthaft  frac^en,  was 
oder  wer  den  Hamburger  Bürgermeister  da/.u  treibt, 
sich  in  einer  unaufhörlichen  Abfolge  von  öffentlichen 
Äußerungen  nach  links  zu  profilieren  und  ganz  bewußt 
die  Konfrontation  mit  dem  konservativen  Flügel  der 
SPD  und  vor  allem  mit  Helmut  Schmidt  zu  suchen.  Hat 
ihn  nach  dem  großen  Wahlsieg  im  Frühsommer  ein  poh- 
tisclicr  Höhenrausch  befallen?  Sieht  sich  Klose  schon 
als  Nachfolger  für  höchste  Ämter?  Kommt  jetzt  plötzlich 
seine  wahre  Natur  zutage,  die  er  lange  Zeit  getarnt  hat? 
Oder  was  sonst? 

Auf  jeden  Fall  hat  Hans-Ulrich  Klose  Anspruch  auf 
.  den  Versuch  eines  gerechten  Urteils.  So  könnte  es 
durchaus  sein,  daß  er  meinr,  gerade  gegenüber  der  jun- 
gen Generation  ein  Beispiel  politischer  Ehrlichkeit  ge- 
ben zu  sollen,  daß  er  sich  deshalb  entschlossen  hat,  mit 
den  Mitteln  des  Freimuts  und  der  Vernunft  heiße  Eisen 
anzupacken.  Seine  Bemühungen,  neue  Antworten  auf 
alte  Fragestellungen  zu  finden,  sind  zu  begrüßen.  Und 
wir  glauben  auch,  daß  Kloses  gegenwartige  Strategie 
kein  opportunistischer  Trick  ist. 

Doch  müßte  der  Bür<>errneister,  dem  es  an  Intelligenz 
nicht  mangelt,  langsam  einsehen,  daß  jedes  Ding  mehr 
Seiten  hal.als  die,  von  dLaen  er  spricht.  Zwar  ist  es  rich- 
tig, gegen  den  Radikalenerlaß  in  seiner  gegenwärtigen 
Form  und  li^^vlbabung  zu  sein.  Aber  man  muß  dann 
auch  den  Mut  zu  der  Feststeilung  haben,  daß  solche  po- 
litischen SchUigertypcn,  wie  sie  dieser  Tage  bei  den  Kra- 
wallen in  Frankfurt  auch  aus  den  Hansestädten  kom- 
mend und  durch  Bafög-Gelder  alimentiert,  gewß  nicht 
in  den  öffentlichen  Dienst  gehören.  Und  der  Bürgermei- 
ster müßte  uns  auch  sagen  können,  wie  er  diesen  Leuten 
den  Zugang  sperren  v/ill 


I 


"^ 


^TTas  unsere  Wirtschaftsordnung  angeht,  so  ist  es  ge- 
VVwiß  keine  Offenbarung,  sondern  eine  Binsenweis- 
heit, daß  wir  bereits  in  einer  Art  gelenkter  Marktwirt- 
schaft leben.  Die  SPD  und  die  Gewerkschaften  minde- 
stens haben  dies  immer  gewollt.  Denn  ein  solches  Kon- 
zept entspricht  durchaus  den  Anfordenmgen  unserer 
Zeit.  Aber  Klose  m^^cht  dei^  Fehler,  daß  er  den  Eindruck 
erweckt,  als  wolle  er  die  Marktwirtschaft  am  liebsten  ab- 
schaffen imd  uns  mit  der  Wirtschaftsordnung  der  DDR 

beglücken. 

Natürlich  ist  es  erfrischend,  wenn  ein  Politiker  wie 
Klose  Tabus  zu  brechen  sucht.  Aber  er  muß  aufpassen, 
daß  er  nicht  zu  einem  Außenseiter  v/ird,  \w'ni  es  Jochen 
Steffen  bedauerlicherweise  nach  langen  Jahren  aufrei- 
benden Kampfes  geworden  war.  Donn  auf  die  Dauer 
wirken  solche  Vor:-löße  nicht  belebend,  sondern  unse- 
riös. Conrad  Ahlers 


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Donnerstag,  26.  September  1968 


Rote  Macht-Expansion 


Weichmann  warnt  vor  Fehleinschätzung  der  Lage 

Eigener  Bericht 

Hamburg,  26.  September 

In  seiner  gewichtigen  politischen  Rede  anläßlich  des  Antrittsbesuchs 
von  US-Botschafter  Cabot  Lodge  warnte  Bürgermeister  Weichmann 
nachdrücklich  vor  Sorglosigkeit,  vor  einer  Fehleinschätzung  der  Lage 
nach  dem  Sowjet-Überfall  auf  die  Tschechoslowakei.  Fast  beschwörend 
erinnerte  er  an  die  Lehren  der  Vergangenheit. 


„Heute  vor  fünf  Wochen  haben  die 
politischen  Aspekte  Europas  und  der 
Welt  eine  erschreckende  Wandlung  er- 
fahren", sagte  er,  „eine  Wandlung  zu- 
rück zu  den  Methoden  der  Gewalt  und 
der  Verachtung  menschlicher  Werte,  wie 
sie  vor  30  Jahren  schließlich  zum  Aus- 
bruch des  Weltkrieges  geführt  haben. 
Ich  erinnere  mich,  daß  ich  vor  30  Jahren 
in  einem  Aufsatz  auf  die  innere  Affi- 
nität des  Regimes  in  Berlin  und  in  Mos- 
kau hingewiesen  und  vor  Illusionen 
über  beide  gewarnt  habe.  Die  natio- 
nalsozialistischen Machthaber  gehören 
jetzt  der  Geschichte  an;  aber  der  rote 
Faschismus  ist  geblieben  und  droht  neue 
tragische  Entwicklungen  an. 

„Der  Ermordete  hat  schuld  . .  /' 

Die  Ereignisse  des  21.  August  haben 
die  verantwortlichen  Politiker  dieses 
Landes  und  die  Masse  unserer  Bürger 
besonders  aufgeschreckt  und  aufge- 
wühlt. Die  Menschen  in  der  Bundesrepu- 
blik, in  Hamburg  stellen  Fragen  an  die 
Regierenden  hierzulande,  in  den  verbün- 
deten Staaten  und  vor  allem  in  Ihrem 
Lande,  in  den  USA.  Es  sind  Fragen,  in 
denen  sich  Sorge  und,  wer  wollte  das 
leugnen,  auch  Zweifel  widerspiegeln.  Ich 
selbst,  ein  gebranntes  Kind  und  Zeitge- 
nosse ähnlicher  Vorgänge  vor  30,  ja  35 
Jahren,  frage  mich  —  ich  gestehe  es  offen 
— ,  ob  die  Welt  sich  erneut  auf  den  Weg 
begibt,  sich  aus  der  unbequemen  Wirk- 
lichkeit in  den  Wahn,  in  die  Illusion  ret- 
ten zu  wollen  und  damit  einer  erneuten 
Katastrophe  den  Weg  zu  ebnen  .  .  . 

.  .  .  damals  vor  35  Jahren  fiel  unser 
Nachbarland  Frankreich  durch  die 
Schuld  der  Machthaber  des  Dritten  Rei- 
ches, aber  auch  durch  eigene  Verken- 
nung der  machtpolitischen  Mentalität 
der  Gewalt  zum  Opfer.  Wir  fürchten, 
daß  die  gleiche  Mentalität  mit  der  glei- 
chen ihr  immanenten  Gefahr  der  Ge- 
waltanwendung offenbar  wieder  ver- 
kannt wird  .  .  . 

Der   rubtalen   Invasion   in   die  CSSR 

ist  eine  Brutale  der  Verbalpolemik  ge- 
folgt, die  nicht  den  Mördern,  sondern 
den  Ermordeten  zum  Schuldigen  stem- 
pelt und  uns  sogar  jener  gewalttätigen 


Absiditen  verdächtigt,  die  aus  heiterem 
Himmel  von  den  Machthabern  im 
Kreml  ihrerseits,  und  nur  ihrerseits  als 
ein  Mittel  der  Politik  mitten  im  Frie- 
den demonstriert  wurden.  Es  erhellt 
daraus:  Es  kann  der  Frömmste  nicht  im 
Frieden  leben,  wenn  es  dem  bösen  Nach- 
barn nicht  gefällt  .  .  ." 

Nach  einem  Bekenntnis  zum  unver- 
brüchlichen Bund  mit  den  USA,  zur  euro- 
päischen Einigung  und  zur  Auf  rechterhal- 
tung  einer  angemessenen  Verteidigungs- 
stärke „auch  unter  Opfern"  erklärte  der 
Bürgermeister: 

„Wir  wünsditen  nichts  sehnsüditiger  als 
Frieden,  wir  wollen  eine  Fortsetzung  der 
Friedenspolitik,  aber  die  Faktoren, 
welche  den  machtpolitischen  Expansio- 
nismus in  Sdiach  halten,  müssen  neu 
überdacht  werden  —  hüben  und  drüben 
des  Atlantiks." 

Wir  müssen  nachdenken,  wie  es  mit 
dem  überaus  komplexen  Problem  des 
Atomsperrvertrages  in  einem  Au- 
genblick weitergehen  soll,  in  dem  eine 
Weltmacht  die  Prinzipien  der  Rechtstreue 
so  mißachtet  hat.  Dabei  handelt  es  sich 
nicht  nur  um  den  Atomsperrvertrag. 
Wir  stehen  wiederum,  ganz  ähnlich  wie 
im  Dritten  Reich,  vor  der  Tatsache,  daß 
in  den  Vertragstexten  oder  sonstigen 
Dokumenten  zwar  die  Worte  oder  Be- 
griffe von  den  Vertragsstaaten  gemein- 
sam formuliert  wurden,  daß  aber  eben 
diesen  Worten  und  Be^-iriffen  die  eine 
Seite  jeweils  einen  anderen  Sinn  bei- 
mißt oder  in  späterer  Zeit  eine  Sinn- 
umkehrung  vornimmt,  die  sie  als  Ver- 
tragsrecht interpretiert  und  zur  Grund- 
lage ihrer  Handlungen  macht.  Am  Ende 
steht  dann  nicht  das  Recht,  sondern  die 
Macht  als  entscheidender  Faktor. 

Das  Gesetz  der  Macht 

Wir  müssen  auch  voller  Sorge  die 
Konsequenzen  überlegen,  wenn  nur  ein 
Land  in  Europa,  wenn  nur  die  Bundes- 
republik, auf  die  sich  ohnehin  das 
Trommelfeuer  einer  nicht  immer  durch- 
schauten Ansdiwärzung  als  Aggressor 
richtet,  als  einziges  Land  in  Europa  dem 
Ruf   nach    Stärkung   der   NATO   folgen 


SamtiutictiftbcntHülatt    i_ 


Nr.  225  -  Seite  15 


Bürgermeister  Weichmann 

würde.  Ich  begrüße  darum  die  jünissten 
Beschlüsse  der  niederländisdien  Regie- 
rung. 

Mit  dem  Blick  auf  den  morgigen  Be- 
such Präsident  de  Gaulies  in  Bonn 
nahm  der  Bürgermeister  auch  Stellung 
zu  der  klemmenden  EWG-Politik:  „Es 
ist  keine  Frage,  daß  die  großartige 
S'taatspolitische  Idee  der  europäischeu 
Zusammenarbeit  in  letzter  Zeit  viel  vou 
ihrer  Schwungkraft  verloren  hat,  und 
es  mehren  sich  Stimmen,  die  kritisch 
fragen,  ob  es  überhaupt  noch  Sinn  habe^ 
den  Prinzipien  der  Verträge  von  Rom 
zu  folgen,  wenn  die  Wirkung  dieser  Ver- 
träge auf  den  wirtschaftlichen  Bereich 
beschränkt  bleibt,  wenn  der  eigentliche 
Kern  der  europäischen  Idee  —  die  wirt-. 
schaftliche  Integration  als  Vorstufe  zum 
politischen  Zusammenschluß  —  bis 
zur  Unkenntlichkeit  verwässert  wird, 
und  wenn  ein  Land  weiterhin  hart- 
näckig anderen  europäischen  Nationen 
den  Zugang  zur  EWG  verwehrt. 

Wir  glauben  aber,  daß  diese  Idee  nicht 
im  Lichte  zeitgebundener  Umstände  und 
Persönlichkeiten  betrachtet  werden  soll- 
te. Wir  hoffen  und  wünschen,  daß  Ge- 
duld und  der  feste  Wille,  die  Ansätze 
für  das  Gedeihen  einer  europäischen 
Gemeinschaft  zu  fördern,  auf  die  Dauer 
über  gegenwärtige  Schwierigkeiten  hin- 
weghelfen. Ihr  Land  kann  dazu  einen 
Beitrag  liefern,  indem  es  jene  ermutigt, 
die  von  einer  Rückkehr  zu  betont  natio- 
naler Betrachtungsweise  der  europäi.-i 
sehen  Probleme  nicht  viel  haiten. 


Der  „Dritte  Mann 

George  C.  WaUace,  Amerikas  großes  Unbehagen 


Von  unserem  Redaktionsmitglied  Hans-Jürgen  Müller 

Hamburg,  26.  September 

Das  Unbehagen  Amerikas  ist  1,70  Meter  groß.  George  C.  Wallace 
heißt  dieser  untersetzte  49jährige  Mann,  den  die  „New  York  Times"  als 
„Abenteurer"  und  „Krankheit"  bezeichnet.  Diese  Verurteilung  ist  von 
Sorge  diktiert,  denn  der  „Dritte  Mann"  des  amerikanischen  Wahlkamp- 
fes hat  mit  seiner  rattenfängerhaften  Demagogie  eine  Popularität  er- 
reicht, die  ihm  bei  den  Präsidentschaftswahlen  im  November  unter 
Umständen  20  Prozent  der  Stimmen  einbringen  könnte.  So  sehen  es  je- 
denfalls die  gegenwärtigen  Meinungsumfragen. 


Landauf,  landab  reist  der  drahtige 
Ex-Boxer  mit  dem  bulligen  Gesicht  und 
sät  den  Rassenhaß  unter  Amerikas 
Kleinbürgertum.  Blütenweiß  sind  seine 
Wahlversammlungen,  auf  denen  er  über 
die  „Anarchisten,  Kommunisten,  Eier- 
köpfe,  Abenteurer,  Feiglinge  und  Ver- 
räter" in  Washington  herzieht.  Hier 
empfiehlt  er  sein  Rezept  für  die  Behand- 
lungen von  farbigen  Demonstranten 
(„Einfach  erschießen.  Mitten  in  den 
Kopf.  Bumm!"),  dort  der  Ruf  nach  poli- 
zeistaatlich aufrechterhaltener  Ruhe 
und  Ordnung  („Laßt  die  Polizei  ein  oder 
zwei  Jahre  lang  das  Land  regieren,  dann 
gibt  es  keine  Unruhen  mehr."). 

Der  Zulauf  für  den  radikalen  Tromm- 
ler ist  enorm.  Seine  Versammlungen 
sind  überfüllt.  Seine  Zuhörer  lieben  die 
Vereinfachungen  und  Halbwahrheiten, 
auf  denen  sein  Paradies  der  weißen 
Rasse  aufgebaut  ist.  Der  Vietnam-Krieg 
ist  Sache  der  Generäle  —  wie  einleuch- 
tend klingt  das.  Kein  Geld  für  die  täg- 
liche Busfahrt  der  Negerkinder  in  bes- 
sere aber  weiter  entfernte  Schulen.  Da 
hören  seine  Anhänger  förmlich  schon 
die  so  gesparten  Summen  in  der  eigenen 
Kasse  klingeln. 

Seine  Vormarschkui-ve  steigt  täglich. 
Schon  hat  Wallace  in  32  der  50  Bundes- 
staaten die  Sperrklauseln  übersprungen, 
die  der  Zulassung  einer  dritten  Partei 
im  Wege  standen.  Im  tief  reaktionären 
Süden  ist  ihm  die  Stimmenmehrheit  von 
mindestens  fünf  Staaten  sicher  (Alaba- 
ma, Mississippi,  Louisiana,  Nord-  und 
Südcarolina). 

Vielleicht  ist  diese  Flucht  in  den  Ra- 
dikalismus das  deutlichste  Indiz  dafür, 
wie  schwer  das  Gefüge  der  amerikani- 
schen Demokratie  durch  die  Gewalt- 
taten an  Dr.  Martin  Luther  King  und 
Robert  Kennedy  erschüttert  wurde.  Ord- 
nungssehnsucht und  der  „white  back- 
lash".  der  weiße  Rückschlag,  als  Ant- 
wort' auf  die  Rassenkrawalle,  haben 
jetzt  die  gefährliche  Strömung  erzeugt, 
auf  der  Wallace  geschickt  naviigiert. 

Wallace,  der  kleine  Mann,  der  ganz 
groß  werden  will,  ist  das  typische  Kind 
des  Südens.  Er  selbst  bezeichnet  sich  als 
„professioneller  Südstaatler".  Sein 
Großvater  war  ein  Landarzt,  seine  El- 
tern Farmersleute  in  Alabama,  der 
Hochburg  des  Rassenfanatismus,  die 
nicht  leben  und  nicht  sterben  konnten. 


In  diesen  Kreisen  hat  man  schon  immer 
die  Schuld  an  der  wirtschaftlichen  Mi- 
sere des  Südens  der  Sklavenbefreiung 
durch  den  Norden  zugeschoben. 

In  dieser  Atmosphäre  wuchs  George 
Wallace  auf.  Er  war  hart  im  Nehmen 
und  hart  im  Geben.  Zweimal  errang  er 
die  höchste  Trophäe  des  amerikanischen 
Jugendboxens  im  Bantamgewicht,  den 
goldenen  Handschuh.  1937  bezog  er  die 
juristische  Fakultät  der  Universität  von 
Alabama. 

Im  diesem  Jahr,  1937,  starb  jedoch 
sein  Vater,  und  er  mußte  sein  Studium 
als  Kellner,  Taxichauffeur,  Berufsboxer 
und  Tellerwäscher  verdienen.  Zu  dieser 
Zeit  deutete  noch  nichts  darauf  hin.  daß 
sein  Ehrgeiz  einmal  politische  Bahnen 
einschlagen  würde. 

1946  wurde  er  dann  stellvertretender 
Staatsanwalt  in  Alabama.  Zwangsläufig 
mußte  ihn  dieser  Posten  bei  dem  in 
Amerika  gültigen  System  der  Ämter- 
patronage  der  Politik  näherbringen. 
Seine  Redegewandtheit  tat  ein  übriges. 
Gestützt  auf  die  Kräfte,  die  mit  äußer- 
ster Entschlossenheit  die  Rassenintegra- 
tion bekämpften,  avancierte  er  1953  zum 
Richter  des  dritten  Bezirks  von  Alaba- 
ma. 

Makabre  Konsequenz 

1958  versuchte  er,  Gouverneur  zu 
werden.  Aber  dieser  erste  Anlauf  miß- 
lang. Er  mußte  sich  einem  noch  größeren 
Rassenfanatiker  beugen.  Wallace  zog 
für  sich  eine  makabre  Konsequenz:  „Das 
war  das  letzte  Mal,  daß  man  mich  aus- 
geniggert  hat." 

1962  wurde  er  dann  wirklich  Gouver- 
neur von  Alabama.  Schnell  war  er  in 
ganz  Amerika  bekannt  als  die  zentrale 
Figur  des  Rassenstreits  in  seinem  Staat. 
Er  wurde  der  Mann  aller  jener  finsteren 
Kräfte,  die  für  eine  uneingeschränkte 
Vorherrschaft  der  Weißen  in  Amerika 
kämpfen. 

Er  klammerte  sich  an  die  Macht,  mit 
allen  möglichen  Tricks  und  Mitteln.  Als 
die  Verfassung  ihm  eine  Wiederwahl 
verbot,  ließ  er  seine  Frau  zur  Gouver- 
neurin wählen.  Sie  stellte  ihn  für  1 
Dollar  Gehalt  als  „Berater"  ein.  Dafür 
regierte  er  weiter  das  Land.  In  diesem 
Jahr  starb  Lurleen  Wallaoe  an  Krebs. 


Dieser  Mann  wird  sicher  nicht  genug 

Stimmen  bekommen,  um  Präsident  der 
Vereinigten  Staaten  zu  werden.  Aber  die 
Ereignisse  dieses  Jahres  und  die  damit 
zusammenhängende  Stimmung  im  Lan- 
de spielen  ihm  eine  fatal  wichtige  Rolle 
zu:  Er  könnte  das  Zünglein  an  der 
Waage  werden,  wenn  die  beiden  Kan- 
didaten der  großen  Parteien,  Nixon  und 
Humphrey,  nicht  die  für  die  Präsiden- 
tenwahl nötigen  270  Stimmen  im  Wahl- 
männerkollegium erreichen. 

Verkauf  an  den  Meistbietenden 

Der  ehrgeizige  Demagoge  aus  Alaba- 
ma macht  keinen  Hehl  daraus,  daß  er 
mit  dieser  Möglichkeit  rechnet.  Er  wolle 
sich  dann  an  den  Präsidentschaftskan- 
didaten verkaufen,  der  ihm  die  meisten 


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politischen  Zugeständnisse  macht.  Für 
die  Demokratie  in  Amerika  wäre  ein 
solcher  Vorgang  eine  Katastrophe.  Dem 
antiquierten  System  der  indirekten 
Präsidentenwahl  durch  ein  Wahlmän- 
nerkollegium würde  diese  Versteige- 
rung von  Stimmen  allerdings  den  Gar- 
aus machen. 

So  bildet  Wallace  für  die  amerikani- 
sche Demokratie  eine  echte  Gefahr.  Ge- 
rade, weil  er  dem  führenden  Nixon 
mehr  Stimmen  fortnimmt  als  dem  De- 
mokraten Humphrey,  wird  die  Mög- 
lichkeit eines  toten  Rennens  größer. 
Dann  würde  ein  Erzreaktionär  zum 
Königsmacher. 


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DIE  ZEIT  —  Nr.  34  —  25.  August  1972 


KoAtroverse  um  den  Papen-Putsch 


I 

4 


Als  Preußen  ohne  Schwertstreich  fiel 

Erinnerungen  eines  Sozialdemokraten  /  Von  Herbert  Weichmann 


Die  These  von  Jürgen  Bay  (ZEIT  Nr.  29/72): 
die  amtsmüden  preußisclien  Minister  unter  Otto 
Braun  iiätten  sicli  am  20.  Juli  1932  von  Reichs- 
kanzler von  Papen  ohne  Widerstand  aus  dem 
Amt  jagen  lassen,  weil  ihnen  ihre  Amtsenthe- 
bung gar  nicht  so  unwillkommen  gewesen  sei, 
ist  auf  Widerspruch  gestoßen.  Ein  Zeitgenosse 
und  unmittelbarer  Zeuge  dieser  Vorgänge,  der 
ehemalige  Hamburger  Bürgermeister^Meich- 
mann,  seinerzeit  persönlicher  Referent  von  Mini*^ 
"  "'blWßasJdent  Braun,  meldet  sich  zu  Wort. 

Es  Ist  richtig,  daß  Otto  Braun  in  den  letzten 
Jahren  seiner  Regierungszeit  danach  trach- 
tete, den  Dualismus  Reich — Preußen  zu 
beseitigen.  Er  hat  auch  aktive  Schritte  unternom- 
men, um  durch  eine  Personalunion,  bei  der  dem 
Reichskanzler  Brüning  die  Funktion  eines  preu- 
ßischen Ministerpräsidenten  zugedacht  war  und 
bei  der  auch  einem  Vorschlag  Brünings  entspre- 
chend gleichzeitig  die  Ämter  der  Finanzminister 
durch  eine  Person  besetzt  werden  sollten,  einen 
wesentlichen  Sciiritt  in  Richtung  auf  Versciimel- 
zung  der  personellen  Spitzen  zu  maciien. 
Es  ist  aber  nicht  richtig,  oder  zumindest  ist  es 
mißverständlich  ausgedrückt,  diesen  Vorgang  da- 
hin auszudeuten,  daß  „gegen  diese  parallele  . 
Rechtsschwenkung  in  Preußen  und  im  Reich  der 
sozialdemokratische  preußische  Ministerpräsident 
und  auch  große  Teile  der  SPD  nichts  einzuwen- 
den hätten..."  Die  Hahung  Brauns  war  im 
Gegenteil  von  dem  Gesichtspunkt  bestimmt,  hier- 
durch den  Kurs  der  Konservativen  und  Natio- 
nalsozialisten in  eine  immer  radikaler  redits- 
orientierte  Politik  aufzuhalten. 

Otto  Braun  sah  voraus,  daß  er  die  preußisc:he 
Position  auf  die  Dauer  und  speziell  im  Hinblick 
auf  die  preußischen  Wahlen  am  24.  April  1932 
niciit  mehr  werde  halten  können.  Er  hatte  schon 
bei  der  Wahl  Hermann  Müllers  zum  Reichskanz- 
ler im  Jahre  1928  die  Überzeugung,  daß  hier 
eine  einmalige  Chance  zur  Erhaltung  der  sozial- 
demokratisciien  Machtposition  versäumt  worden 
war,  und  zwar  dadurcii,  daß  nicht  ihm  das  Arnt 
des  Kanzlers  zugleich  mit  dem  Amt  des  preußi- 
schen Minrsterpräsidenten  von  seiner  Partei  an- 
getragen worden  war. 

Der  Vorwurf,  den  man  Otto  Braun  in  diesem 
Zusammenhang  machen  kann,  ist  nur,  daß  er 
nicht  genügend  persönlichen  Ehrgeiz  entfaltete, 
um  diese  seine  Vorstellung  durchzusetzen,  wobei  es 
freilich  höchst  fraglich  ist,  ob  ihm  die  Partei  ge- 
folgt wäre. 

Eine  zweite  verhängnisvolle  Fehlleistung  so- 
zialdemokratischer Politik  sah  Otto  Braun  in 
dem  Rücktritt  der  Regierung  Hermann  Müller. 
Er  äußerte  sich  mir  gegenüber  damals:  „Man  be- 
einflußt den  Weg  der  Regierung  nicht,  indem  man 
neben  dem  Wagen  herläuft;  man  muß  auf  dem 


Bock  sitzenbleiben  und  die  Zügel  halten."  Auch 
die  Auflösung  des  Reichstags  hielt  Braun  später 
für  einen  großen  Fehler.  Sie  braciite  ja  dann  auch 
die  Nationalsozialisten  in  großer  Stärke  in  das 
Parlament.  Nach  den  Landtagswahlen  1932  sah 
Braun  schließlich  überhaupt  keine  Möglichkeit 
mehr,  ohne  eine  gewisse  Stützung  Brünings  der 
Machtergreifung  durch  die  Rechte,  also  durch  die 
Konservativen  und  die  Nationalsozialisten,  zu 
steuern.  Nach  dem  Ausgang  der  Preußenwahlen 
betrachtete  er  sich,  wie  er  selbst  schrieb,  als  erledig- 
ten Mann  (Braun,  „Von  Weimar  zu  Hitler", 
S.  393). 

Aber  keinesfalls  hat  er  sich  nach  den  Preußen- 
wahlen 1932  jene  „Abnützungstheorie"  zu 
eigen  gemacht,  wonach  man  sich  auf  das  Experi- 
ment einer  parlamentarischen  Regierung  mit  den 
Nationalsozialisten  einlassen  müßte.  Jürgen  Bay 
stützt  sich  bei  seiner  Auffassung  auf  Äußerungen 
Stampfers,  die  gewiß  seine  Haltung  erklärlich 
machen.  In  dem  in  meinen  Händen  befindlichen 
Handexemplar  Otto  Brauns  des  Stampferschen 
Buches  (Erstausgabe)  hat  Braun  die  Stelle  auf 
Seite  566  angestrichen  und  daneben  handschrift- 
lich lapidar  vermerkt  „Unsinn". 

Braun  hatte  sehr  viel  früher,  nämlich  1930 
nach  dem  Ausgang  der  Reichstagswahl,  gegenüber 
Brüning  die  Meinung  vertreten,  daß  entweder 
das  Reich  sidi  ebenso  wie  Preußen  entschieden 
ircsen  die  Nationalsozialisten  einstellen  müßte, 
oder  man  müsse  sie  zur  Regierungsverantwortung 
zulassen,  „solange  sie  noch  zu  sciiwach  sind,  ihre 
totalitären  Machtansprüche  durchzusetzen"  (aao. 
S.  309).  Diese  Abnutzungsthese  hatte,  aber  einen 
anderen  Akzent. 

An  mehreren  Stellen  deutet  Jürgen  Bay  die 
Haltung  Brauns  und  der  preußischen  Regierung 
dahin,  claß  ihr  die  Einsetzung  eines  Reiciiskom- 
missars  als  ein  nicht  unwillkommener  Ausweg  aus 
einer  hoffnungslosen  Situation  erschien.  Mit  die- 
ser Auslegung  steht  freilich  im  Widerspruch,  daß 
auch  nach  Jürgen  Bay  der  Staatsstreich  vom 
20.  Juli  1932  als  völlige  Überraschung  kam. 

Er  kam  zwar  im  Zeitpunkt  überraschend,  aber 
doch  nicht  völlig  unvorhergesehen.  Der  damalige 
Finanzminister  Klepper  rechnete  sogar  fest  mit 
einer  solciien  Möglichkeit  und  erzählte  mir  von 
seinem  Gedanken,  den  Sitz  der  preußischen  Regie- 
rung nach  Köln  in  die  damals  noch  entmilitari- 
sierte Zone  zu  verlegen,  um  sie  damit  dem  Zugriff 
der  Militärs  zu  entziehen.  Er  hat  allerdings  mit 
Braun  nicht  darüber  gesprochen,  sondern  mit 
Hirtsiefer,  dem  zur  Zentrumspartei  gehörigen 
Stellvertreter  Otto  Brauns,  fand  aber  keinen  An- 
klang. Man  kann  wohl  bezweifeln,  daß  diese 
„Exilregierung"  ein  Ausweg  gewesen  wäre. 

Auf  den  Nenner  einer  geheimen  Wunschvor- 
stcllung  der  sozialdemokratischen  Minister  oder 
ihrer   Kabinettskollegen   ist   aber   jedenfalls   das 


Problem  der  politischen  Wirklichkeit  der  damali- 
gen Zeit  nicht  reduzierbar.  Die  Wirklichkeit  war, 
daß  die  preußische  Regierung  ihre  Mehrheit  und 
damit  nach  Brauns  Auffassung  ihre  demokratische 
Legitimation  verloren  hatte  und  daß  der  Land- 
tag nicht  in  der  Lage  war,  einen  neuen  Minister- 
präsidenten zu  ernennen. 

Die  Einsetzung  eines  Staatskommissars  und  die 
Enthebung  von  den  Ämtern  stand  auch  nicht  ins- 
geheim als  wünschenswerter  Ausweg  im  Kalkül, 
freilich  auch  keine  andere  konstruktive  Lösung, 
sondern  nur  die  unbefriedii^ende  Tätigkeit  einer 
geschäftsführenden  Regierung,  wie  sie  die  Verfas- 
sung vorsah. 

Aus  dieser  Lage  konnte  auch  nicht  der  gewalt- 
same Wicierstand  gegen  die  Einsetzung  eines 
Reichskommissars  herausführen.  Der  Verzicht  auf 
zumindest  eine  versuchte  CJegenwehr,  über  den 
wir  damals  jungen  sozialdemokratischen  Beam- 
ten —  die  angebliche  „Kamarilla",  von  der  Brü- 
ning in  seinen  Memoiren  spricht  —  uns  verzwei- 
felt den  Kopf  zerbrachen,  als  schwerwiegenden 
psychologischen  Fehler  zu  bezeichnen,  erhellt  ciie 
Schwierigkeit,  von  heute  aus  die  damaligen  Zeit- 
umstände richtig  zu  beurteilen. 

Zugegeben,  auch  wir  waren  damals  verzweifelt 
über  unsere  Minister,  die  sich  nicht  rnehr  zum 
Regieren  legitimiert  fühlten  und  nicht  einmal  zur 
Geste  eines  Widerstandes  entschlossen  waren.  Ich 
erinnere  mich,  wie  ein  Leutnant  und  drei  Mann 
im  Gebäude  des  preußiscJicn  Staatsministeriums 
erschienen  und  ich  bei  Otto  Braun  anrief,  um  ihm 
hiervon  Mitteilung  zu  machen  uncl  ihm  nahe- 
zulegen, uns  wenigstens  demonstrativ  verhaften 
zu  lassen.  Aber  auch  eine  solche  Demonstration 
hätte  am  tatsächlichen  Lauf  der  Dinge  nichts  ge- 
ändert. 

Das  Reichsbanner  war  unbewaffnet,  die  sozial- 
demokratischen Arbeiter  waren  unbewaffnet  und 
bangten  wie  alle  um  den  Arbeitsplatz,  von  der 
preußisciien  Polizei  besaß  zufolge  eines  Einspruciis 
der  Franzosen  nur  jeder  achte  Mann  einen  Kara- 
biner —  auch  hätte  sie  sich  gegen  eine  vom  Reichs- 
präsidenten erlassene  Verordnung  nicht  auf- 
gelehnt. Zudem  war  Berlin  von  Reichswehr  zer- 
niert,  und  die  militanten  Verbände  der  Reaktion 
warteten  nur  auf  das  Zeichen  zum  Losschlagen. 

Man  konnte  nicht  einmal  mit  den  Kommuni- 
sten als  Teilnehmern  am  Widerstand  rechnen,  da 
sie  den  Untergang  der  Weimarer  Demokratie 
nicht  anders  wollten  als  die  Nazis  und  im  übri- 
gen aucii  wacker  dazu  beitrugen. 

Daß  es  sinnlos  war,  bsi  6  Millionen  Arbeits- 
losen einen  Generalstreik  auszurufen,  sagt  Jürgen 
Bay  selbst.  So  sprechen  also  die  Tatsachen  eher 
für  die  richtige  realpolitische  Einschätzung  der 
Sachlage  durch  das  preußische  Kabinett  als  dafür, 
daß  die  Behauptung  vom  aussichtslosen  Wider- 
stand nur  dazu  diente,  Jen  Ausweg  der  Einset- 


Bei  einer  Sitzung  des  preußischen  Staatsnninisteriunns:  ganz  rechts  am  Tisch  Ministerpräsident 
Otto  Braun,  links  neben  der  Tür  stehend  Herbert  Weichmann  Aufnahme:  Ullstein 


zung  eines  Kommissars  und  der  Enthebung  der 
preußischen  Minister  von  ihren  Ämtern  zu  ver- 
decken. Im  übrigen  weiß  ich  nicht,  woher  Jürgen 
Bay  im  Zusammenhang  mit  dieser  Ausdeutung 
die  Auffassung  ableitet,  daß  der  Wille  der  Regie- 
rung Braun  zur  Gegenwehr  nicht  bezweifelt 
wurde,  wenn  er  damit  eine  Gegenwehr  durch 
Gewaltmaßnahmen  im  Auge  hatte. 

Dieser  Wille  war  nicht  vorhanden,  weil  sidi 
ihm  keine  erfolgversprechenden  Möglichkeiten 
boten.  Selbst  wenn  aber  dieser  Wille  vorhanden 
gewesen  wäre,  so  bleibt  es  mir  unverständlich, 
wieso  gerade  hieraus  gefolgert  werden  kann,  daß 
die  sozialdemokratischen  Minister  und  der  Mini- 
sterpräsident die  Enthebung  von  ihren  Ämtern 
als  einen  nicJit  unwillkommenen  politischen  Aus- 
weg betrachtet  haben  sollen.  Hier  fehlt  es  der 
Ausdeutung  am  logischen  Zusammenhang. 

Man  kann  natürlich  im  nachhinein  sagen,  daß 
gleichwohl  die  preußische  Regierung,  das  Reichs- 
banner, die  Partei  oder  die  Gewerkschaften  zum 
Widerstand  hätten  aufrufen  sollen.  Aber  dann 
muß  man  auch  sehen,  daß  der  Widerstand  das 
Fanal  zum  Bürgerkrieg  und  zu  einem  Blutbad 
gewesen  wäre,  über  das  dann  die  Geschichts- 
schreiber vielleicht  hätten  sagen  können:  es  war 
ein  ehrenvoller  Untergang. 

Ich  gestehe,  daß  ich  selbst,  preußisdi  erzogen, 
wie  ich  war,  damals  mit  derartigen  Gedanken 
umgegangen  bin.  Der  Untergang  selbst  war  aber 
nicht  zu  vermeiden.  Und  gerade  aus  heutiger 
Sicht  ist  wohl  auch  zu  fragen,  ob  es  wirklich  so 


ehrenvoll  ist,  andere  einen  Blutzoll  entrichten  zu 
lassen,  der  den  Ablauf  der  Ereignisse  nicht  ändert, 
und  ob  dieser  Ehrenkodex  nicht  einer  vergange- 
nen Epoche  oder  sogar  zum  Vokabular  jener  Ge- 
stalten gehört,  die  eben  auch  Stalingrad  verschul- 
det haben? 

Vieles  ist  auch  nach  meiner  Ansicht  an  der  Hal- 
tung jener  Männer  zu  kritisieren,  die  in  der  Wei- 
marer Demokratie  die  Macht  hatten,  dem  staat- 
lidien  Machtbegrift*  überkommener  Perioden  aber 
innerlich  und  aus  anerkennenswerten,  wenn  auch 
realpolitisch  bedauerlichen  Gründen  entfremdet 
gegenüberstanden.  Aber  soll  man  den  Männern, 
die  zeitlebens  für  die  Demokratie  und  den  Rechts- 
staat gekämpft  hatten,  einen  Vorwurf  daraus 
machen,  daß  sie  ihre  Macht  nicht  in  verfassungs- 
widriger und  unhumaner  Weise  mißbrauciit  ha- 
ben und  daß  sie  vor  der  gewaltsamen  Ausein- 
andersetzung ohne  demokratische  Legitimierung 
zurückschreciiten?  Schaltet  man  den  Gedanken 
des  Widerstandes  aus,  gab  es  tatsächlich  keine 
Alternative  zur  Anrufung  des  Staatsgerichts- 
hofes. 

Zum  Schluß  darf  ich  noch  anfügen,  daß  ein  an- 
derer Zeuge  der  Zeit,  der  damalige  preußisdie 
Ministerialdirektor  Arnold  Brecht,  mit  dem  ich 
vor  wenigen  Tagen  über  den  Artikel  von  Jürgen 
Bay  sprach,  im  Grunde  meine  Auffassung  und 
Vorbehalte  gegenüber  dem  Aufsatz  teilt,  daß  wir 
beide  jedoch  aucdi  die  Schwierigkeiten  eines 
„Nachfahren"  bei  der  Urteilsbildung  nicht  ver- 
kennen. 


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Seite  6 


POLITIK 


DIE  WELT  -  Nr.  66  -  Montag,  19.  März  1973 


Argumente  gegen  den  Vorschlag  der  Ernst-Kommission  für  die  Neugliederung  im  Norden 

Der  Rang  Hamburgs  und  Bremens  im  Bundesstaat 


Von  PROFESSOR  HERBERT  WEICHMANN 


Der  Bericht  der  Sachverstän- 
digenkommission zur  Neu- 
gliederung des  Bundesgebie- 
tes enthält,  wie  bei  der  Qua- 
lität der  Sachverständigen  zu 
erwarten  war,  eine  Fülle  beachtlicher 
Gesichtspunkte,  Problemkennzeichnun- 
gen und  sachlicher  Feststellungen  oder 
Berechnungen,  die  allen  Anspruch  ha- 
ben, gründlich  überdacht  und  nachge- 
prüft zu  werden.  Sie  berücksichtigen 
dankenswerterweise  die  im  Verlauf  der 
Ermittlungen  der  Kommission  erhobe- 
nen Einwendungen  und  heben  damit  die 
zu  erwartenden  Auseinandersetzungen 
auf  eine  qualifizierte  Ausgangslage, 
welche  eben  die  Möglichkeit  einer  emo- 
tionsfreien und  sachbezogenen  weiteren 
Prüfung  und  Diskussion  eröffnet,  zu 
welcher  der  Bericht  auch  selbst  auffor- 
dert. 

Hier  Ist  aber  zugleich  zu  bemerken: 
Diese  Aufforderung  gilt  nur  für  die 
Fragen,  welche  die  Kommission  offen- 
hält oder  für  welche  Alternativvor- 
schläge gemacht  werden.  Zu  den  nicht 
offengehaltenen  Fragen  gehört  die 
Neugliederung  im  norddeutschen  Raum. 
Die  Kommission  kommt  hier  uneinge- 
schränkt zu  der  Auffassung,  daß  eine 
Neugliederung  im  Raum  der  bisherigen 
Länder  Niedersachsen,  Schleswig-Hol- 
stein, Hamburg  und  Bremen  unter  Auf- 
gabe der  Stadtstaatlichkeit  der  beiden 
Hansestädte  notwendig  ist. 

Ebendiese  These  ist  aber  nicht  als 
unbestreitbar  zu  akzeptieren;  denn  sie 
ist  trotz  einer  Menge  beachtenswerter 
Erwägungen  und  einer  quantitativen 
Fülle  rechnerischen  Materials  keines- 
wegs zwingend  nachgewiesen. 

Hier    sind    noch    Gesichtspunkte    zu 
diskutieren,  die  in  dem  Gutachten  nicht 
genügend  bedacht  oder  zu  Ende  gedacht 
wurden,  und  hier  bleibt  ein  Raum  für 
Gegenrechnungen  im  Sinne  einer  Ko- 
sten-Nutzen-Analyse offen,  ohne  dessen 
Ausfüllung    eine   verantwortliche   Ent- 
scheidung nicht  getroffen  werden  kann. 
Im  Rahmen   der  föderalen   Ordnung 
der   Bundesrepublik   glaubt   die   Kom- 
mission sich  zu  der  Auffassung  berech- 
tigt, daß  die  Funktionsfähigkeit  und  po- 
litische Überzeugungskraft  der  bundes- 
staatlichen  Ordnung    durch    eine   Ver- 
minderung  der    Zahl   der   Länder   auf 
sechs    oder    fünf   Länder    einheitlicher 
Struktur  und   eben   damit  unter  Aus- 
ßliederung    der    Stadtstaaten    gehoben 
wird.     Nach     den     Ausführungen     der 
Kommission  selbst  und  der  wahrschein- 
lichen    politischen     Ausrichtung     der 
Länder  muß  das  durchaus  fraglich  er- 
scheinen. 
Bei  sechs  Ländern  würde  stimmen- 


mit  nur  14  Stimmen  verbleibenden  an- 
deren drei  Länder,  einschließlich  der 
nur  vier  Stimmen  Nordwestdeutsch- 
lands, in  der  Minderheit  blieben. 

Das  sechste  Land  hätte  also  quasi 
bundesstaatlich  nur  eine  Eunuchenstel- 
le, zur  Unfruchtbarkeit  bei  der  bundes- 
staatlichen Entscheidungsbildung  ver- 
urteilt. Die  Kommission  sieht  selbst 
diese  Bedenken  und  neigt  unter  diesem 
Gesichtspunkt  nicht  der  Bildung  von 
zwei,  sondern  nur  von  einem  norddeut- 
schen Staat  zu. 

Es  bleibt  aber  zu  fragen,  ob  fünf 
Staaten  ohne  die  Stadtstaaten  jene 
bundesstaatliche  Vielfalt  der  Interessen 
repräsentieren,  die  der  föderale  Aufbau 
voraussetzt,  und  ob  durch  eine  solche 
drastische  Verminderung  von  elf  auf 
fünf  Länder  die  politische  Überzeu- 
gungskraft der  bundesstaatlichen  Ord- 
nung gesichert  bleibt,  wie  es  die  Kom- 
mission will.  Selbst  wenn  man  die  These 
von  der  Einheitlichkeit  der  Lebensver- 
hältnisse in  den  Ländern  akzeptiert,  so 
ist  doch  die  politisch-soziale  Struktur 
der  staatlichen  Lebensräume  auch  ein 
Faktor,  der  im  Bundesrat  seine  Reprä- 
sentation finden  muß  und  eine  wohl 
größere  Repräsentationsbreite  braucht 
als  nur  fünf  Länder,  um  sich  relevant 
darzustellen. 

Die  Differenziertheit  der  räumlichen 
Struktur  und  der  sich  daraus  herleiten- 
den politisch-sozialen  Verschiedenheit 
der  Interessenlage  wird  nun  gerade 
durch  das  Element  der  Stadtstaaten  in 
das  föderale  Gefüge  eingegliedert. 

Gewiß  ist  ihre  räumliche  Be- 
schränktheit und  die  Integrationsfähig- 
keit mit  dem  Umland  von  Unzuträg- 
lichkeiten belastet.  Raumordnungspro- 
bleme entstehen  aber  auch  zufolge  der 
notwendig  übergreifenden  Raumord- 
nung an  den  Grenzen  der  Flächenstaa- 
ten und  sind  überhaupt  ein  Preis,  der 
für  ein  bundesstaatliches  Gefüge  in 
Kauf  genommen  werden  muß.  Hier 
kommt  es  eben  auf  die  Abwägung  dieser 
Belastung  mit  dem  Gesichtspunkt  der 
typischen  Probleme  der  städtischen 
Ballungsräume  an,  in  denen  sich  die 
Probleme  der  modernen  Industriege- 
sellschaft und  des  kulturellen  Fort- 
schritts konzentrieren. 

Nach  dieser  Riditung  hin  waren  die 
Stadtstaaten  in  der  Vergangenheit  im- 
mer mehr  als  nur  ihre  eigenen  Reprä- 
sentanten. Sie  haben  dynamisch  wie 
kritisch  im  Bundesrat  als  Wortführer 
der  Ballungsräume  fruchtbar  gewirkt. 

Oft  haben  sie  viel  dazu  beigetragen, 
daß  die  im  Flächenstaat  zu  kurz  ge- 
kommene Berücksichtigimg  der  Erfor- 
dernisse in  den  Ballungsräumen  gesetz- 


Die  Ernst-Kommission  vertritt  in  ihrem  Gutachten  über  die 
Neugliederung  der  Bundesländer  die  Auffassung,  daß  die  Eigen- 
staatlichkeit der  Hansestädte  Hamburg  und  Bremen  aufgegeben 
werden  müsse.  Sie  hält  das  für  unvermeidbar,  wenn  in  Nord- 
deutschland das  Gefälle  zwischen  den  leistungsstarken  Stadt- 
staaten Hamburg  und  Bremen  und  den  finanzschwachen  Flächen- 
staaten Schleswig-Holstein  und  Niedersachsen  beseitigt  werden 
solle.  Die  Kommission  schlägt  vor,  die  vier  Länder  zu  zwei  neuen 
oder  besser  noch  zu  einem  großen  Nordstaat  zusammenzulegen. 
Eine  Preisgabe  der  Hansestadtstaaten  würde  nicht  nur  von  den 
Hamburgern  und  Bremern  als  Verlust  empfunden  werden. 
Gleichwohl  ist  es  notwendig,  sich  mit  den  Sachargumenten  der 
Kommission  auseinanderzusetzen.  Dieser  Aufgabe  unterzieht 
sich  Professor  Herbert  Weichmann.  Er  urteilt  aus  profunder 
Sachkenntnis;  denn  bis  Juni  1971  war  er  Erster  Bürgermeister 
von  Hamburg.  Er  kennt  die  Probleme  Norddeutschlands  aus 
der  langjährigen  Erfahrung  eines  verantwortüchen  Politikers. 


»IWW^«.15WW^ 


Der  Altemativ-Vorschlag  der  Kommission  für  Norddeutschland 

^  Zeichnung:  Werner  Schmidt 


tionskraft  auslösen.  Es  gilt,  was  die 
Kommission  selbst  aussagt,  daß  nämlich 
die  Zentralisienmg  der  Hoheitsgewalt 
nicht  mit  größerer  Effizienz  gleichzu- 
setzen ist.  Der  Pluralismus  der  ver- 
schiedenen und  verschieden  orientierten 
Kräfte  hat  eigene  schöpferische  Im- 
pulse. 

Eine  andere  und  sicherlich  bedeutsa- 


Ländergrenzen  keine  RoHe  spielt.  Aber 
das  Problem  wird  natürlich  noch  ge- 
wichtiger im  Einzugsgebiet  der  Stadt- 
staaten. Damit  gewmnt  am  Rande  des 
Gutachtens  die  Problematik  der  kom- 
munalen Grenzen  ein  entscheidendes 
Gewicht.  Was  könnte  hier  die  Hemm- 
nisse beseitigen? 


Herbert  Weichmann 


roto:  Conti-Press 


setzt.  Wir  dürfen  ganz  bestimmt  in  der 
Bundesrepublik  nicht  jene  fehlerhafte 
Entwicklung  anderer  Großstädte  nach- 
vollziehen, die  schließlich  durch  ihre 
Größe  mehr  oder  minder  unregierbar 
geworden  sind. 

In  jedem  FaUe  wäre  aber  eine  Kom- 
munalreform die  unabdingbare  Folge 
einer   staatlidien   Gebietsreform,   wenn 


selbst  sagt,  also  das  Ergebnis  eines  rei- 
nen Additionsverfahrens,  bei  welchem 
dem  Gesamtgebiet  nicht  ein  Pfennig 
mehr  an  Finanzkraft  zuwächst. 

Das  Argument,  daß  trotzdem  damit 
ein  Land  geschaffen  würde,  welches  an 
Finanzkraft  den  andern  Ländern  gleicht, 
ist  nicht  durchschlagend;  denn  die  An- 
sicht, daß  damit  quasi  automatisch  eine 
bessere  Erfüllung  der  Aufgaben  möglich 
würde,  ermangelt  der  Schlüssigkeit. 

Dieselbe  Finanzmasse  im  größeren 
staatlichen  Raum,  nur  anders  verteilt, 
mag  teilweise  zum  Vorteil,  muß  teilwei- 
se aber  auch  zum  Nachteil  der  räumlich 
und  sachlich  differenzierten  Aufgaben 
wirken.  Zu  unterstreichen  bleibt  dabei 
noch,  daß  die  Zusammenlegung  der  vier 
Länder  sogar  die  statistische  Rechnung 
widerlegt;  denn  infolge  des  geltenden 
Mechanismus  des  horizontalen  Finanz- 
ausgleichs würde  der  neue  staatliche 
Raum  einen  Verlust  an  Ausgleichsmitteln 
in  Höhe  von  500  Mill.  bis  600  Mill.  DM 
erleiden,  der  also  zeigt,  daß  im  Ergebnis 
durch  die  Zusammenlegung  die  fakti- 
sche   Finanzkraft    geschwächt    wird. 

Das  Gutachten  sieht  deswegen  auch 
eine  Änderung  im  System  des  Finanz- 
ausgleichs vor,  die  diesen  Verlust  wett- 
macht, sowie  die  Fortsetzung  der  Zu- 
schußgewährung aus  Mitteln  des  Bun- 
des. Es  muß  doch  wohl  etwas  grotesk 
erscheinen,  daß  auf  diese  Weise  finan- 
zielle Sondermaßnahmen  nur  zur  Be- 
sitzstandwahrung getroffen  werden  sol- 
len, obwohl  die  Neugliederung  ihren 
Sinn  doch  in  einer  Stärkung  der  Fi- 
nanzkraft finden  sollte. 

Wunsch  und  Wirklichkeit 

Damit  spitzt  sich  die  Problematik  auf 
die  Frage  zu,  ob  auf  längere  Sicht  die 
Zusammenlegung  solche  Vorteile  im 
Wachstum  der  wirtschaftlichen  und 
administrativen  Potenz  erwarten  läßt, 
daß  eines  Tages  die  Finanzkraft  als  aus- 
reichend angesehen  werden  kann.  Die 
Kommission  sagt  ja  dazu  und  rechnet 
mit  einer  Übergangsperiode  von  etwa  15 
Jahren.  Aber  eben  hier  bleibt  zu  fragen: 
Was  ist  berechenbare  Wirklichkeit  oder 
nur  ein  Wunschbild? 

Die  Kommission  denkt  daran,  daß 
durch  bessere  und  reibungslosere 
Raumplanung  und  besser  abgewogene 
Infrastrukturmaßnahmen  von  der  ad- 
ministrativen Seite  her  fruchtbare  Er- 
gebnisse ausgelöst  werden  können,  wel- 
che die  ökonomische  Standortlage  über 
das  bisherige  Maß  hinaus  verbessern. 
Hier  mögen  gewisse  Möglichkeiten  lie- 
gen. Denn  welche  Verwaltung,  Planung 
und  Infrastrukturausstattung  wäre 
nicht  verbesserungsfähig? 

Im  großen  und  sogar  bis  ins  Detail 
liegen  aber  die  Pläne  für  Raumordnung 
und  Erschließung  bereits  vor,  werden 


ifflSÜTT^Tv 


7JfJ"S^?ber5eugungskraft  der  ^unaes- 
staatlichen  Ordnung  durch  eine  Ver- 
minderung der  Zahl  der  Länder  auf 
sechs  oder  fünf  Länder  emheithcher 
Struktur  und  eben  damit  unter  Aus- 
ßliederung  der  Stadtstaaten  gehoben 
wird.  Nach  den  Ausführungen  der 
Kommission  selbst  und  der  wahrschein- 
lichen politischen  Ausrichtung  der 
Länder  muß  das  durchaus  fraglich  er- 
scheinen. 

Btti   »echs    Ländern    würde   stimmen- 
mäßig    das    Votum    des   tiur    mit   vier 
Stimmen  zu  versehenden  Landes  Nord- 
Westdeutschland    im    B^^-^^^^J^^  .P,Sl 
von   Bedeutung    für    die   Mehrheitsbil- 
düng  sein,  da  bei  insgesamt  29  Stimmen 
jeweüs  drei  mit  fünf  Stimmen  versehe- 
ne Länder   die   erforderliche  Mehrheit 
von  15  Stimmen  aufbringen  und  die  also 


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Schritts  konzentrieren. 

Nach  dieser  Rlditun«  hin  waren  die 
Stadtstaaten  in  der  Vergangenheit  im- 
mer mehr  als  nur  ihre  eigenen  Reprä- 
sentanten. Sie  haben  dynamis^  wie 
kritisch  im  Bundesrat  als  Wortführer 
der  Ballungsräume  fruchtbar  gewirkt. 

Oft  haben  sie  viel  dazu  beigetragen, 
daß  die  im  Flächenstaat  zu  kurz  ge- 
kommene Berücksichtigimg  der  Erfor- 
dernisse in  den  Ballimgsräumen  gesetz- 
geberisch oder  admlnlstretlv  und  auch 
finanziell  zum  Tragen  kam.  In  den  USA 
büßen  gfetade  die  großen  Städte,  daß 
sie  in  der  föderalen  Gliederung  keinen 
Platz  haben,  und  für  New  York  und 
Umland  ist  die  Frage   der  Verleihung 

.  einer   Eigenstaatlichkeit   ernsthaft   zur 

1  Diskussion  gestellt. 


Verfassungsrechtliche  Zweifel 


Auch    verfassungsrechtlich    begegnet 
die  Auslegung  des  Auftrages  zur  Neu- 
gliederung in  Artikel  29  (1)  des  Grund- 
gesetzes    Zweifeln.     Die     Kommission 
weicht  ausdrücklich  von  der  Auffassung 
des     früheren    Luther-Gutachtens     ab, 
nach  der  die  im  Satz  1  vorgesehene  Be- 
rücksichtigung   der   landsmannschaftli- 
chen  Verbundenheit,     der     geschichtli- 
chen und  kulturellen  Zusammenhange 
der     wirtschaftlichen     Zweckmäßigkeit 
und  des  sozialen  Gefüges   gleichrangig 
mit    der    Sollvorschrift    in    Satz    2    ist, 
nämlich  Länder  zu  schaffen,  die  nach 
Größe  und  Leistungsfähigkeit  die  ihnen 
obliegenden  Aufgaben  wirksam  erfüllen 
können.   Sie   gibt  diesem  zweiten  Satz 
einen  Mußcharakter  und  dem  ersten  nur 
eine  Sollqualität. 

Von  dieser  Auslegung  ist  dann  auch 
die  ganze  weitere  Argumentation  der 
Kommission  bestimmt,  die  hauptsach- 
lich auf  die  Quantität  des  Gebietsum- 
fanges  und  seine  Lebensfähigkeit  ab- 
stellt, ohne  den  anderen  Richtbegriffen 
ein  bemerkenswertes  Gewicht  beizule- 
gen Nur  so  ist  auch  die  weitere  Ausle- 
gung zu  begreifen,  daß  es  überhaupt 
nicht  auf  die  Frage  der  Lebensfähigkeit 
der  Stadtstaaten  als  bundesstaatliche 
Glieder  ankommt,  sondern  nur  darauf, 


ob  im  gesamtstaatlichen  Rahmen  le- 
bensfähige Länder  geschaffen  werden 
können,  die  bestimmte  Größen  nicht 
unterschreiten. 

Die  Kommission  geht  bei  Ihren  Vor- 
schlägen weiter  von  dem  „sozialstaatli- 
chen Postulat"  aus,  gleichwertige  Le- 
bensverhältnisse in  allen  Landesteilen 
zu  schaffen.  Diese  Ausrichtung  ist  nicht 
im  Artikel  29  vorgesehen,  ebensowenig 
wie  der  nur  im  Zusammenhang  mit  dem 
Steuerverteilungsaspekt  in  Artikel  105 
(3)  erwähnte  Begriff  der  Einheithchkeit 
der  Lebensverhältnisse.  Er  wäre  auch 
eine  Verfassungsfiktion  oder  ein  unrea- 
les und  unrealisierbares  Dogma. 

Es  kann  bei  der  durch  Standortfakto- 
ren ausgelösten  Differenzierung  der 
ökonomischen,  sozialen  und  kulturellen 
Struktur  der  Bundesrepublik  oder  jedes 
anderen  Landes  und  auch  innerhalb 
eines  Gliedstaates  keine  Gleichwertig- 
keit und  Einheitlichkeit  der  Lebensver- 
hältnisse geben. 

Der  Unterschied  zwischen  Stadt  und 
Land,  Gewerbegebiet  und  Agrargebiet, 
kultureller  oder  sozialer  Infrastruktur 
wird  immer  Differenzierungen  der  Le- 
bensweisen mit  sich  bringen,  die  durch 
eine  Versetzung  von  Grenzsteinen  nicht 
verändert  werden. 


Ländergrenzen  kein  Hindernis 


Es  ist  nicht  zu  bestreiten,  daß  die 
ökonomische  Potenz  und  Dynamik  und 
damit  die  finanzielle  Leistungskraft  im 
norddeutschen  Raum,  sehr  unterschied- 
lich ist  und  die  Stadtstaaten  einen  er- 
heblichen Vorsprung  haben.  Es  ist  aber 
ebenso  eine  Tatsache,  daß  die  Flachen- 
staaten in  der  Nachkriegsperiode  ganz 
beträchtliche  Fortschritte  erzielt  haben, 
ohne  Veränderung  der  Ländergrenzen. 
Die  Kommission  legt  selbst  ein  diese 
Tatsache  bestätigendes  Zahlenmaterial 
über  die  Entwicklimg  der  wirtschaftli- 
chen Leistungsfähigkeit,  die  Verteilung 
der  Investitionen  und  Fördermittel  und 
das  Wachstimi  im  Industriebesatz  vor, 
mit  der  Schlußfolgerung,  daß  zwischen 
1961  und  1971  der  Rückstand  im  Indu- 
striebesatz zunehmend  beseitigt  wurde 
und  so  auch  im  speziellen  Bereich  der 
Flächenstaaten. 

Die  Ländergrenzen  waren  also  offen- 
bar kein  Hindernisgrund,  ja,  man  darf 
aus  der  Kenntnis  der  Entwicklung  im 
einzelnen  wohl  sogar  ableiten,  daß  der 
ursprüngliche  Rückstand  der  Flächen- 
staaten eigene,  besonders  beachtliche 
Anstrengungen  ausgelöst  und  ihren  dy- 
namischen Wettbewerb  angeregt  hat. 
Ebenso  haben  die  Ländergrenzen  aber 
auch  nicht  übergreifende  Projekte  ver- 
hindert. 

Der  von  Hamburg  glücklich  initiierte 
und  von  der  Kommission  nicht  erwähn- 
te Elbe-Seiten-Kanal,  der  gemeinsame 
Flughafen  Kaltenkirchen,  die  fruchtba- 


re Zusammenarbeit  auf  den  Gebieten 
der  Energieversorgung  und  der  Ausbau 
der  Nahverkehrslinien  sind  Beispiele 
hierfür.  Wenn  Schwierigkeiten  bestan- 
den oder  noch  bestehen,  so  lagen  sie  bei 
Gemeinden  oder  örtlichen  Interessen- 
ten, nicht  bei  den  Hoheitsverwaltungen. 

Vor  allem  ist  aber  zu  betonen,  daß  sich 
die  ökonomischen  Produktivkräfte  nicht 
nach  Grenzen,  sondern  nach  den  ver- 
schiedenen Standortfaktoren  —  also  na- 
türliche Lage,  Bodenpreise,  Arbeits- 
markt, Verkehrswege  —  richten,  die 
durch  die  Ländergrenzen  als  solche 
nicht  wesentlich  außer  Kraft  gesetzt 
wurden.  Die  Stadtstaaten  haben  prinzi- 
piell sogar  bewußt  eine  Förderung  des 
Hinterlandes  begrüßt  und  dazu  beige- 
tragen. 


So  konnte  auch,  ohne  Neugliederung, 
der  verhängnisvolle  Trend  der  Nord- 
Süd-Orientierung  wichtiger  Industrie- 
zweige, der  auch  nicht  durch  Länder- 
grenzen, sondern  Standortfaktoren  be- 
dingt war,  gestoppt  und  durch  frucht- 
bare Industrieansiedlungspolitik  an 
attraktiven  oder  verheißungsvollen 
Standorten  umgekehrt  werden. 

Man  mag  nun  natürlich  die  Auffas- 
sung vertreten,  daß  in  einem  einheitli- 
chen norddeutschen  Raum  mit  nur  einer 
Regierung  die  ökonomische  Anreiche- 
rung noch  besser  bewirkt  werden  kann. 
Hierbei  wird  aber  die  Tatsache  einer 
neuen  zentralen  Regierung  in  einer 
neuen    Hauptstadt   nicht   größere   Ak- 


tionskraft auslösen.  Es  gut,  was  die 
Kommission  selbst  aussagt,  daß  namUdi 
die  Zentralisiening  der  Hoheitsgewalt 
nicht  mit  größerer  Effizienz  gleichzu- 
setzen ist.  Der  Pluralismus  der  ver- 
schiedenen und  verschieden  orientierten 
Kräfte  hat  eigene  schöpferische  Im- 
pulse. 

Eine  andere  und  sicherlich  bedeutsa- 
me Frage  ist,  ob  nicht  im  Rahmen  eines 
norddeutschen  Staates  eine  wirksamere 
RaumordnungspoUtik  und  damit  auch 
noch  bessere  Standortbedingungen  und 
bessere  Lebensverhältnisse  geschaffen 
werden  können. 

Die  Kommission  legt  mit  Recht  ein 
Schwergewicht  ihrer  Untersuchungen 
auf  diesen  Aspekt  einer  erleichterten 
und  wirksameren  Raumordnung.  Sie 
verkennt  nicht  die  fruchtbaren  Resulta- 
te grenzüberschreitender  Kooperation 
auf  dem  Gebiet  von  Raumordnung  und 
Landesplanung,  unterstreicht  aber  die 
dabei  in  Kauf  zu  nehmenden  Reibungs- 
verluste und  die  große  wie  umständliche 
administrative  Struktur.  Alle  diese 
Ausführungen  haben  zweifellos  ein 
ernstes  Gewicht. 

Ebenso  hebt  die  Kommission  zu  Recht 
hervor,  daß  die  grenzüberschreitende 
administrative  Kooperation  sich  an  den 
Länderparlamenten  vorbeimanövriert, 
1  Fakten  schafft,  die  sich  im  Ergebnis  der 
parlamentarischen  Beeinflussung  ent- 
ziehen und  die  auch  nicht  durch  Ersatz- 
institutionen wie  den  Norddeutschen 
Parlamentsrat  effektiv  wahrgenommen 
werden  können. 

Die  politische  Mitwirkung  der  Parla- 
mente ist  nicht  nur  im  Bereich  der  vier 
norddeutschen  Staaten  begrenzt.  Die 
Raumplanung  und  Raumordnung  greift 
auch  allgemein  über  die  Ländergrenzen 
hinaus  und  bedingt  einen  Mitwirkungs- 
bereich des  Bundes.  Solches  gilt  auch 
von  den  Gemeinschaftsaufgaben,  und 
die  Länderparlamente  haben  auch  in 
dieser  Beziehung  verständlicherweise 
die  Gefahr  einer  Präjudizierung  im  ad- 
ministrativen Prozeß   hervorgehoben. 

Das  führt  zu  der  grundsätzlichen 
Frage,  wieweit  nicht  überhaupt  der 
Handlungsrahmen  von  Exekutive  und 
Legislative  durch  die  Erfordernisse 
einer  grenzüberschreitenden  Raumord- 
nung eingeengt  ist  und  bleiben  muß. 

Das  Gutachten  verweist  sodann  und 
ebenfalls  zu  Recht  darauf,  daß  es  vor 
allem  darauf  ankommt,  Entwicklungs- 
gebiete nicht  entlang  der  Längsachse  zu 
durchschneiden.  Ein  Schnitt  quer  durch 
die  Längsachse  wird  für  unvermeidlich 
gehalten.  Eben  eine  solche  Grenzzie- 
hung entlang  der  Längsachse  liegt  aber 
im  Gebiet  des  norddeutschen  Raumes 
und  im  Bereich  der  Stadtstaaten  nicht 
vor,  imd  damit  vermindert  sich  auch  das 
Gewicht  der  Setzung  neuer  Grenzen. 

Nach  den  praktischen  Erfahnmgen 
wie  nach  der  Rechtslage  liegen  die 
Hemmnisse  für  die  Durchführung  einer 
Raumordnung  weniger  bei  den  Landes- 
grenzen als  bei  den  kommunalen  Gren- 
zen. Es  ist  absolut  richtig,  wenn  das 
Gutachten  darauf  hinweist,  daß  die 
Durchtrennung  funktional  integrierter 
Räume  besonders  in  den  Stadtstaaten 
deutlich  wird  und  daß  durch  diese 
Trennung  Nachteile  entstehen. 


Ihre  Ursachen  sind  aber  weniger  die 
Landesgrenzen  als  die  kommunalen 
Grenzen,  und  sie  blieben  ein  Hindernis 
auch  nach  Beseitigung  der  Landesgren- 
zen. 

Wie  sehr  selbst  im  Einzelfalle  kom- 
munale Interessen  gerade  die  durch  die 
Ländergrenzen  angeblich  behinderte 
Verkehrsplanung  behindern,  liefert  der 
Streit  um  die  Anlage  des  Flughafens 
Kaltenkirchen,  bei  denen  der  Faktor  der 


Ländergrenzen  keine  Rolle  spielt.  Aber 
das  Problem  wird  natürlich  noch  ge- 
wichtiger im  Einzugsgebiet  der  Stadt- 
staaten. Damit  gewinnt  am  Rande  des 
Gutachtens  die  Problematik  der  kom- 
mimalen  Grenzen  ein  entscheidendes 
Gewicht.  Was  könnte  hier  die  Hemm- 
nisse beseitigen? 

In  erster  Linie  drängt  F^'^b  darnit  na- 
türlich die  Frage  auf,  ob  die  Umlandge- 
meinden  in  die  Großstadt  eingegliedert 
werden  sollen.  Das  wirft  die  Frage  nach 
der  optimalen  Größe  einer  Großstadt 
auf.  Hamburg  hat  aus  wohlerwogenen 
Erwägungen  in  seinem  Entwicklungs- 
modell und  dem  Flächennutzungsplan 
der  Größe  der  Bevölkerungszahl  und 
der  Nutzung  der  Flächen  Grenzen  ge-  I 


setzt.  Wir  dürfen  ganz  bestimmt  in  der 
Bundesrepublik  nicht  jene  fehlerhafte 
Entwicklung  anderer  Großstädte  nach- 
vollziehen, die  schließlich  durch  ihre 
Größe  mehr  oder  minder  unregierbar 
geworden  sind. 

In  jedem  Falle  wäre  aber  eine  Kom- 
munalreform die  unabdingbare  Folge 
einer  staatlichen  GebietsrcCorm«  wenn 
man  wirklich  die  Kaumordnung  vom 
Faktor  der  die  Entwicklungsgebiete 
durchschneidenden  Grenzen  unabhän- 
gig machen  will. 

Im  Rahmen  dieses  Artikels  kann  kei- 
ne Antwort  gegeben  werden,  aber  das 
Gutachten  geht  auf  dieses  Problem  auch 
nicht  näher  ein.  Es  streift  es  nur  mit 
zwei   Hinweisen. 


Die  Häfen  brauchen  die  Stadtstaaten 


Ein  weiteres  Problem  erster  Ordnung 
stellt  die  von  der  Kommission  vorge- 
schlagene Struktur  der  künftigen  See- 
häfen dar. 

Folgerichtig  in  ihrem  Ziel,  die  vier 
norddeutschen  Länder  in  ein  oder  zwei 
Länder  umzugliedern  und  die  Stadt- 
staatlichkeit der  Hansestädte  zu  besei- 
tigen, schlägt  sie  die  Herauslösung  der 
Seehäfen  aus  dem  stadtstaatlichen  Be- 
reich vor.  Sie  verkennt  aber  auch  nicht 
die  raumübergreifende  Funktion  der 
beiden  Universalhäfen  Hamburg  und 
Bremen,  der  auch  die  Einbringung  in 
einen  Nordstaat  nicht  angemessen  wäre. 
Sie  hat  daher  die  Bildung  einer  öffent- 
lich-rechtlichen Hafenkörperschaft 
konzipiert,  auf  welche  die  bisher  von 
den  Stadtstaaten  wahrgenommenen 
Funktionen  übertragen  werden  sollen, 
und  sieht  eine  Beteiligung  von  Bund, 
Ländern  und  Gemeinden  an  ihr  vor. 
Hierzu  ist  manches  kritisch  zu  bemer- 
ken. 

Wenn  man,  wie  die  Kommission 
meint,  die  Konkurrenz  der  Seehäfen  für 
nachteilig  und  eine  zentral  geleitete 
Seehäfenpolitik  für  richtig  hält,  wäre 
ihr  Vorschlag  erörterungswert.  Ist  aber 
nicht  ebendieser  Wettbewerb  gerade 
ein  entscheidender  Faktor  für  jene  Ent- 
faltung einer  Hafenproduktivität  ge- 
worden, die  aus  Trümmern  den  Häfen 
wieder  universale  Bedeutung  gab?  Bei- 
de Häfen  haben  es  verstanden,  sich  den 
geradezu  revolutionären  Veränderun- 
gen in  Umschlagmechanismus  und 
Schiffbau  anzupassen,  im  Wettbewerb 
mit  den  Auslandshäfen  zu  bestehen  und 
einen  ständig  wachsenden  Umschlag  zu 
erzielen. 

Es  gibt  keinen  Anhaltspunkt  dafür, 
daß  Konkurrenz  oder  die  stadtstaatliche 
Hoheit  den  Hafenerfordernissen  ge- 
schadet hätte;  die  Bilanz  ist  im  Gegen- 
teil positiv.  Die  Seehäfen,  wie  die  Kom- 
mission richtig  sagt,  sind  ein  wichtiges 


Instrument  großräumiger  Struktur  und 
Entwicklungspolitik  geworden,  aber  sie 
verstanden  auch,  dieser  Aufgabe  zu  ge- 
nügen. 

Die  Wechselwirkung  zwischen  Hafen, 
Industrieansiedlung,  Schwerpunkten 
des  Außenhandels,  Auswirkungen  des 
Elbe-Seiten-Kanals  werden  Produktivi- 
tätssteigerungen mit  sich  bringen,  wel- 
che zumindest  die  Anleihekraft  für  pro- 
duktive Investitionen  anheben  werden. 

Weiter  ist  die  Frage  zu  stellen,  ob  von 
der  Managementseite  her  sich  eine 
eigene  Seehafenorganisation  als  Mittel 
zu  besserer  Effizienz  anbietet.  Die  Er- 
fahrungen mit  der  New  Yorker  Port 
Authority  können  hier  nur  schrecken. 
Das  vitale  Interesse  der  Hansestädte  an 
„ihren"  Häfen  als  Quelle  ihrer  Kraft 
und  ihres  Werdens  würde  administrativ 
wegamputiert  werden.  So  bedarf  es  si- 
cherlich noch  eingehender  Überlegun- 
gen, ob  der  angebotene  Ersatz  ein  glei- 
ches dynamisches  Interesse  und  Durch- 
setzungsvermögen verbürgt. 

Gegen  eine  autonome  Hafenkörper- 
srhaft  läßt  sich,  politisch  betrachtet; 
schließlich  eben  das  Bedenken  erheben, 
das  die  Kommission  selbst  gegenüber 
den  eingerichteten  kooperativen  Insti- 
tutionen der  Raumordnung  und  Lan- 
desplanung erhoben  hat.  Die  neue  Kör- 
perschaft wäre  der  parlamentarischen 
Kontrolle  weitgehend  entzogen. 

Vielleicht  darf  als  historische  Remi- 
niszenz daran  erinnert  werden,  daß  vor 
v/enigen  Jahren  —  wie  auch  schon  frü- 
her zu  Bismarcks  Zeit  bei  den  Zollan- 
schlußverhandlungen —  einmal  die  Frei- 
hafenprivilegien in  Frage  gestellt  wur- 
den. In  beiden  Fällen  hing  es  von  der 
Autorität  und  dem  Einfluß  des  Staats- 
oberhauptes ab,  daß  ihm  die  Türen  zu 
den  entscheidenden  Stellen,  vor  weni- 
gen Jahren  zu  den  Kommissaren  der 
EWG,  offenstanden,  um  die  Gefahr  ab- 
zuwenden. 


Ist  der  Nutzen  größer  als  die  Kosten? 


Im  politischen,  im  ökonomischen  und 
im  administrativen  Raum  läßt  sich,  wie 
bisher  dargelegt,  neben  ein  Pro  auch 
jeweils  ein  Kontra  setzen.  So  kommt  es 
im  Endergebnis  auf  eine  genaue  Rech- 
nung an,  die  Kosten  und  Nutzen,  soweit 
irgend  meßbar,  nebeneinanderstellt. 
Hier  liegt  die  eigentliche  Schwäche  des 
Gutachtens. 

Eine  solche  Gesamtrechnung  liegt 
nicht  vor.  Angestellte  Teilrechnungen 
sind  unvollständig,  und  die  in  pauscha- 
len Begriffen  zwar  nachdenkenswerten, 
aber  doch  nicht  zahlenmäßig  kalkulier- 
ten Ergebnisse  des  Rationalisierungser- 
folgs geben  Anlaß  zu  Zweifeln  an  Ihrem 
Aussagewert,  an  der  richtigen  Grenz- 


ziehung zwischen   Illusion  und  Wirk- 
lichkeit. 

Das  gilt  zunächst  für  die  Frage,  ob  die 
Neugliederung  ein  ausreichend  finanz- 
kräftiges Land  schafft.  Das  Gutachten 
enthält  hierzu  eine  Reihe  von  statisti- 
schen Berechnungen,  die  selbstver- 
ständlich zu  dem  Ergebnis  führen,  daß 
mit  der  Mitgift  der  Hansestädte  bei  der 
vier-  oder  zweiköpfigen  Hochzeit  die 
Steuereinnnahmen  der  Länder  sowie  der 
Länder  und  Gemeinden  zusammenge- 
rechnet eine  bessere  Durchschnittsquote 
für  das  oder  die  neuzubildenden  Länder 
erreichen  als  die  bisherigen  Flächen - 
Staaten.  Das  ist  aber  ein  rechnerisches 
Ergebnis,    wie    auch   die    Kommission 


Infrästmktunnaßnabmen   von    der    ad- 
ministrativen  Seite  her  fruchtbare  Er- 
gebnisse ausgelöst  werden  können,  wel- 
'  che  die  ökonomische  Standortlage  über 
das  bisherige   Maß   hinaus  verbessern. 
Hier  mögen  gewisse  Möglichkeiten  lie- 
gen. Denn  welche  Verwaltung,  Planung 
und       Infrastrukturausstattung      wäre 
nicht  verbesserungsfähig? 

Im  großen  und  sogar  bis  ins  Detail 
liegen  aber  die  Pläne  für  Raumordnung 
und  Erschließung  bereits  vor,  werden 
auch  ausgefüJul,  so  daß  senaatlonelle 
Veränderungen  in  der  Ausrichtung 
nicht  zu  erwarten  sind. 

Es  erscheint  am  Platze,  in  diesem  Zu- 
sammenhang darauf  hinzuweisen,  daß 
selbst  im  großen  Flächenstaat  Preußen 
das  Gefälle  von  Ost  und  West  und  von 
Region  zu  Region  auch  nicht  annähernd 
im  Sinne  einer  Einheitlichkeit  der  Le- 
bensverhältnisse ausgeglichen  werden 
konnte. 

Weiter  ist  noch  zu  bedenken,  daß  mit 
einer  zu  erwartenden  und  möglichen 
Verbesserung  der  administrativen 
Struktur  Kosten  entstehen,  die  in  der 
Kosten-Nutzungs-Rechnung  berück- 
sichtigt werden  müssen,  im  Gutachten 
aber  nur  gestreift  oder  überhaupt  nicht 
kalkuliert  sind. 

Ein  Problem  in  dieser  Hinsicht,  und 
kein  kleines,  stellt  der  mit  der  Neuglie- 
derung vorzunehmende  Aufbau  einer 
neuen  Landesverwaltung  dar.  Das  Gut- 
achten äußert  sich  nur  zum  erforderli- 
chen Mindestumfang,  den  es  mit  sechs 
Ministerien  und  rund  1500  Bediensteten 
veranschlagt.  Diese  Schätzung  wird  in 
der     Wirklichkeit     weit     überschritten 

werden. 

Im  Anschluß  an  die  in  den  bisherigen 
Ländern  vorhandenen  Ministerialorga- 
nisationen  ist  mit  mindestens  neun  Mi- 
nisterien plus  Staatskanzlei  zu  rechnen, 
eine  Zahl,  die  übrigens  auch  im  Hinblick 
auf  eventuelle  Koalitionsregierungen 
als  unvermeidlich  erscheint.  Ebenso  ist 
die  Zahl  von  nur  1500  Bediensteten  be- 
stimmt zu  niedrig  gegriffen. 

Hoher  Personalaufwand 

Nach  in  Hamburg  angestellten  Be- 
rechnungen ist  wohl  eine  Mindestzahl 
von  rund  4000  bis  5000  Bediensteten  an- 
zunehmen, ohne  eine  nach  dem  Trend 
und  dem  ständigen  Aufgabenzuwachs 
noch  zu  erwartende  Wachstumsrate  von 
fünf  Prozent.  Zieht  man  hiervon,  sollte 
Hamburg  die  Hauptstadt  des  größeren 
Landes  werden,  die  hier  in  der  bisheri- 
gen Ministerialverwaltung  beschäftig- 
ten rund  700  Bediensteten  ab,  so  hätte 
man  für  alle  Fälle  mit  einer  Zahl  von 
4000  Beschäftigten  in  der  neueii  Mini- 
sterialverwaltung zu  rechnen.  Mit  den 
Familien  würde  das  einen  Zuwachs  von 
mindestens  12  000  Personen  bedeuten. 
Das  bedingt  neue  Verwaltungsgebäude, 
neue  Wohnungen,  neue  Schulen  und 
Folgeeinrichtungen. 

Alles  in  allem  wird  man  mit  einem 
Aufwand  von  mindestens  1,5  Milliarden 
DM  rechnen  müssen.  Verglichen  mit  den 
in  den  Förderungsfonds  der  gemeinsa- 
men Landesplanungsräte  Hamburgs 
mit  Schleswig-Holstein  einerseits  und 
Niedersachsen  andererseits  veran- 
schlagten Kassenausgaben  von  41  Mil- 
lionen DM  in  1973,  wird  auf  drastische 
Weise  das  Problem  dieses  zunächst 
unproduktiven  Verwaltungsaufwandes 
siditbar. 

Es  gibt  noch  eine  Fülle  von  Ausfüh- 
rungen im  Gutachten,  die  kritisch  an- 
zusprechen wären.  Abschließend  bleibt 
zu  bemerken,  daß  die  hier  versuchte 
kritische  Bewertung  des  Gutachtens 
nicht  erschöpfend,  aber  auch  nicht  mit 
dem  Anspruch  der  Endgültigkeit  des 
Urteils  vorgebracht  wird.  Sie  soll  zei- 
gen, daß  das  Gutachten  eine  wertvolle 
Ausgangsbasis  für  weitere  Diskussionen 
und  Prüfungen  darstellt  —  aber  eben 
nur  eine  Ausgangsbasis. 


^ 


7ij\ 


li^€^ui4Pl  d-i^'' 


STIFTUNG  F.V.S.  ZU  HAMBURG 


.^^-^ 


HANSISCHER 
GOETHE-PREIS  1975 


STIFTUNG  F.V.S.  ZU  HAMBURG 


Verleihung  des 


HANSISCHEN  GOETHE-PREISES  1975 


an 


Herrn  Bundesminister  a.  D. 


Professor  Dr.  jur.  Dr.  h.c.  Carlo  Schmid 


Bonn 


Hamburg,  am  29.  April  1975 


.  f-^  '  1^; : 


;  ^),'??-»  ^Vi 


Vorderse 


ite  der  (ioldinrdaill«'  /uiri  llaiisis 


[•lun  (ioctho-Preis 


von 


Hans  M.  KiiwoMl.  Mamlmrg 


Am  29.   April   1975  rrfolfi 


Igtr  die  feierliche  Überreichung  des 


mit 


ÜM  2o.0()(), 


dotierten  Hansisc 


hen  Goethe-Preises  im  GrolWn  Fest- 


saa 


1  der  Patriotischen  Uest 


dlschaft  von 


1765  zu  Hamhurg. 


Die   Stiftung 


hatte   den    Preis   ers 


tmalig    1950   zur   Auszeichnung 


iil)ernationa 


1er  G 


esinnung 


uml  hnmani 


tärer  Bestrebungen 


und  I 


ei- 


stnngen  zu 


r  Verfügung  gestellt. 


Die  bisherigen  Preisträger  waren 


1950      Professor 


Dr.  Carl  .Jacob  Burckhardl.  Schw 


eiz 


Professor  Dr.  Martin  Buber.  Israt 


1951 

1952      Professor 


1 


Dr.  Eduard  Spranger.  Tübingen 


lOSii      Bischof  Eivind  Bcrggrav.  Norwegen 


1954      'Ihomas  Stearns 


55      Gabriel  Marcel.  Frankreich 


195 

1956  Walter  Gropius 

1957  Professor 

1958  Professor 

1959  Allbundespräsic 
1961  Benjamin 
1963  Professor 


Eliot.  Großbritannien 
h 


USA 


Dr.  Alfred  Weber.  Heidelberg 
D.  Dr.  Paul  Tillich.  USA 


lenl 


Professor  Dr.  Theodor  Heuss. 


B 


onn 


Britten.  England 

Dr.  Wilhelm  Flitner,  Hamburg 


|9( 


>.> 


H 


ms  / 


\rp.  Frankreich 


7      Salvador  de  Madariaga.  Spanien 


1  967 

1<)()9  l'rofessor 

|<)71  Dr.  (Jiorgi 

1972  i*rofessor 


England 


Dr.  Hoben  Minder.  Frankr 


eich 


o 


Strehler.  Italien 


Dr.  Dr.  h.  c.  m 


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l<)7:i      ManesSper 


her.  Frankreich 


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he   Kiiratorinii 


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ilz  des  ehemaligen 


Ersten  Bürgermeisters 


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Prof 


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Dr.  Herben 


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tun  Preisträger 


ladt  Hamburg, 
für  das  Jahr  1975 


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Professor  Dr 
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Dr.  h.  c.  Carlo  Schmi«l.  Bonn. 


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1  Polilik«M- 


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In  den  bis  auf  den  letzten  Platz  gefüllten  Käunien  der  Patrio- 
tischen Gesellschaft  befanden  sich  zahlreiche  Ehrengäste  aus  Politik, 
Wirtschaft.  Wissenschaft  und  Kunst,  darunter  die  Mitglieder  des 
Senats  der  Freien  und  Hansestadt  Hamburg  Professor  Dr.  jur.  Klug 
und  Dr.  med.  Nölling,  die  ehemaligen  Ersten  Bürgermeister  Dr.  Kurt 
Sfeveking  und  Peter  Schulz,  der  Vizepräsident  der  Hamburgischen 
Bürgerschaft.  Herr  de  Chapeaurouge,  der  Botschafter  der  Bundes- 
republik Deutschland  in  Paris.  Sigismund  Freiherr  von  Braun,  der 
Doyen  und  mehrere  Mitglieder  des  Hamburger  Konsularkorps. 

Der  Vorsitzende  des  Preiskuratoriums,  Erster  Bürgermeister  i.  R. 
Professor  Dr.  Herbert  Weichmann.  Hamburg,  hielt  die  Begrül.Uings- 
iMisprache.  Die  Würdigung  des  Preisträgers  hatte  der  Schriftsteller 
Siegfried  Lenz.  Hamburg,  übernommen.  Frau  Enimele  Toepfer, 
Gattin  des  Stifters  und  Vorsitzenden  des  Stiftungsrates,  überreichte 
Urkunde  und  Medaille  dem  Preisträger,  der  mit  einer  eindrucksvol- 
len Rede  dankte. 

Der  Monteverdi-Chor  Hand)urg  unter  Leitung  von  Universitäts- 
musikdirektor  Professor  Jürgen  .lürgens  umrahmte  die  Feier  mit 
Liedern  von  Johannes  Brahms  nach  einem  Text  von  Goethe  und  zwei 
Goetheliedern  von  Moritz  Hauptmann. 

Anschließend  gab  die  Stiftung  zu  Ehren  des  Preisträgers  ein  Essen 
im  Atlantic  Hotel. 

Die  Stiftung  dankt  dem  Preiskuratorium,  seinem  Vorsitzenden 
insbesondere  für  die  Begrüßung.  Herrn  Siegfried  Lenz  für  die  Lau- 
datio, dem  Preisträger  für  seine  Festrede,  dem  Monteverdi-Chor 
Hand)urg  für  seine  musikalischen  Darbietungen,  der  Patriotischen 
Gesellschaft  von  176S  für  die  tiberlassung  ihrer  Räume  und  allen, 
die  zu  dem  Gelingen  der  Veranstaltung  beigetragen  haben. 

Im  Folgeiulen  werden  die  Begrüßungsansprache  von  Professor  Dr. 
H.  Weichmann,  die  Laudatio  von  Siegfried  Lenz  und  die  Rede  des 
Preisträgers  im  Wortlaut  wiedergegeben. 


Begrüßungsansprache  des  Kuratoriumsvorsitzenden, 
Bürgermeister  i.  R.  Professor  Dr.  Herbert  Weichmann,  Hamburg 


Meine  Damen  und  Herren! 

Ks  is,  „arh  .l,n,  Progra.nn,  .Heser  Veranstaltung  ,lie  Aufgal.e  des 

Vorsitzenden  des  Kuratorinms  für  den  Hansischen  Goethe-Pre.s    S.e 

in,  NanuM.  diese.,  Gren.iun.s  wie  des  Stifters  zu  l,egrül.!en.  Was  aber 

lieil.it  ISegriiliung  heute  und  hier? 

Ansehnli.1.  ist  die  Zahl  der  Preisverleihungen  u,ul  gewilJ  noeh  an- 

sehnlieher  das  Gewieht   der  Persönliehkeiteu.  denen  ^^'^'  ^'"Y"' 

liehen  wurde.  So  ist  liegriitinng  ein,.  Houline  und  ist  es  doeh  gleuh- 

zeitig  ganz  und  gar  nicht. 

Das  Kenn.eiAen  unserer  Zeit  ist  wohl,  dall  si.l.  u.n  uns.  in,  natio- 
„alen  „ie  i,u  iil.ernationaleu  Rah.nen.  die  gesellsehafthchen  Bed.n- 
gungen.  unter  denen  wir  lehen.  ständig  und  i,n,ner  sehne  1er  vera,,- 
der,'.  Neue  M.gliehUeiten  in  Teehnologie  und  WissensAaft.  d.e  ke.- 
„eswegs  i,„,ner  als  Forts.l.ritt  auf  de,n  Weg  in  e.ne  bessere  Welt  zu 
verzeichnen  sind,  setzen  dauernd  neue  Vorze.ehen  für  d.e  s  ruku.- 
relle  Gestaltung  unserer  IJn.welt.  Neue  ökono.u.sehe  und  pol.t.s  1  e 
Machtpositionen  sind  entstanden  und  werden  ausge.u.tzt.  we  .        I  e 
bisherige  Struktur  der  i.konon.ischeu  internatu.naleu    V"«-  >    '•' ^ 
und  die  bisherigen  Spielregeln  des  politischen  U.ngangs  der  V      Ur 
einschneidend  verändert  haben.  Mit  neuen  Monopolen  auf  de       .neu 
nnd   neuen   Abhängigkeiten    auf  der   anderen   Se.te   '■•;'•-;' 
Positionen  auf  den  Feldern  des  P"'i'-^'-'^:  -'■'''"""',  "  '''';; 
.„..,   aie   n.al.lgebli.l.en   Figuren  sind  zun,  Ted   "-^--^  ^'^  ^^  * 

<-> rr:t''::r";'' ;:;::  iiir^r^g  ■ . 

:;— rrv:;i:,:t.; ---r'"  "::;:i 

Chile  und  in  Portugal  o. n  einen  late,.ten  K-P  —         "  «-^ 

Positionen  durch   V,.rän.lerung  .ler  gesells.lu.ftspobt.s.l.en  V.rhalt 

,:  er  der  bisher  gege Machtsspbi, ^  '"  :;;^'Z. 

, .„„spannungspoli.ik.    Kassen    Sie    h.    .u nudestens    zun. 


Nacluleiiken.  ein  Wort  aus  gewiß  nicht  als  reaktionär  zu  veraüehti- 
{^ender  Quelle  zitieren,  eine  Äußerung  von  George  Meany,  des  Füh- 
rers der  American  Federation  of  Lahor,  eine  Schlußfolgerung   aus 
einer  Betrachtung  üher  den  Zusammenhruch  von  Kissingers  Nah-Ost- 
Politik.   die   er   kürzlich    im   Organ   seiner   Gewerkschaft    veröffent- 
lichte: Er  sagte:   „Üherall   ist   der  Kommunismus   auf  dem  Marsch, 
üherall  hefindet  sich  der  Westen  im  Rückzug".  Und  er  sagt  ferner 
zu  diesem   Machtverfalle,   daß   er  zusammenhänge   mit   dem   in   der 
Welt  weitverhreiteten  Glauhen.  daß  die  Rhetorik  der  Entspannung 
einen  Mangel  an  Mut  maskiert,  einen  Mangel  an  Willen,  die  mit  der 
Verteidigung    der    Freiheit    verhundenen    Bürden    noch    länger    zu 
tragen. 

Das  sind  gewiß  üherlegenswerte  Worte  grade  auch  hei  einer  Feier, 
die  dem  Gedanken  der  Humanität  und  seinen  Vertretern  gilt  und 
wir  sollten,  im  heimatlichen  Rahmen,  auch  unseren  Verteidigungs- 
minister nicht  allein  mit  seinen  Leherschmerzen  lassen. 

Mit  diesen  Bemerkungen  will  ich  nicht  dem  Prinzip  der  Entspan- 
nungspolitik eine  Ahsage  erteilen,  aher  sie  muß  sein  und  werden, 
was  zu  sein  sie  vorgiht.  und  nicht  ein  Prozeß,  wo  einer  spinnt  und 
der  andere  spannt.  Das  ist  natürlich  in  weltweitem  Rahmen  und 
nicht  nur  als  Hausrezept  zu  verstehen.  Offeidiar  hat  die  Periode 
eines  gesicherten  Friedens,  deren  wir  uns  25  Jahre  nach  dem  zweiten 
Weltkrieg  erfreuen  durften,  ein  Ende  genommen,  und  auch  diese 
Tatsache  ist  ein  Ausdruck  veränderter  Machtpositionen,  verstärkter 
Aggressivität  auf  der  einen  und  verminderten  Widerstandswillens 
auf  der  anderen  Seite.  Schließlich  muß  die  einst  so  hoffnungsvolle 
Mission  der  Vereinten  Nationen  als  Sachwalter  des  Friedens  in 
Zweifel  gezogen  werden. 

Mit  dieser  Veränderung  ohjektiver  Gegehenheiten  unterliegt  auch 
das  Bewußtsein  der  Menschen  dauernden  Veränderungen.  Verwir- 
rung üher  eine  verwirrte  Welt  hreitet  sich  in  den  Köpfen  aus.  die 
Ansprüche  weehseln,  vermehren  und  steigern  sich  in  ihren  Wider- 
sprüchen. Die  gesellschaftliche  Gegenwart  ist  durch  Prohleme  ge- 
kennzeichnet, deren  Fülle  in  genauem  Gegensatz  zu  dem  Mangel  an 
Antworten  steht,  welche  di<'  Zeit  erfordert  und  mangels  Voraus- 
schauharkeit  doch  nicht  gehen  kann. 

«  Die  Folge  davon  ist.  daß  gerade  auch  in  demokratischen  Staaten, 
in  denen  die  Freiheit  den  gesellschaftlichen  Kräften  Bewegungsrautn 


hietet,  Unsicherheit  üher  den  rechten  Weg  aufkommt,  politische 
Gegensätze  sich  üher  Gehühr  verschärfen  und  die  unerläßlichen 
Spielregeln  für  ein  friedliches  Lehen  in  humaner  Gemeinschaft  an 
Geltungskraft  verlieren. 

War  es  aher  wirklich,  so  darf  man  wohl  gerade  hei  der  Verleihung 
des  Hansischen  Goethe-Preises  fragen,  zu  Goethes  Zeiten,  in  denen 
er  uns  ehen  die  ethischen  Spielregeln  für  die  Gattung  Mensch  vermit- 
telte,  anders? 


Blick  auf  das  Aiulitoriuin 

•  1  11   .l«r  Vpräiiderungskoeffizient  der  heu- 

Nun    gewiß  hat   sich  wohl  der   Verduaerung 

,i,l  WeT.  i.n  Verhal.-i.  ...  »ei,.er  Zei,  po.e..ziert   f"-  ""  l""-'; 
'    Bew..,.i,..-i..s.....a....  .ler  Me„.*e,.  war  aber  -  -^'-J     '  T," 
.      •  u.  ■     <1.-lnn„e    seilen.  Iieillos  d..r.-he...a...ler.  W.llk..r  der 
a..d.  ...At  ...  Ord......g.  so. ..  Klei,.s.aaterei,  Kriege  u..d 

Staatsgewalt  >'"'  ""•'"''*"^  '  1  „^  ^'^es  .la...alige„  Zeittl.eaters 
Revolu.ione,.  «5«''-'-'  "7,f  ^t  ,.  .u.,,«,,  fehlte  ei..  allge.„ein 
a.if  .ler  Welte..l.iil...e.  Ami.  der  \*  eil  v«..  ,uA»f.s..olitischen 

«•^  ^"'"^  "■'.--'-"  ^^;;::r.:r:;:r:tii::  w.t:.e:C.w^ 

Verl.al.e..s.  Ja  sogar,  .n  AI  ■"«««"■  «  '  «  ^^ 

vo,.  da,..als  ....d  heute  <'-'-;;;..••;;.,  ::^  i„  aer  Bejah....g  des 
Slaalsgefiige  we..igste..s  der  Uherei..st.......u   g 


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*:»     f?*^! 


freiheitlichen  und  sozialen  Rechtsstaates  erfreuen,  so  sehr  auch  Mei- 
nungsversdiiedenheiten  iiher  seine  Anpassung  an  die  Zeit  und  seine 
progressive  Fortgestaltung  bestehen  mögen.  So  hatte  Goethe  sicher- 
lidi  nicht  unter  geringeren  Schwierigkeiten  seinen  Weg  zu  suchen, 
dem  Menschen  eine  würdige  Bestimmung  zu  weisen,  dem  Geist  ver- 
pflichtende Haltung  aufzuerlegen,  der  Gemeinschaft  sittliche  Ziele  zu 
setzen.  Er  tat  dies,  in  Wort  und  Schrift,  aber  nicht  zuletzt  auch  im 
Gebrauch  seiner  Gaben  zu  der  Persönlichkeit,  die  er  wurde  und  die 
ein  Vorbild  setzte.  Solches  geschieht,  wie  er  in  „Dichtung  und  Wahr- 
heit" sagt,  durcli  einen  Prozeß  des  sich  selbst  Findens  dadurch.  ..daß 
wir  von  einer  Seite  uns  zu  verselbsten  genötigt  sind,  von  der  andern 
in  regelmäßigen  Pulsen  uns  zu  entselbstigen  nicht  versäumen". 

Heute  feiern  wir  nun  einen  Mann,  der  sicherlich  in  der  Zahl  der 
.Tahre  und  der  Masse  der  Erfahrung  sein  Leben  wie  Goethe  in  einer 
ihm  eben  eigenen  Weise  ausleben  durfte  und  es  auch  tat.  als  homme 
de  lettres,  als  Staatsmann,  als  Parlamentarier,  als  typus  sui  generis 
und  doch  als  Mensch  wie  wir  und  als  unser  Zeitgenosse. 

Aber  es  ist  nicht  meine  Aufgabe,  hier  die  Laudatio  zu  halten. 
Vielleicht  darf  ich  aber  einige  Worte  zur  Wahl  des  Laudators  sagen. 
Vielleicht  hätte  es  nahegelegen,  für  die  Laudatio  eine  Persönlichkeit 
zu  suchen,  die  in  etwa  gleichaltrig  und  aus  gleicher  Lebenserfahrung 
das  Wesen  und  Wirken  unseres  Preisträgers  zu  würdigen  vermocht 
hätte.  Gerade  ein  solclier  Gesichtspunkt  erschien  jedoch  dem  Kura- 
torium nicht  dem  Sinn  des  Preises  als  eine  Botschaft  an  breite  Kreise 
angemessen.  Es  sollten  nicht  Rej)räsentanten  derselben  Generation 
gleichsam  Zwiesprache  mit  sich  selber  führen  oder  Alterserkennt- 
nisse vermitteln,  welche  möglicherweise  über  die  Generationsgrenze 
hinaus  nicht  rezeptiert  würden.  Uns  schwebte  vor.  einen  Laudator 
und  Interpreten  zu  finden,  der  eben  einer  anderen,  jüngeren  Genera- 
tion angehörte  und  eben  damit  in  der  Lage  war,  den  Sinn,  den  Carlo 
Sclimid  seinem  Leben  gab,  in  der  fortlebenden  Wirkung  als  Heraus- 
forderung. Vorbild  oder  vererbtes  Gedankengut  darzustellen. 

In  Siegfried  Lenz  glauben  wir  diesen  re(4iten  Interpreten  gefunden 
zu  haben.  Als  Schriftsteller  von  großer  Begabung,  dessen  Kunst  Mil- 
lionen Leser  faszinierte,  als  ungewöhnlich  einfühlsamer  Mensch  für 
menschliche  Dinge,  als  kritischer  Geist,  der  nicht  negiert,  sondern  in 
seiner  Handschrift  von  positiven  ethischen  Postulaten  motiviert  ist, 
—  so  richteten  sich  unsere  Blicke  auf  ihn.  und  wir  danken  ihm  be- 
sonders, daß  er  freudig  diese  Herausforderung  annahm. 


Er  bat  freilich,  so  darf  ich  vermerken,  es  sich  zuvor  schwer  gemacht 
abzuliefern  das.  was  man  eben  eine  Laudatio  nennt,  die  ja  schließ- 
lich nur  für  eine  Persönlichkeit  in  Frage  kommt,  an  der  etwas  vor- 
bildlich ist.  Siegfried  Lenz  hat  in  seinem  Roman  ..Das  Vorbild"  eben 
das  Problem  solcher  Mustergestalten  mit  harter  Schraffierung  ge- 
kennzeichnet. „Vorbilder",  so  schreibt  er  dort,  „sind  doch  nur  eine 
Art  pädagogischer  Lebertran,  den  jeder  mit  Widerwillen  schluckt, 
zumindestens  mit  geschlossenen  Augen.  Die  erdrücken  doch  den  jun- 
gen Menschen,  machen  ihn  unsicher  und  fordern  ihn  auf  ungezie- 
mende Weise  heraus.  Alles  was  sich  von  den  Thermopylen  bis  Lam- 
barene  überlebensgroß  empfiehlt,  ist  doch  nur  ein  strahlendes  Arger- 
nis.  das  nichts  mit  dem  Alltag  zu  tun  hat".  Ist  es  so?  Nun.  wir  sind 
gespannt. 

Ihnen  allen  aber,  die  Sie  hier  erschienen  sind,  danke  ich.  daß  Sie 
selbst  durch  Ihr  Erscheinen  unsere  Wahl  von  Preisträger  und  Lauda- 
tor billigen  und  damit  auch  dem  Preis  selbst  und  dem  Gedanken  sei- 
nes Stifters  erneute  Bedeutung  als  bleibende  Anregung  zu  guten 
Werken  und  Gedanken  verleihen,  die  humanem  Wirken  in  unserer 
verwirrten  Gesellschaft  dienen  und  damit  ihren  Wegen  fruchtbare 
Zeichen  setzen  oder  zumindestens  ein  fruchtbares  Argerms  liefern. 


8 


A ./?. 


Laudatio  auf  Carlo  Sdimid 
von  Siegfried  Lenz 

Die  SlraBe  —  als  Ort  der  Demokratie  betraditet 

Au,l,  wenn  es  naheliegt,  i.1.  mö-l.te  erst  gar  „iA.  den  Versud. 
,..a.4,en.  Goethe  nnd  Carlo  Sd.n.i.l  Arm  in  Arm  Ul.er  d>e  Kohlhrand- 
hrü.ke  daherkonunen  .u  lassen.  Id.  «ill  n.ir  .las  ""^■'  -'''•"■'^■..^';^ 
versagen,  das  die  frappierende  oder  gar  noeh  nnentdeekte  Nahe  des 
Diehterfürsten  zn  den.  Ma..n  l.eweisen  soll,  den  w.r  '-"  "  "'^  fm  " 
fä..ger  des  Hansische,.  Goethe-Preises  ehren,  l  nd  nh  n.oeh.e  s.l  l.eß- 
lieh  aneh  nieh.  n.it  .ler  Ahsidu  im  Zi.a.enwald  holzen,  nn.  l.e.de  - 
.le,.  Geheimen  Rath  n,.d  de,.  Sozial.le,.,«kraten  -  als  .nnere  X^  ahl- 
!::.andte  präsentieren  .n  k.nnen.  als  traute  Brüder,  die  gen.e„,sam 
vo,.  der  V„r,,ngs,nilel.  des  Anßerordentliel.e..  ge..ossen  hahe... 

Was  hei  dieser  Gelegenheit  nnd  gleid.  zu  A..fang  vielmehr  e,n- 
,  ,        ,,,„1  .las  ist  die  a«fsel.lnl.!reid,e  Ferne,  die  den 

gesta..dei.  werden  sollte,  ilas  isi  u.e  j;.,.,« 

Preisträger  von   dem   hiirgerliehe..  Genius   trennt.  ''"/' -■"  «»^»^  " 
l  reisiragir  ,         ,     ,     n-.^   ist    —  trotz  <.arlo  Seh,n,<ls 

Preis   seine..   Nan.en   gegel.e.,   hat.   Das   ,st, 

hekenntnishafter  Hede  ..Goethe  als  W  egwetser  zn  ,n,r  seihst  -Kr 

fist  Imerzlieh  berührende  C.tersd.ied  in  heider  t3   e-™- 
wo  das  Allgemeinwohl  eines  Volkes  zu    ,. nie.,  se.  .  .  - 

I   •  W.Ot    ,]\o  ohne  die   XV  ahrheit  der  Aktion  nuht  vor 

.u.,.al  ,„  e„,er  W     t    du      h  ^__^  ^^^^^^^^^^  ^,  ,^^.,_^_^,, 

ändert   werd<Mi    kann        -  "«  •      "?. 

zwis.hen  einer  vita  eo.,te.npla.iva  u..d  einer  v„a  acttva. 

LI,  gehe  zu:  mit  SehUhr  hütte,.  wir  es  leichter. 

Der  ha.  nicht  nur  das  Hochpo.ittsd.e  in  .lie  Did.t....g  ei,,gehr..d>t 
1         i    c^kr  viel  von  der  P  ivsik  der  Macht.         nnd  ..iviacni 
er  versta..,l  and-  -'^  J  .^^  S,^,,,,,,  ,,,  ,i„e  seiner  wesentlid.sten 
zn  vern.ensd.l.ehe,.     sah  (.arlo  S.».  K«..ve„t  der 

Anfgahen  in  der  Politik  an.  Ks  war  "''';•;';,,,,  ..„.„e. 
,.>anzosis..he„  Hevoln.,o„  -■•;  J  -f  J  .  " ,,  ,'...  ^V...fül,rer 
Und  „ich.  zuletzt  war  es  anch  ^  '"""■•*'  ,,„„,|„„,  |,is  Paris 

revolutionärer  Veriin.lernng  her.e  e„    d       von  '      "  ^ 

die  Selhsthefreiung  des  Volkes  herhe.zufuhre,,  versnd..e„. 

11 


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•ff     <•  j 


Goethe  dagegen,  der  ..gesetzte  Dichter",  wie  man  ihn  in  Karlshad 
genannt  hat.  schloß  die  Politik  als  Gegenstand  der  Poesie  nachdrück- 
lich aus,  —  Eckermann  hat  es  uns  üherliefert.  Des  großen  Weimara- 
ners  Verhältnis  zur  Französischen  Revolution  war  gekennzeichnet 
durch  Fassungslosigkeit  und  Feindseligkeit;  nacli  seinen  eigenen 
Worten  zehrte  diese  Revolution  an  ihm  wie  eine  Krankheit.  Volks- 
herrschaft schließlich:  die  wollte  ihm  tatsächlich  nur  als  Pfuscherei 
vorkommen,  denn  .,Das  Volk  ist  zum  Schlagen,  nicht  gut  zum  Katen"; 
zum  Herrschen  müsse  man  gehören  sein. 

So  sehr  diese  Gelegenheit  verlangt,  daß  man  sich  das  Trennende 
eingesteht,  so  entschieden  wehre  ich  mich  allerdings  gegen  den  wohl- 
feilen   Wunsch.    Goethes    politischen    Üherzeugungen,    seinen    Anti- 
demokratismus.  nur  mit  Nachsicht  oder  Aggressivität  zu  hegegnen, 
—  in  der  Art.  wie  es  manche  Sozialisten  des  vergangenen  Jahrhun- 
derts taten.  (Frinnern  wir  uns.  in  weiterem  Zusammenhang,  heiläufig 
daran,  daß  an  Goethes  150.  Gehurtstag.  1899.  in  der  Hauptstadt  des 
Deutscheu  Reiches  nur  zwei  öffentlidie  Feiern  stattfanden,  und  die 
wurden  von  der  freireligiösen  Gemeinde  und  den  Anarchisten  ver- 
anstaltet.) Mehr  als  zu  verurteilen,  kommt  es  hier  darauf  an.  zu  ver- 
stehen, und  wie  vorurteilslos  und  einträglich  dies  gesclu'hcn  kann, 
das  hat.  gerade  am  Beispiel  Goethes.  (]arlo  Schmid  seihst  hewiesen. 
und  zwar:  mit  all  dem  Vorsprung  seines  zeitgemäßen  politischen  Wis- 
sens, mit  der  sozialen   Resorgtheit  und   ReizempfindlichkiMt   unserer 
Zeit.  (Ich  persönlich  kann  mich  nicht  mit  der  verwunderten  Herah- 
lassung  hefreunden.  mit   der  so  mancher  hei  der  lJher])rüfung  d<'r 
Alten  feststellt:  Sieh  einer  an.  das  hat  der  auch  schon  gewußt,  oder 
eher:  Dem  war  es  halt  nicht  gi'gehen,  erkenntnislheoretisch  so  auf 
der  Höhe  zu  sein  wie  wir  seihst.) 

W  ir  ehren  heute  einen  Mann.  d«'r  das.  was  er  in  der  Stunde  der 
deutschen  Niederlage  von  sich  seihst  glauhte  erwarten  zu  müssen, 
nicht  uid)edingt  uiul  keineswegs  automatisch  auch  von  anderen  er- 
wartet. So  hat  er.  der  Soziahlemokrat.  den  Olympier  mit  einem  Ar- 
gument in  Schutz  genommen,  das  dieser  —  wie  wir  wissen:  alles 
andere   als  glü<kli(lie  Mann  seihst    für   sich   in    Anspruch   nahm: 

..Wenn  ein  Dichter  lehenslang  hemüht  war.  Vorurteile  zu  hekänip- 
fen.  engherzige  Ansichten  zu  heseitigen.  den  (reist  eines  \ Olkes  auf- 
zuklären, dessen  (Jeschma<k  zu  reinigen  und  dessen  Gesinnung  und 
Denkweise  zu  veredeln,  was  soll  er  denn  Resser«*«  tun?" 

12 


Aher  ich  möchte  nicht  den  Eindruck  entstehen  lassen,  als  hereitete 
ich   nun.   nach   der   Feststellung   einiger   fundamentaler  Gegensatze, 
aoch  noch  eine  spirituelle  Verlohung  vor.  Goethes  stupende  Spruch- 
weisheit zuhilf e  nehn.end,  die  u.  a.  auch  vorsieht,  daß  -lie  mmgsten 
Verhindungen  eigentlich  nur  aus  dem  Entgegengesetzten  folgen.     Ich 
kann  mir  hein.  hesten  Willen  nicht  vorstelle.,  daß  dies  auch  m  pohtj- 
cis  gelten  könnte  und  ganz  hesonders  für  einen  hedeutenden  Sozial- 
demokraten,   der    sich    als    Hochschullehrer    dafür    entschied     au  s 
Forum   zu  gehen,  auf  den  Markt,  auf  die  Straße.  -  em  mehr  als 
..„,..,.a,licher  Ort  für  Goethe  -  um  seine  polmschen  Hoffnungen 
zu  hef ordern. 

Denk  ich  a„  dies.  Kn.s.4.ei,lu„g.  .lie  der  Professor  '«' .J "«■"''';  - 
Ke.h.  Carlo  SAnud  i».  Jahre  1945  für  sich  traf   dann  fühle  .ch   «  J 
zu  den.  Hckcnn.nis  gezwungen,  dal.!  es  mitunter  M  gut  -«' -rl  dd- 
haf,  und  nützlich,  wenn  ein  Wegweiser  den  Weg.  den  er  anzeigt   aud 
einn,al  seihst  geh..  S.a..  des  Katheders  also  die  „oht.scl.e  Are,,  „n 
diese   Wahl   fiel  nicht   in  einen,  Angenhlick.  der  '-"lende  Geuu 

, „,.„   verhieß,  trompetenhafte  Steigerung  des  eigenen  Ex,s,en. 

gefühls.  Kine  Entscheidung  ,n«ß  ja  auA  an  der  Konstellat,on     e- 

n      sen  werden,  und  es  erscheint  mir  „„erläülicl..  daran  zu  er,„ner„. 

Ic ::  S.,n:id  zu  einer  Zeit  Vonüs^':^:^^u..on..^n^, 

als  die  Meister  der  Gewalt  gerade  ihre  ^'^'^^^"^^''"^^^^'2 
aufgehen  n.nssen.  als  DeutsAland.  auch  morahsd,.  -  ^  ;;^^;-'^ 
,1..,,  (Iherlehenden  nichts  anderes  gehliehen  war  als  v,elfal..ge  Not. 

Der  Gelehrte  wurde  l.andesvorsitzender  seiner  P»"^;  ;'|:;; -^  ; 
teu,herg.  Er  wur.le  Hegiernngs.l.ef  in  de,n  •^'""''''^'■"}^^^  2„. 
herg-HohenzoUern.  Er  wirkte  als  •'-'-■"''"'^•";  ^  Ra  lo,  s  i- 
,le,  Staatspräsident.  Und  als  si<1,  der  ^  -'-;-";"^  J  „^  „i'  . 
t-r.e.  1.18.  wurde  Carlo  S.l.n.i..  ;-—';;;- .f^rr^euem 
ses  und  Fraktionsvorsitzender  der  S.r  i^. 

Geständnis  hewogen  hatte,  .o^^^^^^Z  ZZ^Z...... 

vermenschlichen  naml.ch.  jene  Macht,   lie  ••   ,,:^L,,it  am  här- 

^•■'--■"t'rr"r::t^:"^^=---- 

;r:  ^rtr  Ir  ;:nerorde,.i..  G.ege.d,e.   d^^^ 

,,.,f,i,sten  Tohsnch.sanfall  der  ^'•^^"•^^f^^^^,^^  Würde,  ver- 

1 1-  l-e"'-'  ■'-  «'7"^-n"Trn    Ige  euT    Bu,.desrep..hlik 

fassn,,gsrech,licl,ahzusi.4,ern.De,nG     mlgst^  ^^_^^^^^^^^^^^ 

Deutschland  wurden  die  unaufhehharen  Oruuclre 

13 


--  eine  Mahnung  für  alle  Liebhaber  der  Staatsallmacht  und  der 
Staatsräson.  Mit  dem  freiheitlichen  Geist  dieser  Verfassung  wird  der 
Name  Carlo  Schmids  immer  verbunden  sein. 

Doch  eine  Verfassung,  auch  wenn  sie  Recht  geworden  ist,  braucht 
zusätzlich  ein  Verfassungsbewußtsein,  ein  begleitendes  Verfassungs- 
verständnis.  Das   mag   so  weit   gehen,  daß   wir   zu   fürchten  lernen, 
diese  Verfassung  könnte  verloren  gehen.  Anders  gesagt:  was  man  in 
diesen  Zeiten  dauerhaft  zu  besitzen  wünsdit.  das  mul.)  man  sich  im- 
mer von  neuem  aneignen  —  selbst  eine  in  Kraft  getretene  Verfas- 
sung.  Carlo   Schniid   hat   beispielhaft    gezeigt,    wie    der   Prozeß    der 
immer  neuen   Aneignung,   wie   der   Versuch   verlaufen    könnte,   den 
Geist  der  Verfassung  zum  Maßstab  für  politisches  Handeln  zu  ma- 
chen. —  und  nach  einem  berühmten  Wort  Gottfried  Kellers  hängt 
mit  Politik  ja  alles  zusammen,  „von  dem  Leder  an  unserer  Schuh- 
sohle bis  zum  obersten  Ziegel  am  Dach".  Er  hat  es  als  Minister  ge- 
zeigt, als  Koordinator  für  die  deutsch-französische  Zusammenarbeit 
und  mit  staunenswerter  Aufklärergeduld  in  den  Reden  und  Aufsät- 
zen, die  heute  sein  gesammeltes  Werk  ausmachen. 

Welch  ein  illusionsloses,  unentmutigtes  Handeln;  welch  ein  verfüg- 
bares Panorama  europäischen  Wissens! 

In  dem  Beitrag  „Vaterländische  Verantwortung"  (1946)  riet  Carlo 
Schmid  dem  Politiker,  sich  bei  seiner  Arbeit  auf  folgendes  gefaßt  zu 
machen:  „Es  wird  ein   Werk  sein  ohne  Pathos,  ein  Sichmühen   um 
kleinste  Dinge  ohne  Glanz,  ein  Gang  durch  tauseml  Erniedrigungen, 
ein    tägliches   Stöhnen    unter  Nackenschlägen.   ein    Sichwinden   <lurch 
Mißerfolge,   ein   Keuchen   unter   «lem    Würgegriff   der   Verzweiflung 
über  Torheit  und  Unverstand  der  Menschen  hüben  und  drüben,  und 
es  wird  ein  Werk  sein,  bei  dem  jede  Stunde  ihn  lehren   wird,  wie 
veräclitlich  die  Menschen  sein  können."  Derselbe  Mann,  der  sich  dies 
unter  einem   l^rkenntniszwang  eingesteht,  der  an   Dostojewski  erin- 
nert,  macht    sich    glcMchwohl    ans    WCrk.   er   ergreift,    angesichts    von 
Mutlosigkeit  und  Lethargie.  Partei,  er  stellt  sich,  und  er  tritt  öffent- 
Tuh  für  scMue  politischen  tlberzeugungen  ein.  —  mit  den   l^rfahrun- 
gen.  mit  den  l'jnsichten  und  <len  Mitteln.  üImm-  die  er  verfügt. 

Sie  reichen  weit,  seine  Einsichten  und  l'irfahrungen:  sie  geben 
Zeugnis  von  der  Geschichtsbevvußtheit  eiin*s  europäischen  Humani- 
sten und  werben  zugleich  für  die  Konkretisierung  politischer  l'topie; 

14 


ir::'fP 


sie  demonstrieren  die  mühelose  Bewirtschaftung  eines  erheblichen 
Wissens  und  lassen  uns  erkennen,  wie  und  unter  welchen  Bedingun- 
gen sich  Politik  und  Geist  wünschenswert  verbinden  können.  Groß 
ist  die  Spannweite  dieses  erkundenden  Denkens,  vielfältig  sind  die 
Themen,  die  mit  selbstverständlicher  Zuständigkeit  ausgefragt  wer- 
den: sie  reichen  von  „Politik  im  Atomzeitalter"  bis  zu  ..Dürer  und 
die  Renaissance'^  von  den  „Grenzen  rechtlicher  Regelung  innerhalb 
der  modernen  Gesellschaft"  bis  zu  „Dante  und  Pierre  Dubois\  von 


Laiidator  SicfsfricMl  bniz 


der  ..Außenpolitik  des  Machtlosen"  bis  zu  ..Theater  und  Gese  1- 
schaft  •  In  einer  Sprachhaltung,  die  die  klassische  Periode  n.cht 
scheut  das  Ornament  nicht  unterdrückt,  die  anrufhafte  Kurze  n.cht 
versclnnäht.  stellt  Carlo  Sclnnid  die  Merkmale  des  Europäischen  vor 
„.Hl  begründet,  warum  in  einer  Zeit,  in  der  gelenkige  Teainokraten 
die  Szene  verdecken.  Politik  als  geistige  Aufgabe  verstanden  werden 
muß. 

15 


"> 


^1l  • 


Das  klingt  herausfordernd  und  appellhaft  zugleich,  wenn  man  be- 
denkt, wie  sich  die  Gebildeten  hierzuland  der  Politik  gegenüber  ver- 
hielten, traditionsgemäß,  kann  man  sagen.  Carlo  Sclimids  immer  wie- 
derkehrendes Plädoyer:  geh  auf  das  Forum,  wenn  Du  Einfluß  auf 
das  Kapitol  nehmen  willst:  —  die  gebildeten  Stände  Deutschlands 
hielten  nichts  oder  nicht  viel  von  dieser  Devise.  Im  Gegensatz  zu 
andern  Ländern  fürchtete  man  hier  für  seinen  weltanschaulichen 
Teint;  man  zeigte  hochmütige  Verweigerung  oder  bange  Abstinenz. 
I'>schre<kt  schon  bei  dem  Gedanken,  sich  der  Zugluft  der  Straße  aus- 
zusetzen, hielt  man  sich  an  das  Ideal  der  Zimmerlinde:  reglos,  nach 
innen  blühend. 

Die  Verpflichtungen,  die  eine  „Zeitbürgerschaft''  im  schillerschen 
Sinne  nalielegten,  wurden  als  Zumutung  empfunden.  Der  entschei- 
dende (Jruiid  lag  wohl  fast  immer  darin,  daß  das  Erlebnis  der  Straße 
s()ziale  Konse<|uenzen  nahelegte,  überhaupt,  das  „Soziale*'  erst  ent- 
deck<Mi  ließ,  (^bildete  waren  es,  die  im  März  48,  als  die  revolutionä- 
ren Knospen  knallten,  in  ihrem  frühen  Katzenjammer  von  der 
„Straßendemokratie"  sprachen. 

Wenn  es  mir  dies  wäre,  was  wir  Carlo  Schmid  verdanken,  oder 
«bxh  mit  verdanken:  die  Wiederentdeckung  der  Straße  als  schönstem 
demokratischen  Ort,  wir  müßten  bereits  von  eiiu^r  achtbaren  Lei- 
stung spreclien. 

Nein.  hi<>r/uland  zog  es  die  (»ebildeten  niihl  aufs  Forum:  unser 
Hedarf  an  (H'mülli<hkeil  war  zu  groß,  wir  entwickelten  uns  zn  Vir- 
tuosen der  Veriniierliihung.  und  mit  Max  Scluder  hielten  wir  den 
Slaal  für  ein  .,s(>lbständiges,  unsichtbares  Willenswesen**.  Wer  aufs 
l<\)rnni  geht,  muß  etwas  auf  sich  nehmen,  d<'r  kann  intellektuellen 
Schiffbruch  erleiden,  der  riskiert,  wider  Willen,  überzeugt  zu  werdiMi 
von  den  AiigelM»leii  des  Meinungsmarkts.  Hier  gellen  Pfiffe,  hi«"r 
wirft  liolingelätbler  srin  EcIh).  Wurfgeschosse  können  niilunler  eine 
Antwort  darstellen.  Au<h  wer  in  die  Schule  Quintilians  oder  Ciceros 
gegangen  ist.  nnil.i  mit  Zwisjln'iirnfen  rechnen  ninl  verstummen, 
wenn  IVolesIgesang  aufkommt.  Auf  (b'ni  i*ornm  mehlel  dii«  Not  sich 
zu  W«»rt.  die  Verzweiflung  sucht  hier  ihr«»  Verbündelen,  aber  auch 
die  Panegyriker  des  Heslrhenden  finden  ihre  Chance  sowie  die  blen- 
denden l{helorik(>r.  die  auf  keinen  Inhalt  angewiesen  siiul.  denen 
der   groß«"    l'allenu  urf   ausreicht.    Heiß   ist    «>s   hier;   das   kommt    von 


16 


der  Backofenhitze  der  Gedanken  und  all  den  freigesetzten  Hoffnun- 
gen. Und  authentisch  geht's  hier  zu;  man  empfängt  die  Ideen  aus 
erster  Hand,  direkt  vom  Erzeuger. 

Forum:  das  ist  aber  auch  der  Ort  lebensentscheidener  politischer 
Hygiene.  Man  kann  den  Problemdruck  überprüfen,  den  Emotions- 
stau, —  den  eigenen,  aber  audi  den  der  anderen.  Man  wird  zu  der 
Einsicht  gezwungen,  daß  ein  Kennzeichen  freier  Menschen  ihre 
unterschiedliche  Interessenlage  ist.  Und  das  Absolute,  das  unheil- 
volle Absolute  wird  hier  in  Zweifel  gezogen  und  als  Maßstab  verwor- 
fen. Eine  der  segensreichsten  Einrichtungen,  die  zum  Haushalt  de- 
mokratischer Verfahrenspraxis  gehören:  der  Kompromiß  —  er  kann 
nur  auf  dem  Forum  entstanden  sein.  Aber  diesen  lehrreichen  Ort  — 
von  dem  Carlo  Schmid  übrigens  bei  Gelegenheit  sagte,  daß  man  ihn 
auch  verlegen  kann:  auf  die  Bühne,  in  den  Hörsaal,  in  die  dunst- 
geschwängerte Kneipe  —  der  Ort,  den  wir  zum  Forum  machen, 
zwingt  zu  einer  weiteren  Feststellung:  wir  sind  auf  permanente  Er- 
mittlung angewiesen,  auf  die  Ermittlung  bedrohter  Freiheit  ebenso 
wie  auf  eine  Ermittlung  der  allgemeinen  Lage. 

Wir  sind  aber  auch  auf  permanente  Auseinandersetzung  angewie- 
sen; zu  begründet  ist  unser  Mißtrauen  gegenüber  allen,  die  dem  Pro- 
zeß   der   Geschichte    ein   definiertes   Ziel   geben,    ihr   womöglich    ein 
happy-end  voraussagen.  Auf  dem  Forum  können  die  Stiefkinder  der 
Geschichte        und  in  dieser  Rolle  haben  sich  viele  unserer  Gebildeten 
oft  verstanden  —  auf  der  Straße,  wollte  ich  sagen,  können  die  Stief- 
kinder  lernen,    wie    reinigend    Auseinandersetzungen    sein    können. 
Und  reinigend  heißt  hier:  es  wird  vorgebeugt,  es  wird  eine  größere, 
eine  schlimmere  Gewalt  verhindert.  Und  delegierte  Macht  wird  hier, 
wenn  nicht  kontrolliert,  so  doch  zur  Rede  gestellt.  Es  lohnt  sieb,  mit 
Konflikten  zu  leben.  In  diesem  Zusammenhang  bringt  sich  wie  von 
selbst  der  „Aufruf  zur  streitbaren  Demokratie*'  in  Erinnerung,  den 
Herbert  W  eichmann  an  jeden  Mitbürger  geriditet  hat.  er  entspricht 
i„  „lancher  Hinsicht  der  beispielhaften  Entscheidung  Carlo  Schmids 
anf  den  Markt  zu  gehen,  mit  dem  Mut,  andere  zu  überzeugen,  und 
der  Bereitschaft,  sich  selbst  in  Frage  stellen  zu  lassen. 

Lange  hat  man  den  Intellektuellen  bezichtigt,  daß  sein  gesells(4iaft. 
lieher  Beitrag  allein  darin  bestehe,  vom  ungefährdeten  Hochs.tz  aus 
die  llntauglichkeil  der  Welt  zu  kommentieren;  ein  Neinsager  aus 
Profession.  Daß  die  Gescboltenen,  die  Verdäcliligten,  die  Gehaßten 

17 


cn    uf 


iderpm  fdhie  >in<i:  her^  orracende  IniMle4tnj*41e 
rs  iM-wic««i-  Ihr  Beij^piel  wurHe  aiiteenoramen.  atocf^  anoeit. 
m  r.Wr«i»>nniroun«  «ehrarht  mit  den  ^icenen  M(»cn<Äiw^tm-  Dir 
^sAAer-  ni»a  inannicfarh*»n  Bürsennitiativen  n  m***reni  L^aimi.  ier 
■  iiniiiT  --"-  ^iin><^  nach  Teilhabe  an  politi5<iier  "JT-ilensMiami«  3«- 
)ecm  rt*.  IwMner  hanücfr  -etzen  \*ir  iins<-re  Hoff  nunc  an!  tir  rrralie 
ais  iirm«krati>Ti»eT»  <  »rt  und  uberla>-.t^n  <\'\e  Zimmminrte«  -«r  V^ie 

}ckt   sri*e   zn:    mirti   erfiiilt   »»in   '.pontanf>    .^ui 
Ziwrr  nrti'rrr-r  Mitbürjrer  m  den  >traÜen  -«^W 

MtrremMi.  pr^tr^rtierfTKl.  oder  nur  um  VufmeriL*a«ik«t  ytrrwhmmtL.  l<n 
t'-nrmrrr  mi«*  an  «Im  herHici»  zivilen  Siintt  tter  Vto«t'w«*if 
-ehe  norfe  die  jaw^iii  Eltem.  «iie  ihn^  Kimier  ami  liw»  N«ciürti 
an!  (^T  Hiifte  reiten  ließen:  ich  entMune  nu-ft  t<^  "^aaaBJ^iaintts.  ai 
«lern  Uas-tarbeirer  Mch  im  7.\if.  ihrer  «ieuIxiitMi  Kv^lenT-n  :  r' ***- '^ <-sten- 
flTie  für  «tie  SirberhetJ  »ier  VrheitsplaiÄt»  »iem*>n>irTT-nr<i.  .^« 
tlte>fM*en.    verrecneten.    \«>n    lanjft^r    Merntailrt    « 

rtrenke   trh.   riie   anf   oftentlu^em    riatr    ihren 

rierten.  trh  ^^ebe  noch  rlen  Pr»>te>t»ujt  ^«>«  Si-nwjem 

tm.  «#ewi  -iirb  forde rn<ier  Krnsl  unti  t^att«ii  »iu^  ^  jmi^ 

f^oftm  wyeder  rtie  in  e»ner  ^  ;<hler«nUi«tive  t 

lue  vnr  ibrem   Theater  wehr   S^m^hIi   *l*  t 

nx»iitT*<t»en    l.  her«e»iftM»ijj:en    ^arh«Hi     U^rfpw 

aik««  eeliori.  Die  Mr«t>e  htetet  vu-l*  »1?^  iSs  «Mk 

^  knrr^feren  können. 

jN  .>n>4> 


or 


inc^m  «»>irb  «ieinok.ralis^'her  i>e4Kt  d*^!«.  V«><"< 
f  omn>   «ien   Getst   der   lX"w«>kr«tK^   ii«i>H«'k4t>'lC<e^''«»^    ^  ^    c»*?»«*!*- 
re-»T»»irtir»  dev  MeHs«^oi<  ».(  »nl  k<Nn\>«  Kn«i»^^>4««Ni  i^mi 
ntmmr  ihr»»ii  \  erUnt   unter  I.Vh\4-  nnd  i^i»'^«^«'«**^ 
wn..        uptionen.  nn^  ^«s  ^»v  nn^  »n  Kes«««««««  jLnilJ'Kriwrtnwi.  »* 
frwi^il*  mir  vorbi>iH«rer  od*^r  «Kh'K  Kt^^N^wK^s   Hf 
<«•*  bereit  fand.  «Um   Ooht«k  wn  dHMFi«>nx  >^A  n«»N  ..»**    .»4.?«e*»* 
4lr««t  dem  f»obt»^«>hen  Kr«1>et^-M  >h«<v,^H^. 

\ber  ^aiMi   n»mev  s^'h  de«    i-e»M   d«s    P/sKtW  >  tH*^*«#^ 
'  '■■•••  n.  VerantMortium   tu  übe«  •»•  Kf*.  ..>  W»^    4^  im< 

memani^tisfbei«    iharnktev   <H\v    l\.„.,.,^^,  :««irt    i**^ 

I>»r  »,e»*l  hol  der   Pobt«k  nent    "»^  — n*>n  nn^i 


*►»*   1  arU>  Nrhmid  st'hneb. 


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Nin»rx  ,  .n»*>  s*rti  **•!»  ^ 


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Drr  Montrvcrdi-Chor  vvälireiul  seiner  Darbietung 


des  Menschen  um  seine  Bestimmung,  um  seinen  Ort  in  der  Weltzeit, 
in  die  er  geboren  ist.  in  politische  Taten,  zumindest  in  politischen 
Gestaltungswillen  umsetzt."  Wo  bemerkenswerte  geistige  Täter- 
schaft am  Werk  war.  da  linderte  sich  das  Selbstverständnis  und  das 
Verhältnis  zur  Welt.  Ein  neues  Problembewul.Usein  entstand.  Eine 
Realität  wurde  neu  bestimmt.  Der  Geist  lehnte  es  ab.  die  Welt  als 
vollendete   Tatsache    anzusehen.  jener   Geist,   der   die   Macht    an 

der  Ethik  mil.U  und  der  darauf  beharrt,  dem  utopischen  Entwurf  die 
Wirklichkeit  entgegenzusetzen.  Die  Aufgabe,  die  der  Geist  in  der 
Politik  findet,  bleibt  sich  immer  gleich  in  der  Geschichte:  Carlo 
Schmid  bat  das  gezeigt  und  begründet.  ..Wer  Politik  vom  Geist  her 
begreifen  will",  bilanzierte  er.  ..sollte  sich  klarmachen,  daß  es  zum 
Wesen  des  l>olitischen  gehört,  dal.^  einmal  aufgeworfene  Eragen  und 
.i.nnal  gestellte  Themen  für  immer  auf  der  Tagesordnung  bleiben. 
,„ci.l  unter  neuen  Namen,  aber  doch  mit  identischem  Gebalt.  Denn 
das  Politische  führt  nie  das  vom  Geist  Aufgeworfene  zu  Ende:  Es 
reichert  sich  damit  an,  es  konsumiert  es  iiidit."' 

Unnütig,  zu  erwähnen,  daü  der  Geist,  von  dem  hier  gehandelt 
wird,  als  universaler,  als  wellbürgerlicher  Geist  verstanden  werden 
„n.l^  Und  mit  dieser  Eeststellung  bringt  sich,  gewollt  und  ungewollt, 

19 


i 


"^ 


sehr  wohl  muh  zu  anderem  fähig  sind:  hervorragende  Intellektuelle 
haben  es  bewiesen.  Ihr  Beispiel  wurde  aufgenommen,  abgewandelt, 
in  Übereinstimmung  gebracht  mit  den  eigenen  Möglichkeiten.  Die 
Wähler-  und  mannigfachen  Bürgerinitiativen  in  unserem  Land,  der 
zunehmende  Wunsch  nach  Teilhabe  an  politischer  Willensbildung  be- 
legen es.  Immer  häufiger  setzen  wir  unsere  Hoffnung  auf  die  Straße 
als  demokratischen  Ort  und  überlassen  die  Zimmerlinden  eine  Weile 
sich  selbst. 

Ich  gebe  zu:  mich  erfüllt  ein  spontanes  Zutrauen,  wenn  ich  die 
Züge  unserer  Mitbürger  in  den  Straßen  sehe,  appellierend,  demon- 
strierend, protestierend,  oder  nur  um  Aufmerksamkeit  werbend.  Ich 
erinnere  mich  an  den  herrlich  zivilen  Schritt  der  Atomwaffengegner, 
sehe  noch  die  jungen  Eltern,  die  ihre  Kinder  auf  dem  Nacken  oder 
auf  der  Hüfte  reiten  ließen;  ich  entsinne  mich  des  Tanzschritts,  in 
dem  Gastarbeiter  sich  im  Zug  ihrer  deutschen  Kollegen  fortbewegten, 
die  für  die  Sicherheit  der  Arbeitsplätze  demonstrierten;  an  die  frö- 
stelnden, verregneten,  von  langer  Sternfahrt  erschöpften  Bauern 
denke  ich.  die  auf  öffentlichem  Platz  ihren  Sorgenkatalog  präsen- 
tierten; ich  sehe  noch  den  Protestzug  von  Schülern  und  Lehrlingen, 
in  dem  sich  fordernder  Ernst  und  Gaudi  die  Waage  hielten,  und  mir 
fallen  wieder  die  in  einer  Wählerinitiative  tätigen  Schauspieler  ein, 
die  vor  ihrem  Theater  —  mehr  beredt  als  faktenreich  —  für  ihre 
politischen  Überzeugungen  warben:  Bürger  auf  einer  Bühne,  die 
allen  gehört.  Die  Straße  bietet  sich  als  Ort  an.  an  dem  wir  ein  Schick- 
sal korrigieren  können. 

Indem  sich  demokratischer  Geist  des  Forums  entsann,  hat  er  dem 
Forum  den  Geist  der  Demokratie  zurückgegeben.  Wie  gesagt,  die 
Geschidite  des  Menschen  ist  auf  keinen  Endzustand  hin  angelegt,  sie 
nimmt  ihren  Verlauf  unter  Druck  und  Gegendruck,  unter  Schlägen 
und  Eruptionen,  und  was  wir  uns  an  Resultaten  gutschreiben,  ist 
jeweils  nur  vorläufiger  oder  doch  bedrohter  Besitz.  Der  Geist,  der 
sich  bereit  fand,  der  Politik  zu  dienen,  hat  uns  die  Gesetze  gezeigt, 
die  auf  dem  politischen  Kräftefeld  herrschen. 

Aber  wann  immer  sidi  der  Geist  der  Politik  verband  —  einver- 
standen. Verantwortung  zu  übernehmen,  —  hat  er  außerdem  den 
mechanistischen  Charakter  des  Politischen  erweitert  und  ergänzt. 
Der  Geist  hat  der  Politik  neue  Formen  und  Inhalte  verschafft,  und 
zwar,  wie  Carlo  Schmid  schrieb,  „in  dem  Sinne,  daß  sich  das  Wissen 

18 


Der  Moiitcvcr(li-(^hor  während  stMiier  Darbietung 

des  Menschen  um  seine  Bestimmung,  um  seinen  Ort  in  der  Weltzeit, 
in  die  er  geboren  ist,  in  politische  Taten,  zumindest  in  politischen 
Gestaltungswillen  umsetzt."  Wo  bemerkenswerte  geistige  Täter- 
schaft am  Werk  war,  da  änderte  sich  das  Selbstverständnis  und  das 
Verhältnis  zur  Welt.  Ein  neues  Problembewußtsein  entstand.  Eine 
Realität  wurde  neu  bestimmt.  Der  Geist  lehnte  es  ab,  die  Welt  als 
vollendete  Tatsache  anzusehen,  —  jener  Geist,  der  die  Macht  an 
der  Ethik  mißt  und  der  darauf  beharrt,  dem  utopischen  Entwurf  die 
Wirklichkeit  entgegenzusetzen.  Die  Aufgabe,  die  der  Geist  in  der 
Politik  findet,  bleibt  sich  immer  gleich  in  der  Geschichte:  Carlo 
Schmid  hat  das  gezeigt  und  begründet.  „Wer  Politik  vom  Geist  her 
begreifen  will",  bilanzierte  er,  ,.sollte  sich  klarmachen,  daß  es  zum 
Wesen  des  Politischen  gehört,  daß  einmal  aufgeworfene  Fragen  und 
einmal  gestellte  Themen  für  immer  auf  der  Tagesordnung  bleiben, 
meist  unter  neuen  Namen,  aber  doch  mit  idenlisdiem  Gehalt.  Denn 
das  Politische  führt  nie  das  vom  Geist  Aufgeworfene  zu  Ende:  Es 
reichert  sich  damit  an,  es  konsumiert  es  nicht." 

Unnötig,  zu  erwähnen,  daß  der  Geist,  von  dem  hier  gehandelt 
wird,  als  universaler,  als  weltbürgerlicher  Geist  verstanden  werden 
muß.  Und  mit  dieser  Feststellung  bringt  sich,  gewollt  und  ungewollt. 


19 


■«  st:' 


der   geistige   Weltbürger  Goethe   nacharücklich   in   Erinnerung,   der 
url.ane  Verfechter  eines  „Freihandels   der  Begriffe  und  Gefühle-\ 
der  Verkiinder  einer  Weltliteratur.  Niemand  kommt  daran  vorbei, 
daß  er  es  war,  der  uns  ins  Stammbuch  schrieb:  „Anstatt  sich  in  sich 
selbst  zu  beschränken,  muß  der  Deutsche  die  Welt  in  sich  aufnehmen, 
um  auf  die  Welt  zu  wirken."  Keine  Sorge,  ich  möchte  immer  noch 
keine   Hängebrücke   flechten,   auf   der   der   Proteus   und   der   Sozial- 
demokrat auf  einander  zugehen,  um  bei  schwierigem  Stand  zu  fest- 
licher   Umarmung    zu    finden.    Da    Goethe    ja    keineswegs    nur    für 
„Goetheaner"   schrieb  —  ebenso  wenig  wie  Marx  nur   für  heutige 
Marxisten  —  steht  es  jedem  frei,  bei  dem  Dichter  das  zu  finden,  was 
er  für  sich  selbst  braucht.  Und  es  erscheint  mir  hier  nur  angebracht, 
daran  zu  erinnern,  was  Carlo  Schmid  selbst  nach  eigenem  Zeugnis  bei 
dem  großen  Weimaraner  fand.  Bei  aller  Trennung  im  Politischen:  es 
war  vor  allem  Goethes  Menschenbild,  das  er  als  Maß  erkannte,  es 
war  die  Bemühung  um  die  Einzelpersönlichkeit,  um  ihr  Recht,  sich 
im  Zeichen  der  Humanität  zu  entfalten.  Und  in  einem  durchaus  nicht 
vagen  Sinne  erkannte  unser  Preisträger  in  dieser  Bemühung  eine  das 
Politische  befördernde  Qualität.  Bekenntnishaft  sagte  er:  „Das  Werk 
eines  Dichters  wirkt  nicht  nur  in  dem  Sinne  und  in  der  Richtung,  die 
der  Dichter  wollte.  Wir  können  es  uns  zu  eigen  macben.  auch  wenn 
wir  nicht  gemeint  waren  .  .  .' 

Falls  sich  also  aber  witzig  jemand  fragt,  ob  ein  Sozialdemokrat 
einen  Goethepreis  annehmen  sollte,  —  bei  Carlo  Schmid  kann  er  die 
überzeugendste,  die  nobelste  Antwort  finden. 

Ich  beglückwünsche  unseren  Preisträger. 


Ansprache  von  Professor  Dr.  jur.  Dr.  h.  e.  Carlo  Sdunid 

Meine  Danicii  und  Herren. 

,I„rcl>  die  Verleihung  des  Hansischen  Goethe-Preises  fühle  ich  mich 
hochgeehrt,  weit  «her  Gehiihr.  denn  id.  hahe  nicht  viel  anf.nwe.sen, 
das  unser  Wissen  von  dem  Werk  des  Großmeisters  der  n.us.schen 
l'rüvin.  innerhalh  der  Gefilde  unseres  geistigen  Vaterlandes  gemehrt 
l,ä,le    Der  große  Name  ist  indes  sclion  dem  Knahen  begegnet,  den 
.1er  Vater  früh,  doch  behutsam,  in  die  Welt  der  großen  Dichter  der 
Nation   einführte.  Als   erstes  las   i,h   den   -Got.-'  -  wie  n.an  eute 
gehein,nisvolle  Ritterges.hichte  liest.  Was  n.ir  davon  Id.eb.  war  n.cht 
'o  sehr  das  bunte  Spiel  der  Figuren  als  viehnehr  das  Wort.  n„.  dem 
das  Stü.t  schließt,  das  Wort  ..Freiheit",  das  der  sterbende  R.tter 
spricht.  Ich  glaubte  zu  spüren,  daß  der  DidUer  mit  d.esem  Worte, 
das  den  Helden  des  Stückes  dnrch  das  Todestor  führte    , hm  das  S.e- 
gel    aufdrüAte.   das   den   höchsten   Wert    verbürg,    und   das   Sesam- 
Öffne-Dicl.  an  der  Pforte  des  ewigen  Friedens  spricht.  Se^de.n  ist 
für  n,ich  die  Freiheit  jene  Lebensma.ht  geblieben,  die  dem  Mensc  .en 
Wesensbejabung  ermöglicht  und  ihm  Würde  »i'»^^-";'*'   '''  ^ 
dieses  Jugenderlebnis  gewesen,  das  später  in  den.  Ma,...  de,.  Wunsch 
weckte.  eLges  dazu  beizutragen,  daß  -  und  sei  es  au    maanc  r.schen 
Pfaden  -  allen,  die  Menschenantlitz  tragen,  das  Gl«.^  znte,    werde, 
ihr  Leben  an  die  Freiheit  wagen  zu  können,  ohne  durd.  d.e  ble.ernen 
Sohlen  widriger  Lebensumstände  im  Sd.ritt  behindert  zu  se.n. 

Zu  gleici.er  Zeit  etwa  las  der  Knabe  Schillers  ..Räuber"   jenes  s.ür- 

,„..nde  und  drängende  Stück,  darin  einer,  der  sid.  v-  dem  tn,  en- 

kle.4.senden  Säkulum  ekelt,  mit  einer  Schar  guter  und  böser  Gefahr- 

,    .  die  Freiheit  i,.  der  Gesetzlosigkeit  der  Wälder  s.n^l.t.  w.  d.U.     as 

L   seines   Herzsd.lages   zuruft:   ..In   tyrannos!"   M.r   sd..en.   daß 

Tyrannei  nid.t  nur  dnrd.  schlimme  übrigkeiten  geübt  w.rd.  sondern 

.  d.  durd.  Melanismen,  i,.  die  wir  das  Leben  einzwängen  müssen. 

Lbe  ich  dies  damals  wohl  nid.,  ausgedrückt.  .'»*.<"";;;_--- 

bewußt,  daß  Freiheit   und   n.ed.anisiertes   Dase.u  s.d.  eben  o  aus 

Iddießen  wie  Freiheit  u..d  die  Gesetzlosigkeit  des  Dschungels,  und 

21 


20 


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'jMa«*r  »«iiEtu-?Tii?4v-i.   -inmi' "T 
Idarft1ii»^iutr*i    '*-tr-iüitTiih^f    :  t 
V  ilk;ir    ««mr    It^^<^   li«t«"'V'f!ri. 

»rT»ni**«tl»*^Ktliwi    J,nrirlif     '^r»r"rbf>..   ^irnw^tt*^ 

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Auf  diesem  Weg  ging  Faust  zu  den  Müttern. 

,.den  Herrinnen  von  Gestaltung,  Umgestaltung. 

des  ewigen  Sinnes  ewige  Unterhaltung, 

umweht  vom  Bildnis  jeder  Kreatur", 
um  Helena  zu  suchen.  Doch  die  Göttin,  die  er  dank  Mephistos  Schlüs- 
sel findet,  zerfließt  ihm  unter  der  Hand  und  er  wird  sie  erst  finden, 


Frstvortrati  »h's  PrtMsträfjers 

nadidcn  im  Tale  des  Peneios  die  Römerin  Manto  ihm  den  Weg  in 
Persephones  Reich  zeigt,  darin  Helena  ein  mystisdies  Griechenland 
aufgerichtet  hat.  Vorher  hat  ihn  sein  Weg  an  den  Pharsalischen  1<  ei- 
dern vorheigeführt  und  Chiron,  der  Kentaur,  helehrt  dm: 

..Hier  trotzen  Rom  und  Griechenland  im  Streite, 

Peneios  rechts,  links  den  Olymp  zur  Seite. 

Das  größte  Reidi.  das  sich  im  Saiul  verliert; 

Der  König  flieht,  der  Bürger  triumphiert" 

23 


:■■■■  <'-M:'-^rt£'^i^ 


und  Erichto: 

„Jeder,  der  sein  innres  Selbst 

Nicht  zu  regieren  weiß,  regierte  gar  zu  gern 

Des  Nachbars  Willen,  eignem  Stolz  gemäß  .  .  . 

Hier  aber  ward  ein  großes  Beis|)iel  durchgekämpft, 

Wie  sidi  Gewalt  Gewaltigerem  entgegenstellt. 

Der  Freiheit  holder  tausendblumiger  Kranz  zerreißt. 

Der  starre  Lorbeer  sich  ums  Haupt  des  Herrschers  biegt". 

Faust  holt  die  Griechin  heim.  Nachdem  er  an  seine  Gefährten  die 
Gaue  Griei-henlands  ausgeteilt  hat,  zieht  er  mit  ihr  in  ein  schicksal- 
loses Arkadien,  ein  Reich  der  Mitte,  ,.gelegen  in  Spartas  Nachbar- 
schaft" .  .  .  Hier  lebt  der  Mann  aus  dem  Norden,  dem  die  Sonne  nun 
wunderbar  im  Süden  aufgegangen  ist.  mit  Helena  dem  Gestalt  ge- 
wordenen Geist  des  schönen  Lebens  —  ,.arkadistli  frei  sei  unser 
Glück"  —  doch  die  Frucht  ihrer  Liebe.  Hyperion,  zerschellt  am  Bo- 
den, weil  er  —  wie  Ikarus  —  der  Erdensdiwere  entdieben  will. 
Helena  verläßt  Faust  und  zurück  bleiben  nur  ihre  Gewänder  —  alles, 
was  wir  von  Hellas  noch  in  Besitz  zu  nehmen  vermögen. 

Phorkias  zu  Faust: 

„Halte  fest,  was  Dir  von  allem  übrig  blieb 

Das  Kleid,  laß  es  nicht  los  .  .  . 

Halte  fest! 

Die  Göttin  ist's  nicht  mehr,  die  Du  verlorst. 

Doch  göttlich  ist's.  Bediene  Dich  der  hohen 

Unschätzbaren  Gunst  und  hebe  Dich  empor: 

Es  trägt  Dich  über  alles  Gemeine  rasch 

Am  Aether  hin,  so  lang  Du  dauern  kannst  .  .  .'* 

So  hat  mir  Goethe  den  Weg  nach  Griechenland  gewiesen  und  mit 
ihm  jener  Friedrich  Hölderlin,  der  von  dem  Göttlichen  sagte,  —  wie 
Goethe  in  seinem  Bild  vom  farbigen  Abglanz  -  daß  der  Mensch 
ni(4it  imstande  ist.  die  Fülle  des  Göttlichen  in  eine  m  zu  fassen. 
Doch  das  Bild  der  Hellenen  vom  Göttlichen  stehe  in  stetiger  Wedi- 
selwirkung  mit  ihrer  Vorstellung  des  Menschlichen;  Natur  und  Über- 
natur fielen  bei  ihnen  nicht  auseinander.  So  hat  auch  Goethe  deren 
Wediselverhältnis  gesehen:  die  Natur  nährt,  was  die  Übernatur  be- 
seelt, mit  ihren  Stoffen  und  das  Kreatürlidie  bleibt  im  Göttlichen 
aufgehoben. 


24 


„So  war  Apoll  den  Hirten  zugestaltet 

Daß  ihm  der  Schönsten  Einer  glich; 

Denn  wo  Natur  im  reinen  Kreise  waltet 

Ergreifen  alle  Welten  sich." 
Die   Lebensmacht,  die  dieses  wirkt,  ist   Eros,  den   Piaton  einmal 
einen  häßlichen  Gott  nennt,  obwohl  sich  durch  ihn  dem  Menschen 
alles  Schöne  und  Gute  erschließt  und  sich  in  ihm  verleibt. 


Der  Preisträger  mit  Frau  Eminele  Toepfer 

Eros  ist  leidenschaftliche  Hingabe  an  das  Ding,  das  uns  in  seinem 
Ergriffensein  durch  uns  seinen  Wesenskern  öffnet  und  damit  fähig 
macht,  durch  die  Hingabe  an  die  eine  konkrete  Verkörperung  des 
Allgemeinen,  des  Schönen  und  Guten  teilhaftig  zu  werden,  l  iaton 
hat  diese  Lebensmacht  gepriesen  als  den  Weg  zur  Erkenntnis  alles 
Beseelten,  und  Euklid  hat  in  die  Welt  der  Erscheinungen  seme  geo- 
metrischen Axiome  projiziert,  die  voraussetzungsloser  Vernunft  ent- 
stammen, und  damit   das  Erleben  des  Schönen   und   Guten   ergänzt 

25 


■^. 


-J^.',.A 


■   ■■7^ 


/lUF  BESCHL-USS  DES  EUROPÄESCHElSr  KUIV^IOBIUMS 

Yvt:kd  der 
HANSISCHE  GOETHE-PREIS 

IDER 6nFTUISrG  EVS-  ^XJ  üAMBUl^iJ 
FURrHß  JAHR  197^ 

PRpFESSOR 

Dr.jur.Dr.h.c.CARljO  SCHMID 

BONisr 

VEKUEHElSr. 

IMß  KUR-^riOKIUM  WÜRDIGTT  r^AMTF  r>AS  LEBE1SJ5WERE<; 

PES  PREISTRAGEP^: 

-At^  5CHKrFTSTELX-ER, 
DER  DIE  DEUTSCHE  SPR'^CHE  IN  MEIÖTEKHAFTER 
VOT  .T  .EISTDUNG  Al>lWAl<CCrrE 

-  AL>S  tJBEPßEXZER, 
DERDETSr  ZUGAISTG  ^URPOEvSIE  UND  vSCE^ÖNHETT 
DERFRf^lSieOSISCHElSr  IXIELV^XUREF^CHLOSS 


-/4Ii6  GELEHRTER, 

DER  DIE  GEISrnGEH  FUNDAMENTE  FUREINE  FPErHETTLICHE 

ORDNUNG  IN  STAAT  UND  GESELLSCHAFT  I^AUEN  HALF 

-ALS  POLITIKER, 
DER  AM  AUEBAU  UNSERER  FREIHEITLICHEN 
ORDNUNG  AKTIV  MITWIRKTE 

-ALS  EUPOPAER, 

DER  AUSTAUSCH  UND  GEGENSEmGES  VERSTÄNDNIS 

UNTER  DEN  VÖLKERN"  EUPOB4S  FORDERTE 

-ALS  HUMANIST, 
DER  SELBSTVElVJSITWORrUNG  UND  TOLEPANS 
IN  IHRER  GANZEN  MENSCHLICHEN  BPEITE  VERTPAT 

UND  SO  IN  GOETHESGHEM  SINNE  WIRKTE. 

DIESE  URKUNDE  IST  AUSGESTELLT  AM  TAGE 
I3ERFEIERUCHEN  UBEPOABE  DES  PREISES.- 


VUBIBITZKNDH«.  r>E3  KURATOBJUMS 


durch  die  Erkenntnis  des  Wahren  allein  aufgrund  der  gemäß  ihrer 
immanenten  Gesetzlichkeit  handelnden  Vernunft. 

Dies  brachte  ich  zusammen  mit  der  Erkenntnis  der  ionischen  Na- 
lurphilosophen.  daß  es  Wirklichkeit  in  zwei  Dimensionen  gehe.  Die 
eine  bestehe  durch  Setzung  (thcsei)  und  sei  daher  in  ihrem  Bestand 
und  in  ihren  Werten  auf  den  Menschen  bezogen,  der  sie  schuf;  die 
andere  bestehe  physei  —  das  heißt  von  sich  aus.  wesenhaft  also 
durch  sich  selbst  und  sei  darum  unabhängig  davon,  ob  der  Mensch 
sie  erfaßt.  Damit  konnte  man  anfangen,  die  INalur  und  selbst  das 
Göttliche  nicht  nur  zu  beschreiben  und  zu  erleben,  sondern  auch  zu 
denken,  und  unser  Verhältnis  zu  beiden  von  allem  zu  befreien,  was 
nur  Subjektivität,  Zweckopj)ortunismus  und  Stillung  von  Gemüts- 
bedürfnissen ist. 

So  habe  ich  Sokrates  verstehen  und  lieben  gelernt,  nachdem  ich 
aus  Hesiods  Gedicht  erfahren  hatte,  daß  der  Mensch  sich  von  den 
anderen  Lebewesen  dadurch  unterscheidet,  daß  ihm  der  ..nomos" 
zuteil  geworden  ist,  das  Recht,  das  abgrenzende  Zumaß,  das  allein 
ihm  erlaubt,  unter  Freien  frei  zu  sein.  Ein  Volk  müsse  um  seinen 
nomos  kämpfen  wie  um  seine  Mauer  hatte  schon  Heraklit  gesagt. 
Nun  zeigt  uns  die  Geschichte  Griechenlands,  daß  die  Hellenen  jener 
klassischen  Zeit  voll  begriffen  hatten,  welche  den  Menschen  prägende 
Kraft  dem  Staate  zu  eignen  vermag.  Auf  der  einen  Seite  stand  ein 
Staatswesen,  innerhalb  dessen  alles  darauf  abgestellt  war.  je  und  je 
einen  Leonidas  für  die  immer  wieder  zu  verteidigenden  Thermo- 
pylen  zu  ermöglichen.  Sparta  —  auf  der  anderen  Seite  Athen,  als 
Muster  eines  Staates,  der  sich  als  Raum  und  Reseeler  des  Lebens 
begreift.  Ist  es  nicht  die  Darstellung  des  Musterbildes  einer  Ver- 
menschlichung des  Staates,  wenn  Tukydides  den  Perikles  in  seiner 
großen  Leichenrede  sagen  läßt: 

„Die  Verfassung  die  wir  haben,  richtet  sich  nach  keinerlei  frem- 
den Gesetzen;  vielmehr  sind  wir  für  andere  ein  Vorbild  und 
von  niemandem  abhängig.  Mit  Namen  heißt  diese  Verfassung 
„Demokratie",  weil  der  Staat  nicht  auf  wenige  Bürger,  sondern 
auf  deren  Mehrheit  gestellt  ist;  so  begreifen  wir  Volksherr- 
schaft. Es  haben  aber  nach  deren  Gesetz  an  dem.  was  das  Leben 
des  Einzelnen  betrifft,  alle  gleidien  Teil,  und  was  das  öffentliche 
Wesen  anlangt,  so  ragt  der  hervor,  der  sich  durch  sein  Tun 
Ansehen  erwarb,  nicht  weil  er  irgend  einer  Gruppe  zugehört, 

28 


sondern  kraft  seiner  Leistungen.  Ebenso  wird  keiner  aus  Armut 
oder  wegen  Unsdieinbarkeit  seines  Namens  daran  gehindert, 
für  den  Staat  zu  leisten,  was  in  seinen  Kräften  steht.  Wir  leben 
miteinander  im  Staate  als  Freie  und  jeder  läßt  im  Getriebe  des 
Alltags  einen  jeden  gelten,  ohne  dem  Nachbarn  zu  grollen,  wenn 
er  nach  seiner  Laune  lebt,  und  ohne  jenes  Ärgernis  zu  nehmen, 
das  ohne  Strafe  zu  sein,  doch  kränkt.  Bei  so  viel  nachsichtigem 
Umgang  von  Mensch  zu  Mensch  erlauben  wir  uns  doch  keine 
Rechtsverletzung  gegen  den  Staat,  schon  weil  wir  seine  Gesetze 
fürchten.  So  gehorchen  wir  den  alljährlich  gewählten  Amts- 
trägern und  den  Gesetzen,  vor  allem  aber  jenen,  die  zu  Nutz 
und  Frommen  der  Verfolgten  ergangen  sind;  auch  den  unge- 
schriebenen Gesetzen,  deren  Verletzung  nach  allgemeinem  Ur- 
teil Schande  bringt. 

Unserer  Art  zu  denken  entspricht  es,  daß  wir  uns  viele  Gelegen- 
heiten zur  Erholung  von  der  Arbeit  schufen:  Wettspiele  und 
Opferfeste,  die  jahraus,  jahrein  gefeiert  werden,  und  dazu  die 
schönste  Ordnung  des  häuslichen  Lebens,  darin  tägliche  Lust  das 
Bittere  verscheucht.  Unsere  Stadt  ist  so  groß,  daß  alle  Welt  bei 
uns  hereinschaut;  so  können  wir  von  uns  sagen,  daß  wir  zu  dem 
Genuß  der  Güter,  die  wir  selber  schaffen,  noch  jene  genießen, 
die  den  Menschen  außerhalb  unserer  Stadt  zu  verdanken  sind. 
Wir  lieben  das  Schöne  und  bleiben  doch  schlicht;  wir  lieben  den 
Geist  und  lassen  uns  durch  ihn  nicht  erschlaffen.  Reichtum  dient 
uns  zu  großer  Leistung  und  nicht  zu  Großsprecherei.  Die  eigene 
Armut  einzugestehen  ist  bei  uns  nicht  verächtlich;  als  verächtlich 
empfinden  wir  es,  wenn  einer  nichts  tut.  um  sie  zu  überwinden. 
Unsere  Sorge  gilt  unserem  Hause  und  unserer  Stadt,  und  wir 
kümmern  uns  um  das  öffentliche  Leben  des  Staates,  denn  auch 
in  dem,  was  den  Staat  angeht,  hat  jeder  von  uns  ein  Urteil.  Wer 
sich  um  den  Staat  nicht  kümmert,  gilt  uns  nicht  als  ein  stiller 
Bürger,  sondern  als  ein  schlechter.  Die  Bürger  haben  in  den 
Staatsgeschäften  das  Recht  der  Entscheidung  und  darum  be- 
schäftigen sie  sich  sorgfältig  mit  ihm  in  ihrem  Denken. 

Ich  fasse  zusammen:  Unsere  Stadt  ist  in  allem,  was  sie  tut  und 
hat,  die  Schule  Griechenlands.  Bei  uns  sind  die  Menschen  von 
größter  Vielseitigkeit;  jeder  für  sich  tut  das  Notwendige  mit 
Anmut  und  nicht  ohne  seine  Fähigkeit  zu  scherzen  zu  vergessen. 

29 


Daß  dies  nicht  ein  Gepränge  mit  Worten  ist,  das  dem  Angen- 
hlieke  gilt,  sondern  Darstellung  dessen,  was  bei  uns  gilt,  zeigt 
die  Macht  unseres  Staates,  den  wir  kraft  dieser  Eigenschaften 
zu  schaffen  vermochten.*^ 

War  dem  Römer  die  Welt  ein  Acker,  den  er  vermal.),  einzäunte 
und  so  in  Besitz  nahm,  um  ihn  im  frommen  Vertrauen  auf  die  Ge- 
rechtigkeit der  Erde  —  justissima  tellus  —  zu  bestellen,  so  war  die 
Welt  dem  Griechen  ein  Wunder,  das  er  in  seiner  Grenzenlosigkeit 
auslotete,  das  Senkblei  in  die  innere  und  in  die  äuüere  Welt  werfend, 
in  das  Helle  und  das  Dunkle.  Seine  Krönung  fand  das  hellenische 
Weltgefühl  in  der  attischen  Tragödie.  In  ihr  ist  der  ganze  Weg,  den 
der  Mensch  von  seinem  Aufbruch  aus  der  dunklen  llrnacht  bis  zur 
Ankunft  in  der  Helle  des  lichten  Bewußtseins  zurücklegte,  aufge- 
zeichnet. Aeschylos  zeigt  uns  die  Welt  als  ein  Schlachtfeld  der  Oberen 
und  der  Unteren,  der  Gottheiten  des  Lichts  und  der  Ratio  und  der 
Gottheiten  des  Dunkels,  des  Blutes  und  der  Erde,  wobei  der  Mensch, 
der  einen  Gottheit  folgend,  am  Gesetz  der  anderen  schuldig  wird. 
Sophokles  stellt  dem  nomos  der  Polis  das  individuelle  Gewissen  ge- 
genüber. Mensdisein  heißt  freies,  sittliches  Handeln  im  Bewußtsein 
des  tragischen  Untergangs  in  einer  Tat.  darin  der  Mensch  die  Norm 
seiner  Individualität  bestätigt.  Euripides  liefert  den  Menschen  den 
Mächten  wieder  aus,  jedoch  stehen  diese  nicht  mehr  außerhalb  und 
oberhalb  des  Menschen,  sondern  toben  in  seiner  Brust  und  reißen 
sich  um  sein  Ich;  oft  zerreißen  sie  es. 

Aus  dieser  Vorstellung  von  der  Ausweglosigkeit  des  Schicksals 
bricht  Herodot  aus,  mit  seiner  Erkenntnis,  daß  es  neben  der  Welt 
der  Naturgewalten  und  der  übermenschlichen  Gewalten  eine  andere 
gibt:  ta  genomena  ex  anthropon.  jene  Welt,  die  aus  den  Werken  der 
Menschen  entstanden  ist.  So  wird  begriffen,  daß  unsere  Welt  auch 
ist,  was  wir  selber  aus  dem  Seinkönnen  machen  —  wie  nach  dem 
Worte  Goethes  die  Farben  die  Taten  und  Leiden  des  Lichtes  sind. 
Der  Mensch  kann  die  Welt  verändern,  er  braucht  sich  nicht  damit  zu 
begnügen,  sie  zu  erleiden  und  zu  deuten. 

In  Wilhelm  Meisters  Lehrjahren  fand  ich  die  Summe  und  Eindeut- 
schung dieses  hellenischen  Welt-  und  Menschenbildes  zu  einer  Lehre 
von  der  Erziehung  des  Menschen  verarbeitet.  In  der  pädagogischen 
Provinz  findet  er  in  rodender  und  gestaltender  Auseinandersetzung 
mit  dem,  was  ihm  entgegensteht,  das  Bewußtsein  seiner  Berufung. 

30 


So  wird  er  fähig  für  die  Arbeit  an  einer  vorgestellten  Neuen  Welt 
die  Elemente  und  Visionen  zu  entbinden,  die  Bildung  ihm  vermittelt 
bat. 

Von  dieser  goetheschen  Einsicht  ging  ich  aus,  als  ich  erkannt  hatte, 
daß  ich  und  meinesgleichen  durch  unseren  Rückzug  in  den  Elfenbein- 
turm schuldig  waren,  daß  die  Bestialität  den  Weg  zum  Kapitol  finden 
konnte.  Ich  meinte,  im  Sinne  Goethes  zu  handeln,  indem  ich  auf  das 
Forum  ging,  um  von  dort  aus  den  Konsuln  zuzurufen,  acht  zu  geben, 
daß  der  Staat  nicht  Schaden  nehme,  und  daß  sie  sich  mühen  sollten, 
ihn  zu  vermenschlichen. 

Ich  habe  für  die  große  Freude  des  heutigen  Tages  der  Stiftung  zu 
danken,  dem  Stifter  der  Stiftung  und  den  Damen  und  Herren  des 
Preisgerichts,  das  mich  der  hohen  Auszeichnung  für  würdig  hielt,  die 
mir  zuteil  wurde.  Und  ich  schulde  Ihnen,  lieber  Siegfried  Lenz.  Dank 
für  die  Worte,  mit  denen  Sie  darlegten,  warum  man  mich  dieser 
Auszeichnung  für  würdig  gehalten  hat.  Sie  ist  eine  von  denen,  die 
man  nidit  schlicht  hinnimmt,  weil  man  altershalber  „dran"  ist,  son- 
dern gehört  zu  den  seltenen,  durch  die  man  sich  in  einigem  bestätigt 
weiß. 


Aufnahmen  von  Foto-Kranicr,  Hainhnrg 


31 


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STIFTUNG  F.V.S.  ZU  HAMBURG 


JOHANN -WOLFGANG -VON  -  GOETHE 

MEDAILLE  IN  GOLD 

1973 


I 


STIFTUNG  F.V.S.  ZU  HAMBURG 


Verleihung  der 


JOHANN-WOLFGANG-VON-GOETHE 
MEDAILLE  IN  GOLD 


an 


Maitre  Rene  Cassin 


Paris 


und  der 


ROBERT-SCHUMAN-MEDAILLE  IN  SILBER 


an 


Herrn  R.  V.  Wagner 


Metz 


Montigny-les-Metz 
1.  Juli  1973 


1 


Johann-Wolfgans-von-Goethe-Medaille  in  Gold 
nach  einem  Entwurf  des  Bildhauers  Hans  M.  Ruwoldt,  Hamburg 

Medaille  d'or  Goethe 
d'apres  une  maquette  du  sculpteur  Hans  M.  Ruwoldt,  Hambourg 


Die  Johann-Wolfgang-von-Goethe-Medaille  in  Gold  wurde  von  der 
Stiftung  F.V.S.  zur  Verfügung  gestellt.  Sie  wird  in  unregelmäßiger 
Folge  an  Persönlichkeiten  verliehen,  die  im  Geiste  des  Namensge- 
hers außergewöhnliche,  von  übernationaler  Gesinnung  und  huma- 
nitärem Bestreben  getragene  Leistungen  erbracht  haben. 

Der  Stiftungsrat  der  Stiftung  F.V.S.  hat  diese  hohe  Auszeichnung 
im  Benehmen  mit  dem  Vorsitzenden  des  Kuratoriums  für  den  Han- 
sischen Goethe-Preis  durch  einstimmigen  Beschluß  vom  Mai  1973  dem 
langjährigen  Präsidenten  des  Europäischen  Gerichtshofs  für  die  Men- 
schenrechte und  Ehrenpräsidenten  des  Conseil  d'Etat,  Professor  Dr. 
jur.  Rene  C  a  s  s  i  n  ,  Paris,  Träger  des  Friedensnobelpreises  1968. 
zuerkannt. 

Damit  wurde  ein  um  Geltung  und  Entwicklung  des  internationalen 
Rechtes,  insbesondere  der  Menschenrechte,  hochverdienter  Gelehrter, 
Universitätsprofessor  und  Richter  geehrt,  der  sich  sdion  an  der  Seite 
von  Aristide  Briand  für  eine  Einigung  Europas  eingesetzt  hat.  Die 
Ehrung  gilt  nicht  nur  für  seine  jahrzehntelangen  Dienste  am  Recht 
sowie  bei  den  Vereinten  Nationen  und  in  hohen  europäischen  Äm- 
tern, sondern  auch  für  seine  unbeirrbare  Förderung  gegenseitigen 
Verständnisses  unter  den  Kriegsteilnehmer-Organisationen  der  ehe- 
maligen Feindstaaten.  Maitre  Cassin  ist  Ehrenvorsitzender  des  fran- 
zösischen Verbandes  der  Kriegsteilnehmer  und  Kriegsopfer. 

t 

Mit  der  feierlichen  Überreichung  der  Johann-Wolfgang-von- 
Goethe-Goldmedaille  an  M*^  Cassin  wurde  auf  Vorschlag  der  Vereini- 
gung der  Freunde  Robert  Schumans  die  Auszeichnung  von  Dipl-Ing. 
R.-V.  Wagner  mit  der  Robert-Schuman-Medaille  in  Silber  verbun- 
den. Herr  Wagner  war  vier  Jahrzehnte  lang  Vorsitzender  der  Vereini- 
gung der  ehemaligen  Frontkämpfer  und  Kriegsopfer  von  Elsaß  und 
Lothringen.  Er  hat  sich  in  dieser  Eigenschaft  große  Verdienste  nicht 
nur  um  diesen  Personenkreis,  sondern  ebenso  auch  um  die  Verständi- 
gung zwischen  Franzosen  und  Deutschen  über  die  durch  die  Kriegs- 
ereignisse  aufgeworfenen  Gräben  hinweg  erworben  und  sich  ah 
Vorkämpfer  für  die  europäische  Einigung  bewährt. 


4  ;  ^r 


Die  Feierlichkeiten  begannen  am  1.  Juli  1973  morgens  m.t  e.nem 
Be^ch  im  Hause  Robert  Schumans  und  der  Niederlegung  emes 
Kranzes  an  dessen  Grabstätte  in  Scy-Chazelles. 

Zn  Mittag  gab  der  Vorsitzende  der  Vereinigung  der  F-""<1;  «- 
bert  Schumans,   Bürgermeister   Joseph    Schaff,      e„.   Essen      n 
Relais  du  Parc  zu  Montignyles-Metz  für  die  Laureaten  und  den  Lau 
dato     den  Stifter,  die  Vertreter  der  europäisAen,  franzos.schen  und 
t::L  Behürden,  der  Stiftung,  der  FrcuUmpfer^  un     Kr.gs 
„pfer-  sowie  der  Europa-Organisationen  von  b  rankre.A,  ''"  B""«»- 
rlpublik  und  deren  Nachbarländer,  von  Presse  nnd  Rundfunk  aus 
Fri  ei<b,  der   Bundesrepublik   und  Luxemburg    T.sd^reden  von 
W    Cassin    und    Dr.    Weitersbach    namens    der    deutschen    Front- 
kämpfer  und  Kriegsopfer  trugen  eine  herzliche  Note. 

Die  anschließende  Feier  im  festlich  gesAmückten  Saal  „Europa" 
wurde  durd.  eine  Ansprache  des  Präsidenten  des  Verbandes  der 
französischen  Frontkämpfer-  und  Kriegsopferverenngunge^  Pro- 
fessor Gerard  P  i  e  r  r  e  t ,  eröffnet.  Der  ehemahge  Ers  e  Bürge 
meister  der  Freien  und  Hansestadt  Hamburg  und  ehemalige  Pras- 
Zt  des  Deutschen  Bundesrates,  Prof  essor  Dr.  Herbert  W  e  ic  h  ma  n  n, 

hielt  die  Laudatio  auf  Maitre  Cassin,  der  mit  einer  Dankrede  antwor- 
tete.  Abschließend  riAtete  Dr. b.c.  Alfred  Toepf  er,  Vorsitzender 
des  Stiftungsrates  der  Stiftung  F.V.S.  zu  Hamburg  als  ehemaliger 
Frontkämpfer  beider  Weltkriege,  das  Wort  an  die  Versammlung. 

Die  inusikalisdie  Umrahmung  der  Feier  hatten  der  Chor  des 
Metzer  Konservatoriums,  die  Petits  Chanteurs  Lorrains  und  der  Ma- 
drigalchor der  Straßburger  Universitäten  übernommen.  Ihre  Vor- 
träge  waren  von  hohem  Niveau. 

Die  Ehrungen  fanden  nidit  nur  bei  den  Teilnehmern  an  der 
Feier,  sondern  audi  in  Presse  und  Rundfunk  Frankreichs,  der  Bun- 
desrepublik, Luxemburgs  und  anderer  europäisier  Lander  unge- 
teilte  Zustimmung. 

Der  Veranstalter,  die  Vereinigung  der  Freunde  Robert  Schumans, 
und  alle,  die  zum  Gelingen  der  Feier  beigetragen  haben,  verdienen 
Dank  und  Anerkennung,  insbesondere  Herr  Präsident  Gerard  Pier- 
ret,  Herr  Bürgermeister  i.  R.  Professor  Dr.  Herber.  WeiAmann 
als  Laudator  und  die  drei  Chöre  für  ihre  eindrucksvollen  Darb.e- 
tungen. 


Im  folgenden  werden  die  Reden  von  Professor  Gerard  Pierret. 
Professor  Dr.  Herbert  Weiehmann.  M'  Cassin  und  Dr.  h.  c.  Alfred 
Toepfer  wiedergegeben. 


I 


4 


Discours  de  M.  Gerard  P  i  e  r  r  e  t 

La  Medaille  Goethe  a  ete  attribuee  cette  aiinee  au  President 
Cassin  pour  le  travail  inlassable  et  efficace  qu'il  a  fourni  depuis  plus 
de  50  ans  en  faveur  de  l'Europe.  II  appartiendra  tout  ä  l'heure  ä  M. 
le  Professeur  Herbert  Weichmann,  ancien  President  du  Gouverne- 
ment de  la  Ville-Etat  de  Hambourg  et  du  Bundesrat  allemand  de 
vous  exposer  les  differentes  phases  de  Factivite  du  President  Cassin 
dans  ce  domaine,  et  l'importance  de  son  ceuvre. 

Je  voudrais  seulement  vous  rappeler  quavant  de  rejoindre  le 
General  de  Gaulle  ä  Londres  en  1940  et  d'entreprendre  ce  magnifi- 
que  travail  sur  la  Declaration  des  Droits  de  l'Homme  qui  lui  a  valu 
le  Prix  Nobel  de  la  Paix,  le  President  Cassin  avait  dejä  travaille 
pendant  plus  de  20  ans  au  sein  du  monde  combattant  frangais,  par- 
ticulierement  de  TUnion  Federale  taut  sur  le  plan  national  que  sur 
le  plan  international,  et  c'est  ce  travail  qui  determina  Torientation 
de  son  action  contre  la  guerre  et  pour  la  Paix. 

En  1914,  il  faut  le  rappeler,  Rene  Cassin  avait  ete  mobilise  dans 
l'infanterie,  blesse  grievement,  reforme  en  1915,  decore  de  la  Legion 
d'Honneur,  de  la  Medaille  Militaire,  de  la  Croix  de  Guerre,  il  avait 
connu  ä  la  fois  les  miseres  du  fantassin  et  l'amitie  nee  dans  les  tran- 
chees  entre  les  hommes  du  front. 

C'est  pourquoi,  des  son  retour  ä  la  vie  civile,  il  n'a  pas  hesite, 
malgre  la  poursuite  de  ses  etudes  de  droit,  ä  apporter  ä  ses  camara- 
des  de  combat  Tappui  de  ses  hautes  connaissances  juridiques  et  de 
son  intelligence,  ce  qui  lui  valut  en  1922  d'etre  elu  President  de 
rUnion  Federale. 

Le  Probleme  de  l'emploi  des  mutiles  de  guerre  s'etant  alors  pose 
sur  le  plan  international,  Cassin  fut  delegue  par  l'Union  Federale 
en  1921,  22,  23  pour  prendre  contact  avec  les  Services  du  Bureau 
International  du  Jraival  dirige  ä  cette  epoque  ä  Geneve  par  Albert 
Thomas.  Ce  fut  ainsi  qu'en  septembre  1921,  et  je  tiens  ä  rappe- 
ler cette  date,  l'Union  Federale  put  organiser  ä  Geneve  la  premiere 


reunion  internationale  d'anciens  combattants  a  laquelle  assistaient 
d'une  part  des  delegues  des  pays  Allies,  Anglais,  Fran^ais,  Italiens, 
Polonais,  d'autre  part  des  delegues  des  pays  ex-ennemis,  Allemands, 
Autrichiens,  Bulgares. 

Au  cours  de  cette  seance  meniorable,  le  delegue  allemand  avait 
declare:  «Les  mutiles  allemands  sont  convaineus  (lue  la  Paix  durable 
que  tous  desirent  voir  regner  en  Europe,  n'est  possible  (jue  si  les 
l)euples  fran^ais  et  allemand  arrivent  de  nouveau  ä  se  comprendre 
mutuellement  en  vue  d'une  Cooperation  vraiment  loyale.» 

N*etait-ce  pas  la  une  des  idees-forces  de  l'Europe  unie  qui  de- 
vait  renaitre  25  ans  plus  tard,  apres  une  nouvelle  guerre,  avec  le  plan 
Scbuman.  Cette  idee,  Cassin  l'a  ardemment  defendue  au  cours  de  sa 
carriere  internationale  qui  venait  justement  de  s'ouvrir  ä  Geneve 
en  1921  et  qui  continua  jusqu'en  1940  soit  ä  la  Federation  Inter- 
alliee  des  anciens  combattants  soit  ä  la  Conference  Internationale 
des  Mutiles  anciens  combattants,  soit  aussi  ä  la  Societe  des  Nations 
oü  il  fut  delegue  des  anciens  combattants  avec  Leon  Bourgeois, 
Aristide  Briand,  Paul  Boncour. 

Cette   idee   elargie   d'abord    aux   membres    du   Marche    Commun, 
nous  l'avons  reprise  ä  l'Union  Federale  et  defendue  apres  la  seconde 
guerre  mondiale  selon  l'esprit  du  plan  Scbuman.  Aujourd'hui  devant 
les  difficultes  qui  surgissent  chaciue  jour  lors  des  conversations  entre 
les  grands  qui  n'aiment  pas  tous  l'Europe,  il  faut  bien  s'en  rendre 
compte,  il  ne  faudrait  pas  qu'il  y  ait  un  nouveau  Yalta.  Si  l'on  veut 
que  l'Europe  joue  dans  la  politique  mondiale  le  röle  qu'on  attend 
d'elle  et  qu'elle  peut  jouer  en  raison  de  sa  puissance,  il  faut  qu'elle 
puisse  former  un  bloc  solide,  uni,  dote  d'institutions  supra-nationales 
süffisantes  et  que  chaque  nation  y  entre  avec  un  veritable  esprit  eu- 
ropeen,  et  meme  je  dirais  un  esprit  civitjue  europeen,  faisant  com- 
prendre ä  tous  que  l'interet  de  l'Europe  n'est  pas  toujours  la  somme 
des  interets  nationaux  des  Etats  qui  la  composent.  C'est  un  domaine 
oü  les  anciens  combattants  peuvent  jouer  un  grand  röle  en  y  don- 
nant  l'exemple  de  l'union  et  de  la  foi  dans  l'avenir,  ainsi  nous  contri- 
buerons,  tous,  anciens  combattants,  selon  l'expression  employee  par 
les  Amis  de  Robert  Scbuman  a  forger  cette  Europe  unie  qui  seule 
pourra  assurer  aux  hommes  la  prosperite.  garantir  aux  peuples  la 
liberte  et  offrir  au  monde  la  Paix. 


I 


Blick  in  das  Auditorium 
Vue  de  rassistance 

Maintenant  je  crois  (ju'il  appartient  ä  M.  le  Professeur  Weichmann 
de  prendre  ma  place  et  de  faire  l'eloge  de  celui  qui  va  recevoir  la 
Medaille  Goethe. 


8 


Le  Professeur  Herbert  Weiehmann 
fait  Feloge  du  Laureat 

Avoir  ete  charge,  Maitre  Cassin,  —  avec  votre  accord  —  de 
prendre  la  parole  eii  votre  honneur  et  de  faire  aujourd'hui  votre 
eloge  est  tout  d'abord  un  privilege  qui  m'honore  moi-meme.  Aussi 
aimerais-je,  pour  commencer,  remercier  ceux  qui  m'ont  juge  digne 
d'interpreter  la  maniere  de  penser,  l'oeuvre  et  l'activite  d'une  per- 
sonnalite  qui  a  vecu  l'histoire  de  trois  generations,  qui  en  a  subi 
les  souffrances  et  qui  a  reussi  en  outre  ä  modeler  l'Histoire. 

En  meme  temps  je  me  sens  tres  embarrasse  devant  la  lache  qui 
m'incombe.  Maitre  Cassin,  vous  avez  dejä  ete  comble  d'houneurs  et, 
au  summum,  le  prix  supreme  vous  a  ete  decerne,  celui  (jui  peut 
etre  acquis  et  merite  dans  le  sens  d'une  societe  humaine,  le  Prix 
Nobel.  Pour  preparer  mon  allocution  j'ai  lu  une  quantite  de  ces 
discours  qui  depuis  votre  installation  ä  la  Vice-Presidence  du  Con- 
seil  d'Etat  jusqu'ä  aujourd'hui  ont  ete  prononces,  en  diverses  occa- 
sions,  pour  exalter  le  travail  du  savant  et  du  serviteur  de  l'Etat.  du 
juge,  et  de  l'avocat  de  tous  ceux  qui  vivent  ä  Tombre  de  la  vie.  Ces 
discours  soulignent  en  outre  le  rayonnement  tres  personnel  que  vous 
exercez,  l'esprit  du  collegue,  et  pourtant  du  chef,  dans  vos  rapports 
avec  vos  coUaborateurs,  le  zele  qui  anime  le  reformateur,  associe  au 
sens  des  realites  pratiques,  votre  sagesse  eclairee  et,  en  meme  temps, 
la  concentration  de  vos  efforts  vers  un  but  precis,  de  vos  efforts  in- 
ebranlablement  diriges  vers  le  droit  de  l'homme  dans  toutes  les 
spheres  de  votre  action.  Comment  pourrais-je  donc,  ä  mon  tour.  four- 
nir  un  complement  ä  votre  biographie,  ajouter  encore  des  touches 
de  couleur  ä  un  portrait  aux  traits  si  marques,  ajouter  quelque 
chose  qui,  ä  Foccasion  de  cette  ceremonie,  apporte  ä  un  auditoire 
aussi  distingue,  et  au-delä  ä  Topinion  publique,  une  note  particu- 
liere  qui  soit  dans  le  sens  du  message  que  votre  vie  et  votre  oeuvre 
nous  ont  livre? 

Je  vous  prie  donc,  avant  de  commencer,  de  bien  vouloir  etre  in- 
dulgent  et  j'en  demande  pardon  en  meme  temps  ä  ceux  qui  m'ecou- 
tent. 


11 


Permettcmoi  de  rechercher  cr«..e  maniere  tres  persom.elle  les 
,„ar„ues  .le  volre  destin  ,,ui,  au-dela  de  l'accent  perso.inel,  caracte- 
risent  tout  de  meine  Thistoire  de  notre  temps,  votre  enseignement 
e,  les  täches  -lue  les  hommes  et  les  Etats  ont  toujours  eneore  a  ac- 
complir. 

Nos  chemins  ne  nous  ont  conduits  qu'uiie  seule  fois,  Maitre  Gas- 
sin,  ä  une  rencontre  directe.  Vous  etes  President  honoraire  de     In- 
stitut International  des  Sciences  Administratives  et  j'en  suis  Vice- 
President,  assumant  la  Presidence  de  la  Section  allemande  de  cet 
Institut.  Lors  de  la  reunion  de  la  Section  fran^aise  a  Paris  en  197^ 
jVus  rhonneur  et  la  joie  de  vous  rencontrer  et,  nie  trouvant  a  cote 
de  vous  ä  table,  j^ai  pu  jouir  de  la  vivacite  de  votre  esprit.  La  ren- 
contre  helas!  ne  fut  pas  longue  et  sans  aucun  doute  eile  ne  suffit  pas 
ä  justifier  le  choix  de  Torateur  d'aujourd'hui.  Mais  il  y  a  autre  chose 
qui  m'a  pousse  ä  accepter  la  Suggestion  de  M.  Toepfer,  cjui  a  bien  du 
instinctivement  s'en  apercevoir  et  vous  aussi  peut-etre.  Cest  ceci: 

Si   je   ne   vous    ai   effectivement   rencontre    qu'une    fois,   je   crois 
quand  meme  pouvoir  dire  que  nous  avons  parcouru  bien  des  trajets 
ensemble,  trajets  d'une  vie  semblable  oü  nous  avons  souffert  et  agi 
d'une  maniere  semblable.  De  meme  que  sur  une  carte  geographniue 
les  distances  et  les  etapes  sont  visibles,  de  meme  je  crois  que  sur  les 
evenements  que  vous  avez  connus  je  suis  en  mesure  de  prelever  les 
espoirs  et  les  deceptions,  les  souffrances  et  la  resistance  dont  vous 
avez  fait  preuve,  les  itineraires  et  les  evasions  d'une  vie  psychique 
que  je  suis,  par  ma  propre  experience,  ä  meme  d'eprouver  et  de  re- 
tracer  ici  en  quelques  traits.  Ces  experiences  vecues  meritent  d'etre 
rappelees  parce  qu'elles  representent  beaucoup  plus  que  des  destins 
individuels,  eile  representent  un  fragment  d'histoire  pleine  d'ensei- 
gnement,  ou  plus  exactement  qui  doit  etre  pleine  d'enseignement,  et 
la  source  de  ce  message  que  vous  avez  inlassablement  proclame  et 
qui  possede,  aujourd'hui  eneore,  toute  sa  valeur. 

Vous  appartenez  depuis  votre  naissance,  comme  moi,  Maitre 
Cassin,  ä  une  minorite  religieuse  dont  le  destin  et  les  manieres  de 
penser  ont  ete  marques  par  une  histoire  millenaire  faite  de  souf- 
frances et  de  persecution.  Partout  oü  ont  vecu  et  vivent  des  juifs, 
bien  qu'ils  se  soient  toujours  efforces  de  s'integrer  au  pays  oü  ils  ont 
grandi,  jamais  ils  n'oublient  les  stigmates  de  leur  bistoire  qui  s'est 


12 


f^ 


'  > 
L 


Überreichung  der  Goethe-Goldmedaille  an  Maitre  Cassin 

durch  Frau  Toepfer  in  Anwesenheit  von  Bürgermeister  Schaff 

Remise  de  la  Medaille  d*or  Goethe  ä  Maitre  Cassin 

par  Madame  Toepfer,  en  presence  de  M.  le  Maire  Schaff 

repetee  si  affreusement  sous  le  Troisieme  Reich  et  dans  des  propor- 
tions  inimaginables  jusqu'alors.  Nous  avons  Tun  et  Tautre  sauve 
nos  vies,  mais  la  douleur  et  le  chagrin  (|u'a  causes  la  disparition  des 
membres  de  nos  familles  nous  accompagneront  jusqu'ä  la  fin  de  nos 
jours,  et,  positivement  parlant.  devront  etre  un  avertissement  pour 
la  formation  de  la  vie  politicjue  en  general. 

Nous  soinmes  aussi  Tun  et  Tautre  combattants  de  la  Pre- 
miere Guerre  Mondiale  oü  la  France  et  rAllemagne  s'af- 
fronterent  en  ennemis,  en  soi-disant  ennemis  hereditaires 
meme.  Et  pourtant  ici  aussi,  nous  avons  (piebjue  chose  en 
commun.  Dans  les  premiers  jours  d'aoüt  1914  j'ai  couru  me 
mettre  sous  les  drapeaux  parce  que  j'estimais  ne  pas  pouvoir  rester 

13 


1 

4 


DIE  SnFTUNG  FVS-  ZU  HAMBURG  H^*G7/LUF 
EINSTIMMIGEN'  BESCHLUSS  IHRES  «gTTFTUNGSRATES  EüE 

JOHAIsTN- V/OLFGANG-VON-  GOETHE-MEDAILLE 

IN  GOLD 

DEM  I,ANGJAHBlGElSr  PlV^IDETTTEISr  DES 
EUPOB^SCHEN"  GEKfCHTSHDFS  EUR  MENSCHEISrKECHrE, 
EHPENnPEASIDENTElSr  DES  CONSEIL  D^ETTO: 
EHKENVDRSrrZENDEN  DES  EIV^STZÖSISCHEISr  KPIEGSTEILNEHMEPr 

UND  KKEEGSOPFEKyEKBANDES 

Maitre  RENE  CASSIN 

PARIS 

TFAGER  DES  FRIEDENSlSrOBEIJPREISES  IpÖö 

2XJER[<AN]Srr 

DIE  STIFTUNG  EHRT  DAMTT  EINEN  UM  GELTUNG 

UND  ENTWICKLUNG  DES  INTERN/OTIDNÄLEIsr  KECHEES, 

INSBESONDERE  DER  MENSCHENRECHTE, 


HOCHVERDIENTEN  GELEHRTER  AKADEMISCHEN 

LEHRER  UND  RICHTER,  EINEN  GROSSEN  lATKECTEH 

DER,  SELBST  SCHWER  KRIEGSBESCHADIGT,  SICH  JAHP- 

2EHNTEIANG  FÜR  DIE  RECHTE  VON  KRIEQSTF.n  .NEHMEKTg" 

UND  KREEGSHINTERBLIEBENEISr  EINGESETZT  HAT 

ALS  STREITER  FÜR  EUROPA  SCHON  AN  DER  SEITE 

VON  .AKLSnDE  BPXAND  UND  ALS  GRÜNDER  DES 

INTERNATONAT  ,FN  INSTITUTS  FÜR  MENSCHENRECHTE 

I^ÜAT  ER  ZUM  AUFBAU  EINES  FREEDUCHEN  EUROPAS 

GROSSMERZIG  UND  TATIQ^AFTTG  BEIGETRAGEN. 

DIESE  URKUNDE  IST  AUSGESTELLT  AM  TAGE 
DER  FEIERLICHEN  ÜBERGABE  DER.  GQLDMEEAILLE 


S.  ^  ('^<h-^ 


(  PROrESSOl».  Vr  a  ^  IVEIN  ) 
VD1«.SXAND  PEK  STlFTUKa  r  V  3 


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1 

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rfyf^s,}}- 


/  gromes.  Vous  ave.  lu.te  pour  le  „ays  „ue  le  S  ede  des 

^  L  Revolution  fran.aise  avaient  ,nar.,ue  e      ,.u  ava.        de^  . 

U,,er,e  republicaine  e.  den.ocra.u.ue,  c  es.-a^.rc        g  ^,^ 

„ue  e.  iuridi.,«e  dont  s'inspirera  plus  ta    1  ^^^l^ ^^  ^,,,, 
Weimar  et  <,ui  m'a  amene  a  serv.r  un  Etat    l'"-  "^"  ;. 

se  vouer  ä  la  defense  du  droit  et  en  part.cuher  a  celle  de. 

ses. 

Espoir«  et  deceptiou.  caracterisent  cet.e  >'^"'»';."";;;:i;;:X 
rer  la  paix  et  dont  la  fin  fut  pourtant  h.e»  amere    l"'  — '"-^   '^    'j 
,rand  Fran.ais  „ui  incarua  „ne  politi.,ue  f-^»- <';";-       f,^^: 
voL  avez  pris  part,  ä  Geneve  men.e,  aux  travaux  de  la  S«-  y^« 
Nation,  olrectement  ou  indirecte.nent  vous  avez.  e..  <.-  "« J^^  «^ 
|e.ue  de  la  France,  mis  votre   taleut  de  jur.ste  et   vo.  e   autor.te 
r  le  1  Service  de  l'eu.eute  et  de  la  Cooperation  en.rejes  nat.o   s 
vous  effor^an.  dejä  d'introdnirc  dans  le  -«-""""'7"!'  ';";  .  ^ 
IL  les  relations  en.re  les  Etats.  Pidee  des  droits  de  1  nuhv.du.  A  .  „ 
„ildrl  degr.,  mais  .ga.en.ent  dans  le  silla.e  f  ■-  ^7;-fj-;::  ;;; 
„alite,  Celle  de  Stresemann.  Minis.re  alle.nand  des  ^f  --^«      "«J 
res,  j'ai  re,u  en  „uali.e  de  fouctionnaire  e,  d'hon.n.e  de  «-f     -  '  " 

Ministrc-Prcsiden,  de  Prusse,  Otto  «-»''", '""^'T  'ucoTcer- 
droit  de  l'individu  dans  un  do.naine  spec.al    dans  celu,  '>••-'«; 
„ait  le  droit  des  minorites  nationales  en  Pologne  d  nne  part,  et  en 
A 11  magne  d'autre  part,  droit  au.,uel  les  modifications  terr^na  - 
conse.,uence  de  la  gnerre,  avaien,  donne  une  grande  -"< «'  «J"" 
nous     onnaitrc  „ous  avons  du  nous  croiser  a  Geneve  vers  1928    et 
„uand  ie  Jette  un  coup  d'<.il  en  arriere.  ie  ne  peux  „.  ^"^J^ 
egretter  personnellement  que   le  jcnne   fonct.onna.re  <>.««««. 
n-ait  pas  eu  Poccasion  de  vous  rencontrer  en  1>— -  J«  "^     *  "J 
pu  s-enrichir  davantage  de  votre  scienee,  et  de  ce  que  vous  por 

tiez  en  vous. 

Mais  a„rait.ce  pn  etre,  c'es,  la  question  qu'il  faut  se  r>o^"^j^^°; 
spectivement,  aurait-ce  pu  etre  plus  qu'une  can.arader.e  »P-  -"- 
Tres  tö.  deiä  vous  avez  reconnu  l'echec  des  eiforts  «"'-pr.s  et  ou 
avez  iete  Talarme.  Les  grands  honunes  d'Etat  -nme  B  an<  e 
Stresemann  nous  ont  quittes  trop  tot  et  apres  la  chute  de  la  Repu 
Mique  de  Weimar  il  nous  a  fallu  ensevelir  l'espo.r  que  »"  - 
sions  d'un  monde  fonde  sur  l'ordrc  moral  et  sur  le  dro.t  de  1  nuhv.du. 


L'ASSOCIATION  DES  AMIS  DE  ROBERT  SCHÜMAN 

ET 

LA  .STIFTUNG  F.V.S.  ZU  HAMBURG« 

conf£rent 

LA 

MEDAILLE  EN  ARGENT 
ROBERT  SCHUMAN 

X 

MONSIEUR 

R..V.  WAGNER 

DE  METZ 

PRESIDENT  REGIONAL  DE  L'UNION  DES  INVALIDES, 

ANCIEN3  COMBATTANTS  ET  VICTIMES  DE  LA  GUERRE. 

CUEVALIER  DE  LA  LEGION  D'HONNEUR. 

ANIMf  DES  PLUS  NOBLES  SENTIMENTS  DE  COEUR  ET  D'ESPRIT 

N'A  CESSf  DEPUIS  PLUS  DE  50  ANS  DE  SE  DEVOUER 

INLASSADLEMENT  AU  SORT  DE  SES  CAMARADES  ET  DE  LEURS 

FAMILLES;  CONSCIENT  DE  LA  NECESSITE  DE  SERVIR  L'IDEAL 

EUROPL^EN,  OEUVRE  AVEC  SUCCtS  ET  SANS  RELÄCHE  EN  FAVEUR 

DE  L'ENTENTE  ET  DE  LA  FRATERNIT^  DE  TOUS  LES  ANCIENS 

COMBATTANTS  EÜROPEENS. 


MONTIGNY.LfeSMETZ,  LE  1er  JUILLET  1973 


L'ASSOCIATION  DES  AMIS 
DE  ROBERT  SCHÜMAN 


STIFTUNG  F.  V.  S.  ZU  HAMBURG 


y^^^.*^^  PRESIDENT/' 


VORSITZENDER  DES 
STIFTUNGSRATES 


16 


1933  marnua  le  debu,  d'un  long  calvaire,  ä  „ouveau  parallele  pour 
vou  et roi'ce  fu.  en  France,  ce  f„t  .  Paris  .ue  .„a  fem^e  e^  »o.- 
„eme  trouvämes  jus.,«  en  1940  u„  refuge  e,  «„e  P»«"!.  ^  ^  'J,;;^ 
jo„r.rhui  n«e  vous  ave.  jadis  je.e  l'alarn.e,  ma.s  -  ■  eUM^.u"- 
voix,  ä  tou.  eomp.er,  parn.i  ..«elques  au.res  cpu  surent  "'«-  ^  " 
acte^en,  le  danger.  En  pareouran.  la  liste  -P«---"!;. '^;:„* 

•     ^nit*.nt  ramuleur  de  votre   activite,  J  ai  constaie 
et  travaux  qui  reiletent  i  ampicui    y^^ 

nue  vous  aussi  avez  collabore  ä  la  Revue  "L'Europe  Nouvelle      Ce 
?üt  eene  revue-lä  qui  d'abord  sous  la  direetion  de  Pertinax,  pu.s  de 
L  „    loub  iable  li.  Pierre  Brossolette,  .„'offrit  ses  colonnes  pour 
Ts  ar^icles  r.guliers  dans  le.p.els  je  pus  laneer  ^es  avert.sse„.en^^ 
Puisque  je  sais  ä  quel  poin.  vous  etes  attache  a  la  v,  le  de  S^"  '  °-« 
„ü  vLs  L.  contribue  ä  la  fonda.ion  de  Plnstitu.    '— ;'«-^''; 
Droits  de  rHou,n.e,  qu'U  n.e  soit  per.is  ^j:^^r';:ZZ 
Jean  Knittel,  aneien  redaeteur  en  chef  des     Dern.eres  l>o 
de  Strasbourg".  Une  ami.ie  profonde  nous  a  lies  ,„sq„  a  sa  »ort   - 
femme  et  moi,  alors  que  nous  etions  eorrespondants  -guhers  d^^on 

Journal.  Puis-je  evoquer  egalement  le  „om  <»«   "">"  ,"'"'  '^  r"! 
Grumbaeh.  depute  d-Alsace,  dont  l'esprit  de  sohdarUe  ave        s  re 
fugies  allemands  a  redonne  eourage  ä  eeux  qu.  sont  <^^:''""^^J'2. 
des.  Ainsi  avons-nons  pu  du  n.oins  faire  entendre  la  vo.x  d    1    eons 
cience  alors  que  nous  partagions  la  meme  inqu.e.ude,  et  ,  a,  .c.  na  « 
rellemen,  le  sentiment  de  .n'acquitter  d'une  de.te  de  — -^  ^ 
en  faisant  ressortir  et  revivre  ce  qui  nous  unissa.t  sans  <■««  no"Ue 
saehions.  Survivant  de  ce.  episode  historique  fa.t  de  P-/'  J/j;; 
et  de  desespoir,  je  suis  heureux  de  pouvoir  a.ns,  met.re  1  accent  sur 
l'honneur  qui  revient  ä  votre  ligne  de  conduite  et  de  v.e. 

En   1940,   apres   l'invasion   allemande,   commence   la   per.ode   <ie 
rexil.  Comme  il  aura  l'air  facile  et  anodi«  cet  exode  quand,  parlant 
sans  „eehancete,  il  y  sera  fai,  allusion.  eomme  si    es  trams  de    a 
gare  voisine  ou  les  ba.eaux  du  port  voisin  eta.ent  la  a  «'  - J^    ^ 
voyageur.  Quelle  fuite  sur  les  routes  semees  de  fug.t.fs  e,  que  les 
Ins  allemands  arrosaient  dejä  de  leurs  bon.bes!  Quelle  m.sere 
amassee  dans  ce  qu'on  appelai,  par  euphemisme  des     centres  d  ac 
cueil"!  Quelle  aventure  et  quelle  lutte  pour  obten.r  des  pap.ers,  des 
visas  et  quelles  angoisses  pour  .rouver  un  ba.eau  et  avo.r  une  place 
ou  passer  la  frontiere  dans  la  nuit  et  le  brouillard!  Seulement  oser 
franchir  les  etapes  de  cette  aventure  exigeait  du  eourage  et  de 
force;  il  en  est  tant  qui  ne  reussirent  pas. 


II  ne  suffisait  pas  alors  de  risquer  sa  vie  comme  ä  la  guerre,  ou  le 
fait  d'etre  un  eleraent  d'une  grande  communaute  d'hommes  vous  raet 
en  mesure  de  combattre.  Seule  la  force  de  caractere.  la  foi,  le  sent,- 
ment  de  devoir  resister  en  depit  de  toutes  les  circonstances  host.les 
pouvaient    contribuer   ä    deployer   l'energie   necessaire    pour    fa.re 
renoncer  ä  la  vie  <,u'on  avait  connue  jus.,u'alors,  et  ä  tout  ce  qu  eile 
prome.tait,  pour  faire  accep.er  le  poin.  zero  de  l'exis.ence  et  ensmte 
de  le  depasser  enrecommengant  une  vie  toute  nouvelle.  comme  unetre 
sans  ombre  et  sans  racines,  et  de  chercher  sur  un  sei  nouveau  ou  se 
fixer  et  comment  croitre.  Je  puis,  partant  de  ma  propre  exper.ence, 
revivre  les  etapes  de  votre  exode.  alors  que.  pour  comble  de  mal- 
heur,  vous  etiez  abandonne  par  un  gouvernemen.  qui  se  refusa.t  a 
une  resis.ance  meme  morale.  Mais  perme.tez  ä  quelqu  un  qu.  a  e„ 
la  Chance  de  s'enfuir  quelques  mois  plus  tard.  en  novembre  1940. 
de  vous  dire  .,uel  singulier  rayon  d'espoir  ce  fut  pour  nous  au.res 
la  diaspora  de  l'autre  AUemagne.  que  d'en.endre  la  v„,x  du  General 
de  Gaulle  et  de  voir  son  atti.ude.  Vous-meme,  a  cö.e  de  In.,  avez 
ete  un  de  ses  compagnons  de  la  premiere  beure.  Le  des.in  de  1  buma- 
nite   es,    fai.   d'innombrables   des.ins   individuels;   permet.ez   donc 
„u'en  cette  beure  solenneile  un  de  ces  individus,  au  nom  de  beau- 
eoup  d-autres,  vous  dise  merci  pour  ce  que  vous  avez  fa.t,  car  au  bou 
du  compte,  cette  fois,  ce  ne  fut  pas  la  decep.ion  et  le  de-jo-  ma.s 
la  victoire.  une  vic.oire  oü  il  ne  s'agissait  pas  seulement  de  la  cau  e 
d'une  nation,  mais  bei  et  bien  du  retablissemen,  du  dro.t  e.  de  la 
morale  par-deU  les  fron.ieres  qui  separent  les  peuples. 

Une   nouvelle    periode    d'histoire   suivi.    la   vic.oire.   e.    auss.    de 
nouvelles  .äches  pour  ceux  qui  avaien.  reussi  ä  sauver  du  chaos  et 
leur  Corps  et  leur  äme.  On  e„,  d'abord  limpress.on  d  une  cesure 
dans  le  temps.  mais  c'e.ai.  bien  plus.  Les  villes  cer.es  e.  les  orga,..sa. 
tions  sociales  e.aien.  detruites,  il  fallait  eliminer  la  ..usere  pbys.que, 
la  faim,  creer  des  logements  e,  remedier  ä  la  dure.e  du  sor,  desrefu- 
gies,  mais  il  s'agissait  aussi  de  .rouver  «n  debu.  de  co,.s...u,.on 
d'e.ablir  un  nouveau  droit  et  de  trouver  a  remplacer  le  groupe  de 
direc.ion  disparu.  Vous.  Mai.re  Cassin.  avez  e.e  de  ces  hommes  de 
la  premiere  heure  qui  se  .„irent  au  Service  de  cet.e  .ache-la.  occu- 
pan.  bien.ö.  une  des  plus  hau.es  fouc.ions  d'Eta,.  Celle  de  v.ce-Pre- 
siden.  du  Conseil  d'Eta,.  fonc.ion  ä  laquelle  vous  avez  su  en  reforma- 
teur  insuffler  un  nouveau  dynanisme  e.  donner  un  nouveau  con- 
.e..u.  La  aussi  je  puis.  en  par.an.  de  ma  propre  experience.  eprouver 

19 


18 


i 


ce  que  fut  votre  decision  bien  <,ue  pour  moi  la  question  cl'un  retour 
dans  le  pays  qui  avait  ä  repondre  de  Auschwitz,  de  Trehlinka  et  de 
bien  d'autres  mefaits,  se  presentät  sous  un  jour  encore  plus  ditti- 
cultueux.  Pourtant  j'ai  l'impression  que  nous  avions  les  memes  rai- 
son«, qu'il  s'agisse  d'un  retour  en  France  ou  d'un  retour  en  Alle- 
magne.Cetait  le  sentiment  de  la  responsabilite  morale,  c  etait  1  appel 
d'un  devoir  moral,  qui  consistait  ä  ne  pas  refuser  de  contnbuer  a 
retablissement  d'un  nouvel  ordre  etatique  sur  la  base  de  la  republi- 
que,  de  la  democratie  et  du  droit,  dont  les  anciens  representants 
avaient  en  majorite  succombe.  victimes  de  la  guerre  et  de  la  violence. 

Mais  en  ce  qui  vous  concerne  permettez-moi  de  dire  encore  un 
mot.  Le  rayonnement  et  rinfluence  de  votre  pensee  ne  se  sont  pas 
etendus  seulement  ä  la  France  ou  aux  taches  que  vous  avez  assumees 
dans  les  Conimissions  internationales  oü  vous  representiez  votre 
pays.  Le  postulat  ethique,  qui  a  determine  vos  pensees  et  vos  actes 
durant  toute  votre  vie,  patronna  en  quehjue  sorte  aussi  la  creation 
de  la  nouvelle  loi  fondamentale  (lue  la  nouvelle  Repubhque  t  ede- 
rale  AUemande  s'est  donnee  ä  Bonn  le  23  mai  1949  et  dont  l'article 
I  stipule: 

(1)  La  dignite  de  rhomme  est  inviolable.  Tont  pouvoir  d'Etat  a  le 
devoir  de  la  respecter  et  de  la  proteger. 

(2)  Le  peuple  allemand  reconnait  inviolables  et  inalienables  les 
droits  de  rhomme,  base  de  toute  communaute  humaine,  de  la  paix 
et  de  la  justice  dans  le  monde. 

La  oü  il  est  question  du  droit  de  l'homme  on  trouve  le  nom  de 
Rene  Cassin.  Ainsi  ce  prix  allemand  a  aujourd'hui  aussi  sa  justifi- 
cation,  une  justification  particuliere. 

Mais  il  a  encore  une  deuxieme  racine.  Par  le  nom  Goethe  se  trouve 
creee  une  association  avec  l'homme  ([ui,  ä  la  fois  penseur  et  homme 
d'Etat,  sut  reconnaitre  les  aspects  humains  de  la  Revolution  fran- 
^aise  et  promit  la  redemption  ä  "celui  qui  aspire  toujours  en  s'effor- 
qant'*  „der  immer  strebend  sich  bemüht^.  Toujours  s^ef forcer  en  ten- 
dant  vers  un  but,  c'est  ä  la  verite  la  marque  de  votre  personne,  et 
une  autre  raison  qui  legitime  la  remise  justement  de  la  Medaille 
Goethe. 


20 


Permettez-moi  de  signaler  que  cette  ceremonie  a  une  troisieme 
signification.  Elle  symbolise  la  suppression  de  l'inimitie  hereditaire 
entre  nos  deux  pays  et  la  reconciliation  vraiment  reussie  de  nos 
peuples  realisee  par  deux  grands  hommes  dTtat,  Adenauer  et  de 
Gaulle,  et  qu'a  continuee  Willy  Brandt.  Prix  T^obel  corame  vous. 

Certes  Toeuvre  que  vous  avez  accomplie,  Maitre  Cassin,  est,  comme 
nos  efforts  ä  tous,  inachevee,  dans  un  monde  inacheve. 

Je  ne  vais  pas  jus(iu-ä  croire  que  Thomme  reussira  un  jour  a  creer 
un  monde  parfait  ou  qu'on  puisse  attendre  un  Messie  ante  portas. 
Mais  deux  objectifs  qui  paraissent  realisables,  et  ne  relevent  pa.  de 
l'utopie,  n'ont  pas  ete  atteints. 

Un  de  ces  objectifs  est  une  Europe  unie.  qui  ne  soit  pas  seulement 
un  instrument  ä  des  fins  economicpies  ou  une  sonime  de  nations  re- 
stant  souveraines,  mais  une  communaute  d'hommes  .lui  malgre  tout 
ce  qui  les  differencie  sur  le  plan  national,  marques  par  une  meme 
civilisation  et  une  meme  conception  de  la  civilisation.  vivent  dans  un 
meme  Systeme  juridique  et  social,  qui  f ait  f i  des  f  rontieres  nationales 
et  possede  au  moins  partiellemenl  une  souverainete  propre.  Meme 
apres  Telargissement  de  la  Communaute  europeenne  cet  objectif  n  a 
pas  ete  atteint.  11  demeure  donc  une  tache  ä  accomplir.  Le  gemus  loci 
qui  repond  au  nom  de  Robert  Schuman  et  Tesprit  cosmopohte  de 
Goethe  peuvent  nous  stimuler  et  nous  aider  ä  faire  un  pas  de  plus 
vers  une  Europe  unie. 

11    y     a     autre     chose     encore     que     Ton    voit    dans    le     paysage 
spirituel:  ce  sont  d'autres  taches  blanches  ou  meme  des  eruptions 
dangereusement  aigues.  Nous  n'avons  pas  encore  partout  cette  com- 
munaute et  ces  Constitution«  dTtat  oü  la  dignite  de  Ihomme  est  in- 
violable et  oü  les  droits  inalienables  sont  reconnus.  Et  ceci  ne  s  ap- 
plique  pas  seulement  aux  Etats  totalitaires.  Meme  dans  les  pays  de- 
mocrati<,ues,  meme  en  France  et  en  Republic.ue  Federale  nous  nous 
trouvons    aujourd'hui   devant   une    generation   de   jeunes    qui.   sans 
avoir  connu  la  souffrance  ni  re<^u  l'enseignement  de  THistoire,  s  at- 
tache  ä  des  utopies  ou  des  ideologies  qui  recelent  des  dangers  pour 
nos  libertes  et  nos  droits  si  cherement  conquis  (si  jamais  ces  idees 
devaient  se  realiser  et  prendre  des  formes  aigues).  Une  confus.on 
des  esprits  et  une  falsification  des  notions  etablies  se  developpent 
surtout  parmi  une  minorite  tres  active  d'intellectuels  qui  pretendent 

21 


que  nos  libertes  democratiques  ne  sont  que  des  libertes  repressives, 
veulent  renverser  le  Systeme  social  de  notre  monde  libre  et  mettre  a 
la  place  un  avenir  indefini,  ou  bien  ils  essaient  de  transformer  la  de- 
mocratie  parlementaire  en  uiie  soi-disant  democratie  populaire,  ou 
de  nouveau  l'esprit  de  la  dictature  serait  declare  religion  d'Etat  et 
ses  fonctioiinaires  etablis  en  un  groupe  qui  dominerait.  De  paisibles 
nations  sont  traitees  d'imperialistes  et  les  vrais  politiciens  du  pou- 
voir  Portes  aux  nues  comme  des  archanges  de  la  paix.  Que  les  signes 
precurseurs  soient  rouges  ou  bruns  cela  revient  au  ineme.  La  chanson 
dela  realisation  des  droits  del'homme,on  la  cbante  faux  aujourd'hui. 
Partout  aussi  rode  l'esprit  de  violence.  L'affranchissement  du  colo- 
nialisme  n'a  pas  libere  de  la  force,  de  la  haine,  de  la  violence  les 
peuples  soi-disant  liberes,  la  liberation  du  Systeme  capitaliste  a,  dans 
les  pays  totalitaires,  pris  la  liberte  de  l'esprit  ä  ceux  qu'on  avait 
delivres  de  ce  fleau  et,  meme  dans  les  Etats  democratiques,  chaque 
jour  apporte  de  nouveaux  temoignages  de  violence  contre  des  choses 
ou  contre  des  hommes. 

Cest  precisement  pour  cela  que  votre  oeuvre,  Maitre  Cassin,  non 
seulement  se  trouve  inachevee  mais  ä  nouveau  menacee.  l^  est  preci- 
sement pour  cela  que  votre  oeuvre,  et  le  modele  que  vous  avez  don- 
ne,  revetent  une  signification  supra-lemporelle.  II  faut  les  revivifier, 
il  faut  continuer  avec  cet  elan  et  ce  zele  infatigable  dont  vous  avez 
donne  la  preuve.  Qu'ainsi  la  gratitude  que  nous  vous  temoignons  au- 
jourd'hui soit  aussi  profession  de  foi  et  avertissement  pour  l'avenir! 


Laudatio  auf  Maitre  Rene  Cassin 
von  Professor  Dr.  Herbert  Weichmann,  Hamburg 

(Übersetzung) 

Die  Aufgabe  erhalten  .u  haben  -  mit  Ihrer  Zustimmung  Maitre 
Cassin-,  ^u  Ihren  Ehren  heute  und  hier  die  Laudatio  zu  formuhere,., 
bedeutet  zunüchst  einmal  eine  Ehre  für  den  V--a.enden  se.b.^ 
So  möge  am  Anfang  meiner  Ansprache  der  Dank  J"'-  ;<;»"•;  f"/ 
«ürdig  befunden  .u  sein,  die  Denkweise,  das  ^  erk  und  d,e  ^n^k- 
samkeit  einer  großen  Persönli*keit  zu  vernnt.e In.  <'--**- 
von  drei  Generationen  erlebt  und  erlitten  und  zudem  (,eseh,cl,.e  zu 
formen  vermocht  hat. 

Gleichzeitig  befällt  mich  bei  dieser  Aufgabe  auC  eine  große  Ver- 
legenheit.  Sie,  Mattre  Cassin  haben  bereits  e.ne  Fülle  von  Ehrungen 
erfahren  und  an  der  Spitze  wohl  den  höchsten  ^'^"-f^'^!"^^ 
einer  humanen  Gesellsel.aft  erdient  und  verdient  werden  kann,  den 
Prix  Nobel.  I.*.  habe,  bei  der  Vorbereitung  dieser  Auspräge,  e.ne 
Fül  jener  Reden  gelesen,  die  seit  Ihrer  Installation  als  V  ..epras.- 
Sr^tcUsC  nsei.d-EltimDezemberl944bisin«nsere^Gegenwar   he 

verschiedenen  Anlässen  Ihre  Arbeit  als  Gelehrter  und  D--    «J';- 

tes.   als  Richter  und  Fürsprecher  aller  ''=""■''''' ^'^  ^''^^^  iZl 
Lebens  standen,  gewürdigt  haben.  Ebenso  haben  d.ese  Re^en  Ihre 

besondere  persönliche  Ausstrahlung,  den  ';<'"«^"''7  "■"•^;;*J^";. 
renden  Geist  im  Umgang  mit  Ihren  Mitarbe,.ern.  I»-;-  -f°;;  " 
sdten  Eifer,  verbunden  mit  dem  Sinn  für  '^'^  ^f'^^^^^^^ 
Ihre  abgeklärte  Weisheit  und  zugleich  konzentr.erte  ^-'^  ^f;«!;?    ; 
„nersd.ütterli.1.  auf  die  Mens.i,enre.l,.e  genutet,  .n  allen  Ihr  n  ^  r 
kungsbereichen  zum  Ausdruck  gebracht.  W.e  also  soll    d,  f ah^g  se  n, 
Ihre  Biographie  zu  ergänzen  und  einem  geprägten  B.ld  -*  Färb, 
tupfer  hinzuzufügen,  dieser  distinguierten  -<i';'-  "■>;•  "'';;  J 
hinaus   der   weiteren    Öffentlichkeit    eine    besondere   Note   be.   der 
heutigen  Preisverleihung  zu  vermitteln.  wel<i,e  .m  S.nne  der  Bo, 
sehaft  liegt,  die  Ihr  Leben  und  Werk  uns  zu  verkünden  hat. 

23 


>2 


So  bitte  ich  von  vornherein  um  Ihre  Nachsicht  und  den  Pardon 
der  Zuhörersdiaft. 

Lassen  Sie  midi  bitte  den  Merkmalen  Ihres  Geschicks  auf  eine 
sehr  persönliche  Weise  nachgehen,  die  gleichwohl  über  den  persön- 
lichen Akzent  hinaus  auch  die  Geschichte  unserer  Zeit,  ihre  Lehre  und 
die  noch  immer  vor  Menschen  und  Staaten  liegende  Aufgabe  charak- 
terisieren. 

Auf  unserer  beider  Lebensweg  sind  wir  uns,  Maitre  Cassin,  nur 
einmal  unmittelbar  begegnet.  Sie  sind  President  honoraire  de  Tln- 
stitut  International  des  Sciences  Administratives,  und  ich  bin  Vize- 
präsident dieser  Organisation  wie  Präsident  ihrer  deutschen  Sektion. 
Bei  der  Sitzung  der  französischen  Section  im  Jahre  1972  in  Paris 
hatte  ich  die  Ehre  und  Freude,  Ihnen  zu  begegnen  und  auch  als 
Tischnachbar  von  der  Regsamkeit  Ihres  Geistes  zu  profitieren.  Aber 
die  Begegnung  war,  helas,  nur  kurz  und  sicherlich  nicht  ausreichend, 
um  midi  für  diese  laudatio  zu  legitimieren.  Aber  es  ist  etwas  anderes, 
was  mich  ermutigte,  der  Anregung  von  Herrn  Toepfer  Folge  zu 
leisten,  und  er  muß  das  wohl  auch  instinktiv  gespürt  haben.  Ihnen 
ist  es  vielleicht  ebenso  ergangen.  Es  ist  dieses: 

Wenn  ich  Ihnen  auch  nur  einmal  von  Person  zu  Person  begegnete, 
so  glaube  ich  dodi  sagen  zu  dürfen,  daß  wir  viele  Strecken  eines  ge- 
meinsamen Weges,  eines  gemeinsamen  Lebens,  Leidens  und  Wirkens 
zurückgelegt  haben.  Wie  auf  einer  Landkarte  die  geographischen  Di- 
stanzen und  Stationen  sichtbar  sind,  so  glaube  ich,  Ihren  Erlebnissen 
die  Hoffnungen  und  Enttäusdiungen,  die  Leiden  und  den  Wider- 
stand gegen  sie,  die  Wege  und  Fluchtwege  eines  seelisdien  Daseins 
entnehmen  zu  können,  das  ich  aus  eigenem  Erleben  nachzuempfinden 
und  ein  wenig  hier  nachzuzeichnen  vermag.  Diese  Erlebnisse  dürfen, 
ja  sollen  sogar  erinnert  werden,  weil  sie  keineswegs  nur  individuelle 
Schicksale  darstellen,  sondern  ein  Stück  lehrreicher  oder  genauer 
lehrreidi  sollender  Geschidite  sind  und  die  Quelle  jener  Botschaft, 
die  Sie  unablässig  verkündet  haben  und  die  auch  heute  noch  unver- 
mindert Geltung  besitzt. 

Sie  sind,  wie  idi,  Maitre  Cassin,  als  Angehöriger  einer  religiösen 
Minderheit  auf  diese  Welt  gekommen,  deren  Sdiicksal  und  Denk- 
weise durdi  eine  jahrtausendalte  Geschidite  des  Leidens  und  der 
Verfolgung  geprägt  worden  ist.  Wo  immer  Juden  lebten  und  leben, 
wie  sehr  audi  immer  sie  sidi  in  das  Land  zu  integrieren  bemühten, 


24 


1 


in  dem  sie  aufwudisen,  sie  vergessen  nie  das  Stigma  ihrer  Gesdiichte, 
die  sich  im  Dritten  Reich  so  entsetzlich  und  in  diesem  Ausmaß  bisher 
unvorstellbar  wiederholte.  Wir  sind  persönlich  mit  dem  Leben  davon- 
gekommen, aber  Schmerz  und  Trauer  um  den  Verlust  unserer  An- 
gehörigen wird  uns  bis  zum  Ende  unserer  Tage  begleiten  und,  in 
positivem  Sinn,  Mahnung  für  die  Gestaltung  des  politischen  Lebens 
sein. 

Wir  sind  auch  beide  Teilnehmer  des  ersten  Weltkrieges,  in  dem 
sich  Frankreich  und  Deutschland  als  Feinde,  als  sogenannte  Erb- 
feinde sogar,  gegenüberstanden.  Und  doch  sehe  ich  audi  hier  eine 
Gemeinsamkeit  zwischen  uns.  Ich  eilte  in  den  ersten  Tagen  des  Au- 
gust zu  den  Fahnen,  weil  es  für  mich  galt,  im  Kampfe  gegen  das 
zaristische  Rußland,  das  Land  der  Progrome,  nidit  abseits  zu  stehen; 
Sie  foditen  für  das  Land,  das  von  der  Periode  der  Aufklärung  und 
der  Geschichte  der  Revolution  geprägt  seine  republikanisdie  und  de- 
mokratische  Freiheit  zu  verteidigen  halte,  ein  Staats-  und  Redits- 
system  also,  das  im  Jahre  1919  auch  die  Republik  von  Weimar  in- 
spirierte  und  mich  in  den  Dienst  dieses  Staates  führte,  der  fortan 
dem  Recht  und  insbesondere  auch  den  unterprivilegierten  Menschen 
dienen  sollte. 

Hoffnungen  wie  Enttäuschungen  sind  die  Kennzeiciien  dieser  Pe- 
riode, die  den  Frieden  sidiern  sollte  und  dodi  so  bitter  endete.  Im 
Gefolge  jenes  großen  Franzosen,  in  dem  sidi  eine  aufriditige  fran- 
zösisdie  Friedenspolitik  verkörperte,  nämlidi  von  Aristide  Briand, 
nahmen  Sie  an  den  Arbeiten  am  Sitze  und  im  Sdioße  der  Societ^s  des 
Nations  teil.  Mittelbar  oder  unmittelbar  haben  Sie  als  Delegierter 
Frankreidis  Ihr  juristisches  Talent  und  Ihre  inoralisdie  Autorität  In 
den  Dienst  des  Einvernehmens  und  der  Zusammenarbeit  zwisdien 
den  Nationen  gestellt;  dabei  haben  Sie  sidi  schon  damals  bemüht,  in 
einem  völkerrechtlichen  Text,  eingebettet  in  die  Beziehungen  zwi- 
schen den  Staaten,  die  Idee  der  Mensdienredite  zu  verankern.  In 
einem  besdieideneren  Grade,  aber  gleidifalls  im  Gefolge  einer  großen 
Persönlidikeit,  des  deutsdien  Außenministers  Stresemann.  hatte  idi  als 
Beamter  und  Vertrauensmann  des  Preußischen  Ministerpräsidenten 
Otto  Braun  den  Auftrag,  dem  Redit  des  Individuums  in  einem  spezi- 
ellen Bereidi  zu  dienen,  nämlidi  im  Bereich  des  respektiven  Redits 
der  nationalen  Minderheiten  in  Polen  und  in  Deutsdiland.  das  durdi 
die  Gebietsveränderung  in  der  Folge  des  Krieges  besondere  Aktuali- 
tät gewonnen  hatte.  Ohne  uns  zu  kennen,  müssen  sidi  unsere  Wege 

25 


■.i^^-'>.«s;. 


in  Genf  um  das  Jahr  1928  herum  gekreuzt  haben,  und  ich  muß  es 
rückblickend  als  einen  persönlidien  Verlust  betrachten,  daß  der  junge 
Beamte  von  damals  nicht  Gelegenheit  hatte,  Ihnen  auch  persönlich 
zu  begegnen  und  von  Ihrem  Wissen  und  Können  weitere  Bereiche- 
rung zu  erhalten. 

Hätte  aber,  so  müssen  wir  rückblickend  fragen,  etwas  mehr  als 
eine  Kameradsdiaft  im  Geiste  erreidit  werden  können?  Sie  haben 
frühzeitig  bereits  den  Fehlschlag  der  Bemühungen  erkannt  und  Ihre 
warnende  Stimme  erhoben.  Die  großen  Staatsmänner  wie  Briand 
und  Stresemann  sind  zu  frühzeitig  von  uns  gegangen,  und  mit  dem 
Zusammenbruch  der  Republik  von  Weimar  mußten  wir  die  Hoff- 
nung auf  eine  Welt  der  sittlichen  Ordnung  und  des  Rechts  des  Indivi- 
duums zu  Grabe  tragen. 

1933  begann  die  Periode  eines  langen  Leidensganges,  der  wieder- 
um für  uns  in  paralleler  Richtung  verlief.  Es  war  Frankreich,  es  war 
Paris,  in  dem  meine  Frau  und  ich  bis  1940  Zufludit  und  Heimat 
fanden.  Ich  weiß  heute,  daß  Sie  damals  Ihre  warnende  Stimme  erho- 
ben, aber  es  war,  alles  in  allem,  nur  eine  Stimme  unter  wenigen, 
welche  die  Gefahr  einzuschätzen  wußte.  Ich  habe  beim  Nachlesen  der 
eindrucksvollen  Liste  der  titres  et  travaux,  welche  die  Fülle  Ihrer 
Arbeit  widerspiegelt,  festgestellt,  daß  auch  Sie  zeitweilig  zu  den 
Mitarbeitern  der  Zeitschrift  "L'Europe  Nouvelle"  gehörten,  und  es 
war  diese  Zeitschrift,  zuerst  unter  Pertinax  und  sodann  unter  Lei- 
tung meines  unvergeßlichen  Freundes  Pierre  Brossolette,  die  mir 
ihre  Spalten  für  regelmäßige  Beiträge  öffnete,  in  denen  ich  auch 
meine  warnende  Stimme  erheben  konnte. 

Da  ich  weiß,  wie  sehr  Sie  der  Stadt  Straßburg  verbunden  sind,  wo 
Sie  an  der  Gründung  des  Institut  International  des  droits  de  Thomme 
mitgewirkt  haben,  darf  ich  hier  den  Namen  Jean  Knittel  in  Erinne- 
rung rufen,  der  in  jener  Zeit  Chefredakteur  der  ''Dernieres  Nouvel- 
les  de  Strasbourg"  war.  Meine  Frau  und  ich  waren  ihm  bis  zu  seinem 
Tode  in  herzlicher  Freundschaft  verbunden,  die  aus  unserer  regel- 
mäßigen Mitarbeit  an  seiner  Zeitung  erwachsen  war.  Auch  möchte 
ich  nicht  verfehlen,  hier  meines  Freundes  Salomon  Grumbach,  des 
damaligen  elsässischen  Depute,  zu  gedenken,  der  seine  Verbunden- 
heit mit  den  politischen  Flüditlingen  aus  dem  Deutschen  Reich  he- 
kündete  und  dadurch  den  aus  ihrem  Vaterland  Vertriebenen  neuen 
Mut  gab. 


So  haben  wir  wenigstens  auch  der  Stimme  des  Gewissens  in  ge- 
meinsamer Besorgnis  Ausdruck  geben  können,  und  es  ist  mir  eine 
selbstverständliche  Pflicht  der  Dankbarkeit,  wenn  ich  jetzt  diese 
unbekannte  gemeinsame  Verbundenheit  hervorhebe  und  wieder- 
belebe. Als  ein  Überbleibsel  jenes  geschichtlichen  Abschnitts  von 
Furcht,  Hoffnung  und  Verzweiflung  bin  ich  glücklich,  auf  diese  Weise 
die  ihren  Lebensweg  gebührende  F^hre  zu  akzentuieren. 

1940,  nadi  dem  Einmarsch  der  Deutsdien,  beginnt  die  Periode  des 
Exils.  Wie  glatt,  wie  unverfänglich  nimmt  sich  auch  in  wohlmeinen- 
den Reden  der  Hinweis  auf  diesen  Exodus  aus.  als  ol)  die  Züge  im 
nächsten  Bahnhof  oder  das  Schiff  im  nächsten  Hafen  nur  auf  den 
Wanderer  gewartet  hätten.   Welche  Flucht  auf  den  von  Flüchtigen 
besäten   Landstraßen,   über   welche   schon   die   deutschen   Flugzeuge 
ihre  Bomben  abwarfen,  welches  massierte  Elend  in  den  euphemistisdi 
benannten  centres  d'accueil,  welcher  abenteuerliche  Kampf  um  Pa- 
piere und  Visen,  und  welche  Ängste  um  ein  Schiff  niul  einen  Platz 
auf  ihm  oder  bei  der  Uberquerung  der  Grenze  in  Nacht  und  Nebel 
kennzeichnen   die   Etappen  jenes   Abenteuers,   das   sdion   zu   wagen 
Mut  und  Kraft  erfordert  und  das  so  viele  nicht  bestanden.  Hier  ge- 
nügte nicht  nur  Gefahr  für  das  eigene  Leben,  wie  sie  allgemein  dem 
Kriege  zu  eigen  ist,  in  dem  man  als  Glied  einer  großen  Gemeinschaft 
zu  kämpfen  in  der  Lage  ist,  hier  vermochte  nur  Charakterstärke,  der 
Glaube,  das   Gefühl   der  Pflidit   zum   Widerstand   allen   feindlichen 
Umständen  zum  Trotz  jene  Kraft  zu  entfalten,  die  im  Stande  war, 
einem  bisherigen  Leben  mit  allen  früher  gegebenen  Vorzeichen  zu 
entsagen,  einen  Nullpunkt  des  Daseins  zu  akzeptieren,  um  ihn  dann 
zu  überwinden  und  ein  völlig  neues  Leben  zu  beginnen,  als  Wesen 
ohne  Schatten  oder  ohne  Wurzeln,  um  in  einem  neuen  Boden  Halt 
und  Wachstumsmöglichkeiten  zu  finden.  Ich  vermag  aus  eigenem  Er- 
leben die  Etappen  Ihres  Exodus  nachzuerleben,  bei  dem  Sie  nodi 
dazu  von  einer  Regierung  verlassen  waren,  die  sich  dem  audi  nur  mo- 
ralischen Widerstand  verschloß.  Aber  lassen  Sie  mich,  dem  erst  einige 
Monate  später,  im  November   1940,  die  Fludit  über  die  Pyrenäen 
glückte,  zum  Ausdruck  bringen,  welcher  einzigartige  Lichtblick  für 
uns,  die  Diaspora  des  anderen  Deutsdiland,  die  Stimme  des  an<leren 
Frankreidi  und  insbesondere  die  Haltung  des  Generals  de  Gaulle 
war.  Sie,  an  seiner  Seite,  gehörten  von  der  ersten  Stunde  an  zu  den 
Männern  um  ihn.  Da  sidi  das  Sdiicksal  der  Menschen  in  unzähligen 
Einzelschicksalen  vollzieht,  darf  zu  dieser  Stunde  ein  solcher  Einzel- 


26 


27 


'  -'■)■ 


und  Moral  über  die  Grenzen  der  Völker  hinau.  ging. 

Nad.  dem  Sieg  kam  eine  nene  ges^iehtliAe  Periode  nnd  dami. 
eine  neue  Aufgabe  zu  den  Menschen,  denen  es  gelungen  war,  korper 
LTund  seeUsL  den.  Untergang  zu  entgehen.  Das  bort  s..b^una*s. 
wie  die  Feststellung  einer  zeitlidten  Cäsnr  an.  aber  es  war  we  t  mehn 
E    waren  nicht  nur  die  Städte  und  gesellschaftlichen  L,nr,.b.ungen 
zerstört,  es  war  ni<bt  nur  die  physische  Not.  Hunger.  Wohnu..gs^ 
losigkeit  und  das  harte  Los  der  FlüAtlinge  zu  bese.t.gen,  sondern 
es  galt  auch,  einen  neuen  konstitutionellen  Anfang  zu  f-'^en,  -n 
neues  Recht  zu  etablieren  und  Ersatz  für  eine  uicb.  n.ehr  vorhandene 
Führungsgruppe  zu  finden.  Sie,  Maitre  Cassin.  gehorten  "•  d«»  M-»" 
nern  der  ersle',  Stunde,  die  siA  für  diese  Aufgabe  z..r  Verfngu.^ 
stellten,  und  alsbald  als  Vicepresiden,  des  Conse.l  d  Etat  e.nes  der 
höchsten  Staatsärater  bekleideten,  dem  Sie  reformator.sch  neue  Dy- 
namik und  neuen  Gehalt  zu  inspirieren  vermoAlen.  Auch  hier  ver- 
mag  id,   Ihren   Entsdiluß   aus   eigenem    Erleben   nacl.zuempfuulen 
wenngleidi  sich  für  miA  die  Frage  na.1,  einer  Rückkehr  in  das  Land, 
das  Ausdiwitz,  Treblinka  und  andere  Missetaten  zu  verantworten 
hatte,  nod.  etwas  sdiwieriger  darstellte.  Gleidtwohl.  so  me.ne  .ch 
war  das  Motiv  gemeinsam,  ob  es  sich  nun  um  eine  R"''^^kehr  >.ach 
Frankreich  oder  nach  Deutsdiland  handelte.  Es  war  das  Gefuh    «ler 
sittlichen  Verantwortung,  es  war  der  Ruf  einer  moralisAen  Pf  .At, 
sid.  nidit  der  Mitwirkung  einer  neuen  staatlitben  Ordnung  aut  Her 
Gnmdlage  der  Republik,  der  Demokratie  und  des  Rechts  zu  ent- 
ziehen, deren  frühere  Vertreter  in  der  Mehrzahl  zu  Opfern  des  Krie- 
ges oder  der  Gewalt  geworden  waren. 

Aber  von  Ihnen  besonders  lassen  Sie  miA  noch  sagen:  Die  Aus- 
strahlung und  Wirkung  Ihres  Denkens  erstreckte  sieb  nidit  nur  auf 
Frankreich  oder  auf  Aufgaben  als  Vertreter  Ihres  Landes  in  inter- 
nationalen Gremien.  Das  ethische  Postulat,  das  Ihr  Denken  und 
Handeln  Ihr  ganze.s  Leben  hindurdi  bestimmte,  stand  auch  bei  der 
Schaffung  des  neuen  Grundgesetzes  Pate,  das  sich  die  neue  Deutsdie 
Bundesrepublik  am  23.  Mai  1949  in  Bonn  gab  und  in  dessen  Artikel 
1  es  heißt: 


,1)   Die  Würde  des  Menschen  is,  unantastbar.  Sie  zu  achten  und 
.diUtzen  ist  Verpflichtung  aller  staatlichen  Gewalt. 

(2)   Das  Deutsdie  Volk  bekennt  sid.  J""';- ^ ^-^  ^isl  len 

sehe  Preis  seine  besondere  Legitimierung. 

Er  hat  aber  nod.  eine  zweite  Wurzel.  Mit  '•- ^-^  ^  ^l  der 
bunden,  wird  damit  die  Assoziation  zu  ^--  'X;..  . .,,  „„„„„en 
.leichzeitig  ein  Denker  und  ^^^^-^ZI"'!^  .neu.  Mensdien 
Aspekte  der  f— ;*'=",;•';:  ".„ebend  sich  bemühf.  Immer 
die  Erlösung  versprach,  „der    mn  M„k,„al  Ihres  Vvesens 

drehend  sidi  zu  bemühen,  das  ist    urw  h    d      Me^^^_^  __  _^  ^^^^_,^  ^,^^ 
und  eine  weitere  legitime  Grundlage  tur 
Goethe-Medaille.  .   ^.^^^  p^^.^^,„. 

Lassen  Sie  mi<h  hier  aber  -*;''"'"'^'^,,,i,,„,.  „ämlich  die  Be- 

leibung  wohl  noch  ein  DritUS  ;"'"  f "       ."^^^   .  .„.,eren  Ländern 

seitigung  der  bistorisAen  Ff '-"'    *;„;;;  Völker,  von  den  bei- 

und  die  wirklich  geglückte  y--»"""  f  ' '  ;Ganlle  zus.andegchradi. 
den  grolJenStaatsmännern  Adenauer  und  deOa 

„,/vo„  Will.  Brandt.  ------ -;,....  L„.„.  ...  wie 

Das  Werk  freiliA.  Maitre  C--' ;;    f  ;^^.„,,,,,ae.en  ^  elt.  Nun 
unser  aller  Bemühen,  unvollendet,  in  el   e  ^^_^^^^  _  .^_^^,^ 

habe  iA  niAt  die  Illusion  zu  ^'^  '-•   ';    f^,.  „.,„  ,Uß  ein  Messias 
gelingen  wird,  eine  vollendete  Welt  zu  sAfr^^^    ^.^  ^^^^  ^^.  ^„^^ 

ante  portas  zu  erwarten  wäre.  Abe  ,i„d  „.At  er- 

NüA.ernhei,  des  Geistes  als  erreiAbar  er.  A 

reiAt  worden.  ökonomi- 

Das  eine  Ziel  ist  ein  vereintes  ^"X;:»::^  ^Meibender  Na- 
sAes  ZweAinstrument  oder  eine  ^^;  ";;;;-^,.,^,,..  die  bei  aller 
Uonen  ist,  sondern  eine  G«-"'-*;' ^.„„  ..„einsamen  Kultnrge- 
na.ioualer  Differenzierung  doA  ^<"  "  .  %„j,  ;„  einem  gemein- 
sAiAtc  und  Kulturauffassung  ^^"fJ'X,^  j,,  die  nationalen 
samen   ReAts-   und   Gesel.sAaftssystein   lebe",^^^^^^^^  ^^^.^^^^__^_ 

Grenzen  überspring,  und  eine  ihm  e^ge    ^  ,^^^  ,^^  j^^es  Ziel 

uaA  der  Erweiterung  der  LuropaisAen 

29 


28 


■'."i';*'| 


7'  iC-; 


nKh,  erreich,  worden  -  und  also  eine  Aufgabe,  die  noA  .«  erful  en 
",  Seh  stark,  wenn  nicht  vielleicht  entsAeideud,  w.rd  h.erhe.  der 
S Amssel  in  der  Haltung  Frankrei^s  liegen.  Der  genius  loc.  .„.  e^^^ 
Namen  Rober,  Sehuman  angesprochen,  und  der  kosmopol.  .sehe 
Geist  Goethes  mögen  uns  anspornen,  den.  Ziel  eines  vere.nten  Luro- 
pa  erneut  näher  zu  kommen. 

Ein  weiterer  Umstand  läßt  uns  nod.  andere  weiße  Flecken  ocler 
sogar  akut  gefährliche  Eruptionen  in  der  geistigen  Landsc*.aft  erke^ 
„el    Wir   haben    noch   nicht    überall    jene    Gemeinschaft    und       ne 
Staatsverfassung,  in  denen  die  Würde  des  Mensche,,  unverletzthd. 
ist  und  die  unveräußerlichen  Menschenredite   anerkannt   sind.   Uas 
gilt  nicht  nur  für  die  totalitären  Staaten.  Aud.  in  den  demokratischen 
Ländern,   aud.  in  Frankreich  und   der  Bundesrepublik   stehen   w.r 
heute  einer  jungen  Generation  gegenüber,  die  nicht  vom   Leid  ge- 
prägt, nicht   von   der  Geschichte   belehrt,    Utopien    oder   Ideolog  en 
anhängt,  die  Gefahren  für  unsere  so  leidvoll  erkämpften  Freiheiten 
und  Redite  in  sidi  bergen,  wenn  je  das  Stadium  der  Verwirklichung 
dieser  Vorstellungen  akute  Formen  annehmen  sollte.  Eine  geistige 
Verwirrung  und  eine  geistige  Verfälschung  von  Begriffen  breitet  sich 
besonders  unter  einer  sehr  aktiven  Minorität  von  Intellektuellen  aus, 
weldie  unsere  demokratischen  Freiheiten  als  repressive  Freiheiten 
verstehen,    das    gesellschaftliche    System    unserer    freien    Welt    um- 
stürzen und  an  seine  Stelle  eine  Undefinierte  Zukunft  setzen  wollen, 
—  oder  die  parlamentarische  Demokratie  in  eine  sogenannte  Volks- 
demokratie   umzufunktionieren    trachten,    in    der    erneut    nur    der 
Geist  der  Diktatur  zur  Staatsreligion  erklärt  und  ihre  Funktionare 
als   eine  herrschende   Gruppe   etabliert   werden   würden.   Friedlidie 
Nationen  werden  als  Imperialisten  diffamiert  und  wirkliche  Madit- 
politiker  als  Friedensengel  glorifiziert.  Ob  mit  rotem  oder  braunem 
Vorzeichen,  es  kommt  auf  dasselbe  heraus.  Das  Lied  von  derVerwirk- 
lidmng  derMensdienredite  wird  heute  mit  falsdien  Noten  gesungen. 
Und  audi  sonst  in  der  Welt  geht  der  Geist  der  Gewalt  wieder  um. 
Die   Befreiung  vom  Kolonialismus   hat   die  befreiten  Völker  nidit 
vor  Macht  und  Haß  und  Gewalt  untereinander  befreit,  die  Befrei- 
ung vom  kapitalistisdien  System  hat  in  den  totalitären  Staaten  den 
von  dieser  Geißel  befreiten  Mensdien  die  geistige  Freiheit  genom- 
men, und  audi  in  den  demokratischen  Staaten  bringt  jeder  Tag  neue 
Zeugnisse  von  Gewalt  gegen  Sadien  oder  Menschen. 


Eben  darum  is,  Ihr  Werk,  Maitre  Cassin    n...     m  -<'- 

.ondern  erneut  bedroht.  Eben  «>-- J^"'-  f      /   '   .    ,,,  Bedeu- 

und  dem  Vorbild,  das  Sie  f -;^«  '■'''*^";ß^":,  '  fuhr,  werden  mit 
,„„,  .u.  Es  muß  neu  ver  ebend.gt,  es  muß    oMge  ^  __^  ^^__  ^^^ 

jenem  Elan  und  »"— "f '*«- .^^;  ;  ^  D„.Ubarkel,.  die  wir 
.piel  gegeben  haben.  In  -^*-^;;  ^^fund  Mahnung  für  die  Zu- 
Ihnen  beute  bezeugen,  auch  Bekenntn 

kunft. 


31 


30 


'I' 


I 


j 


Reponse  de  Monsieur  Rene  Cassin 

Monsieur  le  Fondateur,  Monsieur  le  President,  Monsieur  le  ßourg- 
mestre,  Mesdames,  Messieurs  et  Chers  Camarades, 

A  Tissue  de  cette  ceremonie  ([ui  m'a  profondenient  touche.  vous 
permettrez  au  reeipiendaire  de  la  Medaille  Goethe  de  remercier  ceux 
qui  me  Font  decernee,  ainsi  que  Teminent  Professeur  ^  eichmami 
(jui  a  fait  mon  eloge. 

Le  jour  oü  riionneur  m'a  ete  fait  de  recevoir  le  Prix  Nobel  de  la 
Paix.  j'ai  eu  conscience  d'etre  le  representant  de  tous  les  hommes 
de  droit  et  de  paix  doiit  Teffort,  concerte  avec  le  mien.  a  perrais 
d'avancer  un  peu  sur  la  longue  route  des  Droits  de  rHomme. 

Aujourd'hui,  nies  sentinients  sont  differents.  Nous  somnies  sur 
une  terre  qui,  depuis  des  siecles,  a  ete  le  siege  de  disputes  luunaines. 
tont  pres  de  la  tonibe  d'un  homnie  ({ui  a  tenu  a  employer  sa  vie.  ä  re- 
concilier  entre  eux  les  Lorrains  et  leurs  voisins,  les  pays  de  ITurope 
Occidentale,  Robert  Schuman,  qui  etait  justement  Ministre  des  Affai- 
res Etrangeres  de  France  a  ce  moment-la.  Avec  une  ecjuipe  de  Fran- 
qais  de  toutes  opinions  politi(pies  et  de  toutes  origines,  nous  avons 
prepare  et  vote  la  Declaration  Universelle  des  Droits  de  THomme. 
Bien  que  TEtat  allemand  ne  fnt  pas  encore  niembre  des  Nations- 
Unies,  ce  qui  va  arriver  incessamment.  j'ai  tenu  a  la  tribune  le  10  de- 
cembre  1948  ä  proclamer  (|ue  les  honimes  alleniands  etaient  de  plein 
droit  compris  dans  les  beneficiaires  de  la  Declaration.  sur  le  meine 
pied  que  les  membres  de  tous  les  aütres  peuples. 

Mais  nous  somnies  reunis  ici  sous  les  auspice  d'un  autre  grand 
homme  que  Robert  Schuman.  Je  veux  parier  de  Goethe  lui-meme, 
dont  la  medaiUe  domine  de  haut  tous  les  facteurs  de  cette  journee. 

Aucune  rencontre  ne  pouvait  etre  plus  symboli(iue  et  plus  saisis- 
sante  que  celle-lä.  Goethe  qui  vivait  au  dehnt  du  XIXe  siecle  a  ete  un 
modele  incomparable  pour  les  hommes  d'elite  de  tous  les  temps, 

Lorsque  le  2  octobre  1808,  il  rencontra  rEmpereur  Napoleon,  il 
lui  parla  en  homme  de  paix,  saus  temoigner  aucune  haine  pour  la 


S3 


t 


France.  Andre  Suarez  a  dit  que  Goethe  a  ete  le  grand  conciliateur 
entre  le  monde  germanique  et  la  France. 

Mais  il  a  eu  un  autre  merite:  sur  le  champ  de  bataille  de  Valmy  en 
1792,  il  a  discerne  que  la  Revolution  Francaise  etait  le  point  dedepart 
d'un  monde  nouveau.  (pie  desormais  ä  cote  des  princes.  des  conduc- 
teurs  de  nation.  de  Telite.  il  faudrait  faire  une  place  aux  uidividus 
de  la  masse.  ä  rhomme  du  commun.  (lue  celui-ci  aurait  desormais  des 
droits  et  des  responsahilites.  <iu  il  aurait  aussi  sa  part  dans  le  gou- 
vernement  de  son  pays.  Goethe  a  donc  compris  ä  Tavance  le  monde 
moderne. 

Et  nous  pouvons,  nous  devons  mainlenanl  confronter.  comme  an- 
ciens  comhattants  de  deux  guerres,  ce  monde  ancien  (pii  ne  veut  pas 
mourir.  oü  les  conducteurs  ont  par  tradition  ou  foUe  amhition  lance 
leurs  masses  dans  des  guerres  meurtrieres,  et  ce  que  doit  etre  le 
monde  moderne  oü  les  citoyens  responsahles  ont  leur  mot  h  dire,  sur 
le  sort  des  leurs  et  de  leurs  semhlahles  des  autres  peuples. 

Inculquer  ä  ces  citoyens  le  sens  de  ces  responsahilites  pour  main- 
tenir  la  paix,  voilä  donc  le  premier  devoir  des  hommes  d'elite,  ca- 
pahles  d'examiner  les  choses  sans  demagogie.  avec  le  sens  de  leurs 
vrais  devoirs  vis-ä-vis  de  leur  patrie  et  de  Thumanite. 

Ces  devoirs,  les  chefs  anciens  comhattants  ont  es^aye  de  les  rem- 
plir  en  France  et  en  AUemagne,  des  la  fin  de  la  premiere  guerre.  En 
1921,  ainsi  que  le  President  Gerard  Pierret  Ta  rappele,  j'ai  eu  Thon- 
neur  de  rencontrer,  comme  Vice-President  de  TUnion  Federale  des 
Anciens  Comhattants  frangais  ä  Geneve  au  Bureau  International  du 
Travail    sous    les    auspices    d'Alhert    Thomas,    les    representants    du 
Reichshund,  et  ceux  de  prescjue   tous  les  Anciens   Comhattants  de 
l'Europe  Occidentale  et  Centrale.  Ce  jour-la  a  ete  un  point  de  depart. 
Un  peu  plus  tard,  nous  avons  fonde  la  Conference  Internationale  des 
Associations  deMutiles  Anciens  Comhattants.  En  verite,  on  peut  l'af- 
firmer  hautement  en  face  des  scepti(|ue8  et  des  negatifs,  ces  groupe- 
ments  ont  soutenu  de  tont  leur  ca'ur,  les  efforts  pour  la  paix  des 
Rriand.   des   Stresemann,   des   Austin   Chand)erlain   evo([ues    tont   ä 
rheure  par  le  Dr.  Weichmann.  Si  le  monstre  de  la  guerre  est  revenu 
sur  la  terre,  c'est  le  fait  de  conducteurs  demagogues  de  foules  en- 
flammees  et  contre  le  gre  des  citoyens  <pn  avaient  deja  connu  les 
horreurs  de  la  guerre. 


34 


"^ 


Depuis  194.'^.  sur  les  ruines  de  TEurope.  de  nouvelles  formation« 
d'anciens  comhattants  ont  recommence  ä  travailler  pour  la  paix.  Ici 
meme  mon  ami  Gerard  Pierret  preside.  Cest  lui  (lui.  apre,  avo.r 
fait  deux  fois  la  guerre.  a  preside  plus  de  15  ans  le  Conseil  General 
de  la  Federation  Mondiale  des  Anciens  Comhattants. 

Mais  ce  vaste  effort  general  n'est  pas  süffisant. 

Je  tiens  ici  ä  saluer  les  rencontres  fre(pientes  organisees  plus  spe- 
cialement  entre  anciens  comhattants  franrais  y  compris  les  Lorrains 
et  les  Alsaciens  et  les  groupements  de  l'autre  cote.  les  V.  D.  K.  nora- 
hreux  et  actifs.  et  notre  ancien  et  fidele  Reichshund. 

Cependant,  il  faut  (|ue  les  rencontres  aient  un  sens.  II  faut  au 
moins  qu'en  dehors  des  contacts  directs  et  amicaux.  dies  tendent  a 
former  la  jeunesse,  les  enfants  des  comhattants  dans  une  education 
d'entente  et  meme  plus,  dans  le  respect  des  patries  respect.ves  et 
dans  le  respect  des  droits  et  devoirs  de  rilomme.  Tel  est  le  hut  de 
rinstitut  International  que  j'ai  fonde  ä  Strashourg  en  1969  et  dont 
le  succes  serait  encore  plus  grand  si  j'avais  plus  de  moyens. 

J'ai  touche  ici  un  point  sensihle.  Les  anciens  comhattants.  san^ 
jouer  aux  moniteurs  de  morale  doivent  dans  la  cite.  exercer  «ne  ,n- 
fluence  sur  la  cite  tout  entiere,  c'est-ä-dire  prendre  de  I  autorite. 
mais  avec  eux  aussi  ceux  qui  n'ont  pas  comhaltu  ä  cause  de  leur  age. 
et  particulierement  les  jeunes  de  tout  rang  social. 

Les  Droits  de  FHomme  avaient  ete  inscrits  comme  principe  poli- 
tique  par  la  revolution  fran.aise  et  par  la  suite  dans  un  tres  gran, 
nomhre  de  pays  du  monde.  Mais  c'est  leur  violation  massive  avant 
et  pendant  la  deuxieme  guerre.  ce  sont  les  massacres  et  persecutions 
inaugures  en  1933  en  AUemagne  c,ui  ont  provoque  1  mscrq>t.on  de 
ces  principes  dans  la  Charte  des  Nations-Dnies. 

Mais  les  droits  de  THomme  interessent  tous  les  peuples.  notam- 
ment  ceux  de  caractere  colonial  (,ui  se  sont  emancipes  recemment. 
Mais  alors  que  les  individus  avaient  ete  souvent  exploites  et  qu  une 
Convention  internationale  veille  specialement  ä  leur  protection  un 
autre  danger  se  presente,  c'est  qu'au  nom  du  patriotisme  les  btat. 
en  voie  de  developpement  ne  demandent  trop  a  leur  tour  a  leurs 
memhres  et  ne  violent  leurs  droits  elementaires  individuels.  Cette 

35 


.-iji^. 


%0m 


evolution  des  droits  de  l'Homme  ä  proteger  tantöt  contre  les  ex- 
ploiteurs  et  tantöt  contre  nn  Etat  tyranni(iue  est  la  grande  preoccu- 
pation  de  l'heure  pour  les  sociologues. 

Ce  n'est  pas  tont  encore.  II  faut  exercer,  par  les  representants 
eins,  une  surveillance  constante,  sur  la  maniere  dont  sont  gerees  les 
affaires  etrangeres. 

Sans  doiite,  etre  ancien  combattant  n'est  pas,  par  lä  nieme.  etre 
un  technicien  des  affaires  etrangeres.  Quelcjues-uns  cependant  peu- 
vent  le  devenir  et  le  montrer. 

Au  lendemain  des  guerres,  les  dirigeants  et  administrateurs  des 
differents  pays  sont  obliges  nioralement  de  snjjporter  (lue  les  cito- 
yens  s'occupent  des  suites  immediates  de  la  guerre  et  proposent  des 
declarations  de  principe  pacifique. 

Mais  au  bout  de  (pielques  temps,  la  routine  reprend  ses  droits, 
les  citoyens  reviennent  ä  leurs  affaires  et  s'occupent  nioins  des  rela- 
tions  internationales. 

Bientot  on  considere  dans  les  bureaux  des  cbancelleries  comme 
des  intrus,  ceux  qui  posent  des  questions.  Le  berger  que  la  guerre  ap- 
pelle,  au  fond  des  alpages,  vient-il  en  ville  pour  demander  ce  qu  on 
fait  de  la  jiaix?  On  lui  ferme  la  porte  au  nez  en  lui  disant  qu'il  veut 
s'occuper  de  questions  qui  ne  le  regardent  pas.  De  ces  questions  on 
fait  des  secrets,  inaccessibles  aux  homnies  du  conimun  dont  le  seul 
droit  est  celui  de  se  faire  tuer. 

Eh  bien,  non.  On  ne  peut  tolerer  cela.  Les  citoyens  ont  le  droit 

et  le  devoir  de  s'inquieter  ä  bon  escient.  Dans  une  deinocratie  ordon- 

nee,  ils  doivent  exiger  que  leurs  representants  aux  Assemblees  politi- 

ques,  non  seulement  provoquent  de  temps  ä  autre  de  grands  debats 

qui  comportent  de  la  part  des  gouvernants  des  conipte-rendus  veri- 

fiables.Ils  doivent,  comme  en  Angleterre,  cela  se  fait,  profiter  de  leurs 

prerogatives   pour   questioniier   les    dirigeants   chacpie    semaine    sur 

les  evenements  recents,  ceux  sur  lesquels  on  peut   avoir  une  cer- 

taine  prise,  afin  de  montrer  sa  vigilance  d'une  part,  d'eviter  d'autre 

part  des  faits  accomplis  emanant  de  gens  interesses  ä  teile  ou  teile 

attitude  qui  peut  mener  ä  des  litiges.  et  meme  ä  des  conflits  par- 

fois  irreductibles.  Ce  droit  de  question  existe  dans  plusieurs  pays, 

mais  lorsque  certains  l'exercent,  11  est  deplorable  de  constater  le 


desinteressement  de  beaucoup  d'autres  qui  manquent  la  ä  leur  de- 
voir le  plus  sacre  et  les  autorites  profitent  de  cette  indifference. 

C'est  ä  nos  hommes  qu  incombe  le  devoir  de  prevenir  les  parle- 
mentaires  qui  ne  fönt  pas  le  leur  et  qui  manquent  gravement  ä  Tun 
des  Clements  fondamentaux  de  la  democratie. 

II  n'y  a  pas  de  meilleur  remede  preventif  que  la  vigilance  des  ci- 
toyens,  la  surveillance  frequente.  quotidienne  de  leur  part.  C'est 
cela  le  civisme  qui  peut  empecber  mainte  grande  et  terrible  surpnse 
au  detriment  de  la  liberte  et  de  la  paix. 

Vigilance  et  civisme  sont  aussi  les  remedes  les  plus  efficaces  contre 
les  dangers  emanant  de  l'abus  des  libertes  civiques  par  des  mmontes 
intolerantes,  des  dangers  dont  le  professeur  Weiclunann  yient  de 
parier  et  qui  -  eux  aussi  -  menacent  le  libre  exercice  des  droits  m- 
dividuels. 

Je  souhaite  que  la  ceremonie  cranjour.l'hui.  la  remise  de  la  Me- 
daille Goethe  ä  un  ancien  coml.a.taut  de  deux  guerres  n.ond,ale» 
revete  aux  yeux  de  tous.  un  caractere  simple  et  construet.f.  (e  do.t 
etre  une  manifestatiou  commune  des  geuerations  qn,  out  fa.t  ces 
guerres,  avertir  les  hommes  politiques  et  les  dir.geauts  de 
tous  les  pavs,  qu'ils  eutcndent  travailler  A  la  Paix  generale  et  exercer 
leurs  devoi'rs  de  citoyens  avec  vigilance.  afiu  que  chacun  respectan. 
la  patrie  de  l'autre,  les  causes  inevitahles  de  desaccord  creees 
par  la  vie,  soient  traitees  dans  un  esprit  pacifique. 

Que  l'esprit  de  Goethe  inspire  lougtemps  tous  uos  actes  entre  Frau- 
?ais  et  Allemands! 

Ich  wünsche,  daß  der  Geist  von  Goethe  in  den  französisch-deut- 
schen Beziehungen  herrscht  in  der  Gegenwart  wie  in  der  Zukunft. 

Qu'il  me  soit  permis  en  terminant  de  remercier  une  derniere  fois  le 
President  et  les  Amis  de  Robert  Schuman  pour  avoir  perm.s  c,up  la 
remise  de  la  Medaille  Goethe  ait  Heu  ä  Montigny-les-Metz  non  lo.n 
de  ce  Heu  sacre  que  constitue  la  Maison  de  Robert  bchuman. 


37 


36 


Schlußwort  von  Dr.  h.  c.  Alfred  Toepfer 


1 


'^' 


M.  Alfred  Toepfer,  President  de  la  Fondation  F.V.S.  de  Hambourg, 
conclut  en  ces  termes: 

Kameraden  zweier  Weltkriege! 
Camarades  de  deux  guerres  mondiales! 

C'est  pour  rendre  les  honneurs  ä  un  vieiix  soldat.  au  tres  respec- 
table  President  Honoraire  de  la  Cour  Europeenue  des  Droits  de 
rHomme,  que  nons  nous  sommes  reunis  aujourd'hui.  Nous  avons 
ecoute  avec  beaueoup  d'attention  etd'emotiou  les  allocutions  detrois 
personnalites  (lui,  toutes  les  trois,  ont  counu  THistoire  de  cette  Eu- 
rope  et  en  ont  souffert. 

A  deux  reprises  les  jeunes  d'Europe  ont  ete  appeles  avec  nous 
sous  les  drapeaux.  Tons  ont  repondu  pour  acconiplir  un  devoir  (lu. 
allait  de  soi,  souvent  avec  un  enthousiasme  sincere.  par  pur  devoue- 
ment  envers  la  Patrie  et  ceci  durant  des  annees  pleines  de  privations 
et  de  souffrances. 

Je  n'ai  pas  besoin  d'evoquer  ä  nouveau  devant  vous  les  chaufje- 
ments  successifs  de  destin  qu'apporterent  les  guerres  avec  I  angoissc 
des  jours,  des  nuits  ou  des  semaines  de  batailles  ou  de  bonibarde- 
ments.  Des  miUions  d'entre  nous  sont  revenus  portant  les  n.arques 
de  leurs  blessures  ou  de  leurs  maladies.  Des  millions  de  nos  cama- 
rades sont  morts.  Des  millions  de  meres,  de  fiancees  et  d  enfants  ont 
perdu  leurs  affections.  Des  villes  et  des  villages.  qui  const.tuaient 
notre  vieux  et  noble  patrimoine  europeen.  sont  tombes  en  cendres. 
Jamals  dans  l'Histoire  ne  furent  consentis  de  plus  grands  sacritices. 
Jamals  on  ne  vit  courage  plus  exemplaire  accompli  par  des  hommes 
et  des  femmes  au  service  d'une  communaute,  au  service  d  une  idee. 
ndee  de  la  Nation.  Jamals,  on  ne  vit  plus  grand  renoncement  n. 
plus  grand  devouement  acceptes  volontairement. 

Avoir  connu  ces  deux  guerres  mondiales  nous  a.  nous  autres  vieux 
soldats,  profondement  marques.  Lors(,ue  nous  nous  sommes  retrou- 
ves  pour  la  premiere  fois  devant  nos  anciens  adversaires.  nous  nou. 

39 


m 


»ommes  regarcJe*  les  uns.  les  autrei..  le*  yeux  dans  le?  yeux.  san?  rien 
dire.  graveinent  et  nou»  interrogeant. 

Ce  que  uous  avons  mauife^tement  fini  par  gagner  ä  ce?  graude? 
guerre*  fratricide»,  ce»t  que  no?  farouche?  adversaire?  d  hier  ?out 
(\*i\fiuuh  de  francfe  camarades. 

Mair?.  lefe  maux  et  le»  «ouffrance*  «lu'oiit  cau*es  ce*  grandes  guer- 
r< -.  hrülent  eneore  dan«  no&  coeur*.  De*  milliou?  de  croix  *ileucieu- 
ses  en  i.urojj».-  et  <|ui  se  dre^&ent  ei»  toute  «implicite  *ur  les  tomhe? 
des  boldati».  demeurent  pour  nou-  un  averti**enient  peniianeiit.  com- 
me  pour  nos  enfantg  et  nos  petits-enfants.  c|ue  nous  voyons  aujourd 
hui  representes   iri   j)armi   nou-   avec  leur«  chorales. 

Apres  tant  de  •^acrifice-.  de  *ouffrance«  et  de  de*truction?.  com- 
ment  ne  serions-nous  pas  haute»  par  la  que-tion  de  notre  re«ponsa- 
Ijilite,  teile  de  notre  mission  et  aussi,  celle  du  sens  de  THistoire? 

Quelle  Lurope  avons-nous  trouvee  autrefois? 

Quelle  Lurope  avons-nous  laissee  derriere  nous? 

Que  signifie  pour  la  jeunesse  d'aujourd'hui  l'idee  de  nations  inde- 
pendantes,  moyennes  ou  petites?  Cette  idee  pour  la(juelle  nou»  nous 
sonimes  hattus  autrefois  jusqu'au  dernier?  Apres  toutes  ces  catastro- 
phe».  toutes  les  experiences  que  nous  avons  faites  et  l'evolution  ge- 
nerale, pouvons-nous  continuer  ä  aspirer  ä  l'independance  et  ä  la 
grandeur  dans  le  cadre  limite  des  Etats,  alors  que  les  possibilites  de 
conflits  nous  sont  connues.  ou  hien,  la  Solution  ne  doit-elle  pas  etre 
le  plus  d'unite  possible  par  Tassociation  de  tous?  . 

Cette  terre  de  Lorraine,  amicale  et  pai>il)!e.  a  ete  le  theätre  d'une 
quantite  de  conflits  entre  les  Fran^ais  et  les  Alleniands.  Tout  au- 
tour  de  nous,  nous  en  voyons  les  Souvenirs.  Mais,  apres  un  ultime 
combat,  cette  terre  de  Lorraine  a  offert  ä  TEurope  un  de  ses  plus 
grands  fils,  porteur  de  la  plus  vaste  Sympathie  humaine:  Robert 
Schuman. 

Und  jetzt  gestatten  Sie  mir,  bitte,  weiter  auf  deutsch  zu  sprechen. 

Robert  Sriiuman  hat  DeutstJie  und  Franzosen  erfolgreich  auf  den 
Weg  gest4iichtliclier  Aussöhnung  geführt  und  danach  den  Europäern 
das  Tour  zur  europäischen  Einheit  aufgestoßen.  Das  war  sein  staats- 
niännisc-hes  Werk,  sein  Vermäditnis  an  uns,  an  die  Jugend  I  Es  harrt 


der  umfassenden  friedlidien  Erfüllung  in  Freiheit,  sozialer  Gerecli- 
tigkeit  und  Bindung. 

Wir  alten  Soldaten  vieler  Länder  sind  einst  in  jugendlichem 
Schwung  selbstlos  für  die  Idee  der  Nation  angetreten. 

Die  Jugend  von  heute  und  morgen  ist  aufgerufen,  sicli  in  gleit4ier 
Selbstlosigkeit.  Kameradsdiaft  und  Einsatzfreudigkeit  im  friedlidien 
Wetteifer  einem  größeren  Ideal  zu  stellen:  der  euro|)äis('lien  Einheit 
als  sichere  Grundlage  für  die  freie  Entfaltung  der  vielen  \  ölker 
und  Kulturen  des  Erdteils  und  damit  für  den  mensdilidien  Eort- 
sdiritt  und  eine  neue  Hodiblüte  europäisdier  Kultur  und  Zivilisa- 
tion. 

So  mögen  die  unendlidien  Opfer.  Leiden  uiul  Zerstörungen,  die 
wir  erlebten,  vielleidit  nodi  eine  späte  Reditfertigung  vor  der  Ge- 
sdiidite  finden. 

Die  Hamburger  Stiftung  hat  soeben  eine  der  würdigsten  und  zu- 
gleich leidgeprüften  und  hodigestellten  Persönlidikeiten  unserer  al- 
ten Generation  geehrt,  einen  Mann,  der  ungebeugt  und  unverzagt 
nach  den  Weltkriegen  als  großer  Humanist  weiterkänipfte  für  die 
allgemeinen  Mensdienredite. 

Die  Stiftung  möchte  bei  dieser  Gelegenheit  zugleidi  einen  der  um 
die  ehemaligen  Frontkämpfer  und  Kriegsopfer  besonders  verdien- 
ten sdiliditen   alten  Soldaten  ehren. 

Die  Stiftung  F.V.S.  zu  Hamburg  verleiht  daher  gemeinsam  mit  der 
Association  des  Amis  de  Robert  Schuman  Ihnen,  Herr 
Wagner     aus  Metz,  die  Robert  Schuman-Medaille. 

Wir  anerkennen  damit  Ihren  selbstlosen,  opferreichen  Einsatz  im 
ersten  Weltkrieg  und  Ihr  unermüdlidies  Eintreten,  über  Jahrzehnte 
hinweg  bis  auf  den  heutigen  Tag.  für  Ihre  alten  Kameratlen  aus 
Elsaß  und  Lothringen. 

Sie,  lieber  und  verehrter  Herr  Wagner,  geben  durch  Ihr  Leben 
un<l  Wirken,  wie  Maitre  Rene  Cassin,  unseren  Kindern  und  Enkeln 
ein  leu(4itendes  und,  wie  idi  glaube,  verpfliditendes  Beispiel. 

In  dieser  Zuversicht  senken  wir  im  Geiste  die  Fahnen  und  ge- 
denken der  toten  Kameraden,  ihrer  Mütter.  Witwen  und  Vt  aisen. 


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I 


Montag,  S.Februar  1973  -  Nr.  30  -  DIE  WELT 


REPORTAGE 


Altbürgermeister  Herbert  Weichmann  würdigt  seinen  verstorbenen  Kollegen  Max  Brauer 

Schöpferisch, 
ungeduldig  und 
kompromißlos 


Max  Brauer,  der  am  2.  Februar  im 
Alter  von  85  Jahren  starb,  mußte  vor 
40  Jahren  Deutschland  verlassen. 
Nach  seiner  Rückkehr  aus  der  Emi- 
gration war  er  von  1946  bis  1953  und 
von  1957  bis  1960  Erster  Bürgermei- 
ster der  Freien  und  Hansestadt 
Hamburg.  Herbert  Weichmann  stand 
von  1965  bis  1971  an  der  Spitze  der 
Hansestadt. 

Max  Brauers  Verdienste  und  Lei- 
stungen sind  bekannt  oder  gerade  zur 
Stunde  seines  Heimganges  wieder  aus- 
führlich ins  Gedächtnis  gerufen  worden. 
Trotzdem:  einer  andern  Zeit  und  Gene- 
ration muß  jenes  zusätzliche  Element 
des  Verstehens  fehlen,  mit  dem  ein 
Weggenosse  aus  eigenem  Erleben  das 
Wesen  und  die  Ausstrahlung,  das  Be- 
dingte und  Unbedingte,  das  zeitlich  Ge- 
bundene oder  das  zeitlich  Unbeschränk- 
te seines  Wirkens  erfühlen  konnte. 

In  den  Jahren  der  Weimarer  Republik 
standen  zwei  Persönlichkeiten  für  mich 
sozusagen  als  Prototypen  jener  politi- 
schen Persönlichkeiten  im  Vordergrund, 
die  berufen  waren,  der  mit  dem  Ende 
des  Kaiserreiches  begonnenen  neuen 
Zeit  ihre  Akzente  zu  geben. 

Die  eine  Persönlichkeit  war  Otto 
Braun,  der  bereits  gereifte  und  in  vielen 
politischen  Schlachten  geprägte  Staats- 
mann, der  in  seinem  Leben  die  lange 
und  leidvolle  Geschichte  der  Arbeiter- 


Herbert  Weichmann 

Foto:  Fritz  Kempe 

klasse  und  der  sozialdemokratischen 
Bewegung  verkörperte  und  mit  tiefem 
Verantwortungsgefühl,  aber  nicht  mehr 
mit  tiefer  Gläubigkeit,  sondern  eher 
skeptisch  desillusioniert  seiner  Pflicht 
nachging. 

Die  andere  Persönlichkeit  war  eben 
Max  Brauer.  Kein  Veteran  der  Ar- 
beiterbewegung, sondern  sozusagen 
noch  ihr  Kind,  kein  Politiker  mit  der 
Aureole  der  Abgeklärtheit,  sondern  ein 
brennendes  Temperament,  mit  keiner 
durch  eine  lange  politische  Vergangen- 
heit geprägten  Laufbahn,  sondern  ganz 
mit  einem  auf  die  Prägung  der  Zukunft 
ausgerichteten  Impuls,  gläubig  und  op- 
timistisch. Alles  war  jung  an  ihm: mit  16 
Jahren  der  SPD  beigetreten,  mit  32 
Jahren  Stadtkämmerer  und  Bürgermei- 
ster von  Altona,  mit  36  Jahren  Ober- 
bürgermeister und  Mitglied  des  Preußi- 


schen Staatsrats,  dem  Adenauer  damals 
präsidierte,  und  jüngster  Kommunalpo- 
litiker im  Deutschen  Städtetag.  So  in- 
karnierte  Max  Brauer  für  uns  jüngere 
Lehrlinge  des  Staatshandwerks  die 
Hoffnung,  daß  es  einer  neuen  Genera- 
tion gelingen  möge,  eine  neue  Zeit  her- 
beizuführen". 

Ich  weiß  nicht,  ob  zu  jener  Zeit  schon 
der  Begriff  der  Profilneurose  bestand. 
In  jedem  Falle,  Max  Brauer  hatte  keine 
Profilneurose,  aber  er  hatte  Profil.  Er 
hatte  es,  gleichsam  als  Naturtalent,  weil 
seine  Natur  es  ihm  gab,  jene  Natur 
eben,  die  heißen  Herzens  sich  berufen 
fühlte,  dem  Menschen  zu  dienen  und 
seine  Welt  nach  sittlichen  Regeln  und 
mit  sozialer  Zielstellung  lebenswürdig 
einzurichten. 

Ein  Schicksal,  größer  als  seine  Kräfte, 
unterbrach  im  Jahre  1933  die  Geschichte 
oder  setzte  sie,  genauer  gesagt,  mit  völ- 
lig veränderten  Vorzeichen  fort.  Wer 
seine  Vorzeichen  freilich  nicht  änderte, 
war  Max  Brauer.  Er  ging  mit  leeren 
Händen,  aber  mit  dem  vollen  Reichtum 
seines  ungebrochenen  Willens  und  sei- 
ner ungebrochenen  Überzeugungen  in 
die  Emigration,  aber  er  betrachtete  sie 
immer  als  eine  Periode  des  Überganges. 
Sein  unerschütterlicher  Wille  zu  einem 
„Comeback"  manifestierten  sich  in  einer 
vielachen  Art.  Max  Brauer  wollte  und 
erreichte  —  anders  als  viele  andere 
Emigranten  —  seinen  Ansatzpunkt,  die 
Notwendigkeit  der  Existenzsicherung 
mit  seinen  vital  ungeschwächten  Sen- 
dungsbewußtsein zu  verknüpfen.  In 
einer  reichen  Vortragstätigkeit  vor 
Universitäten  und  Colleges  war  er  aus- 
schließlich darum  bemüht,  „to  preach 
the  gospel". 

Er  war  der  Vorkämpfer  des  anderen 
Deutschlands,  dem  es  darum  ging  und 
dem  es  auch  glückte,  die  Existenz  eines 
anderen  Deutschlands  glaubhaft  zu  ma- 
chen. Er  hat  für  Deutschland  gekämpft, 
indem  er  gegen  das  Dritte  Reich  auftrat, 
und  er  hat  ebenso  unbeirrt  für  Deutsch- 
land gekämpft,  als  er  nach  dem  Zusam- 
menbruch des  Reiches  den  Gedanken 
Morgenthaus  entgegentrat  und  sich  für 
die  Lebensrechte  eines  freiheitlich 
orientierten  neuen  Deutschlands  ein- 
setzte. 

Unverwüstlicher  Optimist 

Die  ganze  Gläubigkeit  des  jungen 
Brauer  blieb  auch  dem  nunmehr  vom 
Schicksal  reicher  gekennzeichneten 
Brauer  zu  eigen.  Er  konnte  sich  eigent- 
lich nicht  vorstellen,  daß  die  Zustände 
in  Deutschland  von  Bestand  sein  könn- 
ten, er  glaubte  an  den  Wandel  der  Din- 
ge, weil  er  an  die  Sehnsucht  des  Men- 
schen nach  Freiheit  glaubte  und  weil 
alle  inneren  Kräfte  in  ihm  danach 
strebten,  an  der  Gestaltung  eines  neuen 
freiheitlichen  Deutschlands  teilzuneh- 
men. So  war  Max  Brauer  ein  Mann, 
dessen  gläubige  und  schöpferische  In- 
stinkte keiner  schöpferischen  Pause  be- 
durften, sondern  im  Gegenteil  gerade 
in  der  schweren  Zeit  immer  strebend 
sich  bemühten.  Er  war  ein  Freund  seiner 
Freunde,  denen  er  Halt  und  Mut  gab, 
und  schließlich  ein  unverwüstlicher 
Optimist.  Wann  immer  man  „drüben" 
mit  Max  Brauer  sprach  —  sein  Schiff 
zurück  ging  jeweils  montags  um  4  Uhr 
nachmittags,  wobei  nur  Jahr  und  Woche 
als  gleichsam  unwesentliches  Detail  of- 
fen blieben.  Und  im  Ergebnis:  Sein 
Schiff  ging  zurück! 

Am  3.  September  1946  hat  Max  Brauer 
nach  13  Jahren  außer  Landes  seinen 
Geburtstag  wieder  in  Hamburg  began- 


&> 


Max  Brauer:  L'etat  c'est  moi 


Foto:  Sven  Simon 


gen.  Seine  Wahl  zum  Ersten  Bürger- 
meister der  neuen  nun  auch  um  Altona 
bereicherten  Freien  und  Hansestadt 
Hamburg  stand  bevor  und  erfolgte  im 
November  1946.  Ich  weiß  nicht  mehr,  ob 
es  zu  diesem  oder  zu  dem  nächsten  Ge- 
burtstag war,  daß  ich  Max  Brauer  von 
New  York  aus  einen  Geburtstagsbrief 
schrieb,  der  in  der  Form  der  Erzählung 
eines  wunderbaren  Märchens  gekleidet 
war. 

Es  war  die  Geschichte  von  einem  gu- 
ten König,  der  mit  Eifer  sein  Reich  re- 
gierte und  mit  edlem  Bemühen  das  Be- 
ste für  sein  Volk  anstrebte.  Aber  da  gab 
es  böse  Mächte,  die  jäh  aufkamen,  in 
sein  Reich  eindrangen  und  den  König 
vertrieben.  Sie  richteten  große  Verwir- 
rung an  und  brachten  Unheil  über  das 
ganze  Volk.  Dann  aber,  nach  vielen 
Jahren,  kamen  andere  Mächte,  stürzten 
die  Usurpatoren  und  gaben  dem  Volk 
die  Freiheit  wieder,  sich  einen  neuen 
König  zu  wählen.  Und  siehe  da,  das  Volk 
erinnerte  sich  des  guten  alten  Königs 
und  wählte  ihn  bei  der  ersten  Gelegen- 
heit erneut  zu  seinem  König.  Es  war 
einmal,  so  fing  diese  Geschichte  wie  eine 
richtige  Märchenerzählung  an,  aber  es 
wurde  so,  denn  so  schrieb  die  wirkliche 
Geschichte  die  Ereignisse  dann  nieder. 
Und  es  war,  wie  ich  meine,  eine  nicht  oft 
in  der  Wirklichkeit  sich  realisierende 
Geschichte  der  ausgleichenden  Gerech- 
tigkeit. Von  der  ersten  Stunde  an  ging  er 
auch  an  sein  neues  Werk,  den  Wiederauf- 
bau einer  zertrümmerten  Stadt,  die  Wie- 
derbelebung von  Handel,  Industrie  und 
Schiffahrt,  die  Beseitigung  der  Not. 

Er  war  eine  einmalige  Persönlichkeit, 
die  in  der  Härte  ihrer  Überzeugungen 
und  ihres  Willens  auch  Reibungen  und 
Spannungen  auslöste.  „Seine"  Stadt, 
„sein"  Regierungsapparat,  die  schöpfe- 
rische Ungeduld  seines  Temperaments 
gaben  ihm  zuweilen  auch  etwas  von  der 
Haltung  des  Sonnenkönigs  und  dessen 


Auffassung  L'6tat  c'est  moi,  eine  Hal- 
tung, die  in  der  ersten  Zeit  der  Nieder- 
geschlagenheit, der  Unerfahrenheit 
mancher  aufbauwilliger  Kräfte,  die  Ge- 
wohnheit, geführt  zu  werden,  wohl 
nützlich  und  verständlich  war,  aber  auf 
die  Dauer  sich  schlecht  mit  dem  kolle- 
gialen Prinzip  vereinbaren  ließ.  Wo 
aber,  so  ist  in  geschichtlicher  Betrach- 
tungsweise zu  fragen,  gab  oder  gäbe  es 
geprägte  und  eigenwillige  Persönlich- 
keiten, die  nicht  Reibungen  auslösen? 
Das  Wesentliche  an  Max  Brauer  ist  eben 
das  Wesen  seiner  Persönlichkeit,  auch 
wenn  es  nicht  leicht  war,  mit  ihm  zu 
arbeiten. 

Max  Brauer  war  von  seiner  Aufgabe 
restlos  erfüllt.  Hierbei  mag  es  zuweilen 
geschienen  haben,  als  seien  die  Men- 
schen für  ihn  die  Figuren  auf  dem  gro- 
ßen Schachbrett,  die  gesetzt  wurden, 
aber  sich  nicht  selbst  setzen  sollten. 
Aber  war  es  wirklich  so?  Ich  glaube, 
Max  Brauer  war  vielm.ehr  von  der  Vor- 
stellung beseelt  —  als  Folge  der  ihm 
eigenen  Gläubigkeit  an  das  gute  Werk, 
das  er  im  Sinne  hatte  — ,  daß  alle  Men- 
schen guten  Willens  die  Züge  eigentlich 
gar  nicht  anders  setzen  konnten,  als  er 
sie  für  richtig  hielt. 

Max  Brauer,  nüchtern  in  der  Tatsa- 
chenbetrachtung, war  gleichzeitig  von 
einem  leidenschaftlichen  sittlichen  Pa- 
thos erfüllt,  das  ihn  keine  Kompromisse 
machen  ließ,  auch  in  Fragen,  in  denen 
gleichwohl  von  anderer  Warte  her  eine 
andere  Beurteilung  möglich  war.  Max 
Brauer  war  schließlich  der  Mann,  des- 
sen ganzes  Denken  von  dem  Gefühl  der 
Verantwortung  beherrscht  wird,  kein 
Hamlet,  erschreckt  vor  der  Aufgabe,  die 
aus  den  Fugen  geratene  Welt  einzuren- 
ken, sondern  vielmehr  von  jenem  fau-^ 
stischen  Geist,  der  immer  strebend  sich 
bemühte  und  nicht  der  Versuchung  un- 
terlag, zum  Augenblick  zu  sagen:  „Ver- 
weile doch,  du  bist  so  schön!" 


June  16,  1973 


To:    Dr.  Fred  Grubel 
From:  Ernest  Hamburger 


,£  ? 


Pleaai  find  enclosed   copies  of  letters  written  in  January 
1947  by  Heinrich  Bruening  to  Gustav  Stolper.   Mrs.  Tom  Stolper 
sent  the  Originals  to  Professor  Hans  Booms,  President  of  the 
Bundesarchiv  in  Koblenz  vhere  the  literary  estate  of  Gustav 
Stolper  is  located.   She  agreed  to  send  these  copies  to  the 
Leo  Baeck  Institute  with  no  proviso  as  regards  their  use. 

The  letters  may  be  added  to  those  letters  v;ritten  by 
Bruening  which  v^ere  previously  donated  by  Mrs.  Stolper  to  the 
Leo  Beack  Institute. 

Part  of  the  enclosed  letters  deal  with  events  which  have 
been  analysed  by  me  in  my  article  on  the  Bruening  Memoirs  in 
the  Internationale  wissenschaftliche  Korrespondenz  fuer  die 
Arbeiterbewegung  of  1972.    A  reference  could  be  made  to  this 
article  as  well  as  in  my  article  to  these  letters. 

No  letter  of  thanks  is  necessary  since  I  did  everything 
which  seems  appropiVate  in  this  r4spect. 

Thank  you. 


P.S.   Please  find  also  enclosed  a  paper  written  by  A.  Herbert 
Weichmann  after  his  first  trip  to  Israel  in  March  1957  "Das 
Werden  eines  neuen  Staates".   It  might  be  interesting  to  include 
this  paper  in  our  archives  not  only  because  of  its  contents  but 
also  because  of  the  relationship  betweeen  Dr.  Moses  and  Dr.Weichmann^ 
gy^<2S^  which  arose  from  their  identical  work  as  State 

comptrollers  in  Israel  and  Hamburg,  respec±tively. 


VlIiIiiliLj/i.nriijmji  lii  x  u.j.i 

Zeitgefchichte 


HERAUSGEGEBEN  VON  HANS  ROTHFELS 
THEODOR  ESCHENBURG  UND  HELMUT  KRAUSNICK 


Sonderdruck 

aus  Heft  4/1974 
DOKUMENTATION 

KRITISCHE  BEMERKUNGEN  HERBERT  WEICHMANNS 
ZU  DEN  BRIEFEN  BRÜNINGS  AN  SOLLMANN 


// 


/ 


/ 


^^'z'/^/^''*   //^/^ 


^/;//a 


DEUTSCHE    VERLAGS-ANSTALT     STUTTGART 


Kritische  Bemerkungen  Herbert  tVeichmanns 


+59 


Dokumentation 


KRITISCHE  BEMERKUNGEN  HERBERT  AVEICHMANNS 
ZU  DEN  BRIEFEN  BRÜNINGS  AN  SOLLMANN 

Brünings  Brief  an  mihelm  SoUmann  vorn  29.  September  1940,  der  im  Rahmen 
der  DokLnJon  „Heinrich  Brüning  im  E^U"  in  Heft  111974  dteser  Zeitschrft  ver- 
öffentlicht wurde,  enthält  verschiedene  sehr  dezidierte  Benterkungen  über  Herbert 
Weichmann,  den  ehemaligen  persönlichen  Referenten  des  preußischen  Mmtsterprast- 
denten  Otto  Braim.  Nantentlich  die  Version  von  der  „zionislhchen  Cliq,^    im  1  reus- 
sischen  Staatsministerium  -  es  sei  dahingestellt,  imviavcU  sie  auf  Anunosttaten  au. 
der  Zeit  vor  19))  oder  auf  spätere  Gegensätze  zwischen  den  Baugruppen  zurückgeht 
-  bedarf  der  Berichtigung.  Der  Bearbeiter  der  Dokumentation  urul  die  Redaktion  der 
nerteljahrshefte  haben  es  imterlassen,  vor  der  Veröffentlichung  der  Brünmg-Bru-fe 
Herrn  Professor  Wcichmanns  Stellungnahme  zu  erbitten.   Umso  mehr  hegrußt  du 
Redaktion  die  Möglichkeit,  mit  den  folgenden  Ausfülinmgen,  die  einern  Brief  Herbert 
Weichmanns  an  die  Schrftleitung  der  Vierteljahrshefte  vom  12.  Mai  1974  entnommen 
sind,  Anlialtspunktefür  eine  kritische  Eimchäizwig  der  Brief -Äußerungen  Brunings 
nachzutragen.  ^^^^  ^^^^^^^ 


Nach  dem  Erscheinen  von  Brünhigs  Memoiren  sind  zahlreiche  Stimmen  laut- 
geworden, die  auf  z.  T.  schwerwiegende  Fehler,  sowohl  in  Rrünings  Sachdarstel- 
lungen als  auch  m  seinen  Interpretationen,  hingewiesen  haben.  Im  gleichen  Maüe, 
scheint  mir,  bedürfen  auch  die  in  den  „Vierteljahrsheften"  abgedruckten  Briete 
Brunings  mancher  Korrektur,  die  der  Bearbeiter  leider  unterlassen  hat,  vor  allem 
bei  solchen  Passagen,  die  Brunings  Kanzlerzeit  zum  Gegenstand  haben. 

Lassen  Sie  mich   drei  Fälle  herausgreifen,   in  denen  Brüning  unter  anderem 
auch  mich  namentUch  erwähnt. 

1.  In  seinem  Schreiben  vom  29.  September  1940  (Dok.  Nr.  3),  S.  107,  betoup- 
tet  Brünhig,  ich  hätte  „Brauns  Aufzeichnungen  und  Erinnerungen  memer  Weise 
zurechtgestutzt...,  die  allem  widersprechen,  was  Braun  mir  selbst  gesagt  ha  . 
Das  ist  eine  schwerwiegende  Beschuldigung,  und  sie  ist  nachweislich  unwahr.  Au 
Vorschlag  von  meiner  Frau  und  mir  —  und  nicht  etwa  Brunings,  wie  dieser  ei- 
nige Zeilen  weiter  unten  behauptet  —  hat  Braun  nach  dem  Tode  seiner  'rau 
1934  begonnen,  seine  Erinnerungen  niederzuschreiben.  Das  Anfang  1939  fertigge- 
stellte Manuskript  erschien  dem  Verleger  zu  umfangreich.  Braun  sandte  mir  ei- 
ne Liste  mit  Abschnitten,  die  er  für  entbehrlich  hielt,  und  fragte  nach  meme^ 
Zustimmung.  Ich  riet  ihm  in  meinem  Antwortschreiben  vom  7.  Januar 


den  meisten  Streichungen  ab,  lediglich  das  im  ursprünglichen  Manuskript  stehen- 
de Kapitel  über  die  Ordenfrage,  lange  Berichte  über  seine  Jagdleidenschaft,  d^ 
volle  Wiedergabe  eines  Zeitungsartikels  über  die  Erfolge  der  preuKschen  Politik 
und  ein  paar  weitere  Nebensächlichkeiten  bezeichnete  ich  als  überfhissig.  Damit 
war  meine  Rolle  als  Berater  in  dieser  Sache  beendet.  Wie  ich  später  gesehen 
habe  hat  Braun  selbst  noch  hier  und  da  gekürzt,  aber  nirgendwo  wesentliche  Aus- 
sagen geändert.  Das  ursprüngliche  Manuskript  Brauns  findet  sich  in  seinem  Nach- 
laß, die  Behauptung  Brunings  ist  also  ohne  weiteres  widerlegbar. 

2  Im  gleichen  Brief,  ebenfalls  S.  107,  berichtet  Brüning  von  einem  Vorschlag 
Otto  Brauns  im  Winter  1930  und  dann  wieder  im  Herbst  1931  der  dahmging, 
daß  Braun  zurücktreten  wolle,  und  daß  Brüning  gleichzeitig  Preußischer  Minister- 
präsident werden  solle.  Der  Tatbestand  ist  richtig  und  auch  in  den  Memoiren  Bru- 
nings und  Brauns  übereinstimmend  wiedergegeben.  Dann  aber  schreibt  Bruning: 
Herr  Weichmann  kommt  in  einer  Pariser  Zeitschrift  mit  der  falschen  Darstellung 
heraus,  daß  Braun  mir  die  Stelle  des  Vizepräsidenten  im  Preuß.  Staatsmrnisterium 
angeboten  habe  und  daß  ich  der  Welt  Aufklärung  schuldig  sei,  weshalb  ich  dass. 

Angebot  nie  beantwortet  habe."  .  . 

Mir  ist  unverständlich,  wie  Brüning  zu  dieser  Meinung  gekommen  ist.  In  emem 
Artikel  in  der  „Zukunft"  (und  nicht,  wie  der  Bearbeiter  glaubt,  in  der  „L  Europe 
Nouvelle")  vom  22.  Dezember  1939,  unter  der  Überschrift  „Otto  ^^^^^^P'^^'^-' 
habe  ich  vielmehr  geschrieben:  „Am  Tage  nach  jenen  verhängnisvollen  ^^.Uen 
im  Jahre  1930,  die  den  Nazionalsozialisten  110  Mandate  brachten,  bot  Braim  dem 
Reichskanzler  Brüning  an,  als  Vizekanzler  in  sein  Knbinett  einzutreten^  "™  S'^--- 
sam  mit  ihm  dem  nationalsozialistischen  Vordringen  ein  Ende  zu  setzen.  Die  An  - 
wort  steht  bis  zum  heutigen  Tage  aus. "  Also :  Braun  wollte  Vizekanzler  im  Reichskabi- 
nettwerden,dasdirekteGegenteilvondem, wasBrüningin  meineAusfuhrungen, V  e - 

leicht  nur  aus  Flüchtigkeit,  hineingelesen  hat.  Im  übrigen  ist  Bruning  auch  m  sei- 
nen Memoiren  die  Antwort  auf  Brauns  Angebot  einer  Personalunion  zwischen  dem 
Preußischen  Ministerpräsidenten  und  dem  Reichsvizokanzler  schuldig  g^-bieben^ 

3.  Im  gleichen  Schreiben,  S.  108,  behauptet  Brüning,  wenn  Braun  nicht  in  Ber- 
lin gewesen  sei,  hätten  „Staatssekretär  Weismann  und  die  zionistische  Clique,  Badt, 
GosUr  und  Weichmann",  regiert.  Brüning  spricht  von  -"-  ".^^^^-''^.f  "^r ' 
lastet  ihr  „übelste"  und  „folgenschwerste"  Intrigen  an  und  fug  dunkle  Bemei- 
kungen  üb  r  skandalöse  finanzielle  Transaktionen  hinzu,  ohne  freilich  die  angedeu- 
tete Verantwortung  jener  „Clique"  näher  zu  benennen.  Auch  -  —  .^I^-'^ 
finden  sich  verschiedentlich  Insinuationen  und  Unterstellungen,  die  in  dieselbe  un- 
klare Richtung  weisen,  wie  auf  S.  67,  wo  von  einer  „preußischen  Ka„,an  la  die 
Rede  ist,die  dazu  noch  „leidenschaftlich  antichristlich"  gewesen  sei, oder  auf  S.  582, 
wo  eine   ,gewisse  Clique"  auftaucht,  die  im  Preußischen  Innen-  und  Staatsmmiste- 


1  Hervorhebung  durch  Herbert  fVeichmann 


460 


Dokumentation 


rium   die   guten  Beziehungen  zwischen  Preußen  und   dem  Reich  hintertriebe. 
Gemeint  ist  offensichtlich  immer  wieder  derselbe  Personenkreis. 

Diese  vagen,  aber  immer  wiederkehrenden  Erzählungen  sind  reiner  Unsinn.  Ei- 
ne Kamarilla,  eine  Clique  verschworener  preußischer  Beamter  mit  all  den  geheim- 
bundartigen  Attributen,  die  ihnen  beigelegt  werden,  hat  es  nur  inBrünings  Einbil- 
duncrskraft  gegeben.  Keine  der  angeführten  Personen,  abgesehen  vielleicht   von 
Staatssekretär  Weismann,  der   aber  gänzlich  in  der  Furcht  des  Herrn  lebt(>,  befand 
sich  in  einer  Position,  die  ihr  irgendeine  wesentliche  Einflußanahme  auf  die  preu- 
ßische Politik  gestattet  hätte.  Davon  abgesehen  hatte  Braun  die  Zügel  bis  zuletzt, 
d.  h.  bis  zu  seiner  lieurlaubung  Anfang  Juni  1952,  fest  in  seinen  Händen.  Schon 
Ernst  Hamburger,  bis   1935  stellvertretender  Vorsitzender  der  SPD-Fraktion  mi 
Preußischen  Landtag,  hat  in  seiner  kenntnisreichen  Rezension   der  Brüning-Me- 
moiren  (Wissenschaftliche  Korrespondenz^  H.  15/1972/,  S.  35  f.)  diese  Passagc^n 

als  ,, grotesk"  charakterisiert. 

Dennoch  sind  dergleichen  Behauptungen  für  Brüning  nicht  untypisch.  In  ihnen 
manifestiert  sich,  neben  einem  latenten  Antiscaiiitismus,  Brünings  in  der  Emigra- 
tion zunehmend  sichtbar  werdender,  fast  paranoider  Verfolgungswahn,  der  ihn 
Mißerfolge  und  Schwierigkeiten  seiner  Regierungszeit  in  der  Regel  als  Machen- 
schaften dunkler  Mächte  und  Verschwörungen  sehen  ließ,  auch  ein  Grund  dafür, 
daß  er  sich  nach  seiner  Ankunft  in  den  Vereinigten  Staaten  so  sehr  zurückzog.  Auch 
Arnold  Brecht  hat  diesen  Zug  in  Brünings  Wesen  beobachtet  und  bestätigt  (Gedan- 
ken über  Brünings  Memoiren,  in:  Pohtische  Vierteljahrt'sschrift,   12.  Jg.  (1971), 

H4,  S.  608,  624ff.). 

Ich  möchte  mich  auf  diese  Beispiele,  denen  sich  unschwer  weitere  anlugen  las- 
sen, beschränken,  um  aufzuzeigen,  wie  kritisch  die  Erinnerungen  Brünings  an  die 
Weimarer  Zeit,  sowohl  in  seinen  Memoiren  als  auch  in  seinen  letzten  Briefen,  be- 
urteilt werden  müssen. 


i 


^Vollständiger  Titel:  Internationale  Wissenschaftliche  Korrespondenz  für  Geschichte  der  Deutschen 
Arbeiterbewegung,  Berlin. 


Seite  12 


Süddeutsche  Zeitung  Nr.  253 


Samstag/Sonntag,  2./3.  November  1974 


Nach  dem  Sturz  des  Senkrechtstarters  Peter  Schulz: 

Der  Bürgermeister  wechselt 
-  die  Probleme  bleiben 


Ohne  Ausstrahlung  und  Härte  war  Hamburgs  Reglerungschef  weder  den 
Koalitlonskrisen  noch  den  Führungszirkeln  seiner  Partei  gewachsen 

Von  unserem  Redaktionsmitglied  Gert  Kistenmacher 


Hamburg,  1.  November 
Der  zweite  Bür;?ermeistcr  der  Hansestadt 
Hamburg,  Dieter  Biallas  (FDP),  der  bis  zur  Wahl 
eines  neuen  ersten  Bürgermeisters  die  Geschäfte 
führen  wird,  bekundete  seine  „hohe  Achtung  vor 
der  Persönlichkeit  von  Peter  Schulz".  Die 
FDP-Fraktion  in  der  Hamburger  Bürgerschaft 
erklärte,  sie  habe^zum  Präsidenten  des  Senats, 
Schulz,  nicht  nur  großes  Vertrauen  gehabt,  son- 
dern ihm,  seinem  Engagement  und  seinen  Lei- 
stungen auch  ein  hohes  Maß  an  Achtung  entge- 
gengebracht. Selbst  CDU-Oppositionsführer 
Jürgen  Echternach  sparte  nicht  mit  Anerken- 
nung: „Wir  hatten  immer  Respekt  vor  seinem 
persönlichen  Einsatz  für  Hamburg."  Und  die 
SPD-Fraktion  verkündete  gar,  unter  der  Lei- 
tung von  Bürgermeister  Peter  Schulz  habe  der 
Hamburger  Senat  eine  erfolgreiche  Politik  für 
die  Stadt  verwirklicht  und  wesentliche  Fort- 
schritte erreicht. 

Angesichts  solcher  respektvoller,  nach  Demis- 
sionen aber  wohl  üblichen  Bekundungen  von  al- 
len Seiten  ist  es  für  die  meisten  Hamburger 
schwer  verständlich,  daß  ein  als  verdient  geprie- 
sener Regierimgschef,  gerade  44  Jahre  alt,  der 
seit  Sommer  1971  als 'Primus  inter  pares,  als  er- 
ster unter  gleichen,  an  der  Spitze  des  Hambur- 
ger Senates  stand,  über  Nacht  seinen  Rücktritt 
ankündigte.  Zwar  hatte  es  in  den  letzten  Mona- 
ten nach  der  verheerenden  Wahlniederlage  für 
die  Hamburger  SPD  bei  der  Bürgerschaftswahi 
am  3.  Mär^  in  der  sozialliberalen  Koalition  der 
Hansestadt  zahlreiche  Krisen  gegeben.  Auch  die 
Finanzlage  der   Stadt   steht   nicht  zum  besten. 

burgs  Sozialdemokraten  —  ausgenommen  ein 
kleiner  Führungszirkel  —  hatten  erwartet,  daß 
Peter  Schulz  so  schwerwiegende  Konsequenzen 
ziehen  würde,  *■         v       " 

Seine  EAlärung  zur  Demission,  weder  sei  ein 
für  die  Bewältigung  der  kommenden  schwieri- 
gen Aufgaben  unerläßliches  Einvernehmen  zwi- 
schen den  verantwortlichen  Spitzen  innerhalb 
der  SPD  und  ihm  weiterhin  gegeben,  noch  gebe 
es  für  ihn  Wege,  den  Hamburger  Senat  ange- 
sichts dieser  Lage  unter  Bedingungen  zu  führen, 
die   eine   vorbehalüose    Zusammenarbeit    aller 
verantwortlich  Beteiligten  erforderlich  mache, 
ist  der  abrupte  Schlußpunkt  einer  privaten  und 
politischen  Krise,  die  im  nachhinein  von  „Einge- 
weihten", wie  sie  sich  selbst  apostrophieren,  jetzt 
ul«  „vorhersehbar",  beschrieben  wird,  die  sich 
aber' nur  nachträglich  aus  der  Entwicklung  der 
politischen    Verhältnisse    in    Hamburg    ablesen 
läßt.  Der  Vorgänger  von  Schulz,  der  Patriarch 
Herbert  Weichmann,  meinte:  „Ich  habe  ihn  für 
einen  sehr  klugen  Menschen  gehalten,  der  sehr 
gradlinig  in  seiner  politischen  Richtung  war,  der 
sich  aber  nidit  die  Mitarbeit  der  Fraktion  und 
der  in  der  SPD  führenden  Personen  zu  sichern 
verstand.  Dabei  gab  es  Schwierigkeiten  auf  bei- 
den Seiten." 

Erfolge  als  Justizsenator 

Der  in  Rostock  als  Sohn  eines  Oberbürgermei- 
sters und  Sozialdemokraten  geborene  Peter 
Schulz  war  nach  dem  Kriege  gerade  rechtzeitig 
über  Westberlin  nach  Hamburg  geflüchtet,  um 
hier  noch  auf  Helmut  Schmidt,  Oswald  Paulig, 
Wilhelm  Berkhahn,  Ralf  Dahrendorf  und  andere 
zu  treffen,  die  zum  Gründerkreis  des  SDS  gehör- 
ten, in  dem  sich  damals  sozialdemokratische 
Studenten  mit  der  politischen  Situation  in  der 
Bundesrepublik  befaßten. 

1959  wurde  Peter  Schulz  Rechtsanwalt  in 
Hamburg  und  1961  Mitglied  der  Hamburger 
Bürgerschaft,  des  Parlaments  des  Stadtstaates. 
Jäh  hatte  für  ihn  ein  politischer  Senkrechtstart 
begonnen,  als  er  Anfang  1966  dazu  ausersehen 
wurde,  den  Vorsitz  in  einem  Parlamentarischen 
Untersuchungsausschuß  zu  übernehmen,  der  die 
Umstände  des  gewaltsamen  Todes  eines  Unter- 
suchungshäftlings zu  überprüfen  hatte.  Er  mei- 
sterte diese  Aufgabe  mit  Energie  und  Sachver- 
stand. Wenige  Monate  später  wurde  er  Justizse- 
nator. Er  versuchte,  den  Strafvollzug  umzu- 
krempeln und  kappte  alte  Zöpfe  in  den  Haftan- 
stalten. Die  Errichtung  der  ersten  Sonderstraf- 
anstalt für  Triebtäter  in  der  Bundesrepublik  ist 
ihm  zuzuschreiben.  Seine  bundesweit  beachteten 
Reformen  empfahlen  ihn  pach  der  Bürger-. 
Schaftswahl  von  1970  für  das  schwerste  Amt,  das 
es  in  Hamburg  zu  vergeben  gab:  die  Schulbehör- 
de. Es  gelang  ihm  innerhalb  kurzer  Zeit,  die  Bil- 
dungspolitik aus  dem  Feld  der  Kritik  zu  bringen.' 


Als  er  am  9.  Juni  1971  die  Nachfolge  von  Her- 
bert Weichmann  antrat,  zu  der  er  sich  nicht  ge- 
drängt hatte,  war  er  Hamburgs  jüngster  Bürger- 
meister seit  1678  und  —  nach  Helmut  Kohl,  der 
21  Tage  jünger  ist  —  zweitjüngster  deutscher 
Regierungschef.  Aber  er  war  in  der  „sozialisti- 
schen Hauptstadt  des  Reiches",  wie  Altgenosse 
August  Bebel  Hamburg  einst  beschrieben  hatte, 
von  Anfang  an  —  jedenfalls  nach  Meinung  der 
Basis  —  mit  einem  Makel  behaftet:  Mit  seinem 
Senkrechtstart  in  die  Politik  hat  er,  was  in  der 
Sozialdemokratie  nicht  eben  häufig  vorkommt, 
ohne  Kampf  und  Auseinandersetzungen  alle 
Sprossen  der  Karrierelciter  glatt  übersprungen, 
ohne  „von  der  Pike  auf"  in  der  Sozialdemokratie 
groß  geworden  zu  sein.  Und  der  zum  „rechten" 
Parteiestablishment  zählende  Schulz  war  we- 
der eine  so  kantige  Figur  wie  der  einstige  Lokal- 
held Max  Brauer,  noch  eine  so  väterliche  Gestalt 
wie  Herbert  Weichmann,  deren  Popularität  in 
Hamburg  allemal  für  die  absolute  Mehrheit  der 
SPD  bürgten. 

Weder  massiv  noch  farblos 

Schulz  wurde  sogleich  auch  an  seinen  Vorgän- 
gern und  deren  Patriarchentum,  das  in  der  Han- 
sestadt unverständlicherweise  noch  immer  als 
notwendige  Bürgermeistergabe  erachtet  wird, 
gemessen.  Dabei  konnte  es  nicht  ausbleiben,  daß 
diese  Vergleiche  nicht  zu  seinen  Gunsten  ausfie- 
len. Meist  ohne  Widersprucl^  und  ohne  nennens- 
werte Diskussion  schaltet  und  verwaltet  ein 
kleiner  Zirkel  unter  Führung  des  „starken  Man- 
nes' 


der     Hamburger     SPD      de«;     mstikalpn 


SPD-Landesvorsitzenden  Oswald  Paulig,  im  Se- 
nat, in  der  Partei  und  in  der  Parlamentsfraktion. 
Peter  Schulz  fehlte  die  Überlegenheit  und  Weis- 
heit eines  Herbert  Weichmann,  der  sich  zornig 
auch  gegen  Parteivorstand  und  Fraktion  durch- 
zusetzen verstand  und  der  nicht  selten  —  zum 
Wohle  der  Stadt  —  einen  anderen  Standpunkt 
bezog,  als  es  die  Parteilinie  vorschrieb.  Es  fehlte 
Schulz  die  Kaltschnäuzigkeit  und  Härte  seiner 
Hamburger  Genossen ,  Wehner  und  Schmidt  — 
Eigenschaften,  die  Schulz  niemals  auszeichne- 
ten, über  deren  Fehlen  jedoch  die  Führungsgre- 
mien der  Hamburger  SPD  unterrichtet  waren, 
als  sie  Peter  Schulz  auf  den  Bürgermeistersessel 
hievten. 

Als  ein  Mann,  der  nie  massiv  werden  konnte, 
der  die  Lautlosigkeit  schätzte  und  eine  realisti- 
sche Betrachtung,  eine  kritische  Analyse  des  ei- 
genen Standortes  und  des  angestrebten  Ziels 
stets  für  den  wirksamsten  Hebel  hielt,  um  die 
Welt  zu  verbessern,  verlor  Schulz  immer  mehr 
Autorität.  Im  persönlichen  Gespräch  im  kleinen 
Kreis  wirkte  er  überzeugend,  intelligent,  ge- 
wann Sympathien  und  offenbarte  manchmal 
jungenhaften  Frische.  Doch  auf  breiterer  Basis, 
in  Wahlveranstaltungen,  auf  Parteitagen  oder  im 
Parlament  fehlte  ihm  —  und  allenfalls  er  weiß, 
warum  —  die  nötige  Ausstrahlungskraft,  die  für 
einen  Spitzenpolitiker  nun  einmal  unerläßlich 
ist.  Er  besitzt  nicht  die  Fähigkeit  zum  großen 
Auftritt,  zu  Pathos,  gezieltem  Charme,  einstu- 
dierten Gesten  und  Landcsvaterhabitus.  Aber  all 
das  wußte  man  vorher.  Dennoch  machte  alsbald 
die  kritische  Bewertung  die  Runde,  er  sei  ein 
„farbloser"  Bürgermeister. 

Peter  Schulz  war  indessen  nie  farblos.  Es  wi- 
derstrebte diesem  nüchternen  Technokraten  le- 
diglich, sich  wirkungsvoll  zu  „verkaufen";  es  ge- 
lang ihm  nicht,  jene  Partei,  der  Bundeskanzler 
Helmut  Schmidt  unwi'dersprochen  einen  „Hauch 
von  Provinzialismus"  attestierte,  mitzureißen 
und  es  fehlte  ihm  überdies  die  Basis.  „Ein  Politi- 
ker sollte  keine  Rolle  übernehmen.  Er  sollte  so 
sein,  wie  er  ist",  sagte  Schulz  einmal  —  und  so  ist 
er  eben.  Wen  wundert  es  da  noch,  daß  er  nicht 
aus  dem  Schatten  seines  großen  Vorgängers  her- 
austreten konnte?  Wurden  ihm  zunächst  noch  all 
diese  „Mängel"  verziehen,  weil  man  noch  immer 
an  durchgreifendes  Handeln  glaubte,  so 
schwand  auch  diese  Hoffnung  nach  der  letzten 
Bürgerschaftswahl  im  März,  als  die  seit  mehr  als 
20  Jahren  an  absolute  Mehrheit  gewohnte  Ham- 
burger SPD  mit  dem  Verlust  von  14  Mandaten 
und  10,4  Prozent  der  Wählerstimmen  eine  ver- 
nichtende Niederlage  einstecken  mußte. 

Das  war  zweifellos  kein  Votum  gegen  den  als 
Spitzenpolitiker  aufgestellten  Schulz,  sondern  — 
wie  inzwischen  ersichtlich  —  Ausdruck  einer 
allgemeineren  Entwicklung.  Aber  die  gleichen 
politischen  Freunde  innerhalb  des  Senats  und 
der  SPD-Fraktion,  die  Schulz  auf  die  oberste 


Sprosse  der  Erfblgsleiter  verhelfen  hatten,  war- 
fen ihm  nun  ^Führungsschwäche"  vor.  Diese 
Einschätzung  der  Parteioberen,  immer  nur  hin- 
ter der  vorgehaltenen  Hand  verkündet,  macht 
sich  auch  beim  Parteivolk  breit.  Auf  zwei  Lan- 
desparteiUgen  widersetzte  sich  die  Basis  gegen 
die  von  Schulz  und  dem  Landesvorstand  erar- 
beiteten Vorschläge  für  Kandidaten  des  Senats 
und  brachte  mit  dem  Senator  Wilhelm  Eckström 
einen  Mann  ins  Kabinett,  den  Schulz  bereits  aus- 
gemustert hatte.  Der  erste  Bürgermeister  mußte 
mit  einer  ungewöhnlich  bunt  sortierten  Mann- 
schaft regieren,  deren  Struktur  in  der  Nach- 
kriegsgeschichte Hamburgs  einmalig  ist  und  die 
weniger  von  fachlichen,  als  von  politischen 
Überlegungen  bestimmt  wurde.  Ein  Mediziner 
steht  der  BauiDehörde  vor,  ein  Volkswirtschaftler 
ist  für  die  Gesundheit  zuständig,  ein  Mathema- 
tikprofessor ohne  parlamentarische  Erfahrung 
für  Wissenschaft  und  Kunst,  ein  unbekannter 
Amtsleiter  wurde  als  Hamburger  Repräsentant 
nach  Bonn  beordert  und  ein  ehemaliger  Schlos- 
ser ist  für  das  Vermögen  zuständig.  Die  Politik 
des  Stadtstaates  wurde  mehr  und  mehr  von  Par- 
teitagen bestimmt.  Die  neue  Koalition  litt  von 
vornherein  an  schwindender  Bereitschaft  zur 
gegenseitigen  Toleranz. 

Die  ersten  sieben  Monate  der  neuen  Legisla- 
turperiode waren  gekennzeichnet  von  Eifersüch- 
teleien, Nadelstichen,  offenen  Rempeleien,  Kri- 
sen über  die  Auslegung  des  Extremistenbe- 
schlusses, Unstimmigkeiten  über  dringend  not- 
wendige Sparmaßnahmen  angesichts  einer  Dek- 
kungslücke  von  rund  1,4  Milliarden  Mark  bis 
1978  und  Mißhelligkeiten  über  sogenannte  Posi- 
tionspapiere der  Partei.  Aus  allen  Diskussionen 
hielt  sich* Peter  Schulz  heraus.  Er  griff  weder  in 
Flügelkämpfe  ein,  muckte  nicht  auf,  als  Bundes- 
kanzler Schmidt  den  Hamburger  Genossen 
jüngst  die  Leviten  las  und  bezog  keine  Stellung. 
Nicht  der  erste  Bürgermeister  informierte  die 
Öffentlichkeit  über  die  aus  den  Sparmaßnahmen 
resultierenden  schwerwiegenden  Konsequenzen 
für  die  Landespolitik,  die  mit  erheblichen  Ab- 
strichen auch  an  Wahlversprechungen  verbun- 
den sind,  sondern  —  Senator  Eckström  im  Al- 
leingang und  ohne  Rücksprache  mit  Schulz. 
Hinzu  kam,  daß  auch  das  Verhältnis  zwischen 
Schulz,  Paulig  und  der  Fraktion  immer  eisiger 
wurde. 

Am  Montag  schließlich  war  der  „Autoritäts- 
verfall" des  Hamburger  Birgermeisters  so  weit 
vorangeschritten,  daß  se-ie  Parteifreunde  im 
Senat  zu  der  Ansicm  geiarlgteh:  „Peter,  es  geht 
nicht  mehr  mit  Dir."  Geschickt  von  den  Wahler- 
gebnissen in  Bayern  und  Itssen  wollten  Oswald 
Paulig  und  seine  Gefolclchaft  offensichtlich 
nicht  das  Risiko  eingehen,  mit  der  Formel  „PS 
für  Hamburg"  noch  einmal  eine  Wahl  antreten 
zu  müssen  und  sie  einigten  sich  auf  die  Lösung: 
„Je  eher,  desto  besser."  Was  danach  kam.  war 
nur  die  logische  Konsequenz  aus  der  Vorge- 
schichte. Peter  Schulz  stellte  im  Senat  die  Ver- 
trauensfrage und  ließ  den  sieben  SPD-Senatoren 
bis'  Mittwochnachmittag  Zeit,  sich  zu  äußern. 
Einstimmig  kündigten  sie  Peter  Schulz  ihre  Ge- 
folgschaft auf,  woraufhin  sich  der  erste  Bürger- 


in SCIiAiii.x\  x>i.^  i.üKIARCHEN  GESCHEITERT:  Peter  Schulz,  der  seinen  Rücktntt  als 
erster  Bürgermeister  der  Hansestadt  Hamburg  ankündigte,  im  Gespräch  mit  seinem  Vorgänger 
Professor  Dr.  Herbert  Weichmann  —  nach  der  Amtsübergabe  am  9.  Juni  1971.       Photo:  SZ-Archiv 


meister,  getreu  seinem  Grundsatz  der  „Zweck- 
mäßigkeit" ebenso  konsequent  an  den  Schreib- 
tisch setzte  und  seine  Demissionserklärung  for- 
mulierte. Die  zweite,  etwas  geänderte  Fassung 
trug  er  am  späten  Abend  dem  ältesten  Senats- 
mitglied, Senator  Ernst  Weiß,  dem  SPD-Chef 
Oswald  Paulig  und  dem  Fraktionsvorsitzenden 
Hartmann  vor.  Erst  gegen  Mitternacht  wurde 
die  Rücktrittsabsicht  dann  auch  öffentlich  be- 
kanntgegeben. Die  drei  FDP-Senatoren  hielten 
sich  aus  allem  heraus,  bekundeten  jedoch,  daß 
ihre  Partei  die  sozial-liberale  Koalition  fortset- 
zen und  den  neuen  Kandidaten  akzeptieren  wür- 
de. 

Nach   diesem    „Königsmord",    der   schlechten 
Stil  oiienbarte,  weil  man,  wie  ein  Chronist  ver- 
merkte, einen  Hamburger  Bürgermeister  nicht 
aus  dem  Amt  „prügele",  wenn  man  ihn  nicht 
mehr  zu  akzeptieren  bereit  sei,  drehte  sich  das 
Kandidatenkarussell  und  in  Hamburg  wucherten 
die  Spekulationen.  Bei  der  ungewöhnlichen  Eile, 
mit  der  Landesvorstand,  Fraktion  und  Kreisvor- 
stände in  pausenlosen  Konferenzen  am  Donners- 
tag nach  dem  neuen  starken  Mann  suchten,  der 
nun  alles  besser  machen  soll,  mag  eine  Rolle  ge- 
spielt haben,  daß  sich  Bundeskanzler  Helmut 
Schmidt,  dessen  Anwürfe  den  Hamburger  Ge- 
nossen noch  immer  unangenehm  im  Ohr  klin- 
gen, auf  dem  Rückweg  von  Moskau  nach  Ham- 


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bürg  befand,  wo  er  in  der  Jacobikirche  zum  Re- 
formationsfest sprach.  Noch  bevor  Schmidt,  der 
sich  bei  Hamburger  Belangen  immer  angespro- 
chen fühlt,  in  die  Kandidatenauslese  eingreifen 
konnte  —  er  war  noch  in  Kiew  von  Paulig  telefo- 
nisch über  den  Rücktritt  von  Schulz  informiert 
worden  —  präsentierte  Oswald  Paulig  bereits 
den  Hamburger  Innensenator  Hans-Ulrich  Klo- 
se als  künftigen  neuen  Bürgermeister:  „Wir 
konnten  dem  Bundeskanzler  schon  frühzeitig 
mitteilen,  ,daß  das  Rennen  gelaufen  war.  Kanz- 
lerworte waren  nicht  nötig."  Helmut  Schmidt 
blieb  der  entscheidenden  Sitzung  des  er^^eiter- 
ten  Landesvorstandes  auch  prom      ^ern 

Hans-Ulrich  Klose  —  „ich  glaube,  ifeh  bm  ein 
bißchen  jung,   um  mich  in  die  Attitüde  eine 
Landesvaters  zu  werfen"  —  muß  am  S.Novem- 
ber noch  von  einem  außerordentlichen  Landes- 
parteitag als  Kandidat  bestätigt  werden,  ehe  t 
in  das  Amt  gewählt  werden  kann.  Dann  aber 
gleichen  sich  die  Bilder:  mit  37  Jahren  wäre  er 
der  jüngste  Hamburger  Bürgermeister  seit  1678 
und  der  jüngste  deutsche  Regierungschef.  Seine 
Karriere  war  nicht  minder  steil  und  spektakulär 
als  die  von  Schulz  und  auch  er,  gebürtiger  Bres- 
lauer, war  Jurist.  Man  darf  ihm  glauben,  wenn 
er  sagt:  „Ich  werde  ein  bißchen  Glück  brau- 
chen."  Der   Bürgermeister   wechselt,   aber   die 
l'  Probleme  ändern  sich  nicht. 


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Das  Werden  eines  neuen  Staates 


Eindrücke  von  einer  Reise  durch  Israel  im  März  1957 


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Die  Einladung     / 

Zwischen  dem  Rechnungshof  der  Freien  und  Hansestadt  y^^  »c^u/i^J^i 
Hamburg  und  dem  Amt  des  "State  Comptroller"  des  neuen  Landes 
Israel  hatten  sich  in  den  letzten  Jahren  fachliche  und 
freundschaftliche  Beziehungen  angebahnt.  Zwei  leitende  Herren 
im  Amt  des  State  Comptroller  hatten  G-elegenheit  genommen,  in 
Hamburg  selbst  die  Organisati..n  und  Arbeitsweise  des  Rech- 
nungshofs zu  studieren  und  beide  Ämter  haben  laufend  ihre 
Jahresberichte  ausgetauscht.  Der  Rechnungshof  war  auch  in 
der  Lage  gewesen,  dem  State  Comptroller  eine  Reihe  von  Un- 
terlagen für  die  Durchführung  der  Rechnungsprüfung  und  die 
Kontrolle  von  Verwaltungseinrichtungen  oder  öffentlichen 
Unternehmen  zur  Verfügung  zu  stellen,  die  für  das  Amt  in 
Jerusalem  von  praktischem  Interesse  waren  und  die  teilweise 
sogar  in  die  hebräische  Sprache  übersetzt  wurden.  Anlässlich 
der  Internationalen  Tagung  der  obersten  Prüfungsbehörden  in 
Brüssel  im  September  1956  fand  sodann  eine  Begegnung  zwi- 
schen dem  State  Comptroller  Dr.  Moses,  einem  früheren  Wirt- 
schaftsprüfer aus  Berlin,  und  mir  statt.  Sie  zeigte,  dass 
die  junge  Organisation  der  Rechnungsprüfung  in  Israel  vor 
vielen  ähnlichen  Problemen  stand  wie  sie  auch  in  Hamburg 
seit  der  Gründung  des  hiesigen  Rechnungshofs  akut  geworden 
sind.  Als  Folge  dieser  Besprechung  erging  im  Februar  dieses 
Jahres  eine  Einladung  an  mich  und  meine  Frau,  die  gemeinsam 
von  dem  State  Comptroller  und  der  Israel  Mission  in  Köln 
durch  den  Chef  der  Israel  Mission,  Minister  Dr.  Shinnar, 

übermittelt  wurde. 

Mit  Genehmigung  des  Herrn  Ersten  Bürgermeisters  der 
Freien  und  Hansestadt  Hamburg  und  unter  Benachrichtigung 
des  Auswärtigen  Amtes  trat  ich  am  14. März  die  Reise  mit 
einem  Flugzeug  der  israelischen  Fluggesellschaft  El  AI  an 
und  traf  in  der  Nacht  vom  14. zum  15. März  auf  dem  Flugplatz 
in  Lod  bei  Tel  Aviv  ein,  auf  dem  sich  trotz  der  frühen  Mor- 
genstunde 'Vertreter  des  State 'comptroller,  des  Ministeriums 
des  Äusseren  und  der  Israel  Mission  zum  Empfang  eingefunden 
hatten. 


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-   2   - 


Dauer  und  Umfang  der  Reise 


Die  Einladung  erstreckte  sich  ursprünglich  auf  einen 
Aufenthalt  von  14-  Tagen  und  wurde  später  um  zwei  weitere 
Tage  ausgedehnt.  Vier  Tage  dienten  eingehenden  fachlichen 
Besprechungen  im  Amt  des  State  Comptroller  mit  den  leiten- 
den  Beamten  und  Sachbearbeitern  für  die  jeweiligen  Fragen 
unter  dem  Vorsitz  von  Dr.  Moses ,.  darunter  auch  einem  in 
englischer  Sprache  gehaltenen  Vortrag  von  mir  vor  einem 
erweiterten  Kreis  der  Angehörigen  des  Amtes  über  die  Aufga- 
ben der  Rechnungsprüfung  und  ihre  Durchführung.  Über  diesen 
fachlichen  Teil  wird  für  die  interessierten  Kreise  gesondert 
berichtet.  Zehn  Tage  dei  Reise  waren  umfangreichen  Besich- 
tigungsfahrten nach  Massgabe  eines  sorgfältig  vorbereiteten 
Programms  unter,  sachkundiger  Führung  vorbehalten.  Für  die 
zwei  letzten  Tage  des  offiziellen  Aufenthalts  wurden  wir 
in  Rücksicht  auf  das  sehr  intensive  Arbeits-  und  Besichti- 
gungsprogramm und  die  Fülle  des  vermittelten  Materials  zu 
zwei  Ruhetagen  am  Strande  des  Mittelmeers  eingeladen,  die 
der  Sichtung  des  Materials  und  der  ersten  Ordnung  der  Ein- 
drücke dienten. 

Eingefügt  in  das  Programm  waren  mehrere  gesellschaft- 
liche Begegnungen  zur  Mittags-  oder  Abendzeit,  die  zu  sehr 
intensiven  Gesprächen  Gelegenheit  gaben.  An  ihnen  nahmen  von 
Regierungsseite  die  Herren  Justizminister  P.Rosen  und  Mini- 
ster ohne  Portefeuille  P.  Naftali,  Vertreter  des  Minist eriams 
für  Auswärtige  Angelegenheiten,  des  State  Comptroller  Office, 
der  Israel  Mission  und  der  zionistischen  Bewegung  mit  ihren 
durchweg  ebenfalls  aktiv  beim  Aufbau  des  Landes  tätigen  Damen 
teil.  Ihnen  folgte  noch  eine  Reihe  von  privaten  Einladungen 
wie  beispielsweise  durch  Minister  Naftali,  den  früheren  Lei- 
ter des  Porschimgsbüros  der  deutschen  Gewerkschaften,  durch. 
Herrn  Rosolio,  den  Chef  der  Civil  Service  Commission,  einen 
früheren  deutschen  Wirtschaftsprüfer,  durch  Herrn  Dr.Arian, 
den  stellv.  Chef  der  Civil  Service  Commission,  einen  früheren 
preussischen  Beamten  und  seine\  Gattin,  der  stellv.  General- 
direktorin im  Arbeitsministerium,  abgesehen  von  der  überaus 
herzlichen  Gastfreundschaft,  die  der  State  Comptroller  selbst 
und  seine  Gattin  uns  bezeugten. 


\ 


-  5  - 


Die  überwältigende  Fülle  der  Eindrücke,  die  ungewöhn- 
liche Mannigfaltigkeit  des  Geschehens  und  die  Einmaligkeit 
der  Gelegenheit  veranlassten  uns  schliesslich,  unseren 
Aufenthalt  noch  privat  um  eine  weitere  Y/oche  auszudehnen, 
um  die  gewonnenen  Eindrücke  zu  festigen  oder  zu  vertiefen. 
Drei  Tage  hiervon  verbrachten  wir  in  einer  landwirtschaft- 
lichen Siedlung  deutscher  Zionisten  älteren  Datums,  d.h. 
aus  den  dreissiger  Jahren;  ein  Tag  diente  erneuten  Besich- 
tigungen, besonders  sozialer  Einrichtungen  im  Lande,  zu 
denen  meine  Frau  von  den  dortigen  Irauenorganisationen  ein- 
geladen worden  war  und  drei  Tage  dem  Aufenthalt  im  groß- 
städtischen Zentrum  des  Landes,  in  Tel  Aviv,  wo  ich  auch 
auf  Wunsch  einer  deutschen  Einwandererorganisation  einen 
Vortrag  über  das  Thema  hielt:  "Befindet  sich  Deutschland, 
auf  dem  Wege  zu  einer  Demokratie?"   der. in  der  Presse  eine 
sehr  anerkennende  Aufnahme  fand.  Auch  in  diese  Tage  fiel 
eine  Fülle  privater  Einladungen  mit  instruktiven  Gesprä- 
chen. ..  • 

Der^ Abflug  erfolgte  unter  offizieller  Verabschiedung 

am  7  .April.  ,^         . 

Ihrem  ^eo,^raphischen  Umfang  nach  erstreckte  sich  die 
Reise  auf  alle  Teile  Israels  mit  Ausnahme  des  südlichen 
Teils  der  Negev  Wüste  und  der  Stadt  Eilath  am  Roten  Meer. 
Sie  begann  in  Tel  Aviv  und  führte  von  dort  nach  Jerusalem. 
Nach  den  ersten  Arbeitstagen  in  Jerusalem  und  Besichti- 
gungsfahrten in  der  Umgebung,  der  sogenannten  von  allen 
Seiten  von  Grenzen  umgebenen  Jerusalem  Tasche,  ging  der 
Weg  unter  Führung  eines  Beamten  der  Israel  Mission  in  den 
Süden  über  Rechowo  nach  Ascalon  und  von  dort  über  die 
Hauptstadt  des  Negevgebietes ,  Bersheba,  nach  Sodom  am 
Toten  Meer.  Die  Rückfahrt  führte  zu  einem  Grenzkibbutzim 
tief  in  der  Negev  Wüste,  dann  an  der  neuen  Pipeline  ent- 
lang, wiederum  nach  Bersheba  und  von  dort  über  einen  Grenz 
kibbutzim  direkt  am  Gazastreifen  nach  Ascalon  zurück.  Von 
hier  aus  führte  der  Weg  zu  bemerkenswerten  grossen  Neu- 
siedlungen nach  Osten  bis  nahe  an  die  jordanische  Grenze 
heran,  um  dort  wieder  die  Richtung  nach  Süden  aufzunehmen 


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und  in  Herzlija  unmittelbar  in  der  Naohbarschaft  von 
Tel  Aviv  an  der  Küste  des  Mittelraeers  diesen  Teil  der 
Reise  durch  Mittelisrael  abzuschliessen.  -  Im  zweiten 
Teil  stand  die  Reise  unter  den  Auspicien  des  State 
Comptrollcr,   der  uns  in  der  Person  seines  leitenden   . 
Mitarbeiters  Dr.  Gerson,  des  ersten  Herrn,  der  den 
Hamburger  Rechnungshof  besucht  hatte,  einen  besonders 
kenntnisreichen  und  mit  allen  Aspekten  der  Geschichte 
und  Geschehnisse  des  Landes  vertrauten  Führer  zur  Ver- 
fügung stellte.  Der  Weg  ging  jetzt  in  den  Norden  Israels, 
zuerst  in  den  fruchtbaren  Küstenstreifen,  dann  in  das 
Karmelgebirge  und  von  dort  herab  nach  Haifa.  Von  Haifa 
aus  begann  ein  geograpiiisch  neuer  Abschnitt,  der  uns  zu- 
nächst am  Karmelgebirge  und  den  Bergen  Gilboas  entlang 
in  südwestlicher  Richtung  durch  die  fruchtbare  Landschaft 
des  Emek  (Tal)  Israel  nach  Nazareth,  dann  auf  den  Eerg 
Tabor  hinauf  und  in  das  Jcrdantal  hinabführte.  Von  hier 
nahm  der  Weg  wieder  die  nördliche  Richtung  auf,  um  am 
Jordan,  dem  Tiberiassee  und  dem  Hulasee  entlang  hoch  in 
den  Norden  in  das  Quellgebiet  des  Jordan  und  in 'die  schma- 
le Ebene  des  Hulabeckens  zwischen  der  libanesischen  und 
der  syrischen  Grenze  bis  zum  nördlichsten  Punkt  des  Lan- 
des vorzustossen.  Der  Rückweg  führte  hart  an  der  libane- 
sischen Grenze  in  vielfach  über  tausend  Meter   Höhe  durch 
die  Berge  Galiläas,  um  alsdann  über  Naharyia  und  Akkon 
wieder  an  der  Küste  entlang  in  das  Haifa  nördlich  vorge- 
lagerte Industriegebiet  zu  führen  und  von  Haifa  über  Tel 
Aviv  in  Jerusalem  abzuschliessen.  Auf  diese  Weise  ver- 
mittelte die  Reise  also  die  Bekanntschaft  mit  den  wesent- 
lichen landwirtschaftlichen,  industriellen  und  städti- 
schen Siedlungsgebieten  des  neuen  Staates  in  Nord-  und 
Südisrael,  wie  zudem  einen  anschaulichen  Eindruck  des 
Wüstengebietes  und  des  Siedlungsvorstosses  in  dieses  noch 
nicht  'erschlossene  Gebiet.  , 


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-  5  - 

Der  sachliche  Umkreis  der  besichtigten  Plätze,  Ein- 
richtungen, Sehenswürdigkeiten  oder  Gegenstände  von  Inte- 
resse für  das  Geschehen  in  dem  neuen  Staat  übertraf  in 
seiner  Fülle  noch  die  Reichhaltigkeit  der " geographischen 
Wanderung.  Ohne  die  Raümgrenzen  eines  Reiseberichts  zu  ver- 
letzen, ist  es  nicht  möglich,  äie  vielen  Einzelheiten  wie- 
derzugeben, 3ie  am  Wege  aufgenommen  wurden  und  die  gleich- 
wohl alle  zusammengehören,  um  ein  Bild  von  der  Erschliessung 
des  Landes  und  der  Formung  eines  Staates  sowie  der  Bildung 
einer  Nation  zu  gewinnen.  Um  aber  wenigstens  eine  ungefähre 
Übersicht  der  auf  der  Reise  eingehender  besichtigten  Stätten 
und  Einrichtungen  zu  geben,  wird  in  der  Anlage  eine  Aufstel- 
lung beigefügt,  die  bei  aller  Unvollständigkeit  einen  gewis- 
sen Eindruck  über  das  Anschauungsmaterial  vermitteln  mag,  das 
auf  der  Reise  anfiel  und  neben  vielen  Gesprächen,  sonstigen 
visuellen  Erlebnissen  oder  Erfahrungen  des  täglichen  Lebens 
zur  Formung  bestimmter  Vorstellungen  führte.  Label  lag  der 
Schwerpunkt  der  Betrachtungsweise  immer  auf  dem  zeitlichen 
Geschehen,  das  die  gestaltenden  Kräfte  des  Landes  wider- 
spiegelte und  bei  dem  auch  die  historischen  Stätten  als 
fortv^irkende  geistige  Überlieferung  oder  geschichtliche  Im- 
pulse zur  Gegenwart  wurden. 

Ler  Bildun/2:sprQzess  einer  Nation 

•  Ler  Staat  Israel  wurde  am  29.November  1947  durch  den 
Teilungsplan  der  Vereinten  Nationen  ins  Leben  gerufen, 
faktisch  erst  durch  die  siegreichen  Kämpfe  Israels  gegen 
die  Araber  im  Jahre  1948  zur  Wirklichkeit.  Ler  eigentliche 
Aufbau  Israels  als  Staat  und  Nation  begann  nach  Unter- 
zeichnung des  Waffenstillstands  im  Februar  1949,  durch  den 
etwa  Bo^o   der  früher  palästinensischen  Mandatsfläche  unter 
jüdische  Verwaltung  kamen.  Lie  für  die  innere  Zukunft 
Israels  entscheidende  Bestimmung  liegt  in  der  Unabhängig- 
keitserklärung vom  14. Mai  1948,  in  der  es  heisst: 


_  6  - 


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"Der  Staat  Israel  steht  aer  Ein»and«rung  der  Juden  aus 
allL  Läuderu  der  Diaspora  offen."  .elt  der  Staats.run  u„g 

derten  etwa  8.0  o.o  Juden  in  das  .and  ein  und  vor«   - 
ton  die  Be,51Xerung  u»  das  Doppelte.  Gegenwartrg  trogen 
etwa  8000  Ein.anderer  pro  iUnat  neu  in  das  Land   and  e„ 
»ird  für  1957  »it  einer  Gesa»t.ahl  von  1..  oo.  Heuernwan- 
derern gereohnet.  Diese  kurze  Zeit  des  Bestehens  -1"- 
selhstä^digoh  Staates  und  die  geschiohtlloh  kerne  Parall,U 

iet  nde  ,!r.ehrung  der  Binwanderer.ahl  ^^  ^^"-«J^^^^ 
8  Jahren  sind  der  Hintergrund   auf  de»  sre  ^^^l^^^ 
für  die  Zukunft  Israels  entscheidende  Frage 

„:  es  de»  jungen  Staat  gelingen  wird,  -^^^l  ^^^ J^^^^ 
„isatorisohes  Staatsgefdge  sondern  eine  »aio»rden.^^ 

Di-  Antwort  auf  diese  Frage  ist  ein  unDCoX 
soweit  is  sich  u.  die  Haltung  der  Regierung  und  der  an  aen 
::Zl   des  Landes  mitwirkenden  verantwortlichen _ Organ.sa- • 
tionen  handelt.  Bio  Einwanderungspoliti.   dxe  -^^^^    _ 
3ede.  Juden  das  Recht  giht,  nach  Israel  -n.uwandern    on 

ern  plan.ässig  diese  Einwanderung  ermutigt  und  fordert,  . 
ist  der  entscheidende  Wesensteil  der  Staatspolxtxlc   In 

u   -^  ^o^=,p-ii-chen  Parlament  (Knesset)  vom 
seiner  Ansprache  im  israelischen  ^ar  ruri^n 

26  April  1949  erklärte  der  Ministerpräsident  Ben  Gurion 
ü  Ir  die  Bedeutung  der  Einwanderungspolitik:  "Der  S.aat 
...ae  mit  dem  Zweck  einer  Masseneinwanderung  ^^grund^t 
um  die  im  E.il  Iahenden  Juden  -^^^^^^-^''^'^^;^^. 
riioqer  Ide<:^  ist  er  lebonslahig.   JJiosc.  vui         ,   .  , 
X  ;    laxime  der  Staatspolitik  gilt  auch  heute  und  wird 

_  .ie  die  Einwanderungszahlen  .eigen  -  dahei  auch  m   .u. 

.erordentlichor  Entschiedenheit  fortgesetzt,  ireilich  au.h 

.     H  +r-^.ai.oh  refördert  durch  den  in  einigen 
unplanmässig  und  tragibch  geiorut.  .       ...,.,,,,,^  Revölke- 

Ländern  erzwungenen  Exodus  der  dortigen  ^^'^^^'2^^^- 
rung.  Der  Einwanderungsstrom  Uo.a.nt  .-■^^-— ^J^   f^^   ,, 
lieh  aus  Ägypten  und  Marokko,  zu  einem  geringen  l.il  auc  . 
.it  stillschweigender  Duldung  der  Regierung  --  ^^^^ 
genährt  durch  eine  dort  stattfindende  Repntriiexung  au. 

Russland, 


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-  7  -  ' 


So  eindeutig  diese  Einwanderungspolitik  als  Staatsprin- 
zip' verkündet  und  so  dynamisch  sie  gefördert  wird,  so  kom- 
pliziert stellt  sich  jedoch  die  Aufgabe,  die  erfolgte  und 
die  noch  kommende  Einwanderung,  die  Menschen,  aus  denen  sie 
sich  zusammensetzt,  zu  einer  nationalen  Gemeinschaft  und 
nicht  zu  einer  Notgemeinschaft  tragischer  Schicksale  zusam- 
menzuschweissen.  Die  Menschen,  die  das  Land  aufzunehmen  hat, 
sind  ihrem  Wesen  nach  denkbar  heterogen.  Kulturstufen  des 
Mittelalters,  ja  der  vorchristlichen  Zeit,  treffen  hier  mit 
hochgebildeten  und  modernen  Elementen  zusammen;  die  nationa- 
len Einflüsse  der  ursprünglichen  Heimatländer  sind  ohne  Be- 
rührungspunkte miteinander  und  selbst  die  Verbindung  mit  dem 
Glauben  ist  sehr  differenzierter  und  manchmal  nur  von  sehr 
lockerer  Natur.  Gewisse  streng  orthodoxe  Kreise  verneinen 
zudem  aus  religiösen  Gründen  die  Idee  eines  jüdischen  Staates 
überhaupt,  solange  nicht  der  in  der  Bibel  verheissene  Messias 
erschienen  ist.  Paktisch  handelt  es  sich  also  um  ein  ausser- 
ordentlich buntes  Völkergemisch  der  Juden  aus  den  verschiede- 
nen europäischen  Nationalstaaten,  aus  dem  Yemen,  aus  dem 
IraJc*  AUS  P^rsien  und  Indien,  den  nordafrikanischen  Ländern 
und  auch  aus  Nord-  und  Südamerika.  Dieses  Völkermosaik  in 
ständig  wechselnder  Zusammensetzung  soll  also  ein  Volk  mit 
bestimmter  Kulturstufe,  sozialer  Lebenshaltung  und  staats- 
politischem Bewusstsein  auf  demokratischer  Basis  werden. 
Die  Gefahr  eines  Levantinismus ,  eines  mehr  durch  den  Zufall 
der  Not  als  durch  echte  Gemeinschaft  bedingten  Zusammenlebens 
ist  damit  nicht  von  der  Hand  zu  weisen.  Ihr  Vorhandensein 
oder  ihr  Ausmass  zu  ergründen,  war  eines  der  Hauptanliegen 
unter  den  auf  dieser  Reise  angestellten  Beobachtungen.  Es 
soll  nicht  verschwiegen  werden,  da  es  sich  hier  um  einen 
subjektiven  Bericht  handelt,  dass  die  Befürchtung,  ja  sogar 
die  Wahrscheinlichkeit,  dieser  Gefahr  des  Levantinismus  in 
starkem  Maasse  zu  begegnen,  unsere  Vorstellungen  vor  der 
Reise  beherrschten. 


-  8  - 


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'k'f^-ki 


Die  Eindrücke,  welche  sodann  der  Aufenthalt  im  Lande 
vermittelte,  haben  diese  Vorstellungen  in  einer  unerwarte- 
ten und  überraschend  kräftigen  Weise  durch  die  Gewissheit 
ersetzt,  dass  unter  der  Bevölkerung  der  Bildungsprozess 
einer  Nation  ungemein  erfolgreich  im  Gange  ist.  Eine  Reihe 
von  Paktoren  üben  offenbar  eine  gemeinschaftsbildende  Punk- 
tion von  stärkster  Dynamik  aus. 

Israel  ist  kein  neues  Babel.  Hebräisch,  vor  wenigen 
Jahren  nur  die  Sprache  der  Heiligen  Schrift,  ist  eine  leben- 
dige Umgangssprache  geworden.  Hebräisch  wird  in  den  Schulen  ■ 
unterrichtet  und  an  den  Universitäten  gelehrt.  Hebräisch 
sprechen  die  Kinder  und  die  Arbeiter  in  den  Fabriken,  Hebrä- 
isch sind  die  Aufschriften  und  die  Literatur  aller  Sparten.  • 
Selbstverständlich  gibt  es  noch  Sprachen  und  Idiome  aller 
Länder  unter  den  Menschen,  selbstverständlich 'haben  die  älte- 
ren Menschen  noch  nicht  die  Bindung  zu  ihrer  Muttersprache  ■ 
gelöst,  aber  als  Sprache  des  Berufs-  und  Geschäftslebens  im 
Lande,  als  Sprache  der  Jugend,  die  sie  ihre  Eltern  lehrt, 
als  Sprache  der  Ämter  und  des  Parlaments,  der  Theater  und 
sozialen  Einrichtungen  und  vor  allem  als  Brücke  des  Neuein- 
wanderers in  sein  zukünftiges  Leben  ist  sie  lebendige Wi^rk-- 

lichkeit  geworden.  Der  Beobachter  kann  sich  dem  Eindruck 
nicht  entziehen,  dass  die  Rückkehr  zu  der  Sprache,  in  der 
die  Geschichte  des  jüdischen  Volkes"  geschrieben  wurde,  ein 
entscheidendes  gemeinschaftsbildendes  Band  geschaffen  hat, 
weil  sie  das  Gefühl  neuer  schöpferischer  Leistung  aus  altem 
Geschichts-  und  Kulturgut,  vermittelt  und  damit  zugleich  die 
Legitimität  der  Rückkehr  zu  den  Stätten  der  alten  jüdischen 
Geschichte  symbolisiert-  Die  Urschrift  der  Bibel  und  der 
Sprache  der  Propheten  zugleich  al.s  Schrift  der  Gegenwart  und 
der  Zukunft  stellen  eine  Symbiose  des  Heiligen  mit  dem  Pro- 
fanen dar,  die  eben  darum  von  der  streng  orthodoxen  Richtung 
abgelehnt  wird,  sich  aber  bereits  offenbar  ihre  eigengesetz- 
liche Dynamik  geschaffen  hat  und  mit  der  Deklarierung  als 
Landessprache  auch  zur  Sprache  des  Landes  geworden  ist.  Sie 
wird  noch  von  wenigen  vollständig  korrekt  und  von  sehr  vielen 


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-  9  - 


unkorrekt  gesprochen,  aber  sie  lebt  und  bildet  sich  und  den 
Geist  des  Landes  lebend  weiter.  Unter  einem  ganz  anderen 
Aspekt  bleibt  freilich  zu  fragen  und  zu  besorgen,  inwieweit 
die  entschiedene  Hinwendung  zur  eigenen  Sprache  die  vielen 
Zugänge  zu  schliessen  droht,  die  heute  noch  der  Sprachreich- 
tum  der  älteren  Generation  zu  dem  Kulturgut  anderer  Länder 
und  damit  zu  den  fruchtbaren  Impulsen  der  äusseren  Welt  be- 
sitzt .  . 

Der  zweite  gemeinschaftsbildende  Paktor  im  Werden  des 
neuen  Landes  ist  die  Armee.   Wir  sind  ihr  nicht,  wie  erwartet, 
in  der  Gestalt  von  Marschkolonnen,  Patrouillen  oder  Posten  be- 
gegnet, nicht  einmal  an  den  Grenzen,  wohl  aber  in  der  Form, 
wie  sie  in  das  Leben  der  Menschen  dringt.  Zweiundeinhalb  Jahre 
hat  der  junge  Israeli  im  Heer  au  dienen,  zwei  Jahre  die  junge 
Israelitin,  abgesehen  von  der  vormilitärischen  Erziehung  und 
den  jährlichen  Übungen  nach  Ablauf  der  Djenstzeit.  Sie  sind 
allgegenwärtig,  die  jungen  Soldaten  und  Soldatinnen,  stramm, 
aber  auch  jugendlich  unbefangen  und  unbekümmert,  zusammenge- 
mischt aus  allen  den. vielen  hier  nun  vereinten  Bestandteilen 
der  jüdischen  Diaspora.  Die  Wüste  des  Yemen  und  die  Bazare 
des  nahen  Ostens,  die  Marktplätze  Marokkos  und  die  Ghettos 
Osteuropas,  die  Kulturzentren  Deutschlands,  Frankreichs  und 
Amerikas  sind  hier  mit  jenen  Zügen  vertreten, -wie  sie  die 
jeweilige  alte  Heimstätte  geformt  hat  und  die  gleichwohl  nun 
in  einer  gemeinsamen  aufgäbe  amalgamisiert  oder  mit  der  Uniform 
uniform  geworden  sind.  Die  Armee  ist  eine  harte  Schule  des 
kriegerischen  Handwerks  mit  der  Spannung,  die  von  der  Tatsache 
ausgeht,  dass  jeder  Tag  das  Kriegsspiel  zur  fürchterlichen 
Wirklichkeit  machen  kann.  Aber  die  Armee  ist  zugleich  mehr  als 
eine  Schule  des  Krieges.  Sie  ist  zur  grossen  Lehrstätte  der 
Jugend  der  Nation  geworden  und  übt  diese  Funktion  auch  bewusst 
aus.  Sie  vermittelt  über  die  Schulen  hinaus  und  neben  der  Schu- 
le die  Kenntnis  der  Sprache,  sie  formt  die  Kader  für  den  Aufbau 
des  Landes  in  Wirtschaft  und  Industrie,  sie  gestaltet  aus  dem 
Einwanderer  aus  fernen  Ländern  den  Israeli.  Wenn  irgendwo  von 


im 


-  10  ^ 


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dem  Bürger  in  Uniform  gesprochen  werden  kann,  so  scheint 
es  hier  der  Fall  zu  sein,  wo  die  tägliche  Bedrohung  der  Si- 
cherheit des  Landes  den  Typ  des  Wehrbauern  geschaffen  hat, 
wo  sich  die  S^^iützengräben  durch  die  Kibbutzim  und  um  die 
Dörfer  ziehen,  wo  das  Sten  gun  über  dem  Rucksack  die  jungen 
Menschen  auf  ihren  Wanderungen  über  das  Land  begleitet  und 
wo  also  die  Armee  nur  die  organisierte  Form  einer  notwendig 
auf  Schutz  bedachten  Lebenshaltung  ist.  Sieht  man  von  der 
Tragik  der  Notwendigkeit  ab,  auch  die  Mädchen  in  Uniform  zu 
stecken  und  einem  harten  Drill  mit  der  Waffe,  wenn  auch  nur 
•kurzfristig,  zu  unterziehen,  so  dient  die  Armee  ferner  auch 
der  Assimilation  der  Geschlechter  in  der  allgemein  gefühlton 
Berufung,  gleichbereöhtirt  und  zu  gleichen  Teilen  am  Aufbau 
des  Landes  mitzuwirken.  Sie  ist  für  viele  Einwanderer  die 
erste  Berührung  mit  einer  gehobenen  kulturellen  und  sozialen 
Lebensstufe  und  für  die  noch  unter  patriarchalischen  Umstän- 
den aufgewachsenen  Mädchen  die  Schule  der  Hygiene,  der  haus- 
wirtschaftlichen Fertigkeiten  und  moderner  Technik.  Der 
Zwang  zu  dieser  Armee  wird  nicht  geliebt,  der  militärische 
Geist  als  solcher  nicht  gepriesen  und  in  den  Stolz  über  die 
Armee  mischt  sich  in  Gesprächen  auch  sogleich  immer  der 
Wunsch,  von  der  Zwangssrtuation  einer  Nation  in  V/affen  be- 
freit zu  f/erden.  Zugleich  mit  dieser  Zwangssituation  ist  die 
Armee  aber  zweifellos  über  das  Instrument  einer  militärischen 
Bereitschaft  hinaus  zu  einem  Kraft Zentrum  für  die  Umformung 
heterogener  Eevölkerungselemente  in  eine  nationale  Gemein-  . 
Schaft  geworden. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  auch  die  Sohule  und  die 
vorschulischen  Einrichtungen  am  Prozess  der  Gemeinschaftsbil- 
dung einen  grossen  Anteil  haben.  Moderne  Schulen  mit  wachsen- 
den Klassen,  Kinderdörfer  und  Lehrer,  die  mit  unendlicher  Ge- 
duld und  Liebe  zu  V/erke  gehen,  um  die  jungen  und  zunächst  in 
babylonischer  Sprachverwirrung  einströmenden  und  von  den  ver- 
schiedenen Herkunftsländern  verschieden  geprägten  Menschen- 
kinder zu  formen,  sind  für  den  Besucher  immer  wieder  ein 


-  11  - 


eindrucksvolles  Erlebnis.  Entwurzelt,  vielfach  %hxie   Eltern 
oder  thne  Eltern,  die  zu  ihrer  Erziehung  materiell  oder  kul- 
turell beitragen  können,  müssen  diese  Kinder  wie  junge  Setz- 
linge erst  fruchtbaren  Boden  und  Pflege  finden.  Die  Grösse 
dieses  Problems  ist  w^hl  auch  für  den  Aussenstehenden  ohne 
Schwierigkeit  vorstellbar,  nicht  aber  die  Gelöstheit,  die  Zu- 
traulichkeit und  die  frohe  und  freie  Haltung,  in  der  die  Kin- 
der sich  bewegen,  oder  die  Begabung,  die  in  ihren  Arbeiten 
zu  Tage  tritt.  Die  pädagogische  Fortschrittlichkeit  der  Schule, 
der  Gedanke  der  Toleranz,  den  sie  pflegen  und  der  Geist  der 
gemeinschaftlichen  Aufgabe  am  Aufbau  Israels,  der  sie  trägt, 
formt  bereits  eine  neue  Generation  als  :feigengewächs  des  Lan- 
des. 

Sprache,  Wehrdienst  und  Schule  allein  gemigen   aber  noch 
nicht,  um  das  starke  Zusammengehörigkeitsgefühl,  das  einem 
überall  entgegenschlägt,  zu  begründen.  Ist  es  die  gemeinsame 
Religion,  von  der  gleichzeitig  nationale  Impulse  ausgehen? 
Diese  Präge  kann,  so  scheint  es,  keineswegs  eindeutig  mit  Ja 
beantwortet  werden.  Die  streng  orthodoxen  Kreise,  die  aller- 
dings nur  auf  6/ader  Bevölkerung  geschätzt  werden,  stehen 
-  wie  bereits  erwähnt  -  dem  neuen  Staat  dieser  Welt  ablehnend 
gegenüber.  Sie  sind  auch  vom  Wehrdienst  befreit.  Andere  und 
zahlenmässig  bedeutende  Kreise  haben  nur  ein  lockeres  Verhält- 
nis zur  Religion  und  sind  bei  dem  Gedanken  der  Aufbauarbeit 
mehr  von  modernen  ötzialen  als  religiösen  Vorstellungen  getra- 
gen. Besonders  die  gewerkschaftlichen  Organisationen  und  Ar- 
beiterparteien, aber  auch  die  Mitglieder  intellektueller 
Schichten  sind  in  ihren  konstruktiven  Bemühungen  um  den  Aufbau 
des  Landes  eher  von .westlichen  Vorbildern  und  modernen  sozialen 
Theorien  angeregt,  als  durch  die  Inhalte  des  überlieferten 
Glaubens.  Die  religiöse  Vorstellungswelt  steht  darum  nur  in 
einem  entfernten  Zusammenhang  mit  den  hervorstehhenden  dyna- 
mischen Impulsen  der  Gegenwart.  Sie  wirkt  sich  auf  das  Staats- 
bewusstsein  hauptsächlich  insofern  aus,  als  die  Aufrechterhal- 
tung des  Glaubens  dupth  die  Not  der  Jahrtausende  hindurch  die 


-  12  - 


Gemeinschaft  (fer  Juden  als  solche  überhaupt  aufrecht  erhal- 
ten hat  und  die  religiösen  Lehren,  Feiertage  und  Feste  in 
ihrer  Anknüpfung  an  die  Ges%hichte  der  Juden  das  für  das  V/er- 
den  einer  Nation  notwendige  Element  einer  geschichtlichen 
Gemeinschaft  beitragen.  Die  eigentlich  formenden  Kräfte  schei- 
nen, jedenfalls  dem  Beobachter ,• mehr  der  Gegenwart  zu  entsprin- 
gen, die  mit  ihren  dringenden  Anforderungen  an  den  neuen  Staat 
zugleich  die  Kräfte  und  die  Gemeinsamkeit  der  Anstrengungen 
hervorruft,  diesen  Anforderungen  zu  genügen.    Die  Wüste  muss 
in  fruchtbaren  Acker  umgewandelt  werden,  die  Berge  müssen  be- 
waldet, eine  Industrie  aus  dem  Boden  gest-^r^pft  werden  und  die 
eingeströmten  Menschenmassen  sind  zu  bilden,  zu  versorgen  und 
mit  Arbeit  zu  versehen.  Tino  solche  Gemeinschaft  auf  einepi 
neuen  Lebensraum  zusammengeführter  Massen  s teht  vor  dem  Nichts, 
wenn  sie  versagt  und  verlangt  den  Einsatz  aller  schöpferischen 
Kräfte,  wenn  sie  einen  neuen  lebensfähigen  Gesellschaft skörper 
hervorbringen  soll.  Die  gemeinschaftlichen  Kräfte  wachsen  so 
aus  den  Notwendigkeiten  der  Gemeinschaft  selbst.  Der  Lebens- 
wille ruft  auch  die  Kräfte  des  Lebens  hervor  und  ihre  den  Ge- 
gebenheiten- angepassten  Gestaltungsformen,  Ein  entscheidender 
dritter  Faktor  der  nationalen  Zusammengehörigkeit  ist  so  in 
der  gesellschaftlichen  Aufgabe  zu  sehen,  vor  der  es.  kein  Aus- 
weichen mehr  gibt. 

Schliesslich  bilden  den  vierten  Hauptfaktor  die  Marken 
idealistischen  Impulse,  die  dem  zionistigichen  Gedankengut 
zugrundeliegen  und  die  darauf  gerichtet  sind,  denverfolgten 
Juden  eine  legitime  Heimstätte  zu  schaffen,  in  der  sie  bei 
sich  zu  Hause  sind  und  mit  oderohne  religiöse  Bindung  als  • 
Juden  erhobenen  Hauptes  umhergehen  können.  Lieser  Idealism.us, 
der  die  geistigen  Führer  des  Zionismus  und  .die  Pioniersi^xiler 
beseelte,  mag  durch  den  Zustrom  grosser  Menschenmengen,  die 
einfach  die  Not  in  das  Land  getragen  hat,  an  zahlenmässiger 
Breite  verhältnismässig  verloren  habtm,  er  ist  aber  noch 
immer  lebendig,  er  lebt  fort  in  den  Kibbutzim,  in  denen  mit 
dem  Pflug  in  der  Hand  und  dem  Gew-hr  ülf?-^r  dem  Rücken  der  Wüste 
•der  dem  steinigen  Bergland  tragender  Ackerboden  abgerungen 


-  13  - 


C 


Wird,  in  den  Pionierleistungen  der  Wasser-  und  Stromversor- 
gung, in  dem  Werk  der  neuen  Ölleitung  vom  Roten  Meer  nach 
der  Mittelmeerkuste.in  dem  Bewusstsein  der  Sabres,  der  be- 
reits in  Israel  geborenen  jungen  Menschen,  die  mit  ruhiger 
Selbstverständlichkeit  dieses  Land  als  ihre  Heimat  betrach- 
ten, von  den  Pionieren  hat  sich  der  Idealismus  auch  auf  die 
Einwanderer  der  letzten  Jahre  verlagert,  die  an  dem  Aufbau- 
werk teilgenommen  haben  und  in  Erinnerung  an  die  frühere 
zeit  der  Erniedrigung  bewusst  die  Vergangenheit  abstreifen 
und  sich  ihrer  Leistung  als  Bauern,  Arbeiter,  Handwerker 
rühmen,  nicht  um  damit  ihre  individuelle  Tüchtigkeit, 
sond-rn  die  in  den  Juden  geweckten  konstruktiven  Kräfte 
darzutun.  Sie  fühlen  sich  nicht  mehr  als  Randexistenzen  und 
finden  selbst  in  Berufen,  die  ihrem  früheren  intellektuellen 
Standard  nicht  entsprechen,  die  Befriedigung  eines  schöpferi- 
schen Mitwirkens  am  Werden  eines  neuen  Staates  an  dem  Pxatze, 
an  dem  das  Schicksal  ihnaieine  solche  Mitwirkung  erlaubt. 
Idealismus,  Selbstb .wusstsein  aus  der  Leistung  heraus  und 
das  Heimatgefühl,  in  einem  Staate,  der  den  Juden  erlaubt, 
"sie  selbst  zu  sein  und  darum  der  ihre  ist, .sind  also  die 
weiteren  Kraftquellen  des  sich  heranbildenden  echten  Natio- 
nalgefühls  gegenüber  einem  Land,  das  nach  ihrem  Willen  ein 
Land  des  friedlichen  Aufbaus  und  der  Verständigung  mit  den 
Nachbarn  werden  soll. 

■    Bei  dieser  positiven  Beurteilung  der  nationbildenden 
Paktoren  ist  nicht  übersehen  worden,  dass  die  Portsetzung 
und  Konsolidierung  dieser  Tendenzen  Schwierigkeiten  bereitet. 
Pie  Fülle  des  Einwandererstroms  wie  seine  Zusammensetzung 
bringt  -  wie  bereits  angedeutet  -  ihre  besonderen  Probleme 
Mt  sich,  zum  Teil,  besonders  in  Marokko,  wurde  die  Aufnahme- 
bereitschaft Israels  dazu  benutzt,  vorwiegend  Elemente  zur 
Auswanderung  zu  veranlassen,  die  nicht  mehr  arbeitsfähig 
waren  und  als  soziale  Last  zu  Buche  standen.  Aus  Ägypten 
wiederum  kommen  Juden,  die  einen  hohen  kulturellen  und  so- 
zialen Lebensstandard  besassen  und  zunächst  noch  keine 


-  14   - 

innere  Beziehung  zum  Lande  haben.  Unter  den  Einwandere j:n 
der  letzten  Jahre  befinden  sich  noch  Elemente,  die  nach 
Alter,  religiöser  Einstellung  und  Lebensgewohnheiten  schwt;r 
den  Anforderungen  des  Landes  angepasst  werden  können.  Es 
wird  darüber  geklagt,  dass  mit  der  Ausweitung  der  Bevölke- 
rung und  der  wirtschaftlichen  Aktivität  der  idealistische 
Pioniergeist  der  ersten  Siedler  und  der  Gründerzeit  nach- 
lässt*  Die  Kibbutzim,  die  Siedlungen  mit  Gütergemeinschaft 
begegnen  Schwierigkeiten  bei  der  Sicherung  ihres  Nachwuchses 
und  sind  teilweise  zu  einer  Auflockerung  ihrer  auf  Lebens- 
zeit gedachten  Gemeinschaftsform  gezwungen.  Auch  andere  Er- 
werbsgenossenschaften  zeigen  Tendenzen,  das  strenge  Prinzip 
der  kollektiven  Schicksais-  und  Erwerbsgemeinschaft  zu  mil- 
dern und  dem  individuellen  Erwerbs-  und  Besitztrieb  Konzessio- 
nen zu  machen.  Es  gibt  also  in  einigen  Bezirken  des  gesell- 
schaftlichen Lebens  Merkmale  einer  Abflachung  der  idealisti- 
schen Hochspannung.  Eine  jede  dynamische  Entwicklung  zeigt 
aber  schliesslich  auch  Schattenseiten  und  wechselnde  Tenden- 
zen, die  alte  Impulse  schwächen,  jedoch  auch  neue  Impulse 
auslösen  können.  Zu  entscheidenden  Abstrichen  an  der  Gesamt- 
beurteilung des  nationalen  Bildungsvorgangs  dürfte  z.Zt.  noch 
kein  Anlass  bestehen.  Im  Gegenteil,  sobald  sich  die  Augen  an 
das  zunächst  fremde  Bild  der  verschiedenartigen  landschaftli- 
chen Herkunft  gewähnt  haben,  die  gerade  unter  den  Neueinwan- 
derern oder  den  orthodoxen  Gruppen  in  Kleidung,  Haltung  und 
Prägung  der  Gesichtszüge  noch  hervortritt,  treten  diese  Ein- 
drücke der  Fremdartigkeit  als  Übergangserscheinungen  oder 
Sondortatbestände  von  nicht  typischer  Bedeutung  in  den  Hin- 
tergrund. Der  Mensch  in  der  Arbeit  und  die  Masse,  die  in  der 
Geschäftszeit  in  südlicher  Gelockerthcit  die  Strassen  belebt 
oder  am  Sabbath  die  Cafes  in  den  grossen  Boulevards  füllt, 
vor  allem  aber  die  Jugend,  die.  in  der  Stadt  ihren  Flirts 
nachgeht  oder  wandernd  das  Land,  ihr  Land  durchstreift,  sie 
alle  sind  offenbar  schon  zu  i:ini.  r  homogenen  Gemeinschaft  zu- 
sammengewachsen. Sie  bilden  ein  Volk,  das  seinen  verschiede- 
nen Beschäftigungen  nachgeht  unrj  sind  bereits  mehr  durch  die 


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-f.  ■ 


-  15  - 


Art  ihrer  Beschäftigung  als  durch  die  ursprüngliche  Her- 
kunft geprägt.  Sie  tragen  sich  aufrecht  und  selbstverständ- 
lich als  freie  Bürger  eines  Staates,  dessen  Anforderungen 
nicht  gering,  Da  nahezu  unormesslich  sind,  dessen  Gestal- 
tung aber  in  ihre  Hände  gelegt  ist.  Der  intensive  ökoncmx- 
sche  Aufbauprozess  bewirkt  zugleich  einen  rapiden  Em- 
schmelzungsprozess.   Israel,  .so  wie  es  in  der  unmittelbaren 
Gegenwart  seiner  Menschen  erscheint,  wäre  nur  ungenügend  mit 
dem  Begriff  verglichen,  mit  dem  Amerika  seine  Absorptions- 
und Assimilationsleistung  beschreibt,  dem  Begriff  des 
"melting  pots".  Israel  von  heute  ist  ein  "pressure  cooker". 

Der   wirtschaftliche  Aufbau 

Es  war  für  uns  ein  zweites  Hauptanliegen  der  Reise, 
einen  Eindruck  über  den  Stand  und  die  Methode  des  wirtschaft- 
lichen Aufbaus  des  Landes  zu  gewinnen.  Als  vor  über  5«-  Jah- 
ren die  zionistische  Bewegung  ins  Leben  trat  und  an  Breite 
gewann,  konzentrierte  sich  die  Diskussion  wachsend  auf  die   . 
Präge, ob  es  überhaupt  möglich  sei,  auf  dem  Wüstenb«den,  m 
der  malariaverseuchten  Sumpflandschaft  oder  in  den  ver- 
karsteten Bergen  Palästinas  eine  Heimstätte  für  eine  gros- 
sere Anzahl  von  Juden  zu  schaffen,  die  auch  in  der  Lage 
ist,  sie  zu  ernähren  oder  ihnen  wenigstens  eine  hinläng- 
liche Existenzgrundlage  zu  gewähren.  Die  Optimisten 'sagten 
■  Ja,  die  Zweifler  sagten  Nein,  aber  niemals  haben  selbst  aie 
eifrigsten  Zionisten  an  eine  Einwohnerzahl  gedacht,  wie  si- 
heute  das  Land  Israel  aufweist,  geschweige  denn  von  der  Su- 
kunftszahl  von  3  Millionen  Einwohnern, mit  der  in  der  Gegen- 
wart bereits  gerechnet  wird.  Was  ist  aus  den  von  Sand  zuge- 
deckten Landstreifcn  der  Küstenebene,  den  versteinten  Talern, 
den  kahlen  Stoingebirgen  und  d er  breiten  Wüstonlandschalt  im 
Süden  geworden?  Konnte  der  Wassermangel,  die  UnerbittlichKeit 
der  heissen  Sonne  des  Orients,  der  Sehaden  der  Jahrtausende 
von  Erosion  überwunden  und  das  Land  wieder  zu  einer 


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-  16   - 


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biblischen  Fruchtbarkeit  als  Land  von  Milch  und  Honig  zurudx- 

geführt  werden? 

Der  erste  Eindruck,  den  die  Reise  aufdrängte,  war,  dass 
die  Voraussetzung  für  eine  systematische  Erschliessung  des 
Landes  überhaupt,  der  Ausbau  eines  Verkehrsnetzes,  nahezu 
restlos  geschaffen  worden  ist.  Ein  weitverzweigtes  Netz  von 
asphaltierten  Strassen  überdeckt  die  Mitte  und  den  Norden 
des  Landes  und  zweigt  bereits  in  die  Negevwüste  ab.  Diese 
Strassen  sind  zum  Teil  ein  dankenswertes  Erbteil  der  Man- 
•datszeit,  in  der  von  den  Engländern  aus  strategisdhen  Erwä- 
gungen grosse  Durchgangsstrassen  angelegt  worden  sind.  Ein 
anderer  Teil  verdankt  gegenwärtigen  strategischen  Überlegun- 
gen seine  Entstehung.  Darüber  hinaus  sind  aber  bereits  alle 
Ortschaften  von  irgendwelcher  Bedeutung  und  zudem  eine  Fülle 
noch  im  Entstehen  begriffener  oder  geplanter  Siedlungen  durch 
das  Strassennetz  erfässt.  Der  Strassenbau  geht  vielfach  der 
Siedlung  oder  Industriegründung  voran.  Das  hat  seine  Ursache 
nicht  nur  in  landesplanerischen  Erwägungen,  sondern  in  der 
Notwendigkeit,  den  eingeströmten  Menschenmassen  durch  den 
Strassenbau  Arbeit  und  tunlichst  Arbeit  an  den  ihnen  zuge- 
dachten Siedlungsplätzen  zu  beschaffen.  Die  Strassen  sind 
gepflegt  und  werden  auch  laufend  unterhalten.  Eukalyptus- 
bäume, die  in  einer  grossen,  von  dem  Ministerpräsidenten 
Ben  Gurion  angeregten  Aktion  zu  Millionen  gepflanzt  wurden, 
rahmen  die  Überlandstrassen  ein  und  werden  fortlaufend  wei- 
ter eingesetzt.  Die  Erstellung  dieses  Strassennetzes  ist 
umso  eindrucksvoller,  als  es  zu  einem  grossen  Teil  Gebirgs- 
Btrassen  umschliesst,  die  Höhen  von  über  tausend  Metern  zu 
überwinden  haben  und  die  Bewegung  grosser  Erdmassen  sowie 
die  Entsteinung  langer  Strecken  erforderten.  In  anderen  Be- 
zirken wiederum,  besonders  im  Küstenstreifen,  mussten  die 
Wege  durch  Dünen,  Sand  und  Sumpf  gelegt  werden,  abgesehen 
von  den  Problemen,  die  dem  Wegebauingenieur  in  der  Weite 
der  Wüste  Negcv  und  in  der  zerklüfteten  Höllenlandschaft 


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des  Toten  Meeres  gestellt  wurden  und  noch  gestellt  sind. 
Wer  etwa  in  einer  teilweise  ähnlichen  Landschaft  wie  in  dem 
Karstgebirge  oder  in  den  Flächen  Jugoslaviens  die  Unzuläng- 
lichkeit des  Strassennetzes  kennt,  vermag  nur  mit  Bewunde- 
rung seine  Dichte  in  Israel  festzustellen  und  dabei  gleich- 
zeitig in  seinem  Inneren  mit  Verwunderung  die  Frage  nach  der 
Lösung  des  Finanzierungsproblems  stellen.  Aber  hierüber  wird 
noch  gesondert  zu  sprechen  sein. 

In  Verbindung  mit  dem  Strassennetz  überrascht  der  starke 
Verkehr  und  die  ausserordentliche  Motorisierung  des  Lande s_._ 
Bei  den  nur  wenigen  Eisenbahnverbindungen,  die  erst  in  jüng- 
ster Zeit  mit  Signalanlagen  und  Lieselzügen  aus  Wiedergut- 
machungslieferungen Deutschlands  modernisiert  wurden,  ergab 
sich  die  Notwendigkeit  des  Verkehrs  mit  Kraftfahrzeugen 
zwangsläufig.  Der  lokale  und  ihterlokale  Personenverkehr 
wird  vorwiegend  von  der  Autobusgesellschaft  "Eged" ,  einem 
kooperativen  Unternehmen  monopolartigen  Charakters  getragen. 
Liese  Gesellschaft  hat  ein  dichtmaschiges  Verbindungsnetz 
ausgebaut,  das  auch  in  die  entlegensten  Gebiete  führt.  Überall 
tauchen  an  den  Wegen  im  Lande  Wartehallen  aus  Beton  auf,  die 
in  der  Regen-  und  Sonnenperiode  Schutz  vor  der  Gewaltsamkeit 
des  Klimas  bieten  und  überall  di^v  grauen  Autos,  meistens 
voll  besetzt,  die  der  Bewältigung  des  Massenverkehrs  dienen. 
Daneben  bestehen  genossenschaftlich  organisierte  Taxiunt.:r- 
nehmen,  die  in  grossen  amerikanischen  Wagen  eine  Art  Klein- 
busverkehr, teils  nach  Fahrplan,  teils  nach  den  Bedürfnissen 
der  Stunde  unterhalten,  den  Stadtverkehr  der  Busse  entlasten, 
aber  ebenso  zu  verhältnismässig  billigen  Preisen  in  das  Land 
hinausfahren.  Auch  an  gewöhnlichen  Stadttaxis  ist  kein  Mangel, 
sodass  sich  der  Personenverkehr  reibungslos  abwickelt,  abge- 
sehen von  den  Stauungen,  die  die  Hauptverkehrszeiten  in  den 
Großstädten  in  Israel  wie  in  jedem  anderen  Lande  hervorrufen. 
Der  Besitz  an  privaten  Kraftwagen  ist  dagegen  gering  und  finan- 
ziell nur  tragbar,  -soweit  er  Foruf szwecken  dient.  Die  Personen- 
wagen sind  fast  ausschliesslich  amerikanischer  Herkunft.  Sie 
sind  teils  Kaiser-Frazer-Wagen,  die  in  Israel  in  dem  dortigen 


-   18   - 


Montagewerk  zusammengestellt  werden  oder  Produkte  der  son- 
stigen grossen  Automobilwerke  der  Vereinigten  Staaten.  Klein- 
autos sieht  man  nur  in  seltenen  Fällen  und  keine  Wagen  deut- 
scher Herkunft.  Die  starke  Einfuhr  amerikanischer  Wagen  be- 
ruht auf  einer  Finanzierungshilfe  der  Export-Importbank  und 
der  einfachen  Notwendigkeit,  die  Käufe  da  zu  tätigen,  wo  der 
Devisenanfall  es  erlaubt.  Es  wird  aber  auch  behauptet,  da?- 
der  grosse  amerikanische  ¥/agen  in  seiner  einfachen  Konstruk- 
tion den  Bedingungen  des  Landes  besser  entspricht  und  in  der 
Unterhaltung  einfacher 'Ust  als  die  überzüchteten  europäischen 
Wagen,  die  sich  preismässig  auch  nicht  günstiger  stellen  als 
die  gängigen  amerikanischen  roadster.   Der  Güterverkehr  ist 
naturgemäss  ebenso  wie  der  Personenverkehr  mangels  Eisenbahn- 
Toferbindungen  auf  das  Kraftfahrzeug  angewiesen  und  zeigt  eine 
erhebliche  Typenfülle  und  Jahresklassenunterschiede,  was 
seine  Problome  bei  der  Wagenpflege  mit  sich  bringt,  wie  über- 
haupt die  Wagenpflege  eine  stärkere  Berüeksichtigung  of**nl)ar 
vertragen  kann.  So  stark  der  Wagenverkehr  in  der  WoChe  ist, 
so  stark  breitet  sich  von  Freitag  abend  bis  übej^onnabeud 
eine  eindrucksvolle  Verkehrsruhe  über  dem  Lande  aus,  die 
fast  schon  einer  ferkehrsstille  gleicht.  Die  Autobusgesell- 
schaft stellt  auch  in  der  Stadt  zur  Heiligung  des  Sabbaths 
■  den  Verkehr  völlig  ein,  die  Lastwagen  bleiben  in  der  Garage 
und  nur  wenige  Personenautos  sind  für  den  Vorkehr  verfügbar 

zu  sehen. 

■  Wohl  am  eindrucksvollsten  wirkte  auf  uns  die  intensive 

Besiedlung  des  Landes,  von  den  unerschlossenen  Gebieten  der 
Negevwüste  abgesehen.  Neue  Städte,  Giedlungszentren  und 
Siedlungsdörfer  schiessen  geradezu  pilzartig  aus  dem  Bodon. 
Überall,  im  Küstenstreifen,  in  d..n  Tälern, auf  den  Bergen, 
wachsen  Reihen  standardisierter  Siedlungshäuser  empor,  die 
einem  ständigen  Aufenthalt  dienen  und  die  Periode  der  provi- 
sorischen Lager  abgelöst  haben.  Neben  den  alten  Wellblech- 
baracken stehen  nahezu  überall  jetzt  die  rohen  oder  fertigen 
neuen  Siedlungshäuser.  Die  ganze  Weite  des  Küstengebietes 
bis  zum  Judäagebirge  ist  mit  neuen  Siedlungsstätten  übersät, 


'  *-l^^  »("^ 


-  15  - 

aber  ebenso  füllen  sich  die  Flächen  im  Emek  Israel,  im 
Jordantal  und  in  der  entsumpften  Hulaebene  mit  Heim-  und 
Arbeitsstätten  in  dichter  Nachbarschaft.  Hier  entstehen 
überall  Dörfer,  deren  Bewohner  Landvvirtschaft  treiben  oder 
treiben  sollen  und  grössere  Plätze,  in  denen  neben  der  Land- 
wirtschaft auch  Industriebetriebe  für  eine  Streuung  der 
Beschäftigungsmöglichkeiten,  den  Fähigkeiten  der  Einwanderer 
entsprechend,  Sorge  tragen.  Einen  Eindruck  von  beklemmender 
Wirklichkeit  vermitteln  darüber  hinaus  die  Siedlungen  auf 
den  Höhen  der  Berge  Galiläas  oder  Judäas,  Grenz-  und  Wehr- 
siedlungen, die  aus  politischen  Gründen  zur  Auffüllung  der 
leeren  Gebiete  und  zur  Sicherung  der  Grenze  dort  v#ran- 
und  vorgetrieben  werden.  Schütz engräbe^n  und  Stacheldraht 
sind  vielfach  ihre  Landzeichen  wie  Wachttürme  in  den  Sied- 
lungen der  Ebene  die  Grenzstellung  anzeigen. 

Die  Einweisung  der  Bevölkerung  und  die  Erschliessung 
des  Landes  geht  gegenwärtig  nach  einer  neuen  Methode  vor  , 
sich.  Die  Einwanderer  werden  nicht  mehr  zuerst  in  Übergangs- 
lager gebracht,  sondern  unmittelbar  vom  Schiff  aus  ihren 
neuen -Heimstätten  zugeführt.  Sie  erhalt.m  ihr  Siedlungshaus, 
b-«e  ^i-r-dLiir^jH,    dass  sie  zu  einem  späteren  Zeitpunkt  ein 
Stück  Land  in  Dauerpacht  und  zur  Eigenbewirtschaftung  zuge- 
teilt bekommen  sollen,  wenn  sie  sich  bewähren.  Die  Erschlies' 
sung  der  zur  Siedlung  gehörenden  Flächen  erfolgt  aber  zu- 
nächst in  Lohnarbeit  unter  Anleitung  landwirtschaftlicher 
Sachverständiger,  bis  aus  dem  marokkanischen  Händler  oder 
den  sonstigen,  landwirtschaftlich  unerfahrenen  Einwanderern 
gelernte  Bauern  geworden  sind.  In  der  Ebene  wird  dabei  die 
Ausgleichsmöglichkeit  durch  gleichzeitige  Begründung  v#n 
Kleinindustriezweigen  od^r  Handwerksstätten  geschaffen,  in 
den  Bergen  wird  nicht  nur  das  Land  entsteint,  der  fruchtbare 
Boden  zusammengetragen  und  die  Bewässerungsanlage  montiert, 
es  werden  auch  die  Berge  aufgeforstet  und  immer  neue  Wege  an- 
gelegt.  Die  Probleme,  auch  r..in  menschlicher  Natur,  die  hier 
zu  bewältigen  sind,  sind  kaum  in  ihrer  Grösse  vorstellbar. 


-   2 


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S 


Männer,  'die  an  patriarchalische  Lebensweise  gewöhnt  waren 
und  in  Anpassung  an  die  Sitten  ihres  Herkunftslandes  Frauen 
und  Kinder  arbeiten  Hessen,  fromne  Juden,  die  der  Auffassung 
sind,  dass  nur  ein  Leben  im  Studium  der  heiligen  Schriften  und 
des  Talmuds  ein  gottgefälliges  Leben  ist  und  auch  sozial  ent- 
wurzelte Elemente  sollen  gleichzeitig  den  Erfordernissen  des 
Landes  nutzbar  gemacht  werden.  Frauen,  deren  hauswirtschaf t  • 
liehe  Kenntnisse  gering  und  deren  hygienische  Kenntnisse 
überhaupt  nicht  vorhanden  sind,  müssen  umerzogen  werden.  Für 
die  Kinder  sind  Schulen  und  Kindergärten  zu  schaffen,  für  den 
jeweiligen  örtlichen  Siedlungskrcis  sind  Gesundheitsberatungs- 
stellen einzurichten,  Verwaltungsämter,  genossenschaftliche 
Einkaufs-  und  Absatz»rganisationen' und  Stätten  für  die  Pflege 
des  Gemeinschaftslebens  und  die  Förderung  des  kulturellen  und 
sozialen  Niveaus.  Die  Arbeitslast  und  die  Kunst  der  Menschen- 
behandlung, die  von  den  für  die  Entwicklung  der  neuen  Dörfer 
und  Siedlungszentren  verantwortlichen  Kräften  abgefordert  - 
wird,  verlangt  eine  ungewöhnliche  Hingabe  an  den  Gedanken  de 
Gemeinwohls.  Es  ist  eines  der  Wunder  dieses  Landes,  dass  es 
die  Menschen  für  diese  Aufgabe- findet  und  produziert.  In  der 
Begegnung  mit  ihnen  keimt  manche  nachdenkliche  vergleichende 
Vorstellung  auf. 

Die  intensive  Siedlungstätigkeit  war  und  ist  nur  möglich 
auf  der  Grundlage  der  Lösung  des  Problems  der  Wasserversor- 
gung. Der  Augenschein  erzählt,  wie  ein  dichtes  Bewässerungs- 
system über  das  ganze  Land  in  Kord-  und  Mittelisrael  gele^i^t 
ist  und  ähnlich  wie  das  Verkehrsnetz  bereits  in  die  Wüste  v-r- 
stösst.  Überall  in  der  Landschaft,  im  ebenen  Gelände  oder  in 
den  Bergen,  sind  die  grossen  runden  Wasserreservoire  sichtbar, 
soweit  sie  nicht  aus  Sicherheitsgründen  unterirdisch  angelegt 
sind.  Pumpstationen  führen  das  V/asser  von  ihnen  auf  die  Fel- 
der und  Gärten  sowie  in  die  Siedlungen  selbst.  Das  Netz  der 
Bewässerungsröhren  gehört  zum  Bild  der  unter  Kultur  genamme- 
nen  Flächen  und  die  ursprüngliche  Dürre  des  Landes  hat  einer 
reichen  Fruchtbarkeit  platz  gemacht,  w«  immer  das  lebenspen- 
dende Nass  hingeleitet  wurde.  Wenn  es  nicht  in  den  Bergen 


':'m 


-   21   - 


oder  in  der  Wüste  ist,  hält  der  Heisonde  vergebens  nach  un- 
bestellter Erde  Ausschau.  Des  Wasser  fliesst  und  der  Bod.n 
wirft  r.icho  Ernte  ab.  Aber  das  Wasser  mus.  von  v.eit  her 
aus  dem  Norden  über  das  ganze  Gebiet  abgeleitet  und  verteil., 
malariaverseuchte  Sumpfflächen  mussten  ausgetrocknet  und 
drainiert  werden.  Auch  dem  Boden  waren  erst  von  den  teiis 
landwirtschaftlich  unkundigen  Einwanderern  und  von  der  f,is- 
senschaft  seine  besonderen  Eigenheiten  abzulauschen.  Vxeh, 
Gemüse  und  Früchte  mussten  unt.r  den  Wachstumsbedingun.en 
del  Klimas  auf  ihre  Auf Zuchtmöglichkeiten  erforscht  werden, 
um  die  intensive  Bewirtschaftungsform,  die  der  Zahl  und 
Eig^^nart  der  neuen  jüdischen  Bevölkerung  entspricht  una  w.,1- 
che  die  extensive  Bewirtschaf tungsw.ise  der  Araber  abgelost 
hat,  über  viele  Rückschla.ge  und  missglückte  Versuche  zum 
Erfolg  zu  bringen.  Israel  ist  auf  dem  Y.'ege,  wieder  das  i.and 
au  werden,  in  dem  üilch  und  Honig  fliesst,  aber  auf  diesem 
Wege  fliesst  auch  viel  Schweiss  und  er  ist  mit  Mühsal  ge- 
pflastert. Der  Boden  verlangt  alle  Kräfte  unter  Hintansetzung 
der  persönlichen  Bedürfnisse,  der  Schönheitspflege  an  H.^us 
und  Hof  im  einzelnen,  wie  sie  der  jahrhundertealte  Besitz 
in  den  europäischen  Kulturländern  ermöglicht  hat. 

Die  Erschliessung  des  Bodens  ist  für  die  Zukunft  Israels 
entscheidend,  wenn  es  das  Ziel  erreichen  soll,  die  Bevölke- 
rung aus  eigener  Kraft  zu  ernähren,  aber  die  Städte  ■ 
-  Jerusalem,  Haifa,  Tel  Aviv  -  bilden  die  grossen  geistigen 
Kraftzentren  des  Landes,  die  Plätze  des  Handels,  der  Indusxrie, 
der  Verwaltungen  und  der  Zusammenballung  der  intellektue^Llen 
Kräfte.  Über  das  erstaunliche  Wachstum  dieser  Städte  in  kur- 
zer Zeit  und  aus  dem  Nichts  heraus  ist  viel  gesagt  inid  ge- 
schrieben worden  und  unsere  Erwartungen  waren  dementsprechend 
hochgespannt;  sie  wurden  trotzdem  durch  die  Wirklichkeit  uc.r- 

Das  Jerusalem  Israels  ist  eine  Stadt,  die  -  ausgenommen 
die  durch  die  Grenze  durchschnittene  Altstadt  -  nichts  mit 
dem  alten  Jerusalem  .u  tun  hat  und  ihre  Entwicklung  auch  an 
anderen  Plätzen  nimmt.  Mitteln  aus  d.  n  steinigen  Hochland 


-   22   - 


heraus  erwächst  eine  völlig  neue  Stadt  auf  der  Grundlage 
einer  gr.sszügigen  modernen  Städteplanung,  mit  einem  Univer- 
sitätsviertel, das  in  seiner  prächtigen  Anlage  und  mit  den 
bereits  errichteten  Fakultäten  und  Forschungsstätten  ver- 
gleichsweise nur  wehmütige  Gedanken  auszulösen  vermag,  mit 
seinem  Zentrum  für  die  Regierungsgebäude,  das  sich  im  Bau  d. s 
Finanzministeriums  bereits  in  seinem  repräsentativen  Charak- 
ter abzeichnet,  «nit  fertigen  Wohnvierteln  an  bereits  bewalde- 
ten Abhängen  und  mit  einer  Fülle  neuer,  in  Entwicklung  begrif- 
fener städtebaulicher  Anlagen.  Die  Bautätigkeit  ist  en.rm  und 
die  Bauten  sind  schön,  frei  und  luftig  mit  Flachdächern,  wie 
sie  dem  Stil  des  Landes  entsprechen,  mit  grossen  Balk.nen  un. 
aus  dem  schönen  Stein  des  Gebirges  erbaut,  der  allem  als  feau- 
material  zugelassen  ist  und  die  Stadt  in  die  Landschaft  hinein- 
wachsen  lässt.  Es  ist  eine  unwirkliche  Wirlclichkeit  demgegen- 
über, mitten  im  alten  Stadtgebiet  an  den  Zementmauern  una  d.m 
Stacheldraht  zu  stehen,  die  Israel  von  Transjordanien  trenr.cn, 
in  wenigen  Schritten  Entfernung  von  den  Wachen  der  jordani- 
schen Legionäre  bei  ihren  Sandsäcken,  und  auf  diese  ^'eis.  zu 
realisieren,  dass  die  neue  Hauptstadt  des  Landes  Grenzstadt 
ist  an  einer  feindlichen  Grenze.  Eben  aus  diesem  Grunde  wurae 
Jerusalem  aber  auch  zur  Hauptstadt  des  Landes  gemacht  -  und 
nicht  nur  auf  dem  Papier  -  weil  für  den  frommen  Juden  wie  den 
freigeistigen  Israeli  eben  Jerusalem  seine  geschichtliche 
Hauptstadt  ist  und  also  wieder  werd.n  musste.  Die  Gefahr,  m 
der  sich  dieses  Land  befindet,  aber  auch  der'Mut,  mit  dem  es 
ihr  begegnet,  wird  durch  diese  Wahl  und  den  unbeirrten  Ausbau 
der  Stadt  symbolisiert. 

Haifa,  an  den  Höhen  des  Karraelgebirges  sich  heraufzie- 
hend und  das  blaue  Ilittelmeer  überblickend,  ist  die  land- 
schaftlich schönste  Stadt  Israels.  Sie  ist  Hafen-  und  Garten- 
stadt zugleich,  so  unwahrscheinlich  diese  K.mbination  klingen 
mag.  Von  den  grossen  Geschäftsstrassen  abgesehen,  die  sich  pa- 
rallel  in  dreifacher  Stufenfolge  am  Berg  entlangziehen,  ist 
die  Bauweise  aufgelockert.  Keine  Häuserzeilen  und  geschlosse- 
nen Baublocks  drücken  der  Stadt  den  Stempel  der  Massivität 


-   23   - 


einer  Grosstadt  auf,  di',  sie  mit  15«  ooo  Einwohnern  gloich- 
w«hl  ist.  Nach  Art  v»n  Villenk«lonion,  voii  Grün  durchsetzt, 
umkränzen  die  Plachhäuser  in  hellen  V/eiss  die  Bergabhänge  und 
wirken  nicht  als  Fremdkörper,  sondern  als  architektonische 
Portgestaltung  der  Landschaft.  Viel  schöpferisches  Können  der 
Architekten  ist  in  ihnen  zu  Stein,  Glas  und  Farbe  geworden. 
Haifa  ist  eine  heite-re  Stadt  und  die  Menschen  in  ihr  wirken 
heiter  und  gelöst.  Die  Geschäfte  zeigen  reichhaltige  und  ge- 
schmackv.lle  Auslagen,  das  Leben  pulst  an  ihnen  in  Menschen- 
strömen v.rbei  und  schwingt  weit  in  die  Hafenanlagen  und  das 
beliebte  Bild  der  Schiffe  auf  d^-m  kla2A3n  V/asser  des  Mittelmce- 

res  aus. 

Tel  Aviv,  ebenfalls  am  Mittelmeer  gelegen,  und  aus  einem 
Vorstadtgarten  entstanden,  ist  eine  seinem  Charakter  nach  s.iir 
andersartige  Stadt.  Es  ist  die  Stadt,  in  die  der  Haupteinwan- 
derunp-sstrom  einlief,  der  seine  Bevölkerung  auf  über  4o»  «ac 
Einwohner  anschwellen  liess.  Nachdem  Befreiungskrieg  und  dem 
Ex«du3  der  arabischen  Bevölkerung  wurde  es  mit  Jaffa  zu  einer 
Gemeinde  verbunden,  ohne  dass  jedoch  Jafia  damit  in  den  Charak- 
ter Tel  Avivs  einbezogen  wurde.  Der  j-etzige  Ortsteil  Jaffa 
trägt  noch  ifnmer  starke  Zeichen  der  Zerstörung  und  arabischer 
Herkunft,  soweit  nicht  die  sWitivierte^»  aus»  hygienischen  Gr-Ön- 
den  gesprengt  wurden.  Der  Neuaufbau  geht  hier  offenbar  etwas 
zög'brnd  vor  sich.  Tel  Aviv  aber  wächst  lind  wächst  in  einv,r 
Weise,  die  auch  im  Wiederaufbau  der  deutschen  Städte  kein 
vergleichbares  Gegenstück  zu  finden  erlaubt.  An  der  hier  fla- 
chen und  sandigen  Meeresküste  gelegen,  greift  sie  immer  wcitv^r 
der  Küste  entlang  und  immer  tiefer  in  das  Hinterland  aus.  V/ie 
in  den  Großstädten  ..merikas  wachsen  neue  Geschäfts-  und  \"ohn- 
■  viertel  dem  alten  Kern  pn,  entstehen  neue  riesige  Verwaltungs- 
gebäude und  Kulturstätten,  formen  sich  neue  Plätze  unä  breite 
Alleen.  Die  Bauweise  ist  auch  hier  aufgelockert  in  Einzelhaus- 
form in  den  ausgedehnten  neuen  Vierteln  mit  Grünstreifen  da- 
zwischen, aber  die  Häuser  sind  aus  Zement  »der  verputzt  und 
entbehren  damit  einer  eigentlichen  landscViaf tlichen  Prägung. 


-  24  - 


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f.* 


Tel  Aviv  is*t  die  Gesc^äf tsstadt  des  Landes,  das  Zentrum  d^^ 
Handels  und  des  Verkehrs.  *In  den  Ausklagen  der  grossen  flbule- 
vards  stellt  die  Industrie  und  b  esonders  die  I.lode-  und  Textil- 
industrie ihre  Erzeugnisse  zur  Schau,  die  in  grossem  Umfange 
das  Können  und  den  Geschmack  der  Herkunftsländer  der  Produ- 
zenten oder  Kaufleute  wiederspiegeln.  Die  grossen  Boulevards 
mit  modernen  Strassencaf es  erinnern  an  die  Boulevards  Paris 
und  der  moderne  eigentlich  europäische  Charakter  der  Stadt 
überwuchert  die  Viertel  der  kleinen  Gewerbetreilfenden  und 
Strassenmärkte  mit  •rientalischem  Einschlag  in  •den  n#ch  an 
arabische  Zeiten  erinnernden  Nebenstrassen  mit  ihren  niedri- 
gen Plachbauten.  Am  Strand  zieht  sich  ein  grosser  Korso  ent- 
lang, auf  dem  sich  am  Sabbath  eine  unübersehbare  Menschenm:  n- 
ge  ergeht  und  an  ihm  liegun  auch  die  z.Zt,  auf  den  amerikani- 
schen Touristenverkehr  wartenden  Hotels.   An  sich  erscheint 
d*ie  Stadt  unverhältnismässig  gross  bei  der  Kleinheit  des  Lan- 
des, und  auch  hier  stellt  sich  dem  Beobachter  unwillkürlich 
die  Präge,  aus  weichen  Mitteln  diese  Stadt  ihr  immensifs 
Wachstum  finanziert,  aus  welchen  Mitteln  die  sich  auf  2o  bis 
4o  090   Mark  belaufenden  Kauf summen  für  die  Wohnungen  und  die 
hohen  Mieten  v«n  3t«  bis  5««  ?iark  monatlich  aufgebracht  wer- 
den. Tel  Aviv  ist  an  sich  eine  Unwahrschuinlichkeit ,  ein  Ver- 
stoss gegen  die  L^gik,  aber  freilich  nur  gegen    jene  L©gik, 
welche  auch  die  Möglichkeit  der  Erschliessung  der  Wüste  go-- 
leugnet  hat,  welche  die  Eignung  ihrer  Menschen  zur  Staat- 
gründung und  "Staatsverteidigung  anzweifelte  und  mit  dem  Ke- 
chensystem  einer  konservativen  Pcnkweise  die  rechnerisch 
nicht  erfassbare  Dynamik  des  Lebens  zu  kalkulieren  versuchte. 

Neben  der  Entwicklung  der  Großstädte  ist  aber  auch  die 
Por^t-  und  N'cuentwicklung  kleiner  Städte  bem^erkenswert ,  welche 
die  Massierung  städtischer  Einwohner  in  den  Groiistädten  ab- 
leiten oder  den  regionalen  Bedürfnissen  der  sich  auf füllend..n 
Bezirke  einen  ^eigenen  Mittelpunkt  für  die  weitere  Entwicklung 
des  Landes  geben  sollen.  Wir  haben  einige  Beispiele  davon  ge- 
sehen, die  zugleich  für  die   Planmässigkeit  der  Gestaltung  wie 
für  die  Dynamik  des  Geschehens  symptomatisch  sind.  Ein  Beispiel 


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davon  ist  Bersheba.  Bersheba  war  eine  kleine,  wenn  auch  leb- 
hafte arabische  Stadt  am  Eingang  zur  V/üste  Negev,  und  sie  ist 
in  ihrem  Kern  auch  erhalten  geblieben,  von  den  Arabern  frei- 
lich zum  grossen  Teil  verlassen.  In  der  alten  Moschee  ist  jetzt 
das  örtliche  Gericht  untergebracht,  vor  dessen  Eingang  wir 
rechtsuchende  Araber  kauernd  sitzen  sahen  und  ausserdem  ein  l;.:u- 
seum,  das  die  Fundstücke  von  Ausgrabungen  enthält.  Der  -:^ilte 
Charakter  der  Stadt  ist  also  gewahrt.  Um  sie  herum  ist  aber 
eine  völlig  neue  Stadt  entwick^jlt  worden,  in  verschiedenen 
Teilen  nach  dem  Prinzip  des  Nachbarschaf tsstadtteils , mit  einem 
übermodernen  Hotel,  das  als  Hnuijt quartier  der  die  V7üste  er- 
schliessenden  Ingenieure,  aber  auch  als  Unterkunft  für  di^..  R -ei- 
senden dient,  mit  Verwaltungsgebäuden,  einem  Hospital,  Kino, 
Gemeinschaftssälen  und  Grünanlagen.  Mitten  aus  der  Wüste  heraus, 
deren  Trostlosigkeit  noch  von  allen  Seiten  eindringt,  erwächst 
hier  so  eine  moderne  Stadt,  die  Hauptstadt  des  Negev,  welche 
eindrucksvoll  die  Eroberung  der  Wüste  charakterisiert.  Ein  Bei- 
spiel anderer  Art  in  bereits  fruchtbar  gemachtem  Land  ist  cias 
moderne  Ascalon,  in  dem  nach  genauen  Plänen  um  das  alte  Städt- 
chen Ascalon  arabischen  Charakters  vier  neue  Trabantenstadtf  1- 
le  erwachsen,  die  durch  ein  gemeinsames  Shopping-  und  c^mmamity- 
center  mit  Ladenstrassen,  Handwerksbetrieben,  Postamt,  Kino  und 
Gaststätten  miteinander  zu  einer  Einheit  verbunden  sind  und  .in 
Musterbeispiel  moderner  aufgelockerter  Bebauungsweise  in  länd- 
licher Gegend  bilden.  Dabei  ist  nichts  vergessen  worden,  nicht 
der  gesonderte  Weg  für  di..  Lastwagen  zur  Rückseite  der  Geschäfte 
und  Betriebe,  nicht  die  Tankstelle  gleich  an  ihnen  oder  die  al- 
ten römischen  Säulen  in  einer  vorgelagerten  Grünfläche,  die 
Altertum  und  Neuzeit  an  diesem  historischen  Platze  zusammenbrin- 
gen. Wir  habrn  auch  an  and.-ren  Stellen  bis  hoch  oben  im  N-irden 
Galiläas  -  wenn  auch  in  kl.:inerem  Ma(3stab  -  noch  solche  Groi3- 
siedlungen  gesehen,  in  d.men  in  Mischung  von   Industrie,  Hand- 
werk und  Landwirtschaft  d-r  Bevölkerung  gleichzeitig  eine  Le- 
bensgrundlage und  eine  gesullschaf tsbildende  Heimstätte  gege- 
ben w  erden  soll. 


26   - 


Stadt  und  Land  -bedürfen  beide  zu  ihrer  Lebensfähigkeit 
einer  industriellen  Grundlage.  Die  Erzeugnisse  des  Bodens  deckon 
noch  nicht  den  Bedarf  der  Bevölkerung  und  der  Export  an  Gütern 
bringt  nur  einen  noch  sehr  geringen  Teil  des  Devisenbedarfs  für 
die  Einfuhr  auf.  Vor  allem  müsr-en  aber  auch  die  einströmenden 
Menschen  Beschäftigung  finden  und  ausser  in  den  Entwicklungsar- 
beiten zur-  Auf Schliessung  des  Landes  unmittelbar  produktive  Ver- 
wendung bei  der  Erzeugung  von  Investitions-  und  Konsumgütern 
finden.  Las  Lf.nd  steht  also  vor  der  Notwendigkeit,  seine  Grund- 
stoffe auszunutzen,  eine  weiterverarbeitende  Industrie  aufzu- 
bauen und  Investitions-  oder  Konsumgüter  selbst  zu  erzeugen.  Lie 
Reise  gab  auch  Gelegenheit,  solche  Produktionsstätten  zu  besicn- 
tigen,  aber  es  wäre  unangebracht,  aus  diesen  gelegentlichen  1  .1- 
produkten  des  Augenscheins  begründete  Schlüsse  zu  ziehen.  Etwa 
folgende  streiflichtartige  Eindrücke  drängten  sich  auf: 

Ler  Reichtum  des  Landes  an  Rohstoffen  ist  gering.  Die 
Pottascheproduktion  aus  den  Wassern  des  Toten  Meeres  ist  für 
den  Export  wichtig  geworden  und  über  einige  Rückschläge  jetzt 
wohl  technisch  durchgebildet.  In  ihr  sind  etwa  4oo  Arbeiter 
unter  ungewöhnlich  harten  klimatischen  Bedingungen  beschäftigt. 
Sie'sesshaft  zu  machen,  erforderte  die  Anlage  eines  besonderen 
Arbeiterdorfes  in  grosser  Entfcrmxng  auf  einer  über  dem  Me.,-reL- 
spiegel  gelegenen  Fläche  des  Negevwüstendorf es,  das  eben  fortig 
gestellt  wurde.  Die  Erdölförderung  steht  .rst  am  Anfang  und  ist 
in  ihren  Chancen  noch  nicht  abzuschätzen.  Die  bisher  fündig  ge- 
wordenen Stellen  decken  nur  5^%   des  Bedarfs.  Das  Weizmann- 
Institut  in  Rechowo  studiert  die  Eigenschaften  dieses  Öls.  Da 
der  Staat  die  Ölförderung  nicht  fremden  Händen  übertragen  woll- 
te, und  da  auch  die  grossen  ülgesellschaften  aus  politischen 
Gründen  Zurückhaltung  zeigten,  wurde  eine  besondere  Gesellschaft 
mit  Einschuss  staatlichen  Kapitals  und  Heranziehung  anderer  Fi- 
nanzierungsquellen  ohne  Beteiligung  privatwirtschaf tlichor  Inte- 
ressenten gegr+ndet.  Die  Präge,  ob  weitere  Ölbohrungen  erfolg- 
reich werden,  ist  naturgemäss  von  entscheidender  Bedeutung  für 
das  Land,  da  der  Zufluss  arabischen  Öls  durch  die  Pipeline  nach 
Haifa  gestoppt  ist  und  die  Russen  beim  Ausbruch  des  Sinaifeld- 
zuges ihre  Lieferungen  eingestellt  haben.  Das  Lund  ist  also  auf 


-   27   - 


"Z  -V^    "*■ 


die  Lieferungen  eus  Übersee  angewiesen,  die  in  einer  grossen 
und  modernen  Raffinerie  am  Rande  Haifas  verarbeitet  werden.  Dii 
durch  den  Sinaikonflikt  ausgelöste  Verknappung  an  Treibstof r.„n 
scheint  sich  jedoch  nicht  übermässig  bemerkbar  gemacht  zu  h-,b  .n. 
Die  Kraftfahrztmge  dürfen  nur  an  sechs  Tagen  der  V;oche  f-^hr-n, 
w-s  angesichts  der  allgemein  gehaltenen  Sabbathruhe  keine  sehr 
fühlbare  Einschränkung  bedeutet. 

Im  Bezirk  der  weiterverarbeitenden  Industrie  wurde  das 
Vulkanwerk,  ein  modernes  Walzwerk,  vor  den  Toren  von  Haifa  be- 
sichtigt, das  neuen  Datums  ist  und  «ine  moderne  .Valzenstrasse 
für  Stabeisen  sowie  Siemens  Martinsöfen  besitzt.  Es  gehört  der 
Histadruht,  der  grossen  Gewerkschaft  des  Landes.  In  der  Ijachbar- 
•  Schaft  dieses  Werkes  besichtigten  wir  weiter  eine  hochmechani- 
sierte und  ausgedehnte  Fabrikanlage  für  die  Herstellung  von  Fla- 
schen und  Flachglas,  die  ursprünglich  eine  private  Gründung  war, 
aber  nach  eingetretenen  Schwierigkeiten  ebenfalls  in  die  Hände 
der  Histadruht  überging  und  etwa  A^fc   für  den  Export  arbeitet. 
Gewisse  erste  Fehlplanungen  scheinen  überwunden  zu  sein.  Das 
anfangs -schwierige  Problem,  ungelernte  und  mit  dem  Wesen  eines 
Industriebetriebes  nicht  vertraute  Arbeiter  an  empfindlich.  Ma- 
.  schinen  zu  setzen  und  zu  einem  Arbeitsteam  zusammenwachsen  zu 
lassen,  wurde  nach  den  Erklärungen  der  leitenden  Herren  g.lost 
und  der  Augenschein  bestätigte  die  besondere  Lernfähigkeit  der 
yemenitlschen  Juden,  die  als  Glasbläser  ausserordentliche  Flink- 
heit und  Geschicklichkeit  zeigten.  Einen  ausgezeichneten  Ein- 
druck vermittelte  eine  grosse  Röhr.enfabrik,  die  Youvalgat  Co. 
Ltd.,  in  der  Mähe  von  Ascalon,  welche  nach  eigenen  neu   oi:t- 
widkelten  Verfahren  und  mit  modernen  Großanlagen  Röhren  gröss- 
ter  wie  kleinerer  Durchschnitte  für  die  Wasserversorgung  d.,s 
Landes  herstellt.  Auch  hier  sind  etwa  490  Arbeiter  beschäftigt 
und  es  wird  in  drei  Schichten  gearbeitet.  Der  Platz  wurde  aus 
standortmässigen  Gründen  in  der  Mitte  des  Landes  und  an  der  Ei- 
senbahn gewählt.  Auch  dieses  Unternehmen  gehört  zum  Industrie- 
konzern d'er  Histadruht.  Im  übrigen  sind  die  Betriebe  mit  den 
auch  bei  uns  üblichen  sozialen  Einrichtungen  versehen.  Die  Be- 
zahlung erfolgt  nach  Massgabe  eines  Grundgehaltes  und  von 


-   28   - 


Arbeitsprämien,  die  von  der  Produktionsleistung  abhängen  sol- 
len.  Das  System  der  Arbeitsprämien  in  den  der  Histadruht  ge- 
hörenden Betrieben  bereitet  aber  offenbar  noch  Schwierigkei- 
ten und  hat  auch  gerade  kurz  nach  unserer  Besichtigung  zu  Ar- 
beitskonflikten und  Arbeitsniederlegungen  geführt.  Zur  Erklä- 
rung dieses  eigentlich  innergewerkschaftlichen  Streits  bei  der 
Einheit  von  Eigentum  und  gewerkschaftlicher  Vertretung  in  d'^r 
Hand  der  Histadruht  sei  darauf  hingewiesen,  dass  die  der  Hista- 
druht gehörenden  Unternehmen  einmal  ihre  eigene  Rechtspersön- 
lichkeit besitzen  und  zum  anderen  in  einer  Holdinggesellschaft, 
der  Solei  Boneh  Ltd.  (Wegbahner)  zusammengef asst  sind  und  dass 
sich  also  die  Konflikte  auf  verschiedenen  Ebenen  abspielen. 

An  industrialisierten  Arbeitsstätten  im  genossenschaftli- 
chen Sektor  der  Landwirtschaft  besichtigten  wir  als  typisch  für 
die  fortschrittliche  Stosskraft'  eine  eben  in  Botrieb  genc]nrn..ne 
grosse  Orangenpackerei.  Die  Orangen  w erden  vom  Baum  in  genorm- 
ten Kisten  gesammelt,  dfese  in  bestimmter  Zahl  auf  Lastwagen 
geladen  und  dann  im  Eliessbandverf ahren  gewogen,  sortiert,  ore- 
waschen,  gewachst,  verpackt  und -in  die  Eisenbahnwaggons  Verla- 
dern, soweit  nicht  die  minderen  Qualitäten  über  andere  Trans- 
portbänder auf  Lastautos  für  den  Verbrauch  des  Landes  selbst 
oder  die  Eruchtsaf tfabriken  abgeleitet  werden.  Bei  dieser  An- 
lage handelt  es  sich  um  eine  aenossenschaf t ,  der  die  Landwirte 
mit  eigenem  Grund  und  Boden  angehören  und  die  mit  ihren  eigenen 
Mitteln  finanziert  wurde.  Es  gibt  ähnliche  Anlagen  für  die 
kollektiv  bewirtschafteten  Betriebe. 

Schliesslich  ergab  sich  Gelegenheit,  einen  Betrieb  vm 
für  Israel  besonderer  Ar.t  zu  besichtigen,  nämlich  ein  riesiges 
und  völlig  durchrationalisiertes  Getreidelagerhaus  im  Hafen  von 
Haifa,  das  unmittelbar  aus  den  Schiffen  mit  Elevatoren  und  über 
grosse  Transportbänder  das  Getreide  einlagert,  dann  sortiert, 
wiegt,  verpackt  und  zum  Versand  bringt.  Dieses  Unternehmen,  die 
Dagon  Ltd.,  ist  ein  reines  Privatunternehmen  mit  Schweizer  Ka- 
pital und  verdankt  seine  Entstehung  einer  mit  einer  grossen 
süddeutschen  Lagerhausgesellschaft  verbundenen  initiativreichen 


-   29-1  - 

Persönlichkeit,  die  den  Beweis  erbringen  will,  dass  auch  die 
private  Wirtschaft  neben  dem  Bezirk  der  staatlich,  genoss.  n- 
schaftlich  oder  gewerkschaftlich  dirigierten  Wirtschaft  einen 
legitimen  Piatz  beanspruchen  und  ausfüllen  kann. 


:  ;'V 


-Der  Dualismus  des  Y/irtschaftssvstems 

Damit  ist  die  Frage  angeschnitten,  die  wirtschaftspoli- 
tisch ein  noch  nicht  entschiedenes  Problem  des  Landes  dar- 
stellt, nämlich  die  Frage  nach  der  Tendenz  des  Wirtschafts- 
systems. Auf  dorn  Gebiet  der  Industrialisierung  zwischen  den 
beiden  Polen  einer  vom  Staat  oder  ihm  nahestehender  Organisa- 
tienen  getragenen  Wirts'chaft  mit  gemeinwirtschaftlicher  und 
planwirtschaftlich.r  Note  und  der  freien  Unternehmerinitiative 
auf  marktwirtschaftlicher  Grundlage.  Die  Reisebeobachtungen 
konnten  dabei  selbstverständlich  diese  Fragestellung  als  ein 
Problem  des  Landes  nur  h..rvortreten  lassen,  nicht  aber  sie  be- 
antworten. In  ihrem  speziellen  Rahmen  in  Israel  lässt  sie  3icn 
etwa  folgendernassen  abzeichnen: 

Es  hat  einmal  zunächst  historische  Gründe,  wenn  sich  in 
.•rossem  Umfange  Wirtschaftsformen  entwickelt  haben,  die  nicht 
privat-  und  marktwirtschaftlich  ausgerichtet  sind.  Die  KibDutzi^i, 
jene  Israel  eigentümliche  Form  des  Zusammenlebens  und  der  L-rnd- 
erschliessung,  in  denen  allen  alles  und  dem  Einzelnen  nichts 
gehört,  sind  die  von  idealistischen  Motiven  bestimmten  Gemein- 
schaften der  Dungon  Pioniere,  di.  in  einer  fremden  Umwelt  sich 
eine  neue  Heimstätte  schaffen  wollten  und  hierbei  in  der  Form 
der  kollektiven  Schicksalsgemeinschaft  zu  Werke  gingen  und  wonl 
auch  gehen  mussten.  Mit  d.r  wachsenden  Besiedlung  des  Landes 
prägten  sich  dann  auch  arä ere  Formen  dörflicher  Siedlung  auf 
eigenem  Grund  und  Boden  aus,  aber  für  zweckentsprechende  Auf- 
schliessung des  Bodens,  die  Einkaufs-  und  Absatzregelung  sowie 
die  Preisgestaltung  erwies  sich  fast  immer  die  genoseenschatt- 
lich.-  Verknüpfung  mit  den  ihr  eigenen  plan-  und  zentralwirt- 
schaftlichen Elementen  als  gegeben.  Die  Histadruht  wiederum 
stand  schon  in  den  frühen  Jahren  der  Einwanderung  vor  der 


-  3o  - 


<  \i^    < 


Tatsache,  dass  sie  sich  nicht  mit  den  Bemühungen  um  die  ge- 
werkschaftliche Erfassung  und  Betreuung  der  Arb-^iter  begnü- 
gen konnte,  sondern  dass  ihr  mangels  Initiative  von  anderer 
Seite  auch  die  Aufgabe  zufiel,  für  die  einwandernden  Arbeits- 
kräfte  -  damals  vorwiegend  aus  Polen  und  Russland  -  erst  einmal 
Arbeitsplätze  zu  schaffen  und  zu  diesem  Zweck  als  Unternehmtr 
tätig  zu  werden.  Vorbestimmt  durch  die  Ideen  der  sozialisti- 
schen Kreise  ihrer  Herkunftsländer,  aus  denen  sie  Druck  des 
Zarismus  oder  der  Antisemitismus  vertrieb,  wirkten  die  sozia- 
listischen Vorstellungen  bei  der  Inangriffnahme  ihrer  Planung 
und  Gründertätigkeit  naturgemäss  mit  und  blieben  auch  bis  heute 
lebendig.  Die  Koalition,  die  zwischen  den  Arbeiterparteien  und 
den  Orthodoxen  die  Regierung  trägt,  beruht  auf  dem  Umstand, 
dass  die  Orthodoxen  sich  nicht  an  den  wirtschaftlichen  Kon- 
zeptionen der  Arbeiterparteien  reiben,  im  Gegensatz  zu  den 
anderen  politischen  Richtungen  mehr  bürgerlicher  Prägung.  Ent- 
scheidend ist  aber  wohl  in  Rechnung  zu  stellen,  dass  ein 
Staats-  und  Wirtschaftsaufbau  unter  dem  Vorzeichen  einer  Aus- 
sergewöhnlichkeit in  jedem  Sinne  überhaupt  nicht  unter  dem 
Aspekt  privatwirtschaftlicher  Rentabilität  durchzuführen  ist. 
Die  Bodenbeschaffung  für  die  mittellosen  Einwanderer,  die  Ur- 
barmachung des  Landes,  die  Investitionen  in  die  Versorgungs- 
wirtschaft, der  Strassen-  und  Siedlungsbau,  die  Arbeitsplatz- 
beschaffung  in  einer  erst  zu  erstellenden  Industrie,  das  sind 
gesamtökonomische  Notwendigkeiten,  die  über  einen  kurzen  Zeit- 
raum nicht  privatwirtschaftlich  finanziert  und  ertragbringend 
gemacht  werden  können.  Hier  handelt  es  sich  also  um  volkswirt- 
schaftliche Lasten  und  nationalwirtschaftliche  Aufgaben,  deren 
Bewältigung  in  kurzen  Zeiträumen  die  Kräfte  der  Privatwirt- 
schaft überfordert  und  damit  das  Schwergewicht  der  wirtschait- 
lichen  Aktivität  im  Bezirk  der  industriellen  Produktion  zwangs- 
läufig in  die  öffentliche  Hand  oder  ihr  assimilierte  Organisa- 
tionen legt. 


-  31  - 


^ni- 


Ein  anderer  Gesichtspunkt  tritt  hinzu.  Es  liegt  in  d^r 
Natur  der  Sache,  dass  die  Arbeitsleistung  der  Neueinwanderer 
noch  nicht  der  Produktionsleistung  angepasst  ist,  die  nach 
Lohnhöhe  oder  der  Kapazität  des  Y/erlces  erstellt  werden  mur:st--. 
Das  Lohnniveau,  die  sozialen  und  kulturellen  Einrichtungen 
sowie  die  Lebensbedürfnisse  sind  auf  einen  Standard  au^g  rich- 
tet, der  den  Auffassungen  eines  modernen  Kultur-  und  Sozi=-l- 
staates  entspricht.  Israel  lebt,  wie  auch  von  massgeblicher 
Seite  bekannt  wird,  eigentlich  über  s.:.ine  Verhältnisse,  d.h. 
über  seine  Produktionskapazität  und  seine  tatsächliche  Produk- 
tionsleistung hinaus.  Liese  sozialen  und  kulturellen  Lasten 
eines  Staates,  der  nicht  die  Mittel  dazu  im  eigenen  Lande  auf- 
zubringen vermag,  aber  nach  dem  Gesetz,  nach  dem  er  angetreten 
ist,  ein  progressiver  und  moderner  Staat  sein  soll,  diesc-  Hy- 
pothc^k  also  einer  Entwicklung  s  einer  Struktur  von   der  Wüste 
rhne  Übergangsstationen  in  einen  modernen • Gesellschaf tskörper, 
schafft  Produktionsbedingungen,  die  nach  dem  Maßstab  der  pri- 
vatwirtschaftlichen Rentabilität  nicht  oder  jedenfalls  noch 
nicht  die  Voraussetzungen  für  eine  Initiative  der  privatwirt- 
schaftlichen Aktivität  bieten,  welche  dem  Staa-t  oder  den  para- 
statalcn  Einrichtungen  ihre  Pionierleistung  abzunehmen  in  d:r 
Lage  wäre.  Es  besteht  kein  Kapitalmarkt,  keine  genügende  Yer- 
mögensbildung,  kein  Verhältnis  zwischen  den  politisch  vorbe- 
stimmten Kosten,  der  Leistung  und  dem  Ertrag  für  grossindu- 
strielle Vorhaben,  der  die  Aufbringung  der  Mittel  für  die  In- 
vestitionen und  einen  mit  nicht  zu  grossem  Risiko  belastet^.n 
Betrieb  erlaubt.  Unter  diesen  Gt-sichtspunkten  ist  auch  die  Be- 
teiligung von  privatem  Ausl-mdskapital,  an  die  gedacht  wird, 
und  die  auch  mancht:  Blicke  nach  Deutschland  geh-en  lässt,  dessen 
Wiedergutmachungsleistungen  den  deutschen  Produkten  wieder  hohe 
Anerkennung  verschafft  haben,  eine  noch  sehr  offene  Frage. 

Der  wirtschaftliche  Aufbau  des  Landes,  im  ganzen  gesehen, 
ist  ein  Phänomen,  das  sich  jedem  gewohnten  oder  dogmatischem 
Maßstab  entzieht.  Es  ist  vollrr  Widersprüche  und  voller  Wund-jr, 
voller  UnWahrscheinlichkeiten,  die  zum  Ereignis  und  voller  Er- 
eignisse, die  zum  pulsierenden  Leben  werden,  das  seine 


■,--'^-;-^V'!V"i''' 


-   32  - 


Rechtfertigung  in  seinem  Dasein  findet. 


Das  ginanzierun^sproblem 

Wo  aber,  bei  aller  Bewunderung  für  dieses  Leben  und  die 
Lpistung,  die  hinter  ihm  steht,  kommt  das  Geld  her?  Welcher 
Stab\  fand  einen  Stein,  der  mit  der  Berührung  zur  Quelle  der 
Finanzierung  wurde?  Nun,  Wunder  der  Finanzierung  gibt  es  in 
Israel  sowenig  wie  in  einen  anderen  Lande  und  es  kann  sicher 
nicht  behauptet  werden,  dass  die  Finanzen  dieses  Landes  in 
klassischer  Weise  geordnet  sind.  Das  Volkseinkommen  und  damit 
auch  das  Einkommen  der  öffentlichen  Hand  reichen  bei  weitem 
nicht  aus,  die  Finanzierungslast  zu  tragen.  Es  gibt  aber  eine 
Reihe  von  anderen  Quellen  mit  mehr  oder  weniger  klarem  Wasser, 
die  sich  wunderbarerweise  immer  wieder  erschliessen,  wenn  an- 
dere zu  versiegen  drohten. 

Eine  Quelle,  deren  Wasser  trübe  ist,  ist  der  im  Laufe  der 
letzten  lo  Jahre  eingetretene  Währungsverfall.  Bei  diesem^none- 
tären  Prozess  gibt  es  immer  Leidtragende,  aber  auch  Gewinne, 
welche  die  reale  Schuldenlast  vermindorn  oder  Investition.:n 
finanzieren.  Der  State  Comptroller  hat  im  Wege  einer  Indexbe- 
rechnung herausgefunden,  dass  Ausgaben  in  Höhe  von  israeli- 
sche. £  100.-.-  im  Jahre  1947/48  heute  etwa  den  fünffachen  Bo- 
trag erfordern. 

Die  normale  Quelle  der  öffentlichen  Finanzen,  also  die 
Steuern,  sind  zumindest  bis  an  die  Grenze  der  Kapazität  ausge- 
nutzt. Wahrscheinlich  ist  das  Optimum  überschritten.  Bis  "u 
gewissen,  jetzt  vorgenommenen,  aber  i-nmer  noch  bescheidenen 
Steuererleichterungen  wurde  die  Höchstgrenze  der  Besteuerung, 
nämlich  7«»/.  bereits  bei  einem  Nominaleinkommen  von  umgerechnet 
ca.  12.000  DM  erreicht,  das  kaufkraftmässig  jedoch  nur  einem 
Einkommen  von  ca.  6  -  7ooo  DM  entsprechen  dürfte.  Damit  sind 
die  Realbezüge  der  Bezieher  von  fest.m  Einkommen  ausserordent- 
lich niedrig.  Das  gilt  besonders  auch  für  die  Bezüge  der  höhe- 
ren Beamten,  bei  denen  die  Spanne  zwischen  d«i  unteren  und 
oberen  Einkommen  noch  unter  loo/o  liegt.  Sie  sind  entweder  auf 
Nebentätigkeit  oder  die  Verdienste  der  Ehefrau  angewiesen. 


-   53  - 


Es  finden  auch  gewisse  Manipulationen  statt,  die  auf  einem 
Zusammenhang  des  Lohn-  und  Gehaltsniveaus  mit  dem  Preismacx 
beruhen  und  welche  den  Pinanzminister  veranlassen,  um  die 
Stichtage  herum  durch  gewisse  Subventionen  den  Preisindex  .u 
regulieren.  Der  Einanzm.inister  Israels  ist  darum  allem  An.c.uin 
nach  heftiger  angegriffen  als  es  das  durchschnittliche  Lo.  s.i-^ 
ner  Kollegen' ist  und  sicherlich  nicht  der  Mann,  der  als  Le..i..-. 

angesehen  wird.  ^ 

Im  übrigen  reichen  die  inländischen  Pinanzquellen,  otcuern 
und  Anleihen,  überhaupt  nicht  aus,  um  die  Entwicklungsauegab.n 
zu  decken,  ebenso  wonig  wie  die  Exporterträge  für  den  Devisen- 
bedarf ausreichen.  In  groben  Daten  ausgedrückt,  erzeugt  Israel 
heute  etwa  7o/o  seines  Bedarfs  an  Konsumgütern,  was  schon  eine 
ausserordentliche  Leistung  ist,  muss  aber  die  Produktionslucke 
und  seine  Investitionen  in  Entwicklungsprojekte  in  vollem  Lmlang 
:nit  Auslandskapital  finanzieren.  Dieses  Kapital  kommt  aus  mehre- 
ren ausländischen  Quellen.  Ls  umfasst  Hilfsgelder  verschiecen.r 
Kategorien  aus  den  Voreinigten  Staaten  und  zu  einem  sehr  wesent- 
lichen Teil  auch  die  deutschen  Reparationsleistungen,  die  be- 

■  sonders  nach  Sperrung  der  amerikanischen  Hilfe  die  Durchführung 
des  Entwicklungsbudgets  ermöglichten.  Sie  haben  auch  entscno.- 
dend  dazu  beigetragen,  die  noch  vor  einigen  Jahren  bestehenden 
Knappheitserscheinungen  in  der  Warenversorgung  zu  beseitigen, 
auch  wenn  sich  noch  nicht  alle  Kreise  darüber  Rechenschaft  ge- 

'''''*  Schliesslich  wird  die  finanzielle  Anstrengung  Israels  und 
sein  Rückgriff  auf  Auslandshilfe  überhaupt  nicht  aus  den  Bua- 

■  g.tziffern  sichtbar.  Aus  den  jüdischen  Hilfsaktionen  in  aller 
■ielt,  besonders  aber  wiederum  in  Amerika,  f Hessen  dem  L.:nae 
die  Spenden  oder  -  zu  geringerem  Teil  -  die  Darlehen  zu,  die 
nach  den  Aufbauplänen  .der  für  einzelne  Projekte  benötigt  wer- 
den. Diese  Gelder  kommen  nicht  in  die  Staatskasse,  sondern 

.   schon  aus  Gründen  der  steuerlichen  Abzugsfähigkeit  an  besondere 
gemeinnützige  Organisationen,  die  schon  lange  vor  der  Staats- 
gründung die  Träger  der  Aufbauaufgaben  auf  dem  Gebiete  der 
Landbeschaffung,  Urbarmachung  und  Aufforstung  waren  oder  die 


V 


'>'••'  1 


-  34   - 

Ausrüstung  der  Landwirtschaft  und  die  Begründung  von  Indu- 
strien zum  Gegenstand  haben  oder  schliesslich  die  kulturel- 
len, sozialen  und  hygienischen  Einrichtungen  des  Landes  fi- 
nanzieren und  durchführen.  Die  in  die  öffentlichen  Haushalte 
eingestellten  Entwickluhgsvorhaben  sind  mit  den  Plänen  dieser 
anderen  Entwicklungsorganisationen  abgestimmt,  was  durch  Per- 
sonenidentität  oder  Wechselbeziehungen  zwischen  den  Mitglie- 
dern der  Regierung  und  den  verantwortlichen  Persönlichkeiten 
dieser  Organisationen  erleichtert  wird  -  freilich  manchmal 
aber  auch  Interessenkonflikte  hervorruft.  Im  ganzen  dürften 
die  aus  diesen  Spenden  finanzierten  Ausgaben  sich  in  Höhe  des 
staatlichen  Entwicklungsbudgets  bewegen.  Lass  sie  nicht  in 
laufenden  Ausgaben  aufgehen,  zeigen  ihre  steinernen  Transfor- 
mationen in  Gestalt  von  Universitätsbauten,  Krankenhäusern, 
Kinderheimen,  Schulen,  sozialen  Anstalten  u.a.m.,  die  alle 
Dokumente  des  letzten  neuzeitlichen  Denkens  und  zugleich  der 
grosszügigen  Opferwilligkeit  sind. 

So  ist  das  Spiel  der  finanziellen  Instrumente  ausseror- 
dentlich vielseitig,  mit  Missklängen  und  erhebenden  Tönen,  im 
Widerspruch  zu  den  gev;ohnten  Aspekten,  in  der  Planung  zuweilen 
unwahrscheinlich,  in  der  Realisierung  der  Pläne  aber  immer 
wieder  entgegen  allen  konservativen  Rechnungsregeln  vom  Glück 
des  Wagemutigen  begünstigt. 


'  Das  Land  der  Einheit  und  der  Gep:ensätze 

Israel  präsentiert  sich  so  dem  Reisenden  als  ein  faszi- 
nierendes Land.  Diese  Faszination,  die  den  Besucher  packt, 
beruht  nicht  etwa  auf  dem  Reiz  des  Fremdartigen  eines  fernen 
Landes   oder  schlechthin  einer  dynamischen  Entwicklung,  die 
einen  lebendigen  Menschen  anziehen  muss.  Es  ist  vielmehr  der 
Prozess  der  Bildung  eines  neuen  Gesellschaftskörpers  in  einem 
neuen  staatlichen  Gewände  unter  völlig  verschiedenartigen  Vor- 
zeichen, der  mit  solcher  Spannung  erfüllt.  In  dieses  Land  sind 
mit  seinen  Einwanderern  geistige  Kräfte  eingeströmt,  welche 
ebensowohl  den  Besitz  und  die  Spannweite  modernsten  Denkens 


-  35  - 


♦.  t'   •'1 


verkörptrn  wie  d.m  in  altbiblischen  Vorstellungen  denkenden 
und  in  transzendentaler  Entwicklung  von  dieser  Y/elt  lebenden 
Glaubensfanatismus.  Hier  liegt  eine  polare  Sr,annung  vor,  aie 
in  merkwürdiger  Waise  trennt  und  doch  auch,  mit  der  Bibel  als 
gemeinsamer  Geschichte,  die  sich  bestätigt  und  fortsetzt, 
zu  einer  Kraftquelle  wird.  Diese  Polarität  zwischen  dum 
Freigeist  und  dem  religiösen  Dynamismus  hat  bisher  die  Annahme 
einer  Verfassung  verhindert  und  es  ist  damit  rechtlich  und 
tatsächlich  noch  offen,  welche  endgültige  Prägung  die 
"Verfassung"  des  gesellschaftlichen  Lebens  annehmen  wird. 
Gleichzeitig  arbeiten  die  Menschen  aber,  von  den  wenigen 
extremen  Fanatikern  des  Glaubens  abgesehen,  unerschüttert 
durch  diese  Spannung  auf  der  Grundlage  der  ihr  dxirch  di*.  Ge- 
schichte immanent  gewordenen  Idee  der  Toleranz  am  Aufbau 
eines  modernen  und  von  sozialem  Geist  getragenen  dera.kra- 
tischen  Staates.  Welch  ein  Gegensatz  weiter  zwischen  den 
Lebensgewohnheiten  und  Ansprüchen  der  verschiedenen  Einw;,n- 
dcrerströme  je  nach  dem  Ilertanf tsland,  bei  dem  die  einen 
noch  in  den  Wellblechbaracken  der  Aufnahmelager  bessere  Be- 
dingungen vorfanden,  als  in  ihrem  Ursprungsland,  und  b.i  d.,.r 
die  anderen  sich  mit  allen  Errungenschaften  der  Kultur  und 
Technik  umgeben.  Der  verbindende  Paktor  liegt  hier  in  der 
f ortreissenden  Tendenz  zur  Formung  einer  modernen  Gesell- 
schaftsstruktur iti  ganzen,  auch  wenn  manche  wertvollen  in- 
tellektuellen Kräfte  Beschäftigungen  nachgehen,  die  nicht 
zu  den  geistigen  Berufen  gehören  und  ihren  Standard  her:.b- 
gedrückt  haben.  Aber  selbst  und  gerade  von  diesen  Menschen 
gehen,  so  etwa  in  der  Landwirtschaft,  auch  Impulse  aus,  die 
befruchtend  wirken  und  der  Landwirtschaft  neue  moderne  For- 
men in  Bewirtschaftung  und  Marktg.-staltung  aufdrängen.  Welch 
ein  weiterer  Gegensatz  r.wisnhen  der  Struktur  der  grossen 
Städte  und  dem  L;mde,  sowie  wiederum  im  Lande  zwischen  d.n 
einzelnen  und  durch  keine  g emeinsamen  Züge  verbundenen  Land- 
schaften, in  denen  Wüste,  Berge,  Land  und  Sümpfe  zu  bibli- 
scher Fruchtbarkeit  zurückgebracht  w.;rden  sollen.  Noch  eine 
andere  Verschiedenlieit  drängt  sich  auf,  nämlich  die  Differenz 


-  36  - 


?  ^1  f'^t  ■ 


der  Stämme  und  Typen,  die  sich  nunmehr  vermischen,  einer  alten 
Inzucht  ein  Ende  setzen  und  einen  vielleicht  neuen  Menschentypus 
eigener  Prägung  hervorbringen  werden. Welche  Spannung  weiter- 
hin, welche  die  Menschen  nach  Herkunft  und  Erfahrung  veranlasst, 
in  der  Staatsgewalt  ihren  Feind  zu  sehen  und  die  nun  berui<un 
sind,  einen  Staat  aus  dem  nichts  zu  formen,  der  ihnen  Schutz 
und  Heimat  sichert.   Welche  täglich  sich  erneuernde  Polar-it-^t 
schliesslich  zwischen  dem  ^Vunsch  der  Menschen,  ihr  Leben  in 
Frieden  am  Rande  des  grossen  Geschehens  zu  führen,  und  gleich- 
wohl in  die  Frontstellung  der  grossen  Auseinandersetzungen  um 
die  Macht  geraten  zu  sein,  die  aus  ihnen  eine  Schicksalsgemein- 
Schaft  formt,  in  der  es  im  wahrsten  Sinne  des  Wortes  um  Sein 
oder  Nichtsein  geht.  Von  dem  Gefühl  für  diese  unerhörten  Span- 
nungen des  Lebensbereichs  und  das  Werden  eines  Gesellschaf +3- 
kör^ers  unter  ihnen,  der  in  seiner  Lebensrichtung  bei  allem 
von  der  Kultur  und  Zivilisation  der  westlichen  Demokratien 
inspiriert  und  auf  sie  ausgerichtet  ist,  geht  ein  unvergleich- 
liches Erlebnis  aus.  Ihm  konnte  sich  bisher  noch  kein  Besucher 
entziehen  und  diese  Tatsache  hat  letztlich  wohl  auch  in  dem 
Empfinden  ihre  Ursache,  dass  Israel  kein  abseitiges,  unserem 
unmittelbaren  Interessenkreis  entferntes  Experiment  durchführt, 
sondern  den  Versuch  einer  Staatsgestaltung  und  Gesellschafts- 
bildung demonstriert,  der  eben  auch  seinerseits  den  Ländern; 
die  ihn  inspiriert  haben,  und  der  mit  Menschen  ihres  Kultur- 
kreises und  ihrer  Sprache  durchgeführt  wird,  Anregungen  und 
aktuellen  Stoff  zum  Nachdenken  vermitteln  kann. 


Dr. Herbert  Weichmann 


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Kurt  Jakob  Ball- 


Personen 

Kaduri,    geb.    Berlin  1891, Regierungsrat    in   der  Reichs 
finanjzfzverwaltung.    1926   -   1933     Dozent    fuer  oef- 
fentliches  Recht   an   der  Handelshochschule  Berlin, 
lebt    in  Tel  Aviv    (D.    Stern,S,    64) 


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Jurist  und  Zeithistoriker 

Kurt  Ball-Kaduri  achtzigjährig 


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Am  20.  Januar  begeht  der  Ju- 
rist und  Schriftsteller  Dr.  Kurt 
Jakob  Ball-Kaduri  in  Tel  Aviv 
seinen  80.  Geburtstag.  Zwei  Tage 
später  feiert  er  mit  seiner  Gat- 
tin, der  bekannten  Musikkritike- 
rin Lotte  Ball-Senger,  goldene 
Hochzeit. 

Der  gebürtige  Berliner  war  vor 
ider  Hitlerzeit  als  Spezialist   für 

teuerrecht  bekannt.  Er  wirkte 
jahrelang  als   Regierungsrat  im 

eichsfinanzministerium,  dann 
Is  Anwalt  und  (1926-1933)  als 
Dozent  für  öffentliches  Recht  an 
der  Berliner  Handelshochschule. 
Durch  das  nationalsozialistische 
Regime  seiner  Stellen  beraubt, 
konzentrierte  er  seine  Tätigkeit 
auf  die  jüdischen  Organisatio- 
nen Deutschlands;  von  1936  bis 
1938  war  er  Finanz-  und  Steuer- 
referent der  Reichsvertretung 
der  Juden  in  Deutschland.  Er 
wurde  vorübergehend  in  das 
Konzentrationslager  Sachsen- 
hausen geschafft,  erhielt  aber 
dann  die  Ausreiseerlaubnis  und 
kam  Ende  1938  in  Palästina  an. 

In  seiner  neuen  Heimat  fand 
Ball-Kaduri  einen  neuen  Beruf: 
er  wurde  zum  Historiker  des  Ho- 
locausts. Von  1944  an  sammelte 
er  systematisch  Dokumente  und 
Augenzeugenberichte  über  das 
Schicksal  der  deutschen  Juden. 
Ball-Kaduris  Spürgabe  ist  es  zu 
danken,  dass  zum  Beispiel  die 
Hintergründe  der  Kristallnacht 
heute  in  sehr  klaren  Umrissen 
erscheinen.  Er  hielt  Aussagen 
fest,  die  beweisen,  dass  die  grau- 
envolle Aktion  von  den  Nazis 
sorgfältig  geplant  war;  im  beson- 
deren gilt  das  für  die  Massenver- 
haftungen und  die  Zerstörung 
der  jüdischen  Büros. 

Was  zunächst  eine  Privat- 
sammlung war,  wurde  im  Staate 
Israel  zur  Grundlage  des  Regie- 
rungsinstituts Yad-Waschem  in 
Jerusalem,  das  als  Zentralstelle 
die   I>okumexite    über   die   Verfol- 


gung der  Juden  aufbewahrt.  Vier 
Jahre  lang  <  1956-1960)  diente 
Ball-Kaduri  als  wissenschaftli- 
cher Mitarbeiter  des  Instituts. 

Er  selbst  hat  in  einer  Reihe 
von  Studien  Teile  des  von  ihm 
zusammengetragenen  Materials 
ausgewertet.  Ball-Kaduri  schrieb 
drei  Bücher:  "Jüdisches  Leben  — 
einst  und  jetzt"  (1961),  "Das  Le- 
ben der  Juden  in  Deutschland 
im  Jahre  1933"  (1963)  und  'Vor 
der  Katastrophe  —  Juden  in 
Deutschland  1934-1939"  (1967). 
Daneben  publizierte  er  zahlrei- 
che Zeitschriftenaufsätze.  Sie 
warfen  ein  neues  Licht  auf  die 
Kristallnacht,  die  illegale  Alijah 
aus  Hitlerdeutschland  nach  Erez 
Israel,  die  Rolle  der  jüdischen 
Organisationen  und  der  deut- 
schen Wehrmacht  und  die  Frage 
des  jüdischen  Widerstandes. 

Auch  im  "Aufbau"  hat  er  eine 
Reihe  interessanter  Aufsätze 
veröffentlicht.  Wir  schliessen 
uns  der  Reihe  der  Gratulanten 
mit  besonderer  Herzlichkeit  an.- 

R.  A. 


Alfred-Adler-Ehrung 

Die  kürzlich  vorgenommene 
Enthüllung  einer  Gedenktafel 
am  Wiener  Geburtshaus  Alfred 
Adlers  (Mariahilferstra&se  208) 
beschloss  die  Reihe  der  weltwei- 
ten Ehrungen,  die  dem  Begrün- 
der der  Individualpsychologie 
zur  100.  Wiederkehr  seines  Ge- 
burtst.ages  zugekommen  sind. 
Professor  Adlers  wissenschaftli- 
che Erkenntnisse  wurden  bei  der 
Einweihung  der  von  der  öster- 
reichischen Literarischen  Gesell- 
schaft gestifteten  Erinnerungsta. 
fei  von  Prof.  Dr.  Erwin  Ringel, 
einem  seiner  ehemaligen  Schü- 
ler, gewürdigt.  Die  Stadtverwal- 
tung Wien  war  durch  Vizebürger- 
meister Gertrude  Sandner  ver- 
treten. 


Prof.  Dr.  Emanuel  Klaffen 
gestorben 

Im  Alter  von  78  Jahren  starb 
nach  langer  Krankheit  im  Kran- 
kenhaus von  New  Rochelle  Pro- 
fessor Dr.  med.  Emanuel  M. 
Klaften,  der  1939  aus  seiner 
österreichischen  Heimat  nach 
Amerika  gekommen  war  und  in 
Larchmont,  N.  Y.  lebte.  Er  hatte 
in  Wien  Medizin  studiert,  dort 
auch  promoviert  und  war  dann 
als  Professor  für  Gynäkologie, 
Geburtshilfe  und  allgemeine 
Chirurgie  an  der  Universität  tä- 
tig; zugleich  amtierte  er  als 
Chefarzt  für  Gynäkologie  und 
Geburtshilfe  an  der  Frauenkli- 
nik der  Universität  und  am  Ma- 
riahilferspital.  In  den  Vereinig- 
ten Staaten  praktizierte  er  als 
Frauenarzt  und  entfaltete  eine 
reiche  Tätigkeit  auf  medizinisch- 
wissenschaftlichem Gebiet,  wo- 
von mehr  als  zweihundert  Ver- 
öffentlichungen in  Fachzeit- 
schriften und  Handbüchern 
Zeugnis  ablegen.  Er  war  der  Er- 
finder des  Kolpolaparoskops,  das 
heisst  eines  Hilfsgeräts  zur  Licht- 
diagnose und  Direktbetrachtung 
des  Beckenbauchraumes. 

Im  vorigen  Jahre  hatte  Dr. 
Klaften  sein  goldenes  Promo- 
tionsjubiläum feiern  können;  zu 
diesem  Anlass  wurde  er  zum  Eh- 
renmitglied der  Wiener  Ärzte- 
gesellschaft ernannt,  —  eine  Eh- 
rung, die  vor  ihm  nur  Siegmund 
Freud  widerfahren  war. 


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Hannah  Weber-Sachs 
gestorben 

In  Chicago  verschied  die  aus 
Berlin  gebürtige  Malerin  und 
Bildhauerin  Hannah  Weber- 
Sachs,  deren  Arbeiten  bereits 
während  der  Studienjahre  der 
Künstlerin  in  Berlin  und  später 
auch  in  führenden  amerikani- 
schen Kunstinstituten  gezeigt 
wurden.  Zu  den  Lehrern  der  Ma- 
lerin an  der  Preussischen  Kunst- 
hochscliule     zählten     Grossmann 


Lotte  Stein  wurde 
Staatsschauspielerin" 

Lotte  Stein,  seit  sechzehn  Jah- 
ren Mitglied  des  Städtischen  En- 
sembles von  Westberlin  (Schil- 
lertheater, Schlossparktheater 
und  Werkstatt),  wurde  zur 
Staatsschauspielerin  ernannt. 
Sie  spielte  während  der  golde- 
nen zwanziger  Jahre  bei  Viktor 
Barnowsky,  bei  Heinz  Hilpert 
und  bei  Max  Reinhardt.  Der 
deutsche  Stummfilm  trug  ihren 
Namen  auch  ins  Ausland,  wo  sie 
in  "Zuflucht"  mit  Henny  Porten 
und  Franz  Lederer  bekannt  ge- 
worden ist. 

Als  der  Leiter  der  Berliner 
Festspiele  1932  die  Direktion  des 
Prager  Deutschen  Theaters  über- 
nahm, holte  er  Lotte  Stein  für 
sein  Ensemble.  Dank  ihrer  Viel- 
seitigkeit zwischen  Humor  und 
Tragik,  ihrer  zündenden  Schlag- 
kraft der  Charakterisierung 
wurde  sie  ein  Liebling  des  Pu- 
blikums und  der  Kritik.  In  Prag 
heiratete  sie  den  Maler  Maxim 
Kopf,  der  wie  Gauguin  dreimal 
auf  Tahiti  gewesen  und  zum 
Porträtisten  der  dortigen  Einge- 
borenen und  Landschaften  ge- 
worden war.  Von  Kopf,  der  mit 
ihr  im  Kriege  nach  den  USA  emi- 
grierte, gibt  es  zwei  grossartige 
Gemälde  von  Lotte  Stein. 

In  New  York  spielte  Lotte 
Stein  unter  der  Regie  Berthold 
Viertels  in  Brecht-Einaktern;  in 
Hollywood-Filmen  sah  man  sie 
als  Partnerin  von  Gary  Cooper, 
Ehjuglas  Fairbanks  jr.,  Betty 
Grable    und   Barbara   Stanwyck. 


Lotte   Stein 

Nach  dem  Gemälde  ihres  Gatten 

Maxim   Kopf 

Nach  ihrer  Heimkehr  nach  Ber- 
lin, spielte  sie  unter  anderem  in 
Hasenclevers:  "Ein  besserer 
Herr"  und  als  Klatschkolumni- 
stin  in  "Der  beste  Mann"  von 
Gore  Vidal.  Erwähnt  sei  noch, 
dass  sie  an  den  Ruhrfestspielen 
in  "Nathan  dem  Weisen"  mit 
Ernst  Deutsch  als  Da  ja  zu  sehen 
war  und  dass  sie,  nachdem  sie 
in  der  Fritz  Kortner-Tournee  mit 
Strindbergs  "Vater"  auch  das 
Schweizer  Publikum  begeistert 
hatte,  von  Leopold  Lindtberg 
für  seine  Inszenierung  von  Go- 
gols "Revisor"  als  Frau  Stadt- 
hauptmann ans  Schauspielhaus 
Zürich  geholt  worden  ist. 

Franz  Glaser 


Sind  Sie  schon 

ein  Lufthansa 
Selbstfahrer? 


Selbstfahrer  sind  keine  Gruppenreisenden.  Das  sind 
Urlauber,  die  nach  der  Landung  drüben  das  Steuer  in  die 
Hand  nehmen  und  ihren  eigenen  Kurs  festlegen. 

Wenn  Sie  ein  Selbstfahrer  sind,  dann  sollten  Sie  die 
Lufthansa  bitten,  für  Sie  bei  der  Ankunft  einen  Mietwagen 
abfahrtbereitzuhalten. 

Und  Lufthansa  bietet  bei  jedem  Flug  eine  Verbindung 
von  hervorragendem  Kundendienst  und  günstigen  Preisen— 
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Reisebüro  wird  es  Ihnen  bestätigen.  Fragen  Sie  ihn  auch  nach 
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Hin-  und  Rückflugpreise  Economy  Klasse 
New  York-Frankfurt 


und  Sandkohl,  im  Modellieren 
Kolbe  und  Hauschild.  Grö.sste 
Anregung  verdankte  sie  Profes- 
sor Walter  Campmann  von  der 
Textilfachschule  in  Berlin,  vor 
allem  auf  dem  Gebiet  von  Ent- 
würfen, die  abstrakte  Ideen  für 
Werbung  verblendeten. 

Hannali    Weber-Sachs,     eigene 
und  eigenwillige  Meinungen  und 
Ideen      rückhaltJas      vertretend, 
war    eine    Künstlerin    mit   stark 
ausgesprochenen  Zu-  und  Abnei- 
gungen. In  ihrem  Heim  war  man 
von  Gemälden  umgeben,  die  den 
allmählichen  Übergang  der  Ma- 
lerin   vom    Realismus    zum    Ab- 
strakten veranschaulichten.  Auf 
Regalen  standen  ihre  prächtigen 
Keramikvasen  und  -gefässe, 

Sie  war  mit  dem  früher  in  Ber- 
lin tätigen  Internisten  Dr.  Erich 
Sachs  verheiratet  und  hinter- 
lä^sst  eine  Tochter  und  einen 
Sohn,  die  als  Professoren  an 
amerikanischen  Hochschulen  un- 
terrichten. 

Gertrude  D.  Schwerin 


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*ft30  Woch«n«ndzutchlag  In  )«d*r  Richtung) 


Uri  Thema!  von  Berlin 
nach  London 

Nach  zweijähriger  Tätigkeit 
als  Rabbiner  bei  der  Berliner  Jü- 
dischen Gemeinde  verabschie- 
dete sich  Uri  Themal  vom  Regie- 
renden Bürgermeister,  um  in 
England  künftig  als  Senior-Rab- 
biner vier  Gemeinden  zu  be- 
treuen. 

Der  gebürtige  Berliner,  dreissig 
Jahre  alt,  erfreute  sich  während 
seiner  Amtszeit  grosser  Beliebt- 


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heit,  vor  allem  bei  jungen  Men- 
schen. Ihm  war  es  zu  verdan- 
ken, dass  wieder  ein  speziel- 
les Gebetbuch  für  Jugend- 
Gottesdienste  in  den  deutschen 
jüdischen  Gemeinden  erscheinen 
konnte.  Seine  Kurse  innerhalb 
der  Jüdischen  Volkshochschule 
Berlin  waren  aus.se  rord  entlieh 
stark  besucht.  Er  legte  Wert  dar- 
auf, jüdisches  Gedankengut  auch 
ausserhalb  der  Gemeindearbeit 
zu  popularisieren,  und  förderte 
die  christlich-jüdische  Verstän- 
|digung  durch  zahlreiche  Ge- 
spräche. 

Themal  war  eine  sehr  kontakt- 
freudige Persönlichkeit,  so  dass 
weite  Kreise  seinen  Weggang  be- 
dauern, über  die  Nachfolge- 
schaft ist  noch  keine  Entschei- 
dung gefallen.  Bevor  Themal 
seine  neue  Aufgabe  in  England 
übernimmt,  wird  er  in  Israel 
seine  Reservedienstplhcht  in  der 
Armee  erfüllen.  H.E. 


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Hans  Steinitz,  Editor 
Ludvfig  Wronkow.  Executive  Editor 

John  M.   Haroid,   Advtrtising   Manogor 
Walter  Isaoc,  Circulation  Manager 

Werner   D.   Wohl,    Promotion    Manager 

^ard  of  Directors 

Dr.   Norbert  Goldenberg, 

Prmnident  and  Publisher 

Hellmuth    Kohn,    Chairman 

Michael   Schnaittccher,   Treosurw 

Jerry  Brunei!,  Elsie  Frank, 

Of'recfors 


Manfred    George,   Editor    1939-1965 
Ludwig    Lowenstein,    President    1952     196B 

Re«.  U.S.  Pat.  Off    No    422, CTl. 

PublisheO  <*eekly   by   N«w   World  Club     Inc. 

Copyright    1971    by    New   World    Club,    Inc. 

Type   set   by   West    End   Prinling   Corp. 

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Pages    16-1' 


Nr.  4 


MB 


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BLICK  in  die  WELT 

RÜSSLAND  IN  DER  „DRITTIN  WELT" 


Januar  1966 


An  dieser  Stelle  wurde  vor  kur- 
zem (MB  Nr.  2  vom  14.1.1966)  in 
einem  Aufsatz  über  „Abdul  Nassers 
Ägypten"  auf  die  Behauptung  des 
englischen  Journalisten  Peter  Mans« 
field  hingewiesen,  Chruschtschow 
habe  den  Ägyptern  bei  seinem  Be- 
such im  Jahre  1964  deutlich  ge- 
macht, er  wünsche  nicht  eine  Li- 
quidation Israels.  Ehese  Bemerkimg 
fügt  sich  in  die  allgemeine  Proble- 
matik ein,  die  Russlands  Stellung 
in  der  sogenannten  „Dritten  Welt" 
charakterisiert.  Am  31.  Dezember 
1963  sandte  die  russische  Regienmg 
an  über  100  Regienmgen  eine  Bot- 
schaft, in  welcher  vorgeschlagen 
wurde,  dass  ein  weltweites  Abkom- 
men zur  Verurteilung  der  Anwen- 
dung von  Gewalt  bei  der  Lösung 
territorialer  Konflikte  abgeschlos- 
sen werden  solle.  In  der  Botschaft 
Chruschtschows  wurden  jedoch  so- 
genannte „nationale  Befreiungs- 
kämpfe"  ausgenommen,  d.h.  Auf- 
ruhr oder  Infiltration  in  kolonialen 
oder  prowestlichen  Gebieten.  Diese 
Aktion  war  von  der  Sorge  be- 
stimmt, dass  durch  einen  Ueber- 
fall  seitens  eines  mit  sowjetischen 
Waffen  ausgerüsteten  Staates  auf 
ein  prowestliches  Land  ein  Konflikt 
grossen  Ausmasses  ausgelöst  wer- 
den könnte,  der  für  Russland  un- 
erwünscht wäre.  Solche  Waffen  wa- 
ren seitens  Russlands  an  verschie- 
dene Länder  auf  Kredit  geliefert 
worden,  so  in  das  südostasiatische 
Inselgebiet,  nach  Afrika  und  in  den 
Nahen  Osten. 

Die  Botschaft  Moskaus  hatte  je- 
doch nicht  den  gewünschten  Erfolg. 
Bereits  im  Februar  1964  erklärten 
Präsident  Nasser  und  der  syrische 
Ministerpräsident  Hafez,  dass  der 
arabisch-israelische  Konflikt  nicht 
zu  der  Gruppe  gehöre,  die  auf 
friedlichem  Wege  zu  lösen  seien. 
Als  dann  Chruschtschow  im  Mai 
Kairo  besuchte,  hielt  er  eine  Rede, 
In  der  er  in  versteckter  Form  vor 
einer  solchen  Auffassimg  warnte, 
worauf  Mansfield  anspielte.  Er  sag- 
te damals,  Russland  „gäbe  Waffen 
zur  Verteidigung  der  Freiheit  und 
nicht  für  einen  Angriff  auf  andere 
Länder".  Bei  einer  anderen  Gele- 
genheit jedoch  schwächte  er,  im- 
provisiert, diese  Warnung  ab,  indem 
er  sagte:  „Mit  den  Waffen  wird  es 
keine  Schwierigkeiten  geben,  wenn 
sie  benötigt  werden.  Es  ist  besser, 
gute  Waffen  zu  haben,  damit  unse- 
re Feinde  davon  wissen  und  uns 
nicht  zwingen,  sie  zu  gebrauchen." 
Diese  auf  Popularität  bei  den  ägyp- 
tischen Zuhörern  berechneten  Wor- 
te wurden  jedoch  binnen  24  Stun- 
den von  Radio  Moskau  durch  einen 
hinzugefügten  Satz  eingeschränkt, 
der  Chruschtschow  in  den  Mund 
gelegt  wurde:  ,,Mit  den  Waffen  wird 
es  keine  Verzögerung  geben,  falls 
es  notwendig  werden  sollte,  Aggres- 
soren zurückzuschlagen."  Das  ist 
Ü£«and(Pres,    es^^iet    die 


müssen.  Darüber  äusserte  sich  dann 
einen  guten  Monat  später,   am   15. 
Juni,  das  Moskauer  Radio  in  einer 
arabischen     Sendung,     in     welcher 
Chruschtschows  Rede  in  Port  Said 
in  revidierter  Form  enthalten  war. 
Dort     hiess     es:     „Premierminister 
Chruschtschow     sagte ...     in     Port 
Said . . .,    eine    vernünftige    Lösung 
mit   friedlichen   Mitteln   müsse   für 
diese   Konflikte  einschliesslich   der- 
jenigen   zwischen    Israel    und    den 
benachbarten  Ländern  gefunden  wer- 
den." Das  war  also  eine  völlig  ein- 
deutige  Zurückweisung   des   ägypti- 
schen  bzw.    arabischen    Standpunk- 
tes,   dass    der    Konflikt    mit    Israel 
zu  jener  Gruppe  „nationaler  Befrei- 
ungskämpfe" zu  zählen  ist,  bei  de- 
nen seitens  Russlands  die  Möglich- 
keit   der    Anwendung    von    Gewalt 
gebilligt    wird.    Die    ägyptische    Re- 
gierung   reagierte    denn    auch    mit 
einer  Erklärung,  die  sich  gegen  die 
russische  Haltung  wandte.  Sie  sag- 
te  nach   einem   Bericht   der    „New 
York     Times"     hierüber,     manche 
Mächte  —  nämlich   der   Westen  — 
„besitzen  Flotten  auf  dem  Meer  in 
unserer  Nähe  und  Stützpunkte,  die 
eine   unmittelbare   Auswirkung    auf 
Kämpfe    haben    und    in    kritischen 
Augenblicken   den   Ausschlag   geben 
können".  Demgegenüber  sei  es  eine 
andere  Macht  —  d.h.  Russland  — , 
die   „das  Zeitalter,   in  dem  wir   le- 
ben", widerspiegelt,  das  ,, unter  dem 
Druck     des     atomaren     Schreckens 
steht  und  viele  den  Frieden  herbei- 
wünschen lässt,  auch  wenn  er  nicht 
auf  Gerechtigkeit   beruht". 

Diese  Auseinandersetzung  zwij 
sehen  Russland  und  Ägypten  is 
naturgemäss  für  uns  von  ganz  u' 
mittelbarem,  ja  lebenswichtigem  In- 
teresse. Darüber  hinaus  aber  zeigt, 
sie  in  beispielhafter  Form  die  Pro- 
blematik der  russischen  Politik  in- 
nerhalb der  „Dritten  Welt".  Ihre 
Grundtendenz  geht  dahin.  In  einem 
Zustand  des  atomaren  Gleichge- 
wichts sich  allmählich  in  der  Welt 
dadurch  ein  Uebergewicht  zu  ver- 
schaffen, dass  Russland  seinen  Ein- 
fluss  auf  den  Teil  des  Erdballs 
ausdehnt,  wo  sich  die  bewaffneten 
Kräfte  von  Ost  und  West  nicht  un- 
mittelbar nahe  gegenüberstehen;  das 
sind  vor  allem  die  südlichen  Teile 
des  Erdballs.  Die  Schwierigkeit  da- 
bei liegt  darin,  dass  zwischen  den 
Ländern  dieser  „Dritten  We.t"  selbst 
Gegensätze  bestehen,  die  zu  Kriegen 
führen  können,  deren  Ausweitung 
zu  einem  grossen  Kriege  von  Russ- 
land gefürchtet  wird.  So  besteht  die 
Aufgabe,  die  radikalen  Elemente 
im  Zaum  zu  halten,  obwohl  gleich- 
zeitig durch  das  Einströmen  nissi- 
scher Waffen  in  die  „Dritte  Welt" 
eine  Zurückdrängung  des  westli- 
chen  Einflusses   erstrebt   wird. 

Hinzu    kommt,    dass    in    diesem 
Teil  der  Welt  der  chinesische  Kotl 

»"«»lt.    12 


darauf    abzielt, 

haupt  abzuhaltejj 

reagieren,  bei  cj 

le    Befreiungsgel 

der  „Dritten  WeJ 

schreitet.    Dies 

den  Versuch  zu 

sechste    bzw.    siel 

Vereinigten   Staat.j 

bzw.  im  PazifiscJJ 

Ozean  nicht  einj 

fem    in   einemi 

lokaler  Konfli^ 

w jetischen    I^ 

mühen   sich, 

wecken,  Rusfj 

se  Risiken 

sten     in     a 

eingreift. 

Ausweitui] 

mehr    füi 

nur  no'i 

der   V^ 

Westfi 

jekt^ 

übei 

den 

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den 

sehe 

flikt 

würde. 

gangene^ 

InfanterJ 


Sl 

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MB  —  28.  Jan  ^iL  1966 


(. 


/^-^ 


Nr.  4 


^JÄ 


^g|fej 


it"    bei    ihrer 

^nkten      prakti- 

für  ihr  Amt 


auf    den    Vor- 
die    Ernen- 
^eaver  zum 
rtts  der  Ver- 
zeigt sich 
;hickte  tak- 
Präsident 
ient  Ken- 
lung  zu- 
,Wider- 
lieder 
)hn- 
im 
Re- 
Tchaf- 
Zeit 
Teger- 
fAngeb- 
andere 
{sen  Po- 
[gezogen. 
lann   für 
md     die 
?teht  be- 
Spitze 
'inan- 
■  Kern 


diesem    Gebiete    wird    sich    die 
grösste    Schwierigkeit    für   das 
neue    Amt    und    seinen    Leiter 
ergeben.     Dabei     kann      nicht 
daran    vergessen    werden,    dass 
gegen  ihn  vor  allem  von  selten 
der  weissen  Bürgermeister  auch 
weiterhin    opponiert    wird,    so- 
wohl   weil    diese    zum    grossen 
Teil    gegen    die    Uebertragung 
des  Amtes  an  einen  Neger  ein- 
gestellt  sind,   wie   auch   da   sie 
gewünscht     hatten,     dass     eine 
Persönlichkeit  aus  der  Munizi- 
palverwaltung    damit     betraut 
worden  wäre,  die  nicht  eine  so 


'■■'■"U'.-.-- '■(■'' 


^^'•V 


spezielle  Beziehung  zum  Woh- 
nungsproblem besitzt.  In  jedem 
Falle  ist  der  Schritt  des  Präsi- 
denten von  weittragender  Be- 
deutung, sowohl  was  die  Stel- 
lung der  amerikanischen  Neger 
anbelangt,  wie  auch  im  Zusam- 
menhang mit  der  Tatsache, 
dass  eine  umfassende  Planung 
und  entsprechende  Finanzie- 
rung in  der  Entwicklung  der 
amerikanischen  Grosstädte  der 
Hebel  zur  Bekämpfung  der  tief- 
gehenden sozialen  Misstände 
ist,  die  die  reiche  amerikani- 
sche   Gesellschaft    verunzieren. 

-t.  -n. 


Dr.  KURT  BALi-KADURI   75   JAHRE   ALT 


)r- 
ih- 
)tei- 
soge- 
ictions 
sollen, 
iie   Ar- 
id bis- 
jrungs- 
pan   de- 
'Shriver 
jem  auch 
len  Frie- 
fnt  John- 
Frage 
itschei- 

jhsten 
;ue 


Dr.  Kurt  Ball-Kaduri,  der  in  die- 
sen  Tagen    von    Freunden    im    In- 
iind    Ausland    zu    seinem    75.    Ge- 
burtstag beglückwünscht  wurde,  ent- 
stammt einer  alten,  in  Deutschland 
verwurzelten  Famüie.  Im  Gegensatz 
zu  jenen,  die  als  Ergebnis  des  As- 
similationsprozesses    die     jüdische 
Selbstauflösung  erstrebten,  war  das 
jüdische    Bewusstsein   bei    der    Fa- 
müie Balls  immer  lebendig  geblie- 
ben.  Symbol  und  zugleich  sichtba- 
res   Zentrum    dieses    Bewusstseins 
war  das  „Calauer  Judenhaus",  das 
der    Grossvater,    Meyer    Ball,    im 
Jahre   1825   im  Städtchen  Calau   in 
der    Niederlausitz    erworben    hatte 
und  das,  später  nicht  mehr  ständig 
bewohnt,   bis    1938    drei   Generatio- 
nen der  Familie  Ball  als  Treffpunkt 
diente.  Hierüber  hat  Dr.  Ball-Kaduri 
im  ersten  Teil  seines  Buches   „Jü- 
disches Leben  —  ernst  und  jetzt" 
^vnschaulich,  mit  Humor  \md  Wär- 
le    berichtet.     (Ner    Tamid     Ver- 
Ig,    1961.) 
Aus  solch  deutsch-jüdischem  Mi- 
•  lieu  stammend,  hatte  er  wohl  we- 
nig Berührung  mit  dem  Zionismus. 
Aber    schon   vor    1933   erkannte   er 
die   Problematik   der   jüdischen   Si- 
»tuation    in    Deutschland.    Der    ehe- 
5  malige    Regierungsrat     im    Reichs- 
1  finanzministerium,    spätere    Privat- 
dozent  und   Rechtsanwalt   war   be- 
reit, aus  seinen  Einsichten  die  Kon- 
sequenzen zu  ziehen.  Seit  1933  stand 
es  bei  ihm  fest,  dass  als  Auswan- 
denmgsland  für  ihn,  seine  Frau  und 
seine  beiden  Söhne  nur  Erez  Israel 
in   Frage   kam.   Ueber    seinen   Weg 
zimi  Zionismus  erzählt  er  in  seinem 
1963   erschienenen   Buch:    „Das   Le- 
ben  der  Juden  m  Deutschland  im 
Jahre  1933  —  ein  Zeitbericht"  (Eu- 
ropäische   Verlagsanstalt    Frankfurt 
am   Main). 

Bis  1938,  dem  Jahr  seiner  Aus- 
wanderung, stellte  er  sich  ganz  in 
den  Dienst  der  jüdischen  Sache.  Er 
wurde  einer   der   aktiven  Mitarbei- 


ter der  Berliner  Zionistischen  Ver- 
einigung und  stellte  seine  bemer- 
kenswerten steuerrechtlichen  Keimt- 
nisse  der  „Reichsvertretung  der  Ju- 
den in  Deutschland"  zur  Verfügimg. 

Geduldig    fügte    sich    Dr.    Ball- 
Kaduri    in    die    für    ihn    wie    an- 
fangs  für   die   meisten   nach   ihrer 
Auswanderung   schweren  Bedingun- 
gen der  neuen  Heimat.  Trotz  har- 
ten Existenzkampfes   und  mancher 
Sorgen  trieb  ihn  sein  reger  Geist, 
sich  mit  einem  „Hobby"  zu  beschäf- 
tigen, das  bald  zimi  bestimmenden 
Inhalt   seines   Schaffens   wurde.   — 
Der  Jurist  entwickelte  eine  Neigung 
zur  Erforschung  der  Zeitgeschichte 
imd    sammelte    aus    eigener    Initia- 
tive  von   1944  ab   über   100   Augen- 
zeugenberichte von  Persönlichkeiten, 
die   in  der   Nazizeit  eine   Funktion 
im   öffentlich-jüdischen   Leben   aus- 
geübt hatten.  Mit  dieser  Sammlimg 
„Was  nicht  in  den  Archiven  steht" 
die  später,  1953,  von  Yad  Wäschern 
als  fester  Bestandteil  übernommen 
wurde,    versuchte    Dr.    Ball-Keidurl 
die   grossen  Ereignisse  der  Verfol- 
gungszeit  aus   der   Perspektive  des 
einzelnen  Opfers  zu  rekonstruieren. 
Die   persörüichen    Erfahrungen    des 
Einzelnen  sind  zweifellos  dazu  an- 
getan,   der   Zeitgeschichte   eine   be- 
sondere,   private    imd    menschliche 
Note  zu  geben.  Die  Gelehrten  mö- 
gen sich  darüber  streiten,   welcher 
geschichtlich-wissenchaftliche     Wert 
solchen  Berichten  zukommt.  Tatsa- 
che ist,   dass   ohne   die  unermüdli- 
che Energie  Ball-Kaduris   diese  in- 
teressanten   und    aufschlussreichen. 
Berichte  wohl  nie  verfasst  wordea 
wären. 

Der  noch  jugendliche  Fünfund- 
siebzig jährige  setzt  seine  Arbeit  mit 
imgebrochener  Energie  fort.  Alle, 
die  ihn  kennen,  wünschen  ihm  noch 
viele  Jahre  erfolgreichen  Schaffens, 
aber  auch  wohlverdiente  Ruhe  und 
glückliche  Entspannung  im  Kreise 
seiner  Familie. 

Dr.  ANN!  SAMUELSDORFF 


RUSSLAND  IN  DER  ,,DRITTiN  WELT" 


:l^ 


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9*. 

P 

PQ 


Zum  Tode  von  Maurice  Feldman 


Professor  Maurice  Feldman,  der 
aus  Wien  gebürtige  Wirtschaftsjour- 
nalist und  Public  Relations-Berater, 
ist  nach  langer  Krankheit  in  New 
York  im  Alter  von  66  Jahren  ver- 
storben. Feldman,  Sohn  eines  Wie- 
ner Industriellen,  interessierte  sich 
schon  in  seiner  Jugend  für  Journa- 
lismus; er  war  erst  15,  als  er  für  die 


Feldman  war  Träger  vieler  Aus- 
zeichnungen: im  Jahr  1974  wurde 
ihm  vom  österreichischen  Prüsiden- 
ten  der  Ehrentitel  eines  Professors 
verliehen,  und  er  war  auch  Träger 


-Washington  Post",  "Business 
Week".  "Time*'.  "Newsweek"  und, 
nicht  zuletzt.  -Aufbau",  mit  dem 
er  viele  Jahre  lang  herzliche  und 
ungetrübte  persi>nliche  Beziehungen 
unterhielt.  Als  Gastprofessor  unter- 
richtete er  auch  regelmässig  an  der 


Alois  Melichar  gestorben 


verliehen,  und  er  war  auch    "  rager  |  ^^^^^j^,,^j^^^^,j^^^,|^^,,^.  ^,    Gallen 
des    Grossen    Goldenen    threnzei- 1  .  •.     ♦•  i, 

chens   des    l.andes    Wien    und    der  |      Bei  der  Trauert eier  im  "hertui - 
Burgenländischen    Landesregierung. ;  tcn  Tempel  bmanu-hl  sprachen  d. 
Seine  Beiträge  sind  in  vielen  ame- 1  Rabbiner    des   Tc-^^P-;^^^^./^^^'^"    ^l'' 
iismus,  ci  wai  t.3i  .^,  ^.-> -..>-■  --    ril'.nk-h.Mi     Zeiluncen     und     Zeit-  österreichische    Botschafter    Janko- 

zum  volkswirtschaftlichen  Redak- 
teur des  "Tag"  ernannt,  seinerzeit 
der  jüngste  volkswirtschaftliche  Re- 
dakteur Österreichs 


Im  Jahre  1938  musste  Feldmafl 
Österreich  verlassen  und  fand  zu- 
nächst Unterschlupf  in  Schweden. 
Im  Herbst  1939  kam  er  nach  Ame 


-^ 


kurt  Ball-Kaduri  gestorben 


Zu  Beginn  dieses  Jahres  hatte 
-Aufbau"  noch  den  85.  Geburtstag 
von  Dr.  Kurt  Jacob  Ball-Kaduri  in 
Tel  Aviv  mitgeteilt  und  dem  Jubilar 


rika.  wurde  Mitarbeiter  von  King :  Glückwünsche  ausgedruckt:  jeizi 
Features  Syndicate  und  Sonderbe- 1  erreichte  uns  die  Nachricht  von  sei- 
richterstatter  für  den  -Christian  j  ncm  Ableben.  Der  gebürtige  Berli- 
Science  Monitor".  1942  trat  er  in  ^  ner  hat  in  sein  arbeitsreiches  ausge- 
die  amerikanische  Luftwaffe  ein:  fülltes  Dasein  zwei  komplett  ver- 
die  Kriegszeit  verbrachte  er  in  Pa-  schiedene  Karrieren  emschliessen 
nama.  Drei  Tage  nach  seiner  Ent-  können:  zuerst  als  Jurist,  Speziahst 
lassung  aus  der  Luftwaffe,  eröff- 1  für  Steuerrecht.  Referent  im 
nete  Feldman  sein  eigenes  Public  ^  Reichsfinanzministerium.  Rechtsan- 
Relations-Büro  auf  der  New  Yorker  iwalt  und  Professor  an  der  Berliner 


Fifth  Avenue.  In  kürzester  Zeit  be 
treute   er    viele    wichtige    Klienten, 
darunter     Industriefirmen.     Impor- 
teure,    kalifornische     Winzer     und 
Künstler. 

Sehr  bald  etablierte  er  auch  sei- 
nen Ruf  als  überzeugender  Anwalt, ^^ _......  -.      - 

der  österreichischen  Interessen  in  '  riker  des  deutschen  Judentums  und 
der  amerikanischen  Öffentlichkeit. ,  später  zum  Historiker  des  Holo- 
Er  trug  massgeblich  zur  Festigung  causts:  Yad  Washem,  die  emzigar- 
des  Vertrauensverhältnisses  zwi-  tige  Gedenkstatte  in  Jerusalem  tur 
sehen  Amerika  und  Österreich  bei.  |  die  jüdischen  Opfer  der  Hitlerjahre, 
Feldman  nahm  auch  die  Interessen  geht  auf  eine  Anregung  (und  pri- 
der  Gemeinde  Wien  in  Amerika  jvate  Dokumentensammlung)  von 
wahr  Eine  weitere  grosse  Liebe  galt  Ball-Kaduri  zurück, 
der  Kunst.  Zu  den  vielen  Künstlern, ,  Sorgsam  zusammengetragene  Do- 
die  von  ihm  publizistisch  betreut ,  kumente,  Briefe,  amtliche  Todeser- 
wurden,  zählten  neben  Irmgard  See- ,  klärungen.  Zeugenaussagen  usw. 
fried   und   Wolfgang   Schneiderhan  wurden  von  ihm  verarbeitet  und  in 


Handelshochschule,  und  nach  1933, 
seines  Lehrstuhls  beraubt,  als  Fi- 
nanzexperte der  Reichsvertretung 
der  Juden  in  Deutschland.  Nach 
seiner    Auswanderung     begann    er 

bald    eine    neue    Berufung    in    sich    ^^.     _  .    ,    ,  ,    ^1,4^,1 

zu  entdecken:  er  wurde  zum  Histo     Mit  94  Jahren  nOCh  aktlV! 


gekommen,  die  illegale  Alijah  aus 
Hitlerdeutschland  nach  Palästina 
wurde  von  ihm  beschrieben,  er  ver- 
öffentlichte Dokumente  über  die 
zwiespältige  Hallung  der  deutschen 
Reichswehr  zur  Judenfrage  und 
legte  vor  allem  auch  zahlreiche  ge- 
schichtliche Darstellungen  zur  Ge- 
schichte des  Judentums  vor  und 
während  der  Katastrophe  vor.  Bü- 
cher und  Zeitschriftenaufsätze  in 
grosser  Zahl,  auch  viele  Beiträge  im 
-Aufbau",  bezeugten  seine  hohen 
beruflichen  Qualifikationen.  J;ihre- 
lang  Assistent  im  Yad  Washem,  un- 
ermüdlich als  Forscher  und  Autor, 
hat  ihm  der  Tod  nunmehr  die  Feder 
aus  der  Hand  genommen. 

H.  St. 


In  München  verschied  ganz 
plötzlich  Alois  Melichar.  Professor 
der  Musikwissenschaft,  Komponist, 
ehemaliger  Dirigent  der  Berliner 
Philharmoniker,  des  .  Salzburger 
Mozarteum  Orchesters  und  des 
Deutschen  Grammophonorchesters 
und  Autor  mehrerer  vielgelesener 
Bücher  (-Musik  in  der  Zwangs- 
jacke". -Schönberg  und  die  Fol- 
gen", -Die  unteilbare  Musik"  u.v.a). 

Alois  Melichar  ist  den  Lesern  des 
-Aufbau"  kein  Unbekannter.  1953 
widmete  der  -Aufbau"  unter  dem 
Titel  "Ein  mutiger  Kämpfer"  dem 
damals  Fünfzigjährigen  einen  län- 
geren Artikel,  aus  dem  folgende 
Stelle  wiederholt  zu  werden  ver- 
dient: -Am  Tage  nach  der  Macht- 
ergreifung Hitlers,  die  Berlin  mit  ei- 
nem Schlag  in  ein  tVindliches  Heer-   ^it...wMv..w ."-o   -- 

lagTrverwtndelte,  betrat  Alois  Me-Ichen    Kultur-   und    Musiklebens  zu 
lichar.   Dirigent   der   Berliner   Phil- '  fordern. 

harmoniker.   das  Studio  der   Deut- j       1953    vollendete    Melichar    seine 
sehen         Grammophongesellschaft.  |  ^.antäte     für     vier     Solostimmen, 


Chor-  und  Orchestermitglieder,  y/ow 
denen  manche  zum  ersten  Mal  im 
Braunhemd  erschienen  waren.  Der 
Zufall  wollte  es,  dass  das  Aufnah- 
meprogramm an  diesem  Tage  fol- 
gende Musikstücke  vorsah:  die  Arie 
des  Eleazar  aus  Halevys  "Jüdin" 
und  die  akkompagnierende  Chor- 
musik -Jehova,  rette  Israel!",  mit 
Franz  Völker.  Parteiabzeichen  im 
Knopfloch,  als  Solist.  Melichar 
klopfte  mit  dem  Taktstock  ans  Pult 
und  sagte  mit  provozierendem  Un- 
terton: -Darf  ich  bitten,  meine  Her- 
ren, wir  fangen  an.  Als  erstes  "Je- 
hova. rette  Israel!" 

Nach  Liquidierung  der  Hitlerei 
zögerte  Melichar  keinen  Augen- 
blick, den  Kampf  wieder  aufzuneh- 
men und  in  Wort  und  Schrift  eine 
gründliche   Säuberung  des  öffentli- 


Seine  übliche  Begrüssung:  "Guten 
Morgen,  meine  Herren!"  wurde  teils 
mit  eisigem  Schweigen,  teils  mit 
Verwunderung  aufgenommen,  -je 
nach    der    Parteizugehörigkeit    der 


auch  Paul  Hindemith,  Karl  Böhm. 
Christa  Ludwig,  Walter  Berry,  Jan 
Peerce  und  viele  andere. 


Veröffentlichungen  zusammenge- 
stellt: die  Hintergründe  der  "Kri- 
stallnacht" sind  durch  ihn  ans  Licht 


"l'--;-  v- :? 


"T»'' 


'^^".:-~.-"Jilr£H^" 


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Mit  94  Jahren,  die  sie  am  22.  Mai 
in  London  vollendet,  jugendlich  le- 
bensvoll   "dabei"    und    für    andere 
-Ja"  —  das  ist  Margarete  Jacoby. 
Einst   in    Deutschland   war   sie,   ur- 
sprüns^lich    Kindergärtnerin    in   Po- 
sen, ehrenamtliche  Bezirksvorstehe- 
rin in   Berlin  sowie  Zweite  Vorsit- 
zende des   Berliner  Verbandes  des 
Jüdischen  Frauenbundes  und  stand 
in  schwerster  Zeit  auch  in  der  für 
Frauen  und  Mädchen  speziell  ein- 
gerichteten       Auswanderungsbera- 
tung des  Hilfsvereins  der  deutschen 
Juden.    Jetzt    ist    sie    unermüdlich 
seit  Jahren  die  Vorsitzende  des  im 
Hannah-iKarminski-Haus    in     Lon- 
don    untergebrachten     AJR-Klubs 
für  jüdische  Flüchtlinge.  Seit  ihrer 
Einwanderung   nach    England   (mit 
ihrem    Mann,    dem    inzwischen    in 
Manchester  verstorbenen  Physiolo- 
gen Professor  Martin  Jacoby,  frü- 
her   am    Krankenhaus    Moabit    in 
Berlin)  ist  Margarete  Jacoby  immer 
sozial  tätig  gewesen.  E.G.L. 

}N\ssen  Ste  schon 

.  .  .  dass  die  Bundesrepublik 
Deutschland  angestrengt  versucht, 
ihren  neuen  "Leopard  Zwei"-Tank, 
mit  dem  die  deutsche  Bundeswehr 
ausgerüstet  ist  und  der  allen  ame- 
rikanischen Modellen  überlegen 
sein  soll,  an  die  Vereinigtne  Staa- 
ten zu  verkaufen  —  und  vielleicht 
auch  damit  Erfolg  haben  wird? 


Erfreuen  Sie  sich 
an  einem  NACH  MASS 


Ehrung  von 
Rudolph  Bloch 

Rudolph  Bloch,  ein  gebürtiger 
Frankfurter,  der  in  Teaneck  (New 
Jersey)  lebt  und  vor  kurzem  seinen 
65.  Geburtstag  feiern  konnte,  wur- 
de von  der  Ortsgruppe  New  Jersey 
der  American  Physical  Therapy 
Association  durch  Ernennung  zum 
"outstanding   physical   therapist   of 


Chor.  Orgel  und  Orchester  "In  ty- 
rannos",  das  als  seine  musikalische 
und  ideologische  Abrechnung  mit 
dem  Dutzendjährigen  Reich,  wie  er 
es  nannte,  anzusehen  ist.  Leonard 
Bernstein  schrieb  damals  über  das 
Werk:  "Faszinierend;  es  verfehlt 
nicht,  uns  zutiefst  aufzuwühlen." 
Der  NichtJude  Melichar  hat  damit 
den  jüdischen  Hitleropfern  ein  un- 
zerstörbares Denkmal  gesetzt,  von 
gewaltigem  Pathos,  eindrucksvoll 
und  unvergesslich. 

Für  die  Münchner  Olympiade 
schrieb  er  einen  Festmarsch,  in  den 
er  sämtliche  Nationalhymnen  ver- 
arbeitete, darunter  auch  die  Hatik- 
wah,   von   ihm   neu   instrumentiert. 


New  Jersey"  geehrt.  Rudolph  Bloch  jg^jj^^  muskalische  Bearbeitung  des 
diente  jahrelang  dem  Mount  Sinai  |  jQj^^j^,^.strauss-Films  "Der  Walzer- 
Hospital    in   New   York   als   Chef- 1  j,  j.jgg-      ^j^s     Chopin-Films     "Ab- 
Therapist  und  wurde  dann  nach  Is- 1  ^chiedswalzer"    und    des    Richard- 
rael   berufen,   um   (1955)  das  erste  |  Wagner-Films  "Bayreuth"  war  ent- 
Rehabilitierungszentrum  für  israeli-  L^^^^i^^n^  f^r  den  fulminanten  Pu- 
sche    Kriegsverwundete    ins    Leben  |  ^nj^^pn^erfolg    dieser    Filme.    Seme 
zu   rufen.    Er   ist   jetzt    in    privater  1,50    Lieder,    die    Bühnenmusik    zu 
Praxis  tätig  und  behandelt  Patien- )  ^e^chvlos'    "Die    Perser",    und    vor 
ten  im  Teaneck  Nursing  Hooie.  alJem    seine    von    ihm    an    Ort    una 

ler.  IUI   israiit^  ^  j.^  ct^ii^     aufgezeichneten     fo  klonsti- 


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seiner  Jugend  in  Frankfurt  war  er 
als  einziger  Jude  in  der  Rennmann- 
schaft   des    Frankfurter    Ruderver- 
eins,   gehörte    der    deutschen    prä- 
olympischen      Auswahlmannschaft 
im  Eishockey  1936  an  (wurde  aber 
natürlich  nicht  genommen!),  wurde 
einmal    Zweiter    in    der   deutschen 
Eis-Schnellaufmeisterschaft         und 
war   Ski-Champion    des    deutschen 
Maccabi.     Ein     echter     all-around 
Sportler,  vertrat  er  Deutschland  aut 
der  Maccabiade  von   1936  in  fünf 
Sportarten:    Eishockey.    Eisschnell- 
lauf. Abfahrt-  und  Slalom-Ski  und 
Ski-Langlauf,  und  wurde  mit  einem 
zweiten  und  einem  dritten  Platz  be- 
lohnt.  Nach   seiner  Auswanderung 
nach  Amerika  diente  er  im  Zweiten 
Weltkrieg   in    den    amerikanischen 
Skitruppen  und  war  25  Jahre  lang 
freiwillig    in    den    Ski-Rettungspa- 
trouillen   seiner   Wahlheimat   tatig. 
Noch  heute  beteiligt  er  sich  gerne 
an  Ski-Wettbewerben. 


menien,    Georgien,   Turkestan   und 
dem  Kaukasus  sind  von  bleibendem 

Wert.  „      ,  ,^ 

Siegfried  Bcrnfeld 


A  Divifion  of  the  New  World  Clwb,  l«c. 

2121  Iroadway,  New  York,  N.Y.  lOOJ» 

Phono:  (2H)  173-7400 

Cablo  Addrett:  Aufbau  New  York 

Hons  Steiniti  Edi/or 

Ludwig  Wronkow     fxecuffve  Fdi/or 

Tino  Von  Eekordt     Asiociofe  Editor 


Robert  Breuer 
Karin  Czerny 
Richard  Yoffe 
Howard  Wi»la 
Walter  Uaac 


Ai«i»fanf  id'i^ort 
Ac/verfiiing  Monoger 
Circu/ofion  Monoger 


Erhöhung  der  deutschen 
Sozialrenten 

Die  deutschen  Sozialrenten,  also 
die  Altersrenten  (aus  der  Angestell- 
tenvcrsicherung  etc.)  in  der  Bundes- 
republik Deutschland,  werden,  wie 
in  Bonn  amtlich  mitgeteilt  wurde, 
ab  1.  Juli  um  11.4  Prozent  erhobt^ 
Diese  Erhöhung  bezieht  sich  jedoch 
nicht  (oder  jedenfalls  vorläufig 
noch  nicht)  auf  die  Wiedergutma- 
chungs  -  Entschädigungsrenten  für 
Berufsschaden,  Gesundheitsschaden 
I  usw. 


Jerry  A.  Brunell 
Werner  A.  Stein 


Prefic/enf  and  Pub/ifher 
Treofvrer  A  C\\oiTmmn, 
"Aufbou"  Commiffee 

EUie  Frank 

Warner  M.  Goldimith 

Werner  Wohl  Comwi»tee    Memberf 

Manfred  George,  Edifor  '939-1965 

Ludwig  Loewenstein,  Presic/enf  1952J9d8 

Michael  Schnaittocher,  Irea^urer  I934^'^72 

Hellmuth  Kohn,  Choirman   1968-1972 

Norbert  Goldenberg,  Prei\deni  I968-J974 

Enlered  as  second-cl.is  matler  J«nuary  30    1J40 
.1  N.Y.   Post  Office  under  Act  »^  W»^}  ''   ^»^^ 

Reg.  U.S.  Pat.  Off.  No   422,891. 
Copyright   1976   by   New  World   Clyb,   Inc. 

One  year  subserlption: 
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Vol.  XLII— No.  20 


May  14.  1976 


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Berliner,  Cora,  181)0-1942? 

Pupers,  ll)()()-5:3.    40  items. 

In  Leo  Bueck  Institute  (.'oUections  (New   \oik  L^ity) 

(^.erman  economist,  teacher,  and  Jewish  communal  leader. 
U^ter  (19;U)  written  })y  iSIiss  Berliner,  hterary  ms.  (U6b), 
articles,  reports,  newspaper  clippings,  and  photos.  In  Ger- 
man  and  En^lish. 

(lift  of  Mrs.  Anna  Berliner,  1962. 


Library  of  Con^'ress 


MS  70-1568 


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er  eine  Üintlausunissanstait.  eine  ßeschärtlguu«,  die  etwas  in 
Spruch  XU  seiner  glitzernden  ünirorn  stand.  Statt  dec  ex>wartoten 
Brief ••  von  ihn  nach  der  neu  angeknüpften  Freundschaft  ertiiolt  ich 
von  meiner  Tante  die  Nachricht,  dad  er  nn  einer  /--nöoiie,  die  Folge 
seiner  Verwundung,  gestorben  \mr.  Als  Ich  meiner  Tante  von  den  unga- 
rischen Würsten  in  den  S  hauferiatem  vor-schwärmte  und  ihr  sagte,  daS 
loh  sohcn  lange  nicht  mehr  ßoviol  Fleiahii  ;:ussnirnen  gesehen  hatte, 
versprach  ßie  mir,  mir  wöchentlich  ein  v  iertel  Pfund,  die  erlaubte 
Sendung,  nach  Bei'lin  zu  schicken.  Von  uh  ^\   wai^en  meine  Ürnährunga- 
aorgen  verflogen.  Doch  brach  V)\<^   auch  meine  Koi^ai,  wie  die  vieler 
anderer, zusammen  und  ich  verschaffte  Mir  geleß^entlioh  /;urst  und 
Fletsfah  von  einem  (ommeröchen  Rittergutsbesitzer.  jAls  ich  nach  Ber- 
lin zurtiokkom,  hatte  sich  die  Milchsituaiion  weiter  verschlechtert. 
Wir  mußten  die  Milchrationen  kUr^en,  Wermuth  hielt  jetzt  regelmäßig 
c* «^^.^..^Ä-  ?-«♦-  A^v.   n.'^ri  inr^r*  r.k5werk:::ichartGn  ab,  in  denen  er  si«  tibsr 


Ol  vSbUni^«««  i-4jk  V  uwi«  ^U4AX^*%.>iL   w 


den  Stand  der  Lebensnittelversor^ung,  die  Ursachen  der  Verabhlech- 
terurgund  seine  Demühunfijen  ^sfe  üu  verbessern,  infomiierte.  Wir  raußten 
1ha  das  neue  Material  zusaiüfiienstellen  und  ilrin  über  den  Stand  der 
Lebensmittelversorgung  regelmäßig  infor:i;le.en. 

In  'l^v   Milchsteile  lernte  ich  einen  der  feinsten  und  p^Utigsten  Men- 
schen kennen,  die  mir  Im  Leben  be^e^^net  sind:  Cora  Berliner.  Sie 
arbeitete  in  der  Schönober^i^er  Lebensmittelversorgung  und  ihr  Stadt- 
rat brachte  sie  häufle;  in  unsere  Voretandssitr/angen  niit.  Sie  stammte 
aus  Hannover,  wo  ihre  Kitern  eine  Handeleschule  mit  Pension  hatten. 
Sie  hatte  in  üoldelberf^  mit  einer  Arbeit  über  dm  Verband  Jüdischer 
Jugendvereine  prorpfcviert,  bei  de«^  sie,  ehe  sie  nnich  Sohöneberg  kam, 
als  nelchssekret^rin  gearbeitet  hatte.  Als  ich  sie  kennenlernte, 
stand  sie  unter  Anklage  wep:en  tfberschreitung  von  Höchstpreisen.  Sie 


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h&tta  im  AuftrRR  aefe  Heglstrats  eine  Veroranuug  unter  schrieben, 
nach  d«r  einige  üb«t-  und  CertiUaeeorten  einschließlich  Orangen  ku 
eine«  Mischprtii»  verkuuft  werden  sollttn,  um  die  Orangen  zm   einem 
erträglichen  Pi^iß  aar  aen  Markt  zu  bringen,  wohrscheinllch  v/ollte 
d#r  Staatsanwalt  der  üevolkorung  2eiiz;en,  daJ  er  ihre  Intereeaen  ^ 
wahrt«  und  er  glauDi;e,  duJ  ^Ine  Aniilap;e  Plagen  eine  Frau  ihm  weniger 
Schwierigkeiten  bereiten  würue  alb  ein  Prozeß  gegen  ein  verantwort- 
liohea  Masl6tratsTiilt>5ilea,  er  rauate  auer  dau  Verfatiren  nach  ^^^ler 
Zelt  hiederachlaf^en.  I9I6  war  Cora  Berliner  ein  blühender,  achöner^ 
»hr   Manaoh.Sie  konnte  aber  woh;  die  Krie^seiTxährunp;  nicht  vertragen^/ 

und  veralchtete  auf  viele  I^Yeuien  des  Lebens,  auch  in  späterer  Zeit, 
um  laistungaföiiig  äu  bleiben.  Ich  hielt  sie  aanala  nicht  für  «inen 
ohariamat Ischen  Menschen.  Sie  war  kein  i^euerorami  aoer  auch  kein 
Organlsatlonamenach,  sie  oesa3  .iedoca  Klugheit  und  vor  allem  GUte, 
die  sich  In  ihrer  Geduld  ihren  Witjuenachen  ge^enü^er  und  in  Ihrer 
"Leldenafähigkelt  ueißte,  Sie  ver-wandte  viel  Zeit;  darauf,  geistige 
und' eeel lache  Wirren  anuei^ex»  Henachen  d.\x   iüaon  und  zu  ordnen.  Nie 
hat  «le  öloh  la  die  Beziehunij;en  anderer  Menschen  ein J^ed rängt  und 
diese  au  aprenfjen  versucht,  sie  verzichtete  ohne  Klati^e.  Ich  habe 
llir  oft  geaalt,  daB  sie  »nioh  an  Fdret  Myöchkln  in  Doatojewakla 
••idl^t"  erinnox^,  der  die  Lasten  onawrer  Menschen  zu  veratehen 
•  auoht  und  erträgt,  aoer  aeibst  Dornen  und  Spott  auf  aich  nimmt  und 
'  die  Probleme  anderer  Henachen  durch  individuelle  Güte  2U  iöaen 
'  ^ersueht.  Da  Cora  kein  örganiaation8^1enBch  war,  paate  «le  nicht  In 
die  Sozialdemokrat le*  Sie  Intereaaierte  SiCh  wenig  für  sozlallati- 
^  acn«  Ideeiimd  die  Arbeiterbewegung.  Ihr  politiacheb  Intereaae  he- 
i'^aohrÄcicte  «ich  auf  die  Ldsung  wlrtachaftlicher  Fragen.  Äln  paar 
Jahre  nach  der  Revolution  von  lyiö  8chlo3  ale  sich  dennoch  der  SPD 
an,  wohl  aua  dem  aefühl  heraus,  daß  raan  sich  in  jener  Zelt  beken- 


♦   •  •  ♦■ 


nen  und  auch  irgendwo  axiiehnen  müsde. 


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rika 


Seite  4  -  Nr.  XXV/I" 


ALLGEMEINE 


Vorrang  des  Menschlichen 

Dankbare  Erinnerung  m  Cora  Berliner 


.Man  ist  im  Augenblick:  so  beschäftigt,  daß  man 
keine  Zeit  7\i  viel  Gedanken  hat.  Morgen  gehe  ich 
mit  einer  Reihe  von  guten  Freunden   ...  aul  die 
Reise.  Der  Entsdiluß  kdm  sehr  plotzhdi,  so  daß 
sich  die  Vorbereitungen  sehr  drängen."  So  hieß  es 
in  einem  Briet,  den  Prot.  Cora  Berliner  am  21..kim 
1942  an  einen  guten  Freund  in  Sdiweden  schrieb, 
einen  Tag  vor  ihrer  Deportation  aus  Berlin.  Seit- 
dem ist  sie  verscholllen  geblieben;  auch  von  den 
«outen    Freunden",    gemeint    sind    damit    andere 
führende   Mitarbeiter   der   Reichsvereinigung    der 
Juden  m  Deutschland,  fehlt  jede  Spur. 

Cora  Berliner  ist  im  Alter  von  mir  52  Jahren 
umgekommen.  Am  23.  Januar  hätte  sie  ihr  80.  Le- 
bensjahr vollendet.  So  wird  dieses  Datuni  zu 
einem  Tag  verehrungsvoller,  dankerfüllter  Erin- 
nerung. Das  Bild  dieser  tüchtigen  und  tapferen 
Frau  ihre  Erscheinung,  ihr  Wesen  stehen  vor  un- 
serem geistigen  Auge.  Man  sieht  sie  in  ihrem 
kleinen"  Büro  in  der  Kantstraße  158,  jenem  Haus, 
das  in  schweren  Zeiten  immer  mehr  judisctie  Or- 
ganisationen beherbergte.  Man  erinnert  sidi  ihres 
kleinen,  hübschen  Heims  in  der  Emser  Straße  un- 
weit der  Post,  man  denkt  an  manc+ie  Sitzungen  in 
denen   es   oft   um  wichtige   Entsdilüsse   und   Ent- 


Nir  David 


Einer  der  srtiönsten  und  reizvollsten  Orte  m 
Israel  ist  der  Naturschutzpark  an  den  Ufern  der 
Sadinc  zu  Füßen  des  Berges  Gilboa.  Nicht  jeder 
Tsraclbesudier  findet  ohne  weiteres  den  Weg  in 
dieses  kleine  Paradies,  denn  auch  der  angren- 
zende Kibbulz  Nir  David  ist  nur  Freunden  be- 
kannt. 


Dieses  Naturparadies  bietet  nicht  nur  ein  ent- 
spannendes Bad  im  27  Grad  warmen  Thermal- 
wasser  der  Sachne.  das  über  Felsenstufen  herab- 
fJießt  und  die  Natursteinbecken  füllt.  Es  bietet 
femer  einen  Rundgang  auf  weichem  Raseri  zwi- 
Rctien  Palmen,  seltenen  alten  Bäumen,  Buschwerk 
und  Blumen;  es  bietet  eine  Siesta  unter  Dattel- 
palmen, die  mit  ihren  sperrigen  Blattern  em  bi- 
zarres Filigran  in  das  Blau  des  Himmels  zeichnen, 
und  e«  bietet  Erfrischungen  in  einem  kleinen 
Restaurant. 

Wenn  man  den  schmalen  Uferpfad  entlang  geht, 
aelanqt  man  auf  einen  Hügel  zwischen  Kibbutz 
;,nd  Natursdiutzpark  —  und  erlebt  eine  weitere 
Ueberrascfaunq.   Dort   nämlich   stehen   der   Frank  - 


.dietungen  ging.  Ohne  )e  ihre  Konzil,  anzihrer^ 
^veilKhen  Charme  im  Umgang  mit  Mifarbeitern 
und  Ratsuchenden  zu  verlieren,  war  Cora  stets 
klar  n  der  Betrachtung  der  Dinge,  ertahren-abwa- 
qendin  der  Analyse  von  Situationen  fest  in  der 
zu  b.schließenden  Sache  und  zielbewußt-energisch 
äuf  \ktion  bedacht.  Und  dies  fand  man  sdinel 
heiöis-  Für  sie  standen  das  menschlidie  Schicksal 
des  inzelnen  oder  der  Gruppe,  die  Not  und  deren 
Beh-bung  stets  im  Vordergrund.  ^ 

Üie  Stimme  war  ein  wenig  hoch  und  hatte  /u- 
wei-n  etwas  Heiseres.  Ihr  Deutsch  ließ  den   Ak- 
zen   ihrer    Vaterstadt    Hannover    und    der    nord- 
deutschen    Ebene     erkennen.     Aus     dem     leinen, 
sdtndlen  Ge.sidil  sprachen  dunkle,  kluge,  lebhafte, 
be(haditende    Augen.    In    jungen    .lahren    durfte 
Ca-,    hödist    attraktiv    gewesen    sein.    In    ihrem 
iWtus  wirkte  sie,  wie  so  manche  ihrer   Alters- 
unc  Zeitgenos.sen   ähnlidier  Berufs-   und   Interes- 
senuhtung:   wie  eine  Mischung   von  So/ialarbei- 
tem  und  Sdiuldirektorin,  aber  frei  von  beamlen- 
hal-MU  Gepräge.  Genau  genommen,  hat  sie  keinen 
die^ei   Berufe  ausgeübt,   aber  sie  war  nicht   weif 
danm  entfernt,   jedenfalls   in   der  Zeit   vor   19.i^ 
Die    Frau  Professor",  als  die  sie  dann  bekannt  und 
geschätzt    war,    kam,    ausbildungsmäßig    gesehen, 
voi^der   Mathematik,    mehr  noch   von   den   wiri- 
sdiilüidien  Staatswissenschatlen  her;  heute  win- 
de nan  sie  eher  der  Soziologie  und  der  Politologie 
zuordnen.  Toditer  des  Gründers  und  Leiters  einer 
nri^ateu  Handelssdiule  in  Hannover,  promovierte 
Cg.a  im  Jahre  1916  in  Heidelberg  mit  einer  heute 
no<h  lesenswerten  Dissertation  über  „Die  Organi- 
sation der  jüdisdien  Jugend  in  Deutschland   (Em 
Beitrag  zur  Systematik  der  Jugendpflege  und  Ju- 
qrndbewegung)".   Das   war   ein   Gebiet,    auf    dem 
Corel  Berliner  zu  Hause  war.  Als  Mädchen  war  sie 
in  der  jüdischen  Jugendbewegung  aktiv  gewesen, 
sodter  wurde  sie  Geschäftsführerin  des  Verbandes 
dei    jüdisdien    Jugendvereine    Deutsdilands,    des 
Neutralen   Verbandes,   wie   er  hieß,   dessen   Auf- 
gaben und  Ziele  sie  in  Wort  und  Schrift  vertrat, 
auch  im  außerjüdischen  Bereich.  Zeit  ihres  Lebens 
ist  sie  nie  einseitig  jüdisdi  ausgeriditet  gewesen. 
Ihr  Mensdienkreis  war  dementsprechend  weit  und 
nocii  ansehnlich  bis  in  die  düstere  Zeit  hinein,  in 
der  Selbstabsonderung  und  Ausgeschlossenwerden 
711  üblichen  Lebenserscheinungen  wurden. 


23.  Jannar  1970 


Während  des  ersten  Weltkrieges  fand  sie  m  der 
Nahrungsmittelversorgung  des  Stadtbeziiks  Ber- 
lin-Sdiöneberg   ein   großes,   verantwortli«  Ues   Ar- 
beitsfeld   1919  sieht  man  sie  bereits  als  Reterentm 
für  "Verbraudierlragen    im   Reidiswirtsdi-  ttsmini- 
steriura;  die  neue  junge  Mitarbeiterin  mi>ß  durdi 
Ihre    Kenntnis    wirtsdiattlidier    Zusammonhange 
und  die  dnregend-kritische  Form,  mit  dei  .le  gute 
Vorschläge  anbradite,  audi  bei  namhailei;  Vertre- 
tern des  deutsdien  Wirtsdiaftslebens  auiciefallen 
sein-  denn  bald  erhielt  sie  zusätzlidie  Aufgaben, 
solche   im  Zusammenhang   mit   dem   Autbau   von 
Wirtschaftsräten,  andere,  die  durdi  Inflation  ur^ 
Marktsfabilisierung  hervorgerufen  waren  --auch 
die  Statistik  spielte  dabei  eine  Rolle.  192/.  als  sie 
längst  Regierungsrätin  im  Statistischen  Re.disamt 
gewc.rdei^war,  wurde  sie  für  mehrere  Monate  dei 
deutsdien    Botschaft   in  London   zugeleil  ,   für  da- 
malicie    Verhältnisse    Ausdruck    besonderer    An- 
c^rkennunq.  Indes,  uumer  wieder  zog  es  i^ora  Bei- 
Uner  zurück  zur  Arbeit  an  Menschen  unC  für  Men- 
schen   im    sozialpolitischen    oder    pädagogischen 
Sinn    Als  für  die  Ausbildung  von  Gewerljelehrern 
und  -lehreiinnen  neue  Berufspädagogisdie  Semi- 
nare entstanden,  gehörte  sie  zu  den  ersten,  ebenen 
eine   Professur  an  der   Berliner   Lehrstafte  dieser 
Art  angetragen  wurden.  Doch,  bedingt  durdi  die 
politisdien  Ereignisse,  blieb  sie  in  diesei  Tätigkeit 
nur  knapp  drei  Jahre. 

Anfang  193:^  fand  sie  den  Weg  zuruci^  in  die  ju- 
dische   Arbeit,    in   der   sie   einst  begonneri   hatte. 
Durch   die   Leitung  des  Central-Vereins.  dem   sie 
lange    nahestand     kam    sie    im    Laufe    Jes   Jahres 
19'n  in  den  ausgewählten,  kleinen  Mitarbeitei^tab 
der   Reidisvertrefung   der  deutschen  Jaden    hielt 
aber  den  day-to-day-Kontakt  mit  dem  C  V  au  frech  . 
Diese     LiaLsonarbeit     (auch     mit     anderen     Stel- 
len) lag  ihr.  Was  Cora  Berliner  als  enge  Mitarbei- 
terin von  Persönlidikeiten  wie  Dr.  Leo  Baedc  und 
Dr    Otto  Hirsch,  als  Kollegin   und  Freundin  von 
Hannah  Karminski   und  Paula  Fürst_  u  a.  für  die 
Reidisvertrefung  und.   später,   für  die   Re.chsver- 
einiqung  der  Juden  in  Deutsdiland  war  und  was 
sie    nicht   allein  durdi  diese  Organisationen,   für 
die    bedrängten,    verfolgten,    verzweiiellen    jüdi- 
sdien Mensdien  bis  zu  jenem  schicksalsschweren 
22    luni   1942  bedeutet  hat,  das  harrt  noch  einer 
eingehenden   Würdigung.    Einer   der    wenigen   in 
der  freien  Welt,  die  bis  zuletzt  mit  Prof,  Cora  Ber- 
liner in  briellicher  Verbindung  standen,  war  der 
frühere  Staatssekretär  im  Reichstinanzministerium. 
Dr   Hans  Schaetfer,  der  1967  in  Sdiweden  gestor- 
ben ist    Vor  längerer  Zeit  hatte  er  den  eingangs 
zitierten    Abschiedsbrief    von    Cora   Berliner   dem 
Baedc-lnstitut  zur  Verfugung  9estellt^^  ^^^^^^^^^ 


Zum  Tode 


von 


Carl  Busch 


Carl  Busdi,  lange  Jahre  Vorsitzender  der  Mo- 
nistischen Organisation  in  Deutsdiland,  ist  in  der 
vergangenen^  Woche  in  Berlm  gestc^rben.  Am 
B.Februar  wäre  er  66  Jahre  alt  geworden, 

1,1  dem  kleinen  nordbukowinisdien  Ort  Banila 

qeboren,    kam   Carl    Busch   ^^^^""    ^"V"^^^''^ J^^, 
n.ch  Berlin,   wo   er  nach  se.ner  ^^^^^l'^-«'/  ui  de 
llolzbranche  tätig  wurde.  Aber  schon  vorher  war 
rr  ein  begeisterter  Anhänger  des  Zionisjnus  ge- 
.vorden,  der  er  ein  Leben  lang  blieb  und  dessen 
Ziele  er  mit   viel  Energie  und   W  illensk  att  vei- 
lodit,   Zionismus,    so   hat   Carl   Busch    o  t   betont^ 
h.Mße  nicht  Propaganda,  sondern  judische  Werte 
„n  Hinblick  aul  Israel  zu  pflegen.  So  ging  er  so- 
lort   nach  der  Niederwertung   des   Nationalsozia- 
lismus, den  er  mit  Hilfe   „unbesungener  Helden 
nn   Untergrund   überleben  konnte,  mit  schöpfen^ 
srher  Energie  an  die  zionist.isdie  Arbe,    und  heß 
sich  auch  dann  nidit  davon  abbringen,  als  1^44  de 
.fewish    Agency    m    Jerusalem    erklarte,    daß    m 
Deutschland  zionistische   Arbeit    nicht   weiter  er^ 
.anseht  sei.  Im  Gegenteil,  Cad  Busdi  vers   At^ 
„un  mit  allen  Mitteln,  Jerusalem  davon  7m  uber- 
y.Migen,    daß   zionistisdie    Arbeit   m   der  B^Jides- 
republik  doch  notwendig  sei  —  was  ihm  sc^hrti- 
lifh  auch  gelang. 

\ls  dann  1956  in  Jerusalem  ein  »»onist^t^r 
Kongreß  abgehalten  wurde  gehörte  Carl  Bu«^ 
selbstverständlich  ebenso  zu  der  deutschen  Dele- 


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Verfjleiche  in  Entschädijiungsverfalireii 


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Letters  to  the  Editor 


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!llll!!l!!ll!tilli!li!!l!ll!!l!i|l!!!fl!!!i!'i!illi!r!l'!l|l|i!!f 


Vergessene  Namen 

Wir  haben  mit  grösstem  Interes- 
se     die     Besprechung     des     Buches 

Der  Nationalsozialismus  imd  die 
jüdischen  Juristen"  im  "Aufbau" 
gelesen.  .  .  .  Leider  haben  wir  viele 
Namen  hi  dem  an  sich  verdienst- 
vollen Wei-k  vergeblich  gesucht.  Um 
nur  einige  der  Prominenten  201  nen- 
nen, die  inzwischen  dahingegangen 
.smd,   ei'wähnen  wir  die  Folgenden; 

iFrcf.  Herbert  Dorn,  weiland  Prä- 

-jil  ■■ill»  IM-  .1.-. 

0:2;  Boca  Juniors — Uhriks  3;0,  Uk- 
rainian  Nationais — Newaik  Ukrain- 
ku  Sitch  3:0,  American  League  All 
^New  Jersey  League  All  Stars 


^■li!;!!!;f!!i!!'"!''!1!lill!lll!;i!!il!:;!li!lllll!lilllli!llllltli!l!'l!li!!iy^ 

Ifident  des  Reichsfmanzhofes,  zu- 
etzt  Prof.  der  Rechte  an  der  Uni- 
•ersität  Delaware;  Robert  Perlen, 
n  der  Nazizeit  jüdischer  Konsnlent 
nd  später  Präsident  des  Oberlan- 
e.sgerichts  Stuttgart;  Dr.  Julius  B. 
eigen,  Rechtsanwalt  am  Kammer- 
Bericht  und  Bruno  Weil,  prominen- 
ter Politiker  und  Verfasser  vieler 
Bücher  und  Schriften. 

Louis    C.    Bial 
As.sn.  of  Former  European  Juri.sts 


Zu  Ossip  Kalenters  Heine- 
Rede  in  Bagni  di  Lucca,  und  zur 
Ehre  der  Stadt  Frankfurt  q. 
möchte  ich  Ihnen  mitteilen 


chequ: 
•'Aufbau^ 
bau"    a.s 
nion". 

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Die  bemerkenswerte  Karriere  des 
hohen  juristischen  Regierungsbeam- 
ten und  Finanzsachverständigen  Dr. 
H.  Richard  Fuchs,  der  nach  länge- 
rem   Leiden    am    4.    Februar    1970 
über  83-jährig  in  London  gestorben 
ist,    erfuhr    durch    Verfolgung    und 
Krieg     eine     erhebliche     Unterbre- 
chung.   Nachdem    er    längere    Zeit 
Richter   gewesen  war,   wurde  er  in 
^-den   zwanziger   Jahren   als   Ministe- 
rialrat   ins   Reichsfinanzministerium 
in    Berlin    berufen.    Nach    1933    bis 
zu    seiner    1939    erfolgten    Auswan- 
derung nach  England  stellte  er  der 


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ReichsvertFetüng  der  deutschen  Ju- 
den seinen  wertvollen  Rat  zur  Ver- 
fügung und  war  auch  eine  Zeitlang 
Kuratoriumsmitglied  der  „Hoch- 
schule für  die  Wissenschaft  des 
Judentums"  und  Vorsitzender  des 
Ausschusses  für  die  an  ihr  zusätz- 
lich eingerichteten  allgemein-wissen- 
schaftlichen Vorlesungen.  Während 
des  Krieges  übte  er  Lehrerfunktio- 
nen an  einer  angesehenen  Schule 
in  der  englischen  Provinz  aus,  wo 
er  u.a.  Unterricht  in  Kunstgeschich- 
te gab.  Von  1945  an  weit  über  15 
Jahre  stand  er  an  führender  Stelle 


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in  der  Rechtsabteilung  der  briti- 
schen „Control  Commission  for 
Germany"  (CCG)  in  London,  Her- 
ford, Berlin  und  Wahnerheide  und 
später  in  der  Britischen  Botschaft 
in  Bonn.  Leider  hat  wohl  Fuchs 
nicht  die  Zeit  gefunden,  .sein  ge- 
samtes berufliches  Leben  in  Me- 
moiren festzuhalten.  Es  war  recht 
ungewöhnlich,  wenn  man  bedenkt, 
dass  Fuchs  auch  Dingen  der  Wis- 
senschaft und  der  schönen  Künste 
zugetan    war. 

Immerhin    ist    es    Fuchs    erfreu- 
licherweise noch  gelungen,  seine  Er- 


innerimgen  wenigstens  an  seine  Mit- 
wirkung und  Teilnahme  am  geisti- 
gen Leben  und  Ausbau  der  ,, Hoch- 
schule" in  den  letzten  Vorkriegs- 
jahren niederzulegen,  die  gründlich 
und  materialreich  erarbeitet  im 
Jahrbuch  XII  des  Leo  Baeck  Insti- 
tuts (London  1967)  veröffentlicht 
wurden.  Diese  Studie  bleibt  eine 
schöne  Erinnerung  an  Richard 
Fuchs'  Wesen  und  Haltung.  Viele 
Jahre  war  er  auch  Mitglied  des 
Boards  des  Leo  Baeck-Instituts  in 
London,  dem  er  sich  besonders  eng 
verbunden    fühlte. 

E.  G.  LOWENTHAL 


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Carl  t.elchlor        o.    S44(Tre,ira™  sj 


lebte   in  der   weit, verstand   nft',  r       Gekehrter?  Gruendlich   aber 
Mn,  Beamtentyp?  PflichuJeu'ind   Shncht'^r^"'""'    ^^^  doktriLer. 


I^aruebtr  hinau 


aum  ein   2v;eiter,abe 


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ssnote    27, o.    411,    Gedenk bu 


chlauheit   v.ac-    ihm  fread. 


eiser, guetiger  una  versteh 


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en  er  Llensch 

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Seite  4 


MB  —  17.  März  1967 


Nr.  11 


Dichtung  als  politische  Aufgabe 


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(Schluss  von  S.   3) 

arbeitung.   Rom   auf   der   Bühne 
und    Ost-Berlin    in    Wirklichkeit 
stehen    gegeneinander,    Plebejer 
und    eine    Delegation    aufständi- 
scher Arbeiter.  Plutarch  und  Li- 
vius  werden  mit  Marx  und  Le- 
nin   konfrontiert.    Der    Theater- 
mann  will   den  Aufstand   seiner 
Bühne  zunutze  machen.  Die  Ar- 
beiter   aber    fordern    Einlösung 
seiner  politischen  Deklaration. 
Der   ,Chef'  ist  Modell  des  Dich- 
ters und  Intellektuellen,  der  die 
politische    Wirklichkeit,    die    er 
so   oft   angerufen  hat,  nicht  er- 
fasst.   Wo   er   unverzüglich   han- 
deln   sollte,    zögert    er.    Ehe    er 
sich,    zu    spät,    beteiligt,    bricht 
der      führungslose      Arbeiterauf- 
stand zusammen." 

Mit  geradezu  abgründigem,  beis- 
sendem  Witz  lässt  Grass  seinen 
„Chef"  an  emer  Stelle,  als  man 
ihm  vorwirft  „Du  kennst  das  Volk 
nicht  mehr,  /  und  siehst  es  durch- 
einander laufen  /  wie  anno  acht- 
zehn, als  du  zwanzig  warst",  sagen: 

„Es  werden  die  Revolutionäre 
gebeten,  den  städtischen  Rasen 
nicht  zu  betreten."  (S.  28/29) 

„Die  Plebejer"  lesen  sich  mit 
einer  hinreissenden  Spannimg.  Was 
das    Stück    auszeichnet,    ist    nicht 


etwa  seine  leichte  anti-Brecht-Hal- 
tung, sondern  seine  Verurteilung 
der  Entschlusslosigkeit  der  Intellek- 
tuellen in  der  deutschen  Geschich- 
te. Brecht  gibt  dafür  in  der  Tat 
in  einer  bestimmten  Stunde  (sein 
Brief-  imd  Telegrammwechsel  mit 
Ulbricht  ist  bekannt)  nur  das  Mo- 
dell ab.  Allerdings  zeigt  Grass:  ein 
wirkungsvolles  und  lehrreiches  Mo- 
dell! Resignierend  bekennt  der 
„Chef":  „Ich,  wissend,  listig,  külil, 
allem,  /  war  em  Gedicht  lang  fast 
dabei."    (S.   91) 

Günter  Grass  ist  gegenwärtig 
Gast  unseres  Staates.  Sein  Werk 
hat  auch  uns  viel  zu  sagen,  und 
über  den  künstlerischen  Genuss 
hinaus  vermittelt  es  uns  eine  gan- 
ze Reihe  von  Erkenntnissen.  Er- 
kenntnisse, die  wichtig  sind  imd 
die  einen  deutschen  Dichter  der 
Nachkriegsgeneration  auszeichnen. 
Sein  letzter,  eben  erst  erschienener 
Gedichtband  trägt  den  Titel  „Aus- 
gefragt". Vielleicht  ist  auch  er  be- 
zeichnend, denn  hier  befragt  ein 
Dichter  sein  Volk  auf  Herz  und 
Nieren,  er  verlangt  Antworten  und 
Stellungnahmen,  denn  er  hält  es  für 
die  Aufgabe  des  Dichters,  seine  Zeit 
zu  befragen,  und  er  wUl  aufdecken 
und  biossiegen,  was  falsch  imd  ver- 
logen ist.  Und  in  Wahrheit:  das  ist 
der  Auftrag  und  die  Berufung  des 
Dichters! 


CARL    MELCH  lOR 

Erinnerungen  auch  an  seine  jüdische  Arbeit 


„Verfehmte    Kultur    Nr.    10" 


Von  Anatol  France  stammt  eine 
Bemerkung,  dass  er  wenig  Interes- 
santeres kenne  als  die  Lektüre  von 
Antiquariats-Katalogen. 

Wie  hätte  sich  der  alte  Herr  erst 
böini  Empfang  heutiger  Kataloge 
gefreut,  die  Über  eine  Kurze  Be- 
schreibung der  Titel  hinaus  kriti- 
sche und  persönliche  Dokumentatio- 
nen ihres  Erzeugers  einfliessen  las- 
sen, deren  Inhalt  einen  oft  überra- 
schenden Quellenwerk-Charakter  be- 
sitzt! 

Im  Vorjahr  hatten  wir  im  MB 
einmal  auf  die  schlicht  vervielfäl- 
tigten Blätter  über  „Verfehmte  Kul- 
tur" (während  des  III.  Reiches)  ei- 
nes Theater-Antiquariats  ,PROSZE- 
NIUM'  in  einem  für  uns  obskuren 
Ort,  Kemnath-Stadt,  irgendwo  in 
Süddeutschland  hingewiesen.  Der 
Herausgeber  muss  die  Welt  der 
Bretter  nicht  nur  vom  Zuschauer- 
raum her  angesehen  haben,  son- 
dern selbst  vom  Bühnenfach  sein. 
Und  da  er  die  Nazizeit  nicht  ,, aus- 
zuklammern" vermochte,  kann  er 
Bemerkungen  einstreuen,  die  Blut- 
zeugnis ablegen  imd  Materialien  un- 
terbreiten, welche  selbst  in  Buch- 
veröffentlichungen noch  nicht  zu 
finden  sind. 

Er  fängt  die  —  bereits  —  zehn- 
te Liste  der  „Verfehmten  Kultur" 
mit  einer  Provokation  an.  Wer  sie 
aus  dem  Umschlag  zieht,  hält  ein 
als  „Streng  vertraulich!  Nur  für 
den  Dienstgebrauch!"  bezeichnetes 
Deckblatt  einer  „Liste  1  des  schäd- 
lichen und  unerwünschten  Schrift- 
tums" in  der  Hand.  Bearbeitet  von 
der  Reichsschrifttumskammer  im 
Oktober  1935.  Und  am  Rand  noch 
gestempelt:  „Geheim!  Dies  ist  ein 
Staatsgeheimnis...     Weitergabe     nur 


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verschlossen...  Empfänger  haftet  für 
sichere  Aufbewahrung".  Dadurch 
wollte  man  wohl  vermeiden,  dem 
Ausland  zu  verraten,  dass  Thomas 
Mann  und  andere  gar  keine  deut- 
schen Schriftsteller  seien. 

Unsere  Beklemmung  beim  uner- 
warteten Anblick  dieses  Sekrets  der 
Unterwelt  löst  sich  etwas  beim 
Ueberfliegen  der  aufgeführten  Pro- 
grammzettel, Schauspielerfotos  und 
Bücher  meist  jüdischer  Menschen, 
hinter  deren  Namen  oft  „er  kehrte 
aus  der  Emigration  zurück"  steht. 
Aber  zuweilen  auch  „schied  im 
Ausland  freiwülig  aus  dem  Leben", 
„in  Auschwitz  ermordet"  oder  „im 
KZ  zu  Tode  exerziert". 

Nicht  deswegen  jedoch  ist  dies 
Verzeichnis  für  uns  Laien  erwäh- 
nenswert. Sondern  wegen  der  pri- 
vaten Mitteilungen  des  Kommenta- 
tors. Er  geht  zurück  bis  ins  vori- 
ge Jahrhundert  und  erzählt  z.  B. 
vom  Wiener  Domprediger  Johann 
Emanuel  Veith,  der  aus  einer  jü- 
disch-orthodoxen Familie  stammte 
und  von  der  katholischen  Kanzel 
herunter  gegen  die  Verleumdimg 
des   Judentums   auftrat. 

Dann  springt  er  in  unsere  mord- 
reiche Gegenwart  über:  Mirjam  Hör- 
witz  entging  den  Verfolgungen  der 
Nazis  nur  durch  ihre  Ehe  mit  Emil 
Ziegel.  Der  (heutige)  Antiquar  hät- 
te sie  während  des  Krieges  im  Zu- 
schauerraum des  Görlitzer  Stadt- 
theaters gesehen  und  sie  „in  stum- 
mer Verehrung  gegrüsst". 

Beim  Konvolut-Angebot  des  gros- 
sen Dirigenten  Otto  Klemperer  liegt 
u.  a.  ein  Steuer-Steckbrief  der  brau- 
nen Behörde  ,ihn,  „falls  im  Inland 
betroffen,  festzunehmen..."  —  dane- 
ben die  Vermögensbeschlagnahme. 

Ein  für  unser  Land  nicht  so  un- 
gewöhnliches Emigrantenschicksal 
ereilte  die  „erste  Koloratur  Soprani- 
stin vieler  grosser  Opernhäuser" 
Melitta  Heim,  die  1938  mit  üu-er 
Mutter  nach  London  floh.  „Sie  ge- 
riet in  grosse  Not  und  musste  zeit- 
weilig als  Putzfrau  ihren  Lebens- 
imterhalt  verdienen"  (sie  war  be- 
reits über  50). 

Wie  man  Goebbels  beschummel- 
te, finden  wir  bei  dem  Dramatiker 


Es  war  Ende  1933.  In  dem 
Augenblick,  als  Juden  in  Deutsch- 
land und  in  der  westlichen  Welt 
auf  seine  Mitarbeit  am  Werk  für 
die  Hilfe  und  Rettung  rechneten, 
starb  Dr.  Carl  Melchior,  am  29.  De- 
zember, 62  Jahre  alt.  Der  im  Früh- 
ling gebildete  „Zentralausschuss  für 
Hilfe  und  Aufbau",  in  dessen  Mit- 
leitung der  Hamburger  Bankier 
und  Wirtschaftsexperte  berufen  wor- 
den war,  noch  bevor  die  Reichsver- 
tretung der  deutschen  Juden  mit 
ihrer  eigentlichen  Arbeit  begann, 
wäre  wahrscheinlich  für  ihn  nur 
eine  neue  Ausgangsposition  gewe- 
sen. Seine  souveräne  Beherrschung 
komplizierter  Zusammenhänge,  sei- 
ne Integrität  und  Vertrauensvnirdig- 
keit,  seine  persönliche  Bescheiden- 
heit und  seine  weitreichenden  Ver- 
bindungen hätten  Melchior  ziemlich 
sicher  zu  noch  wichtigeren  Aufga- 
ben im  jüdischen  Gemeinschaftsle- 
ben bestimmt.  Dabei  war  er  weni- 
ger durch  das  Jüdische  geprägt  als, 
in  erster  Linie,  geformt  durch  die 
Wirtschafts-  und  Kultursphäre 
Deutschlands  und  seiner  engeren 
Heimat. 

Vom  berühmten  Johanneum  hat- 
te sein  Weg  über  die  Universitäten 
Bonn  und  Berlin  zunächst  in  die 
Gerichtsstuben  zurück  nach  Ham- 
burg geführt  —  bis  das  Bankhaus 
M.  M.  Warburg  &  Co.  den  jungen, 
begabten  Juristen  als  Syndikus  zu 
sich  holte.  Das  war  1902.  Fünfzehn 
Jahre  später  sass  Carl  Melchior  als 
Teilhaber  in  dieser  Firma.  Als  Fi- 
nanzsachverständiger begleitete  er 
deutsche  Delegationen  auf  schwieri- 
gen Missionen,  zu  den  Waffenstill- 
standsverhandhmgen  des  Jahres  1918 
und,  1919,  zum  Versailler  Friedens- 
schluss.  In  der  Dekade  1920/30  sah 
man  ihn  als  Experten  bei  allen  grös- 
seren internationalen  Konferenzen, 
in  Brüssel,  in  Genua  und  in  Paris, 
im  Haag.  Diese  sich  aus  dem  Ersten 
Weltkrieg  ergebenden,  entscheiden- 
den Verhandlimgen  mündeten  dann 
in  die  Schaffung  der  Bank  für  In- 
ternationalen Zahlungsausgleich  ein, 
deren  Verwaltungsrat  Melchior  an- 
gehört hat. 

In  diesen  Wochen,  fast  auf  den 
Tag  33  Jahre  nach  Melchiors  Able- 
ben, ist  (bei  J.  C.  B.  Mohr  [Paul 
Siebeck],  Tübingen  1967)  ein  klei- 
nes gehaltvolles,  würdiges  Werk  er- 
schienen, betitelt  „Carl  Melchior  — 
Ein  Buch  des  Gedenkens  und  der 
Freundschaft".  Wie  Bürgermeister 
a.  D.  Dr.  Kurt  Sieveking,  Hamburg, 
einst  Melchiors  Sekretär  im  Finanz- 
ausschuss  des  Völkerbundes,  in  ei- 
nem kurzen  Vorwort  betont,  soll 
diese  Veröffentlichung  „auch  ein 
Ausdruck  der  Dankbarkeit"  sein, 
„die  insbesondere  eine  Stadt  wie 
Hamburg  ihren  jüdischen  Mitbür- 
gern, die  ein  Teil  ihrer  selbst  wa- 
ren, und  ihrem  Wirken  für  das  ge- 
meine Wohl  schuldig  ist". 

Das  Kernstück  der  insgesamt  neun 
,,Aufzeiclinungen",  das  die  Hälfte 
des  Buches  füllt,  bilden  Hans  Schaf - 
fers  Erinnerungen  an  seine  Zusam- 
menarbeit   mit   Carl   Melchior,    im- 


mer auf  dem  Hintergrund  deut- 
scher und  internationaler  Finanzpo- 
litik. Am  Schluss  schildert  der  jetzt 
81jährige,  seit  langem  in  Schweden 
lebende  ehemalige  Staatssekretär 
im  Reichsfinanzministerium  an 
Hand  seiner  Tagebücher,  was  Mel- 
chior für  die  plötzlich  stark  be- 
drängte, nach  Selbsthilfemöglichkei- 
ten suchende  Gemeinschaft,  zu  der 
er  gehörte,  in  der  Zeit  von  Anfang 
April  bis  Mitte  Juni  1933  (als  er 
schwer  erkrankte)  getan  hat,  orga- 
nisatorisch-planend,  beratend,  Ver- 
bindungen herstellend,  Rückspra- 
chen führend.  Damals  hies  es,  die 
Auswanderung  in  erster  Linie  für 
die  Jugend  vorzubereiten  und  durch- 
zuführen, Arbeitsplätze  für  ausge- 
schaltete Menschen  zu  finden  und 
Ausbildungs-  und  Berufsumschich- 
tungsstätten im  Inland  wie  im 
Ausland  zu  schaffen.  Es  galt  auch, 
die  für  alle  diese  Aufgaben  und 
Pläne  notwendigen  finanziellen  Mit- 
tel aufzubringen  und,  soweit  erfor- 
derlich, zu  transferieren.  Während 
dieser  drei,  vier  Monate,  es  war  ein 
aufregendes,  hektisches,  die  Mög- 
lichkeiten für  Hilfe  und  Aufbau  ab- 
tastendes Vorspiel,  entwickelte  sich 
das,  was  im  Frühherbst  1933  als 
Reichsvertretung  der  deutschen  Ju- 
den vor  die  Oeffentlichkeit  trat. 
Melchiors  Anteil  an  der  Schaffung 
dieser  jüdischen  Gesamtvertretung 
ist  unbestritten;  das  haben  sowohl 
Leo  Baeck  als  auch  Hugo  Hahn 
(,J)ie  Gründung  der  Reichsvertre- 
tun"  -  in  Zwei  Welten,  Tel-Aviv, 
1962)  immer  wieder  betont. 

Aus  den  übrigen  Beiträgen  zu 
dem  Melchior-Buch  ragt  die  (von 
Dr.  Eduard  Rosenbaum,  London, 
früher  Hamburg,  besorgte)  Ueber- 
setzung  des  Vortrags  „Dr.  Melchior: 
Ein  besiegter  Feind"  des  grossen 
englischen  Cteldtheoretikers  John 
Maynard  Keynes  (1883-1946)  her- 
aus. Keynes  gehörte  zur  englischen 
Delegation  zu  den  Waffenstillstands- 
verhandlungen. „Dr.  Melchior",  so 
erinnert  er  sich,  „war  der  Sprecher, 
in  ergreifendem,  fast  vollkommenem 
Englisch...,  immer  sehr  überlegt, 
aber  ohne  Pause,  in  einer  Weise, 
die  einem  einen  ausserordentlichen 
Eindruck  von  seiner  Wahrhaftigkeit 
gab...  Dieser  Jude  -  denn  das  war 
er,  wie  ich  nicht  aus  seinem  Aus- 
sehen entnahm,  sondern  später  er- 
fuhr -  und  nur  er,  hielt  die  Würde 
des  Besiegten  aufrecht". 

Sonst  werden  in  diesem  ein- 
drucksvollen Band  Melchiors  Ei- 
genart und  Leistungen  sowie  die  un- 
gewöhrüiche  Wirkung  seiner  Persön- 
lichkeit —  unter  sachlich  und  zeitlich 
verschiedensten  Gesichtspunkten  — 
kurz  gewürdigt,  so  von  Professor 
Dr.  Otto  H.  von  der  Gablentz  (Ber- 
lin), dem  88jährigen  Geheimrat  Dr. 
Ludwig  Kastl,  früherem  Geschäfts- 
führenden Präsidenten  des  Reichs- 
verbandes der  deutschen  Industrie, 
und  den  Bankiers  Walter  Frisch, 
Ferdinand  Eberstadt,  Siegmund 
Warburg  (London),  Erich  M.  War- 
burg (Hamburg/New  York)  und 
Dr.  Hans  Meyer  (New  York). 

E.  G.  LOWENTHAL 


Hans  Jose  Rehfisch  vermerkt:  ,,Dem 
Verlag  gelang  es,  das  Stück  „Was- 
ser für  Canitoga"  des  naziverfolg- 
ten Autors  unter  dessen  Pseudonym 
Georg  Turner  in  Nazideutschland 
von  vielen  Bühnen  aufführen  und 
von  Hans  Albers  verfilmen  zu  las- 
sen." 

Die  hübscheste  Anekdote  aber 
steht  bei  einer  NichtJüdin,  und 
zwar  ausgerechnet  bei  Frau  Hed- 
wig   Courths-Mahler.    Ihre    Tochter 


Margarete  Elzer  schrieb  dem  Buch- 
händler im  Herbst  1966,  die  Reichs- 
schrifttumskammer hätte  seinerzeit 
ihre  Mutter  ersucht,  „doch  etwas 
mehr  von  Hitler  in  ihre  Werke 
hinein  zu  bringen".  Darauf  schrieb 
die  Betreuerin  so  vieler  Tränendrü- 
sen zurück:  „Das  tut  mir  leid.  Dies 
kann  ich  nicht.  Da  müssen  Sie  sich 
geeignetere  Autoren  suchen!".  Wer 
hätte   ihr   das   zugetraut!?! 

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Halbmonats-Beilage     des     "Aufbau"     für     Unterhalt    ung      und      Wissen 


No.  323 


Bankier,  Patriot,  Moralist 


Zum  Gedenken  an  Dr.  Carl  Melchior 


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Von  ADOLF  LESCHNITZER 

I. 

Am  11.  November  1918  wurde 
der  Waffenstillstand  geschlos- 
sen. Im  Januar  1919  trafen  sich 
die  Finanzexperten  beider  Sel- 
ten das  erste  Mal  in  Trier.  Eine 
Schilderung  der  deutschen 
Bankleute  bei  dieser  ersten  Be- 
gegnung ist  viele  Jahre  später 
von  dem  englischen  Experten 
gegeben  worden: 

"Sie  waren  ein  trauriger  Hau- 
fen .  .  .,  mit  heraijgezogenen  nie- 
dergeschlagenen Mienen  und  mü- 
de starrenden  Augen,  wie  Män- 
ner, die  an  der  Börse  als  banke- 
rott angeschlagen  worden  waren. 
Aus  ihnen  absr  kam  ein  sehr  klei- 
ner Mann  auf  den  mittleren  Platz 
vorwärts,   makellos   sauber,   sehr 
gut  und  sorgfältig  gekleidet,  mit 
einem  hohen  steifen  Kragen,  der 
sauberer  und  weisser  als  ein  ge- 
wöhnlicher Kragen  erschien.  Sein 
runder  Kopf  war  mit  ergrautem 
Haar  bedeckt,  so  kurz  geschnit- 
ten, dass  es  wie  die  Paser  eines 
dicht  geknüpften  Teppichs  wirk- 
te. Die  Grenzlinie  des  Haares  um- 
zog das  Gesicht  in  einer  scharf 
bestimmten  und  eigentlich  edlen 
linie.  Seine  Augen  schimmerten 
uns  gerade  entgegen,  mit  einem 
Ausdruck     ausserordentlichen 
Kiunmers  und  doch  der  Ehrlich- 
keit  eines   gestellten   Tieres.   Er 
war  es,  mit  dem  ich  in  den  fol- 
genden Monaten  eine  der  seltsam- 
sten und  engsten  Beziehungen  in 
der  Welt  und  eine  sehr  sonder- 
bare   Abfolge    von    Erfahrungen 
haben  sollte:  Dr.  Melchior  .  .  . 

Melchior  sprach  immer  sehr 
tiberlegt,  ...  in  einer  Weise,  die 
einen  ausserordentlichen  Ein- 
druck von  seiner  Wahrhaftigkeit 
gab.  Bei  dieser  Gelegenheit,  wie 
bei  späteren,  war  seine  schwerste  ? 
Aufgabe,  seine  Kollegen  in  » 
Schach  zu  halten,  die  immer  mit 
kleinen,  un-würdigen  und  unange- 
brachten Einwänden  einzusprin- 
gen bereit  waren  .  .  .  Dieser  Jude 

—  denn  das  war  er,  wie  ich  nicht 
aus  seinem  Aussehen  entnahm, 
sondern  später  erfuhr  —  und  nur 
er,  hielt  die  Würde  des  Besiegten 
aufrecht." 

Der  englische  Experte,  von 
dem  diese  Schilderung  stammt, 
Ist  kein  Geringerer  als  John 
Maynard  Keynes. 

Es  mag  gelegentlich  vorkom- 
men, dass  sich  zwischen  Män- 
nern, die  einander  zuerst  als 
Vertreter  feindlicher  Mächte 
am  Verhandlungstisch  begegnet 
sind,  später  enger  freundschaft- 
licher Kontakt  entwickelt.  Dass 
jedoch  der  eine  der  ehemaligen 
Feinde,  der  Jüngere,  dem  Ein- 
druck der  imponierenden  Per- 
sönlichkeit des  Älteren  erliegt 

—  Keynes  war  im  Januar  1919 
35,  Melchior  47  Jahre  alt  —  und 
die   höchste  Verehrung  für   ihn 
empfindet,  ist  kein  alltägliches 
Ereignis.  Und  dass  er,  einer  der 
führenden     Nationalökonomen 
unseres  Jahrhunderts,  zugleich 
ein    Schriftsteller    von    hohen 
Graden  ist  und  seine  künstleri- 
sche Begabung  in  den  Dienst 
der  offenbar  als  Verpflichtung 
empfundenen    Aufgabe     stellt, 
ein   lebenswahres   Porträt    des 
lum   Freund    gewordenen   ver- 
storbenen Feindes  zu  vollenden 
—  das  gehört  zu  den  glückli- 
chen Zufällen,  für  die  wir  dem 
Schicksal  dankbar  sein  müssen. 

Im  Anschluss  an  den  Bericht 
über    das    einzige    private   Ge- 
spräch,  das  die  beiden  je   ge- 
führt     haben,      legt     Keynes 
schliesslich  seine  Deutung  der 
Persönlichkeit  Melchiors  dar: 
"Für  uns  beide,  die  wir  uns  so 
oft  als  Gegner,  unter  Etikette  und 
Zwang  gegenüber  gestanden  hat- 
t^,  war  es  etwas  Ausserordentli- 


ches, sich  so  ohne  Schranken  zu 
treffen.    Jene    Pariser    Verhand- 
lungen  erschienen   als   widersin- 
nig und  einem  Tiaum  zugehörig, 
und  nach  einem  Augenblick  ver- 
legener Gefühle  verfielen  wir  in 
ein  langes  und  lose  schweifendes 
Gespräch  .  .  .  Melchiors  Erregung 
war  weniger  gegen  uns  gerichtet, 
als  gegen  I>eutschland,  gegen  die 
Falschheit  und  Demütigung,  die 
sein  eigenes  Volk  auf  sich  herab- 
gezogen hatte  .  .  .  Und  besser  ais 
bisher  verstand  ich,  wie  streng- 
gläubig er  war,   ein  unbedingter 
und  aufrechter  Moralist,  ein  An- 
beter der  Gesetzestafeln,  ein  Rab- 
bi. Der  Bruch  eines  Versprechens, 
das   Zerbrechen   der    Zucht,    der 
Verfall    ehrenhaften    Verhaltens, 
der  Verrat  von   Verpflichtungen 
durch   die   eine   Partei,   imd   die 
unaufrichtige  Annahme   unmög- 
licher BedingTingen  durch  die  an- 
dere Partei  ohne  die  Absicht,  sie 
auszufüllen,    Deutschland    fast 
ebenso     schuldig.     Unerfüllbares 
anzunehmen,  wie  die  Alliierten, 
aufzuzwingen,  was  sie  zu  verlan- 
gen kein  Recht  hatten  —  diese 
Versündigung    gegen    das    Wort 
war  es,  die  ihn  so  sehr  verwun- 
dete." 


Die  hier  zitierten  Absätze  sind 
dem  Aufsatz  "Dr.  Melchior,  ein 
besiegter    Feind"    entnommen, 
der  bald  nach  dem  Tode  Mel- 
chiors   (1933)    als    einer   jener 
Vorträge    entstanden    ist,    die 
sich  Keynes  und  seine  nächsten 
Freunde  in  einem  kleinen  und 
vertrauten    Kreise    zu    halten 
pflegten.  Der  Aufsatz  ist  wieder 
abgedruckt   als   erstes   Kapitel 
des  Buches  "Carl  Melchior:  ein 
[Buch  des  Gedenkens  und   der 
^Freundschaft"    (Vorträge    und 
Aufsätze.    Herausgegeben    vom 
Verein    für   hamburgische    Ge- 
schichte. Bd.  15.  Tübingen  1967). 

II. 

Carl  Melchior  wurde  1871  in 
Hamburg  geboren.  Nach  Gym- 
nasialbesuch, Militärdienst  und 
juristischem  Studium  wurde  er 
Amtsrichter    in    seiner    Vater- 
stadt. Um  die  Jahrhundertwen- 
de trat  er  als  Syndikus  in  das 
Bankhaus  seines  Freundes  Max 
M.  Warburg  ein.  Als  Landwehr- 
Hauptmann    1914   schwer    ver- 
wundet, wurde  er  in  die  Zentral- 
einkaufsgesellschaft      berufen, 
deren  Aufgabe   es  war,   durch 
Importe  aus  dem  Ausland  die 
Ernährung    Deutschlands    und 
Österreich-Ungarns       sicherzu- 
stellen.  Seit    dem   Waffenstill- 
stand nahm  Melchior  an  den 
wirtschaftlichen  und  finanziel- 
len Verhandlungen  der  Waffen- 
stillstandskommission teil,  wur- 
de 1919  Mitglied  der  deutschen 
Friedensdelegation,       arbeitete 
dann,  nachdem   der  Versailler 
Vertrag  gegen  seinen  Rat  un- 
terzeichnet war,  jahrelang  zäh 
an  der  Lösung  des  Reparations- 
problems. Ihm  in  erster  Linie 
hatte  Deutschland  es  zu  verdan- 
ken, dass  die  Reparationen  auf 
den  Konferenzen  von  Basel  1931 
und   Lausanne    1932   endgültig 
eingestellt  wurden.   (Vgl.  Hans 
Meyer,  Ge*denkbuch  a.  a.  O.  ,S. 
139). 

Am     Anfang     dieser     Arbeit 
steht    der   Steinwurf    des   Ver- 
sailler Pöbels,  der  ihn  bei  der 
Abfahrt  der  deutschen  Delega- 
tion am  Hals  verletzte,  am  Ende 
der  Undank  des  Dritten  Reiches 
(O.  E.  V.  d.  Gablentz,  S.  109-110). 
"Am   30.  Dezember   1933   erlag 
Melchior,  der  sich  buchstäblich 
im  Dienst  seines  Landes  ver- 
zehrt hatte,  einem  Herzschlag. 
Wenige  Tage   vorher  hatte  er 
mir  noch   Vollmacht  gegeben, 
ihn  zu  vertreten,  falls  er  verhaf- 
tet werden  sollte."  So  berichtet 


im  Vorwort  Kurt  Sieveking, 
Hamburger  Bürgermeister  a.  D,. 
der  1929,  als  Melchior  den  Vor- 
sitz im  Finanzkomitee  des  Völ- 
kerbundes führte,  .sein  Sekre- 
tär war  (S.  VII). 

Alle  Autoren,  ob  sie  ihm  an 
Jahren  nahestanden  wie  die 
Geheimräte  Ludwig  Kastl  und 
Walter  Frisch,  .sowie  Hans 
Schäffer,  zuletzt  Staatssekretär 
im  Reichswirtschaftsministe- 
rium, und  der  amerikanische 
Bankier  Ferdinand  Eberstadt, 
oder  ob  sie,  Vertreter  einer  jün- 
geren Generation,  ihn  m  den 
zwanziger  Jahren  als  Vorgesetz- 
ten kennen  lernten  wie  Sieve- 
king, von  der  Gablentz  und 
Siegmund  Warburg  oder  als 
"väterlichen  Freund"  wie  Eric 
Warburg,  sind  sich  einig  in  der 
Verehrung  für  seine  Person. 

Eric  M.  Warburgs  Darlegun- 
gen gehen  davon  aus,  das.s  sein 
Vater  Max  Warburg 
"ein    ebenso     temperamentvoller 
wie    wagemutiger    und    ideenrei- 
cher Mann  .  .  .früh  erkannt  ha- 
ben muss,  dass  er  für  die  väter- 
liche Bankfirma  ...  in  seinem  ei- 
genen   Interesse   der    Ergänzung 
bedurfte.  Er  muss  auch  von  An- 
fang an  gewusst  haben,  dass  nur 
(Fortsetzung  auf  Seite  18) 


Waldbrand  am  Mittelmeer 

Von  DAVID  LUSCHNAT 

Abendgelächter  —  vom  Mond  übersilbert  — 

schwebt  höher  —  verstummt  — 

was  hört  der  waldfremde  Lauscher? 

Berge,  schwankend  im  knatternden  Waldbrana, 

Rauch,  aufquellend  gewaltig  zum  Mond  auf 

breit  bis  ans  Meer  hin  nach  Süden, 

rotes  Heulen  der  Feuerwehr 

heran  sich  heulend 

von  Ost  und  West,  um  zu  löschen 

den  Waldbrand,  den  knatternden, 

graurotes  Abendgeschweige  —  Wolken  — 

kahl  starrendes  Hügelgetön 

Hügel,  starr  tönend  mondaufwärts, 

Abendgelächter,  verblätternd  im  Raimi, 

vergehend,  verwehend  hinein  in  die  Nacht. 

Mond  sollte  scheinen, 

ist  nicht  da,  noch  nicht  da,  Finsternis 

schweigt  den  Unsichtbaren, 

den  milden  Gedanken-Erwecker, 

hinein  ins  erschrockene  Herz, 

Und  er  silbert  sich  ein 

in  unser  Abendgelächter, 

das  lautlose  —  fern  und  noch  fernere  — 

leise  Gelächter  des  Zukunftbeschauers. 

wird  Mond  noch  scheinen  — 

schflnale  hauchzarte  Sichel  — 

wird  Wald  noch  brennen  — 

wird  rote  Feuerwehr  löschen 

über  blauleuchtendem  Meer  — 

wird  graues  Wolkengewühl  sich  gewitternd  bewegen 

oder  Hügel  zum  Meer  hin  weit  überschweigen  — 

wenn  wohl  präparierte  Atom-Bomben 

uns  überfallen  —  uns  Menschen  — 

Berge  und  Meer  überfallen 

mit  gellendem  heulendem  Abendgelächter ? 


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Die  Lust  der  Lustlosen 


Erotisches  Theafer  a  la  mode 

Von  CLAUS-HENNING  BACHMANN 


Das  "erotische"  Theater  leidet 
an  seinem  Image:  nichts  als  ei- 
ne Voyeursschau  zu  sein.  Listig, 
aber    durohschaubar    sucht    es 
seinem  eigentlichen  Publikum, 
den    Magazin-Liebhabern    aller 
Altersklassen,      zu      entgehen. 
Gleich  den  Sonnenfreunden  be- 
sinnt es  sich  auf  Ideologie  und 
gibt  sich  "progressiv",  mit  hef- 
tigem Schaumschlagen  bemän- 
telt es  die  gefälligen  Blossen  li- 
terarisch.  Die  Filmleute  haben 
sich  niemals  so  gerlert,  aber  am 
Theater  hat  man  den  alten  B41- 
dungskomplex.    So    musste    in 
München  der  Mitbegründer  des 
"Theatron     eroticon",     Arthur 
Maria  Rabenalt,  dem  durchaus 
renommierten    Regisseur    Paul 
Vasil  welchen.  Selchte  Unterhal- 
tung, so  hless  es  in  einer  Presse- 
verlautbarung,    solle     künftig 
ausgeschlossen  bleiben.  Die  Wie- 
ner   Lustbarkelt    gleichen    Na- 
mens hat  sich  unklugerweise  in 
einem   einschlägigen   Kabarett 
etabliert.  Der  Dramatiker  Ho- 
rold  Pinter  soll,  als  er  das  her- 
ausfand, Aufführungsrechte  zu- 
rückgezogen haben  .  .  . 

Aber  damit  nicht  genug:  auch 
die  andere  Seite,  das  sogenann- 
te literarische  Theater,  will  auf 
den     gut    verkäuflichen     Gag 
nicht  verzichten.  Klassiker  rei- 
zen  neu   zur  Lust  mit   einem 
entblössten   Busen.    Lieb   ohne 
Zweifel  imd  viel  weniger  sym- 
bolhaltlg,    als    einige    Kritiker 
meinten,  ist  die  in  Kassel  prak- 
tizlerte    Idee,    das    traumspre- 
chende    Kleist'sche    Käthchen 
nackt     und     beim     Erwachen 
schamhaft  einen  Hut  sich  auf- 
setzen zu  lassen;   weniger  ein- 
sichtig war,  warum  ausgerech- 
net die  verleumdete  Unschuld 
Hero  —  in  Shakespeares  "Viel 
Lärm  um  nichts"  —  auf  einer 
Berliner  Bühne  barbusig  in  ei- 
nen Badebottich  musste. 

Aus  Paris,  wo  man  weniger 
schizophren  In  solchen  Dingen 
ist,  kommt  bessere  Kunde:  in 


Oskar    Panizzas    etwas     ange- 
staubtem    "Liebeskonzil"     ver- 
schmelzen Lust  und  Literatur, 
Inszenator  Jorge  Lavelli  brauch- 
te   nicht    zu    heucheln.    Doch 
selbst  bei  Ihm  gerät  eine  Orgie 
auf  der  Bühne  in  den  unfreiwil- 
ligen Humor  von  schwedischem 
Gruppensex.  Günter  Herburger 
nennt  die  Vorstellung  ein  End- 
produkt des  lukullischen  Thea- 
ters;   nie    habe    er   so   schöne, 
langsam  und  kostbar  sich  ent- 
faltende    Schweinereien     gese- 
hen. Das  Ist  eine  klare   Spra- 
che,    die    einen   hier   intellekt- 
verbrämt    sich      entfaltenden 
Sachverhalt  vorwegnimmt. 

Denn    was    da    seit    kurzem 
durchs    Theater    geistert:    die 
"sexuelle   Befreiung",   gar   erst 
die  "sexuelle  Revolution",  ist  — 
was  immer  darunter  verstanden 
wird  —  nur  ein  Phantom.  Die 
Phantasmagorie  gelebten  Eros, 
an  der  das  Theater,  professio- 
nell   Trugbilder    produzierend, 
sich  neuerdings  beteiligt,  gau- 
kelt arglistig  Fortschritt  vor  — 
einem  Imaginären  Paradies  ent- 
gegen; ja  sie  gefällt  sich  darin, 
als  Vorbotin   gesellschaftlicher 
Befreiung  zu  gelten.  Nichts  ist 
stärker  Trug  als  das,  weil  erst 
die  doppelzüngige  Moral  der  Ge- 
sellschaft die  Weichen  stellt  für 
die   kommerziell   erfolgreichen 
Ersatz-Befriedigungen  aller  Art. 
Zu  vermuten  steht,  dass  die 
sogenannte       "Sexualisierung" 
das  Gegenteil  verdeckt.  Solange 
es  sich  um  blosse  Schaustellun- 
gen  mit   einem   Minimum    an 
künstlerischer  Aktion  handelt, 
liegen  die  Dinge  einfach.  Das 
*'Sich  -  zur  -  Schau  -  Stellen", 
schreibt  Arno  Plack  in  seinem 
Buch  "Die  Gesellschaft  und  das 
Böse",  sei   die   Lust   der  Lust- 
losen. Für  dergleichen  einzutre- 
ten helsst  nur  der  alten  Trieb- 
Verketzerung  einen  modischen 
Anstrich   verleihen.   Denn    das 
schmatzende  Bürgertum,  das  Im 
"Theatron     eroticon"     liberale 


"Gesinnung"    vortäuscht,    und 
die    alt-neue    Linke    auf    dem 
Theater  sind  Brüder  im  Geiste, 
Anwälte     der     Triebunterdrük- 
kung  beide,  mag  sich  das  auf 
Seiten  der  "Revolutionäre"  auch 
manchmal     hinter     sektiereri- 
schen,   durchaus    nicht    funk- 
tionsfähigen     Gemeinschaften 
verbergen.  Wie  sich  Frömmelei 
und  wütender  Atheismus  in  der 
emotional    betonten,    triebhaft 
intendierten     Geste      zuweilen 
gleichen,  so  führen  auch  ästhe- 
tische  Kaschur   und  moralisti- 
sche   Verhüllung,    umstürzleri- 
scher Rigorismus  und  kultähn- 
liche Kopulations-Show  auf  den 
gleichen  Kern:   die  Ohnmacht 
der  Impotenz. 

In  der  Volksmeinung  und  im 
banal  journalistischen  Sprachge- 
brauch ist  "erotisches  Theater" 
einem  Theater  mehr  oder  min- 
der   "gewagter"    Nacktheit 
gleichgesetzt.    Das    gab    Unter- 
nehmungen  wie    der   von   Ra- 
benalt oder  auch  der  glänzend 
gemachten  Lüge  der  deutschen 
"Hair"-Adaption     in    München 
verständlichen  Auftrieb.  Für  die 
Ge&chäftsbosse    des  Hippie-Mu- 
sicals rührten  Public-Relations_ 
Leute    die    Werbetrommel    mit 
der  Ankündigung  einer  Nackt- 
szene, von  Mund  zu  Mund  ge- 
raunt; einer  Szene  im  Stil  des 
Living-Theatre,    an    das    auch 
Beschwörungen  anklangen  wie 
"Frieden  jetzt!  Freiheit  jetzt!" 
Doch  was  an  dem  besessen  agie- 
renden   Living-Ensemble    noch 
sich   rechtfertigen   mag   durch 
den  aussertheatralischen  Eifer, 
durch  den  gegen  das  Scheinhaf- 
te des  Theaters  gerichteten  Ver- 
such, die  Realität  unmittelbar 
in  Bilder  zu  zwingen,  geriet  in 
"Halr"  zur  Sentimentalislerung. 
Was    mit    Körperbewusstheit 
gemeint  Ist,  lässt  sich  weniger 
am  Sujet  abhandeln  als  In  prak- 
tischer   Arbeit    erproben.    Ich 
werde  mich  hüten,  neue  Theo- 


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Mr. £♦ Hamburger, 

67  Riverside  Drive, 

New  York  24. 


23,Hollycroft  Avenue, 
London  N.W, 3, 
England 
6  &iarch  1863 


•*^. 


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Dear  Sir, 

I  hear  you  are  preparing  »  book  on  German  Parlamentarians  and  Civil 

Servants  of  Jewish  extraction.As  I  «ts  Oberregierungsrat  in  the  German  Min- 

istry  of  Finance  and  later  Ministerialrat  in  the  ^russian  Ministry  for  Trade 

and  Industry  and  Staatskommissar  bei  der  ''erliner  Boerse  and  I  am  now  Mini- 

'  Jevish 
sterialdirektor  a.D..I  have  known  most  of  the/higher  civil  servants  in  Germ- 

any.  I  wdnld  be  pleased  to  put  my  knowledge  and  experience  at  your  disposal. 


Yours  faithfully, 
(H. Neufeld) 


! 


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,  ajaq'ino  usdo  ox 


Sender's  name  and  address:   ||.^.J(J^^x.f  e  1  d 


23.  HjQllyeroft  Avenue, 


London  N.W» 3, 


England; 


AN  AIR  LETTER  SHOULD  NOT  CONTAIN  ANY      ^ 
ENCLOSURE  ;  IE  IT  DOES  IT  WILL  BE  SURCHARGED 
OR  SENT  BY  ORDINARV  .\L\IL. 


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-Sccond  fold  here  ■ 


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AIROG 


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j^^j.^  E.  Hamburger , 


67,RiTerside   Drivei 
New  York  24, 


N.Y.. 


Ü.S.A. 


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5.    April  1971 


Dr»   Hans     taudinger 
453uttoii  P'lace  South 

New  yorl:,i:.Y.    10CC2 


Lieber  Freund, 


In  der   Anlage    ucbirsenc^e 
hreibens  an   iVandel   vom  2» 4* 
an  Born  hatte   ich  Dir   bereits 
in>iv.i^chan   die     hcto\opie   des 
in   dem.  Curtius    tjeint*'   .Itellungn 
hat.    .Solltest   Du  noch    .u ansehe 
raeineni  Briefe  an   Wand   1  haben, 
\\  i  3  s  en ,    i  c  Ti    ■•:  e r  d  e   i  h n    i  an  i  i  i  ir., 
vichriftv.echsels  derauf  hin^'^eis 


ich   Dir    .tschrift   {^eines 

Lie    Abschrift   des  Briefes 
gesandt,    ebenso   wirst   Du 
Briefes   erhalten  haben, 
ahme    zum   Ausdruck   gebracht 
oder  lem-r-.ungen   zu 
so   lass    sie   micr.    bitte 
7errol(-   des  '..eiter2n 
en» 


^c'-"   arbeite    jetzt  an   meinem  ..eimar-ßand  uebcr   Juden 


iia  Qe:f^:itllch:;n 


.»..  r 


e 


.1.x  • 


j-is".    iler.t   :ai  r  ein   Jru-jherer 


Bri-f  von  lieufeld   aus  Dexnera  :  iniyt&riuia  vor.    ^rinners». 
■ju  ntoh   .iQlncn  Vorn--.. -.ons?   Der  ernte   Buchstubi.'  v.ar  n. 
Vielleicht  auch  liana'-' 

FeufGld    schreibt  u.a.,äass  im  Kandeisuinisterlum 
ein  ■^reinvnic'-.r  mW  vo -urteilaf reier  C>ßlö^  unter  ücm-eiber 
vind   btaudinge-r  herrschte, und   daas  die/fruehcren  r.ollegen     I '/^t^u^p, 
3lch    in   der  Iiasi7,eit  aufrecht  und   rautig  verhalten  haben 
und  dafurr  leiden  ^'U^^sten,    wie  z.B.  ISrnst,    Jporl.connlewriaa 
und    '^chalfrjc'r.    Da  oo   viel   zu  tF-del..  ist.moecnt-    ich 
die  303  Leb  bringer!  .'':^rmst   Du  mir  ueber  einen  oder  vi^^►.'i 
von   diesen  etv;as  pm.eziseres   3at:-fin,uar:j.t   ich   zv.ei   uut.-i. 
ärei   oaetze  uebcr  sie   einfuei-en  kann? 


h 


y.eir-'^ 


Ileu-reld  er^aehnt   Flatoi^,von   de:-,    ich   genu£:    v.ej.:ir>, 
sonst  v;ar  ens^^i^eirend  i.c^in   jue.ascL.r  i^eamter   im  Handels- 
niinisterium.    ^lines   juedischen  beam^en    im  Lauuv^ir  .aohali^s- 
ini-isteriüii  erinnert   er  sich   nicht,    /.eitst  Ou  darueber 
etVaa?  Ueber  das  otaatstaiuisterium  und  daö  Ivaiayteriuci 
de--    rnncrn,r.OY;ie    d^s  Juetizrair^isttr iun  iKeiss   icL    cenu£;, 
iiTi'^  /ohlfahrtsministeriULi  v.ar   ..i ttelshof f er,ueDer  uessen 
It^ufbuhn  und  T^-ctit^eit   ich  ^urch    seine    .at^^e   cint^ehend 
inforaiert  worden  bin«   »4,  ^^-«'^^y^/^*»*.  ^'^'>  c^Z/^/^z/f^  M> ^r  ^J^ 


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/):^\^s^    d^/\  /^cr     ^'-^^^ 

kit   herzl 


ichen  Gfrue^sen 

Dein 


•^  4ir^  i 


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O'  . 


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23,  HOLLYCROFT  AVENUE, 
LONDON,  N.W.  3. 

HAMPSTEAD    7088. 


3 


13.Juli  1963 


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Dr,£. Hamburger, 
New  York  24,N.Y. 
USA, 


Sehr  geehrter  Herr  Hamburger, 


A//  ///  /4/  i^^//-'////^^^'-^ 

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ich  danite  Ihnen  fuer  Ihre  Briefe  vom  15  Maerz  und 
5, Juli  d.J. Leider  komme  ich  aus  verschiedenen  Gruenden  erst  heute  dazu, Ihnen  zu 
antworten. Ich  fuege  eine  Notiz  ueber  meine  Arbeit  etc. bei. 

Meine  Erfahrungen  ueber  die  Zusammenarbeit  mit  meinen 
Kollegen  waren  sehr  angenehm, besonders  im  Preussischen  Handelsministerium, wo  ein 
freundlicher  und  vorurteilsfreier  Geist  unter  Mirister  Schreiber  und  Staatssekretaer 
Staudinger  herrschte. Die  meisten  meiner  frueheren  l^llegen  im  H.M.  haben  sich  in 
der  Nazizeit   aufrecht  und  mutig  verhalten, einige  haben  dafuer  schwer  leiden  mue- 
ssen,wie  z.B. Ernst, Sperljtf.Schniewindilcii  persoenlich  habe  waehrend  meiner  ganzen 
Karriere  nie  unter  Antisemitismus  zu  leiden  gshabtmeine  Befoerderungen  imrden  nie 
aus  Vorurteilen  aufgehalten. IM  R. F. Min. fielen  gelegentlich  antisemitische  Bemer- 
kungen, aber  nie  mit  einer  persoenli^hen  Spitze. Ich  erinnere  mich  z.B.  einer  Be- 
merkung des  fruehereh  Reichsfinanzministers  Reinhold  ueber  Popitz^^er  umgibt  sich 
ja  mit  lauter  Juden"ein  Hinweis  auf  seine  Freundschaft  mit  Dorn  u.Zarden. 
i   ^Dorn  war  getauft. Er  war^Hilfs^rbeiter  bei  der  berliner  Industi?^u. Handelskammer, 
ging  von  dort  auf  ünpfehlung  des  Syndikus  Br.Dove  in  das  Reichs  Justizministerium, 


.wo  er  mit  Fragen  des  Internationalen  Rechts  befasst  war. Er  wurde  nach  wenigen 


Jahren  als  Ministerialrat  in  das  -^ichsfinanzministerium  uebernomiuen. Er  arbeitete 
dort   erst  als  Hilfsarbeiter  von  gecker  beim  Entmirf  der  ^eichsabgabenordnung, 
spaeter  Referent  fuer  internationale  finanzrechtli  he  Fragen  und  nahui  an  zahlrei- 
chen  internationale  Konferenzen, bes.  ueber  Keparationsfragen  (Dawes  und  Young  plan)«. 
Als  im  R. F.M,   eine  Abteilung  fuer  internationale  Finanzfragen  eingerictet  wurde, irui 
de  er  Kderen  Ministerialdirektor. Ein  wichtiges  Arbeitsgebiet  von  ihm  war  ias  inter- 
nationale Doppelbesteuerungsrecht, Hier  entwickelte  er  manche  neue  Ideen, die  von 

nach  seinem  Tode, 
denR^egierungen  anderer  Laender  angenommen  wurder. Er  ist  noch  heute Jals  einer  der 

fuehrendenSchoepfer  auf  diesem  ßebiet  des  internationalen  Finanzrechts  angesehn. 
Um  1930  wurde  er  Praesident  des  Reichsfinanzhofes  in  Muenchen.Nach  1933  ging  er 
nach  US  und  wurde  Professor  an  einer  der  kleineren  Universitaeten.Vor  wenigen  Jah- 
ren starb  er  in  Muenchen  auf  einer  Reise. 

(  J   Arthur  Zarden  stami.te  aus  {lamburg,wo  er  nach  dem  ersten  Kxiege  im  Finanzamt 
oder  Landes finanzamt  t^etig  war. Von  dort  wurde  er  in  die  Steuerabteilung  des 
R.F.M.  berufen, wo  er  sehr  bald  grossen  Einfluss  gewann. Soweit  ich  mich  erinnere, 
hatte  er  das  Einliomiuensteuerref erat. Nach  Popitz's  Ernennung  zum  Staatssekretaer 
wurde  er  dessen  Nachfolger  als  Direktor  der  Steuerabteilung, und  nach  Schaeffer's 
Ausscheiden  dessen  Nachfolger  als   Sta  tssekretaer.Er  aahm  sich  das  Leben  im 
Konzentrationslager, nachdem  er  im  Zusammenhang  mit  den  Zusamnienkuenften  des  Solf- 
krei8es,dem  er  angehoerte, festgenommen  war. Er  war  getauft. 


y 


Arthur  Norden, auch  getauft, stammte  aus  dem  Journalistenberuf .Er  war  Chefredak- 


teur des  Handelsteiles  des  Berliner  Tageblattes. Kurz  vor  oder  nach  dem  ^^nde  des 
ersten  Krieges  kam  er  in  das  R.F.M.  wurde  dort  Ministerialrat  und  Anfang  der  20er 
ahre  Ministerialiirigent  einer  Unterabteilung   fuer  Waehrngs--,Bank-u. Anleihefragen, 
Franz  Koebner,auch  getauft,  war  Mitglied  des  Sekretariats  der  Deutschen  Bank 


und  spaeter  direktor  deren  Filiale  in  Konstantinppel. Waehrend  des  Krieges  war 


—   p   — 


er  Finanzberater  der  deutschen  Botschaft  in  Konstantinopel. Er  trat  nach  dem  Krie- 
ge in  das  R.F.M.ein  und  arbeitete  dort  als  Ministerialrat  als  Finanzsachverstaendi 
ger  in  Reparations-u. Anleihefragen, In  der  zweiten  ^aelfte  der  20iger  Öahre  ging 
als  Sta itsfinanzrat  in  das  Direktorium  der  Preussischen  Staatsbank, wo  er  s«hr 
bald  eine  fuehrende  Stellung  einnahm. 

Richard  Fuchs  war  zunaechst  Gerichtsassessor  in  Berlin. Kurz  nach  dem  ICriege 
wurde  er  Referent  fuer  die  Ausfuerung  der  AusgleichsfMgx^bestimmungen  des  Vers- 
aaier  Vertrages(Art.296),die  die  Abwicklung  der  internationalen  privaten  Vor- 
kriegsschulden bahandeln,im  Reichsministerium  fuer  Wiederaufbau, zunaechst  als 
Überregierungsrat  und  bald  als  Ministerialrat. Als  solcher  war  er  auch  "eferent  des 
Ri«chsausgleichsgesetzes,das  die  interne  Ausfuehrung  der  Vorschriften  des  Art, 296 
regelte. Auf  Grund  seiner  juristischen  Begabung  und  Sprachkenntnisse  war  er  ein 
geachtetes  un«  einflussreiches  Mitglied  seiner  Abteilung.Er  veroeffentlichte  in 
der  Leske-Loewenfeld»s^hen  Sammlung  ueber  Die  Rec^sverfolgung  im  Internationalen 
Verkehrein  Buch  mit  dem  Titel" Di eG^rundsaetze  des  Versailler  Vertrages  ueber  die 
Liquidation  und  Beschlagnahme  deutschen  Privatvermoegens  im  Auslande", im  Verlag 
Carl  Heymann.Nach  Aufloesung  des  Reichsministeriums  fuer  Wiederaufbau  wurde  er 
in  das  R.F.M.als  i^eferent  in  Dorn's  Abtei lung^uebern*mmen. Nach  dem  Kriege  war  er 
zunaechst  als  Sachverstaendiger  fuer  deutsches  Recht  fuer  das  britische  Auswaer- 
tige  Amt  taetig  und  wurde  spaeter  Sekretaer  bei  der  Britischen  Botschaft  in  Bonn 
in  gleicher  Taetigkeit,wo  er  ungefaehr  zehn  Jahre  wirkte. Ludwig  Simon  war  sein 
Hilfsarbeiter  im  Wiederaufbauministerium, er  kann  Ihnen  wohl  noch  weitere  Angaben 


ueber  Fuchs'«  Wirksamiceit  dort  machen.^    fl^'\u^'i,  u^pC 

Im  Reichswirtschaftsministerium  war^  Schaef f er  , ueber  d^^^Sie  wohl  genug 

wissen. Ferner  ^var  dort  Dr. Ernst  Stern, ein  kluger  und  gruendlicher  Nationaloeko ^ 


■ff/.v-'-l- 


nom.Er  ging  spaeter  in  das  Statistische  «ieichsamt  und  sodann  zur  reichseignen 
Reichskreditgesellschaft. Er  war  Regierungsrat, hatte  aber  weit  ueber  seine  Stel- 
lung hinaus  Einfluss  und  Qeltung  in  den  Ministerien. Er  starb  im  !?^ebruar  d. J.Ich 
habe  ihm  einen  Nachruf  gewidmet, in  dem  ich  seine  Laufbahn  und  seine  .irksamiceit 
dargestellt  habe. Er  ist  in  der  Aprilnummer  der  AJR  INformation  der  Assiciation 
of  Jewish  ilefugees  in  Great  Britain  veroef fentlicht,die  Ihnen  wohl  in  N.Y.  zu- 
gaenglich  ist(Beim  Aufbau?) .  Dort  finden  Sie  die  .Einzelheiten  ueber  ihn. 

Georg  Flato.v  imr  Eeferent  fuer  Arbeitsrecht  im  Preussischen  ^^andelsminsteri- 
um.Er  war  dort  nach  meiner  eignen  feenntnis  sehr  angesehensowohl  wegen  seiner  Lei- 
stungen als  wegen  seiner  sachlichen  und  anspruchslosen  iersoenlichkeit.  Er  hat 
einen  Kommentar  zum  Arbeitsgerichtsgesetz  (ich  glaube, das  war  der  Gegenstand  ) 
bei  Bensheimer  zusammen  mit  seinem  Freunde  Otto  Kahn«-Freund, der  Richter  an  einem 
Arbeitsgericht  war,veroeffentlicht.K.-F.  ,der  Professor  of  Laws  an  der  London 
School  of  Economics  and  Social  Sciences  ist, wird  Ihnen  noch  mehr  ueber  F.  ♦ s  Wirk- 
samkeit sagen  koenneU.Er  ist  haeufig  als  Visiting  Professor  in  Yale. Seine  Privat- 
addresse  hier  ist  Roundabouts,Penrith  Drive, Shottermill,Haslemere,Surrey. 

Ich  erinnere  mich   keines  juedischen  Beamten  in  ÄxmKxxden  Landwirtschafts- 
minsteriB»,oder  im  Reichs Justizministerium, abgesehen  voi.  Dorn*  verhaeltnissmaessig 
kurzer  Virksamkeit  dort. Im  Auswaertigen  Amt  war  Sobernheim  als  Referent  fuer  jue- 
dische  Fragen. Ich  weiss  nichts  ueber  ihn. 

Das  ist  Alles, was  mir  bisher  eingefallen  ist. Ich  hoffe, manches  davon  wird 
Ihnen  nuetzlich  sein. Aber  fragen  Sie  mich  nur  weiter. 

Ich  verbleibe  mit  freundlichen  Gr^essen   Ihr  sehr  ergebener 


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II.  Neufeld 


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Geb  2a  jtli  189?rBerUn,v.n  1896-1909  Friedrich  G^na«lu«  in  BerUn,   ^ 

1909  .1912  Studiu.  der  Recht.-  Staats.i.senschaften  an  der  Universitaet  erUn. 

mit  Praedikat.  Referendar  von  1912  -  1920. Doktor  1913. 
L912  Referendarexamen  mit  iraeaiKaT.. 

^.^1.   lon  Kia  l>Member  1918,  zweimal  an  der 
Einjaehriger  und  Kriegsteilnehmer  von  Oktober  1913  bxs   ezember  ^ 

front(Frankreich  und  Russland) verwundet. 

mit  rraedikat.  1920  Gerichtsassessor  bei  Gerichten  im  TCam  - 
1920   Assessor  Examen  mit  iraediKax,. 

'  '         A       V-.,-«n^iler  Vertrages  u.die  Entschaedigung 
Au.gleichs-u.Liquidationsbestimn.ungen  des  V^rsailer       g 

a.r  davon  l.^.«««  in  Beutschland  Betroff enen,Ver.ertung  auslaendischer  Wertga, . 
1922  Regierungsrat  ,1923  .rbeitsgebiet:Waehrungsrefor.,.ertbestaendiges  Kotgeld, 
Keform  des  Bankgesetzes.Auf.ertung  der  oeffentlichen  Anleihen. Referent  fuer  den 
....  des  Gesetzes  ueber  die  Abloesung  oeffentlicher  Anleihen  u.dessen  Ausfuehrun, 

^............rf«,«^«.^.  ^^^^r   personliches  Dankschreiben  vom  Reichs- 

.raesidenten  vulndenburg.  1925  Oberregierungsrat. Weiteres  Arbeitsgebiet, neben 
.eiterer  Ausfuehrung  der  frueheren  Aufgaben,  ..Subventionskredite. 
1..9  .ebertritt  zum  Preussischen  Miuisterium  fuer  Handel  u. Gewerbe. Arbeitsgebiet: 
S.b:;^ntrn:rr:di;f/auS^S  .inisterialr.*..«Sx...x.Anfang  1930  Staatskommissar 
bei  der  Berliner  Boerse  (Stellung  im  Range  eines  Ministerialdirigenten), gleich- 
zeitig Referent  fuer  Bank-u.Boers«.esen  im  Ministerium  f.H.&G. 

„    •   i„«  fuer  die  Reform  des  Aktienrechtes  ,neb  en 
1930  Mitglied  der  Mni.terialkommission  fuer  die  Be 

den  anderen  Aufgaben. 

Februar  1933  ^^   Ausscheiden  aus  dem  Staatsdienste  mit  voller  Pension. 

Teilnahme  an  internationalen  Ve-^ndlunge^ueber  ^^  ^^J^^  ^^^ 


^er  Anleiheaufwertung  und  Verstaendigung  mit  Frankreich  ueber  die  Saarfrage, 

Veroeffentlichungen: 

Kommentar  zum  Bankgesetz  u. Privatnotenbankgesetz   1925, Berlin, Carl  Heymann» s  Verla] 

Kommentar  zum  Gesetz  ueber  die  Abloesung  oeffentlicher  Anleihen, 1926, Mannheim, J. 

•^ensheimer 

Die  Abloesung  der  Markanleihen  der  Laender,  öeimnden  u. Gemindeverbaende, 1926, Berlin, 

Verlag  Spaeth  &  Linde 

Die  Reichsbank  nach  dem  Neuen  Plan  1931, Berlin, Carl  Ileymann's  Verlag 

Die  Aktienrechtsnovelle  vom  19. September  1931,  1932, Berlin, Carl  Heymann«s  Verlag 

u.a. 
Ausserdem  zahlreiche  Ykksk  Aufsaetze/in  der  Juristischen  Wochenschrifti^dem  Bank- 


archiv vzax  ueber  Fragen  des  Geld-, Bank-Bo er seit 
Anleihe-u.Aktienvesens. 


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Seit  1933  in  England, dort  Beratung  von  englischen  Bank-  Finanzfirmen. Veroeffent- 
lichungen ueber  Fragen  der  Friedensvertraege  von  1947. 


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23,  HOLLYCROFT    AVENUE, 
LONDON,  N.W.  3. 

HAMPSTBAD   7088. 


f^V^^r?  -^ßV>"'      ''•''''''  '^'^ 


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Dr.  E.Hamburger, 
Nev  York  24,N.Y. 
USA, 


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Sehr  geehrter  Herr  Hamburger, 

ich  danke  Ihnen  fuer  Ihre  Briefe  vom  15  Maer2  und 

5,Juli  d.J. Leider  komme  ich  aus  rerschiedenen  Ciruenden  erst  heute  da»u,Ihnea  zu 
antvorten.Ich  fuege  eine  Notiz  ueber  meine  Arbeit  etc. bei. 

Meine  Erfahrungen  ueber  die  Zusammenarbeit  mit  meinen 


Kollegen  waren  «ehr  angenehm, besonders  im  Preussischen  Handelsministerium, wo  ein 
'  freundlicher  und  rorurteilsfreier  Geist  unter  Miiister  Schreiber  und  Staats.ekretaer 

Staudinger  herrschte.Die  meisten  meiner  frueheren  Kollegen  im  H.M.  haben  »ich  in 
'  ier  Nazizeit  auf f echt  und  mutig  verhalten, einige  haben  dafuer  schwer  leiden  mie- 
ssen,wie  z.B. Ernst, Sperljtf.Schniewind^ Ich  persoenlich  habe  waehrend  meiner  ganzen 
Karriere  nie  unter  Antisemitismus  zu  leiden  gshabtmeine  Befoerderungen  wurden  nie 
aus  Vorurteilen  aufgehalten. IM  R. F. Min. fielen  gelegentlich  antisemitische  Bamer- 
kungen,aber  ni»  mit  einer  persoenliwhen  Spitze.Ich  erinnere  mich  z.B.  einer  Be- 
merkung des  fruehereh  Reichsfinanzministers  Reinhold  ueber  Popitz^Jer  umgibt  sich 
ja  mit  lauter  Juden"ein  Hinweis  auf  seine  Freundschaft  mit  Dorn  u.Zarden, 

^Dorn  war  getauft.Er  war/Hilfs^rbeiter  bei  der  i^erliner  IndustJ?j>-tt. Handelskammer, 
^^ging  Ton  dort  auf  linpfehlung  des  Syndikus  Är.Dore  in  das  Reichs  Justizministerium, 
wo  er  mit  Fragen  des  Internationalen  Rechts  befasst  war .Er  wurde  nach  wenigen 


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dort  erst  als  Hilfsarbeiter  von  ßecker  beim  JJntwurf  der  Beichsabgabenordnung,  ^ 
spaeter  Referent  fuer  internationale  finanzrechtli  he  Fragen  und  nahm  an  """^"5^.^ 
eben  internationale  Konferenzen, bes.  „eber  Iteparationsfragen  (Dawe.  und  Young  plan)^ 
Als  im  R.F.M.   eine  Abteilung  fuer  internationale  Finanzfragen  eingerictet  wurde.wur 
de  er  .deren  Ministerialdirektor.Ein  nichtiges  Arbeitsgebiet  Ton  ihm  war  *a.  inter- 
nationale Doppelbesteuerungsrecht.Hier  ent^ckelte  er  — ^^--^^J^^^Jt;  ^'"^ 
denR.egierungen  anderer  Laender  angenommen  wurd^.Er  ist  noch  heute^al.  einer  der 
fuehrendenSchoepf er  auf  diesem  gebiet  des  internationalen  Finanzrechts  ange.ehn. 
Um  1930  wurde  er  Praesident  des  Reichsfinanzhofes  in  ihienchen. Nach  1933  ging  er 
nach  US  und  wurde  Professor  an  einer  der  kleineren  Unirersitaeten.Vor  wenigen  Jah- 
ren  «iarb  er  in  Muenchen  auf  einer  Beise.  .       , 

^y    ArthurJSarden^tammte  aus  ^amburg,wo  er  nach  dem  ersten  Kriege  im  Finanzamt 
odC  Landls^inanxamt  fetig  war.Von  dort  wurde  er  in  die  Steuerabteilung  de. 
R.F.M.  berufen, wo  er  sehr  bald  gros.en  Einfluss  gewann.Soweit  ich  mich  erinnere, 
hatte  er  da*  Einkommensteuerreferat. Nach  I'opitz's  Ernennung  zum  Staat.sekretaer 
wurde  er  dessen  gachfolger  als  Direktor  der  Steuerabtei lung.und  nach  Schaeffer«. 
Ausscheiden  dessen  Nachfolger  als  Sta.tssekretaer.Er  «ihm  sich  das  Leben  im 
Konzentrationslager, nachdem  er  im  Zusammenhang  mit  den  Zusammenkuenften  des  Solf- 
kreises,dem  er  angehoerte, festgenommen  war. Er  war  getauft. 


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Arthur  Norden, auch  getauf t, stamn.te  aus  dem  Journalistenberuf .Er  war  Chefredak- 


teur  des' Handelsteiles  de«  Berliner  Tageblattes.Kurz  Tor  oder  nach  dem  Ende  des 
ersten  Kriege,  kam  er  in  das  R.F.M.  wurde  dort  Ministerialrat  und  Anfang  der  20er 
Jahr.  Mini.terialiirigent  einer  Unterabteilung  fuer  Waehrng.-,Bank-«.Anleihefrag.n. 

.  Fran,  Ko.bn..ia«ch  getauft,  war  Mitglied  de.  Sekretariat,  der  Deut.chen  Bank 
und  «paeter  direkter  deren  Filiale  in  IConstantinppel.Waehrend  de«  Kriege«  war 


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er  Finanzbcrater  der  deutschen  Botschaft  in  IConstantinopel.Er  trat  nach  dem  Krie- 

ge  in  das  R.F.M.ein  und  arbeitete  dort  als  Ministerialrat  als  Finanzsachverstaend^ 
ger  in  Reparations-u, Anleihefragen. In  der  zweiten  ^aelfte  der  20iger  ä^ahre  ging 
alfl  Staatsfinanzrat  in  das  Direktorium  der  Preussischen  Staatsbank, wo  er  sehr 
bald  eine  fuehrende  Stellung  einnahm. 

\    Richard  Fuchs  war  zunaechst  Gerichtsassessor  in  Berlin.Kurz  nach  dem  Kriege 
wurde  er  Referent  fuer  die  Ausfuerung  der  Ausgleichsjtatgx-'bestimniungen  des  Vers- 
aüler  Vertrages  (Art.  296),  die  die  Abwicklung  der  internationalen  priraten  Vor- 
kriegsschulden bahandeln,im  Reichsministerium  fuer  Wiederaufbau, zunaechst  als 
Ober regierungs rat  und  bald  als  Ministerialrat. Ale  solcher  war  er  auch  ^'eferent  des  1 
Reichsausgleichsgesetzes, das  die  interne  Ausfuehrung  der  Vorschriften  des  Art. 296 
regelte.Auf  Grund  seiner  juristischsn  Begabung  und  Sprachkenntnisse  war  er  ein 


\^    geachtetes  uni  einflussreiches  Mitglied  seiner  Abteilung. Er  reroeffentlichte  in 
der  Leske-Loewenfeld'swhen  Sammlung  ueber  Die  Recjsverfolgung  im  Internationalen 
Verkehrein  Buch  mit  dem  Titel^'DieG  rundsaetze  des  Versailler  Vertrages  ueber  die 
Liquidation  und  Beschlagnahme  deutschen  Privatrermoegens  im  Auslande", im  Verlag 
Carl  HeTOann.Nach  Aufloesung  des  Reichsministcriums  fuer  Wiederaufbau  wurde  er 
in  das  R.F.II.als  Referent  in  Dorn's  Abtei lungjuebernemmen.Nach  dem  Kriege  war  er 
zunaechst  als  Sachverstaendiger  fuer  deutsches  Recht  fuer  das  britische  Auswaer- 
tige  Amt  taetig  und  wurde  spaeter  Sekretaer  bei  der  Britischen  Botschaft  in  Bonn 
in  gleicher  Taeti^eit,wo  er  ungefaehr  zehn  Jahre  wirkte. Ludwig  Simon  war  sein 
Hilfsarbeiter  im  WiederaufbauminÄsterium,er  kann  Ihnen  wohl  noch  weitere  Angaben 


ueber  Fuchses  Wirksamkeit  dort  machen.  ^^^  Aavi^  i**%^ 

Im  Reichswirtschaftsministerium  war^  Schaef f er  , ueber  d^^Sie  wohl  genug 

wissen.Ferner  war  dort  Dr. Ernst  Stern, ein  kl^uger  und  gruendlicher  Nationaloeko 


A     ^^ai/^/   ^A'^ 


''^^f     ^//<     ^^/yv; 


Reichskreditgesellschaft. Er  var  Regierungsrat, hatte  aber  weit  ueber  seine  Stel- 
lung hinaus  Einfluss  und  geltung  in  den  Ministerien. Er  starb  im  Februar  d. J.Ich 

habe  ihm  einen  Nachruf  gewidmet, in  dem  ich  seine  Laufbahn  und  seine  uirksamkeit 

n 

dargestellt  habe. Er  ist  in  der  Aprilnummer  der  AJR  INformation  der  Assiciation 
of  Jewish  Refugees  in  Great  Britain  vefoeff entlicht, die  Ihnen  wohl  in  N.Y.  zu- 
gaenglich  ist(Bei«  Auf bau?). Dort  finden  Sie  die  Einzelheiten  ueber  ihn. 

Georg  Platow  war  Eeferent  fuer  Arbeitsrecht  im  Preussischen  ^andelsminsteri- 
um.Er  war  dort  nach  meiner  eignen  Kenntnis  sehr  angesehensowohl  wegen  seiner  Lei- 
stungen als  wegen  seiner  sachlichen  und  anspruchslosen  Persoenlichkeit.Er  hat 
einen  Komnentar  zum  Arbeitsgerichtsgesetz  (ich  glaube, das  war  der  Gegenstand  ) 
bei  Bensheimer  zusammen  mit  seinem  Freunde  Otto  Kahn«.Freund, der  Richter  an  einem 
Arbeitsgericht  war,veroeffentlicht.K.-F. ,der  Professor  of  Laws  an  der  London 
School  of  Economics  and  Social  Sciences  ist, wird  Ihnen  noch  mehr  ueber  F. 's  Wirk- 
samkeit  sagen  koenneu.Er  ist  haeufig  als  Visiting  Professor  in  Yale. Seine  Prirat- 
addresse  hier  ist  Roundabouts,Penrith  Drive, Shottermill,Haslemere,Surrey. 

Ich  erinnere  mich  keines  juedischen  Beamten  in  KxmÄOixden  Landwirtschafts- 
minsteriMi,oder  im  Reichsjustizministerium,abgesehen  von  Dorn*  verhaeltnissuiaessig 
kurzer  Wirksamkeit  dort. Im  Auswaertigen  Amt  war  Sobernheim  als  R^f^rent  fuer  jue- 
dische  Fragen. Ich  weiss  nichts  ueber  ihn. 

Das  ist  Alles, was  mir  bisher  eingefallen  ist. Ich  hoffe, manches  davon  wird 
Ihnen  nuetzlich  sein. Aber  fragen  Sie  mich  nur  weiter. 


Ich  verbleibe  mit  freundlichen  ^ruesaen   Ihr  sehr  «»gebener 


V 


II. Neufeld 


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olicönjepartment.  ^ 

Mr.    Murphy    was    born 

New   York   and   began   news-  Church, 
paper  work  as  an  office  boy|Bayside. 


J.  MEYER,  77 


1    ■    "1 


F  E,  M.  WARBÜRG 

./—^ — 

Investment  Banker  Dead — 

Active  in  Charfties 
. 1 11  * 


toi 

an      Hans  J.  Meyer,  chairman  of 

g^  the  New  York  Investment  bank- 

ing  firm  of  E.  M.  Warburg  & 

Co.,    60   Broad    Street,    and   a 

former  diplomat,  died  Wednes- 

day  at  Lenox  Hill  Hospital  after 

a    Short    illness.    He    was    77 

years  old  and  üved  at  Delabar 

House  on  the  former  Warburg 

estate  in  White  Plains. 

Mr.  Meyer  was  a  cousin  of 


edi- 

rd  in 
ig  an 

the 
andi- 
pub- 
until 

)lumn.l 


ature.'the   late  financiers  Max  War- 
s,   in- [bürg,  Paul  Warburg,  Felix  War- 
ritten,! bürg    and    Fritz    M.    Warburg. 
sum-JHe    was    born    in    Berlin,    the 
n     inison    of   Dr.    Paul    Meyer    and 
Johanna     Schiff     Meyer     and 
idercdiearned   a  law  degree   in    1914 
pecial-iat   the    University    of    Heidel- 
hubarbiberg. 

i     In    1919,   Mr.   Meyer   served 

,     sons,  as  a  member  of  the  German 

'e,  Brian  [peace  delegation  at  Versailles. 

fand   the I  France,  and  from  1920  to  1925 

enzonia,  v^ras  vice  President  of  the  Ger- 

s.  Maiy  i-v.n    Reparations    Commission 

and    12|in  paris. 

F     .,,    ,    i     Later,    he     was     associated 

o^'    .  ?f  iwith  Max  M.  Warburg  and  Eric 

4',^^-  M.  Warburg  in  M.  M.  Warburg 

•'''^"!&  Co.,  in  Hamburg,  Germany. 

Hg  was  also  managing  partner 

of  its  Dutch  affiliate,  Warburg 

8c    Co..    of    Amsterdam,    the 

Netherlands. 

Mr.  Meyer  came  to  this 
country  in  1941  and  became 
prominent  in  Jewish  philan- 
thropy.  For  more  than  two  dec- 
ades  he  served  as  a  committee 
ho'.^d  or  board  member  of  the 
Unitc  ■  Jowish  Appeal,  the 
American  Jewish  Joint  Distri- 
bution-Committce,  the  PEG  Is- 
rael Economic  Corporation  and 
the  New  York  Foundation  for 
Nursing  Homes. 

He  was  also  first  vice  Presi- 
dent of  the  American  Federa- 
.Icnm  r  --Ition  of  Jews  from  Central  Eu- 
m  Corpora- rope.   a  director  of  Help  and 
t    conccrnj  President  of  the  Jewish  Philan- 
II  hc  was  thropic  Fund  of  1933. 
the   Pclro-|     From     1942     to     1946.     Mr. 
for   War  I  Meyer  was  with  the  Office  of 
Strategie  Services.  He  was  un- 
married. 

A  funeral  service  will  be 
held  at  4  P.M.  today  at  Camp- 
bell's,  Madison  Avenue  and 
81  st  Street.  Interment  will  be 
private. 


:30 


Dies; 
lOil  Aide 

Mce  pres- 

titions    of 

Oil  Com- 

Jy  in  Peter 

fal.  Boston. 

and  livcd 

[■abia. 

born    in 

attended 

|c   and   the 

p  nnd  City 

/orkcd    in 

rompanies 


MADE^ 
EX-L 

Madel» 
literai-y  £| 
at  the  g] 
ical  Cenli 
after  a  U 
years   o' 
Bridgemi^ 
Md. 

As    a 

Brennan 
agency 
with  her 
Mrs.    Eli; 
New  Yo:i 
careers   ff 
well-knov; 
Nelson  /' 
man  and 

In  rece.^ 
was  an  in: 
Goucher  ^ 
munity  C 

Miss  Bl 
ated  fron( 
1934,  att 
School,  w 
recting.  Sh 
degree  in 
Johns  Ho;, 
1961. 

Survivir 
Molly  Mar 
est  Hills,  Q 
Peter  Jam- 
ville,  N.  ^ 


Other O 


Istant  man- 
ic  depart- 
Inc.  He 
Irican  here 
lomist. 
Mdow,  the 
^^wo  daugh- 
ioet  A.  El- 
James. 


RREN 


GLENN  W.  DRESBACH, 
LYRICP0ETJ8,  DEAD 

EUREKA      SPRINGS,     Ark., 
17     (AP)--Glenn    W 


ADLER— Eätellii 

of   the   late 
A.   Routh  an 
cf  Pamela  A ! 
M.    and    Frer 
Ralph     Bloorr, ' 
and  7-9  PAA 
Ave.   at  fil'sti 
of   flowcrs, 
pilal,    N.   Y. 
ehester,    N. 

ARON— Mix,   t 

the    late    Alfi 
Jennie,    devoj 
9:45    A.M., 
91st  St.  and 
BEGGS— Morris 
25tb   Husbandi 
of  Mrs.  Leonf 
R  I.   Brother 
N )     Resident 
River    Park, 
Saturdav    mor 
Sons   Memorif 
Mass  ,  at   1 1 
and    Friday 

BENDER.>Edw 

drvoied   fathp 
ished  grandfc 
and  Matthew 
at   "The   Riv 
dam   Ave. 
BENDER— Edw> 
and    empjoyef 
the    loss    of 
a    devoted    c 
extend  our  tu 
and   family. 
JC 

BERNARD^Dr. 

of  the  Alumr 
Ical  School 
untimely  pa? , 
and  feilow  e 
MARCEL 
BERNARD— Dr^ 
of  the  Chicas 
deep  sorrow , 
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^v^  ^-^  Z^U  ^^.^  i^Ac->.  4t/xc^  , 


^ 


Dr.    Hrnest   Ha' 'i burger 

67   xHlverslde   Dilve 

New  York,    N.i.  10024 


,r 


13.  Maerz  1970 
U/228- EH/IS 


'"*^'e*y~'^-^S^,m-^y 


Herrn  Dr,  Fritz  Schoenbeck 

33  Barn  Rise«..^... 

Wembley 

Middlesex  - 

England 


•■;='^f' . 


Lieber  Herr  Dr.  Schoenbeck, 

vielen  Dank  fuer  Ihr  Schreiben  vom  7. d.M. 
und  Ihre  freundliche  Zusage,  mir  bei  meiner 
Ai'bei.>  2U  halfen. 

Wie  ich  Ihnen  schrieb,  kommt  es  mir  haupt- 
so,echlich  o.uf  dar-  Prou3r.i5:>che  Finanzministerium 
,  in  den  Sie  taelii,  ^'aren. 


etil 


Aus  dem 'Handbuch  faer  den  Proussischen  Staat» 
vor  IQ'^1  ersehe  icr  ,  dass  ausserdem  noch  ein  Ober- 
finanzrat Rosenthal  im  Finanzmini  st  eriu-m  arbeitete. 
^^vx\(^v   v/ar  dort  Dr.  Ing.  Behrendt  taetiß,  den  ich 
ßl^^ichfalls  gekannt  habe.  Sonst  wuesste  ich  von 
keinem  Juedischen  Beamten  in  Ihre-Ti  einstigen  Haus. 

Ich  erinnere  daran,  dass  iiu  Finanzministeriuni 
folgende  Abteilungen  bestanden: 

I,  Zentral  abteiluxig 

II.  Haushaltsabteilung 

III   Perconal-  und  Besoldungsabteilung 

IV.  Steuer-  Kommunal-  unu  Virtschaftsabteilung 

V.  Hochbauabteilung. 

Ich  lege  innen  auch  die  Phouokopie  einer  Uebersicht 
ueber  die  Referenden  und  Hilfsarbeiter  in  diesen 
Abteilungen  bei.  Diese  Liste  stamnt  allerdings  aus 
dem'Taschenkalender  luer  Verwaltungsüeamte •  19  O, 
also  aus  der  Nazizeit  und  duerf.e  zu  Ihrer  Zelt 
etwas  anders  gewesen  sein.  Aber  als  £rinncr\,t.ig 
koennte  es  Ihnen  helfen.  Im  Jahre  1935  war  aer 
Leiter  der  Zentralabteilung  der  Staatssekretaer 


-2- 


( 


BPH— 


-  2  - 


18,  Maerz  1970 
U/228- SH/IS 


Herrn 


Dr*  Fritz  Schoenbeck,  Wembley,  Middlesex,  England 


fzu  Ihrer  Zelc  Dr.  Schleusener),  der  Haushaltsabteilung 
Min  -Dir  Dr.  Meyer,  der  Personalabteilung:  Mln.-Dlr.We://)?, 
der  *  S?eu;x.ab-:eilir.g'  Min.  -Dir .  Dr .  Hog  und  ^.r  Hochoau- 
abtellung  Geh. Baurat  Eggert .  Dies  allea  im  Jax.re  1^5^, 
ich  weiss  aicAt,  wie  weit  nach  1933  Aenderungen  vorge- 
kommen  sind. 

Ich  schreibe  dies  nur  als  f daechtnishiire   Ss 

ko-mat  >nir  nich.  darauf  sondern  If  ^fj^f '  ^^J  ^^^  ^f^ 
dischen  ßeaaitea  und  vor  allem  aui  .Sie  selus.  an,  una 
Senn  Sie  uuch  ueber  schlechtes  GeQaecntnxs  kl.^en. 
ein  Leiden,  dass  uns  in  unseren  Jahren  ^H«.  ^^'i" t, 
lo  wenden  Sie  sich  sicher  an  Ihre  eigene  Arbel.  und 
Leistung  erinnern. 

Viie  vjeit  das  Leo  Baeck  Institut  in  London  eine 
M-mdbibiioth-k  hat,  aus  der  Sie  Genaueres  ersehen 
Snenf  und  v,ie  v;kt  die  Wiener  l^^^^'^^   ^Je 
Frape  kon.rat,  kann  icn  nicht  sagen,  J^äoch  koenne..  Sie 
dies  le?cht' durch  ein  Telephon^espraech  mit  Herrn 
Arnold  Paucker  feststellen,  der  mit  Ihnen  geopioch.n 
Sat!  um  äie  Verbindunjv  niu  Ihnen  herz.ustexlen. 

Tch  -rwidere  Ihren  Wunsch,  dass  wir  uns  bald 
einmal  trefi'en  und  bleibe  .-ult  besten  Gi-uessen 

Ihr 


Srnest   Haraburger 


/ 


'•\  '. 


'  f 


Dr.Ernest  HaTibur^er 
67  Rlversids  Drive 
New  York,  N-Y.   10024 


2H.    Feoruar  19 TO 
U/li)3  -  'Sil/ IS 


Herrn  Dr.  Fritz  Schoenbeck 

3'3  ßarn  Bise 

Wenibley 

MldcilG' 

England 


^.ex 


\ 


Lieber  Herr  SchoenbecK, 


Q^:    freut  n  i  ch  sehr,  dass  ich  Sie  nach  fast 
vierzig  Jahren  dank  der  Erinnerungen  von  Leo  Kestenberg 
und  der  Hilfe  des  Londoner  Leo  Baeck  Instituts  v^ieder 
aufgefunden  habe. 


Ich  weiss  nicht ,  wie  es  Ihnen  waehrend  dieser 
7eit  erganr;en  ist.  Ich  selbst  habe  nach  sieben  Jahren 
Frankreich^nunnehr  dreissig  Jahre  iViierika  hinter  mir, 
mit^Unterricht  an  Univeraitaeten  und  zehn  Jahre  Arbeit 
als  Beanter  der  United  Uations.  Im  Augenblick  befasse 
ich  "lieh  mit  einer  Arbeit  ''Juden  im  Oeff entlichen 
Leben  Deutschlands".  Der  fcnd,  der  die  Zeit  der  Monar- 
chie von  18^8-1918  umfasst,  ist  im  Verlag  J. C.B.Mohr 
in  Tuebinfen  unter  den  Auspizien  des  Leo  Baeck  Insti- 
tuts erschienen.  \lenx\   er  Sie  interessiert,  so  Koennen 
Sie  ihn  in  fanden  einsehen.  Im  Augenblick  bereite  ich 
den  Band  vor,  der  bich  tait  aev  Zelt   der  Weimarer 
Republik  befasst,  und  dazu  wollte  ich  Ihre  Hilfe 
erbitten. 

Soviel  ich  weiss,  waren  Sie  Oberfinanzrat  und 
dann  Ministerialrat  im  Preussischen  Finanzministerium 
und  wohl  der  Kan^hoechste  Beamte  jueuischer  Abstammung, 
der  i^p  Preussischen  Finanzministerium  taetig  war.  Ich 
moechte  Sie  daher  gern  in  den  Band  mitaufnehaen  und 
wa^re  Ihnen  dankbar,  wenn  Sie  mir  eine  kurze  Biogx aphJ e 
schickten  sowie  einige  Charakteristika  ueber  Ihre  "^U^nst 
taetigkeit . 

Ich  lege  das  Buch  so  an,  dass  das  Wirken  der  jue- 
dischen  Beamten  und  Parlamentarier^ eingegliedert indie 
allgemeine  devit  che  und  deutsch- juedische  Geschiente 
erzaehlt  wird,  und  bei  jedem  der  behandelnden  Beamten 
eine  kurze  Darstellung  des  Lebenslaufs  gegeben  vsctoiiX 

-2- 


-   2    - 


24.    Februar  1970 


\J/I'j8 


-  mi/is 


Herrn  ftr.  FriLz  Schoenbeck,  35  Barn  Rise,  Wembley,  Middlesex. 


/w 


wird 


und  im  Text  das  Wesentliche  seines  Wirkens  hervor- 
gehobenT  Bei  aen  juedisciien  Beamten  ist  oft  charak- 
teristisch, dass  sie  Vertrauenö<:\aenner  ihrei»  Minister 
oder  ihrer  sonstigen  Behoerdencheis  waren  -  v/ie  z.B. 
Weichi^ann  und  Hirschfeld  -  mit  Presseangelegenheiten 
befasst  waren,  XiXü^   etwa  wie  Goslar,  Peiser  und  gleich- 
falls Hirsclifela  -  sicii  fuer  Arbeitsrecht  besonders 
interessierten,  weit  liiehx'  sclirif ustellerisch  hervor- 
getreten sina  als  ihx'e  nicht- Juedischen  Kollegen,  etc. 
Auch  die  Ar^,  wie  ihr  Dienst  i.i  Ministerium  verlaufen 
ist,  ihr  VerhaeluniB  zu  den  Kollegen,  ist  oft  wichtig 
und  charakteristiscn. 

Wuerdeb  Sie  30  iraundlich  sein  und  lair  die  Bitte 
erfuellen  und  vielleicht  auch  noch  auf  etwaige  anaere 
juedische  Beamte  hinweisen,  dl^^  Ihnen  waehrend  Ihrer 
Laufbahn  befregnet  sind?  Fuer  das  Staatsministerium, 
das  Ministerium  des  Innern,  da^  Unte'-'richts Ministerium, 
das  Wohlfahrtsministerium,  das  Justizministerium  und  das 
Handelsministerium  habe  ich  das  Material  zusammen.  Ob 
ein  juedischer  Beamter  im  Freussischen  Landwirtschafts- 
ministerium taetig  war,  weiss  ich  nicht;  vielleicht 
koennen  Sie  auch  dabei  helfen.  Fuer  die  Parlamentarier 
habe  icn  das  gesaute  Matei-ial  an  Hanci  der  Landtags- 
hand bue  eher. 

Ich  wuerde  mich  sehr  freuen,  von  Ihnen  zu  hoeren 
unö  bleibe  mit  besten  Gruessen 

Ihr 


Dr.Ernest  Hamburger 


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Fragebogen 


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Fritz  SchoenbecK 


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Besondere  Bemerkunsen:  ^  ,  /  ,  ,   .  ,   ^ 

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vvurde  von   Eruening  als  kuenftiger   ötaatsbekretaer   ini  Finanz- 
^     miriisteriura  ins    AUge    gefasst ,  Vveil    er   dienstaeltester  ilinisterial 
,^       direkter,    seit    1923  Leiter   a^v   dteutralteilung  und   mit   allen 
Sparten    des  Hinisteriuins   vertraut    v.ar.    Dies  als   Hilferding 
und  Popitz    im  Dezeiaber    1929    zurueck  traten .    Zarden   auch  f'-.ehig 
im  Umgang   mit  den    o-i-hreferenten.    Geboren   1874.    Bruening    jedoch 
z\  eifelhaft,ob   V/echsel   nach  nur    3  ilonaten  d.m  Dienstbetrieb 
nuetzlich    sein  Vvuerde. 


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Die  V^ertreter  PreuKens  in  Leipzig 


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Originallitbojjraphie    von    E.    Stumpp. 


Obere  Reibe  von  links:  Der  Staatsrechtler  Professor  Dr.  Heller,  Frankfurt  a.  M.. 
Ministerialdirektor  \^r.  Badt,  Ministerialdirektor  Dr.  Bredit.  —  ['ntere  Reihe:  Reg.- 
Assessor  Dr.  Arian  am  Polizeipräsidium  Berlin,  der  Staatsrechtler  Prof.  Dr.  Peters, 
Berlin,  der  Staatsrechtler  Prof.  Vir.  Giese,  Frankfurt  a.  M.  —  Ganz  rechts  außen  der 
berühmte  Staatsreditslehrer,  Interpret  der  Weimarer  Verfassung,  Prof.  Dr.  Au- 
schwitz,  Heidelberg. 


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