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Ernst von Lasaulx
(1805—61),
ein Lebensbild,
dargestellt
von
Dr. Remigius Stölzle,
ord. Professor der Philosophie an der Universität Würzbarg.
Motto: ,,Gehe aufrecht durch das Leben,
tue recht und scheue niemand/
E. V. Lasaulx.
Münster i. W. 1904.
Druck und Verlag der A sehender ff sehen Buchhandlung.
Vorwort.
Vorliegendes Lebensbild E. v. Lasaulx' wäre sehr unzu-
länglich ausgefallen, wenn mir nicht von verschiedenen Seiten
Material an Briefen und Akten zugeflossen wäre. Zu größtem
Danke bin ich für die Überlassung von Briefen E. v. Lasaulx'
verpflichtet den Herren: Dr. Franz Binder, Redakteur der histo-
risch-politischen Blätter, Dr. Georg Maria Joch n er, kgl. gehei-
mer Haus- und Staatsarchivar in München, Klemens v. Lasaulx,
Bürgermeister a. D. und Oberleutnant a. D. in Bonn, Prof. Dr.
Friedrich in München und Prof. Dr. Henner in Würzburg.
Ferner danke ich der Universität Würzburg für Benutzung der
einschlägigen Fakultäts- und Senatsakten, der Universität
München für die der Senatsakten. Einzelne schätzbare Litera-
turnachweise verdanke ich den Herren Prof. Dr. Holland, Dr.
Sepp, Sr. Exzellenz dem Herrn Erzbischof Dr. Joseph v. Stein
in München und den Herren Professoren Dr. Henner, Chroust,
Boll und Merkle in Würzburg. Auch allen denen sei Dank
gesagt, welche nur melden konnten, daß sie nichts von Briefen
E. V. Lasaulx' besitzen. Was an Nachrichten über E. v. La-
saulx aus Memoiren, Parlamentsberichten, Zeitungen, Geschichts-
werken beigebracht werden konnte, ist herangezogen und bei
Briefen mit der da und dort gebotenen Diskretion verwertet.
Ist auch absolute Vollständigkeit, da viele Briefe E. v. Lasaulx'
verloren oder unzugänglich sind, ausgeschlossen, so reicht doch
das verwertete Material nicht nur zur Anfrollung eines relativ
vollständigen Lebensbildes vollkommen aus, sondern bildet
auch die unerläßliche Grundlage und Voraussetzung zu einer
künftigen Darstellung der Weltanschauung E. v. Lasaulx',
ihrer Wurzeln und Entwicklung.
Inhaltsangabe.
Seite
Vorwort III
Einleitung 1
1. Kap. Jugendzeit (1805—17) 5
2. Kap. Lehrjahre (1817—30) . 13
8. Kap. Wanderjahre und Promotion (1880—85) 22
4. Kap. Lasaulx Professor in Wtirzburg (1885—44) 84
5. Kap. Lasaulx als Publizist und Vorkämpfer in der Kölner Sache
(1887) ' 96
6. Kap. Lasaulx Professor in München (1844 — 47) 114
7. Kap. Lasaulx' Quieszierung 1847 122
8. Kap. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung
(1848-49) 135
9. Kap. Lasaulx als Professor in München reaktiviert (1849 — 61) . . 172
10. Kap. Lasaulx Abgeordneter im bayerischen Landtag (1849 — 61) . . 182
11. Kap. La.sau1x in den Ferien. Neue Wanderungen in Griechenland
und Italien. Auf Schloß Lebenberg 218
12. Kap. Lasaulx' Familienleben 233
13. Kap. Lasaulx' Charakter 241
14. Kap. Lasaulx' religiöser Entwicklungsgang 257
15. Kap. Krankheit und Tod. Schicksal seiner Familie. Keine Schule . 280
Schluß 288
Anhang 289
1. Die Hauptdaten aus Lasaulx' Leben 289
2. Lasaulx' Vorlesungen und Übungen 289
8. Chronologisches Verzeichnis der von Lasaulx veröffentlichten
Schriften ' 290
4. Namenverzeichnis 293
Ernst von Lasaulx.
Einleitung.
Motto: ^Was in der Zeiten Bildersaal
Jemals ist trefflich gewesen,
Das wird immer einer einmal
Wieder auffrischen und lesen."
(+oethe.
Das 19. Jahrhundert zählte hauptsächlich in seiner ersten
Hälfte eine Reihe von hervorragenden katholischen Männern,
Mrelche in Wissenschaft oder Kunst oder Politik eine führende
Rolle inne hatten. Besonders war München unter der Initiative
des gro&en Königs Ludwig I. ein Sammelpunkt bedeutender
katholischer Männer geworden. Namen wie Baader,^) Corne-
lius, 2) Döllinger,^) Sepp,^) Ringseis, ^) Görres,^) La-
saulx,^) Moy,^) Phillips,^) Deutinger^^) werden immer als
Größen des Geistes oder Charakters genannt werden. Einzelne
dieser Männer wie DölHnger^^) und Görres^^j haben schon
ihre Biographen und oft mehrfache Würdigung gefunden, andere
warten noch der Feder, die ihnen gerecht werden soll. Zu den
letzteren gehört auch Lasaul x, der in mehr als einer Hinsicht
sich bekannt gemacht hat. Die Geschichte der klassischen Phi-
lologie gedenkt mit Anerkennung seiner Begeisterung für das
klassische Altertum, ^^) die Geschichtschreiber der Geschichts-
philosophie haben ihm einen ehrenvollen Platz eingeräumt ^^) und
*) hervon-agender Philosoph (1765—1841). — *-) berühmter Maler. —
••) beröhmter Eircbenhistoriker (1799—1890). — ^) bedeutender Historiker
und Palästinaforscher, lebt in München. — ") berühmter Arzt und Gelehrter
(1785—1880). - «) bekannter Patriot und Schriftsteller (1776—1848). —
") 1805—1861. - "") Jurist (1799—1867). — ^) bekannter Jurist und Konvertit
(1804—72). — ^^) bedeutender katholischer Philosoph (1815—64). — ^') durch
Friedrich (1899-1901) und Michael (1892). - *^) durch Sepp (1877 u, 96)
und Qalland (1876). — ^^) Bursian: Geschichte der klassischen Philologie
in Deutschland 1883, p. 737. — ") Plint: The philosophy of history in
France and Germany 1874, p. 566—74. Rocholl: Die Philosophie der Ge-
schichte 1878, p. 161—64.
Stölzle: Ernst von Lasanlx. V
2 Einleitung.
geschichtsphilosophische Werke kommen noch heute auf seine
Ideen zurück. ^) Die Geschichte der Philosophie hat ihn nicht
vergessen, ^) . der deutsche und bayerische Parlamentarismus
zählt ihn zu seinen vornehmsten Kämpen, in der Geschichte der
Universitäten Würzburg und München hat er sich einen Platz
als gefeierter Lehrer gesichert. Sein mutiges Eintreten für Frei-
heit und Rechte der katholischen Kirche erwähnt dankbar die
Kirchengeschichte, ^) von ihm spricht selbst die Geschichte der
katholischen Theologie, ^) und die Profangeschichte jeder Rich-
tung, soweit sie das Jahr 1847 in Rayern näher berührt, rühmt
seinen Freimut und seine Charakterstärke. Trotz dieser mannig-
fachen Verdienste um Wissenschaft und öffentliches Leben hat
Lasaulx bis heute keine entsprechende Würdigung gefunden.
Hu her hat im Nekrolog in der Allgemeinen Zeitung sein Leben
und Wirken in großen Strichen gezeichnet, nicht ohne Wohl-
wollen, aber doch nicht ganz zutreffend. ^) Ein pietätvolles Denk-
mal dagegen setzte Lasaulx gleich nach seinem Tode sein treuer
Schüler Prof. Dr. Holland in der Schrift: „Erinnerungen an
Ernst von Lasaulx**.^*) Aber das Rüchlein, so warmherzig und
gehaltvoll dasselbe auch ist, macht gar nicht den Anspruch, eine
volle und allseitige Würdigung Lasaulx' zu geben. Prantls
kurze Charakteristik Lasaulx' in der Allgemeinen Deutschen
Riographie wird einem Lasaulx in gar keiner Weise gerecht.^)
So ist bis heute Lasaulx' Leben nicht eingehender beschrieben,
seine politische Wirksamkeit ungewürdigt, seine Stellung zu den
geschieh tsphilosophischen Problemen nur nach einem Werke
beurteilt, seine religions- und kunstphilosophischen Anschauungen
sind überhaupt noch nicht dargestellt. Die Oberflächlichkeit tut
Lasaulx gewöhnlich mit den Wendungen ab: „Die Phantasie
überwog bei ihm den Verstand**; „er hat mehr durch seine Per-
sönlichkeit als durch seine Wissenschaft gewirkt.** Man vergißt,
') Helmolt: Weltgeschichte 1899, L Bd., p. 6. 9. Goldfriedrich:
Die historische Ideenlehre in Deutschland 1902 passim. — ■) Erdmann:
Grundriß der Geschichte der Philosophie 1878, § 344, 6, p. 694. 0. Will-
mann: Geschichte des Idealismus Bd. 11 1 (1897), p. 774. Aloys Schmid:
Wissen^haftliche Richtungen auf dem Gehiete des Katholizismus 1862, p. 237. —
") z. B. H. Hurter, S. J.: Nomenciator literarius recentioris theologiae catho-
licae Bd. III (1895), p. 939, Anm. 2: „Stetit strenue pro iuribus eccleaiae
catholicae turharum Coloniensium tempore." — *) Werner: Geschichte der
kath. Theologie 1866, p. 624, 574. — '^) Allgemeine Zeitung 1861, Beilage,
Nq. 109. — ^) München 1861, 46 S.S. — ') Allgemeine deutsche Biographie
Bd. 17, p. 728.
fi)it)leFfcuDg. B
daß diese Urteile aus dem Lager der Gegner kommen! Eine
gründlichere Betrachtung ergibt ein anderes Bild.
Darnach war er kein Phantast, sondern ein Mann, der mit
gesundem und meist zutreffendem Urteil [und weit vorschauen-
dem Blick die politische Lage zu beurteilen wußte. Die
nachfolgende Entwicklung der Ereignisse hat ihm wiederholt
recht gegeben — ein Beweis seines klaren Urteils. Auch sind
die von ihm vertretenen konservativen Prinzipien nicht gegen-
standslos geworden im Laufe der Zeit, sie sind vielmehr auch
heute noch Hort und Stütze der Völker.
Was aber Lasaulx* w^issenschaftliche Bedeutung betrifft,
so hat man ihn bisher unter einem ganz falschen Gesichtswinkel
betrachtet, wenn man seine Arbeiten vom philologischen Stand-
punkt aus würdigte. Denn ein Philolog, dem in grammatischen
und textkritischen und antiquarischen Kleinigkeiten, so notwendig
dieselben auch als Grundlage sind, die Philologie aufging, war
er nicht, noch wollte er es sein. Dafür war er ein ideenreicher
Philosoph, der auch das klassische Altertum nicht abgerissen
für sich, sondern als Glied im Zusammenhang der großen Welt-
geschichte betrachtete, der besonders den Ideengehalt des klas-
sischen Altertums zu erfassen und zum Verständnis zu bringen
suchte. Ihm war die Philologie schließlich Philosophie der
Geschichte. Darin erblickte er die höhere Aufgabe der Philolo-
gie. ^) Dazu war er ein Mann von feinem Gefühl und Verständ-
nis für das Schöne. Will man also La sau Ix' wissenschaftlicher
Tätigkeit gerecht werden, so muß man ihn als Religions-,
Geschichts- und Kunstphilosophen würdigen. Wir tragen
somit eine Schuld an dem Manne ab, wenn wir sein Leben und
Wirken in eine richtigere Beleuchtung rücken, als bisher der
Fall war. Dabei wollen wir durchaus keine Apologie schreiben.
Dazu kommt ein anderes: Die Schilderung von Leben und
Wirken hervorragender Männer ist immer herzerhebend, beson-
ders wenn dieselben auch durch Charakter hervorragten. Ein
solcher Charakter von fast antiker Größe und Konsequenz war
Lasaulx. Selbstlosigkeit und hilfbereite Herzensgüte, Uner-
schrockenheit und Freimut, Wahrheit und Gerechtigkeit waren
seine Leitsterne in allen Lebensverhältnissen. Dem Lebensbild
eines solchen Mannes kommt also neben dem wissenschaftlichen
*) Lasaulx, Studien 1854, p. IV.
1 *
4 BiDleitnog.
Wert noch eiii ethischer zu. Es wird ein Vorbild für eine
Zeit, welcher Ideal und Charakter immer mehr zu entschwinden
drohen, eine Mahnung an ein Geschlecht, das nur noch Zwecke,
aber keine Grundsätze mehr zu kennen scheint, ein Spiegel ftür
eine Generation, die ihr Tun und Lassen nicht mehr nach den
ewig gültigen Normen der Sittlichkeit, sondern immer mehr nach
den unreinen Motiven des wechselnden persönlichen Vorteils ein-
zurichten trachtet.
1. Kapitel.
Jugendzeit (1805—17).
Motto: j,WtL& man ist, das blieb man
andern scbiildig/
Goethe, Tasso I, 1.
Ein moderner Schriftsteller tut einmal den Ausspruch: „Der
Mensch ist nur die Summe von Eltern und Amme, von Ort und
Zeit, von Luft und Wetter, von Schall und Licht, von Kost und
Kleidung, und wer den Menschen und dessen Lebensbedingungen
genau kennte, der vermöchte eine mathematische Formel für sein
gesamtes Handeln aufzustellen.** Der Satz, in dieser Ausdehnung
unhaltbar, enthält doch die Wahrheit, daß jeder Mensch in sei-
nem leiblichen und geistigen und sittlichen Sein viel seinen
Eltern und der Umgebung zu verdanken hat. Wie wir ein Ge-
wächs nur daim vollständig begreifen, wenn wir dessen Wurzeln
und Umgebung kennen, so wird uns auch das Menschengewächs
nur ganz verständlich, wenn wir uns mit seiner Abstammung und
seiner näheren und entfernteren Umgebung bekannt gemacht
haben. Daher vergegenwärtigen wir uns zuerst E. v. Lasaulx*
Eltern, dann seine Geschwister, Verwandten und Freunde und
endlich die Verhältnisse in Koblenz und in der Rheinprovinz
zur Zeit von Lasaulx' Jugend.
L E. V. Lasanix' Eltern.
Johann Claudius v. Lasaulx war der Sohn des durch
seine Wirksamkeit und seine widrigen Schicksale bekannten
Syndikus Peter Ernst v. Lasaulx. Geboren 1781 hatte Jo-
hann Claudius in Würzburg seit 1798 zuerst Jus und dann Me-
dizin studiert, ohne seinen Studien indes durch ein Examen einen
Abschlufl zu geben. Noch vor seinem Abgang von der Universität
heiratete er (1803) und brachte zur Überraschung seines Vaters
6 1. Jugendzeit.
eine junge Frau Anna Maria Müller als Gattin mit in seine
Heimat. Nach verschiedenen erfolglosen Versuchen, eine selb-
ständige Existenz zu gewinnen, erhielt er 1812 durch Vermitt-
lung von Joseph Görres, der Katharina, die Tochter des Onkels
(Adam) von Johann Claudius^) geheiratet hatte, das Amt eines
Kreisbaumeisters und vrurde bald einer der bedeutendsten Archi-
tekten des Rheinlandes, von der preußischen Regierung in diesem
Amte bestätigt und zum Bauinspektor ernannt. Besonders um
den Kirchenbau in den Rheinlanden erwarb er sich große Ver-
dienste, ebenso um die Hebung des Handwerks. Man rühmt
seine Uneigennützigkeit — Uneigennützigkeit und Gleichgültigkeit
gegen die Güter dieser Welt ist überhaupt ein durchgehender
Zug in der Lasaulxschen Familie — , seine Pünktlichkeit und
Ordnungsliebe. Zu Hause still in sich gekehrt, war er gegen
Bekannte und Verwandte und alle, die mit ihm verkehrten,
äußerst liebenswürdig und freundlich. Sein Wesen hatte etwas
Vornehmes und Ritterliches. Freiheitlich gesinnt ließ er seinen
Kindern im Lernen und in religiöser Hinsicht großen Spielraum.
Obwohl um Kirchenbau und um christliche Kunstanschauung sehr
verdient, stand er doch selbst dem kirchlichen Leben lange
Jahre völlig fern, nicht aus Feindseligkeit gegen das Christentum,
sondern infolge einer Gleichgültigkeit gegen äußere Formen, wie
sie im 18. Jahrhundert vielfach herrschend geworden war. Erst
ein Jahr vor seinem Tode kehrte er sich wieder dem positiven
Christentum zu und ließ sich erkrankt die Sakramente reichen. 2)
Im übrigen war er ein Mann von praktischem Verstand und
nüchternem Blick. Als solchen lernen wir ihn aus seinen Briefen
an seinen Sohn Ernst kennen. In diesen Briefen gibt er seinem
Sohn Lehren echter Lebensweisheit und gereifter Erfahrung. So
schreibt er einmal: „Man soll Unglück und Kalamität nicht zu
beseitigen suchen, sondern Nutzen daraus ziehen." Ein andermal
') Johann Claudius v. Lasaulx f 1791 in Koblenz.
Adam t 1813. Karl. Peter Ernst (1757—1809) Syndikus.
Katharina. Franz. Johann Claudius. Adam. Kleuiens. Peter. Elisabeth. Christine. Amalit
(sp.FrauGörres). (1781-1848). i
Peter Ernst. Otto, Hermann. Anna. Klementine. Amalie.
(1805). (1806). (1808). (1810). (1812). (1815).
**) Erinnerungen an Amalie von Lasaulx etc. von Christine Freiin
von Hoiningen-Hueno 4. Aufl. Gotha 1891, p. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 59,
1. Jugendzeit. 7
mahnt er zur Klugheit. „Die Macht der Schelme ist ebenso stark,
daß sie besonnener und pfifßger sind wie die ehrlichen Leute*
Wenn man daher unbesonnen und ungeschickt gegen sie zu Felde
zieht, wird man fast immer zu kurz kommen. Ohne Klugheit ist
einmal nicht fortzukommen." Bezüglich des Briefschreibens em-
pfiehlt er besondere Vorsicht: „Solange es Briefe gibt, sind und
werden welche geöffnet werden, mußt darum nichts schreiben,
was nicht allenfalls gedruckt werden könnte, oder eine Zeichen-
sprache erfinden.** Die Briefe des Vaters haben etwas Senten-
tiöses, — ein Zug, der auch für die Briefe des Sohnes charak-
teristisch ist. —
Von anderer Art war die Mutter Ernst v. Lasaulx'. Viel
kirchlicher gesinnt, aber weniger liebenswürdig, wird sie in den
Erinnerungen an Amalie v. Lasaulx geschildert. „Sie war ein
ernster, durch und durch wahrhafter Charakter, voll innerer
Herzensgüte gegen ihre Angehörigen; in ihren Briefen spricht
sich ein inniges, treues, ja sogar ein poetisch schwärmerisches
Gemüt aus, allein die ihr angeborene Verschlossenheit und Zu-
rückhaltung ließ sie für ferner Stehende kalt und unnahbar er-
scheinen. Als Hausfrau war sie von sehr großer Pünktlichkeit
und Ordnung und fast beängstigender Sauberkeit. Sie war bei
Verwandten und Freunden mehr geachtet wie geliebt, und man
nannte sie wohl hier und da im Scherz: Die alte Philosophin,
die Frau Priorin, die Sapientia etc.
. . . Durch den Einfluß der Mutter mochte es wohl kom-
men, daß ein drückender Ernst und eine gegenseitige undurch-
sichtige Verschlossenheit im Lasaulx sehen Hause herrschte.
Über Differenzen, wie sie wohl überall vorkommen, wurde dort
sich nicht ausgesprochen, sondern ausgeschwiegen. Wochen-, ja
monatelang konnten Eltern und Kinder nebeneinander herghen,
ohne auch nur ein Wort zu wechseln** ^)
Solchen Eltern wurde am 16. März 1805 unser Peter
Ernst V. Lasaulx als Erstgeborener beschert. Wenn man spä-
ter an Ernst v. Lasaulx Vornehmheit und Ritterlichkeit, Selbst-
losigkeit und Herzensgüte, Freimut und Wahrhaftigkeit, poeti-
schen Schwung und lebhafte Phantasie, in sich gekehrtes We-
sen und Liebenswürdigkeit rühmte., so wissen wir aus der vor-
stehenden Charakteristik seiner Eltern, daß diese Gaben unserem
Ernst als elterliches Erbteil in die Wiege gelegt wurden. ^)
*) ErinneruDgen an Amalie von Lasaulx etc. p. 9—10. — -) Erin-
nemngen an Amalie v. Lasaulx etc. 1891, p. IL
8 1. Jugendzeit.
Von den Eltern empfing er den ersten Unterricht. Die ersten
Bücher, die er las, waren Robinson und die Geschichte der
Entdeckung Amerikas. Diese Lektüre entzündete in ihm nach
eigenem Geständnis die Lust zu wandern ^).
Viel von dem, was der Mensch an guten Eigenschaften und
Gewohnheiten besitzt, verdankt er seinen Eltern, aber nicht we-
niger Einfluß üben auf seine Entwicklung Geschwister und Ver-
wandte und Freunde.
2. Lasanix' Geschwister, Verwandte und Freunde»
Ernst V. Lasaulx blieb nicht das einzige Kind seiner
Eltern. Es folgten noch ein Bruder Otto (1806), ein Bruder
Hermann (1808) und die Schwestern Anna (1810), Kiemen-
tine (1812) und Amalie (1815). Unter den Geschwistern
herrschte viel Liebe und besonders hingen die Schwestern mit
Liebe und Begeisterung an dem Bruder Ernst. Mit seinen Ge-
schwistern genoß Ernst die Freuden der Jugend, sich auf Spiel-
plätzen und im großen Garten und im ausgedehnten Hofraum
tummelnd. Besonders war das Haus des Justizrates Onkels
Longard, eines Schwagers des Vaters Lasaulx', in Koblenz
ein Anziehungspunkt auch für die Lasaulx-Kinder. Ein anderer
Onkel, den die Kinder manchmal besuchten, war Peter v. La-
saulx, Nassau isch er Amtmann in Dierdori, wo er mit großer
Selbständigkeit und Herrlichkeit amtierte. '^) Ebenso reisten
die Kinder gern zu dem Onkel Oberförster Adam v. Lasaulx,
in Adenau in der Eifel, streiften in ungehemmter Freiheit durch
Berg und Tal und lernten so die etwas melancholische Schön-
heit der Eifel kennen. ^) Von Freunden, welche im Longardschen
Hause einkehrten und so auch mit der Lasaulxschen Familie in
Berührung kamen, seien nur genannt Phillips, Kaulbach,*)
Boisseree,^) Steingaß, Montalembert, '^) Guido Görres, '^)
Klemens Brentano,^) C^hristian Brentano,-^) der den Kin-
dern allerlei kunstreiches Spielzeug verfertigte, der Regierungs-
und Schulrat Brüggemann, ^^) der mit einer Schwester des
Malers Peter Cornelius verheiratet war, Karl Cornelius, ^^) ein
^) Vita Petri Ernesti de Lasaulx in „Studien von Lasaulx'' 1854,
p. 495. — ®) Erinnerungen an Amalie v. Lasaulx etc. 1891, p. 24. —
') ibid. p. 25. — ') Historienmaler (1805—74). - ') Sulpice 1783-1854;
Melchior (1786—1851) Kunstschriftsteller. -- ^') Vorkämpfer der katholischen
Interessen (1810-70). - ') ibid. p. 26, Schriftsteller (1805 -52). - «) ibid.
p. 27—29 (1778-1842). - ») ibid. p. 29. ~ ^°) ibid. p. 29-30; Schubnann
und Staatsbeamter (1796—1866). — ") Erinnerungen an Amalie v. La-
saulx etc, 1891, p. 29-30.
1. Jugendzeit. 9
junger Verwandter der Frau Brüggemann, einer der nächsten
Jugendfreunde Amaliens v. Lasaulx und der Söhne und Töch-
ter des Lasaulxschen und Longardschen Familienkreises,
der Ingenieur Generalleutnant v. Huene,^) der Erbauer der
Festung Ehreubreitstein und die Berliner Familie Mendels-
sohn. 2) Besonders war das Haus des Onkels Longard, dem
der Vater alles zuführte, was ihn von durchreisenden Fremden,
Gelehrten und Künstlern in Koblenz aufsuchte, ^) für die Kin-
der das anziehendste, gleichsam eine zweite Heimat. „Hier war
der Boden, auf dem alle geselligen Freuden ihrer Jugendzeit
wuchsen, und wo sie sich heimischer fühlten als in dem Ernst
ihres elterlichen Hauses. Oft kam man dort zu kleinen Festen
zusammen oder unternahm gemeinschaftliche Wanderungen in die
Umgegend. In hellen Haufen zog man über Berghöhen und
Burgruinen zu einem erträglichen Wirtshaus in Capellen, in
Niederlahnstein, ins Moseltal oder wohl auch ins Kannen-
beckerland. f]in Hauptfesttag für jung und alt war der
16. Mai, Longards Namenstag. Derselbe wurde gern mit einem
Ausflug auf den Kühkopf oder auf die Mallendarer Höhe oder
auf die Ruine Stolzenfels gefeiert, wo dann überall Wald-
meister gesucht wurde, und wenn der Maiwein in Ordnung war,
so stimmte der „Namenstag" das erste Lied an, in welches die
andern fröhlich einfielen, so daß es laut und hell ins Tal hinab-
klang. Einer der anziehendsten Orte der Umgegend, welcher
oft diesen Kreis fröhlicher Menschen umschloß, war das eine
Stunde unterhalb Ehreubreitstein auf dem Berge gelegene
Gut Bosse lieh, ein ehemaliges altes Kloster, dessen Besitzer
(von Stedmann) in regem Verkehr mit den Familien Longard,
Lasaulx, Brüggemann standen. Ein unbesclireiblich poetischer
Zauber ruht über diesem herrlich gelegenen Orte, dessen Ge-
schichte tief in das früheste Mittelalter zurückreicht und auf
dessen Besitzer die liebenswürdige Gastfreiheit der alten Kloster-
leute in reichem Maße übergegangen war." ^) Auch Theater
wurde gespielt, „und es war eine Quelle von Vergnügen für die
Kinderwelt, wenn sie zwischen den selbstgemalten Kulissen als
verkleidete Ritter und Edelfrauen oder auch als böse und „edle"
Räuber auftraten, wobei sogar der gelbe Haushund, sorgsam in
Watte verkleidet, als sanftes Lamm mitspielen mußte." ^)
') Erinnerungen an Amalie von Lasaulx etc. p. 30 — 31. — ') ibid.
p. 31. — =') ibid. p. 31. - *) ibid. p. 31 32. ') ibid. p. 32.
10 1. Jugendzeit.
Die Jugendzeit unseres Ernst war demnach eine fröhliche.
Natur und Kunst, Vergangenheit und Gegenwart, Verwandte und
Freunde boten seinem aufgew^eckten Sinne reiche und vielseitige
Anregung. Aber nicht weniger wirkte auf ihn der Geist seiner
Vaterstadt und seiner Heimatsprovinz.
.-{. Lasaulx' Vaterstadt und Heimatprovinz.
Dem Einflüsse der in seinem Geburts- und Aufenthaltsorte
herrschenden Anschauungen kann sich der einzelne nur schwer
entziehen. Sie umgeben ihn fast wie die Atmosphäre. So ist
es auch Lasaulx ergangen mit gewisssen damals in den Rhein-
landen herrschenden Ansichten und Überzeugungen. Hier wur-
zeln seine Liebe zu einem deutschen Vaterlande, seine lang ge-
hegte antipreußische Gesinnung, hier seine feurige Begeisterung
für den Katholizismus, hier seine Liebe zur Freiheit.
Koblenz war 1794 unter französische Herrschaft geraten
und bis 1814 französisch geblieben. Im Frühling 1815 wurden
die Rheinlande mit Preußen vereinigt. Trotz dieser langen 20-
jährigen Herrschaft der Franzosen waren die Rheinländer durch-
aus deutsch geblieben. Perthes schreibt über die Rheinländer
und besonders über die Koblenzer jener Zeit; „An Sprache,
Sitte und Art sind sie wunderbarerweise ungeachtet der 20jäli-
rigen französischen Herrschaft durchaus deutsch geblieben.** ^)
Diese Liebe zu einem deutschen Vaterlande sog Lasaulx so
gleichsam mit der Muttermilch ein. Für ihre Weckung war ja
auch ein Verwandter von Lasaulx, Joseph Görres, begeistert
tätig. Deutsche Gesinnung war also eine Art Familien-
tradition.
Freilich dauerte die Freude der Rheinländer über die Ver-
einigung mit Preußen nicht lange, und bald machte sich eine
entschieden antipreußische Gesinnung geltend. „Denn — so
schildert die Verfasserin der Erinnerungen an Amalie von La-
saulx die damaligen Zustände — in einer ganzen Reihe von
Maßregeln und Einrichtungen glaubte das Volk, und wohl nicht
mit Unrecht, ein Mißtrauen der Regierung zu erkennen, und
diese Wahrnehmung genügte, um sofort die noch junge Zunei-
gung in bitteren Unwillen und Haß umschlagen und die uralten
Vorurteile gegen alles Preußische in den Herzen wieder lebendig
werden zu lassen. Fast alle einflußreichen Ämter sah man im't
^) Erinnerungen an Amalie von Lasaulx p. XXXVIII.
1. Jngeudzeit. 11
Fremden besetzt (wie denn z. B. unter den 19 Räten und Asses-
soren der Koblenzer Regierung sich nur 2 katholische Rheinlän-
der befanden), und diese Fremden brachten zum großen Teil
weder Liebe noch Verständnis für das rheinische Wesen und
Leben mit; sie dünkten sich den Rheinländern geistig weit über-
legen, und die Anma&ung, mit der mancher auf die eingesesse-
nen Bürger hinabblickte, empörte den gerechten Stolz derselben.
Das Volk fühlte sich in seinem innersten Wesen bedroht und
wachte daher eifersüchtig über das geringste seiner Rechte und
Traditionen. Jede Ma®el der Regierung, gleichviel, ob an
sich gut oder schlecht, wurde mit tiefem Mißtrauen aufgenom-
men, und man suchte selbst da Kränkungen, wo kein Grund
dazu vorhanden. Sogar die Verwaltung der so verhaßten fran-
zösischen Nation schien jetzt im Vergleich mit der neuen preu-
ßischen freier und besser." ^) Görres stand an der Spitze
seiner Mitbürger, er zergliederte die allgemeine Unzufriedenheit
in bestimmte Forderungen und steigerte sie dadurch. In einer
Adresse an den König gab man am 18. Oktober 1817 den sehn^
liehen Wünschen nach Wiederherstellung der früheren Freiheiten
und der alten deutschen, ständischen Verfassung Ausdruck.
Dieser Wunsch wurde noch deutlicher ausgesprochen, als Görres
an der Spitze einer Deputation bei Hardenberg erschien, um
die Verhältnisse und Forderungen des Rheinlandes darzulegen
und unter diesen die Zurückgabe der alten ständischen Verfas-
sung als die wesentlichste bezeichnete. Die Sprache von Görres
war den Altpreußen etwas unerhörtes, es war für sie die Sprache
des Aufruhrs und der offenen Empörung. Die Regierung hielt
es für Pflicht, eine Persönlichkeit von so gefährlichem Einfluß
beiseite zu schaffen. 1816 wurde der „Rheinische Merkur**
verboten, 1819 wurde gegen Görres wiegen seiner Schrift:
„Deutschland und die Revolution** ein Haftbefehl erlassen,
und seine sämtlichen Papiere konfisziert. Görres entzog sich
dem Haftbefehl durch die Flucht. 2)
Lasaulx lernte also in der eigenen Verwandtschaft die
preußische Strammheit von der unangenehmsten Seite kennen.
Wir dürfen wohl in diesen unliebsamen Erfahrungen und Beob-
achtungen den Grund der antipreußischen Gesinnung La-
saulx' erblicken, die er dann in seiner Schrift: „Kritische Be-
merkungen über die Kölner Sache** (1838) in allzu schroffer
M Erinnerungen an Amalie von Lasaulx etc. p. XLI. — '^ ibid.
XLII. XLin.
12 1. Jugendzeit.
Weise offenbarte und erst in seiner späteren politischen Tätigkeit
im bayerischen Landtag modifizierte.
Wie aber Lasaulx' Begeisterung für ein deutsches Vater-
land wie seine antipreußische Gesinnung sich im letzten Grunde
aus den Verhältnissen der Rheinlande seinerzeit erklären, so
wird anderseits seine entschiedene katholische Gesinnung
durch den damals in den Rheinlanden, besonders auch von
Görres geweckten neuen Aufschwung katholischen Lebens be-
greiflich.
„Allenthalben sproßte ein kräftiges geistiges Leben neu
empor und zwar zunächst auf kirchlichem Gebiete. Die rheini-
schen Städte wetteiferten, sich in der glänzenden Pracht ihrer
kirchlichen Feste und Prozessionen zu überbieten, und Koblenz
tat sich vor allen hervor. Mit allen warmen Farben der Kunst
und Poesie wurde der aus langem Schlafe erwachte Katholizis-
mus freudig geschmückt.** ^) Und gerade Joseph Görres war es,
„durch den zunächst im Verwandten- und Freundeskreise außer
der Liebe zu einem deutschen Vaterland auch der kirchliche
Sinn wachgerufen wurde.** 2)
Liebe zum deutschen Vaterlande, antipreußische Gesinnung,
Begeisterung für den Katholizismus, aber auch die Freiheits-
liebe, die Lasaulx sein Leben lang zeigt, wurzeln in den Ver-
hältnissen seiner Heimat, ja in seiner Verwandtschaft. Die Frei-
heitsideen, welche die französische Revolution gebracht hatte,
waren in den Rheinprovinzen begeistert aufgenommen worden.
In Görres hatte die Freiheitsidee ihren begeistertsten Herold
gefunden. Freiheit der Rede, der Presse, der Verfassung, der
Stände, — dafür war ja Görres von jeher mit flammenden Wor-
ten eingetreten. In dieser freiheitlichen Umgebung wurde La-
saulx groß, sie bestimmte seine ganze spätere Haltung, in der
ein entschieden freiheitlicher Zug das Charakteristische ist.
So haben der Geist seiner Heimatsprovinz, der Kreis der
Geschwister, Verwandten und Freunde, so seine Eltern Ernst
von Lasaulx in seinem Werden dauernd beeinflußt. Unter die-
sen mächtigen Eindrücken aufgewachsen, trat der 12jährige
Ernst v. Lasaulx zunächst ans Gymnasium seiner Vaterstadt
über. Damit beginnt seine Lehrzeit.
') Erinnerungen an Amalie von Lasaulx p. XXXVIII. — ") ibid.
p. XXXIX.
2. Kapitel.
Lehrjahre (1817—30).
Motto: ;,Man säe nur, man erntet
mit der Zeit."
Goethe, Faust II. 2.
Nach dieser fröhlichen Jugendzeit kamen für Las au Ix die
Lehrjahre, zunächst am Gymnasium, dann an der Universität.
L Lasanlx am (rymnasmin.
Mit 12 Jahren kam Lasaulx ans Gymnasium seiner Vater-
stadt. 6 Jahre studierte er dort. Besonders zwei Lehrer waren
ihm teuer, der von der damaligen Bureaukratie viel verfolgte
Christian Schlosser i) und Karl Ruckstuhl. Ihrer gedenkt
Lasaulx in der seiner Doktordissertation angehängten Lebens*
beschreibung besonders und beklagt ihren frühen Tod. In der
Vorrede zu seinen Studien kommt er nochmals auf sie zurück
und bedauert, ihren Rat bezüglich der Lektüre der Alten nicht
befolgt zu haben, nämlich alle alten Schriftsteller nach der Ord-
nung der Zeit im Zusammenhange zu lesen und für jene Seite
des Altertums, deren Erkenntnis vorzugsweise interes.siere, sorg-
fältig zu exzerpieren. ^) Wir wissen sonst aus seiner Gymna-
sialzeit nichts Besonderes zu berichten. Zeugnisse aus jener Zeit, ^)
soweit vorhanden, z. B. für Sekunda 1820/21 und Prima
1822/23 bieten nichts Bemerkenswertes. Seine künftige Rich-
tung können wir aus den vorliegenden Zeugnissen mangels
näherer Charakteristik nicht erkennen. Dieselbe tritt dagegen
schon bald und bestimmt hervor an der Universität, an welche
Lasaulx Ostern 1824 übertrat.
^) Über ihn vgl. Gör res: In Sachen der Rheinprovinzen 1822, p. 135.
— *) Studien p. III. — ') Wir verdanken sie der gütigen Mitteilung des
Herrn Gymnasialdirektors Dr. Weidgen in Koblenz.
14 2. Lehrjahre.
2. Lasaalx an der Uuivei'sität (1824—30).
1824 im April trat Lasaulx vom Gymnasium an die Uni-
versität über und zwar machte er seine Studien an 2 Universi-
täten, in Bonn und München.
a. Student in Bonn (1824—28).
Am 29. April 1824 wurde E. v. Lasaulx unter dem Rek-
torat von Joh. Christian Wilhelm Augusti immatrikuliert und
am 3. Mai unter dem Dekanate von C. F. Heinrich in der
philosophischen Fakultät inskribiert, um klassische Philologie zu
studieren. 4 Jahre blieb er an der rheinischen Hochschule und
hörte dort Niebuhrs Vorlesungen über römische Geschichte und
Altertümer, über allgemeine Ethnographie und griechische Ge-
schichte, bei Schlegel Geschichte der deutschen Literatur, alte
Geschichte und Geographie, bei Welcker griechische und römi-
mische Literaturgeschichte, griechische Altertümer, griechische
und italische Mythologie, Kunstgeschichte der Alten, Enzyklo-
pädie der Philologie, Numismatik, bei Brandis Geschichte der
alten und neueren Philosophie, Metaphysik und Religionsphiloso-
phie, Ethik, bei Heinrich und Naeke Interpretationskollegien
über Homer, Äschylus, Sophokles, Aristophanes, Plato,
Cicero, Terenz, Catull, Horaz, Persius und Juvenal. i)
Die Ferien benützte er zu Reisen in Deutschland und der
Schweiz. ^) Dem klassischen Altertum in seinen Studien vorwie-
gend zugewandt, blickt er doch schon früh über das enge Ge-
biet des Fachstudiums hinaus und zeigt schon als Student eine
gewisse Vielseitigkeit wissenschaftlicher Interessen. Auch der
deutschen Literatur, der Geschichte und der Philosophie schenkte
er Aufmerksamkeit. Besonders Geschichte und Philosophie hjiben
es ihm angetan, und er wollte, wie Kiemen s Brentano am
1. März 1828 von Koblenz an Görres nach München schreibt,
auf den doctor legens in der Philosophie promovieren. ^) Da-
mals schon tritt bei Lasaulx jene Richtung hervor, die für
seine Arbeiten später charakteristisch wurde, die Neigung zur
philosophischen und besonders zur geschichtsphilosophischen Be-
trachtung der Ereignisse und Personen. Darum suchte er noch
weitere Anregung und Vertiefung bei den damals berühmten
') Vita F. Ernesti de Lasaulx in Studien p. 495-96. — -) ibid. —
•') Joseph Gnrres: GesammeltiB Briefe Bd. III ilHU), p. 827^
2i Lehrjahre. ' 15
Philosophen Schelling und Baader und dem als Historiker
und Geschichtsphilosophen bekannten Görres. Ära 23. Juli 1828
schreibt er von Bonn an einen Freund, wahrscheinlich Guido
Görres, ein glücklicher Zufall ermögliche es ihm, seme Uni-
versitätsstudien noch um ein oder zwei Jahre zu verlängern und
künftigen Winter nach München zu kommen. Er fi*agt nach Be-
ginn der Vorlesungen, nach den Vorlesungen von Görres und
Schelling, nach dem Preis einer guten Wohnung, einer Wohn-
stube mit Schlafkabinett, dem Preise für Mittagstisch und charak-
terisiert in launiger Weise nach einigen Mitteilungen über Schul-
freunde und Bekannte einige Bonner Professoren und die Gesell-
schaft am kurhessischen Hof.
Bonn, 23. Juli 1828.
„Lieber Freund ! . . . Heinrich ist noch immer Professor der
Philologie, bedeckt liebevoll und zärtlich wie gewöhnlich die philolo-
gischen Küchlein mit seinen bleiernen Flügeln und streifet gegen-
wärtig mit Naeke darüber, ob die Rheinische F. W. -Universität Fri-
dericia oder Fridericiana heißen soll. Niebuhr ist diesen Sommer in
die Heimat seiner Väter nach dem Lande Hadeln gereist, nachdem er
der Fr. Windischmann, der Vorsteherin des hiesigen Frauenvereins,
20 Friedrichsdor versprochen, „wenn er gehört, daß die Bestie (Henriette
Sonntag') endlich einmal krepiert sei**!! Mit dem Werk der Byzan-
tiner gehts jetzt ziemlich langsam fort, — es scheint wirklich eine ge-
wisse Gerechtigkeit in der der Geschichte zu sein, daß über diesen
Hofchroniken nicht alles andere untergeht. — Der hiesige Hof der
hessischen Kurfürstin und ihres Sohnes hat bereits mehre Veränderun-
gen im Sprachgebrauch hervorgebracht, — wenn man sonst sagte, es
sei etwas unter aller Kritik, so sagt man jetzt, es sei noch unter dem
Prinzen. Es gibt Leute hier, die sich darüber ärgern, daß so ein
Menschlein, weil er als Prinz geboren, die Welt zwinge, ihm wenig-
stens die Ehre zu erweisen, ihn zu verachten, da er sonst ganz ignoriert
würde. Schlegel hat das Amt eines Vorlesers bei Hofe übernommen,
es will ihm aber doch nachgerade bedünken, man wisse dies Glück
mit allzu großer Gelassenheit zu ertragen — die ganze fürstliche Per-
sonalität beschäftigt sich, während er die Andacht zum Kreuz liest,
mit Gharpiezupfen. . . . Prof. Windischmann ^) . . . ich habe ihn
und seine Familie seit vorigem Winter näher kennen gelernt und alle
Ursache, es zu bedauern, daß ich ihn nicht früher aufgesucht habe.
. . . Prof. Welcker . . . an ihn habe ich mich vorzugsweise ange-
schlossen, bei ihm war mir am wohlsten. Überhaupt wird es mir
sehr schwer werden, Bonn zu verlassen, jedenfalls sind's die schönsten
Lebensjahre, die ich hier sorgenlos verlebte. ') Wenn ich nicht hoffte,
') Opernsängerin (1806—1854). — ^) 1775-1839, seit 1818 Prof. der
Philosophie und Medizin in Bonn. — ^) Über Lasaul x' Teilnahme am studen-
tischen Leben ist uns nichts bekannt geworden. Die aus 2 Semestern erhal-
tenen Rechnungsablagen zeigen, daß er sehr mäßig und sparsam lebte, und
außer für Tee und Butter und Lebsucht auch noch Geld für ß Ach er übrig hatte.
16 * ^. Lehrjahre.
einst wieder hieher zurückzukehren und mich hier zu habiUtiereii,
dann? — nun, als rechtgläubiger Heide würde ich mich in die Not-
wendigkeit ergeben — und könnte mich mit der Philosophie des
Fuchses und der sauren Trauben trösten, wenn dergleichen nicht zu
verbraucht wäre."
Lasaulx hat also schon damals weitgehende Zukunftspläne
und denkt an die akademische Karriere. Diese Pläne treten je-
doch vorerst zurück. Zunächst ist sein Absehen auf München
gerichtet. Dort studiert er noch 2 weitere Jahre.
b. Student in München (1828—30).
a. Studien und Vorlesungen.
In München lernte Lasaulx Schelling, Görres, Baader
kennen, hörte, an ihrem Munde hängend, die berühmten Vor-
lesungen über die Weltalter, über Philosophie der Mythologie,
über Weltgeschichte, über eine tiefere Auffassung der Dogmen.
Er hatte auch dfes Glück, mit diesen Männern in persönlichen
Verkehr zu treten, und preist die 20 Monate dieses Umgangs als
die fröhlichste Zeit seines Lebens. ^) Von der Begeisterung, die
ihn damals für diese Männer beseelte, und von dem regen gei-
stigen Leben, das in München in jener Zeit herrschte, geben die
Briefe Zeugnis, welche Lasaulx an seine Angehörigen von Mün-
chen aus richtete.
München. 30. November 1828.
Lieber Vater!
„Überall ist ein werdendes wachsendes Leben und Streben, oft
ohne Haltung und Einheit, aber auch fern von allem Dünkel selbst-
gefälHger angeblicher Vollkommenheit — das ganze wissenschaftliche
Leben, soweit ich's bis jetzt kennen gelernt, ist gesund und großartig
— ich werde von allen Seiten so vielfach angeregt, daß es mir oft
schwer wird, mich soviel zu beschränken, um nicht erdrückt zu wer-
den und unterzugehen in hungerndem Verlangen und gierigem Ver-
zehren ... Görres wird uns täglich lieber, es ist ein wohltuendes,
erfrischendes Gefühl, mit ihm zusammen zu sein, ich glaube, es ist
kein (nicht ein) kränkHches Gefühl ihn ihm. Sein universalhistorischer
Gesichtspunkt ist der höchste, den ein Mensch nehmen kann; er stellt
die Geschichte der Menschheit dar, zwar als ein Werk menschlicher
Freiheit im einzelnen, aber das Ganze geführt und geleitet nach den
ewigen unvergänglichen Zweckgesetzen der Providenz. Ob seine Glie-
derung und Nachweisung jener ewigen Gesetze im einzelnen überall
richtig und historisch wahr sei, weiß ich nicht; aber selbst wenn das
Ganze nur ein großes Gedicht wäre, so ist diese Dichtung doch so
^) Vita F. Ernesti de Lasaulx in Stadien p. 496.
2. Lehrjahre. 17
ungeheuer und erhaben, daß ich dafür gern einige nackte sogenannte
historische materielle Wahrheiten hingeben will. Schellin g gelangt
auf philosophischem Wege zu ähnlichen Resultaten wie Görres auf
historischem. Ich bin in seinen Vorlesimgen frommer, als ich jemals
war. — seine Gewalt über die Sprache ist unbeschreiblich, seine Dar-
stellung dämonisch -hinreißend". ^)
Die Wirkung dieser Vorlesungen beschreibt Las au Ix als
eine tief religiöse. Er bekennt wiederholt, wie er an sieh diese
Wirkung erfahren habe. So schreibt er am 28. Dezember 1828:
„Görres, Schelling, Ringseis, Schubert stehen auf einem
wahrhaft hohen religiösen Standpunkt, wogegen weder leichtsinnige
Genialität noch eine selbstgefällige trotzige Verstandesweisheit sich
halten kann. Wer unter solchen Menschen nicht auch religiös würde,
dem müßten die Flügelkeime noch sehr tief unter der Gänshaut ver-
borgen liegen." ^)
Er betrachtet es als eine glückliche Fügung, die ihn nach
München zu Schelling und Görres geführt habe. Am 28.
März 1829, nachdem er den Eindruck der Gemälde, Francias
Madonna im Rosengarten und einer hl. Cäcilie von Leonardo
da Vinci (Luini?), geschildert hat, schreibt er:
„Seitdem ich dieses Bild gesehen und Schelling und Görres
gehört, habe ich die Eitelkeit jener nüchternen Turnerphilosophie,
deren hartnäckige Verstocktheit mir so lange jeden unbefangenen freien
Blick in den Himmel getrübt hat, in ihrer ganzen Nichtigkeit und
Hohlheit erkannt. Ich betrachte es als eines der glücklichsten Ereig-
nisse meines Lebens, dessen Gott gelenkte Führung ich täglich klarei*
erkenne, daß ich hierher gekommen bin." ')
So treten schon hier deutlich erkennbar Lasaulx' tiefe Reli-
giosität, sein auf die höchsten Probleme der Geschichte gerich-
tetes Sinnen hervor, dem er später in eigenen Werken so ener-
gischen und edlen Ausdruck gegeben hat. Aber auch eine an-
dere für Lasaulx charakteristische Eigenschaft zeigte sich bei
ihm schon damals, nämlich sein rücksichtsloser Freimut und
seine feurige Entrüstung über alle moralische Niedertracht. Die-
ser ungezügelte und ma&lose Ungestüm trug ihm 4 Wochen^)
Gefängnis ein. Das kam so.
^) Erinnerungen des Job. Nep. v. Ringseis ekc. Bd. IV, 335—336. —
^) ibid. Bd. IV, 836. Über den Eindruck, den Görres* Vorträge machten,
spricht sich ähnlich aus Sepp: Görres und seine Zeitgenossen 1877 p. 402 if.
— «) ibid. Bd. IV, 336. — *) Sepp: Ludwig Augustus 1869, p. 180 irr-
tümlich sechs Wochen; so auch in der 2. Aufl 1903, p. 357.
Stölzl e: Ernst von Larsanlx. ^
18 2. Lehrjahre.
fi. Lasaulx im Gefängnis.
Eine Anzahl von Freunden, darunter Ringseis, Görres,
Cornelius, Fr. v. Baader, K. v. Overkamp, K. M. Frbr.
V. Aretin, Seyfried, Döllinger d. J., Graf K. v. Seinsheim,
Kleinschrod, v. Koch-Sterufeld, Schlotthauer u. a. ni.
kamen ohne bindende Verpflichtung an bestimmten Abenden ge-
sellig zAisammen. Bei einer ältlichen Jungfer, einer gewissen
Nanny, wurde ein Lokal ausgekundschaftet. Statuten gab es
nicht, man unterhielt sich von allem, was interessierte, also auch
viel von Religion und Politik, aber ohne allen Zweck außer dem
des Gedankenaustausches. ^) Dieser Gesellschaft war zuerst viel-
leicht im Scherz der Name der „Kongregation'* gegeben worden,
womit man in Frankreich die am Hofe wirkenden kirchlich Ge-
sinnten zu verdächtigen pflegte. -) In diese Gesellschaft hatte
auch Freiherr von Hormayr, Ministerialrat und Referent
für sämtliche Archive und Konservatorien, ein Mensch von un-
glaublicher Gemeinheit, ^) Aufnahme gesucht, aber nicht gefun-
den. *) Da erschienen in auswärtigen Blättern Artikel über eine
bayerische Kongregation, welche im geheimen Bund mit den
französischen Kongreganisten stehe, Konventikel mit andern ge-
heimen Gesellschaften in Österreich, Frankreich etc. halte; sie
reize zu Auflehnung und Empörung, zu Fluch und Protestanten-
verfolgung, sie strebe, den Aufschwung Bayerns durch jegliches
Mittel zu verhindern, ihre Mitglieder seien Feinde des bayeri-
schen Volkes und Landes. ^) Jene Artikel wurden sehr bald auf
Frhrn. v. Hormayr zurückgeführt. Da griff Lasaulx in jugend-
licher Begeisterung für die Angegriffenen und voll Zorn über die
Niedertracht der Artikel zur Feder und sandte einer Münchener
Zeitung am 19. Januar 18;^0 einen maßlos scharfen Artikel. Er
erklärt darin jene Artikel als ein Gewebe schamloser Lügen.
Was darin von einer sogenannten Kongregation bayerischer Je-
suiten etc. geschwatzt werde, erinnere an das bekannte Buben-
stück, listiger Gauner, die dann am lautesten Diebe! Diebe! rufen,
^) Erinnerungen des Job. Nep. Ringseis Bd. lU (1889), p. 58. —
-') ibid. p. 60. — '^j ibid. p. 56-58. — *) ibid p. 59. - '') ibid. p. 60.
Friedrich: Döllinger Bd. l, p. 291 ff. und Bd. II (1899), p. 291 ff. Diese
angebliche Kongregation führte sogar in der Abgeordnetenkammer am 25.
April 1830 zu einer Interpellation durch den pfälzischen Abgeordneten Cul-
mann und zu einer gründlichen Blamage der Interpellanten. Görres ver-
höhnte die Inquisitionsmänner in „4 Sendschreiben an Herrn Oulmann";
vgl. auch Strodl: Kirche und Staat in Bayern 1849, p. 91 ff.
2. Lehrjahre. lö
wenn sie selber ehrliche J^eute ausrauben wollen, und sei ein
verbrauchtes, abgeschmacktes Märchen französischer Schreier und
ihrer albernen deutschen Nachzügler. Dann wird noch die
schamlose Frechheit des MOnchener Korrespondenten im Inland
(Nr. 315) gerügt, der Döllinger den Ruf an die Universität
Breslau ableugne. ^) Da kein hiesiges Blatt die Niedertracht des
Münchener Korrespondenten bisher gerügt habe, so habe er als
Fremder seiner Entrüstung Worte geliehen und unterzeichne auf
Verlangen der Redaktion seinen Namen. ^)
So sehr der Artikel der Wahrheitsliebe, dem Freimut und
der Pietät Lasaulx* gegen Döllinger Ehre macht, so war er
doch in der Form weit über das richtige Maß hinausgegangen.
Man begreift daher wohl, daß der Zensor v. A ich berger die
Aufnahme eines solchen „Scliimpfaufsatzes" unter dem 21. Januar
1830 beanstandete. Über diese Note des Zensors höchlich er-
grimmt, schrieb Lasaulx am 22. Januar 1830 an den Regie-
rungsrat V. Aichberger einen Brief, worin er ihn als einen
Einfaltspinsel erklärte, der ihn nicht beleidigen könne, gegen den
er aber wegen Überschreitung seiner Zensurbefugnis allerhöchsten
Orts Klage führen wolle.
Dieser Brief blieb für Lasaulx natürlich nicht ohne Fol-
gen. Lasaulx wurde von der Polizeidirektion vorgeladen und
erkannte den Brief als von ihm geschrieben an. Die ihm von
dem Regierungsdirektor Grafen Seinsheim nahegelegte Entschul-
digung einer Übereilung lehnte Lasaulx mit den Worten ab:
„Keineswegs! wäre ich abermal in der Lage, so würde ich aber-
mal dasselbe sagen." ^) Am 27. Januar wurde er früh Y^^ Uhr
aus dem Bette geholt und von zwei Gerichtsdienern in die Fron-
feste geführt und dem Eisenmeister überliefert. 24 Stunden
nach Beendigung des summarischen Verhörs wurde er wieder
in Freiheit gesetzt, nachdem ein Münchener Bürger die verlangte
Kaution geleistet hatte. Die Sache kam vor das kgl. Appella-
tionsgericht des Isarkreises in Landshut, durch dessen Urteil
vom 20. März Lasaulx des Vergehens der beleidigten
Amtsehre schuldig erklärt und nach Artikel 407 Tl. I des
St.-G.-B. zu einmonatlicher Gefängnisstrafe verurteilt wurde.
Lasaulx unterwarf sich diesem Urteil, dem mildesten nach den
') Über die Berufung vgl. Friedrich: Döllinger Bd. I (1899), p. 246 fif.
— ^) Erinnerungen des Joh. Nep. v. Ringseis Bd. HI, p. 61. — ®) ibid. Bd.
IV (1891). p. 126.
2*
20 2. Lehrjahre.
damaligen Gesetzen, sofort. Am 24. April war ihm das Urteil
mitgeteilt worden. Lasanlx trat die Strafe alsbald an, die er
selbst verschuldet hatte. ^) Den Rat seines Vaters, ein Gnaden-
gesuch beim König einzureichen, hatte Lasaulx mit der für sein
Selbstgefühl charakteristischen Antwort abgelehnt, er wolle lieber
seine Strafe absitzen, als sich zu einem Gnadengesuche verstehen,
was der Vater derb, aber richtig eine Narrheit nannte. ^) VS^ir
haben noch zwei Briefe von ihm aus dem Geßlngnis erhalten.
In dem ersten vergleicht er den hl. Franziskus, den ihm Marie
Görres geschickt hat, mR Novalis; im zweiten gibt er die
Tagesordnung an, die er im Gefängnis einhält. Der erste Brief
lautet :
„Liebe Marie! Ich schicke Dir hierbei den hl. Franziskus mit
meinem herzlichen Dank zurück. Ich bin eben daran, die Schriften
meines liebsten Freundes Novalis wieder zu lesen, der unter allen
Dichtern, die ich kenne, mit dem hl. Troubadour die meiste Ähnlichkeit
hat; nur hat er braune Augen und ist ein Deutscher, während der andre
ein schwarzäugiger Italiener ist, dessen Blut eisenhaltiger scheint als
unseres Landsmannes; beide aber haben aus derselben Quelle des
hl. Wahnsinnes süße Liebesgluten getrunken. Als Dichter verhalten
sie sich vielleicht zueinander wie der hl. Augustinus und Baader
als Philosophen, obgleich dieser Vergleich für die Deutschen zu gün-
stig wäre; deinem Vater will ich einen anderen vorschlagen, der viel-
leicht besser paßt, den Ionischen Heraclit und unseren seligen Physi-
ker Ritter. Um, was ich Dir hier schreibe, wahr zi; finden lese, (sie!)
nur Novalis Gedichte Tl. 1 S. 174—78. II S. 6, lO-^U, 23—24.
Selbst viele Ausdrücke sind dieselben wie bei dem Italiener, was ge-
wiß nicht äußerlich erklärt werden kann, denn Novalis hat aller
Wahrscheinlichkeit nach die Gedichte des hl. Franziskus nicht ge-
kannt. Bitte doch auch Deinen Vater, daß er die angeführten Gedichte
einmal liest. Hiermit aber will ich den göttlichen Jüngling in anderer
Beziehung keineswegs gleichstellen, denn die Bestimmung und Ver-
klärung des menschlichen Lebens liegt allerdings auch noch in etwas
anderem als in der Poesie.''
In dem zweiten ebenfalls undatierten Briefe dankt er für
ein Geschenk von Blumenstöcken, Körbchen voll Blumen und
Früchten, das ihm von unbekannter Hand zugekommen war,
meldet das baldige Ende seiner Gefangenschaft und beschreibt die
Lage seines Zimmers und seine Tagesordnung:
Sonntag morgens 11 Uhr (ohne Datum).
Liebe Marie!
. . . „Ich stehe regelmäßig um '26 Uhr auf, und Jakob Boehme
ist mein täglich Morgenbrot, eine sehr heilsame erfrischende Molken-
^) Von Lasaulx selbst beschrieben in einem als Manuskr. vorhan-
denen Aufsatz. — -) Brief des Vaters Lasaulx an Ernst 1830.
2. Lehrjahre. 21
kur, seine Rede ist ein flüssiges Feuer, veriehrt den Rost der Seele
und stärkt den Geist. Den Tag über wird, da ich nun meine Brief-
schulden so ziemlich getilgt, ernsthaft studiert und abends eine Stunde
im Shakespeare gelesen. Lebe wohl auf baldig Wiedersehen! und
grüße alle Freunde viel lOOOmal von mir."
Im schönen Monat Mai sa& er seine nach modernen juristi-
schen Anschauungen zu hoch gegriflfene Strafe ab. Freilich eine
Lehre aus diesem rein selbst verschuldeten Vorkommnis hat
Lasaulx nicht gezogen. Rücksichtslosen Freimut, betätigte er
auch später noch zu wiederholten Malen. Die Zeit des Mün-
chener Aufenthaltes ging zu Ende. Lasaulx dachte ans Wan-
dern. Anlaß dazu wurden ihm außer der früh geweckten Wan-
derlust seine Studien zur christlichen Philosophie, die er von
Dionysius Areopagita bis zu Jakob Böhme verfolgte. Da-
mit kommen wir zu einem neuen Abschnitt in Lasaulx* Leben,
zu seinen Wanderjahren.
3. Kapitel.
Wanderjahre und Promotion.
Motto: „Ich will das Christentum in seiner
GehuHsstätte aufsuchen und denke,
es werde mir dort aUerlei einfallen,
woran man hier nicht denkt, wenn
man die hl. Schriften in der Studier-
stuhe liest." E. v. Lasanlx.
Seit alten Zeiten pflegt man, wo es möglich ist, der Bil-
dung des jungen Mannes einen Abschluß durch Reisen zu geben.
Auch Lasaul X suchte nach seinen akademischen Studien in
Bonn und München eine solche Krönung seines Bildungsganges, er
suchte sie im Interesse der Erweiterung seines Gesichtskreises,
er suchte sie, um seiner von Jugend an regen Wanderlust Ge-
nüge zu tun. Die Stationen dieser Wanderschaft sind die öster-
reichischen Klöster S. Florian, Kremsmünster, Admont,
Melk, Gottweih, Neuburg, sind Wien, Maria Zell, Stift
Rein, St. Paul, Marburg, Laybach, Triest, Venedig, Bo-
logna, Florenz, vor allem Rom, Neapel, dann Brindisi,
Nauplia, Tirynth, Mykenä, Argos, Korinth, Megara, Eleu-
sis, Athen, Syra, Konstantinopel, Troja, Smyrna, Chios,
Rhodus, Cypern, Joppe, Jerusalem, Tal Cedron und Hin-
nom, Bethlehem, Jericho, das tote Meer, die Ufer des Jor-
dan, Nazareth, Samaria, Galiläa, Sichern, Berg Garizim,
Berg Tabor und See Genesareth, Berg Carmel, Acco, Ty-
rus und Sidon, Berythus, Livorno, Rom, München. So
inhaltreich diese Namen schon an sich sind und so denkwürdig
die Ereignisse, die sich an diese Stätten knüpfen, so bleiben sie
doch mehr oder weniger bloße Namen für den, der diese merk-
würdigen Schauplätze der Geschichte nicht gesehen. Diesem
Übelstand hat Lasaulx selbst vorgebeugt durch eine fesselnde
Beschreibung seiner Reise und seiner Erlebnisse, die er teils in
Briefen an Angehörige und Freunde, teils in seiner lateinischen
3. Wanderjahre und Promotion. 2&
Lebensbeschreibung,^) teils in dem Schreiben an Guido Görres*^)
niedergelegt hat. Zahlreiche historische, religions- und ge-
schichtsphilosophische Betrachtungen, seelenvolle Stimmungsbilder,
wunderbare Schilderungen von Land und Leuten, tiefsinnige Re-
flexionen erheben seine Reiseschilderung weit über die herkömm-
lichen Reiseberichte. Lasaulx kam im Laufe seiner Studien,
angeregt durch Schelling, Baader und Görres, auf die Mysti-
ker. Auf der Staatsbibliothek in München machte er mehrere
handschriftliche Funde zu Eckhart. Diese Entdeckungen reizten
ihn zu weiteren Nachforschungen in anderen Bibliotheken und
wurden der nächste Anlaß zu Lasaulx' Wanderungen.
L In Österreich.
Zu Beginn des Sommers 1830 verließ er München, be-
sucht St. Florian, Kremsmünster, Admout, Melk, Gott-
weih, Neuburg, überall freundlich aufgenommen, und erreicht
endlich Wien, wo er längeren Aufenthalt nimmt.
a. In Wien.
Hier in Wien wurde er am 26. September 18»^0 von den
Blattern befallen und lag bis 21. Oktober krank. •'^) An diesem
Tage meldet er der Mutter, daß er nach 4 Wochen zum ersten-
mal ein Stündchen in der Mittagssonne spazieren gegangen; am
26. arbeitet er wieder auf der Bibliothek, gedenkt der Unter-
stützung von Günther^) und Veith^) bei seinen Eckhartstu-
dien, des Verkehrs mit den Wiener Gelehrten, den ihm die
Empfehlungen von Görres, Baader und Schelling eröffnet
haben. Das geistige Leben sei nicht ganz tot, wie sehr auch
die Regierung alle geistig freien wissenschaftlichen Bestrebungen
unterdrücke. In demselben Briefe vom 26. Oktober^) an seine
Mutter entwickelt Lasaulx weitere Reisepläne. Er will nach
Italien; wenn er jetzt nicht hinkomme, komme er wohl nie
mehr dahin. Zu dieser Reise bittet er die Eltern um ihren
Segen; wenn sie aber ihre Einwilligung nicht geben, dann will
^) Vita Petri Ernesti de Lasaulx zuerst in seiner Dissertation: De
mortis dominatu in veteres 1835, p. 64-79, und Studien p. 495—503. —
-) Hist-pol. Blätter Bd. U, p. 241 ff., und Studien p. 504—10. — =') Brief an
die Mutter vom 21. Oktober 1830. - *) Günther (1783—1868), ein hervor-
ragender Denker; 1857 zensuriert, unterwarf er sich. Lasaulx blieb trotz spä-
terer Meinungsverschiedenheit gegen Günther immer freundlich gesinnt; vgl
über Günther: Knoodt: A. Günther, 2 Bde., 1881. — ^) Veith (1787-1876)
hervorragender Schriftsteller und Eanzelredner; vgl. Löwe: Joh. Erna-
nuel Veith 1879. — ®) Lasaulx gibt oft in ein ein Briefe mehrere Fortsetzun-
gen an verschiedenen Tagen.
24 3. Wanderjahrö und Promotion.
er seinem Herzenswünsche entsagen. Daß der Vater seine schö-
nen Bilder seinetwegen weggeben wollte, hat ihn im Innersten
erschüttert, man soll sie doch behalten, er wolle gern Hof-
meister werden, jede, auch die kleinste Stelle annehmen.
Dem Gefühle der Beschämung Ober die Opfer des Vaters
und rücksichtsvoller Pietät entspringen die schönen Worte:
„Ich komme mir recht wie ein armer Sünder vor, wenn ich ruhig
zusehe, daß mein guter Vater weggibt, was ihm lieb ist, damit ich
erlange, was mir lieb ist, bevor ich's verdiene, daß er Opfer bringt,
damit ich keine bringe. •
In derselben Zeit schreibt er auch au Görres am 14. Ja-
nuar 1831. An einen seltsamen Fall von religiöser Verzweiflung
eines Landsmannes, der zuletzt dem Wahnsinn verfiel, knüpft
Lasaulx allgemeine Reflexionen, die für die Stimmung und die
ganze geistige Richtung des 26jährigen Mannes charakteri-
stisch sind:
Wien, 14. Januar l?s31.
. . . ,Micli hat der Vorfall zu der erbaulichen Reflexion veranlaßt,
daß in unserer Zeit nur Ansichten und Meinungen herrschen, nirgends
eigentliche Gesinnungen; alles sind nur Spiele des Geistes und Herzens,
nirgends Ernst und Überzeugungen auf Leben und Tod. Selbst diejeni-
gen, die es noch der Mühe wert halten, das Christentum verstehen
zu wollen, scheinen ihren praktischen Willen gleichsam zu suspendieren,
um erst auf intelligentem Wege mit sich fertig zu werden, — ganz
entgegengesetzt der evangelischen Lehre: ,Tuet nach meiner Lehre,
und ihr werdet sehen, daß sie von Gott ist.** Aus purer Furcht vor
moralischer Donquixoterie überläßt man sich einstweilen seiner Natur
und tut, was man eben nicht lassen kann!
Obgleich das Jahr kaum erst begonnen, so scheint es mir doch,
als ob es so hinschleichen wolle, ohne daß es zu einem wahrhaft
Europäischen Kriege kommt. Die Menschen sind jetzt so miserabel,
daß nichts sie aus ihrer Stumpfheit aufrütteln kann ; es muß eine Pest,
Vergiftung des Äthers und der Lebensluft kommen und die herz- und
kernfaule Generation wegraffen. Auf den russisch-polnischen Krieg
hatte ich mich von Herzen gefreut, das war endlich wieder einmal
ein Fall, wo ein ehrenwerter wahrhaft nationaler Krieg geführt werden
könnte, in welchem jede Partei mit Ehren siegen oder untergehen
könnte wie in einem ehrlichen Zweikampfe; — die nichtswürdige Tei-
lung Polens fordert noch ihre Rache, wenn noch die Nemesis in der
Geschichte waltet. Ein allgemeiner europäischer Völkerkrieg, der
alles noch scheinbar Bestehende in seinen Grundfesten erschüttert
und recht an die innerste Lebenswurzel der Staaten greift, und
der notwendig ein Religionskrieg sein müßte, wäre mir von Herzen
erwünscht; das Christentum müßte dann diese Welt wahrhaft und
gründlich regenerieren, — oder es mag alles zum Teufel gehen. Aber
obgleich der Tenfol sehr klug und pfiffig ist. so ist doch unser Herr-
3. Wanderjahre und Promotion. 25
gott noch gescheiter : — mir ist nicht bange, — mein elendes Leben
wollte ich mit freudigem Herzen opfern."
In einem Briefe vom folgenden Tag berichtet Lasaulx
seinem Onkel Gör res von seinen Studien und seltenen Btiehern,
macht sich über österreichische Zustände lustig und macht wei-
tere Reisepläne.
15. Januar.
„Meine hiesige Polypragmosyne hat mich unter andern auch mit
einem Mann bekannt gemacht, in dessen Leben und Schriften sich die
ganze vom tiefsten Grunde aufgewühlte Zeit des 16. Jahrhunderts ab-
spiegelt; wie von einem unsichtbaren Sturmwind, der hinter ihm her-
weht, getrieben und auf dem brausenden Wellenschlag seiner Zeit hin-
und hergeworfen, fand er nirgends auf dieser Welt Ruhe und Frieden
und starb lebensmüde in einem Kloster. Ich meine den Wilhelm
P OS teil. ^) Da die damalige Kirche und das Inquisitionstribunal zu
Venedig ihn für einen Narren erklärten, so ist es der nüchternen
Weltweisheit des 18. Jahrb., langweiligen xVndenkens, nicht zu ver-
argen, wenn sie dasselbe und ihn mit dem herkömmlichen Ehrentitel
eines wahnsinnigen Philosophen abgetan hat, der mit einer doppelten
Portion Rhabarber von seinem überflüssigen Enthusiasm hätte
kuriert werden können, wenn er das Glück gehabt, in Preußen oder
Sachsen zu leben. Seine Schriften, sehr zahlreich und selten, ent-
halten außer viel wunderlichen und seltsamen Gedanken und sehr
schätzbaren Beiträgen zu einer Philosophie der Verzweiflung ein
transzendentales System des Christentums, so riesenmäßig gedacht und
empfunden, daß, wenn das Ganze nur ein ewiges Gedicht wäre, dieses
dann das größte ist, was ich für möglich halte. Wenn ich während
meines Hierseins nicht mehr dazu komme, meine ziemlich ausführ-
lichen Exzerpte zu einer Darstellung seines Lebens und seiner Lehre
auszuarbeiten, so schicke ich Ihnen die Blätter mit meinen übrigen
Schreibereien und der Berlenburger Bibel in 8 Foll., die ich hier
kaufte, zur An- und Durchsicht (der 8te Fol. enthält sämtliche Apokry-
phen deutsch). Außerdem mache ich Sie noch aufmerksam auf die
Schriften des Bibliothekars der Vaticana , Augustinus Steuchus
Eugubinus, ^) vorzüglich auf sein Hauptwerk: „De perenni philoso-
phia hbri X Lugd. Bat. 1560'' fol. (welches JuL Gaes. Scaliger für
das beste Buch * nach der Bibel gehalten), sowie auf die Schrift: „Gos-
mopoeia sive de mundi opificio", eine Erklärung der 3 ersten Kapitel
der Genesis (Ludg. Bat. 1535). Seine Werke sind wiederholt zusam-
mengedruckt, Paris 1578. Venedig 1591 und 1601 in 3 Fol.
Den Jakob Mennel werde ich übermorgen wieder vornehmen
und Ihnen die gewünschten Auszüge selbst machen.
Für mein längeres Hierbleiben ist wenig Hoffnung: selbst um
Hauslehrer werden zu können, muß man notwendig den hiesigen allein-
seligmachenden Studienkursus gemacht haben; selbst wenn Schelling
hier eine Stelle suchte, müßte er sich von dem Supplenten der Philoso-
^) 1510— 1581; vgl. Jücher: Gelehrtenlexikon über sein Leben und
seine Sobriffcen. - ^) geb. zu Gubio, Superior zu Reggio in Modena, t 1550.
26 3. Wanderjahre und Promotion.
phie (die Philosophie wird hier seit 9 Jahren durch einen Supplenten
nach Krugs Lehrbüchern vorgetragen) examinieren lassen, und wenn er
dann gut bestanden und keine Feinde in der Kanzlei hat, so hieß es:
Schade, daß ein so brauchbarer Mensch unsere Studien nicht hat! leb
gedenke nun, wenn Gott will, mit der ersten Frühlingssonne etwa
gegen den 20ten des nächsten Monats mein Bündel wieder auf den
Rücken zu nehmen und weiter nach Süden zu wandern; da ich we-
nigstens einen gesunden Magen und harte Knochen habe, so ist mir
vor dem Hungertode nicht bang. Durch Niebuhrs Tod bin ich um ein
paar Empfehlungsbriefe nach Florenz, Rom und Neapel gekommen;
wollten Sie nicht Rings eis bitten, mir ein paar dergleichen Karten
zu schicken, auch an Klöster, wenn er darin Freunde hat.**
Wenige Tage darnach richtet er aucli an die Mutter einen
längeren Brief am 19. Januar 1831. Niebuhr, auf dessen
Empfehlungsbriefe er gewartet hat, ist unerwartet und plötzlich
gestorben. Görres habe geschrieben, Lasaulx habe in der
Heimat (Preußen) nichts zu erwarten, er sei dort im Verruf des
Katholizismus und des Mystizismus; wenn er in Österreich eine
Stelle erhalten könne, solle er sie festhalten. Lasaulx schreibt
von seiner widerwärtigen, krankmütigen, matt herzigen Stimmung;
der Neujahrstag, ihm von je der verhaßteste des gaiizen Jahres,
sei es auch diesmal gewesen, manches Alte sei ihm neu und
frisch geworden, das meiste Neue scheine ihm ganz alt und ver-
legen. Am 15. März ist er noch in Wien. Er rechtfertigt sein
Bleiben mit dem Hinweis auf die Ereignisse in Italien und knüpft
geistvolle Betrachtungen über die Zeitläufte an.
Wien, 15. März 1831.
Meine geliebte Mutter !
,Nacli dem was seil einem Monate in ItaHen vorgefallen ist,
wirst du nicht wundern (so!), daß ich noch immer hier in Wien bei
der guten Tante l)in. Wer kann heute sagen, ob und was er morgen
lun werde? Die Zeit ist so aus allen Fugen gewichen, der ruhige
Strom des Lebens hat so alle bisherigen Ufer überschwemmt und
allen Grundschlamni des Abgrundes lieraufgcwühlt. daß, wenn die
wilden Wasser nicht noch höher steigen und Gott kein neues Ferment
in den Ungeheuern Hexenbroi wirft, welches die ekelhaft vermischte
Masse scheidet und klärt, so wird am Ende Europa ein einziger stin-
kender Morast. Nur dei- Glaube, daß die Europäische Weltgeschichte
nicht mit einem Pasquill endigen kann, nur der Glaube, daß Gott doch
noch klüger ist als der Teufel, dieser Glaube allein ist der einzige
Polarstern, wonach die geängstigte Seele in dem wilden Aufruhr aller
Elemente mit zuversichtlicher Hoftnung blicken kann. - - es muls bes-
ser werden in Europa, es muts zu einer neuen Scheidung des Guten
und Bösen, der Wahrheit und der Lüge, Gottes und des Satans kom-
men, es mufs ein neues Weltalter über den Trümmern des Zusammen-
gestürzten aus der mit warmem Menschenblul gedüngten Erde erwach-
3. Wandeljahre und Promotion. 27
sen. Darum wünsche ich von ganzem Herzen und bete täghch zu Gott,
daß es bald, recht bald zu einem allgemeinen Europäischen Völker-
krieg, der notwendig auch ein wahrer Religionskrieg sein wird, kom-
men möge; — die geistigen Gegensätze berühren sich immer nackter,
einer muß durch den Blitz präzipitiert werden, — eine neue ideelle
Begründung und Wiederbelebung des Christentums wird und kann
allein Europa gründlich regenerieren. — sonst wäre der Affe von
Ferney ^) der größte Philosoph, und die höchste Weisheit bestände
darin, Gott und seine Weh zu persiflieren."
Tags darauf setzt er seine Betrachtungen fort und schreibt
am 16. März von seiner Geburtstagsstimmung, von den Bemühun-
gen seiner Freunde Veith, Günther und Pabst um ihn und
endlich von der sentimentalen Stimmung, in die ihn eine Mittei-
lung seiner Mutter über ein von ihm verehrtes Mädchen ver-
setzte :
den IG. März.
„Es ist heute mein 26jähriger Geburtstag, — und ich bin in
einer Stimmung, worin es mir ebenso leicht oder erwünscht wäre als
Mönch in das Kloster zu St. Florian zu gehen und Soldat zu wer-
den und in offener Schlacht mein elendes Leben für meinen Glauben
zu opfern oder für die Einheit Polens. Die entsetzliche Ungewißheit
imd innere Unsicherheit dieser Zeit, die in jedem einzelnen mehr oder
weniger nachzittert, erweckt oft ein Gefühl wilder Lust in meiner
Brust, einen kalten Gehirnbrand, worin das rätselhafte Ich mit Leben
und Tod in übermütigem Scherze spielt, etwa wie zum Tode ver-
urteilte Verbrecher vor ihrer Hinrichtung noch eine lustige Henkers-
mahlzeit feiern — eine Wildheit unseres Herzens, die ewig verborgen
bieiben und nie aufgewühlt werden sollte. -— Meine hiesigen Freunde
Veith, Günther und Pabst ^) wünschen mich noch einige Zeit hier
zu halten und wollen mir deshalb eine Bibliothekarstelle verschaffen,
die mir die Notdurft des Lebens gäbe und hinlängliche Zeit zum Stu-
dieren übrig ließe. Dergleichen käme mir jetzt sehr erwünscht und
wenn sich's so macht, will ich's dem lieben Gott danken'' Was
du mir, meine geliebte Mutter! wegen J(ulie) ^) schriebst, hat mir
seit lange die ersten Tränen erpreßt. Wenn ich jemals in meinem
Leben ein Mädchen mit ganzem vollem Herzen geliebt und verehrt
habe, so ist's meine liebe treue J., an ihrem Herzen hoffte ich einst
alles Glück und allen Frieden meines Lebens zu finden, sofern irgend
in geschaffenen Dingen das wilde Menschenherz dauernden Lebens-
frieden gewinnen mag. Süße Schauer zittern durch meine Brust, wenn
ich ihrer gedenke. — und ich werde so weich, wie es nicht gut ist in
dieser Zeit. Nie habe ich mich besser und Gott näher gefühlt als an
ihrer Seite und sie hängt mit der ganzen Innigkeit reinherziger Mäd-
chenliebe an mir. Aber sag mir, liebe Mutter! woher kommt es, daß
ich fast in allen Dingen mit festei* Zuversicht auf Gott vertraue, nur hier
') sc. Voltaire. - ') Anhänger Günthers, Militärarzt (1785-1838). -
') Die Tochter des Philosoplien Baader, die später seine Frau wurde.
28 3 Wanderjahre und Promotion.
fehlt mir jener Glaube, daß Gott sie mir einst in diesem Leben gebe.
Ist es das bestimmte Gefühl, daß ich sie nicht verdient habe, oder was
sonst, das mich mit unnennbarer Wehmut erfüllt, wenn ich der Zukunft
in Bezug auf sie gedenke? Ach, es ist sehr schwer, immer mit wahr-
haftigem Herzen zu beten: ,Dein Wille geschehe, wie du willst.*
Lasaulx gedenkt, noch vor Ende des Monats nach Italien
zu wandern, wenn die ftsterreiehische Armee schnell das italie-
nische Strohfeuer löscht. Aber am 22. März 1831 ist er noch
immer in Wien. Als Tau^ate bei Tante Malchen, der Frau
des Hauptmannes Mohr, begleitet er den Taufakt mit sententiO-
sen Betrachtungen über die Nichtigkeit des Lebens.
Wien, 22. März 1831.
Meine geliebte Mutter!
. . . „Welcher Mensch, der über die erste Frühlingszeit des Lebens
hinaus ist, und zum Bewußtsein seiner selbst gekommen, über das
vergängliche Wesen dieser Welt nachgedacht hat, teilt nicht das Ge-
fühl von der Unseligkeit des Lebens, die schwermütige Trauer üh&
die Natur des Menschen? Das ist nun freihch keine erbauliche Be-
trachtung bei einer Kindtaufe, — aber es gab im Altertum ein Volk
in Thrazien, wo die Frauen weinten und Trauerlieder sangen bei
der Geburt eines Kindes, — das ist sehr menschlich, die Fröhlichkeit
des Herzens aber ist eine Gottesgabe, die er gibt, wem er will.*'
Lasaulx will nun Ernst machen mit seiner rtalieniseheD
Reise und bittet um Besorgung eines Passes, worin er niebt als
Student, sondern etwa als Kandidat der Philologie und Philo-
sophie namhaft gemacht ist, der in wissenschaftlichen Zweckeo
nach Italien reist. Gleichzeitig schreibt er in demselben Briefe
ganz kriegslustig und patriotisch gesinnt:
,Da ich nicht mehr militärpflichtig und politisch unverdächtig
bin, so wird mir jener Reisepaß sicherlich nicht verweigert werden,
um so weniger, als ich mich bei der ersten Nachricht von einem mir
sehr erwünschten Kriege gegen Frankreich unverzüglich und mit
frohem Herzen bei der nächsten preußischen Armee als Volontär mel-
den würde. '^
Aus seinen letzten Tagen in Wien haben wir noch einen
inhaltreichen Brief an Görres vom 28. März 1831. Er macht
Görres Mitteilungen aus einem Buch von Mennel, empfiehlt
ihm Postell, berichtet von Fra Jacopone da Todi (f 25.
Dezember 1306) und seinen Poesie spirituali, zuletzt herausge-
geben von Fr. Tressati, Venedig 1617 in 4^, und charakteri-
siert bei dieser Gelegenheit Heinroths Geschichte und Kritik
des Mystizismus als völlig wertlos. Er berichtet, daß er an
einer Philosophie der Verzweiflung ai'beite und dabei Schellings
8. Wandierjahre und Promotion. 29
Buch „Nachtwachen", das unter dem Namen Bonaventura er-
schienen sei, kennen gelernt habe, eines der merkwürdigsten und
entsetzlichsten Bücher, die jemals geschrieben worden seien.
Dann fährt er fort:
Wien, 2S. März 18:U.
. . . „Hiegegen ist alle andere mir bekannte Faustische Poesie
Goethes und Byrons mischuldige Stümperei. Nicht nur Schelling,
sondern eine Seite der menschlichen Natur ist mir aus jenem Buche
klarer geworden. Wenn Sie es nicht kennen, so wird es Sie sicher-
lich nicht gereuen, der Lesung dieses Buches einen Nachmittag ge-
schenkt zu haben.
Es ist das Heilloseste, was ein Mensch beginnen kann, die
Schranken seiner Natur ausmessen, ganz rücksichtslos von allem den
Schleier wegreißen und in jenen Abgrund der eigenen Brust hinab-
schauen zu wollen, den eine wohlwollende Hand verdeckt und uns
von der Betrachtung unseres eigenen rätselhaften Wesens zurückhält.
Die schlummernden gebundenen Gewalten, die da unten hausen, ein-
mal entfesselt, zerreißen sie des Menschen Brust .und entzünden einen
Brand, der brennt und fortbrennt, bis wir zu einem nichtigen Aschen-
häuflein geworden sind. Eine solche Selbsterkenntnis, diese Sucht des
Ichs, sich selber erfassen zu wollen und nie zu können, statt des
Wesens immer nur den Schein, die abgefallene Schlangenhaut des
Ichs zu erfassen — : vor dieser Tantalischen Qual möge jeden sein
guter Dämon beschützen ; denn wessen Seele auf diesem Ixionsrade aus-
gespannt, nicht wahnsinnig wird, so verliert sie doch zeitlebens Buhe
und Frieden. Eine wilde Lust geht in der Seele auf, die einmal da
hinabgeschaut hat und die zweigeteilten unversöhnlichen Strebungen
unseres Wesens erkannt hat und den lächelnden Schurken im Ab-
grunde der Menschenbrust. Und wer auch den Schauder darüber über-
wunden hat, der ist fortan nie mehr vor sich selber sicher; was man
auf diesem Standpunkte Ironie nennt, ist dieses nur durch unsere na-
türliche Schwäche, an sich ist es Blausäure.''
Lasaulx gedenkt noch 14 Tage in Wien zu bleiben, er-
wartet noch einen Brief von Görres, wie auch Veith und Gün-
ther sich in Erinnerung bringen lassen, und grüßt Görres und
Familie, ^lle Baaders, Prands, Boisserees, Dr. Haid, Dftl-
linger und Hoffmann.
b. Von Wien nach Triest.
•
Auf sechs Wochen hatte Lasaulx seinen Aufenthalt in
Wien berechnet, nun waren es neun Monate geworden. Endlich
trat er die in seinen Briefen wiederholt angekündigte Fahrt nach
dem Süden an, zunächst über Maria Zell, Stift Rein in Steier-
mark, Stift S. Paul im Lavanatal in Kärnten, Marburg und
Laybach, Goerz und Aquileja nach Triest. ITnd ehe er
So 3. Wanderjahre und Pi-omotion.
noch Italien, das nächste Ziel seiner Reise, erreicht hat, tritt er
schon mit neuen Reiseplänen hervor, mit einer Reise nach —
Jerusalem. Er macht zuerst Gör res Mitteilung von dem Plane,
der bei der Mittellosigkeit Lasaulx' geradezu abenteuerlich schei-
nen mußte. Er schreibt an Gör res von seinem Abschied von
Wien, von seiner Lektüre Hegels, von seinen Nöten um einen
Paß und seiner projektierten Fahrt ins heilige Land. Nachdem
•er fast mit denselben Worten wie in dem Briefe vom 19. Mai
an die Mutter an den Abschied von Wien allgemeine Betrach-
tungen über Freundschaft und Gastlichkeit geknüpft hat, schreibt er:
Maria Zell, lo. Mai 1881.
Lieber verehrter Freund!
. . . „Zu der „allzu anhaltenden zersetzenden Lektüre'* kam in den
letzten Wochen noch Hegel. Durch das Studium der spekulativen
Mystiker des Mittelalters war ich schon gewöhnt, im Denken mich
jenseits der sog. Verstandesreflexion in dcM* Sphäre des reinen Gedankens
und der intellektuellen Anschauung freier zu bewegen, und so las ich
die neue Ausgabe der Enzyklopädie, einige polemische Broschüren
dagegen und Hegels Kritik derselben mit ziemlicher Leichtigkeit und
mit mehr Interesse, als ich mir vorgestellt hatte. Eine größere Kraft im
Festhalten des reinen Gedankens und ihn zwingen, alle immanenten
Begriffsmomente zu explizieren habe ich nirgends gefunden, aber diese
Dialektik des Begriffs ist wie ein trockenes Feuer der Intelligenz, das
alles feuchte Leben der Natur aussaugt und statt des günen Lebens
ein gespenstisches Schema hinstellt. Der frische lebenswarme Früh-
lingshauch, der überall in der Schellingschen Naturphilosophie
wehet, ist durch eine Wissenschaft der Logik ersetzt, die am Ende
des Systems die Bedeutung der spekulativen Theologie erfüllt. Nach
dem Satze, daß der Begriff das Wesen der Dinge sei, geht es der Natur
wie weiland den alten Göttern, die, nachdem ihnen der Glaube die
Realität genommen, zum kraft- und blutlosen Schein, zu Gespenstern
wurden. Aber während die Philosophen sich seit 6000 Jahren ab-
mühen und abhetzen, die Welt zu konstruieren oder denkend nachzu-
schaffen, scheint diese selbst nach dem Satze „beati possidentes** sich
gegen den räsonnierenden Verstand ganz gleichgültig zu verhalten —
oder hat sie auch etwa an dem tatsächlichen Fluch des Lebens
genug und will ihn nicht noch einmal und dopj)elt im Nachdenken
fühlen?'^
Lasaulx entwickelt dann seinen Plan, — nach Jerusalem
zu reisen, er stehe überall in derselben Gotteshand. Prokesch*^)
Reisebeschreibuug dient ihm als Führer, die politische Eintags-
geschichte Europas lese er dann, wenn sie vorüber sei, in der
„Allgemeinen Zeitung**, wobei er dann den Vorteil habe, sagen
*) Prokesoh-Osten (1795—1876), österr. Staatsmann u. Schriftsteller;
Reise ins hl. Land 1881.
3. Wnnderjahre und Promotion. 31
zu können, was geschehen und nicht geschehen, scheine so der
Wille Gottes gewesen zu sein, der alles zerbreche, was die
menschliche Eitelkeil zusammengeflickt, imi sich einen Namen
zu machen. Veith und Günther billigen, ja loben Lasaulx'
Plan. Guido Görres soll mitgehen, er will ihm auch in Ägyp-
ten die Hieroglyphen studieren helfen. In Triest erwartet er
noch Brief und Ansicht von Görres über seine Reise, grüßt die
Freunde imd bittet Prof. Döllinger, dem Günther doch ein
Dr.-Ehrendiplom zu schicken, was ihn gewiß sehr freuen würde
und ihn die mancherlei offiziellen Kränkungen in Wien verges-
sen ließe. Inzwischen ist Lasaulx weitergereist nach Stift
Rein. Von hier schreibt er an die Mutter.
Stift Rein in Steiermark, 19. Mai 1H81.
„Meine geliebte Muttor!
«Endlich habe ich die Stadt verlassen, wo ich so viele Freund-
schaft und Liebe erfahren, daß, obgleich ich ilm länger als drei
Wochen erwartete, der Abschiedstag mich dennoch schmerzlich über-
rascht hat. Ich war statt der anfänglichen Wochen volle 9 Monate
in Wien; da knüpft sich mit guten Leuten manches an, wovon man
sich schwer trennt, aber es ist ja die Welt von altersher so eingerich-
tet, daß ein pilgernder Mensel i froh sein muß, wenn er unterwegs
jemanden findet, der ihm einen herzlichen Händedruck ebenso erwi-
dert, — und solcher Menschen hat mich Gott in Wien wie anderswo
mehre finden lassen, als ich verdient habe. Ich schreibe Dir, wie Du
aus der Überschrift siehst, aus einem gastlichen Hause, worin ich noch
einige Tage zuzubringen gedenke, aus der Mitte des schönen grünen
Landes, welches ich seit 8 Tagen durchwandere.''
Er verspricht den Schwestern Rosenkränze von Maria Zell
zu schicken, und erkundigt sich, ob Schwester Hildegard schon
eingekleidet sei, und sendet ihr den schönen Wunsch:
„Gott gebe ihr seinen Segen und erhalte ihre glückliche Zufrie-
denheit. — weiter sollte es kein Mensch bringen wollen in dieser nich-
tigen Welt.'*
Inzwischen hat er seinen Vorsatz, einen Abstecher nach
Kärnten ins Lavantal zu machen, ausgeführt und schreibt
am 12. Juni aus dem Stift S. Paul dortselbst, wo er an einer
reichen Bibliothek seinen wissenschaftlichen Heißhunger stillt.
Stift St. Paul im Lavantal in Kärnten, 12. .luni.
. . . ,Der hiesige Prälat machte mir vor einigen Tagen den
Vorschlag, hier zu bleiben und einer der Ihrigen zu werden. Ich
nahm den Ernst scherzhaft und antwortete ausweichend, — die Wahr-
heil ist, daß, obgleich ich fast lauter Ehrenmänner hier kennen ge-
lernt hab», deren- Gesinnung ich wohl teile, doch die Art, wie diese in
ihnen lebendig ist, mir fremd und entfremdet ist und auf die Länge
32 3. Wanderjahre und Promotion.
sogar drückend würde; ich meine jene glückliche Unschuld und Un-
befangenheit des Denkens und Fühlens. die einmal verloren, nur durch
die Macht wissenschaftlicher Erkenntnis ersetzt werden kann, wenn
sie ersetzt werden kann? Denn in der Schrift steht freilich, daß der
Erkenntnis Baum nicht der Baum des Lebens sei. — Ich fand hier
dieselbe zuvorkommende Gefälligkeit und gastfreundliche Aufnahme,
die ich schon so oft in Österreich gefunden, daß ich's fast als einen
schönen nationalen Gharakterzug ansehen muß. Alles längere Reisen
hat die nachteilige Wirkung, daß man sich durch den unaufhörlichen
Wechsel der Gesichter und Gegenden gewöhnt, täglich an einigen
1000 Menschen vorüberzugehen, ohne ein anderes als ein allgemein
menschliches Interesse an ihnen zu nehmen. Es ist aber keine Ein-
samkeit so auszehrend, als ein anhaltendes Allein-, Verlassen- und
Fremdstehen mitten in der menschlichen Gesellschaft. Solche flüch-
tige Gastfreundschaften auf der Reise tun dem Gemüte so wohl wie
die grünen frischen Inseln in den Arabischen Sandwüsten dem Auge
des ausgetrockneten Pilgers."
Aus diesem Briefe erfahren wir auch, daß Lasaulx sich
in Bonn zu habilitieren beabsichtigte. Denn er glaubt, mit dem
Erlös von 15 kostbaren Miniaturgemälden aus dem 15. Jahrhun-
dert, die ihm ein glückhcher Zufall in die Hände gespielt hat
seine erste Privatdozentenzeit in Bonn vor Nahrungssorgen .sicher-
stellen zu können. Von S. Paul kehrt er wieder zurück nach
Marburg an der Drau, erfährt hier den Tod des bekannten
Bonner Professors Hermes, an dessen Stelle er Anton Gün-
ther wünscht, und deutet den Plan einer Jerusalemreise an.
Lavbach, 19. Juni 1831.
. . . „Dort (sc. in Marburg) lese ich in der Zeitung den Tod
des Professors Hermes ^) in Bonn. Es ist entsetzlich! Diese Universi-
tät hat seit 1 Jahre in allen 4 Fakultäten eine Dekapitation erlitten;
ein kalter Schauder lief mir durch alles Gebein, als ich auch diesen
Tod erfuhr. Ich kenne nur einen Mann in Deutschland, der diese
Stelle würdig wieder ausfüllen könnte, mein Freund Anton Günther,
Weltpriester in Wien, der Verfasser der j, Theologischen Vorschule''
und „Peregrins Gastmahl'*, dessen Name ich durch Mendelssohn... nach
Berlin an Altenstein ^) oder Schulze *) zu bringen bitte, — wodurch
ich mir, unter uns gesagt, ein wahres Verdienst um die Universität zu
erwerben glaube. Man wird sicherlich in ganz Deutschland keinen
zweiten Mann finden, der mit einer so umfassenden theologischen
Gelehrsamkeit soviel philosophische Erkenntnis verbindet und die Be-
dürfnisse dieser Zeit in Bezug auf ReHgion und Philosophie besser
^) t 26. Mai 1831. Am 26. Sept. 1835 wurden verschiedene Lehren
desselben durch ßreve Gregors XVI. verworfen. Daran schlössen sich dann
die Hermesischen Streitigkeiten. — -} Alten st ein, preußischer Minister. —
•'') Schulze, Johannes, Leiter des höheren preußischen ünterrichtswesens
(1786—1869).
8. Wanderjahre und Promotion. SS
kennt und befriedigen wird. Ich bitte Dich also dringend, zu tun, was
Du vermagst: wieviel lieber ich selbst einst nach Bonn zurück-
kehren werde, wenn ich diesenJ^Freund dort treffe, darf ich Dir nicht
erst sagen.**
Er teilt der Mutter in demselben Briefe noch mit, daß er
die Adelsberger Grotte besuchen, dann Ober^Goerz/ und Aqui-
leja nach Tri est reisen und dann von Triest eine kleine See-
fahrt unternehme nach — — Jerusalem.
„Denke nicht an Gefahren, sie sind nur da, um den Mut und
Glauben zu erhöhen, daß wir überall in derselben Qotteshand stehen;
begleite mich mit Deinem Gebet und bete täglich mit den Schwestern
ein Vater unser für meine arme Seele. Ich will das Christentum in
seiner Geburtstätte aufsuchen und denke, es werde mir dort allerlei
einfallen, woran man hier nicht denkt, wenn man die heiligen Schrif-
ten in der Studierstube liest."
An Görres hat Lasaulx von Maria Zell aus ausführlich
über seinen Plan geschrieben und erwartet einen Brief von ihm
in Triest. Durch Görres ist auch seine liebe Julie vorbereitet.
Görres hat an Lasaulx wirklich geschrieben und ihm die
Schwierigkeiten vor Augen gestellt.^) Lasaulx schreibt an
Görres von Triest aus am 28. Juni und am 29. Im ersten
Briefe schildert er in poesievoller Weise die Adelsberger Tropf-
steingrotte; im zweiten sucht er Görres' Bedenken gegen die
Jerusalemreise zurückzuweisen. Infolge der Erzählungen eines
alten ehrlichen Kaufmanns, der am Libanon fünf der schönsten
r*_und glücklichsten Jahre seines Lebens hingebracht hat, erscheint
Lasaulx die Reise wie ein schöner, mitunter etwas unbequemer
Spaziergang. Mit Italienisch komme er überall durch; die Ge-
fahren auf dieser Reise seien nur so groß, um Mut und Spann-
kraft des Geistes frisch zu erhalten. Daher gebe er diese Reise
nur einstweilen auf. Er sehnt sich nach Italien und gedenkt,
noch heute nacht nach Venedig zu fahren. Ehe er dahin ab-
reist, sucht er auch der Mutter ihre Bedenken zu benehmen. Um
ihr Sorge und Unruhe zu verscheuchen, stellt er in einem Briefe
vom Peter und Paulstag 1831 die ganze Reise als möglichst
ungefährlich und harmlos dar und schließt voll jugendlichen
Leichtsinns :
„Da hier in dieser ganz modernen Seestadt (Triest) nie ein
anderes Interesse war und ist, als um dasjenige, was sich vor allem
auf diese ungereimte Welt reimt, so eile ich nach Venedig hinüber.
^) In einem Briefe vom 27. Mai 1831; vgl. Joseph Görres: Gesam-
melte Briefe Bd. III (1874), p. 394-95.
Stolz le, Ernst von Lasaulx. " ^?>
34 3. Wanderjahre und Promotion.
und werde diese erste Seefahrt ohngeachtet des schlechten Wetters
heute nacht unternehmen : in meinen wind- und wetterdichten grie-
chischen SchiffermanteJ, den ich mir hier gekauft, eingehüllt freue ich
mich, einen kleinen Sturm auf der offenen See zu erleben, deren blaue
Wogen gleich beim ersten Anblick eine verwandte Naturkraft in meiner
Brust erregt haben. Also auf Wiedersehen in Venedig,*"
2. In Italien (vom 5. JuU 1831 bis 13. Januar 1833).
Lasaulx hat die Reise gegen den Willen seiner Eltern
unternommen. So mächtig war die Wanderlust in ihm, daß er
seinem früheren Versprechen untren wurde, sich hierin ganz
nach den Wünschen seiner Eltern zu richten. Er versäumt es
aber nicht, seine Eltern wiederholt zu bitten, ihm die Reise
nach Italien zu verzeihen. Am 5. Juli 1831 betritt er Italien
und verläßt es am 13. Januar 1833. Die Stationen dieser ita-
lienischen Reise sind Venedig, Padua, Bologna, Florenz,
Rom, Neapel und Brindisi.
a. Venedig, Padua, Bologna, Florenz.
Lasaulx ist glücklich in Venedig angekommen und gibt
hochentzückt die Eindrücke wieder, die die alte Lagunenstadt
auf ihn macht. Er schreibt:
Venezia, o. Luglio 1831.
.jMeine Hebe Mutter! Ich habe richtig neulich einen kleinen
Sturm erlebt. Wir fuhren abends um 9 in heftigem Regen%vetter, und
während ein starker Sirocco wehte, von Tri est ab, und erst als gegen
Mitternacht der Mond aufging, siegte die Macht des Gestirns über das
niedere Element. Trotz allem Widerstreben mußte ich mich einige
Stunden lang auch zur Seekrankheit bequemen und die ganze Nacht
über auf dem Verdecke zubringen. Aber was ist ein(^ solche vorüber-
gehende Übeldranigkeit gegen den folgenden Morgen, als die Sonne,
wie das flammige Schild der zeusgeborenen Jungfrau aus dem ruhigen
Spiegel der unendlichen blauen Flut aufstieg, und ein heiliger Morgen-
hauch die Segel schwellte, und wir dann am fernen Horizont die
Türme von Venedig sahen. Und was könnte ich Dir von Venedig
sagen, das nicht vergeblich wäre. Dir ein Bild zu geben von dieser
einst so stolzen, jetzt verlassenen und verödeten Meereskönigin! Hier
ist Italien, eine verschollene untergegangene Welt und eine heitere
lächelnde über den Gräbern. Ein kalter Schauder durchfährt mir alle
Adern und alles Gebein, wenn ich in der schwarzen Gondel „zwischen dem
Sarge und der Wiege'* den großen Kanal herabfahre an den Sarazenischen
und altitalischen riesigen Marmorpalästen vorüber. 0, daß mein Vater
hier wäre und mit seinen gotischen auch die hiesige Markuskirche ver-
gleichen könnte; ich kann mich nie eines heiligen Schauers erwehren,
so oft ich dieses Heiligtum betrete, — aber es sind männliche herz-
3. Wanderjahre und Promotion. 35
erfrischende und erhebende Tränen, die hier erregt werden. Hier
fühlst du die ganze konzentrierte Gewalt des christlichen Glaubens im
Mittelalter, Blitz und Klang zugleich ins Herz Dir schmettern, Und alle
kleinen jämmerlichen Gedanken dieser nichtsnutzigen fratzenhaften
Zeit werden in einem Moment, durch einen Blick verzehrt und vernich-
tet. Auf den Trümmern hier fühlst Du ein Schicksal, welches die
Seele reinigt und erhebt, indem es sie zermalmt, und die Lehre gibt,
daß nichts ewig ist, was menschliche Eitelkeit gebaut hat, um
sich einen Namen zu machen. Von den Gemälden und zahllosen
Kunstschätzen, die hier angehäuft sind, wäre es ebenfalls vergebhch,
Dir ein anschauliches Bild zu geben, da man dergleichen durchaus mit
eigenen Augen sehen muß. Wenn der Vater mir irgend ein bestimm-
tes architektonisches Werk angeben wollte, was er wünscht, so wäre
es mir die größte Freude, ihm eine Freude damit machen zu können
— aufs Geratewohl hin wage ich nichts zu kaufen.**
Einen fast gleichlautenden Brief wie den vorstehenden an
die Mutter hat Lasaulx am 30. Juni 1831 an Görres von
Venedig aus geschrieben. Von ebenda teilt er Görres am
13. Juli mit, er wolle über Padua und Bologna nach Flo-
renz reisen und dort die erste Woche des August bleiben, —
wenn kein Krieg werde.
„Denn die erste offizielle Nachricht von einer Kriegserklärung
gegen Frankreich, wo immer sie mich trifft, wird mich auf dem kürze-
sten und schnellsten Wege zu der deutschen Armee führen, die dem
Feinde am nächsten steht. Keine Rücksicht auf der Welt wird mich
abhalten, Haß und Rache zu entflammen gegen die Halunken nach
allen Kräften und Herzenslust. Es muß eine Flamme werden blutrot
wie Feuerregen vom Himmel herab, und dann soll sich's entscheiden,
ob die Europäische Weltgeschichte mit einem Pasquill schließt, oder
aber die Sache siegt, die bei Gott war vor Grundlegung dieser Welt."
An demselben Tage, am 13. Juli, richtet er auch wieder
einen Brief an die Mutter in Koblenz. Er hoffl, daß ihm Mutter
und Vater die langersehnte italienische Reise verzeihen, und mel-
det, daß er von Haxthausen, den er zufällig in Venedig ge-
troffen, eine Dutzend Adressen an seine römischen Freunde er-
halten habe, so daß er nun gleich die ausgezeichnetsten Männer
Roms kennen lerne. Es kommt ihm oft wie eine Sünde vor,
daß er alle die herrlichen Kirchen und Paläste sehen werde und
nicht der Vater, der dessen in jeder Rücksicht würdiger wäre.
Am 19. Juli 1831 ist er schon in Bologna. In Padua traf er
in der Antoniuskirche die Maler Cornelius und Overbeck. ^)
Über den letzteren schreibt er (19. Juli 1831 von Bologna):
') 1789-1869.
86 B. Wanderjahre und Promotion.
^ünd welch ein Mann ist dieser Overbeekl Still und einfach,
wie ich mir Novalis denke, ein deutscher Maler aus der schönsten
Zeit des Mittelalters. Ich habe ihn in den paar Stunden, die wir zu-
sammen waren, so liebgewonnen, daß mir der Abschied fast schwer
wurde wie von einem alten FVeunde, und ich die Hoffnung nicht
aufgebe, ihn in Rom, wohin er im November wieder zurückkehren
wird, noch zu erwarten: denn wenn Gott will, bleibe ich den Winter
in Rom."
Ein Franziskanerniönch gibt ihm Empfehlungsbriefe an sei-
nen Bruder in Konstantinopel; und ein junger Engländer, der
die Reise von Sizilien nach Cypern, Tripolis, Damaskus,
Jerusalem gemacht hat, solche an seine Freunde, die englischen
Konsuln in Cypern, Acre, Sniyrna mit. Beide hat Lasaulx
auf dem Wege nach Florenz kennen gelernt, und was ihm der
Engländer von seiner Reise erzählte, hat seine Lust dahin aufs
höchste gereizt. Begeistert schließt er seinen Brief vom 19.
Juli 1831:
„Jerusalem wird mir immer lieber in meiner Seele, ich sehe
schon die Zinnen der heiligen Stadt im Glänze der Abendsonne vor
meinem trunkenen Auge Hegen, und das Herz frohlockt in meiner
Brust, — ich muß dahin und werde alles Menschenmögliche aufbieten
und versuchen."
Inzwischen ist Lasaulx in Florenz angelangt und gibt
zunächst an Gftrres am 25. Juli 1831 Nachricht, dessen Briefe
sich mit den seinen gekreuzt, und so ihren Zweck, Lasaulx
aufzuhalten, verfehlt haben. Görres scheint ihn nach Belgien
empfohlen zu haben. Dazu bemerkt Lasaulx:
„Was Sie mir wegen Belgien schreiben, gefällt mir weniger;
einmal habe ich einen entschiedenen Widerwillen gegen das ganze
dortige französich-liberale Treiben, und dann würde ich mich auch
nur im äußersten Notfall entschließen können, das Beste, was ich
habe, in einer andern als in meiner Muttersprache wiederzugeben. Noch
gebe ich meinen alten Plan mit Bonn nicht auf, welches ich nur mit
Ihrem München vertauschen möchte; wenn ich selbst nach Berlin
gehe, so denke ich's trotz mancher Sünden gegen das alleinselig-
machende Preußentum dennoch durchzusetzen, wenn auch nur auf so-
lange, bis ich ihnen das sorglich gepflegte kahle hausbackene Luther-
tum durch allerlei mystisch -phantastischen Katholizismus in eine lustige
Unordnung gebracht habe. Vorläufig bin ich begierig, wie sie Her-
mes' Stelle in Bonn besetzen werden; ich habe dafür gesorgt, daß
Günthers Name dem Minister genannt worden ist.**
Am 28. Juli schreibt er von Florenz an die Mutter. Er
hat hier Bekannte getroflPen, die Schweizer Malerin Frl. Linder
3. Wanderjfthre und Promotion. 37
aus Basel, ^) den österreichischeu Major Prokesch von Osten,
dessen Reisebesehreibungen von Palästina Lasaulx vor allen
anderen angezogen und zu derselben Wanderung gereizt haben-
Lasaulx konnte sich ihm auf der Reise nach Rom anschließen.
Er wäre noch gern länger als 8 Tage in Florenz geblieben,
aber die günstige Gelegenheit, mit Herrn Prokesch von Osten
reisen zu können, bestimmt ihn zum Aufbruch. Lasaulx sieht
in solchen Zufällen das Walten der Vorsehung und glaubt, sich
ihm nicht entziehen zu sollen. Er schreibt in seinem Briefe aus
Florenz vom 28. Juli 1831:
„Indessen ist es eine Art von Aberglauben, den ich habe, alle
solche unerwartete Bekanntschaften und Gelegenheiten zum Weiter-
kommen zu benutzen, vielleicht daß die unsichtbare Hand, die jedes
Menschen Leben lenkt und zieht, mich jetzt gerade wo andershin haben
will — und da will ich mich gern ziehen lassen — jedenfalls meinem
Ziele näher!**
Dieselben Mitteilungen läßt er am 27. an (jörres gelangen.
Die Reise mit Prokesch von Osten verlief zu Lasaulx*
voller Zufriedenheit. Er gibt der Mutter eine schöne Schilderung
der Landschaft und der Eindrucke, die er auf der Reise empfan-
gen hat.
Rom am 80. August 1881.
, Meine Heise mit Piokesch von Florenz hierher war ganz so
schön, wie ich erwartet und Dir geschrieben habe. Wenn man nicht
zu Fuß geht — was übrigens in Italien zu Ende Juli bei 28" Hitze,
und wenn man dazu noch ein schweres Ränzchen zu tragen hat, mit so-
viel Unbequemlichkeiten verknöpft ist, daß schwerlich irgend eine
deutsche Natur stark genug ist, sich dabei ihre ohnehin nicht sehr
große poetische Anschauungsfähigkeit frisch zu erhalten, — so gibt
es wohl keine angenehmere Art seinen Leichnam durch die Welt zu
schleppen als in einem bequemen Reisewagen, der, stets von frischen
Pferden bespannt, lustig über Berg und Tal dahinrollt. Die Gegenden
sind fast durchweg höchst freundlich und lieblich, die Dörfer und
Städte meist sehr malerisch auf und zwischen grünen Hügeln gelegen, zu-
weilen auch wie Narni auf steiler waldumkränzter Höhe. Dort bei
Otricoli öffnen sich dann die Umbrischen Gebirge, und Du siehst
hinab in die tiberdurcliflossene und von sanften wellenförmigen Hügel-
reilien durchzogene Ebene Latin ms. Über alles, die Menschen so-
wohl als das Land, ist derselbe bräunliche warme Ton ausgegossen,
an den sich unser deutsches Auge erst gewöhnen muß, um ihn schön
zu finden, ich müßte aber doch lügen, wenn ich Dir sagte, daß mir
dies Land so geradezu und unbedingt besser gefiele als z. B. unsere
Rheingegenden und die schönen grünen Ländchen Steierrnark und
^) Nachmals in München und bekannt als Freundin Diepenbrocks
vgl. Reinkens: Diepenbrock. passini.
88 3. Wanderjahre und Promotion.
Salzburg. Jene herzerfrischende deutsche Frühlinj^swaldluft fehlt hier
überall, und da fühle ich denn allerdings die Schranken meiner natio-
nalen Natur, von der sich überhaupt nur der Verstand, nie das Gemüt
zu trennen vermag.'*
Endlich hat Lasaulx Rom erreicht, Ende Juli. Am 30.
August 1831 hat er den ersten Brief von dort an die Mutter
gerichtet und am 15. Dezember 1832 kurz vor seiner Abreise
nach Neapel den letzten. Auf ein paar Monate war der Auf-
enthalt berechnet, und mehr als IY2 Jahre blieb Lasaulx in
der ewigen Stadt. Seine Erlebnisse und Eindrücke hier näher
zu schildern rechtfertigt die Bedeutung des Ortes.
b. Rom und Neapel.
Klagen über verlorene Briefe, über Saumseligkeit seiner
Angehörigen im Briefschreiben, Bitten um Besorgung eines Pas-
ses für eine kleine Reise nach Griechenland, Kleinasien und Pa-
lästina, Freude über die freundliche und zuvorkonmiende Ge-
fälligkeit des preußischen Ministerresidenten Bunsen^) — das
ist der Eingang zu einem Briefe an seine Mutter von Rom aus.
Daran schüe&en sich dann gleich bemerkenswerte Reflexionen
über Rom selbst.
Rom am 30. August 1831.
, Meine gehebte Mutter! . . . Nun erwartest Du wohl, meine
liebe Mutter! daß ich Dir auch über Rom etwas schreibe. Den Papst
habe ich nun freilich schon gesehen, und der Segen des würdigen
Mannes wird meiner Seele nicht schaden; aber über Rom erlaube ich
mir nur ungern ein vorlautes Urteil, was mich bald gereuen dürfte.
Soviel aber will ich Dir schon gestehen: Der erste Eindruck Roms
war so modern, daß ich in starker Versuchung wai', gleich am ersten
Abend ins Marionettentheater zu gehen, und nur mein altheidnischer
Aberglaube vor der Rache der verhöhnten Götter liat mich zurückge-
lialten. Manches fand ich ganz anders hier, als ich erwartet, wie denn
keine Wirklichkeit leistet, was eine ungestüme ganz unbestimmte Vor-
stellung sich erträumt hat. Doch habe ich, seitdem ich nun schon
einen vollen Monat von frühmorgens bis abends in dem ungeheuren
Leichenhause der Weltgeschichte herumlaufe, auch vieles gefunden,
was größer ist als jede Erwartung. Nachdem ich das meiste, was
man so zu sehen pflegt, verschluckt habe und nun anfange, das Be-
deutendste im einzelnen durchzugehen und ruhig auf mich wirken zu
lassen, wird mir allgemach heimischer hier und ich begreife sogar,
wie man bei längerem Aufenthalte diese Weltstadt so liebgewinnen
kann, daß man gar nicht mehr fort will. Um das innerliche Rom
kennen zu lernen, muß man aber jahrelang hiei- bleiben, woran ich
') Bunsen, Gelehrter, Diplomat, 1791-1860.
3. Wanderjahre und Promotion. 39
nicht denken darf; zu einer äußerlichen Kenntnis jedoch, denke ich,
wird ein Vierteljahr auch hinreichend sein. Und dies will ich denn
vorzüglich zum besseren und lebendigeren Studium des römischen
Altertums benützen, welches mir hier vielleicht verständlicher wird
als das römische Christentum. Denn wenn ich das jüngste Gericht
des unvergleichbaren Michelangelo ausnehme, so wollen mir die
Trümmer heidnischer Kunst fast bedeutender vorkommen als die
Werke der christlichen. Durch die ungeheuren Antikensammlungen
im Vatikan und Kapitol kann ich nie hindurchgehen, ohne mein
ganzes Herz heidnisch bewegt zu fühlen; vor den Rafa eischen Bil-
dern aber ist mir das Entgegengesetzte nicht begegnet. Ebenso ist
meinem Gefühl nach das ganz heidnische Pantheon christlicher als
sämtliche Kirchen Roms, St. Peter nicht ausgenommen; so groß
gedacht der riesige Dom immerhin sein mag, doch fühlt man's ihm
beim ersten Eindruck an, daß der Glaube ihn nicht gebaut hat, son-
dern Stolz und Eitelkeit. Hier erst empfinde ich es, was wir an un-
seren gotischen Kirchen haben, deren schlanke jungfräuliche Säulen-
bündel vollkommen so schön sind, als die schönsten griechischen
Tempel: und zwar, wie mir schemt, aus keinem andern Grunde, als
weil sie nicht durch den Verstand gemacht, sondern aus einem in-
wohnenden organischen Lebensprinzip herausgewachsen sind als ein
lebendiges Geistes- und Naturgewächs. Doch das sind lauter un-
gewaschene Urteile, die mir die Kunst und Gott verzeihen möge."
Lasaulx macht Pläne für seine Reise nach Jerusalem
und bleibt fest auf seiner Absicht stehen. Er schreibt im sel-
ben Briefe:
„Was sagt Ihr zu der Reise V Der Wille dazu steht fest in
meiner Brust, und daß man damit und mit Gottes Hilfe schon einiges
der harten widerspenstigen Erde abdringen könne, habe ich im letzten
Jahre meines Lebens zur Genüge erfahren."
An Görres hat er schon am 18. August 1831 einen Brief
ähnlichen Inhalts gerichtet. Denselben festen Vorsatz, seine Pil-
gerreise nach Jerusalem auszuführen, bekundet ein an Reflexio-
nen und Bekenntnissen reicher Brief an Görres.
Rom, 17. Sept. 1831.
„Lieber verehrter Freund! Soeben erhalte ich Ihren Brief vom
7. ds. Mts. und zugleich vom Gr. Reis ach die Mahnung, jetzt nicht
nach Jerusalem zu reisen, indem dort die Pest entsetzlicher als seit
Menschengedenken wüte, so daß ein Armenischer Bischof, der vor
G Wochen von hier abgereist, sich gezwungen sehe, in Rhodus zu
überwintern, um nicht dem geifersüchtigen Tode in den Rachen zu
laufen. Dergleichen nun würde mich schwerlich zurückhalten, indem
mir, was mich betrifft, wenig Dinge auf der Welt so gleichgültig sind
als mein Leben, welches ich gewissen Plänen gegenüber keine Nadel
wert achte; überhaupt kann ich's vor gottgesandten Übeln dieser Art
auch beim besten Willen zu keiner Furcht bringen. Seitdem, wie es
scheint, die Aussicht auf einen die Lebensluft reinigenden allgemeinen
40 B. Wanderjahi-e und Promotion.
europäischen Kriegsbrand verschwunden ist, habe ich meine einzige
Hoffnung auf die Cholera gesetzt, wobei ich nur fürchte, daß sie etwa
nicht genug Spitzbuben und Halunken wegraffen möge, wie alle der-
gleichen Krankheitsbestien, die sich gewöhnlich lieber an gesundem als
an faulem und wurmstichigem Menschenfleisch satt fressen. Doch muß
man dies und anderes billig demjenigen überlassen, der die Geschichte
macht, wie Er will."
Lasaulx erkundigt sich nach dem Verkaufe seiner Bilder,
spricht von seiner Rückkehr, wenn ihm nicht ein neuer Hoflf-
nungsstern aufgehe, der ihn nach Bethlehem führe, seiner Aus-
beute in Bibliotheken und fährt dann weiter fort:
„Überhaupt fühle ich mich allgemach ganz heimisch in diesem
ungeheuren Leichen- und Knochenhaus der Weltgeschichte, denn es
läßt sich hier vom Tode manches lernen, was man bei seinem zwitter-
haften Geschwister, dem Leben, vergebens suchen würde. Nachdem ich
das meiste, was man so zu sehen pflegt, verschluckt habe, fange ich
nun^Tan, das Bedeutendste im einzelnen durchzugehen und ruhig auf
mich ^einwirken zu lassen, um soviel möglich in die rechte Stimmung
zu kommen, die Dinge von innen heraus zu erkennen und mir das
leidige^Urteilen von Außen her abzugewöhnen.''
Nun folgt eine wahrhaft klassische Schilderung und Lob-
preisung des Moses von Michelangelo und seines jüngsten
Gerichtes in der Sixtina.
„Vor allem anderen aber sind es die unvergleichbaren Werke
des Michelangelo Buonarotti, die ich nun studiere. Die kolossale
sitzende Marmorstatue des Moses ist ohne Widerrede das grandioseste
Werk der christlichen und vielleicht aller Skulptur, wenigstens kann
kein mir bekanntes Werk der antiken Kunst diesem an die Seite gestellt
werden in Bezug auf kolossale Kraft und Größe des Gedankens; hier
muß die Schönheit der Erhabenheit weichen wie Apollon dem Olym-
pischen Zeus. Dieser Moses ist sich bewußt, daß der all-einige
Gott Israels ihm den Willen und die Kraft gegeben, alle Hindernisse
zu besiegen, um der Befreier und zweite Gründer eines Volkes zu
werden, das vor allen anderen im Plane der Weltvorsehung erwählt
war, daß aus seiner Mitte der Gottmensch und Heiland des gefallenen
Geschlechtes geboren werde. Und nun gar das jüngste Gericht in der
capella Sistina! Das einzige Bild Roms, was mir größer erschien
als jede, auch die ungestümste Erwartung; ganz im Geiste des alten
Kirchenliedes: „Dies irae dies illa solvet saeclum in favilla**. Christus
tritt auf als „Rex tremendae Majestatis — cum vix iustus sit securus"
— nur seine Mutter, die himmlische Jungfrau allein, scheint sicher
und ruhig an seiner Seite, jede andere Kreatur ist von hl. Schauder
durchbebt und fühlt es mit, wie das Universum unter seinem Fuß-
tritt erzittert. Der tiefblaue Nachthimmel im Hintergrunde ist nicht
mehr der unsrige sublunare, sondern wenn die Welten zusammen-
gestürzt sind, und die letzte Scheidung aller geschaffenen Dinge ein-
tritt — entsprechend etwa dem vorweltlichen, als in der ersten
8. Wanderjahre und Promotion. 41
hl. Frühe der Schöpfung jenes Morgengewiiter aufzog, und der Satan,
herabgestürzt, seinen Stuhl gegen Mitternacht setzte. — Wer hierbei
mit einer milchsuppigen kindinniglichen sog. reinen Christuslehre, die
alle Religion an die Spinnenfäden einer sentimentalen Subjektivität an-
knüpfen will, oder gar wie einige moderne Kunstrichter mit einer
mattherzigen Schönheitstheorie angesimpelt kommen wollte, ist unfähig,
die alles Endliche vernichtende Gewalt des Geistes zu erkennen;
ebenso verdienen die abgenutzten Vorwürfe von Übertreibung. Hinten-
ansetzung aller mühsam ausgesomienen Kunstregeln, und was man sonst
noch von den verderblichen Folgen und Wirkungen vorbringt, welche
dieses übermenschliche Werk bei schwächlichen ganz unberufenen Nach-
ahmern hervorgebracht und veranlaßt habe. . . . das alles verdient
keine weitere Antwort, als daß es nun einmal die Natur der Sache in
dieser entarteten Welt so mit sich bringe, daß, wie Hamann *) sagt,
die Geburt eines Genies immer von einem Kindermord beglei-
tet ist. Meinem Gefühl nach gehören diese Werke zu dem Allergröß-
ten, was jemals menschliche Geisteskraft geschaffen hat, und hier vor
allem fühle ich jene Gewalt der anschaulichen Kunst, die nui* von der
tatsächlichen Wahrheit des wirklichen Lebens selbst übertroffen wer-
den kann".
Lasaul X macht Gör res den Vorschlag, selbst das Land
zu besuchen, „welches als Basis und Mittelpunkt des bedeutend-
sten Teils der europäischen Weltgeschichte grade Ihrem Auge
so vieles darbieten mü&te, was bisher zwar oft, aber gew^öhnlich
mittelmäßig und schlecht gesehen worden ist". Lasaulx will
den Cicerone machen. Nach Klagen über die Gegenwart, die in
Rom ebenso hoffnungslos sei, wie anderswo, kommt Lasaulx
wieder auf seine Jerusalemreise zurück, die er nicht aufge-
ben will.
„Um nun wieder auf den Anfang zurückzukommen, so dürfen
Sie mir es auf mein Wort glauben: Mein Herz hängt an gar nichts
auf dieser Welt so sehr, daß ich's mit Teufelsgewalt durchsetzen und
erlangen möchte, aber wenn Sie bedenken, daß ich wohl mit 20 bis
30 Scudi von hier zuiückreisen kann, aber mit dem Drei- und Vier-
fachen nicht wieder hierher: so werden Sie mich entschuldigen, wenn
ich erst alles Menschenmögliche versuche und aufbiete, ehe ich nach-
gebe und hinnehme, was ich nicht zu ändern vermag. Wäre Ihr
Brief G Tage früher gekommen, so hätte ich die Gelegenheit benutzt
und wäre mit meinem Freunde Prokesch über Mailand und Wien
zurück. Das hat also nicht sein sollen, wie es scheint. Übrigens ist
Griechenland und Jerusalem nicht das einzige und erste Lust-
schloß, was mein verkehrtes Gehirn ausgesponnen, sich hineingeträumt
und — dann in der dürren fluchbeladenen Wirkhchkeit wieder erwacht
ist; auch wird es leider nicht das letzte sein, ehe ich aufhöre zu träu-
*) Johann Georg Hamann, gewöhnlich der Magus aus Norden ge-
nannt (1730 1788), hervorragender Schriftsteller.
42 3. Wanderj^^hre und Promotion.
men und ein schwerer Atemzug mehr oder weniger tut mir nichts,
solange ich noch eine Lunge habe: auch bin ich in jedem AugenbHck
meines Lebens bereit, allen ferneren Plänen meines ohnehin ziemhch
frevelmutigen Erkenntnishungers und Ehrgeizes ohne Murren und
Klage Lebew^ohl zu sagen und nicht höher zu streben, als Hauscapellau
in St. Florian zu werden — : aber ich muß erst zu der Überzeugung
kommen, daß ich alles getan und versucht habe, was in meinen Kräf-
ten gestanden."
Inzwischen hat Lasaulx nach 7monatlicher Unterbrechung
und nach wiederholten vergeblich abgesandten Brieftauben end-
lich Nachrichten von den Seinigen erhalten und antwortet nun,
über verschiedenes teils Aufschluß fordernd teils solchen gebend.
Rom, 8. November 183L
„Meine liebe Mutter! . . . , Was Du mir von meiner Schwester
Hildegard geschrieben, hat mich sehr erfreut; wenn ich alles ruhig
liberdenke, so hat sie doch den besten Teil erwählt, um im Frieden
mit Gott und der Welt die Tage ihres Lebens zu beschließen. . . .
Hast Du auch meine Bitte wiegen Günther an Mendel söhn
bestellt und vielleicht etwas über die Sache gehört? Ich habe in der-
selben und in eigener Angelegenheit auch an Geheimrat Schulze in
Berlin geschrieben, bin aber keiner Antwort gewürdigt worden.
Görres schreibt mir, daß ich überhaupt alle Hoffnungen auf Preußen
aufgeben solle, ich kann mich dazu noch nicht entschließen — habe
aber doch durch meine Freunde in Wien dafür gesorgt, daß mir im
schlimmsten Falle dorthhi ein Rückweg offen bleibt und eine Stelle,
die mir die Notdurft des Lebens sichern und hinlängliche Zeit lassen
soll, um meinen philotheosophischen Studien nachzuhängen. Mein ver-
längerter Aufenthalt in Pvom, wo ich nun ganz heimisch bin, soll mir,
denke ich, für meine w^issenschaftlichen Lebenszwecke nur förderlich
sein. — Obgleich ich mich unter diesen Italienern nie geheuerlich
fühlen könnte, so sind sie doch bei weitem besser als Ihr in Deutsch-
land glaubt.''
Auf den Brief von Görres, dessen er in dem Schreiben
an die Mutter gedenkt, antwortet Lasaulx noch vor Ende des
Jahres. Er reflektiert über sich und seine Zukunft, macht sich
Vorwürfe über die gegen den Willen des Vaters unternommene
Reise, charakterisiert Hamann und schließt mit Selbstanklagen
über seine geringe Besserung.
Rom, 24. Dez. 183 L
, Verehrter Freund! Für die guten Wahrheiten, die Sie mir in
Ihrem letzten Briefe gesagt haben, bin ich Ihnen sehr dankbar, selbst
dann, wenn ich nicht dadurch gebessert werden sollte . . ., weil ich
nicht allein ohne die Erlaubnis, sondern fast gegen den Willen meines
Vaters nach Italien gegangen bui, ~ was mir Gott vergeben möge, —
so kann ich mich nicht entschließen, Ihren Rat wiegen der Geldnego-
ziation zu befolgen, zumal es ja auch eine angenommene Regel ist,
8. Wanderjahre und l'romotion. 48
nicht mit geliehenem Gelde zu spielen. Weiter aber bin ich leider
mit dem eitlen Leben noch nicht gekommen, als daß ich 's wie ein
Spiel behandle; am Ende all meines Denkens und Philosophierens steigt
jedesmal ein verfänglicher Zweifel über den Anfang auf — und hinter
diesem Zweifel steht eine leicht verschleierte Gestalt, die, soviel ich
sehen kann, große Ähnlichkeit hat mit der Eule als . . . ')tochter; diese
war einmal ein schönes Mädchen, una volta!
Da nun die sämtlichen BibHotheken wieder auf 3 Wochen ge-
schlossen sind, so habe ich mir die Lektüre der Hamannschen
Schriften zum Beschluß dieses Jahres zugeteilt. Wenn man sich
durch die individuelle Widerborstigkeit des wunderlichen Heiligen
durchgearbeitet, so bleibt doch ein Kern, der es wert ist, daß man
sich allenfalls einen Zahn an der Schale ausbeiße, obgleich die Zornes-
ader, das wilde Naturfeuer keineswegs überwunden ist in ihm und ich
fast durchweg mehr zerschmetternden Blitz als die ruhige warmherzige
Glut der Liebe fühle, so hat er doch wahrhaft ewige Augenblicke, einen
echten Vorschmack jener wesentlichen, essentiellen Freiheit des Geistes
erlebt, der alles richtet und von niemanden gerichtet wird. Außerdem
sagt mir seine gründliche Verachtung des kundbaren Niemand, und
daß er sein Leben lang die Philister geärgert hat, sehr zu.
Auch dieses Jahr neigt sich zu Ende, ohne daß ich eine sonder-
liehe Besserung meines verkehrten, trotzigen und verzagten Herzens
in mir verspüre ; ich habe größere Fortschritte in der Salomonischen
Art zu philosophieren als in der christlichen, in der Höllenfahrt der
Selbsterkenntnis als in der Himmelfahrt der Gotteserkenntnis gemacht,
ich habe viele Zeit verloren, ohne Ewigkeit dafür zu gewinnen. Sie
werden mir vielleicht antworten, dergleichen Tragikomödien könnten auch
durch den Willen geändert werden — wenn einer aber nicht zu diesem
Willen kommen kann?! Leben Sie wohl und unter einer freundliche-
ren Gotteshut als ich: ich grüße die Tante, Marie und Guido nebst
allen Freunden und wünsche ihnen ein glücklicheres Neujahr als mir,
wie es scheint, bevorsteht."
Zu den Mahnungen von Görres, heimzukehren, kamen
noch die von Lasaulx' Mutter und Freunden. Sie fallen ihm
schwer aufs Herz, aber er kann sich von seinen Reiseplänen
nicht losmachen. In diesen Zwiespalt läßt ein Brief blicken, den
er am Ende des Jahres an die Mutter von Rom am }M. Dez.
1831 schreibt. Er gesteht, daß er oft nach der Mutter Sehn-
sucht habe, wohl liege überall unter Gottes Sonne Jerusalem,
aber er sehe nicht überall in dieser irdischen Welt das himm-
lische Jerusalem. Wenn er in 2 Monaten nicht soviel Geld
auftreibe, um nach Jerusalem zu wallfahrten, dann kehre er
zurück. Er befiehlt noch einmal sich und seine Sache Gott.
Wie dieser Brief an die Mutter uns Las au Ix' innerstes
Sehnen und Hoffen enthüllt, so gestattet noch mehr ein anderer,
^) Mir unleserlich.
44 3. Wanderjahre und Promotion.
den er um dieselbe Zeit aus Rom am 3. Januar 1832 an sei-
nen Freund Joseph Siegl schreibt, wichtigen Einblick in sein
inneres Leben. Er sei nicht am Ende, sondern erst am Anfange
seines Weges und nimmt nun Anlaß zu Selbstbetrachtungen.
Lasaulx schreibt:
„Ich weiß sehr gut, wo der faule Fleck meines inneren Lebens
sitzt — ich habe einer von Haus aus sattsam übermütigen und wilden
Natur nicht nur nicht entgegengearbeitet, sondern ihr meist nach
Herzenslust die Zügel schießen lassen, habe nur allzuviel und mit
Lust in mich hineingebohrt, dem verschlossenen Abgründigen einen
Schlund aufgewühlt, ja oft noch aus purem Mutwillen Steine in den
Krater geworfen, die unterirdischen herauflockend, und auf diese Weise
ungleich größere Fortschritte in der Höllenfahrt der Selbsterkenntnis
als in der geistigen Himmelfahrt lebendiger Gotteserkenntnis gemacht:
selbst darin, was ich seit drittehalb Jahren will und erstrebe, ist noch
sehr viel Eitelkeit und jener herbe Feuerhungei-, von dem es sehr un-
gewiß ist, ob er befriedigt werden könne. Ich habe in diesen Tagen
auf Deine Erinnerung die Bekenntnisse des hl. Augustinus wieder-
gelesen — sie sind im Angesichte der wesentlichen Wahrheit, die bei
Gott ist, geschrieben, darum sind sie ein Spiegel, in welchem jeder
von uns sein eigenes Bild mehr oder weniger wiedererkennt; mit gro-
ßer Hoffnung hat mich erquickt, was dort geschrieben steht; daß „Der
Sohn Seiner Dienerin, die mich in ihrem Schöße getragen, zu diesem
zeitlichen und in ihrem Herzen zu dem ewigen Leben, — daß ein
Sohn solcher Tränen unmöglich zu Grunde gehen könne''. Was Du
mir von unseren Toten geschrieben, ist nur eine Fortsetzung des alten
Brautliedes dieser Welt, — wenn ich diesen Gedanken nachhänge und
der Leichensteine gedenke, die seit meinem Wegsein zu den älteren
gekommen sind, so komme ich mir bei meiner einstigen Rückkunft
vor wie ein alter Mann, der sicli zuweilen an den Erinnerungen seines
verblühten Lebens sonnt. Doch das sind krankhafte Gefühle und
schreiendes Unrecht gegen die Toten sowohl die erlöst sind, und die
Lebendigen, deren mir weit mehr geblieben sind, als ich verdiene.*^
Doch trotz aller Grübeleien und alles Spintisierens tiber
sich selbst vergißt Las au Ix die Dinge der Welt nicht und er-
hält sein Interesse seinen Freunden. Besonders liegt ihm die
Sache seines Freundes Günther am Herzen, den er schon früher
durch Mittelspersonen in Berlin hat empfehlen lassen. Dieser
ganzen Angelegenheit gilt ein eigener Brief, der auch für La-
saulx' Denkweise charakteristisch ist.
Rom. am li. Dreikönigstag 1832.
,Mein lieber Vater I Soeben schreibt mir ein Freund aus Wien,
daß nach den Schritten, die Du für meinen Freund Günther getan
hast, diesem durch den Staatsrat Schmedding wirklich der Doppel-
antrag gemacht worden: entweder der durch Hermes' Tod erledigten
Professur der Dogmatik in Bonn, oder wenn er die Ufer dei* Oder
B. Wanderjahre und Promotion. 45
denen des Rheins vorzöge, einer (ungenannten) Lehrkanzel in Bres-
lau. Dies ist" die frohe Nachriciit. die ich Dir mitteile nehst dem
herzlichsten Dank im Namen meines Freundes. Nun aber kommen
die Fersenstiche der guten Handlungen. Oh dies neu aufgegangene
Licht ein Fixstern oder eine Sternschnuppe sei, steht noch dahin.
Günther hat <S Tage vor Empfang des Berlinei- Briefes ein neues
politisch-theologisches Buch ausgegeben: „Süd- und Nordhchter am
Horizonte der spekulativen Theologie", worin er auf seine Weise nach-
zuweisen sucht, wie die Revolution nui das politisch durchgeführte
Reformationsprinzip sei, und daß auf der Basis des Protestantismus
dem modernen revolutionären Liberalism nicht begegnet werden könne.
An einigen Seitenhieben auf die Cäsaropapie Preußens und die Hengsten-
bergsche Hoftheologie fehlt es in dem Buche nicht, - - und da kam
denn dem Verfasser das Bedenken, ob sie in Berlin nach Lesung
dieser Schrift den getanen Schritt nicht bereuen, und wenn sie ihn
nicht rückgängig machen können, ihm (G.) seine paai* Lebenstage nach
den bekannten Kunstgriffen lächelnder Schurkerei vergällen werden.
Er hat also die fatalen Süd- und Nordlichter Schmedding selbst über-
sendet mit der Bitte, sie zu lesen und ihm dann zu sagen, ob sie den
Mann, der ein solches Buch geschrieben, noch brauchen können? Ich
hoffe, sie werden die Frage mit Ja beantworten, wäre es auch nur um
einmal auf eine eklatante Weise mit ihrer so sehr verdächtigen Libe-
ralität zu glänzen. Zudem hat ditj ganze Streitfrage jetzt nur noch
eine wissenschaftliche Bedeutung, denn in Leben und Tat haben sich
Protestantism und Katholizism der respektiven Regierungen nichts vor-
zuwerfen, beide sind gleich miserabel: auch ist man hier in Rom so
wenig echt katholiscli im großen Stil, daß man sich ebenso wie anders-
wo vor den großen Erinnerungen der Vergangenheit fürchtet und viel
bereitwilliger zum Nachgeben ist, als die Gegner kühn, zu fordern.
Die Vergangenheit ist vergangen — ein unheimliches Gespenst, dessen
zornigen Feuerblick die Menschen, wie sie jetzt sind, nicht ertragen
können — an die Zukunft glaubt niemand — was kann da die Gegen-
wart anders sein als was sie ist, sterbend und schwankend zwischen
Schein und Nichtsein? Daß Gott dieser versudelten Welt so lange
zusieht, ohne sie in das Nichts, aus dem er sie herausgezogen, zurück-
sinken zu lassen, beweist ebensosehr seine Langmut als unsere gänz-
liche Misere, die kaum der Mühe lohnt ihr zu helfen. **
Am 3. April 1832 schickt Lasaulx durch einen Herrn
Sieveking die Werke des Scotus Eriugena, die er in Rom
sich gekauft hat. Im Mai gedenkt er wieder in München zu
sein, wie er Marie Görres mitteilt. Wohl schreibt Lasaulx
vom frohen Wiedersehen, aber er kann sich nicht trennen von
Rom, und seine Reisepläne aufgeben. Er rechtfertigt sein Blei-
ben, macht Zukunftspläne, schreibt von seinen Geldnöten, und
wie er ihnen abgeholfen, und gedenkt Günthers, macht Reflexio-
nen über die Not der Zeit und bittet die Mutter um Verzeihung,
daß er noch immer nicht zurückkehre. Zwei Briefe, der eine an
4f) 3. Wanderjahre und Promotion.
den Vater, der andere an die Mutter, geben seine Stimmung
wieder.
Noch immer in Uom, 14. Juni l!^32.
^Mein lieber Vater! . . . Meine beabsichtigte Abreise von Rom
wurde erst durch die Krankheit und den Tod meines liebsten, ich darf
wohl sagen einzigen hiesigen Freundes, des Malers Eberle ^) aus
Düsseldorf — , dann durch ein hartnäckiges Magenleiden, welches
mir das Fußreisen unmöglich machte, vereitelt; in diesem Augenblicke
aber wird mir das letztere durch die entsetzliche Hitze, das Fahren
aber durch meine geringen Geldmittel verboten. Ich muß also jeden-
falls die kühlere Jahreszeit abwarten. Freilich kann ich's nicht hin-
dern, wenn Ihi* lächelt und denkt, diese Hindernisse, die mich zwingen
längei' in Rom zu bleiben, möchten mir nicht so gar unerwünscht
sein: die Hand aufs Herz gelegt, so kann ich gegen diese Bemerkung
kaum etwas anderes vorbringen, als mich auf diejenigen berufen, die
längere Zeit hier gewesen und bezeugen werden, wie entsetzlich schwer
einem das Ziu'ückreisen werde. Solange die Welt ein Zentrum hatte,
wars Rom, jetzt will jeder sein eigenes sein: aber so stark und un-
verw^üsthch ist mitten in der allgemeinen Verschwemmung die nationale
Kraft dieses Bodens, daß sie keinen, der sich ihr einmal ergeben hat,
losläßt, bis er in ihi* oder in sich oder in einem dritten entwe-
der Frieden gefunden oder sich mit dem Unversöhnlichen versölmt
und auf Ruhe verzichtet hat. Das erstere kann ich noch nicht von
mir rühmen, und die Notwendigkeit des zweiten habe ich, Gott sei
Dank! auch noch nicht eingesehen. Es mag schon wahr sein, was
mir mehre meiner Freunde sagen, daß ich meine Arbeiten zu weit-
läufig angelegt und genügsamer auch leichter ge- und befriedigt wor-
den wäre. Geschehene Dinge aber lassen sich nicht ändern, und es
ist nicht meine Natur auf hali)em Wege stehen zu bleiben oder gar
umzukehren. Wie alle Zeit aus der Zukunft fließt, so und eben darum
lebt der Mensch von der Hoffnung, und selbst wenn diese nichts an-
ders wäre als der Bodensatz der Pandorabüchse, so haben wir doch
einmal nichts Besseres! Wäre ich mit den Vorlasungen über Religions-
philosopliie, die ich in Bonn zu halten gedenke, so weit vorgerückt,
daß sie mir selbst nur einigermaßen genügten, so wiirden mich auch
die allergünstigsten Umstände nicht abhalten, meinen Plan durchzu-
setzen — man wiirde mii* schon den Versuch gönnen, und daß er
nicht mißlingt, mag der wissen, der mir ihn eingegeben. Auf den
Widerspruch aller dortigen Parteien bin ich gefaßt, fürchte ihn aber
so wenig, daß er mir vielmehr nur dazu dienen soll, wozu der Stahl
dem Feuerstein. Darum gönne mir, lieber Vater! nur noch einige
Zeit und bei Gott Du sollst keine Schande an mir erlei)en. Auch habe
ich bisher weder Schulden gemacht noch gebettelt. . . .
Daß unser Freund Günther, ohngeachtet seiner überflüssigen
Polemik gegen die politisch revolutionären Konsequenzen des Prote-
stantismus, zum zweitenmal zur Professur der katholischen Dogmatik
in Bonn berufen wurde, habe ich durch Malchens Brief zu meiner
großen Freude erfahren; ich werde ihm rmn sogleich schreiben, daß er
keine weiteren Umstände macht und zu Euch an den Rhein kommt."
') Adam Eberle (1805—32).
3. Wanderjahre und Promotion. 47
An die Mutter schreibt Lasaiilx:
„Meine teuerste Mutter! . . . Auch habe ich diese letzten Zei-
ten meist in großer Verstimmung zugebracht. In München sind Baa-
ders von einem entsetzHchen Brande heimgesucht worden, so daß sie
nun Haus und Hof verkauft und aufs Land gezogen sind; hier ist mir
ein sehr lieber Freund gestorben, dessen Verlust mir durch den Ge-
danken, daß er erlöst ist von dem Fluche dieses Lebens, nicht mindei'
fühlbar bleibt. — Vor allem aber die von Tag zu Tag sich unaufhaltsam
fortwälzende innere Auflösung aller Bande des Lebens und der Gesell-
schaft, die ganze vatermorderische Tendenz dieser herz verfaulten und
lügenberauschten Zeit — : dies und anderes lähmt mir oft alle Schwin-
gen des Geistes, daß ich die letzte Kraft aufbieten muß, um nicht in
den leidigsten aller menschlichen Zustände, völlige Abgestandenheit der
zersetzten Gefühle zu verfallen. Ich habe mir alle Mühe gegeben, um
von dem verzweifelten Getriebe der allgemeinen Fratzenhaftigkeit
nichts zu erfahren, aber das ist unmöglich. Hier leben wir indessen
zur Zeit noch ziemHch ruhig und Du darfst Dir deshalb wegen meiner
viel weniger Sorge machen, als ich Euretwegen: in Italien d. h. von
den Italienern ist nichts weder zu fürchten noch zu hoffen. . . . Ach.
'meine liebe Mutter I wirst Du mir's vergeben, daß ich noch immer
nicht zurückkomme? Weiter ziehe ich nun wohl nicht, und wenn Du
mich wieder im Traume siehst, so kann's unmöglich mehr abgekehrt
sein, es wäre denn, weil wir beide nach Sonnenaufgang gewandt .sind!
O daß ich doch alle Kindesliebe meines Herzens diesen Zeilen ein-
hauchen könnte , daß sie sanft und frisch wie warme Frühhngs-
morgenhauche Deine Schläfe umwehen und Dir sagen, wie ich Dicli
liebe.**
Lasaulx war nicht mit Reichtümern ausgestattet, das Geld
war bei ihm knapp. Wie hätte er die weite Reise nach Grie-
chenland und noch mehr nach Palästina machen können unter
diesen Umständen? Da kam ihm unerwartet Hilfe in der Per-
son eines jungen reichen Franzosen, der Lasaulx die Erfüllung
seines Herzenswunsches möglich machte. Dieser Freund war
Charles Letellier. Wie er zu dieser merkwürdigen Bekannt-
schaft kam, schildert er in einem Briefe an die Mutter vom 25.
August 1832.
Rom. 25. August 1832.
„Meine geliebte Mutter! ... Es war zu Anfang Februar ds. Js.,
als sich mir in der Dominikanerbibliothek Maria sopra Minerva ein
Jüngling gegenübersetzte, dessen unruhig suchende Blicke mich so
häufig fixierten, daß ich unwillkürlich gezwungen war, seine Aufmerk-
samkeit zu erwidern. Er schien ohngeachtet seiner scharf markier-
ten Züge noch sehr jung, das verzehrende Feuer eines Geistes, der
stärker ist als der seinige, hatte ihn innerlich zerstört. Mir war, als
habe ich den Menschen schon einmal irgendwo in meinem Leben
begegnet, doch wußte ich ihn nirgends unterzubringen. Beim Schlüsse
der Lesestunden hielt mich der Bibliothekar einige Minuten zurück —
48 3. Waadeijahre and Promotion.
als ich dann her unterkam, kreuzte der laiige hagere Fremde die Stra-
ßen vor dem Platze, scho^ dann an mir vorüher und größte wie einer,
der gern spräche, wenn ihn nicht eine linkische Schüchternheit zurück-
hielte. Am folgenden Tag war die Bihliothek geschlossen, dann trat
anhaltendes Regenwetter ein: ich hlieb zu Hause und gedachte des
Abenteuers nicht weiter, zumal die Krankheit meines Freundes Eber le
allmählich eine so schlimme Wendung genommen, dai ich ihn nur a.uf
wenige Stunden des Tages verließ, bis er am 8. April starb. Am
folgenden Gründonnerstag in der Sixtinischen Kapelle treflFe ich den
l unbekannten wieder, es schien, als wollte er mir entgegenkommen,
als er mich jedoch mit einer schönen Dame sprechen sieht, verliert
er sich wic^der. Dann aber am Gharfreitag mittags sitzt er neben mei-
nem Platze am Tisch. Er war sehr erfreut, mich endlich wiederge-
funden zu haben, sagt mir in gebrochenem Deutsch, daß, da ich nach
unserem ersten ZiisammentreflFen nicht wieder in der Bibliothek gewe-
sen, er mich in Neapel geglaubt und dort vergeblich aufgesucht habe.
— daß €*r früher längere Zeit in Deutschland gelebt und dieses viel
mehr liebe als Frankreich seine Heimat etc. Die naive Art, eine Zu-
neigung auszusprechen, und das ganze seltsame Wesen des Menschen
machten , daß ich anfing, mich für ihn zu interessieren — auch
mochte das Zusammentreffen di/ser neuen mit der eben erst begrabe-
nen Freundschaft dazu beitragen, daß wir uns schnell näher kamen.
So gingen wir zusamen nach Subiaco. tranken in der Grotta di Net-
tuno in Tivoli Bruderschaft und hatten nun weiter keine Geheimnisse
voreinander. Wie mir's in der Scolastica gefallen, hat Euch der Brief
an Klementine gesagt. Auch mit Karl sprach ich die alten oft wieder-
kehrenden Klosiergedanken durch, und daß ich ihnen nur darum keine Folge
gebe, weil es mir absolut unmöglich scheine, mit einer einzigen Idee
und zwar in nur einer ihrer unendlich verschiedenen Formen meine -.».
Tage zu verleben. Darin stimmte er mir bei. Da mich nun meineji
Arbeiten viel länger, als ich vorausgesehen, in dem Kloster aufhielten,
so beschloß er unterdessen einen Streifzug in die entfernteren Gebirge
zu unternehmen, wohin ich ihn einige Stunden begleitete. Und auf
diesem Wege besprachen wir dann andere alte und immer junge
Reisepläne, — und da^ ich. um diese ausführen zu können, mich
wolil entschlösse, sodann allen anderen in einem Kloster zu entsagen.
Als ich ihm dies ganz arglos, wie mir's im Herzen war, mitgeteilt,
fragt er ebenso, was mich denn aber abhielte, alle jene Pläne auszu-
führen, und zwar ohne den durchaus tadelnswerten Preis. Da ich ihn
nun bisher stets für einen ebenso armen Teufel hielt als mich selber,
so sage ich ihm ohne Scheu das leidige W^ort, was sich auf diese
Welt reimt. Darauf er: „Wenn du mein Freund bist, wie ich glaube,
so darfst du mich nicht hindern, dir, soviel du immer zu dieser
Heise nötig hast, zu geben. Ich bin vollkommen unabhängig und
habe etwa 80000 Franks jährliche Renten, von denen ich nur die
Hälfte verbrauclie. Das übrige also. ..." Mir schlug das Herz in
der Brust, und alle Adern jubelten vor Freude: aber die gänzlich un-
erwartete Wendung des Gespräches hatte mich so überrascht, daß
mir war wie einem Träumenden ... ich antwortete sehr verwirrt —
wir schieden schnell, ich in mein einsames Kloster, er nach Assisi.
ik Waadcnkn wmi F^wnoiM. 49
Als ich dann ziaeh Rom mräckkam. dnde ich das bt^ilitfgead« Brief-
eben, das Eaeh. das beste Bild meines Freundes ^ebea wird. Am
17. ds- 3fts- ßanden wir uns wieder auf der Bibliothek, vorgestern ist
er weg. am auch einmal einen Monat in dem schonen Kloster der
Scolastiea mrobringen. Wir haben aber folgenden gemeinsamen
Reiseplan beschlossen, den i«.^h Dich und meinen Vater zu bestätigen
bitte. Gegen Ende September sehen wir ims noch einmal hier in
Rom. Anfangs Oktober geht Karl, da seine Vokation nach Italien.
wie er sagt, nun erfüllt sei« nach München, um dort Gi^rres.
Schelliog. Baader mid die anderen personlich kennen xu lernen:
sodann künftigen März nach Ronen, um seine dortigen Verh^tniss^'^
für eine längere Abwesenheit schnell zu ordnen. Ich bleibe die Winter-
monale noch hier in Rom^ übe mich im Spanischen imd Neugriechi-
schen und beendige meine .Vrbeiten auf den hiesigen Bibliotheken.
gehe dann etwa im April nach Spanien, wo ich mit Karl gegen
Ende Mai in Madrid zusammentreffe. Wir durchziehen soiiann ge-
meinschafklich die Prrenäische Halbinsel und schiffen endlich hinüber
nach Ägypten. Palästina. Kleinasien, Griechenland» Koii-
stantinopeL Sollte, was jedoch sehr imwalus^'^heinlich. Karl sich in
München anders besinnen imd sich, da er erst 23 Jahre alt, noch
nicht reif zo der Reise fühlen, so geht Ende Januar ein .Armenisi^her
Bischof mit drei jungen Geistlichen, die mir befreimdet sind, von hier
direkt nach Jerusalem — denen ich mich sodann ansi^hlieüe. . . .
Morgen früh gehe ich auf 4 Wochen nach Neapel, von wo Du einen
weiteren Brief von mir erhältst: ... da Ihr nun ganz unzweideutig
sehet, wie ein anderer als ich und wir alle mir die Ausführung meiner
alten Pläne möglich gemacht und mir grade, als ich's am wenigsten
gehofft, in Charles Letellier einen helfenden Schutzengel gosi^hickt
hat, so wäre es wohl unbarmherzig, wenn Ihr verlangen wolltet, daß
ich mich nun mit der bloßen Aussicht ins gelobte Land begnügen
und nicht hinabsteigen sollte."
Über Lasaulx' Aufenthalt in Neapel wissen wir nichts
Näheres. Ende 1832 trefifen wir Lasaulx wieder in Rom. Er
schreibt dem Vater, schickt einen Brief fdr Altenstein mit, an
den er Zukunftshoffnungen für mancherlei Verwendungen knüpft,
Rom, 15. Dez. 1832,
,Mein geliebter Vater! . . . Das beiliegende Blatt an Alten-
stein, so problematisch es auch ausgefallen, ist mir nichtsdesto-
weniger sehr schwer geworden. Als Dein langersehnter Brief voni
27. Sept. ankam, war Bunsen, ohne dessen Rücksprache ich das erste
untertänige Dienstgesuch in meinem Leben nicht schreiben mochte,
verreist; nach seiner Rückkehr kamen mancherlei weitere Vorschläge
und Pläne und zuletzt ein rheumatisches Fieber, welches mich einige
Wochen belästigte, zwischen den Willen und seine Ausführung. Es
ist mir nicht unbekannt, daß sich bei aller gebührenden HCiflichkoil
dennoch mehre Phrasen und Namen in den Brief eingeschlichen, die
in Berlin vielleicht nicht gern gehört werden;'^da dieses letztere aber
nicht meine Schuld ist, so wäre es eine Deinem Blute fremde
Stölzle: Ernst von Lasaulx. ' <^ 4
50 3. Wanderjahre und Promotion.
Feigherzigkeit zu verschweigen, dessen ich mich nicht zu schämen
habe, und was man außerdem doch weiß. Auch habe ich mich bei
der Abfassung des Briefes erinnert, was mir Rehfues ^) einst sagte:
daß Altenstein einen gewissen konfidentiellen Briefton Hebe und
großherzig genug gesinnt sei, um die Wahrheit, wenn sie ihm in einer
gewissen stillen Objektivität entgegentritt, ertragen zu können. Dem
begleitenden Schreiben des Koblenzer Regierungspräsidenten oder un-
seres Freundes Fallen st ein, den ich aufs herzlichste grüße, wird
nach 14 Tagen ein anderes des hiesigen Ministerresidenten Bunsen,
der mir wie einem Sohne zugetan ist, folgen, so daß der Verwendun-
gen für mich so viele werden, daß ich später leicht daran anknüpfen
kann."
Die Tage von Rom neigen sich dem Ende zu. Lasaulx
hat den Aufenthalt reichlich ausgenützt. Er hat die Kirchen-
väter studiert und die Scholastiker des Mittelalters Scotus Eriu-
gena, Peter Abälard, Anselm v. Canterbury, Thomas
V. Aquin und Nicolaus Cusanus. In der lieblichen Einsam-
keit von Subiaco bei den gastlichen Benediktinern hat ihn
Dantes göttlicher Geist gefangen genommen. „Hier (sc. in
Rom) gewann er auch jene tiefe Liebe und das Verständnis für
die Schönheit und Größe der Kunst, die ihn sein Leben lang
begleitete, und welche die wesentlichste Grundlage seines ganzen
späteren Wirkens bildete.** ^) Hier fand er Freunde, deren Ge-
dächtnis kein Wandel der Zeiten auslöschen kann. Bunsen
und Platner,^) Cornelius, Koch,^) Overbeck, Eberle und
vor allem seines Lebens süßen Trost Charles Letellier. Gör-
res hat es, wie Julie ihrem Lasaulx mitteilte, in München zu-
stande gebracht, daß sich Lasaulx dem Zug König Ottos nach
Griechenland anschließen kann. ^) Er schreibt über seinen Ab-
schied von Rom und seinen Anschluß an das Gefolge König
Ottos in demselben Briefe vom 15. Dezember 1832:
,Ich werde also noch vor dem Schlüsse des Jahres Rom ver-
lassen. Griechenland und was mich dort noch interessiert so schnell
als möglich sehen und sodann einsam und still und viel zurückden-
kend die Tage, die nun vergangen sind, meine Wege über Kouslan-
tinopel, Smyrna etc. nach Jerusalem ziehen. Da Karl nach
Frankreich zurück und in diesem Augenblick sein unglückliches Vater-
land nicht verlassen will, so werde ich die Reise allein machen und
hoffe dann in etwa anderthalb Jahren wieder bei Euch zu sein. . . .
'' Rehfues, Kurator der Universität Bonn (1779—1843 . -- ■) Erin-
nerungen an Amalie v. Lasaulx von Christine Freiin von Hoiningen-Huene
4. Aufl., 1891, Gotha, p. 18. — "") Maler und Kunstschriftsteller (1773—1855). —
*) Maler nnd Radierer 1768—1839). — •') Vgl. den Brief von Görres an
Lasaulx vom 8. Dezember 1832 in Joseph Görres; Gesammelte Briefe,
Bd. III, p. 409-11.
3. Wanderjahre und PromotiOD. 51
Von keiner Stadt ist mir der Abschied so schwer geworden als von
Rom; ich kann's mir noch gar nicht denken, daß ich in ein paar Ta-
gen weg soll."
Lasaulx konnte sich in Rom dem Präsidenten der Regent-
schaft des griechischen Königreiches, Grafen Armannsperg,
nähern; seine sowie seiner ganzen Familie Güte gegen Lasaulx
hat Lasaulx' Erwartungen weit Obertroflfen, man hat ihn aufs
freundlichste aufgenommen und mit zuvorkommendem Wohlwollen
aberhäuft, so daß er nicht weiß, wie er all der Freundschaft
und Liebe würdig werden könne. Er reist völlig frei mit, ja es
scheint ihm fast, als habe man die Absicht, ihn längere Zeit dort
zu behalten, — eine Illusion, von der Lasaulx bald zurQckkam.
Aber er ist voll Seligkeit Ober die endliche Erfüllung seiner
Wünsche und schreibt begeistert an die Mutter:
Neapel, 4. Januar 1833.
, Meine geliebte Mutter I . . . Ein frischer Glutshauch schwellt
die Segel meiner Lebensbarke, so mag sie denn lustig die Wellen
durchschneiden und landen, wo es Gott gefallt. Schon übermorgen
werden wir unsere Reise nach Brindisi fortsetzen, wo uns die eng-
lische Fregatte Madagaskar aufnehmen und nach Griechenland hin-
überbringen wird. . . . Über meinen Abschied von Rom schreibe ich
Dir nichts weiter; man muß dort gelebt haben, um diesen Schmerz
begreifen zu können; nur die Hoffnung, einst dorthin zurück zu kehren,
hat mir das Scheiden in etwas erleichtert.*'
Wenige Tage später schwimmt Lasaulx im Gefolge des
jungen Griechenkönigs auf dem Meer, um endlich in Nauplia zu
landen. Die Fahrt von Neapel bis Nauplia hat Lasaulx in
seinen Briefen ebenso fesselnd als anschaulich mit der ihm eige-
nen Meisterschaft geschildert und damit gleichzeitig eine Episode
aus der bayerischen Geschichte geistreich illustriert. Wir geben
am besten Lasaulx selbst das Wort.
3. Von Neapel nach Nauplia (10. Jan. bis 30. Jan. 1833).
An Bord des Dampfbootes Francesco im Hafen von
Brindisi, Sonntag, 13. Januar 1833.
., Meine geliebte Mutter! Gott zum Gruß von der See. Donners-
tag, den 10. ds. Mts., mittags 12 Uhr, verließen wir Neapel; die
ganze buntgemischte Reisegesellschaft auf dem Verdecke sehr heiter um
den jungen König, dessen Auge mutig in die Zukunft blickte. Auf
der Höhe von Gapri erhob sich ein stärkerer Wind, die See ging
höher als unser Schiff: alle bis auf drei, unter denen auch Dein Sohn,
wurden von der Seetrunkenheit ergriffen. Es war eine sehr unruhige
Nacht, die allgemeine Expektoration bewirkte schnell eine völlige
Gleichheit aller Leidensgefährten, wes Standes und Geschlechtes sie
4*
52 3. Wnnderjalire und Promotion;
auch waren. Mit Sonnenaufgang beruhigte sich wieder das Element,
wir flogen lustig an Stromboli und den übrigen Liparischen Inseln
vorüber und kamen gegen Mittag nach Messina. Ein griechisches
Schiff, welches wenige Stunden vorher angelangt, empfing den König
mit donnerndem Jubel. Wir stiegen ans Land, sahen uns ein wenig
in der Stadt um und machten dann einen kleinen Spazierritt in das
hirtliche Inselland, zwischen blühenden Rosen und goldenen Orangen
und in der Ferne sonnenbeglänzte Schneeberge. Gegen 10 kehrten
wir an Bord zurück, da spielten uns die Mädchen heimische Lieder
und Ländler auf der Zither und das Verdeck ward zum Tanzsaal,
Mond und Sterne die goldenen Lichter. Erst nach Mitternacht suchten
wir den Schlaf nnd ließen uns von den sprühenden Rädern forttreiben
den Phares hindurch längs der Kalabrischen Küste. Gestern morgen
sahen wir rechts in blauer Ferne die leicht durchscheinenden Gebirge
von Albanien. Es war ein köstlicher Frühlingstag und alle Griechen-
landfahrer sehr lustig und guter Dinge; da wo Kalabrien und
Apulien sich scheiden, und die Sarazenischen Türme sich längs dem
flachen Küstensaum hinziehen, auf der Höhe von Taranto empfand
ich zum erstenmal ein echtes Meeresgefühl, und wie sich mir die
Brust ausweitete beim Anblick der unendlichen Flut. Ein frischer
Seehauch schwellt die Segel meiner Lebensbarke, so mag sie landen
oder stranden, wo's Gott geliebt. Heute nachmittag gegen 2 erbUck-
ten wir in der Ferne die Masten der vereinigten englisch -französisch-
russischen Eskadre. Es war ein erhebender Moment, als wir in den
hiesigen Hafen einliefen. Alle Schiffe waren aufs festlichste ge-
schmückt, tausendstimmiger Jubel und weithin hallender Kanonen-
donner erfüllte die Lüfte, und der ganze Golf war mit Gondeln bedeckt.
Abends hatten wir die Militärmusik des 6ten Regiments an Bord und
tanzten bis Mittemacht. Es schlägt eben 3 Uhr, meine Augen brennen
mich, aber ich fühle keinen Schlaf und gedenke die paar Stunden
noch auf dem Verdeck zuzubringen. Auf Wiedersehen im Ionischen
Meer!«
An Bord der österreichischen Brigg Steffanino in der
Bai von Aulona, Samstag, 19. Januar.
„Liebe Mutter! Unsere bisherige Weiterfahrt läßt sich nicht so
glücklich an, wie jene auf dem Dampfljoot. Die Fregatten kamen
schon von Tri est überfüllt nach Brindisi, und der Madagaskar
hatte nur Raum für den König und sein unmittelbares Gefolge Hebst
den Häuptern der Regentschaft. Wir andern wurden also auf anderen
Schiffen einquartiert, ich mit einigen Malern, Sekretären, dem Archi-
mandriten und dem Oberfeldkaplan des Königs auf der schönen
östreichischen Brigg Steffanino. Der ganze Montag ging mit Umpacken,
hastigem Herumrennen und sehr unbehaglichem Harren und Warten vor-
über. Dienstag morgens lichteten die Fregatten die Anker und segelten
mit schwachem Landwind langsam aus dem Golfe von Brindisi. Unser
Kapitän hatte noch einiges in der Stadt zu besorgen und kam erst
gegen Mittag zurück. Da war völlige Windstille eingetreten, die uns
zwang, zwei volle Tage zu feiern. Wir benutzten die unwillkommene
Rast zu Exkursionen in die Stadt und Umgegend. Ein klägliches Bild
der allgemeinen Geschichte alter Seestädte. Von ehemaligen 600(Xi
8. Wftnderjahre und Promotiou. 5ä
Einwohnern ist sie auf 6000 herabgesunken; die alten Paläste sind zu
einstöckigen Baracken zerfallen — und mehr als zwei Dritteile des
von starken Ringmauern umschlossenen Flächenraums liegen mit
Schutt, und Trümmern bedeckt. Eine einzige Säule und der Stumpf
einer anderen ist aus der Gäsarischen Zeit erhalten. In der Nacht
vom 16. — 17. trat naßkaltes Regenwetter ein, gegen Morgen endlich
erhob sich ein leichter Wind, den wir zum Aufbruch benutzten.
Gestern früh erblickten wir am weiten Horizont unser ganzes Gonvoi
zerstreut, der Himmel überzog sich mit schwarzem Gewölk, und als
wir uns den akrokeraunischen Felsenwänden genähert, wurden wir
von einem so heftigen Unwetter empfangen, daß unser Kapitän es
vorzog, die Segel umzustellen und im benachbarten Golf von Aulona
an der Albanischen Küste Schutz zu suchen. Heute morgens
zwischen 3—4 fühlten wir zwei langgebrochene Erdstöße, — die nahen
Gebirge erzitterten, als wollten sie über uns zusammenstürzen, das
Meer ward von Grund aufgewühlt, warf das Schiff wie eine Nußschale
empor, — es war, als wolle das empörte Element uns in die abgrün-
dige Tiefe hinabschlingen. Mir war sehr wohl in der Brust, ich
fühlte mich freier in dem Aufruhr, und das Bewußtsein, so ganz der
höheren Macht anheimgegeben zu sein, erfrischte mein Herz und gab
mir einen Gleichmut der Seele, wie ich noch niemals empfunden.
Leider aber war das Schauspiel zu kurz, um lange Reflexionen darüber
anstellen zu können. Der aufsteigende Sonnengott war auch diesmal
stärker als der feuchte Titan des Meeres. Doch nötigen uns die fort-
während ungünstigen Winde, auch heute noch den Hafen zu hüten.
Ich komme soeben von einer kleinen Barkenfahrt zurück, die wir dem
reizenden Ufer entlang unternehmen. Eine unbeschreibliche sonnige
Ruhe ruht über der ganzen Gegend — die hohe Felsenburg und im
Tale der stille Ort mit seinen wohnlichen Häusern, deren blaue Rauch-
wölkchen still an den ernsten Zypressen hinaufziehen, die Moscheen
mit den schlanken Minarets zwischen Orangen und Pappeln, rechts
der einsam abgelegene Olivenhain an der überhängenden rötlichen
Kalksteinwand: nie habe ich ein reizenderes Bild orientalischen Frie-
dens gesehen! Die Türken hielten sich völlig ruhig, keine abendlän-
dische Neugierde trieb sie aus ihrem behaglichen Gleichmut an den
Strand; eine einzige Barke fuhr an uns vorüber, wodurch wir erfuh-
ren, daß der Governatore der Festung in der Voraussetzung, daß wir
das Land beträten, herabgekommen, um uns zu empfangen. Leider
aber bestimmte die Furcht, in Korfu der Quarantäne wegen nicht
aussteigen zu dürfen, unseren Kapitän, keine Landung hier zu gestat-
ten. Hoffentlich werde ich bald anderswo meine ungriechischen Ge-
fühle an den Türken bringen können. Darum für diesmal Addio!"
In der See, Montag, 21. Januar.
„Gestern morgens endlich unseren türkischen Schlupfwinkel ver-
lassen und mit äußerst schwachem Winde an der kleinen Felseninsel
Sasseno vorüber bis auf die Höhe von Fano gesteuert, wo wir bei
der Unmöglichkeit, den gefährhchen Kanal von Korfu noch bei Tage
zu erreichen, übernachteten. In der Nacht aber erhob sich wieder
ein so mächtiger Wind, daß alle Tische und Stühle der Kajüte leben-
dig wuriden und einen besoffenen Bauerntanz aufführten. Es war
54 8. Wanderjahre und Promotion.
nicht möglich, einen Augenblick zu schlafen, ich entschloß mich daher
aufs Verdeck zu gehen, hielt es aber nicht lange oben aus, da der
Wind so schneidend war, daß er mir den Atem wegnahm. Und nun
schlägt der Wind heute morgens wieder um, so daß wir den ganzen
Tag lavierten, ohne unser Ziel erreichen zu können. Fano, Mer-
lera, Samothraki und die Ulyssesinsel rechts, links die nackten
schneebedeckten Felsenwände des alten Ghaoniens müssen wir aber-
mals im Angesicht von Korfu übernachten — und nun fürchten. Mor-
gen gar nicht landen [zu können], sondern gleich weiter zu segeln.
Allgemeiner Ärger über unseren Kapitän Danilewick, der es darauf
angelegt zu haben scheint, vor Nauplia nicht mehr zu landen.**
Bai von Servi, Sonntag, 27. Jänner.
„Was wir neulich gefürchtet, ist leider eingetroffen; ohngeachtet
wir den besten Segler der ganzen Eskadre haben, sind wir zuletzt in
den Hafen von Korfu eingelaufen, — alle erwarteten uns segelfertig,
und wir mußten sogleich mit weiter. Wir durchschnitten nun mit
dem besten Winde den Kanal von Korfu, fuhren längs der Thespro-
tischen Küste an Paxo und Antipaxo vorüber und erreichten mit
einbrechender Nacht St. Mauro. Und so ging's nun weiter an den
schwimmenden Eilanden Gephalonien und Zante, bei Navarin und
den Mauern von Modon vorüber und gelangten Donnerstag, 24., abends,
bis zum Kap Matapan, so daß wir bei gleichem Winde gestern in
Nauplia eingelaufen wären. Wie trüglich aber alle dergleichen Be-
rechnungen seien, und daß die Schiffer nicht so unrecht haben, wenn
sie das Besprechen der Zukunft fürchten und hassen, das erfuhren
wir noch in derselben Nacht. Das Kap Matapan, schon so mancher
Schiffe Unglückshorn, sandte uns einen so gewaltigen sturmartigen
Gegenwind zu, daß wir gegen 15 Meilen weit zurückgeworfen, mit
zerrissenem Hauptsegel zwei ganze Tage lang im Angesicht der
schneeigen Zacken des Taygetus und des schönen Eilandes vor Gy-
there herum lavierten, ohne die Bucht von Gerigo oder Servi er-
reichen zu können. Erst heute morgen ist uns dies gelungen; wir
trafen hier die Fregatten und drei andere Schiffe. Der großen russi-
schen Fregatte Anna hatte das Unwetter eine ihrer größten, mehr als
mannsdicken Segelstangen herabgeschmettert, die Kanonenborde einge-
schlagen und den ganzen Kajütenraum mit Wasser gefüllt. Doch das
ist nun alles wieder vergessen. Die heutige Frühlingssonne und die
wohligen Lüfte verwehen alle grauen Bilder und erfüllen die Brust
mit jungen Gedanken. Wir besuchten unsere Freunde auf dem Mada-
gaskar, — und als gegen Mittag auch die anderen fehlenden Schiffe
allmähhch sichtbar wurden, durchfurchten wir wieder lustig die blauen
Wogen bis zum Kap St. Angel o. Abends wurde Punsch gebraut,
und die Musikchöre der Fregatten erfreuten uns mit alten wohlbe-
kannten Weisen. Liebe Mutter! es ist doch etwas Köstliches um so
eine helle Frühlingsnacht auf ruhiger See — wie das Schiff von den
Wellen, so läßt sich der Mensch in seinem Leben treiben von dem
Winde, von dem er nicht weiß, woher er kommt, noch, wohin er geht.
Über mir strahlen die reinen Lichter der Gestirne und wecken das
astralische Heimweh — und unten wiegt das eintönige Rauschen der
B. Wanderjfthre und Promotion. 55
sanften Wogen, die an den Kiel anschlagen, die Seele in wohltuen-
des Selbstvergessen; liebe Bilder von. ejiedem entsteigen der magischen
Flut und wollen Dich mit sich ziehen; dann aber weckt ein stärkerer
Geisterhauch Dich aus dem Schlummer und reißt Dich nach oben, wo
Du wie vom Blitz durchzuckt Freiheit atmest in dem freieren Elemente."
Herrlich die Fahrt, herrlich Lasaul x' Schilderung. La-
sauix ist an einem seiner Ziele angelangt. In Nauplia betritt
er zum ersten Male den klassischen Boden Griechenlands. Auch
hier lassen wir am besten Lasaulx seine Erlebnisse, seine
Beobachtungen, seine Eindrücke, seine Reflexionen und Stimmun-
gen selbst schildern. Wir gewinnen so nicht nur ein auch heute
noch merkwürdiges Gemälde der damaligen Verhältnisse in Grie-
chenland von unmittelbarster Wirkung, sondern wir tun auch
einen tiefen Blick in Lasaulx' Gemüts- und Geistesleben.
4. In Oriechenland (vom 30. Jan. bis Ende Mai 1833).
Am 30. Januar 1833 landet Lasaulx in Nauplia und
gibt seiner Mutter alsbald Kunde von dem, was er gesehen und
erfahren und empfunden.
Im Hafen von Nauplia, Mittwoch, am 30. Jan. 1833.
„Heute morgens 8 Uhr endlich erreichten wir, die ersten des
ganzen Geschwaders, die hiesige Rhede; gegen Eilf kam auch der
König und die übrigen: so zogen denn 39 Schiffe stark die neuen Argo-
nautenfahrer, auch ein goldnes Vließ zu gewinnen, in den Hafen von
Nauplia ein. Zehn Kriegsschiffe der drei Mächte und die Höhen
Palamidi und Itzkali grüßten mit hundertschlündigem Kanonen-
donner und das t»?7«(vivat)rufen der bunten Palikarenwelt am
Strande wollte kein Ende nehmen. Ein einziger alter Türke saß be-
wegungslos auf einem einsamen Felsblock und blies leichte Tabaks-
wölkchen in die blaue Luft; die ganze Landung und der Jubel der
Menge, die er kannte, mochte ihm wohl nur wie ein vorübergehendes
Theaterstück, deren er schon mehr gesehen, erscheinen. Die Stadt
nimmt sich hier vom Schiffe her nicht so übel aus; da unsere Erwar-
tungen sehr bescheiden waren, so wurden sie in der Tat übertroffen. ''
Nach 4 Wochen Aufenthalt greift Lasaulx wieder zur
Feder und gibt eine äußerst anziehende und gedankenvolle SchiU
derung seiner Erlebnisse. Er hat Argolis durchstreift, Tiryns
und Mykene besucht, vergleicht die heutigen und die alten Grie-
chen, macht weitere Reisepläne und klagt über die teuern Le-
bensverhältnisse. Davon handeln zwei Briefe aus Nauplia, der
eine an die Mutter, der andere an Görres.
56 3. Wanderjahre und Promotion.
Nauplia, am 24. Febr. 1833.
„Meine geliebte Mutter! Ich habe nun fast einen Monat in Grie-
chenland verlebt, bin im alten Argolis so ziemlich herumgelaufen,
habe die ältesten Reste der vorgriechischen Zeit, die einzigen, die sich
hier erhalten, wiederholt zu erforschen gesucht, und auch das poli-
tische Treiben der Leute, das Gewirre dieses bunten Völkerjahrmarktes
konnte mir nicht fremd bleiben, obgleich es niemals meine Absicht
war, viele Zeit damit zu verlieren. Die Art und der Gang meiner
bisherigen Studien und mehr noch das längere Atmen der Grabesluft
unter dem römischen Weltschutt macht es mir unmöghcli, irgendwie
bessere politische Hoffnungen zu nähren, solche, die es der Mühe lohn-
ten, selbst tätigen Anteil an der immer mehr sich zersetzenden allem
organischen Lebenstrieb erstorbenen Masse zu nehmen. Griechen-
land insbesondere betreffend, so ist es zwar fast schwer, unter dieser
Sonne ernsterer Lebenswahrheit Raum zu geben; doch bedarf es nur
eines flüchtigen Blickes in seine ältere Geschichte, um sich zu über-
zeugen, daß den Enkeln nur die schlimmeren Eigenschaften ihrer
Väter geblieben sind: der barbarische Midasdurst nach klingendem
Metall und das eitle Spiel mißtrauischer Eifersucht, die alle Einheit
zersplittert. Was die Schrift von den Kretern sagt: „daß sie Lügner
seien allesamt und faule Bäuche" ist mir hier oft eingefallen und „die
alte Lebensart gegenseitiger Räuberei**, von der Thucydides I, 5
spricht, ist seitdem noch um 22 Jahrhunderte älter geworden. Wohl
* wird es mir unter diesen modernen „Hellenen" nicht werden, ich ge-
denke mich darum lediglich auf das Durchwandern der bedeutendsten
Trümmer vergangener Größe zu beschränken und dann sobald als
möglich nach Asien hinüber zu eilen.
Was ich nun bis jetzt gesehen habe, sind außei* einigen zerfal-
lenen Klosterkirchen in zierlich byzantinischem Stil, — fast ausschließ-
lich zyklopische Bauten, welche der vorgriechischen Zeit angehören:
die Substruktionen der Feste des Palamedes und der Larissa zu
Argos, sowie vor allem die Titanischen Mauern auf der Höhe von
Tiryns und Mykene. Es ist unmöglich, sich von den kolossalen
Trümmern eine wahre Vorstellung zu machen, ohne sie gesehen zu
haben; nur die Pyramiden Ägyptens mögen sie an Größe der über-
einander gelagerten Felsenmassen übertreffen. Diese Trümmer stehen
heute noch wie vor 16 Jahrhunderten Pausanias sie beschrieben hat,
während alle Werke derer, die sie zu zerstören versucht, längst von
der Oberfläche der Erde verschwunden sind. Denn in Argos hat die
Nemesis alles dem Boden gleich gemacht, der fortan nur ärmliche
Lehmhütten trägt, die jeder Platzregen wegschwemmt. Dieses aber
ist ganz wörtlich zu verstehen. (Nur die in den Felsen eingehauenen
Sitze eines Theaters sind dort noch sichtbar und ein Bruchstück einer
halb eingestürzten Ziegelmauer aus römischer Zeit.) Die kleinsten
Steine jener zyklopischen Bauten sind so groß, daß ein Joch Maultiere
sie nicht fortbewegen möchte. In Tiryns ist unter anderem noch ein
Gang erhalten, der für meinen Vater besonderes Interesse hätte; er
ist etwa 30 Schritte lang, 2 Schritte breit und etwas über Mannes-
höhe — ein Spitzbogengewölbe mit drei ebenfalls spitzbogigen Nischen,
die vielleicht als Fenster oder Luglöcher in die Ebene hinab gedient
3. Wanderjahre und Promotion. 5*?
haben mögen. Auch die sogenannte Schatzkammer des Atreus in
Mykene (es war aber, wie mir scheint, vielmehr ein großes Toten-
gewölbe, wie ich deren noch zwei andere, die aber verschüttet sind,
ganz in der Nähe gefunden habe) würde meinen Vater sehr interes-
sieren; es erinnert an unsere gotischen Dome, ist aber nicht wie
jene von strahlenförmigen, sondern von horizontal übereinander gela-
gerten regelmäßig behauenen Quadern und parallelogrammförmigen
Felsenmassen gebildet. Das Eingangstor hat die gewöhnliche ägyp-
tische Form. Ebenso das Löwen tor: wie denn überhaupt diese Bau-
ten insgesamt einen ägyptischen Charakter tragen und — was immer
die albernen Verteidiger griechischer Autochthonie schwatzen mögen —
ihren ägyptischen Ursprung nicht verleugnen können."
Schon nach 4 Monaten gedenkt Lasaulx Griechenland
wieder zu verlassen und zwar lediglich aus finanziellen Rück-
sichten. Er schreibt in demselben Briefe:
„Die Lebensbedürfnisse sind hier teurer als in Italien, die Woh-
nungen kaum zu erschwingen: ich bezahle für die leeren Vi^ände eines
Loches, das nicht größer ist als Deine Badekammer, 10 Gulden monatlich;
Tisch und Stuhl verdanke ich der Güte der Gräfin Fugger, mein Bett
aber besteht aus einer Decke, welche mir die treffliche Frau Bunsen
in Rom noch in den Wagen nachgeschickt hat. Seit Neapel bin
ich nicht mehr aus den Kleidern gekommen und werde wohl auch
bis zu meiner Rückkehr dahin auf ein Bett verzichten müssen. Das
Reisen hier im Lande herum ist nun begreiflicherweise sehr kostbar,
da man alle Lebensbedürfnisse mit sich schleppen muß, also nirgends
zu Fuße hingehen kann. Da ich nun meine orientalischen Pläne um
keinen Preis aufgeben will, so muß ich hier auf manches resignieren,
was ich sonst gewiß nicht unbesucht ließe."
An Görrres aber schreibt er wenige Tage später eben-
falls aus Nauplia von Armannspergs Güte, von des Königs
Otto Freundlichkeit, von seinem Brief von Altenstein und
einem Ritt nach Argos und den dort gefundenen Bildern.
Nauplia, 27. Februar 1833.
„Verehrter Freund! Indem ich Ihnen die beiliegenden Blätter
an meine Mutter zur Durchsicht, wenn es Sie interessiert, und dann
zur Weiterbeförderung nach Koblenz übersende, habe ich hierzu
nebst dem, was Ihnen J(ulie) aus meinem letzten Briefe mitgeteilt
haben wird, nur weniges zuzusetzen. Die Güte des Grafen Ar-
mannsperg und seiner Frau ist unverändert dieselbe gegen mich,
so daß ich in Wahrheit nicht weiß, womit ich sie verdienen oder ver-
gelten kann. Zu längerem Hierbleiben aber, wozu Sie mir geraten,
hat sich bis jetzt noch keine Aussicht eröffnet, wird es wohl auch
nicht bei meiner völligen Unfähigkeit, persönliche Interessen der Art
persönlich zu betreiben; auch wüßte ich kaum, womit ich dem Könige,
der mir wie allen freundlich begegnet, nützlich sein könnte, eine
leidige Sekrelärstelle würde mir zwar willkommen sein, ist ihm aber
bisher nicht eingefallen, auch möchte sich hierzu leicht ein anderer
58 8. Wanderjahre und Promotion.
mehr bewerben, als ich zu tun willens bin. Daß ich bisher auch nicht
in „Äthiopien den Sonnentisch" so leidlich gedeckt fand, hat mich
vielleicht um meine Zukunft sorgloser gemacht als klug ist. An
Altenstein habe ich dem Wunsche meines Vaters gemäß von Rom
aus ziemlich ausführlich über den bisherigen Gang meiner Studien und
die Pläne, die ich einst darauf gegründet, geschrieben und mein
Aufenthalt in München nebst Ihrem, Schellings und Baaders Na-
men bilden ziemlich den Mittelpunkt; auch was ich ihm über Rom
geschrieben und die „katholische Kirche, der ich durch das Glück der
Geburt wie durch Überzeugung angehöre" mag ihnen in Berlin we-
nig munden. Aber sie mögen's halten wie sie wollen, — das wenige
Brot, dessen ich zum Leben bedarf, wird sich auch sonst wo finden,
und wenn's in Italien wäre.
Gestern machte ich einen zweiten Ritt nach Argos und ent-
deckte in der kleinen Kirche ij xot/ntjoig rfjg Tlavayiag außerhalb des Ortes
mehre sog. byzantinische leider etwas stark restaurierte Bilder auf
Goldgrund, unter andern eine große Komposition des Todes der Maria.
Christus steht halb über sie gebeugt an ihrem Sterbebett — sie
scheint aber nur zu schlafen, — segnet sie mit der Rechten und mit
der Linken hält er an seinem Herzen ihre Seele, ein kleines Figürchen
ganz in ein goldenes Gewand eingehüllt, so daß nur das Gesicht ge-
sehen wird. Ein wunderbar magischer Ausdruck ist in dem Köpfchen
und in der ganzen GestaU. Komposition, Zeichnung und Malerei er-
innerten mich sehr an die Werke von Fiesole und beweisen hier
wie dort denselben notwendigen Entwicklungsgang der Kunst oder
vielmehr des sie erzeugenden, in substantieller Hingabe an das ge-
schichtliche Christentum seligen Lebens."
Unterdessen hat Lasaulx seine Reise fortgesetzt; er plant
einen Ritt nach Epidaurus und Trftzen und will mit Anfang
März über Korinth nach Athen gehen, letzteres zum Mittel-
punkt seiner Exkursioiien in Attika und Böotien machen, Ende
April nach Euripus und bei nächster Gelegenheit nach Kon-
stantinopel hinüber ziehen. Seine Pläne hat er soweit ver-
wirklicht, daß er zunächst nach Korinth gekommen ist und von
Korinth nach Megara. Er schildert die Unsicherheit des Lan-
des und dann seine Reise unter militärischer Bedeckung nach
Megara. Lasaulx blieben unangenehme Abenteuer erspart.
Sicher kam er von Nauplia nach Korinth unter dem Schutze
bayerischer militärischer Bedeckung, berührte auf diesem Marsche
St. Georg, Nemea und traf endlich in Korinth ein. In lebens-
voller Darstellung läßt er bunte Bilder an uns vorüberziehen,
unterbrochen durch sinnige Reflexionen.
Korinth, am 21. März 1833,
„Liebe Mutter! . . . Vorigen Montag am 18. ds. Mts. wurde
eine Abteilung des 12ten bayr. Infanterieregimentes, König Otto, aus
Würzburg, beordert über Korinth und Megara nach Athen vor-
3. Wanderjahre und Promotion. 59
zurücken, um die dortige tägliche Besatzung von ihrem bereits vier-
jährigen Schild wachendienst im „freien Griechenland" abzulösen.
Durch das fortwährend gütige Wohlwollen des Grafen Armannsperg
wurde es mir gestattet, mich der Kolonne anzuschließen — und so
sind wir denn vorgestern morgens 7 Uhr mit fliegenden Fahnen und
klingendem Spiel, 400 Mann stark, von Nauplia aufgebrochen und an
den Mauern von Tirynth vorüber, Argos links und Mykene rechts
liegen lassend durch die lEbene über einige steinige Hügelreihen bis
St. Georg fortgezogen. Das ganze Land furchtbar verödet, fast nir-
gends ein grüner Baum oder ein angebautes Feld. Das einzige Merk-
würdige, was ich auf diesem Wege bemerkt, ist einige Büchsenschüsse
von hier links an der Straße ein kleines verlassenes Klösterchen der
Panagia (Maria), welches auf dem kaum 15 Fuß breiten Vorsprung
einer senkrechten Felsenwand , wie ein Schwalbennest an die
Wand geklext erscheint. Nach kurzer Nachtruhe auf dem nackten
Flöhboden einer elenden Lehmhütte brach ich gestern morgens beim
ersten Grauen des Tages mit der Avantgarde wieder auf und erreichte
gegen V'?? die schöne Talebene von Nemea, wo einst die vielbesungenen
Wettspiele gefeiert wurden. Drei einsam stehende dorische Säulen
und die Trümmer der übrigen sind hier das einzige, was noch Zeug-
nis gibt von dem vormaligen Dasein der Menschen! Ich ließ die an-
dern vorgehen und blieb das ganze Tal durchstreifend, bis die größere
Truppenabteilung nachkam; wir zogen dann gegen 9 Uhr weiter, immer
zwischen denselben eiförmigen Tälern, die durch sanft ansteigende
Hügel getrennt sind. Gegen 4 Uhr endlich nachmittags stiegen wir
in die herrliche Ebene von Korinth herab. Der Anblick des Meeres
mit dem schönen Olivenwald längs am Ufer, die grünen Saatfelder,
die den grauen Steinhaufen der verwüsteten Stadt umgeben, des Akro-
korinth und seines wolkenhohen Vorwerkes Penteskafia erweckten
sehr gemischte Gefühle, in denen jedoch die bekannten und oft em-
pfundenen Vergänglichkeitsbetrachtungen vorherrschend blieben. Die
einst so mächtige, in Reichtum und Wohlleben schwelgende Stadt ist
jetzt ein einziger großer Schutthaufen, in dem kaum ein Dutzend halb
ausgebaute Häuser ohne Türen und Fenster zerstreut liegen; alles an-
dere sind Lehmbaracken, gegen deren Armseligkeit die Bauernhütten
der Eifel sich verhalten wie ein behagliches Wohnhaus zu einem
Schweinestall. Da wir einen Rasttag hier hatten, so sorgte ich dafür,
in einem der besten Häuser einquartiert zu werden; wie gut nun dieses
sei, magst Du aus dem schließen, was mir gestern abend begegnet.
Um mich der ungeheuglichen (sicl) Stimmung zu entledigen, in die ich
durch die Begegnisse der letzten 48 Stunden versetzt worden, ver-
wandelte ich die Pritsche, die mir zur Schlafstelle dient, vermittelst
meiner beiden Mantelsäckchen und eines darübergelegten Brettes in
einen Schreibtisch, nahm den Tornister eines Soldaten zum Stuhl,
verhing das offene Fensterloch einstweilen mit meiner Bettdecke und
benutzte das Spirituslämpchen meiner Kaffeemaschine als Licht; so
hatte ich mich, wie ich glaubte, eben in die beste Brieflaune hinein-
geschrieben, als plötzlich mein Fensterapparat von einem revolutionären
Schwindelgeist ergriffen wird, der mir mein schwaches Ampelchen
auslöscht und mir den ganzen Spaß mit einer so derben Ladung
60 3. Wanderjahre und Promotion.
Hagelkörner einsalzt, daß ich genötigt war, mich in die entfernteren
Winkel meines Eseltreibers und seiner vierfüßigen Gefährten zurück-
zuziehen. Die abwechselnden Regen- und Kieselschauer dauerten die
Nacht über und fast den ganzen heutigen Vormittag fort. Nach Tisch
benutzte ich die wenigen sonnenhellen AugenbHcke zu einigen fuß-
brecherischen Wanderungen durch die Trümmer der Stadt und zu
der sog. Paulusgrotte, die sich etwa auf derselben Höhe des Akro-
korinth befindet. Nie ist mir ein Gang so sauer geworden. Diese Fel-
senhöhle, wohin sich der Sage nach der große Apostel des „gekreuzig-
ten Sophisten", wie ihn die Heiden nannten, vor dem Wahnsinn der
damahgen Korinthier geflüchtet habe, ist jetzt der Aufenthalt von
wilden Tauben, denen neuHch einige Adler oder Geier zugesprochen
haben mögen, wie mir die frischen Blutspuren, zerrissenen Flügel und
andere Taubenreste zu beweisen schienen. Von aller ehemahgen Pracht
Korint hs sind jetzt nur noch 7 verwitterte Säulen und die Spuren
eines großen Theaters erhalten."
Von Korint h zieht Lasaulx mit dem bayerischen Regi-
mente weiter über den Isthmus nach Megara. Den Marsch
dahin und Megara selbst schildert Lasaulx in zwei kurzen
Briefen.
Megara, Samstag, 23. März.
„Gestern morgens 6 Uhr bei schönster Frühlingssonne Korinth
verlassen und nach kurzem wenig beschwerlichen Marsche über den
Isthmus an Kalamaki vorüber bis zu dem kleinen Dörfchen Ko-
landschiki, welches auf einer mäßigen Anhöhe zwischen Oliven- und
Nadelholz gar lieblich versteckt ist. Bei der Unmöglichkeit, in den
armen Lehmhäuschen unterzukommen, schlugen wir ein Lager unter
freiem Himmel. Die Regimentszimmerleute machten uns schnell
kleine Hütten aus Pfählen und ineineinander geflochtenen Pinienzweigen,
abends und die ganze Nacht hindurch wurden Wachtfeuer angezündet
und bis gegen 11 gesungen und lustige Geschichten erzählt. Dann
ward es stiller, jeder suchte sich seine Decke oder Mantel und legte
sich aufs Ohr. Aber ich weiß nicht, warum es mir unmöglich war,
zu schlafen; schon den ganzen Nachmittag über lagen mir gewisse
Drachen felser Erinnerungen im Sinn, so daß ich fest überzeugt bin,
es müsse wohl einer der Gedächtnistage sein, die ich vor 9 Jahren
dort zugebracht. Es war wie damals, als ich mit der seligen Marie
zum letztenmal auf die alte Burg hinaufgestiegen, eine herrhche ster-
nenhelle Mondnacht; ich stieg zu dem nahen Meeresufer hinab, horchte
dem einförmigen Geräusch und ließ mir von einer schönen Seenixe
die alten Geschichten wieder erzählen — auch über meine Zukunft hörte
ich hier manches rätselhafte Wort, wobei mir aber allgemach so kalt
und frostig ums Herz ward, daß ich sehr froh war, als ich zu unserem
helllodernden Feuer zurückgekommen und in Mantel und Decke ge-
hüllt endlich auch ein paar Stunden Ruhe fand. Heute morgens, kaum
hatten wir unser freundliches Feldlager verlassen, als uns ein Eilbote
aus Nauplia nachkommt mit dem Befehl, bis auf weitere Ordre nicht
über Megara vorzurücken, indem sich wegen des Abzuges der Tür-
ken von der Akropolis neue Schwierigkeiten ergeben. Verstimmt wie
3. Wanderjahre und Promotion. 61
der wolkenbedeckte Himmel über uns zogen wir weiter und kamen nach-
mittags 4 Uhr mit leichtem Mairegen hier an. Der Weg, insbesondere
bei Kakiskali, ist von einer unsäglichen Schlechtigkeit.''
Am 25ten.
„Von den „mächtigen Bauten Megaras, die für die Ewigkeit *•,
ist jetzt nicht mehr übrig als von „jenen Gastmählern, deren üppige
Fülle gleichsam auf ein eintägiges Leben berechnet schien." Die
armen Enkel jener übermütigen Schwelger sind um so genügsamer
worden, daß ihnen ein einziger Erdraum von etwa 12 Fuß ins Ge-
vierte und etwas über Manneshohe einer ganzen Familie für Schlaf-
und Wohnzimmer, Küche und Keller nebst Hühner- und Gänsestall
ausreicht; und sähst Du nicht so reichliche Marmortrümmer zerbroche-
ner Säulen und Denksteine, auch hier und dort einen kläglichen Rest
einer schönen, die Götter wissen welcher Statue am Boden liegen:
es würde Dir niemals einfallen, daß dies einst die glückliche Neben-
buhlerin der ersten Stadt in Griechenland war! Von ihrer ehemaligen
Seemacht zeugt nicht eine Barke in dem öden Hafen. Nur die auch
noch in ihren Lumpen schönen Gestalten und die edle Gesichtsbildung
der Fraueij und Männer erinnern an die verklungenen Zeiten der alten
Götterwelt, mit der dies Land geblühet und verwelkt ist."
Lasaul X nähert sich dem Zentrum antiker Kultur. Von
Megara wandert er nach Eleusis und von hier endlich nach
dem langersehnten Athen. Tief ergriffen, von den einstürmen-
den Erinnerungen überwältigt und bis zu Tränen gerührt, gibt
La sau Ix eine klassische Schilderung der Überreste des alten
Athens und begleitet sie mit ergreifenden Reflexionen.
Athen, Mittwoch, den 27. März 1833.
„Meine Mutter! Da der Abmarsch der Truppen sich von einem
Tag zum andern verzögert und bei dem langsamen Gang der öffent-
lichen Angelegenheiten sich leicht noch wochenlang hinziehen könnte,
so entschloß ich mich, einen Führer und ein Pferd zu nehmen und
allein vorauszugehen. Ich brach also heute morgens früh von
Megara auf, nahm noch einen Kaffee bei der schönsten Frau, die ich
in Griechenland gesehen, und schritt rüstig und frohen Mutes die lang-
ersehnte Straße nach Athen. Gegen Mittag kam ich nach Eleusis,
gönnte dort dem Pferde einige Rast und machte einen Gang durch
die ganz mit den schönsten Marmorresten bedeckten Felder — Bruch-
stücke kolossaler Statuen, zahllose Säulentrümmer und sehr ausge-
dehnte und grandiose Tempelsubstruktionen. Vielleicht an keinem
Punkt Griechenlands würden Nachgrabungen so bedeutende Resul-
tate gewähren wie hier, denn nichts könnte für das tiefere Verständ-
nis des gesamten griechischen Altertums wichtiger und erwünschter
sein als die Auffindung jener Darstellungen, die sich auf die Eleusini-
schen Mysterien beziehen. Der herzerfreuende Anblick der grünen
Saatfelder beweist hier, daß der Segen der Demeter heute noch wie
vor drei Jahrtausenden die schöne Ebene beglückt. Gegen 1 Uhr ver-
ließ ich den freundlichen Ort und zog die hl. Straße entlang an meh-
62 3. Wanderjahre und Promotion.
reren alten Tempelresten vorüber, dann durch ein ödes, wildes Berg-
tal bis zu dem zerstörten Kloster Daphne. Von hier erreichte ich
bald die letzte kleine Anhöhe, — da rief mein Führer freudig: Hd^vai!
und in kalter Abendluft lag vor meinem trunkenen Blicke die Akro-
polis mit dem Parthenon, der Theseustempel und die Stadt jenseits
des dunkeln ölwaldes, der sich vom Meere her das grüne Tal hinauf
längs vom Kefissos hinzieht. Hier ist Griechenland! Alles und das
einzige fast, was von untergegangener Herrlichkeit, dieses Namens
würdig, die stille Zerstörung der Zeit und die wahnsinnige Wut der
Menschen den Spätgeborenen übrig gelassen. Nie habe ich in meinem
Leben, bei keiner andern Stadt, nirgends ein ähnliches Gefühl empfun-
den. Wehmütige Schauer durchrieseln das Herz, und unwillkürliche
Tränen erfüllen das Auge bei solchem Anblick: es ist, als würde die
Brust zur Äolsharfe und nächtliche Lüfte mit Käuzchengeschrei rau-
schen durch die zerrissenen Saiten.*'
Und wirklich, Las au Ix weiß diesen Saiten herrliche Töue
zu entlocken. Die Übergabe der Akropolis an die Griechen
bietet ihm Anlaß, seine Gefühle und Empfindungen über Ver-
gangenheit und Zukunft Griechenlands in freilich wehmütigen
Akkorden ausströmen zu lassen.
Freitag, 12. April 1833.
„Heute morgens fand die feierliche Übergabe der Akropolis statt ;
Osmann Bey und die Türken zogen ab und der bayrische Obrist Pa-
likan pflanzte die griechische Flagge auf der nördlichen Brustwehr
der Gecropischen Burg. Es war ein seltsames Schauspiel, die lärmende
buntgemischte Menge der Türken , Griechen und Bayern und was
sich sonst von neugierigen Franken in dem arg gehchteten Säulen -
wald des Parthenon versammelt hatte. Da ich noch immer zu keinem
rechten Glauben an die Begeneration Griechenlands kommen kann,
so stimmte mich die heillose Ironie dieses modern lustigen Leichen-
schmauses nur trauriger; ich stieg auf die westliche Zinne des Tem-
pels, übersah den ganzen Jammer der entsetzlichen Verwüstung und
weinte Tränen eines Schmerzes, den ich selbst in Bom nicht em-
pfunden habe, denn dort fühlt sich die Seele doch ein wenig erhoben
und gestärkt, wenn sie den riesigen Kampf des Lebens mit dem Tode
betrachtet und wie das erste fast mächtiger ist, da es soviel Unglück
übersteht. Hier aber behält der weinende Ephesier recht, „dessen
Auge das unselige Leben der Menschen wie ein immerwährender
Leichenzug und die Erde ein stetes offenes Grab erschien". Was der
Platonische Sokrat es, sein eigenes Schicksal ahndend, von den dama-
ligen Athenern sagt: «daß irgend einem Manne in diesem Staate alles
mögliche widerfahren könne", ist nun zur allgemeinen erfüllten Pro-
phezeiung über die ganze Stadt geworden, gleich jener des großen
Thucydides, der auf der Sonnenhöhe ihrer Macht schon die einstigen
Trümmer seiner übermütigen Vaterstadt voraussah. Die Perikleische
Akropolis ist im Umschwung der Jahrhunderte fast wieder zu der
dürren Felsenburg einer Pelasgischen Kranaä verwildert; wie sich denn
überhaupt das heutige Griechenland zu dem übrigen zivilisierten
3. Wanderjahre und Promotion. 63
Europa etwa so verhalten mag, wie das alte der Gecropischen Zeit
zu der ägyptischen Bildung. Amerikanische Missionäre einer philan-
thropischen Gesellschaft in Philadelphia lehren die heutige athenische
Jugend lesen und schreiben!"
Doch Lasaulx läßt es nicht bei wehmütigen, traurigen
Betrachtungen bewenden. Er sieht sich tüchtig um, durchwan-
dert Attika, einen Teil von Böotien, Salamis und Ägina,
ersteigt den Hymettus, Pentelikus und Parnaß. Doch blei-
ben will er in dem klassischen Land der Griechen nicht, es
zieht ihn weiter nach — Jerusalem und wieder zurück nach
Rom und in die deutsche Heimat. Er schreibt an den Vater,
indem er gleichzeitig Blumen aus Athen beilegt.
Athen, 25. Mai 1833.
„Lieber Vater! . . . Mittlerweile habe ich Attika, einen Teil
von Böotien und die nahegelegenen Inseln Salamis und Agina
nach und mit Herzenslust und Unlust durchwandert und glaube, daß
mir dessen, was an alten Resten über der Erde erhahen ist, wenig
entgangen sein wird. Es ist aber außer den hiesigen, den Kolonnen
auf S Union und dem bekannten Zeustempel auf Ägina nur äußerst
wenig aus dem Schiffsbruch der Jahrhunderte gerettet; bei weitem
das meiste ist so gründlich zerstört, daß man nicht einmal sagen kann,
wo es gestanden hat; und nicht allein die Städte und was sonst die
unseligen Menschen gebaut haben, um sich einen Namen zu machen,
sind gestorben und verdorben, sondern auch die Flüsse und Quellen
also, daß oft kaum ihr wasserloses Bett mehr sichtbar ist. Die höch-
sten Felsengipfel des Hymettus, Pentelikus und Parnaß habe ich
in vergangener Woche der Reihe nach erklettert, von dort über die
Hälfte des heutigen Griechenlands übersehen und stehe nun wieder
auf dem Punkte, Abschied zu nehmen von dem Lande ; wo ich einst
in jugendlicher Schwärmerei begraben zu werden wünschte. Und in
der Tat keine von allen Gegenden, die ich kenne, ist an stiller
Heiterkeit, freundlichem Ernst und harmonischem Ebenmaß sanfter
und doch scharfer Naturformen zu vergleichen mit der Lage Athens;
des Sophokles und Piatons Werke waren nur möglich unter
dem reinen Aether, der sich über diese Stadt ausspannt. Aber wie
die ganze Natur, so ist alles Griechentum nur ein schöner Irrtum, und
ist mir die Zeit zu ernst geworden, um diesem länger zu leben. Wohl-
wollende Freunde und Männer, die, was sie geraten, mit der Tat
unterstützt hätten, wollten mich bereden, längeren Irrfahrten und der
Rückkehr entsagend, hier zu bleiben, um bei der zu errichtenden Uni-
versität eine Stelle zu übernehmen; aber ich habe zu wenig antiquari-
schen und noch weniger liberalphilanthropischen Sinn, um mich jenen
Schulmeisterhoffnungen hinzugeben, auf die allein man den Glauben
an eine mögliche Regeneration dieses Landes gründen könnte; zudem
würde die Erkenntnis dessen, was ich bisher erstrebt, kaum die künf-
tige Generation dieses Volkes interessieren. Darum und weil Rom
noch steht, und ich auch nicht alle Hoffnung aufgegeben, in Deutsch-
64 3. Wsnderjahre und Promotion.
land vielleicht einige arme Teufel zu finden, die Geschmack haben an
der göttlichen Torheit, welche diese Welt geschaffen, darum weil, was
immer die Philologen schwatzen mögen, das Heil nicht von den Grie-
chen kommt, bleibe ich nicht hier, sondern werde morgen oder über-
morgen weiterziehen zu der trauernden Witwe am Jordan.*^
Diesen £ntschlu& führt Lasaulx ehestens aus. Ende Mai,
also nach nur 4 Monaten Aufenthalt in Griechenland, zieht er
weiter, sein Endziel, das hl. Land im Auge, und zwar zunächst
nach Konstantinopel. Die Fahrt ging von Syra an Zea vor-
bei über Tinos, Delos, Mykone, an Chios vorüber bis gegen
Tenedos, durch die Dardanellen, zwischen Sestos und Aby-
dos, an Lampsakos und Gallipoli vorbei durch dasMarmara-
meer, an Skutari vorbei nach Galata und Pera. Am 1. Juni
ist Lasaulx noch auf Syra, am 18. Juni in Konstantinopel,
Lasaulx hat eine weitere Station seiner Reise erreicht.
5. In Konstantinopel (vom 17. Juni bis 9. Juli).
Hier studiert er den Koran, macht Betrachtungen über den
Islam, genie&t die wunderbare Schönheit der Natur und stellt
belehrende Vergleiche zwischen asiatischem und europäischem
Wesen an.
Am 29. Junius.
„Die Lage Konstantiuopels erinnert auf den ersten Blick sehr
an jene von Neapel, aber bei näherer Betrachtung ergibt sich der
Vergleich als unstatthaft. Nur mit Rom kann diese neue Siebenhügel-
stadt Konstantins verglichen oder vielmehr entgegengesetzt werden:
dort der heihge Ernst und die Wahrheit des Todes, hier der ganze
Zauber der täuschenden Maja dieses Lebens. Und dieser Vergleich
ist nicht zufällig oder ein eitles Spiel rhetorischer Deklamation; so
wenig als es zufällig ist, daß grade diese beiden Städte, die eine das
Zentrum des Christentums ist, die andere — das apokryphische El
Rüm des Koran ^) — die Hauptstadt des Islam. Ich habe während
meines hiesigen Aufenthaltes unter anderem auch den Koran studiert.
Der deutsche Herausgeber (Prof. Wahl in Halle) ist ein bornierter
steifleinener Philister, der statt sich um das Verständnis der großen
Tatsache zu bemühen, lieber seinem ohnmächtig orthodoxen Ärger
auf eine meist sehr alberne Weise Luft macht. Die ungeheure Aus-
dehnung dieser , Religion der unbedingten Ergebung'^ und ihre mehr
als zwölfhundertjährige Dauer ist ein welthistorisches Faktum, welches
nicht damit erklärt wird, daß man ihren Urheber einen schlauen Be-
trüger schilt. Auch der Koran ist ein Evangelium, zwar ein apokry-
phes, aber ein Evangelium ; der .,Herr der Zeiten*" hat zu seiner Zeit
auch den Islam gegeben, der bei Gottl keine bedeutungslose Manifesta-
^) Die Türken selbst, dem Koran Sure 30 init. folgend, nennen Konstan-
tinopel oder Stainpol El Rum.
B. Wanderjahre und l*roniotion. ^h
tion Gottes ist. Das Verhältnis des Koran zum Judentum und Christen-
tum — welche beide er voraussetzt und bestätigt ~ ist in den heili-
gen Büchern des ersteren selbst auf das bestimmteste ausgesprochen,
es ist wie Ismaels, des Sohnes der ägyptischen Magd Ha gar, zu
Isaak, der freien Sarah Sohn. Beide sind Söhne eines Vaters und
zwar dessen, .,in dem alle Völker der Erde gesegnet worden*; und
obgleich dieser allgemeine Segen nur dem freien Sohn des Geistes
wiederholt wird, und von dem erstgeborenen fleischlichen Sohn der
Magd gesagt worden: „daß er ein wilder Mensch, dessen Hand wider jeder-
mann und jedermanns Hand wider ihn sein werde", so hat doch nichts-
destoweniger auch ihn der Herr gesegnet und fruchtbar gemacht, daß
er zwölf Fürsten zeugte, und sein Same vor großer Menge nicht gezählt
werden kann. ^) Ebenso und eben darum ist sein Verhältnis zum
Christentum ein durchaus unfreies und apokryphisches, er kennet es fast
nur au& den apokryphischen Evangelien des IL — VI. Jahrhunderts, die
sich zu den echten verhalten, wie die verschwommenen Bilder eines
abgespannten Gnostizismus zu der Wahrheit des wahren, ja exstatisch
erhöhten Bewußtseins der Apostel. Übrigens habe ich manches tref-
fende Wort und mehrere gar nicht unwichtige Parallelen, ja auch
wohl ein und das andere Mittelglied, was in den Schriften des Alten
und Neuen Testamentes fehlt, aus dem Koran kennen gelernt, von
denen ich einst guten Gebrauch zu machen hoffe.**
Lasaulx setzt nach Klagen über nicht empfangene Briefe
seiner Angehörigen einige Tage später seine Reflexionen fort*
Am 7. Juli.
„Die Natur hat die ganze Fülle ihres vielgestaltigen Reichtums
über dies Land ausgeschüttet, und es wäre sehr ungerecht zu behaup-
ten, daß die Türken ihrerseits nichts getan; sie haben vielmehr alles
getan, um die Hauptstadt des Reiches ihrem Paradiese so ähnlich zu
machen als möglich, jenem Orte dauernder Seligkeit, wo die Gläubigen
nach dem vorübergehenden Scherz dieses Lebens fürderhin den Tod
nicht mehr schmecken, sondern in ewig grünen Gärten, die von leben-
digen Strömen durchflössen sind, wohnen und der ungetrübten An-
schauung Allahs sich erfreuen sollen. Darum siehst Du fast kein
Wohnhaus ohne seinen Garten , und überall auf allen öffentlichen
Plätzen sind prachtvolle Brunnen erbaut, wo aus goldenen Schalen
jeder Durstige umsonst getränkt wird. Die Unruhe der Wissenschaft
und die geistverzehrende Sucht nach Erkenntnis ist ihnen unbekannt
— ich weiß nicht, ob es ein Unglück ist. Malerei und Skulptur haben
sich ihrem Sinn versagt, nicht so die Architektur; ihre Wohnhäuser
sind nur von Holz, denn sie sollen nur dauern, solange das Spiel
dieses Lebens währt, keineswegs aber ihre Tempel. Ich habe hier
') Da dieser Brief vielleicht auch von Görres gelesen wird, so kann
ich mich nicht enthalten, hier noch ein paar Woi*te aus Gast. Postelli Ori-
gines p. 89 herzusetzen: Posito Mose stare non minus in suo gradu Ismael
debet quam Isaac. In üguris enim regnorum futurorum omnia individuorum
exempla scripta sunt.
Stölzle: Ernst von Lasanlx. 5
66 3. Wanderjahre und Promotion.
Moscheen gesehen, die an Größe sowohl als Schönheit der Architektur
mit den schönsten und größten unserer christlichen Kirchen vergliöhen
werden können. Von ihrer Musik habe ich nur wenige Töne gehört,
diese aber sind von einer wunderbaren Wirkung: ich meine nämlich
jenes die Seele berauschende Gemisch der Flöte, Trommel und des
Triangels, welche die heiligen Tänze der persischen Mönche in Mew-
lewichane begleiten. In keiner christlichen Kirche habe ich mit mehr
stiller Würde und Andacht beten gehört als in diesem Kloster der
Sufis. Ihre mystischen Tänze sind offenbar ein Rest uralter astrah-
scher Religion, es sind ganz die kosmischen Bewegungen der Gestirne,
die hier nachgebildet werden. — Was nun die Türken selbst betrifft,
so kann ich bei völliger Unkenntnis der Sprache und während eines
14tägigen Herumlaufens natürlich kein gültiges Urteil über sie haben;
soviel aber kann ich doch versichern, daß ich nirgendwo eine liebens-
würdigere Menschenklasse gefunden habe als die türkischen Kauf- und
Handwerksleute. Das neu europäisierte Mihtär sieht zwar noch sehr
linkisch, oft affenmäßig maskiert aus; doch hat mich das weniger
gestört als jene Horde halbdressierter Wolfshunde aus Norden, die
jetzt hier lagern und sich schon im Besitz der langergierten Beute
glauben. So oft ich dieser Rasse begegne, fühle ich jedesmal eine
starke Neronische Bewegung meines Innern, es ist dann nur ein
Wunsch in meinem Herzen: daß alle einen Kopf, und ich eine tür-
kische Klinge hätte.
Was soll ich Dir nun von den Resten der vortürkischen Zeit
sagen? Es sind deren sehr wenige, wenn nicht etwa in den unzu-
gänglichen Serailen noch manches versteckt ist. Die altgriechischen
Tempel sind schon in der frühen Kaiserzeit gefallen, dieser Werke
unter den Stürmen der Lateiner und der Rest unter der Sichel des
Halbmondes. Außer den großen Wasserleitungen und Bonds (Wasser-
behälter) bei Pyrgos und Belgrad, der königlichen und jener Zi-
sterne, die sich auf angeblich tausend und einer Säule wölbt und
jetzt eine Seidenspinnerei ist, außer der alten Rennbahn mit dem
kleinen Obelisken und einem metallenen alten Säulengewinde, femer
der großen Porphyrsäule des Belisar habe ich nichts auffinden können
als ein paar alte Mauertrümmer. Was es für eine klägHche Sache
um die sog. morgenländische Kirche sei, könnten die Geschichtsver-
besserer, die nicht müde werden, gegen die weltliche Macht des Pap-
stes zu deklamieren, an dem hiesigen Patriarchen und der Georgs-
kirche im Phanar kennen lernen, wenn es ihnen überhaupt um Er-
kenntnis zu tun wäre. . . . Gestern habe ich ein Schiff nach Smyrna
gefunden, mit dem ich übermorgen, wenn die Winde wollen, abzurei-
sen gedenke."
6. Von Konstautiuopel nach Joppe»
Lasaulx fährt von Konstantinopel nach Smyrna und
besteigt am 6. August ein Schiff, das ihn nach dem hl. Lande
bringen soll. Er besucht Chios, Rhodos und Cypern. Von
Larnaea auf Cypern hat Lasaulx einen höchst interessanten
8. Wanderjahre uridf Promotion. 67
Brief Ober Griechenland und die neue Regierung an Görres am
25. August 1833 gerichtet. Er schreibt:
Larnaca auf Gypern, Sonntag 25. August 1838.
„Hochverehrter Freund! Ich habe die beihegenden Blätter, ob-
gleich großenteils für Sie geschrieben, nach Koblenz adressiert, weil
mir in der ewigen Unruhe der Reise die Zeit fehlt, allen jenen ein-
zeln zu schreiben, mit denen ich in fortwährender Verbindung zu
stehen wünsche. Es ist in diesen Tagen hier im Hause unseres gast-
freien Konsuls .unter anderm auch viel über Griechenland und die
neue Regierung gesprochen worden; da unser persönliches Wieder-
sehen sich leicht noch länger hinausschieben mag, als das Interesse
vorübergehender Tageserscheinungen dauern kann, so will ich ver-
suchen, Ihnen etwas von dem brieflich mitzuteilen, was sich mir bei
Betrachtung der griechischen Verhältnisse und Mißverhältnisse ziemlich
ungesucht aufgedrungeft, und was ich Ihnen schon von Nauplia aus
geschrieben hätte, wenn ich für alle meine Briefe eine andere Gele-
heit als „die Güte des Grafen Armannsperg" gewußt.
Über die Persönlichkeit des Königes brauche ich Ihnen nichts zu
sagen: ein jugendlich frisches Herz und in der Tat mehr Haltung, als
von seinen Jahren zu erwarten wäre, — und wenn man seine nächste
Umgebung darum so ausgesucht hat, um ihm das Gefühl seiner könig-
lichen Superiorität aufzuzwingen, so ist der Zweck zum Verwundern
glücklich erreicht. Das ist aber eine wohlfeile und wie mir scheint
gar zu altkönigliche Stärke, die nichts neben sich hat, woran sie sich
messen kann. Zwei griechische Knaben, B. und C, die in München
Deutsch und Französisch sprechen gelernt, können zwar ganz brauch-
bare Ordonnanzoffiziere sein, aber tüchtige Jugend- und Streitgenossen
sind sie darum noch nicht, so wenig als ein gutmütiger duseliger
Soldat S., der zwanzigmal in einer Viertelstunde „Ew. Majestät" zu
sagen versteht, deshalb ein würdiger Mentor oder Patroklos ge-
nannt werden darf. Die Stelle des Hofzeremonienmeisters ist gleich-
falls sehr passend ausgefüllt durch einen weder Hofmann noch Soldat
seienden, mißmutigen, auf seine Charge, und daß diese niemals über-
gangen oder übersehen werde, eifersüchtigen in allem peniblen Marzi-
pan A. Von den Sekretären versteht sich der eine, St.^ recht gut
darauf, die Krawatte ballgerecht zu binden und Ihnen auf den ersten
Blick zu sagen, ob und wo ein W^estenknopf fehlt, übrigens von Her-
zen gutmütig und in allem sehr jung, der andere, L., ist ohne alle
Prätensionen, nur darauf stolz, drei Sprachen zu sprechen, und wärö
überglücklich, wenn er in allen dreien zugleich Brot und Wein be-
gehren könnte. Der begünstigte Hofarzt W ihm er endlich, welcher
dem König auch Unterricht in den Naturwissenschaften erteilt, ist eine
gemeine Barbiernatur. — Röser, der allein an Herz und Geist tüch-
tig und der einzige, der dem Könige nie geschmeichelt, ist zu beschei-
den für den Hof, und was nicht zu leugnen, etwas zerstreut, was
man benutzt, um ihn vom König in gehöriger Entfernung zu halten;
außerdem ist er wie Weinzirl, ^) dessen man sich alsbald entledigt
*) vgl. Sepp: Ludwig Augustus 1903, p. 408.
5 *
68 3. Wanderjahre und Promotion.
hat, ,m gewissen Vorurteilen befangen", die für die Bildung eines
dieser bedürftigen und empfänglichen Prinzen leicht gefährlich und
unbequem werden könnten. —
Und nun die Regentschaft! Ich bin ihr persönhch zu vielen
Dank schuldig, um mir ein feindliches Urteil über sie zu erlauben, zu-
mal ihre Schwächen nicht sowohl den Personen als ihrer Zeit ange-
hören, die sich nicht über den armseligen Begriff der Zivilisation zu
erheben vermag , wonach derjenige schon ein Tugendheld genannt
wird, in dessen Handlungsweise nichts bekannt ist, was den Galgen
verdient. Ich bin mit den Leuten übrigens sehr gut ausgekommen
und habe in der rein objektiven Behandlung der historisch gegebe-
nen Standpunkte ein Mittel gefunden, ihnen in Parenthese gelegentlich
die gute Wahrheit zu sagen, wo denn ihre nationale Gutmütigkeit
doch stärker ist als der angenommene französische Liberalism. Abel ^)
ist der gescheiteste von allen, Maurer *) der liebenswürdigste und
Armannsperg ^) kann man wenigstens einen gewissen Takt, die
Schwäche seines Geistes und den großen Mangel wissenschaftlicher
Bildung zu verbergen und das ihm Fehlende bei andern aufrichtig zu
respektieren, nicht absprechen. Heidek*) allein ist eine intrigante
Ganaglia, wie schon sein konfisziertes Äußere nicht verleugnet. Er
hat oder ist, wie die Genueser sagen, eine anima di cane senza fede
joder noch eigentlicher anima di merda. G reiner, dem ich in Bezug
auf mein Anschließen an die Expedition den größten Dank schuldig
bin, ist bei aller liberalen Borniertheit und Ungeschliflfenheit doch
von Herzen gutmütig; er fühlt sich am unbehaglichsten in seiner
ehrenvollen Stellung und vermißt am meisten das Münchener
Bier. Das Mißvergnügen der bayrischen Truppe ist allgemein
und spricht sich fast stärker aus, als für Soldaten ziemlich ist; die
Spur getäuschter Hoffnung und ein sehr unmilitärisches Heimweh ist
allen Gesichtern, auch dem Blinden leserlich, aufgedrückt. Freilich ist
zu fürchten, daß es ihnen ergehen wird wie den Franzosen, die über
ein Dritteil ihrer Mannschaft in Griechenland begraben haben. —
Daß der Präsident, wie gesagt, der unbedeutendste von allen ist, hat
unter andern den Vorteil, daß hiedurch die natürliche Entwicklung
der gegebenen Verhältnisse wenig gestört ist, wodurch denn für die
Zukunft ein unverfälschtes Material zum Philosophieren gewonnen wird.
Die von der Regentschaft ernannten griechischen Staatssekretäre sind
ein getreues Abbild ihrer Schöpferin, der Letzte im spiritus, Trikou-
pis, ist der Erste im corpus, die andern sind brauchbare Bureau-
Chefs und Kolettis ist der Letzte, weil er geistreicher und genialischer
als alle andern ist. Übrigens hat die neue Regierung den großen
Vorteil, daß ihre Vorgängerin nicht gar keine, sondern eine sehr
schlechte war, wo sie dann in Vergleich mit dem durchaus nichts-
würdigen und russisch lügenhaften System des Capodistrias in
Wahrheit ein Glück für das arme Land ist. — Von dem physischen
Ruin des Landes und dem moralischen seiner Bewohner ist es schwer,
dem einen wahren Begriff zu geben, der nicht beide mit eigenen
^) Der spätere bayrische Minister. — -) Maurer, später Justizmini-
ster 1847. — °) Präsident der Regentschaft. — *) Generalmajor. Schlachten-
maler (1788—1861).
3. Wanderjahre und Promotion. 69
Augen gesehen. Doch ist eine gewisse Triebkraft in beiden nicht zu
verkennen, und wenn der König sich nicht scheut, die fehlende
Stammverwandt Schaft durch das Blut einiger Hauptschurken zu ersetzen,
so kann sich das Land in einer folgenden Generation zu einem ganz
hübschen kleinen Handelsstaat, etwa wie das Königreich Sardinien, er-
heben. Von antiken Erinnerungen aber muß man völlig absehen, sie
sind dem Lande nur schädlich und haben in seinen Bewohnern
schlechterdings kein natürliches Leben. Außer einigen halbverstande-
nen Lauten, durch reisende Engländer ausgestreut und gegen diese
sodann wieder angewandt, meist sehr komisch, ist von den alten Ta-
gen nichts zu dem Volke herübergekommen, und selbst die für Grie-
chenland Gebildeten wissen davon viel weniger als ein mittelmäßig
tüchtiger deutscher Sekundaner. Übrigens sind alle Griechen gescheut
und gescheit d. h. inneriich geschieden, bei welcher Scheidung das,
was wir Deutschen Herz und Gemüt nennen, völlig ausgeschieden
worden. Abel sagte mir einst: „Es ist ein herrliches Volk, diese
Griechen, sie haben keine Vorurteile''; das ist insofern sehr wahr, als
dasjenige, was bei andern Menschen dem Urteil vorangeht, seine
Basis ist, hier völlig fehlt, also daß ihr Urteil jedesmal von dem klin-
genden Vorteil des AugenbHcks bestimmt wird. Was endlich den
religiösen Zustand des heutigen Griechenlands betrifft, der kann in
Sibirien nicht nichtsnutziger und jämmerlicher sein, ihre Pfaffen sind
die unwissendsten und verächtlichsten Simonisten, die [mir] je vor-
gekommen. Diese sog. griechische Kirche ist schon frühe von ihrer
ursprünglichen Paulusidee ab [und] weit unter den äußerlichsten
Heiligendienst herabgefallen; übrigens sind alle gebildeten Griechen
[d. h.] alle, die außer ihrer verdorbenen Muttersprache noch von einer
andern etwas wissen, ordinäre Freigeister. Ich mag nicht unter ihnen
leben. Addio denn für diesmal. Herzliche Grüße an die Tante, Guido,
Marie, Julie, Ida, die Reizenstein, Döllinger, alle Boisserees,
Ringseis und Schelling.''
Am 1. September betrat Lasaulx in Joppe das hl. Land.
7. In Palästina (vom 1. September bis 14. November 1833).
Endlich war Lasaulx da, wohin es ihn seit Jahren mit
unbezwinglicher Sehnsucht gezogen hatte, einer Sehnsucht, der
er in seinen Briefen so oft und so feurig Ausdruck gegeben
hatte. Lasaulx ist der alten Sitte der Christen gefolgt, die
Leidensstätte des Erlösers aufzusuchen und sich durch den An-
blick des irdischen Jerusalems für das himmlische Jerusalem
zu begeistern. Er schreibt in den Historisch-politischen Blättern:^)
„Es war in vergangenen Zeiten, als das Christentum lebendig
im Bewußtsein der europäischen Menschheit, nichts Ungewöhnliches,
daß Christen aus dem Abendlande nach Palästina pilgerten auf müh-
') Hi8t..pol. Blatter Bd. U, 241 ff, und .Studien'* p. 504-505.
70 3. Wanderjahre und Promotion.
seligen und gefahrvollen Wegen ; denn es ist ein natürliches Gefühl, wel-
ches die Menschen antrieb, jene Orte zu besuchen, die durch die Fuß^
tapfen ihres Erlösfers geheiHgt sind. Etwas von dem Geiste unserer
Voreltern hat sich auch auf mich vererbt. Ich glaubte, der Anblick
des irdischen Jerusalems könne die Liebe zum himmlischen, aller
Christen Vaterland , nur stärker erregen ; denn wer freigeboren in
Knechtschaft lebt, empfindet heftiger, was ihm fehlt, wie der Kranke
den Wert der Gesundheit. Als ich darum in Rom, dem sichtbaren
Zentrum der christlichen Welt, mein Herz gestärkt hatte im Glauben
an die Wahrheit der Geschichte, wanderte ich über Athen nach
Konstantinopel, von dort längs der Küste von Kleinasien nach
Smyrna, schiffte mich dann nach Ghios ein, von da nach Rhodus
und Gypern und betrat endlich in Joppe den Boden des hl. Landes.
Gleich hier empfangen jeden Pilger die spanischen Mönche des hl. Fran-
ziskus mit jener Gastfreundschaft, die man erfahren haben muß, um
ihre W^ohltat ganz zu würdigen. Ohne sie wäre es keinem Europäer
möglich, diese Stätten zu besuchen. Eingedenk, wessen Diener sie
sind, heißen sie Dich als Bruder willkommen, und teilen mit Dir, was
sie haben, ein reinliches Obdach , einen frischen Trunk, Brot und
Früchte, etwas Fische und Gemüse. Es sind einfache Menschen ohne
Falsch, ernst und heiter, wie es Priestern ziemt, die wie ihr Meister
in Gebet und Wohltun ihre Tage vollbringen; wer sie auf seinem
Lebenswege begegnet hat, wird ihr Andenken segnen. Von Jaffa
sind vier Stunden nach Ramie, auch dort erquicken Dich dieselben
Brüder. Da die Wege ohne Schatten, die Erde wie ausgebrannt, und
die Luft so trocken und glühend war, daß man lauter Flammen zu
atmen glaubte, so beschloß ich, zur Weiterreise die Nacht zu be-
nutzen."
Was Lasaulx auf dieser Reise gesehen, was beim Be-
such der hl. Orte seine Seele bewegt hat, das hat er in weihe-
voller Sprache und mit tiefer Empfindung in Briefen aus Jeru-
salem an seinen Vater niedergelegt.^)
Jerusalem, Sonntag, 15. September 188H.
„Wie liegt die Stadt so einsam, die voll Volkes
war? Sie ist wie eine Witwe. Die eine
Fürstin unter den Heiden und eine Königin
in den Ländern war, muß nun dienen."
Jeremias Klagel. 1.
„Mein lieber Vater! Am 4. ds. Mts. um 8 Uhr abends verließ
ich mit meinem arabischen Führer das Kloster zu Ramie uiid ritt
einsam durch die stille Nacht, die nach Zion führt. Der Himmel
war völlig wolkenlos, und aus sanftem Blau bUckten die ewigen Sterne,
gegen zehn stieg die abnehmende Scheibe des Mondes auf, und nach
zwei in der Richtung von Jerusalem mein Lieblingsgestirn der
^) Die spätere Fassung in den , Studien*^ weicht da und dort von der in
diesen Briefen gegebenen Schilderung ab. Wir halten uns an die Briefe
und notieren nur die bemerkenswerteren späteren Varianten uqd Zusätze.
3. Wanderjahre und Promotion. 71
Orion. Bei dem Dorfe Kebab verließen wir die Ebene und ritten
zwischen felsigen Hügeln an den Trümmern von Emmaus vorüber
durch ein enges olivenbebautes Tal bis zum Fuß der öden Bierge von
Judäa. In vier Stunden auf mühsamen und gefährlichen Pfaden hat-
ten wir • diese erklettert, und kamen herabsteigend sodann an einer
verlassenen Templerkirche und weiterhin unten im Tale an sehr kolossa-
len Ruinen ehemahger Klostergebäude vorüber. Mit Sonnenaufgang
erreichten wir die nächste Höhe. Da öffnet sich dem Blick ein un-
ermeßliches Leichenfeld von Felsentrümmern, die vom Sturmregen und
Wetterstrahl der Jahrtausende zerrüttet und ausgefressen wie auf-
gewühlte Knochengerippe die ganze Hochebene bis hart vor die Tore
der hl. Stadt bedecken, unverkennbare Reste einer vulkanischen Riesen-
schlacht, die in vorgeschichtlicher Zeit hier gestritten worden. Das
sanfte Grün dreier einsamer Ölbäume in der weiten Steinwüste und in
der Ferne das olivenbekränzte Haupt des Ölberges sind der einzige Trost
der erloschenen Natur, an ihnen allein haftet die Hoffnung Deiner
starren Augen — sie sind wie die Liebestaube mit dem Friedenszweig
nach der großen Weltflut.
Donnerstags am 5. September 1833 um 6 Uhr morgens erblickte
Dein unwürdiger Sohn Ernst die Zinnen der Friedensstadt, \) sie war
ganz von einem lichtgrauen Nebelschleier umflossen, und über ihr
hing eine schwere Wetterwolke, von den ersten Strahlen der Morgen-
sonne durchbrochen; es war wie wenn ,,ein Zorngericht Gottes die
Tochter Zions umwölkte*^. ''^) Zu weinen bin ich hieher gegangen, —
heiße Tränen und ein kalter Schauer meines Herzens waren der erste,
wolle Gott nicht der einzige Tribut, den ich Seiner und Seines Sohnes
Liebe darbrachte. Ich ließ mein Pferd dem Führer und schritt lang-
sam und wie ein Träumender zwischen den verschleierten Landfrauen,
die Trauben und Feldfrüchte zur Stadt trugen, durch das Pilgertor;
die lateinischen Mönche im Kloster der Terra santa, dem allgemeinen
Hospitium aller abendländischen Pilger, haben mich wie alle, die hier
^) Der Name Jerusalems ist wie der aller ein höheres Prinzip reprä
sentierender Weitstädte eine Vorherverkündigung dessen, was in ihnen in
der Zeiten Fülle offenbar wird. Salem, der älteste Name der Stadt (1 Mos.
14, 18. Ps. 76, 3 und Joseph i Ant. I, 11) heißt „Friede" (Jeruschalayim ■—
visio pacis); denn ,.an diesem Orte will ich Frieden geben" spricht der Herr
durch Hagg. 2, 9 (vgl. Isai. ^6, 12. Ps. 72, 7 und Hehr. 7, 2). Ebenso
ist der Name Athens als Stadt der Minerva nicht bedeutungslos, sie reprä-
sentiert in der allgemeinen Geschichte das heidnisch-intellektuale Prinzip der
Philosophie im Gegensatz der alttestamentlichen Schockmah-(Sophia). — Die
doppelte Weltherrschaft Roms endlich, dessen Grundmauern wie die der
Erde mit Bruderblut besprengt sind (Aug. C. D. XV, 5', ist gleichfalls in
seinem Namen vorhergesagt. Roma, abendländisch gelesen, ist C'o'ifu], Stärke,
weltliche Mächt: das kosmische Prinzip hat sich in ihr, wie nirgendwo sonst,
am entschiedensten manifestiert; aber wenn Du den Namen morgenländisch
ansiehst, so heißt er amor, als historisches Zentrum der Religion der Liebe,
welche die Welt von jener alles verendlichenden Gewalt erlöst hat. Die Ge-
schichte Roms ist noch nicht zu Ende, das Höchste steht noch bevor. Es
ist nicht umsonst, daß die .Tohanneskirche (-Lateran) die älteste der Stadt ist.
St. Paul außerhalb der Mauern ist abgebrannt. — ^) Jereraias Klage-
lieder 2, 1.
72 S. Wanderjahre und Promotion.
anklopfen, aufs freundlichste aufgenommen. Mein erster Gang war
zur Kirche des hl. Grabes, wo ich zwei Tage und drei Nächte mit
den Priestern eingeschlossen blieb. Wenn es möglich ist, daß ein
Verbrechen, quo maius cogitari non potest, durch menschliche Gebete
gesühnt werden kann, so geschieht dies hier: Die Tränen der Gläubi-
gen, die hier von allen Enden der Erde zusammenströmen, sind eine
ununterbrochene Expiation des ungeheuren Mordes, der an dem Fürsten
des Lebens begangen worden ist. Und hier ist Er auferstanden! Dies
ist die entscheidende Tat, die wie ein Blitz ausgeht und die
ehernen Pforten des Todes zerschmetternd ewiges Leben trägt und
Verständnis durch alle Zeiten vom Aufgang bis zum Niedergange der
Sonne. ^) Der Tod, der bis dahin das allgemeine Verhängnis aller
Menschenkinder war, dadurch daß er den Unschuldigen getötet, ja den
Urheber alles Lebens angegrififen, hat fortan seine Rechte über die
Schuldigen verloren; hier ward sein finstres Reich gebrochen und ver-
schlungen in den Sieg. Was wir jetzt so nennen, ist nicht mehr Tod,
sondern ein Schlaf. ^) Wie jener des täglichen Lebens ein Ausruhen
von den Mühen des Tages, so ist dieser letzte Schlaf *) nichts anderes
als das langersehnte Aufhören der bangen geistverzehrenden Unruhe
dieses Lebens, ein Freiwerden von den Fesseln der Zeit und frisches
Aufatmen in dem reineren Elemente ewiger Gegenwart. Das mag-
netische Hellsehen der Schlafwachen ist ein trübes Gleichnis dessen,
wie wir sehen werden, wenn der Isisschleier zerrissen wird, der uns
im irdischen Leben die Wahrheit umhüllt. Auf jene große Tatsache
der Auferstehung Christi, wodurch die ganze Geschichte Licht und
Iranszendentales Leben erhält, möchte ich anwenden, was der Pytha-
gorische Pindar in prophetischem Geiste gesungen hat: Tt de zig;
xi ö' ov tig) oxiäg övag äv^Qcojtog. 'AXX* orav uiyXa Aiögdoxog sX^j], XaujiQov
(peyyog ijteouv dvÖQMv xai fxeihxog alwv. (Was ist der Mensch? was nicht V
Des Schatten Traum. Aber wenn ein Strahl vom Zeus herabkommt,
dann wohnt helles Licht bei den Menschen und mildes Leben.) Daß
ich beim Grabe Christi der Verse eines griechischen Dichters gedenke,
wird Dir wohl nicht anstößig sein; nennen Ihn ja selbst heihge
Propheten „der Völker Panier und der Heiden Trost, auf den sie
homen.** *)
^) In den , Studien" p. 506 fährt Lasaulx weiter: „Wer die Aufer-
stehung Christi leugnet, nimmt der Geschichte alles Transzendentale, den
hellsten, schönsten Moment: er schneidet der Weltgeschichte die Augen aus
und macht sie blind. Ohne diese Tatsache ist das ganze Christentum eine
Illusion, eine schöne Täuschung zwar, aber eine Täuschung ; ohne sie entbehrt
auch der Glaube an die persönliche Fortdauer der menschhchen Seele nach
dem Tode alles objektiven Haltes. Hier allein sind alle Schmerzen der Welt,
die Schrecken des Todes selber überwunden und verschlungen worden in den
Sieg.'' -- ^) Dieses ist auch die konstante Redeweise des N. T. Paulus,
von dem Tode Christi sprechend, sagt: 'Irjaovg aneOavE xal ävEot^, die nach
dem großen Siegestode sterbenden Christen aber nennt er siexoi/jtjf^evoi und
xotjLirjSivTeg 1. Thess. 4, 14. Ebenso 1. Cor. 15, 18. 51. Eph. 5, 14 wie
schon Job. Chrys. Op. I, p. 763; II, p. 398 und III, p. 751 sehr schön be-
merkt und erklärt hat. — ^) Der darum auch ein Entschlafen genannt
wird d. h. wie in entleiben, ein Freiwerden von der Notwendigkeit des
Schlafens. — ') 1. Mos. 49, 10; Jesai. 11, 10; Hagg. 2, 8. —
3. Wanderjahre und Promotion. 73
Vom Grabe führte es mich durch die Schmerzensstraße (via
dolorosa) zum Stephanstor hinaus in den Garten Gethsemane, am
Fuße des ölberges, ^der vor Jerusalem liegt gegen Morgen, ^
einen Sabbatherweg von der Stadt entfernt". ^) Gethsemane bedeutet
eine Ölpresse; Christus hat hier ,die Keller des Zornes" ^) getreten,
der alle Kreatur mit gerechter Wunde geschlagen hat, bis ihr durch
sein Seelenleiden ein Gnadenöl bereitet ward. Noch heute stehen hier
acht uralte Ölbäume, von denen die Sage geht, daß sie aus der Zeit
Christi seien. „Auf Entfernung eines Steinwurfes" *) wird die Stelle
gezeigt, wo er hinging zu beten, als seine Stunde gekommen war:
„Tristis est anima mea usque ad mortem." ^) In blühender Jugend des
Lebens rang er mit dem Tode, damit er an allem teilnehmend und in
allem versucht, alle Leiden der Menschheit trage; denn ob Ihm gleich
ein Engel vom Himmel erschienen, der seine Seele stärkte, doch hat
der Angstschweiß der erliegenden Natur ihm heiße Blutstropfen er-
preßt, die zur Erde fallend *) sie von der aUen Schuld gereinigt haben.
Neben dieser Grotte ist die schöne, in eine Felsnische eingesenkte
Kirche über dem Grabe der Maria. Dies sind die Orte, wo ich seit
meinem Hiersein täglich die Abende zubringe, den Rückweg nehme
ich dann durch das Tal Kidron oder das sog. Tal Jo saphat. Schon
in alten Zeiten wird dies .,ein Tal der Leichen und der Asche" ^) ge-
nannt, und heute noch ist es die allgemeine Begräbnisstätte der Juden,
die, um hier begraben zu werden, aus den äußersten Ländern der
Erde ihre müden Glieder herl ragen. Zu diesen Gräbern kommen
jeden Frühmorgen die zurückgelassenen Frauen und Kinder, ihre Toten
zu beweinen. Hier liegt auch der Ort Silo ah und gegenüber die
gleichnamige Quelle. Dies „stille Wasser zu Siloah" ^) ist wie „die
lebendige Quelle", ®) die es repräsentiert, der einzige fons perennis ^^)
in Jerusalem; dreißig schöne Marmorstiegen führen zu dem Brunnen
hinab, der dann durch einen engen Felsengang aus Salomonischer
Zeit ^^) sein klares Wasser in das große Becken oder den Teich
Siloah ^^) und aus diesem weiterhin in den Garten des Königs ^*) leitet,
wo auch jetzt noch das frischeste Grün dem Auge einen wohltuenden
Ruhepunkt gewährt in dem öden Todestal und der grauen Verwüstung
ringsum. Wie hier windet sich ein Fußsteig von Morija hinauf und
nach Zion. Da liegt die hohe Feste Davids zu Boden geworfen im
Staube ^*) und von Salomons Tempel ist kein Stein mehr sichtbar; wo
er gestanden hat, erhebt jetzt die Moschee el Sakhra, von Omar
erbaut, ihr leichtes Haupt.
„Jerusalem, die du eine freundliche junge Dirne und eine liebe
Braut wärest,, ^^) die Jungfrau Israel ist gefallen, daß sie nicht wieder
aufstehen wird;^^) denn sie hat von der Hand des Herrn den Kelch
seines Grimmes getrunken, die Hefen des Taumelkelches hat sie aus-
») Zachar. U, 4. - ') Act. 1, 12. — =') Jesai. 68, 3. — *) Luk.
22, 4L — *) Matth. 26. 38. ~ «) Luk. 22, 44. — ') Jerem. 31, 40. ~-
») Jesai. 8, 6. -- «) Jerem. 2, 13. 17, 13. Zach. 13, 1 mit Job. 7, 87. 38.
— ^'») Taciti, Hist. V, 12. - '') Pred. 2, 6. - '') Joh. 9, 7. — ^») Nehem.
3, 15. - ") Jesai. 25, 12. - ''') Jerem. 2, 2. - ^«) Arnos 5, 2. —
74 3. Wanderjahre und Promotion.
getrunken und die Tropfen geleckt. ^) Zion, wo des Herrn Gezelt ^)
und seine Lust war zu wohnen, ®) Zion wird wie ein Acker ge-
pflügt, *) und die wohlgebaute Stadt, in deren Mauern einst der
Friede gewohnt und Glückseligkeit in ihren Palästen ^), — ist ein
Steinhaufen. "
Sonntag, am 22ten.
„Ich habe nun auch Bethlehem besucht, den „Ort des Brotes** ;
wieder ein echt prophetischer Name für die irdische Geburtsstätte des
Menschensohnes, dessen Lehre nicht wie der Philosophen etwas von
ihnen selbst Verschiedenes (ein System eitler Gedanken zu momenta-
ner Sättigung der Neugierde), sondern Er selbst und das Leben ist,
welches allein den angeborenen Gotteshunger der Seele befriedigt, und
der darum von sich sagen durfte: „Ich bin das lebendige Brot vom
Himmel kommen, wer von diesem Brot isset, den wird nimmer hun-
gern, sondern [er] wird leben in Ewigkeit." ®) Ein arabischer Dichter ')
des Xin. Jahrhunderts sagt sehr schön:
„Brot, so lang's auf Tafeln hegt, ist hart wie Stein,
„Lebensgeist wird's, kommt's ins Menschenherz hinein.
„Unser Geist, wenn solche Feuerkraft er beweist,
„Was vermag dann, sag' es selbst, des Geistes Geist?"
d. h. wenn die Naturseele im Menschen eine solche Assimilationskraft
auf die Nahrung ausübt, daß sie dieselbe in ihr eigenes Leben ver-
wandelt um wieviel mehr Gottes Geist, wenn der Mensch das Dor-
nenfeld seiner unfruchtbaren Ichheit verlassend, ganz in Ihn eingeht.
— Merkwürdig und mir eine große Freude war die frische und im
Gegensatz mit Jerusalem reiche Vegetation der Umgegend von
Bethlehem; ich besuchte außer der Hirten- und Mariengrotte noch die
ehemaligen „verschlossenen Gärten Salomonis", ein enges tief ein-
geschnittenes Tal, auch heute noch ganz mit dunkeln Orangen- und
Granatbäumen erfüllt, zwischen denen sich das sanftere Grün der Man-
deln und Oliven gar lieblich ausnimmt. Diese Gärten werden getränkt
durch die drei großen Wasserbehälter, welche eine halbe Stunde höher
das Tal hinauf ebenfalls von Salomo erbaut sind und ehedem ihr
kühles Bergwasser bis nach Jerusalem leiteten. Beim ersten dieser
Bonde, wo rechts das Tal ausbeugt, steht ein hochummauerter Khan
voll wilder Araber , die mich erst mit vorgestreckten Flintenläufen
empfingen, dann aber von meinem Führer beruhigt, sehr gastlich mit
Milch und frischen Brotfrüchten bewirteten. Den Rückweg nach Je-
rusalem nahm ich über St. Johannis, er zieht sich durch schöne
wohlangebaute Täler voll Weinreben, Feigen und Terebinthen. Von
dort, besuchte ich die Wüste des Täufers, eine steinige Öde voll duf-
tender Kräuter, von Bienen umschwärmt; die Grotte am Abhang
des Berges mit der frischesten Quellader, wo er gewohnt und Buße
gepredigt, liegt so still und einsam, daß sie mich unwillkürhch einlud,
ein paar verlassene Stunden da zu bleiben. Ich sandte meine
') Jesai. 51, 17; 52, 1. Je rem. 25, 18. - -) Ps. 76, 3: - ') Ps.
132, 13. — ^) Jerem. 26, 18. — «) Ps. 122, 3. 7. - «) Joh. 6, 35. 51. —
'') Gelaleddin Rumi in Tholuks Blutenlese p. 80.
3. Wanderjahre und Promotion. 75
Führerin Rosa, die ich von Bethlehem mitgenommen, zurück und
blieb den Tag über allein hiei*. . . . Wann wird endlich der zweite
Johannes, das Donnerskind wiederkehren und die hereinbrechende
Zukunft der Welt verkündigen? Gestern spät in der Nacht kehrte ich
nach Jerusalem zurück, die Tore waren längst geschlossen und wur-
den mir erst nach wiederholtem Anpochen gegen Mitternacht geöffnet.
Da begegnete ich einer seltsamen Hochzeit. Vorauszog ein Glior von
Knaben und Mädchen, die in eintöniger melancholischer Weise Worte
sangen, die ich anfangs für ein Grablied hielt; dann erschien der
Bräutigam, festlich geschmückt und von fackeltragenden Jünglingen
gefolgt, — endlich die Braut, ganz in ein langes Purpurgewand ein-
gehüllt und von ihrem Haupte, das eine goldene Krone trug, flössen
reiche Locken herab, von türkischen Goldmünzen durchflochten; ihr
folgten weißverschleierte Frauen mit säugenden Kindern an der Brust.
Alle wiederholten in lautem Gesang die Schlußworte des Braulliedes
— und rechts und links aus den Häusern der Straße goß man Rosen-
wasser auf die Vorüberziehenden herab. Man gab mir eine Fackel,
und ich begleitete den Zug bis zur Wohnung des Bräutigams. Das
alles ist mir jetzt wie ein Traum, und ich würde ihn wahrhaftig
dafür gehalten haben, wenn nicht heute morgens der Bräutigam mich
aufgesucht, um mir für die Teilnahme an seinem Glück zu danken."
Donnerstag, am 3. Oktober.
„Vorigen Samstag am 2(S. September nachmittags 4 Uhr in Be-
gleitung des arabischen Kommandanten und zweier Soldaten der hiesi-
gen Garnison, eines englischen Arztes, der aus Ostindien kommt, und
eines Franzosen aus Bayonne, im ganzen 6 Mann stark, nach dem
Jordan aufgebrochen. Wir ritten am Fuße des Ölberges entlang
durch Bethania, wo das wohlerhaltene Grab des Lazarus, zu dem
schönen Brunnen hinab, wo Ghristus von Jericho kommend mit
seinen Jüngern auszuruhen pflegte, wie noch heute jeder Wanderer
tut. Dort beginnt die Wüste, Berg und Tal ohne einen Grashalm und
ohne alles Wasser: völlig dürre ausgebrannte Steinerde und furchtbar
gähnende Abgründe, höchst merkwürdig gestaltet, so daß Du ganz
offenbar die Wirkungen zerstörender Blitze siehst. Ich habe nirgends
einen einsameren traurigeren Ort angetroffen, Felsen und zerrissene
Berge liegen in wilder Verwirrung übereinander gestürzt, der Erd-
boden hat hier alle seine Eingeweide und Knochen ausgeworfen. Das
Gefährliche der Reise durch diese Wüste ist schon in der Gleichnis-
rede Christi ^) von dem barmherzigen Samar itaner ausgedrückt. Gegen
zehn -— es war eine herrliche Mond- und sternenhelle Nacht — stie-
gen wir hinab in die Ebene voll Dornenbalsam- und wilder Feigen-
bäume. Um eilf kanaen wir nach Neu-Jericho und wurden von
dem dortigen Befehlshaber der arabischen Truppen sehr freundlich
aufgenommen, er gab uns, was er hatte, unseren Pferden Stroh und
Gerste, uns selbst Milch und Eier und ein freies Lager unter freiem
Himmel. Mein Mantel war mein Bett» und ein Stein mein Kopfkissen.
Am anderen Morgen bestieg ich den kleinen Wachtturm und • übersah
') Luk. 10, 30-35.
76 3. Wanderjahre und Promotion.
Jericho: ohngefähr dreißig Strohhütten mit dürren Zweigen bedeckt
und mit einer Mauer von dürren Dornenreisern umgeben! Braune Be-
duinen sind ihre Bewohner, sämthch Ziegen-. Schaf- und Kamelhirten.
Um 7 brachen wir auf und ritten über die verlassene Heide zu dem
zerstörten Konvent des hl. Johannes und von dort über wüstes Salz-
und Aschenfeld zum toten Meer. Hier stand einst die blühende
Pentapolis, *) bevor durch das himmlische Rachefeuer der Garten des
Herrn ^) zu einem bitteren Salzwasserpfuhl in heulender Einöde ver-
wüstet ward. Von dort sind es zwei Stunden zu der Stelle, wo
Christus von dem ersten Johannes die Taufe im Jordan empfan-
gen hat, dessen Ufer sind von dem frischesten Grün blühender Rosen-
lorbeeren bewachsen; sein Bett ist tief, das Wasser klar und so
reißend, daß ich vergeblich hinüber zu schwimmen versuchte. Um
3 Uhr nachmittags eilten wir nach Neu-Jericho zurück. Die bren-
nende Glut des Tages hatte uns alle, Mann und Roß, so erschöpft,
daß wir beschlossen, abermals hier zu übernachten; und nie hat der
Schlaf in reichem Bett mir so wohl getan als dies harte Steinlager.
Montags am 30ten besuchten wir die Trümmer des alten Jericho
(V-, Std.), welches, auch eine Weltstadt, sehr schön auf den 7 Spitzen
zweier Hügel erbaut war. Jetzt liegt kein Stein mehr auf dem andern.
Zu seinen Füßen fließt ein klarer schneller Wasserbach, so stark, daß
er wohl die ganze Stadt reichlich mit frischem Trinkwasser versorgen
konnte.. Grüne Bäume, die eben zum zweitenmal blühten, umschatten
sein Bett, und lustige Frühlingsvögel, die einzigen, die ich in diesem
Lande gehört, schmetterten ihre Liedlein gen Himmel. Jericho ward
zum erstenmal von Josua zerstört, und sein künftiger Wiedererbauer
verflucht,^) ein Fluch, der auch an Hiel buchstäblich erfüllt worden
ist.*) Später haben die Propheten Elias und Elisa eine Zeitlang
hier gewohnt mit ihrer Schule. ^) Wann sie zuletzt gefallen, weiß ich
nicht anzugeben. Sie war nach Jerusalem die erste Stadt im Lande,
„fruchtbai' mit anmutigen Lustgärten voll Dattelpalmen und Balsam-
stauden". ^) Daher wird sie auch von den ersten Christen des A. T.
stets , Jericho die Palmenstadt" ^) genannt. Nicht eine Palme ziert
jetzt die dürftigen Reste vergangener Herrlichkeit; auch die Rose von
Jericho, deren Jesus Sirach (Jes. Sir. 24, 14) erwähnt, ist längst
verwelkt und gestorben. Unmittelbar hinter dem Grabhügel von
Jericho und etwas höher als dieser stehen verlassene Trümmer ehe-
maliger Klostergebäude; und weiterhin durch ein kleines Tal getrennt
erhebt sich die riesige Felsenmasse, wohin der Satan Christum ge-
führt, *) ob vielleicht ,auch dieser zweite Adam die Macht über alle
Reiche der Erde aus den Händen des princeps huius mundi* ®) an-
') h Mos. 14, 2; Josephi B. J. V. 5; Taciti bist. V, 7; SoHnu»
c. 37 und Hieronymi Com. in Ezech. c. 47. — -) l. Mos. 13, 12. —
') Jos. 6, 26. — *) 3. Kön. 16, 34. ~ ^) 4. Kön. 2, 4-18. - «) Josephi
B. J. V, 4. Der Palmen- und Dattelbäume erwähnen auch Taciti hist. V, 6;
Strabo XVI, p. 763 und Plinius h. n. V, 14, 15 berichtet, Jericho sei
ganz mit Palmen umringt gewesen, palmetis obsita, fontibus irrigua. —
') 5. Mos. 34, 3; Rieht. 1, 16; 3, 13; 2. Chron. 28, 15. - ^) Math. 4,8.9.
— «) Joh. 12, 31.
S. Wanderjahre und I^romotion. 77
nehme und so die Einheit der Welt mit Gott völlig zerrissen sei.
Aber die Werke Gottes sind nicht von der Art, daß Er seines ersten
Willens vergäße. Der ganze steile Bergabsturz ist mit Einsiedler-
höhlen besäet, und auf ohngefähr halber Höhe ein kleines Klösterchen
ganz in das abgestorbene Leben des Felsens eingehauen, ähnlich den
Bergfesten, die ich zu Stein und Salzburg gesehen habe. Die Hitze,
die ich auf dem Rückweg durch die Wüste erfahren, war das Ent-
setzlichste, was mir in dieser Art jemals begegnet; die Sonnenstrahlen
von der ausgebrannten Erde zurückgeworfen, machten die Luft so
trocken und glühend, daß ich lauter Flammen zu atmen glaubte.
Gleich in der ersten Nacht in Jerusalem hatte ich einen heftigen
Fieberanfall, und gestern morgens war meine Gesichtshaut wie eine
Hornscheibe und löst sich in Stücken ab.
Die Pest, welche in vergangener Woche im Quartier der Juden
ausgebrochen, richtet täglich größere Verheerungen an, und da man
auch hier im Hause Anstalt macht, das Kloster zu sperren, so habe
ich mich in Gottes Namen entschlossen, die Stadt zu verlassen. Ich
habe also wohl heute zum letztenmal den Sonnenuntergang von der
Höhe des ölberges gesehen. Schweigen und ein namenloser Geist
der Leere ist rings, soweit Du das Auge aussendest, dem verblichenen
Antlitz der Natur wie ein fahler Leichenschein aufgedrückt; die Stille,
die hier herscht. ist nicht Ruhe, sondern innere Verlassenheit — Die
Natur ist nicht tot, aber das Leben hat sich aus ihr zurückgezogen.
Ich habe niemals etwas Ähnliches empfunden. Nur der ewig klare
Himmel, der sich über dieser Erde ausspannt, mag unveränderlich
derselbe geblieben sein. Da die Zelle, welche ich bewohne, sehr eng,
und die Hitze im verflossenen Monat unerträglich war, so suchte ich
mir gewöhnlich eine Ruhestätte auf der höchsten Terrasse des Klo-
sters. Diese Nächte waren von einer wunderbaren morgenländischen
Schönheit; was Zabismus sei, habe ich hier erlebt, die Seele, auf-
wärts gerissen zu den Sternen und eingehend in die stille Rotation
des Himmels, trinkt hier in langen Zügen astralisches Feuer.
Der letzte Eindruck, den ich von Jerusalem mitnahm, ist ein
sehr gemischtes Gefühl; der Grundton ist wohl eine tiefe Trauer und
Wehmut über die furchtbare Erfüllung des alten Bannfluches, womit
Gott das ihm selbst auserwählte Land und liebe Erbe, „das vor ihm
wie ein Lustgarten, aber nach ihm wie eine wüste Einöde ist", ^) ge-
schlagen und seine Bewohner heimatflüchtig und ruhelos unter alle
Völker der Erde ausgeworfen hat also, daß die Kinder ihrer Nachbarn
und die Fremden, die aus fernen Ländern kommen, ^) sich darob ent-
setzen. Aber die Wehmut hat einen starken Zusatz von Zorn über
die Machthaber Europas, die nach dem Sturz der Lateinischen Waf-
fen des Gavalier di Gristo alles getan haben, um das bittere Wort
des Dante zu verdienen: „La terra che '1 Soldan corregge." Die ärm-
sten aller Ordensbrüder des hl. Franziskus von Assisi und die spär-
lichen Almosen, die sie in Spanien und Italien zusammenbetteln, sind
das einzige, was hier den Namen der abendländischen Christenheit
') Joel 2, 3; Zach. 7, 14. — *) 3. Mos. 26, 32. 33; 5. Mos. 29, 22 ff.;
Mal. 4, 6.
78 3. Wanderjahre und Promolion.
erhält, — wenn man noch von Christenheit sprechen darf, denn das
öffenth'che Leben gedenkt ihrer nicht mehr, seit man die Seiltänzer-
erfindung des europäischen Gleichgewichts zum höchsten Regulativ der
Weltverhältnisse gemacht hat — und freihch der armselige Begriff der
Zivilisation bedarf keiner Idee, die ihm nur ein lästiger Vorwurf wäre.
Wird dies immer so bleiben? Es ist noch eine Hoffnimg, und
der sie ausgesprochen, ist von denen, die Ihn gekannt haben, niemals
einer Lüge gezeihet (sie!) worden:
„Und sie werden fallen durch des Schwertes Schärfe mid gefangen
geführt unter alle Völker, und — Jerusalem wird zertreten werden
von den Heiden, bis daß der Heiden Zeit erfüllt wird.** Amen.
Luc. 21, 24." '
Lasaulx' Sehnen ist gestillt. In tiefer Ergriffenheit hat er
die hl. Stätten gesehen und denkt nun an die Rückkehr. Deu
Abschluß seines Aufenthaltes schildert er in einem Briefe an die
Mutter von Livorno aus, am 15. Jan. 1834.
„. . . Ich verließ Jerusalem am Abend des 4ten Oktober und
zog durch Samarien nach Galiläa. Auf halbem Wege, in Naplosa
ergriff mich, kaum hatte ich die Stadt betreten, ein abermaliger Fieber-
anfall, und so heftig, daß ich ohne den Beistand einer barmherzigen
Samaritanerin sehr übel gefahren wäre. Die gute Seele ist während
48 Stunden nicht von meiner Seite gewichen, vor mein Erdlager Wn-
gekniet war sie unermüdlich, einen Menschen zu pflegen, den sie nie-
mals gesehen und der ihr nichts geben kann als vielleicht eine traurige
Erinnerung mehr in ihrem Leben. Mit Mühe erreichte ich dann das
Kloster zu Nazareth, als das Übel, dort endemisch, wiederkehrte
und micli zwang, zwölf Tage lang das Bett nicht zu verlassen. In* der
Nacht vom 18 — 14ten starb in der Zelle neben mir ein junger Spa-
nier Fr. Francisco, nachdem das Fieber ihn erst seit vier Tagen
ergriffen hatte: da er ein tadelloser Priester war, wie mich alle ver-
sichert, so war der Tod für ihn ein Gewinn. Nicht so für andere,
die alle Ursache haben, tlas längere Leben als eine Gnadengabe zu
ihrer Besserung anzusehen. Nachdem ich durch die Hilfe Gottes und
der Brüder wieder hergestellt und noch den Ta bor und Tiberias
besucht, zog ich langsam über den Karmel nach Akka und von dort
über Tyrus und Sidon nach Beyruth, wo mich zum drittenmal
seit Jerusalem dasselbe Übel anfiel.**
Damit hat Lasaulx' Aufenthalt im hl. Lande sein Ende
erreicht. Wohl gedachte er noch, Ägypten zu besuchen, aber
neue FieberanföUe bewogen ihn zur Heimkehr. Er ging in Bey-
ruth in die See.
8. Von Beyruth nach Livorno.
Die Fahrt von Beyruth nach Livorno hat Lasaulx der
Mutter kurz geschildert in einem Briefe von Livorno. Er schreibt:
3. Wanderjahre und Promotion. 79
Quaräntina dj Livorno, 15. Jan. 1834.
„. ; . Unter solchen Umständen — und da es mir auch aus an-
deren Gründen unziemHch schien, nachdem ich Palästina gesehen,
noch weiter zu ziehen — gab ich Ägypjten auf und nahm die erste
Schiflfsgelegenheit, die sich mir nach Europa anbot. Am 14. Novem-
ber ging ich an Bord einer sardinischen Handelsbrigg nach Gypern
zurück und von dort nach dreiwöchentlichem Aufenthalt, endlich hie-
her. Es war, wie von der Jahreszeit zu erwarten, eine sehr lang-
wierige Reise; dreimal (bei Servi, Navarin und Messina) zwang
uns das Unwetter, den Hafen zu suchen — erst nach 40tägiger Fahrt
ankerten wir auf der hiesigen Rhede. . . .*"
9. In Italien, Livorno and Rom.
La sau Ix ist wieder in Italien. Er muß in Livorno bis
5. Februar 1834 Quarantäne halten. Von hier aus schreibt er
am 15. Januar 1834 an die Seinigen, von denen er 15 Monate
nichts mehr gehört hat. Er teilt mit, daß er nach Pisa gehe
und in Rom mit Charles Letellier eine Zusammenkunft zu
haben hofft. Tags darauf richtet er einen Brief an Gör res,
worin er resigniert auf seine Reise zurückblickt. Den Gedanken,
ins Kloster zu gehen, wie Letellier, lehnt er ab als seiner
Natur und der Pflicht gegen die Zeit zuwider. Lasaulx schreibt:
Quaräntina di Livorno, 16. Januar 1834.
„Verehrter Freund! Nicht ohne einie innere Beklommenheit
sende ich Ihnen die eingeschlossenen Blätter an meine Eltern. Sie
hätten wohl etwas Besseres erwartet , und wenn dies der ganze
Gewinn meiner jerusalemischen Pilgerschaft, so wäre mir die lang-
ersehnte Reise nur darum gewährt worden, um mich von ihrer Eitel-
keit zu überzeugen. Gestern habe ich einen Brief von meinem
Freunde Charles Letellier erhalten, der mir sagt, wie und wo er
seit unserer Trennung in Rom Ruhe gefunden hat; in diesem Augen-
blicke, in dem Trappistenkloster St. Baume bei Marseille, ist
er entschlossen, sich nach Ostern in Gamaldoli oder in einem
spanischen Kloster aufnehmen zu lassen. Ich habe ihm heute morgens
geschrieben und um eine Zusammenkunft gebeten; denn es ist mir
ein sehr schmerzlicher Gedanke, wenn unsere Lebenswege sich tren-
nen sollten. Obgleich auch ich noch immer vor der alten Kloster-
frage stehe, wofür sehr vieles in meinem Leben spricht; aber in wär-
meren Augenblicken ziehen mich wieder andere Gedanken zurück,
wollen mich auch bereden, ein solcher Schritt sei der Flucht ähn-
licher als dem Siege. Es ist fast unmöglich in. dieser Zeit, daß uns
eine Idee genüge, aber das heillose Buhlen mit allen und jeden,
kann dies — ich will nicht sagen glücklich, denn dieses ist eine sehr
große Ai\maßung, kann es jemals zufrieden machen? . . . Die Julie
bitte ich aufs herzlichste von mir zu grüßen, ich werde ihr ganz ge-
wiß in den ersten Wochen schreiben, jetzt vermag ich's nicht."
80 3. Wanderjahre und Promotion.
Inzwischen ist Lasaulx nach Rom gegangen, wo er bis
anfangs Juh' zu bleiben gedenkt. Von da schreibt er an die
Mutter.
Rom, 29. Juni 1834.
„Meine liebe Mutter! Wenn dieses Blatt in Deinen Händen ist,
so liegt Roma hinter mir, und ich fahre die Straße nach Deutsch-
land. Damit verhält es sich so. Am 17. April sagte mein Freund Karl
der Welt und allejn, was ihm lieb war in ihr, für immer Lebewohl
und trat in ein Kloster des hl. Franziskus zu Givitella; wir hatten
einen harten Streit; da er von mir dasselbe wollte und insbesondere
•„daß ich der Wissenschaft entsagen solle, in der ich niemals Ruhe
finden würde".
Zu dieser Beunruhigung durch den Freund kam am 21.
April noch eine andere durch die Nachricht von dem plötzlichen
Tode seiner geliebten Julie und ihrer Mutter. Lasaulx schreibt
darüber in demselben Briefe:
„Seitdem bis zur Vigihe des Pfingstfestes habe ich eine furcht-
bare Zeit erlebt, von allem Entsetzlichen, was durch mein Leben zog,
das Schauderlichste. Daß ich auch da nicht zu einer unwiderruflichen
Entscheidung über den Rest meines Lebens kommen konnte, ist mir
ein entscheidender Beweis, daß Gott die Erfüllung dessen, was ich
einst in der Angst meines kindlichen Herzens versprochen, nicht von
mir wolle, sei es, w^eil ich dessen nicht wert bin, oder aus einem an-
deren Grunde.'^
Die Todesnachricht erwies sich hinterher glücklicherweise
als falsch. Lasaulx entschließt sich nun zur Rückkehr, nicht
ohne Sorgen über die Vernachlässigung der philologischen Stu-
dien und über die mangelnde Abgeschlossenheit seiner philo-
sophischen Studien — ein Beweis der hohen Anforderungen, die
Lasaulx in ängstlicher Gewissenhaftigkeit an sich stellte. Diese
Gedanken spinnt er in demselben Briefe weiter:
„Alle meine Freunde, den einzigen Karl ausgenommen, raten
mir die Rückkehr, ich bin lange genug der Sklave meines Willens
gewesen, der mir fast zum Schicksal geworden ist, so will ich's denn
in Gottes Namen einmal versuchen, andern zu folgen. Das einzige, was
mir, nachdem ich den Entschluß zur Rückkehr gefaßt, auch jetzt noch
zuweilen die Brust ein wenig beklemmt, ist Folgendes. Meine früheren
philologischen Studien habe ich, seitdem ich nach München gekom-
men, völlig liegen lassen und mich, durch Baader, Göerres und
Seh ellin g angeregt, fast ausschließlich mit theologisch -philosophischen
im umfassendsten Sinne beschäftigt : die Arbeiten , die ich hiezu
unternommen, sind der Art, daß ich erst am Ende derselben einen
sicheren Gebrauch davon machen kann; wenn ich nun auch auf das
völlige Ende verzichten wollen (da man mit dergleichen eigentlich nie
fertig wird) und die Sache nur bis zu einem gewissen Punkt führen,
von wo ich sie einigermaßen übersehen könnte, so schienen mir dazu
ä. Wanderjahre und t*romotion. 81
nach meinen bisherigen Erfahrungen noch anderthalb bis 2 Jahre un-
ausgesetzter Studien notwendig. Kehre ich nun jetzt nach Deutsch-
land zurück und erhalte eine Lehrstelle, so fürchte ich, sie nicht aus-
füllen zu können, weil wenig von allem Besseren, was ich in meinem
Leben gewollt habe, zur Mitteilung reif ist. Dieses Bewußtsein allein
wird mir das Suchen einer Stelle erschweren, indem es die Kraft mei-
nes Willens lähmt. Ich habe diese Bedenklichkeiten meinen hiesigen
Freunden mitgeteilt, sie sagten mir, dieses Gefühl habe jeder, es seien
falsche Skrupel, die man überwinden müsse, man müsse einmal an-
fangen, ich sei wie ein ungebändigt Roß, sei ich erst einmal einge-
spannt, so werde ich schon anziehen. So mag's denn gewagt sein,
der Würfel ist geworfen.**
Lasaulx gedenkt, am 9. Juli Rom zu verlassen und gegen
8. — 12. August .^n München zu sein, will sich dort die Sachen
etwas ansehen, und wenn keine Aussicht zum Längerbleiben, im
September in Koblenz sein und den Winter nach Berlin gehen.
Lasaulx kehrt zunächst nach München zurück. Hier entschei-
det sich seine Zukunft.
10. In der Heimat. Mttnchen. Die Verlobung.
Ende August 1834 hat die mehr als vierjährige Wanderung
Lasaulx' ihr Ende gefunden. Noch mehr. Er hat auch in
Julie, der Tochter des Philosophen Baader, eine Gefährtin fürs
lieben gefunden. Die Klostergedanken, die ihn eine Zeitlang be-
schäftigt hatten, waren damit endgültig erledigt. Mit der Be-
geisterung und Inbrunst, wie sie der ersten Liebe eigen ist,
schildert er seinen Eltern sein Glück.
Fürstenfeldbruck, 9. Sept, 1834.
„Gott zum Gruß meine Heben Eltern, und dann aber den meiner
Julie, ihre Küsse bring' ich Euch selber. An diesen habe ich Ver-
gessenheit getrunken alles vergangenen Bösen und die Kraft eines
neuen Lebens, was jetzt einen Wert hat, denn sie liebt mich. Alle
finstere Angst ist nun weg, und alle Zweifel sind zerstoben, leicht und
rein fühle ich meine Brust wie der Spiegel eines ruhigen Sees. Ich
bin der glücklichste Mensch, o, jetzt weiß ich, daß Gott gut ist, da er
mir tausendmal mehr gegeben, als ich je verdienen kann. Und wie
sie schön ist, da wird ein Mensch wohl selig, der ihr in die Augen
sieht, die sind wie ewiger Frühlingshimmel; nein, das Paradies ist
nicht verloren, ich bin ja darin und will es Dir zeigen, daß Du's glau-
ben sollst. . . . Die Leute sagen, es seien schon zehn Tage, daß ich
hier bin, mir ist es wie ein Augenblick, aber ein ewiger. Was ist
die Zeit? Nun in Gottes Namen, solange sie nicht für immer bei mir
ist, will ich daran glauben; dann aber spreche mir keiner mehr davon,
wir werden in gegenwärtiger Ewigkeit leben. ''
Stölzle: Ernst von J^asaulx. 6
82 3. Wanderjahre und Promotion.
Diesen schwärmerisch besiegelten Liebesbund hat La sau Ix
treu gehalten und mit der Innigkeit und Zärtlichkeit der ersten
Liebe bis zum Lebensende fortgeführt. Jetzt war für ihn nach
einem Besuche in der Heimat in Koblenz die Hauptaufgabe,
sich eine Lebensstellung zu erringen, um die geliebte Julie
heimführen zu können. Zunächst galt es, seinen Studien einen
äußeren Abschluß zu geben. Das geschah durch die Promotion.
11« Die Promotion. Aussichten auf Anstellung*
Im April 1835 kann er eine Anzahl von Exemplaren seiner
Dissertation in die Heimat senden. Er hat sich mit der Ab-
handlung : „De mortis dominatu in veteres, commentatio
theologica-philosophica," am 10. Februar 1835 den Doktorgrad
an der Universität Kiel ^) unter dem Rektorate von Nikolaus
Falck und dem Dekanate des Orientalisten Justus Olshausen
erworben. Die Schrift war in dankbarer Erinnerung seinem
Freunde Letellier gewidmet.
Nun konnte er daran denken, sich um eine Stelle zu be-
werben. Mit Preußen, worauf er früher gehofft hatte, war es
nichts. Von einer Habilitation in Bonn war keine Rede mehr.
Lasaulx trachtete nach einer Stelle in Bayern. Da boten sich
bald verschiedene Aussichten. Lasaulx hat immer eine Stel-
lung im Auge, wo er der Philosophie leben kann Er hatte
sich Hoffnung gemacht auf die Philosophieprofessur in Würz-
burg. Diese war aber seinem Freunde Hoffmann zugefallen,
der schon vorgeschlagen war, ehe Lasaulx zurückkehrte. Da
eröffneten sich neue Aussichten entweder auf die Philosophie-
professur am Lyzeum in Amberg als Hoffmanns Nach-
folger oder auf die Professur für klassische Philologie an der
Universität Würzburg als Nachfolger von Richarz, der zum
Bischof von Speyer ernannt worden w^ar. Die erste Stelle war
ihm angeboten vom Minister; doch Lasaulx zeigte wenig Lust,
und hätte sie nur ungern angenommen, lediglich um einmal eine
gesicherte Existenz zu gewinnen. Die zweite in Würzburg
war ihm versprochen, und dabei freigestellt, auch philosophische
Vorlesungen halten zu dürfen. So schrieb Lasaulx von Mün-
chen (3. April 1835) an seinen Vater. Noch vor Ostern sollte
sich etwas von diesen Aussichten verwirklichen. Die Entschei-
dung fiel im Sinne Lasaulx' aus, er kam nach Würzburg zu-
^) Wie das noch im Nachlasse vorhandene Diplom ausweist.
B. Wanderjahre unci Promotion. 83
nächst als Verweser, dann als Extraordinarius der klassischen
Philologie. Damit beginnt ein neuer Lebensabschnitt für La-
saulx. Man möchte vielleicht glauben, Lasaul x, der an wis-
senschafthcheii Leistungen nur seine Doktordissertation aufwei-
sen konnte, habe für seine neue Stellung recht wenig mitge-
bracht. Auch hatte er ja die philologischen Studien nach eige-
nem Geständnis vernachlässigt und dafür philosophisch-theolo-
gische und theosophische Studien getrieben. Und doch hat La-
saulx gerade durch seine Reise, durch seine philosophischen Stu-
dien den Grund gelegt zu jener weitreichenden und tiefgreifen-
den Wirksamkeit, die er nachmals auf die akademische Jugend
in so reichem Ma&e ausüben sollte. Lasaulx brachte für seine
Professur mit eine reiche Lebenserfahrung, eine unmittelbare An-
schauung der Stätten alter Kultur, eine hohe und weitherzige
philosophische Auffassung des Altertums. Lasaulx hatte vieler
Menschen Städte und Länder gesehen, Wüste und Meer, Inseln
und Berge im Orient und Okzident, Kunst und Natur, Sitten und
Gewohnheiten, wirtschaftliches und soziales Leben, Religiosität
und Sittlichkeit der verschiedensten Menschen und Nationen ken-
nen gelernt, Gegenwart und Vergangenheit, Altertum und Mittel-
alter miteinander vergleichen können, Heidentum und Christen-
tum, Judentum und Islam, Katholizismus und Protestantismus in
ihren Äußerungen beobachtet, war mit Fürsten und Diplomaten,
Hofleuten und Offizieren, Gelehrten und Künstlern, Geistlichen
und Laien, mit vornehmen und einfachen Leuten, mit Menschen
der verschiedensten Nationen und Berufsklassen in Berührung
gekommen, er hatte die Philosophen des Altertums und Mittel-
alters und der Neuzeit studiert und an Poesie und Kunst seinen
Sinn gebildet. Wahrlich Lasaulx brachte mehr an Welterfah-
rung, an Reichtum von Ideen, an hohem Flug des Geistes mit
als mancher, der mühsam in kleinlicher philologischer Arbeit den
Blick für die gro&en, die Menschheit bewegenden Ideen verloren
hat. Das beweist Lasaulx' Entwicklung zu einem der glänzend-
sten und erfolgreichsten Lehrer, die Würzburg und München
je besessen haben.
6*
4. Kapitel.
Lasaulx Professor in Wtirzburg (1835 — 44).
Motto: „Es bildet ein Talent sich in
der Stille."
G-oethe, Tas90.
Richarz^) war zum Bischof von Speyer ernannt, La-
saulx zu seinem Nachfolger ausersehen. Das Dekret sollte aber
auf Befehl des Königs erst dann ausgehändigt werden, wenn die
päpstliche Bestätigung des ernannten Bischofs angekommen sei.
Dieselbe war aber vor 8. — 10. Juli nicht zu erwarten. Damit
die Würzburger Stelle jedoch nicht länger unbesetzt bleibe, —
Richarz hielt im Sommer 1835 keine Vorlesungen mehr — ,
wurde Lasaulx am 12. Mai durch ein Ministerialreskript vom
7. Mai angewiesen, sich alsbald nach Würzburg zu begeben, die
Vorlesungen über Philologie an dortiger Universität zu überneh-
men und nach erfolgter Erteilung des Indigenats der weiteren
allerhöchsten Beschlüsse gewärtig zu sein. ^) Am 4. Juni zeigt
Lasaulx dem Senate seine Ankunft an und bittet um die Er-
laubnis, in den kommenden Sommermonaten über Cicero s dispu-
tationes Tusculanae Imal wöchentlich publice zu lesen. Unter
dem 6. Juni erteilt ihm der Senat die Genehmigung zu dieser
Vorlesung und empfiehlt ihm möglichst baldigen Anfang der
Vorlesungen.'"^) Am 4. Juni hat Lasaulx auf Bitten das Indige-
nat des Königreichs unter Beibehaltung seiner bisherigen Unter-
tauenrechte in den preußischen Staaten nicht taxfrei, wie er ge-
wünscht hatte, sondern gegen eine Schreibgebühr von 174 fl.
erhalten.
Während der Ferien erfolgte dann seine Ernennung zum
Professor, Am 26. September nämlich wurde er an die Stelle
^) Bischof von Speyer, dann Augsburg (1781—1855). — ^) Brief La-
saulx' an seinen Vater vom 16. Mai 1835 (München). — ^) Personalakt
von Lasaulx an der Universität Wttrzburg,
4. Lasaulx Professor in Wtirzburg. 85
von Richarz als außerordentlicher Professor der Philologie und
klassischen Altertumskunde an der Universität Würzburg in pro-
visorischer Eigenschaft von Beginn des Wintersemesters 1835/36
ernannt mit einem Gehalt von 725 fl, einem Naturalnebenbezug
von 2 Scheffeln Weizen und 5 Scheffeln Roggen, wobei nach
stattgefundenem Definitivum 400 fl den Standesgehalt ausmachen
soll. Dabei behält sich der König vor, dem Professor von La-
saulx nach treu und zu allerhöchst seiner Zufriedenheit gelei-
steten Diensten noch vor der Quieszenz ein Dekret verleihen zu
können, wodurch dessen Standesgehalt mittels Hinzuschlagung
eines Teiles des Dienstgehaltes erhöht würde. An Tax- und
St^mpelgebühren hatte Lasaulx 79 fl 46V2 Kreuzer und für
Ausschreibgebühren 10 ifii an die kgl. Untermainkreiskasse zu
entrichten .
Wir würdigen seine Wirksamkeit in Würzburg, indem
wir zunächst den Kreis der Kollegen, in den er eintrat, und den
Stand der Universität schildern, dann seine lehramtb'che und
wissenschaftliche Tätigkeit, seine Wirksamkeit und Gesinnungen in
akademischen Ämtern und endlich den Abschluß seines Wirkens
in Würzburg zur Darstellung bringen.
L Kollegen und Frequenz der Universität.
Wir erhalten eine Vorstellung von dem damaligen Lehr-
körper, wenn wir die Professoren aufzählen, mit welchen La-
saulx zusammen wirkte. In der theologischen Fakultät lehr-
ten in jener Zeit Stahl, Rei&mann, Bickel, Moritz, Helm,
Düx, Schwab, Deppisch; in der juristischen: Lippert,
Reidmeyer, von der Pfordten, Kiliani, von Moy, Ringel-
mann, Albrecht, von Linck, Held, Edel, Müller, Breiten-
bach, Lang, Pötzl; in der staatswirtschaftlichen: Stein-
lein, Lippert, Metz, Geier, Rentamtmann Ungemach, De-
bes. Edel, Förster (Forstaktuar); in der medizinischen Fa-
kultät: Narr, Münz, Hensler, Pichel, Rumpf, Heller, Ru-
land, Textor senior und junior, von d'Outrepont, von Mar-
cus, Fuchs, Adelmann, Schmidt, Rinecker, Heine, Mohr,
Hörn, Schenk, Schubert, Scherer, Hofmann; in der philo-
sophischen Fakultät: Hoffmann, Froehlich, Metz, Schoen,
Osann, Rumpf, Leiblein, Denzinger, Weidmann, Stern,
Reuß, Mayr, Contzen, Ludwig.
Die Universität hatte im Jahre 1885 eine Frequenz von
433, im Jahre 1844 eine solche von 458 Studenten, in den Zwi-
86 4. Laöaulx Professor in Wtirzburg.
schenjahren schwankte die ßesuchsziffer zwischen 431, 461, 421,
447, 424, 433, 446, 447, 422, 443, 458, 485, 480, 512, 485,
484. Die Verhältnisse waren damals noch klein. Das galt nicht
Mos von der Frequenz der Universität, es gilt auch von der Be-
setzung der Lehrstühle. Jeder Professor mußte damals meist
mehrere Fächer zugleich vertreten. Infolgedessen litt bei vie-
len die literarische Produktion, die nun einmal neben der Lehr-
tätigkeit das unerläßliche Requisit und für Mit- und Nachwelt
das wichtigste Mittel zur Würdigung des Universitätsprofessors
bildet. Wie kläglich es damals z. B. um die theologische Fa-
kultät bestellt war, zeigt ein Brief Lasaul x' an Döllinger, der
gelegentlich der Besetzung der Professur für altes Testament und
die orientalischen Sprachen sich bei Lasaul x Ober die Kandi-
daten erkundigt hatte. Las au Ix schrieb am 31. Okt. 1843 an
Döllinger:
Unter den Bewerbern um die Professur, Reiß mann, Ro-
sentritt und Himmelstein, sei nur der erste hinsichtlich des
Hebräischen und Arabischen, sowie des Griechischen und La-
teinischen philologisch qualifiziert. Lasaul x fUhrt weiter:
„Ich kann an unsere theologische Fakultät nicht denken ohne
ein bitteres Gefühl: es ist ihr von hier aus nicht zu helfen, denn man
will nur Schüler, und jede Berufung eines bedeutenden Mannes
würde, wenn auch alle Bedenklichkeiten über Orthodoxie und kirch-
liche Gesinnung beseitigt wären, schon daran scheitern, wenn man
in Erfahrung brächte, dafa der zu Berufende gewöhnt sei, in einem
andern Rock den Katheder zu besteigen als im Talar."
Prof. Helm z. B. leiste als Lehrer wenig, da es ihm nicht nur
an wirklicher wissenschaftlicher Bildung, sondern auch an Sinn dafür
mangele; er meine, daß die Wissenschaft den Glauben gefährde, und
die Exegese insbesondere etwas ganz Protestantisches sei; sollte Ro-
sentritt die Professur der neutestamentlichen Exegese erhalten, so
würde er sich wie früher Stahl auf eine erbauliche und dogmalische
Erklärung mit Zugrundelegung der Vulgata beschränken. ^)
Doch hatte die Universität auch damals schon Namen von
literarischer Bedeutung. Wir nennen von Theologen den Kir-
chenhistoriker Schwab, von Juristen und NationalOkonomeu
von der Pfordten, von Moy, Held, Edel, Pötzl, von Medi-
zinern Textor, Rinecker, Outrepont, Heine, Marcus, von
Philosophen den außerordentlich tätigen Philosophen Hoffman.
Und an seine Seite dürfen wir Las au Ix setzen, der sich bald
nicht bloß durch seine hervorragenden Charaktereigenschaften»
V Friedrich: Döllinger Bd. ü (1899), p. 185-86.
4. Lasaulx Professor in Wtirzburg. 87
sondern auch durch literarische Produktion und anregende Lehr-
tätigkeit einen geachteten Namen sicherte.
2. Lasaulx' Lehrtätigkeit und wissenschaftliehe Arbeiten.
Lasaulx war damals der einzige Vertreter der klassischen
Philologie; nur noch ein Privatdozent las neben ihm philologi-
sche Fächer. Die Hauptarbeit lag also auf den Schultern La-
saulx*. Und Lasaulx förderte, ein fleißiger Lehrer, sowohl
durch Vorlesungen als Übungen die jungen Philologen nach
Kräften.
a. Lasaulx' Lehrtätigkeit.
Vom Wintersemester 1835/e36 bis zum Wintersemester
1844/45 hat Lasaulx, wie die Würzburger Vorlesungsverzeich-
nisse ausweisen, über folgende Fächer und Autoren Vorlesungen
und Übungen gehalten. Er las regelmäßig über römische Al-
tertümer mit besonderer Rücksicht auf Niebuhrs römische Ge-
schichte, ^) über griechische Altertümer mit Rücksicht auf
die Werke von Wachsmuth und Hermann, über Geschichte
der römischen Literatur nach Bernhardys Grundriß, über
griechische Literaturgeschichte nach demselben, über
Archäologie der Griechen und Römer nach L. 0. Müllers
Handbuch, über Enzyklopädie und Methodologie der philo-
logischen Disziplinen nach F. Wolf. Zweimal las er auch seiner
Vorliebe für Philosophie folgend über Philosophie, nämlich über
Geschichte der alten Philosophie nacli Rixners Handbuch und
eigenen Heften und über Geschichte der christlichen Philosophie
von Augustin bis Nikolaus von Cusa mit besonderer Rück-
sicht auf Rixner. Von Autoren erklärte er Piatons Apologie,
Äschylus' Prometheus, Sophokles' Ödipus Tyrannos, Hippo-
crates de aöre, aquis et locis, Hesiods opera et dies, Ciceros
disputationes Tusculanae und de legibus, Tacitus' Agricola und
Germania. Dieser eifrigen Lehrtätigkeit fehlte es nicht an Erfolg.
Als Lasaulx 1835 seine Professur antrat, zählte die Universität
96 Philologen und Philosophen, bei seinem Abgang 1844 135,
und in der Zwischenzeit bewegt sich die Zahl der Philologen
und Philosophen in den Ziffern 99, 100, 82, 104, 100, 73, 72,
') Man legte damals in Bayern vorschriftsmäßig den Vorlesungen be-
stimmte Bücher zu Grunde, daher die Zusätze, die l^asaulx später übrigens
wegließ.
88 4. Lasaulx Professor in Würzburg.
116, 114, 132, 139, 147, 145, 144, 139, 137. Lasaulx' Vor-
lesungen waren sehr gut besucht, nicht blos von Philologen; auch
Theologen und Juristen hörten ihn gerne.
Trotz dieser Erfolge war Lasaulx mit seinen Studien nicht
recht zufrieden. „Die Wahrheit zu sagen, schreibt er an
seinen Vater am 16. Mai 1836, sehne ich mich herzlich nach
andern Studien, wozu mir die philologischen nur Vor-
arbeiten sind." Diese anderen Studien waren eben die philo-
sophischen. Besonders beschäftigten ihn damals, wie auch
während seiner Wanderjahre, geschichtsphilosophische Pro-
bleme. Er trug sich mit einer Abhandlung : „Über die römische
Geschichte und die inneren Beziehungen des heidnischen
mit dem christlichen Rom". Er schreibt darftber am 29.
Januar 1836 an seinen Schwiegervater Baader, indem er sich
entschuldigt, daß die Abhandlung so lange auf sich warten lasse:
„Je öfter ic.li den Inhalt durchdenke, um so klarer werden mir
die roten Fäden des inneren Gewebes der Gescliichte, um so mehr
neue, oft überraschende Beziehungen und Parallelismen zwischen dem
heidnischen und christlichen Rom finde ich, und um so mehr befestigt
und bestätigt sich mir die große Wahrheit, daß die Vergangenheit
durch die Zukunft bestimmt wird. Wessen Geist es vergönnt wäre,
einzublicken in das innere Leben der Dinge, dem .würde sich alles in
völlig klare Zahlen auseinander legen : er würde sehen, wie die ganze
Geschichte nur eine dialektische Auseinanderbewegung eines unend-
lichen Verstandes ist, worin jeder Moment seine Beziehung auf das
Ganze hat. Wie freue ich mich, dies an dem großen Beispiel der
römischen Geschichte nachzuweiseji, an Tatsachen, die allgemein ge-
kannt, von wenigen nur, wie mir scheint, richtig erkannt und gewür-
digt worden sind; denn unter den älteren hat nur der große Augu-
stinus, unter den neueren der einzige Gust. Postellus das Myste-
rium Roms, worin Babylon und Jerusalem ist, geahnet.*'
Diesem Hang zur Philosophie, der die Philologie nur als
Klein- und Vorarbeit betrachtet, gab Lasaulx sehr bald nach
in seinen wissenschaftlichen Abhandlungen.
b. Lasaulx* wissenschaftliche Arbeiten.
In der Zeit von 1840 bis 1844 ließ er nämlich 9 Abhand-
lungen erscheinen, 8 davon dem Vorlesungsverzeichnis beigege-
ben. So veröffentlichte er 1840 als Rektoratsrede: ^Das pe-
lasgische Orakel des Zeus zu Dodona",^) ein Beitrag zur
Religionsphilosophie, 1841 im Lektionskatalog für den Sommer:
„Über den Sinn der ödipussage",^) in demselben Jahre zur
') Abgedruckt in „Studien (1854), p. 283-315. - ibid. p. 357—373.
4. Lasaulx Professor in Würzburg. 89
Feier des Namensfestes des Königs am 25. August: „Die Söhn-
opfer der Griechen und Römer und ihr Verhältnis zu
dem einen auf Golgatha",^) ein Beitrag zur Religionsphilo-
sophie, 1842 im Lektionskatalog für den Sommer: „Die Gebete
der Griechen und Römer**,'-) in demselben Jahre för das
Winter Vorlesungsverzeichnis: „Die Linosklage**,^) 1843 für das
Sommervorlesungsverzeichnis: „Der Fluch bei den Griechen
und Römern",^) für das Wintervorlesungsverzeichnis: „Prome-
theus, die Sage und ihr Sinn**,-'') ein Beitrag zur Religions-
philosophie, 1844 für das Sommervorlesungsverzeichnis: „Der
Eid bei den Griechen**,^) und für das Wintervorlesungsver-
zeichnis; „Der Eid bei den Römern**.^) Die nähere Charak-
teristik dieser wissenschaftlichen Abhandlungen und ihre Bedeu-
tung für Lasaulx' Philosophie behalten wir einer besonderen
Schrift über Lasaulx* Philosophie vor. Aber jetzt schon dürfen
wir sagen, daß Lasaulx sich vor seinen damaligen Kollegen
durch seine literarische Produktivität rühmh'chst bemerkbar machte.
Daher blieben auch Anerkennung und Auszeichnungen nicht aus.
S. Beförderung, akadeniisclie Würden und Geschäfte.
Lasaulx' Wirksamkeit auf dem Katheder und in der Li-
teratur sowie sein vornehmer, ritterlicher .(Charakter verschaffte
ihm bald Beförderung seitens der Regierung und die Achtung
der Kollegen. Moy schreibt am 24. Juli 1836 über Lasaulx
an Döllinger: „Lasaulx hat sich bei allen, die ihn kennen ge-
lernt, Achtung und Liebe erworben. Er arbeitet nui* zu viel;
denn ein anhaltendes Kopfweh, woran er auf eine beunruhigende
Weise leidet, ist wohl zunächst die Folge übergroßer Anstren-
gung.** Schon 2 Jahre nach Antritt seiner Professur erfolgte
Lasaulx' Beförderung zum Ordinarius. Am 10. August 1837
wurde er zum ordentlichen Professor ernannt und ihm ab 1.
September 1837 eine dem Dienstgehalt zuzuschlagende Gehalts-
erhöhung von 200 fl rheinisch bewilligt. Davon mußte Lasaulx
wieder 23 fl 1 Kreuzer Tax-, Boten- und Stempelgebühr ans
Sekretariat der Universität und 10 fl Ausschreibegebühr an die
Untermainkreiska^se bezahlen. ^) Eine Reihe akademischer Ehren-
') In „Studien'* (1854), p. 233-282. - -) ibid. p. 137-158. -- =') ibid.
p. 345-356. — *) ibid p. 159-177. — ^) ibid. p. 316-344. - «) ibid. p.
177—207. — ') ibid. p. 208—232. — ") 8. Personalakt von Lasaulx an
der Universität Würzburg.
90 4. Lasaülx Professor in Würzbürg.
ämter wurde ihm in der Folge übertragen. Seit 1838 war er
Mitglied der Bibliothekkommission, für 1839/40 deren Vorstand,
seit 1837 fungiert er als Konservator des antiquarischen Mu-
seums, das erst von ihm ins Leben gerufen wurde. Seit 1839
ist er Vorstand des Münzkabinetts. 1840/41 wurde er zum Rek-
tor gewählt. Seine Wähler hat er freilieh in einem Briefe an
seine Mutter als unzuverlässige Leute charakterisiert. Da seine
Frau die bevorstehende Wahl nach Koblenz gemeldet hatte,
bittet er, zu schweigen, da der Charakter von neun Zehntel sei-
ner Wähler durchaus keine Garantie biete, da& sie, wenn von
einer gewissen Seite gegen ihn intriguiert würde, ihrem jetzigen
Entschlüsse treu blieben. Von 1841 — 44 gehörte er dem Senate
an. In all diesen verschiedenen Amtsverhältnissen bewährte sich
Las au Ix als ein geschäftsgewandter, und was wir noch höher
schätzen, als ein durchaus rechtlicher, freiheitlich gesinnter und
humaner Mann. Die Senatsakten und noch mehr die Dekanats-
akten der philosophischen Fakultät Würzburg aus den Jahren
1837 — 44 gewähren uns einen interessanten Einblick in Denk-
und Sinnesart Lasaul x', in seine Haltung gegenüber der Wis-
senschaft, gegenüber Kollegen und gegenüber den Studenten.
Den Studenten gegenüber dringt er auf Erfüllung der
damaligen Vorschriften über Inskription und Besuch der Vor-
lesungen. In den Examina, die er als Prüfungskommissär beim
Gymnasialabsolutorium, an der Universität aus den allgemeinen
Wissenschaften, bei den Lehramtskandidaten und bei privaten
Gelegenheiten abzunehmen hat, weiß er wohl, was er der Wis-
senschaft schuldet, zeigt aber auch durch Berücksichtigung äu-
ßerer Verhältnisse der Kandidaten Sinn für Billigkeit und edle
Humanität. Ebenso gewinnt Lasaulx unsere Sympathieen, wenn
wir ihn im Verkehr mit Kollegen betrachten. Wissenschaft-
liche Größen sind leider nicht immer auch moralische Größen.
Daher denn auch alle jene vielberufenen Intriguen, die, eine un-
angenehme und häßliche Beigabe, zu allen Zeiten, allerorten
und in allen Fakultäten das akademische Leben schänden. Es
gehört ein großes Maß von Menschenkenntnis, große Gewissen-
haftigkeit und ein hoher idealer Sinn dazu, sich von derlei Trei-
ben rein zu halten. Waren auch die kollegialen Verhältnisse
in der philosophischen Fakultät damals nicht schlimm, so fehlte
es doch auch nicht an Reibungen und Intriguen und Angriffen.
Lasaulx wußte solchen Machenschaften gegenüber seine Rechte
zu verteidigen; er wahrt sich die Rechte des Separat votunis gegen
4. Lusaulx Professor in Würzburg. 91
VerköjQiiieruiigsversuche, ^) wehrt unberechtigte Angriffe auf seine
Ehre, wie sie der Professor Fröhlich gegen ihn machte, mit
aller Entschiedenheit ab. Als dieser „Kollege" nämlich in einem
Separatvotum denunziatorisch mit der Spitze gegen Lasaulx be-
merkt hatte, seit einem Jahre sei nicht ein einziges Werk der
griechischen chorftihrenden Geister im Lyrischen, Epischen und
Dramatischen, eines Pindar, Homer, Aristophanes, Sopho-
kles erklärt worden, wies Lasaulx in einem eigenen Votum,
das dem Senate vorgelegt werden mußte, den Denunzianten mit
überlegener Geistesschärfe und wahrhatt bei&endem Spott zurück. ^)
Nicht weniger ideal als zu Kollegen und Studenten sehen
wir Lasaulx seine Stellung in rein wissenschaftlichen Ange-
legenheiten auffassen und durchführen.
In seinem Eifer für Wissenschaft und deren Pflege fordert
er in erster Linie die nötigen Hilfsmittel, dringt, als ihm die
Universitätsbibliothek hierin mangelhaft schien, auf sofortige Er-
gänzung der Lücken und erlebt die Genugtuung, in dem Streite
mit der Bibliothekskonnnission wenigstens die Erfüllung der drin-
gendsten Wünsche erreicht zu sehen. ^)
Wie gewissenhaft er es mit wissenschaftlichen Dingen nahm,
zeigt er insbesondere auch in der Beurteilung fremder wis-
senschaftlicher Arbeiten. Er weist Arbeiten, die nichts
Neues, die Forschung Förderndes, bieten, rundweg ab; sein Ur-
teil ist eindringend und scharf, wie zahlreictie seiner Gutachten
über Doktorarbeiten und Preisaufgaben auf Zirkularen zeigen.
Die hohe Auffassung, die er von Universität und Wissen-
schaft hat, bekundet er ferner in der Forderung der Freiheit
des Unterrichts. Als der Antrag auftauchte, eine bestimmte
Reihenfolge für die philologischen Vorlesungen einzuführen, spricht
er sich gegen eine vorgeschriebene Ordnung aus, „wie sie denn
auch der deutschen Universitätsbildung, die auf Freiheit der
geistigen Bewegung beruht, gänzlich widerstreiten würde." ^)
Ins hellste Licht rückt Lasaulx' hohe Schätzung der Wis-
senschaft, wenn wir seine Anträge auf Errichtung neuer Pro-
fessuren und deren geistvolle Motivierung lesen. Wiederholt
erklärt er, er halte es für nützlich und wünschenswert, daß alle
Hauptfächer der Universität doppelt besetzt werden, denn zwei
*) 8. Dekanatsakten der phil. Fakultät 1838. — -) Dekaaatsakten 1838 :
Beschwerde Lasaulx' vom 14. Dezember. — ^) Akten der Universität Würz-
burg 1837. — *j Akten des Rektorats und Senats der kgl. Universität Wttrz-
bnrg betr. die Verleihung der philologischen Stipendien, 10. April 1840.
92 4. Lasanlx Professor in Wtirzburg.
Lehrer können immer mehr bieten als einer. ^) Er verlangt im
Jahre 1840 außer einer zweiten Professur für griechische und
römische Philologie und einer Professur für Sanskrit na-
mentlich auch, daß für deutsche Philologie eine eigene Pro-
fessur gegründet und für dieselbe Jakob Grimm berufen werde.
Die ebenso patriotische als wissenschaftliche Begründung seines
Antrages lautet:
„Diese Wissenschaft, die schönste Frucht deutschen Fleißes und
deutscher Treue, welche die Vergangenheit unseres Volkes mit der
Gegenwart verknüpft und eben darum seine Zukunft gewährleistet, ist
vorzugsweise geeignet, den Gefahren zu begegnen, die aus einseitiger
Begeisterung für das griechische und römische AUertum nicht selten
hervorgehen. Darum erlaube ich mir, den Antrag zu stellen: Die
philosophische Fakultät möge Seine Majestät unsern König ehrfurchts-
voll bitten, auch an unserer Universität eine Professur für altdeutsche
Literatur zu gründen und hiefür den Professor Jakob Grimm, als
den besten Repräsentanten deutsclier Gesinnung und Wissenschaft zu
berufen." ^)
Und 1842 stellt er am 13. August den Antrag auf Wieder-
herstellung des Lehrstuhles der Sanskritliteratur an der Uni-
versität WOrzburg mit folgender für seinen weiten Blick charak-
teristischen Begründung;
,Das Studium des Sanskrit und seiner Literatur, durch gelehrte
Engländer im vorigen Jahrhundert nacti Europa gebracht, seit dem
Anfange dieses Jahrhunderts auch in Deutschland heimisch, hat seit-
dem so bedeutende Resultate geliefert, dafs dadurch der Horizont fast
aller "historischen Wissenschaften wesentlich erweitert worden ist. Sie
zu nennen wird genügen. Die vergleichende Sprachforschung, nament-
lich die Etymologie, hat durch Aufnahme des Sanskrit und die gleich-
zeitig angestellten Untersuchungen übei- die Geschichte der deutschen
Sprache eine Richtung erhalten, die für die Geschichte des mensch-
lichen Bewußtseins nicht minder große Entdeckungen verspricht, als
die Geologie für die Geschichte der Erdbildung. Welchen Gewinn die
Religionsphilosüphie aus der indischen Literatur schon jetzt gezogen
hat, ist jedem bekannt, welcher den Forschungen über das Rätsel der
alten Religionssystenie nicht ganz fremd geblieben ist.
Bei diesem Stand der Frage würde eine Universität, als univer-
sitas litterarum, unter ihrem Begriff bleiben, wenn sie sich dem Stu-
dium des Sanskrit verschließen, an dem Bau dieses neuen Feldes der
Wissenschaft keinen Anteil nehmen, lernbegierigen Jünglingen keine
Gelegenheit geben wollte, sich mit einer Wissenschaft bekannt zu
machen, die für den Philologen wie für den Historiker, für den Philo-
sophen wie für den Theologen vom höchsten Interesse ist. . . . Wir
^) Akten des Rektorats und Senats der kgl. Universität Würzburg
betr. die Verleihung der philolog. Stipendien 1840: Dekanatsakten 1842 (12.
Oktober); ibid. 1838 (1. Dezember;. - -) ibid. 1840 (1. März).
4. Lasaulx Professor in Würzburg, 9S
glauben darum im Geiste Seiner Majestät des Königs zu handeln, des-
sen erhabener Sinn die ganze Bildung seiner Zeit in sich aufgenom-
men hat, *) wenn wir den Wunsch aussprechen, daß auch an hiesjger
Universität die früher bestandene Professur der Sanskritliteratur wie-
derhergestellt werde/ ^)
Wir mögen also Lasaulx betrachten in seinem Wirken
für Pflege der Wissenschaft, in seinen Beziehungen zu Kollegen
und Studenten, immer tritt er uns als eine ideal gerichtete, rit-
terliche, humane Erscheinung entgegen.
4. Abschluß der Tätigkeit in Wttrzbnrg und Ernennniig
zum Professor in Mttnchen.
Als Lehrer, als Schriftsteller, als Kollege, als Mensch, hatte
sich Lasaulx hohes Ansehen und große Beliebtheit erworben.
Einen schönen Beweis davon sollte er noch vor seinem Scheiden
von Würzburg erhalten. Es hatte sich das Gerücht von La-
saulx' Berufung nach München verbreitet, die am 5. Septem-
ber 1844 vom König zu Berchtesgaden bereits vollzogen war.
Da richtete der akademische Senat am 8. September 1844 an
das Ministerium des Innern die Bitte, Lasaulx in Würzburg zu
belassen. Die Begründung des Gesuches ist für Senat und La-
saulx und jene Zeit so charakteristisch und ehrend, daß wir
das Gesuch wörtlich hieher setzen. Der Senat schreibt:
„Öflfenthche Blätter verbreiten die uns offiziell noch nicht zuge-
kommene Nachricht, daß Ew. K. Majestät geruht haben, den Professor
Dr. Ernst v. Lasaulx dahier als Professor der Philologie nach Mün-
chen zu berufen, v. Lasaulx ist anerkannt einer der ausgezeichnet-
sten und angesehensten Lehrer unserer Hochschule, sein offener und
männlich biederer Charakter, seine entschieden sittliche und religiöse
Richtung und Haltung, seine durch Gründlichkeit und Eleganz gleich
ausgezeichnete Wissenschaft, sein gehaltvollei* durch glänzende Dar-
stellung unterstützter Lehrvortrag haben ihm die Achtung und das
Vertrauen seiner Kollegen ebenso wie die Zuneigung und begeisterte
Anhänglichkeit seiner Zuhörer begründet und ihm die Möglichkeit ge-
sichert, auf den Gang der dahiesigen Universitätsangelegenheiten im
Allgemeinen und auf den guten Geist der Studierenden insbesondere
in höchst vorteilhafter Weise einzuwirken. Seine Verdienste als Ge-
lehrter und Prüfungskommissär, seine Leistungen im Lehramte und
Rate der Universität sind sicher Ew. K. Majestät nicht unbekannt,
vielmehr von Allerhöchstdenselben durch gegenwärtigen elirenvollen
Ruf an die Hochschule der Hauptstadt allergnädigst gewürdigt und
^) Daß diese Wendung keine Übertreibung war, ersieht man am besten
aus Sepp: Ludwig Augustus 1903 bes. c. 20, p. 241 ff. — -) Dekanats-
akten der phil. Fakultät Würzburg 1842 (13. August).
94 4. Lasaulx t^rofessor in Wttrzburg.
anerkannt worden. Unter diesen Umständen müßten wir den Abgang
dieses trefflichen Gelehrten für unsere Universität als einen, unersetz-
lichen Verlust halten, und Ew. k. Majestät werden uns gewiß den
Wunsch nicht verargen, diesen Mann wo möglich zum Besten unserer
Hochschule uns erhalten zu sehen. Diesen Wunsch glaubten w^ir um
so eher Ew. k. Majestät vortragen zu dürfen, als nach unserem un-
vorgreiflichen Ermessen das Bedürfnis, den Prof. Dr. v. Lasaulx un-
serer Hochschule zu erhalten, größer sein dürfte, als jenes, ihn für die
Münchener Hochschule zu gewinnen. In München ist die Lehrstelle
der Philologie doppelt besetzt, die erste Lehrstelle wird durch einen
Philologen von europäischem Rufe — Thiersch ^) — bekleidet; mit
ihm müßte v. Lasaulx als zweiter Lehrer seine Wirksamkeit teilen,
während, unbeschadet der Blüte des philologischen Studiums zu
München, ein minder ausgezeichneter Gelehrter das zweite Lehrfach
der Philologie ausfüllen dürfte. Unsere Hochschule besitzt nur eine
philologische Lehrstelle, während die noch im Steigen begriffene Fre-
quenz des philosophisch-philologischen Studiums — das letzte Semester
zählte 135 Immatrikulierte — keineswegs unbedeutend, und es grade
ein anerkannter Vorzug der kleineren Hochschulen ist, daß bei ihnen
eine Einwirkung auf den Geist der Studierenden im einzelnen eher
möglich ist als bei den größeren. Daher ist es von höchster Wich-
tigkeit, diesen einen Lehrstuhl hier besonders tüchtig zu besetzen,
und wo möglich den bereits bewährten Mann darauf zu erhalten, der.
wie wir versichert sind, so gerne in unserer Mitte weilt, und in einein
scheinbar kleineren Wirkungskreise vielleicht zur Zeit Besseres im
Dienste seiner k. Majestät zu leisten vermag als in dem ihm zuge-
dachten größeren. Sind wir auch von der Allerhöchsten Weisheit und
väterlichen Fürsorge Ew. k. Majestät vollkommen überzeugt, daß Aller-
höchst dieselbe bei Wiederbesetzung der hiesigen philologischen Lehr-
stelle sicher darauf Bedacht nehmen würden, uns möglichst tüchtigen
Ersatz für das Verlorene zu gewähren, so bezweifeln wir doch die
Möglichkeit, sofort einen Mann aufzufinden, der v. Lasaulx' Stellung
und Autorität vollkommen auszufüllen vermöchte. Ew. K. Majestät
umfassen mit gleicher Liebe alle Landesuniversitäten und haben un-
serer einzig als rein katholische ^) Hochschule anerkannten Julius-
Maximilians-Universität die größten Beweise allerhöchster Gnade ge-
geben. Vertrauensvoll legen wir daher durch Ew. Majestät Ministerium
des Innern unsere Wünsche vor dem allerhöchsten Throne nieder und
hoffen, wenn nicht höhere Gründe die allerhöchste Weisheit zum
Festhalten des gefaßten allerhöchsten Beschlusses bestimmen, die alier-
gnädigste Gewährung der alleruntertänigsten Bitte: Ew. K. Majestät
möge geruhen, den Prof. Dr. Ernst v. Lasaulx der katholischen
Julius-Maximilians-Universität allergnädigst zu belassen." ^) Gezeich-
net Dr. Reißmann (damals Rektor).
«
Lasaulx selbst tat ebenfalls Sehritte, um in Wttrzburg
bleiben zu können und richtete ein Sehreiben an den Minister.
'} 1784-1860. — ') So 1844. Heute nach 60 Jahren sind die Katho-
liken an dieser Hochschule fast völlig verdrängt. — ") s. Akten des Rekto-
rates und Senates der kgl. Universität Würzhurg betr. Dr. £. v. Lasaulx.
4. Lasaulx Professor in Würzburg. Ö5
Seine Stimmung gibt ein Brief vom 11. Sept. 1844 wieder. Er
schreibt an seinen Vater von Wflrzburg aus:
„Es ist kein Zweifel, daß man mir bei der Versetzung wohl
wollte, auch ist dabei mein bisheriges Gehalt um 200 fl vermehrt
worden; ich würde aber in München in sehr verhetzte Verhältnisse
hineinkommen, während ich hier fast die angenehmste Stellung an
der ganzen Universität einnehme. Ich habe mich seit 10 Jahren in
die hiesigen Verhältnisse eingelebt, man hat mich sehr gern, ich habe
volle Muße, den Studien, die mir lieb sind, nachzugehen, und bin so
frei und unabhängig, als ein bayrischer Staatsdiener nur immer sein
kann. Auch meiner Frau wäre der große Umzug jetzt sehr beschwer-
lich, die Witwe ihres Vaters in München keine angenehme Zugabe,
unsern Kindern das dortige Klima vielleicht schädlich, von euch wären
wir sehr weit entfernt. Sollte freilich der König auf seiner mir erwie-
senen Gnade, wie er meint, bestehen, so müßte ich mich in Gottes
Namen aufraffen und den Kämpfen entgegengehen, die dort unfehlbar
meiner warten."
In ähnlichem Sinne hatte Lasaulx schon am 6. August
1844 an Görres geschrieben:
„Wenn einige meiner Münchener Freunde bei der erledigten
zweiten Professur der Philologie wieder an mich gedacht, haben, so
danke ich ihnen dafür zwar bestens, wünsche aber in vollem Ernst
keine Versetzung, und werde mich in keinem Falle darum bewerben.
Ich lebe hier ruhig meiner Familie und den Studien, die mir lieb sind,
man hat mich gern, und auch ich bin jetzt gern hier."
Die vereinten Gesuche des Senates und Lasaulx' hatten
keinen Erfolg. Am 14. September 1844 wurde das Gesuch des
Senates abschlägig beschieden. Es hatte sein Bewenden bei der
Ernennung Lasaulx* zum Professor der Philologie und Ästhetik
in München. Vom 1. Oktober 1844 an war Lasaulx in provi-
sorischer Eigenschaft ernannt mit einem Gehalt von 1825 fl, wo-
von nach erlangter definitiver Diensteseigenschaft 600 fl den
Standesgehalt und 725 fl den Dienstesgehalt zu bilden haben,
dann mit einem dem Dienstesgehalt hinzuzurechnenden, norma-
niäßig zu vergütenden Naturalbezug von 2 Scheffel Weizen und
7 Scheffel Korn des Jahres, im Geldanschlag zu 100 fl. La-
saulx ging also nach München. Seine schlimmen Vorahnungen
erfüllten sich dort in mehr als einer Beziehung. Davon handeln
wir in den nächsten Kapiteln.
5. Kapitel.
Lasaulx als Publizist und Vorkämpfer in der
Kölner Sache (1837).
Motto: „Ich stimme überall für die
frische grüne Wahrheit ohne
alle Furcht."
Oörres, Briefe I, 814.
Ehe wir Lasaulx in seiner Münchener vielgestaltigen Wirk-
samkeit folgen, müssen wir seines publizistischen Hervortretens
gedenken in seiner eisten Würzburger Zeit. Das geschah in 2
öffentlichen die Christenheit l)erührenden Angelegenheiten.
l. Aufruf für die Franziskaner in Jerusalem.
Zum ersten Mal trat Lasaulx publizistisch hervor 1838
in den Historisch-politischen Blättern mit dem Aufsatze: „An
Guido Görres, zum Zwecke einer Sammlung für die Mönche
in Jerusalem".^) Lasaulx schildert hier seine Erlebnisse im
hl. Lande, wie er sie in den oben mitgeteilten Briefen nieder-
gelegt, und die Eindrucke, die er erhalten hat. Zum Schlüsse
tritt er für die Franziskanermönche ein, die Wächter am hl. Grabe,
und fordert zu ihrer Unterstützung durch milde Gaben auf. La-
saulx schließt seinen Artikel vom 5. Sept. 1838 mit der Ent-
rüstung über die Gleichgültigkeit der Mächtigen gegenüber dem
hl. Lande und der eindringlichen Bitte an die Christen um Hilfe
für die armen Söhne des hl. Franziskus.
.»Aber die Wehmut bat einen starken Zusatz von Zorn über
die" Mächtigen Europas, die nach dem Sturz der lateinischen Waffen
alles getan haben, um das bittere Wort Dantes zu verdienen, wenn
er die Wiege des Christentums das Land nennt, welches der Sultan
beherrscht. Die ärmsten aller Ordensbrüder von der Regel des hl.
^) vgl. Hist.-pol. Blätter liil. II, p. 241 ff*, und wieder „Studien* von
Lasaulx (1854), p. 504—10.
5. Lasaulx als Publizist und A'orkämpfer in der Kölner Sache. 9*7
Franziskus und die spärlichen Almosen, welche sie in Spanien und
Italien erbetteln müssen, sind die einzigen, die den christlichen Namen
in diesen Ländern erhalten, wie damals ihr Stifter den einstürzenden
Lateran auf seinen Schultern gestützt hat. Denn seitdem statt christ-
licher Ideen in der Politik die Seiltänzererfmdung des europäischen
CUeichgewicIites und die materiellen Interessen des Tages herrschen,
wer gedenkt da noch der verlassenen Mönche in Jerusalem? Seit
auch Spanien, durch den Wahnsinn seiner Könige von einheimischem
Blute getränkt, keine Zuschüsse mehr senden kann, sind die Armen
in Italien nicht mehr imstande, ihre Brüder in Palästina zu er-
halten: finden sie bei den Christen in Deutschland und Frankreich
keine Hilfe, so bleibt ihnen, menschlich zu reden, nichts übrig als am
Grabe Christi- zu verhungern. Zu Paulus' Zeit steuerten alle Ge-
meinden aus fröhhchem Herzen „für die Heiligen zu Jerusalem"; der
geistigen Güter Jerusalems teilhaftig geworden, hielten sie es für
biUig, ihr leiblichen Dienst zu erweisen, und der Apostel selbst über-
brachte die Almosen. ^) Gäbe gegenwärtig jeder Christ in Deutsch-
land nur einen Kreuzer des Jahres, es könnten damit viele Tränen
getrocknet, und die europäische Chiistenheit vor unsäglicher Schmach
bewahrt werden. Gott, der die Herzen der Könige lenkt, bessere auch
uns.'' ^)
Der Artikel ist gezeichnet: Peter Eiusiedler. Lasaulx
trug damit eine Dankesschuld ab für die Gastfreundschaft und
Pflege, die er bei den Franziskanern in Palästina gefunden
hatte. Die Bitte Lasaulx' hatte Erfolg.
Bewährte sich Lasaulx in diesem Artikel als einen Mann
von dankbarer Gesinnung, so zeigt ihn das Auftreten in der
Kölner Sache als einen begeisterten Kämpfer für Recht und
Freiheit der katholischen Kirche.
2. Lasanlx' Auftreten in der Kölner Sache.
Zum Verständnis der Sachlage schicken wir einige histori-
sche Notizen über Anlaß und Entstehung des Kölner Strei-
tes voraus.
1. Vorgeschichte des Konflikts.
Wilhelm IIL von Preußen hatte durch Kabinetsordre vom
17. August 1825 bestimmt, daß die nur für die östlichen Pro-
vinzen geltende Deklaration vom 21. Nov. 1803 hinsichtlich der
Mischehen auch für Rheinlande und V^estfalen gelten solle.
Diese Deklaration verbot die Verträge über Kindererziehung vor
Abschluß der Ehe und verfügte, daß alle Kinder der Religion
^) Römer 15, 26 ff.; Korinth. I, 16; II, 9. - ') Studien p. 509-10.
Stölzle: Ernst von Lasanlx. 7
98 0. LasHuls als Publizist und Vorkämpfer in der Kölner Sache.
des Vaters folgen niQMen, wenn nicht beide Eltern über den
Unterricht ihrer Kinder einig seien. Die pflichttreuen katholi-
schen Geistlichen kümmerten sich um diese Deklaration nicht.
Die Regierung schritt gegen sie ein und suchte anderseits die
bischöflichen Behörden für den königlichen Erlaß zu gewinnen.
Die Bischöfe der westlichen Provinzen wandten sich nach Rom.
Die Verhandlungen mit dem Papste führte der zweizüngige Bun-
sen. Das Resultat derselben war das Breve vom 25. März 1830
an die Bischöfe von Köln, Trier, Münster, Paderborn. Dem
Breve war noch eine Instruktion des Kai'dinals Albani vom 27.
März beigegeben. Das päpstliche Breve wurde den Bischöfen
von der Regierung nicht mitgeteilt, sondern nebst der Instruk-
tion vom 27. März 18o0 nach Rom gesandt, und Bunsen sollte
vom Papste Änderungen verlangen, d. h. die Entfernung der dem
preußischen Hofe mißliebigen Stellen aus beiden Aktenstücken
durchsetzen. Das gelang nicht. Man versuchte nun von den
Bischöfen Zugeständnisse über das Breve hinaus zu erlangen.
Zwischen dem Erzbischof Spiegel von Köln und Bunsen kam
am 19. Juni 1834 eine Konvention zustande, für welche auch
die übrigen 3 Bischöfe gewonnen wurden. Diese Konvention
machte das päpstliche Breve so gut wie illusorisch. Es gab
vielfach Verwirrung in der Diözese in der Behandlung der ge-
mischten Ehen; das sog. „rote Buch**, oder wie der eigentliche
Titel hieß: „Die Beiträge zur Kirchengesehichte des 19. Jahr-
hunderts 1835**, legte die Bedrückung der katholischen Kirche
in Preußen unter besonderer Betonung der gemischten Ehen
dar. In Rom hatte man am 15. März 183(5 Aufklärung ver-
langt, Bunsen leugnete die Konvention einfach ab. Inzwischen
war Spiegel gestorben, Altenstein ließ bei Klemens August
Freiherrn v. Droste-Vischering, Weihbischof von Münster,
anfragen, ob er bereit sei, die „in Gemäßheit** des Breve vom
25. März 1830 zwischen Bunsen und Erzbischof Spiegel in
Berlin getroffene Cberehikunft vom 19. Juni 1834 bezüglich der
gemischten Ehen, welcher auch die übrigen Bischöfe beigetreten
seien, „aufrecht zu erhalten**, falls er einer Diözese als wirk-
licher Bischof vorgesetzt werde. Der Bischof gab eine den
Minister befriedigende Antwort und wurde zum Erzbischof von
Köln gewählt. Bunsen erlangte von drei Bischöfen Schreiben,
welche dem hl. Stuhl für Erlaß des Breve dankten, die Nicht-
veröffentlichung der Instruktion Albanis entschuldigten, über die
Konvention aber hinweggingen. Bunsen glaubte, den hl. Stuhl
h. Lasaulx als Publizist und Vorkämpfer in der Kölner Sache. Uö
neuerdings überlistet zu haben. Aber der Bisehof von Trier,
Joseph von Ho mm er, hatte angesichts des Todes dem Papste
Gregor XVI. ober die Konvention in einem Sehreiben die
Wahrheit mitgeteilt und alle in dieser Sache begangenen Irrtü-
mer widerrufen. Bunsen war entlarvt. Der Streit entbrannte
aufs neue und zwar durch Klemens August, Erzbischof von
Köln. Zuerst gab es Streit mit dem Erzbischof wegen der
Hermesianer. Der Erzbischof schloß das Seminar in Köln,
verbot den Theologen in Bonn, ausgenommen Klee, ^) Vorlesun-
gen zu halten, und machte Anstellung und Beförderung der
Geistlichen von der Unterzeichnung von 18 gegen die Hermesia-
ner gerichteten Thesen abhängig. Die Regierung nahm die Her-
mesianer in Schutz, gab aber später dem Erzbischof zu ver-
stehen, sie wolle bezüglich der Hermesianer ihm freie Hand las-
sen, wenn er hinsichtlich der gemischten Ehen ihre Forderungen
erfülle. Der Erzbischof hatte sehr bald den Widerspruch zwi-
schen Breve und Konvention erkannt und richtete sich nach dem
Breve, nach der Instruktion nur dann, wenn es dem Breve ge-
mäß w^ar. Infolgedessen wurden die Verweigerungen von kirch-
lichen Trauungen gemischter Ehen häufiger. Es gab Klagen.
Der Oberpräsident der Rheinprovinz, der Minister v. Altenstein
mahnten den Erzbischof, der Erzbischof antwortete dem Minister,
er bleibe bei der gemäß dem Breve geschlossenen Übereinkunft,
gehe aber nicht darüber hinaus; der Minister mahnte aufs neue.
Die Klagen über verweigerte kirchliche Einsegnung gemischter
Ehen mehrten sich. Dazu hatte von dem Briefe des Bischofs
Joseph V. Hommer an den Papst auch die Öffentlichkeit Kunde
bekommen. Die Regierung war in schwieriger Lage und suchte
nun den Er^sbischof zur Befolgung der Konvention zu bewegen.
Die Verhandlungen mit dem Erzbischof befriedigten die Regie-
rung nicht. Altenstein richtete ein von Bunsen ausgearbei-
tetes Schreiben an den Erzbischof am 24. Oktober, der Erz-
bischof antwortete am 31. Oktober und lehnte die zugemutete
freiwillige Resignation ab. Am 4. November wurde in Berlin
die gewaltsame Wegführung des Erzbischofs besonders auf Bun-
sens Drängen beschlossen. Der Erzbischof gab der Bevölkerung
Kunde von der ihm drohenden Gefahr. Die Aufregung in den
Rheinlanden war groß. Am 20. November 1837 wurde der
Erzbischof abends 7 Uhr gefangen nach Minden abgeführt. Die
') Kath. Theplogieprofessor (1800—40).
i *
100 5. Lasaulx als Publizist nnd Vorkämpfer in der Kölner Bache.
Regierung veröffentlichte das von Bimsen verfaßte verleum-
derische Publik an dum, worin der Erzbischof zu einem Aufrüh-
rer gestempelt war, der sich mit Willkör über die Landesgesetze
hinweggesetzt, das königliche Ansehen verkannt und verwirrende
Störung in geordnete Verhältnisse gebracht, ja selbst Schritte
zur Aufregung der Gemüter zu tun sich zuletzt nicht gescheut
habe. Der Papst Gregor XVI. verurteilte am 10. Dezember
1837 in einer AUokution den Gewaltakt der preußischen Regie-
rung vor aller Welt.
Der Minister Altenstein hatte unter dem 15. November ein
Schreiben an das Kölner Domkapitel gerichtet, worin er die be-
kannten unwahren Beschuldigungen gegen den Erzbischof wieder-
holte, den Se. Majestät zu Ihrem großen Bedauern in die Un-
möglichkeit habe versetzen müssen, sein Amt zum Verderben
des Staates zu gebrauchen, und das Domkapitel aufgefordert, die
Herstellung einer geordneten kirchlichen Regierung auf kanoni-
schem Wege einzuleiten. Das Schreiben wurde am 21. Novem-
ber, ehien Tag nach der gewaltsamen Wegführung des Erz-
bischofs, den versammelten Domherrn, die allein am Erzbischof
Verrat übten, übergeben. ^)
Die Entrüstung über das Vorgehen der preußischen Regie-
rung war allgemein. Auch Las au Ix war natürlich Feuer und
Flamme über das Unerhörte. Schon wenige Tage nach der
WegfQhrung des Erzbischofs am o. Dezember 1837 schrieb er
von Würzburg an Görres:
Würz bürg. 8. Dezt^mber 1837.
„Lieber verolirlei' Freund und Onkel! . . . Was sagen Sie zu
den Maßregeln der kgl. preußischen Regierung gegen den Katholizism.
zu dem Gewaltstreich der Berliner Soldatenregierung gegen den Erz-
bischof von KölnV Mich wurmt die Geschichte verflucht. Mit Ge-
walt werden alle mannhaften Katholiken in den extremsten Liberalism
gedrängt. Man muß absolute Preßfreiheit fordern, dann allein kann
ein ehrlicher Kampf der Ideen stattfinden. Alle Übel einer zügellosen
Presse sind Kinderspiel gegen die notwendigen Folgen einer diploma-
tischen Zensur. Ein Märtyrer seines Glaubens zu werden, darf dem
einzelnen zugemutet werden, ihm bleibt ja nichts anderes übrig; der
Masse aber und einer ganzen Bevölkerung so etwas anmuten wollen,
scheint mir eine alberne Sentimentalität. Die Geschichte wenigstens
beweist, daß, wer dem Feind gegenüber sich strikt auf der Linie des
sog. Rechtes hält und ihn nicht mit gleichen Waffen bekämpft, syste-
matisch unterdrückt und zertreten wird. Hier gilt das Wort: .,Nicht
^) Zum Vorstehenden vgl. Brück: Geschichte der kath. Kirche in
Deutschland im 11). Jahrhundert Bd. TT (1889). p. 2G8 ff.
5. Lasaulx als Publizist und Vorkämpfer in dor Kölner Sache. IUI
Frieden zu bringenj sondern das Schwert bin ich gekommen.'* Sie
kennen die empfindlichen Seiton jener gleisnerischen Heuchler . . . ^),
erheben Sie noch einmal Ihre Donnerstimme, schlagen Sie ohne Er-
barmen zu, es ist ein gutes Werk, reißen Sie ihnen alle alten Narben
auf, denn es ist eine verruchte Rasse. . . . Wie immer Ihr getreuer
Ernst."
Dieser Brief ist zweifach interessant: Er spiegelt die Auf-
regung und den Zorn Lasaulx' (iber Preußens Vorgehen in
der Kölner Sache, dann aber erfahren wir aus diesem Briefe,
daß die erste Anregung zu Görres späterem „Athanasius"
von Lasaulx kam. Lasaulx ließ es aber nicht bei bloßen Wor-
ten bewenden. Als am 6. Januar 1838 in der außerordentlichen
Beilage der „Allgemeinen Zeitung" ein „Staatsmann vom Rhein"
eine Rechtfertigung des preußischen Verfahrens versuchte, da
griff Lasaulx zur Feder und wandte sich einerseits gegen
Altensteins Schreiben an das Kölner Domkapitel, anderseits
gegen die Ausführungen des „Staatsmannes vom Rhein". Das
geschah in der Schrift: „Kritische Bemerkungen Ober die
Kölner Sache. Ein offener Brief an Niemand den Kund-
baren und das urteilsfähige Publikum von Peter Ein-
siedler, herausgegeben von E. v. Lasaulx." 2) Die Schrift
ist charakteristisch für Lasaulx. Hier schon erkennen wir den
späteren Parlamentarier. Darum müssen wir auf den Inhalt der
Schrift näher eingehen. .
2. Die Streitschrift.
Zunächst setzt sich Lasaulx mit Altensteins Schreiben
an das Kölner Domkapitel in wenigen Seiten auseinander. Alten-
stein gebe 4 Gründe für die Deportation des Erzbischofs an:
1. sein Verfahren gegen die Hermesischen Professoren in
Bonn, deren Lehre durch das päpstliche Breve verdammt sei;
2. des Erzbischofs Behauptung, daß päpstliche Breven dogmati-
schen Inhalts der Genehmigung der protestantischen Staatsregie-
rung nicht bedürften, um für alle Katholiken verbindlich zu sein;
3. die Tatsache, daß der 18. Artikel der Thesen, welche der
Erzbischof seinen Diözesangeistlichen zur Unterschrift vorgelegt
habe, gleichfalls dahin gehe, in Sachen katholischer Lehre und
Kirchendisziplin den recursus ad principeni zu untersagen;
4. das Verfahren des Erzbischofs hinsichtlich der gemischten
M Nicht wiederzugeben. — -) In Kommission der Stahelschen Buch-
handlnng 1838.
102 5. Lasaulx als Publizist und Vorkämpfer in der Kölner Sache.
Ehen. Diesen letzten Gegenstand, der nach Altenstein nur
einen Appendix zu den 3 vorhergehenden Punkten bilde, habe
der Erzbischof als den eigentlichen Grund des ihm angedrohten
Verfahrens hervorgehoben. Lasaulx bezichtigt Altenstein des-
halb der Unwahrheit. Der vierte Punkt sei tatsächlich der
eigentliche Grund des Vorgehens gegen den Erzbischof gewesen;
das beweise schon der Umstand, daß der Minister ja den Erz-
bischof vor seiner Wahl gerade wegen seiner Stellung zu den
gemischten Ehen habe fragen lassen, beweise die aktenmäßig
festgelegte Tatsache, wonach der Minister dem Erzbischof ange-
boten habe, er wolle die Hermesianer ihrem Schicksal über-
lassen, wenn der Erzbischof nur in den gemischten Ehen nachgeben
wolle. Die erhobenen 4 Beschuldigungen seien vom Standpunkte
der katholischen Wahrheit ebenso viele Lobeserhebungen. Nicht
Verbrechen, sondern Tugenden werfe H. v. Altenstein dem
Erzbischof vor. ^)
Im zweiten größeren Teil der Schrift setzt sich Lasaulx
mit der Rechtfertigung des preußischen Vorgehens auseinander,
welche „ein Staatsmann am Rhein" in der außerordentlichen
Beilage der „Allgemeinen Zeitung" vom 6. Januar 1838 versucht
hat, und zerpflückt mit Ironie und Spott und in vielfach maß-
loser Weise die vier Gedankenreihen des „Staatsmannes vom
Rheine".
1. Zur Rechtfertigung der Verhaftung des Erzbischofs
führt der Artikelschreiber zweierlei aus.
Erstens: Der König, dessen Gerechtigkeit und Wohlwollen
alle anerkennen, habe nur aus zwingenden Motiven gegen den
Erzbischof Maßregeln ergriffen. Diese zwingenden Motive liegen
in staatsgefährlichen Grundsätzen und Umtrieben. „Die Beiträge
zur Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts",-) die belgischen
Zeitungen, ^) die Gespräche hinter dem warmen Ofen ^) und andere
außerhalb der Rheinprovinz fabrizierte Schriften zeigen den Feind
der Regierung.'*) Lasaulx findet es sonderbar, den Erzbischof
für 3 Schriften, die im Auslande fabriziert und gedruckt wor-
den, verantwortlich zu machen und ihn als Staatsgefangenen auf
die Festung Minden zu deportieren. Auch dürfte es in einem
so „erleuchteten" und literarisch betriebsamen Staat, wie der
*) Lasaulx a. a. 0. p. 3—5. — -) Auch „das rote Buch** genannt
(1835). — ') In Belgien sahen die Katholiken damals ihr Ideal der Freiheit
erfüllt. — ^) „Winterabend-Unterhaltungen am warmen Ofen" hieß eine da-
malige Flugschrift. - ^) Kritische Bemerkungen p. 6—7.
5. Lasaulx als Publizist und Vorkämpfer in der Kölner Sache. 108
kgl. preußische, nicht schwer fallen, jene drei papiernen Feinde
mit ihren eigenen Wafien, d. h. gleichfalls schwarz auf weiß, in
den „Berliner Jahrhüchern für wissenschaftliche Kritik"?
in der „Evangelischen Kirchenzeitung:", in der „Staatszei*
tung" und fQr geringes Geld in allen übrigen zu bekämpfen,
ihre unwahren Behauptungen zu widerlegen, ihre etwaige Bos-
heit durch die gewandte Feder des wahrheitsliebenden Dr. Bun-
sen ^) nach Gebühr zu züchtigen, sie durch die unwiderstehliche
Gewalt der absoluten Vernunft in der Hegeischen Staatsphilo-
sophie vollständig zu vernichten. '-)
Zweitens bemerkl der Artikelschreiber, die oben genann-
ten 4 Punkte, welche Altenstein oder richtiger Bunsen an
das Kolner Domkapitel schreibe, seien wahr. ^) Lasaulx gibt
das zu, aber in all dem kann er kein Verbrechen sehen, außer
die zufällig protestantische Regierung wollte denn behaupten,
daß zwar nicht der katholische Glaube, aber die praktische Aus-
übung des katholischen Glaubens ein strafwürdiges Verbrechen
sei. ^) Dagegen sei unwahr und verleumderisch die Insinuation
von „zwei revolutionären Parteien**. V^eder Altenstein noch
der „Staatsmann am Rhein'' habe es beweisen können, daß
die „beiden revolutionären Parteien" anderswo als in ihren Vor-
stellungen existieren, oder man müßte denn alle für revolutio-
när halten, die zwar dem Kaiser geben, was des Kaisers ist,
im übrigen aber Gott mehr gehorchen als den Menschen. Wenn
freilich dieses das Kriterium ist, daß einer revolutionär sei, dann
war Christus selbst der ärgste Revolutionär und der Erzbischof
Klemens August dürfe es sich schon gefallen lassen, auch ein
Revolutionär genannt zu werden, ja alle wahren Katholiken seien
stolz darauf, gleichfalls echte Revolutionäre in diesem Sinne
zu sein. ^)
2. Dem negativen Teil läßt der Artikelschreiber einen posi-
tiven folgen und zählt zur weiteren Rechtfertigung des Königs
die Wohltaten auf, welche die Katholiken dem König zu ver-
danken haben. Lasaulx beleuchtet die einzelnen Wohltaten der
Reihe nach.
*) In zwei Anmerkungen überführt Lasaulx in scharfen Ausdrücken
I'Unsan der Unwahrheit ibid. p. 7 und 9. — '-') ibid. p. 7—8. In einer
Schloßanmerkung legt Lasaulx p. 41 — 46 den antikatholischen Charakter
der Hegeischen Philosophie der Geschichte im besondern durch Anführung
zahlreicher Stellen dar und sieht den letzten Grund von Preußens Haltung
gegenüber den Kathohken in eben dieser preußischen Staatsphilosophie. -
•) s, a. 0. p. 9-10. - *) ibid. p. 11. - ') ibid. p. 10-11.
104 5. Lasaulx als Publizist und Vorkämpfer iii der Kölner Sache.
Als erste Wohltat bezeichnet es der Artikelschreiber, daß
während der französischen Okkupation der Rheinlande das
Gouvernement die Bischöfe ernannte, und der Papst nur die Be-
stätigung hatte. Jetzt dagegen wählen die Domkapitel ihre Bir
schöfe und haben nur darauf Rucksicht zu nehmen, daß sie kei-
nen wählen, welchem der König das Placet zu verweigern Grund
habe. Lasaulx erklärt: Diese Wohltat ist keine. Es sei eben
vertragsmäßiges Recht, daß katholische Fürsten und Regierungen
die Bischöfe ernennen. In Preußen aber könne doch ein pro-
testantisches Oberhaupt die katholischen Bischöfe nicht nach sei-
nem Gutdünken oder etwa auf deji Vorschlag seiner Hoflprediger
ernennen. Die preußische Regierung sei mit dem Papste über-
eingekommen, daß die katholischen Bischöfe Preußens von
ihren Kapiteln gewählt werden, und der König nur das Recht
haben solle, die Gewählten zu genehmigen oder zu verwerfen.
Wer Sr. Majestät von Preußen das Recht der Bestätigung oder
Verwerfung streitig machen wollte, würde einen Frevel an sei-
nem Majestätsrecht begehen, wer aber die freie Wahl des Ka-
pitels hindere oder durch heimliche Munkeleien beeinflusse,
frevle auch am Recht. Die Kapitel hätten bei ihren Wahlen
durchaus keine andere Rücksicht zu nehmen als ihr bestes Wis-
sen und Gewissen. Wer anders lehre, mache die Wahl zu einem
frechen Spiel mit dem Heiligen. Auch wirke nichts so innerlich
korrumpierend als eine Wahl, die keine sei. Offizielle Wünsche
und Insinuationen seien hier viel verderblicher als Befehle; denn
diesen könne man sich äußerlich ujiterwerfen und doch innerlich
frei bleiben. Mit der ersten Wohltfit sei es also nichts. Dank
werde nur empfunden für etwas, was auch ohne positives Un-
recht verweigert werden konnte; das sei hier nicht der Fall. ^)
Ebenso erweist Lasaulx die zweite Wohltat als nichtig.
Diese soll dfirin bestehen: Zur französischen Zeit war die Dota-
tion der Bischöfe der Willkür der Gouvernements überlassen
und niedrig bemessen, unter der preußischen Regierung wurde
der Erzbischof zu Köln mit einem gesicherten und hohen Ein-
kommen dotiert. Zur Charakteristik dieser Wohltat bemerkt
Lasaulx, alle Civil- und Militärbeamten seien in Preußen auf-
gebessert worden, also auch die Bischöfe. Auch sei diese Ge-
haltserhöhung nicht eine besondere königliche Gnade, sondern
müsse vertragsmäßig gemäß der Bulle: „De salute auimarum"
') a. a. 0. p. 12—18.
5. Lasaulx als Publizist und Vorkämpfer in der Kölner Sache. 105
ausbezahlt werden. Ein gesetzlicher Pflichtteil dürfe nicht eine
Wohltat genannt werden. Ferner sei es unwahr, von einer Do-
tation der Bischöfe zu reden. Die preußische Regierung habe
sich zwar gemäß der genannten Bulle vom 16. Juli 1821 zur
Dotation verpflichtet, aber dieses Versprechen sei heute — 1838 —
noch nicht eingelöst. Der Vorwurf der Undankbarkeit^ den der
Artikelschreiber dem Erzbischof und den Katholiken mache, sei
also unbegründet. Er sei es besonders in diesem Falle, da ja
der Erzbischof ausdrücklich für seine Person auf diesen pflicht-
mäßigen Gehalt aus der Staatskasse verzichtet habe. ^) Lasaulx
schließt :
„Allen diesen Tatsachen nun ins Angesicht, schämen Sie sich
da nicht. Herr Staatsmann, dem Erzbischof und seinen katholischen
Brüdern am Rhein Undankbarkeit für erhaltene Wohltaten vorzuwerfen?
Wenn sich hier Ihr Gewissen nicht regt, so müßte ein Kritiker ja fast
zweifeln, ob Sie ein Gewissen hätten. Ich habe es Ihnen schon ge-
sagt: Hüten Sie sich, die sittlichen Begriffe und unsere Sprache also
zu verderben. Es ist ein Vorzug der deutschen Sprache, daß sie die
Dinge mit ihrem wahren Namen, benennt; verderben Sie uns diese
Sprache nicht, sie ist ja fast das einzige, woran sich die zerrissenen
Bruderstämme unseres einst großen Volkes noch wieder erkennen
können.*' ^)
Der Staatsmann hebt als dritte Wohltat die bessere Ein-
richtung des Schulwesens unter der preußischen Regierung ge-
genüber der französischen Herrschaft hervor. Lasaulx gibt
diese Tatsache unumwunden zu; aber das sei nicht etwas spe-
ziell Preußisches, sondern etwas Deutsches; wären die Rhein-
lande z. B. bayrisch, so würden sie sich in der Beziehung we-
nigstens derselben Segnungen einer deutschen Regierung
zu erfreuen haben. Dann geht Lasaulx dazu über, einzelne An-
gaben des Staatsmannes als unwahr zu erweisen. Unwahr sei
es, daß die Lektionen der katholisch-theologischen Professoren
in Bonn der Approbation des Erzbischofs unterliegen. Unwahr,
daß die Lehrer der Priesterseminarien in Köln und Trier ganz
in den Händen des Erzbischofs resp. Bischofs seien. Recht-
lich sollte die AnsteUung der katholisch-theologischen Professo-
ren in Bonn und Köln nur mit Genehmigung des Erzbischofs
geschehen, rechtlich sollten die Vorlesungen der genannten
Bonner Professoren der Approbation oder Reprobation des Erz-
bischofs unterworfen sein. Aber weil der Erzbischof von
jenem Rechte Gebrauch gemacht habe, sei er auf die
') ibid. p. 18 -15. - ') ibid. p. 16.
106 5. Lasaulx als Publizist und Vorkämpfer in der Köln^ Sache.
Festung Minden deportiert worden! Nach diesen KonstAtierun-
gen müsse jeder den Artikelschreiber entweder für einen ge-
dankenlosen Romanschreiber oder einen böswilligen Sophisten
halten, i)
Als vierte Wohltat führt der „Staatsmann" an, zur fran-
zösischen Zeit durften nur 4 Feiertage außer den Sonntagen ge-
halten werden, die preußische Regierung habe deren 14 jährlich
gestattet, die Prozessionen seien nirgends mehr verboten, son-
dern werden gesetzlich geschützt. Auch darin kann Lasaulx
keine Wohltat sehen, das sei einfach selbstverständlich, sein Ge-
genteil zu denken grenze fast ans Absurde. ^) Erstaunt ruft La-
saulx aus:
„Sollte es wirklich dahin gekommen sein, daß Ihr „väterlich ge-
sinnter König", der den Juden erlaubt, daß sie wenigstens 60 nicht-
christliche Feiertage im Jahr, wie es ihre Religion gebietet, ungestört
feiern dürfen, daß dieser „gerechte und wohlwollende König** seinen
5 Millionen katholischer Untertanen, deren religiöse Gewissensfreiheit
er feierlich garantiert hat, etwa nicht erlauben sollte, 14 katholische
Feiertage nach dem Willen der Kirche zu feiern: sollte es dahin ge-
kommen sein, daß es den Katholiken als eine Wohltat vorgeworfen
wird, daß ihnen die x4usübung der unschuldigsten Handlungen ihrer
ReHgion gestattet ist, Handlungen, die keinen Menschen auf der gan-
zen Welt beeinträchtigen! Herr Staatsmann, Sie sind ein insolenter
Mensch. Wäre ich ein Preuße, ich würde Sie geradezu öffentlich vor
G(?richt ziehen, weil Sie die unerhörte Insolenz begehen, Ihren „in
der ehrfurchtgebietenden Glorie einer 40jährigen väterlichen Regierung
dastehenden König '* dadurch loben zu wollen, daß Sie der Welt und
ihm ins Angesicht sagen, die Regierung „dieses gerechten und wohl-
wollenden Königs" sei wirklich milder, als die Napoleonische Soldaten-
herrschaft, mit der Sie dieselbe vergleichen? . . . Jedenfalls . . . macht
es Ihrer Kenntnis des Staates, dem Sie dienen, schlechte Ehre, daß
Sie , wo es sich darum handelt , dem Publikum klar zu machen,
was die protestantische Regierung Preußens für die katholischen
Rheinlande getan habe, keine anderen Wohltaten anzuführen wissen
als 4, von denen 3 keine sind, und die übrig bleibende eine teils
keine preußische ist, teils aber Verhältnisse berührt, — deren entsetz-
liche faktische Wahrheit die bitterste Ironie gegen Ihre Darstellung
derselben abgibt." ^)
3. Nach Beleuchtung dieses Versuches, den Katholiken Un-
dankbarkeit vorzuwerfen, tritt Lasaulx der Rechtfertigung der
Regierung bezüglich der gemischten Ehen entgegen. Der
Staatsmann macht drei Waffengänge.
Im ersten führt er aus, der Staat könne in Sachen der
gemischten Ehen weder den Standpunkt der katholischen Kirche
ibid. p. 16 20. - -) ibid. p. 2Ü--22. =\ ibid. p. 22-24.
5. Lasaulx als Publizist und Vorkämpfer in der Kölner Sache. 107
allein noch den der evangelisehen Kirche allein einnehmen, denn
im ersten Falle mü&ten dann alle Kinder aus gemischten Ehen
katholisch, im letzten protestantisch werden, der Staat könne imr
den der Gerechtigkeit einnehmen. Lasaulx erklärt diese Tricho-
tomie: 1. Standpunkt der katholischen Kirche, 2. Standpunkt der
kgl. preußischen Religion, 3. Standpunkt der Gerechtigkeit weder
für katholisch noch logisch.^) Nicht katholisch; denn
,die katholische Kirche lehrt bekanntlich, dafs, weil in Christus
die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig" ist (Koloss. 2, 9) und in ihm
alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft beschlossen sind (Koloss.
2, 3), eben darum in der wahren Lehre Christi, als welche die katho-
lische Kirche allein unverfälscht erhalten hat. alle möglichen Stand-
punkte menschlicher Erkenntnis rektifiziert, d. h. auf ihren richtigen
Standpunkt zurückgeführt sind. Es gibt somit außer dem einen allein
wahren Standpunkt der katholischen Erkenntnis keinen möglichen an-
deren Standpunkt, welcher der wahre sein könnte, denn die Wahrheit,
mein Herr, hat das Eigentümliche, daß es außer ihr keine Wahrheit
gibt.^ «)
Den Standpunkt des Staatsmannes findet Lasaulx aber
auch unlogisch. Die Unterscheidung eines dreifachen Stand-
punktes und die Entgegensetzung des Staudpunktes der Gerech-
tigkeit a. gegen den katholischen, b. gegen den sog. evangeli-
schen Standpunkt sei absurd, denn der Artikelschreiber gestehe
ja damit, daß sein eigener „evangelischer" Standpunkt nicht der
Standpunkt der Gerechtigkeit sei, daß somit auch dasjenige, was
er selbst für wahr halte, nicht gerecht sei. Wenn also seine
Wahrheit ungerecht und seine Gerechtigkeit unwahr sei, wie
möge er da andern seine unwahre Gerechtigkeit aufdringen?
wie an eine lügenhafte Gerechtigkeit appellieren und diesen
Standpunkt lügenhafter Gerechtigkeit als den Standpunkt
der Regierung, der er doch Achtung schulde, andern anrühmen? ^)
Der Staatsmann holt aus zu einem zweiten Waffengang:
der König müsse diesen Standpunkt (nämlich der unwahren Ge-
rechtigkeit) einnehmen sowohl wegen seines persönlichen Glau-
bensbekenntnisses als auch deshalb, weil er neben 5 Millionen
Katholiken 8 Millionen Protestanten beherrsche, verpflichtet durch
Gottes Gebot. ^) Lasaulx nennt es eine Blasphemie, zu sagen,
der König sei verpflichtet, eine seinem eigenen Glaubensbekennt-
nis widersprechende, somit nicht nur objektiv, sondern auch sub-
jektiv für ihn selbst unwahre Gerechtigkeit auszuüben. Als Pro-
') ibid. p. 25—26. - ') ibid. p. 26. — ') ibid. p. 26-27. — ') ibid.
p. 27—28
lU8 5. Lasaulx als Publizist und Vorkämpfer iu der Kölner Sache.
testant sei er verpflichtet, die Pflicliten seines Glaubensbekenut-
hisses zu erfüllen, und könne er nicht nebenher noch nach an-
deren Prinzipien handeln. ^)
, Jedem Mensehen ist seine Religion das Höchste, sie ist die
innere Kraft seines Bewußtseins und seiner ganzen Handlungsweise
— alles was er tut, soll er in Kraft seines religiösen Bewußtseins
vollbringen. Weil nun aber seine Religion jedem das Höchste und
Wahrste ist, darum kann es ihm nicht gestattet sein, neben diesem
höchsten Regulativ seiner Handlungsweise und unabhängig davon noch
ein anderes Prinzip zu befolgen, und diesem ein noch höheres Recht
einzuräumen, als dem Höchsten, was ja eben dann nicht mehr das
Höchste für ihn sein könnte. Oder meinen Sie etw^a. die Religion sei
nur so etwas Einzelnes, Besonderes, iVpartes für sich, und man dürfe
daneben sich noch alles mögliche andere erlauben: etwa wie es nach
bürgerlichem Gesetz nicht verboten ist, neben seiner Eigenschaft als
„Staatsmann'' auch noch die andere eines frivolen und irreligiösen
Menschen zu haben? oder w^ie einer als untergeordneter Praktikus
wohl ein ganz brauchbares Subjekt sein, in der Logik, Geschichte und
im historischen Recht aber völlig unwissend und in allen übrigen Be-
ziehungen ein alberner Schwätzer sein kann? Meinen Sie es so, Herr
Ritter, mit der Religion? Dann muß ich Ihnen ehrerbietigst bemerken,
daß Sie nicht wissen, wovon die Rede ist." ^)
Vom Standpunkte des Königs aus lautet nach den Aus-
führungen des Staatsmannes die Entscheidung dahin: Die Eltern
haben volle Freiheit, die Konfession ihrer Kinder zu bestimmen;
treffen die Eltern keine Bestimmung, so sollen die Kinder in der
Religion ihres Vaters erzogen werden. Die Geistlichen dürfen
durch Belehrung und Ermahmnig die betreflFende Ehehälfte be-
stimmen, die eigenen Kinder nicht einer fremden Konfession zu
überlassen, aber nicht von beiden Ehegatten das förmliche Ver-
sprechen fordern, sämtliche Kinder katholisch oder evangelisch
werden zu lassen. Lasaulx erklärt diesem Standpunkt gegen-
über: Gemischte Brautleute dürfen doch von der Freiheit, die
künftige Konfession ihrer eventuellen Kinder zu bestimmen, Ge-
l)ranch machen. Dann sei die Sache einfach. Nach der Beleh-
rung über die gemischten Ehen, wie sie das päpstliche Breve
gebe, haben sich die Brautleute zu entscheiden. Gestehen sie
nicht die Erziehung aller Kinder in der katholischen Religion
zu, dann erklärt der Priester, er könne eine solche Ehe nicht
kirchlich einsegnen, aber er erkenne sie als gültig, wenn auch
unerlaubt, an. Die höhnischen Bemerkungen, als ob solche Hal-
tung der Priester nicht zum Evangelium des Friedens und der
') ibid. p. 28-29. - *) ibid. p, 29,
5. Lasaulx als Publizist und Vorkämpfer in der Kölner Sache. 109
Liebe stimme, hält Lasaulx die Worte Christi entgegeo: Nicht
solchen Frieden zu bringen, sondern das Schwert der Wahrheit,
bin ich gekommen (Matth. 10, ?f4) und hütet euch vor denen, so
in Schafspelzen kommen und sind doch gierige Wolfshunde. ^)
Der „Staatsmann" rechtfertigt seinen Standpunkt mit einer
dritten und letzten Darlegung: Wenn die katholische Kirche
im Falle der Verweigerung der katholisclien Kindererziehung
ihren Segen verweigere, und die evangelische Kirche im. Falle
der Verweigerung der protestantischen Kindererziehung ähnlich
verfahre, dann würde keine gemischte Ehe stattfinden. Nun fin-
den aber doch gemischte Ehen statt, keine der beiden Kirchen
könne sie verhindern. Da müsse der Staat ins Mittel treten. ^)
Lasaulx bestreitet diese Argumentation. Wenn beide Kirchen
auf ihren Satzungen bestehen, so werden dennoch resp. kirch-
liche und völlig rechtsgültige Ehen stattfinden, nur daß im Falle
der Verweigerung katholischer Kindererziehung die katholische
Kirche die feierliche Einsegnung solcher Ehen verweigert, im
Falle der katholischen Kindererziehung gemischter Brautpaare
die evangelische Kirche die feierliche Einsegnung dieser Ehe
verweigert. Die Einmischung des Staates sei also überflüssig.
Wenn der König diese Sache ganz den beiden Kirchen überlasse,
weil das Einsegnen doch einmal eine kirchliche und keine poli-
tische Handlung sei, so entstehe weder ihm noch seinen Unter-
tanen sowohl Katholiken als sämtlichen übrigen Glaubensgesell-
schaflen der geringste Nachteil. Es handle sich nicht um Nach-
giebigkeit gegen Katholiken oder Protestanten, sondern lediglich
und allein darum, daß beiden ihre Glaubensrechte, die ihnen
durch feierliche Verträge garantiert wurden, ungeschmälert und
ungekränkt verbleiben und wirklich auszuüben gestattet sein soll.
Dies sei der allein richtige Standpunkt, welchen der Staat in
dieser Sache zu nehmen habe. '^)
4. Endlich nimmt Lasaulx den Erzbischof in Schutz gegen
den Vorwurf des Wortbruches. Der Erzbischof habe sich
nur dazu verpflichtet, in dieser Sache gemäß dem päpst-
lichen Breve zu handeln, und auf die bekannte Anfrage Alten -
Steins erwidert, „er werde sich wohl hüten, jene, gemäß dem
päpstlichen Breve getroffene Konvention nicht auszuführen".
Als er aber später gemerkt habe, daß die Berliner das Wort
Ausführung in dem Sinne von „Aus dem Landehinausfüh-
') ibid. p. 29-83. — - ibid. p. 83—84. ') ibid. p. 85—86.
llO fi. LüKSuuix als Publizist und Vorkämpfer in der Kölner Sache.
rung" oder Deportation des päpstlichen Breve genommen hätten,
da die Konvention das päpstliche Breve geradezu umstörze, da
habe der Erzbischof diesen schlechten Berliner Witz nicht weiter
berücksichtigt, sondern habe als ein ehrlicher Mann das Breve
wirklich ausgeführt, weshalb ihn die Berliner in ihrer Weise
gleichfalls aus seiner Diözese geführt haben. Es sei perfide
Frechheit, dem Erzbischof Wortbruch vorzuwerfen, nachdem,
die ihm dieses vorwerfen, in derselben Sache das dem Papste
und den Katholiken feierlich gegebene Wort selber freventlich
gebrochen haben. ^)
Zum Schlüsse hebt Lasaulx seine Übereinstimmung mit
dem Artikelschreiber in wenigstens einem Punkte hervor: näm-
lich es sei nur ein zufälliger Umstand, daß der preußische
König der evangelischen Kirche angehöre. ^) Aber Lasaulx
kann nicht begreifen, warum der zuföUig protestantische König
gar keinen einzigen katholischen Minister, keinen katholischen
General, keinen katholischen Oberpräsidenten, fast keinen katho-
lischen Gesandten, sondern zufällig lauter protestantische Minister,
nur protestantische Generale, bloß protestantische Oberpräsidenten
und fast nur protestantische Gesandten und Staatsräte habe.
Warum verringere sich in stets abnehmender Progression die
Zahl der Katholiken, je höher die Amtswürden im königlich
preußischen Staate sind? In Bayern habe man einen mit klarem
Wissen und festem Willen katholischen König, der 3^^ Millio-
nen katholische Untertanen und 1 Million protestantische habe,
und doch werde in den höchsten Zivil- und Militärwürden kein
Unterschied gemacht zwischen Katholiken und Protestanten. ^)
Wie sei der sonderbare Zufall mit den nur protestantischen Mini-
stern, Generalen, Oberpräsidenten, Gesandten, Staatsräten etc. zu
erklären?^) Lasaulx schließt mit einer ironischen Apostrophe
an seinen Gegner und einer feierlichen an den Erzbischof:
,Der Mensch ist von Natur ein logisches Geschöpf, einen Zufall
läßt er sioli wohl gefallen, aber eine ganze, wie es scheint, zusammen-
hängende Reihe von Zufällen ist ihm als etwas Unvernünftiges zuwider.
Indem ich Ihren gefälligen Aufklärungen über diese und andere Be-
denklichkeiten dieses vertraulichen Briefes entgegensehe, sind Sie hier-
hiermit bis auf weiteres entlassen und wünsche ich Ihnen und mir,
daß (lOtt uns bessern möge.
') a. a. 0. p. 36-37. - - ibid. p. 37—38. — \ ibid. p. 38—39. -
*) ibid. p. 39. Klagen ähnlicher Art sind auch heute nach mehr als 60 Jah-
ren nicht verstummt.
5 Ijasaiilx als Pnblixist und Vorkünijtt'er in der Koltier Sache. lll
Du aber, ehrwürdiger Seelenhirt Clemens August us, gütiger
und erhabener Greis, der Du den guten Kampf gekämpft hast; sollte
es sich so fügen, daß das Gefängnis Dein Grab würde; Du hast dann
den Trost, den wenige haben in dieser Zeit, daß Du gestorben bist
für eine Idee und die heilige Sache der Freiheit! Darin ist Dir unser
aller Herr vorangegangen, dessen Knecht Du bist und darum keines
besseren Schicksals wert, als Er auf dieser Welt gefunden hat. Amen,
es sei." ^)
3. Beurteilung und Aufnahme der Schrift.
Das der Inhalt der Schrift, die an Deutlichkeit nichts zu
wQnschen tübrig läßt. Besonders hämische Ausfillle gegen Preu-
ßen brachte Lasaulx zahlreich noch in den Anmerkungen an
deu Mann. In einer Zeit von 14 Tagen war die Broschüre ge-
schrieben und gedruckt worden. Schon am 21. Januar 1838
kann Lasaulx die Schrift an seine Freunde versenden. Er
schreibt an Görres aus WOrzburg:
Würzburg, 21 Januar 1838.
„Lieber Onkel I Beifolgend einige Exemplare meiner Schrift für
Sie und die Ihrigen, Fritz W., ^) für Moy, Graf Rech her g, den
Fürsten Karl Wallerstein, Herrn von Abel, Ringseis, Schelling.
Frl. Linder, Phillips und Möhler, '^j Höfler. ^) Ich hoffe nicht, daß
man das Ding mit Beschlag belegen wird, sollte es aber aus über-
großer Ängstlichkeit hier dazu kommen, so nehmen Sie sich in Mün-
chen meiner an, wie Sie für gut finden. Da das Ding jedenfalls in
die literatura miscellanea gehört, so sollte es billig keiner Zensur unter-
worfen sein, da unsere Verfassungsurkunde diese ausdrücklich auf die
periodische politisch-theologische Presse beschränkt. Von seilen der
Darstellung und des Stils bitte ich nicht zu streng zu urteilen, da die
einzelnen Blätter nafs in Druckerei gingen, und ich das Ganze nicht
eher vor mir liegen sah, als bis nichts mehr geändert werden konnt(\
Vielleicht hätte es populärer gehalten sein sollen, aber das ist mir
nicht gegeben. . . . Gott befohlen. Ihr Ernst.
PS. Halten Sie es nicht für unschicklich, ein Exemplar an den
König zu bringen, so habe ich nichts dagegen."
Die Schrift verfehlte ihren Eindruck nicht. Die nächste
Wirkung war — ein Verbot der Schrift. Außerdem wurde sie,
allerdings nicht ohne Grund, für das Frechste erklärt, was in
der Kölner Sache geschrieben worden. Sogar Görres warf
ihr Maßlosigkeit vor. Lasaulx wollte aber diesen Vorwurf, der
doch wohl berechtigt ist, nicht gelten lassen, hielt alle seine
*) ibid. p. 39 -4ü. — ^) Mir nicht bekannt. — "^j Bekannter Theologe
(1796 - 1838). - ■") Historiker (1811—1897).
G. Kapitel.
Lasaulx Professor in München (1844 — 47).
Motto: „Alle Erkenntnis eines fremden Lebens wäre
wei-tlos, wenn wir daraus für die Erkennt
nis und Besserung des eigenen nichts lern-
ten . . . wenn das Zusammenleben mit den
starken und freien Charakteren des Altertums
auf die Bildung unseres eigenen Charakters
keinen Einfluß hätte."
E. V. Lasaulx, Studien V.
Mit schlimmen Vorahnungen und Befürchtungen hatte La-
saulx Wiirzburg verlassen. Sie sollten ihn nicht trügen. Das
erste Unglück traf ihn in seiner Familie. Er verlor in den er-
sten Wochen seines München er Aufenthaltes ein Töchtercheu
Marie durch einen qualvollen Tod. ^) Ein noch schwererer
Schlag harrte seiner in der drei Jahre später erfolgenden Ab-
setzung. Im übrigen eröffnete sich Lasaulx ein weit größerer
und reicherer Wirkungskreis in wissenschaftlicher, geselliger und
politischer Hinsicht als in Würzburg. Wir schildern die Um-
gebung, in die Lasaulx eintrat, seine lehramtliche und wissen-
schaftliche Tätigkeit und den Beifall, den er fand.
1. Frequenz der Universität und Kollegen,
Als Lasaulx Würzburg verließ, zählte die Universität 458
Studenten. In München traf Lasaulx die dreifache Zahl. Die
Frequenz der Universität betrug damals 1334 Studenten und
wies in den Jahren 1844 — 47 von 1426 bis 1487, in den Jah-
ren 1849—61 Besuchsziffern von 1724, 1924, 1961, 1893, 1781,
1731, 1531, 1496, 1437, 1395, 1406, 1358, 1352, 1303, 1329,
1162, 1209, 1199, 1312 Studenten auf. Im Todesjahre La-
') Vgl. Joseph V. (lörres gesammelte Briefe Bd. III, p. 027.
6. Lasaulx Professor in München. 115
saulx' 1861 zählte die Universität 1288 Studenten. Ebenso war
die Organisation, was Lehrstühle und Institute und Attribute be-
traf, viel bedeutender als in Würzburg. In Würzbnrg war
der Kreis der Kollegen verhältnismäßig klein gewesen, da dort
ein Professor oft mehrere Fächer zugleich vertreten mu&te. Auch
besaß Würzburg damals nicht sehr viele bedeutende Gelehrte.
Alles das war in München anders. Hier bestanden viel mehr
Lehrkanzeln, neue wurden geschaffen. Um ehie Vorstellung der
Umgebung zu haben, in die Lasaulx gestellt war, machen wir
die Kollegen namhaft, mit welchen er in der Zeit von 1844 — 47
und 1849 — 61 zusammenwirkte. In der theologischen Fakul-
tät lehrten damals Döllinger, Stadibauer, Reithmayer,
Dirnberger, Haneberg, Amberger, Reischl, später Fuchs,
Permaneder, Ochs, Frohschammer, Hergenröther, Rietter,
Thumann; in der juristischen Fakultät: v. Bayer, Zenger,
Phillips, V. Moy, Haecker, Arndts, Dollmann, Buchinger,
Hildenbrand, Mayer, Bolgiano, Plochmann, Pözl, Kunst-
mann, Bluntschli, Maurer, Held, Roth, Gemeiner, Wal-
ther, Brinz, Seuffert, Löher, Rockinger, Windscheid,
Dahn; in der staatswirtschaftlichen Fakultät: Medicus,
Oberndorfer, Zierl, von Hermann, Zuccarini, Papius,
Schafhäutl, EiHes, Vogel, Fraas, Kaiser, Knapp, Riehl,
Koth; in der medizinischen Fakultät: v. Walther, v. Rings-
eis, Weißbrod, A. und E. und J. Buchner, v. Breslau, Reu-
hel, Schneider, Gietl, Rothmund, Erdl, Berger, Schnee-
mann, Förg, Braun, Horner, Wibmer, Fischer, Mahir,
Hörn, Hofmann, Pettenkofer, Martin, Beraz, Seitz, Kranz,
Ditterich, Schnizlein, Buhl, Harleß, Hofer, Quitzmann,
Frank, Thiersch, Hauner, Pfeufer, Siebold, Lindwurm,
Heßling, Bischoff, Heyfelder, Rothmund jun., Vogel,
Koch, Breslau, Nußbaum, Wolfsteiner, Voit, Ranke,
Brattier, Solbrig; in der Fakultät, der Lasaulx unmittelbar
augehörte, in der philosophischen, wirkten mit und neben
Lasaulx Männer wie Thiersch, Vogel, Schubert, v. Mar-
tius, Siber, v. Görres, Buchner, Gruithuisen, Neumann,
V. Kobell, Steinheil, Maßmann, Wagner, Erhard, Stre-
her, Hierl, Höfler, Müller, Reindl, Lamont, Dempp.. Vo-
gel, Recht, Merz, Prantl, Fuchs, Sepp, Schmeller, Linde-
raann, Beckers, Spengel, Rudhart, Fallmerayer, Seidel,
Söltl, Mair, Sendtner, Ohm, Schmid, Wittwer, Roth,
Schlichtegroll, v. Liebig:, Geibel, Carriere, Schlagintweit,
8*
116 6. Lasaulx Professor in München.
Bodensledl, Huber, Jolly, C. Hofmann, Sybel, CorneHus,
Frohschammer, Halm, Meßmer, Radlkofer, W. Mayer,
Bauer, Bohn, Nägeli, Voigt, v. Lützow, Oppel, Reber,
Sehafhäutl, Löher, Winkler, Weizsäcker, KluckbohD,
Sehwendener, Christ.
So sah sich Lasaulx in Mönchen in einen gro&en Kreis
von Kollegen gestellt, der von Jahr zu Jahr an Zahl und Be-
deutung wuchs. Unter den Kollegen befanden sich nicht wenige,
welche großen Ruf und Namen, ja sogar europäische Berühmt-
heit schon damals besaßen oder sich noch erwarben. Lasaulx
hatte die Aufgabe, nach dem Abgange Hocheders^) neben
Thiersch klassische Philologie und Ästhetik zu vertreten. Er
tat dies mit Eifer und großem Erfolg.
2. Lasanlx' Lehr- und literarische Tätigkeit.
In wissenschaftlicher Hinsicht haben wir aus dieser
Zeit drei Abhandlungen zu verzeichnen, welche in der Akademie
der Wissenschaften vorgetragen wurden. 1846 las er die Ab-
handlung: „Über das Studium der griechischen und römi-
schen Altertümer";*^) 1847 die Abhandlungen: „Über die
Bücher des Königs Numa, ein Beitrag zur Religionsphilo-
sophie", ^) und „Über den Entwicklungsgang des griechi-
schen und römischen und den gegenwärtigen Zustand
des deutschen Lebens, ein Beitrag zur Philosophie der Ge-
schichte." ^)
Daneben entfaltete Lasaulx eine eifi'ige Lehrtätigkeit
Wie in Würzburg erklärte er Klassiker des Altertums: Sopho-
kles (Ödipus rex), Äschylus (Prometheus), Hesiod (opera et
dies), Hippocrates (de a(^re, aquis et locis), Cicero (disputa-
tiones Tusculanae), Tacitus (Agricola und Germania) und fügte
in München noch hinzu: Salin st (coniuratio Catilinaria). Wie
in Würzburg las er: „Über römische Literaturgeschichte,*
„Archäologie der Griechen und Römer", nahm aber dazu
neu: „Vorlesungen über allgemeine Enzyklopädie der
') Schulmann und Philolog (1783-1844). — ') Vorgetragen am 87.
Jahrestag der k. Akademie der Wissenschaften, 28. März, München 1840;
in „Studien" p. 73—91. — ') Abhandlungen der philos.-philolog. Klasse dar
k. b. Akademie d. Wiss. z. München Bd. V, 1. Abt., 1847, p. 88 if. -
*) Vorgetragen zur Feier des Namensfestes Sr. Majestät des Königs am 2^-
August 1847 in der öffentlichen Sitzung der k. Akademie der Wissenschaf-
ten, München 1847; in „Studien^' p. 45-72.
6. Lasaulx Professor in München. 117
Wissenschaften" und über „Ästhetik d. h. Geschichte und
Philosophie der Kunst". ^)
3. Lasanlx' Ruf als Lehrer und Gelehrter.
Der Beifall, den Lasaulx mit seinen Vorlesungen bei den
Studenten fand, war außerordentlich. Er muMe einen der größ-
ten Hörsäle nehmen. Nicht bloß Philologen hörten seine Vor-
lesungen, sondern auch Studierende anderer Fakultäten fanden
sich wie in Wörzburg zahlreich ein. Vier Vorzüge dieser Vor-
lesungen zogen die Jugend an: Glänzende Beredsamkeit und
philosophischer Geist, Begeisterung und Überzeugungstreue. Diese
Vorzüge rühmen Lasaulx auch kritische Naturen und Geg-
ner nach.
Job. Huber war als Hörer Lasaulx' von den Vorträgen
dieses „wahrhaft großen Mannes" elektrisiert und „trunken vor
Entzücken" ^) und gab auch später seiner Verehrung und Aner-
kennung der Lehrtätigkeit Lasaulx' in dem Nekrolog auf La-
saulx beredten Ausdruck. Huber charakterisiert Lasaulx als
Lehrer so: „Eine seltene Gabe glänzender Beredsamkeit, voll
Präzision und Schönheit des Ausdrucks und getragen von der
Wärme eines enthusiastischen, jugendfrischen Gemütes; eine
ideale, poetische und geistreiche Auffassung des Altertums, wie
sie den philologischen Kleinkrämern ewig verschlossen bleiben
wird; eine liberale und edle, das Ehrgefühl des akademischen
Bürgers pflegende und steigernde Behandlung, die leider heutzu-
tag immer seltener wird; dann der Adel eines durchaus charak-
terfesten und männlich freimütigen Wesens machten Lasaulx
bald zu einem der beliebtesten Lehrer an unserer Hochschule,
der weniger durch den wissenschaftlichen Wert seiner Vorlesun-
gen als durch seine Persönlichkeit das zahlreichste Auditorium
um sich versammelte. In dieser Zeit eines immer mehr um sich
greifenden Fanatismus des Fachstudiums verstand er es, wie
nicht leicht noch ein anderer, das Herz der Jugend für die gro-
ßen Ideen der Geschichte zu begeistern und ihren Sinn für
Philosophie und Kunst empfänglich zu machen. Als dieser
Lehrer ist Lasaulx geradezu unersetzlich." ^)
^) Siehe die Vorlesungsverzeichnisse der Universität München von
1844—47. — *) Zirngiebl: Johannes Huber 1881, p. 14 und 818. —
Haber, später Professor der Philosophie in München (1830—1879). —
») Huber: Beilage zu Nr. 139 der Allg. Zeitg. 1861, p. 2265.
11>^ (5. Lasaulx Professor in München.
Auch Felix Dalin,^) obwohl als Verehrer Prautls eüt-
schiedener Gegner von Methode und Weltanschauung Las au Ix',
kann La sau Ix das Zeugnis nicht versagen, daß er ein Lehrer
ersten Ranges war. Dahn schreibt: „Bei dem ultraniontan-
phantastisch -romantisch- mystischen v. Lasaulx gastete ich nur
drei Mal: — ich weiß nicht mehr, in welcher Vorlesung: sein
weiter Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, nicht nur von
Theologen und von ultraniontan gegängelten Studenten anderer
Fakultäten — auch viele nicht also gebundene schwärmten für
den schönen, scliwungvollen Vortrag. Und es ist wahr: Der
Mann hatte seine vortrefflichen Seiten: Die stiittliche Gestalt mit
dem edeln löwenähnlichen, auch von einer Löwenmähne umwall-
ten, durch heftigen Blutandrang geröteten Antlitz, die starke
(freilich etwas zu liohe) Stimme machte günstigsten Eindruck.
Dazu kam die Begeisterung, die zweifellose Überzeugungstreue,
mit der er sprach." ^)
Sogar Prantl, sein Gegner, nmß ihm nachrühmen: „Durch
seine Persönlichkeit übte er auch als Lehrer mittels seiner sitl-
liehen Wärme und phantasievollen Redegabe eine bedeutende
Anziehungskraft auf die Studierenden aus." ^) Lasaulx wollte
nicht bloß Worterklärer, sondern auch sittlicher Erzieher sein. ^)
Holland erzählt: „Wie herrhch wußte er das Verständnis der
großen tragischen Dichter zu entwickeln, wie ergreifend tönten
die sophokleischen Chorgesänge in seinem Munde und der ge-
wuchtige Ernst der äschyleischen Mysterien. Wie staunten die
jungen Leute, die ihre Klassiker nur aus der Behandlung des
Gymnasialstudiums her kannten, über das, was eine geistvolle
Philologie zu erschließen vermöge; welch ein lebenswarmes Bild
erstand aus der Germania; welch eine Schönheit, welch ein
Reichtum von Ideen lag in den mit dem Gymnasialabsolutorium
so freudig beiseite geworfenen Klassikern." ^)
Aber nicht bloß als Lehrer war Lasaulx bedeutend, er
galt jener Zeit auch als ein hochangesehener Gelehrter. Der
Biograph F. W. Thiersch' sein Sohn Heinrich Thiersch, urteilt
über Lasaulx hi dieser Hinsicht: „Der bedeutendste Mann, der
unter Abel an die Münchener Hochschule gesetzt worden, war
^) Prof. der Rechtswissenschaft in Breslau. - -) Erinnerungen von
Felix Dahn; zweites Buch 1891, p. 17—18. — ^) Prantl: Allgemeine deut-
sche Biographie Bd. 17 (1888), p. 728. — Prantl, Prof. d. Philosophie
(1820-18«8); vgl. Christ: Gedächtnisrede auf K. v. Prantl 1889. — *) Hol-
land: Erinnerungen p. 24. — '') Holland: a. a. 0. p. 23—24.
6. Lasaulx Professor in München. 119
Ernst V. Lasaulx, Professor der Altertumswissenschaft, früher
in Würzburg. Er war nicht als Grammatiker groß, aber als
ein mit den Idealen des Altertums erfüllter, für das Erhabene
der antiken Welt, ihre Philosophie, ihre Religion und ihre Cha-
raktere begeisterter Mann. Er wußte das Tiefsinnige und mit
der Offenbarung Verwandte in den Mythen und Philosophemen
der Griechen aufzufinden, hierin mit Görres mehr als mit sei-
nem Schwiegervater Baader verwandt. Er ging in dieser Rich-
tung zu weit, er hielt für gleichartig, was oft nur scheinbar zu-
sammentrifft. Grammatiker sind immer noch zu haben, aber wo
sind unter den Epigonen der Philologie die, welche wie La-
saulx im Geiste des Altertums leben? Sein Charakter war
antik, Menschenfurcht kannte er nicht; so hat er sich später in
der Ständeversammlung, so hat er sich auch in jenen bösen Ta-
gen von 1847 gezeigt." ^)
In ähnlichem Sinne beurteilt Strodl Lasaulx' Bedeutung:
„Da ist es zuerst Lasaulx, ein ganzer Mann und mehr eine
antike Natur, der der Philologie eine neue Richtung gegeben,
gestützt auf Vorgänger wie C r e u z e r , 2) M o s e r , ^) C 1 a u s e n , ^)
Otfried Müller^) und andere. Diejenige Richtung, welche
Thiersch in der Philologie vertrat und deren Haupt einst der
langweilige Polterer Joh. Heinrich Voß gewesen, ist in Deutsch-
land ziemlich verpönt. Damals als die rosenfingrige Eos nach
Bayern geholt worden, um da die cimmerische Finsternis zu ver-
scheuchen, war Thiersch einer der Lichtmänner aus dem Nor-
den. Wir wollen Herrn Thiersch seine Verdienste nicht ab-
sprechen, allein es ist eine Tatsache, daß die Zeit über ihn, wie
über die Weise, in der er die Philologie trieb, weit hinwegge-
schritten ist, er selbst scheint sich wenig mehr damit zu be-
schäftigen. Abgesehen aber von den Erweiterungen, die die
Philologie hinsichtlich der Sprachen und Völker genommen hat,
^) Friedrich Thiersch' Leben, hrsgg. v. Heinrich VV. Thiersch,
Bd. n, 1866, p. 562. — -) Creuzer: siehe Bursian: Geschichte der klassi-
schen Philologie 1883, p. 562 fF. — ') Moser: vgl. Bursian a. a. 0. p. 567.
570. 585 — *) Rudolf Heinrich C lausen, geb. 1807, gestorben als onl. Prof.
an der Universität Greifswald 1840, suchte in dem Werke: „Aeneas und die
Penaten. Die italischen Volksreligionen unter dem EinÜufs der griechi-
schen Vorstellungen" den Nachweis zu führen, daß die Eigentümlichkeit des
italischen Götterglaubens durch den Einfluß griechischer ßildungj und
Mythologie entstellt und nur durch mühsame Kombination aus spärlichen
Spuren der Überlieferung zu erkennen sei (vgl. Bursian: Geschichte der
klassischen Philologie 1883, p. 1213—14. - '') Otfried Müller: siehe Bur-
sian a. a. 0. p. 1007 ff.
120 6. Ijasaiilx Professor in München.
hat sie selbst in dein Bereich des griechischen und römischen
Altertums in der Art an Umfang zugenommen, daß die frühere
Weise durchaus nicht mehr genügt. Die Philologie in der älte-
ren Weise hat immer mehr den lebendigen Geist, der da ins
Leben der alten Völker führen sollte, verloren, sie ward in der
Richtung der bloßen Fonuen und Konjekturen und Textemenda-
lionen wie gebannt, und dies als der fast einzige Zweck gesetzt;
und so entstand jene Sorte von Stock philologen, deren Seligkeit
in einer Abhandlung über d und idv besteht, jener Mikrologen,
die um einiger Spi*achformeln willen den Geist der Sprache wie
des Volkes verloren haben. Über ihnen aber entwickelte sich
eine andere Philologie, die über der Sprache das Leben des
Volkes, das sie gesprochen, nicht vergaß, um in den Geist der
alten Völker, aus dem die Sprache entsprungen, wie in ihr Leben
einzudringen, die, sofern sie die Sprache als Zweck setzt, auch
hierin weiter geht, den Sprachbau in der Weise Grimms be-
handelt und eine Physiologie der Sprachen herzustellen sucht . . .
Hat nun dieser (sc. Stock- und Formelphilologie) Philologie gegen-
über eine andere sich entwickelt, die neben dem äußeren sprach-
lichen und historischen Moment auch das Bewußtsein und innere
Leben der Völker kennen zu lernen suchte, so mußte bald aus
den vielfach verschlungenen Knotenpunkten des antiken Lebens
sich das Bedürfnis einer höheren Einheit fühlbar machen. Diese
höhere Einheit bietet nun das religiöse Moment der Völker, und
diesen widmeten die schon genannten Männer vor allem ihre
Bemühungen; allein auch das religiöse Moment der alten Welt
bietet noch nicht die wahre Einheit, denn es ist in sich selbst
noch ein vielgestaltiges und getrenntes und findet daher notwen-
dig nur wieder in einem höheren Prinzip seine Erklärung, und
dies liegt zuletzt nur im Christentum. Lasaulx hat nun dahin
gezielt, für die einzelnen Erscheinungen des antiken Lebens, be-
sonders in religiöser Beziehung, eine Einheit zu suchen, diesel-
ben so gleichsam heran szupräparieren, daß, nachdem alle andern
Beziehungen erschöpft sind, sie nur eine Seite für eine letzte
Erklärung noch bieten, nämlich die durchs Christentum. Dadurch
hat er die Philologie aus dem Partikularismus und der Abstrak-
tion, in der sie bisher stand, befreit und ihr selbst so wieder
eine konkrete, allgemein-historische, ja philosophische Bedeu-
tung gegeben; denn über den allgemeinen Zusammenhang kann
immerhin nur die Philosophie entscheiden." ^) „Indem Lasaulx
') Strodl: Kirche und Staat in Bayern Schatfliausen 1849, p. 328—30.
6. Lasaul X Professor iu München. 121
in der liöhereii Weise die Philologie erfaßte und sie der Philo-
sophie zuführte, was doch auch die Aufgabe eines Lehrers an
der philosophischen Fakultät sein soll, während er überdies
auch in allen Sphären des geistigen und sozialen Lebens sich
umgesehen hat, und so eine durchgehends allseitige und samt
der höheren idealen Richtung eine durch und durch praktische
Natur ist, so zeigt, sich, welcher Verlust der Universität in ihm
geworden.** ^) Es findet also Strodl ebenso wie der Biograph
Thiersch' die Bedeutung und den Einfilufa Lasaulx' in seiner
mehr auf das Sachliche als das Grammatische gerichteten Art,
Philologie zu treiben, in seiner mehr philosophischen als stock-
philologischen Richtung, mit der er den Geist des klassischen
Altertums der Jugend nahe zu bringen und sie dafür zu begei-
stern wußte. Lasaulx brachte neues Leben in die damals stag-
nierende Fakultät. Strodl bemerkt von Lasaulx, daß er „ein
neues Ferment in die öde dürre, philosophisch-philologische Wüste
brachte, wie er denn auch als Charakter und Mann im ganzen
Sinne des Wortes den größten Einfluß auf die studierende Ju-
gend ausübte, was allerdings für andere störend sein mochte." 2)
Man begreift es, daß Lasaulx wegen dieser Vorzüge bald
einer der beliebtesten Lehrer und von den Studenten hochgeehrt
war. Diese schöne Wirksamkeit erlitt leider eine jähe Unter-
brechung durch Lasaulx' unerwartete Quieszierung.
*) Strodl: a. a. 0. p. 333. — "-) Strodl: Kirche und Staat in Bayeni
1849, p. 137—138.
7. Kapitel.
Lasaulx' Quieszierung (1847).
Motto: ^Dos Menschen Gescbichto ist
sein Charakter/
Goethe.
Seit anfangs Oktober 1846 weilte Lola Montez,^) eine
Tänzerin mit abenteuerlicher und dunkler Vergangenheit, in
München. Es gelang ihr, das Herz des großen Königs Lud-
wig I. und auch Einfluß auf die Staatsgeschäfte zu gewinnen.
Das Ärgernis, das bisher nur ein privates gewesen war, wurde
allgemein und öffentlich, als der König Ludwig die Tänzerin in
den Grafenstand erheben und ihr das hiezu nötige Indigeiiats-
patent verschaffen wollte. Der Staatsrat widersprach am 8. Fe-
bruar 1847 dem Verlangen des Königs. Maurer bezeichnete
in der Staatsratssitzung die Indigenatsverleihung als die größte
Kalamität, die über Bayern kommen könne. Der König be-
stürmte Abel vergeblich. Das Ministerium machte die Sache
zur Kabinettsfrage. Der König schickte nun an die Minister Abel,
Seinsheim, Schrenk, Gumppenberg ein Handbillet, sich die
Weigerung in der Indigenatsfrage nochmals zu überlegen. Dar-
aufhin reichten die Minister am 11. Februar 1847 ein Memoran-
dum ein, worin sie ihre Gründe und Ansichten in der Indigenats-
frage entwickelten und zugleich die Vertrauensfrage stellten.
Abel hatte das Schriftstück verfaßt, alle Minister es unterschrie-
ben. Der König fragte die Überbringer des Tadelsvotums, ob
das das einzige Exemplar sei. Die Frage wurde bejaht. Gleich-
wohl fand auf eine nicht aufgeklärte Weise das Memorandum
seinen Weg in die Öffentlichkeit. Bestürzt rief der König den
Staatsrat Maurer. Auf seinen Rat erhielt Abel einen Tag Be-
denkzeit. Abel blieb fest. Am 16. Februar 1847 bewilligte
^) Vgl. hiezu außer Heigel: Ludwig 1 (1872) bes. auch Sepp: Lud-
wig Augustus 1903, p. 842 880.
7. Lasaulx' Quieszieruiig. 123
der König Abel die von ihm nachgesuchte Enthebung von der
Leitung des Ministeriums, einige Tage später den übrigen Mini-
stern. Der König rief Lola zu: „Alle meine Minister habe ich
entlassen, das Jesnitenregiment hat aufgehört in Bayern." Zu-
nächst zur Verwesung des Ministeriums berief Ludwig L
zu Rhein als Minister des Inneren, Maurer als Justizminister,
den ersten protestantischen Minister Bayerns, Hohen hausen als
Kriegsminister, Zenetti als Finanzminister. Maurer, der früher
gegen die Indigenatserteilung gewesen war, unterzeichnete das
Indigenatspatent, beschwor aber den König, der Folgen halber
keinen Gebrauch zu machen. Freilich vergeblich. So hatte eine
Tänzerin den Sturz des Ministeriums Abel erreicht. Die Geg-
ner frohlockten. Man übersah völlig die unwürdige Ursache des
Sturzes, man vergaß, daß der Minister Abel, so berechtigten
Anlaß zu Tadel seine autokratische Amtsführung vielfach gege-
ben hatte, doch gerade mit Überreichung des Memorandums eine
sittliche Tat vollbracht hatte. Tatsächlich wandten viele, die
sonst Abel nicht gewogen waren, ihm ob des Memorandums
ihre Sympathien zu, so z. B. Prinz Karl, die Kronprinzessin. ^)
Man urteilte von den abtretenden Ministern, daß sie als Ehren-
männer gehandelt haben. -) Der gleichen Ansicht war E. v. La-
saulx. Auch er, obwohl mit Abel in vielen Dingen nicht ein-
verstanden, war entrüstet über den häßlichen Jubel, der sich in
der liberalen Presse beim Sturz der Minister erhob, •^) entrüstet
„über die moralische Schlaffheit, mit der viele die dem Anbruch
der neuen Ära anhaftende Schmach übersahen" ^) und freimütig,
wie er war, voll Begeisterung über Abels Eintreten für die
Würde der Krone, suchte er der damaligen Verlogenheit und
moralischen Begriffsverwirrung der öffentlichen Meinung das Ur-
teil der höchsten wissenschaftlichen Korporation des Landes ent-
gegenzustellen — ein Unternehmen, das für Lasaulx verhäng-
nisvoll werden sollte.
h Lasaulx' Antrag im Senate.
a. Die Sitzung vom 18. Februar.
In der Senatssitzung vom 18. Februar 1847 stellte La-
saulx den Antrag „es wolle der kgl. Senat in corpore dem
^) Erinnerungen des Joh. Nep. Ringseis IM. lll, 269. - -') Thierscli:
Friedrich Thiersch' Leben Bd. II (1866), p. 560, — ») Thiersch: a. a. O.
p. 568. - *) Thiersch: ibid.
124 7. Lasaulx' Quieszierung.
abgetretenen Minister des Innern, Herrn von Abel, eine
Dankaufwartung abstatten**, i) Der Antrag ging aber nicht
in dieser Form durch, sondern es wurde beschlossen, „da& der
Senat nur durch eine Deputation vertreten werde". 2)
Anwesend waren in der Sitzung der Rektor Dr. Weißbrod, der
Prorektor Dr. Phillips, die Professoren Döllinger, Stadi-
bauer, Dollmann, Zenger, Zuccarini, Ringseis, Rotli-
niund, Lasaulx, Siber, Richter, als Sekretär Dr. Richter. 3)
Mehr als diese nackte Notiz enthält das Senatsprotokoll vom 18.
Februar nicht. Von der Debatte, die diesem Beschlüsse vorauf-
ging, erfahren wir aus den Akten nichts. Ringseis erzählt,
eine Stunde nach Schluß der Senatssitzung sei Lasaulx' Antrag
und die darüber erfolgte Diskussion sowie jedes einzelneu Ab-
stimmung dem Ministerverweser bekannt gewesen;^) durch wen,
wird nicht mitgeteilt.
b. Die schriftliche Abstimmung am 19. Februar.
Diesem ersten Akt folgt ein zweiter am 19. Februar,
also tags daranf in Gestalt einer schriftlichen Abstimmung.
Infolge einer vor dem ganzen Schritte warnenden Zuschrift eines
Senators brachte, wie Ringseis ^) erzählt, der Rektor Weiß-
brod die Sache von neuem zur schriftlichen Abstimmung. Denn
ohne Zweifel hatte der Antrag Lasaulx' für den König etwas
Beleidigendes. Bei dieser schriftlichen Abstimmung nun gingen
die Ansichten merklich auseinander. Da schrieb Lasaulx:
„Ich habe in der Senatssitzung vom 18. d. M. den Antrag gestellt:
daß der Senat der L. M. Universität, als der ersten sittlichen Korpora-
tion der Hauptstadt, dem abgetretenen Herrn Minister von Abel seine
Hochachtung darbringen sollte für die ehrenhafte, jeden männlichen
Charakter mit erhebende Haltung, welche er in den verhängnisvollen
Tagen, die wir alle mit erlebt haben, bewahrt, und für alles, was
er bis zu seinem Austritt aus dem Staatsdienst zur Aufrechthaltung
der königlichen Würde getan hat. Ich habe verlangt, daß dieser mein
Antrag in das Protokoll der Senatssitzung aufgenommen werde, und
ich bestehe auf diesem Verlangen fortwährend , ^) unbekümmert um
^) So das Protokoll des Senates der Universität München, Jahrgang
1847. — -) ibid. — -') ibid. Diese akten mäßige Feststellung berichtigt
alle die verschiedenen Lesarten über diese Senatssitzung, wie sie bei den
Darstellern dieses Vorfalls sich finden. — *) Erinnerungen des Joh. Nep.
Ringseis Bd. III (1889), p. 270. — '') ibid. p. 270. - ♦') Das Senatsproto-
koll enthält nur den oben mitgeteilten Beschluß; es ist also dem Verlangen
Lasaulx' nicht entsprochen worden.
7. Lasaulx^ Quiesziemng. 125
alle Rücksichton diplomatischer Klugheit, die ich da, wo es sich um
sittliche Güter handelt, verachte.
Hiernach versieht es sich von selbst, daß ich vor derjenigen
Modifikaton meines Antrages, wt^lche Prof. Döllinger vorgeschlagen
hat, um so weniger zurücktrete, als in den vorgebrachten Bedenklich-
keiten der Herren . . . ^) nichts enthalten ist, was mir beachtenswert
erscheint." ^)
Iij ähnlichem Sinne schrieb Ringseis. Phillips konnte
keine Beleidigung des Königs in einem Danke an den Minister
sehen, auch Stadibauer votierte Dank und Hochachtung.'^)
Diese schriftliche Abstimmung übersandte nach Rings eis der
Rektor Weißbrod an das Ministerium.^) Tatsächlich findet
sich dieses Schriftstück, das ich in den Senatsprotokollen der
Universität München nicht zu entdecken vermochte, mit den Ab-
stimmungen der damaligen Senatoren heute im Personalakt La-
saulx' im Kultusministerium. Ob das Schriftstück auf Verlan-
gen des Ministeriums oder vom Rektor aus freiem Antrieb aus-
geliefert wurde, ist aus den Akten nicht ersichtlich. ^) Die Dar-
steller des Vorgangs schreiben die verhängnisvolle Auslieferung des
Aktes dem damaligen Rektor Weißbrod zu. ^) Es ist begreif-
lich, daß der König durch diese Sprache Lasaulx' aufs äußerste
gereizt und gekränkt war. Es liegen mehrere, mir leider nicht
zugängliche Signate des erzürnten Königs in dieser Angelegenheit
in den Ministerial-Akten vor. Der König antwortete auf Antrag
und Abstimmung Lasaulx' mit der Quieszierung, trotzdem Lola,
welche die große Beliebtheit Lasaulx' bei den Studenten ge-
kannt haben mochte, den König fußfällig gebeten haben soll, von
dieser Maßregel abzustehen.
2. Lasaulx' Quieszieruug.
Unter dem 28. Februar, also 10 resp. 9 Tage nach dem
Antrag vom 18. und der Abstimmung vom 19. Februar, fand
sich der König bewogen, Lasaulx vom 1. März ab in Anwen-
dung des § 19 Absatz 2 der Beilage IX zur Verfassungs-
^) Die Namen gibt Ringseis nicht an. ~ "^ Erinnerungen des Joh.
Nep. Ringseis Bd. III, p. 270—71. -- ') ibid. p. 271. — *) ibid. —
^') Eine gewünschte Abschrift des Schriftstückes wie der Signate des Königs
mitzuteilen, sah sich das kgl. Staatsministerium leider nicht in der Lage. —
«) Strodl: Kirche u. Staat in Bayern 1849, p. 230; Thiersch: Fr. 'Phiersch'
Leben Bd. II (1866), p. 563; Sepp: Görres und seine Zeitgenossen 1877,
p. 516—17; Sepp: Ludwig Augustus 1869, p. 486; Friedrich: Döllin-
ger Bd. II (1899), p. 319—20. -
126 7. Lasaulx' Quieszierung
Urkunde 1) in den zeitlichen Ruhestand zu versetzen. Lasaulx
wurde mit 600 fl pensioniert, — ein schwerer Schlag für den
nicht mit Glücksgütern gesegneten Mann. Am selben Tage kün-
digte ihm der kgl. Ministerialkommissär v. Braunmühl münd-
lich die Pensionierung an. „Dem armen Manne, äu&erte La-
saulx, wurde es schwerer, seines Auftrages sich zu entledigen,
als mir, ihn anzuhören." ^) Am 1. März machte Lasaulx an
der Tür seines Hörsaales folgenden Anschlag:
„Der k. Ministerialkommissär Herr von Braunmühl hat mir
gestern morgens um V2IO Uhr offiziell mündlich angekündigt, dafa
Seine Majestät der König geruht habe, mich zu quieszieren, wodurch
meiner hiesigen Lehrfähigkeit ein Ziel gesetzt ist. Da es mir demnach
nicht erlaubt ist, meine Vorlesimgen persönlich zu schließen, so sage
ich liiermit meinen Herren Zuhörern für die ausdauernde Teilnahme,
die sie denselben bisher bewiesen haben, meinen Dank und ein herz-
liches Lebewohl! München, Montag, den L März 1S47. Dr. E. von
Lasaulx.'" ^)
3, Eindruck uud Nachwirkungen von Lasaulx' Quieszierung*
Die Quieszierung Lasaulx', eines allgemehj beliebten Leh-
rers, erregte natürlich die öffentliche Meiimng nachlmltig und
machte allenthalben, freilich verschiedenen Eindruck bei Studen-
ten, Bürgern, an der Universität, in der Presse, bei den Schü-
lern Lasaulx' und in der Kammer der Abgeordneten.
Zunächst wurde Lasaulx' Absetzung Anlaß zu den Stu-
dentenunruhen vom 1. März. „Des Professors Lasaulx
Qiiieszierung war das Zeichen zu den Unordnungen" schrieb
König Ludwig an Otto am 8. März 1848 nach Athen. ^) Zwar
warnte Döllinger im Hörsaal vor Demonstrationen als einem
schlechten Dienst, den man der Universität und ihm (!) und seinen
Kollegen erweise. Aber die Studenten dachten anders. ^) Als
die Studenten Lasaulx' Anschlag gelesen hatten, zogen ca. 150^)
^) § 19, 2 lautet: .^ie (sc die Dienstleistung des Dieners und das
Dienstgelialt) können ohne gerichtliche Klage zu begründen infolge einer ad-
ministrativen Erwägung oder einer organischen Verfügung mit Relassung des
Standesgehaltes und des Titels entweder für immer mittels Dimission oder
für eine gewisse Zeit mittelst Quieszierung benommen werden. — -) Erin-
nerungen des Joh. Nep. Ringseis Bd. IIT, p. 27L - ■') Holland: Erin-
nerungen an E. V. Lasaulx, München 1861, p. 25 ~ *) Trost: König Lud-
wig 1. von Bayern in seinen Briefen an seinen Sohn, den König Otto von
Griechenland 1891, p. 23. - "j Friedrich: Döllinger Bd. II (1899), p.
321. — *') Holland: a. a. 0. p. 26: 700: Erinnerungen des Ringseis Bd.
m, 271: 600; Sepp: Ludwig Augustus 1869, p. 486: bei 150; 2. Aufl. 1903,
p 868: ebenso.
7. Lasaulx Quiesziemng. lö?
vor sein Haus in der Gartenstraße, um ihm ein oft wiederholtes
Vivat zu bringen. Vom Fenster aus sprach der gefeierte Leh-
rer zu ihnen, bat in seiner Sache keine Schritte zu tun und die
Folgen seines Schicksals dadurch nicht auch auf andere zu zie-
hen, sondern ruhig an die Arbeit zurückzugehen, die Pflicht im
Auge zu behalten, Männer zu werden, die dem Vaterlande nützen
sollten. 1) „Eine Deputation begab sich hinauf und dankte ihm
in Worten tiefer Rührung voll Herz und Feuer für seinen Un-
terricht und versprach, einst wollten sie als Männer ihm Ehre
machen; endlich fiel der Sprecher ihm um den Hals und kü&te
ihn. Die Quieszierung hatte ihn in männlicher Fassung gefun-
den, dieser Auftritt entlockte ihm Tränen. Nachdem die jungen
Leute der Gattin Lasaul x', die als würdige Tochter Franz
von Baaders ihre Fassung ebenfalls bewahrte, ehrerbietig die
Hand geküM hatten, entfernte sich die Deputation." ^) Die Stu-
dierenden wollten vor das Haus der Lola ziehen, um ihr ein
Pereat zu bringen, lie&en sich aber davon abhalten und zwar
besonders auch von sog. Ultramontanen. ^) Nachmittags desselben
Tages zogen aber doch Studenten*) durch allerlei Volk verstärkt
wirklich vor das Haus der Lola und brachten ihr ein Pereat.
Die Gräfin verhöhnte die Menge. Der König erschien plötzlich
unter dem Haufen und betrat unbehelligt das Haus der Lola.
Auf dem Rückweg zur Residenz mußte er rohe Beschimpfungen
hören. Sein Zorn kehrte sich nun gegen die Ultramontanen, die
er irrtümlich für die eigentlichen Anstifter des Skandals hielt.
In einem Signat, das wir dem Personalakt Las au Ix' an der
Universität München entnehmen, bezeichnete der König noch am
15. August die Zuhörer Lasaulx' als die, „die am 1. März den
Tumult gemacht, in der Residenz Fenster eingeworfen". In die-
ser Auslassung wurde er liberalerseits bestärkt und verfügte nun
nacheinander die Quieszierung resp. Entlassung weiterer ultra-
montaner Professoren, so der Phillips und Moy, Höfler und
Deutinger, der Privatdozenten Sepp, Merz und Mayer und
endlich Döllingers. LTnd doch war Ursache der Studenten-
unruhen nicht Verhetzung, nicht im Finstern schleichende Bös-
^) Holland: a. a. 0. p. 26; siehe auch: F. Hurt er und seine Zeit
Bd. II (1877), p 201. - ") Erinnerungen des Joh. Nep. Ringseis Bd. IH,
p. 271. — ^) Strodl: „Staat und Kirche in Bayern" 1849, p. 231. —
*) Kurz: ,Der Anteil der Münchener Studentenschaft an den Unruhen der
Jahre 1847 und 48, München s. a. Akademischer Verlag** p. 15 — 16, hebt es
als ein Verdienst der Korps hervor, daß sie an dem Tumulte nicht beteiligt
waren; nur nichtbebänderte Studenten hätten sich beteiligt.
128 7. Lasaulx' Quieszierung.
Willigkeit, wie Thiersch^) zweideutig auf die Ultrainontanen
anspielend in einer Rede am 5. März an die Studierenden be-
hauptete, sondern „der sittliche Unwille über die ärgerlichen
Vorgänge brachte eine unbeabsichtigte Bewegung in Gang".^)
„Nicht erst von gestern fühlten sich die jungen Männer durch
ihre Lehrer aus Görres' Kreisen moralisch gehoben, Beispiel
und Lehrvortrag wirkten auf Charakterbildung hin.** ^) Gewiß
war das der Lola gebrachte Pereat, die Demonstration der Stu-
denten formell ungesetzlich, aber man begreift die Entrüstung
der Studenten darüber, daß diese Tänzerin der Anlaß zur Ab-
setzung eines beliebten und verdienten Lehrers werden konnte.
Es folgten Lasaulx aber nicht bloß die Sympathien seiner
Schüler, es begleiteten ihn auch die der Bürger. „Wo La-
saulx in den Straßen sich zeigte, flogen Mützen und Hüte herab
und ein paar Tage lang folgte jedesmal ein schallender Hochruf,
wie mehrere beisammen waren.** ^) Lasaulx war, wie Sepp
erzählt, „fortan der Liebling des Volkes; auf Neujahr wollten
keine Rechnungen mehr einlaufen, denn die ehrfühlenden Bürger
glaubten sich's selber schuldig zu sein, einen Mann, der seine
Existenz der guten Sache zum Opfer gebracht hatte, auch ihrer-
seits schadlos zu halten**.^)
Eine andere Haltung beliebte die Universität. In der
Senatssitzung vom ♦>. März kam man von verschiedenen Seiten
auf die der Dienstentbindung des Professors Lasaulx zum Teil
um mehrere Tage vorausgegangenen Gerüchte wiederholt zurück;
es wurde die Frage aufgeworfen, ob es denn außer dem Gebiete
der Möglichkeit und selbst der Wahrscheinlichkeit liege, daß
vielleicht der Entlassung Lasaulx' habe vorgebeugt werden
können, wenn der Senat sofort versammelt und dadurch beföhigt
worden wäre, sich in einer Deputation an die allerhöchste Person
des Königs zu wenden. Die Stimmen für und wider blieben
sich ziemlich gleich, bis Döllinger daran erinnerte, es dürfte hier
dem Unglück gegenüber, welches einen geehrten Kollegen ge-
troffen, jede andere Stimme als die des Mitgefühls billigerweise
schweigen. Es wurde nur beschlossen: „In allen die Universität
selbst oder einzelne Lehrer betreffenden Fällen von Dringlichkeit
') Allgemeine Zeitung 8. März 1847, vgl. Strodl: a. a. 0. p. 231. -
-) Sepp: Gör res und seine Zeitgenossen 1877, p. 518. — '^} Sepp: ibid. —
*) Holland: a. a. O. p. 26. -- '•) Sepp: Görres und seine Zeitgenossen
1877, p. 518.
7. Lasaulx' Quieszierung. 1^9
habe der jeweilige Rektor den Senat sofort zu berufen."^) Das
war alles und dazu post festum. Dieser Beschluß kam auch
dann nicht zur Ausführung, als bald darnach andere Kollegen
nämlich die Phillips, Moy, Höfler, Döllinger, Deutinger,
Merz, Mayer und Sepp, dasselbe Schicksal ereilte, wie La-
saulx. Senat und Fakultät, kurz die ganze Korporation, ver-
hielt sich völlig passiv und versäumte jede Gelegenheit, den
einem verdienten Kollegen der Korporation zugedachten Streich
abzuwehren, oder doch wenigstens zu mildern. Die Gründe die-
ses passiven Verhaltens der Kollegen in Senat und Fakultäten
sind zunächst die allgemein menschlichen: Die Sorge für sich
selbst, die Furcht, in den Fall eines andern verstrickt zu wer-
den; dann mögen Abneigung gegen den Katholiken, wie La-
saul x einer war, außerdem Konkurrenzneid die Teilnahme am
Schicksal des Betroffenen überwogen haben. Wenigstens be-
zeichnet Strodl die katholische Gesinnung Lasaulx' als die
eigentliche Ursache der Passivität der Universität bei seiner Ab-
setzung. Diese Gesinnung war vielen schon lange ein Dorn im
Auge. ^) Konkurrenzneid aber sieht in der Teilnahmslosigkeit
der Universitätskollegen besonders Sepp. ^Nur aus einem
Gesichtspunkte müssen, schreibt Sepp, später selbst gemaßregelt,
die Gewaltakte in München in trüberem Lichte erscheinen (sc.
als die Sache mit den Göttinger Sieben), weil hier einige canail-
löse Rivalen sich am Professorensturz mit beteiligten und im
Sumpfe ihre Pfeifen schnitten. Gab es doch, wie auch später
noch, feindselige Kollegen, welche voll argen Sinnes offen aus-
sprachen, es sei für ganz Bayern eine Schande, daß Görres je
an die Münchener Universität gekommen, und die unseren La-
saulx „eine Eiterbeule der Hochschule** hießen — im Finstern
schleichende Intriguanten, die nicht ruhen wollten, bis nicht der
letzte aus diesem Kreise gestürzt wäre, und die exklusive Partei
allein am Ruder sich befand." •^)
Ebenso wenig nachahmungs würdig und in direktem Wider-
spruch mit ihren Prinzipien geberdete sich bei Absetzung Lasanlx'
die liberale Partei und Presse. Mit Genugtuung nahm man auf
dieser Seite die Kabinettsjustiz des Königs auf. Ja, die „Allge-
meine Zeitung** wunderte sich, daß man durch die Entfernung
^) Protokolle des Senates der Universität München. Sitzung vom 3.
März 1847. — ^) Strodl: Kirche und Staat in Bayern 1849, p. 327-28. —
•') Sepp: Joseph Görres und seine Zeitgenossen 1877, p. 520.
Stölzls: Ernst von Lasaulx. 9
130 . Lasaulx' Quieszieruftg.
einiger Professoren die Lehrfreiheit angetastet wähne, während
man sich katholischerseits froher ober die Absetzung protestanti-
scher oder freisinniger katholischer Professoren oder die Ab-
setzung der Göttinger Sieben nicht aufgeregt habe. Sie wolle
selbst kein Urteil aussprechen ober diese Versetzungen — noch
kenne man die nächsten Gründe, die dazu geführt haben, zu
wenig. Diese Haltung der „Allgemeinen Zeitung" war jedenfalls
mehr diplomatisch als liberal. ^) Diese allen wirklich liberalen Grund-
sätzen widersprechende Haltung findet auch ein hervorragender
liberaler Historiker anstößig. Th. Heigel schreibt: „Die Maß-
regelung der Professoren würfle von den Liberalen mit Genug-
tuung aufgenommen, obwohl die Art, jene bloß durch Käbinetts-
dekret zu entfernen, die Befürchtung möglicher Konsequenzen
wohl begründet hätte." ^)
Ein erfreulicheres Verhalten gegenüber der Absetzung La-
saulx' als liberale Presse und Universität zeigen zum Schlüsse
die Schüler Las au Ix' und das Eintreten des unterfränkischen
Pfarrers Ruland für Lasaulx.
Die Schüler Lasaulx' richteten nämlich am 10« August
1847 von München aus eine Eingabe an den König, die etwa
160 Hörer Lasaulx' unterzeichnet hatten und stellten die Bitte,
den in zeitlichen Ruhestand versetzten Professor Lasaulx der
Universität wiederzugeben. •^) Diesen schönen Akt der Pietät
beantwortete der noch inmier über Lasaulx sehr erzürnte König
durch ein allerhöchstes Signal an den Polizeidirektor Mark in
München, das ab Aschaffenburg 15. August 1847 datiert ist.
Der König schickte die Eingabe, deren Unterschriften alle von
derselben Hand waren, als ihren unlauteren Ursprung an der
Stirne tragend, dem Polizeidirektor zur Einsicht und zur Kennt-
nisnahme für den Rektor der Universität. Die Unterzeichneten
se;en anscheinlich die Zuhörer Lasaulx', die am 1. März den
Tumult gemacht, in der Residenz Fenster eingeworfen. Der Kö-
nig verlangt Untersuchung über Entstehung des Bittgesuches
und Bericht. *) Die Untersuchung und das Verhör der Sluden-
*) Allgemeine Zeitung vom 8. April 1847. Eine Ausnahme machte
nur die „Kölnische Zeitung**. Einem Briefe von Lasaulx' Vater zufolge
verurteilte sie die Münchener Professorenabsetzungen ^Is dem Prinzip der Le&-
freiheit widersprechend. 1847, Nr. 83. — -) Hei gel: Ludwig I., Leipzig
1872, p. 266—67. — ^) Die Eingabe mit Unterschriften im Personalfücte von
Lasaulx an der Universität München. - ^) Das allerhöchste Signat in Ab-
schrift in Lasaulx' Personalakte an der Universität München.
7. Lasaulx* Quieszierung. 131
teil ergab, daß Hermann Geiger^) der eigentliche Verfasser
und Schreiber der Bittschrift war, der nach den Vorlesungen
von Dr. Sepp die Bittschrift vorgelesen und zur Unterschrift
herumgereicht liatte. Die Unterzeichnung geschah freiwillig. Da
aber Bittschrift und Unterschriften Reinlichkeit vermissen ließen,
hatte Geiger Bittschrift und Unterschriften selbst reingeschrie-
ben. So klärte sich die Gleichheit der Unterschriften in befrie-
digender Weise auf. ^) Die Bittsclirift, obwohl ohne Erfolg, ehrt
Lasaulx in gleicher Weise wie die Unterzeichner.
Endlich erwähnen wir noch das rühmliche und mutige
Eintreten des unterfränkischen Pfarrers Ruland, der in
feuriger Rede die Abgeordneten zur einhelligen Mißbilligung der
vom König verfügten Quieszieruugen fortriß. ^)
Freilich änderten alle Sympathiebeweise an der Stel-
lung Lasaulx' nichts. Er blieb pensioniert; an seine Stelle
waren Sp enget und Prantl berufen worden. Die einander
rasch ablösenden Ministerien zuerst die Zu Rhein, Maurer,
Hohenhausen, Zenetti, dann nach dem 30. November Fürst
Wallerstein, Deisler, Heres, Bercks, der etiemalige Reise-
marschall der Lola, — schlössen vorerst natürlich jede Reha-
bilitierung von Männern wie Lasaulx völlig aus. Die Stelle
eines Redakteurs einer neuen katholischen Zeitung, für welche
man ihn auf Vorschlag R ei eben sp ergers wünschte, schlug La-
saulx aus. *)
4. Urteil ttber Lasaulx' Antrag und des KSuigs Vorgehen.
Lasaulx' Antrag und Auftreten im Senate hat verschie-
dene Beurteilung gefunden. Sepp, der den Fall der Göttinger
Sieben zum Vergleich heranzieht, gibt zwar zu, daß die auf-
regende Demonstration nicht zunächst im Berufe der Beteiligten
lag, aber er ist der Ansicht, daß die öffentliche Moral diesen
Eklat gefordert habe. ^) Seuffert, ein Anhänger des neuen Kur-
ses, erklärte: „Die genannten Männer (Lasaulx, Phillips und
Döllinger) sind ebenso gut Märtyrer einer redlichen Überzeu-
^) t 1902 in München als Monsignore. Er wurde später ein Freund
des Hauses Lasaulx. — '^) Die Untersuchungsprotokolle im Personalakt La-
saulx' an der Universität München. - "^ Am 24. November 1847. vgl. Ver-
handlnngen der Kammer der Abgeordneten der Stände Versammlung des König-
reichs Bayern im Jahre 1847, Bd. V, p. 124 ff. — *) Brief des Vaters La-
saulx* an seinen Sohn Ernst vom 14. April 1848. — *) Sepp: Oörres und
seine Zeitgenossen 1877, p. 520.
9*
leS2 7. Lasanlx' Quieszierung.
gung geworden als wir andern", i) Andere tadeln Lasaulx leise,
es sei ein Irrtum von ihm gewesen, daß er den Senat als die
erste sittliche Korporation auffaßte, während ein ünivefsitäts-
senat doch nur eine wissenschaftliche Korporation darstelle,
die Universität habe nicht die Aufgabe gehabt, sich in die Re-
gierungshandlungen des Königs zu mischen und durch eine Kund-
gebung beim Abgang eines Ministers die königliche Handlung
zu kritisieren, *^) wieder andere sprechen von unbedachter Rei-
zung, ^) ganz entschieden aber hat besonders der bekannte Histo-
riker Böhmer Lasaulx' Vorgehen verurteilt und die Bestrafung
seitens des Königs gebilligt. Böhmer schreibt am 8. März 1847
an Maurer de Constant in München:
„Lasaulx' Antrag war nun gar ungehörig. Wenn sich die Wis-
senschaften zu bedanken hatten , so mochten sie's privatim tun.
Akademische Senate, die bei uns nur Beamtenkorporationen sind, sollen
und können doch offenbar gegen ihren Herrn keine Pronunciamentos
machen. Es ist sehr zu bedauern, daß nun die Wirksamkeit eines
sonst so trefflidien und tüchtigen Mannes gelähmt ist.** *)
Und am 4. Juni 1847 verurteilt er das Vorgehen Lasaulx'
noch schärfer und findet eine Bestrafung ganz am Platz. Er
schreibt an J. E. Kopp in Luzern:
„Daß die Professoren gegen die neue Mailresse protestieren
wollten, war ein großer Unsinn, eine dumme Anmaßung. Daß der-
gleichen bestraft wird, linde ich ganz natürlich, wenn ich auch die-
jenigen bedaure, die darunter leiden, vor allen den sehr tüchtigen La-
saulx. Man sieht, welchen Täuschungen diese Leute — nie ich —
sich hingegeben hatten." "). Bei aller Verurteilung von Lasaulx Vor-
gehen bedauerte Böhmer doch aufrichtig, daß „man meinen edlen
Freund Ernst v. Lasaulx, einen Mann, auf den Deutschland stolz
sein sollte, in der besten Jugendkraft aus der reichsten Wirksamkeit
gerissen und mit 600 f\ pensioniert hat, weil er bei dem Lolaskandal
seine Emplindlichkeit nicht unterdrücken konnte." ^)
Welche Auffassung hat nun recht, die, welche Lasaulx
verurteilt, oder die, welche ihn rechtfertigt? Wir glauben, keine.
Es ist einseitig, das Vorgehen Lasaulx' bloß unter dem Ge-
sichtspunkte des Staatsdieners zu betrachten, es ist aber auch
^) Seuffert: „Die deutschen Verfassungsreformen" (1848), p.
31; in der Schrift: „Patriotische Betrachtungen im Geiolge der
Münchener Fastnacht" 1847, p. 33, erklärte derselbe unter dem Namen
Justus Steinbühl sich gegen die Absetzung von Professoren, weil ihm das
mehr Proskriptionen ßchienen. — -) Friedrich: Dö Hing er Bd. II (1899),
p. 319. — '') Blum: Die deutsche Revolution 1848-49, Leipzig 1897, p.
113. — *) Joh. Friedr. Böhmers Leben, Briefe und kleinere Schriften ed.
Janssen Bd. II (1868), p. 474. — O Böhmer a. a. 0. Bd. II, p. 492. -
) Böhmer a. a. 0. Bd. II, p. 508. (Brief an Kopp vom 31. Dez. 1847.)
u
7. Laeaulx' Quieszierung. 188
einseitig, dasselbe bloß vom Staudpunkle der Sittlichkeit zu be-
urteilen. Man muß beide Standpunkte ins Auge fassen. Dann
werden wir Las au Ix gerecht werden und sein Verhalten vom
Standpunkte des Staatsdieners verurteilen, vom Standpunkte der
Sittlichkeit begreifen und gerechtfertigt finden.
Stellen wir uns auf den staatsrechtlichen Standpunkt,
so muß der Antrag La sau Ix', der schon an sich und besonders
in seiner Begründung bei der schriftlichen AI)stimniung eine Be-
leidigung König Ludwigs in sich schloß, als ungehörig und
tadelnswert bezeichnet werden. Denn der Staatsdiener hat
nicht das Recht, seiner vorgesetzten Behörde, am allerwenigsten
der allerhöchsten Person des Königs in so schroffer Foim Tadel
auszusprechen. Auch ist solche Kritik gar nicht Aufgabe des
Staatsdieners. Daher kann auch eine Bestrafung seitens des
beleidigten Königs nicht verwunderlich gefunden werden. Zu
bedauern bleibt nur, daß diese Strafe zu hart ausfiel. Ein schar-
fer Verweis, eine Androhung oder eine Geldstrafe hätte wohl
auch genügt. In diesem Sinne kann man das harte Urteil Böh-
mers nicht ungerechtfertigt finden.
Freilich anders erscheint uns das Vorgehen Lasaulx' vom
Standpunkte der Sittlichkeit betrachtet. Man begreift La-
saulx' Antrag und Sprache als Ausfluß seiner freimütigen Na-
tur. Man begreift sein V^orgehen als Ausdruck der berechtigten
Entrüstung über den unwürdigen Anlaß der Entlassung des
Ministeriums Abel. Man begreift seine Tat als Protest eines
ehrlichen Mannes gegen die Verlogenheit der künstlich ge-
machten öffentlichen Meinung, welche über die unrühmliche Ur-
sache des Ministerwechsels hinwegsah. Unter diesem Gesichts-
punkte ist Lasaulx' Vorgehen eine sittliche Tat. — Und so
urteilt heute auch die Nachwelt. Denn die Geschichte hat Ober
das Treiben jener Tänzerin und ihren unheilvollen Einfluß auf
König Ludwig den Stab gebrochen, und der große König
selbst hat später jene Episode als eine Irrung erkannt^), — also
J^asaulx' Auffassung und Urteil vom 18. und 19. Februar be-
stätigt. Las au Ix selbst hat sein Vorgehen nie bereut, vielmehr
in der bayerischen Kammer am 0. Juni 1851 öffentlich erklärt:
„leb selbst habe die Ehre gehabt, unter dem Minist^Tium Mau-
rer -Zu-Rhein abgesetzt zu werden wegen einer Handhuig, welche,
wenn man sie nicht auf sich beruhen lassen wollte, eine Belohnung,
Vgl. Reinkens: Melchior von Diepenbrock 1881, p. 453, wo
Ludwigs 1. Urteil iXher die Lolaaffaire mitgeteilt wird.
184 7. Lasaulxl Quie»zierung.
nicht Strafe verdient hätte, und welche ich so wenig bereue, daß ich
sie in jedem AugenbHcke wieder zu begehen entschlossen wäre,
wenn sich die Gelegenheit darböte, was aber die Götter abwenden
wollen." ^)
Das Volk gab den Gemaßi-egelten, die es als Märtyrer
ihrer Überzeugung betrachtete, Genugtuung dadurch, daß es wie
Sepp, Phillips, Döllinger, so auch Lasaulx in die Frank-
furter Nationalversammlung als Abgeordnete wählte.
^) Verh. d. K. d. Abg. d. bayer. Landtages 1851, Stenogr.-Ber. Bd. I.
p. 654-55.
8. Kapitel.
Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter
Nationalversammlung (1848 — 49).
Motto: „In magnis et voluisse sat est/
Ovid.
Die Revolutionen vom 15. März 1848 in Wien, die vom
18. März in Berlin hatten 3 konstitmerende Versammlungen
ins Leben gerufen, die Frankfurter Nationalversammlung, die
preußische Nationalversammlung in Berlin und den konstitutio-
uellen Reichstag in Wien.^) Schon am 8. März hatte der alte
Bundestag den Regierungen die Anregung gegeben, „die Bun-
desverfassung in zeitgemäßem Sinne zu revidieren" und 17 Ver-
trauensmänner nach Frankfurt gesandt, die am 26. April den
Entwurf einer streng bundesstaatlichen Verfassung mit monarchi-
scher Spitze und einer nationalen Vertretung in 2 Häusern dem
Bundestage vorlegten. Der „ Siebzehner-Entwurf ** hatte mit Aus-
nahme der OI)erhauptsfrage in ganz Deutschland Beifall gefun-
den. Es war Aufgabe der Nationalversammlung in Frankfurt,
diesen vorgelegten Verfassungsentwurf sofort in Beratung zu
nehmen. Statt dessen aber wurde der Entwurf bei Seite
gelegt, und die Ausarbeitung eines ganz neuen, systematischen
Verfassungsentwurfes beschlossen und gleichzeitig mit Aufstel-
lung der „Grundrechte des deutschen Volkes" der Anfang der
Beratungen gemacht. ^) Verfassung und Grundrechte bildeten so
das Arbeitspensum der Nationalversammlung zu Frankfurt. Die
Versammlung verlief bekanntlich resultatlos und nahm in Stutt-
gart ein unrühmliches Ende. Indes wenn auch ein äußeret* Er-
folg der Nationalversammlung nicht beschieden war, ihre Ver-
treter zählten zur Elite des deutschen Volkes, ihre Ziele waren
*) W. Wich mann: Denkwürdigkeiten aus der Paulskirche 1888, p. V
— ^) Wichmann: a. a. 0. p. 132-33.
136 8. Lasaiilx Abgeordneter in der Kninklurt<*r Nationalversammlung.
* ideal, die behandelten Fragen bedeutungsvoll. „Vom Forsten an
bis zum Bauer, vom Minister bis zum Bierbrauer und Schlosser-
meister, von den Korypliäen der Wissenschaft und Poesie bis
zum Zeitungsredakteur und „literarischen Proletarier** — nach
einem ganz zutreffenden Ausdruck von Ernst v. Lasaulx —
waren alle Stände und Berufsklassen vertreten.** ^) Am 18. Mai
war die Versammlung in der Panlskirche feierlich eröffnet wor-
den. Im August zählte die Versammlung, die aus 584 Mitglie-
dern bestehen sollte, 565 Mitglieder, und nach und nach wurden
infolge verschiedener Austrittserklärungen 766 deutsche Staats-
bürger Mitglieder der Nationalversammlung.
Die Abgeordneten schlössen sich bald zu Parteien und Klubs
zusammen, die sich nach den Versammlungslokalen benannten. So
bildeten sich nach und nach die Fraktionen: Der Deutsche Hof,
das Steinerne Haus (später Cafe Milani), das Kasino, der
Donnersberg, der Nürnbergerhof, der Württembergjerhof,
die Westendhalle, der Augsburgerhof, der Landsberger-
hof. In diesen Klubs fanden die Vorverhandlungen statt, in der
Paulskirche folgten dann die Plenarversammlungen mit reich-
lichen Debatten über eine Fülle von Gegenständen.
Man beriet und debattierte in Ausschüssen und in der Na-
tionalversammlung selbst über zahllose Petitionen und Beschwer-
den und Anträge, über Abschaffung des Bundestages und Her-
steilung einer provisorischen Zentralgewalt, über die Wahl des
Reichs Verwesers, über die Marine und das Reichswappen, über
das Reichsheer, über eine Limburger und Südtyroler Frage, über
die österreichisch-italienische und die polnische Frage, über die
Anmestie für alle politischen Verbrecher, Gefangene und Flücht-
linge, über die Grundrechte des deutschen Volkes, über Reichs-
bürgerrecht und Heimatsrecht, über Auswanderungsfreiheit und
Gleichheit vor dem Gesetz, über Adel, Titel und Orden, über
Gleichheit der Wehrpflicht, über Fieiheit der Person und Ab-
schaffung der Todesstrafe, über ünverletzlichkeit der Wohnung
und des Briefgeheimnisses, über Preßfreiheit und Freiheit des
religiösen Bekenntnisses, über Staat und Kirche und ihr Verhält-
nis, über Petitions- und Vereinsrecht, über Unverletzlichkeit des
Eigentums und Teilbarkeit des Grundeigentums, über Lehne und
Fideikonmiisse ' und die tote Hand, über Aufhebung der Feudal-
lasten und des Jagdrechtes auf fremden] Grund und Boden, über
^) Wichmann: a, a. 0. p. 24.
S. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationnlversanwnlung 13
Reichsschutz und Aufhebung dej* Patrimonialgerichtsbarkeit und
des privilegierten (lerichtsstandes, Ober Militärgericlitsbarkeit,
fiber Öffentlichkeit und Mündlichkeit, über die Selbständigkeit
der Gemeinde, über Verfassung und Volksvertretung in jedem
deutschen Staate, über Gleichberechtigung der nicht Deutsch
redenden Volksstämnie in Sprache, Cnterricht, Verwaltung, Kir-
chenwesen und Rechtspflege, über die schleswig-holsteinsche
Frage, über die Oberhauptsfrage, das Reichsgericht, die Mediati-
sierungsfrage, das Vetorecht, über die Erblichkeit, das Wahl-
gesetz, die Reichsverfassung und das Reichswahlgesetz, über die
Kaiserwahl, — also eine Fülle der wichtigsten und aktuellsten
Fragen.
Freilich wurde viel Zeit vergeudet mit Streit über die
Reihenfolge der Abstimmung, über die Fragestellung, mit Ge-
schäflsordnungsdebatten, Anträgen und Sonder-, Verbesserungs-
und Spezialanträgen, mit Debatten über Ordnungsruf, mit Pro-
test- und Austrittserklärungen, mit langatmigen Berichterstattun-
gen, mit nutzlosen Interpellationen und Adressen, mit viel zu
vielen phrasenhaften Reden oder doktrinären gelehrten profes-
soralen Abhandlungen. Es wurde viel leeres Stroh gedroschen.
Derb, aber wahr erklärte Fürst Lichnowski: „Wir leiden an
der Mauldiarrhöe und an dem Antragskoller; . . . jetzt wird sich
noch dazu das Interpellationsfieber einstellen.** ^) Aber es waren
Fragen, w^elche zum Teil heute noch aktuelles Interesse besitzen,
damals aber die Gemüter des ganzen deutschen Volkes in Span-
nung erhielten.
An diesen Debatten nahm auch E. v. Lasaulx teil, der
als Abgeordneter für Abensberg in Niederbayern in die Natio-
nalversammlung eingetreten war. Er war Mitglied derselben vom
18. Mai 1848 bis zum 7. Mai 1849. Hier gehörte er nach Ei-
senmann der Partei an, die zuerst im Juni im sog. steinernen
Haus zusammentrat und B]nde September in das Kaffeehaus
Milaui tibersiedelte, woher sie auch die Partei: „Steinernes
Haus" oder gewöhnlich „Milani" hieß. 2) Es war die äußerste
Rechte. Sie zählte 4U Mitglieder, darunter Männer wie Rado-
witz, Graf Schwerin, Vincke, Kultusminister Beisler. Es
waren der Abstammung nach 22 Preußen, () Österreicher, 7
*) Wichmaon: a. a. 0. p. 100; Lichnowski, Historiker und Gene-
ral (1814—1848). — *-) Prof. Sepp dagegen teilt mir mit, daß Lasaulx nur
der Richtung nach, aber nicht förmlich dem Cafö Milani angehört habe.
138 8. Lasanlx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung;.
Bayern, 2 Hannoveraner, 2 Hamburger und einer aus Aliona.
Dem Stande nach zählte die Partei 15 Geburtsaristokrateu,
3 Geldaristokraten, 12 Bureaukraten, einige Professoren und
Advokaten. ^)
Als leitende Prinzipien der Partei wurden in einer Erklä-
rung zu Frankfurt vom 30. September 1848 aufgestellt: 1. Zweck
und Aufgabe der Nationalversammlung sei die Gründung der
deutschen Verfassung; 2. dieselbe könne nur durch Vereinbarung
mit den Regierungen der deutschen Einzelstaaten fttr diese
rechtsgültig zustande kommen, diese Zustimmung der Einzelstaa-
ten könne ausdrücklich oder stillschweigend erteilt werden;
3. mit Ausnahme der Verfassung und der einen integrierenden
Bestandteil derselben bildenden Gesetze stehe der Nationalver-
sammlung der Erlaß neuer Gesetze für Deutschland nur insoweit
zu, als dieselben die Geltendmachung der durch das Gesetz vom
28. Juni der Zentralgewalt beigelegten Befugnisse betreffen;
4. die Nationalversammlung übe nur die konstitutionelle Kon-
trolle der Handlungen des Reichsministeriums und befasse sich
nicht mit Einmischung in exekutive Maßregeln; 5. soweit diese
Prinzipien nicht verletzt werden, vermöge sich die Gesellschaft
mit anderen Fraktionen der Nationalversammlung zu verständigen
und mit ihnen zu gehen; wo jenes der Fall, trete eine streng
festhaltende, eine Vermittlung ausschließende Scheidung ein. ^)
Besondere Statuten regelten das Verhalten der Mitglieder im
Klub und in der Versammlung. ^) Die Partei stellte sieh also
entschieden auf den Boden des Prinzips der Vereinbarung und
lehnte alle Übergriffe und Kompetenzüberschreitungen der Natio-
nalversammlung ab und trat für Monarchie und Christentum ein.
Mit dem Beitritt zu diesem Klub hat sich Lasaulx natür-
lich auch zu dessen Prinzipien bekajint. Die Nationalversamm-
lung wählte ihn zum Mitglied des Verfassungsausschusses. An
dessen Beratungen nahm er ebenso eifrig teil wie an den Ver-
handlungen der Nationalversammlung selbst, von den einen mit
Beifall begrüßt, von den Gegnern entschieden abgelehnt, von
allen wegen seines Talentes und seiner lauteren Gesinnung ge-
schätzt. Beides, seine Tätigkeit in der Nationalversammlung
und die Beurteilung, welche er fand, stellen wir im folgen-
den dar.
') Eisenmann: Die Parteyen der tentschen Reichs Versammlung, ihre
Programme, Statuten und Mitgliederverzeichnisse. Erlangen 1848, p. 18. —
') ibid. p. 8-9. — ') ibid. p. 9-10.
«S Lasaülx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. 139
1. LasauIx' Tätigkeit in der Nationalversamiiiluii/;.
Hat Lasaulx auch weder in seinem Klub noch in der
Nationalversammlung eine führende Rolle gespielt, ist er auch
kein Stern erster Größe, wie die Gagern, Simon, Radowitz,
Vincke, Beseler, Schmerling, R. v. Mohl, Beckerath u.a.,
so hat er doch durch sein mutiges Auftreten, durch seine An-
träge und Reden die Aufmerksamkeit weiterer Kreise zu erre-
gen vermocht. Wir handeln zuerst von seiner Tätigkeit im Ver-
fassungsausschuß, dann von seinen Abstimmungen, ferner von
seinen Anträgen und Interpellationen und zuletzt von seinen
Reden.
1. Lasaulx Mitglied des Verfassungsausschusses.
Lasaulx war, wie erwähnt, in den Verfassungsausschuß
gewählt worden. Hier tagte er mit Männern wie Advokat
Mfihlfeldt aus Wien, Simon aus Breslau, Beckerath, Fürst
Lichnowski, Buchhändler Bassermann, Blum, den Professo-
ren R. V. Mohl, Mittermaier, Welcker, Obergerichtsadvokat
Soiron, Prof. Dahlmann. Prof. Droysen, Prof. Waitz, Max
V. Gagern u. a. Über die Verhandlungen dieses Verfassungs-
ausschusses berichtet Prof. Job. Gust. Droysen in dem Buche:
„Die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der
deutschen Nationalversammlung." Es ist nur ein erster
Teil 1849 erschienen. Daraus ersehen wir, daß auch Lasaulx
an den Debatten sich ab und zu beteiligt hat mit Einreden, Mo-
difikationsanträgen, redaktionellen Bemerkungen und allgemeinen
Betrachtungen. Ist auch sein Eingreifen in die Debatte nach
dem Berichte von Droysen weder häufig noch durchschlagend,
so hat er doch manchen guten Gedanken in die Debatte gewor-
fen, ftberall aber seinen auf Freiheit, Recht, Gesetzlichkeit, Ord-
nung und die groß-deutsche Idee gerichteten Standpunkt zur
Geltung gebracht.
Wir heben nur einige seiner Äußerungen, soweit sie auf
seine politischen und religiösen Anschauungen Licht werfen, her-
vor. Es stand die Frage zur Diskussion, ob der Staat ein Recht
der Zustimmung zu deji Bekenntnissen in Anspruch zu nehmen
habe, Lasaulx fordert eine solche Zustimmung des Staats,
d. h. nicht des Fürsten, der Minister, der Regierung, sondern
der Stände, denn sie seien in ihrer Majorität der Ausdruck der
140 i. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung.
Meinung des Volkes. ^) Und als sich dagegen Widerspruch
erhob, sprach er sieh noch einmal dafür aus, daß man sich
nach den vorhandenen Meinungen richten mftsse; wo alles
zerstört und zerfressen sei, möge es gut sein, durch allge-
meines Loslassen der Kräfte nach Rettung zu suchen; wo aber
noch wahrhaft gesundes Volksleben, wo noch energische religiöse
Oberzeugung im Volke sei, da dürfe man nicht erst Zweifel und
Hader erwecken wollen, und ein solches Grundrecht würde förm-
lich zur Irreligiosität provozieren. '^) Bezüglich der Korporations-
rechte der Religionsgesellschaften schlug Lasaulx die Fassung
vor: „Das Gesamt vermögen jeder religiösen Gesellschaft, das ge-
genwärtige wie das zukünftige, steht, solange sie selbst sich
nicht auflöst, unter dem Schutze des öffentlichen Rechtes. Wer
sich daran versündigt, ist ein öffentlicher Dieb." '^) Er wahrte
damit das Recht der Religionsgesellschaften, wie er auch für
deren Freiheit eintrat. Als das Verhältnis von Kirche und Staat
erörtert wurde, erklärte Lasaulx, ausgehend von dem Bekennt-
nis (welches man ihm glauben möge), daß seine Stellung zu den
Bekenntnissen nicht die konfessionelle, sondern die der Reli-
gionsphilosophie sei, könne er sich in diesen Fragen völlig un-
befangen bewegen. Er habe gestern für die volle religiöse
Freiheit gestimmt; sei diese einmal angenommen, so möge man
auch den Mut haben, alle ihre Konsequenzen zu macheu; und
Belgien seit 17 Jahren habe sie bewährt.^) Er macht darauf
aufmerksam, daß die Freiheit der Religion auch die Freiheit der
Kirchengenossenschaft vom Staate, und zwar sowohl der schon
vorhandenen, als derer, die sich noch bilden werden, fordere.
Die Freiheitsidee allein, die soviel Wirren im Religiösen und
Kirchlichen über Europa gebracht, sie allein könne auch den
Schaden wieder heilen, und die Freiheit der Kirche sei eines
der wesentlichsteji Heilmittel für das, was die Verirrung der
politischen Freiheit angerichtet habe. ^) Lasaulx wahrt das
Recht der Einzelstaaten in der Frage der (jesandtschaften, ^) das
Recht der Landesarmeen der Einzelstaaten gegenüber der Reichs-
gewalt; ^) gleichwohl will er die Reichsgewalt und nicht den
Partikularismus stärken, ^) will der Reichsidee zur Gestaltung
verhelfen,-^) tritt aber gegen die Ausschließung Österreichs auf.*®)
^) Droysen: a. a. 0. p. 6. — '-) ibid. p. 7. — *) ibid. p. 9; vgl. Erin-
nerungen des Job. Nep. Ringseis Bd. IV (1891), p. 336—37. — *) Droy-
sen; a. a. 0. p. IL - ■') ibid. p. 13. - «) ibid. p. 69. — ^) ibid. p. 92. —
«) ibid. p. 184. — «) ibid. p. 200. — '«) ibid. p. 323.
8. Lasaulx Abgeordneter in Her Frankfüi-ter Nationalversammlung. 14^1
Die deutsche Bewegung hält er freilieh irrtümlich für eine falsche,
für eine Täuschung, für einen r arasnuis senilis, diese Ideen der
Gebildeten wurzeln wenig tief im Volke. ^) Über das Schicksal
der Parteien ohne Prinzipien macht er Blum gegenüber die
richtige Bemerkung, es sei im Kampfe der Parteien immer üb-
lich, daß diejenigen Parteien, die keine Prinzipien, sondern nur
Zwecke hätten, von einem Äußersten zum andern überspringen,
das sei der richtige Weg, sich gänzlich abzunutzen. ^) Denselben
konservativen Standpunkt, den die ausgehobenen Äußerungen
bekunden, hält Lasaulx auch im Plenum der Nationalversamm-
lung fest.
2. Lasaulx' Abstimmungen.
Lasaulx war ein gewissenhafter Parlamentarier, er fehlte
sehr selten, fast nie unentschuldigt, und gab bei den nament-
lichen Abstimmungen immer frei und offen seine Überzeugung
kund. Diese Abstimmungen zeigen ihn getreu dem Programm
des Klubs, getreu der großdeutschen Idee, getreu der Monarchie,
konservativ in politischer und religiöser Hinsicht,
Die Nationalversammlung hatte die Aufgabe, eine Verfas-
sung zu beraten. Daher stimmte Lasaulx konsequent gegen
alle Anträge, welche über diese Aufgabe hinausgingen, konse-
quent gegen alle die Beschlüsse, zu deren Ausführung dem Par-
lament jede Macht fehlte, gegen alle Anträge, wodurch die Na-
tionalversammlung ihre Kompetenz überschritt. Ebenso gab La-
saulx seine Zustimmung zu all jenen Anträgen, welche der groß-
deutschen Idee günstig waren, und versagte sie jenen, welche
ihr entgegenstanden. Desgleichen wahrte er konservativ den
Einzelstaaten ihre Rechte und stimmte gegen alle Anträge,
welche, die Rechte der Einzelstaaten bedrohten oder beschränk-
ten. Darum stimmt er einem Antrag zu, der die Teilung Po-
lens für ein schmachvolles Unrecht erklärt, und erkennt die hei-
lige Pflicht des deutschen Volkes an, zur Vi^iederherstellung eines
selbständigen Polens mitzuwirken.^) Überall tritt er für das
Recht der Regierungen gegen Volksvertretung und Untertanen
ein. Aber auch den einzelnen Ständen sollen Freiheit und die
bisherigen Rechte erhalten bleiben. Deshalb stimmt er gegen
einen Antrag, der den Orden der Jesuiten und dessen affilierte
») Droysen: a. a. 0. p. 380. — ^) ibid. p. 357. — '*) Stonogr. Be-
rit?ht n, 1242.
142 8.. Lasaulx Abgeordneter, in der Frankfurter Nationalversamniluog.
I
Orden für alle Zeiten aus dem Gebiete des deutschen Reiches
verbannt,^) deshalb stimmt er gegen die Aufhebung des Adels/^)
Ebenso hält er fest an den alten Rechten und will nichts wis-
sen von gewaltsamen Eingriffen in verbriefte Eigentumsrechte,
wie Fideikommisse, Kirchengut u. s. w. Dieser Achtung vor
dem geschichtlich Gewordenen und seinem religiösen Sinn ent-
springt seine Haltung gegenüber Anträgen auf Konfessionslosigkeit
von Schule und Staat. Er lehnt Anträge wie: „Die öfiPentlichei)
Unterrichtsaustal ten dürfen nicht konfessionell sein" •'^) oder: „Das
gesamte Unterrichts- und Erzieh ungswesen ist der Beaufsichti-
gung der (jeistlichkeit als solcher entzogen" *) oder: „Niemand
ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu oflFenbaren^)
oder sich einer religiösen Genossenschaft anzuschließen" ^) ent-
schieden ab; denn er will der Religion ihren Einfluß auf Schule
und Staat erhalten wissen. Aus der gleichen konservativen Sin-
nesrichtung erklärt sich seine Stellung zu der Abschaffung
der Todesstrafe. ') Gleichwohl verbindet Lasaulx mit dieser
konservativen Gesinnung einen lebhaften Sinn für — Freiheit
und Humanität. Er stimmt gegen jede Beschränkung oder Auf-
hebung der Preßfreiheit ^) und sichert nach Kräften jedem Deut-
schen das Recht und die Freiheit der Wahl. ^) Seine Humani-
tät aber bekundet er durch Unterstützung des Antrages: „Der
Unterricht in allen öffentlichen Lehranstalten ist für die Unver-
mögenden unentgeltlich." ^^) Diese wahrhalt konservativen Ge-
sinnungen ließ Lasaulx noch deutlicher in Erscheinung treten
durch seine Anträge und Interpellationen und Reden.
;>. Lasaulx' Anträge und Interpellationen.
Rund oOnial unterstützt ^i) Lasaulx Anträge und Mino-
ritätserachten und Erklärungen anderer, von der Linken oft mit
ironischen Zurufen begrüßt. Noch mehr trat er in den Vorder-
grund mit selbständigen Anträgen, Erklärungen und Interpella-
tionen und rief dadurch oft stürmischen Widerspruch hervor.
Lasaulx gab, seine Austrittserklärung mitgerechnet, sieben sol-
') Stenogr. Bericht VI, 4179. - -) ibid. V, 3901. 3906. 3910. 3915. -
=') ibid, VI. 4161. - *) ibid. III, 2298. - '•) ibid. V, 3981. - «) ibid. V,
3983. — ') ibid. V, 3943 und II, 1405. — «» ibid. V, 3969. — ») ibid. VII,
5346. - »») ibid. I, 688. — »M vgl. z B. ibid. I, 66. 360. 627. 688. 689;
III, 1632. 1637. 1638; IV, 2718. 2720. 2923. 3031; V, 3269. 3330; VI, 4105.
4497; VII, 5168. 5366. 5489-90; VIII, 5648—49. 5782-85. 5795. 5980.
6018. 6077. 6093. 6129.
8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. 14S
eher selbständiger Erklärungen ab, auf die wir, weil sie für
seine Anschauungeu und sein Auftreten charakteristisch sind,
kurz hinweisen wollen.
Infolge des Konfliktes des preußischen Ministeriums Brau-
denburg-Manteuffel mit der preußischen Nationalversammlung
in Berlin, war in der 115. Sitzung der Nationalversammlung
am 14. November 1848 unter anderem auch der Antrag gestellt
worden, „das Parlament solle erklären, daß es für nötig erachte,
daß die preußische' Krone sich alsbald mit einem Ministerium
umgebe, welches das Vertrauen des Landes besitze und die Be-
sorgnisse vor reaktionären Bestrebungen und Beeinträchtigung
der Volksfreiheiten zu beseitigen geeignet sei**. Lasaulx nahm
gegenüber dieser Überhebung und KompetenzOberschreitung der
Nationalversammlung den sowohl politisch als praktisch vollkom-
men richtigen Standpunkt ein, als er Übergang zur Tagesord-
nung empfahl.
Lasaulx' Antrag fand keine Unterstützung.^) Wie hier
sich Lasaulx offen und entschieden auf den Boden des Rechts
und der Gesetzlichkeit, der Anerkennung der herrschenden Ge-
walt stellte, obgleich er fast ganz allein stand mit seiner An-
schauung, so betätigte er seinen Sinn für Recht und Gesetz auch
gegenüber einem ihm ungerecht erscheinenden Beschluß der Na-
tionalversammlung bezüglich der Ermordung des Abgeordneten
Blum. Blum hatte am V}, Oktober 1848 Frankfurt verlassen,
in Wien an der Meuterei teilgenommen, war dabei ergriffen und
am 9. Nov. standrechtlich erschossen worden. Daraufhin hatte
die Frankfurter Nationalversammlung in der 116. Sitzung am
16. November 1848 nur gegen die Stimmen der 4 Abgeordneten:
Deym, Linde, B. Weber und Lasaulx den Beschluß gefaßt:
„vor den Augen von ganz Deutschland gegen die mit Außer-
achtlassung des Reichsgesetzes vom »>0. September 1. J. voll-
zogene Verhaftung und Tötung des Abgeordneten Robert Blum
feierlich Verwahrung einzulegen, und das Reichsministerium auf-
zufordern, mit allem Nachdruck Maßregeln zu treffen, um die
unmittelbaren und mittelbaren Schuldtragenden zur Verantwor-
tung und Strafe zu ziehen**. 2) Trotzdem dieser Antrag fast ein-
mütig Annahme gefunden hatte, hatte Lasaulx in der 123.
Sitzung am 27. November 1S48 den Mut, einen dringlichen An-
trag einzubringen, der den Beschluß der Nationalversammlung
») Stenogr. Ber. V, 3287. - ') ibid. V, 3325.
144 8 Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter National versammlnng.
aufs schärfste desavouierte und die Tat Blums als Verbrechen
charakterisierte. „Zu einer Zeit, wo es wohlfeil war, die Gunst
der Menge sich zu gewinnen, hat er mit persönliclier Gefahr ihr
geradezu ins Gesicht geschlagen** — mit diesen Worten charak-
terisiert Huber 1) treffend Lasaulx' Unabhängigkeit und Furcht-
losigkeit.
So berechtigt der Antrag Lasaulx' war, — die National-
versammlung lehnte die Dringlichkeit ab und nahm den Antrag
gar nicht in Beratung.
Unruhe, Bewegung, Aufregung, heftigen Widerspruch auf
der Linken und Unterbrechungen rief Lasaulx mit einer schar-
fen Interpellation gegen einen Artikel der Reichstagszeitung Ober
die Ermordung Blums in der 127. Sitzung am 2. Dezember
1848 hervor.
Die Anträge Lasaulx' bekunden neben großer Selbständig-
keit und Unabhängigkeit des Urteils, neben hohem Mute, der
sich nicht fürchtet, allein zu stehen, auch ein gesundes poh'ti-
sches Urteil, einen richtigen Blick für das praktisch Durch-
führbare.
Das ist auch der Fall mit dem Antrag, den Lasaulx in
der 149. Sitzung am 11. Januar 1849 in der österreichischen
Frage stellte. Der Präsident des Reichsministeriums, H. v. Ga-
gern, hatte am 18. Dezember 1848 und am f). Januar 1849 der
Nationalversammlung eine Vorlage gemacht, in welcher er die
Ermächtigung verlangte, nnt Österreich, von welchem ange-
nommen werden müsse, daß es in den zu errichtenden deut-
schen Bundesstaat nicht eintrete, in Unterhaiidlung zu treten,
um dessen Unionsverhältnis nn't Deutschland mittels einer be-
sonderen Unionsakte zu ordnen. Zugleich war in dieser Vorlage
ausgesprochen: „Das Prinzip der Vereinbarung des Verfassungs-
werkes zwischen der deutschen Nationalversanmilung und den
deutschen Regierungen müsse als ein mit der Stellung der er-
steren unverträgliches zurückgewiesen werden; und die etwaige
Hoffnung, als sei die Zeit gekommen, den starken Bundesstaat
mit dauerhafter einheitlicher oberster Gewalt in der Geburt zu
ersticken, und durch ein Surrogat zu ersetzen, das dem alten
Bundestage mehr odei* weniger ähnele, werde zu Schanden wer-
den.** Bei der Diskussion dieses Programms stellte Lasaulx
folgenden Gegenantrag: Die verfassunggebende Reichs Versamm-
lung verpflichte das gesamte Reichsministerium:
') Allg. Zeitung 1861, Beilage Nr. 139, p. 2206.
8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter National Versammlung. 145
^Daß es in richtiger Würdigung der Mittel, die ihm zu Gebote
stehen, es sich unausgesetzt angelegen sein lasse, wie mit allen deut-
schen Regierungen, so namentlich auch mit der ersten unter denselben,
der kaiserlich österreichischen, dasjenige Einverständnis herbeizuführen,
ohne welches eine gedeihliche Lösung der großen Frage der neuen
deutschen Reichsverfassung unmöglich ist." ^)
Lasaulx' Auffassung der Dinge ist durch die Folgezeit ge-
rechtfertigt worden. In der Nationalversammlung freilich fand
Lasaulx' Antrag keinerlei Unterstützung. '^)
In gleicher Weise wurde die Nationalversammlung durch
die Wirklichkeit desavouiert, Lasaulx' Auffassung der Lage
durch die folgende Entwicklung der Dinge bestätigt in der Frage
der Kaiserwörde, welche dem König von Preußen durch Be-
schluß der Nationalversammlung übertragen wurde. Welcker
hatte in der 184. Sitzung am 12. März 1849 den dringlichen
Antrag gestellt, die projektierte Reichsverfassung durch einen
einzigen Gesamtbeschluß anzunehmen und die darin festgestellte
erbliche Kaiserwürde Sr. Majestät dem Könige von Preußen zu
zu übertragen.^) Bei Beratimg dieses Antrages stellte Lasaulx
unter der Heiterkeit des Hauses in der 187. Sitzung am 17.
März 1849 folgenden Gegenantrag:
1. ,Über den Antrag des Abgeordneten Welcker und die darauf
bezüglichen Vorschläge der Majorität des Verfassungsausschusses ohne
Diskussion zur einfachen Tagesordnung überzugehen ;
2. die Würdigung jenes Antrages und dieser Vorschläge dem
sittlichen und politischen Urteil aller ehrlichen und verständigen Deut-
schen zu überlassen; und
3. unbeirrt von greisenhafter Hast, wie von jugendlicher Unge-
duld in der Beratung des Verfassungswerkes mit Ruhe und Besonnen-
heit fortzufahren, und zu tun, was nötig ist, um es zustande zu
bringen.** *)
Lasaulx' Antrag fand natürlich kein Gehör bei der Natio-
nalversammlung.
Ebensowenig, als sein in der 196. Sitzung am 28. März
1849 gestellter Antrag bezüglich der Wahl des Kaisers. Der
mit großer Heiterkeit aufgenommene Antrag lautete:
„In Erwägung, dais Tollkühnheit nicht Kühnheit ist, indem zu
dieser gezügelte Kraft, Herz und Verstand gehören: {grof?e Heiter-
keit in der Versammlung)
') Stenogr. Bericht VI, 4559 und Studien p. 523—24. — -) Stenogr.
Bericht VI, 4664 und Studien p. 524. — ^) Stenogr. Bericht VIIT, p. 5666.
— -») ibid. Vlir, 5800-01 und Studien p. 524-^25.
Stölzls: Ernst von Lasaulx. 10
146 8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalyersammlung.
in Erwägung, daß nach den gemachten Erfahrungen in „kühnen
Griffen " ^) die National versammhing nicht gh'ickHch ist: (wiederholte
Heiterkeit, J3ravo auf der Linken)
in Erwägung, daß zu einer Kaiserwahl keiner von uns ein Man-
dat hat;
in Erwägung, daß, wenn sie Bestand hahen soll, eine neu zu
hegründende Rechtsordnung nicht auf Unreclit gegründet werden darf;
in Erwägung endlich, daß nacli den Gesetzen der Weltordnung
der Hochmut stets vor dem Falle kommt; (große Heiterkeit)
aus diesen Gründen geht die Nationalversammlung über die An-
träge des Verfassungsausschusses l)ezüglich der Kaiserwahl einfach
zur Tagesordnung über.'' ^)
Der König von Preußen hat bekanntlieh die ihm zuge-
dachte Kaiserwürde, die mit 290 Stimmen unter 248 Stimment-
haltungen von der Nationalversammlung am 28. März 1849 be-
schlossen wurde, abgelehnt. Lasaulx hat, obwohl verlacht, mit
seinen Antragen durch die Entwicklung der nachfolgenden Ereig-
nisse Recht bekommen.
4. Lasaulx' Reden.
Denselben Freimut in Vertretung seiner Überzeugung, den-
selben klaren Blick für die realen Verhältnisse, dasselbe lebhafte
Gefühl für Recht und Gerechtigkeit, wie in den oben angeführ-
ten Anträgen und Interpellationen und Erklärungen, betätigt La-
saulx auch in seinen Reden. 8 mal nahm er das Wort, 3 mal
7A1 größeren und 5 ntal zu kleineren Reden.
Die erste größere Rede hielt Lasaulx am 22. Juni in
der 21. Sitzung zu der Frage wegen Errichtung einer provi-
sorischen Zentralgewalt. Am 19. Juni hatte der Ausschuß
der konstituierenden Versammlung in der 18. Sitzung einen Be-
richt erstattet über Errichtung einer provisorischen Zenlral-
gewalt für Deutschland und beantragt, 1. es soll bis zur defi-
nitiven Begründung einer Regierungsgewalt für Deutschland ein
Bundesdirektorium zur Ausübung dieser obersten Gewalt in allen
gemeinsamen Angelegenheiten der deutschen Nation bestellt wer-
den, 2. dasselbe soll aus ;> Männern bestehen, welche von den
deutschen Regierungen bezeichnet und von denselben ernannt
werden, nachdem die Nationalversammlung ihre zustimmende Er-
klärung durch eine einfache Abstinmiung ohne Diskussion abgc-
') H. V. Gag er n sagte am 24. Juni 1848: „Meine Herren! Ich tue
einen kühnen Griff und ich sage Ihnen: wir müssen die provisorische Ge-
walt selbst schaffen. — *) Stenogr. Bericht VIII, 6078.
8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. 14?
geben haben werde, 3. das Bundesdirektorium soll provisorisch
a. die vollziehende Gewalt üben in allen die allgemeine Sicher-
heit und Wohlfahrt des deutschen Bundesstaates betreffenden
Angelegenheiten, b. die Oberleitung des gesamten Heerwesens
übernehmen und namentlich den Oberfeldherrn der Bundestrup-
pen ernennen, c. die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands
ausüben und zu diesem Ende Gesandte und Konsuln ernennen,
4. Ober Krieg und Frieden und über Verträge mit auswärtigen
Mächten beschließe das Bundesdirektorium im Einverständnis
f
mit der Nationalversammlung, 5. die Errichtung des Verfassungs-
werkes bleibe von der Wirksamkeit des Bundesdirektoriums aus-
gesehlossen, 6, das Bundesdirektorium übe seine Gewalt durch
von ihm ernannte, der Nationalversammlung verantwortliche Mini-
ster aus. Alle Anordnungen derselben bedürfen zu ihrer Gültig-
keit der Gegenzeichnung wenigstens eines verantwortlichen Mini-
sters, 7. die Minister haben das Recht, den Beratungen der Na-
tionalversammlung beizuwohnen und von derselben jederzeit ge-
hört zu werden; sie haben jedoch das Stimmrecht in der Natio-
nalversammlung nur dann, wenn sie als Mitglieder derselben ge-
wählt sind. Dagegen ist die Stellung eines Mitgliedes des Bun-
desdirektoriums mit der eines Abgeordneten zur Nationalver-
sammlung unvereinbar; 8. sobald das Verfassungswerk für
Deutschland vollendet und in Ausführung gebracht ist, hört die
Tätigkeit des Direktoriums und seiner Minister auf. ^) Zu die-
sem Autrag nahm Lasaulx das Wort und übte recht zutref-
fende Kritik. Er deckt in dem vorliegenden Projekt das Unbe-
stimmte und dann den Mangel und absoluten Fehler des Projek-
tes auf. Er hat hier vielfach prophetische Worte gesprochen,
die sich an der Nationalversammlung erfüllten, und wie immer
einen klaren Blick für die realen Verhältnisse bewiesen. Er
tadelt es als einen Fehler, daß die ganze volle Überwucht der
Macht in die Hände der einen Nationalversammlung gelegt sei,
und begründet diesen Vorwurf recht treffend:
„Die Verfassungsgeschichte aller gebildeten Volker zeigt uns
aber, daß, wenn die ganze Fülle der Macht in den Händen einer ein-
zigen Körperschaft ruht, dies notwendig zum Verderben führt. Eine
gute Verfassung muß durchaus ein Gleichgewicht verschiedener Kräfte
und verschiedener Staatsgewalten in sich schließen, wenn sie Bestand
haben soll. Es hat dies seinen Grund in der Natur des menschlichen
Herzens. Wer die Macht hat, mißbraucht sie. Diese Wahrheit ist so
*) Stenogr. Bericht I, 358.
10
148 8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung.
alt, als die menschliche Gesellschaft. Der Mensch liat keinen gefähr-
Hcheren Feind in sich, als sein eignes Herz. Das menschliche Herz ist
ein vvildeS; trotziges und verzagtes Ding. Es ist in einer steten Oszil-
lation hegriffen, zwischen Übermut und Kleinmut, Hoffnung und Furcht.
Stärke und Schwäche, guten und Ix'isen Willensakten; und eine große
Versammlung besteht aus sterblichen Menschen, die denselben LeideD-
schaften unterworfen sind. (Ur.ruhe in der Versammlung. Präsident:
Ich bitte, den Redner nicht zu unterbrechen; ihn selbst aber ersuche
ich, sich möglichst kurz zu fassen.) . . . Eine große Versammlung,
sage ich, ist vor unbesonnenen Beschlüssen um kein Haar sicherer als
ein einzelner Mensch, und jeder Beschluß einer großen Versamm-
lung, der nicht ausgeführt weiden kann, gefährdet das Ansehen dieser
Versammlung." ^)
Lasaulx selbst wünschte, daß ein einziger deutscher
Fürst an die Spitze der Zentralgewalt als Reichsstatthalter ge-
stellt, dessen Ernennung den deutschen Fürsten überlassen werde,
und daß dem Reichsstatt ha Iter das Recht des Veto und eine
Vertretung der deutschen Einzelstaaten zur Seite stehen mOge
in Gestalt der Bundesgesandten des deutschen Bundes. Dann
wandte er sich zu allgemeinen Bemerkungen über Republik und
Monarchie, über die Souveränität und Allmacht der Nationalver-
sammlung, über Kaiser und Reich. Lasaulx bekennt sich als
Gegner der Republik und als Anhänger der Monarchie. Er sagte:
,Es ist in diesem Hause schon oft von Repubhk und Monarchie
die Rede gewesen. . . . Die Republik ist ein schöner Traum der Ju-
gend. Ich habe diesen Traum früher auch mitgeträumt. Ich habe
auf diese Idee das innere Gleichgewicht meiner Natur zu gründen
gesucht. Ich weiß, daß der edlere Teil der Jugend diesem idealen
Bilde anhängt; nicht der schlechtere, sondern der bessere Teil. Aber
darum ist es doch ein Traum, auf welchen man im späteren Leben
gern zurücksieht, wie man im spätem Leben auch gerne an die Jugend-
liebe sich erinnert. (Gelächter) . . . Das republikanische Prinzip kon-
sequent durchgeführt, müßte damit endigen, daß Europa sich auflöste
in so viele Republiken, als es Städte und Dörfer gibt. Das wäre aber
kein Fortschritt in der politischen Entwickelung, sondern eine Rück-
kehr in eine überwältigte Bildungsstufe. Die Tatsachen der letzten
Monate haben unwddersprechlich dargetan, daß die größere Mehrheit
aller Deutschen die Republik nicht wolle. Trotz der Ungeheuern Er-
schütterungen, die über Europa und Deutschland gegangen sind,
und oft die Throne zittern gemacht haben, ist noch keiner dieser
Throne gefallen. Ein sicherer Beweis, daß die Herzen der Völker an
der bisherigen Form festhalten wollen.*' ^)
- Recht zutreffend hat Lasaulx über die Souveränität der
Nationalversammlung gesprochen, die er auf ihre eigentliche
') Stenogr. Bericht I, 455—56. — ^) ibid. I, 456.
jj
8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. 149
Aufgabe eingrenzte, nämlich auf die Beratung und Feststellung
der Reichsverfassung, jedes Übergreifen in eine andere Sphäre
nannte er einen Einbruch in fremdes Rechtsgebiet, die Macht
und Kraft der Nationalversammlung setzte er richtig darein, daß
sie dieselbe nur innerhalb ihres Rechts ausübe, daß ihre Macht
auf Mäßigung und gezügelte Kraft gebaut sei. Die Nationalver-
sammlung hat Lasaulx' richtige Absteckung ihrer Aufgabe lei-
der nicht beachtet, sich zahlreiche Kouipetenzüberschreitungen
ihrer Macht gestattet und damit ihr Ansehen sehr bald in Frage
gestellt. Den Schluß seiner Rede machte Lasaulx mit dem
Wunsche für die Wiederkehr von Kaiser und Reich:
„Wenn ich Wunsches Gewalt und die Magie der Kode hätte,
welche hervorragende Persönlichkeiten in der Geschichte gehabt haben,
ich würde die Anker meines Willens in Ihre Herzen werfen und Sie
an Kaiser und Reich festketten. Dafür haben unsere besten Männer
ihr Leben lang gekämpft, und in der Hoffnung auf die Wiederkehr
von Kaiser und Reich sind sie gestorben: Männer wie Schwarzen -
berg, Blücher, Gneisenau, Stein. Görres und Friedrich von
Gagern. Möchten die Geister dieser Männner in dieser Nationalver-
sammlung walten, und uns die Kraft geben und den Willen, das ins
Leben zu rufen, an dessen Verwirklichung sie die besten Kräfte ihres
Lebens eingesetzt haben." ^)
Mit kürzeren Reden, die aber wegen der Energie der
ausgesprochenen Gedanken sich die Aufmerksamkeit der Ver-
sammlung sicherten, trat Lasaulx 5 mal auf. Wir sehen von
den mehr die Geschäftsordnung betreffenden Äußerungen La-
saulx' in der 42.,'^) in der 43.^) und in der 54.^) Sitzung ab
und heben nur die Reden hervor, die er in der 33. Sitzung am
7. Juli und in der 41. Sitzung am 18. Juli hielt.
In der 33. Sitzung am 7. Juli stand die Diskussion des
Berichtes des Abg. Grum brecht auf Niedersetzung einer be-
sonderen Kommission für Kirchen- und Schulsachen auf der Ta-
gesordnung. ^) Gegen diesen Antrag, für den sich schon ver-
schiedene Redner ausgesprochen hatten, trat Lasaulx auf.
Seine Erklärung, daß er gegen die Wahl eines Ausschus-
ses für das Kirchen- und Schulwesen stimme, hatte auf der Lin-
ken große Unruhe und Unterbrechungen hervorgerufen, so daß
der Präsident zur Ruhe mahnen mußte. Nach diesem Zwischen-
falle fuhr Lasaulx unerschrocken fort:
^) Stenogr. Bericht I, 456. - ') ibid. U, 1037 (19. Juli 1848). -
«) ibid. 1072 (20. JuU 1848), — *) ibid. 1349 (3. August 1848). — *) ibid.
U, 784.
150 8. Lasaulx Abgeordneter in der Krankfui-ter Nationalversammlung.
^Ich erkläre ein für allemal, daü mich gegen Invektiven die
Natur und mannigfache Lebenserfahrungen gehärtet haben, daß ich
den Haß als etwas mir Fremdes auf sich beruhen lasse, und daß ich
den hrtum, meiner eigenen Schwäche bewußt, auch bei andern leicht
ertragen kann. (Unruhe auf der Linken.) *" \)
Er erinnert die Versammlung dann an ihre eigentliche Auf-
gabe, eine Reiclisverfassung zu beraten und festzustellen ; was
davon ohne Not abziehe, sei Zeitverderb und unnütze Vielge-
schäftigkeit; er warnt vor Eingriffen in die Kirchenangelegenheiten
und einer alles nivellierenden allgemeinen Schulordnung in auch
heute noch bemerkenswerten Ausfuhrungen:
.,lhre Kirchenangelegenheiten zu ordnen, werden wir hoffent-
lich den verschiedenen Religionsparteien überlassen , und uns
keinerlei Eingriffe erlauben in ein Gebiet, welches sich nicht beherr-
schen läßt. Eine allgemeine Schulordnung für ganz Deuschland zu
beraten, mag, wenn es jemals dessen bedürfen sollte, der künftigen
Reichsgesetzgebung überlassen bleiben. Ich glaube aber, auch diese
wird Besseres zu tun haben, und das Schulwesen der Partikular-
gesetzung überlassen. Das Schulwesen hängt aufs innigste zusammen
mit dem individuellen Geiste der Stämme und mit der relativen Bildungs-
stufe derselben. Die Partikulargesetzgebung wird jedenfalls die prak-
tischen Bedürfnisse besser zu erkennen und zu befriedigen vermögen,
als dies je von Reichs wegen geschehen könnte." ^)
Der Bericht verzeichnet am Schlüsse der Rede Bravo von
der Rechten und Zischen von der Linken.
Mehr Beifall erntete Lasaulx, als er in der 41. Sitzung
am 18. Juli 1848 dem Antrage von Bassermann, der nament-
liche Abstimmung nur dann wollte, wenn das Resultat der ge-
wöhnlichen Abstimmung zweifelhaft sei, entgegen und für na-
mentliche Abstimmung in allen w^ichtigen Sachen eintrat. Die
Art der Begründung Lasaulx' zeigt uns ganz seinen offenen,
männlichen und freimütigen Charakter.
„Von Rechts wegen sollte . . . die namentliche Abstimmung überall
stattlinden, damit eine vollständige Kontrolle der Gewählten durch die
Wähler möglich sei, und es geschieht die namentliche Abstin^mung
jiur darum nicht in allen Fragen, weil damit ein zu großer Zeilauf-
wand verbunden ist. Daß aber bei besonders wichtigen Fragen nament-
licli, d. h., so abgestimmt werde, wie prinzipiell immer abgestimmt
werden sollte, scheint mir so natürlich und gerecht, daß ich nicht be-
greife, wie es bestritten werden könne. . . . Daß durch die nament-
liche Abstimmung eine teilweise Gemütsaufregung hervorgerufen werde,
ist wahr; dies schadet aber nichts (Biavo von der Linken). Die Frei-
heit ist ein Kampf, und es kommt nur «iarauf an, diesen Kampf offen
'j Stenogr. Bericht II, 787. - '; ibid. II, 787-88.
8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. 151
und ehrlich auszuf echten, dann wird er zum Guten führen (Bravo von
der Linken). Es gewährt aber die namentliche Abstimmung außer
dem Vorteil der Kontrolle der Gewählten durch ihre Wähler, auch den
großen psychologischen Vorteil, daß, wenn namentlich abgestimmt
wird, jeder die Sache, um deren Lösung es sich handelt, schärfer ins
Auge faßt, und ihr gegenüber seine Überzeugung bestimmter fixiert,
als dies sonst der Fall ist. (Einige Stimmen von der Linken: Sehr
gut!) Auch dies ist wünschenswert, und ein Beförderungsmittel der
Wahrhaftigkeit, der Offenheit, Geradheit und Männlichkeit der Gesin-
nung d. h. jener republikanischen Tugenden, die. wenn sie allgemein
verbreitet wären, dem Bestände der Monarchie keine Gefahr bringen
würden. Wir leben in einer Zeit, wo jeder für seine Oberzeugung mit
seinem Namen und seiner Person einstehen muß; nur so ist trotz der
Verschiedenheit der politischen Überzeugungen gegenseitige Achtung
der Parteien möglich, und die Möglichkeit gegeben, daß die objektive
Wahrheit die Geltung erhalte, welche ihr allein gebührt. ** . . . (Stür-
misches Bravo von der Linken.) ^)
Diesen zwei kleineren, aber durch ihre Gedanken nicht un-
wichtigen Reden folgen noch zwei größere, bedeutsam durch die
Wichtigkeit ihres Gegenstandes, die eine über die Freiheit der
Kirche und die andere über die österreichische Frage.
In der 68. Sitzung am 29. August 1848 stand derj§U4
des Entwurfs der Grundrechte, sowie der Ausschuß ihn vorge-
schlagen hatte, auf der Tagesordnung. Derselbe lautete: „Neue
Religionsgesellschaften dürfen sich bilden; einer Aner-
kennung ihres Bekenntnisses durch den Staat bedarf es
nicht." Dazu waren zahlreiche Minoritätserachten und Verbes-
serungsvorschläge eingegangen, darunter auch von Lasaulx und
Genossen ein Minoritätserachten des Inhalts: „Die bestehen-
den und die neu sich bildenden Religionsgesellschaften
sind als solche unabhängig von der Staatsgewalt: sie
ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbstän-
dig." Zur Verteidigung dieses die Freiheit der Kirche gewähr-
leistenden Gutachtens ergjriflp Lasaulx in der gleichen Sitzung
(68. Sitzung am 29. August 1848) das Wort zu einer Rede,
worin er den Zug der Zeit zur individuellen Freiheit richtig er-
kennend für die Freiheit auf kirchlichem, politischem und sozia-
lem Gebiet mit packenden Ideen und gewohntem Freimut eintrat.
Wir teilen die Rede, die auch heute noch nicht veraltet ist, in
ihren Hauptstellen mit. -)
^) Stenogr. Bericht II, 990. — '-) Nach dem stenographischen Bericht
III, 1779—81; der spätere Abdruck in den „Studien* 510 — 17 zeigt an man-
chen Stellen kleine Änderungen und mehrfach Anmerkungen.
152 8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung.
, Meine Herren! Ihre Entscheidung der Frage über die Frei-
heit der Kirche wird, soviel in Ihnen liegt, über die Zukunft Peutsch-
lands entscheiden: i^ie wird zeigen, ob die allgemeine Bew-egung des
(leutsclien l^ebens aus der wir hervorgegangen sind, eine echte heil-
kräftige, aus langem Winterschlafe zu neuem Leben fülirende, oder ob
sie nur ein vorübergehendes Aufleuchten der verlöschenden Lebens-
geister unseres einst grofaen Volkes sei. ihre Abstimmung in dieser
Frage wird der Nachwelt beweisen, wer unter Ihnen ein volles, auf-
richtiges und herzhaftes Vertrauen in die Heilkraft der Wahrheit und
der Freiheit hat, oder nicht hat. Der allgemeine Charakter aller
kirchlichen, politischen und sozialen Bewegungen der letzten Jahr-
hunderte bestellt darin, dala in ihnen die gesamte mittelalterliche
Lebensordnung sich auflöst. Das innere Agens dieses allgemeinen
Auflösungsprozesses der alten, und das gestaltende Prinzip der neuen,
mit Gottes Hilfe besseren Lebensordnung im Staate und in der Kirche
ist die Idee der individuellen Freiheit. Gegen die Übel dieser Freiheit
gibt es kein anderes Heilmittel als die Freiheit selbst; sie allein ent-
hält mit dem Gifte zugleich das Gegengift hi sich, und hier gilt der
alte Spruch, dessen Wahrheit bestätigt wird durch die Geschichte aller
geistigen Kämpfe dei- europäischen Menschheit, daß, .wer die Wunde
geschlagen hat, sie auch zu heilen vermag. Meine Herren! Die Ge-
schichte der christlichen Kirche enthält wesentlich nichts anderes, als
eine Wiederholung der irdischen Lebensgeschichte Christi im Leben
der christlichen Völker. Denn es ist ein allgemeines Gesetz jeder gro-
l.k'n geschichtlichen Bewegung, daf3 in derselben nur jene Prinzipien
sich explizieren, welche an dc^r Spitze der Bewegung stehen, und nur
(las Leben jener großen Persönlichkeiten sich wiederholt, welche die
Träger der weltgeschichtlichen Ideen sind. In den Hinrichtungen der
christlichen Märtyrer wiederholt[e] sich der Kindermord bei der Ge-
burt des Heilandes (Bewegung und Heiterkeit); in dem Leben und in
den Versuchungen der Anachoreten die Versuchungsgeschichte Christi
in der Wüste; in dcjm Streite der christlichen Konfessionen über die
Abendmahlslehre, der Zank und das Auseinandergehen der Jünger bei
der harten liede ihres Meisters: ,Wer nicht esse das Fleisch des
Menschen.sohns, und trinke sein Blut, dei* habe sein Leben nicht in
sie*!!.** An welchem Momente wir gegenwärtig angekommen seien,
nach dieser Auffassung der christlichen Kirchengeschichte, kann nicht
zweifelhaft sein. Kein denkcjnder Beobachter der menschlichen Dinge
kann es sich verhehlen, data die spezifisch chiistlichen Glaubenslehren
über die Gemüter der heutigen Gebildeten nicht mehr jene Gewalt
haben, welche sie einst gehabt haben. Weder unser öffentliches poli-
tisches Leben, noch das Privatleben der Mehrzahl der Gebildeten, noch
die Blüte unseres nationalen Lebens, di(* Kunst und die Wissenschaft,
sind von christliclien Ideen durchdrungen und beherrscht; ja selbst in
diesem Hause der Vertn^ter des gesamten deutschen Volks ist wieder-
holt die Behauptung ausgesprochen worden, die christliche Kirche als
solche müsse vernichtet werden. Also sind wii-, meine Herren, dank
dem Bettelstolze des letzten Jahrhunderts, der alles zersetzenden Kritik
♦Mnei'seits und andererseits des vollendeten Polizeistaates, gegenwärtig
aji dem Alonienlr des Todes und {\vv Grablegung, auf welchen die
I
8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. 15S
Auferstehung folgt, angekommen (Heiterkeit). Wie damals römische
Soldaten an dem Grabe standen und Wache hielten, damit nicht die
.h'inger kommen und den Leichnam stehlen und dann sagen sollten,
er sei auferstanden; so standen bisher die schwarz und gelb oder wie
sonst gestreiften Schergen des modernen Polizeistaates an dem Grabe
des in- und außerhalb der Kirche Gekreuzigten, um Wache zu halten,
damit er nicht auferstehe (Unruhe). ^) Nun, meine Herren, nachdem
in unseren Tagen die Polizei- und Beamtenherrscbaft im Staate zer-
brochen und gefallen, und an ihre Stelle die Selbstregierung des freien
Volkes getreten ist, wäre es eine doppelte Schmach und Schande,
und ein Beweis der Lügenhaftigkeit dieser ganzen Bewegung des deut-
schen Lebens, wenn wir jene Bureaukratie, die wir im Staate zerstört
haben, in der Kirche fortbestehen ließen. Nachdem wir, meine Her-
ren, die Zensur unbedingt und für immer abgeschafft haben, wäre es
ein logischer Widerspruch und eine moralische Falschheit, wenn wii*
das sog. placetum regium, welches ja auch nichts anderes ist, als eine
Präventivzensur, in der Kirche fortbestehen ließen; wer dieses tut,
führt zweierlei Maß und Gewicht, das eine für sich, das andere für
andere, das heißt, er ist ein Betrüger. (Zustimmung. )*•
Nachdem Lasaulx über den Unfug des kgL Plazet die
Worte des holländischen Ministerpräsidenten mitgeteilt und sie
den deutschen Kultusministern, auch den hier anwesenden, unter
der Heiterkeit des Hauses zur ßeherzigung empfohlen hat, macht
er auf die Inkonsequenz aufmerksam, den politischen Gemein-
den Selbstregierung zu gewähren und den kirchlichen sie zu
versagen, aufmerksam auf den Widerspruch, den neuen Religi-
onsgesellsehatlen Freiheit zuzubilligen, den alten aber nicht. Er
fährt fort:
„Wenn wir jeder politischen Gemeinde das Recht der Selbst-
regierung und die selbständige Verwaltung ihrer Gemeinde-Angelegen-
heiten zugestehen, so wäre es eine nichtswürdige Inkonsequenz, das-
selbe natürliche Recht den kirchlichen Gemeinden verweigern zu
wollen. Ich beklage es darum tief, daß der Entwurf des Verfassungs-
ausschusses zwar die Bestimmung enthält: „Neue Religionsgesellschaf-
ten dürfen sich bilden, einer Anerkennung ihres Bekenntnisses durch
den Staat bedarf es nicht **, daß er aber der alten bestehenden Reh-
gionsgesell Schäften mit kemer Silbe gedenkt, wie es denn überhaupt
charakteristisch ist, daß in dem ganzen Entwürfe der Grundrechte des
deutschen Volkes weder der Name Gottes, noch der Name der christ-
^) In den „Studien** (1854) merkt Lasaulx dazu an: „In Osterreich
und Preußen hat sich dies seitdem gebessert, dank dem gerechten und
wohlwollenden Sinne seiner gegenwärtigen Fürsten; in den übrigen deutschen
Staaten dauert der widerwärtige Streit zwischen dem Prinzipate und dem
Episkopate bis zur Stunde fort. Die Königin von England glaubt, ihre Sou-
veränität bestehe darin, daß keine große Frage in Europa ohne ihre Mit-
wirkung entschieden werde; während unsere kleinen Bureaukraten alle Kron-
rechte gefährdet glauben, wenn ein Pfarrer angestellt oder ein Fastenmandat
erlassen werde oh^e ihre Genehmigung!
154 8. Lasaulx Abgeordneter iu der Frankfurter National versaromlong.
liehen Kirche vorkommt (Gelächter auf der Linken), worüber das Ur-
teil der Zukunft richten wird. Wie der § 14 jetzt lautet, gibt er
zwar jedem einzelnen und jeder neuen religiösen Genossenscha^ völ-
lige Religionsfreiheit, das Recht, ihre religiöse Überzeugung auch äu-
fserlich zu betätigen, ohne Genehmigung des Staates. Jeder neue reli-
giöse Sinn und Unsmn soll sich frei aussprechen und betätigen dur-
fen; man will dieses im Vertrauen auf die Heilkraft der Wahrheit und
Freiheit, wenn alle Kräfte freigegeben sind; jede mögliche neue Reli-
gionsgenossenschaft soll unabhängig sein von der Staatsgewalt; die
wirklich bestehenden alten Kirchen aber, die jüdische, die römisch-
katholische, die griechisch-katholische und die protestantisch-evange-
lische Kirche sollen nicht unabhängig sein von der Staatsgewalt. Das
kleine, noch nicht seiende Zukünftige soll frei sein von der Staats-
gewalt, das große seit Jahrtausenden Bestehende aber soll nicht frei-
gegeben werden aus den Fesseln, worein der Despotismus der Bureau-
kratie es geschlagen hat. aus jener schmähhchen Knechtschaft des
Pohzeistaates, der das Heiligste, was der Mensch auf Erden besitzt,
die Religion, zu einer bloßen Polizei-Anstalt herabgewürdigt hat. Wer
diesen Widerspruch, diese moderne Logik zu fassen vermag, der fasse
sie; ich, meine Herren, bin dazu nicht weise und nicht feig genug.
Ich bin gewohnt, konsequent zu denken und zu handeln, und vor kei-
ner logischen Konsequenz eines als richtig erkannten Prinzips zurück-
zuschaudern; ich überlasse dieses Zurückbeben den weibisch Gesinn-
ten, die halb das Halbe wollen, und wie einer unserer Dichter sagt,
die geschworenen Freunde aller halben, die Feinde aller ganzen Maß-
regeln sind. (Eine einzelne Stimme: Bravo! Heiterkeit.)"
Lasaulx appelliert nun eindringlich an das Prinzip der
Freiheit und fordert angesichts der Notwendigkeit und Wichtig-
keit der Religion, die er in hohen Worten in ihrem Werte für
den einzelnen und das Leben der Völker preist, Freiheit für
dieselbe.
„Meine Herren! Wir sind hier in Kraft und Vollmacht des freien
Willens des freien deutschen Volkes, üben wir keinen Verrat an dem
Prinzipe, aus dem wir hervorgegangen sind, an der Mutter, die unter
Schmerzen mis geboren hat. Wer den Flammenblick der Freiheit und
der Wahrheit nicht ertragen kann, der ist ihrer nicht wert; er ist und
bleibt ein Sklave seiner eigenen kleinen, dunkeln, heuchlerischen Ich-
heit. Meine Herren! Das bisherige Verhältnis der Staatsgewalt zur
Kirche war in der Tat ein unerträgliches: es hat wie ein drückender
Alp auf der Brust aller freidenkenden Männer gelastet. Wer der herr-
schenden Staatskirclie des jeweiligen Kultusministers nicht anhing, der
ward als ein Gottloser verschrieen, und wer ihr anhing, als ein Heuch-
ler, und das Letzte ist noch schlechter als das Erste. Diese schiefe
Stellung der Staatsgewalt zur Kirche in allen deutschen Ländern muß
aufhören; sie hat den W^iderwillen, die Abneigung, ja den Haß nicht
einer oder der andern Partei, sondern aller Parteien herausgefordert;
sie hat alle unsere Lebensverhältnisse vergiftet, und würde, wenn sie
fortdauerte, das Beste des doutschen Charakters, seinen religiösen Sinn.
8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. 155
zu Zwietracht, Haß und Rache entflammen, d. h. zu jenen Gefühlen,
welche wahrlich auf dem Boden der Religion nicht erweckt werden
sollten. Meine Herren! Es hat zu allen Zeiten eine Anzahl Menschen
gegeben, welche in guten und in bösen Tagen ohne positive Religion
durch das Leben sich durchgeschlagen haben. Die Zahl dieser Män-
ner ist kleiner, als diejenigen glauben, welche sich dazu rechnen, und
die wirklich dazu gehören, sind nicht glücklich, sie spielen das Spiel
dieses Lebens mit mehr oder wenigem Keckheit, ertragen, was sie
nicht ändern können, und wissen auf alle jene Fragen, welche die
Gemüter der Menschen am tiefsten ergreifen und am längsten be-
schäftigen, keine andere Antwort, als die stets erneuerte Frage des
Pilatus: „Was ist Wahrheit?" — Die Zahl dieser innerhch hoff-
nungslosen Menschen ist in unserer Zeit größer, als vielleicht in irgend
einer andern, wenn man die Zeit des einstürzenden Römerreichs aus-
nimmt. — Meine Herren! Wenn jener alles zersetzende Skeptizismus
in weiteren Kreisen um sich frißt, wenn er den Kern unseres Volks-
lebens, den Bauern- und den Bürgerstand, auf dessen Gesundheit über-
all das Wohl der Staaten beruht, ergreift, und wenn hier, im Drange
der Not, Gottlosigkeit und Armut sich verbinden, dann heben sie das
Leben aus den Wurzeln und stürzen es um (Bravo!). Denn ein Volk
ohne positive Rehgion ist niemals gewesen und wird nie sein; wo
immer in dem ganzen Verlauf der europäischen Kulturgeschichte wir
ein gesundes politisches Volksleben finden, da war die Religion die
innere Lebensflamme desselben. Wenn wir daher eine politische Wie-
dergeburt unseres einst großen und starken, vielleicht noch einmal
aus langem Schlafe wieder erwachenden Vaterlandes hoffen durch die
Kraft der Freiheit, dann muß und wird diese politische Wiedergeburt
unseres Vaterlandes nur gegründet sein können auf eine religiöse Wie-
dergeburt desselben in Kraft derselben Freiheit des Geistes. W^er die
eine erwartet ohne die andere, der kennt die Natur der Völker nicht,
und wer hier im Staate die Freiheit will und sie dort in der Kirche
nicht will, der verrät einen kläghchen Mangel entweder an Verstand
• oder an Herz oder an beiden (Heiterkeit). Alle Heere der Welt.
meine Herren, sind nicht imstande, ein einziges mathematisches (tc-
setz umzustoßen, geschweige. daf3 sie ein sittliches Weltgesetz zu er-
schüttern vermöchten. Wer daher, ich wiederhole es. die Freiheit
will auf dem Gebiete des Staates, und sie nicht will auf dem Gebiete
der Kirche, der. meine Herren, begeht einen Verrat an der Freiheit
(Bravo!). Ich empfehle Ihnen darum das von mii* und vielen meiner
katholischen und protestantischen Freunde gestellte Minoritätsgutachten."
Nach diesem Hymnus auf die Freiheit beleuchtet Lasaulx
noch die beiden Verbesserungsvorschläge von Beckerath und
Zachariae und ihre Mängel und empfiehlt zum Schlüsse noch-
mals dringend das gro&e Prinzip der Unabhängigkeit und Frei-
heit der Kirche. Er schließt die denkwürdige Rede:
„Wir leben in einer Zeit, welche eine furchtbai-e Ähnlichkeit hat
mit den Zeiten der Völkerwanderung; wir leben in einer Wanderung
der Prinzipien, und da ist es absolut notwendig, diesen Prinzipien klar
156 8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung.
und scharf ins Auge zu sehen, und auf eine bestimmte, von dem
Weltgeist gestellte Frage eine bestimmte Antwort zu geben. Meine
HeriHjn! Tun Sie den letzten, entscheidenden Schritt, fassen Sie den
großherzigen Entschluß, mit einem Schlage des Willens alle jene klei-
nen Bedenklichkeiten niederzuschlagen, und ein volles herzhaftes Ver-
trauen in das große Prinzip der Freiheit, die allein die Phantasie zu
füllen würdig ist, zu haben. Geben Sie dem Volke diese Freiheit
nicht aus Fingerhüten, sondern ex pleno zu trinken! Es hat lange
genug darnach gedurstet! Und noch einmal, meine Herren, ohne die
Freiheit der Kirche ist die Einheit Deutschlands unmöglich. Schließ-
lich, meine Herren, behalte ich mir vor, über diesen meinen Antrag,
wenn die Debatte geschlossen ist, die namentliche Abstimmung zu
verlangen (Bravo!)"
Der Antrag Lasaulx' kam in der 75. Sitzung am 11. Sep-
tember 1848 zur Abstinmiung und wurde mit 357 gegen 99
(darunter etwa ein Dutzend Protestanten) verworfen; zum sicheru
Beweis, wie Lasaulx in den „Studien** anmerkt, daß die Einheit
und Freiheit Deutschlands in der Tat unmöglich sei, indem
dazu nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren Vorbedin-
gungen fehlen. ^) Lasaulx' Forderung der Freiheit für die
Kirche, wonach sie ihre eigenen Angelegenheiten selbständig ord-
net, ist auch heute nach 50 Jahren nicht in vollem Maße erfüllt,
und seine Rede daher auch heute noch beherzigenswert.
Zum letzten Male ließ sich Lasaulx in einer größeren Rede
vernehmen, als die sog. österreichische Frage verhandelt
wurde. Am 15. Januar 1849 in der 152. Sitzung wurde die
Beratung des vom Verfassungsausschusse vorgelegten Entwurfs:
„ Das Reichsoberhaupt, der Reichsrat** begonnen, und in der 154.
Sitzung am 18. Januar 1849 ergriff Lasaulx das Wort zu einer-
großen Rede und trat wie im Verfassungsausschuß einem Klein-
deutsehland mit dem König von Preußen an der Spitze entge-
gen und für ein Großdeutschland mit dem Kaiser von Öster-
reich an der Spitze ein. Er gab damit der Oberzeugung Aus-
druck, welche er im Parlamentsalbum in dem Denkspruch
zusammenfaßte :
,Ich schwöre, die Integrität des deutschen Reiches und seine
Verfassung nach bestem Wissen und Gewissen mit Rat und Tat. auf-
recht erhalten und das Vaterland den Enkeln nicht kleiner und nicht
schlechter hinterlassen zu wollen, als die Väter es uns überliefert
haben. So wahr mir Gott helfe." ^)
') Studien 517; Stenogr. Bericht TU, 1994. - ^) Wichmann: Denk-
Würdigkeiten ans der Paulskirche 1888, p. 488.
8. Lasflulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. 157
I
Aus dieser Überzeugung heraus hielt er eine hochpatrio-
tische, wie gewöhnlich, von allgemeinen Betrachtungen getragene,
oft von Beifall, Heiterkeit und Bewegung unterbrochene Rede.
Wir skizzieren ihren Hauptinhalt.
Mit Wärme und Sympathie gedenkt Lasaulx der Idee der
Wiederherstellung von Kaiser und Reich. Nach der Auflösung
des alten Deutschen Reiches im Jahre 1806 habe man die Wie-
derherstellung des Reiches durch die Eintracht des Volkes er-
hofft, nach der Besiegung Napoleons durch die vereinigten
russischen, englischen, deutschen Waffen haben Männer wie
Stein, Schwarzenberg, Blücher, Gneisenau, Görres,
Schenkendorf, Arndt Kaiser und Reich wieder herstellen
wollen. 1) Lasaulx zitiert Stellen aus Görres' Schriften, den
man später vergessen habe. Trotzdem sei die Idee der Wieder-
herstellung von Kaiser und Reich nicht verwirklicht worden,
weil die natürlichen Verhältnisse der deutschen Staaten es nicht
mehr zu gestatten schienen, und weil nach dem allgemeinen Ge-
setze der Geschichte: Wer einmal gestorben ist, niemals in
Wahrheit wieder lebendig wird. *^) Was in jener von politischem
und religiösem Enthusiasmus erregten Zeit nicht möglich gewe-
sen, das sollte heute nach weiteren 34 Jahren infolge der März-
emeuten von Wien und Berlin (Bewegung auf der Linken) ge-
lingen? Sollen wir jetzt es noch einmal versuchen, eine Zen-
tralgewalt zu gründen, die weder eine zentrale noch überhaupt
eine Gewalt sei? Deutschland sei einmal eine Art von Ein-
heitsstaat gewesen und habe einen Kaiser gehabt, den einzigen,
dessen Majestät in allen Ländern der Christenheit anerkannt war,
aus dem Einheitsstaate haben sich die Einzelstaaten, aus der
Majestät des Kaisers die Landeshoheit der Fürsten entwickelt.
Was so im natürlichen Entwicklungsgang der deutschen Ge-
schichte auf dem Wege des Naturprozesses des deutschen Le-
bens untergegangen sei, das soll auf dem Wege der Reflexion
wieder hergestellt werden? Es sei immerhin möglich, daß die
Zukunft ein neudeutsches Kaiserreich mit der Hauptstadt Berlin
sehen werde, wie das alte echte Rom, eine Fortsetzung in dem
unechten Rom, in Konstantinopel gefunden habe (Heiterkeit
in der Versammlung). Dort habe bekanntlich sehr viel klassi-
sche Erudition, die feinste Hoftheologie, Ho^hilosophie, Hofhisto-
') Stenogr. Bericht VI, 4774. — -) Dieselben Gedanken führte La-
saulx im Verfassungsausschuß aus; vgl. Haym: Die deutsche Nationalver-
sammlung 1849, p. 282—38.
156 8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlnng.
riographie und Bildung die Hülle und Fülle geherrscht (gro&e
Heiterkeit, mehrere Stimmen: „Bravo!") und auch Berlin sei ja
unbestritten die Metropole der neudeutschen Wissenschaft (Hei-
terkeit lind Gelächter auf der Linken). Lasaulx, kein Freund
des byzantinischen Kaisertums, hat an diesem Versuche nur eines
auszusetzen. Die Bildung und die Wissenschaft sei nichts Leben
Produzierendes, sondern Leben Konsumierendes, verbrauchtes,
ausgeisterndes Leben; wo weniger wissenschaftliche Bildung und
Einbildung herrsche (Heiterkeit auf der Linken und im Zentrum),
sei mehr unverbrauchte Lebenskraft, mehr Tatkraft und mehr
Zukunft; in Preuien herrsche viel mehr humanistische Bildung
als in Österreich, viel mehr neudeutsche Wissenschaft in Ber-
lin als in Wien; aber wenn es zu handeln gelte und ein kern-
haftes Wort zu sprechen nach mannhafter Tat, dann stehen die
Männer in Wien nicht zurück gegen die in Berlin. Darum
zieht Lasaulx, wenn einmai ein neudeutscher Kaiser sein solle,
den Kaiser von Österreich dem König von Preußen vor nicht
bloß wegen der historischen Kontinuität des Lebens, welche for-
dere, daß da angeknüpft werde, wo vor 42 Jahren abgerissen
wurde, sondern weil in Österreich viel mehr unentwickelte
entwicklungsfähige naturwüchsige ManneskratT: sei als in Preu-
ßen (Heiterkeit auf der Rechten), das weiter vorgeschritten sei
auf der Bahn des Lebens zum Tode. Darum will Lasaulx,
wenn ein deutscher Kaiser sein soll, den Kaiser von Österreich
als Kaiser. Er weist den Einwand ab, daß das ganze Österreich
nicht mit Deutschland vereinigt sein könne wegen' der zu vielen
nichtdeutschen Bestandteile. Man treibe mit dem Nationalitäts-
prinzip sehr viel Unfug. ^) Die Engländer würden nicht Ir-
land, Malta, Korfu, Ostindien, die Franzosen nicht Elsaß
oder Algerien von sich lassen wegen ihrer fremden Nationalität,
nur die Deutschen seien so töricht. Im (Gegenteil sollten die
Deutschen noch anderes dazu erobern, wie die unteren Donau-
länder und die Provinzen des zerfallenen Türkenreiches. Er
weist die Befürchtung ab, daß wir, wenn ganz Österreich zu
Deutschland träte, möglicherweise im gemeinsamen Reichstage
von Nichtdeutschen überstimmt würden; ferner sei es albern zu
fürchten, wir müßten für nichtdeutsche Interessen Krieg führen
mit deutschen Kräften, denn jene nicht-deutschen Kräfte würden
auch für unsere Zwecke uns helfen. Beselers Bedenken, Eu-
') Stenogr. Bericht VI, 4775.
8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. 159
ropa würde ein Reich von 70 Millionen im Herzen Europas
nicht dulden, tut Lasaulx schlagend ab:
„Ich habe nicht im Rate Europas gesessen, a})er ich glaube, dals,
wenn wir mit Österreich vereint wären, wir nicht in der Lage sein
würden, um Erlaubnis fragen zu müssen (lebhafter Beifall auf der
Linken und dem linken Zentrum; Stimmen daselbst: Sehr gut!), das
zu sein, was wir dann in Wahrheit wären.** ')
Auch über die Geltung der Grundrechte weiß Lasaulx
Baseler zu beruhigen.
Die Theoretiker, welche nicht wissen, ob das Reich ein
Staatenbund oder Bundesstaat oder Einheitsstaat zu nennen sei,
verweist Lasaulx auf die Tatkraft und das Beispiel der Eng-
länder und Franzosen. Die Engländer würden, wenn sie unsere
Aufgabe zu lösen hätten, nichts hergeben von dem, was sie be-
säßen, vielmehr noch anderes dazu zu bekommen suchen, und sie
würden aus den vorhandenen Bestandteilen, so gut es ginge, ein
Ganzes machen, und völlig unbekümmert um den Namen, es den
Gelehrten überlassen, dieses Ganze einen Staatenbund, Bundes-
staat oder Einheitsstaat, kurz wie es ihnen beliebte, zu benen-
nen; und die Franzosen würden vor allem ihre Theorie so ein-
richten, daß die Wirklichkeit, um die es sich handelt, hinein-
paßte, und sie würden dann uns Deutschen noch glauben machen,
daß dieses auch die neueste, beste, feinste Staatstheorie von
allen bisherigen wäre (Heiterkeit auf der Rechten und im Zen-
trum), und viele von uns würden ihnen glauben. Lasaulx
macht die Anwendung auf Deutschland in beredtem Schlußwort:
„Nun, meine Herren, wir sind zwar keine Engländer oder Fran-
zosen, aber etwas von ihrem politischen Verstände könnten wir uns-
doch aneignen unbeschadet unserer Professorenweisheit (große Heiter-
keit und lebhafter Beifall auf der Linken und im linken Zentrum).
Ich würde darum, meine Herren, wenn es wahr ist, daß die National-
souveränität wesentlich ein MachthegrifT ist, vor allem suchen, die
wirkliche Macht zu gründen, und würde die ganze Theorie von dem
Bundesstaate und ein Dutzend schön stilisierter Paragraphen unserer
Reichsverfassung freudig in den Kauf geben, wenn es uns gelänge,
ein großes, mächtiges, herrschendes Reich zu werden, und statt des
verwünschten Kleindeutschlands mit dem Könige von Preußen an
der Spitze ui Wahrheit ein Groß-Deutschland zu gründen mit dem
jugendlichen Kaiser von Österreich an der Spitze und den großen
Feldherrn, die ihn umgehen (große Heiterkeit und Gelächter auf der
Linken), mit dem Kaiser von Österreich an der Spitze und mit seinen
Feldherrn Radetzky, Windischgrätz und lellachich (Stimmen auf
^) ibid. 4776.
160 8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung.
der Linken: Ohne! ohne!), und also das alte Reich deutscher Nation
im Herzen Europas wieder herzustellen.'' ^)
Freilich glaubt Lasaulx nicht, dafs jetzt dieser Gredaiike
von der Nationalversammlung verwirklicht werden könne, bei den
unfertigen, garenden Zuständen könne man nur an die Spitze
der Gesamtverfassung eine Gewalt setzen, die realisierbar und
so bildungsfähig sei, daß aus ihr entweder ein Präsident oder
ein Kaiser sich herausentwickle. Eine solche Form scheint La-
saulx ein Bundesdirektorium ä la Rotenhan. Das laufe nicht
auf den alten Bundestag hinaus; an einen verbesserten Bun-
destag, in dem neben fürstlichen auch Volksinteressen repräsen-
tiert seien, hätten viele im März und April vorigen Jahres ge-
dacht. Lasaulx kann sich für dieses Projekt nicht, erwärmen.
Begeistert schließt er:
^Aber wie die Dinge wirklich sind, und wir sie nicht ändern
können, scheint es mir besser, das mögliche leidlich Gute zu verwirk-
lichen, als dem Unmöglichen nachzustreben, wie ein jeder sich's denkt,
um am Ende nichts zu erreichen. Wer den Zweck will, meine Her-
ren, muß auch die Mittel wollen. Sorgen wir darum vor allem, daß
Deutschland, dessen Größe und Einigkeit wir zu gründen berufen ■
sind, nicht durch unsere Schuld geschwächt und zerrissen werde und \
gründen wir vor allem, meine Herren, die wirkliche Macht und dann
die Freiheit, welche ohne die Macht ohnmächtig ist (lebhaftes Bravo
und Beifallklatschen auf der Linken und im Zentrum).'' ^)
Die Entwicklung der Dinge ist anders gekommen, als La-
saulx angenommen hat; auch haben sich die Urteile, die er
über die Zukunft Preußens und Österreichs in kultureller und
politischer Hinsicht fällte, nicht bestätigt. Trotz dieser Irrtümer
Lasaulx' müssen wir seinen weitherzigen Patriotismus hochhal-
ten, der alle Deutschen zu einem großen Reich vereinigen
wollte, seinen konservativen Sinn ehren, der die historische Kon-
tinuität durch den Ausschluß von Österreich nicht abgebrochen
wissen wollte, die Treue anerkennen, mit der er die groß-deut-
sche Idee festhielt. Nach dieser Rede trat Lasaulx nur noch
mit 2 Anträgen über die Kaiserwürde und Kaiserwahl hervor,
die wir oben besprochen haben.
f). Lasaulx im persönlichen Verkehr in Frankfurt.
Die Abgeordneten der Nationalversammlung hatten auch
untereinander und mit den Frankfurtern Verkehr und fanden
•) ibid. 4776. - -) ibid. VI, 4776.
^^JÄKi.'
Ö. Lasauix Abgeordneter in der Frankfurter KationalversammluDg l6l
sich so bei verschiedenen Gelegenheiten zusammen. So traf sich
Lasaulx fast jede Woche einen Abend mit dem Archivar von St.
Florian, Jodokus Stolz und DöUinger bei Böhmer, i) bei Veit
mit Döllinger, Phillips, Dr. phil. Klemens, Sepp n. a. 2)
Auch mit Diepenbrock, Radowitz, Beda Weber und För-
ster, dem späteren Fürstbischof von Breslau, trat er in nähe-
ren Verkehr. •^) Auch in Cafes sahen die Abgeordneten verschie-
dener Richtung einander. Dabei kam es zwischen Lasaulx und
Vogt zu einem hübschen Dialog. Als einer der Abgeordneten
es nett fand, daß man sich auch auf neutralem Boden treffe, be-
merkte Vogt, die Sache habe auch ihre Kehrseite. Wenn seine
Partei zum Siege gelangte, könnte sie wohl von der Guillotine
Gebrauch machen müssen. Da wäre es ein fatales Gefühl, über
einen Mann das Todesurteil zu sprechen, mit dem man zuvor in
dieser Weise verkehrt habe. Lasaulx erwiderte Vogt unter
allgemeiner Heiterkeit: „Ich meinerseits versichere Sie: Wenn
wir die Sieger sind, und Sie werden an den Laternenpfahl da
drüben aufgehängt, — mit der vollkommensten Seelenruhe trinke
ich meinen Kaffee zu Ende und rauche meine Zigarre dazu.** ^)
6. Lasaulx' briefliche Urteile über die National-
versammlung.
Wir haben nur wenige Briefe^) Lasaulx' aus seiner Frank-
furter Zeit zur Verfügung. Aus allen aber spricht Lasaulx' in
der Folge durch die Tatsachen gerechtfertigte Überzeugung, daß
die Nationalversammlung an einem hoffnungslosen Werke arbeite.
Am 6. September 1848 schreibt er von Frankfurt an Marie
Görres:
„Liebe Marie! . . . Hielte ich es niclit für meine Pflicht, hier
auszuharren, so brächte ich selbst sie (Frau und Tochter) nach Mün-
chen und bliebe gleich da bei euch und meinen Büchern. Denn un-
sere hiesige Aufgabe ist eine unlösl)are: wir sollen eine Universal-
medizin erfinden für ganz verschiedene Krankheiten; sollen die Unord-
nung durch die Ordnung heilen, die doch nur durch eine noch grö-
^) Joh. Friedr. Böhmers Leben, Briefe und kleinere Schriften durch
J. Janssen Bd. I (1868), p. 310. — 2) Pailler: Jodocus Stütz 1876, p. 126.
— '; Reinkens: Melchior von Diepenbrock 1881, p. 391. — *) Erinnerun-
gen des Joh. Nep. Ringseis Bd. IV (1891), p. 127. — '*) Wir verdanken
dieselben der' Freundlichkeit des kgl. Geheimen Haus- und Staatsarchivars
Herrn Dr. G. M. Joch n er in München.
Stölzle: Ernst von Liisaulx. 11
162 8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung.
ßere Unordnunjr geheilt werden kann; sollen aus ;5S größeren mid
kleineren Metallklumpen einen einzigen niaclieii. was nur auf dem
Wege des Feuers möglich ist.**
Lasaulx schließt den Brief mit dem Geständnis, daß kein
Tag vergehe, an dem er sich nicht nach München zurflcksehne.
Lasaulx ist überzeugt, daß die Nationalversammlung nichts er-
reichen werde. Am 27. September 1848 schreibt er wieder au
Marie Görres:
, Liehe Marie! . . . üb Julie und Anna den Winter hier bleiben
oder zu euch nach Müuchcn zurückkeluen, ist noch unentschieden;
ich wünsche das letztere, da ich IxMde in München wärmer und
sicherer weiß als in der Unruhe und dem Winsal des hiesigen Lebens.
Doch werden sie jedenfalls bis zur Hälfte Oktober hier bei mir blei-
ben. Auch für den Fall, dals mir hier etwas Menschliches begegnen
sollte, wovor ja keiner voji uns sicher ist, M wäre es besser, wenn
Julie und Anna die Saclie nicht umnittelbar mit ansehen müßten.
Provozieren werde ich den Troii der Schurken in und außerhalb der
Paulskirche nicht mehr, als Lichnowski dies getan hat; seine her-
ausfordernde Keckheit ist meiner Nalur fremd, aus meinen Überzeu-
gungen aber mache ich so wenig ein Geheimnis, als er die seinigen
jemals verhehlt hat. Wie es hier überhaui)t noch gehen w^rd, wissen
die Göttei': eine Wiederholung der Scheußlichkeiten vom 18. d. M. ist
bei der bedeutenden Truppenmacht. die in der Stadt und Umgebung
zusammengezogen ist, kaum zu fürchten: durch die Nationalversamm-
lung aber werden Einheit, Freiheit und Ordnung in Deutschland
nicht begiündel werden. Diese Versammlung liefert täglich neue Be-
weise der alten Wahrheit: daß die Welt regiel't wird durch die Weis-
heit Gottes und die Torheit der Menschen; denn es ist ein bloßer Zu-
fall, wenn hier einmal bei der (Charakterlosigkeit der Rechten und der
perfiden Büberei der Linken ein verständiger Beschluß gefaßt wird."
Dieselbe Hoffnungslosigkeit spricht sich aus in einem Briefe
vom 4. Oktober 48, wo Lasaulx der Marie Gör res offen ge-
steht, daß er auf die Nationalversammlung kein Vertrauen habe.
Nach Mainz zu gehen sei er durch eine Sitzung des Verfassungs-
aussehusses verhindert; auch habe er zu jener Versammlung^
nicht viel mehr Vertrauen als zu der hiesigen, auf die er keines
habe. Vom 11. Februar 49 haben wir noch einen Brief an
^) Auch Stütz klagt, daß selbst die persönliche Sicherheit nicht ganz
ohne Gefährde sei; vgl. Brief von Stütz am 19. Nov. 1848 bei Pailler:
Jodoc Stülz 1876, p. 101. — -) Es war die Versammlung hervorragender
Katholiken in Mainz vom 3.-6. Oktober 1848, aus welcher sich nachmals die
jährlichen Katholikenversammlungen Deutschlands, die seitdem in reli-
giöser, sozialer und charitativer Hinsicht so viel Gutes gestiftet haben, ent-
wickelt haben. Lasaulx hat sich also bezüglich der Entwicklung derselben
getäuscht; vgl. über die Mainzer Versammlung und die Teilnahme von Mit-
gliedern der 5'rankfurter Nationalversammlung May: Geschichte der General-
versammlungen der Katholiken Deutschlands 1908, p. 27 und 33.
8. Lasaulx Abgeordneter in der 1^'rankfurter Nationalveräanimlung. 16B
Marie Gör res, worin er die österreichische Note vom 4. uuver-
gleichlicli besser findet als die aufgedunsene Bunsensche. La-
saulx bemerkt schließlich:
„Daß aucli eure Stände sich so schlecht aufführen, kam mir
cMnigermaßen unerwartet; es bleibt am Ende nichts übrig, als einen
großen Teil der Märzerrungenschaften wieder auszumerzen und die
Freiheit unter den Schutz der Kartätschen zu stellen."
Und am 24. Februar 1849 teilt er seiner Tochter Anna
von Frankfurt mit, sie solle der Mutter sagen, weiiu sie es noch
nicht wissen sollte, daß er das hiesige Leben herzlich satt sei.
Wie Abstimmungen, Anträge und Reden Lasaulx', so be-
kunden auch diese brieflichen Geständnisse ein gesundes politi-
sches Urteil, das die Folgezeit als richtig bestätigt hat.
7. Lasaulx' Austritt aus der Nationalversammlung.
Bei allem Interesse, das Lasaulx an den Verhandlungen
der Nationalversammlung nahm, erkannte er doch früh, [daß die
Nationalversammlung von ihrer eigentlichen Aufgabe immer
mehr abkomme, sah, wie das Ansehen der Versammlung infolge
ihrer Kompetenzüberschreitungen und ihrer machtlosen Be-
schlüsse sank. Die demütigende Ablehnung der Kaiserwörde
seitens des Königs von Preußen am 3. April 1849 war schon
ein schwerer Schlag für die Nationalversammlung gewesen. Die
Abberufung der österreichischen Abgeordneten seitens der öster-
reichischen Regierung am 5. April war ein weiterer. Dazu nah-
men die Regierungen gegen die Beschlüsse der Nationalver-
sammlung eine ablehnende Haltung ein, so Österreich mit
einer Note vom 15. April, Preußen mit einer solchen vom 17.
und 28. April, Bayern vom 23. April. Trotzdem faßte die Na-
tionalversammlung in der 211. Sitzung am 4. Mai 1849 weitere
unheilvolle Beschlüsse: Am 22. August solle auf Grund der be-
schlossenen Verfassung der erste Reichstag zusammentreten, am
15. Juli sollen die Wahlen dazu vorgenommen werden; wenn
Preußen iji diesem Reichstage nicht vertreten sei, soll das
Oberhaupt des größten im Staatenhaus vertretenen Staates als
Reichsstatthalter fungieren, wenn aber Preußen die Ver-
fassung anerkenne, dann soll die Würde des Reichsoberhauptes
nach Maßgabe der Verfassung (§ 08 fF.) auf den zur Zeit regie-
renden König von Preußen übergehen.^) Die Nationalversamm-
•) Stenogr. Bericht IX, 6396 und 6435.
11
164 8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nation alversammltuig.
lung hatte sich aus einer konstituierenden VolksversaaiuiluDg in
eine ausfuhr ende Behörde verwandelt, die Sprache der Ver-
sammlung war nahezu revohitionär, Verständigung der Versamm-
lung mit den Regierungen der Einzelstaaten ausgeschlossen. Da
sagte sich auch Lasaulx wie viele andere von der Nationalver-
sammlung los und erklärte mit besonderer Bezugnahme auf die
Beschlüsse vom 4. Mai in einer freimütigen Zuschrift am 7. Mai
seinen Austritt. Die Erklärung lautete:
^Herr Präsident! Nachdem die Nationalversammlung ihre ur-
sprüngliche Bestimmung, eine Bundesverfassung für ganz Deutsch-
land zwischen den Regierungen und dem Volke zustande zu bringen,
mit Wissen und Willen verleugnet, und eine Verfassung mit einem
Wahlgesetze projektiert hat, welche, von denjenigen Regierungen, die
noch ein Bewußtsein ihrer Macht und ihrer Ehre haben, verworfen,
wenn sie zur Ausführung käme, alle erhaltenden politischen und sozia-
len Prinzipien zerstören, die friedliche Entwicklung und das Glück des
Volkes jeder vornehmen und gemeinen Wühlerei preisgeben, Deutsch-
land heillos verstümmeln, das verstümmelte im Innern in Zw^ietracht
erhalten und nach außen ohnmächtig machen würde; nachdem, sage
ich. die Nationalversammlung von ihier ursprünglichen Bestimmung
abgefallen, und taub für die Stimme des Rechtes, dem Schwindelgeiste
der Meinungen fröhnend, ihr willkürliches Werk, an dessen Dauer sie
selbst nicht glaubt, mit rechtswidrigen Mitteln durchzuführen be-
schlossen hat: so betrachte ich das Mandat meiner Wähler, welche
die alte Treue und das alte Recht höher achten, als die vorübergehen-
den Täuschungen des Tages, für erloschen, und erkläre hiermit mei-
nen Austritt aus einer Versammlung, der länger anzugehören, Pflicht
und Ehre mir verbieten. — Indem ich Sie ersuche. Herr Präsident,
die vorstehende Erklärung der Nationalversammlung mitteilen, und in
das Protokoll in ihrri* heutigen Sitzung aufnehmen zu wollen, verharre
ich mit bekannten Gesiiniungen. Dr. E. v. Lasaulx, Abgeordneter
für Abensberg in Niederbayern. ^) Frankfurt. 7. Mai 49.**
Mit dieser Erklärung, welche scharfe Kritik an der Natio-
nalversammlung übt, beschloß Lasaulx seine parlamentarische
Tätigkeit in Frankfurt. In der kurzen Zeit, welche Lasaulx der
Versammlung angehörte, war er doch eine markante Persönlich-
keit geworden. Das zeigen uns die Urteile, welche über La-
saulx von Anhängern und Gegnern gefällt wurden, das zeigt
der Spott, den er in Wort und Bild erfuhr.
2. Urteile über Lasaulx' Auftreten in der Nationalversammlung.
Die Entschiedenheit, mit der Lasaulx seinen Standpunkt
vertrat, die Beredsamkeit, welche er entfaltete, verfehlten natQr-
') Stenogr. Bericht IX, 6444-45.
I
8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. 165
lieh ihren Eindruck auf die Nationalversammlung und das Publi-
kum nicht. Freunde und Gegner reagierten auf solch entschie-
denes Auftreten mit ebenso entschiedenen Urteilen, die Freunde
mit Beifall, die Gegner mit scharfer Kritik. Jodocus Stülz
schreibt am 6, Januar 1849:
^ Heute kommt Lasaulx von seinem Urlaub aus München zu-
rück. Der ist ein ganzer Mann, wie wenige. In München liaben sie
ihm in einer Nacht um 1 Uhr die Fenster eingeworfen. Als er ans
Fenster tretend den tapfern Kämpen für Licht und Recht einige
Flüche hinabschleuderte, ergriffen sie eiligst die Flucht, und der
Spaß hatte ein Ende." ^)
George Phillips schrieb am 19. Januar 1849 an Anna,
die Tochter Lasaulx':
,lch hätte Dir gewünscht, daß Du gestern in der Nationalver-
sammlung gewesen wärest, da würdest Du Deinen Vater haben spre-
chen hören können. Das ist ein wackerer Streiter für Wahrheit und
Recht; der zwar manchem seiner Gegner Ärger und Verdruß macht,
vielen aber große Achtung einflößt.**
In ähnlichem Sinne urteilt Beda Weber über Lasaulx,
der sich als Redner besonders in den Ausschüssen geltend ge-
macht habe. ^) Der pharisäische Eifer habe sich zunächst gegen
Lasaulx, den Verteidiger der Unabhängigkeit der Kirche, den
Urheber des ersten Minoritätsgutachtens, gerichtet, der, unter
den Opfern der spanischen Tänzerin, weder Mut noch Kraft für
seine Überzeugung eingebüßt hatte. Wer es nicht täglich sehe,
könne es kaum begreifen, was für eine tödliche Furcht den mei-
sten Mitgliedern der Reichsversammlung innewohne vor einem
ganzen Manne, wie es Lasaulx sei. vor einer festen, unverbrüch-
lichen Entschiedenheit, die etwas zum Ziel bringen könnte. Da-
vor laufe alles in wilder Flucht auseinander wie vor Nauwerk,
wenn er zu reden anfange, und überall ertöne der faule Ruf:
„Der Löwe ist auf der Gasse." ^) Auch Ringseis berichtet
über den mächtigen Eindruck von Lasaulx' Beredsamkeit über-
haupt und auf die Gegner insbesondere.
„Bestechend war schon sein Organ, trotz eines bedenk-
lichen Satthalses klar und schön, sich immer nur in maßvollen
Modulationen bewegend. Sein Deutsch, kein vaterlandslos aus-
geweidetes, vielmehr dem Kundigen immer noch die rheinische
Heimat verratend, trug in jedem Satze den Stempel des zu klas-
^) Pailler: Jodocus Stülz 1876, p. 107—08. — -) Weber: Charak-
terbilder 1853, p. 336. — ') ibid. p. 369.
166 8 Lasaulx Abguordiicter in der Fnuikf'urttM- Naiioufil Versammlung.
sischer Beredsamkeit gebildeten Professors, ohne jemals in Ge-
ziertheit zu verfallen. Gediegen wie die Form war der Inhalt,
voll tief eigentümlicher Gedanken und Auffassungen. Jene klare,
machtvoll gemessene Weise seines Vortrags, trotz innerer Glut
sich niemals überstürzend, bewirkte, daß öfter die Gegner erst
hinterdrein sich besannen, welch grimmige Wahrheiten er ilmen
ins Gesicht geschleudert, und diejenigen unter den Frankfurter
Linken, denen solches gegolten, haben es zu seinem Vergnügen
ihm wohl in nachträglicher Entrüstung ausdrücklich bescheinigt,
er habe sie ja geradezu als Buben charakterisiert.** ^)
Ihrem Ärger und ihrer Abneigung haben denn auch die
Gegner Lasaulx' redlich Ausdruck gegeben in den vielfach
recht bissigen Charakteristiken, welche sie in ihren Erinnerun-
gen dem Münchener Professor widmeten.
Prof. Biedermann teilt die Ultramontanen in der Pauls-
kirche in „grobe** und „feine**, und rechnet Lasaulx zu den
Groben; Lasaulx sei bald zynisch unverschämt, bald hämisch
gewesen.^) Prof. Beseler nennt Lasaulx, was er gar nicht
war, einen klerikalen Eiferer,^) Prof. Rümelin zählt ihn ganz
mit Unrecht unter die Verteidiger des Abelschen Absolutismus,
mit dem er keineswegs einverstanden war,*) Heller sagt von
dem purpurnen Herrn v. Lasaulx, er sei bloß hier und da
durch einen schroffen Verbesserungsantrag oder eine gallige Ein-
rede charakteristisch bemerkbar geworden,^) Prof. Robert
V. Mohl teilt die Reden ein in Kapuzinaden, wo Büß, Sepp
und Lasaulx, vielleicht Beda Weber ihre Stelle gefunden
hätten. «)
Besonders abfällig haben über Lasaulx Haym und Laube
geurteilt. Haym schreibt:
„Es sitzen aber auch wunderliche Käuze im V^erfassungs-
ausschuß. Der Wunderlichste ist Lasaulx. Er hat das Ver-
dienst, die Albernheiten der Linken mit manchem guten Witz
abzufertigen, und dafür das Recht, auch seinerseits mit Humor
albern zu sein. Er hat die Eitelkeit der Paradoxie und er re-
nommiert mit der Courage, sie vorzubringen. Seine historischen
Anschauungen sind typisch, wie die des Verfassers des Hebräer-
*) Ringseis: Erinnerungen Bd. IV, p. 128 — 29. — -) ßiedermanD:
Erinnerungen aus der Paulskirche. Leipzig 1849, p. 191. — •^) G. Beseler:
Erlebtes und Erstrebtes 1884, p. G5. — *) Rümelin: Aus der Paolskirche
1892, p. 204. — ö) Heller: Brustbilder aus der Paulskirche 1849, p. 70
und 86. - *') Robert von Mohl: Lebenserinnerungen, hrsgg. v. Kerl er,
Bd. n, p. 59.
8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. 167
briefes und gipfeln sich in der fixen Idee, daß die deutsche Na-
tion zu ihrer angeblichen Erhebung sich bereits in ihrem Grei-
senalter befunden habe." ^)
Er nennt ihn einen übergläubigen Mann. '^)
Am eingehendsten beschäftigt sich Laube mit La sau Ix so-
wohl mit seiner körperlichen wie mit seiner geistigen Physiognomie.
Laube nennt Lasaulx den dreistesten von den Ultramontanen, ^)
schildert sein Aussehen und charakterisiert seine Beredsamkeit.
„Ein über und über rotes Gesicht, von dickem, langem
Haar wie von einer Stutzperücke eingehegt, und mit Augen,
die wie Dolchspitzen funkelten, sprach er vom Standpunkte der
rechten Seite für einen einzigen Reichsstatthalter, der eine Ver-
tretung der Einzelnstaaten zur Seite habe, vertiefte sich aber
bald in räsonnierende Ergüsse über „das menschliche Herz, dies
wilde, verzagte und trotzige Ding". Zu theologischer oder belle-
tristischer Weisheit war nun aber der vierte Tag einer Debatte
nicht angetan, die Unruhe des Hauses schwächte also gleich
beim ersten Auftreten diesen stets willkürlich umherfechtenden
Streiter der Kirche, und ich erwähne seiner hier nur, weil er
bei dieser Gelegenheit seine Sehnsucht nach Kaiser und Reich
zu erkennen gab. Als nämlich später Kaiser und Reich votiert
wurden, da war er mit Hand und Fuß gegen den unwillkomme-
nen Kaiser." ^)
Noch schärfer kritisiert er Lasaulx, wenn er ihm Mangel
an schöpferischer Fähigkeit und Überfluß an Schadenfreude vor-
wirft. Er schreibt:
„In viel höherem Grade noch gilt beides letztere (nämlich
Mangel an schöpferischer Fähigkeit und Überfluß an Schaden-
freude) von Lasaulx, einem Doktrinär schlimmster Sorte, einem
Pessimisten, welcher mit Hebloser Zuversicht auf katholischen
Glauben sich steift, ohne eine gesunde Ader von Christentum in
den von bissiger Kritik zerfressenen Eingeweiden seines inneren
Lebens zu besitzen. Da ist auch nicht ein Schimmer von mög-
licher Gestaltung. Da hetzen sich die Analogien der Weltge-
schichte auf einem wüsten ßlachfelde, auf einem endlosen Toten-
acker umher. Weil es mit Griechenland und Rom so gekom-
men wie es gekommen, weil es mit Byzanz geworden wie es
geworden, so müsse es auch jetzt so und so an die Auflösung
*) Haym: Die deutsche Nationalversammlung 1849, Bd. J, p. 230. —
^) ibid. — '') Laube: Das deutsche Parlament. Leipzig 1849, Bd. 1, p. 301.
^ *) ibid. p. 301-02.
168 fi. LasHulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung.
gehen, denn diese und diese Vorbedingungen seien ebenso —
o, diese öberständigen SehluMoigerungen der Schulweisheit sind
ein peinlich Ding im gewöhnlichen Leben, und sind eine arge
Fratze in einer konstituierenden Versammlung. Ihrem Wesen
nach haben sie keine, gar keine Zukunft, und doch wollen diese
Totenvögel mittun in einer gestaltenden Versammlung, und wol-
len doch nicht immerfort „Grab! Grab!" schrein, weil die Ver-
sammlung sich dies nicht gefallen läßt; da geht es denn an ehi
Schauspielern nach dieser oder jener Seite, ein Schauspielern
ohne weiteren Zweck, als daß der Histrio mit persönlicher Drei-
stigkeit seine Lappen durcheinanderschflttelt vor den Augen der
Nation, auf Kosten der Nation. Schade um jede Minute Auf-
merksamkeit, welche dieser übrigens ganz talentvolle Herr La-
saulx in Anspruch genommen, denn er hat in seiner Ungläubig-
keit an deutsche Nation nicht ein Zipfelchen bieten können und
bieten wollen zu deutscher Gestaltung. Es ist ein Zufall, daß
er auf die rechte Seite hin gesprochen und gestimmt, seiner
hofifnungslosen Natur nach hätte er ebensogut nach der linken
Seite hin sprechen und stimmen können.*" ^)
Seinen ganzen Zorn aber schüttet Laube aus über La-
saul x' Stellung zum Erbkaisertum und verhöhnt den Parlaments-
kollegen mit unerbittlichem Spott.
„Auch Frater Lasaul x wollte hierbei nicht zurückbleiben
und ließ sich sehen mit seinen hölzernen Figuren, ließ sich spü-
ren mit dem Moschusgeruche seiner Ingredienzien. Seine Weis-
heit hat so etwas von abgestandener Brühe, die vom Abhub
aller möglichen Tafeln zusammengegossen worden. Von Epi-
kurs, von des Horatius Flaccus, von des heiligen Augu-
stins, von König Ludwigs Tafel. Der Neuling nennt diesen
Brodem pikant, der alte Kunde gebraucht das grobe Wort ^ran-
zig** dafür. Frater La sau Ix serviert heute mit der bekannten
Bescheidenheit eines Kellners, dei* nicht auf Trinkgelder, son-
dern auf festen Gehalt angewiesen ist. Morgen putzt er seine
hölzernen Figuren auf und läßt sie mit den Sprüchen des Gym-
nasiums aufmarschieren. Rhetorische Heerschau; Sentenz auf
Sentenz von der Lebensdauer der Staaten, von Rom und By-
zanz, das ganze hundertfach zerknickte, also unter hundert-
fachem Gesichtspunkte darzustellende Schema der schöngeistigen
Aphorismen kam daher und produzierte seine Kunststück eben
') Laube: Das deutsche Parlament. Leipzig 1849, Bd. II, p. 44 45.
8. Lasaulx Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. 169
an der deutschen Oberhauptsfrage. Das Herz leitet die Wahl,
pflegt man zu sagen. Da dieser Frater sententiosus nun aber
für unsre vaterländische Sache kein Herz hat, so widerfuhr (267)
ihm das Unglück, daß er in ein falsches Fach seines Figuren-
und Sentenzenkastens gegriffen und alle Beweise für die mäch-
tige Einherrschaft eines Großreichs hervorgelangt hatte, um —
schließlich ein Direktorium zu empfehlen. Wenn man auf nichts
weiter gestellt ist als auf Klugheit, so muß man doch wenig-
stens klug sein. Wie mag man erwarten, daß durch solche er-
sichtliche Spiegelfechterei jemand getäuscht werde. Noch klang
uns das Mühlfeldtsche Minoritätserachten zu den Paragraphen
zwei und drei in den Ohren, welches bündig erklärte, daß Öster-
reich nicht in einen deutschen Bundesstaat eintreten, sondern
nur ein völkerrechtliches Bündnis mit Deutschland schließen
könne. Dies hatte auch Herr von Lasaulx unterschrieben, und
jetzt empfahl er uns die Direktorialregierung des deutschen Bun-
desstaates und in diesem Direktorium Österreich. Vor wenig
Monaten also, als die meisten noch im Rausche auf ein bundes-
staatliches Zusammengehen mit Österreich hofften, waren solche
Leute nüchtern genug, die Unmöglichkeit des deutsehen Bundes-
staates mit Österreich einzusehn, und jetzt spielten sie die
Trunkenen, welche den Ernüchterten sententiös vorwarfen, daß
sie Österreich nicht einreihen wollten in den engen Kreis! —
In einer Herzensangelegenheit, wie die Konstituierung des Vater-
landes ist, erfüllt uns doch nichts mit größerem Ekel als die
Frechheit egoistischer Willkür, als das Komödianten wesen, wel-
ches mit unseren teuersten Interessen ernsthaftes Possenspiel
treibt. Frater Lasaulx hier, Bruder Vogt dorl." ^)
Zu diesen Urteilen von Parlamentsjvollegen gesellt sich
noch der Spott und die Satire. Der Schriftsteller und Abge-
ordnete Hartmann in seiner „Reimchronik des Pfaffen Mauri-
tius** ^) verhöhnt in Caput 2: „Die symbolischen Tiere" La-
saulx und Genossen.
Erste Taubonpost.
„Aus Süden bring' icli frommen (Iruli
Von deinen Brüdern, den frommen Pfauen,
Aus jenen Auen, wo Vater Buls,
Und Sepp, Lasaul und Pliillips schaffen.
Wie liaben sie den Mantel gedreht,
^) Laube: Das deutsche Parlament. Leipzig 1849, Bd. III, p. 266— 67.
— ^) Frankfurt 1849.
170 8. Lasaul X Abgeordneter in der PVankfurter Nationalversamuilung.
Die deniokralisclien Ekklesiaslen —
Nichts wollen sie wissen mehr von Gebet,
Von Buße und Kastei'n .und Fasten.
Sie sprechen last so scharlachrot
Wie wesirälische Kommunisten.
Sie predigen von des Volkes Nol,
Von materieller Hebung der Christen.
Nicht mehr tut die Himmelstür sich auf
Zerfleischten Rücken, geleerten Gedärmen —
Das Volk soll essen und trinken vollauf:
Für fette Bäuche sieht man sie schwärmen.
Die Klugen! — sie haben umsonst versucht,
Zu fangen die schöne Hexe, (He Lola,
Sie haben umsonst gebetet, geflucht,
Umsonst gewedelt mit der Stola." ^)
Im Traumgesieht auf dem Kirchliof, wo die Abgeordueten
der Nationalversammlung erseheinen und von sicli erzählen, lieifil
es, nachdem Radowitz aufgetreten ist:
Da ging ein Murmeln durch die Versammelleu,
Sie wollten applaudieren und stammelten:
., Sollte noch jemand nach ihm zu sprechen gehlsten?"
Wir! — riefen Phillips, Lasaulx und Büß,
Er ist unser Paler Seraphicus;
Wir nähren uns an seinen Brüsten.
Doch ist wenig, was wir zu sagen wüßten:
„Wir sind die barmherzigen Brüder,
,Das Opfer liegt, die Raben steigen nieder. ** ^)
Auch im Bilde wurde Lasaulx verspottet. Radowitz
wird unter der hochschwebenden Tiara dargestellt als Haupt-
stütze des römischen Papsttums, während er mit großer Macht-
herrlichkeit einem dienstbaren Geiste Gesetze diktiert, der römi-
sche Legat den Schlepp seines Mantels küM, und Bischöfe und
Fromme aller Art ihn wie Verzückte umschweben, unter anderen
auch Lasaulx. Auf der Tafel, die er in Händen hält, steht ge-
schrieben: „Proskriptionsliste für Vernunft, Wahrheit, Freiheit,
Gleichheit, Volkssouveränität, Hecker, Blum, Rüge, Vogt,
Zitz, Zimmermann, Rösler etc." Zu seinen Füßen liegen
allerlei Masken, Rosenkränze, und statt der Malerdevise: „Ipse
fecit.** »)
^) Hart mann a. a. 0. p. 67 — 68. Den Ultramontanen in Bayern
wurde verleumderisch vorgeworfen, sie hätten sich anfänglich um die Gonst
der Lola beworben. Diese Verleumdung wiederholt noch Schwann: Illu-
strierte Geschichte von Bayern Bd. III (1894), p. 815. — ^) Hartmann
a. a. 0. c. III, p. 133—134. — ') Weber: Charakterbilder 1853, p. 371.
Ob die Earikaturensammlung auf der Frankfurter Stadtbibliothek noch wei-
tere Karikaturen auf Lasaulx enthält, haben wir nicht weiter verfolgt
8. Lasaulx Abgeordiu^ter in der Frankfurter NatioualversHmnilung. 171
So unfreundlich diese Urteile lauten, so herb der Spott ist,
der Lasaulx in Wort und Bild traf, sie beweisen nur den Ein-
druck, den sein Auftreten in der Nationalversammlung hinterh'eß.
Über Nullen regt man sich nicht auf, an Nichtse verschwendet
man weder Galle noch Spott. Allerdings hat Lasaulx keinen
praktischen Erfolg seiner Frankfurter parlamentarischen Tätig-
keit gesehen. Er teilt dies Schicksal mit der ganzen National-
versammlung, die ohne greifbare Resultate abschloß. Aber den
Politiker l)eurteilt man nicht nach dem Erfolg allein, sondern
mehr noch nach der Lauterkeit seiner Absichten, nach den Idea-
len, für die er kämptt. Da darf Lasaulx das Zeugnis nicht
versagt werden, daß es ihm Ernst war mit seiner Überzeugung,
da& er für hohe Ideale kämpfte, als er für Freiheit in Kirche
und Staat, aber auch für Ordnung und Gesetzlichkeit, fflr Recht
und Gerechtigkeit, für Monarchie und Christentum eintrat. Er
hat den nicht gesuchten, ihm von seinen Wählern anvertrauten
Posten als ehrlicher Soldat, ihren und seinen Grundsätzen gemäß
selbstlos verteidigt. Das hat ihm den Beifall vieler Zeitgenossen
verschafft, das sichert ihm die Achtung der Nachwelt.
9. Kapitel.
Lasaulx als Professor in München reaktiviert
(1849—61),
Motto: ^ Recht muß recht sein und
recht bleiben."
Matthias Glaudins.
War Lasaulx und seine Kollegen auch aus dem Lehrkör-
per der Universität ausgeschieden, aus den Herzen ihrer Hörer
und Verehrei' waren sie es nicht. „Die Studierenden liefen, er-
zählt Sepp, um ihre Professoren zurückzuerhalten, Sturm an
den Herrn Erzbischof, Sturm an die Kammer, die Vertretung
ihrer Sache den hervorragendsten Abgeordneten ans Herz legend,
Sturm bis vor die Stufen des Thrones. Es offenbarte sich, in
welch innigem Verhältnisse damals die Lehrer zu ihren Schülern
standen ... So richteten sie ihre Bitte an die Krone:
,Allerdurclilauchtigsler etc. Noch immer fühlen die allerunter-
tänigsl Unterzeicliiieten lief den Verlust jener Männer, welche, Kory-
phäen der Wissensclialt, uns im vorigen Jahre entrissen und bis zu
diesem Augenblicke nicht wieder eingesetzt worden sind. Sie waren
es vorzugsweise, die den Ruhm und Stolz unserer Hochschule mit be-
gründet und weit über Deutscliiands Grenzen hinausgetragen. Sie
haben unsere Herzen begeistert, unser Streben entflammt. Ihre männ-
liche Überzeugung, ilir offenes Woit in einer Zeit, wo niemand zu
reden wagte, liat sie ihrem Wirkungskicise entrissen. Seitdem hat
ein Umschwung der Dinge sicli begeben. Nur Recht und Gesetz sol-
len herrschen, ist der ausges|)rochene Wille Ew. k. Majestät. Wir
appellieren an die Gerechtigkeit und liochherzige Gesinnung Ew. M.
und bitten die Professoren Phillips, Lasaulx, Döllinger. Deu-
tin ger und Sepp, welcli letzterer noch bis auf diesen Augenblick in
der Verbannung weilt, unsejer Universität wiedergeben zu wollen. ** M
Die Bitte hatte für Lasaulx Erfolg. Kultusminister Beis-
1er tat Schritte, um Phillips und Lasaulx, die in wahrhaft
^) Sepp: Joseph Gör res und seine Zeitgenossen 1877, p. 524 — 25.
I
9. Lasaulx als Professor in MöDchen reaktiviert.. 1?8
drückenden Verhältnissen lebten, wieder zu reaktivieren, und es
gehing, o))wohl die „Mflrzstudenten" alles aufboten, um die Wie-
deranstellung Lasaulx' zu hintertreiben. Der Minister hat die
Wiederanstellung der beiden nur als einen Akt der Gerechtigkeit
durchgesetzt und nur in diesem Sinne gab der König seine Zu-
stimmung, obwohl er wußte, wie unpopulär der Akt der Wie-
deranstellung war. 1) Die Gegner Lasaulx' sahen darin eine
Konzession an den Ultramontanismus. Die Freunde frohlockten.
Diepenbrock schrieb am 25. März 1849 an Ch. v. N.: „Die
Wiederanstellung Lasaulx' und Phillips' hat mich als ein Akt
der Gerechtigkeit zumal von seite Deislers gefreut." '^) Am
If). März 1849 verfügte Max IL von Nymphenburg aus, daß der
quieszierte Professor Dr. E. v. Lasaulx in seiner Eigenschaft
als ordentlicher Professor der philosophischen Fakultät zu Mün-
chen mit dem gesamten früheren Gehalt von 1325 fl und 100 fl
in normamäßig zu vergütenden 2 Scheffeln Weizen und 7 Schef-
feln vom Korn ab 1 . April an reaktiviert werde. '^) Im Sommer-
semester 1849 kehrte Lasaulx wieder auf den Katheder zurück.
Sein Lehrstuhl wurde mit Blumen und Gewinden geziert, und
ein Kranz lag auf dem Pulte, erzählt Holland.*) Nach der un-
freiwilligen Unterbrechung von 4 Semestern^) nahm Lasaulx
seine Lehrtätigkeit mit Vorlesungen über Geschichte und Philo-
Sophie der Kunst und Äschylus Prometheus' und römische Litera-
turgeschichte wieder auf und widmete sich nun regelmäßig sei-
ner wissenschafllichen und lehramtlichen Tätigkeit und den ihm
zufallenden akademischen Ämtern bis zu seinem Tode. Daneben
gehört er seit dem Jahre 1849 der bayerischen Abgeordneten-
kammer an. Wir folgen ihm in seiner lehramtlichen, wissen-
schaftlichen und geschäftlichen Tätigkeit an der Universität.
1. Lasaulx' Lehrtätigkeit.
Lasaulx las und erklärte wieder dieselben Autoren wie
in Würzburg und in der Zeit von 1844 — 47 in München. Aber
in den Vorlesungen trat bei ihm eine Änderung ein. Nach sei-
ner Absetzung waren 2 philologische Professuren geschaffen wor-
den, für die eine war Spengel als Ordinarius von Heidelberg
') Friedrich; Döllinger Bd. H (1899), p. 513—16. — ') Reinkens:
Melchior von Diepenbrock 1881, p. 411. — ''^) Personalakt v, Lasaulx an
der Universität München. ~ ^) Holland: Erinnerungen an E. v. Lasaulx
1861, p. 26 — 27. — *) Lasaulx war pensioniert Sommer 1847, Winterseme-
ster 1847/48 und Sommersemester 1848 und Wintersemester 1848/49.
174 9 Tjasaulx iils Trofessor in München reaktiviüri.
berufen, für die andere Prantl als Extraordinarius ernannt wor-
den. Außerdem hielt Thiersch Vorlesungen über philologische
Fächer. Die rein philologischen Disziplinen wie griechische und
römische AltertOmer und Literaturgeschichte, Archäologie der
Griechen und Römer, die er in Würzburg als der einzige Ver-
treter der Philologie regelmäßig gelesen hatte, ließ er jetzt ganz
fallen. Nur einmal noch im Wintersemester 1850/51 las er Ober
griechische Altertümer. Dagegen wandte er sich nunmehr
ganz den philosophischen Fächern zu, die er in Würzburg nur
vereinzelt vertreten hatte. Jetzt endlich konnte er seiner ur-
sprünglichen Neigung zur Philosophie folgen und seine früher
Jahre lang betriebenen philosophischen Studien verwerten. Er
trug von jetzt ab regelmäßig vor: ^Ästhetik in Verbindung roit
allgemeiner Geschichte der Kunst und Literatur", „Methodologie
und Enzyklopädie der akademischen Wissenschaften",
„Geschichte der Philosophie" oder „Geschichte der alten
Philosophie" oder „Geschichte der Philosophie des Mit-
telalters und der neueren Zeit". Diese Fächer entsprachen
auch ganz dem aufs Allgemeine und auf hohe Gesichtspunkte
gerichteten hochstrebenden Geiste Lasaulx'. Indem er die aka-
demische Jugend für die gro&en Ideen der Philosophie und Ge-
schichte zu begeistern wußte, hat er einen wirklich segensreichen
Einfluß ausgeübt. Noch heute rilhmen hochbetagte Männer mit
Begeisterung Lasaulx' ideale Richtung.
2. Lasaulx^ wissenschaftliche Arbeiten*
Die eifrige literarische Tätigkeit, die Lasaulx in Würz-
bürg begonnen und in der Zeit von 1844 — 47 in München forl-
gesetzt hatte, nahm er nach der Unterbrechung von 1847 — 49
wieder auf und veröffentlichte teils in den Abhandlungen der
Münchener Akademie teils in Buchform eine Reihe von Schrif-
ten. Alle diese Schriften verraten eine außerordentliche Bele-
senheit nicht bloß in den Schriften des klassischen Altertums.
Hier haben wir zunächst zu nennen die 1851 erschienene
Abhandlung: „Die Geologie der Griechen und Römer, ein
Beitrag zur Philosophie der Geschichte.** ^) Lasauh
schreibt am 80. Juli 1851 von München an seine Frau:
In , Verhandlungen der phil.-philol. Klasse der kgl. bayer. Akademie
der Wissenschaften Bd. VI, 3. AbtIg. (1852), p. 515—566« und in »Studien'
1854, p. 1-44.
9. Lasaulx als Professor in München reaktiviert. 175
^ Heute morgens erhielt ich einen sehr IreundHchen Brief von
Alexander v. H um hol dt aus Berlin, dem ich die Ahhandlung „über
(li(^ Geologie der Alten'* geschickt hatte."
Das Jahr darauf 1852 veröflPenÜichte er zuerst in den Ver-
handlungen der Akademie: „Zur Geschichte und Philoso-
phie der Ehe bei den Griechen." ^)
1854 veranstaltete er eine Sammlung seiner bisher erschie-
nenen Abhandlungen, meist beträchtlich erweitert, unter dem
Titel: „Studien des klassischen Altertums." Dazu kamen
noch als Anhang: „Reden und Anträge in der Frankfurter Natio-
nalversammlung 1848 — 49" und „Reden in der bayerischen
Ständeversammlung 1849 — Ö2^, Die Sammlung war als äußeres
Zeichen seiner Dankbarkeit seinem Freundje Charles Letellier
in Rom gewidmet, den wir aus La sau Ix' Briefen kennen ge-
lernt haben. In demselben Jahre 1854 erschien: „Der Unter-
gang des Hellenismus und die Einziehung seiner Tem-
pelgfiter durch die christlichen Kaiser. Ein Beitrag zur
Philosophie der Geschichte." Die Schrift hat Lasaulx auf sei-
ner Reise in Italien 1853 in Amalfi ausgearbeitet und in Taor-
mina vollendet. Er schreibt am 1. September 1853 von Amalfi
an seine Frau über diese Ai-beit:
, Meine Arbeit schreitet rasch voran, ich habe bereits die grö-
ßere Hälfte dessen, was ich mitgenommen, vollständig ausgearbeitet
und im Anblick der schönen Natur, die mich umgibt, der gewaltigen
Berge, ihrer grünen Talschluchten und der unendlichen Fläche des
Meeres und in dem stillen Kloslergang neben meiner Zelle einige in
Wahrheit gute Gedanken gehabt, so daß man es ihr anfühlen wird,
daß sie mit Liebe und Sammlung des Gemütes ansgearbeitet wor-
den ist.**
In Taormina hat er die Schrift vollendet und glaubt, daß
ihm die schwierige und in mancher Hinsicht delikate Arbeit
gelungen ist, wie er am 25. Sept. 1853 von Taormina aus sei-
ner Frau meldet.
Seine nächste größere Arbeit war eine Darstellung seiner
Geschichtsphilosophie. 1856 erschien: „Neuer Versuch einer
alten auf die Wahrheit der Tatsachen gegründeten Phi-
losophie der Geschichte." Er hat das Buch in seinem Ferien-
aufenthalte auf Schloß Lebenberg bei Meran vollendet und teilt
seiner Frau am 29. Sept. 1856 mit:
^) Verhandlungen der Akademie der Wissenschaften Bd. VIT, 1. Ahtlg.,
1853. p. 21-128. Später in „Studien •* 1854, p. 874-458.
176 9. Lasaulx als Professor in München reaktiviert.
^Mein Buch über Philosophie der Geschichte liegt druckfertig
vor mir, seine Ausarbeitung hat mir Freude gemacht und ich glaube.
es wird auch anderen willkommen sein.**
Er habe sich darin, schreibt er in einem anderen Briefe
vom 19. Sept. 1856 an seine Frau, über alle politischen Dinge
sehr bestimmt expektoriert und auch hier so, wie er vor dem
Ernste der Sache und dem unbefangenen Urteile der künftigen
Generation es hoffe, verantworten zu können. Lasaulx ist völ-
lig durchdrungen von der Richtigkeit seiner Aufstellungen und
daher auch Angriffen gegenüber im Bewußtsein des Rechts und
der Wahrheit gleichgültig. So schreibt er über die Angriffe, die
er von Michelis in der „Allgemeinen Zeitung** erfuhr, seiner
Tochter Anna am 24. Sept. 1857 von Lebenberg aus:
„Auch was das vorig^jährige Buch, die Philosophie der Ge-
sell ich te betrifft, das neulich von Herrn Michelis in der ^Allgemei-
nen Zeitung" mit sattsam geistlichem Zorne angegriffen wurde, eiit-
hält keim^ Zeile, die icli mich nicht vor Gott und der Wahrheit zu
verantworten getraue, weshalb ich dem Herrn auch in keiner Weise
antworten werde, zumal er dieselben falschen Zitate, die er an einem
andern getadelt hat, sich seihst zu schulden kommen läßt."
Eben in diesem Bewußtsein lehnte er es auch später ab,
die abfälligen Briefe über seine Philosophie der Geschichte von
Alex V. Humboldt und Varnhagen von Ense zu unterdrücken.
Sie waren ihm nämlich vom Verleger der „Briefe von Alex
von Humboldt an Varnhagen von Ense aus den Jahren
1827 bis 1858 2. Aufl. Leipzig 1860" um 3 Louisdor als Mauu-
skript zum Kaufe angeboten worden. ^) Humboldt äußerte sich
in diesem Briefe etwas abschätzig, und Varnhagen von Ense,
das gehorsame Echo AI. v. Humboldts, gibt das Urteil Hum-
boldts in gehässigerer Weise wieder. Humboldts Brief an
Varnhagen über Lasaulx' Geschichtsphilosophie lautet:
Berlin, 7. Februar 1857.
„Wenn in Berlin ich etwas lese, was mein literarisches und
politisches Interesse anregt, so ist mein erster Gedanke auf Sie ge-
richtet. Lasaulx in München, von der Baader-schen Zunft, war
mir nur als ein Mann der Kreuzzeitung und Schubert sehen Dunkel-
welt bekannt, und in der neuen historischen Schrift, die er mir
schickt, finde ich nicht eben originelle Ansichten, aber durch Anspie-
lung eine Mannigfaltigkeit positiver Kenntnisse offenbart, die ich bei
Lasaulx nicht vermutete. Vielfac^he Zitationen beweisen große Vor-
^) So erzählte Dr. Ludwig Merz Herrn Prof. Dr. Holland, der mir
diese MitteiliiDg machte.
I
9. Lasaulx als Professor in Münchcu reaktiviert. 177
liebe für meines Bruders Ansichten. Die slavische Messiasstelle ist
auch sehr merkwürdig, wie überhaupt die Noten eine antike sehr an-
niuti{j:e Blumenleso darbieten. Dergleiclien traue ich dem Präsidenten
(leilach und seinem Bruder (an den Prof. Geizer aus Basel und
andere ihm Entgegengesetzte offiziell!! zur Neuenburger Negoziation
g(^wi(»sen sind), nicht zu. Wenn der La sau Ix mit seinen Wünschen
für die wiederhergestellte alte deutsehe Reichsverfassung Ihnen, teurer
Frennd, nicht geschickt ist. so durchblättern Sie ihn wohl, schon der
Noten wegen.'' ^)
Dieses keineswegs gerechte Urteil des zweizüngigen A. v.
Humboldt wiederholte Varnhagen zustimmend und über-
trumpfte es noch in hainischer Weise und schrieb:
Berlin, 9. Februar 1857.
^Euer Exzellenz
empfangen das mir von Ihnen gütigst anvertraute Buch beifolgend mit
meinem innigsten Danke zurück. Ich habe dasselbe mit sehr wecb-
selnden Empfindungen gelesen, ich möchte sagen mit peinlichem In-
teressen Der Autor macht allerdings Zugeständnisse und gibt An-
schauungen, die ich ihm nicht zuge^traut hätte, so wenig wie die üppige
(lelebrsamkeil seiner reichcMi Zitate. Allein die schöne Blumenlese der
Anmerkungen kann den Kern des Textes nicbt verhüllen, der ein reclit
bitlerer ist: Die Rechtfertigung der Negersklaverei, das brutale Lob
des Krieges und der stehenden Heere, die Heilsamkeit aristokrali-
sclier Revolutionen: ungeachtet seiner weilgreifenden HöflichkcMten.
die wie Einladungen Andersdenkender aussehen, bietet dei" Autor die-
sen doch nur die Kost der Kreuzzeitung, nur etwas feinei* zubereitel,
als dies Professor Leo zu tun pflegt, dessen „Bildnngsdreck'' inid
^skrophulöses Gesindel" nur mit etwas Würze versetzt sind. Lal'et
anguis in herba! Übrigens wird mir immer bange, wenn die Philo-
sophen den Gang und die Stufen des Menschheitslebens messen und
vorausbestimmen, aus den wenigen Daten unscjrer nocli ganz klein<Mi
Geschichte von ein paar tausend Jahren Gesetze für die Möglicbkeiten
von Millionen Jahren finden wollen. Weder Fichte noch Scbelling
noch Steffens noch Hegel waren in dieser Bemühung besonders
glücklich; die Bestimmung der Zeilalter bleibt am besten den Dich-
tern überlassen. Bei unserm Autor ist es noch außerdem bemerkens-
wert, daß er bekennt, an seine eigene Lehre nicht recht zu glauben,
er mag ,im praktischen Leben nicht verzichten auf unser nationales
Ideal, die Wiederherstellung von Kaiser und Reich, obgleicb sein theo-
retisclier Glaube an die Verwirklichung nicht groß ist**. (S. \'ü.) Wer
so etwas schreiben kann, hat sich eigentlich selbst gerichtet. Eine
freundliche Antwort abseilen Euer Exzellenz darf der Autor immerhin
erwarten, eine zustimmende werden Sie ihm nicht geben können.'' ^)
Im gleichen Jahre 1856 noch erschien seine zum Antritt
des Rektorates gehaltene Rede: ^Über die theologische
M Briefe von Alex. v. Humboldt an Varnhagen von Ense aus
den Jahren 1«27 bis 1858, 2. Aufl., Leipzig 1860, p. 847. '') ibid. p. 841) 50.
StOlzle: Ernst von Lasaulx. 12
178 9. Lasaulx al» Professor in München reaktiviert.
Grundlage aller philosophischen Systeme, vorgetragen
am 29. November 1856." Auch diese Schrift ist auf der Lebeo-
burg entstanden, sie hat aber Lasaulx ziemh'ch MOhe gemacht;
schließlich ist er aber mit der Rede zufrieden und hofft» da& sie
sogar ganz entgegengesetzten Standpunkten gefallen werde. Er
schreibt an seine Tochter Anna am 8. Oktober 1856 von Le-
benberg :
^Die Saclie hjit sicli mir unter dei- Hand so gestaltet, daß, wie
icli glaube, auch andere, selbst Rings eis und Lieb ig mit den ihri-
gen zufrieden sein und sich, wenn sie das Dargereichte gekostet und
schmackhaft gefunden, nachgerade darüber verwundern w^erden, daß
sie einander wissenschafllicli gar nicht so ferne stehen^ als sie ge-
meint haben.''
Lasaulx hat diese Rede mit der Widmung: „Herrn Dr.
A. Schopenhauer hochachtungsvoll d. V." an den Frankfurter
Weisen geschickt, der sie mit sehr boshaften Randbemerkungen
und Rufzeichen versah, wie uns Grisebach in seinen „Edita
und Inedita Schopenhaueriana 1888, p. '169 und p. 75 — 84** er-
sehen läM.
Das Jahr 18ö7 brachte wieder zwei Publikationen von La-
saulx. Am 26. Juni hielt er zur Feier des Stiftungstages der
Universität eine Rede und im Oktober desselben Jahres voll-
endete er auf Schloß Lebenberg die Schrift: „Des Sokrates
Leben, Lehre und Tod nach den Zeugnissen der Alten.**
In die Entstehung und Tendenz dieser Schrift, die soviel Staub
aufwirbeln sollte, sowie in seine Arbeitsweise gewähren interes-
sante Einblicke die brieflichen Mitteilungen, die er an Frau und
Tochter aus dem bayerischen Stöblein auf Lebenberg richtet. So
schreibt er am 3. September 1857 von Schloß Lebenberg an
seine Frau:
„Bis jetzt habe ich nichts getan als das neue Testament durch-
gelesen und zwar jeden Satz mit Beziehung auf meinen aUen Freund
Sokrates, dessen Leben und Lehre ich hier schildern will.*'
Und am 17. September 1§57 meldet er seiner Julie den
raschen Fortgang seiner Schrift über Sokrates:
„Sie soll, hoffe ich, vielen gefallen, nur Herrn Döllinger nicht,
der, ohne daß ich ihn nenne, sich getroffen fühlen wird."
Seiner Tochter hat das Thema und die Richtung der Ar-
beit des Vaters Resorgnisse eingeflößt wohl wegen der zu be-
fürchtenden Angriflfe seitens engherziger Kreise. Diese Beden-
ken zerstreut Lasaulx in einem Briefe an seine Anna vom 24.
Sept. 1857 von Lebenberg:
9. L«saulx als Professor in Mttnchen reaktiviert.. 179
,Der Sache wepcen. die Du zunäclist berührt hast, darfst Du
vollkommen heruliigt sein. Die Schrift über den christlichen Heiden
Sokrates. die ich hier mit jj^rotser hörende ausarbeite, und die nun
bald fertig ist, wird nichts enthalten, was ich nicht, wenn heute der
liebe Gott mich abrufen würde, offen und frei und völlig getrost vor
ihm verantworten könnte. Wenn sie daher einem oder dem andern
unter den „zornigen Heiligen" der heutigen Zeit teilweise anstößig
sein sollte, so kann ich denen nicht helfen, und werde niemals ihrer-
wegen mich abhalten lassen, die Dinge, die mir lieb sind, in meiner
Weise darzustellen.''
Und einige Tage später meldet er mit Befriedigung die
Vollendung der Arbeit, die ihm Freude gemacht hat. Er schreibt
am 8. Oktober ISoT von Lebenberg an seine Frau:
„Ich bin nun mit der Ausarbeitung meiner Schrift über den
Sokrates fertig bis auf die Heinschrift der letzten Bogen; denn sie
ist mir unter der Hand größer geworden, als ich anfangs dachte. Die
noch übrige Zeit meines Hierseins will ich benutzen, um die Dialoge
Piatons, die ich bei der Arbeit vorzugsweise im Auge gehabt, zur
nochmaligen Kontrolle wiederholt durchzulesen und dann das Ganze
abzuschließen, so daß es bis Weihnachten gedruckt sein kann. Ich
glaube, es ist mir gelungen, die große Persönlichkeit des alten Heros
besser, mit mehr Liebe zu schildern, als es bisher geschelien ist.
Lebte der Vater Görres noch, so würde ich ihm die Schrift widmen,
da ich weiß, daß er damit bis auf einige Punkte, die er anders auf-
fassen würde, zufrieden wäre.*"
Lasaulx hat die Schrift der Tochter von Görres, Marie
Görres, gewidmet. Von den Angriffen, die die Schrift besonders
wegen der Zusammenstellung von Sokrates und Christus er-
fuhr, wird noch die Rede sein.
Das Jahr darauf 1858 veröffentlichte Lasaulx eine Schrift:
„Die»prophetische Kraft der menschlichen Seele in Dich-
tern und Denkern.'' Er hat die Schrift in den Osterferien
1858 auf Schloß Lebenberg vollendet. Sie war im Auftrag
von Rektor und Senat Friedrich von Thiersch gewidmet zur
Feier seines 50jährigen Doktorjubiläums am 18. Juni 1858.
Ein Jahr vor seinem Tode 1860 ließ Lasaulx noch zwei
Werke erscheinen. Zunächst die „Philosophie der schönen
Künste. Architektur, Skulptur, Malerei, Musik, Poesie, Prosa**.
In die Entstehung des Werkes gewähren seine Briefe manchen
Einblick. 1858 schreibt er am 16. August von Lebenberg an
seine Frau, er sei jetzt daran, Hegels Ästhetik durchzulesen,
ehe er die seinige auszuarbeiten anfange — ein schweres Stuck
Arbeit. Am 21. August 58 gibt er seiner Tochter Anna über
seine Lektüre und Arbeit Nachricht. Er schreibt von Lebenberg ;
12 *
180 9. Lasaulx als Professor in München reaktiviert.
„Die ermüdenden 3 Bände der H egel seh en*Ästhelik . habe ich
nun gottlob! zu Ende gebracht, sie enthalten viele scharfe treffende
Bemerkungen im einzelnen, sind aber in der ganzen Anlage auffallend
verkehrt und voll unerquicklicher Abstraktionen, so daß ich für mein
Buch nur wenig davon benützen kann. Dieses habe ich nun seil
gestern ernstlich angefangen auszuarbeiten. . . .**
Die Arbeit rückt aber langsam vor. Im Frühjahr 1859 hat
er sie wieder mit naeli Lebenberg genommen. Es geht ihm
freilich langsam von der Hand. Er schreibt am 20. April 18o9
an seine Frau:
„Mil meiner Arbeit geht es la la, ich bin nun gottlob! mit dem
schweren Kapitel über die Musik fertig geworden, von der ich, wie
Du weißt, ein großer Freund, aber geringer Kenner bin. Das Philo-
sophieren darüber ist mir deshalb schon darum sehr sauer geworden,
wie freilich alles, was ich geschrieben habe; die Natur hat mir nur
den Eigensinn gegeben, gewisse Dinge erkennen und darstellen zu
wollen, die Ausführung kostet mich stets große Mühe. Mit der Poesie,
an der ich nun bin, soll es mir, hoffe ich, leichter von der Hand
gehen, da ich innerlich alles ziemlich fertig ausgearbeitet in mir trage.''
Am 29. April hat er den Abschnitt ülier Poesie vollendet
und ist zufrieden damit, „so daß auch andere es sein kennen**.
Im Herbste 1859 setzt er seine Ästhetik fort und meldet seiner
Anna am 29. September die Vollendung der Arbeit. „Ich denke,
sie soll sich gut lesen lassen.'* Gewidmet ist die Arbeit der
Künstlerin Emilie Linder, ^) einer Freundin seiner Frau und
Tochter. Seine Ästhetik ist die umfangreichste aller bisherigen
Arbeiten.
In demselben Jahre 1860 vollendete er seine letzte wis-
senschaftliche Arbeit: „Zur Philosophie der römischen Ge-
schichte'', die er am 1. Dezember 18()0 in der philosophisch-
philologischen Klasse vortrug. ^)
Es ist eine beträchtliche Zahl von wissenschaftlichen Ar-
beiten, wenn man bedenkt, daß Lasaulx daneben nicht bloß
eine eifrige Lehrtätigkeit ausübte, und auch den akademischen
Geschäften sich widmete, sondern auch als Abgeordneter an den
ermüdenden und zeitraubenden Verhandlungen des bayerischen
Landtages gewissenhaft teilnahm und wiederholt mit großen Re-
den in die Debatte eingriff. Charakteristisch für alle Arbeiten
M Die Malerin Frl. Linder ist als Freundin des Kardinals und Fürst-
bischofs Diepenbrock weiteren Kreisen bekannt gewoiden ; vgl. Reinkens:
Melchior von Diepenbrock 1881 passim -) in „Abhandlungen der philo-
sophisch-philologischen Klasse der kgl. bayr. Akademie der Wissenschaften
Bd. IX, 2. Abtlg. (1861), p. B51— 98«.
9. Lasaulx als Professor in München reaktiviert, 181
Lasaulx' ist neben dem hohen Ideenflug die schöne und voll-
endete Form, welche er allen seinen Schriften zu geben wußte.
Alle diese Schriften - 25 an der Zahl — sind bemerkenswerte
Denkmale des Fleißes und der weit ausgreifenden Belesenheit
Lasaulx'. Sie haben allerdings wenig Beifall und viel Wider-
spruch bei den. Philologen gefunden. Aber sie wollen gar nicht
mit dem Maßstabe des Philologen gemessen sein; sie geben sich
als Beiträge zur Religions- und Geschichtsphilosophie,
müssen also, wenn man ihnen gerecht werden will, vom philo-
sophischen Standpunkte aus gewürdigt werden. Wollte ja
doch Lasaulx gar nicht Philolog, sondern Philosoph werden, wie
wir aus seinen Briefen wissen, und war ihm alle philologische
Arbeit nur Vorarbeit für seine philosophischen Pläne. Als
philosophische Arbeiten aber haben diese Schriften bleiben-
den Wert durch den Reichtum an Ideen und die tiefreligiöse
Richtung, welche überall in ihnen hervortritt. Geschichts-, Reli-
gions- und Kunstphilosophie verdanken Lasaulx noch heute ge-
schätzte wertvolle Anregungen. Wir werden diese Auffassung
und Beurteilung von Lasaulx' Schrifttum im Gegensatz zu der
herkömmlichen, von Huber und Prantl vertretenen, durch eine
spezielle Darstellung von „Lasaulx als Philosoph" näher be-
gründen.
3. Lasaulx in akademischen Ämtern.
Außer durch Vorlesungen und wissenschaftliche Arbeiten
war Lasaulx aber auch durch akademische Geschäfte vielfach
in Anspruch genommen an der Universität und in der Akademie.
1853 — 55 war er Mitglied des akademischen Senates, 1856/57
bekleidete er das Rektorat, 1857/58 gehörte er als Prorektor
dem Senate an, 1860/61 in seinem Todesjahr ist er wieder im
Senate. 1858/59 amtierte er als Dekan seiner Fakultät. Da-
neben war er auch als Mitglied der Akademie der Wissenschaf-
ten an den Arbeiten und Sitzungen derselben vielfach beteiligt.
Lasaulx zeigte in allen diesen Beziehungen, in geschäft-
licher, wissenschaftlicher und lehramtlicher Hinsicht, großen Eifer
und bewährte Gewissenhaftigkeit. Außer der Anerkennung der
Kollegen und Zuhörer erntete er dafür auch die der Regierung,
die ihn 1852 mit Verleihung des Michaelsordens und 1861 mit
dem Ritterkreuz des Verdienstordens der bayerischen Krone aus-
zeichnete.
10. Kapitel.
Lasaulx im bayerischen Landtag (1849—61).
Motto: ,Die politische Freiheit, nach der wir alle
begehren, ist ein Kampf, bei dem es vor
allem darauf ankommt, daß er grade, offen
und mannhaft ausgekämpft werde/
E. V. Lasaulx, Studien VI.
Lasaulx hatte sieh durch sein mutiges Auftreten in der
Frankfurter Nationalversammlung weithin und rühmlich bekannt
gemacht. So kam es, daß ihm, nachdem er von Frankfurt
zurückgekehrt und in München wieder Professor geworden war,
auch in der bayerischen Abgeordnetenkammer ein Mandat ange-
tragen wurde. Die Wahlbezirke Landshut, Kehl heim und
Neu markt wählten ihn nacheinander in die Kammer. Lasaulx
hatte das Mandat nicht gesucht, betrachtete aber Übernahme
und Ausübung desselben als Pflicht. In diesem Sinne erklärte
er am 14. Januar 1852 in der öffentlichen Sitzung:
„Wenn ich mich im politischen Leben durch meine natürliche
Neigung bestimmen ließe, so würde ich die Wahl zur Ständeversamm-
lung gar nicht angenommen haben und jedenfalls im Unmute längst
aus dieser Versammlung ausgetreten sein. Ich glaube aber, daß die-
ses Amt, wie man dazu berufen ist, nicht bloß ein Ehren recht, son-
dern auch eine Ehrenpflicht sei, die man erfüllen müsse, auch wenn
es einem schwer wird, wenn unangenehme Empfindungen, ja selbst
wenn Nachteile damit verbunden sind.** *)
Die Verhältnisse, die Lasaulx hier vorfand, waren freilich
vielfach andere als im Frankfurter Parlament. In der Pauls-
kirche eine große Zahl von Abgeordneten, in München eine
verhältnismäßig geringe Anzahl; dort Männer von hervorragen-
der Bedeutung und vielfach europäischem Ruf, hier meist ein-
fache und unbekannte Leute, deren Namen selten über die blau-
') Stenogr. Ber. (1851/52), Bd. III, p. 158-59; ibid. 619.
J
10. Lasaulx im bayerischen Landtag. 183
weißen Pfähle hinausdraiig. Nennen wir DöUinger, Sepp,
IJr. Weis, Aliioli, Graf Lerchenfeld, Ffirsl Wallerstein,
Graf Hegnenherg-Dux, Dr. Volk, Edel, Rnland, Oskar
von Redwitz, Lasaulx, so sind die bedeutendsten schon ge-
nannt; in Frankfurt große ganz Deutschland he wegende Fra-
gen: Die Einheit Deutschlands, die Grundrechte des deutschen
Volkes, in München die Interessen eines kleinen Landes und
nur ab und zu große politische Fragen. So waren im bayeri-
schen Parlament die Dinge ganz anders gelagert als in der
Paulskirche; aber Lasaulx blieb derselbe, wie in der Pauls-
kirche. Wie dort, trat er auch hier ein für die Monarchie gegen-
über der Demokratie, für die Rechte der Regierung gegenüber
den Übergriffen der Volksvertretung, für Ordnung und Gesetz-
lichkeit gegenüber der Pö])elherrschafl, für ein starkes Heer, für
ein Großdeutschland gegenüber den preußischen Bestrebungen,
Österreich aus Deutschland zu verdrängen, für das Recht
auch in der großen Politik gegenüber Napoleon; wie in
Frankfurt begegnete er mit Unerschrockenheit und Freimut,
Schlagfertigkeit imd Sarkasmus seinen Gegnern, mochten sie am
Regierungstisch oder auf den Abgeordneten bänken sitzen, wie in
Frankfurt bewährte er seinen freiheitlichen Sinn und wie dort
hol) er seine Reden durch historische und geschichtsphilosophi-
sche Betrachtungen weit über den Pegel der gewöhnlichen par-
lamentarischen Beredsamkeit empor. Der Hinweis auf die Repu-
bliken des Altertums und das Beispiel Englands kehren in
seiner Münchener parlamentarischen Tätigkeit besonders oft
wieder.
Lasaulx gehörte der bayerischen Kammer 1849 — 61 an.
In den Ausschuß für Beschwerden wegen Verletzung der Ver-
fassung gewählt amtierte er mit rücksichtsloser Unparteilichkeit.
An den Verhandlungen im Plenum nahm er besonders in den
ersten Jahren seiner Wahl eifrig teil mit großen und kleinen
Reden, immer der Aufmerksamkeit des Hauses sicher, mochte
er Fragen der europäischen oder der inneren deutschen oder der
bayerischen Politik oder allgemeine historische und geschichts-
philosophische Themata berühren. Wir charakterisieren seine
parlamentarische Tätigkeit nach dieser vierfachen Richtung, tei-
len besonders bezeichnende Abschnitte aus seinen Reden mit
und schließen mit Urteilen über Lasaulx' parlamentarisches
Auftreten,
1H4 lü. Lasaulx im bayerischeii Landtag.
1. Europäische Politik«
In der europäischen Politik waren es in der Zeit von
1849 — 61, in der Lasaulx am bayerischen Landtag teihiahni,
zwei Mächte, welche auf die Politik bestimmend einwirkten:
Frankreich unter Napoleon und Rußland. Lasaulx zeigte
in der Würdigung beider Mächte richtiges Urteil und im Hin-
weis auf die Napoleon bevorstehende Nemesis und die künf-
tige Führerrolle Rußlands in der europäischen Politik prophe-
tischen Blick.
Schon 1852 erkannte et in Napoleon III. einen aufgehen-
den Stern. Nach einer 62jährigen Revolution, in welcher alle
abgründigen Kräfte dieses großen Volkes auf die Oberfläche des
Lebens heraufgetrieben worden seien, habe zuletzt ein FJibu-
stier 1) die Macht der Regierung an sich gerissen. Wenn dieser
Mann auf der Bahn fortfahre, die er eingeschlagen habe und die
er offen bekenne, indem er die Prinzipien des napoleonischen
Kaiserreichs proklamiere, so sei leicht abzusehen, wozu das füh-
ren müsse. Gelinge ihm, was er wolle, so werde er durch die
Konsequenz seiner Prinzipien zum Kriege genötigt werden, ge-
linge es ihm nicht, und erreiche ihn die Rache des gerechten
Schicksals, wie sie andere bessere Männer erreicht habe, dann
stehen wir einer anderen Katastrophe gegenüber. ^)
Lasaulx' Prophezeiung sollte sich bald erfüllen durch Na-
poleons italienischen Krieg 1859, in dem er Österreich nieder-
warf. Über diesen Krieg hat sich Lasaulx in einer großen
Rede im Jahre 1859 unmittelbar nach dem italienischen Kriege
ausgesprochen, die Frage vom Standpunkte des nationalen Rech-
tes und der nationalen Machtstellung Deutschlands betrachtend.
Nach dem Hinweis auf die Uneinigkeit der deutschen
Stämme, die am Anfang des 19. Jahrhunderts zur Auflösung des
.deutschen Reiches geführt, 1848/49 den Versuch, das deutsche
Reich wiederherzustellen, vereitelt hat, und 1859 die Demüti-
gung des österreichischen Kaisers durch Napoleon im Gefolge
hatte, gibt Lasaulx auf die Frage, um was es sich im Streite
^) Böhmer war mit dem „Flibustier" Lasaulx' gar nicht einverstan-
den. Napoleon sei hinreichend legitim. „Es ist so fatal, fährt Böhmer
fort, daß alle diese charakterttirchtigen Männer von wirklichen Geschäften
gar nichts wissen und auch nicht dafür zu brauchen sind** — ein Urteil, das
doch zu weit geht. vgl. Böhmer: Leben und Briefe Bd. Ill, p. 58— -59. —
''} Stenogr. Ber. (1852), III, 305.
10. Lasaulx im bayerischen Landtag. 185
zwischen dem Kaiser der Franzosen und dem Kaiser von
Österreich gehandelt habe, eine dreifache Antwort.
Die erste Frage sei die: Ist es im Interesse Deutsch-
lands, daß die Macht Österreichs geschwächt und die Macht
des deutschen Erbfeindes verstärkt werde? Wer diese Frage mit
^Ja" l)eantworte, sei kein Deutscher, sondern ein Bastard und ein
dummer Junge da/Ai. Die zweite Frage sei eine solche des
Rechtes. Nach dem bisher in Europa geltenden Völkerrechte sei
der Kaiser von Österreich hinsichtlich des Besitzes seiner ita-
hschen Lande in seinem guten Rechte, Napoleon und Viktor
E mannet im Unrechte gewesen. Die dritte Frage sei eine
Frage der dentschen Ehre. Es sei nicht der dentschen Ehre
entsprechend, ruhig zuzusehen, daß mitten im Frieden der der-
malige Kaiser der Franzosen im Vollzuge seiner zivilisatorischen
Mission allem demjenigen, was als Resultat einer dritthalbtau-
seudjährigen Kulturgeschichte als Wahrheit, Recht, Ehre in Eu-
ropa gelte, mit flacher Hand ins Angesicht schlage und mit
Hilfe seiner Turkos den Versuch mache, an der Stelle der bis-
herigen europäischen Bildung afrikanische Prinzipien in Europa
zu etablieren. Die Stellung der deutschen Bundesstaaten in die-
ser Frage der Macht und Ehre Deutschlands durchmusternd er-
kennt Lasaulx an, daß Bayern ebenso wie die übrigen deut-
schen Mittelstaaten getan haben, was in ihrer Macht stand, und
der sächsische Minister Ben st habe russische Annuißung gebüh-
rend zurückgewiesen. Nur Preußen habe zum Schmerze der
deutschen Patrioten eine unpatriotische Haltung eingenommen
durch die Politik der freien Hand, die Lasaulx als eine unent-
schlossene, haltlose, ratlose, schnnitzige in der schärfsten Weise
charakterisierte. Die letzten Monate hätten die Erinnerung an
das Wort wachgerufen: Schlechte Generale im Krieg und feige
Staatsmänner im Frieden seien das Verderben der Völker. Ge-
genüber dieser Misere hält Lasaulx eine dreifache Hoffnung
aufrecht: Die Hoffnung auf die göttliche Nemesis, die Hoffnung
auf Preußen und die auf Österreich.
Mit wahrhaft prophetischem Blick hat er Napoleon die
Rache angekündigt, die ihn .schon 11 Jahre später, 1870, er-
eilen sollte.
Hoch über den Irrsalen der Menschen walte eine göttliche
Nemesis, die jedem zuteile, was er verdient habe, nach seinen
Taten den Lohn, wie die Schuld, so die Strafe. Die Verbrechen
der französischen Könige haben ihre Rache in der Revolution
186 10. Lasaulx im bayerischen Laudtag.
des Jahres 1789 gefunden; die blutigen Missetaten dieser Revo-
lution ihre Rache durch den Kaiser Napoleon. Die großartigen
Schurkereien dieses Kaisers fanden dann, als ihr Maß voll war,
auch ihre gerechte Rache. Daher werde auch an dem, der die
Erbschaft der dritten französischen Revolution angetreten und
die Wiederherstellung der Prinzipien seines Onkels vor Europa
proklann'ert habe, die Nemesis ihr Richteramt nicht vergessen,
auch mit ihm reite wie mit jenem x\ raber, welcher dem Tode
entfliehen wollte, der Tod selbst, sitze ihm bereits im Nacken
und werde ihn da, wo er ausruhen wolle, mit eisernen Armen
umschließen.
Lasaulx hat aber auch Hoffnung auf Preußen; er lioffl,
daß der Prinzregent von Preußen der Sohn seiner Mutter sei,
und daß er sich dieser, der Königin Luise, einst mehr erinnern
werde als seiner verwandtschaftlichen Beziehungen in St. Peters-
burg und in London. Im Jahre 1870 hat der ehemalige Prin^*
regent als Wilhelm I. diese Hoffnung erfüllt.
Endlich hat Lasaulx Hoffnung auf Österreich; er iioffl»
(laß der Kaiser von Österreich sich zu jenen inneren Refoi"*
men entschließen werde, welche seine Länder dringend hedfti"*
fen, und ohne welche er nie dauernden Einfluß in Deutschlaii ^
gewinnen werde; daß er einem fehlerhaften Staatsvertrag, des'i
Konkordat, ein notwendiges Korrektiv folgen lasse und die büm"
gerliche Gleichberechtigung aller christlichen KonfessionsveJ-"
wandten, auch der Juden, gesetzlich anerkenne. Von der Emt-
füllung dieser Hoffnungen durch Preußen und Österreich e^"
wartet Lasaulx den Eintritt einer besseren Zeit für Deutscl»^ '
land. 1)
Lasaulx, der in seiner Rede einen echten deutscheu P^^
triotismus und jenen schon in der Jugend gehegten FranzosenhaÄ^
bekundet, hat die Politik Napoleons besonders in ihrer Tra^"*
weite für Deutschland durchaus richtig erkannt und gewürdigte ^
Er hat aber auch die Rolle Rußlands im europäischen Völker '^
konzert treffend charakterisiert und schon früh in Rußland di^
Macht erkannt, welche den Ausschlag in der abendländischer^
Politik zu geben bestimmt sei. Besonders wies er darauf hin -»
wie Rußland auf die Geschicke Deutschlands wiederholt be^
stimmend eingewirkt habe.
*) Sten. Ber. (59), I, 12-14.
lU, Lasaulx im bayerischen fiandtag. 187
Schon 1850 erklärte er es als richtig zu sagen, die deut-
sche Sache werde nicht mehr auf deutscher Erde, sondern auf
slavischer Erde unter der schützenden Hand des Selbstherr-
schers aller Reußen geordnet, es sei nicht nötig, den Enipfiji-
dungen Worte zu gehen, die jeden von uns dabei erfüllen. La-
saulx weist dann darauf hin, da& seit einem Menschenalter in
allen Katastrophen des deutschen Lebens stets diese nordische
Hand nach Deutschland herübergereicht und zur Ordnung der
deutschen Verhältnisse, in welcher Weise immer, mitgewirkt
habe. Diese Behauptung belegt Lasaulx ans der Geschichte:
Die grO&te Krisis, welche das deutsche Leben ini letzten Men-
sehenalter zu bestehen hatte gegen das Weltreich Napoleons,
habe es nicht aus eigener Kraft bestanden; nicht die deutschen
Waffen, nicht die romanischen, die Mithilfe der slavischen Macht
habe Napoleon gestürzt. Dem ritterlichen Sinn und der Ent-
schlossenheit des Kaisers Alexander verdanken wir, daß noch
ein Deutschland existiert, ohne ihn würde vielleicht dieser
Name eine bloße historische Reminiszenz geworden sein. Als
ferner im Frühling 1848 das österreichische Kaiserreich, der
letzte Rest des ehemaligen Reiches deutscher Nation, durch einen
verräterischen König lieinjtückischer, nichtsnutziger Weise nach
Häuberart überfallen wurde, habe sich keine Stimme in Deutsch-
land erhoben, dem alten Reiche zu Hilfe zu kommen. Was
unsere Väter mit ihrem Blute gewonnen, das haben die Söhne
nach Verschwender Art an die erste beste Dirne vergeuden wol-
len. Ja, man habe in der ersten deutschen Nationalversamm-
lung sich nicht geschämt, von der Tribüne herab zu sagen:
nRadetzky müsse geschlagen werden^, und wenn jenes bübi-
sche Fluchgebet nicht erfüllt worden sei, wenn er nicht geschla-
gen wurde, sondern selbst die Räuber nach Gebühr züchtigte,
so habe Deutschland an dieser Ehre keinen Anteil. Sie werde
dem greisen Feldherrn, seinem Genie und der Mannhaftigkeit
seiner pflichtgetreuen Soldaten verdankt, nicht dem übrigen
Deutschland. Als endlich im Herbste desselben Jahres und
im Frühlinge des folgenden Osterreich durch eine Handvoll
meuterischer Magyaren, die das Volk aufgewiegelt, in Ungarn
augegriffen wurde, als die deutschen Grenzen in der Nähe der
ehemaUgen Hauptstadt des deutschen Reiches bedroht waren,
habe sich keine Stimme in Deutsehland erhoben, dem jugend-
lichen Neffen des letzten deutschen Kaisers zn Hilfe zu kom-
men. Man habe ihn sieh selbst and seinem Schicksal überlas-
188 10. Lasaulx im bayerischen Landtag.
*
sen, und wenn er sich nun dahin gewendet habe, wo Hilfe war,
und wo sie ihm auf den ersten Ruf gewährt worden sei, durch
den ritterlichen, gro&mOtigen und mannhaften Sinn des Selbst-
herrschers aller Reu&en, eines der wenigen gro&en Fürsten,
die gegenwärtig in der Welt existieren, so haben die Deut-
schen nicht das Recht, Österreich Vorwürfe zu machen über
die russische Hilfe, und noch weniger das Recht, mit £rbitterung
hinzuweisen auf denjenigen Mann, der die Gesetze ritterlicher
Ehre besser gekannt habe, als das deutsche Volk sie kannte. ^)
Wie richtig Lasaulx die Stellung Rußlands in Europa
gewertet hat, zeigt die Entwicklung Ru&lauds bis zur Gegen-
wart, wo Rußland tatsächlich die Politik nicht bloß in Europa,
sondern auch in Asien beherrscht.
2. Deutsche Politik.
Noch härter als den Druck Frankreichs empfand man
damals die in deutschen Landen überall herrschende Reaktion,
die Jämmerlichkeit des Frankfurter Bundestages und die zuneh-
mende Spannung zwischen Preußen und Österreich. Die
Besten verzweifelten an der Zukunft Deutschlands. Die Frage,
ob Kleindeutschiand mit Preußen an der Spitze oder Groß-
deutschland, d. h. Österreich mit Preußen und den übrigen
kleinen deutschen Staaten verbunden, spaltete die Patrioten in
zwei feindliche Lager. Auch Lasaulx nahm zu diesen Fragen
wiederholt Stellung im Sinne der großdeutschen Idee, die er
schon in Frankfurt vertreten hatte. Indes sah er richtig vor-
aus, daß die deutsche Frage nur mit dem Schwert gelöst werde
durch einen Krieg zwischen Nord- und Süddeutschland. Auch
die Zukunft Preußens, über dessen Bedeutung er noch in
Frankfurt abfällig geurteilt hatte, als der führenden Macht in
Deutschland hat er richtig geahnt. In dieser Richtung bewe-
gen sich seine Reden in der bayerischen Kammer über die
deutsche Frage.
Unter ihrem Gesichtspunkte betrachtet er die kur hessi-
sche Frage, die er in der Kammer wiederholt berührte, zuletzt
noch in einer großen Rede im Februar 1861. Er verurteilte
den Verfassungsbruch in Kurhessen, und verteidigte die be-
waffnete Interzession, weil dort die deutsche Fraee zur Ent-
') Sten. Ber. (1850), V, 507.
10. Lasaulx im bayerischen Landtag. 189
Scheidung gebracht, uiid der von Preußen gemachte Versuch
einer norddeutschen Union gesprengt werden sollte. Zweck der
Interzession war, die Teilung Deutschlands zu verhindern, und
dieser Zweck sei erreicht worden, ob auf immer, will er nicht
entscheiden. ^)
Die Lösung der deutschen Frage liegt ihm besonders
am Herzen. Den Zustand des deutschen Vaterlandes, das er
aufrichtig nnd mit allen Fasern seines Herzens liebte, findet er
trostlos. Nur eine richtige Lösung der deutschen Frage kann
hier Besserung schafTen. Daß diese Frage nicht mit Reden,
sondern nur da entschieden wird, wo die Macht ist, ist ihm
klar. 2) Ja, in einer Art Vorahnung der Zukunft rief er
1H51 aus:
„Sie (die deutsche Frage) wird, wie alle großen Fragen im Le-
ben der Völker, auf dem Wege des Schwertes gelöst werden, und ich
begrüße den, der den Mut und die Kraft hat. dieses Schwert in die
Hand zu nehmen.'' ^)
Al)er wie soll sich die Zukunft Deutschlands, wie das
Verhältnis von Preußen und Österreich und den flbrigen klei-
neren Staaten gestalten? Lasaulx denkt sich, daß die Frage
durch eine freie Vereinbarung zwischen den deutschen Regierun-
gen und der deutschen Volksvertretung gelöst werde*) und zwar
verlangt er ein Bundesgericht und eine nationale Volksvertretung
heim Bunde. ^) Der Bund selbst umfaßt natürlich alle deut-
schen Staaten, auch Österreich. Lasaulx blieb der großdeut-
sclien Idee zeitlebens treu. Sollte aber Preußen und die Mehr-
zahl der kleinen norddeutschen Staaten einer solchen Verbindung
widerstreben, so sollte wenigstens Sflddeutschland, wenigstens
Bayern, „welches durch seine geographische Lage, durch die
Identität des Kernes seiner Bevölkerung, durch die Identität der
Sitten und Gemütsart, durch die Identität aller größeren geisti-
gen und materiellen Interessen auf Österreich angewiesen ist
und dorthin gravitiert," mit der österreichischen Gesamtmonar-
chie in ein inniges Verhältnis treten. ^)
Lasaulx hat wohl Gefühl und Verständnis dafür, daß die
Verschiedenheit der Interessen Preußens und Österreichs eine
Verbindung in einem Großdeutschland ausschließe; Preußen be-
') Sten. Ber. (1851—52), I, 381; I, 167 ff. (1861). — *) ibid. (1849-50),
1.357; ibid. I, 9—10 (51—52); I, 381 (51-52). - ='j ibid. (1851), 1, 381.—
') ibid. (1849—50), I, 857. — '•) ibid. (1855—56), I, 12. — ") ibid. (49—50),
I, 358,
190 10. Lasaulx im bayerischen Lancltag.
trachte jeden Zuwachs der Macht Österreichs als einen Ab-
bruch der eigenen und wolle darum nicht mitwirken zu Dingen,
die, wemi sie gelingen, geeignet wären, Österreich die Stelle
wiederzugeben, die es jahrhundertelang mit Ehren an der
Spitze Deutschlands eingenommen habe. ^) Lasaulx deutet
auch die Möglichkeit an, daß es zu einem Krieg zwischen Nord-
und Söddeutschland kommen werde, in dem dann das Eingrei-
fen Rußlands die letzte Entscheidung gebe, *^) er rechnet auch
mit der Möglichkeit, daß das deutsche Leben auf einen Ein-
heitsstaat hinausgehe.^) Freilich will Lasaulx nicht eine Ein-
heit, sondern nur eine Einigkeit Deutschlands, er will
Föderalismus, nicht Zentralisation, die letztere würde zu
einem Militärdespotismus führen. Seine Worte, die auch heute
einer gew^issen Aktualität nicht entt)ehren, lauten:
„Jeder, welchem die Geschichte niclit auf den bequemen Wag-
gons der Masse studiert hat seit den letzten Wochen, der weiß, daß
eine dritiehalbtausendjährige Gescliiclite Deutschlands uns lehrt, daß
Deulscliland niemals ein Eiulieitsst aal gewesen ist. vveil ein
solcher dem (iruiidcharakter des deutschen Volkes widerspricht. Die
fundamentalen Bestrebungen der Deut sollen sind auf die Entwicklung
der Individualität und des Föderalismus gei-ichtet. nicht aber auf Zen-
tralisation, welche, wenn sie erreicht werden könnte, jedenfalls nur
durch eine tiefgreifende und blutige Revolution liervorgebracht werden
könnte, und das Ende dieser Revolution wäre kein anderes als ein
Militärdespotismus." ^)
Die Entwicklung der Dinge ist anders gekommen, als La-
saulx und die besten seiner Zeit gedacht und gewollt haben.
Preußen ist an die Spitze Deutschlands getreten. Lasaulx»
der ja auch diese Möglichkeit ahnte, hätte sich mit der heutigen
Ordnung der Dinge abgefunden. Er erkannte schon damals die
Bedeutung des mächtig aufstrebenden preußischen Staates und
korrigierte 185(3 die abfälligen Urteile, die er 1838 in der Schrift
„Über die Kölner Sache" und in der Frankfurter Nationalver-
sammlung ftber Preußen gefällt hatte. Er lobt die preußische
allgemeine Wehrpflicht. Diese preußischen Institutionen stam-
men aus der furchtbarsten Katastrophe des preußischen Staates,
aus der Zeit nach der Schlacht bei Jena; damals haben Stein
und Scharnhorst den durch Napoleon zertrömmerteu Staats-
körper wieder aufgerichtet durch Kräftigung im Innern, indem
sie das Prinzip der Kautsch en Moralphilosophie auf den poli-
') Sten. Ber. (1855), II, 112. — *■) ibid, (49-50), V, 508. - «) ibid. -
*) ibid. (1^61), I, 228.
10. Lasaulx im bayerischen Landt^ig. 191
tischen Boden verpflanzten und die mangelnde physische Macht
durch Potenzierung der moralischen Macht zu ersetzen suchten.
Dieser Versuch sei in Preußen in der Tat gehingen und die
Grundlage der großen und wohlverdienten Achtung, welche die-
ser Staat seitdem in Europa genieße, seiner geordneten Finanz-
verwaltung, seiner vorzüglichen militärischen Tüchtigkeit und der
damit parallel laufenden hervorragenden Leistungen auf dem Ge-
biete der Industrie und der Wissenschaft. ... In Preußen sei
die Armee eine Schule männlicher Erziehung, davon werde sich
jeder überzeugen, der von den inneren Zuständen dieses Staates
Kenntnis nehme. Eine gewisse moralische Tüchtigkeit und In-
tegrität, der Sinn für Ordnung und Gehorsam, ein gediegener
und verständiger Sinn sei in Preußen allgemeiner verbreitet
als vielleicht in vielen andern Ländern. ^) Und schon 1850 preist
er die Munifizenz Preußens gegenüber den Universitäten mit
einem Seitenblick auf andere Staaten.
„Ein großer General, der selige Scharnhorst, pflegte zu sagen:
Preußen bedürfe immer der besten Verfassung, des besten Heeres
und der besten Talente, der letzteren zumeist, weil ohne sie die er-
steren nicht zu erhalten seien. Die preußische Regierung hat dem-
gemäß von jeher großen Wert darauf gelegt, bedeutende Männer für
sich zu gewinnen, sie hat die Akquisition geistiger Kräfte als einen Zu-
wachs von Macht angesehen, während andere Regierungen zuweilen
mit großem Gleichmute bedeutende Männer wegziehen ließen." ^)
Lasaulx wäre also der neuen Ordnung der Dinge nicht
45chmollend gegenübergestanden, besonders nachdem Österreich
durch Bismarcks Staatskunst wenigstens durch ein Bündnis mit
Deutschland enger verbunden war. Die Größe und Macht,
die Deutschland seit 1870 in der Welt erlangt hat, hätte auch
Lasaulx' Herz erfi*eut. Denn Lasaulx hat immer national ge-
dacht, war immer für Deutschlands Größe, Deutschlands
Ansehen, deutsche Sprache, deutsche Sitte, deutsche Kunst
und Wissenschaft begeistert. Er würde auch Bayerns Eintritt
ins neue Reich begrüßt, aber auch dessen politische Selbstän-
digkeit gegen alle Einheitsbestrebungen verteidigt haben. Da-
»nit kommen wir zu Lasaulx' bayerischer Politik.
3. Bayerische Politik.
In Bayern^) regierte damals König Max IL Von 1849
bis 1859 führten als Minister die Geschäfte von der Pfordten
') Sten. Ber. (1856), III, 55-56. -') ibid. (1849-50), VI, 87. — ^ vgl-
Schreiber: Geschichte Bayerns 1891, Bd. 11, 574 if., 596 ff.
192 10. Lasaulx im bayerischen Landtag.
(Äußeres), Kleinschrod (Justiz), Äschenbrenner (Finanz),
Ringel mann (Kultus), Lud er (Krieg), Zwehl (Inneres). Im
Landtag wurden in jener Periode liesonders die Gesetzgebungs-
arbeiten gefördert: es standen sieh im Landtage eine liberal-
demokratische Linke, an ihrer Spitze Fürst Wallerstein, und
eine konservative Rechte gegenüber. 185;") wurde der Landtag
aufgelöst, als die Abgeordneten eine Adresse an den König be-
schlossen Ober die endlos verzögerte Gerichtsorganisation. 1858
kam es wieder zur Kammerauflösung, als Prof. Dr. Weis,
der Referent des Gesetzgebungsausschusses, im Entwurf des
neuen Polizeistrafgesetzbuches eine Systemänderung unter Zu-
stimmung der Kammer vornahm. Die Regierung lehnte die
Anträge der Abgeordneten ab, der Gesetzgebungsausschuß pro-
testierte gegen den Beschluß der Regierung und forderte, dafi
die Gesetzentwürfe nach dem Geschäftsgang des Landtags der
gesamten Kammer zur Verhandlung vorgelegt werden. Da er-
folgte die Auflösung der Kammer; Prof. Dr. Weis wurde als
Appellrat nach Eichstätt versetzt, um den gefährlichen Gegner
aus der Kammer zu entfernen. Die Neuwalil brachte aber nicht
bloß den gemaßregelten Dr. Weis, sondern auch viele Gegner
der Regierung in den Landtag. Eine außerordentliche Adresse
warf dem Ministerium Verletzung der Verfassung und Störung
des inneren Friedens vor. Der Köin'g wies die Adresse zurück.
Die Würzburger wählten den gemaßregelten Dr. Weis zu ihrem
Bürgermeister. Allgemeine Spannung, ob der Gemaßregelte die
königliche Bestätigung erhalten werde. Der König bestätigte die
Wahl und nahm, imi Frieden zu haben mit seinem Volke, ein neues
Ministerium. Von 1850 ab führten die Geschäfte Schrenk (Äu-
ßeres), Neumaier (Inneres), Spies (Krieg), Pfeuffer (Finanz),
Zwehl (Kultus), Mulzer (Justiz).
Das ist der äußere Rahmen, innerhalb dessen Lasaulx
seine parlamentarische Tätigkeit entfaltete, nicht zum Schaden
des bayerischen Landes.
Lasaulx, obwohl kein Bayer, sondern Rheinländer, war
nicht blind gegen die Vorzüge Bayerns, sondern durchaus ge-
recht gegen Bayern und wahrte die Interessen des Landes und
Wahlkreises mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit. Für die
Bedeutung Bayerns nach der kulturellen Seite hat Lasaulx
volles Verständnis. Obwohl er von der Regierung 1847 nichts
Gutes erfahren hatte, erkennt er doch an, daß zwar vielleicht
manches Geld hätte zweckmäßiger verwendet werden könne«,
lO.'Lasaulx im bayerischen Landtag. 19B
aber im ganzen und großen sei das Verwendete dem Lande und
dem Volke zu gute gekommen; die Zukunft^) werde die vorige
Regierung gerechter beurteilen und nach Verdienst würdigen,
mehr als in der Gegenwart.^) Lasaulx erkennt Anstalten wie
die für Glasmalerei und Erzgießerei, als die gelungensten
Schöpfungen aus der in dieser Beziehung glorreichen Regierung
des Königs Ludwig an.*) Bayern könne auf dem Gebiete der
Kunst mit den ersten Mächten der Erde wetteifern, das habe
die in dieser Beziehung glorreiche Regierung des Königs Lud-
wig bewiesen, der mit sehr mäßigen Mitteln auf dem Gebiete
der Kunst Größeres geleistet habe als das erste Reich der
Erde. *)
Lasaulx denkt auch nicht klein von der politischen Be-
deutung Bayerns und wünscht dieselbe daher konsequent durch
eine entsprechende Armee repräsentiert. Wie er überhaupt für
eine starke Armee ist, in der er den Hort der Ordnung eines
Staates sieht, ^) so stimmt er auch jederzeit für alle militärischen
Forderungen, besonders auch für die allgemeine Wehrpflicht, —
nur die künftigen Priester wünscht er ausgenommen — , da er
in der Armee eine Schule der Erziehung erblickt. ^) In politi-
scher Hinsicht wünscht er Bayern an der Seite Österreichs,
wie er das bei Besprechung der deutschen Frage wiederholt aus-
gesprochen hat.
Was die Ausgestaltung der inneren Verhältnisse des Lan-
des betrilBPl, so tritt Lasaulx, getreu seinen konservativen Prin-
zipien, ein für die Rechte des Königs. Da das pfälzische
Strafgesetz von 1810 keine besonderen Bestimmungen zum
Schutze des Monarchen und der Glieder der kgl. Familie gegen
Wortbeleidigungen enthielt, trat Lasaulx gegenüber Waller-
stein dafür ein, daß Beleidigungen des Oberhauptes eines mon-
archischen Staates anders behandelt werden als die gewöhn-
licher Magistratspersonen, da schon in republikanischen Staats-
verfassungen dieselben Verbrechen verschieden bestraft werden,
je nachdem sie an einem gewöhnlichen Staatsbürger oder einer
Magistratsperson begangen werden.^) Und als Wallerstein es
^) Heute wird die Regierung Ludwigs 1. als eine Periode des Glan-
zes und Ruhmes in der bayerischen Geschichte mit Recht gefeiert; jüngst
noch von Sepp in dem großen Werk: Ludwig Augustus 1903. ~ '; Sten.
Ber. (1849-50). Bd. V, 45. - ^) ibid. (1856, Bd. III, 517. — *) ibid. Bd. II,
325. — '') ibid. (49), I, 24; ibid. V, 30; ibid. V. 44-45; ibid. (1852), III,
304; ibid. (1851), I, 199. -«) ibid. (1856), lU, 55. - ') ibid. (1851), Bd. I, 491.
Stölzl e: Ernst von Lasaulx. 13
194 10. Lasaulx im bayerischen Landtag.
für unschicklich erklärte, daß das Staatsroinisterium ein solct^^s
Gesetz einbringe, verteidigt Lasaulx die Regierung, es sei ^TÖr
das Volk ehrenhafter, wenn es den König schütze, im Interes^-^^
der Pietät.
„Man hat den allen Aristokratien oft und nicht mit Unreell^
vorgeworfen, daß sie selbstsuchtig gewesen seien. Wenn Körperschaf-
ten herrschen, sagt man, so herrschen sie in ihrem Interesse. Diesen
Vorwurf kann man mit Recht der monarchischen Verfassung nicht
machen; wenn hierin der König eine exzeptionelle Stellung den übri-
gen Staatsbürgern gegenüber einnimmt, so geschieht das nicht sowohl
um seiner selbst willen, als vielmehr des Staates willen; es ist för
den Staat gut, wenn ein Stuhl vorhanden ist, der dem ungezügelten
Ehrgeize nicht freisteht; ^) es ist im Interesse aller, den Thron und
die Person des Monarchen heilig und unverletzlich zu halten, es macht
dies einen wohltuenden Eindruck im ganzen Staatsleben. Nicht um
den König zu privilegieren, sondern um dieses Gefühl wahrer Pietät,
welche in allen Verhältnissen des Lebens wohltätig wirkt, zu heben
und zu schützen, macht man solche Gesetze." ^)
Die Rechte des Königs glaubte er wahren zu müssen,
als er gegen die Abkürzung der Finanzperioden stimmte, denn
er sah darin eine Beschränkung des Königstums. ^)
Wie Lasaulx die Rechte des Königs schützt, so auch die
der Repfierung. Das Ideal Lasaulx' ist eine starke Regie-
rung. Darum verwahrt er sich dagegen, daß die Kammer der
Regierung ins Handwerk pfusche, darum will er nichts von einer
parlamentarischen Mitregierung wissen, gewitzigt durch das Bei-
spiel Frankreichs im Jahre 1848 und Württembergs.*)
Darum wahrt er der Regierung allen konstitutionellen Bedenken
zum Trotz das Recht der Initiative in außerordentlichen Fällen.
Seine Worte können auch heute noch als Richtschmir dienen:
„Es liegt nicht sowohl in den Rechten als vielmehr in der Pflicht
der Regierung, außerordentlichen Verhältnissen gegenüber außerordent-
liche Maßregeln zu ergreifen. . . . Wenn man der Regierung dieses
Recht bestreitet, so macht man die Regierung, welche sie auch sei,
unmöglich. Eine Regierung, die von diesem Rechte, von dieser Pflicht
keinen Gebrauch machte, hätte ihre Unfähigkeit bewiesen, imd wäre
wert, zum Teufel gejagt zu werden. Jede Regierung, sie mag nun
eine monarchische oder eine republikanische sein, ist als solche ihrer
Natur, ihrem Begriffe nach verpflichtet, das Heft nicht aus der Hand
zu geben, das Schwert der Macht in der Hand zu behalten und Ge-
brauch davon zu machen, wann und wo es notwendig ist; und wenn
^) Ähnliche Ideen entwickelt v. Hertling: Kleine Schriften zur Zeit-
- 2) Sten. Ber. (1851),
1849-50), Bd. V, 213.
geschichte und Politik 1897, p. 82. - «) Sten. Ber. (1851), Bd. I, p. 495. -
^} ibid. (1852), IV, 219. - *) ibid. (
10. Lasaalx im bayerischen Landtag. 195
man das sog. konstitutionelle Prinzip so versteht, daß man mit einer
nur dem Deutschen eigentümlichen Pedanterie an dem Buchstaben der
papiemen Verfassungsparagraphen festhält und alles Ernstes wähnt, es
dürfe nichts im Staate existieren, was nicht in der Verfassungsurkunde
vorgesehen und erlaubt sei, so wird der Erfolg einfach der sein, daß
der gesunde Sinn des Volkes da, wo er noch nicht die Täuschungen
dieses Systems vollkommen einsieht, daß ihm dasselbe zum Eckel wird,
und daß es sich sehnt nach einem kräftigen Tyrannen, der das Schwert
zu führen weiß und den ganzen papiernen Plunder über den Haufen
wirft. Es gibt jetzt schon viele in Deutschland, die einen solchen
wünschen, wenn nur einer da wäre.** ^)
Wie das Recht der Initiative, so will Lasaulx der Regie-
rung und ihren Organen auch das letzte Wort vorbehalten wis-
sen. Die Regierung habe das absolute Veto, das letzte Wort
in den höchsten Fragen, also müsse man ihr auch am Schlüsse
der Debatte das letzte Wort lassen. ^)
Die Kraft der Regierung möchte Lasaulx auch betätigt
sehen gegenüber geheimen Vereinen. Er wünscht der Regie-
rung den imperatorischeu Verstand echter Republikaner und den
monarchischen Regierungen in Deutschland etwas von dieser
republikanischen Gesinnung. Der römische Senat, ein Verein von
Männern^ die mit dem nötigen politischen Verstand auch die
nötige politische Energie verbanden, habe im Falle geheimer
Sonderbündelei einen Diktator und dieser einen Oberst der Rei-
terei ernannt mit dem Befehle, die an der Spitze der Verschwö-
rung Befindlichen zu ergreifen, handfest zu machen und dann
niederhauen zu lassen. ^)
Ebenso liegt es nach Lasaulx im Begriffe der Regierung,
daß sie gegenüber den Beamten das Recht der Ver-
setzung resp. Absetzung haben muß. Obwohl Lasaulx
selbst abgesetzt worden, so hält er die Bestimmung für absolut
notwendig, daß die Beamten versetzbar sind. Die Beamten müs-
sen von der Regierung abhängig sein, keine Regierung der Welt,
weder eine monarchische noch eine aristokratische noch eine re-
publikanische, sei im stände zu regieren, wenn ihre Organe ihr
nicht gehorchen. *) Praktisch sei ja die Sache von sehr gerin-
gem Belange, von diesem Rechte werde nur in äußerst seltenen
Fällen Gebrauch gemacht. Aber das Recht dazu dürfe der Re-
gierung nicht bestritten werden. ^)
') Sten. Ber. (1849-50), Bd. V, 71. - '') ibid. II, 442. - «) ibid. III,
250-51. - *) ibid. (1851), I, 654-55. - ') ibid. 655.
13*
196 10. Lasaulx im bayerischen Landtag.
Im Interesse einer konservativen Richtung des Staats-
lebens spricht er sich fUr das Zweikammersystem in Bayern
aus und „würde es tief beklagen, wenn das Zweikammersystem,
welches in allen größern Staaten sich als wohltätig erwiesen
hat, in Bayern jemals aufgegeben würde". ^)
Aus dieser konservativen Gesinnung erklärt sich seine Oppo-
sition gegen die Abschaffung der Todesstrafe, gegen die er
schon in Frankfurt gestimmt hat. ^)
Abneigung gegen alles, was der Demokratie förderlich ist,
und der Trieb nach Stärkung der konservativen Richtung im
Staate läßt ihn für die Erweiterung der Familienfideikommisse
und für die Zusammensetzung des Distriktsrates aus den sechs
höchstbesteuerten Grundbesitzern des Distrikts seine Stimme in die
Wagschale wei'fen. Er begründet beides in einer Weise, die seine
konservative, antidemokratische Gesinnung aufs deutlichste zeigt.
Die Frage der Zusammensetzung des Distriktsrates
aus den begütertsten Grundbesitzern nennt Lasaulx, der auch
scheinbar wenig bedeutende Fragen in ihrer vollen Tragweite
zu erfassen wußte, eine der weitgreifendsten und fundamentalsten
des politischen Lebens. In den Republiken des Altertums habe
der Grundbesitz vorzugsweise den Maßstab der politischen Rechte
gebildet, so in der Solonischen Verfassung in Athen, so unter
Servius Tullius in Rom, so im germanischen Altertum; über-
all habe die echte politische Freiheit auf dem vorherrschenden
Elemente des Grundbesitzes beruht; und im heutigen England,
dem einzigen Lande wahrer politischer Freiheit, sei diese Frei-
heit wesentlich auf die Vertretung des großen Grundbesitzes ba-
siert; wenn in unserm unglücklichen Vaterlande Deutschland
wahre politische Freiheit möglich sein soll, so müsse man zu
diesem Prinzip zurückkehren, nur das aristokratische Element des
festen Grundbesitzes könne wahre Freiheit gewährleisten, nicht
die Torheiten der Demokratie, die, wo immer sie zur Rechts-
kraft gelangt sei, niemals etwas anderes gekannt habe als Spek-
takel machen und den gesunden Staatsorganismus zerrütten und
auflösen, nie aber im stände gewesen sei, eine neue Staatsord-
nung zu begründen. ^)
Aus dem gleichen Gesichtspunkte der Stärkung der kon-
servativen Tendenzen des Staates ist seine Förderung der Er-
M Sten. Ben (1849 -50;, Bd. III, 24. *) ibid. I, 168. - «) ibid.
,1852), IV, 14-15.
10. Lasanix im bayerischen Landtag. .197
Weiterung der Familienfideikonimisse zu verstehen. Das
Ißstitut der Fideikommisse sei so alt als die menschliche Kultur
der Völker auf Erden. Die Fideikommisse bilden die rechte
ideale Mitte zwischen der doppelten despotischen Willkür, er-
stens, daß der gegenwärtige Besitzer bei seinem Tode über
sein Eigentum unbedingt verfügen könne, und zweitens, daß
er gar nicht darüber verfügen könne, indem der Tod alles trenne.
Zwischen dieser Absohitheit des Individuums einerseits und der
Absolntheit des Staats anderseits bilden die Fideikommisse die
natürliche Vermittlung. Der Mensch sei auf Erden ein Pilger,
er habe keine bleibende Wohnstätte auf ihr, er sei nur Nutz-
nießer dessen, was ihm durch die Gunst der Götter zuteil ge-
worden, wenn er aber sterbe, so hinterlasse er seine Kinder,
besonders seinen erstgebornen Sohn, der es ebenso mache wie
sein Vater, es habe immer als Zeichen edler Gesinnung gegol-
ten, auf diese Weise an der Unsterblichkeit der Menschheit teil-
zunehmen. Es sei Zeichen einer gesunkenen Zeit, wenn dieser
Familiensinn, dieser einfachste und natürlichste korporative Sinn,
erlösche und alles sich punktualisiere aufs Individuum, woraus
nur vollständige Atomisierung der Gesellschaft und deren Ruin
hervorgehen könne. . . . Das vorliegende Gesetz wolle die gesun-
den natürlichen Familiengefühle noch einmal aufrufen gegen jene
krankhafte Individualisierung der Einzelnen; die ganze Kultur-
geschichte, nicht bloß des deutschen Volkes, sondern aller Völker be-
weise die Notwendigkeit der Familienfideikommisse. Es gebe
kein einziges großes gesundes Volk in der europäischen Ge-
schichte, in welchem sich das Institut der Familienfideikommisse
nicht finde und die Grundlage seines politischen Lebens wäre.
Seitdem man in Frankreich die Familienfideikommisse aufgehoben
und nicht wieder hergestellt habe, sei jenes große Volk die Beute
eines ... gewoi*den. Lasaulx wünscht, daß jenes Recht, was
bisher ein Vorrecht des Adels war, allen Staatsbürgern gleich-
mäßig gewährt werde, wer davon Gebrauch machen wolle, soll
es dürfen, und wer nicht wolle, soll in keiner Weise dazu ge-
zwungen werden. ^) Diesen Argumenten fügte er später noch
den Hinweis auf die Fideikommisse des Pia ton in der Aka-
demie, des Aristoteles im Lyzeum, des Epikur in seinen Gär-
ten hinzu zum Beweise, daß dem Institute der Fideikommisse
allgemein gültige Ideen zu gründe liegen. Den Einwand, daß
') Sten. Ber. (1852), V, 36.
198 , 10. Lasaulx im bayerischen Landtag.
die Fideikommisse mit dem ganzen Geiste unserer Zeit in Wider-
spruch ständen, erklärt Lasaulx für relativ berechtigt, erblickt
darin aber nicht einen Tadel, sondern einen Vorzug, da solche
Gegensätze den Fortschritt der Geschichte bedingen, was La-
saulx mit allgemeinen Ausführungen belegt, die wir passender
anderswo anbringen. ^)
Dieser konservative Zug, der Lasaulx eigen ist, hat ihn
freilich auch zu der Absonderlichkeit verführt, gegen den Aus-
bau des Eisenbahnnetzes in Bayern Stellung zu nehmen,^) hat
ihn gegen die volle Emanzipation der Juden sprechen lassen.^)
Über diese Verirrungen, mit denen Lasaulx freilich nicht allein
stand, ist die Zeit hinweggeschritten.
Aber trotz seines durchaus konservativen Charakters war
Lasaulx doch wieder echt freiheitlich gesinnt. Er bekun-
dete diese freiheitliche Gesinnung durch den Freimut, mit dem
er der Regierung sein Mißtrauen aussprach, bekundete sie, in-
dem er für die Rechte der Volksvertretung, für die Freiheit der
Presse, für Lern- und Lehrfreiheit, Freiheit der Beamten gegen-
über ministerieller Willkür, für das allgemeine aktive und passive
Wahlrecht eintrat.
Als das Ministerium einen außerordentlichen Kredit für
außerordentliche Bedürfnisse der Armee verlangte, erklärte La-
saulx schlankweg, kein Vertrauen zu haben zu der vom Mini-
sterpräsidenten von der Pfordten befolgten auswärtigen Poli-
tik. *) Mit scharfen Worten hält er dem Ministerpräsidenten vor,
daß er in der hannoverschen Frage jetzt anders urteile und
stimme als 1837. ^) Und welch bittere Worte bekam das Mini-
sterium von Lasaulx zu hören, als der Ausschuß die Beschwerde
des Redakteurs Zander wegen widerrechtlicher Konfiszierung
durch die Regierung für formell zulässig und materiell begründet
erklärte, und Lasaulx namens des Ausschusses darüber Bericht
erstattete! Mit welchem Sarkasmus geißelte er das Vorgehen der
Regierung gegen Dr. Weis!^)
Diese freiheitliche Gesinnung bekundet Lasaulx auch, in-
dem er für die Volksvertretung freie Rede gegenüber
dem König verlangt. Er sagte:
„Es war immer das schönste Bild, mir zu denken, einerseits
einen jugendlichen König im Glänze der Majestät und im vollen Be-
Sten. Ber. (1854), I, 398—99. - '') ibid. ^(1851-52), H, 268-6
und (1856), H, 325. — «) ibid. (1851-52), I, 606-08. — *) ibid a855), IT
118. - '^) ibid. (1856), I, 385. — «) ibid. (1859), 200-201.
10. Lasaulx im bayerischen Landtag. 199
wuitsein seiner Macht und Würde, und ihm gegenüber ein freies
männlich gesinntes Volk von gleichem Bewußtsein erfüllt, dem Bewußt-
sein, daß die Kraft und Würde beider von Gottes Gnaden sei. Denn
die Größe der Herrschaft richtet sich nach der Größe dessen, was be-
herrscht wird, weshalb es niemals für eine Ehre galt, über ein knech-
tisches Volk zu herrschen, jederzeit aber als die höchste Ehre betrachtet
wurde, an der Spitze freier Männer zu stehen". ^)
Die Freiheit der Rede, die La sau Ix hier für die Volksvertre-
tung JD Anspruch nahm, gönnte er auch der Presse. Und wenn er
auch gegen Mißbrauch angemessene Bestrafung ^) wünschte und
Schutz gegen schlechte Presse verlangte, ^) so trat er doch immer
filr die Freiheit und gegen Beschränkung der Presse ein. Trotz
all#r Übelstände, welche die Freiheit der Presse mit sich brachte, ist
Lasaulx gegen alle Zensur, er hat eine zu tief gegründete Liebe
zur Freiheit, als daß er sich durch den Mißbrauch derselben
•
Jamals zu freiheitsfeindlichen Maßregeln sollte bestimmen lassen;
^^ empfiehlt daher auch trotz alles Mißbrauches der Presse durch
®'n literarisches Proletariat keine Präventivmaßregeln gegen die
^«•esse. *)
£benso ernst war es Lasaulx mit der Freiheit der Wis-
senschaft sowohl mit der Lehr- als mit der Lernfreiheit. Es
*^t Lasaulx' feste Überzeugung, daß niemand der freien Ent-
^^•cklung der Wissenschaft etwas in den Weg legen könne, auch
*^eiu Preßpolizeigesetz, dadurch werde sie weder gefördert noch
S^pftlhrdet. Ja gerade die größten wissenschaftlichen Werke seien
•^icht unter der Herrschaft der Preßfreiheit, sondern unter der
"^i'rschaft einer strengen Zensur entstanden. ^) Beweis sei auch
*^lilei, dessen Lehre weder durch wissenschaftlichen noch
^Urch nichtwissenschafth'chen Widerstand unterdrückt worden sei.^)
Darum ist Lasaulx auch für volle Lernfreiheit und ge-
8^n allen Studienzwang. Lasaulx sagte sehr richtig:
,Das ganze Universitätsstudium wie alle höhere Erkenntnis he-
!^ht auf der Freiheit des Geistes. Einmal im Leben muß der
Mensch frei werden und auf eigenen Füßen stehen lernen, und die
^altirlichste Zeit hierfür ist jene Periode des jugendlichen Lebens, in
"^ eiche durchschnittlich unser Universitätsleben fällt. Wer hier nicht
Selbständig und aufrecht durch das Leben gehen lernt, der lernt es in
s^mem Leben nicht. Um aber selbst gehen, und um frei sein zu
»ernen, muß dem [jungen Manne] die Möglichkeit freier Selbstbestim-
mung gegeben werden".'')
. .^ M Sten. Ber. (1855), I, 12. ~ -) ibid. (1849-50), ül, 510—11. 550. -
2,^*»«l. (1851—52), m, 477. - *) ibid. (1849-50), l 262. - ^) ibid. lU,
WO^Xl. -^ «) ibid. 516—17. - ') ibid. (1852), III, 279.
200 10. Lasaulx im bayerischem Landtag.
Nur in einem Punkte will Lasaulx die akademische Frei-
heit der Studenten beschränkt sehen. Eintritt in politische Ver-
eine und Teilnahme an solchen erklärt er mit Recht als ein [Jn-
glöck für die akademische Jugend. ^)
Wie Lasaulx aber den Studenten die Freiheit des Ler-
nens gewahrt wissen will, so auch den Lehrern die Freiheit
des Lehre ns. Darum tadelte er die Regierung sehr scharf vor
dem ganzen Lande, daß sie die Lehrfreiheit durch Versetzung
des Prof. Weis als Appellrat nach Eichstätt gegen dessen Wil-
len verletzte. Lasaulx will der Regierung nicht das Recht
streitig machen, einen ihrer Beamten, auch Professoren, abzu-
setzen oder zu versetzen aus administrativen Erwägungen, aber
dieses Recht sei diskretionär und sollte darum auch mit Diskre-
tion geübt werden. Lasaulx kennt nur einen anständigen
Weg, einem Lehrer, dessen Lehre der Staatsregierung nicht
passe, beizukommen, d. i. die Berufung eines zweiten Lehrers
für dasselbe Fach. Er sprach mit Bezug auf den Fall von Prof.
Weis die für alle Zeit und jede Unterrichtsverwaltung beherzi-
genswerten Worte:
„Ich finde es natürlich, daß ein Staatsministerium in politischen
Fragen der Ansicht ist, daß auch seiner Auffassungsweise derselben,
wie man sich jetzt ausdrückt, Rechnung getragen werden solle. Wenn
die königliche Staatsregierung fand, daß die Art, wie Prof. Weis das
Staatsrecht lehrte, mit ihren Überzeugungen nicht ganz im Einklänge
stand, dann gab es ein sehr einfaches Mittel, jene angebliche Irrlehre
mit ehrlichen Waffen auf ihrem eigenen Boden zu bekämpfen. Dieses
Mittel bestand darin, daß man für dasselbe Fach einen zweiten Lehrer
ernannt hätte, über dessen Gesinnungen man sich vorher hätte ver-
sichern können. Dieses, meine Herren, ist die einzige anständige
Weise, solche Kontroversen zu lösen, jede andere Maßregel ist nicht
im Interesse weder der Freiheit der Forschung noch des Ansehens der
obersten Behörde". ^J
Bei dieser Gelegenheit trat Lasaulx auch entschieden ein
für die Freiheit der Beamten gegenüber ministerieller Will-
kür. Er macht kein Hehl daraus, daß er solche temporäre Quies-
zierungen oder sonstige Maßregelungen von Beamten, auch von
Professoren wegen gewisser Tendenzen durchaus für verfehlt
und ungerecht halte, wenn er der Regierung auch das Recht
dazu voll und ganz einräumt. Er spricht mit tadelndem Seiten-
blick davon, daß solche temporäre Quieszierungen in Bayern lei-
der häufiger vorgekommen seien als in irgend einem andern
') Sten. Ber. (1849-50), III, 293. ') ibid. (1859), 201.
10. Lasaulx im bayerischen Landtag. 201
europäischen Staate; im Jahre 1832 habe man an der Uuiversi^
tat Wflrzburg von diesem traurigen Vorrecht der Staatsgewalt
einen so ausgedehnten Gebrauch gemacht, wie er seines Wissens
in der ganzen Geschichte der Universitäten niemals vorgekom-
men sei; man habe 18 Professoren auf einmal wegen angeb-
licher liberaler Tendenzen abgesetzt, versetzt und ,, auseinander
zentralisiert*".^) Ebenso entschieden protestiert Lasaulx gegen
den Versuch des Ministeriums, den Beamten ihre politischen
Rechte zu verkümmern und den Stand der Staatsdiener unter
den Begriff der ^^königlichen Dienerschaft*" zu subsumieren.^
Diesem freiheitlichen Sinne Lasaulx* entspringt auch sein
Eintreten für das allgemeine Wahlrecht, das passive wie
das aktive. Lasaulx begründet seinen Standpunkt mit weiten
Ansblicken auf die Geschichte und ihre Lehren. Das allgemeine
Wahlrecht gefährde nicht den Bestand der Monarchie, die Geschichte
lehre das Gegenteil; er sieht vielmehr im allgemeinen Wahlrecht
überall den Vorboten des Despotismus. Auch aus sozialen
Rücksichten ist Lasaulx für das allgemeine Wahlrecht, obgleich
er die Unzukömmlichkeiten des allgemeinen Wahlrechtes wohl
fühlt, die darin liegen, daß es z. B. den Unterschied zwischen
der Stimme des Taglöhners und des Gutsherrn, des einfachcsn
Bauern und seines Pfarrers übersieht. ^) Dabei will er auch die
Juden inbegriflfen haben und stimmt gegen eine Gesetzesbestim-
mung, welche den Juden das bisherige Wahlrecht genommen
hätte, wie immer mit hochinteressanten allgemeinen Ausblicken
seine Rede schmückend»*) Wie er das aktive Wahlrecht, so
will er auch das passive allgemein, spricht also gegen die
Ausschließung der Beamten von der Wahl in die Kammer, selbst
wenn sie der Regierung Opposition machen. Die Ausschließung
der Beamten von der Kammer wäre nicht zum Vorteil der Kam-
mer noch des Landes. ^) Freilich haben die gewählten Abgeord-
neten dann auch die Pflicht, den Sitzungen anzuwohnen. Lasaulx,
wie überall so auch in der Ausübung seines Mandates höchst
gewissenhaft, stimmt sogar einem Antrag auf Ausschließung
eines Abgeordneten bei, der trotz zweimaliger Einladung unent-
schuldigt fehlt. «)
Indes bei aller freiheitlichen Gesinnung ist Lasaulx immer
ein Mann der Ordnung und Gesetzlichkeit geblieben. Darum
') 8ten. Ber. 1 1849-50), III, 326. - ') ibid. (59), 99. - ') ibid (1855).
I, 514-17, - *) ibid. ~ ») ibid. 604-05. ") ibid. (49-50), H, 457
uid448.
202 10. Lasanlx im bayerischen Landtag.
stimmt er fQr das Disziplinargesetz der Richter und ihre
Versetzbar keit. Denn die Unversetzbarkeit der Richter gilt
ihm nicht als eine Garantie der Unabhängigkeit der Justiz. Diese
beruhe auf der sittlichen Unabhängigkeit und Energie des Cha-
rakters; diejenigen Menschen, denen es äußerlich schwer ge-
macht sei, die Unabhängigkeit ihrer Überzeugung zu bewahren,
hätten dies mehr getan, als die, denen es durch die Gunst des
Schicksals leicht gemacht gewesen. Auch beruhe die Unabhän-
gigkeit des Richterstandes nicht auf seiner Unverseb^barkeit; h\
England seien unter allen Richtern nur zwölf unabsetzbar, nie-
mand werde deshalb die Aussprüche der englischen Richter für
weniger gut und frei erklären als die Richter des Kontinents.
Es habe bei allen zivilisierten Völkern immer für ein Privilegium
freier Männer gegolten, von ihres Gleichen gerichtet zu werden,
das wolle auch dieses Gesetz; alle Völker haben den starren
Buchstaben des geschriebenen Rechts durch lebendige Sitten-
gerichte ergänzt, neben den Entscheidungen defr Juristen auch
Ehrengerichte für notwendig erklärt. Die Standesehre habe nach
früheren besseren Begriflfen darauf beruht, daß der Stand keinen
Unehrenhaften in sich geduldet habe. So sollen auch hier et-
waige Vergehen von Beamten der Entscheidung von Männern
aus ihrer eigenen Mitte anheimgegeben werden. Er unterw:erfe
sich in solchen Dingen gerne dem Urteile seiner Feinde, ge-
schweige denn derjenigen, die er seine Kollegen nennen müsse;
wer sich dagegen sträube, verdiene keine Rücksicht. ^)
Dem Einwände, daß der bessere Mann durch die schlech-
teren verurteilt werden könne, begegnet Las au Ix mit dem Hin-
weis auf den Segen des Märtyrertums für das öffentliche Leben.
„Der ist zu beneiden, nicht zu bedauern, und auch das Volk, die
politische Partei, aus deren Mitte einer also fällt, ist nicht zu be-
klagen: ja, es stände schlimm in der Welt, wenn dieser Samen aus-
ginge. Es ist da der ernste heilige Moment eingetreten, wo das innere
ewige Recht sich geltend macht gegen das zeitliche Unrecht. Und
wenn solche Fälle häufig vorkommen, dann ist dies meiner Über-
zeugung nach ein Zeichen, daß die Übel ihren höchsten Grad erreicht
haben und daß aus dem Blute dieser Märtyrer eine frischere Generation
und eine neue bessere Rechtsordnung auferstehen werde. Hätten wir
heutigen Deutschen viele solche Fälle, es stände vielleicht besser mit
uns, denn jetzt steht es nicht gut, wir sind auf dem Punkte, heillos
zu verkommen, in gänzliche Schlaffheit zu geraten, aus der nichts
Gutes entspringen kann . . . Nicht bloß die christliche Kirche ist auf
^) Sten. Ber. (1852), IV, 490 und 509—11.
J
10. Lasaulx im bayerischen Landtag. 208
das Blut ihrer Märtyrer gegründet, es ist in dem politischen Leben ebenso,
im ganzen Verlauf der Weltgeschichte. Wenn die Übel ihren Höhe-
punkt erreicht haben, dann reagieren die innersten Kräfte der mensch -
liehen Natur, denn das Leben ist stärker als der Tod, es regeneriert
sich wieder*. *)
Noch schärfer brachte er seinen Sinn für Gesetzlichkeit
zum Ausdruck im November 1849, als es sich um die Amne-
stie für gewisse im Frtlhiinge dieses Jahres verübte politische
V^erbrechen handelte, ob diese Amnestie eine unbedingte oder
kedingte, ob sie nur auf die Verführten oder auch auf die Ver-
Ahrer ausgedehnt werden solle. Lasaulx ist durchaus gegen
Aninestierung der Verführer, die er nicht als Märtyrer der Volks-
freiheit, soDdeni als feige, wüste, pflicht- und ehrvergessene Ban-
<Kten und als hirnwütige Tollhäusler, wie Struve und Fröbel,
itt*andmarkte ; sie als Republikaner zu bezeichnen scheint ihm
®ine EutweihuDg des Namens Republikaner. Gegen jene Wühler,
Welche dem deutschen Volke die für deutsche Zustände verderb-
fche republikanische Staatsform aufdrängen wollten, sei Strafe
*öi Platze. Bei dieser Gelegenheit fiel der zum geflügelten
^^orte gewordene Spruch von der Lausbubokratie. Lasaulx
,Zur Vervollständigung dieser aristotelischen Lehre von den drei
S^-ci-atsverfassungen (Aristokratie, Demokratie, Monarchie) hat die nach-
^^ÄTzliche Zeit in der größten Stadt Deutschlands, in Wien, etwas
'^^Vies hinzugefügt, nämlich den Versuch einer „Lausbubokratie''.*'
Der öffentlichen Meinung, die unbedingte Amnestie auch
die Aufwiegler verlangt, setzt Lasaulx unbedingte Veraeh-
**^^g entgegen. Er verlangt für die Verführer entsprechende
S'ttafe. »)
So betätigte Lasaulx auch in der bayerischen Kammer,
"^ eichte bayerische oder deutsche oder europäische Politik ver-
■^^i-ndelt werden, dieselbe Unerschrockenheit, denselben Freimut,
^i^Ädben konservativen Grundsätze und dabei dieselbe Liebe zur
^■*€iheit, die ihm in Frankfurt Verehrung von den Freunden,
H^Lfi von den Gegnern eingetragen hatten. Er tat es mit Geist
^i^d Beredsamkeit und wu&te durch sein reiches historisches
^Qd philosophisches Wissen seinen Reden einen mehr als ephe-
^*^eien Charakter aufzudrücken. Das zeigt uns ein Blick auf die
historischen und geschichtsphilosophischen Betrachtungen, die er
iu seine Reden verwob.
*) Sten. Ber. (1862), IV, 510. - -) ibid. (1849-50;, II, 289-91.
^04 10. Lasaulx im bayerischen Landtag.
4. Historische und geschichtsphilosophische Betrachtaugen.
Zur Charakteristik von Lasaulx parianientarischem Auf-
treten und zur Kennzeichnung seiner sententiösen Beredsamkeit
teilen wir noch einige seiner allgemeinen Betrachtungen mit, wie
er sie Ober die mannigfaltigsten Dinge und bei den verschieden-
sten Anlässen in tiefsinniger und vielfach treffender Weise an-
stellte. Wir möchten diese Auslassungen als eine Art politischen
Glaubensbekenntnisses betrachten, zu .dessen Hauptpunkten sich
heute noch jeder konservative Mann bekennen dürfte.
Den Zug des deutschen Volkes zum Individualismus schil-
dert er einmal in einer sarkastischen Ausführung gegen Waller -
stein treflfend so:
„Die Deutschen sind gerade das Gegenteil von dem, was man
ein Rechts Volk zu nennen pflegt; Deutschland war von jeher das
Gegenteil dessen, was man in der modernen Phraseologie einen Rechts-
staat nennt. Alles läuft bei den Deutschen und ihren Stammesver-
wandten auf die Freiheit des Individuums und des Privatlebens hin-
aus; das aber ist gerade das Gegenteil dessen, was der Charakter eines
Rechtsvolkes und eines Rechtstaates ist . . . Von Anfang an ist das
deutsche Volk in eine große Zahl kleiner Stämme und Staaten geteilt
gewesen, und dieses Prinzip der Individualität des Lebens herrscht
durch die ganze deutsche Geschichte". ^)
Die Übel der Zeit erkannte Lasaulx mit sicherem Blick,
aber auch ihre Ursachen, die er nicht in den Verfassungsformen,
sondern in den Menschen und den sozialen Verhältnissen suchte. ^)
Ein solches Obel ist ihm die Unentschlossenheit der Politik.
Seine Worte sind in mancher Hinsicht besonders für unsere
inneren Zustände auch heute noch aktuell:
„Es ist etwas Charakteristisches für alle unsere europäischen Zu-
stände, daß niemand recht den Mut hat, die Dinge mit starker Hand
anzugreifen und mit den wahren Reformen hervorzutreten. Das hat
einen sehr tiefen psychologischen Grund. Der ganze gegenwärtige
Zustand Europas ist nichts anderes, als ein Zersetzungsprozeß der
mittelalterlichen Staatsformen, und die zersetzenden Kräfte wirken viel
kräftiger als die kleinen Reorganisationskeime, welche anschießen.
Man wartet allgemein auf ein Ereignis, man vertraut auf die Providenz
des Schicksals. Auf einer gewissen Entwicklungsstufe des Verstandes
erkennen die Menschen, daß alle Geistesrichtungen, alle Meinungen,
alle Bestrebungen eine gewisse Berechtigung haben, und wenn sie nun
handeln sollen, so sind sie wie ein Esel zwischen zwei Heubündeln, wel-
cher bald dahin bald dorthin sich hingezogen fühlt. Der Mangel einer
') Sten. Her. (1849-50), IV, 248. - *) ibid. V, 30.
I
10. Lasaulx im bayerischen Landtag. ' 205
entschieden kräftigen Tat ist überall vorherrschend, weil niemand im-
stande ist, den Schleier der Zukunft zu durchschauen. Man durch-
schaut die Zukunft in einer gewissen Entfernung viel besser, als in
großer Nähe; gerade weil die Krisis so nahe gerückt ist, hat niemand
den Mut, mit mannhaftei* eisernei' Hand anzugreifen und zu tun, was
er für das Beste hält'*. M
Ein anderes Übel der Zeit sieht Lasaulx richtig in der
zunehmenden Atomisierung und Individualisierung der Ge-
sellschaft. Wir seien durch den natürlichen Entwicklungsgang
unseres polnischen Lebens zu einer Spitze gekommen, die not-
wendig abbrechen müsse, zu der absoluten Entwicklung und Gel-
tendmachung des Individuums und seiner individuellen Ansprüche
dei* Gesamtheit gegenüber. '-)
Endlich ist Lasaulx sehr geneigt, den herrschenden Kon-
stitutionalismus unter die Übel zu rechnen. Er betrachtet
ilm als Schein, ja er erklärt es geradezu als ein europäisches
Unglück, daß man die englische Verfassung ohne die Wirklich-
keit der englischen Lebensverhältnisse nachgemacht habe. ^) Diese
nachgemachte englische Verfassung habe in allen übrigen Län-
dern außer demjenigeu, wo sie gewachsen sei, nur politische
Nachteile und zuletzt den Bankerott herbeigeführt, sowohl in gro-
ßen Ländern, wie Frankreich, als in kleineren Staaten, wie
Baden.*) Lasaulx sehnt sich daher geradezu nach einem Ty-
J^^nnen. ^) In ähnlichem Sinne hat er sich um dieselbe Zeit in
öinem Brief an seinen Freund Jodokus Stülz, Abt von St. Flo-
xal), geäußert:
„Die innere Lügenhaftigkeit des Repräsentativsystems erlebe icli
hier (München) täghch; es wird auch ganz gewiß an der Absurdität
Seiner Konsequenzen krepieren. Aber was dann? Ich meinerseits
8ä.be den ganzen Plunder hin für einen Tyrannen: aber wo ist einerV" ®)
Und ein Jahr später gibt er am 20. Februar 1851 in einem
^^'iefe an denselben seiner Mißstimmung über den Bankerott des
P^rtamentarischen Lebens drastischen Ausdruck:
,Auf dem Königssee . . . am Fuß des Watzmann hat es mir
^^ wohl gefallen, daß ich heute noch gern bereit wäre, gegen die dor-
^^^e Fischmeisterstelle allen Herrlichkeiten des parlamentarischen Lebens
^ entsagen. Die Gemsen zu füttern und Fische zu fangen sind jeden -
'^lls humanere Beschäftigungen, als seine Zeit und Kraft an die arm-
,^ Sten. Ber. (1849-50), V, 45. — ') ibid. (1852), V, 36. - •') ibid.
lY 219. — *) ibid. (1851-52), II, 143; ähnlich 1852 IV, 219. - ^) ibid.
^^Söl). I, 182, - «) Brief Lasaulx' aus dem Jahre 1850 in Pailler: Stülz
206 ' 10. Lasaulx im bayerischen Landtag.
seligen Täuschungen unseres politischen Bankerottes vergeuden zu
müssen". ^)
Wenn man die Auswüchse des Pai'lamentarismus von heute
betrachtet, kaou man die absolutistischen Neigungen Lasaulx'
bis zu einem gewissen Grade verstehen.
Die Zeichen der Zeit weiß Lasaulx wohl zu deuten; er
erkennt den revolutionären Charakter seiner und unserer
Zeit wohl; er sprach hierüber auch heute noch zutreffende
Worte;
„Der H. Ministerpräsident hat vorhin die richtige Bemerkung ge-
macht, es sei allgemein in den Herzen der heutigen Menschheit eine
gewisse Sympathie für die Bevolution vorhanden. Ja, das ist wahr!
Wenn Sie die gegenwärtige Lage von Europa betrachten, nicht seit
heute, sondern seit 66 Jahren, seit 1789, so werden Sie finden, daß
in allen Regionen des öffentlichen Lebens, in Gewerbe, Kunst, Wissen-
schaft und vor allem in der Politik, auf allen Gebieten, eine beschleu-
nigte Bewegung stattfinde. Die Pulse des europäischen Völkerlebens
gehen sehr schnell: es ist dies, wenn ich nicht irre, ein Zeichen von
Fieber, von welchem viele Ärzte glauben, es sei eine Krisis, bei wel-
cher es nur darauf ankomme, wer stärker sei, ob der Dämon der Krank-
heit oder der Genius der Gesundheit. Von dieser beschleunigten Be-
wegung des Lebens ist jeder von uns mehr oder weniger ergriffen, er
kann sich ihrer nicht erwehren, denn der ganze Boden, auf dem wir
stehen, zittert. Was daraus entstehen werde, ich weiß es nicht, jeden-
falls aber etwas Neues, Positives dem Negativen gegenüber; denn am
Ende der Dinge sind wir auch in Europa gewiß noch nicht, und der
innere Kern jeder Negation ist eine neue Position". ''^)
Die Demokratie, die Lasaulx immer bekämpfte, charak-
terisiert er wenig schmeichelhaft:
„Die Demokratie ist zwar ein notwendiges Element und Ferment
der politischen Freiheit, die ohne sie nicht existiert; wo immer aber die
Demokratie zur Herrschaft gelangt ist, hat sie nie etwas anderes her-
vorgebracht als Spektakel, Verwirrung der politischen Verhältnisse und
den Untergang des Staates **. *)
Damit will Lasaulx nicht die republikanische Verfassung
verurteilen. Sein Ideal ist die römische Republik.
, Jedermann weiß, daß der großartigste Versuch, der je in Europa
mit der republikanischen Verfassung gemacht worden ist, die alt-
römische Republik war. Dort waren echte, kernhafte Republikaner,
und die schönen Jahrhunderte der römischen Republik gehören zu den
schönsten der europäischen Völkergeschichte". *)
') Brief an Stülz bei Pailler: Stülz p. 1Ö5— 96. — *) Sten. Ber.
(1855), I, 517. - ») ibid. (1852), IV, 219. - *) ibid. (1849-50), III, 251,
f
10. Fiasaulx im bayerischen Landtag. 201
Und ein andermal gesteht er:
,Ich habe meine politischen Studien im Altertume gemacht, bei
Ftepublikanem, und habe darum auch eine Vorhebe für wahre repu-
blikanische Freiheit, die, wenn sie allgemein verbreitet wäre, den heu-
tigen Monarchien keine Gefahr bringen würde". ^)
Aber trotz aller Verehrung für die Republik hält er sie
doch nicht für die in Deutschland passende Staatsform. Er
erklärt :
„Die Repubhk ist eine so achtbare Form der Staatsverfassung.
a-ls es irgend eine andere in der Welt gibt; die republikanischen Tu-
genden der inneren Wahrhaftigkeit des Gemütes, der strengen Recht-
lichkeit des Sinnes, der ächten Sittlichkeit, der tiefen ungeheuchelten
F*römmigkeit, kurz der Mannhaftigkeit des ganzen Charakters gehören
zu den schönsten männlichen Tugenden, welche die Geschichte kennt,
und wenn sie unter uns allgemein verbreitet wären, sie würden wahr-
^*ch dem Bestände der Monarchie keine Gefahr bringen. Die uner-
'iießliche Mehrheit des deutschen Volkes aber will die republikanische
Verfassung nicht. Alle Verständigen wissen, daß diese Staatsform
zwar eine vorzügliche Dorf- und Stadtverfassung, aber keine gute
Staatsverfassung sei, daß sie auf größere ausgebildete Staatsorganismen
j^^ine Anwendung leide, weil sie hier der Wahrheit gemäß nicht rea-
lisiert werden kann: auch sind die Erfolge des Experimentes, welche
^usere westlichen Nachbarn mit dieser Staatsverfassung gemacht haben,
^^hrhaftig nicht beneidenswert, und es gehört die ganze Tölpelhaftigkeit
^^s deutschen Michels dazu, daß er trotz der weltkundig gewordenen
^^häden seines Nachbars dennoch in dieselben Tollheiten hinein-
P^tsche«. «)
Im Zusammenhang mit dieser Ablehnung von Demokratie
^•^d Republik steht Lasaulx' Geringschätzung der sog. öffent-
lichen Meinung.
„Ja, die sog. öffenthche Meinung, das ist auch eine gloriose Er-
^^dung der Franzosen, deren opinion publique sich unser Michel ins
■-^^Utsche übersetzt hat. , Meinen'' bezeichnet im Deutschen etwas,
gleichviel, ob aus guten oder schlechten Gründen, nach unbestimmten
Vorstellungen für wahr halten. Die Meinung ist eigentlich das arm-
seligste und dümmste, was der Mensch haben kann. Sie ist das ge-
'[^de Gegenteil von dem, was er haben soll, um ein richtiges Urteil zu
lallen; sie ist ein eingebildetes, lügenhaftes, jeden Tag veränderliches
^heinwissen, statt der wahren, festen Erkenntnis. Die Meinung ver-
^ält sich zur Wahrheit wie eine öffentliche Dirne zu einer ehrlichen
^rau. Diese sog. öffentliche Meinung ist daher in der Regel nichts
Ruders als die öffentliche Torheit und nicht dieser zu fröhnen^ son-
dern ihr zu widerstehen, sie womöglich zu verbessern, oder ihr.
Wenn sie zudringlich wird, mit der Faust ins Angesicht zu schlagen,
^*s scheint mir die Aufgabe eines selbständigen urteilsfähigen Mannes.
') Sten. Ber. (1852), IV, 14. - '') ibid. (1849), II, 289-90.
^H 10. Lssanlz im bajeriscben Landtag.
Ebenso verhält es sich mit der Mehrzahl der gro&eu und kleinen Ta^-
blätler, die ich nicht darum beneide, wenn sie sich als die Wortfubroi'
dieser Öffentlichen Meinung gerieren. Ich meinerseits mache kein Helil
daraus, daß, wenn an der Volkssouveränität irgend etwas Wahres ist,
ich die mir zukommende Portion derselben mit Vergnügen dazu vei--
wenden möchte, jene törichte öffenthche Meinung samt den sie reprä-
sentierenden Tagesblättern mit souveräner Verachtung zu behandelri.
Ich erinnere dabei an einen guten, leider vergessenen Spruch unseres
Schiller: „Die Mehrzahl ist der Unsinn, Verstand ist immer nur hei
wenigen gewesen'*. ")
Richtig und heute noch zutreffend sind Lasaulx' Anschati-
ungen Aber die Armee und ihre Bedeutung fflr den Staat.
„Die Geschichte der letzten Jahre hat zur Genüge bewiesen, daß
der einzige Anker der öffentlichen Sicherheit in der pflichtgetreuen
Standhaftigkeit der Armeen lag, ohne sie wären wir einer Barbarei an-
heimgefallen, so scheußlich, als je eine dagewesen ist, einer Barbarei
der Knaben- und Pöbelherrschaft, für welche der Name Demokratie
viel zu ehrenvoll ist. Auf der Erhaltung der Armee und der Kraft der
Nation, die in ihr konzentriert ist. darauf beruht wesentlich die Erhal-
tung eines gesetzlichen Zustandes in Europa*. *)
„Die Militärfrage ist heute, wie zu allen Zeiten identisch mit der
Machtfrage : denn die Staaten sind in den großen völkerrechtlichen Be-
ziehungen nur so viel wert, als ihre Militärmacht wert ist, nicht mehr.
Beweis für diese Wahrheit ist die ganze Kriegsgeschichte alter und
neuer Zeiten aller zivilisierten' Völker; namentlich aber ist die Militär-
krafl der Völker identisch mit ihrer Macht überhaupt in jenen großen
Katastrophen des Völkerlebens, in deren einer auch wir angelangt sind.
Jedem der Geschichte Kundigen ist bekannt, daß, wenn die Schatten
des Lebens länger werden, und der Tag des Völkerlebens seinem Abend
sich zuneigt, dann die Militärkraft die letzte Kraft des Volkes ist, und
das Volksleben nur so lange noch hält, als die Militärkrafl aufrecht
erhalten werden kann. Der gegenwärtige Zustand von Europa wird
durch nichts anderes aufrecht erhalten als durch die Armeen; nur so-
lange sich die Soldaten dafür schlagen, so lange besteht er. keine
Stunde länger«.»)
Im Zusammenhang mit dieser kraftvollen und energischen
Weltauffassung steht auch Lasaulx' Ansieht ober den Krieg
als ein notwendiges Element des Völkerlebens.
„Der Krieg ist, wie die Geschichte beweist, ein notwendiges
Element des Völkerlebens; er ist in der Menschen weit ebenso notwen-
dig als die Gewitter in der Natur **.*)
Zu hohen geschichts philosophischen Betrachtungen er-
hebt sich Lasaulx, wenn er auf die den Gang der Geschichte
') Sten. Her. (1849), II, 290. — ') ibid. (49-50), V, 30; - 3) ibid.
(1852), III, 304. - ') ibid. (49— 50\ V, 45.
10. Lasaiilx im bayorischen Landtag. 200
'>edingeDden Faktoren, die Einheit des religiösen und politischen
Bewußtseins und den Entwickhnigsgang der europäisch-asiatischen
Kultur zu sprechen kommt. Über die Faktoren der Mensch-
^loitsgeschichte ließ sich Lasaulx folgendermaßen vernehmen:
,Das menschliche Leben der Volker bewegt- sich durch zwei
Cjewichte, Salz und Gegensatz, Notwendigkeit und Freiheit, zwischen
V'ermmft und Unvernunft, und allen den Gegensätzen des Denkens und
d^s Handelns, an welche beide geknüpft sind. Wenn in einem Volks-
ioben nur ein einziges Prinzip, also . . . der progressive Impuls, allein
Herrschend ist, so schnurrt die Maschine zu schnell ab, das Leben kon-
sumiert sich zu schnell, überstürzt sich und stürzt gewöhnHch aus dem
Ginen Extrem in das gerade entgegengesetzte, aus der extremen Demo-
ki'atie in den extremen Despotismus ... Es ist gewiß keine zufällige
Erscheinung, daß infolge der großen Revolution, die gemacht worden
*st im Interesse der Freiheit, unmittelbar nach Vollendung der Revo-
Ivition ein Mann auftrat, der mit eiserner Gewalt die Gesellschaft und
^ie empörten Elemente der Gesellschaft niederwarf und bändigte. Das
^st ein Weltgeselz, und gerade daraus geht hervor, daß, wenn das
politische Leben gedeihlich sich entwickeln soll, entgegengesetzte Ele-
'^^^ente in einem Kampfe und Gegenkampfe, in einer Bewegung und
^^genbewegung vorhanden sein müssen. Wenn es Aufgabe der Ge-
setzgebung ist, nicht die Natur unbedingt gewähren zu lassen . . .
^enn es Aufgabe der Gesetzgebung ist, die Einseitigkeiten des öffent-
lichen Lebens durch entgegengesetzte Prinzipien zu temperieren, damit
^in. gemäßigter dauerhafter Fortschritt und infolgedessen jenes Maß
politischer Freiheit stattfinde, dessen die Menschen fähig und wenn
fti-Viig, auch würdig sind ; wenn . . . dieses die Aufgabe der Regierung
^st, so verdient sie keinen Tadel, wenn sie unter Umständen ein Ge-
setz einbringt, das in einem relativen Gegensatze steht zu der herr-
sclienden Strömung des Lebens.*" *)
Die hohe Bedeutung der Einheit des religiösen und
politischen Bewußtseins findet Lasaulx darin, daß auf ihr
die Gesundheit des Volkslebens berulit.
„Die Gesundheit jedes Volkslebens beruht wesentlich auf der
Einheit und Konsistenz seines religiösen und seines politischen Be-
wußtseins, und wenn hier einmal ein innerer Zersetzungsprozeß ein-
getreten, ist keine Macht der Erde im stände, ihn abzuwenden, kaum
^^n aufzuhalten." «)
Diesen Gedanken hat Lasaulx gelegentlich der Debatte
ober die bürgerliche Gleichstellung der Juden näher ausgeführt,
^'® er ihn in seinem Buche „Der Untergang des Hellenis-
'^^s** im einzelnen begründet hatte:
j^ ,Ja, ... es ist eine schöne und große Idee, daß das religiöse
^^w-ußtsein und das politische Bewußtsein des Volkes eins sein soll.
') Sfcen. Her. (1854). I, 399. - '') ibid. (1852), IV, 490.
*^**l«le: Ernst von Laaanlx. 14
210 10. Lasaulx im bayerischen Landtag.
Die innere Kraft der Staaten beruht allerdings darauf, daß ihre Bür-
ger eine gleiche und gemeinsame Überzeugung über die höchsten
Fragen des Lebens haben und betvahren. Dieser Grundsatz ist aber
nach dem Zeugnisse der Geschichte nicht ein spezifisch -christlicher, er
ist vielmehr geschichtlich ein heidnischer Grundsatz, welcher in die
europäische Geschichte gekommen ist — wissen Sie woher? — aus
dem heidnischen Rom, und wenn dieses heidnische Rom diesen Grund-
satz konsequent festgehalten hätte, so würde das Christentum niemals
injdas^'j'römische Reich admittiert worden sein. Es ist dieser Grund-
satz von der Einheit der Religion und der Politik, des Staates und
der Kirche, eines Weltreiches und einer Weltkirche der Grundsatz des
Augustus und später Konstantins des Großen und Theodosius
des Großen gewesen . . . Die Christen waren es zuerst, welche die
Freiheit der Religion reklamierten dem heidnischen Staate gegenüber,
und welche mit diesem Prinzip der Religionsfreiheit sich ihre Aner-
kennung eroberten. . . . Aber was trat nun, nachdem die Gleichberech-
tigung anerkannt war, von diesem Momente an ein? Die Sache kehrte
sich um, und die, welche als gleichberechtigt anerkannt waren, forder-
ten nun nicht mehr Gleichberechtigung, sondern Alleinherrschaft. Es
traten von diesem Momente an, statt der frühern Christenverfolguugen
zwar weniger blutige, aber sehr konsequente, mit großem politischen
Verstände und zugleich mit Mäßigung durchgeführte Heidenverfolgun-
gen ein, die so lange fortdauerten, bis das Heidentum im römischen
Reiche vollkommen ekrasiert, und über den Trümmern desselben die
byzantinische Staatskirche etabliert war, in welcher die heidnischen
Prinzipien in kirchlicher Form von neuem geltend gemacht wurden.
Und es ist nicht zu leugnen, daß dieses Prinzip der Einheit des Staa-
tes und der Kirche, des politischen und des reHgiösen Bewußtseins,
ein großes schönes Prinzip sei; ja, es war eine schöne Zeit, als alle
Völker Europas eine respublica chri.stiana bildeten im Mittelalter, und
das Schönste, was diese Zeit in ihrer Kulturperiode hervorbrachte,
ruht auf dieser Idee. Aber alle Verfassungen und alle Institutionen
derselben sollen in einem gerechten Verhältnis zur Wirklichheit des
Lebens stehen. Jene allgemeine Anerkennung und Herrschaft, welche
die christlichen Dogmen einst über die Gemüter der abendländischen
Völker ausgeübt haben, üben sie in dem Maße gegenwärtig nicht
mehr aus; man kann dies beweinen, aber man darf es nicht verken-
nen. Wir leben in einem förmlichen Auflösungsprozesse der gesamten
mittelalterlichen Staats- und Lebensordnung, das alte tausendjährige
Gebäude unseres ganzen politischen, kirchlichen, sozialen Lebens geht
aus den Fugen. Niemals in der uns bekannten Geschichte der euro-
päischen Menschheit war eine Zeit, in welcher ein alles zersetzender
Skeptizismus sich so vieler Gemüter bemächtigt hat, wie heute. Die
Meinung der Diplomaten ist, dieser unglückselige Zustand unserer Zeit
sei das Werk gelieimer Gesellschaften. So aber ist es nicht, es hat
einen tieferen Grund in den allgemeinen Entwicklungsgesetzen des
Lebens. Es ist ein allgemeines Gesetz, daß in allem Menschlichen,
wenn es seinen Höhepunkt erreicht hat, ein Auflösungsprozeß beginne,
ein Nachlassen der plastischen Kräfte, welche die frühere Form des
Lebens erzeugt haben, und daß aus den dekomponierten Elementen
10. Lasaulx im bayerischen Landtag. 211
<ies Staatslebens eine neue Rekomposition allmählich stattfindet ; dahin
strebt das innere Agens; allem Negativen liegt ein höheres Positives
zu Grunde. Die heutige Menschheit, die sich von ihrer Vergangenheit
abwendet, gleich als ob es möglich wäre, ein ganz neues Leben von
vorne anzufangen, strebt in letzter Instanz doch nach einer besseren
liCbensordnung an der Stelle der alten; und wenn man diesen Glau-
^^n nicht festhielte, so müßte man an aller Möglichkeit des Besser-
werdens verzweifeln. In solchen Zeiten nun gibt es kein anderes Mit-
*^g1 und Prinzip, als zu appellieren an die Heilkraft der Freiheit und
Wahrheit, die Kirche frei zu geben, einen neuen geistigen Kampf her-
vorzurufen, und in festem Vertrauen darauf, daß ihrer Natur nach die
^^ahrheit die stärkere sei, auch darauf zu vertrauen, daß bei Frei-
S^bung aller Kräfte, infolge eines aufrichtigen, ehrlichen und mann-
haften Kampfes, zuletzt das siegen werde, was die Zeiten in ihrem
Schoß tragen, und was sein soll. Hier gilt der alte Spruch, daß der
Speer, der die Wunde geschlagen hat, sie auch wieder heilen wird." *)
Wie hier Lasaulx die Dinge von der hohen Warte der
tieschichte betrachtet und sie dadurch erst dem Verständnis nahe
"Hngt, so beleuchtet er auch den Ruf nach Restauration durch
^ineu Blick auf die völkergeschichtliche Entwicklung der
^siatisch-europäisehen Kulturgeschichte und lehnt deshalb
Jode Restauration als im Widerspruch mit der Entwicklung ab
~ — ein Beweis des klaren weitvorschauenden Blickes, mit dem
Lasaulx die Dinge zu betrachten wußte.
„Restauration, nicht Reformation ist heute überall die Losung
ties Tages. Hiermit ist aber für mich auch der objektive Wert des-
sen, was ims geboten wird, entschieden. Icli gehöre zu denjenigen,
Reiche an politische Restaurationen nicht glauben; es gibt keine, alle
die versucht wurden, sind nach kurzer Zeit gescheitert; denn das Le-
öen der Völker ist nicht, wie die Bewegung einer Uhr, die man belie-
?^ß zurückrücken und vorstellen kann, sondern es verläuft nach einem
'Uriei^en notwendigen Naturgesetz." ^)
Dieses Naturgesetz sucht nun Lasaulx in der völkerge-
^^*^^chtlichen Entwickelung der asiatisch-europäischen Kulturge-
J^Qichte zu entdecken. Er findet hier drei Hauptperioden nnd
.. ^ deren inneres Agens die Idee der Freiheit. In den asia-
^hen Reichen sei einer frei, und die andern seien seine
'^^ehte. Die zweite Entwicklungsstufe bilde das hellenisch-
, '^isiche Volksleben, hier seien viele Freie, aber noch mehr
^ *^^ie. Die dritte Entwicklungsstufe sei die der christlichen
p, *^^^r des Mittelalters. Hier sollen alle frei sein, eine Idee des
■ ^'•^tentums, die freilich bis auf den heutigen Tag nicht voU-
^^ig realisiert worden sei. •^) Lasaulx schließt mit einem
Sten. Ber. (1855). I, 588. - '') ibid. 515. S ibid.
U
212 10, Lasanlx im bayerischen Landtag.
Ausblick in die fernste Zukunft, der einer gewissen prophetischen
Ahnung nicht entbehrt:
„Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß die Konsequenz der
christlichen Prinzipien, wenn sie in dem Leben der Völker herrschend
würden, allerdings dahin ginge, die natürliche bürgerliche Ungleichheit
zu beseitigen, durch eine gleichmäßige geistige Bildung die bürger-
lichen Standesunterschiede zu verwischen, die Konfraternität der Völ-
ker und innerhalb der Völker aller einzelner Glieder vollständig durch-
zuführen. Es ist dies bisher nicht gelungen, auch keine Aussicht vor-
handen, daß es in der nächsten Zukunft gelingen werde. Es ist eines
jener Probleme, deren Lösung einer späteren Kulturperiode, sei es in
Europa oder in einem andern Erdteil, in dieser oder jener Weise vor-
behalten bleibt, und es mag gut sein, der Menschheit auch unmöglich
scheinende Ziele zu stecken, damit die möglichen erreicht werden.** *)
In derselben Rede kommt er nochmals auf die Unmöglich-
keit politischer Restaurationen zurück:
„Es gibt keine politischen Restaurationen; rückwärts führen keine
Wege, die Tore sind verschlossen, die Brücken abgebrochen, die
Schiffe verbrannt, vorwärts, und wenn es zum Tode ginge! so lautet
die Losung der Geschichte." *)
Über den Fortschritt des inneren Entwicklungsganges der
europäischen Völkergeschichte, der immer durch grolle Völker-
kriege bedingt werde, und über den Gang der Kultur von
Osten nach Westen hat Lasaulx bemerkenswerte Gedanken ge-
äußert. Über den ersteren Punkt bemerkt er:
„Wenn wir dem inneren Entwicklungsgange der europäischen
Völkergeschichte folgen, so finden wir, daß jeder große Fortschritt des-
selben bedingt ist durch einen großen Völkerkrieg, und. zwar einen
Krieg europäischer und asiatischer Waffen, europäischer und asiati-
scher Prinzipien. Am Anfange der uns bekannten europäischen Ge-
schichte steht der sagenberühmte troische Krieg, hellenischer Waffen
gegen asiatische, hellenischer Monogamie gegen asiatische Polygamie;
auf dem Höhepunkt des hellenischen Lebens begegnen uns die Per-
serkriege, hellenischer Waffen gegen asiatische, hellenischer Freiheit
gegen asiatischen Despotismus, und in ihnen ist nicht nur das Schick-
sal Griechenlands, sondern Europas entschieden worden. Hätte
auf den Feldern von Marathon die Standarte der Perser gesiegt,
so wären wir in diesem Augenblicke nicht hier, der ganze Strom der
nachfolgenden Völkergeschichte wäre ein anderer geworden.
Am Ende des hellenischen Lebens steht der Siegeszug Alexan-
ders des Großen gegen die Perser und Inder, und als dessen Folge
die Alexandrinische Kulturperiode, die zukunftreiche Vermählung euro-
päischer und asiatischer Bildung. Ebenso auf der Höhe des römi-
schen Lebens die punischen Kriege. Hätte Hannibal gesiegt, statt be-
') ibid. - ') ibid. (55), I. 517.
10. Lasaulx im bayerischen Landtag. 213
siegt worden zu sein, die ganze spätere europäische Geschichte wäre eine
verschiedene geworden. Dasselbe finden wir auf der Höhe des mittel-
alterlichen Lebens in den Kreuzzügen, ein Zusammenstoßen europäi-
scher und asiatischer Waffen, europäischer und asiatischer Ideen.
Durch diese Kriege war bedingt das Aufblühen der Städte, der Küuste
und Wissenschaften, und der ganzen Verfeinerung des mittelalterlichen
Lebens. Ebenso ist in neuester Zeit die Weltmacht, der Weltreich-
lum, der Welthandel Englands eine Folge der Siege der britischen
Waffen in Ostindien und in China. Und im Beginne einer ähn-
lichen Katastrophe und einer neuen Kulturperiode des europäischen
Lebens stehen auch wir gegenwärtig. Denn von dem Ausgange die-
ses gegenwärtigen Krieges wird die zukünftige Gestalt der europäischen
Verhältnisse abhängig sein, von dem Falle des Türkenreiches in
Europa, welches fallen wird entweder durch seinen offen erklärten
Feind, den Kaiser von Rußland, oder durch seine diplomatischen
Freunde, in deren Umarmungen es verhauchen wird." ^)
Den Gang der Kultur von Osten nach Westen und
die Zukunft Europas, die nach Lasaulx den Slaven ge-
hört, schildert er von hoher Warte aus:
„Es gibt in Europa nach dem Zeugnisse der Geschichte drei
große Sprach- und Völkerfamilien, die pelasgische, die keltische und
die slavische: die erste derselben hat ihre vsreltgeschichtliche Ent-
wicklung in dem Griechen- und Römertum der alten Zeit, die zweite
ihre weltgeschichtliche Entwicklung in der romanisch-germanischen Le-
bensordnung des Mittelalters gefunden; der dritten großen Völker-
l'amilie, den Slaven, scheint nach der bisherigen Architektonik der
Geschichte die Zukunft Europas vorbehalten zu sein. ''*) Der
Lebensprozeß dieser drei großen europäischen Völkerfamilien bildet,
analog dem allgemeinen Entwicklungsgang der Menschheit von Osten
nach Westen eine kontinuierliche Sukzession. Die Griechen und
Römer haben die Erbschaft der asiatischen Bildung übernommen, die
germanischen Völkerstämme des Mittelalters die Erbschaft der grie-
chischen und römischen Bildung; die Slaven werden die Erbschaft
unserer modernen Geistesbildung in die Kraft ihres Lebens aufnehmen
und weiter entwickeln nach der Mission, welche ihnen, wie jedem
großen Volke gegeben ist. Denn die Völker sind sterbHch wie die
Individuen. Ein Volk ist ja seiner Natur nach nichts anderes als ein
ausgewachsener kräftiger Urmensch. Die Lebensdauer der Völker ver-
hält sich nach der wahrscheinHchsten Berechnung zu der Lebensdauer
eines einzelnen Menschen wie 20 zu 1. Wenn ein einzelner kräftiger,
in seiner Entwicklung nicht gestörter Mann, als höchste Lebensdauer
100 Jahre erreicht, so beträgt die Lebensdauer eines großen starken,
in seiner Entwicklung nicht gestörten Volkes ohngefähr 2000 Jahre,
von welchen etwas mehr als die Hälfte auf die staatliche Blüte des-
') Sten. Ber. (1855), II, 112. — *-) Ähnliche Gedanken scheint der
jüngst leider viel zu früh verstorbene Graf Konrad v. Preysing gehabt zu
haben; vgl. Hertling: Kleine Schriften zur ZeitgeBchichte und Politik
1897, p. V.
214 10. Lasaulx im bayerischen Landtag.
selben kommt. So lange hat nach dem Zeugnisse der europäischen
Geschichte das alte Rom gedauert von 754 v. Chr. bis 880 n. Chr.;
so lang hat das neurömisch-byzantinische Weltreich gedauert von 83()
bis 1458; und so lang hat auch das ehemalige Reich deutscher Na-
tion gedauert von Karl d. G. bis auf Franz II. von 800 bis 1805.
Weiter ist es ein Naturgesetz, daß der Lebensbaum alternder Völker
in ähnlicher Weise verjüngt wird, wie gewisse edle Bäume verjüngt
werden. Wenn in Jerusalem ein zahmer Ölbaum alt zu werden
und abzusterben beginnt, so pflegen sie ihn dadurch zu erfrischen,
daß sie ihm einen jungen Zweig eines wilden Ölbaumes einpflanzen,
dadurch wird der absterbende zahme Ölbaum verjüngt, und der junge
wilde Zweig gezähmt. Dasselbe Gesetz zeigt sich in dem großen
Schicksale der europäischen Völkergeschichte. Als das alternde alt-
römische Weltreich im dritten und vierten Jahrhundert in sich zu-
sammenzubrechen begann, weil ihm, wie ein gleichzeitiger Schriftstel-
ler sich ausdrückt, die Herzkraft ausging, da ergossen sich über das-
selbe halb barbarische germanische Stämme, erfrischten hiedurch die
alte Welt und wurden ihrerseits durch den Kontakt mit der römischen
Zivilisation gezähmt, veredelt und vorbereitet, um die Träger der
neuen christlichen Weltentwicklung des Mittelalters zu werden. Eine
ähnliche Katastrophe des germanischen Lebens scheint auch uns be-
vorzustehen. Deutschland hat seine Jugend verloren, und die Zei-
ten beginnen zu altern, und es ist nicht zufälhg, sondern tief bedeu-
tend, daß aus dem letzten großen Reste des ehemaligen Reichs deut-
scher Nation, aus Österreich, ein Slaven reich heranwächst. Der
sicherste Wärmemesser für das Leben eines Volkes ist die Glaubens-
kraft. Diese Kraft wirkt wie eine Naturkraft, wie die Kraft, welche
die Bäume wachsen macht. Wo die Glaubenskraft in großer substan-
tieller Intensität vorhanden ist, da ist Wachstum, Bildungsfähigkeit
mid fröhliches gedeihliches Leben. Wo diese Kraft, der eigentliche
Feuerherd des Lebens, zu erkalten beginnt, da wird der Herzschlag
matter, das Leben stirbt ab und geistert aus. Unter uns Deutschen
— darüber können wir uns keiner Täuschung hingeben — ist die
spezifische Glaubenskraft seit lange schon im Abnehmen; unter den
slavischen Völkern aber ist sie noch in großer substantieller Intensität
vorhanden. ^) Der Kaiser von Rußland, der das Glück hat, abge-
sehen von seiner Würde, der erste Mann des Volkes zu sein, der
Kaiser von Rußland weiß dieses und spricht es offen bei jeder Gele-
genheit aus, daß Gott mit ihm und seinem Volke sei." ^)
Das ist Lasaulx' parlamentarische Tätigkeit in der bayeri-
schen Abgeordnetenkammer. Durch die geistvolle Art, die
Dinge zu behandeln und jede Frage wo möglich unter höhere Ge-
sichtspunkte zu bringen, stachen Lasaulx' Reden erheblich von
der gewöhnlichen Art parlamentarischer Beredsamkeit ab. Diese
') Nicht ohne Genugtuung vermerkt Lasaulx in einem Brief an
Boisser^e, daß die meisten Beiträge fär das Görresdenkmal aus der Diö-
zese Breslau und zwar von slavischen Herzen eingegana^en seien. Brief
aus dem Jahre 1859. ^ Sten. Ber. (1849, I, 357-58.
10. Lasaulx im bayerischen Landtag. 215
ideenreichen Ausführungen sichern aber auch der parlamentari-
schen Tätigkeit Lasaulx' eine mehr als vorübergehende Bedeu-
tuDg. Gewiß hat manche Darlegung Lasaulx' nur subjektiven
Wert. Aber in zahlreichen Punkten erkennt ein tiefer J^ den-
kender Mann Wahrheiten von bleibender Geltung, die schon
durch ihre originelle Fassung den Beifall des Lesers gewinnen.
5. Urteile fiber Lasaulx' Tätigkeit im bayerischen Landtage.
Es ist natürlich, daß die Urteile über Lasaulx' politische
Tätigkeit nicht eindeutig, sondern je nach dem Standpunkte der
Beurteiler verschieden sind.
Die Gegner Lasaulx' und seiner Richtung werfen ihm
Mangel an Maß vor, er habe den Widerspruch unnötig heraus-
gefordert. So urteilt mit einer gewissen Berechtigung Huber. ^)
Bluntschli fühlte sich abgestoßen durch Lasaulx' Verachtung
der Gegenwart und blinde Verehrung für das Altertum; er werde
mit Unrecht als ein Kämpfer für ^ die Wahrheit gepriesen, gerade
das sei er nicht gewesen, seine reizbare Phantasie habe ihn be-
ständig getäuscht und trotz einer gewissen Aufrichtigkeit und
Geradheit habe er oft durch rhetorische Phrasen sich und an-
dere geblendet, seine Logik sei zu schwach gewesen, um das
Gefühl im Zügel zu halten. Die Romantik habe ihn verdorben'^)
— ein in allen Teilen ungerechtes Urteil. Denn Lasaulx hat
sich überall und immer einen klaren Blick für die wirklichen
Verhältnisse des Lebens bewahrt und durchaus nüchtern die
politische Lage beurteilt und zwar meist zutreffend, selbst für
eine ferne Zukunft. . Er war wirklich ein Vorkämpfer der Wahr-
heit und seine Logik, mit der er zutreffend die Schäden der Ge-
genwart geißelte, ist hieb- und stichfest. Auch trieb er nicht
nach Gefühl und Phantasie Politik, sondern unter steter Berück-
sichtigung des Möglichen und Erreichbaren, verwarf es vielmehr
ausdrücklich, Pohtik mit dem Gefühle zu machen. Politik sei
eine Sache des Verstandes, erklärte er wiederholt öffentlich.
Auch nannte er es nicht Politik, die Dinge gehen zu lassen, wie
sie gehen, sondern seiner stürmischen und aktiven Natur ent-
sprechend verstand er Politik dahin, daß man in den Gang der
Dinge eingreife mit Wort und Tat. Dieser kraftvollen und ener-
') „Allgemeine Zeitung" 1861, Beilage Nr. 139, p. 2266. - -) Blunt-
schli: Denkwürdigkeiten aus meinem Leben Bd. II (zweiter Teil erste Hälfte.
Mönchen 1848—61', 1884, p. 804.
216 10. Lasaiilx im bayerischen Landtag.
gischeu Auffassung von Politik, wie Las au Ix sie verstand, gab
er in einem Briefe vom 23. April 186U an seinen Freund Stülz
kräftigen Ausdruck. Er schreibt:
„ . . . Damals hat die Julirevolution den Bestand der europäi-
scheu Staatsordnung bedroht; aber was war dies gegen jene Dinge,
die wir seit dem Neujahrsgruße des großen Eskamoteurs haben erle-
ben müssen? Überall auf den Thronen imd im Volke eine „funesta
imperitia regnandi," zwei kühne Gauner und ihnen gegenüber eine
Herde dummer Jungen, und in den Völkern? Nicht einer in den
preußischen Kammern, der es wagte, wenn auch nur um der eigenen
Ehre willen, der Wahrheit und dem Rechte Zeugnis zu geben. Aber
statt dessen in 5 Wochen 5 (sie ! ?) Auflagen von Alexander vonHum-
boldts Briefen, die Ludmilla Assing dem verehrungswürdigen
Pubhkum als echte Dalailamapillen anpreist, und an denen sich der
deutsche Michel als an echtem Schnepfendreck kannibalisch wohl sein
läßt . . . Hole der Teufel die Politik, wenn sie nichts anders
kann als die Dinge gehen lassen, wie es der Natur gefällt,
— die freilich zuletzt alles wieder ausgleicht Dei Providentia et
hominum stultitia.** ^)
Indes trotz alier Gegensätze müssen auch diese Gegner die
Vorzüge Lasaulx' anerkennen.* Ruber bekennt, daß Lasaulx
trotz mancher Paradoxien ein geehrtes und geliebtes Mitglied
der Kammer gewesen sei, die seinen strengen und unbeugsamen
Rechtssinn anerkannt und ihn darum in den Beschwerdeausschuß
gewählt habe, wo er ohne Ansehen der Person und mit gewohn-
tem Freimut und vollster Hingebung an die Sache dem Recht
jederzeit zum Sieg zu verhelfen bestrebt gewesen. ^) Selbst
Bluntschli, der so ungerecht über ihn urteilt, gesteht ihm einen
echten Kern, eine innerliche Ritterlichkeit zu. Auch Dahn, ob-
wohl im gegnerischen Lager stehend, erkennt an, daß Lasaulx
seine sittliche Tüchtigkeit auch in den politischen Parteikämpfen
trefflich bewährt habe. ^)
Die Freunde Lasaulx' waren mit Recht entzückt über
seine parlamentarische Tätigkeit. Das Urteil von Ringseis
wurde schon oben mitgeteilt.
Ein Ohren- und Augenzeuge, Bernhard v. Meyer, weiland
Staatsschreiber und Tagsatzungsgesandter des Kantons Luzern,
urteilt in seinen Erlebnissen so:
„Es war mir ein Vergnügen, Lasaulx als Redner in der
bayerischen Kammer der Abgeordneten auftreten zu sehen und
seine katilinarischen Reden gegen die herrschende Lausbubokratie
') Pailler: Stülz p. 283-84 — -) ,Allg. Zeitung" 1861. Nr. 139,
p. 2266. — ») Erinnerungen von Felix Dahn 1891, Bd. II, p. 17.
10. IjRsauIx im bayerischen Landtag. 217
des Tages zu hören; ich suchte immer mich auf der Zuhörer-
[ribQne einzufinden, wenn ich wußte, da& La sau Ix sprechen
werde; ihu, den klassischen Hedner, der je nach Umständen
bald seine Gegner, die radikale Opposition, an deren Spitze Fürst
Wallerstein stand, mit der feinsten Ironie hänselte, bald mit
DoDoersehlägen auf sie loswetterte, . . . fürchtete die Oppositions-
partei am meisten.** ^)
Das schönste Zeugnis wurde Lasaulx aber bei Gewährung
seines Austrittsgesuches am 9. April 1861 durch Freiherrn v. Ler-
ehenfeld ausgestellt, der den Charakter und die Unabhängigkeit
Lasaulx' hervorhob.
„Wenn wir auch nicht alle in allen Fällen mit seiner An-
sicht Obereinstimmen konnten, so ist wohl niemand in diesem
Saale, der nicht die Unabhängigkeit und das mutige Streben
nach Wahrheit und Recht dieses Charakters in vollstem Ma&e
anerkennen sollte.** 2)
Lasaulx hat damit das höchste Lob geerntet, das einem
Politiker gespendet werden kann. Lasaulx hat den politischen
Kampf grade und offen, mannhaft und selbstlos gekämpft. Der
Leser empfindet aber noch eine andere Genugtuung bei Betrach-
tung der politischen Grundsätze und Anschauungen Lasaulx'.
Die liberal-demokratischen Prinzipien, die Lasaulx so ener-
gisch bekämpft hat, sind im Laufe der Zeit und mit fortschrei-
tender Entwicklung immer mehr in Mißkredit gekommen, die
konservativen Prinzipien dagegen stellen sich immer mehr als
die einzigen heraus, welche einen gesunden Fortschritt und Glück
und Bestand der Staaten und Völker verbürgen. Das waren die
Prinzipien Lasaulx'.
') Erlebnisse des Ritter von Meyer, herausgegeben von dessen Sohn
Bernhard v. Meyer Bd. I (1875), p. 307. - =^> Sten. Ber. (1861). Bd. I, 252.
11. Kapitel.
Lasaulx in den Ferien.
Neue Wanderungen in Griechenland und Italien.
Auf Schloss Lebenberg.
^Reisen ist Leben."
Sprichwort.
Die Wanderlust, die dem jungen Lasaulx so tief im ßhile
steckte, verließ auch den Mann nicht. Und so ergriff er denn
wiederholt den Wanderstab bald zu größeren Reisen oder wenig-
stens zu einem längeren Landaufenthalte fernab vom Treiben
der Großstadt. Wir heben von diesen Wanderungen seine zweite
Reise nach Griechenland im Jahre 1852, seine Reise nach
Italien im Jahre 1853, seine Reise nach Koblenz 1855 und
seinen wiederholten Aufenthalt in Schloß Lebenberg bei Me-
ran hervor.
Auch hier sind wir wie bei Lasaulx' früheren Wanderun-
gen in der Lage, au der Hand erhaltener Briefe ihn von Ort zu
Ort zu begleiten, seine Eindrücke und Stimmungen zu erlauscheUy
seine Erlebnisse zu verfolgen, sein Tun zu beobachten. Wir
übergehen seine Reise ins Zillertal, die er 1851 machte, und
lassen die Schilderung der zweiten großen Reise nach Griechen-
land folgen.
1. Lasaulx' zweite Reise nach Griechenland (vom 14. Aug. 1852
bis 16. Okt. 1852).
Vor zwanzig Jahren hatte Lasaulx als junger Mann Grie-
chenland gesehen. Freilich hatte er damals nur Nauplia, Ar-
golis, Tiryns, Mykene, Korinth, Nemea, Megara, Eleu-
sis, Athen, einen Teil von Attika und Böotien, Salamis
und Ägina, den Hymettus, Pentelikus und Parnaß besucht.
Nun wollte er auch andere Teile des alten Hellas kennen lernen
11. XeueWanderuDgan in Griechenland und Italien. 219
und die früheren Eindrücke erneuern. So entschloß er sich 1852
in den Ferien zu dieser Reise.
Im August 1852 brach Lasaul x auf und reiste über Inns-
bruck, Matrey, Sterzing, Meran, Bozen, Trient, durch
das Tal der Sarca nach Riva, von da über den Gardasee
nach Peschiera, weiter über Verona, Vicenza, Padua nach
Venedig. Von hier schreibt er seiner Frau:
Venedig, Sonntag 22. Aug. 1852.
„Meine geliebte Julie! . . . Ich ging allein nach Verona und von
dort mit der Eisenbahn über Vicenza nach Padua hiehcr, wo ich
gestern abends nach S Uhr glücklich einlief und })is gegen Mitter-
nacht auf dem Markusplatze und am Meeresufer in altgewohnter Weise
umherschlenderte, und zuletzt noch eine träumerische Gondelfahrt
machte mit dem alten Antonio durch den Canal grande, und viele
Bilder der alten Zeit, Leben und Tod dieser wunderbaren Stadt in
buntem Wechsel vorüberziehen ließ. Denn, wahrlich, es gibt keine
Stadt in Europa, welche die Vergänglichkeit aller irdischen Größe
ergreifender anschaulich macht als diese, auch in ihren Ruinen noch
wunderbar edle Königin des Meeres, die Abendland und Morgenland,
Romanisches und Maurisches zauberisch verbindet wie ein Märchen
aus den arabischen Nächten.**
Lasaulx besuchte die Gemäldegalerien des Palazzo Man-
frin und der Accadeniia deile belle arti und erfreut seine des
Bücherlesens müden Augen an den lebensfrischen Bildern der
altvenezianischen Schule, „worin die Kunst lebendig aus einem
kunstvollen Leben hervorgewachsen war, nicht wie jetzt ein ver-
blaßtes schwächliches schwächlich abspiegelt*". Dann geht die
Reise weiter nach Tri est. Auf dem Dampfschiffe dahin trifft
er mit Thiersch zusammen, „der aber Gott sei Dank! erst am
30. von hier abreisen will, so daß wir ohne ihn reisen köiuien
und zwar, wie sich nun herausstellt, direkt nach Athen, nicht
nach Nauplia^ — schreibt Lasaulx aus Triest am 26. August
vor der Abreise zur See seiner Frau. Am 1. September ist
Lasaulx schon im Hafen von Syra und hat eine glftckliche
Fahrt hinter sich; den Tag darauf hat er Athen erreicht. Von
Wer aus schildert er seine Erlebnisse, die gewonnenen Eindrucke
ttnd verbindet damit wie immer geistvolle Betrachtungen.
Athen. Montag (). Sept. LsfyJ.
«Meine geliebte JuUe ! ich bin nun seit vorigem Donnerstag hier
^^ habe mir die erhaltenen Denkmale des Altertums in der Stadt
JJtt^ ihrer nächsten Umgebung wiederholt angesehen. Ihr Totalein-
2™k ist heute noch trauriger als vor 20 Jahren: Damals waren es
«öiaen inmitten von Ruinen, die Trümmer des hellenischen Alter-
Iwai, umgeben von dem Schutte der Türkenherrschaft; heute inmit-
220 II. Neue Wanderungen in Griechenland und Italien.
teil der modern europäischen Häuser ist der Kontrast für mein Gefühl
noch widriger. Auf der Akropohs im Parthenon und Erechtheum
weiden Schafe und Ziegen und statt der Eule, des Vogels der Athene,
nisten Rahen, die Totenvögel, dort; der Tempel des Olympischen Z e u s ,
einst das größte und prachtvollste aller hiesigen Bauwerke, auf dessen
Vollendung ein römischer Kaiser zwanzig Millionen Gulden verwendet
hat, ist gegenwärtig die Station der Eselstreiber, die ihre schmutzige
Wäsche in der nahe gelegenen Kallirrhoe austreten, der KaUirrhoe, die
jetzt einem widrigen Sumpfe ähnlicher ist als einer schönen Quelle!
Der Unterbau des Tempels war aus Quadern von Muschelkalk gebil-
det, also aus den Trümmern einer vormenschlichen Erdkatastrophe:
über ihnen erhob sich der menschliche Kunstbau, und nachdem auch
dieser durch den Zahn der Zeit und die Tollheit der Menschen in
Trümmer zerstört ist, erbauen sich aus ihnen andere Menschenge-
schlechter neue Häuser, diesmal nicht höhere edlere, sondern unver-
gleichlich rohere, so daß hier ein Fortschritt des Lebens nicht statt-
findet. Wird dieser unselige Kreislauf von Entstehen, Wachsen und
Vergehen, Ruinen über Ruinen, Leichen auf Leichen nie ein Ende
erreichen?
Die Stadt hat sich, seit ich sie zuletzt gesehen, völlig umge-
wandelt, sie ist auf dem W^ege, aus einem türkischen Dorfe eine neu-
europäische Königstadt zu werden. Jeder baut sich zuerst sein Haus;
fühlt er sich darin behaglich, so sorgt er auch für die Straße, die zu
demselben führt, und für einen Platz und Spaziergang in der Nähe.
Einen schönen eigentümlich griechischen Bau aber habe ich nirgendwo
hier bemerkt: alles, von dem Schlosse des Königs bis zum letzten
Privathause, ist Nachahmung des trockenen und geistlosen Baustiles,
wie er auch bei uns in München herrscht; nur daß die handwerks-
mäßige Technik hier natürlich noch viel unvollkommener ist als dort.
Dem Schlosse, obgleich es im Äußeren mit Pentelischem Marmor be-
kleidet ist, sieht man auf den ersten Blick an, daß der an sich mittel-
mäßige Gärtnersche Plan noch mittelmäßiger ausgeführt ist, so
nüchtern wie eine Kaserne. Ebenso geschmacklos sind die arideren
öffentlichen Gebäude, die Kirchen mit eingerechnet; wie denn über-
haupt Frische des Lebens weder in der hiesigen Natur noch in den
Menschen zu finden ist. Ich habe hier gleich nach meiner Ankunft
in dem Hause eines griechischen Arztes ein Regenbad genommen,
um mich von dem Staub der Reise zu reinigen; die Badeeinrichtung
war leidlich der in Deutschland üblichen nachgeahmt, das Wasser
aber so matt, als ob es vorher gekocht gewesen wäre — und dieser
Mangel an Frische und Ursprünglichkeit des Lebens ist hier überall
fühlbar. Die Gärten der Königin sind ungemein schön und um so
überraschender, wenn man bedenkt, daß die ganze Pflanzung kaum
9 Jahre alt ist; aber jeder Baum und Strauch muß täglich begossen
und umgehäckelt werden, und das Wasser wird durch eine Dampf-
maschine herbeigeschafft, und 60 Arbeiter sind unausgesetzt beschäf-
tigt, diese Vegetation wachsen zu machen; ohne sie würde das Ganze
in der allerkürzesten Zeit wieder zu der graslosen Einöde werden, die
es vorher gewesen ist. Derselbe Mangel an sinnlicher und gemüt-
licher Frische zeigt sich in der Menschenwelt, ich habe nur die mei-
11. Neue Wanderungen in Griechenland und Italien. 221
sten der Männer gesprochen, welche hier für die Gebildetsten gelten,
aber ein eigentümlicher Gedanke ist mir bei keinem begegnet: die
Frauen insbesondere scheinen sehr abgenutzt und verbraucht, zum
Teil allerdings schöne Formen, aber ohne Seele. •
Lasaulx lobt den Honig vom Hyniettus, die Trauben,
Melonen und Feigen, findet die Hitze nicht übermäßig, die ster-
ben- und moudhelleu Nächte sehr angenehm, den Staub hingegen,
seinen verwünschten Erbfeind, unerträglich. Mit seiner Gesund-
heit ist er zufrieden und schickt sich an, einen Ausfing nach
Delphi und in den Peloponnes zu machen. Nach 10 Tagen
hat er diesen Ausfiug vollendet und schildert ihn nun in einem
Z'^eiten Briefe ans Athen.
Athen, Montag 20. Sept. 18r)2.
„ . . . Der Hauptzweck meiner Reise ist nun erreicht, ich habe
*^clphi gesehen, ein kleines armes Dorf in einem terrassenförmig
^üfgemauerten amphitheatralischen Talgrunde auf der Süd Westseite
des Parnasses ; ich habe dort meine lerhzejide Zunge erquickt und
Daeme müden Augen gebadet in dem kühlen Quellwasser der Kasta-
^^3. und habe dann von einer einsamen Felsenhöhe herab, wo die
Adler sich in den Lüften wiegen, die groJ3en Schicksale überdacht, die,
^^eit menschliche Erinnerung reicht, seit viertausend Jahren über
diese Stätte hingegangen sind. Von allen alten HcnTlichkeiten ist hier
^'^e überhaupt in Griechenland fast nichts mehr vorhanden als die
P'oßen Namen; Schutt ist auf Schutt gehäuft, hauslioch übereinander,
?^ daß, wo die alten Marmortempel gestaiiden haben, jetzt ungewiß
^^ und nur nach vereinzelten Säulentriimmern und den zyklopischen
^Obstruktionen der großen Terrassen mit einiger Wahrscheinlichkeit
'ßrxnutet werden kann. Auf dem Wege nach Delphi, der ehedem
Jon Wallfahrern erfüllt war von aller Welt Enden, begegnet man
^^ute stundenweit kaum einem Ziegenhirten; über den Schatzkammern
"^f Staaten des Altertums stehen armselige Bettlerhütten — und den-
noch ruht auf dem halberstorbenen Antlitz diesei* Natur, über den
?^»iarfen feingeschnittenen Zügen der Berge und der Menschen noch
JJf^er eine unverwüstliche Spur ihres ehemaligen Adels. . . . Auf der
j^^Hreise nach Delphi sahen wir Eleusis, Panakton, Plataeae,
^beben, Leuktra, Thespiae, Lebadea und Arachova; den Rück -
JHf^g nahmen wir über Orchomenos, die Katabothra des Kopais,
^*^alkis und das Schlachtfeld von Marathon. Die ganze Reise ge-
J^hah zu Pferde auf Wegen, die nur für Gemsen und Ziegen, nicht
^^ Menschen und Pferde gangbar schienen; oft stieg ich ab und ver-
*^chte zu gehen, fand aber jedesmal, daß es immer noch sicherer sei,
^^ö Füßen des Pferdes als meinen eigenen zu trauen. Die Beschwer-
^sse der Reise waren groß und haben mich bestimmt, eine zweite
p^ Art nicht mehr zu versuchen: die Hitze, der Staub, der entsetz-
^he Mangel an frischem Wasser und die unerträgliche Plage der
'Whe und Insekten, die es unmöglich machen, auch nur eine Stunde
^^nunenbängend zu schlafen, weder in den Häusern noch im Freien,
222 11. Nene WsndeningeD in Grieclieiiliiiid nnd Italie«.
da die Decken, die man erhält ^ ganz lebendig sind: alles dieses noch
einmal zn erleben bin ich nicht willens.*
Lasaalx plant noch einen Ausflug nach Zante, von dort
Ober Prevesa und Arta nach Jannina und von da nach Korfu
zurfick. Indes bat er diesen Plan nicht yerwirklicht, sondern
am 28. September yerließ er Athen und fuhr zurück nach
Triest. Während der Fahrt richtet er an seine Julie einen
Brief, worin er die letzten Eindrücke zusammenfaßt.
Auf der Höhe von Zante. Donnerstag
30. Sept. 1852.
„ . . . Nachdem ich den Zweck meiner Reise in Griechenland
erreicht und die Orte, um die es mir zu tun war. gesehen hatte,
konnten das Land und seine Bewohner wenig hiteresse mehr für mich
haben, und ich fölilte mich dort so unbehaglich, daß ich mit Unge-
duld dem Abgange des Dampfbootes entgegensah, welches mich nach
Kuropa zurückbringen sollte. Die Natur des Landes, soviel ich neuer-
dings davon gesehen liabe, entbehrt aller Frische, denn es fehlt ihr
die frrste Bedingung dazu, frisches Quellwasser; die Berge sind gro-
ßenteils nackte Kalkfelsen, auch die Ebenen, einzelne Olivenpflanzuii-
gen ausgenommen, fast ganz baumlos und öde. und denselben von
der Sonne angebrannten Ghai'akter trägt das menschliche Leben.
Athen ist wie ein großes planlos angefangenes und halb ausgebautes
Haus, in welchem sich die Bauleute, um die Hausmiete zu sparen,
einige Zimmer notdürftig eingerichtet haben, während die Maurer,
Tflnclier, Zimmerleute und Schlosser an den übrigen fortarbeiten ; keine
einzige Straße ist gepflastert, alles überall voll Schutt, der Staub und
Schmutz unerträglich. Daß die Menschen, welche auf diese Weise mit
den ersten Vorbedingungen des bürgerlichen Lebens beschäftigt sind,
für Kunst und Wissenschaft keinen Sinn haben, ist natürlich und
würde ihnen in keiner Weise zum Vorwurf gereichen, wenn sie nicht,
hochmütig auf die großen Namen der Dinge, die nicht mehr sind, das
Gegenteil affektierten. Noch schlimmer ist der gänzliche Mangel an
politischem Gemeingeist und der überall hervortretende Egoismus, der
auf nichts anderes als Geldervverb bedacht ist, mit allen Mitteln, deren
keines, was zum Ziele führt, für schlecht gilt. Der König ist der ein-
zige Mann im Lande, der gerecht sein möchte und das allgemeine
Beste wünscht; aber . . . seine griechische Umgebung, Generale, Adju-
tanten und Minister, sind fast sämtlich Männer ohne Bildung und
ohne allen und jeden sittlichen Wert, teilweise geradezu öffentliche
Diebe und Mörder, die mehr als einmal den Strang verdient haben.
Jedermann weiß, daß das Land jährlich 2.') Millionen Drachmen be-
zahlt, während nur 11 Millionen wirklich in die Staatskasse fließen,
da jeder Beamte, soviel er kann, stiehlt. Es ist daher nur ein gerech-
tes Urteil, wenn die Engländer behaupten, diese Regierung verdiene
überhaupt nicht den Namen einer Regierung, indem sie seit den zwan-
zig Jahren ihres Bestandes für das Wohl des Landes fast nichts ge-
tan, nicht eine einzige Strecke gebaut hat, wie denn in der Tat im
Innern des Landes, soviel ich davon gesehen habe, keinerlei Fort-
11. Neue Wanderungen in Griechenland und Italien. 223
schritt zum Bessern bemerkbar ist. Daß unter diesem Palikarenregi-
ment Griechenland je gedeihen könne, ist unmöglich, die Konstitu-
tion vom B. September ^) ist eine Lüge, die Vertreter des Landes ver-
treten nur ihre Privatinteressen; nur die englische oder die russische
Regierung wäre imstande, aus dem Lande etwas zu machen. Die
fönigin, mit der ich mich während der Mittagstafel anderthalb Stun-
den lang sehr gut unterhielt, hat für eine Frau ihres Standes unge-
wöhnlich viel natürlichen Verstand und Lebhaftigkeit, sie faßt jeden
Gedanken, den man gegen sie ausspricht, schnell auf und erkennt so-
gleich seine Konsequenzen, hat auch über alle Dinge, die nicht Grie-
chenland betreffen, in der Regel ein richtiges Urteil; in allem aber,
Was ihr Königreich angeht, ist sie sehr stark norddeutsch exaltiert.
Da ich ihr gerade in Bezug darauf gleich bei der ersten Audienz einige
unangenehme Wahrheiten sagte, so muß ich es ihr doppelt hoch an-
rechnen, daß sie dieselben mit Würde liinnahm und mich nichtsdesto-
^veiiiger mit großer Freundlichkeit wiederlioll zu sich einlud."
Am 3. Oktober landet Lasaulx in Triest nach einer herr-
Jich schönen Meerfahrt und meldet am 11. Oktober von Venedig,
daß er bis etwa 16. — 17. Oktober in München bei seiner ge-
webten Julie und seiner Tochter Anna eintreffen werde.
Das Jalir darauf machte Lasaulx eine zweite größere Reise,
<^tesmal nach Italien.
2. Lasaulx' Reise nach Italien im Jahre 1853.
Über St. Gallen, Ragaz, Chur, Chiavenna, Colico am
*--omersee, Como fuhr Lasaulx nach Mailand. Die Statio-
^^11 dieser italienischen Reise waren außer Mailand Genua,
^ ^apel, Camaldoli, Anialfi, Sorrent, Capri, Palermo,
■*€sssina, Taormina, Rom, Florenz, Bologna, Verona,
^ozen. In Mailand machte er die Hekanntschatl eines Freun-
^^s von Ch. Letellier, des Kanonikus Lenti und seiner Gesell-
schaft, einer römischen Familie und eines jungen Polen, und
"lieb mit ihnen einen Tag zusammen. Er schreibt darüber sowie
^ber seine sonstigen Beobachtungen an seine Frau.
Mailjind, Dienstag 10. August \H')H.
, . . . Das Zusammensein mit diesen Leuten hat mich einen in-
teressanten Blick in die italienischen Familienverhältnisse tun lassen:
die ganze Gesellschaft macht zusammen (Mno sog. Heiligtumsfahrt, sie
»»esuchen alle berühmten Kirchen und Wallfahrtsorte, der Kanonikus
»*e8t die Messe und alle kommunizieren darin, und sind während dei-
hL Handlung sehr andächtig; im ii[)rigen aber ebenso vergnügungs-
süchtig und eitel wie alle anderen, und die Frau, Muttei* von S Kin-
') 1843 dem Könige abgenötigt.
224 11. Neue Wandemiigen in Griechenland und Italien,
dein, quälerisch und herrisch . . . Diese Genußsucht herrscht hier in
allen Ständen in unglauhlichem Grade und macht das Volk zu allem
politischen Leben absolut unfähig. Als sie. mich gestern frugen, was
sie denn tun müßten, um frei zu werden, und ich ihnen sagte, das
erste sei. daß sie alle Kaffeehäuser und Theater zerstören oder auf 3(>
Jahre schließen müßten, schrieen sie Liut auf und meinten, um solchen
Preis sei die Freiheit zu teuer für sie! In den Kirchen hier sind die
meisten und andächtigsten Besucher wer? — die österreichischen
Soldaten, deutsche und böhmische; worin ich nach meiner Art,
die Dinge aufzufassen, einen Fingerzeig mehr erkenne, daß diesen die
nächste Zukunft gehört. Von Offizieren aber sah ich nur 2 oder 8 in
den Kirchen, desto mehr in den Gafehäusern."
Von Mailand reist Lasaul x weiter nach Genua. Der
Aufenthalt dort entlockt ihm manche geistreiche Reflexion über
Land und Leute und soziale Zustände.
Genua. Freitag 19. August 1858.
,, Meine liebe Julie! . . . Das Innere der Stadt und ihre engen
Straßen erinnern vielfach an Venedig, nur daß dort alles edler ge-
halten, hier praktischer ist . . . Auch Genua ist eine Stadt der Pa-
läste, aber alle haben hier mehr einen modern römischen Charakter,
voll schwerfälliger Pracht statt der feinen orientalischen Eleganz, die
wie ein geheimnisvoller Zauber überall in Venedig herrscht. Die
Kirchen sind mittelmäßig, teilweise wie TAnnunziata, reich an Marmor
und Vergoldungen, aber ohne künstlerische Schönheit, auch habe ich
hier verhältnismäßig nur wenig vorzügliche Bilder gesehen, die schön-
sten im Palazzo Brignole, vier lebensgroße Porträt figuren von Van-
dyk. Sehr wohltuend für eine italienische Stadt ist, daß man fast
gar nicht angebettelt wird, alle Menschen arbeiten, auch die Gafe-
häusei* sind viel weniger besucht und viel weniger luxuriös als an-
derswo, auch der Luxus der Frauen viel geringer als in Mailand,
und um V) Uhr abends ist es auf den Straßen fast so still als in
München . . .^
Samstag, 20. August isr>8.
„Das bekannte italienische Sprichwort, daß in Genua das Meer
ohne Fische, das Land ohne Bäume, die Männer ohne Glauben und
die Frauen ohne Scham seien, kann ich, was die drei letzten Sätze
betrifft, nicht bestätigen; das Land ist, soweit die Felsen kulturfähig,
ausgezeichnet schön angebaut, die Männer sind, so viele ich angeredet,
sehr freundlich, und an den Frauen habe ich keinerlei Frechheit, ja,
so viel man sehen kann, große Züchtigkeit bemerkt. Heute morgens
war ich im sog. scoghetto, einer der zahlreichen Villen, Gärten, Fel-
sengrotten und Bäder auf den Hügeln, welche die Stadt umschließen:
die Ansicht der Stadt, ihres Hafens und des Meeres ist von entzücken-
der Schönheit, zu deren Vollgenuß mir nichts fehlte, als daß Du und
Anna sie nicht mitgenießet . . .
Das ist mir auch hier völlig klar geworden, daß dieses ganze
italienische Städteleben keiner weiteren Entwickelung mehr fähig ist,
sondern, nachdem es die höchste erreicht und überschritten hat, poli-
11. Neue Wanderungen in Griechenland und Italien. 225
tisch notwendig untergehen muß. Italien ist mehr als irgend ein
andres Land Eurjopas das Land der Städte, und diese sind Städte
von Palästen, deren Pracht großenteils schon erloschen ist; das Land
ist ausgesogen, die Städte haben es verzehrt, und es bleibt nunmehr,
nachdem die Paläste Wirtshäuser geworden sind, nichts anderes mehr
übrig, als daß die Fremden auch in der Tat Besitz davon nehmen."
In Genua steigt La sau Ix zu Schifte, segelt uach Neapel
in herrlicher Fahrt und nimmt auf kurze Zeit Aufenthalt im
Kloster Kamaldoli. Hier will er an seiner Abhandlung ^über
den Untergang des Heidentums" arbeiten, kann aber nicht über
Nacht, sondern nur den Tag über bleiben. Er schreibt aus dem
stillen Frieden der Klosterzelle:
Kamaldoli, Donnerstag 25. Aug. 1853.
„Ich habe darum die Abhandlung wieder auf die Seite gelegt,
und will die paar Stunden benutzen, um mich recht satt zu sehen an
der in Wahrheit einzigen Lage dieses Ortes, den man für den schön-
sten der bewohnten Erde hält. Von hier aus freilich, diesem stillen
Orte und seiner kühlen gewürzigen Waldluft das Auge über das Meer
und die Inseln, die Stadt und ihre Gestade hinschweifen zu lassen,
beruhigt zugleich und erfrischt die Seele so wunderbar, daß sie leicht
alle überstandenen Beschwernisse vergißt. Auch die reinliche und
helle Klosterkirche macht einen wohltuenden Eindruck, obgleich ihre
Architektur modern ist, und ein altes Bild hinter dem Altar am Chore
auf Goldgrund gemalt, Madonna mit dem Kinde von 4 Engeln umge-
ben, ist in seiner Art eines der schönsten, die ich gesehen habe.
^JJjJJJJJDie stille Einsamkeit dieses Ortes, der völlig abgeschlossen von
der Welt, nur von 25 Mönchen bewohnt w^ird, die in ebenso vie-
len Einsiedeleien, nur in der Kirche, um gemeinsam zu beten, zu-
sammenkommen, bildet einen großen Kontrast zu der Stadt, die zu
ihren Füßen liegt, nach London und Paris der größten in Europa,
in deren wüstem Lärme man Mühe hat, seine eigenen Gedanken zu
vernehmen, und in w^elcher dem Fremden bei einem einzigen Gange
durch die Hauptstraße das Elend und Laster in allen Gestalten ent-
gegentritt. Einen größeren Kontrast gibt es nicht, und wer darüber
nachdenkt, wird unwillkürlich zu der Einsicht geführt, daß die Dinge
dieser Welt in der Tat so geordnet sind, daß ihre Gegensätze sich
fordern und ausgleichen.''
Von Neapel reist La sau Ix nach Amalfi, quartiert sich
in einem ehemaligen Kloster ein und stellt hier seine Schrift
Ober den Untergang des Heidentums bis auf. die Einleitung fer-
tig. In einem Briefe von da schildert er seinen Aufenthalt.
Amalfi, Donnerstag 1. Sept. 1853.
„Ich lebe hier seit G Tagen in einer reizenden Einsamkeit in
einem ehemaligen Kloster des hl. Antonius, welches auf einem ins
Meer vorspringenden Felsen etwa 100 Fuß über dem Wasserspiegel
liegt und die ganze Umgegend beherrscht. Das Gebäude, ziemlich
Stölzle: Ernst von Lasanlx. L5
226 11. Neue Wandeningea in Griechenland and Italien.
weitläufig, ist so konstruiert, daß um einen großen viereckigen Hof-
raum, den rings ein zierlicher Säulengang umgibt, in dessen Mitte
mit Bäumen umpflanzt ein Brunnen sieht, an der einen Seite gegen
den Berg hin die Kirche sich erhebt, die drei übrigen von Zellen um-
schlossen sind, deren ich zwei nebst einem offenen schön iiberwölbteii
Erker bewohne, zu meinen Füßen das Meer, rechls Amalfi. links
Majori. Da außer mir und den Wirtsleuten, einer sehr zahlreichen
braven Familie, nur noch, ein Franzose im Hause wohnt, der den gan-
zen Tag in der Gegend umherzieht und Photographien macht, und
der wenige Lärm der Stadt kaum bis zu meiner Zelle heraufdringt,
so erfreue ich mich einer großen Stille, die mir nach dem Lärm und
Staub von Neapel doppelt wohl tut. Nachdem ich während der ersten
zwei Tage die Umgegend durchstrichen und die merkwürdige Kirche
von Ravello, eine Stunde von hier, wiedergesehen und ihre alten
Bronzetüren aus dem Jahre 1179 studiert habe, ist meine Tageszeit
nun regelmäßig so eingeteilt, daß ich von morgens ' ^^ I^is 10 im
Freien auf dem Erker und dann, wenn die Sonne mich vertreibt, bis
zum Mittag in meiner Zelle arbeite, nach Tisch eine Stunde schlafe,
von 4 bis 7 spazieren gehe in das Mühlental oder nach S. Francesco
hinauf, dann ein Seebad nehme, und bis Mitternacht die Sterne beob-
achte, die Dir, wenn auch Du gleiclizeitig zu ihnen hinaufsähest, manch
herzlichen Gruß und Kuß zunicken würden."
Lasaulx hat die Schrift über den Untergang des Heiden-
tums in Amalfi ganz vollendet bis auf die Einleitung, geht dann
nach Sorrent und von dort nach Capri, feiert am 8. Septem-
ber das Marienfest mit, das wie alle hiesigen Kirchenfeste auch
weltlich begangen wurde und am Abende mit einer Illumination
und dem bacchantischen Tanze der Tarantella endigte, besucht
dann die im schönsten Sonnenglanz strahlende blaue Grotte und
reist zurück nach Neapel. Dort sieht und studiert er 6 Tage
lang die Ober allen Begriff reichen Sammlungen im Palaste der
Studien, Marmorwerke, Bronzen, Vasen, Bilder, Edelsteine, be-
sucht Pompeji, macht jeden Abend eine kleine Spazierfahrt, am
liebsten zu dem Friedhof, der, seit der Cholerazeit erstand^,
bereits eine gro&e Totenstadt bildet in einem prachtvollen Parke,
fast zu schön für seine Bestimmung, wie Lasaulx am 15. Sept.
1853 von Neapel an seine Frau schreibt, und reist dann nach
Palermo. Er schildert seinen Aufenthalt dortselbst in einem
Brief aus Taormina.
Taormina, im Kloster des hl. Dominikus.
Sonntag 25. Sept. 1853.
„Ich blieb in Palermo sechs volle Tage; die Stadt und ihre
Umgebung ist außerordentlich schön, die Luft wunderbar milde, die
täglichen Regengüsse haben die vorhergegangene große Hitze ge-
brochen, ohne irgendwelche Unfreundlichkeit zu verursachen; denn
11. Neue Wanderungen in Griechenland und Italien. 227
i^aum hatte es zu regnen aufgehört, so schien die Sonne wieder.
Während des Gewitters strömt der Regen wie ein mächtiger Gießbach
dlurch die Straßen dem Meere zu, ab(^r eine Stunde darauf hat der
Sonnenschein alles wieder geti-ocknet und die ganze Stadt, die mit
großen Steinplatten gepflastert ist, von aller Unreinlichkeit rein ge-
v^i=ischen. Den Tag über war ich immer auf den Beinen und habe
^ie Umgegend zwei Stunden weit in der Runde rings durchstrichen:
^^gh monte Pellegrino im Norden der Stadt, auf dessen Gipfel die
scliöne Grotte der hl. Rosalia sich befindet, an deren Grabe ich euer
'^bhaft gedachte; ^) dann das schöne sehr einsam gelegene Benedik-
te rierkloster S. Martino mit kostbaren Handschriften; weiterhin Moil-
''^a.le mit seiner herrlichen Kathedrale, dem Vorbild der Münchener
öonifaziuskirche, und dem außerordenthch zierlichen Säulengange in
^^iix Kloster neben der Kirche; endlich das über alle Beschreibung
*i^i*j:»lich gelegene Franziskanerkloster Sa. Maria del Gesü, von wo
'^^^ii. die Stadt und den ganzen Reichtum ihrer Umgebung am voll-
^^^ndigsten überblickt. In der Stadt besuchte ich wiederholt die Kir-
^"^n und ihre Kunstschätze, das Museum der Universität, die Metopen
^^^ix Selinunt, die Vasensammlung und den kleinen zierlichen Hera-
^*^s aus Pompeji; am Abend regelmäßig den neuen giardino in-
l^f^se, die villa Giulia, den botanischen Garten und den Spaziergang
^^'^^s dem Meere, dessen durch die täglichen Gewitter mächtig aufge-
^^^Xnte Wogenbrandung ein herrliches Schauspiel gewährte.**
Von Palermo ist Lasaulx nach Messiua gezogen und
*i hier eine Tagereise weiter zu dem am Fuße des Ätna gele-
gen schönen Kloster S. Domenico in Taormiua. Hier hat
den Rest seiner Abhandlung, die zu einem Buche angewach-
^ ^ ist, vollendet. Von hier kehrt er nach mancherlei Hinder-
^^^isen und Abenteuern nach Rom zurück am 7. Oktober. Er
fcht wieder, was Rom an Sehenswürdigkeiten bietet, von sei-
n ehemaligen Freunden Cornelius, Overbeck, Veit, 2) Roh-
in,^ Seitz,^) Platner,^) Braun. Von Cornelius erzählt er,
er in Berlin katholischer geworden sei, als er (Lasaulx) es
r möglich gehalten habe. Seinen Freund Lete liier traf er
^icht, da er abwesend war. Vom Papste läßt er Medaillen und
^Rosenkränze für seine Angehörigen benedizieren. Er schreibt
^l)er seinen Aufenthalt in Rom:
Rom. IG. Oktober 1858.
» • . . Obgleich es mir diesmal durchaus an der nötigen Ruhe
•^hlle, um die hiesigen Dinge so, wie es sein sollte, geistig in mich
'^'ufzunehmen, so hab(i ich doch das Beste, was ich früher im Detail
') Bei dem Bilde der hl. Rosalia gepflückte Blumen sendet er den
Einigen nach Koblenz. - '') Maler (1793-1877). - ') Landschaftsmaler
< 3778-1868). — ^ Maler (1811— 1880). — ^) Platn er, Maler und Kunat-
•chriftsteller WTi^-X^hh),
15*
228 11. Aaf Schloß Lebenberg.
studiert, wiederholt wiedergesehen, und die alten Eindrücke teils er-
frischt, teils berichtigt, ^o daß mir auch dieser kurze Aufenthalt nicht
ohne Nutzen für meine weiteren Studien sein soll. Die Spuren und
Überreste der drittehalbtausendjährigen Geschichte dieser in der Tat
einzigen VV^eltstadt wirken so gewaltig, daß man an keinem Orte Eu-
ropas die menschlichen Dinge richtiger schätzen und beurteilen lenit
als hier.*
Am 19. Oktober ist Las au ix schon in Florenz, reist
dann nach Bologna^ Ober Verona, den Gardasee nach
Bozen und langt Ende Oktober wieder in München an.
Im Jahre 1855 treffen wir ihn auf einer Beise nach Ko-
*
blenz.
3. Die Reise nach Koblenz 1855.
7 Jahre hat Las au Ix die Mutter, deren Liebling er war,
und an der auch er mit aller Zärtlichkeit hing, nicht gesehen.
Darum macht er sich auf, sie zu besuchen. Er trifft die Mutter
wohl, freut sich der Freunde und Verwandten Longard, Dietz,
Clemens, Mendelsohn, Marie Huene, besucht auf der Rück-
reise in Stuttgart Frau Mathilde Boisseree, auf Stift Neuburg
Frau Schlosser, verkehrt in Heidelberg mit Tiedemann,
H. Gagern, Zell. Bahr, Wedekind, Mone, in Mainz mit
Overbeck und Philipp Veit, wie Lasaulx in einem Briefe
seiner Frau unter dem 22. August 55 meldet. Inzwischen ist
die Mutter erkrankt, und Lasaulx eilt zum zweiten Mal im
September nach Koblenz. Die Geschwister sind alle versam-
melt bis auf Hildegard, die in Luxemburg krank liegt, und
Otto, der fern von der Heimat in Texas weilt. Die Mutter
stirbt nach bitterem Todeskampf.
„Sie kann auf dieser Well nicht mehr für uns beten, wir müs-
sen es für sie. Lebet wohl und betet für uns''
schreibt Lasaulx an seine Frau am 7. Oktober 1855. Am
8. Oktober fand das Begräbnis statt. Lasaulx schreibt seiner
Frau am 9. Oktober:
„Das Ganze machte einen viel ergreifenderen Eindruck als die
prachtvollste Totenfeier der Städte; den schönen Spruch: „Gott gebe
ihr die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihr" — Ruhe und
Licht habe ich nie so tief empfunden."
Gern hätten er und seine Geschwister das elterliche Haus
behalten. Aber es war nicht angängig. Nach der Ordnung und
Teilung des Nachlasses wurde auch das Elternhaus verkauft.
Freilich ftlUt die Trennung E. v. Lasaulx schwer aufs Herz, und
11. Auf Schloß Lebenberg. 229
gibt der Wehmut in demselben Briefe vom 9. Okt. an seine
F*rau beredten Ausdruck:
„Es erfüllt uns allerdings mit Wehmut, in der Heimat für immer
fc^ntwurzelt zu sein. Das Land ist schön, der Himmel milde, es gibt
iiocli gute Menschen hier, und sie wie die Vögel haben es in der Ge-
vvolmheit, gerne in die alten Nester zurückzufliegen. Auch wäre un-
t <^ r dem Hügel am weißen Turm noch Platz für uns alle, — doch wie
Grc3tt will und das Schicksal, dem keiner entgeht."
Damit waren die äußerlichen Bande in der Heimat gelöst.
'^ l^^^r das geistige Band, das ihn mit den lieben Toten verband,
t^lieb, und seine Gedanken und Gebete umschwebten, solange
^^* lebte, die Grabstätten seiner Eltern. Als seine Frau und
T'oohter 1856 Koblenz besuchten, legt er ihnen dringend den
^^sueh der teuren Gräber ans Herz.
Mit dieser Reise nach Koblenz hören die größeren Wan-
dungen bei E. V. Lasaulx auf. Gichtische Leiden machen
^^ÄrrÄ das Gehen beschwerlich, und er verbringt nun einen Teil
5=s^it3er Ferien in stillem und ruhigem Landaufenthalt. Und da
*^t es besonders ein Punkt, der ihm lieb und teuer geworden
', das Schloß Lebenberg bei Meran, das ihm wiederholt
le und Stille für seine Arbeiten und Erholung und Kräftigung
5i.€ih Krankheit und Anstrengung gab. Von 1856 bis zu seinem
I-^bensende sah ihn der Herbst, oft auch das Frühjahr als Kur-
S^^st auf dem herrlich gelegenen Schloß.
4. Auf Schloß Lebenberg bei Meran. (1856—60.)
Von 1856 bis 1860 weilte Lasaulx regelmäßig im Herbste,
"^^^Äwchmal auch in den Osterferien auf Lebenberg, um in
^^le zu arbeiten und seine Gesundheit zu stärken. Wie er die-
®en idyllischen Ferienaufenthalt ausfindig machte, schildert er in
^mcm Briefe an seine Frau unter dem 28. August 1856.
„Des Herumvagierens müde suchte ich mir nun an einem schö-
f?^n Punkte mit freier Aussicht. Sonne, Wald und Wasser eine behag-
^i^e Einsiedelei und fand diese . . . am voi'igen Freitag hier in
^-Woß Leben b er g, dem schönslgelegenen Orte in der ganzen Um-
§?Bend, wo ich die beiden schönsten Zimmer inne liabe.. die einst der
f^^ler und Dichter L entner aus München sich ausgeschmückt und
£. ^® k\u*ze Zeit vor seinem Tode bewohnt hat. Da mir dieser Ort von
h "^^^ ^^^ wohlbekannt und so lieb ist, daß ich mir oft gewünscht
j^*^, hier mein Leben beschließen zu können, so würde ich sogleich
ri ^en Hafen losgesteuert sein, hätte ich nicht gefürchtet, allzu viele
^^^^llschaft da zu finden, der ich lieber auswiche.**
230 11. Auf Schloß Lebonberg.
Lasaulx schildert seiner Frau Lage und Unigebuiig de
Schlosses (9. Sept. 1856):
„Die Lage des Schlosses ist eine der anmutigsten und großartig
steU; die icli kenne, vollkommen so schön wie Maria Plein hei Salz
hurg. Vor dem Schlosse hefindet sich ein von Kastanien, Maulheer
häumen und Nuläbäumen umgebener und beschatteter Wiesenplat;^
hinter demselben der schönste Wald, Wasserfall. Weinberge. Feigem n
Pfirsiche. In der Schloßkapelle, die ungemein zierlich ist, wird a_
allen Sonn- und Feiertagen von Marl in g aus durch emen Benedi
tiner . . . die Messe gelesen und gepredigt, so daß Ihr auch in diese
Beziehung ohne alle Sorge wäret."
Wenn man keine großen Ansprüche an geistigen Ideei
austausch mache, sondern mit seinem eigenen Vorrate ausreich
so könne man sich kaum einen freundlicheren Ort wönschei
als das seinen Namen mit Recht führende Schloß Lehenbei
schreibt Lasaulx in demselben Briefe (vom 9. Sept. 185
Diese stille Einsiedelei suchte Lasaulx seit dem Jahre 18
noch 6mal auf. Erfreut meldet er seiner Frau am 28. A '
gust 1857:
,Da sitze ich wieder w^ie im vorigen Herbste in meinem freui:==^~i<
==3I
liehen Stüblein auf Schloß Leben borg und erlabe meine Augen
Anblick der Mendelspitze und der schönen Landschaft ringsum."
Die Mendelspitze, die auch in seinen Schriften öfter El -^'
wähnung findet, hat es ihm angetan. Er gedenkt ihrer öfter ^'
seinen Briefen.
„Die Mendelspitze, deren Scheitel noch immer leicht mit Seh
bedeckt ist, sieht aus, als wenn sie schlafe und von ihrer Schwest
der Sphinx in Ägypten, träume, was mich, indem ich in i
Träume hinein imaginiere, auf allerlei Gedanken bringt, die ich j
brauchen kann."
(2. April 1858 an seine Tochter.)
„Den Anblick der Mendelspitze, meiner lieben geheimuisvol ^^^ ^^^
Sphinx, die mir stets die Gedanken herabschickt, welche ich ger^^ ^^
brauche, werde ich freilich an jedem andern Orte schmerzlich ^ "^^ '^"
hehren''
schreibt er seiner Tochter Anna am 21. Sept. 1860,
davon die Rede ist, einen anderen Erholungsplatz zu wähK
Von den Reizen dieses Plätzchens im Frühjahr entwirft er e "»' '^
wenig Strichen stimmungsvolle Bilder. Am 25. März 19^^^
schreibt er von Lebenberg an seine Frau:
„Die Bäume sind zwar noch nicht grün, stehen aber in voll^-^^
Safte, so daß wir das Aufbrechen der Mandel-Pfirsich- und Aprikos^^'
bluten in den nächsten Tagen erwarten: die Raine und Wieseii aber
zwischen den Weinreben sind bereits begrünt, die Bächlein rinrieB,
11. Auf Schloß Lebenberg. 231
die Vöglein singen, die Hühner und Welsriien jjcackeni und quieken,
<iie Lüfte sind wunderbar mild, und die ganze Landschaft glänzt in
der heitersten Morgensonne. Wärest Du und Anna hier bei mir, so
fehlte mir nichts zu vöHiger Behagnis.**
Dieses Bild ergänzt er in einem späteren Briefe (16. April
1858):
„Das Land und der Himmel über ihm ist in der Tat schön, die
Mandeln und Aprikosen haben bereits abgeblüht und sich begrünt, die
Pfirsichbäume, Kirschen, Birnen und grünen Renkloden stehen noch
in voller Pracht: auch der Wald ringsum ist im ersten Grün, alle
Felder und Wiesen, wie man's nur wünschen kann, so daß alles ein
gesegnetes Jahr verspricht."
Nicht weniger ansprechend ist das Stimmungsbild von der
Frühlingslandschaft, das er ein Jahr später (9. April 1859) entwirft:
„Da heute Sonntag ist. und alle Leute zur Kirche hinunter sind,
so bin ich ganz allein hier oben, und nur das ferne Rauschen der
Rtsch, die eintönige Schloßuhr und die hellen Vogelstimmen unter-
brechen die allgemeine Stille der sonnigen Natur. Die Höhen der
Berge ringsum, auch der Mendel, sind noch dicht mit Schnee be-
deckt . . . Die Aprikosen und Mandeln sind fast abgeblüht, die Pfir-
siche, Kirschen, Birnen prangen noch rot und weiß, die Rosen sind
voller Knospen, der Goldlack ganz in Blüte, alle Wiesen und Felder
grün, im Walde die Lärchen und Birken."
Hier suchte und fand Lasaulx Linderung körperlicher Lei-
den, seiner gichtischen Zustände, seiner Atmungsbeschwerden, sei-
nes Herzklopfens, hier gewann er im Anblick der herrlichen Natur
neue Kraft und heuen Lebensmut, hier verlebte er Stunden hei-
terer Geselligkeit mit den übrigen Kurgästen und den zahlreichen
Bekannten und Freunden, die den immer liebenswürdigen La-
saulx in seiner ländlichen Zurückgezogenheit aufsuchten, mit den
Eduard Steinle, i) Marie und Luise di Pauli, Frl. v. Parse-
val, Graf V. Werdenberg, Erbprinz von Meiningen, Siebold,
den Kollegen Seitz und Huber und Rothmund, Prof. Bippart
aus Prag, Archivar Kausler aus Stuttgart, Fürst Alexander
von Lieven und Lili von Lieven, Baron Rönne aus Kurland,
Franz.2) und Lujo Brentano, Druffel, Dr. Heine, Prof. Elve-
nich aus Breslau, Lasaulx' ehemaligem Lehrer, Zingerie, Prof.
Ficker aus Innsbruck, Römer aus Breslau, Schenk aus Würz-
burg. Hier benützte er aber auch die Stunden stiller Einsamkeit
zu intensiver Arbeit. Auf Lebenberg schrieb er seine Philosophie
*) Künstler (1810—66). — -) Über Franz Brentano schrieb Lasaulx
am 28. August 60: ^Franz ist in der Tat ein feinsinniger Mensch, der mir
sehr wohl gefällt.*
232 H. Auf Schloß Lebenberg.
der Geschichte, hier seine Rektoratsrede, hier seioe Schrift Ober
Sokrates, hier seine Ästhetik, hier erledigt er die hiezu nöti-
gen Vorarbeiten, liest Dante und Piaton, Aristoteles und
Hegel, und immer wieder die hl. Schrift, wie er nach Voll-
endung jeder größeren Arbeit zu tun pflegte. Volle Untätigkeit
ist ihm ein Greuel und ebenso zuwider wie das bloß rezeptive
Leben (Brief vom 22. Aug. 1859). Und als seine Frau Besorg-
nisse wegen etwaiger Überanstrengung äußert, da beruhigt La-
saulx die Besorgte in einer für seine Arbeitslust charakteristi-
schen Weise:
„Was Du über mein Arbeiten schreibst, liebes Kind, ist nicht
richtig. Erstlich ist das keine Anstrengung für mich, sondern eine
ganz natürliche Fähigkeit, die mir zudem große Freude macht:
und dann läßt es mir auch aus andern Gründen keine Ruhe, bis ich
die Sachen, die mir noch auf dem Herzen liegen, eine nach der an-
dern loswinde, ehe es Abend wird. Du sollst Dich darüber eher
freuen, denn es ist ein Zeichen, daß noch einiges Leben in mir ist:
wenn ich einmal nichts mehr arbeite, so magst Du wissen, daß mein
Lebensöl aufgezehrt ist." ^)
So stellte Lasaulx auch die Ferien im letzten Grunde in
den Dienst seines Berufes, in den Dienst seiner literarischen
Tätigkeit, überall und in allen Lebensbeziehungen ein gewissen-
hafter Arbeiter und bedacht auf volle Ausnutzung des ihm ver-
liehenen Pfundes.
*) Brief ah seine Frau vom 29. April 1859.
12. Kapitel.
Lasaulx' Familienleben.
Motto: K Alles Gute, das noch ist, kam aus
gottesfürchtigen Familien.'*
Sailer,
Wenn die Menschen die Bekanntschaft eines Fremden
machen, begnügen sie sich nicht mit der Kenntnis von Name,
Stand und sonstigen äußeren Verhältnissen, sie möchten auch
etwas davon wissen, wie er mit Eltern und Geschwistern, Frau
und Kindern, Verwandten und Freunden, Kollegen und Gegnern
verkehrt, was er für Eigenschaften, fflr Sinnesart besitzt, wie er
über Gott und die Welt denkt. Erst dann sind die Menschen
befriedigt. Das ist nicht bloß müßige Neugier, sondern darin
spricht sich der richtige Gedanke aus, daß erst ein Blick ins
innere Leben des Menschen uns den ganzen Menschen ent-
hülle. Wir folgen also einem ganz naturgemäßen Verlangen,
wenn wir nach der Schilderung von Lasaul x' äußeren Lebens-
scbicksalen nun auch einen Blick auf den inneren Menschen,
auf sein Familienleben, auf seinen Charakter und seinen religiö-
sen Entwicklungsgang werfen.
Lasaulx' Familienverhältnisse d. h. seine Beziehungen zu
Eltern und Geschwistern und Verwandten, zu Frau und Kindern
bieten das Bild herzlicher Liebe und Eintracht und Offenheit.
Lasaulx war ein guter, dankbarer und pietätvoller Sohn. Die
Briefe aus der Zeit seiner Wanderschaft geben Kunde von der
Anhänglichkeit an seuie Eltern, wie er bemüht ist, seinen Eltern
keine Sorgen zu bereiten, keine Kosten zu machen. Besonders
die Mutter macht er in rührender Offenherzigkeit zur Vertrauten
seiner Herzensgeheimnisse, ilir enthüllt er seine Gefühle und
Stimmungen, Pläne und Hoffnungen. In welch ergreifenden Tö-
nen weiß er die Gefühle der Liebe und Dankbarkeit der Mutter
gegenüber auszuströmen! So schreibt er einmal von Rom aus
an die Mutter:
234 12. Lasaulx' Familienleben.
,0. daß ich doch alle treue Kindesliehe meines Herzens diesen
Zeilen einliauchen könnte, daß sie sanft und frisch wie warme Früh-
linKsmorjrenliauche Deine Schläfe umwehen und Dir sagen, wie ich
Dich liebe!" ^)
Und von Livorno aus schreibt er anfi 15. Januar 1834 an
die Mutter, die Sehnsucht nach ihm geäußert:
^ Warum blickst Du mich so traurig an. liebe Mutter! Um Got-
tes willen sei ruhig meinetwegen, — wir werden uns ja wiedersehen,
sei heiter und erhalle mir Deine Liebe; wenn ich Dich bekümmert
weiß, so nagt's mir am Herzen; habe nur noch ein wenig Geduld mit
mir; ich muß ja auch Geduld mit mir haben.**
Ohne Rat und Erlaubnis und Einwilligung der Eltern will
er nichts tun. Noch als verheirateter Mann bewahrt er den El-
tern kindliche Pietät, empfängt ihre Ratschläge und macht sie
zu den Vertrauten aller seiner Angelegenheiten. Gern hätte er
die Mutter später zu sich genommen, um ihr die große Liebe,
welche sie ihm zeitlebens erwiesen hat, in etwas vergelten und
ihre letzten Lebenstage, soviel er vermöge, erheitern zu können.
Aber er fürchtet, die Anstrengungen der Reise und die klima-
tische Veränderung könnten ihr schaden. ^) Besorgt eilt er an
das Lager der erkrankten Eltern und erweist, tieferschüttert, den
entschlafenen die letzten Ehren. '^) Aber nicht bloß die Bande
des Blutes, auch die geistigen Bande des Gebetes verknüpfen ihn
mit den Eltern. Wiederholt bittet er die Eltern um ihr Gebet
für ihn. Über das Grab hinaus wahrt er den Eltern rührende
Pietät. Dankbar gedenkt er in öffentlicher Kammerverhandluug
der strengen und einfachen Erziehung durch seinen Vater. *) Für
die verstorbenen Eltern betet er und empfiehlt dasselbe seinen
Angehörigen.
Lasaulx war aber auch ein guter Bruder. Für einen
Bruder, der den Eltern Kummer bereitet zu haben scheint, legt
er wiederholt Fürbitte ein. Und wie ist er immer um die Geschicke
seiner Brüder und Schwestern besorgt! Mit welcher Teilnahme
begleitet er sie auf ihren Lebenswegen! Als seine Schwester
Malchen, die in der Liebe schmerzliche Enttäuschung erfahren
hatte, barmherzige Schwester werden will, schreibt er der Mut-
ter (1840 oder 41):
,Daß Du und Vater Malchens Entschluß, barmherzige Schwester
zu werden, Eure Zustimmung gegeben, hat mich sehr beruhigt, nicht
') vgl. Kap. 3, p. 47. - '') Brief an seine Frau vom 28. Juh 1850. -
•'') 1848 verlor er den Vater, 1855 die Mutter durch den Tod. — *) Sten. Ber.
der bayer. Kammer (55—56), I, 523.
12. I.asaulx' Familienleben. 235
als ob- mich der Entsoliluia sell)er freue — ich habe vielmehr wieder-
lioll versucht, sie davon abzubringen, sondern weil ich gefunden, daß
Malchens Natur der Art ist, daß sie nur mit gebrochenem Herzen
und lediglich aus kindhchem Gehorsam auf ihren Entschluß resigniert
haben ^vürde. Man muß es in unserer Zeit, wo die meisten Männer
weibisch sind, immerhin einem Mädchen zugute halten, wenn sie
mänalichen Charakter zeigt. In früherer Zeit wurden die Ehen allge-
mein von den Eltern geschlossen, und es gah vielleicht im ganzen
weniger unglückliche Ehen als jetzt; wo aber einmal der Drang nach
individueller Selbständigkeit erwacht ist, läßt er sich nicht mehr zu-
rückdrängen, und es ist nun jeder seines Glückes und Unglückes
Schmied.** ^)
Wo Las au Ix den Schwestern eine Freude machen kann,
benutzt er die Gelegenheit dazu und sendet ihnen aus Jerusa-
lem und Athen und Rom und München Blumen und geweihte
Sachen oder fromme Bilder. Soviel Liebe fand auch wieder ihre
Vergeltung in herzlicher Anteilnahme der Geschwister an ihres
Bruders Schicksalen — ein schönes Bild geschwisterlicher Ein-
tracht.
Wer gegen Eltern und Geschwister seine Pflichten so pie-
tätvoll erfüllt, der 'wird auch ein guter Gatte und Vater sein.
Beides war Lasaulx. Aus inniger und aufrichtiger Liebe ging
er die Verbindung mit seiner Julie, der Tochter des Philosophen
Baader ein. Und es erfüllte sich, was er am 26. August 1835
an seinen Vater schrieb:
„So sind denn alle meine Wünsche für dieses Leben erfüllt,
und Ihr könnt vollkommen ruhig über uns sein, wir werden die glück-
lichsten Menschen auf Erden."
Lasaulx wurde wirklich glücklich an der Seite seiner
Frau. Voller Zufriedenheit schreibt er auf Neujahr 1836 an seine
Ellern, er könne niemals in seinem Leben Gott genug danken,
daß er ihm die Frau gegeben habe.
, Durch mein vergangenes Leben habe ich sie niclit verdient,
wie Ihr selber wißt, durch das zukünftige, soviel mir gegeben wird,
will ich es, und daß ich dazu Kraft in mir fühle, das allein ist mein
Trost. "
Am 31. August 1835 hatte er die Ehe mit Julie einge-
gangen. Während im Laufe der Jahre unter Eheleuten nicht
selten eine gewisse Gleichgültigkeit oder gar Entfremdung ein-
tritt, blieb Lasaulx in unveränderter Liebe und Herzlichkeit
seiner Gattin zugetan in guten und schlimmen Tagen.
^) Es war die als Schwester Augustine ins Kloster getretene, nach-
mals altkatholiscb gestorbene Amalie v. Lasaulx.
236 12. Lasaulx' Familienleben.
Abwesend und getrennt von seiner Julie gibt er in seinen
Briefen seine Sehnsucht zu erkennen und freut sieh des Wieder-
sehens; seine Gedanken weilen, wenn er unbeschäftigt ist, bei
der Gattin. Für dieses Gedenken findet er hochpoetische Töne.
Er schreibt am 11. April 59: ,
„Ich versenke mich in das Leben der Sterne und lasse die Ge-
danken im inneren Sinne hinziehen, wohin sie wollen, nach Rom und
Athen und Jerusalem, den Nil und Ganges entlang, bis sie bei Dir
in München einkehren."
Im Genuß von Natur und Kunstschönheit schwelgend, ver-
mißt er zum vollen Glück nur die geliebte Frau. Ihre Briefe
erwartet er mit Spannung und ängstigt sich über ihre Verspä-
tung. Besorgt um ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen, er-
muntert er sie zu Spaziergängen und zum Gengß des Landauf-
enthaltes, peinlich beröhrt, daß er in der schönsten Natur und
sie zu Hause leben soll innerhalb der vier Wände. ^) An den
kleinen Sorgen des Hauswesens und des täglichen Lebens, die
den Frauen so wichtige Angelegenheiten sind, geht er nicht mit
kalter verletzender Gleichgültigkeit vorbei, sondern nimmt teil
an Wohnungssuche und Umzug und Magdwechsel und weiß der
geschäftigen und bekünnnerten Frau immer ein Wort des Tro-
stes zu sagen. So schreibt er einmal mit jener Gemütsruhe und
Gelassenheit, mit der er den Widerwärtigkeiten des Lebens ge-
genübertrat :
„Was uns trösten kann, ist das Bewußtsein, diese Widerwärtig-
keit nicht durch unsere Schuld verursacht zu haben, vielleicht, daß
wir später erkennen, daß es gut war, sich so gefügt zu haben." ^)
Und über den Magdwechsel tröstet er seine Frau mit dem
Hinweis auf die allgemeine Unruhe des heutigen Lebens:
„Es ist wie überhaupt unter den heutigen Menschen auch un-
ter den Dienstboten keine Ruhe mehr, sondern ein ewiger Wechsel." ')
Aber auch wenn ernste Sorgen, wie die um Gesundheit
des einzigen Kindes, drohen, hat er für seine Frau, obwohl selbst
tief ergriffen, Worte der Mahnung zu Ergebung und Geduld:
„Wir müssen uns darum wohl in unser Schicksal ergeben und
in Geduld erwarten, was über uns verhängt wird, ob Frohes oder
Trauriges, je nach den dunklen Fügungen, deren wir so viele schon
seit 16 Jahren erfahren haben." *)
') Brief an die Frau vom 3. Sept. 1857. — ') Brief vom 29. April
1859 m seine Frau. — ^) Brief an die Frau vom 3. Sept. 1857. - *) Brief
an seine Frau vom 20. Sept, .1851.
12. Lasaulx' Familienleben. 237
Wie er so die gro&en und kleinen Sorgen der Frau durch
freundliehe Teilnahme zu mildern sucht, so weiß er auch ihre
Befürchtungen, die sie wegen der Wahl des Themas der Rek-
toratsrede äußert, 1) und ihre zärtlichen Besorgnisse wegen Über-
anstrengung zu zerstreuen. '^) Mit Offenheit und Vertrauen läßt
er sie teilnehmen an seinen literarischen und politischen Plänen
und Arbeiten und Erfolgen und bittet um ihre Ansichten und
ihren Rat. All diese kleinen Züge von Aufmerksamkeit und
Teilnahme Lasaulx* offenbaren die Liebe zu seiner Julie. La-
saulx hat aber seiner Liebe auch noch besonderen Ausdruck
gegebeij. Gern gedenkt er der Zeit des ersten Zusammentref-
fens, der ersten Jugendliebe, des ersten Entschlusses, sie zu
heiraten. Die Lektüre eines altindischen Hirtengedichtes erweckt
ihm alle Erinnerungen aus der schönen Zeit ihrer Jugendliebe;
auf das Glück jugendlicher Liebe und philosophischer männlicher
Erkenntnis reduziert sich für ihn alles Lebensglück. ^) Daran
knüpft er in anderem Zusammenhang die Reflexion :
„Wer einer Liebe fiihig und bedürftig ist, soll in der Jugend
lieiraten oder gar nicht; denn nur in einer gemeinsam durchlebten
Jugend können zwei Herzen in Freud und Leid so zusammenwachsen,
daß eheliches Gluck möglich ist; wie das in späteren Jahren oder zum
zweiten Male geschehen könne, begreife ich nicht/ ^)
Am Herzen seiner Frau ist ihm allein wohl auf Erden,
ohne das würde er zwar nicht in ein Kloster, aber vielleicht in
einen indischen Büßerhain am Himalajagebirge und an den
Ufern des Ganges gehen und als Brahmane sterben. ^) Als er
nach Jahren die Trausnitz bei Landshut besucht, da erinnert
er sich der ersten Begegnung mit seiner Julie am 22. Mai 1829,
und alles was sie seitdem erlebt haben, Gutes und Böses, das
ganze bunte Gewebe seines Lebens zieht an ihm vorüber, und
viel hätte er gegeben, wenn er seine Julie auch leiblich hätte
herzaubern können. ^) Noch wenige Jahre vor seinem Tode
schreibt er seiner Tochter, wie er in dem kleinen Kirchlein im
Achental in der Pfingstwoche 1829 den festen Entschluß gefafst
habe, ihre Mutter und keine andere in seinem Leben zu heiraten,
was er seit der Stunde, trotz mancher Störungen, zu denen seine
wilde Natur ihn hingerissen, und die, wie er zu Gott hoffe, nicht
M Hrief an die Frau vom 19. Sept. 1856. — '') vgl, Kap. 11, p. 232.
— •^) Brief an die Frau vom 15. Juli 1850. — *) Brief an die Frau vom 20.
Juli 1850 — ") Brief an die Frau vom 4. Aug. 1850. — «) Brief an die
Frau vom 17. Aug. 1851.
236 12. Laeaulx* Familieiilebftn
wiederkehren solleo, niemals bereut habe. ^) Seine Liebe tri
aber besonders dann hervor, als ihm durch plötzliche Erkrankni
der Gattin ihr Verlust droht. Mit rührender Teilnahme schrei
er am 12. Sept. 1859 von Schloß Lebenberg:
„Auch ich danke dafür dem liebem Gott viel tausendmal u
bitte ihn täglich, uns ein frohes friedliches Wiedersehen zu schenk
Die Kunde von Deiner Erkrankung war zwar gleich mit der wied
holten Versicherung verbunden, dal3 die erste Gefahr glücklich vorüb
und kein Grund zu ernster Besorgnis mehr sei: doch hat mich
Ganze mehr erschreckt, als ich gegenüber meinem seit lange geh
ten Glauben, data ich vor Dir weggehen werde, für möglich gehalt
Sie brachte mir die Unsicherheil aller irdischen Dinge, und wie un
ahnt mich das Ärgste hätte treffen, und das Schifflein meines Leb
für immer zerschellen können, sehr nahe; Gott sei ewiger Dank, c
er uns davor bewahrt hat. Ich wüßte mir ja ohne Dich gar nicht
helfen: um Mönch zu werden, ist mein Herz noch viel zu weltlich
sinnt, und wieder in die Welt zu laufen wie in meiner Jugend,
ich zu alt geworden ... Du mußt also, liebe Julie, obgleich ich
nicht viel Freude machen kann im Leben, doch noch bei uns s*. m^as-
harren, bis Anna versorgt ist, und ich etwas besser und geduldigerer
geworden bin, als es mir bisher gelungen ist."
Außer diesen Banden inniger Liebe und herzh'eher T*^^^'-
nähme verknöpft Lasaulx noch mit seiner Julie die höli-^^^ß
Gemeinschaft des Gebetes, um das er die Frau bittet, und ^51^*»
er für sie zu Gott emporsendet. So ist die Verbindung ti^ ^'
sau Ix' mit seiner Frjf,u von Anfang bis zur Trennung * •"
Tode geweiht durch aufrichtige Liebe und unverbrüchliche Tr^*'®
in Glück und Unglück.
In all den Beziehungen, in denen wir Lasaulx bis j^^^^
betrachten konnten, in dem Verhältnisse zu Eltern und Geschm ^^^'
stern und Frau erscheint uns Lasaulx als das Ideal eines S<^^'
nes, Bruders und Gatten. Er war auch ein braver und beso^^"
ter Vater. Mit Freude begrüßt er die Kinder, die ihm s^^^^
Gattin schenkte, wünscht ihnen „ein christliches Herz, hel'^'^
Verstand und einen festen Willen", freut sich herzlich ihrer ß'^*"
Wicklung, sieht sie aber auch mit herbem Schmerze — fünf ^^
der Zahl — in zarten Jahren in die ewige Heimat hinübergehe^*
Und viele Jahre nach ihrem Hinscheiden zieht noch dann n^^
wann schmerzlich die Erinnerung an eines dieser lieben Klein ^'^
durch seine Briefe. Nur eine Tochter, Anna, blieb ihm erhal-
ten, ein Sorgenkind, da sie fortwährend kränkelte. Ihr wendet
der besorgte Vater alle Liebe und Sorgfalt zu. Was für Ihre
M Brief an Anna vom 21. Aug. 185J^.
12. Lasaulx' Familienleben. 239
Gesundheit geschehen kann, d«as wendet der Vater auf, um we-
nigstens dieses eine Kind zu behalten. An ihrer geistigen
und sittlichen Ausbildung arbeitet er nebst den Lehrern be-
ständig mit und gibt ihr gute Lehren fürs Leben über Gottver-
trauen und Ergebung in Gottes Willen, tiber Freundschaft und
Einsamkeit und Geselligkeit, Lehren, welche eine mehr als .per-
sönliche Bedeutung beanspruchen können.
Rührend und Beweis der tiefen Religiosität Lasaulx' ist
seine Mahnung zum Gottvertrauen in einem Briefe vom 28.
Aug. 1860:
„Erhalte Du Dir, liebes Kind, in allen Lagen und bei allen son-
stigen Empfindungen des Lebens den bisherigen, wenn auch mit einem
Seufzer begleiteten Aufblick zum lieben Gott, der jede Schickung, die
gläubig und ergeben aufgenommen wird, zum Guten lenkt, und besser
weiß, was uns fronunt als wir selbst. Das Herz des Menschen ist
wie ein wogendes Schiff, von Natur unbeständig und schwankend, und
kann nur dadurch fest werden, daß es sich festankert an ein Ewiges,
Unveränderliches und dieses nie aus den Augen verliert/
Ein andermal empfiehlt er ihr mit dem Spruch eines persi-
schen Dichters Reinheit des Lebens:
^Die Tage sind Blätter im Buche des Lebens, darum schreibe
nichts hinein als gute Taten und reines Streben/ *)
Schöne Worte gibt er ihr über die Freundschaft zu
beherzigen :
„Wahre Freundschaft gehört zu den größten Gütern des Lebens,
die man nicht gemein machen darf, aber man muß auch für eine
minder tiefe Neigung dankbar sein, wenn sie uns von aufrichtigen
Menschen geboten wird/ ^)
Über Gesellschaft und Einsamkeit schreibt er seiner
Anna:
„Dein Wunsch nach einiger Gesellschaft ist in Deinem Lebens-
alter sehr natürlich, ja, es wäre mir gar nicht lieb, wenn er Dir ganz
fremd wäre. Liebe zur Einsamkeit kann nur der empfinden, welcher
mancherlei äußere und innere Stürme bestanden hat, sich sammeln
will, nach dem Hafen sich sehnt, also dessen Leben seinem Abschlüsse
zueilt; und dafür ist es für Dich noch viel zu frühe/ ')
In zarter Weise bestimmt er ihre Aufgabe den Eltern ge-
genüber in einem Briefe vom 12. Sept. 1858 von Lebenberg aus:
, Deine Geschwister sind alle wieder heimgegangen, noch ehe
sie des Lebens froh und ihrer selbst bewußt geworden. Du hast da-
her die Aufgabe, uns viel zu ersetzen, und Du hast es bisher treu-
*) Brief vom 23. Juli 1850 an seine Frau. — ') Brief vom 1. Sept.
1858 an seine Tochter. — ^) Brief vom 28. Aug. 1860 an seine Tochter.
^0 12. Lasaiilx' Familienleben.
lieh getan und wirst es auch künftig tun. Erhalte Dir, was Du von
Deiner guten Mutter hast, und verbessere das väterliche Erbteil {sc.
die Verschlossenheit), dann könntest Du auch in diesem irdischen Le-
ben nocli heiter und so glücklich werden, als Menschen von tieferem
Gemüte vergönnt ist.-
Aber auch an die materielle Zukunft der Tochter denkt
ihr Vater. Die Rncksicht darauf bestimmt iho, kein Haus zu
kaufen, sondern das bißchen Vermögen, das er ihr hinterlassen
kann, für sie aufzusparen. ^) Besonders kommt das lierzliebe Ver-
hältnis zwischen Vater und Tochter darin zum Ausdruck, daß
der Vater die Tochter beruhigt und ihre Bedenken wegen der
Schrift ober Sokrates zerstreut, 2) daß der Vater mit der Toch-
ter in gegenseitigem Gebete vereint ist.
So ist das Bild von Lasaulx' Familienleben ein erfreulieh
anmutendes und ergänzt die günstige Vorstellung, die sein öffent-
liches Auftreten erweckt liat, in der erhebendsten Weise. Wer
sich aber in den intimsten Beziehungen des Lebens, in der Familie,
so gewissenhaft und edel erweist, von dem läßt sich eine gleicli
vornehme Haltung auch in den übrigen Verhältnissen des vielge-
staltigen Lebens erwarten. Damit kommen wir zur Darstellung
von Lasaulx' Charakter.
') Brief an seine Frau vom 22. April 1859. - ») vgl. Kap. 9, p. 179.
13. Kapitel.
Lasaulx' Charakter.
Motto: „Integer vitae scelerisque puras/
Horaz.
Lasaulx war Politiker und Gelehrter. Von der Politik sagt
man, sie verderbe den (Iharakter, — und Wissenschaft schfltzt
nicht gegen Niedrigkeit der Gesinnung; muß doch die Gelehrten-
gesell iehte nicht wenige Zierden der Wissenschaft als minder-
wertige Charaktere bezeichnen. Bei Lasaulx trifft weder das
eine noch das andere zu. Er hat im politischen Getriebe und
mitten in den Intriguen und Kämpfen des akademischen Lebens
seinen Charakter rein bewahrt und zwar einen in jeder Hinsicht
vornehmen Charakter. Lasaulx sah im Charakter eines Men-
schen den Kern desselben. Wie hoch er die Bedeutung des
Cliarakters för das menschliche Leben wertete, das hat er bei
feierlicher Gelegenheit als Rektor der Universität München
Öffentlich ausgesprochen :
„Nicht bloß eine einzige Kraft im Menschen, der erkennende
Verstand, sondern der ganze höhere Mensch d. i. vorzugsweise der
leligiös-siltliche Charakter des Menschen soll durch Lehre und Kunst
iinsgebildet, gereinigt und gestärkt werden: denn dieser, der Granit
des Charakters ist es, der entscheidet in allen großen Momenten
des männlichen Lebens, in welchem es überall viel mehr darauf an-
kommt, was einer ist als was er weiß.** *)
Diesen Granit des Charakters, diesen festen männlichen
Charakter hat Lasaulx in allen Lagen seines Lebens mit Be-
wußtsein festgehalten. Als die hervorstechendsten Eigenschaften
dieses Charakters dürfen wir bezeichnen seine Selbstlosigkeit und
seinen Freimut, seine Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit, seine
Arbeitsamkeit und Ausdauer, seine Gewissenhaftigkeit und Ge-
^) Zur Feier des Stiftungstages der Kgl. Ludwig Max.-Ünivcrsität zu
Mönchen am 26. Juni 1857, p. 5.
Stölzle: ^rnst von LaRaulx. 16
242 13. Lasaulx' Charakter.
rechtigkeit, seine Wahrheitsliebe und Offenheit, seinen Ernst un
seine Liebenswürdigkeit, seine nationale Gesinnung — Eigei
Schäften, mit denen sich Festigkeit und Entschiedenheit, Grün
lichkeit und Akribie, Sittlichkeit und Rechtsgeffihl, Toleranz un
Redlichkeit, Ergebung und Geduld verbinden wie die Schlu
Sätze mit den Prämissen. Der Charakter eines Menschen ist h^
dingt einerseits durch seine ganze Naturanlage, sein Tempers.
ment, das Erbteil seiner Eltern und Vorfahren, anderseits dur
die Erziehung und die eigene Mitarbeit. Je wilder, je stürnir
scher, je reicher die Naturanlage ist, je stärker die verschied
nen Triebe im Menschen sind, desto schwM'eriger ist die Hera
arbeitung eines harmonischen Charakters. Lasaulx hatte
dieser Hinsicht nach eigenen Geständnissen, wie wir sie aus s
nen Briefen kennen, mit einem stürmischen, übermütigen Natur
zu ringen, das ihn oft über die rechte Mitte hinausriß und i
schwere Stunden und schwere Schicksale bereitete. ^) Er schre
von sich:
„Von Jugend auf waren zwei Geister in mir, und der böse r«=^-ts
immer mächtiger, da icli ihm folgte; hätte nicht guter Menschen CZIl--^=fe
bet mich im Leben gehalten, so wäre ich längst, wo niemand m *— -J — "^^
erhört wird." ^)
Und in einem Briefe an seine Tochter aus dem Jahre 1^
klagt er über seine wilde Natur. Er ist grüblerisch und eiv^^
pessimistisch angelegt, zur Schwermut geneigt, verschlossen,
ja die Briefe aus der Wanderzeit vielfach erkennen lassen,
dieser Wildheit der Natur verbindet sich aber auch eine gewi^
Ursprünglichkeit und Kraft. Eine solche Naturanlage wird,
nachdem sie eine Richtung bekommt, die Quelle großer Feh
oder die Quelle großer Vorzüge. Bei Lasaulx ist sie duiT
Einwirkung anderer und durch Selbsterziehung eine Quelle h
vorragender Charaktereigenschaften geworden. Aber er hat au
die Fehler seiner Tugenden.
In seinem stürmischen Naturell, das gerade auf die Sac^ ^ ^^
losgeht und nicht an sich und seinen Vorteil oder Nachteil deft Ä*^*»
wurzelt zunächst seine Selbstlosigkeit. Lasaulx war n^^^"
eigenem Geständnis nicht ftlhig, persönliche Angelegenheiten ^^w
betreiben.^) Er war daher vor allem kein Streber, der sei^^^
Oberzeugung dem persönlichen Vorteil zuliebe zurückgestellt od^^
') vgl. Brief vom 3. Januar 1832; vgl. Kap. 3, p. 44. — «) Brief i»»
die Kitern 1836. — ^) Brief an Görrcs vom 27. Febr. 38; s. Kap. 3, p. 5 7.
13. Lasaulx Charakter. 243
gar geopfert hätte. Er suchte in seinem ganzen Leben nichts
für sich. Huber sagt von ihm: „Von einer seltenen persön-
lichen Uneigennutzigkeit opferte er sich ganz den Prinzipien, die
er vertrat.** ^) Einfach und sparsam und mäßig blieb er sein
Leben lang, wie es auch seinen bescheidenen Verhältnissen ent-
sprach. 2) Nur für Bücher gestattete er sich Ausgaben und
brachte ca. 2500 Bände, darunter 60 Folianten, zusammen. ^)
Mit dieser heute immer seltener werdenden Selbstlosigkeit
hängt sein unbestechlicher Freimut und seine freiheitliche
Gesinnung zusammen. Hilty bemerkt einmal: „Den größten
Gelehrten aller Zeiten hat mitunter gerade das gefehlt, was vor-
zugsweise den Mann ausmacht. Das ist am sichtbarsten im
Staatsleben, wo sie sehr oft Anbeter der Macht, statt, wie es
sich schickt, Vertreter der Freiheit sind.** ^) Diesen Vorwurf
kann man Lasaulx wahrlich nicht machen. Da er nichts für
sich suchte, hielt ihn nichts ab, mit seiner Überzeugung und der
Wahrheit zurückzuhalten. Er ließ sich nicht imponieren, weder
von den Hohen dieser Erde noch von der Menge, weder von
Macht noch von Reichtum, Stellung und Ansehen, sondern ohne
alle Menschenfurcht sprach er, wie er dachte, und was ihm wahr
und gerecht schien. Dieser Gesinnung gab schon sein Wahl-
spruch Ausdruck: „Gehe aufrecht durch das Leben, tue
recht und scheue niemand.** Es war das eine Art Lieb-
haberei in der Familie Lasaulx'. Amalie v. Lasaulx sagte
einmal: „Einem ehrlich die V^ahrheit sagen, ist gerade eine so
kuriose Liebhaberei der Lasaul xkinder, vielleicht die einzige
gute Eigenschaft, die sie haben.** ^) Diesen Freimut bewies er
schon als Student in München, wie oben erzclhlt, diesen Freimut
zeigt er in seiner Schrift über die Kölner V^irren. Dieser Frei-
mut läßt ihn dem großen König Ludwig I. in Brückenau unan-
genehme Wahrheiten sagen. ^) Diesem Freimut opferte er seine
Stellung im Jahre 1847, mit diesem Freimut trat er der Natio-
nalversammlung in Frankfurt und der Regierung und seinen Geg-
nern in der bayerischen Abgeordnetenkammer entgegen, diesen
») „Allgemeine Zeitung" 1861, Nr. 139, p 2266. - ') Sten. Ber. der
Wyer. K. Verh. (1849—50), Bd. VI, 72. — '-"j Brief an seine Frau 22. April
1859. Diese Bibliothek erwarb nach Lasaulx Tode Lord Acten, ein
Schaler und Verehrer Lasaulx. - *) Hilfcy: Das Glück, 1. Teil, 19. Tau-
send 1895, p. 163 Anm. — ") Erinnerungen an Amalie v. Lasaulx v. Hoi-
ningen-Huene 4. Aufl., 1891, p. 172. — ^) Brief an seinen Vater vom 9.
Dezember 1841.
IG* '
244 13. Lasaulx' Charakter.
Freiniut betätigte er in seinen Urteilen der Königin von Grie-
chenland gegentiber, mit diesem Freimut erwiderte er, als Rek-
tor in einer Audienz empfangen, dem vormaligen großen König
Ludwig I. Als dieser von Lasaulx über die Entlassung des
früheren Würzburger Professors und nunmehrigen Staatsministers
von der Pfordten aufgeklärt, bemerkte, er sei falsch berichtet
worden, und beifügte: „Königen sollte man immer die Wahrheit
sagen," erwiderte Lasaulx: „Gewiß, Majestät, Königen sollte man
immer die Wahrheit sagen. Man tut es wohl auch, aber sie hören
sie nicht immer gerne." ^) Diesen Freimut bewies er auch im histo-
rischen Urteile über Könige. Obwohl durchaus monarchisch gesinnt,
fordert er freie Kritik gegenüber den Handlungen der Könige, wenn
sie der Geschichte angehören. Als Lasaulx den hannoverschen
Verfassungsbruch berührte, sagte er in der bayerischen Kammer:
„Wenn die Könige gestorben sind, so gehören ihre Handlungen,
ihre Fehler und ihre Tugenden der Geschichte an, und es kann jeder
darüber urteilen, wie er will. Die heidnischen Ägypter hatten die
Gewohnheit, nach dem Tode ihrer Könige ein förmliches strenges
Totengericht über sie zu halten. Ich glaube nicht, daß wir uns von
ihnen w^erden beschämen lassen und in einem christlichen Staate an-
dere Grundsätze w^erden geltend machen, als die damals bestanden
haben." *)
Diesen Freimut zeigt er durch die GeringschätzAmg, die ev
allem Pöbel und der sog. öffentlichen Meinung gegenüber offeii
an den Tag legte. ^) Darum sagt ihm Hamann so zu vvegeii
seiner gründlichen Verachtung Niemand des Kundbaren, und weil
er sein Leben lang die Philister geärgert habe. ^)
Gewiß hat Lasaulx mit seinem rücksichtslosen Freimut
manchen verletzt, manchem weil getan durch Schroffheit unil
Hohn, wozu ihn sein stürmisches Naturell in der Debatte fort-
riß. ^) Auch hielt er nicht immer die richtige Mitte im Kampfe
ein. Ja, er hatte sogar Lust am Kampf und freute sich naclv
einer Mitteilung von Stülz, wenn ihn jemand recht grob anließ^
weil er darin die empfangene Bestätigung für erhaltene Schlägen
sah. ^') Aber Lasaulx' Freimut entspringt nicht etwa bloßem
Übermut und dem Gefühl geistiger Überlegenheit, sein Freimut
') Erinnerungen des Job. Nep. Ringseis Bd. IV (1891), 128; vgl-
auch Bernhard v. Meyer: Erlebnisse Bd. I (1875), p. 307, wo als Anlaß
der Audienz eine Dankvisite bei Max II. für die Wiederanstellung bezeichnet
wird, die Lasaulx infolge eines Irrtums zu König Ludwig I. statt zu
Max II. geführt habe. — -) Sten. Ber. (1856), I, 386. — ) ibid. (1849), II,
290. ~ ') Brief an Görres vom 24. Dezember 1831; vgl. Kap. 8, p. 43. -
^) Holland: Erinnerpngen p. IG. — **) Pailler: Jodokus Stülz p. 137.
13. Lasaulx' Charakter. 245
gilt — das gibt ihm erst die sittliche Weihe — dem Schutze
des Rechtes und der Verteidigung der Wahrheit. Noch weniger
entsprang sein Freimut etwa der Bosheit; im Gegenteil, wenn
jemand, so huldigte Lasaulx dem Grundsatz Mark Aureis:
Sei immer irgendwie den Menschen dienstbar und laß diese be-
ständige Generosität dein einziges Vergnügen sein.
Lasaulx war wohlwollend gegen jedermann, auch seine
Gegner, und jederzeit hilfsbereit. Huber sagt von ihm:
„Wenn er persönlich mit seinen wissenschaftlichen oder politi-
schen Gegnern verkehrte, dann zeigte er sich als ein freund-
liches wohlwollendes Gemüt, das überall, wo es nur konnte, zu
erfreuen und zu helfen eilte.** ^) Er bittet Döllinger, Günther
ein £hrendiplom zu schicken, was ihn die mancherlei offiziellen
Kränkungen in Wien werde vergessen lassen, ^) er empfiehlt Gün-
ther nach Bonn.^) Besonders nimmt er sich der Angegriffe-
nen an. Er tritt für einen Kollegen ein, weil er es für seine
Pflicht hielt, die Rechte eines abwesenden Kollegen zu wahren. ^)
Als die Göttin ger Sieben ihre Stellen verloren hatten, bittet er
seinen Vater, wenn es in Koblenz zu einer Subskription kom-
men sollte, für ihn 50 fl zu unterzeichnen, welche er alljährlich
von seinen Honorarien hergeben will, solange er selbst derglei-
chen einnehme.^) Ja, er ruft die Vermittlung von Görres an,
der beim König Ludwig etwas für die Gebrüder Grimm tun
solle, und schreibt am 3, Dez. 1839 von Würzburg an Görres:
^Sollte es denn garnicht möglich sein, unserm König den Ge-
danken nahe zu bringen, daß Deutschland allerdings berechtigt wäre,
von ihm zu erwarten, daß er die beiden Brüder Grimm nach Bayern
rufe und dem ehr- und pflichtvergessenen ...*) in Hannover nicht
die Macht lasse, die besten Männer deutscher Sinnesart und Wissen-
schaft mit Erfolg vertrieben zu haben? Es stünde Ihnen wohl an,
dafür etwas zu tun und der Welt zu zeigen, daß Sie unbeschadet
Ihres Kathohzismus noch Ihr altes deutsches Mannesherz in sich tra-
gen und keineswegs dem Geschwätz beistimmen, welches invalide und
imbezille Legitimisten über die hannoversche Sache ausgießen."
Lasaulx ließ diesen Bemühungen um Grimm auch die
Tat folgen, indem er, wie oben erwähnt,^) 1840 in der phil.
Fakultät Würzburg den Antrag stellte, eine eigene Professur
zu gründen und hiefür Jakob Grimm zu berufen.
^) .Allgemeine Zeitung«* 1861, Beilage Nr. 139, p. 2266. - '') s. Kap.
3, p. 31. - '^ ibid. p. 32. — *) Dekanatsakten der phil. Fakultät, Würz-
burg, 12. Nov. 1838. — ^) Brief an den Vater vom 24. Dez. 1837. — «) Nicht
wiederzugeben. — ^) vgl. Kap, 4, p. 92.
246 18. Lasaulx' Charakter.
Und als sein aller Freund Günther besonders zalilreicli
Angriffe zu erfahren hatte, bewirkt Lasaulx seine Aufnahme i
die Münchener Akademie der WissenscJiaften und motiviert di(
sen Schritt in einem Briefe an Günther mit den schönen Wo
ten ISoS:
,Von pjinzipiellt'H Gegnern hämisch angegriffen zu werdi
(hiniuf muß jeder selhsläiidige Charakter in dieser Zeit der Lar
bubokratie gefaßt und kugelfest sein: von prinzipiellen Freunden ah
d. h. von solchen angefeindet zu werden, welche dieselhe Sache geg
denselben Feind verteidigen, ist schmerzlicher: und gerade darum ha
ich geglaubt, es könne Dir vielleicht jenen Bitterkeiten gegenni _
wohltuend sein zu bemerken, daß auch noch andere Freunde da sitz_
deren Freundschaft auf einem festeren Fundament ruht, als daß
durch eine abweichende Ansicht über dieses und jenes erschütL
werden könnte." ^)
Wie Lasaulx hier einem Freunde trotz mehrfach ab\w^ ^/.
chender Anschauungen — gleichzeitig ein schöner Beweis seijK 3». er
Weitherzigkeit und Toleranz — zu Hilfe kam, so natürlich nm:^^ ^h
mehr seinen Gesinnungsgenossen, wenn sie angegriffen wurA ^i^/j.
Das bewies er besonders, als er für Ringseis gegen eim^ «u
bösartigen Angriff Fallmerayers in der Akademie ganz eiiB^^r-
gisch eintrat. ^)
Odia doctorum pessima. Daher die liäufigen Intriguen ^ '"
akademischen Leben. Lasaulx bewies auch hier seinen E<^ ^"
mut, indem er solche Machenschaften zum Schaden anderer, ^'^ö
er konnte, lahmlegte, so z. B. als der Rektor Markus 1831> ^'*
Würzburg die Versetzung des außerordentlichen Professors Mtf^-^^^
nach Aschaffenburg veranlassen wollte.-^) Lasaulx war £il^=^*^
nicht, wie so mancher Universitätslehrer, ein Tntriguant. 0^'^^
die 6 Kinder seines verstorbenen Kollegen Müller überni«^*^^**
er 1842 in Würzburg die Vormundschaft. ^) Armen Schulanst^^
11-
n
e
ten schenkt er die ihm entbehrlich gewordenen Klassikern,
gaben. ^) Reisenden Bekannten gibt er Empfehlungsbriefe n^ "* *
Und wie viele Gänge mag er als Abgeordneter der bayerisel*
Kammer für andere gemacht haben, um die mannigfachen W
sehe und Bitten zu befriedigen! Als ein armes in weiblicti
Handarbeiten sehr geschicktes Mädchen eine Schule für ai*s^
Mädchen errichten wollte, und die Sache bei der Kreisregierii -**°
') Knoodt: Anton Günther Bd. II, 149. — ') Erinnerungen des J '^g
Nep. Ringseis Bd. III, 346-48 - '-') Brief an Görres am 9. März l^^J^J'
— *) Personalakt Lasaulx' an der Univcrsit«ät Wttrzhnrg. - ''j Ho II».
Erinnerungen an E. v. Lasaulx p. 37 Anm.
13. Lasaulx Charakter. 247
»verschleppt wurde, vermittelte Lasaulx dem Mädchen Unter-
stötzung und Erreichung ihres Zieles. ^) Ja, auch Gegner schloß
ß^ von dieser Hilfsbereitschaft nicht aus. „Wie oft, bemerkt
■H nber, hat er nicht durch diesen Charakterzug seinen gehässig-
sten Feinden glühende Kohlen aufs Haupt gestreut!** -) La-
saulx hat den Spruch des arabischen Dichters: „Die Tage sind
lätter im Buche des Lebens — darum schreibe nichts hin-
n als gute Taten und reines Streben** für seine Person wahr
eemacht.
Wie es Lasaulx aber eine Freude war, andern wohlzu-
*^^ö, so war es ihm auch Bedürfnis, für empfangene Wohltaten
Mildern dankbar zu sein. In der Dankbarkeit kam gleichzeitig eine
Seiner edelsten Eigenschaften zum Ausdruck, die Treue. Die
-"Gste aller menschlichen Eigenschaften ist nach einem schönen
^^orte von Hilty die Treue. ^) Lasaulx besaß sie und bekun-
dete sie durch Dankbarkeit. Er übte die Dankbarkeit gegen
Seine Eltern, gegen seine Lehrer am Gymnasium und an der
'-'uiversität, denen er in seiner Lebensbeschreii)ung ein pietät-
volles Denkmal gesetzt hat, ^) er übte sie gegen seine Freunde.
^^ schreibt er am 16. Mai 1835 an seine Mutter:
„Liebe und Dankbarkeit gegen Euch und alle die guten Men-
*'*^-'itin, die an mir und meinem Lebensglück Anteil genommen, ist
^*i:iem Herzen ein Bedürfnis, das ich nicht entbehren kann."
Er übte diese Dankbarkeit auch gegen seinen Onkel Gör-
^^» Dem sterbenden Gör res las er aus dem Korintherbrief
- ^ 5) mjj (je,j Toten hätte er durch eine Gedächtnisrede in der
. ^^demie geehrt, — wenn es nicht die Intoleranz des Präsiden-
^*^ Thiersch verhindert hätte. **) Er übte diese Dankbarkeit
.^ •^ ganzes Leben gegen seinen Wohltäter Letellier, indem er
^*^^ zwei Schriften widmete, seine Doktordissertation und seine
^^^^^dien, er übte sie gegenüber Günther, wie oben erwähnt.
^^^^ Bunsen gegenüber überwog die Entrüstung über dessen
»^^V^eizüngigkeit und Niedertracht das Gefühl des Dankes, den er
^U^^ schuldete. ^)
-^ Eine so kraftvolle Natur, wie sie schon die eben geschil-
^irten Betätigungen verraten, war natürlich nicht beschaulich,
^^Hdern rastlos tätig. Darum, weil Lasaulx Tätigkeit und
^ *) Sten. ßer. d. bayer. K. (55-56), IV, 209. — -) , Allgemeine Zeitung"
J;^61, Beilage Nr. 139, p. 2266. - '') Hilty: Für schlaflose Nächte p. 79. -
^i vgl. „Studien" p. 495—96. — ") Sepp: Joseph Görres 1869, p. 535. —
) ibirf. p. 565. - ') vgl. Kap. 5, p. 112—13.
248 13. Lasaulx' Charakter.
Arbeit Bedürfnis war, konnte er sich auch nicht entschließe
ins Kloster zu gehen, wie er einige Zeit vorhatte. ^) La sau X:
wollte der Zeit und der Gesellschaft dienen und hat diesen V( m? ^\
satz auch energisch durchgeführt. Mit welcher Ausdauer u w^^
Konsequenz verfolgte er schon in jungen Jahren das Ziel eiiEi — k ^
Fahrt ins heilige Land ! Er schreibt seinem Vater, es sei n n -^ l
seine Natur, auf halbem Wege stehen zu bleiben oder gar u :m\
zukehren. 2) Wie viel Zeit und Studium wendete er den gro^^^K. <
Philosophen und Klassikern aller Zeiten zu! Und all diese 1 m.}
Mühe und Ausdauer erworbenen Kenntnisse, diese umfasset ■ <J
Belesenheit behielt er nicht als toten Besitz für sich, sond«
stellte sie in den Dienst der Gesellschaft und diente ihr un
müdlich als Lehrer durch zahlreiche und viel besuchte Vorles
gen, ^) diente ihr durch viele tiefsinnige und klassisch schi
Schriften, *) diente ihr als Parlamentarier in Frankfurt und M
chen durch ideenreiche packende Reden und eifrige Mitarbeite
den Ausschüssen.^) Die Arbeit war Lasaulx Bedürfnis,
obgleich er über keine feste Gesundheit verfügte, hat er der
ben ein voll gerütteltes Maß von Arbeit abzuringen gewi
Man konnte am Ende seines zu früh vollendeten Lebens
Recht von ihm sagen: Er hat sein Pfund nicht vergraben,
dern zum Nutzen der Menschheit damit gewuchert.
Die Ausdauer und Konsequenz, welche Lasaulx in se£^*^^
Arbeit bewies, zeigte sich in einer unerschütterlichen Festiglc: ^^^
und Entschiedenheit der einmal gewonnenen Überzeugim i*^'
Das gilt von ihm auf religiösem, philosophischem und politische- ^"^
Gebiete. Er hatte nicht bloß Meinungen, sondern eine f^^^^^
Überzeugung, er handelte nicht bloß nach Zwecken, sond ^^^"
nach Grundsätzen. ^')
Wir haben oben Lasaulx eine Grttblernatur genannt,
diesem grüblerischen Zug wurzelt eine andere, Lasaulx h
ehrende Eigentümlichkeit seines Charakters, nämlich seine
wissenhaftigkeit. Versteht man darunter die Geistes-
Willensrichtung, welche jedes, auch das geringste Unrecht h-
und meidet und überall bemüht ist, nur das zu tun, was
vor Gott und Menschen rechtfertigen läßt, so besaß Lasa
diese schöne und seltene Eigenschaft in hohem Maße und da^ ^
*) vgl. Kap. 3, p. 79. — -) Brief vom 14. Juni 1832; vgl. Kap^ - ^^^
p. 46. — •') vgl. Kap. 9, p 173. - ^) vgl. Anhang Nr. 3. — •') vgl. Ka — • ' '
und Kap. 10. — ') vgl. Holland: Erinnerungen p. 15—16.
13. Lasaulx' Charakter. 249
alle die Tugenden, welche im Gefolge der Gewissenhaftigkeit sieh
befinden.
Diese Gewissenhattigkeit äußert sich zunächst auf wissen-
schaftlichen Gebiete bei Lasaulx in der Ängstlichkeit, ob er
denn wohl auch seiner Stellung genüge, in der Gründlichkeit
seiner Studien, die ihn fast zu keinem Abschluß gelangen läßt, ^)
äußert sich in peinlicher Sorgfalt in der wissenschaftlichen
Arbeit. Er erklärte, es sei keinerlei Mühe zu scheuen, um
einer Arbeit die höchste Vollendung zu geben. Die Arbeit sei
^''st halb getan, wenn das Materiale gesammelt sei. ■^)
Diese Gewissenhaftigkeit erscheint ferner in einer pein-
lichen Genauigkeit im Zitieren. Lasaulx ging dabei „von
"©ni Grundsatze aus, daß man jedem, dem man einen guten Ge-
danken verdanke, auch die Ehre erweisen müsse, ihn zu nennen.
*^inde man, daß einer, und wenn auch nur einen halben Satz,
l^Örzer, prägnanter und richtiger gegeben habe, als man ihn
selbst vordem zu denken imstande gewesen, so müsse dem
-^^tor durch wörtliche Wiedergabe und Nennung des Namens
^^^ anerkennende Gerechtigkeit und Dankbarkeit widerfahren". ^)
Mit dieser Peinlichkeit im Zitieren hängt zusammen als
^^^itere Äußerung seiner Gewissenhaftigkeit seine strenge Ach-
^^tig vor fremdem geistigem Eigentum. Darum erklärt er
^•^tirüstet, als er einem Doktoranden Plagiat nachgewiesen hat:
„Ich kann für die Erteilung des Doktorales an einen Mensejien,
^•er die Fakultät so gröblich beleidigt hat, nicht mehr stimmen." *)
Diese Gewissenhaftigkeit gibt sich endlich kund in der Ge-
^'^chtigkeit seiner wissenschaftlichen Urteile über an-
^^ve, so wenn er über Görres oder über Günther urteilt.
'^her den ersteren schrieb er am 16. August 1858 an seine
^i^au:
„Mit großem Interesse habe ich den Briei'wechsel von (jlürres
durchgelesen; die besten [Briefe] sind die an seine Braut, in denen
^i* sein Inneres rückhaltloser ausspricht als je sonst in allem, was er
Beschrieben hat; wie denn überhaupt seine Jugend bis zum 45. Le-
■^©nsjahre die erfreulichste und wohltuendste Periode seines Lebens
gewesen ist. In den späteren Sachen ist viel Gemachtes, nichts Ge-
wachsenes; wenn er zeitlebens ein außerordentliches Talent hatte, sich
Illusionen zu machen, so waren doch die seiner Jugend die schönsten,
— • deren Grundidee er nie hätte aufgeben sollen."
»; Brief vom 14. Juni 1832; vgl. Kap. 3, p. 40; Brief vom 21. April
1834; vgl. Kap. 3, p. 80. — *-) Holland: Erinnerungen p. 25. - •') ibid.
P- 20-21. - *) Dekanatsakten der phil. Fakultät Würzburg, 24 Mai 1839.
250 13. Lasanlx' Charakter.
Und als er Günther^) 1852 am 12. Juni zur Aufnahme
in die Akademie vorschlug, obwohl er seine Grundanschauungen
nicht teilte, begründete er diesen Vorschlag durch ein zutrefiPeii-
des Urteil über Günther, das man unterschreiben kann, auch
wenn man Günthers Ansichten nicht teilt, wie das bei La-
saulx der Fall war. Lasaulx schrieb, Günthers Versuch,
Christentum und Philosophie zu versöhnen, charakterisierend:
^Alle diese Werke haben die Absicht, auf dem Wege dialekti-
scher Begriffsentwicklung und unterstützt durch eine reiche Fülle ech-
ten Humors, eine Versöhnung des philosophischen Wissens mit dem
religiösen Glauben, der Philosophie mit dem Christentum herbeizu-
führen, wie für dessen Erreichung seit Lessing und Hamann die
ersten Denker Deutschlands die besten Kräfte ihres Lebens einge-
setzt haben. Wenn ein Mann, der mit Hintansetzung aller übrigen
Güter des Lebens 09 Jahre alt geworden ist in der praktischen Be-
tätigung der Maxime: „Vitam impendere vero (sein Leben der Wahr-
heit widmen)", und dem es in ausdauernder Arbeit des Geistes ge-
lungen ist, eine der ehrenvollsten Stellen unter den selbständigen Den-
kern seines Vaterlandes einzunehmen, Anspruch darauf hat, einer Kor-
poration anzugehören, deren Wahlspruch ist: ,,Rerum cognoscere cau-
sas (die Gründe der Dinge erkennen)", so möchte Anton Günther
der Mitgliedschaft unserer Akademie ebenso würdig sein, als er sei-
nerseits eine Zierde derselben bilden würde." München, 12. Juni
LSr/i. 3)
Dieselbe Gewissenhaftigkeit wie in der Wissenschaft betä-
tigt Lasaulx auch im Leben. Hier erscheint sie zunächst als
Genauigkeit in Geldsachen. Lasaulx machte nach eigenem
Geständnis nie Schulden, gab nie mehr aus, als er hatte, kaufte
auch nie etwas Größeres, was er nicht augenblicklich bezahlen
konnte. ^)
Diese Gewissenhaftigkeit äußert sich dann bei ihm in ma-
kelloser Sittlichkeit. Er hat die Sittlichkeit nicht bloß in
schönen Worten gepriesen, er hat sie auch pflichtmäßig geübt
und in unerschütterter Treue gegen seine Julie betätigt.
Zu diesen Vorzügen gesellt sich als weitere Folge seiner
Gewissenhaftigkeit ein stark ausgebildetes Gefühl für Recht und
Gerechtigkeit. Lasaulx gehört nicht zu jenen selbstsüchtigen
Naturen, die das Unrecht erst dann als Unrecht empfinden, wenn
es ihnen angetan wird, sonst aber unempfindlich sind für das
Unrecht, das an andern verübt wird. So niedrig war Lasaulx
^) 1852 begannen die Angriife auf Günther und die Untersuchung in
Rom, 1857 erfolgte die Zensurierung und Unterwerfung Günthers, der 1863
starb. — ^) Enoodt: Anton Günther II, 150. — ^ Sten. Ber. der bayer.
Kammer (55-56), I, 523.
1
13. Lasaulx' Charakter. 251
nicht gesinnt. Er nannte das Unrecht ein Unrecht, wem es
auch immer begegnen und von wem es auch verübt sein mochte,
und äußerte seinen Unwillen darüber mit rücksichtsloser Leb-
haftigkeit. Er ist entrüstet über den Verfassungsbruch in Han-
nover, über die Gewalttat an dem Kölner Erzbischof und gab
dem Zorn über die Rechtsverletzung energischen Ausdruck. Voll
Ärger, den jeder, welcher kein Vieh und kein Heiliger sei, der-
malen schlucken müsse, schreibt er am 24. Dez. 1837 an seinen
Vater :
^Da Ihr mich kennt, so werdet ihr es niclit mißverstehen, wenn
ich Eucli sage, daß meine natürliche Stimmung fortwährend voll
Piaehe und Haß gegen alle . . . ^) ist, mögen diese nun in Berlin oder
in Hannover oder in Koburg sitzen. . . . ^) Das gleichzeitige Zu-
sammentreffen so vieler schlechten und dummen Streiche ist wie ein
Verhängnis, und es würde mich nicht wundem, wenn es bald zu einer
allgemeinen Katastrophe käme."
Aus diesem feinen Rechtsgefühl heraus erklärt sich sein
Auftreten in der Münchener Affaire, ^) erklärt sich seine Ent-
rüstung über den Verfassungsbruch in Kurhes«en und wieder
in Hannover,'^) seine Entrüstung über Napoleons Angriff auf
Österreich,^) seine Entrüstung über Preußens unpatriotische
Haltung Österreich gegenüber.^) Dieses Rechtsgefühl diktiert
ihm die Verurteilung der in der Mün ebener Akademie der Wis-
senschaften eingerissenen Mißbräuche. Er schreibt am 29. Juni
1850 an seine Frau:
,,Da die Vorstände und Wortführer der Akademie Tliierscli,
Martins und andere dieselbe seit Jahren vorzugsweise als eine Melk-
kuh behandelt und zu mancherlei Beutelschneidereien ausgebeutet
haben, so ist die ganze Anstalt, deren Leistungen ohnehin in keinem
Verhältnis zu ihren Kosten stehen, in eine nicht unverdiente Mißacli-
tung gekommen."
Dieses feine Rechtsgefühl läßt ihn auch die Willkür in
Anstellungen ohne Rücksicht auf Würdigkeit verurteilen.
Als ihn sein Freund Henner, der spätere Würzburger Regie-
rungsrat, um Fürbitte bezüglich Anstellung ersuchte, schrieb er
ihm, die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen meldend, am 24.
Febr. 1845 von München:
pDu weißt, welche Liebhaberei hier für das Byzantinische herrscht,
wonach alle Anstellungen Gnadensache sind und sacrilegii instar
dubitare, an is dignus sit, quem princeps elegerit?*'
*) nicht wiederzugeben . — -) nicht wiederzugeben. — •') vgl. Kap. 7.
*) 8. Kap. 10, p. 188. - *) ibid. p. 185. — «) ibid. p. 185.
\
% . '•
252 .13. Lasaul x' Charakter.
Dieses RechtsgefOhl macht ihn zu einem beliebten Pr
fungskommissär an den Gymnasien, dieses Rechtsgeföhl lä&t i
die Kasuistik verurteilen, die alle Sittlichkeit und Reehtlichk
zu Grunde richte. ^)
Weil Lasaul X gerecht war, war er auch tolerant,
wohl entschiedener Katholik und tief religiös, war er kein
wegs engherzig und exklusiv gegenüber anderartiger religiös
philosophischer oder politischer Überzeugung. Zwar erkannte 1
saulx wohl das Schädliche und Verderbliche irriger Weltanschj
ungen, aber er sah richtig das Heilmittel gegen solche Irrun|
nur in der Freiheit. Der Speer, der die Wunde geschlag
heile sie auch, dieser Überzeugung hatte er in Frankfurt und
der tjayerischen Kammer wiederholt Ausdruck gegeben,
dieser vornehmen Denkweise und aus der Einsicht, daß in ^^5" li-
stigen Dingen kein Zwang möglich und wirksam sei, erwu ^cz^rlis
seine Toleranz. Aus dieser Gesinnung heraus versteht man ^s,
daß er dem Atheisten 2) Prantl, dem die Abhaltung philosop 'Mi'mi-
scher Vorlesungen verboten, 1857 wieder gestattet, die Beiff'^Or-
derung zum Ordinarius aber abgeschlagen worden war, als K_^^k-
tor der Universität ein Wohlverhaltenszeugnis ausstellte, ^) >^^^ i*s
dieser toleranten Gesinnung erfloß sein Urteil über den P :«^ ^'
testantismus. Er erklärte in der bayerischen Abgeordne'fc^^""
kammer :
,Ein riclitiges Urleil über die Reformation zu fällen, ist ge^^-^^'
wärtig noch nicht möglich; wir stehen jenem Ereignisse noch zu nsi-l ^^'
sind noch allzusehr mit unseren Sympathien und Antipathien in c3 ^^'
selbe verflochten, als daß wir die volle geschichtliche Bedeutung d^^'
selben klar erkennen und objektiv beurteilen könnten. Einer mei^^^^
Freunde hat mir einst gesagt: Wenn er einen Wunsch an die Gc>*'*f'
zu richten hätte, so wäre es der, daß die Reformation entweder ai^^^"^
in Deutschland ausgebrochen oder vollständig wäre durchgeführt w^^^^'
den, damit durch sie die nationelle Einheit unseres Volkes nicht y^^^^\
zerrissen worden. Aber, meine Herren, die Gedanken Gottes ^'^^^
nicht die Gedanken der Menschen, und wir sind nicht berech "t * ^ '
solche Wünsche zu hegen. Wenn wir uns umsehen in den übri^^fj
Ländern Europas, wo die Reformation nicht ausgebrochen, 11 1^_^^ .^
durchgeführt wurde, steht es dort besser, als in unserem VaterlarE^^^^J^*
auch nur auf dem Gebiete des kirchlichen Lebens besser? Ich glai-^^^^^^'
niemand wird das behaupten, der Gelegenheit hatte, die inneren -^^"'
stände der romanischen Länder kennen zu lernen. Die Reforma.*- '^^^
') Sten. Ber. der bayer. Kammerverh. (1849—50), Bd. 11, 456^ "^^
^) Christ: Gedächtnisrede auf Prantl. München 1889, p. 28 bestreitet ^^q.
Unrecht, daß Prantl Atheist gewesen. - ^) Christ: a. a 0. p. 12 -^ '
über Prantl vgl. aurh Sepp: Ludwig Augustus 1903, p. 870, Anm. ^ '
13. Laaaulx' Charakter.
253
hat in Deutschland einen 30jährigen Bruderkrieg hervorgerufen, der
unser Vaterland in furchtbarer Weise verwüstet hat, ja, sie hat die
nationale Kraft des deutschen Volkes vielleicht für immer gebrochen,
aber sie haC geendigt mit einem Religionsfrieden, der nicht mehr ge-
brochen werden darf.*" *)
Ja, Lasaul X ist hellsichtig und tolerant genug, auf das
Einigende der christlichen Konfessionen zu sehen und dieselben
zum Kampf gegen den gemeinsamen Feind, den Unglauben »
aufzufordern.
„Alle aufrichtigen Christen aller christlichen Konfessionen wür-
den heute wohl daran tun, die Momente der Eintracht, die sie ver-
bindet, in den Vordergrund treten zu lassen, nicht aber jene Zwie-
tracht; sie würden wohl daran tun, statt sich selbst gegenseitig zu
sch\vächen, sich lieber gegen den gemeinsamen Feind zu verbinden,
Kegen die antichristliche, ja antireligiöse Partei überhaupt." *)
Leider ist diese sehr zeitgemäße Mahnung bis heute, wie-
wohl seitdem unzählige Male wiederholt, noch immer ungehört
verhallt.
Aus Las au Ix' Gewissenhaftigkeit entspringt ferner seine
Wahrheitsliebe und Offenheit. Lasaulx war ein Feind
aller Lüge und alles Betrugs. Er pflegte zu sagen, Ruhm und
Freiheit seien hoch, das Vaterland höher, Wahrheit am höch-
sten zu schätzen. ^)
Damit hängt zusammen seine Aufrichtigkeit und Red-
lichkeit und Geradheit. Er haMe alles Scheinwesen und sagte,
man solle weder im größten Buch noch im kleinsten Wort mehr
scheinen als man ist. ^) Eine Schwierigkeit zu umgehen, statt
sie zu lösen oder zu zerhauen ist seinem Charakter zuwider. ^)
Selbst offen und gerade, liebt er die Menschen, die mit ihrer
Überzeugung kategorisch hervortreten, ^) er liebt es nicht, irgend
etwas zu vertuschen. ^) Diese wohltuende Offenheit hatte La-
saulx schon in seinen Briefen an Alten stein an den Tag ge-
legt. Feigherzigkeit oder Zweizüngigkeit war seiner geraden,
redlichen Seele durchaus fremd.
Lasaulx war eine zu Ernst und Schwermut geneigte Na-
tur. Solche Naturen sehen nicht bloß die Lichtseiten, sondern
müssen zugleich immer an die Schattenseite der Dinge denken.
>4
■ --^
'^.
' ' (•■;
') Verh. d. K. d. Abg. d. bayer. Landtages 1856; Sten. Ber. Bd. II,
p. 178. — Verh. d. K. d. Abg. d. bayer. Landtages 1856; Sten. Ber. Bd.
' - *) ibid.
(5")— 56).
II, 191.
11, p. 179. — '') Holland: Erinnerungen an E. v. Lasaulx p. 25.
- i Sten. Ber. (55-56), 11, 191. -- «) ibid. (52), III, 619. - ^) ibid.
254 18. Lasaulx* Charakter.
Es stellt sich bei ihnen leicht eine pessimistische Stimmung ei
Sie haben ein tiefes Gemüt. Und dieses Gemüt ist, wie L^
sau Ix Günther ins Stammbuch schrieb, wirklich ihr Schicksj
So ist es auch bei Lasaulx. Sein Schwiegervater Baad^
charakterisierte Lasaulx treffend:
^Seiii Name ist für ihn zutreffend, denn es ward ein trag;isc]i^
Element ihm eingeboren, aber er bat die heidnische Tragödie in oi^Ki
christliche erhoben." *)
Dieser Ernst verläßt ihn auch auf Reisen nicht und pr P^^s:
sich darin aus, daß er mit Vorliebe die Friedhöfe aufsucht. '^)
Gleichwohl wurde Lasaulx, so sehr er geneigt war, c
Leben von der ernsten Seite aufzufassen, nicht Pessimist. _E
erklärte selbst, weder Pessimist noch Optimist zu sein, sond^a^^n
er wünscht, daß die Dinge in der Welt gemischt seien, ^ ej
grämt sich nicht über die Unvernunft in der Welt, er weiß, i M slü
in der Welt des geteilten Seins beides, Vernunft und Unvernu~^K:»ft,
nebeneinander liegen.^) Ja, so wenig ist Lasaulx Pessin^^ m s\,
daß er auch dem Unglück eine gute Seite abzugewinnen, des jgir^ ^"
läuternde Kraft und dessen Segen wohl zu würdigen weiß. H -— »•
saulx erklärte öffentlich:
,Es ist dem Menschen gut, wenn er zuweilen etwas gedrC-Ä-^^'^^
wird; seine Kraft, falls er überhaupt deren hat, wird dadurch kon^^'^'^*
triert. Die im Leben nie gedrückt wurden, schießen gern ins Kmc^^^^}^
und werden Wasserschößlinge; so ist es im menschlichen Leben ^^^'^t'
in der Natur überhaupt.'' ")
Diese Wahrnehmung illustriert Lasaulx durch seine ei.^^^'
nen Erfahrungen, durch den Hinweis auf seine Absetzung. -*^**
saate ebenfalls in öffentlicher Kammer:
.jlcli rechne es unter die glücklichen Fügungen meines Leb^:^^*^*
daß ein solches Schicksal mich betroffen liat, ich ha])e dabei innei'l *^"
gewonnen, und jeder, der (;in äußerhches Unglück erfährt, darf ^-^^'^
glücklich schätzen, denn er wird innerlich gestählt, was sonst ii ^ ^^"^
geschieht, wenn man immer auf dem gewöhnlichen Kuhweg des ^—t^'
])ens geht — zuweilen ein kleines Unglück schadet nicht, bitter -*'"
Mund, ist dem Herzen gesund." ^)
^D\e inneren und äußeren Erfahrungen meines Lebens wähf ^^"
der drittehalb Jahre meiner Absetzung sind derart gewesen, daß ^^
diese Maßregel, die mich damals allerdings sehr schmerzlich betro ^ ^ ^^^
') Erinnerungen des Job. Nep. Ringseis Bd. IV, 129—30; k^^'^^^
Baaders an seine Tochter vom 18. Januar 1839. — *■) Brief an seine ^ ??."
vom 15. Sept. 1853 von Neapel. ~ '') Sten. Ber. d. bayer. K. (51-52), ^J '
619. - *) ibid. (49-50), III, 510. ~ ^) ibid. 511. — «) Sten. Ber. (lÖ— ^*^'
1, 655.
13. Lasaiilx' Charakter. 255
^Ät, niemals in Wahrheit zu beklagen oder zu bereuen hatte. Den
*) ert dessen, was mir infoljfe derselben zuteil geworden, schlap:e ich
^-'gI höher an als die äußeren Nachteile, wt^lche ich bei dieser Clele-
A^^nheit erlitten habe." \)
So bewährte sich La.saulx auch im Uiighlck, im Leid, das
J^ in seinem Hause oft einkehrte. Nicht verzagt, sondern ge-
*Hßt, ergeben und geduldig fand es den ernsten Mann, der,
"i^rin ein Weiser, auch in den schweren Tagen des Leides die
^^mötsruhe nicht verlor.
Hilty sagt einmal: „Etw^as, was manchen sehr wackeren
^-•^viten spät oder aucli gar nie aufgeht, ist, daß man nicht bloß
*^^^v, sondern auch liebenswürdig sein muß." -) Auch die-
^^11 Voraug besaß Lasaulx. Zu der fast antiken Strenge seines
^^csens gesellte sich ein liebenswürdiges, bescheidenes, gütiges,
'^^undliclies, ritterliches, geselliges Wesen, das er gegen Hohe
^^üd Niedrige, gegen Freund und Feind im umtlichen und außer-
^*^:Ätlicheu Verkehr bewies, und das alle gefangen nahm, die in
^^inen Zauberkreis gerieten. Diese Eigenschaft der Liebenswür-
digkeit und Jlitterlichkeit rühmte ihm Freund und Feind, hoch
^•^d nieder nach. ^) Haß ließ er nach eigener Erklärung^) als
^t^as ihm Fremdes auf sich beruhen, — ein echter Christ. Diese
-■^Liebenswürdigkeit machte Lasaulx zu einer der populärsten
*^^rsönlichkeiten Münchens und der Umgebung von Lebenberg.
Lasaulx hatte aber auch ein warmes Herz für das große
^'^utsche Vaterland, er war ein durchaus patriotisch gesinn-
^^r Mann und hat diesem Patriotisnms öffentlich im Parlament
^^^iederholt und entschieden Ausdruck gegeben in Klagen über
^ie trostlose Lage Deutschlands, im Lob der Vorzüge Deutsch-
lands, ihn aber auch schon früh durch die Tat bewiesen. Weil
^T sein deutsches Vaterland liebte, darum wollte er weder in
^then noch in Belgien eine Stelle annehmen.
Das sind die Eigenschatten, welche Lasaulx' Charakter
^u einem wahrhaft vornehmen und edlen machen. So fanden
ihn auch andere Freunde wie Holland,^) Huber, ^) Hane-
iDerg, 7) Schubert,^) Stülz,-») Beda Weber, i«) Phillips, »i)
•) Sten. Bor. {lSt>9), I, 200-ül. — -) Hilty: Für schlaflose Nächte
^). 103. — '') Erinnerungen des Joh. Nep. Ringseis IV, 129. 131. — ') In
*[er Frankfurter Nationalversammlung ; Sten. Ber. II, 787; vgl. Kap. 8, p. 150.
— ") Erinnerungen an E. v. hasaulx. — .'') „Allg. Ztg." 1861, Beilage Nr.
139, p. 2266. — ') In seiner Leichenrede. — "*) Schubert: Der Erwerb aus
einem vergangenen und die Erwartungen von einem zukünftigen Leben ßd.
ITI, 2. Abtlg., 1856, p. 741. — ») Pailler: Stülz p. 119. - »«) Weber:
Charakterbilder p. 369. — *'j In Briefen.
256 13. Lasaulx' Charakter.
Ringseis, 1) und Gegner wie Bluntschli, •^) Dahn ^) und
Prantl.*) Bernard v. Meyer sagt von Lasaulx: „In meinem
ganzen Leben ist mir nie eine ausgeprägtere Persönlichkeit, ein
solcher männlicher Charakter zu Gesicht gekommen, wie ich ihn
an Lasaulx fand und Freund und Feind an dem Manne aner-
kennen mußten.'* ^) Als diesen Charakter feierten ihn auch die
Dichter Beck und Redwitz nach seinem Tode. Als ganzen
Mann und harmonisches Menschengebilde pries ihn Johan-
nes Schrott in dem gedankenvollen Sonette:
., Rastlos benutzend schön vereinte Kräfte,
Ein edler Ritter freigemut im Bügel
Hieltst du in fester Hand des Rechtes Zügel
Im Wortkampf vaterländischer Geschäfte.
Jedoch genährt durch attische Honigsäfte,
Entwichst du gern auf jene heitern Hügel,
Wo auf platonischem Gedankenflügel
Du träumtest bei den Torsen jonischer Schüri(\
Was du gelehrt, das bist du auch gewoideii,
Was du gefühlt, das hast du ganz empfunden --
Den schönen Süden und den ernsten Norden.
Du hast in dir, was Ewiges du gefunden
In Rom, in Hellas und im Christenordeu
Zu Einem schönen Menschenbild verbunden.*' *)
Dieser letzte Gedanke, daß Lasaulx auch das Ewige im
Christentum sich angeeignet habe, führt uns zu Lasaulx' Stel-
lung zur Religion überhaupt und zum Christentum insbesondere.
Darüber belehrt uns ein Blick auf Lasaulx' religiösen Entwick-
lungsgang.
*) Erinneiungen des Job. Nep. Ringseis IV, 125. 129. — *■) Bluntschli:
Denkwürdiges aus meinem Leben Bd. II (1884), p. 304. — •') Dabn: Erin-
nerungen II, 18 — 19. — *) Prantl: Allgemeine deutsche Biographie Bd. 17,
p. 728-29. - "") Hernbard v. Meyer: Erlebnisse Bd. I (1875), p. 306. —
**) Bei Holland: Erinnerungen an E. v. Lasaulx p. 3 und in Schrott:
Bienen 1868, p. 49 mit der Variante: „Du hast in dir, was immer chi
gefunden. "
r,
i
>
14. Kapitel.
Lasaulx' religiöser Entwicklungsgang.
Motto: „Ich betrachte es als eine glückliche Fügung
meines Lebens, von katholischen Eltern im
Schöße der katholischen Kirche Christi gebo-
ren zu sein, und hoffe mit der Gnade Gottes,
auch im Schöße dieser Kirche zu sterben.*
E. V. Las« nix 1857.
Lasaulx beschreibt in seinem reifsten Werke, in seiner Phi-
losophie der Geschichte, den normalen religiösen Entwicklungs-
gang des Einzelmenschen. Er unterscheidet 3 Stadien der Ent- "
Wicklung. Im ersten Stadium d. h. in früher Kindheit werden
durch die Liebe seiner Eltern religiöse Vorstellungen in die Seele
des Menschen eingepflanzt, diese ersten Eindrücke wachsen mit j
seiner Seele zusammen, so daß er sich nie oder nur sehr schwer
völlig frei davon macht. Das zweite Stadium ist das reife Jüng-
liugsalter. Hier tritt häufig und gerade bei heroischen energischen
Naturen eine Periode ein, in welcher das diskursive Denken des
Verstandes mit jenen überlieferten religiösen Ideen in Konflikt
gerät, und es wird infolgedessen der Versuch gemacht, auf
eigenen Füßen stehen und die Rätsel der Welt und des Lebens
selbständig d. h. unabhängig von jenen überlieferten religiösen
Ideen lösen zu wollen. Die dritte und letzte Periode in diesem
inneren geistigen Kampf endigt damit, daß der einzelne sich ent-
weder völlig lossagt von jenen religiösen Ideen seiner eigenen
•Tugend und des Volkes, dem er angehört, — die Zahl solcher
Menschen sei nicht sehr groß und die, welche sich wirklich los-
gesagt haben, seien nicht glücklich infolge des beständigen sie
begleitenden Zweifels — oder es endige jener Kampf damit, daß
sich das besonnene männliche Denken mit jenen überlieferten re-
ligiösen Ideen versöhne und anerkenne, daß beide, Religion und
Pbilosophie, in letzter Instanz einig seien, indem sie großenteils
Stölzl e: Ernst von Lasanlx. 17
258 14. Lasaul x' religiöser Entwicklungsgang.
eines und dasselbe wollen und, nur auf verschiedenen Weg^
auch erreichen. ^)
Diesen religiösen Entwicklungsgang des Einzelmenschen,
ihn viele aus eigener und fremder Erfahrung als einen häufig
ja bei dem modernen gebildeten Mann als fast regelmäßig k
nen, hat Lasaulx treffend gezeichnet. Er konnte das. Denn
war sein eigener Entwicklungsgang. Auch bei Lasaulx fc
einer religiösen Jugend eine Periode des Zweifels, die bei £
aber nicht mit radikaler Abkehr von den religiösen Idealen sei
Jugend, sondern mit der vollen Ruckkehr zum Glauben sei
Kindheit endet.
I. Periode: Lasaulx* reli^ose Jugenderziehung.
Wir wissen über die Jugend Lasaulx' wenig. Sein Yam. ^fcer
obwohl hochverdient um den Kirchenbau in der Rheinprov?^ ^ nz,
stand dem kirchlichen Leben fern, dagegen wird die Mutter ^Is
kirchlich gesinnt geschildert. Und da Ernst ihr erklärter L-i^'*-
ling war, dürfen wir wohl annehmen, daß der junge Ernst,
Geiste der katholischen Kirche erzogen, mit Herz und Sinn^
Wort und Tat der katholischen Kirche anhing. Wir können ^Jas
auch mit Grund aus Lasaulx' späteren Geständnissen schließe ^"»
wenn er sich wiederholt rühmt, daß er der katholischen Kif ^^"®
durch das Glück der Geburt wie durch Überzeugung angehöir^- f
Diese beseligende religiöse Überzeugung erlitt bei Lasaulx ^^ °^
Erschütterung während seiner üniversitätszeit in Bonn. Wie M^^^
so vielen jungen Männern trat auch bei ihm an die Stelle
glückenden Glaubens eine Periode unseligen Zweifels. Auch
mußte die bittere Wahrheit des Wortes erfahren:
,Wo Zweifel nah dem Herzen wohnt,
Das wird der Seele schlimm gelohnt." ')
IL Periode: Lasaulx' als Skeptiker.
Auch über diese Zeit der Entwicklung und die damalige*
Stellung Lasaulx' besitzen wir keine genaueren Nachrichten
im
in
e-
er
^) Neuer Versuch einer alten auf die Wahrheit der Tatsachen gegrün-
deten Philosophie der Geschichte 1856, p. 110 — 111 — ®) De mortis dooii'
natu in veteres 1835, p. 68; „Studien" (1854), p. 497 und Brief an Marie
Görres vom 27. Dez. 1857. — •') Wolfram von Gschenbach im Parzival:
„Ist zwtvel herzen nftchgebür,
Daz muoz der s6le werden sür."
I
14. Lasaulx* religiöser Entwicklungsgang. 259
Wir müssen nur aus gelegentlichen Bemerkungen Lasaul x' den
Schluß ziehen, daß er eine Krisis seines religiösen Lebens er-
fiihr. Wie weit der Zweifel bei ihm ging, darüber haben wir
nur wenige Andeutungen. Nur das ist gewiß, daß die Entfrem-
dung Lasaul x' vom Geiste des Christentums einerseits durch
Gine einseitige Überschätzung des klassischen Altertums, ander-
^ßits durch den Einfluß philosophischer Studien herbeigeführt
^'Urde. Zu der Überschätzung des Altertums war wohl schon auf
^«^m Gymnasium zu Koblenz durch seine Lehrer Schlosser und
*^ Uckstuhl sowie durch Lasaulx' eifrige Lektüre der klassischen
Tutoren der Grund gelegt worden. Von philosophischen Ein-
**Üssen, die er erfuhr und die seinen Jugendglauben erschüttert
^^^ haben scheinen, kennen wir nur Vorlesungen über Geschichte
^^r alten und neuen Philosophie, Metaphysik und Religionsphilo-
^^phie und Ethik von Brandis, der durch Schleier m acher,
•^ ^cobi und Schelling beeinflußt war. ^) Aus den Rechnungs-
*^^legen La sau Ix' sehen wir, daß er Jacobi: Über die Lehre
Spinozas, Kant: Anthropologie sich käuflich erwarb. Ebenso
*^«ufte er sich Frd. Creuzer: Das akademische Studium des
-Altertums.
Von Lasaulx' skeptischen Gesinnungen geben teils seine
eigenen Geständnisse, teils die Zeugnisse anderer Kunde. Ringseis
Erzählt, daß Lasaulx als Jüngling an der Bonner Hochschule
>iiit ungläubiger Philosophie gespeist und nicht gesättigt 1828
tiach München gekommen sei, wo ihm eine neue Welt aufge-
fangen. 2) Lasaulx selbst gestattet durch vereinzelte Äußerungen
einen Blick in seinen damaligen Seelenzustand. In einem Briefe
vom 23. Juli 1828 bezeichnet er sich scherzhaft als rechtgläu-
biger Heide. ^) Im Scherze steckte aber doch ein Kürnchen Ernst.
Lasaulx war ganz von antiker Denkweise erfüllt.
Daß er von einer religiösen Betrachtung der Dinge damals
etwas abgekommen war, beweist das Urteil, das er später über
die ihm damals gebotene Philosophie fMlte. Er nennt sie eine
nüchterne Turnerphilosophie, deren hartnäckige Verstocktheit iiim
so lauge jeden unbefangenen freien Blick in den Himmel getrübt
habe; seit er Schelling und Görres gehört habe, habe er diese
') vgl. Überweg-Heinze: Grundriß der Geschichte der Philosophie
Bd. 111, 2. Teil (1897), p. 178 und Trendelenburg: Zur Erinnerung an Ch.
A. Brandis in Abhandig der Berliner Akademie 1868. — *) Erinnerungen
des Joh. Nep. Ringseis Bd. IV, p. 125. — ^} s. Kap. 2, p. 16.
17 *
260 14. Lasaulx' religiöser Entwicklungsgang.
Philosophie in ihrer ganzen Nichtigkeit und Hohlheit durchschaut. ^)
Ja, wir gehen kaum fehl, wenn wir bei ihm <)amals sogar auf
Abwendung von Gott schließen. Wenigstens möchten wir das
aus einer brieflichen Äußerung Las au Ix' herauslesen, wenn er
auf Neujahr 1836 schreibt, er hoffe, daß er niemals mehr den
verlassen werde, der allein dem Herzen Friede gebe. Und
wenn er von München 1828 schreibt, er sei in Schellings Vor-
lesungen frommer, als er jemals gewesen, ^) so dürfen wir auch
darin einen Hinweis auf eine unfromme Vergangenheit sehen.
Freilich wie weit auch Lasaulx von dem Glauben seiner Kind-
heit abgekommen sein mag, wie viel von den Glaubenssätzen des
Christentums in ihm damals wankend geworden sein mag, wir
werden keinen Stein auf ihn werfen. Diese Periode des Zweifels
bleibt den wenigsten der modernen gebildeten Menschen erspaii:.
Der Gebildete sieht sich, seit Weltanschauungen miteinander rin-
gen, vor die Entscheidung im Kampf um die Weltanschauung
gestellt, einen Kampf, der entweder mit Abfall vom Glauben oder
Rückkehr zu demselben endet. Bei Lasaulx schloß der Kampf
nicht mit entschiedener Abkehr vom Christentum, sondern mit
endgültiger Rückkehr zum Katholizismus. Der Zweifel war nur
eine Episode in seinem Leben, ein Durchgangsstadium gewesen.
Diese Umkehr erfolgte an der Universität München durch den
Verkehr mit Görres, Baader und Schelling.
III. Periode: Lasaulx' Rttckkehr zum Christentum.
Lasaulx betätigte, nachdem er sich wiedergefunden hatte,
fortan seinen religiösen Standpunkt durch eine auch wiederholt
öffentlich ausgesprochene hohe Wertschätzung der Religion, durch
entschiedenes christliches Bekenntnis, durch Dokumentierung seines
katholischen Standpunktes in Wort und Tat, durch öffentliche
Verteidigung der katholischen Kirche und Weltanschauung und
durch einen wahrhaft christlichen Lebenswandel. Eine gewisse
Hinneigung zu einem sog. liberalen Katholizismus und panthei-
stische Anwandlungen bilden eine Episode im Glaubensleben La-
saulx, der nur eine erneute Betonung des katholischen Stand-
punktes folgt.
I. Lasaulx' katholisches Denken und Leben.
Lasaulx' macht kein Hehl aus seiner hohen Wert-
schätzung der Religion und gibt ihr von der Rednerbühne
') s. Kap. 2, p. 17. - ') s. Kap. 2, p. 17.
14. Lasaulx religiöser Entwicklungsgang 261
des Parlamentes und dem Katheder herab vor aller Welt Aus-
druck. Schon im Jahre 1833 in einem Briefe vom 25. August
an Görres drückt er seinen Abscheu und seine Abneigung gegen
alle Freigeist erei aus; die gebildeten Griechen seien ordinäre
Freigeister, er möge nicht unter ihnen leben. ^) Welch edle, und
wahre Worte hat er in Frankfurt in seiner herrlichen Rede über
die Freiheit der Kirche für den hohen Wert der Religion im
Leben der Völker gefunden!
,Ein Volk ohne positive Religion ist niemals gewesen und wird
nie sein; wo immer in dem ganzen Verlauf der europäischen Kultur-
geschichte w^ir ein gesundes politisches Volksleben finden, da war die
Religion die innere Lebensflamme desselben." ')
Der akademischen Jugend aber rief er am Schlüsse seiner
Rektoratsrede am 29. November 1856 zu:
, Endlich noch eine Bitte: unter den Gütern, die Sie und wir
alle von unsern Vätern und diese von den ihrigen überkommen haben
bis zum Anfange der Zeiten, nimmt eines die erste Stelle ein, die
väterliche Religion: halten Sie daran fest, und besinnen Sie sich
dreimal, ehe Sie sich entschließen, eine einzige ihrer ewigen Wahr-
heiten aufzugeben/ *)
Wie von der hohen Bedeutung der Religion überhaupt so
ist Lasaulx auch tief von der Wahrheit und Hoheit des
Christentums durchdrungen. FreiHch nicht auf dem Wege
philosophischer Spekulation kommt man nach Lasaulx' treffender
Anschauung zur Überzeugung von der Wahrheit des Christen-
tums, sondern nur durch die Tat, nach dem Worte der Schrift:
„Tuet nach meiner Lehre, und ihr werdet sehen, daß sie von
Gott ist.** ^) Nur vom Christentum hofft Lasaulx eine wahr-
hafte und gründliche Regenerierung der Welt. ^) Und wie zeigt
er sich tief von der Macht des Christentums ergriffen, als er die
Markuskirche in Venedig betritt ! Dagegen erscheint alles klein.
,Icli kann mich nie eines heiligen Schauers erwehren, so oft
ich dieses Heiligtum betrete, — aber es sind männliche herzerfri-
schende und erhebende Tränen, die hier erregt werden. Hier fühlst
Du die ganze konzentrierte Gewalt des christlichen Glaubens im Mit-
telalter, Blitz und Klang zugleich ins Herz Dir schmettern und alle
kleinen jämmerlichen Gedanken dieser nichtsnutzigen fratzenhaften
^) vgl. Kap. 3, p. 69. — ') Sten. Ber. III, 1781 und vgl. Kap. 8,
p. 155. — ^) Über die theologische Grundlage aller philosophischen Systeme
1856, p. 27. — *) vgl. Kap. 8, p. 24; Brief an Görres am 14. Januar
1831. — «) vgl. Kap. 3, p. 24; Brief an Görres vom 14. Januar 1831»
262 14. Laaaulx' reli?ir>s^r Entwiekloo^^i^aD^
Zeit werden in einem MomenL rliirüh einen Büek verzehr! und ver-
nichleL* h
Begeisterung ftir das Christentum und den Erlöser ist es, was
ihn mit unbezwingh'cher Sehnsucht nach den hl. Stätten in Jeru-
salem zieht, t^nd wie oft und stürmisch hat Lasaulx dieser
Sehnsucht Ausdruck gegeben, bis sein Fuß endlich die geheiligten
Orte betrat ! ^ Und was zeugt melir tou seiner voUen Ober-
zengung der christlichen Wahrheit als die weihevollen Gefühle
und Empfindungen, die Lasaulx in so helire Worte zu kleiden
wttfite! Kann man seinen Glauben an den Auferstandenen und
an die Wahrheit und Erhabenheit des Christentums schöner,
filierzeugender, ergreifender bekennen, als es Lasaulx getan hat
in seinen Briefen aus Jerusalem? Aber nicht bloß in diesen
Briefen, nein, auch öffentlich hat er dieses Bekenntnis abgelegt,
als er Teile daraus später dem Drucke Obergab. ^ Zu diesem
Glauben an Christus und seine Stiftung hat er sich auch im
Frankfurter Parlament bekannt. *) Und wie treffend hat er das
Christentum gewürdigt in dem kurzen Spruch, den er einem sei-
ner Schfiler ins Stammbuch schrieb:
^Es ist eine göttliche Einfachheit des Christentums, von dem
gegenwärtigen Leben wenig zu hoffen^ von dem zukunftigen viel zu
begehren.**
Nach jeder vollendeten literarischen Arbeit las Lasaulx
das neue Testament, die Urkunden des Christentums, durch. ^)
So von der Wahrheit des Christentums durchdrungen, ver-
trat er auch offen seinen katholischen Standpunkt. Er stellte
seine katholische Überzeugung nicht vorsichtig zurück, wie es
die Art charakterloser Streber ist, sondern auch da, wo er wußte,
daß katholisches Bekenntnis keine Empfehlung bedeute, legte er
es offen und mannhaft ab. Gör res hat Lasaulx schon am
19. Januar 1831 mitgeteilt, daß er in Preußen nichts zu erwar-
ten habe, er sei 'dort im Verruf des Katholizismus und Mysti-
zismus. Trotzdem legt er dem damaligen Allgewaltigen auf dem
Gebiete des Universitätswesens, Altenstein, gegenüber, dem er
auf Wunsch seines Vaters geschrieben hatte, seinen katholischen
Standpunkt unverhohlen dar, ^') obwohl er weiß, daß seine Stellung
') vgl. Kap. 3, p. 85; Brief an die Mutter vom 5. Juli 1831 Venedig.
- ') vgl. Kap. 3; Brief vom 19. Juli 31; 30. August 31; 17. September 31;
31. Dezember 31; 25. Mai 38. - '"} vgl bist -pol. Hlätter Bd. II, p. 241 ff.
und ,8tndien'* p. 504 10. M vgl. Kap 8. «) Brief an seine Toobter
Anna am 21 Sept. 1860 von Schlot.» Lebenberg. ") vgl. Kap. 3.
14. LasRulx' religiöser Entwicklungsgang. 268
zur katholischen Kirche ihnen in Berhn wenig munden werde. ^)
Er fügt noch hinzu:
,Aber sie mögen's halten, wie sie wollen, — das wenige Brot,
dessen ich zum Leben bedarf, wird sich auch sonstwo finden und
wenn's in Italien wäre." *
Und wozu er sich hier ohne Feigherzigkeit bekennt, das t^
hat er auch in der seiner Doktordissertation angehängten Lehens-
beschreibung 1835 drucken lassen; er gesteht, daß er durch das ,
Glück der Geburt und durch Überzeugung der Wahrheit der ka-
tholischen Kirche anhänge.*^) 1854 gibt er derselben Überzeu- '
guug Ausdruck, indem er wie seine Dissertation, so auch diese '
Bekenntnisstelle unverändert und wörtlich wieder abdrucken ließ.^)
Dieses Bekenntnis Lasaulx' spricht ja schon für sich. Wer I
sich zur katholischen Kirche stellt, bekennt sich damit auch zu
I
ihren Leliren und Übungen. Freilich klafft oft zwischen Be- ;
kenninis und Ausübung eine weite Klufl. Nicht so bei Lasaulx.
Dieses Bekenntnis schließt bei Lasaulx ein: Gottvertrauen und .
Ergebung in Gottes Willen, Gebet, Besuch des öffentlichen Gottes-
dienstes, Empfang des hl. Büß- und Altarssakramentes und Ver- j
ehrung der Heiligen.
Sein ganzes Leben lang und in allen Lagen seines Lebens
hat Lasaulx ein unerschütterliches Gottvertrauen bewahrt
und damit verbunden eine stille Ergebung in den Willen Gottes,
auch dann, wenn Gottes Hand schwer auf ihm lastete, gezeigt. ;
Daß Gott die Geschicke der Völker lenke, dieser Glaube ist sein
Polarstern.*) Er ist fest überzeugt, daß wir überall in derselben '
Gottes Hand stehen, ^) daß eine unsichtbare Hand jedes Menschen
Leben lenkt und zieht; ^) überhaupt kann er's vor gottgesandten
Übeln dieser Art (sc. Pest) auch beim besten Willen zu keiner
Furcht bringen. ^) Gott befiehlt er sich und seine Sache und ihm
stellt er sie anheim. ^) In der Bekanntschaft mit Letellier, der
ihm die Reise nach Jerusalem ermöglicht, erblickt er den Finger
Gottes. ^) Von Gott erwartet er das Glück seines Lebens. ^®) Und
^) vgl. Brief an Görres von Nauplia 27. Febniar 1833 in Kap. 3,
p. 58. — ^) „Utebar hac Romae mansione iit Catholicorum ecclesiae verita-
teni, cui adhaereo et geniturae beneficio et ex animi sententia,
melius cognoscerem in terrestri ipsius centro." De mortis dominatu in vete-
res. Monaci 1835, p. 68. ~ =*) „Studien" p. 496. — *) Brief vom 15. März
1831 an die Mutter; vgl. Kap. 3, p. 26. ~ ") Brief vom 19. Juni 1831 an
die Mutter; vgl. Kap. 3, p. 33 - «) Brief vom 28. Juli 1831 an die Mut-
ter; vgl. Kap. 3, p. 37. ~ ') Brief vom 17. Sept. 1831 an Görres; vgl.
Kap. 3, p. 39. — ^) Brief vom 31. Dez. 1831 an die Mutter; vgl Kap. 3,
p. 43. — ^) Brief vom 25. Aug. 1832 an die Mutter; vgl. Kap. 8, p. 49. —
T Brief vom 16. Mai 1835 an die Mutter.
264 14 Lasaulx' religiöser Entwicklungsgang.
als ihm der Tod ein liebes Kind geraubt hat, da schreibt er er-
geben in Gottes Willen: „Gott kann tun, was er will, und dei^
Menschen ziemt es, anzunehmen/ ^) Mit dieser Ergebung ertrag
er es auch, als der Tod ihm das letzte Kind bedroht, und empfiehl
auch seiner Frau Ergebung in Gottes Willen. ^) Besonders rfll^
rend aber kommt dieses Gottvertrauen Lasaulx* zum Ausdruc
in der oben mitgeteilteji frommen Mahnung an seine Tochtei
sich immer in den Willen Gottes zu schicken. ^)
Der Christ betet. So auch Lasaulx; er bittet Eltern ui
Geschwister, Frau und Tochter wiederholt um ihr Gebet,*)
betet für die Verstorbenen und mahnt seine Angehörigen, di
selbe zu tun. Denn
„Es tut den Toten wohl, wenn man ihre Gräber besucht, ui»i _u
es ist auch für die Lebenden gut, wenn sie der Toten gedenken, de :: ■_ - ~ i i
alle zusammen bilden eine große Republik der Geister." ^)
Und nicht bloß im stillen Kümmerlein und in des Herz^
Schrein trägt Lasaulx seine Andacht Gott entgegen, auch Ofta :■
lieh vor aller Welt bezeigte er Gott seine Verehrung durch Besum
von Gottesdienst und Predigt. Das bezeugte ihm Han^bi
in seiner Grabrede öffentlich vor aller Welt.
Der Katholik betet zu Gott, er betet aber auch zu ci ^t3ji
Heiligen, nicht um sie anzubeten, wie Irrtum und Bosheit nic^ ^t
selten glauben machen wollen, sondern um ihnen Verehr» Ä^rg
zu erweisen und ihre Fürbitte zu erlangen. Das tat am» ^h
Lasaulx. Am Grab der hl. Rosalia in Palermo gedenkt - -^r
lebhaft der Sei n igen. ^) Besonders aber verehrte Lasaulx Ä^»
zu seinem Lebensende den hl. Antonius.^) Auch durch S'fc^f*
tung eines Glasgemäldes: „Die hl. Elisabeth mit den Ros^ ■^^
für das Bonner Hospital, wo seine Schwester Amalie wirfe *6>
bekundete er seinen frommen Sinn. ^)
Lasaulx hat über die Religion einmal den schönen A"*^*^'"
Spruch getan:
, Jedem Menschen ist seine Religion das Höchste, sie ist ^'^
innere Kraft seines Bewußtseins und seiner ganzen Handlungsweiso —
alles was er tut, soll er in Krall seines religiösen Bewußtseins vo"-
hringen.'' *)
*) Brief vom Pfingstmontag 1836 an seine Eltern. — "^) vgl. Kap. ^^f
p. 236. - '') vgl. Kap, 12, p. 239. - ') In zahkeichen Briefen von lS30
angefangen bis 1860. — *') Brief vom 13. August 1856 an seine Frau. -~-
") vgl. Kap. 11, p. 227; Brief von Taormina am 25. Sept. 1853. — ') ISr-
mnerungen des Job Nep. Ringseis Bd. IV (1891), p. 130 und Anm. -"
*") Erinnerungen an Amalie v. Lasaulx p. 84. — ^) Kritische Bemerkqngen
über die Kölner Sache etc. p. 29
14. Lasaiilx' religioaer EntwicklungsgHng. 265
1 Diesen Ausspruch hat Las au Ix auch für sich währ gemacht,
f Oie Religion durchdrang seine ganze Handlungsweise, sein öffent-
iiehes und sein privates Leben.
Lasaulx betätigte darum seine religiöse Oberzeugung nicht
Woß im stillen, im Känunerlein und in der Kirche, er gab ihr
^Uch öffentlich vor aller Welt Ausdruck in Schrift und Wort,
'>nd trat mit der ganzen Wucht seiner Beredsamkeit für die
fechte und Freiheit der katholischen Kirche und ihrer
**! stitutionen ein. Schon 1832 schreibt er am 14. Juni an
^^inen Vater: „Solange die Welt ein Zentrum hatte, war's
**^om, jetzt will jeder sein eigenes sein** — erblickt also in
*^om, im Papste, den Herzpunkt der katholischen Welt. Auch
^llne weltliche Herrschaft mag er den Papst nicht den-
*^^in. Er weist die Gegner derselben auf die jämmerlichen Zu-
^t^nde der sogen, morgenländischen Kirche hin. Den kläg-
*i^hen Zustand der sog. morgenländischen Kirche könnten die
^2reschichts verbesserer, die nicht müde werden, gegen die welt-
liche Gewalt des Papstes zu deklamieren, an dem hiesigen Pa-
^inarchen in der Georgskirche im Phanar lernen, weim es ihnen
überhaupt um Erkenntnis zu tnn wäre — schreibt Lasaulx am
«. Juli 1833 von Konstantinopel. ^) Mit welchem Feuereifer, mit
Vvelcher Überzeugungstreue, mit welcher Begeisterung trat La-
saulx in der Kölner Sache ein für die W^ahrheit der katholischen
Xehre, für die Rechte der Kirche in Suchen der gemischten Ehen,
Mr das Aufsichtsrecht des Bischofs gegenüber den Professoren
<Jer katholischen Theologie, für eine paritätische und gerechte
Behandlung der Katholiken!-) Und wie er vor der Elite von
ganz Deutschland in der Frankfurter Nationalversammlung die Frei-
heit auch der katholischen Kirche in herrlicher Rede verteidigte,
wie er gegen die Verbannung der Jesuiten und der affilierten
Orden stimmte, wie er der Religion ihren Einfluß auf Schule und
Staat gewahrt wissen wollte, wie er seiner hohen W^ertschätzung
der Religion überhaupt und des Christentums insbesondere offe-
nen Ausdruck verlieh, — die Kunde von diesem mannhaften Auf-
treten hat sich heute nach 50 Jahren noch nicht verloren. •^)
Allerdings wollten manche, und zwar nicht bloß Gegner,
Lasaulx' Geltendmachung seines katholischen Standpunktes zu
schroff und verletzend finden. Von Möhler, der von 1885 bis
•) vgl. Kap. 3, p. 66. — '-) vgl. Kap. 5. — •') vgl. Kap. 8: Lasaulx
in der Frankfurter Nationalversammlung.
266 14. Lasaulx religiosor Entwicklungsgang.
38 in München lehrte, berichtet Beda Weber folgende Äuße-
rung: „Ich bin für die gelehrte Welt in München ein verpfuschter
Mensch. Männer wie Döllinger, Lasaulx, Sepp, Moy, die
beiden Gör res, Seyfried, Phillips und andere werden stets
ehrwürdig vor meiner Seele stehen, aber der Umgang mit ihnen
wird mir in manchen Stunden schwer. Das Scharfmark icrte
ihres Kirchen tums ist auch nteine Ansicht und Überzeugung, abei^
die Art des Vortrages, die Verlautbarung der iimeren Welt undi.
die Stellung zur Gegenwart, welche diese Männer charakterisiert »
greift mich oft an, es verletzt meine Nerven. Ein Witzwor^,
meines Freundes Döllinger, ein strenger Kraftausdruck des Pro —
fessors Görres, ein Aufsatz des Professors Moy in der „Neueai
Würzburger Zeitung** bringt mir schlaflose Nächte. Deshalb mu
ich ihre Gesellschaften fast ganz meiden und auf mich allein g^
stellt bleiben.**^) Diese Charakteristik Lasaulx' durch Möhle
nmß mit Vorsicht aufgenommen werden. Erstens war Möhle
ein kränklicher, nervös überreizter Mann, zweitens war L
sau Ix damals Professor in Würzburg, kann also höchstens
den Ferien mit Möhler zusammengetroffen sein. Auch war d
Schrift Lasaulx', welche Möhlers Urteil rechtfertigen könni
nämlich Lasaulx' „Kritische Bemerkungen über die Köln
Sache** zur Zeit, da Möhler diese Äußerung tat (1837), no
gar nicht erschienen.
Indes wie man auch über die Art der Verlautbarung cl^=^s
Lasaulxschen katholischen Standpunktes denken mag, (5l^sis
öffentliche Bekenntnis seines christlichen und katholischen Stams. ^ri-
Punktes entspringt bei Lasaulx nicht etwa einem blo&en Part^^i-
eifer. Er betätigte vielmehr seinen Katholizismus nicht blo& ^o
äu&eren gottesdienstlichen Handlungen, nicht bloß im öffentlicb^sn
politischen Leben, er war auch im praktischen Leben, Ai
seinem ganzen Wandel ein Christ. Den Beweis dafür ergibt
eine Betrachtung seines Charakters, wie wir ihn geschild^ ^''i
haben. Sein edler Charakter ist Beweis und Frucht seines Ch*^i-
stentums.
Wie sehr Lasaulx in allen seinen Anschauungen auf kath ^^•
lischem Boden stand, das zeigt ein Brief von Prof. Moy üb^»*
ihn an Döllinger vom 7. Juni 1836, Moy schreibt:
„... Lasaulx ist entweder ein verschmitzter Heuchler, oder
Du hast Dich sehr an ihm geirrt. Gegen mich äußert er sich durch-
^) Beda Weber: Charakterbilder 185?, p. 12-13.
14. Lasaulx* religiöser Entwicklungsgang.
267
3115 als praktischer Katholik. Seine Beurteilung Sc he Hing s ist sehr
rirhlig. Er erkennt dessen Genialität, hekennt, in vielfacher Hinsicht,
von ihm angeregt worden zu sein, behauptet aber, ihm selbst vorge-
halten zu haben, daß er zur Wahrheit nicht kommen könne, weil er
au&er der Kirche stehe. Dies gibt er seinem Hochmute schuld. Wir
haben von den Erwartungen gesprochen, die allenthalben, in Asien
wie in Europa, einer neuen Offenbarung sicli zuwenden und mich mit
Grauen erfüllen, wenn ich des Antichrists gedenke. Da gab er mir
zu. daß, im Falle einer Bewegung solcher Art, nur der Blick auf Rom
uns sicher machen könne gegen die Gefahr des Abfalls. Aber wäh-
rend wir einig waren, daß das Leben Christi vorbildlich sei für das
Leben der Kirche, waren wir hinsichtlich des Momentes, wo wir jetzt
im Parallelismus ständen, verschiedener Ansicht doch auch nur in der
Weise, wie man von solchen Dingen reden kann und soll, mit aller
Ruhe nämlich und nur jenem Grade von Interesse, den man auf eine
Kuriosität und ein Spiel der Kombination zu verwenden pflegt. Er
meinte, Christus Hege schon im Grabe, die Kirche vielmehr sei von
<len Grabtüchern umhüllt etc., und der Herr werde bald erstehen —
das Reich des Antichrist sei da und nahe seinem Ende, während
ich noch einem Moment, dem des feierlichen Einzugs in Jerusalem
ähnlich, entgegensehe und dann den großen Abfall gleichzeitig mit
dem x\uftreten des Antichrists im Fleische erwarte. Dergleichen
.\nsichten, von denen man, wie die Meerkatzen im Faust, sagen kann:
,ünd wenn es uns glückt, und wenn es sich schickt, so sind es Ge-
danken**, dergleichen Ansichten, ohne Zusammenhang geäußert, mögen
Dich oder andere veranlaßt haben, von La sau Ix zu meinen, er wisse
noch nicht, ob er sich zum katholischen Glauben oder zu irgend einem
neuen, erst zu erfindenden Christentum bekennen solle, während es
doch nicht so übel gemeint ist. Doch ich will ihn nicht definitiv in
Schutz nehmen; es ist einiges Absonderliche an ihm; aber, wie ge-
sagt, wenn er nicht definitiv ein Christ ist, so ist er doch ein arger
Heuchler und ein gefährlicher Mensch, wozu mir doch wieder sein
Auge zu offen und sein Wesen zu herzlich erscheint." ^)
Lasaulx war kein Heuchler, er war durchaus Christ und
Katholik; der Gedanke vom Parallelismus zwischen dem Leben
Christi und dem Leben der Kirche, von ihm später in der
Frankfurter Nationalversammlung in seiner Rede über die Frei-
tieit der Kirche näher ausgeführt, hat nichts ünchristliches an sich.
So erwies sich Lasaulx im privaten und öffentlichen Leben,
in Gesinnung und Tat, in Wort und Werk als Katholik. Als er
nach einer Periode vorübergehender Skepsis, wie sie der Einfluß
des philosophischen Unterrichts und der ganzen geistigen At-
mosphäre an der Bonner Universität gezeitigt hatte, im ka-
^) Brief von Moy an Döllinger von H. Prof. Friedrich gütigst
mitgeteilt, auch abgedruckt in „Deutscher Merkur" Nr. 49 vom 4. Dezember
m, p. 385.
268 14. LasAulx' religiöser Entwicklungsgang.
tholischen Glauben wieder Ruhe und Halt gefunden hatte, blieb
er dem Christentun) und Katholizismus treu bis an sein Lebens-
ende. An dieser Charakteristik seines religiösen Standpunktes
ändern auch einige Züge von sog. liberalem Katholizismus und
pantheistische Anwandlungen nichts. Denn es sind das Anschau-
ungen Lasaulx', die teils den religiösen Glauben nicht berühren,
teils in glücklicher Inkonsequenz von Lasaulx nicht als Wider-
spruch gegen seinen katholischen Standpunkt empfunden wurden.
Wir können diese Anschauungen als ein Durchgangsstadium im
Glaubensleben Lasaulx* bezeichnen, das ihm nur dazu diente,
seinen katholischen Standpunkt neuerdings unzweideutig zu be-
tonen. Das führt uns zur Episode des sog. liberalen Katholizis-
mus bei Lasaulx.
2. Sog. liberaler Katholizismus und pantheistische Anwandlungen
bei Lasaulx.
Dem Einfluß der Umgebung, der Zeitideen, der Nachwirkung
überwundener Entwicklungsstufen und gemachter Studien kann
sich der Mensch nur schwer, meist gar nicht entziehen. Daher
kommt es, daß wir auch bei religiös erzogenen und wirklich re-
ligiös gesinnten Männern nicht selten Anschauungen und Über-
zeugungen finden, welche nicht recht zu der sonstigen Weltan-
schauung solcher Männer stimmen. Das trifft auch bei Lasaulx
zu. So sehr Lasaulx sich zum katholischen Christentum be-
kannte in Gesinnung und Tat, so treffen wir doch bei ihm An-
schauungen über kirchliche Orden und Institutionen, über das
Verhältnis des klassischen xAltertums zum Christentum, über Gott
und Natur, über Gott und Mensch, über übernatürliche und natür-
türliche Offenbarung, welche mit dem sonst von Lasaulx einge-
nommenen streng katholischen Standpunkt nicht recht harmo-
nieren. Solche Widersprüche, die Lasaulx wohl nicht recht als
solche zum Bewußtsein gekommen sind, haben ihren Grund ein-
mal in dem sog. liberalen Katholizismus, wie ihn Lasaulx teils
unter dem Einfluß des Görreskreises, ^) teils unter dem Einfluß
der Franzosen, eines Montalembert, Lamennais erfuhr, sie er-
') Gör res war in einer bestimmten Periode seines Lebens nicht das,
wa$ man heute „altramontan*^ nennt, und übte rücksichtslose Kritik an Per-
sonen und Einrichtungen der Kirche; vgl. auch Sepp: Görres und seine
Zeitgenossen 1877, p. 389 ff.
14 Lasaulx' religiöser Entwicklungsgang. 269
klaren sich ferner aus der schon früh eingesogenen Überschätzung
^es klassischen Altertums, sie müssen endlich zurückgeführt wer-
^^n auf Lasaul x' philosophische Studien, besonders sein Studium
^er Mystiker, das ihn zu pantheistischen Anwandlungen führte.
Auf Rechnung des sog. liberalen Katholizismus setzen
y^ir Lasaulx* Anschauungen über die Jesuiten, setzen wir alle
Jone von Sepp und Freiin von Huene-Hoiningen berichteten
•Äußerungen über die Verfassung der Kirche, über Reformation,
"^^T die Wiedervereinigung der Konfessionen und über „katho-
lische Inferiorität".
In den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhundert betrieb
^'n Verein in Bayern die Berufung der Jesuiten nach Bayern
^^** Übernahme eines Erziehungsinstitutes. ^) Auch Lasaulx war,
^*^ Thiersch dem Prof. Mayr in Würzburg mitteilte, als An-
^^Viöriger dieses Vereins und Jesuitenfreund bezeichnet worden.
**• m:^ Freund der Jesuiten zu sein galt aber damals, wo König
^ ^^ dwig I., als Gegner der Jesuiten bekannt, die Bitte des ge-
"*^ hinten Vereins IS;];") abschlägig beschied, ^) als eine Art Vor-
^^^^rf. Um diesen Verdacht abzuwehren, schrieb Lasaulx an
TT* "^
^^iersch, Thiersch gehe bei seinen Äußerungen über ihn zu
t
^"^of, Mayr von falschen Voraussetzungen aus, und teilte ihm
" ^^^ n seine wahre Ansicht Ober die Jesuiten mit.
Würzburg, 18. Okt. 1838.
„Hochwohlgeborener Hofrat!... Wer Ihnen gesagt hat, daß ich
^^;^ r Partei der Jesuitenfreunde in Bayern gehöre, den erkläre ich hier-
^^^ 5t als einen Verbreiter unwahrer Behauptungen, und wenn er es ab-
^ ältlich und mit Wissen und Willen getan oder darauf bestehen sollte,
^^ erkläre ich ihn für einen lügenhaften Verleumder. Ich bin so weit
"^tfernt, ein Jesuitenfreund zu sein, daß ich mich vielmehr persönlich
Tid wiederholt gerade gegen diese Herrn in München auf die aller-
^^%:ärkste Weise gegen die Jesuiten ausgesprochen habe. Und ich durfte
^ dieses, da ich die abgestandenen Überbleibsel jener Kompanie während
^^eines zweijährigen Aufenthalts in Rom hinlänglich kennen zu lernen
Gelegenheit hatte, um zu wissen: daß es zwar allerdings ein Zeichen
A^on Unkenntnis oder von schwacher Urteilskraft sei. die Jesuiten zu
fürchten; daß es aber noch viel mehr Unwissenheit oder Imbezillität
des Urteils voraussetze, von jenen Strandschleichern irgend etwas Be-
deutendes zu erwarten. Ich stimme hier vollkommen mit La Mennais
überein, wenn er sagt, dieser Orden sei nur darum wiederhergestellt
worden, damit er eines natürhchen Todes sterbe. Sollte man je die
Tollheit begehen, die Jesuiten nach Bayern zu rufen, so wäre ich der
erste, welcher auf jede Gefahr hin öffentlich gegen sie aufträte.
') Friedrich: Döllinger Bd. II, p. 19. — *) ibid. — Heigel: Lud-
wig I (1872), p. 214.
[
270 14. Lasaulx' religiöser Entwicklungsgapg.
Mein religiöses Glaubensbekenntnis steht im Gatechismus Ro— ^_
manus. mein politisches in Dahlmanns Politik, ein wissenschaftliches^^ 5^
suche ich mir selbst zu erringen und bekenne ich hier, das meistt^^^ ^^
meinem Freunde und Lehrer Sehe Hing zu verdanken.
Schließlich bemerke ich. daß Sie von diesem Brief ganz naclÄ^ 1 1
Ihrem Gutdünken jeden möglic^hen Gebrauch machen können.*" M
Ein ähnliches Urteil, daß nämlich von den Jesuiten kein
bedeutenden Leistungen in der Wissenschaft gegenüber den große
Leistungen der modernen Philosophie und der protestantisch!
Literatur 7ai verzeichnen und auch in Zukunft nicht zu erwarte
seien, hatte Döllinger schon 1829 in der „Eos** Nr. 88—9
unter dem Titel: „Einiges über die Jesuiten, ihre Fein
und ihre Freunde" erscheinen lassen. -) Damals w.ar La sau
noch Student in München und im Verkehr mit dem Görrer
kreis, ja für Döllinger begeistert, wie sein Auftreten in d-
Kongregationsangelegenheit zeigt. ^) Wir dürfen also wohl a ^«i
nehmen, daß Las au Ix unter diesem Einflüsse Döllingers (^Ml^ ^
Jesuiten und ihre Leistungen ansah. La sau Ix' Urteil, maßlos J'
der Form, übersieht die großen Verdienste, welche die Jesuit
sich um Wissenschaft und Schule und Katholizismus erworb
haben. Indes war Lasaulx doch so gerecht, 1848 in der
tional Versammlung gegen den Antrag auf Ausschließung der
Suiten zu stimmen.*)
Als Folgerungen aus dem sog. liberalen Katholizism^
müssen wir auch alle die Äußerungen betrachten, in welch
Lasaulx sich Ober Rom und Kirchenverfassung, über die chri
liehen Konfessionen ausspricht — Äußerungen, die wir unter
Verantwortung des Berichterstatters, nämlich Sepps, lassen m^
sen, der sie leider undatiert mitteilt. Darnach sagte Lasai
einmal zu Sepp,
,es möge leicht das sacerdotium einst Rom aBhanden konrn^r"^*^"
und sich an den Welschen Ghristi gegen die Juden geschleud^^^^'*^
Drohung erfüllen: „Das Reich Gottes wird von euch genommen ^:m^^^
einem Volke gegeben, welches dessen würdig ist." *)
Und als Görres den Gedanken aussprach, Rom we
fortdauernd für ganz Europa die Mitte und der Anknüpfuim
„Deutscher Merkur \ 28. Jahrgang, Nr. 49, 1897, vom 4. Dezemb^'*
p. 385—86. Ich verdanke den Hinweis auf diesen Brief Herrn Prof. Dr. Boll
— ^) Friedrich: DöUinger Bd. I (1899), p. 273-84. - »j vgl. Kap. 2 die-
ses Buches p. 18—19. — *) vgl Kap. 8 dieses Buches p. 141. — *) Sepp;
Görres und seine Zeitgenossen 1877, p. 497.
14. Lasaulx' religiöser Entwicklungsgang. 271
punkt aller wiederbelebten religiösen Ideen sein, rechtete La-
saulx mit dem Zeichendenter der Zukunft und urteilte.
„daß Rom nur dann die cliristliche Welt länger beheiTschen
^verde, wenn es selber dem Geiste die Herisohaft einräume". M
Der Absolutismus, wie er im Papste, als der obersten
Spitze der Kirche, sich verkörpert, erscheint Lasaul x bedenk-
^'ch, und er hoflPt auf Wiederherstellung der ursprünglichen Sy-
''odal Verfassung.
„Laut und ött'enllieh sprach Ernsl t. Lasaulx die Bedenken
^^Js, ob es im Plane (hv e\vig:en Vorsehung liege, daß die Kirche sein
(sie!) so absolutistisches Oberhauj)! })ehalte, und nicht einmal die ur-
**^pi*iingliche Synodal Verfassung wieder zu Recht gelangen werde.'' -)
Aus dieser Gesinnung heraus erfließt auch sein Urteil über
*^>e Reformation, in der er nicht lediglich Abfall, sondern ur-
^Pi^ünglich ein berechtigtes Moment sieht. Görres urteilte über
**^^formation und Reformatoren also: „Die Reformatoren verfuhren
^^ie die Lötticher in ihrem letzten Aufstand, die ihrem Bischof
^^tn Trotz, sich aber zu Schimpf und Schaden ihr schönes go-
*-*^ches Münster abgetragen. Und so endete der Sturm, der
^^i^sprünglich, wie recht ist, gegen die Menschen und ihr Ver-
^^rbnis gerichtet war, mit der teil weisen Zerstörung des Lehr-
gebäudes". — Diesem Urteile zustimmend erklärt Lasaulx:
, Unbefangener und gerechter ist die Reformation wohl nie ge-
^^i'irdigl worden." ')
Ja soweit geht Lasaulx in der Anerkennung der guten
leiten der Reformation, daß er in der Wiedervereinigung der
Christlichen Konfessionen sonderbarerweise nicht einmal ein Glück
^ehen kann. Als die W^itwe von Boisseree für die Wieder-
^^ereinigung der christlichen Konfessionen schwärmte, sagte La-
5^aulx zu ihr:
, Glauben Sie ja nicht, liebe Freundin, daß das ein Glück wärel
blicken Sie nach Frankreich, nach Spanien, nach Itahen, allen Län-
t:iern, wo nur eine Konfession ist, in wie faulem Zustande sich dort
^ie Religion befindet. Der Kampf ist notwendig zu einem gesunden
Leben." *)
Auch die heutzutage viel berufene Klage über katholische
„Inferiorität** spielt schon in seinen Betrachtungen eine Rolle.
Als die Ansiedlung eines protestantischen russischen Fürsten,
Alexanders v. Lieven, bei Meran den umwohnenden Pfarr-
*) Sepp: Görres und seine Zeitgenossen 1877, p. XV. — -) ibid. p.
497. — ^) ibid. 556. — *) Erinnerungen an Amalie v. Lasaulx von Freiin
V. Hoiningen-Huene 4. Aufl., 1891, p. IfiO -51.
272 14. Lasaulx* religiöser Entwicklungsgang»
klerus in große Aufregung versetzte, schrieb Lasaul x am 5. Sept.
1858 von Lebenburg an seine Frau:
„Es ist traurig, daß der hiesige Klerus so wenig Verstand hat,
daß ei' Gefahren sieht, wo keine sind, und die wirklich vorhandenen,
auch die, von seinen Bauern überflügelt zu werden, gar nicht merkt."
Die Weiterentwicklung der katholischen Kirche zu immer
strafferer Einheit der Disziplin ist über diesen sog. liberalen Ka-
tholizismus und seine Anhänger wie auch über die in unseren
Tagen unternommene Wiederbelebung dieser Ideen hinwegge-
schritten und schließt eine lebenskräftige Erneuerung derselben
wohl auch in Zukunft aus.
Eine zweite Gruppe von Anschauungen Lasaulx', die An-
laß zur Bemängelung seines katholischen Standpunktes gegeben
hat, beschließt in sich sein Versuch, auch schon im klassischen
Altertum Christliches in Ideen und Personen vorge-
bildet zu finden. Schon 1841 hat Lasaulx den Gedanken
geäußert, es gebe kaum eine im Christentum ausgesprochene
Wahrheit, die nicht substantiell auch in der vorchristlichen Welt
gefunden würde. ^) Besonders hat hier sein Vergleich von So-
krates und Christus 2) ängstliche Seelen erschreckt. Und doch
ist dieser Gedanke, das Heidentum als Prodromus des Christen-
tums zu betrachten und im Heidentum schon christliche Ideen zu
finden, den ersten christlichen Apologeten geläufig gewesen. ^)
Es war der Gedanke des Klemens von Alexandrien, der
ihn leitete: „Du kannst nie irren, wenn du das Schöne und
Wahre der göttlichen Vorsehung beilegst, mag es hellenisch oder
christlich sein. Denn Gott ist der Urheber alles Schönen und
Wahren. — Die Philosophie aber leitete die Hellenen, sowie das
Gesetz die Hebräer, zu Christo hin.** ^) Mag Lasaulx auch in
diesen Analogien zwischen Heidentum und Christentum zu weit
gegangen sein, es geschah nicht aus Geringschätzung des Chri-
stentums, sondern w^eil er des (Christentums voll war und wohl
an das Wort des Apostels dachte, daß Gott sich auch den Hei-
'f .Studien" 1854, p. 284. - ') Des Sokrates Leben, Lehre und Tod
1857, p. 99—122: Sokrates und Christus. — ''j vgl. Justinus Martyr.
Apol. I, 36; II, 8. 10. 13; Clemens Alexandrinus Stromatn VI, 5. p. 761,
10; VII, 2. p 832, 4; I. 18, p 349, 28; VI, 10, p. 781, 35; Vü, 3. p. 839.
31; VI, 17, p. 823, 21; Origenes epist. ad Gregor § 1, T. I, p. 30 E.; T. II,
p. 98 B.; Tertullian Apol. 17.; Minucius Felix Octav 20, 1; Lactan-
tius VII, 7; Orosius I, 16; Augustin Reti-act I, 13,3; Die Zitate bei La-
saulx: „Studien p. 83-- 85. - *) Zitiert in Erinnerungen an Amalie v. La-
saulx etc. 4. Aufl., 1891, p. 177.
S Werner: Geschichte der kath. Theologie 1866, p. 525. — '^) ibid.
•;>'4 und Ehrlich: Leitfaden für Vorlesungen über die allgemeine Einleitung
JD die theologische Wissenschaft und die Theorie der Religion und Offen-
barung als I. Teil der Fundamentaltheologie 1859, p. 94 und 215 Anm. —
> ^nnnerungen des Joh. Nep. Ringseis Bd. IV, p. 131.
'*^tölzle: Ernst. Von LaHunlx. 18
'l i
14. Lasaulx religiöser Entwicklungsgang. 2?3 '^i j
»1
den nicht uiibezeugt gelassen. Haneberg urteilte in seiner ^
Leichenrede mild und treffend: \\
I
(
1
• ' .1
.^Weil er ein seelenvoller, geistvoller Mann war, begegnete es
ihm leicht, daß er nicht leicht vereinbare, zerstreute Dinge zu eins
zusammenfügte, wie es sich bei mehr nüchternen Naturen leichter '!
findet, daß sie das Einige trennen. Wollen wir ihn anklagen, wenn f^
manchmal der volle Widerglanz seines inneren Lebens sich hinüber- j;
trug auf das, was er betrachtet? Und so mögen wir das leicht über- ;
sehen, daß die christlichen Ideen, die er liebte, so leicht von ihm aufs [;
Heidentum übertragen wurden, das er auch geliebt. Wenn er irrte, i
war es ein Irrtum, wozu ihn seine seelenvolle Natur hintrieb." [
%
Auch forderte das Extrem, in das Döllinger in seinem };
.,Heidentum und Judentum** durch seine einseitige Herab- *
Würdigung des klassischen Altertums verfallen war, den Wider- ..
Spruch Lasaul x' heraus und führte ihn vielleicht hie und da in \
den entgegengesetzten Fehler. Der tiefste Grund freilich von
Lasaul xs Christianisierung des Altertums lag in der ihm eigen-
tümlichen gesehichtsphilosophischen Auffassung der Ereignisse \.] j
und Personen. Dieser Anschauung zufolge war ihm alles Offen- ';
barung eines Urgrundes.
Damit kommei^ wir zu einer dritten Reihe von Gedanken,
welche mit seinem katholischen Glaubensbekenntnis nicht ganz zu- i
sammeustimmen. Das öind seine pantheistischen Anwand-
lungen. Lasaulx hielt wohl den Unterschied zwischen der J
spezifi.sch-christlichen und der allgemein menschlichen auch im f
Heidentum leuchtenden Offenbarung und der Offenbarungstheo-
logie nicht bestimmt genug auseinander. ^) Auch scheint er den
Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht immer scharf
l»etont zu haben und so einer Art Emanatianismus nahe gekom-
men zu sein. 2)
Dürfen wir aus all den vorgeführten Gedankenreihen wirk-
lich schließen, Lasaulx sei in seinem christlichen Glauben wan-
liend geworden, wie Ringseis andeutet, der von einem in man-
chen Glaubenspunkten erschütterten Christentum Lasaulx' spricht?^)
Scheint nicht auch eine Äußerung Lasaulx' selbst in einem Briefe
an seine Tochter auf Glaubenszweifel bei Lasaulx hinzudeuten?
/'
274 14. Lasaulx' religiöser Entwicklnogsgang.
In dem mehrfach erwähnten Briefe vom 24. Sept. 1857 schreibt
Lasaul X am Schlüsse:
^Auch was die sonstige Ruhe und den wahren Frieden meines
Inneren angeht, mache Dir. mein liebes Kind, keine ängstliche Sorge:
jeder muß zusehen, was er glauben und nicht glauben könne, und
wenn er aufrichtigen und ehrlichen Herzens ist. so wird Gott ihm
wie andern gnädig sein."
Da nähere Angaben über die fraglichen Glaubenspiinkte
fehlen, können wir die Frage nicht definitiv entscheiden, sondern
müssen die Lösung nur schlußweise versuchen. Ob also La-
saulx an gewissen (Glaubenssätzen des Christentums gezweifelt
hat, ist unbestimmt, nach allem sehr unwahrscheinlich. Sicher
aber ist, daß er gewissen Anschauungen huldigte, die konse-
quentes Denken als unvereinbar mit dem katholischen Stand-
punkte erkannt hätte. Freilich Lasaulx empfand diese Wider-
.Sprüche nicht als solche. In glücklicher Inkonsequenz dachte
und lebte er dabei katholisch und bewies das wenige Monate
später, als sein katholischer Standpunkt von überängstlichen
Seelen verdächtigt wurde. Da legte er von neuem und unum-
wunden ein offenes Bekenntnis seines katholischen Glaubens ah.
3. Lasaulx' erneutes Bekenntnis seines katholischen Glaubens.
Die erwähnte Zusammenstellung von Christus und So-
krates hatte Anstoß erregt und zu Mißdeutungen Anlaß gegeben.
Schrieb doch auch Böhmer am 26. Januar 1858 an Hurter:
„Merkwürdig sind doch noch auch manche den KathoHzismüs
berührende Erscheinungen, so Lasaulx über Sokrates, der diesen
näher an Christus rückt, als das alte Testament. Es wird jetzt an
eine religiöse Geistesentwicklung geglaubt, die von Anfang der Welt
bis heute in einem Zuge ging, wobei denn jede besondere Offen-
barung wegfällt, nur gelegentlich ein Blatt umgeschlagen wird.**
Der Vorwurf des Pantheismus wurde, wie es scheint, unter
der Hand kolportiert. Ein Anhänger Günthers, Mayer, findet
bei Lasaulx offen Neuplatonismus ^) und Pantheismus 2) ausge-
sprochen. Auch bestand die Absicht bei den über die Zen-
surierung Günthers erbitterten Anhängern Günthers, La-
saulx' Schriften in Rom zu denunzieren, wenigstens wollten
Nick es und Wolter den genannten Mayer dazu bewegen, wie
*) Mayer an Günther am Ostersamstag 1857; vgl. Knoodt: Anton
Günther Bd. II, 362. — -) Mayer an Günther am 1. Januar 1858; vgl.
Knoodt: a. a. 0. Bd. II, p. 396.
14. Lasaulx' religiöser Entwicklungsgang. 275
(lieser Günther mitteilt.^) Ob kirehlieherseits irgendwie an La-
saul x eine Auiforderung zur Rechtfertigung oder Präzisierung
seines kirchlichen Standpunktes herantrat, ist mir nicht bekannt.
Doch scheinen Eingang und Schluß des unten folgenden Briefes
darauf hinzudeuten, daß übereifrige Leute Schritte gegen Lasaulx
beabsichtigten.'^) Kurz, Lasaulx, der ja in keiner Weise der katho-
h'schen Lehre entgegentreten wollte, nahm Veranlassung, erneut
seine Stellung zum Katholizismus und zur Kirche bestimmt und
klar zu fixieren, und sprach bei dieser Gelegenheit seine Bereitwillig-
keit ans, sich iiii Falle etwaiger Irrtflmer dem Urteile der Kirche
zu unterwerfen. Das tat er in einem Schreiben an Marie Görres.
Der charakteristische Brief •^) lautet:
„Liebe Marie! Dem mir mitgeteilten Wunsche gemäß beeile
ich mich, Ihnen schriftlich zu wiederholen, was wir vor 8 Stunden
mündlich besprochen haben:
1 ) daß ich es als eine glückliche Fügung meines Lebens betrachte,
von katholischen Eltern im Schöße der katholischen Kirche Christi*)
geboren zu sein, und daß ich mit der Gnade Gottes hoffe, auch
im Schöße dieser Kirche zu sterben.
2) daß ich mir bewußt bin, die Wahrheiten der katholischen Kirche *)
niemals in meinem Leben angegriffen, wohl aber mehr als einmal
in meinem Leben gegen ihre Widersacher verteidigt zu haben.
*V) daß es mir von vornherein wahrscheinlich ist, daß in allen mei-
nen Schriften, die alle in einem Geiste geschrieben sind, je nach
der Größe der Probleme, deren Lösung darin versucht wird ®),
größere und '^) geringere Irrtümer vorkommen, und daß, wenn
man es in Rom im Interesse der katholischen Kirche finden sollte,
diese Schriften deshalb auf den Index librorum proibitorum zu
setzen, ich selbst dieses Urteil als ein begründetes ansehen würde,
sowie auch ich ^) den Glauben hege, daß derartige *) Maßregeln in
der Tat im Interesse der katholischen Kirche unserer^**)
Zeit seien.
^) Mayer an Günther am Ostersonntag 1858; vgl. Knoodt: a. a. 0.
Bd. II, p. 408. — ") Eine Anfrage über diesen Punkt an die Nuntiatur in
München blieb unbeantwortet. — '^) Wir teilen denselben nach dem Kon-
zepte Lasaulx' mit und notieren die Abweichungen, welche der Abdruck
des Briefes in der ^Allgemeinen Zeitung" 1861, Beilage Nr. 325, p.
5294 und darnach bei Reusch: Der Index der verbotenen Bücher Bd. II, p.
1180—31 zeigt. Die ^Allg. Zeitung** behauptet, den Brief wortgetreu mit-
geteilt zu haben. Das Konzept besitzt Herr Clemens v. Lasaulx in Bonn.
— *) Christi] fehlt in der ,Allg. Zeitung". — ^) Die Wahrheit der Kirche]
,Allg. Zeitg.". — '•) ward] „Allg. Zeitg.". - ') oder] „Allg. Zeitg.". —
^) wenn ich auch] ,Allg. Zeitg.*. — •') dergleichen] „AUg. Zeitg.". — ^^) au-
ßer der Zeit] „Allg. Zeitg.". Nach dem Konzept hat Lasaulx gerade das
Gegenteil von dem gesagt, was ihm die „Al\g, Zeitg." in den Mund legt.
Die Lesart der «Allg. Zeitg." widerspricht auch der ganzen Tendenz des
Briefes.
18*
I
L
276 14. Lasauly' religiöser EYitwicklungsgang.
Indem ich Sie ermächtige, von dieser Erklärung jeden Gebrauch
zu machen, der Ihnen angemessen erscheint, bin und verbleibe ich in
alter ^) Freundschaft
Ihr aufrichtig ergebener
M(ünchen) 27. Dezember o7. E. v. L.** *^)
An Frau Marie G(örres).
Man hat keinen Grund, an der Aufrichtigkeit dieser Er-
klärung, die ja die Adressatin auch zu veröffentlichen ermächtigt
gewesen wäre, zu zweifeln. Lasaulx sprach hier nur aus, was
er schon während seiner Reise von Nauplia am 27. Februar
1833 an Alten stein von der katholischen Kirche geschrieben
hatte, der er (Lasaulx) durch das Glück der Geburt wie durch
Überzeugung angehöre. ^) was er in der seiner Doktordissertation
angehängten Lebensbeschreibung 1835 hatte drucken ^) und in
den Studien 1854 wiederholt h^tte. ^) Auch eine briefliche
Äußerung Lasaulx' vom 22. Sept. 1858 an seine Frau beweist
nichts gegen die Aufrichtigkeit von Lasaulx' Erklärung. La-
saulx schreibt von einem Frl. Lili von Lieven und ihrer
leisen Hinneigung zur katholischen Kirche und bemerkt:
„Ihre lautere Seele fühlt mir an, daß ich den einfachen un-
bedingten Glauben, in welchem sie sich glücklich fühlt, nicht
besitze, und möchte mir ihn gerne mitteilen, obgleich ihr bescheidenes
sinniges Herz seine Wünsche mehr fühlen läßt, als daß es wagte, sie
auszusprechen, was Dir und ihr Gott vergelten möge."
') aller] ,AUg. Zeitg/. — ') Nach Knoodt: Günther Bd. 11, p.
256—8 hätte Lasaulx schon vor 1855 in einer Schrift: „Zur Günther-
und Antigüntherliteratur'' dieselbe Ansicht über den Index ausgespro-
chen, wie in dem eben genannten Briefe von 1857. Lasaulx habe über
Günthers Philosophie geschrieben: „Zensuren werden kommen, weil nicht
alles stichhaltig ist. Der großartige Ober- und Unterbau wird teilweise refor-
miert werden, aber das edle Streben, das geoffenbarte Dogma auch zum all-
seitigen wissenschaftlichen Verständnis zu bringen, wird nicht verdammt wer-
den." Es sei gut, wenn Rom auch in dieser Sache spreche; es würden hie-
durch neue sichere Anhaltspunkte zu neuen gläubigen Forschungen geboten.
Auch die Schule müsse sich freuen, an der Hand der Kirche, die warnend
und schützend zur Seite gehe, sicheren Schrittes über alle E^lippen geleitet
zu werden. „Rom bleibt Rom, und vor der göttlichen Autorität muß und
wird mit Hirscher u. andern auch Günther und seine Schule sich beugen,
denn wir alle haben gefehlt, nur die Kirche ist's, die nicht fehlen kann; wir
alle haben gesündigt, nur sie ist unbefleckt auf Erden." Diese Ansichten
stimmen ja zu Lasaulx Anschauungen; aber es ist uns nicht gelungen, die
Schrift: „Zur Günther- und Antigüntherliteratur"* aufzutreiben, noch
sie als eine Schrift Lasaulx' nachzuweisen. Auch Roskovany: Pontifex
Romanus Bd. IV erwähnt sie nicht. Das beweist freilich nichts, da er unter
den Schriften über die Kölner Wirren Lasaulx' Schrift auch nicht aufzählt,
also nicht exakt und zuverlässig ist. — •') vgl. Kap. 3, p. 58. — *) De mor-
tis dominatu in veteres 1835, p. 68. - '*) „Studien" p. 497.
14 Lasaulx' religiöser EntwicklungsgaDg. 277
Lasaulx will damit nicht sagen, daß ihm der Glauhe über-
haupt fehle, sondern er gesteht damit nnr, daß ihm jener naive,
kindliehe Glaube, der nicht reflektiert, jener Glaube, der nie
durch Zweifel getrübt worden, fehle. Das ist nicht ein Bekennt-
nis des Unglaubens, sondern Sehnsucht nach dem unbefangenen
Ghiuben der Kindheit, wie es Lasaulx schon früher ausge-
sprochen. Es ist der Gedanke, den Lasaulx schon IHol am
12. Juni in einem Briefe an die Mutter aussprach; er spricht von
jener glücklichen Unschuld und Unbefangenheit des Denkens und
Fflhlens, die einmal verloren, nur durch die Macht wissenschaft-
licher Erkenntnis ersetzt werden kann, wenn sie ersetzt werden
kann. Denn in der Sclirift steht freilich, daß der Erkenntnis-Baum
nicht der Baum des Lebens sei. ^)
Und wie mit dem ersten Punkt seiner Erklärung war es
Lasaulx auch ernst mit den zwei folgenden, mit dem christ-
lichen Sterben und der Anerkennung der kirchlichen Autorität.
Lasaulx beschloß sein Leben mit christlichem Leiden
und Sterben. Sein Freund und Kollege Abt Haneberg konnte
mit Recht von ihm in seiner Leichenrede sagen: „Dem Christen-
tum mit dem Herzen immer nahe und verwandt, voll von ihm,
hat er oft bei Gelegenheiten, wozu ihn kein strenger Beruf trieb,
öflfentlich Teilnahme gezeigt ah den christlichen Übungen. Und
er hat in den Tagen seiner letzten Krankheit gezeigt, daß ihm
das Christentum kein äußeres Bedürfnis gewesen." Er verlangte
und empfing die Sterbesakramente.
Lasaulx hat endlich auch Ernst gemacht mit seiner An-
erkennung der kirchlichen Autorität. Was er 1857 in
seinem Briefe an Marie Gör res bekannt hatte, daß seine Schrif-
ten Irrtümer enthalten mögen, daß er eine etwaige Indizierung
für begründet ansehen würde, daß er endlich überhaupt die Ein-
richtung des Index als im Interesse der katholischen Kirche ge-
legen erachte, dazu bekannte er sich auch noch in den letzten
Wochen seines Lebens und gab damit einen erhebenden Beweis
seiner Wahrheitsliebe, aber auch seiner Demut und seines Ge-
horsams gegenüber der katholischen Kirche,-) „Lasaulx fühlte
') vgl. Kap. 3, p. 32. — ■) Man hat schon öfter auf katholischer
Seite eine Reform bezüglich der Handhabung des Bücher verbot es angeregt,
zuletzt noch Herr v. Hertiing ivgl. wissenschaftliche Beilage der „Ger-
mania*' 1902, Nr. 11, p. 86). Gewiß ist das Wort des großen Papstes,
Leo XIII. : ,,Man muß den Gelehrten Zeit lassen zu irren'' allen übereifrigen
Ketzerrichtern zu empfehlen, gewiß mahnt die Irrung der Indexkongregation
im Falle Galilei zur äußersten Vorsicht, gewiß können Indexverbote bei
278 14. Lasaulx' religiöser Entwicklungagang.
sich nämlich gedrungen — so erzählt die „Allgemeine Zeitung** die
Neue Münchener Zeitung berichtigend ^) — bei einer gewissen
Gelegenheit 2) zu wiederholen, was er in jenem Briefe bereits
ausgesprochen, seine Anhänglichkeit an die katholische Kirche
und ihre Lehren und sein Bedauern darüber, wenn und was er
etwa möglicherweise Irriges wider dieselben gegen seine Ab-
sicht in Wort oder Schrift vorgetragen. Es war, wenn man
will, ein allgemeiner impliziter Widerruf möglicher Irrtümer, dem
Manne diktiert von seiner aufrichtigen und gewissenhaften Liebe
zur Wahrheit, die, wenn auch unbewußt verletzt zu haben, ihm
ein peinigender Gedanke war. Die besagte Erklärung ging von
ihm aus zwar während seiner letzten Krankheit, aber nicht kurz,
sondern 7 Wochen vor seinem Tode. Sie wurde nicht diktiert,
wie jene Korrespondenz ^) behauptet, auch nicht in seiner Gegen-
wart oder nach seiner Anweisung oder mit seinem Vorwissen zu
Papier gebracht oder seiner Rekognition unterbreitet, was alles
außer Zweck und Umständen lag. Was nach Rom abging, war
ein Resume seiner Äußerungen aus dem Gedächtnisse — immer-
hin wahrheitsgetreu — anderswo und auf Befehl eines Dritten
aufgesetzt, in unget^hr 5 Zeilen zusammengefaßt. Dieses der ge-
nauere Hergang.** ^)
der modernen Publizität der Ideen die Verbreitung von IrrtOmem nicht hin-
dern, gewiß ist für einen betroffenen Autor ein solches Verbot seiner Schrif- —
ten schmerzlich, — gleichwohl kann die Kirche, wo es sich um die Wah- —
rung des Glaubensinh altes handelt, nicht darauf verzichten, Irrtümer -m
als solchejzu kennzeichnen im Interesse ihrer Selbsterhaltung, und muß, wenn m-h
die Verbreitung des Irrtums eine öffentliche und wirksame war, auch der -larr
Verurteilung möglichste Publizität sichern. Lasaul x hat also recht, den
Index als im Interesse der katholischen Kirche zu bezeichnen.
') „Allg. Zeitung" Beilage, Nr. 341 (1861), p. 5568. — ^ Wahrschein-
lich bei Empfang der hl. Sakramente. — ') Die „Neue Münchener Zeitung' "■• ""
hatte das behauptet; vgl. „Allg. Zeitg." 1861, Nr. 323, p. 5427. — *) Trotz ise^z
dieser Erklärungen von 1857 und 1861 wurden am 7. August 1861 — also <äz^-o
3 Monate nach Lasaulx' Tode — folgende 4 Schriften Lasaulx' auf den In- —
dex gesetzt: 1. Liber die theologische Grundlage aller philosophi- —
sehen Systeme 1856; 2. Neuer Vorsuch einer alten auf die Wahr- —
heit der Tatsachen gegründeten Philosophie der Geschichte
1857 -sie!); 3. Des Sokrates Leben, Lehre und Tod nach dem Zeug-
nis (sie!) der Alten 1857; 4. Die prophetische Kraft der Menschen
seele in Dichtern und Denkern 1858. Am 14. Oktober 1861 ließ das— ^
Sauf Uffizio das vom Kardinal Altieri unterzeichnete Dekret durch Anschlagt'
in Rom bekannt machen. („Allg. Zeitung** 1861, Nr. 295, p. 4811.) Die In-
dexausgabe von Turin 1891, p. 218, enthielt den Zusatz: , Auetor ante
mortem laudabiliter se subiecit iudicio ecclesiae'*, einen Zusatz,
den die Ausgabe von Rom 1900, p. 179—180, fortläßt. Man hatte wohl
Reusch: Der Index der verbotenen Hücher ßd. II (1885), p. 1180 f., berück-
sichtigt, der darüber spottete, wie sich jemand noch nach seinem Tode unter-
14. liABaulx' religiöser Entwicklungsgang. 270
Das ist Lasaulx religiöser Entwicklungsgang. Mag La-
saulx auch bei seiner gescliichtsphilosophischen Art, die Dinge
zu betrachten, da und dort Anschauungen vertreten haben, welche
ängstlichen Gemütern kirchlich weniger korrekt scheinen könnten,
mag es ihm bei dem jedem Gebildeten zur Pflicht und zum Be-
dürfnis gewordenen Versuche, zwischen Glauben und Wissen Ein-
tracht zu stiften, auch nicht immer gelungen sein, zwischen sei-
nem katholischen und seinem wissenschaftlichen Glaubensbekenntnis
in allen Punkten vollständige Harmonie herzustellen und die seinem
katholischen Standpunkt entsprechende adäquate Fassung zu fin-
den, — Lasaulx wollte nie in Gegensatz zur katholischen Welt-
anschauung, die ihm von Jugend auf teuer war, treten. Das lag
ihm völlig fern. Hat er es ja doch in Briefen an seine Tochter
Anna wiederholt betont, da& er nichts geschrieben, was er nicht
vor Gott und der Wahrheit verantworten könnte. ^) Hat er ge-
irrt, so geschah es nicht aus bösem Willen, sondern unbewußt
uod in guter Absicht. Lasaulx wollte in Gesinnung nnd Tat
ein bekenntnistreuer Katholik sein und war es auch im Leben
und Sterben. \\
Das bezeugte ihm Haneberg in seiner Grabrede, das be-
zeugten seine Schüler und Verehrer, deren einer — Domkapitular
und Landtagsabgeordneter Wolfsteiner in Eichstätt — an die
Witwe gerade Ober Lasaulx' religiösen Standpunkt nach Hin-
weis auf die allgemeine Anerkennung des Hingeschiedenen schrieb:
„Docli was mehr ist als dieses alles, ist seine Religiosität,
aus welcher sein Edelmut und seine Biederkeit hervorgegangen. Sie
war ihm Stütze und Halt im Leben und darum sein Trost im Sterben,
die Quelle einer unendlichen Seligkeit und die Bürgschaft des freudig-
sten Wiedersehens."
werfen könne. Übrigens besagt bekanntlich die Indizieiiiiig eines Autors
nichts über den religiösen Standpunkt eines Autors, sie spricht also
iu unserem Falle Lasaulx keineswegs die Eatholizität ab. Die Indi-
zierung betrifft nur die Schriften eines Autors, die damit nicht etwa sofort
als häretisch stigmatisiert werden. Die Indizierung kann erfolgen wegen
blol3 anstößiger Stellen. Aus welchen Gründen und auf welche Denunzia-
tion hin die genannten Schriften Lasaulx' auf den Index kamen, ist nicht
bekannt. Aloys Schmid: , Wissenschaftliche Richtungen auf dem Gebiete
des Katholizismus 1862, p. 237, vermutet, daß die Schriften Lasaulx' des-
halb auf den Index gekommen seien, weil er den Unterschied der auch im
Heidentum leuchtenden allgemein nienschlichen und der spezifisch christlichen
Offenbarung und Offenbarungstheologie nicht genügend und klar betonte.
•j vgl. Kap. 9, p. 179.
I
15. Kapitel.
Krankheit und Tod» Schicksal seiner Familie,
keine Schule.
Motto: pSelig sind die Toten, die im Herrn
sterben."
Dieses edle Leben, reich an Arbeit und Ideen, verzehrt im
Dienste der Jugend, im Dienste des gemeinen Besten, neigte sicli
unerwartet schnell zum Ende. Wohl litt Lasaul x in den letzten
Jahren an Atmungsbescli werden, klagte ober Herzbeklemmungen,
Drttsengeschwfdste, empfand überall den Staub als seinen Erb-
feind, auch machten ihm gichtische Leiden zu schaffen, aber all
das konnte ihn nicht abhalten, seiner Pflicht als Lehrer und Ab-
geordneter nachzugehen. Da kam im Winter 1860 eine Lungen-
entzündung über ihn. Er erholte sich nochmals nnd nahm die
Vorlesungen wieder auf. Am 15. März las er zum letzten Male.
„Er sprach — so erzählt Holland — merkwürdiger Weise über
den Schlaf, „der die Wurzel des Lebens restauriert**, über die
krankhaflen Zustände der Schlaflosigkeit und über den Traum.
Dabei sprach er das rätselhafte Wort: „Wer den Schlaf gehörig
erfaM und erkennt und würdigt, hat den Dingen so ziemlich auf
den Grund geschaut." Dann definierte er die drei verschiedenen
Ansichten über den Tod, die materialistische, die wohl eine
ganz respektable Kraft verlange, um mit ihr das Leben zu schlie-
ßen; die spiritualistische, welche auf ganz bedeutende Geister
einen großen Reiz auszuüben im Stande gewesen; zuletzt die
sog. christliche, daß die Seele vom Leibe sich trenne und
speziell fortdaure, eine Ansicht, die nicht geradezu spezifisch-
christlich genannt werden könne, da sie große Männer längst vor
dem Christentum zuversichtlich geglaubt und gelehrt hätten, und
die des Menschen so eigentlich erst würdig wäre. Darauf schloß
er wörtlich: „Mag jeder von diesen drei Ansichten wählen, welche
er immer will, er möge aber bedenken und überlegen, ehe er
') Holland: Erinnerungen p. 88. — '^} Holland: a. a. 0. -
'i ,Al]g. Zeitung" 1861, Nr. 82 vom 21. März. — ^) ;,Allg. Zeitg." 1861,
Nr. 83, p. 1347 und Nr. 85, p. 1378. - ^) ,Ällg. Zeitg." 1861, Nr. 111 -
"i Personalakt von Lasaulx an der Universität München. — ') Hanebergs
Leichenrede Msk. - «) ,Allg. Zeitg" 1861, Nr. 82 vom 21. MUrz.
15 Krankheit und Tod, Schicksal seiner Familie, keine Schule. 281
wählt; und sollte einer töricht wählen, so wird er doch noch vor
seinem Lebensende soviel Mut und Charakter besitzen, daß er
zur richtigen Ansicht zurücktritt.** *) Darnach brach er frflher
ab und hielt im Landtag eine Rede in der kurhessischen Frage,
die seine Kräfte überanstrengte und ihn neuerdings aufs Kranken-
lager warf. ^) Die Teilnahme an seiner Krankheit war grois.
Besonders bezeigten dieselbe außer Frau und Tochter seine
Schwestern durch liebevolle Erkundigung und innigstes Gebet im
Verein mit ihren Klostergenossinnen. König Max II. schickte
seinen Leibarzt von Gietl zu Lasaulx.^) Am 23. und 25. März
meldete die Zeitung eine Besserung. Der Leibarzt des Prinzen
Luitpold, Hofrat Zink, leitete die Behandlung, und Ringseis
nahm auch teil. Der König ließ sich wiederholt nach dem Be- j
finden Lasaulx' erkundigen.^) Am 19. April trat eine Verschlim- [
nierung ein. ^) Doch Lasaulx hoffte noch immer auf Genesung j
und erbat und erhielt am 27. April 1861 für Mai und. Juni ür- ;
laub. *^) Lasaulx litt schwer. Abt Haneberg sagt in seiner
Leichenrede von ihm: „Er hat schwer gelitten an seiner Krank-
heit, die vielverzweigt war in die edelsten Gebiete des Organis-
mus; er war beraubt des einzigen, was den Leidenden noch er-
quicken kann, des Schlafes. Denn er hat 7 Wochen lang keinen ,
Schlaf genossen und hat wohl gefühlt seine Worte, die er an
seine Familie sprach: Die Gesunden und die Kranken haben ver- i.
sehiedene Gedanken. Ihr, meine Teuersten, so groß eure Teil-
nahme sein mag, ich sage euch, ihr könnt nicht fühlen, was ,
Kranke leiden und fühlen.** ^) J
In diesen Schmerzenstagen verlangte und empfing er die \
Tröstungen der hl. Religion. Es war am 21. März. ^) Haue- t
berg erzählt von seinem festen Glauben an das Jenseits. „Das
glaubte er und richtete sich auf zu dem, der da sagt: „Ich bin
der Weg, die Wahrheit und das Leben.** Und daher nicht
aufgedrungen, sondern aus freiem, eigenem Verlangen
wurden ihm die hl. Weihungen gebracht, in die er seine
Sorgen niederlegte, und daher seine große Geduld, die er in
seinem schweren Leiden gezeigt hat, daher, daß er als Christ
nicht bloß geboren, sondern auch wiedergeboren sein wollte.^
282 15. Krankheit und Tod, Schicksal seiner Familie, keine Schule.
Trotz der schweren Krankheit hoffte er auf Genesung, hoffte, seine
Vorlesungen wieder aufnehmen, wieder in den Garten und wieder
zu seinen Schülern gehen zu können, wie Haneberg berichtet.
Noch wenige Tage vor seinem Tode äußerte er, er habe seine
Abhandlung über „Schlaf und Traum" in Gedanken ganz aus-
gearbeitet und freue sich, selbe nach seiner Genesung gleich zu
schreiben. ^) Es war ein letztes Aufflackern.
Am 9. Mai 1861 am Tage vor Christi Himmelfahrt ging er
nachmittags 4^2 *ui Frieden mit sich, mit Gott und der Kirche
hinüber in die Welt des Jenseits, in die sich sein Geist so oft
sinnend und sehnend versenkt hatte. Er hatte ein Alter von nur
56 Jahren und einige^) Tagen erreicht.
Sonntag, den 12. Mai 1861, nachmittags ö Uhr, bei dem
herrlichsten Frühlingswetter wurden seine irdischen Reste auf
dem südlichen Friedhof zur Erde bestattet. Der Leiche folgte
nächst den Leidtragenden eine dichtgedrängte tausendköpfige
Masse aus den gebildeten Ständen der Hauptstadt, so verschieden
an Gesinnung und Stand wie an Geschlecht und Alter. Die
Staatsm in ister des kgl. Hauses und des Äußeren, des Inneren,
des Kultus, der Justiz und der Finanzen, die Staatsräte im or-
dentlichen Dienst, die Mitglieder der beiden Kammern des Land-
tags — jene der Abgeordneten fast vollzählig — mit ihren Di-
rektorien an der Spitze, die Professoren der philosophischen Fa-
kultät, mit dem Rektor an der Spitze (damals der Mediziner
Franz Seitz), sämtliche im Talar, zahlreiche Professoren der
übrigen Fakultäten im Zivilkleid, die Studenten der Hochschule
in großer Zahl, Mitglieder der Akademien der Wissenschaften
und Künste, Offiziere und Staatsbeamte jedes Rangs und aller
Dienstzweige, Bürger und Einwohner aller Klassen, auch zahl-
reiche Vertreter der Presse nicht zu vergessen, hatten sich dem
Trauerzug angeschlossen. Die kirchliche Einsegnung nahm Abt
Dr. Haneberg, von Lasaulx' langjähriger Freund, vor und hielt
die Grabrede. Nach ihm trug Oskar Frhr. von Redwitz, nach-
dem er einen einfachen Lorbeerkranz auf den Sarg niedergelegt,
einen letzten poetisclien Gruß und Nachruf an den zu früh der
Kammer entrissenen ganzen Mann vor. Ein kurzes, von der
ganzen dichtgedrängten Versammlung mitgesprochenes Gehet
schloß den traurigen Akt, der vielen der Anwesenden, die von
La sau Ix im Leben näher gestanden waren, Tränen in die Augen
^) Holland: Erinnerungen an E. v. Lasaul x 1861, p. 39.
15. Krankheit und Tod, Schicksal seiner Familie, keine Schule. 283
gelockt hatte, ^) Die Studenten gaben ihre Sympathie für den
teuren Lehrer kund durch Grabgesänge. Und am 16. Mai ehrten
ihn etwa 300 an der Zahl unter Begleitung zweier Musikkorps
durch einen Fackelzug. Wie der Sektionsbefund- ergab, erlag
Lasaulx weniger seinem organischen Herzleiden als den Folgen
der wiederholten Lungenentzündungen, die er im Laufe des Win-
ters sich zugezogen, aber nicht genug geschont hatte. ^)
Gerade höher stehender Menschen Hingang wird im Volke
vielfach gar nicht empfunden; ihr Sterben hinterläßt keine Lücke.
Nicht so bei Lasaulx; er starb nicht unbe weint und unbeklagt
Um den Hingegangenen trauerten seine Gattin und seine
Tochter Anna, trauerten seine Schwestern Amalie, als Schwester
Augustine Oberin der barmherzigen Schwestern in Bonn, Anna,
als Schwester Hildegard, Generaloberin der Elisabetherinnen im
Hospital zum hl. Geist zu Luxemburg, Klementine, Oberin einer
Vagabundenanstalt in Ettelbrück, trauerte sein Bruder Hermann,
trauerten alle die Verwandten des Hauses Lasaulx am Rhein.
Besonders nahe ging Lasaulx' Tod seiner Schwester Amalie,
die von jeher mit Liebe und Begeisterung zu ihm aufgeblickt
hatte. Wie schwer sie den Verlust des geliebten Bruders em-
pfand, zeigt ein Brief, den sie einige Monate nach Ernsts Tode an
Frau Cornelius in München richtete:
,Mir wird es doch unendlich schwer, mich mit dem Gedanken
vertraut zu machen, denjenigen mir soweit entrückt zu wissen, welchen
ich stets im Geiste so (Mige mir verbunden gedaclit. Alle seine vor-
trefflichen Eigenschaften hahen ilni mir um so teurer gemacht, je sel-
tener ich im Leben sie hei andern vereinigt gefunden habe. Freilich
hört diese geistige Gemeinschaft jetzt nicht auf, sondern ist das ein-
zige, w\is mir die Trennung dem Angesichte iiacli in etwa erleichtert.
Ich glaube, data ihm das Sterben nur momentan schwer geworden ;
denn er war doch innerlich ein so unendlich vereinsamtes Gemüt.
Nicht ohne grotae Wehmut kann ich der Tatsache gedenken, wie so
weniges sich doch für ihn verwirklicht hat, was er im Lehen mit so
reichen Hoffnungen und mühevollen Anstrengungen erstrebte. Wie
meine beiden Schwestern die Trauerl)otschaft aufgenommen, habe ich
noch iiiclit gehört, kann mir aber denken, dali Klementine mit ihrem
leidenschaftlichen Herzen noch lange durchkämpfen nmla.'* ^)
Um Lasaulx trauerten aber auch aufrichtig seine zahl-
reichen persönlichen und politischen Freunde, trauerten seine
vielen, vielen Schüler. In Briefen und Zeitungsartikeln, in Ge-
'} Siehe .Allgemeine Zeitg." 18G1, Beilage Nr. 133, p. 216i^; Nr. 134,
p. 2174; ,Allg. Zeitg.« Nr. 137, p. 2227. - ^ ibid. ~ =') Erinnerungen an
Amalie v. Lasaulx etc. 4. Aiifl., Gotha 1891, p. 179—80.
284 15. Krankheit und Tod, >^chicksal seiner Familie, keine Schule.
dichten und Nekrologen gab sich die Klage um den edlen
Toten kund.
Prälat Stülzi) schrieb:
„Ein Verlust für das gesamte Vaterland zumal in einer Zeit, in
welcher Männer so selten sind — ein solcher war er im vollsten Sinne. *•
In ähnlichem Sinne gab Marie Görres ihrer Klage Ausdruck:
„Die wahrhaft edlen Menschen sind jetzt so selten mehr auf der
Well, daß es einem bitter weh ums Herz wird, wenn wieder einer
dieser wenigen hingegangen."
Und die Allgemeine Zeitung 2) begleitete Lasaul x' Todes-
nachricht* mit den schönen Worten:
„In ihm ist der Universität eine ausgezeichnete Lehrkraft, der
Wissenschaft ein eifriger treuer Pfleger, dem Vaterlande einer der
edelsten Mitbürger, voll Offenheit und Uneigennützigkeit, jeder Lüge in
was immer für einer Form feind, voll Hingebung für eine von ihm als
gut anerkannte Sache, mit einem Worte, ein edler und fester Cha-
rakter entrissen worden.*
Böhmer^) schrieb am »U. Mai 1861 an Frau General von
Hofmann in Koblenz:
„Lasaulx' Tod ist mir natürlich auch sehr leid gewesen. ... Es
freut mich, daß Sie, liehe Tante, seiner so iji Gutem gedenken. Ge-
wiß war er ein durchaus rechtschaffener, charakterfester und sehr fein
gebildeter Mann."
Auch die Musen stimmten in die allgemeine Trauer ein.
In sinnigen Versen haben Oskar von Redwitz und Friedrich
Beck die Totenklage um Lasaulx angestimmt. Oskar von
Redwitz pries seine Bieredsamkeit und Furchtlosigkeit, seinen
Freimut und seine Ritterlichkeit, seinen Edelsinn und seine Wahr-
heitsliebe in dem schönen Gedichte : *)
An Ernst von Lasaulx' Grabe (12. Mai 1861).
1. So bist du uns entrissen, 2. Ja, groß !—Wer's immer kannte,
Liegst drunten stumm und bleich! Er preist sein Gold als echt.
Herr in der Weisen Wissen, Ein Herz, das feurig brannte
Und in der Schönheit Reich! Für Wahrheit und für Recht.
Du Meister klarer Rede, Wer hat mit edlerm Grimme
Du schneidig Kämpenerz! — Gen Lug und Trug gekämpft?
Ach, deine letzte Fehde, Wes deutschen Mannes Stimme
Sie brach dein großes Herz. Hat minder Furcht gedämpft?
^) In St. Florian in Osterreich Abt, mit Lasaulx von der Frankfurter
Nationalversammlung her befreundet; vgl. Pailler: Jodokus Stütz, ein Le-
bensbild 1876. — •-) Nr. 131, p. 2127 vom 10. Mai 1861. — '») Job. Fr.
Böhmers Leben, Briefe und kleinere Schriften durch Job Janssen Bd. HI
(1868), p. 359 60. — *) Abendblatt der „Neuen Münchener Zeitung" Nr. 141
vom 13. Mai 1861; „Allg. Zeitg." 1861, Beilage Nr. 133, p. 2169.
15. Krankheit und Tod, Schicksal seiner Familie, keine Schule. 285
3. Wo mancher sich verkrochen 4. Dich kümmerte gar wenig,
In klug bedachter Scheu, Was man von dir geglaubt!
Hast du stets gleicli gesprochen, Dir selbst nur untertänig
Ein unerschrockner Leu! Erhobst du frei das Haupt!
War auch dein Wort oft bitter, Der Süden und der Norden
Und schlug dein Schwert auch fehl — Dafür dir zeugen kann.
Warst allzeit doch ein Ritter Ja, wir sind ärmer worden
Ohn' Angst und ohne Hehl! Um einen ganzen Mann.
f). Ol "s wai- ein edles Leben, 0. Und weil wir solches wissen
Das unser Freund vollbracht! Von deinem Schwert und Schild,
Wer will den Stein erheben, Voll Leid wir dich vermissen
Weil anders er gedacht? Als deutschen Mannes Bild,
Wer rechnet ihm zur Schande In unsres Rates Mitte,
Sein Wort so scharf und frei? — Der stets dich ehrt und preist,
daß im deutschen Lande Mit deiner edeln Sitte,
Gleich wahr ein jeder sei! Du kunstdurchklärter Geist!
7. Und warst du auch geschieden. (S. daß nach Streitesmühe,
Bevor das Herz dir brach, Du Held voll lautrer Kraft,
Dir wallte doch zum Frieden Nun auch der Kranz dir blühe
Die zweite Kammer nach. Glücksel'ger Ritterschaft!
Und soviel mit dir tagten, Daß du im ew'gen Lichte
Und kämpften gegen dich, Die Wahrheit schauest klar,
Sie all' ins Grab dir sagten: Die deines Geists Gesichte
Du schlugst dich ritterlich! Stets heil'ge Sehnsucht war!
Herrliche und gedankenvolle Terzinen widmete dem Ent-
schlafenen in der Gesellschatl der „Zwangslosen" Friedrich
Beck,i) Lasaulx' reiche Kenntnisse und hohe Gedanken^ sei-
nen edlen Willen und seine Selbstlosigkeit, seine Wahrheitsliebe
und seine Unerschrockenheit verherrlichend.
, Vereinsamt ist ein Sitz in unsrer Runde;
Uns fehlt der teure Mann, der mit Bedacht
Den gleichen Platz erkor zur gleichen Stunde.
Das Haupt dem Löwen gleich an Würd' und Macht,
Die Haltung straff, das Auge feurig klar.
Seltsam sein Wesen, seltsam seine Tracht.
Zur Schulter wallend dunkles Lockenhaar
Mit Grau gemischt, indes im Antlitz Glut
Und blühende Frische noch der Jugend war, —
So trat er ein, und brachte frohen Mut;
Er bot die Hand zum Drucke dort und da.
Und jeder, der ihn ansah, war ihm gut.
Ja, warm ums Herz ward jedem, der ihn sah,
Wie kam dies wohl? Welch einen Zauber horl
Trug er für alle, die ihm kamen nakV
') Holland: Erinnerungen p. 45-46.
Ö86 15. Krankheit und Tod, Schicksal seiner Familie, keine Schule.
Was scheuchte bald den letzten Rückhalt fort,
Und weckte traulich des Gespräches Leben.
Wenn er erschien an jener Ecke dort?
Nicht war's sein Wissen bloß. Zwar ihm gegeben
War reiche Kenntnis und Gedankenfülle,
Und manchen Schatz der Forschung hob sein Sireben.
Es war nicht dies allein. Was in der Stille
Uns zog zu ihm mit mächt'ger Liebe Zug,
Es war sein reiner, war sein edler Wille.
El* kannte keine Selbstsucht, keinen Trug,
Fremd bHeb ihm das Getriebe der Parteien.
Von denen keine ihn in Fesseln schlug.
Fest stand er, um der Wahrheit sich zu weihen,
Sie war's, die sich in seine Rede gofs,
Auch wo man ihn des Irrtums mochte zeihen.
Fih^ Wahrheit war kein Opfer ihm zu groß,
Wir denken dess*, was Kühnes er gesagt,
Als Menschenfurcht gar viele Lippen schloß.
Nun schweigt sein Mund! Dies Herz, das nie gezagt.
Stand still: sein Geist verweilt in höhern Sphären,
Zu denen er so oft den Flug gewagt.
Er schweigt; doch wirken wird sein Wort und währen
Manch kräft'ger Ausspruch von der Welt Geschicken
Und von den Künsten, die das Sein verklären.
Was geistig schön, es mußte ihn beglücken.
Ein Priester war er in der Vorwelt Hallen,
Und ihre Sphinx, sie lag vor seinen Blicken:
Nun sind die letzten Schleier ihm gefallen,
Er sieht im Licht, was dunkel noch hienieden;
Und wir? — Uns unvergeßlich bleibt er allen,
Wir kämpfen noch; er ruht in Gottes Frieden!''
Ein unbekannter Dichter faßt die Summe von Lasaul x'
Leben, nachdem er geschildert hat, wie Lasaulx den Hilfe- und
Ratsuchenden, den Schwachen, den Bedrängten, den Sorgebela-
denen, den Gebeugten immer zur Verfugung stand, mit Rat und
Tat helfend, treffend in die 4 Zeilen zusammen:
„Bei allem Wissen, allem Streben,
Wißt ihr, was das Höchste ist?
Daß er gerecht und wahr im Leben,
Daß er starb als frommer Christ."
Und noch Jahre nach seinem Tode schrieb der edle und
gelehrte Haneberg, der Freund Lasaulx' und Lehrer seiner
Tochter, daß er den Namen Ernst sehr oft vermöge einer un-
auslöschlichen verehrungs vollen Erinnerung in sein memeuto ein-
schließe. ^)
^) Brief Hanebergs vom 25. Januar 1864.
15. Krankheit und Tod, Schicksal seiner Familie, keine Schule. 287
Glücklich der Mann, dessen Hinscheiden solche Klagelaute
wachruft. Glücklicher der, dessen Werk seine Nachkommen oder
Schfller fortführen. Dieses Glück Ward Lasaulx nicht zu teil.
Niemand von seinen Nachkommen setzte sein Werk fort.
Am 14. Juli 1887 starb seine Tochter Anna, das einzige von
Kindern, das ihm geblieben war, zu Bernau am Chiemsee plötz-
lich, aber nach langen mit großer Geduld ertragenen Leiden, 7
Jahre nach ihrer Mutter, die am 4. Juli 1880 71 Jahre alt nach
langem schweren Leiden zu ihrem Gatten heimging. Mit dieser
Tochter waren Lasaulx' unmittelbare Stammeserben erloschen.
Kein Sohn pflanzte Geschlecht und Geist und Werk Lasaulx'
fort. Sepp nennt es mit Recht ein seltsames Schicksal, daß die
damals tonangebenden Männer Görres, Phillips, Jarcke, La-
saulx, Ringseis, Böhmer, Rat Schlosser, Thomas, Win-
dischmann — alle ohne Stammeserben aussterben sollten.
Ihre Bestrebungen auf kirchlichem Gebiet gingen ebenfalls ohne
bleibendes Resultat im Strudel der Gegenwart unter. ^)
Ebenso führte niemand von Lasaulx' Verwandten sein
Werk fort. Seine Geschwister folgten ihm bald in die Ewig-
keit nach.
Auch keine Schule hinterließ E, v. Lasaulx, keine gei-
stigen Söhne, welche in seinem Sinne literarisch weitergewirkt
hätten.
Dagegen hinterließ er den Ruhm eines fleckenlosen Cha-
rakters, hinterließ er Schriften, die durch ihren Ideenreichtum
noch heute ihren Reiz ausüben.
Was diese Werke Lasaulx' für Religions- und Geschichts-
philosophie und Ästhetik bedeuten, mit andern Worten die Dar-
stellung von Lasaulx' Weltanschauung und Stellung in der Phi-
losophie behalten wir einer eigenen Schrift vor.
^) Sepp: Görres und seine Zeitgenossen 1877, p. 581.
Schluss.
Motto: „Was der Mensch im Laufe seines Lebens
wirkt, hängt doch mehr von seinem Cha-
rakter ab, als von dem Reichtum seines
Wissens." K. E. v. Baer.
Wir hal)en Lasaulx begleitet durch alle Phasen seiner
Entwicklung. Wir sind ihm gefolgt auf der Schule und auf der
Wanderschaft, in der Studierstube und auf dem Katheder, in
Fakultät und Senat, in Familie und Freundeskreis, in Heimat und
Fremde, im öffentlichen und privaten Leben, im traulichen Zwie-
gespräch vertrauten Briefwechsels und auf der Triböne des Par-
laments, bei Arbeit und Erholung, in guten und bösen Tagen.
Aber wo wir ihn auch beobachteten und belauschten, immer ist
er uns entgegengetreten als ein Mann von erstaunlicher Belesen-
heit, als ein tiefsinniger Denker, ein feiner Kenner und Verehrer
des Schönen, ein Lehrer von Gottes Gnaden, ein ideenreicher
Schriftsteller, ein hinreißender Redner. Aufrichtig und ohne
Falsch, Feind aller Zweizöngigkeit und Intrigue, wahr und ge-
recht, von größter Gewissenhaftigkeit in Leben und Wissenschaft,
unbeugsam in seinem Rechtssinn, rastlos tätig, ein furchtloser
Vorkämpfer für Recht und Freiheit, ein ehrlicher Verteidiger von
Monarchie und Christentum, selbstlos und freimütig, konservativ
im edelsten Sinne des Wortes, und doch freiheitlich, dazu durch-
aus deutsch gesinnt, ein dankbarer Sohn und liebevoller Bruder,
ein treubesorgter Gatte und Vater, ein dienstgefälliger Kollege
und hilfsbereiter Freund, tiefreligiös, entschieden katholisch und
dabei tolerant, kurz ein ganzer Mann, eine volle Persönlichkeit
— so steht sein Bild vor uns.
Die Summe seines Lebens und Wirkens kurz zusammen-
gefaßt lautet: Er war eine Himmelsnatur. Himmelsnaturen
sind nach einem treffenden Wort von Hilty ^) solche, die von
Natur allem Schlechten und Gemeinen abgeneigt und dagegen
stets geneigt sind, sich für andere zu opfern. So war Lasaulx.
Sein Leben war die Verwirklichung seines Wahlspruches:
„Gehe aufrecht durch das Leben, tue recht und scheue niemand."
') Hilty: Für schlaflose Nächte 1901, p. 221.
Anhang.
1. Die Hanptdaten ans Lasaulx' Leben.
1805 Geburt ;
1805—17 Jugendzeit;
1817—24 in der Schule und im Gymnasium;
1824—30 Universitätszeit: 1824—28 in Bonn, 1828—80 in München;
1S80 — 34 Wanderjahre hi Österreicli, Italien, Griechenland, Türkei,
Palästina, Italien, Deutschland ;
1835 außerordentlicher Professor in Würzburg;
1837 ordentlicher Professor in Wtirzburg;
1840 — 41 Rektor der Universität Würzburg;
1841-44 Mitglied des Senates der Universität Würzhurg;
1844 ordentlicher Professor in München;
1845 Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu München;
1847 in den Ruhestand versetzt;
1848—49 Mitglied der Nationalversammlung zu Frankfurt;
1849 reaktiviert als Professor;
1849 — Gl Abgeordneter im bayerischen Landtag;
1852 zweite Reise nach Griechenland; Ritter des Michaelsordens ;
1853 Reise nach Italien;
1853 — 55 Mitglied des Senates der Universität München;
1850 — 57 Rektor der Universität München;
1857 — 58 Mitglied des Senates der Universität München:
1858 — 59 Dekan der philosophischen Fakultät;
1860 — Ol Mitglied des Senates der Universität München:
1801 Ritter des Verdienstordens der baverischen Krone.
1801 Tod.
2. Verzeichnis der von Lasaulx gehaltenen Vorlesungen und Übungen.
a. Vorlesungen.
1. Über römische Altertümer mit besonderer Rücksicht auf Niebuhrs
i'ömische Geschichte.
2. Über griechische Altertümer mit Rücksicht auf die Werke von
Wachsmuth und Hermann.
3. Über Geschichte der römischen Literatur nach Bernhardys
Grundriß.
Stöly, le: Ernst von Lnsanlx. 11)
290 Anhang.
4. Über griechische Literaturgeschichte nach Bernhardys Grundriß.
5. Über Archäologie der Griechen und Römer nach K. 0. Müllers
Handbuch.
6. Über Enzyklopädie und Methodologie der philologischen Disziplinen
nach F.' Wolf.
7. Geschichte der alten Philosophie nach Rixners Handbuch und
eigenen Heften.
8. Geschichte der christlichen Philosophie von Augustin bis Niko-
laus von Gusa mit besonderer Rücksicht auf Rixner.
9. Allgemeine -Enzyklopädie der Wissenschaften oder Methodologie
und Enzyklopädie der akademischen Wissenschaften.
10. Ästhetik in Verbindung mit allgemeiner Geschichte der Kunst und
Literatur.
11. Geschichte der Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit.
12. Geschichte der Philosophie.
b, Übungen.
1. Cicero: Disputationes Tusculanae und de legibus.
2. Plato: Apologie.
3. Äschylus: Prometheus.
4. Sophokles: Ödypus tyrannus.
5. Hippokrates: De aere, aquis et locis.
6. Hesiod: Opera et dies.
7. Tacitus: Agricola mid Germania.
8. Sallust: Goniuratio Gatihnaria.
3. Chronologisches Verzeichnis der von Lasanlx veröffentlichten
Schriften.
a. In München*
1. 1835 De mortis dominatu in veteres commentatio theologico-philo-
sophica. Monachi 1835.
b. In Würzburg.
2. 1838 Kritische Bemerkungen über die Kölner Sache. Ein offener
Brief an Niemand den Kundbaren und das urteilsfähige Publi-
kum von Peter Einsiedler, herausgegeben von E. v. Lasaulx.
Würzburg 1838.
3. 1840 Das pelasgische Orakel des Zeus zu Dodona, ein Beitrag zur
Rehgionsphilosophie. Rektoratsrede 1840.
4. 1841 Über den Sinn der ödipussage. Würzburger Lektionskatalog,
Sommer 1841.
5. 1841 Die Sühnopfer der Griechen und Römer und ihr Verhältnis
zu dem einen auf Golgatha, ein Beitrag zur Religionsphilosophie.
Zur Feier des Namensfestes des Königs. 1841.
Anhang. 291
(). 1842 Die Gebete der Griechen und Römer. Lektionskatalog,
Sommer 1K42.
7. 1842 Die Linosklage. Lektionskatalog, Winter 1842.
8. 1843 Der Fluch bei Griechen und Römern. Lektionskatalog,
Sommer 1843.
0. 1843 Prometheus, die Sage und ihr Sinn, ein Beitrag zur Reli-
gionsphilosophie. Lektionskatalog, Winter 1843.
10. 1844 Der Eid bei den Griechen. Lektionskatalog, Sommer 1844.
1 1 . 1844 Der Eid bei den Römern. Lektionskatalog, Winter 1844.
c. In München.
«. Von 1844 — 47.
12. 184G Über das Studium der griechischen und römischen Alter-
tümer. Vorgetragen am 87. Jahrestage der k. Akademie der
Wissenschaften, 28. März. München 1846; in , Studien" p.
73-91.
13. 1847 Über die Bücher des Königes Numa, ein Beitrag zur Rfeh-
gionsphilosophie (in Abhdlg. d. philos. philolog. Kl. d. k. b.
Akademie d. Wissensch. z. München Bd. V, 1. Abtlg. (1849),
p. 83 ff.).
14. 1847 Über den Entwicklungsgang des griechischen und römi-
schen und den gegenwärtigen Zustand des deutschen Lebens,
ein Beitrag zur Philosophie der Geschichte. Vorgetragen zur
Feier des Namensfestes Sr. Maj. des Königs am 25. August 1847
in der öffenthchen Sitzung der k. Akademie der Wissenschaften.
München 1847; in „Studien'' p. 45—72.
ß. Von 1849-61.
15. 1851 Die Geologie der Griechen und Römer, ein Beitrag zur
Philosophie der Geschichte, (hi Abhdlg. d. philos. philolog. Kl.
der bayer. Akademie d. Wissensch. Bd. VI, 3. Abtlg. (1852), p.
515 ff.)
16. 1852 Zur Geschichte und Philosophie der Ehe bei den Griechen.
(In Abhdlg. der phil. philolog. Kl. d. k. bayer. Akademie der
Wissensch. Bd. VII, 1. Abtlg. (1853), p. 21 — 128.)
17. 1854 Studien des klassischen Altertums. Sammlung der Nr. 1,
3 — 16 in vielfach erweiterter Gestalt mit einem Anhang politi-
schen Inhaltes. Regensburg 1854.
IS. 1854 Der Untergang des Hellenismus und die Einziehung seiner
Tempelgüter durch die christlichen Kaiser. Ein Beitrag zur
Philosophie der Geschichte. München 1854.
10. 1856 Neuer Versuch einer alten auf die Wahrheit der Tatsachen
gegründeten Philosophie der Geschichte. München 1856.
19*
292 Anhang.
20. 1856 Über die theologische Grundlage aller philosophischen Sy-
steme. München 1856.
21. 1857 Zur Feier des Stiftungstages der kgl. L. M.-Universität zu
München 1857.
22. 1857 Des Sokrates Leben, Lehre und Tod nach den Zeugnis-
' sen der Alten. München 1857.
23. 1858 Die prophetische Kraft der menschlichen Seele in Dichtern
und Denkern. München 1858.
24. 1860 Die Philosophie der schönen Künste. München 1860.
25. 1860 Zur Philosophie der römischen Geschichte. (In Abhdlg. d.
phil. philolog. Kl. d. k. bayer. Akademie der Wissensch. Bd. IX,
2. Abtlg. (1861), p. 351 ff.)
4. Namenverzeichnis/)
Abälard 50.
Abel, Minister, 68, 69, 111, 118, 122,
123, 124, 133, 166.
Acton, Lord, 243.
Adam 76.
Adelmann, Prof., 85.
Äschylus 14, 87, 116, 290.
Aichberger, von, 19.
Albani, Kardinal, 98.
Albrecht, Prof., 85.
Alexander, Kaiser, 187.
„ der Große, 212.
Allioli, Prof. und Abg., 183.
Altenstein 32, 49, 58, 98, 99, 100, 101,
102, 103, 109, 113, 253, 262, 276.
Altieri, Kardinal, 278.
Amberger, Prof., 115.
Arnos 73.
Anselm v. Canterbury 50.
Antonio 219.
Antonius, hl., 225, 264.
Apollon 40.
Aretin, K. M. von, 18.
Aristophanes 14, 91.
Aristoteles 197, 232.
Armannsperg, Graf, 51, 57, 59, 67, 68.
Arndt 112, 113, 157.
Arndts, Prof., 115.
Aschenbrenner, Minister, 192.
Assing, Ludmilla, 216.
Athene 220.
Augusti, Wilhelm, 14.
Augustin 20, 44, 71, 87, 88, 168, 272,
290.
Augustus, Kaiser, 210.
Baader, Franz, 1, 15, 16, 18, 20, 23,
27, 29, 47, 49, 58, 80, 81, 88, 119,
127, 176, 235, 254, 260.
Julie, 27, 50, 57, 69, 79, 80,
81, 82.
Baer, von, 288.
Bahr 228.
Bassermann, Abg, 139, 150.
Bauer, Pr-Doz, 116.
Bayer, Prof. von, 115.
Beck, Fr., Dichter, 256, 284, 285.
Beckerath, Abg., 139, 155.
Beckers, Prof., 115.
Beisler, Minister, 131, 137, 172, 173.
Belisar 66.
Beraz, Prof., 115.
Bercks, Minister, 131.
Berger, Prof., 115.
Bemhardy 87, 289, 290.
Beseler, Abg., 139, 158, 159, 166.
Beust, Minister, 185.
Bickel, Prof., 85.
Biedermann, Abg., 166.
Binder, Redakteur, III.
Bippart, Prof., 231.
Bischoff, Prof., 115.
Bismarck 191.
Blücher 149, 157.
^) Abkürzungen: Prof. = Professor; Pr.-Doz. = Privatdozent; Abg. =
Abgeordneter. Die Bezeichnungen geben den Charakter, den die angeführten
Personen damals zur Zeit Lasaulx' hatten.
294
Namenverzeichnis.
1)
Blum, Robert, Abg., 141, 143, 144, 170.
Blum 132.
Blunfcschli, Prof., 115, 215, 216, 256.
Bodenstedt, Prof., 116.
Boehme, Jakob, 20, 21.
Boehmer, Historiker, 132, 133, 161,
184, 274, 284, 287.
Bohn, Pr.-Doz,, 116.
Boisseree, 8, 29, 69, 214, 271.
Mathilde, 228.
Witwe, 271.
Bolgiano, Prof., 115.
Boll, Prof,, III, 270.
Bonaventura 29.
Brandis, Prof., 14, 259.
Brattier, Pr.-Doz., 115.
Braun, Prof., 115.
Braun. Künstler, 227.
Braunmühl, Ministerialrat, 126.
Breitenbach, Prof., 85.
Brentano, Kleraens, 8, 14.
Christian, 8.
Franz, 231.
Lujo, 231.
Breslau, Prof. von, 115
Breslau, Pr.-Doz., 115.
Brinz, Prof., 115.
Brück, Bischof, 100.
Brüggemann, Schul rat, 8, 9.
Buchinger, Prof., 115.
Buchner, Andreas, Prof., 115.
Johann Andreas, Prof., 115.
Ernst, 115.
Joseph, 115.
Buhl, Prof., 115.
Bunsen, Josias von, Diplomat, 38, 49,
50, 57, 98, 99, 100, 103, 112, 113,
163, 247.
„ Frau von, 57, 112.
Bursian, Prof., 1, 119.
Büß, Politiker, 166, 169, 170.
Byron 29.
Capodistrias 68.
Carriere 115.
Catull 14.
ff
n
ff
ff
ff
Christ, W. V., Prof, 116, 118, 252.
Christus 40, 58, 72, 73, 75, 76, 97,
103, 107, 109, 152, 179, 262, 267,
270, 272, 274, 275.
Chroust, Prof., III.
Chrysostomus 72.
Cicero 14. 84, 87, 116, 290.
Claudius, Matthias, 172.
Clausen 119.
Clemens, Alexandrinus, 272.
Clemens August, Erzbischof, 98, 99,
103, 111.
Clemens 228.
Constantin 64, 210.
Contzen, Prof., 85.
Cornelius, Prof., 35, 116.
Frau, 283.
Cornelius, Karl, 8.
Maler, 1, 8, 18, 50, 227.
Creuzer, Prof., 119, 259.
Culmann, Abg , 18.
Dahlraann, Prof. und Abg., 139, 270.
Dahn, Felix, Prof., 115, 118, 216, 256.
Danilewick, Kapitän, 54.
Dante 50, 77, 96, 232.
David 73.
Debes, Prof., 85.
Demeter 61.
Dempp, Pr.-Doz., 115.
Denzinger, Prof., 85.
Deppisch, Prof., 85.
Deutinger, Prof., 1, 127, 129, 172.
Deym, Abg., 143.
Diepenbrock, Erzbischof, 37, 138, 161,
173, 180.
Dietz 228.
Dionysius Areopogita 21.
Dirnberger, Prof., 115.
Ditterich, Prof., 115.
Döllinger, Prof., 1, 18, 19, 29, 31, 69,
86, 89, 115, 124, 125, 126, 127,
128, 129, 131, 132, 134, IGl, 172,
173, 178, 183, 245, 266, 267, 269,
270, 273.
Dollmann, Prof., 115, 124.
Namenverzeichnis.
295
Droysen, Prof., 139, 14^, 141.
Druffel 231.
Düx, Pr.-Doz., 85.
Eberle, Adam, Maler, 46, 48, 50.
Eckhart 23.
Edel, Prof. und Abg., 85, 86, 183.
Ehrlich, Prof., 273.
Eilles, Prof, 115.
Einsiedler, Peter, 97, 101, 290
Eisenmann, Abg., 137, 138.
Elias 76.
Elisa 76.
Elisabeth, hl, 264.
Elvenich, Prof., 231.
Epikur 168, 197.
Erdl, Prof., 115.
Erdmann, Prof., 2.
Erhard, Prof., 115.
Falck, Prof., 82.
Fallenstein 50.
Fallmerayer, Prof., 115, 246.
Fichte 177.
Fickor, Prof., 231.
Fiesole 58.
Fischer, Pr.-Doz., 115.
Fiavius Jospphus 71, 76.
Flint 1.
Förg, Prof., 115.
Förster, Forstaktuar, 85.
Förster, Abg., 161.
Fraas, Prof., 115.
Francia 17.
Frank, Pr.-Doz., 115.
Franziskus, hl., 20, 70, 77, 80, 96,
97.
Franz, Kaiser, II, 214.
Friedrich, Prof., 111, 1, 18, 19, 86,
125, 126, 132, 173, 267, 269, 270.
Fröbel 203.
Fröhlich, Prof., 85, 91.
Frohschammer, Prof. 115, 116.
Fuchs, Prof., 85.
, Theolog, 115.
. 115.
Fugger, Gräfin, 57.
Gagern, Friedrich, Abg., 139, 149.
Heinrich, Abg., 144, 146, 228.
Max, 139.
Gärtner 220.
Galilei 199, 277.
Galland 1.
Geibel 115.
Geier, Prof., 85.
Geiger, Hermann, 131.
Gelaleddin, Rumi, Dichter, 74.
Gelzpr, Prof., 177.
Gemeiner, Pr.-Doz., 115.
Gerlach, Politiker, 177.
GietI, Prof., 115, 281.
Gneisenau 149, 157.
Goldfriedrich 2.
Görres, Joseph, 1, 6, 10, 11, 12, 13,
14, 15, 16, 17, 18, 23, 24, 25, 26,
28, 29, 30, 33, 35, 36, 39, 41, 42,
49, 50, 57, 65, 67, 79, 80, 95, 96,
100, 101, 111, 112, 114, 115, 119,
125, 128, 129, 131, 149, 157, 179,
214, i>42, 244, 245, 247, 249, 259,
260, 261, 262, 263, 266, 268, 270,
271, 287.
Görres, Guido, 8, 15, 23, 31, 43, 69, 96.
, Marie, 20, 43, 45, 161, 162,
163, 179, 258, 275, 276, 277, 284.
Goethe 1, 13, 29, 84, 122.
Gregor, XVI, 32, 99, 100.
Greiner 68.
Grimm, Jakob, 92, 120, 245.
Grisebach 178.
Gruithuisen, Prof., 115.
Grumbrecht, Abg., 149.
Gumppenborg, Minister, 122.
Günther 23, 27, 29, 31, 32, 36, 42, 44,
45, 46, 245, 246, 247, 249, 250,
254, 274, 275, 276.
Haecker, Prof., 115.
Haid 29.
Hagar 65.
Haggaeus 71, 72.
Halm, Prof., 116.
Hamann 41, 42, 43, 244, 250.
296
Namenverzeichnis.
Haneberg, Prof., 115, 255, 264, 273,
277, 279, 281, 282, 286.
Hannibal 212.
Hardenberg 11.
Harleß, Prof., 115.
Hartmann, Moritz, Dichter u. Schrift-
steller, 169, 170.
Hauner, Prof., 115.
Haxthausen 35.
Haym, Abg. und Prof., 157, 166, 167.
Hecker, Friedr., Abg., 170.
Prof., 115.^
Hegel 30, 103, 177, 179, 180, 232,
Hegnenberg-Dux, Abg., 183.
Heideck, General, 68.
Heigel, Prof., 130, 269.
Heine, Prof., 85, 86.
« Dr., 231.
Heinrich, Prof., 14, 15.
Heinroth, Prof., 28.
Held, Prof., 85, 86.
, Philipp, Pr-Doz., 115.
HeUer 166.
„ Prof., 85.
Helm, Prof., 85, 86.
Helmholt 2.
Hengstenberg 45.
Henner, Prof., III.
„ Regiemngsrat, 251.
Hensler, Prof., 85.
Heracles 227.
Heraclit 20.
Heres, Minister, 131.
Hergenröther, Pr.-Doz., 115.
Hermann 87, 289.
„ V., Prof., 115.
Hermes, Prof., 32, 36, 44.
Hermesianer 99, 101, 102.
Hertling, Frhr. v., 194, 213, 277.
Hesiod, 87, 116, 290.
Heßling, Pr.-Doz., 115.
Heyfelder, Pr.-Doz., 115.
Hierl, Prof., 115.
Hieronymus 76.
Hildenbrand, Pr.-Doz., 115.
Hilty 243, 247, 255, 288.
Himmel stein, Theolog, 86.
Hippocrates 87, 116, 290.
Hirscher, Prof., 276.
Hocheder, Prof., 116,
Hoefler, Prof., 111, 115, 127, 129.
Hofer, Pr.-Doz., 115.
Hofmann, Prof., 85.
C, Prof., 116.
„ Frau General, 284.
Hoffmann, Prof., 29, 82, 85, 86.
Hohenhausen, Minister, 123, 131.
Hoiningen-Huene 6, 7, 243, 269, 271.
HoUand, Prof., III, 2, 118, 126, 127,
128, 173, 176, 244, 246, 248, 249,
253, 255, 256, 280, 281, 282, 285.
Homer 14, 91.
Hommer, Jos., Bischof, 99.
Horaz 14, 168, 241.
Hormayer, Ministerialrat, 18.
Hörn, Pr.-Doz., 85.
„ Prof., 115.
Horner, Prof., 115..
Huber, Job., Prof., 2, 116, 117, 144,
181, 215, 216, 231, 245, 255.
Huene, Marie, 228.
„ Ingenieur, 9.
Humboldt, AI. v., 175, 176, 177, 216.
Hurter, S. J., 2.
„ Fr., 127, 274.
Jacobi, Philosoph, 259.
Jacopone da Todi 28.
Janssen, Historiker, 132, 161, 284.
Jarcke 287.
Jellachich, General, 159.
Jeremias 70, 71, 73, 74.
Jesaias 71, 72, 73, 74.
Jesus Sirach 76.
Jöcher 25.
Jochner, Archivrat, III, 161.
Joel 77.
Johannes 73, 74, 75, 76.
Jelly, Prof, 116.
Josephus, Flavius, 71, 76.
Josua, 76.
Isaak 65.
NamenveFzeichnis.
297
Ismael 65.
Justin, Martyr, 272.
Juvenal 14.
Kaiser, Prof., 115.
Kant 190, 259.
Karl, der Große, 214.
, Prinz, 123.
Kaulbach 8.
Kausler, Archivar, 231.
Kerler, Oberbibliothekar, 166.
Kiliani, Prof., 85.
Klee, Prof., 99.
Kleinschrod 18.
„ Minister, 192.
Klemens, Dr. phil., Abg., 161.
Kluckhohn, Pr.-Doz., 116.
Knapp, Prof., 115.
Knoodt, Prof., 23, 246, 250, 274, 275,
276.
Kobell, Prof., 115.
Koch, Jos. Anton, Maler, 50.
„ Prof., 115.
Koch-Sternfeld von, 18.
Kolettis 68,
Kopp, J. E., Historiker, 132.
Kranz, Prof., 115.
Krug, Philosoph, 26.
Kunstmann, Prof., 115.
Kurz 127.
Lactantius 272.
Lamennais 268, 269.
Lamont, Prof., 115.
Lang, Prof., 85.
Lasaulx, Adam, 6, 8.
Amalie, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12,
50, 234, 235, 243, 264, 283.
Anna, 6, 8, 162, 163, 165,
176, 178, 179, 223, 230, 231, 238,
239, 240, 262, 287.
Augustine, 235.
Clemens, 6.
„ Bürgermeister, III,
275.
Clementine, 6, 8, 48, 283.
n
n
Lasaulx, Christine, 6.
Elisabeth, 6.
Franz, 6.
Hermann, 6, 8, 283.
Hildegard, 31, 42, 228, 283.
Johann Claudius, 5, 6.
Julie, 162, 178, 222, 223,
235, 236, 237, 238.
„ Karl, 6.
n Katharina, 6.
OttQ, 6, 8, 228.
„ Peter, 8.
„ „ Ernst, 5, 6, 7.
Lanbe, 166, 167, 168, 169.
Lazarus 75.
Leiblein, Prof., 85.
Lenti, Kanonikus, 223.
Lentner, Maler, 229.
Leo XIII., Papst, 277.
„ Prof., 177.
Leonardo da Vinci 17.
Lerchenfeld, Abg, 183, 217.
Lessing, 250.
Letellier, Charles, 47, 49, 50, 79, 80,
82, 175, 223, 227, 247, 263.
Lichnowski, Fürst, Abg., 137, 139,
162.
Liebig, Prof. von, 115, 178.
Lieven, Alex von, 231, 271.
Lili von, 231, 276.
Linck, Prof. von, 85.
Linde, Abg., 143.
Lindemann, Prof., 115.
Linder, Frl., Malerin, 36, 111, 180.
Lindwurm, Pr.-Doz., 115.
Lippert, Prof., 85.
Loeher, Prof., 116.
Loewe 23.
Lola, Tänzerin, 122, 123, 127, 128,
131, 133, 170.
Longard 8, 9, 228.
Ludwig, Prof., 85.
1., 1, 17, 67, 122, 123, 125,
126, 133, 168, 193, 243, 244, 252,
269.
Lüder, Minister, 192.
298
Namenverzeichnis.
Luini, Maler, 17.
Luise, Königin, 186.
Luitpold, Prinz, 281.
Lukas 73, 75.
Lützow, Pr.-Doz., 116.
Mahir, Pr.-Doz., 115.
Mair, Pr.-Doz., 115.
Malachias 77.
Manteuffel 143.
Mark, Polizeidirektor, 130.
Aurel, 245.
Markus, Prof., 86, 86, 246.
Maria, hl., 58, 59.
Martin, Anselm, Prof., 115.
„ Alois, Pr.-Doz., 115.
Martins, Prof. von, 115, 251.
Maßmann, Prof., 115.
Matthaeus 73, 76.
Maurer, Minister, 68, 122, 123, 131,
133.
Prof., 115.
„ de Constant 132.
Max II., König, 191, 244, 281.
May 162.
Mayer, Prof., 115.
W., Pr.-Doz., 116, 127, 129.
Max, Pr.-Doz., 115.
274.
Mayr, Prof., 85, 246, 269.
Medicus, I*rof., 115.
Meiningen, Prinz von, 231.
Mendelssohn 9, 32, 42, 228.
Mennel, Jakob, 25, 28.
Mentor 67.
Merkle, Prof., IIL
Merz, Pr.Doz., 115, 127, 129, 176.
Meßmer, Prof., 116.
Metz, Prof., 85.
Meyer, B. von, 216, 217, 244, 256.
Michael, Prof. 1.
Michelangelo 39, 40.
Michelis 176.
Mitter maier, Abg., 139.
Minucius, Felix, 272.
Möhler, Prof., 111, 265, 266.
9
Mohl, R. V., Abg. Prof., 139, 166.
Mohr, Prof., 85.
„ Hauptmann, 28.
„ Malchen, 46.
Mone 228.
Montalembert 8, 268.
Moritz, Prof., 85.
Moser, Prof, 119.
Moses 40, 65, 71, 72, 76, 77.
Moy, Prof., 1, 85, 8>, 89, 111, 115,
127, 129, 266.
Mühlfeldt, Abg., 139, 169.
Mulzer, Minister, 192.
Müller, Prof., 85, 246.
« 115.
0., Prof., 87, 119, 290.
Anna Maria, 6.
Münz, Prof., 85.
Naegeli, Prof., 116.
Naeke, Prof., 14, 15.
Nanny, 18.
Napoleon, 1, 186, 187, 190.
III, 184, 185, 186, 251.
Narr, Prof., 85.
Nauwerk, Abg., 165.
Nehemias 78.
Neumaier, Minister, 192.
Neumann, Prof., 115.
.Nickes 274.
Nicolaus Cusanus 50, 87, 290.
Niebuhr, 14, 15, 26, 87, 289.
Nippold, Prof., 112.
Novalis, 20, 36.
Numa 116, 291.
Nußbaum, Pr.-Doz., 115.
Oberndorfer, Prof., 115.
Ochs, Pr.-Doz., 115.
Ohm, Prof., 115.
Olshausen, Prof., 82.
Omar 73.
Oppel, Pr.-Doz., 116.
Origenes 272.
Orosius 272.
Osann, Prof., 85.
Namenverzeichnis .
299
Osman, Bey Oberst, 62.
Otto, König, 50, 58, 126.
Outrepont, Prof., 85, 86.
Overbeck, Maler, 35, 36, 50, 227, 228.
Overkamp, v., 18.
Ovid 135.
Pabst, Philosoph, 27.
Pailler 161, 162, 165, 205, 206, 216,
244, 255, 284.
Pelikan, Oberst, 62.
Papius, Prof., 115.
Parseval, Frl. von, 231.
Patroclus 67.
Pauli, di, Marie, 231.
„ Luise, 231.
Paulus, 72, 97.
Pausanias 56.
Permaneder, Prof., 115.
Persius 14.
Perthes 10.
Pettenkofer, Prof., 115.
Pfeufer, Prof., 115.
Pfeuffer, Minister, 192.
Pfordten, von der, Prof. u. Minister,
85, 86, 191, 198, 244.
Phillips, Prof., 1, 8, 111, 115, 124, 125,
127, 129, 131, 134, 161, 165, 169,
170, 172, 173, 255, 266, 287.
Pickel, Prof., 85.
Pilatus 155.
Pindar, 72, 91.
Platner, Maler, 50, 227.
Piaton 14, 63, 87, 179, 197, 232, 290.
Plinius 76.
Plochmann, Prof., 115.
Poezl, Pr.-Doz., 85, 86.
Prof., 115.
Posten, Wilhelm, 25, 28, 65, 88.
Prand 29.
Prantl, Prof., 2, 115, 118, 131, 174,
181, 252, 256.
Preysing, Graf von, 213.
Prokeach, v., Schriftsteller, 30, 37, 41.
Prometheus 290.
Quitzmann, Pr.-Doz., 115.
Radetzky 159, 187.
Radlkofer, Prof., 116.
Radowitz, Abg. u. General, 137, 139,
161, 170.
Rafael 39.
Ranke, Pr.-Doz., 115.
Reber, Pr.-Doz., 116.
Rechberg, Graf, 111.
Recht, Prof., 115.
Rehfues, Kurator, 50.
Redwitz, 0. von. Dichter, 183, 256,
282, 284.
Reichensperger 131.
Reidmeier, Pr.-Doz., 85.
Reindl, Prof., 115.
Reinkens, Prof., 37, 133, 161, 173,
180.
Reisach, Graf, 39.
Reischl, Pr.-Doz., 115.
Reißmann, Prof., 85, 86, 94.
Reithmayr, Prof., 115.
Reizenstein 69.
Reubel, Prof., 115.
Reuß, Prof., 85.
Reusch, Prof., 275, 278.
Richarz, Prof. und Bischof, 82, 84.
Richter, Prof., 124.
Riehl, Prof., 115.
Rietter, Prof., 115.
Rinecker, Prof, 85, 86.
Ringelmann, Minister, 192.
, Prof, 85.
Ringseis, Prof, 1, 17, 18, 19, 26, 69,
111, 115, 123, 124, 125, 126, 127,
140, 161, 165, 166, 178, 216, 244,
246, 254, 255, 256, 259, 264, 273,
281, 287.
Ritter 20.
Rixner, Prof, 87, 290.
Robinson 8.
Rocholl 1.
Rockinger, Pr.-Doz., 115.
Roemer, Prof, 231.
i Roenne, Baron, 231.
300
Namenverzeichnis.
Eoeser, Arzt, 67.
Roesler, Abg., 170.
Rohden, 227.
Rosalia, hl, 227, 264.
Rosentritt, Theolog, 86.
Roskovany 276.
Rotenhan, Abg., 160.
Roth, Paul Rudolf, Pr.-Doz , 115.
„ Friedrich Karl, 115.
Rothmund, Prof., 115, 124, 231.
jun., 115.
Ruckstuhl, Prof., 13, 259.
Rudhart, Prof., 115.
Rüge, Abg., 170.
Rümelin, Prof., Abg., 166.
Ruland, Prof., 85.
Abg., 130, 131, 183.
Rumpf, Prof., 85.
„ „ Mediziner 85.
Sailer, Bischof, 233.
Salomo 73, 74.
Sallust 116, 290.
Sara 65.
Scaliger 25.
Schafhaeutl, Prof., 115.
. 116.
Scharnhorst 190, 191.
Schelling 15, 16, 17, 23, 25, 29, 30,
49, 58, 69, 80, 111, 177, 259,
260, 270.
Schenk, Prof., 85, 231.
Schenkendorf 157.
Scherer, Prof., 85.
Schiller 208.
Schlagintweit, Pr.-Doz., 115.
Schlegel 14, 15.
Schleiermacher 259.
Schlichtegroll, Prof., 115.
Schlosser, Christian, Prof., 13, 259, 287.
Frau, 228.
Schlotthauer 18.
Schmedding, Rat, 44, 45.
Schmeller, Prof., 115.
Schmerling, Abg., 139.
Schmid, Aloys, Prof., 2, 279.
Schmid, Pr-Doz., 115.
Schmidt, Prof., 85.
Schneemann, Prof., 115.
Schneider, Prof., 115.
Schnizlein, Prof., 115.
Schoen, Prof., 85.
Schopenhauer 178.
Schreiber, Historiker, 191.
Schrenk, Minister, 122, 192.*
Schrott, Johannes, 256.
Schubert, Prof., 17, 115, 176, 255. .
„ Pr.-Doz., 85.
Schulze 32, 42.
Schwab, Prof., 85, 86.
Schwann, Matthieu, 170.
Schwarzenberg 149, 157.
Schwendener, Pr.-Doz., 116.
Schwerin, Graf, Abg., 137.
Scotus Eriugena 45, 50.
Seidel, Prof., 115.
Seinsheim, Graf K. v., 18, 19.
„ Minister, 122.
Seitz, Prof., 115, 231, 282.
„ Maler, 227.
Sendtner, Prof., 115.
Sepp, Prof., III, 1, 17, 67, 93, 115,
125, 126, 127, 128, 129, 131, 134,
137, 161, 166, 169, 172, 183, 193,
247, 252, 266, 268, 269, 270, 271,
287.
Servius TuUius 196.
Seuffert, Prof., 115, 131, 132.
Seyfried 18, 266.
Shakespeare 21.
Siber, Prof., 115, 124.
Siebold, Prof., 115, 231.
Siegl, Joseph, 44.
Sieveking 45.
Simon, Abg., 139.
Socrates 62, 178, 179, 232, 240, 272,
274, 292.
Soeltl, Prof., 115.
Soiron, Abg., 139.
Solbrig, Pr.-Doz , 115.
SolinuK 76.
I Sonntag, Henriette, 15.
Namenverzeichnis.
801
Sophokles 14, 63, 87, 91, 116, 290.
Spengel, Prof., 115, 131, 173.
Spiegel, Erzbischof, 98.
Spies, Minister, 192.
Spinoza 259.
Stadibauer, Prof., 115, 124, 125.
Stahl, Prof., 85, 86.
Stedmann 9.
Steffens 177.
Stein, von, Erzbiscliof, III.
„ Frhr. v., 149, 157, 190.
Steinbühl, Justus, 132.
Steingaß 8.
Steinheil, Prof., 115.
Steinle, Eduard, 231.
Steinlein, Prof., 85
Stern, Pr.-Doz., 85.
Steuchus Eugubinua 25.
Strabo 76.
Streber, Prof., 115.
Strodl 18, 119, 120, 121, 125, 127,
128, 129.
Struve 203.
Stülz, Abt und Abg., 161, 162, 165,
205, 206, 216, 244, 255, 284.
Sybel, Prof, 116.
Tacitus 73, 76, 87, 116, 290.
Terenz 14.
Tertullian 272.
Textor, Prof., 85, 86.
Pr.-Doz., 85.
Theodosius 210.
Thiorsch, Friedr., 94, 115, 116, 118,
119, 121, 123, 125, 128, 174, 179,
219, 247, 251, 269.
, Heinrich, 118, 119, 128, 125.
Pr.-Doz!, 115.
Tholuck 74.
Thomas von Aquin 50.
« 287.
Thucydides 56, 62.
Thumann, Prof., 115.
Tiedemann 228.
Trendelenburg 259.
Tressati 28.
Trikoupis 68.
Trost 126.
Ueberweg-Heinze 259.
Ungemach, Rentamtmann, 85.
Vandyk 224.
Varnhagen, v. Ense, 176, 177.
Veit, Philipp, 161, 227, 228.
Veith, Emmanuel, 23, 27, 29, 31.
Victor Emanuel, König, 185.
Vincke, Abg., 137, 139.
Voelk, Abg., 183.
Vogel, Prof., Jurist, 115.
„ Pr.-Doz., llo.
„ Prof., Chemiker, 115,
fl junior, Prof., Physiker, 115.
Vogt, Prof. und Abg., 161, 169, 170.
Voigt, Prof., 116.
Voit, Pr-Doz., 115.
Voltaire 27.
Voß.119.
Wachsmuth, Prof., 87, 289.
Wagner, Prof., 115.
Wahl, Prof., 64.
Waitz, Prof. und Abg., 139.
Wallerstein, Fürst von, 111, 131, 183,
192, 198, 204, 217.
Walther, Friedrich, Prof., 115.
Prof., 115.
Weber, Beda, Abg., 143, 161, 165,
166, 170, 255, 266.'
Wedekind 228.
Weidgen, Direktor, 13.
Weidmann, Pr.-Doz., 85.
Weinzierl 67.
Weis, Prof. und Abg., 183, 192, 198,
200.
Weißbrod, Prof., 115, 124, 125.
Weizsaecker, Pr.-Doz., 116.
Welcker, Prof. und Abg., 14, 15, 139,
145.
Werdenberg, Graf von, 231.
Werner, Prof., 2, 273.
Wibmer, Pr.-Doz., 67, 115.
302
Namenverzeichnis.
Wichmann, Abg., 135, 136, 137,
Wilhelm 1, 186.
111, 97.
Willmann, 0., Prof., 2.
Windischgrätz 159.
Windischmann, Frau, 15.
Prof., 15, 287.
Windscheid, Prof., 115.
Winkler, Pr.-Doz., 116.
Wittwer, Pr.-Doz. 115.
Wolf, F. A , 87, 290.
Wolfram von Eschenbach 258.
Wolfstoiner, Abg., 279.
Pr-Doz., 115.
Wolter 274.
156.
Zachariae, Abg., 155.
Zacharias 73, 77.
Zander, Redakteur, 198.
Zell 228.
Zenger, Prof, 115, 124.
Zenetti, Minister, 128, 131.
Zeus 40, 220.
Zierl, Prof., 115.
Zimmermann, Abg., 170.
Zingerle, Prof., 231.
Zink 281.
Zirngiebl 117.
Zitz, Abg., 170.
Zuccarini, Prof., 115, 124.
Zurhein, Minister, 123, 181, 188.
I Zwehl, Minister, 192.
Corrigenda.
Seite 7 Zeile 10 von unten lies hergehen statt herghen.
16
85
85
86
115
115
115
8
12
9
5
10
3
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„VT, Seidel „ : Zeui3.
oben lies Reithmayr statt Ueithmayer.
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3 6105 040 153 087