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!ll!(|^ti>Wy^^>)!>>y>^>ij^tif ^ i« I
,s(i(f^(f,mvMvw\9\9J&m*i^^
am
und materialiftifät)e
eefdt)idt)tsauffaffutig
ein Derfutö üon
Karl KautsUp
5ed[)ftes und fiebtes Caurend
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<iij!>
Stuttgart i9io
üerlag üou J. t}. m. Dle^ Iladöf-
S)ru(i oon 5)3aul Singer in (Stuttgart.
Inl)alts4)erzcict)uis*
Dorrede v
I. Bntifee und dt)nftlidt)e etl)ife i
II. Die etjjife des 2eitalters der fluffelärung 12
III. Die etJ)ife Kants 22
1. ®ie ^riti! ber @r!enntni§ 22
2. ®a§ ©tttengefe^ 27
3. 3^ret£)eit unb Sf^otroenbtgfeit 36
4. ®ie ^f)iIofopt)ie ber SSerföf)nung 40
IV. Die et]t)ife des Darujinismus 44
1. ®er ^ampf um§ ^afein , . .. . - 44
2. ©igenbetüegung unb (grfenntrtigoermögen .... 48
3. %iQ ZxKhe ber (Selbfter^attung unb f^ortpflanjung 54
4. ^ie jovialen triebe 57
V. Die etöife des marfismus 69
1. ^ie Sßur^eln ber materiaIiftifdE)en ®ef(i)id)t§=
auffaffung 69
2. ^er Drgani§mu§ ber men[d)Iid)en ®efenfd)aft . . 79
a. ®ie te(i)nifd)e ©ntraidlung 79
b. 2;ed)nif unb 2eben§n)eife 82
c. 2;ierifd)er unb gefell[d)aftli(i)er Drgam§mu§ . . 86
3. %k Sßanblungen ber ^raft ber fogialen S^riebe . 91
a. ©prarf)e 91
b. ßrieg unb ©igentum 98
IV SnVtt§-35cr5cirf)m§
4. %ai ®ettimg§bercicf) bet fojiaten %xkh^ ... 106
a. S)te ^nternationatität 106
b. 2)ie ^taffenteilung 110
5. ^ie ©a^ungen ber Tloxai 120
a. ®en)of)n^ett unb ^onoention 120
b. 2)ie ^robuftioniroeife unb it)r Überbau ... 127
c. 5llte unb neue 5JioraI 132
d. ^a§ fittlirf)e ^beal 135
üorrede.
SCßie fo tnan(i)e anbere @d)rtft be§ 9Jlar^t§mu§ ift au6)
biefe eine ©elegen^eit^arbeit, au§ einer Volenti! f)erau§5
geraac^fen. ®te ^ontroüerfe, bie ic^ im September be§ rer^
gangenen Qa!)re§ mit ber bamaligen ?0^ef)rl)eit ber ^ebaftion
be§ ,,33orn)ärt§" fü{)rte, veranlagte micE), aud) beren ,,etf)i]d)e
^enbenjen" gu ftreifen. Steine 2Iu§füf)rungen barüber mürben
aber anf ber einen ^tiU fo t)ielfa(^ migtjerftanben, fie trugen
mir auf ber anberen Geite fo sa^Irei(i)e 2(ufforberungen
ein, meine 5{uffaffung ber (St^i! eingef)enber xmb fpftema*
tifc^er barjulegen, bag id) mic^ veranlagt fal), eine (£nt*
mirflung ber ®tl)i! auf ber (55runblage ber materialiftifcf)en
@efc£)ic£)t§auffaffung rcenigftenl fur^ ju ffi^jieren. Qcl) fuge
babei auf jener materialiftifd)en ^^ilofop^ie, mie fie einer*
feit§ ^ax^ unb (Sngel§, unb in anberer SÖßeife, aber in
gleicl)em Sinne, Qofef 'S^ie^gen begrünbet l)aben. gür bie
ülefultate, gu benen irf) gelange, bin xd) jebod^ allein ver*
antmortlicE).
SJZeine 3lbfid)t ging urfprünglid) nur bal)in, einen 2lrti!el
für bie „9^eue Qeit" über ben ©egenftanb ju frf)reiben. 9lber
nocf) nie l)atte id) mid) bei einer geplanten 5(rbeit fo ver*
ted)net, mie bieSmal; imb nid)t blog in bejug auf hm
Umfang üerred)net. Qd) l)atte bie 3Irbeit im Oftober be-
gonnen, meil id) had)U, nun mürben für bie Partei einige
SUlonate ber 9lul)e fommen, bie tl)eoretifc^er 9Irbeit gemibmet
merben !i3nnten. ^^x Q^naer Parteitag mar fo l)armonifd)
verlaufen, bag id) einen ^onflüt in ber eigenen Partei fo
balb nid)t ermartete. ^Tnbererfeitg fd^ien e§ ju S5eginn be»
Oftober, ai§ trete in ber ruffifd)en Oieoolution eine ^aufe
VI S3orvebe
ber (Sammlung unb Ovöanifation ber revolutionären 8trcit=
fräfte ein.
@5 tarn aber befanntlid) atle§ gan^ anber§. ®ine neben-
färf)lirf)e ^^erfonenfrage mürbe 'ilnlajä ju einem lebl)aften
3mift, ber jmar bie Partei nicl)t einen SSJloment lang er*
fcl)ütterte, aber bie ^arteifunftiondre, namentlid) aber jene
Berlins, eine SO^enge Qeit, 9tul)e unb 2lrbeit§!raft foftete.
©inen no(^ größeren 2lufmanb an Qeit unb ^rbeit§!raft, aber
freilief) aud) einen meit erl)ebenberen ^ufmanb, erl)eifd)te
bie ruffifd)e Sfieoolution, bie gerabe im Saufe be§ Oftober
unermartetermeife i^ren geroaltigften 2luffrf)mung na^m
unb il)ren bi§l)erigen §öl)epun!t errei(i)te. ^ene glorreicl)e
^emegung abforbierte natürlicl) aud) au§erl)alb 9iu^lanb§
alle§ Qntereffe ber revolutionär empfinbcnben (Elemente. (£§
mar eine l)errli(i)e ^eit, fie bot aber gerabe nid)t bie ge^
eignetften ^ebingungen für bie 3lbfaffung einer 8d)rift über
(£tl)if. J5nbe§, ber ©egenftanb \)aiU mid) einmal erfaßt unb
lie^ mic^ nicl)t lo§, unb fo beenbigte id) meine Arbeit bod)
tro^ ber mannigfacl)en Slblenfungen unb Unterbred)ungen,
bie ber SSerliner @turm im ©lafe 2ßaffer unb ber Drfan
auf bem rufftfd)en D^ean mit fid) brad)ten. §offentlid^
merft man ber (Sd^rift biefe ftürmifd)e (S)eburtgseit nid)t
alljufelir an.
^l§ xd) fie aber enblid) beenbet l)atte, entftanb eine neue
grage. Über ben 9lal)men eine§ 3lrtifel§ mar fie meit l)inau§=
gemad)fen unb bod^ i^rer ganzen Einlage nad) fein eigentlid)e§
^ud) gercorben. (Sie begnügt fid) mit einer furzen (Sfi^^ierung
meinet (S)ebanfengange§, gibt nur menige ^inmeife auf ^at*
fachen unb 5lrgumente gum ^eraei§ unb gur ^Uuftrierung
be§ 5{u§gefül)rten.
J$d) fragte mid), ob ic^ nid^t bie (Sd)rift burc^ Einfügung
biefer 2lrgumente unb 2atfad)en umarbeiten unb errceitem
muffe. 2lber follte ba§ grünblic^ gefd)el)en, follten alle l)ier
aufgemorfenen 5^'agen eingeljenb erörtert merben, fo l)ie§
ba§, bie 3Seröffentlid)ung bes SBucl)e§ ins Unabfel)bare l)inau§«
5?orrebe VII
fd)ieben; benn um btefe Arbeit gu leiften, fiub ein paar
Qa^re ruf)tger, ungeftörter Stätigfeit er fovb erlief). 2öir gef)en
aber einer ^^eriobe entgegen, in ber, rcer rceig wk lange,
für jeben ©o^ialbemofraten rul)ige§ ^Irbeiten au§gefc^Io|fen,
unfer 2ßir!en ein fteter ^ampf fein rcirb. Sldjulange rcoKte
icf) aber bie 9SeröffentIid)ung meiner S(^r*ift ni^t I)inau§*
f(i)ieben, ba id) e§ für bringenb notrcenbig f)alte, angefid)t§
be§ großen ®influffe§, ben bie ^antfc^e ^t^it in unferen
eigenen 9ieif)en gerconnen, ha§ 3Ser!)ä(tni§ flar^ulegen, ba§
nad) meiner ^luffaffung 3n)if(ä)en ber materialiftifd)en ©e«
fd)i(^tgauffaffung unb ber 6t^i! befte!)t.
(So f)abe id) midE) bod) entfd)Ioffen, bieg Südilein je^t
fd)on erfd)einen §u laffen. Um aber anju^eigen, ha^ irf)
bamit noc^ nid^t aUe§ gefagt, rnaS id) über @tf)i! gu fagen
f)ätte, unb ba§ id) mir t)orbef)aIte, ben ©egenftanb in
ruf)igeren Reiten au§füf)rlid)er ju bef)anbeln, nenne ic^ bie
rorliegenbe 3Irbeit einen blogen SSerfud^ — einen ©ffat}.
greilid), mann biefe ru!)igeren Qeiten fommen merben,
ba§ ift, xr)k fd)on ermäf)nt, gur ©tunbe unabfe^bar. ©erabe
je^t finb bie ©(^ergen bei 3<^^^^^^^ ^if^^Ö ^^ ^^^ Arbeit,
e§ ben 5llba§ unb 3:illt)§ ber Dieligionsfämpfe be§ fed)5e{)nten
unb fiebgel^nten Q^^^^^^^^^^tl gleid)5utun — nid)t an mili*
tärifd)en ©ro^taten, aber an brutaler 9)lorbbrennerei. ^ie
n)efteuropäifd)en QSerfed^ter ber Kultur unb Drbnung unb
fonftigen {)eiligften ©üter ber 5iJlenfd)f)eit begrüßen ba§ be*
geiftert all bie Sföieberl)erftellung gefe^lid)er ^uftänbe. 3lber
fo menig e§ ben ©ölbnem ber §ab§burger gelang, tro^
geitmeifer ©rfolge, 9^orbbeutfd)Ianb unb goKanb mieber
fat!)olifd) gu mad)en, rcirb e§ ben ^ofafen ber ^omanoffä
gelingen, ba§ 9legime be§ 5Ibfoluti§mu§ mieber Ijer^uftellen.
@r l)at nod) bie ^raft, fein Sanb ju zerrauften, nii^t mel)r
aber bie, e§ gu regieren.
5luf jeben gall ift bie ruffifd)e 9ftet>olution nod) lange
nid)t §u ®nbe — fie bürfte nid)t enben, folange bie dauern
$Ru§lanb§ nid)t befriebigt finb. Qe länger fie bauert, befto
VIII Sßorrebc
grögev aber aud) bte (Erregung ber ^roletariermaffen 2ßeft^
eiiropa§, befto näf)er bte (S)efa{)r finansieder ^ataftropt)en,
befto Tt)a^rjc^einlid)er, ba^ aurf) in 2ßefteuropa eine 5ira
afutefter ^(affenfämpfe beginnt.
^a§ ift feine Qcit, hk t^eoretif(i)e 5Irbeiten reüolutionärer
©d)tiftfteKer förbert. ^ber biefe n)a{)rfd)einlic^e ^ecinträcf)*
tignng unferer tfieovetifc^en ^(rbeit in ben fomnienben 3al)ren
brau(^en wix nid)t ^n bebanern. *3)ie ntaterialiftifd)e ©e^
fd)id)t5anffaffnng {)Qt if)re ^ebeutimg nirf)t blog barin, ba§
fie nn§ erlaubt, bie (55cf(^id)te beffer ai§ bigf)er ju erflären,
fonbern aud) barin, ba§ fie un§ erlaubt, fie beffer al§ bi§s
l)er gu ma(^en. Unb ba§ le^tere ift rcic^tiger nod) al§ ha§
erftere. 5(u§ ben gortfcl)ritten ber ^ra^ng fliegen nnfere
gortfd^ritte ber @r!enntni§, unb im gortfcl)ritt ber ^rayi§
ben)äl)rt fic^ ber g^ortfd)ritt unferer ®rfenntni§. ^eine 2ßelt*
anfrf)auung aber ift in l)öl)erem SJlage eine ^l)ilofopl)ie ber
2:at, al§ ber biale!tifd)e 9}laterialigmu§. 9^id)t blog burd)
bie ^efrud^tung ber gorfd)ung, fonbern ebenfofel)r burd)
bie 33efrud)tung ber Slat l^offen rair bie Überlegenheit unferer
^l)itofop^ie ju erraeifen.
2(ud) ha^ rorliegcnbe ^üd)lein foH nid)t befd)aulid^em
©rfennen bienen, fonbern bem Kampfe, einem Kampfe, in
bem mir hk ^öd)fte etl)ifd)e ^raft mie bie größte ^lar^eit
ber @r!enntni§ entfalten muffen, folten mir fiegen.
33erlin*griebenau, Qanuar 1906.
K- Kautshö*
i. flntiUe und (önftUft)e etöife.
Qu ber (55efct)id£)te ber ^!)i(ofopf)ie tritt bte g^age ber
%Ü)xt suerft in ben 3]orbergrunb in ®rie(i)enlanb nad) ben
^erferfviegen. ^ie ^Ibroeifung be§ riefeniiaften perftfd)cn
®efpoti§niu§ ^atte auf ba§ fleine 33ol! ber Seltenen plölj*
lid) in ä^nli(i)er 2ßeife gerairft, roie etroa bie jüngfte Qnxüd--
lueifung beg riefen!)aften rufftfd)en ®efpoti§mu§ auf ba§
japanif(i)e 3SoI!. 5SJlit einem ©(^lage rcurbe e§ eine Sßelt-
Tnatf)t ber ^e^errfc^er ber @ee, bie e§ untgab, unb banttt
be§ §anbel§. Unb rcenn über ^apan nun bie fapitaliftifc^e
@ro^inbuftrie mit üoKer 2ßud)t {)ereinbred)en rcirb, t)on
ber e§ bisf)er nur bie Slnfänge gefannt, fo mürbe nad) ben
^erferfriegen ©ined)enlanb, namentlich) 2Itf)en ber 9)littel«
punft be§ bamaligen 2ßettt)anbelg, ha§ §anbel§!apital be*
tnäd)tigte ftd^ bei gcingen 9]ol!e§ unb löfte alle überfommenen
^efetlfd)aftli(i)en ^erf)ältniffe unb 2(nfd)auungen auf, bie ben
«in^elnen bi§ ba!)in be^errfd)t unb fein £)anbeln geregelt
f)atten. '3)er einzelne faf) fid^ plö^id) in eine neue gefeK*
f(f)aftlid^e SBelt üerfe^t — unb graar um fo mef)r, je f)ö^er
in ber ©efe((fcf)aft er ftanb — , in ber er jeben überfommenen
^alt verlor, in ber er ftcf) ganj auf ftd^ allein angemiefen fal).
Unb hodf, tro^ aller anfd^einenben 9^egellofig!eit, füllte
jeber nid)t blo§ hci§ ^ebürfnil nadE) beftimmten Siegeln
jeine§ §anbeln§, fonbern er empfanb and) mel)r ober
meniger beutlid^, ba§ in feinem ^nnern ein Dtegulator
feine§ §anbeln§ mirfte, ber il)n gmifc^en ®ut unb ^öfe
ainterfcl)eiben, ba§ ©ute anftreben, 'i)a§ ^öfe x)erabfcf)euen
Iie§. tiefer Ütegulator erroie§ fid^ aber al§ eine l)öd)ft
öel)eimniäoolle 9}lacl)t. 9Jlod^te er aud) mit oollfter ^raft
fiaut§ft), (St£)il unb materiattftifdje @ef(^id)t6Qutfaffung. 1
2 Slutifc unb rf)viftlid)e (St^it
in mandf)en S[Renftf)eu tätig fein, mochten feine Unter*
fd)eibun9en ^raifrfien ©itt nnb ^öfe fofort, of)ne bie ge*
ringfte Überlegung gefäUt n»erben unb firf) auf ba§ nad)-
brüc!{i(i)fte geltenb machen — wmn man nun unterfucl)en
rcoKte, rcorin ba§ SOßefen biefe§ 9leguIator:§ eigentUd) befiele
unb auf n)eld)e ©riinbe er feine Urteile aufbaue, bann
ftellten fid) fon»o!)l ber 9tegulator, ber in jebe§ SiJlenfdE)en
SBruft raoi)nte, mie feine Urteile, bie fo felbftüerftänblid)
unb natürlid) auftraten, al§ (£rfd)einungen l)erau§, bie
fcl)n)erer begriffen rcerben fonnten al§ irgenb eine anbere
©rfc^einung in ber 2ßelt.
©0 fel)en rcir benn, ha^ feit ben ^erferfriegen in ber
griecl)ifcl)en ^l)ilofopl)ie bie ©t^if, ba§ l)eigt bie @rforfcl)ung
biefe§ gel)eimni§üollen 9iegulator§ ber menfd^lid^en §anb?
lungen, be§ ©ittengefe^eg, in hm QSorbergrunb tritt. ^i§
bal)in wax bie ^^ilofopl)ie in erfter Sinie 9^aturpl)ilo*
fopl)ie geraefen. ©ie ftellte ftd)'§ gur 5lufgabe, bie gefe^*
mäßigen Q^^f^^^^^^^Ö^ i^ ^^^ Statur ju erforfd)en unb
aufguflären. D^^un r>erlor bie ^J^atur immer mel)r an ^nter-
effe für hk $^ilofopl)en. ®er SSJlenfd), ba§ ^ei^t bie
etl)if(i)e S^latur be§ 9Jlenfcl)en mürbe ber 5iJlittelpun!t il)re§
gorfcE)enä. *^ie S^aturp^ilofop^ie ^ört auf, weitere gort*
fd)ritte p mad^en, bie 3^aturmiffenfc^ af ten löfen fid) dou
ber ^l)ilofopl)ie ah; aller gortfd)ritt ber antuen ^l)ilofopl)ie
gel)t je^t au§ t)on ber ®rforfd)ung be§ geiftigen 2ÖBefen§ be§
■^IRenfc^en unb feiner (5ittlid)feit.
©c^on bie @üpl)iften begannen bamit, bie (£r!enntni§ ber
Dflatur gering ju fd)ä^en. ^06) meiter al§ fie ging ©ofrateg,
ber ba meinte, bie 33äume fönnten i^n nid)t belel)ren, rcol)l
aber bie 9Jlenfd)en in ber Stabt. ^lato betrachtete bie
9fiaturp^ilofopl)ie nur nod) al§ (Spielerei.
®amit mürbe aud) bie S[Rctl)obe ber ^l)ilofopl)ie eine
anbere. ^ie 9^aturpl)ilofopl)ie ift notmenbigermeife auf bie
33eobad)tung ber 3lugenmelt angemiefen. SOßie fann bagegen
bie fittlic^e D^atur be§ 5iJlenfcl)en fid)crer erfannt merben^
5lnti!e unb c^riftlicfje (Et^i! 3
al§ burrf) ^eobad)timg be§ eigenen 3<i)? ^ie ©inne fönnen
trügen, jebet anbete 9JZenfef) fann nn§ täujd)en. 5(ber n)ix
felbft belügen un§ nid^t, rcenn rcir raa^r fein moUen. ©o
galt fcl)lie§li(i) al» einzig fiebere ®rfenntni§ jene, welche ber
^Jcenfcl) au§ fid) felbft gebar.
^ber nid)t blo§ ber ©egenftanb nnb bie Wei^ohe,
fonbem aud) bie 5lnfgabe ber ^l)ilofop^ie rcnrbe nun
eine anbere. ^k 5Raturpl)ilofop^ie ftrebte nad) ber ©r^
forfcl)ung ber notrcenbigen ^^fantmen^änge t)on Ur*
fad)e unb SCßirfung. Ql)r @efid)t§pun!t rcar ber ber
^aufalität. ®ie ®tl)if bagegen ^anbelt üom SÖßollen
unb ©ollen be§ ^SJlenfdjen, üon ben fielen unb Qrceden,
bie er anjuftreben l)at. Q^r ß5efid)t§punft ift alfo ber be^
QiDedgebanfeng, ber ^eleologie.
Qnbeffen traten biefe neuen ^uffaffungen nid)t bd allen
Oiii^tungen gleid) fd)arf l)err)or.
@§ gab gmei 2Cßege, ba§ ©ittengefe^ in un§ ^u erflären.
9Jlan fonnte feinen (55runb in ben gutage liegenben 2;rieb^
febern be§ menfd)lid)en §anbeln§ fud)en, unb alg bie er*
fd)ien ba§ ©treben nad) ©lüdfeligfeit ober Suft. Unter
ber 30ßarenprobu!tion, ber ^robuftion burc^ noneinanber
äu^erlid) unabpngige, prirate ^robu^enten finb aber @lüd=
fcligfeit unb Suft unb bie ba^u erforberlid)en ^ebingungen
aui} ^$inoatfad)e. 9Jlan fud)te alfo bie ©runblage be§ ©itten^
gefe^eg in bem ^ebürfni^ be§ ^nbioibuumS nad^ inbiüi^
bueller Suft ober ^lüd'feligfeit. '^a§ ®ute ift ha§, rva§ beut
Qnbioibuum Suft bereitet, feine (S5lüdfelig!eit förbert; ba§
^öfe, voa§ ba§ (S^egenteil bewirft. Sßie ift e§ aber ba ntöglid),
ba§ ha§ ^öfe gesollt toirb, baß nid)t jebermann unter allen
Umftänben nur 'i)a§ @ute rcill? '3)a§ mxh erflärt baburc^,
baß e§ t)erfd)iebene ^rten üon Suft unb ^lüdfeligfeit gibt.
^a§ SBöfe entftel)t bann, racnn ber 9Jlenfd) eine niebere
Ülrt von Suft ober ©lüdfeligfeit einer l)ö^eren vox^kl)t,
einer augenblicflid)en, rafd) Dorübergel)enben eine bauembe
opfert, alfo au§ Unraiffenl)eit ober ^ur^fic^tigfeit. ©o finb
4 SIntüe unb c^riftlic^e Gtf)i!
uad^ föpifur bie geiftigen (55enüffe ^öf)ere al§ bie pl)t}fifd)en,
loetl fie länger bauern unb eine ungcmifd)te Suft bereiten.
(£r f)ä(t bie Suft ber 9iu()e für gröf^er al§ bie Suft ber ^e--
rcegung. ®ie @eelenrii{)e erfd)eint if)m alg ba§ größte ®(ücf.
*3)arum ift Unmä§ig!eit bei jebem ®enu§ rerraerflirf); barum
ift aud) ein felbftfüc^tigeg §anbeln f(i)led^t, benn 2IdE)tnng
unb Siebe unb §ilfe ber 9lad)barn ebenjo rcie ba§ @ebei{)en
be§ (55emeinn)efen§, bem id) angeiiöre, finb gaftoren, bie
gu meinem eigenen (SJebeif)en, meiner eigenen ß^tücffeligfeit
notmenbig finb, bie id) aber nid)t erlange, menn id) rüd-
fid)t§Io§ nur für mid) forge.
®iefe 5Iuffaffung ber ®t!)if fiatte bcn 3SorteiI, ha^ fie
ganj „natürlid)" erfi^ien, am lcid)teften vereinbar mit ben
p^ilofopI)ifd)en SBebürfniffen jener Elemente, bie fid) mit
ber ®r!enntni§ ber burd) unfere 8inne erfennbaren 2ßelt
al§ ber n)ir!Iid)en begnügen rDoUtcn unb benen ba§ meufd)-
lid)e SBefen nur al§ ein Steil biefer 2ßelt erfd)ien. 5tnberer*
feit§ mugte gerabe biefe 3luffaffung ber ®tf)it if)rer*feit§ jene
materialiftifd)e 5luffaffung ber 2ßelt erzeugen. '3)ie Segrüu'-
bung ber ©t^i! auf ba§ ©treben nad) Suft ober ©lüdfelig-'
feit be§ Qnbit)ibuum§ ober auf hQXi @goi§mu§ unb bie
materialiftifd)e 2Beltanfd)auung bebingten unb ftü^ten ein^
anber gegenfeitig. *S)er 3^f^^^^^"^^^^9 beiber Elemente
tritt n)ol)l am t)oItfommenften gutage bei ©püur (341 bi^
270 t)or unferer Qeitred^nung). ©eine materialiftifd^e dlahix--
p!)ilofop!)ie mirb bireft mit einem etf)ifd)en Qwzd begrünbet.
<3)ie materialiftifd)e 5Iuffaffung ber ^J^atur ift feiner 5(nfid)t
nad) aHein imftanbe, un§ t)on ber gurd)t su befreien, bie
törid)ter 2(berglaube in un§ ermedt, unb un§ jene (Seelen^
rul)e ju üerleitien, o!)ne bie malireä ©lud unmöglid) ift.
^Dagegen mußten alle jene (Elemente, bie bem 5Jlateria*
li§mu§ feinbfelig gegenübertraten, anäj feine ®tl)i! ablel)nen
unb umgefel)rt: men biefe ®tl)if ni(^t bef riebigte, bem genügte
awd) ber 3D^ateriali§mu§ nid)t. Unb biefe (£tl)if be§ ®goi§mu§
ober be§ ©treben§ nad) ©lüdfeligfeit be§ eigenen ^d) bot
STntife unb c^riftli(^e (St^i! 5
5lngrippun!te genug. 3Sor allem erflärte fte ni(i)t, rciefo
ba§ (Stttengefe^ al§ fittltd)er 3it>öng, at§ 3Serpfltd)tung,
ba§ ©Ute 5u tun, auftritt unb nirf)t aB bloßer 9iat, bie
vernünftigere 2(rt ber (^lüdfeligfeit ber rcentger vernünftigen
üorgugiefien. Unb bie rafi^e, entfd)iebene fittli(i)e Beurteilung
beg ©Uten unb 93öfen ift ganj verfc^ieben von bem 2Ib*
lüägen §n)ifc^en t)erfd)iebenen 3trten von Suft ober S^u^en.
©nblicf) aber fann man eine fittlid)e ^flid)t autf) in gäden
empfinben, rco felbft bie rceit^erjigfte 2(u5legung feine Suft
ober feinen D^u^en me{)r au§ ber Befolgung biefer ^flid)t
abzuleiten vermag. Sßenn irf) mic^ üwa meigere, gu lügen,
obwohl id) baburd) bie ganje öffentlid)e 5[Reinung für immer
gegen mid^ aufbringe, meine (S^iftenj auf§ Spiet fe^e ober
üiel(eirf)t gar hk 2obc§ftrafe über mirf) ^eraufbefc^roöre, fo
fann von irgenb einer, menn auc^ nod) fo entfernten Suft
ober ©lüiffeligfeit, n)elcf)e bie Unluft ober ben ©d^mer^ be§
5lugenbtic!§ f(i)lieglicf) in i!)r ©egenteil verrcanbeln fönnten,
nicf)t mei)x bie Ü^ebe fein.
3lber wa§ mußten nun bie ^ritifer jur ©rflärung biefer
®rfrf)einung vorzubringen? ^atfäd)li(^ nid)t§, menn au(^ i^rer
2Infic^t nad^ ungef)euer viel. ®enn meil fie ba§ Sittengefe^
nic^t auf natürlichem 2ßege ^u erflären vermorf)ten, mürbe e§
il)nen jum fid)erften unb unumftö§licl)ften BeraeiS bafür, ba§
ber 50Renfcf) nid)t blo§ in ber D^atur lebt, fonbern aud) au^er*
^alb ber SRatur, ba§ in il)m übernatürlid)e, au^ernatürlic^e
Gräfte rcirffam finb, ba§ fein ©eift dwa§ übernatürlicf)e§
ift. @o entfpro^ au§ biefer 5luffaffung ber ©tl^if ber pl)ilo*
fop^ifcl)e ^bealismug unb ber 9Jlonotl)eigmu§, ber neue
©Ottegglaube.
tiefer ©ottegglaube mar ganj anberer 2lrt al§ hie
frül)ere Vielgötterei; er unterfrf)ieb fid^ von biefer nidjt
blo§ burcl) bie Qa^l ber ©ott^eiten, er entftanb nirf)t ba^
burdE), ba^ biefe auf eine einzige rebujiert mürben.
%k Vielgötterei mar ein Verfurf), bie Vorgänge ber Statur
gu erflären. Sfeve ©ötter maren ^erfonififationen ber D^atur*
6 STutifc unb d)vtftli(^e Gt^tf
Iräfte; fie ftanben alfo ni(i)t über ber D^atuv unb ni(i)t
au^erf)alb ber S^latur, fonbern in if)r, bilbeten Steile t>on
if)r. ^ie 9'Zaturp!)ilüjopI)ie »erbrängte fie in bem 9Jla^e,
in bem fie anbere a(§ pcrfönli(i)e Urfarf)en in hzn dlatm--
üorgängen entbedte unb h^n 33egriff ber @efe^lid)!eit be§
notiüenbigen ^^^f^^^^^^^^^^Ö^^ ^on Urfarf)e unb 2ßirhmg
entiüid'elte. '3)ie (Götter mod)ten ba nod) eine ^^itlang eine
trabitioneUe ©i'iften^ aud) in ber ^|5f)iIofop{)ie n)eiterfüf)ren,
aber nur al§ eine befonbere 2(rt Übennenfd)cn, bie feine
tätige 9lo((e mef)r fpielten. 2Iud) hei ®pifur inaren, tro^
feinet 9JlateriaIi§mu§, bie alten ©öttcr nod) nid)t tot, aber
fie rcaren penfioniert, in tatlofe ^^M^^ Derroanbelt.
5lu(^ bie nid)tmaterialiftifcl)e etl)ifcl)e 9iicl)tung ber '*^3l)ilo^
fopl)ie, n)ie fie am üollfommenften ^lato (427 bi§ 347 t)or
unferer Qeitredinung) repräfentiert, bereu mt)ftifcl)e ©eiten
jebod) rceit frf)ärfer t)on ben S^euplatonifern entraidelt raurben,
namentlid^ t)on ^lotin (204 hi§ 270 na(f) beginn unferer
3eitrecl)nung) — aud^ biefe 9ii(i)tung beburfte für bie
S^aturerflärung ber alten ©ötter nid)t mel)r, unb fie be=
l)anbelte biefe nic^t anber§, al§ bie SJtaterialiften taten.
Ql)r @otte§begriff entfprang ni^t bem ^ebürfni^, bie un§
umgebenbe Statur, fonbern bem, ba§ etl)ifcl)e, geiftige Qnnen-'
leben be§ 9}lenfcl)en gu erflären. Xa§u beburfte fie ber 2ln=
na^me eine§ (55eifte§, ber au^er ber Statur unb über ber
Statur ftanb, alfo au6erl)alb t)on 9iaum unb Qüt, eine§
@eifte§, ber bie duinteffenj aller ©ittlid^feit bilbete unb ber hie
materielle Statur ebenfo bel)errfcl)te, rcie bie arifto!ratifcl)en
^^ilofopl)en bie l)anbarbeitenbe SD^lenge be^errfd)ten. Unb
n)ie jene fi(^ ebel üorfamen, biefe bagegen i^nen gemein
unb pöbelhaft erfd)ien, fo mürbe nun au(^ bie Statur ge^
mein unb böfe, ber ©eift bagegen erl)aben unb gut. ®er
5!}lenfcl) l)at ba§ ^ed^, gleid)5eitig beiben 2ßelten an^ugeljören,
ber ber 9Jlaterie unb ber be§ @eifte§. ©o ift er lialb Stier,
l)alb ®ngel, fd)man!t jroif(i)en ©ut unb ^öfe. Slber mie
©Ott bie 9'Zatur bel)errfd)t, l)at ba§ ®tl)ifcl)e im 5[)lenfd)en
^utife unb c^riftlic^e mint 7
t)ie ^'raft, ha§ 9^atürlicf)e, bte Süfte be§ 5IeifcE)e§ ju über=
rcinben unb über fte gu trtumpl)ieren. 3]oüfommene ©lücf-
feligfeit ift jebod^ für ben 9Jlenfc^en unmöglicf), folange er
in biefem 3<^^^^^*^<^^ rceilt, wo er verurteilt ift, ftcf) mit
feiner eigenen böfen SeiblicE)feit !)erum3uf(i)(agen. ©rft luenn
er biefe lo§ geraorben unb fein @eift ju feinem Urquell, 5U
<5)ott 3urücfge!eE)rt ift, mirb i^m uneingefd)rän!te ©lüdfelig*
feit guteil.
SD^an fiel)t, ^ier fpielt ©ott eine gang anbere ^ode at§ in
ber urfprüngtidE)en Vielgötterei, tiefer eine (Sott ift mdjt hk
^erfonififation einer ®rfcl)einung ber äußeren 9^atur, fonbern
bie QSerfelbftänbigung be§ geiftigen Sßefens be§ 9Jlenfd)en.
<So rcie biefe^ einl)eitli($ ift, fann aud) bie neue ©ottl)eit feine
^iell)eit fein. Unb in feiner t)ollfommenften p^ilofop^ifd)en
(S^eftalt ^at ber eine @ott feine anbere gunftion, al§ hk, ben
Urfprung be§ ©ittengefe^e^ gu erflären, bamit ift feine 5luf*
gäbe erfd^i5pft. ^n ben 3öeltenlauf nad^ 2lrt ber alten (Sötter
einzugreifen, ift nid^t fein (Sefdjäft, l)ier reicl)t, raenigften§
für ben ^$l)ilofop^en, bie 3lnnal)me bes gefe^lid)en ^ufammen^
l^angeg t)on Urfacl)e unb 2öir!ung völlig au§.
greilicl), je mel)r biefe Ülnfcf)auung popularnfiert, ^ur ^olU^
religion raurbe, befto mel)r geraann ber eine l)öcl)fte allum«
faffenbe unb alle! bel)errfc^enbe (Seift auc^ mieber perfön«
li(i)e QüQe; befto me^r na^m er tätigen SInteil an ben
2Öeltl)änbeln unb befto mel)r fd)li(i)en ftd) au(i) bie alten
(Sötter rcieber ein. ©ie txatzn je^t auf ai§ 9Jlittler 5n)ifd)en
©Ott unb ber 5!J^enfcl)l)eit, al§ ©eilige unb (gngel. 2lber
auc^ in biefer populären gorm erl)ielt fid) bie (Sering^
fd)ä^ung ber 9'Zatur unb bie Üluffaffung, ba§ geiftige, nament-
lid^ ba§ et^ifd)e 2öefen im 9JZenfcl)en fei übematürlid)en
Urfprunge§ unb ber untrüglid)fte Veioei^ für bie (S^nftens
einer übematürlicl)en 2ßelt.
3n)ifcf)en hm beiben (Sjtremen, ^lato unb (Spihtr, loaren
mannigfaltige Qrciftfienftabien möglid). Unter biefen ha§
rcic^tigfte raurbe bie ftoif cl)e $l)ilofopl)ie, begrünbet burd^
8 Slntife unb d^rtftlit^e (St^it
3eno (341 hxi 270 t). u. Q.)- '^ie bie platouifdje ^:pftilofopl)ie
rccnbete and) fie fid) bagegen, ba§ Sittcngefe^ au§ Suft unb
@goi§mu§ be§ einzelnen, t>ergänglirf)en Qnbit)ibuum§ abzu-
leiten; fie erfonnte in i^m eine f)ö^ere, über bem einzelnen
ftef)cnbe ^ad)t, bie imftanbe ift ben 5[Renfc^en ^u §anblungen
gu treiben, tpelc^e für it)n 8(^merj unb Scib, ja felbft ben
^ob l)erbeifü{)ren. 3Xber t)erfrf)ieben ron $Iato fal) fie in bem
(Sittengefe^ nid)t etrcag Übernatürlid)e§, fonbern ein ^robuft
ber Statur. '3)ie^ugenb entfpringt ber @rfenntnt§ ber^^atur;
bie ©lüdfeligfeit rcirb erreid^t, rcenn bcr 5SJlenf(f) ber D^atur,
ba§ f)ei^t bem SOßeltganjen ober ber Sßeltüernunft ent^
fpred)enb ^anbelt. '3)ie Statur erfennen unb t^r entfpred)enb
vernünftig, ba§ !)ei§t tugenbt)aft ^anbeln, fid) i()rer ^oU
rcenbigfeit freimittig unterwerfen, unbefümmert um inbiüi?
buetle Suft unb Unluft, ift ber ^Beg gur @lüc!felig!eit, ben
ber 2ßeife ge^t. %k ®rfoi*fd)ung ber S^latur ift aber nur
9Jlittel jum Qmed ber ©rforfd^ung ber ^ugenb. Unb bie
Statur felbft rcirb M hm ©toifem au§ moralifd^en @efid)t§*
punften erflärt. ®a§ praftifc^e 9lefultat ber ftoifd)en ®tf)if
ift nid)t ha§ ©treben nad^ Suft, fonbern bie 93erac^tung ber
ßuft, ber ©üter ber 2ßelt. 2lber biefe 2Serarf)tung ber 2ßelt
foü fd)lie§lic^ bemfelben ^^Jecte bienen, ber Qmo mie ©pifur
al§ ber l)öd)fte erfd)ien: bem ©eelenfrieben be§ einjetnen.
SSeiber @tl)i! entfpringt bem S3ebürfni§ nad) 9^uf)e.
'3)iefer 3n)ifd)enftel(ung ber ftoifd)en (&ti)it smifrfien ber
platonifd)en unb ber epifureifd)en entfprarf) aud) ba§ SÖßelt*
bilb, ba§ ber (Btox0mn§ entmarf. 'S)ie D^aturerflärung ift
'ü)m nid)t etioaS ©leid)gültige§, aber bie Statur erfdieint
i{)m aB ein eigenartiger monot()etftifd)er 9Jlateria(i$mu§,
ber eine göttlid^e Urfraft annimmt, an§ tt)eld)er aud^ bie
menfd)lid)e ©eele entftammt. 2lber biefe Urfraft, ba§ Ur=
feuer, ift !örperlid), ftel)t nid)t au6erf)alb, fonbern in ber
D^atur, unb bie ©eele ift nid)t unfterb(id), menn fie aud)
eine längere ^auer ^at al§ ber menfd)lid)e Körper. (2d)lie^*
lic^ rairb fie r»om Urfeuer aufgejelirt.
STntife unb d^riftlic^e dt^t 9
(Btox0mu§ unb $Iatoni§mu§ raurben fd£)Ue6lid) gu ©le«
menten be§ ®^riftentum§ unb überrcanben in biefer gönn
ben matertaltftifd^en @pifurei§mu§. Neffen 9Jlatenalt§mu§
fonnte nur einer klaffe ober @efe((f(^aft genügen, bk burd^
bie 2ßirt'(trf)feit befriebtgt rcurbe, bie in biefer i^re Suft unb
i^re (5)lüctfeligfeit fanb unb fein 33ebürfni§ nad^ anberen
guftänben ^egte.
@r ntu^te abgelehnt rcerben ron klaffen, benen biefe
2ßir!(ic^!eit aU böfe unb fd)merglid) erfd)ien, üon ben üer=»
finfenben klaffen ber alten 2lrifto!ratie n)te oon h^n au§^
gebeuteten klaffen, für bie ©egenraart unb Qufunft auf
biefer 2öelt gleii^ troftto§ fein mußten, rcenn bk materieUe
2Ößett, ba§ ^eigt bie ®rfal)rung§n)elt, bie einzige war unb
man nid)t auf b^n aKmä(i)tigen ©eift t)ertrauen burfte, ber
e§ oermod^te, biefe gange 2Ö3eIt gufd^anben gu mad)Qn. @d)lie§^
lirf) ntu^te ber 50^ateriali§mu§ von ber gangen ©efellfd£)aft
abgelehnt rcerben, al§ biefe fo t)er!am, ba§ felbft bie ^err*
frf)enben klaffen barunter litten, ha^ felbft biefe gu ber
Überzeugung famen, ba§ ©ute ftanmte nid)t au§ ber rcir!*
lid^en Sßßelt, bie nur ha§ 35öfe probugiere. ®ie 2ßelt ner^
adE)ten, rcie ber (Stoifer, ober auf einen ©rlöfer au§ beut
3enfeit§ l)arren, rcie ber (Jl)rift, rcar bie einzige 3(lter^
natioe.
©in neueg (Clement fant in ha§ (S:i)riftentum burdE) hk
aSölferraanberung, bie an ©teUe ber nerfornmenben ©efeH«
fc^aft beg ri3ntifd£)en 9leid^e§ eine anbere fe^te, in ber bie
alter§fd^n)arf)en tiefte ber röntifd^en ^robuftionS^ unb 3ln*
fcl)auung§n>eifen mit ber jugenbfrifdE)en germanifd)en Tlaxh
genoffenfrf)aft unb il)rer naioen, lebensfrohen ^enfart ^im
eigenartige S^eubilbung probugierten.
2luf ber einen ©eite mürbe bie d^riftlidl)e ^irdf)e ba§
^anb, ba§ bie neuen ©taatSmefen gufammenl)ielt: l)ier
beftätigte fid^ anfcl)einenb mieber bie Sel)re, bag ber (Steift
ftärfer fei al§ bie 9Jlaterie, ha bie ^nteHigeng be§ dE)rift=
lid)en ^rieftertumS fid^ fraftt)olI genug erraieS, hk ro^e
10 5(ntifc unb djriftltc^e (Stf)it
^raft ber germantfd)en 33arbaren ju bänbigeu imb ju
unterjod^en. Unb biefc rol)c 5iraft, ber inaterieöen Söelt
entftammenb, erfd)ien ben Üiepräfentanten bei (S:{)vifteutum§
aud) al§ bie Queüe alle» 33öfen, ino fie nic^t burc^ ben
(Steift geregelt imb im Qaume gef)atten raarb; bagegcn er-
fd^ien if)nen biefer (55eift al§ ber ©riinb aÜe§ ®uten.
©0 trug bie neue gefe((fd)aftli(^e Situation nur ba^u bei,
bie pI)ilofopf)if(i)e G^runbtage be§ (S:j)riftentum§ nnb feiner
@tf)i! SU befeftigen. Slber anbererfeit§ !am burcf) biefe neue
(Situation ein Clement ber Seben§freube unb be§ ©elbft*
t)ertrauen§ in bie ©ei"el(f(i)aft, ba§ il)x jur Qeit ber fönt-
ftef)ung be§ (S:§riftentum§ gefel)lt f)atte. Stud) ber d)rift(i(i)en
@eiftlid)!eit felbft erfc^ien — raenigftenl i^rer 9Jlaffe — bie
3Belt nid)t me{)r al§ ein 3^^^^^^^^/ ^^^ P^ rcurbe r>on
einer ©enugfreubigfeit erfüüt, einem {)eiteren ©pifureertum,
unb jroar einem vergröberten, ba§ mit bem urfprünglid)en
ber antifen ^f)iIofopf)ie nicf)t§ gemein !)atte. Slro^bem
mu^te bie ^inefterfd)aft an ber d)rifttirf)en ®t!)i! feftf)atten,
nid^t mel^r al§ bem 3lu§brutf i{)re§ eigenen fittlid£)en ©mp-
finbeng, fonbern al§ einem SJlittel, if)re ^errfd^aft über
ba§ 3}oI! ju berca^ren. Unb al(e§ trieb fie ja, bie p^ilo^
fop!)ifdt)e ©runblage biefer ®tl)if, bie ©elbftänbigfeit, ja bie
Überlegen!)eit be§ @eifte§ gegenüber ber mirflirfien SÖßelt
aud^ n)eiter!)in an^uerfennen. ©o erzeugte bie t)eränberte
gefeüf(^aftlid)e (Situation auf ber einen (Seite neue eintriebe
^VL einer m atertaliftif d^en ®t!)i!, inbe§ fie auf ber anberen
©eite eine 9leit)e t)on (SJrünben probu^ierte, bie überlieferte
d)riftlid)e feftgulialten. ®arau§ entfprang jene ^oppetet£)if,
bie ba§ SJlerfmal ber 6^l)riftenl)eit gemorben ift, hk äu^er*
lid)e 5lner!ennung einer (£t{)i!, hk bod£) nur §um Steil ben
3lu§bru(i unfereS rcir!lid)en etl)ifd£)en®mpfinben§ unb 2Öollen§
unb bamit be§ 9ftegulator§ unfere§ §anbeln§ bilbet. W\t
anberen SDßorten, bie ^Jloral^eud^elei mürbe nun gu einer
ftänbigen gefe(lftf)aftlicl)en ^nft^tution, bie nirgenbl fo au§^
geprägt ift mie im ©l)riftentum.
mmU unb d^riftlic^e ^t^i! 11
®tf)i! unb Dieligiou erf(i)ienen aber nun unzertrennlich
Derbunben. 2ßo^I voax ha§ ©ittengefe^ ber Iogtf(ä)e Schöpfer
be§ einen (3otU§ gercefen; aber im ©l)riftentum trat üiel^
ntef)r @ott auf al§ ber Ur{)eber be§ 8ittengefe^eg. Cf)ne
^otte^glauben, ot)ne fHeligion feine Sittlid)!eit. :3ebe etl)if(i)e
grage rcurbe gu einer g^rage ber 3^^eoIogie, unb ha bie ur-
fprünglicf)fte unb naiüfte g^tm jeber fojialen (Empörung
bie ber fitt(i(f)en ©mpörung, hai (Smpfinben ber Un|ittli(i)=
feit be§ befte!)enben gefedfc^aftlid^en ^^^ftf^i^^^^ ift fo be^
gann and) jebe joviale (Empörung in ber gorm einer tt)eo=
logifd)en ^ritif, wa§ freilid) aud) nod^ burcf) ben Umftanb
t)erurfad)t rcurbe, ba§ bie ^ird)e ba§ tiorne{)mfte §errfcf)aft§*
mittel, bie römijd)e ^riefterfd)aft bie fd)limmfte unb v^x-
breitetfte 2{u§beuter!(affe be§ 9Jiitte(aIter§ mar, fo bag jebe
5luf(e{)nung gegen irgenb eine gorm ber Ausbeutung ftet5
in erfter Sinie bie ^ir(f)e traf.
5lu(i) na(i)bem feit ber üienaiffance mieber ein p!)iIo^
fopI)ifrf)e§ teufen entftanben mar, blieben gragen ber @tl)i!
lange no(^ fragen ber ^^eologie.
II. Die etöiK des leitalters der HufKlärung,
©eit bcr 9lenaiffancc begann ba^ S^aturftubtum firf) rcieber
Tnet)r gu regen unb mit i^m aurf) bie ^^iIofopf)ie, bie üon
ba an bt§ in§ ad)t5e()nte Qa^rf)unbert hinein oorroiegenb
9^atiirpl)ilofop{)ie wax unb al§ fold)e unfere ®r!enntnt§
rceit über ba§ in ber alten Sßelt erreid)te S^ioeau I)inau§^
f)oh; auggel^enb ron ben gortfd^ritten, 'Ok im SJlittelalter
bie 3Iraber in ber Statur n)iffenfd)aft über ba§ griec^ifrf)e
SOBiffen ^inau§ gemad)t. ®en ©ipfelpunft biefer (£pod)e
ber $^iIofop!)ie bebeutet n)o{)l bie Se{)re ©pinogaS (1632
bi§ 1677).
•^ie ®tl)i! ftanb bei ben '3)enfern biefer Q^xt in jmeiter
Sinie, fie blieb ber 9^aturer!enntni§, t)on ber fie ein ©tue!
mar, untergeorbnet. Slber fie trat mieber in ben SSorber^
grunb, aU ha§ rafd)e 3(uf!ommen be§ Kapitalismus im
a(i)t5el)nten ^^^^^unbert eine äl)nlid^e Situation für SCßeft*
europa fd)uf, mie fie ber rairtf(i)aftlid)e 3(uffd)mung nad)
ben ^erferfriegen für ©ried)enlanb gefcl)affen: einen raf(i)en
Umfturg ber alten ö!onomifd)en Drbnungen unb bamit eine
5luflöfung ber überfommenen gefellfcl)aftlid)en Drganifationen
unb fittlicl)en 5(nfcl)auungen. ®§ begann, um mobern gu
reben, eine Umwertung aller 2Berte unb bamit ein eifriges
^en!en unb gorfd)en über SÖßefen unb (^runb ber ©ittlic^feit.
*iJ)aneben aber freilid) ein ebenfo eifriges g=orfcf)en na6) h^m
2ÖBefen ber neuen ^robuftionSroeife. ©leid^^eitig mit bem
§err>ortreten ber @tl)i! begann eine neue 2ßiffenfcl)aft, bie
baS Slltertum nxd)t gefannt, baS befonbere Kinb ber fapi=
taliftifc^en 3Barenprobu!tion, bereu ©rflärung fie bient:
bie politifd)e Cfonomie.
3)ie (St^if bei 3eitalter§ ber ^ruffförung 13
Qu ber ®t^if aber finben lüir rcieber brei 9fli(^tungen
nebenemanber, bte manche parallele mit hen brei 9^id)tungen
be§ 2Iltertum§, ber pIatonifd)en, epi!ureifd)en unb ftoifrf)en
aufiueifen: eine antitnaterialiftifc^e — bie überfommene tf)rift'
ltd)e — unb eine materiatiftifc^e, enblid) graifc^en il)nen eine
üermitteinbe. ^ie Seben§Inft unb ©enu^freube ber aufftreben*
ben ^ourgeoifie, rcenigftenB if)rer t)orgefd)rittenften (Elemente,
namentlirf) if)rer QnteKeftueöen, füf)Ite fidE) je^t ftar! genug,
offen aufzutreten unb alle ^euc{)terif(jE)en füllen abjurcerfen,
§u benen fte ba§ !)errfd)enbe ©f)inftentum hx§ ba{)in ge*
grcungen. Unb fo jammervoll autf) rielfad^ bie ©egenmart
fein fonnte, fo fül)lte bie aufftrebenbe 33ourgeoifie bod), ba^
ber befte Sleil ber 2ßßir!licl)feit, hie Qi^^unft, i^x gel)öre, unb
fie empfanb bie 3^äl)ig!eit in fid^, bte§ Jammertal in ein
^arabieS um^umanbeln, in bem bie 50^enfdl)en frei il)ren
S^rieben folgen burften. Qu ber 2Qßir!lid)!eit unb bm natür*
lid^en trieben ber ^Jlenfd^en fal)en i^re Genfer bie ^eime
alle§ ©Uten, nirf)t alle§ ^öfen. "^iefe neue (Sebanfenrii^tung
fanb aber gunäc^ft ein ban!bare§ ^ublüum nii^t nur hei
ben oorgefcf)rittenften Seilen ber ^ourgeoifie, fonbern auc^
beim ^öfifcf)en 2lbel, ber bamalS eine fold)e abfolute ©emalt
im Staate erobert l)atU, ba§ aud^ er glaubte, aller (i)rift*
lid)en §eucl)elei bei feinem ©enu^leben entraten gu fönnen,
um fo mel)r, alB er nun burc^ eine tiefe £luft oon ber
^Jlaffe be§ 3Sol!e§ getrennt mar. (£r hdxa(i}UU Bürger
unb dauern al§ 2ßefen niebrigerer 5Irt, benen feine ^^ilo^
fop^ie abfolut un^ugänglicl) unb unoerftänblid^ fei, fo ba^
er fie ungefd^eut frei entmideln bürfe, o^ne befürd£)ten gu
muffen, bamit and) bie ^raft feinet §errfd)aft§mittel§, ber
cl)riftlid)en Dieligion unb @tl)i!, gu fdl)mäd^en.
5lm ftärfften fanben fidl) biefe ^ebingungen ber neuen
Seben§auffaffung unb (£tl)i! in granfreid) entraicEelt. 'S^ort
fam fte aud) am fd£)ärfften unb fü^nften gum 5lu§brucf.
SOßie beim alten (£pi!urei§mu§ ftanb aud) in ber neuen
t}Iufflärung§p^ilofopl)ie ber Samettrie (1709 bi§ 1751),
14 !3)ie (St^if be§ 3eitaltcr§ bev Slufflärung
§oIbad) (1723 bi§ 1789) unb |)elüetiu§ (1715 bt§ 1771)
bie (St^if beg ®goi§mu§, bcig 9^u^en§ ober ber Suft in
engftem (ogif(i)em 3iifcitTtmenf)ang mit einer materialiftifd)en
^^l)ilofopf)ie. ^k 2ße(t, vok fie nn§ bie @rfa!)rung ^eigt
erfd)ien i^r alg bie einzige, bie für un§ in ^etrad)t fommen
fönne.
%k Urfad)en biefeä neuen ®pifurei§mu§ l)aikn üiele
$lf)nlirf)feit mit benen be§ alten, fo aucf) bie Sflefultate, gu
benen beibe famen. Xro^bem trugen beibe in einem mefent*
lid)en fünfte einen grunbt)erfd)iebenen (J^arafter. ^^x alte
®pi!urei§mu§ trat ni(^t auf al§ Umftur^ ber überfommenen
religiöfen Slnfd^auungen; er rcugte fid^ biefen ansupaffen.
(£r mar ^hm ni(i)t bie Sef)re einer reüolutionären ^laffe^
er prebigte nid^t ben ^ampf, fonbern ba§ befc^aulid)e ©e-
niesen. 3Sielmei)r mar ber platonifd^e Qbeali§mu§ unb ^(;eil*
mu§ eine Se!)re be§ Umftur^eS ber überfommenen religiöfen
2lnfrf)auungen, eine Sel)re unsufriebener klaffen.
2Inber§ bie 2luf!lärung§p{)ilofop^ie. 2ßo!)l f)atte aud^ fie
eine fonferoatire Sßßurgel, fa^ fie bie (S^lü(ffelig!eit in be-
fd)auli(i)em ©enießen, infofern fie ben ^ebürfniffen be§
§ofabel§ biente, ber au§ ber beftel)enben abfoluten 8taat§^
gemalt feine ©jiftenjmittel gog. 5lber in ber §auptfadE)e
mar fie bod) bie ^{)ilofopI)ie ber intelligenteften unb am
meiften entmidelten fomie ber !ü!)nften (Elemente ber auf^
ftrebenben ^ourgeoifie. ®a§ Derliel) xi)X einen reoolutionären
©f)ara!ter. 3Son tiornf)erein im (S^egenfa^ gur überfommenen
Üieligion unb ®tl)if fte^enb, mürbe fie in bem 9Hage, in
bem bie ^ourgeoifie an ^raft unb (Selbftbemugtfein mud)§^
immer me£)r gu einer 5lnfd^auimg be§ Kampfes, einer
2lnfd)auung, bie bem alten ©pitureertum DöKig ferne lag;
be§ ^ampfeg gegen Pfaffen unb Strirannen, be§ ^ampfe§
um neue S^eale.
*^ie ^rt unb Slßeife ber fittlid)en Ülnfd)auungen unb bie
§öl)e ber fittlid)en Seibenfd)aften mirb nad^ ben fran5Öfifd)en
3Jlaterialiftcn oon ben Seben§t)erl)ältniffen ber ^Jienfdien be^
2)ie (St^if be0 3eitatter0 ber STufflarung 15
ftimmt, namcutlti^ von ber QSerfaffung be§ ©taate§ foinie
t)on ber (£rsief)ung. ©tet§ ift e^ ha§ (Sigenintereffe, ha§ hQXi
9J^enfrf)cn beftimmt; e§ fann aber ein jef)r fojtate^ Qntereffe
tüerben, rcenn bie (55efe(Ifcf)aft berart organtftert ift, ha^ ha§
©igenintereffe t)erfd)milst mit hem Qntereffe am ©emeinmefen,
ba§ bie Scibenfc^aften be§ 9D^enfrf)en bem (^emeinmo^l
bienen. %k ma^re ^ugenb beftef)t aber in ber ©orge um
ba§ ©emeinmo^I, fie fann nur bort gebei!)en, mo ber SJlenfcf)
mit bem ©emeinmo^l auc^ ha^ eigene beförbert, n)o er ba§
©emeinrco^I nic^t fc^äbigen fann, o^ne fidE) felbft §u j(i)äbigen.
@§ ift bieUnmiffen^eit über bie eigenen bauemben ^ij^eren
Qntereffen ber 5J^enfrf)en, bie Unrciffen^eit über bie befte
gorm be§ ©taate§, ber @efe(tfcf)aft, ber ©r^ie^ung, hk Qu*
ftänbe ermöglidjt, melcf)e notmenbigermeife ta§ ©emeinrao^l
unb ha§ ©igenintereffe in ^onflift miteinanber bringen.
(£§ gilt, biefer Unmiffen!) eit ein (§^nhe gu mad)en, bie ber
3Sernunft entfpre(^enbe©taat§*,(55efellfd)aft§*unb (£r§ie!)ung§s
form §erau§5ufinben, um &IM unb Stugenb für immer feft
gu begrünben.
§ier fe^en mir ben reoolutionären ^ern be§ frangöfifcfien
50^ateria(i§mug, ber ben beftet)enben ^taat al§ Urheber ber
Safterf)aftigfeit, ha§ f)ei§t be§ ©egenfa^eä smifdjen ©emein*
unb ©igenintereffe, auflagt. ';i)aburcf) erf)ebt er fi^ über
ben antifen @pifurei§mu§, baburd) oergrögert er aber nod)
bie ©cf)mä(i)e ber ^ofition feiner ©t^if.
"S^enn e§ gilt ja nicf)t blog bie befte gorm für (Staat unb
©efel(fcf)aft ^lerau^aufinben. ^§ gilt auc^ für fie gu f ämpf en,
hzn ^errfcf)enben 9Jlad)t^abern entgegenzutreten unb fie nieber«
pmerfen, um ba§ 9iei(^ ber 2;ugenb gu begrünben. "^^a^u
bebarf e§ aber großer fittlicf)er Seibenfd^aften, unb xvo^ex
foUen bie fommen, menn bie beftef)enbe (55efe(lfd)aft fo fc{)led)t
ift, ba§ fie feine ^ugenb, feine ©ittli(i)feit auf fommen Id^t?
^IRup nic^t bie f)öl)ere (Sittli(i)feit frül)er oorf)anben fein, e{)e
bie liö^ere (55efeüfcf)aft erfte^en fann? SJlug nid)t ha§ fitt*
licf)e Qbeal in un§ leben, e^e bie fittlicl)e Drbnung ^ur %aU
16 2)ie Gtf)if- be§ 3eitoIter§ bcr ^Iiifnärung
fad)e lüirb? 2Bof)er aber bte§ fittlirf)e Qbeal in einer lafter*
mten 2BeIt?
^aranf erhalten lüir feine befriebigenbe 5lntn)ort.
©troag anberg aU bie granjofen fnd)ten bie ©ngtänber
im acf)tge!)nten J^af)r{)nnbert ba§ ©ittengefe^ jn erflären.
(Sie geigten fic^ im allgemeinen raeniger fül)n nnb mef)r
fompromi§füdE)tig, rcie bieg ber ®efd)ici^te @nglanb§ feit ber
^Reformation entfprid)t. ©eine infulare Sage begünftigte
feit biefer 3^^^ f^i^^ ö!onomifd)e ®ntn)i(flnng an§nef)menb.
©ie trieb e§ gnr ©eefai)rt, bie im fieb5e!)nten unb arf)t5ef)nten
ga{)rf)nnbert bnrc^ ba§ ^olonialfriftem ben rafii)eften 2ßeg
ber 5Bereid)ernng bilbetc. ©ie befreite ©nglanb non allen ben
Saften nnb 33er^eernngen ber Sanbfriege, bie bie ^äd)U be§
geftlanbeg erfcl)öpften. ©o bereichert firf) (Snglanb im ficb*
gel)nten unb acl)t^el)nten J^alir^unbert rafd)er al§ alle anberen
Stationen @uropa§ unb tritt öfonomifd) an il)re ©pi^c. Slber
menn in einem Sanbe neue klaffen, neue ^laffengegenfä^e
unb bamit neue gefeKf(i)aftli(i)e Probleme frül)er al§ anberSmo
auftreten, finb bie neuen klaffen bort meift nod) menig gum
©elbftbemu^tfein gelangt, nocl) fel)r in ben alten '3)en!formen
befangen, fo bag and) bie ^laffengegenfä^e nod) in un«
entmirf elter ©eftalt erf(i)einen. ©o fommt e§ in einem folc^en
Sanbe 5imäcl)ft ni(^t gu einer enbgültigen 5lu§fed)tung be§
^laffenfampfeg, nid)t gu einer rabifalen Überminbung ber
alten klaffen, hk bort eben nod^ unumfcf)rän!t l)errfcf)tcn
unb in allen Säubern runbl)erum nod) in ooller 33lüte ftel)en.
^ie neuen klaffen finb ba nod^ unfäl)ig gur 2llleinl)errf(i)aft,
ba fie fid) in ber ©efellfrf)aft nur fd)n)er gurec£)tfinben, vox
ber 9^eul)eit i^rer eigenen ^eftrebungen erfcl)reden unb felbft
notf) nad) ©tü^en unb 5lnfnüpfung§pun!ten in ben über^
fommenen 93erl)ciltniffen fu(i)en.
®§ f(i)eint bal)er ein allgemeine^ ©efe^ ber gefeKfd)aft«
lid)zn ©ntmidlung §u fein, bag Sauber, hi^ in ber öfono*
mifcf)en ©ntrairflung 'i)m anberen t)orangel)en, bal)in neigen,
an ©teile rabifaler Söfungen ^ompromiffe gu fe^en.
S)ie et^i! beg 3eitatter§ bev STufflärung 17
80 ftanb granfretcf) im 9Jlitte(alter neben Qtalien an
ber ©pi^e ber ö!onomif(i)en (Sntraiiflung ©uropag. (£§ ge*
riet ba!)er aucf) juerft in ©egenfa^ ^nm vömifcf)en ^apfttum,
feine Staat^gercalt rebellierte guerft bagegen. Stber gerabe,
roeil e§ babei voranging, gelangte e§ nid)t ba^u, eine eigene
@taat§!ird)e gn begrünben, r>ermocf)te e§ blo§ ba§ ^apft*
tum gu einem ^ompromig ju jmingen, ber mit geringen
Unterbred)nngen h\§ l)eute gebauert l^at dagegen mürben
fpäter bie rabüalften 3Sor!ämp|er gegen hk päpft(icf)e ©e-
malt gmei Staaten, bie öfonomifi^ am rüiiftänbigften ge*
blieben raaren, @cf)ottlanb unb (Scl)meben.
©eit ber Diefonnation trat an (Stelle 5^'an!reidl)§ unb
Italiens ©nglanb unb mit il)m (Scl)ottlanb al§ ^a^nbred)er
ber öfonomij(i)en ©ntmicftung, unb bamit mürbe ber ^om^
promi§ nun für biefe Scinber bie 5*^^^ '^^^ 2lbfd)luffe§
il)rer bamaligen ^laffenfämpfe. ©erabe rceil in ©nglanb
im fiebjel)nten J5al)rl)unbert ba§ Kapital rafcl)er erftarfte
al§ anber§rao, meil e§ bort frül)er al§ in ben anberen San«
bern (£uropa§ gum Kampfe gegen bie feubale 5liifto!ratie
fam, enbete biefer ^ampf mit einem ^ompromi^, ber be^
mirfte, ha^ ha§ feubale G^runbeigentum l^eute nocE) in ®ng*
lanb ftärfer ift al§ in irgenb einem anberen Sanbe @uropa§
— Ofterreitf)'Ungam t)iellei(i)t aufgenommen. 2lu5 bem«
felben (SJrunbe, ber fo rafrf)en ö!onomifcl)en (Sntmicflung,
entbrannte in (Snglanb ber 5?laffen!ampf smifd)en ^Proletariat
unh ^ourgeoifie guerft in ber SOßelt. @r entbrannte gu einer
3eit, rco Proletarier unb inbuftrielle ^apitaliften beibe noi^
t)ie^en!meifen be§ Kleinbürgertum^ nid)t überrcunben Ratten,
mo riele unb felbft fd)arffinnige ^eobai^ter beibe Klaffen
■aU bie ber „Qnbuftriellen" gufammenroarfen, rco ber ^ppu§
be§ felbftbemugten unb auf bie ß^^unft feiner Klaffe bauen^
ben Proletarier^ ebenfo rcie ber be§ im (Staate unumf(i)ränft
^err)d)enben inbuftriellen Kapitalmagnaten nod^ nid^t ent^
rcicfelt rcar. (3o cerfanbete ber Kampf ber beiben Klaffen
:nad^ einem furzen, ftürmif(i)en Slufbraufen in einem Kom^
^aut^fx), et£)tf unb materialiftifdie ©eftfiid^tsauffaffung. 2
18 Sie (St()i! bcg BcitaltcriS bcr Stufflärung
promife/ ber bie §eiTfd)aft ber 35ourgeoifie über ba§ ^role*
taxiat in fönglanb ja!)r3ef)ntclang uncingef(^rän!ter niadjte
al§ in jebem anberen Sanbe moberner '>|3robuftion.
Dlatürlic^ fönnen bie Sßirhiugen biefeä @ejc^c§, rcie bie
jebe§ anberen, bnrct) ftörenbe Slebcntenben^en gc{)emmt, burd)
förbernbe üerftärft rccrben. 2lber auf jeben gaK gilt e§
foraeit, ba§ man fid) cor ber populären 5(uffa|fung be§
f)tftori]d)en 9}iateriaU§mu§ I)üten muß, al§ müßte basjenige
Sanb, ha§ in ber öfonomifrf)en ©ntraidlung bie g^üfjrung
f)at, aud) bie if)r entfpred)enben gönnen be§ ^Ia|fen!ampfe§
ftet§ am fd)ärfften unb entfd)iebenften gum SluSbrud bringen.
2lu(^ ?DlateriaIi§mu§ unb 2Itf)ei5mu§ forcie bie ^tf)it untere
lagen in ©ngtanb bem (Steifte be§ ^ompromiffeg, ber e§ feit
bem fieb5ef)nten Qaf)r()unbert be!)errfd)te. ^er ^ampf ber
bemofratifd^en, aufftrebenben klaffen gegen bie von ber
^ourgeoifie imab!)ängige, bem geubalabet ergebene mon=
ard)ifd)e ©taatggemalt mit i[)rem §ofabe( unb ifirem (Staate*
!ird)entum begann in ©nglanb mef)r at§ ein ;5af)r!)unbert
früher al§ in ^ranfreid), px einer Qeit, mo ba§ d)riftlid)e
'3)en!en erft in menigen köpfen übermunben mar. 2öenn in.
granfreid) ber ^ampf gegen bie 8taat§fird)e ein Üampf
graifd)en (5^f)riftentum unb atf)ciftif^em ?0]ateriali§mu§ murbe^
fo marb er in ©nglanb nur ein ^ampf bemofratifi^er c^rift*
liqer ©eften gegen bie al§ ©taat^ürc^e organifierte ©efte.
Unb menn in granfretd) im 3^^talter ber 3lufflärung bie
SiJle^r!)eit ber intelligent unb ber üon if)r beeinflußten klaffen
materiaüftifd) unb at^eiftifc^ bad)ten, fo fud)te in ©nglantv
bie ^ntetügen^ nad) einem Kompromiß ^mifc^en ^[Raterialiä*
mu§ unb ®f)riftentum. 3ßo!)l fanb ber neuere SJZaterialig^
mu§ feine erfte offene gorm in ©ngtanb, in ber Sel)re be§^
^l)oma§ §obbe§ (1588 bi§ 1679); mol)I fanben fid) in
©nglanb Genfer über bie fragen ber ®t!)if, bereu ^ül)n!)eit
felbft bie ber !ül)nftengran5ofen überragte, mie5Jlanbet)ilIe
(1670 bi§ 1733), ber bie 5D^ora( für ein §errfd)aft§mittel,
eine ©rfinbung jur llnterjod)ung ber arbeitenben klaffen
®{e (St^if be§ 3eitQlter§ ber 3rufffQrung 19
eiKdrte unb im Safter bie Sßursel aHe§ gefellfcfiaftlid^cn
©Uten fa!f). 5Iber auf ba§ teufen ber eigenen Station ixbkn
jolc^e ;3been Jüenig (Sinftug. @ine d)riftü(i)e ©efinnung blieb
ba§ Qeidien ber 2Bo!)Ianftänbigfeit unb fie, rcenn nii^t gu
entpfinben, borf) gu ^eu(f)eln, rcurbe bie 3lufgabe aud) jebeg
©e(ef)rten, ber mit ber ©efeüfd^aft nid)t in ^onflift fommen
lüodte.
©0 blieben bie (gnglänber aurf) fel)r fritifdl) ber materia?
liftijc^en (£tl)i! gegenüber, bie ba§ ©ittengefe^ auf bie
©elbftliebe ober t)k Suft ober ben 9^u^en beg 3^bit)ibuum§
begrünben mollte. 2Bol)l fucl)ten bie intellef tu eilen 3Sertreter
ber aufftrebenben ^ourgeoifie au(^ in (Snglanb ha§ ©itten^
gefe^ a[§ eine natürlic£)e (£rfcf)einung ju erflären, aber fie
crfannten, ha^ feine ^rcingenbe Tla6)t au§ blogen (£r=
mägungen be§ D^u^enS nic^t erfldrt merben fonnte unb
ha^ bie ^onftruftionen gu erüinftelt maren, bie notroenbig
iDurben, bie ©ebote ber @ittlid)feit mit ben ^Semeggrünben
be§ 9^u^en§ ober ber Suft aud) nur gu t)ereinbaren, ge>^
fd)n)eige benn biefe ju einer energifcl)en S^riebfraft jener gu
mad)en. (Sie unterfi^ieben bal)er genau neben ben egoiftifc^en
auc^ bie fr)mpatl)ifcl)en triebe im 3[Renfd)en, erfannten einen
moralifcl)en (Sinn, ber bie S[Renf(i)en treibt, für ba§
©lud il)rer 9Jiitmenfd)en tätig gu fein. S^^ad) bem (Sd)otten
§utd)efon (1694 bi§ 1747) mar e§ befonber§ ber groge
Ofonom Slbam ©mit^ (1723 hx§ 1790), ber biefe Sel)re t)er^
trat, ^n feinen ^raei großen §auptn)er!en unterfud)te er ba§
2Birfen ber beiben Sriebfebern be§ menfd)lid)en §anbeln§.
Qn ber „3:E)eorie ber moralifd)en ©efüljle" (1759) ging er
t)on ber ©t)mpatl)ie al§ bem mid^tigften ^inbeglieb ber
menfd)li(^en ©efellfd)aft au§; feine „Unterfud)ung bei 2ßefen§
unb ber Statur bei D^Zationalreidituml" fe^t ben ®goi§mu§,
'ta§ materielle ^ntereffe bei Qnbioibiiuml all hk S^riebfeber
h^§ menfd}lid)en §anbelnl üoraul. ^a§ 33ud) erfd)ien erft
1776, aber bie ^rinjipien, bie el enthielt, trug ©mit^ fd^on
1752 ober 1753 in ©lalgora münblic^ vox. ©eine ^l)eorie
20 2)ie (Stt}if bc§ 3citalter§ bcv STufftävung
be§ @goi§mu§ unb feine 'H^^om be§ S[Ritgefül)l§ fd)tie^en
alfo einanber ni(i)t au§, fonbern ergangen einanber.
2Benn biefe (Snglänber @goi§mul unb moralif(i)en ©inn
einanber gegenüberftellten, fo n)ar ba§ ben SJlaterialiften
gegenüber eine 3Innäf)erung an ^latoni§mu§ unb (£{)riften5
tum. Slber bod) blieben i^re 5(nfd)auungen r»on biefen
fd^arf gefd)ieben. %mn rcenn narf) ber c^riftlid)en £el)re
ber SJlenfct) t)on Statur au§ böfe ift; rcenn nad) ber pla*
tonifd)en Set)re unfere natürlid)en 3:riebe ha^ Unfittlid)e in
un§ finb, bie ©ittli(i)!eit etn)a§ 5lu6ernatürli(^e§ unb Über*
natürlid)e§ bilbet, fo ftanb für bie englifd^e ©d)ule be§
aditge^nten 3af)r!)unbert§ ber moralifd)e ©inn rco^l im
Giegenfa^ jum @goi§mu§, rcar aber ebenfo rcie biefer nur
ein natürlid)er S^rieb. 5Iud) erfd)ien if)nen ber ®goi§mu§
nic^t aB ein böfer, fonbern ein t)oüfommen mo^Ibered)tigter
Strieb, ber für ha§ ©ebei^en ber menfd)lid)en ^efedfc^aft
ebenfo notmenbig fei, mie ba§ SJIitgefü!)! mit ben anberen.
^er moralifd)e ©inn mar ein ©inn, mie jeber anbere ©inn
be§ 9Jlenfd)en aud), gemifferma^en fein fed)fter ©inn.
greilid^ mar mit biefer 3lnna!)me aud) nur, mie bei ben
fran5Öfifd)en 9J^aterialiften, bie ©c^mierigfeit meiter gefd)oben,
nid)t gelöft. 3tuf bie grage, mo^er benn nun gerabe beim
5[Renfd)en biefer befonbere moralifd)e ©inn fomme, {)atten
bie (Snglänber feine ^ntrcort. (£r mar bem 9Jlenfd)en eben
üon Statur au§ t)erlief)en. ®a§ fonnte i{)nen genügen, bie
no(^ mit einem SDßeItenfd)öpfer {)antierten, e§ mad)te aber
beffen 2lnna!)me nid^t überpüffig.
%k 5Iufgabe für bie miffenfd)aftlid^e Sßeiterentraidlung
ber ^t^xt fd)ien bei biefer ©ad)lage flar. ^ie fran5öfifd)e
mie bie englifd)e ©d^ule lEiatte t)iel geleiftct für bie pft)d)o«
logifi^e unb {)iftorifd)e (£r!(ärung einzelner fittlid^er ©mpfin*
bungen unb 9Infd)auungen. 2(ber e§ mar meber ber einen
nod) ber anberen gelungen, bie ©ittlid)feit of)ne Dieft aU
ein ^robuft üon Urfac^en erfennen §u (äffen, bie im ^e*
reiche unferer @rfa()rung liegen. ®§ galt, über bie englifd)e
Sie (gtt)if be§ 3eitalter§ ber STufnärung 21
(5cf)ule f)mau§5ugef)en unb bie Urfac£)en be§ morolifc^en
6inne§ gu erforfc^en; e§ galt, über bie fran^öfifcfie ©d)ule
^inau§5uger)en unb hk llrfad)en be§ fittlic^en ^beal§ blo^^
gulegen.
2lber bie @ntrt)idlung ift feine grablinige, jonbern eine
btaleftif(i)e. Sie bercegt fid^ in ©egenfä^en. ^er näd)fte
(Sd)ritt ber ^^ilofop^ie in bejng auf bie @tf)if ging nicf)t
in biefer 9f^icf)tung, fonbem in ber entgegengefe^ten. <Btaü
bie et^ifc^e 9Zatur be^ 9Jtenfc^en nod) ntef)r al§ bi§ ba!)in
in ben 9iaf)men ber arigemeinen S^aturnotrcenbigfeit f)inein'
jubringen, bracf)te fie fie rcieber gan§ f)erau§.
'3)tefen (5(f)ritt roU^og bie beutfi^e ^^itofop^ie burc^
^ant (1724 bi§ 1804). man liebt e§, un§ !)eute p^u*
rufen: 3^^^<^ ^^f ^^^^t! 3lber rcer babei bie ^antfd)e
@tf)i! im 2luge f)at, !i3nnte ebenfogut rufen: Qnxiid auf
$(ato!
III. Die etöiU Kants.
1. Die Kritik der Crfeenntnis.
^ant ftedte ftd£) auf benfelben ^obeu vok bie 9JZateriaIi|ten.
(£r erfannte an, ba^ bie 2Belt au^er un§ röirflic^ ift iinb
ba^ hcn 2Iu§gang§punft aller @r!enntni§ bie ftnnlirf)e (£v*
fa^rung bilbet. 2lber unfere @rfa^rung§er!cnntni§ ift ein
gufammengefe^teS au§ bem, tt)a§ rcir burd) finnIicE)e ©in*
brü(fe empfangen, unb bem, wa§ unfer eigenes (grfenntnig-
vermögen au§ fid) f)ergibt; mit anberen Sßorten, unfere
®r!enntni§ ber Sßelt ift bebingt nid^t blo§ burdf) bie Se*
fd)affen^eit ber ^(ußenroelt, fonbern aud) burd^ bie unfere§
eigenen (£r!enntni§t)ermögen§. Qux (£r!enntni§ ber SBelt ift
ba^er bie ®rforfd[)ung biefe§ unfere§ (£r!enntni§t)ermögcn§
ebenfo notraenbig n)ie bie ber Slugenrcelt. %k ®rforfd)ung
be§ erfteren ift nun bie Slufgabe ber ^^ilofop^ie, biefe ift
hk 2ßiffenfrf)aft von ber 2ßiffenfd)aft.
'3)arin liegt nid)t§, wa§ nicE)t jeber 5!Jlaterialift unter*
fd)reiben fönnte unb wa§ nic^t, etma mit 2Iu§na^me be§
legten ©a^eS, aud^ t)on 9Jiaterialiften früf)er frf)on gefagt
n)orben märe. 5lber freilii^ nur in ber Steife, mie einzelne
©ä^e materialiftifd)er ©efc^i(i)tgauffaffung f(^on Dor ^Jlar^'
geäußert morben maren, al§ 2lnfd)auungen, bie nid£)t be-
fruc£)tenb meiter rcirften. ®rft ^ant mad)te fie gur ®runb=
läge feiner ganzen Se!)re. ^urd^ if)n erft mürbe bie $f)i(ü'
\oTf)^k mirflidE) ^ur 2ßiffenfd)aft üon ber 2ßiffenf(^aft, beren
Stuf gäbe e§ nid)t ift, eine beftimmte $!)i[ofopl)ie, fonbern
ba§ ^^ilofopf)ieren, ben ^roje^ be§ (5r!ennen§, ha§ metfio-
bifd)e Renten, burdE) bie ^riti! ber ©rfenntni» §u Iel)ren.
Slber ^ant ging barüber £)inauS, unb gerabe feine p^i(o*
fopf)if(f)e GJrogtat, bie Unterfudt)ung be§ @rfenntni§t»ermögen§,
mürbe aud) fein pf)iIofop{)ifd^er ©ünbenfad.
Sie ^rttif ber (Er!ennhti§ 23
%ci unfere finnlid)e (£rfa{)rung un§ nid)t bie 2Belt geigt,
lüie fie an firf), fonbern nur, vok fie für un§ ift, n)te fie
un§ nermöge ber (Eigenart unferel ©rfenntni§t)erniögen§
er fc^ eint, fo mu^ bk Sßelt, mk fie an ficE) ift, anber§
fein al§ bie 2öelt, roie fie un§ erfc^etnt. ®a^er unter*
f(i)eibet ^ant bie 2ßelt ber ©rfd)einungen, ber „^I}änomene",
t)on ber SSelt ber ^inge an fict), ber „Dloumena", ber
„inteUigiblen SÖßelt". greilic^, erfennbar ift biefe (entere
für un§ nic^t, fie liegt jenfeit§ unferer ©rfa^rung, unb fo
brau(i)t man ficf) mit il)r gar nid)t abzugeben; man fönnte
fie einfacE) al§ eine 33e3eic^nung bafür f äffen, bag unfere
©rfenntni^ ber Sföelt ftet§ burcf) bie 3Irt unfereS @r!enntni§*
rermögeng befd)rän!t, ftet§ eine relatioe ift, ha^ e§ für un§
nur relatiüe, nii^t abfolute 2ßaf)rl}eiten geben !ann, nic^t
eine abgefd)loffene ©rfenntni^, fonbern einen unenb(id)en
^roge^ be§ (Sr!ennen§.
5(ber babei beru!)igte fid) ^ant nid)t. @r üerfpürte einen
unftillbaren ^rang, in jene unbefannte, unerforf(i)Iid)e SGßelt
ber "iDinge an fid) bod) einen 33(id ^jineingutun, um menigften§
eine Sl^nung üon i^r gu er{)afd)en.
Unb er !am in ber %at ba^in, red)t beftimmte ^inge
t)on \i)x au§3ufagen. "^en 2ßeg bagu fa^ er in ber ^riti!
unfereS ®rfenntniör)ermögen§.
^nbem biefe au§ ber (£rfa!)rung atle§ loslöft, voa§ au§
ber (3innlid)!eit ftammt, foll fie baf)in fommen, bie gormen
be§ @rfennen§ unb 3Infd)auen§ rein bar^uftetlen, bie ron
üorni)erein, a priori, t>or alter ®rfal)rung, in unferem „öe*
mute" liegen.
5luf biefe 2öeife entbedte er bie ^bealität non 9iaum
unb Q^it ^a§ follen nid)t begriffe fein, bie burd) ©r-
fal)rung gemonnen rourben, fonbern blofje g^ormen ber 3ln*
fd)auung ber SBelt, bie nur in xmferem ®r!enntni§i)crmögen
befte!)en. S^ur in ber gorm oon Diaum* unb Qeitüorftellungen
fi3nnen mir bie Sßelt ernennen. 5Iber au^er^alb unfere§
®r!enntni§t)ermögen§ gibt e§ feinen üiaum unb feine Qeit.
24 2)ie (St()if Äant§
©0 gelangt ^ant bat)in, t)ou ber 3BeIt ber ^iuge an fic^,
jener üöUig unerfennbaren Sßelt, etraal fef)r ^eftimmteS
auSpfagen, nämlic^, ba§ fie rannt lo§ nnb geitloS fei.
^ein Qtpctfel, biefe logif^e ©ntraidlung ift eine ber füt)nften
Seiftungen be§ menf(^Iicf)en ©eifte§. '3)amit ift jebod) feines^
jüeg^ gefagt, ba§ fie and) t)öüig einiüanbfrei fei. ^m ©egen^
teil, e§ lägt fid) ungef)euer üiel gegen fie einraenben, unb
e§ finb and) tatfäd)Iid) l)örf)ft fd)n>ern)iegenbe ©inrcänbe ba*
gegen erf)oben morben. ^ie 2lnna^me ber Qbealität t)on
Dianm unb Qeit im ^antfc^en (Sinne fü!)rt gu unentinirr*
baren 2ßiberfprüd)en.
*3)aran ift ix>oi)i nid)t gu graeifetn, 'Da^ unfere Q3orftef(ungen
üon Staunt unb Qeit burd) bie 33efd)affenl)eit unfereä ©r^
!enntni^t)ermögen§ bebingt finb, aber ic^ bäd)te, ba§ braud)t
btog gu fagen, bag nur jene 3wfammenl)änge ber Sßelt t)on
un§ erfannt rcerben fönnen, bie t»on ber 2lrt finb, ha^ fie
in unferem @r!enntni§t)ermögen Sflaum* unb Qeitüorftetlungcn
^erüorrufen. ^ie ^bealität üon Qeit unb üiaum bebeutete
hann ebenfo lüie ba§ ®ing an fid) nur eine beftimntte ©ren^e
unfere§ (£r!ennen§. 3ufamment)änge einer 5(rt, bie nic^t
bie gorm t»on 9laum* ober QeitrorfteKungen annef)men
fönnen — rcenn e§ rcirftii^ fold)e geben foKte, rcaS voix
nid)t rciffen — , finb für un§ unfajsbar, foroie bie ultra^
nioletten unb ultraroten (Stral)len für unfer ©el)t)ermögen
unerfennbar finb.
2lber fo meint Üant bie ©ad)e nid)t. 2öeil D^aum unb
3eit hie gormen abgeben, in benen allein mein ©rfenntniä^
vermögen bie 2öelt p erfennen vermag, nimmt er an, ba§
9laum unb Qeit formen feien, bie allein in meinem ©r*
!enntni§oermögen mol^nen, benen feinerlei 3iMö^^ß^^<^"gß
ber n)ir!lid)en 2öelt entfpred)en. Qn feinen „^rolegomena
5U jeber fünftigen 9Jletapl)t)fif" t)ergleid)t ^ant einmal hie
9taumt)orftellung mit ber garbentjorftellung. ®iefe SScr-
glei(^ung erfd^eint un§ fel)r ^utreffenb, fie bemeift aber feine^^
n)eg§ ta^, mag ^ant bemeifen mill. SDßenn mir ber Zinnober
2)ie ^ritif ber (ErfenntuiS 25
rot erfd)eint, fo tft ba^ ficf)er butii) bie Eigenart meines
@ef)t)ermögen§ bebingt. 5(u^er i^m gibt e§ feine 5<^^'^^'
2öa§ mir al§ garbe erfd)eint mirb burcE) 5ätf)ern)e(Ien üon
beftimmter Sänge ^eroorgerufen , bie mein 2Iuge treffen.
Sßßodte man biefe SBeKen in be§ng anf hk garbe al§ ^ing
an firf) betradf)ten — in 2öir!(id)!eit finb fie e§ natürli^
ni(i)t — , fo märe nnfer ©e!^oermi3gen nid^t ein 33ermögen,
bie '3)inge an fi(^ fo gu fef)en, rcie fie finb, fonbem ein SSer^
mögen, fie fo ^n fef)en, mie fie nicf)t finb; nid)t ein QSer^
mögen ber (£r!enntni§, fonbem ber Stäufcf)ung.
2lber anberS mirb bie (3a(f)e, rcenn mir nicf)t eine garbe
allein, fonbem mehrere färben nebeneinanber betrad)ten,
fie üoneinanber nnterfrf)eiben. Qebe oon if)nen mirb
bnrc^ anbere, beftimmte SBedenlängen f)erüorgernfen. ^^n
Unterfd)ieben in ben färben entfpred)en Unterf(i)iebe in hm
Sängen ber 2it{)erm eilen. 'S)iefe Unterfcf)iebe liegen nic^t
in meinem (5el)oermögen, fonbern in ber 5lugenmelt be*
grünbet. 5iJlein ©el)t)ermögen bemirft blo§, ba§ mir biefe
Unterfd)iebe in einer beftimmten gorm, ber ber garbe, pm
^emngtfein fommen. 2ll§ 9Jlittel, biefe Unterfdiiebe p er*
fennen, ift eä ein mir!licf)e§ ®rfenntni§^, fein ^änfd)ung§*
vermögen. ®iefe Unterfc^iebe finb feine bloßen ®rftf)einungen.
^ag i(f) ®rün unb 9^ot unb 2Bei§ fe^e, ba§ ift in meinem
@el)t)ermögen begrünbet. ^ilber ba^ ha§ ©rüne etma§ anbereS
ift al§ ha§ 9flote, ba§ be^engt eivoa§, ba§ an^er mir liegt,
mirflic^e Unterfd^iebe ber *3)inge.
2Iu§erbem bemirft aber hk ©igenart meinet ©el)t)ermögen§,
ha^ id) babnrd) nnr Schwingungen be§ Slf^erS mal)me^me.
3llle anberen (ginmirfungen ber ^u^enmelt auf micf) fann
id) baburcf) nid)t erfennen.
Sßie mit bem (5el)t)ermögen im befonberen r»erl)ält e§ fid)
mit bem ©rfenntnisoermögen im altgemeinen. ®§ oermag
mir nur Sftaum* unb Qeitoorftellungen gu ©ermitteln, ha§
l)ci§t, nur jene 33erl)ältniffe ber ^inge an^u^eigen, bie 9^aum
unb ^eitoorftellungen in meinem (5)ef)irn ^eroorgurufen im^
26 ®ie etf)i! ^ant§
ftanbe finb. Sluf (Sinbrücfe anberer 2Irt, inenu e§ fo(d)c
geben fodte, reagiert e§ md)t. Unb mein ©rfenutuigüermögen
betDirft, ba§ mir biefe ©inbrücfe in befonberer 3(rt gum
^etüugtfein fommen. S^f^fß^n finb bie Kategorien üon
9taum unb Qeit in ber ^efd)affent)eit meinet @rfenntni§=
t)ermögen§ begrünbet. 5lber bie U^erbältniffe unb Untere
fd)iebe ber '3)inge felbft, bie mir burd) bie einjelncn üiaum-
unb geitüorfteüungen ange^^eigt rcerben, fo bag bie üerjd)ic^
benen ^inge mir gro^ unb flein, na!) unb entfernt, früf)er
ober fpäter erfd)einen, finb mirflidie 3]er!)ältniffe unb
Unterfd)iebe ber 2Iugenmelt, fie merben nid^t burdf) bie ^rt
meines @r!enntni§üermögen§ bebingt.
Können mir alfo ein nereinselteg '3)ing an ficf) nid^t er=
fennen, tft in S3e5ie!)ung barauf unfer (£rfenntni§üermögen
ein 3]ermögen ber 9lid)ter!enntnig, fo fönnen mir bod) mir!^
Iid)e Unterf(i)iebe ber ^inge erfennen. ®iefe Unterfcf)iebe
finb feine bloßen ®rfd)einungen, menn auc^ i^re ^(nfd)auung
un§ burd) ©rfc^einungen vermittelt mirb; fie ejiftieren au^er
au§ unb fönnen üon un§ erfannt merben, a((erbing§ nur
in beftimmten g^ormen.
Kant bagegen meinte, bag nid)t blog 9^aum imb Qeit
formen ber 2lnfd)auung für un» finb, fonbern ba§ aud)
bie 9^aum= unb gcitunterfd)iebe ber (grfd)einungen blo§
au§ unferem Kopfe entfpringen, bag fie nid)t§ 2öirfltd)e§
angeigen. 2öäre bem mirflid) fo, bann entfprängen aud)
aUe ©rfd^eimmgen blo§ aul unferem Kopfe, 'da fie ade bie
gorm üon S^laum^ unb Qeitunterfdjieben annehmen, bann
fönnten mir t>on ber 2S>ett auger un§ gar nichts miffen,
nid)t einmal, 'i^a^i fie ejiftiert. @äbe e§ bod) eine 5Be(t auger
un§, bann bitbete, bau! ber ^beatität üon 9iaum unb Qeit,
unfer ©rtenntnisüeimögen nid)t etma einen uuüoKfommenen,
einfeitigen 9}led}ani5mu§, ber un§ nur eine einfeitige ©r^
fenntniS ber 2£^elt vermittelt, fonbern einen in feiner 2(rt
roHfontmenen ?3led)ani§mu», nämlid) einen, bem nid}t§
fe()lt, um un§ von jeber ©r!enntni§ ber Sßelt augjufc^liegen.
S)Qg Sittengefe^ 27
2lßerbing§ einen 9Jled)ani§mn§, auf ben ber D^ame „(Sr*
fenntni^üermögen" pa§t wie bie %au^t aufg 2(uge.
^ant mag firf) nocf) fo energifrf) gegen ben „mt)ftif(^en"
3beali§mu§ ^erfelet)§ raenben, ben er burdf) feinen „!ritifd)en"
3beali§mu§ §u Derbrängen bad)te. Seine ^ritif nimmt eine
2ßenbung an, bie feine eigenen 93orau§fe^ungen auff)ebt,
bag bie $öelt mirflid) fei unb nur burd) ®rfaf)rung erfannt
werben fönne, unb öffnet bem auf ber einen (Seite {)inau§*
gemorfenen SJlriftijiSmug auf ber anberen eine meite SlriumpB)*
Pforte, burcf) meiere biefer bann aud) mit ^ofaunenfc^aU
mieber eingießt.
2. Das Sittengefe^.
^ant mar baron ausgegangen, ha^ hk 2Belt mir!(i(^
ixu^er un§, nid)t btog in imferem ^opfe beftef)t, unb 'i)a^
ifire ®r!enntni§ nur auf ©runblage ber ®rfaf)mng ge*
monnen merben fann. ©eine pf)ilofop!)ifd)e %at foüte bie
Unterfud)ung ber Sebingungen ber ®rfa!)rung, ber ©renken
unferer ©rfenntniS fein. Slber gerabe biefe Unterfud)ung
mürbe x^m gum Sprungbrett, fid) über biefe ©renken E)inau§
gu er!)eben unb eine unerfennbare 2ßelt §u entbecfen, t»on
ber er genau erfannte, ha^ fie gang anberer 2lrt, al§ bie
3ßelt unferer ®rfd)einungen, ha^ fie üöUig raumloS unb
geitlo§ unb bamit aud^ urfad)lo§ fei.
Sßogu aber biefe§ ^al§bred)erifd)e ©alto mortale über bie
©renken ber @r!enntni§ I)inau§, ba§ i^n aßen feften ^oben
unter h^n gü^en nerlieren Iie§? ^er ©runb !onnte fein
Iogifd)er fein, benn gerabe burc^ biefen ©prung geriet er in
2ßiberfprüd)e, hk feine eigenen 5Iu§gang§pun!te aufhoben.
6r mar ein !)iftorifd)er, ber in if)m ha§ ^ebürfnig nad) ber
2tnnaf)me einer überfinnlid)en 2ßelt ermedte, h^m er um
jeben ^rci» genügen mugte.
2ßar im afi)^^l)nt^n Qaf)rf)unbert granfreid) um ]f)unbert
J5af)re f)inter®ngtanb gurüd, fo ebenfot)iet^eutfd)Ianb f)inter
granfreid). SGßenn hk engtifd)e ^ourgeoifie be§ 5Dlateria*
li§mu§ nid)t me^r beburfte, ha fie o^ne if)n, auf religiöfer
28 2)ie (Stfiif tant0
©runblage, mit ber feubalabfotutiftifd^eu ©taatSgeroalt unb
tf)rer ^ird)e fertig geraorben rcar, fo fül)Ite fi(^ bie beutf(i)e
SSourgeoifte nod^ nic^t ftart genug, offen ben ^ampf gegen
biefe ©taatSgeraalt unb if)re ^ird)e auf5une()men. ©ie fdEirecfte
baf)er aud) t»or bem 9Jlateriali§mu§ prüd. tiefer fam im
Qd)t§ef)nten ^a!)r^unbevt nad^ ^eutfd)Ianb mie nac^ ^u^^
lanb ni(i)t al§ ^l^ilofop^ie be§ Stampfe!, fonbem be§ (55e*
nuffe§, in feiner ben SBebürfniffen be§ „aufgegärten" "iiDefpo^
ti§mu§ angepaßten Jorm. @r mucf)§ an ben fürftli(^en §üfen
unmittelbar neben ber befd)ränfteften Ortl)oboine empor, ^m
Bürgertum aber blieb felbft bei feinen !ül)nften unb un*
abl)ängigften 3Sorfämpfern in ber Siegel ein Üieft rf)riftlid)en
S8erou§tfein§ übrig, ben fie nic^t lo§ mürben.
^a§ l)ättt ben beutfd^en ^l)ilofop^en bie englifcl)e ^l)ilo^
fopl)ie ft)mpatl)if(J) machen muffen. 3luf ^ant ixbU fie aud)
tatfäcl)li(^ großen ©influß. Qd) erinnere mic^ nid^t, Wi il)m
irgenbrao einen fran§öfifd)en 5iHaterialiften be§ acl)tje^nten
^al)rl)unbert§ namentlich) ermähnt gef unben p ^aben. *3)agegen
jitiert er mit QSorliebe ©nglänber au§ bem fiebjel)nten unb
ad)t5el)nten Qal)rl)unbert, Sode, §ume, 33erfeler), ^rieftlet).
5lber gmifd)en ber beutfd)en unb ber englifd)en ^l)ilofopl)ie
beftanb bod) ein großer Unterfd^ieb. %k ©nglänber pl)ilo*
fopl)ierten in einer Qeit rafd)eften praftifc^en 2(uffd)mung§,
großer pra!tifd)er kämpfe, "^ie ^raji^ nal)m il)re ganzen
@eifte§!räfte gefangen; audl) i^re ^l)ilofop^ie mürbe gang
Don pra!tifd)en (5Jefid)t§pun!ten belieu'fc^t. Jjlire ^l)ilofopl)en
maren größer burd^ il)re Seiftungen in ber Ofonomie, ber
^olitif, ber Diaturf orfd)ung al§ in ber ^l)ilofopl)ie.
'3)ie beutfd)en Genfer fanben feine ^ra^nS, bie fie ^ätU
l)inbern fönnen, il)re gange SDenffraft auf bie tiefften unb
abftrafteften Probleme ber 2Biffenfd)aft gu fongentrieren. ©ie
l)atten ba^er barin it)re§gleid)en nid)t außerl)alb '3)eutfdl)5
lanb^. ®a§ berul)te nid)t auf irgenbeiner germanifc^en
S^laffeneigenfi^aft, fonbern auf ben Q^^^^^^'P^t^ifK"- 3^
fec^jel)nten unb ben erften beiben dritteln be§ fiebge^nten
2)a§ ©tttengefetl 29
;3af)rf)unbert§ fanb man bie tiefften p!)iIofop^ifc^en Genfer
in Italien, granfreid^, §oIlanb, ©nglanb, nic^t in ^eutfd^-
lanb. (£rft ba§ politifc^e ©tilleben in bem Qaf)r^unbert
nad) bem breigigjäf)rigen Kriege füf)rte ba§ Öbergemii^t
^entfd)Ianb§ in bcr ^^iIofopf)ie f)erbei, fomie ba§ 9JZarjfd)e
„Kapital" ber DieaftionSperiobe nacE) 1848 entflammt.
©inen ^ant t)ermotf)te, tro^ feiner ©t)mpat^ie für bie
©nglänber, beren ^^iIofopf)ie ni(i)t ^u befriebigen. ©r ftanb
if)r ebenfo frittfd) gegenüber rcie bem 9Jlateriali§mu§.
3Ilä fcf)n)äd)fter ^nnft mu^te i^m aber f)ier rcie bort bie
©tl)i! entgegentreten. (S§ erfc^ien if)m gan^ nnmöglid^,
ba§ (Sittengefe^ mit ber S^Zatur, ba§ ^ei^t ber „2Belt ber
(£rfrf)einnngen" in einen notraenbigen ^^f^^^^^^^^Ö 8^
bringen, "^^effen ©rflärnng bebnrfte einer anberen SCßelt,
einer ranm* nnb geitlofen 2ßelt be^ reinen ®eifte§, einer
SCßelt ber grei{)eit im ^egenfa^ gn ber SOßelt ber (£rf(i)ei*
nnngen, bie von ber notmenbigen 33er!ettnng von Urfadien
unb Sßirfungen be^errfd)t mirb. 2lnbererfeit§ aber mußten
bie (^riftlid)en ©mpfinbungen in if)m, bem pietiftifd) (Sr=
gogenen, anc^ ha^ SebürfniS nad^ ber ^nerfcnnung einer
Sßßelt ermecfen, in ber ©ott nnb Unfterblic^feit möglid)
jöaren.^ ^a er s^igeben mn^te, ba§ ^ott nnb Unfterb(id)*
{eit in ber 2ßelt unferer ©rfa^rnng üöHig überflüffig feien,
^ 2110 ^uriofum fei "^ier üei^eic^net, ha^ man 53ernftcin0 SÖi^iüort:
„Äant voihtx (£ant", bie 2at]acf)e gegenüber^alten fann, ha^ ^ont felbft
^ant trat. — „©eine SJoreltern ftommten au§ ©c^ottlanb. . . . S)er
SSater, feinet ^ää:}2n§ ein ©attler, führte nocf) in feinem DIamen bie
fcf)ottifc^e (Schreibart (Sant; erft unfer ^fjilofopf) änberte zeitig ben 2ln=
fongSbud^ftaben, um bie falfc^e Stu^fprac^e be§ Df^amen^ (3o^t) 3U ber*
meiben." (Äuno ^if^er, S)ie ©efc^ic^te ber neueren ^^f)ilofop^ie, III,
©. 52.) ©eine ^amilie mar ftreng pietiftifc^, unb biefe (5inmir!ung f)at
Äant nie übermunben. 9^icf)t minber mie ^ant fte^t aber and) bcr
„dant" in SSe^ie^ung jur |)uritani|cf)en ^^i-'ömmelei. 2)a§ SSort be^eidinet
bie puritanifc^e ©ingmeife, bann bie puritanifd^e, religiöfe unb fc^Iic^Iic^
iebe gemot)n^eit§mäBig, gebanfcntoä mieberf)oIte ^^rafe, ber man fic^
untermirft, Semftein rief in feinen „^oraugfe^ungen" nac^ einem 5\ant
alä -Reifer gegen ben materialiftifdEjen „^^artei-Sant".
30 2)ic etf)i! Äant§
muf3te er für fie nad) einer SDßelt jenfeitg ber ©rfa^rung
fiid)en, unb ha entfprad) bie räum* unb jeitlofe 2öelt ber
^iuöe an ficf), bie „intelligible Sßclt", feinen 33ebiirfniffen
auf§ t)ü((!ommenfte.
'3)en beftcn 33eraei§ für ba§ 33orf)anbenfein t)on (55ott unb
Unfterbüc^feit in biefer 2ßelt be§ :3enfeitg fcl)öpfte aber Üant
aug bem (Sittengefe^. ©o finben n)ir bei i^m rcieber rcie
bei $Iato, ba§ bie 3(b(ef)nung ber naturaliftifd)en (Srüärung
be^ ©ittengefe^eg unb bie 5{nnal)nie einer befonberen ©eifter*
loelt ober, rcenn man lieber mi((, ©eiftelmelt, fitf) gegen-
feitig ftü^en unb notmenbig machen.
2ßie üermag e§ aber ^ant, meitere (Sinblirfe in biefe
©eifteSmelt gu geminnen? *3)ie ^ritif ber reinen 3Semunft
ermöglid)te e§ i{)m blog, t)on il^r auS^ufagen, bag fie räum*
unb geitlog fei. 9lun gilt e§, biefe Oiaumlofigfeit mit einem
Qnl)alt ju erfüKen. 2lu(i) bafür meig ^ant ^at
^ie unerfennbare SSelt ber ^inge an fiel) mirb rcenigften§
gum ^eil erlennbar, menn e§ gelingt, eine§ ^ingeg an ftd)
l)abl)aft SU merben. Unb ein folcl)e§ finben mir bei ^ant.
®g ift bie ^erfönlicl)!eit be§ 9Jlenfd)en. Qrf) bin für
mid) gleid)§eitig (£rfd)einung unb ^ing an fi(^. S[Reinc
reine 33ernunft ift ein ^ing an ftd). 5ll§ Steil ber ©innen*
melt hin id) ber ^ette üon Urfad)e unb Sßßirfung, alfo ber
9lotmenbig!eit untermorfen, alB '^ing an fid) bin id) frei,
ba§ bei^t, merben meine §anblungen nid)t hnxd) bie Ur*
fad)en ber ©innenraelt beftimmt, fonbern bur^ ba§ in mir
mo^nenbe 8ittengefe^, ba§ an§ ber reinen 3Sernunft flammt
unb mir nic^t prüft: „^u mu^t'', fonbern „%n follft".
'3)iefe§ ©ollen märe aber ein Unbing, rcenn il)m nid)t ein
können entfpräd)e, menn ic^ nid)t frei märe.
*3)ie fittlid)e 3=reil)eit be§ 5D^enfd)en ift freilid) ein oer*
gmidte§ ^ing. ©ie bringt nid)t minbere 2öiberfprüd)e mit
fid) mie bie ^«^^fi^ilät üon Q^it unb Üiaum. '3)enn biefe
greif)eit äu^^ert fid) in §anblungen, bie ber 2Belt ber ®r*
fd)einungen angel)ören, al§ fold)e aber in bie ^ette oon
2)a§ ©ittengefc^ 31
llrfad)e unb äöirhmg fafleu, nottnenbige ftnb. '3)tefelben
§anblungen ftnb alfo gteid)5eittg frei unb notraenbig. Über*
^k§> aber entflammt biegrei[)eit ber ^eitlofeu „intedigiblen"
^dt, Urfai^e unb SOßirfung bagegen faden ftet§ in einen be*
ftimmten Qeitraum. '3)iefe(be ^eitliif) beftimmte §anblung
^at alfo fon)o!)( eine geitlofe raie eine jeitUd) beftimmte Urfacfje.
2BeId)e^ ift aber nun 'üai ©ittengefe^, baä au§ jener
^Bclt ber ^inge an firf), ber ,,3Serftanbeln)elt", in bie 2ßelt
ber (£rf(i)einungen, bie „©innenmelt" f)inübern)irft unh ficJ)
biefe unterrairft? ^a e^ au§ ber 3]erftanbe^n)elt ftammt,
fann and) fein 33eftimmung5grunb (ebigtii^ in ber reinen
33ernunft liegen. @§ fann nur rein formaler Statur fein;
benn e§ mu& tJöHig frei bleiben t)on jeber ^esiel)ung gur
Sinnenmelt, ha§ fofort ein 33erf)ältnig von Urfacfje unb
äßirfung f)ineinbräcf)te, einen ^eftimmungsgrunb bes 2ßi(Ien§,
ber feine grei^eit auff)öbe.
„(S§ ift aber/' fagt ^ant in feiner ^ritit ber pra!tifd)en Vernunft,
„au^er ber SJIaterie be§ ®efe^e§ nicf)t§ weiter in bemfelben, al§
bie gefe^gebenbe ^-orm entf)alten. Sllfo ift bie gefe^gebenbe g^orm,
fofem fie in ber aj?aj:ime entt)alten ift, ba§ einzige, xva§ einen
93eftimmung§grunb be§ freien 2öitlen§ ausmachen tamx."
•S^arauä frf)Iie§t er folgenbe§ „©runbgefe^ ber reinen
praftifd)en 33ernunft" :
„§anbte fo, ba^ bie nTiajime beine§ 3Bi£(en§ jeberjeit gugteirf)
at§ ''^rinjip einer allgemeinen ©efe^gebung gelten fönnte."
Überrafdjenb neu ift biefer „©runbfa^" nid)t. @r bilbet
nur bie pl)ilofop^ifd)e Öberfe^ung be§ alten (5prüd)lein§:
90Ba^ bu nirf)t millft, ba§ bir gefd)icl)t, ba§ tu aud) feinem
anbern nicl)t. D^^eu ift baran blo§ bie ©rflärung, bag bieg
©prüd)leln bie Offenbarung einer intelligiblen 2ßelt bilbe;
eine Offenbarung, bie mit bem größten ^tufrcanb pl)ilo5
fopl)ifcl)en 2ieffinn§ alg ein ^runbfa^ ^n entbed'en mar, ber
nid)t blog für bie 5[Renfd)en gilt, „fonbern auf alle enb*
lid)en SCßefen ge^t, bie 33ernunft unb ^Killen tjaben, ja fogar
ha§ unenblid)e 2öefen al§ oberfte Q^teHigenj einfd)liegt".
32 2)ie (Et[)i! 5lant§
Selber ^at bie ^egrünbung btefe§, audE) für bie „oberfte
:3nte[ligen5" gültigen G^runbfa^eg ein bebenflicf)e§ Sod) auf^
jurceifen. ®r foU „xmabf)ängig fein üon aUen jur ©tnnem
rcelt gef)örigen Sebingungen", aber ba§ ift Ieid)ter gefagt,
al§ erfüllt, ©orcenig e§ möglich ift, unter ber Suftpumpe
einen üöHig luftleeren ütaum §u fcl)affen; n)ie er immer
Suft entl)alten mu§, lüenn aud) t>ielleidt)t in fo üerbünntem
5[Rage, ha^ fie für un§ ni(^t me^r erfennbar tüirb, fo ift
e§ QU(^ unmöglich, einen ©ebanfen ju faffen, ber unab*
l^ängig ift üon allen pr ©innenraelt ge!)öingen ^ebingungen.
Sind) ba§ ©ittengefe^ entgel)t nid^t biefem ©d)i(ffal.
©d^on ber begriff be§ ©ittengefe^e§ fd)lie§t ^ebingungen
ein, bie ber ©innenrcelt angel)ören. (£§ ift nid^t ein (55efe^
be§ „reinen 2ßtllen§" an fidl), fonbern ein ©efe^ ber Se=
ftimmung meinet 2Ößollen§ gegenüber meinen 5fJlitmenfd^cn.
®§ fe^t biefe t)orau§; für mid) aber finb fie „®r|d£)einungen",
Steile ber ©innenroelt.
^od) mel)r fe^t aber bie gaffung be§ ©ittengefe^e§ felbft
t)orau§: „§anble fo, bag bie SJlajime beine§ 2öillen§ jeber'
geit sugleidl) al§ ^rinjip einer allgemetnen ©efe^gebung
gelten fönne." ^ie§ fe^t nid)t blog 50^enfdl)en au^er mir
t)orau§, fonbern audl) nodl) hen SOßunfrf), ba§ ftc^ biefe TlxU
menfd)en in beftimmter 2öeife benel)men. @ie f ollen ebenfo
I)anbeln, mie ba§ Sittengefe^ mir gu Rubeln Dorfd^reibt.
®§ mirb l)ier nid)t blo§ bie ©efellf(i)aft, fonbern audl)
fdE)on ein beftimmter (55efellfdl)aft§guftanb al^ möglidi)
unb n:)ünfdl)bar t)orau§gefe^t.
^a^ tatfäd)lid£) ba§ ^ebürfni§ nadE) einem fold)en im
©runbe feiner „pra!tifdl)en S^ernunft" verborgen ift unb
fein räum* unb geitlofeg ©ittengefe^ beftimmt, ba§ rerrät
^ant einmal felbft in feiner „^ritif ber pra!tifdl)en 3Ser=
nunft'' bei einer ^olemi! gegen bk 2lbleitung be§ ©itten^
gefe^eg au§ ber Suft:
„@§ ift raunberlidt), rote, ha bie SScgierbe jur ®lüdfclig!eit,
mithin aud) bie SJiajime, baburd) fiel) jeber biefe le^tere gum
2)a0 ©ittcngefeb 33
SSeftimmungggrunb feinet SßiHenS fe^t, aCIgemein ift e§ oer^
ftänbigen ^D^ännern ^at in t><in Sinn tommen fönnen, ei barum
für ein allgemein praftifd)e§ @efe§ aug^ugeben. ®enn ha fonft
ein a(Igenteine§ 9^aturgefe^ atleg einftimmig marf)t, fo roürbe
f)ier, rcenn man ber a}laj:ime bie 3Iügemeinf)eit eine§ ©efe^ei
^eben raoüte, gerabe ba§ du^erfte ^Öiberfpiel ber ©inftint;
mung, ber ärgfte Sßiberftreit unb bie gänjlic^e 5^ernirf)tung ber
^Jf^ajime felbft unb i^rer ^6firf)t erfolgen. ®enn ber Söille
aller ^at bann nid^t ein unb baSfelbe Dbjett, fonbern ein jeber
i)at ba§ feinige (fein eigene^ 2öof)tbef)agen), raeld)e§ fid) ^rcar
gufötligernjeife aud) mit anberer i{)ren ^^bficf)ten, bie fie gteicf);
faü§ auf fid) felbft rid)ten, ©ertragen !ann, aber lange nid)t
§um @efe^ i)inreic^enb ift, raeil bie 5lu§nal)men, hh man ge^
legentlid) ju mad^en befugt ift, enbIo§ finb unb gar nid)t bt-
ftimmt in eine artgemeine D^egel gefaxt merben fönnen. @§
fommt auf biefe 2Irt eine i2>'i^'^ttonie f)erau§, bie berjenigen
ö^nlid) tft, tüe(d)e ein geraiffeg ©pottgebidit auf bie ©eelen^
eintrad)t jmeier fid) jugrunbe rid)tenben ©fjeleute fd)itbert: O
tüunbernotte 6^armonie, wa§ er roiö; raill au^ fie." (ed. ^ird)-
mann, 1869, @. 31.)
5(Ifo bie Suft barf beiraegen nid)t eine SfJlajime fein, bie
jum ^rin^ip einer allgemeinen (55efe^gebimg taugt, raeil fic
fo^iale ®i§f)armomen hervorrufen !ann. 'S)a§ (3ittengefel5
C)at bemnac^ eine ^armomfd)e (^efeKfd)aft ^u fd)affen. Unb
eine fold)e mu^ möglich fein, fonft raäre ei bod) raiberfinnig,
fie fd)affen gu rcotten.
^a§ ^antfd)e ©ittengefe^ fe^t alfo eine !)armonifd)e ©e-
fe((fcf)aft ali n)ünfd)bar unb aud) ali möglid) t)orau§. (S»
•fe^t aber aud) norau», bag ba§ ©ittengefe^ ha^ 9Hittel ift,
eine berartige @efeüfd)aft ju fd)affen, bag biefei Oiefuttat
erjielt roerben fann burd) eine 9iegel, bie ba§ einzelne Qn=
t)ir)ibuum fid) fetbft fe^t. ^an fief)t, raie grünblid) Rant
fid) täufd)t, inenn er meint, fein ©ittengefe^ fei unabf)ängig
von aäm jur Sinnenmelt geprigen ^^ebingungen unb bilbe
ia^er einen (^runbfa^, ber für aCIe räum* nnh ^eitlofen
<Seifter gelte, inbegriffen ben lieben öevrgott felber.
fiout^fg, @t^t£ unb materiaUftti(^e @efc^i(i)t5auffaifung. 3
34 3)ic am .^cint0
Qu 30ßtrfrid)feit ift ha§ ^antfcf)e Sitteugcfetj ba§ ©rgcbni^
fef)r foufreter gefe((fcf)aftUrf)cr ^Bebürfniffe. 92atürlid), ha e§
bem 2ßun]rf)c nacf) einer f)armontfd)en @efe((fcf)aft entfpringt
fann man au§ il)m anc^ ba§ Qbeal einer f)armonifd)en ©e*
fellfc^aft ableiten, nnb fo ^at man e§ fertig gebrad)t, ^ant
gn einem ^cgrünber bc§ Sozialismus gu ftempeln. (Sol)en
rciber^ott ha§ au6) mieber in feinem jüngftcn 2öerle, ber
„et^if be§ reinen 2ßiaen§" (1905). ^n 2Birfacl)!eit aber
fte^t ^ant bem ©o^ialiSmug t)iel ferner al§ ber fran3Öfifcl)e
?0^ateriali§mu§ be§ acl)t5el)nten Q^^^'^)^^^'^^^^^^- 2ßäl)renb
bei biefem bie Sittlicl)!eit burd^ ben Quftanb von ©taat
unb (5^efellfcl)aft bebingt mürbe, fo ba^ bie S^teform ber
(Sittlicf)!eit bie 9leform üon (Btaat unb (S5efellfcl)aft t)or*
au§fe^te, ber ^ampf gegen ha§ Safter fid) gu einem Kampfe
gegen bie l)errfrf)enben ©emalten erweiterte, mirb bei ^ant
bie im Üiaume unb ber Qeit befinblicl)e @efellfcl)aft beftimmt
burdf) ba§ auger allem Flaume unb aller Qeit ftel)enbe
©ittengefe^, ba§ feine gorberungen an ben einzelnen ftellt^
ni(i)t an bie ©efellfd^aft. ^ft bie @ittlid)!eit be§ einzelnen
unroUfommen, fo barf man bie (Scl)ulb haxan nicl)t bei
©taat unb G5efe(lfc^aft fuc^en, fonbern in bem Umftanb,
bag ber 3Jlenfcf) nic^t ganj ®ngel, fonbern l^alb Stier ift
unb burd) feine tierifd)e D^atur immer mieber l)erabgejogen
mirb, roogegen er nur burd) innere ®rl)ebung unb Läuterung
anfämpfen fann. ^er einzelne mu§ fid) felbft beffern, foll
bie (S5efetlfd)aft beffer raerben.
5D^an ftel)t, ber ©03iali§mu§ nimmt eigenartige g^ormen
an, raenn man ^ant al§ feinen 33egrünber anftel)t. ^iefe
©igenartigfeit mirb nid)t gemilbert, menn man hk meitere
©ntroicflung be§ @ittengefe^e§ bei i^m betrachtet. 5(u§ bem
©ittengefe^ entipringt ba§ 33en)u§tfein ber '$erfi3nlid)feit
unb Söürbe be§ 9Jlenfd)en unb ber ©a^:
„^onble fo, t>a^ bu tk 9D^enfc^l)eit, foit)ol)l in betner ^erfon
al§ in ber ^erfon eine§ jeben anbeten jeber^eit §ugleid) al§
Qwtd, niemalg blo^ al§ 9iJiittel gebrauc^ft."
3)aä «Stttcngefe^ 35
„^n biefen Sorten/' fagt (Sofien (a. a. D. S. 303, 304), „tft
ber tteffte unb m(tcf)ttgfte Sinn be§ fategonfrf)en ^mperatiog
auSgefprocF)en; fie entf)alten ba§ fittlid)e Programm ber neuen
3eit unb alter ßufunft ber 2öeltgefd)i(i)te. . . . '^iz ^bee
be§ ßroecfcorjugS ber SRenfd)f)eit rcirb baburcf) ^ur ^bee be§
©03iali§mu§, ha^ jeber äRenfrf) a(g ©nb^rcecf, ai§ Selbftjrcec!
befiniert rairb."
^a§ Programm „aflet gufunft ber 3öeltgef(^ttf)te" rcirb
^ier etraa§ eng gefaxt. "laä „^eitlofe'' Sittengeje^, bag ber
9J]enfd) jeber§e{t Qtoecf, nid)t bloB ^itUi fein foü, f)at felbft
nur einen giüecf in einer ©efetlfd)aft, in ber 90^enftf)en von
anberen 9j^enf(i)en als bloge ^ittd gebraurf)t rcerben fönnen.
Qu einer fo mmunifti jd)en @efe(Ifd)aft fällt biefe 9JlcigIid)!eit
unb bamit bie D^otu) enbigf eit be§ ^antfc^en Programms
„aller Qufunft ber 9Se{tgefrf)id)te" fort. 2Ba§ rcirb aber bann
au§ biefer? 20ßir f)aben banarf) in ber g^i^i^^^ft entioeber
feinen Sozialismus ober feine 2öeltgefd)id)te p errcarten.
^as ^antfd)e (Sittengefe^ rcar ber ^roteft gegen bie fe^r
fonfrete feubale ©efelljcl)aft mit if)ren perfünlidl}en 5lb*
f)ängig!eit§oerl)ältni|fen. ^er angeblich „fo^ialiftifdlie" ©a^,
ber bie '$crfbnlid)feit unb äöürbe bes 5Jlenfcf)en feftftellt, ift
benn auc^ mit bem Siberalismuä ober 2(narcf)ismu§ ebenfo
Dcrträglid) wie mit hem Sozialismus, unb enthält ebenfo*
menig einen neuen ©ebanfen mie ber oben zitierte t)on ber all*
gemeinen ©efe^gebung. @r bebeutet bie pl)ilofopl)ifcf)e gormu«
lierung ber ^bee ber „^reilieit, @leirf)^eit unb ^rüberlicf)*
feit", bie fd)on Diouffeau entmicfelte, bie übrigeng bereits im
llrd)riftentum ju finben mar. ^antifrf) ift aud) l)ier blo§ bie
befonbere gorm ber SSegrünbung biefeS @a^eS.
^ie ^Bürbe ber ^^erfönlidifeit beS 5!J^enfcf)en mirb nämlic^
barauS abgeleitet, ba§ er zin Stücf einer überfinnlid)en
2Be(t ift, ba§ er als moralifcf)eS Sßefen au^er ber D^atur
unb über ber D^atur ftef)t. ^ie $erfi3nlicf)feit ift „bie grei*
r)eit unb llnabl)ängigfeit oon bem SJiec^aniSmuS ber ganzen
3^atur", fo ba§ „bie '^erfon, alS zur Sinnenmelt gel)örig.
36 S)ic (Stijif ^ant?^
xi)xex eigenen ^erfönUd)!eit unterraorfen ift, fofern fie ^u^
gleid) jur intedigiblen Sßelt gef)ört". ^a ift e§ benn nid)t
gu üerraunbern, „wenn ber SO^enfcf), at§ gu beiben Sßelten
gehörig, fein eigene^ 2ßefen, in ^egie^ung auf feine gineite
unh l)örf)fte 53eftiTnmung, nid^t Qnber§ al§ mit 3]ere^rung
unb bie (^efe^e berfelben mit ber ^ö(i)ften 2Id)tung betrad)ten
mufj." (31. a. D. ©. 104, 105.)
'3)amit mären mir glüdlid) lüieber bei ber alten d^rift-
Iid)en ^egrünbung ber @(cid)^eit aller 3DRenfrf)en angelangt,
bie barau§ entf priesen fod, baß mir ade Slinber ©otteä finb.
3. freijjeit und üottDendigUeit.
3nbe§, fo fe!)r mir bie Slnna^me ber beiben SCßelten ah-
lel)nen muffen, benen nac^ ^^lato unb ^ant ber SJienfd)
juget)ört, fo ift e§ hod) rid)tig, ha^ ber SDIenfc^ gleicf)3eitig in
graei t)erfd)iebenen Sßelten lebt unb ba§ ©ittengefe^ in ber
einen von iljuen mol)nt, bie nidjt bie 2Belt ber (£rfa{)rutig ift.
3(ber tro^bem ift aud) biefe anbere Sßßett feine überfinnlid^e.
^ie beiben SOßetten, in benen ber 9Jienfd) lebt, finb bie
ber 3Sergangenl)eit unb bie ber^^^unft. ^ie (^egen*
mart bilbet bie ©ren^e beiber. (Seine gan^e (£rfal)rung liegt
in ber 3Sergangen^eit, aUe ©rfa^rung ift vergangen. Unb alte
gufammen^änge, bie i^m bie vergangene (Srfal)rung aufmeift,
liegen mit unabmenbbarer D^otmenbigfeit vor il)m ober üiel=
mel)r hinter xi)xn. 2ln ilinen lägt fid) nid)t ba§ minbefte mel)r
änbern, er vermag il)nen gegenüber ni^t» mel)r, al§ il)re
S^lotmenbigfeit erfennen. ©o ift bie 2öelt ber ®rfal)rung, bie
2D3elt be§ ^r!ennen§, aud) bie SOßelt ber DZotmenbigfeit.
3lnber§ bagegen bie ^ufunft. 3Son xi)x l)abe xd} nid)t bie
minbefte (£rfal)rung. 2lnfd)einenb frei liegt fie vor mir, al§
bie 2ßelt, bie id^ nid^t al§ ©rfennenber erforfd)en, in ber
ic£) mid) aber al§ §anbelnber gu bel)aupten l)abe. 2Bol)l
fann id} bie (£rfal)rungcn ber 33ergangenl)eit in bie Qulunft
verlängern, mo^l fann id) fd)liegen, ha^ biefe ebenfo not^
menbig bebingt fei mie jene; aber fann id) nur imter ber
^rcifieit unb 9?ottüenbigfeit 37
^orauSfe^ung ber D^otnjenbigfeit bie 2öelt erfennen, fo tcerbe
i(i) in i^r nur ^anbeln unter ber 3Sorau§fe^ung einer gerciffen
3retf)eit. 2lu(^ raenn ein Qraang auf mein §anbeln an§-
geübt rairb, bleibt mir bie Sßal)!, ob id) micf) il)m fügen
mid ober nid)t, bleibt mir al§ äugerfte§ 5D^ittel, mid) bem
Qraang burc^ freimitligen ^ob gu entjie^en. §anbeln ^ei^t
ftet§ mahlen ^mifd^en t)erfrf)iebenen 9JlögIi(f)feiten, unb feien
e§ nur bie beg §anbetn§ ober 9f^id)t^anbeln§, f)ei§t annehmen
unb ablef)nen, !)ei^t üerteibigen unb befämpfen. %a§ 2ßäf)Ien
fe^t aber bie 9)^ög(ic^!eit ber SOßa^l ebenfo t)ürau§ mie bie
Unterfcf)eibung ^mifc^en bem ^npne^menben unb bem ^b^
gu(ef)nenben, bem ©uten unb ^öfen. ^a§ fittli(^e Urteil,
ba§ ein Unbing ift in ber Sßelt ber 3Sergangenl)eit, ber
2öelt ber @rfal)rung, in ber nid)t§ ju n)äl)len ift, el)eme
D^otmenbigfeit l)errfcf)t, ift unt)ermeiblic^ in ber 2Belt ber
unerfal)renen ^^^i^^ft ber 5^*eif)eit.
5lber ni(i)t blo^ ba§ (Sefül)l ber grei^eit fe^t ha§ §anbeln
t)orau§, fonbern aucf) beftimmte Qwede. §errfcf)t in ber
^Mdt ber 9]ergangenl)eit bie golge t)on Urfarf)e unb SÖßirfung
(^aufalität), fo in ber beä §anbelng, ber ßufunft, ber Qmerf*
gebanfe (^e(eologie).
gür ba^ §anbeln mirb 'iia§ (Befül)l ber greil)eit ju
einer unerlä§lid)en pft)dE)ologifd)en QSorausfe^ung, bie burc^
feinerlei (Sr!enntni§ aufgehoben merben fann. Slucf) ber
ftrengfte gatalismu^, aud) bie tieffte Überzeugung baoon,
ha^ ber 50lenfd) ha§ notraenbige ^robuft feiner 9Ser!)ältniffe
ift, !ann nid)t bemirfen, ha^ mir aufl)ören ^n lieben unb
5u Raffen, ^u nerteibigen unb gu befcimpfen.
'i(lle§ ba§ ift aber md)t ein 5D^onopol be§ 93^enfrf)en,
fonbern gilt aud) für ha§ Slier. 5tud) biefe§ befi^t grei^eit
be§ 2£>ollen§ in bem (Sinne, mie fie ber 93]enf(i) ^at, nämlid^
al^ fubjeftioeS, uuüermeiblic^eg ^efü^l ber grei^eit, ba§
au§ ber Unbe!anntfd)aft mit ber 3"^^^^!^ ^^^ ^^^ ^^^^
menbigfeit, auf fie tätig ein^umirfen, f)errül)rt. Unb ebenfo
oerfügt e§ über gerciffe ©infic^ten in hk 3ufammenl)cin9e
38 3)ie (St^if ^cint§
üon llrfad)e unb Sßirfung. ©nbüd) ift i^m and) bcr 3iuecf=
gebanfe ntd)t fremb. Qu ^e§tef)ung auf ®inftd)t in bic
3Sergangenf)eit unb bie D^aturnotraenbigfeit einer]eit§ nnb
anbererjeitg in 33e5ie^ung auf ^orau§]id)t in bie Qufunft
unb ©e^ung t)on Qw^dm für \)a§ ^anbetn unterfdE)eibet
fid) ber tiefftftef)enbe 2£itbe weit weniger üom 2iere al§
üom ^ulturmenfd)en.
l^alb be§ ^eveid)§ ber ^f^otraenbigfeit, von Urfad)e unb
SBirfung ftef)t. ©e^e id) mir and) Qroede nur für bie Qw-
fünft, für ba§ SReid) ber anfd)einenben greif)eit, fo gebort
bod) bie 3^^<^K^ii^^9 fe^^ft/ rion bem SD^oment an, wo xd)
tnir ben Qwed fe^e, n>ie jeber ©ebanfe, beffen idj mir be*
rcu^t merbe, ber 33ergangent)eit an, unb fie !ann ba^er in
il)rer S^Zottoenbigfeit al§ ba§ (£rgebni§ beftimmter Urfad)en
erfannt merben. "^aran änbert nid)t ba§ minbefte ber Um=
ftanb, ha}i bie (£rreid)ung be§ QmedeS no(^ in berQufunft,
im 33ereid) ber Ungemig^eit, alfo, in biefem ©inne, ber grei=
l^eit liegt. S[Rag man aud) bie @rreid)ung be§ gefegten
graedeg nod) fo fern annehmen, bie Qmedfe^ung felbft ift
zxn ^robu!t ber 33ergangenl)eit. Qm Dteic^e ber 3rei()eit
liegen nur jene Qrcede, bie nod) nid)t gefegt finb, üon benen
wix nod) gar nid)t§ miffen.
%k SCßelt ber gefegten Qwedz ift alfo nid)t bie 2ßelt ber
5reil)eit im ©egenfa^ ^u ber ber D^otmenbigfeit. gür jeben
ber Qraede, bie mir un§ fe^en, ebenfo mie für jebe§ ber
SJlittel, bie mir gu i^rer ©rreid)ung anmenben, finb bie
Urfad)en fd)on gegeben unb unter Umftänben erfennbar, bie
biefe ©e^ung unb Slnmenbung notmenbig l)erbeifül)ren.
SJlan !ann aber ba§ Dieid) ber S^otrcenbigfeit unb ba§
ber grei^eit nid^t blo§ unterfd)eiben al§ 3Sergangenl)eit unb
gufunft; il)r Unterfd)ieb fällt aud) üielfac^ gufammen mit
bem üon Statur unb ®efellfd)aft, ober, rcenn man genau
fein miH, von (S^efellfi^aft unb anberer D^atur, t)on ber jene
nur einen befonberen eigenartigen 3:eil barftellt.
"greifieit unb ^f^otroenbigfeit 39
SSetrad^ten wxx bie dlatnx im engeren ©inn, aU geftf)teben
t)on ber (^efe((fd)aft, unb hzxh^ in itirem 3Ser!)aIten jur Qu*
fünft, fo finben wxx fofort einen bebeutenben Unterfd^ieb.
^ie D^aturbebingungen üeränbern fid) üiel langjamer al§
bie gefellfdiaftUd^en. Unb bie leiteten finb in ber Qeit,
rcenn bie 9}^enfcf)en anfangen ju p^iIofop!)ieren, in ber Qeit
ber SCßarenprobuftion, f)üc^ft nerrcidelter DIatur, rcä^renb
e§ in ber Statur saf)Ireid)e einfarf)e Q^orgänge gibt, bereu
(Sefe^mäBig!eit relatiü teicf)t burd)jd)aut rcerben fann.
®arau§ ergibt fid), ha^, tro^ unferer anf(^einenben grei*
^^xt be§ §anbeln§ in ber Qufuuft, biefeg §anbeln hod) für
bie Statur frü^jeitig al§ ein notraenbigeS t)on un§ ange=
feigen rcirb. So bunfel aud) bie Qufunft vox mir liegt, id)
lüeiß mit ^eftimmt^eit, ba§ bem Sommer ber 2Binter folgen
loirb, ha^ morgen bie Sonne aufgeben, ha^ id) morgen
junger unb ^urft ^aben, im Sßinter ha§ ^ebürfnis nad)
(Srmärmung fü!)Ien merbe ufro., unb mein §anbe(n mirb nie
barauf gerichtet fein, biefen 92atumotraenbig!eiten ^u entgelten,
fonbern barauf, fie gu befriebigen. So erfenne iiS) bei aller
anfd)einenben grei^eit ber D^atur gegenüber mein §anbeln al§
notraenbig bebingt. ^ie S3efd)affenf)eit ber äußeren Statur mxh
hk ^efd)affenf)eit meinet eigenen ^i3rper§ erjeugen DZotmenbig*
feiten, hk mir ein beftimmte§, erfaf)rung§gemäg gegebene^,
alfo t)orau§3uer!ennenbe§ 2ÖolIen unb §anbeln aufbrängen.
(5)an3 anber§ mein ^erf)alten ju meinen 9lebenmenfc|en,
mein gefellfd)aftlid)e§ §anbe(n. §ier finb bie äußeren unb
inneren DZotmenbigfeiten, bie mein §anbe(n beftimmen, ntd)t
fo Ieid)t 5u burd)fd)auen. §ier fto^e id) aud) nid)t auf über-
mächtige DIaturfräfte, benen id) mid) unterrcerfen mug, fon*
bern auf ebenbürtige g^cxftoren, 9Jlenfd)en mie id), hk ron
Dcatur au§ aud) nic^t me!)r 9)lad)t fiaben aU xä). Q^nen
gegenüber fül)le id) mid) frei, aber aud) fie fd)einen mir frei
in if)ren 3}er{)ältniffen ^u if)ren 9cebenmenfd)en. QI)nen
gegenüber empftube id) Siebe unb §a§, über fie unb meine
^erf)ä(tniffe §u if)nen fäÜe id) fittüd)e Urteile.
40 ®ie St^i! ^ant§
^te 2BeIt ber grcif)eit unb be§ ©ittcngefe^eg ift alfo ix)of)I
eine anbere al§ bie ber erfannten 9^ottt)enbtg!eit, aber fie ift
nid)! eine raiim- nnb geitlofe, nirf)t eine iiberfinnli(i)e 2Belt,
fonbern nur ein befonbere^ (Stüd"d)en ber ©innenrcelt, unter
einem befonberen ©eftd)t§pun!t gefefien. @§ ift bie SCßelt
in if)rem ^eranfommen gefef)en, bie 3ßelt, auf bie Jüir ein*
gun)ir!en, bie rair umjugeftalten f)aben, ror aüem bie Sßßelt
ber gefe((fd)aftlid)en 2ßer{)ältniffe.
5lber n)a§ {)eute ßufunft ift, rairb morgen 9Sergangenf)eit;
fo mirb, \va§ f)eute al§ freiem §anbcln cmpfunben mürbe,
morgen al§ notmenbigeS §anbeln erfannt. %a§ ©ittengefe^
in un§, ba§ biefe§ ganbeln regelte, f)ört aber bamit auc^
auf, al§ eine urfadjlofe Urfarf)e gu erfc^einen; e§ fällt in
ba§ D^eid) ber ®rfal)rung, fann ai§ notmenbige 2ßir!ung
einer Urfad)e erfannt merben — unb nur al§ fold)c Der*
mag man e§ überl)aupt ju erfennen, vermag e§ ©egen*
ftanb ber Sßßiffenfd^aft gu merben. ^aburd), bag er ba§
©ittengefe^ au§ bem •3)ie0feit§ ber finnlid)en Sßßelt in
tia§ Qenfeit§ einer überfinnlidien verlegte, l)at ^ant beffen
miffenfd)aftlid)e (Sr!enntni§ nid)t geförbert, fonbern il)r
alle SOßege verrammelt. ^iefe§ §inberni§ mu§ man ror
allem befeitigen, man mu§ über ^ant l)inraegfd)reiten, mill
man ha§ iRätfel be§ ©ittengefe^eä feiner Söfung näl)er
bringen.
i. Die PJjilofopöie der üerfö^nung.
^ie etl)if bilbet bie fd)mac^e ©eite ber ^antfd)en ^l)ilo*
fopl)ie. Unb bod) ^at biefe gerabe burd) bie (5tl)i! i^re
größten :^iftortfd)en ©rfolge errungen, ba fie fel)r ftarfen
Qeitbebürfniffen entfprac^.
^er fran5Öftfd)e 5ö^ateriali§mu§ mar eine ^l)ilofopl)ie be§
Kampfes gemefen gegen alle überfommenen ^enlformen,
bamit aber aud) gegen bie ®inrid)tungen, bie fid) bal)inter
bargen. (Seine unt)erfi3l)nUc^e geinbfd)aft ^um Sliriftentum
mad)te i^n jur ^$arcle beg ^ampfeä nid)t blog gegen bie
Sie ^^ilofop^ie ber 33erfö^nung 41
Hir(jf)e, fonbem aud) gegen alk mit i^x ^ufammenpngenbeu
fogialen imb poIttif(i)en 931ä(i)te.
^te ^antfc^e ^rittf ber reinen 3Sernunft tüirft ebenfaßg
ha§ gan^e ef)riftentum gnm 5:empel f)inau§; aber bie (&nU
becfung be§ Urfpinng§ be§ ©tttengefe^e§, hk burrf) bk
^riti! ber praftifd^en 3Semunft rotigogen rcirb, öffnet t^m
e{)rfnrd)t§t)o(l rcieber ba§ ^or. ©o rcirb bnrtf) ^ant bie
$!)iIofopf)ie a\i§ einer Sßaffe ^nm Kampfe gegen hk be*
fte{)enben ^enf* unb (S^efeKfc^aftsformen gu einem 5SJltttet,
bie ©egenfä^e gu rerfö^nen.
2Iber ha§ Tlittd ber (gntrcidinng ift ber ^ampf. ^ie
3Serföf)nung ber ©egenfä^e h^hmkt ben ©tiüftanb ber
@ntn)ic!(nng. "^^a^er ift W ^antfc^e ^f)ilofop{)ie gu einem
fonferoatiüen Jaftor gemorben.
^ie größten 3SorteiIe gog au§ x^x gunädift bie ^^eo^
logie. @ie befreite biefe an§ ber ^ebrängni^, in rcelc^e
ber überfommene ©lanbe bnrd) bk ©ntraidlung ber SÖßiffen*
fd)aft geraten mar, inbem fie e§ ermi3gtic^te, SCßiffenfdiaft
unb Üieligion gu t)erföl)nen.
„^eine anbere 2Biffenfcf)aft", fagt 3eaer, „erfuf)r ben (SinfCu^
ber ^antfdE)en ^f)itofop{)te in {)öl)erem ®rabe, al§ t>k St()eo5
logie. ^kx gerabe fanb ^ant ben SSoben für feine ©runbfä^e
auf§ befte üorbereitet; babei bradf)te er aber ber bi§f)erigcn
®en!roeife eine SSertiefimg unb SSerbefferung ^u, beren fie in
f)of)em ©rabe beburfte." (®efc^icf)te ber beutfcf)en ^f)iIofop]^te
feit Seibnig. 1873, ©. 519.)
©erabe narf) bem 3Iu§bru(^ ber frangöfifdien S^leüolution
beftanb ein befonber^ ftar!e§ ^ebnrfnig narf) einer 2!)eoIogie,
bie imftanbe mar, e§ mit bem 5iJlateriaIi§mu§ aufzunehmen
unb ibn h^i htn (5)ebilbeten gu üerbrängen. Q^a^x fcf)reibt
benn aud) meiter:
„^ant§ 9?eIigion§anftdE)t !am bem fittlic^en unb inteHeftuetlen
93ebürfni§ ber Q^it gleid)fef)r entgegen; fie empfa^t fid) bm
3Iufge!(ärten burd) if)re SSernunftmä^igieit, if)re Unabf)ängig!eit
üom ^ofitiüen, if)re rein pra!tifd)e 9ii(^tung; ben SReligiöfen
42 2)ie (St^if tont§
burd) it)re fittlid)c (Strenge unb it)re inürbigen ^^orfteUungen
über ha^ (S;f)riftentum unb feinen Stifter." ®ie beutfd)e 2;t)eoIogie
ftetite fic^ üon nun an auf ben ^oben üon Slant, ,,feine 9.TloraI=
ti)eologie rcurbe nad) wenigen Sat)ren bie ©runblage, auf
n)eld)er bie proteftantifd)e Süieologie in ®eutfd)Ianb faft of)ne
2Iu§nat)me, felbft bie Jat^olifd^e großenteils ficf) beilegte
®ie S^antfd)e ^t)ilofopt)ie t)at baburd), baß bie SReljrsal)! ber
beutfd)en 2;{)eologen faft ein t)albe§ ^at)rr)unbert lang üon it)r
ausging, einen t)öd)ft nad){)altigen unb lüeitgreifenben ©inftuß
auf bie allgemeine Sßilbung ausgeübt."
SSorlänber gitiert in feiner (55efd)id)te ber ^{)itofop!)ie
(Seipsig 1903) ha§ SBort eine§ neueren St)eoIogen, [Hitfc^l,
ber erflärte:
„®e§t)atb l)at bie ^ortbilbung ber 6r!enntni§metI)obe ber
et^i! burd) ^ant gugleid^ bie ^öebeutung einer pra!tifd)en
2öteberf)erftenung be§ ^roteftanti§mu§." (II, ©.476.)
^ie gro^e iHeooIution fdjuf ben S3oben für ben ®inftu$
^ant§, ber am ftärfften loar in ben graet Qaf)r§el)nten nad)
ber (Sd)reden§l)errfd)aft. *^ann erblaßte biefer Einfluß immer
mel)r. ^ie 33ourgeoifte befam feit ben breißiger Qaf)ren be§
neun3el)nten Qal)r^unbert§ aud) in '3)eutfd)lanb ^raft unb
SJlut ju entfd)iebenerem Kampfe gegen bie beftef)enben
©taat§= unb ^enfformen unb ju unbebingter 2Iner!ennung
ber (Sinnenraelt al§ ber einzig n)irfüd)en. (3o famen nad)
ber §egelfd)en ^ialefti! mieber neuere formen be§ ^Jlateria^
lt§mu§ auf, unb graar in energifd)efter SKeife in ^eutfd)^
lanb, gerabe meil beffen S3ourgeoifie nod) weiter gurüd mar
al§ bie gran!reic^§ unb (£nglanb§; meil fie nod) nid)t bie
beftef)enbe ©taat§mad)t erobert, meil fie fie noc^ um^uftürjen
l}atU, alfo einer ^l)ilofopl)ie be§ Stampf e§, nid)t ber 3]er*
föl)nung beburfte.
^n 'üzn legten Qal)r5enten tft aber il)r ^ampfbebürfniS
gemaltig gefunfen. §at fie nid)t alleg erreid)t, ma§ fie er*
fe^nt, fo bod) alle§, ma§ gu il)rem @ebeil)en erforberlid).
SDßeitere groge kämpfe, energifd)e Eingriffe auf ba§ ^eftel)enbe
fönnen ilir meit meniger nü^en, al§ il)rem großen Jeiube,
3)ie ^t|tIofo)3§ie ber S5erfö[)nung 43
bem Proletariat, ha§ bro!)enb ^eraniüäd)ft unb nun feiner*
feit§ einer ^f)iIo|opf)ie be§ ^ampfe^ bebarf. (£§ rcirb bem
^ateriali^muä um fo lei(i)ter jugänglid), je me^r bie ©nt-
rcidlung ber ©innenraelt bie Unf)a(tbar!eit ber beftefienben
Drbnung unb bie DZotraenbigfeit feine§ Siegel bartut.
^ie ^ourgeoifte bagegen rcirb immer me!)r empfänglidf)
für eine ^^ilofop^ie ber 3]erfö^nung, unb jo erraecft fie ben
^antianismuS §u neuem Seben. ^iefe Sf^eubelebung mürbe
in ber 9iea!tion§peinobe natf) 1848 angebahnt burcf) ben
bamatg beginnenben (Sinflug ©d)open{)auer§.
Slber in ben legten ^a^xi^i)nUn ift bie 5!antfd£)e @tf)i!
aucf) in bie Cfonomie unb ben ©o^iali^mug eingebrungen.
^a bie GJefe^e ber bürgerlichen ©efe(lfc!)aft, bie Don ber
flajfifc£)en Dfonomie entbei^t mürben, fic^ immer flarer al§
©efe^e entpuppten, hk 'tm ^laffenfampf unb ben Unter*
gang ber !apitaliftif(i)en Drbnung §ur D^otrcenbigfeit mad)en,
früd)tete bie bürgerliche Cfonomie ^um ^antf^en (Sitten*
geje^, ba§, au^er^alb be§ 9iaume§ unb ber Q^it fte^enb,
imftanbe fein fod, tiie ^(affengegenfä^e ^u üerföEinen unb
t>k 9^et)oIutionen ^u t)erl)inbem, bie im 9laume unb in ber
^eit üor fid) ge^en.
Sieben ber etf)if(^en (Sd)ule ber Cfonomie erhielten mir
aber aud) einen et{)ifct)en ©05iali§mu§, al§ in unferen eigenen
Dlei[)en 58eftrebungen auftau(^ten, hk ^laffengegenfä^e §u
milbem unb menigften§ einem 2;eil ber ^ourgeoifie ent*
gegenpfommen. ^ud£) biefe ^oliti! ber ^erfö^nung begann
mit bem Diufe: Qurüd auf ^ant! unb mit einer 3Ibfage
an ben SiJlateria(i§mu§, ber bie grei^eit be§ 2Bi(Ien§ leugne.
%xoi^ be§ fategorifc^en ;5mperatit)§, hQxi ba§ Santfd^e
(Sittengefe^ bem einzelnen suruft, ift feine f)iftorifcf)e,
gefenf(i)aftlid)e S^enbenj t)on feinen 3lnfängen an hx§
()eute bie einer ^bftumpfung, einer 3]erföf)nung ber ©egen*
fäl^e, nicf)t bie if)rer Überminbung burd) ben 5^ampf gemefen.
IV. Die etöiK des Danüimsmus.
h Der Kampf ums Dafein.
^ant ^attc, vok ^lato, ben 9Jlenfcf)en in ^raet ^eile jer=
fcf)nitten, einen natürli(i)en nnb einen übernatürlirf)cn, einen
tierifd)en nnb einen enge(J)aften. 3Iber ber ^rang, bie gange
203elt, unfere geiftigen gwnftionen inbegriffen, al§ eine wixh
Iirf)e nnb ein!)eitlid^e gn erfaffen, unb ade augernatürlic^en
gaftoren au§ x^x an§gnfd)(ie§en, ober mit anberen 2Borten,
bie ntaterialiftifd)e ^enfart raar gu tief in hm SSer{)ättniffen
begrünbet, al§ ba§ e§ S^ant ^ätt^ gelingen fönnen, fie anf
bie '3)auer Ial)m§nlegen. Unb ber granbiofe 5(nffcf)n)nng
ber 9^atnrn)iffenfrf)aften, ber gerabe nm jene Qeit ein rafrf)e§
^empo angunel)nten begann, al§ ^ant ftarb, brad)te eine
9Jlenge neuer ©ntbedungen, bie bie ^luft grcifc^en bem
?!Jlenfd£)en unb ber übrigen D^atur immer mef)r augfüUten,
bie unter anberem aud) erfennen liefen, ha^ ba§ anfd)einenb
engelf)afte im SfRenfc^en fid) in ber ^icrraelt ebenfalls naci)^
meifen (äffe, alfo tierifd)er Statur fei.
Qnbeffen !am bie @tf)i! be§ 9Jlateriali§mu§ be§ neun^
geeinten 3al^r!)unbert§, fomeit er mefentürf) naturmiffen-
f(i)aftlid)er D^atur mar, fomof)l in feinen offenen, fül)nen
beutfd^en, mie in feinen me!)r Derftedten unb fdjüc^ternen
englifrf)en unb je^t auc^ fran3öfifd)en gormen pnärfift ni(i)t
über ha§ lfina\i§, wa§ fd)on ba§ ad)t5el)nte Qa!)r!)unbert
gelehrt, ©o bafierte geuerbad^ bie SJloral auf ben ©lud*
feligfeit§trieb. 5luguft (5;omte, ber^egrünber be§ ^ofitioi^^
mu§, afgeptierte bagegen t)on hm ©nglänbern bie Unter*
fd)eibung t)on egoiftifcf)en unb moralifd)en ober „altruiftifd)en''
3)er ,^ampf umg 3)a[em 45
©efü^Ien, bie beibe in ber 9)lenf(i)ennatur gteic^ begrünbet
finb.
©inen großen nnb entfd)eibenben gortfd)rttt barüber !)man§
mad)te erft ®arn)tn, inbem er in feinem ^nc^e über bie
Stbftannnung be§ 2Jlenfd)en nad)wk§, ha^ bie altruiftifc^cn
©efü^te feine ©igentümlic^feit ber 931enf(i)ennatnr feien, 't)a^
n)ir fie aud) in ber ^ierraelt finben, unb bag fie f)ier m^
bort ben gleichen Urfacf)en entfpringen, bie im ©rnnbe bie*
felben finb, n)elcf)e alle gä^igfeiten ber mit (Sigenbemegung
begabten Söefen lf)ert)orgerufen nnb entmidelt f)aben. ^amit
raar faft bie le^te (S(i)ran!e grcifdjen 2ier unb 9Jlenf(^ nieber*
geriffen. 'Karmin {)at biefe feine ©ntbedungen nicf)t raeiter
tjerfolgt, unb bod) gehören fie ^n hzn größten unb frui^t-
barften beg menfd)Iid)en ®eifte§, bie geftatten, aud) eine
neue ©rfenntniSfrntif ^u entmideln.
SCßenn man hk organifi^e äßelt betrad)tet, fo jeigt fie
un§ im Unterfd)ieb üon ber anorganifd)en cor aü^VA eine
(£igentümlid)!eit: mir finben in i^r ^ii^ßdmä^igfeit. %ik
organifd)en Sßefen finb me^r ober meniger gmedmä^ig ge*
baut unb oeranlagt. ^ex Qwed, bem fie bienen, ift jebod^
nid)t einer, ber au^er it)nen liegt, '^^ie SKelt al§ ©anjeS ift
groedtog. ^er Qiv^d liegt in jebem Qnbioibuum felbft: feine
Steile finb fo geftaltet unb begabt, ha^ fie bem ©anjen,
bem 3n^^^^^^^^' bienen. Qroed unb Slrbeit^teilung ent-
fpringen miteinanber. '3)a§ 2ßefen be§ Drgani§mu§ ift
Arbeitsteilung ebenfofel)r mie Qmedmä^igfeit. (&im§ bebingt
\)a§ anbere. %k Arbeitsteilung unterfd}eibct ben DrganiS*
mu§ oon anorganifc^en J^nbitjibuen, gum ^eifpiel Hinftallen.
Aud) ^riftalle finb ^nbioibuen für fid), mit beftimmter ^orm;
fie madifen, menn fie bie nötigen ^ilbnngSftoffe unter ben
nötigen ^ebingungen finben, aber fie finb burd) unb burd)
gleid)mä§ig. '^er nieberfte Organismus bagegen ift ein
^läSd)en, md unfd)einbarer unb meniger fompli^iert ge^
formt als ein ^riftall, aber ein SläSi^en, beffen AuBenfeite
anberS ift, anbere g^^nftionen Ijat, mie bie Qnnenf eite.
46 Sie (St^i! bc5 2)arn.nui§inu0
^ajj bte 5lrbeitstci(ung eine jiüedtmägige ift, ba§ fieißt
bcm ;3ubtt)ibimm nü^t feine ®jiftenj ermi3glid)t ober bod)
erleicf)tert, erfrf)eint rcnnberbar. 5tber rcunberbar Jüäre ba§
GJcgcnteit, inenn Q^binibnen fid) cr()ielten nnb fortpflanzten
mit einer un^ioecfmä^igen 5(rbeit§teihmg, bie iE)re @j:tftenj
erfc^irert ober gar nnmöglid) marf)t.
2Be(rf)e 5(rbeit ift e§ aber, rccld)e bie Organe be§ Drga^
ni^mn§ gu t)euid)ten ^aben? "^^icfe 3trbcit ift ber ^ampf
nm§ 'S) afein, ba§ ^eij3t ni(i)t ber ^ampf mit anberen
Organismen -berfelben 5lrt, mie man ba§ SCBort mitnnter
auffaßt, fonbern ber ^ampf mit ber gefamten SfZatnr. %k
Statur ift in ftänbiger ^emegung, ftänbiger 3Seränberung
il)rer formen begriffen, nur fold)e Q^^^^ii^^^en merben in
biefem emigen 2ßed)fel i^re gormen eine Qeitlang bef)aupten
fönnen, bie imftanbe finb, bcfonbere Organe gu entroicfeln
§um 8d)u^e gegen jene äußeren ©inflüffe, bie bie ©inftenj
be§ Qnbir»ibunm§ bcbrol)en, foraie gum ©rf a^ ber ^eftanb*
teile, bie e§ beftänbig an bie 51u§enraelt abgeben mug. 2lm
e^eften unb beften roerben fid) jene ;3nbit)ibuen nnb Gruppen
bel)aupten, beren SCßaffen jum (3rf)u^e, beren Sßerfjeuge
5um (Srroerb ber 9^a!)rung bie gmedmägigften finb, ba§
Reifet am beften angepaßt ber 5tugenraett, beren ©efat)ren
ab^umenben, beren 9fla{)rnng§queIIen ^u erfd)lie§en finb. '3)er
ununterbrochene ^ro^eg ber 3Inpaffung unb ber 2(u§lefe be§
ßmecfmä^igften burrf) ben ^ampf um§ ^afein erzeugt unter
ben Umftänben, mie fie auf ber @rbe bie Ü^egel bilben, feit*
bem fie Organismen trägt, eine june^menbe 21rbeit§teilung.
Qe meiter fortgefd)ritten bie 3Irbeit§tei(ung in einem Or*
ganiSmuS, befto t)oIlfommener erfcf)eint er un§. ^ie ftetige
^Sei-üorifommnung ber organifd)en SOßett ift alfo bisher bci§
^efultat be§ Kampfes um§ ^afcin in if)r — unb maf)r*
f(i)einlicf) aud) für meit f)inau§ fein üinftigeS Ergebnis, fo*
lange bie 53ebingungen unfereS Planeten nid^t mefentlid)
anbere merben. 5{(lerbing§ biefe 33errio((!ommnung al§ not«
menbigeS (^efe^ für alle ©migfeit angufe^en, ^ahm mir fein
2)er Äampf um5 3)afctn 47
'iR^d^t %a§ ^tege, in bte 2öelt einen Qireif l^ineinlegen,
ber in xf)x nid)t ^u finben ift.
^ie ©ntraicftung mug aud^ nic^t immer mit g(eirf)er
(S(i)ne((igfeit t)or fid) gef)en. ©§ fönnen seitraeilig ^erioben
eintreten, mo bie r)erf(i)iebenen Organismen jeber in feiner
3Irt h^n für bie befte!)enben ^erf)ältniffe f)öcf)ften (^rab ber
^mecfmä^igfeit erreid)en, biefen SSerpItniffen am beften
angepaßt finb. (Solange biefe 3Serf)äItniffe fortbefte^en,
loerben fie fic^ bann nid)t meiter entraic!eln, fonbern hk
erreirf)te Jorm gu einem feften 2t)pu§ geftalten, ber fid)
unneränbert fortpflanzt, ©ine Sßeiterentmicflung mirb non
ha an nnr eintreten, menn 'C)a§ SJlilien firf) er!)eblirf) änbert,
menn bie nnorganifd^e Statur 3Seränbernngen erleibet, hk
ben ©leid^gemii^tSjnftanb ber organifc^en ftören. (Sold)e
QSeränbemngen finben aber immer mieber üon Q^it gn Qdt
ftatt, entmeber einzelne plö^ti(f)e gemaltige ober 5aE)(rei(i)e
unmerflid)e, beren fd)lieglicf)e ©nmmierung ebenfalls gang
nene (Situationen f)erbeifü^rt, mie pm ^^eifpiel Snberungen
ber SJZeereSftrömungen, ber ^obenerf)ebung, t)ietleid)t aud^
ber Sage be§ Planeten im Sßeltraum, bie ha§ ^(ima
änbern, birf)te 2ßä(ber in bürre Sanbrnüften nermanbeln,
tropifdE)e Sanbfd)aften tiergletfd)em unb umge!ef)rt. ^iefe
3Seränberungen bringen bie 9^otrcenbig!eit erneuter ^In^
paffungen an bie gemanbelten 3Ser{)ättniffe f)ert)or; fie er*
geugen Sßßanberungen, bie ebenfalls hk Organismen in neue
SSer^ältniffe Derfe^en unb üermelirte ^afeinSfämpfe gmifc^eu
hzn alten ®inn)ol)nern unb ben neuen ©inrcanberern er=»
geugen, hk fd)led)t angepaßten unb nicl)t anpaffungSfäl)igen
Qnbit)ibuen unb 2;t)pen ausrotten unb neue SlrbeitSteilungen,
neue ^unftionen, neue Organe fcl)affen ober bte alten um*
manbcln. ^idjt immer finb eS bie l)ö(f)ft entmidelten Or«
ganiSmen, t)k fiel) hei biefer 9^euanpaffung am beften be*»
Raupten. Qebe 5lrbeitSteilung bebingt eine gerciffe ©infeitigs^
feit, ^oc^ entmicfelte Organe, bie einer befonberen SebenS*
meife befonberS angepaßt finb, merben für eine anbere oiel
48 S)ie Gt^if be§ 2)arn3im§mu§
lüeniger hxau6)hax, al§ Organe, hk raeniger ^odt) entraidelt,
unter jener befonberen Sebeniroeife rceniger n)ir!ung§t)oU,
aber t)ielfeittger, leidster anpaffuug§fäl)ig finb. ©o fef)en
von nielfad) f)öl)er entn^idelte Slter^ unb ^flanjenftämme
augfterben unb tteferftef)enbe bie rceitere ©ntipidlung neuer
I)ö!)erer Organismen ühexmfymn. 2Baf)rfrf)einli(^ ftammt
aud) ber SJlenfcf) ntc£)t t)on ben :^öd)ftfte{)euben 5lffen ab,
ben 3D^enfd)enaffen, bie im SluSfterben begriffen finb, fonbern
t)on einer tieferfte{)enben GJattung non ä^ier^änbern.
2. 6igenbeu)egung und erfeenntnisü ermögen.
grü^jeitig fc^on fpalteten fid^ aber bie Organismen in
jrcei groge (S^ruppen: fold)e, bie Organe ber (Sigenberaegung
entmidelten, unb foId)e, bie bereu entbehrten; ^iere unb
^flanjen. ®S ift !lar, bag bie ©igenbemegung eine mäd)tige
SÖßaffe im Kampfe umS ^afein ift. (Sie ermögU(i)t e§, ber
S^a^rung nadi^uge^en, bie (S^efa^r ^u fliet)en, hk 5Rad)'
fommenf(i)aft an Orten unterzubringen, rco fie am beften
üor ®efa!)ren gefd^ü^t, am reid^ften mit ^a^xun^ üer«
fe!)en ift.
'2)ie ©igenbemegung bebingt aber notmenbigerrceife ein
©rt'enntniäüermögen, unb umgefe^rt. ®er eine biefer
gaftoren o!)ne ben anberen ift völlig unnü^. 9^ur in it)rer
SSereinigung merben fie gu einer SKaffe im Kampfe um§
^afein. ®a§ SSermögen ber ©igenbemegung ift üödig nu^*
loS, menn e§ nid^t gepaart ift mit einem 3}ermögen, bie
SÖßelt ju ertennen, in ber id) mid) gu bemegen l)abe. 2ßa§
nü^ten bem §irfd^ feine ^eine, rcenn er nid^t bie Jäbigfeit
\)ätU, feine geinbe unb feine 9^at)rung§plä^e gu erfennen?
SlnbererfeitS märe für eine ^flanje jebeS (gr!enntni§ü ermögen
nu^loS. könnte ber @ra§f)alm bie na{)enbe ^ui) fet)en,
l)ören, ried)en, fo mürbe ba§ nid£)t im minbeften ba^u bei«
tragen fönnen, "Oa^ er fid^ bem ©efreffenmerben entgief)t.
©igenberaegung unb (Steift gel)ören alfo notraenbigerrceife
jufammen, eineS o^ne baS anbere ift nu^IoS. 2Ößof)er immer
^igenBeiüegung unb (Srienntniäöermögen 49
biefe ^fi^iöf^i^^^ tüf)ren mögen, fie treten ftet§ gufammen
auf unb entraicfeln ftc^ miteinanber. ®§ gibt feine ©igen*
beraegung of)ne @rfenntni§ unb feine ®rfenntni§ o!)ne @igen=
beraegung. Unb gemeinfam bienen fie bemfelben Qraecfe,
ber ©icf)etung unb (Siieic^terung ber ®£iften§ be§ Qnbi-
t)ibuum§.
211^ DJlittel ba^u werben fie unb if)re Organe burd) hm
^ampf um§ ®afein entraiiielt unb nemoEfommt, aber
aud^ nur al§ SJlittel bagu. ©elbft ba§ t)öd)ftentn)i(felte
©rfenntniSo ermögen befi^t feine gä^igfeiten, hk nicf)t al§
SOßaffen im Kampfe um§ "^afein nü^licf) mären, "^^aburd^
erfldrt fic^ bie ©infeitigfeit unb ©igenart unfere§ ©rfenntni^*
termögeng.
®ie*3)inge an fi(^ p erfennen, mag mancf)em ^f)iIofop^en
eine fef)r micf)tige 2lufgabe erf (feinen; für unfere ©jiften^
ift e§ fe{)r gleid)gültig, waB immer man unter bem ^ing
an firf) t)erftef)en mag. dagegen ift e§ für jebe§ mit ©igen*
bercegung begabte 2ßefen von ber {)öcf)ften 2Ößi(^tigfeit, hk
®inge ri^tig gu unterf^eiben, i{)re 3Serf)ältniffe ^u^
cinanber ricf)tig §u erfennen. ^e f(f)ärfer fein ©rfenntni^*
oermögen in biefer S3egief)ung, befto beffere "^ienfte mirb e§
i^m leiften. gür bie ©jifteng be§ ©ingüogelä ift c§ üöüig
gleid)gü(tig, mag jene *^inge an firf) fein mögen, bie i^m
al§ ^eere, §abid)t, ©emitterrcolfe erfd)einen. 2lber un*
entbeijrlic^ für feine ©^ifteng ift eg, ba§ er 33eere unb §abic^t
unb SCöolfe genau t)on htn anberen fingen feiner Umgebung
unterfd£)eibet, benn nur ba§ fe^t i^n inftanb, fein gutter ^u
finben, bem geinbe gu entfliegen, re(i)tseitig bem fd^ü^enben
Saubbad^ juguftreben. ©5 ift alfo unerläglic^, ha^ ha§ ®r*
fenntni§t>ermögen ber Stiere ein Unterfd^eibung§üermögen im
iHaume ift.
5lber ebenfo unerlä^tid) ift e§, hk Slufeinanberfolge ber
^inge in ber Qzxt, unb grcar if)re notrcenbige Stufeinanber*
folge al§ Urfac^e unb äßirfung gu erfennen. "S^enn bie
Bewegung al^ Urfad£)e fann nur bann bie allgemeine 3öir*
ÄQutSfi), etf)W unb materialiftifc^e ©efc^tc^tSauffaffung. 4
50 3)ie (St^if bc;3 5)Qmnni0mu§
fung ber @rf)altunci bcr ©inftcnj nad^ ficE) sieben, ireuu fie
befonbere näf)ere ober fernere SKirfiingcu erhielt, bie fie um
fo Icid)ter erretd)en roirb, je beffer ba§ Qnbiitibiium bie
3Serfettung biefer 2ßir!ungen mit if)ren Urfad)en erfaunt
^at. Um ha§ obige ^eifpiel Dom 33ogel ^u n)ieberf)olen,
fo genügt e§ nid)t, ba§ er ^eerc unb ^ab\d)t unb SBoIfe
Don ben anberen '3}ingen im Flaume ^u unterfdjeiben meifs;
er mu§ aud) miffen, ha^ ber ®enu§ ber ^eere bie 2ßirfung
):)at, if)n ju faltigen, ba§ ^[uftaud)en be§ §abid^t§ hk 2öir*
hing, bag ber erfte befte Heinere 33ogeI, beffen er ^b^aft
mirb, if)m ai§ Qutter bient; ha^ bie auffteigenbc ©eroitter*
molfe (Sturm, Siegen, §age( al§ 2öirhmg probujiert.
Selbft bie nieberften ^iere, fobalb fie eine ©pur oon
Unterfd)eibung§oermögen unb ®igcnbemegung befi^en, ent*
mideln auc^ eine 2(f)nung t)on ^aufalität. SÖSenn hk (Srbe
erfc^üttert mirb, ift ba§ für ben öiegenrcurm ein 5ln§eid)en,
ha^ ®efaf)r bro^t unb eine SSeranlaffung ^ur 5Iud)t.
(5o(( alfo ba§ ®rfenntni§oermi3gen bem ^iere hui feinen
58en)egungen oon 9lu^eu merben, fo mu§ e§ fo organifiert
fein, ba§ e§ imftanbe ift, i()m Unterfd)eibungen im D^aume
unb ber Qeit unb faufale QSerfnüpfungen ju geigen.
2lber e§ mu§ nod) me^r tun. ^Ite ^eile be§ ^örper§
bienen nur einem Qnbioibuum, nitr einem Qwcde, ber
@rf)altung be§ ^nbinibnumg. %k 5{rbeit5tei(ung barf nie
fo rceit gel)en, baß bie einseinen ^eite felbftänbtg merben,
ha^ mürbe gur Sluflöfung be§ Qnbit)ibuum§ füf)ren. Sie
mirb um fo oodfommener roirfen, je ftraffer hk %exU gu*
fammenge^Iten merben, je einf)eitli(^er ba§ ^ommanbo.
daraus folgt bie S^otmenbigfeit ber @in!)eitlid)feit be§ ^e^
mugtfein». Gefäße jeber 3:ei( be§ ^örper§ fein befonbere^
@r!enntni§t)ermögen ober erzeugte jeber ber ©inne, bie un§
bie Kenntnis ber 5(ugenmelt ©ermitteln, fein befonbere^
^ercugtfein, fo märe bie jebeSmalige ßrfenntni§ biefer 2ßelt
unb ba§ Qufammenmirfen ber einjelncn Körperteile fe^r
erfd)mert, bie Vorteile ber ^Irbeitsteilung mären aufgef)obeu
(Sigenbemegung unb (Sr!ennttii^üermögen 51
ober in S^Za^teile vexwaxiMt, hk Unterftü^ung, ir)eld)e ficf)
bie Sinne ober hu ^eraegung^organe gegenfeitig liefern,
^örte auf, an if)re ©teile träte gegenseitige Störung.
©nblic^ aber mug bas ©rfenntnisnemtögen aurf) bie Jä^ig^
feit befi^en, @rfaf)iaingen an^ufarnnteln unb p oergleic£)en.
Um noc^ einmal auf unferen Singoogel surücf^ugreifen, fo
gibt e§ für if)n gmei 2öege, um ^erauS^ufriegen, melcf)e§
^ntter für i^n bag befte unb mo e§ am ef)eften p finben;
mel(^e geinbe für i^n gefäf)r(irf) unb mie if)nen p ent^
gef)en. ©inmal eigene @rfaf)rung unb bann bie ^eobad)^
tung ber ^raji§ älterer 3Söge(, bie fcf)on @rfaf)rungen f)aben.
^dn 93leifter mirb befanntlid) geboren. Qebeä ^nbiotbuum
fann fid) im ^afeinsfampf um fo Ieid)ter behaupten, je
größer feine Erfahrungen unb je beffer fie georbnet finb;
ba^u gehört aber bie &abe be§ @ebäc^tniffe§ unb "bie
5äl)ig!eit, frül)ere ©inbrücfe mit fpäteren p t)erg(eicf)en unb
't)a^ if)nen ©emeinfame, ba§ Sldgemeine au§ if)nen ^erau§=
5U5ieI)en, ba§ 2ßefenttid)e t)om Unmefentlidien §« trennen,
ba§ i)zx^t: benfen. QSermittelt un§ bie 33eobad)tung
burd) bie Sinne bie Unterfd)iebe, ha§ ^efonbere, fo ba§
teufen ba^ ©emeinfame, ba§ 2(1 (gemeine ber ^inge.
„%a§ 2lllgemeine", fagt ^ie^gen, „ift ber ^nf)alt aller 93es
griffe, aUer @r!enntni§, aller 2ßiffenfd)aft, aller ®en!a!te. ©o=
mit ergibt bie 5(nalr)fe be§ '3)enft)ermögen§ ba§ (entere al§ bie
i^ä()ig!eit, au§ bem SSefonberen ha§ allgemeine p erforfd)en."
2(((e biefe @igenfd)aften be§ @r!enntni§oermögen§ finben
mir fd)on in ber Xierroett entraidett, menn aud) nid)t in fo
^o()em ®rabe mie beim 9)lenfd)en, unb menn aud) öfter
nod) für un§ fd)mer erfennbar, ba e§ nid)t immer (eid)t ift,
bie au§ ber ®rfenntni§ folgenben bemühten §anb(ungen oon
hm unmi((für(id)en unb ben unbemufeten§anb(ungen, btogen
Sf^eflei'beroegungen unb inftinftioen ^emegungen, gu fd)eiben,
hk aud) beim 3Jlenfd)en nod) eine gro§e 9io((e fpie(en.
Jinben mir aber a((e biefe (gigenfc^aften be§ ©rfenntni^^
oermögen^ a(g notraenbige beigaben ber (Sigenbcmegung
52 2)ic etfjif be§ 2)ovh)mi§mu§
fd)on in ber ^ierrcelt, fo ftnben jpir anbererfeit§ in benfelben
(£igenfcf)aften and) bie ©(i)ran!en, bie felbft ber umfaffenbfte
unb tieffte 3Serftanb be§ ^öc^ftentrairfelten ^ulturmenfd)en
ntd)t überf(i)reiten fann.
Gräfte unb gä^igfeiten, bie al§ Sßaffen im Kampfe um§
^afein erworben lüurben, fönnen natürlid) aucf) anberen
Qraed'en bienftbar gemad^t rcerben al§ benen ber ©ici)erung
ber ©i'iftenj, wenn ber Organismus feine ©igenberaegung
unb fein (SrfenntniSoermögen fomie fein Striebleben, t)on
bem mir gleic^ fpred^en, f)0(i) genug entmirfelt f)at. ®a§
Qnbiüibuum fann bie Tlu§tdn, bie in x^m entmicfelt finb,
bamit e§ bie ^eute {)afd^en, ben geinb abmet)ren fönne,
aurf) 5um ©piel unb Slan^ benu^en. 5lber iE)ren befonberen
®f)ara!ter er{)alten biefe Gräfte unb gä{)ig!eiten bodE) nur
burd) ben ^ampf um§ "^afein, ber fie entmicfelt. ©piel
unb ^anj fcf)affen feine befonberen 5DfZuSfeln.
®a§ gilt and) t)on ben geiftigen Gräften unb gäljigfeiten.
W,§ notmenbige ©rgängung ber ©igenbemegung im Kampfe
umS ^afein bal)in entmidelt, ba^ fie bem Organismus ein
für feine ©rl^altung möglid^ft jmedmägigeS ^emegen in ber
Ummelt ermögli(i)en, fönnen fie boc^ aud^ anberen Qrvedm
bienftbar gemad^t merben. ^agu gehört baS reine (Srfennen
o^ne jeben praftifd)en §intergebanfen, ol)ne ©rrcägung ber
praftifd^en ^onfequen^en, bie eS nad) fid^ jie'^en mag.
Slber unfer geiftigeS Vermögen ift burdE) ben SDafeinSfampf
nid)t bagu entmidelt morben, ein Organ reiner (SrfenntniS,
fonbem nur bagu, ein Organ gu fein, baS burd^ ©rfenntniS
unfere Bewegungen gmectmä^ig regelt, ©o üoHfommen eS
in ber festeren Begiel)ung fungiert, fo unoollfommen in ber
erfteren. 3Son SInfang an mit ber (gigenbemegung aufS engfte
üerbunben, entfaltet eS feine 3Sollfommenl)eiten nur im Qw-
fammenf)ang mit ber ©igenberaegung unb fann eS nur ner-
üollfommt merben in biefem 3ufammenl)ang. 3ludE) bie 9Ser=
üollfommnung beS menfd)lic^en ©rfenntniSoermögen^ unb
ber menfd)li(^en (SrfenntniS ift aufS engfte t)erfnüpft mit
(Sigenbetregung unb ßrfetmtntlöermögen 53
ber ^SerüoHfommnung ber tnenfcf)It(^en ^vajii, me wix nod^
fe^en rrerben.
^k ^xaic\§ ift e§ aber aud), hk un§ bie (St(f)erf)eit unferer
(Srfenntniffe verbürgt. Sobalb meine (gtfenntni^ micf) be==
fäf)tgt, beftimtnte SBirfungen, beten ©rgeugnng in meiner
9Jlad)t liegt, mit Sidier^eit felbft ifiercor^nbringen, f)ört t)aB
33er!)ältni§ ron Urfai^e unb 2ßir!ung für mirf) auf, bloßer
3ufaII ober bloger @d)ein, bloge gorm be§ @rfennen§ ^n
fein, mofür fte ba§ reine 3(nfdf)auen unb teufen rco^l ftem^
peln mag. ^ie @r!enntni§ biefe§ 33er{)ältniffe§ mirb burc^
bie $raji§ jur (gr!enntni§ t)on ztrva§ 2Birfli(i)em unb ju
einer firf)eren ®r!enntni§ erf)oben.
'3)ie ©renken ber ^rajiS bezeugen freiließ aucf) bie ©renken
unferer fi(i)eren ®rfenntni§.
®a§ Sf)eorie unb ^raji§ üödig aufeinanber angemiefen
finb unb nur burd) i^re gegenfeitige ®urcf)bringung ba§
jemeilig f)ö(^fte erreid)bare 9ftefu(tat ergeben fönnen, ift nur
bie notmenbige ^onfequenj be§ Umftanbe^, ba§ QSemegung
unb ©rfenntni^t) ermögen t)on iljren früf)eften SInfängen an
3ufammenge!)en mußten. Qm Saufe ber ©ntraidlung ber
menfd)litf)en ®efe{(fd)aft l^at bie 5(rbeit§tei(ung ba^in gefüf)rt,
bie natiirli(i)e @inf)eit biefer beiben gaftoren §u gerrei^en,
klaffen gu fd^affen, benen t)ornef)mlid) hk SSemegung, unb
fold)e, benen üorne!)mlic^ ha§ ®r!ennen s^fiel. SOßir Ijahm
fd)on barauf ^ingemiefen, mie ha§ (Spiegelbilb baüon in
ber ^f)iIofop^ie bie (3rf)affung §meier SOßelten, einer geiftigen,
f)öf)eren unb einer !örperlid)en, tieferfte!)enben mar. Stber
gan^ liegen fid) bie beiben gunftionen natürlid) bei feinem
Jjnbiüibuum trennen, unb bie f)eutige proletarifd^e^emegung
mirft frafttJoK ba!)in, biefer ^(affentrennung, bamit aber
aud) ber bua(ifttfd)en ^f)iIofop!)ie, ber ^f)i(ofopi)ie be§ reinen
@r!ennen§, ein (gnbe gu mad)en. 5Iud) bie tiefften, abftraf*
teften (Srfenntniffe, 'bk anfd)eincnb ber ^raji§ am femften
fte^en, beeinfluffen biefe unb rcerben non if)r beeinflußt, unb
un^ biefen Einfluß gum ^erougtfein ^u bringen, gef)ört mit ju
64 Sic dtffit beg 3)arlüiniämu?
beu5Cufgaben einer Rritif ber menfd)(i(i)en ©rfenntml. 92ad)
tüie vox bleibt bie (£rfenntni§ in le^ter Sinie immer eine
SBaffe im Kampfe nm§ ^afein, ein 9JZitte(, nnferen 53en)e^
gungen bie gmecfmä^igften formen imb 9tid)tungen ^n geben,
feien e§ nun Bewegungen in ber Statur ober in ber @efc((*
Waft.
„^ie ^f)i(ofop^en ^abm bie 2öelt nur t)erfcE)ieben intern
pretiert", fagt Tlaxic, „e§ fommt aber barauf an, fie ^u
oeränbern."
3. Die Criebe der Selbfteröaltung und fortpflanzung.
*2)ie beiben 3Sermi3gen ber ©igenbemegung unb ber fe
!enntni§ gef)ören alfo untrennbar pfammen al§ Sßaffen im
Kampfe um§ ^afein. %a§ eine entrcid'elte fid) mit bem
anberen, unb in bem 9)^age, in bem biefe Sßaffen an Be*
beutung im Drgani§mu§ 3unef)men, t)erringem fid) anbere,
urfprünglid)ere, bie je^t roeniger nötig finb, gum 53ei]piel
feine grud)tbar!eit unb feine Seben§§äf)ig!eit. 3Inbererfeit§
mu§ in bem G^rabe, in bem biefe abnel)men, bie Bebeutung
ber erfteren gaftoren für ben '3)afcins!ampf mad)fen, mug
er if)re größere (Sntmidlung förbern.
3lber ©igenbemegung unb ®r!enntni§ bilben für fic^ allein
noc^ feine^megg eine au§reid)enbe 2öaffe im Kampfe um§
®afein. 25>a§ nü^en mir in biefem Kampfe hk ftärfften
SJluSfeln, bie be!)enbeften ©elenfe, ma§ bie fd)ärfften ©inne,
ber größte 3Serftanb, menn xd) nid)t ben ^rang in mir fü{)le,
fie gu meiner (Srf)altung gu benu^en, menn ber Stnblid ber
S^a^rung, hk ®r!enntni§ ber ©efa^r mid) gleichgültig lägt
unb f einerlei Bemegung in mir au§löft? ©igenbemegung
unb ®r!enntni§t)ennögen merben nur bann SOBaffen im
Kampfe um§ ^afein, menn mit itinen gugleid) ein ^rang
nad) ©elbfter^ltung be§ Organismus auftritt, ber bemirft,
bag jebe für feine ©^ifteng mid^tige @r!enntni§ aud) fofort
ben SBillen jur 3lu§fül)rung ber für feine ®j:iften§ notraen*
bigen SSemegung erzeugt unb bamit biefe felbft l)ert»orruft.
3)ie Xxk'be: ber ©efbfter'^altung iinb gortljflanjung 55
©tgenberaegung unb ®rfenntnt§t) ermögen finb für bie
(^inftens beB Snbiinbiuimg bebeutung§lo§ of)nc feinen ©elbft^
er^ItnngStrieb, foraie anbererfett§ biefer rcieber ^mzdio^ ift
o^m jene beiben gaftoren. ^IKe brei gepren auf§ tnntgfte
^nfammen, bebingen etnanber gegenfettig unb n3a(f)fen p*
fammen. ^er ©elbfter{)altung§trieb ift ber urfprüngli^fte
ber tierif(i)en 2:riebe unb ber unentbef)rlid)fte. Otine i^n
fönnte fic^ feine einigermaßen mit ©igenbercegung unb @r*
fenntnisoermögen begabte Slierart aud^ nur furje Qeit
erl^alten. ®r be^errf(i)t ba§ gan^e Seben be§ ^iere§. ^ie=
felbe gefeUf(^aft(i(i)e (gntmicflung, bie hk Pflege be§ ©rfennt«
ni^üeinnögenä befonberen klaffen gumeift unb bie ber praf-
tifd)en ^emegung anberen, unb bie in ben erfteren eine
Gberf)ebung be§ reinen „®eifte§" über bie grobe „Materie"
erzeugt, ge^t mitunter in ber J^folierung be§ @rfenntni§*
t)ermögen§ fo meit, baß biefe§ üon ber 3Serac^tung ber
„banaufifc^en" ^raji§, bie ber (£r{)altung be§ Seben§ bient,
gur SSerad)tung be§ Seben§ felbft fortf(i)reitet. Stber biefe 5(rt
ber „®r!enntni§" l)at nocf) nirgenb^ t)ermod)t, ben Setbft*
er^altung^trieb §u überminben unb bie ber Seben§erl)a(tung
bienenbe ^raji^ außer 5{ftion ju fe^en. 9Jlag aud) man^er
©elbftmorb pf)ilofop^ifd) begrünbet merben, man ftößt b^i
jebem praftifc^en 5l!t ber 33erneinung be§ Seben§ fc^ließlid)
auf ^ran!^eit ober rer^meifelte gefe((f(^aftlic{)e aSer{)ä(tniffe
al§ Urfad)e, nid)t aber auf eine p!)itofop{)ifcf)e Se^re. '^md)
bloßem ^!)iIofopf)ieren ift ber ©elbfter^ltung§trieb nid)t gu
überminben.
5lber ift biefer and) ber urfprünglidifte unb t)erbrettetfte
aUcr Striebe, bie ber ^ampf um§ ^afein ge5Ürf)tet 'b^at, fo
ni(^t ber einzige. @r bient bloß ber ®rf)altung beg^nbi^
t)ibuum§. 2Bie lange aber immer biefe§ befielen mag,
frf)ließli(i) t)ergef)t e§, o^m ©puren feiner Qnbioibuaütät gu
t)interlaffen, menn e§ fid) nicE)t fortpflanzt. 9^ur jene &aU
tungen üon Organismen merben fid) im Kampfe um§ *3)afein
behaupten, hk eine 9^ad)fommenfd)aft I)interlaffen.
56 2)ie atijit be5 2)Qrrt)iui^mu0
9^un ift hei hen ^flanjen uub bcn nicberen Vieren bie
gortpflanjung ein 3]organg, ber feinerlei (Sigenberaegung
imb fein (Srfenntni§t)ermögen erforbert. ^a§ änbert fic^
aber bei ben Stieren, fobalb bie gortpflanpng gur gefc^(ed)t'
Iid)eu tüirb, an ber graei Qnbiuibuen beteiligt finb, bie fid)
ju vereinigen {)aben, um entraeber ©ier unb ©amen am
gleidien Orte augerl^alb be§ ^örper§ abzulagern, ober hm
©amen bem Körper be§ bie ®ier tragenben ;3nbiüibuum§
eingut)erleiben. *3)a§ erforbert einen SBiden, einen ^rang,
fid) gu finben, fic^ ju vereinigen. Of)ne if)n fann fid) bie
ungefc^lerf)tlirf)e gortpffan^ung nid)t r>oft§ie^en, je ftärter er
ift in ben für bie gortpflanjung günftigen ^^itpii^^ten, um
fo e{)er mirb fie fid) t)o((zief)en, um fo günftiger rcerben bie
3lu§fid)ten für hk ©rjielung einer 9^ad)fommenfd)aft, für
bie @rf)altung ber 3lrt fein, dagegen fte^en biefe 5lu§*
fiepten fd)led)t für ^nbivibuen unb 2Irten, bei benen ber
gortpf[angung§trieb fd)raad^ entmidelt. 3Son einem gegebenen
@rab ber ©ntmidtung an muß bat)er bie natürlid)e 5Iu§Iefe
burd) ben ^ampf um§ '3)afein einen au§gefprod)enen gort-
pflangunggtrieb in ber Sliermelt entmideln unb immer mef)r
üerftärfen.
Slber er genügt nid)t immer jur (Srjielung einer ^al}U
reid^en 9^ad)fommenfd^aft. 2ßir f)aben fd)on gefef)en, ha^
in bem SD^age, in bem (Sigenberaegung unb (Srfenntni§=
vermögen mai^fen, hu geil)! ber ^eime, bie ha^ J^nbivibuum
probugiert, fomie feine Seben§gä{)ig!eit bie ^enbenj ^aben,
ab3unel)men. 2lnb ererf eit§, je größer hk 5lrbeit§teilung, je
fompligierter ber Organismus, befto länger ber ^^itraum,
ber gu feiner ©ntraidlung unb SluSreifung erforberlid) ift.
Sind) rcenn ein Xcil biefeS ^eitraumS in ben mütterlid)en
Körper verlegt mirb, fo ^at ba§ boc^ feine ©renken. ©d)on
au§ räumlichen 9lüdfid)ten ift biefer Körper nid)t imftanbe,
einen bem ermad)fenen gleid^en Organi§mu§ in fid^ gu tragen.
®r muß ba§ ^unge von fid) augftoßen, lange e^e jene§
©tabium erreid)t ift. 3Son bem jungen Spiere raerben aber
2)ie jovialen Stiebe 57
am fpäteften bie gäf)igfeiten ber ©tgenbetregung unb ber
(£r!enntnt§ erlangt, unb fte finb meift norf) rec^t fd)n)a(^
entrairfelt, raenn e§ bie f(i)ü^enbe §üfle be§ (£ie§ ober be§
5iJlutterIeibe§ t)erlägt. ^a§ t)on ber 9Jlutter auggeftogene
@i felbft ift üöUig beraegungl* unb er!enntnt§lo§. ^a^er
rctrb bie ©orge für bie 9^ac^!ommenfc^aft gu einer rcidE)tigen
gunftion ber Butter: ba§ Verbergen unb bie 3Serteibigung
ber @ier unb ber Qungen, ba§ 5^^^^^^ ^^^ le^teren ufro.
SOßie ber gortpflangungStrieb rcirb au(i) bie 2khz für bie
9^ad)!omntenfd£)aft, namentlich) bie SD^utterliebe in ber ^ier^
rcelt entn)i(felt al§ ^in unerläglid)e§ SJlittel, ron einer ge«
rciffen §ö^e an bie ^^^^^^^if^^^S ^^^ Wirten gu fiebern.
5D^it bem triebe ber inbioibuetlen ©etbfter^Itung f)aben
biefe triebe gar nirf)tB gu tun; fte fommen oft in ^onflüt
mit xi)m, unb fie fönnen fo ftar! merben, ha^ fie x^n über=
lüinben. ®g ift ja flar, ha^ unter fonft gleid^en Umftänben
Jene ;3nbit)ibuen unb 3lrten am ef)eften 3Iu§ftrf)t ()aben, fic^
fortgupflansen unb if)re ©igenfi^aften unb triebe gu oer*
erben, in benen ber ©elbfter^altungStrieb nid)t hk triebe
nad) gortpflangung unb S3efd)ü^ung ber 9^a(i)!ommen §u
beeinträd)tigen oermag.
4. Die fozialen triebe.
Stieben biefen trieben, bie ben l^öl^eren Vieren eigen, ent^
midelt ber ^ampf um§ ^afein in einzelnen 2;ierarten no^
anbere, befonbere, burdE) bie (Eigenart i!)rer SebenSmeife
bebingte, gum 35eifpiel Sßanbertriebe, bie mir nid)t meiter
unterfurf)en moKen. §ier intereffiert un^ nur norf) eine 5lrt
üon trieben, bie für unferen (Segenftanb von größter SSe^
beutung: bie fogialen triebe.
®a§ ^wf^^i^ß^^^^^^ ^"^^ glei(i)en Organismen in größeren
SJIengen ift eine ©rfc^einung, bie mir fd)on in i^ren fleinften
5Infängen, ben SJ^üroben, entbecten fönnen. (5§ erftärt fic^
f(^on burd^ bie blo§e Slatfad)e ber Fortpflanzung, ^ah^n
bie Organismen feine ©igenbemegung, fo merben natur*
58 2)ie (2tf)if bc§ 3)arn.nni5mii§
gemä§ bie 9lad)!ommcn firf) um bie (Srgeuger I)enim an=
fammeln, jöenn m(i)t etraa 53ciüegungen ber ^u^enraelt,
Sßafferftromungen, SOßinbe uub bcrgteid)en, bie ^cime in bie
SÖßeite fül)ven. ^er Gipfel fäUt befanntlii^ nxdjt \imt rom
©tamm, uub njenn er nid^t gegeffen rairb unb auf frud^t*
bareu ^oben faßt, werben au§ feineu fernen junge 33äumcf)en
entfpriegen, bie bem alten ^aum ©efeüfi^aft leiften. 5Iber
aucE) hti Sieren mit ©igenbemegung liegt e§ na{)e, 't>ai bie
jungen hzi ben eilten bleiben, rcenn nic^t äußere 3Serf)ä[t*
niffe einen ©runb geben, ba^ fie ficf) üon i{)nen entfernen.
^a§ ^eifammenleben t)on ^^tbiüibuen ber gleichen ^rt, bie
urmüd^figfte gorm be§ gefetlf(^aft(i(^en Seben§, ift auc^ 'Ctk
urraüd^figfte goim be§ Seben§ überf)aupt. '3)ie Trennung
üon Organismen, bie einen gemeinfamen Urfprung l)abcn,
ift erft ein fpäterer 3l!t.
^iefe Strennung fann bie t)erfd£)iebenften Urfadtien l^aben.
^ie näc^ftliegenbe unb tnof)! am meiften mirffame ift ber
SJlangel an 9fZaf)rung. Qebe Sofalität !ann nur eine bt-
ftimmte 5[Renge 9^a{)rung liefern. SSermel)rt fid) etma eine
beftimmte Siergattung in il)r über il)ren D^lalirunggfpielraum
l)inau§, fo muß ber Überf(i)ug entraeber üer^ungern ober
auSrcanbern. Über eine gemiffe Qa^ !ann bie 9}lenge ber
in einer Sofalität gufammenlebenben Organismen berfelben
SIrt nic^t l)inau§ge^en.
3lber e§ gibt geraiffe Siergattungen, für meldte bie ^^o^
lierung, bie Trennung in Qnbiüibuen ober ^aare, bie für
ftd^ allein leben, einen 3Sorteil im Kampfe um§ ^afein bietet.
(So gum ^eifpiel für bie ^a^enarten, bie bie 33eute belauern,
fie im ©prunge unüerfel)en§ erl)afci)en. ®iefe 5lrt ber ©e=
rcinnung be§ Seben§unterl)alte§ mürbe il)nen feljr erfrf)n)ert,
melleidf)t unmöglich, menn fie in größeren Olubeln uml)er*
gögen. *^er erfte (Sprung nad) ber ^eute mürbe 'oa§ 2Bilb
für alle übrigen verjagen. %nx SDßölfe, bie bie ^eute nid^t
unoerfe^enS überfallen, fonbern ^u Sobe l)e^en, fann ha--
gegen in ber Qufammenrottung ju üiubeln ein 33ortcil
S)ie fo3iaten Xxkhe 59
liegen; einer jagt ha§ Sßilb bem anbeten gn, ber biefcm
"bzn SSeg abfc^neibet. '3)ie ^a^e jagt jeboi^ am erfolg^
teid)ften adein.
Slnbererfeit^ gibt e§ rcieber Stiere, bte bie Qfotierung fnd)en,
rceil fie anf biefe SBeife am raenigften anffaKen, am leic^*
teften fic!) verbergen fönnen, am e!)eften ben geinben ent-
gegen. ®te 9^ad)fteKungen be§ SDIenfd^en ^aben pm 33ei^
fpiel bemirft, bag mancf)e 2:iere, bie früher in ©efedfc^aften
lebten, nnr noc!) ifoliert ^u ftnben finb, mie ber 33iber in
(Snropa. ^a§ ift ber einzige 2Ö5eg für x^n, unbemerft §n
bleiben.
daneben aber gibt e§ gaf)lreid)e Stiere, hk an§ i^rem
gefel(f(^aftlicf)en Seben SSorteile 3ie{)en. (Selten finb e§ Ülanb-
tiere. 2Bir ^ahen oben ber SDSölfe gebacE)t. 5lber and^ fie
jagen in Ü^nbeln nnr, menn ha§ gntter rar ift, im SDßinter.
^m Sommer, mo gntter leid)ter gu erlangen, leben fie
paarmeife. *3^ie Diaubtiernatnr neigt ftet§ gu ^ampf unb
(SJeraalttat nnb bal)er aud) jur UnüerträglidEifeit mit anberen
i^re§gleid)en.
griebfertiger finb bnrc^ bie 5lrt i^re§ S'Za^rnnggermerbB
bie ^flanjenfreffer. ©c^on ba§ erleid)tert e§, ba§ fie fid)
^ufammenf Clären ober t)ielmel)r, ba^ bie 9^a(i)!ommenf(^aften
beifammen bleiben. %a§ treibt fie aber aud), fid) ^nfammen-
^utnn ober beifammen ^u bleiben, meil fie rcel)rtofer finb,
bnrd) i^re größere Qai)l aber eine nene SÖßaffe im Kampfe
nm§ ^afein erringen. ®ie 3Sereinigung mel)rerer fi^mai^en
Gräfte gu gemeinfamem Sinn fann eine neue, größere ^raft
erzeugen, ^ann aber fommen in ber Bereinigung lieroor-
ragenbe Gräfte einzelner allen ^ugute. äßenn bie ©tärfften
je^t für fic^ lämpfen, fdmpfen fie and) für bie (3d)mäd)eren;
rcenn bie ©rfa^renften für il)re (Sid)er^eit forgen, für fid^
nac^ SCßeibeplä^en fud)en, tun fie 'c>a§ aud) für bie Un^
erfal)renen. Qe^t mirb e§ aber aud) möglid), eine 5lrbeit§*
teilung unter h^n vereinigten Qnbiüibuen lierbei^ufü^ren,
bie, fo flüd)tig fie fein mag, bod) il)re Gräfte unb il)re (5i(^er^
60 Sic (Stf)if be§ 2)arh)im§mu§
{)eit erl^öl)t. ®§ ift unmöglid), mit üoUfter 5Iufmer!fam!eit
bie Umgebung gu beobarf)ten unb gleirfi^eitig mit üoller
(Semüt§ru^e gu freffen. SÖßä^renb be§ 8d)(afen§ I)at natür*
lid) jebe 9Irt be§ S3eobad)teu§ ein (Snbe. 5(ber in ber 3Ser*
einigung genügt ein 2ßädt)ter, ben übrigen @id)erf)eit beim
5[Raf)le ober ©d£)lafe gu nerlei^ien.
^urrf) bie SlrbeitSteilung mirb nun bie 3Sereinigung ber
Qnbioibuen ein Körper mit t)erfrf)iebenen Organen gu gmecf-
mäßigem ^itfö^^^^^i^'^ß" — "^^ hk^^x Qwed ift bie ©r*
I)Qltung beg ©efamt!örper§ — ; jie mirb ein Drgani§mu§.
^amit ift inbe§ ni(i)t gefagt, ba§ ber neue Organismus,
bie ©efeUfd^aft, in berfelben SOßeife ein Körper fei, rcie ein
2ier ober eine ^ftange, fonbern fie ift ein Organi§mu§
eigener 5lrt, ber fid) t»on jenen beiben meit rmljx nod) unter*
frf)eibet, alS ba§ iier üon ber ^flanje. ®ie beiben be*
ftef)en auS Q^üm of)m ©igenbemegung unb o^m eigenes
33en)u§tfein; bie G5efe(lfd)aft bagegen auS ^nbiüibuen mit
eigener ^emegung unb eigenem ^Semu^tfein. ^at aber
ber tierifd^e Organismus als ganzer (gigenbemegung unb
35emu6tfein, fo fe!)len fie ber ^efeKf^aft ebenfo mie ber
^^Panje. 3Iber bie Qnbioibuen, bie bie ®efellfcf)aft bilben,
fönnen einzelne iljxex TOtglieber mit gunftionen betrauen,
burc^ bie fie bie gefellfd)aftlid)en Gräfte einem ein{)eit(id)en
Sitlen untermerfen unb ein!)eitlic]^e 33eraegungen ber (i5efell=
fc^aft ^eroorrufen.
SlnbererfeitS ftelien Qnbiüibuum unb @efellfd)aft in vid
loferem Qufammen^ng, alS QeKe unb ©efamtorganiSmuS
bei ^ftange unb ^ier. '3)aS ^nbinibuum fann ficE) t)on
einer G5efellfd)aft loSlöfen unb einer anberen anfd)tiegen,
mie bie SluSmanberung bemeift. ®aS ift für eine Qede un*
mögtid), für fie bebeutet bie SoStöfung t»on ber ®efamtf)eit
if)r 5Ibfterben, abgefe{)en t)on einzelnen QeUen befonberer
3lrt, mie ©amen unb (£ier bei 33efrud)tungSt)orgängen.
*pinrüieberum !ann aud) bie ©efedf^aft fid) neue ^nbioibuen
o§ne meitereS, ol)ne irgenbmelc^en ©toffn)ed)feI, irgenbmeld^e
2)ie jovialen triebe 61
gorntüeränberung einverleiben, \va§ fiir einen tierijcf)en
Körper gan^ nnmötjlic^ ift. ®nb(icf) fönnen bie Qnbiüibuen,
rcelc^e hk ®eie((fd)aft bilben, unter Umftänben bie Organe
unb hk Organifation ber ©efellfd)aft änbern, n)ä!)renb etraas
derartiges im tieinf(i)en ober pflan5Ud)en Drganigmu§ au§^
9efd)loffen bleibt.
Qft alfo 'ök @efet(fd)aft ein Organi§mu§, fo bod) fein
tterif(^er, nnb irgenbraeli^e ber ©efellfc^aft eigentümlid)e
(£rfrf)einungen, etiüa potitifd)e, auS ben ©efe^en be§ tierifd)en
Organismus erüären gu rootlen, iftniditminber abgefc^macft,
als raenn man ®igentümlid)!eiten beS tierifd^en Organismus,
wk ©igenbemegung unb 33en)u§tfein, auS ben (SJefe^en beS
pf(an3licf)en ^afeinS ableiten moHte. 9Zatürlid) fod baS x\xd)t
fagen, ba§ eS nid)t aud) ©emeinfameS §n)if(i)en ben ner-
fd^iebenen 5trten t)on Organismen gibt.
2Bie ber tierifcf)e, mirb audE) ber gefel(f(i)aftlic^e um fo
beffer im Kampfe umS ^afein befte!)en, je einf)eitlidE)er feine
SBercegungen , je fefter ber 3^fammen{)alt, je größer bie
Harmonie feiner Steile. Slber hk ®efellfcl)aft l)at fein fefteS
Sfelett, baS bie 2ßeic^teile ftü^t, feine §aut, hie baS ©an^e
umfd)lie§t, feinen 33lutfreiSlauf, ber alle Steile näl)rt, fein
§erg, baS il)n regelt, fein ®el)irn, baS i^re ©rfenntniS, i^ren
Sßillen, i^re ^ercegungen ^u einheitlichen mac^t. Ql)re ©in«
]^eitlicl)feit unb Harmonie fomie il)r Q^f^^^^^^ft^i fönnen
nur aus ben ^anblungen unb bem SßoUen i^rer 9Jlitglieber
entfpringen. ^ieS einl)eitlicf)e SöoUen rcirb aber um fo ge^
fid)erter fein, je me^r eS einem ftarfen 2^riebe entfpringt.
33et ^iergattungen, hei benen ber gefellfcf)aftlid)e Qu--
fammenl)alt gu einer mirffamen SCßaffe im Kampfe umS
'3)afein mirb, ^üd)tü biefer bal)er gef ettfc£)aftlicl)e , fojiate
S^riebe, bie hd mandf)er ©attung unb mand)em J^nbioibuum
gu einer erftaunlicf)en ^raft anmac^fen, fo ha^ fie felbft
hie Slriebe ber (3elbfterl)altung unb ber Fortpflanzung gu
überminben oermögen, menn fie mit biefen in ^onflift
fommen.
62 3)ie Gt^tf be§ ®ormmi§mu§
®en 5lnfang ber fosialeu triebe bürfen wix n)of)l in beut
:3ntereffe fef)cn, ha§ fc^ou ba§ b(o§e gefc((jd)aftlid)e 3^^*
fatnmenleben im Qnbiuibuum für feine ®efä()rten erregt^
an beren @efe((fcf)aft e§ von jung auf geraöf)nt ift. 5tnbercr*
feit§ muffen gortpflanjung nnb (Sorge für bte S^ac^fonimen*
fd)aft bereite für^er ober länger bauernbe engere 33er!)äUnt>fe
gn)iftf)en r)erfd)iebenen J^nbiüibuen ber gleid)en ^rt 'i)^xh^u
füf)ren. Unb mie biefe 33erf)ä(tniffe bte 3Infa^pun!te gur
^ilbung ber G5efe({fd)aften gebilbet f)aben bürften, fo mod)ten
mo!)! hk i^nen entfpre(i)enben triebe bie 2lnfa^punftc jur
(Sntraidlung ber fogialen S^riebe Uefeinx.
^iefe 2^riebe f elbft fönnen je nad) ben t)erfd)iebenen Seben§^
bebingungen ber t)erfcf)iebenen Slrten t)erfdE)ieben fein, aber
eine 9ftei()e t)on trieben bilbet bie 3Sorbebingung für ba§
@ebeif)en jeber 2lrt t»on ©efe((fd)aft. (So nor allem natura
lid) bie (Selbftlofigfeit, bie Eingebung für bie Mgemein*
beit. ®ann bie tapfer feit in ber 3Serteibigung ber ge*
meinfamen ^ntereffen; bie ^reue gegen hk @emeinf(i)aft;
bie Unterorbnung unter hm SDßißen ber @efamtf)eit, alfo
@e!)orfam ober ^iS^iplin; 2ßa^rf)aftig!eit gegen hk
®efe((fd)aft, beren @id)er{)eit man gefäf)rbet ober beren
Gräfte man nergeubet, menn man fie irrefüf)rt, etwa burrf)
falfd)e (Signale, ©nblid) (£f)rgei5, bie ©mpfänglic^feit für
Sob unb 2:abel ber ©ememfd)aft. %a§ aUe^ finb fojiale
triebe, bie mir fd^on in tierif(^en ©efeHfd^aften ausgeprägt
ftnben, manche baoon oft in l)of)em Tla^z.
'3)iefe fojialen Striebe finb aber nid)t§ anbere§ aU bie er*
!)abenften 2^ugenben, if)r Qtibegriff ba§ ©ittengefe^. §ö(i)ften§
f ef)(t unter if)nen nod) hk ©ere(i)tig!eit§liebe, ba§ ift ber ^rang
nad^ (S5Iei(i)^eit. gür beren ©ntrairflung ift in ben tierifc£)en
©efe((fcf)aften freilid) fein ^la^, meil fie nur natürlicf)e,
inbiüibueUe, nid)t aber burd) gefe{(fc^aftlicf)e 3Ser^ältniffe
f)err»orgerufene, fojiale Ungleid)f)eiten fennen. ®a§ erf)abene
8ittengefe^, bag ber (S^enoffe niemals bIofte§ SO^ittel §um
3mecf fein foCIe, meld)eä unfere Kantianer atS bie geraaltigfte
2)ie fojialen Xxkhe 63
Seiftung be§ ^antfc^en ^entii§ unb al§ ha§ „fttt(icf)e ^ro^
gramm ber neuen Qett unb aKev Qufunft ber 3ßeltgef(^t(i)te"
betracf)ten, ift in hen tierifrf)en (^efe(lf(f)aften eine ©elbft^
t)erftcinbltd)feit. (Srft bie (gntintcflung ber ntenfd)Ucf)en (Bzi^lU
fii)aft ^at 3iift«^be gefrf)affen, in benen ber SJ^itgefedfc^aftcr
^um bloßen Sßerfjeug anberer raurbe.
20ßa§ einem ^ant nod) al^ ha§ ^robuft einer l)ö^eren
©eifterraelt erfd)ien, ift ein ^robuft ber ^ienoelt. Sößie eng
hie füjialen triebe mit bem Kampfe um§ "^^afein oermacfifeu
finb unb mie fe^r fie urfprünglirf) nur ber ©r^altung ber
2{rt bienen, erfie^t man fd)on barau§, ba§ il^re SOßirfung
fic^ oft blog auf Qnbit)ibuen erftredt, bereu ©r^altung für
bie )äxt voxkil^a^t ift. ©ine ganje Üieif)e r»on 3:ieren, bie
if)r Seben auf^ «Spiel fe^en, um jüngere ober fc^n)äd)ere
©enoffen ^u retten, tötm unbebenflid) franfe ober alte ©e*
noffen, bie für hk (Srf)a(tung ber 2(rt überf[üffig geraorben
finb unb ber (S5efeIIf(i)aft gur Saft faden. '3)er „moralifci)e
Sinn", bie „©r)mpatl)ie" erftreiJt fid) nid)t auf biefe @(e*
mente. 5(u(i) t)iele Sßilbe fianbeln fo.
@in tierifd)er ^rieb, nid^t§ anbere§ ift ha§ ©ittengefe^.
'3)a^er feine ge!)eimni§t)oKe DIatur, biefe (Stimme in un§,
bie mit feinem äu^er(id)en 5lnfto§, feinem fid^tbaren Qntereffe
gufammen^ngt; biefer '^^cimon ober ©ott, hm feit Sofrate^
unb ^(ato bi§ ^ant jene (£tf)ifer in ficf) empfanben, hk e§
able!)nten, bie @tf)if au§ ber Selbftliebe ober ber Suft ab^
guleiten. @i(i)er ein gel^eimnigootter ^rang, aber nirf)t ge^
f)cimni§t)ofler al^ bie ©ef(^Ied)t§(iebe , bie SJlutter liebe, ber
(Se(bfter^a(tung§trieb, ha§ Sßefen be§ €rgani§mu§ über^
fiaupt unb fo niete anbere '3)inge, bie nur ber ^elt ber
„@rf(i)einungen" ange^i3ren unb bie niemanb al§ ^robufte
einer überfinnlic^en SOßelt anfef)en mirb.
^Ißeil ha§ Sittengefe^ ein tierifc^er ^rieb ift, ber htn
trieben ber Se(bfter!)altung unb gortpflan^ung ebenbürtig,
be6f)alb feine ^raft, bes^alb fein drängen, bem mir o^ne
Überlegen gcf)orcf)en, be§£)alb unfere rafd)e (Sutfrf)cibung in
64 S)ie et^if be§ ©armini^mul
einzelnen gäden, ob eine ganblung gut ober böfe, tugenb*
l)aft ober lafter^aft; be§{)alb bie (£ntfc^ieben!)eit unb (Energie
unfere§ fittli(i)en Urteile, unb be§f)alb bie ©(^rcieingfeit, e§
ju begrünbeu, rcenn bie 33eruunft anfängt, bie ^anblungen
ju gergliebem unb narf) i^ren ©rünben gu fragen, ^ann
finbet man frf)lie6lidf) , t>a^ aUe§ begreifen alle§ tjergei^en
l^ei^t, ba^ al(e§ notraenbig, nid)t§ gut unb böfe ift.
9^ic^t au§ unferem ©rfenntni^nermögen, fonbern au§
unferem ^riebleben flammt mit bem ©ittengefe^ audE) ha^
ftttlid)e Urteil, fomie ba§ ®efiil)l ber ^fli^t unb ba§
©emiffen.
Qu mand^er Siergattung erlangen bie fo^ialen triebe eine
fold)e ^raft, bag fie ftärfer merben al§ alle anberen. ©eraten
jene Slriebe mit biefen in ^'onflüt, bann treten fie ben le^teren
übermächtig al§ Gebote ber $fli(i)t gegenüber. ®a§ ^inbert
jeboii) nid)t, ba§ in einem folrf)en galle üorübergel^enb ein
befonberer Slrieb, etma ber ber ©elbfter^ltung ober ber gort*
Pflanzung, mäcl)tiger n)irb al§ ber fo^iale ^rieb unb biefen
überminbet. Slber ift bie ®efal)r oorüber, fo jd^rumpft bie
^raft be§ (Selbfter^ltung§trieb§ fofort gufammen, ebenfo bie
be§ gortpflangunggtriebS nad) DoUjogener S3egattung. *^er
joviale Slrieb aber bleibt in alter ^raft beftel)en, erlangt nun
mieber bie Ober^errfd^aft im Qnbioibuum unb mirft je^t auf
i^n alg bie ©timme be§ ©erciffenS unb ber Diene. 9ZidE)t§
irriger, im ©emiffen bie ©timme ber gurd)t t)or ben ®e*
noffen, i^rer 9Jleinung ober gar i^rem pl)r)fif(^en 3^'^^9^
ju fel)en. %§ mxtt audl) in bejug auf ^anblungen, bie
niemanb erfal)ren l)at, felbft na(^ §anblungen, bie ber Um^
gebung fe^r prei§raürbig erfd^einen, ja e§ !ann audl) mirfen
al0 5lbfdl)eu üor ^anblimgen, bie man auB gurc^t oor ben
©enoffen unb il)rer öffentlid^en SJleinung unternommen liat.
^ie öffentlidl)e 9Jleinung, Sob unb Stabel finb fidl)er fel)r
einflu§reicl)e gaftoren. Slber il)re 2ßir!ung fe^t felbft fd)on
einen beftimmten fo^ialen Slrieb, ben ©lirgeig ooraul; fie
fönnen hu fojialen 2:riebe nic^t erzeugen.
2)ie fojialen 2^rie6e 65
2Bir ^aben feinen @runb ^ur 2Innaf)me, ba§ ©eraiffen
fei auf ben 9Jlenfd)en befd)rän!t. SÖßir mürben e§ auc^
bei ben 3D^enfd)en fdjraer entbecten, rcenn nidE)t jeber fein
2Dßir!en hei fi(^ felbft empfänbe. ®a§ ©erciffen ift ja
eine ^raft, hk nid)t unrerfennbar unb offenfunbig gutage
tritt fonbern bie nur im J^nnerften be§ 2ßefen§ rcirft. 2Iber
tro^beni finb mand^e gorf(i)er ba!)in gefommen, aud^ bei
ben Vieren eine 5lrt ©erciffen an§une!)men. ©o fagt 'S^arrain
tu feinem ^U(i)e über bie 5lbftammung be§ SJlenfdjen:
„5lu^er Siebe unb ©r)mpatf)ie geigen 3;tere nod) anbere mit
ben foäialen :5nftinften in 3Serbinbung ftef)enbe @igcnfd)aften,
bie man beim SOIenfi^en moraIifd)e nennen mürbe; unb id)
ftimme mit ^Igaffij überein, ha^ §unbe etvoa§ bem ©emiffen
fe{)r äf)nlid^e§ befi^en. §unbe befi^en fidjer ^twa§ ^raft ber
©elbftbel)err[(i)ung, unb biefe fc^etnt md)t gänjltd) ^otge ber
2rurd)t 5U fein. Sföie S3raubadE) bemerft, mirb ein §unb firf) be§
©te^Ien§ oon S^^a^rung in ^lbmefenf)eit fetneg ^erm entf)alten/'
©inb ©emiffen unb ^flicf)tgefü^( eine golge ber bauemben
übermad)t ber fo^ialen Striebe in mantf)er 5;ierart finb biefe
Striebe biejenigen, burii) bie ^nbioibuen fot(i)er 3lrten am
gleic^mägigften unb bauernbften beftimmt merben, mä{)renb
bie ^raft ber anberen Striebe großen (5d)n)anfungen unterliegt
je narf) beftimmten Qeiten unb (Situationen, fo ift bocf) aud^
bie ^raft ber fojialen triebe md)t t)on aden (5d)roan!ungen
frei, ©ine ber eigenartigften @rfcf)einungen ift hk, ia^
fo^iale ^iere, menn fie in größeren SDlengen vereinigt finb,
aud^ ftär!ere fojiale S^riebe empftnben. (£§ ift ^um ^eifpiel
eine be!annte (£rfd)einung, ba^ burd) eine ftar! befui^te
SSerfammlung ein gan^ anberer Quq gefit al§ burd^ eine
f(i)madf) befutf)te, ba§ bie größere 9JZenge allein aud^ auf
t)ie Unebner anfeuemb rcirft. ^n 50^affe finb hk 9Jlenfd)en
Ttid)t b(o§ tapferer, ba§ fönnte man burrf) ben größeren
iRüc!^aIt erflären, ben jeber an hen ©enoffen gu finben
{jlaubt; fie finb aud) felbftlofer, opferrcidiger, begeifterter.
greilic^ bann nur §u oft eimüc^terter, feiger, egoiftifcf)er,
ßautSI^, etf)tf unb materialtftifdie @erc^icl)t^auffaffung. 5
66 3)ie ©f)i! bc§ ®orn3mi§mu§
Trenn jie ftcf) rcieber aUcin fü()Icn. Unb ha^' gUt nid)t blo§
t)on ben 5iJlenfd)en, fonbern aurf) von jovialen Vieren. @o
j^itiert ®§pina§ in feinem ^uc^e über „^ie tierif d)en ©efcU*
fd)aften" eine SScobac^tung g*^^'^^^- '3)iefer fanb:
„^er SJlut jeber 5(meife nimmt bei berfelben g^orm im qe-^
raben 3Serf)äItm§ mit bcr 3«^^ i^>-'^^' ©e[cit)rteu ober ^^reunbc
gu unb ebenfo im geraben 3Ser{)äItni§ ah, je ifolierter fie von
i^ren ®efäf)rten tft. lieber SSeroo^ner eine§ fef)r t)o(freicf)en
2Imeifenbauc§ ift oiel mutiger al§ ein im übrigen ganj gleid)er
au§ einer fef)r üeinen SSeoöIferung. ^iefelbe 3Irbeiterin, bie
fid) inmitten if)rer ®efäf)rten 5ef)nmat töten laßt, mirb fid^
auperorbentUcf) fur(^tfam seigen, bie geringfte @efaf)r t)er=
meiben, fetbft cor einer oiel fd)n)cid)eren ^^Imei[e flief)en, fobalb
fie fid) gman^ig ©diritte oon il^rem SSaue allein befinbet."
50flit bem ftdrfeten fojialen ©mpfinben ntu§ nid)t not*
jüenbigerraeife ein pf)ere§ (£rfenntni§üermögen üerbunben
fein. Qm atigemeinen bürfte jeber 2rieb fogar bie ^enbenj
I)aben, bie 2reue ber ®rfenntni§ ber ^lugenmelt etma§ gu
trüben. 2ßa§ man iüünfd)t, ba§ glanbt man gern, aber
mag man fürd)tet, üergrößert man a\\^ oft leid)t. '2)ie %xkhe
mirfen baf)in, bag teid)t mand^e ^inge unocrf)ä[tni6mäf3ig
gro^ ober nal)e erfd)einen, anbere überfe{)en merben. 2ßie
blinb unb taub ber gortpflan^unggtrieb manche ^iere geit*
meife mad)en fann, ift befannt. ®ie fojialen triebe, bie
nid)t fo a!ut unb intenfio auftreten, trüben im allgemeinen
meniger ba§ ©rfenntnisoermögen, fönnen e§ aber unter
Umftänben bod) aud) fef)r beeinfluffen. ?iJlan ben!e nur
jum ^eifpiel an bie 3ßirfungen ber ^reue unb ber %{§'
gipUu bei ben @d)afen, bie bem Seitl)ammel blinb tiug§
nad)folgen, moI)in immer e§ gelten mag.
%a§ Sittengefe^ in un§ !anu unfere ®r!cnntni§ ebenfo
fätfd)en mie jeber anbere ^rieb. @§ felbft ift meber ein
^robuft t)on 3ößei§l)eit, no^ erzeugt e§ 3ßei§^eit. 2öa§ an*
geblid) ba§ (gr^abenfte unb (^öttlid)fte in un§ fein foll, ift
x)on gleichem äßefen mit bem, ma§ al§ baä ©emeinfte unb
2)ie fojialen Zxkhe 67
^euflifcE)fte in un§ angefef)en tütrb. '3)a§ Stttengefe^ ift
gleid)er Statur mit bem gortpflan^ungStrieb. 9^icf)t§ läi^er«
lid^er, al§ rcenn man jene§ überfi^raenglid^ erf)ebt unb biefen
mit SSerac^tung unb 2lbf(f)eu üon fid) weift. 5Iber m6)t
minber irrig ift e§, ju glauben, ber 50^enfc^ fönne unb fode
alkn feinen 3:rieben ofine @inf(^rän!ung folgen, fie feien ade
gleicf) gut. ^a§ le^tere ift infomeit richtig, ai§ man üon
feinem fagen fann, er fei tjenoerfUrf). 3Iber bamit ift nid)t
gefagt, ba§ fie fidf) ni(^t fef)r oft in bie Ouere fommen
fönnen. (£§ ift einfarf) unmöglid), ba§ ber 30^enfd) allen
feinen Meben ol)ne @infcl)rctnfung folgt, meil fie fid) felbft
gegenfeitig einfcl)rän!en. 2ßelcl)er aber in einem gegebenen
3Jloment obfiegt unb vodd)e ^oIqzxi biefer @ieg für ha^
Qnbiütbuum unb feine (S^efellfcf)aft nad) fid) 5iel)t, ^ängt
üon fel)r t)ielen Umftänben ab, babei f)ilft un§ meber bie
®tl)i! ber Suft nod) bie eines (Sittengefe^e§, ba§ au^erl)alb
be5 9ftaume§ unb ber Qeit ftel)t.
3ft ba§ ©ittengefe^ aber einmal al§ fogialer ^rieb er-
fannt, ber mie alle triebe burrf) ben ^ampf um§ ®afein
in un§ ge5Üd)tet mirb, bann ^at bie überfinnlicl)e 2ßelt ein
ftarfe ©runblage im menfd)(ic^en ^enfen üerloren. ^ie
naiüen ©ötter be§ ^oli)tl)ei§mu§ maren fd)on burd) bie
9^aturpl)ilofopl)ie entt!)ront morben. 2ßenn tro^bem eine
neue ^^ilofopl)ie erftel)en fonnte, bie 'C)^n Glauben an @ott
unb eine überfinnlid)e 2Belt nid)t nur roieberermedte, fonbem
in l)ö^erer gorm fefter begrünbete, mie hu§ im Slltertum
^lato, am SSorabenb ber franjöfifd)en S^tenolution ^ant
tat, fo mar bie Urfad)e baoon ba§ Problem be§ Sitten*
gefe^eg, gu beffen ©rflärung meber feine 5lbleitung au§ bet
Suft noc^ bie au§ bem „moralifc^en ©inne" au§reid)te —
hk einzige „natürlid)e", faufale ©rflärung, bie möglich
fc^ien. ®rft ber ^armini^mug i)at ber babiirc^ lieroor*
gerufenen Qmeiteilung be§ 5D^enfd)en in einen natürlid)en,
tierifd)en unb einen übernatürlid)en, l)immlifd)en ein @nbe
gemad)t.
68 2)ie (2tf)tf be§ 5)armim§mu§
2(ber nod) rcar bamit ni(^t ha§ gan^c et{)ifd)e Problem
gelöft: Saffen fi(^ audf) ber ftttU(i)e ®rang, ^flid)t unb
©eroiffen, foiüie bie örunbtripen ber Stugcnben au§ hm
fojialen S^rieben erflären, fo üerfagen biefe bod), rco e§ ftd)
um bie (Srflärung be§ fittli^en Qbeal^ i)anbelt. ^anon
tft in ber Sierraelt au(^ ni(f)t ber leifefte Steint §u entbecfeu.
9^ur ber SJlenfcf) ift imftanbe, fid) S"^^^^^ 8^ f^^^^ ^^"^
i^nen juguftreben. 2ßo!)er rül)ren bicfe? ©inb fie bem
SD^enfc^engeftf)(erf)t t)om beginn feiner Qqü an üorgejeid^net
aU unt)err lief bare ©ebote ber Statur ober einer ercigen 35er*
nunft; al§ (S^ebote, bie nid)t ber ?iJlenf(^ erzeugt, fonbern
bie bem 5iJlenfrf)en al§ i^n be{)errfd)cnbe ©eraalten entgegen*
treten, unb bie if)m feine Qiele meifen, benen er fitf) immer
me!)r gu näl)ern l)at? ®ag mar im ©raube bie 5lnfd)auung
aller i)enfer beg a(i)tjel)nten Qa^rf)nnbert§, ber 3ltl)eiften
lüie ber 2:l)eiften, ber 3DRaterialiften mie ber Qbealiften. ®iefe
5lnfcl)auung nal)m felbft im SJlunbe be§ !ül)nften 5*Jlateria*
li§mu§ hk Slenben§ gur 33orau§fe^ung einer übernatürlicl)en
S5orfel)ung an, bie grcar nid)t§ mel)r in ber Statur p tun
!)at, aber nod) über ber menfd)lid)en ©efellfcl)aft fi^raebt.
^er @ntn)i(flung§geban!e, ber bie Slbftammung be§ 50^en*
fd)en au§ ber ^iermelt erfannte, mad)te biefe 2(rt Qbeali^*
tnug in materialiftifc^em SJlunbe üoUenb^ abfurb.
Qnbe§, el)e noc^ Karmin feine epod)emac^enbe 3:^eorie
begrünbete, mar fd^on jene Sel)re erftanben, bie aud) ba§
©e^eimni§ be§ fittli(i)en ^beal§ entl)üllte. ©^ mar hk
£el)re r>on (SngeU unb SJlarj;.
V. Die etölK des marflsmus.
1. Die lüurzeln der materialiftif(|)en eefdtjttötsauffalTung.
^ie rafrf)en gortfrf)rttte ber 9^aturtt)iffenf(i)aften fett ber
frangöfifd)en 9let)oIutton Rängen eng jufammen mit betn
Sluffc^raung, hzn ber Kapitalismus feitbetn nai)m. ®te
fapitaliftifc^e ©roginbuftrie beru{)te immer me^r auf ber
Slnmenbung ber 9^aturTüiffenfd)aft unb ^atU ba^er aUe
Urfad)e, if)r SO^enfcf)en unb SJlittel 5usufü{)ren. "^ie neue
2ect)ni! lieferte aber ber 9^atum)iffenfcl)aft nid^t blog neue
Dbjefte ber Betätigung, fonbern aud^ neue 2ßerf§euge unb
9Jletl)oben. "^er internationale 3Ser!el)r enbli(^ bra(f)te i^r
maffenl)afteB neueS 9Jlaterial. ©o gemann fie Kraft unb
9Jlittel, hzn (SntmicflungSgebanfen ftegreicl) burcf)5ufül)ren.
3(ber me^r nocl) als für hk S'Zaturmiffenfdiaften bebeutete
für bie 2ßiffenfd)aft t)on ber ©efetlfcl)aft, bie fogenannten
©eifteSn)iffenfcl)aften, bie fran5Öfifcl)e 9f^et)olution eine ©pod^e.
*3)enn in ber 9flaturn)iffenfcl)aft §atte fiel) ber @ntmic!lungS«
gebanfe fcl)on t)orl)er bei manchen ^enfern mäd)tig geregt.
Qu hzn ®eifteSn)iffenfcl)aften bagegen mar er vox ber 9let)o«
lution nur in ben fümmerlic^ften 2lnfä^en §u finben gemefen.
@rft feit ber 9ieüolution fonnte er fid) in il)nen entmicteln.
^ie @eifteSmiffenf(i)aften — ^^ilofopl)ie, 9fted)t ©efc^ic^te,
politifd)e Cfonomie — maren t)or ber ^teüolution für bie auf^
ftrebenbe Bourgeoifie vox allem SiHittel be§ Kampfes gegen
bie il)r miberftrebenben ^errfcl)enben polttifd)en unb fojialen
5*JläcE)te gemefen, bie in ber 3Sergangenl)eit murmelten. ®ie
^^ergangenf)eit ^u biSfrebitieren unb il)r gegenüber bie Qiele
ber 33ourgeoifte, baS DZeue, baS Kommenbe als baS einzig
70 2)ie etfjif be§ 9J?Qr|-i§mu§
SSernünftige unb ©utc f)in5ufteüen, bilbete bie Hauptaufgabe
biefer 2ßtffenfrf)aften.
"3)01 änberte ftd) feit ber 9let)olutton. '3)tefe bracE)te ber
$8ourgeoifte im rDefent(id)eu, \va§ fie braud)te. 8ie entl)ü((te
i^r aber and) feciale ^ä(i)iz, bie tneiter ftrebten, a(§ fie
felbft, bie über ba§ ^inau§it)oHten, wa§ bie ^ieuolution ge-
bracht. ®iefe neuen 9Jläc£)te fingen an, if)r gefä^rlirf)er gu
erfcf)einen ai§ bie tiefte ber niebergeinorfenen alten. (Bxd)
mit le^teren auf guten gug ju fteden, mürbe ein ®ebot
politifi^er ^lug{)cit für bie ^ourgeoifie. ^amit mugte aber
aud) i^r Urteil über bie 3Sergangen{)eit ein mitbere§ merben.
5(nbererfeit§ ^atte gerabe ben Qbeologen bie Üteüolution
eine groge @nttäufd)ung gebracht, ©o @ro§e§ fie für bie
Söourgeoifie geleiftet i)atU, fo rceit mar fie f)inter h^n ®r*
martungen auf ein ^armonifc^e§ 9teid) ber „<Sitten", all=
gemeinen 2ßot)lftanbe§ unb ©(ü(fe§ gurüiigeblieben, bie man
an ben Umfturg be§ 2llten gefnüpft. Tlan magte nicf)t met)r,
auf 9^eue§ ju fioffen; je unbefinebigenber bie ©egenmart,
je abf(i)redenber bie (Erinnerungen an bie jüngfte SSergangen-
l^eit, meld)e biefe ©egenmart gezeitigt, befto t)er!(ärter er-
fd)ien bie ferne 33ergangen^eit. ^a§ erzeugte befanntlid) in
ber ^unft bie ^ftomantif. 2lber e§ erzeugte eine äl)nlic^e 9ii(i)*
tung in ben ®eifte§miffenf(^aften. 3D]an fing an, bie 5ßer*
gangent)eit gu erforf(i)en, nic^t um fie gu verurteilen,
fonbern um fie gu begreifen; nicf)t um fie ai§ 2öal)n*
finn l)insuftellen, fonbern um il)re 3Sernünftig!eit gu
erfaffen.
Slber bie Oleüolution l)atte ju grünblid) gearbeitet, al§
ba§ man ll)ätte im (Srnft baran benfen fönnen, bie guftänbe,
bie fie befeitigt, mieber l)erguftellen. SCßar ba§ SSergangene
t)ernünftig gemefen, fo mu^te man borf) erfennen, ha^i e§
unvernünftig, unmöglich gemorben mar. %a§ gefellfd)aftlic^
^Vernünftige unb 9^otmenbige l)örte bamit auf, al§ ein un*
manbelbarer begriff gu erfd)einen. ©o erftanb hk ^In*
fd^auung einer fo^ialen ©ntmidlung.
®ie SBur^eln ber materialiftifd^en ©efc^ic^tiSauffaffung 71
•2)ag galt gunä(i)ft für bte ©rfenntniä ber beutfc^en
^or^eit. ^n ®eutf(i)lanb üoUjog fid£) ber ehen gefc^ilberte
^rojeg am auffaHettbften. ^ort tr»ar bie rerotuttonäre *2)enfs
ireife ntd)t fo tief gebrungen, f)atte nt(i)t fo ftarfe SBur^eln
gefaxt raie in granfreirf), ^atte bie 9iet)oIution and) nic^t
fo grünblic^ gerairft, ^attc fie bie 9}Zärf)te unb 2(nfd)auungen
ber 3Sergangen{)eit rceniger erfd)üttert, unb rcar fie fd)lieg(id)
mti)X ciB t)eri)eerenbe§ n>ie al§ befreienbeg (Clement aufgetreten.
Slber sum ©tubium ber beutfcf)en QSorgeit gefeilte firf) bie
©rforfi^ung ä^nlic^er ^erioben. ^n 3lmerifa raar ba§ junge
©emeinraefen ber ^bereinigten Staaten §u beginn be§ neun*
geeinten 3af)r!)unbert§ fo mit, ba§ fidE) bort eine eigene
klaffe ber intelligent entn)ic!elte, eine eigene amernfanifc^e
SöeHetrifti! unb 2ßiffenf(^aft. 2Ba§ 3(merifa t)on ©uropa
befonber§ unterfd)ieb, rcar aber ba§ enge ^ufammenleben
ber fapitaliftifc^en Qirilifation ber 2ßeit3en mit ber inbiani*
fd^en Barbarei. ®iefe mürbe ba§ Objeft, "t^a^ ^elletrifti!
unb 2ßiffenfd)aft befonber§ anjog. ^alb nai^ ber beutfd)en
tRomanti! entftanb ber amerifanifi^e Qnbianerroman, unb
balb nad) ber l)iftorif(i)en 9ie(^t§f(jE)ule, ber SS^ieberbelebung
ber alten 3!Jlärcf)en* imb ©agenmelt unb ber t)ergleicf)en*
ben (5pradl)forf(^ung in ^eutfc^Ianb bie miffenfc^afttic^e
Unterfud)ung ber fo^ialen unb fprad£)IidE)en 3Serl)ältniffe ber
^nbianer in 3lmeri!a.
5rül)er fcl)on ^atte aber hu JJeftfe^ung ber ©nglänber
in Oftinbien bie 9JlögIid)!eit, ja bie S^otmenbigfeit ber (Sr-
forfd^ung ber ©prad)en, ber (Sitten, be§ O^ec^teS biefe§
@ebiet§ mit fid^ gebra(i)t. 58i§ nad) ^eutfcfilanb brang
im Einfang be§ neun§el)nten :3txl)rl)unbertl hk Kenntnis be§
©an§!rit, momit bie ©runblage gur t)ergleicE)enben ©prad)*
forfcl)ung gelegt mürbe, bie bann il)rerfeit§ mieber eine Diei^e
ber midl)tigften ©inblide in ha§ Seben ber inbogermanifcl)en
SSölfer in il)rer Urzeit geftattete.
5ltle» ba§ ermöglicl)te e§ aber nun aurf), bie SiHitteilungen
jiüilifierter ^eobad^ter über 9^aturoöl!er fomie hk Junbe oou
72 S)ie @tl^i! be§ 2Warjiämu0
Söaffcn unb SSerf^eugen au§geftorbener 93öl!er anberg ju
be{)anbeln alg e{)ebem, jdo mau fie nur aU ^uviofa auf-
gefagt f)atte. ©te rcurben je^t 9Jlaterialten, bie einmal
bloßgelegten ^eile ber ^ük ber gefellfcl)aftlid)en ©ntraicflung
nad) rütoärtS gu verlängern unb mand)e il)rer Surfen gu
fc^tiegen.
^ei biefer gangen gefd)t(i)tlt^en 3lrbeit fel)lte aber ba§
Objeft, baä h\§ ba^in bie gange ©efcl)ici^tfd)reibung be*
l)errfrf)t: ba§ ^eroorragenbe menfc^lid)e :3nbit)tbuum. Qn
ben gefcl)rtebenen OueUen, au§ benen el)ebem au§fd)lieglicl)
bie ^enntnig ber menfd)l)eitlid)en (S5efcl)ic^te gefrf)öpft rcorben,
^att^ ftd^ nur ba§ 2lu§erorbentlicl)e t)ergeicf)net gefunben, weil
e§ ba§ einzige rcar, \va§ bem '3)arftelter ber ©reigniffe feiner
3eit bemer!en§n)ert erfd)ien. 2Ber mocl)te barftelten, n)a§ all*
täglid) mar, alle SOßelt rcugte! %zx au§erorbentlirf)e 5[Renfd),
bie au§erorbentli(i)e (Srfcl)einung, vok ^rieg unb ^fleoolution,
erfd)ienen allein ber Überlieferung rcert. @o rcar benn aud^
für bie ^er!ömmlid)e @efc^icf)tfd)reibung, bie nicl)t§ tat, al§
bie überlieferten Cluellen mit me^r ober menig ^riti! abgu*
fd^reiben, ber große SORenfcl) ber SJZotor ber ®efcl)id)te; im
Zeitalter ber geubalität ber ^önig, ber 5elbf)err, ber
^eligiongftifter unb ^riefter. Qm adjt^^fyxUn Qal)r^unbert
rcurben bann üon ber bürgerlicl)en J^utelligeng gerabe biefe
(Elemente §u ben Urliebern alle§ ^öfen in ber 2ßelt ge*
ftempelt unb bafür bie ^l)ilofopl)en al§ ©efe^geber unb
£el)rer gu 'bm einzigen Prägern mirflicl)en gortf(i)ritt§ er^
l^oben. 5lber aller gortfcl)ritt fcf)ien nur ein äußerlicl)er gu
fein, ein bloge§ 2Becl)feln ber S^oftüme. Qene Qeit, in ber
bie DueUen ber ©efd)icl)tfcl)reibung reicl)lid)er gu fließen be^
gannen, bie Qeit be§ 8iege§ ber ©riecl)en über bie perfifcl)e
J^uüafion, bebeutete gerabe einen §öl)epun!t gefellfd)aftlid£)er
©ntmidlung. 3Son ba an fing bie ©efellfi^aft in ben Säubern
be§ 50^ittelmeere§ an, fic^ aufgulöfen, e§ ging bergab mit
il)r hx§ gur Barbarei ber ^Sölferiuanberung. 9^ur langfam
l)atten fid) bie QSölfer @uropa§ feitbem lüieber gefellfd)aftlid)
2)te SBurjeln ber matertaltftifd^en ©cfd^ic^t^auffoffung 73
f)ö^ex entvoiddi, unb felbft im aditje^nten Qa^r!)unbert
l^atten fie ba^ Df^beau be§ flaffifi^en 3lttertum§ nod) nic^t
rceit über] (^ritten, fonnte biefe§ in manchen fünften ber
^olitit ber ^f)iIofop^ie unb namentlirf) ber ^unft noc^ al§
Tjorbilb(id) gelten.
^ie gan§e @efc^id)te erfd)ien baf)er all ein bIo§ 3luf unb
S^^ieber, ein SÖßieber^olen besjelben ^reillaufl, unb 'öa ba§
einzelne Qnbit)ibuum firf) ftet§ größere Qiele fteden !ann,
al§ e§ err ei(i)t, 'ta e§ alfo in ber Siegel „f (^eitert", fo er^
fc^ien biefer Kreislauf al§ eine grauftge ^ragifomöbie, in
ber aurf) bie @rf)abenften unb ©tärfften ju unglüdlid)en
9toUen üerurteilt rcaren.
©anj anberl bie Urgefrf)id)te. @ie rcie i^re einzelnen
gädf)er, 9lecf)tlgefrf)id)te, ©prad^oergleic^ung, 3Söl!erfunbe,
finben in bm ^eugniffen, bk fie ©erarbeiten, nid)t ba§
3lu6erorbentlid)e unb Qnbiüibuelle, fonbem ha§ 3ltttäglid)e
unb ß5eraöf)nlid)e ner^eid)net. 2lber gerabe haxin tann hk
Urgef(i)id)te gang fieser eine Sinie fortf(^reitenber ©ntrairf*
lung verfolgen. Unb je me^r i^r ?iJlaterial rcäc^ft, je me^r
fie ®Ieic^artige§ mit ©Ieid)artigem gu t)ergleid)en vermag,
befto me!)r entbedt fie auc^, ba^ biefe ©ntmidlung feine
zufällige, fonbem eine gefe^mägige ift. ^ag SiJlaterial, ba§
i^r gu ©ebote fte^t, finb aber auf ber einen <BexU Statfad)en
ber i^ec^nü, auf ber anberen foIcf)e bei 9te(i)te§ unb ber
©itte, ber Oleligion. '3)ie ©efe^mä^igfeit f)erftel(en t)k^
ba nic!)t§ anbere§, al§ hk 2ecf)ni! mit ben re(i)tlicf)en,
fittlic^en, religiöfen 5(nfd)auungen in einen faufalen Qu^
fammen^ng bringen of)ne 3^^i^f^^^^^ß au§erorbent(ic^er
©reigniffe unb Qnbinibuen.
tiefer gufammenf)ang mürbe aber gleicEigeitig t)on einer
anberen ©eite f)er aufgefunben burd^ bie ©tatiftif.
(Solange bie ©emeinbe bie rai(i)tigfte ö!onomifd}e ^n^
ftitution mar, beburfte man faum einer ©tatiftif. Qu ber
©emeinbe rcaren bie 33erf)ältniffe in ber Ülegel k\d)t über-
fid)t(id). ^Iber aud) menn man ba eine Statiftif aufftedte.
74 S)ie (St^tf bc§ 9Warjiginu§
fonnte fie faum gu :Diffenf(i)aft(ic^en 33eobacf)tungen aw
regen, ba bei ber ^leint)eit ber 3af)(eu ba§ ©efe^mäßtge ju
Tüentg gut ©eltung tarn. ^a§ mugte fic^ dnbem, al§ bie
!apitaliftifd)e ^robuftionSrcetfe bie mobemen (Staaten f(f)uf,
bie nid^t blo^, raie bie früheren, Qnfammen^änfungen von
©emeinben nnb GJanen bilbeten, fonbent ein{)eitUd)e 5^övper
mit n)id)tigen öfünomiid)en gnnftionen. ^lugerbem aber
entmicfelte bie fapitaliftifd)e ^$robuftion§n)eife nid)t blog ben
«Staat jum inneren ^axtt, fonbern baneben nod) ben SOßelt*
mar!t. %a§ ergab meitüer^raeigte gtif^intmen^änge, bie o()ne
bie SJlittel ber ©tatiftif gn überf(i)anen gan§ unmöglid) war.
SBegrünbet jn praftifcf)en Qraeden ber ©tenererl)ebnng nnb
9fle!mtenflellnng, beg 3ofin)efen§, enblitf) ber 3Serfid)ening§<
gefeltf(i)aften, ergriff fie immer meitere (3^hkk nnb lieferte
fie fd)lie6Iic^ ein 9}iaterial t>on SD^affenbeobadE)tnngen, ha^
©efe^e aufroieB, bie anfmerffamen 33earbeitern be§ 9Jlaterial§
anffallen mngten. ^n ©nglanb !am e§ fd)on gn @nbe be§
fieb^e^nten Qal)r]^unbert§ feit $ettt) gn einer „poIitif(i)en
5lritf)meti!", mobei aber @rf)ä^nngen nod) eine groge 9iot(e
fpielten. Qu beginn be§ neunzehnten Qabr!)unbert§ mar
jebocf) bie 9Jlett)obe ber ftatiftifc{)en 5lufnal)men fcf)on fo
t)ert)o(l!ommnet unb maren if)re (SJebiete fo mannigfaltig,
ba^ man in ber Sage mar, mit ber größten (Sid)er!)eit ba§
GJefe^mägige in bem §anbeln üon größeren 5[Renfd)cnmaffen
ju entberfen. ^er Belgier D-uetelet mar e§, ber in b^n
breißiger Qa^ren auf biefe 2ßeife ben 3Serfud^ mad)te, eine
^^^fiologie ber menfd)li(^en ©efellfcf)aft bar^ufteKen.
5ll§ ba§ ^eftimmenbe in ben 3Seränberungen ber §anb«
lungen ber ?[Renfd)en fanben fid^ babei aber ftetä materielle,
in ber 9ftegel ö!onomifd)e 33eränberungen. 80 mürbe hk
3lbf)ängig!eit ber Qw unb 3lbnal)me ber ^erbre(i)en, ber
©elbftmorbe, ber ®^efd)liegungen üon ber Qu* unb 2Ibna^mc
ber (SJetreibepreife feftgeftellt.
^id)t etrca, al§ ob ö!onomifd)e SiJlotioe allein gum Set*
fpiel hk Urfad)en mären, t>a^ @l)en überliaupt gefd^loffen
2)ie SSurseln bet materialifttfc^en ®efc^{(f)t§ouffoffung 75
Tücrben. 9Ztemanb wirb ben G5ejd)Ie(i)t§tneb für ün btonom'u
frf)e§ SJlotb erüären lüoden. 2(ber bie 3}eränberung in
ber iä!)rlid)en Qaf)! ber (£f)efd)lte§ungen rcirb burc^ SSer-
änberungen in ber ö!onomtf(i)cn Sage ^erwrgerufen.
'tJl^htn alten biefen nenen 2öiffenf(i)aften ift enblid) noc^
3U errcöEinen eine Slnbenmg im Sf)ara!ter eine§ Seili ber
neueren G5efd)icf)tf(f)reibung. %k fran^öftfdje 9iet)oIution
rcar fo beutlirf) aU £(a|fen!ampf aufgetreten, ba^ ntrf)t nur
i^re @efd)irf)tf(^retber ha§ anerfennen mußten, fonbern ein
^eit ber §iftorifer barau§ bie Slnregung fd)öpfte, aud) in
anberen ^erioben ber (^efcE)t(^te bie SRoIle ber ^(affenfämpfe
3U erforfd)en unb in i^nen hk 2:riebfräfte ber gefel(fd)aftlirf)en
©ntmicflung gu entbeden. ^ie klaffen finb aber mieber
^in ^robuft ber ö!onomiftf)en ©tmftur ber ^efellfd^aft,
unb aul biefer entftammen and) bie Q^egenfä^e, alfo bie
kämpfe ber klaffen. 2Ba§ jebe klaffe gufammen^lt, rva^
fte von ben anberen klaffen fonbert, it)ren ©egenfa^ gu
biefen befttmmt, ha§ ift i^r eigenartige^ ^laffenintereffe,
eine neue 5trt t)on Qntereffe, von ber fein (£tf)ifer be§ ac^t*
ge{)nten Qa!)r^unbert§ eine 5If)nung {)atte, meld^er Diid^tung
er immer angeijören mochte.
5[Rit allen biefen gortfd^ritten unb @ntbe(fungen, bie frei*
lief) oft nur ftiitoeife unb feine§n)eg§ immer ganj !lar ^u*
tage lagen, rcaren in ben üierjiger 3al)ren be§ neunjel)nten
^al)rl)unbert§ alle n)efentlicf)en (Elemente ber mateinaliftifcf)en
©efcf)id)t§auffaffung gegeben, ©ie darrten nur nod) ber
9JIeifter, hk fie be^ein:fcf)ten unb ju einem einl)eitlid)en ©e^
bilbe vereinigten. %a§ l)aben befanntlid) (£ngel§ unb ?Okrj
geleiftet.
9^ur fo tiefen "^enfern mie il)nen mürbe eine berartige
Seiftung möglief). S^fofern mar biefe if)r perfönlicf)e§ ^2ßerf.
2fber feinem @ngel§, feinem Waxx märe fie möglief) gemefen
im ad)t3el)nten3af)r^unbert, el)e aUe bie neuen 2ßiffenf Gräften
eine genügenbe 50^enge neuer 9^efultate gezeitigt l)atten.
Slnbererfeit^ l)ätte mol)l ein Wlann oon bem ©enie eine§
76 25ie (5tt)if be§ ä>?oryi§mug
§elt)etiu§ ober etnc§ 2ant aucf) bie materialiftifc^e ©efrf)icE)t§*
Quffaffung entbecfen fönnen, rcenn ^u feiner Qeit i^re rctffen^
fcf)aftlid)en 3Sorbebingimgen gegeben rcaren. ©nblid) aber
Ratten and) @ngel§ unb 9Jlarj tro^ i^re§ ^enie^ unb tro^
ber QSorarbeit, n)elcf)e bie nenen 20ßiffenfd)Qften geleiftet, aud)
in ben üierj^iger J^af)ren be§ neunzehnten ^a{)r!)unbert§ e§
nic^t x)ennod)t, bie materialiftiid)e ®efd^ic^t§auffaffung gu
entberfen, rcenn fie nirf)t auf bem Stanbpunft beg ^role^*
tariatg ftanben, alfo ©o§iatiften rcaren. 3Iud) ba§ lüar
unbebingt notnjenbig, um biefe ©efd)id)t§auffaffung gu ent*
bed en. ©ie ift in biefem (Sinne eine proletarifd)e ^f)iIofopt)ie
unb bie i^x entgegenftef)enben 3lnfd)auungen finb bürgerlid)e
^()iIofopf)ien.
^a§ Sluffommen be§ (£ntn)ic!lung§gebanfen§ in ben (S)e=
fellfd)aft§n)iffenfrf)aften fiel in eine Q^it ber Dieaftion, a[§
3unäd)ft eine SOßeiterentroicflung ber ©efeUfi^aft nirf)t in
grage ftanb, ber ©ntrcidlungsgebanfe nur ber ©rflärung
ber big^erigen ©ntraicflung biente unb bamit aud) in ge=
rciffem ©inne ber ^ed)tfertigung, ja mitunter ber 3Ser!Iärung
be§ ^emefenen. ©o mie burd) hk 9^omantif gef)t aud) burc^
bie f)iftorifd)e (5d)ule ber 9^ed)tsiiüiffenfd)aft, ge{)t burd) bag
ganje Stubium ber SSor^eit, felbft burd) bie ©ansfritforfd)ung
— man erinnere fid) gum 33eifpiel be^ ^ubb^i§mu§ (Sd)opens
^auer§ — , in ben erftenQa^rzef)nten be§ vorigen 3al)rl)unbert§
ein reaftionärer Qug. ©benfo burd) jene ^^ilofop!)ie, bie ben
@ntn)id(ung§geban!en biefer (£pod)e gum 9Jlittelpun!t il)re§
(5^ftem§ mad)te, bie §egelfd)e. ^ud^ fie foUte nur bie SSer^
l^immelung ber bi§!)erigen (Sntmidtung fein, bie aber nun
\l)xm enbgültigen 5(bfd)lug gu finben f)abe in ber 9Jlonard)ie
t)on (Spottes ©naben. 5(l§ reaftionäre $f)ilofop^ie mu^te biefe
^^ilofopfjie ber ©ntrcidlung jebod) aud) eine ibeatiftifd)e
^f)i(ofopl)ie fein, benn bie (Segenroart, bie 2Bir!(ii^feit, ftanb
in gu großem SCBiberfpruc^ §u i^ren reaftionären Slenbengen.
m§ bie 2ßirflid)feit, ha§ f)ei§t bie fapitaliftifd)e G^efeö^
fd)aft mieber fo n^eit mar, fid) biefen 2:enben5en gegenüber
2)tc SBurjeln ber matertQliftif(l}en ®e[c^tc^t§auffof[ung 77
rcirÜid^ burdijufe^en, rcurbe bie ibealiftti(i)e (£ntroid(ung§^
;)^iIofopf)te unmöglich. Sie rourbe überraunben burd) einen
me^r ober weniger offenen 9)lateriali§mu§. SIber mir t)om-
proletarifrf)en ©tanbpnnft au§ mar: e§ möglid^, nnn h^n
(S)ebanfen ber gefeKfrfjaftüc^en (£ntn)ic!lung in§ 9)]ateria*
Iiftif(i)e p überfe^en, ha§ f)eigt in ber ©egenrcart eine nad)
natumotraenbigen ©efe^en oor fic^ ge!)enbe gefe(lfrf)aftlt(^e
®ntn)i(flung jn erfennen. ®ie ^onrgeoifie mngte fid) jebem
<5)eban!en einer weiteren ge]ellf(i)aft(td)en ©ntraicflung oer=
fd)Iie§en unb jebe ®ntn)idIung§p{)ilofopf)ie t)on fid) ablehnen,
hk bie ©ntraidlnng ber 3Sergangenf)eit nic^t b(o§ erforfd)te,
um biefe §u begreifen, fonbern aud), um bie 2;enb engen gu
einerneuen@efellfd)aftber3ufunft ^u erfennen unb 2ö äffen
gu fd)mieben für ben^ampf ber ©egenmart, berbeftimmt
ift, biefe ®efeIIfd)aft§form ber Qufunft Iierbeigufü^ren.
(Sobalb bie ^eriobe ber geiftigen Dieaftion nad) ber großen
iReüoIution übeniDunben mar, bie Sourgeoifie mieber @elbft=
gefü!)l unb Tladjt gemann unb aller !ünftlerifd)en unb
p§ilofop^ifc^en 9iomanti! ein (£nbe mad^te, um hen WaU^
riati§mu§ gu proüamieren, fonnte fie bod) nid)t §um ^iftori«
fd)en 5JlateiiaIi§mu§ übergeben, ©o fef)r biefer in ben Qeit-
nertjältniffen begrünbet mar, fo lag e§ nid)t minber in il)nen
begrünbet, bag er nur gur ^^l)ilofopl)ie be§ Proletariats
merben fonnte, bag er oon ber äßiffenfc^aft, forceit fie im
^annfreiS ber ^ourgeoifie mar, abgelel)nt mürbe, fo fe^r
abgelel)nt, ha^ felbft ber fosialiftifd)e 3}erfaffer ber (55efd)id)te
be§ gj^aterialiSmuS, Gilbert Sauge, bort ^arl 5Jlar£ nur al§
£)fonomen unb nid^t al§ ^l)itofopf)en ermäl)nt.
^er ©ebanfe ber ©ntrcidlung, allgemein angenommen
für hk 9fZaturmiffenf(^aften, au^ fe^r frui^tbar für einige
©pegialfäc^er ber ©eifte§miffenfd)aften, ift tot für i^re ßJe*
famtauffaffung geblieben, fomeit fie bürgerli(^e 2ßßiffenfd)aft
barftellten. %k ^ourgeoifie fonnte benn aud) nad^ §cgel
in il)rer ^l)ilofopl)ie nid)t me^r roeiterfd)reiten. Sie verfiel
einem 9JIateriali§mu§, ber l)inter bem beS ad;t5el)nten Qalir^
78 2)ic et{)if be5 9}?ar?:ismu§
^unbertS er^eblirf) gurücfftel^t tt)eil er rein naturratffenfdjaft^
lic^ ift, gar feine eigene 3:f)eorie ber (Sicfe((fd)aft anfiüeift.
Unb ai§ i^x biefer befd)ränfte ^O^laterialisrnng nid)t me^r
pa^U, lüanbte fie fid) rcicbcr bem alten ^antianismuS ju,
gereinigt üon allen 5[RcingeIn, bie burrf) bie feitf)erige S^atnr*
n)i[fenf(i)aft Überrannben rcorben, aber ungereinigt üon feiner
(Stf)i!, bie nun ba§ ^odraer! ift, ba§ ber materialiftifdjen
^()corie ber gefel(fd)aftlid)en ®ntraic!(ung entgegengefe^t rcirb.
Qn hen ijfonomifi^en 2ßiffenfd)a|ten fc^raanft bie SSour^
geoifie §n)ifd)en einer l)iftorijd)en 5luffaffung, bie voo^l eine
®nttr)ic!(ung ber ©efeltfc^aft fiel)t, aber notraenbige ©efe^e
biefer ©ntrcidlung leugnet, unb einer 2luffaffung, bie not^
rcenbige ©efe^e ber ©efellfc{)aft anerfennt, aber bie gefeU«
fd)aftlicl)e (Sntraidlung leugnet unb in ber ^f9d)ologie eine§
ifolierten Urmenfcl)en fd)on alle öfonomifcf)en Kategorien ber
mobernen ©efellf(f)aft gu entbeden glaubt. Qu biefer Stuf*
faffung gefeilt fid) nod) eine naturTt)iffenfd)aftlid)e, bie bie
©efe^e ber ©efellfd)aft auf ©efe^e ber Biologie, ba§ ^ei^t
ber pflan§lid)en unb tierifd)en Organismen rebu^ieren raill,
voa§ im ©runbe aud) nid)tä anbereS l)ei§t cils bie Seugnung
aller eigenen ©efe^e gefellfd)aftlic^er (Sntmidlung.
©eitbem bie S3ourgeoifie fonferpatiü gercorben, ift nur
nod) t)om proletarifd)en 8tanbpun!t auS eine materialiftifd)e
2:l)eorie ber gefellfc^aftlid)en (Sutioidlung möglid).
®§ ift rid)tig, ber neue bialeftifd)e 3Jlateriali§mu§ ift ein
9)lateriali§mu§ eigener 2lrt, ber von bem rein naturmiffen*
fd)aftlic^en mefentlid) t)erfd)ieben ift. 9Jland)e feiner greunbe
^aben bal)er gen)ünfd)t, man möge, um 9Jii§t)erftänbniffe ^u
üermeiben, ha§ 2Bort 9Jlatern alismuS buri^ ein anbereS erfe^en.
5(ber rcenn '^ax^c unb ©ngelS an bem 2ßort 9Jlateriali§=
mu§ feftl)ielten, gefd)al) e§ jebenfall§ au§ bemfelben ©runbe,
au§ bem fie fid) meigerten, il)r ^3JZanifeft ber Kommuniften
in ein 90f^anifeft ber ©o^ialiften umzutaufen. '3)a§ SOßort
Sozialismus hedt l)eute fo mannigfaltige 2ßaren, barunter
red)t erbärmlid)e, d)riftli(^en unb nationalen ©o§ialiSmu§
2)er Drgani^mug ber menfc^Iic^en ©efeöfc^aft 79
atlcr 5lrt; ha§ SOßort ^0Tnmuni§mu§ bagegen bc§ct(i)net um
grceibeutig unb flar ba§ 3^^^ ^^^ ^^ f^i^^ (Smangipatiou
im reüolutionären Kampfe tingenben '^roIetariat§.
©0 rcürbe aud^ in einer ^e^eicfinung be§ btaleftifd)en
9DRatenaU5mu§ al§ biale!tifd)er „5DRoni§Tnu§'' ober „Rriti*
gi§mug" ober „9^eati§mu§" aller ©egenfa^ pr bürgerlichen
äßelt üerloren gef)en. ^a§ SOßort „SHaterialigmug" bagegen
hchenUt feit ber §errfd)aft be^ ß:^riftentum§ eine ^^ilo^
fop^ie be§ ^ampfe§ gegen bte ^errfd)enben ©eroalten.
^e§l)alb ift e§ in 3Serruf gefommen hzi ber ^ourgeoifie,
aber gerabe be§l)alb l)aben roir ^n^änger ber proletarifcf)en
$l)ilofop^ie aUfeitiger @ntrctc!lung alle Urfarf)e, gerabe an
biefem D^kmen für unfere ^^?l)ilofopl)ie feft^u^alten, ber ja
aud) fad)lirf) n)ol)l gere(f)tfertigt werben fann.
Unb eine 5luffa|fung ber ®t^it bie an§ biefer ^^ilofop^ie
entfpringt Jann al§ eine materialiftif(i)e gelten.
2. Der Organismus der menfdt)Udt)en 0efellfdt)aft
a. ^ie te^nif(^e (Sntroidlung.
^etrad^ten roir nun oom ©tanbpunft ber materialiftifdE)en
©efcf)icl)t§auffaffung ben 9Jlenf(i)en in bem ©tabium, in beut
mx il)n im oorigen Kapitel oerlaffen, an ber ©ren§e, hk
il)n oon ber übrigen 3:ier^eit fonbert. 2Ba§ ift e§, ba§ i^n
über fic ergebt? 33eftel)en jroifd)en i^m unb i^r in aßen
fünften nur grabuelle Unterfcl)iebe ober aud) einer be§
3[ßefen§? 2ßeber al§ ben!enbe§ norf) al§ moralifd)e§ @e*
fc^öpf ift ber 9Jlenf(i) t)om Siere rcefentlid) t)erfcl)ieben.
Siegt aber bie 3Serfct)iebenl)eit oielleic^t barin, ba^ er pro«
buj^iert, ba§ l)et§t in ber Statur gefunbene ©toffe burc^
gorm^ ober Ort^oeränberungen feinen Qroeden anpaßt?
2lber aud) biefe 2ättg!eit finbet man fc^on in ber ^ier^
roelt. ®an§ abgefe^en oon mand)en J^nfeften, mie dienen
unb Slmeifen, finben roir M hzn roarmblütigen 3:ieren, ja
felbft fc^on manchen 5ifd)en, SIrten probu^ierenber Sätig^
feit, namentlid) bie ^robuftion üon 33rut= unb äßo^nftätten.
80 S)ie et{)i! beS 9}?arji§mu§
Sficfter, (Srbbaue unb bergteic^en. Unb lüie üiel bei biefer
probu5terenben Sätigfeit aud) @vgebni§ ererbter :3uftiutte
unb Einlagen fein mag, fie rcirb oft oerf(J)iebenen ^ert)ätt«
niffeu fo graeteägig angepaßt ba^ ha§ ^en»u(3tfein, bie
(£r!enntni§ faiifaler 3ufammen{)änge, aurf) eine S^toUe babei
fpielen mu§.
Ober ift e§ bie 2(nn)enbung t)on 2ßer!§eugen, bie ben
5[Renfcf)en über ha§ Slier er!)ebt? 5Iud^ ba§ nid)t. ^ei ben
Slffen finben it»ir rcenigfteng f(^on bie 2lnfänge ber 5ln*
rcenbung von SOßerf^eugen, t)on 33aumäften §ur 93erteibigung,
t)on Steinen jum 2luffd)Iagen t)on 9lüffen unb berglei(i)en.
J^lire intelligent, foraie bie ©ntrcicflung ber gü^e §u §änben
befähigt bie Slffen ba^u.
2l(fo nic^t bie ^robuftion ron ^onfummitteln unb
nic^t bie ^Inrcenbung t»on 2ßer!geugen unterfd)eibet
ben ^enfd)en nom ^iere. 2Ba§ aber jenem adein eigene
tümlid), ift bie ^robuftion üon SOßerfgeugen, bie ber
^robuftion, ber 93erteibigung, bem Eingriff bienen. '^a§ %kx
vermag im beften galle ba§ 2Ber!§eug in ber 9^Mtur ju
finben; e§ ift nic^t imftanbe, ein fol(i)e§ §u erfinben.
®§ üernnag '3)inge gu feinem unmittelbaren ©ebraudt) ju
probugieren, SCBo^nungen anzulegen, Seben§mittelt)orräte ju
fammeln; aber e§ ben!t ni(i)t fo rceit, ^inge gu probugieren,
bie nic^t bem bireften ^onfum bienen, fonbern ber $ro*
buftion t)on ^onfummitteln.
SiJlit ber ^robuftion t)on ^robu!tion§mitteln be^
ginnt bie SlJlenfd^merbung beä 2:iermenfdE)en; bamit löft er
fid) t)on ber übrigen Stiermelt lo§, um fein eigenes 9ieid)
ju begrünben, ein S^teid^ mit einer befonberen 2lrt t)on @nt^
rcidlung, bie in ber übrigen Statur üöHig unbefannt ift,
bort il)re§gleid)en nid£)t finbet.
(Solange ba§ Slier nur mit ben i^m ton ber Statur t)er^
Hellenen Organen probugiert ober nur aßßerfjeuge benü^t,
bie i^m bie '^atux liefert, !ann e§ über bie i^m fo von
ber 3^atur gefegten SJlittel nic^t l)inau§. ©eine ©ntrcidlung
!J)er Ortjani^mu^ ber menfcfjliifien ©cfcffi'cf)aft 81
^efd)ief)t nur in ber ^eife, ha^ fein eigener Organismui
fid) entraid'elt, feine eigenen Organe fid) umbilben — t)a§
©ef)irn mit inbegriffen: ein langfamer unb unberauBter,
burcE) ben ^ampf nni§ ^afein üoUjogener ^ro^e^, ben ba§
2ier burdE) feine beraubte Sätigfeit in feiner Sßßeife hz-
fd)leunigen fann.
^Dagegen h^'t^enUt bie ©rfinbung unb ^robujierung be§
SOßerf^eugg — bie§ 2öort im meiteften ©inne genommen — ,
ba^ ber SO^enfd^ fi(^ bemüht unb abfi(i)tlid) felbft neue Dr^
^ane üerlei^t ober feine natürlichen Organe tjerftärft ober
t)erlängert, fo ha^ er basfelbe, mag biefe Organe pro=
bugierten, beffer ober leidster probu^ieren fann, ha^ er aber
aucf) inftanb gefegt mirb, Stefultate p erzielen, bereu ©r^
reid^ung für x^n früf)er ganj unmi3gli(^ mar. ^a aber
ber 5iJlenfd^ nid)t blo§ ein mit f)of)er Qntelligenj imb §änben
begabte^ 3:ier ift — bie notroenbige ä^orau^fe^ung ber ^In^
menbung unb ^robuftion non SKerf^eugen — , fonben; and)
«in gefeKf(^aftIicf)e§ 2:ier von Anfang an gemefen fein mu§,
fo ging bie (grfinbung unb ^robuftion eineä Sßerf^eugg
burdE) ein befonberä begabte^ Qnbiüibuum — einen hk
^äume be§ tropifdE)en Urmalbeg bemof)nenben 9Jlarj ober
^ant ober 5IriftoteIe§ — mit beffen Sobe nidE)t t)erloren.
©eine §orbe na^m bie ©rfinbung auf unb führte fie fort,
^emann burd^ fie einen 3Sorfprung im Kampfe um§ ^afein,
fo ba^ i!)re 9^a(^fommen unb ^Ibjroeigungen beffer gebie!)en
al§ bie anberen 2Irtgenoffen. 2lt(er meitere S^arffinn, ber in
ber §orbe t)or!)anben mar, biente von nun an ba§u, bie @nt*
becfung gu üerooKfommnen ober neue ©ntbedungen ^u mad)en.
SSilbete ein geraiffer ®rab von Qntedigens unb bie (Snt-
micflung ber §anb bie ^^orbebingung ber ®rfinbung unb
^robuftion oon Sßerfseugen, fo bot ber fo^iale ©^arafter
be§ 5J^enfdE)en bie 3]orbebingung gur fteten 5In^äufung
neuer unb QSerooUfommnung alter ©rfinbungen, alfo gu
^iner fteten ©ntmicfhmg ber 2:e(^nif. ^er fo langfame,
unbercu^te unb unmerf(icf)e 3}organg ber ©ntrcidtung ber
fiQut§ft), (ltf)if unb matertallfttic^e ©efc^ic^täauffaffung. 6
82 2)ic ettjtf bcS aWarji^iuug
Organilmen burd^ beu ^ampf um§ '2)afeiu, rote er bie
gan^e übrige orgauifc^e Sßelt be()errfd)t, tritt von \:>a an
in ber 9Jlenf(^emr)eIt immer meftr ^urürf sugimfteu ber be*
rcugten Umiüanblung, 5(npaffung unb ^Serüodfommnung
ber Organe, einer ©ntroidhing, bie in if)ren 5(nfängen, mit
mobernen 5[Ra§ftäben gemeffen, nod) eine imenb(irf) lang*
fame unb immerHic^e ift, aber bennorf) and) ba frf)on ein
rceit rafd)ere§ ^empo einfd)Iägt al§ ^k burd) natürlicf)e
3ud)tit)a^l bemirfte. '5)er ted)nifrf)e gortfc^ritt bitbet von
nun an bie (SJrunblage ber gefamten ©ntiüicflung ber
9nenfd)^eit. 5{uf it)m unb nid)t auf irgenb einem be*
fonberen göttlidien gunfen beruf)t aüc§, rcoburd) ber 9Jlenfc^
ftd) t)om 2^iere unterfrfjeibet
Qeber einzelne @d)ritt auf biefer ^-8al)n ber ted^nifdien
©ntmidlung nad) t>orrcärt§ ift ein bemuf3ter unb ein ge*
rcodter. Qeber entfpringt bem 33eftreben, bie Gräfte be§
SJlenfdien fünftlid) über bie non ber Statur gegebenen
©renken {)inau§ ju üergrögern. 3lber jeber biefer ted)nifd)en
gortfd)ritte ^k^t aud) mit D^otraenbigfeit Sßßirfungen nad)
fid), bie t)on feinen Urf)ebern nid)t gemoßt mürben unb
roerben fonnten, meit biefe nid^t imftanbe maren, fie aud) nur
gu a^nen, SGßirfungen, bie man ebenfo mie bie ber natür^
lid)en 3lu§Iefe 5(npaffungen an ba§ 9JZilieu nennen fönnte,
aber an ein SD^itieu, ba§ ber ^JJenfd) fetbft fünftlid) üer*
änbert ^at ^ei biefen 2lnpaffungen aber fpielt ba§ S3e*
mugtfeiu, bie @r!enntni§ be§ neuen 5[Ri(ieu§ unb feiner
^ebürfniffe, aud) mieber eine ffiolU, biefe ift jebod) nid)t bie
einer felbftänbigen, 9ftid)tung gebenben ^riebfraft.
b. Sed)ni! unb Seben§meife.
(Sud)en mir un§ gur 33erbeutlid)ung be§ GJefagten üor?
aufteilen, metd)e ^ol^en e§ f)aben mugte, ai§ bem Ur*
menfd)en bie erften 20Berf§euge gelangen, dl§ er ben (Stein
unb ben ©tod, bzn fd)on ber Slffe gebraud^te, gufammen*
fügte ju einem §ammer, einer 2Ij:t ober einem (Speere.
2)er Orgonilmug ber menfc^Uc^en ©efeüfc^aft 83
©elbftüerftänbltd^ fann bie I){er folgcnbe ^arftcKung nur eine
f)t)potf)etifd)e fein, ha rcir Qeugniffe über h<^n ganzen 3Sor*
gang nid)t befi^en. 3(ber fte foß ja aurf) nid)t al^ ^erceiä
bienen, fonbern nur al§ QKuftration. ^ix geftalten fte
baf)er fo einfad) al§ mögüc^, fef)en ^um ^eifpiel ganj t)on
bem (Sinflu^ ab, ben bie gifdjerei auf ben Urmenfd^en üben
ntugte.
©obalb ber Urmenfdf) ben ©peer befa§, rcar er inftanb
gefegt, nad) größeren Vieren gu jagen, ^atiz h\§ ba{)in feine
'JZa^rung rorraiegenb au§ ^aumfrüd)ten unb Qnfeften, foraie
n)af)rfrf)einlirf) 3Sogeleiern unb jungen 3Söge(n beftanben,
fo fonnte er je^t aucf) größere ^^iere erlegen, ha§ gleifc^
jDurbe t)on nun an für feine ®rnä^rung raid^tiger. ®ie
nieiften größeren 2:iere f)alten firf) aber auf bem ©rbboben
auf, md)t in ben Säumen; bie ^agb 50g i^n alfo au§
feinen luftigen S^tegionen auf bie ®rbe f)erab. S^od) mel)r.
'3)ie jagbbarften Siere, bie 2öieber!äuer, finb nur menig
im Urrcalb gu treffen; fie jie^en if)m m^ite 2Ö3iefenf(dd)en,
"^Prärien t)or. Qe mef)r ber 9J^enf(^ ein Qäger mürbe, befto
e^er fonnte er au§ bem tropifrf)en Urmatb f)nau§, in hen
ber Urmenfd) gebannt geraefen.
^iefe ^arftellung ift, mie gefagt, eine rein auf 9Ser*
mutungen gegrünbete. '3)er (SntrcicflungSgang fann aud)
ber umgefef)rte gemefen fein, ©benfogut mie hk ©rfinbung
be§ SßerfjeugS unb ber SOßaffe hm 9Jlenfd)en treiben fonnte,
au§ bem Urraalb in freiereg @ra§(anb mit gerftreuterem
Saummud)§ ^inau§§u3ief)en, ebenfogut fönnen aud) Ur?
fad)en, bie ben Urmenfd)en aug feinen Urfi^en üerbrängten,
ber Einlaß gur ©rfinbung x»on äßaffen unb 2öerf§eugen ge*
morben fein. 9^ef)men mir gum Seifpiel an, baß bie 5IRenge
ber 5[Renfd)en über if)ren 5Ra{)rung§fpie(raum f)inau5mud)§
ober eine ®i§jeit etma bie ©Ietfd)er be§ 3entralafiatifd)en
(S5ebirg§tanbe§ tief f)inabfenfte unb bie Sercof)ner feiner
^äler au§ bereu Urrcälbern in bie @ra§ebenen brängte,
bie e§ begrenzten; ober baß eine §unel)menbe Xxod^nl)üt
84 S)ic (Stfjif beg 2)jQrji§mu5!
be§ £üma§ immer mef)r bie Urraälber (td)tcte, in if)ucn
immer me^x ®xa§ianh auftaurf)en lieg. Qu aUen biefen
gäden mürbe ber Urmenfcf) gebrängt, feinem 33aumteben
jn entfagen unb ficf) mef)r anf bem (^rbboben ju beroegen;
er muf3te nun and) mcf)r nad) tierild)er 9]al)rung fud)en
unb fonnte fid) nirf)t mef)r in fo {)oI)em @rabe t)on 33aum=
früd)ten nä{)ren. ®ie neue Scbensmeife veranlagte il)n,
öfter Steine unb Stöde gu gebraud)en unb brarf)te il)m fo
bie ©rfinbung ber erften Sßerfjeuge unb äßaffen näl)er.
2ÖSeld)en (Sntraidlungsgang man aud) immer annel)men
mag, 'om erften ober ben ^meiten — unb beibe fönnen un*
abhängig t»oneinanber an r>erfd)iebenen fünften ftatt-
gefunben l)aben — , au§ jebem ron if)nen erl)ellt beutlid)
bie enge 2Bed)feliüirl'ung, bie ^mifd)cn neuen ^robu!tion§=
ntitteln unb neuen SebenSmeifen unb 33cbürfniffen beftel)t.
jgeber biefer gaftoren erzeugt mit DIaturnotraenbigfeit ben
anberen, jeber mirb mit 9^otmenbig!eit bie Urfadie t)on ^er^
änberungen, bie bann il)rerfeitg mieber neue 33eränberungen
in il)rem ©d)oge bergen, ©o erzeugt jebe ©rfinbiing un^
t)ermeiblid)ern)eife 2Bir!ungen, bie hcn 5{nftog §u anberen
©rfinbungen unb bamit mieber neuen SSebürfniffen unb
Sebengroeifen geben, bie mieber neue ©rfinbungen l)erüor=
rufen ufro. — eine üdtt unenblic^er ©ntmidlung, bie um
fo mannigfacher unb rafc^er rcirb, je meiter fie fortfc^reitet
unb je mel)r bamit bie 5iJlöglid)!eit unb Sei(^tig!eit neuer
©rfinbungen mäd)ft.
si3etrad)ten mir je^t bie ^onfequengen, bie ba§ 5luffommen
ber Qagb al§ 92al)rung§quelle be§ 50^enfd)en unb fein ^er--
t)or!ommen au§ bem tropifd)en Urmalb nad) fid) giel)en mugte.
?flzb^n bem gleifd^ na^m ber SJlenfd^ nun an ©teile t)on
SBaumfrüc^ten Sßurjeln unb bie grüd^te t)on ©räfern, ^orn,
9)^ai§, in feine Speifefarte auf. ^amit mar aber micber
ein meiterer gortfd)intt angebal)nt. Qm Urmalb ift ein
5lnbau non ^flan^en unmöglid), hQW Urmalb ^u lid)ten,
überfteigt bie i^rdfte beg primitiven 50lcnfc^en. tiefer fonnte
3)eT Crgantgmug ber inenfc^Iit^en ©efettfc^oft 85
aber aucf) gar ntc^t auf btefe Qbee fotnmen. (Sr lebte üon
^aiinifrü(f)ten ; grud)tbäume 311 pflanzen, bie erft nad) üteten
^ö^ren grüc^te tragen, fe^t aber bereite einen !)o^en @rab
von Kultur unb (2e§{)aftig!eit t)orau§. dagegen ift ber
2(nbau von ©räfem auf 2öiefen unb ©teppen vkl leichter
al§ im Urrcalb unb fann fd)on mit hm einfa(i)ften 50^itteln
bemerffteüigt merben. '3)er ©ebanfe, ©reifer anzubauen,
bie oft ftf)on nac^ raenigen 2ßocf)en grüd)te tragen, ift aber
aurf) meit ef)er fag(id), al§ ber ber ^flanjung von gruc^t*
bäumen. Urfacf)e unb äßirhmg Hegen ^ier fo na^e beU
fammen, bag if)r 3iif^mmen{)ang leid)ter ^u überfef)en ift
unb aud) ber unftete SORenfc^ ber QSorjeit errcarten burfte,
bie Qnt jmifc^en (Saat unb (^xnt^ in ber 9^äf)e be§ an*
gebauten ^oben§ üerraeilen ju fönnen.
3(nbererfeit§ aber mar ber 9Jienfc^, fobalb er ben tropifd)en
Urmalb üerlie^, ben 2ßerf)felfäl(en be§ ^Iima§ üiel me^r
au§gefe^t al§ in feiner Ur!)eimat. Qm biegten SOßalbe finb
bie 3:emperaturfd)rcan!ungen ^mifd)en ^^ag unb ^a(i)t raeit
geringer al§ in ber freien ®bene, in ber hd ^age glüf)en*
ber ©onnenbranb ^errfcf)t unb be§ ^a(i}t§ ftarfe 3lu§*
ftraf)(ung unb 5lb!ü^(uug. Stürme machen fic^ im Urmalb
üiel raeniger bemerfbar ai§ in rcalblofem (^^hkt, unb gegen
pflegen unb §aget bietet biefe§ aud) meit meniger (S(^u^
ai§ ha§ faft unbur(i)bringlid)e Saubrcer! be§ erfteren. ©0
mugte ber in hk ©ra§ebene l)inau§gebrängte 3JZenfd) ein
^ebürfui§ nad) Dbbarf) unb ^(eibung empfinben, ba§ bem
Urmenfrf)en im tropifd)en Urma(b gan^ ferne lag. 2öenn
f(f)on bie 9Jienfd)enaffen fid) für bie 9'^ad)tru£)e förm(id)e
^f^efter bauen, fo mu^te er ba^u übergef)en, fid) (5d)u^rcänbe
unb Sd)u^bäd)er ^n emd)ten, ober ba§ Cbbad) üon §öf)len
gu fud)en. 5(nbererfeit§ lag e§ naf)e, fid) in bie §aut be§
erlegten ^iere§ §u E)ü(Ien, bie übrig blieb, nad)bem man
ba§ g(eifd) au§ i^r f)erau§genommen. '^aB 93ebürfni§ nad)
(Hd)u^ oor ber teilte mar e§ aber rcol)! and), voa§ ^uerft
ben ^?Jlenfd)en nad) bem ^efi^ be§ geuerS trad)ten lieg.
86 2)ie QÜnl be§ Skrji^mu?
Neffen tec^nticf)e ^eriDenbbarfeit fonnte er erft at(mäf)Ud)
n'fennen, nad)bem er e§ fd)on lange benu^t. ^ie Sßärme,
bie e§ fpenbete, rcar bagegen of)ne rceitercg füf)(bar. 2ßie
ber 9JZen](f) in bcn ^eft^ be§ geuer^ gefommen, lüirb fid)
t)ielleid)t nie mit (5id)erf)eit feftfteden laffen. 5Iber gerai^
ift e§, bag ber SJlenfc^ im tropifcf)en Urroalb feiner aU
SBärmequeüe nicf)t beburfte nnb and) feine 9Jlögtid)feit ^atU,
e§ bort inmitten beftänbiger Jenc^tigfeit ju er{)alten. 9^ur
in einer trodeneren (SJegenb, mo ftedenraeife größere ?Olengen
bürren ^Brennmaterials , 9J]oofe, Saub, Ü^eifig, jn finben
roaren, fonnten ^ränbe entftel)en, bie ben 5[Renfcl)en mit
bem ^^mx befannt mac£)ten. 3Sielleicl)t bur^ 33li^fcl)(ag,
el)er bnrd^ hk gnnfen t)on generfteinen, bem erften SBerf-
gengmaterial be§ Urmenfd^en, ober bnrc^ bie §i^c, bie etwa
beim ^ol)ren üon Söc^em in l)artem ^olje entftanb.
SJlan fiel)t, mie ba§ ganje Seben be§ SJZenfc^en, feine
58ebürfniffe, feine 20ßol)nfi^e, feine 9Jlittel be§ Seben§unter*
l)alt§ geänbert mnrben nnb bie eine ®rfinbnng fcl)ließüc^
gaf)lreid)e anbere nad) fid) gog, fobalb fie erft einmal ge=
mad)t, fobalb bie §erftellnng be§ (Speere^ ober ber ^Ijt ge*
Inngen mar. ^ei aUen biefen Ummanblnngen fpielte ba§
S3erau§tfein eine große Üiolle, aber ba§ ^emnßtfein anberer
(^Generationen al§ jener, bie ben Speer ober bie 5lj:t erfan=
ben. Unb bie 3Inf gaben, bie ba bem ^emußtfein ber
fpäteren Generationen geftellt mnrben, mnrben nid)t üon
bem ber friil)eren gefegt, fie ergaben fid) mit 9^otraenbig!eit
t)on felbft, fobalb einmal bie förfinbnng gemad)t mar.
Slber mit ber 5inbernng ber 2Cßol)nfi^e, ber ^ebürfniffe,
ber ©ercinnung be§ Seben§unterl)alt§ , ber ganzen Seben§=
meife ift hk 2Bir!ung ber ©rfinbnng nid)t erfd)öpft.
c. 2:ierifd)er nnb gefellfd)aftlid)er Organismus.
%k 2lrbeit§teilung ber Organe im tierifd)en Organismus
^at il)re beftimmten ©renken, ba fie bem Organismus ange-
mad)fcn ftnb, er fie nid)t nac^ belieben med)feln fann xmh
2)er Organiimug ber menfc^tic^cn ©efeßfc^aft 87
t^re ^nidtjl eine bef(i)rän!te ift. 5lnbererfeit§ ift batnit aucf)
eine ©renje gegeben für bie 5i}lanntgfaltigfeit ber SSerrid)-
tungen, beren ein tierifcf)er Organi§ntu§ fäf)ig ift. ©^ ift
gum 33eifpiel immögüd), ha^ basfetbe ©lieb in gletd) voü-
fommener SÖßeife s^m ©reifen, Saufen nnb fliegen bient,
üon n)eitergef)enben «Spe^ialifierungen gan^ abgefe^en.
^a§ SOßerf^eug bagegen !ann ber 9}lenfd) luec^feln. (Sr
üermag e§ einem einzigen beftimmten Qm^d^ an^upaffen.
§at e§ biefen erfüllt, bann legt er e§ beifeite, e§ l)inbert
i^n ni(i)t bei gan^ anberen 5lrbeiten, gu benen er gan§
anbere Söerf^euge gcbraud)t. ©o begrenzt bie Qal)l feiner
©lieber, fo unbegrenzt 'C^k Qa^ feiner SCßerfjeuge.
2lber nicl)t blo§ bie 3^^^ ^^^ Organe be§ tierifd)en Or^
gani§mu§ ift befc^ränft, fonbern aud^ bie ^raft, mit ber
jebeg von il)nen bercegt merben !ann. (Sie !ann auf feinen
gall bie ^raft be^ ^nbir>ibuum§ felbft überfteigen, bem fte
angehören, fte mu§ ftet§ geringer fein, ba e§ alle feine
Organe neben ben beraegten ernäl)ren mug. '3)agegen ift
bie ^raft, bie ein SKerf^eug bemegt, feine§raeg§ auf bie eine§
einzelnen 9Jlenfd)en bef(i)rän!t. %a e§ lo§gelöft üom menfd)*
li(i)en Q^^biüibuum ift, !i3nnen mel)rere ;3nbioibuen fic^ üer-
einigen, e§ gu bemegen, ja fte fönnen anbere al^ menfrf)licl)e
Gräfte baju anmenben, etwa bie ber ^wgtiere, be^ 2ßaffer§,
be§ 2ßinbe§, be§ Kampfes.
©0 ift im ©egenfa^ 5um tierif(^en Organi§mu§ bie (§^nU
n)icflung ber fünftlicl)en Organe be§ 30^enfcl)en eine un*
begrenzte, menigfteitS nad) menfcl)tid)en Gegriffen gemeffen.
(Sie finbet i^re @d)ratt!en nur in ber SO^enge ber bemegen*
t>en Gräfte, lueldlie ©ottne unb @rbe bem 5iJ^enfd)en gur
SSerfügung ftellen.
%k Trennung ber fünftlicE)en Organe be§ 30^enfrf)en t)on
feiner ^erfönli(i)feit ^at aber nod) zim anbere Jolge. 3Senn
bem tiertfd)en Orgatü§mu§ feine Organe angemac^fen finb,
fo bebeutet ba§, ba§ jebem S^^'^^^i^i^^t^ ^^^ gleicf)en Or*
gane §ur Verfügung ftel)en. ®ine 5lu:gnal)me bapon madien
88 Sie (Stfjif be§ 9«ar^i§mu§
blog bie Organe ber Fortpflanzung. )Rux auf btefem ©ebict
finbet eine ^}(rbeit§teilung unter ben ^öl^ereu Organismen
^iatt Qebe anbere 2lrbeit§tei(ung in ber tierifd)en ®efe((*
ftf)aft beruht bagegen blog barauf, bag beftimmte Qnbini?
buen für eine beftimmte Qeit befoubere gunftionen über=
nef)men, gum ^eifpiel bie be§ 2Ka(^bienfteS, ber Leitung ufm.,
of)ne bagu Organe gu gebrauchen, bie r>on benen ber an=
bereu Qnbiüibuen t)erftf)ieben finb.
'3)ie (Srfinbung be§ 2Berfjeug§ bagegen geftattet e§, ha^
in einer ©efellfc^aft befoubere g^^^^^^i^i^^^ befoubere ^JCßerf«
geuge auSfd^tiegürf) ober bocf) fo t)iel mel)r al§ anbere Qu*
biüibuen f)an'i:)^ahm , ha^ fie fie rceit beffer al§ biefe p
gebraud)en rciffen. @o fommen rair ^u einer 5^^^ ber
^Arbeitsteilung in ber mcnfcl)lid)en @efellfd)aft, bie ganj
auberer 3Irt ift als bie bürftigen SInfäuge einer fold)eu in
ben tierifd^en ®efellfcl)aften. Qu biefen bleibt hei aller
2lrbeitSteilung ha§ Qnbioibuum ein 2Ößefcn für ficif), baS
alle Organe befi^t, bereu eS gu feinem Sebeu§unterl)alt be-
barf. Qu ber menfcl)lidl)en ©efellfd)aft rcirb baS um fo
meniger ber JJall, je rceiter bie QIrbeitSteilung in il^r fort^
fcl)reitet. Qe me^r biefe entmidelt ift, um fo größer bie Qal)l
ber Organe, über bie bie ®efellfcf)aft gur ©erainnung il)reS
SebenSunterl)altS unb gortfe^ung il)rer SebeuSrceife üer*
fügt, um fo größer aber auc^ bie Qa^ ber Organe, bie
baju erforberlid) ift, unb befto unfclbftäubiger hk Organe,
über bie baS einzelne J^nbiüibuum oerfügt. ^efto gri3ger
bie ^Jla6)t ber ©efellfc^aft über bie Statur, aber befto l)ilf=
lofer aud) baS Qnbit)ibuum au§erl)alb ber ®efetlfcf)aft, befto
abl)ängiger t»on i^r. ®ie tierifct)e ©efellfcf)aft, bie felbft
naturmüdl)fig erftanben ift, ^eht il)r 3Jlitglieb nid^t auS ber
'Jiatur l)erau§. dagegen bilbet für ha§ menfc^lic^e Qu-
biüibuum bie (^efellfd)aft eine gang eigenartige, von ber
übrigen ^f^atur t)erfd)iebene Sßelt, eine 2ßelt, bie in fein
"^^afein aufc^einenb riel beftimmcnber eingreift al§ bie
9ktur, melc^ le^terer eS ft(^ burd) bie @efellfd)aft in
3)er Drgant§mu0 ber menjc^Iic^en ©efeüfd^aft 89
bem Syjage mef)r geiüacf)fen voätjwt, al§ hk 5{rbeit:§teilung
§untmmt.
Unb biefe ift praftifcf) ebenfo unbegrenzt, rote ber ted)^
nifd^e gortfd)rttt überf)aupt; fie finbet i^re ©renjen nur in
ber 2(u5bef)nung be§ 9Jlenfcf)engefd)(e(^t§.
§aben ratr oben gefunben, ba^ bie tterif(^e ©efedfc^aft
ein Crganismus eigener 5{rt ift, t)erfcf)ieben üom pflan§Ii(i)en
unb tierif(^en, fo finben mir je^t, ba^ aud) 'ök menjd)lic^e
@efeüfd)aft rcieber einen eigenartigen Organilmug bilbet,
ber fid) nid)t blog nom pflanjürfien unb tierif(i)en Qnbioi^
buum, fonbem aurf) x)on ber tierifc^en ©efedfc^aft rcefentlid)
unterfd)eibet.
'^ox allem fommen ba grcei Unterfd)iebe in ^etrac^t. SCßir
^aben eben gefef)en, ba§ ba^ tierifrf)e Qnbiüibuum alte Organe
felbft befi^t, hk e§ gu feiner ©jiften^ braud)t, inbeä tia^
menf(i)(id)e Qnbiribuum bei t)orgefcf)rittener 5lrbeitstei(ung
für ficf) aikxn o!)ne bie @eferifd)aft nid)t leben !ann — bie
9lobinfon§, bie o^ne alle SJlittel alle§ au§ fid^ probujieren,
fommen nur in ^inberfibeln unb miffenfd^aftlicl)en 2lrbeiten
ber bürgerli(i)en öfonomie t)or, hk glauben, ber befte 2Beg,
bie ©efe^e ber @efellfd)aft ju entbeden, fei ber, t)on i^r
oöllig absufel)en. ^er SJlenfd) ift in feinem ganzen Sßefen
üon ber ©efellfcl)aft abhängig, fie be!)errfcl)t i^n, nur burd^
il)re ©tgenart mirb bie feine begreiflicl).
^ie Eigenart ber (55efellfcl)aft ift aber in beftänbigem
^2BecE)fel begriffen, benn im lTnterfd)ieb t)on ber tieinf^en
(SJefellfc^aft unterliegt hk menfcE)licf)e einer (gntmicflung in*
folge ber gortfd)ritte i^rer ^ed)nif. ^ie tierifd)e @efellf(^aft
entmidelt ficf) ma^rfdieinlid) nur in bemfelben Tla^e mie
bie Tierart, hk fie bilbet. ^eit rafc^er gel)t ber ©ntmid^
lungsgang ber menftf)lidl)en @efellfd)aft cor firf). SIber m(i)t§
falfcl)er, il)n nad) SIrt ber ©ntmidlung be§ Qn^i^ibuum^
auf suf äffen, bie ©tabien ber :3ugenb, ber Steife, be§ SSer=»
fall§, be§ ^obe§ in il)m ju unterfd^etben. Solange bie
Kraftquellen nid)t üerfiegen, über bie bie ®rbe verfügt.
90 2)ie (2tl}i! be5 5[y?aryi§inu§
folange alfo nid)t bie ©runblage be§ ted)nifd)en gort^
fd^rittl fd)iüinbet, f)aben rair 3]erfa(( unb natürlid)en Stob
ber menfd)lid)en ©cfcHfd^aft nid)t ju eviüartcn, lüivb fie mit
fortfcE)reitenber 3:ed)nif fid) immer rceiter entfalten unb ift
fie bi§ bat)in in biefem Sinne unfterblid).
Qebe ®efe(Ifd)aft mivb gcbitbet burd) ben ted)nifd)en
5tpparat, über ben fie oerfügt, nnb bie ?[Renfc^en, bie il)n
in Seraegung fe^en, gu n)elrf)em Qwed^ fie bie mannig-
fa(i)ften gefeUfd)aft(irf)en ^erl)ä(tniffe cingef)en. Solange
biefer ted)nifcf)e Apparat fic^ nerüoüfommt unb hk 93^enfc^en,
bie xi)n bewegen, lueber an Qd^i nod) an geiftigcr unb pf)i)'
fifrf)er ^raft ahm^xmn, !ann oon einem 9liebergang, einem
2{bfterben ber @efe((fd)aft nid)t gefprod)en merben.
derartiges !am aud) a\§ länger anbauember Quftanb
bi§l)er bei feiner ©efellfc^aft oor. 3Sorübergel)enb freilid)
ereignet e§ fid) infolge r»on (£igentümlid)feiten, bie von nod)
fennen lernen roerben, ba§ bie gefeUfd)aftlid)en 3Serl)ältniffe,
bie ben gefellfd^aftlid)en ^ebürfniffen entsprangen, fi(^ üer-
fteinem unb ju gemmniffen ber gortfd)ritte be§ ted)nifc^en
5lpparat§ unb be§ 2ßad)§tum§ ber ©efellfc^aftSmitglieber
an 3^^^ ^^^ ^^ Ö^iftige^' ^ie pl)t)fifd)er 5?raft merben, ja
bag fie eine rüdläufige 33emegung üeranlaffen. '3)a§ fann
aber, l)iftorifd) gefprod)en, nie lange bauern, frül)er ober
fpäter rcerben biefe Jeffeln ber (Sntraidlung gefprengt, ent=
rceber burd) innere 33en)egungen, Dieoolutionen, ober, unb
ba§ mar el)ebem ber l^äufigere Jatl, burc^ Slnftöge r)on
äugen, Kriege, ^abei n)ed)felte bie ©efellfd)aft mitunter
einen ^eil il)rer 9Jlitglieber ober i^re ©renken ober il)ren
S^amen, unb bem ^eobac^ter fd)ien e§ bann, hk (S)efellfd)aft,
bie fd)on Qüge be§ ^lter§ aufgeroiefen l)atte, fei nun bem
Stöbe verfallen. Qu 2ßir!lid)feit aber, mcnn man ein ^ilb
üom tierifd)en Organismus entlel)nen rcill, mad)te fie blog
eine ^ranf^eit burd), auS ber fie mit erneuter ^raft ^eroor*
ging. 80 ift jum ^eifpiel aud) bie G^efellfd)aft ber römifc^en
^aifergeit nid)t geftorben, fonbern burd) germanifc^eS S3ar'
3)ic SBanblungen ber traft ber fojtaten triebe 91
barenblut nerjüngt, f)at fie natf) ber 3SöI!ern)anberung be*
gönnen, mit einem 2;ei(e neuer 9Jlenfd)en if)ren te(^ni]d)en
Apparat §u cerbeffern unb auszubauen.
3. Die lüandlungen der Kraft der fozialen Cricbe.
a. (3prad)e.
Qft W menfd)UdE)e ©efe(lf(i)aft im ©egenfa^ gur tterif(i)en
in einem ftänbigen ©ntmid tungSpro^eB begriffen, fo muffen
aud^ hie S[Renf(i)en in if)r fid) beftänbig änbern. ^ie Sn-
berung ber Seben§bebingungen mu§ auf bie d^aiux be§
^enfd)en ^urüdmirfen, bie 5lrbeit§teitung mug man(i)e feiner
natürti(i)en Organe ftärfer entroideln, mand)e umbilben. @o
mugte jum S3eifpiel bie ©ntmitflung be§ ^ffenmenfc^en au§
dnem ^aumfrucf)teffer in einen 33er§e{)rer t)on Vieren unb
^Pflanzen, bie auf ber (grboberf(äcf)e §u finben finb, mit
einer Umraanblung ber §interpnbe in gü^e r>erbunben fein.
iJlnbererfeitS ift feit ber ©rfinbung be§ SOßerf^eugS fein ^ier
fo fielen, fo mannigfaltigen unb fo rafi^en 33eränberungen
feinet natürlichen 5DhIieu§ auSgefe^t gemefen, mie ber SJienfcf),
i)atte fein Stier fo groge unb ftet§ n)acf)fenbe Probleme ber
tJInpaffung an neue 93lilieu§ gu töfen, mie er, mugte feinet
fo fe^r fein ^erau^tfein gebraucf)en, roie er. ©cf)on im beginn
jener Saufba!)n, bie er mit ber ©rfinbung be§ erften SOßerf*
§eug§ einfrf)lug, burd) feine 5Xnpaffung5fäf)igfeit unb fein (£r^
fenntni§t)ermögen ben übrigen Spieren überlegen, mugte er im
Saufe feiner (S5efd)id)te beibe 6igenfd)aften auf§ f)ö(i)fte fteigem.
2ßenn bie 3Seränberungen ber ©efel(fd)aft imftanbe finb,
ben Drgani§muB be§ 9[Renf(^en, feine ^änt)e, güge, fein
(Sef)irn, um jugeftalten , fo fönnen fie nod) niel me^r unb
t)iel rafd)er fein ^emugtfein ummanbeln, feine 5tnfd)auungen
ton bem, mag nü^lic^ unb fd)äblic^, wa§ gut unb böfe, maS
möglid) unb unmöglid) ift.
2ßenn ber 5Jlenfcf) feinen 5Iufftieg über bie ^ierl^eit mit
ber ©rfinbung beB 2©erf5eug§ beginnt, fo braud)t er nid)t
erft einen (SJefel(frf)aft§t)ertrag gu f(i)affen, mie man im ac^t^
92 Xie (Ettiü be§ 2J?aip§mu§
jef)nten ^ö'flt^unbert glaubte unb manrf)e juriftif(i)e Sll)coreti!er
aud) im gtoan^igften nodf) glauben. @r tritt in feine menfd)'
f)eit(irf)e ©ntraicftung bereits al§ fo5iaIe§ ^icr ein mit ftarfen
gefe((id)aftli(^en trieben, ^ie erfte etf)if(i)e SOßirfung ber
menfdt)lid)en ©efeüfd^aft mug eine ^eeinfluffung ber ^raf t
biefer fogialen 2^ricbe fein. Qe nad) bem ß^arafter ber
©efeltfd)aft merben biefe triebe entrceber geftärft ober ge^
f(i)raäd)t raerben. 9^icf)t§ irriger al§ bie 3lnfd)auung, t^a^
i)k fo^ialen triebe fid) regelmäßig in bem 5Jlaße üerftärfen
muffen, rcie bie ©efe(lfd)aft fid) entmidelt.
3n 't>m Slnfängen ber menfc^^eitlid)en (gntmidtung mirb
ba§ freilid) zugetroffen l)aben. '^k eintriebe, meiere in ber
S^ierrcelt fd)on bie fojialen triebe entmidelten, läßt bie
menfd)lid)e (55efellfd)aft mit roller ©tärfe raeiter beftel)en,
fie gefeilt i^nen aber neue liingu burd^ bie (S^emeinfam«
feit ber 3lrbeit, ba§ 3^f^^^^^^^^^^^ ^^^ ^^^ 5lrbeit.
'3)iefe§ Qufammenmirfen fclbft muß ein neue§ SBerfjeug be§
gefellf(^aftli(^en 3Ser!e^r§, ber gefellfd)aftlid)en 3Serftänbigung
notrcenbig gemad)t l)aben, bie ©prad^e. ^ie gefellfd)aft*
lid)en 3:iere fönnen mit rcenigen 3Serftänbigung§mitteln auS^
fommen, Stufen ber Sodung, ber greube, ber gurd)t, be§
3llarm§, be§ QomeS unb anberen (Smpfinbungslauten. Qebeä
Qnbix)ibuum ift hn i^nen ja ein ©anjeS, ba§ für fic^ allein
ju ej:iftieren rermag. (Sold)e ©mpfinbungSlaute genügen
aber nid)t, foll gemeinfam gefd)afft ober follen t)erfd)iebene
3(rbeiten verteilt ober rerfd)iebene ^robufte au§getaufd)t
merben. ©ie genügen nid)t für Qnbinibuen, bie l)ilflo§
finb ol)ne bie SiJlitmirfung anberer ^nbioibuen. ^ie 5lrbeit§s
teilung ift unmöglid) o^ne eine (Sprad)e, bie nid)t bloß
©mpfinbungen, fonbern aud) ^inge unb 3Sorgänge be*
geid)net, fie fann fid) nur in bem 5[Raße entmideln, in bem
fid) bie (Sprad)e auSbilbet, unb fie bringt il)rerfeit§ baS
^ebürfniS banad^ mit fid).
3n ber ©prad^e fclbft ift bie 33e5eid)nung ber 2:ätig*
feiten, unb jmar ber menfd)lid)en, ba§ Urfprünglid)e, bie
2)ie SBonblungen ber Äraft ber fojiaten XxiQhi 93
ber ^inge ha§ Spätere, ^ie Qeitroörter finb älter al§ bic
Hauptwörter, jene bilben bie Sßurgeln, auB benen biefe ab=
geleitet tüerben.
©0 erflärt Sajarug feiger:
„2Benn man fid) fragt, luarum 2id)t unb f^arbe feine bc-
nennbaren Dbjefte für bie erfte ©pracf)ftufe gercefen feien, it)oi)[
aber ha§ 2(ufftrei(i)en ber i^axb^, fo liegt bie SIntraort barin:
ha^ ber SRenfd) juerft nur feine §anblungen ober bie üon
feine§gteirf)en benannte, ha^ er h^ad)UU, tva§ an i^m felbft
imb in feiner unmittelbar if)n intereffierenben 9^äf)e oorging,
al§ er nod) für fo f)of)e Xinge wie öid)t unb ®un!el, ©lang
unb S5ti^ feine ©inne, fein 2(uffaffung§üermögen ))atti. 9J?uftem
loir bie in fo großer ^Injaf)! nun fd)on an un§ (in bem SSuc^e)
Dorübergegangenen 3Segriffe burcf): fie gef)en in if)ren Slnfängen
auf einen äu^erft befrf)ränften ^rei§ menfdE)lirf)er 33en?e;
gungen ^urücf. ®arum getjen bie SSegriffe oon ©egenftänben
ber 9^atur auf fo merfrcürbigen Umroegen au§ ber 2lnfd)auung
einer menfd)tirf)en Sätigfeit I)ert)or, bie fie auf irgenb eine
Sßeife 5ur ®rf(^einung fommen lä^t, oft auc^ ztrva§ nur ents
fernt i^nen 3if)nlicf)e§ l)erDorbringt. ®arum ift ber ^aum etraaä
@ntrinbete§, hk ®rbe etn)a§ 3^^^^bene§, ba§ auf if)r n)ad)fenbe
^orn ettt)a§ @ntbülfte§. ®arum geben ®rbe unb 9Jieer, ja über
ben SSegriff SSotfe oft felbft ber §immel au§ ber g(eid)en
©runboorfteüung oon etn)a§ ^^^^i^benem ober Slufgeftricbenem,
le^martig ^albflüffigem au§." (2)er Urfprung ber ©praci)e,
<B. 151 bi§ 153.)
tiefer @ang ber (5pracf)entraictlung ift ni(i)t erftaunlicf),
lüenn lüir al^ bie erfte 5{ufgabe ber ©pra(i)e hk ber U^er*
ftänbigung ber 9Jlenfd)en hzi gemeinfamen ^ätigfeiten
unb Bewegungen auff äffen, "i^iefe Dioüe ber ©pra(i)e al§
§elfer im ^robuftionSprojeg mad^t e§ aud^ jum Beifpiel
erflärlicf), warum bie (Sprad)e in i^ren 3lnfängen fo wenige
garbebejeirfinungen f)at. (Slabftone unb anbere !)aben barau§
gefcf)(offen, ha% bie f)omerifd)en @rierf)en unb anbere primi^
tit)e 3Sö(fer bie garben nocE) wenig ^u unterfc^eiben wußten.
9'Zid)t§ irriger ai§ ba§. 5}erfud^e ^aben gezeigt, ha^ bar*
barifcf)e 3Sölfer einen fef)r entwicfelten garbenfinn f)aben.
94 2^ie dtl-jit bcg 3}Jorjilmu§
2(ber i^re gö^^^^^tccf)^^'^ ift ^ocf) rcentg entraicfelt bie
Qciiji ber garben, bie fic probujieren fönuen, ift gering,
unb baf)er ift aud) bie Qal)i i^rer garbenbe3eid)nungeu nur
eine fleine.
„2Benn ber 9J?enfc^ baf)in gelangt, einen ^^arbftoff anju*
irenben, bann rairb ber ^axm biefe§ ^arbftoff§ für it)n Ieid)t
einen abjeftit)ifrf)en ©t)arafter annef)men. 3Iuf biefe 2öeife ent*
ftef)en bie erften fj^arbennamen." (®rant Slüen/ The colour
sense, ©. 254.)
®rant 3lHen weift aud^ barauf f)in, bag f)eute nod) bie
gatbennamen in bem 3[Ra§e n)ad)fen, in bem bie 5^^^^"'
ted)ni! fic^ entraidelt. ^en 3"^^^^^^ ber %z(i)n\t, nic^t
ben 3"^ß<^ß^ ber 33efrf)reibung ber Statur bienen guerft
bie Flamen ber g^^^^^^-
^ie ®ntn)idlung ber ©prarf)c ift gar nic^t gu t)erftef)en
of)ne bie (Sntiüidlung ber ^robuftion^raeife. 3Son biefer
f)ängt e§ aud) ab, ob eine ©pradje ber lofale ^ialeft einer
rcin^igen §orbe bleibt ober eine SCßeltfprac^e wirb, bie
Biunbert SJlidionen 9Jlenfd)en fpred)en.
Wlit ber ©ntraidlung ber ©prarfie rcirb aber ein ungemein
ftarfeg TOttel fogialen 3ufamntenf)alte§ geraonnen, eine
enorme 3Serftär!ung unb ein flarere^ ^Semu^tfein ber fogialen
triebe, daneben erzeugt fie freilid) nod) gan§ anbere SGßir-
fungen, fie rcirb ha§ mäd^tigfte 5J^itteI, errungene ©rfennt*
niffe feftgu^alten, ju verbreiten unb fpäteren Generationen
gu !)interlaffen; fie erft ermöglid)t e§, begriffe ^u bilben^
n)iffenfrf)aftlid) gu benfen, fie erft füf)rt alfo bie ©ntmidtung
ber 2Biffenfrf)aft unb bamit bie Unterwerfung ber Statur
burc^ bie 2ßiffenfcf)aft I)erbei.
Qe^t erft erlangt ber 50^enfd) eine §errf(i)aft über bie
Statur, aber auc!^ eine anfd)einenbe Unab^ängigfeit von
\l)xzn äußeren ©inrairfungen, bie in i{)m bie Qbee ber grei*
\)zxt erweden. darüber fei {)ier eine fleine Stbfdiraeifung
gemad)t.
Sef)r rid)tig bemerft (5c^openl)auer:
3)ie SBanblungen ber ^roft ber fosialeu Xxkhe 95
„^ür ba§ Sier gibt e§ b(o^ anf(f)aultdE)e iöorftcHungcn unb
ba[)er au(^ nur anfd^QuIid)e SO^ottüe: bie 2lb^ängigfett feiner
2Biüen§afte oon i>in ajiotiüen ift be§E)aIb augenfällig. 93eim
SRenfrf)cn ^at biefe nid)t raeniger ftatt, unb aud) i()n bewegen
(unter ^orau§fe^ung feine§ inbiüibuetlen ©f)ara!teri) "ök SJ^otioe
mit ftrengfter S^otiüenbigfeit: atlein biefe finb meift nid)t am
fd)auli^e, fonbern abftrafte SSorfteüungen, ba§ f)ei^t ^c^
griffe, ©ebanfen, i>k jebocf) ba§ D^efuttat früf)erer 5(nfd)auungen,
alfo ber ©inrcirfung üon au^en auf if)n finb. 2)ie§ aber gibt
i[)m eine retatiüe 5reit)eit, nämlicE) im SSergleicf) mit bem
Stiere. 2)enn i^n beftimmt nic^t, roie ba^ Zkx, bie anfd)aus
Iirf)e, gegenwärtige Umgebung, fonbern feine au§ früf)eren ©r*
fa^rungen abgezogenen ober burd) 33elef)rung überfommenen
©ebanfen. S)af)er liegt t>a§ SJ^otio, n)elrf)e§ aucf) if)n notroenbig
bemegt, bem 3iifrf)fi"er ni(f)t gugteicf) mit ber 2;at oor 5lugen;
fonbern er trägt e§ in feinem ^opfe {)erum. 3)ie§ gibt nid^t
nur feinem 2;un unb treiben im ganjen, fonbern fcf)on alten
feinen SSeroegungen einen oon benen be§ 5;iere§ augenfällig
i)erfrf)iebenen ®f)ara!ter: er rcirb gleid)fam üon feineren, nicf)t
fi(^tbaren ^äbm gebogen: ba{)er tragen alle feine SSeraegungen
ha§ ©epräge bei 55orfä^Iid)en unb 5(bfid)t{icl)en, n)etcf)c§ il)nen
einen 2(nfd)ein oon Unabf)ängig!eit gibt, ber fie augenfällig oon
benen be§ 2;iere§ unterfdjeibet. 5llle biefe großen S8erfd)iebens
Reiten l)ängen aber ganj unb gar ab oon ber 3^äl)ig!eit ab-
ftralter SSorfteüungen, begriffe." (^reiifcl)rift über bie ©runb*
läge ber 5moral, 1860, @. 148.)
'3)ie gä^igfeit abftrafter ^SorfteKungen rciebev ^ängt aber
ab t»on ber Sprache. 2Bal)rfcE)ein(id) voax eg ein ^Jlangel
in ber Sprache, ber W erften 33egripbitbungen üeranla^te.
Qn ber Statur gibt e§ nur (Singeibinge, bie 8praci)e ift
aber jii arm, jebe§ Qnbioibuum befonberä bejeid)nen ju
fiiuneu. ^er 9Jlenfd) mu§ bal^er alle einanber ä^nlicf)en
3Befen mit bemfelben 2ßort be§eid)nen, er unternimmt ba^
mit aber unbemu^t fd)on eine n:)iffenfd)aftlicl)e Stätigfeit, hk
Qufammenfaffung be§ ®leid)artigen, bie Strennung be§ ^Ser?
fd)iebenen. %k (3prarf)e ift benn auc^ ni^t blog ein Organ
ber ^erftänbigung oerfrf)iebener 9Jlenfcl)en untereinanber.
96 S)ie (St^i! be§ 2)?arji§mu§
fonbern aud) ein Organ be§ '3)en!en§ geraorben. 5(üd[)
rrenn man nid)t ju anbercn fpri(i)t fonbern für fid) adein
benft, mii^ man jeben (5^eban!en in beftimmte SOßorte fteiben.
@ibt aber bnrrf) al(e§ hci§ bie (Sprad)e bem ?[Renfd)en
eine relative fjrei^eit gegenüber bem 3:iere, fo entmicfelt
fie nur auf einer l)öf)eren ©runblagt, ma§ fd)on bie ^il=
bung be§ ®el)irn§ begonnen f)at.
^ei hen nieberen Vieren ftef)en bie ^craegung§nert)en in
birefter 33erbinbung mit ben (Smpfinbungsnerüen; f)ier löft
jeber öußere S^teij fofort unb unmittelbar eine SSeraegung
a\i§. 5IIlmäf)lic^ aber entmidelt fid£) ein §auptnert)en!noten
gu einem 9Jlittelpun!t be§ gangen 9^erüenfr)ftem§, ber bie
gefamten Steige aufnimmt unb nid^t aU^ fofort an bie Se^
n)egung§neroen meitergeben mu^, fonbern fie auf5ufpeid)ern
unb gu verarbeiten nermag. %a§ l)öl)ere Stier fammelt fo
Erfahrungen, bie e§ gu üerraerten, unb triebe, bie e§ fogar
unter Umftänben gu vererben vermag.
©0 mirb fd)on f)ier burd^ bie 3Sermitttung be§ (5)e()irn§
ber 3itfcimmenl)ang gn)ifd)en bem äußeren 9leig unb ber
SBemegung verbunfelt. ^uxd) bie (5pratf)e, n)eld)e bie SO^it-
teitung von ®rfa!)rungen an anbere, fomie abftrafte 33egriffe,
miffenfd)aftlic^e ©rfenntniffe unb Übergeugungen ermögUc{)t,
mirb ber ^^f^^^^^^^^^^Ö gtvifd)en ©mpfinbung unb 33e«
megung in vielen gäHen völlig unerl'ennbar.
&Uva§ 5at)nli(^e§ trägt fid^ in ber Ölonomie gu. ^k
urfprünglic^fte gorm ber SOßarengirfulation ift bie be§ ^lu§*
taufd^e§ von 2ßaren: von ^robuften, bie bem perfönlic^en
ober probuftiven ^onfum bienen. §ier mirb auf jeber ber
beiben (Seiten ein ^onfumgegenftanb gegeben, einer emp*
fangen, "i^er Qrv^d be§ 5lu§taufrf)e§, ber ^onfum, liegt
l)ier !lar gutage.
®a§ änbert fid^ mit bem 3luf!ommen eine§ bie Qixtn'^
lation vermittelnben Elemente^, be§ ©elbe§. Qe^t ift e§
möglidl), gu verfaufen, ol)ne gleid) gu laufen, ivie ba§ @e*
l)irn e§ ermöglid)t, ba^ 9ieige auf ben Drgani^mu^ ein*
2)ie SBanbtungen ber ^raft ber fo^iaten Xxkhe 97
iDirfen, bie md)t fofort eine ^en)egung au§Iöfen. Uttb rate
biefeä bie 5lnfamm(ung eineg ^Bä^a^e^ üon @rfa!)rungeu
unb trieben ermöglid)t ber fid) jogar vererben lägt, fo
fann man befanntlid) au(i) au§ @elb ©cf)ä^e an!)äufen.
Unh xük bie Qlnfammlung jene§ 6cf)a^e§ üon Erfahrungen
unb Strieben bei bem Eintreten ber notraenbigen gefeK^
fc^aftlic^en QSorbebingungen jc^Iieglirf) bie Entraid'Iung ber
SCßiffenfc^aft unb bie ^e^errf(i)ung ber DIatur burc^ h^xx
menfd)(id)en Greift ermög(i(^t, fo ermöglid)t hk ^Infamm-
lung t)on (55elbfd)ä^en hzi bem ©intreten beftimmter gefeit*
f(i)aftlict)er 33ürbebingungen bie 3}ern)anblung von ®elb in
Kapital, ha§ hie ^robuttiüität ber menfd)licf)en Arbeit auf§
]^ö(f)fte fteigert unb binnen menigen J^a^r^unberten bie Sßelt
meljr ummäljt, al^ el^ebem in §unberttaufenben t>on S<^^^'ß^^
gefd)et)en.
Unb fo mie e§ ^t)iIofopt)en gibt, hu ha glauben, hk
Elemente, ®el)irn unb ©prad)e, Er!enntni§t)ermögen unb
Qbeen, bie ben Qufammenljang graifd)en Empfinbung unb
^etoegung tjeinnitteln, feien xiidjt blo§ SiJlittel, biefen Qiu
fammenl)ang für ^nbinibunm unb ®efellfdE)aft ^medmägiger
unb erfolgreid)er gu geftalten, alfo il)re Gräfte anfd)einenb
^u t)ermel)ren, fonbern fie feien ron fid) au§ felbftänbige
<£rjeuger non Gräften, ja am Enbe gar bie (Sd)öpfer
ber Sföelt: fo gibt e§ and) Ofonomen, bie fid^ einbilben,
ha§ Gielb, ba§ hk 2ß}aren§irfuIation ©ermittelt unb al§
Kapital bie 9)löglid)!eit gibt, bie menfd)lid)en ^robuftio*
Gräfte enorm gu entfalten, fei ber Url)eber biefer Qixtn^
lation, fei ber (Sd)öpfer biefer Gräfte, fei ber Erzeuger aller
SBerte, n)eld)e über ben Ertrag ber primitirften §anbarbeit
I)inau§ probu^iert ra erben.
%k Slieorie ron ber ^robufttüität be§ S!apital§ beiiil)t
auf einem ©ebanfengang, ber gan§ analog ift bem non
ber grei^eit be§ SÖßilten^ unb ber 2lnnal)me eine§ (Sitten*
.gefe^e§, ba^, unabhängig üon Qeit unb Diaum, unfere
^anblungen im üiaume unb ber Qdt regelt.
ßautlfg, @tt)if unb materiatiftifrfie ®e|(i^irf)t§auffaffung. 7
98 2)ie (St^i! bc§ 2)?arji§mu§
(S§ wax nur logifrf), tücuu ^Jlaxic ben einen ©ebanfen-
gang ebenfo bcfämpfte irie ben anbcren.
b. ^rieg unb Eigentum.
®m tt)eitere§ 50^ittel neben ber ©cmeinfamfett ber 5lrbett
unb ber Sprache, um bie fojialen triebe ju ftärfen, bitbet
bie fo§iaIe ©ntraicfümg burd) ba§ Sluffommen be§ ^riege§.
Sßir f)aben feinen ©runb, an5nne{)men, bag ber Urmenfcf)
ein !riegerifd)er @e]e((e geraefen. §orben ron 5(ffenmenfd)en^
bie ficf) in hzn ^aumäften bei ergiebigen ^^itterplä^en be^
gegneten, mögen fid) barum gerauft unb eine bie anbere t)er*
trieben f)aben. ^ag e§ babei p Stötungen üon (S^egnern
fam, bafür ift ein ^öeifptel hei ben E)eute lebenben 5(ffen
nirf)t ju finben. 3Son männlic{)en ©ori((a§ rairb mo'^I be-
rirf)tet, ba§ fie einanber mitunter fo lüütenb befämpfen, ba^
e§ gu 5SJlorb unb 2otfcf)lag fommt, aber ha§ finb kämpfe
um ein Sßeibc^en, nid)t um gi^tterplä^e.
5Inber§ mirb'§, fobalb ber SJlenfd) ein Qäger ift, ber über
Sßaffen cerfügt, bie gum 5:öten geeignet finb, unb ber auc^
baran gen)i3{)nt ift, 58Iut gu nergie^en, frembe§ Seben ^u
nef)men. "^^aju fommt ein Umftanb, auf hm fd)on @ngel§
flingemiefen I)at, um bie SiJlenfcf)cnfrefferei gu erflären, bie
in biefem ©tabium ^äufig üorfommt: bie Unficf)er^eit ber
9^a^rung§que((en. 3SegetabiIifd)e 9^af)rung ift im Tropen*
malb in §ü((e riorf)anben. Qu ©rasebenen finb bagegcn
grüd)te unb Söurjeln nid)t überall ju finben, bie ©rbeutung
be§ 2öilbe§ ift aber ^um großen ^cil 3ufat(§fad)e. "SDie
Üiaubtiere f)aben baf)er aud) bie gdf)igfeit erlangt, unglaub^
lid) lange ^ungern ^u fönncn. ^er menfd)lid)e Silagen ift
nid)t fo augbanernb. %a brängt bie 9^ot einen ©tamm t)on
äßilben Ieid)t ^u einem Stampf auf Seben unb Sob mit
einem benad)barten ©tamm, ber einen guten Qagbgrimb
befe^t ^at; ba treiben if)n ^'ampfesmut unb qnälenber
junger fc^liefslid) fogar baf)in, hm ^einb nic^t blo^ gu
erfd)lagen, fonbern aud) gu t)er5ef)ren.
!Die $[?anblungen ber ^raft ber fo^,iaIen Zxiehe 99
2{uf biefe SSeife entfeffelt ber tec^nifd^e gortfd)rttt kämpfe,
bie bem ^i(ffenmenfcf)en gan§ fern lagen, kämpfe ni^t mit
Vieren anberer ^rt, fonbern mit (^attungggenoffen felbft,
Hcimpfe, oft norf) blutiger a(§ bie mit bem Seoparben imb
bem ^ant^er, beffen firf) menigftenS bie größeren 2tffen fef)r
roo^I 5u errüef)ren roiffen, menn fie in gri3§eren 5iJIengen
vereinigt finb.
9^icf)t§ irrtümli(^er, al§ bie 5Infic^t, ba§ bie fortfcf)reitenbe
Kultur unb fteigenbe§ SKiffen notrcenbig aud) f)öf)ere §umani^
tat mit firf) bringt. Tlan fönnte t)ielmef)r fagen, ber 2Iffe
fei humaner, alfo menfrf)(icf)er ai§ ber ^Jlenfcl). 9Jlorb unb
^lotfc^Iag an 5Irtgenoffen au§ öfonomif(f)en ©rünben finb
^robufte ber Kultur, ber 2ßaffente(i)nif. Unb bi§ !)eute gilt
i^rer 3Sert)o((fommnung nn groger 3:eil ber geiftigen 5lrbeit
ber ?[Renfd)^eit.
9^ur unter befonberen Umftänben unb in befonberen
klaffen mirb im meiteren gortgang ber Kultur ba§ erzeugt,
wa§ rcir SHilberung ber ©itten nennen. ®ie fortfc^reitenbe
5(rbeit§tei(ung meift ba§ Tötm von Vieren unb 3^enfcf)en
— Qagb, (5d)(äcf)terei, §inrirf)tung, ^rieg — befonberen
klaffen p, bie inner()alb ber ^^^^^^f^^i^n bann 9iof)eit
unb ©raufamfeit beruf §; ober fportmägig betreiben. 5Inbere
klaffen merben gän^licf) ber 9lotn) enbigf eit, ja oft ber 5[Rög*
Iicf)feit be§ 33Iutt)ergie§en§ entf)oben, fo §um ^eifpiel hk
üegetarifrf)en dauern in hm giufstätern ^nbienl, bie burcf)
bie 9latur gef)inbert merben, groBe ^^ief)f)erben ju ba(ten, unb
für bie ha^ Olinb gu foftbar a(§ ^^^Ö^^^^ ^^'^ 90^i(d)fpenber
ift, a(§ ba^ fie e§ über ficf) bräd)ten, e§ ^u ti3ten. Sturf) bie
meiften 8täbteben)of)ner in ben europäifdjen Staaten feit
bem Untergang ber ftäbtifc^en ^lepublifen unb bem 2Iuf*
fommen ber (2ö(bnerf)eere fomie be§ ©d)Iädf)ter!)anbn)er!g
finb üon ber D^otrc enbigf eit entbunben, Sebemefen p töten.
S^amentlic^ hk 3^te({eftue((en mürben ba feit ^a^x^nn--
bcrten aUem ^lutüergiegen fo entfrembet, ha^ e§ fie fd)Iiegs
lic^ meift mit (Sd)auber erfüllte, rcaS fie auf 9^e(f)nung if)rer
100 Sic C2t()if beg a»?arp§mu§
f)ö{)eren Qutedigens festen, bie fanftere (^efüf)le in it)ncu
eriüede. Slber in ben legten 3a!)r5ef)nten ift hk adgemeinc
2ßel)rpflicf)t rcieber eine allgemeine ®inricl)tnng ber meiften
europäijd)en (Staaten unb finb bie Kriege raiebcr 5n ^olf^-
friegen geiDovben, nnb bamit I)at bie 5Dlilbcrnng ber Sitten
unter unjeren Q^^ß^^^'^tucKen i^x (Snbe erreii^t. ©ie finb
feitbem bebeutenb üeiTol)t; hk StobeSftrafe, bie norf) in ben
fünfziger Qa^ren be§ neun5el)nten Qal)rf)unbert§ allgemein
verurteilt mürbe, finbet feinen äßiberftanb me!)r bei i^nen,
unb bie Seftialitäten ber ^olonialfriege, bie üor einem ^Iben
Qal)rl)unbert, menigften§ in ^eutfd)lanb, i^re Urljeber un*
möglid^ gemadl)t Ijätten, merben l)ier fieute entfc^ulbigt, oft
fogar oer^errlid^t!
Qmmerl)in fpielt ber ^rieg unter ben mobernen Q^ölfern
nid)t meiir jene üioUe mie el)ebem unter nomabifct)en Säger-
unb §irtenftämmen. Q^it'xQt er aber ©raufamfeit unb
SStutgier gegenüber bem geinbe, fo ermeift er fid) auf ber
anberen (Seite al§ ein mäd)tigeg SJlittel, ben 3ii1<^ii^nienl)alt
innerl)alb be§ ©tamme§, ber ®efellfd)aft, gu üerftdrfen. ^e
größer bie @efal)ren, bie ben einzelnen r)om geinbe bebrolien,
befto abfiängiger fül)lt er fid) üon feiner ©cfellfd)aft, feinem
<5tamm, feiner Sippe, bie allein il)n mit il)ren üereintcn
Gräften gu fd)ü^en vermag. '3)efto gröjser ba§ gefellfd)aft=
Iid)e 5lnfel)en, ba§ bie S^ugenben ber ©elbftlofigfeit ober
ber ba§ Seben für hk ©efellf(^aft magenben Stapferfeit ge=
tüä^ren. Qe blutiger bie Kriege §mifd)en §orbe unb öorbe,
befto mel)r mu^ aber aud) ba§ ©i)ftem ber Stuslefe unter
i^nen mirfen, muffen jene Sorben fid) am el)eften behaupten,
bie nid)t blog hk ftärfften, fonbern auc^ 'ok flügften, bie
tapferften, opferroilligften unb bi§5iplinierteften 5iJlitgtieber
aufmeifen. ©o mirft ber ^rieg in jenen primitioen Qäkn
auf ben t)erfd)iebenften äöegen bal)in, bie fojialen triebe
in ben 9Jlenf(^en gu verftärfen.
'3)er ^rieg felbft änbert aber im Saufe ber gefeflfd)aftli(^en
©ntmidluuö feine formen. 2(ud) feine Urfad)en n)ed)feln.
Sie SBonblungen ber .^rnft ber fo',iQlen Xxkhe 101
Seine erfte Urfarf)e, bie Unfid)erf)ett ber 9^af)rung§queßen^
^öxt auf, fobalb Sanbbau unb 3Stef)3U(^t me^r entrcicfelt
finb. 5(ber bamit tritt nun eine neue ^rteg§urfacf)e auf: ber
$5eft^ üon 9^ei(^tümern. 9^id)t ber prinate 33eft^, fon-
bern ber ©tammesbefi^. ^(^bm Stämmen in reii^en ©egen*
ben finben mir folcf)e in unfrud)tbaren; mb^n nomabifcf)en
maffenfrof)en unb armen §irten fegf)afte, be§ SBaffen*
gebraurf)§ entmö^nte 35auern, bereu 2ßirtfd)aft rei(i)(id)e
Überfrf)üffe erzeugt ufm. ^er ^rieg mirb nun S^laub unb
3Ibmef)r üon D^aub, unb t)a§ ift er im (S^runbe big f)eute
geblieben.
Slurf) biefe 2Irt ^rieg mirft aber ftärfeub auf bie fogialen
triebe, folange ^Oa^ Eigentum im Stamme t)orraiegenb nocf)
ein gemeinfameg ift. dagegen ^ört bie Stärfuug ber fojialen
2;riebe burd) ben ^rieg immer me^r auf, je me{)r im ©e*
meinmefen fid) klaffen bilben, gegenfä^Uc^e klaffen mit
befonberem Eigentum, unb ber ^rieg immer mef)r p einer
blogen 3(ngelegenf)eit ber ^errfcf)enben klaffen mirb, bie
banarf) ftreben, if)r Slu^beutungsgebiet ju t)ergrögern ober
ficf) an Stelle einer anberen ^errfrf)enben klaffe in einem
bena(i)barten Sanbe p fe^en. gür bie bef)errfc^ten klaffen
^anbelt e§ fid^ in foId)en Kriegen oft nicf)t me^r um eine
grage if)rer (Sriftenj, mitunter nirf)t einmal um bie einer
befferen ober fd)(ed)teren Seben5f)altung, fonbern nur barum,
mer if)r §err fein fo((. 2Inbererfeit§ mirb nun ba§ §eer
entmeber ^u einem 5(rifto!raten^eer, an bem bie 33o(!§maffe
nid)t ^eil l)at, ober, menn fie mitmirft, gu einem Sölbner^
ober einem 3roang§f)eer, ha§ von ber ^errfrf)enben klaffe
fommanbiert mirb unb ba§ fein 2^b^n einfe^en mu^, nirf)t
um ba§ eigene (Eigentum, bie eigenen grauen unb ^inber
gu oerteibigen, fonbern um frembe J^ntereffen, oft feinblic^e
J^ntereffen §u t)erfe(i)ten. 9lid)t mef)r burd) fojiale 2^riebe,
fonbern nur nod) bur(^ bie gurd^t tjor einem unerbittlid)
graufamen Strafgefe^ merben fotc^e §eere 5ufammengef)al5
ten. Sie merben entgmeit burrf) §a^ ber 5D^affe gegen bie
102 Sie (Stf)if be§ 9)?Qrp§mu§
§üf)rer, burc^ ©(eid)gültig!eit, ja SiJli^traueu ber tcljtcren
gegenüber if)ven Untergebenen.
2luf biefer Stufe f)ört ber ^rieg auf, in ber ^soUsmaffc
eine Sd)ule fojiater (Smpftnbungen gu fein. Qn ben {)crrfd)en=
ben, !riegerifd)en 5^laffen rcirb er eine Sd)ule f)od)nuitiger
Überl)ebung über bie bef)errfrf)ten klaffen, benn er Ief)rt bie
§errfd)enben, biefe le^teren ebenfo gu bef)anbeln lüie ben
gemeinen ©olbaten im §eere, fie ^u luidentofer Untermürfig*
feit unter ein abfoluteg ^ommanbo tjerab^ubrüden unb über
it)re Gräfte, ja if)r Seben rüc!fid)t5lo§ ju verfügen.
^iefe ©ntraidlung be§ Slriegeä ift, rcie wix fc^on gefagt,
eine golge ber (Sntiüicflung be§ Eigentums, bie inieber au§
ber ©ntrcicftung ber S^edE)nif f)ert)orgef)t.
Über jeben ©egenftanb, ber in ber @cfet(fd)aft probujiert
n)irb ober mit bem man in i[)x probujiert, mu§ jemanb
t)erfügen unb verfügen fönnen, fei e§ ein einzelner, eine
©ruppe ober bie ganje (^efeUfc{)aft. ^k 5{rt biefer 33er'
fügung ergab firf) 5unäd)ft von felbft au§ ber Statur ber
®inge unb ber Statur ber ^robuftion^rceife unb ber ber
^robufte. 2ßer fi(^ felbft feine SOßaffe mad)te, gebraurf)te
fie felbft; ebenfo rcer fid) ein ^(eibungeftüd ober einen
(5d)mud i)erfteUte; bagegen ergab e§ fid) ebenfo natürlich,
ba§ ha§ §au§, n:)etd)e bie §orbe mit gemeinfamen Gräften
für fid) erbaute, t)on iE)r gemeinfam ben)o!)nt mürbe. '3)ie
oerfc^iebenen SIrten be^ 9lu^genuffeg an hm r)erfd)iebenen
fingen maren alfo von t)ornf)erein gegeben, rciebcrf)o(ten
fid) t)on (Generation gu (Generation unb mürben gu feften
©erao'f)nl)eiten.
(So entftanb ein (Gemol)nf)eit§re(^t, ha^ bann uod) er^
meitert mürbe baburd), ba§, fo oft Streitigfeiten über bie
2(rt ber ^enu^ung ober über bie ^erfonen entftanb, meli^e
über eine Sac^e gu Derfügen l)atten, bie üerfammelten WiU
glieber ber (Gefe((fd)aft barüber entfd)ieben. ^a§ SRed)t ift
nid)t irgenb einer t)orbebad)ten (Gefe^gebung ober einem
(Gefe((fd)aft§t)ertrag entfprungen, fonbern ber auf ben Ud}--
2)te Sßanblungen ber ilraft ber fo^ialen SrieBe 103
nif(i)eTt Söebirtgungen beru^enben ®en)of)n^eit imb, rco biefe
md)t aii§rei(^te, einjelnen ©(i)ieb§fprücf)en ber (55efeKfrf)aft,
bie x)on gaö gu gall urteilte. So entftanb nad^ unb nad)
ein mannigfaltige^ (Sigentum2red)t an ben üerfd)icbenen
^robuftionSmitteln unb ^robuften ber (^efctlfc^aft.
^a§ gemeinfante (Eigentum übertpog aber im 3(nfang,
namentlid) an ^rübu!tion§mittetn , gemeinfam gerobetem
^oben, SBen)äfferung§anlagen, §äufern, rcoI)l aud) 9]iel)^
i) erben unb anberem mel)r. 5lud) biefe§ gemeinfame (Eigen-
tum mu§te bie jovialen triebe ungemein ftcirfen, ha§ Qnter-
effe am ©emeinmefen, aber aud) bie Unterorbnung unter
ba^felbe, b-ie 5tbf)ängig!eit üon ibm fe^r üerme^ren.
©ans anber§ mirft bagegen ha§ private (Eigentum einzelner
gamilien ober ^nbioibuen, fobalb e§ eine folc^e 2lu§be!)nung
erlangt, ba§ e§ beginnt, ha§ gemeinfame Eigentum ^uxiid-
gubrängen. ^ie§ trat ein, al^ infolge ber mad)fenben 2lrbeit§*
teilung bie t)erfd}iebenen ^anbmerfe begannen, fid) t)on ber
Sanbroirtfc^aft loSgulöfen, in ber fie hx§ ba^in S^eben^
befd)äftigungen gebilbet; aU fie felbftänbig mürben unb
fid) immer mel)r üergmeigten.
®iefe (Entraidlung bebeutet eine (Errceiterung be§ S3ereid)§
ber ©efe(tfd)aft burd) 51rbeit§teilung, eine (Ermeiterung ber
3al)l berjenigen 9Jtenfd)en, bie baburd) eine (S^efeHfc^aft
bilben, ha^ fie füreinanber arbeiten, alfo med)felfeitig für
if)re (E^iften^ aufeinanber angemiefen finb. 5lber biefe (Er*
meiterung ber gefeUfd)aftlic^en 2lrbeit gef)t nid)t in ber
SDßeife vox fic^, ^a^ ha§ ^ereid) ber gemetnfamen 5(rbeit
au§gebef)nt mirb, fonbem in ber Söeife, 'i^a^ t»on ber gemein^
famen 5lrbeit einjelne 3Irbeiten Io§geIöft unb ^u ^^rinat*
arbeiten felbftänbiger ^robujenten merben, bie ba§jenige
probujieren, ma§ fie nid)t felbft fonfumieren unb bagegen
t)on anberen betrieben bereu ^robufte eintaufd)en, um fie
gu fonfumieren.
©0 treten je^t bie gemeinfame ^robuftion unb bie ge*
meinfamen ^robuftion^mittel größerer, fid) im mefentlid)en
104 3)ie (St^i! be§ 9[»?arji§mu§
felbftgenügenber @cfe(lfcf)aften, gum 33eifpiel oon 9Jlar!* ober
rcenigfteng §au§genoffcnfrf)aften, gurüc! gegen ©injetpros
buftion imb ©ingelbefi^ einzelner Qnbbibuen ober ^^aare
mit if)reu S^iuberu, bie SOBaren probujiereu, ha^ ^ei{3t, ^ro-
bufte "nirf)t für ben Selbftgebraud), fonbern für ben 33er!auf,
für ben SHarft (lerfteden.
^arnit fommt aber neben bem ^rirateigentnm, ba§ fd^on
früf)er, loenn anrf) nid)t in fo I)o^em Tla^t beftanb, ein
gan3 neue§ 5!Jloment in bie ©efeüfc^aft: ber ^onfurrenj?
fampf ber üerfd^icbenen (Sinjelprobn^enten berjelben SIrt,
bie um i^ren 5Inteil am 5[Rar!te miteinanber fämpfen.
5D^an hüxa(i}td f)änfig bie ^onfnrrenj nnb and) ben
^rieg al^ bie formen be§ ^ampfe^ nm§ ^afein, bie bie
ganje Statur erfüllen. ^atfäcf)Iic^ entflammen beibe bem
te(i)nifdE)en gortfrf)ritt ber 9Jlenf(i)l)eit nnb geljören gn beren
befonberer (Eigenart. 33eibe unterfd)eiben ficf) t)on bem
Kampfe iim§ 2)afein ber ^iermelt babnrrf), ba§ bicfer ein
^ampf einzelner ober ganzer ©efe(If(i)aften gegen bie nm-
gebenbe S^atnr ift, ein ^ampf gegen belebte nnb unbelebte
9^atur!räfte, in bem fid) bie für bie jemeiligen befonbcren
Situationen beftau^geftatteten am el)eften erhalten nnb fort«
pflanzen. Slber er ift fein ^ampf auf Seben nnb ^ob gegen
anbere Qnbitjibuen berfelben ^Trt — aufgenommen einige
Ülaubtiere, bei benen aber and) bie le^tere 5trt be§ ^ampfe§
nur eine ]^öcf)ft untergeorbnete 9lolle im "iDafeingfampf fpielt,
unb aufgenommen hk kämpfe ber gef(i)lecl)tlicl)en 3ucl)tmal)l.
33eim SOflenfdien allein tritt, banf feinen rerüollfommten
SOßerfjeugen, ber ^ampf gegen Qnbiüibuen ber gleicl)en
Slrt al§ 5DRittel, fid^ im Kampfe um§ 2^hm ju bel)aupten,
in hm 3Sorbergrunb. 5lber auc^ ba ift mieber ein gewaltiger
Unterfd)ieb gmifd^en bem Kriege unb bem ^'onfurrenjfampf.
^er erftere ift ein ^ampf, ber groifc^en gmei t)erfcl)iebenen
(SJefeUfc^aften an§bric^t, eine llnterbrecl)ung ber ^robnftion
bebeutet unb bal)er nie eine ftänbtge (Sinrid)tung fein fann.
@r bebingt aber, menigften^ bort, mo nod^ feine großen
S)ie 25?anblungen ber ^oft bct fosiolen ^rieöe 105
^laffengegenfä^e beftefien, ben ftärfften fojtalen ^ufcitiimen^
f)alt, fi3rbert alfo ungemein bie fogtalen 2:r{ebe. ®ie ^on^
fürten^ bagegcn ift ein ^antpf unter einzelnen, unb jroar
unter Qnbiüibuen ber gleid£)en@efellftf)aft. tiefer ^ampf
ift ber Üiegulator, alterbingg dn fe^r fonberbarer, ber ha§
gefellj(i)aftli(^e ^ufammenarbeiten ber t)erfd)iebenen einzelnen
^robujenten im ©ange ^ält unb bafür forgt, t>ai in le^ter
Sinie biefe prioaten ^^robujenten ftet§ ha§ gefe(tfd)aftlic^
9^otn)enbige, ba§ ^ei^t ha§ unter hzn gegebenen gefe[If(i)aft^
Iid)en 3Ser^ältniffen D^otmenbige probu§ieren. Gilbet ber
^rieg eine ^eitmeife Unterbred)ung ber ^robuftion, fo bilbet
ber ^onfurren^fampf i^ren ftänbigen unb notraenbigen S3e*
gleiter, voo fie SÖßarcnprobuftion.
20ßie ber ^rieg h^'i:>tukt and) hk ^on!urren§ eine gro^e
^raftrierfd^menbung, aber fie ift aud) ein 5JlitteI, bie äu^erfte
5(nfpannung aller $robuftit)fräfte unb i^re rafd^efte QSer^
befferung gu er^mingen. Sie f)at bal)er eine gro^e rcirt-
fc^aftlic^e ^ebeutung, bi§ fie fo riefenl)afte ^robuftiüfräfte
f(i)afft, bag ber 9ia!)men ber SÖSarenprobuftion für fie ebenfo
gu eng mirb, rcie el)ebem ber ^a^men ber gefenfcf)aftlic^en
ober genoffenfc^aftlid)en primitiven 2Birtf(i)aft für bie rvad)^
fenbe 2lrbeit§tei(ung gu eng rcurbe. %k Überprobuftion
nid)t minber mie bie fünfttid^en (Sinfd£)rän!ungen ber ^ro^
buftion burdE) Untemef)mert)erbänbe bezeugen, ba§ bie Qeit
t)orbei ift, wo bie ^onfurren^ al§ (Stachel ber ^robuftion
bie gefertfc^aftli(i)e ©ntrairflung förberte.
2lber ftet§ tat fie hk§ nur in ber Sßeife, ba§ fie gu mög«
IidE)fter ^lu^be^nung ber ^robuftion antrieb. '3)agegen rcirfte
ber ^onfurren^fampf unter ben einzelnen 9}ZitgIiebem ber
glei(i)en ®efe((f(i)aft unter atten Umftänben gerabeju mörbe«
rifrf) auf hk fo^ialen 2^riebe ein. ®enn in biefem Kampfe
bef)auptet fid) jeber um fo e!)er, je meniger er firf) von
fo^ialen Sf^üdfic^ten leiten lä^t, je mel)r er au§fdE)Iie§lid)
fein eigene^ Qntereffe im 5{uge ^at. gür ben 9Jlenfd)en
ber entmidelten Sarenprobuftion liegt e§ benn and) na^e.
106 Sie (Stf)i! be§ ÜJ?arji§mu§
im (£got§mu§ ben emsigen natürlicf)en ^vicb im 9}leufd)en
ju fef)en unb bie fojialen triebe entraeber al§ einen raffinierten
(5goigmn§ ober aii eine ©rfinbnng üon Pfaffen jnr ^Sel^err--
fc^nng ber 9J]enfc^en ober al§ ein übernatiirlid)e§ 9Jlt)fteriiim
ju betrad)ten. 3ßenn in ber {)entigen @efeUfd)aft bie fojialen
triebe nod) einige 5^raft beir)af)rt f)aben, ift e§ nur bem gu
t)erban!en, ba^ bie allgemeine 2öarenprobu!tion nod) eine
fel)r junge ®rfd)einung ift, !aum l)unbert Qabre alt, unb
ha^ in bem ^J^afse, in bem ber urir>üd)ftge bemofratifc^e
Kommunismus t)erfd)unnbet unb bamit audl) ber S^rieg auf*
l^ört, eine Ouetle jovialer Striebe gu fein, eine neue Quelle
berfelben um fo ftärfer fliegt, ber Klaff enfampf aufftreben*
ber, ausgebeuteter SSolfSflaffen, ein Krieg, ber nid)t üon
©ölbnem, nic^t oon QmangSl^eeren, fonbern t)on Jrei*
miUigen, nirf)t für frembe Qntereffen, fonbenx für bie Qnter*
effen ber eigenen Klaffe gefül)rt rcirb.
4, Das eeltungsbereidt) der [ozialen triebe.
a. ^ie Qnternationalität.
2Beit me^r nod) als ber ©tär!e grab oeränbert fid) baS
SBereicf), innerl)alb beffcn bie fo^ialen triebe mirfen, mit
ber ©ntraicflung ber ©efellfd)aft. %k l)erfömmlid)e (Stl)if
erblidt in bem Sittengefe^ bie Kraft, bie baS 3]erl)ältniS
beS 50^enfd)en gum 9)lenfd)en regelt, "^^a fie üom Qnbi*
t)ibuum, nid)t üon ber G)efellfcl)aft auSgcl)t, überfielt fie
üollftänbig, ba§ baS ©ittengefe^ nid)t ben 3]erfel)r beS
^enfct)en mit jebem anberen 5[Renfd)en regelt, fonbern blog
ben 3]ertel)r beS 9Jlenfc{)en mit 9)]enf(^en ber gleirf)en (S5e =
fellfd^aft. ^a^ eS nur für biefe gilt, mirb begreiflid),
menn man firf) h^n Urfprung ber fojialen triebe üergegen*
märtigt. ©ie finb ein Mittel, ben gefcllfd)aftlid)en
3ufammenl)alt gu üergröf3ern, bie Kraft ber (^efellfd)aft gu
t)erftär!en. ^aS Stier empfinbet fo^iale 2:riebe nur für bie
9Hitglieber ber eigenen gerbe, hk anberer gerben ruerben
il)m mel)r ober meniger gleid)gültig fein, ^ei fo^ialen Olaub^
Sal ®eItung§Berei(^ bcr fojiaten triebe 107
tieren finben wix btrefte geinbfeligfeit gegen ^nge!)örlge
frember 9iubel. (3o tpa(i)en jum 33eifpiel in ^onftantinopel
bie $ariaf)nnbe jeber ©tra^e eiferfüd)tig barüber, ba§ fein
anberer ©nnb ba§ von if)nen oünpierte O^eüier betritt. ®r
rcirb fofort rerjagt ober gar 5erfleifcf)t.
Qn ein äf)n(id)e§ i^erf)ältni§ fommen bie menfcf)lid)en
§orben, fobalb Qagb unb ^rieg unter if)nen auffommen.
föine ber n)id)tigften gönnen be§ ^ampfe§ um§ 'S) afein
loirb je^t unter if)nen ber ^antpf ber §orbe gegen anbere
§orben berfelben 3Irt. ^er SJZenfrf), ber nid)t 9)litglieb
ber eigenen @efel(fd)aft ift, inirb je^t bireft gum geinbe.
^ie fogialen 3:riebe gelten ntcf)t nur nid)t für if)n, fonbern
gegen if)n. Qe ftärfer fie finb, befto fefter f)äit bie §orbe
gufammen gegen ben äußeren geinb, befto energifd)er be*
fämpft fie biefen. ^ie fojialen Stugenben, §ilf^bereitf(i)aft,
Opfermut, SBa^r^eitsliebe ufra., gelten nur für ben ©enoffen,
nidjt für ha§ SOlitglieb einer anberen gefellf(i)aftlidE)en Or^
ganifation.
5[Ran ^at e§ mir einmal fel)r verübelt, al§ ic^ biefe %at'
fad)e in ber „Dienen Qeit" fonftatierte, unb meine geft-
ftellung fo gebeutet, al§ l)ätte id) ha ein befonbere§ fojial*
bemo!ratifd)e§ SO^oralprinjip feftftellen raoUen, im ©egenfa^
gu ben ©runbfä^en be§ emigen (Sittengefe^e§, hai ha un-
bebingte 2öal)rl)aftigfeit gegen jebermann erl)eifd)t. ^n
2öirf'üc!)!eit l)ahe id) nur au§gefpro(i)en, ma§ feit ber 9)lenfc^5
rcerbung unferer 3]orfal)ren ftet§ aU ©ittengefe^ in ber
menfd)lidE)en S3ruft gelebt, ba§ bem geinbe gegenüber hk
fojialen ^ugenben nirf)t geboten finb. 5JZan ^at aber feine
Urfad)e, fid) be5l)alb gerabe über hk ©ojialbemofratie be*
fonberS ju entrüften, ha z§ feine Partei gibt, bie ben ^e^
griff ber ^efeltfcl)aft meiter fagt mie fie, bie Partei ber
Qnternationalität, bie alle D^Zationen, alle Üiaffen in ha§
^ereid) i^rer ©olibarität §iel)t.
®ilt ba§ ©ittengefe^ nur für 9Jlitglieber ber eigenen ©e^
fellfd)aft, fo ift bereu Umfang bod) feine^megi ein für alle=
108 ®ie (St()if bc§ 3)?ary{§mu§
mal gegeben. @r voäd)}t t)ielmcf)r in bcm 9}]a^e, in bem
bie 3(rbeit§teiliing fortfd)reitet, bie ^robnftiüität ber menfd)^
liefen Arbeit n)äd)ft, forcie bie 5l}]ittel be§ 9Jlenfrf)enüer!e!)r§
fic^ üerooUfommnen. ^§ nerme^rt ficf) bie 5JIcnge 90^enfcf)en,
bie ein beftintmte§ ©ebiet ernäE)ren fann, bie anf einem
beftimmten ©ebiet füveinanber nnb miteinanber arbeiten
unb fo gefe(lf(f)aftlid) tjerbunben finb. ®§ t)ermel)rt fic^
aber aud^ bie 5!Jlengc ber ©ebiete, beren ^emo^ner in QSer^
binbnng miteinanber leben, nm füreinanber ^n arbeiten unb
eine gefellfc^aftlicl)e ^Bereinigung gu bilben. @§ mäcl)ft enb*
lid^ ber Umfang ber ©ebiete, bie miteinanber in feften ge=
fellfcf)aftlirf)en Qufammen^ang treten unb eine bauernbe ge*
fellfd)aftlid^e Organifation bilben, mit gemeinfamer (3prad)e,
gemeinfamen Sitten, gemeinfamen ©efe^en.
^aii) bem 2:obe Slle^-anberä von 9Jla!ebonien bilbeten
bereits bie S3öl!er be§ öftlic^en SHittelmeerberfenS einen intern
nationalen ^rei§ mit einer internationalen (Spracl)e, ber
gried)ifc^en. ^ad) bem 3Iuffteigen be§ Olömertumä mürben
alle Sauber um ha§ gan^e SJlittelmeer l)erum ein noc^
meiterer internationaler ^rei§, in bem bie nationalen Untere
fd)iebe au§gelöfcl)t mareu unb ber fid) für ben Diepräfen«
tauten ber 5[Renfc£)^eit l)ielt. %k neue S^teligion be§ ^reife§,
bie an bie ©teile ber alten nationalen ü^eligionen trat, mar
üon riornl)erein SOßeltreligion mit einem G5ott, ber 'ok gan^e
Sßßelt umfaßte, üor bem alle Wm\&)en gleicl) maren. ^iefe
9leligion manbte fid) an alle 5!}lenf(^en, erflärte fie alle für
Slinber be§ gleid)en (SotteS, für trüber.
3lber tatfäd)lid) galt and) l)ier ba§ ©ittengefe^ nur für
bie SSHitglieber be§ eigenen ^ulturfreifeS, für bie „(S:E)riften",
für bie „(Gläubigen''. Unb ber @d)raerpun!t be§ ©^riften^
tumS manberte im ^oi^tö^^^Ö ^^^' 33ölfern)anberung immer
meiter nad) S^orben unb SSeften. Qm Cften unb (Biihm
bilbete fid) ein neuer internationaler ^ulturfreiS mit eigener
(Sittlid)!eit, ber be§ Q§lam, ber ebcnfo in 5lfien unb 2lfrifa
üorbrang, mie ber d)riftlid)e in (Suropa.
S)a§ ©eltung^Bereic^ ber fostoten S^rieBe 109
Qe^t aber erweitert fic^ biefer le^tere, ban! bem ^apt*
tali§mu§, immer m^i)x gu einem uniüerfalen, ber ^ubbfiiften,
SJlosIim, Warfen, 2{n!)änger be§ ^raf)mani§mii§ ebenjo um*
fa^t ir)ie bie (Jf)riften, bie immer mef)r aiiffiören, it>irfIicE)e
ß;f)riften gu fein.
©0 bilbet fic^ eine ©runblage §ur enblidjen S^erroirf*
Iid)ung jener fittli(i)en ^^nfd)auung, bie f(i)on ha§ (Sfiriften*
tum augfprad), aber fef)r üoreilig, fo ba§ e§ fie nid)t ju
üern)ir!Iid)cn üermod)te unb fie für bie 9)laffe ber (J!)riften
bloge ^f)rafe blieb, ber 5Inf(^auung t)on ber ®Iei(^f)eit ader
Menfd)en, ber 5(nfc^auung, bag bie fojialen triebe, bie
fittlic^en ^ugenben allen gegenüber in gleirf)er Sßeife ^u
betätigen feien, ^iefe ©runbtage für eine atigemein menfct)*
li(^e SJloral mirb gebilbet nic[)t burd) eine moralifc^e 3]er'
beffemng ber 9)lenfct)en, ir>a§ immer man barunter t3erfte!)en
mag, fonbern burd) bie ©ntmicflung ber $robu!tiü!räfte
ber 9)]enfci)en, burd) bie ©rmetterung ber gefellfd)aftli(^en
Slrbcitsteilung, hk 3]eroollfommnung be§ 35er!el)r§. ^iefe
neue 9}loral ift aber aud) ^eute nod) rceit entferntt bat3on,
eine 9Jloral aller 5JZenfd)en au(^ nur in bzn öfonomifc^
fortgefd)rittenften Säubern gu fein, ©ie ift h\§ l)eute nod)
im mefentlid)en bie 93loral be§ tlaffenbercugten Proletariats,
jeneg Seiig be§ Proletariats, ber fid) in feinem gül)len unb
teufen t)on ber 9Jlaffe ber übrigen ^et)5l!erung loSgelöft
unb, im (Segenfa^ §ur Sourgeoifie, eine eigene 9J^oral ge*
bilbet ^at.
2Ößol)l ift e§ ba§ Kapital, ba§ hk materielle (SJrunblage
einer allgemein menfd)lid)en 50^oral fd^afft, aber eS fd)afft
jene ^runblage nur baburd), ha^ eS biefe SJloral ununter^
brod)en mit j^ü^en tritt. "S^ie fapitaliftifc^en Stationen be§
^'reifes ber europäifd)en ©efellfc^aft ermeitern biefen babur(^,
ba§ fie il)re SluSbeutungsgebiete ermeitem, voa§ nnx auf bem
SÖßege ber ©emalt möglid) ift. ©ie fd)affen alfo bie @runb*
lagen eineS fünftigen 25>eltfriebenS burd) hm SSeltfrieg, bie
ber allgemeinen ©olibarität aller DZationen burc^ bie allge*
110 Sie et^if beg 3}Jarjiöinu§
meine 3Iu§bcutung aUcx Stationen, bie ber ©inbejte^ung
oder ^olonialtänber in ben ^rci§ ber europäi]d)cn Kultur
bnvd) Unterjod)ung aiUx SvoloniaUänber mit ben fd)(immften
©eiüaltmitteln brutalfter Barbarei. @rft ^a§ Proletariat,
ba§ an ber fapitaliftifd^en 2lu§bentung feinen 5(nteil l)at,
fte überall befämpft unb befämpfen mn§, mirb anf ber nom
Kapital gefd)affenen ©runblage be§ 2öe(tt)er!el)r§ unb ber
2ße(trairtfd)aft eine (S^efeüfc^afteform fd)affen, in ber bie
®leid)f)eit aller 9J^enjd)en üor bem ©ittengefe^ au§ einem
frommen 20ßunfd)e jur 2ßirflid)feit mirb.
b. ®ie ^laffenteilung.
5lber menn bie ö!onomijd)e ©ntraidlung auf biefe 2ßeife
bal)in ftrebt, ben ^rei§ ber (5^efell]d)aft, innerl)alb beffen
bie fo^ialen S^rtebe unb Stugenben gelten, immer mef)r §u
ermeitern, h\§ er fd)lie^lid) bie ganje 5iHenfd)l)eit umfaßt,
fo fd)afft gleichzeitig biefelbe (Sntraidlung innerl)alb be§
^reifeg ber (Sefellfd)aft nid)t blog prioate ©onberintereffen,
bie geitrceife bie fo^ialen triebe fel)r f(^rcäd)en fönnen, fon=
bern aud) gefellfd)aftlid)e ©onberfd)id)ten, bie innerhalb il)re§
engeren 33ereid)§ bie fogialen triebe unb ^ugenben fe^r
fräftigen, gleichzeitig aber beren Geltung für bie anberen
5iJlitglieber ber @efamtgefcllfcf)aft ober menigften§ für bie
feinblid)er @onberfc^id)tcn ober Sllaffen fel)r beeinträcl)tigen
fönnen.
5lud) bie ^ilbung ber klaffen ift ein ^robuft ber 5Irbeit§5
teilung. (Sd)on bie tierifd^e @efcllfcl)aft ift fein ganj gleicf)^
artige^ ©ebilbe. ^n il)rem <Sd)oge finben fiel) bereit§ üer^
fd)iebene ©ruppen, bie i:)erfd)iebene ^ebeutung für ha§
(SJemeinmefen unb im G^emcinraefen l)aben. ^od) beruht
biefe Gruppierung noc^ ganj auf natürlichen Unterfdliieben.
^a ift t)or allem ber Unterfri)ieb be§ (^efd)led)te§, bann
aber ber beg 3(lter§. J5nnert)alb jebeg @efd)lecf)te§ finben
mir bie Gruppen ber ^inber, ber §albermad)fenen, ber volU
reifen (£rn)acl)fenen unb enblic^ ber Greife. ®ie ©rfinbung
S)a§ ©eltung^bcreic^ ber fojialen Xxkle 111
be§ ifißerf^eugg bient pnäd^ft baju, bie Trennung einiger
bicfer Gruppen nocf) 311 rerftärfen, inbem fie mancher von
if)nen einzelne 2Öerf§euge bejonber^ ^urceift. ©0 faden Qagb
unb ^rieg ben 9}Mnnem gu, hk leitetet f)ernmftreifen fönnen
al§ bie granen, 'i^k ftet§ mit if)ren ^inbern belaftet finb.
*^ie§ unb ni(i)t etrca geringere 2ßef)rf) aftigf eit bürfte Qagb
unb ^ineg in hcn meiften OSiilfern ju einem 9JlonopoI ber
^iJlänner gemad)t f)aben. 20ßo mir in ©efd)id)te unb <3age
meibüc^e J^äger unb Krieger antreffen, ba finb e§ ftet§
Qungfrauen. 2(n ^raft, 5Iu§bauer unb SiJlut fef)It e§ ben
grauen nicf)t, aber bie 5D^utterfd)aft t)erträgt fid) fd)led)t
mit bem unfteten Qebm be§ S^Ö^^'^ ^^"^ ^rieger^. "^a aber
bie 9Jlutterf(i)aft hk ^rau ef)er §u ftetigem ^Sermeilen an
einem Orte treibt, faden if)r §unäd)ft Jene Slufgaben gu, bie
einige ©e§f)aftig!eit bebingen, ber QInbau ber gelbfrüd)te,
bie §egung beg §erbfeuer§.
3e nacE) ber ^ebeutung, bie nun auf ber einen Seite
3cigb unb ^rieg, auf ber anberen ©eite gelbbau unb §au§=
^a(t für hk ^efedfc^aft erlangen, unb je nad) bem Slnteil,
hen jebe§ ber beiben ©efd)(ed)ter an biefen ^efd^äftigungen
^at, n:)erf)felt 'tk ^ebeutung unb ba§ 3Infef)en be§ Manm§
unb ber grau in ber (Sefe{{fd)aft. 2Iber and) hk S3ebeutung
ber 2(Iter§!(affen in if)r !)ängt t)on ber ^robuftionSraeife ab.
Übermiegt bie Qagb, bie gro^e Unfi(i)erl)eit ber 9Za^rung§*
queden unb ^eitmeilige gro^e SÖßanberungen mit firf) bringt,
bann merben bie alten Seute leid)t jur Saft für bie GJefetl*
fcf)aft. 5[Ran tökt fie oft, t)er§el)rt fie fogar mitunter.
3Inber§, menn bie 9J^enfcf)en fe^f)aft gemorben, 33ief)3ud^t
unb ^tderbau reid)lid)eren ©rtrag abrcerfen. Qe^t fönnen
bie Sitten rut)ig im §eim bleiben, unb e§ mangelt nicl)t an
9^at)rung für fie. Qe^t ift aber aud^ fcl)on eine gro^e
Summe von (£rfal)rungcn unb 3ßiffen in ber ©efellfd^aft
aufgefpeid)ert, bereu ^eiDal)rer, folange bie ©d)rift nitf)t
erfunben ober bocl) nidE)t (Gemeingut gemorbcn, im 3Solfe
bie alten Seute finb. Sie finb ba bie Überlieferer beffen.
112 2)ie Gtf)i! be§ 3)?arji0mu§
n)a§ man al§ Einfang ber 2öiffenfrf)aft betracf)ten !ann. ©o
tüerben fie je^t nid)t al§ fd)äblid)e Saft empfiinben, fonberu
aU hie Sträger ()o^cr 2ßeiö()cit eI}vfiird)t5X)ol( gefd)ä^t. ®ie
6d)rift imb gar bev 33ud)brud raubt ben alten Seuten ba§
^rir»i(egium, bie ©umme alter (£rfaf)rungen unb Überliefe-
rungen ber (^cfcllfc^aft in fid) gu üerforpern. ^ie ftete
iRenolutionierung aller (£rfal)rungen, bie bann bie Eigenart
ber mobernen ^robuftionSrceifc rcirb, inad)t gar alle alten
Überlieferungen jum JJeinbe be§ 9^euen. ^ieg gilt nun von
t)ornf)erein aB ha^ ^effere, baä 5llte al§ oeraltet unb ha-
l^er jd)led)t. %a§ Sllter mirb nur nod) beniitleibet, e§ üer*
leil)t fein ^reftige me^r. (£§ gibt l)eute fein grö^ere^ Sob
für einen eilten, alB ba§ er nod) jung fei, nod) empfang*
lid) für alles 3^eue.
2Bie ba§ 5(nfel)en ber ©efd)led)ter, fo rced^felt alfo aud)
ba§ 2lnfel)en ber t)erfd)iebenen ^IterSflaffen in ber ©efcll*
fd)aft mit ben t)erfd)iebenen ^robuftioniiüeifen.
®ie fortfd)reitenbe ^IrbeitSteilung lä^t bann meitere Unter*
fd)iebe innerl)alb jebeS ber ©efd^led^ter auffommen, am
meiften unter ben ^Jldnuer-n. ®ie grau rairb 5unäd)ft ge*
rabe burd) bie fortfd)reitenbe 2(rbeit§teilung immer me^r
an ben §au§l)alt gefettet, beffen Umfang abnimmt, ^tatt
in raac^fen, ba immer mel)r ^robuftionS^meige von il)m
abgelöft, üerfelbftänbigt unb gur Domäne ber 9Jlänner
merben. ®er ted)nifd)e gortfd)ritt, bie 3trbeit§tcilung, bie
©d)eibung in t)erfd)iebene Berufe befd)ränft fid) hi§ in§
le^te Qal)rl)unbert l)inein faft au§fd)lieglid) auf bie 9Jlänner*
melt, nur menige ^tefle^'e baüon treffen ben §au§l)alt unb
hk grau.
$5e me^r biefe ©d^eibung in t)erfd)iebene ^emfe t>or fid^
ge^t, befto rermidelter mirb ber gefellfd)aftlid)e Drgani§mu§,
beffen Organe fie bilben. ®ie 2lrt unb äßeife il)re§ Qu*
jammenmirfenS in bem grunblegenben gefellfd)aftlid)en ^ro*
ge§, bem mirtfd)aftlid)en, mit anberen äßorten, bie ^ro*
buftionSmeife, ift nid)t§ 3^^f<^lli96§- @ie ift r>on bem 3ßillen
S)ü0 ®eltung§bereic!^ ber fosiaten triebe 113
hzx einzelnen :3nbit)ibuen gan^ unabhängig unb ratrb burrf)
bie gegebenen niatenetlen S3ebtngungen notraenbig beftimmt.
Unter biefen ift rcieber hk Sted)nif ber n)id)tigfte gaftor,
berjentge, beffen ©ntratdlung bie ber ^robuftion§raeife bc-
jDtrft. Slber er ift nic^t ber einzige.
Dle^nten lüir ein 33eifpiel. 9)lan l^at bie materialiftifc^e
<S^efrf)i(^t§auffaffung t)ielfa(i) fo i:)erftanben, al§ bebeute eine
gerciffe ^e(i)nif o^ne lüeitere^ and) fd^on zim gerciffe ^ro*
buftion^roeife, ja and) eine geroiffe gefe(lf(^aftlirf)e unb poIi=
tifd)e gorm. ^a aber ba§ nicf)t zutrifft, ba loir biefelben
Söerf^euge in r)erftf)iebenen ®efellfd^aft§pftänben treffen, fo
fei eben hk materia(iftifd)e ©efd)id)t§auffaffung falfd), rcerben
bie gefeIlfd)aftIidE)en SSer^ltniffe nic^t bloß burd) bie Xed)nif
beftimmt. ^er ©inmanb ift rid)tig, aber er trifft nic^t bie
materialiftifd)e (^efd)id)t§auffaffung, fonbern ifire ^arifatur,
burc^ ^Sermec^flung oon ^ed)ni! unb ^robuftiongmeife.
9Jian I)at gum ^eifpiel erflärt, ber ^flug bilbe bie (5)innb*
£age ber bäuerlid)en 2ßirtfd)aft. 2(ber mie mannigfach feien
bie gefe(lfc^aftlid)en Quftänbe, in benen biefe x)or!dme!
6id)er. 5lber fet)en luir nur einmal §u, moburd) bie 2lbs
n>eid)ungen ber t)erfd)iebenen ©efe(Ifd)aft§formen bebingt
ujerben, bie auf bäuerli(^er ©runblage erfte^en.
S^e^men mir einmal eim ^auernfd)aft, hk an ben Ufern
«ine§ jener großen tropifd)en ober fubtropifd)en ©tröme
mof)nt, bie peiiobifd) i{)re Ufer überfluten, SSerberben ober
grud)tbarfeit für ben ^oben mit fic^ füf)renb. Sßafferbauten
merben notmenbig, hk ©emäffer ^ier gurüd^ufialten, bort
abzuleiten, ^k einzelne ®orffd)aft ift nid)t imftanbe, fold)e
bauten für fic^ allein auf§ufül)ren. ©ine ganje 9^eil)e bat)on
mug jufammentreten, jebe mug Slrbeiter ftellen, e§ muffen
•gemeinfame Beamte eingefe^t merben, mit bem Sluftrage,
bie Arbeiter anjuleiten ^ux ^erfteltung unb Qnftanbl)altung
bet bauten. ;3e gemaltiger bie bauten, befto mel)r ^orf*
jrl)aften ftnb baran beteiligt, befto größer bie Qa^l ber
gronarbeiter, bie fie ftellen, befto größer bie befonberen
S?QUt§t9, etf)i£ unb matertaliftti'cf)c @efc^icf)t§QUffaffung. 8
114 Sie (Stf)it bc§ 33?arji5mu§
^enntniffe, bic cvforberlid) finb; foI(i)e bauten 511 leiten,
bcfto größer bie '¥lad:)t unb ba§ 2ßtffen ber leitenbcn ^e*
amteu gegenüber ber 9}laffe ber 33eoü(ferung. So ern3äd)ft
anf ber ©runblage ber bäner(id)en 2ßirtfd)aft f)ier eine
^riefter* ober 33eanitenfafte, toie in ben Jhi^ebenen be§
^i[§, be§ ©up^rat be§ §oangf)0.
©ine anbere 3Irt ber (gntraidümg finben rair bort, rco fid^
in frnd)tbarem, lcid)t 3ngänglicf)em ©elänbe eine blül)enbe
bäuertirf)e 20ßirt]rf)aft in ber 9M()e ränberifrf)er 9lomaben
feftfc^t. ®ie S^otiüenbigfeit ber 2Ibit)ef)r biefcr 92omaben
graingt bie 95auern, fid) eine @cf)n^truppe gn bitben, xr)a^
rcieber anf t)erfrf)iebene 3Irten gefrf)eF)en !ann. ©ntroeber
verlegt fid) ein Seil ber dauern anf§ 2öaffenl)anbioer! nnb
fonbert fid) non ben anberen ab, bie if)m eine ©egcnleiftnng
liefern. Ober bie ränberifrf)en 9Zad^barn rcerben felbft bnrd^
eine Sribut5af)lung reranla^t, ^rieben gn l)alten unb il)re
neuen ©d)ut5befol)lenen uor anberen üiäubern gu fcl)ü^en.
Dber enblic^, bie 9^ad)barn erobern ha§ Sanb unb bleiben
brin al§ §erren über bie ^auernfcl)aft bie fie fid) ^in§'^
pflid)tig niad)en, für bie fie aber aucl) eine ©d^u^truppe
barftellen. %a§ @rgebni§ ift jebod) immer ba§felbe: ha§
Sluffommen eine§ g^^^^^^^^"^^^^/ ^^^ ^^^ 53auernfd)aft unter=
iDirft unb ausbeutet.
931itunter vereinigen fid) ber erfte unb ber graeite 2ßeg
ber (gntraidlung, bann tritt gut ^riefter* ober 53eamten*
fafte nod) eine ^inegerfafte l^inju.
SBieber anber§ geftaltet fid) bie ©ntmidlung ber 33auern*
fd)aft an einem 5Ü^eere mit guten §äfen, bie bie @eefal)rt
förbern, unb nal)en fremben lüften mit n)ol)ll)abenber 33e*
r>ölferung. "tR^h^n bem Raubbau bilbet fid) ba bie gifc^erei,
bie balb gum (Seeraub unb Seel)anbel übergel)t. 5In einem
befonberg geeigneten §afenpla^ fammcln fid) ^eute unb
^aufmannSroarcn, bilbet fid) eine (Btaht reid)er ^aufl)erren.
§ier erl)ält ber ^auer einen Tlaxtt für feine ^robufte, e§
erftel)en il)m öjelbeinna^men, aber aud) ©elbau§gaben, (3^ih-'
2)a§ ©eltung^bcreic^ ber fo^talen S^rieBe 115
t)erpfli(^timgen, (Sd)ulben. ^a(b ift er ber (SdE)ulb!necf)t ber
ftäbtif(f)en ©elbbefi^er.
Seeraub unb Seef)anbel foraie Seefrieg bringen aber
aurf) ja^lre{(i)e§ btdigeg ©flaüenmaterial m§ Sanb; bie
ftäbtifc^en ©elbbefi^er ge^en nun ba^u über, ^tatt t^re
bduer(id)en (S(i)u(bfnec^te rceiter auggubenten, fte von if)ren
(S^ütern gu verjagen, biefe gu großen ^lantagen ^ufammen*
anlegen unb an ©tede ber bäuerltc{)en bie 8flat)enn)irtf(i)aft
ein5ufüf)ren, o^ne ha^ babei Söerf^eug unb ©eräte be§
Sanbbau^, feine Zed)n\t, fid^ im geringften gu änbern
braucht.
©nblicf) finben rcir einen vierten ^t)pu§ bäuerlicher (^nU
lüicflung in fc^raer gugäng(icf)en G5ebirg§(änbern. ^er 33oben
ift bort arm unb fcfiraer urbar gu madjzn. Dieben bem
Sanbbau bleibt bie 9Sie^5ucl)t t)or^errfcl)enb, beibe xdd)^n
inbe§ nid)t au§, einen grogen ^et)ölferung§3un)acl)§ ju er*
ndliren. 3lm guge be§ @ebirge§ aber lo(Jen frud^tbare,
n)ol)langebaute Sänbereien. ^ie (^^bixg^§bau^xn merben üer*
fud^en, biefe gu erobern unb auszubeuten ober, rco fie auf
Sß^iberftanb ftogen, if)ren 5[Renfd)enüberfrf)ug p üerbingen
al§ ^rieg5fnec[)te. ^eren ^rieg§erfat)rung trägt bann roieber
im 3Serein mit ber Unn)irtlicl)feit unb fcl)meren gugänglid)-
feit be§ Sanbe§ bei, e§ üor fremben ^nüafionen gu fcl)ü^en,
5U benen feine 2(rmut ol)nel)in nid)t alljufelir antreibt, ^a
erhält fic^ bann nocE) bie alte bäuerlicl)e ^emofratie, rcenn
ringSljerum fc^on längft alle 3Sauernfd)aft von ^eubal^erren,
'Pfaffen, ^aufleuten unb 2öucl)erern abl)ängig gemorben ift.
DJlitunter fiil)rt eine berartige urn:)ü(i)fige ^emofratie in
einem benacl)barten Sanbe, ha§ fie erobert l)at, fetbft ein
ftrengeg 'Jlusbeuterregiment, in feltfamem ©egenfatj §ur
eigenen ^ocl)gel)altenen 5^'eil)eit. @o übten bie alten ^an-
tone be§ 33aterlanbe§ Sffiill)elm ^ell§ burd) iE)re QSögte im
^effin mä^renb be§ fiebjelinten unb ai^tjelinten Qal)r*
l)unbert§ ein Üiegiment, beffen nerrcüftenber ^rucf fiel) bem
be§ fagenl)aften Regler an bie (Seite ftellen fonnte.
116 Sie (gtf)tf beg 2)?Qr^§mu#
Wlan fict)t, fef)r ccrfc^iebenartige $vobu!tion§it)eif8u unb
Maffenteidmgen finb mit ber bäuerlichen 2Birtf(^aft Der*
einbav. Sßorauf finb aber biefe Uuterfd)iebe jurücf5ufür}ren?
STie Gegner ber matcrialiftifrf)en ®efd)ic^t§auffaffung füf)ren
fie einmal auf bie ©emalt gurücf, bann mieber auf bie
S3erfcf)ieben^eit ber ^been, bie fic^ in ben t)erfd)iebcnen
3}ölfern bilben. 9^un ift e§ fid)er, ha^ bei ber §erftel(ung
aller bicfer ^robuftionSmeifen bie (5>en)alt eine grofie DioHe
fpielte, bie SJ^arj betanntücl) bie ©eburt§l)elferin jeber neuen
(SJejellfrf)aft nannte, ^ber mol)er fommt biefe dloüe ber (^e=
malt, mo^er fonimt e§, ba§ gerabe bie eine 3]olf§icl)id)t buri^
fte fiegt unb bie anbere nid)t, unb ba^ bie ©emalt gerabe biefe
unb nidE)t anbere S^tefultate geitigt? Sluf alle biefe fragen gibt
un§ bie (^emalt§tl)eorie feine ^Intruort. Unb ebcnfo bleibt e§
bei ber %^eom ber ^'t>t^n ein 9JZx)fterium, mo^er hk Qbeen
fommen, bie gerabe im ©ebirg§lanb bie greil)eit unb im
giu^lanb bie ^riefterfafte probujieren, am 93lcere5ufer ©elb*
unb (5flat)enmirtfcl)aft unb im ^ügellanb feubale §örig!eit.
2ßir l)aben gefel)en, biefe Unterfrf)iebe in ber ©ntraidlung
berfclben bäuerlid)en 2ßirtfd)aft bcrul)cn auf Unterfcl)ieben
in bem natürli(i)en unb bem gefellfd)aftlicl)en SJlilieu, in
ba§ biefe 2ßirtfcl)aft gefegt mirb. :3e nadl) ber Statur be§
Sanbe§, je nadl) bem 2ßefen feiner 9^ad)barn rairb bie bäuer*
lid)e 2Sirtfd)aft bei berfelben %td)mt gur ©runblage fe^r
t)erfci)iebener gefellfrf)aftlicl)er gormen. SDiefe befonberen ge*
fellfd)aftlid)en gormen merbcn bann neben 't)zn natürlicf)en
gaftoren meitere G)runblagen, meld)e bie barauf ermad)fenbe
gortentraidlung eigenartig geftalten. So fanben hk Ger-
manen, al§ fie in ber ^ölferiDanberung in ba§ römifd)e
SOßeltreid) einbrad)en, ba§ ^aiferreic^ mit feiner 33ureaufratie,
bem (Stäbtemefen, ber d)riftli(^en ^ird^e al§ gefellfd)afttid)e
^ebingungen t)or, bie fie, fo gut e§ ging, il)rer ^robuftion^-
meife einverleibten.
SlKe biefe geograpl)ifd)en unb gefd)id)tlid)en ^ebingungen
mu^ man ftubieren, mill man bie befonbere ^^robuttionä*
2)a§ ©eItUTtg0berei(^ ber fosiolen Xxizhe 117
weife eine§ Sanbe§ gu einem beftimmten Qeitpunft ner*
fte^en. ^ie ^enntni§ feiner Steii)mf aUein genügt noi^
lange nid)t.
5Jlan fie^t, bie niaterialiftifcf)e ©efd^id^tsanffaffnng ift
nicf)t jene einf adje (5cf)ab(one, al§ hk fie i()re ^ritifer ge*
lüör^nüdf) anffaffen. '2)ie l)ier gegebenen ^eifpiele geigen nn§
aber and), mie ^Iaffennnterfd)iebe nnb ^laffengegenfä^e burc^
bie öfonomifc^e ©ntroidinng erjengt rcerben.
Unterfd)iebe nic^t blo^ ^raifc^en Qt^biüibnen, fonbern and)
gn)ifc^en einzelnen ©rnppen innerf)alb ber ©efe((fd)aft ^at
e§ f(^on in ber Sierraelt gegeben, rcie n)ir bereite bemerft;
Unlerfd)iebe in ber ^raft, bem 3(nfef)en, üiel(eid)t and) ber
materiellen ©tellnng von Qnbiüibnen nnb ©rnppen. (SoId)e
Unterfd^iebe ftnb üon D^atnr an§ gegeben nnb merben fanm
je v'öüxQ üerfc^minben !i3nnen, and) nid)t in einer fojia^
Iiftifd)en ^efeüfd)aft. SDie ©rfinbnng ber SKerf^enge, bie
Slrbeit^teilnng nnb i^xe ^onfeqnen^en, fnr^ bie öfonomifd)e
©ntmidlnng trägt nod) ba^n bei, feiere Unterfc^iebe jn t)er=:
grögern ober nen jn fd)affen. Qm^^^'^^^ fönnen fie eine
gemiffe, fef)r enge (^^renje nid)t nberfd)reiten, folange bie
gefenfd)aft(id)e SIrbeit nicf)t einen überfd)ng über ba§ gnr
@rf)altnng ber SD^itgtieber ber ®efel(fd)aft D^otmenbige db-^
mirft. (Solange ba§ nid)t ber ^all, fann anf gefeHfd)afts
lid)e Soften fein g^^t^^^^S^i^ gefüttert merben, fann feiner
an gefc(lfd)aft(i(^en ^robuften er^ieblid^ me!)r al§ ber anbete
befommen. @Ieid)5eitig erfte^en aber gerabe in biefem Sta-^
bium bnrd) bie n)ad)fenbe 5einbfd)aft ber Stämme nnter*
einanber nnb bie btntige 5In§tragnng aEer if)rer 'i5)ifferen5en,
fomie bnrd) gemeinfame SIrbeit nnb gemeinfame^ ©igentnnx
fo üiele nene gaftoren, bnrd) mel(^e bie fogialen triebe gc*
ftärft merben, baß bie etma rorfommenben fleinen ©ifer-
füd)te(eien nnb Qroiftigfeiten jmifd)en ben ©efd)(ed)tem,
3({ter§ilaffen, ^ernfen ebenfomenig einen 9tig in§ ©emein*
mefcn bringen fönnen, mie bie jmifdjen einzelnen ^erfonen.
^ro^ ber ^ilnfänge ber ^rbeitsteilnng, bie ftd) ha fd)on
118 S)ie (St^if be§ 9[»?ai*yi§mu§
Dorfinben, war it)o.!)( nie bie menf(^(ic!)e ®efen|d)aft ge^
■fd)loffener unb einf)eitlid)cr , aU guv Qeit ber uriüüdjfigcn
@enti(genoffenf(i)aft, bie bem beginn ber ^taffengegenfä^c
t)orf)erging.
^ie 'iDinge änbem fid) aber, fobatb bie gejeI(fd)afUid)e
lilrbeit infolge i()rer n)a(i)fenbcn ^robuftiüität anfängt, einen
Xtberfrf)u§ abgurcerfen. IRnn n)irb e§ für einzelne ^nhv^
t)ibnen unb Berufe möglicE), bauernb einen erl)eblid) größeren
Anteil am gefeUfd)aftUd)en $robu!t an fid) ^u ^k^tn, at§
bie anberen feft3u!)alten vermögen, (gin^elne Qnbiüibuen
werben nur feiten, nur t)orübergeI)enb unb au§naI)m§tDcifc
berartige§ für fid) allein juraegc bringen, bagegen ift e§
naf)eliegenb, bag bie in irgenb einer Sßßeife hmd) bie ^er*
l)ältniffe begünftigten Berufe, gum Seifpiel fold^e, bie be^
fonbere§ 2ßiffen ober befonbere 20ßel)rl)aftig!eit üerteil)en, bie
Straft erlangen lonnen, bauernb ben gefellfd)aftUd)en Über^
fd)ug an fid) ^u gielien. %a§ Eigentum an "tm ^^robuftcn
pngt aber auf§ innigfte gufammen mit bem Eigentum an
ben '^robultionSmitteln; mer biefe befi^t, fann and) über
jene nerfügen. %a§ ©treben nad) 9Jlonopolifierung be§
gefellfd)aftlid^en überfd)uffe§ burd) bie eine beüor^ugte S^laffe
erzeugt in il)r bal)er au(^ ba§ ©treben nad) 93lonopoli'
fierung, nad) bem 2Illeinbefi^ ber ^robnftionsmittel. ^ie
formen biefe§ 2llleinbefi^e§ felbft fönnen mieber fel)r t)cr*
fd)iebene fein, entraeber ©emeinbefi^ ber ^errfd)enben S^laffe
ober ^afte, ober prioater ^efi^ ber einzelnen gamilien ober
Qnbioibuen biefer klaffe.
Qu ber einen ober anberen SDBeife mirb bie 9Jlaffe be§
arbeitenben 93oI!e§ enteignet, gu ©flauen, porigen, Sol)n*
arbeitern l)erabgebrüdt; unb mit bem gemeinfamen (Sigen^
tum an $robu!tion§mitteln unb il)rer gemeinfamen ^e^
nu^ung mirb ba§ feftefte ^anb gerriffen, ba§ hk primitive
®efellfd)aft gufammenl)ielt.
Unb maren bie gefellfd)aftlid)en Unterfd)iebe, bie fid) im
©d)o^e ber le^teren bilben fonnten, in fel)r enge ©d)ran!en
2)a5 ©ettunglbereic^ ber fo^iolen XmU 119
gebannt, fo ftnben bie ^(affenunterfc^tebe, W firf) je^t bitben
fönnen, praftifdE) gar feine ©ren^e, ©ie fönnen n)a(i)fen
einevfett§ burcE) ben ted)nif(^en 5o^'tf<i)^'^tt, ber h^n Über*
fd)n§ be§ ^robu!t§ ber gefellf(i)aftlid)en SIrbeit über ha§
jur blogen ®r!)attnng ber (S5efeIIfcf)aft notraenbige Wla^
i)tnau§ ftetig oergrögert; anbererfeitS bnrd) bie 2(u5bef)nnng
be§ ©emeinraefeng hn gleid)bleibenber ober gar abnefinten-
ber S^^ ber 3{u§beuter, fo ha^ bie SJlenge ber 3Irbeitenben
unb Überfrf)üff e Siefernben pro 5In§benter iüäd)ft. ©o fi3nnen
bie ^laffennnterfrf)iebe in§ Unge()eure nnb ®nb (ofe ^une^men,
unb mit it)nen rcac^fen hk foaialen ©egenfä^e.
Qn bem 5!Jla§e, in bem biefe (Sntrcidlung fortfrf)reitet,
gerftüftet ftd) bie ®efe((f(i)aft immer me!)r, mirb ber klaffen*
fampf bie t)ornet)mfte, allgemeinfte, bauernbfte goim beg
^afeinfampfe^ ber J^nbiüibuen in ber menfc^li(i)en ©efed*
fd^aft; in bemfelben ^Dlaße üerlieren bie fo^ialen triebe
gegenüber ber ®efamtgefeltf(i)aft an ^raft, merben fte aber
um fo fräftiger innerfialb ber klaffe, beren Sßo^l für hk
schaffe ber Qnbioibuen nun immer ibentifd^er mirb mit bem
(SJefamtmo!)!.
@§ finb aber namenttitf) bie ausgebeuteten, unterbrürften,
aufftrebenben klaffen, in benen ber ^laffenfampf bie fo^ialen
%mhz unb 2^ugenben in biefer Sßßeife ftärft. '^enn fie
muffen in biefem if)re gan^e ^erfönlic^feit mit gan^ anberer
Qntenfität einfe^en, al§ bie ^errfd)enben klaffen, bie oft in
ber Sage finb, il)re ^erteibigung, fei e§ bie mit ben Sffiaffen
beg Krieges, fei e§ bie mit ben 2Baffen be§ ©eifteS, 5Jiiet*
lingen ^u überlaffen. 3(ugerbem aber merben bie ^errfcl)en*
ben klaffen oft innerlid) auf§ tieffte serflüftet burd) bie
kämpfe, bie fie untereinanber um ben gefe((fci)aftlid)en Über-
fd)u^ unb um W ^robuftion§mitte( füf)ren, burd) bie er
probujiert mirb. (Sine ber ftärfften Urfad)en berartiger
^erftüftung l)aben mir im ^onfurrenjfampf fennen gelernt.
^üe biefe gaftoren, hk hzn fo^ialen Strieben entgegen-
n)trfen, finben in ben ausgebeuteten klaffen gar feinen ober
120 Xk (Stl)i! be§ iDMiTi§mu§
nur geringen ^oben. 3^ geringer biefer 33oben, je befi^?
lofer hk aufftrebenben Rlaffen, je mc()r fie au§fd}tie^lid) auf
bie eigene Straft angcraiefen finb, befto ftärfcr empfiuben
alle if)re S[Ritglieber i{)re ©olibarität gegenüber ben f)errid)cn'
ben klaffen, befto fraftooHer cntnncfeln fitf) i^re fogialen
triebe gegenüber if)rer eigenen klaffe.
5. Die Sa^ungen der Hloral.
a. (Sett)o{)n!)eit unb ^ont)ention.
2ßir f)aben gefeiten, inie bie öfonomif(i)e ©ntraicflung in
bie von ber Sierraelt übernommenen moralifrf)en gaftoren
ein SJZoment ftarfer 3SeränberIic^feit l)ineinträgt, mie fie 't)k
^raft ber fogialen S^riebe unb ^ugenben in oerfdjiebenen
Qeiten unb gleid)§eitig in t)erfd)iebenen klaffen berfelben
@efe(lfd)aft rerfdiieben geftaltet, rcie fie aber aud) t)a§ ^e*
reid), innerl)alb beffen bie fojialen triebe unb Slugenben
gelten, balb erweitert, balb verengt, einerfeit§ r>on ber
!(einen §orbe hx§ gur gefamten 9J^enfd)^eit au§be!)nt, anber«
feit§ innerf)alb ber ©efellfd^aft auf eine einzige klaffe be«
fd)rdn!t.
2lber biefelbe ö!onomifd)e ©ntraidlung fc^afft aud) einen
Ibefonberen moralifd)en ^aftor, ber in ber ^iermelt gar nid)t
ejiftiert, unb ha§ ift ber wanbelbarfte t)on allen, benn nid)t
nur feine ^raft unb fein ©eltungsbcreid^, fonbern aud) fein
3nl)alt ift hm ftärfften 9}eränberungen untermorfen. ®a§
finb bie Sa^ungen ber 9)loral.
^n ber Sierroelt finben mir mo^l fd)on ftarfe moralifd)e
©mpfinbungen, aber feine beftimmten moralifd)en ^Sor?
fd)rif ten, bie an ba§ Qnbioibuum gerid)tet merben. ^a§
fe^t eine au§gcbilbete (3prad)e t)orau§, bie nid^t blo&
©mpfinbungen, fonbern aud) ®inge ober menigften§
§ anbiungen gu be^eic^nen vermag, eine 8prad)e, für bereu
5ßor!ommen in ber Stierrcelt jebc§ 5ln5eid)cn fel)lt, für \)k
ein ^ebürfnil auc^ erft mit ber gemeinfamen 5Irbeit erftel)t.
9^un erft mirb e§ möglicl), an hzn einzelnen beftimmte Sin*
2)te ©Ölungen ber fO^oral 121
forberungen p fteUen. ©ntfprmgen biefe gorberungen im
bbibueden, au§naf)m§raetfen ^ebürfniffen, fo rcerben fie mit
bem inbir>ibue(Ien, au§na!)m§it) eifert galle rcieber t)erfd)iDins
ben. ©ntfpringen fie bagegen 33ebürfniffen, bie in ben ge*
fenfd)aft(i(i)en iBer^ättniffen bcgrünbet finb, bann raerben
fie immer mieber!ef)ren, folange biefe 3}er!)ä(tniffe banern;
unb in ben 2lnfängen ber ©efeüf(i)aft, wo bie (Sntrcictiung
eine ungemein langfame, barf man bie ^auer einzelner ge*
ferifd)aftlid)er ^uftänbe auf §unberttaufenbe t)on Qa!)ren
t)eranfd)lagen. ^ie gefe(Ifc^aftlid)en gorberungen an h^n
einzelnen mieber^olen firf) ba fo oft, fo regelmäßig, baß fie
gur @en)o{)n^eit merben, gu ber firf) bie Einlage f(i)ließlid)
üererbt, rcie bie Einlage gu befonberen 5lrten ber Qagb beim
Qagbf)unb, fo ha^ einige SInregungen genügen, hk &ewof)\v^
l^eit aucf) in h^n 9^ad)!ommen erfte^en gu laffen, mie pm
^eifpiel 'oa§ ©efüf)l ber (Sd)amf)aftig!eit, ^k ©emo^n^eit,
beftimmte ^örperfteKen ^u bebecfen, beren ©ntblößung un^
fittlic^ erfc^eint.
©0 entfielen Slnforberungen an ha§ Qnbiüibuum in ber
@efellfc{)aft, um fo ga^lreid)ere, je fompü^ierter fie ift, bie
fd)lie§Iid) gemof)n{)eit§mäßig , o^ne lange Überlegung al^
fitttid)e ©ebote anerfannt merben.
5Iu§ biefem gen)o^nf)eit5mäßigen (S;i)ara!ter l^aben mand^e
materiatiftifd)e (£tf)ifer gefc^loffen, ba§ gan^e 2ßefen ber
SJloral beruhe nur auf @ett)of)nf)eit. ^amit ift e§ jeboc^
feine§Tt)eg§ erfd^öpft. ^^^^'^f^ merben burd) @en)o^nl)eit
nur fold^e 2Infd)auungen gu fittüd)en (Geboten, bie 9iüdfid)ten
be§ Qnbit)ibuum§ für bie @efe(-Ifd)aft forbern, fein $ßerf)a(ten
§u anberen 9Jlenfd)en regeln. 2Öitl man bagegen geltenb
machen, baß e§ aurf) einfame „Safter" gibt, hk für unfittlic^
gelten, fo erfolgte beren urfprünglid)e ^Verurteilung mo^l
aud^ im Qntereffe ber ©efellfdjaft. So müßte ^um ^eifpiel
bie Onanie, menn fie allgemein mürbe, bie ©rjielung einer
ga^lreicl)en 9lad)!ommenfd)aft ftar! l>eeinträcl)tigen — unb
eine fold)e 9^acl)!ommenfd)aft erfd)ien el)ebem, mo 9i}laltl)u§
122 2)ie et^i! be§ 2)?arji§mu§
nod) nid)t gefprocf)en, al§ eine bcr n)id)ttgften ©ruublagen
bc§ 2ßo^Iftanbe§ unb gortfrf)vitt§ ber ®cfeafd)aft.
3n bei' Sibel (1. SJ^ofe 38) rairb benn aud^ Onan be§^
E)alb üon Qe^oüa getötet, tüeit er feinen Samen jur @rbe
faden Iic§, ftatt feiner ^fli(i)t ^u ge{)or(i)en iinb bcm 2Beibe
feine§ üerftorbenen ^ruber§ bei5mt)ot)nen, um bicfem einen
S^ad^fommen gu erroeden.
®ie fittlid)en D^ormen fonnten aurf) nur be§f)al6 ju Öje-
n)ol)n^eiten merben, rceil fie tiefen, immer mieber fid) er*
neuernben gefellf(^aftlid)en ^ebürfniffen entfprarf)en. ©nblidf)
aber fann eine blo^e ®emof)n^eit nid)t bie ^raft be§ ^f(id)t''
gefü^l§ erüären, ba§ fiel) oft mäcf)tiger ermeift al§ alle ©e*
böte ber ©elbfterl)altung. '2)a§ ©erco'^n^eitgmäfjige in ber
SJloral bemirft blop, ha^ gerciffe D^Zormen ofyu rceitere^ al§
fittlirf)e anerfannt merben, e§ erzeugt aber nid)t bie fo^ialen
triebe, bie bie SE)ur(f)füt)rung ber al§ fittlid)e DIormen an*
erfannten gorberungen er^mingen.
©0 ift e§ gum ^eifpiel (Ba(i)e ber (55emof)nI)eit, ha^ e§
für unanftänbig gilt, menn ein 5[Räbrf)en im 9^ac^tl)emb
fic^ einem 9Jlanne geigt, aucl) menn bie§ ©emanb hi§ gu
ben gü^en reid)t unb ben §al§ umfd)lie§t, n)af)renb e§
burd)au§ nid^t ben 5Inftanb t)erle^t, menn fid) ein 9Jläbd)en
abenb§ mit tief entbBgtem 53ufen auf einem ^aße alter 2Belt
geigt, ober rcenn e§ in einem ©eebab in naffem ^abefoftüm
t)or hen gierigen klugen ron Lebemännern 9ier»ue paffiert.
Slber nur bie Hraft ber fogialen Striebe fann bemirfen, baf?
ein fittenftrengeS 9Jläbd)en ba§, n)a§ ^onnention, 9)lobe,
@emoI)n!)eit, !urg bie ©efeKfd)aft, einmal gu einer ©d)am*
lofigfeit geftempelt, um feinen ^rei§ auf fid) nel)men mürbe,
unb bem, n)a§ e§ al§ (Bd)anbe betrad)tet, mitunter felbft
hm %oh i)orjief)t.
Slnbere ®tl)ifer l)aben bie 5luffaffung ber ftttlid)en S^ormen
al§ bloge (5Jen)ol^nl)eiten nod) meiter getrieben unb fie aU
bloge font)entionelle 3[Roben l)ingeftellt, geftü^t auf bie ®r*
fd)einung, ba^ jebe (55efellfd)aft$form, jebe Station, ja jebe
!J)ie ©Ölungen ber 9J?oraI 123
klaffe il^re befonberen fittlic^en 3Inf(^auungen f)at bie oft
fe^r im 35}iberfpru(^ ^n anberen fteljen, bog eine abfolute
fittlid)e DIorm ni(i)t gitt. 9)lan ^at barau§ gefd)loffen, bie
6ittli(f)feit fei eine n)ed)felnbe SJIobe, ber blog ber gebanfen=
lofe ^f)ilifterpöbel ^ulbige, über bie ficE) ber Übermenfd),
rcie über aKe§ §erbemnägige, erl)eben bürfe unb muffe.
2lber nid^t nur finb bie fogialen S;riebe ttwa§ bur(i)au§
nid)! ^ont»entioneI(e§, fonbern etwa^ tief in ber 50^enfcf)en*
natur, ber diainx be§ SJlenfd^en al§ fo^ialen 3:iere^ 33e*
grünbeteg; and) bie fittlid)en Sa^ungen finb nic§t§ SBiUfür^
lid)e§, fonbern entspringen ben gefet(fd)aftlid)en 33ebürfni|fen.
@§ ift aKerbingg ni^t in jebem gaüe möglid), ben Qn^
fammen^ng gmifc^en beftimmten fitt(id)en 5lnf(^auungen
unb ben gefe[Ifd)aftlid)en 3Ser!)ältniffen, benen fic ent-
fprangen, feftjuftellen. ®a§ :3nbit)ibuum übernimmt bie
fittlid)en S^ormen üon feiner gefellfd) af tlid)en Umgebung
oI)ne jebe§ ^emugtfein if)rer gefettfd)aftlid)en llrfad)en. %ic
fittlid)e 9^orm mirb i^m gur ©en)of)n^eit unb erfd)eint i^m
bann al§ ein 5lu§flu§ feinet eigenen geiftigen 2Befen§, r»on
t)ornt)erein gegeben, of)ne jebe praftifd^e äöur^el. ^ux bie
iüiffenfd)aftli(^e gorfd)ung üermod)te nad) unb nad) für
eine S^ei^e non Jäüen hk Regierungen gmifdien beftimmten
(SJefeUfd)aft§formen unb beftimmten fittlid)en (Sa^ungen auf-
3u!)ellen, unb t)iele§ liegt ba nod) bunfet. %k ©efellfd)aft§*
formen, benen fpätere noc^ geltenbe fittlid)e S^ormen ent-
ftammen, liegen oft meit gurüd, in grauer Rorjeit. SluBer?
bem aber mu§ man, um eine fittlid)e gorberung §u t)erftel)en,
nid)t blog ba§ gefeUfd)aftlid)e Rebürfnil fennen, ba§ fie
l^eroorrief, fonbern auc^ "i^k befonbere ^enfmeife ber (^efell*
fd)aft, bie fie fd)uf. Qebe ^robu!tion§meife l)ängt nid)t blog
mit beftimmten SBerfgeugen, beftimmten gefellfdiaftlic^en 33er=
l)ältniffen, fonbern aud) einem beftimmten (£r!enntni§inl)alt
unb (£r!enntni§t) ermögen, einer beftimmten 5luffaffung ber
golge t)on Urfad)e unb 2Ößirfung, einer beftimmten Sogif,
furg einer beftimmten ^enfmeife gufammen. grül)ere ^enf^
124 2)ie (5tt)i! be§ 3)?aryismu§
lücifen ju beöveifen, ift aber ungemein fd)n)er, raeit fd)n)ercr
nod) aU bie Söebürfniffe einer anbcren al§ ber eigenen
©efettfc^aft.
Qnbeffen ift ber Qufammen^ang 5it)ifd)en ben ©a^ungen
ber 3)loraI unb ben gefe{Ifc^aftUd)cn ^ebürfniffcn bereite
an fo gaf)(reid)en ^^eifpielen erraiefen, bag man i^n at§
aügemeine Siegel anneJ)men !ann. 33eftef)t aber biefer Qu^
fammen()ang, hann mu§ eine ^nberung ber ®efe((fd)aft
aurf) eine SInberung mancf)er moralifd)en Sa^ungen nad)
fiel) gie{)en. ^exzn 2ßed)fel ift alfo nid)t nur nic^t§ SBunber^
bare§, munberbar lüäre e§ t>ielmc{)r, rcenn mit ber ^er*
änberung ber Urfad)e nidjt and) bie 2ßir!ung fi(^ änberte.
"^iefe Säuberungen finb notmenbig, gerabe beSmegen not^
menbig, meil jebe (55efenfcE)aft§form gu if)rem ^eftaub be*
ftimmter i^r angepaßter moralifd^er ©a^ungen bebarf.
SOßie t)erfd)ieben unb manbelbar bie fittlidjen D^ormen finb,
ba§ ift fef)r befannt. (Sin 33eifpiel genüge baf)er, eine von
ber ber heutigen europäifd^en ®efeü]d)aft abmeidjeube 9Jloral
5U iduftrieren.
gribtjof D^anfen gibt un§ im je!)nten Kapitel feine§
,,@^!imoIeben" eine fe{)r anfpred)enbe (5d)i(berung ber ©^^
ümomoral, ber I)ier einige ©teilen entnommen feien:
„(Siner ber l)übfc^eften unb mar!anteften Qüq^ im ®l)ara!ter
be§ (5§!imo ift it)ol)l feine @l)rlirf)!eit. . . . ^ür ben @§!imo ift
e§ Don befonberer SSebeutung, ba^ er fid) auf feine 2J^itmenfd)en
unb dlad)baxn üerlaffen !ann. ©amit aber biefe§ gcgenfeitige
Vertrauen, o^ne t)a§ ja jebe§ 3i^f^^i^"^^"fd)li^^^^ i"^ ^afeinS*
fampf unmögtid) ift, and) 33eftanb l)abe, ift e§ nottüenbig, ha^
jeber gegen hin anberen el)rlid) l)anbte. . . . 3Iu§ bemfelben
©runbe lügen fie, befonberS bie SJicinner, einanber auc^ nid)t
gern ttxva§ cor. ©in rüf)renber 33eit)ei§ l)ierfür ift folgenber,
von '3)atager er3äl)lter 3ug: ,2öenn fie einem anbcren ein ®ing
befd)reiben f ollen, l)üten fie fid), e§ glänjenber au§5umalen, al§
e§ üerbient. ^a, menn einer eUva§ faufen mitl, t)a§ er md)t
gefel)en l)at, befd)reibt ber $öer!äufer, aud^ menn er e§ gern lo§
fein miH, ha§ 2)ing bod) immer etwa^ meniger gut, al§ e§ ift.'"
2)ie ©a^ungen ber TloxoX 125
^ie SJloral ber Sieflante tft für bie ^§tmo§ nod) nici)t
erfunben. 5I((erbing§ gilt ba§ aHeS nur für i^rett 2^er!ef)r
untereinanber. J^remben gegenüber ftnb fie ntd)t fo ftreng.
„©c{)Idgereien imb berartige iKo^eiten fommen bei iijnen md)t
vor. SJiorb tft gIeid^faK§ eine gro^e ©eltenticit", unb wo er
tjorfommt, ift er nirf)t eine f^otge ö!onomif(i)er 3^iftig^eiten,
fonbern üon ßiebe§f)änbetn. „©ie f)alten e§ für graufam, tf)ve
iD^itmenfd)en gu töten, ^rieg ift baf)er in it)ren 5lugen etit)a§
tlnt3erftdnblirf)e§ unb S3erabfcf)euung§n)ürbige§, if)re (5prad)e {)at
nicf)t einmal ein Sßort bafür; unb ©olbaten unb Offiziere, tiQ
^u bem ^anbraer!, Seute tot5ufrf)tagen, angelernt raerben, finb
i^nen reine 3Kenfd)enfrf)läd)ter."
„'2)a§jenige unferer ©ebote, gegen n)elcf)e§ fidE) bie ©rönlänber
am {)äufigften üerfünbigen, ift ba§ fed)fte. . . . 2;ugenb unb
3ü(^tigfeit ftel)en in ©rönlanb nic^t in ^ol)em ^Infe'^en Stiele
fel)en e§ (auf ber SSeftfüfte) für gar feine befonbere ©cf)anbe an,
wenn ein unrierf)eiratete§ 3)Mbdf)en Svinber befommt Sßä^renb
loir in ®obtl)aab raaren, befanben fid) bort in ber 9la(^barfd)aft
^rcei SD^äbrfien in gefegneten Umftönben, verbargen bie§ aber
burd)au§ nid)t, . . . unb fcf)ienen über biefen ficl)tbaren 33eiüeis,
ba^ fie nicf)t t)crfc^mäl)t raorben roaren, beinal)e ftol^ ju fein.
3lber and) oon ber Dftfüfte fagt §olm, ha^ e§ bort für feine
©(i)anbe gilt, trenn eine Unüerl)eiratete ^inber l)at. . . ."
„©gebe fagt aud), ba^ bie g^rauen e§ für ein befonberei
"©lücf unb eine gro^e ©bre b^lten, mit einem Slngefof, ba§ t)t\^t
«inem ibrer ^ropbeten unb ©ele^rten, in ein intime§ ^erbältnis
^u treten, unb fügt binju: ,ia üiele 5D^ätiner feben e§ f eiber gern
unb bejablen ben 2Inge!o! bafür, ba^ er bei ibren g^rauen fclilafe,
befonber§ roenn fie felber feine ^inber mit ibnen geugen fönnen.'"
„^ie g^reibeit ber @§fimott)eiber ift alfo febr üerfcbieben non
t)er bem germanifcben ^^ih^ ^uftebenben. '3)er @runb liegt
tüobl barin, ba^, tüCtbrenb bie (Srbaltung be§ (Srbe§, ©efd)led)te§
unb ©tamntbaumeg h^i ban ©ermanen fteti eine gro^e D^olle
gefpielt ^at, alte§ biefe§ für ben @§fimo bebeutung§lo§ ift, ba
«r raenig ober nicbt§ p »ererben })at unb e§ für ibn 'i:)aupU
fäcblicb barauf anfommt, Rinber ju b^ben. . . ."
„^ir finben biefe SRoral auf ben erften SBlicf natürlicb für
fcbled)t. S)amit ift aber ni<i)t gefagt, ba^ fie e§ aud) für ben
126 Sie (gtt)if bc§ 3}?arji§mu§
©öfimo ift. Sßir muffen un§ übcr^oupt f)üten, üon unfcrem
®efirf)t§punft ttu§ 2lnfd)auungen, bic fid) burrf) üiete ®enera=
tionen unb oiele Grfaf)rungen hd einem 53oI!e entiüicfelt f)aben,
fofort 5U rerbammen, auci) roenn fie t^n unferen noc^ fo fe^r
lüiberftreiten. ^ie 3(nfirf)ten oon ©ut unb $Herf)t finb t)ier auf
(Srben aufierorbentUd) üerfd)ieben. 2l{§ 33eifpiet möcf)te id) an=
füf)ren, ba^, a(§ D^ili ©gebe einem @sfimom(ibd)en oon ber
Siebe gu ®ott xmb unferem 9^äd)ften gefprorf)en f)atte, ba§
SDf^äbdjen erflärtc; ,^d) {)abe berciefen, ba^ ic^ meinen 9?^d)ften
liebe, benn eine alte f^rau, bie fran! mar unb nid)t fterben
fonnte, bat mirf), ba^ id) fie für ©elb nad) ber fteilen flippe
füf)ren möge, t)on ber fid) immer bie f) in ab f türmen, bie nid)t
mel)r leben mögen. Sßeil id) aber meine Seute liebe, fül)rte id)
fie umfonft f)in unb ftür^te fie com ^-elfen rierunter.*
„©gebe meinte, bie§ fei eine fd)led)te öanblung, unh fagte, fie
^abe einen 9Jienfd)en getötet. Sie fagte, nein, fie {)abe gro^e§
äJfZitleib mit ber Sllten gef)abt unb gemeint, a(§ fie () in ab geftürjt
mar. <Boü man bie§ nun eine gute ober eine böfc %at nennen?"
SCßir f)aben bereits gefeE)en, ba§ bie 9^otraenbigfeit, alte
unb !ran!e 9J^itglieber ber ®efe((fd)aft ^u töten, bei be^
fd^ränften Sf^a^rungsqueden Ieid)t eintritt unb biefe Rötung
SU einer fttt(icf)en %at ftenipett.
„2n§ berfetbe ©gebe ein anbermal bauon fprad), ha^ (3ott
bie SSöfen beftrafe, fagte xi)m ein (£§fimo, er ge[)öre aud) gu
benen, bie bie SSöfen beftrafen, benn er t}abQ brei alte Sßeiber,
bie ©ej:en maren, erfc^lagen.
„'J)erfelbe Unterfd)ieb in ber Sluffaffung r»on ®ut unb 93öfe
mad)t fid) and) bem fed)ften ®ebot gegenüber geltenb. 'S)er
@§fimo ftellt t)a§ ©ebot: ©eib frud)tbar unb me()ret ^ud), f)öl)er
al§ ba§ ber ^eufd)f)eit. ^a^u ^at er um fo mel)r ©runb, al§
feine 9^affe üon 9latur menig frud)tbar ift."
©nblid) fei uod) eine ©teile au§ bem Briefe errcä^nt, h^n
ein be!el)rter (SSfimo an ^aul ©gebe rid)tete, ber in ber
9Jlitte beä ad)t5e^nten :3al)rl)unbert§ in G)rönlanb al§
?0^iffionar lüirfte unb bie ©lümomoral nod) faft unberüf)rt
von europäifd)en (äinflüffen rorfanb. tiefer befcl)rte (S§!imo
l)atte t)on ben ^olonialfriegen 3n)ifd)en ©nglänbern unb
3)ie ©a^ungcn ber Floxal 127
^ollänbem ge^^ört unb gab feinem 5lbfd)eu über biefe „Un^
Tnenfcf)Ud)f eit" 2Iu5bru(f:
„Sßenn rcir nur fo oiet ©peife ^aben, ba^ wix im§ fatt effen
fönnen, unb genug ^^etle befommen, um un§ gegen bie ^älte
SU fd)ü^en, finb wix pfrieben, unb 2)u wzi^t felbft, ba^ mir
ben fommenben 2;ag für ba§ ©eine forgen taffen. Sföir raoHten
alfo nid)t barum (um bai 9J?eer) ^rieg füf)ren, aucf) roenn e§
in unferer aj?arf)t läge. . . . Söir fönnen fagen, ba^ SD^Zeer, ha§
unfere ^üfte befpült, gef)ört un§, unfer finb and) bie barin
f(i)n)immenben 2öalftfd)e, SOBatroffe, ©eetjunbe unb Sac^fe; borf)
rair f)aben nicf)t§ bagegen, ba^ fid) anbere fo üiel üon bem großen
Vorrat nef)men, mie fie tüoUen. Sßir ()aben ba§ gro^e &liiä,
üon Statur nid)t fo f)abgierig ju fein n)ie fie. . . . @§ ift roirüirf)
merfwürbig, mein lieber ^aut! @uer ^ol! raei^, ba^ e§ einen
@ott, ben ©d^öpfer unb @rE)aIter aKer ^inge gibt, ta^ fie nad)
biefem Seben entraeber feiig ober nerbammt loerben, je nac^bem
fie iid) betragen i)ah^n, unb bennod^ leben fie, al§ roäre i£)nen
befof)ten tüorben, böfe ju fein, unb al§ bräd)te x^mn ba§
©ünbigen 33orteil unb @f)re. aJJeine öanbSteute miffen roeber
üon ©Ott nod) com Seufel etma§, unb boc^ benef)men fie fid)
anftänbig, Derfef)ren liebeüoll unb einträd)tig miteinanber, teilen
aüeg miteinanber unb fd)affen ]\(i) gemeinfam i^ren Seben§=
untert)alt."
(£g ift ber @egenfa^ ber 50^oral eine§ primitiven ^om*
muni§mu§ ^ur fapitaliftifd)en SJloral, ber ^ier ^utage txitt
5(bcr nod) ein anberer Unterfd)ieb tarnet ^ier auf: Qn ber
@5!imogefe((fd)aft ftimmen Sl^eorie iinb ^ra^§ ber Wloxal
überein; in ber fapitaliftifd)en @efe((fcE)aft befte^t jiüifi^en
beiben eine meite ^(uft. '2)en (SJrnnb baüon merben mir
gletd) fennen lernen.
b. ^iz ^robu!tton§meife nnb i^r überban.
^ie fittlid)en D^ormen änbern fid) mit ber ©efenfd)aft
jeboc^ nid)t nnnntcrbrod)en, nid)t in ber g(eid)en 2öeife imb
bem gleid)en ^O'^age mie bie gefellfc^aftUc^en ^ebürfniffe. ©ie
merben aU D^ormen o^ne meitereä besfjalb anerkannt unb
empfunben, mei( fie (S^emo^n^eiten gemorben finb. 8inb
123 2)ie (2ti)\i bc§ 2;?arj-ilmu§
fie aber einmal aU foIrf)e feftgercur^elt, bann fönnen fie lange
eine felbftänbige ©jiftenj fül)ren, tt)äl)renb ber tedE)nifd)e gort^
frf)ritt unb bamit bie ®ntn)idlung ber ^robn!tion§n)eife, bie
Umiüanblung ber gefcüjd^aftliclien ^ebürfniffe, fortfcl)rcitet.
®§ ift mit ben ©a^nngen ber !!Jloral mie mit bem übrigen,
fomplijierteren ibeologifc!)en Überbau, ber fiel) über ber ^ros
bu!tion§raeife eri^ebt. ®r fann fid) Don feiner ©runblage
loglöfen unb eine Qeitlang ein felbftänbige^ ^Dafein führen.
'3)ie (Sntbecfung biefer Statfacl)e l)at alle jene Elemente in
l)enen ^ubel üerfe^t, bie fi(^ ber 93]a(i)t be§ 9Jlarjfcl)en
@eban!en§ nid)t entgiel)en fönnen unb benen bocf) bie ^on^
fequengen ber i3!onomifrf)en ©ntrcicflung l^öd)ft unangenel)m
finb, bie nacf) ^antfcf)er 5[Uanier ben ©eift alg felbftänbige
^riebfraft in bie ©ntmidlung be§ gefeüfdjaftli^en DrganiS^
mu§ einfcl)muggeln mö'i)ten. ^a tarn xfyxen bie Slnerfennung
ber %at]a6)Q fel)r gelegen, ba^ bie geiftigen gaftoren ber
©efeHfc^aft geitrceife felbftänbig in il)r rcirfen fönnen. ^a-
mit ^offte man enblid) bie erfel)nte 2ßed)feln)irfung ge*
funben gu ^aben: bie Ofonomie mirft auf hen ©eift unb
biefer auf bie Ofonomie, beibe follen bie gefellf(^aftlid)e
®ntn)i(f lung entrceber in ber SKeife bel)crrf(f)en, bag einmal
hk öfonomifd^en 5<^'^toren unb in einer fpäteren ^eriobe
mieber ber geiftige eintrieb bie ©efeKfcEiaft t)orn)ärt§ treibt,
ober in ber 2ßeife, ha^ beibe gaftoren nebeneinanber unb
miteinanber ein gemeinfameä ^robuft erzeugen, bag, mit
anberen 2ßorten, unfer 2Sollen unb 2öünfc^en bie l)arte
öfonomifd)e S^otmenbigfeit menigftenS mitunter au§ eigener
^raft ju bur(i)brec^en unb absuänbern imftanbe ift.
^ein Qmeifel, e§ beftel)t eine 2öecl)feln)irfnng 5mifd)en
ber Ofonomie unb i^rem geiftigen Überbau — 9Jloral,
^Religion, 9flecl)t, ^unft ufm. — : ton bem geiftigen 2ßirfen
be§ @rfinben§ reben mir l)ier nid)t, e§ gel)ört gur Ste(^nif,
in ber ja ber ©eift aud) eine 9tolle fpielt, neben bem 2Berf*
seng; bie Sted)nif ift bie bemitfete ©rfinbung unb 5lnmen*
bung von ^ßerf^eugen burcE) ben benfenben 93lcnfcl)en.
S)ie ©a^ungen bei* 9WoraI 129
2Bie bte anbercn ibeologtfdf)en gaftoren ift aud) bte 9Jloral
imftanbe, bie öfonomif(^e unb gefel(fd)aftl{(^e ©ntiütcflimg
.^u förbern. ©erabe bavin liegt ja il)re gefeIlj(^aftItdE)e ^e^
l^eutung. ^a beftimmte gefellfc^aftlic^e ©a^ungen beftimmten
<jefeUf(^aftItd)en ^ebürfniffen entfpringen, iperben fte baB
5efeIlfc^aftUcf)e Qufammenrcirfen um fo tnef)r erleid^tern,
je beffer fte ber bejonbercn Eigenart ber ©efe(lfd)aft an-
gepaßt ftnb, hk fte fd)afft.
®ie Tloxal mxtt alfo auf ba§ gefeUf(^aftltc£)e Seben
förbernb ^urürf. 5lber ba§ gilt nur fo lange, al§ fie
t)on biefent ab!) äugig bleibt, alä fte ben gefellfc^aftli(^en
^ebürfuiffen entfprid)t, bie fte erzeugen.
©obalb bie 5Jloral ber ®efellfd)aft gegenüber ein felb^
ftänbige§ ^afein gercinnt, fobalb fie nid)t nte^r btird) biefe
fceftimmt rcirb, nimmt il)re üiütoirfung einen anberen
^l^arafter an. ©otüeit fte ftd) je^t weiter entmiifelt, n)irb
il)re ©nttüidtung eine rein formale, bloß logifdl)e. ©obalb
fie ftd) ben (Sinflüffen ber n)ecf)feluben ^lußenmelt oerf^ließt,
fann fie aud) ni(i)t mel)r neue 5lnfc^auungen fcl)affen, fonbern
nur bie fcl)on gerconnenen fo orbnen, bag bie Sßiberfprüd^e
au§ i^nen t)erfcl)n)inben. 2lufl)ebung ber 2öiberfprüd)e, ©e^
loinnung einer einl)eitltd)en 3lnfc^auung, Söfung aller ^ro*
bleme, hk hux6) bie 2ßiberfprüd)e gefegt merben, ba§ ift
t)a§ 2Bir!en be§ benfenben (Seifte§. %amit fann er aber
ben geraonnenen ibeologifd^en Überbau nur befeftigen, nid^t
oiber fid) felbft ergeben. S^^ur 'i^a^ 5luftreten neuer Sßiber*
fprücl)e, neuer Probleme fann eine n)irflid)e gortenttoidlung
bemirfen. ^er menfdjlic^e ®eift fd)afft aber nid)t au§ fiel)
felbft l)erau§ SÖßiberfprüd^e unb Probleme; fie merben in
t^m nur erzeugt burc^ (£inn)ir!ungen ber Ummelt auf il)n.
©obalb bie moralifcl)en ©a^ungen fid) rerfelbftänbigen,
^ören fie bal)er auf, ein (Clement be§ gefellfd)aftlid)en gort*
fc^ritt§ gu fein, ©ie t)er!nöd)ern, rcerben ein !onferoatit)e§
Clement, ein §inberni§ beg gortfd)ritt§. @o fann in ber
menfd)lid)en (S5efellfd)aft, wa§ in ber tierifd)en unmöglid),
ßautSfi), (Sttjtf unb matertalirttfc^e @efcf)id^t§auffQrfung. 9
130 2)ic (Sttjif be§ 2«Qq:i§mu0
bie SJIoral au^ einem unentbe!)rlid)en gufaTnmen!)altenben
33inbeglieb gu einem 5!Jlittel unerträglicher @infd)nürung
be§ gefellfd)aftlid)en Seben§ rcerben. ^a§ ift aurf) eine
2QBcd)jeln)irtung, aber feine im 8inne unferer antimateria?
Uftifc^en @tl)ifer.
^ie ©egenfälje gn)if(i)en beftimmten moralifc^en ©a^ungen
unb beftimmten gefe((fd)aftlicf)en Sebürfniffen fönnen fd)on
in ber primitiven ©cfellfd)aft eine gerciffe ©tärfe erreid)en;
fie merben aber bann nod) tiefer burd^ ba§ ^Inffommcn
ber ^laffengegenfd^e. Qft in ber flaffenlofen ©efe((fcf)aft
ba§ 3Sert)arren bei beftimmten moraIi](i)en Sa^ungen nur
eine (Sad)e ber @en)o{)n{)eit, ift gu iljrer Überrainbung nur
bie Ma(i)t ber (55emof)nf)eit gu befiegen, fo mirb von nun
an bie 2lufred)terf)altung beftimmter moraIifrf)er ©a^ungen
aud) eine ©ad^e be§ Qntereffe^, oft eine§ fef)r mäd)tigen
Qntereffe§. Unb nun fommen auc^ SO^ittet ber ©emalt,
be§ pf)r)fif(^en QwanQ^§ auf, bie ausgebeuteten klaffen
nieberjufialten, unb biefe graangSmittel rcerben ebenfalls
in ben ®ienft ber „TloxaV geftedt, gur Befolgung fitt*
licf)er 5Rormen, bie im Qntereffe ber f)errfd)enben klaffen
liegen.
^on berartigen ^n^fi^Ö^i^itteln fann bie ftaffenlofe ©efelt^
fcf)aft abfe{)en. Sßo^l reirf)en aud) in if)r bie fo^ialen Slriebc
nic^t immer an§, von jebem Qnbiüibuum bie 33efolgung
ber moralifd)en ©a^ungen gu erreid)en; bie ©tärfe ber
fo^ialen Striebe in ben t)erfd)iebenen J^nbiüibuen ift ja fe{)r
r>erfd)ieben, unb ebenfo bie ber anberen triebe ber ©etbft^
er!)altung unb gortpflanjung. 9flid)t immer behalten ba
bie erfteren bie Dberf)anb; aber a(§ SJlittel be§ gmangeS^
ber ©träfe, ber 2lbfd)redung für anbere genügt in fo(d)en
gätten für bie flaffentofe ®efeafd)aft bie öffentlid^e 931ei*
nung, bie 9Jleinung ber @efe((fd)aft. ^iefe fd)afft nid)t
ba§ ©ittengefe^ in unS, t>a§ ^f(id)tgefüf)l. ^a§ (S^emiffeu
ift aud) bann in un§ mirffam, menn niemanb un§ beob^
achtet unb bie SHad^t ber öffenttidien SSJleinung gang au§-
2)ie ©Ölungen bev Tloxal 131
gefd)altet bleibt; e§ fann un§ unter Umftänben in einer
©efellfc^aft, bie t)on ^taffengegenfä^en unb einanber raiber*
fprerf)enben fittlic^en S^ormen erfüllt ift, ^rcingen, ber öffent*
lirf)en 9Heinung ber S[JJel)rl)eit gu trogen.
2lber bie öffentticl)e SJ^einung wxxtt in einer flaffenlofen
@efellfd)aft al§ ein au§reicf)enbe§ SO^ittel ber ^olijei, ber
öffentlidl)en Befolgung ber fittlicl)en D^ormen. ^a§ ^n'öU
oibuum ift ber ©efellfd)aft gegenüber fo nid)tig, baß e§
gar nid)t hk ^raft l)at, il)rer einmütigen (Stimme ^u trogen,
^ieje mirft völlig erbrücfenb, fo ha}^ e§ ha rceiterer Qroangg?
unb (Straf mittel nicl)t bebarf, um hm ungeftörten 3Serlauf
be§ gefellfd)afttirf)en Sebenä §u fiesem. Slucl) lieute, in ber
^laffengefellfcf)aft, fel)en rcir, ba§ bie öffentlid)e 5!JIeinung
ber eigenen klaffe, ober, mo man fie ü erlägt, ber S^laffe
ober Partei, ber man fid) anfcl)liegt, mächtiger ift al§ alle
grcangSmittel be§ ©taate§. Werfer, ©lenb, ben ^ob gie^t
man ber (2d)anbe nor.
5lber bie öffentli(^e ^Jleinung ber einen klaffe mirft ni&jt
auf bie gegnerifcfie klaffe. 2Bol)l fann bie ©efeKfcliaft, fo*
lange e§ feine ^laffengegenfä^e in il)r gibt, burcf) bie Tlad)t
il)rer 5Dleinung ha§ einzelne J5nbiüibuum im Qaume l)alten
unb 5ur Befolgung i^rer ©ebote Urningen, menn ber fo§iale
2rieb in feiner ^ruft ba^u nid)t au^reicf)t. Slber hk öffent*
licl)e 50^einung tierfagt, mo nic^t ba§ J^nbioibuum mibcr
bie ©efellfc^aft, fonbern klaffe rciber .klaffe ftel)t. ^a mup
bie l)errfcf)enbe klaffe anbere 3n)ang§mittel eingreifen laffen,
mill fie firf) burcl)fe^en, Mittel ber überlegenen pl)t)fif^en
ober öfonomifc^en 9Jla(f)t, ber überlegenen Drganifation,
aber audl) ber überlegenen J^ntelligeng. Qu ben ©olbaten,
^olijiften unb 9^icf)tern gefellen fid) nun aud) bie Pfaffen
al§ §errfc^aft§mittel, unb gerabe ber fird)lid)en Crgani-
fation fällt je^t bie befonbere Slufgabe ^u, hk überfommene
3D^oral gu fonfeioieren. ^iefe ^erbinbung jn)tfd)en Dieligion
unb 5Jloral t)olljiel)t fid) um fo leid)ter, al§ hk neuen Üteli-
gionen, bie fid) §ur Qeit be§ 33erfalle^ beg urn3Üd)figen
132 2)te (5tt)i! be§ 9}iavji0nui§
5^ommum§mu§ unb ber G^cnti(gefenfcl)aft bilben, in ftartem
©egenfa^ ftef)en gu ben alten Sf^atnrreligionen, beren SBurjeln
in bie flaffentofe Qcxt ^inabretd)en unb bte feine befonbere
^ricftevfd)aft fcnnen. ^n ben alten D^eligionen finb (^ott^
l)eit unb (£tl)i! burdE)au§ nic^t niiteinanber oerbuubcn. ^ie
neuen ^Religionen bagegen ent)ad)fen auf bcm 53oben jener
^l)ilofopl)ie, bie bie ©tl)i! unb hm ©lauben an bie (Sott*
l)eit unb an ein Qenfeit^ auf§ engfte ntiteinanber nerlnüpft,
ben einen galtor burd) ben anbeten ftü^enb. ©eitbem finb
9ieligion unb ©tl^i! al§ §errf(i)aftgmittel innig miteinanbev
üerbunben. 2Cßol)l ift ba§ ©ittengefe^ ein ^robuft bev
fojialen 92atur be§ 5Jienfc£)en; n)ol)l finb bie jeweiligen fttt*
iici)en 9^ovmen ^robufte befonberer gefellfc^aftlicl)er 58c«
bürfniffe; n)ol)l l^aben bie einen rcie bie anberen mit ber
^Religion nid)t§ ju tun. Slber jene 2lrt ron 9Jloral, bie
t)em 33olfe im Qntereffe ber l)crrfd)enben klaffen erl)alten
tüerben muß, fie bebarf alterbingg bringenb ber 9ieügion
unb be§ ganzen fird)li(f)en Drgani§mu§ gu il)rer ©tü^e.
Oline biefe bräd)e fie nod^ fd)neller gufammen, aB e^ ol)nes
i}'m gefd)ie'^t.
c. 5llte unb neue SDIoral.
!ge länger aber bie überlebten moralifd)en (Sa^ungen in
^xaft bleiben, inbe§ bie öfonomifdje ©ntmidlung fortfd)reitet
unb neue gcfellfd)aftr.c^e SSebürfniffe fd)afft, n)eld)e neue
fittlid)e S'Zormen erforbern, um fo gröJ3er mirb ber äßiber«
fprud) jn)ifd)cn ber ^crrfc^enben ?Obral ber ®efellfd)aft unb
bem Seben unb Streben il)rer ^Jlitglieber.
Slber biefer 20ßiberfprud) äußert fid) in ben t)erfd)iebenen
S^laffen auf t)erfd)iebene Sßeife. "^^ie fonferoatinen klaffen,
jene, beren ©iifteng auf "ben alten gefellfc^aftlid)en ^e«
bingungen berul)t, galten feft an ber alten 93loral. Qebod^
nur in ber 3:l)eorie. Qu ber ^raj:i§ fönnen fie fid) !eine§=
fall§ ben ®inmir!ungen ber neuen gefellfd)aftlid)en S3e*
bingungen entgie^en. '^cx befannte Sßiberfprud) ^n)ifd)en
ftttlid)er 3:l)eorie unb ^raj:i§ fe^t l)ier ein. @r gilt mand)em
3)ie ©a^ungen ber SD^oroI 133
a(§ zin D^aturgefe^ ber SJlorat; beren gorberungen er^
fd^einen al§ etraag fe{)r 2Öunfrf)en§n)erte§, aber Unerfü(I==
bareg. '3)er SOßiberfprud^ 3n)ifcE)en 5tf)eorie unb ^ra^g in
ber SKoral fann aber I)ier rcieber graeiertei formen an=
nef)men. klaffen unb Qnbioibuen roK ^raftgefüf)l feiert
firf) offen über bie Jo^^^ßi-'it^Ö^^ '^^^ überlieferten ©ittlic^*
feit -E)inraeg, beren S^otrcenbigfeit für bie anberen fie woi)l
anerfennen. klaffen unb 3i^bix)ibuen, bie fid) fc^raad^ füllen,
übertreten bagegen ^eimlid^ bie fittli(i)en (Gebote, bie fie
öffentlich prebigen. (So frf)afft biefe ^^afe je nad^ ber
l)iftorifd)en Situation in hm untergel)enben klaffen ent-
lüeber Qx)n\§mu§ ober §eucl)elei. G5leidl)5eitig aber
fc^rcinbet, wie rctr gefel)en, gerabe in biefen klaffen leid)t
bie ^raft ber fojialen triebe infolge be§ ®rftarfen§ ron
©onberintereffen, foioie ber SO^ögli(i)feit, fitf) in hm au§^
gufec^tenben kämpfen burrf) SJlietünge erfe^en ju laffen
unb hm ©infa^ ber eigenen ^erfi3nlicl)feit gu rermeiben.
2(lle§ ba§ erzeugt in fonfert)atioen, namentlid^ lierrfc^en*
ben klaffen jene ©rfd) einungen, hie man unter bem S^amen
ber Unfittlicl)feit gufammenfa^t.
9HaterialiftifdE)e @tl)ifer, benen bie moralifc^en ©a^ungen
blo§ fouDentionelle Spfloben finb, leugnen bie SJlöglid^feit
einer berartigen Unfittlid)feit al§ gefellfd)aftlicf)er @rfd)ei^
nung. %a alle ©ittlicl)feit relatix), fei ha§, xva§ man Un*
fittlic^feit nennt, eben nur eine t)on ber unferen abrceid^enbe
2lrt ber 8ittlid)!eit.
2lnbererfeit§ gieljen ibealiftifrf)e @tl)ifer au§ ber ^atfad^e,
ha^ e§ ganje unfittlid^e klaffen unb ®efellfcf)aften gibt, hm
©(i)lu^, ba§ e§ and) eine eraige, üon Oiaum unb Qeit un^
abhängige ©ittlid^feit geben muffe, einen üon ben mec^feln*
ben gefellfd)aftlicl)en QSerljältniffen unabhängigen 9Jlagftab,
an bem man bie 5D^oral jeber @efellfrf)aft unb klaffe meffen
fönne.
Seiber aber ift jeneg (Clement ber menfc^lid^en 5iJloral,
ba^, menn aud) nicl)t oon 9laum unb Qeit unabhängig, fo
134 2)ie (gt^if be§ $marji§mu§
bod^ älter al§ bie rcedifetnbcn gefe(lfd)aft(id)eu 33er{)ä(tntffe
ift, bie {oktalen 3:rtebe, gerabe jenel, 'i)a§ bie tnenf(i)licf)e
9Jloral mit bcr tierifrf)en gemein ^at 20ßa§ aber fpejififd)
menfd)lid) an ber SJ^oral, bie fittüc^en 92ormen, ift ftetem
2ße(i)fel untermorfen. ®a§ bemeift jebocf) nicf)t, baj? eine
klaffe ober gefellf(i)aftlid^e G^ruppe nic^t unfittlid) fein fann,
e§ bemeift bloJ5, ba^ e§, menigften§ voa§ bie fitt(id)en 92ormen
anbelangt, ebenfomenig mie eine abfohlte Sittlidjfeit, eine
abfolnte Unfittlid)feit gibt. 5lud) bie Unfitttid)feit ift in biefer
58e3ief)ung ein relativer Segriff. 5Il§ abfolute Unfittlid)feit
fann man nur ba§ 5^l)Ien ber fojiaten triebe unb Saugen*
ben anfel)en, bie ber ^m\d) von ben fo^ialen 2:ieren über-
nommen l)at
33etracE)tet man bagegen bie Unfittlidjfeit al§ 3SerfeI)lung
gegen ©a^ungen ber SJZoral, bann bebeutet fie nid)t ba§
2lbraeicf)en t)on einem beftimmten, für aUe Qeiten unb Sänber
geltenben 5DRa^ftab ber (5ittti(i)!eit, fonbern ben Sffiiberfprud)
ber fitttidien ^ra^ng gegen bie eigenen fitt(id)en (SJrunbfä^e,
bebeutet fie bie Übertretung t)on fittlid)en DIormen, bie man
felbft al§ notrcenbig anerfennt unb forbert. (£§ ift bal)er
ein Unfinn, beftimmte fittlid)e DIormen irgenb eine§ S3ol!e§
ober einer klaffe, bie al§ fold)e anerfannt merben, be§^a(b
für unfittlic^ gu erüären, mei( fie unferen eigenen fitt(id)en
S^ormen miberfpre^en. ®ie UnfittUd)!eit fann ftet§ nur
ein 5lbn)eid)en r>on ber eigenen, nie ton frember ?[Roral
fein. *3)iefelbe ©rfdieinung, etraa freier gefd)led)tli(^er 3Ser*
fel^r ober ©Ieirf)gültigfeit gegen ha§ Eigentum, fann in
bem einen galle ba§ ^robuft fittlic^er gäulni§ fein in einer
(SJefetlfd^aft, bie bie ftrengfte ®ine{)e unb bie größte ^eilig*
feit be§ @igentum§ al§ notmenbig anerfennt; fie fann in
einem anberen galle ba§ f)0(^fittlid)e ^robuft eine§ fef)r
gefunbcn gefellfcf)aft(id)en Drgani»mu§ fein, beffen Sebürf*
niffe meber ba§ fefte Privateigentum an einer grau nod)
ba§ an beftimmten J^onfumtion^- unb $robuftion§mitteIn
erf)eifd)en.
S)ie ©Übungen ber Floxal 135
d. %a§ fittlt^e ^beal.
3lugert ficf) aber ber tüad)fenbe Sföiberfpmcf) 5n)tfd)en bcn
tt)ed)felnben gefell]cf)aftli(i)ett 35ebingimgen unb ber ftag*
nierenben 5[Roral h^i ben fonfernatben, namentlich ben
{)eriicf)enben klaffen, in fteigenber llnfittlicf)!eit, 3^nat)me
t)on §euc^elei unb ^i^^^i^^i^^/ ^i^ oft norf) §anb in §anb
ge{)t mit einer @(^n)äci)ung ber jovialen Striebe, fo fü^rt er
ju gan^ anberen ©rgebniffen in ben aufftrebenben unb auB^
gebeuteten klaffen. J^^re ^ntereffen ft^^ß^ int roUften
©egenfa^ gu ber geferif{i)aftlid)en ©runblage, bi^ bie l^err^
fc!)enbe 5iJ^oral fd)ufen. ©ie {)aben nid)t ben minbeften
©runb, an i!)r ^u f)ängen, fte f)aben allen 0runb, \f)X znU
gegengutreten. Qe mel^r fte fic^ il)re» @egenfa^e§ gur lierr^
f(i)enben gefellf(^aftlidE)en Drbnung bercugt rcerben, befto
ftärfer n)ä(f)ft au&) il)re fittlii^e ©mpönmg, befto mel)r
fe^en fie ber alten, überfommenen 9Jloral eine neue ent«
gegen, bie fte al§ 9Jloral ber ganzen ©efellfct)aft burrf)fe^en
wollen. ©0 erftel)t in ben auffteigenben klaffen ein fitt«
li(^e§ Qbeal, ha§> immer fü^ner mirb, je mel)r biefe klaffen
an ^raft geminnen. Unb glei(i)jeitig rcirb, mie rair gefe^en
l)aben, gerabe in benfelben klaffen auc^ bie ^raft ber fo^ialen
Slriebe burd) ben ^laffenfampf befonber§ entiüid elt, fo ba§
mit ber ^ül)n^eit be^ neuen fittlicl)en ^beal§ audl) bk ^e*
geifterung bafür mäd^ft. ^iefelbe ©ntmiiflung alfo, bie in
fonfert)atit)en ober untergel)enben klaffen n)ad)fenbe Um
fittli(i)feit probujiert, erzeugt in bzn auffteigenben in p*
ne^menbem 9Jlage eine ©umme oon ©rfd) einungen, bie mir
unter bem Dramen be§ etl)ifd)en ^bealiBmuä gufammem
faffen, ber mit bem pl)ilofopl)ifrf)en ni^t üeri^ed^felt merben
barf. (55erabe biefe auffteigenben klaffen neigen oft jum
pl)ilofopl)ifd)en 5[Rateriali§mu§, bem bie untergel)enben t)on
htm 5[Roment an miberftreben, al» fie ftd) beffen bemu§t
merben, bag bie 2öirfüd)!eit ba§ ^obeSurteil über fie au§s
fpricl)t, ha^ fie nur nod) von übernatürlicf)en, güttlicl)en ober
etl)ifd)en, 9Jläd)ten ütettung ermarten bürfen.
IM 3)ie (5tf)if bc§ iDkn-iSmu^
1)er ;3nf)alt be§ neuen fittlt(f)en QbeaB ift nid)t immer
ein fe()r üarer. (£r 9e{)t !)eroor nicf)t au§ ivgenb einer
tiefen n)iffenfd)aftlic^en (£rfenntni§ be§ gejellfd)aftli(i)en
Drgani§mu§, ber ben Ur!)ebern be§ 3^^^^^ üielfacf) gan^
unbefannt ift, fonbern au§ einem tiefen gefe((fd)aftlicE)en
33ebürfni§, einem f)eigen ©e()nen, einem energifc^en
SOß ollen nac^ ürva§ anberem al§ bem ^eftel)enben, nac^
etraag, maS ha§ @e genteil beg 58efte()enben ift. Unb fo
ift and) biefe§ fittlirf)e Qbeal im ß^runbe nur ztma§ rein
^Zegatioeg, md}t§ aU ber ©egenfa^ gur l)errfd)enben ©itt-
Iid)feit.
8eitbem e§ eine ^laffengefellfcl)aft gibt, fd^ü^t aber bie
!)errfd)enbe ©ittlicl)!eit, fobalb fic^ ein fc^arfer ^laffengegen*
fa^ gebilbet l)at, ftet§ Unfreil)eit, Ungleid)l)eit, 2Iu§^
beutung. Unb fo ift benn au(^ ha§ fittlic^e Qbeal auf-
ftrebenber klaffen in l)iftorifd)er Qät ftet§ anfcf)einenb ba§*
felbe gercefen, ftet§ jeneS, ba§ hk franjöfifdie 9fiex)olution
gufammenfagte in ben 2Borten: greil)eit, ®leid)^eit, trüber*
Iirf)feit. @§ fc^ien, al§ fei bie§ :5beal unabl)ängig üon S^laum
unb Q^it in jebe 9J^enfd)enbruft gepflanzt, al^ fei e§ bie
5lufgabe be§ 3!Jlenfd)engefd)led)te§, feit feinem beginn bem*
felben fittlid)en Qbeal narf)5uftreben, al§ beftel)e bie (^nU
rcidlung ber 3[Renfc£)l)eit in ber allmäl)li(^en 5lnnä^erung
an biefeS Qbeal, ba§ il)r ununterbrod)en t)orfd)n)ebe.
3lber menn voix näl)er gufe^en, fo finben mir, ba§ bie
Übereinftimmung be§ ftttlic^en QbealS ber t)erfd)ieb enen l)ifto*
rif(i)en ^erioben nur eine fe^r oberfläcl)lid)e ift, unb ba^
l^inter i^r fel)r gro^e 3Serfd)iebenl)citen ber gefe(lfcl)aftlid)en
giele liegen, bie hm 3Serfd)iebenl)eiten ber jemeiligen gefell*
fd)aftlicl)en Situation entfpred)en.
SSergleid^en mir nur ba§ ©l)riftentum, bie franjöfifdie
Dieoolution, bie l)eutige Sogialbemofratie, fo finben mir,
bag greil)eit unb ®leid)f}eit für jebe t)on il)nen etma^ ganj
anbereS bebeuteten, je nad) il)rer (Stellung jum Eigentum
unb gur ^robuftion. '2)a§ Urd)riftentum oerlangte nad)
!Die ©Übungen ber Floxal 137
ber @Ietd)f)eit be§ ©igentiim^ in ber ^lißeife, bag e^ feine
gleicf)e Seiinng nnter ade jngn^ed'en be§ ^onfnm§ forberte.
Unb unter ber grei^eit nerftanb q§ hk Befreiung t»on aller
2Irbeit n)ie fie aud^ ben Milien anf h^m gelbe gnteil rcirb,
hk nid)t fpinnen unb nid^t xv^h^n unb fid) bocf) il)reä Seben§
freuen.
^k fran§öfifcf)e Ü^eoolution rcieber üerftanb unter ber
©lei(^l)eit bie @leicl)l)eit be§ (£igentum§red)te§. %a§
private Eigentum felbft erflärte fie für ^eilig. Unb bic
it)a^re greil)eit rcar für fie bie g^ei^eit, ba§ (Eigentum im
irirtfd^aftlii^en 2^hm nacl) (5)utbünfen mi3glid)ft profitabel
ansuroenben.
%k ©osialbemofratie enbli^ fdjraört rceber auf ba§
prioate Eigentum norf) Derlangt fie feine Steilung. @ie
©erlangt feine 33ergefellfcl)aftlid)ung, unb bie ©leid^^eit, bie
fie anftrebt, ift ha§ gleic£)e ^Inred^t aller auf hk ^robufte
ber gefellf(i)aftlid^en 2lrbeit. ^ie gefellfcf)aftlicl)e Jrei^eit
enblirf), bie fie forbert, ift rceber bie 33efreiung t)on ber
3lrbeit nod^ bie greilieit, nad) belieben über hk ^robu!tion§^
mittel 5U verfügen unb gu probu^ieren, fonbem bie ©in^
fd)rän!ung ber notmenbigen 2lrbeit burd^ §eran5iel)ung
aller 2lrbeit§fäl)igen gur ülrbeit unb burc^ auSgebe^ntefte
5lnmenbung arbeitfparenber 5SJlafd)inen unb 9Jletl)oben. 3luf
biefe SOßeife foU bie notrcenbige Slrbeit, bie feine freie fein
fann, fonbem eine gefedfc^aftlicE) geregelte fein mug, auf
ein SJlinimum für jeben rebu^iert unb jebem eine au§i
retd)enbe Qeit ber greilieit gefid)ert merben, ber freien fünft*
lerifcl)en unb n)iffenfd)aftlidE)en Betätigung, beg freien Seben§*
genuffe§. (S5efellfd)aftlid)e grei^eit — oon ber politifd)en
fel)en mir l)ier ab — burd) möglic^fte 9}erfür3ung ber not*
mcnbigen 5lrbeit§5eit: ba§ ift bie greil)eit, bie ber moberne
©05iali§mu§ meint.
9JZan fiel)t, ba§ gleid)e fittlid)e ^beal ber greil)eit unb
©leid)l)eit fann fel)r t)erfdl)iebene gefellfc^aftlic^e Qbeale um*
faffen. ^ie äu^erlid)e Übereinftimmung be§ fittlid)en Qbeal§
138 5)ie (St^if be§ aWarjt§mu§
t)crfd)iebener Qeiten imb Sauber ift aber nic^t bie gö^se
eine§ von SRaxun unb Qeit unab{)äugigen ©ittengefe^e§, ba§
bent 9JIenfd)en au§ einer übernatürUd)en 2ßelt f)er inne^
vool)nt, fonbern nur bie golge bat»on, bag bei aden gefefi^
fd)aftUc^en Unterfc^ieben bie ©runblinien ber ^(affenf)crr^
f(i)aft in ber men]d)lic]^en ©efe(lfd)aft ftet:§ biefelben ge^
blieben finb.
Qebod^ nidjt bloß au§ bem ^laffengegenfa^ fann ein
neue§ fittlid)e§ Qbeal erfte{)en. 5lucf) inner{)alb ber fonfer^
ratiüen klaffen fann e§ einzelne :3nbit)ibuen geben, bie
mit xBirer klaffe gefel(fd)aftlicf) nur lofe ^ufammen^ äugen
unb fein ^laffenbemugtfein entrairfelu. '3)abei aber befi^en
fic ftarfe fojiate Slriebe unb ^ugenben, bie fie jebe §eud)elei
unb jeben Qpnilmug t)erabfd)euen laffen, unb t)erfügen über
groge ^ntelligenj, bie fie ben 2öiberfprud) jn)ifrf)en bm
überfommenen moralifd)en ©a^ungen unb ben gefe[(fc^aft=
lirf)en ^ebürfniffen flar erfennen Iä§t. (3ol(i)e Qnbioibuen
muffen ebenfalls ba{)in fommen, für fid) neue fittli(i)e Qbeale
aufjufteHen. 5lber ob biefe ^'txtale gefeIlf(jE)aftlirf)e Straft
er!)alten, ba§ l)ängt bar>on ah, ob fie in ^(affenibeale
münben ober nic^t. 9^ur al^ 2:ricb!raft be§ ^(affcn!ampfe§
fann ba§ fittlid^e ^beal frurf)tbringenb rairfen. ®enn nur
ber ^laffenfampf, nic^t ha^ ©onberbeftreben von ©igen*
bröblem befi^t bie ^raft, bie ©efeUf(i)aft meiter gu ent*
micfeln unb hm SSebürfniffen ber ^öf)er enttüi(felten ^ro*
buftiofräfte angupaffen. Unb foiüeit ha^ fittlicf)e Qbeal
überl)aupt t)ermirf(id)t merben fann, ift bie§ nur burct) eine
^nberung ber @efeßf(i)aft gu errei(^en.
(Sin eigentümlid)e§ ^ed) lüoKte e§ freilid) bi§l)er, ba^ 'oai
fxttlid)e Qbeal nie errei(i)t marb. %a§ mirb leid)t begreiflid),
menn man feinen Urfprung betrad)tet. ®a§ fittlic^e Qbeal
ift nicf)t§ al§ ber ^omplej ber 2ßünfd)e unb ^eftrebungen,
hiz burd) ben (SJegenfa^ gum beftef)enben ^^ft«^^^ l^eroor-
gerufen merben. (£§ ift al§ STriebfraft be§ ^laffenfampfeg,
all 5iJ^ittel, bie Gräfte ber aufftrebenben klaffen gum Kampfe
3)ic ©Ölungen ber SD^oval 139
gegen ba§ 33eftef)enbe ^ufammen^ufaffen unb an^uftadjeln,
ein ntäd)tiger §ebel ^ur überrainbung biefe§ SSeftel^enben.
5lber ber neue gefeEfd)aftIi^e Q^f^^^^/ '^^^ ^^ ©teile be§
alten tritt, pngt nid)t ron ber ©eftaltung be§ fittli(i)en
^beaB ab, fonbern t)on ben gegebenen materiellen ^ebin*
gungen, ber 2:ecf)nif, bem natürlid)en SJlilieu, ber 5lrt ber
S'iaclibarn unb 3Sorfal)ren ber beftel)enben @efellfd)aft ufra.
©ine neue ©efellfcl)aft !onnte alfo r»on bem fittlicl)en ^beal
berjenigen, bie fie l)erbeigefül)rt, leid)t er^eblid) abmeieren,
um fo el)er, je meniger bie fittlid^e (Sntrüftung mit Kenntnis
biefer materiellen ^ebingungen gepaart mar. %a§ ;3beal
enbete benn auc^ bi§l)er ftet§ mit einem ^a^enjammer, er«
n)ie§ fid) al§ eine QUufion, nad)bem e§ feine l)iftorifd)e
<5cl)ulbigfeit getan unb al§ eintrieb gercirft ^atU, ha§ Sllte
ju gerftören.
SCBir l)aben oben gefe^en, mie in ben !onfert»atit)en klaffen
ber ©egenfa^ smif(i)en fittli(i)er Sll)eorie unb ^raji§ auf«
taud)t, fo ha^ il)nen bie ©ittlid^feit al§ etma§ erfcl)eint,
n)a§ aKe 20ßelt forbert, aber niemanb ixbt, etma§, ma§ über
bie Gräfte irbif(^er 2Befen gel)t, ma§ nur überirbifd^en
2ßefen gu üoU^ielien gegeben ift. §ier fel)en mir in ben
ret)olutionären klaffen eine anbere ^rt be§ ©egenfa^e§
jraifd^en ftttlidl)er 3:l)eoiie unb ^raji§ erftel^en, ben ©egen-
fa^ gmifd^en bem fittlidl)en Qbeal unb ber burc^ bie fo^iale
9let)olution gefcl)affenen äöirflid^feit. §ier fcl)eint miebe
bie (Sittlid)!eit al§ üma^, ma§ alle 2öelt anftrebt, niemanb
erreicl)t, al§ ba§ für irbifcl)e SCßefen Unerreid^bare. ^ein
Sßunber, ba^ bann hk @tl)i!er vermeinen, 't)k ©ittli(^!eit
fei übertrbifd)en Urfprunge§ unb unfer tierifc!)e§ Sßefen,
ba§ an ber @rbe flebt, fcl)ulb baran, bag mir il)r ^ilb
ftet§ nur fe^nfuditSooK oon ber gerne anUUn bürfen, ol)ne
e§ jemals umfaffen ^u fönnen.
93on biefen l)immlifcl)en §öl)en mirb bie (5ittlidl)!eit bartf)
i>Qn l)iftorifd)en 50^ateriali§mu§ auf bie ®rbe lierabgejogen.
Sßßir lernen il)ren tierif(i)en Urfprung erfennen unb fe^en.
140 S)ie (Stfjif be§ SWoifiSmu^
roic if)re SBanblungeu tu ber menfrf)(id)cn ©cfeHfd)aft bur^
bie 2ßanb(ungen bebtngt finb, rceld)e biefe burc^mad)t, an*
getrieben bnrd) bie ted)nifrf)e ©ntiüicflung. Unb ba§ fitt*
lid)e Qbeal luirb un§ je^t entf)ü(lt in feinem rein negativen
Sf)arafter al§ SBiberfpmc^ gegen bie beftef)enbe fitt(id)e
Drbnnng, unb feine ^ebeutung rcirb erfannt al§ Strieb-
traft be§ ^laffenfampfeg, al§ Tlittd, bie Strafte ber reno*
(utionären klaffen jufammengufaffen unb anzufeuern. ©leic^*
zeitig rcirb aber aud) ba§ fitt(ic!)e Qbeal feiner rid)tung*
gebenben ^raft entüeibet. ?flx^t t)on unferem fittlid)en
Qbeal, fonbern t)on beftimmten gegebenen materieden S3e*
bingungen {)ängt bie 3fiirf)tung ah, ireldie bie gefellfd^aft*
Iid)e (Sntn)id(ung in 20ßirtlid)!eit nimmt, ^tefe materiellen
^ebingungen l)aben fd)on in frül)eren ^erioben in geiüiffem
(55rabe ba§ fittli(^e SGßoden, bie gefe(If^aftlicE)en Qkk ber
aufftrebenben klaffen beftimmt, aber meift unbemugt. Ober
n)enn fcf)on eine bemühte rid)tunggebenbe fojiale ©rfenntni^
r)orl)anben mar, mie im ad)t5e!)nten :3al)rl)unbert, ^at fie
bod^ unft)ftematif(^ unb nidE)t fonfequent auf bie SSilbun^
ber gefellfd)aftli(i)en Qiele eingemirft.
®rft bie materialiftifc^e ©efd)id)t§auffaffung ^at ha§ fitt«
lid)e Qbeal al§ rid)tunggebenben gaftor ber fogiaten @nt*
midlung üöüig bepoffebiert unb ^at un§ gelel)rt, unfere
gefeßfd)aftlid)en Qiele au^fd^lie^lid) au§ ber @r!enntni§ ber
gegebenen materiellen ©runblagen abzuleiten, ^amit l)at
fie zum erftenmal in ber ©efd)id)te ben 2Beg gezeigt, mie
ein 3^trücfb(eiben ber revolutionären 2Gßirfli(i)!eit l)inter bcm
gefellfc^aftlid)en Qbcal, rcie Qü^tfionen unb @nttäufdl)ungen
t)ermieben merben fönnen. Ob fie aud) mirflid) vermieben
n)erben, l)ängt ah oon bem (S^rabe ber erlangten (Sinfii^t
in bie (Befe^e ber (gntrcidlung unb 33eir)cgung be§ gefeilt
fd)aftlid)en Drgani§mu§, feiner Gräfte unb Organe.
'3)aburd) mirb ha§ ftttlid)e Qbeal ntd)t fetne§ 2ßir!en§
in ber @efellfd)aft entfleibet, biefe§ 2Birfen mirb blog auf
fein rid)tige§ 3D^a§ rcbugiert. SCßie ber foziale, ber fittlic^e
t2)ie ©a^ungen ber 'SJloxai .141
%xxzh ift Qud) ba§ fUttidE)e J^beal mdf)t einfiel, fonbern
eine ^raft ober eine SÖöaffe im gefe(lf(i)aftli(i)en Kampfe
um§ "^afein; ha§ ftttli(i)e Qbeal ift eine befonbere SÖäaffe
für bie befonberen QSer^ältniffe be^ 5^Iaffen!ampfe§.
Sind) bie ©ogialbemofratie al§ Drganijation h^§ ^role*
tariat^ in feinem ^laffenfampf fann ha§ fitt(i(i)e Qbeal,
fann bie fittti(i)e (Smpörnng gegen Sln^beutung nnb klaffen*
E)erri(i)aft nicf)t entbef)ren. SIber hk§ Qbeal f)at nicl)t§ §n
fu(i)en im n)iffenfd)aftlicf)en©05iali§mn§, berrciffenfc^aft*
li(f)en (£rforfd)nng ber ©ntn)idlnng§= unb ^emegnngggefe^e
be§ gefe{If(i)aftlid)en Organismus gum ^toede beS @r=
fennenS bernotmenbigen S^enbengen unb ^i^^^ '^eS prole*
tarifd)en ^laffenfampfeS.
greilid), im (Sozialismus ift ber gorfd)er ftetS and) ein
Kämpfer, unb ber SJlenfrf) lägt fid) nic^t fünft(id) in gmei
^eile gerfd)neiben, r>on benen ber eine mit bem anberen
nid)tS 5U tun f)at. ©o bri(^t aud) gum ^eifpiel in einem
SJlarj: mitunter bei feiner JDiffenf(^aftIicf)en gorfd)ung baS
SCßirfen eineS ftttlid)en QbealS hmd). 5lber er ift ftetS be*
mü£)t, unb mit 9lcd)t, eS auS x^x gu verbannen, fomeit er
oermag. ®enn baS fittlic^e Qbeal mirb in ber Sßßiffenfdjaft
gu einer gel)(erqueUe, rcenn eS fid) anmaßt, it)X i()re Qiele
raeifen ^u moUen. ^k äßiffenfd^aft ^at eS ftetS nur mit
bem ©rfennen beS D^Zotraenbigen gu tun. (Sie fann moI)t
bagu fommen, ein ©öden üor^ufdireiben, aber bieS barf ftetS
nur als eine ^onfequenj ber ®infid)t in baS Slotrcenbige
auftreten. (Sie mug eS bagegen ablel)nen, ein Sollen
auSfinbig gu mad)en, baS nid)t alS ^xm in ber „2ßelt ber
(Srfd)einungen" begrütibete S^otmenbigfeit erfannt merben
fann. ®ie ®tl)if barf ftetS nur dn Objeft ber Sßiffen*
fd)aft fein; biefe l)at bie fittlid)en triebe mie bie fittlid)en
J^beale ju erforfd)en unb begreif lid) gu mad)en; fie l)at
aber t)on i^nen feine Sßßeifungen gu empfangen über bie
9lefultate, gu benen fie ju gelangen l)at. ^ie 20ßiffenfd)aft
ftel)t über ber ®tl;if, il)re Üiefultate finb ebenforcenig fitt=
142 2)ie (Sttjif be§ 2«aryilmu0
lirf) ober unfittUcf), all bie 9^ottüenbig!eit fittlid) ober uu?
fittltrf) ift.
Qnbe§ ift aud) bei ber ©cioinnung unb 3Serbreitung
tt)iffenfd)Qftlid)er ®r!enutni§ bie ©ittlirf)feit nid)t au§ge^
fd)altet. S'Zeue n)iffenfc^aftlict)e ®rfenntni§ bebeutet liäufig
bie 3SerIe^ung übcrfommener, eingetniirselter, p feftcr ©e*
it)o^n{)eit Qeioorbener 5(nfcf)auunge]i. ^n ®efel(fd)aften, bie
^(affengegenjä^e umfaffen, bebeutet neue n)iffenfd)aftli(i)e
©rfeuutnig, nameutlid) foI(i)e gefe(lfd)aftUcf)er 3^tf^<^J^^^'
meift aber aucf) bie 33erle^uug ber J^ntereffen einzelner
klaffen. 2ßiffenfd)aftlirf)e ©rfeuntnil finben unb üerbreiteu,
bie unvereinbar ift mit ben Qntereffen ber {)errfd)enben
klaffen, ^eigt biefen ben ^rieg erflären. @§ fe^t nic^t blo^
f)o{)e 3"te((igenj t)orau§, fonbern aud) ^antpfe§fäf)igfeit
unb ^ampfelluft, Unab{)ängig!eit t)on ben ^err|d)enben
klaffen, aber auc^ unb nor allem ein ftar!e§ fittlid)e§ (£mp?
finben: fraftüotle fojiale Slriebe, einen rüdfid)t§lofen '3)rang
nac^ ®r!enntni§ unb ^Verbreitung ber 20öa^r^eit, ein ^ei^eg
^Verlangen, ben unterbrüdten, aufftrebenben klaffen jubienen.
^ber aud) biefel le^tere ^Verlangen mirb irrefülirenb,
menn e§ nid)t blo§ negatio auftritt, al§ 5Iblel)nung ber
5lnfprü(^e ber ]^errfd)enben 3lnfd)auungen auf ©ültigfeit
unb al§ eintrieb gur Überrainbung ber §inberniffe, meld)e
bie gegnerifd^en ^laffenintereffen ber gefellfc^aftlid)en gort^
entmidlung entgegentürmen, fonbern menn e§ barüber f)inau§
rid)tunggebenb auftreten unb ber fojialen ®r!enntni§ be*
ftimmte Qiele meifen miß, bereu @rreid)ung fie gu bienen ^at
*3)aburd) aber, ha^ ba§ beraugte Qiel bei Sllaffenfampfel
im n)iffenfd)aftlid)en Sogialilmul aul einem fittlid^en Q^^cxl
in ein ö!onomifd)el tjermanbelt mirb, verliert el nid)t§ von
feiner (^rö§e. ^enn mal bi§l)er allen Erneuerern ber ©efett-
fd)aft all fittlid)el Qbeal üorfd)n)ebte unb von il)nen nic^t
eu'eid)t merben fonnte, baju finb je^t pm erftenmal bie
ö!onomifd)en ^ebingungen gegeben, bal fönnen mir gum
erftenmal in ber 2ßBeltgefd)id)te all notmenbigel Ü^efultat
2)te ©Ölungen bet Tloxal 143
ber öfonotnifc^en ©ntiDtrf'tung erfennen: bte 5(uf^ebung
b er klaffen. ^xfi)t bie 2(uf^ebung adev beruf li(^en Unter-
fdE)tebe, m(f)t bie Üluff)ebung ber 5Irbeit§tei(ung, n)of)l aber
bie 3luf^ebung jener gefeKf(i)aftIid)en Unterfd)iebe unb ©egen-
fä^e, bie au§ bem Privateigentum an hm ^robuftionS^
mittein unb au§ ber au§fd)lie§lid)en geffelung ber 5!}laffe
be§ 3SoIfe§ an bie materielle ^robu!tion§tätig!eit entfpringen.
%k ^robuftionlmittel finb fo gemaltig geraorben, bag fie
^eute fc^on ben 9^af)men be§ ^riüateigentum§ fprengen.
®ie ^robuftiüität ber Slrbeit ift fo gemaltig gen)ad)fen,
ha^ fieute ]d)on eine er^eblicf)e 3Serminbeiiing ber 2Irbeit^s
§eit für a((e 3lrbeiter möglici) ift. ©o erraac^fen hk @runb*
lagen für hk 2Iuf^ebung nicf)t ber Slrbeit^teilung, nid)t
ber Berufe, aber für bie ber ©egenfä^e t)on arm unb reid),
von 5(u§gebeuteten unb 2Iu§beutem, von Unraiffenben unb
SÖßiffenben.
@leid)5eitig ift aber bie 31rbeit§teilung fo meit gebieten,
ba§ fie autf) jeneä ©ebiet erfaßt, ha§ if)r fo üiele ^al)X'
taufenbe lang rierfd)(offen geblieben, ben f)äu§licf)en §erb.
^ie grau mirb non i{)m lo^gelöft unb in ba§ ^ereid) ber
2lrbeit§teilung !)ineingesogen, ba§ fo lange ein au^fd^lieg*
lid)e§ 9Jlonopol ber S[Ränner geblieben. %amxt merben
felbftoerftänblid) nid)t bie natürlicl)en Unterfc^iebe au^?
gelbfd)t, bie ^mif^en 9Jlann unb Seib beftel)en; ba§ fann
auc^ noc^ mancl)en gefellf(^aftlid)en Unterfd)ieb, foraie
mand)en Unterf(^ieb ber etl)ifd)en gorberungen, bie an fie
geftellt merben, fortbeftel)en laffen ober neu erzeugen, aber
e§ mirb fi(i)er alle jene Unterfi^iebe in (BtacLt unb ©efell*
fcl)aft gn)ifd)en if)nen t)erfd)n)inben laffen, hie au§ ber
geffelung ber 'i^xan an ben prioaten §au§^lt unb i^rer
3lu§fcl)tiegung oon ben 33erufen ber 2Irbeit5teilung l)ert)or*
gingen, ^n biefem ©tnne gel)en mir nicl)t blo§ ber 2luf*
^ebung ber Slu^beutung einer klaffe burc^ eine anbere,
fonbern auc^ ber 2luf^ebung ber Unterorbnung ber
grau unter hen 2J^ann entgegen.
144 2)ie et^i! be§ 9)?Qvji0mu§
Unb suöleid) nimmt bie 2ßeltmirtf(i)aft folc^e '3)imenfionen
an, merben bie internationalen )t>irt]d)aftttd)en ^Bejiefinngen
fo enge, ba§ bamit bie (Srunblage ermäd^ft, anf bei* nad^
ÜberiDinbnng be§ ^riüateigentnm^ an ben ^robnftionl*
mittein bie Überrcinbnng ber nationalen (S^egenfä^e, ba§
5lnfl)ören ber Kriege unb ber ^rieg§rüftungen, emigev
fjriebe unter ben SSölfern möglid) ift.
SÖßo gäbe e§ ein fittlirf)e§ Qbeal, ba§ l)errlicE)ere 5Iu§bli(Je
eröffnete! Unb bod) finb fie au§ nürf)ternen öfonomifcl)en
i8etracl)tungen gemonnen unb nid)t au§ ber 33eraufd)ung
bur(^ bie ftttlicl)en Qbeale ber greil)eit, ©leid)l)eit, ^rüber^
lic^feit, ©ered)tigfeit, Humanität!
Unb biefe 5lu§bli(fe finb aud^ nid)t ©rraartungen ton
^uftänben, bieblog fommen follen, bie mirblop münf(i)en
unb m ollen, fonbern 5lu§bli(fe auf Quftänbe, bie fommen
muffen, bie notmenbig finb. 2lllerbing§ notrcenbig nid^t
in bem fataliftifd£)en ©inne, ba§ eine l)öl)ere ^Jla6)t fie t)on
felbft un§ fd^enfen roirb, fonbern notrcenbig, unterm eiblidf)
in bem 6inne, mie e§ untermeiblidt) ift, 'öa^ bie (Srfinber
bie %z(i)mt terbeffern, bag bie ^apitaliften in i^rer Profit*
gier ba§ gange mirtfd^aftlidl)e Seben ummäljen, mie e§ un=
termeiblid) ift, ba^ bie Sol)narbeiter nad) fürjeren 2lrbeit§5
feiten unb l)öl)eren Söl)nen trad^ten, bag fie fidl) organifieren,
ha^ fie bie ^apitaliftenflaffe unb bereu ©taatSgemalt be*
friegen, mie e§ unoermciblicl) ift, ha^ fie narf) ber politifd^en
bemalt unb bem Umfturg ber ^apitaliftenl)errf(f)aft trad)ten.
%^x (Sogialigmui ift untermeiblidl), meil ber ^laffenfampf,
njeil ber (Sieg be§ Proletariats untermeiblirf) ift.
^,
k3
THE LIBRARY
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Santa Barbara
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Series 9482
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(S)ie fci^Ienbeti 9'lutmnern flnl
»anb
1 Dr. 0, ®rd|Ul0ft, ceniVtrfiJtlungö-
f^swrlf. (5DartDin§ Sef)ve.) aJUt 49 2Ib=
bitbungen im Segt. ©ebunben Ü}L 3.—
2 Sari Baufaftg, Earl Klarx' l^tko-
nomifttit Xplirctt. ©emeinoerfiönblid^
bargefleüt. 14.2tuflage. (Sebunben 3«. 2.-
5 EarXBauföfty, C^omae Siore uttö
fein« Mtopis. iJUt einer ^iftorifc^en @in:
leitung. dritte 2tuflage. (Sebunben 3)2.3.—
6 a. ©et»sl, Cliarle« Courier. Sein
Seben unb feine i^eorien. ÜJJit einem ^^or»
tx'it gourierS unb einer ^bbilbung beä
^^arauftereä. 3.2tufl. Sebunben 3«. 2.50.
mt Porträt Spinojaä. a)ritte 2(ufIoge.
©ebunben Ti. 2.—
9 B. Bslicl, :5le 3frau ujti» bsv öoifa-
(i0mu0. 140. Sauf enb. (Sebunben aJL 3.—
10 XilTagaraa, 1>te (Ss^diidiU t>tv
Mommunt \^on 1871. «ierte Sluflage.
SUuftriertc Stuägabe. Sebunben m. 3.—
11 ^xitbvirii Cngel«, 2)Kr Hrfpruttö
ber ^amuxE, i>c» prtuafsi^cnfumfl
unb be» öfaafce. 14. »Auflage. (Se-
bunben 3«. 1.50.
la Bari Marx, JDa» (ßlen& btv piiUo-
fopljir. 2tntn»ort auf ißroub^onä „^§ilo=>
fop^ie beä (£Ienb§". 5. 5(ufl. (Seb. a)i. 2.—
13 Karl Baut«h5, 31>a0 (Erf^urter Pro-
gramm in feinem grunbfä|lic^en Seite.
ll.2Iuflage. (Sebunben ^Di. 2,—
14 Jfrtsbrttf] (Stt0El0, tfU Xafie i>cr
arbritenörti Klapc in (ßlHJlan^.
Vierte Sluflage. (Sebunben m. 2.50.
16 Dr. X B. 6fmon, 2>tr ©rCunbliftf«-
pfltge br0 ß)jtbr». ;>(t^te Siuftage.
aJlit 34 Slbbilbungen im Sejt unb einer
farbigen Safet. (Sebunben 5Uh 2.50.
17 3fran{ IBelirittg, 3?« Xrriiuö-
Xf0tnbp. 3"r (Sefc^id^te unb Äritit beö
preupifc^en Sefpotiämuä unb ber flafftfc^eii
Literatur. 3)ritte Sluflage. U)ht einem neuen
Sorraort. (Sebunben Ht. 3.—
18 Dr. 1^. Xux, (£fienue dTabet unb ber
3farifc^eÄommuniämu§. (Sebunben Di. 2.—
21 :Jrtrbritf| <Bn^el&t 1|errn (Sugrn
^ü^rln00 Hmtuältung btx EOl'ffen-
fiijaff. 8, Slufloge. (Sebunben VI. 3.—
24 BarllBarx.BBiJOluIlo» u. ßonfer-
Br^0lution in ^eutrdilanb. dritte
aufläge. (Sebunben üi. 2.—
26 a, b, c Dr. B. ^ohsl, Bu0 ITcbsn unb
M)ljrrn|"tfiaff . (Sefammelte *J3orträge unb
aiuffä^e. 3n brei Seilen.
26 a — ITebrn unii STob. gOuftriert.
Vierte Stuflagc. (Sebunben m. 2.—
26 b — BItittsre Buffäfir unb J3or-
fräge. 4. 2iuflage. (Sebunben 3)1. 2.—
26 c — Mofe* ober IJarVtiin? (Sine 3(^u['
frage. li.2luflage. ©ebunben 3)1. i. 50.
27 Xinbrmann (ö. 1^U0O). 6fäbfr-
Irrrttialtung unb Muttinpal-6o$ia-
Ii0mu0 in (Snglanb. 2. Sluflage. DUt
einem neuen iüorroort. (Sebunben 3)1. 2.50.
30 Bari IXlarx, 3ur Brifift ber yolt-
fiftf|tn J^rftottomi«. SDritte Stuflage,
©ebunben m. 2.60.
83 Tito l>tuUdi, Berfiielin llalirr in
$»il»lrl»tt. (Erinnerungen cineä rufftfc&en
«Heoolutionär«. 3)at 7 Porträts unb 6 SQu.
prationcn. lo.Soufenb. Sebunben 3)L 8.60.
ä3anb
35 Bai
Mtliv'mttt. 2lu§' bem nod^gcloffenen
3)tonuffript ^3"^ ^ritif ber politifd^en
Defonomie" oon Äarl 3}laxu. heraus-
gegeben oon Äarl Äautäl?. (grfter *anb.
2. 2tuflage. ©ebunben 3)h 6.—
36 , graeiter Sanb, erfter Seil. 2. Sluflage.
©ebunben Ti. b.—
37 — — , 3roeiter Sanb, jroeiter Seil.
2. Sluflage. «preis gebunben 3)1. 5.60.
37 a , «Dritter Sanb. (Sc^lufe.) ©e»
bunben 3)2. 8.—
38 Bari Baui0fts, ©tl^ift unh matrrla-
li^«f dir (Srrdlidit«auf f alT««0. 6- unb
7. Saufenb. Oebunben 3)L i.60.
39 l^iaquit, ©eFiJiitfilr br» $oiiali0-
mu0 in tfsn ©erelnigfen 6fa«len.
©ebunben m. 3 —
40 B.B.par^ifnotu, t>i8 ira0e ber ar-
betfenbttt ElalTe inBu^lanb. Ueber»
fegt oon 3)L 3Jac^imfon. ©ebunben Tl. 3.—
41 leo IDeufftli, Piermal entflogen.
4. unb 6. Saufenb. ©ebunben m. 2.—
42 Pefer BJarjlo^o, 3>ie Bgrarfra^e
in Burjlanb. 5Die bäuerliche Mrtfc^aftä«
form unb bie länblidjen Slrbeiter. Ueber-«
fe|ungüon 3)2. 9ia(^imfon. ©ebunben 3)2.3. —
43 Paul lEoui0, ©eCrijirfife be« ©ojia-
Ii0mu0 in ^ranftrrid|. 2lu§ bem
granjöftfc^en übertragen oon ^ermann
iüienbel. ©ebunben 3)2. 3.—
44 (gb. Bernllein, 6o|iali0mu0 unb
:5einoltratie in ber großen eng-
liftfien BeiJolution. ^Uuftrierte 3luä=
gäbe, ©ebunben 3)2. 4.—
45 Bari Bautoftu, J>rr Url'prung tue
Cljiri}? cntum0. (Sine ^iftorifd^e Unter=
fuc^ung. S.u. 6. Sauf, ©ebunben 3)2. 5.75.
46 I. B. Boubin, J>a0 tljeoretirdie
$y,^txn bon Bavl JUarx. SluS bem
englifdjen überfe§t pon :^uife itoutäly.
D2it einem SSonoort jur beutfc^en 2lu§gabe
oon .Hart ÄautSfp. ©ebunben 3)2. 3.—
47 B.Banf0{tB,J3orläuferbe0 neueren
iöo|ialt0mu0. Sntte >.Jluflage. (Srfter
33onb: ÄommuniftifcfteSeioegungenim3)2it=
telalter. ©ebunben 3)2. 3.—
48 , ^roeiterSanb: Der Kommunismus
in ber beutfc^en ^Reformation. ®eb. 3)2.3.—
49 pi|. Buonarroii, Babeuf unb bie
PerfdihJÖrung für bie ®leicfil|eif.
Ueberfe^t unb eingeleitet oon Hnna unb
ffiil^elm aioS. ©ebunben 3)2. 2.50.
50 Bari Baut0ftg, ©ermelirunö unb
(Ent^ottklung in Bafur nnb ©efell-
rrfiaff. ©ebunben 3)2. 2.—
51 Paul Xoui0,(Bertfiirf|fe ber (Sehierft-
rtfiaff0be^tieflun0 in 3franftreidi
(1789 bi0 1912). 3(utorirterte Über=
fe^ung »on ^cbroig Äuruq*®(fftein. $erauS=
gegeben unb mit einer (Einleitung oerfe^en
oon Dr. ©. (Sdftein. ©ebunben 3)2. 3,—
52 ^vXsPk $>aliii0li, t>tv Bapifali0-
mu0 im Blferfum. Stubien über bie
römifcbe SIBirtfcbaftSgefd^icöte. ^lOc^ bem
granjöftfc^en übeife^t oon Äarl ÄautSfp
jun. 3)iit einem Sorrooi t oon Äarl ÄautSl^.
©ebunben 3)2. 3.—
53 BiaxBbler, I©arxi|f ifrfieproblcme.
öeitrüge jur S^eorie ber materialiftifc^eit
©ef^ic^tSauffaffung. ©ebunben W. 3.50.