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Full text of "Ethik und materialistische Geschichtsauffassung;"

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am 


und  materialiftifät)e 
eefdt)idt)tsauffaffutig 


ein  Derfutö  üon 

Karl  KautsUp 


5ed[)ftes  und  fiebtes  Caurend 


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Stuttgart  i9io 
üerlag  üou  J.  t}.  m.  Dle^  Iladöf- 


S)ru(i  oon  5)3aul  Singer  in  (Stuttgart. 


Inl)alts4)erzcict)uis* 


Dorrede    v 

I.  Bntifee  und  dt)nftlidt)e  etl)ife i 

II.  Die  etjjife  des  2eitalters  der  fluffelärung 12 

III.  Die  etJ)ife  Kants 22 

1.  ®ie  ^riti!  ber  @r!enntni§ 22 

2.  ®a§  ©tttengefe^ 27 

3.  3^ret£)eit  unb  Sf^otroenbtgfeit 36 

4.  ®ie  ^f)iIofopt)ie  ber  SSerföf)nung 40 

IV.  Die  et]t)ife  des  Darujinismus 44 

1.  ®er  ^ampf  um§  ^afein  ,    .    ..    .    - 44 

2.  ©igenbetüegung  unb  (grfenntrtigoermögen  ....  48 

3.  %iQ  ZxKhe  ber  (Selbfter^attung  unb  f^ortpflanjung  54 

4.  ^ie  jovialen  triebe      57 

V.  Die  etöife  des  marfismus 69 

1.  ^ie     Sßur^eln     ber    materiaIiftifdE)en     ®ef(i)id)t§= 
auffaffung 69 

2.  ^er  Drgani§mu§  ber  men[d)Iid)en  ®efenfd)aft  .    .  79 

a.  ®ie  te(i)nifd)e  ©ntraidlung 79 

b.  2;ed)nif  unb  2eben§n)eife 82 

c.  2;ierifd)er  unb  gefell[d)aftli(i)er  Drgam§mu§  .    .  86 

3.  %k  Sßanblungen  ber  ^raft  ber  fogialen  S^riebe      .  91 

a.  ©prarf)e 91 

b.  ßrieg  unb  ©igentum 98 


IV  SnVtt§-35cr5cirf)m§ 

4.  %ai  ®ettimg§bercicf)  bet  fojiaten  %xkh^      ...  106 

a.  S)te  ^nternationatität 106 

b.  2)ie  ^taffenteilung 110 

5.  ^ie  ©a^ungen  ber  Tloxai 120 

a.  ®en)of)n^ett  unb  ^onoention 120 

b.  2)ie  ^robuftioniroeife  unb  it)r  Überbau    ...  127 

c.  5llte  unb  neue  5JioraI 132 

d.  ^a§  fittlirf)e  ^beal 135 


üorrede. 


SCßie  fo  tnan(i)e  anbere  @d)rtft  be§  9Jlar^t§mu§  ift  au6) 
biefe  eine  ©elegen^eit^arbeit,  au§  einer  Volenti!  f)erau§5 
geraac^fen.  ®te  ^ontroüerfe,  bie  ic^  im  September  be§  rer^ 
gangenen  Qa!)re§  mit  ber  bamaligen  ?0^ef)rl)eit  ber  ^ebaftion 
be§  ,,33orn)ärt§"  fü{)rte,  veranlagte  micE),  aud)  beren  ,,etf)i]d)e 
^enbenjen"  gu  ftreifen.  Steine  2Iu§füf)rungen  barüber  mürben 
aber  anf  ber  einen  ^tiU  fo  t)ielfa(^  migtjerftanben,  fie  trugen 
mir  auf  ber  anberen  Geite  fo  sa^Irei(i)e  2(ufforberungen 
ein,  meine  5{uffaffung  ber  (St^i!  eingef)enber  xmb  fpftema* 
tifc^er  barjulegen,  bag  id)  mic^  veranlagt  fal),  eine  (£nt* 
mirflung  ber  ®tl)i!  auf  ber  (55runblage  ber  materialiftifcf)en 
@efc£)ic£)t§auffaffung  rcenigftenl  fur^  ju  ffi^jieren.  Qcl)  fuge 
babei  auf  jener  materialiftifd)en  ^^ilofop^ie,  mie  fie  einer* 
feit§  ^ax^  unb  (Sngel§,  unb  in  anberer  SÖßeife,  aber  in 
gleicl)em  Sinne,  Qofef  'S^ie^gen  begrünbet  l)aben.  gür  bie 
ülefultate,  gu  benen  irf)  gelange,  bin  xd)  jebod^  allein  ver* 
antmortlicE). 

SJZeine  3lbfid)t  ging  urfprünglid)  nur  bal)in,  einen  2lrti!el 
für  bie  „9^eue  Qeit"  über  ben  ©egenftanb  ju  frf)reiben.  9lber 
nocf)  nie  l)atte  id)  mid)  bei  einer  geplanten  5(rbeit  fo  ver* 
ted)net,  mie  bieSmal;  imb  nid)t  blog  in  bejug  auf  hm 
Umfang  üerred)net.  Qd)  l)atte  bie  3Irbeit  im  Oftober  be- 
gonnen, meil  id)  had)U,  nun  mürben  für  bie  Partei  einige 
SUlonate  ber  9lul)e  fommen,  bie  tl)eoretifc^er  9Irbeit  gemibmet 
merben  !i3nnten.  ^^x  Q^naer  Parteitag  mar  fo  l)armonifd) 
verlaufen,  bag  id)  einen  ^onflüt  in  ber  eigenen  Partei  fo 
balb  nid)t  ermartete.  ^Tnbererfeitg  fd^ien  e§  ju  S5eginn  be» 
Oftober,  ai§  trete  in  ber  ruffifd)en  Oieoolution  eine  ^aufe 


VI  S3orvebe 

ber  (Sammlung  unb  Ovöanifation  ber  revolutionären  8trcit= 
fräfte  ein. 

@5  tarn  aber  befanntlid)  atle§  gan^  anber§.  ®ine  neben- 
färf)lirf)e  ^^erfonenfrage  mürbe  'ilnlajä  ju  einem  lebl)aften 
3mift,  ber  jmar  bie  Partei  nicl)t  einen  SSJloment  lang  er* 
fcl)ütterte,  aber  bie  ^arteifunftiondre,  namentlid)  aber  jene 
Berlins,  eine  SO^enge  Qeit,  9tul)e  unb  2lrbeit§!raft  foftete. 
©inen  no(^  größeren  2lufmanb  an  Qeit  unb  ^rbeit§!raft,  aber 
freilief)  aud)  einen  meit  erl)ebenberen  ^ufmanb,  erl)eifd)te 
bie  ruffifd)e  Sfieoolution,  bie  gerabe  im  Saufe  be§  Oftober 
unermartetermeife  i^ren  geroaltigften  2luffrf)mung  na^m 
unb  il)ren  bi§l)erigen  §öl)epun!t  errei(i)te.  ^ene  glorreicl)e 
^emegung  abforbierte  natürlicl)  aud)  au§erl)alb  9iu^lanb§ 
alle§  Qntereffe  ber  revolutionär  empfinbcnben  (Elemente.  (£§ 
mar  eine  l)errli(i)e  ^eit,  fie  bot  aber  gerabe  nid)t  bie  ge^ 
eignetften  ^ebingungen  für  bie  3lbfaffung  einer  8d)rift  über 
(£tl)if.  J5nbe§,  ber  ©egenftanb  \)aiU  mid)  einmal  erfaßt  unb 
lie^  mic^  nicl)t  lo§,  unb  fo  beenbigte  id)  meine  Arbeit  bod) 
tro^  ber  mannigfacl)en  Slblenfungen  unb  Unterbred)ungen, 
bie  ber  SSerliner  @turm  im  ©lafe  2ßaffer  unb  ber  Drfan 
auf  bem  rufftfd)en  D^ean  mit  fid)  brad)ten.  §offentlid^ 
merft  man  ber  (Sd^rift  biefe  ftürmifd)e  (S)eburtgseit  nid)t 
alljufelir  an. 

^l§  xd)  fie  aber  enblid)  beenbet  l)atte,  entftanb  eine  neue 
grage.  Über  ben  9lal)men  eine§  3lrtifel§  mar  fie  meit  l)inau§= 
gemad)fen  unb  bod^  i^rer  ganzen  Einlage  nad)  fein  eigentlid)e§ 
^ud)  gercorben.  (Sie  begnügt  fid)  mit  einer  furzen  (Sfi^^ierung 
meinet  (S)ebanfengange§,  gibt  nur  menige  ^inmeife  auf  ^at* 
fachen  unb  5lrgumente  gum  ^eraei§  unb  gur  ^Uuftrierung 
be§  5{u§gefül)rten. 

J$d)  fragte  mid),  ob  ic^  nid^t  bie  (Sd)rift  burc^  Einfügung 
biefer  2lrgumente  unb  2atfad)en  umarbeiten  unb  errceitem 
muffe.  2lber  follte  ba§  grünblic^  gefd)el)en,  follten  alle  l)ier 
aufgemorfenen  5^'agen  eingeljenb  erörtert  merben,  fo  l)ie§ 
ba§,  bie  3Seröffentlid)ung  bes  SBucl)e§  ins  Unabfel)bare  l)inau§« 


5?orrebe  VII 

fd)ieben;  benn  um  btefe  Arbeit  gu  leiften,  fiub  ein  paar 
Qa^re  ruf)tger,  ungeftörter  Stätigfeit  er fovb erlief).  2öir  gef)en 
aber  einer  ^^eriobe  entgegen,  in  ber,  rcer  rceig  wk  lange, 
für  jeben  ©o^ialbemofraten  rul)ige§  ^Irbeiten  au§gefc^Io|fen, 
unfer  2ßir!en  ein  fteter  ^ampf  fein  rcirb.  Sldjulange  rcoKte 
icf)  aber  bie  9SeröffentIid)ung  meiner  S(^r*ift  ni^t  I)inau§* 
f(i)ieben,  ba  id)  e§  für  bringenb  notrcenbig  f)alte,  angefid)t§ 
be§  großen  ®influffe§,  ben  bie  ^antfc^e  ^t^it  in  unferen 
eigenen  9ieif)en  gerconnen,  ha§  3Ser!)ä(tni§  flar^ulegen,  ba§ 
nad)  meiner  ^luffaffung  3n)if(ä)en  ber  materialiftifd)en  ©e« 
fd)i(^tgauffaffung  unb  ber  6t^i!  befte!)t. 

(So  f)abe  id)  midE)  bod)  entfd)Ioffen,  bieg  Südilein  je^t 
fd)on  erfd)einen  §u  laffen.  Um  aber  anju^eigen,  ha^  irf) 
bamit  noc^  nid^t  aUe§  gefagt,  rnaS  id)  über  @tf)i!  gu  fagen 
f)ätte,  unb  ba§  id)  mir  t)orbef)aIte,  ben  ©egenftanb  in 
ruf)igeren  Reiten  au§füf)rlid)er  ju  bef)anbeln,  nenne  ic^  bie 
rorliegenbe  3Irbeit  einen  blogen  SSerfud^  —  einen  ©ffat}. 

greilid),  mann  biefe  ru!)igeren  Qeiten  fommen  merben, 
ba§  ift,  xr)k  fd)on  ermäf)nt,  gur  ©tunbe  unabfe^bar.  ©erabe 
je^t  finb  bie  ©(^ergen  bei  3<^^^^^^^  ^if^^Ö  ^^  ^^^  Arbeit, 
e§  ben  5llba§  unb  3:illt)§  ber  Dieligionsfämpfe  be§  fed)5e{)nten 
unb  fiebgel^nten  Q^^^^^^^^^^tl  gleid)5utun  —  nid)t  an  mili* 
tärifd)en  ©ro^taten,  aber  an  brutaler  9)lorbbrennerei.  ^ie 
n)efteuropäifd)en  QSerfed^ter  ber  Kultur  unb  Drbnung  unb 
fonftigen  {)eiligften  ©üter  ber  5iJlenfd)f)eit  begrüßen  ba§  be* 
geiftert  all  bie  Sföieberl)erftellung  gefe^lid)er  ^uftänbe.  3lber 
fo  menig  e§  ben  ©ölbnem  ber  §ab§burger  gelang,  tro^ 
geitmeifer  ©rfolge,  9^orbbeutfd)Ianb  unb  goKanb  mieber 
fat!)olifd)  gu  mad)en,  rcirb  e§  ben  ^ofafen  ber  ^omanoffä 
gelingen,  ba§  9legime  be§  5Ibfoluti§mu§  mieber  Ijer^uftellen. 
@r  l)at  nod)  bie  ^raft,  fein  Sanb  ju  zerrauften,  nii^t  mel)r 
aber  bie,  e§  gu  regieren. 

5luf  jeben  gall  ift  bie  ruffifd)e  9ftet>olution  nod)  lange 
nid)t  §u  ®nbe  —  fie  bürfte  nid)t  enben,  folange  bie  dauern 
$Ru§lanb§  nid)t  befriebigt  finb.   Qe  länger  fie  bauert,  befto 


VIII  Sßorrebc 

grögev  aber  aud)  bte  (Erregung  ber  ^roletariermaffen  2ßeft^ 
eiiropa§,  befto  näf)er  bte  (S)efa{)r  finansieder  ^ataftropt)en, 
befto  Tt)a^rjc^einlid)er,  ba^  aurf)  in  2ßefteuropa  eine  5ira 
afutefter  ^(affenfämpfe  beginnt. 

^a§  ift  feine  Qcit,  hk  t^eoretif(i)e  5Irbeiten  reüolutionärer 
©d)tiftfteKer  förbert.  ^ber  biefe  n)a{)rfd)einlic^e  ^ecinträcf)* 
tignng  unferer  tfieovetifc^en  ^(rbeit  in  ben  fomnienben  3al)ren 
brau(^en  wix  nid)t  ^n  bebanern.  *3)ie  ntaterialiftifd)e  ©e^ 
fd)id)t5anffaffnng  {)Qt  if)re  ^ebeutimg  nirf)t  blog  barin,  ba§ 
fie  nn§  erlaubt,  bie  (55cf(^id)te  beffer  ai§  bigf)er  ju  erflären, 
fonbern  aud)  barin,  ba§  fie  un§  erlaubt,  fie  beffer  al§  bi§s 
l)er  gu  ma(^en.  Unb  ba§  le^tere  ift  rcic^tiger  nod)  al§  ha§ 
erftere.  5(u§  ben  gortfcl)ritten  ber  ^ra^ng  fliegen  nnfere 
gortfd^ritte  ber  @r!enntni§,  unb  im  gortfcl)ritt  ber  ^rayi§ 
ben)äl)rt  fic^  ber  g^ortfd)ritt  unferer  ®rfenntni§.  ^eine  2ßelt* 
anfrf)auung  aber  ift  in  l)öl)erem  SJlage  eine  ^l)ilofopl)ie  ber 
2:at,  al§  ber  biale!tifd)e  9}laterialigmu§.  9^id)t  blog  burd) 
bie  ^efrud^tung  ber  gorfd)ung,  fonbern  ebenfofel)r  burd) 
bie  33efrud)tung  ber  Slat  l^offen  rair  bie  Überlegenheit  unferer 
^l)itofop^ie  ju  erraeifen. 

2(ud)  ha^  rorliegcnbe  ^üd)lein  foH  nid)t  befd)aulid^em 
©rfennen  bienen,  fonbern  bem  Kampfe,  einem  Kampfe,  in 
bem  mir  hk  ^öd)fte  etl)ifd)e  ^raft  mie  bie  größte  ^lar^eit 
ber  @r!enntni§  entfalten  muffen,  folten  mir  fiegen. 

33erlin*griebenau,  Qanuar  1906. 

K-  Kautshö* 


i.  flntiUe  und  (önftUft)e  etöife. 


Qu  ber  (55efct)id£)te  ber  ^!)i(ofopf)ie  tritt  bte  g^age  ber 
%Ü)xt  suerft  in  ben  3]orbergrunb  in  ®rie(i)enlanb  nad)  ben 
^erferfviegen.  ^ie  ^Ibroeifung  be§  riefeniiaften  perftfd)cn 
®efpoti§niu§  ^atte  auf  ba§  fleine  33ol!  ber  Seltenen  plölj* 
lid)  in  ä^nli(i)er  2ßeife  gerairft,  roie  etroa  bie  jüngfte  Qnxüd-- 
lueifung  beg  riefen!)aften  rufftfd)en  ®efpoti§mu§  auf  ba§ 
japanif(i)e  3SoI!.  5SJlit  einem  ©(^lage  rcurbe  e§  eine  Sßelt- 
Tnatf)t  ber  ^e^errfc^er  ber  @ee,  bie  e§  untgab,  unb  banttt 
be§  §anbel§.  Unb  rcenn  über  ^apan  nun  bie  fapitaliftifc^e 
@ro^inbuftrie  mit  üoKer  2ßud)t  {)ereinbred)en  rcirb,  t)on 
ber  e§  bisf)er  nur  bie  Slnfänge  gefannt,  fo  mürbe  nad)  ben 
^erferfriegen  ©ined)enlanb,  namentlich)  2Itf)en  ber  9)littel« 
punft  be§  bamaligen  2ßettt)anbelg,  ha§  §anbel§!apital  be* 
tnäd)tigte  ftd^  bei  gcingen  9]ol!e§  unb  löfte  alle  überfommenen 
^efetlfd)aftli(i)en  ^erf)ältniffe  unb  2(nfd)auungen  auf,  bie  ben 
«in^elnen  bi§  ba!)in  be^errfd)t  unb  fein  £)anbeln  geregelt 
f)atten.  '3)er  einzelne  faf)  fid^  plö^id)  in  eine  neue  gefeK* 
f(f)aftlid^e  SBelt  üerfe^t  —  unb  graar  um  fo  mef)r,  je  f)ö^er 
in  ber  ©efe((fcf)aft  er  ftanb  — ,  in  ber  er  jeben  überfommenen 
^alt  verlor,  in  ber  er  ftcf)  ganj  auf  ftd^  allein  angemiefen  fal). 
Unb  hodf,  tro^  aller  anfd^einenben  9^egellofig!eit,  füllte 
jeber  nid)t  blo§  hci§  ^ebürfnil  nadE)  beftimmten  Siegeln 
jeine§  §anbeln§,  fonbern  er  empfanb  and)  mel)r  ober 
meniger  beutlid^,  ba§  in  feinem  ^nnern  ein  Dtegulator 
feine§  §anbeln§  mirfte,  ber  il)n  gmifc^en  ®ut  unb  ^öfe 
ainterfcl)eiben,  ba§  ©ute  anftreben,  'i)a§  ^öfe  x)erabfcf)euen 
Iie§.  tiefer  Ütegulator  erroie§  fid^  aber  al§  eine  l)öd)ft 
öel)eimniäoolle  9}lacl)t.    9Jlod^te  er  aud)  mit  oollfter  ^raft 

fiaut§ft),  (St£)il  unb  materiattftifdje  @ef(^id)t6Qutfaffung.  1 


2  Slutifc  unb  rf)viftlid)e  (St^it 

in  mandf)en  S[Renftf)eu  tätig  fein,  mochten  feine  Unter* 
fd)eibun9en  ^raifrfien  ©itt  nnb  ^öfe  fofort,  of)ne  bie  ge* 
ringfte  Überlegung  gefäUt  n»erben  unb  firf)  auf  ba§  nad)- 
brüc!{i(i)fte  geltenb  machen  —  wmn  man  nun  unterfucl)en 
rcoKte,  rcorin  ba§  SOßefen  biefe§  9leguIator:§  eigentUd)  befiele 
unb  auf  n)eld)e  ©riinbe  er  feine  Urteile  aufbaue,  bann 
ftellten  fid)  fon»o!)l  ber  9tegulator,  ber  in  jebe§  SiJlenfdE)en 
SBruft  raoi)nte,  mie  feine  Urteile,  bie  fo  felbftüerftänblid) 
unb  natürlid)  auftraten,  al§  (£rfd)einungen  l)erau§,  bie 
fcl)n)erer  begriffen  rcerben  fonnten  al§  irgenb  eine  anbere 
©rfc^einung  in  ber  2ßelt. 

©0  fel)en  rcir  benn,  ha^  feit  ben  ^erferfriegen  in  ber 
griecl)ifcl)en  ^l)ilofopl)ie  bie  ©t^if,  ba§  l)eigt  bie  @rforfcl)ung 
biefe§  gel)eimni§üollen  9iegulator§  ber  menfd^lid^en  §anb? 
lungen,  be§  ©ittengefe^eg,  in  hm  QSorbergrunb  tritt.  ^i§ 
bal)in  wax  bie  ^^ilofopl)ie  in  erfter  Sinie  9^aturpl)ilo* 
fopl)ie  geraefen.  ©ie  ftellte  ftd)'§  gur  5lufgabe,  bie  gefe^* 
mäßigen  Q^^f^^^^^^^Ö^  i^  ^^^  Statur  ju  erforfd)en  unb 
aufguflären.  D^^un  r>erlor  bie  ^J^atur  immer  mel)r  an  ^nter- 
effe  für  hk  $^ilofopl)en.  ®er  SSJlenfd),  ba§  ^ei^t  bie 
etl)if(i)e  S^latur  be§  9Jlenfcl)en  mürbe  ber  5iJlittelpun!t  il)re§ 
gorfcE)enä.  *^ie  S^aturp^ilofop^ie  ^ört  auf,  weitere  gort* 
fd)ritte  p  mad^en,  bie  3^aturmiffenfc^ af ten  löfen  fid)  dou 
ber  ^l)ilofopl)ie  ah;  aller  gortfd)ritt  ber  antuen  ^l)ilofopl)ie 
gel)t  je^t  au§  t)on  ber  ®rforfd)ung  be§  geiftigen  2ÖBefen§  be§ 
■^IRenfc^en  unb  feiner  (5ittlid)feit. 

©c^on  bie  @üpl)iften  begannen  bamit,  bie  (£r!enntni§  ber 
Dflatur  gering  ju  fd)ä^en.  ^06)  meiter  al§  fie  ging  ©ofrateg, 
ber  ba  meinte,  bie  33äume  fönnten  i^n  nid)t  belel)ren,  rcol)l 
aber  bie  9Jlenfd)en  in  ber  Stabt.  ^lato  betrachtete  bie 
9fiaturp^ilofopl)ie  nur  nod)  al§  (Spielerei. 

®amit  mürbe  aud)  bie  S[Rctl)obe  ber  ^l)ilofopl)ie  eine 
anbere.  ^ie  9^aturpl)ilofopl)ie  ift  notmenbigermeife  auf  bie 
33eobad)tung  ber  3lugenmelt  angemiefen.  SOßie  fann  bagegen 
bie  fittlic^e  D^atur  be§  5iJlenfcl)en  fid)crer  erfannt  merben^ 


5lnti!e  unb  c^riftlicfje  (Et^i!  3 

al§  burrf)  ^eobad)timg  be§  eigenen  3<i)?  ^ie  ©inne  fönnen 
trügen,  jebet  anbete  9JZenfef)  fann  nn§  täujd)en.  5(ber  n)ix 
felbft  belügen  un§  nid^t,  rcenn  rcir  raa^r  fein  moUen.  ©o 
galt  fcl)lie§li(i)  al»  einzig  fiebere  ®rfenntni§  jene,  welche  ber 
^Jcenfcl)  au§  fid)  felbft  gebar. 

^ber  nid)t  blo§  ber  ©egenftanb  nnb  bie  Wei^ohe, 
fonbem  aud)  bie  5lnfgabe  ber  ^l)ilofop^ie  rcnrbe  nun 
eine  anbere.  ^k  5Raturpl)ilofop^ie  ftrebte  nad)  ber  ©r^ 
forfcl)ung  ber  notrcenbigen  ^^fantmen^änge  t)on  Ur* 
fad)e  unb  SCßirfung.  Ql)r  @efid)t§pun!t  rcar  ber  ber 
^aufalität.  ®ie  ®tl)if  bagegen  ^anbelt  üom  SÖßollen 
unb  ©ollen  be§  ^SJlenfdjen,  üon  ben  fielen  unb  Qrceden, 
bie  er  anjuftreben  l)at.  Q^r  ß5efid)t§punft  ift  alfo  ber  be^ 
QiDedgebanfeng,  ber  ^eleologie. 

Qnbeffen  traten  biefe  neuen  ^uffaffungen  nid)t  bd  allen 
Oiii^tungen  gleid)  fd)arf  l)err)or. 

@§  gab  gmei  2Cßege,  ba§  ©ittengefe^  in  un§  ^u  erflären. 

9Jlan  fonnte  feinen  (55runb  in  ben  gutage  liegenben  2;rieb^ 
febern  be§  menfd)lid)en  §anbeln§  fud)en,  unb  alg  bie  er* 
fd)ien  ba§  ©treben  nad)  ©lüdfeligfeit  ober  Suft.  Unter 
ber  30ßarenprobu!tion,  ber  ^robuftion  burc^  noneinanber 
äu^erlid)  unabpngige,  prirate  ^robu^enten  finb  aber  @lüd= 
fcligfeit  unb  Suft  unb  bie  ba^u  erforberlid)en  ^ebingungen 
aui}  ^$inoatfad)e.  9Jlan  fud)te  alfo  bie  ©runblage  be§  ©itten^ 
gefe^eg  in  bem  ^ebürfni^  be§  ^nbioibuumS  nad^  inbiüi^ 
bueller  Suft  ober  ^lüd'feligfeit.  '^a§  ®ute  ift  ha§,  rva§  beut 
Qnbioibuum  Suft  bereitet,  feine  (S5lüdfelig!eit  förbert;  ba§ 
^öfe,  voa§  ba§  (S^egenteil  bewirft.  Sßie  ift  e§  aber  ba  ntöglid), 
ba§  ha§  ^öfe  gesollt  toirb,  baß  nid)t  jebermann  unter  allen 
Umftänben  nur  'i)a§  @ute  rcill?  '3)a§  mxh  erflärt  baburc^, 
baß  e§  t)erfd)iebene  ^rten  üon  Suft  unb  ^lüdfeligfeit  gibt. 
^a§  SBöfe  entftel)t  bann,  racnn  ber  9Jlenfd)  eine  niebere 
Ülrt  von  Suft  ober  ©lüdfeligfeit  einer  l)ö^eren  vox^kl)t, 
einer  augenblicflid)en,  rafd)  Dorübergel)enben  eine  bauembe 
opfert,  alfo  au§  Unraiffenl)eit  ober  ^ur^fic^tigfeit.    ©o  finb 


4  SIntüe  unb  c^riftlic^e  Gtf)i! 

uad^  föpifur  bie  geiftigen  (55enüffe  ^öf)ere  al§  bie  pl)t}fifd)en, 
loetl  fie  länger  bauern  unb  eine  ungcmifd)te  Suft  bereiten. 
(£r  f)ä(t  bie  Suft  ber  9iu()e  für  gröf^er  al§  bie  Suft  ber  ^e-- 
rcegung.  ®ie  @eelenrii{)e  erfd)eint  if)m  alg  ba§  größte  ®(ücf. 
*3)arum  ift  Unmä§ig!eit  bei  jebem  ®enu§  rerraerflirf);  barum 
ift  aud)  ein  felbftfüc^tigeg  §anbeln  f(i)led^t,  benn  2IdE)tnng 
unb  Siebe  unb  §ilfe  ber  9lad)barn  ebenjo  rcie  ba§  @ebei{)en 
be§  (55emeinn)efen§,  bem  id)  angeiiöre,  finb  gaftoren,  bie 
gu  meinem  eigenen  (SJebeif)en,  meiner  eigenen  ß^tücffeligfeit 
notmenbig  finb,  bie  id)  aber  nid)t  erlange,  menn  id)  rüd- 
fid)t§Io§  nur  für  mid)  forge. 

®iefe  5Iuffaffung  ber  ®t!)if  fiatte  bcn  3SorteiI,  ha^  fie 
ganj  „natürlid)"  erfi^ien,  am  lcid)teften  vereinbar  mit  ben 
p^ilofopI)ifd)en  SBebürfniffen  jener  Elemente,  bie  fid)  mit 
ber  ®r!enntni§  ber  burd)  unfere  8inne  erfennbaren  2ßelt 
al§  ber  n)ir!Iid)en  begnügen  rDoUtcn  unb  benen  ba§  meufd)- 
lid)e  SBefen  nur  al§  ein  Steil  biefer  2ßelt  erfd)ien.  5tnberer* 
feit§  mugte  gerabe  biefe  3luffaffung  ber  ®tf)it  if)rer*feit§  jene 
materialiftifd)e  5luffaffung  ber  2ßelt  erzeugen.  '3)ie  Segrüu'- 
bung  ber  ©t^i!  auf  ba§  ©treben  nad)  Suft  ober  ©lüdfelig-' 
feit  be§  Qnbit)ibuum§  ober  auf  hQXi  @goi§mu§  unb  bie 
materialiftifd)e  2Beltanfd)auung  bebingten  unb  ftü^ten  ein^ 
anber  gegenfeitig.  *S)er  3^f^^^^^"^^^^9  beiber  Elemente 
tritt  n)ol)l  am  t)oItfommenften  gutage  bei  ©püur  (341  bi^ 
270  t)or  unferer  Qeitred^nung).  ©eine  materialiftifd^e  dlahix-- 
p!)ilofop!)ie  mirb  bireft  mit  einem  etf)ifd)en  Qwzd  begrünbet. 
<3)ie  materialiftifd)e  5Iuffaffung  ber  ^J^atur  ift  feiner  5(nfid)t 
nad)  aHein  imftanbe,  un§  t)on  ber  gurd)t  su  befreien,  bie 
törid)ter  2(berglaube  in  un§  ermedt,  unb  un§  jene  (Seelen^ 
rul)e  ju  üerleitien,  o!)ne  bie  malireä  ©lud  unmöglid)  ift. 

^Dagegen  mußten  alle  jene  (Elemente,  bie  bem  5Jlateria* 
li§mu§  feinbfelig  gegenübertraten,  anäj  feine  ®tl)i!  ablel)nen 
unb  umgefel)rt:  men  biefe  ®tl)if  ni(^t  bef riebigte,  bem  genügte 
awd)  ber  3D^ateriali§mu§  nid)t.  Unb  biefe  (£tl)if  be§  ®goi§mu§ 
ober  be§  ©treben§  nad)  ©lüdfeligfeit  be§  eigenen  ^d)  bot 


STntife  unb  c^riftli(^e  (St^i!  5 

5lngrippun!te  genug.  3Sor  allem  erflärte  fte  ni(i)t,  rciefo 
ba§  (Stttengefe^  al§  fittltd)er  3it>öng,  at§  3Serpfltd)tung, 
ba§  ©Ute  5u  tun,  auftritt  unb  nirf)t  aB  bloßer  9iat,  bie 
vernünftigere  2(rt  ber  (^lüdfeligfeit  ber  rcentger  vernünftigen 
üorgugiefien.  Unb  bie  rafi^e,  entfd)iebene  fittli(i)e  Beurteilung 
beg  ©Uten  unb  93öfen  ift  ganj  verfc^ieben  von  bem  2Ib* 
lüägen  §n)ifc^en  t)erfd)iebenen  3trten  von  Suft  ober  S^u^en. 
©nblicf)  aber  fann  man  eine  fittlid)e  ^flid)t  autf)  in  gäden 
empfinben,  rco  felbft  bie  rceit^erjigfte  2(u5legung  feine  Suft 
ober  feinen  D^u^en  me{)r  au§  ber  Befolgung  biefer  ^flid)t 
abzuleiten  vermag.  Sßenn  irf)  mic^  üwa  meigere,  gu  lügen, 
obwohl  id)  baburd)  bie  ganje  öffentlid)e  5[Reinung  für  immer 
gegen  mid^  aufbringe,  meine  (S^iftenj  auf§  Spiet  fe^e  ober 
üiel(eirf)t  gar  hk  2obc§ftrafe  über  mirf)  ^eraufbefc^roöre,  fo 
fann  von  irgenb  einer,  menn  auc^  nod)  fo  entfernten  Suft 
ober  ©lüiffeligfeit,  n)elcf)e  bie  Unluft  ober  ben  ©d^mer^  be§ 
5lugenbtic!§  f(i)lieglicf)  in  i!)r  ©egenteil  verrcanbeln  fönnten, 
nicf)t  mei)x  bie  Ü^ebe  fein. 

3lber  wa§  mußten  nun  bie  ^ritifer  jur  ©rflärung  biefer 
®rfrf)einung  vorzubringen?  ^atfäd)li(^ nid)t§,  menn  au(^  i^rer 
2Infic^t  nad^  ungef)euer  viel.  ®enn  meil  fie  ba§  Sittengefe^ 
nic^t  auf  natürlichem  2ßege  ^u  erflären  vermorf)ten,  mürbe  e§ 
il)nen  jum  fid)erften  unb  unumftö§licl)ften  BeraeiS  bafür,  ba§ 
ber  50Renfcf)  nid)t  blo§  in  ber  D^atur  lebt,  fonbern  aud)  au^er* 
^alb  ber  SRatur,  ba§  in  il)m  übernatürlid)e,  au^ernatürlic^e 
Gräfte  rcirffam  finb,  ba§  fein  ©eift  dwa§  übernatürlicf)e§ 
ift.  @o  entfpro^  au§  biefer  5luffaffung  ber  ©tl^if  ber  pl)ilo* 
fop^ifcl)e  ^bealismug  unb  ber  9Jlonotl)eigmu§,  ber  neue 
©Ottegglaube. 

tiefer  ©ottegglaube  mar  ganj  anberer  2lrt  al§  hie 
frül)ere  Vielgötterei;  er  unterfrf)ieb  fid^  von  biefer  nidjt 
blo§  burcl)  bie  Qa^l  ber  ©ott^eiten,  er  entftanb  nirf)t  ba^ 
burdE),  ba^  biefe  auf  eine  einzige  rebujiert  mürben. 

%k  Vielgötterei  mar  ein  Verfurf),  bie  Vorgänge  ber  Statur 
gu  erflären.  Sfeve  ©ötter  maren  ^erfonififationen  ber  D^atur* 


6  STutifc  unb  d)vtftli(^e  Gt^tf 

Iräfte;  fie  ftanben  alfo  ni(i)t  über  ber  D^atuv  unb  ni(i)t 
au^erf)alb  ber  S^latur,  fonbern  in  if)r,  bilbeten  Steile  t>on 
if)r.  ^ie  9'Zaturp!)ilüjopI)ie  »erbrängte  fie  in  bem  9Jla^e, 
in  bem  fie  anbere  a(§  pcrfönli(i)e  Urfarf)en  in  hzn  dlatm-- 
üorgängen  entbedte  unb  h^n  33egriff  ber  @efe^lid)!eit  be§ 
notiüenbigen  ^^^f^^^^^^^^^^Ö^^  ^on  Urfarf)e  unb  2ßirhmg 
entiüid'elte.  '3)ie  (Götter  mod)ten  ba  nod)  eine  ^^itlang  eine 
trabitioneUe  ©i'iften^  aud)  in  ber  ^|5f)iIofop{)ie  n)eiterfüf)ren, 
aber  nur  al§  eine  befonbere  2(rt  Übennenfd)cn,  bie  feine 
tätige  9lo((e  mef)r  fpielten.  2Iud)  hei  ®pifur  inaren,  tro^ 
feinet  9JlateriaIi§mu§,  bie  alten  ©öttcr  nod)  nid)t  tot,  aber 
fie  rcaren  penfioniert,  in  tatlofe  ^^M^^  Derroanbelt. 

5lu(^  bie  nid)tmaterialiftifcl)e  etl)ifcl)e  9iicl)tung  ber  '*^3l)ilo^ 
fopl)ie,  n)ie  fie  am  üollfommenften  ^lato  (427  bi§  347  t)or 
unferer  Qeitredinung)  repräfentiert,  bereu  mt)ftifcl)e  ©eiten 
jebod)  rceit  frf)ärfer  t)on  ben  S^euplatonifern  entraidelt  raurben, 
namentlid^  t)on  ^lotin  (204  hi§  270  na(f)  beginn  unferer 
3eitrecl)nung)  —  aud^  biefe  9ii(i)tung  beburfte  für  bie 
S^aturerflärung  ber  alten  ©ötter  nid)t  mel)r,  unb  fie  be= 
l)anbelte  biefe  nic^t  anber§,  al§  bie  SJtaterialiften  taten. 
Ql)r  @otte§begriff  entfprang  ni^t  bem  ^ebürfni^,  bie  un§ 
umgebenbe  Statur,  fonbern  bem,  ba§  etl)ifcl)e,  geiftige  Qnnen-' 
leben  be§  9}lenfcl)en  gu  erflären.  Xa§u  beburfte  fie  ber  2ln= 
na^me  eine§  (55eifte§,  ber  au^er  ber  Statur  unb  über  ber 
Statur  ftanb,  alfo  au6erl)alb  t)on  9iaum  unb  Qüt,  eine§ 
@eifte§,  ber  bie  duinteffenj  aller  ©ittlid^feit  bilbete  unb  ber  hie 
materielle  Statur  ebenfo  bel)errfcl)te,  rcie  bie  arifto!ratifcl)en 
^^ilofopl)en  bie  l)anbarbeitenbe  SD^lenge  be^errfd)ten.  Unb 
n)ie  jene  fi(^  ebel  üorfamen,  biefe  bagegen  i^nen  gemein 
unb  pöbelhaft  erfd)ien,  fo  mürbe  nun  au(^  bie  Statur  ge^ 
mein  unb  böfe,  ber  ©eift  bagegen  erl)aben  unb  gut.  ®er 
5!}lenfcl)  l)at  ba§  ^ed^,  gleid)5eitig  beiben  2ßelten  an^ugeljören, 
ber  ber  9Jlaterie  unb  ber  be§  @eifte§.  ©o  ift  er  lialb  Stier, 
l)alb  ®ngel,  fd)man!t  jroif(i)en  ©ut  unb  ^öfe.  Slber  mie 
©Ott  bie  9'Zatur  bel)errfd)t,  l)at  ba§  ®tl)ifcl)e  im  5[)lenfd)en 


^utife  unb  c^riftlic^e  mint  7 

t)ie  ^'raft,  ha§  9^atürlicf)e,  bte  Süfte  be§  5IeifcE)e§  ju  über= 
rcinben  unb  über  fte  gu  trtumpl)ieren.  3]oüfommene  ©lücf- 
feligfeit  ift  jebod^  für  ben  9Jlenfc^en  unmöglicf),  folange  er 
in  biefem  3<^^^^^*^<^^  rceilt,  wo  er  verurteilt  ift,  ftcf)  mit 
feiner  eigenen  böfen  SeiblicE)feit  !)erum3uf(i)(agen.  ©rft  luenn 
er  biefe  lo§  geraorben  unb  fein  @eift  ju  feinem  Urquell,  5U 
<5)ott  3urücfge!eE)rt  ift,  mirb  i^m  uneingefd)rän!te  ©lüdfelig* 
feit  guteil. 

SD^an  fiel)t,  ^ier  fpielt  ©ott  eine  gang  anbere  ^ode  at§  in 
ber  urfprüngtidE)en  Vielgötterei,  tiefer  eine  (Sott  ift  mdjt  hk 
^erfonififation  einer  ®rfcl)einung  ber  äußeren  9^atur,  fonbern 
bie  QSerfelbftänbigung  be§  geiftigen  Sßefens  be§  9Jlenfd)en. 
<So  rcie  biefe^  einl)eitli($  ift,  fann  aud)  bie  neue  ©ottl)eit  feine 
^iell)eit  fein.  Unb  in  feiner  t)ollfommenften  p^ilofop^ifd)en 
(S^eftalt  ^at  ber  eine  @ott  feine  anbere  gunftion,  al§  hk,  ben 
Urfprung  be§  ©ittengefe^e^  gu  erflären,  bamit  ift  feine  5luf* 
gäbe  erfd^i5pft.  ^n  ben  3öeltenlauf  nad^  2lrt  ber  alten  (Sötter 
einzugreifen,  ift  nid^t  fein  (Sefdjäft,  l)ier  reicl)t,  raenigften§ 
für  ben  ^$l)ilofop^en,  bie  3lnnal)me  bes  gefe^lid)en  ^ufammen^ 
l^angeg  t)on  Urfacl)e  unb  2öir!ung  völlig  au§. 

greilicl),  je  mel)r  biefe  Ülnfcf)auung  popularnfiert,  ^ur  ^olU^ 
religion  raurbe,  befto  mel)r  geraann  ber  eine  l)öcl)fte  allum« 
faffenbe  unb  alle!  bel)errfc^enbe  (Seift  auc^  mieber  perfön« 
li(i)e  QüQe;  befto  me^r  na^m  er  tätigen  SInteil  an  ben 
2Öeltl)änbeln  unb  befto  mel)r  fd)li(i)en  ftd)  au(i)  bie  alten 
(Sötter  rcieber  ein.  ©ie  txatzn  je^t  auf  ai§  9Jlittler  5n)ifd)en 
©Ott  unb  ber  5!J^enfcl)l)eit,  al§  ©eilige  unb  (gngel.  2lber 
auc^  in  biefer  populären  gorm  erl)ielt  fid)  bie  (Sering^ 
fd)ä^ung  ber  9'Zatur  unb  bie  Üluffaffung,  ba§  geiftige,  nament- 
lid^  ba§  et^ifd)e  2öefen  im  9JZenfcl)en  fei  übematürlid)en 
Urfprunge§  unb  ber  untrüglid)fte  Veioei^  für  bie  (S^nftens 
einer  übematürlicl)en  2ßelt. 

3n)ifcf)en  hm  beiben  (Sjtremen,  ^lato  unb  (Spihtr,  loaren 
mannigfaltige  Qrciftfienftabien  möglid).  Unter  biefen  ha§ 
rcic^tigfte  raurbe  bie  ftoif  cl)e  $l)ilofopl)ie,  begrünbet  burd^ 


8  Slntife  unb  d^rtftlit^e  (St^it 

3eno  (341  hxi  270  t).  u.  Q.)-  '^ie  bie  platouifdje  ^:pftilofopl)ie 
rccnbete  and)  fie  fid)  bagegen,  ba§  Sittcngefe^  au§  Suft  unb 
@goi§mu§  be§  einzelnen,  t>ergänglirf)en  Qnbit)ibuum§  abzu- 
leiten; fie  erfonnte  in  i^m  eine  f)ö^ere,  über  bem  einzelnen 
ftef)cnbe  ^ad)t,  bie  imftanbe  ift  ben  5[Renfc^en  ^u  §anblungen 
gu  treiben,  tpelc^e  für  it)n  8(^merj  unb  Scib,  ja  felbft  ben 
^ob  l)erbeifü{)ren.  3Xber  t)erfrf)ieben  ron  $Iato  fal)  fie  in  bem 
(Sittengefe^  nid)t  etrcag  Übernatürlid)e§,  fonbern  ein  ^robuft 
ber  Statur.  '3)ie^ugenb  entfpringt  ber  @rfenntnt§  ber^^atur; 
bie  ©lüdfeligfeit  rcirb  erreid^t,  rcenn  bcr  5SJlenf(f)  ber  D^atur, 
ba§  f)ei^t  bem  SOßeltganjen  ober  ber  Sßeltüernunft  ent^ 
fpred)enb  ^anbelt.  '3)ie  Statur  erfennen  unb  t^r  entfpred)enb 
vernünftig,  ba§  !)ei§t  tugenbt)aft  ^anbeln,  fid)  i()rer  ^oU 
rcenbigfeit  freimittig  unterwerfen,  unbefümmert  um  inbiüi? 
buetle  Suft  unb  Unluft,  ift  ber  ^Beg  gur  @lüc!felig!eit,  ben 
ber  2ßeife  ge^t.  %k  ®rfoi*fd)ung  ber  S^latur  ift  aber  nur 
9Jlittel  jum  Qmed  ber  ©rforfd^ung  ber  ^ugenb.  Unb  bie 
Statur  felbft  rcirb  M  hm  ©toifem  au§  moralifd^en  @efid)t§* 
punften  erflärt.  ®a§  praftifc^e  9lefultat  ber  ftoifd)en  ®tf)if 
ift  nid)t  ha§  ©treben  nad^  Suft,  fonbern  bie  93erac^tung  ber 
ßuft,  ber  ©üter  ber  2ßelt.  2lber  biefe  2Serarf)tung  ber  2ßelt 
foü  fd)lie§lic^  bemfelben  ^^Jecte  bienen,  ber  Qmo  mie  ©pifur 
al§  ber  l)öd)fte  erfd)ien:  bem  ©eelenfrieben  be§  einjetnen. 
SSeiber  @tl)i!  entfpringt  bem  S3ebürfni§  nad)  9^uf)e. 

'3)iefer  3n)ifd)enftel(ung  ber  ftoifd)en  (&ti)it  smifrfien  ber 
platonifd)en  unb  ber  epifureifd)en  entfprarf)  aud)  ba§  SÖßelt* 
bilb,  ba§  ber  (Btox0mn§  entmarf.  'S)ie  D^aturerflärung  ift 
'ü)m  nid)t  etioaS  ©leid)gültige§,  aber  bie  Statur  erfdieint 
i{)m  aB  ein  eigenartiger  monot()etftifd)er  9Jlateria(i$mu§, 
ber  eine  göttlid^e  Urfraft  annimmt,  an§  tt)eld)er  aud^  bie 
menfd)lid)e  ©eele  entftammt.  2lber  biefe  Urfraft,  ba§  Ur= 
feuer,  ift  !örperlid),  ftel)t  nid)t  au6erf)alb,  fonbern  in  ber 
D^atur,  unb  bie  ©eele  ift  nid)t  unfterb(id),  menn  fie  aud) 
eine  längere  ^auer  ^at  al§  ber  menfd)lid)e  Körper.  (2d)lie^* 
lic^  rairb  fie  r»om  Urfeuer  aufgejelirt. 


STntife  unb  d^riftlic^e  dt^t  9 

(Btox0mu§  unb  $Iatoni§mu§  raurben  fd£)Ue6lid)  gu  ©le« 
menten  be§  ®^riftentum§  unb  überrcanben  in  biefer  gönn 
ben  matertaltftifd^en  @pifurei§mu§.  Neffen  9Jlatenalt§mu§ 
fonnte  nur  einer  klaffe  ober  @efe((f(^aft  genügen,  bk  burd^ 
bie  2ßirt'(trf)feit  befriebtgt  rcurbe,  bie  in  biefer  i^re  Suft  unb 
i^re  (5)lüctfeligfeit  fanb  unb  fein  33ebürfni§  nad^  anberen 
guftänben  ^egte. 

@r  ntu^te  abgelehnt  rcerben  ron  klaffen,  benen  biefe 
2ßir!(ic^!eit  aU  böfe  unb  fd)merglid)  erfd)ien,  üon  ben  üer=» 
finfenben  klaffen  ber  alten  2lrifto!ratie  n)te  oon  h^n  au§^ 
gebeuteten  klaffen,  für  bie  ©egenraart  unb  Qufunft  auf 
biefer  2öelt  gleii^  troftto§  fein  mußten,  rcenn  bk  materieUe 
2Ößett,  ba§  ^eigt  bie  ®rfal)rung§n)elt,  bie  einzige  war  unb 
man  nid)t  auf  b^n  aKmä(i)tigen  ©eift  t)ertrauen  burfte,  ber 
e§  oermod^te,  biefe  gange  2Ö3eIt  gufd^anben  gu  mad)Qn.  @d)lie§^ 
lirf)  ntu^te  ber  50^ateriali§mu§  von  ber  gangen  ©efellfd£)aft 
abgelehnt  rcerben,  al§  biefe  fo  t)er!am,  ba§  felbft  bie  ^err* 
frf)enben  klaffen  barunter  litten,  ha^  felbft  biefe  gu  ber 
Überzeugung  famen,  ba§  ©ute  ftanmte  nid)t  au§  ber  rcir!* 
lid^en  Sßßelt,  bie  nur  ha§  35öfe  probugiere.  ®ie  2ßelt  ner^ 
adE)ten,  rcie  ber  (Stoifer,  ober  auf  einen  ©rlöfer  au§  beut 
3enfeit§  l)arren,  rcie  ber  (Jl)rift,  rcar  bie  einzige  3(lter^ 
natioe. 

©in  neueg  (Clement  fant  in  ha§  (S:i)riftentum  burdE)  hk 
aSölferraanberung,  bie  an  ©teUe  ber  nerfornmenben  ©efeH« 
fc^aft  beg  ri3ntifd£)en  9leid^e§  eine  anbere  fe^te,  in  ber  bie 
alter§fd^n)arf)en  tiefte  ber  röntifd^en  ^robuftionS^  unb  3ln* 
fcl)auung§n>eifen  mit  ber  jugenbfrifdE)en  germanifd)en  Tlaxh 
genoffenfrf)aft  unb  il)rer  naioen,  lebensfrohen  ^enfart  ^im 
eigenartige  S^eubilbung  probugierten. 

2luf  ber  einen  ©eite  mürbe  bie  d^riftlidl)e  ^irdf)e  ba§ 
^anb,  ba§  bie  neuen  ©taatSmefen  gufammenl)ielt:  l)ier 
beftätigte  fid^  anfcl)einenb  mieber  bie  Sel)re,  bag  ber  (Steift 
ftärfer  fei  al§  bie  9Jlaterie,  ha  bie  ^nteHigeng  be§  dE)rift= 
lid)en  ^rieftertumS  fid^  fraftt)olI  genug   erraieS,  hk  ro^e 


10  5(ntifc  unb  djriftltc^e  (Stf)it 

^raft  ber  germantfd)en  33arbaren  ju  bänbigeu  imb  ju 
unterjod^en.  Unb  biefc  rol)c  5iraft,  ber  inaterieöen  Söelt 
entftammenb,  erfd)ien  ben  Üiepräfentanten  bei  (S:{)vifteutum§ 
aud)  al§  bie  Queüe  alle»  33öfen,  ino  fie  nic^t  burc^  ben 
(Steift  geregelt  imb  im  Qaume  gef)atten  raarb;  bagegcn  er- 
fd^ien  if)nen  biefer  (55eift  al§  ber  ©riinb  aÜe§  ®uten. 

©0  trug  bie  neue  gefe((fd)aftli(^e  Situation  nur  ba^u  bei, 
bie  pI)ilofopf)if(i)e  G^runbtage  be§  (S:j)riftentum§  nnb  feiner 
@tf)i!  SU  befeftigen.  Slber  anbererfeit§  !am  burcf)  biefe  neue 
(Situation  ein  Clement  ber  Seben§freube  unb  be§  ©elbft* 
t)ertrauen§  in  bie  ©ei"el(f(i)aft,  ba§  il)x  jur  Qeit  ber  fönt- 
ftef)ung  be§  (S:§riftentum§  gefel)lt  f)atte.  Stud)  ber  d)rift(i(i)en 
@eiftlid)!eit  felbft  erfc^ien  —  raenigftenl  i^rer  9Jlaffe  —  bie 
3Belt  nid)t  me{)r  al§  ein  3^^^^^^^^/  ^^^  P^  rcurbe  r>on 
einer  ©enugfreubigfeit  erfüüt,  einem  {)eiteren  ©pifureertum, 
unb  jroar  einem  vergröberten,  ba§  mit  bem  urfprünglid)en 
ber  antifen  ^f)iIofopf)ie  nicf)t§  gemein  !)atte.  Slro^bem 
mu^te  bie  ^inefterfd)aft  an  ber  d)rifttirf)en  ®t!)i!  feftf)atten, 
nid^t  mel^r  al§  bem  3lu§brutf  i{)re§  eigenen  fittlid£)en  ©mp- 
finbeng,  fonbern  al§  einem  SJlittel,  if)re  ^errfd^aft  über 
ba§  3}oI!  ju  berca^ren.  Unb  al(e§  trieb  fie  ja,  bie  p^ilo^ 
fop!)ifdt)e  ©runblage  biefer  ®tl)if,  bie  ©elbftänbigfeit,  ja  bie 
Überlegen!)eit  be§  @eifte§  gegenüber  ber  mirflirfien  SÖßelt 
aud^  n)eiter!)in  an^uerfennen.  ©o  erzeugte  bie  t)eränberte 
gefeüf(^aftlid)e  (Situation  auf  ber  einen  (Seite  neue  eintriebe 
^VL  einer  m atertaliftif d^en  ®t!)i!,  inbe§  fie  auf  ber  anberen 
©eite  eine  9leit)e  t)on  (SJrünben  probu^ierte,  bie  überlieferte 
d)riftlid)e  feftgulialten.  ®arau§  entfprang  jene  ^oppetet£)if, 
bie  ba§  SJlerfmal  ber  6^l)riftenl)eit  gemorben  ift,  hk  äu^er* 
lid)e  5lner!ennung  einer  (£t{)i!,  hk  bod£)  nur  §um  Steil  ben 
3lu§bru(i  unfereS  rcir!lid)en  etl)ifd£)en®mpfinben§  unb  2Öollen§ 
unb  bamit  be§  9ftegulator§  unfere§  §anbeln§  bilbet.  W\t 
anberen  SDßorten,  bie  ^Jloral^eud^elei  mürbe  nun  gu  einer 
ftänbigen  gefe(lftf)aftlicl)en  ^nft^tution,  bie  nirgenbl  fo  au§^ 
geprägt  ift  mie  im  ©l)riftentum. 


mmU  unb  d^riftlic^e  ^t^i!  11 

®tf)i!  unb  Dieligiou  erf(i)ienen  aber  nun  unzertrennlich 
Derbunben.  2ßo^I  voax  ha§  ©ittengefe^  ber  Iogtf(ä)e  Schöpfer 
be§  einen  (3otU§  gercefen;  aber  im  ©l)riftentum  trat  üiel^ 
ntef)r  @ott  auf  al§  ber  Ur{)eber  be§  8ittengefe^eg.  Cf)ne 
^otte^glauben,  ot)ne  fHeligion  feine  Sittlid)!eit.  :3ebe  etl)if(i)e 
grage  rcurbe  gu  einer  g^rage  ber  3^^eoIogie,  unb  ha  bie  ur- 
fprünglicf)fte  unb  naiüfte  g^tm  jeber  fojialen  (Empörung 
bie  ber  fitt(i(f)en  ©mpörung,  hai  (Smpfinben  ber  Un|ittli(i)= 
feit  be§  befte!)enben  gefedfc^aftlid^en  ^^^ftf^i^^^^  ift  fo  be^ 
gann  and)  jebe  joviale  (Empörung  in  ber  gorm  einer  tt)eo= 
logifd)en  ^ritif,  wa§  freilid)  aud)  nod^  burcf)  ben  Umftanb 
t)erurfad)t  rcurbe,  ba§  bie  ^ird)e  ba§  tiorne{)mfte  §errfcf)aft§* 
mittel,  bie  römijd)e  ^riefterfd)aft  bie  fd)limmfte  unb  v^x- 
breitetfte  2{u§beuter!(affe  be§  9Jiitte(aIter§  mar,  fo  bag  jebe 
5luf(e{)nung  gegen  irgenb  eine  gorm  ber  Ausbeutung  ftet5 
in  erfter  Sinie  bie  ^ir(f)e  traf. 

5lu(i)  na(i)bem  feit  ber  üienaiffance  mieber  ein  p!)iIo^ 
fopI)ifrf)e§  teufen  entftanben  mar,  blieben  gragen  ber  @tl)i! 
lange  no(^  fragen  ber  ^^eologie. 


II.  Die  etöiK  des  leitalters  der  HufKlärung, 


©eit  bcr  9lenaiffancc  begann  ba^  S^aturftubtum  firf)  rcieber 
Tnet)r  gu  regen  unb  mit  i^m  aurf)  bie  ^^iIofopf)ie,  bie  üon 
ba  an  bt§  in§  ad)t5e()nte  Qa^rf)unbert  hinein  oorroiegenb 
9^atiirpl)ilofop{)ie  wax  unb  al§  fold)e  unfere  ®r!enntnt§ 
rceit  über  ba§  in  ber  alten  Sßelt  erreid)te  S^ioeau  I)inau§^ 
f)oh;  auggel^enb  ron  ben  gortfd^ritten,  'Ok  im  SJlittelalter 
bie  3Iraber  in  ber  Statur n)iffenfd)aft  über  ba§  griec^ifrf)e 
SOBiffen  ^inau§  gemad)t.  ®en  ©ipfelpunft  biefer  (£pod)e 
ber  $^iIofop!)ie  bebeutet  n)o{)l  bie  Se{)re  ©pinogaS  (1632 
bi§  1677). 

•^ie  ®tl)i!  ftanb  bei  ben  '3)enfern  biefer  Q^xt  in  jmeiter 
Sinie,  fie  blieb  ber  9^aturer!enntni§,  t)on  ber  fie  ein  ©tue! 
mar,  untergeorbnet.  Slber  fie  trat  mieber  in  ben  SSorber^ 
grunb,  aU  ha§  rafd)e  3(uf!ommen  be§  Kapitalismus  im 
a(i)t5el)nten  ^^^^^unbert  eine  äl)nlid^e  Situation  für  SCßeft* 
europa  fd)uf,  mie  fie  ber  rairtf(i)aftlid)e  3(uffd)mung  nad) 
ben  ^erferfriegen  für  ©ried)enlanb  gefcl)affen:  einen  raf(i)en 
Umfturg  ber  alten  ö!onomifd)en  Drbnungen  unb  bamit  eine 
5luflöfung  ber  überfommenen  gefellfcl)aftlid)en  Drganifationen 
unb  fittlicl)en  5(nfcl)auungen.  ®§  begann,  um  mobern  gu 
reben,  eine  Umwertung  aller  2Berte  unb  bamit  ein  eifriges 
^en!en  unb  gorfd)en  über  SÖßefen  unb  (^runb  ber  ©ittlic^feit. 
*iJ)aneben  aber  freilid)  ein  ebenfo  eifriges  g=orfcf)en  na6)  h^m 
2ÖBefen  ber  neuen  ^robuftionSroeife.  ©leid^^eitig  mit  bem 
§err>ortreten  ber  @tl)i!  begann  eine  neue  2ßiffenfcl)aft,  bie 
baS  Slltertum  nxd)t  gefannt,  baS  befonbere  Kinb  ber  fapi= 
taliftifc^en  3Barenprobu!tion,  bereu  ©rflärung  fie  bient: 
bie  politifd)e  Cfonomie. 


3)ie  (St^if  bei  3eitalter§  ber  ^ruffförung  13 

Qu  ber  ®t^if  aber  finben  lüir  rcieber  brei  9fli(^tungen 
nebenemanber,  bte  manche  parallele  mit  hen  brei  9^id)tungen 
be§  2Iltertum§,  ber  pIatonifd)en,  epi!ureifd)en  unb  ftoifrf)en 
aufiueifen:  eine  antitnaterialiftifc^e  —  bie  überfommene  tf)rift' 
ltd)e  —  unb  eine  materiatiftifc^e,  enblid)  graifc^en  il)nen  eine 
üermitteinbe.  ^ie  Seben§Inft  unb  ©enu^freube  ber  aufftreben* 
ben  ^ourgeoifie,  rcenigftenB  if)rer  t)orgefd)rittenften  (Elemente, 
namentlirf)  if)rer  QnteKeftueöen,  füf)Ite  fidE)  je^t  ftar!  genug, 
offen  aufzutreten  unb  alle  ^euc{)terif(jE)en  füllen  abjurcerfen, 
§u  benen  fte  ba§  !)errfd)enbe  ©f)inftentum  hx§  ba{)in  ge* 
grcungen.  Unb  fo  jammervoll  autf)  rielfad^  bie  ©egenmart 
fein  fonnte,  fo  fül)lte  bie  aufftrebenbe  33ourgeoifie  bod),  ba^ 
ber  befte  Sleil  ber  2ßßir!licl)feit,  hie  Qi^^unft,  i^x  gel)öre,  unb 
fie  empfanb  bie  3^äl)ig!eit  in  fid^,  bte§  Jammertal  in  ein 
^arabieS  um^umanbeln,  in  bem  bie  50^enfdl)en  frei  il)ren 
S^rieben  folgen  burften.  Qu  ber  2Qßir!lid)!eit  unb  bm  natür* 
lid^en  trieben  ber  ^Jlenfd^en  fal)en  i^re  Genfer  bie  ^eime 
alle§  ©Uten,  nirf)t  alle§  ^öfen.  "^iefe  neue  (Sebanfenrii^tung 
fanb  aber  gunäc^ft  ein  ban!bare§  ^ublüum  nii^t  nur  hei 
ben  oorgefcf)rittenften  Seilen  ber  ^ourgeoifie,  fonbern  auc^ 
beim  ^öfifcf)en  2lbel,  ber  bamalS  eine  fold)e  abfolute  ©emalt 
im  Staate  erobert  l)atU,  ba§  aud^  er  glaubte,  aller  (i)rift* 
lid)en  §eucl)elei  bei  feinem  ©enu^leben  entraten  gu  fönnen, 
um  fo  mel)r,  alB  er  nun  burc^  eine  tiefe  £luft  oon  ber 
^Jlaffe  be§  3Sol!e§  getrennt  mar.  (£r  hdxa(i}UU  Bürger 
unb  dauern  al§  2ßefen  niebrigerer  5Irt,  benen  feine  ^^ilo^ 
fop^ie  abfolut  un^ugänglicl)  unb  unoerftänblid^  fei,  fo  ba^ 
er  fie  ungefd^eut  frei  entmideln  bürfe,  o^ne  befürd£)ten  gu 
muffen,  bamit  and)  bie  ^raft  feinet  §errfd)aft§mittel§,  ber 
cl)riftlid)en  Dieligion  unb  @tl)i!,  gu  fdl)mäd^en. 

5lm  ftärfften  fanben  fidl)  biefe  ^ebingungen  ber  neuen 
Seben§auffaffung  unb  (£tl)i!  in  granfreid)  entraicEelt.  'S^ort 
fam  fte  aud)  am  fd£)ärfften  unb  fü^nften  gum  5lu§brucf. 
SOßie  beim  alten  (£pi!urei§mu§  ftanb  aud)  in  ber  neuen 
t}Iufflärung§p^ilofopl)ie    ber   Samettrie   (1709  bi§  1751), 


14  !3)ie  (St^if  be§  3eitaltcr§  bev  Slufflärung 

§oIbad)  (1723  bi§  1789)  unb  |)elüetiu§  (1715  bt§  1771) 
bie  (St^if  beg  ®goi§mu§,  bcig  9^u^en§  ober  ber  Suft  in 
engftem  (ogif(i)em  3iifcitTtmenf)ang  mit  einer  materialiftifd)en 
^^l)ilofopf)ie.  ^k  2ße(t,  vok  fie  nn§  bie  @rfa!)rung  ^eigt 
erfd)ien  i^r  alg  bie  einzige,  bie  für  un§  in  ^etrad)t  fommen 
fönne. 

%k  Urfad)en  biefeä  neuen  ®pifurei§mu§  l)aikn  üiele 
$lf)nlirf)feit  mit  benen  be§  alten,  fo  aucf)  bie  Sflefultate,  gu 
benen  beibe  famen.  Xro^bem  trugen  beibe  in  einem  mefent* 
lid)en  fünfte  einen  grunbt)erfd)iebenen  (J^arafter.  ^^x  alte 
®pi!urei§mu§  trat  ni(^t  auf  al§  Umftur^  ber  überfommenen 
religiöfen  Slnfd^auungen;  er  rcugte  fid^  biefen  ansupaffen. 
(£r  mar  ^hm  ni(i)t  bie  Sef)re  einer  reüolutionären  ^laffe^ 
er  prebigte  nid^t  ben  ^ampf,  fonbern  ba§  befc^aulid)e  ©e- 
niesen.  3Sielmei)r  mar  ber  platonifd^e  Qbeali§mu§  unb  ^(;eil* 
mu§  eine  Se!)re  be§  Umftur^eS  ber  überfommenen  religiöfen 
2lnfrf)auungen,  eine  Sel)re  unsufriebener  klaffen. 

2Inber§  bie  2luf!lärung§p{)ilofop^ie.  2ßo!)l  f)atte  aud^  fie 
eine  fonferoatire  Sßßurgel,  fa^  fie  bie  (S^lü(ffelig!eit  in  be- 
fd)auli(i)em  ©enießen,  infofern  fie  ben  ^ebürfniffen  be§ 
§ofabel§  biente,  ber  au§  ber  beftel)enben  abfoluten  8taat§^ 
gemalt  feine  ©jiftenjmittel  gog.  5lber  in  ber  §auptfadE)e 
mar  fie  bod)  bie  ^{)ilofopI)ie  ber  intelligenteften  unb  am 
meiften  entmidelten  fomie  ber  !ü!)nften  (Elemente  ber  auf^ 
ftrebenben  ^ourgeoifie.  ®a§  Derliel)  xi)X  einen  reoolutionären 
©f)ara!ter.  3Son  tiornf)erein  im  (S^egenfa^  gur  überfommenen 
Üieligion  unb  ®tl)if  fte^enb,  mürbe  fie  in  bem  9Hage,  in 
bem  bie  ^ourgeoifie  an  ^raft  unb  (Selbftbemugtfein  mud)§^ 
immer  me£)r  gu  einer  5lnfd^auimg  be§  Kampfes,  einer 
2lnfd)auung,  bie  bem  alten  ©pitureertum  DöKig  ferne  lag; 
be§  ^ampfeg  gegen  Pfaffen  unb  Strirannen,  be§  ^ampfe§ 
um  neue  S^eale. 

*^ie  ^rt  unb  Slßeife  ber  fittlid)en  Ülnfd)auungen  unb  bie 
§öl)e  ber  fittlid)en  Seibenfd)aften  mirb  nad^  ben  fran5Öfifd)en 
3Jlaterialiftcn  oon  ben  Seben§t)erl)ältniffen  ber  ^Jienfdien  be^ 


2)ie  (St^if  be0  3eitatter0  ber  STufflarung  15 

ftimmt,  namcutlti^  von  ber  QSerfaffung  be§  ©taate§  foinie 
t)on  ber  (£rsief)ung.  ©tet§  ift  e^  ha§  (Sigenintereffe,  ha§  hQXi 
9J^enfrf)cn  beftimmt;  e§  fann  aber  ein  jef)r  fojtate^  Qntereffe 
tüerben,  rcenn  bie  (55efe(Ifcf)aft  berart  organtftert  ift,  ha^  ha§ 
©igenintereffe  t)erfd)milst  mit  hem  Qntereffe  am  ©emeinmefen, 
ba§  bie  Scibenfc^aften  be§  9D^enfrf)en  bem  (^emeinmo^l 
bienen.  %k  ma^re  ^ugenb  beftef)t  aber  in  ber  ©orge  um 
ba§  ©emeinmo^I,  fie  fann  nur  bort  gebei!)en,  mo  ber  SJlenfcf) 
mit  bem  ©emeinmo^l  auc^  ha^  eigene  beförbert,  n)o  er  ba§ 
©emeinrco^I  nic^t  fc^äbigen  fann,  o^ne  fidE)  felbft  §u  j(i)äbigen. 

@§  ift  bieUnmiffen^eit  über  bie  eigenen  bauemben  ^ij^eren 
Qntereffen  ber  5J^enfrf)en,  bie  Unrciffen^eit  über  bie  befte 
gorm  be§  ©taate§,  ber  @efe(tfcf)aft,  ber  ©r^ie^ung,  hk  Qu* 
ftänbe  ermöglidjt,  melcf)e  notmenbigermeife  ta§  ©emeinrao^l 
unb  ha§  ©igenintereffe  in  ^onflift  miteinanber  bringen. 
(£§  gilt,  biefer  Unmiffen!) eit  ein  (§^nhe  gu  mad)en,  bie  ber 
3Sernunft  entfpre(^enbe©taat§*,(55efellfd)aft§*unb  (£r§ie!)ung§s 
form  §erau§5ufinben,  um  &IM  unb  Stugenb  für  immer  feft 
gu  begrünben. 

§ier  fe^en  mir  ben  reoolutionären  ^ern  be§  frangöfifcfien 
50^ateria(i§mug,  ber  ben  beftet)enben  ^taat  al§  Urheber  ber 
Safterf)aftigfeit,  ha§  f)ei§t  be§  ©egenfa^eä  smifdjen  ©emein* 
unb  ©igenintereffe,  auflagt.  ';i)aburcf)  erf)ebt  er  fi^  über 
ben  antifen  @pifurei§mu§,  baburd)  oergrögert  er  aber  nod) 
bie  ©cf)mä(i)e  ber  ^ofition  feiner  ©t^if. 

"S^enn  e§  gilt  ja  nicf)t  blog  bie  befte  gorm  für  (Staat  unb 
©efel(fcf)aft  ^lerau^aufinben.  ^§  gilt  auc^  für  fie  gu  f  ämpf  en, 
hzn  ^errfcf)enben  9Jlad)t^abern  entgegenzutreten  unb  fie  nieber« 
pmerfen,  um  ba§  9iei(^  ber  2;ugenb  gu  begrünben.  "^^a^u 
bebarf  e§  aber  großer  fittlicf)er  Seibenfd^aften,  unb  xvo^ex 
foUen  bie  fommen,  menn  bie  beftef)enbe  (55efe(lfd)aft  fo  fc{)led)t 
ift,  ba§  fie  feine  ^ugenb,  feine  ©ittli(i)feit  auf  fommen  Id^t? 
^IRup  nic^t  bie  f)öl)ere  (Sittli(i)feit  frül)er  oorf)anben  fein,  e{)e 
bie  liö^ere  (55efeüfcf)aft  erfte^en  fann?  SJlug  nid)t  ha§  fitt* 
licf)e  Qbeal  in  un§  leben,  e^e  bie  fittlicl)e  Drbnung  ^ur  %aU 


16  2)ie  Gtf)if-  be§  3eitoIter§  bcr  ^Iiifnärung 

fad)e  lüirb?  2Bof)er  aber  bte§  fittlirf)e  Qbeal  in  einer  lafter* 
mten  2BeIt? 

^aranf  erhalten  lüir  feine  befriebigenbe  5lntn)ort. 

©troag  anberg  aU  bie  granjofen  fnd)ten  bie  ©ngtänber 
im  acf)tge!)nten  J^af)r{)nnbert  ba§  ©ittengefe^  jn  erflären. 
(Sie  geigten  fic^  im  allgemeinen  raeniger  fül)n  nnb  mef)r 
fompromi§füdE)tig,  rcie  bieg  ber  ®efd)ici^te  @nglanb§  feit  ber 
^Reformation  entfprid)t.  ©eine  infulare  Sage  begünftigte 
feit  biefer  3^^^  f^i^^  ö!onomifd)e  ®ntn)i(flnng  an§nef)menb. 
©ie  trieb  e§  gnr  ©eefai)rt,  bie  im  fieb5e!)nten  unb  arf)t5ef)nten 
ga{)rf)nnbert  bnrc^  ba§  ^olonialfriftem  ben  rafii)eften  2ßeg 
ber  5Bereid)ernng  bilbetc.  ©ie  befreite  ©nglanb  non  allen  ben 
Saften  nnb  33er^eernngen  ber  Sanbfriege,  bie  bie  ^äd)U  be§ 
geftlanbeg  erfcl)öpften.  ©o  bereichert  firf)  (Snglanb  im  ficb* 
gel)nten  unb  acl)t^el)nten  J^alir^unbert  rafd)er  al§  alle  anberen 
Stationen  @uropa§  unb  tritt  öfonomifd)  an  il)re  ©pi^c.  Slber 
menn  in  einem  Sanbe  neue  klaffen,  neue  ^laffengegenfä^e 
unb  bamit  neue  gefeKf(i)aftli(i)e  Probleme  frül)er  al§  anberSmo 
auftreten,  finb  bie  neuen  klaffen  bort  meift  nod)  menig  gum 
©elbftbemu^tfein  gelangt,  nocl)  fel)r  in  ben  alten  '3)en!formen 
befangen,  fo  bag  and)  bie  ^laffengegenfä^e  nod)  in  un« 
entmirf elter  ©eftalt  erf(i)einen.  ©o  fommt  e§  in  einem  folc^en 
Sanbe  5imäcl)ft  ni(^t  gu  einer  enbgültigen  5lu§fed)tung  be§ 
^laffenfampfeg,  nid)t  gu  einer  rabifalen  Überminbung  ber 
alten  klaffen,  hk  bort  eben  nod^  unumfcf)rän!t  l)errfcf)tcn 
unb  in  allen  Säubern  runbl)erum  nod)  in  ooller  33lüte  ftel)en. 
^ie  neuen  klaffen  finb  ba  nod^  unfäl)ig  gur  2llleinl)errf(i)aft, 
ba  fie  fid)  in  ber  ©efellfrf)aft  nur  fd)n)er  gurec£)tfinben,  vox 
ber  9^eul)eit  i^rer  eigenen  ^eftrebungen  erfcl)reden  unb  felbft 
notf)  nad)  ©tü^en  unb  5lnfnüpfung§pun!ten  in  ben  über^ 
fommenen  93erl)ciltniffen  fu(i)en. 

®§  f(i)eint  bal)er  ein  allgemeine^  ©efe^  ber  gefeKfd)aft« 
lid)zn  ©ntmidlung  §u  fein,  bag  Sauber,  hi^  in  ber  öfono* 
mifcf)en  ©ntrairflung  'i)m  anberen  t)orangel)en,  bal)in  neigen, 
an  ©teile  rabifaler  Söfungen  ^ompromiffe  gu  fe^en. 


S)ie  et^i!  beg  3eitatter§  bev  STufflärung  17 

80  ftanb  granfretcf)  im  9Jlitte(alter  neben  Qtalien  an 
ber  ©pi^e  ber  ö!onomif(i)en  (Sntraiiflung  ©uropag.  (£§  ge* 
riet  ba!)er  aucf)  juerft  in  ©egenfa^  ^nm  vömifcf)en  ^apfttum, 
feine  Staat^gercalt  rebellierte  guerft  bagegen.  Stber  gerabe, 
roeil  e§  babei  voranging,  gelangte  e§  nid)t  ba^u,  eine  eigene 
@taat§!ird)e  gn  begrünben,  r>ermocf)te  e§  blo§  ba§  ^apft* 
tum  gu  einem  ^ompromig  ju  jmingen,  ber  mit  geringen 
Unterbred)nngen  h\§  l)eute  gebauert  l^at  dagegen  mürben 
fpäter  bie  rabüalften  3Sor!ämp|er  gegen  hk  päpft(icf)e  ©e- 
malt  gmei  Staaten,  bie  öfonomifi^  am  rüiiftänbigften  ge* 
blieben  raaren,  @cf)ottlanb  unb  (Scl)meben. 

©eit  ber  Diefonnation  trat  an  (Stelle  5^'an!reidl)§  unb 
Italiens  ©nglanb  unb  mit  il)m  (Scl)ottlanb  al§  ^a^nbred)er 
ber  öfonomij(i)en  ©ntmicftung,  unb  bamit  mürbe  ber  ^om^ 
promi§  nun  für  biefe  Scinber  bie  5*^^^  '^^^  2lbfd)luffe§ 
il)rer  bamaligen  ^laffenfämpfe.  ©erabe  rceil  in  ©nglanb 
im  fiebjel)nten  J5al)rl)unbert  ba§  Kapital  rafcl)er  erftarfte 
al§  anber§rao,  meil  e§  bort  frül)er  al§  in  ben  anberen  San« 
bern  (£uropa§  gum  Kampfe  gegen  bie  feubale  5liifto!ratie 
fam,  enbete  biefer  ^ampf  mit  einem  ^ompromi^,  ber  be^ 
mirfte,  ha^  ha§  feubale  G^runbeigentum  l^eute  nocE)  in  ®ng* 
lanb  ftärfer  ift  al§  in  irgenb  einem  anberen  Sanbe  @uropa§ 
—  Ofterreitf)'Ungam  t)iellei(i)t  aufgenommen.  2lu5  bem« 
felben  (SJrunbe,  ber  fo  rafrf)en  ö!onomifcl)en  (Sntmicflung, 
entbrannte  in  (Snglanb  ber  5?laffen!ampf  smifd)en  ^Proletariat 
unh  ^ourgeoifie  guerft  in  ber  SOßelt.  @r  entbrannte  gu  einer 
3eit,  rco  Proletarier  unb  inbuftrielle  ^apitaliften  beibe  noi^ 
t)ie^en!meifen  be§  Kleinbürgertum^  nid)t  überrcunben  Ratten, 
mo  riele  unb  felbft  fd)arffinnige  ^eobai^ter  beibe  Klaffen 
■aU  bie  ber  „Qnbuftriellen"  gufammenroarfen,  rco  ber  ^ppu§ 
be§  felbftbemugten  unb  auf  bie  ß^^unft  feiner  Klaffe  bauen^ 
ben  Proletarier^  ebenfo  rcie  ber  be§  im  (Staate  unumf(i)ränft 
^err)d)enben  inbuftriellen  Kapitalmagnaten  nod^  nid^t  ent^ 
rcicfelt  rcar.  (3o  cerfanbete  ber  Kampf  ber  beiben  Klaffen 
:nad^  einem  furzen,  ftürmif(i)en  Slufbraufen  in  einem  Kom^ 

^aut^fx),  et£)tf  unb  materialiftifdie  ©eftfiid^tsauffaffung.  2 


18  Sie  (St()i!  bcg  BcitaltcriS  bcr  Stufflärung 

promife/  ber  bie  §eiTfd)aft  ber  35ourgeoifie  über  ba§  ^role* 
taxiat  in  fönglanb  ja!)r3ef)ntclang  uncingef(^rän!ter  niadjte 
al§  in  jebem  anberen  Sanbe  moberner  '>|3robuftion. 

Dlatürlic^  fönnen  bie  Sßirhiugen  biefeä  @ejc^c§,  rcie  bie 
jebe§  anberen,  bnrct)  ftörenbe  Slebcntenben^en  gc{)emmt,  burd) 
förbernbe  üerftärft  rccrben.  2lber  auf  jeben  gaK  gilt  e§ 
foraeit,  ba§  man  fid)  cor  ber  populären  5(uffa|fung  be§ 
f)tftori]d)en  9}iateriaU§mu§  I)üten  muß,  al§  müßte  basjenige 
Sanb,  ha§  in  ber  öfonomifrf)en  ©ntraidlung  bie  g^üfjrung 
f)at,  aud)  bie  if)r  entfpred)enben  gönnen  be§  ^Ia|fen!ampfe§ 
ftet§  am  fd)ärfften  unb  entfd)iebenften  gum  SluSbrud  bringen. 

2lu(^  ?DlateriaIi§mu§  unb  2Itf)ei5mu§  forcie  bie  ^tf)it  untere 
lagen  in  ©ngtanb  bem  (Steifte  be§  ^ompromiffeg,  ber  e§  feit 
bem  fieb5ef)nten  Qaf)r()unbert  be!)errfd)te.  ^er  ^ampf  ber 
bemofratifd^en,  aufftrebenben  klaffen  gegen  bie  von  ber 
^ourgeoifie  imab!)ängige,  bem  geubalabet  ergebene  mon= 
ard)ifd)e  ©taatggemalt  mit  i[)rem  §ofabe(  unb  ifirem  (Staate* 
!ird)entum  begann  in  ©nglanb  mef)r  at§  ein  ;5af)r!)unbert 
früher  al§  in  ^ranfreid),  px  einer  Qeit,  mo  ba§  d)riftlid)e 
'3)en!en  erft  in  menigen  köpfen  übermunben  mar.  2öenn  in. 
granfreid)  ber  ^ampf  gegen  bie  8taat§fird)e  ein  Üampf 
graifd)en  (5^f)riftentum  unb  atf)ciftif^em  ?0]ateriali§mu§  murbe^ 
fo  marb  er  in  ©nglanb  nur  ein  ^ampf  bemofratifi^er  c^rift* 
liqer  ©eften  gegen  bie  al§  ©taat^ürc^e  organifierte  ©efte. 
Unb  menn  in  granfretd)  im  3^^talter  ber  3lufflärung  bie 
SiJle^r!)eit  ber  intelligent  unb  ber  üon  if)r  beeinflußten  klaffen 
materiaüftifd)  unb  at^eiftifc^  bad)ten,  fo  fud)te  in  ©nglantv 
bie  ^ntetügen^  nad)  einem  Kompromiß  ^mifc^en  ^[Raterialiä* 
mu§  unb  ®f)riftentum.  3ßo!)l  fanb  ber  neuere  SJZaterialig^ 
mu§  feine  erfte  offene  gorm  in  ©ngtanb,  in  ber  Sel)re  be§^ 
^l)oma§  §obbe§  (1588  bi§  1679);  mol)I  fanben  fid)  in 
©nglanb  Genfer  über  bie  fragen  ber  ®t!)if,  bereu  ^ül)n!)eit 
felbft  bie  ber  !ül)nftengran5ofen  überragte,  mie5Jlanbet)ilIe 
(1670  bi§  1733),  ber  bie  5D^ora(  für  ein  §errfd)aft§mittel, 
eine  ©rfinbung  jur  llnterjod)ung  ber  arbeitenben  klaffen 


®{e  (St^if  be§  3eitQlter§  ber  3rufffQrung  19 

eiKdrte  unb  im  Safter  bie  Sßursel  aHe§  gefellfcfiaftlid^cn 
©Uten  fa!f).  5Iber  auf  ba§  teufen  ber  eigenen  Station  ixbkn 
jolc^e  ;3been  Jüenig  (Sinftug.  @ine  d)riftü(i)e  ©efinnung  blieb 
ba§  Qeidien  ber  2Bo!)Ianftänbigfeit  unb  fie,  rcenn  nii^t  gu 
entpfinben,  borf)  gu  ^eu(f)eln,  rcurbe  bie  3lufgabe  aud)  jebeg 
©e(ef)rten,  ber  mit  ber  ©efeüfd^aft  nid)t  in  ^onflift  fommen 
lüodte. 

©0  blieben  bie  (gnglänber  aurf)  fel)r  fritifdl)  ber  materia? 
liftijc^en  (£tl)i!  gegenüber,  bie  ba§  ©ittengefe^  auf  bie 
©elbftliebe  ober  t)k  Suft  ober  ben  9^u^en  beg  3^bit)ibuum§ 
begrünben  mollte.  2Bol)l  fucl)ten  bie  intellef  tu  eilen  3Sertreter 
ber  aufftrebenben  ^ourgeoifie  au(^  in  (Snglanb  ha§  ©itten^ 
gefe^  a[§  eine  natürlic£)e  (£rfcf)einung  ju  erflären,  aber  fie 
crfannten,  ha^  feine  ^rcingenbe  Tla6)t  au§  blogen  (£r= 
mägungen  be§  D^u^enS  nic^t  erfldrt  merben  fonnte  unb 
ha^  bie  ^onftruftionen  gu  erüinftelt  maren,  bie  notroenbig 
iDurben,  bie  ©ebote  ber  @ittlid)feit  mit  ben  ^Semeggrünben 
be§  9^u^en§  ober  ber  Suft  aud)  nur  gu  t)ereinbaren,  ge>^ 
fd)n)eige  benn  biefe  ju  einer  energifcl)en  S^riebfraft  jener  gu 
mad)en.  (Sie  unterfi^ieben  bal)er  genau  neben  ben  egoiftifc^en 
auc^  bie  fr)mpatl)ifcl)en  triebe  im  3[Renfd)en,  erfannten  einen 
moralifcl)en  (Sinn,  ber  bie  S[Renf(i)en  treibt,  für  ba§ 
©lud  il)rer  9Jiitmenfd)en  tätig  gu  fein.  S^^ad)  bem  (Sd)otten 
§utd)efon  (1694  bi§  1747)  mar  e§  befonber§  ber  groge 
Ofonom  Slbam  ©mit^  (1723  hx§  1790),  ber  biefe  Sel)re  t)er^ 
trat,  ^n  feinen  ^raei  großen  §auptn)er!en  unterfud)te  er  ba§ 
2Birfen  ber  beiben  Sriebfebern  be§  menfd)lid)en  §anbeln§. 
Qn  ber  „3:E)eorie  ber  moralifd)en  ©efüljle"  (1759)  ging  er 
t)on  ber  ©t)mpatl)ie  al§  bem  mid^tigften  ^inbeglieb  ber 
menfd)li(^en  ©efellfd)aft  au§;  feine  „Unterfud)ung  bei  2ßefen§ 
unb  ber  Statur  bei  D^Zationalreidituml"  fe^t  ben  ®goi§mu§, 
'ta§  materielle  ^ntereffe  bei  Qnbioibiiuml  all  hk  S^riebfeber 
h^§  menfd}lid)en  §anbelnl  üoraul.  ^a§  33ud)  erfd)ien  erft 
1776,  aber  bie  ^rinjipien,  bie  el  enthielt,  trug  ©mit^  fd^on 
1752  ober  1753  in  ©lalgora  münblic^  vox.   ©eine  ^l)eorie 


20  2)ie  (Stt}if  bc§  3citalter§  bcv  STufftävung 

be§  @goi§mu§  unb  feine  'H^^om  be§  S[Ritgefül)l§  fd)tie^en 
alfo  einanber  ni(i)t  au§,  fonbern  ergangen  einanber. 

2Benn  biefe  (Snglänber  @goi§mul  unb  moralif(i)en  ©inn 
einanber  gegenüberftellten,  fo  n)ar  ba§  ben  SJlaterialiften 
gegenüber  eine  3Innäf)erung  an  ^latoni§mu§  unb  (£{)riften5 
tum.  Slber  bod)  blieben  i^re  5(nfd)auungen  r»on  biefen 
fd^arf  gefd)ieben.  %mn  rcenn  narf)  ber  c^riftlid)en  £el)re 
ber  SJlenfct)  t)on  Statur  au§  böfe  ift;  rcenn  nad)  ber  pla* 
tonifd)en  Set)re  unfere  natürlid)en  3:riebe  ha^  Unfittlid)e  in 
un§  finb,  bie  ©ittli(i)!eit  etn)a§  5lu6ernatürli(^e§  unb  Über* 
natürlid)e§  bilbet,  fo  ftanb  für  bie  englifd^e  ©d)ule  be§ 
aditge^nten  3af)r!)unbert§  ber  moralifd)e  ©inn  rco^l  im 
Giegenfa^  jum  @goi§mu§,  rcar  aber  ebenfo  rcie  biefer  nur 
ein  natürlid)er  S^rieb.  5Iud)  erfd)ien  if)nen  ber  ®goi§mu§ 
nic^t  aB  ein  böfer,  fonbern  ein  t)oüfommen  mo^Ibered)tigter 
Strieb,  ber  für  ha§  ©ebei^en  ber  menfd)lid)en  ^efedfc^aft 
ebenfo  notmenbig  fei,  mie  ba§  SJIitgefü!)!  mit  ben  anberen. 
^er  moralifd)e  ©inn  mar  ein  ©inn,  mie  jeber  anbere  ©inn 
be§  9Jlenfd)en  aud),  gemifferma^en  fein  fed)fter  ©inn. 

greilid^  mar  mit  biefer  3lnna!)me  aud)  nur,  mie  bei  ben 
fran5Öfifd)en  9J^aterialiften,  bie  ©c^mierigfeit  meiter  gefd)oben, 
nid)t  gelöft.  3tuf  bie  grage,  mo^er  benn  nun  gerabe  beim 
5[Renfd)en  biefer  befonbere  moralifd)e  ©inn  fomme,  {)atten 
bie  (Snglänber  feine  ^ntrcort.  (£r  mar  bem  9Jlenfd)en  eben 
üon  Statur  au§  t)erlief)en.  ®a§  fonnte  i{)nen  genügen,  bie 
no(^  mit  einem  SDßeItenfd)öpfer  {)antierten,  e§  mad)te  aber 
beffen  2lnna!)me  nid^t  überpüffig. 

%k  5Iufgabe  für  bie  miffenfd)aftlid^e  Sßeiterentraidlung 
ber  ^t^xt  fd)ien  bei  biefer  ©ad)lage  flar.  ^ie  fran5öfifd)e 
mie  bie  englifd)e  ©d^ule  lEiatte  t)iel  geleiftct  für  bie  pft)d)o« 
logifi^e  unb  {)iftorifd)e  (£r!(ärung  einzelner  fittlid^er  ©mpfin* 
bungen  unb  9Infd)auungen.  2(ber  e§  mar  meber  ber  einen 
nod)  ber  anberen  gelungen,  bie  ©ittlid)feit  of)ne  Dieft  aU 
ein  ^robuft  üon  Urfac^en  erfennen  §u  (äffen,  bie  im  ^e* 
reiche  unferer  @rfa()rung  liegen.   ®§  galt,  über  bie  englifd)e 


Sie  (gtt)if  be§  3eitalter§  ber  STufnärung  21 

(5cf)ule  f)mau§5ugef)en  unb  bie  Urfac£)en  be§  morolifc^en 
6inne§  gu  erforfc^en;  e§  galt,  über  bie  fran^öfifcfie  ©d)ule 
^inau§5uger)en  unb  hk  llrfad)en  be§  fittlic^en  ^beal§  blo^^ 
gulegen. 

2lber  bie  @ntrt)idlung  ift  feine  grablinige,  jonbern  eine 
btaleftif(i)e.  Sie  bercegt  fid^  in  ©egenfä^en.  ^er  näd)fte 
(Sd)ritt  ber  ^^ilofop^ie  in  bejng  auf  bie  @tf)if  ging  nicf)t 
in  biefer  9f^icf)tung,  fonbem  in  ber  entgegengefe^ten.  <Btaü 
bie  et^ifc^e  9Zatur  be^  9Jtenfc^en  nod)  ntef)r  al§  bi§  ba!)in 
in  ben  9iaf)men  ber  arigemeinen  S^aturnotrcenbigfeit  f)inein' 
jubringen,  bracf)te  fie  fie  rcieber  gan§  f)erau§. 

'3)tefen  (5(f)ritt  roU^og  bie  beutfi^e  ^^itofop^ie  burc^ 
^ant  (1724  bi§  1804).  man  liebt  e§,  un§  !)eute  p^u* 
rufen:  3^^^<^  ^^f  ^^^^t!  3lber  rcer  babei  bie  ^antfd)e 
@tf)i!  im  2luge  f)at,  !i3nnte  ebenfogut  rufen:  Qnxiid  auf 
$(ato! 


III.  Die  etöiU  Kants. 


1.  Die  Kritik  der  Crfeenntnis. 

^ant  ftedte  ftd£)  auf  benfelben  ^obeu  vok  bie  9JZateriaIi|ten. 
(£r  erfannte  an,  ba^  bie  2Belt  au^er  un§  röirflic^  ift  iinb 
ba^  hcn  2Iu§gang§punft  aller  @r!enntni§  bie  ftnnlirf)e  (£v* 
fa^rung  bilbet.  2lber  unfere  @rfa^rung§er!cnntni§  ift  ein 
gufammengefe^teS  au§  bem,  tt)a§  rcir  burd)  finnIicE)e  ©in* 
brü(fe  empfangen,  unb  bem,  wa§  unfer  eigenes  (grfenntnig- 
vermögen  au§  fid)  f)ergibt;  mit  anberen  Sßorten,  unfere 
®r!enntni§  ber  Sßelt  ift  bebingt  nid^t  blo§  burdf)  bie  Se* 
fd)affen^eit  ber  ^(ußenroelt,  fonbern  aud)  burd^  bie  unfere§ 
eigenen  (£r!enntni§t)ermögen§.  Qux  (£r!enntni§  ber  SBelt  ift 
ba^er  bie  ®rforfd[)ung  biefe§  unfere§  (£r!enntni§t)ermögcn§ 
ebenfo  notraenbig  n)ie  bie  ber  Slugenrcelt.  %k  ®rforfd)ung 
be§  erfteren  ift  nun  bie  Slufgabe  ber  ^^ilofop^ie,  biefe  ift 
hk  2ßiffenfrf)aft  von  ber  2ßiffenfd)aft. 

'3)arin  liegt  nid)t§,  wa§  nicE)t  jeber  5!Jlaterialift  unter* 
fd)reiben  fönnte  unb  wa§  nic^t,  etma  mit  2Iu§na^me  be§ 
legten  ©a^eS,  aud^  t)on  9Jiaterialiften  früf)er  frf)on  gefagt 
n)orben  märe.  5lber  freilii^  nur  in  ber  Steife,  mie  einzelne 
©ä^e  materialiftifd)er  ©efc^i(i)tgauffaffung  f(^on  Dor  ^Jlar^' 
geäußert  morben  maren,  al§  2lnfd)auungen,  bie  nid£)t  be- 
fruc£)tenb  meiter  rcirften.  ®rft  ^ant  mad)te  fie  gur  ®runb= 
läge  feiner  ganzen  Se!)re.  ^urd^  if)n  erft  mürbe  bie  $f)i(ü' 
\oTf)^k  mirflidE)  ^ur  2ßiffenfd)aft  üon  ber  2ßiffenf(^aft,  beren 
Stuf  gäbe  e§  nid)t  ift,  eine  beftimmte  $!)i[ofopl)ie,  fonbern 
ba§  ^^ilofopf)ieren,  ben  ^roje^  be§  (5r!ennen§,  ha§  metfio- 
bifd)e  Renten,  burdE)  bie  ^riti!  ber  ©rfenntni»  §u  Iel)ren. 

Slber  ^ant  ging  barüber  £)inauS,  unb  gerabe  feine  p^i(o* 
fopf)if(f)e  GJrogtat,  bie  Unterfudt)ung  be§  @rfenntni§t»ermögen§, 
mürbe  aud)  fein  pf)iIofop{)ifd^er  ©ünbenfad. 


Sie  ^rttif  ber  (Er!ennhti§  23 

%ci  unfere  finnlid)e  (£rfa{)rung  un§  nid)t  bie  2Belt  geigt, 
lüie  fie  an  firf),  fonbern  nur,  vok  fie  für  un§  ift,  n)te  fie 
un§  nermöge  ber  (Eigenart  unferel  ©rfenntni§t)erniögen§ 
er fc^  eint,  fo  mu^  bk  Sßelt,  mk  fie  an  ficE)  ift,  anber§ 
fein  al§  bie  2öelt,  roie  fie  un§  erfc^etnt.  ®a^er  unter* 
f(i)eibet  ^ant  bie  2ßelt  ber  ©rfd)einungen,  ber  „^I}änomene", 
t)on  ber  SSelt  ber  ^inge  an  fict),  ber  „Dloumena",  ber 
„inteUigiblen  SÖßelt".  greilic^,  erfennbar  ift  biefe  (entere 
für  un§  nic^t,  fie  liegt  jenfeit§  unferer  ©rfa^rung,  unb  fo 
brau(i)t  man  ficf)  mit  il)r  gar  nid)t  abzugeben;  man  fönnte 
fie  einfacE)  al§  eine  33e3eic^nung  bafür  f äffen,  bag  unfere 
©rfenntni^  ber  Sföelt  ftet§  burcf)  bie  3Irt  unfereS  @r!enntni§* 
rermögeng  befd)rän!t,  ftet§  eine  relatioe  ift,  ha^  e§  für  un§ 
nur  relatiüe,  nii^t  abfolute  2ßaf)rl}eiten  geben  !ann,  nic^t 
eine  abgefd)loffene  ©rfenntni^,  fonbern  einen  unenb(id)en 
^roge^  be§  (Sr!ennen§. 

5(ber  babei  beru!)igte  fid)  ^ant  nid)t.  @r  üerfpürte  einen 
unftillbaren  ^rang,  in  jene  unbefannte,  unerforf(i)Iid)e  SGßelt 
ber  "iDinge  an  fid)  bod)  einen  33(id  ^jineingutun,  um  menigften§ 
eine  Sl^nung  üon  i^r  gu  er{)afd)en. 

Unb  er  !am  in  ber  %at  ba^in,  red)t  beftimmte  ^inge 
t)on  \i)x  au§3ufagen.  "^en  2ßeg  bagu  fa^  er  in  ber  ^riti! 
unfereS  ®rfenntniör)ermögen§. 

^nbem  biefe  au§  ber  (£rfa!)rung  atle§  loslöft,  voa§  au§ 
ber  (3innlid)!eit  ftammt,  foll  fie  baf)in  fommen,  bie  gormen 
be§  @rfennen§  unb  3Infd)auen§  rein  bar^uftetlen,  bie  ron 
üorni)erein,  a  priori,  t>or  alter  ®rfal)rung,  in  unferem  „öe* 
mute"  liegen. 

5luf  biefe  2öeife  entbedte  er  bie  ^bealität  non  9iaum 
unb  Q^it  ^a§  follen  nid)t  begriffe  fein,  bie  burd)  ©r- 
fal)rung  gemonnen  rourben,  fonbern  blofje  g^ormen  ber  3ln* 
fd)auung  ber  SBelt,  bie  nur  in  xmferem  ®r!enntni§i)crmögen 
befte!)en.  S^ur  in  ber  gorm  oon  Diaum*  unb  Qeitüorftellungen 
fi3nnen  mir  bie  Sßelt  ernennen.  5Iber  au^er^alb  unfere§ 
®r!enntni§t)ermögen§  gibt  e§  feinen  üiaum  unb  feine  Qeit. 


24  2)ie  (St()if  Äant§ 

©0  gelangt  ^ant  bat)in,  t)ou  ber  3BeIt  ber  ^iuge  an  fic^, 
jener  üöUig  unerfennbaren  Sßelt,  etraal  fef)r  ^eftimmteS 
auSpfagen,  nämlic^,  ba§  fie  rannt lo§  nnb  geitloS  fei. 

^ein  Qtpctfel,  biefe  logif^e  ©ntraidlung  ift  eine  ber  füt)nften 
Seiftungen  be§  menf(^Iicf)en  ©eifte§.  '3)amit  ift  jebod)  feines^ 
jüeg^  gefagt,  ba§  fie  and)  t)öüig  einiüanbfrei  fei.  ^m  ©egen^ 
teil,  e§  lägt  fid)  ungef)euer  üiel  gegen  fie  einraenben,  unb 
e§  finb  and)  tatfäd)Iid)  l)örf)ft  fd)n>ern)iegenbe  ©inrcänbe  ba* 
gegen  erf)oben  morben.  ^ie  2lnna^me  ber  Qbealität  t)on 
Dianm  unb  Qeit  im  ^antfc^en  (Sinne  fü!)rt  gu  unentinirr* 
baren  2ßiberfprüd)en. 

*3)aran  ift  ix>oi)i  nid)t  gu  graeifetn,  'Da^  unfere  Q3orftef(ungen 
üon  Staunt  unb  Qeit  burd)  bie  33efd)affenl)eit  unfereä  ©r^ 
!enntni^t)ermögen§  bebingt  finb,  aber  ic^  bäd)te,  ba§  braud)t 
btog  gu  fagen,  bag  nur  jene  3wfammenl)änge  ber  Sßelt  t)on 
un§  erfannt  rcerben  fönnen,  bie  t»on  ber  2lrt  finb,  ha^  fie 
in  unferem  @r!enntni§t)ermögen  Sflaum*  unb  Qeitüorftetlungcn 
^erüorrufen.  ^ie  ^bealität  üon  Qeit  unb  üiaum  bebeutete 
hann  ebenfo  lüie  ba§  ®ing  an  fid)  nur  eine  beftimntte  ©ren^e 
unfere§  (£r!ennen§.  3ufamment)änge  einer  5(rt,  bie  nic^t 
bie  gorm  t»on  9laum*  ober  QeitrorfteKungen  annef)men 
fönnen  —  rcenn  e§  rcirftii^  fold)e  geben  foKte,  rcaS  voix 
nid)t  rciffen  — ,  finb  für  un§  unfajsbar,  foroie  bie  ultra^ 
nioletten  unb  ultraroten  (Stral)len  für  unfer  ©el)t)ermögen 
unerfennbar  finb. 

2lber  fo  meint  Üant  bie  ©ad)e  nid)t.  2öeil  D^aum  unb 
3eit  hie  gormen  abgeben,  in  benen  allein  mein  ©rfenntniä^ 
vermögen  bie  2öelt  p  erfennen  vermag,  nimmt  er  an,  ba§ 
9laum  unb  Qeit  formen  feien,  bie  allein  in  meinem  ©r* 
!enntni§oermögen  mol^nen,  benen  feinerlei  3iMö^^ß^^<^"gß 
ber  n)ir!lid)en  2öelt  entfpred)en.  Qn  feinen  „^rolegomena 
5U  jeber  fünftigen  9Jletapl)t)fif"  t)ergleid)t  ^ant  einmal  hie 
9taumt)orftellung  mit  ber  garbentjorftellung.  ®iefe  SScr- 
glei(^ung  erfd^eint  un§  fel)r  ^utreffenb,  fie  bemeift  aber  feine^^ 
n)eg§  ta^,  mag  ^ant  bemeifen  mill.  SDßenn  mir  ber  Zinnober 


2)ie  ^ritif  ber  (ErfenntuiS  25 

rot  erfd)eint,  fo  tft  ba^  ficf)er  butii)  bie  Eigenart  meines 
@ef)t)ermögen§  bebingt.  5(u^er  i^m  gibt  e§  feine  5<^^'^^' 
2öa§  mir  al§  garbe  erfd)eint  mirb  burcE)  5ätf)ern)e(Ien  üon 
beftimmter  Sänge  ^eroorgerufen ,  bie  mein  2Iuge  treffen. 
Sßßodte  man  biefe  SBeKen  in  be§ng  anf  hk  garbe  al§  ^ing 
an  firf)  betradf)ten  —  in  2öir!(id)!eit  finb  fie  e§  natürli^ 
ni(i)t  — ,  fo  märe  nnfer  ©e!^oermi3gen  nid^t  ein  33ermögen, 
bie  '3)inge  an  fi(^  fo  gu  fef)en,  rcie  fie  finb,  fonbem  ein  SSer^ 
mögen,  fie  fo  ^n  fef)en,  mie  fie  nicf)t  finb;  nid)t  ein  QSer^ 
mögen  ber  (£r!enntni§,  fonbem  ber  Stäufcf)ung. 

2lber  anberS  mirb  bie  (3a(f)e,  rcenn  mir  nicf)t  eine  garbe 
allein,  fonbem  mehrere  färben  nebeneinanber  betrad)ten, 
fie  üoneinanber  nnterfrf)eiben.  Qebe  oon  if)nen  mirb 
bnrc^  anbere,  beftimmte  SBedenlängen  f)erüorgernfen.  ^^n 
Unterfd)ieben  in  ben  färben  entfpred)en  Unterf(i)iebe  in  hm 
Sängen  ber  2it{)erm eilen.  'S)iefe  Unterfcf)iebe  liegen  nic^t 
in  meinem  (5el)oermögen,  fonbern  in  ber  5lugenmelt  be* 
grünbet.  5iJlein  ©el)t)ermögen  bemirft  blo§,  ba§  mir  biefe 
Unterfd)iebe  in  einer  beftimmten  gorm,  ber  ber  garbe,  pm 
^emngtfein  fommen.  2ll§  9Jlittel,  biefe  Unterfdiiebe  p  er* 
fennen,  ift  eä  ein  mir!licf)e§  ®rfenntni§^,  fein  ^änfd)ung§* 
vermögen.  ®iefe  Unterfc^iebe  finb  feine  bloßen  ®rftf)einungen. 
^ag  i(f)  ®rün  unb  9^ot  unb  2Bei§  fe^e,  ba§  ift  in  meinem 
@el)t)ermögen  begrünbet.  ^ilber  ba^  ha§  ©rüne  etma§  anbereS 
ift  al§  ha§  9flote,  ba§  be^engt  eivoa§,  ba§  an^er  mir  liegt, 
mirflic^e  Unterfd^iebe  ber  *3)inge. 

2Iu§erbem  bemirft  aber  hk  ©igenart  meinet  ©el)t)ermögen§, 
ha^  id)  babnrd)  nnr  Schwingungen  be§  Slf^erS  mal)me^me. 
3llle  anberen  (ginmirfungen  ber  ^u^enmelt  auf  micf)  fann 
id)  baburcf)  nid)t  erfennen. 

Sßie  mit  bem  (5el)t)ermögen  im  befonberen  r»erl)ält  e§  fid) 
mit  bem  ©rfenntnisoermögen  im  altgemeinen.  ®§  oermag 
mir  nur  Sftaum*  unb  Qeitoorftellungen  gu  ©ermitteln,  ha§ 
l)ci§t,  nur  jene  33erl)ältniffe  ber  ^inge  an^u^eigen,  bie  9^aum 
unb  ^eitoorftellungen  in  meinem  (5)ef)irn  ^eroorgurufen  im^ 


26  ®ie  etf)i!  ^ant§ 

ftanbe  finb.  Sluf  (Sinbrücfe  anberer  2Irt,  inenu  e§  fo(d)c 
geben  fodte,  reagiert  e§  md)t.  Unb  mein  ©rfenutuigüermögen 
betDirft,  ba§  mir  biefe  ©inbrücfe  in  befonberer  3(rt  gum 
^etüugtfein  fommen.  S^f^fß^n  finb  bie  Kategorien  üon 
9taum  unb  Qeit  in  ber  ^efd)affent)eit  meinet  @rfenntni§= 
t)ermögen§  begrünbet.  5lber  bie  U^erbältniffe  unb  Untere 
fd)iebe  ber  '3)inge  felbft,  bie  mir  burd)  bie  einjelncn  üiaum- 
unb  geitüorfteüungen  ange^^eigt  rcerben,  fo  bag  bie  üerjd)ic^ 
benen  ^inge  mir  gro^  unb  flein,  na!)  unb  entfernt,  früf)er 
ober  fpäter  erfd)einen,  finb  mirflidie  3]er!)ältniffe  unb 
Unterfd)iebe  ber  2Iugenmelt,  fie  merben  nid^t  burdf)  bie  ^rt 
meines  @r!enntni§üermögen§  bebingt. 

Können  mir  alfo  ein  nereinselteg  '3)ing  an  ficf)  nid^t  er= 
fennen,  tft  in  S3e5ie!)ung  barauf  unfer  (£rfenntni§üermögen 
ein  3]ermögen  ber  9lid)ter!enntnig,  fo  fönnen  mir  bod)  mir!^ 
Iid)e  Unterf(i)iebe  ber  ^inge  erfennen.  ®iefe  Unterfcf)iebe 
finb  feine  bloßen  ®rfd)einungen,  menn  auc^  i^re  ^(nfd)auung 
un§  burd)  ©rfc^einungen  vermittelt  mirb;  fie  ejiftieren  au^er 
au§  unb  fönnen  üon  un§  erfannt  merben,  a((erbing§  nur 
in  beftimmten  g^ormen. 

Kant  bagegen  meinte,  bag  nid)t  blog  9^aum  imb  Qeit 
formen  ber  2lnfd)auung  für  un»  finb,  fonbern  ba§  aud) 
bie  9^aum=  unb  gcitunterfd)iebe  ber  (grfd)einungen  blo§ 
au§  unferem  Kopfe  entfpringen,  bag  fie  nid)t§  2öirfltd)e§ 
angeigen.  2öäre  bem  mirflid)  fo,  bann  entfprängen  aud) 
aUe  ©rfd^eimmgen  blo§  aul  unferem  Kopfe,  'da  fie  ade  bie 
gorm  üon  S^laum^  unb  Qeitunterfdjieben  annehmen,  bann 
fönnten  mir  t>on  ber  2S>ett  auger  un§  gar  nichts  miffen, 
nid)t  einmal,  'i^a^i  fie  ejiftiert.  @äbe  e§  bod)  eine  5Be(t  auger 
un§,  bann  bitbete,  bau!  ber  ^beatität  üon  9iaum  unb  Qeit, 
unfer  ©rtenntnisüeimögen  nid)t  etma  einen  uuüoKfommenen, 
einfeitigen  9}led}ani5mu§,  ber  un§  nur  eine  einfeitige  ©r^ 
fenntniS  ber  2£^elt  vermittelt,  fonbern  einen  in  feiner  2(rt 
roHfontmenen  ?3led)ani§mu»,  nämlid)  einen,  bem  nid}t§ 
fe()lt,  um  un§  von  jeber  ©r!enntni§  ber  Sßelt  augjufc^liegen. 


S)Qg  Sittengefe^  27 

2lßerbing§  einen  9Jled)ani§mn§,  auf  ben  ber  D^ame  „(Sr* 
fenntni^üermögen"  pa§t  wie  bie  %au^t  aufg  2(uge. 

^ant  mag  firf)  nocf)  fo  energifrf)  gegen  ben  „mt)ftif(^en" 
3beali§mu§  ^erfelet)§  raenben,  ben  er  burdf)  feinen  „!ritifd)en" 
3beali§mu§  §u  Derbrängen  bad)te.  Seine  ^ritif  nimmt  eine 
2ßenbung  an,  bie  feine  eigenen  93orau§fe^ungen  auff)ebt, 
bag  bie  $öelt  mirflid)  fei  unb  nur  burd)  ®rfaf)rung  erfannt 
werben  fönne,  unb  öffnet  bem  auf  ber  einen  (Seite  {)inau§* 
gemorfenen  SJlriftijiSmug  auf  ber  anberen  eine  meite  SlriumpB)* 
Pforte,  burcf)  meiere  biefer  bann  aud)  mit  ^ofaunenfc^aU 
mieber  eingießt. 

2.  Das  Sittengefe^. 

^ant  mar  baron  ausgegangen,  ha^  hk  2Belt  mir!(i(^ 
ixu^er  un§,  nid)t  btog  in  imferem  ^opfe  beftef)t,  unb  'i)a^ 
ifire  ®r!enntni§  nur  auf  ©runblage  ber  ®rfaf)mng  ge* 
monnen  merben  fann.  ©eine  pf)ilofop!)ifd)e  %at  foüte  bie 
Unterfud)ung  ber  Sebingungen  ber  ®rfa!)rung,  ber  ©renken 
unferer  ©rfenntniS  fein.  Slber  gerabe  biefe  Unterfud)ung 
mürbe  x^m  gum  Sprungbrett,  fid)  über  biefe  ©renken  E)inau§ 
gu  er!)eben  unb  eine  unerfennbare  2ßelt  §u  entbecfen,  t»on 
ber  er  genau  erfannte,  ha^  fie  gang  anberer  2lrt,  al§  bie 
3ßelt  unferer  ®rfd)einungen,  ha^  fie  üöUig  raumloS  unb 
geitlo§  unb  bamit  aud^  urfad)lo§  fei. 

Sßogu  aber  biefe§  ^al§bred)erifd)e  ©alto  mortale  über  bie 
©renken  ber  @r!enntni§  I)inau§,  ba§  i^n  aßen  feften  ^oben 
unter  h^n  gü^en  nerlieren  Iie§?  ^er  ©runb  !onnte  fein 
Iogifd)er  fein,  benn  gerabe  burc^  biefen  ©prung  geriet  er  in 
2ßiberfprüd)e,  hk  feine  eigenen  5Iu§gang§pun!te  aufhoben. 
6r  mar  ein  !)iftorifd)er,  ber  in  if)m  ha§  ^ebürfnig  nad)  ber 
2tnnaf)me  einer  überfinnlid)en  2ßelt  ermedte,  h^m  er  um 
jeben  ^rci»  genügen  mugte. 

2ßar  im  afi)^^l)nt^n  Qaf)rf)unbert  granfreid)  um  ]f)unbert 
J5af)re  f)inter®ngtanb  gurüd,  fo  ebenfot)iet^eutfd)Ianb  f)inter 
granfreid).  SGßenn  hk  engtifd)e  ^ourgeoifie  be§  5Dlateria* 
li§mu§  nid)t  me^r  beburfte,  ha  fie  o^ne  if)n,  auf  religiöfer 


28  2)ie  (Stfiif  tant0 

©runblage,  mit  ber  feubalabfotutiftifd^eu  ©taatSgeroalt  unb 
tf)rer  ^ird)e  fertig  geraorben  rcar,  fo  fül)Ite  fi(^  bie  beutf(i)e 
SSourgeoifte  nod^  nic^t  ftart  genug,  offen  ben  ^ampf  gegen 
biefe  ©taatSgeraalt  unb  if)re  ^ird)e  auf5une()men.  ©ie  fdEirecfte 
baf)er  aud)  t»or  bem  9Jlateriali§mu§  prüd.  tiefer  fam  im 
Qd)t§ef)nten  ^a!)r^unbevt  nad^  ^eutfd)Ianb  mie  nac^  ^u^^ 
lanb  ni(i)t  al§  ^l^ilofop^ie  be§  Stampfe!,  fonbem  be§  (55e* 
nuffe§,  in  feiner  ben  SBebürfniffen  be§  „aufgegärten"  "iiDefpo^ 
ti§mu§  angepaßten  Jorm.  @r  mucf)§  an  ben  fürftli(^en  §üfen 
unmittelbar  neben  ber  befd)ränfteften  Ortl)oboine  empor,  ^m 
Bürgertum  aber  blieb  felbft  bei  feinen  !ül)nften  unb  un* 
abl)ängigften  3Sorfämpfern  in  ber  Siegel  ein  Üieft  rf)riftlid)en 
S8erou§tfein§  übrig,  ben  fie  nic^t  lo§  mürben. 

^a§  l)ättt  ben  beutfd^en  ^l)ilofop^en  bie  englifcl)e  ^l)ilo^ 
fopl)ie  ft)mpatl)if(J)  machen  muffen.  3luf  ^ant  ixbU  fie  aud) 
tatfäcl)li(^  großen  ©influß.  Qd)  erinnere  mic^  nid^t,  Wi  il)m 
irgenbrao  einen  fran§öfifd)en  5iHaterialiften  be§  acl)tje^nten 
^al)rl)unbert§  namentlich)  ermähnt gef unben  p ^aben.  *3)agegen 
jitiert  er  mit  QSorliebe  ©nglänber  au§  bem  fiebjel)nten  unb 
ad)t5el)nten  Qal)rl)unbert,  Sode,  §ume,  33erfeler),  ^rieftlet). 

5lber  gmifd)en  ber  beutfd)en  unb  ber  englifd)en  ^l)ilofopl)ie 
beftanb  bod)  ein  großer  Unterfd^ieb.  %k  ©nglänber  pl)ilo* 
fopl)ierten  in  einer  Qeit  rafd)eften  praftifc^en  2(uffd)mung§, 
großer  pra!tifd)er  kämpfe,  "^ie  ^raji^  nal)m  il)re  ganzen 
@eifte§!räfte  gefangen;  audl)  i^re  ^l)ilofop^ie  mürbe  gang 
Don  pra!tifd)en  (5Jefid)t§pun!ten  belieu'fc^t.  Jjlire  ^l)ilofopl)en 
maren  größer  burd^  il)re  Seiftungen  in  ber  Ofonomie,  ber 
^olitif,  ber  Diaturf orfd)ung  al§  in  ber  ^l)ilofopl)ie. 

'3)ie  beutfd)en  Genfer  fanben  feine  ^ra^nS,  bie  fie  ^ätU 
l)inbern  fönnen,  il)re  gange  SDenffraft  auf  bie  tiefften  unb 
abftrafteften  Probleme  ber  2Biffenfd)aft  gu  fongentrieren.  ©ie 
l)atten  ba^er  barin  it)re§gleid)en  nid)t  außerl)alb  '3)eutfdl)5 
lanb^.  ®a§  berul)te  nid)t  auf  irgenbeiner  germanifc^en 
S^laffeneigenfi^aft,  fonbern  auf  ben  Q^^^^^^'P^t^ifK"-  3^ 
fec^jel)nten  unb  ben  erften  beiben  dritteln  be§  fiebge^nten 


2)a§  ©tttengefetl  29 

;3af)rf)unbert§  fanb  man  bie  tiefften  p!)iIofop^ifc^en  Genfer 
in  Italien,  granfreid^,  §oIlanb,  ©nglanb,  nic^t  in  ^eutfd^- 
lanb.  (£rft  ba§  politifc^e  ©tilleben  in  bem  Qaf)r^unbert 
nad)  bem  breigigjäf)rigen  Kriege  füf)rte  ba§  Öbergemii^t 
^entfd)Ianb§  in  bcr  ^^iIofopf)ie  f)erbei,  fomie  ba§  9JZarjfd)e 
„Kapital"  ber  DieaftionSperiobe  nacE)  1848  entflammt. 

©inen  ^ant  t)ermotf)te,  tro^  feiner  ©t)mpat^ie  für  bie 
©nglänber,  beren  ^^iIofopf)ie  ni(i)t  ^u  befriebigen.  ©r  ftanb 
if)r  ebenfo  frittfd)  gegenüber  rcie  bem  9Jlateriali§mu§. 

3Ilä  fcf)n)äd)fter  ^nnft  mu^te  i^m  aber  f)ier  rcie  bort  bie 
©tl)i!  entgegentreten.  (S§  erfc^ien  if)m  gan^  nnmöglid^, 
ba§  (Sittengefe^  mit  ber  S^Zatur,  ba§  ^ei^t  ber  „2Belt  ber 
(£rfrf)einnngen"  in  einen  notraenbigen  ^^f^^^^^^^^Ö  8^ 
bringen,  "^^effen  ©rflärnng  bebnrfte  einer  anberen  SCßelt, 
einer  ranm*  nnb  geitlofen  2ßelt  be^  reinen  ®eifte§,  einer 
SCßelt  ber  grei{)eit  im  ^egenfa^  gn  ber  SOßelt  ber  (£rf(i)ei* 
nnngen,  bie  von  ber  notmenbigen  33er!ettnng  von  Urfadien 
unb  Sßirfungen  be^errfd)t  mirb.  2lnbererfeit§  aber  mußten 
bie  (^riftlid)en  ©mpfinbungen  in  if)m,  bem  pietiftifd)  (Sr= 
gogenen,  anc^  ha^  SebürfniS  nad^  ber  ^nerfcnnung  einer 
Sßßelt  ermecfen,  in  ber  ©ott  nnb  Unfterblic^feit  möglid) 
jöaren.^  ^a  er  s^igeben  mn^te,  ba§  ^ott  nnb  Unfterb(id)* 
{eit  in  ber  2ßelt  unferer  ©rfa^rnng  üöHig  überflüffig  feien, 

^  2110  ^uriofum  fei  "^ier  üei^eic^net,  ha^  man  53ernftcin0  SÖi^iüort: 
„Äant  voihtx  (£ant",  bie  2at]acf)e  gegenüber^alten  fann,  ha^  ^ont  felbft 
^ant  trat.  —  „©eine  SJoreltern  ftommten  au§  ©c^ottlanb.  .  .  .  S)er 
SSater,  feinet  ^ää:}2n§  ein  ©attler,  führte  nocf)  in  feinem  DIamen  bie 
fcf)ottifc^e  (Schreibart  (Sant;  erft  unfer  ^fjilofopf)  änberte  zeitig  ben  2ln= 
fongSbud^ftaben,  um  bie  falfc^e  Stu^fprac^e  be§  Df^amen^  (3o^t)  3U  ber* 
meiben."  (Äuno  ^if^er,  S)ie  ©efc^ic^te  ber  neueren  ^^f)ilofop^ie,  III, 
©.  52.)  ©eine  ^amilie  mar  ftreng  pietiftifc^,  unb  biefe  (5inmir!ung  f)at 
Äant  nie  übermunben.  9^icf)t  minber  mie  ^ant  fte^t  aber  and)  bcr 
„dant"  in  SSe^ie^ung  jur  |)uritani|cf)en  ^^i-'ömmelei.  2)a§  SSort  be^eidinet 
bie  puritanifc^e  ©ingmeife,  bann  bie  puritanifd^e,  religiöfe  unb  fc^Iic^Iic^ 
iebe  gemot)n^eit§mäBig,  gebanfcntoä  mieberf)oIte  ^^rafe,  ber  man  fic^ 
untermirft,  Semftein  rief  in  feinen  „^oraugfe^ungen"  nac^  einem  5\ant 
alä  -Reifer  gegen  ben  materialiftifdEjen  „^^artei-Sant". 


30  2)ic  etf)i!  Äant§ 

muf3te  er  für  fie  nad)  einer  SDßelt  jenfeitg  ber  ©rfa^rung 
fiid)en,  unb  ha  entfprad)  bie  räum*  unb  jeitlofe  2öelt  ber 
^iuöe  an  ficf),  bie  „intelligible  Sßclt",  feinen  33ebiirfniffen 
auf§  t)ü((!ommenfte. 

'3)en  beftcn  33eraei§  für  ba§  33orf)anbenfein  t)on  (55ott  unb 
Unfterbüc^feit  in  biefer  2ßelt  be§  :3enfeitg  fcl)öpfte  aber  Üant 
aug  bem  (Sittengefe^.  ©o  finben  n)ir  bei  i^m  rcieber  rcie 
bei  $Iato,  ba§  bie  3(b(ef)nung  ber  naturaliftifd)en  (Srüärung 
be^  ©ittengefe^eg  unb  bie  5{nnal)nie  einer  befonberen  ©eifter* 
loelt  ober,  rcenn  man  lieber  mi((,  ©eiftelmelt,  fitf)  gegen- 
feitig  ftü^en  unb  notmenbig  machen. 

2ßie  üermag  e§  aber  ^ant,  meitere  (Sinblirfe  in  biefe 
©eifteSmelt  gu  geminnen?  *3)ie  ^ritif  ber  reinen  3Semunft 
ermöglid)te  e§  i{)m  blog,  t)on  il^r  auS^ufagen,  bag  fie  räum* 
unb  geitlog  fei.  9lun  gilt  e§,  biefe  Oiaumlofigfeit  mit  einem 
Qnl)alt  ju  erfüKen.    2lu(i)  bafür  meig  ^ant  ^at 

^ie  unerfennbare  SSelt  ber  ^inge  an  fiel)  mirb  rcenigften§ 
gum  ^eil  erlennbar,  menn  e§  gelingt,  eine§  ^ingeg  an  ftd) 
l)abl)aft  SU  merben.  Unb  ein  folcl)e§  finben  mir  bei  ^ant. 
®g  ift  bie  ^erfönlicl)!eit  be§  9Jlenfd)en.  Qrf)  bin  für 
mid)  gleid)§eitig  (£rfd)einung  unb  ^ing  an  fi(^.  S[Reinc 
reine  33ernunft  ift  ein  ^ing  an  ftd).  5ll§  Steil  ber  ©innen* 
melt  hin  id)  ber  ^ette  üon  Urfad)e  unb  Sßßirfung,  alfo  ber 
9lotmenbig!eit  untermorfen,  alB  '^ing  an  fid)  bin  id)  frei, 
ba§  bei^t,  merben  meine  §anblungen  nid)t  hnxd)  bie  Ur* 
fad)en  ber  ©innenraelt  beftimmt,  fonbern  bur^  ba§  in  mir 
mo^nenbe  8ittengefe^,  ba§  an§  ber  reinen  3Sernunft  flammt 
unb  mir  nic^t  prüft:  „^u  mu^t'',  fonbern  „%n  follft". 
'3)iefe§  ©ollen  märe  aber  ein  Unbing,  rcenn  il)m  nid)t  ein 
können  entfpräd)e,  menn  ic^  nid)t  frei  märe. 

*3)ie  fittlid)e  3=reil)eit  be§  5D^enfd)en  ift  freilid)  ein  oer* 
gmidte§  ^ing.  ©ie  bringt  nid)t  minbere  2öiberfprüd)e  mit 
fid)  mie  bie  ^«^^fi^ilät  üon  Q^it  unb  Üiaum.  '3)enn  biefe 
greif)eit  äu^^ert  fid)  in  §anblungen,  bie  ber  2Belt  ber  ®r* 
fd)einungen   angel)ören,   al§  fold)e   aber  in  bie  ^ette  oon 


2)a§  ©ittengefc^  31 

llrfad)e  unb  äöirhmg  fafleu,  nottnenbige  ftnb.  '3)tefelben 
§anblungen  ftnb  alfo  gteid)5eittg  frei  unb  notraenbig.  Über* 
^k§>  aber  entflammt  biegrei[)eit  ber  ^eitlofeu  „intedigiblen" 
^dt,  Urfai^e  unb  SOßirfung  bagegen  faden  ftet§  in  einen  be* 
ftimmten  Qeitraum.  '3)iefe(be  ^eitliif)  beftimmte  §anblung 
^at  alfo  fon)o!)(  eine  geitlofe  raie  eine  jeitUd)  beftimmte  Urfacfje. 

2BeId)e^  ift  aber  nun  'üai  ©ittengefe^,  baä  au§  jener 
^Bclt  ber  ^inge  an  firf),  ber  ,,3Serftanbeln)elt",  in  bie  2ßelt 
ber  (£rf(i)einungen,  bie  „©innenmelt"  f)inübern)irft  unh  ficJ) 
biefe  unterrairft?  ^a  e^  au§  ber  3]erftanbe^n)elt  ftammt, 
fann  and)  fein  33eftimmung5grunb  (ebigtii^  in  ber  reinen 
33ernunft  liegen.  @§  fann  nur  rein  formaler  Statur  fein; 
benn  e§  mu&  tJöHig  frei  bleiben  t)on  jeber  ^esiel)ung  gur 
Sinnenmelt,  ha§  fofort  ein  33erf)ältnig  von  Urfacfje  unb 
äßirfung  f)ineinbräcf)te,  einen  ^eftimmungsgrunb  bes  2ßi(Ien§, 
ber  feine  grei^eit  auff)öbe. 

„(S§  ift  aber/'  fagt  ^ant  in  feiner  ^ritit  ber  pra!tifd)en  Vernunft, 
„au^er  ber  SJIaterie  be§  ®efe^e§  nicf)t§  weiter  in  bemfelben,  al§ 
bie  gefe^gebenbe  ^-orm  entf)alten.  Sllfo  ift  bie  gefe^gebenbe  g^orm, 
fofem  fie  in  ber  aj?aj:ime  entt)alten  ift,  ba§  einzige,  xva§  einen 
93eftimmung§grunb  be§  freien  2öitlen§  ausmachen  tamx." 

•S^arauä  frf)Iie§t  er  folgenbe§  „©runbgefe^  ber  reinen 
praftifd)en  33ernunft" : 

„§anbte  fo,  ba^  bie  nTiajime  beine§  3Bi£(en§  jeberjeit  gugteirf) 
at§  ''^rinjip  einer  allgemeinen  ©efe^gebung  gelten  fönnte." 

Überrafdjenb  neu  ift  biefer  „©runbfa^"  nid)t.  @r  bilbet 
nur  bie  pl)ilofop^ifd)e  Öberfe^ung  be§  alten  (5prüd)lein§: 
90Ba^  bu  nirf)t  millft,  ba§  bir  gefd)icl)t,  ba§  tu  aud)  feinem 
anbern  nicl)t.  D^^eu  ift  baran  blo§  bie  ©rflärung,  bag  bieg 
©prüd)leln  bie  Offenbarung  einer  intelligiblen  2ßelt  bilbe; 
eine  Offenbarung,  bie  mit  bem  größten  ^tufrcanb  pl)ilo5 
fopl)ifcl)en  2ieffinn§  alg  ein  ^runbfa^  ^n  entbed'en  mar,  ber 
nid)t  blog  für  bie  5[Renfd)en  gilt,  „fonbern  auf  alle  enb* 
lid)en  SCßefen  ge^t,  bie  33ernunft  unb  ^Killen  tjaben,  ja  fogar 
ha§  unenblid)e  2öefen  al§  oberfte  Q^teHigenj  einfd)liegt". 


32  2)ie  (Et[)i!  5lant§ 

Selber  ^at  bie  ^egrünbung  btefe§,  audE)  für  bie  „oberfte 
:3nte[ligen5"  gültigen  G^runbfa^eg  ein  bebenflicf)e§  Sod)  auf^ 
jurceifen.  ®r  foU  „xmabf)ängig  fein  üon  aUen  jur  ©tnnem 
rcelt  gef)örigen  Sebingungen",  aber  ba§  ift  Ieid)ter  gefagt, 
al§  erfüllt,  ©orcenig  e§  möglich  ift,  unter  ber  Suftpumpe 
einen  üöHig  luftleeren  ütaum  §u  fcl)affen;  n)ie  er  immer 
Suft  entl)alten  mu§,  lüenn  aud)  t>ielleidt)t  in  fo  üerbünntem 
5[Rage,  ha^  fie  für  un§  ni(^t  me^r  erfennbar  tüirb,  fo  ift 
e§  QU(^  unmöglich,  einen  ©ebanfen  ju  faffen,  ber  unab* 
l^ängig  ift  üon  allen  pr  ©innenraelt  ge!)öingen  ^ebingungen. 
Sind)  ba§  ©ittengefe^  entgel)t  nid^t  biefem  ©d)i(ffal. 

©d^on  ber  begriff  be§  ©ittengefe^e§  fd)lie§t  ^ebingungen 
ein,  bie  ber  ©innenrcelt  angel)ören.  (£§  ift  nid^t  ein  (55efe^ 
be§  „reinen  2ßtllen§"  an  fidl),  fonbern  ein  ©efe^  ber  Se= 
ftimmung  meinet  2Ößollen§  gegenüber  meinen  5fJlitmenfd^cn. 
®§  fe^t  biefe  t)orau§;  für  mid)  aber  finb  fie  „®r|d£)einungen", 
Steile  ber  ©innenroelt. 

^od)  mel)r  fe^t  aber  bie  gaffung  be§  ©ittengefe^e§  felbft 
t)orau§:  „§anble  fo,  bag  bie  SJlajime  beine§  2öillen§  jeber' 
geit  sugleidl)  al§  ^rinjip  einer  allgemetnen  ©efe^gebung 
gelten  fönne."  ^ie§  fe^t  nid)t  blog  50^enfdl)en  au^er  mir 
t)orau§,  fonbern  audl)  nodl)  hen  SOßunfrf),  ba§  ftc^  biefe  TlxU 
menfd)en  in  beftimmter  2öeife  benel)men.  @ie  f ollen  ebenfo 
I)anbeln,  mie  ba§  Sittengefe^  mir  gu  Rubeln  Dorfd^reibt. 

®§  mirb  l)ier  nid)t  blo§  bie  ©efellf(i)aft,  fonbern  audl) 
fdE)on  ein  beftimmter  (55efellfdl)aft§guftanb  al^  möglidi) 
unb  n:)ünfdl)bar  t)orau§gefe^t. 

^a^  tatfäd)lid£)  ba§  ^ebürfni§  nadE)  einem  fold)en  im 
©runbe  feiner  „pra!tifdl)en  S^ernunft"  verborgen  ift  unb 
fein  räum*  unb  geitlofeg  ©ittengefe^  beftimmt,  ba§  rerrät 
^ant  einmal  felbft  in  feiner  „^ritif  ber  pra!tifdl)en  3Ser= 
nunft''  bei  einer  ^olemi!  gegen  bk  2lbleitung  be§  ©itten^ 
gefe^eg  au§  ber  Suft: 

„@§  ift  raunberlidt),  rote,  ha  bie  SScgierbe  jur  ®lüdfclig!eit, 
mithin  aud)  bie  SJiajime,  baburd)  fiel)  jeber  biefe  le^tere  gum 


2)a0  ©ittcngefeb  33 

SSeftimmungggrunb  feinet  SßiHenS  fe^t,  aCIgemein  ift  e§  oer^ 
ftänbigen  ^D^ännern  ^at  in  t><in  Sinn  tommen  fönnen,  ei  barum 
für  ein  allgemein  praftifd)e§  @efe§  aug^ugeben.  ®enn  ha  fonft 
ein  a(Igenteine§  9^aturgefe^  atleg  einftimmig  marf)t,  fo  roürbe 
f)ier,  rcenn  man  ber  a}laj:ime  bie  3Iügemeinf)eit  eine§  ©efe^ei 
^eben  raoüte,  gerabe  ba§  du^erfte  ^Öiberfpiel  ber  ©inftint; 
mung,  ber  ärgfte  Sßiberftreit  unb  bie  gänjlic^e  5^ernirf)tung  ber 
^Jf^ajime  felbft  unb  i^rer  ^6firf)t  erfolgen.  ®enn  ber  Söille 
aller  ^at  bann  nid^t  ein  unb  baSfelbe  Dbjett,  fonbern  ein  jeber 
i)at  ba§  feinige  (fein  eigene^  2öof)tbef)agen),  raeld)e§  fid)  ^rcar 
gufötligernjeife  aud)  mit  anberer  i{)ren  ^^bficf)ten,  bie  fie  gteicf); 
faü§  auf  fid)  felbft  rid)ten,  ©ertragen  !ann,  aber  lange  nid)t 
§um  @efe^  i)inreic^enb  ift,  raeil  bie  5lu§nal)men,  hh  man  ge^ 
legentlid)  ju  mad^en  befugt  ift,  enbIo§  finb  unb  gar  nid)t  bt- 
ftimmt  in  eine  artgemeine  D^egel  gefaxt  merben  fönnen.  @§ 
fommt  auf  biefe  2Irt  eine  i2>'i^'^ttonie  f)erau§,  bie  berjenigen 
ö^nlid)  tft,  tüe(d)e  ein  geraiffeg  ©pottgebidit  auf  bie  ©eelen^ 
eintrad)t  jmeier  fid)  jugrunbe  rid)tenben  ©fjeleute  fd)itbert:  O 
tüunbernotte  6^armonie,  wa§  er  roiö;  raill  au^  fie."  (ed.  ^ird)- 
mann,  1869,  @.  31.) 

5(Ifo  bie  Suft  barf  beiraegen  nid)t  eine  SfJlajime  fein,  bie 
jum  ^rin^ip  einer  allgemeinen  (55efe^gebimg  taugt,  raeil  fic 
fo^iale  ®i§f)armomen  hervorrufen  !ann.  'S)a§  (3ittengefel5 
C)at  bemnac^  eine  ^armomfd)e  (^efeKfd)aft  ^u  fd)affen.  Unb 
eine  fold)e  mu^  möglich  fein,  fonft  raäre  ei  bod)  raiberfinnig, 
fie  fd)affen  gu  rcotten. 

^a§  ^antfd)e  ©ittengefe^  fe^t  alfo  eine  !)armonifd)e  ©e- 
fe((fcf)aft  ali  n)ünfd)bar  unb  aud)  ali  möglid)  t)orau§.  (S» 
•fe^t  aber  aud)  norau»,  bag  ba§  ©ittengefe^  ha^  9Hittel  ift, 
eine  berartige  @efeüfd)aft  ju  fd)affen,  bag  biefei  Oiefuttat 
erjielt  roerben  fann  burd)  eine  9iegel,  bie  ba§  einzelne  Qn= 
t)ir)ibuum  fid)  fetbft  fe^t.  ^an  fief)t,  raie  grünblid)  Rant 
fid)  täufd)t,  inenn  er  meint,  fein  ©ittengefe^  fei  unabf)ängig 
von  aäm  jur  Sinnenmelt  geprigen  ^^ebingungen  unb  bilbe 
ia^er  einen  (^runbfa^,  ber  für  aCIe  räum*  nnh  ^eitlofen 
<Seifter  gelte,  inbegriffen  ben  lieben  öevrgott  felber. 

fiout^fg,  @t^t£  unb  materiaUftti(^e  @efc^i(i)t5auffaifung.  3 


34  3)ic  am  .^cint0 

Qu  30ßtrfrid)feit  ift  ha§  ^antfcf)e  Sitteugcfetj  ba§  ©rgcbni^ 
fef)r  foufreter  gefe((fcf)aftUrf)cr  ^Bebürfniffe.  92atürlid),  ha  e§ 
bem  2ßun]rf)c  nacf)  einer  f)armontfd)en  @efe((fcf)aft  entfpringt 
fann  man  au§  il)m  anc^  ba§  Qbeal  einer  f)armonifd)en  ©e* 
fellfc^aft  ableiten,  nnb  fo  ^at  man  e§  fertig  gebrad)t,  ^ant 
gn  einem  ^cgrünber  bc§  Sozialismus  gu  ftempeln.  (Sol)en 
rciber^ott  ha§  au6)  mieber  in  feinem  jüngftcn  2öerle,  ber 
„et^if  be§  reinen  2ßiaen§"  (1905).  ^n  2Birfacl)!eit  aber 
fte^t  ^ant  bem  ©o^ialiSmug  t)iel  ferner  al§  ber  fran3Öfifcl)e 
?0^ateriali§mu§  be§  acl)t5el)nten  Q^^^'^)^^^'^^^^^^-  2ßäl)renb 
bei  biefem  bie  Sittlicl)!eit  burd^  ben  Quftanb  von  ©taat 
unb  (5^efellfcl)aft  bebingt  mürbe,  fo  ba^  bie  S^teform  ber 
(Sittlicf)!eit  bie  9leform  üon  (Btaat  unb  (S5efellfcl)aft  t)or* 
au§fe^te,  ber  ^ampf  gegen  ha§  Safter  fid)  gu  einem  Kampfe 
gegen  bie  l)errfrf)enben  ©emalten  erweiterte,  mirb  bei  ^ant 
bie  im  Üiaume  unb  ber  Qeit  befinblicl)e  @efellfcl)aft  beftimmt 
burdf)  ba§  auger  allem  Flaume  unb  aller  Qeit  ftel)enbe 
©ittengefe^,  ba§  feine  gorberungen  an  ben  einzelnen  ftellt^ 
ni(i)t  an  bie  ©efellfd^aft.  ^ft  bie  @ittlid)!eit  be§  einzelnen 
unroUfommen,  fo  barf  man  bie  (Scl)ulb  haxan  nicl)t  bei 
©taat  unb  G5efe(lfc^aft  fuc^en,  fonbern  in  bem  Umftanb, 
bag  ber  3Jlenfcf)  nic^t  ganj  ®ngel,  fonbern  l^alb  Stier  ift 
unb  burd)  feine  tierifd)e  D^atur  immer  mieber  l)erabgejogen 
mirb,  roogegen  er  nur  burd)  innere  ®rl)ebung  unb  Läuterung 
anfämpfen  fann.  ^er  einzelne  mu§  fid)  felbft  beffern,  foll 
bie  (S5efetlfd)aft  beffer  raerben. 

5D^an  ftel)t,  ber  ©03iali§mu§  nimmt  eigenartige  g^ormen 
an,  raenn  man  ^ant  al§  feinen  33egrünber  anftel)t.  ^iefe 
©igenartigfeit  mirb  nid)t  gemilbert,  menn  man  hk  meitere 
©ntroicflung  be§  @ittengefe^e§  bei  i^m  betrachtet.  5(u§  bem 
©ittengefe^  entipringt  ba§  33en)u§tfein  ber '$erfi3nlid)feit 
unb  Söürbe  be§  9Jlenfd)en  unb  ber  ©a^: 

„^onble  fo,  t>a^  bu  tk  9D^enfc^l)eit,  foit)ol)l  in  betner  ^erfon 
al§  in  ber  ^erfon  eine§  jeben  anbeten  jeber^eit  §ugleid)  al§ 
Qwtd,  niemalg  blo^  al§  9iJiittel  gebrauc^ft." 


3)aä  «Stttcngefe^  35 

„^n  biefen  Sorten/'  fagt  (Sofien  (a.  a.  D.  S.  303,  304),  „tft 
ber  tteffte  unb  m(tcf)ttgfte  Sinn  be§  fategonfrf)en  ^mperatiog 
auSgefprocF)en;  fie  entf)alten  ba§  fittlid)e  Programm  ber  neuen 
3eit  unb  alter  ßufunft  ber  2öeltgefd)i(i)te.  .  .  .  '^iz  ^bee 
be§  ßroecfcorjugS  ber  SRenfd)f)eit  rcirb  baburcf)  ^ur  ^bee  be§ 
©03iali§mu§,  ha^  jeber  äRenfrf)  a(g  ©nb^rcecf,  ai§  Selbftjrcec! 
befiniert  rairb." 

^a§  Programm  „aflet  gufunft  ber  3öeltgef(^ttf)te"  rcirb 
^ier  etraa§  eng  gefaxt.  "laä  „^eitlofe''  Sittengeje^,  bag  ber 
9J]enfd)  jeber§e{t  Qtoecf,  nid)t  bloB  ^itUi  fein  foü,  f)at  felbft 
nur  einen  giüecf  in  einer  ©efetlfd)aft,  in  ber  90^enftf)en  von 
anberen  9j^enf(i)en  als  bloge  ^ittd  gebraurf)t  rcerben  fönnen. 
Qu  einer  fo mmunifti jd)en  @efe(Ifd)aft  fällt  biefe  9JlcigIid)!eit 
unb  bamit  bie  D^otu) enbigf eit  be§  ^antfc^en  Programms 
„aller  Qufunft  ber  9Se{tgefrf)id)te"  fort.  2Ba§  rcirb  aber  bann 
au§  biefer?  20ßir  f)aben  banarf)  in  ber  g^i^i^^^ft  entioeber 
feinen  Sozialismus  ober  feine  2öeltgefd)id)te  p  errcarten. 

^as  ^antfd)e  (Sittengefe^  rcar  ber  ^roteft  gegen  bie  fe^r 
fonfrete  feubale  ©efelljcl)aft  mit  if)ren  perfünlidl}en  5lb* 
f)ängig!eit§oerl)ältni|fen.  ^er  angeblich  „fo^ialiftifdlie"  ©a^, 
ber  bie  '$crfbnlid)feit  unb  äöürbe  bes  5Jlenfcf)en  feftftellt,  ift 
benn  auc^  mit  bem  Siberalismuä  ober  2(narcf)ismu§  ebenfo 
Dcrträglid)  wie  mit  hem  Sozialismus,  unb  enthält  ebenfo* 
menig  einen  neuen  ©ebanfen  mie  ber  oben  zitierte  t)on  ber  all* 
gemeinen  ©efe^gebung.  @r  bebeutet  bie  pl)ilofopl)ifcf)e  gormu« 
lierung  ber  ^bee  ber  „^reilieit,  @leirf)^eit  unb  ^rüberlicf)* 
feit",  bie  fd)on  Diouffeau  entmicfelte,  bie  übrigeng  bereits  im 
llrd)riftentum  ju  finben  mar.  ^antifrf)  ift  aud)  l)ier  blo§  bie 
befonbere  gorm  ber  SSegrünbung  biefeS  @a^eS. 

^ie  ^Bürbe  ber  ^^erfönlidifeit  beS  5!J^enfcf)en  mirb  nämlic^ 
barauS  abgeleitet,  ba§  er  zin  Stücf  einer  überfinnlid)en 
2Be(t  ift,  ba§  er  als  moralifcf)eS  Sßefen  au^er  ber  D^atur 
unb  über  ber  D^atur  ftef)t.  ^ie  $erfi3nlicf)feit  ift  „bie  grei* 
r)eit  unb  llnabl)ängigfeit  oon  bem  SJiec^aniSmuS  ber  ganzen 
3^atur",  fo  ba§  „bie  '^erfon,  alS  zur  Sinnenmelt  gel)örig. 


36  S)ic  (Stijif  ^ant?^ 

xi)xex  eigenen  ^erfönUd)!eit  unterraorfen  ift,  fofern  fie  ^u^ 
gleid)  jur  intedigiblen  Sßelt  gef)ört".  ^a  ift  e§  benn  nid)t 
gu  üerraunbern,  „wenn  ber  SO^enfcf),  at§  gu  beiben  Sßelten 
gehörig,  fein  eigene^  2ßefen,  in  ^egie^ung  auf  feine  gineite 
unh  l)örf)fte  53eftiTnmung,  nid^t  Qnber§  al§  mit  3]ere^rung 
unb  bie  (^efe^e  berfelben  mit  ber  ^ö(i)ften  2Id)tung  betrad)ten 
mufj."    (31.  a.  D.  ©.  104,  105.) 

'3)amit  mären  mir  glüdlid)  lüieber  bei  ber  alten  d^rift- 
Iid)en  ^egrünbung  ber  @(cid)^eit  aller  3DRenfrf)en  angelangt, 
bie  barau§  entf priesen  fod,  baß  mir  ade  Slinber  ©otteä  finb. 

3.  freijjeit  und  üottDendigUeit. 

3nbe§,  fo  fe!)r  mir  bie  Slnna^me  ber  beiben  SCßelten  ah- 
lel)nen  muffen,  benen  nac^  ^^lato  unb  ^ant  ber  SJienfd) 
juget)ört,  fo  ift  e§  hod)  rid)tig,  ha^  ber  SDIenfc^  gleicf)3eitig  in 
graei  t)erfd)iebenen  Sßelten  lebt  unb  ba§  ©ittengefe^  in  ber 
einen  von  iljuen  mol)nt,  bie  nidjt  bie  2Belt  ber  (£rfa{)rutig  ift. 
3(ber  tro^bem  ift  aud)  biefe  anbere  Sßßett  feine  überfinnlid^e. 

^ie  beiben  SOßetten,  in  benen  ber  9Jienfd)  lebt,  finb  bie 
ber  3Sergangenl)eit  unb  bie  ber^^^unft.  ^ie  (^egen* 
mart  bilbet  bie  ©ren^e  beiber.  (Seine  gan^e  (£rfal)rung  liegt 
in  ber  3Sergangen^eit,  aUe  ©rfa^rung  ift  vergangen.  Unb  alte 
gufammen^änge,  bie  i^m  bie  vergangene  (Srfal)rung  aufmeift, 
liegen  mit  unabmenbbarer  D^otmenbigfeit  vor  il)m  ober  üiel= 
mel)r  hinter  xi)xn.  2ln  ilinen  lägt  fid)  nid)t  ba§  minbefte  mel)r 
änbern,  er  vermag  il)nen  gegenüber  ni^t»  mel)r,  al§  il)re 
S^lotmenbigfeit  erfennen.  ©o  ift  bie  2öelt  ber  ®rfal)rung,  bie 
2D3elt  be§  ^r!ennen§,  aud)  bie  SOßelt  ber  DZotmenbigfeit. 

3lnber§  bagegen  bie  ^ufunft.  3Son  xi)x  l)abe  xd}  nid)t  bie 
minbefte  (£rfal)rung.  2lnfd)einenb  frei  liegt  fie  vor  mir,  al§ 
bie  2ßelt,  bie  id^  nid^t  al§  ©rfennenber  erforfd)en,  in  ber 
ic£)  mid)  aber  al§  §anbelnber  gu  bel)aupten  l)abe.  2Bol)l 
fann  id}  bie  (£rfal)rungcn  ber  33ergangenl)eit  in  bie  Qulunft 
verlängern,  mo^l  fann  id)  fd)liegen,  ha^  biefe  ebenfo  not^ 
menbig  bebingt  fei  mie  jene;  aber  fann  id)  nur  imter  ber 


^rcifieit  unb  9?ottüenbigfeit  37 

^orauSfe^ung  ber  D^otnjenbigfeit  bie  2öelt  erfennen,  fo  tcerbe 
i(i)  in  i^r  nur  ^anbeln  unter  ber  3Sorau§fe^ung  einer  gerciffen 
3retf)eit.  2lu(^  raenn  ein  Qraang  auf  mein  §anbeln  an§- 
geübt  rairb,  bleibt  mir  bie  Sßal)!,  ob  id)  micf)  il)m  fügen 
mid  ober  nid)t,  bleibt  mir  al§  äugerfte§  5D^ittel,  mid)  bem 
Qraang  burc^  freimitligen  ^ob  gu  entjie^en.  §anbeln  ^ei^t 
ftet§  mahlen  ^mifd^en  t)erfrf)iebenen  9JlögIi(f)feiten,  unb  feien 
e§  nur  bie  beg  §anbetn§  ober  9f^id)t^anbeln§,  f)ei§t  annehmen 
unb  ablef)nen,  !)ei^t  üerteibigen  unb  befämpfen.  %a§  2ßäf)Ien 
fe^t  aber  bie  9)^ög(ic^!eit  ber  SOßa^l  ebenfo  t)ürau§  mie  bie 
Unterfcf)eibung  ^mifc^en  bem  ^npne^menben  unb  bem  ^b^ 
gu(ef)nenben,  bem  ©uten  unb  ^öfen.  ^a§  fittli(^e  Urteil, 
ba§  ein  Unbing  ift  in  ber  Sßelt  ber  3Sergangenl)eit,  ber 
2öelt  ber  @rfal)rung,  in  ber  nid)t§  ju  n)äl)len  ift,  el)eme 
D^otmenbigfeit  l)errfcf)t,  ift  unt)ermeiblic^  in  ber  2Belt  ber 
unerfal)renen  ^^^i^^ft  ber  5^*eif)eit. 

5lber  ni(i)t  blo^  ba§  (Sefül)l  ber  grei^eit  fe^t  ha§  §anbeln 
t)orau§,  fonbern  aucf)  beftimmte  Qwede.  §errfcf)t  in  ber 
^Mdt  ber  9]ergangenl)eit  bie  golge  t)on  Urfarf)e  unb  SÖßirfung 
(^aufalität),  fo  in  ber  beä  §anbelng,  ber  ßufunft,  ber  Qmerf* 
gebanfe  (^e(eologie). 

gür  ba^  §anbeln  mirb  'iia§  (Befül)l  ber  greil)eit  ju 
einer  unerlä§lid)en  pft)dE)ologifd)en  QSorausfe^ung,  bie  burc^ 
feinerlei  (Sr!enntni§  aufgehoben  merben  fann.  Slucf)  ber 
ftrengfte  gatalismu^,  aud)  bie  tieffte  Überzeugung  baoon, 
ha^  ber  50lenfd)  ha§  notraenbige  ^robuft  feiner  9Ser!)ältniffe 
ift,  !ann  nid)t  bemirfen,  ha^  mir  aufl)ören  ^n  lieben  unb 
5u  Raffen,  ^u  nerteibigen  unb  gu  befcimpfen. 

'i(lle§  ba§  ift  aber  md)t  ein  5D^onopol  be§  93^enfrf)en, 
fonbern  gilt  aud)  für  ha§  Slier.  5tud)  biefe§  befi^t  grei^eit 
be§  2£>ollen§  in  bem  (Sinne,  mie  fie  ber  93]enf(i)  ^at,  nämlid^ 
al^  fubjeftioeS,  uuüermeiblic^eg  ^efü^l  ber  grei^eit,  ba§ 
au§  ber  Unbe!anntfd)aft  mit  ber  3"^^^^!^  ^^^  ^^^  ^^^^ 
menbigfeit,  auf  fie  tätig  ein^umirfen,  f)errül)rt.  Unb  ebenfo 
oerfügt  e§  über  gerciffe  ©infic^ten  in  hk  3ufammenl)cin9e 


38  3)ie  (St^if  ^cint§ 

üon  llrfad)e  unb  Sßirfung.  ©nbüd)  ift  i^m  and)  bcr  3iuecf= 
gebanfe  ntd)t  fremb.  Qu  ^e§tef)ung  auf  ®inftd)t  in  bic 
3Sergangenf)eit  unb  bie  D^aturnotraenbigfeit  einer]eit§  nnb 
anbererjeitg  in  33e5ie^ung  auf  ^orau§]id)t  in  bie  Qufunft 
unb  ©e^ung  t)on  Qw^dm  für  \)a§  ^anbetn  unterfdE)eibet 
fid)  ber  tiefftftef)enbe  2£itbe  weit  weniger  üom  2iere  al§ 
üom  ^ulturmenfd)en. 

l^alb  be§  ^eveid)§  ber  ^f^otraenbigfeit,  von  Urfad)e  unb 
SBirfung  ftef)t.  ©e^e  id)  mir  and)  Qroede  nur  für  bie  Qw- 
fünft,  für  ba§  SReid)  ber  anfd)einenben  greif)eit,  fo  gebort 
bod)  bie  3^^<^K^ii^^9  fe^^ft/  rion  bem  SD^oment  an,  wo  xd) 
tnir  ben  Qwed  fe^e,  n>ie  jeber  ©ebanfe,  beffen  idj  mir  be* 
rcu^t  merbe,  ber  33ergangent)eit  an,  unb  fie  !ann  ba^er  in 
il)rer  S^Zottoenbigfeit  al§  ba§  (£rgebni§  beftimmter  Urfad)en 
erfannt  merben.  "^aran  änbert  nid)t  ba§  minbefte  ber  Um= 
ftanb,  ha}i  bie  (£rreid)ung  be§  QmedeS  no(^  in  berQufunft, 
im  33ereid)  ber  Ungemig^eit,  alfo,  in  biefem  ©inne,  ber  grei= 
l^eit  liegt.  S[Rag  man  aud)  bie  @rreid)ung  be§  gefegten 
graedeg  nod)  fo  fern  annehmen,  bie  Qmedfe^ung  felbft  ift 
zxn  ^robu!t  ber  33ergangenl)eit.  Qm  Dteic^e  ber  3rei()eit 
liegen  nur  jene  Qrcede,  bie  nod)  nid)t  gefegt  finb,  üon  benen 
wix  nod)  gar  nid)t§  miffen. 

%k  SCßelt  ber  gefegten  Qwedz  ift  alfo  nid)t  bie  2ßelt  ber 
5reil)eit  im  ©egenfa^  ^u  ber  ber  D^otmenbigfeit.  gür  jeben 
ber  Qraede,  bie  mir  un§  fe^en,  ebenfo  mie  für  jebe§  ber 
SJlittel,  bie  mir  gu  i^rer  ©rreid)ung  anmenben,  finb  bie 
Urfad)en  fd)on  gegeben  unb  unter  Umftänben  erfennbar,  bie 
biefe  ©e^ung  unb  Slnmenbung  notmenbig  l)erbeifül)ren. 

SJlan  !ann  aber  ba§  Dieid)  ber  S^otrcenbigfeit  unb  ba§ 
ber  grei^eit  nid^t  blo§  unterfd)eiben  al§  3Sergangenl)eit  unb 
gufunft;  il)r  Unterfd)ieb  fällt  aud)  üielfac^  gufammen  mit 
bem  üon  Statur  unb  ®efellfd)aft,  ober,  rcenn  man  genau 
fein  miH,  von  (S^efellfi^aft  unb  anberer  D^atur,  t)on  ber  jene 
nur  einen  befonberen  eigenartigen  3:eil  barftellt. 


"greifieit  unb  ^f^otroenbigfeit  39 

SSetrad^ten  wxx  bie  dlatnx  im  engeren  ©inn,  aU  geftf)teben 
t)on  ber  (^efe((fd)aft,  unb  hzxh^  in  itirem  3Ser!)aIten  jur  Qu* 
fünft,  fo  finben  wxx  fofort  einen  bebeutenben  Unterfd^ieb. 
^ie  D^aturbebingungen  üeränbern  fid)  üiel  langjamer  al§ 
bie  gefellfdiaftUd^en.  Unb  bie  leiteten  finb  in  ber  Qeit, 
rcenn  bie  9}^enfcf)en  anfangen  ju  p^iIofop!)ieren,  in  ber  Qeit 
ber  SCßarenprobuftion,  f)üc^ft  nerrcidelter  DIatur,  rcä^renb 
e§  in  ber  Statur  saf)Ireid)e  einfarf)e  Q^orgänge  gibt,  bereu 
(Sefe^mäBig!eit  relatiü  teicf)t  burd)jd)aut  rcerben  fann. 

®arau§  ergibt  fid),  ha^,  tro^  unferer  anf(^einenben  grei* 
^^xt  be§  §anbeln§  in  ber  Qufuuft,  biefeg  §anbeln  hod)  für 
bie  Statur  frü^jeitig  al§  ein  notraenbigeS  t)on  un§  ange= 
feigen  rcirb.  So  bunfel  aud)  bie  Qufunft  vox  mir  liegt,  id) 
lüeiß  mit  ^eftimmt^eit,  ba§  bem  Sommer  ber  2Binter  folgen 
loirb,  ha^  morgen  bie  Sonne  aufgeben,  ha^  id)  morgen 
junger  unb  ^urft  ^aben,  im  Sßinter  ha§  ^ebürfnis  nad) 
(Srmärmung  fü!)Ien  merbe  ufro.,  unb  mein  §anbe(n  mirb  nie 
barauf  gerichtet  fein,  biefen  92atumotraenbig!eiten  ^u  entgelten, 
fonbern  barauf,  fie  gu  befriebigen.  So  erfenne  iiS)  bei  aller 
anfd)einenben  grei^eit  ber  D^atur  gegenüber  mein  §anbeln  al§ 
notraenbig  bebingt.  ^ie  S3efd)affenf)eit  ber  äußeren  Statur  mxh 
hk  ^efd)affenf)eit  meinet  eigenen  ^i3rper§  erjeugen  DZotmenbig* 
feiten,  hk  mir  ein  beftimmte§,  erfaf)rung§gemäg  gegebene^, 
alfo  t)orau§3uer!ennenbe§  2ÖolIen  unb  §anbeln  aufbrängen. 

(5)an3  anber§  mein  ^erf)alten  ju  meinen  9lebenmenfc|en, 
mein  gefellfd)aftlid)e§  §anbe(n.  §ier  finb  bie  äußeren  unb 
inneren  DZotmenbigfeiten,  bie  mein  §anbe(n  beftimmen,  ntd)t 
fo  Ieid)t  5u  burd)fd)auen.  §ier  fto^e  id)  aud)  nid)t  auf  über- 
mächtige DIaturfräfte,  benen  id)  mid)  unterrcerfen  mug,  fon* 
bern  auf  ebenbürtige  g^cxftoren,  9Jlenfd)en  mie  id),  hk  ron 
Dcatur  au§  aud)  nic^t  me!)r  9)lad)t  fiaben  aU  xä).  Q^nen 
gegenüber  fül)le  id)  mid)  frei,  aber  aud)  fie  fd)einen  mir  frei 
in  if)ren  3}er{)ältniffen  ^u  if)ren  9cebenmenfd)en.  QI)nen 
gegenüber  empftube  id)  Siebe  unb  §a§,  über  fie  unb  meine 
^erf)ä(tniffe  §u  if)nen  fäÜe  id)  fittüd)e  Urteile. 


40  ®ie  St^i!  ^ant§ 

^te  2BeIt  ber  grcif)eit  unb  be§  ©ittcngefe^eg  ift  alfo  ix)of)I 
eine  anbere  al§  bie  ber  erfannten  9^ottt)enbtg!eit,  aber  fie  ift 
nid)!  eine  raiim-  nnb  geitlofe,  nirf)t  eine  iiberfinnli(i)e  2Belt, 
fonbern  nur  ein  befonbere^  (Stüd"d)en  ber  ©innenrcelt,  unter 
einem  befonberen  ©eftd)t§pun!t  gefefien.  @§  ift  bie  SCßelt 
in  if)rem  ^eranfommen  gefef)en,  bie  3ßelt,  auf  bie  Jüir  ein* 
gun)ir!en,  bie  rair  umjugeftalten  f)aben,  ror  aüem  bie  Sßßelt 
ber  gefe((fd)aftlid)en  2ßer{)ältniffe. 

5lber  n)a§  {)eute  ßufunft  ift,  rairb  morgen  9Sergangenf)eit; 
fo  mirb,  \va§  f)eute  al§  freiem  §anbcln  cmpfunben  mürbe, 
morgen  al§  notmenbigeS  §anbeln  erfannt.  %a§  ©ittengefe^ 
in  un§,  ba§  biefe§  ganbeln  regelte,  f)ört  aber  bamit  auc^ 
auf,  al§  eine  urfadjlofe  Urfarf)e  gu  erfc^einen;  e§  fällt  in 
ba§  D^eid)  ber  ®rfal)rung,  fann  ai§  notmenbige  2ßir!ung 
einer  Urfad)e  erfannt  merben  —  unb  nur  al§  fold)c  Der* 
mag  man  e§  überl)aupt  ju  erfennen,  vermag  e§  ©egen* 
ftanb  ber  Sßßiffenfd^aft  gu  merben.  ^aburd),  bag  er  ba§ 
©ittengefe^  au§  bem  •3)ie0feit§  ber  finnlid)en  Sßßelt  in 
tia§  Qenfeit§  einer  überfinnlidien  verlegte,  l)at  ^ant  beffen 
miffenfd)aftlid)e  (Sr!enntni§  nid)t  geförbert,  fonbern  il)r 
alle  SOßege  verrammelt.  ^iefe§  §inberni§  mu§  man  ror 
allem  befeitigen,  man  mu§  über  ^ant  l)inraegfd)reiten,  mill 
man  ha§  iRätfel  be§  ©ittengefe^eä  feiner  Söfung  näl)er 
bringen. 

i.  Die  PJjilofopöie  der  üerfö^nung. 

^ie  etl)if  bilbet  bie  fd)mac^e  ©eite  ber  ^antfd)en  ^l)ilo* 
fopl)ie.  Unb  bod)  ^at  biefe  gerabe  burd)  bie  (5tl)i!  i^re 
größten  :^iftortfd)en  ©rfolge  errungen,  ba  fie  fel)r  ftarfen 
Qeitbebürfniffen  entfprac^. 

^er  fran5Öftfd)e  5ö^ateriali§mu§  mar  eine  ^l)ilofopl)ie  be§ 
Kampfes  gemefen  gegen  alle  überfommenen  ^enlformen, 
bamit  aber  aud)  gegen  bie  ®inrid)tungen,  bie  fid)  bal)inter 
bargen.  (Seine  unt)erfi3l)nUc^e  geinbfd)aft  ^um  Sliriftentum 
mad)te  i^n  jur  ^$arcle  beg  ^ampfeä  nid)t  blog  gegen  bie 


Sie  ^^ilofop^ie  ber  33erfö^nung  41 

Hir(jf)e,  fonbem  aud)  gegen  alk  mit  i^x  ^ufammenpngenbeu 
fogialen  imb  poIttif(i)en  931ä(i)te. 

^te  ^antfc^e  ^rittf  ber  reinen  3Sernunft  tüirft  ebenfaßg 
ha§  gan^e  ef)riftentum  gnm  5:empel  f)inau§;  aber  bie  (&nU 
becfung  be§  Urfpinng§  be§  ©tttengefe^e§,  hk  burrf)  bk 
^riti!  ber  praftifd^en  3Semunft  rotigogen  rcirb,  öffnet  t^m 
e{)rfnrd)t§t)o(l  rcieber  ba§  ^or.  ©o  rcirb  bnrtf)  ^ant  bie 
$!)iIofopf)ie  a\i§  einer  Sßaffe  ^nm  Kampfe  gegen  hk  be* 
fte{)enben  ^enf*  unb  (S^efeKfc^aftsformen  gu  einem  5SJltttet, 
bie  ©egenfä^e  gu  rerfö^nen. 

2Iber  ha§  Tlittd  ber  (gntrcidinng  ift  ber  ^ampf.  ^ie 
3Serföf)nung  ber  ©egenfä^e  h^hmkt  ben  ©tiüftanb  ber 
@ntn)ic!(nng.  "^^a^er  ift  W  ^antfc^e  ^f)ilofop{)ie  gu  einem 
fonferoatiüen  Jaftor  gemorben. 

^ie  größten  3SorteiIe  gog  au§  x^x  gunädift  bie  ^^eo^ 
logie.  @ie  befreite  biefe  an§  ber  ^ebrängni^,  in  rcelc^e 
ber  überfommene  ©lanbe  bnrd)  bk  ©ntraidlung  ber  SÖßiffen* 
fd)aft  geraten  mar,  inbem  fie  e§  ermi3gtic^te,  SCßiffenfdiaft 
unb  Üieligion  gu  t)erföl)nen. 

„^eine  anbere  2Biffenfcf)aft",  fagt  3eaer,  „erfuf)r  ben  (SinfCu^ 
ber  ^antfdE)en  ^f)itofop{)te  in  {)öl)erem  ®rabe,  al§  t>k  St()eo5 
logie.  ^kx  gerabe  fanb  ^ant  ben  SSoben  für  feine  ©runbfä^e 
auf§  befte  üorbereitet;  babei  bradf)te  er  aber  ber  bi§f)erigcn 
®en!roeife  eine  SSertiefimg  unb  SSerbefferung  ^u,  beren  fie  in 
f)of)em  ©rabe  beburfte."  (®efc^icf)te  ber  beutfcf)en  ^f)iIofop]^te 
feit  Seibnig.   1873,  ©.  519.) 

©erabe  narf)  bem  3Iu§bru(^  ber  frangöfifdien  S^leüolution 
beftanb  ein  befonber^  ftar!e§  ^ebnrfnig  narf)  einer  2!)eoIogie, 
bie  imftanbe  mar,  e§  mit  bem  5iJlateriaIi§mu§  aufzunehmen 
unb  ibn  h^i  htn  (5)ebilbeten  gu  üerbrängen.  Q^a^x  fcf)reibt 
benn  aud)  meiter: 

„^ant§  9?eIigion§anftdE)t  !am  bem  fittlic^en  unb  inteHeftuetlen 
93ebürfni§  ber  Q^it  gleid)fef)r  entgegen;  fie  empfa^t  fid)  bm 
3Iufge!(ärten  burd)  if)re  SSernunftmä^igieit,  if)re  Unabf)ängig!eit 
üom  ^ofitiüen,  if)re  rein  pra!tifd)e  9ii(^tung;  ben  SReligiöfen 


42  2)ie  (St^if  tont§ 

burd)  it)re  fittlid)c  (Strenge  unb  it)re  inürbigen  ^^orfteUungen 
über  ha^  (S;f)riftentum  unb  feinen  Stifter."  ®ie  beutfd)e  2;t)eoIogie 
ftetite  fic^  üon  nun  an  auf  ben  ^oben  üon  Slant,  ,,feine  9.TloraI= 
ti)eologie  rcurbe  nad)  wenigen  Sat)ren  bie  ©runblage,  auf 
n)eld)er  bie  proteftantifd)e  Süieologie  in  ®eutfd)Ianb  faft  of)ne 

2Iu§nat)me,  felbft  bie  Jat^olifd^e  großenteils  ficf)  beilegte 

®ie  S^antfd)e  ^t)ilofopt)ie  t)at  baburd),  baß  bie  SReljrsal)!  ber 
beutfd)en  2;{)eologen  faft  ein  t)albe§  ^at)rr)unbert  lang  üon  it)r 
ausging,  einen  t)öd)ft  nad){)altigen  unb  lüeitgreifenben  ©inftuß 
auf  bie  allgemeine  Sßilbung  ausgeübt." 

SSorlänber  gitiert  in  feiner  (55efd)id)te  ber  ^{)itofop!)ie 
(Seipsig  1903)  ha§  SBort  eine§  neueren  St)eoIogen,  [Hitfc^l, 
ber  erflärte: 

„®e§t)atb  l)at  bie  ^ortbilbung  ber  6r!enntni§metI)obe  ber 
et^i!  burd)  ^ant  gugleid^  bie  ^öebeutung  einer  pra!tifd)en 
2öteberf)erftenung  be§  ^roteftanti§mu§."    (II,  ©.476.) 

^ie  gro^e  iHeooIution  fdjuf  ben  S3oben  für  ben  ®inftu$ 
^ant§,  ber  am  ftärfften  loar  in  ben  graet  Qaf)r§el)nten  nad) 
ber  (Sd)reden§l)errfd)aft.  *^ann  erblaßte  biefer  Einfluß  immer 
mel)r.  ^ie  33ourgeoifte  befam  feit  ben  breißiger  Qaf)ren  be§ 
neun3el)nten  Qal)r^unbert§  aud)  in  '3)eutfd)lanb  ^raft  unb 
SJlut  ju  entfd)iebenerem  Kampfe  gegen  bie  beftef)enben 
©taat§=  unb  ^enfformen  unb  ju  unbebingter  2Iner!ennung 
ber  (Sinnenraelt  al§  ber  einzig  n)irfüd)en.  (3o  famen  nad) 
ber  §egelfd)en  ^ialefti!  mieber  neuere  formen  be§  ^Jlateria^ 
lt§mu§  auf,  unb  graar  in  energifd)efter  SKeife  in  ^eutfd)^ 
lanb,  gerabe  meil  beffen  S3ourgeoifie  nod)  weiter  gurüd  mar 
al§  bie  gran!reic^§  unb  (£nglanb§;  meil  fie  nod)  nid)t  bie 
beftef)enbe  ©taat§mad)t  erobert,  meil  fie  fie  noc^  um^uftürjen 
l}atU,  alfo  einer  ^l)ilofopl)ie  be§  Stampf e§,  nid)t  ber  3]er* 
föl)nung  beburfte. 

^n  'üzn  legten  Qal)r5enten  tft  aber  il)r  ^ampfbebürfniS 
gemaltig  gefunfen.  §at  fie  nid)t  alleg  erreid)t,  ma§  fie  er* 
fe^nt,  fo  bod)  alle§,  ma§  gu  il)rem  @ebeil)en  erforberlid). 
SDßeitere  groge  kämpfe,  energifd)e  Eingriffe  auf  ba§  ^eftel)enbe 
fönnen  ilir  meit  meniger  nü^en,  al§  il)rem  großen  Jeiube, 


3)ie  ^t|tIofo)3§ie  ber  S5erfö[)nung  43 

bem  Proletariat,  ha§  bro!)enb  ^eraniüäd)ft  unb  nun  feiner* 
feit§  einer  ^f)iIo|opf)ie  be§  ^ampfe^  bebarf.  (£§  rcirb  bem 
^ateriali^muä  um  fo  lei(i)ter  jugänglid),  je  me^r  bie  ©nt- 
rcidlung  ber  ©innenraelt  bie  Unf)a(tbar!eit  ber  beftefienben 
Drbnung  unb  bie  DZotraenbigfeit  feine§  Siegel  bartut. 

^ie  ^ourgeoifte  bagegen  rcirb  immer  me!)r  empfänglidf) 
für  eine  ^^ilofop^ie  ber  3]erfö^nung,  unb  jo  erraecft  fie  ben 
^antianismuS  §u  neuem  Seben.  ^iefe  Sf^eubelebung  mürbe 
in  ber  9iea!tion§peinobe  natf)  1848  angebahnt  burcf)  ben 
bamatg  beginnenben  (Sinflug  ©d)open{)auer§. 

Slber  in  ben  legten  ^a^xi^i)nUn  ift  bie  5!antfd£)e  @tf)i! 
aucf)  in  bie  Cfonomie  unb  ben  ©o^iali^mug  eingebrungen. 
^a  bie  GJefe^e  ber  bürgerlichen  ©efe(lfc!)aft,  bie  Don  ber 
flajfifc£)en  Dfonomie  entbei^t  mürben,  fic^  immer  flarer  al§ 
©efe^e  entpuppten,  hk  'tm  ^laffenfampf  unb  ben  Unter* 
gang  ber  !apitaliftif(i)en  Drbnung  §ur  D^otrcenbigfeit  mad)en, 
früd)tete  bie  bürgerliche  Cfonomie  ^um  ^antf^en  (Sitten* 
geje^,  ba§,  au^er^alb  be§  9iaume§  unb  ber  Q^it  fte^enb, 
imftanbe  fein  fod,  tiie  ^(affengegenfä^e  ^u  üerföEinen  unb 
t>k  9^et)oIutionen  ^u  t)erl)inbem,  bie  im  9laume  unb  in  ber 
^eit  üor  fid)  ge^en. 

Sieben  ber  etf)if(^en  (Sd)ule  ber  Cfonomie  erhielten  mir 
aber  aud)  einen  et{)ifct)en  ©05iali§mu§,  al§  in  unferen  eigenen 
Dlei[)en  58eftrebungen  auftau(^ten,  hk  ^laffengegenfä^e  §u 
milbem  unb  menigften§  einem  2;eil  ber  ^ourgeoifie  ent* 
gegenpfommen.  ^ud£)  biefe  ^oliti!  ber  ^erfö^nung  begann 
mit  bem  Diufe:  Qurüd  auf  ^ant!  unb  mit  einer  3Ibfage 
an  ben  SiJlateria(i§mu§,  ber  bie  grei^eit  be§  2Bi(Ien§  leugne. 

%xoi^  be§  fategorifc^en  ;5mperatit)§,  hQxi  ba§  Santfd^e 
(Sittengefe^  bem  einzelnen  suruft,  ift  feine  f)iftorifcf)e, 
gefenf(i)aftlid)e  S^enbenj  t)on  feinen  3lnfängen  an  hx§ 
()eute  bie  einer  ^bftumpfung,  einer  3]erföf)nung  ber  ©egen* 
fäl^e,  nicf)t  bie  if)rer  Überminbung  burd)  ben  5^ampf  gemefen. 


IV.  Die  etöiK  des  Danüimsmus. 


h  Der  Kampf  ums  Dafein. 

^ant  ^attc,  vok  ^lato,  ben  9Jlenfcf)en  in  ^raet  ^eile  jer= 
fcf)nitten,  einen  natürli(i)en  nnb  einen  übernatürlirf)cn,  einen 
tierifd)en  nnb  einen  enge(J)aften.  3Iber  ber  ^rang,  bie  gange 
203elt,  unfere  geiftigen  gwnftionen  inbegriffen,  al§  eine  wixh 
Iirf)e  nnb  ein!)eitlid^e  gn  erfaffen,  unb  ade  augernatürlic^en 
gaftoren  au§  x^x  an§gnfd)(ie§en,  ober  mit  anberen  2Borten, 
bie  ntaterialiftifd)e  ^enfart  raar  gu  tief  in  hm  SSer{)ättniffen 
begrünbet,  al§  ba§  e§  S^ant  ^ätt^  gelingen  fönnen,  fie  anf 
bie  '3)auer  Ial)m§nlegen.  Unb  ber  granbiofe  5(nffcf)n)nng 
ber  9^atnrn)iffenfrf)aften,  ber  gerabe  nm  jene  Qeit  ein  rafrf)e§ 
^empo  angunel)nten  begann,  al§  ^ant  ftarb,  brad)te  eine 
9Jlenge  neuer  ©ntbedungen,  bie  bie  ^luft  grcifc^en  bem 
?!Jlenfd£)en  unb  ber  übrigen  D^atur  immer  mef)r  augfüUten, 
bie  unter  anberem  aud)  erfennen  liefen,  ha^  ba§  anfd)einenb 
engelf)afte  im  SfRenfc^en  fid)  in  ber  ^icrraelt  ebenfalls  naci)^ 
meifen  (äffe,  alfo  tierifd)er  Statur  fei. 

Qnbeffen  !am  bie  @tf)i!  be§  9Jlateriali§mu§  be§  neun^ 
geeinten  3al^r!)unbert§,  fomeit  er  mefentürf)  naturmiffen- 
f(i)aftlid)er  D^atur  mar,  fomof)l  in  feinen  offenen,  fül)nen 
beutfd^en,  mie  in  feinen  me!)r  Derftedten  unb  fdjüc^ternen 
englifrf)en  unb  je^t  auc^  fran3öfifd)en  gormen  pnärfift  ni(i)t 
über  ha§  lfina\i§,  wa§  fd)on  ba§  ad)t5el)nte  Qa!)r!)unbert 
gelehrt,  ©o  bafierte  geuerbad^  bie  SJloral  auf  ben  ©lud* 
feligfeit§trieb.  5luguft  (5;omte,  ber^egrünber  be§  ^ofitioi^^ 
mu§,  afgeptierte  bagegen  t)on  hm  ©nglänbern  bie  Unter* 
fd)eibung  t)on  egoiftifcf)en  unb  moralifd)en  ober  „altruiftifd)en'' 


3)er  ,^ampf  umg  3)a[em  45 

©efü^Ien,  bie  beibe  in  ber  9)lenf(i)ennatur  gteic^  begrünbet 
finb. 

©inen  großen  nnb  entfd)eibenben  gortfd)rttt  barüber  !)man§ 
mad)te  erft  ®arn)tn,  inbem  er  in  feinem  ^nc^e  über  bie 
Stbftannnung  be§  2Jlenfd)en  nad)wk§,  ha^  bie  altruiftifc^cn 
©efü^te  feine  ©igentümlic^feit  ber  931enf(i)ennatnr  feien,  't)a^ 
n)ir  fie  aud)  in  ber  ^ierraelt  finben,  unb  bag  fie  f)ier  m^ 
bort  ben  gleichen  Urfacf)en  entfpringen,  bie  im  ©rnnbe  bie* 
felben  finb,  n)elcf)e  alle  gä^igfeiten  ber  mit  (Sigenbemegung 
begabten  Söefen  lf)ert)orgerufen  nnb  entmidelt  f)aben.  ^amit 
raar  faft  bie  le^te  (S(i)ran!e  grcifdjen  2ier  unb  9Jlenf(^  nieber* 
geriffen.  'Karmin  {)at  biefe  feine  ©ntbedungen  nicf)t  raeiter 
tjerfolgt,  unb  bod)  gehören  fie  ^n  hzn  größten  unb  frui^t- 
barften  beg  menfd)Iid)en  ®eifte§,  bie  geftatten,  aud)  eine 
neue  ©rfenntniSfrntif  ^u  entmideln. 

SCßenn  man  hk  organifi^e  äßelt  betrad)tet,  fo  jeigt  fie 
un§  im  Unterfd)ieb  üon  ber  anorganifd)en  cor  aü^VA  eine 
(£igentümlid)!eit:  mir  finben  in  i^r  ^ii^ßdmä^igfeit.  %ik 
organifd)en  Sßefen  finb  me^r  ober  meniger  gmedmä^ig  ge* 
baut  unb  oeranlagt.  ^ex  Qwed,  bem  fie  bienen,  ift  jebod^ 
nid)t  einer,  ber  au^er  it)nen  liegt,  '^^ie  SKelt  al§  ©anjeS  ift 
groedtog.  ^er  Qiv^d  liegt  in  jebem  Qnbioibuum  felbft:  feine 
Steile  finb  fo  geftaltet  unb  begabt,  ha^  fie  bem  ©anjen, 
bem  3n^^^^^^^^'  bienen.  Qroed  unb  Slrbeit^teilung  ent- 
fpringen miteinanber.  '3)a§  2ßefen  be§  Drgani§mu§  ift 
Arbeitsteilung  ebenfofel)r  mie  Qmedmä^igfeit.  (&im§  bebingt 
\)a§  anbere.  %k  Arbeitsteilung  unterfd}eibct  ben  DrganiS* 
mu§  oon  anorganifc^en  J^nbitjibuen,  gum  ^eifpiel  Hinftallen. 
Aud)  ^riftalle  finb  ^nbioibuen  für  fid),  mit  beftimmter  ^orm; 
fie  madifen,  menn  fie  bie  nötigen  ^ilbnngSftoffe  unter  ben 
nötigen  ^ebingungen  finben,  aber  fie  finb  burd)  unb  burd) 
gleid)mä§ig.  '^er  nieberfte  Organismus  bagegen  ift  ein 
^läSd)en,  md  unfd)einbarer  unb  meniger  fompli^iert  ge^ 
formt  als  ein  ^riftall,  aber  ein  SläSi^en,  beffen  AuBenfeite 
anberS  ift,  anbere  g^^nftionen  Ijat,  mie  bie  Qnnenf eite. 


46  Sie  (St^i!  bc5  2)arn.nui§inu0 

^ajj  bte  5lrbeitstci(ung  eine  jiüedtmägige  ift,  ba§  fieißt 
bcm  ;3ubtt)ibimm  nü^t  feine  ®jiftenj  ermi3glid)t  ober  bod) 
erleicf)tert,  erfrf)eint  rcnnberbar.  5tber  rcunberbar  Jüäre  ba§ 
GJcgcnteit,  inenn  Q^binibnen  fid)  cr()ielten  nnb  fortpflanzten 
mit  einer  un^ioecfmä^igen  5(rbeit§teihmg,  bie  iE)re  @j:tftenj 
erfc^irert  ober  gar  nnmöglid)  marf)t. 

2Be(rf)e  5(rbeit  ift  e§  aber,  rccld)e  bie  Organe  be§  Drga^ 
ni^mn§  gu  t)euid)ten  ^aben?  "^^icfe  3trbcit  ift  ber  ^ampf 
nm§  'S) afein,  ba§  ^eij3t  ni(i)t  ber  ^ampf  mit  anberen 
Organismen -berfelben  5lrt,  mie  man  ba§  SCBort  mitnnter 
auffaßt,  fonbern  ber  ^ampf  mit  ber  gefamten  SfZatnr.  %k 
Statur  ift  in  ftänbiger  ^emegung,  ftänbiger  3Seränberung 
il)rer  formen  begriffen,  nur  fold)e  Q^^^^ii^^^en  merben  in 
biefem  emigen  2ßed)fel  i^re  gormen  eine  Qeitlang  bef)aupten 
fönnen,  bie  imftanbe  finb,  bcfonbere  Organe  gu  entroicfeln 
§um  8d)u^e  gegen  jene  äußeren  ©inflüffe,  bie  bie  ©inftenj 
be§  Qnbir»ibunm§  bcbrol)en,  foraie  gum  ©rf  a^  ber  ^eftanb* 
teile,  bie  e§  beftänbig  an  bie  51u§enraelt  abgeben  mug.  2lm 
e^eften  unb  beften  roerben  fid)  jene  ;3nbit)ibuen  nnb  Gruppen 
bel)aupten,  beren  SCßaffen  jum  (3rf)u^e,  beren  Sßerfjeuge 
5um  (Srroerb  ber  9^a!)rung  bie  gmedmägigften  finb,  ba§ 
Reifet  am  beften  angepaßt  ber  5tugenraett,  beren  ©efat)ren 
ab^umenben,  beren  9fla{)rnng§queIIen  ^u  erfd)lie§en  finb.  '3)er 
ununterbrochene  ^ro^eg  ber  3Inpaffung  unb  ber  2(u§lefe  be§ 
ßmecfmä^igften  burrf)  ben  ^ampf  um§  ^afein  erzeugt  unter 
ben  Umftänben,  mie  fie  auf  ber  @rbe  bie  Ü^egel  bilben,  feit* 
bem  fie  Organismen  trägt,  eine  june^menbe  21rbeit§teilung. 
Qe  meiter  fortgefd)ritten  bie  3Irbeit§tei(ung  in  einem  Or* 
ganiSmuS,  befto  t)oIlfommener  erfcf)eint  er  un§.  ^ie  ftetige 
^Sei-üorifommnung  ber  organifd)en  SOßett  ift  alfo  bisher  bci§ 
^efultat  be§  Kampfes  um§  ^afcin  in  if)r  —  unb  maf)r* 
f(i)einlicf)  aud)  für  meit  f)inau§  fein  üinftigeS  Ergebnis,  fo* 
lange  bie  53ebingungen  unfereS  Planeten  nid^t  mefentlid) 
anbere  merben.  5{(lerbing§  biefe  33errio((!ommnung  al§  not« 
menbigeS  (^efe^  für  alle  ©migfeit  angufe^en,  ^ahm  mir  fein 


2)er  Äampf  um5  3)afctn  47 

'iR^d^t    %a§  ^tege,  in  bte  2öelt  einen  Qireif  l^ineinlegen, 
ber  in  xf)x  nid)t  ^u  finben  ift. 

^ie  ©ntraicftung  mug  aud^  nic^t  immer  mit  g(eirf)er 
(S(i)ne((igfeit  t)or  fid)  gef)en.  ©§  fönnen  seitraeilig  ^erioben 
eintreten,  mo  bie  r)erf(i)iebenen  Organismen  jeber  in  feiner 
3Irt  h^n  für  bie  befte!)enben  ^erf)ältniffe  f)öcf)ften  (^rab  ber 
^mecfmä^igfeit  erreid)en,  biefen  SSerpItniffen  am  beften 
angepaßt  finb.  (Solange  biefe  3Serf)äItniffe  fortbefte^en, 
loerben  fie  fic^  bann  nid)t  meiter  entraic!eln,  fonbern  hk 
erreirf)te  Jorm  gu  einem  feften  2t)pu§  geftalten,  ber  fid) 
unneränbert  fortpflanzt,  ©ine  Sßeiterentmicflung  mirb  non 
ha  an  nnr  eintreten,  menn  'C)a§  SJlilien  firf)  er!)eblirf)  änbert, 
menn  bie  nnorganifd^e  Statur  3Seränbernngen  erleibet,  hk 
ben  ©leid^gemii^tSjnftanb  ber  organifc^en  ftören.  (Sold)e 
QSeränbemngen  finben  aber  immer  mieber  üon  Q^it  gn  Qdt 
ftatt,  entmeber  einzelne  plö^ti(f)e  gemaltige  ober  5aE)(rei(i)e 
unmerflid)e,  beren  fd)lieglicf)e  ©nmmierung  ebenfalls  gang 
nene  (Situationen  f)erbeifü^rt,  mie  pm  ^^eifpiel  Snberungen 
ber  SJZeereSftrömungen,  ber  ^obenerf)ebung,  t)ietleid)t  aud^ 
ber  Sage  be§  Planeten  im  Sßeltraum,  bie  ha§  ^(ima 
änbern,  birf)te  2ßä(ber  in  bürre  Sanbrnüften  nermanbeln, 
tropifdE)e  Sanbfd)aften  tiergletfd)em  unb  umge!ef)rt.  ^iefe 
3Seränberungen  bringen  bie  9^otrcenbig!eit  erneuter  ^In^ 
paffungen  an  bie  gemanbelten  3Ser{)ättniffe  f)ert)or;  fie  er* 
geugen  Sßßanberungen,  bie  ebenfalls  hk  Organismen  in  neue 
SSer^ältniffe  Derfe^en  unb  üermelirte  ^afeinSfämpfe  gmifc^eu 
hzn  alten  ®inn)ol)nern  unb  ben  neuen  ©inrcanberern  er=» 
geugen,  hk  fd)led)t  angepaßten  unb  nicl)t  anpaffungSfäl)igen 
Qnbit)ibuen  unb  2;t)pen  ausrotten  unb  neue  SlrbeitSteilungen, 
neue  ^unftionen,  neue  Organe  fcl)affen  ober  bte  alten  um* 
manbcln.  ^idjt  immer  finb  eS  bie  l)ö(f)ft  entmidelten  Or« 
ganiSmen,  t)k  fiel)  hei  biefer  9^euanpaffung  am  beften  be*» 
Raupten.  Qebe  5lrbeitSteilung  bebingt  eine  gerciffe  ©infeitigs^ 
feit,  ^oc^  entmicfelte  Organe,  bie  einer  befonberen  SebenS* 
meife  befonberS  angepaßt  finb,  merben  für  eine  anbere  oiel 


48  S)ie  Gt^if  be§  2)arn3im§mu§ 

lüeniger  hxau6)hax,  al§  Organe,  hk  raeniger  ^odt)  entraidelt, 
unter  jener  befonberen  Sebeniroeife  rceniger  n)ir!ung§t)oU, 
aber  t)ielfeittger,  leidster  anpaffuug§fäl)ig  finb.  ©o  fef)en 
von  nielfad)  f)öl)er  entn^idelte  Slter^  unb  ^flanjenftämme 
augfterben  unb  tteferftef)enbe  bie  rceitere  ©ntipidlung  neuer 
I)ö!)erer  Organismen  ühexmfymn.  2Baf)rfrf)einli(^  ftammt 
aud)  ber  SJlenfcf)  ntc£)t  t)on  ben  :^öd)ftfte{)euben  5lffen  ab, 
ben  3D^enfd)enaffen,  bie  im  SluSfterben  begriffen  finb,  fonbern 
t)on  einer  tieferfte{)enben  GJattung  non  ä^ier^änbern. 

2.  6igenbeu)egung  und  erfeenntnisü ermögen. 

grü^jeitig  fc^on  fpalteten  fid^  aber  bie  Organismen  in 
jrcei  groge  (S^ruppen:  fold)e,  bie  Organe  ber  (Sigenberaegung 
entmidelten,  unb  foId)e,  bie  bereu  entbehrten;  ^iere  unb 
^flanjen.  ®S  ift  !lar,  bag  bie  ©igenbemegung  eine  mäd)tige 
SÖßaffe  im  Kampfe  umS  ^afein  ift.  (Sie  ermögU(i)t  e§,  ber 
S^a^rung  nadi^uge^en,  bie  (S^efa^r  ^u  fliet)en,  hk  5Rad)' 
fommenf(i)aft  an  Orten  unterzubringen,  rco  fie  am  beften 
üor  ®efa!)ren  gefd^ü^t,  am  reid^ften  mit  ^a^xun^  üer« 
fe!)en  ift. 

'2)ie  ©igenbemegung  bebingt  aber  notmenbigerrceife  ein 
©rt'enntniäüermögen,  unb  umgefe^rt.  ®er  eine  biefer 
gaftoren  o!)ne  ben  anberen  ift  völlig  unnü^.  9^ur  in  it)rer 
SSereinigung  merben  fie  gu  einer  SKaffe  im  Kampfe  um§ 
^afein.  ®a§  SSermögen  ber  ©igenbemegung  ift  üödig  nu^* 
loS,  menn  e§  nid^t  gepaart  ift  mit  einem  3}ermögen,  bie 
SÖßelt  ju  ertennen,  in  ber  id)  mid)  gu  bemegen  l)abe.  2ßa§ 
nü^ten  bem  §irfd^  feine  ^eine,  rcenn  er  nid^t  bie  Jäbigfeit 
\)ätU,  feine  geinbe  unb  feine  9^at)rung§plä^e  gu  erfennen? 
SlnbererfeitS  märe  für  eine  ^flanje  jebeS  (gr!enntni§ü ermögen 
nu^loS.  könnte  ber  @ra§f)alm  bie  na{)enbe  ^ui)  fet)en, 
l)ören,  ried)en,  fo  mürbe  ba§  nid£)t  im  minbeften  ba^u  bei« 
tragen  fönnen,  "Oa^  er  fid^  bem  ©efreffenmerben  entgief)t. 

©igenberaegung  unb  (Steift  gel)ören  alfo  notraenbigerrceife 
jufammen,  eineS  o^ne  baS  anbere  ift  nu^IoS.  2Ößof)er  immer 


^igenBeiüegung  unb  (Srienntniäöermögen  49 

biefe  ^fi^iöf^i^^^  tüf)ren  mögen,  fie  treten  ftet§  gufammen 
auf  unb  entraicfeln  ftc^  miteinanber.  ®§  gibt  feine  ©igen* 
beraegung  of)ne  @rfenntni§  unb  feine  ®rfenntni§  o!)ne  @igen= 
beraegung.  Unb  gemeinfam  bienen  fie  bemfelben  Qraecfe, 
ber  ©icf)etung  unb  (Siieic^terung  ber  ®£iften§  be§  Qnbi- 
t)ibuum§. 

211^  DJlittel  ba^u  werben  fie  unb  if)re  Organe  burd)  hm 
^ampf  um§  ®afein  entraiiielt  unb  nemoEfommt,  aber 
aud^  nur  al§  SJlittel  bagu.  ©elbft  ba§  t)öd)ftentn)i(felte 
©rfenntniSo ermögen  befi^t  feine  gä^igfeiten,  hk  nicf)t  al§ 
SOßaffen  im  Kampfe  um§  "^afein  nü^licf)  mären,  "^^aburd^ 
erfldrt  fic^  bie  ©infeitigfeit  unb  ©igenart  unfere§  ©rfenntni^* 
termögeng. 

®ie*3)inge  an  fi(^  p  erfennen,  mag  mancf)em  ^f)iIofop^en 
eine  fef)r  micf)tige  2lufgabe  erf (feinen;  für  unfere  ©jiften^ 
ift  e§  fe{)r  gleid)gültig,  waB  immer  man  unter  bem  ^ing 
an  firf)  t)erftef)en  mag.  dagegen  ift  e§  für  jebe§  mit  ©igen* 
bercegung  begabte  2ßefen  von  ber  {)öcf)ften  2Ößi(^tigfeit,  hk 
®inge  ri^tig  gu  unterf^eiben,  i{)re  3Serf)ältniffe  ^u^ 
cinanber  ricf)tig  §u  erfennen.  ^e  f(f)ärfer  fein  ©rfenntni^* 
oermögen  in  biefer  S3egief)ung,  befto  beffere  "^ienfte  mirb  e§ 
i^m  leiften.  gür  bie  ©jifteng  be§  ©ingüogelä  ift  c§  üöüig 
gleid)gü(tig,  mag  jene  *^inge  an  firf)  fein  mögen,  bie  i^m 
al§  ^eere,  §abid)t,  ©emitterrcolfe  erfd)einen.  2lber  un* 
entbeijrlic^  für  feine  ©^ifteng  ift  eg,  ba§  er  33eere  unb  §abic^t 
unb  SCöolfe  genau  t)on  htn  anberen  fingen  feiner  Umgebung 
unterfd£)eibet,  benn  nur  ba§  fe^t  i^n  inftanb,  fein  gutter  ^u 
finben,  bem  geinbe  gu  entfliegen,  re(i)tseitig  bem  fd^ü^enben 
Saubbad^  juguftreben.  ©5  ift  alfo  unerläglic^,  ha^  ha§  ®r* 
fenntni§t>ermögen  ber  Stiere  ein  Unterfd^eibung§üermögen  im 
iHaume  ift. 

5lber  ebenfo  unerlä^tid)  ift  e§,  hk  Slufeinanberfolge  ber 

^inge  in  ber  Qzxt,  unb  grcar  if)re  notrcenbige  Stufeinanber* 

folge  al§  Urfac^e  unb  äßirfung   gu  erfennen.    "S^enn  bie 

Bewegung  al^  Urfad£)e  fann  nur  bann  bie  allgemeine  3öir* 

ÄQutSfi),  etf)W  unb  materialiftifc^e  ©efc^tc^tSauffaffung.  4 


50  3)ie  (St^if  bc;3  5)Qmnni0mu§ 

fung  ber  @rf)altunci  bcr  ©inftcnj  nad^  ficE)  sieben,  ireuu  fie 
befonbere  näf)ere  ober  fernere  SKirfiingcu  erhielt,  bie  fie  um 
fo  Icid)ter  erretd)en  roirb,  je  beffer  ba§  Qnbiitibiium  bie 
3Serfettung  biefer  2ßir!ungen  mit  if)ren  Urfad)en  erfaunt 
^at.  Um  ha§  obige  ^eifpiel  Dom  33ogel  ^u  n)ieberf)olen, 
fo  genügt  e§  nid)t,  ba§  er  ^eerc  unb  ^ab\d)t  unb  SBoIfe 
Don  ben  anberen '3}ingen  im  Flaume  ^u  unterfdjeiben  meifs; 
er  mu§  aud)  miffen,  ha^  ber  ®enu§  ber  ^eere  bie  2ßirfung 
):)at,  if)n  ju  faltigen,  ba§  ^[uftaud)en  be§  §abid^t§  hk  2öir* 
hing,  bag  ber  erfte  befte  Heinere  33ogeI,  beffen  er  ^b^aft 
mirb,  if)m  ai§  Qutter  bient;  ha^  bie  auffteigenbc  ©eroitter* 
molfe  (Sturm,  Siegen,  §age(  al§  2öirhmg  probujiert. 

Selbft  bie  nieberften  ^iere,  fobalb  fie  eine  ©pur  oon 
Unterfd)eibung§oermögen  unb  ®igcnbemegung  befi^en,  ent* 
mideln  auc^  eine  2(f)nung  t)on  ^aufalität.  SÖSenn  hk  (Srbe 
erfc^üttert  mirb,  ift  ba§  für  ben  öiegenrcurm  ein  5ln§eid)en, 
ha^  ®efaf)r  bro^t  unb  eine  SSeranlaffung  ^ur  5Iud)t. 

(5o((  alfo  ba§  ®rfenntni§oermi3gen  bem  ^iere  hui  feinen 
58en)egungen  oon  9lu^eu  merben,  fo  mu§  e§  fo  organifiert 
fein,  ba§  e§  imftanbe  ift,  i()m  Unterfd)eibungen  im  D^aume 
unb  ber  Qeit  unb  faufale  QSerfnüpfungen  ju  geigen. 

2lber  e§  mu§  nod)  me^r  tun.  ^Ite  ^eile  be§  ^örper§ 
bienen  nur  einem  Qnbioibuum,  nitr  einem  Qwcde,  ber 
@rf)altung  be§  ^nbinibnumg.  %k  5{rbeit5tei(ung  barf  nie 
fo  rceit  gel)en,  baß  bie  einseinen  ^eite  felbftänbtg  merben, 
ha^  mürbe  gur  Sluflöfung  be§  Qnbit)ibuum§  füf)ren.  Sie 
mirb  um  fo  oodfommener  roirfen,  je  ftraffer  hk  %exU  gu* 
fammenge^Iten  merben,  je  einf)eitli(^er  ba§  ^ommanbo. 
daraus  folgt  bie  S^otmenbigfeit  ber  @in!)eitlid)feit  be§  ^e^ 
mugtfein».  Gefäße  jeber  3:ei(  be§  ^örper§  fein  befonbere^ 
@r!enntni§t)ermögen  ober  erzeugte  jeber  ber  ©inne,  bie  un§ 
bie  Kenntnis  ber  5(ugenmelt  ©ermitteln,  fein  befonbere^ 
^ercugtfein,  fo  märe  bie  jebeSmalige  ßrfenntni§  biefer  2ßelt 
unb  ba§  Qufammenmirfen  ber  einjelncn  Körperteile  fe^r 
erfd)mert,  bie  Vorteile  ber  ^Irbeitsteilung  mären  aufgef)obeu 


(Sigenbemegung  unb  (Sr!ennttii^üermögen  51 

ober  in  S^Za^teile  vexwaxiMt,  hk  Unterftü^ung,  ir)eld)e  ficf) 
bie  Sinne  ober  hu  ^eraegung^organe  gegenfeitig  liefern, 
^örte  auf,  an  if)re  ©teile  träte  gegenseitige  Störung. 

©nblic^  aber  mug  bas  ©rfenntnisnemtögen  aurf)  bie  Jä^ig^ 
feit  befi^en,  @rfaf)iaingen  an^ufarnnteln  unb  p  oergleic£)en. 
Um  noc^  einmal  auf  unferen  Singoogel  surücf^ugreifen,  fo 
gibt  e§  für  if)n  gmei  2öege,  um  ^erauS^ufriegen,  melcf)e§ 
^ntter  für  i^n  bag  befte  unb  mo  e§  am  ef)eften  p  finben; 
mel(^e  geinbe  für  i^n  gefäf)r(irf)  unb  mie  if)nen  p  ent^ 
gef)en.  ©inmal  eigene  @rfaf)rung  unb  bann  bie  ^eobad)^ 
tung  ber  ^raji§  älterer  3Söge(,  bie  fcf)on  @rfaf)rungen  f)aben. 
^dn  93leifter  mirb  befanntlid)  geboren.  Qebeä  ^nbiotbuum 
fann  fid)  im  ^afeinsfampf  um  fo  Ieid)ter  behaupten,  je 
größer  feine  Erfahrungen  unb  je  beffer  fie  georbnet  finb; 
ba^u  gehört  aber  bie  &abe  be§  @ebäc^tniffe§  unb  "bie 
5äl)ig!eit,  frül)ere  ©inbrücfe  mit  fpäteren  p  t)erg(eicf)en  unb 
't)a^  if)nen  ©emeinfame,  ba§  Sldgemeine  au§  if)nen  ^erau§= 
5U5ieI)en,  ba§  2ßefenttid)e  t)om  Unmefentlidien  §«  trennen, 
ba§  i)zx^t:  benfen.  QSermittelt  un§  bie  33eobad)tung 
burd)  bie  Sinne  bie  Unterfd)iebe,  ha§  ^efonbere,  fo  ba§ 
teufen  ba^  ©emeinfame,  ba§  2(1  (gemeine  ber  ^inge. 

„%a§  2lllgemeine",  fagt  ^ie^gen,  „ift  ber  ^nf)alt  aller  93es 
griffe,  aUer  @r!enntni§,  aller  2ßiffenfd)aft,  aller  ®en!a!te.  ©o= 
mit  ergibt  bie  5(nalr)fe  be§  '3)enft)ermögen§  ba§  (entere  al§  bie 
i^ä()ig!eit,  au§  bem  SSefonberen  ha§  allgemeine  p  erforfd)en." 

2(((e  biefe  @igenfd)aften  be§  @r!enntni§oermögen§  finben 
mir  fd)on  in  ber  Xierroett  entraidett,  menn  aud)  nid)t  in  fo 
^o()em  ®rabe  mie  beim  9)lenfd)en,  unb  menn  aud)  öfter 
nod)  für  un§  fd)mer  erfennbar,  ba  e§  nid)t  immer  (eid)t  ift, 
bie  au§  ber  ®rfenntni§  folgenben  bemühten  §anb(ungen  oon 
hm  unmi((für(id)en  unb  ben  unbemufeten§anb(ungen,  btogen 
Sf^eflei'beroegungen  unb  inftinftioen  ^emegungen,  gu  fd)eiben, 
hk  aud)  beim  3Jlenfd)en  nod)  eine  gro§e  9io((e  fpie(en. 

Jinben  mir  aber  a((e  biefe  (gigenfc^aften  be§  ©rfenntni^^ 
oermögen^   a(g  notraenbige  beigaben  ber  (Sigenbcmegung 


52  2)ic  etfjif  be§  2)ovh)mi§mu§ 

fd)on  in  ber  ^ierrcelt,  fo  ftnben  jpir  anbererfeit§  in  benfelben 
(£igenfcf)aften  and)  bie  ©(i)ran!en,  bie  felbft  ber  umfaffenbfte 
unb  tieffte  3Serftanb  be§  ^öc^ftentrairfelten  ^ulturmenfd)en 
ntd)t  überf(i)reiten  fann. 

Gräfte  unb  gä^igfeiten,  bie  al§  Sßaffen  im  Kampfe  um§ 
^afein  erworben  lüurben,  fönnen  natürlid)  aucf)  anberen 
Qraed'en  bienftbar  gemad^t  rcerben  al§  benen  ber  ©ici)erung 
ber  ©i'iftenj,  wenn  ber  Organismus  feine  ©igenberaegung 
unb  fein  (SrfenntniSoermögen  fomie  fein  Striebleben,  t)on 
bem  mir  gleic^  fpred^en,  f)0(i)  genug  entmirfelt  f)at.  ®a§ 
Qnbiüibuum  fann  bie  Tlu§tdn,  bie  in  x^m  entmicfelt  finb, 
bamit  e§  bie  ^eute  {)afd^en,  ben  geinb  abmet)ren  fönne, 
aurf)  5um  ©piel  unb  Slan^  benu^en.  5lber  iE)ren  befonberen 
®f)ara!ter  er{)alten  biefe  Gräfte  unb  gä{)ig!eiten  bodE)  nur 
burd)  ben  ^ampf  um§  "^afein,  ber  fie  entmicfelt.  ©piel 
unb  ^anj  fcf)affen  feine  befonberen  5DfZuSfeln. 

®a§  gilt  and)  t)on  ben  geiftigen  Gräften  unb  gäljigfeiten. 
W,§  notmenbige  ©rgängung  ber  ©igenbemegung  im  Kampfe 
umS  ^afein  bal)in  entmidelt,  ba^  fie  bem  Organismus  ein 
für  feine  ©rl^altung  möglid^ft  jmedmägigeS  ^emegen  in  ber 
Ummelt  ermögli(i)en,  fönnen  fie  boc^  aud^  anberen  Qrvedm 
bienftbar  gemad^t  merben.  ^agu  gehört  baS  reine  (Srfennen 
o^ne  jeben  praftifd)en  §intergebanfen,  ol)ne  ©rrcägung  ber 
praftifd^en  ^onfequen^en,  bie  eS  nad)  fid^  jie'^en  mag. 
Slber  unfer  geiftigeS  Vermögen  ift  burdE)  ben  SDafeinSfampf 
nid)t  bagu  entmidelt  morben,  ein  Organ  reiner  (SrfenntniS, 
fonbem  nur  bagu,  ein  Organ  gu  fein,  baS  burd^  ©rfenntniS 
unfere  Bewegungen  gmectmä^ig  regelt,  ©o  üoHfommen  eS 
in  ber  festeren  Begiel)ung  fungiert,  fo  unoollfommen  in  ber 
erfteren.  3Son  SInfang  an  mit  ber  (gigenbemegung  aufS  engfte 
üerbunben,  entfaltet  eS  feine  3Sollfommenl)eiten  nur  im  Qw- 
fammenf)ang  mit  ber  ©igenberaegung  unb  fann  eS  nur  ner- 
üollfommt  merben  in  biefem  3ufammenl)ang.  3ludE)  bie  9Ser= 
üollfommnung  beS  menfd)lic^en  ©rfenntniSoermögen^  unb 
ber  menfd)li(^en  (SrfenntniS  ift  aufS  engfte  t)erfnüpft  mit 


(Sigenbetregung  unb  ßrfetmtntlöermögen  53 

ber  ^SerüoHfommnung  ber  tnenfcf)It(^en  ^vajii,  me  wix  nod^ 
fe^en  rrerben. 

^k  ^xaic\§  ift  e§  aber  aud),  hk  un§  bie  (St(f)erf)eit  unferer 
(Srfenntniffe  verbürgt.  Sobalb  meine  (gtfenntni^  micf)  be== 
fäf)tgt,  beftimtnte  SBirfungen,  beten  ©rgeugnng  in  meiner 
9Jlad)t  liegt,  mit  Sidier^eit  felbft  ifiercor^nbringen,  f)ört  t)aB 
33er!)ältni§  ron  Urfai^e  unb  2ßir!ung  für  mirf)  auf,  bloßer 
3ufaII  ober  bloger  @d)ein,  bloge  gorm  be§  @rfennen§  ^n 
fein,  mofür  fte  ba§  reine  3(nfdf)auen  unb  teufen  rco^l  ftem^ 
peln  mag.  ^ie  @r!enntni§  biefe§  33er{)ältniffe§  mirb  burc^ 
bie  $raji§  jur  (gr!enntni§  t)on  ztrva§  2Birfli(i)em  unb  ju 
einer  firf)eren  ®r!enntni§  erf)oben. 

'3)ie  ©renken  ber  ^rajiS  bezeugen  freiließ  aucf)  bie  ©renken 
unferer  fi(i)eren  ®rfenntni§. 

®a§  Sf)eorie  unb  ^raji§  üödig  aufeinanber  angemiefen 
finb  unb  nur  burd)  i^re  gegenfeitige  ®urcf)bringung  ba§ 
jemeilig  f)ö(^fte  erreid)bare  9ftefu(tat  ergeben  fönnen,  ift  nur 
bie  notmenbige  ^onfequenj  be§  Umftanbe^,  ba§  QSemegung 
unb  ©rfenntni^t) ermögen  t)on  iljren  früf)eften  SInfängen  an 
3ufammenge!)en  mußten.  Qm  Saufe  ber  ©ntraidlung  ber 
menfd)litf)en  ®efe{(fd)aft  l^at  bie  5(rbeit§tei(ung  ba^in  gefüf)rt, 
bie  natiirli(i)e  @inf)eit  biefer  beiben  gaftoren  §u  gerrei^en, 
klaffen  gu  fd^affen,  benen  t)ornef)mlid)  hk  SSemegung,  unb 
fold)e,  benen  üorne!)mlic^  ha§  ®r!ennen  s^fiel.  SOßir  Ijahm 
fd)on  barauf  ^ingemiefen,  mie  ha§  (Spiegelbilb  baüon  in 
ber  ^f)iIofop^ie  bie  (3rf)affung  §meier  SOßelten,  einer  geiftigen, 
f)öf)eren  unb  einer  !örperlid)en,  tieferfte!)enben  mar.  Stber 
gan^  liegen  fid)  bie  beiben  gunftionen  natürlid)  bei  feinem 
Jjnbiüibuum  trennen,  unb  bie  f)eutige  proletarifd^e^emegung 
mirft  frafttJoK  ba!)in,  biefer  ^(affentrennung,  bamit  aber 
aud)  ber  bua(ifttfd)en  ^f)iIofop!)ie,  ber  ^f)i(ofopi)ie  be§  reinen 
@r!ennen§,  ein  (gnbe  gu  mad)en.  5Iud)  bie  tiefften,  abftraf* 
teften  (Srfenntniffe,  'bk  anfd)eincnb  ber  ^raji§  am  femften 
fte^en,  beeinfluffen  biefe  unb  rcerben  non  if)r  beeinflußt,  unb 
un^  biefen  Einfluß  gum  ^erougtfein  ^u  bringen,  gef)ört  mit  ju 


64  Sic  dtffit  beg  3)arlüiniämu? 

beu5Cufgaben  einer  Rritif  ber  menfd)(i(i)en  ©rfenntml.  92ad) 
tüie  vox  bleibt  bie  (£rfenntni§  in  le^ter  Sinie  immer  eine 
SBaffe  im  Kampfe  nm§  ^afein,  ein  9JZitte(,  nnferen  53en)e^ 
gungen  bie  gmecfmä^igften  formen  imb  9tid)tungen  ^n  geben, 
feien  e§  nun  Bewegungen  in  ber  Statur  ober  in  ber  @efc((* 
Waft. 

„^ie  ^f)i(ofop^en  ^abm  bie  2öelt  nur  t)erfcE)ieben  intern 
pretiert",  fagt  Tlaxic,  „e§  fommt  aber  barauf  an,  fie  ^u 
oeränbern." 

3.  Die  Criebe  der  Selbfteröaltung  und  fortpflanzung. 

*2)ie  beiben  3Sermi3gen  ber  ©igenbemegung  unb  ber  fe 
!enntni§  gef)ören  alfo  untrennbar  pfammen  al§  Sßaffen  im 
Kampfe  um§  ^afein.  %a§  eine  entrcid'elte  fid)  mit  bem 
anberen,  unb  in  bem  9)^age,  in  bem  biefe  Sßaffen  an  Be* 
beutung  im  Drgani§mu§  3unef)men,  t)erringem  fid)  anbere, 
urfprünglid)ere,  bie  je^t  roeniger  nötig  finb,  gum  53ei]piel 
feine  grud)tbar!eit  unb  feine  Seben§§äf)ig!eit.  3Inbererfeit§ 
mu§  in  bem  G^rabe,  in  bem  biefe  abnel)men,  bie  Bebeutung 
ber  erfteren  gaftoren  für  ben  '3)afcins!ampf  mad)fen,  mug 
er  if)re  größere  (Sntmidlung  förbern. 

3lber  ©igenbemegung  unb  ®r!enntni§  bilben  für  fic^  allein 
noc^  feine^megg  eine  au§reid)enbe  2öaffe  im  Kampfe  um§ 
®afein.  25>a§  nü^en  mir  in  biefem  Kampfe  hk  ftärfften 
SJluSfeln,  bie  be!)enbeften  ©elenfe,  ma§  bie  fd)ärfften  ©inne, 
ber  größte  3Serftanb,  menn  xd)  nid)t  ben  ^rang  in  mir  fü{)le, 
fie  gu  meiner  (Srf)altung  gu  benu^en,  menn  ber  Stnblid  ber 
S^a^rung,  hk  ®r!enntni§  ber  ©efa^r  mid)  gleichgültig  lägt 
unb  f einerlei  Bemegung  in  mir  au§löft?  ©igenbemegung 
unb  ®r!enntni§t)ennögen  merben  nur  bann  SOBaffen  im 
Kampfe  um§  ^afein,  menn  mit  itinen  gugleid)  ein  ^rang 
nad)  ©elbfter^ltung  be§  Organismus  auftritt,  ber  bemirft, 
bag  jebe  für  feine  ©^ifteng  mid^tige  @r!enntni§  aud)  fofort 
ben  SBillen  jur  3lu§fül)rung  ber  für  feine  ®j:iften§  notraen* 
bigen  SSemegung  erzeugt  unb  bamit  biefe  felbft  l)ert»orruft. 


3)ie  Xxk'be:  ber  ©efbfter'^altung  iinb  gortljflanjung  55 

©tgenberaegung  unb  ®rfenntnt§t) ermögen  finb  für  bie 
(^inftens  beB  Snbiinbiuimg  bebeutung§lo§  of)nc  feinen  ©elbft^ 
er^ItnngStrieb,  foraie  anbererfett§  biefer  rcieber  ^mzdio^  ift 
o^m  jene  beiben  gaftoren.  ^IKe  brei  gepren  auf§  tnntgfte 
^nfammen,  bebingen  etnanber  gegenfettig  unb  n3a(f)fen  p* 
fammen.  ^er  ©elbfter{)altung§trieb  ift  ber  urfprüngli^fte 
ber  tierif(i)en  2:riebe  unb  ber  unentbef)rlid)fte.  Otine  i^n 
fönnte  fic^  feine  einigermaßen  mit  ©igenbercegung  unb  @r* 
fenntnisoermögen  begabte  Slierart  aud^  nur  furje  Qeit 
erl^alten.  ®r  be^errf(i)t  ba§  gan^e  Seben  be§  ^iere§.  ^ie= 
felbe  gefeUf(^aft(i(i)e  (gntmicflung,  bie  hk  Pflege  be§  ©rfennt« 
ni^üeinnögenä  befonberen  klaffen  gumeift  unb  bie  ber  praf- 
tifd)en  ^emegung  anberen,  unb  bie  in  ben  erfteren  eine 
Gberf)ebung  be§  reinen  „®eifte§"  über  bie  grobe  „Materie" 
erzeugt,  ge^t  mitunter  in  ber  J^folierung  be§  @rfenntni§* 
t)ermögen§  fo  meit,  baß  biefe§  üon  ber  3Serac^tung  ber 
„banaufifc^en"  ^raji§,  bie  ber  (£r{)altung  be§  Seben§  bient, 
gur  SSerad)tung  be§  Seben§  felbft  fortf(i)reitet.  Stber  biefe  5(rt 
ber  „®r!enntni§"  l)at  nocf)  nirgenb^  t)ermod)t,  ben  Setbft* 
er^altung^trieb  §u  überminben  unb  bie  ber  Seben§erl)a(tung 
bienenbe  ^raji^  außer  5{ftion  ju  fe^en.  9Jlag  aud)  man^er 
©elbftmorb  pf)ilofop^ifd)  begrünbet  merben,  man  ftößt  b^i 
jebem  praftifc^en  5l!t  ber  33erneinung  be§  Seben§  fc^ließlid) 
auf  ^ran!^eit  ober  rer^meifelte  gefe((f(^aftlic{)e  aSer{)ä(tniffe 
al§  Urfad)e,  nid)t  aber  auf  eine  p!)itofop{)ifcf)e  Se^re.  '^md) 
bloßem  ^!)iIofopf)ieren  ift  ber  ©elbfter^ltung§trieb  nid)t  gu 
überminben. 

5lber  ift  biefer  and)  ber  urfprünglidifte  unb  t)erbrettetfte 
aUcr  Striebe,  bie  ber  ^ampf  um§  ^afein  ge5Ürf)tet  'b^at,  fo 
ni(^t  ber  einzige.  @r  bient  bloß  ber  ®rf)altung  beg^nbi^ 
t)ibuum§.  2Bie  lange  aber  immer  biefe§  befielen  mag, 
frf)ließli(i)  t)ergef)t  e§,  o^m  ©puren  feiner  Qnbioibuaütät  gu 
t)interlaffen,  menn  e§  fid)  nicE)t  fortpflanzt.  9^ur  jene  &aU 
tungen  üon  Organismen  merben  fid)  im  Kampfe  um§  *3)afein 
behaupten,  hk  eine  9^ad)fommenfd)aft  I)interlaffen. 


56  2)ie  atijit  be5  2)Qrrt)iui^mu0 

9^un  ift  hei  hen  ^flanjen  uub  bcn  nicberen  Vieren  bie 
gortpflanjung  ein  3]organg,  ber  feinerlei  (Sigenberaegung 
imb  fein  (Srfenntni§t)ermögen  erforbert.  ^a§  änbert  fic^ 
aber  bei  ben  Stieren,  fobalb  bie  gortpflanpng  gur  gefc^(ed)t' 
Iid)eu  tüirb,  an  ber  graei  Qnbiuibuen  beteiligt  finb,  bie  fid) 
ju  vereinigen  {)aben,  um  entraeber  ©ier  unb  ©amen  am 
gleidien  Orte  augerl^alb  be§  ^örper§  abzulagern,  ober  hm 
©amen  bem  Körper  be§  bie  ®ier  tragenben  ;3nbiüibuum§ 
eingut)erleiben.  *3)a§  erforbert  einen  SBiden,  einen  ^rang, 
fid)  gu  finben,  fic^  ju  vereinigen.  Of)ne  if)n  fann  fid)  bie 
ungefc^lerf)tlirf)e  gortpffan^ung  nid)t  r>oft§ie^en,  je  ftärter  er 
ift  in  ben  für  bie  gortpflanjung  günftigen  ^^itpii^^ten,  um 
fo  e{)er  mirb  fie  fid)  t)o((zief)en,  um  fo  günftiger  rcerben  bie 
3lu§fid)ten  für  hk  ©rjielung  einer  9^ad)fommenfd)aft,  für 
bie  @rf)altung  ber  3lrt  fein,  dagegen  fte^en  biefe  5lu§* 
fiepten  fd)led)t  für  ^nbivibuen  unb  2Irten,  bei  benen  ber 
gortpf[angung§trieb  fd)raad^  entmidelt.  3Son  einem  gegebenen 
@rab  ber  ©ntmidtung  an  muß  bat)er  bie  natürlid)e  5Iu§Iefe 
burd)  ben  ^ampf  um§  '3)afein  einen  au§gefprod)enen  gort- 
pflangunggtrieb  in  ber  Sliermelt  entmideln  unb  immer  mef)r 
üerftärfen. 

Slber  er  genügt  nid)t  immer  jur  (Srjielung  einer  ^al}U 
reid^en  9^ad)fommenfd^aft.  2ßir  f)aben  fd)on  gefef)en,  ha^ 
in  bem  SD^age,  in  bem  (Sigenberaegung  unb  (Srfenntni§= 
vermögen  mai^fen,  hu  geil)!  ber  ^eime,  bie  ha^  J^nbivibuum 
probugiert,  fomie  feine  Seben§gä{)ig!eit  bie  ^enbenj  ^aben, 
ab3unel)men.  2lnb ererf eit§,  je  größer  hk  5lrbeit§teilung,  je 
fompligierter  ber  Organismus,  befto  länger  ber  ^^itraum, 
ber  gu  feiner  ©ntraidlung  unb  SluSreifung  erforberlid)  ift. 
Sind)  rcenn  ein  Xcil  biefeS  ^eitraumS  in  ben  mütterlid)en 
Körper  verlegt  mirb,  fo  ^at  ba§  boc^  feine  ©renken.  ©d)on 
au§  räumlichen  9lüdfid)ten  ift  biefer  Körper  nid)t  imftanbe, 
einen  bem  ermad)fenen  gleid^en  Organi§mu§  in  fid^  gu  tragen. 
®r  muß  ba§  ^unge  von  fid)  augftoßen,  lange  e^e  jene§ 
©tabium  erreid)t  ift.    3Son  bem  jungen  Spiere  raerben  aber 


2)ie  jovialen  Stiebe  57 

am  fpäteften  bie  gäf)igfeiten  ber  ©tgenbetregung  unb  ber 
(£r!enntnt§  erlangt,  unb  fte  finb  meift  norf)  rec^t  fd)n)a(^ 
entrairfelt,  raenn  e§  bie  f(i)ü^enbe  §üfle  be§  (£ie§  ober  be§ 
5iJlutterIeibe§  t)erlägt.  ^a§  t)on  ber  9Jlutter  auggeftogene 
@i  felbft  ift  üöUig  beraegungl*  unb  er!enntnt§lo§.  ^a^er 
rctrb  bie  ©orge  für  bie  9^ac^!ommenfc^aft  gu  einer  rcidE)tigen 
gunftion  ber  Butter:  ba§  Verbergen  unb  bie  3Serteibigung 
ber  @ier  unb  ber  Qungen,  ba§  5^^^^^^  ^^^  le^teren  ufro. 
SOßie  ber  gortpflangungStrieb  rcirb  au(i)  bie  2khz  für  bie 
9^ad)!omntenfd£)aft,  namentlich)  bie  SD^utterliebe  in  ber  ^ier^ 
rcelt  entn)i(felt  al§  ^in  unerläglid)e§  SJlittel,  ron  einer  ge« 
rciffen  §ö^e  an  bie  ^^^^^^^if^^^S  ^^^  Wirten  gu  fiebern. 

5D^it  bem  triebe  ber  inbioibuetlen  ©etbfter^Itung  f)aben 
biefe  triebe  gar  nirf)tB  gu  tun;  fte  fommen  oft  in  ^onflüt 
mit  xi)m,  unb  fie  fönnen  fo  ftar!  merben,  ha^  fie  x^n  über= 
lüinben.  ®g  ift  ja  flar,  ha^  unter  fonft  gleid^en  Umftänben 
Jene  ;3nbit)ibuen  unb  3lrten  am  ef)eften  3Iu§ftrf)t  ()aben,  fic^ 
fortgupflansen  unb  if)re  ©igenfi^aften  unb  triebe  gu  oer* 
erben,  in  benen  ber  ©elbfter^altungStrieb  nid)t  hk  triebe 
nad)  gortpflangung  unb  S3efd)ü^ung  ber  9^a(i)!ommen  §u 
beeinträd)tigen  oermag. 

4.  Die  fozialen  triebe. 

Stieben  biefen  trieben,  bie  ben  l^öl^eren  Vieren  eigen,  ent^ 
midelt  ber  ^ampf  um§  ^afein  in  einzelnen  2;ierarten  no^ 
anbere,  befonbere,  burdE)  bie  (Eigenart  i!)rer  SebenSmeife 
bebingte,  gum  35eifpiel  Sßanbertriebe,  bie  mir  nid)t  meiter 
unterfurf)en  moKen.  §ier  intereffiert  un^  nur  norf)  eine  5lrt 
üon  trieben,  bie  für  unferen  (Segenftanb  von  größter  SSe^ 
beutung:  bie  fogialen  triebe. 

®a§  ^wf^^i^ß^^^^^^  ^"^^  glei(i)en  Organismen  in  größeren 
SJIengen  ift  eine  ©rfc^einung,  bie  mir  fd)on  in  i^ren  fleinften 
5Infängen,  ben  SJ^üroben,  entbecten  fönnen.  (5§  erftärt  fic^ 
f(^on  burd^  bie  blo§e  Slatfad)e  ber  Fortpflanzung,  ^ah^n 
bie  Organismen  feine  ©igenbemegung,  fo  merben  natur* 


58  2)ie  (2tf)if   bc§  3)arn.nni5mii§ 

gemä§  bie  9lad)!ommcn  firf)  um  bie  (Srgeuger  I)enim  an= 
fammeln,  jöenn  m(i)t  etraa  53ciüegungen  ber  ^u^enraelt, 
Sßafferftromungen,  SOßinbe  uub  bcrgteid)en,  bie  ^cime  in  bie 
SÖßeite  fül)ven.  ^er  Gipfel  fäUt  befanntlii^  nxdjt  \imt  rom 
©tamm,  uub  njenn  er  nid^t  gegeffen  rairb  unb  auf  frud^t* 
bareu  ^oben  faßt,  werben  au§  feineu  fernen  junge  33äumcf)en 
entfpriegen,  bie  bem  alten  ^aum  ©efeüfi^aft  leiften.  5Iber 
aucE)  hti  Sieren  mit  ©igenbemegung  liegt  e§  na{)e,  't>ai  bie 
jungen  hzi  ben  eilten  bleiben,  rcenn  nic^t  äußere  3Serf)ä[t* 
niffe  einen  ©runb  geben,  ba^  fie  ficf)  üon  i{)nen  entfernen. 
^a§  ^eifammenleben  t)on  ^^tbiüibuen  ber  gleichen  ^rt,  bie 
urmüd^figfte  gorm  be§  gefetlf(^aft(i(^en  Seben§,  ift  auc^  'Ctk 
urraüd^figfte  goim  be§  Seben§  überf)aupt.  '3)ie  Trennung 
üon  Organismen,  bie  einen  gemeinfamen  Urfprung  l)abcn, 
ift  erft  ein  fpäterer  3l!t. 

^iefe  Strennung  fann  bie  t)erfd£)iebenften  Urfadtien  l^aben. 
^ie  näc^ftliegenbe  unb  tnof)!  am  meiften  mirffame  ift  ber 
SJlangel  an  9fZaf)rung.  Qebe  Sofalität  !ann  nur  eine  bt- 
ftimmte  5[Renge  9^a{)rung  liefern.  SSermel)rt  fid)  etma  eine 
beftimmte  Siergattung  in  il)r  über  il)ren  D^lalirunggfpielraum 
l)inau§,  fo  muß  ber  Überf(i)ug  entraeber  üer^ungern  ober 
auSrcanbern.  Über  eine  gemiffe  Qa^  !ann  bie  9}lenge  ber 
in  einer  Sofalität  gufammenlebenben  Organismen  berfelben 
SIrt  nic^t  l)inau§ge^en. 

3lber  e§  gibt  geraiffe  Siergattungen,  für  meldte  bie  ^^o^ 
lierung,  bie  Trennung  in  Qnbiüibuen  ober  ^aare,  bie  für 
ftd^  allein  leben,  einen  3Sorteil  im  Kampfe  um§  ^afein  bietet. 
(So  gum  ^eifpiel  für  bie  ^a^enarten,  bie  bie  33eute  belauern, 
fie  im  ©prunge  unüerfel)en§  erl)afci)en.  ®iefe  5lrt  ber  ©e= 
rcinnung  be§  Seben§unterl)alte§  mürbe  il)nen  feljr  erfrf)n)ert, 
melleidf)t  unmöglich,  menn  fie  in  größeren  Olubeln  uml)er* 
gögen.  *^er  erfte  (Sprung  nad)  ber  ^eute  mürbe  'oa§  2Bilb 
für  alle  übrigen  verjagen.  %nx  SDßölfe,  bie  bie  ^eute  nid^t 
unoerfe^enS  überfallen,  fonbern  ^u  Sobe  l)e^en,  fann  ha-- 
gegen  in   ber  Qufammenrottung   ju   üiubeln   ein  33ortcil 


S)ie  fo3iaten  Xxkhe  59 

liegen;  einer  jagt  ha§  Sßilb  bem  anbeten  gn,  ber  biefcm 
"bzn  SSeg  abfc^neibet.  '3)ie  ^a^e  jagt  jeboi^  am  erfolg^ 
teid)ften  adein. 

Slnbererfeit^  gibt  e§  rcieber  Stiere,  bte  bie  Qfotierung  fnd)en, 
rceil  fie  anf  biefe  SBeife  am  raenigften  anffaKen,  am  leic^* 
teften  fic!)  verbergen  fönnen,  am  e!)eften  ben  geinben  ent- 
gegen. ®te  9^ad)fteKungen  be§  SDIenfd^en  ^aben  pm  33ei^ 
fpiel  bemirft,  bag  mancf)e  2:iere,  bie  früher  in  ©efedfc^aften 
lebten,  nnr  noc!)  ifoliert  ^u  ftnben  finb,  mie  ber  33iber  in 
(Snropa.  ^a§  ift  ber  einzige  2Ö5eg  für  x^n,  unbemerft  §n 
bleiben. 

daneben  aber  gibt  e§  gaf)lreid)e  Stiere,  hk  an§  i^rem 
gefel(f(^aftlicf)en  Seben  SSorteile  3ie{)en.  (Selten  finb  e§  Ülanb- 
tiere.  2Bir  ^ahen  oben  ber  SDSölfe  gebacE)t.  5lber  and^  fie 
jagen  in  Ü^nbeln  nnr,  menn  ha§  gntter  rar  ift,  im  SDßinter. 
^m  Sommer,  mo  gntter  leid)ter  gu  erlangen,  leben  fie 
paarmeife.  *3^ie  Diaubtiernatnr  neigt  ftet§  gu  ^ampf  unb 
(SJeraalttat  nnb  bal)er  aud)  jur  UnüerträglidEifeit  mit  anberen 
i^re§gleid)en. 

griebfertiger  finb  bnrc^  bie  5lrt  i^re§  S'Za^rnnggermerbB 
bie  ^flanjenfreffer.  ©c^on  ba§  erleid)tert  e§,  ba§  fie  fid) 
^ufammenf Clären  ober  t)ielmel)r,  ba^  bie  9^a(i)!ommenf(^aften 
beifammen  bleiben.  %a§  treibt  fie  aber  aud),  fid)  ^nfammen- 
^utnn  ober  beifammen  ^u  bleiben,  meil  fie  rcel)rtofer  finb, 
bnrd)  i^re  größere  Qai)l  aber  eine  nene  SÖßaffe  im  Kampfe 
nm§  ^afein  erringen.  ®ie  3Sereinigung  mel)rerer  fi^mai^en 
Gräfte  gu  gemeinfamem  Sinn  fann  eine  neue,  größere  ^raft 
erzeugen,  ^ann  aber  fommen  in  ber  Bereinigung  lieroor- 
ragenbe  Gräfte  einzelner  allen  ^ugute.  äßenn  bie  ©tärfften 
je^t  für  fic^  lämpfen,  fdmpfen  fie  and)  für  bie  (3d)mäd)eren; 
rcenn  bie  ©rfa^renften  für  il)re  (Sid)er^eit  forgen,  für  fid^ 
nac^  SCßeibeplä^en  fud)en,  tun  fie  'c>a§  aud)  für  bie  Un^ 
erfal)renen.  Qe^t  mirb  e§  aber  aud)  möglid),  eine  5lrbeit§* 
teilung  unter  h^n  vereinigten  Qnbiüibuen  lierbei^ufü^ren, 
bie,  fo  flüd)tig  fie  fein  mag,  bod)  il)re  Gräfte  unb  il)re  (5i(^er^ 


60  Sic  (Stf)if  be§  2)arh)im§mu§ 

{)eit  erl^öl)t.  ®§  ift  unmöglid),  mit  üoUfter  5Iufmer!fam!eit 
bie  Umgebung  gu  beobarf)ten  unb  gleirfi^eitig  mit  üoller 
(Semüt§ru^e  gu  freffen.  SÖßä^renb  be§  8d)(afen§  I)at  natür* 
lid)  jebe  9Irt  be§  S3eobad)teu§  ein  (Snbe.  5(ber  in  ber  3Ser* 
einigung  genügt  ein  2ßädt)ter,  ben  übrigen  @id)erf)eit  beim 
5[Raf)le  ober  ©d£)lafe  gu  nerlei^ien. 

^urrf)  bie  SlrbeitSteilung  mirb  nun  bie  3Sereinigung  ber 
Qnbioibuen  ein  Körper  mit  t)erfrf)iebenen  Organen  gu  gmecf- 
mäßigem  ^itfö^^^^^i^'^ß"  —  "^^  hk^^x  Qwed  ift  bie  ©r* 
I)Qltung  beg  ©efamt!örper§  — ;  jie  mirb  ein  Drgani§mu§. 
^amit  ift  inbe§  ni(i)t  gefagt,  ba§  ber  neue  Organismus, 
bie  ©efeUfd^aft,  in  berfelben  SOßeife  ein  Körper  fei,  rcie  ein 
2ier  ober  eine  ^ftange,  fonbern  fie  ift  ein  Organi§mu§ 
eigener  5lrt,  ber  fid)  t»on  jenen  beiben  meit  rmljx  nod)  unter* 
frf)eibet,  alS  ba§  iier  üon  ber  ^flanje.  ®ie  beiben  be* 
ftef)en  auS  Q^üm  of)m  ©igenbemegung  unb  o^m  eigenes 
33en)u§tfein;  bie  G5efe(lfd)aft  bagegen  auS  ^nbiüibuen  mit 
eigener  ^emegung  unb  eigenem  ^Semu^tfein.  ^at  aber 
ber  tierifd^e  Organismus  als  ganzer  (gigenbemegung  unb 
35emu6tfein,  fo  fe!)len  fie  ber  ^efeKf^aft  ebenfo  mie  ber 
^^Panje.  3Iber  bie  Qnbioibuen,  bie  bie  ®efellfcf)aft  bilben, 
fönnen  einzelne  iljxex  TOtglieber  mit  gunftionen  betrauen, 
burc^  bie  fie  bie  gefellfd)aftlid)en  Gräfte  einem  ein{)eit(id)en 
Sitlen  untermerfen  unb  ein!)eitlic]^e  33eraegungen  ber  (i5efell= 
fc^aft  ^eroorrufen. 

SlnbererfeitS  ftelien  Qnbiüibuum  unb  @efellfd)aft  in  vid 
loferem  Qufammen^ng,  alS  QeKe  unb  ©efamtorganiSmuS 
bei  ^ftange  unb  ^ier.  '3)aS  ^nbinibuum  fann  ficE)  t)on 
einer  G5efellfd)aft  loSlöfen  unb  einer  anberen  anfd)tiegen, 
mie  bie  SluSmanberung  bemeift.  ®aS  ift  für  eine  Qede  un* 
mögtid),  für  fie  bebeutet  bie  SoStöfung  t»on  ber  ®efamtf)eit 
if)r  5Ibfterben,  abgefe{)en  t)on  einzelnen  QeUen  befonberer 
3lrt,  mie  ©amen  unb  (£ier  bei  33efrud)tungSt)orgängen. 
*pinrüieberum  !ann  aud)  bie  ©efedf^aft  fid)  neue  ^nbioibuen 
o§ne  meitereS,  ol)ne  irgenbmelc^en  ©toffn)ed)feI,  irgenbmeld^e 


2)ie  jovialen  triebe  61 

gorntüeränberung  einverleiben,  \va§  fiir  einen  tierijcf)en 
Körper  gan^  nnmötjlic^  ift.  ®nb(icf)  fönnen  bie  Qnbiüibuen, 
rcelc^e  hk  ®eie((fd)aft  bilben,  unter  Umftänben  bie  Organe 
unb  hk  Organifation  ber  ©efellfd)aft  änbern,  n)ä!)renb  etraas 
derartiges  im  tieinf(i)en  ober  pflan5Ud)en  Drganigmu§  au§^ 
9efd)loffen  bleibt. 

Qft  alfo  'ök  @efet(fd)aft  ein  Organi§mu§,  fo  bod)  fein 
tterif(^er,  nnb  irgenbraeli^e  ber  ©efellfc^aft  eigentümlid)e 
(£rfrf)einungen,  etiüa  potitifd)e,  auS  ben  ©efe^en  be§  tierifd)en 
Organismus  erüären  gu  rootlen,  iftniditminber  abgefc^macft, 
als  raenn  man  ®igentümlid)!eiten  beS  tierifd^en  Organismus, 
wk  ©igenbemegung  unb  33en)u§tfein,  auS  ben  (SJefe^en  beS 
pf(an3licf)en  ^afeinS  ableiten  moHte.  9Zatürlid)  fod  baS  x\xd)t 
fagen,  ba§  eS  nid)t  aud)  ©emeinfameS  §n)if(i)en  ben  ner- 
fd^iebenen  5trten  t)on  Organismen  gibt. 

2Bie  ber  tierifcf)e,  mirb  audE)  ber  gefel(f(i)aftlic^e  um  fo 
beffer  im  Kampfe  umS  ^afein  befte!)en,  je  einf)eitlidE)er  feine 
SBercegungen ,  je  fefter  ber  3^fammen{)alt,  je  größer  bie 
Harmonie  feiner  Steile.  Slber  hk  ®efellfcl)aft  l)at  fein  fefteS 
Sfelett,  baS  bie  2ßeic^teile  ftü^t,  feine  §aut,  hie  baS  ©an^e 
umfd)lie§t,  feinen  33lutfreiSlauf,  ber  alle  Steile  näl)rt,  fein 
§erg,  baS  il)n  regelt,  fein  ®el)irn,  baS  i^re  ©rfenntniS,  i^ren 
Sßillen,  i^re  ^ercegungen  ^u  einheitlichen  mac^t.  Ql)re  ©in« 
]^eitlicl)feit  unb  Harmonie  fomie  il)r  Q^f^^^^^^ft^i  fönnen 
nur  aus  ben  ^anblungen  unb  bem  SßoUen  i^rer  9Jlitglieber 
entfpringen.  ^ieS  einl)eitlicf)e  SöoUen  rcirb  aber  um  fo  ge^ 
fid)erter  fein,  je  me^r  eS  einem  ftarfen  2^riebe  entfpringt. 

33et  ^iergattungen,  hei  benen  ber  gefellfcf)aftlid)e  Qu-- 
fammenl)alt  gu  einer  mirffamen  SCßaffe  im  Kampfe  umS 
'3)afein  mirb,  ^üd)tü  biefer  bal)er  gef ettfc£)aftlicl)e ,  fojiate 
S^riebe,  bie  hd  mandf)er  ©attung  unb  mand)em  J^nbioibuum 
gu  einer  erftaunlicf)en  ^raft  anmac^fen,  fo  ha^  fie  felbft 
hie  Slriebe  ber  (3elbfterl)altung  unb  ber  Fortpflanzung  gu 
überminben  oermögen,  menn  fie  mit  biefen  in  ^onflift 
fommen. 


62  3)ie  Gt^tf  be§  ®ormmi§mu§ 

®en  5lnfang  ber  fosialeu  triebe  bürfen  wix  n)of)l  in  beut 
:3ntereffe  fef)cn,  ha§  fc^ou  ba§  b(o§e  gefc((jd)aftlid)e  3^^* 
fatnmenleben  im  Qnbiuibuum  für  feine  ®efä()rten  erregt^ 
an  beren  @efe((fcf)aft  e§  von  jung  auf  geraöf)nt  ift.  5tnbercr* 
feit§  muffen  gortpflanjung  nnb  (Sorge  für  bte  S^ac^fonimen* 
fd)aft  bereite  für^er  ober  länger  bauernbe  engere  33er!)äUnt>fe 
gn)iftf)en  r)erfd)iebenen  J^nbiüibuen  ber  gleid)en  ^rt  'i)^xh^u 
füf)ren.  Unb  mie  biefe  33erf)ä(tniffe  bte  3Infa^pun!te  gur 
^ilbung  ber  G5efe({fd)aften  gebilbet  f)aben  bürften,  fo  mod)ten 
mo!)!  hk  i^nen  entfpre(i)enben  triebe  bie  2lnfa^punftc  jur 
(Sntraidlung  ber  fogialen  S^riebe  Uefeinx. 

^iefe  2^riebe  f elbft  fönnen  je  nad)  ben  t)erfd)iebenen  Seben§^ 
bebingungen  ber  t)erfcf)iebenen  Slrten  t)erfdE)ieben  fein,  aber 
eine  9ftei()e  t)on  trieben  bilbet  bie  3Sorbebingung  für  ba§ 
@ebeif)en  jeber  2lrt  t»on  ©efe((fd)aft.  (So  nor  allem  natura 
lid)  bie  (Selbftlofigfeit,  bie  Eingebung  für  bie  Mgemein* 
beit.  ®ann  bie  tapfer  feit  in  ber  3Serteibigung  ber  ge* 
meinfamen  ^ntereffen;  bie  ^reue  gegen  hk  @emeinf(i)aft; 
bie  Unterorbnung  unter  hm  SDßißen  ber  @efamtf)eit,  alfo 
@e!)orfam  ober  ^iS^iplin;  2ßa^rf)aftig!eit  gegen  hk 
®efe((fd)aft,  beren  @id)er{)eit  man  gefäf)rbet  ober  beren 
Gräfte  man  nergeubet,  menn  man  fie  irrefüf)rt,  etwa  burrf) 
falfd)e  (Signale,  ©nblid)  (£f)rgei5,  bie  ©mpfänglic^feit  für 
Sob  unb  2:abel  ber  ©ememfd)aft.  %a§  aUe^  finb  fojiale 
triebe,  bie  mir  fd^on  in  tierif(^en  ©efeHfd^aften  ausgeprägt 
ftnben,  manche  baoon  oft  in  l)of)em  Tla^z. 

'3)iefe  fojialen  Striebe  finb  aber  nid)t§  anbere§  aU  bie  er* 
!)abenften  2^ugenben,  if)r  Qtibegriff  ba§  ©ittengefe^.  §ö(i)ften§ 
f ef)(t  unter  if)nen  nod)  hk  ©ere(i)tig!eit§liebe,  ba§  ift  ber  ^rang 
nad^  (S5Iei(i)^eit.  gür  beren  ©ntrairflung  ift  in  ben  tierifc£)en 
©efe((fcf)aften  freilid)  fein  ^la^,  meil  fie  nur  natürlicf)e, 
inbiüibueUe,  nid)t  aber  burd)  gefe{(fc^aftlicf)e  3Ser^ältniffe 
f)err»orgerufene,  fojiale  Ungleid)f)eiten  fennen.  ®a§  erf)abene 
8ittengefe^,  bag  ber  (S^enoffe  niemals  bIofte§  SO^ittel  §um 
3mecf  fein  foCIe,  meld)eä  unfere  Kantianer  atS  bie  geraaltigfte 


2)ie  fojialen  Xxkhe  63 

Seiftung  be§  ^antfc^en  ^entii§  unb  al§  ha§  „fttt(icf)e  ^ro^ 
gramm  ber  neuen  Qett  unb  aKev  Qufunft  ber  3ßeltgef(^t(i)te" 
betracf)ten,  ift  in  hen  tierifrf)en  (^efe(lf(f)aften  eine  ©elbft^ 
t)erftcinbltd)feit.  (Srft  bie  (gntintcflung  ber  ntenfd)Ucf)en  (Bzi^lU 
fii)aft  ^at  3iift«^be  gefrf)affen,  in  benen  ber  SJ^itgefedfc^aftcr 
^um  bloßen  Sßerfjeug  anberer  raurbe. 

20ßa§  einem  ^ant  nod)  al^  ha§  ^robuft  einer  l)ö^eren 
©eifterraelt  erfd)ien,  ift  ein  ^robuft  ber  ^ienoelt.  Sößie  eng 
hie  füjialen  triebe  mit  bem  Kampfe  um§  "^^afein  oermacfifeu 
finb  unb  mie  fe^r  fie  urfprünglirf)  nur  ber  ©r^altung  ber 
2{rt  bienen,  erfie^t  man  fd)on  barau§,  ba§  il^re  SOßirfung 
fic^  oft  blog  auf  Qnbit)ibuen  erftredt,  bereu  ©r^altung  für 
bie  )äxt  voxkil^a^t  ift.  ©ine  ganje  Üieif)e  r»on  3:ieren,  bie 
if)r  Seben  auf^  «Spiel  fe^en,  um  jüngere  ober  fc^n)äd)ere 
©enoffen  ^u  retten,  tötm  unbebenflid)  franfe  ober  alte  ©e* 
noffen,  bie  für  hk  (Srf)a(tung  ber  2(rt  überf[üffig  geraorben 
finb  unb  ber  (S5efeIIf(i)aft  gur  Saft  faden.  '3)er  „moralifci)e 
Sinn",  bie  „©r)mpatl)ie"  erftreiJt  fid)  nid)t  auf  biefe  @(e* 
mente.    5(u(i)  t)iele  Sßilbe  fianbeln  fo. 

@in  tierifd)er  ^rieb,  nid^t§  anbere§  ift  ha§  ©ittengefe^. 
'3)a^er  feine  ge!)eimni§t)oKe  DIatur,  biefe  (Stimme  in  un§, 
bie  mit  feinem  äu^er(id)en  5lnfto§,  feinem  fid^tbaren  Qntereffe 
gufammen^ngt;  biefer  '^^cimon  ober  ©ott,  hm  feit  Sofrate^ 
unb  ^(ato  bi§  ^ant  jene  (£tf)ifer  in  ficf)  empfanben,  hk  e§ 
able!)nten,  bie  @tf)if  au§  ber  Selbftliebe  ober  ber  Suft  ab^ 
guleiten.  @i(i)er  ein  gel^eimnigootter  ^rang,  aber  nirf)t  ge^ 
f)cimni§t)ofler  al^  bie  ©ef(^Ied)t§(iebe ,  bie  SJlutter liebe,  ber 
(Se(bfter^a(tung§trieb,  ha§  Sßefen  be§  €rgani§mu§  über^ 
fiaupt  unb  fo  niete  anbere  '3)inge,  bie  nur  ber  ^elt  ber 
„@rf(i)einungen"  ange^i3ren  unb  bie  niemanb  al§  ^robufte 
einer  überfinnlic^en  SOßelt  anfef)en  mirb. 

^Ißeil  ha§  Sittengefe^  ein  tierifc^er  ^rieb  ift,  ber  htn 
trieben  ber  Se(bfter!)altung  unb  gortpflan^ung  ebenbürtig, 
be6f)alb  feine  ^raft,  bes^alb  fein  drängen,  bem  mir  o^ne 
Überlegen  gcf)orcf)en,  be§£)alb  unfere  rafd)e  (Sutfrf)cibung  in 


64  S)ie  et^if  be§  ©armini^mul 

einzelnen  gäden,  ob  eine  ganblung  gut  ober  böfe,  tugenb* 
l)aft  ober  lafter^aft;  be§{)alb  bie  (£ntfc^ieben!)eit  unb  (Energie 
unfere§  fittli(i)en  Urteile,  unb  be§f)alb  bie  ©(^rcieingfeit,  e§ 
ju  begrünbeu,  rcenn  bie  33eruunft  anfängt,  bie  ^anblungen 
ju  gergliebem  unb  narf)  i^ren  ©rünben  gu  fragen,  ^ann 
finbet  man  frf)lie6lidf) ,  t>a^  aUe§  begreifen  alle§  tjergei^en 
l^ei^t,  ba^  al(e§  notraenbig,  nid)t§  gut  unb  böfe  ift. 

9^ic^t  au§  unferem  ©rfenntni^nermögen,  fonbern  au§ 
unferem  ^riebleben  flammt  mit  bem  ©ittengefe^  audE)  ha^ 
ftttlid)e  Urteil,  fomie  ba§  ®efiil)l  ber  ^fli^t  unb  ba§ 
©emiffen. 

Qu  mand^er  Siergattung  erlangen  bie  fo^ialen  triebe  eine 
fold)e  ^raft,  bag  fie  ftärfer  merben  al§  alle  anberen.  ©eraten 
jene  Slriebe  mit  biefen  in  ^'onflüt,  bann  treten  fie  ben  le^teren 
übermächtig  al§  Gebote  ber  $fli(i)t  gegenüber.  ®a§  ^inbert 
jeboii)  nid)t,  ba§  in  einem  folrf)en  galle  üorübergel^enb  ein 
befonberer  Slrieb,  etma  ber  ber  ©elbfter^ltung  ober  ber  gort* 
Pflanzung,  mäcl)tiger  n)irb  al§  ber  fo^iale  ^rieb  unb  biefen 
überminbet.  Slber  ift  bie  ®efal)r  oorüber,  fo  jd^rumpft  bie 
^raft  be§  (Selbfter^ltung§trieb§  fofort  gufammen,  ebenfo  bie 
be§  gortpflangunggtriebS  nad)  DoUjogener  S3egattung.  *^er 
joviale  Slrieb  aber  bleibt  in  alter  ^raft  beftel)en,  erlangt  nun 
mieber  bie  Ober^errfd^aft  im  Qnbioibuum  unb  mirft  je^t  auf 
i^n  alg  bie  ©timme  be§  ©erciffenS  unb  ber  Diene.  9ZidE)t§ 
irriger,  im  ©emiffen  bie  ©timme  ber  gurd)t  t)or  ben  ®e* 
noffen,  i^rer  9Jleinung  ober  gar  i^rem  pl)r)fif(^en  3^'^^9^ 
ju  fel)en.  %§  mxtt  audl)  in  bejug  auf  ^anblungen,  bie 
niemanb  erfal)ren  l)at,  felbft  na(^  §anblungen,  bie  ber  Um^ 
gebung  fe^r  prei§raürbig  erfd^einen,  ja  e§  !ann  audl)  mirfen 
al0  5lbfdl)eu  üor  ^anblimgen,  bie  man  auB  gurc^t  oor  ben 
©enoffen  unb  il)rer  öffentlid^en  SJleinung  unternommen  liat. 

^ie  öffentlidl)e  9Jleinung,  Sob  unb  Stabel  finb  fidl)er  fel)r 
einflu§reicl)e  gaftoren.  Slber  il)re  2ßir!ung  fe^t  felbft  fd)on 
einen  beftimmten  fo^ialen  Slrieb,  ben  ©lirgeig  ooraul;  fie 
fönnen  hu  fojialen  2:riebe  nic^t  erzeugen. 


2)ie  fojialen  2^rie6e  65 

2Bir  ^aben  feinen  @runb  ^ur  2Innaf)me,  ba§  ©eraiffen 
fei  auf  ben  9Jlenfd)en  befd)rän!t.  SÖßir  mürben  e§  auc^ 
bei  ben  3D^enfd)en  fdjraer  entbecten,  rcenn  nidE)t  jeber  fein 
2Dßir!en  hei  fi(^  felbft  empfänbe.  ®a§  ©erciffen  ift  ja 
eine  ^raft,  hk  nid)t  unrerfennbar  unb  offenfunbig  gutage 
tritt  fonbern  bie  nur  im  J^nnerften  be§  2ßefen§  rcirft.  2Iber 
tro^beni  finb  mand^e  gorf(i)er  ba!)in  gefommen,  aud^  bei 
ben  Vieren  eine  5lrt  ©erciffen  an§une!)men.  ©o  fagt  'S^arrain 
tu  feinem  ^U(i)e  über  bie  5lbftammung  be§  SJlenfdjen: 

„5lu^er  Siebe  unb  ©r)mpatf)ie  geigen  3;tere  nod)  anbere  mit 
ben  foäialen  :5nftinften  in  3Serbinbung  ftef)enbe  @igcnfd)aften, 
bie  man  beim  SOIenfi^en  moraIifd)e  nennen  mürbe;  unb  id) 
ftimme  mit  ^Igaffij  überein,  ha^  §unbe  etvoa§  bem  ©emiffen 
fe{)r  äf)nlid^e§  befi^en.  §unbe  befi^en  fidjer  ^twa§  ^raft  ber 
©elbftbel)err[(i)ung,  unb  biefe  fc^etnt  md)t  gänjltd)  ^otge  ber 
2rurd)t  5U  fein.  Sföie  S3raubadE)  bemerft,  mirb  ein  §unb  firf)  be§ 
©te^Ien§  oon  S^^a^rung  in  ^lbmefenf)eit  fetneg  ^erm  entf)alten/' 

©inb  ©emiffen  unb  ^flicf)tgefü^(  eine  golge  ber  bauemben 
übermad)t  ber  fo^ialen  Striebe  in  mantf)er  5;ierart  finb  biefe 
Striebe  biejenigen,  burii)  bie  ^nbioibuen  fot(i)er  3lrten  am 
gleic^mägigften  unb  bauernbften  beftimmt  merben,  mä{)renb 
bie  ^raft  ber  anberen  Striebe  großen  (5d)n)anfungen  unterliegt 
je  narf)  beftimmten  Qeiten  unb  (Situationen,  fo  ift  bocf)  aud^ 
bie  ^raft  ber  fojialen  triebe  md)t  t)on  aden  (5d)roan!ungen 
frei,  ©ine  ber  eigenartigften  @rfcf)einungen  ift  hk,  ia^ 
fo^iale  ^iere,  menn  fie  in  größeren  SDlengen  vereinigt  finb, 
aud^  ftär!ere  fojiale  S^riebe  empftnben.  (£§  ift  ^um  ^eifpiel 
eine  be!annte  (£rfd)einung,  ba^  burd)  eine  ftar!  befui^te 
SSerfammlung  ein  gan^  anberer  Quq  gefit  al§  burd^  eine 
f(i)madf)  befutf)te,  ba§  bie  größere  9JZenge  allein  aud^  auf 
t)ie  Unebner  anfeuemb  rcirft.  ^n  50^affe  finb  hk  9Jlenfd)en 
Ttid)t  b(o§  tapferer,  ba§  fönnte  man  burrf)  ben  größeren 
iRüc!^aIt  erflären,  ben  jeber  an  hen  ©enoffen  gu  finben 
{jlaubt;  fie  finb  aud)  felbftlofer,  opferrcidiger,  begeifterter. 
greilic^  bann  nur  §u  oft  eimüc^terter,   feiger,   egoiftifcf)er, 

ßautSI^,  etf)tf  unb  materialtftifdie  @erc^icl)t^auffaffung.  5 


66  3)ie  ©f)i!  bc§  ®orn3mi§mu§ 

Trenn  jie  ftcf)  rcieber  aUcin  fü()Icn.  Unb  ha^'  gUt  nid)t  blo§ 
t)on  ben  5iJlenfd)en,  fonbern  aurf)  von  jovialen  Vieren.  @o 
j^itiert  ®§pina§  in  feinem  ^uc^e  über  „^ie  tierif d)en  ©efcU* 
fd)aften"  eine  SScobac^tung  g*^^'^^^-    '3)iefer  fanb: 

„^er  SJlut  jeber  5(meife  nimmt  bei  berfelben  g^orm  im  qe-^ 
raben  3Serf)äItm§  mit  bcr  3«^^  i^>-'^^'  ©e[cit)rteu  ober  ^^reunbc 
gu  unb  ebenfo  im  geraben  3Ser{)äItni§  ah,  je  ifolierter  fie  von 
i^ren  ®efäf)rten  tft.  lieber  SSeroo^ner  eine§  fef)r  t)o(freicf)en 
2Imeifenbauc§  ift  oiel  mutiger  al§  ein  im  übrigen  ganj  gleid)er 
au§  einer  fef)r  üeinen  SSeoöIferung.  ^iefelbe  3Irbeiterin,  bie 
fid)  inmitten  if)rer  ®efäf)rten  5ef)nmat  töten  laßt,  mirb  fid^ 
auperorbentUcf)  fur(^tfam  seigen,  bie  geringfte  @efaf)r  t)er= 
meiben,  fetbft  cor  einer  oiel  fd)n)cid)eren  ^^Imei[e  flief)en,  fobalb 
fie  fid)  gman^ig  ©diritte  oon  il^rem  SSaue  allein  befinbet." 

50flit  bem  ftdrfeten  fojialen  ©mpfinben  ntu§  nid)t  not* 
jüenbigerraeife  ein  pf)ere§  (£rfenntni§üermögen  üerbunben 
fein.  Qm  atigemeinen  bürfte  jeber  2rieb  fogar  bie  ^enbenj 
I)aben,  bie  2reue  ber  ®rfenntni§  ber  ^lugenmelt  etma§  gu 
trüben.  2ßa§  man  iüünfd)t,  ba§  glanbt  man  gern,  aber 
mag  man  fürd)tet,  üergrößert  man  a\\^  oft  leid)t.  '2)ie  %xkhe 
mirfen  baf)in,  bag  teid)t  mand^e  ^inge  unocrf)ä[tni6mäf3ig 
gro^  ober  nal)e  erfd)einen,  anbere  überfe{)en  merben.  2ßie 
blinb  unb  taub  ber  gortpflan^unggtrieb  manche  ^iere  geit* 
meife  mad)en  fann,  ift  befannt.  ®ie  fojialen  triebe,  bie 
nid)t  fo  a!ut  unb  intenfio  auftreten,  trüben  im  allgemeinen 
meniger  ba§  ©rfenntnisoermögen,  fönnen  e§  aber  unter 
Umftänben  bod)  aud)  fef)r  beeinfluffen.  ?iJlan  ben!e  nur 
jum  ^eifpiel  an  bie  3ßirfungen  ber  ^reue  unb  ber  %{§' 
gipUu  bei  ben  @d)afen,  bie  bem  Seitl)ammel  blinb tiug§ 
nad)folgen,  moI)in  immer  e§  gelten  mag. 

%a§  Sittengefe^  in  un§  !anu  unfere  ®r!cnntni§  ebenfo 
fätfd)en  mie  jeber  anbere  ^rieb.  @§  felbft  ift  meber  ein 
^robuft  t)on  3ößei§l)eit,  no^  erzeugt  e§  3ßei§^eit.  2öa§  an* 
geblid)  ba§  (gr^abenfte  unb  (^öttlid)fte  in  un§  fein  foll,  ift 
x)on  gleichem  äßefen  mit  bem,  ma§  al§  baä  ©emeinfte  unb 


2)ie  fojialen  Zxkhe  67 

^euflifcE)fte  in  un§  angefef)en  tütrb.  '3)a§  Stttengefe^  ift 
gleid)er  Statur  mit  bem  gortpflan^ungStrieb.  9^icf)t§  läi^er« 
lid^er,  al§  rcenn  man  jene§  überfi^raenglid^  erf)ebt  unb  biefen 
mit  SSerac^tung  unb  2lbf(f)eu  üon  fid)  weift.  5Iber  m6)t 
minber  irrig  ift  e§,  ju  glauben,  ber  50^enfc^  fönne  unb  fode 
alkn  feinen  3:rieben  ofine  @inf(^rän!ung  folgen,  fie  feien  ade 
gleicf)  gut.  ^a§  le^tere  ift  infomeit  richtig,  ai§  man  üon 
feinem  fagen  fann,  er  fei  tjenoerfUrf).  3Iber  bamit  ift  nid)t 
gefagt,  ba§  fie  fidf)  ni(^t  fef)r  oft  in  bie  Ouere  fommen 
fönnen.  (£§  ift  einfarf)  unmöglid),  ba§  ber  30^enfd)  allen 
feinen  Meben  ol)ne  @infcl)rctnfung  folgt,  meil  fie  fid)  felbft 
gegenfeitig  einfcl)rän!en.  2ßelcl)er  aber  in  einem  gegebenen 
3Jloment  obfiegt  unb  vodd)e  ^oIqzxi  biefer  @ieg  für  ha^ 
Qnbiütbuum  unb  feine  (S^efellfcf)aft  nad)  fid)  5iel)t,  ^ängt 
üon  fel)r  t)ielen  Umftänben  ab,  babei  f)ilft  un§  meber  bie 
®tl)i!  ber  Suft  nod)  bie  eines  (Sittengefe^e§,  ba§  au^erl)alb 
be5  9ftaume§  unb  ber  Qeit  ftel)t. 

3ft  ba§  ©ittengefe^  aber  einmal  al§  fogialer  ^rieb  er- 
fannt,  ber  mie  alle  triebe  burrf)  ben  ^ampf  um§  ®afein 
in  un§  ge5Üd)tet  mirb,  bann  ^at  bie  überfinnlicl)e  2ßelt  ein 
ftarfe  ©runblage  im  menfd)(ic^en  ^enfen  üerloren.  ^ie 
naiüen  ©ötter  be§  ^oli)tl)ei§mu§  maren  fd)on  burd)  bie 
9^aturpl)ilofopl)ie  entt!)ront  morben.  2ßenn  tro^bem  eine 
neue  ^^ilofopl)ie  erftel)en  fonnte,  bie  'C)^n  Glauben  an  @ott 
unb  eine  überfinnlid)e  2Belt  nid)t  nur  roieberermedte,  fonbem 
in  l)ö^erer  gorm  fefter  begrünbete,  mie  hu§  im  Slltertum 
^lato,  am  SSorabenb  ber  franjöfifd)en  S^tenolution  ^ant 
tat,  fo  mar  bie  Urfad)e  baoon  ba§  Problem  be§  Sitten* 
gefe^eg,  gu  beffen  ©rflärung  meber  feine  5lbleitung  au§  bet 
Suft  noc^  bie  au§  bem  „moralifc^en  ©inne"  au§reid)te  — 
hk  einzige  „natürlid)e",  faufale  ©rflärung,  bie  möglich 
fc^ien.  ®rft  ber  ^armini^mug  i)at  ber  babiirc^  lieroor* 
gerufenen  Qmeiteilung  be§  5D^enfd)en  in  einen  natürlid)en, 
tierifd)en  unb  einen  übernatürlid)en,  l)immlifd)en  ein  @nbe 
gemad)t. 


68  2)ie  (2tf)tf  be§  5)armim§mu§ 

2(ber  nod)  rcar  bamit  ni(^t  ha§  gan^c  et{)ifd)e  Problem 
gelöft:  Saffen  fi(^  audf)  ber  ftttU(i)e  ®rang,  ^flid)t  unb 
©eroiffen,  foiüie  bie  örunbtripen  ber  Stugcnben  au§  hm 
fojialen  S^rieben  erflären,  fo  üerfagen  biefe  bod),  rco  e§  ftd) 
um  bie  (Srflärung  be§  fittli^en  Qbeal^  i)anbelt.  ^anon 
tft  in  ber  Sierraelt  au(^  ni(f)t  ber  leifefte  Steint  §u  entbecfeu. 
9^ur  ber  SJlenfcf)  ift  imftanbe,  fid)  S"^^^^^  8^  f^^^^  ^^"^ 
i^nen  juguftreben.  2ßo!)er  rül)ren  bicfe?  ©inb  fie  bem 
SD^enfc^engeftf)(erf)t  t)om  beginn  feiner  Qqü  an  üorgejeid^net 
aU  unt)err  lief  bare  ©ebote  ber  Statur  ober  einer  ercigen  35er* 
nunft;  al§  (S^ebote,  bie  nid)t  ber  ?iJlenf(^  erzeugt,  fonbern 
bie  bem  5iJlenfrf)en  al§  i^n  be{)errfd)cnbe  ©eraalten  entgegen* 
treten,  unb  bie  if)m  feine  Qiele  meifen,  benen  er  fitf)  immer 
me!)r  gu  näl)ern  l)at?  ®ag  mar  im  ©raube  bie  5lnfd)auung 
aller  i)enfer  beg  a(i)tjel)nten  Qa^rf)nnbert§,  ber  3ltl)eiften 
lüie  ber  2:l)eiften,  ber  3DRaterialiften  mie  ber  Qbealiften.  ®iefe 
5lnfcl)auung  nal)m  felbft  im  SJlunbe  be§  !ül)nften  5*Jlateria* 
li§mu§  hk  Slenben§  gur  33orau§fe^ung  einer  übernatürlicl)en 
S5orfel)ung  an,  bie  grcar  nid)t§  mel)r  in  ber  Statur  p  tun 
!)at,  aber  nod)  über  ber  menfd)lid)en  ©efellfcl)aft  fi^raebt. 
^er  @ntn)i(flung§geban!e,  ber  bie  Slbftammung  be§  50^en* 
fd)en  au§  ber  ^iermelt  erfannte,  mad)te  biefe  2(rt  Qbeali^* 
tnug  in  materialiftifc^em  SJlunbe  üoUenb^  abfurb. 

Qnbe§,  el)e  noc^  Karmin  feine  epod)emac^enbe  3:^eorie 
begrünbete,  mar  fd^on  jene  Sel)re  erftanben,  bie  aud)  ba§ 
©e^eimni§  be§  fittli(i)en  ^beal§  entl)üllte.  ©^  mar  hk 
£el)re  r>on  (SngeU  unb  SJlarj;. 


V.  Die  etölK  des  marflsmus. 


1.  Die  lüurzeln  der  materialiftif(|)en  eefdtjttötsauffalTung. 

^ie  rafrf)en  gortfrf)rttte  ber  9^aturtt)iffenf(i)aften  fett  ber 
frangöfifd)en  9let)oIutton  Rängen  eng  jufammen  mit  betn 
Sluffc^raung,  hzn  ber  Kapitalismus  feitbetn  nai)m.  ®te 
fapitaliftifc^e  ©roginbuftrie  beru{)te  immer  me^r  auf  ber 
Slnmenbung  ber  9^aturTüiffenfd)aft  unb  ^atU  ba^er  aUe 
Urfad)e,  if)r  SO^enfcf)en  unb  SJlittel  5usufü{)ren.  "^ie  neue 
2ect)ni!  lieferte  aber  ber  9^atum)iffenfcl)aft  nid^t  blog  neue 
Dbjefte  ber  Betätigung,  fonbern  aud^  neue  2ßerf§euge  unb 
9Jletl)oben.  "^er  internationale  3Ser!el)r  enbli(^  bra(f)te  i^r 
maffenl)afteB  neueS  9Jlaterial.  ©o  gemann  fie  Kraft  unb 
9Jlittel,  hzn  (SntmicflungSgebanfen  ftegreicl)  burcf)5ufül)ren. 

3(ber  me^r  nocl)  als  für  hk  S'Zaturmiffenfdiaften  bebeutete 
für  bie  2ßiffenfd)aft  t)on  ber  ©efetlfcl)aft,  bie  fogenannten 
©eifteSn)iffenfcl)aften,  bie  fran5Öfifcl)e  9f^et)olution  eine  ©pod^e. 
*3)enn  in  ber  9flaturn)iffenfcl)aft  §atte  fiel)  ber  @ntmic!lungS« 
gebanfe  fcl)on  t)orl)er  bei  manchen  ^enfern  mäd)tig  geregt. 
Qu  hzn  ®eifteSn)iffenfcl)aften  bagegen  mar  er  vox  ber  9let)o« 
lution  nur  in  ben  fümmerlic^ften  2lnfä^en  §u  finben  gemefen. 
@rft  feit  ber  9ieüolution  fonnte  er  fid)  in  il)nen  entmicteln. 

^ie  @eifteSmiffenf(i)aften  —  ^^ilofopl)ie,  9fted)t  ©efc^ic^te, 
politifd)e  Cfonomie  —  maren  t)or  ber  ^teüolution  für  bie  auf^ 
ftrebenbe  Bourgeoifie  vox  allem  SiHittel  be§  Kampfes  gegen 
bie  il)r  miberftrebenben  ^errfcl)enben  polttifd)en  unb  fojialen 
5*JläcE)te  gemefen,  bie  in  ber  3Sergangenl)eit  murmelten.  ®ie 
^^ergangenf)eit  ^u  biSfrebitieren  unb  il)r  gegenüber  bie  Qiele 
ber  33ourgeoifte,  baS  DZeue,  baS  Kommenbe  als  baS  einzig 


70  2)ie  etfjif  be§  9J?Qr|-i§mu§ 

SSernünftige  unb  ©utc  f)in5ufteüen,  bilbete  bie  Hauptaufgabe 
biefer  2ßtffenfrf)aften. 

"3)01  änberte  ftd)  feit  ber  9let)olutton.  '3)tefe  bracE)te  ber 
$8ourgeoifte  im  rDefent(id)eu,  \va§  fie  braud)te.  8ie  entl)ü((te 
i^r  aber  and)  feciale  ^ä(i)iz,  bie  tneiter  ftrebten,  a(§  fie 
felbft,  bie  über  ba§  ^inau§it)oHten,  wa§  bie  ^ieuolution  ge- 
bracht. ®iefe  neuen  9Jläc£)te  fingen  an,  if)r  gefä^rlirf)er  gu 
erfcf)einen  ai§  bie  tiefte  ber  niebergeinorfenen  alten.  (Bxd) 
mit  le^teren  auf  guten  gug  ju  fteden,  mürbe  ein  ®ebot 
politifi^er  ^lug{)cit  für  bie  ^ourgeoifie.  ^amit  mugte  aber 
aud)  i^r  Urteil  über  bie  3Sergangen{)eit  ein  mitbere§  merben. 

5(nbererfeit§  ^atte  gerabe  ben  Qbeologen  bie  Üteüolution 
eine  groge  @nttäufd)ung  gebracht,  ©o  @ro§e§  fie  für  bie 
Söourgeoifie  geleiftet  i)atU,  fo  rceit  mar  fie  f)inter  h^n  ®r* 
martungen  auf  ein  ^armonifc^e§  9teid)  ber  „<Sitten",  all= 
gemeinen  2ßot)lftanbe§  unb  ©(ü(fe§  gurüiigeblieben,  bie  man 
an  ben  Umfturg  be§  2llten  gefnüpft.  Tlan  magte  nicf)t  met)r, 
auf  9^eue§  ju  fioffen;  je  unbefinebigenber  bie  ©egenmart, 
je  abf(i)redenber  bie  (Erinnerungen  an  bie  jüngfte  SSergangen- 
l^eit,  meld)e  biefe  ©egenmart  gezeitigt,  befto  t)er!(ärter  er- 
fd)ien  bie  ferne  33ergangen^eit.  ^a§  erzeugte  befanntlid)  in 
ber  ^unft  bie  ^ftomantif.  2lber  e§  erzeugte  eine  äl)nlic^e  9ii(i)* 
tung  in  ben  ®eifte§miffenf(^aften.  3D]an  fing  an,  bie  5ßer* 
gangent)eit  gu  erforf(i)en,  nic^t  um  fie  gu  verurteilen, 
fonbern  um  fie  gu  begreifen;  nicf)t  um  fie  ai§  2öal)n* 
finn  l)insuftellen,  fonbern  um  il)re  3Sernünftig!eit  gu 
erfaffen. 

Slber  bie  Oleüolution  l)atte  ju  grünblid)  gearbeitet,  al§ 
ba§  man  ll)ätte  im  (Srnft  baran  benfen  fönnen,  bie  guftänbe, 
bie  fie  befeitigt,  mieber  l)erguftellen.  SCßar  ba§  SSergangene 
t)ernünftig  gemefen,  fo  mu^te  man  borf)  erfennen,  ha^i  e§ 
unvernünftig,  unmöglich  gemorben  mar.  %a§  gefellfd)aftlic^ 
^Vernünftige  unb  9^otmenbige  l)örte  bamit  auf,  al§  ein  un* 
manbelbarer  begriff  gu  erfd)einen.  ©o  erftanb  hk  ^In* 
fd^auung  einer  fo^ialen  ©ntmidlung. 


®ie  SBur^eln  ber  materialiftifd^en  ©efc^ic^tiSauffaffung  71 

•2)ag  galt  gunä(i)ft  für  bte  ©rfenntniä  ber  beutfc^en 
^or^eit.  ^n  ®eutf(i)lanb  üoUjog  fid£)  ber  ehen  gefc^ilberte 
^rojeg  am  auffaHettbften.  ^ort  tr»ar  bie  rerotuttonäre  *2)enfs 
ireife  ntd)t  fo  tief  gebrungen,  f)atte  nt(i)t  fo  ftarfe  SBur^eln 
gefaxt  raie  in  granfreirf),  ^atte  bie  9iet)oIution  and)  nic^t 
fo  grünblic^  gerairft,  ^attc  fie  bie  9}Zärf)te  unb  2(nfd)auungen 
ber  3Sergangen{)eit  rceniger  erfd)üttert,  unb  rcar  fie  fd)lieg(id) 
mti)X  ciB  t)eri)eerenbe§  n>ie  al§  befreienbeg  (Clement  aufgetreten. 

Slber  sum  ©tubium  ber  beutfcf)en  QSorgeit  gefeilte  firf)  bie 
©rforfi^ung  ä^nlic^er  ^erioben.  ^n  3lmerifa  raar  ba§  junge 
©emeinraefen  ber  ^bereinigten  Staaten  §u  beginn  be§  neun* 
geeinten  3af)r!)unbert§  fo  mit,  ba§  fidE)  bort  eine  eigene 
klaffe  ber  intelligent  entn)ic!elte,  eine  eigene  amernfanifc^e 
SöeHetrifti!  unb  2ßiffenf(^aft.  2Ba§  3(merifa  t)on  ©uropa 
befonber§  unterfd)ieb,  rcar  aber  ba§  enge  ^ufammenleben 
ber  fapitaliftifc^en  Qirilifation  ber  2ßeit3en  mit  ber  inbiani* 
fd^en  Barbarei.  ®iefe  mürbe  ba§  Objeft,  "t^a^  ^elletrifti! 
unb  2ßiffenfd)aft  befonber§  anjog.  ^alb  nai^  ber  beutfd)en 
tRomanti!  entftanb  ber  amerifanifi^e  Qnbianerroman,  unb 
balb  nad)  ber  l)iftorif(i)en  9ie(^t§f(jE)ule,  ber  SS^ieberbelebung 
ber  alten  3!Jlärcf)en*  imb  ©agenmelt  unb  ber  t)ergleicf)en* 
ben  (5pradl)forf(^ung  in  ^eutfc^Ianb  bie  miffenfc^afttic^e 
Unterfud)ung  ber  fo^ialen  unb  fprad£)IidE)en  3Serl)ältniffe  ber 
^nbianer  in  3lmeri!a. 

5rül)er  fcl)on  ^atte  aber  hu  JJeftfe^ung  ber  ©nglänber 
in  Oftinbien  bie  9JlögIid)!eit,  ja  bie  S^otmenbigfeit  ber  (Sr- 
forfd^ung  ber  ©prad)en,  ber  (Sitten,  be§  O^ec^teS  biefe§ 
@ebiet§  mit  fid^  gebra(i)t.  58i§  nad)  ^eutfcfilanb  brang 
im  Einfang  be§  neun§el)nten  :3txl)rl)unbertl  hk  Kenntnis  be§ 
©an§!rit,  momit  bie  ©runblage  gur  t)ergleicE)enben  ©prad)* 
forfcl)ung  gelegt  mürbe,  bie  bann  il)rerfeit§  mieber  eine  Diei^e 
ber  midl)tigften  ©inblide  in  ha§  Seben  ber  inbogermanifcl)en 
SSölfer  in  il)rer  Urzeit  geftattete. 

5ltle»  ba§  ermöglicl)te  e§  aber  nun  aurf),  bie  SiHitteilungen 
jiüilifierter  ^eobad^ter  über  9^aturoöl!er  fomie  hk  Junbe  oou 


72  S)ie  @tl^i!  be§  2Warjiämu0 

Söaffcn  unb  SSerf^eugen  au§geftorbener  93öl!er  anberg  ju 
be{)anbeln  alg  e{)ebem,  jdo  mau  fie  nur  aU  ^uviofa  auf- 
gefagt  f)atte.  ©te  rcurben  je^t  9Jlaterialten,  bie  einmal 
bloßgelegten  ^eile  ber  ^ük  ber  gefellfcl)aftlid)en  ©ntraicflung 
nad)  rütoärtS  gu  verlängern  unb  mand)e  il)rer  Surfen  gu 
fc^tiegen. 

^ei  biefer  gangen  gefd)t(i)tlt^en  3lrbeit  fel)lte  aber  ba§ 
Objeft,  baä  h\§  ba^in  bie  gange  ©efcl)ici^tfd)reibung  be* 
l)errfrf)t:  ba§  ^eroorragenbe  menfc^lid)e  :3nbit)tbuum.  Qn 
ben  gefcl)rtebenen  OueUen,  au§  benen  el)ebem  au§fd)lieglicl) 
bie  ^enntnig  ber  menfd)l)eitlid)en  (S5efcl)ic^te  gefrf)öpft  rcorben, 
^att^  ftd^  nur  ba§  2lu§erorbentlicl)e  t)ergeicf)net  gefunben,  weil 
e§  ba§  einzige  rcar,  \va§  bem  '3)arftelter  ber  ©reigniffe  feiner 
3eit  bemer!en§n)ert  erfd)ien.  2Ber  mocl)te  barftelten,  n)a§  all* 
täglid)  mar,  alle  SOßelt  rcugte!  %zx  au§erorbentlirf)e  5[Renfd), 
bie  au§erorbentli(i)e  (Srfcl)einung,  vok  ^rieg  unb  ^fleoolution, 
erfd)ienen  allein  ber  Überlieferung  rcert.  @o  rcar  benn  aud^ 
für  bie  ^er!ömmlid)e  @efc^icf)tfd)reibung,  bie  nicl)t§  tat,  al§ 
bie  überlieferten  Cluellen  mit  me^r  ober  menig  ^riti!  abgu* 
fd^reiben,  ber  große  SORenfcl)  ber  SJZotor  ber  ®efcl)id)te;  im 
Zeitalter  ber  geubalität  ber  ^önig,  ber  5elbf)err,  ber 
^eligiongftifter  unb  ^riefter.  Qm  adjt^^fyxUn  Qal)r^unbert 
rcurben  bann  üon  ber  bürgerlicl)en  J^utelligeng  gerabe  biefe 
(Elemente  §u  ben  Urliebern  alle§  ^öfen  in  ber  2ßelt  ge* 
ftempelt  unb  bafür  bie  ^l)ilofopl)en  al§  ©efe^geber  unb 
£el)rer  gu  'bm  einzigen  Prägern  mirflicl)en  gortf(i)ritt§  er^ 
l^oben.  5lber  aller  gortfcl)ritt  fcf)ien  nur  ein  äußerlicl)er  gu 
fein,  ein  bloge§  2Becl)feln  ber  S^oftüme.  Qene  Qeit,  in  ber 
bie  DueUen  ber  ©efd)icl)tfcl)reibung  reicl)lid)er  gu  fließen  be^ 
gannen,  bie  Qeit  be§  8iege§  ber  ©riecl)en  über  bie  perfifcl)e 
J^uüafion,  bebeutete  gerabe  einen  §öl)epun!t  gefellfd)aftlid£)er 
©ntmidlung.  3Son  ba  an  fing  bie  ©efellfi^aft  in  ben  Säubern 
be§  50^ittelmeere§  an,  fic^  aufgulöfen,  e§  ging  bergab  mit 
il)r  hx§  gur  Barbarei  ber  ^Sölferiuanberung.  9^ur  langfam 
l)atten  fid)  bie  QSölfer  @uropa§  feitbem  lüieber  gefellfd)aftlid) 


2)te  SBurjeln  ber  matertaltftifd^en  ©cfd^ic^t^auffoffung  73 

f)ö^ex  entvoiddi,  unb  felbft  im  aditje^nten  Qa^r!)unbert 
l^atten  fie  ba^  Df^beau  be§  flaffifi^en  3lttertum§  nod)  nic^t 
rceit  über] (^ritten,  fonnte  biefe§  in  manchen  fünften  ber 
^olitit  ber  ^f)iIofop^ie  unb  namentlirf)  ber  ^unft  noc^  al§ 
Tjorbilb(id)  gelten. 

^ie  gan§e  @efc^id)te  erfd)ien  baf)er  all  ein  bIo§  3luf  unb 
S^^ieber,  ein  SÖßieber^olen  besjelben  ^reillaufl,  unb  'öa  ba§ 
einzelne  Qnbit)ibuum  firf)  ftet§  größere  Qiele  fteden  !ann, 
al§  e§  err ei(i)t,  'ta  e§  alfo  in  ber  Siegel  „f (^eitert",  fo  er^ 
fc^ien  biefer  Kreislauf  al§  eine  grauftge  ^ragifomöbie,  in 
ber  aurf)  bie  @rf)abenften  unb  ©tärfften  ju  unglüdlid)en 
9toUen  üerurteilt  rcaren. 

©anj  anberl  bie  Urgefrf)id)te.  @ie  rcie  i^re  einzelnen 
gädf)er,  9lecf)tlgefrf)id)te,  ©prad^oergleic^ung,  3Söl!erfunbe, 
finben  in  bm  ^eugniffen,  bk  fie  ©erarbeiten,  nid)t  ba§ 
3lu6erorbentlid)e  unb  Qnbiüibuelle,  fonbem  ha§  3ltttäglid)e 
unb  ß5eraöf)nlid)e  ner^eid)net.  2lber  gerabe  haxin  tann  hk 
Urgef(i)id)te  gang  fieser  eine  Sinie  fortf(^reitenber  ©ntrairf* 
lung  verfolgen.  Unb  je  me^r  i^r  ?iJlaterial  rcäc^ft,  je  me^r 
fie  ®Ieic^artige§  mit  ©Ieid)artigem  gu  t)ergleid)en  vermag, 
befto  me!)r  entbedt  fie  auc^,  ba^  biefe  ©ntmidlung  feine 
zufällige,  fonbem  eine  gefe^mägige  ift.  ^ag  SiJlaterial,  ba§ 
i^r  gu  ©ebote  fte^t,  finb  aber  auf  ber  einen  <BexU  Statfad)en 
ber  i^ec^nü,  auf  ber  anberen  foIcf)e  bei  9te(i)te§  unb  ber 
©itte,  ber  Oleligion.  '3)ie  ©efe^mä^igfeit  f)erftel(en  t)k^ 
ba  nic!)t§  anbere§,  al§  hk  2ecf)ni!  mit  ben  re(i)tlicf)en, 
fittlic^en,  religiöfen  5(nfd)auungen  in  einen  faufalen  Qu^ 
fammen^ng  bringen  of)ne  3^^i^f^^^^^ß  au§erorbent(ic^er 
©reigniffe  unb  Qnbinibuen. 

tiefer  gufammenf)ang  mürbe  aber  gleicEigeitig  t)on  einer 
anberen  ©eite  f)er  aufgefunben  burd^  bie  ©tatiftif. 

(Solange  bie  ©emeinbe  bie  rai(i)tigfte  ö!onomifd}e  ^n^ 
ftitution  mar,  beburfte  man  faum  einer  ©tatiftif.  Qu  ber 
©emeinbe  rcaren  bie  33erf)ältniffe  in  ber  Ülegel  k\d)t  über- 
fid)t(id).    ^Iber  aud)  menn  man  ba  eine  Statiftif  aufftedte. 


74  S)ie  (St^tf  bc§  9Warjiginu§ 

fonnte  fie  faum  gu  :Diffenf(i)aft(ic^en  33eobacf)tungen  aw 
regen,  ba  bei  ber  ^leint)eit  ber  3af)(eu  ba§  ©efe^mäßtge  ju 
Tüentg  gut  ©eltung  tarn.  ^a§  mugte  fic^  dnbem,  al§  bie 
!apitaliftifd)e  ^robuftionSrcetfe  bie  mobemen  (Staaten  f(f)uf, 
bie  nid^t  blo^,  raie  bie  früheren,  Qnfammen^änfungen  von 
©emeinben  nnb  GJanen  bilbeten,  fonbent  ein{)eitUd)e  5^övper 
mit  n)id)tigen  öfünomiid)en  gnnftionen.  ^lugerbem  aber 
entmicfelte  bie  fapitaliftifd)e  ^$robuftion§n)eife  nid)t  blog  ben 
«Staat  jum  inneren  ^axtt,  fonbern  baneben  nod)  ben  SOßelt* 
mar!t.  %a§  ergab  meitüer^raeigte  gtif^intmen^änge,  bie  o()ne 
bie  SJlittel  ber  ©tatiftif  gn  überf(i)anen  gan§  unmöglid)  war. 
SBegrünbet  jn  praftifcf)en  Qraeden  ber  ©tenererl)ebnng  nnb 
9fle!mtenflellnng,  beg  3ofin)efen§,  enblitf)  ber  3Serfid)ening§< 
gefeltf(i)aften,  ergriff  fie  immer  meitere  (3^hkk  nnb  lieferte 
fie  fd)lie6Iic^  ein  9}iaterial  t>on  SD^affenbeobadE)tnngen,  ha^ 
©efe^e  aufroieB,  bie  anfmerffamen  33earbeitern  be§  9Jlaterial§ 
anffallen  mngten.  ^n  ©nglanb  !am  e§  fd)on  gn  @nbe  be§ 
fieb^e^nten  Qal)r]^unbert§  feit  $ettt)  gn  einer  „poIitif(i)en 
5lritf)meti!",  mobei  aber  @rf)ä^nngen  nod)  eine  groge  9iot(e 
fpielten.  Qu  beginn  be§  neunzehnten  Qabr!)unbert§  mar 
jebocf)  bie  9Jlett)obe  ber  ftatiftifc{)en  5lufnal)men  fcf)on  fo 
t)ert)o(l!ommnet  unb  maren  if)re  (SJebiete  fo  mannigfaltig, 
ba^  man  in  ber  Sage  mar,  mit  ber  größten  (Sid)er!)eit  ba§ 
GJefe^mägige  in  bem  §anbeln  üon  größeren  5[Renfd)cnmaffen 
ju  entberfen.  ^er  Belgier  D-uetelet  mar  e§,  ber  in  b^n 
breißiger  Qa^ren  auf  biefe  2ßeife  ben  3Serfud^  mad)te,  eine 
^^^fiologie  ber  menfd)li(^en  ©efellfcf)aft  bar^ufteKen. 

5ll§  ba§  ^eftimmenbe  in  ben  3Seränberungen  ber  §anb« 
lungen  ber  ?[Renfd)en  fanben  fid^  babei  aber  ftetä  materielle, 
in  ber  9ftegel  ö!onomifd)e  33eränberungen.  80  mürbe  hk 
3lbf)ängig!eit  ber  Qw  unb  3lbnal)me  ber  ^erbre(i)en,  ber 
©elbftmorbe,  ber  ®^efd)liegungen  üon  ber  Qu*  unb  2Ibna^mc 
ber  (SJetreibepreife  feftgeftellt. 

^id)t  etrca,  al§  ob  ö!onomifd)e  SiJlotioe  allein  gum  Set* 
fpiel  hk  Urfad)en  mären,  t>a^  @l)en  überliaupt  gefd^loffen 


2)ie  SSurseln  bet  materialifttfc^en  ®efc^{(f)t§ouffoffung  75 

Tücrben.  9Ztemanb  wirb  ben  G5ejd)Ie(i)t§tneb  für  ün  btonom'u 
frf)e§  SJlotb  erüären  lüoden.  2(ber  bie  3}eränberung  in 
ber  iä!)rlid)en  Qaf)!  ber  (£f)efd)lte§ungen  rcirb  burc^  SSer- 
änberungen  in  ber  ö!onomtf(i)cn  Sage  ^erwrgerufen. 

'tJl^htn  alten  biefen  nenen  2öiffenf(i)aften  ift  enblid)  noc^ 
3U  errcöEinen  eine  Slnbenmg  im  Sf)ara!ter  eine§  Seili  ber 
neueren  G5efd)icf)tf(f)reibung.  %k  fran^öftfdje  9iet)oIution 
rcar  fo  beutlirf)  aU  £(a|fen!ampf  aufgetreten,  ba^  ntrf)t  nur 
i^re  @efd)irf)tf(^retber  ha§  anerfennen  mußten,  fonbern  ein 
^eit  ber  §iftorifer  barau§  bie  Slnregung  fd)öpfte,  aud)  in 
anberen  ^erioben  ber  (^efcE)t(^te  bie  SRoIle  ber  ^(affenfämpfe 
3U  erforfd)en  unb  in  i^nen  hk  2:riebfräfte  ber  gefel(fd)aftlirf)en 
©ntmicflung  gu  entbeden.  ^ie  klaffen  finb  aber  mieber 
^in  ^robuft  ber  ö!onomiftf)en  ©tmftur  ber  ^efellfd^aft, 
unb  aul  biefer  entftammen  and)  bie  Q^egenfä^e,  alfo  bie 
kämpfe  ber  klaffen.  2Ba§  jebe  klaffe  gufammen^lt,  rva^ 
fte  von  ben  anberen  klaffen  fonbert,  it)ren  ©egenfa^  gu 
biefen  befttmmt,  ha§  ift  i^r  eigenartige^  ^laffenintereffe, 
eine  neue  5trt  t)on  Qntereffe,  von  ber  fein  (£tf)ifer  be§  ac^t* 
ge{)nten  Qa!)r^unbert§  eine  5If)nung  {)atte,  meld^er  Diid^tung 
er  immer  angeijören  mochte. 

5[Rit  allen  biefen  gortfd^ritten  unb  @ntbe(fungen,  bie  frei* 
lief)  oft  nur  ftiitoeife  unb  feine§n)eg§  immer  ganj  !lar  ^u* 
tage  lagen,  rcaren  in  ben  üierjiger  3al)ren  be§  neunjel)nten 
^al)rl)unbert§  alle  n)efentlicf)en  (Elemente  ber  mateinaliftifcf)en 
©efcf)id)t§auffaffung  gegeben,  ©ie  darrten  nur  nod)  ber 
9JIeifter,  hk  fie  be^ein:fcf)ten  unb  ju  einem  einl)eitlid)en  ©e^ 
bilbe  vereinigten.  %a§  l)aben  befanntlid)  (£ngel§  unb  ?Okrj 
geleiftet. 

9^ur  fo  tiefen  "^enfern  mie  il)nen  mürbe  eine  berartige 
Seiftung  möglief).  S^fofern  mar  biefe  if)r  perfönlicf)e§  ^2ßerf. 
2fber  feinem  @ngel§,  feinem  Waxx  märe  fie  möglief)  gemefen 
im  ad)t3el)nten3af)r^unbert,  el)e  aUe  bie  neuen  2ßiffenf Gräften 
eine  genügenbe  50^enge  neuer  9^efultate  gezeitigt  l)atten. 
Slnbererfeit^  l)ätte  mol)l  ein  Wlann  oon  bem  ©enie  eine§ 


76  25ie  (5tt)if  be§  ä>?oryi§mug 

§elt)etiu§  ober  etnc§  2ant  aucf)  bie  materialiftifc^e  ©efrf)icE)t§* 
Quffaffung  entbecfen  fönnen,  rcenn  ^u  feiner  Qeit  i^re  rctffen^ 
fcf)aftlid)en  3Sorbebingimgen  gegeben  rcaren.  ©nblid)  aber 
Ratten  and)  @ngel§  unb  9Jlarj  tro^  i^re§  ^enie^  unb  tro^ 
ber  QSorarbeit,  n)elcf)e  bie  nenen  20ßiffenfd)Qften  geleiftet,  aud) 
in  ben  üierj^iger  J^af)ren  be§  neunzehnten  ^a{)r!)unbert§  e§ 
nic^t  x)ennod)t,  bie  materialiftiid)e  ®efd^ic^t§auffaffung  gu 
entberfen,  rcenn  fie  nirf)t  auf  bem  Stanbpunft  beg  ^role^* 
tariatg  ftanben,  alfo  ©o§iatiften  rcaren.  3Iud)  ba§  lüar 
unbebingt  notnjenbig,  um  biefe  ©efd)id)t§auffaffung  gu  ent* 
bed en.  ©ie  ift  in  biefem  (Sinne  eine  proletarifd)e  ^f)iIofopt)ie 
unb  bie  i^x  entgegenftef)enben  3lnfd)auungen  finb  bürgerlid)e 
^()iIofopf)ien. 

^a§  Sluffommen  be§  (£ntn)ic!lung§gebanfen§  in  ben  (S)e= 
fellfd)aft§n)iffenfrf)aften  fiel  in  eine  Q^it  ber  Dieaftion,  a[§ 
3unäd)ft  eine  SOßeiterentroicflung  ber  ©efeUfi^aft  nirf)t  in 
grage  ftanb,  ber  ©ntrcidlungsgebanfe  nur  ber  ©rflärung 
ber  big^erigen  ©ntraicflung  biente  unb  bamit  aud)  in  ge= 
rciffem  ©inne  ber  ^ed)tfertigung,  ja  mitunter  ber  3Ser!Iärung 
be§  ^emefenen.  ©o  mie  burd)  hk  9^omantif  gef)t  aud)  burc^ 
bie  f)iftorifd)e  (5d)ule  ber  9^ed)tsiiüiffenfd)aft,  ge{)t  burd)  bag 
ganje  Stubium  ber  SSor^eit,  felbft  burd)  bie  ©ansfritforfd)ung 
—  man  erinnere  fid)  gum  33eifpiel  be^  ^ubb^i§mu§  (Sd)opens 
^auer§  — ,  in  ben  erftenQa^rzef)nten  be§  vorigen  3al)rl)unbert§ 
ein  reaftionärer  Qug.  ©benfo  burd)  jene  ^^ilofop!)ie,  bie  ben 
@ntn)id(ung§geban!en  biefer  (£pod)e  gum  9Jlittelpun!t  il)re§ 
(5^ftem§  mad)te,  bie  §egelfd)e.  ^ud^  fie  foUte  nur  bie  SSer^ 
l^immelung  ber  bi§!)erigen  (Sntmidtung  fein,  bie  aber  nun 
\l)xm  enbgültigen  5(bfd)lug  gu  finben  f)abe  in  ber  9Jlonard)ie 
t)on  (Spottes  ©naben.  5(l§  reaftionäre  $f)ilofop^ie  mu^te  biefe 
^^ilofopfjie  ber  ©ntrcidlung  jebod)  aud)  eine  ibeatiftifd)e 
^f)i(ofopl)ie  fein,  benn  bie  (Segenroart,  bie  2Bir!(ii^feit,  ftanb 
in  gu  großem  SCBiberfpruc^  §u  i^ren  reaftionären  Slenbengen. 

m§  bie  2ßirflid)feit,  ha§  f)ei§t  bie  fapitaliftifd)e  G^efeö^ 
fd)aft  mieber  fo  n^eit  mar,  fid)  biefen  2:enben5en  gegenüber 


2)tc  SBurjeln  ber  matertQliftif(l}en  ®e[c^tc^t§auffof[ung  77 

rcirÜid^  burdijufe^en,  rcurbe  bie  ibealiftti(i)e  (£ntroid(ung§^ 
;)^iIofopf)te  unmöglich.  Sie  rourbe  überraunben  burd)  einen 
me^r  ober  weniger  offenen  9)lateriali§mu§.  SIber  mir  t)om- 
proletarifrf)en  ©tanbpnnft  au§  mar:  e§  möglid^,  nnn  h^n 
(S)ebanfen  ber  gefeKfrfjaftüc^en  (£ntn)ic!lung  in§  9)]ateria* 
Iiftif(i)e  p  überfe^en,  ha§  f)eigt  in  ber  ©egenrcart  eine  nad) 
natumotraenbigen  ©efe^en  oor  fic^  ge!)enbe  gefe(lfrf)aftlt(^e 
®ntn)i(flung  jn  erfennen.  ®ie  ^onrgeoifie  mngte  fid)  jebem 
<5)eban!en  einer  weiteren  ge]ellf(i)aft(td)en  ©ntraicflung  oer= 
fd)Iie§en  unb  jebe  ®ntn)idIung§p{)ilofopf)ie  t)on  fid)  ablehnen, 
hk  bie  ©ntraidlnng  ber  3Sergangenf)eit  nic^t  b(o§  erforfd)te, 
um  biefe  §u  begreifen,  fonbern  aud),  um  bie  2;enb engen  gu 
einerneuen@efellfd)aftber3ufunft  ^u  erfennen  unb  2ö  äffen 
gu  fd)mieben  für  ben^ampf  ber  ©egenmart,  berbeftimmt 
ift,  biefe  ®efeIIfd)aft§form  ber  Qufunft  Iierbeigufü^ren. 

(Sobalb  bie  ^eriobe  ber  geiftigen  Dieaftion  nad)  ber  großen 
iReüoIution  übeniDunben  mar,  bie  Sourgeoifie  mieber  @elbft= 
gefü!)l  unb  Tladjt  gemann  unb  aller  !ünftlerifd)en  unb 
p§ilofop^ifc^en  9iomanti!  ein  (£nbe  mad^te,  um  hen  WaU^ 
riati§mu§  gu  proüamieren,  fonnte  fie  bod)  nid)t  §um  ^iftori« 
fd)en  5JlateiiaIi§mu§  übergeben,  ©o  fef)r  biefer  in  ben  Qeit- 
nertjältniffen  begrünbet  mar,  fo  lag  e§  nid)t  minber  in  il)nen 
begrünbet,  bag  er  nur  gur  ^^l)ilofopl)ie  be§  Proletariats 
merben  fonnte,  bag  er  oon  ber  äßiffenfc^aft,  forceit  fie  im 
^annfreiS  ber  ^ourgeoifie  mar,  abgelel)nt  mürbe,  fo  fe^r 
abgelel)nt,  ha^  felbft  ber  fosialiftifd)e  3}erfaffer  ber  (55efd)id)te 
be§  gj^aterialiSmuS,  Gilbert  Sauge,  bort  ^arl  5Jlar£  nur  al§ 
£)fonomen  unb  nid^t  al§  ^l)itofopf)en  ermäl)nt. 

^er  ©ebanfe  ber  ©ntrcidlung,  allgemein  angenommen 
für  hk  9fZaturmiffenf(^aften,  au^  fe^r  frui^tbar  für  einige 
©pegialfäc^er  ber  ©eifte§miffenfd)aften,  ift  tot  für  i^re  ßJe* 
famtauffaffung  geblieben,  fomeit  fie  bürgerli(^e  2ßßiffenfd)aft 
barftellten.  %k  ^ourgeoifie  fonnte  benn  aud)  nad^  §cgel 
in  il)rer  ^l)ilofopl)ie  nid)t  me^r  roeiterfd)reiten.  Sie  verfiel 
einem  9JIateriali§mu§,  ber  l)inter  bem  beS  ad;t5el)nten  Qalir^ 


78  2)ic  et{)if  be5  9}?ar?:ismu§ 

^unbertS  er^eblirf)  gurücfftel^t  tt)eil  er  rein  naturratffenfdjaft^ 
lic^  ift,  gar  feine  eigene  3:f)eorie  ber  (Sicfe((fd)aft  anfiüeift. 
Unb  ai§  i^x  biefer  befd)ränfte  ^O^laterialisrnng  nid)t  me^r 
pa^U,  lüanbte  fie  fid)  rcicbcr  bem  alten  ^antianismuS  ju, 
gereinigt  üon  allen  5[RcingeIn,  bie  burrf)  bie  feitf)erige  S^atnr* 
n)i[fenf(i)aft  Überrannben  rcorben,  aber  ungereinigt  üon  feiner 
(Stf)i!,  bie  nun  ba§  ^odraer!  ift,  ba§  ber  materialiftifdjen 
^()corie  ber  gefel(fd)aftlid)en  ®ntraic!(ung  entgegengefe^t  rcirb. 

Qn  hen  ijfonomifi^en  2ßiffenfd)a|ten  fc^raanft  bie  SSour^ 
geoifie  §n)ifd)en  einer  l)iftorijd)en  5luffaffung,  bie  voo^l  eine 
®nttr)ic!(ung  ber  ©efeltfc^aft  fiel)t,  aber  notraenbige  ©efe^e 
biefer  ©ntrcidlung  leugnet,  unb  einer  2luffaffung,  bie  not^ 
rcenbige  ©efe^e  ber  ©efellfc{)aft  anerfennt,  aber  bie  gefeU« 
fd)aftlicl)e  (Sntraidlung  leugnet  unb  in  ber  ^f9d)ologie  eine§ 
ifolierten  Urmenfcl)en  fd)on  alle  öfonomifcf)en  Kategorien  ber 
mobernen  ©efellf(f)aft  gu  entbeden  glaubt.  Qu  biefer  Stuf* 
faffung  gefeilt  fid)  nod)  eine  naturTt)iffenfd)aftlid)e,  bie  bie 
©efe^e  ber  ©efellfd)aft  auf  ©efe^e  ber  Biologie,  ba§  ^ei^t 
ber  pflan§lid)en  unb  tierifd)en  Organismen  rebu^ieren  raill, 
voa§  im  ©runbe  aud)  nid)tä  anbereS  l)ei§t  cils  bie  Seugnung 
aller  eigenen  ©efe^e  gefellfd)aftlic^er  (Sntmidlung. 

©eitbem  bie  S3ourgeoifie  fonferpatiü  gercorben,  ift  nur 
nod)  t)om  proletarifd)en  8tanbpun!t  auS  eine  materialiftifd)e 
2:l)eorie  ber  gefellfc^aftlid)en  (Sutioidlung  möglid). 

®§  ift  rid)tig,  ber  neue  bialeftifd)e  3Jlateriali§mu§  ift  ein 
9)lateriali§mu§  eigener  2lrt,  ber  von  bem  rein  naturmiffen* 
fd)aftlic^en  mefentlid)  t)erfd)ieben  ift.  9Jland)e  feiner  greunbe 
^aben  bal)er  gen)ünfd)t,  man  möge,  um  9Jii§t)erftänbniffe  ^u 
üermeiben,  ha§  2Bort  9Jlatern  alismuS  buri^  ein  anbereS  erfe^en. 

5(ber  rcenn  '^ax^c  unb  ©ngelS  an  bem  2ßort  9Jlateriali§= 
mu§  feftl)ielten,  gefd)al)  e§  jebenfall§  au§  bemfelben  ©runbe, 
au§  bem  fie  fid)  meigerten,  il)r  ^3JZanifeft  ber  Kommuniften 
in  ein  90f^anifeft  ber  ©o^ialiften  umzutaufen.  '3)a§  SOßort 
Sozialismus  hedt  l)eute  fo  mannigfaltige  2ßaren,  barunter 
red)t  erbärmlid)e,  d)riftli(^en  unb  nationalen  ©o§ialiSmu§ 


2)er  Drgani^mug  ber  menfc^Iic^en  ©efeöfc^aft  79 

atlcr  5lrt;  ha§  SOßort  ^0Tnmuni§mu§  bagegen  bc§ct(i)net  um 
grceibeutig  unb  flar  ba§  3^^^  ^^^  ^^  f^i^^  (Smangipatiou 
im  reüolutionären  Kampfe  tingenben  '^roIetariat§. 

©0  rcürbe  aud^  in  einer  ^e^eicfinung  be§  btaleftifd)en 
9DRatenaU5mu§  al§  biale!tifd)er  „5DRoni§Tnu§''  ober  „Rriti* 
gi§mug"  ober  „9^eati§mu§"  aller  ©egenfa^  pr  bürgerlichen 
äßelt  üerloren  gef)en.  ^a§  SOßort  „SHaterialigmug"  bagegen 
hchenUt  feit  ber  §errfd)aft  be^  ß:^riftentum§  eine  ^^ilo^ 
fop^ie  be§  ^ampfe§  gegen  bte  ^errfd)enben  ©eroalten. 
^e§l)alb  ift  e§  in  3Serruf  gefommen  hzi  ber  ^ourgeoifie, 
aber  gerabe  be§l)alb  l)aben  roir  ^n^änger  ber  proletarifcf)en 
$l)ilofop^ie  aUfeitiger  @ntrctc!lung  alle  Urfarf)e,  gerabe  an 
biefem  D^kmen  für  unfere  ^^?l)ilofopl)ie  feft^u^alten,  ber  ja 
aud)  fad)lirf)  n)ol)l  gere(f)tfertigt  werben  fann. 

Unb  eine  5luffa|fung  ber  ®t^it  bie  an§  biefer  ^^ilofop^ie 
entfpringt  Jann  al§  eine  materialiftif(i)e  gelten. 

2.  Der  Organismus  der  menfdt)Udt)en  0efellfdt)aft 

a.  ^ie  te^nif(^e  (Sntroidlung. 
^etrad^ten  roir  nun  oom  ©tanbpunft  ber  materialiftifdE)en 
©efcf)icl)t§auffaffung  ben  9Jlenf(i)en  in  bem  ©tabium,  in  beut 
mx  il)n  im  oorigen  Kapitel  oerlaffen,  an  ber  ©ren§e,  hk 
il)n  oon  ber  übrigen  3:ier^eit  fonbert.  2Ba§  ift  e§,  ba§  i^n 
über  fic  ergebt?  33eftel)en  jroifd)en  i^m  unb  i^r  in  aßen 
fünften  nur  grabuelle  Unterfcl)iebe  ober  aud)  einer  be§ 
3[ßefen§?  2ßeber  al§  ben!enbe§  norf)  al§  moralifd)e§  @e* 
fc^öpf  ift  ber  9Jlenf(i)  t)om  Siere  rcefentlid)  t)erfcl)ieben. 
Siegt  aber  bie  3Serfct)iebenl)eit  oielleic^t  barin,  ba^  er  pro« 
buj^iert,  ba§  l)et§t  in  ber  Statur  gefunbene  ©toffe  burc^ 
gorm^  ober  Ort^oeränberungen  feinen  Qroeden  anpaßt? 
2lber  aud)  biefe  2ättg!eit  finbet  man  fc^on  in  ber  ^ier^ 
roelt.  ®an§  abgefe^en  oon  mand)en  J^nfeften,  mie  dienen 
unb  Slmeifen,  finben  roir  M  hzn  roarmblütigen  3:ieren,  ja 
felbft  fc^on  manchen  5ifd)en,  SIrten  probu^ierenber  Sätig^ 
feit,  namentlid)  bie  ^robuftion  üon  33rut=  unb  äßo^nftätten. 


80  S)ie  et{)i!  beS  9}?arji§mu§ 

Sficfter,  (Srbbaue  unb  bergteic^en.  Unb  lüie  üiel  bei  biefer 
probu5terenben  Sätigfeit  aud)  @vgebni§  ererbter  :3uftiutte 
unb  Einlagen  fein  mag,  fie  rcirb  oft  oerf(J)iebenen  ^ert)ätt« 
niffeu  fo  graeteägig  angepaßt  ba^  ha§  ^en»u(3tfein,  bie 
(£r!enntni§  faiifaler  3ufammen{)änge,  aurf)  eine  S^toUe  babei 
fpielen  mu§. 

Ober  ift  e§  bie  2(nn)enbung  t)on  2ßer!§eugen,  bie  ben 
5[Renfcf)en  über  ha§  Slier  er!)ebt?  5Iud^  ba§  nid)t.  ^ei  ben 
Slffen  finben  it»ir  rcenigfteng  f(^on  bie  2lnfänge  ber  5ln* 
rcenbung  von  SOßerf^eugen,  t)on  33aumäften  §ur  93erteibigung, 
t)on  Steinen  jum  2luffd)Iagen  t)on  9lüffen  unb  berglei(i)en. 
J^lire  intelligent,  foraie  bie  ©ntrcicflung  ber  gü^e  §u  §änben 
befähigt  bie  Slffen  ba^u. 

2l(fo  nic^t  bie  ^robuftion  ron  ^onfummitteln  unb 
nic^t  bie  ^Inrcenbung  t»on  2ßer!geugen  unterfd)eibet 
ben  ^enfd)en  nom  ^iere.  2Ba§  aber  jenem  adein  eigene 
tümlid),  ift  bie  ^robuftion  üon  SOßerfgeugen,  bie  ber 
^robuftion,  ber  93erteibigung,  bem  Eingriff  bienen.  '^a§  %kx 
vermag  im  beften  galle  ba§  2Ber!§eug  in  ber  9^Mtur  ju 
finben;  e§  ift  nic^t  imftanbe,  ein  fol(i)e§  §u  erfinben. 
®§  üernnag  '3)inge  gu  feinem  unmittelbaren  ©ebraudt)  ju 
probugieren,  SCBo^nungen  anzulegen,  Seben§mittelt)orräte  ju 
fammeln;  aber  e§  ben!t  ni(i)t  fo  rceit,  ^inge  gu  probugieren, 
bie  nic^t  bem  bireften  ^onfum  bienen,  fonbern  ber  $ro* 
buftion  t)on  ^onfummitteln. 

SiJlit  ber  ^robuftion  t)on  ^robu!tion§mitteln  be^ 
ginnt  bie  SlJlenfd^merbung  beä  2:iermenfdE)en;  bamit  löft  er 
fid)  t)on  ber  übrigen  Stiermelt  lo§,  um  fein  eigenes  9ieid) 
ju  begrünben,  ein  S^teid^  mit  einer  befonberen  2lrt  t)on  @nt^ 
rcidlung,  bie  in  ber  übrigen  Statur  üöHig  unbefannt  ift, 
bort  il)re§gleid)en  nid£)t  finbet. 

(Solange  ba§  Slier  nur  mit  ben  i^m  ton  ber  Statur  t)er^ 
Hellenen  Organen  probugiert  ober  nur  aßßerfjeuge  benü^t, 
bie  i^m  bie  '^atux  liefert,  !ann  e§  über  bie  i^m  fo  von 
ber  3^atur  gefegten  SJlittel  nic^t  l)inau§.  ©eine  ©ntrcidlung 


!J)er  Ortjani^mu^  ber  menfcfjliifien  ©cfcffi'cf)aft  81 

^efd)ief)t  nur  in  ber  ^eife,  ha^  fein  eigener  Organismui 
fid)  entraid'elt,  feine  eigenen  Organe  fid)  umbilben  —  t)a§ 
©ef)irn  mit  inbegriffen:  ein  langfamer  unb  unberauBter, 
burcE)  ben  ^ampf  nni§  ^afein  üoUjogener  ^ro^e^,  ben  ba§ 
2ier  burdE)  feine  beraubte  Sätigfeit  in  feiner  Sßßeife  hz- 
fd)leunigen  fann. 

^Dagegen  h^'t^enUt  bie  ©rfinbung  unb  ^robujierung  be§ 
SOßerf^eugg  —  bie§  2öort  im  meiteften  ©inne  genommen  — , 
ba^  ber  SO^enfd^  fi(^  bemüht  unb  abfi(i)tlid)  felbft  neue  Dr^ 
^ane  üerlei^t  ober  feine  natürlichen  Organe  tjerftärft  ober 
t)erlängert,  fo  ha^  er  basfelbe,  mag  biefe  Organe  pro= 
bugierten,  beffer  ober  leidster  probu^ieren  fann,  ha^  er  aber 
aucf)  inftanb  gefegt  mirb,  Stefultate  p  erzielen,  bereu  ©r^ 
reid^ung  für  x^n  früf)er  ganj  unmi3gli(^  mar.  ^a  aber 
ber  5iJlenfd^  nid)t  blo§  ein  mit  f)of)er  Qntelligenj  imb  §änben 
begabte^  3:ier  ift  —  bie  notroenbige  ä^orau^fe^ung  ber  ^In^ 
menbung  unb  ^robuftion  non  SKerf^eugen  — ,  fonben;  and) 
«in  gefeKf(^aftIicf)e§  2:ier  von  Anfang  an  gemefen  fein  mu§, 
fo  ging  bie  (grfinbung  unb  ^robuftion  eineä  Sßerf^eugg 
burdE)  ein  befonberä  begabte^  Qnbiüibuum  —  einen  hk 
^äume  be§  tropifdE)en  Urmalbeg  bemof)nenben  9Jlarj  ober 
^ant  ober  5IriftoteIe§  —  mit  beffen  Sobe  nidE)t  t)erloren. 
©eine  §orbe  na^m  bie  ©rfinbung  auf  unb  führte  fie  fort, 
^emann  burd^  fie  einen  3Sorfprung  im  Kampfe  um§  ^afein, 
fo  ba^  i!)re  9^a(^fommen  unb  ^Ibjroeigungen  beffer  gebie!)en 
al§  bie  anberen  2Irtgenoffen.  2lt(er  meitere  S^arffinn,  ber  in 
ber  §orbe  t)or!)anben  mar,  biente  von  nun  an  ba§u,  bie  @nt* 
becfung  gu  üerooKfommnen  ober  neue  ©ntbedungen  ^u  mad)en. 

SSilbete  ein  geraiffer  ®rab  von  Qntedigens  unb  bie  (Snt- 
micflung  ber  §anb  bie  ^^orbebingung  ber  ®rfinbung  unb 
^robuftion  oon  Sßerfseugen,  fo  bot  ber  fo^iale  ©^arafter 
be§  5J^enfdE)en  bie  3]orbebingung  gur  fteten  5In^äufung 
neuer  unb  QSerooUfommnung  alter  ©rfinbungen,  alfo  gu 
^iner  fteten  ©ntmicfhmg  ber  2:e(^nif.  ^er  fo  langfame, 
unbercu^te  unb  unmerf(icf)e  3}organg  ber  ©ntrcidtung  ber 

fiQut§ft),  (ltf)if  unb  matertallfttic^e  ©efc^ic^täauffaffung.  6 


82  2)ic  ettjtf  bcS  aWarji^iuug 

Organilmen  burd^  beu  ^ampf  um§  '2)afeiu,  rote  er  bie 
gan^e  übrige  orgauifc^e  Sßelt  be()errfd)t,  tritt  von  \:>a  an 
in  ber  9Jlenf(^emr)eIt  immer  meftr  ^urürf  sugimfteu  ber  be* 
rcugten  Umiüanblung,  5(npaffung  unb  ^Serüodfommnung 
ber  Organe,  einer  ©ntroidhing,  bie  in  if)ren  5(nfängen,  mit 
mobernen  5[Ra§ftäben  gemeffen,  nod)  eine  imenb(irf)  lang* 
fame  unb  immerHic^e  ift,  aber  bennorf)  and)  ba  frf)on  ein 
rceit  rafd)ere§  ^empo  einfd)Iägt  al§  ^k  burd)  natürlicf)e 
3ud)tit)a^l  bemirfte.  '5)er  ted)nifrf)e  gortfc^ritt  bitbet  von 
nun  an  bie  (SJrunblage  ber  gefamten  ©ntiüicflung  ber 
9nenfd)^eit.  5{uf  it)m  unb  nid)t  auf  irgenb  einem  be* 
fonberen  göttlidien  gunfen  beruf)t  aüc§,  rcoburd)  ber  9Jlenfc^ 
ftd)  t)om  2^iere  unterfrfjeibet 

Qeber  einzelne  @d)ritt  auf  biefer  ^-8al)n  ber  ted^nifdien 
©ntmidlung  nad)  t>orrcärt§  ift  ein  bemuf3ter  unb  ein  ge* 
rcodter.  Qeber  entfpringt  bem  33eftreben,  bie  Gräfte  be§ 
SJlenfdien  fünftlid)  über  bie  non  ber  Statur  gegebenen 
©renken  {)inau§  ju  üergrögern.  3lber  jeber  biefer  ted)nifd)en 
gortfd)ritte  ^k^t  aud)  mit  D^otraenbigfeit  Sßßirfungen  nad) 
fid),  bie  t)on  feinen  Urf)ebern  nid)t  gemoßt  mürben  unb 
roerben  fonnten,  meit  biefe  nid^t  imftanbe  maren,  fie  aud)  nur 
gu  a^nen,  SGßirfungen,  bie  man  ebenfo  mie  bie  ber  natür^ 
lid)en  3lu§Iefe  5(npaffungen  an  ba§  9JZilieu  nennen  fönnte, 
aber  an  ein  SD^itieu,  ba§  ber  ^JJenfd)  fetbft  fünftlid)  üer* 
änbert  ^at  ^ei  biefen  2lnpaffungen  aber  fpielt  ba§  S3e* 
mugtfeiu,  bie  @r!enntni§  be§  neuen  5[Ri(ieu§  unb  feiner 
^ebürfniffe,  aud)  mieber  eine  ffiolU,  biefe  ift  jebod)  nid)t  bie 
einer  felbftänbigen,  9ftid)tung  gebenben  ^riebfraft. 

b.  Sed)ni!  unb  Seben§meife. 

(Sud)en  mir  un§  gur  33erbeutlid)ung  be§  GJefagten  üor? 
aufteilen,  metd)e  ^ol^en  e§  f)aben  mugte,  ai§  bem  Ur* 
menfd)en  bie  erften  20Berf§euge  gelangen,  dl§  er  ben  (Stein 
unb  ben  ©tod,  bzn  fd)on  ber  Slffe  gebraud^te,  gufammen* 
fügte  ju  einem  §ammer,  einer  2Ij:t  ober   einem  (Speere. 


2)er  Orgonilmug  ber  menfc^Uc^en  ©efeüfc^aft  83 

©elbftüerftänbltd^  fann  bie  I){er  folgcnbe  ^arftcKung  nur  eine 
f)t)potf)etifd)e  fein,  ha  rcir  Qeugniffe  über  h<^n  ganzen  3Sor* 
gang  nid)t  befi^en.  3(ber  fte  foß  ja  aurf)  nid)t  al^  ^erceiä 
bienen,  fonbern  nur  al§  QKuftration.  ^ix  geftalten  fte 
baf)er  fo  einfad)  al§  mögüc^,  fef)en  ^um  ^eifpiel  ganj  t)on 
bem  (Sinflu^  ab,  ben  bie  gifdjerei  auf  ben  Urmenfd^en  üben 
ntugte. 

©obalb  ber  Urmenfdf)  ben  ©peer  befa§,  rcar  er  inftanb 
gefegt,  nad)  größeren  Vieren  gu  jagen,  ^atiz  h\§  ba{)in  feine 
'JZa^rung  rorraiegenb  au§  ^aumfrüd)ten  unb  Qnfeften,  foraie 
n)af)rfrf)einlirf)  3Sogeleiern  unb  jungen  3Söge(n  beftanben, 
fo  fonnte  er  je^t  aucf)  größere  ^^iere  erlegen,  ha§  gleifc^ 
jDurbe  t)on  nun  an  für  feine  ®rnä^rung  raid^tiger.  ®ie 
nieiften  größeren  2:iere  f)alten  firf)  aber  auf  bem  ©rbboben 
auf,  md)t  in  ben  Säumen;  bie  ^agb  50g  i^n  alfo  au§ 
feinen  luftigen  S^tegionen  auf  bie  ®rbe  f)erab.  S^od)  mel)r. 
'3)ie  jagbbarften  Siere,  bie  2öieber!äuer,  finb  nur  menig 
im  Urrcalb  gu  treffen;  fie  jie^en  if)m  m^ite  2Ö3iefenf(dd)en, 
"^Prärien  t)or.  Qe  mef)r  ber  9J^enf(^  ein  Qäger  mürbe,  befto 
e^er  fonnte  er  au§  bem  tropifrf)en  Urmatb  f)nau§,  in  hen 
ber  Urmenfd)  gebannt  geraefen. 

^iefe  ^arftellung  ift,  mie  gefagt,  eine  rein  auf  9Ser* 
mutungen  gegrünbete.  '3)er  (SntrcicflungSgang  fann  aud) 
ber  umgefef)rte  gemefen  fein,  ©benfogut  mie  hk  ©rfinbung 
be§  SßerfjeugS  unb  ber  SOßaffe  hm  9Jlenfd)en  treiben  fonnte, 
au§  bem  Urraalb  in  freiereg  @ra§(anb  mit  gerftreuterem 
Saummud)§  ^inau§§u3ief)en,  ebenfogut  fönnen  aud)  Ur? 
fad)en,  bie  ben  Urmenfd)en  aug  feinen  Urfi^en  üerbrängten, 
ber  Einlaß  gur  ©rfinbung  x»on  äßaffen  unb  2öerf§eugen  ge* 
morben  fein.  9^ef)men  mir  gum  Seifpiel  an,  baß  bie  5IRenge 
ber  5[Renfd)en  über  if)ren  5Ra{)rung§fpie(raum  f)inau5mud)§ 
ober  eine  ®i§jeit  etma  bie  ©Ietfd)er  be§  3entralafiatifd)en 
(S5ebirg§tanbe§  tief  f)inabfenfte  unb  bie  Sercof)ner  feiner 
^äler  au§  bereu  Urrcälbern  in  bie  @ra§ebenen  brängte, 
bie  e§  begrenzten;  ober  baß  eine  §unel)menbe  Xxod^nl)üt 


84  S)ic  (Stfjif  beg  2)jQrji§mu5! 

be§  £üma§  immer  mef)r  bie  Urraälber  (td)tcte,  in  if)ucn 
immer  me^x  ®xa§ianh  auftaurf)en  lieg.  Qu  aUen  biefen 
gäden  mürbe  ber  Urmenfcf)  gebrängt,  feinem  33aumteben 
jn  entfagen  unb  ficf)  mef)r  anf  bem  (^rbboben  ju  beroegen; 
er  muf3te  nun  and)  mcf)r  nad)  tierild)er  9]al)rung  fud)en 
unb  fonnte  fid)  nirf)t  mef)r  in  fo  {)oI)em  @rabe  t)on  33aum= 
früd)ten  nä{)ren.  ®ie  neue  Scbensmeife  veranlagte  il)n, 
öfter  Steine  unb  Stöde  gu  gebraud)en  unb  brarf)te  il)m  fo 
bie  ©rfinbung  ber  erften  Sßerfjeuge  unb  äßaffen  näl)er. 

2ÖSeld)en  (Sntraidlungsgang  man  aud)  immer  annel)men 
mag,  'om  erften  ober  ben  ^meiten  —  unb  beibe  fönnen  un* 
abhängig  t»oneinanber  an  r>erfd)iebenen  fünften  ftatt- 
gefunben  l)aben  — ,  au§  jebem  ron  if)nen  erl)ellt  beutlid) 
bie  enge  2Bed)feliüirl'ung,  bie  ^mifd)cn  neuen  ^robu!tion§= 
ntitteln  unb  neuen  SebenSmeifen  unb  33cbürfniffen  beftel)t. 
jgeber  biefer  gaftoren  erzeugt  mit  DIaturnotraenbigfeit  ben 
anberen,  jeber  mirb  mit  9^otmenbig!eit  bie  Urfadie  t)on  ^er^ 
änberungen,  bie  bann  il)rerfeitg  mieber  neue  33eränberungen 
in  il)rem  ©d)oge  bergen,  ©o  erzeugt  jebe  ©rfinbiing  un^ 
t)ermeiblid)ern)eife  2Bir!ungen,  bie  hcn  5{nftog  §u  anberen 
©rfinbungen  unb  bamit  mieber  neuen  SSebürfniffen  unb 
Sebengroeifen  geben,  bie  mieber  neue  ©rfinbungen  l)erüor= 
rufen  ufro.  —  eine  üdtt  unenblic^er  ©ntmidlung,  bie  um 
fo  mannigfacher  unb  rafc^er  rcirb,  je  meiter  fie  fortfc^reitet 
unb  je  mel)r  bamit  bie  5iJlöglid)!eit  unb  Sei(^tig!eit  neuer 
©rfinbungen  mäd)ft. 

si3etrad)ten  mir  je^t  bie  ^onfequengen,  bie  ba§  5luffommen 
ber  Qagb  al§  92al)rung§quelle  be§  50^enfd)en  unb  fein  ^er-- 
t)or!ommen  au§  bem  tropifd)en  Urmalb  nad)  fid)  giel)en  mugte. 

?flzb^n  bem  gleifd^  na^m  ber  SJlenfd^  nun  an  ©teile  t)on 
SBaumfrüc^ten  Sßurjeln  unb  bie  grüd^te  t)on  ©räfern,  ^orn, 
9)^ai§,  in  feine  Speifefarte  auf.  ^amit  mar  aber  micber 
ein  meiterer  gortfd)intt  angebal)nt.  Qm  Urmalb  ift  ein 
5lnbau  non  ^flan^en  unmöglid),  hQW  Urmalb  ^u  lid)ten, 
überfteigt  bie  i^rdfte  beg  primitiven  50lcnfc^en.  tiefer  fonnte 


3)eT  Crgantgmug  ber  inenfc^Iit^en  ©efettfc^oft  85 

aber  aucf)  gar  ntc^t  auf  btefe  Qbee  fotnmen.  (Sr  lebte  üon 
^aiinifrü(f)ten ;  grud)tbäume  311  pflanzen,  bie  erft  nad)  üteten 
^ö^ren  grüc^te  tragen,  fe^t  aber  bereite  einen  !)o^en  @rab 
von  Kultur  unb  (2e§{)aftig!eit  t)orau§.  dagegen  ift  ber 
2(nbau  von  ©räfem  auf  2öiefen  unb  ©teppen  vkl  leichter 
al§  im  Urrcalb  unb  fann  fd)on  mit  hm  einfa(i)ften  50^itteln 
bemerffteüigt  merben.  '3)er  ©ebanfe,  ©reifer  anzubauen, 
bie  oft  ftf)on  nac^  raenigen  2ßocf)en  grüd)te  tragen,  ift  aber 
aurf)  meit  ef)er  fag(id),  al§  ber  ber  ^flanjung  von  gruc^t* 
bäumen.  Urfacf)e  unb  äßirhmg  Hegen  ^ier  fo  na^e  beU 
fammen,  bag  if)r  3iif^mmen{)ang  leid)ter  ^u  überfef)en  ift 
unb  aud)  ber  unftete  SORenfc^  ber  QSorjeit  errcarten  burfte, 
bie  Qnt  jmifc^en  (Saat  unb  (^xnt^  in  ber  9^äf)e  be§  an* 
gebauten  ^oben§  üerraeilen  ju  fönnen. 

3(nbererfeit§  aber  mar  ber  9Jienfc^,  fobalb  er  ben  tropifd)en 
Urmalb  üerlie^,  ben  2ßerf)felfäl(en  be§  ^Iima§  üiel  me^r 
au§gefe^t  al§  in  feiner  Ur!)eimat.  Qm  biegten  SOßalbe  finb 
bie  3:emperaturfd)rcan!ungen  ^mifd)en  ^^ag  unb  ^a(i)t  raeit 
geringer  al§  in  ber  freien  ®bene,  in  ber  hd  ^age  glüf)en* 
ber  ©onnenbranb  ^errfcf)t  unb  be§  ^a(i}t§  ftarfe  3lu§* 
ftraf)(ung  unb  5lb!ü^(uug.  Stürme  machen  fic^  im  Urmalb 
üiel  raeniger  bemerfbar  ai§  in  rcalblofem  (^^hkt,  unb  gegen 
pflegen  unb  §aget  bietet  biefe§  aud)  meit  meniger  (S(^u^ 
ai§  ha§  faft  unbur(i)bringlid)e  Saubrcer!  be§  erfteren.  ©0 
mugte  ber  in  hk  ©ra§ebene  l)inau§gebrängte  3JZenfd)  ein 
^ebürfui§  nad)  Dbbarf)  unb  ^(eibung  empfinben,  ba§  bem 
Urmenfrf)en  im  tropifd)en  Urma(b  gan^  ferne  lag.  2öenn 
f(f)on  bie  9Jienfd)enaffen  fid)  für  bie  9'^ad)tru£)e  förm(id)e 
^f^efter  bauen,  fo  mu^te  er  ba^u  übergef)en,  fid)  (5d)u^rcänbe 
unb  Sd)u^bäd)er  ^n  emd)ten,  ober  ba§  Cbbad)  üon  §öf)len 
gu  fud)en.  5(nbererfeit§  lag  e§  naf)e,  fid)  in  bie  §aut  be§ 
erlegten  ^iere§  §u  E)ü(Ien,  bie  übrig  blieb,  nad)bem  man 
ba§  g(eifd)  au§  i^r  f)erau§genommen.  '^aB  93ebürfni§  nad) 
(Hd)u^  oor  ber  teilte  mar  e§  aber  rcol)!  and),  voa§  ^uerft 
ben  ^?Jlenfd)en  nad)  bem  ^efi^  be§  geuerS  trad)ten  lieg. 


86  2)ie  QÜnl  be§  Skrji^mu? 

Neffen  tec^nticf)e  ^eriDenbbarfeit  fonnte  er  erft  at(mäf)Ud) 
n'fennen,  nad)bem  er  e§  fd)on  lange  benu^t.  ^ie  Sßärme, 
bie  e§  fpenbete,  rcar  bagegen  of)ne  rceitercg  füf)(bar.  2ßie 
ber  9JZen](f)  in  bcn  ^eft^  be§  geuer^  gefommen,  lüirb  fid) 
t)ielleid)t  nie  mit  (5id)erf)eit  feftfteden  laffen.  5Iber  gerai^ 
ift  e§,  bag  ber  SJlenfc^  im  tropifcf)en  Urroalb  feiner  aU 
SBärmequeüe  nicf)t  beburfte  nnb  and)  feine  9Jlögtid)feit  ^atU, 
e§  bort  inmitten  beftänbiger  Jenc^tigfeit  ju  er{)alten.  9^ur 
in  einer  trodeneren  (SJegenb,  mo  ftedenraeife  größere  ?Olengen 
bürren  ^Brennmaterials ,  9J]oofe,  Saub,  Ü^eifig,  jn  finben 
roaren,  fonnten  ^ränbe  entftel)en,  bie  ben  5[Renfcl)en  mit 
bem  ^^mx  befannt  mac£)ten.  3Sielleicl)t  bur^  33li^fcl)(ag, 
el)er  bnrd^  hk  gnnfen  t)on  generfteinen,  bem  erften  SBerf- 
gengmaterial  be§  Urmenfd^en,  ober  bnrc^  bie  §i^c,  bie  etwa 
beim  ^ol)ren  üon  Söc^em  in  l)artem  ^olje  entftanb. 

SJlan  fiel)t,  mie  ba§  ganje  Seben  be§  SJZenfc^en,  feine 
58ebürfniffe,  feine  20ßol)nfi^e,  feine  9Jlittel  be§  Seben§unter* 
l)alt§  geänbert  mnrben  nnb  bie  eine  ®rfinbnng  fcl)ließüc^ 
gaf)lreid)e  anbere  nad)  fid)  gog,  fobalb  fie  erft  einmal  ge= 
mad)t,  fobalb  bie  §erftellnng  be§  (Speere^  ober  ber  ^Ijt  ge* 
Inngen  mar.  ^ei  aUen  biefen  Ummanblnngen  fpielte  ba§ 
S3erau§tfein  eine  große  Üiolle,  aber  ba§  ^emnßtfein  anberer 
(^Generationen  al§  jener,  bie  ben  Speer  ober  bie  5lj:t  erfan= 
ben.  Unb  bie  3Inf gaben,  bie  ba  bem  ^emußtfein  ber 
fpäteren  Generationen  geftellt  mnrben,  mnrben  nid)t  üon 
bem  ber  friil)eren  gefegt,  fie  ergaben  fid)  mit  9^otraenbig!eit 
t)on  felbft,  fobalb  einmal  bie  förfinbnng  gemad)t  mar. 

Slber  mit  ber  5inbernng  ber  2Cßol)nfi^e,  ber  ^ebürfniffe, 
ber  ©ercinnung  be§  Seben§unterl)alt§ ,  ber  ganzen  Seben§= 
meife  ift  hk  2Bir!ung  ber  ©rfinbnng  nid)t  erfd)öpft. 

c.  2:ierifd)er  nnb  gefellfd)aftlid)er  Organismus. 

%k  2lrbeit§teilung  ber  Organe  im  tierifd)en  Organismus 
^at  il)re  beftimmten  ©renken,  ba  fie  bem  Organismus  ange- 
mad)fcn  ftnb,  er  fie  nid)t  nac^  belieben  med)feln  fann  xmh 


2)er  Organiimug  ber  menfc^tic^cn  ©efeßfc^aft  87 

t^re  ^nidtjl  eine  bef(i)rän!te  ift.  5lnbererfeit§  ift  batnit  aucf) 
eine  ©renje  gegeben  für  bie  5i}lanntgfaltigfeit  ber  SSerrid)- 
tungen,  beren  ein  tierifcf)er  Organi§ntu§  fäf)ig  ift.  ©^  ift 
gum  33eifpiel  immögüd),  ha^  basfetbe  ©lieb  in  gletd)  voü- 
fommener  SÖßeife  s^m  ©reifen,  Saufen  nnb  fliegen  bient, 
üon  n)eitergef)enben  «Spe^ialifierungen  gan^  abgefe^en. 

^a§  SOßerf^eug  bagegen  !ann  ber  9}lenfd)  luec^feln.  (Sr 
üermag  e§  einem  einzigen  beftimmten  Qm^d^  an^upaffen. 
§at  e§  biefen  erfüllt,  bann  legt  er  e§  beifeite,  e§  l)inbert 
i^n  ni(i)t  bei  gan^  anberen  5lrbeiten,  gu  benen  er  gan§ 
anbere  Söerf^euge  gcbraud)t.  ©o  begrenzt  bie  Qal)l  feiner 
©lieber,  fo  unbegrenzt  'C^k  Qa^  feiner  SCßerfjeuge. 

2lber  nicl)t  blo§  bie  3^^^  ^^^  Organe  be§  tierifd)en  Or^ 
gani§mu§  ift  befc^ränft,  fonbern  aud^  bie  ^raft,  mit  ber 
jebeg  von  il)nen  bercegt  merben  !ann.  (Sie  !ann  auf  feinen 
gall  bie  ^raft  be^  ^nbir>ibuum§  felbft  überfteigen,  bem  fte 
angehören,  fte  mu§  ftet§  geringer  fein,  ba  e§  alle  feine 
Organe  neben  ben  beraegten  ernäl)ren  mug.  '3)agegen  ift 
bie  ^raft,  bie  ein  SKerf^eug  bemegt,  feine§raeg§  auf  bie  eine§ 
einzelnen  9Jlenfd)en  bef(i)rän!t.  %a  e§  lo§gelöft  üom  menfd)* 
li(i)en  Q^^biüibuum  ift,  !i3nnen  mel)rere  ;3nbioibuen  fic^  üer- 
einigen,  e§  gu  bemegen,  ja  fte  fönnen  anbere  al^  menfrf)licl)e 
Gräfte  baju  anmenben,  etwa  bie  ber  ^wgtiere,  be^  2ßaffer§, 
be§  2ßinbe§,  be§  Kampfes. 

©0  ift  im  ©egenfa^  5um  tierif(^en  Organi§mu§  bie  (§^nU 
n)icflung  ber  fünftlicl)en  Organe  be§  30^enfcl)en  eine  un* 
begrenzte,  menigfteitS  nad)  menfcl)tid)en  Gegriffen  gemeffen. 
(Sie  finbet  i^re  @d)ratt!en  nur  in  ber  SO^enge  ber  bemegen* 
t>en  Gräfte,  lueldlie  ©ottne  unb  @rbe  bem  5iJ^enfd)en  gur 
SSerfügung  ftellen. 

%k  Trennung  ber  fünftlicE)en  Organe  be§  30^enfrf)en  t)on 
feiner  ^erfönli(i)feit  ^at  aber  nod)  zim  anbere  Jolge.  3Senn 
bem  tiertfd)en  Orgatü§mu§  feine  Organe  angemac^fen  finb, 
fo  bebeutet  ba§,  ba§  jebem  S^^'^^^i^i^^t^  ^^^  gleicf)en  Or* 
gane  §ur  Verfügung  ftel)en.  ®ine  5lu:gnal)me  bapon  madien 


88  Sie  (Stfjif  be§  9«ar^i§mu§ 

blog  bie  Organe  ber  Fortpflanzung.  )Rux  auf  btefem  ©ebict 
finbet  eine  ^}(rbeit§teilung  unter  ben  ^öl^ereu  Organismen 
^iatt  Qebe  anbere  2lrbeit§tei(ung  in  ber  tierifd)en  ®efe((* 
ftf)aft  beruht  bagegen  blog  barauf,  bag  beftimmte  Qnbini? 
buen  für  eine  beftimmte  Qeit  befoubere  gunftionen  über= 
nef)men,  gum  ^eifpiel  bie  be§  2Ka(^bienfteS,  ber  Leitung  ufm., 
of)ne  bagu  Organe  gu  gebrauchen,  bie  r>on  benen  ber  an= 
bereu  Qnbiüibuen  t)erftf)ieben  finb. 

'3)ie  (Srfinbung  be§  2Berfjeug§  bagegen  geftattet  e§,  ha^ 
in  einer  ©efellfc^aft  befoubere  g^^^^^^i^i^^^  befoubere  ^JCßerf« 
geuge  auSfd^tiegürf)  ober  bocf)  fo  t)iel  mel)r  al§  anbere  Qu* 
biüibuen  f)an'i:)^ahm ,  ha^  fie  fie  rceit  beffer  al§  biefe  p 
gebraud)en  rciffen.  @o  fommen  rair  ^u  einer  5^^^  ber 
^Arbeitsteilung  in  ber  mcnfcl)lid)en  @efellfd)aft,  bie  ganj 
auberer  3Irt  ift  als  bie  bürftigen  SInfäuge  einer  fold)eu  in 
ben  tierifd^en  ®efellfcl)aften.  Qu  biefen  bleibt  hei  aller 
2lrbeitSteilung  ha§  Qnbioibuum  ein  2Ößefcn  für  ficif),  baS 
alle  Organe  befi^t,  bereu  eS  gu  feinem  Sebeu§unterl)alt  be- 
barf.  Qu  ber  menfcl)lidl)en  ©efellfd)aft  rcirb  baS  um  fo 
meniger  ber  JJall,  je  rceiter  bie  QIrbeitSteilung  in  il^r  fort^ 
fcl)reitet.  Qe  me^r  biefe  entmidelt  ift,  um  fo  größer  bie  Qal)l 
ber  Organe,  über  bie  bie  ®efellfcf)aft  gur  ©erainnung  il)reS 
SebenSunterl)altS  unb  gortfe^ung  il)rer  SebeuSrceife  üer* 
fügt,  um  fo  größer  aber  auc^  bie  Qa^  ber  Organe,  bie 
baju  erforberlid)  ift,  unb  befto  unfclbftäubiger  hk  Organe, 
über  bie  baS  einzelne  J^nbiüibuum  oerfügt.  ^efto  gri3ger 
bie  ^Jla6)t  ber  ©efellfc^aft  über  bie  Statur,  aber  befto  l)ilf= 
lofer  aud)  baS  Qnbit)ibuum  au§erl)alb  ber  ®efetlfcf)aft,  befto 
abl)ängiger  t»on  i^r.  ®ie  tierifct)e  ©efellfcf)aft,  bie  felbft 
naturmüdl)fig  erftanben  ift,  ^eht  il)r  3Jlitglieb  nid^t  auS  ber 
'Jiatur  l)erau§.  dagegen  bilbet  für  ha§  menfc^lic^e  Qu- 
biüibuum  bie  (^efellfd)aft  eine  gang  eigenartige,  von  ber 
übrigen  ^f^atur  t)erfd)iebene  Sßelt,  eine  2ßelt,  bie  in  fein 
"^^afein  aufc^einenb  riel  beftimmcnber  eingreift  al§  bie 
9ktur,    melc^    le^terer    eS  ft(^   burd)   bie   @efellfd)aft  in 


3)er  Drgant§mu0  ber  menjc^Iic^en  ©efeüfd^aft  89 

bem  Syjage  mef)r  geiüacf)fen  voätjwt,  al§  hk  5{rbeit:§teilung 
§untmmt. 

Unb  biefe  ift  praftifcf)  ebenfo  unbegrenzt,  rote  ber  ted)^ 
nifd^e  gortfd)rttt  überf)aupt;  fie  finbet  i^re  ©renjen  nur  in 
ber  2(u5bef)nung  be§  9Jlenfcf)engefd)(e(^t§. 

§aben  ratr  oben  gefunben,  ba^  bie  tterif(^e  ©efedfc^aft 
ein  Crganismus  eigener  5{rt  ift,  t)erfcf)ieben  üom  pflan§Ii(i)en 
unb  tierif(^en,  fo  finben  mir  je^t,  ba^  aud)  'ök  menjd)lic^e 
@efeüfd)aft  rcieber  einen  eigenartigen  Organilmug  bilbet, 
ber  fid)  nid)t  blog  nom  pflanjürfien  unb  tierif(i)en  Qnbioi^ 
buum,  fonbem  aurf)  x)on  ber  tierifc^en  ©efedfc^aft  rcefentlid) 
unterfd)eibet. 

'^ox  allem  fommen  ba  grcei  Unterfd)iebe  in  ^etrac^t.  SCßir 
^aben  eben  gefef)en,  ba§  ba^  tierifrf)e  Qnbiüibuum  alte  Organe 
felbft  befi^t,  hk  e§  gu  feiner  ©jiften^  braud)t,  inbeä  tia^ 
menf(i)(id)e  Qnbiribuum  bei  t)orgefcf)rittener  5lrbeitstei(ung 
für  ficf)  aikxn  o!)ne  bie  @eferifd)aft  nid)t  leben  !ann  —  bie 
9lobinfon§,  bie  o^ne  alle  SJlittel  alle§  au§  fid^  probujieren, 
fommen  nur  in  ^inberfibeln  unb  miffenfd^aftlicl)en  2lrbeiten 
ber  bürgerli(i)en  öfonomie  t)or,  hk  glauben,  ber  befte  2Beg, 
bie  ©efe^e  ber  @efellfd)aft  ju  entbeden,  fei  ber,  t)on  i^r 
oöllig  absufel)en.  ^er  SJlenfd)  ift  in  feinem  ganzen  Sßefen 
üon  ber  ©efellfcl)aft  abhängig,  fie  be!)errfcl)t  i^n,  nur  burd^ 
il)re  ©tgenart  mirb  bie  feine  begreiflicl). 

^ie  Eigenart  ber  (55efellfcl)aft  ift  aber  in  beftänbigem 
^2BecE)fel  begriffen,  benn  im  lTnterfd)ieb  t)on  ber  tieinf^en 
(SJefellfc^aft  unterliegt  hk  menfcE)licf)e  einer  (gntmicflung  in* 
folge  ber  gortfd)ritte  i^rer  ^ed)nif.  ^ie  tierifd)e  @efellf(^aft 
entmidelt  ficf)  ma^rfdieinlid)  nur  in  bemfelben  Tla^e  mie 
bie  Tierart,  hk  fie  bilbet.  ^eit  rafc^er  gel)t  ber  ©ntmid^ 
lungsgang  ber  menftf)lidl)en  @efellfd)aft  cor  firf).  SIber  m(i)t§ 
falfcl)er,  il)n  nad)  SIrt  ber  ©ntmidlung  be§  Qn^i^ibuum^ 
auf suf äffen,  bie  ©tabien  ber  :3ugenb,  ber  Steife,  be§  SSer=» 
fall§,  be§  ^obe§  in  il)m  ju  unterfd^etben.  Solange  bie 
Kraftquellen  nid)t  üerfiegen,  über   bie  bie   ®rbe  verfügt. 


90  2)ie  (2tl}i!  be5  5[y?aryi§inu§ 

folange  alfo  nid)t  bie  ©runblage  be§  ted)nifd)en  gort^ 
fd^rittl  fd)iüinbet,  f)aben  rair  3]erfa((  unb  natürlid)en  Stob 
ber  menfd)lid)en  ©cfcHfd^aft  nid)t  ju  eviüartcn,  lüivb  fie  mit 
fortfcE)reitenber  3:ed)nif  fid)  immer  rceiter  entfalten  unb  ift 
fie  bi§  bat)in  in  biefem  Sinne  unfterblid). 

Qebe  ®efe(Ifd)aft  mivb  gcbitbet  burd)  ben  ted)nifd)en 
5tpparat,  über  ben  fie  oerfügt,  nnb  bie  ?[Renfc^en,  bie  il)n 
in  Seraegung  fe^en,  gu  n)elrf)em  Qwed^  fie  bie  mannig- 
fa(i)ften  gefeUfd)aft(irf)en  ^erl)ä(tniffe  cingef)en.  Solange 
biefer  ted)nifcf)e  Apparat  fic^  nerüoüfommt  unb  hk  93^enfc^en, 
bie  xi)n  bewegen,  lueber  an  Qd^i  nod)  an  geiftigcr  unb  pf)i)' 
fifrf)er  ^raft  ahm^xmn,  !ann  oon  einem  9liebergang,  einem 
2{bfterben  ber  @efe((fd)aft  nid)t  gefprod)en  merben. 

derartiges  !am  aud)  a\§  länger  anbauember  Quftanb 
bi§l)er  bei  feiner  ©efellfc^aft  oor.  3Sorübergel)enb  freilid) 
ereignet  e§  fid)  infolge  r»on  (£igentümlid)feiten,  bie  von  nod) 
fennen  lernen  roerben,  ba§  bie  gefeUfd)aftlid)en  3Serl)ältniffe, 
bie  ben  gefellfd^aftlid)en  ^ebürfniffen  entsprangen,  fi(^  üer- 
fteinem  unb  ju  gemmniffen  ber  gortfd)ritte  be§  ted)nifc^en 
5lpparat§  unb  be§  2ßad)§tum§  ber  ©efellfc^aftSmitglieber 
an  3^^^  ^^^  ^^  Ö^iftige^'  ^ie  pl)t)fifd)er  5?raft  merben,  ja 
bag  fie  eine  rüdläufige  33emegung  üeranlaffen.  '3)a§  fann 
aber,  l)iftorifd)  gefprod)en,  nie  lange  bauern,  frül)er  ober 
fpäter  rcerben  biefe  Jeffeln  ber  (Sntraidlung  gefprengt,  ent= 
rceber  burd)  innere  33en)egungen,  Dieoolutionen,  ober,  unb 
ba§  mar  el)ebem  ber  l^äufigere  Jatl,  burc^  Slnftöge  r)on 
äugen,  Kriege,  ^abei  n)ed)felte  bie  ©efellfd)aft  mitunter 
einen  ^eil  il)rer  9Jlitglieber  ober  i^re  ©renken  ober  il)ren 
S^amen,  unb  bem  ^eobac^ter  fd)ien  e§  bann,  hk  (S)efellfd)aft, 
bie  fd)on  Qüge  be§  ^lter§  aufgeroiefen  l)atte,  fei  nun  bem 
Stöbe  verfallen.  Qu  2ßir!lid)feit  aber,  mcnn  man  ein  ^ilb 
üom  tierifd)en  Organismus  entlel)nen  rcill,  mad)te  fie  blog 
eine  ^ranf^eit  burd),  auS  ber  fie  mit  erneuter  ^raft  ^eroor* 
ging.  80  ift  jum  ^eifpiel  aud)  bie  G^efellfd)aft  ber  römifc^en 
^aifergeit  nid)t  geftorben,  fonbern  burd)  germanifc^eS  S3ar' 


3)ic  SBanblungen  ber  traft  ber  fojtaten  triebe  91 

barenblut  nerjüngt,  f)at  fie  natf)  ber  3SöI!ern)anberung  be* 
gönnen,  mit  einem  2;ei(e  neuer  9Jlenfd)en  if)ren  te(^ni]d)en 
Apparat  §u  cerbeffern  unb  auszubauen. 

3.  Die  lüandlungen  der  Kraft  der  fozialen  Cricbe. 

a.  (3prad)e. 

Qft  W  menfd)UdE)e  ©efe(lf(i)aft  im  ©egenfa^  gur  tterif(i)en 
in  einem  ftänbigen  ©ntmid tungSpro^eB  begriffen,  fo  muffen 
aud^  hie  S[Renf(i)en  in  if)r  fid)  beftänbig  änbern.  ^ie  Sn- 
berung  ber  Seben§bebingungen  mu§  auf  bie  d^aiux  be§ 
^enfd)en  ^urüdmirfen,  bie  5lrbeit§teitung  mug  man(i)e  feiner 
natürti(i)en  Organe  ftärfer  entroideln,  mand)e  umbilben.  @o 
mugte  jum  S3eifpiel  bie  ©ntmitflung  be§  ^ffenmenfc^en  au§ 
dnem  ^aumfrucf)teffer  in  einen  33er§e{)rer  t)on  Vieren  unb 
^Pflanzen,  bie  auf  ber  (grboberf(äcf)e  §u  finben  finb,  mit 
einer  Umraanblung  ber  §interpnbe  in  gü^e  r>erbunben  fein. 
iJlnbererfeitS  ift  feit  ber  ©rfinbung  be§  SOßerf^eugS  fein  ^ier 
fo  fielen,  fo  mannigfaltigen  unb  fo  rafi^en  33eränberungen 
feinet  natürlichen  5DhIieu§  auSgefe^t  gemefen,  mie  ber  SJienfcf), 
i)atte  fein  Stier  fo  groge  unb  ftet§  n)acf)fenbe  Probleme  ber 
tJInpaffung  an  neue  93lilieu§  gu  töfen,  mie  er,  mugte  feinet 
fo  fe^r  fein  ^erau^tfein  gebraucf)en,  roie  er.  ©cf)on  im  beginn 
jener  Saufba!)n,  bie  er  mit  ber  ©rfinbung  be§  erften  SOßerf* 
§eug§  einfrf)lug,  burd)  feine  5Xnpaffung5fäf)igfeit  unb  fein  (£r^ 
fenntni§t)ermögen  ben  übrigen  Spieren  überlegen,  mugte  er  im 
Saufe  feiner  (S5efd)id)te  beibe  6igenfd)aften  auf§  f)ö(i)fte  fteigem. 

2ßenn  bie  3Seränberungen  ber  ©efel(fd)aft  imftanbe  finb, 
ben  Drgani§muB  be§  9[Renf(^en,  feine  ^änt)e,  güge,  fein 
(Sef)irn,  um jugeftalten ,  fo  fönnen  fie  nod)  niel  me^r  unb 
t)iel  rafd)er  fein  ^emugtfein  ummanbeln,  feine  5tnfd)auungen 
ton  bem,  mag  nü^lic^  unb  fd)äblic^,  wa§  gut  unb  böfe,  maS 
möglid)  unb  unmöglid)  ift. 

2ßenn  ber  5Jlenfcf)  feinen  5Iufftieg  über  bie  ^ierl^eit  mit 
ber  ©rfinbung  beB  2©erf5eug§  beginnt,  fo  braud)t  er  nid)t 
erft  einen  (SJefel(frf)aft§t)ertrag  gu  f(i)affen,  mie  man  im  ac^t^ 


92  Xie  (Ettiü  be§  2J?aip§mu§ 

jef)nten  ^ö'flt^unbert  glaubte  unb  manrf)e  juriftif(i)e  Sll)coreti!er 
aud)  im  gtoan^igften  nodf)  glauben.  @r  tritt  in  feine  menfd)' 
f)eit(irf)e  ©ntraicftung  bereits  al§  fo5iaIe§  ^icr  ein  mit  ftarfen 
gefe((id)aftli(^en  trieben,  ^ie  erfte  etf)if(i)e  SOßirfung  ber 
menfdt)lid)en  ©efeüfd^aft  mug  eine  ^eeinfluffung  ber  ^raf  t 
biefer  fogialen  2^ricbe  fein.  Qe  nad)  bem  ß^arafter  ber 
©efeltfd)aft  merben  biefe  triebe  entrceber  geftärft  ober  ge^ 
f(i)raäd)t  raerben.  9^icf)t§  irriger  al§  bie  3lnfd)auung,  t^a^ 
i)k  fo^ialen  triebe  fid)  regelmäßig  in  bem  5Jlaße  üerftärfen 
muffen,  rcie  bie  ©efe(lfd)aft  fid)  entmidelt. 

3n  't>m  Slnfängen  ber  menfc^^eitlid)en  (gntmidtung  mirb 
ba§  freilid)  zugetroffen  l)aben.  '^k  eintriebe,  meiere  in  ber 
S^ierrcelt  fd)on  bie  fojialen  triebe  entmidelten,  läßt  bie 
menfd)lid)e  (55efellfd)aft  mit  roller  ©tärfe  raeiter  beftel)en, 
fie  gefeilt  i^nen  aber  neue  liingu  burd^  bie  (S^emeinfam« 
feit  ber  3lrbeit,  ba§  3^f^^^^^^^^^^^  ^^^  ^^^  5lrbeit. 
'3)iefe§  Qufammenmirfen  fclbft  muß  ein  neue§  SBerfjeug  be§ 
gefellf(^aftli(^en  3Ser!e^r§,  ber  gefellfd)aftlid)en  3Serftänbigung 
notrcenbig  gemad)t  l)aben,  bie  ©prad^e.  ^ie  gefellfd)aft* 
lid)en  3:iere  fönnen  mit  rcenigen  3Serftänbigung§mitteln  auS^ 
fommen,  Stufen  ber  Sodung,  ber  greube,  ber  gurd)t,  be§ 
3llarm§,  be§  QomeS  unb  anberen  (Smpfinbungslauten.  Qebeä 
Qnbix)ibuum  ift  hn  i^nen  ja  ein  ©anjeS,  ba§  für  fic^  allein 
ju  ej:iftieren  rermag.  (Sold)e  ©mpfinbungSlaute  genügen 
aber  nid)t,  foll  gemeinfam  gefd)afft  ober  follen  t)erfd)iebene 
3(rbeiten  verteilt  ober  rerfd)iebene  ^robufte  au§getaufd)t 
merben.  ©ie  genügen  nid)t  für  Qnbinibuen,  bie  l)ilflo§ 
finb  ol)ne  bie  SiJlitmirfung  anberer  ^nbioibuen.  ^ie  5lrbeit§s 
teilung  ift  unmöglid)  o^ne  eine  (Sprad)e,  bie  nid)t  bloß 
©mpfinbungen,  fonbern  aud)  ^inge  unb  3Sorgänge  be* 
geid)net,  fie  fann  fid)  nur  in  bem  5[Raße  entmideln,  in  bem 
fid)  bie  (Sprad)e  auSbilbet,  unb  fie  bringt  il)rerfeit§  baS 
^ebürfniS  banad^  mit  fid). 

3n  ber  ©prad^e  fclbft  ift  bie  33e5eid)nung  ber  2:ätig* 
feiten,  unb  jmar  ber  menfd)lid)en,  ba§  Urfprünglid)e,  bie 


2)ie  SBonblungen  ber  Äraft  ber  fojiaten  XxiQhi  93 

ber  ^inge  ha§  Spätere,  ^ie  Qeitroörter  finb  älter  al§  bic 
Hauptwörter,  jene  bilben  bie  Sßurgeln,  auB  benen  biefe  ab= 
geleitet  tüerben. 

©0  erflärt  Sajarug  feiger: 

„2Benn  man  fid)  fragt,  luarum  2id)t  unb  f^arbe  feine  bc- 
nennbaren  Dbjefte  für  bie  erfte  ©pracf)ftufe  gercefen  feien,  it)oi)[ 
aber  ha§  2(ufftrei(i)en  ber  i^axb^,  fo  liegt  bie  SIntraort  barin: 
ha^  ber  SRenfd)  juerft  nur  feine  §anblungen  ober  bie  üon 
feine§gteirf)en  benannte,  ha^  er  h^ad)UU,  tva§  an  i^m  felbft 
imb  in  feiner  unmittelbar  if)n  intereffierenben  9^äf)e  oorging, 
al§  er  nod)  für  fo  f)of)e  Xinge  wie  öid)t  unb  ®un!el,  ©lang 
unb  S5ti^  feine  ©inne,  fein  2(uffaffung§üermögen  ))atti.  9J?uftem 
loir  bie  in  fo  großer  ^Injaf)!  nun  fd)on  an  un§  (in  bem  SSuc^e) 
Dorübergegangenen  3Segriffe  burcf):  fie  gef)en  in  if)ren  Slnfängen 
auf  einen  äu^erft  befrf)ränften  ^rei§  menfdE)lirf)er  33en?e; 
gungen  ^urücf.  ®arum  getjen  bie  SSegriffe  oon  ©egenftänben 
ber  9^atur  auf  fo  merfrcürbigen  Umroegen  au§  ber  2lnfd)auung 
einer  menfd)tirf)en  Sätigfeit  I)ert)or,  bie  fie  auf  irgenb  eine 
Sßeife  5ur  ®rf(^einung  fommen  lä^t,  oft  auc^  ztrva§  nur  ents 
fernt  i^nen  3if)nlicf)e§  l)erDorbringt.  ®arum  ift  ber  ^aum  etraaä 
@ntrinbete§,  hk  ®rbe  etn)a§  3^^^^bene§,  ba§  auf  if)r  n)ad)fenbe 
^orn  ettt)a§  @ntbülfte§.  ®arum  geben  ®rbe  unb  9Jieer,  ja  über 
ben  SSegriff  SSotfe  oft  felbft  ber  §immel  au§  ber  g(eid)en 
©runboorfteüung  oon  etn)a§  ^^^^i^benem  ober  Slufgeftricbenem, 
le^martig  ^albflüffigem  au§."  (2)er  Urfprung  ber  ©praci)e, 
<B.  151  bi§  153.) 

tiefer  @ang  ber  (5pracf)entraictlung  ift  ni(i)t  erftaunlicf), 
lüenn  lüir  al^  bie  erfte  5{ufgabe  ber  ©pra(i)e  hk  ber  U^er* 
ftänbigung  ber  9Jlenfd)en  hzi  gemeinfamen  ^ätigfeiten 
unb  Bewegungen  auff äffen,  "i^iefe  Dioüe  ber  ©pra(i)e  al§ 
§elfer  im  ^robuftionSprojeg  mad^t  e§  aud^  jum  Beifpiel 
erflärlicf),  warum  bie  (Sprad)e  in  i^ren  3lnfängen  fo  wenige 
garbebejeirfinungen  f)at.  (Slabftone  unb  anbere  !)aben  barau§ 
gefcf)(offen,  ha%  bie  f)omerifd)en  @rierf)en  unb  anbere  primi^ 
tit)e  3Sö(fer  bie  garben  nocE)  wenig  ^u  unterfc^eiben  wußten. 
9'Zid)t§  irriger  ai§  ba§.  5}erfud^e  ^aben  gezeigt,  ha^  bar* 
barifcf)e  3Sölfer  einen  fef)r  entwicfelten  garbenfinn  f)aben. 


94  2^ie  dtl-jit  bcg  3}Jorjilmu§ 

2(ber  i^re  gö^^^^^tccf)^^'^  ift  ^ocf)  rcentg  entraicfelt  bie 
Qciiji  ber  garben,  bie  fic  probujieren  fönuen,  ift  gering, 
unb  baf)er  ift  aud)  bie  Qal)i  i^rer  garbenbe3eid)nungeu  nur 
eine  fleine. 

„2Benn  ber  9J?enfc^  baf)in  gelangt,  einen  ^^arbftoff  anju* 
irenben,  bann  rairb  ber  ^axm  biefe§  ^arbftoff§  für  it)n  Ieid)t 
einen  abjeftit)ifrf)en  ©t)arafter  annef)men.  3Iuf  biefe  2öeife  ent* 
ftef)en  bie  erften  fj^arbennamen."  (®rant  Slüen/  The  colour 
sense,  ©.  254.) 

®rant  3lHen  weift  aud^  barauf  f)in,  bag  f)eute  nod)  bie 
gatbennamen  in  bem  3[Ra§e  n)ad)fen,  in  bem  bie  5^^^^"' 
ted)ni!  fic^  entraidelt.  ^en  3"^^^^^^  ber  %z(i)n\t,  nic^t 
ben  3"^ß<^ß^  ber  33efrf)reibung  ber  Statur  bienen  guerft 
bie  Flamen  ber  g^^^^^^- 

^ie  ®ntn)idlung  ber  ©prarf)c  ift  gar  nic^t  gu  t)erftef)en 
of)ne  bie  (Sntiüidlung  ber  ^robuftion^raeife.  3Son  biefer 
f)ängt  e§  aud)  ab,  ob  eine  ©pradje  ber  lofale  ^ialeft  einer 
rcin^igen  §orbe  bleibt  ober  eine  SCßeltfprac^e  wirb,  bie 
Biunbert  SJlidionen  9Jlenfd)en  fpred)en. 

Wlit  ber  ©ntraidlung  ber  ©prarfie  rcirb  aber  ein  ungemein 
ftarfeg  TOttel  fogialen  3ufamntenf)alte§  geraonnen,  eine 
enorme  3Serftär!ung  unb  ein  flarere^  ^Semu^tfein  ber  fogialen 
triebe,  daneben  erzeugt  fie  freilid)  nod)  gan§  anbere  SGßir- 
fungen,  fie  rcirb  ha§  mäd^tigfte  5J^itteI,  errungene  ©rfennt* 
niffe  feftgu^alten,  ju  verbreiten  unb  fpäteren  Generationen 
gu  !)interlaffen;  fie  erft  ermöglid)t  e§,  begriffe  ^u  bilben^ 
n)iffenfrf)aftlid)  gu  benfen,  fie  erft  füf)rt  alfo  bie  ©ntmidtung 
ber  2Biffenfrf)aft  unb  bamit  bie  Unterwerfung  ber  Statur 
burc^  bie  2ßiffenfcf)aft  I)erbei. 

Qe^t  erft  erlangt  ber  50^enfd)  eine  §errf(i)aft  über  bie 
Statur,  aber  auc!^  eine  anfd)einenbe  Unab^ängigfeit  von 
\l)xzn  äußeren  ©inrairfungen,  bie  in  i{)m  bie  Qbee  ber  grei* 
\)zxt  erweden.  darüber  fei  {)ier  eine  fleine  Stbfdiraeifung 
gemad)t. 

Sef)r  rid)tig  bemerft  (5c^openl)auer: 


3)ie  SBanblungen  ber  ^roft  ber  fosialeu  Xxkhe  95 

„^ür  ba§  Sier  gibt  e§  b(o^  anf(f)aultdE)e  iöorftcHungcn  unb 
ba[)er  au(^  nur  anfd^QuIid)e  SO^ottüe:  bie  2lb^ängigfett  feiner 
2Biüen§afte  oon  i>in  ajiotiüen  ift  be§E)aIb  augenfällig.  93eim 
SRenfrf)cn  ^at  biefe  nid)t  raeniger  ftatt,  unb  aud)  i()n  bewegen 
(unter  ^orau§fe^ung  feine§  inbiüibuetlen  ©f)ara!teri)  "ök  SJ^otioe 
mit  ftrengfter  S^otiüenbigfeit:  atlein  biefe  finb  meift  nid)t  am 
fd)auli^e,  fonbern  abftrafte  SSorfteüungen,  ba§  f)ei^t  ^c^ 
griffe,  ©ebanfen,  i>k  jebocf)  ba§  D^efuttat  früf)erer  5(nfd)auungen, 
alfo  ber  ©inrcirfung  üon  au^en  auf  if)n  finb.  2)ie§  aber  gibt 
i[)m  eine  retatiüe  5reit)eit,  nämlicE)  im  SSergleicf)  mit  bem 
Stiere.  2)enn  i^n  beftimmt  nic^t,  roie  ba^  Zkx,  bie  anfd)aus 
Iirf)e,  gegenwärtige  Umgebung,  fonbern  feine  au§  früf)eren  ©r* 
fa^rungen  abgezogenen  ober  burd)  33elef)rung  überfommenen 
©ebanfen.  S)af)er  liegt  t>a§  SJ^otio,  n)elrf)e§  aucf)  if)n  notroenbig 
bemegt,  bem  3iifrf)fi"er  ni(f)t  gugteicf)  mit  ber  2;at  oor  5lugen; 
fonbern  er  trägt  e§  in  feinem  ^opfe  {)erum.  3)ie§  gibt  nid^t 
nur  feinem  2;un  unb  treiben  im  ganjen,  fonbern  fcf)on  alten 
feinen  SSeroegungen  einen  oon  benen  be§  5;iere§  augenfällig 
i)erfrf)iebenen  ®f)ara!ter:  er  rcirb  gleid)fam  üon  feineren,  nicf)t 
fi(^tbaren  ^äbm  gebogen:  ba{)er  tragen  alle  feine  SSeraegungen 
ha§  ©epräge  bei  55orfä^Iid)en  unb  5(bfid)t{icl)en,  n)etcf)c§  il)nen 
einen  2(nfd)ein  oon  Unabf)ängig!eit  gibt,  ber  fie  augenfällig  oon 
benen  be§  2;iere§  unterfdjeibet.  5llle  biefe  großen  S8erfd)iebens 
Reiten  l)ängen  aber  ganj  unb  gar  ab  oon  ber  3^äl)ig!eit  ab- 
ftralter  SSorfteüungen,  begriffe."  (^reiifcl)rift  über  bie  ©runb* 
läge  ber  5moral,  1860,  @.  148.) 

'3)ie  gä^igfeit  abftrafter  ^SorfteKungen  rciebev  ^ängt  aber 
ab  t»on  ber  Sprache.  2Bal)rfcE)ein(id)  voax  eg  ein  ^Jlangel 
in  ber  Sprache,  ber  W  erften  33egripbitbungen  üeranla^te. 
Qn  ber  Statur  gibt  e§  nur  (Singeibinge,  bie  8praci)e  ift 
aber  jii  arm,  jebe§  Qnbioibuum  befonberä  bejeid)nen  ju 
fiiuneu.  ^er  9Jlenfd)  mu§  bal^er  alle  einanber  ä^nlicf)en 
3Befen  mit  bemfelben  2ßort  be§eid)nen,  er  unternimmt  ba^ 
mit  aber  unbemu^t  fd)on  eine  n:)iffenfd)aftlicl)e  Stätigfeit,  hk 
Qufammenfaffung  be§  ®leid)artigen,  bie  Strennung  be§  ^Ser? 
fd)iebenen.  %k  (3prarf)e  ift  benn  auc^  ni^t  blog  ein  Organ 
ber  ^erftänbigung  oerfrf)iebener  9Jlenfcl)en  untereinanber. 


96  S)ie  (St^i!  be§  2)?arji§mu§ 

fonbern  aud)  ein  Organ  be§  '3)en!en§  geraorben.  5(üd[) 
rrenn  man  nid)t  ju  anbercn  fpri(i)t  fonbern  für  fid)  adein 
benft,  mii^  man  jeben  (5^eban!en  in  beftimmte  SOßorte  fteiben. 

@ibt  aber  bnrrf)  al(e§  hci§  bie  (Sprad)e  bem  ?[Renfd)en 
eine  relative  fjrei^eit  gegenüber  bem  3:iere,  fo  entmicfelt 
fie  nur  auf  einer  l)öf)eren  ©runblagt,  ma§  fd)on  bie  ^il= 
bung  be§  ®el)irn§  begonnen  f)at. 

^ei  hen  nieberen  Vieren  ftef)en  bie  ^craegung§nert)en  in 
birefter  33erbinbung  mit  ben  (Smpfinbungsnerüen;  f)ier  löft 
jeber  öußere  S^teij  fofort  unb  unmittelbar  eine  SSeraegung 
a\i§.  5IIlmäf)lic^  aber  entmidelt  fid£)  ein  §auptnert)en!noten 
gu  einem  9Jlittelpun!t  be§  gangen  9^erüenfr)ftem§,  ber  bie 
gefamten  Steige  aufnimmt  unb  nid^t  aU^  fofort  an  bie  Se^ 
n)egung§neroen  meitergeben  mu^,  fonbern  fie  auf5ufpeid)ern 
unb  gu  verarbeiten  nermag.  %a§  l)öl)ere  Stier  fammelt  fo 
Erfahrungen,  bie  e§  gu  üerraerten,  unb  triebe,  bie  e§  fogar 
unter  Umftänben  gu  vererben  vermag. 

©0  mirb  fd)on  f)ier  burd^  bie  3Sermitttung  be§  (5)e()irn§ 
ber  3itfcimmenl)ang  gn)ifd)en  bem  äußeren  9leig  unb  ber 
SBemegung  verbunfelt.  ^uxd)  bie  (5pratf)e,  n)eld)e  bie  SO^it- 
teitung  von  ®rfa!)rungen  an  anbere,  fomie  abftrafte  33egriffe, 
miffenfd)aftlic^e  ©rfenntniffe  unb  Übergeugungen  ermögUc{)t, 
mirb  ber  ^^f^^^^^^^^^^Ö  gtvifd)en  ©mpfinbung  unb  33e« 
megung  in  vielen  gäHen  völlig  unerl'ennbar. 

&Uva§  5at)nli(^e§  trägt  fid^  in  ber  Ölonomie  gu.  ^k 
urfprünglic^fte  gorm  ber  SOßarengirfulation  ift  bie  be§  ^lu§* 
taufd^e§  von  2ßaren:  von  ^robuften,  bie  bem  perfönlic^en 
ober  probuftiven  ^onfum  bienen.  §ier  mirb  auf  jeber  ber 
beiben  (Seiten  ein  ^onfumgegenftanb  gegeben,  einer  emp* 
fangen,  "i^er  Qrv^d  be§  5lu§taufrf)e§,  ber  ^onfum,  liegt 
l)ier  !lar  gutage. 

®a§  änbert  fid^  mit  bem  3luf!ommen  eine§  bie  Qixtn'^ 
lation  vermittelnben  Elemente^,  be§  ©elbe§.  Qe^t  ift  e§ 
möglidl),  gu  verfaufen,  ol)ne  gleid)  gu  laufen,  ivie  ba§  @e* 
l)irn  e§  ermöglid)t,  ba^  9ieige  auf  ben  Drgani^mu^  ein* 


2)ie  SBanbtungen  ber  ^raft  ber  fo^iaten  Xxkhe  97 

iDirfen,  bie  md)t  fofort  eine  ^en)egung  au§Iöfen.  Uttb  rate 
biefeä  bie  5lnfamm(ung  eineg  ^Bä^a^e^  üon  @rfa!)rungeu 
unb  trieben  ermöglid)t  ber  fid)  jogar  vererben  lägt,  fo 
fann  man  befanntlid)  au(i)  au§  @elb  ©cf)ä^e  an!)äufen. 
Unh  xük  bie  Qlnfammlung  jene§  6cf)a^e§  üon  Erfahrungen 
unb  Strieben  bei  bem  Eintreten  ber  notraenbigen  gefeK^ 
fc^aftlic^en  QSorbebingungen  jc^Iieglirf)  bie  Entraid'Iung  ber 
SCßiffenfc^aft  unb  bie  ^e^errf(i)ung  ber  DIatur  burc^  h^xx 
menfd)(id)en  Greift  ermög(i(^t,  fo  ermöglid)t  hk  ^Infamm- 
lung  t)on  (55elbfd)ä^en  hzi  bem  ©intreten  beftimmter  gefeit* 
f(i)aftlict)er  33ürbebingungen  bie  3}ern)anblung  von  ®elb  in 
Kapital,  ha§  hie  ^robuttiüität  ber  menfd)licf)en  Arbeit  auf§ 
]^ö(f)fte  fteigert  unb  binnen  menigen  J^a^r^unberten  bie  Sßelt 
meljr  ummäljt,  al^  el^ebem  in  §unberttaufenben  t>on  S<^^^'ß^^ 
gefd)et)en. 

Unb  fo  mie  e§  ^t)iIofopt)en  gibt,  hu  ha  glauben,  hk 
Elemente,  ®el)irn  unb  ©prad)e,  Er!enntni§t)ermögen  unb 
Qbeen,  bie  ben  Qufammenljang  graifd)en  Empfinbung  unb 
^etoegung  tjeinnitteln,  feien  xiidjt  blo§  SiJlittel,  biefen  Qiu 
fammenl)ang  für  ^nbinibunm  unb  ®efellfdE)aft  ^medmägiger 
unb  erfolgreid)er  gu  geftalten,  alfo  il)re  Gräfte  anfd)einenb 
^u  t)ermel)ren,  fonbern  fie  feien  ron  fid)  au§  felbftänbige 
<£rjeuger  non  Gräften,  ja  am  Enbe  gar  bie  (Sd)öpfer 
ber  Sföelt:  fo  gibt  e§  and)  Ofonomen,  bie  fid^  einbilben, 
ha§  Gielb,  ba§  hk  2ß}aren§irfuIation  ©ermittelt  unb  al§ 
Kapital  bie  9)löglid)!eit  gibt,  bie  menfd)lid)en  ^robuftio* 
Gräfte  enorm  gu  entfalten,  fei  ber  Url)eber  biefer  Qixtn^ 
lation,  fei  ber  (Sd)öpfer  biefer  Gräfte,  fei  ber  Erzeuger  aller 
SBerte,  n)eld)e  über  ben  Ertrag  ber  primitirften  §anbarbeit 
I)inau§  probu^iert  ra erben. 

%k  Slieorie  ron  ber  ^robufttüität  be§  S!apital§  beiiil)t 
auf  einem  ©ebanfengang,  ber  gan§  analog  ift  bem  non 
ber  grei^eit  be§  SÖßilten^  unb  ber  2lnnal)me  eine§  (Sitten* 
.gefe^e§,  ba^,  unabhängig  üon  Qeit  unb  Diaum,  unfere 
^anblungen  im  üiaume  unb  ber  Qdt  regelt. 

ßautlfg,  @tt)if  unb  materiatiftifrfie  ®e|(i^irf)t§auffaffung.  7 


98  2)ie  (St^i!  bc§  2)?arji§mu§ 

(S§  wax  nur  logifrf),  tücuu  ^Jlaxic  ben  einen  ©ebanfen- 
gang  ebenfo  bcfämpfte  irie  ben  anbcren. 

b.  ^rieg  unb  Eigentum. 

®m  tt)eitere§  50^ittel  neben  ber  ©cmeinfamfett  ber  5lrbett 
unb  ber  Sprache,  um  bie  fojialen  triebe  ju  ftärfen,  bitbet 
bie  fo§iaIe  ©ntraicfümg  burd)  ba§  Sluffommen  be§  ^riege§. 

Sßir  f)aben  feinen  ©runb,  an5nne{)men,  bag  ber  Urmenfcf) 
ein  !riegerifd)er  @e]e((e  geraefen.  §orben  ron  5(ffenmenfd)en^ 
bie  ficf)  in  hzn  ^aumäften  bei  ergiebigen  ^^itterplä^en  be^ 
gegneten,  mögen  fid)  barum  gerauft  unb  eine  bie  anbere  t)er* 
trieben  f)aben.  ^ag  e§  babei  p  Stötungen  üon  (S^egnern 
fam,  bafür  ift  ein  ^öeifptel  hei  ben  E)eute  lebenben  5(ffen 
nirf)t  ju  finben.  3Son  männlic{)en  ©ori((a§  rairb  mo'^I  be- 
rirf)tet,  ba§  fie  einanber  mitunter  fo  lüütenb  befämpfen,  ba^ 
e§  gu  5SJlorb  unb  2otfcf)lag  fommt,  aber  ha§  finb  kämpfe 
um  ein  Sßeibc^en,  nid)t  um  gi^tterplä^e. 

5Inber§  mirb'§,  fobalb  ber  SJlenfd)  ein  Qäger  ift,  ber  über 
Sßaffen  cerfügt,  bie  gum  5:öten  geeignet  finb,  unb  ber  auc^ 
baran  gen)i3{)nt  ift,  58Iut  gu  nergie^en,  frembe§  Seben  ^u 
nef)men.  "^^aju  fommt  ein  Umftanb,  auf  hm  fd)on  @ngel§ 
flingemiefen  I)at,  um  bie  SiJlenfcf)cnfrefferei  gu  erflären,  bie 
in  biefem  ©tabium  ^äufig  üorfommt:  bie  Unficf)er^eit  ber 
9^a^rung§que((en.  3SegetabiIifd)e  9^af)rung  ift  im  Tropen* 
malb  in  §ü((e  riorf)anben.  Qu  ©rasebenen  finb  bagegcn 
grüd)te  unb  Söurjeln  nid)t  überall  ju  finben,  bie  ©rbeutung 
be§  2öilbe§  ift  aber  ^um  großen  ^cil  3ufat(§fad)e.  "SDie 
Üiaubtiere  f)aben  baf)er  aud)  bie  gdf)igfeit  erlangt,  unglaub^ 
lid)  lange  ^ungern  ^u  fönncn.  ^er  menfd)lid)e  Silagen  ift 
nid)t  fo  augbanernb.  %a  brängt  bie  9^ot  einen  ©tamm  t)on 
äßilben  Ieid)t  ^u  einem  Stampf  auf  Seben  unb  Sob  mit 
einem  benad)barten  ©tamm,  ber  einen  guten  Qagbgrimb 
befe^t  ^at;  ba  treiben  if)n  ^'ampfesmut  unb  qnälenber 
junger  fc^liefslid)  fogar  baf)in,  hm  ^einb  nic^t  blo^  gu 
erfd)lagen,  fonbern  aud)  gu  t)er5ef)ren. 


!Die  $[?anblungen  ber  ^raft  ber  fo^,iaIen  Zxiehe  99 

2{uf  biefe  SSeife  entfeffelt  ber  tec^nifd^e  gortfd)rttt  kämpfe, 
bie  bem  ^i(ffenmenfcf)en  gan§  fern  lagen,  kämpfe  ni^t  mit 
Vieren  anberer  ^rt,  fonbern  mit  (^attungggenoffen  felbft, 
Hcimpfe,  oft  norf)  blutiger  a(§  bie  mit  bem  Seoparben  imb 
bem  ^ant^er,  beffen  firf)  menigftenS  bie  größeren  2tffen  fef)r 
roo^I  5u  errüef)ren  roiffen,  menn  fie  in  gri3§eren  5iJIengen 
vereinigt  finb. 

9^icf)t§  irrtümli(^er,  al§  bie  5Infic^t,  ba§  bie  fortfcf)reitenbe 
Kultur  unb  fteigenbe§  SKiffen  notrcenbig  aud)  f)öf)ere  §umani^ 
tat  mit  firf)  bringt.  Tlan  fönnte  t)ielmef)r  fagen,  ber  2Iffe 
fei  humaner,  alfo  menfrf)(icf)er  ai§  ber  ^Jlenfcl).  9Jlorb  unb 
^lotfc^Iag  an  5Irtgenoffen  au§  öfonomif(f)en  ©rünben  finb 
^robufte  ber  Kultur,  ber  2ßaffente(i)nif.  Unb  bi§  !)eute  gilt 
i^rer  3Sert)o((fommnung  nn  groger  3:eil  ber  geiftigen  5lrbeit 
ber  ?[Renfd)^eit. 

9^ur  unter  befonberen  Umftänben  unb  in  befonberen 
klaffen  mirb  im  meiteren  gortgang  ber  Kultur  ba§  erzeugt, 
wa§  rcir  SHilberung  ber  ©itten  nennen.  ®ie  fortfc^reitenbe 
5(rbeit§tei(ung  meift  ba§  Tötm  von  Vieren  unb  3^enfcf)en 
—  Qagb,  (5d)(äcf)terei,  §inrirf)tung,  ^rieg  —  befonberen 
klaffen  p,  bie  inner()alb  ber  ^^^^^^f^^i^n  bann  9iof)eit 
unb  ©raufamfeit  beruf §;  ober  fportmägig  betreiben.  5Inbere 
klaffen  merben  gän^licf)  ber  9lotn) enbigf eit,  ja  oft  ber  5[Rög* 
Iicf)feit  be§  33Iutt)ergie§en§  entf)oben,  fo  §um  ^eifpiel  hk 
üegetarifrf)en  dauern  in  hm  giufstätern  ^nbienl,  bie  burcf) 
bie  9latur  gef)inbert  merben,  groBe  ^^ief)f)erben  ju  ba(ten,  unb 
für  bie  ha^  Olinb  gu  foftbar  a(§  ^^^Ö^^^^  ^^'^  90^i(d)fpenber 
ift,  a(§  ba^  fie  e§  über  ficf)  bräd)ten,  e§  ^u  ti3ten.  Sturf)  bie 
meiften  8täbteben)of)ner  in  ben  europäifdjen  Staaten  feit 
bem  Untergang  ber  ftäbtifc^en  ^lepublifen  unb  bem  2Iuf* 
fommen  ber  (2ö(bnerf)eere  fomie  be§  ©d)Iädf)ter!)anbn)er!g 
finb  üon  ber  D^otrc enbigf eit  entbunben,  Sebemefen  p  töten. 
S^amentlic^  hk  3^te({eftue((en  mürben  ba  feit  ^a^x^nn-- 
bcrten  aUem  ^lutüergiegen  fo  entfrembet,  ha^  e§  fie  fd)Iiegs 
lic^  meift  mit  (Sd)auber  erfüllte,  rcaS  fie  auf  9^e(f)nung  if)rer 


100  Sic  C2t()if  beg  a»?arp§mu§ 

f)ö{)eren  Qutedigens  festen,  bie  fanftere  (^efüf)le  in  it)ncu 
eriüede.  Slber  in  ben  legten  3a!)r5ef)nten  ift  hk  adgemeinc 
2ßel)rpflicf)t  rcieber  eine  allgemeine  ®inricl)tnng  ber  meiften 
europäijd)en  (Staaten  unb  finb  bie  Kriege  raiebcr  5n  ^olf^- 
friegen  geiDovben,  nnb  bamit  I)at  bie  5Dlilbcrnng  ber  Sitten 
unter  unjeren  Q^^ß^^^'^tucKen  i^x  (Snbe  erreii^t.  ©ie  finb 
feitbem  bebeutenb  üeiTol)t;  hk  StobeSftrafe,  bie  norf)  in  ben 
fünfziger  Qa^ren  be§  neun5el)nten  Qal)rf)unbert§  allgemein 
verurteilt  mürbe,  finbet  feinen  äßiberftanb  me!)r  bei  i^nen, 
unb  bie  Seftialitäten  ber  ^olonialfriege,  bie  üor  einem  ^Iben 
Qal)rl)unbert,  menigften§  in  ^eutfd)lanb,  i^re  Urljeber  un* 
möglid^  gemadl)t  Ijätten,  merben  l)ier  fieute  entfc^ulbigt,  oft 
fogar  oer^errlid^t! 

Qmmerl)in  fpielt  ber  ^rieg  unter  ben  mobernen  Q^ölfern 
nid)t  meiir  jene  üioUe  mie  el)ebem  unter  nomabifct)en  Säger- 
unb  §irtenftämmen.  Q^it'xQt  er  aber  ©raufamfeit  unb 
SStutgier  gegenüber  bem  geinbe,  fo  ermeift  er  fid)  auf  ber 
anberen  (Seite  al§  ein  mäd)tigeg  SJlittel,  ben  3ii1<^ii^nienl)alt 
innerl)alb  be§  ©tamme§,  ber  ®efellfd)aft,  gu  üerftdrfen.  ^e 
größer  bie  @efal)ren,  bie  ben  einzelnen  r)om  geinbe  bebrolien, 
befto  abfiängiger  fül)lt  er  fid)  üon  feiner  ©cfellfd)aft,  feinem 
<5tamm,  feiner  Sippe,  bie  allein  il)n  mit  il)ren  üereintcn 
Gräften  gu  fd)ü^en  vermag.  '3)efto  gröjser  ba§  gefellfd)aft= 
Iid)e  5lnfel)en,  ba§  bie  S^ugenben  ber  ©elbftlofigfeit  ober 
ber  ba§  Seben  für  hk  ©efellf(^aft  magenben  Stapferfeit  ge= 
tüä^ren.  Qe  blutiger  bie  Kriege  §mifd)en  §orbe  unb  öorbe, 
befto  mel)r  mu^  aber  aud)  ba§  ©i)ftem  ber  Stuslefe  unter 
i^nen  mirfen,  muffen  jene  Sorben  fid)  am  el)eften  behaupten, 
bie  nid)t  blog  hk  ftärfften,  fonbern  auc^  'ok  flügften,  bie 
tapferften,  opferroilligften  unb  bi§5iplinierteften  5iJlitgtieber 
aufmeifen.  ©o  mirft  ber  ^rieg  in  jenen  primitioen  Qäkn 
auf  ben  t)erfd)iebenften  äöegen  bal)in,  bie  fojialen  triebe 
in  ben  9Jlenf(^en  gu  verftärfen. 

'3)er  ^rieg  felbft  änbert  aber  im  Saufe  ber  gefeflfd)aftli(^en 
©ntmidluuö  feine  formen.    2(ud)  feine  Urfad)en  n)ed)feln. 


Sie  SBonblungen  ber  .^rnft  ber  fo',iQlen  Xxkhe  101 

Seine  erfte  Urfarf)e,  bie  Unfid)erf)ett  ber  9^af)rung§queßen^ 
^öxt  auf,  fobalb  Sanbbau  unb  3Stef)3U(^t  me^r  entrcicfelt 
finb.  5(ber  bamit  tritt  nun  eine  neue  ^rteg§urfacf)e  auf:  ber 
$5eft^  üon  9^ei(^tümern.  9^id)t  ber  prinate  33eft^,  fon- 
bern  ber  ©tammesbefi^.  ^(^bm  Stämmen  in  reii^en  ©egen* 
ben  finben  mir  folcf)e  in  unfrud)tbaren;  mb^n  nomabifcf)en 
maffenfrof)en  unb  armen  §irten  fegf)afte,  be§  SBaffen* 
gebraurf)§  entmö^nte  35auern,  bereu  2ßirtfd)aft  rei(i)(id)e 
Überfrf)üffe  erzeugt  ufm.  ^er  ^rieg  mirb  nun  S^laub  unb 
3Ibmef)r  üon  D^aub,  unb  t)a§  ift  er  im  (S^runbe  big  f)eute 
geblieben. 

Slurf)  biefe  2Irt  ^rieg  mirft  aber  ftärfeub  auf  bie  fogialen 
triebe,  folange  ^Oa^  Eigentum  im  Stamme  t)orraiegenb  nocf) 
ein  gemeinfameg  ift.  dagegen  ^ört  bie  Stärfuug  ber  fojialen 
2;riebe  burd)  ben  ^rieg  immer  me^r  auf,  je  me{)r  im  ©e* 
meinmefen  fid)  klaffen  bilben,  gegenfä^Uc^e  klaffen  mit 
befonberem  Eigentum,  unb  ber  ^rieg  immer  mef)r  p  einer 
blogen  3(ngelegenf)eit  ber  ^errfcf)enben  klaffen  mirb,  bie 
banarf)  ftreben,  if)r  Slu^beutungsgebiet  ju  t)ergrögern  ober 
ficf)  an  Stelle  einer  anberen  ^errfrf)enben  klaffe  in  einem 
bena(i)barten  Sanbe  p  fe^en.  gür  bie  bef)errfc^ten  klaffen 
^anbelt  e§  fid^  in  foId)en  Kriegen  oft  nicf)t  me^r  um  eine 
grage  if)rer  (Sriftenj,  mitunter  nirf)t  einmal  um  bie  einer 
befferen  ober  fd)(ed)teren  Seben5f)altung,  fonbern  nur  barum, 
mer  if)r  §err  fein  fo((.  2Inbererfeit§  mirb  nun  ba§  §eer 
entmeber  ^u  einem  5(rifto!raten^eer,  an  bem  bie  33o(!§maffe 
nid)t  ^eil  l)at,  ober,  menn  fie  mitmirft,  gu  einem  Sölbner^ 
ober  einem  3roang§f)eer,  ha§  von  ber  ^errfrf)enben  klaffe 
fommanbiert  mirb  unb  ba§  fein  2^b^n  einfe^en  mu^,  nirf)t 
um  ba§  eigene  (Eigentum,  bie  eigenen  grauen  unb  ^inber 
gu  oerteibigen,  fonbern  um  frembe  J^ntereffen,  oft  feinblic^e 
J^ntereffen  §u  t)erfe(i)ten.  9lid)t  mef)r  burd)  fojiale  2^riebe, 
fonbern  nur  nod)  bur(^  bie  gurd^t  tjor  einem  unerbittlid) 
graufamen  Strafgefe^  merben  fotc^e  §eere  5ufammengef)al5 
ten.    Sie  merben  entgmeit  burrf)  §a^  ber  5D^affe  gegen  bie 


102  Sie  (Stf)if  be§  9)?Qrp§mu§ 

§üf)rer,  burc^  ©(eid)gültig!eit,  ja  SiJli^traueu  ber  tcljtcren 
gegenüber  if)ven  Untergebenen. 

2luf  biefer  Stufe  f)ört  ber  ^rieg  auf,  in  ber  ^soUsmaffc 
eine  Sd)ule  fojiater  (Smpftnbungen  gu  fein.  Qn  ben  {)crrfd)en= 
ben,  !riegerifd)en  5^laffen  rcirb  er  eine  Sd)ule  f)od)nuitiger 
Überl)ebung  über  bie  bef)errfrf)ten  klaffen,  benn  er  Ief)rt  bie 
§errfd)enben,  biefe  le^teren  ebenfo  gu  bef)anbeln  lüie  ben 
gemeinen  ©olbaten  im  §eere,  fie  ^u  luidentofer  Untermürfig* 
feit  unter  ein  abfoluteg  ^ommanbo  tjerab^ubrüden  unb  über 
it)re  Gräfte,  ja  if)r  Seben  rüc!fid)t5lo§  ju  verfügen. 

^iefe  ©ntraidlung  be§  Slriegeä  ift,  rcie  wix  fc^on  gefagt, 
eine  golge  ber  (Sntiüicflung  be§  Eigentums,  bie  inieber  au§ 
ber  ©ntrcicftung  ber  S^edE)nif  f)ert)orgef)t. 

Über  jeben  ©egenftanb,  ber  in  ber  @cfet(fd)aft  probujiert 
n)irb  ober  mit  bem  man  in  i[)x  probujiert,  mu§  jemanb 
t)erfügen  unb  verfügen  fönnen,  fei  e§  ein  einzelner,  eine 
©ruppe  ober  bie  ganje  (^efeUfc{)aft.  ^k  5{rt  biefer  33er' 
fügung  ergab  firf)  5unäd)ft  von  felbft  au§  ber  Statur  ber 
®inge  unb  ber  Statur  ber  ^robuftion^rceife  unb  ber  ber 
^robufte.  2ßer  fi(^  felbft  feine  SOßaffe  mad)te,  gebraurf)te 
fie  felbft;  ebenfo  rcer  fid)  ein  ^(eibungeftüd  ober  einen 
(5d)mud  i)erfteUte;  bagegen  ergab  e§  fid)  ebenfo  natürlich, 
ba§  ha§  §au§,  n:)etd)e  bie  §orbe  mit  gemeinfamen  Gräften 
für  fid)  erbaute,  t)on  iE)r  gemeinfam  ben)o!)nt  mürbe.  '3)ie 
oerfc^iebenen  SIrten  be^  9lu^genuffeg  an  hm  r)erfd)iebenen 
fingen  maren  alfo  von  t)ornf)erein  gegeben,  rciebcrf)o(ten 
fid)  t)on  (Generation  gu  (Generation  unb  mürben  gu  feften 
©erao'f)nl)eiten. 

(So  entftanb  ein  (Gemol)nf)eit§re(^t,  ha^  bann  uod)  er^ 
meitert  mürbe  baburd),  ba§,  fo  oft  Streitigfeiten  über  bie 
2(rt  ber  ^enu^ung  ober  über  bie  ^erfonen  entftanb,  meli^e 
über  eine  Sac^e  gu  Derfügen  l)atten,  bie  üerfammelten  WiU 
glieber  ber  (Gefe((fd)aft  barüber  entfd)ieben.  ^a§  SRed)t  ift 
nid)t  irgenb  einer  t)orbebad)ten  (Gefe^gebung  ober  einem 
(Gefe((fd)aft§t)ertrag  entfprungen,  fonbern  ber  auf  ben  Ud}-- 


2)te  Sßanblungen  ber  ilraft  ber  fo^ialen  SrieBe  103 

nif(i)eTt  Söebirtgungen  beru^enben  ®en)of)n^eit  imb,  rco  biefe 
md)t  aii§rei(^te,  einjelnen  ©(i)ieb§fprücf)en  ber  (55efeKfrf)aft, 
bie  x)on  gaö  gu  gall  urteilte.  So  entftanb  nad^  unb  nad) 
ein  mannigfaltige^  (Sigentum2red)t  an  ben  üerfd)icbenen 
^robuftionSmitteln  unb  ^robuften  ber  (^efctlfc^aft. 

^a§  gemeinfante  (Eigentum  übertpog  aber  im  3(nfang, 
namentlid)  an  ^rübu!tion§mittetn ,  gemeinfam  gerobetem 
^oben,  SBen)äfferung§anlagen,  §äufern,  rcoI)l  aud)  9]iel)^ 
i) erben  unb  anberem  mel)r.  5lud)  biefe§  gemeinfame  (Eigen- 
tum mu§te  bie  jovialen  triebe  ungemein  ftcirfen,  ha§  Qnter- 
effe  am  ©emeinmefen,  aber  aud)  bie  Unterorbnung  unter 
ba^felbe,  b-ie  5tbf)ängig!eit  üon  ibm  fe^r  üerme^ren. 

©ans  anber§  mirft  bagegen  ha§  private  (Eigentum  einzelner 
gamilien  ober  ^nbioibuen,  fobalb  e§  eine  folc^e  2lu§be!)nung 
erlangt,  ba§  e§  beginnt,  ha§  gemeinfame  Eigentum  ^uxiid- 
gubrängen.  ^ie§  trat  ein,  al^  infolge  ber  mad)fenben  2lrbeit§* 
teilung  bie  t)erfd}iebenen  ^anbmerfe  begannen,  fid)  t)on  ber 
Sanbroirtfc^aft  loSgulöfen,  in  ber  fie  hx§  ba^in  S^eben^ 
befd)äftigungen  gebilbet;  aU  fie  felbftänbig  mürben  unb 
fid)  immer  mel)r  üergmeigten. 

®iefe  (Entraidlung  bebeutet  eine  (Errceiterung  be§  S3ereid)§ 
ber  ©efe(tfd)aft  burd)  51rbeit§teilung,  eine  (Ermeiterung  ber 
3al)l  berjenigen  9Jtenfd)en,  bie  baburd)  eine  (S^efeHfc^aft 
bilben,  ha^  fie  füreinanber  arbeiten,  alfo  med)felfeitig  für 
if)re  (E^iften^  aufeinanber  angemiefen  finb.  5lber  biefe  (Er* 
meiterung  ber  gefeUfd)aftlic^en  2lrbeit  gef)t  nid)t  in  ber 
SDßeife  vox  fic^,  ^a^  ha§  ^ereid)  ber  gemetnfamen  5(rbeit 
au§gebef)nt  mirb,  fonbem  in  ber  Söeife,  'i^a^  t»on  ber  gemein^ 
famen  5lrbeit  einjelne  3Irbeiten  Io§geIöft  unb  ^u  ^^rinat* 
arbeiten  felbftänbiger  ^robujenten  merben,  bie  ba§jenige 
probujieren,  ma§  fie  nid)t  felbft  fonfumieren  unb  bagegen 
t)on  anberen  betrieben  bereu  ^robufte  eintaufd)en,  um  fie 
gu  fonfumieren. 

©0  treten  je^t  bie  gemeinfame  ^robuftion  unb  bie  ge* 
meinfamen  ^robuftion^mittel  größerer,  fid)  im  mefentlid)en 


104  3)ie  (St^i!  be§  9[»?arji§mu§ 

felbftgenügenber  @cfe(lfcf)aften,  gum  33eifpiel  oon  9Jlar!*  ober 
rcenigfteng  §au§genoffcnfrf)aften,  gurüc!  gegen  ©injetpros 
buftion  imb  ©ingelbefi^  einzelner  Qnbbibuen  ober  ^^aare 
mit  if)reu  S^iuberu,  bie  SOBaren  probujiereu,  ha^  ^ei{3t,  ^ro- 
bufte  "nirf)t  für  ben  Selbftgebraud),  fonbern  für  ben  33er!auf, 
für  ben  SHarft  (lerfteden. 

^arnit  fommt  aber  neben  bem  ^rirateigentnm,  ba§  fd^on 
früf)er,  loenn  anrf)  nid)t  in  fo  I)o^em  Tla^t  beftanb,  ein 
gan3  neue§  5!Jloment  in  bie  ©efeüfc^aft:  ber  ^onfurrenj? 
fampf  ber  üerfd^icbenen  (Sinjelprobn^enten  berjelben  SIrt, 
bie  um  i^ren  5Inteil  am  5[Rar!te  miteinanber  fämpfen. 

5D^an  hüxa(i}td  f)änfig  bie  ^onfnrrenj  nnb  and)  ben 
^rieg  al^  bie  formen  be§  ^ampfe^  nm§  ^afein,  bie  bie 
ganje  Statur  erfüllen.  ^atfäcf)Iic^  entflammen  beibe  bem 
te(i)nifdE)en  gortfrf)ritt  ber  9Jlenf(i)l)eit  nnb  geljören  gn  beren 
befonberer  (Eigenart.  33eibe  unterfd)eiben  ficf)  t)on  bem 
Kampfe  iim§  2)afein  ber  ^iermelt  babnrrf),  ba§  bicfer  ein 
^ampf  einzelner  ober  ganzer  ©efe(If(i)aften  gegen  bie  nm- 
gebenbe  S^atnr  ift,  ein  ^ampf  gegen  belebte  nnb  unbelebte 
9^atur!räfte,  in  bem  fid)  bie  für  bie  jemeiligen  befonbcren 
Situationen  beftau^geftatteten  am  el)eften  erhalten  nnb  fort« 
pflanzen.  Slber  er  ift  fein  ^ampf  auf  Seben  nnb  ^ob  gegen 
anbere  Qnbitjibuen  berfelben  ^Trt  —  aufgenommen  einige 
Ülaubtiere,  bei  benen  aber  and)  bie  le^tere  5trt  be§  ^ampfe§ 
nur  eine  ]^öcf)ft  untergeorbnete  9lolle  im  "iDafeingfampf  fpielt, 
unb  aufgenommen  hk  kämpfe  ber  gef(i)lecl)tlicl)en  3ucl)tmal)l. 
33eim  SOflenfdien  allein  tritt,  banf  feinen  rerüollfommten 
SOßerfjeugen,  ber  ^ampf  gegen  Qnbiüibuen  ber  gleicl)en 
Slrt  al§  5DRittel,  fid^  im  Kampfe  um§  2^hm  ju  bel)aupten, 
in  hm  3Sorbergrunb.  5lber  auc^  ba  ift  mieber  ein  gewaltiger 
Unterfd)ieb  gmifd^en  bem  Kriege  unb  bem  ^'onfurrenjfampf. 
^er  erftere  ift  ein  ^ampf,  ber  groifc^en  gmei  t)erfcl)iebenen 
(SJefeUfc^aften  an§bric^t,  eine  llnterbrecl)ung  ber  ^robnftion 
bebeutet  unb  bal)er  nie  eine  ftänbtge  (Sinrid)tung  fein  fann. 
@r  bebingt  aber,  menigften^  bort,  mo  nod^  feine  großen 


S)ie  25?anblungen  ber  ^oft  bct  fosiolen  ^rieöe  105 

^laffengegenfä^e  beftefien,  ben  ftärfften  fojtalen  ^ufcitiimen^ 
f)alt,  fi3rbert  alfo  ungemein  bie  fogtalen  2:r{ebe.  ®ie  ^on^ 
fürten^  bagegcn  ift  ein  ^antpf  unter  einzelnen,  unb  jroar 
unter  Qnbiüibuen  ber  gleid£)en@efellftf)aft.  tiefer  ^ampf 
ift  ber  Üiegulator,  alterbingg  dn  fe^r  fonberbarer,  ber  ha§ 
gefellj(i)aftli(^e  ^ufammenarbeiten  ber  t)erfd)iebenen  einzelnen 
^robujenten  im  ©ange  ^ält  unb  bafür  forgt,  t>ai  in  le^ter 
Sinie  biefe  prioaten  ^^robujenten  ftet§  ha§  gefe(tfd)aftlic^ 
9^otn)enbige,  ba§  ^ei^t  ha§  unter  hzn  gegebenen  gefe[If(i)aft^ 
Iid)en  3Ser^ältniffen  D^otmenbige  probu§ieren.  Gilbet  ber 
^rieg  eine  ^eitmeife  Unterbred)ung  ber  ^robuftion,  fo  bilbet 
ber  ^onfurren^fampf  i^ren  ftänbigen  unb  notraenbigen  S3e* 
gleiter,  voo  fie  SÖßarcnprobuftion. 

20ßie  ber  ^rieg  h^'i:>tukt  and)  hk  ^on!urren§  eine  gro^e 
^raftrierfd^menbung,  aber  fie  ift  aud)  ein  5JlitteI,  bie  äu^erfte 
5(nfpannung  aller  $robuftit)fräfte  unb  i^re  rafd^efte  QSer^ 
befferung  gu  er^mingen.  Sie  f)at  bal)er  eine  gro^e  rcirt- 
fc^aftlic^e  ^ebeutung,  bi§  fie  fo  riefenl)afte  ^robuftiüfräfte 
f(i)afft,  bag  ber  9ia!)men  ber  SÖSarenprobuftion  für  fie  ebenfo 
gu  eng  mirb,  rcie  el)ebem  ber  ^a^men  ber  gefenfcf)aftlic^en 
ober  genoffenfc^aftlid)en  primitiven  2Birtf(i)aft  für  bie  rvad)^ 
fenbe  2lrbeit§tei(ung  gu  eng  rcurbe.  %k  Überprobuftion 
nid)t  minber  mie  bie  fünfttid^en  (Sinfd£)rän!ungen  ber  ^ro^ 
buftion  burdE)  Untemef)mert)erbänbe  bezeugen,  ba§  bie  Qeit 
t)orbei  ift,  wo  bie  ^onfurren^  al§  (Stachel  ber  ^robuftion 
bie  gefertfc^aftli(i)e  ©ntrairflung  förberte. 

2lber  ftet§  tat  fie  hk§  nur  in  ber  Sßeife,  ba§  fie  gu  mög« 
IidE)fter  ^lu^be^nung  ber  ^robuftion  antrieb.  '3)agegen  rcirfte 
ber  ^onfurren^fampf  unter  ben  einzelnen  9}ZitgIiebem  ber 
glei(i)en  ®efe((f(i)aft  unter  atten  Umftänben  gerabeju  mörbe« 
rifrf)  auf  hk  fo^ialen  2^riebe  ein.  ®enn  in  biefem  Kampfe 
bef)auptet  fid)  jeber  um  fo  e!)er,  je  meniger  er  firf)  von 
fo^ialen  Sf^üdfic^ten  leiten  lä^t,  je  mel)r  er  au§fdE)Iie§lid) 
fein  eigene^  Qntereffe  im  5{uge  ^at.  gür  ben  9Jlenfd)en 
ber  entmidelten  Sarenprobuftion  liegt  e§  benn  and)  na^e. 


106  Sie  (Stf)i!  be§  ÜJ?arji§mu§ 

im  (£got§mu§  ben  emsigen  natürlicf)en  ^vicb  im  9}leufd)en 
ju  fef)en  unb  bie  fojialen  triebe  entraeber  al§  einen  raffinierten 
(5goigmn§  ober  aii  eine  ©rfinbnng  üon  Pfaffen  jnr  ^Sel^err-- 
fc^nng  ber  9J]enfc^en  ober  al§  ein  übernatiirlid)e§  9Jlt)fteriiim 
ju  betrad)ten.  3ßenn  in  ber  {)entigen  @efeUfd)aft  bie  fojialen 
triebe  nod)  einige  5^raft  beir)af)rt  f)aben,  ift  e§  nur  bem  gu 
t)erban!en,  ba^  bie  allgemeine  2öarenprobu!tion  nod)  eine 
fel)r  junge  ®rfd)einung  ift,  !aum  l)unbert  Qabre  alt,  unb 
ha^  in  bem  ^J^afse,  in  bem  ber  urir>üd)ftge  bemofratifc^e 
Kommunismus  t)erfd)unnbet  unb  bamit  audl)  ber  S^rieg  auf* 
l^ört,  eine  Ouetle  jovialer  Striebe  gu  fein,  eine  neue  Quelle 
berfelben  um  fo  ftärfer  fliegt,  ber  Klaff enfampf  aufftreben* 
ber,  ausgebeuteter  SSolfSflaffen,  ein  Krieg,  ber  nid)t  üon 
©ölbnem,  nic^t  oon  QmangSl^eeren,  fonbern  t)on  Jrei* 
miUigen,  nirf)t  für  frembe  Qntereffen,  fonbenx  für  bie  Qnter* 
effen  ber  eigenen  Klaffe  gefül)rt  rcirb. 

4,  Das  eeltungsbereidt)  der  [ozialen  triebe. 

a.  ^ie  Qnternationalität. 
2Beit  me^r  nod)  als  ber  ©tär!e grab  oeränbert  fid)  baS 
SBereicf),  innerl)alb  beffcn  bie  fo^ialen  triebe  mirfen,  mit 
ber  ©ntraicflung  ber  ©efellfd)aft.  %k  l)erfömmlid)e  (Stl)if 
erblidt  in  bem  Sittengefe^  bie  Kraft,  bie  baS  3]erl)ältniS 
beS  50^enfd)en  gum  9)lenfd)en  regelt,  "^^a  fie  üom  Qnbi* 
t)ibuum,  nid)t  üon  ber  G)efellfcl)aft  auSgcl)t,  überfielt  fie 
üollftänbig,  ba§  baS  ©ittengefe^  nid)t  ben  3]erfel)r  beS 
^enfct)en  mit  jebem  anberen  5[Renfd)en  regelt,  fonbern  blog 
ben  3]ertel)r  beS  9Jlenfc{)en  mit  9)]enf(^en  ber  gleirf)en  (S5e  = 
fellfd^aft.  ^a^  eS  nur  für  biefe  gilt,  mirb  begreiflid), 
menn  man  firf)  h^n  Urfprung  ber  fojialen  triebe  üergegen* 
märtigt.  ©ie  finb  ein  Mittel,  ben  gefcllfd)aftlid)en 
3ufammenl)alt  gu  üergröf3ern,  bie  Kraft  ber  (^efellfd)aft  gu 
t)erftär!en.  ^aS  Stier  empfinbet  fo^iale  2:riebe  nur  für  bie 
9Hitglieber  ber  eigenen  gerbe,  hk  anberer  gerben  ruerben 
il)m  mel)r  ober  meniger  gleid)gültig  fein,  ^ei  fo^ialen  Olaub^ 


Sal  ®eItung§Berei(^  bcr  fojiaten  triebe  107 

tieren  finben  wix  btrefte  geinbfeligfeit  gegen  ^nge!)örlge 
frember  9iubel.  (3o  tpa(i)en  jum  33eifpiel  in  ^onftantinopel 
bie  $ariaf)nnbe  jeber  ©tra^e  eiferfüd)tig  barüber,  ba§  fein 
anberer  ©nnb  ba§  von  if)nen  oünpierte  O^eüier  betritt.  ®r 
rcirb  fofort  rerjagt  ober  gar  5erfleifcf)t. 

Qn  ein  äf)n(id)e§  i^erf)ältni§  fommen  bie  menfcf)lid)en 
§orben,  fobalb  Qagb  unb  ^rieg  unter  if)nen  auffommen. 
föine  ber  n)id)tigften  gönnen  be§  ^ampfe§  um§  'S) afein 
loirb  je^t  unter  if)nen  ber  ^antpf  ber  §orbe  gegen  anbere 
§orben  berfelben  3Irt.  ^er  SJZenfrf),  ber  nid)t  9)litglieb 
ber  eigenen  @efel(fd)aft  ift,  inirb  je^t  bireft  gum  geinbe. 
^ie  fogialen  3:riebe  gelten  ntcf)t  nur  nid)t  für  if)n,  fonbern 
gegen  if)n.  Qe  ftärfer  fie  finb,  befto  fefter  f)äit  bie  §orbe 
gufammen  gegen  ben  äußeren  geinb,  befto  energifd)er  be* 
fämpft  fie  biefen.  ^ie  fojialen  Stugenben,  §ilf^bereitf(i)aft, 
Opfermut,  SBa^r^eitsliebe  ufra.,  gelten  nur  für  ben  ©enoffen, 
nidjt  für  ha§  SOlitglieb  einer  anberen  gefellf(i)aftlidE)en  Or^ 
ganifation. 

5[Ran  ^at  e§  mir  einmal  fel)r  verübelt,  al§  ic^  biefe  %at' 
fad)e  in  ber  „Dienen  Qeit"  fonftatierte,  unb  meine  geft- 
ftellung  fo  gebeutet,  al§  l)ätte  id)  ha  ein  befonbere§  fojial* 
bemo!ratifd)e§  SO^oralprinjip  feftftellen  raoUen,  im  ©egenfa^ 
gu  ben  ©runbfä^en  be§  emigen  (Sittengefe^e§,  hai  ha  un- 
bebingte  2öal)rl)aftigfeit  gegen  jebermann  erl)eifd)t.  ^n 
2öirf'üc!)!eit  l)ahe  id)  nur  au§gefpro(i)en,  ma§  feit  ber  9)lenfc^5 
rcerbung  unferer  3]orfal)ren  ftet§  aU  ©ittengefe^  in  ber 
menfd)lidE)en  S3ruft  gelebt,  ba§  bem  geinbe  gegenüber  hk 
fojialen  ^ugenben  nirf)t  geboten  finb.  5JZan  ^at  aber  feine 
Urfad)e,  fid)  be5l)alb  gerabe  über  hk  ©ojialbemofratie  be* 
fonberS  ju  entrüften,  ha  z§  feine  Partei  gibt,  bie  ben  ^e^ 
griff  ber  ^efeltfcl)aft  meiter  fagt  mie  fie,  bie  Partei  ber 
Qnternationalität,  bie  alle  D^Zationen,  alle  Üiaffen  in  ha§ 
^ereid)  i^rer  ©olibarität  §iel)t. 

®ilt  ba§  ©ittengefe^  nur  für  9Jlitglieber  ber  eigenen  ©e^ 
fellfd)aft,  fo  ift  bereu  Umfang  bod)  feine^megi  ein  für  alle= 


108  ®ie  (St()if  bc§  3)?ary{§mu§ 

mal  gegeben.  @r  voäd)}t  t)ielmcf)r  in  bcm  9}]a^e,  in  bem 
bie  3(rbeit§teiliing  fortfd)reitet,  bie  ^robnftiüität  ber  menfd)^ 
liefen  Arbeit  n)äd)ft,  forcie  bie  5l}]ittel  be§  9Jlenfrf)enüer!e!)r§ 
fic^  üerooUfommnen.  ^§  nerme^rt  ficf)  bie  5JIcnge  90^enfcf)en, 
bie  ein  beftintmte§  ©ebiet  ernäE)ren  fann,  bie  anf  einem 
beftimmten  ©ebiet  füveinanber  nnb  miteinanber  arbeiten 
unb  fo  gefe(lf(f)aftlid)  tjerbunben  finb.  ®§  t)ermel)rt  fic^ 
aber  aud^  bie  5!Jlengc  ber  ©ebiete,  beren  ^emo^ner  in  QSer^ 
binbnng  miteinanber  leben,  nm  füreinanber  ^n  arbeiten  unb 
eine  gefellfc^aftlicl)e  ^Bereinigung  gu  bilben.  @§  mäcl)ft  enb* 
lid^  ber  Umfang  ber  ©ebiete,  bie  miteinanber  in  feften  ge= 
fellfcf)aftlirf)en  Qufammen^ang  treten  unb  eine  bauernbe  ge* 
fellfd)aftlid^e  Organifation  bilben,  mit  gemeinfamer  (3prad)e, 
gemeinfamen  Sitten,  gemeinfamen  ©efe^en. 

^aii)  bem  2:obe  Slle^-anberä  von  9Jla!ebonien  bilbeten 
bereits  bie  S3öl!er  be§  öftlic^en  SHittelmeerberfenS  einen  intern 
nationalen  ^rei§  mit  einer  internationalen  (Spracl)e,  ber 
gried)ifc^en.  ^ad)  bem  3Iuffteigen  be§  Olömertumä  mürben 
alle  Sauber  um  ha§  gan^e  SJlittelmeer  l)erum  ein  noc^ 
meiterer  internationaler  ^rei§,  in  bem  bie  nationalen  Untere 
fd)iebe  au§gelöfcl)t  mareu  unb  ber  fid)  für  ben  Diepräfen« 
tauten  ber  5[Renfc£)^eit  l)ielt.  %k  neue  S^teligion  be§  ^reife§, 
bie  an  bie  ©teile  ber  alten  nationalen  ü^eligionen  trat,  mar 
üon  riornl)erein  SOßeltreligion  mit  einem  G5ott,  ber  'ok  gan^e 
Sßßelt  umfaßte,  üor  bem  alle  Wm\&)en  gleicl)  maren.  ^iefe 
9leligion  manbte  fid)  an  alle  5!}lenf(^en,  erflärte  fie  alle  für 
Slinber  be§  gleid)en  (SotteS,  für  trüber. 

3lber  tatfäd)lid)  galt  and)  l)ier  ba§  ©ittengefe^  nur  für 
bie  SSHitglieber  be§  eigenen  ^ulturfreifeS,  für  bie  „(S:E)riften", 
für  bie  „(Gläubigen''.  Unb  ber  @d)raerpun!t  be§  ©^riften^ 
tumS  manberte  im  ^oi^tö^^^Ö  ^^^'  33ölfern)anberung  immer 
meiter  nad)  S^orben  unb  SSeften.  Qm  Cften  unb  (Biihm 
bilbete  fid)  ein  neuer  internationaler  ^ulturfreiS  mit  eigener 
(Sittlid)!eit,  ber  be§  Q§lam,  ber  ebcnfo  in  5lfien  unb  2lfrifa 
üorbrang,  mie  ber  d)riftlid)e  in  (Suropa. 


S)a§  ©eltung^Bereic^  ber  fostoten  S^rieBe  109 

Qe^t  aber  erweitert  fic^  biefer  le^tere,  ban!  bem  ^apt* 
tali§mu§,  immer  m^i)x  gu  einem  uniüerfalen,  ber  ^ubbfiiften, 
SJlosIim,  Warfen,  2{n!)änger  be§  ^raf)mani§mii§  ebenjo  um* 
fa^t  ir)ie  bie  (Jf)riften,  bie  immer  mef)r  aiiffiören,  it>irfIicE)e 
ß;f)riften  gu  fein. 

©0  bilbet  fic^  eine  ©runblage  §ur  enblidjen  S^erroirf* 
Iid)ung  jener  fittli(i)en  ^^nfd)auung,  bie  f(i)on  ha§  (Sfiriften* 
tum  augfprad),  aber  fef)r  üoreilig,  fo  ba§  e§  fie  nid)t  ju 
üern)ir!Iid)cn  üermod)te  unb  fie  für  bie  9)laffe  ber  (J!)riften 
bloge  ^f)rafe  blieb,  ber  5Inf(^auung  t)on  ber  ®Iei(^f)eit  ader 
Menfd)en,  ber  5(nfc^auung,  bag  bie  fojialen  triebe,  bie 
fittlic^en  ^ugenben  allen  gegenüber  in  gleirf)er  Sßeife  ^u 
betätigen  feien,  ^iefe  ©runbtage  für  eine  atigemein  menfct)* 
li(^e  SJloral  mirb  gebilbet  nic[)t  burd)  eine  moralifc^e  3]er' 
beffemng  ber  9)lenfct)en,  ir>a§  immer  man  barunter  t3erfte!)en 
mag,  fonbern  burd)  bie  ©ntmicflung  ber  $robu!tiü!räfte 
ber  9)]enfci)en,  burd)  bie  ©rmetterung  ber  gefellfd)aftli(^en 
Slrbcitsteilung,  hk  3]eroollfommnung  be§  35er!el)r§.  ^iefe 
neue  9}loral  ift  aber  aud)  ^eute  nod)  rceit  entferntt  bat3on, 
eine  9Jloral  aller  5JZenfd)en  au(^  nur  in  bzn  öfonomifc^ 
fortgefd)rittenften  Säubern  gu  fein,  ©ie  ift  h\§  l)eute  nod) 
im  mefentlid)en  bie  93loral  be§  tlaffenbercugten  Proletariats, 
jeneg  Seiig  be§  Proletariats,  ber  fid)  in  feinem  gül)len  unb 
teufen  t)on  ber  9Jlaffe  ber  übrigen  ^et)5l!erung  loSgelöft 
unb,  im  (Segenfa^  §ur  Sourgeoifie,  eine  eigene  9J^oral  ge* 
bilbet  ^at. 

2Ößol)l  ift  e§  ba§  Kapital,  ba§  hk  materielle  (SJrunblage 
einer  allgemein  menfd)lid)en  50^oral  fd^afft,  aber  eS  fd)afft 
jene  ^runblage  nur  baburd),  ha^  eS  biefe  SJloral  ununter^ 
brod)en  mit  j^ü^en  tritt.  "S^ie  fapitaliftifc^en  Stationen  be§ 
^'reifes  ber  europäifd)en  ©efellfc^aft  ermeitern  biefen  babur(^, 
ba§  fie  il)re  SluSbeutungsgebiete  ermeitem,  voa§  nnx  auf  bem 
SÖßege  ber  ©emalt  möglid)  ift.  ©ie  fd)affen  alfo  bie  @runb* 
lagen  eineS  fünftigen  25>eltfriebenS  burd)  hm  SSeltfrieg,  bie 
ber  allgemeinen  ©olibarität  aller  DZationen  burc^  bie  allge* 


110  Sie  et^if  beg  3}Jarjiöinu§ 

meine  3Iu§bcutung  aUcx  Stationen,  bie  ber  ©inbejte^ung 
oder  ^olonialtänber  in  ben  ^rci§  ber  europäi]d)cn  Kultur 
bnvd)  Unterjod)ung  aiUx  SvoloniaUänber  mit  ben  fd)(immften 
©eiüaltmitteln  brutalfter  Barbarei.  @rft  ^a§  Proletariat, 
ba§  an  ber  fapitaliftifd^en  2lu§bentung  feinen  5(nteil  l)at, 
fte  überall  befämpft  unb  befämpfen  mn§,  mirb  anf  ber  nom 
Kapital  gefd)affenen  ©runblage  be§  2öe(tt)er!el)r§  unb  ber 
2ße(trairtfd)aft  eine  (S^efeüfc^afteform  fd)affen,  in  ber  bie 
®leid)f)eit  aller  9J^enjd)en  üor  bem  ©ittengefe^  au§  einem 
frommen  20ßunfd)e  jur  2ßirflid)feit  mirb. 

b.  ®ie  ^laffenteilung. 

5lber  menn  bie  ö!onomijd)e  ©ntraidlung  auf  biefe  2ßeife 
bal)in  ftrebt,  ben  ^rei§  ber  (5^efell]d)aft,  innerl)alb  beffen 
bie  fo^ialen  S^rtebe  unb  Stugenben  gelten,  immer  mef)r  §u 
ermeitern,  h\§  er  fd)lie^lid)  bie  ganje  5iHenfd)l)eit  umfaßt, 
fo  fd)afft  gleichzeitig  biefelbe  (Sntraidlung  innerl)alb  be§ 
^reifeg  ber  (Sefellfd)aft  nid)t  blog  prioate  ©onberintereffen, 
bie  geitrceife  bie  fo^ialen  triebe  fel)r  f(^rcäd)en  fönnen,  fon= 
bern  aud)  gefellfd)aftlid)e  ©onberfd)id)ten,  bie  innerhalb  il)re§ 
engeren  33ereid)§  bie  fogialen  triebe  unb  ^ugenben  fe^r 
fräftigen,  gleichzeitig  aber  beren  Geltung  für  bie  anberen 
5iJlitglieber  ber  @efamtgefcllfcf)aft  ober  menigften§  für  bie 
feinblid)er  @onberfc^id)tcn  ober  Sllaffen  fel)r  beeinträcl)tigen 
fönnen. 

5lud)  bie  ^ilbung  ber  klaffen  ift  ein  ^robuft  ber  5Irbeit§5 
teilung.  (Sd)on  bie  tierifd^e  @efcllfcl)aft  ift  fein  ganj  gleicf)^ 
artige^  ©ebilbe.  ^n  il)rem  <Sd)oge  finben  fiel)  bereit§  üer^ 
fd)iebene  ©ruppen,  bie  i:)erfd)iebene  ^ebeutung  für  ha§ 
(SJemeinmefen  unb  im  G^emcinraefen  l)aben.  ^od)  beruht 
biefe  Gruppierung  noc^  ganj  auf  natürlichen  Unterfdliieben. 
^a  ift  t)or  allem  ber  Unterfri)ieb  be§  (^efd)led)te§,  bann 
aber  ber  beg  3(lter§.  J5nnert)alb  jebeg  @efd)lecf)te§  finben 
mir  bie  Gruppen  ber  ^inber,  ber  §albermad)fenen,  ber  volU 
reifen  (£rn)acl)fenen  unb  enblic^  ber  Greife.  ®ie  ©rfinbung 


S)a§  ©eltung^bcreic^  ber  fojialen  Xxkle  111 

be§  ifißerf^eugg  bient  pnäd^ft  baju,  bie  Trennung  einiger 
bicfer  Gruppen  nocf)  311  rerftärfen,  inbem  fie  mancher  von 
if)nen  einzelne  2Öerf§euge  bejonber^  ^urceift.  ©0  faden  Qagb 
unb  ^rieg  ben  9}Mnnem  gu,  hk  leitetet  f)ernmftreifen  fönnen 
al§  bie  granen,  'i^k  ftet§  mit  if)ren  ^inbern  belaftet  finb. 
*^ie§  unb  ni(i)t  etrca  geringere  2ßef)rf) aftigf eit  bürfte  Qagb 
unb  ^ineg  in  hcn  meiften  OSiilfern  ju  einem  9JlonopoI  ber 
^iJlänner  gemad)t  f)aben.  20ßo  mir  in  ©efd)id)te  unb  <3age 
meibüc^e  J^äger  unb  Krieger  antreffen,  ba  finb  e§  ftet§ 
Qungfrauen.  2(n  ^raft,  5Iu§bauer  unb  SiJlut  fef)It  e§  ben 
grauen  nicf)t,  aber  bie  5D^utterfd)aft  t)erträgt  fid)  fd)led)t 
mit  bem  unfteten  Qebm  be§  S^Ö^^'^  ^^"^  ^rieger^.  "^a  aber 
bie  9Jlutterf(i)aft  hk  ^rau  ef)er  §u  ftetigem  ^Sermeilen  an 
einem  Orte  treibt,  faden  if)r  §unäd)ft  Jene  Slufgaben  gu,  bie 
einige  ©e§f)aftig!eit  bebingen,  ber  QInbau  ber  gelbfrüd)te, 
bie  §egung  beg  §erbfeuer§. 

3e  nacE)  ber  ^ebeutung,  bie  nun  auf  ber  einen  Seite 
3cigb  unb  ^rieg,  auf  ber  anberen  ©eite  gelbbau  unb  §au§= 
^a(t  für  hk  ^efedfc^aft  erlangen,  unb  je  nad)  bem  Slnteil, 
hen  jebe§  ber  beiben  ©efd)(ed)ter  an  biefen  ^efd^äftigungen 
^at,  n:)erf)felt  'tk  ^ebeutung  unb  ba§  3Infef)en  be§  Manm§ 
unb  ber  grau  in  ber  (Sefe{{fd)aft.  2Iber  and)  hk  S3ebeutung 
ber  2(Iter§!(affen  in  if)r  !)ängt  t)on  ber  ^robuftionSraeife  ab. 
Übermiegt  bie  Qagb,  bie  gro^e  Unfi(i)erl)eit  ber  9Za^rung§* 
queden  unb  ^eitmeilige  gro^e  SÖßanberungen  mit  firf)  bringt, 
bann  merben  bie  alten  Seute  leid)t  jur  Saft  für  bie  GJefetl* 
fcf)aft.  5[Ran  tökt  fie  oft,  t)er§el)rt  fie  fogar  mitunter. 
3Inber§,  menn  bie  9J^enfcf)en  fe^f)aft  gemorben,  33ief)3ud^t 
unb  ^tderbau  reid)lid)eren  ©rtrag  abrcerfen.  Qe^t  fönnen 
bie  Sitten  rut)ig  im  §eim  bleiben,  unb  e§  mangelt  nicl)t  an 
9^at)rung  für  fie.  Qe^t  ift  aber  aud^  fcl)on  eine  gro^e 
Summe  von  (£rfal)rungcn  unb  3ßiffen  in  ber  ©efellfd^aft 
aufgefpeid)ert,  bereu  ^eiDal)rer,  folange  bie  ©d)rift  nitf)t 
erfunben  ober  bocl)  nidE)t  (Gemeingut  gemorbcn,  im  3Solfe 
bie  alten  Seute  finb.    Sie  finb  ba  bie  Überlieferer  beffen. 


112  2)ie  Gtf)i!  be§  3)?arji0mu§ 

n)a§  man  al§  Einfang  ber  2öiffenfrf)aft  betracf)ten  !ann.  ©o 
tüerben  fie  je^t  nid)t  al§  fd)äblid)e  Saft  empfiinben,  fonberu 
aU  hie  Sträger  ()o^cr  2ßeiö()cit  eI}vfiird)t5X)ol(  gefd)ä^t.  ®ie 
6d)rift  imb  gar  bev  33ud)brud  raubt  ben  alten  Seuten  ba§ 
^rir»i(egium,  bie  ©umme  alter  (£rfaf)rungen  unb  Überliefe- 
rungen ber  (^cfcllfc^aft  in  fid)  gu  üerforpern.  ^ie  ftete 
iRenolutionierung  aller  (£rfal)rungen,  bie  bann  bie  Eigenart 
ber  mobernen  ^robuftionSrceifc  rcirb,  inad)t  gar  alle  alten 
Überlieferungen  jum  JJeinbe  be§  9^euen.  ^ieg  gilt  nun  von 
t)ornf)erein  aB  ha^  ^effere,  baä  5llte  al§  oeraltet  unb  ha- 
l^er  jd)led)t.  %a§  Sllter  mirb  nur  nod)  beniitleibet,  e§  üer* 
leil)t  fein  ^reftige  me^r.  (£§  gibt  l)eute  fein  grö^ere^  Sob 
für  einen  eilten,  alB  ba§  er  nod)  jung  fei,  nod)  empfang* 
lid)  für  alles  3^eue. 

2Bie  ba§  5(nfel)en  ber  ©efd)led)ter,  fo  rced^felt  alfo  aud) 
ba§  2lnfel)en  ber  t)erfd)iebenen  ^IterSflaffen  in  ber  ©efcll* 
fd)aft  mit  ben  t)erfd)iebenen  ^robuftioniiüeifen. 

®ie  fortfd)reitenbe  ^IrbeitSteilung  lä^t  bann  meitere  Unter* 
fd)iebe  innerl)alb  jebeS  ber  ©efd^led^ter  auffommen,  am 
meiften  unter  ben  ^Jldnuer-n.  ®ie  grau  rairb  5unäd)ft  ge* 
rabe  burd)  bie  fortfd)reitenbe  2(rbeit§teilung  immer  me^r 
an  ben  §au§l)alt  gefettet,  beffen  Umfang  abnimmt,  ^tatt 
in  raac^fen,  ba  immer  mel)r  ^robuftionS^meige  von  il)m 
abgelöft,  üerfelbftänbigt  unb  gur  Domäne  ber  9Jlänner 
merben.  ®er  ted)nifd)e  gortfd)ritt,  bie  3trbeit§tcilung,  bie 
©d)eibung  in  t)erfd)iebene  Berufe  befd)ränft  fid)  hi§  in§ 
le^te  Qal)rl)unbert  l)inein  faft  au§fd)lieglid)  auf  bie  9Jlänner* 
melt,  nur  menige  ^tefle^'e  baüon  treffen  ben  §au§l)alt  unb 
hk  grau. 

$5e  me^r  biefe  ©d^eibung  in  t)erfd)iebene  ^emfe  t>or  fid^ 
ge^t,  befto  rermidelter  mirb  ber  gefellfd)aftlid)e  Drgani§mu§, 
beffen  Organe  fie  bilben.  ®ie  2lrt  unb  äßeife  il)re§  Qu* 
jammenmirfenS  in  bem  grunblegenben  gefellfd)aftlid)en  ^ro* 
ge§,  bem  mirtfd)aftlid)en,  mit  anberen  äßorten,  bie  ^ro* 
buftionSmeife,  ift  nid)t§  3^^f<^lli96§-  @ie  ift  r>on  bem  3ßillen 


S)ü0  ®eltung§bereic!^  ber  fosiaten  triebe  113 

hzx  einzelnen  :3nbit)ibuen  gan^  unabhängig  unb  ratrb  burrf) 
bie  gegebenen  niatenetlen  S3ebtngungen  notraenbig  beftimmt. 
Unter  biefen  ift  rcieber  hk  Sted)nif  ber  n)id)tigfte  gaftor, 
berjentge,  beffen  ©ntratdlung  bie  ber  ^robuftion§raeife  bc- 
jDtrft.    Slber  er  ift  nic^t  ber  einzige. 

Dle^nten  lüir  ein  33eifpiel.  9)lan  l^at  bie  materialiftifc^e 
<S^efrf)i(^t§auffaffung  t)ielfa(i)  fo  i:)erftanben,  al§  bebeute  eine 
gerciffe  ^e(i)nif  o^ne  lüeitere^  and)  fd^on  zim  gerciffe  ^ro* 
buftion^roeife,  ja  and)  eine  geroiffe  gefe(lf(^aftlirf)e  unb  poIi= 
tifd)e  gorm.  ^a  aber  ba§  nicf)t  zutrifft,  ba  loir  biefelben 
Söerf^euge  in  r)erftf)iebenen  ®efellfd^aft§pftänben  treffen,  fo 
fei  eben  hk  materia(iftifd)e  ©efd)id)t§auffaffung  falfd),  rcerben 
bie  gefeIlfd)aftIidE)en  SSer^ltniffe  nic^t  bloß  burd)  bie  Xed)nif 
beftimmt.  ^er  ©inmanb  ift  rid)tig,  aber  er  trifft  nic^t  bie 
materialiftifd)e  (^efd)id)t§auffaffung,  fonbern  ifire  ^arifatur, 
burc^  ^Sermec^flung  oon  ^ed)ni!  unb  ^robuftiongmeife. 

9Jian  I)at  gum  ^eifpiel  erflärt,  ber  ^flug  bilbe  bie  (5)innb* 
£age  ber  bäuerlid)en  2ßirtfd)aft.  2(ber  mie  mannigfach  feien 
bie  gefe(lfc^aftlid)en  Quftänbe,  in  benen  biefe  x)or!dme! 

6id)er.  5lber  fet)en  luir  nur  einmal  §u,  moburd)  bie  2lbs 
n>eid)ungen  ber  t)erfd)iebenen  ©efe(Ifd)aft§formen  bebingt 
ujerben,  bie  auf  bäuerli(^er  ©runblage  erfte^en. 

S^e^men  mir  einmal  eim  ^auernfd)aft,  hk  an  ben  Ufern 
«ine§  jener  großen  tropifd)en  ober  fubtropifd)en  ©tröme 
mof)nt,  bie  peiiobifd)  i{)re  Ufer  überfluten,  SSerberben  ober 
grud)tbarfeit  für  ben  ^oben  mit  fic^  füf)renb.  Sßafferbauten 
merben  notmenbig,  hk  ©emäffer  ^ier  gurüd^ufialten,  bort 
abzuleiten,  ^k  einzelne  ®orffd)aft  ift  nid)t  imftanbe,  fold)e 
bauten  für  fic^  allein  auf§ufül)ren.  ©ine  ganje  9^eil)e  bat)on 
mug  jufammentreten,  jebe  mug  Slrbeiter  ftellen,  e§  muffen 
•gemeinfame  Beamte  eingefe^t  merben,  mit  bem  Sluftrage, 
bie  Arbeiter  anjuleiten  ^ux  ^erfteltung  unb  Qnftanbl)altung 
bet  bauten.  ;3e  gemaltiger  bie  bauten,  befto  mel)r  ^orf* 
jrl)aften  ftnb  baran  beteiligt,  befto  größer  bie  Qa^l  ber 
gronarbeiter,  bie  fie  ftellen,   befto   größer  bie  befonberen 

S?QUt§t9,  etf)i£  unb  matertaliftti'cf)c  @efc^icf)t§QUffaffung.  8 


114  Sie  (Stf)it  bc§  33?arji5mu§ 

^enntniffe,  bic  cvforberlid)  finb;  foI(i)e  bauten  511  leiten, 
bcfto  größer  bie  '¥lad:)t  unb  ba§  2ßtffen  ber  leitenbcn  ^e* 
amteu  gegenüber  ber  9}laffe  ber  33eoü(ferung.  So  ern3äd)ft 
anf  ber  ©runblage  ber  bäner(id)en  2ßirtfd)aft  f)ier  eine 
^riefter*  ober  33eanitenfafte,  toie  in  ben  Jhi^ebenen  be§ 
^i[§,  be§  ©up^rat  be§  §oangf)0. 

©ine  anbere  3Irt  ber  (gntraidümg  finben  rair  bort,  rco  fid^ 
in  frnd)tbarem,  lcid)t  3ngänglicf)em  ©elänbe  eine  blül)enbe 
bäuertirf)e  20ßirt]rf)aft  in  ber  9M()e  ränberifrf)er  9lomaben 
feftfc^t.  ®ie  S^otiüenbigfeit  ber  2Ibit)ef)r  biefcr  92omaben 
graingt  bie  95auern,  fid)  eine  @cf)n^truppe  gn  bitben,  xr)a^ 
rcieber  anf  t)erfrf)iebene  3Irten  gefrf)eF)en  !ann.  ©ntroeber 
verlegt  fid)  ein  Seil  ber  dauern  anf§  2öaffenl)anbioer!  nnb 
fonbert  fid)  non  ben  anberen  ab,  bie  if)m  eine  ©egcnleiftnng 
liefern.  Ober  bie  ränberifrf)en  9Zad^barn  rcerben  felbft  bnrd^ 
eine  Sribut5af)lung  reranla^t,  ^rieben  gn  l)alten  unb  il)re 
neuen  ©d)ut5befol)lenen  uor  anberen  üiäubern  gu  fcl)ü^en. 
Dber  enblic^,  bie  9^ad)barn  erobern  ha§  Sanb  unb  bleiben 
brin  al§  §erren  über  bie  ^auernfcl)aft  bie  fie  fid)  ^in§'^ 
pflid)tig  niad)en,  für  bie  fie  aber  aucl)  eine  ©d^u^truppe 
barftellen.  %a§  @rgebni§  ift  jebod)  immer  ba§felbe:  ha§ 
Sluffommen  eine§  g^^^^^^^^"^^^^/  ^^^  ^^^  53auernfd)aft  unter= 
iDirft  unb  ausbeutet. 

931itunter  vereinigen  fid)  ber  erfte  unb  ber  graeite  2ßeg 
ber  (gntraidlung,  bann  tritt  gut  ^riefter*  ober  53eamten* 
fafte  nod)  eine  ^inegerfafte  l^inju. 

SBieber  anber§  geftaltet  fid)  bie  ©ntmidlung  ber  33auern* 
fd)aft  an  einem  5Ü^eere  mit  guten  §äfen,  bie  bie  @eefal)rt 
förbern,  unb  nal)en  fremben  lüften  mit  n)ol)ll)abenber  33e* 
r>ölferung.  "tR^h^n  bem  Raubbau  bilbet  fid)  ba  bie  gifc^erei, 
bie  balb  gum  (Seeraub  unb  Seel)anbel  übergel)t.  5In  einem 
befonberg  geeigneten  §afenpla^  fammcln  fid)  ^eute  unb 
^aufmannSroarcn,  bilbet  fid)  eine  (Btaht  reid)er  ^aufl)erren. 
§ier  erl)ält  ber  ^auer  einen  Tlaxtt  für  feine  ^robufte,  e§ 
erftel)en  il)m  öjelbeinna^men,  aber  aud)  ©elbau§gaben,  (3^ih-' 


2)a§  ©eltung^bcreic^  ber  fo^talen  S^rieBe  115 

t)erpfli(^timgen,  (Sd)ulben.  ^a(b  ift  er  ber  (SdE)ulb!necf)t  ber 
ftäbtif(f)en  ©elbbefi^er. 

Seeraub  unb  Seef)anbel  foraie  Seefrieg  bringen  aber 
aurf)  ja^lre{(i)e§  btdigeg  ©flaüenmaterial  m§  Sanb;  bie 
ftäbtifc^en  ©elbbefi^er  ge^en  nun  ba^u  über,  ^tatt  t^re 
bduer(id)en  (S(i)u(bfnec^te  rceiter  auggubenten,  fte  von  if)ren 
(S^ütern  gu  verjagen,  biefe  gu  großen  ^lantagen  ^ufammen* 
anlegen  unb  an  ©tede  ber  bäuerltc{)en  bie  8flat)enn)irtf(i)aft 
ein5ufüf)ren,  o^ne  ha^  babei  Söerf^eug  unb  ©eräte  be§ 
Sanbbau^,  feine  Zed)n\t,  fid^  im  geringften  gu  änbern 
braucht. 

©nblicf)  finben  rcir  einen  vierten  ^t)pu§  bäuerlicher  (^nU 
lüicflung  in  fc^raer  gugäng(icf)en  G5ebirg§(änbern.  ^er  33oben 
ift  bort  arm  unb  fcfiraer  urbar  gu  madjzn.  Dieben  bem 
Sanbbau  bleibt  bie  9Sie^5ucl)t  t)or^errfcl)enb,  beibe  xdd)^n 
inbe§  nid)t  au§,  einen  grogen  ^et)ölferung§3un)acl)§  ju  er* 
ndliren.  3lm  guge  be§  @ebirge§  aber  lo(Jen  frud^tbare, 
n)ol)langebaute  Sänbereien.  ^ie  (^^bixg^§bau^xn  merben  üer* 
fud^en,  biefe  gu  erobern  unb  auszubeuten  ober,  rco  fie  auf 
Sß^iberftanb  ftogen,  if)ren  5[Renfd)enüberfrf)ug  p  üerbingen 
al§  ^rieg5fnec[)te.  ^eren  ^rieg§erfat)rung  trägt  bann  roieber 
im  3Serein  mit  ber  Unn)irtlicl)feit  unb  fcl)meren  gugänglid)- 
feit  be§  Sanbe§  bei,  e§  üor  fremben  ^nüafionen  gu  fcl)ü^en, 
5U  benen  feine  2(rmut  ol)nel)in  nid)t  alljufelir  antreibt,  ^a 
erhält  fic^  bann  nocE)  bie  alte  bäuerlicl)e  ^emofratie,  rcenn 
ringSljerum  fc^on  längft  alle  3Sauernfd)aft  von  ^eubal^erren, 
'Pfaffen,  ^aufleuten  unb  2öucl)erern  abl)ängig  gemorben  ift. 
DJlitunter  fiil)rt  eine  berartige  urn:)ü(i)fige  ^emofratie  in 
einem  benacl)barten  Sanbe,  ha§  fie  erobert  l)at,  fetbft  ein 
ftrengeg  'Jlusbeuterregiment,  in  feltfamem  ©egenfatj  §ur 
eigenen  ^ocl)gel)altenen  5^'eil)eit.  @o  übten  bie  alten  ^an- 
tone  be§  33aterlanbe§  Sffiill)elm  ^ell§  burd)  iE)re  QSögte  im 
^effin  mä^renb  be§  fiebjelinten  unb  ai^tjelinten  Qal)r* 
l)unbert§  ein  Üiegiment,  beffen  nerrcüftenber  ^rucf  fiel)  bem 
be§  fagenl)aften  Regler  an  bie  (Seite  ftellen  fonnte. 


116  Sie  (gtf)tf  beg  2)?Qr^§mu# 

Wlan  fict)t,  fef)r  ccrfc^iebenartige  $vobu!tion§it)eif8u  unb 
Maffenteidmgen  finb  mit  ber  bäuerlichen  2Birtf(^aft  Der* 
einbav.  Sßorauf  finb  aber  biefe  Uuterfd)iebe  jurücf5ufür}ren? 
STie  Gegner  ber  matcrialiftifrf)en  ®efd)ic^t§auffaffung  füf)ren 
fie  einmal  auf  bie  ©emalt  gurücf,  bann  mieber  auf  bie 
S3erfcf)ieben^eit  ber  ^been,  bie  fic^  in  ben  t)erfd)iebcnen 
3}ölfern  bilben.  9^un  ift  e§  fid)er,  ha^  bei  ber  §erftel(ung 
aller  bicfer  ^robuftionSmeifen  bie  (5>en)alt  eine  grofie  DioHe 
fpielte,  bie  SJ^arj  betanntücl)  bie  ©eburt§l)elferin  jeber  neuen 
(SJejellfrf)aft  nannte,  ^ber  mol)er  fommt  biefe  dloüe  ber  (^e= 
malt,  mo^er  fonimt  e§,  ba§  gerabe  bie  eine  3]olf§icl)id)t  buri^ 
fte  fiegt  unb  bie  anbere  nid)t,  unb  ba^  bie  ©emalt  gerabe  biefe 
unb  nidE)t  anbere  S^tefultate  geitigt?  Sluf  alle  biefe  fragen  gibt 
un§  bie  (^emalt§tl)eorie  feine  ^Intruort.  Unb  ebcnfo  bleibt  e§ 
bei  ber  %^eom  ber  ^'t>t^n  ein  9JZx)fterium,  mo^er  hk  Qbeen 
fommen,  bie  gerabe  im  ©ebirg§lanb  bie  greil)eit  unb  im 
giu^lanb  bie  ^riefterfafte  probujieren,  am  93lcere5ufer  ©elb* 
unb  (5flat)enmirtfcl)aft  unb  im  ^ügellanb  feubale  §örig!eit. 

2ßir  l)aben  gefel)en,  biefe  Unterfrf)iebe  in  ber  ©ntraidlung 
berfclben  bäuerlid)en  2ßirtfd)aft  bcrul)cn  auf  Unterfcl)ieben 
in  bem  natürli(i)en  unb  bem  gefellfd)aftlicl)en  SJlilieu,  in 
ba§  biefe  2ßirtfcl)aft  gefegt  mirb.  :3e  nadl)  ber  Statur  be§ 
Sanbe§,  je  nadl)  bem  2ßefen  feiner  9^ad)barn  rairb  bie  bäuer* 
lid)e  2Sirtfd)aft  bei  berfelben  %td)mt  gur  ©runblage  fe^r 
t)erfci)iebener  gefellfrf)aftlicl)er  gormen.  SDiefe  befonberen  ge* 
fellfd)aftlid)en  gormen  merbcn  bann  neben  't)zn  natürlicf)en 
gaftoren  meitere  G)runblagen,  meld)e  bie  barauf  ermad)fenbe 
gortentraidlung  eigenartig  geftalten.  So  fanben  hk  Ger- 
manen, al§  fie  in  ber  ^ölferiDanberung  in  ba§  römifd)e 
SOßeltreid)  einbrad)en,  ba§  ^aiferreic^  mit  feiner  33ureaufratie, 
bem  (Stäbtemefen,  ber  d)riftli(^en  ^ird^e  al§  gefellfd)afttid)e 
^ebingungen  t)or,  bie  fie,  fo  gut  e§  ging,  il)rer  ^robuftion^- 
meife  einverleibten. 

SlKe  biefe  geograpl)ifd)en  unb  gefd)id)tlid)en  ^ebingungen 
mu^  man  ftubieren,  mill  man  bie  befonbere  ^^robuttionä* 


2)a§  ©eItUTtg0berei(^  ber  fosiolen  Xxizhe  117 

weife  eine§  Sanbe§  gu  einem  beftimmten  Qeitpunft  ner* 
fte^en.  ^ie  ^enntni§  feiner  Steii)mf  aUein  genügt  noi^ 
lange  nid)t. 

5Jlan  fie^t,  bie  niaterialiftifcf)e  ©efd^id^tsanffaffnng  ift 
nicf)t  jene  einf adje  (5cf)ab(one,  al§  hk  fie  i()re  ^ritifer  ge* 
lüör^nüdf)  anffaffen.  '2)ie  l)ier  gegebenen  ^eifpiele  geigen  nn§ 
aber  and),  mie  ^Iaffennnterfd)iebe  nnb  ^laffengegenfä^e  burc^ 
bie  öfonomifc^e  ©ntroidinng  erjengt  rcerben. 

Unterfd)iebe  nic^t  blo^  ^raifc^en  Qt^biüibnen,  fonbern  and) 
gn)ifc^en  einzelnen  ©rnppen  innerf)alb  ber  ©efe((fd)aft  ^at 
e§  f(^on  in  ber  Sierraelt  gegeben,  rcie  n)ir  bereite  bemerft; 
Unlerfd)iebe  in  ber  ^raft,  bem  3(nfef)en,  üiel(eid)t  and)  ber 
materiellen  ©tellnng  von  Qnbiüibnen  nnb  ©rnppen.  (SoId)e 
Unterfd^iebe  ftnb  üon  D^atnr  an§  gegeben  nnb  merben  fanm 
je  v'öüxQ  üerfc^minben  !i3nnen,  and)  nid)t  in  einer  fojia^ 
Iiftifd)en  ^efeüfd)aft.  SDie  ©rfinbnng  ber  SKerf^enge,  bie 
Slrbeit^teilnng  nnb  i^xe  ^onfeqnen^en,  fnr^  bie  öfonomifd)e 
©ntmidlnng  trägt  nod)  ba^n  bei,  feiere  Unterfc^iebe  jn  t)er=: 
grögern  ober  nen  jn  fd)affen.  Qm^^^'^^^  fönnen  fie  eine 
gemiffe,  fef)r  enge  (^^renje  nid)t  nberfd)reiten,  folange  bie 
gefenfd)aft(id)e  SIrbeit  nicf)t  einen  überfd)ng  über  ba§  gnr 
@rf)altnng  ber  SD^itgtieber  ber  ®efel(fd)aft  D^otmenbige  db-^ 
mirft.  (Solange  ba§  nid)t  ber  ^all,  fann  anf  gefeHfd)afts 
lid)e  Soften  fein  g^^t^^^^S^i^  gefüttert  merben,  fann  feiner 
an  gefc(lfd)aft(i(^en  ^robuften  er^ieblid^  me!)r  al§  ber  anbete 
befommen.  @Ieid)5eitig  erfte^en  aber  gerabe  in  biefem  Sta-^ 
bium  bnrd)  bie  n)ad)fenbe  5einbfd)aft  ber  Stämme  nnter* 
einanber  nnb  bie  btntige  5In§tragnng  aEer  if)rer  'i5)ifferen5en, 
fomie  bnrd)  gemeinfame  SIrbeit  nnb  gemeinfame^  ©igentnnx 
fo  üiele  nene  gaftoren,  bnrd)  mel(^e  bie  fogialen  triebe  gc* 
ftärft  merben,  baß  bie  etma  rorfommenben  fleinen  ©ifer- 
füd)te(eien  nnb  Qroiftigfeiten  jmifd)en  ben  ©efd)(ed)tem, 
3({ter§ilaffen,  ^ernfen  ebenfomenig  einen  9tig  in§  ©emein* 
mefcn  bringen  fönnen,  mie  bie  jmifdjen  einzelnen  ^erfonen. 
^ro^  ber  ^ilnfänge  ber  ^rbeitsteilnng,  bie  ftd)  ha  fd)on 


118  S)ie  (St^if  be§  9[»?ai*yi§mu§ 

Dorfinben,  war  it)o.!)(  nie  bie  menf(^(ic!)e  ®efen|d)aft  ge^ 
■fd)loffener  unb  einf)eitlid)cr ,  aU  guv  Qeit  ber  uriüüdjfigcn 
@enti(genoffenf(i)aft,  bie  bem  beginn  ber  ^taffengegenfä^c 
t)orf)erging. 

^ie  'iDinge  änbem  fid)  aber,  fobatb  bie  gejeI(fd)afUid)e 
lilrbeit  infolge  i()rer  n)a(i)fenbcn  ^robuftiüität  anfängt,  einen 
Xtberfrf)u§  abgurcerfen.  IRnn  n)irb  e§  für  einzelne  ^nhv^ 
t)ibnen  unb  Berufe  möglicE),  bauernb  einen  erl)eblid)  größeren 
Anteil  am  gefeUfd)aftUd)en  $robu!t  an  fid)  ^u  ^k^tn,  at§ 
bie  anberen  feft3u!)alten  vermögen,  (gin^elne  Qnbiüibuen 
werben  nur  feiten,  nur  t)orübergeI)enb  unb  au§naI)m§tDcifc 
berartige§  für  fid)  allein  juraegc  bringen,  bagegen  ift  e§ 
naf)eliegenb,  bag  bie  in  irgenb  einer  Sßßeife  hmd)  bie  ^er* 
l)ältniffe  begünftigten  Berufe,  gum  Seifpiel  fold^e,  bie  be^ 
fonbere§  2ßiffen  ober  befonbere  20ßel)rl)aftig!eit  üerteil)en,  bie 
Straft  erlangen  lonnen,  bauernb  ben  gefellfd)aftUd)en  Über^ 
fd)ug  an  fid)  ^u  gielien.  %a§  Eigentum  an  "tm  ^^robuftcn 
pngt  aber  auf§  innigfte  gufammen  mit  bem  Eigentum  an 
ben  '^robultionSmitteln;  mer  biefe  befi^t,  fann  and)  über 
jene  nerfügen.  %a§  ©treben  nad)  9Jlonopolifierung  be§ 
gefellfd)aftlid^en  überfd)uffe§  burd)  bie  eine  beüor^ugte  S^laffe 
erzeugt  in  il)r  bal)er  au(^  ba§  ©treben  nad)  93lonopoli' 
fierung,  nad)  bem  2Illeinbefi^  ber  ^robnftionsmittel.  ^ie 
formen  biefe§  2llleinbefi^e§  felbft  fönnen  mieber  fel)r  t)cr* 
fd)iebene  fein,  entraeber  ©emeinbefi^  ber  ^errfd)enben  S^laffe 
ober  ^afte,  ober  prioater  ^efi^  ber  einzelnen  gamilien  ober 
Qnbioibuen  biefer  klaffe. 

Qu  ber  einen  ober  anberen  SDBeife  mirb  bie  9Jlaffe  be§ 
arbeitenben  93oI!e§  enteignet,  gu  ©flauen,  porigen,  Sol)n* 
arbeitern  l)erabgebrüdt;  unb  mit  bem  gemeinfamen  (Sigen^ 
tum  an  $robu!tion§mitteln  unb  il)rer  gemeinfamen  ^e^ 
nu^ung  mirb  ba§  feftefte  ^anb  gerriffen,  ba§  hk  primitive 
®efellfd)aft  gufammenl)ielt. 

Unb  maren  bie  gefellfd)aftlid)en  Unterfd)iebe,  bie  fid)  im 
©d)o^e  ber  le^teren  bilben  fonnten,  in  fel)r  enge  ©d)ran!en 


2)a5  ©ettunglbereic^  ber  fo^iolen  XmU  119 

gebannt,  fo  ftnben  bie  ^(affenunterfc^tebe,  W  firf)  je^t  bitben 
fönnen,  praftifdE)  gar  feine  ©ren^e,  ©ie  fönnen  n)a(i)fen 
einevfett§  burcE)  ben  ted)nif(^en  5o^'tf<i)^'^tt,  ber  h^n  Über* 
fd)n§  be§  ^robu!t§  ber  gefellf(i)aftlid)en  SIrbeit  über  ha§ 
jur  blogen  ®r!)attnng  ber  (S5efeIIfcf)aft  notraenbige  Wla^ 
i)tnau§  ftetig  oergrögert;  anbererfeitS  bnrd)  bie  2(u5bef)nnng 
be§  ©emeinraefeng  hn  gleid)bleibenber  ober  gar  abnefinten- 
ber  S^^  ber  3{u§beuter,  fo  ha^  bie  SJlenge  ber  3Irbeitenben 
unb  Überfrf)üff e  Siefernben  pro  5In§benter  iüäd)ft.  ©o  fi3nnen 
bie  ^laffennnterfrf)iebe  in§  Unge()eure  nnb  ®nb (ofe  ^une^men, 
unb  mit  it)nen  rcac^fen  hk  foaialen  ©egenfä^e. 

Qn  bem  5!Jla§e,  in  bem  biefe  (Sntrcidlung  fortfrf)reitet, 
gerftüftet  ftd)  bie  ®efe((f(i)aft  immer  me!)r,  mirb  ber  klaffen* 
fampf  bie  t)ornet)mfte,  allgemeinfte,  bauernbfte  goim  beg 
^afeinfampfe^  ber  J^nbiüibuen  in  ber  menfc^li(i)en  ©efed* 
fd^aft;  in  bemfelben  ^Dlaße  üerlieren  bie  fo^ialen  triebe 
gegenüber  ber  ®efamtgefeltf(i)aft  an  ^raft,  merben  fte  aber 
um  fo  fräftiger  innerfialb  ber  klaffe,  beren  Sßo^l  für  hk 
schaffe  ber  Qnbioibuen  nun  immer  ibentifd^er  mirb  mit  bem 
(SJefamtmo!)!. 

@§  finb  aber  namenttitf)  bie  ausgebeuteten,  unterbrürften, 
aufftrebenben  klaffen,  in  benen  ber  ^laffenfampf  bie  fo^ialen 
%mhz  unb  2^ugenben  in  biefer  Sßßeife  ftärft.  '^enn  fie 
muffen  in  biefem  if)re  gan^e  ^erfönlic^feit  mit  gan^  anberer 
Qntenfität  einfe^en,  al§  bie  ^errfd)enben  klaffen,  bie  oft  in 
ber  Sage  finb,  il)re  ^erteibigung,  fei  e§  bie  mit  ben  Sffiaffen 
beg  Krieges,  fei  e§  bie  mit  ben  2Baffen  be§  ©eifteS,  5Jiiet* 
lingen  ^u  überlaffen.  3(ugerbem  aber  merben  bie  ^errfcl)en* 
ben  klaffen  oft  innerlid)  auf§  tieffte  serflüftet  burd)  bie 
kämpfe,  bie  fie  untereinanber  um  ben  gefe((fci)aftlid)en  Über- 
fd)u^  unb  um  W  ^robuftion§mitte(  füf)ren,  burd)  bie  er 
probujiert  mirb.  (Sine  ber  ftärfften  Urfad)en  berartiger 
^erftüftung  l)aben  mir  im  ^onfurrenjfampf  fennen  gelernt. 

^üe  biefe  gaftoren,  hk  hzn  fo^ialen  Strieben  entgegen- 
n)trfen,  finben  in  ben  ausgebeuteten  klaffen  gar  feinen  ober 


120  Xk  (Stl)i!  be§  iDMiTi§mu§ 

nur  geringen  ^oben.  3^  geringer  biefer  33oben,  je  befi^? 
lofer  hk  aufftrebenben  Rlaffen,  je  mc()r  fie  au§fd}tie^lid)  auf 
bie  eigene  Straft  angcraiefen  finb,  befto  ftärfcr  empfiuben 
alle  if)re  S[Ritglieber  i{)re  ©olibarität  gegenüber  ben  f)errid)cn' 
ben  klaffen,  befto  fraftooHer  cntnncfeln  fitf)  i^re  fogialen 
triebe  gegenüber  if)rer  eigenen  klaffe. 

5.  Die  Sa^ungen  der  Hloral. 

a.  (Sett)o{)n!)eit  unb  ^ont)ention. 

2ßir  f)aben  gefeiten,  inie  bie  öfonomif(i)e  ©ntraicflung  in 
bie  von  ber  Sierraelt  übernommenen  moralifrf)en  gaftoren 
ein  SJZoment  ftarfer  3SeränberIic^feit  l)ineinträgt,  mie  fie  't)k 
^raft  ber  fogialen  S^riebe  unb  ^ugenben  in  oerfdjiebenen 
Qeiten  unb  gleid)§eitig  in  t)erfd)iebenen  klaffen  berfelben 
@efe(lfd)aft  rerfdiieben  geftaltet,  rcie  fie  aber  aud)  t)a§  ^e* 
reid),  innerl)alb  beffen  bie  fojialen  triebe  unb  Slugenben 
gelten,  balb  erweitert,  balb  verengt,  einerfeit§  r>on  ber 
!(einen  §orbe  hx§  gur  gefamten  9J^enfd)^eit  au§be!)nt,  anber« 
feit§  innerf)alb  ber  ©efellfd^aft  auf  eine  einzige  klaffe  be« 
fd)rdn!t. 

2lber  biefelbe  ö!onomifd)e  ©ntraidlung  fc^afft  aud)  einen 
Ibefonberen  moralifd)en  ^aftor,  ber  in  ber  ^iermelt  gar  nid)t 
ejiftiert,  unb  ha§  ift  ber  wanbelbarfte  t)on  allen,  benn  nid)t 
nur  feine  ^raft  unb  fein  ©eltungsbcreid^,  fonbern  aud)  fein 
3nl)alt  ift  hm  ftärfften  9}eränberungen  untermorfen.  ®a§ 
finb  bie  Sa^ungen  ber  9)loral. 

^n  ber  Sierroelt  finben  mir  mo^l  fd)on  ftarfe  moralifd)e 
©mpfinbungen,  aber  feine  beftimmten  moralifd)en  ^Sor? 
fd)rif ten,  bie  an  ba§  Qnbioibuum  gerid)tet  merben.  ^a§ 
fe^t  eine  au§gcbilbete  (3prad)e  t)orau§,  bie  nid^t  blo& 
©mpfinbungen,  fonbern  aud)  ®inge  ober  menigften§ 
§  anbiungen  gu  be^eic^nen  vermag,  eine  8prad)e,  für  bereu 
5ßor!ommen  in  ber  Stierrcelt  jebc§  5ln5eid)cn  fel)lt,  für  \)k 
ein  ^ebürfnil  auc^  erft  mit  ber  gemeinfamen  5Irbeit  erftel)t. 
9^un  erft  mirb  e§  möglicl),  an  hzn  einzelnen  beftimmte  Sin* 


2)te  ©Ölungen  ber  fO^oral  121 

forberungen  p  fteUen.  ©ntfprmgen  biefe  gorberungen  im 
bbibueden,  au§naf)m§raetfen  ^ebürfniffen,  fo  rcerben  fie  mit 
bem  inbir>ibue(Ien,  au§na!)m§it) eifert  galle  rcieber  t)erfd)iDins 
ben.  ©ntfpringen  fie  bagegen  33ebürfniffen,  bie  in  ben  ge* 
fenfd)aft(i(i)en  iBer^ättniffen  bcgrünbet  finb,  bann  raerben 
fie  immer  mieber!ef)ren,  folange  biefe  3}er!)ä(tniffe  banern; 
unb  in  ben  2lnfängen  ber  ©efeüf(i)aft,  wo  bie  (Sntrcictiung 
eine  ungemein  langfame,  barf  man  bie  ^auer  einzelner  ge* 
ferifd)aftlid)er  ^uftänbe  auf  §unberttaufenbe  t)on  Qa!)ren 
t)eranfd)lagen.  ^ie  gefe(Ifc^aftlid)en  gorberungen  an  h^n 
einzelnen  mieber^olen  firf)  ba  fo  oft,  fo  regelmäßig,  baß  fie 
gur  @en)o{)n^eit  merben,  gu  ber  firf)  bie  Einlage  f(i)ließlid) 
üererbt,  rcie  bie  Einlage  gu  befonberen  5lrten  ber  Qagb  beim 
Qagbf)unb,  fo  ha^  einige  SInregungen  genügen,  hk  &ewof)\v^ 
l^eit  aucf)  in  h^n  9^ad)!ommen  erfte^en  gu  laffen,  mie  pm 
^eifpiel  'oa§  ©efüf)l  ber  (Sd)amf)aftig!eit,  ^k  ©emo^n^eit, 
beftimmte  ^örperfteKen  ^u  bebecfen,  beren  ©ntblößung  un^ 
fittlic^  erfc^eint. 

©0  entfielen  Slnforberungen  an  ha§  Qnbiüibuum  in  ber 
@efellfc{)aft,  um  fo  ga^lreid)ere,  je  fompü^ierter  fie  ift,  bie 
fd)lie§Iid)  gemof)n{)eit§mäßig ,  o^ne  lange  Überlegung  al^ 
fitttid)e  ©ebote  anerfannt  merben. 

5Iu§  biefem  gen)o^nf)eit5mäßigen  (S;i)ara!ter  l^aben  mand^e 
materiatiftifd)e  (£tf)ifer  gefc^loffen,  ba§  gan^e  2ßefen  ber 
SJloral  beruhe  nur  auf  @ett)of)nf)eit.  ^amit  ift  e§  jeboc^ 
feine§Tt)eg§  erfd^öpft.  ^^^^'^f^  merben  burd)  @en)o^nl)eit 
nur  fold^e  2Infd)auungen  gu  fittüd)en  (Geboten,  bie  9iüdfid)ten 
be§  Qnbit)ibuum§  für  bie  @efe(-Ifd)aft  forbern,  fein  $ßerf)a(ten 
§u  anberen  9Jlenfd)en  regeln.  2Öitl  man  bagegen  geltenb 
machen,  baß  e§  aurf)  einfame  „Safter"  gibt,  hk  für  unfittlic^ 
gelten,  fo  erfolgte  beren  urfprünglid)e  ^Verurteilung  mo^l 
aud^  im  Qntereffe  ber  ©efellfdjaft.  So  müßte  ^um  ^eifpiel 
bie  Onanie,  menn  fie  allgemein  mürbe,  bie  ©rjielung  einer 
ga^lreicl)en  9lad)!ommenfd)aft  ftar!  l>eeinträcl)tigen  —  unb 
eine  fold)e  9^acl)!ommenfd)aft  erfd)ien  el)ebem,  mo  9i}laltl)u§ 


122  2)ie  et^i!  be§  2)?arji§mu§ 

nod)  nid)t  gefprocf)en,  al§  eine  bcr  n)id)ttgften  ©ruublagen 
bc§  2ßo^Iftanbe§  unb  gortfrf)vitt§  ber  ®cfeafd)aft. 

3n  bei'  Sibel  (1.  SJ^ofe  38)  rairb  benn  aud^  Onan  be§^ 
E)alb  üon  Qe^oüa  getötet,  tüeit  er  feinen  Samen  jur  @rbe 
faden  Iic§,  ftatt  feiner  ^fli(i)t  ^u  ge{)or(i)en  iinb  bcm  2Beibe 
feine§  üerftorbenen  ^ruber§  bei5mt)ot)nen,  um  bicfem  einen 
S^ad^fommen  gu  erroeden. 

®ie  fittlid)en  D^ormen  fonnten  aurf)  nur  be§f)al6  ju  Öje- 
n)ol)n^eiten  merben,  rceil  fie  tiefen,  immer  mieber  fid)  er* 
neuernben  gefellf(^aftlid)en  ^ebürfniffen  entfprarf)en.  ©nblidf) 
aber  fann  eine  blo^e  ®emof)n^eit  nid)t  bie  ^raft  be§  ^f(id)t'' 
gefü^l§  erüären,  ba§  fiel)  oft  mäcf)tiger  ermeift  al§  alle  ©e* 
böte  ber  ©elbfterl)altung.  '2)a§  ©erco'^n^eitgmäfjige  in  ber 
SJloral  bemirft  blop,  ha^  gerciffe  D^Zormen  ofyu  rceitere^  al§ 
fittlirf)e  anerfannt  merben,  e§  erzeugt  aber  nid)t  bie  fo^ialen 
triebe,  bie  bie  SE)ur(f)füt)rung  ber  al§  fittlid)e  DIormen  an* 
erfannten  gorberungen  er^mingen. 

©0  ift  e§  gum  ^eifpiel  (Ba(i)e  ber  (55emof)nI)eit,  ha^  e§ 
für  unanftänbig  gilt,  menn  ein  5[Räbrf)en  im  9^ac^tl)emb 
fic^  einem  9Jlanne  geigt,  aucl)  menn  bie§  ©emanb  hi§  gu 
ben  gü^en  reid)t  unb  ben  §al§  umfd)lie§t,  n)af)renb  e§ 
burd)au§  nid^t  ben  5Inftanb  t)erle^t,  menn  fid)  ein  9Jläbd)en 
abenb§  mit  tief  entbBgtem  53ufen  auf  einem  ^aße  alter  2Belt 
geigt,  ober  rcenn  e§  in  einem  ©eebab  in  naffem  ^abefoftüm 
t)or  hen  gierigen  klugen  ron  Lebemännern  9ier»ue  paffiert. 
Slber  nur  bie  Hraft  ber  fogialen  Striebe  fann  bemirfen,  baf? 
ein  fittenftrengeS  9Jläbd)en  ba§,  n)a§  ^onnention,  9)lobe, 
@emoI)n!)eit,  !urg  bie  ©efeKfd)aft,  einmal  gu  einer  ©d)am* 
lofigfeit  geftempelt,  um  feinen  ^rei§  auf  fid)  nel)men  mürbe, 
unb  bem,  n)a§  e§  al§  (Bd)anbe  betrad)tet,  mitunter  felbft 
hm  %oh  i)orjief)t. 

Slnbere  ®tl)ifer  l)aben  bie  5luffaffung  ber  ftttlid)en  S^ormen 
al§  bloge  (5Jen)ol^nl)eiten  nod)  meiter  getrieben  unb  fie  aU 
bloge  font)entionelle  3[Roben  l)ingeftellt,  geftü^t  auf  bie  ®r* 
fd)einung,  ba^  jebe  (55efellfd)aft$form,  jebe  Station,  ja  jebe 


!J)ie  ©Ölungen  ber  9J?oraI  123 

klaffe  il^re  befonberen  fittlic^en  3Inf(^auungen  f)at  bie  oft 
fe^r  im  35}iberfpru(^  ^n  anberen  fteljen,  bog  eine  abfolute 
fittlid)e  DIorm  ni(i)t  gitt.  9)lan  ^at  barau§  gefd)loffen,  bie 
6ittli(f)feit  fei  eine  n)ed)felnbe  SJIobe,  ber  blog  ber  gebanfen= 
lofe  ^f)ilifterpöbel  ^ulbige,  über  bie  ficE)  ber  Übermenfd), 
rcie  über  aKe§  §erbemnägige,  erl)eben  bürfe  unb  muffe. 

2lber  nid^t  nur  finb  bie  fogialen  S;riebe  ttwa§  bur(i)au§ 
nid)!  ^ont»entioneI(e§,  fonbern  etwa^  tief  in  ber  50^enfcf)en* 
natur,  ber  diainx  be§  SJlenfd^en  al§  fo^ialen  3:iere^  33e* 
grünbeteg;  and)  bie  fittlid)en  Sa^ungen  finb  nic§t§  SBiUfür^ 
lid)e§,  fonbern  entspringen  ben  gefet(fd)aftlid)en  33ebürfni|fen. 

@§  ift  aKerbingg  ni^t  in  jebem  gaüe  möglid),  ben  Qn^ 
fammen^ng  gmifc^en  beftimmten  fitt(id)en  5lnf(^auungen 
unb  ben  gefe[Ifd)aftlid)en  3Ser!)ältniffen,  benen  fic  ent- 
fprangen,  feftjuftellen.  ®a§  :3nbit)ibuum  übernimmt  bie 
fittlid)en  S^ormen  üon  feiner  gefellfd) af tlid)en  Umgebung 
oI)ne  jebe§  ^emugtfein  if)rer  gefettfd)aftlid)en  llrfad)en.  %ic 
fittlid)e  9^orm  mirb  i^m  gur  ©en)of)n^eit  unb  erfd)eint  i^m 
bann  al§  ein  5lu§flu§  feinet  eigenen  geiftigen  2Befen§,  r»on 
t)ornt)erein  gegeben,  of)ne  jebe  praftifd^e  äöur^el.  ^ux  bie 
iüiffenfd)aftli(^e  gorfd)ung  üermod)te  nad)  unb  nad)  für 
eine  S^ei^e  non  Jäüen  hk  Regierungen  gmifdien  beftimmten 
(SJefeUfd)aft§formen  unb  beftimmten  fittlid)en  (Sa^ungen  auf- 
3u!)ellen,  unb  t)iele§  liegt  ba  nod)  bunfet.  %k  ©efellfd)aft§* 
formen,  benen  fpätere  noc^  geltenbe  fittlid)e  S^ormen  ent- 
ftammen,  liegen  oft  meit  gurüd,  in  grauer  Rorjeit.  SluBer? 
bem  aber  mu§  man,  um  eine  fittlid)e  gorberung  §u  t)erftel)en, 
nid)t  blog  ba§  gefeUfd)aftlid)e  Rebürfnil  fennen,  ba§  fie 
l^eroorrief,  fonbern  auc^  "i^k  befonbere  ^enfmeife  ber  (^efell* 
fd)aft,  bie  fie  fd)uf.  Qebe  ^robu!tion§meife  l)ängt  nid)t  blog 
mit  beftimmten  SBerfgeugen,  beftimmten  gefellfdiaftlic^en  33er= 
l)ältniffen,  fonbern  aud)  einem  beftimmten  (£r!enntni§inl)alt 
unb  (£r!enntni§t) ermögen,  einer  beftimmten  5luffaffung  ber 
golge  t)on  Urfad)e  unb  2Ößirfung,  einer  beftimmten  Sogif, 
furg  einer  beftimmten  ^enfmeife  gufammen.  grül)ere  ^enf^ 


124  2)ie  (5tt)i!  be§  3)?aryismu§ 

lücifen  ju  beöveifen,  ift  aber  ungemein  fd)n)er,  raeit  fd)n)ercr 
nod)  aU  bie  Söebürfniffe  einer  anbcren  al§  ber  eigenen 
©efettfc^aft. 

Qnbeffen  ift  ber  Qufammen^ang  5it)ifd)en  ben  ©a^ungen 
ber  3)loraI  unb  ben  gefe{Ifc^aftUd)cn  ^ebürfniffcn  bereite 
an  fo  gaf)(reid)en  ^^eifpielen  erraiefen,  bag  man  i^n  at§ 
aügemeine  Siegel  anneJ)men  !ann.  33eftef)t  aber  biefer  Qu^ 
fammen()ang,  hann  mu§  eine  ^nberung  ber  ®efe((fd)aft 
aurf)  eine  SInberung  mancf)er  moralifd)en  Sa^ungen  nad) 
fiel)  gie{)en.  ^exzn  2ßed)fel  ift  alfo  nid)t  nur  nic^t§  SBunber^ 
bare§,  munberbar  lüäre  e§  t>ielmc{)r,  rcenn  mit  ber  ^er* 
änberung  ber  Urfad)e  nidjt  and)  bie  2ßir!ung  fi(^  änberte. 
"^iefe  Säuberungen  finb  notmenbig,  gerabe  beSmegen  not^ 
menbig,  meil  jebe  (55efenfcE)aft§form  gu  if)rem  ^eftaub  be* 
ftimmter  i^r  angepaßter  moralifd^er  ©a^ungen  bebarf. 

SOßie  t)erfd)ieben  unb  manbelbar  bie  fittlidjen  D^ormen  finb, 
ba§  ift  fef)r  befannt.  (Sin  33eifpiel  genüge  baf)er,  eine  von 
ber  ber  heutigen  europäifd^en  ®efeü]d)aft  abmeidjeube  9Jloral 
5U  iduftrieren. 

gribtjof  D^anfen  gibt  un§  im  je!)nten  Kapitel  feine§ 
,,@^!imoIeben"  eine  fe{)r  anfpred)enbe  (5d)i(berung  ber  ©^^ 
ümomoral,  ber  I)ier  einige  ©teilen  entnommen  feien: 

„(Siner  ber  l)übfc^eften  unb  mar!anteften  Qüq^  im  ®l)ara!ter 
be§  (5§!imo  ift  it)ol)l  feine  @l)rlirf)!eit.  .  .  .  ^ür  ben  @§!imo  ift 
e§  Don  befonberer  SSebeutung,  ba^  er  fid)  auf  feine  2J^itmenfd)en 
unb  dlad)baxn  üerlaffen  !ann.  ©amit  aber  biefe§  gcgenfeitige 
Vertrauen,  o^ne  t)a§  ja  jebe§  3i^f^^i^"^^"fd)li^^^^  i"^  ^afeinS* 
fampf  unmögtid)  ift,  and)  33eftanb  l)abe,  ift  e§  nottüenbig,  ha^ 
jeber  gegen  hin  anberen  el)rlid)  l)anbte.  .  .  .  3Iu§  bemfelben 
©runbe  lügen  fie,  befonberS  bie  SJicinner,  einanber  auc^  nid)t 
gern  ttxva§  cor.  ©in  rüf)renber  33eit)ei§  l)ierfür  ift  folgenber, 
von  '3)atager  er3äl)lter  3ug:  ,2öenn  fie  einem  anbcren  ein  ®ing 
befd)reiben  f ollen,  l)üten  fie  fid),  e§  glänjenber  au§5umalen,  al§ 
e§  üerbient.  ^a,  menn  einer  eUva§  faufen  mitl,  t)a§  er  md)t 
gefel)en  l)at,  befd)reibt  ber  $öer!äufer,  aud^  menn  er  e§  gern  lo§ 
fein  miH,  ha§  2)ing  bod)  immer  etwa^  meniger  gut,  al§  e§  ift.'" 


2)ie  ©a^ungen  ber  TloxoX  125 

^ie  SJloral  ber  Sieflante  tft  für  bie  ^§tmo§  nod)  nici)t 
erfunben.  5I((erbing§  gilt  ba§  aHeS  nur  für  i^rett  2^er!ef)r 
untereinanber.    J^remben  gegenüber  ftnb  fie  ntd)t  fo  ftreng. 

„©c{)Idgereien  imb  berartige  iKo^eiten  fommen  bei  iijnen  md)t 
vor.  SJiorb  tft  gIeid^faK§  eine  gro^e  ©eltenticit",  unb  wo  er 
tjorfommt,  ift  er  nirf)t  eine  f^otge  ö!onomif(i)er  3^iftig^eiten, 
fonbern  üon  ßiebe§f)änbetn.  „©ie  f)alten  e§  für  graufam,  tf)ve 
iD^itmenfd)en  gu  töten,  ^rieg  ift  baf)er  in  it)ren  5lugen  etit)a§ 
tlnt3erftdnblirf)e§  unb  S3erabfcf)euung§n)ürbige§,  if)re  (5prad)e  {)at 
nicf)t  einmal  ein  Sßort  bafür;  unb  ©olbaten  unb  Offiziere,  tiQ 
^u  bem  ^anbraer!,  Seute  tot5ufrf)tagen,  angelernt  raerben,  finb 
i^nen  reine  3Kenfd)enfrf)läd)ter." 

„'2)a§jenige  unferer  ©ebote,  gegen  n)elcf)e§  fidE)  bie  ©rönlänber 
am  {)äufigften  üerfünbigen,  ift  ba§  fed)fte.  .  .  .    2;ugenb   unb 

3ü(^tigfeit  ftel)en  in  ©rönlanb  nic^t  in  ^ol)em  ^Infe'^en Stiele 

fel)en  e§  (auf  ber  SSeftfüfte)  für  gar  feine  befonbere  ©cf)anbe  an, 

wenn  ein  unrierf)eiratete§  3)Mbdf)en  Svinber  befommt Sßä^renb 

loir  in  ®obtl)aab  raaren,  befanben  fid)  bort  in  ber  9la(^barfd)aft 
^rcei  SD^äbrfien  in  gefegneten  Umftönben,  verbargen  bie§  aber 
burd)au§  nid)t,  .  .  .  unb  fcf)ienen  über  biefen  ficl)tbaren  33eiüeis, 
ba^  fie  nicf)t  t)crfc^mäl)t  raorben  roaren,  beinal)e  ftol^  ju  fein. 
3lber  and)  oon  ber  Dftfüfte  fagt  §olm,  ha^  e§  bort  für  feine 
©(i)anbe  gilt,  trenn  eine  Unüerl)eiratete  ^inber  l)at.  . . ." 

„©gebe  fagt  aud),  ba^  bie  g^rauen  e§  für  ein  befonberei 
"©lücf  unb  eine  gro^e  ©bre  b^lten,  mit  einem  Slngefof,  ba§  t)t\^t 
«inem  ibrer  ^ropbeten  unb  ©ele^rten,  in  ein  intime§  ^erbältnis 
^u  treten,  unb  fügt  binju:  ,ia  üiele  5D^ätiner  feben  e§  f eiber  gern 
unb  bejablen  ben  2Inge!o!  bafür,  ba^  er  bei  ibren  g^rauen  fclilafe, 
befonber§  roenn  fie  felber  feine  ^inber  mit  ibnen  geugen  fönnen.'" 

„^ie  g^reibeit  ber  @§fimott)eiber  ift  alfo  febr  üerfcbieben  non 
t)er  bem  germanifcben  ^^ih^  ^uftebenben.  '3)er  @runb  liegt 
tüobl  barin,  ba^,  tüCtbrenb  bie  (Srbaltung  be§  (Srbe§,  ©efd)led)te§ 
unb  ©tamntbaumeg  h^i  ban  ©ermanen  fteti  eine  gro^e  D^olle 
gefpielt  ^at,  alte§  biefe§  für  ben  @§fimo  bebeutung§lo§  ift,  ba 
«r  raenig  ober  nicbt§  p  »ererben  })at  unb  e§  für  ibn  'i:)aupU 
fäcblicb  barauf  anfommt,  Rinber  ju  b^ben.  .  .  ." 

„^ir  finben  biefe  SRoral  auf  ben  erften  SBlicf  natürlicb  für 
fcbled)t.    S)amit  ift  aber  ni<i)t  gefagt,  ba^  fie  e§  aud)  für  ben 


126  Sie  (gtt)if  bc§  3}?arji§mu§ 

©öfimo  ift.  Sßir  muffen  un§  übcr^oupt  f)üten,  üon  unfcrem 
®efirf)t§punft  ttu§  2lnfd)auungen,  bic  fid)  burrf)  üiete  ®enera= 
tionen  unb  oiele  Grfaf)rungen  hd  einem  53oI!e  entiüicfelt  f)aben, 
fofort  5U  rerbammen,  auci)  roenn  fie  t^n  unferen  noc^  fo  fe^r 
lüiberftreiten.  ^ie  3(nfirf)ten  oon  ©ut  unb  $Herf)t  finb  t)ier  auf 
(Srben  aufierorbentUd)  üerfd)ieben.  2l{§  33eifpiet  möcf)te  id)  an= 
füf)ren,  ba^,  a(§  D^ili  ©gebe  einem  @sfimom(ibd)en  oon  ber 
Siebe  gu  ®ott  xmb  unferem  9^äd)ften  gefprorf)en  f)atte,  ba§ 
SDf^äbdjen  erflärtc;  ,^d)  {)abe  berciefen,  ba^  ic^  meinen  9?^d)ften 
liebe,  benn  eine  alte  f^rau,  bie  fran!  mar  unb  nid)t  fterben 
fonnte,  bat  mirf),  ba^  id)  fie  für  ©elb  nad)  ber  fteilen  flippe 
füf)ren  möge,  t)on  ber  fid)  immer  bie  f)  in  ab  f türmen,  bie  nid)t 
mel)r  leben  mögen.  Sßeil  id)  aber  meine  Seute  liebe,  fül)rte  id) 
fie  umfonft  f)in  unb  ftür^te  fie  com  ^-elfen  rierunter.* 

„©gebe  meinte,  bie§  fei  eine  fd)led)te  öanblung,  unh  fagte,  fie 
^abe  einen  9Jienfd)en  getötet.  Sie  fagte,  nein,  fie  {)abe  gro^e§ 
äJfZitleib  mit  ber  Sllten  gef)abt  unb  gemeint,  a(§  fie  ()  in  ab  geftürjt 
mar.   <Boü  man  bie§  nun  eine  gute  ober  eine  böfc  %at  nennen?" 

SCßir  f)aben  bereits  gefeE)en,  ba§  bie  9^otraenbigfeit,  alte 
unb  !ran!e  9J^itglieber  ber  ®efe((fd)aft  ^u  töten,  bei  be^ 
fd^ränften  Sf^a^rungsqueden  Ieid)t  eintritt  unb  biefe  Rötung 
SU  einer  fttt(icf)en  %at  ftenipett. 

„2n§  berfetbe  ©gebe  ein  anbermal  bauon  fprad),  ha^  (3ott 
bie  SSöfen  beftrafe,  fagte  xi)m  ein  (£§fimo,  er  ge[)öre  aud)  gu 
benen,  bie  bie  SSöfen  beftrafen,  benn  er  t}abQ  brei  alte  Sßeiber, 
bie  ©ej:en  maren,  erfc^lagen. 

„'J)erfelbe  Unterfd)ieb  in  ber  Sluffaffung  r»on  ®ut  unb  93öfe 
mad)t  fid)  and)  bem  fed)ften  ®ebot  gegenüber  geltenb.  'S)er 
@§fimo  ftellt  t)a§  ©ebot:  ©eib  frud)tbar  unb  me()ret  ^ud),  f)öl)er 
al§  ba§  ber  ^eufd)f)eit.  ^a^u  ^at  er  um  fo  mel)r  ©runb,  al§ 
feine  9^affe  üon  9latur  menig  frud)tbar  ift." 

©nblid)  fei  uod)  eine  ©teile  au§  bem  Briefe  errcä^nt,  h^n 
ein  be!el)rter  (SSfimo  an  ^aul  ©gebe  rid)tete,  ber  in  ber 
9Jlitte  beä  ad)t5e^nten  :3al)rl)unbert§  in  G)rönlanb  al§ 
?0^iffionar  lüirfte  unb  bie  ©lümomoral  nod)  faft  unberüf)rt 
von  europäifd)en  (äinflüffen  rorfanb.  tiefer  befcl)rte  (S§!imo 
l)atte  t)on  ben  ^olonialfriegen   3n)ifd)en  ©nglänbern  unb 


3)ie  ©a^ungcn  ber  Floxal  127 

^ollänbem  ge^^ört  unb  gab  feinem  5lbfd)eu  über  biefe  „Un^ 
Tnenfcf)Ud)f eit"  2Iu5bru(f: 

„Sßenn  rcir  nur  fo  oiet  ©peife  ^aben,  ba^  wix  im§  fatt  effen 
fönnen,  unb  genug  ^^etle  befommen,  um  un§  gegen  bie  ^älte 
SU  fd)ü^en,  finb  wix  pfrieben,  unb  2)u  wzi^t  felbft,  ba^  mir 
ben  fommenben  2;ag  für  ba§  ©eine  forgen  taffen.  Sföir  raoHten 
alfo  nid)t  barum  (um  bai  9J?eer)  ^rieg  füf)ren,  aucf)  roenn  e§ 
in  unferer  aj?arf)t  läge.  .  .  .  Söir  fönnen  fagen,  ba^  SD^Zeer,  ha§ 
unfere  ^üfte  befpült,  gef)ört  un§,  unfer  finb  and)  bie  barin 
f(i)n)immenben  2öalftfd)e,  SOBatroffe,  ©eetjunbe  unb  Sac^fe;  borf) 
rair  f)aben  nicf)t§  bagegen,  ba^  fid)  anbere  fo  üiel  üon  bem  großen 
Vorrat  nef)men,  mie  fie  tüoUen.  Sßir  ()aben  ba§  gro^e  &liiä, 
üon  Statur  nid)t  fo  f)abgierig  ju  fein  n)ie  fie.  .  .  .  @§  ift  roirüirf) 
merfwürbig,  mein  lieber  ^aut!  @uer  ^ol!  raei^,  ba^  e§  einen 
@ott,  ben  ©d^öpfer  unb  @rE)aIter  aKer  ^inge  gibt,  ta^  fie  nad) 
biefem  Seben  entraeber  feiig  ober  nerbammt  loerben,  je  nac^bem 
fie  iid)  betragen  i)ah^n,  unb  bennod^  leben  fie,  al§  roäre  i£)nen 
befof)ten  tüorben,  böfe  ju  fein,  unb  al§  bräd)te  x^mn  ba§ 
©ünbigen  33orteil  unb  @f)re.  aJJeine  öanbSteute  miffen  roeber 
üon  ©Ott  nod)  com  Seufel  etma§,  unb  boc^  benef)men  fie  fid) 
anftänbig,  Derfef)ren  liebeüoll  unb  einträd)tig  miteinanber,  teilen 
aüeg  miteinanber  unb  fd)affen  ]\(i)  gemeinfam  i^ren  Seben§= 
untert)alt." 

(£g  ift  ber  @egenfa^  ber  50^oral  eine§  primitiven  ^om* 
muni§mu§  ^ur  fapitaliftifd)en  SJloral,  ber  ^ier  ^utage  txitt 
5(bcr  nod)  ein  anberer  Unterfd)ieb  tarnet  ^ier  auf:  Qn  ber 
@5!imogefe((fd)aft  ftimmen  Sl^eorie  iinb  ^ra^§  ber  Wloxal 
überein;  in  ber  fapitaliftifd)en  @efe((fcE)aft  befte^t  jiüifi^en 
beiben  eine  meite  ^(uft.  '2)en  (SJrnnb  baüon  merben  mir 
gletd)  fennen  lernen. 

b.  ^iz  ^robu!tton§meife  nnb  i^r  überban. 
^ie  fittlid)en  D^ormen  änbern  fid)  mit  ber  ©efenfd)aft 
jeboc^  nid)t  nnnntcrbrod)en,  nid)t  in  ber  g(eid)en  2öeife  imb 
bem  gleid)en  ^O'^age  mie  bie  gefellfc^aftUc^en  ^ebürfniffe.  ©ie 
merben  aU  D^ormen  o^ne  meitereä  besfjalb  anerkannt  unb 
empfunben,  mei(  fie  (S^emo^n^eiten  gemorben  finb.  8inb 


123  2)ie  (2ti)\i  bc§  2;?arj-ilmu§ 

fie  aber  einmal  aU  foIrf)e  feftgercur^elt,  bann  fönnen  fie  lange 
eine  felbftänbige  ©jiftenj  fül)ren,  tt)äl)renb  ber  tedE)nifd)e  gort^ 
frf)ritt  unb  bamit  bie  ®ntn)idlung  ber  ^robn!tion§n)eife,  bie 
Umiüanblung  ber  gefcüjd^aftliclien  ^ebürfniffe,  fortfcl)rcitet. 

®§  ift  mit  ben  ©a^nngen  ber  !!Jloral  mie  mit  bem  übrigen, 
fomplijierteren  ibeologifc!)en  Überbau,  ber  fiel)  über  ber  ^ros 
bu!tion§raeife  eri^ebt.  ®r  fann  fid)  Don  feiner  ©runblage 
loglöfen  unb  eine  Qeitlang  ein  felbftänbige^  ^Dafein  führen. 

'3)ie  (Sntbecfung  biefer  Statfacl)e  l)at  alle  jene  Elemente  in 
l)enen  ^ubel  üerfe^t,  bie  fi(^  ber  93]a(i)t  be§  9Jlarjfcl)en 
@eban!en§  nid)t  entgiel)en  fönnen  unb  benen  bocf)  bie  ^on^ 
fequengen  ber  i3!onomifrf)en  ©ntrcicflung  l^öd)ft  unangenel)m 
finb,  bie  nacf)  ^antfcf)er  5[Uanier  ben  ©eift  alg  felbftänbige 
^riebfraft  in  bie  ©ntmidlung  be§  gefeüfdjaftli^en  DrganiS^ 
mu§  einfcl)muggeln  mö'i)ten.  ^a  tarn  xfyxen  bie  Slnerfennung 
ber  %at]a6)Q  fel)r  gelegen,  ba^  bie  geiftigen  gaftoren  ber 
©efeHfc^aft  geitrceife  felbftänbig  in  il)r  rcirfen  fönnen.  ^a- 
mit  ^offte  man  enblid)  bie  erfel)nte  2ßed)feln)irfung  ge* 
funben  gu  ^aben:  bie  Ofonomie  mirft  auf  hen  ©eift  unb 
biefer  auf  bie  Ofonomie,  beibe  follen  bie  gefellf(^aftlid)e 
®ntn)i(f lung  entrceber  in  ber  SKeife  bel)crrf(f)en,  bag  einmal 
hk  öfonomifd^en  5<^'^toren  unb  in  einer  fpäteren  ^eriobe 
mieber  ber  geiftige  eintrieb  bie  ©efeKfcEiaft  t)orn)ärt§  treibt, 
ober  in  ber  2ßeife,  ha^  beibe  gaftoren  nebeneinanber  unb 
miteinanber  ein  gemeinfameä  ^robuft  erzeugen,  bag,  mit 
anberen  2ßorten,  unfer  2Sollen  unb  2öünfc^en  bie  l)arte 
öfonomifd)e  S^otmenbigfeit  menigftenS  mitunter  au§  eigener 
^raft  ju  bur(i)brec^en  unb  absuänbern  imftanbe  ift. 

^ein  Qmeifel,  e§  beftel)t  eine  2öecl)feln)irfnng  5mifd)en 
ber  Ofonomie  unb  i^rem  geiftigen  Überbau  —  9Jloral, 
^Religion,  9flecl)t,  ^unft  ufm.  — :  ton  bem  geiftigen  2ßirfen 
be§  @rfinben§  reben  mir  l)ier  nid)t,  e§  gel)ört  gur  Ste(^nif, 
in  ber  ja  ber  ©eift  aud)  eine  9tolle  fpielt,  neben  bem  2Berf* 
seng;  bie  Sted)nif  ift  bie  bemitfete  ©rfinbung  unb  5lnmen* 
bung  von  ^ßerf^eugen  burcE)  ben  benfenben  93lcnfcl)en. 


S)ie  ©a^ungen  bei*  9WoraI  129 

2Bie  bte  anbercn  ibeologtfdf)en  gaftoren  ift  aud)  bte  9Jloral 
imftanbe,  bie  öfonomif(^e  unb  gefel(fd)aftl{(^e  ©ntiütcflimg 
.^u  förbern.  ©erabe  bavin  liegt  ja  il)re  gefeIlj(^aftItdE)e  ^e^ 
l^eutung.  ^a  beftimmte  gefellfc^aftlic^e  ©a^ungen  beftimmten 
<jefeUf(^aftItd)en  ^ebürfniffen  entfpringen,  iperben  fte  baB 
5efeIlfc^aftUcf)e  Qufammenrcirfen  um  fo  tnef)r  erleid^tern, 
je  beffer  fte  ber  bejonbercn  Eigenart  ber  ©efe(lfd)aft  an- 
gepaßt ftnb,  hk  fte  fd)afft. 

®ie  Tloxal  mxtt  alfo  auf  ba§  gefeUf(^aftltc£)e  Seben 
förbernb  ^urürf.  5lber  ba§  gilt  nur  fo  lange,  al§  fie 
t)on  biefent  ab!) äugig  bleibt,  alä  fte  ben  gefellfc^aftli(^en 
^ebürfuiffen  entfprid)t,  bie  fte  erzeugen. 

©obalb  bie  5Jloral  ber  ®efellfd)aft  gegenüber  ein  felb^ 
ftänbige§  ^afein  gercinnt,  fobalb  fie  nid)t  nte^r  btird)  biefe 
fceftimmt  rcirb,  nimmt  il)re  üiütoirfung  einen  anberen 
^l^arafter  an.  ©otüeit  fte  ftd)  je^t  weiter  entmiifelt,  n)irb 
il)re  ©nttüidtung  eine  rein  formale,  bloß  logifdl)e.  ©obalb 
fie  ftd)  ben  (Sinflüffen  ber  n)ecf)feluben  ^lußenmelt  oerf^ließt, 
fann  fie  aud)  ni(i)t  mel)r  neue  5lnfc^auungen  fcl)affen,  fonbern 
nur  bie  fcl)on  gerconnenen  fo  orbnen,  bag  bie  Sßiberfprüd^e 
au§  i^nen  t)erfcl)n)inben.  2lufl)ebung  ber  2öiberfprüd)e,  ©e^ 
loinnung  einer  einl)eitltd)en  3lnfc^auung,  Söfung  aller  ^ro* 
bleme,  hk  hux6)  bie  2ßiberfprüd)e  gefegt  merben,  ba§  ift 
t)a§  2Bir!en  be§  benfenben  (Seifte§.  %amit  fann  er  aber 
ben  geraonnenen  ibeologifd^en  Überbau  nur  befeftigen,  nid^t 
oiber  fid)  felbft  ergeben.  S^^ur  'i^a^  5luftreten  neuer  Sßiber* 
fprücl)e,  neuer  Probleme  fann  eine  n)irflid)e  gortenttoidlung 
bemirfen.  ^er  menfdjlic^e  ®eift  fd)afft  aber  nid)t  au§  fiel) 
felbft  l)erau§  SÖßiberfprüd^e  unb  Probleme;  fie  merben  in 
t^m  nur  erzeugt  burc^  (£inn)ir!ungen  ber  Ummelt  auf  il)n. 

©obalb  bie  moralifcl)en  ©a^ungen  fid)  rerfelbftänbigen, 
^ören  fie  bal)er  auf,  ein  (Clement  be§  gefellfd)aftlid)en  gort* 
fc^ritt§  gu  fein,  ©ie  t)er!nöd)ern,  rcerben  ein  !onferoatit)e§ 
Clement,  ein  §inberni§  beg  gortfd)ritt§.  @o  fann  in  ber 
menfd)lid)en  (S5efellfd)aft,  wa§  in  ber  tierifd)en  unmöglid), 
ßautSfi),  (Sttjtf  unb  matertalirttfc^e  @efcf)id^t§auffQrfung.  9 


130  2)ic  (Sttjif  be§  2«Qq:i§mu0 

bie  SJIoral  au^  einem  unentbe!)rlid)en  gufaTnmen!)altenben 
33inbeglieb  gu  einem  5!Jlittel  unerträglicher  @infd)nürung 
be§  gefellfd)aftlid)en  Seben§  rcerben.  ^a§  ift  aurf)  eine 
2QBcd)jeln)irtung,  aber  feine  im  8inne  unferer  antimateria? 
Uftifc^en  @tl)ifer. 

^ie  ©egenfälje  gn)if(i)en  beftimmten  moralifc^en  ©a^ungen 
unb  beftimmten  gefe((fd)aftlicf)en  Sebürfniffen  fönnen  fd)on 
in  ber  primitiven  ©cfellfd)aft  eine  gerciffe  ©tärfe  erreid)en; 
fie  merben  aber  bann  nod)  tiefer  burd^  ba§  ^Inffommcn 
ber  ^laffengegenfd^e.  Qft  in  ber  flaffenlofen  ©efe((fcf)aft 
ba§  3Sert)arren  bei  beftimmten  moraIi](i)en  Sa^ungen  nur 
eine  (Sad)e  ber  @en)o{)n{)eit,  ift  gu  iljrer  Überrainbung  nur 
bie  Ma(i)t  ber  (55emof)nf)eit  gu  befiegen,  fo  mirb  von  nun 
an  bie  2lufred)terf)altung  beftimmter  moraIifrf)er  ©a^ungen 
aud)  eine  ©ad^e  be§  Qntereffe^,  oft  eine§  fef)r  mäd)tigen 
Qntereffe§.  Unb  nun  fommen  auc^  SO^ittet  ber  ©emalt, 
be§  pf)r)fif(^en  QwanQ^§  auf,  bie  ausgebeuteten  klaffen 
nieberjufialten,  unb  biefe  graangSmittel  rcerben  ebenfalls 
in  ben  ®ienft  ber  „TloxaV  geftedt,  gur  Befolgung  fitt* 
licf)er  5Rormen,  bie  im  Qntereffe  ber  f)errfd)enben  klaffen 
liegen. 

^on  berartigen  ^n^fi^Ö^i^itteln  fann  bie  ftaffenlofe  ©efelt^ 
fcf)aft  abfe{)en.  Sßo^l  reirf)en  aud)  in  if)r  bie  fo^ialen  Slriebc 
nic^t  immer  an§,  von  jebem  Qnbiüibuum  bie  33efolgung 
ber  moralifd)en  ©a^ungen  gu  erreid)en;  bie  ©tärfe  ber 
fo^ialen  Striebe  in  ben  t)erfd)iebenen  J^nbiüibuen  ift  ja  fe{)r 
r>erfd)ieben,  unb  ebenfo  bie  ber  anberen  triebe  ber  ©etbft^ 
er!)altung  unb  gortpflanjung.  9flid)t  immer  behalten  ba 
bie  erfteren  bie  Dberf)anb;  aber  a(§  SJlittel  be§  gmangeS^ 
ber  ©träfe,  ber  2lbfd)redung  für  anbere  genügt  in  fo(d)en 
gätten  für  bie  flaffentofe  ®efeafd)aft  bie  öffentlid^e  931ei* 
nung,  bie  9Jleinung  ber  @efe((fd)aft.  ^iefe  fd)afft  nid)t 
ba§  ©ittengefe^  in  unS,  t>a§  ^f(id)tgefüf)l.  ^a§  (S^emiffeu 
ift  aud)  bann  in  un§  mirffam,  menn  niemanb  un§  beob^ 
achtet  unb  bie  SHad^t  ber  öffenttidien  SSJleinung  gang  au§- 


2)ie  ©Ölungen  bev  Tloxal  131 

gefd)altet  bleibt;  e§  fann  un§  unter  Umftänben  in  einer 
©efellfc^aft,  bie  t)on  ^taffengegenfä^en  unb  einanber  raiber* 
fprerf)enben  fittlic^en  S^ormen  erfüllt  ift,  ^rcingen,  ber  öffent* 
lirf)en  9Heinung  ber  S[JJel)rl)eit  gu  trogen. 

2lber  bie  öffentticl)e  SJ^einung  wxxtt  in  einer  flaffenlofen 
@efellfd)aft  al§  ein  au§reicf)enbe§  SO^ittel  ber  ^olijei,  ber 
öffentlidl)en  Befolgung  ber  fittlicl)en  D^ormen.  ^a§  ^n'öU 
oibuum  ift  ber  ©efellfd)aft  gegenüber  fo  nid)tig,  baß  e§ 
gar  nid)t  hk  ^raft  l)at,  il)rer  einmütigen  (Stimme  ^u  trogen, 
^ieje  mirft  völlig  erbrücfenb,  fo  ha}^  e§  ha  rceiterer  Qroangg? 
unb  (Straf mittel  nicl)t  bebarf,  um  hm  ungeftörten  3Serlauf 
be§  gefellfd)afttirf)en  Sebenä  §u  fiesem.  Slucl)  lieute,  in  ber 
^laffengefellfcf)aft,  fel)en  rcir,  ba§  bie  öffentlid)e  5!JIeinung 
ber  eigenen  klaffe,  ober,  mo  man  fie  ü erlägt,  ber  S^laffe 
ober  Partei,  ber  man  fid)  anfcl)liegt,  mächtiger  ift  al§  alle 
grcangSmittel  be§  ©taate§.  Werfer,  ©lenb,  ben  ^ob  gie^t 
man  ber  (2d)anbe  nor. 

5lber  bie  öffentli(^e  ^Jleinung  ber  einen  klaffe  mirft  ni&jt 
auf  bie  gegnerifcfie  klaffe.  2Bol)l  fann  bie  ©efeKfcliaft,  fo* 
lange  e§  feine  ^laffengegenfä^e  in  il)r  gibt,  burcf)  bie  Tlad)t 
il)rer  5Dleinung  ha§  einzelne  J5nbiüibuum  im  Qaume  l)alten 
unb  5ur  Befolgung  i^rer  ©ebote  Urningen,  menn  ber  fo§iale 
2rieb  in  feiner  ^ruft  ba^u  nid)t  au^reicf)t.  Slber  hk  öffent* 
licl)e  50^einung  tierfagt,  mo  nic^t  ba§  J^nbioibuum  mibcr 
bie  ©efellfc^aft,  fonbern  klaffe  rciber  .klaffe  ftel)t.  ^a  mup 
bie  l)errfcf)enbe  klaffe  anbere  3n)ang§mittel  eingreifen  laffen, 
mill  fie  firf)  burcl)fe^en,  Mittel  ber  überlegenen  pl)t)fif^en 
ober  öfonomifc^en  9Jla(f)t,  ber  überlegenen  Drganifation, 
aber  audl)  ber  überlegenen  J^ntelligeng.  Qu  ben  ©olbaten, 
^olijiften  unb  9^icf)tern  gefellen  fid)  nun  aud)  bie  Pfaffen 
al§  §errfc^aft§mittel,  unb  gerabe  ber  fird)lid)en  Crgani- 
fation  fällt  je^t  bie  befonbere  Slufgabe  ^u,  hk  überfommene 
3D^oral  gu  fonfeioieren.  ^iefe  ^erbinbung  jn)tfd)en  Dieligion 
unb  5Jloral  t)olljiel)t  fid)  um  fo  leid)ter,  al§  hk  neuen  Üteli- 
gionen,  bie  fid)  §ur  Qeit  be§  33erfalle^  beg  urn3Üd)figen 


132  2)te  (5tt)i!  be§  9}iavji0nui§ 

5^ommum§mu§  unb  ber  G^cnti(gefenfcl)aft  bilben,  in  ftartem 

©egenfa^  ftef)en  gu  ben  alten  Sf^atnrreligionen,  beren  SBurjeln 

in  bie  flaffentofe  Qcxt  ^inabretd)en  unb  bte  feine  befonbere 

^ricftevfd)aft  fcnnen.    ^n  ben  alten  D^eligionen  finb  (^ott^ 

l)eit  unb  (£tl)i!  burdE)au§  nic^t  niiteinanber  oerbuubcn.  ^ie 

neuen  ^Religionen  bagegen  ent)ad)fen  auf  bcm  53oben  jener 

^l)ilofopl)ie,  bie  bie  ©tl)i!  unb  hm  ©lauben  an  bie  (Sott* 

l)eit  unb  an  ein  Qenfeit^  auf§  engfte  ntiteinanber  nerlnüpft, 

ben  einen  galtor  burd)  ben  anbeten  ftü^enb.  ©eitbem  finb 

9ieligion  unb  ©tl^i!  al§  §errf(i)aftgmittel  innig  miteinanbev 

üerbunben.     2Cßol)l  ift   ba§   ©ittengefe^   ein   ^robuft   bev 

fojialen  92atur  be§  5Jienfc£)en;  n)ol)l  finb  bie  jeweiligen  fttt* 

iici)en   9^ovmen  ^robufte    befonberer    gefellfc^aftlicl)er  58c« 

bürfniffe;  n)ol)l  l^aben  bie  einen  rcie  bie  anberen  mit  ber 

^Religion  nid)t§  ju  tun.    Slber  jene  2lrt  ron  9Jloral,  bie 

t)em  33olfe  im  Qntereffe  ber  l)crrfd)enben  klaffen  erl)alten 

tüerben  muß,  fie  bebarf  alterbingg  bringenb  ber  9ieügion 

unb   be§   ganzen  fird)li(f)en  Drgani§mu§   gu  il)rer  ©tü^e. 

Oline  biefe  bräd)e  fie  nod^  fd)neller  gufammen,  aB  e^  ol)nes 

i}'m  gefd)ie'^t. 

c.  5llte  unb  neue  SDIoral. 

!ge  länger  aber  bie  überlebten  moralifd)en  (Sa^ungen  in 
^xaft  bleiben,  inbe§  bie  öfonomifdje  ©ntmidlung  fortfd)reitet 
unb  neue  gcfellfd)aftr.c^e  SSebürfniffe  fd)afft,  n)eld)e  neue 
fittlid)e  S'Zormen  erforbern,  um  fo  gröJ3er  mirb  ber  äßiber« 
fprud)  jn)ifd)cn  ber  ^crrfc^enben  ?Obral  ber  ®efellfd)aft  unb 
bem  Seben  unb  Streben  il)rer  ^Jlitglieber. 

Slber  biefer  20ßiberfprud)  äußert  fid)  in  ben  t)erfd)iebenen 
S^laffen  auf  t)erfd)iebene  Sßeife.  "^^ie  fonferoatinen  klaffen, 
jene,  beren  ©iifteng  auf  "ben  alten  gefellfc^aftlid)en  ^e« 
bingungen  berul)t,  galten  feft  an  ber  alten  93loral.  Qebod^ 
nur  in  ber  3:l)eorie.  Qu  ber  ^raj:i§  fönnen  fie  fid)  !eine§= 
fall§  ben  ®inmir!ungen  ber  neuen  gefellfd)aftlid)en  S3e* 
bingungen  entgie^en.  '^cx  befannte  Sßiberfprud)  ^n)ifd)en 
ftttlid)er  3:l)eorie  unb  ^raj:i§  fe^t  l)ier  ein.  @r  gilt  mand)em 


3)ie  ©a^ungen  ber  SD^oroI  133 

a(§  zin  D^aturgefe^  ber  SJlorat;  beren  gorberungen  er^ 
fd^einen  al§  etraag  fe{)r  2Öunfrf)en§n)erte§,  aber  Unerfü(I== 
bareg.  '3)er  SOßiberfprud^  3n)ifcE)en  5tf)eorie  unb  ^ra^g  in 
ber  SKoral  fann  aber  I)ier  rcieber  graeiertei  formen  an= 
nef)men.  klaffen  unb  Qnbioibuen  roK  ^raftgefüf)l  feiert 
firf)  offen  über  bie  Jo^^^ßi-'it^Ö^^  '^^^  überlieferten  ©ittlic^* 
feit  -E)inraeg,  beren  S^otrcenbigfeit  für  bie  anberen  fie  woi)l 
anerfennen.  klaffen  unb  3i^bix)ibuen,  bie  fid)  fc^raad^  füllen, 
übertreten  bagegen  ^eimlid^  bie  fittli(i)en  (Gebote,  bie  fie 
öffentlich  prebigen.  (So  frf)afft  biefe  ^^afe  je  nad^  ber 
l)iftorifd)en  Situation  in  hm  untergel)enben  klaffen  ent- 
lüeber  Qx)n\§mu§  ober  §eucl)elei.  G5leidl)5eitig  aber 
fc^rcinbet,  wie  rctr  gefel)en,  gerabe  in  biefen  klaffen  leid)t 
bie  ^raft  ber  fojialen  triebe  infolge  be§  ®rftarfen§  ron 
©onberintereffen,  foioie  ber  SO^ögli(i)feit,  fitf)  in  hm  au§^ 
gufec^tenben  kämpfen  burrf)  SJlietünge  erfe^en  ju  laffen 
unb  hm  ©infa^  ber  eigenen  ^erfi3nlicl)feit  gu  rermeiben. 

2(lle§  ba§  erzeugt  in  fonfert)atioen,  namentlid^  lierrfc^en* 
ben  klaffen  jene  ©rfd) einungen,  hie  man  unter  bem  S^amen 
ber  Unfittlicl)feit  gufammenfa^t. 

9HaterialiftifdE)e  @tl)ifer,  benen  bie  moralifc^en  ©a^ungen 
blo§  fouDentionelle  Spfloben  finb,  leugnen  bie  SJlöglid^feit 
einer  berartigen  Unfittlid)feit  al§  gefellfd)aftlicf)er  @rfd)ei^ 
nung.  %a  alle  ©ittlicl)feit  relatix),  fei  ha§,  xva§  man  Un* 
fittlic^feit  nennt,  eben  nur  eine  t)on  ber  unferen  abrceid^enbe 
2lrt  ber  8ittlid)!eit. 

2lnbererfeit§  gieljen  ibealiftifrf)e  @tl)ifer  au§  ber  ^atfad^e, 
ha^  e§  ganje  unfittlid^e  klaffen  unb  ®efellfcf)aften  gibt,  hm 
©(i)lu^,  ba§  e§  and)  eine  eraige,  üon  Oiaum  unb  Qeit  un^ 
abhängige  ©ittlid^feit  geben  muffe,  einen  üon  ben  mec^feln* 
ben  gefellfd)aftlicl)en  QSerljältniffen  unabhängigen  9Jlagftab, 
an  bem  man  bie  5D^oral  jeber  @efellfrf)aft  unb  klaffe  meffen 
fönne. 

Seiber  aber  ift  jeneg  (Clement  ber  menfc^lid^en  5iJloral, 
ba^,  menn  aud)  nicl)t  oon  9laum  unb  Qeit  unabhängig,  fo 


134  2)ie  (gt^if  be§  $marji§mu§ 

bod^  älter  al§  bie  rcedifetnbcn  gefe(lfd)aft(id)eu  33er{)ä(tntffe 
ift,  bie  {oktalen  3:rtebe,  gerabe  jenel,  'i)a§  bie  tnenf(i)licf)e 
9Jloral  mit  bcr  tierifrf)en  gemein  ^at  20ßa§  aber  fpejififd) 
menfd)lid)  an  ber  SJ^oral,  bie  fittüc^en  92ormen,  ift  ftetem 
2ße(i)fel  untermorfen.  ®a§  bemeift  jebocf)  nicf)t,  baj?  eine 
klaffe  ober  gefellf(i)aftlid^e  G^ruppe  nic^t  unfittlid)  fein  fann, 
e§  bemeift  bloJ5,  ba^  e§,  menigften§  voa§  bie  fitt(id)en  92ormen 
anbelangt,  ebenfomenig  mie  eine  abfohlte  Sittlidjfeit,  eine 
abfolnte  Unfittlid)feit  gibt.  5lud)  bie  Unfitttid)feit  ift  in  biefer 
58e3ief)ung  ein  relativer  Segriff.  5Il§  abfolute  Unfittlid)feit 
fann  man  nur  ba§  5^l)Ien  ber  fojiaten  triebe  unb  Saugen* 
ben  anfel)en,  bie  ber  ^m\d)  von  ben  fo^ialen  2:ieren  über- 
nommen l)at 

33etracE)tet  man  bagegen  bie  Unfittlidjfeit  al§  3SerfeI)lung 
gegen  ©a^ungen  ber  SJZoral,  bann  bebeutet  fie  nid)t  ba§ 
2lbraeicf)en  t)on  einem  beftimmten,  für  aUe  Qeiten  unb  Sänber 
geltenben  5DRa^ftab  ber  (5ittti(i)!eit,  fonbern  ben  Sffiiberfprud) 
ber  fitttidien  ^ra^ng  gegen  bie  eigenen  fitt(id)en  (SJrunbfä^e, 
bebeutet  fie  bie  Übertretung  t)on  fittlid)en  DIormen,  bie  man 
felbft  al§  notrcenbig  anerfennt  unb  forbert.  (£§  ift  bal)er 
ein  Unfinn,  beftimmte  fittlid)e  DIormen  irgenb  eine§  S3ol!e§ 
ober  einer  klaffe,  bie  al§  fold)e  anerfannt  merben,  be§^a(b 
für  unfittlic^  gu  erüären,  mei(  fie  unferen  eigenen  fitt(id)en 
S^ormen  miberfpre^en.  ®ie  UnfittUd)!eit  fann  ftet§  nur 
ein  5lbn)eid)en  r>on  ber  eigenen,  nie  ton  frember  ?[Roral 
fein.  *3)iefelbe  ©rfdieinung,  etraa  freier  gefd)led)tli(^er  3Ser* 
fel^r  ober  ©Ieirf)gültigfeit  gegen  ha§  Eigentum,  fann  in 
bem  einen  galle  ba§  ^robuft  fittlic^er  gäulni§  fein  in  einer 
(SJefetlfd^aft,  bie  bie  ftrengfte  ®ine{)e  unb  bie  größte  ^eilig* 
feit  be§  @igentum§  al§  notmenbig  anerfennt;  fie  fann  in 
einem  anberen  galle  ba§  f)0(^fittlid)e  ^robuft  eine§  fef)r 
gefunbcn  gefellfcf)aft(id)en  Drgani»mu§  fein,  beffen  Sebürf* 
niffe  meber  ba§  fefte  Privateigentum  an  einer  grau  nod) 
ba§  an  beftimmten  J^onfumtion^-  unb  $robuftion§mitteIn 
erf)eifd)en. 


S)ie  ©Übungen  ber  Floxal  135 

d.  %a§  fittlt^e  ^beal. 
3lugert  ficf)  aber  ber  tüad)fenbe  Sföiberfpmcf)  5n)tfd)en  bcn 
tt)ed)felnben  gefell]cf)aftli(i)ett  35ebingimgen  unb  ber  ftag* 
nierenben  5[Roral  h^i  ben  fonfernatben,  namentlich  ben 
{)eriicf)enben  klaffen,  in  fteigenber  llnfittlicf)!eit,  3^nat)me 
t)on  §euc^elei  unb  ^i^^^i^^i^^/  ^i^  oft  norf)  §anb  in  §anb 
ge{)t  mit  einer  @(^n)äci)ung  ber  jovialen  Striebe,  fo  fü^rt  er 
ju  gan^  anberen  ©rgebniffen  in  ben  aufftrebenben  unb  auB^ 
gebeuteten  klaffen.  J^^re  ^ntereffen  ft^^ß^  int  roUften 
©egenfa^  gu  ber  geferif{i)aftlid)en  ©runblage,  bi^  bie  l^err^ 
fc!)enbe  5iJ^oral  fd)ufen.  ©ie  {)aben  nid)t  ben  minbeften 
©runb,  an  i!)r  ^u  f)ängen,  fte  f)aben  allen  0runb,  \f)X  znU 
gegengutreten.  Qe  mel^r  fte  fic^  il)re»  @egenfa^e§  gur  lierr^ 
f(i)enben  gefellf(^aftlidE)en  Drbnung  bercugt  rcerben,  befto 
ftärfer  n)ä(f)ft  au&)  il)re  fittlii^e  ©mpönmg,  befto  mel)r 
fe^en  fie  ber  alten,  überfommenen  9Jloral  eine  neue  ent« 
gegen,  bie  fte  al§  9Jloral  ber  ganzen  ©efellfct)aft  burrf)fe^en 
wollen.  ©0  erftel)t  in  ben  auffteigenben  klaffen  ein  fitt« 
li(^e§  Qbeal,  ha§>  immer  fü^ner  mirb,  je  mel)r  biefe  klaffen 
an  ^raft  geminnen.  Unb  glei(i)jeitig  rcirb,  mie  rair  gefe^en 
l)aben,  gerabe  in  benfelben  klaffen  auc^  bie  ^raft  ber  fo^ialen 
Slriebe  burd)  ben  ^laffenfampf  befonber§  entiüid elt,  fo  ba§ 
mit  ber  ^ül)n^eit  be^  neuen  fittlicl)en  ^beal§  audl)  bk  ^e* 
geifterung  bafür  mäd^ft.  ^iefelbe  ©ntmiiflung  alfo,  bie  in 
fonfert)atit)en  ober  untergel)enben  klaffen  n)ad)fenbe  Um 
fittli(i)feit  probujiert,  erzeugt  in  bzn  auffteigenben  in  p* 
ne^menbem  9Jlage  eine  ©umme  oon  ©rfd) einungen,  bie  mir 
unter  bem  Dramen  be§  etl)ifd)en  ^bealiBmuä  gufammem 
faffen,  ber  mit  bem  pl)ilofopl)ifrf)en  ni^t  üeri^ed^felt  merben 
barf.  (55erabe  biefe  auffteigenben  klaffen  neigen  oft  jum 
pl)ilofopl)ifd)en  5[Rateriali§mu§,  bem  bie  untergel)enben  t)on 
htm  5[Roment  an  miberftreben,  al»  fie  ftd)  beffen  bemu§t 
merben,  bag  bie  2öirfüd)!eit  ba§  ^obeSurteil  über  fie  au§s 
fpricl)t,  ha^  fie  nur  nod)  von  übernatürlicf)en,  güttlicl)en  ober 
etl)ifd)en,  9Jläd)ten  ütettung  ermarten  bürfen. 


IM  3)ie  (5tf)if  bc§  iDkn-iSmu^ 

1)er  ;3nf)alt  be§  neuen  fittlt(f)en  QbeaB  ift  nid)t  immer 
ein  fe()r  üarer.  (£r  9e{)t  !)eroor  nicf)t  au§  ivgenb  einer 
tiefen  n)iffenfd)aftlic^en  (£rfenntni§  be§  gejellfd)aftli(i)en 
Drgani§mu§,  ber  ben  Ur!)ebern  be§  3^^^^^  üielfacf)  gan^ 
unbefannt  ift,  fonbern  au§  einem  tiefen  gefe((fd)aftlicE)en 
33ebürfni§,  einem  f)eigen  ©e()nen,  einem  energifc^en 
SOß ollen  nac^  ürva§  anberem  al§  bem  ^eftel)enben,  nac^ 
etraag,  maS  ha§  @e genteil  beg  58efte()enben  ift.  Unb  fo 
ift  and)  biefe§  fittlirf)e  Qbeal  im  ß^runbe  nur  ztma§  rein 
^Zegatioeg,  md}t§  aU  ber  ©egenfa^  gur  l)errfd)enben  ©itt- 
Iid)feit. 

8eitbem  e§  eine  ^laffengefellfcl)aft  gibt,  fd^ü^t  aber  bie 
!)errfd)enbe  ©ittlicl)!eit,  fobalb  fic^  ein  fc^arfer  ^laffengegen* 
fa^  gebilbet  l)at,  ftet§  Unfreil)eit,  Ungleid)l)eit,  2Iu§^ 
beutung.  Unb  fo  ift  benn  au(^  ha§  fittlic^e  Qbeal  auf- 
ftrebenber  klaffen  in  l)iftorifd)er  Qät  ftet§  anfcf)einenb  ba§* 
felbe  gercefen,  ftet§  jeneS,  ba§  hk  franjöfifdie  9fiex)olution 
gufammenfagte  in  ben  2Borten:  greil)eit,  ®leid)^eit,  trüber* 
Iirf)feit.  @§  fc^ien,  al§  fei  bie§  :5beal  unabl)ängig  üon  S^laum 
unb  Q^it  in  jebe  9J^enfd)enbruft  gepflanzt,  al^  fei  e§  bie 
5lufgabe  be§  3!Jlenfd)engefd)led)te§,  feit  feinem  beginn  bem* 
felben  fittlid)en  Qbeal  narf)5uftreben,  al§  beftel)e  bie  (^nU 
rcidlung  ber  3[Renfc£)l)eit  in  ber  allmäl)li(^en  5lnnä^erung 
an  biefeS  Qbeal,  ba§  il)r  ununterbrod)en  t)orfd)n)ebe. 

3lber  menn  voix  näl)er  gufe^en,  fo  finben  mir,  ba§  bie 
Übereinftimmung  be§  ftttlic^en  QbealS  ber  t)erfd)ieb enen  l)ifto* 
rif(i)en  ^erioben  nur  eine  fe^r  oberfläcl)lid)e  ift,  unb  ba^ 
l^inter  i^r  fel)r  gro^e  3Serfd)iebenl)citen  ber  gefe(lfcl)aftlid)en 
giele  liegen,  bie  hm  3Serfd)iebenl)eiten  ber  jemeiligen  gefell* 
fd)aftlicl)en  Situation  entfpred)en. 

SSergleid^en  mir  nur  ba§  ©l)riftentum,  bie  franjöfifdie 
Dieoolution,  bie  l)eutige  Sogialbemofratie,  fo  finben  mir, 
bag  greil)eit  unb  ®leid)f}eit  für  jebe  t)on  il)nen  etma^  ganj 
anbereS  bebeuteten,  je  nad)  il)rer  (Stellung  jum  Eigentum 
unb  gur  ^robuftion.    '2)a§  Urd)riftentum  oerlangte  nad) 


!Die  ©Übungen  ber  Floxal  137 

ber  @Ietd)f)eit  be§  ©igentiim^  in  ber  ^lißeife,  bag  e^  feine 
gleicf)e  Seiinng  nnter  ade  jngn^ed'en  be§  ^onfnm§  forberte. 
Unb  unter  ber  grei^eit  nerftanb  q§  hk  Befreiung  t»on  aller 
2Irbeit  n)ie  fie  aud^  ben  Milien  anf  h^m  gelbe  gnteil  rcirb, 
hk  nid)t  fpinnen  unb  nid^t  xv^h^n  unb  fid)  bocf)  il)reä  Seben§ 
freuen. 

^k  fran§öfifcf)e  Ü^eoolution  rcieber  üerftanb  unter  ber 
©lei(^l)eit  bie  @leicl)l)eit  be§  (£igentum§red)te§.  %a§ 
private  Eigentum  felbft  erflärte  fie  für  ^eilig.  Unb  bic 
it)a^re  greil)eit  rcar  für  fie  bie  g^ei^eit,  ba§  (Eigentum  im 
irirtfd^aftlii^en  2^hm  nacl)  (5)utbünfen  mi3glid)ft  profitabel 
ansuroenben. 

%k  ©osialbemofratie  enbli^  fdjraört  rceber  auf  ba§ 
prioate  Eigentum  norf)  Derlangt  fie  feine  Steilung.  @ie 
©erlangt  feine  33ergefellfcl)aftlid)ung,  unb  bie  ©leid^^eit,  bie 
fie  anftrebt,  ift  ha§  gleic£)e  ^Inred^t  aller  auf  hk  ^robufte 
ber  gefellf(i)aftlid^en  2lrbeit.  ^ie  gefellfcf)aftlicl)e  Jrei^eit 
enblirf),  bie  fie  forbert,  ift  rceber  bie  33efreiung  t)on  ber 
3lrbeit  nod^  bie  greilieit,  nad)  belieben  über  hk  ^robu!tion§^ 
mittel  5U  verfügen  unb  gu  probu^ieren,  fonbem  bie  ©in^ 
fd)rän!ung  ber  notmenbigen  2lrbeit  burd^  §eran5iel)ung 
aller  2lrbeit§fäl)igen  gur  ülrbeit  unb  burc^  auSgebe^ntefte 
5lnmenbung  arbeitfparenber  5SJlafd)inen  unb  9Jletl)oben.  3luf 
biefe  SOßeife  foU  bie  notrcenbige  Slrbeit,  bie  feine  freie  fein 
fann,  fonbem  eine  gefedfc^aftlicE)  geregelte  fein  mug,  auf 
ein  SJlinimum  für  jeben  rebu^iert  unb  jebem  eine  au§i 
retd)enbe  Qeit  ber  greilieit  gefid)ert  merben,  ber  freien  fünft* 
lerifcl)en  unb  n)iffenfd)aftlidE)en  Betätigung,  beg  freien  Seben§* 
genuffe§.  (S5efellfd)aftlid)e  grei^eit  —  oon  ber  politifd)en 
fel)en  mir  l)ier  ab  —  burd)  möglic^fte  9}erfür3ung  ber  not* 
mcnbigen  5lrbeit§5eit:  ba§  ift  bie  greil)eit,  bie  ber  moberne 
©05iali§mu§  meint. 

9JZan  fiel)t,  ba§  gleid)e  fittlid)e  ^beal  ber  greil)eit  unb 
©leid)l)eit  fann  fel)r  t)erfdl)iebene  gefellfc^aftlic^e  Qbeale  um* 
faffen.  ^ie  äu^erlid)e  Übereinftimmung  be§  fittlid)en  Qbeal§ 


138  5)ie  (St^if  be§  aWarjt§mu§ 

t)crfd)iebener  Qeiten  imb  Sauber  ift  aber  nic^t  bie  gö^se 
eine§  von  SRaxun  unb  Qeit  unab{)äugigen  ©ittengefe^e§,  ba§ 
bent  9JIenfd)en  au§  einer  übernatürUd)en  2ßelt  f)er  inne^ 
vool)nt,  fonbern  nur  bie  golge  bat»on,  bag  bei  aden  gefefi^ 
fd)aftUc^en  Unterfc^ieben  bie  ©runblinien  ber  ^(affenf)crr^ 
f(i)aft  in  ber  men]d)lic]^en  ©efe(lfd)aft  ftet:§  biefelben  ge^ 
blieben  finb. 

Qebod^  nidjt  bloß  au§  bem  ^laffengegenfa^  fann  ein 
neue§  fittlid)e§  Qbeal  erfte{)en.  5lucf)  inner{)alb  ber  fonfer^ 
ratiüen  klaffen  fann  e§  einzelne  :3nbit)ibuen  geben,  bie 
mit  xBirer  klaffe  gefel(fd)aftlicf)  nur  lofe  ^ufammen^ äugen 
unb  fein  ^laffenbemugtfein  entrairfelu.  '3)abei  aber  befi^en 
fic  ftarfe  fojiate  Slriebe  unb  ^ugenben,  bie  fie  jebe  §eud)elei 
unb  jeben  Qpnilmug  t)erabfd)euen  laffen,  unb  t)erfügen  über 
groge  ^ntelligenj,  bie  fie  ben  2öiberfprud)  jn)ifrf)en  bm 
überfommenen  moralifd)en  ©a^ungen  unb  ben  gefe[(fc^aft= 
lirf)en  ^ebürfniffen  flar  erfennen  Iä§t.  (3ol(i)e  Qnbioibuen 
muffen  ebenfalls  ba{)in  fommen,  für  fid)  neue  fittli(i)e  Qbeale 
aufjufteHen.  5lber  ob  biefe  ^'txtale  gefeIlf(jE)aftlirf)e  Straft 
er!)alten,  ba§  l)ängt  bar>on  ah,  ob  fie  in  ^(affenibeale 
münben  ober  nic^t.  9^ur  al^  2:ricb!raft  be§  ^(affcn!ampfe§ 
fann  ba§  fittlid^e  ^beal  frurf)tbringenb  rairfen.  ®enn  nur 
ber  ^laffenfampf,  nic^t  ha^  ©onberbeftreben  von  ©igen* 
bröblem  befi^t  bie  ^raft,  bie  ©efeUf(i)aft  meiter  gu  ent* 
micfeln  unb  hm  SSebürfniffen  ber  ^öf)er  enttüi(felten  ^ro* 
buftiofräfte  angupaffen.  Unb  foiüeit  ha^  fittlicf)e  Qbeal 
überl)aupt  t)ermirf(id)t  merben  fann,  ift  bie§  nur  burct)  eine 
^nberung  ber  @efeßf(i)aft  gu  errei(^en. 

(Sin  eigentümlid)e§  ^ed)  lüoKte  e§  freilid)  bi§l)er,  ba^  'oai 
fxttlid)e  Qbeal  nie  errei(i)t  marb.  %a§  mirb  leid)t  begreiflid), 
menn  man  feinen  Urfprung  betrad)tet.  ®a§  fittlic^e  Qbeal 
ift  nicf)t§  al§  ber  ^omplej  ber  2ßünfd)e  unb  ^eftrebungen, 
hiz  burd)  ben  (SJegenfa^  gum  beftef)enben  ^^ft«^^^  l^eroor- 
gerufen  merben.  (£§  ift  al§  STriebfraft  be§  ^laffenfampfeg, 
all  5iJ^ittel,  bie  Gräfte  ber  aufftrebenben  klaffen  gum  Kampfe 


3)ic  ©Ölungen  ber  SD^oval  139 

gegen  ba§  33eftef)enbe  ^ufammen^ufaffen  unb  an^uftadjeln, 
ein  ntäd)tiger  §ebel  ^ur  überrainbung  biefe§  SSeftel^enben. 
5lber  ber  neue  gefeEfd)aftIi^e  Q^f^^^^/  '^^^  ^^  ©teile  be§ 
alten  tritt,  pngt  nid)t  ron  ber  ©eftaltung  be§  fittli(i)en 
^beaB  ab,  fonbern  t)on  ben  gegebenen  materiellen  ^ebin* 
gungen,  ber  2:ecf)nif,  bem  natürlid)en  SJlilieu,  ber  5lrt  ber 
S'iaclibarn  unb  3Sorfal)ren  ber  beftel)enben  @efellfd)aft  ufra. 

©ine  neue  ©efellfcl)aft  !onnte  alfo  r»on  bem  fittlicl)en  ^beal 
berjenigen,  bie  fie  l)erbeigefül)rt,  leid)t  er^eblid)  abmeieren, 
um  fo  el)er,  je  meniger  bie  fittlid^e  (Sntrüftung  mit  Kenntnis 
biefer  materiellen  ^ebingungen  gepaart  mar.  %a§  ;3beal 
enbete  benn  auc^  bi§l)er  ftet§  mit  einem  ^a^enjammer,  er« 
n)ie§  fid)  al§  eine  QUufion,  nad)bem  e§  feine  l)iftorifd)e 
<5cl)ulbigfeit  getan  unb  al§  eintrieb  gercirft  ^atU,  ha§  Sllte 
ju  gerftören. 

SCBir  l)aben  oben  gefe^en,  mie  in  ben  !onfert»atit)en  klaffen 
ber  ©egenfa^  smif(i)en  fittli(i)er  Sll)eorie  unb  ^raji§  auf« 
taud)t,  fo  ha^  il)nen  bie  ©ittlid^feit  al§  etma§  erfcl)eint, 
n)a§  aKe  20ßelt  forbert,  aber  niemanb  ixbt,  etma§,  ma§  über 
bie  Gräfte  irbif(^er  2Befen  gel)t,  ma§  nur  überirbifd^en 
2ßefen  gu  üoU^ielien  gegeben  ift.  §ier  fel)en  mir  in  ben 
ret)olutionären  klaffen  eine  anbere  ^rt  be§  ©egenfa^e§ 
jraifd^en  ftttlidl)er  3:l)eoiie  unb  ^raji§  erftel^en,  ben  ©egen- 
fa^  gmifd^en  bem  fittlidl)en  Qbeal  unb  ber  burc^  bie  fo^iale 
9let)olution  gefcl)affenen  äöirflid^feit.  §ier  fcl)eint  miebe 
bie  (Sittlid)!eit  al§  üma^,  ma§  alle  2öelt  anftrebt,  niemanb 
erreicl)t,  al§  ba§  für  irbifcl)e  SCßefen  Unerreid^bare.  ^ein 
Sßunber,  ba^  bann  hk  @tl)i!er  vermeinen,  't)k  ©ittli(^!eit 
fei  übertrbifd)en  Urfprunge§  unb  unfer  tierifc!)e§  Sßefen, 
ba§  an  ber  @rbe  flebt,  fcl)ulb  baran,  bag  mir  il)r  ^ilb 
ftet§  nur  fe^nfuditSooK  oon  ber  gerne  anUUn  bürfen,  ol)ne 
e§  jemals  umfaffen  ^u  fönnen. 

93on  biefen  l)immlifcl)en  §öl)en  mirb  bie  (5ittlidl)!eit  bartf) 
i>Qn  l)iftorifd)en  50^ateriali§mu§  auf  bie  ®rbe  lierabgejogen. 
Sßßir  lernen  il)ren  tierif(i)en  Urfprung  erfennen  unb  fe^en. 


140  S)ie  (Stfjif  be§  SWoifiSmu^ 

roic  if)re  SBanblungeu  tu  ber  menfrf)(id)cn  ©cfeHfd)aft  bur^ 
bie  2ßanb(ungen  bebtngt  finb,  rceld)e  biefe  burc^mad)t,  an* 
getrieben  bnrd)  bie  ted)nifrf)e  ©ntiüicflung.  Unb  ba§  fitt* 
lid)e  Qbeal  luirb  un§  je^t  entf)ü(lt  in  feinem  rein  negativen 
Sf)arafter  al§  SBiberfpmc^  gegen  bie  beftef)enbe  fitt(id)e 
Drbnnng,  unb  feine  ^ebeutung  rcirb  erfannt  al§  Strieb- 
traft  be§  ^laffenfampfeg,  al§  Tlittd,  bie  Strafte  ber  reno* 
(utionären  klaffen  jufammengufaffen  unb  anzufeuern.  ©leic^* 
zeitig  rcirb  aber  aud)  ba§  fitt(ic!)e  Qbeal  feiner  rid)tung* 
gebenben  ^raft  entüeibet.  ?flx^t  t)on  unferem  fittlid)en 
Qbeal,  fonbern  t)on  beftimmten  gegebenen  materieden  S3e* 
bingungen  {)ängt  bie  3fiirf)tung  ah,  ireldie  bie  gefellfd^aft* 
Iid)e  (Sntn)id(ung  in  20ßirtlid)!eit  nimmt,  ^tefe  materiellen 
^ebingungen  l)aben  fd)on  in  frül)eren  ^erioben  in  geiüiffem 
(55rabe  ba§  fittli(^e  SGßoden,  bie  gefe(If^aftlicE)en  Qkk  ber 
aufftrebenben  klaffen  beftimmt,  aber  meift  unbemugt.  Ober 
n)enn  fcf)on  eine  bemühte  rid)tunggebenbe  fojiale  ©rfenntni^ 
r)orl)anben  mar,  mie  im  ad)t5e!)nten  :3al)rl)unbert,  ^at  fie 
bod^  unft)ftematif(^  unb  nidE)t  fonfequent  auf  bie  SSilbun^ 
ber  gefellfd)aftli(i)en  Qiele  eingemirft. 

®rft  bie  materialiftifc^e  ©efd)id)t§auffaffung  ^at  ha§  fitt« 
lid)e  Qbeal  al§  rid)tunggebenben  gaftor  ber  fogiaten  @nt* 
midlung  üöüig  bepoffebiert  unb  ^at  un§  gelel)rt,  unfere 
gefeßfd)aftlid)en  Qiele  au^fd^lie^lid)  au§  ber  @r!enntni§  ber 
gegebenen  materiellen  ©runblagen  abzuleiten,  ^amit  l)at 
fie  zum  erftenmal  in  ber  ©efd)id)te  ben  2Beg  gezeigt,  mie 
ein  3^trücfb(eiben  ber  revolutionären  2Gßirfli(i)!eit  l)inter  bcm 
gefellfc^aftlid)en  Qbcal,  rcie  Qü^tfionen  unb  @nttäufdl)ungen 
t)ermieben  merben  fönnen.  Ob  fie  aud)  mirflid)  vermieben 
n)erben,  l)ängt  ah  oon  bem  (S^rabe  ber  erlangten  (Sinfii^t 
in  bie  (Befe^e  ber  (gntrcidlung  unb  33eir)cgung  be§  gefeilt 
fd)aftlid)en  Drgani§mu§,  feiner  Gräfte  unb  Organe. 

'3)aburd)  mirb  ha§  ftttlid)e  Qbeal  ntd)t  fetne§  2ßir!en§ 
in  ber  @efellfd)aft  entfleibet,  biefe§  2Birfen  mirb  blog  auf 
fein  rid)tige§  3D^a§  rcbugiert.    SCßie  ber  foziale,  ber  fittlic^e 


t2)ie  ©a^ungen  ber  'SJloxai  .141 

%xxzh  ift  Qud)  ba§  fUttidE)e  J^beal  mdf)t  einfiel,  fonbern 
eine  ^raft  ober  eine  SÖöaffe  im  gefe(lf(i)aftli(i)en  Kampfe 
um§  "^afein;  ha§  ftttli(i)e  Qbeal  ift  eine  befonbere  SÖäaffe 
für  bie  befonberen  QSer^ältniffe  be^  5^Iaffen!ampfe§. 

Sind)  bie  ©ogialbemofratie  al§  Drganijation  h^§  ^role* 
tariat^  in  feinem  ^laffenfampf  fann  ha§  fitt(i(i)e  Qbeal, 
fann  bie  fittti(i)e  (Smpörnng  gegen  Sln^beutung  nnb  klaffen* 
E)erri(i)aft  nicf)t  entbef)ren.  SIber  hk§  Qbeal  f)at  nicl)t§  §n 
fu(i)en  im  n)iffenfd)aftlicf)en©05iali§mn§,  berrciffenfc^aft* 
li(f)en  (£rforfd)nng  ber  ©ntn)idlnng§=  unb  ^emegnngggefe^e 
be§  gefe{If(i)aftlid)en  Organismus  gum  ^toede  beS  @r= 
fennenS  bernotmenbigen  S^enbengen  unb  ^i^^^  '^eS  prole* 
tarifd)en  ^laffenfampfeS. 

greilid),  im  (Sozialismus  ift  ber  gorfd)er  ftetS  and)  ein 
Kämpfer,  unb  ber  SJlenfrf)  lägt  fid)  nic^t  fünft(id)  in  gmei 
^eile  gerfd)neiben,  r>on  benen  ber  eine  mit  bem  anberen 
nid)tS  5U  tun  f)at.  ©o  bri(^t  aud)  gum  ^eifpiel  in  einem 
SJlarj:  mitunter  bei  feiner  JDiffenf(^aftIicf)en  gorfd)ung  baS 
SCßirfen  eineS  ftttlid)en  QbealS  hmd).  5lber  er  ift  ftetS  be* 
mü£)t,  unb  mit  9lcd)t,  eS  auS  x^x  gu  verbannen,  fomeit  er 
oermag.  ®enn  baS  fittlic^e  Qbeal  mirb  in  ber  Sßßiffenfdjaft 
gu  einer  gel)(erqueUe,  rcenn  eS  fid)  anmaßt,  it)X  i()re  Qiele 
raeifen  ^u  moUen.  ^k  äßiffenfd^aft  ^at  eS  ftetS  nur  mit 
bem  ©rfennen  beS  D^Zotraenbigen  gu  tun.  (Sie  fann  moI)t 
bagu  fommen,  ein  ©öden  üor^ufdireiben,  aber  bieS  barf  ftetS 
nur  als  eine  ^onfequenj  ber  ®infid)t  in  baS  Slotrcenbige 
auftreten.  (Sie  mug  eS  bagegen  ablel)nen,  ein  Sollen 
auSfinbig  gu  mad)en,  baS  nid)t  alS  ^xm  in  ber  „2ßelt  ber 
(Srfd)einungen"  begrütibete  S^otmenbigfeit  erfannt  merben 
fann.  ®ie  ®tl)if  barf  ftetS  nur  dn  Objeft  ber  Sßiffen* 
fd)aft  fein;  biefe  l)at  bie  fittlid)en  triebe  mie  bie  fittlid)en 
J^beale  ju  erforfd)en  unb  begreif lid)  gu  mad)en;  fie  l)at 
aber  t)on  i^nen  feine  Sßßeifungen  gu  empfangen  über  bie 
9lefultate,  gu  benen  fie  ju  gelangen  l)at.  ^ie  20ßiffenfd)aft 
ftel)t  über  ber  ®tl;if,  il)re  Üiefultate  finb  ebenforcenig  fitt= 


142  2)ie  (Sttjif  be§  2«aryilmu0 

lirf)  ober  unfittUcf),  all  bie  9^ottüenbig!eit  fittlid)  ober  uu? 
fittltrf)  ift. 

Qnbe§  ift  aud)  bei  ber  ©cioinnung  unb  3Serbreitung 
tt)iffenfd)Qftlid)er  ®r!enutni§  bie  ©ittlirf)feit  nid)t  au§ge^ 
fd)altet.  S'Zeue  n)iffenfc^aftlict)e  ®rfenntni§  bebeutet  liäufig 
bie  3SerIe^ung  übcrfommener,  eingetniirselter,  p  feftcr  ©e* 
it)o^n{)eit  Qeioorbener  5(nfcf)auunge]i.  ^n  ®efel(fd)aften,  bie 
^(affengegenjä^e  umfaffen,  bebeutet  neue  n)iffenfd)aftli(i)e 
©rfeuutnig,  nameutlid)  foI(i)e  gefe(lfd)aftUcf)er  3^tf^<^J^^^' 
meift  aber  aucf)  bie  33erle^uug  ber  J^ntereffen  einzelner 
klaffen.  2ßiffenfd)aftlirf)e  ©rfeuntnil  finben  unb  üerbreiteu, 
bie  unvereinbar  ift  mit  ben  Qntereffen  ber  {)errfd)enben 
klaffen,  ^eigt  biefen  ben  ^rieg  erflären.  @§  fe^t  nic^t  blo^ 
f)o{)e  3"te((igenj  t)orau§,  fonbern  aud)  ^antpfe§fäf)igfeit 
unb  ^ampfelluft,  Unab{)ängig!eit  t)on  ben  ^err|d)enben 
klaffen,  aber  auc^  unb  nor  allem  ein  ftar!e§  fittlid)e§  (£mp? 
finben:  fraftüotle  fojiale  Slriebe,  einen  rüdfid)t§lofen  '3)rang 
nac^  ®r!enntni§  unb  ^Verbreitung  ber  20öa^r^eit,  ein  ^ei^eg 
^Verlangen,  ben  unterbrüdten,  aufftrebenben  klaffen  jubienen. 

^ber  aud)  biefel  le^tere  ^Verlangen  mirb  irrefülirenb, 
menn  e§  nid)t  blo§  negatio  auftritt,  al§  5Iblel)nung  ber 
5lnfprü(^e  ber  ]^errfd)enben  3lnfd)auungen  auf  ©ültigfeit 
unb  al§  eintrieb  gur  Überrainbung  ber  §inberniffe,  meld)e 
bie  gegnerifd^en  ^laffenintereffen  ber  gefellfc^aftlid)en  gort^ 
entmidlung  entgegentürmen,  fonbern  menn  e§  barüber  f)inau§ 
rid)tunggebenb  auftreten  unb  ber  fojialen  ®r!enntni§  be* 
ftimmte  Qiele  meifen  miß,  bereu  @rreid)ung  fie  gu  bienen  ^at 

*3)aburd)  aber,  ha^  ba§  beraugte  Qiel  bei  Sllaffenfampfel 
im  n)iffenfd)aftlid)en  Sogialilmul  aul  einem  fittlid^en  Q^^cxl 
in  ein  ö!onomifd)el  tjermanbelt  mirb,  verliert  el  nid)t§  von 
feiner  (^rö§e.  ^enn  mal  bi§l)er  allen  Erneuerern  ber  ©efett- 
fd)aft  all  fittlid)el  Qbeal  üorfd)n)ebte  unb  von  il)nen  nic^t 
eu'eid)t  merben  fonnte,  baju  finb  je^t  pm  erftenmal  bie 
ö!onomifd)en  ^ebingungen  gegeben,  bal  fönnen  mir  gum 
erftenmal  in  ber  2ßBeltgefd)id)te  all  notmenbigel  Ü^efultat 


2)te  ©Ölungen  bet  Tloxal  143 

ber  öfonotnifc^en  ©ntiDtrf'tung  erfennen:  bte  5(uf^ebung 
b er  klaffen.  ^xfi)t  bie  2(uf^ebung  adev  beruf li(^en  Unter- 
fdE)tebe,  m(f)t  bie  Üluff)ebung  ber  5Irbeit§tei(ung,  n)of)l  aber 
bie  3luf^ebung  jener  gefeKf(i)aftIid)en  Unterfd)iebe  unb  ©egen- 
fä^e,  bie  au§  bem  Privateigentum  an  hm  ^robuftionS^ 
mittein  unb  au§  ber  au§fd)lie§lid)en  geffelung  ber  5!}laffe 
be§  3SoIfe§  an  bie  materielle  ^robu!tion§tätig!eit  entfpringen. 
%k  ^robuftionlmittel  finb  fo  gemaltig  geraorben,  bag  fie 
^eute  fc^on  ben  9^af)men  be§  ^riüateigentum§  fprengen. 
®ie  ^robuftiüität  ber  Slrbeit  ift  fo  gemaltig  gen)ad)fen, 
ha^  fieute  ]d)on  eine  er^eblicf)e  3Serminbeiiing  ber  2Irbeit^s 
§eit  für  a((e  3lrbeiter  möglici)  ift.  ©o  erraac^fen  hk  @runb* 
lagen  für  hk  2Iuf^ebung  nicf)t  ber  Slrbeit^teilung,  nid)t 
ber  Berufe,  aber  für  bie  ber  ©egenfä^e  t)on  arm  unb  reid), 
von  5(u§gebeuteten  unb  2Iu§beutem,  von  Unraiffenben  unb 
SÖßiffenben. 

@leid)5eitig  ift  aber  bie  31rbeit§teilung  fo  meit  gebieten, 
ba§  fie  autf)  jeneä  ©ebiet  erfaßt,  ha§  if)r  fo  üiele  ^al)X' 
taufenbe  lang  rierfd)(offen  geblieben,  ben  f)äu§licf)en  §erb. 
^ie  grau  mirb  non  i{)m  lo^gelöft  unb  in  ba§  ^ereid)  ber 
2lrbeit§teilung  !)ineingesogen,  ba§  fo  lange  ein  au^fd^lieg* 
lid)e§  9Jlonopol  ber  S[Ränner  geblieben.  %amxt  merben 
felbftoerftänblid)  nid)t  bie  natürlicl)en  Unterfc^iebe  au^? 
gelbfd)t,  bie  ^mif^en  9Jlann  unb  Seib  beftel)en;  ba§  fann 
auc^  noc^  mancl)en  gefellf(^aftlid)en  Unterfd)ieb,  foraie 
mand)en  Unterf(^ieb  ber  etl)ifd)en  gorberungen,  bie  an  fie 
geftellt  merben,  fortbeftel)en  laffen  ober  neu  erzeugen,  aber 
e§  mirb  fi(i)er  alle  jene  Unterfi^iebe  in  (BtacLt  unb  ©efell* 
fcl)aft  gn)ifd)en  if)nen  t)erfd)n)inben  laffen,  hie  au§  ber 
geffelung  ber  'i^xan  an  ben  prioaten  §au§^lt  unb  i^rer 
3lu§fcl)tiegung  oon  ben  33erufen  ber  2Irbeit5teilung  l)ert)or* 
gingen,  ^n  biefem  ©tnne  gel)en  mir  nicl)t  blo§  ber  2luf* 
^ebung  ber  Slu^beutung  einer  klaffe  burc^  eine  anbere, 
fonbern  auc^  ber  2luf^ebung  ber  Unterorbnung  ber 
grau  unter  hen  2J^ann  entgegen. 


144  2)ie  et^i!  be§  9)?Qvji0mu§ 

Unb  suöleid)  nimmt  bie  2ßeltmirtf(i)aft  folc^e  '3)imenfionen 
an,  merben  bie  internationalen  )t>irt]d)aftttd)en  ^Bejiefinngen 
fo  enge,  ba§  bamit  bie  (Srunblage  ermäd^ft,  anf  bei*  nad^ 
ÜberiDinbnng  be§  ^riüateigentnm^  an  ben  ^robnftionl* 
mittein  bie  Überrcinbnng  ber  nationalen  (S^egenfä^e,  ba§ 
5lnfl)ören  ber  Kriege  unb  ber  ^rieg§rüftungen,  emigev 
fjriebe  unter  ben  SSölfern  möglid)  ift. 

SÖßo  gäbe  e§  ein  fittlirf)e§  Qbeal,  ba§  l)errlicE)ere  5Iu§bli(Je 
eröffnete!  Unb  bod)  finb  fie  au§  nürf)ternen  öfonomifcl)en 
i8etracl)tungen  gemonnen  unb  nid)t  au§  ber  33eraufd)ung 
bur(^  bie  ftttlicl)en  Qbeale  ber  greil)eit,  ©leid)l)eit,  ^rüber^ 
lic^feit,  ©ered)tigfeit,  Humanität! 

Unb  biefe  5lu§bli(fe  finb  aud^  nid)t  ©rraartungen  ton 
^uftänben,  bieblog  fommen  follen,  bie  mirblop  münf(i)en 
unb  m ollen,  fonbern  5lu§bli(fe  auf  Quftänbe,  bie  fommen 
muffen,  bie  notmenbig  finb.  2lllerbing§  notrcenbig  nid^t 
in  bem  fataliftifd£)en  ©inne,  ba§  eine  l)öl)ere  ^Jla6)t  fie  t)on 
felbft  un§  fd^enfen  roirb,  fonbern  notrcenbig,  unterm eiblidf) 
in  bem  6inne,  mie  e§  untermeiblidt)  ift,  'öa^  bie  (Srfinber 
bie  %z(i)mt  terbeffern,  bag  bie  ^apitaliften  in  i^rer  Profit* 
gier  ba§  gange  mirtfd^aftlidl)e  Seben  ummäljen,  mie  e§  un= 
termeiblid)  ift,  ba^  bie  Sol)narbeiter  nad)  fürjeren  2lrbeit§5 
feiten  unb  l)öl)eren  Söl)nen  trad^ten,  bag  fie  fidl)  organifieren, 
ha^  fie  bie  ^apitaliftenflaffe  unb  bereu  ©taatSgemalt  be* 
friegen,  mie  e§  unoermciblicl)  ift,  ha^  fie  narf)  ber  politifd^en 
bemalt  unb  bem  Umfturg  ber  ^apitaliftenl)errf(f)aft  trad)ten. 
%^x  (Sogialigmui  ift  untermeiblidl),  meil  ber  ^laffenfampf, 
njeil  ber  (Sieg  be§  Proletariats  untermeiblirf)  ift. 


^, 


k3 


THE  LIBRARY 
UNIVERSITY  OF  CALIFORNIA 

Santa  Barbara 


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STAMPED  BELOW. 


Series  9482 


yC  SOUTHERN  REGIONAL  LIBRARY  FACILITV 


(S)ie  fci^Ienbeti  9'lutmnern  flnl 


»anb 

1  Dr.  0,  ®rd|Ul0ft,  ceniVtrfiJtlungö- 
f^swrlf.  (5DartDin§  Sef)ve.)  aJUt  49  2Ib= 
bitbungen  im  Segt.   ©ebunben  Ü}L  3.— 

2  Sari  Baufaftg,  Earl  Klarx'  l^tko- 
nomifttit  Xplirctt.  ©emeinoerfiönblid^ 
bargefleüt.  14.2tuflage.  (Sebunben  3«.  2.- 

5  EarXBauföfty,  C^omae  Siore  uttö 
fein«  Mtopis.  iJUt  einer  ^iftorifc^en  @in: 
leitung.  dritte  2tuflage.  (Sebunben  3)2.3.— 

6  a.  ©et»sl,  Cliarle«  Courier.  Sein 
Seben  unb  feine  i^eorien.  ÜJJit  einem  ^^or» 
tx'it  gourierS  unb  einer  ^bbilbung  beä 
^^arauftereä.  3.2tufl.  Sebunben  3«.  2.50. 

mt  Porträt  Spinojaä.    a)ritte  2(ufIoge. 
©ebunben  Ti.  2.— 
9  B.  Bslicl,  :5le  3frau  ujti»  bsv  öoifa- 
(i0mu0. 140. Sauf enb.  (Sebunben  aJL  3.— 

10  XilTagaraa,  1>te  (Ss^diidiU  t>tv 
Mommunt  \^on  1871.  «ierte  Sluflage. 
SUuftriertc  Stuägabe.     Sebunben  m.  3.— 

11  ^xitbvirii  Cngel«,  2)Kr  Hrfpruttö 
ber  ^amuxE,  i>c»  prtuafsi^cnfumfl 
unb  be»  öfaafce.  14.  »Auflage.  (Se- 
bunben 3«.  1.50. 

la  Bari  Marx,  JDa»  (ßlen&  btv  piiUo- 
fopljir.  2tntn»ort  auf  ißroub^onä  „^§ilo=> 
fop^ie  beä  (£Ienb§".  5.  5(ufl.  (Seb.  a)i.  2.— 

13  Karl  Baut«h5,  31>a0  (Erf^urter  Pro- 
gramm in  feinem  grunbfä|lic^en  Seite. 
ll.2Iuflage.  (Sebunben  ^Di.  2,— 

14  Jfrtsbrttf]  (Stt0El0,  tfU  Xafie  i>cr 
arbritenörti  Klapc  in  (ßlHJlan^. 
Vierte  Sluflage.   (Sebunben  m.  2.50. 

16  Dr.  X  B.  6fmon,  2>tr  ©rCunbliftf«- 
pfltge  br0  ß)jtbr».  ;>(t^te  Siuftage. 
aJlit  34  Slbbilbungen  im  Sejt  unb  einer 
farbigen  Safet.    (Sebunben  5Uh  2.50. 

17  3fran{  IBelirittg,  3?«  Xrriiuö- 
Xf0tnbp.  3"r  (Sefc^id^te  unb  Äritit  beö 
preupifc^en  Sefpotiämuä  unb  ber  flafftfc^eii 
Literatur.  3)ritte  Sluflage.  U)ht  einem  neuen 
Sorraort.    (Sebunben  Ht.  3.— 

18  Dr.  1^.  Xux,  (£fienue  dTabet  unb  ber 
3farifc^eÄommuniämu§.  (Sebunben  Di. 2.— 

21  :Jrtrbritf|   <Bn^el&t   1|errn    (Sugrn 

^ü^rln00  Hmtuältung  btx  EOl'ffen- 

fiijaff.  8,  Slufloge.   (Sebunben  VI.  3.— 
24  BarllBarx.BBiJOluIlo»  u.  ßonfer- 

Br^0lution  in  ^eutrdilanb.   dritte 

aufläge.    (Sebunben  üi.  2.— 
26  a,  b,  c  Dr.  B.  ^ohsl,  Bu0  ITcbsn  unb 

M)ljrrn|"tfiaff .  (Sefammelte  *J3orträge  unb 

aiuffä^e.   3n  brei  Seilen. 
26  a   —   ITebrn   unii   STob.     gOuftriert. 

Vierte  Stuflagc.    (Sebunben  m.  2.— 
26  b  —  BItittsre  Buffäfir   unb   J3or- 

fräge.    4.  2iuflage.     (Sebunben  3)1.  2.— 

26  c  —  Mofe* ober  IJarVtiin?  (Sine 3(^u[' 
frage.  li.2luflage.  ©ebunben  3)1.  i. 50. 

27  Xinbrmann  (ö.  1^U0O).  6fäbfr- 
Irrrttialtung  unb  Muttinpal-6o$ia- 
Ii0mu0  in  (Snglanb.  2.  Sluflage.  DUt 
einem  neuen  iüorroort.  (Sebunben  3)1.  2.50. 

30  Bari  IXlarx,  3ur  Brifift  ber  yolt- 
fiftf|tn  J^rftottomi«.  SDritte  Stuflage, 
©ebunben  m.  2.60. 

83  Tito  l>tuUdi,  Berfiielin  llalirr  in 
$»il»lrl»tt.  (Erinnerungen  cineä  rufftfc&en 
«Heoolutionär«.  3)at  7  Porträts  unb  6  SQu. 
prationcn.  lo.Soufenb.  Sebunben  3)L 8.60. 


ä3anb 

35  Bai 

Mtliv'mttt.  2lu§'  bem  nod^gcloffenen 
3)tonuffript  ^3"^  ^ritif  ber  politifd^en 
Defonomie"  oon  Äarl  3}laxu.  heraus- 
gegeben oon  Äarl  Äautäl?.  (grfter  *anb. 
2.  2tuflage.   ©ebunben  3)h  6.— 

36 ,  graeiter  Sanb,  erfter  Seil.  2.  Sluflage. 

©ebunben  Ti.  b.— 

37  —  — ,  3roeiter  Sanb,  jroeiter  Seil. 
2.  Sluflage.  «preis  gebunben  3)1.  5.60. 

37  a ,   «Dritter  Sanb.     (Sc^lufe.)    ©e» 

bunben  3)2.  8.— 

38  Bari  Baui0fts,  ©tl^ift  unh  matrrla- 
li^«f  dir  (Srrdlidit«auf  f alT««0. 6-  unb 
7.  Saufenb.  Oebunben  3)L  i.60. 

39  l^iaquit,  ©eFiJiitfilr  br»  $oiiali0- 
mu0  in  tfsn  ©erelnigfen  6fa«len. 
©ebunben  m.  3 — 

40  B.B.par^ifnotu,  t>i8  ira0e  ber  ar- 
betfenbttt  ElalTe  inBu^lanb.  Ueber» 
fegt  oon  3)L  3Jac^imfon.  ©ebunben  Tl.  3.— 

41  leo  IDeufftli,  Piermal  entflogen. 
4.  unb  6.  Saufenb.    ©ebunben  m.  2.— 

42  Pefer  BJarjlo^o,  3>ie  Bgrarfra^e 
in  Burjlanb.  5Die  bäuerliche  Mrtfc^aftä« 
form  unb  bie  länblidjen  Slrbeiter.  Ueber-« 
fe|ungüon  3)2. 9ia(^imfon.  ©ebunben 3)2.3. — 

43  Paul  lEoui0,  ©eCrijirfife  be«  ©ojia- 
Ii0mu0  in  ^ranftrrid|.  2lu§  bem 
granjöftfc^en  übertragen  oon  ^ermann 
iüienbel.    ©ebunben  3)2.  3.— 

44  (gb.  Bernllein,  6o|iali0mu0  unb 
:5einoltratie  in  ber  großen  eng- 
liftfien  BeiJolution.  ^Uuftrierte  3luä= 
gäbe,    ©ebunben  3)2.  4.— 

45  Bari  Bautoftu,  J>rr  Url'prung  tue 
Cljiri}? cntum0.  (Sine  ^iftorifd^e  Unter= 
fuc^ung.  S.u. 6. Sauf,  ©ebunben  3)2.  5.75. 

46  I.  B.  Boubin,  J>a0  tljeoretirdie 
$y,^txn  bon  Bavl  JUarx.  SluS  bem 
englifdjen  überfe§t  pon  :^uife  itoutäly. 
D2it  einem  SSonoort  jur  beutfc^en  2lu§gabe 
oon  .Hart  ÄautSfp.   ©ebunben  3)2.  3.— 

47  B.Banf0{tB,J3orläuferbe0  neueren 
iöo|ialt0mu0.  Sntte  >.Jluflage.  (Srfter 
33onb:  ÄommuniftifcfteSeioegungenim3)2it= 
telalter.  ©ebunben  3)2.  3.— 

48 ,  ^roeiterSanb:  Der  Kommunismus 

in  ber  beutfc^en  ^Reformation.  ®eb.  3)2.3.— 

49  pi|.  Buonarroii,  Babeuf  unb  bie 
PerfdihJÖrung  für  bie  ®leicfil|eif. 
Ueberfe^t  unb  eingeleitet  oon  Hnna  unb 
ffiil^elm  aioS.    ©ebunben  3)2.  2.50. 

50  Bari  Baut0ftg,  ©ermelirunö  unb 
(Ent^ottklung  in  Bafur  nnb  ©efell- 
rrfiaff.    ©ebunben  3)2.  2.— 

51  Paul  Xoui0,(Bertfiirf|fe  ber  (Sehierft- 
rtfiaff0be^tieflun0  in  3franftreidi 
(1789  bi0  1912).  3(utorirterte  Über= 
fe^ung  »on  ^cbroig  Äuruq*®(fftein.  $erauS= 
gegeben  unb  mit  einer  (Einleitung  oerfe^en 
oon  Dr.  ©.  (Sdftein.  ©ebunben  3)2.  3,— 

52  ^vXsPk  $>aliii0li,  t>tv  Bapifali0- 
mu0  im  Blferfum.  Stubien  über  bie 
römifcbe  SIBirtfcbaftSgefd^icöte.  ^lOc^  bem 
granjöftfc^en  übeife^t  oon  Äarl  ÄautSfp 
jun.  3)iit  einem  Sorrooi t  oon  Äarl ÄautSl^. 
©ebunben  3)2.  3.— 

53  BiaxBbler,  I©arxi|f ifrfieproblcme. 
öeitrüge  jur  S^eorie  ber  materialiftifc^eit 
©ef^ic^tSauffaffung.  ©ebunben  W.  3.50.